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DAS WEIB
IN DER
NATUR- UND VÖLKERKUNDE.
ANTHROPOLOGISCHE STUDIEN
VON
D«- H. PLOSS.
Zweite, stark vermehrte Auflage.
Nach dem Tode des Verfassers bearbeitet und herausgegeben
von
Dr. Max Bartels.
Mit 7 lithogr. Tafeln, dem Portrait des Dr. H. FIosb in Lichtdruck
und 107 Abbildongen im Text.
Erster Band.
Leipzig.
Th. Grieben's Verlag (L Fernau).
1887.
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P73
Hermann Heinrich Ploss
wurde am 8. Februar 1819 als Sohn des Eaufinauns Carl Hein-
rich Phss in Leipzig geboren. Seine Gymnasialbildung erhielt er
auf der dortigen Nicolai-Schule, in welche er 1832 eintrat und von
der er im Herbste 1839 mit dem Zeugniss der Reife entlassen
wurde. Er bezog im October desselben Jahres die Universität seiner
Vaterstadt und wurde von dieser im Jahre 1846 auf Grund seiner
Inaugural- Dissertation De genest psychosium in ptterperio zum Doctor
medicinae proraovirt. Schon frühzeitig wurde er in die Bahnen
wissenschaftlicher Forschung hineingelenkt, denn es war ihm ver-
gönnt, bereits während seiner üniversitätsjahre (1843 — 1846) dem
Gynäkologen Friedrich Ludwig Meissner als Famulus zur Seite zu
stehen.
Sehr bald nach Beendigung seiner Studienzeit bot sich ihm ein
neues Feld seiner Thätigkeit dar. Er trat 1846 als Armenarzt in
den communalen Dienst seiner Vaterstadt, dem er, wenn auch später
in anderen Stellungen, fast bis zu seinem Lebensende treu geblieben
ist. Die Armenarztstelle gab er 1852 auf. Vom Juli 1866 bis
Ostern 1867 war er als stellvertretender Bezirksarzt, bis 1875 als
Arzt des Wöchnerinnen -Vereines thätig. In dem gleichen Jahre
wählten ihn seine Mitbürger in das Stadtverordneten-Collegium, dem
er bis zum Jahre 1881 angehört hat.
Als das Vaterland im Jahre 1866 der Hülfe auch nicht mehr
militärpflichtiger Aerzte bedurfte, bot auch Ploss seine Dienste an
und übernahm als Oberarzt eine Abtheilung in dem in der Leipziger
Turnhalle eingerichteten Militärlazarethe. Als Zeichen der Aner-
kennung für diese seine Thätigkeit wurde ihm vom Könige das
Ritterkreuz des Albrecht-Ordens verliehen.
Er war nicht verheirathet und widmete sich mit ganz beson-
derem Eifer dem Vereinswesen. Mit noch acht Collegen begründete
er im Jahre 1854 die geburtshülfliche Gesellschaft in Leipzig, in
fV
welcher er sechs Mal das Ehreuamt eines Directors, zwei Mal das-
jenige eines Vice-Directors bekleidete. Hier hat er 21 grössere
Vorträge gehalten und der Gesellschaft dreimal fiir Festschriften
ausführliche wissenschatlliche Abhandlungen geliefert. Es war dieses
(\\r die Jubiliien von Credr und von den geburtshuU'lichen Gesell-
schaften von Berlin und Hamburg. Auch von dem ärztlichen Kreis-
voreiu Leipzig wurde er mit der Abfassung mehi"erer, meist hygiei-
nischer Schriften betraut; ebenso ist er bei der Durchfiihrmig der
Desinfectionsordnung für die sächsischen Hebammen hervorragend
betheiligt gewesen. In dem ärztlichen Bezirksvereine Leipzig-Stadt
hat vr bis zu seinem Tode durch einen Zeitraum von fast 10 Jahren
das Ehrenamt des Vorsitzenden bekleidet. Sein warmes Literesse
fllr alle die sociale Stellung des ärztlichen Standes betreffenden
Fragen, sowie die hohe Anerkennung, welche ihm seine CoUegen
zollten, wird wohl am unzweideutigsten dadurch bewiesen, dass man
duivh stete Wiederwahl ihn an diesen Posten zu fesseln suchte.
>Viederholeutlich war er auch von diesem Vereine aus zu den Ver-
handlungen des deutschen Aerztevereinsbundes abgeordnet worden.
Diesem Zweige seiner vielseitigen Thätigkeit gehören zahlreiche
Artikel in dem sächsisciien Correspondenzblatte mid in dem ärzt-
Udren Vereinsblatto an.
Aber nicht allein bei seinen Collegen, sondern auch bei seinen
Fitienten ww Phss hochgeachtet und gern gesehen, tmd die letz-
teraa hingen mit grosser Liebe imd Verehrung an ihm. Er war
«in groenet Kinderfreund, ein liebenswürdiger, heiterer, niemals ab-
gMpannter Qese1UohHfk4.T. und man kann nur staunen, wie er bei
allen diesen leitraubenden VerpÜichtungen noch im Stande gewesen
ist, auf wissenachafUich-literarischem Gebiete so unendlich fruchtbar
SU sein. Es kam ihm jedoch bei seiner grossen, die Zeit streng
ausnutseoden Arbeitakraft sein geringes Schlafbedfir&iss, sein vor-
treffliches Oediefatniss and seine sich immer mehr und mehr er-
weiternde Bekanntschaft unter den Fachgelehriea auoaerordentlich
sn statten. Auch hatt« er sich too An£ang an daran gewohnt«
alle Mue Stodien irgendwie berührenden Angaben, wdche ihm bei
der Lectftr« aafirtiewien, sofort auf Zetteb xn aotireot «o da» er sein
btecarisches Rohmaterial in jedem AngcnbH^ bei der Hand haben
konnte. Derart^ Kotnen haben sich ia seinem Kachlasse in er-
etaonlicher Ansah! VMgefonden und sie Uefmi den Beweis, daas
«einen immer lasUoew Geist mtknn oeoe, ebenfiüls auf brett««1«r
Hermaiin Heiarich Plos$.
is angelegte wissenschaftliche Arbeiten schon wieder auf das
iefete beschäftigten. Es wird später von denselben die Rede sein.
Ploss war ein grosser, uervenstarker und sehr kräftiger Mann,
welcher nur einer geringen Erholung bedurl'te. Diese bestand
meistentheils in dem Besuche wissenschaftlicher Wanderversanim-
luugen, deren regelmässiger Gast er war mid auf denen er seine
umfassende Personalbekanntschaft pflegte und erweiterte. Er besass
ein grosses Geschick, neue Bekanntschaften anzuknüpfen und das
Wissen Anderer fiir sich selbst lehrreich imd nutzbar zu machen. Im
Frühsommer seines Sterbejahres unternahm er eine Reise nach Neapel
und Sicilien, welche ihn in hohem Maasse befriedigte. Im Herbst
nahm er Theil an dem Congress der deutschen Anthropologen, an
der Wanderversammlung deutscher Naturforscher und Aerzte und
an dem Congress für öffentliche Gesundheitspflege. So genoss er
noch einmal Alles, was diese Welt ihm Interessantes bot. Am
11. December 1885 erlitt er einen Gehirnschlag und starb, ohne
einen Moment das Bewusstsein wiedererlangt zu haben, zwei Tage
später, am 13. December 1885, im .\lter von ÖQ'^/i Jahren.
Seine literarische Thatigkeit, deren Uebersicht wir am Schlüsse
dieser Biographie folgen lassen, hat Ploss schon frühzeitig be-
gonnen. Er trat bereits im Anfange der fünfziger Jahre, also
kurz nach Absolvirung seiner Studien, mit ein Paar populär-
hygieinischen Schriften in die Oeffentlichkeit. Später hat er auch
für die Leipziger Illujitrirte Zeitung mid für Meyer's Conversations-
Lexioon mehrere Beitrage geliefert. In Gemeinschaft mit Küchen-
meister redigirte er mehrere Jahre hindurch die von Varges be-
gründete Zeitschrift für Medicin, Chirurgie und Geburtshülfe; auch
ist er mit Frosch zusammen der Herausgeber einer vierbändigen
niedicinisch- chirurgischen Encyclopädie für praktische Aerzte ge-
wesen. Die grosse Zahl seiner sonstigen Veröffentlichungen betrifft
iheila die ärztlichen Standesinteressen, theila die Staatsarzneikunde
und die öffenthche Gesundheitspflege, vor allen Dingen aber die
Gynäkologie und Oebxirtshülfe. Ganz neu von ihm begründet ist
ein Zweig der Wissenschaft, welchen man als die anthropologisch-
ethnographische Gynäkologie und Pädiatrie bezeichnen kann. Hier
ii«t »o recht sein hervorragendes Talent zu Tage getreten, die ver-
jenizelten Beö>)achtung»?n und Angaben der Forscher und Reisenden
t in xweckentsprechender Weise zu einem abgeschlossenen Ganzen zu
'«unmeln und zur Beleuchtung wissenschaftlicher Fragen zu ver-
VT
Hermann Heinricti PIogs.
werthen. Aber er hat gerade auf diesem Gebiete auch selber be-
fruchtend und zu erneuten Forschungen anregend gewirkt, und seine
Fragebogen sind hinausgegangen in alle Welt, um unser Wissen
zu bereichern imd zu verrollständigen.
Wie bereits gesagt wurde, haben sich unter seinen Papieren
die zahlreichen Materialien zu mehreren von ihm geplanten neuen
Veröifentlichungen vorgefunden. Fast vollendet ist ein Buch über
den Tabak, worin er, ganz seiner Eigenart entsprechend, die ethno-
graphischen Gesichtspunkte in den Vordergrund gestellt hat. Eine
zweite Abhandlung sollte eine historisch-ethnographische Betrach-
ttmg der Prostitution bearbeiten. Ein besonders reichliches Material
fand sich zu einer dritten Arbeit vor. Was er hiermit beabsich-
tigte, das erfahren wir in der ersten Auflage des vorliegenden Werkes
aus Phss' eigenem Munde:
,,Das Gebiet der Ehe ist ein so umfassendes, dass es eine ein-
gehende Betrachtung erfordert. Nachdem Peschd in ausgezeichneter
Weise in seiner „Völkerkunde" schon die Gesichtspunkte dargestellt
hat, welche uns eine vorsichtige Auffassung der ethnologischen Er-
scheinungen ermöglichen, halte ich es fl\r angemessen, auf dessen
(von Kitchhoff vervollständigte) Arbeit zu verweisen, und der Sache
später eine ausführlichere Bearbeitung zu widmen, welche namentlich
auch die Heirathsgebräuche berücksichtigen soll. Aus der Geschichte
imd Naturlehre der Ehe liegt ein so reiches Material vor, dass die
dahin einschlagenden Fragen (Sterblichkeit, Selbstmord der Ver-
heiratheten und Unverehelichten etc., erbliche Krankheiten, Bluts-
verwaudten-Ehen, Geschlechts- Verhältnisse der Geborenen et«,) neu
gesichtet und beantw^ortet werden müssen. Vor Allem aber ist die
culturhifitorißche Bedeutung der Ehe insofern hochwichtig, als sich
aus und mit ihr die sociale Stellung des Weibes entwickelt,
ein Thema, das wir au anderem Orte unter dem Titel ,Das Weib
im Familien- und socialen Leben" besprechen werden, "
So mögen diese wenigen Worte, viel zu knapp und dürftig
für die Freunde des Verstorbenen, dem Leser eine flüchtige An-
schauung geben von seiner wissenschaftlichen Vielseitigkeit, Noch
deutlicher wird dieselbe werden, wenn wir jetzt einen Blick werfou_
auf dos Verzeichnisa seiner Veröifentlichungen.*)
'I Die thaU&chliciii;^n Angaben sind «üneiu vom IW
Sätigev iu Leipzig verfa«8ton Nekrologe cmtnotninen
Verzeichiiiss
der Ton Dr. H. Ploss im Druck erschienenen Werke and
grösseren Zeitschriften-Artikel.
1. De genesi psychosium in puerperio. Inaugural - Dissertation.
Leipzig 1846.
2. üeber die das Geschlechtsverhältniss der Kinder bedingenden Ur-
sachen. Berlin (Hirschwald) 1859. (40 S. 8«>.)
3. Ein Blick auf die neuesten Beiträge zur Frage über das Sexualver-
haltniss der Neugeborenen. Monatsschr. f. Geburtsk. 18. S. 237. 1861.
4. üeber Anwendung des Druckes und der Vis a tergo in der opera-
tiven Gebortshülfe. Zeitschr. f. Medicin, Chirurgie und GeburtshQlfe von
Dr. H. Ploss. Leipzig 1867. S. 156.
6. Die Art der Abnabelung bei verschiedenen Völkern (Abreissen , Ab-
beissen, Abschneiden u. s. w.). Deutsche Klinik. Berlin 1870. Nr. 48.
6. Die operative Behandlung der weiblichen Geschlechtstheile bei ver-
schiedenen Völkern: a. Beschneidung der Mädchen, b. Vernähung (Infibula-
tion). Zeitschr. f. Ethnologie. Bd. III. Berlin 1871. S. 381.
7. üeber künstlich hervorgebrachte Deformitäten an den weiblichen Ge-
schlechtstheilen und über Behandlung der Schamhaare bei Frauen. Deutsche
Klinik. Berlin 1871. Nr. 27. S. 242.
8. Das Verfahren verechiedener Völker bei Ausstossung und Entfernung
der Nachgeburtstheile. Deutsche Klinik. Berlin 1871. Nr. 28.
9. Das Männerkindbett (Couvade), seine geographische Verbreitung
und ethnographische Bedeutung. Jahrb. d. geographischen Gesellschaft in
Leipzig 1871. (16 S.)
10. üeber die Lage und Stellung der Frau während der Geburt bei
verschiedenen Völkern. Leipzig (Veit & Co.) 1872. (67 S. 8« in. V.)
11. Das Heirathsalter. Jahresbericht des Leipziger Vereins f. Erdkunde
vom Jahre 1872.
12. Die ethnographischen Merkmale der Frauenbrust (nebst einem An-
hang: Das Säugen von jungen Thieren an der Frauenbrust). Archiv f. An-
thropol. Bd. V. Braunschweig 1872. S. 215.
18. Das Kind in Brauch und Sitte der Völker. Anthropologische Studien.
2 Bde. Stuttgart (Auerbach) 1876. (619 S. 8".)
1*. Dr. Struve's künstliche Mineralwässer auf der I. balneologischen
^nwteilttng zu Frankfurt a'M. Leipzig (F. C. W. Vogel) 1881. (34 S. 8".)
"^ Historisch-anthropologische Notizen zur Behandlung der Nachge-
N der Festschrift .Beiträge zur Geburtshüife, Gynäkologie
~ npzig (Engelmann) 1881.
16. Das kleine Kind vom Tragbett bits /.um ersten Schritt. Berlin 1881.
17. Uober das Gesiindheitswesen und seine Regelung im Deutschen
Reich. Leipzig (Gr6bner) 1882. (91 S. 8".)
18. Zur Geschichte. Verbreitung und Methode der Fruchtabtreibung.
Colturgeachichtlich - medicinische Skizze. Leipzig (Veit & Co.) 1883.
(47 S. 80.)
19. Zur Verständigung über ein gemeinsaraea Verfahren der Becken-
messung. Archiv f. Anthropologie. Bd. XV. 1884.
20. Das Kind in Brauch und Sitte der Völker. Anthropologische Studien.
2. Aufl. N. Ausg. 2 Bde. Leipzig (Th. Grieben's Vlg., L. Fernau) 1884.
(872 S. 8".)
21. Das kleine Kind vom Tragbett bis zum ersten Schritt. Ueber das
Legen, Tragen und Wiegen, Gehen, ^tehen und Sitzen der kleinen Kinder
bei den verschiedenen Völkern der Erde. 2. Auag. Leipzig (Th. Grieben'«
Vlg.. L. Fernau) 1884. (120 S. 8'>.) Mit Abb.
22. Das Weib in der Natur- und Völkerkunde. Anthropolog. Studien.
2 Bde. Leipzig (Th. Grieben's Vlg., L. Fernau) 1885. (1078 S. 8\)
23. Geschichtliches und Ethnologisches über Kaabenbeschneiduog.
Leipzig (Hirschfeld) 1885. (32 S. 80.)
24. Anweisung zur Pflege und Wartung der Kinder in den ersten
Lebensjahren. Leipzig (Barth) 1851. (45 S. 8ö.)
25. Hygiea. Die Kunst, ein hohes und frohes Alter zu erreichen.
Ein Buch für Jedermann, insbesondere eine väterliche Liebesgabe für den in
die Welt tretenden Jüngling. Leipzig 1851.
26. Ueber die das Geechlechtsverhilltniss des Kindes bedingenden Ur-
sachen. Mon. f. Geb. XU. 532. 1858.
27. Ueber den Einfluss der Jahreszeit auf die Häufigkeit der Geburten
and auf das Geachlechtsverhältnias des neugeborenen Kindes. Monatsschr.
f. Geburtsk. XIV. S. 454.
28. Zur Zwillingsatattstik. Referat in der Deutschen Klinik. 1861.
29. Ueber die Operationsfrequenz in geburtshülflichcn Kliniken und
Polikliniken. Archiv f Gynäkologie. VI.
30. Ueber die Operationsfrequenz in geburtshUlflichen Kliniken und Poli-
kliniken. Monatsschrift für Geburtskandc und Frauenkrankheiten. 1869.
31. Studien Über Kindersterblichkeit. Jahresbericht für Kinderheil-
kunde. 1874.
32. Ueber die Frequenz der geburtshUlflichen Operationen. Monats-
schrift Tür GeburtshUlfe und Frauenkrankheiten. Bd. XXIII. 1884.
33. Proach und Plosa. Mediciniach-chirurgisoheEncyklop&die für prak-
tische Aerzte, in Verbindung mit mehreren Aerzten herausgegeben. 4 Bde.
1854—1868.
34. H. Plosaund F.Küchenmeiater. Zeitschrift fürMedicin, Chirurgie
und Geburtahülfe , bekundet von A. W Vargea. Neue Folge Bd. 1 — 4
(Bd. 16—19). Leipzig 1862—186.5.
35. PloBs. Vorwort zu Theodor Waitz: Die Indianer Nordamerikaa.
Leipzig 1865.
Ploas verfasate zahlreiche Artikel
im sächsischen Correspondenzhiatt,
im ärztlichen Vereinsblatt,
im Archiv für Gynäkologie,
io der Monatsschrift f(tr Geburtakunde,
in Meyer's Converaalions-Lcxicoa,
in der Leipziger Illuatrirtcr ■'"!♦"?
Vorrede des Verfassers
zur ersten Auflage.
Wenn ich die Früchte meiner vieljährigen Studien über die
, Naturgeschichte des Weibes vorzugsweise vom völker-
kundlichen Standpunkte aus" der Oe£P'entlichkeit übergebe, so
darf ich wohl bekennen, dass ich mir bei der Bearbeitung dieses
ebenso schonen und anziehenden, als auch vielumfassenden Stoffes der
grossen Schwierigkeit voll bewusst war, die ein solches Unternehmen
dem gewissenhaften Autor darbietet. So ergiebig der Gegenstand
auf der einen Seite für eine allseitige und eingehende Betrachtung
ist, so hatte ich doch eine bestinunte Umrahmung im Auge zu be-
halten, auf die ich mich selbst und meinen Leserkreis beschränke.
Ich hatte die der Natur- und Culturgeschichte entnommenen That-
sachen, die für das Leben und Wesen des Weibes charakteristisch
sind, in ähnlicher Weise zu verwerthen, wie ich über das Kind
und seine Behandlung in meinem früher erschienenen Buche (»Das
Kind in Brauch und Sitte der Völker") zahlreiche Erscheinimgen ans
allen Zeiten und Landen dargelegt und geschildert habe.
Dadurch, dass ich diese Arbeit als „anthropologische
Studien' bezeichne, glaube ich hinreichend angedeutet zu haben,
dass ich mir keineswegs die — von einem Einzelnen kaum jemals
ausführbare — Aufgabe stellte, ein vollständiges Bild vom realen
Leben des Weibes und von seiner idealen Stellung im Reiche der
Natur zu entwerfen. Vielmehr ging meine Absicht überhaupt nur
dahin, das mir zu Gebote stehende, in ziemlicher Beichhaltigkeit zu-
geflossene Material lediglich im Lichte der modernen Anthropologie
und Ethnologie, also vom rein naturwissenschaftlichen Standpimkte
ans, zu sichten und dem Verständnisse eines Leserkreises zugänglich
Vorrede des Veriasäi
ZU machen, dessen Sinn und Bildung für dergleichen Studien em-
ptanglich und vorbereitet sind.
Denn ich betrachte das Weib in seinem geistigen und körper-
lichen Wesen mit dem Auge des Anthropologen und Arztes. Dem-
gemäss musste ich mich einestheils mit den psychologischen, ethi-
schen und ästhetischen Zügen des , schönen' Gesclüechts, insbesondere
auch mit der Art und Weise beschäftigen, in der diese Züge von
anderen Forschem neuerlich aufgefasst wurden. Andemtheils unter-
suchte ich die physiologischen Functionen des Weibes in so weit, als
mir durch die Völkerkunde mannigfache Thatsachen bekannt waren,
welche auf dem Wege eingehender Vergleichuug der bei den ver-
schiedenen Völkerschaften zu Tage tretenden Zustände über die ver-
schiedene Organisation und Thätigkeit des weiblichen Körpers werth-
volle Aufschlüsse gewährten. Dabei wxu*de von mir nicht unbe-
achtet gelassen, welche Behandluugsweise des Weibes unter den
Völkern sich namentlich in sexueller Hinsicht durch Sitte und Bmuch
beimisch gemacht hat, und wie man wohl die Entstehung solcher
Sitten zu erklären im Stande ist
So darf ich wohl sagen, dass ich die Lebensverhültnisse des
Weibes zu einem grossen Theile nach den Anforderungen und Er-
gebnissen der Ethnographie geschildert habe. Nach der einen Rich-
timg hin musste ich — immer die Einflüsse der Culturbedinguugen
im Auge behaltend — das geistige Vermögen des Weibes, sein
Denken und Empfinden als einen Theil der Geisteswissenschaft in
den Bereich meiner Betrachtung ziehen. Nach anderer Richtung
hin eröffnete ich Einblicke in die unter dem Einflüsse von Klima,
Lebensweise u. s. w. stehenden sexuellen Beziehungen des weiblichen
Geschlechts von der Reife und Empfängniss an bis zur Erzeugung
und ersten Pflege des Kindes, ein wichtiges Kapitel der Biologie
und Entwickeluugsgeschichte des Weibes bis zur Mutterschaft. Und
schliesslich gelange ich zur Schilderung der socialen Lage, in welcher
wir das Weib bei der culturellen Entwickelung des Menschenge-
schlechts zu allen Zeiten und bei allen Rassen finden — hier lieferten
mir die jüngsten Untersuchungen der Sociologen werthvolle Anhalts-
punkte zur Besprechung der cultureUen Einwirkungen, durch welche
von den Urzuständen des Menschengeschlechts an bei den allmäh-
lichen Fortschritten in Sitte, Hecht und Religion die Stellung d^
Weibes die jetzige Höhe bei civilisirten Völkern erreicht«.
Indem ich nun, wie ich BUsdrücklinh nnH wipderhoU betone.
zur ersten Auflage. XI
nur Dasjenige klarstellen will, was ich durch meine Studien auf
dem Gebiete der Natur- und Völkerkunde gewann, habe ich es mit
recht positiven Verhältnissen und fast nur mit exacten Forschungen
zu thun, für die ich mir den Stoff meist aus weit zerstreuten Quellen,
vielföltig auch durch directe Nachfrage bei Beisenden und Männern
von Fach aus allen Theilen der Erde herbeischaffen musste.*) —
Allein ich hatte bei meiner Dai^tellung auch nicht wenige wissen-
schaftliche Probleme zu berühren. In der Anthropologie stossen
wir ja überall auf Probleme der geschichtlichen Entwickelung der
Menschheit, für welche es an historischen Documenten fehlt. Man
sucht sie, so gut man kann, durch eine Forschungsmethede zu lösen,
die in vielen Zweigen der Naturwissenschaft, z. 6. der Geologie,
treffliche Erfolge aufzuweisen hat. Es ist dies das Verfiahren, die
Ueberreste aus früheren Zuständen, sowie die Anfönge historischer
Ueberlieferung zur Erklärung jetzt bestehender und gefundener Er-
scheinungen zu benutzen. So viel ich konnte, habe ich auch nicht
ermangelt, diesen Gang der Untersuchung zu betreten.
Bei solcher Deutung räthselhafter Erscheinungen im Völker-
leben ist freilich stets die grösste Vorsicht geboten; die schnell be-
reite Phantasie darf hier nie allzu eifrig an's Werk gehen. Daher
trat ich an die Beurtheilung einzelner, selbst von hervorragenden
Forschem geistvoll ausgesprochener Ansichten über manche noch
nicht voll erklärbare, im Cultur- und Völkerleben auftretende That-
sachen mit einer gewissen Zurückhaltung, die mich veranlasste,
gegenüber den Anschauungen und ihrer Motivirung einfach meine
Bedenken zu äussern, anstatt mit der vollen Kraft der Ueberzeugung
einer Hypothese Raum zu geben, die, schwach gestützt, oft all-
zubald hinfällig wird.
Vielleicht könnte mein Buch bei solchen Lesern nicht die volle
Befriedigung erwecken, welche mit ungerechtfertigten Erwartungen
an die Leetüre desselben herantreten, insbesondere dann, wenn sie
, Aufgabe und Tendenz desselben verkennen. Es wäre beispielsweise
falsch, wollte man von einer solchen Arbeit etwa den Versuch einer
.Lösung* der „ Frauenfrage " verlangen, die ich am Schlüsse nur des-
halb berühre, weil sich die Anthropologie auch mit gewissen histori-
fcfaen Momenten derselben zu beschäftigen hat. — Viele Zustände
*) Zahlreiches Material habe ich durch Beantwortung von Fragebogen
*^teit^ welche ich theils nach vielen Ländern an dort sinsilsHige Aerzte
Privatleute versandte, theils Reisenden und Missionären mitgab.
Xn Vorrede des Verfassers zur ersten Auflage.
des weiblichen Geschlechts bei modernen Culturvölkem können in
der Anthropologie freilich nur insoweit Berücksichtigung finden, als
sich neben der Givilisation überall im Volke Sitten und Bräuche
erhalten haben, die als charakteristische üeberlieferungen und Reste
aus frühesten Zeiten stammen.
Ein vorurtheilsloser Kritiker wird mir jedoch im Hinblick auf
die oben angedeuteten Tendenzen zugestehen, dass ich mich als
Anthropolog und Arzt in den. meinen Studien gezogenen strengen
Grenzen gehalten habe, dass ich mich aber innerhalb derselben unter
der Führung wissenschaftlichen Ernstes sowohl bei der Wahl, als
auch bei der Betrachtungsweise des Stoffes vollkommen frei bewegte.
Die günstige Aufnahme, welche beim wissenschaftlichen und nicht-
wissenschaftlichen Publikum mein Werk allseitig während seines
seitherigen lieferungsweisen Erscheinens erfahr, giebt mir die be-
friedigende Gewähr und Hoffiiimg, dass es nun, nachdem es voll-
ständ^ vorliegt, weiterhin solche Leser finden wird, welche das
rechte Yerständniss, doch auch den ernsten Sinn für die Sache mit-
bringen ! und der Kreis dieser Leser besteht nicht bloss aus Anthro-
pologen und Aerzten, vielmehr wird in meinem Buche gewiss auch
jeder mit höherer Bildung ausgerüstete Mann so manches Belehrende
finden, das seinen Gesichtskreis bezüglich der Kenntnisse auf dem
Gebiete der Physiologie und Psychologie des weiblichen Geschlechts,
der Ethnographie und Gultui^eschichte erweitert.
Leipzig, Mitte October 1884.
Dr. Heinrich Ploss.
Vorrede des Herausgebers
zur zweiten Auflage.
Am 13. December 1885 ist Heinrich Ploss gestorben. Un-
ermttdlich thätig, fast bis zu seinem letzten Athemznge, hat er
mit staunenswerthem Fleisse an der Zusammenbringung wissen-
schaftlichen Materiales gearbeitet. Eine sehr grosse Zahl ethno-
graphischer und anthropologischer Aufzeichnungen hat sich in
seinem Nachlasse gefunden, welche ein beredtes Zeugniss davon
ablegen, wie er unablässig darauf bedacht gewesen ist, seine all-
bekannten Werke weiter auszubauen und für neue interessante Ar-
beiten den Stoff zusammenzubringen. Alle diese Hofihungen hat
der unerwartet und plötzlich eingetretene Tod vereitelt.
Von dem weiten Interesse, das er für seine Schriften zu er«
wecken verstanden hat, liefert namentlich «das Weib* einen recht
schlagenden Beweis, dessen erste, 1500 Exemplare starke Auflage
in wenig mehr als Jahresfrist vergriffen war. Ploss hat nicht mehr
die Genugthuung gehabt, diesen erfrenlichen und fOr ihn so ehren-
vollen Erfolg zu erleben.
Der Wunsch der Hinterbliebenen und der Verlagsbuchhandlung,
dieses Werk von Neuem aufgelegt zu sehen, veranlasste den Herrn
Verleger, auf den Vorschlag des Vorsitzenden der deutschen
anthropologischen Gesellschaft, Herrn Geheimrath Virchow , den
Unterzeichneten zu einer Neubearbeitung der zweiten Auflage auf-
zufordern. Sehr gern habe ich mich dieser mühevollen Arbeit unter-
zogen, und ich bin stets bestrebt gewesen, die Physiognomie des
Floss'achen Werkes, soweit es irgend sich mit dem Interesse des
Ganzen vereinbaren Uess, zu erhalten. Es waren jedoch einige ein-
greifende Veränderungen nicht zu umgehen. Die Kapitel der ersten
Anflf^e waren nicht selten in der Form einzelner in sich ab-
geschlossener Essays nebeneinander gestellt, und da kam es dann
XTV
nicht selten vor, dass sie Dinge enthielten, welche besser in einem
anderen Kapitel ihre Stelle gefunden hätten , oder dass sich die
gleichen Angaben in mehreren Kapiteln , bisweilen mit denselben
Worten, wiederfanden. Hier musste mancherlei geordnet, umgestellt
imd gestrichen werden, und gleichzeitig glaube ich, durch die
Eintheilung des Ganzen in eine grosse Anzahl mit besonderer
üeberschrift versehener klirzerer Abschnitte die bequeme Lesbar-
keit des Buches nicht unwesentlich erhöht zu haben. Gleichzeitig
sind viele medicinische und anthropologische Begriffe, welche Ploss
als bekannt vorausgesetzt hat, die dem Nichtmediciner jedoch unmög-
lich geläußg sein konnten, in kurzen, aber hoffentlich leicht ver-
ständlichen Worten erläutert worden.
Ein besonderes Gewicht wnirde darauf gelegt, die anatomischen
Unterschiede zwischen dem männlichen und dem weiblichen Qe-
Bchlechte , wie sie die heutige Specialforschung festgestellt , aber
in einer grossen Reihe schwer zugänglicher Einzelpublicationen
niedergelegt hat, in bequem übersichtlicher Weise zusammenzu-
stellen, wodurch, wie ich hoffe, auch den anthropologischen Fach-
genossen ein kleiner Dienst geleistet wurde.
Von den oben erwähnten Notizen, welche sich in dem Ploss' sehen
Nachlasse gefunden haben, wurde selbstverständlich möglichst viel
der neuen Auflage einverleibt; doch ist auch sehr Vieles zugegeben,
was Ploss nicht zugänglich gewesen war. Aus den Ploss'schen Auf-
zeichnungen geht hervor, das« der Verfasser eine Ausdehnung seines
Werkes über den ursprünglich von i^m gesteckten Rahmen hinaus
nicht beabsichtigt hat: er war nur bestrebt gewesen, die früheren
Kapitel weiter auszubauen. Hier habe ich es für notliwendig ge-
halten, eine eingreifende Aenderung vorzunehmen: Das P/o.sVsche
»Weib* war eigentlich ein Torso; wir lernen es kennen bei dem
Eintritt der Pubertät und verlassen es nach dem Abschhiss de«
Wochenbettes. Alle die vielen Beziehungen des Weibes, welche
sich ausserhalb der Geschlechtssphäre im engeren Sinne befinden,
waren unberücksichtigt geblieben. Es ist daher mein Bestreben
gewesen, das Bild entsprechend zu vervollständigen, was einen nicht
geringen Aufwand von Mühe und Arbeit verursacht hat, da es auf
diesem Gebiete vielfach an entsprerhonden Vorarbeiten fehlte. So
hat nun auch das geschlechtsreifo Weib im Zustande der Ehelosig-
keit, das Weib als Wittwe, daj« Weib in seinem VerhülUiii.*i«' an
den nachfolgenden Generationen als Mutter, Stiefmutter, Grosstuntter
zur zweiten Auflage. XV
und Schwiegermutter, das Weib in den Jahren des Verblühens und
das alternde Weib seine volle Berücksichtigung gefunden, und wir
begleiten nun dasuWeib vom Mutterleibe an durch alle seine Lebens-
phasen bis in die Jahre des Greisenalters und selbst bis über den
Tod hinaus. So glaube ich, in der vorliegenden Auflage dem Leser
ein in sich zusammenhängendes und annähernd abgeschlossenes
Bild von dem Weibe in anthropologischer Beziehung vorzuführen.
Dass hier, wo es sich um anthropologische Untersuchungen
und Erörterungen handelte, das Weib nicht immer in keuscher Ver-
hüllung aufzutreten vermochte, das bedarf wohl eigentlich keiner beson-
deren Erwähnung. Durch die üeberschriften sind die betreflfenden Ab-
schnitte ja bereits hinreichend gekennzeichnet, und wer die nackte
Natur nicht glaubt ertragen zu können, der ist ja nicht gezwungen,
diese Kapitel zu lesen; dem Arzte und dem Anthropologen werden
sie aber, wie ich mit Zuversicht annehme, eine nicht unerwünschte
Gabe sein.
Noch ein paar Worte möchte ich hinzufügen über die äussere
Erscheinung dieser zweiten Auflage. Die Wahl von zweierlei
Typen, wobei die Specialangaben kleiner gedruckt worden sind,
wird unzweifelhaft zur bequemeren Uebersichtlichkeit des Buches
beitragen. Aus dem gleichei;^ Grunde sind alle Eigennamen cursiv,
alle geographischen und ethnographischen Namen gesperrt ge-
druckt worden. Die Literaturangaben sind, um unendliche Wieder-
holungen zu vermeiden, nicht mehr unter den Text gesetzt, son-
dern in alphabetischer Anordnung zusammengestellt worden. Die
kleine Zahl neben dem Automamen giebt an, welche seiner Ver-
öffentlichungen gerade citirt worden ist. Die Citate aus fremden
Sprachen sind zur grösseren Bequemlichkeit des Lesers fast sämmt-
lich in deutscher Uebersetzung gegeben worden.
Den Vorschlag des Herrn Verlegers, der neuen Auflage Ab-
bildungen beizufügen, habe ich natürlicherweise mit lebhafter
Freude begrüsst, und ich bin bemüht gewesen, möglichst Vielseitiges
in dieser Beziehung darzubieten. Soweit es sich durchführen liess,
sind den Abbildungen Photographien zu Grunde gelegt, von denen
ich einzelne eigens flir diesen Zweck aufgenommen habe.*) Die im
Texte nur kurz angedeutete Herkunft der Figuren ist in der Er-
*) Zum Theil mit gütiger Erlaubniss des Herrn Gcheimrath Bastiuu im
hietigen königlichen Museum ffir Volkskunde.
X\T Vorrede des Herausgebers aur zweiten Auflage.
klärung der Abbilduagen mit grosster AusfUhrliclikeit angegeben
worden.
So möge auch die neue Auflage hinausziehen in die Welt,
ein ehrendes Denkmal des rastlosen Fleisses des für die Wissen-
schaft leider zu früh verstorbenen Ver&ssers.
Ehre seinem Andenken!
Berlin, Mitte October 1887.
Dr. Max Bartels,
praktischer Arzt.
.Ju
Inhalt des ersten Bandes.
Iiebenalanf von Hemuuui Heinrich Ploss m
Veraeiohnias der von Flosa Im Druok erschienenen Werke und
grösseren Zeitsohrüten-Artikel VU
Vorrede des Verfassers aur ersten Auflage IX
Vorrede des Herausgebers zur swelten Auflage XIII
Erste Abtheilung.
Der Organismus des Weibes.
I. Die anthropologische Aufliftssung des Weibes. Seite
1. Die Entstehung de» Geschlechtes 8
2. Gestalt und Körperbau 8
8. Die Sterblichkeit des weiblichen Geschlechtes und der Weiber-
überschuss 28
n. Die psychologische AufiSusung des Weibes.
4. Die psychologischen Aufgaben des Weibes 32
5. Die moderne Psychologie in ihrer Auffassung des weiblichen
Charakters . 36
6. Die abnormen Ehen und der' Selbstmord 44
7. Die Betfaeiligung des weiblichen Geschlechtes am Verbrechen 45
m. Die ästhetische Aufikssiing des Weibes.
8. Die weibliche Schönheit 49
9. Das Schönheitsideal bei verschiedenen Völkern 53
10. Der Geschmack und seine Auffassung der weibl. Schönheit... 61
11. Der Darwinismus über die EntwickeTung weiblicher Schönheit 82
12. Die Mischung der Rassen steigert meist die Entwickelung
weiblicher Schönheit 84
13. Die Verkümmerung des weiblichen Geschlechte« 87
14. Die Vertheilung der weiblichen Schönheit unter den Völkern 89
nr. Die Aufliusung des Weibes im Volks- und religiösen
Olauben.
15. Der Aberglaube in der Behandlung des Weibes 111
!•. Die religiösen Satzungen in Bezug auf das Geschlechtsleben
^TFrau 113
^"noensprache 116
n
XVIII Inhalts -Verzeichniss.
Seit«
V. Die äussaren Sezualorgane des Weibes in ethnogra-
phischer Hinsicht.
18. Allgemeines 118
19. Das weibliche Becken 120
20. Die äusseren weiblichen Sexualorgane und ihre ethnogra-
Ehischeu Merkmale > 130
>ie künstliche VergrOssemng der 8chamlippen und der
Clitoris und die absichtliche Zerstörung des Jun^ernhäutchens 143
22. Die Be^chneidung der Mädchen und die Vemäbung 145
23. Der Mens Veneria und die Behandlung der Schamhaare 163
VI. Die inneren Bexualorgane des Weibes in ethnographischer
Hinsicht.
24. Die ErkenntnisB des anatomischen Baues der inneren weib-
lichen Geschlechtsorgane 169
25. Die Gebärmutter 173
26. Die Eierstöcke und die Ovariotomie 178
Vn. Die Frauenbrust in ethnographischer Hinsicht.
27. Die Frauenbrust in ihrer Rassengestaltung, Behandlung und
Pflege 180
28. Die Verstümmelungen der weiblichen Brust 195
29. Das Säugen von jungen Thieren an der Frauenbrust 199
Zweite Abtheilung.
Das Leben des Weibes.
30. Die Hauptabschnitte in dem Leben des Weibes 205
Vm. Das Weib im Mutterleib«.
31. Die Erkenntniss des Geschlechtes der Kinder im Mutterleibe 206
32. Verlauf der Mädchen- und Knabengeburten 210
IZ. Das Weib während der Zeit der geschlechtlichen Unreife
oder die Kindheit des Weibes.
38. Die Aufnahme des Mädchens nach der Geburt 214
34. Das Leben des weiblichen Kindes 218
X. Die Reife des Weibes (die Pubertät).
35. Der Eintritt der Menstruation 219
i 36. Die Frühreife 287
I 37. (vebräuche bei dem Eintritt der Menstruation 242
38. Die Menstruirende gilt für .unrein' 249
39. Das Menstrualblut als Arznei- und Zaubermittei 267
40. Die Quantität des Menstruationsblutes 268
41. Normale und anomale Menstruation 270
XI. Der Bintritt des Weibes in das Oesohleohtsleben.
42. Die Beziehungen des Weibes zum männlichen Geschlecht. . . 278
43. Die Schamhaftigkeit des Weibes 280
44. Die Keuschheit des Weibes 289
45. Die Jungfraitschaft 298
46. Der Beischlaf 307
47. Die Stellung bei dem Uoitus 315
48. Masturbation und Tribadie und die Unzucht mit Thieren... 320
49. Geschlechtlicher Verkehr mit Göttern, Geistern, Teufeln und
Dämonen 323
50. Hetärismus und Prostitntion 827
51. Heilige Orgien und erotische Feste 837
Inhalts -Veneiobniss. XZX
S«ito
xn. Liebe und Ebe.
52. Die Liebe 341
58. Der Liebeszauber 843
54. Die Brautwerbimg und der Brautstand 356
55. Die Ehe 363
56. Die Ehe unter Blutsverwandten 371
57. Das Jus primae noctis 375
58. Der Ehebruch 379
59. Das Heirathsalter 384
60. Die Ehescheidung 403
XTTT. Daa Weib tm Zustande der Befiruohtung.
61. Die Zeugung 407
62. Die EmpfUngniss 411
63. Der Einfluss der Jahreszeiten und der socialen ZustiUide
auf die EmpiUngniss 413
ZIV. Die Fruchtbarkeit des Weibea.
64. Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit 421
■65. Das Ansehen, in welchem die iVuchtbarkeit steht 483
66. Arzneiliche und mechanische Mittel gegen die Unfruchtbarkeit 487
67. Gottliche und sympathetische Hülfe geg. die Unfruchtbark. 442
68. Die Verhütung der Befruchtung 454
69. Ueberfruchtung und mehrfache Schwangerschaft 457
70. Die Entwickelung der Frucht 464
71. Mädchen- und Knaben- Erzeugung 467
XV. Das physische und sociale Verhalten während der
Schwangerschaft.
72. Die Erkenntniss der Schwangerschaft 474
73. Die Schwangerschaftsdauer 480
74. Ceremonien und religiöse Gebräuche bei dem Eintreten der
Schwangerschaft 482
75. Die Abwehr bOser Geister und Dämonen während der
Schwangerschaft 485
76. Die rechtliche Stellung der Schwangeren 488
XVX Die Gesundheitspflege der Schwangerschaft.
77. Aerztliche und rituelle Vorschriften über die Schwanger-
schaft 494
78. Die Ernährung der äcbwangereu 497
79. Die Gelüste der Schwangeren 501
80. Die Sorge für die psychische Stimmung der Schwangeren 503
81. Dos Vergehen der Schwangeren 504
82. Abergläubische Verhaltungsregeln während der Schwanger»
schalt 507
83. Die Pflichten des Ehemannes während der Schwangerschaft 508
XVn. Die Therapie der Schwangerschaft.
84. Mechanische Vorkehrungen während der Schwangerschaft 511
85. Das Baden und Einsalmin während der Schwangerschaft 514
86. Blutentziehungen während der Schwangerschaft 515
87. Die medicamentOse Behandlung der Schwangeren 517
XVm. Normale und abnorme Schwangerschaft.
88. Die Lage und daa Stürzen des Kindes im Mutterleibe 520
89. Die Schwangerschaft auHserhalb der Gebärmutter 526
II*
XX Inhalts -Verzeichniss.
• Seite
XTX. Unseitige Geburten.
90. Die Arten der anzeitigen Geburten 527
A. Die znf&llige Fehlgeburt
91. Der natflrl. Abortus, seine Ursachen und seine Verbreitung 527
92. Die Maassregeln zur Verhfltong von Fehlgeburten 5S1
98. Die Anzeichen des beginnenden Abortus 532
B. Die absichtliche Fehlgeburt
94. Die Fruchtabtreibnng 534
95. Die Verbreitung der Fruchtabtreibung unter den jetzigen
Völkern 585
96. Die Frachtabtreibung unter den Völkern weisser Basse.. 548
97. Die BeweggrOnde fQr die Fruchtabtreibung 547
98. Die Abortivmittel 548
99. Versuche zur Beschränkung der Frachtabtreibang 562
C. Die Frfihgeburt
100. Wann ist die Frucht lebensfthig? 568
101. Die künstliche Frühgeburt 569
102. Die Todtgeburten 570
103. Falsche Scbwangerschatleu .' . . 574
Erste Abtheilung.
Der Organismus des Weibes.
Vloif. Dm Wtib. I. 9. Aalt.
L Anthropologische Auffassung des Weibes.
1. Die Entstehong des Geschlechts.
Das Weib unterscheidet sich von dem Manne iu anatomischer,
in körperlicher Beziehung keineswegs einzig nnd aUein durch die
Verschiedenheiten in dem Bau der Fortpflanzungsorgane. Allerdings
geben die Differenzen dieser für die Erhaltung der Art bestimmten
Gebilde die allerwesentlichsten Unterschiede zwischen den beiden
Geschlechtem ab und sie werden dieser Eigenthömlichkeit wegen ja
auch mit dem Namen Geschlechtsorgane bezeichnet. Es soll aul
eine ausführliche Schilderung derselben an dieser Stelle aus leicht
sichtlichen Gründen verzichtet werden. Wer von den Lesern sich
»gehender über diesen Gegenstand zu unterrichten den Wunsch
iät, den mUssen wir auf das Studium anatomischer und gynäko-
logischer Handbücher verweisen, unter denen wir die Werke von
Robert Hartmann^, Henle und den Atlas der Geburtskuude von
Kiwisch V. RotUrau als ftir diesen Zweck besonders geeignet
in Vorschlag bringen. Dass der Unterschied in dem Ge-
lechte dem Menschen bereits angeboren ist, bedarf wohl
ler besonderen Erwähnung. Weniger allgemein bekannt dllrfte
es aber sein , dass diese geschlechtlichen Unterscheidungsmerk-
male sich während der Entwickelung im Mutterleibe erst allmählich
herausbilden, sich ditl'erenziren, wie der fachmännische Ausdruck
lautet. Es ist also keineswegs der eine Keim sogleich nach er-
folgter Befruchtung als entschieden weiblich, ein anderer als ent-
schieden männlich anzusehen, sondern esexistirt eine verhältuissmässig
Innge Periode in dem Leben, das wir unter dem Herzen der Mutter
ftihren, in welcher eine Unterscheidung in männlich und weibUch
noch eine absolute Unmöglichkeit ist, selbst noch in einer Zeit,
wo die Entwickelung der späteren Geschlechtsorgane bereits ziemlich
weite Fortschritte gemacht hat.
Werfen wir einen Blick auf das imtere Körperende eines mensch-
lichen Embryo in der sechsten Woche seiner Entwickelung, wie es
uns Luschka ' ubbildet, so bemerken wir dort eine kleine, längs-
iu
äB
M^
F(f. 1. Di« EntTiokelnng der Qnsni-
Ullen (aaoh Lufchka),
gestellte Spalte, welche seitlich ron je einer Hautfalte (GenitalfaUe,
Geschlechtäfalte) begrenzt wird, während an ihrem vordersten Ende
ein kleines Höckerchen (der Geschlechts-
höcker oder Genitalhöcker) hervorsprosst.
Wir möchten bei dem Anblick dieser
Abbildung glauben , dass wir unbe>
streitbar weibliche Verhältnisse vor uns
hätten ; und doch ist hier eine Ent-
scheidung über das zukünftige Ge-
schlecht noch vollständig unmöglich;
noch hätte diese Frucht sich ebenso
gut zu einem Mädchen wie zu einem
Knaben ausbilden können. Aus -den
beiden Geschlechtsfalten entwickeln sich
vom Ende des dritten Monats ab ent-
weder die grossen Schamlippen oder,
indem sie in der Medianlinie miteinander
verwachsen, die beiden Hälften des Hodensacks. Der Geschlechtshöcker
bleibt entweder klein und bildet den Kitzler, oder er vergrössert sich
rasch und wächst zum Penis aus. Es kommt also, wie wir sehen, bei
dem Knaben eine Längsspalte am untersten Ende in der Median-
linie zu vollständigem Verschluss, welche bei dem weiblichen Ge-
schlechte ftlr die ganze Lebenszeit erhalten bleibt. Bei dem ersten
Anblick hat es daher einen gewissen Schein von Berechtigung,
wenn man das Weib als ein in der Entwickelung zurückgebliebeues,
ein im Vergleich zum Manne körperlich tiefer stehendes Wesen
betrachtet hat.
Das Weib ist aber seiner Natur nach ebenso vollkommen, wie
der Mann es nach der seinigen ist.
Erst die moderne Anthropologie hat durch volle Anerkennung
dieses Satzes dem Weibe in allen seineu körperlichen und geistigen
Beziehungen Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem sie doch auch
ganz besonders die Natur desselben in allen so mannigfachen .\iif-
gaben als geschlechtliches Wesen und namentlich im Vülkerleben
würdigte.
Die altgriechischen Naturforscher und Aerzte freilich, wie
Hippokrates und Aristoteles, hielten uud erklärten das Weib für ein
unvollkommenes Wesen, für einen Halbmenschen. Das Weib, so
meinte Hippokrates, sei niemals im Stande, beide Hände mit gleicher
Geschicklichkeit zu gebrauchen (rechts und links zugleich, anibi-
^dexter); nach seiner Ansicht wären dessen innere Oeschlechtstheile
las nämliche, was diejenigen des Mannes äusserlich sind; und
während sie beim männlicheii tJeschlechte die Wärme heraustreibe,
würden sie bei dem weiblichen Geschlechte von der Kälte im Innern
zurückgehalten. Dies sind Änschaumigen, welche iu keiner Weise
den wirklichen physiologischen Verhältnissen entjsprechen.
Das Weib trägt ebenso gut, wie der Mann, gegenüber ilem
1. Die Entsteliang des Geschlecht!.
^
Thiere alle Vorzüge der menechlicbeu Gattung au sich, auch hiu-
nichtlich der specifisch weiblichen Eigenschaften. Man hat, um nur
Einiges anzuführen, schon öfter auf die Gestaltung der Brüste, auf
die Eigen thünilichkeiten der Menstruation, auf das Vorhandensein
eines Jungfernhäutchens als charakteristische Unterscheidungsmerk-
luale des Menschen vom Thiere hingewiesen. Doch beruht das
Wesentliche nicht in solchen Einzelheiten, die man früher her-
vorhob. Die Zweihrüstigkeit ist nicht das ausschliessliche Eigen-
tham des Weibes, denn ganz abgesehen von den AiFen und den
meisten Halbaffen tragen auch die Mehrzahl der Fledermäuse zwei
Zitzen an der Brust und zwar genau an derselben Stelle, wie das
menschliche Weib.
in Betreff des Jungfernhäutchens hat schon Blumenbach den
von f. Haller angenonmieuen moralischen Zweck desselben zurück-
gewiesen, während Cuvier und andere auch bei Säugethieren eine
Art von Jungfernhäutchen fanden, und wenn Flinius das Weib ein
.menstruirendes Thier' nennt (animal raen.struale), so ist der Unter-
schied zwischen Menstruation und Brunst kaum von so wesentlicher
Bedeutung, um hierdurch die erhöhte Natur zu begründen. Auch
ist, wie Ilohert Harfmann^ sagt, eine Menstruation, und zwar eine
regelmässig stattfindende, durch die Beobachtungen von Bolau,
Eiders und Harnes wem'gstens für den Chimpanse durchaus fest-
gestellt worden. Dieser Vorgang dürfte wohl auch bei den übrigen
Formen nicht auebleiben. Es findet hierbei eine Schwellung und
Köthung der äusseren Theile statt. Alsdann treten die im nicht meu-
struirtcn Zustande nur wenig deutlichen grossen Lippen st.ark her-
vor. Die kleinen Lippen und der Kitzler sind von vorherrschender
Grösse und Bedeutung. Eine beim Chimpanse constatirte, oftmals
excesaive Schwellung und Röthung dieser Theile sowie auch der
Geaftssschwielen lä-sst sich übrigens ausserdem noch an Pavianen und
Macacos in deren Brunstperioden leicht wahmelimen.
Von den vielen weiteren Versuchen, das Weib in seiner uatur-
lÜKturiiichen Stellung zu erniedrigen, sprechen wir nicht; es kamen
auf diesem Gebiete im Verlaufe der Zeiten die ärgsten Ausschrei-
tungen vor. Zum Theil beruhen sie auf dem durch die herrschende
Cultur erzeugten Standpunkte der Anschaviung. Begreiflich ist,
wenn Vülker, die auf der niedrigsten Stufe der Civilisation stehen,
das Weib in seiner Behandlung bis zur Stufe des Thieres herab-
würdigen. Auch ist begreiflich, dass die Orientalen unter dem Ein-
flusfte ihres Bildungsgrades das Weib gering schätzen, da sogar der
Koran den Männern einen so grossen Vorrang einräumt, das Weib
dagegen für ein unvoUkommenes Geschöpf erklärt und sogar vom
pHmiiietfe ausschliesst. Und nur als Ausfluss einer im Zeitbewusst-
Kcin wurzelnden Neigung zu Absonderlichkeiten kann beispielsweise
die Thatsache aufgefasi^t werden, dass einst eine anonyme (von Aci-
dfilius verfas.ste) Abhandlung darüber erschien : ,das8 das Weib
nicht zum menschlichen Oeachlechte gehöre" (mulieres horaines uon
6
l. Anthropologische Anffassnsg des Weihes.
esse), — eine Schrift, welche zu Verhandlungen auf dem Coneüium
zu M a c o n Veranlaasiing gab.
Es ist ein Glück, dass die Zeit dieser Concile vorüber ist,
sonst würde auch wohl Paul AJhrecht sich auf einem solchen
zu verantworten haben, der auf dem deutschen Anthropologen-
congress in Breslau im Jahre 1 884 einen Vortrag hielt über
die grössere Bestialität des weiblichen Menschengeschlechtes in ana-
tomischer Hinsicht. Es heisst darin:
,,Au8 vielen Thateachen lüsst sich beweisen, daiis das weibliche Menschen-
geschlecht Oberhaupt das beharrlichere, d. h. das anseren wilden Vorfahren
nBher stehende Geschlecht ist. Solche Beweise sind:
1. die geringere Körperhöhe des weiblichen Geschlechtes ^
2. die beim weiblichen Geschlechte häufiger vorkombiendeu höheren Grade
von Dolicbocepbalie;
3. die häufigere und stärkere Prognathie;
4. die gewaltigere Ausbildung der inneren Schneidezähne;
5. der dem weiblichen Gescblechte vorwiegend zukommende Trochauter
tertius
6. die beim weiblichen Geachlechte weniger häufig auftretende Synostose
des ersten Coccygt'iilwirbels mit deui frslen Krenzbeinwirbel;
7. die beim weiblichen Geschlechte häufiger vorkommende Anzahl von
fünf Coccygealwirbeln ;
8. die beim weiblichen Geacblechte häufiger aafti'etende HypertrichoBis-,
9. die bei demselben seltenere Glatze.
Was den TrocLanter tertius anbetrifft, so ist dies besonders auffallend,
denn während derselbe bei dem menschlichen Weibe vorkommt, ist er seltener
beim Manne und noch seltener bei den Affen. Es ist dies besonders inter-
essant, da auf diese Weise sich das menschliche weibliche Geschlecht als
noch behurrlicber als die gröbste Anztihl der Affen hinstellt und auf ein
Geschlecht zurückgreift, das jedenfalls wilder war, als die heulige Affen-
welt. — Dass das weibliche Menschengeschlecht (Ibrigens nicht nur
anatomisch, sondern anch physiologisch das wildere Geschlecht ist, dOrfte
schon daraus hervorgehen, dass Männer wohl nur verhältnissmässig selten
ihre Gegner bcisseu oder kratzen, während doch Nägel und Zähne noch
immer zu den von dem weiblichen Geschlechte bevoneugten Waffengattungen
gehören."
Erwälmt mag noch werden, dass nach DeUiunuy'^ das Weib
mehr einen Plattfuss besitzt, wie er niederen Rassen zukommt. Er
meint, dass die hohen Absätze diesem Mangel abhelfen sollen. Nach
Jiankc^ scheinen Missbildungen beim weiblichen Geschlecht« häufiger
■»ufzutreten, als beim männlichen; nur in einzelnen besonderen
Arten überwiegt das letztere.
Am Weibe kann man bald mehr da« Geistige, bald mehr das
Leibliche betrachten. Daher giebt es eine ideale und eine reale
Auffassung des Weibe«, und unter den Philosophen kommen beide
Auflassungen zur Geltung. Der realen Charakteristik des Weibes
durch Sefiupmhaui'r stellt Michdet'x idefilistischer Standpunkt gegen-
fiber. Und während i-, Baert'nhnch sich iSrhoptnhaHer nähert,
sucht LoUe in seinem , Mikrokosmus' die rechte Mitte einzuhalten.
Gauz anders der Naturforscher als Physiolog uud Etlinograph.
Für ihn handelt es sich lediglich um die reale ErscbeiDUJig und
Stellung der Frau gegenüber dem männlichen Geschlechte und um
ihre specifischen, je nach Rasse, Volk imd Klima wechselnden kör-
perlichen Merkmale und Functionen. Hier steht das somatische
Leben im Vordergrunde der Betrachtung, während die Anthropo-
logie im weiteren Sinne allerdings auch das Psychische im Weibe
zum Gegenstand der Forschung und Betrachtung macht.
Weiterhin hat jedoch auch die körperliche Krscheiumig des
Weibes eine ästhetische und ideale Beziehung insofern, als es sich
fragt, in wie weit sich im Weibe überhaupt und insbesondere bei
einzelnen Völkern das ästhetisch Schöne kundgiebt.
»Die menschliche Schönheit," sagte schon vor längerer Zeit
Moreau, , scheint aus der Vollkommenheit der Formen und dem
Zusammenhang dieser Vollkommenheit mit einer höheren Natur imd
einem entwickelteren Leben zu entspringen; und nach dieser Ansicht
müssen alle äusseren Züge, welche die menschliche Organisation
vwj der thierischen unterscheiden, vorzüglich zur Schönheit beitragen
und den Hauptcharakter derselben bilden."
Wenn nun die Griechen in den Statuen Apollos und der
Venus Ideale der männlichen xuid der weiblichen Schönheit dar-
stellten, SU finden wir allerdings, das.s deren Gestalten, ab Re-
präsentanten der schönen Rasse, von den Körperformen jener rohen
VftUter sich wesentlich unterscheiden, die, wie die Buschmänner
und Feuerländer, in ihrer Erscheinung dem menschenähnlichen
Affen weit näher stehen, als den Prachtfiguren der griechi-
schen Künstler.
Auch sucht der genannte Autor die menschliche Schönheit vor
lern in der vollständigen Vereinigung der äusseren Merkmale des
[enschen, der immer um so schöner erscheint, als er geeignet und
"geschickt ist, die grossen Beetimmungen seines Geschlechtes zu er-
füllen. Von diesem Gesichtspunkte aus wäre man dann weiterhin
im Staude, der Frage über die Bedeutung der Schönheit bei Mann
Wid Weib näher zu treten, in-sofem, als bei ihnen beiden in de
Gestaltung die körperlichen und geistigen Aufgaben des Geschlechte^
zum Ausdruck gelungen. Doch zeigt der weibliche T>'pu.s besonder"^
Abstufungen: .Das Weib nähert sich mehr derjenigen Schön heite
wie «ie liurkr betrachtet, um sie vom Erhabenen zu unterscheiden,
Alle Züge, Merkmale und Eigenschaften desselben sind liebens-.
würdig; sie flössen weder Furcht noch Ehrfurcht ein: sie schmeicheln
gleich angenehuj dem Auge, wie dem Geiste; sie bestechen divi
Slerz und erzeugen Liebe und Verlangen. Ein ernstes Ansehen,
irgend ein rauher Zug, selbst der (liarakter der Majestät, wfirde
dem Effecte der Schönheit schaden, wie wir sie vom Weibe ver-
langen; imd Litcian st^^llt mit Recht den Liebesgott erschrocken
über Aus männliche Ansehen der 3Iincri'a dar.'
Ueber die männliche und weibliche Fonn bemerkt ^\'ilhc^tH
Anthropologie
««Bg
*. Huntholdt : ,.Üer eigentliche Geschlecbteausdnick ist iti der männ^
Hellen Gestalt weniger hervorstechend, und kaum dürfte es möglieb
sein, das Ideal reiner Männlichkeit ebenso wie in der Vetius das
Ideal reiner Weiblichkeit darzustellen."
Viele von jenen Zügen, durch welche sich das Weib vom
Manne körperlich unterscheidet, sind es vor allem, durch deren gtmt,
besondere ,echt weibliche* Ausbildung uns das Weib als besonders
schön und begehrenswerth erscheint. Sie sind es, von denen wir mit
Oodhe sagen: ,Dtts Ewig -weibliche zieht uns an*. Zunächst
tn&BSeD wir uns also Ober das Typische und Charakteristische am
Prauenkörper verst.andigen : sein Baa wird dann weiter in ethno-
graphischer Hinsicht interessiren.
im
w«
2. iiegtalt und Körperbxa.
'enn auch die vorliegende Abhandlung nicht ein Lehrbuch
der Anatomie zu werden b^bsichtigt, so erecheint es dem Bear-
beiter doch unumgänglich nothwendig, den Lesern in hinreichend
ffeuauer und eingebender Weise einen üeberblick zn verschaffen fiber
die aoatomiachen Vnterschiede, welche, abgesehen von den
Geschlechtsorganen, das Weib von dem Manne darbietet.
In anihropologi$cheu Studien, weiche das Weib xu ihrem Gej^n-
fltande haben, dOrfen diese Angaben nm »o weniger fehlen^ als bis^
her noch an keinem Platze die ausserordentliche Uaiuiig<igkeit
der in Frage kommenden Differenzen ihre bequem üborsichtliche
ZuakBuneastellnog gefunden hat und das AnCrocIiiBn der betreffetsden
Aagsbca in den weit verstreuten Originaiaufailaen doch nur mit
gnMBer MUhe und unTerhiltnisaDoiaBigem Zeäteafwaade mSglich
sdn wlbde.
Es wurde bereits im An£uige dieser Arbeit gmigt, daas es
nkht einsig nnd alküi die Oeaüalien anid, durch welche
die Fna tob dem MaaBe mtacaeheidel, Bb fiadoi ai^ eine
Mcnce tob Abwmtmngen in dem mmtnaiadMa Baa der
Gcs^kchtcr. wel<te mu nach dem Yatgmt toq CJmHet
U)0ntPm als secundire Geschlechtsckaraktere cn be-
aciduien pflegt Zu diesen gdifiren bei dem Weibe in aüotetsiar
linie die &xtwicke)ung der Bdlate, fiber welche wir in eiiMni
Tipittrm Kapitel aiuiShilich an handeln haben werden. Wir
itenn aae daher an dieser SieUe mit Stülschwasea Ahmten.
ftiwwiidini knoMa aber nodi ri^ ander» ünterachiede m Be-
trafdbi, wddw im WoentfiAen am^ nnf die Andntdnnw dea F«tt>
poleier», des aofpenmBlen üntothautliBUgewebaa, fisacr der M nakcb
nsd der lawren Oigaae nnd endlkh nof Abweichni^en ia Bau
da» Kaodmwetlkste» bedien. Dw häecnoe Ar die iiwmu &w
«eheinoD.: len G^^cblechier 'm £e Aoften Cükndan Untv-
2. Gestalt tmd KCrperbaa.
schiede bat der bekannte Berliner Frauenarzt Wilhelm Heinrich
Btisch mit folgenden Worten charakterisirt:
„Die ausleere Geetixlt des Weibes stioimt mehr al» die des Mannn» mit
den Gesetzen des Schönen überein und ist daher dem Auge (nalürlicb dea
Mannea) angenehmer und gefälliger. Die Formen aiod anmuthiger und ge-
randeter. die des Mannas eckig und abstossend (nur nicht in den Augen der
Frauen). Der Kopf des Weibe« ist runder, zeigt weniger ilervorragungeu
und ist mit starkem Haarwuchs, der dem Weibe zu vorzQglicber Schönheit
wird, versehen. Auch das Gepicht ist kSrzer und die einzelnen Theile gehen
leicht ineinander über, so dass sie in sich weniger gesonderte erscheinen ;
daher ist auch der Ausdruck des Gesichts beim Weibe weniger bestimmt
und drückt selten besonderen Charakter aus. Die Stirne ist nicht so hoch,
als die des Hannes, die Nase kleiner, sowie auch der Mund ; das Kinn ist
weniger spitz und nicht mit Haaren bedeckt, bo dass auch das Gesicht rundere
und kleinere Form annimmt. . . . Der Hals ist beim Weibe länger, als beim
Manne, und weniger in seinen Uebergängen zum Kopfe und zum Rumpfe ab-
geschnitten; der Kehlkopf steht weniger hervor. . . . Schon äusaerlich
nimmt man in den Längenverhältnissen dea Rumpfes ein Ueberwiegeu des
Unterleibes vor der Brust wahr. Diese ist schmaler und enger, die Lenden-
wirbel sind hoher, als beim Manne; der Wuchs wird dadurch schlanker; der
Umkreis des Brustkiutens liegt in einer Ebene senkrecht über dem Becken,
beim Manne ragt er über diesem hervor. Die Beckengegend zeichnet sich
durch ihre Breite aus. Die Muskeln sind am Rumpfe ebenfall.<3 weniger
sichtbar, da sie mit einer grossen Menge Zellgewebe unigeben sind, welches
alle Zwischenrilume ausfüllt und alle Theile durch sanfte üebergänge ver-
einigt. Auch die Rippen und Hilftknucheo stehen weniger hervor. Der
weibliche Busen, welcher durch die stlirker entwickelten Brustdrüsen und
da» umgebende (Fett enthaltende) Zellgewebe gebildet wird, stellt das Mias-
verhältniss zwischen der Brust und dem Bauche wieder her und wirkt bei
schöner, regelmfi-ssiger Form gleich angenehm auf das Auge und auf das
Gefühl."
Die Besonderheiten des übrigen Körjters schildert Busch weiterhin:
„Der Unterleib ist runder und tritt bei dem Weibe stärker herror; der
^abel ist etwas mehr vertieft und weiter von der Schamgegend entfernt,
als beim Manne. Indem die Brust von den Schultern und dem Busen nach
unten zu allmählich enger wird, geht der Unterleib wiederum in die breitere
Hüftgegetid über, so dass kein einförmiges Uebergehen des oben breiten Rum-
pfes in die schmaleren unteren Extremitäten stattfindet. In der Mitte ist
der Rumpf, und zw.ir in der Gegend des Rückens und der Lenden, am eng-
sten und am schlankesten Das Schlftsselbein ist kürzer und mehr an dem
Rumpfe anliegend, die Arme kürzer, runder, fett-sr, die Finger »ind feiner
und spitzer. Eine gewisse Fülle und Rundung bezeichnet beim Weibe die
Schönheit der Arme. An den unteren Extremitäten ist der Oberschenkel
sowie die Beckengegend stärker, indem hier die Muskelmasse mehr ent-
wickelt isti die grossen Trochanteren stehen weiter von einander ab, die
Schenkel steigen schllg von innen herab, so dass die Kniee enger bei-
sammen stehen und die inneren Gelenkköpfe mehr nach innen hervorragen.
Das Knie ist rund und nur achwach Angedeutet, die Wade zierlicher und
mich unten «chmttler; die Knöchel treten weniger hervor sowie auch die
Schienbeinröhre, Theile, die mehr unter der Haut eich verbergen. Der Fnas
j«t kleiner nnd arhmiller, so dase also die den Körper stützende Fläche ge-
to
1.
nnger Ut, ak bani """■* I» TedAltaä» s«b B»»«^ mi die unt^r^a-
ExtremitAt«!) beim Weibe kleifier. »o da» die S^ABgcigCDd niclit wie beim
Hanne den Körper in zwei gleiche Hilft«ii tlinlt, rielmetir die Halbirungrs-
linie Ober dem Schambein za liegen konunt. Die Schritte de» Weibes siqd
daher Itleioer und der Oang iat wegen der Stdhxng der Pfannen mehr
»chwankend, aber durch die Leichtigkeik amnBtltigcr; mmr nm Laufen ist das
Weib nicht geeignet."
Wir mochten noch darauf hinweisen, daas die Physiologie vor
allem in zweifacher Hinsicht da^ organische Leben der Frau ver^
schieden von demjenigen des Mannes findet : Die Frau hat wesent-
lich mehr mit den Functionen der Fortpflanzung zu thun;
fäe wird mit ihren Kräften durch das Sexuelle (^Menstruation,
Schwangerschaft, Wochenbett, Säugen und Pflege des Kindes) in
Anspruch genommen. Zweitens zeigt ihr Nervensystem eine
specifisch andere Thätigkeit, als das des Mannes ; die Frau arbeitet
mehr mit den Gefühlen, der Mann vorzugsweise mit den Gedanken.
In allen Bewegungen und Geberden spricht sich deutlich dieses
Verhältniss aus ; auch übt diejenige Frau, in welcher das Gefulils-
Itsben am reinsten und feinsten zu Tage tritt, den hüchaten Zauber
in «erthetischer Hinsicht auf das männliche Gesclüecht aus. '
Wir überlassen es dem Äesthetiker, nachzuweisen, wie nun alle ^
einzelnen Theile zusammenwirken müssen, um dem Ideal der voll* fl
endetsten Schönheit näher zu kommen. Viele haben diesen Versuch
angestellt, imter anderen auch schon Moreau in seiner «Natur-
gescliichte des Weibes''. Dagegen wird uns die Frage beschäftigen,
was uns die Physiologie und Anthropologie von den physischen j
und psycliischen Verhältnissen des Weibes zu sagen haben. ^|
. Gehen wir nun genauer auf die secundaren Geschlechtscharak- ~
tere ein, so fallt in erster Linie der Unterschied in der Kör-
pergrösse zwischen den beiden Geschlechtem in die Augen.
Johannes lianke^ sagt:
„Deutlich uusgeepruchene Unterschiede in den Llngenproportionen de«
KüTpeie zeigen die beiden Geschlechter. Immerhin sind die Unterschiede,
procenti»cb uuf gleiche K5rpergrdsee berechnet, klein und halten sich iu den
Grenzen weniger Procente oder erreichen überhaupt den Werth von 1 Procent j
der Körpergröitse nicht. Da es hier nicht auf eiacte Zahlenwerthe ankommen
kann, «o begnügen wir uns mit der Angabe der Ilauptreaultate unserer Ver-
gleichung zwischen dem ichöneu und dem starken Getichlechte. Der Mann
unterscheidet sich vom Weibe durcii einen im Verbriltni.ss zur Körpergrösse
etwa« kürzeren Rumpf und ioi VerbSltniBs zur Körpergröäse und Kumpflänge
etwas längere Arme und Beine, längere Hände und Fasse; im Vorhält- j
niss zur ganzen oberen Extremität sind seine „freien Beine" etwas länger,
und im Vfirbiiltniss zum Obemrme respective Oberschenkel besitzt er etwas i
ILingere Unterarme und Unterschenkel; sein horizontaler Kopfumfang ist iml
Verhältnis« /.ur Eörpergröstie etwas geringer. Mit einem Worte, die m&iui-
liehen Köqjerproporlionen nähern «ich im Allgemeinen der vollen typisch- j
mensclüichen Kflrpereniwickelung mehr als die weiblichen Proportion«» :
das Weib steht dagegen im Allgemeinen der kindlichen KörpergliedcrungJ
nlher. es steht in dieser Beziehung auf eiueui individuell weniger ent-
11
wickellen. in entwickelaugdgeschicbtlicheui Suinc niedrigerea Eaiwickelungü-
ataodpunkte als der Mann» Wir verkennen dabei nicht, dasa sich d&a Weih
körperlich auch noch nach anderen Richtungen als nach der der ewigen
Jugend von dem Manne unterscheidet; immerhin aber lehren unsere Ergeb-
nisfle, dase der im Allgemeinen luechaniach weitaus thätigere Mann der
weitiaen Culturraese, seiner gesteigerten mechanischen Leistung entsprechend,
auch einen mechanisch mehr durchgearbeiteten, Qiecbiiui>'ch vollendeteren
Körper besitzt als das Weib. Dass da« auch für Mann und Weib der mit
Landwirt hschaft be»cbäftigten Landbevölkerung der weissen Kafibe Geltung
bcBitzt, lehren die Untersucbungsieihen, welche von awei ScbiUem Stitda's
an lettischen nud 1 itt ha ui« eben Männern und Weibern angestellt wurden.
Immerhin erecbeiiien hier aber, wie wir ens'arten konnten, die unterschiede
zwischen den beiden Geschlechtern etwas geringer. Zweifellos kann eich
auch bei dem Weibe durch eine in Folge dauernder Lebensgewohuheiten ge-
steigerte mechanidche Arbeitel eieto^g 4er Glieder ein mehr männlicher
Habitus des Gliederbaues ausbilden.'*
Der Körper des Weibes steht bei allen IVationen der Welt, auch bei
den am wenigsten cultivirten, in einem ähnlichen VerhSltniaa eu dem
m&unlichcn, wie bbi der weissen Culturrasse, er steht überall in MiBe& Pte-
Portionen dem Kindesalter näher als der Körper des Mannes."
Die Haut des Weihen ist in den meisten Fällen zarter and feiner
und gewöhnlich auch um einen Farbenton heller ab diejenige der Männer.
Das Letztere bestätigt liaelz auch für die Japanerinnen. Bei dem Manne
sind bekanntlich viele Stelleu des Körpers bei unserer Rasse mehr oder
weniger dicht behaart, während die kleineu, feinen Wollhärchen eine ganz
unt«rgeordnete Rolle spielen. Gerade umgekehrt ist dan bei dem weiblichen
Geachlecht, wo nicht eelteu die Wollhärchen namentlich an bestimmten
Körperstetleu (Wangen, Rücken, Vorderarm und Waden) einen dichten
Flaum bilden und zwar gewöhnlich in stärkerer Ausbildung bei Blondinen
als bei Branetten.
Geschlechts Verschiedenheiten in der Behaarung treten nach Wahleifer
„bereits im Kindesalter auf; immer erreicht hier in der Regel schon da^
Kopfhaar der Mädchen eine grössere Länge als das der Knaben, auch wenn
das Haar der letzteren unverschnitten bliebe. Dieser Unterschied bleibt das
ganze Leben hindurch bestehen. Die durchschnittliche typische Länge des
Frauenkopfhanres beläuft sich auf 58 bis 74 cm fPincus}. Meinen Mes-
sungen zufolge sind auch die einzelnen Haupthaare der Frauen durchschnitt-
lich etwas dicker als die der Männer, wenigstens in Deutschland. Die Be-
haarung des weiblichen Körpers ist nie so umfangreich als die des
m&nnlichen. Das Frauenschamhaar bleibt immer kürzer, steht meist dichter,
und, wie meine Mei^sungen ergeben haben, erreichen die einzelnen Haare
durchschnittlich eine grössere Dicke. Hier .stehe ich in Uebereinstimmung
mit Pfaff, doch finde ich den durch-schuittlichen Unterschied nicht so be-
trächtlich wie Pf'nff, der da* Mänuerschamhaar zu 0,11 mm, das Weiber-
schamhaar zu 0,15 mm angiebt."
Ee kann wohl femer als bekannt vorausgesetzt werden, dass die ge-
sammte Muskulatur de« Weibes eine minder kräftige Entwickelung zeigt,
als dies beim Manne der Fall ist; dies hat zur Folge, dass die Bewegungen
unkräftiger sind; dagegen erscheinen sie zierlicher and feiner. Der Gang des
Weibes ist mehr achwankend und schwebend.
Aus diesem Verhalten der Muskulatur reaultiren aber sehr merkliche Unter-
schiede an den Skelettthcilen. Bekanntermaaasen bemerken wir an den Knochen
12
I. AnthropologSaelie ATiffaflran^ des Weibes.
HbsonderUcke knotige Verdickungen, Fortsätze, Leisten und Vorspiünge. Diese
sind es, die die AnfQgang der Muskeln und ihrer Sehnen an die Knochen
vermitteln, und sie sind nm so lueträrhtlicber nnd um so massiger, je st&rker
entwickelt die Maskulator ist. Das ist der Grand, waunim sie bei dem weib-
lichen Geschlecbte erbeblich kleiner und unbedeutender sind, als bei dem
männlichen.
Auch in den Functionen der inneren Organe walten grosse Diff»-
renzen. Was die Verdauung betrifft, so bat die Frau geringere Neignng.
Nahrung aufeunebmen; sie kann Hunger und Durst leichter ertragen. Da»
Herz und die Blutgefässe sind im männlichen Körper grösser, weiter und
dickwandiger als im weiblichen. Die Blutbildung scheint im Weibe rascber
stattzufiuden; daher erträgt es grosse Blutverluste besser, als der Mann, und
ersetzt auch das verlorene Blut rascher.
WnMbacJfi ermittelte die Häufigkeit des Pulses bei einer grosseren Zahl
von Völkern und fand, dass die Pulsfrequenz beim Manne bis zu 84, beim
Weibe bis zu 94 Schlägen in der Minute betragen kann.
Der schnellere Puls bei dem Weibe entspricht seiner reizbareren Natur,
der Pulsuuterschied beträgt 10 bis 14 Schläge in der Minute. Bei gleicher
Körpergrösse hat die weibliche Lunge ','2 Liter weniger Capacität als die
männliche. Nach Scharling verbraucht ein Mädchen von 10 Jahren in
24 Stunden per kg 0.22 gr, ein 9jahriger Knabe 0,25 gr Koblenatofl'.
Gewisse Differenzen in Gewicht und Grösse einzelner Organe
bei beiden Geschlechtern fand Be}iecl-e: Bei Männern öbertriflt das Volum
der Lungen jenes der Leber; bei Frauen aber ist das Umgekehrte der Fall;
ferner zeigte sich bei Männern das Volum beider Nieren kleiner, als jene«
des Herzens, Frauen aber erwiesen das Gegentheil.
Auch in dem Bau des Brustkastens (Thorax) zeigt sieb eine Verschieden-
heit des GeschlecbteB. Die geringere Geräumigkeit und andere Verhältnisse
bewirken, dass die Aus- und Eiuathmung beim Weibe minder ergiebig iat.
Schon vor fast hundert Jahren hat Aektrmann die EigentbClmlichkeit des weib-
lichen Thorax in weBentlichon Zügen beschrieben. Beim Weibe fand er unter
anderem den knorpligen Theil der unteren Hippen grösser als beim Manne;
bei jenem steht dan untere Ende des Brustbeins mit dem knöchernen Theile
der vierten Kippe entweder ganz in horizontaler Linie oder e« geht noch
etwas tiefer herunter; das Brustbein des Weibe» ist im Ganzen kleiner, als
das männliche. Vor allem aber hat das berühmte Schriftchen des ausgezeich-
neten SOmmerring^, welcher dem unverbesserlichen weiblicben Geschlechte die
fible Wirkung der SchnÖrbnjst vor Augen führte, den besonderen Bau des
Thorax gekennzeichnet, Kr gab das Bild einer medicei)>chen Venus und zeich-
nete auf dasselbe eine Schnürbnist, um recbt nugenflUIig zu beweisen, wie
schädlich e'n solcher Modeartikel ist. Allein hat seinu Warnung die Schnär*
brüst beseitigt? Mit Nichten! Noch beute pflegen viele eitle Mütter die
„Taille" ihrer Töchter schon in frühem Alter zu verunstalten. Noch immer
herrscht die ünnittc, die Gesundheit durch die Marterinstrumente der Pariser
Mo4e, die Corsets, zu gefährden.
Weiter ergjib sich aus den zahlreiches Messungen von Liharcxik^
dass der weibliche Körper sich von dem männlichen hauptsächlich dadurch
unterscheide, dass ihm eine Rippenbreite (= 1 cm) in d>>r Brust-
länge fehlt, wonacli sich dann alle anderen Proportionbur' durch
Berechnung ermitteln. (Daher die kürzere Luftröhre und h' imedes
Weibes, das breitere Becken u. B. W.) — Wie der biblische Soböpfungsbericht
13
Weib aus einer Rippe des Mannea geschaffen wurde, läext
erklären.
Tergleicbende Messungen, die anf den oberen, mittleren und onteren
'6 ruE tu Dl fang sich bezogen, stellte bei beiden Geschlecbtem und in rer-
Iichiedenen Lebon^altem Wintrich an. Er fand je nach Alter und Geschlecht
folgende Abweichungen: Bis in das höhere Mannes- und Frauenalter sei der
obere Ltrustumfong grösser, als der untere; in den sechziger Jahren des Leben»
aber kehre dies-es Verhältniss sich um. Bei Frauen werde der untere Brust-
umfaug von dem oberen nicht in dem Maasse übertrofFen. wie bei Männern.
Üui dM vientehnte Lebensjahr werde der Brustkorb des Mannes beträchtlich
amnnglicher, als der des Weibes.
Nach Lenhossek ist das weibliche Schlüsselbein weniger gekrümmt,
all« das männliche.
Allein es sind in der Tbat noch viele andere Verhältnisse für den weib-
lichen Torso charakteristiach. Eine eingebende Bearbeitung dieses Gegen-
etandes vordanken wir dem Anatomen Lucae, auf dessen Darstellungen wir
einfach verweisen. Es ist eine Aufgabe der Zukunft, die gewiss recht mannig-
fachen Abweichungen im Bau des weiblichen Torso bei den verschiedenen
Völkern zu erörtern.
Unlängst wurde jene schon von vielen Autoren berührte Verpchiedenheit
den Proportionen des männlichen und weiblichen Thorax, namentlich
in Brustbeins, auch von Strauch besprochen, welcher im Institute
tßtiedn'n zu Dorpat hierüber genaue Messungen vornahm. Auch er fand ver-
iilltiiit!»n)!ls!)ig bei Weibern das sogen. Manubrium, d.h. den oberen Theil des
tfrusibeins, grösser, den eigentlichen Körper des Knochens kleiner, als bei
lännem. Wie sehr diese Verschiedenheit theils auf die Lage der inneren
inistorgane (Lungen und Her:), theils auf die Function derselben einen Einfluss
insübt, besprach femer Henke, welcher sagt: dass sich die Eigen-
Ihünilichkeit des weiblichen Thorax in der Gegend des unteren Endes vom
Brustbeine, wie sie vermuthlich durch den Einfluss der Kleidung
»nteteht, auf eine blosse Verschiebung der Grenzen vom Knochen des Bruf-t-
jliein» ttud den Knorpeln der Rippen, innerhalb der Thoraxwand beschränkt,
[während die Proportionen des Raumes hinter derselben und ihre Erfüllung
lurch die inneren Organe sich ziemlich gleich bleiben.
Die weibliche Harnblase i«t breiter als diejenige der Männer, namentlich
jin ihrem oberen Theile; dafür ist j<ie aber von vom nach hinten mehr verengt.
Ihre Capacität ist absolut geringer, als die der männlichen. JC. Hoffmann
^«nd dieselbo im Mittel bei 52 lebenden Weibern zu 650 ccm, bei 74 lebenden
länneru zu 710 ccm; bei 86 weiblichen Leichen betrug sie 680 ccm und
»ci 100 inäuulichcn Leichen 735 ccm.
Die Anthropologie legt ein besonderes Gewicht auf Form und Grösse
les Schädels; deshalb erwähnen wir. dass groHi<e Unterschiede in dieser
}«zicbung zwischen dem männlichen und weiblichen Schädel stattfinden.
;n Horizonlalumfung des Mannesschädpls fand Weh-ker im Mittel 521 mm
ros«; er verhält sich zum weiblichen wie 100 ; 97. Der Schädelinnenraum
Ift» männlichen Schädels. 14.50 ccm, verhält sich zum weiblichen wie 100 -. 90.
)» uuu die niederen Ra^aen (Neger, Malnjen, Amerikaner) im Horizontul-
Imtauguiit den kleinsten weiblichen deut-schen Schädeln, die Mongolen mit
Im kleinsten und mittelgroNnen übereinstimmen, so könnte man vielleicht
icineu, da«« das Weib demgeinftss den [Jebcrgang zu niedrigeren
Menachenraseen bilde. Allein zu solcher Herabw€rdigang das
Geschlechts dOrAe wohl kaum die Anthropologie sich herbeiliusen.
Fig. t, Sie 0«oklMktt>üatci««kied* «a BcU4*l (uch ircJNr«).
AwitMmUm. A«rtr«2i«riB.
Mach Angaben Ton JMcmnaff, welche er wohl P. Broca entlehnt hat,
oad nach üntenuchungcn von Weldter bleibt die Sch&delcapacitit de«
Weibes bint«r derjenigen des Mannes sarück bei
Aastraliera
Chiaeten
Negern (Dahomey)
Negern
Sokotranern
Hindu TO& ßellari
37 ccm Eskimo am 149 cem
59 .. Den t sehe (Gegend
73 .. von Halle) .. 160 ..
99 .. Javanea .. 164 „
114 Siamesen .« 193 ,.
122 .. EngUndera ., 904 „
Ein weiterer unterschied gegenüber der phjsitchen Erseheinoag des
Xanaes besteht darin, dass die Form des weiblichen Kopfes weicher, geran'
dflter. der Gesicbtst heil des Scbüdels. nuuentlich der Kiefer und die Sch&deil-
basis. kleiner, und letztere in ihren histerHi Abscbaitts stark TerschmUext
ist. Dabei ist die Ba&is gestrecktar. der Satlelwirbcl grbnct und eine aa(-
fallende Neigung zur Schielsfthnigkett sowie aar Langkftpfigkeit beim Weibe
entwickelt Deshalb hatten mehrere Anthropologen den Satx ausgesprochen,
dass im Allgemeinen der Tjpiis dei weiblichen Schidels sieh io vieler Be-
sjehaag desüeiugen de« Kudesschädels uAhert. DengMaftas vArdsoHUi riel-
leicfck den Sdüass sieben kdmien. daa Weib sei — treajgstsaa ia eediser
Schldelbildung — auf einer früheren Entwickeloagsstaf« ttehea
geblieben. Doeli anch diaser B«hm4 giebt uns aicht das Bedit. so «ageo.
dass das Weib sich gemlss tautt Kopfform im geistigen Wesea dna Kiada
nAkcr».
Jckamme$ JtatJu^ bad. dMS \m den SekidslB der wsiblickeB altbaje-
riech ea LandbprOlkscQjig ei»« X«igtt»g aa kkaer>^ — ■ hyiiologMch-mi-
krocephalen. bei dea ■UnnlieJi«& 8oUld«lB difsgtm > ng ta grOtacnai
— physiologisch- ma]tToeepbalea.Werth«a ttr di« 8ek».iri«.a(>ai. lUt vortiemchl.
Er giebi Ober letstcr« folgende Tab«llt:
2. Gestalt and KOrperbau. 15
Scbftdelinlialt in Knbikcen timetern.
CWdektrJ Mittel. Minimum. Maximum.
SO männl. Schädel „säcbsischen" Stammes 1448 1220 1790
80 weibl. „ „ „ 1380 1090 1550
(JUmkeJ
100 mftnnl. „ d. altbayeriscb. LandbevSlk. 1503 1260 1780
100 weibl. „ „ „ „ 1335 1100 1683
flVeistbaeh)
50 männl. „ meist Österreich. Stammes 1521,6
28 weibl. .. ., „ „ 1336,6
Fig. 3. Die Q«foMeolito-üiit«nohiede »m Boli&del (uMh Ecker).
Mann aui •inem Mnkiiohen Ontb«. Fraa »ui einem frftnkisohen Grabe.
Alexander Ecker "^ stellt folgende charakteristische Eigenthümlichkeiten
des weiblichen Scb&dels auf:
„Die Unterschiede des weiblichen vom männlichen Sch&del sind be-
grfindet theils in der verschiedenen Beschaffenheit der Knochenoberfl&ehe,
theils in der Verschiedenheit der absoluten und namentlich der relativen
OrOsse des Schädels und seiner einzelnen Theile."
1. Geringere Ausbildung der Muskelansätze, besonders Warzenfortsätze,
Schläfen- und Nackenlinie, Leisten am Unterkiefer, arcus superciliares
(letzteres als Ausdruck des schwächer entwickelten Athemapparats). „End-
lich zeigen sich, entsprechend der grOsfieren Hinneigung des weiblichen
Schädels zum kindlichen, die VerknOcherungspunkte, die Tubera frontalia
und porietalia, in der Regel beim erwachsenen Weibe viel deutlicher als
beim Manne entwickelt."
,JDie charakteristische Physiognomie des weiblichen Schädels liegt ausser
in den oben erwähnten Eigenthümlichkeiten der Oberfläche und der geringeren
GrQsse namentlich in folgenden Merkmalen:
1. in der Kleinheit des Gesichtstheils im Verhältniss zum Himschädel.
Der weibliche Charakter ist in dieser wie in mehreren anderen Beziehungen
zugleich der mehr kindliche, das Weib steht zwischen Mann und Kind.
2. im üeberwiegen der Schädeldecke Ober die Schädelbasis.
3. in geringerer Hohe des Himscbädels.
4. in einer grösseren Flachheit des Schädeldaches, insbesondere der
Scheitelgegend.
16
I. Anthropologische Aoffassnag dei Weibe«.
o. Aas dem Uebenrieffen der Schädeldecke aber die Sch&delbaü« retal-
tirt unter anderem eine Bildung der Stirn, die man in gleicher Dad noch
stärker aangeprägter Weise aoch beim Kinde findet, nämlich eine senk«
rechte Stellung derselben, die bei diesem selbst, über die senkrechte
Linie hinaa»gt;bend, oben stärker hervorragt als unten. Dieses gerade Stirn-
)>rofil verleiht dem weiblichen Kopf etwas entschieden Edle?.
Fig. 4 Sie &eioUeoltts-TrnteraoUede am Boli&del (nMh Eeker^).
Sohwarmwftlder. SohwsriwSlderin.
6. Der flache Sohädel pflegt ziemlich plötzlich in die senkrechte Stim-
linie überzugehen, so dass derüebergang von Stirn in Scheitel nicht in einer
Wölbung, Hondern in einem leichten Winkel stattfindet. In ähnlicher Weise,
wenn auch minder ausgesprochen, geht in einer Art winkliger Biegung der
flache Scheitel in dns Hinterhaupt über (deutlicher bei brachycephalen als
bei dolichocephalen Schädeln)." Der weibliche Typus entsteht dadurch, dass
der kindliche aber die Grenzen der Kindheit hinaus persistirt.
Fürden deutschen Weiberschädel macht Weissbach^ folgende Angaben:
„Aus diesen zahlreichen Untersuchungen ergeben sich schliesslich
folgende (ieschlechtHeigenthümlichkeiten des deutschen Weibersch&dels:
1. Der ganze Schädel ist absolut kleiner und leichter, mehr in die
Breite, aber weniger in die Höhe entwickelt, hat eine relativ schmalere
Basis, in der »agittalen Richtung im Ganzen eine flachere, dagegen in der
queren eine stärkere Wölbung als der Männerschädel.
2. Sein Vorderhaupt ist kleiner, wohl ebenso lang wie beim Manne,
dafür aber niedriger und schmäler, in sngittaltr Richtung viel stärker, in
querer oder horizontaler aber etwas flacher gekrümmt: seine Stirnhöcker
liegen rdcksichtlich der Liinge des Schädels etwas weiter auseinander, hin-
sichtlich seiner grösseren Breite aber näher beisammen, im Verhältniss zn
welcher überhaupt alle Brcitcnniaaüse des Vorderhauptes viel kleiner als beim
Manne sind.
'i. Das durch seine überwiegende Breitenentwickelung die gprössere
Breite des ganzen Schädels bestimniemle Mittelhaupt dürfte eben deshalb,
troizdou) es kürzer und niedriger als das männliche ist, dieses an Grösse
übertrotfcn; ausserdem hat es eine flucherc Sagittal Wölbung, breitere und in
querer Richtung stärker gewölbte Scheitelbeine, deren Tubera weiter aus-
«inander, aber tiefer uiitcn liegen und einen Scheitel (den Raum zwischen
I Stirn- und Scheitelhöcker), welcher kürzer und breiter, nach vom hin mehr
[verHchmälert und in jeder Richtung flacher, nur zwiacheu den Scheitelhörkern
etwas stürker gewölbt i«t. Die Keikcbläfenfläche gleicht jener des Mannes,
nur ist sie an der Schläfen schuppe niedriger, die seitliche Wand aber ist
länger und in horizontaler Richtung stärker gewölbt.
4. Das Hinterhaupt des weiblichen Schädels etebt ganz im Gegen»at,ze
zum Vorder- und Mittelhuupte, indem es sich durch grössere Höhen- und
Längenentwickelung bei gleicher Breite von dem männlichen unterscheidet,
dieses daher an relativer Grösse übertrifft; nur relativ zur Schädelbreite iat
ea ähnlich dem Vorderhaupte schmSJer. Sein Zwiacbenscheiteltbeil (Recepta-
culuni) viel länger als beim Munne. Seine Wölbungen, welche sich in ihrem
Verhalten mehr dem Mittel- als Vorderhaupte anachlieasen, ditfuriren von
jenen de.« Mannes dadurch, da«s die sagittale flacher, die »chräge und quere
aber stärker Rind.
5. Die Schädelbasis des Weibes ist schmäler and kürzer, hat ein längeres
Grundstück (pars basilaria), ein kleinereü, etwas schraälere.i Hinterhattptaloch,
näher aneinander gerückte For. stylomastoidea, aber weiter voneinander
«ntfemte For. ovalia.
6. Das weibliche Gesiebt ist im Verhältniss zum Gebirnschädel in alleu
Dimensionen kiemer als da.s männliche, mehr orthognath, niedriger und, ent-
gegen dem breiteren Gehirnschädel, schmäler, nur oben breiter, unten aber
enger, hat eine breitere N^vsenwunel weit auseinander liegende Augen und
grössere höhere Orbitae; breitere Oberkiefer mit kleineren, niedrigeren Choanen
und kürzerem aber breiterem Gaumen; sein Unterkiefer ist ebenfalls kleiner
flacher gekrümmt, hat eine breiteres Kinn und kleinere, niedrigere und schmälere
Aeste, welche aber unter einem grösseren Winkel am Körper eingepflanzt sind.
Noch ist zu bemerken, das» die einzelnen Maas.se des Weiberachädels
meistens viel weniger individuellen Verändeningen als beim Manne unterliegen."
Wir verdanken Kopernicki in seinen Untersuchungen über den Zigeuner-
scbädel die folgende Zusammenstellung:
«Es ergiebt sich aus den von Darin aufgestellten Messungen, dass unter
^en europäischen weiblichen Rassenscbädeln nur die Isländerinnen es
sind, bei welchen der Höhenindex (U,73) des Schädels den männlichen
<Ü,71) am 0,02 übertrifft.
In Asien findet man dieses Uebergewicht an den Weiberschädeln von
Hindus, Muselmännern (O.Ül), Khaa (0,03) und Chinesen (-(- 0.04). —
Dasselbe findet noch statt an den Javanesen- (-f- 0,01), Dajak-
(-j- 0,04) und Tasnianier- (-f 0,03) Weiberschädeln. " Zigeuner (ui. — 0,75)
(w. — 0,77) = (0.02).
„Wir sehen also, dass ca nur wenige Rassen giebt, wo der Uöbenindex
der Weiberscbädel jenen der männlichen übertrifft."
„Wenn wir dabei noch diesen Umstand in Betracht ziehen, dass sngfar
<iie in beiden Geschlechtern gleichen oder bei Männerschädelu nur um 0,01
überwiegenden Höhenindicca (die Engifinderinn en scbädel ausgenommen)
nur in den niedrigsten Rasaen vorkommen (m = w): Badoa, Thais-
(Guancben) Neger, Dahomanen. Australier, Marquesaner, Kanä-
le a s u n d :
nt =w -\- 0,01: Lepchas, Aequatorialneger, Eskimos von Grön-
land nnd Bisajaner, so werden wir uns für berechtigt halten, zu schliesaeii.
Flflti, Dst Wdil ' ^ t1 2
18
1. AntbTopö1of?i«ehe Aoffamong dw Weibe«.
Am« der flberwiei^nde Höhenimlei der Zigeunerinnenschftdel eines von
den ihnen eigenthflm liehen Raseenzeichen bildet etc."
MorselH konnte in Bezog auf da« Gewicht des Schädeli conata-
tiren, dass der männliche Schädel mehr als der weihliche wiegt. Der rnfton'
liehe Unterkiefer übertritft in noch höherem Grade als der Schädel den
weiblichen an Gewicht. DasBelbe findet bei den anthropomorphen Atfen statt.
Auch die individuellen Verschiedenheiten im Schiulelgi-wicht und in
noch höherem Grade im Gewichte des Unterkiefers sind beim Weibe grösfer
aU beim Manne.
Von allen craniometrischen Geschlechtscharakteren ist daa Gewicht des
ütiterkiefera der wichtigste.
Der Unterkiefer wiept im Mittel:
bei Weibem ^^ ßr
„ M Innern 80 „
Differenz 17 „
Schaafhausen'^ in Bonn hat nachgewiesen, das« die oberen medianen
Schneidezähne bei MiVdchen und Frauen nicht nur relativ, Nondern absolut
breiter sind, als diejenigen von Knaben und Mdnnern in denselbeu Lebens-
altern. Bei ^Q .Mildchen und 50 Knaben im Alter von 1*2 bis 1.5 Jahren war
die mittlere Breite der genannten Zähne wie 1,H3 (Mädchen) zu 1 (Knaben).
Bei 12 Männern aua Zundvoort in Holland fand er eine Breite 8,8 im
Mittel, wahrend 12 Frauen 8,8 hatten.
Besonders charakteristisch igt auch, dass das knöcherne Becken des
Weibes nicht bloss breiter ist, sondern dass auch in Folge dieser grösseren
Breite die Gelenkpfunnen weiter auseinander stehen; hiermit ist ferner eine
grössere Couvergenz der Oberschenkelknochen gegen das Knie hin verbunden;
eine entaprecbende Divergenz der Unterschenkel gegen die Füsse hin compen-
sirt wiederum diese Stellung und Richtung der Oberschenkel und verleiht
dem Körper die erforderliche Stetigkeit. Der ganze Bau des Beckens eignet
das Weib zum Gebären.
Lttst^ka sagt; „Die Beckenregion bietet, aach wenn wir von den an
ihre Anssenseite geknüpften Sexualorganen vorerst absehen, nicht geringe
Ihren Gesainmthabitns betroifende Geschlechtsunterschiede dar, welche
innig mit der Art der Anthednahme am Gattungsleben zusammenhängen.
Beim Manne wird der Raum des Beckens nur in höchst heKchränktem
Maasse dunh das Volumen und die Thätigkeit der Geschlechtswerkzeuge in
Ajupruch genommen, indem sie grösiitentheils nach au<<sen von ihm verlegt
und nur ganz vorilbcrgehend beim Geschüfte der Fortjiflanzung interessirt
oiod. Damit ateht es im Einklänge, dass sein Gebiet auch iUisserlich einen
beschrllnkteren Umfang bosilzt, der sich zunächxt in einer geringeren HUfton-
breite und in einer imcb allen Seiten hin viel schwächeren Wölbung und
Abrundung beraerklich macht. Dieses Verhältniss kommt um so stärker zur
Aunjirägnug, als beim kräftig entwickelten mannlichen Typus eine bedeutende,
auf einen grossen Brustumfang hinweisende Schnlterbieite damit concorrirt,
wodurch gleichsam das Ueberwiegen des individuellen über das Gattuugsleben
auHgedr>lckt wird.
Nach einem wesentlich anderen MnAsustalje i»t beim Weibe daa Bocken
iMifgebaut, indem die»«?» nicht ulliiin zahl reichere und theilweise einer beträcht-
lichen Nergrösscrung unterliegende Kingeweidc zu bebt'rltergcn hat, sondern auch
darauf angelegt sein mus», der voluminösen, reifen Leibestrufht den Durch«
gung durch »eine Uöhle zu gestalten. Da<« ihm eutiipr<fchcnde Gebiet ist
denigeuiAns durt'h einen viel grosseren Umfang charakterisirt, welcher nament'
2. Gestalt nnd RSrperbftu.
19
A
lieh in der Quere, aber auch
in der Richiong von vom
nach hinten sehr vorwiegt,
dagegen in den Höhendimen-
«ionen im Vergleiche znni
männlichen Becken nicht
wenig zurücksteht. Die gegen
die ProtuberantJA© Irochan-
tericae in viel höherem Grade
znnehmenilc Hüflenbreite ver-
jüngt sich itm schön gebauten
Fraueokörper nach oben fast
plötzlich in eine Hchlanke
Taillt^t wähi-enJ fie am eeitr
licben Umfang nach abwilrts
unmerklich in die ausser-
ordentlich dicken, abgeronde-
len und stark convergirenden \ y^ ,JRj//*
Oberschenkel übergeht. Die
weibliche Beckenregion ist
nach allen Seilen hin auf-
fallend stark gewölbt, was
nichtallein in gewissen Skelett-
verhrtllni89cn, sondern auch
darin b«>gr{lndet ist, dass die
Moskulatur auf einen verhält-
niflcmilsfig kürzeren Raum zu-
■animengedrängl und von
einem Clberall mächtigeren
Fettpolster umgeben wird.
Üennig^ äussert sich Ober
du kindliche Becken folgen-
derniftusen;
«Die Darrnbeinschoufeln,
dereo WjTdbung später das
Charakteristische des Frauen-
bftckoD»* au»<machpn hilft, sind
b«l neugeborenen Mädchen
noch knnbcnartig steil.
Da« ftenlumigere des weib-
lichen kleinen Beckens ist
xunUchst in der Vorderwand
angelegt (brciti'reSchoossfuge, V ^
lavlit abgtTiindeles. auxgc- ^s^^^^
«chwciftcB Sitzbein); die 111 n-
tM-wand ist xnntichot beim
Knaben breiter wogen der von
vomhen-in krilftiffer angelegten Wirbelsäu le. Im siebenten Lebensjahre erst ver-
broitert «ich das weibliche Kreuzbein nnd ist der IlaupttrSger der wichtigen , die
EuropAorin ao vortheilbaft anszeichnenden Querspannung des BeokengürteU.
Jr roher ein Volk, um eo verwischter stellen sich die geschlechtlichen
L'ntericbiode (am knCchemen BeckenJ dar: die Dariu beinschau fein rücken mehr
2«
/äi
O -5
I. Anthropologische Aafüassang des Weibes.
^
m
nach hinten oben (thierühDlich); die« ist bedingt durch die den Frauen nnd
M&drhen aufgebürdete schwere MUnnerarbeit, wodurch das Becken zugleich
eckiger, den MaskehirüprQngen and Auteiltzon entgegenkommender wird.*
Die GeschlechtHdiflerenT.
am knOchernen Becken bebil-
dert Hartmann^ mit folgen-
den Worten :
„Die Gsschicchtgverschie-
denbeiten des Beckens bilden
sich erst mit der Pubertäts-
entwickelung au9. Manchmal
verzögert sich die Ausbildung
der typiechen Charaktere des
weiblichen Beckens bis zar
ersten Schwangerschalt. Letz-
teres Becken ist nan nied-
riger und weiter als das
männliche. Seine Darmbein-
schaufeln sind flacher, weniger
tief ausgehöhlt, wogegen die-
jenigen des Mannea steiler
sind, oben und innen mehr
wie ausgegraben erscheinen.
Der weibliche Beckeneingang
ist grosser, der gerade Durch-
messer desselben ist länger.
Diese Oeffnung ist beim Weibe
quer-elliptincb , beim Manne
dagegen karlenherzfbrmig. Das
weibliche Kreuzbein ist breiter,
vorn weniger concav. Dns
Promontorium springt weni-
ger stark vor, die Spitze de»
Sacrum springt mehr zurück.
Das Steissbein des Weibes ist
beweglichei' als das männliche.
Am weiblichen Becken wei-
chen die absteigenden Sitz-
beinäate mehr nach aussen,
wogegen dieselben beim Manne
steiler niederwilrts ziehon.
Die weibliche Beckenhöhlo ist
weiter. Die Tubera ischii den
Weibes tttehen dann auch
weiter voneinander fMitfemt.
Situbeine und Schambeine
bilden am weiblif:h«n Becken
stumpfer« , am mttnnlichen
da^fegen spiUere Winkel, ao
^£s der Sfhamb«>g«n am crsi-rt.. «ich orweiiert. Der Fugenknorpel (Sym-
l>1^e) an den i*eiblichen Schambeinen i«t niedriger und d.ckcr, an den
2. Gestalt und KQrperban.
2t
naAn&lichen hoher nnd dQnner. Der weibliche Beckenuuagang ist grOsser als
der männliche. Die Abst&nde der Pfannen des weiteren weiblichen Beckeni
sind grösser als an dem engeren männlichen gleichartigen Snochengebilde.
Diu weibliche Foramen obturatoriam ist breiter und elliptisch, daa mlliiDliche
aber ist enger und dreieckig. Alle Knorpel und Bänder des Weiberbeckens
sind dehnbarer als die de» männlichen.
Besonders ausfOhrliche Angaben über diesen Gegenstand verdanken wir
den» französischen Anatomen Sappey; sie mögen liusführlich hier ihre Stelle finden«
„Du bassin compare dans \es deux sexes.
a. Differences relatives A, i'epaisseur des parois, auxbords
et aux sailliera de la cavit^ pelvienne. Sous ce triple point de vue
le baasin de Thomme l'emporte sur celui de la femme. L'obaervation nous
tnontre que chez lui la charpente osseuse est plus fortement conatitu^.
I>e sacrum et les oa de la hauche n'echappent pas ä la loi generale: leur
partie centrale, leurs bords, leurs angles, toutea les apophyses qui lea sur-
montent, ditTerent trca-sensiblement dans les deux sexes. A leur centre, les
t'osses iliaques deviennent si mincea dans le sexe feminin, qu'elles sont
transparentes, depressibles, et parfois perforeea : le corpa des pnbis, les bran-
ches ischio-pubiennea, sont auaai beaucoup plus aplatis; la circonf^rence su-
p«!'rieure et In circonference inf^rieure du basain sont plua mincea, lea sailHes
üEseuees sont plus petitea. Dana le eexe maaculiu les os qui forment cette ca-
vit^, les OS iliaques surtoat, sont plus volumineus, plus solides et plus lourds,
Voyee chex lui l'^paisseur des erstes iliaques ; comparez chez l'un et l'aatre lea
i^pines de cenom, les tubt^rositea iliaques, les tubärosit^s de l'ischion, le bonl
interne des branches ischio-pubiennea, les anglea des pubia et lear brauche
faorisontale: d'un cöU^ so presentcnt des bords et des saillies qui dänotent un
lijst^me muHüulaire faible; de l'autre, des borda ^pais et des saillies volum
neuse8 qui annoncent des uiuaclea plus puiasanta. Le baaain, ae trouvant en
rapport dans cbacun d'eox avec lea mömes maaclea, et donnant attacbe aux
memea tendons. devait prt'senter, et pr<5sente en effet toutes les differences qui
decoulent de l'inegal düveloppenient de l'appareil locomoteur dana le«
deux sexes.
b. Differences relatives ä l'inclinaison du baaain. Nous
avoos vn: l'* que cette inclinaison est mesur<^e par l'angle que forme le plan
de chaque detroit avec un plan horizontal prolong6 de la partie inf^rieure
de ceuX'ci vers le sacrum; 2^ que cet angle chez la femme est de 10 ik 11
degr^ pour le detroit inferieur, et de 60 pour le dt^troit superieur. Naegek,
auquel la science est redevable de ces deux evaluationa fond^es sur des
donn^es precises et trea-nombreuaes, n'a pas ctendu aes recherches au sexe
niMCulin.
Les fn^res Weher eonaiderent rinolinaiaon da detroit superieur comma
& peu pr^s 6gale dans les deux sexes. L'obaervation me semble au contraire
^tablir qu'elle est un peu moindre chez rborome. Pour obtenir dea resultats
I comparatifs, j'ai suspendu contre un mur vertical dea tronca appartenaats
k Tun et ^ l'autre sexe; puis abaisaant jusqu'au mur une ligne horizontale
qui nuaii la Symphyse dea pubia et qui traversait le aacmm, j'ai me^urö
l'anglo qui formait cette tige avec le diam^tre ancro-pubien: il a vari6, pour
la feuime, de 54 i\ 63 degrea; et pour l'homme, de 49 ä 60. II serait done,
en moyenne, de 58 degrt-s pour l'une, et do 54 pour l'autre. Mes recherches,
il est vrai. n'out porte que anr »ix hommes et autant de femmes, Un plus
grand nouibre d'observations serait pent-btre n^easaire pour r^soudre cette
l'iucation dune maniere rigoureuse et definitive.
c. Differences reliitivee aux dimensions du bassin. Cbex Ift
fettuue, le diatnetre eiendu de l'une ü l'autre crete iliaque e^t plus long
que cbez rhomme; maia celni qui se porte de la cr&te iliaque k la tubero-
lit^ de rischion est plus court. Les diiuensiona transversales compardes daoa
les deux sexe« diS'crent en mojenne de 5 millimetres seulement; et le«
Terticale{> de 10 k\ 15. Ce que le sexe mascuHn perd du cöte de la larg«ar,
il le relrouve dont, et au delA, du cötc' de la hauteur.
Quant au diuiensions antero-posterieures, elles sont oussi un peu plua
consid^rables cbez la fenimc, si Ton considere aeulement l'excavation pelvi-
enne; luaiB lea parois du bassin ofFreut plus d'^paisaeur daua le sexe maa-
culin; et cette ditierence d'^paisseur compense la difference de capacite.
De la predominance des dimeusions transversales cbez la femmc d<^cou1e
toute une B^rie de dii'ferencea secondaires. Le detroit superieur, ö'allongeant
dans le meme »ens, tent d prendre cbez eile une figure elliptique. La
bruncbe borizoutale des pubis etant plus lougue, les carites cotylotdes aont
plus ecart«es, les t&tes feniorales plus eloignees, les grauds trocbanters plus
sailloats, les femurs plus obliques, les genoux plus rapproche«. De l'ecarte-
ment des grands irocbauters resulte, pour ce sexe, un mode de deambu-
lation particulier dont quelques auteurs out donne uue idee vraie, mais
exageree, en le comparant i celui des paltnipedes.
d. Differences relatives ä la configuration. Parmi ces diffe-
rences, les unes se rattacbent au graud bassin, les autres au petit bassin.
Le grand basein est tiesevase dans le sexe feminin; les fosses iliaque«
sont etal^es; les orötes iliaques dejetees en dehors et peu sinueuses. — Dan«
le sexe masculin, les fosses iliaques sont plus concaves; lea erstes de ce
noni plus conloumees et plu» reloveea.
Le petib bassin et plus large cbez la femme, plus allonge surtout dans
e seas transveraal. Lea angles lateraux du dötroit supörieur s'arroudissent
en in^me tenips qu'ila a'ecarteut, d*oü la figure elliptique de ce detroit; d'au-
tant plus aecusee, qu'il est plus umple. — La paroi posterieure de Texca-
vation preüente une coucavite plus prononcee et plus reguliere. La baae
du sacrum est plus largc, mais seuletuent cbez les femnies, assez notnbreuse,
dont le detroit superieur depasse son ampleur ordinaire. — La paroi anii-
rieure qu pubienne du petit bassin est plua ätendue dans le sens transversal,
mais moins ^lev^e. — Les trous «oua-pubiena sont plus grands et triungu-
laires; les tuberosites de l'i^cbiou plus ^cart^es; les branches iscbio-pubiennes
plua etroitea; leur bord interne se dejette en haut et en debors. — L'arcade
pubienne, trös-large, represente une sorte de poulie, sur laquelle la tÄte du
foetus se reflechit au nioment oii eil« franchit l'orifice vulvaire. Cette arcadc
offre uue largeur de 25 ü 30 uiillimetres k sa partie supörieure, et de
9 centim^trcs inferieurement.
La cuisse est plus longue cbez Thouime que cbez la femme de troia
ceotiinitres. Cette differonce est due en partie ä la direction du pli de
l'aine qui est rectiligne et asccudaiit cbez l'un, curviligne et non-ascendant
cbez l'autre dans la inoitie interne de aon trajet, d'oii il »uit que dans le
aexe masculin le milieu du pli est pretique toujours plus eleve que la Hym-
phjse pubienne, tnodiaquc dan» le sexe femiuin ce tnilieu et la aympbjrae sont
iia&i sur le mSme plaa."
Die HUftenbreite der Weiber wird noch vermehrt durch ein eigenthQm*
lichea Verhalten am oberütcn Ende ihrer Oberschenkel. Der Hals der Schenkel*
beiae ist nämlich lütiget und mehr wagerecht als beim Maone, wodurch dio
grossen Trocbantercn weiter nach aussen zu liogiin kommen. Durch alle diaso
vrperbau.
f^rschiUIurU'n Ei;,'eiitb<)inlichkeiten erklärt es sich, daK» Wi dem Weibe der
QuerdurchmeeAtT der Hüften denjenigen der Schultorn «u üliertroApn pdegb,
während bei den Männern gerade umgekehrt die Schulterbreite beträchtlicher
aU die Hättbreit« iüt. Nach Fehlmif soll sich die Weiblichkeit an dem Becken
bereit« ku dei' Zeit anfangen geltend lu machen, in welcher da» Becken zu
verknöchern beginnt.
Eine ganz bedeutende RoUe in dem ErnähriingHprooesB des Körpers
Hpielt die Fe tibi] düng. Während nun das männliche (ieachleoht hinaichtlicb
der Ernährung mehr vm einer kräftigen Entwickeluiig de» Knochen- und
Mu«kelBy6teiiii9 neigt, y.eigt dus weibliche GeHchlechl häutiger eine reiebiiche
Anliigerung von Fett, deseen Vertheiluug am Körper diesem rundere Formen
triebt. Diene Rundung trä^t ohne Zweifel diLun , wenn sie in den normiilen
Grenzen »ich zvi^t, iitet« diizu bei, dass unn die Formen der weiblichen 6e-
titalt aU achöu, d. b. dorn Ideale weiblicher Schönheit möglichst entsprechend,
«rscheinen. Dagegen haben für uns alle jene weiblichen Figuren etwa? be-
»oadera AbflloxHeudex , welche durch allzugrosse Magerkeit die Rundung der
Formen vermisKeu lasseu; die» kommt beaonderH bei den Weibern ver-
Hcbiedener Völker schon in einem Alter vor, wo bei una das Weib im All-
gemeinen noch einer gewinsen Blüthe Mich erfreut. Hierher gehören zumal
die Hottentottinnen, auch die Au.stralierinnen und ander«. Da-
gegen giebt «8 Völker, bei welchen eine übermässige Erzeugung von Fett
am ge!<aiumten weiblichen Körper etwa» ganz UewöbnIicheB ist, und die auch
die«e Ueberproductiou zu fördern eucbeu (Neger und einige orientalische
Völker), und bei noch anderen Nationen (uamcnilich in Afrika) zeichnet sich
d«r weibliche Körper durch Ansammlung von Fettma^sen an gewissen Theilen
»UM. Wir gehen auf diese Thatäacbeu K^>äter näher ein.
Hinsichtlich gewisser Lebensverhältnitiite unterscheidet sich das Weib
vom Manne hauptsächlich durch die Entwickeluug des Wuch8eH und durch
audem geartet« Sterblichkeit. Die Wachsthums-Proportionen er
mittelt« vor allem (^uetelcf^, indem er in .Schuten. WaisenhäuHcrn u. b. w-
,eili» B«ihe von Beobachtungen anstellte. Bei der Geburt allerdings über-
tnflen an Grösse die Knaben die Mädchen durchschnittlich um etwa
1 ein (Ü.i99 : 0,489). Dagegen wächst das Mädchen weiterhin so rasch, dass
t» m dem Alter von 16 — 17 Jahren verhältnisemässig schon ebenso weit
vorgerückt ist, als der Jüngling von 18 — 19 Jahren. Die jährliche Zunahm«
zwiaclieu 5 — 15 Jahren beträgt nach (^uetelet bei Knaben ungefähr b6 mm,
w&brt<nd (le «ich bei Mädchen nur auf etwa 52 mm beläutt. Fernerhin fand
dtsr»i*lbe Statistiker die Grenzen des Wacbsthums bei beiden Geschlechtern
ungleich, 1. weil die Individuen weiblichen GeKchlechtt schon bei der Geburt
kleiner sind, als die des männlichen; 2. weil das Wacbc^thum der ersteren
früher sein Ende erreicht, und y. weil die jährliche Zunahme der körper-
lichen Grösse bei ihnen geringer ist, als bei dem männlichen Geschlechte. —
Ansserdem erreicht da* Weib später als der Mann sein Gewichts Maximum
und wiegt am meisten um das fünlKigrite Jahr.
Nach Sappey ist bei der Freu der Rumpf f»*t ebenso lang aU die
Unturextremitäten. während letztere bei Männern im Mittel um 2,5 cm dia
Kumpflänge iibertreti'en. Der Mann erreicht das Maximum seiner Grösse mit
30 Jahren, seines Gewichtes mit 4Ü Jahren, das Wuib letcliires vnt mit 50
Jabnm,
Mlnlaiin |
MmzlnsB |
Hllttl 1
Giswichl d«a Manne«
51,45a kilo 1
»1,246 1
»2,049
Gewicht des Weibes
36.777 1
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•at «<aM n €kai ^a> la eoariie g^afcale. qa^oa a'ca icteaa« paa da aeooad
4 kn eppowr plas Urd. Doit-oa «a lirer oeU« coBtfq[«>aw fae 1» cnfTtaa
flaiiaia doh Mre tnite avec dca pritaatiaM taatei paHwiafiiiM et qa'Jl
aa liiirtLiBtl paa par eeaaiqpcal & «aa idanallua dipaanat Mi foreea eM-
Vralair'
Er ■toOt daaa fb^cad» tatcrcnaate tUvellt i wia. aas wek^er
der üalenMkied laiaAea dca aJaaKtImi «ad veiUi^ca GcÜraca ertielii-
fick «ad:
SeMicwIkfc beiaeikea«v »Wi
fiOkade üattnckied* darch die raachci
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Toa weveaÜi^cr Bedealaag «dieiai
Za- aad Abaakoc da Hirafewiebt« i
aeia. BdiOB na Jalue I8<1 luOla Boji
im Bo«p<lal too SL If arrl^boae j«
vobö er darehacbaiUfidl Giad. daa«
14 Jalirea bei Kaabca ItB. bei UlfeW
emidita daa »cibhAe 6etea
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acMcditerB aiauat a^ voa i
jcdCM Jabn^oit bia aam 60. Jakre ab.
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bei Mlaaetn. Ime Hypolkeaa
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Daa Weib im Altar von iO— «0 Jabrea bat alaa IM— 164 gr.
im Alter res 60—90 Jakrea ItS — ISS gr waaiger Gakira aU dat
M ao n.
r«b<T die MMWiaihalHfii alckUgca Palwukiidi^ wilili Mk ac^aa
vtbrend de« eaib»ycaikia Lakeaa aa daa OcUmw der bddiB flufkliibKi
cfiDeBaca aad aackvetacn kataa. kai «as Atdfafv-t aa^pülii. Kr •agi.
JLun mMM giaabaa. dcM die lM|rMMadM (Icinklinklacatcn .liieja.
wdebe «ek aa ^ll«B KOrpcrÜMflaa ia M> aalTkn«MWr WaiMi
^H^m
ftlt und Körperbau.
an dem Or^an des Denkens, dem wichtigsten des Körpers, gar nicht, oder
, nur in so feinen Nuancen auftreten, dass sie si<:h der Beobachtung entziehen?
Ist es denkbar, dass die Parallele, welche zwischen dem Gehirn und der
^Geistesthätigkeit in den verschiedenen Altersperioden, also von der frühesten
Jagend bis in das h5chBte Alter, in so ausgeprägter Art vorhanden ist, nicht
auch fQr die beiden Geschlechter, deren verschiedene Stellung bei unseren
civiliairten Völkern gewiss nicht das Resultat v:ui1illiger Factoren, sondern
nur da« bestimmter organischer Einrichtungen sein kann, Geltung haben soll?"
Büdinger kommt durch seine Untersuchungen zu folgenden Ergebuissen:
„In Bezug auf das absolute Gewicht des Gehirns bestätigten sich die
Angaben von Robert Boj/d, der bei todtgeborenen Kindern im Mittel ein*
.DifTfrens von 46 Gramm minus fBr das weibliche Geschlecht gefunden hat.
i.S3'
Fig. 7, Die OegobleohU-Untenohicd« «n den Gehirnen nengeboreneT Kind«;
(aaoh Hidinger^), Oben der Btlmtheil, unten der Hinterh&nptitheil.
Koabe. Btldohen.
AUe drei Hauptdurchmesser des Gehirns sind bei neugeborenen Knaben
»r als bei Mädchen und /.war im Mittel der sagittale um 0,9 cm, der
echte und der quere um 0,5 cm. In der Mehrzahl der männlichen
[YoctoHgebime erscheinen die Stimlappen etwas massiger, breiter und höher,
laU die weiblichen. HuscMe hatte schon den Satz aufgestellt, dass beim
[Vanne mehr Hirn vor der Centralfurche , beim Weibe mehr hinter der*
leiben liege.
WlLbrend des siebenten und achten Monats bleiben am weiblichen
iebim alle Windungen bedeutend einfacher als am münnUchcn, so dass der
inxe Stirnlappen beim Mädchen den Eindruck der GiMte oder Nacktheit
^inacht. Alle aecundlircn Trans verüalfurchen sind am männlichen Hirn schon
angelegt, während dieselben am weiblichen Hirn noch einfach erscheinen und
^^iin iangxiimereä Wachsthum zeigen. Der männliche Schcitellappen ist ganx
Ibirsonders charakteristisch verschieden von dem weiblichen, denn während
der Stirn- and der Hinterhauptslappen noch ve.rhältnissmässig glatt sind,
[erscheint er bald to stark gefurcht, dass er sich von seiner Umgebung sehr
wfEallend unterscheidet. Mit Recht hat daher Huschke den Scheitellappen
Bim Manne für eine bevorzugte Hirnpartie erklärt.
Dio Centralfurche verläuft hei dem männlichen Foetua Öfters schief;
jedoch ist dieser Unterschied vom weiblichen Geschlechte kein constünter and
|i«t riellAicht weniger durch das Geschlecht, als vielmehr durch die Verschieden-
Ibeit der Form des Kopfes hervorgerufen.
26
I. Anthropologiaehe Aolüausuog des Weibes.
Aiu Gehirn d«r n«ugeboi«Den Mädchen ist die Iiuel in grOaseicr Ah-
dehnung sichtbar and leichter zogän^Iich, «b beim Knaben; die FoM» Syfaü
wird daher am weiblichen Gehini »}>iter dorch die omgebenden Windungen
geschlossen, ald am männlichen.
Im siebenten ax;d achten Monat i^t die perpendiknläre S{>alte na der
Innenfläch« der Hemi>phäre beim Mädchen weniger tief eingMCfifct, difl
BütAoifiiiii Bogenwindung eben um dieselbe glatter and einfncfa«r nad der
Hinterhaaptdlappen erscheint weniger vc-m >cheitellappen abge«etit. ala beim
Knaben. Aach «ind alle Wicdcngen an der Innenfläche der Hemiiphäie
glatter und einfacher, während beim Knaben die Forchen iiefer and die ^ in-
dangen ge«chläc;^ltcr Ter'.aofen.
Trotz vieler individueller Aiunahmeo. weichen man lorgfUtige Bexflck-
sichtigung £^ TLcil werden Lu^en mca«. Läzji man die TfaaUacbe, dau
ganz verjt:hiedenc typische Bildungsgcäetze für die Grosahirn-
winJunge:! der ceideii. Geschlechter bestehen and «chon im
foetale:: Leben sich geltezid machen, nicht be«ti«iten.'*
Pjji!^: c:nnte durch seine snter RÄdimjtr'* Leit;;ng auf der Münehener
*r..kt.?"--» ^dächze:: rn(er$-a<.'huage:i nachweisen, dj^s da« Gehirn der MSaner
vLüjeniTT deiWei^-rr ..ziemliJC l-eüeutend" an Laue. Breite und H3he flber-
cri£t. .X>:e Meswunx der Gehimperlpberle in der X«dianebene ergiebt. daM
,1.^ r.är-'ijhe Gehirz in a2ge3i:eben.er Lbene eines, diirchschnittlich um 2 CB
.rrCsciere- r=.ü=^ ha: als das weibliche.-* Die Ces.traif-.;rche de> VaitnrW ist
<:.irJLscii::i*'.l-.c£. län^r und >tärker gvkh:;uLit als d:e de» Weibes, und et
li-rst bii^ Mann« zieL: Geiilm=:as«e vcr der Cenlralfarche als beim Weibe.
ce:i>:zd-:r^ raoh. der Medutr^ebene :.:. Hiz^egen kum Putztet die Angabe,
VTcibe ziehr ■jezirsr.-.a'Se hinMr der Centrali-.irv:he liege als
(1=.-=. Mt:s*-=.ä- ni-ht b<#ü»:iorr
w;; uur oc 5sS-l.i>
lojiijch g\*ia»:cl
de» Gehiro» ai» ei« wajtvi*- uv
[e- w.r noch Jakamma
\jiHkt'- h:ren: ..7-Mr deii allgemeinen
>e».;I:a:c:i. weiche wir gewonnen
^^ ha.ez, s-.ri: a=. Wichtigkeit voran
\ die LrjkTZ^uiis« tu:;;! ent^ecengesetzten
\^ :i:i.-jr.*'ist Oeseziciiäiigteit der Ent-
wi^k-.«-.;:^: i^s Griixr.v.vin« bei dem
\ ;_i:;:Ll:-:.ii i:ii WB;.l;:iec. Geschlechte.
\ \VÜ~-i W-.7 r^: d^i Mäaaenchä-
ii— 1- -VU^ieLz.-" :i höhest Maaue
i:<f Ne-c.::^^ vorwal;:::. s«^en. ein
■,.'Z^•»:c'.CirJcjl-— ak:.-.,>fciale* Himrolum
:i erT«..-i::j . ü.xc^-.ecs im Gegen-
s^:. .ijk!.: '.-e: irs. •'ra;ie&schadeln
ei=e Nr.c-j;i a i,'i>*;.-..g'3cher Mikro-
cei'iu».-.-,- \\'.. *;ri;:i r-,i: fehlgehen,
^-.>"ja »-.r :::: .L.v>tf v."i9«::z::iä*6igkeit.
»-.:..":■.,> »•.-. T.vi...^ .i^ui.'ü.: i — fdrdas
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.:^>^hi^keit
2. Gestalt nnd Körperbau. 27
des Gehirns an, so scheint ans die hier erkannte biologische Gesetzmässig-
keit der Entwickelang des Gehimvolams bei Männern und Frauen einen £in>
blick in das Yerhältniss der verschiedenen intellectuellen Begabung der beiden
Geschlechter zu gestatten. Bei den Frauen überwiegt die Zahl derjenigen,
deren psychisches Instrument eine spärliche Entwickelang zeigt, immerhin
überragt aber eine nicht unbeträchtliche Zahl den bei Frauen häufigsten
Werth des GehimTolums und es finden sich einzelne Werthe für diese Grösse,
welche dem Maximum für Männergehirn volnm nahe stehen. Das letztere ist
dm so auffallender, da die Massenentwickelung des Gehirns auch eine Function
der Gesammtkörperentwickelung ist, in welcher der altbayerische Mann
das Weib im Allgemeinen in ziemlich hohem Maasse überragt. Es stimmt
das mit der bekannten Bemerkung zusammen, dass das Gehimvolum der
Frauen in Beziehung auf die sonstige Gesammtkörperentwickelung relativ
etwas grösser erscheint, als das der Männer. Bei den Männern ist die Zahl
der Schädel, welche das häufigste männliche Hirnvolum übersteigen, grösser
als die Zahl jener, welche unter diesem Normalwerthe bleiben ; das psychische
Organ der Männer zeigt also vorwiegend eine das Mittelmaass übersteigende
Entwickelung, und die Zahl besonders mächtig entwickelter Gehirne ist
relativ viel grösser als bei den Frauen.
Wenn wir nur im Allgemeinen von der Ausbildung des Instromentes
auf seine Leistungsfähigkeit zurückschliessen dürfen, so würden wir also in
UebereinstimmuDg mit älteren Beobachtungen innerhalb der Sphäre seiner
originellen Begabung die Leistungsfähigkeit des weiblichen Gehirnes für das
Durchschnitts -Weib etwas höher ansetzen müssen, als die Leistungsfähigkeit
des männlichen Gehirnes für den Durchschnitts-Mann. Dagegen bemerken
wir, dass bei den Männern die Zahl derjenigen Individuen, welche eine über
das Normalmaass höher gesteigerte Gehirnentwickelung und damit also wohl
eine gesteigerte cerebrale Leistungsfähigkeit besitzen , weit grösser ist, als
bei den Frauen, und dass im Gegensatz dazu unter den Frauen sehr viel zahl-
reicher als bei den Männern solche vorkommen, welche in Beziehung auf
die Entwickelung des psychischen Organs unter der bei ihnen normalmäasigen
Grösse zurückbleiben. Es stimmen diese Beobachtungen, wie mir scheint,
überein mit den allgemein gültigen Erfahrungen über die Unterschiede des
psychischen Leistungsvermögens der beiden Geschlechter."
Trotz alier dieser handgreiflichen Unterschiede hat der Wiener Anatom
Brühl versucht, eine principielle Ungleichheit in dem Bau des Gehirnes der
beiden Geschlechter abzuleugnen, weil unsere Eenntniss der feineren Anatomie
bis jetzt noch nicht ausreichte, an der Art und Zahl der Furchen und Windungen
des Grosshims sofort ein weibliches Gehirn von einem männlichen zu unter-
scheiden. Nach den vorher gemachten Angaben bedarf es keines weiteren
Eingehens auf diesen Einwurf. Es ist auch noch gar nicht lange her, dass
man nicht im Stande war, einen weiblichen Schädel von einem männlichen
zu unterscheiden, und dennoch ist uns das heute möglich. Und auch bei den
Gehirnen wird eine derartige Diagnose vielleicht mit der Zeit gelingen. Jeden-
falls erscheinen uns die bisher aufgefundenen Differenzen wichtig und
charakteristisch genug, um auch den eifrigsten Vorfechter <ler Frauen-
emancipation aus dem Felde schlagen zu können.
mg d«8 Weibe«.
:). Die Sterblichkeit des weiblichen Cieschlechtes und der
Weiberäberschnss.
Auch die Geburts- und Sterblichkeitsziffern zeitigen
Iwmerkenswertheünterschiede beiden beiden Ge8ciilechtern('W'a^/>äifc«^.
In der frühesten Lebensperiode zeigt das weibliche IndiTiduum eine
auffallend geringere Mortalität. Es muss eine Ursache bestehen,
welche die Kinder männlichen Geschlechts vor und bald nach der
Geburt energischer hinwegrafit , als die Midcheai. Die grossere
St<>rblichkeit der männlichen Kinder reicht noch weit über das
SSuglingsalter hinaus. In den höheren Lebensjahren gestaltet sich
allerdings die Mortalität etwas anders. So hat J5f»9ef in Prenssen
enuitteltv dass die Sterblichkeit der Frauen die grössere ist bloss
in den Jahren 10 — 14, dann 25 — 40, endlich Qber 60; in allen
and«ren Jahren ist sie geringer. Man hat über die Ursachen dieser
Diffanwen UHUUUgfiaclw Vermnthungen and^esieilt, doch sind alle
uknueächend. Eine eigenthümlidie, gewiss allxa teleo- «
Aber dif» grBaaatB Sterblichkeit minnlieher Kinder S
fer aa&, indan «r ««gt: ^E? mag wohl die Natur, m
in der Absicht, aas dem Manne ein roUkommeneres Geschöpf
gtt lalden, als aoa dem Weibe, dabei noch mehr Hinderaisw find».
EIb kSaent Orgunarnns ist aUoi schidlicfaen Einflftsagn zogang-
BolMr.^ & isi wuaJailkh, w«a aan d« weablicbcn Qrgaownnis,
w«l «r im JQgeadfidMi AHcr giCsses« ffmwdenM Bdgt, als änen
aaToUkommeDcr Tennlagien anfiMsk. In ^itocn Lebeos)aliren
inigea n dkr grtfcren MinncnfterUidLkeit Dmrtiade bei» die in
der niiwJiilliniiiig «ad Lebcnswciee liegen and welnhe don^ die
rodMübette Ar die Fnaen aar weng ■■mgliilim
WVBB. Die aoocnn AlfeervlMBen inn m uteluueni ^BMcm bm
dn Weiban lelatiT stirkcr bcMbt, ek bei den MbuMtn.
Der Ton der Direiione Generale Statistica des ii
lienischeo Miusterinms für Lmiwirthsebaft, Indmine oad Handel]
1S84 rrxi^ftentüchte Beciobt: PopoUaione, MoTimento
della Stato cirile, giebi «hw üdbeBBcbt Aber d&e iahi« 1865
bm 188a, «M w^lcber ^e V«
«rtea in frei
Icitnnm
it«*4iaek l^elen . . Mll
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100
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Die Sterblichkeit des weibl. Geschlechte« und der WeiberQberschuss 29
Irland 106 Kaabea
Oe8terreich(Ci8leitfaai].)106 ,
Kroatienu. SlawonieD 106 ,
Norwegen .... 106 ,
Serbien 106
MaBaacbusetis
Spanien . .
Connecticut
Rumäu ien
Griechenland
106 Knaben
107 ,
110 ,
111 ,
112 .
i^'
Wir sehen hier, wie durchgehends die Zahl der Knaben die-
jenige der Mädchen übertrifft und wie unter 32 Ländern, welche
berücksichtigt wurden, in den berechneten 19 Jahren in nicht weni-
er als 19 Ländern das Verhältniss der Knabengeburten zu den
ädchengeburten ein constantt^s war, nämlich wie 105 zu 100.
Aufiullend ungleich stellt sich bei den centralaustrali-
sehen Schwarzen am Finke-Creek nach Angabe des Missionär
Kempe die Zahl der Knaben- und Mädchengeburten: in den Jahren
1879 — 1882 kamen etwa 4 Mädchen auf je einen Knaben.
Ein erheblicher Ueberschuss an Weibeni findet sich auf der
sei Sal eijer im malayischen Archipel südlich von Celebes, wie
r durch Engelhard erfuhren. Die ftinf Regentschaften der Insel
esitzen in ihren 17 Ortschatten eine Bevölkerung von 2035 Männern
und nicht weniger als 3337 Weibern.
Wenn wir in der Ge^ammtbevölkerung aller europäischen
Btaaten das Verhältniss zwischen männlichen und weiblichen Per-
^Bonen berechnen, so stellt sich ein Ueberschuss der letzteren heraus
^Bn Proportion von 102,1 Krauen auf 100 Männer, obgleich unter
^ben Neugeborenen ein Geschlechtsverhältniss von 105 Knaben auf
^Di30 Mädchen besteht. Allein diesen Weiberüberschuss besitzt nur
^EBuropa, denn in anderen Continenten findet sich eine durchschnitt-
lich grössere Zahl männlicher, als weiblicher Personen. Länder
it andauernd starker Auswanderung, wie Grossbritann ien und
utscbland, haben ganz natürlich Männermangel, da vorzugs-
eise Männer sich in die fremden Länder begeben ; demgemäss ent-
iht in Ländern mit starker ^Einwanderung dagegen Frauenmangel.
Thatsache freilich ist nicht allein genügend zur Erklärung
Weiberüberschusses. Zunächst sind in den frühesten Alters-
sen hinsichtlich der Sterblichkeit die Knaben weit mehr ge-
'uhrdet, als die Mädchen. Dann aber begleitet die grossere Lebeus-
rohung, welche die Natur dem Knaben als böses Geschenk in
ie Wiege legt, diesen fast durch sein ganzes Leben. Mayr sagt
ierüber:
„Abgesehen von der in ihrer tödllicben Wirkung vielfucb Aberschatzten
khr, welche die Entbindung dem Weibe bereitet, erscheint der Mann
b der ganzen Entwickelung seines Lobfna bedrohter, als das Weib. Er
in jeder Beziehung zu intensiverem Verbrauche der Lebenskraft. Die
Arbeit dea Frieden« wie des Krieges bringt ihm weit grossere Anatren-
ngen and Gefahren, wie dem Weibe. Der grosseren Summe ph^^Riscber
, welche er besitzt, steht keineswegs eine entsprechende gr&sscre Wider-
kraft gegen die munuigfiiltigeu Lc^bennbedrohungen zur Seite, welche
Dgebeu. D»hei darf man nicht etwa bloss an die einzelnen rasch
»den Vorgange, wie z. B. die Verunglückungen im Oewerbebetriel>e,
km. denen der Manu weit mehr ausgesetzt i«t, altt das Weib, »on4ern
80 I- Anthropologische Anffastang des Weibe«.
aach an den langsamen Verzehr der Lebenskraft im Starm und Dnung da
Lebern. Recht belehrend ist in dieser Hinsicht die Criminal-Statistflc. Nie-
mand wird bezweifeln, das« der Weg des Verbrechens auch dem leibtichen
Wohle nachtheilig ist. nnd wollte er dies, so wftre er dnrch den einfachen Hin-
weis anf die Sterblichkeitsziffer der Galeere nnd des Znchtbansea belehrt
Wenn nun aber von Tag zo Tag das mAnnliche Ge«chlecht einen etwa
f&nffach grosseren Betrag zu den Verbrechern stellt als das weibliche, nnd
wenn wir auch darin nur einen, daftir aber statistisch gut erfassbarea
Ausdruck des vielfachen Anlasses zu rascherem Verbranch der m&nnlichea
Lebenskraft erblicken, so werden wir uns nicht wundem dOrfen, wenn ons
die Statistik weiter lehrt, dass wir nns nicht irren, wenn wir in den Strassen
unserer Städte mehr alte Weiber als alte Männer zo sehen glauben."
Derselbe Antor sagt: ..Wegen der stärkeren Besetzung der höheren Alteia-
klassen bei den Weibern findet man ein namhaftes Uebergewicht darchlebter
weiblicher Lebenszeit im höheren Alter. Für Bayern ergab sich beispiels-
weise aus der Erhebung von 1875, dass die 51 — 55jahrigen Weiber mehr als
7 Millionen durchlebter Jahre aufzuweisen hatten, während die Mftnner gleichen
Alters nur ein Oesammtleben von nicht einmal ß'^j Millionen Jahren dantellen.
Ganz bedeutende Unterschiede giebt es zwischen den Nationen Earo pas;
den höchsten Frauen-Ueberschuss zeigen Grossbritannien und Schweden
(106 weibliche auf 100 männliche Personen); denn wenn man 1881 in Eng-
land (ohne Schottland und Irland) 11947 726 männliche und 12 660 665
weibliche Personen zählte, so gab es daselbst ein Plus von 712 989 Personen
weiblichen Geschlechts. Da muss man doch noch fragen, ob dieses Plus nicht
vorzugsweise durch Weiber repräsentirt wird, die in höheren Altersklassen
stehen. Ein ähnliches Verhältniss findet sich auch in einzelnen deutschen
Ländern, namentlich in der Provinz Ostpreufsen und im Königreich
Württemberg, während Oldenburg und die Provinz Hannover eine
fast gleiche Zahl von Männern und Frauen besitzen. Dagegen haben die
Vereinigten Staaten von Nordamerika einen Ueberschuss der männ-
lichen Bevölkerung: dieser Thatsache gegenüber meint der französische
Statistiker £/oc^-, dass vielleicht der Grund der berühmten nordamerikani-
Hchen Frauen Verehrung ursprünglich in diesem der Damenwelt gflnstigen
Verhältnisse der Nachfrage und des Angebotes zu suchen sei.
Die interessant^^ Frage, ob in der Th&t, wie behauptet worden, in Eng-
land 2 Millionen Personen weiblichen Geschlechts mehr als männlichen
Geschlechts eziHtiren, wird durch folgende Zahlen-VerhältnisBe beleuchtet.
(iroHsbritannien zählte 1851: 13369 442 männliche und 14074814.
weibliche Einwohner, ein Verhältniss, welches durch den indischen und den
Krim -Krieg wahrscheinlich herbeigeführt war.
Im Jahre 1861 zählte man: 14 097 208 männliche und 14939 300 weib^
liehe Einwohner; daH Plus der weiblichen Personen betrug also noch nicht
1 Million. 1881: 17 203 947 miinnliche (incl. Soldaten), 17 992 615 weibUche;
Plus 738 668.
In England allein (ohne Schottland und Irland) bestand im Jahre
1875 (bei 22 712 266 Einwohner) das Verhältniss von 96,13 männliche auf
100 weibliche Pcmonen. Im Jahre 1881 war das Verbältniris: 11947 726
männliche und 12 660 665 weibliche, also 712 939 plus weibliche.
Ingiinz Europa ist das Gescblechtsverhältniss derGesammt-Bevölkerung
— 100 Männer: 102,1 Frauen, dagegen in Grossbritannien 100:106,2; es
überwiegt demnach hier der Frauen-Ueborschuss ganz bedeutend, und zwar in
3. Die Sterblichkeit des weibL Geschlechtes und der WeiberflberschusR. 31
ziemlich gleicher Hohe, wie in Schweden, doch ist immerhin die Annahme
ron 2 Millionen viel zu hoch.
In dem gleichen Zeitninme (1865—1888) starben jährlich im Mittel auf
je 100 weibliche Individnen in:
Rhode Island ... 97 männl. England und Wales . 107 männl.
Vermont 98 , Kroatienu.Slawonien 107
Massachusetts ... 99 , Spanien 107
Schottland .... 100 , Bayern 108
Irland 100 , OesterreichCCisleithan.) 108
Elsass-Lothringen . 102 „ Ungarn 108
Connecticut .... 102 , Schweiz 108
Norwegen ..... 103 , Belgien ...... 108
D&nemark ..... 103 , Deutsches Reich . . 109
Finland 108 , Preussen 109
Schweden ..... 104 , Sachsen 109
Holland 105 , Thüringen... ... 109
Europäisch. Russland 105 , Griechenland ... 111
Italien 106 , Serbien 112
WOrtemberg ... 106 ,, Rumänien 116
Frankreich .... 107 ,
Wenn wir diese Sterbelisten iim Ratb fragen, so sehen wir also
dass wir nur drei Länder antreffen (Rhode Island, Vermont
Massachusetts), wo die Zahl der weiblichen Todten grösser ist,
als die der männlichen; zwei Länder (Schottland und Irland),
wo die Zahlen der beiden Geschlechter gleich sind, während in
allen anderen Ländern die Zahl der männlichen Todten diejenige der
weiblichen übertrifft und zwar nicht selten ganz bedeutend. Dass
also in den Culturstaaten ein Ueberschuss an Weibern in Wirk-
lichkeit existirt, das mnss als eine bewiesene Thatsache betrachtet
werden.
IL Die psycliologische Auffassung des Weibes.
4. Die psycliologischen Aufgaben des Weibes,
Ueber das Verhältniss des Weibes zum Manne in Bezug auf
ihre gegenseitigen geistigen Fähigkeiten legte sich der Engländer
Allan die Frage vor:
„Ist liüb Weib in intelleciueller BesiehuDg dem Manne gleich? Bestehen
keine natürlichen, geistigen Verschiedenheiten zwischen den beiden Ge-
Bchlechtem? Sind die deutlichen Unterschiede im Denken und Handeln, die
man zwischen WeiV)ern und Männern bemerkt, allein durch die Erziehung
bedingt, oder in der Natur begründet? Ist das Weib einer gleichen geistigen
Erziehung fähig, wie der Mann, und kann gleichmä^siger Unterricht alle
geistigen Verschiedenheiten zwischen den Geschlechtern aufheben und dm
Weib zu einem erfolgreichen Wettstreit mit dem Manne in aller Art geistiger
Arbeit befähigen?"
Wir berühren hiermit gleichsam die »Frauenfrage", welche
freilich vom anthropologischen Gesichtspunkte aus in einer den
Frauenreehtlern nicht ganz wünschenswerthen Weise beantwortet
werden muss. Denn wir stellen uns vollständig auf die Seite von
AUa», welcher seine Frage fulgendermaassen beantwortet:
„Mein Standpunkt ist, dasa durchgreifende, natürliche und dauernde
Unterschiede in der geistigen und moralischen Bildung beider Geschlechter
bestehen, Hand in Hand gebeud mit der physischen Organisation. Man
vergleiche das männliche und weibliche Skelett, man studire Mann und Weib
im physiologischen und im pathologischen Zustande, in der Oexundheit und
Krankheit ; man beobachte philosophisch ihre respectiven BcKtrebungeo, Beachdf-
tigungcn, Vergnügungen, ihre Neigungen, ihr Verlangen; mau vergogeuwärtige
sich, welche Rolle jedes Geschlecht in der Geschichte gespielt bat, — und man
wird schwerlich der paradi»xen Behauptung beizutreten vermögca, dass e« keinen
Ooschlechtsunlerschied dos Geistes giebt und dass die geistige Ver-
schiedenheit der Geschlechter allein eine Folge der Erxiehuug sein soll.
Ein Weib mit männlichem Sinn ist ein ebenso anomales Geschöpf als eine
Frau mit mannlicher Brust, mit mttnulicheni Becken, mit mannlicher Musku-
latur oder mit einem Biirte."
Wohl muss jeden» unbefangenen Beobachter die Thatsuche aui-
fallen, dass überall schon von friihest^r .Tu^jend au die Neigungen,
der Geschmack und das Vergnlig.-i. }>.m Ivid,.,, r.^^chlechteni hücliak
4. Die p«j«ho1ogischen Auff^uben des Weihes.
different smd. Bei allen Völkern (siehe Ploss^") zeigt sich schon
Hüter den Kindern in den Spieläiisserungen der geistige unterschied
beider Geschlechter: die Knaben sind actirer, lieben kriegerische
Spiele, spielen Räuber, Soldaten u, s. w. : der als Madchen ver-
kleidete Achilles griff zum Schwert. Puppen, Spiegel, Putz und
Tänze sind die Spiele der Mädchen.
Die Vertreter der , Frauenrechte* behaupten Gleichheit zwischen
Mann und Weib; wenigstens stehen, wie sie sagen, in intellectueUer
Hinsicht die beiden Geschlechter mindestens auf gleicher Stufe, ja
man sehe sogar, dass in geistiger Beziehung die Mädchen viel
schneller zur Reife gelangen als die Knaben," und dass zum Beispiel
Mädchen von lü .Fahren in Bezug auf ihre geistige Entwickelung
die gleichaltrigen Knaben bei weitem übertreffen. Man könne sich
hieraus zum mindesten nicht einen Rückschluss auf eine geistige
Unterbilanz bei dem weiblichen Geschlechte gestatten.
Aber diesem Einwurf setzt Allan mit vollem Rechte einen
anderen entgegen. Er macht nämlich darauf aufmerksam, dass ein
Tliier oder eine Pflanze, je höher sie auf der natOrlichen Rangstufe
stehen, um so langsamer ihre höchste Entwickelung erlangen; so
sei es auch mit den Knaben, die später reifen, als die Mädchen,
sowohl in leiblicher, als in geistiger Hinsicht.
Sehr Kchön befipricht an der Hand der Geschiebte Ixyrrnz von Stfin
die ,.Fraufnfrage* : ,Es ist noch keine hundert Jahre her in einer Weltge-
ftchichte von ho vielen tausend Jahren, da.9s man überhaupt begonnen hat
Ober die tiefere Natur, das Wesen und die Mission der Frau in der uiensch-
lichen GenieinHchaft nachzudenken. Bei allem fattb nnendliithen Reichthum der
alten Welt in allen Gebieten des geistigen Lebens igt hier ein Gebiet, zu
welchem ihr arbeitender Gedanke niemals hinnngereicht hat. Selbst an den
gröbsten weiblichen Gestalten der alten Welt gehen nicht bloss Philosophie
und Geschichte, jiondern ttclbüt die geistreiche Beobachtungsgabe der Pariser
unter den Griechen, der Athenienser, schweigend vorüber, und weder das
schöne Bild der PeneJope, noch die glllnzende Erscheinung einer Lnis, noch
die machtvolle einer Khnpatrn oder die schmachbedeckte einer Messaline
haben min Nachdenken auch die rtvsllos Denkenden unter den Alten ange-
spornt. Aristoielen weiss in seiner Politik von hnndgrt Gründen, aus denen
Männer Rtark uud Staaten gross werden und vergehen, aber von einem der
«gewaltigsten Kactori-n de« Lebens und seiner Bewegting, von dem Weibe,
weiss er nichtj>, Phitn kennt alle Ideale, die d^-a Menschen, der Weisheit,
des Staates», der Unsterblichkeit» — da« Ideal des Weibes kennt er nicht.
Die Lyriker besingen alles bis zu den olympbchen Spielen und Siegern, aber
die, denen si<.-h zuletzt auch diese Sieger gerne beugten, die Frauen, kennen
sie nicht. Unter den grossen und kleinen Theaterdichtern der alten Welt
hat nur Sophoklrs eine Antigone; .sie wissen alle das Weib nicht .ils .Motiv'
zu ver«toh<;n und zu benutzen, und darum sind uns ihre doust so grossen
Dramen Früchte ohneBiüthen, kalt und klar, hart und historisch. Allerdings be-
ginnt mit der germanischen Welt eine andere Zeit. Das Weib tritt in di*
Geschichte und ihre Poesie hinein; an der Schwelle derselben stehen Krtem-
fkiUL und Bruntuld, zvrei Gestalten, wie sie die alte Welt nicht kennt, und
Im« wird der Inhalt eines zweiten nicht minder grossen Epos. Dann
Pto«*, Du« Wiii><. I. 3. Aufl. 3
34
11. Die pgychologiache Auifaasuug de« Weibes.
kommen die Troubadours und ihr Reflex bei den Deutschen, die Mijines&Q(
das Herz der geraiaiiiächeti Völker hat gefunden, wa« der Verstand der alten
nicht gesehen hat, die Li ebe aU jenen milchtigen Factor, der die eine Hftlfte
des m&nnlichen Lebens unbedingt beherrBcht, am die andere glQcklich oder
unglücklich zu machen; und von da an wird die Ehe der Inhalt aller K&mpfe,
in denen das Individuum mit den individuellen, ja mit den gesellschaftlichen
Yerbältnisaen ringt. Schon iut das Pathos aus dem rein männlichen ein halb
weibliches geworden; der Mann, der früher Bein Leben und seine hOchste
Kraft nur dem Staate geweiht, lernt fQr die Frau nicht bloss fühlen und
leben, sondern auch sterben, und die Poesie des achtzehnten Jabrhunderta
bedeckt daa Grab aller Werthers mit den herrlichsten Blumen des Liedes und
des Trauerspiels. Die Frau ist du; sie ist eine Gewalt; sie ist zur Hillft«
des Lebens geworden; aber sie ist doch nur ein Eigenlhum der Dichtkunst.
Kaum dass die trockene Satire Geliert's und BaJyener's hier um) da einen
komischen Zug in die gl&nzenden Bilder hineinzeichnet, die in den Gretchens
und Kl&rchens, in den verschiedenen Luisenhattigkeiten und Auiaranlhen
ibre tiefen, schönen Augen auf uns richten und uns fesseln; die schönen
Gestalten bleiben, und selbst die Sappho's, die uns su oft begeistern, sind
unser und treten mit ebenso viel Klegans als Erfolg in das sprudelnde Leben
unserer Künstlerwelt hinein. Eh ist kein Zweifel, wir sind um eine Halb«
Welt reicher geworden, aber bis jetzt nur für die Dichtkunst. Das wirk-
liche Leben hat noch immer die Frau nur als Thatsache, nicht als die grosse
anerkannte Kraft aufgenommen, die in ihr lobt, und selbst Bahcufn «femme*
incomprises* haben es nicht vermocht, jenes Interesse an den weiblichen
Gestaltungen der Dichtkunst Ober ihr dreieaigstea Lebensjahr hinaus featza-
halten. Da kommt nun unsere nüchterne Zeit: ihr Charakter ist der Ma aBi-
stab. den sie in tausend Formen in ihrer Hand führt, und in tausend Formen
messend doch immer dasselbe misst. Das aber, was sie misst, ist der Werth,
und zwar mit kühler Härte und vollem Bewuastaein der wirthschaftliche
Werth aller Dinge. Für sie ist auch die Sonne nichts als Licht und Wärme,
die Kraft ist Production, der Hain der Sänger mit sflsaduftender Frühlin^s-
luft ist ein landwirthschaftlicher Factor für die Feuchtigkeit, und die Blüthe
aller Dinge hat nur als Mutter der werthvollen Erde ihre nationalökonomische
B<>rechtigung. Es ist sehr traurig, so sehr nützlich zu suin; aber es ist «o.
Wer will es wagen, sich dem zu entziehen? Und wenn jetzt jede Form de«
Bewusataeins von den nationalökonomischen Messungen angekränkelt wird,
kann es fehlen, dass wir auch das, worin der Frühling des Lebens sur dau-
ernden Gestalt wird, mit diesem Maasae messen ?'
«
So gelangt auch dieser treuliche Schriftsteller zu einer Ah-
lehuiing der Emancipation der Frau, indem er am Schlüsse seiner
weiteren Betrachtungen sagt: ,So werde ich nicht mit den Physio-
logen über das Granimenge wicht des Hirns discutiren; ich werde
vielmehr einfach die unzweifelliafte Thatsache feststellen, dass alle
Berufe der Frau zugänglich sind imd »ein sollen mit Ausnahme
derer, bei denen durch die strenge Erfüllung des Berufs selbst der
wahre Beruf der Frau, die Ehe, unmüglicb wird. Nun glaube
ich, diese Grenze ist in den Berufsarten der Frau bereits erreicht;
die Frau, die den ganzen Tag hindurch beim Piilte, am Ilichter-
tisch. auf der TribQne stehen soll, kann sehr ehrenwertb und .sehr
nützlich sein, aber sie ist eben keine Frau mehr; sie kann nicht
4. Die psychölogiBclien AnfgaTjen des Weibe«.
35
1
ob, ßie kann nicht Mutter sein." Wir stimmen mit v. Stein
öllig in dem Satze Uberein: ,In dem Zustande unserer Ge-
llschaft ist die Emancipation ihrem wahren Wesen nach die
Negation der Ehe." Und an einer anderen Stelle sagt derselbe
Antor: «Es ist kein Zweifel, der Träger des socialen Gedankens ist
der Mann, die Trägerin des socialen Gefühles aber ist die Frau.*
Die Natur hat beide Geschlechter gewissermaassen för ihre Leistungen
auf eine Arbeitstheilung hingewiesen.
Die Fehler, welche in der modernen Erziehung de.s Weibes
begangen werden, bedrohen nicht bloss dessen körperliches und
moralisches Gedeihen, sondern sie sind auch mit schwerwiegenden
Kacbtheilen ftir das Wohl der Familie und damit fllr das der Ge-
sellschuft verbunden.
„Der Beruf de« Weibes, so sagt sehr richtig der Seelen-Arzt t\ Kraft-
£bing, ist die Ehe und in dieser ist sie berufen als Mutter, ah HaUHfrau, als
Gefährtin des Munncs und als Erzieherin ihrer Kinder ihre Stelle aassufUUen.
Biesen Berufspflichten trägt die moderne Erziehung des Mädchens keineswegs
▼olle Rechnung. Sie scbiUligt die künftige Leistung als Mutter, indem sie
durch z\i vieles Stubensitzen und Lemenlassen den Leib verkOmraern lässt,
ie Entwickelungsperiode treibhausartig verfrüht und über den Drang, den
Geist zu entwickeln, nicht einmal den Körper in seiner wichtigsten Entwicke-
■lungsphase schont. Damit wird der heutzutage überaus häufigen Bleichsucht,
w Eingangspforte so vieler Uebel, wie z, B. der Lungen- und Nervenleiden,
orschub geleistet.
Der ethische und häusliche Werth des Weibes als künftiger Hausfrau
und Gefälirtin des Mannes auf seinem oft aufreibenden, mühseligen Lebensweg
leidet unter einer Erziehung, die nur bestrebt ist, das Mädchen heutzutage
viel als möglich durch äusseren und inneren Aufputz zu einer begehrens-
«n Partie für den Mann zu machen und so des Mädchens Zukunft —
tu werden — thunlichst zu sichern. Diese Erziehungsweise vemach-
lllaMgi die tiemfiths- und Herzensbildung, des Sinn für Häuslichkeit, Einfach-
heit, GenQgaamkeit. für Hohes und Edles. — Sie dient nur hohlem Scheine,
legt Werth auf encyklopädisches Wissen und auf Fähigkeiten, die die junge
Dane in der Geaellschaft beliebt machen, mit Verkümmemlaasen der echt
weiblichen Tugenden.
Statistiker versichern in allem Ernste, dass etwa 75 Procent der Eben
heutzutage unglücklich iiusfallen. Mag auch diese Ziffer etwas zu hoch ge-
griffen sein, SU kann es keinem Zweifel unterliegen, das« die an Gemütb und
Herzeusbildun^ so häufig verkümmerte, zu Genuss und Luxus erzogene, über
ihre «o«i .r,- hiniins gestellte, körperlich schwächliche und nach den
ertteii Vt ten boreit.s kränkelnde, dahinwelkende Frau keine Lebens,
rtüi, wtu riiti sein aollto, für den Mann abgeben kann. Enttäuschungen
beide« Seiten können nicht ausl^ieiben. Die Frau fühlt sich in ihrer
LebetI«>'^ ht befriedigt. Körperlich leidend und nervös ist sie unfähig,
ihren m > n und häuslichen Pilichteu in vollem Umfange nachzu-
kooineD."
Der so häutig aufgestellten Behauptung, dass es sich nicht um
angeborene Verschiedeulieiten in dem geistigen Vermögen des
miinnlichen und w«'iblichen Geschlechta handele, sondern dass die
in die Augen füllenden Unterschiede einzig mid allein als eine
3*
36 Q- I)>c psychologische Auffkuuog des Weibe«.
Folge der Terschiedenartigen Erziehung und der veretchiedenartigien
Methoden des Unterrichts bei deu beiden GeschlecLteiti angeseheu
werden müssten, tritt mit klarem und Qberzeogendem Beweise
Ddaunay entgegen:
,0n pourrait croire qua rinatmction donnie ^alement aux iudividaa
de Tun et de l'autre sexe a pour etfet de r^lablir l'^galite entre eux. II n'en
est rien. Au contraire, le fonctiunnement du cerveaa uccroit la pr^eminance
de Ilioiutne sur la feninip. Dana lus Cooles mixtes, oü le« deux sexes re-
Voivent la uiöme educatioD juhqii'ä quinse ans, les iiutituteuni observeni,
qu'& partir de douze ans les* fiUea ne peuvent plut suivre les iiar^ons. Cott«
Observation demontre que l'egalit^ des deux sexes rdv^ea par «-ertains philo-
Bophea n'eat pas pr^s de g'acroniplir. An contraire. cett« ägalit^, qui existait
chez les rucea priniitivea, teud ä disptiraitre avec lea progräa de la ciritisation.*
Eine Gleichstellung der beiden Geschlechter darf daher, vrie
mit vollem Rechte Virchow^ »agt, aus intellectuellen und aus
physischen Gründen nicht angestrebt werden, denn alle Unterschiede
müssen bleiben, die in der physischen Bestimmung beider Ge-
schlechter gegeben sind. Eine volle Emancipation würde zur Aut-
losung der Famüie und zur öffentlichen Erziehung der Kinder
fahren, einem Zustande, wie er nur auf den niedrigsten Stufen
menschlicher Cultiir gefunden werden kann.
5. Die moderne Psycholog:ie in ihrer Auffassung des
weiblichen Charalcter«.
Verbietet sich schon durch die specitischen physiologiscJM
Functionen, welche das weibhche Geschlecht insbesondere btzüglicb
seiner t^exuellen Aufgaben (Emptungnisis, Schwangerschaft, Geburt,
Wochenbett, Säugen und Kindespflege} von der Natiu- übernommen
hat. eine Gleichstellung beider Geschlechter, so tritt der Unter-
schied zwischen Mann und Frau weiterhin auch in psychologischer
Hinsicht recht deutlich hervor. Denn das gerammte geistige Leben
des Weibes erhält specifische Bildungsbahnen, so zwar, dass
dem Weibe allerdings keineswegs eine geistige Fähigkeit, dif der
Mann besitzt, ganz fehlt, dass aber doch theils die nr .he
Anlage, theils der physiologische Lebeusgang gewisse 1 ^-c.ien
mehr, andere weniger beim Weibe zur Entwickelung gelangen
lassen. In ethnologischer Beziehung bemerkt hierüber Lot^e^ sehr
treffend Folgendes:
, Vergleicht man die Dirergens in der Richtung der g^iati^n Bildung
die in Culturrfllkern niänoliche« und weibliche« Ge?''>i{»^ht scheidet, mit dem,
was »ich bei den wilden St&nimen findet, so ist zu !• diu» «in grxmser
Theil der Zartheit, der Weichheit und des O'^ftlhlyT--: in mju» so g«m
Ton der feineren und geschmeidigeren Te\' r» ablilngig
macht, ebenso weni^r in diesem Grad« ^.^ ui, aU ja»
leiblicheo KiKcnschaften selbst. Mag intmerhin auch bei wilden Völkern die
5. Die mod. Psychologie in ihrer Aoffassang des weibl. Charakters. 37
I
I
I
r
MDskelfaser des Manne» stivxffer, seine Respiration energiscber, sein Blutreicher
leeten Bestaodtheilen, seine Nerven weniger reizbar sein, so sind doch alle
Unterschiede ohne Zweifel selbst erst durch die Lebensweise der Civili-
OD vergrössert, die vielleicht alle körperliche Kraft etwa« herubeetzt, aber
aoTerh<nissntAsüig mehr die des weiblichen Geschlechts, während sie zugleich,
wie die Zähmung der Thiere, Schönheit und Feinheit der Gestalt steigert.
Gewiss halten wir nicht allen psychischen Unterschied der Geschlechter für
»oerzogen; ihre verschiedene Bustiminung luag allerdings auf die Richtung
;ind Bildung grossen natürlichen Einfluss uusÜben; dagegen sind wir Überzeugt,
dass die meisten detaillirten Beachreibtingen hierüber nicht Schilderungen
eines natürlichen, sondern eines künstlichen und zwar bald eines depravirlen,
bald eines durch Cultur höher entwickelten Zustande« sind. Gewiss gehört
zu den Symptomen einer verkehrten Bildung und selbst einer depravirten
Ansicht über die natürlichen Verhältnisse die ungemeine Wichtigkeit, welche
man in dem weiblichen Seelenleben nicht sowohl den Geschlechtsfunctionen.
als riehnebr der Reflexion über sie und der beständigen Erinnerung an aexu-
«Uea Leben beiniisst. während man dem männlichen Geiste von Anfang an
«ine objectivere Richtung auf zusuuinicnfaesende Weltanschauung zuschreibt.
Man begeht denselben Fehler, den man so häufig bei der Betrai'htung der
Inntincte begangen sieht: man vergisst, duss neben den einzelnen durch
Nataranlage bestimmten Trieben noch ein bewegliches unabhängiges Geistes-
leben steht, und dass der Kreis der Interessen nicht mit diesem einen Instincte
abgeachioesen ist.*
Dass die periodisch wiederkehrenden Einflüsse, welch« durch
die vielgestaltige Reihe der Fortpflanzungsfunctionen das Weib in
Anspruch nehmen, auch auf das Seelenleben desselben während der
Ansttbung die^^er Functionen einwirken, ist selbstverständlich. Allein
LoUf macht mit Recht darauf aufmerksam, dass wir noch wenig
»US pbj'siologischen Motiven das perraauente Gepräge zu erklären
rermögen, welches während der Zeiten des Aussetzens jener Ge-
schlechtsfunctionen die Gesammtentwickelung des Geistes festhält
Er sagt: Die Dimensiontrn der Körpertheile, des Kopfes, der Brust
des Unterleibes und die damit verbundenen Entwickelungsverschie-
denbeiten der inneren Organe mögen allerdings durch die ab-
weichende Rascbheit, Kraft und Reizbarkeit der Functionen cha-
rakteristische Mischungen des Gemeingeillhls bedingen, aus denen
nicht nur Bevorzugung einzelner Gedankenkreise, sondern auch eine
" ^hou zu gewissen formalen EigenthUmlichkeiten des Vor-
./sverlaufs und der Phantasie folgen ki'mnte. Am nächsten
würde es uns liegen, die Verschiedenheiten der Entwickelung von
der Nalur des Nervensystems und seiner Erregungen abzuleiten.
Bestimmte Unterschiede in der Structur der Centralorgane, die wir
zu deuten wQssten, sind bisher nicht aufgefunden worden.
IHese Aussprüche Lotze's gelten noch heute, obgleich seitdem
drei .lalirzehnte verflossen sind, welche in der Nervenphysiologie
vieles Neue zu Tage brachten. Noch immer wissen wir nur, dass
das weibliche Geschlecht einer grossen Reihe von Nervenkran k-
1 weit zugänglicher ist, als das männliche, dass also das
-ystem des Weibes ohne Zweitel eine specifische Thätigkeit
88
II. Die psychologische Aoifaasaiig des Weibes.
äussert. Die , Nervosität^, diese in unserer Zeit und bei unserer
Cultur sehr verbreitete Anomalie, ist allerdings wohl auf" beide Ge-
schlechter in gleicher Zahl vertheüt; und es ist gewiss falsch, wenn
man behauptet, dass das Weib mehr als der Mann zur Nervosität
neigt (3Iöbius). Vielmehr ist es Thatsache, dass das Weib vor-
zagsweise der Hyperästhesie und den mit ihr verbundenen Krank-
heitsformen ausgesetzt ist, und dass namentlich die sogenannten
hysterischen Zustände fast nur bei Weibern vorkommen, während
sich die Hypochondrie als Mänuerkraukheit darstellt ; die eigenthüm-
lichen Schwäche- und Erschöpfuugszustäude, die mau als .Neur-
asthenie* bezeichnet, sind viel häufiger bei Mäimern als bei
Weibern beobachtet worden.
,Da8 Weib,* sagt Möbius, , verhält sich im Allgemeinen passiv.
Es herrscht in ihm das Gefühlsleben vor ; die Intelligenz ist, wenn
vielleicht auch von vornherein der männlichen ebenbürtig, wenig
entwickelt, insbesondere tritt das Vermögen der BegrifiFe, die Ver-
nimft zurück. Insofern kann man in der weiblichen Natur eine
Disposition zu den Nervenleiden finden, für welche Willensschwäche
charakteristisch ist."
Alle Jena Perioden, welche als Entwickelungsphasen des weib-
lichen Geschlechts auftreten, geben mehr oder weniger Anlass zu
nervöser Erkrankung; der Eintritt der Menstruation, die Schwanger-
schaft, das Wochenbett, die sogenannte kritische Zeit (klimakterische
Epoche) haben namentlich bei unseren cultivirten Lebensverhält-
nissen die verschiedensten Störungen im Bereiche des Nervensystems
im Gefolge, während allerdings die Frauen der wilden Völker viel
weniger solchen nervösen Leiden, sowie auch den maanigfacheo
Erkrankungen der Geschlechtsorgane ausgesetzt zu sein
scheinen.
Um die mittlere Stellung in der Beurtheiluog des Weibes,
welche unter den deutschen Philosophen Lotae^ einnimmt,
naher zu kennzeichnen, können wir uns nicht enthalten, weitere
Aussprüche dieses Autors im wesentlichen zu berichten. Die ge-
ringere Grösse der Kraft, welche das weibliche Geschlecht im Gegen-
satz zum männlichen zeigt, wird, wie er sagt, durch ein höheres
Maass der Anbequemungstähigkeit an die verschiedensten Umstände
ausgeglichen. Die leiblichen Bedürtiiisse der Frauen sind weit ge-
ringer, als die der Männer; sie essen und trinken weniger; sie
aihmen weniger und widerstehen der Erstickung, wie man behauptet,
besser. Alle Mtlh.seUgkeiten, wenigstens die, welche allmählich an-
wachsen und fortdauern, alle Entbehrungen ertragen sie theilst leicliter,
aki die Männer, theiis wenigstens weit gMlcklicher, als im Verhältniss
zu ihrer körperlichen Kraft erwartet würde. Sie ül ' ' n Blut-
verluste und dauernde Schmerzen besser, selbst die Reiz-
barkeit ihres Nerveusyatems, um deren willen viele unbedeutende
Störungen ausgedehnte Nachwirkungen erwecken, scheint ebenso
sehr die schnelle und gefahrlose Zerstörung der erfahreneu Er*
5. Die mod. l^7cbologIe in ihrer Anffesciinig des yrnih}. Charakters. 39
f
Schotterungen zu begOnstiwen. So erreichen sie selbst unter tju-
günatigen Umstanden häufig ein hohes Alter, obgleich die Beispiele
höchster, bis tief in das zweite Jahrhundert reichender Lebensdauer
fast ausschliesslich auf Männer treffen. Allen sehr heftigen Sinnes-
reizen von Natur abgeneigt, haben sie doch gegen unangenehme
EindrDcke weit mehr nur Jisthetischen Widerwillen, wo der Mann
seinen physischen Ekel mühsam bezwingt. Dieselbe Anbequemungs-
fähigkeit zeigt sich in den verschiedenen Lagen des Lebens. Lotge
fllhrt dafür die alte, richtige Bemerkung an, dass Frauen sich weit
leichter in neue Lebenszustände, ungewohnten Rang und veränderte
Glllcksgüter schicken, während der Mann die Spuren seiner Jugend-
erziehung kaum verwischen kann. Auch weist er auf das Gemisch
aanguinischer Lebhaftigkeit und sentimentaler Warmherzigkeit hin,
das wir an Frauen entweder finden, oder dessen Mangel wir als
eine ünvoUkommenheit der Einzelnen beklagen.
Freilich stimmen wir mit Lotse darin tiberein, dass es sehr
fraglich ist, inwieweit das geistige Leben beider Geßchlechter, das
durch diese Zfige charakteristisch wird, als ein Ergebnis» der
natürlichen Anlagen oder als ein solches der Lebensverhältnisse und
des Bildungskreises aufzufassen ist, Lotse glaubt nicht, dass die
iotellectuellen Fähigkeiten der Geschlechter sich anders als durch
die Eigenthümlichkeit der Geflihlsinteressen unterscheiden, welche
ihnen ihre Richtung vorzeichnen:
,.Ei» dürfte kaum etwas geben, wuh ein weiblicher Verstand nicht ein-
leben könnte, aber sehr vieles, wofür die Frauen «ich nie interesüiren lernen.
Sagt in&u nun häufij^, da«e des Mannes Erkenntnis;) das Allgemeine, die des
Weibes das Einzelne suche, so wird man in zahlreichen Fällen gerade die
IndiriduHÜsiningskraft der Frauen geringer finden; ohnehin wQrde jene Yer-
Lheilung des Erkenntnissgescbilftea nicht zu <len egoiHtischen Bestrebungen, die
mau deut männlichen Willen, und zu der Unterordnung unter das Allgemeine
«tinimen, die man der weiblichen Selbstbcschränkung zuweist. Man würde
vielleicht richtiger weinen, dass Erkenntnis« und Wille des Mannes auf All-
{(emeines, die des Weibes auf Gtinzes gerichtet sind." Diesen Satz fahrt
dann L^jUtf weiter aus, wobei er unter anderem [lus»ert: „Es ist weibliche
Art, die Anulyse zu hassen and das entstandene Ganze, so wie es abge-
schlossen dasteht, in seinem unmittelbaren Werth« und seiner Sch(Snheit -^u
geniessen und zu bewundern,"
Dnnn fUhrt er in seiner Charakterisirung fort: „Alle männlichen Be-
strebungeTi bemhen auf der tiefen Verehrung des Allgemeinen; selbst Stolz
und Kbrhircht des Mannen ist nicht befriedigt durch grundlose Gewährung,
sondern sein Anspruch beruht auf dem Betrage allgemein anzuerkennender
VoTBllg«*, die er in eich zu vereinigen glaubt; er ftthlt sich durchweg mehr,
als «in (MgeuthÜmliches Beispiel des Allgemeinen, und verlangt mit Anderen
nach eiocni gemeinsamen Maaese gemessen zu werdcrn. Die Neigung des weib-
lich<^n (temflths ixt ebenso andächtig dem Ganzen gewidmet ; so wenig die
Schönheit viner Blume nach gemeinschaftlichem Mnasso mit der einer anderen
zu ▼crgleichcu itit, so wenig wQnscht das Weib nl« ein Beispiel neben anderen
zu gr-lten; und wo der Mann gern im Dienste dm Allgemeinen in die Meng6
Gleichgesinnter eintritt and in ihr untergeht, will das Weib als schunos, ge>
40
II. Die psychologuuhe Auffassiuig des Weibes.
Bohlostieneti öauKes, nur aus sich selbst vergt&ndlich, nur um dor unvergleiob-
liehen Eigeuihüniliclikeit seines indiriduellenWeseDS willen gesucht uud geliebt
aein." lu vielen, aus dem Leben gegriffenen ZQg^u findet Lot2e Belege dieser
allgemeinen Verschiedenheit: Die geschäftlichen Verabredungen der Männer
sind kurz, die der Frauen wortreich und selten ohne vielfache Wiederholung;
sie haben wenig Zutrauen zu der Festigkeit eines gegebenen Wortes u. s. w.
Das Eigenthum halt der Mann am häufigsten für das, was es wirklich ist, für
eine Summe verwendbarer und Iheilbarer Mittel, nnd seine Freigebigkeit achtet
kein angebliches Zusammengehören derselben; die Verschwendung der Frauen
besteht meistens in Anschaffungen, für welche sie die Ausgabeu der Entgelt-
luittel nicht selbst übernehmen. Das einmal erworbene und in ihren Händen
ho6udl)che Eigenthum erscheint ihnen dagegen leicht als ein unantastbarer
Bestand, dessen Theile, weil sie ein Ganzes bilden, voneinander zu rei(>8en
unrecht wäre.
Am Schlüsse seiner Darstellung sagt Lolie: „Ich möchte endlich die
Behauptung wagen, dass fOr das weibliche Gemüth die Wahrheit Oberhaupt
einen anderen Sinn hat, als fQr den männlichen Geist. Den Frauen ist alles
das wahr, was durch die vernünftige Bedeutung gerechtfertigt wird, mit der
es sich in das Ganze der übrigen Welt und ihrer Verhältnisse einfügt; e«
kommt weniger darauf an, ob es zugleich reell ixt. Sie neigen deuhalb zwar
nicht 'iMT Lüge, aber zum Schein, und es liegt ihnen nicht, daran, ob irgend
etwas, was in einer bestimmten, ihnep werth gewordenen Beziehung den ver-
langten Dienst des Scheines thut — , auch in anderer Bezit-hiing verfolgt,
sich als ein solches ahweisen würde, dem mit Recht so zu äch'^iuen gebührt.
Selbst «twas scheinen zu wollen, ohne es zu sein, ist allerdings ein gemein-
sames menschliches Gebrechen; aber von dem wenigstena, wax er be><itztr
pflegt der Mann Solidität und Echtheit zu verlangen ; Frauen dagegen haben
eine sehr ausgedehnte Vorliebe für Surrogate. Mit diesen Neigungen siod
sie wissenschaftlichen Bestrebungen nicht zug&aglich, und ihre Gedanken
haben einen ktlnstlerischen, anschauenden Gang. So wie der Dichter nicht
durch Analyse und Berechnung Charaktere schafft, sondern deren Wahrheit
daran prüft, da^s er selbst ohne das Gefühl künstlicher Selbstverdrebung^
ihre ganze Weise in seinem eigenen Gemüth nachzuleben vermag, so lieht die
weibliche Phantasie sich unmittelbar in Dinge hinein cu vernetzen . nnd so-
bald sie eine Vorstellung davon erreicht, wie dem, was da ist, sich bewegt
and entwickelt, in seinem Sinn, meiner Bewegung und Entwickelung wohl xa
Muthe sein möge, glaubt sie ein volles Verst&ndniss zu besitzen. Dass eben
die Möglichkeit, wie dies alles so sein und geschehen könne, selbst noch ein
wisaenschaftliches R&thsel einschliesst, ist den Frauen schwer begreiflich sa
machen. Man bemerkt leicht, wie grosse Güter de« Lebens, wie die Sicher-
heit des religiösen Glaubens und der Friede des sittlichen Gefühls hiermit
zasammenhängen; aber auch in kleinen, unscheinbaren Zügen findet man
dies Uebergewicht des lebendigen Tactes über die wisttenschaitliche Zer-
gliederung. Tausende von zierlichen technischen Handgriffen wenden die
Frauen bei ihren täglichen Arb^^iten an; aber wiu sie geschickt ausführen,
wissen sie kaum zu besehreiben, sie können es nur zeigpu. Die analy«ireude
Reflexion auf ibre Bewegungen liegt ihnen so wenig nahe, dass man ohne
Gefahr grosseu Irrthumes behaupten kann. Worte wie rechts, link«, quer, .über-
wendlich' bedeuten in der Sprache der Frauen gar keine matheuiatischen
Relationen, sondern gewisse eigenthümlichc Gefühle, die man hat, wenn mau
im .\rbeiten diesen Bezeichnungen folgt."
Manche Philosophen, uameutlicU Schopenhauer, weisen
5. Die mod. Paycholotrie in ihrer AafTassimg des weibL Charakters. 4 1
dem weiblichen Geschlecht eine Stellung zu, welche ge-
radezu als eine untergeordnete bezeichnet werden mass. Wir
tonnen solche Urtheile nicht verschweigen, denn sie rühren von un-
j5weifelhaft geistvollen Männern her, und sind wiederum ein Beweis
dafQr, dass es nur auf den Gesichtspunkt ankommt, von dem aus
das Weib als solches betrachtet und aufgefasst wird. Schopen-
hauer SHftX-
„Schon der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, dass daa Weib weder
:u |?roi>Ben geistigen, noch körperlichen Arbeiten bestimnit ist. Es trägt die
':huld des Lebens nicht durch Thun, sondern durch Leiden ab, durch die
Tehen der Geburt, die Sorgfalt für das Kind, die Unterwürfigkeit anter den
lann. dem es eine geduldige und aufheiternde Gefährtin sein soll. Die
kefligsten Leiden, Freuden und Kraftäusserungen sind ihm nicht beschieden;
indem sein Leben soll stiller, unbedeutsumer und gelinder dahin iliessen,
llfl daa des Mannes, ohne wesentlich glücklicher oder unglücklicher zu sein.
Zn Pflegerinnen und Erzieherinnen unserer ersten Kindheit eignen die
Leiber sich gerade dadurch, dass sie selbst kindisch, läppisch und kurz-
johtig, mit einem Worte, zeitlebens grosse Kinder sind: eine Art Mittel-
fe zwischen dem Kinde und dem Manne, als welcher der eigentliche
lensch ist. Man betrachte nur ein Mädchen, wie sie Tage lang mit einem
[inde tJlndelt, herumtanzt nnd singt, und denke eich, was ein Mann, beim
>sten Willen, an ihrer Stelle leisten kannte.
Mit den Machen hat es die Natur auf das, was man, im drama-
irgiechen Sinne, einen Kn&lletfect nennt, abgesehen, vndeni sie dieselben
kuf wenige Jahre mit fiberreichlicher SchCnheit, Reiz und Fülle ausstattete,
inf Kosten ihrer ganxen übrigen Lebenszeit, damit sie nämlich, während
pner Jahre, der Phantasie eines Mannes sich in dem Maassc bemächtigen
tonnten, dass er hingenKsen wird, die Sorge für sie auf zeitlebens, in irgend
tiner Form, ehrlich ku Übernehmen, zu welchem Schritte ihn zu vermögen
lie blosse vernünftige Deberlegung keine hinlänglich sichere Bürgschaft zu
eben schien. Sonach hat die Natur das Weib, eben wie jedes andere ihrer
schöpfe, mit den Waffen und Werkzeugen ausgerüstet, deren es zur
Sicherung seines Daseins bedarf, und auf die Zeit, da es ihrer bedarf, wobei
tiie denn," so setzt ücltopcnhauer wenig höflich hinzu, „auch mit ihrer ge-
vfibnlichen Sparsamkeit verfahren ist. Wie nämlich die weibliche Ameise
_oach der Begattung die fortan Überflüssigen, ja für das Brutverhältniss ge-
Lhrlichen Flügel verliert, so meistens nach einem oder zwei Kindbetten das
reib seine Schönheit, wahrscheinlich sogar aus demselben Grunde." Ilierin
Indc ich, dass Sdiopcnhatier den Versach macht, die Schönheit vom teleo-
logischen Standpunkte aus aufzufassen.
Aach in der zeitigeren Reife des Woibes findet Schopenhauer ein
icben für die Inferiorität, indem er ausführt: „Je edler und vollkommener
in9 Sache ist, desto später und langsamer gelangt sie zur Reife. Der Mann
rlaa^ die Reife seiner Vernunft und Geisteskräfte kaum vor dem acbt-
idswanugsten Jahre, das Weib mit dem achtzehnten. Aber es ist auch
ine Vernunft darnach: eine gar knapp gemessene. Daher bleiben die Weiber
Hr Leben lang Kinder, sehen immer nur da« nächste, kleben an der Gegen-
den Schein der Dinge fUr die Sache und ziehen Kleinigkeiten
n Angelegenheiten vor etc."
Dagegen gesteht Scttoprnhauer zu; ,.In schwierigen Angelegenheiten
auch Weise der allen Germanen auch die Weiber zu Rathe zu ziehen, ist
42
p«fcbo]ogiic{!e Anffksiaiig des Weibes.
kWBfetvc^ verwerflich: 4enn ihre Äalfaesangsweifle der Dinge ist xoa der
^tuwägen ganz Terschieden uod xwar beaonden dadorcb, dace sie gern Afn
kOntesten Wog zum Ziele und Oberhaupt das mn&chst Liegende im Auge
fusen, ober welches wir, eben weil es vor unserer Naae liegt, meictecB weit
hinwegsehen : wo es uns dann noth thut, darauf zarückgefShrt ku werden, um
die nahe und einfache Ansicht wieder zu gewinnen. Hiereu kommt, daaa die
Weiber entschieden nüchterner sind, als wir. wodurch rie in den Dingen
nicht mehr »eben, als wirklich da ist; wahrend wir, wenn unsere Leiden-
Schäften erregt sind, leicht da« Vorhandene rergrOasem, oder Imagin&n»
hinzufQgen.
Ana derselben Quelle iat es abzuleiten, dass die Weiber mehr Mitleid
und daher mehr Menschenliebe nnd Theilnahme an Unglücklichen zeigen, als
die Männer, hingegen im Punkte dej- tierechtigkeit., Redlichkeit und ÖBf
hafligkeit diesen nachstehen.
Weil im Gmnde die Weiber ganz allein zur Propagation dea GeschJ«
da sind nnd ihre Bestimmung darin aufgeht, so leben sie durchw^ mehr in
der Gattung, al^i in den Individuen, nehmen e« in ihrem Herzen emstlicber
mit den Angelegenheiten der Gattung, als mit den individuellen. Dies giebt
ihrem ganzen Wesen und Treiben einen gewissen Leichtsinn nnd Oberhaupt
eine von der des Mannes ron Grund aus verschiedene Richtung, aus welcher
die »0 h&afige nnd fast normale Uneinigkeit in der Ehe erwSchst.
Das Schlimmste jedoch kommt noch! Sdtcptnhaytr nrtheilt: ,JHm
niedrig gewachsene, schmalschultrige, breithüftige und kurzbeinige GeacUeobi i
das schCne nennen, konnte nur der vom Geiichlechtstrieb umnebelte mlos-j
liehe Intellect : in diesem Triebe nämlich steckt seine ganze Schi^nheit. Hit ,
»ehr Fug. als das schOne, kOnnte man das weibliche Geschlecht das nn-
ftttbetische nennen. Weder fOr Musik noch Poesie, noch bildende Künste
haben sie wirklich und w&hrhaflig Sinn und Empfänglichkeit , sondern bloss
Aeßerei zum Behuf ihrer Gefallsucht ist es, wenn sie solche affectiren und
vorgeben. Das macht, sie sind keines rein objectiren Antbeils an ii^nd
etwas f&hig nnd der Gmnd ist, denke ich, folgenden Der Mann strebt in
allem eine directe Herrschaft über die Dinge an, entweder durch Verst^ea,
oder durch Bezwingen derselben. Aber das Weib ist immer nnd überall BoJ
eine bloss in directe Herrschaft verwiesen, n&mlich mittels des Mannes, als
welchen allein es direct zu beherrschen hat Damm liegt es in der Weiber
Natur, aUes nur als Mittel, den Mann zu gewinnen, anzusehen, und ihr Aa-
theil an irgend etwas anderem ist immer nur ein simulirter, ein blotaec Cn-
w«g, d. h. l&ufi auf Koketterie und AeCTerei hinaas.*
Das Zagestäodniss , welches oben dem weiblichen Geschleclitl
l)«tttglich der Schönheit wahrend des jugendlichen Alters von Srho-
patkattar gemacht wnrde, nimmt also dieser Autor a i^se
■emer AosfQhningeiB wieder zurück : ihm gilt diese «Scli fTlr
nichts als eine Selbett&oschung des männlichen Geschlechts ! Spricht
sich in diesem ganzen Gedankengange nicht der Sinn eines echten
nnd rechten Weiberbassen ans?
Wie hart and ungerecht auch der bekannte Philosoph Ednan}
f. Uarimamn ^ über die Fragen artheilt , können wir nicht unbe-
achtet lassen. Wenn einige Züge in dem ron ihm entworfenai
G«tiwlde deü weiblichen Charnl:* ~' treffeii, so ist dasselbe
doch Tiel XU dimkel gehalten:
S.Dieinod Fijdiolögie in ihrer Auffassung des weibl. Charakters. 43
,Die weibliche Sittlichkeit, namentlich die der weiblichiten Weiber, ist
(«ehr oft von dieser Art. und dies ist der Hauptgrund, warum das weibliche
] Geschlecht im Ganzen so $ehr viel schwerer als das mSlnnliche su jener sitt-
Ilichen Reife des Charakters gelangt, wo die Autonomie erat in ihr vollen
iBecht tritt- Die Mehriahl der Weiber bleibt ihr Leben lang in sittlicher
linsicht im Stande der Unmündigkeit und bedarf deshalb bis an ihr Ende
ter Bevormundung durch beteronome Aatoritäten; sie selbst haben meistens
ichtige tiefOhl dieser BedOrftigkeit. und je ant^biger sie sind, dem blostten
ctam des modernen Staates eine Autorität einzuräumen, je mehr «ich
ir Stolz dagegen auflehnt, im Gatten oder dem natürlichen Beschätzer die
leitende Autorität für ihre Handlungen anzuerkennen, desto ängstlicher klam-
lem sie sich an die heteronomen Autoritäten der Religion und der Sitte,
lesto haltloser stouem sie als steuerloses Wrack auf dem Ocean des Lebens
luiher. wenn auch diese beiden Anker ihnen zerrissen sind. Man mag diese
Thatsache im Sinne der autonomen Moral sehr betrübend finden, aber man
1USH sie im [nteresse der Wahrheit und des praktischen Lebens als Thatsache
tatiürkennen, nach ihr seine Vorkehrungen treffen und sich hüten, ihre Bedeu-
ftimg in einem falsch verstandenen Interesse für das weibliche Geschlecht ab-
II zu wollen. Wenn Wahrhaftigkeit und Ordnungssinn Charakter-
li'ten darstellen, bei freuen die Erziehung verbältni/^sraäsaig mehr, aU
adereo, zu thun vermag, wenn namentlich der Ordnungssinn durch äj^th^--
Sinn ftir Harmonie zum Theil ersetzt werden kann: so sind RechtUcb-
It und Gerechtigkeit diejenigen beiden Charaktereigenschaften, welche von
fallen biaher betrachteten moralischen Triebfedern beim weihlichen (leschlecbt
Durchschnitt am schwächsten vertreten sind. Daa weibliche Geschlecht
(t diu anrechtliche und ungerechte Geschlecht, und nur derjenige kann sich
Iber die^e Thatsache, welche natürlich sehr erhebliche Ausnahmen zolässt,
[Ubisehes, der die äussere Legalität und die Wahrung der schicklichen Form
Ijnii dem Vorhandensein der entsprechenden Gesinnung verwechselt."
So wirft V. Hartmann^ den Frauen vor, dasa sie sich mit
[Vorliebe im Fahrwasser rechtsfeindlicher Neigungen bewegten, alle
Defraudantinnen aus Passion seien, zxrr Fälschung eine in-
ÜTe Neigung hätten (ein Viert«! der Dienstbücher weiblicher
)ienstboten in Berlin enthielten plumpe Fälschungen), dass sie beim
Spiel mogelten und dies den Reiz des Spiels ffir sie ausmache,
däas »!*• nie ohne Ansehen der Person urtheilten, die Mütter stets
' ' der und Aschenbrödel hatten — kurz r. Hartmann weiss
I .HO viel üebles nachzoreden, dass wir glauben mOftsen, er
habe mit denselben recht schlimme Erfahrung zu machen Oelegen-
bait gehabt. Wir halten »«ein Urtheil nicht für ein solches, das sich
Ulf eine sich weithin erstreckende Beobachtung ntützt.
6. Die abnormen Ehen und der Selbstmord.
Die Erscheinungen im Seelenleben dfr Frau werden durch
methodische Massenbeobachtung zu unserer Kenntniss gebracht. Die
Statistik der Bevölkerungsbewegung zeigt, dass durchschnittlich im
Gebiete des deutscheu Reichs 00 — ö5 Ehen jährlich geschlusseu
werden, bei denen der weibliche Theil das 40. und 45. Jahr bereits
überschritten hat. Bei einer Anzahl dieser Ehen ist der mannliche
Theil jünger, als der weibliche. Sogar noch im höheren Alter
registriren wir Fälle, in denen das Weib das eheliche Band dem
einsamen Leben vorzieht. Die Bevölkerungsstatistik nennt solche
Ehen vom Standpunkte der Volksvermehrung abnorme Ehen.
An dieae Thatsachen schliesst Ludwig FM folgende Bemerkungen an:
„Ein sehr verbreitetes Vorurtheil führt diese Ehen stete auf die niedrigsta
SpecalationBsucbt zurück, weit man es für uumSglicb hält, Clahs ein Weib in
diesem Alter noch von Liebe erfasst wf>rden könne. Allein aus der psycho-
logischen Betrachtung gewisser Criminalfiille, welche typischen Werth besitz-en,
ergiebt sich, dasa diese psychologische Unmöglichkeit durchaus nicht vorhanden
ist. Sogar in Ländern, in welchen die Frauen viel rascher verblühen, als bei
uns, finden sich ausweislich der Statistik Fälle von Eheschliessungen in vor-
gei-ücktem Alter in keineswegs verschwindender Zahl. Es ist dies doppelt merk-
würdig, weil die Italienerin sehr früh häaslich wird; während die deutsche
Frau der höheren Klassen mit vierzig Jahren in zahlreichen Füllen noch eine
Erscheinung bietet, welche das Schönheiti<gefilhl des Künstlers befriedigt, iai
die Italienerin in diesen Jahren schon ungemein garstig. Allein das Gefühl
scheint bei der Tochter der heissen Zone nicht mit dem Körper gleichen
Schritt XU halten. Die leidenschaftliche Natur, die Fähigkeit, mit der Gluth
der Leidenschaft zu lieben, scheint in der zweiten Hälfte des Lebens noch
in derselben Stärke vorhanden zu sein, wie in der ersten. Und dieri wird
auch in Italien durch Criminalfalle bestätigt, in welchen Frauen in vorge-
schrittenem Alter aus plötzlich entfesselter Leidenschaft die schwersten Ver-
brechen begingen, welche dem Criminalijten bekannt »ind. Die Annalen der
italienischen Fürstengeschlechter, insbesondepe die der itfo/iceer, bieten
hierfür Beispiele.
Eine weitere Stütze giebt die Selbstmordstatistik ab. Zwar ist keiii
Theil derselben so unbestimmt und so wenig fundirt, wie das Kapitel, welches
»ich mit den Motiven beschäftigt. Allein gleichwohl darf mit ziemlicher
Sicherheit behauptet werden, dius das Motiv der Liebe nur zweimal verhäng«
nissvoll und ziihlreiche Opfer fordernd in das weibliche Leben eingreift, zuerst
in dem Alter, welches, von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, das klas-
sische genannt werden darf, in den Jahren 18 bis 22, sodann in der Zeit vom
Beginne de» vierten Decenniuros bis über die Hälfte, ja bi« gegen das Ende
desselben.'
Es ist gewiss nicht ohne Interesse, an der Haud der Statistik
zu prüfen, wie sich die Neigung, seinem Leben ein Ende zu machen,
bei den verschiedenen Geschlechtern verhält, laid weiterhin zu unter-
suchen, ob sich itlr den Selbstmord in der Ehe oder in der Ehe-
losigkeit eine besondere Gelegenheitsursache nachweisen lässt, Die
folgende Tabelle giebt eine Üebersicht über die Falle von Selbst-
mord, welche in ungefähr den gleichen Zeiträumen in verschiedenen
Ländern Europas vorgekommen sind.
(SeU'Btmorde)
Land
Zeit,
rkuiii
Total- ji
8umrae'l
Verehelichte Ledige
Samma der
£heloteu
htalien
{Bach sen
iBaden
[ßcbwedeD
[Schweiz
[Norwegen
If inntand
DUncmark
WOrttemberg
1867—83
1865—83
1865—83
175»!
16814
4831
18G5-S2; 6775
187G— 8S
1876-82
1878—83
1880—83
1870—81
5223
930
426
2009
3854
5762
6822
1825
w. ' ama.'i m. \ *
6894;'6317 ~
682
1355
276
8237|3988
2101 1793
2728: 604 3332 1959
1931 276 2207,1639
368 94
202 25
867 189
? I ?
462' 211
227! 108
? 401
17421 ?
1220] 16531 590
2981 4691135
579 6201285
9663
7636
2701
3443
297| 68l|l44|| 2761
54j 146' 42|'
311 37 2S|i
145 250
? ?
930
199
985
1873
Aas obiger Tabelle ergiebt sich folgeades :
Von 54599 SelbsttnOidem waren:
männlich 32295
weiblich 9213
verehelicht 24702
ehelos 30141
verehelichte Mänuer . . 20505
, , Weiber . . 8451
ehelose MUnner .... 21790
, , Weiber .... 5722
Es haben sich also in der gleichen Periode über dreimal soviel,
Miioner das Leben genommen, als Frauen. Die grösseren An-
forderungen und Aufregungen, welche der Kampf um das Dasein an
das juüuuliche Geschlei-ht in bedeutend höherem Maasse stellt, als
HU das weibliehe, geben hierfür eine hinreichende Erklärung. Femer
sehen wir, dass die Zahl der nicht in der Ehe lebenden för die
Selbstmörder ein höheres Contingent geliefert hat, als die Verehe-
lichten, und zwar die Männer sowohl, als auch die Weiber. Wir
werden daher wohl berechtigt sein, in der Ehelosigkeit in gewissem
Sinne eines der prädisponirenden Momente für den Selbstmord zu
erblicken.
9. Die Betheiligung des weiblicheu Geschlechts am
Verbrechen,
Der Physiologe Jiudolphi sagt: »Das Weib ist im Vergleich
zum Manne zarter, weicher, kleiner, beweglicher, veränderlicher,
reizbarer, eitler, demüthiger, geduldiger, frommer. Schlecht erzogen
wird es zur Furie und übertrifft den Mann in allen Lastern."
Mit dem Eintiusse des Geschlechts auf den Hang zum Ver-
brechen hat uns zuerst Quetelet'' bekannt gemacht. An der ILuid
der Statistik gelangt er zu folgenden Schlüssen:
(Vereuchcn wir die Thateacbuu zu analysiren, so scheint es mir. das»
die Monilitüt des Mannet) und des Weilca (abgesehen von der Schamhaftig-
keitj weniger vfrttcbicdeu iHl, alt man im Allgemeinen annimuit. Was den
11. Die psychologiscbe AniYfrssiuig das Weibe«.
EinflusB der Lebeosweiie selbst anbetrifft, so glaube ich, daas derselbe aicli
recht wohl ermessen ItUst auM den Verbältniasen, welche beide Geschlechter
in Betreff verschiedener Arten von Verbrechen, bei denen weder die Stärke,
noch die Schombaftigkeit in Betracht kommt, z. B. bei Diebstiihlen, bei
falschem Zeugniss, bei betrügerischem Falliment u. a. w. darbieten ; jene Ver-
hültnisae betragen etwa 100 zu 21 oder zu 17, d. h. 5 oder 6 zu 1. Bei den
anderen FUsofaungen ist aus angeführten GrQuden das Verh<niss etwaf> stärker.
Wollte man die Intensität der Ursachen, welche auf die Frauen einwirken,
numerisch auädrücken, eo kOnnte man sie schätzen, indem man sie als im
Yerhältniea zur Stärke selbst stehend, oder ungefähr wie 1 zu 2 annehmen
würde; dies int das Verhältniss beim Vatenuord. Bei den Verbrechen, wo
die Schwilche und dan zurückgezogene Leben der Frauen zugleich in Betracht
kommt, wie V»eim Todtschlag oder beim Strassenraub, müsste man, bei Ver-
folgung des gleichen Weges bei der Berechnung, das Verhältniss der Stlrke
i/g mit dem der Abhängigkeit ^^ multipliciren, dies giebt l/]o, ein Verb<*
niss, das wirklich mit den Ergebnissen der Statistik ziemlich überein-
stimmt."
Nach der Statistik der Aiifgreifungen im Seine-Departe-
ment (1855 — 1864) hätte d.'is Weib im Grossen mid Ganzen nur
etwa den ftinfteu Theil der Wahrscheinlichkeit des Mannes, der
Stra^ustiz zu verfallen.
Zu ganz ähnlichen Schlüssen gelangte auch der Statistiker
Georg Mayr, welcher Queidet's Angaben mit der Verbrecher-
Statistik von den Schwurgerichten Bayerns (1840 — 18<tb) verglich;
es ergab sich trotz einiger Fhictuationen eine ziemliche Regel-
mkssigkeit der Weiberbetheüigung. Doch setzt Mayr hinzu :
«Allerdings liegt die Sache bei tieferem Eingehen, namentlich in geo-
graphischer Beziehung, nicht so ganz gleichartig. Man beobachtet dann bei*
spielsweiee, das« die Weiberbetheiligung am Verbrechen in grossen Städtnn
regelmäaaig viel grösser ist, als bei vorwiegend ländlicher Bevölkerung. So
trafen aut 100 abgeortheilte Individuen solche weiblichen Geschlechts wäbreaid
der Jahre 1862,63 bis 186566 bei dem ausschliesslich städtischen Gericht
München: 31, 28, 30, 26. dagegen beim ländlichen Gericht Freising
10, 9, 9, 10. Aber gleichwohl sind auch hier, wie man sieht, inv Einzelnen
die Ergebnisse bewunderungswürdig constant. Dasselbe gilt vun der Weiber'
betheiligung in solchen L&odern, 'in welchen, wie in England, überhaupt der
gesammte criminelle Haag der weiblichen Bevölkerung einen grossstätUi sehen
Charakter zu tragen scheint. In England und Wales trafen bei den vor
da« Schwurgericht gehörigen Keatcn in den Jahren 1858 bis 1864 auf 100
Männer 35, 36, 38, 33, 31. 32, 32 Weiber. In London steigert sich diese
criminelle Weiberbetheüigung. Es trafen nämlich bei den Aufgreifuugen der
Polizei 1854 bis 1862 auf 100 MRnner 67 Weiber. Liverpool und Dublin
stehen mit 69 bezw. 84 Weibern auf 100 Männer noch hoher oder — richtiger
gesagt — tiefer.*
Im Allgemeinen darf mau wohl annehmen, dass mit der Zu-
mihme der Betheiligung d«a Weibes am Kampfe um das Leben auch
die Zahl der Frauen unter den Verbrechern wächst. Hierfilr sdieint
die Tabelle zu sprechen, welche v. Oettinycn zuhauimensteUte:
Von je 1 00 Verbrechern waren :
7. Die Betbeilig^ung des weiblichen Goftcblechta am Ves-brechen. 47
froportion :
Proportion :
n Eagland 75 M.
25 Fr.
3 :1
In Baden 84 M.
16 Fr.
5.3:1
, Bayern 75 ,
25 ,
8 :1
, Preueeen 85 ,
15 ,
5.7:1
, Hannover 77 ,
28 ,
8,3:1
, Sachsen 85 ,
15 .
5,7:1
, Dänemark 78 ,
22 ,
8,5:1
, Liv-, Esth-
„ Holland 82 ,
17 ,
4,5:1
u. Kurland 86 .
14 .
6.1:1
, Belgien 82 ,
18 ♦
4,5:1
, Spanien 88 ,
12 .
7,3:1
^ Frankreich 82 „
18»
4.5:1
, Ruaaiand 90 ,
10 .
9 :1
, OesterreichSa „
18 ..
4,9:1
Die Zahl der wegen Trunkenheit durch die Polizei aufgegrifl'e-
nen Weiber stieg in grösseren Städten Englands in überraschen-
der Weise. Nach Baer wurden in Manchester aufgegriffen im
^Bruukenen Zustande: 1847 — 1851: 935 Mäuner und 207 Weiber,
Ä^852— 185G: 651 Männer und 84 Weiber; dagegen 18(37—1871:
^V903 Mäuner und 2001 Weiber, 1872—1876: 7020 Männer und
^^801 Weiber. In Liverpool stieg die Zahl der der Polizei in die
Hände gefallenen trunkenen Frauen von 4349 im J. 1858 auf 5676
' im J. 1864. In Glasgow sind während der Jahre 1850- 1860
sogar mehr trunkene Frauen als trimkene Männer in Polizei-Ge-
wahrsam gebracht worden. Es sind allerdings hier fast nur die
unteren Klassen der Gesellschaft vertreten, doch zeigt sich an dem
Terhältniss ganz deutlich die Wirkung von Elend und Entartung
dieHer Klassen, die in der sittlichen Verkommenheit des Weibes
ich recht deutlich ausspricht.
Das ganze Gebiet des deutschen Reichs umfasst eine officielle
'riminal-Statistik über das Jahr 1882, aus der hervorgeht, dass die
eatsche Frauenwelt in den Annalen der Strafrechtaptlege nur in der
Stärke von einem Viertel, das sog. starke Geschlecht aber in der
Höhe von drei Viertel eingeschrieben ist: es stehen 100 männlichen
Verurtbeilten nur 23,4 weibliche gegenüber. Allerdings ist dieses
»nicht ungünstige Verhältnis« nicht in allen Theilen des Reiches das
gleiche. Im Herzogthum Anhalt, in Dresden, in Leipzig, den
Fttrstenthümem Reuss und Schwarzburg, im Herzogthum Alten-
Iburg und im Reg.-Bez. Bromberg fallt das Weib am häufig-
sten dem Verbrechen anheim, im Elsaas, im Kreise Offenburg,
den Reg.-Bez. Osnabrück und Münster, Minden und im Kreise
Walde« hut am seltensten. Die meisten Verurtheüungen ergehen
auch bei der Aburtheilung eines weiblichen Verbrechers wegen Dieb-
«tabl, sodatm folgen in der Scala weiblicher Schuld und SQnde
Beleidigungen, Mord and Meineid. Die hohe Stelle, welche dabei
der Mord einnimmt, ist besonders durch die zahlreichoi Strafband-
langen gegen das Leben des eigenen Kindes bedingt.
üeberblicken wir die vorstehenden Ergebnisse der Moral-Sta-
tiiitik, so erhalten wir den Eindruck, dti.4s das Weib je nach
«einer Lebenslage sich kaum eines grösseren, doch auch keines
ringeren Grades von Morajität rühmen oder «eihen lassen darf,
dem Manne nachzujagen ist^
Weiterhin hat iluiuinrr eine Crimiaal- Statistik mit Verglei-
chung der beiden Geschlechter aus zahlreichen LSndem tabellarisch
III. Die ilsthetisclio Auffassiins des Weibes.
S. Die weibliche Schönheit.
In einer Hinsicht ist das Weib allerdings dem Manne n«ch
lljiemeiner , nur von wenigen [Schopenhauer etc.) bestrittener
einuug überlegen: in der Schönheit der äusseren Körper-
orm. Allein auch dieser Vorzug ist ungemein ungleich vertheilt.
ine Annäherung an das Ideal weiblicher Schönheit, das wir uns
nter dem Einflüsse einer geläuterten Aeafhetik gebildet haben, ist
ur unter höchst günstigen Verhältnissen möglich.
Wenn man im Stande wäre, den Begritt' des Schönen tiberhaupt
esftzustellen, so würde dies wohl in irgend einem Lehrbuch der
Wissen-schaft vom Schönen (Äesthetik) geschehen sein. Allein bis-
her suchlen wir vergebens! In einem der neuesten Werke dieser
IArt {Hohlfdd und Wünsche) heisst es sogar: »Die Schönheit ist
»ine bestimmte Eigeuschaft, die nicht für .sich .selbst besteht, .son-
dern an einem Anderen ist. Was schön sei, worin die Schönheit
beiftehe, »oll selbst erst in unserer Wissetiscliaft untersucht werden.
i/kber auch ohne die Idee der Schönheit bereit« klar und im Allge-
meinen zu erkennen, kann das Schöne als solches angeschaut und
anerkannt und empfunden, ja sogar vom Künstler hervorgebracht
werden."
Allel) die Anthropologen haben sich mit der Frage beschäftigt:
,Wii8 ist Schönheit des Menschen? Schon im Jahre 1860 llber-
b C(*r(iier der anthropolo;;ischen Gesellschaft zu Paris eine
rbeit Ober diese Frage, in der er sagte; .Die Schönheit ist nicht
Hwn Eigcnthum der einen oder der anderen Rasse. Jede Rasse
ifferirt binsiclitlicli der ihr eigenen Schönheit von den anderen
KasMen. So sind denn die Schöubeitsregehi keine allgemeinen , sie
u(lwM.>n für jede einzelne Rasse besonders stiidirt werden.* Diesen
ätzen widerspricht in einem vor derselben Gesellschaft im Jahre
*• ' " " L'e l)fl(innat/'\ indem er behauptet, daas e.s
Hinheitsregeln giebt sowohl Oir die Mens« ht'n,
Hir die Thiere; sie begründen sich durch die von danth Jieniard
r . * . iK-
Aaa»mmttg 4t»
aiHOtimmlUm mffßwiimplmcheu Gc«et«e, die in drr'
- <w Fona riom jeden Organs ^efooden werden : n
ui Mri^üii ««in Maximum iler Entwickelung, welches db
)l . nnd in Betreff der Schönheit deü
flu i verschiedenen Organe in einer W-
uUiimUni Mf'Xli'hting ntui iti einem gewiMen Verhältnisse zu ein-
nimUi' »litht«!). |)iciien Siit/en gegenüber miiss man doch ein-
Wi<rl«ii. iltiaii i'K im« wohl kiuini je möglich sein wird, fDr jedej
|( iiMMiwrhlit'htMi <i«'Nt liliM'hU ein typisches Schönheitsniodell
I ti, WH' Hir uiiNrjT Kun««' ««twa der Apollo von Belveder»?
imImi' iltf> mvilimiti'Hv Vfnm gölten kann.
jliinM it« iilinr .«'wigt' 8<'hl\nlioitsgesetze' nicht giebt, wird wohl
.huli'riuium /iignhoii, di«r w«»isH, dtms der Neger seine Negerin, derl
Iv ri I lu W f K t' M»in«» K II l ni i\i' k i ii oljonw sehr und mit dem,«ielben Rechte
Nt lin»t IImiIi'I, wIi' diM' W'i'isN« »'twn die Frauenbilder liaphaiVs. Allein]
d»'»uii)i>h kiiiiM niiiu nunientlich hetflghch der Frauen-Schönheit)
Um. ' ( »t otnn Vim»UNN«'t/\nig nnd Bedingung des SchonfindenBl
II il«p N^M'iiiiili', diLN (l«>^u^»de am Korper sein muss, dassj
V' ' ij>ov in nUen soinen Theilen gerade so be-schaffenl
»I suui hohlen 8«'xw«lfnnctioneii drs Wfi ?il iilu- II
f4i^iivhti^^>hi« ||«>rf<^hl worden tu ktinaviu
, Mvho> U oiti 4it4«irir JUwJUmX Ar das Obvmlt«t> de«!
W. 4t» Fxira 4m Dow— da tilg kleidet vmi
»* t, «wk^ Ami IVy«« im GattBag
tW gAanWH flDt hin davdia»»
K «a^ )«4 »inwitiiA ÜMIläK^ bH der
•« Wm^m, anMNmvtafckjede sMvnde
..ii ^ T\ p
Ife
$«!M»W^
.^?-^4«
51
^lulividiK^llem GeHlhl ausfallt, ao steht doch in allgemeiner Ueber-
Einstimmung »o viel fe8t, dass die Gabe weiblicher Schönheit nach
»nserem europäischen Geschmacke auf Rassen und Volker nicht
bloss ungleich vertheilt ist, und dass der höhere oder geringere Grad
von Schönheit durch verschiedene physische und culturelle Vt-r-
hfiltniäse bedingt wird.
^m Alle Einwirkungen, die den Menschen treffen, die Lebens -
^■weise und das Kliraa, sind vor allem maassgebend tlir die schönen
^■Formen, oder die hässliche Gestalt, welche wir an den Weibern
^Ker verschiedenen Volker wahrnehmen. Man hat gesagt, dass die
vollendetste Schönheit nur in gemässigtem Klima anzutreffen sei.
Doch von grösserem Einflüsse scheinen nicht Luft und Sonne, Kälte
und Wärme, vielmehr die durch die Stellung des Weibes be-
dingte Möghchkeit oder Behinderung einer vollkommenen Ent-
wickelung der Gesammtorganisfition zu isein. Einestheils die
Zuchtwahl, welche zur Fortpflanzung die schönsten Individuen aus-
sucht, anderntheils die Erziehung, welche zur freien Ausbildung des
einzelnen Individuums Gelegenheit giebt, sind vorzugsweise maass-
» gebend fOr den reichen Besitz eines Volkes an Weibern, deren Er-
'scheinung sich dem Ideal uähert. Dagegen gedeiht die weibliche
Schönheit nicht bei einem Volke, dessen Frauen sich von Jugend
auf in dem herabgewürdigten Zustande von Haustbieren befinden
und bei dem der Preis eines Eheweibes sich nach deren Arbeits-
m kratt richtet.
H „Bei den rohen Naturmenschen," sogt HitM, „desgleicheo bei verküm-
H »lerten, in ihrer Oei-ittung verkrüppelten Volksgruppen zeigt sich der Gegen-
f »atz van Mann und Weih noch viellach verwischt und verdunkelt. Er ver-
deutlicht und erweitert sich in gleichem Schritt mit der wachsenden Cultur.
Bei einer sehr abgeschlossen lebenden Landbevölkerung, wie bei den in harter
ki'irperljchev Arbeit erstarrten Proletariern, hut der männliche und weibliche
Kopf fast die gleiche Physiognomie. Ein in Männertrucht gemaltes Frauen-
gesicht aus diesen Volksschichten wird sich kaum von dem Mannskopf unter-
scheiden lassen. Namentlich alte Weiber und alte Männer gleichen sich
hier wie ein Ei dem andern."
Wie gross der Einfluss des Klimas, der Nahrung und Lebens-
weise u. 8. w. bezüglich der Veränderungen ist, welchen der
Mensch im Allgemeinen untrcrworfeu ist, wurde von WaiLi sehr
eingehend untersucht. Allein er sagt auch bezüglich der Cultur
des geistigen Lebens, dass zahlreiche Folgen der verschiedenen
»Culturzustände, die der Mensch durchläuft, uns gewissermaassen
vor einer L^eberschätzung der kliuiatischen und geologischen Ver-
hältnisse wahren ; denn wenn der Mensch eine höhere Bildungsstufe
erreicht hat, so hört er schon damit auf, genau dem Boden imd
den Naturverhältnissen zu entsprechen, denen er angehört.
Wir leugnen also nicht, dass klimatische und verschiedene
[äussere Lebensverhältnisse von entschiedenem, bald tTirderlichem,
)ald hemmendem Einflüsse auf die körperliche luul geistige Ent-
iekelung der Menschennatur sind. Allein die .\ufgul)e »h-r (Je-
dei Wnber.
■^ utiA oamenÜich <ier Erziehung ist es, dergleichen Ein-
fiima » lMbcn«d>eo; «ie «ntwedo; ao weit sie gOnistig sind, 2n
ImmAmb, oAtr li«, «oveit sie ongOostiig, zn patalysrai durch ror-
N«:bli||i« Vcrfthr«). Dmin der Mensch soll und wird mehr und
tttthr /Hill Biäfft ftbfr die niaterielJe Xatur gelÄngen. So lieget es
«i' in der Hand der Nationen, ebenso sehr der physischen
<wi< IUI inontliK'hen Entwickelung nachznstreben ; wir finden auch
in d*'r Thht. danH ••» eine Erziehung giebt. welche solche Aufgaben
Verfolgt; nur i»! Hie leider noch nicht zum Gemeingut geworden
Jti dna „büBxen'u" Theileu. unter den gut situirten Klassen der Be-
völkerung, ••rbiicken wir fast überall auch schönere, edlere Gestaltung,
nit'lti bjoint bfi Miinnern, sondeni namentlich bei Frauen. Der Typus
ilrr H« li<tiilirit kann .>t<:h unter so gut beeinflasateu Individuen, welche
VOM .liigrijii IUI ib'U Mangel nicht kenneu, sondern nach vollem ße-
dllilriiMM in iiitelligentf-r Weise erzogen werden, im normalen Aos-
buii iU'f K<tr{n<rN unbehindert aitöbUden: imd so setzt sich oft io
iImm mit (JlürkHglUern hinreichend ausgestatteten Familien nh Erb-
ullWk itiii Mi'lWUieH und edles Aussehen von Generation zu Generation
litil, Krniliili H(>|iiMi wir Völker auch oft genug in den sogenannten
imlt'r«<ii ScljiiliU'u «'iiu' reiche Anzahl schöner weiblicher Individuen
pni(iiirirt'n, uliglciili du Aruiuth und schlechte Beschatt'enheit der
>lu|ji<iiib)rrji*hung uutYullcud sind. Hier ist es lediglich die sogar
MuitU' tiliul\nNligrn ZusUinden Gelegenheit gewährende Natur, welche,
w. - iiicbl «u si>lir beschränkt wird, die Entfaltung des schönen
\N 1 'rxiiu> möglich macht.
AiKtulb und Hod'vangniss behindern vor Allem die
li4»lb«wii>"'^'" »uul die hiermit verbundene ungenügende En.^ „
ll*» < ti«i kommt namentlich bei dem belasteten weili
\M\v\\ Ml .» iiitvht durch vermindertes Wachstimm, gross- ^'^. keif
•n'l\h«»^l\tv KJ^i'^vovbaltuuc und biisslicbe GesicbtstQge zur t nu
Kl» ml «»Im» «I ■
AvbiMt.«)^\tUiV,oil.
> im wncTiwi hc
r (iie mdff odm vienigcr
bei dctt YaOMSB. Die Alt- ^
-cliwTeRB Aibotan Terrichten
<; UuEt« t nu««s 4ae AaahäUoBg 6es> KOrpers
<"«« yt^Mt MM (M««f Nett»««')»»^« «rohDroiirn Ein
^i«il ««(dk 4MAB«ke«i» llimii and
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53
..Aucti tiiü Frftucn «ind Irpl'fliche Seelabrer, und die lappiacb«n
tooi»«igenthiinier lassen ilie Bedienung der Falirzeuge und Netze oftmals
lUBSchliesalich von ihren Frauen, Töchtern. Schwestern oder auch wohl von
Jen ei^^en:} zu diesem Zwecke gedungenen Weibern besorgen. . . . Die Züge
ler Fmuen werden, eine natflrliche Folge ihres beatSlndigeo VerweilenH im
■"reien und ihrer harten Lebensweise, mit den Jahren sehr grob und man
tann sie olt ebenso wonig von den Männern unterscheiden, wie man bei
'Kindern M&dchen von Knaben zu erkennen verniBg."
Schon von den Indianern Amerikas wurde berichtet, da.ss
Männer und Weiber desselben Stamnie.s häufig eine sehr gleich-
irtige und in vielen Fällen schwer unterscheidbare Gesichtsbildung
)esit7eu, ein Umstand, der sehr dazu beiträgt, den Eindruck, den
liese Individuen hervorbringen, zu einem äusserst gleichmässigen zu
nacheii. Die Indianerweiber nuisseu in der That aber auch alle
Lrbeit verrichten und sind sehr muskelstark (Kohl).
9. Das Schönheitsideal bei verschiedenen Tölkern.
Weuü wir eine Umscliaw halten unter den Völkern des Erd-
I and sehen, wie überall die Mädchen von den Jünglingen be-
gehrt werden, auch bei solchen Rassen, deren Vertreterinnen des
weiblichen Geschlechts selbst in den Jahren ihrer höchsten Blüthe
ins in Bexug auf ihre äusseren Formen doch nur mit Abscheu oder
'^iderwülen zu erfüllen im Stande sind, ao müssen wir wohl zu-
festehen, dass das Ideal der Schönheit, wie es im Geiste der ver-
schiedenen Volker lebendig ist, doch sehr verschiedener und nmnnig-
:her Art sein muss. Von einem gewiss nicht untergeordneten
logischen und wohl auch von anthropologischem Interesse
llrde es sein, wenn es uns gelingen würde, dieses Schönheitsideal
den verschiedenen Völkern aufzuspüren und uns zu vergegen-
wärtigen. Auf den ersten Anblick möchte man dieses für nicht
so schwierig halten, da es nur wenige Volksstämme giebt,
reiche nicht eine gewisse Freude an der bildenden Kunst hätten
»nd nicht auch bis z\i der (meist plastischen) Darstellung der meusch-
.hen Gestalt vorgedrungen wären. Wir würden aber gewiss einem
trordentlich grossen In-thum miterliegen, wenn wir in diesen
shnitzten oder auch wohl gemalten weiblichen Figuren das
:h5nheitsideal des Künstlers erblicken wollten. Er hat gewiss in
^Ftätem der .Mehrzahl der Fälle nichts Weiteres zu bilden be-
itigt., als ein weibliches nieoschliches Wesen, dessen Formen
natilrlicli seinen Siammesgenos-sinnen ähnlich zu gestalten suchte,
er Weiber anderer K«)rperform nicht kannte, und ganz ähnlich
die Kinder civilisirter Rassen war er wahrscheinlich hoch er-
it, «' ' n diese Absicht amiähenid gelungen ist, ohne dass
L beanspruchte, da.ss sein Kunstwerk nun auch den
de» Weibe«.
lobegriff der nationalen w«tbUchen Schönheit zur Danstellauj
bringen sollte.
Es giebt aber noch einen andert;o Weg, am uns dem
wQnHchten Ziele zu nähern, nur schade, dass er bbher noch so'
»t'nig geebnet ist. Das sind die Lieder liebegirrender Jlinglingf,
oder Kchwärmeriächer Dichter, welche gewohnlich dasjenige zum
klaren Auadrucke bringen, was ihnen das umschwärmte Liebchen
aU besonders »ichön und besonders begehreiiswerth erscheinen lässt.
Von dem Schwanenhals, dem Busen wie Schnee, den Wangen wie
Milch und Blut, den Perlenzähnen und dem Rosenmund, den Augeti,
leuchtend so hell wie die Sterne, wie sie die Liebeslieder der euro-
päischen Völker durchziehen, braucht der Herausgeber den Lesern
wohl nicht zu erzählen. Vielleicht enthalten die verborgenen Blätter
ihrer Notizbücher selbst noch dergleichen auageseufzte Hj*perijeliu
Hier möge nur in Kürze über das Schönheitsideal des Europäers
angeführt werden, was Martin Schurüf- mit den Worten des Conrad
Tiberiua liango dai-über sagt: „Als eine rollkommen schöne Frau
muBS bezeichnet werden,
quae habeat dtio dura, ubera et natee: duo mollia, moaus et venlrvtu
Uuo brevia, na«mu et pedes: duo longa, digltos et latent: duo nigra, ocuio*
vt oonchaiti : duo rubra, genas et ob: duo alba, crura et cerviceiii."
Erwähnung möge auch noch eine Redensart der Spanier
finden, welche, um die Schönheit eines hohen Fusssohlengewülbes
zu bezeichnen, aussagt: dass unter dem Fusse eines schönen Mäd-
chens ein Bächleiri hindurch fliesseii könne (Schauffuiusen). FUr uu»
würde es aber gerade ein bei weitem grösseres Interesse darbieten,
wenn wir uns die entsprechenden Herzensergüsse aussereuropuischer
Volker zu verschallen vermöchten. Zu meinem grossen Bedauern
ist aber das Wenige, was ich in dieser Beziehung zu bieten im
Stande bin, nur ganz spärlich und lückenhaft; denn in den >nelen
Anthologien, welche existiren, sie mögen noch so dickleibig und
vielbändig .sein, ist gerade dieses Uebiet vollständig vernachlä-ssigt.
Aber auch das W^enige, was mir zugäoghch geworden ist, wird
dem Leser schon einen Begriff geben, einerseits wie ganz absonder-
lich und unserem Geschmacko und Emptinden fremd die die weib-
lichen Schlauheiten verherrlichenden Vergleichsbilder gewählt werden,
uniK^rei-seit.s iil>er auch wie doch für gewisse Vorzüge des weiblicben
Körpers die Geschmacksrichhmg der Männer als eine ganz unbe-
streitbar internationale bezeichnet zu werden verdient.
Was uns auf diesem Gebiete zu Gebote steht, stammt fast alJe!«
aus Axien, tuid zwar können wir aus dem Altindischen »r»
dem Epos Nal und Dnmajünfi die erste Probe liefern, die jgT]
Fr^iedrich Hiickcrt's^ Uebersetrung eutuehmen:
I)ft sah er, vom Mflgdetrossc
rmp'bon. die Widarbn -Maid,
(il&naciid, als wie ■
l)ä-> vom Himmel ..
Krleuchtenü irdisicbe üaLleu.
Die Glieder getaucht ia Liebesreiz-
Erweckten der Blicke Liebeageiz,
Doch vor dein klaren Angesicht
Schämte sich Sonn- und Moadenlicbt.
Die Liebe des Liebeskrartken wuchs,
Wie er eah Ihren schlanken Wuch«.
^
Sie nun »ehend in halber HflUe,
Mit der Brüst' und der Hüften Fülle,
Die gliederzartwiichsricbtige,
Vnllinondangebichtige,
Gewölbaugenbrauenbogige,
Sntiitläclielredewogige:
Fiel er, der Waidmiinn, durch so fiel Zierde
In die Schlingen der Begierde.
Vuii der uns an dieser Stelle interessirenden Poesie der alten
Hebräer finden wir entsprechende Beispiele in dem alten Testa-
mente und zwar in dem hfdien Liede Salomonis. Es möge mir
gestattet sein, auch hier die betreflFendeu Verse wiederzugeben:
Ich gleiche Dich, meine Freundin, meinem relifigen Zeuge an «lern
"Wagen Pharao.
Deine Backen stehen Heblich in den Spangen und Dein Hala in den
Ketten.
Wer ist die, die heraufgehet aus der Wüete. wie ein gerader Rauch, wie
ein Geräuch von Myrrhen, Weibrauch und allerlei Pulver eines Apotheki'rs?
Siehe, meine Freundin, Du bist schön, siehe, schön bist Du. Deine
Augen sind wie Taubenaugen zwischen Deinen Zöpfen. Dein Haar ist wie
die Ziegenheerde, die bescheren sind auf dem Berge Gilead. Deine Zähne
ftind wie die Heerde mit beschnittener Wolle, die aus der Schwemme kommen,
die aÜKumal Zwillinge tragen und ist keine unter ihnen unfruchtbar.
Deine Lippen siud wie eine roninfarbene Schnur, und Deine Rede lieblich.
Deine Wangen sind wie der Ritz am Granatapfel xwischi'n Deinen
Zöpfen.
Dein Hals ist wie der Thurm Davids mit Brustwehr gebauet, daran
taoHend Schilde bangen, und allerlei WaSen der Starken.
Deine zwo BrQste sind wie Kwei junge Rehzwillinge, die unter den
Rosen weiden, bis der Tag kühle werde und der Schatten weiche.
Du bist allerdings schOn, meine Freundin, und ist kein Flecken an Dir.
Du hast mir das Herz genommen, meine Schwester, liebe Braut, mit
Deiner Angeu einem und mit Deiner Halsketten einer.
Wie BchSn sind Deine Brüst«, meine Schwester, liebe Braut! Deine
rüsl« sind lieblicher denn Wein und der Geruch Deiner Salben flberlriffl
alle Wttnse.
Dcinr Lip|ion. meine Braut, sind wie triefender Honigseim, Honig und
'****> ist unter Deiner Zunge, und Deiner Kleider Geruch ist wie der Geruch
ie Ut'rrorbricht wie die Morgenröthe. schön wie der Mond.
U Sonue. i»chr»»cklich wie die Heeresspitzen?
III. Die ästhetische AuiTassuug de« Wejbea.
Wie schön ist Dein Gang in den Sohahen, Du FQrstcntochter. uetne
Lenden stehen gleich aneinander, wie zwo Spangen, die des Meisters Hand
gemacht hat.
Dein Nabel ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt.
Dein Bauch ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Rosen. Dein Hals ist
wie ein elfenbeinerner Thurm. Deine Augen sind wie die Teiche zu Ilesbon.
am Thor Bathrabbim. Deine Naae ist wie der Thnnn auf Libanon, der
gegen Damaskus siehet.
Dein Haupt stehet auf Dir, wie Carmel. Da« Haar auf Deinem Haupt
ist wie der Purpur deä Königs in Falten gebunden. Deine Länge ist gleich
einem Palmbaum, und Deine BrQste (gleich) den Weintrauben. Lass Deine
Brflate sein wie Trauben am Weinstock und Deiner Nasen Geruch wie AepfeL
Eine arabische Quelle aus alter Zeit erschJiesst sich uns iu
den Geiiichten (Makamen) des Hariri aus Bas ra, welcher ani Ende des
II, Jahrhunderts unserer Zeitrechnung gelebt hat. Wir verdanken
die ITebersetziing dieser poetischen Producte bekanntlich ebenfall»
Friedrich Bückert^.
Und in anmuthigen Bildern — sollt ihr mir schildern — die feurige
Liebe, die ich trage — zu einer, die meine Lust und meine Plage, — dunkel-
roth von Lippe — hart wie eine Klippe, — gerade wie ein Bolz. — aber*
schwenglich an Stolz.
Daß Haar um ihre Schläfe nahm den Schlaf von meinen Angen; ,
Ich !>chmachte, weil sie mich verliess, in dem Verliese des Leidea.
.\U8 ihrem Wuchs erwächst mein Tod, mein Blut fliesst nm die Blüthe
Der Wang'. ihr Auge weidet sich am Brand des Eingeweide«.
Mein Logs i«t hoffnungslos, hin mich die Mängellose lOset;
Doch ist mein hoffnungsloser Stand ein Gegenstand des Neides.
Dem Gleichgewicht der Glieder war mein Auge gleich gewogen,
Doch eben maass das Ebenmaass des Leibs mein Herz voll Leides.
Eine andere Stelle bei Hariri lautet {Hurfmanu^):
Ihre schönen Z&hne gltlnzten wie Perlen, Hageln, oder eiu Tropf
kostbaren Weins, weiss schimmelnd, wie Camilleu- oder PalmenblQtbe.
Ein anderer alter arabischer Dichter Namens Amrctlkeis
sagt (Hartmann^) :
Das lange Hnar. da« ihren Rücken xiert, ist wie eine Kohle sohwart,
dicht, und wie Palmranken durch und durch verächlungen.
Ich fasste sie bei ihres Hauptes Haar — sie bog sich sanft zu mir
herüber; dünn war ihr Leib, dick und stark die Hüfte.
Ihr Bein glich einer Palmrfihre von Wasser getrilnkt.
Hartmann^ citirt dann ferner Motannahi:
Sie blickte mich an mit den Augen einer Gazelle in einer weinerlichen
Stellung, und wischte das Regengesprühe über eine Rose von An am.
Ihr Haar ist wie ein Rabe schwarz, buschigt, nochtschwan, dicht, von
Natur, nicht durch Kunst gekräuselt.
Ihre Lippen duftender, ab Sommerlnftchen, und lieblicher, dfltiii *t:^'
thiischer Mnsküs ihr Hyacinthenhaar.
Sie schiessen mit Pfeilen, dertm Gefieder dt« AQijeiiwüu^eni <<*
»palten die Herxen, ohne xa ritzen die H.^ u
9. Das Schönheitsideal bd vewcHedenen Völltern.
57
— w
I
Und selbst den Korau können wir hier anschliessen (Snre 56
eni 24):
Und 68 werden bei ihnen sein schwars&ngigte, gr04stvu^gte Müdclien,
wi# Perlen in der Muschel verborgen.
Der Dichter Atnru, ebenfalls ein alter berühmter Araber, singt:
Bit von Wocbs enthüllte sie ihren scblänken, Bcbön proportionirien Körper,
nd ihre Seiten, die im Gefolge ihrer Reize prächtig sich ausdehnten,
nd ihre Lenden, so lieblich »trotzend, üiisi^ des Gezeltes Thilr sie zu fassen
kiium vermag,
Und ihre Hüften — dhten schöne Wölbung mir den Gebrauch meiner Sinne
vor Entzücken raubt.
Und er vergleicht die Beine der Geliebten «mit zwei reifenden S&ulen von
oder glattem Marmor, an welchem Ringe und Spielereien hangen,
D gerfinschvollefi Get€ee machen'. (Hartm»nn>).
Etwa« reichlicheres Material bietet sich uns aus einer um
üiige Jahrhunderte späteren Zeit in den Hesar Afsan oder
tausend Märchen*, bei uns bekannt unter dem Namen »Tausend
nd eine Nacht*. Wenn auch dieses Werk ursprünglich persisch
t und zwar aus dem 10. Jahrhuudert unserer Zeitrechnung, so
ind doch die auf uns gekommenen Handschriften in arabischer
prache verfasst, und sie sind durchaus nicht wörtliche Ueber-
ctzungon des Originales, sondern freie Bearbeitungen und Ver-
ollständigungf-n und zwar wahrscheinlich von einem Aegypter
US dem lü. Jahrhundert. Aus dieser Zeit .stammen also jedenfalls
uch die vielen poetischen Stellen, welche in die Märchen einge-
ocht^n sind und, obgleich in Aegypten verfasst, müssen sie doch
ohi als ein Ausdruck arabischen Denkens und Fühlens auf-
elasst werden. Ich gebe einzelne Proben von ihnen nach der
^ebersetzung des Dr. Gustav Weil:
Sie ist schojiegsanj, wie die Zweige des Ban (ein Baum), den der Zephyr
ewegt; wie reizend und anziehend ist sie, wenn sie gebt! Bei ihrem
Lilcfaeln gltlnzen ihre Zähne, so daes wir sie för einen Blitzstrahl halten
können, der neben .Sternen leuchtet. Von ihren kohlenschwarzen Haaren
hüDgen Locken herunter, die den hellen Mittag in die Wolken der Nacht
IltOllen ; zeigt *ie aber ihr Angesicht in der Finsterniss, so beleuchtet sie alles
on Osten bis Werten. Aus Irrtbum vergleicht man ihren Wuchs mit dem
chOnsten Zweig und mit Unrecht ihre Reize mit denen einer Gazelle. Wo
CoMte eine Gazelle ihren schönen .Ausdruck hernehmen?
Ich erblicke an ihrem Busen zwei featgeschlousene Knospen, die der
tobende nicht umfassen darf; sie bewachl sie mit den Pfeilen ihrer Blicke,
i* «ie dem entgegenschleudert, der Gewalt braucht.
Sic erscheint wie der Vollmond in einer freundlichen Nacht, mit zarten
1aft«n und •chlnnkcm Wüchse, ihr Auge leseelt die Menschen durch ihre
chönheit; die ROthe ihrer Wangen gleicht dem Rubin; »chwar/e Haare
D ihr bi« zu den Füegeu herunter; hat« tlich wohl vor diesem dichten
' ' l ...» kind ihre Seilen, doch ihr Herz ist barter 'ale FeUen.
iiuen Bchleudert sie Pfeile, die immer richtig treffen und
xein mögen.
Mt, wohlduaend ihr Mund; ihre Aepfelwangeil
Ui. Die aathetMche Anffaiwg de» WeikM.
tiftd wie Anemooea, Weao das Lickt iler Sooiie iia4 64» Leuchten
Mosdea nch begegnen, wird dae Finnament Tetdookelt; wenn ihre ctmhlrif
den Wangen tich zeigen, wird die Morgfnrfithe aas Scham bla&s; nad wetiii
b«i ihreai LScheln ein Blitz aas ihres Zähnen leuchtet, so wird die dunkl«-
AbrnddAmaerang heller Morgen. Ihr Wuch« Ist so ebeoiuä«8ig, daso, wenn
«ie etvcheint. die Zweige des Ban eiferv>i]chtig Über sie werden. Der Mond
be«it2t nar einen Theil threr Beize: die Sonne wollte eie anfechten, konnte
nber nicht. Wo hat die Sonne H&ften, wie sie die Königin meines Herzens hat? ,
Ein gcbönes Mädchen! Ihr Speichel ist wie Honig, ihr Auge ist schärferi
al« ein indisches Schwert; ihre Bewegungen beschämen die Zweige dril
Ban, und wenn eie lächelt, so gleicht sie der Atheniis. Du ^agst, ihr»!
Wangen aeien wie Doppelroien. doch sie empOrt sich darüber und spricht:
Wer wagt e«, mich mit einer Rose zn Tergleichen? wer schämt sich nicht zu]
behaupten, mein Busen sei so reizend wie die Frucht eines (.iranatapiel-l
baumes? Bei meiner Schönheit und Anmuth! bei meinen Augen and Bchwarxeal
Haaren ! Wer wieder solche Vergleiche macht, den verbanne, ich aus mpim-r
Mähe und l^te ihn durch die Trennung; denn findet er in den Zweigrn des
Ban meinen Wuclu, und in den Bösen meine Wangen, waa hat er bei mir
tu Itachen?
Von Proben persischer Poesie gebe ich eine Stelle aus den
Liedern des Ferdoesi, welcher ungefähr ein Jahrhundert vor dei
ersten Kreuzzuge dichtete {Ilartnmnn^):
£ben und weiss faob sich in reisender Wfilbung ihre orale Brust, di<>j
kuiuo Phantasie je malen kann.
Ihr schamhaftes Auge,
Ihre wie Elfenbein blendende Gebtalt
Machen des Liebhaben; Seufzer I06,
Kund sind ihre Augenlider, und ihre «chneeweisaen Zähne
Glänzen, von der Hand der Natur schön geformt.
Ihre gerade Nase liegt in schönem Ebenmaasse au&gestreckt ;
Ihr schlummernd Auge wird santt gefächelt durch des Geliebten holden Rlii-l
Da« Moschushaar in wallenden Ringeln gekräusell
Spielet in der Luft und scherzet, wenn es losgebunden flattert.
Eine liebliche Röthe schimmert auf ihrem rosenfarbenen Gesicht,
Und erhöhet unwiderstehlich ihrer Schönheit Reiz.
«So liebenswürdig sind ihre Lippen, dass selbst das Lüftchen
Sich nicht zu nähern wagt, sondern nur von ferne wflnscht.
Von einem älteren Türken, dem Ibrahim Bassa, stammt derj
Ausspruch, der sich auf eine von ihm geliebte Prinzessin bezii^t:
Noch erst strahlt unter der Morgenröthe der Stirn das grosse schwarx«
Auge mit allen »einen bezaubernden Reizen — aber alUuählich frhebl Mch
die apitzo kleine Nase wie aus dem Nebel her\'or.
Aus moderner Zeit finden wir in dem Werke von Vambmj
(iber das THrkonvolk einige Beispiele poetischer £rgiisse, welcliej
Jiernury übersetzt hat:
Eine Mutter aus dem Volke der mittelasiatischen noi
disirenden Türken besingt ihre verstorbene Tochter:
Mein Liebchen, ich will sie loben, wi" snh.v-
Wio in Butter gobackene« Brot w:i:
9. Da« Schönheitsideal bei verschiedenen Völkern. 59
Von den West-Türken stammen folgende Verse:
0 -holde Jungfer, bogengleich sind deine Brauen,
Leben und Welt bist da. Ach! Ach!
So tanze doch, da mein Rosenzweig!
Auch eilt Liebeslied eines iranischen Türken steht uns zur
Verfügung, das ich im ganzen Wortlaut wiedergebe:
1. Der Mond bewegt im Kreise sich, am unterzugehen.
Ich bin schläfrig and möchte gern schlafen gehen,
Meine Hände die haben es erlernt.
Deine Brüste tanzen zu lassen.
2. Ich bin kein Mond, ich bin ein Stern,
Ich bin keine Braut, bin eine Jungfer nur;
0 Jüngling, der du am Thore stehst.
Komm herein, ich bin allein !
3. Das Eäppchen hat sie seitwärts aufgesetzt
Und legt 68 schelmisch bald auf die andere Seite hin;
Ach, ob eines einzelnen Kusses
Hat sie das Herz in Blut mir gebadet.
4. Das Muttermal auf deinem Gesicht
Gleicht der auf der Steppe weidenden Gazelle,
Ja ich kenne meine Holde genau,
Denn em Doppelmal hat sie im Gesicht.
Einige Lieder der Albanesen finden sich in dem Werke von
r. Hahn^. Ich gebe von denselben nur solche Stellen wieder, welche
i\\T unser gegenwärtiges Thema von Bedeutung sind:
Deine Brauen vernichten mich.
Wenn du dich abwendest und von der Seite blickst.
Aus deinem Munde, o Liebling (?)
Quillt Honig und Zucker.
Deine Perlenzähne
Sind Gift für meine Wunde u. s. w.
Dieses Lied stammt aus Premet an der Vojussa und ist in
toskischer Sprache mit gegischen Anklängen.
Liebchen, schlank wie ein Spross
Und weiss wie Bernstein,
Deine Haare (sind) wie Githersaiten,
Dein Duft Bergmelissen,
Dein Mund Gewürznelke des Kramladens.
Gnade, kleine Freundin,
Pomeranze, Orange.
Liebe Dukatenstime,
Liebe Orangenstime.
Kleine rothe Beere an dem Abhang.
Wie ist es mit mir so, o Freund,
Dau ich das rothe Haar nicht liebe?
>ie i»t
t>»M Hiiar i^ib wi« ein Venetiao^r (Dukatev
K« gebt vorfiber der Silberhah.
Uni mich zo beklagen, den Aenusten,
Weg<Mi eines LiebcbepB mit dem Schacbtelmunde.
Da Kleine, die Dieb Dein Mann nicht will.
Steige ein Biscben auf die Maner.
Kntwodor Du, Kleine, oder Deine Schwägerin,
Damit ich die Augen und Brauen eehe.
Warum sind Deine Brauen (so) schwarz?
Ilnitt Du etwa Ualläpfel aufgelegt?
Sie: Nein, nein, bei Gott!
Denn ich habe selbst die Schönheit.
In i'iikt^ni hicde in Nord-Celebes heisst es nach RiedeP:
Din ZUhnu'der Geliebten sind prächtig geileckt.
Di'rii Wi^rko von Vamhmj entnehmen wir auch die Herzens-
••rKniMi' i'iijHH lii'hi'glUhiMuk'ii Haschkii-en :
O Liobchwn mein, Dein« Augenbrauen
iJl<'ich<M\ dem noch dilnnen Neumonde!
0 Liebchen iin.'in. Deine Brüste
lUeiuhen dini iioob warmen Butterknollen.
Auf hohen Borgen hab ich Feuer angezündet
Und CK brannte die Flamme den Berg entlang.
Auf deine rechte Wange hab* einen Knss ich gedrückt
Und die linke Wuuge erbebte davon.
Auf hoher Berge Gipfel
Aul Steinen umhenusteigea ist schwer.
O Holde! ohne Kuren Anblick
Dn«i Stunden auKXuhalten ist woU schwer!
(SAbe e«t .ipfelbauwe.
So wttMte ans (tf«tTilach ioh nieh tticht tuüehnen.
WkM iMUM il«U«btc b«i nur,
(kk wtri» M PNndtt ich aidi niciil «eadai.
Wlv ntffM «Mk 4m ScAiteMfeadoü aa. wie es «ich xtMth CotftdtmiM '
il<Kt n« UM' litt Ln^bildol hiki. 1!r «Mim^ rm mmm aditoea Weib«, datt*i*
V^ tA, Uffkw wi« rtraichVlathei. «i»e Taille wie
v^u \\ - ^ tipoatft wi» vktt l.ot«»Ma»«i.
Im ).. vtt d«r H«r*ri in noHCfttlichen Afriksv
V1NII Ammhi ukte i\iMl»(MrMr «mig« Pmobeo gwU, kommea die
10. Der Geschmack und seine Aaffassong der weibl. Schönheit. $1
Ich sahein weisses Antlitz und darin warenPunkte an Farbe wie die Schwärze. .
Deine Augen sind wie der YoUniond, und dein KOrper ist duftend wie der
Geruch des Rosenwassers. . . .
Und Du bist wie der Garten eines Königs, in welchem alle Wohlgerflche
vereinigt sind.
Und bist Du wie die Fracht des Gartens eines fleissigen Anbauers, wie
könntest Dd verdorren?
Den Abschluss dieser poetischen Proben möge eine Ode des
alten Anakreon bilden (Hartmann^):
Wuhlau! male Du unter den Malern der erste,
Meister in der Rhodischen Kunst,
Male meine abwesende Geliebte
Genau, wie ich Dir es sage.
Male mir zuerst' weiche und schwarze Haare,
Und wenn's das Wachs erlaubt, lass sie auch von Salbe triefen.
Unter den dunklen Haaren
Aus der ganzen Wange heraus
Wölbe sich eine glatte Stirn,
Gl&nzend weiss wie Elfenbein. '•
Die Haare zwischen den Augenbrauen
Trenne nicht -zu merklich, noch lasse sie ineinander fliessen.
Die gekrümmten Augenbrauen,
Der Augenlider schwarzer Rand,
Müssen sich bei dieser, wie bei jener
Sanft in einen Funkt verlaufen.
Das Auge mach^ genau aus Feuer,
Zugleich blau wie Minervens,
Schmachtend zugleich, wie Cytherens Auge.
Male Na 8* und Wangen
Rusenroth mit Milch vermischt;
Die Lippe sei wie die der Pytho.
Zum KuüH einladend.
An dem Rand des weichen Kinns
Um den marmorweisSen Hals
Müssen alle Grazien sich lagern.
Uebrigens umflattere sie
Ein purpurfarbenes Gewand.
Nur ein wenig Fleisch spiele sanft hindurch
Und mache nach den verborgenen Reizen lüstern.
Doch halt ein ! ich seh' sie schon,
Bald, wirst du, o Wachs, selbst reden.
10. Der Oeschmack nnd seine Auffassung der weibliehen
Selionlieit.
Alles dasjenige, was die einzelnen Völker vermöge ihrer speci-
'm Geschmacksrichtung fl\r Schönheit halten, glauben sie
1 .Kimsthülfe in's rechte Licht stellen, oder auch noch über-
I SU mAssen. Namentlich sorgen die Frauen dafür, der Natur
<52
tn. Die Ssthetiscte ÄX
Wteib*F.
in dieser Beziehung zu Hülfe zn kommen und an sich selbst, sowie
•n ihren Kindern möglichst gefällige Formen zii schaffen. Wenn
e» Thatsache int, «l«3.s, wie von WeisbucJi bei der Novara-ßei»e
gefunden wurde, die Chinesen wie fast alle raongolischeu
Völker von Natur kleine Fftsse haben, so wird es wohl erklärlich,
«laflw bei ihnen die Frauen höherer Klassen die Fttsse ihrer jungen
Töchter möglichst verkleinem; wenn die T ah iti- Insulaner, die
Hottentotten, viele Neger Völker u. s. w. die ihne-.i (igen-
thflmliche Breite der flachen Nase für besonders schön halten, so
darf. man sich nicht dnrüber wundem, dass sie Nase und Stim
ihrer Kinder durch Zusammendrücken noch mehr abflachen; wenn
Humboldt, angleht, dass die amerikanischen Indianer ihre Haut
nur deshalb mit rother Farbe bemalen, weil sie die natürliche
n^tbung ihrer Haut ttlr hübsch halten, so darf man ihm wohl
Glauben Kcheuk*.Mi.
So sind die künstlich hergestellten Haartrachten so vieler afri-
kanischer Völker bei deren Weibern ebenfalls nur die Erzeug-
iUMne einer conventionellen Geschmacksrichtung; und die Holzpflocke,
welch»' die Botokuden in den Lippen tragen,- sollen doch nur
dazu dtotH'U, den schon an sich hervorstehenden Lippen die weite
AnN(b.>linuttg zt» verschaffen, welche von Natur noch nicht in ge-
hörigem Grade vorhanden war. Auch ist die Compression des
SchUdel», die ho zalilreiche Völker an ihren Kindern üben, zumeist
mit der Absicht verbunden, letzteren den Vorzug einer edleren, sonst
nur bei Vornehmen wahrzunehmenden Kopfbilduiig zu gewähren. So
wehselt dan (tt-fdlil für da.s Schöne am menschlichen Körper je
nach nationalen Eigenthümlichkeiten, welche £hrgeiz oder Eitelkeit
für ein charakteristisches Merkmal der Formenvollendung halt.
Man wllrd<' aber ganz erheblich irren, wenn man glauben
wollt«.', dass di«'se Dinge nur für die wilden oder halbciviiisirteii
Völker ihre (Jülligkeit l)esüssen. Üeun wenn unsere europäischen
Damen ihr«* Taillm inJ'tglirhst zusammeiiüchuüreu, sowie ihr Gesicht
wth und weiss schminken, so finden wir hierin schliesslich doch
auch nur da« Bestreben, durch Kunst sich dasjenige zu erwerben
oder zu verstärken, was bei ihnen als besonderer Reiz des schönen
(iwchleohts gilt mid einem wirklich schönen Individuum schon
von der Natur verliehen wurde. Es ist nur zwischen den uucivili-
HJrten Weibern und den l>amen der sogenannten hochstehenden
llAKNen folgiMider wichtige Unterschied zu constatiren. Während
lici ilui) erKteriMi die Ent*itellungen ihrer Körper, welche ihrer Meinung
Mach Vrr»rliiMit«nnigen desselben sind, meist eine gewisse, durch
.lahrhnnderl'e langr Gewulitiheit ijeheilig^e Tnn'^tanz und Gesetx-
niÜNMgkeit l»esit/en, uut4'rli"-. '-'i unser' i einem stet«»,
den sinnlosen Launen d«i \ -,;hi.i. v «i^^.: x.m ili»tii
Stiuidpunkte der Logik • u
Fr. .,...,
rli.
63
^ )e8trel)t sind, während unsere Damen nach kurzer Zeit dafgeuice
als hässlich und entstellend profaniren, was ihnen soeben noch als
(las Ideal der Schönheit gegolten hat.
Um Beispiele hierfür braucht man nicht gerade verlegen zu
^sein. Bald sollen die Flisse lang und unnatürlich schmal, bald
[^■wieder feist und abnorm kurz erscheinen — beides, wie sich dem
^ Arzte nicht selten zu sehen die Gelegenheit bietet, zu grosser Qual
und oft. nicht wieder reparirbarem Schaden der Besitzerin. Bald
^Jgiebt man den durchbohrten Ohrläppchen einen kuopfartigen Schmuck,
W unter welchem sie scheinbar verachwindea, bald wieder werden
Wahre Lasten in die Ohren gehängt, deren Gewicht die Ohrläppchen
■ zu langen ovaleu Lappen ausdehnt. Bald wird der Brustkorb um-
schlossen, als wenn die Natur den Damen die Brüste versagt hätte,
' bald wieder werden die letzteren durch panzerartige Vorrichtungen
gewaltsam in die Höhe gequetscht, so dass sie, anstatt an der nor-
I malen Stelle, in der Unterschlttsselbeingrube ihren Sitz zu haben
scheinen, wobei selbst oft bei der Bauchhaut eine Anleihe gemacht
werden muss, um eine Fülle zu heucheln, die die missgünstige
"Natur versagt hat. Von den Versuchen, bald fadendürr, bald
wieder tonnenartig dick zu erscheinen, wollen wir schweigen. Aber
aus allem diesen geht hervor, dass die Damen gänzlich vergessen,
Pdass dem Auge des Mannes nichts widerwärtiger und beleidigender
i<;t, als die Unnatur.
Doch kehren wir wieder zu den , tiefer stehenden* Rassen
zurück. Die Proceduren. welche diese mit ihren Körpertheilen vor-
zunehmen gewohnt sind, .-sind selii' mannigfacher Natur, und es ist
gewiss nicht ohne Ititeresse, dieselben hier in grossen Zügen durch-
zugehen. Wir machen den Anfang mit den Bemal ungen. Die-
.'«elben erstrecken sich bisweilen über den ganzen Körjjer, wie bei
manchen indiau er- Horden; vorwiegend sind .sie aber auf das
(•resicht beschränkt. Hier sind sie nicht in allen Fällen Mittel der
^ Verschrmenmg, sondern sie haben manchmal gerade die entgegen-
iBgesetzte Bedeutimg. So müssen sich z. B. bei gewissen Indianer-
I Stämmen die Weiber das Gesicht schwarz färben, wenn tt\r den
männlichen» Hausvorstand die Leichenfeier abgehalten wird. In der
■Mehrzahl der Fälle allerding.s gilt die Beniiilung als ein Ver-
lßchönerang.smifrtcl, z. B. bei den Andamanesinnen (vfergl. Fig. 12
'Jo. 2).
So sind die Färbungen der Augenbrauen ja bekannt, welche
)ei den orientalischen Frauen im Gebrauche sind.
„Was die sonstigen Toilettensuchcn (beiden Krim-Tataren)- anbelangt,
jt Vamhtry, so spielt da« Henna (Laweonia inemiis) hier eine wichtigere
Rolle als in der Türkei, indem die Frauen, wie in Persien und im Kau-
casa««, mit diesem das- RuropäiBche Gerucbsorgan beleidigenden FarbsloH
iicht nur Augenbrauen. Nilgel, Hand und HaU, sondern bisweilen atich das
l<'li«rarz fuukolnde Haiir roth anstreichen, eine Sitte, die von Alters her im
iioslemisclion Osten beliebt war und nchnn von Herodot bei den Sc3then
64
III. Die Sfithetiscbe Auffnssuug des Wpjhe*
«rwähnt wird, deren Weiber aus zerriebaaem Cedem* und We:
»ich eine Schminke zubereiteten."
Wahrscheinlich steht hierzu auch die oben citirte Stelle aus
dem hoheli Liede Salomotv's in Beziehung: .Da& Haar auf Deinem
Haupt ist wie der Purpur des Königs in Falten gebunden.' Bei
den Eingeborenen auf Java und auf anderen Inseln des mal ari-
schen Archipels herrscht die Sitte, sich die Zähne dunkel zu färben,
und sie blicken mit unverhohlener Verachtung auf die weissen
Zahne der Eurc»päerinnen, „welche denen der Hunde gleichen".
Auch die Zähne der ainanitigchen Weiber in Cochinchina
sind nach Jlondii're keineswegs nur schwarz vom Bethelkauen,
sondern sie tärben sich dieselben mit bestimmten Droguen :
Butrefois seulement k l'epoque de sa premiere menstruatioxi ; aujouf-
d'hoi eile est en progrfe et se uoircii les dent-i lorg de son premier coTt. c'ett-
i-dir« priis trois ans platOt qu'antrefois.'
Es bedarf wohl keiner Erwähnung, dass man die Bemalnng
nicht als eine ausschliessliche Gewohnheit des weiblichen GesrhlechtS'
betrachten darf. Im Gegentheil, bei sehr ^-ielen Völkern pflegen
sich auch die Männer zu bemalen und- zwar in bei weitem aus-
giebigerer Weise» als die Weiber dies zu thun gewohnt sind. Die
Absicht und die Bedeutung dieser Sitte ist aber wohl nur in den
seltensten Fällen die, ihre Schönheit zu steigern. Micht schöner,
sondern hässlicher, abschreckender und ftircht^rlicher wollen diese
Leute erscheinen, um schon durch ihren blossen Anblick ihren
Gegnern, oder wenn es Zauberer sind,
ihren Gläubigen Angst und Entsetzen
einzufl&ssen. Daher liudet die Bema-
hmg auch gewöhnlich nur > 'ben'
Zeiten statt, wo sie in vol!- ^,'«3*
sclunucke zu er- <-r mit
den Gi>ttem und ' ^ _ zu ver-
kehren Wim scheu.
\ Ebenso wie die benuütmg, so ist;
\ »neb die Tättowirung dort, wo sie
Oberhaupt noch rorkommt \an
G^chlt^rhteru gemcin&amr j
il iTt £fest ganz allgemein die
1 -^ug der Flmoen von derjeni
gen der Mim>er gai» erfaeblicha
^ . . .^ .V. j ' MubiMeii- Uns^ in-
1 [ gmiiss aasschheM^
/ I >i«^*>. und wir wQrdrii wohl
Wilg>«i*«a, wenn wir in
»hr uutrr allfc URmaoden dn Mittel
V.
mr Ver>«!i.
Knll.T.
i^».iT. U'.'s ^^ uu;U Loi.Uuih'
10. Der Gweliinaclr iin«l ?««<» Anfftumonp der weiM. Sctißnfipit. ^5
figt worden. Die Ursachen aber, warum fliese weibliche«
Wesen sieb tättowiren lassen, sind nun sehr verschiedenartige.
Bei einem Theile der Tättowimngen haben wir, wie wohl
•leutlich ersichtlich ist, nichts Anderes /u erkennen, als das er-
wachende Schamgefühl, als den Ausdnick des biblischen Spruches:
Und sie wurden gewahr. da88 sie nackend waren. Sie wollten ihre
Nacktheit verhüllen und verstecken, und auf diese Weise rrklärt
es sich, wenn die Weiber auf den Vi ti- Inseln, wie Luhhock^ er-
zühlt. auch untfr d^ni Liku (dein Schamgnrti tättowirt waren. Denn
jt'denfalls war doch wohl iUe.se Tilttowirung vifd früher gebräuchlich,
als der Schamgurt, und wahrscheinlich auch früher, als die Tätto-
wirung der übrigen Kiirperstellen. Auch die Wilden von Tahiti
tiittowiren .sich nach Iin'rho»'s Angabe an der Vulva: ebenso nach
Fiusrh die Damen von Ponape in der Carolin »'n-Gnippe.
Fig. 10. Tfittowirnn; der ünttrtrtrumilftxsu «inw Pontptiin (n»ab Finimh^V
I
H Nächstdem kommen wohl die BrUi^te heran und dann erst
^B der Hauch, die Extremitäten «. s. w.
^B Das« übrigem* di»' Tättowirung auch für die scharfen Augen
^■des Europaers den Eindruck der Nacktheit erheblich mildert, oder
^"gänzlich verschwinden Ifv^st, das wird in ganz überein.stiramen-
rJer Wei.se von allen Weisenden l)e.st.Htigt.
Bei manchen Völkern ist die Tfittowinrng das Zeichen bestimmter.
I glücklich erreichter Leben.-^ab.schnitte, z. B. der ersten Men-
struation u. s. w., sowie auch, um einen modernen Polizeiausdruck
zu gebrauchen, ihres FarailienKt«nde.s, ob sie ledig oder verheirathet
sind. So ist es auf Tahiti undToba, .so bei den Weibern der
^-Juarani in Brasilien und bei den Kabylen. Nach Bn-»
f/u-nmd tragen die letzteren auf der Stirn zwischen den Augen-
brauen, auf einem Nasenflügel oder auf einer Wange ein klei-
knes blaues Kreuz, das durch Schiesspulver oder Antimon*
>xyd hervorgerufen ist. Wenn das junge Mädchen heirathen will,
Plod, Da* Weib. I. :!. Aufl. .'•
timamg
90 läi«st der Taleb dieses Zeichen durch Application von djer (un-
gelöschter Kalk) oder saboun-akhal (schwarae Seife) verschwinden.
Das TUttowiren bei eingetretener Pubertät hat bei einigen
Stämmen den Chju-akter einer Art von Examen: es soll, wie es
sdieint. eine Prrifiing sein in der klageloReu Ertragung heftiger
körperlicher Schmerzen. Darum wird hier die Tüttowining in be-
sonders peinigender Weise ausgeführt. Haben wir hierin vielleicht
die Absicht zu erkennen, das soeben mannbar gewordene Mädchen
auf die ihr sjiäterhin bevorst.ehenden Geburtsschmerzen vorzubereiten
und »ie gegen dieselben abzuhärten, oder sollte es nur lernen, die
Peinigungen ihres künftigen Eheherm zu erdulden, ohne einen Ton
der Kl^e hören zu lassen?
Schon das einfache Tättowiren, wie es auf den Viti-Iuseln
gebrauchlic}i ist, verursacht erhebliche Schmerzen. .,Doch halten
sie die Erduldung desselben für eine religiöse Pflicht, deren Ver-
nachlassigimg sicherlich nach dem Tode bestratl wird." {Luhhock})
Auch die Frauen der Eskimo sind , wie v. NordcnskjOld *
berichtet :
„überall, wo «e nicht mit den Europäern in dauernder BerQhruuK
gCMtiuiden, lAtiowirt, nach Mustern, wie sie bei den Tschukt^cben üblich.
Man leiste früher auch in Grönland grosses Gewicht auf die Tättowirung un<]
glaubte oder richtiger redet« den jungen Mädchen, welche :iich gegen dies«
«chTnr(n;httfte Operation sträubten, ein, dass der Kopf der Frau, die sich
njcht auf diewe Weiße schmücken lasse, in der anderen Welt in ein Thran-
geDU* verwandelt werde, das man unter die Lampe stellt, um aufzusatnmeln,
WB« so« derselben verHchöttet wird. Das Tättowiren geschieht in der Weise,
da«« man mit Hülfe einer Nadel einen in LampenniHs und Thran getauchten
Faden unti^r die Haut zieht, und Kwar nach einem vorher auf die^ielbe ge-
zi'irhneten Mii.iter, wobei man mit dem Finger auf die durchnähte Stellr
drückt, um dif .Sciiwärze zurückzuhalten. Das Tättowiren geschieht auch
durch PunktLrung, d. b. dadurch, das« man die &>chwü.rze in Löcher reibt,
dia man mit einer Nadel in die Haut gestochen hat. Auch der Graphit wird
%U TWlowinuigsMchwärze angewendet, weshalb auch dieses Mineral em Han-
deliartikel der EiikimoH ist."
Luhlmck^ Hugt: „Bei den Frauen am Murray (Auetralien) ist die vm-
«igfi wichtige Handlung, die Eyre kennen lernte, da.s Abachrapcn des Kückenit.
ICtftr. nennt e» ein TUttowiren, der richtige Auadnick würde meiner Meinung
nach „KinkerVien" ^»in. DieHe Frocedur ßndet statt, sobald ein Mädchen
•rwku:h*i«n iwt, und nuisi üui^serMt bohmerzhaft sein. Das junge Franenümmer
knint nicd<;r und legt ihren Kopf zwischen die Kniee einer alt*.>u starken
Fruu, und der Operateur — es ist immer ein Mann — macht mit einem
Mui»rhi«l od<'r FiMic'mteinstUcke reihenweise von der rechten zur linken yeile
quor lll<er dun Hürken bis dicht an die Schulter lange, tiefe Einschnitte in
da« Fleiüch. Der Anblick ist ttusaerst enipOreud. Das Blut rinnt in Stri3ui»'ii
b*rab und trUnkt du; Erde, während die ScbmerzenHiiiiibtnr]|.' .Um .inn«
Opftn «ifh XU cinrnt lauten Angtitgeschrei ^t«igem. I
•ioh dii« MAdchon borc<itwiIlig dio«er Qual-, denn •^••>
wird »ohr b^wundnrl."
Allerdings haben die Brl'"'- '-'■'♦* - f*' ..
luulereu Zweck, als den, ci
Irritiilion zu versetzen, um eine recht stark prominireude Narlie,
eine Art toö Keloid zu erzeugen. Aus diesem Grunde reiben sirh
die Einwohnerinnen von Kordofan und Darfur Salz in die
frischen Tättowirungsschnitte. da die hierdurch entstehenden Pro-
tuberanzen grosse personliche Heize verleihen, (Darwin.) (VI. 320.)
Bisweilen wissen die Wilden selber nicht, was sie sich bei dem
Tattowiren denken. Dh.«» erhellt ganz deutlich aus folgender Ge-
schichte, welche Tiflor erzählt: Auf den Vi ti- Inseln tattowiren
»ich nur die Weiber, während sich auf den ihnen benachbarten
Tonga- Inseln nur die Männer tattowiren. Ein Tunganer war
nach den Viti-Iaseln gescliickt worden, um zu erfahren, wie
tiittowirt würde. Wälirend der Rückreise sagte er sich immer vor:
„Man mus.« die Frauen tattowiren imd nicht die Männer.'' Er
stolperte aber über ein Hiudemiss. fiel hin und vergass seinen Satz,
hO da>)» er hei seiner Ankunft den t?einen sagte: „Man muss die
Mämier tattowiren und nicht die Weiber,'' und seitdem wurde es
auch so auageluhrt. P o 1 y n e s i s c h e r Logik genügt diese Erklärung,
denn die S a m o a n e r haben eine ganz ähnliche Legende.
Finsch ' giebt in Uebereinstimmung mit Kuhary seine Meinung
dahin ab. dass die Tättowirung bei den Ponapesen jetzt
lediglich Verschönerung.szwecken dient und weder mit Rang, Stand
noch Religion irgend etwas zu thim hat. Während die Sitte des
Tattowirens auf den Gilbert- und M arsh al 1-Inseln immer mehr
abkommt, ist sie auf Ponape noch in voller BUithe und von grosser
Vollkommenheit der Zeichnung und Au.sfiihrung. liowley hört^
von einer Frau der Magandja in Afrika, deren Körper in
Folge frischer Einschnitte in die alten Tättowirungfmarben (um sie
proniinirend zu machen ) von Blut triefte, dnss sie nach Vernarbuug
der Wunden die grö.sste Schönheit im Lande sein würde, üebrigens
werden hier die Narben besonders benannt, je nach den Körjier-
thcilen, auf denen sie ihren Sitz haben.
Der Begriff der Verschönenmg ist in denjenigen Fällen, wenn
auch vielleicht nur noch ganz versteckt, vorhanden, wo, wie z. B, bei
manchen Südsee- In.sulanern, das Tattowiren das Vorrecht der Freien
und Vornehmen ist, durch das sie sich von den Sclavinnen, denen
Tattowiren iii«lit gestattet i^t, unterscheiden. Sehr lehrreich ist hier-
für ein«' Anfalle', welche wir Charles Darwin^ verdanken. Sie zeigt
uns zugleich. da.s8 der Tättowirung unter Umständen auch die mystische
Anschauung zu Grunde liegt, dass sie ein Unheil abwenden könne.
Darvin erKÜhlt in Heiner Reise eine» Naturforschern um die Welt, diws
"Ä^ Fmnen der Miitaionare auf Neu -Seeland die bei ihnen dienenden und
nfttftrlicb bwrcitB bekehrten jungen Frauenziainier m a)>crreden suchten, rieh
jmelil tTit' ■ ,, lausen. ,,Als aber ein berühmter Operuteur &ua dem Süden
^«»•-'•V..,, siijften sie: „Wir müssen wirklich, wenn auch nur einige
itiu Liiif nnirrpn Lippen haben, Bonst werden, wenn wir alt werden,
n zii'.:uriinrii«rhrumitfen und dann würden wir sehr hässlich
t (1831) nii-ht nahezu »o viel tättowirt. wie
• idun)if»zeichen zwischen dem Hiluptliag und
«lern Sciaven darin liegt, wird es wiihr<*cheiiilich noch lango ausgeübt werden.
Jeder beliebifje Ideenzug wird in einer kurxen Zeit Hchon so ge"«'ohnlT't>
gemähti, dasa mir die Mi^äionarc wogten, »elhst in ihren Augen sehe ein ;l'I
nicht tätiowirtea Gesicht niedrig und nicht wie das eines Neaseel»ii->-. .
Oentlemajj ans." fVergl. Fig. 12 No. 4.)
iJie Tättowirung schlitzt also hiei- vor dem Altwerdeu. Viel-
leidit wird dieser Schutz aiil'get'asst uach Art einer hoiniiopathi«' l-"-
Wirkung: die Mädchen lassen sich Fui'chen in das G
fjclineiden, iim sieh vor dem Auftret.en von Kuuzeln zu schützen.
Vielleicht hat auch die Sitte der Ainos auf Yesso eine ähnliche
Bedeutung :
Die Weiber sind nach /•. BruniU
um den Mund in Form eines aufge-
drehten Schntirrharts blau tättowirt,
was sie sehr hiL<slich macht. Die erste
Tättowirung findet gewöhnlich iin sie-
beuten Jahre statt und wird dann
allmählich vergrössert. (Vergl. Fig. 12
No. 5.)
Auf der zu den L i u - k i u - In-
selu gehörigen In.sel Amarai Oshi-
ma ist das Tättowiren allem bei den
Frauen Sitte. Sie lassen sich regelniäa-
sig tättowiren und zwar nur den
Rtk'ken der beiden Hände. iFig. II.)
„Die Tatuzeichen sind stets die srJ«*i-
chen; man weiss jedoch keine Bedeu-
tung anzugeben und erklärt ausdrück-
lich, dass dieselbe von 0 k i u :t w a
aus erst eingeführt, worden. Mei^t
im 13. Jahre Hessen sich die Mädchen
dieses Zeichen eiuätzen von besonde-
ren Leuten, die diese Kunst verstunden.
Mit drei zusammengebundeneu Nadeln
wurden lleihen von Einstichen ge-
macht und darauf die gcwöhnliclic
Tusche eingerieben, die sonst -^um Schreiben benutzt wird. Die Farln-
wird indigoblan. Seit vier Jalu-eu hat die japauesische Regierung
das Tättowiren auch hier verboten, wie schon seit viel längerer Zeit
in Japan,'" ( Doedirlvin.)
Wenn wir in den Bemaltingen und in fast allen Tättowirungwi
noch das rein decorattve Moment vor uns hatten, so fl
ein kleiner Theil der letzteren, welche die ausgesprochen» \\
erkennen lassen, dicke wulst^rtige und knupttTirniige Narbeu
erzeugen, bereits hinüber in das Gebiet der Ki»rpi*rplastik, d. lu
denjenigen Mitteln sogenannter Verschi'merung, welche als \vt-
Fl«.
11. Tättowirto Hund einer
Oabimaneri&i
iikch d«r Tou (.'iucm Tlkttowlrer «elbit
TerfertigtwsZoioliuunK (u>cli nunterlttn).
70
11!. Die lUthetinche Aaffiansmifr ^^
MtOnunehmgeD oder Verdrlickungen eiazeluer Korpeiregionen be»
widmet /.u w»«rdeii verdienen.
HiiT »teluMi obenan ilie künstlicheu Formgebungen der Schiidel-
k«psel, wie si« durch zusamuienpressende Kopöager oder durcb
«?utsprwhi'nd angelegte Druckverbände bereits bei Kindern in dem
■artestitu I/ebensalter herbeigeltlhrt werden. Sehr bekannte B«i-
spiele sind die ..rOckwärtü fliehend" gepresste Süru der alten Ein-
wuhuer von Mexiko und der Flathead-lndianer (heute noch in
tiebrmuch). ferner die kttnstiiche Hrdierpresjiung der Schädeldecte.
wie sie ebenfalls noch heutigen Tages bei gewissen Vtllkeru des
Kaukasus geUbt wird: und endlich die künstliche Verlängening der
Hiuterhauptreffion, welche in bejjtimmten Theilen vou Frankreich
iKH'h imiuer nicht hat »tiügerottet werden können.
Wir ki^nnen ^ kurz andeuten, da Gast nberaU, wu
4t»wr (lebniuch h<. - 1 war oilirr noch im Schwange ist. «r
Wi Wide» (icjix'hlechirrn in gleichuMSsigier Weise zur AasObung
lip'hMttfl, Mau venjieivhr hierüber die Ton IHogx^ beBprochcoen
tnMdiUottelieti iVi^emtionen aai Kindeskörper. Ftir uns too Wichtig-
keit i^ aber eine Angabe ifr Crespigmjf'x Qb«* £e Malanaas
auf Horueo. «eil d<u1 nur die Köpfe der Mickiww (aber nidit
•XitT\ d«>(ormirt wml». iBdeni die an und flir aKh adboa fiache
kmd KurAckwektbcwi» Stirn noch xurQdcveidwader gcBMcbt «ifd.
Dvr biena bMinttW Am^arat wird Jab genaimL Bfai Ki£s«-n uder
INaUvr mm ^m fra«^ BtiMtn timet Art WMnriilie wird
Kwlwlw» 4mi vwrvristit«* Tbcü itm Jab wai den ITiüdukupf ge-
Iwrt. Oiw» BJBK» abd arrkk dkk wi tlmcb«. Man wecbseUj
Vmi dHi iMm IVfricb« de» Itf^Kbt» jjibTiwwfca GeUdn habenj
mM«««MDUII di* ««ftl«»tl^ V«>rbx»h>ini>>ab8»ciitliibinl!iiii'brtigim^^
dw t%wwM<b<h>. Wir brawcWf «■» kicr aidhl eat m der Fefsr
lMK<b ^iniMh» OTaiw>bi>i»> y^l» doc4 di» I^BckbaknBfpea der
l%rti|^Ana Wbwb VnIftWwfwmr ««• ^cbMKknchM wtch. bei
MM) «wb w mtW vwImi Vittm «iatt Vni m
<(¥<iiii^»i»> '^' ^^*^^ Hra»d»Ab«rg. wird dw» ISotadnr Ar
^MvblM» cvbaJlvtt« Mirb«K «w d«r V<
ü^tW ««^« ^jm s » w.jiM%n>wb»»» JfilM «a
«k.>ii «mX dÜM» W«k»if «MMIMMd» $llk» ««•
dvtf^ Vt'iAH* aMM \v< KlIiiHliimiM
»i vm H<>>>i^ |^»W«k{bA w<»fcni IffjMaf. IW Tx
^b<* 1<m4 *iMvb >aks
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Ofa^
'?»?ine AuffasAung der weibl. Schönheit. 71
I
I
wühlten BanilmsroUen zu wahrhaft enormer (jr<'»s.se auszudehnen.
Zuletzt werden dann als Schmuck Holzknopfe (Madagascar,
Centraiafrika), Pulmeublattspiraleu (Naya-Kurumbas im Nil-
giri- Gebirge \JatfOf'^\j oder Bhiraen (Neuseeland) in den enorm
erweiterten Ohrlöchern getragen.
Bei den Mädchen der Battas wird nach Hnifcn An» (Jhrluch
durch ßauibu.'^pflricke oder Wolltuchknäuel etwa daumeugross
erweitert, um einen .silbernen Reif als Schmuck einzuhängen , der
da.s Läppchen bedeutend verlängert. Ausserdem durchlöchert man
den oberen Theil der Ohrmuschel, in welchem dann zierlich ge-
arbeitete Ohrringe getragen werden.
Bei den Basuthos in Transvaal war e.s Sitte und ist es stellen-
weise auch wohl heute noch, nicht die Durchbohrung in dem Ohr-
läppchen selbst, sondern an derjenigen Stelle HnziibriMgeii, wo die
äusserste Windung der Ohrmuschel, der Helix, in das Ohrläppchen
li hergeht.
Joest berichtet, dass die Mädchen der Makua auf Mo-
zambique e.s lieben, sich eine Perle oder dergleichen in einen
Nasenflügel zu schrduben und sich, abgesehen von 10 — 15 Löcheni
in dem Ohrrande, das Ohrläppchen so zu erweitem, dass sie Holz-
pflöcke von dem Durchmesser eines Ffinfmarkstricks hineindrängen
können.
Auch in bestimmten Theilen Os ti nd i ens^vergl. Fig. 1 2 No. l ) und
numentUch bei den Mittu in Afrika (verglFig. 12 No. ;i u. Fig. 13)
wird die Ohrmuschel mit einer ganzen Keihe von Durchbohrungen
versehen. Bei manchen Sildseevölkern werden tue Ohrläppchen
zu ganz erstaunlicher Länge ausgedehnt und ihre Dnrcbbohrung
zeigt, ebenfalls sehr erhebliche Dimensionen. Gewöluilich wird
dann das Ohrläppchen ntit einer ganzen Reihe von Ringen ge-
Hchmückt, welche an Fingerringe erinnern. Ein Bei.sj»iel liierför
liefert die A nach oreten -Insulanerin (Fig. 12 No. 7).
in dem durchbohrten Nasenflügel pflegen die Damen der Hindu
einen King zu tragen. Es wird z»i diesem Zwecke aber inmier nur
ein Nasenflügel benutzt imd zwar scheint entschieden der linke
bevorzugt zu werden, der bei einigen Stämmen durch die Schwere
de» oft sehr grossen Ringes ganz beträchtlich herabgezogen wird.
Das zeigt uns z. B. die Limboo-Frau (Fig. 12 No. 8).
Wenn bei den Kaders in den Anamally -Bergen (Indien)
die Kinder zu laufen beginnen, so werden ihnen Nase und Ohren
dnrchbobrt; Knaben wie Mädchen tragen Ohr- und Nasenringe:
filtere Leute pflegen diesen Schmuck abzulegen [Jagor).
Die Bongo trauen (Centralafrikai tragen in den Nasen -
Üngelii und in der Lippe autrecht.stebende HaluiütUcke {Schirein-
furtli*). {Vergl. Fig. I3No. 4 und (i.j Die Nasensclieidewand zu durch-
bohren und zwar diclit vor dem Ansätze der Oberlippe, war früher
'ie| verbreiteter al» beute. Jetzt aber finden wir diese Art der
sie bei beiden Geschlechtern herrscht. In der C>efluung wird ein
Knochen oder auch ein verziertes Stück Holz getragen (vergl. Fig. 12
No. 6). Auch die Weiber der Dschur im östhchen Sudan halK^n
häuüg einen eisenien Ilinj^ durch das Septuni nariam oder durch
die Mitte de» Nasenrückeas j^ezogen (r. IhlUcahl).
Bei den Verse höueruugeu dei» Mundes konmien in er8tt«?r Lime,
abjfesehen von den bereit» erwähnten Tättowiningen (ier Lippen,
die Färbungen und die Verunstaltungen der Zähne in Betracht.
Sie werden ganz oder theilweise ausgebrochen, treppenartig abge-
meisselt. spitzig zugefeilt (vergl. Fig. 13 N"o. r>) und mit dreieckigen
Löchern versehen. Allerdings ist dies Alles in viel höherem Grade
bei den Männern als bei den Weiljiem der Fall, jedoch haben letz-
tere bisweilen ihre be*<onderen Gebräuche.
Die Schneidezähne der Weiber auf Madagascur sind muh
Jocst hailischzalmartig zugespitzt. Hagm i^agt:
„Bei den Weib^^m Her Batta werden «U«« oberen SchneiUezähne }<leJch
den antereu völlig bi^ auf das Zabnfieifich abgemeisselt. Dieser O^bmucb
ist constant: man wird kaum eine Frau Knden. die ihre Zähm' andere trilg«^.
Haben die Zähne endlich ihre definitive Form erhiUten. wenn auch «irtt
nach Jähren, so werden sie bei beiden <ie*cblechtem schwarz, s^'^f*''^'« u*>^
zwar ?<iiinmtliche Z&hne ausnahmslos. Zu diesem Zwecke verkohlt luuti «in
Ötfick Linjonenliok auf einer Mes.^er- oder Parangklin^fe. D*» lierauBliüu-
feinde Harz des breiuiendeu Holze? vermischt man innig uiit der Kohio uod
bestreicht uiit dem so erhaltenen Fimi.'^^ die Zähne xwei bis dreimal -, die*
selben werden dadurch dauensd tuid intensiv .-tchwikr« gefärbt, während
rilhe Firniss zugleich eine etwa gcfirtiietc Zahnhöhle verstopft."
Auf den kleineren Inseln der alfurischen See zwischen Neu-
guinea und den Sundainselu berr.scht fast durchgängig die Sitte,
den Mä4lchen zum Zeichen der erreichten Mannbarkeit die Z^lhiie
abzufeilen.
Auch die Lippen entgehen dem Schicksale nicht, aus Gri'inden
sogenannter Verschönerung entstellt und verstlimraelt zu wenlen.
Die Frauen der afrikanischen Bongo z. B. zwängen die Ober-
lippe jederzeit* nahe an den Mundwinkeln in Metallklammem und
jiu.Kserdem tr.igon sie in einem Loche mitten in der Oberlippe einen
Huhn oder einen Knpfenmgel imd in der Unterlippe einen Holz-
ptluik [Sihw'iufurth^, vergl. Fig, 13 No. 4 und 6). Von den Weibern
der Miigundjii sagt Litinijstottf:
,4hr ubKonderlioliKter Sohnuick ist du« Felele. der ObcilippenrittK. O'm
Oberlippe der MBdrlmn wird an der UebergiuigH(tt«lle zur Na.<«en»ch)!ii(lowKnd
durclibohrt und dnreh ninen eingoU'gten Stift da« Wrheileji gehindert Ka
werden dann allmAhlich dickero Stift« cingi'legl, biM nach Moniten odisr
Jahren da» Lach no ur»»* \»t, diu» ein llintf von iwei Zoll DurchmcMüRr
hinuiugelcKt worden kann. (Fig. 18 No. I ) Dii'^ bowtrkt e«. ibiss in ein«*ui
Falle die btppo xw«'i Zull Hbor dio Nii*en*v>t)"' vorrut;te. und als die Dame
IJUshidte. hol« dii ■ ' " • ■ i ■
brauen, wilhn^nd
•pitx Abg^letllfn ZiUu luscUleji. il i^;. )J No. ^.^
III. Die aeäthenSon^RltaMung de.« Weibes.
Waruui trugen die Frauen diese Dinge? wurde der ehrbare Il&nptlin^'
Chinsurdi gefragt. Often bar erstaunt über eine so dumme Frage iTwiderte |
er: ,,Der Schönheit wegen! E» sind dies die einzigen schOnen Dinge, welche
die Frauen haben. Männer haben IJärte. Frauen haben keine. Waj< fQr
eine Art von Person würde die Frau sein ohne das Pelele? Sie wfinip wiei
ein Mann mit einem Munde ohne Bart, aber gar keine Fraa sein."
Anstatt dieses Ringes tragen die Weiber der M ittu nach Schwrin-
furth- einen Knopi" au.M Elfent)eit], Harn oder auch uns Quarz. Gleich-
zeitig wird ein polirt(.'r Quarzkegel von über 0 cm Länge in der Unter-
lippe getragen. (Fig. 13 No. 3.» Die Weiber von Latuka tragen
einen Kryatall in der Unterlippe, und die Frau des Häuptlings
äusserte sich gegen ßnh^r, da.ss seine Frau sich sehr verschönem
würde, wenn sie ihre Vorderziibne aus der unteren Kinnlade heraus-
ziehen und den langen ÄUge.spit/ten, polirten Krystall in ihrer
Unterlippe tragen wollte.
Das« bei den Botokuden in Slidanieriku grosse hülzerue
Knöpfe in der Unterlippe getragen werden, dürft« dem Leser wohl
bekannt sein, Ihr Narue stamnit von dieser Sitte her. Dieselbe
herrscht aber bei den Müniiern ganz in demselben Maasse, ab< bei
dem weiblifbeii Geschlecht.
Auch im Norden Amerikas herrschiiu ahnliche Uebräuohe; dw
ersehen wir aus einem Berichte, den wir dem Cnpttän «/»t'aA*r«
verdanken :
„In den E s k i lu o • Dörfern im hohen NordweHten Amerikas an der Müu-
duDg des Kuskoquitn weiss sich der weibliche Tbeil mit Perlen sehr m^
«chmflcken; diese werden Überall, auch in den Flaaren, angebracht. Diel
Unterlippe der jungen Mädchen wird un drei Stellen durchbohrt; in den
Seitenlöohern steckt als Lippenpfloek je ein kleiner krummer Knochen, dessen
knopfförmiges stärkeres Knde üicli im Innern des Mundes befindet iiud du^
Herausfallen des Knochens verhindert; das Süssere Ende des Knocheuü ist j
mit Perlen geschmilckt. Auch da?» Mittelloch der unteren Lippe tnigt al»^
Lippenpfiock einen ^anz kleinen Knochen mit Perlen. Die NivsenHcheidewandj
der jungen Mädchen ist gleichfiiHs durchbohrt und trügt eine bis auf dc&j
Mund herabhängende Perleni»chnur. Dieser Naseuperleuschmuck tindei «ichj
auch bei Jen jungen Rskimoscibünen am unteren Thukon, .sowie weiter nofd-
wärts bei deu Mallemuten, Alle diese Eskimos tättowiren auch das Kion. ,
(Fig. 13 No. 2.)
Von den Verun.staltungeu am Kopfe haben wir noch kurr dii»|
Ausreissen der Augenbrauen (Btnigo Frauen. ySchwf-infurth] Japa*
ue rinnen) und das absonderliche Abrasiren des ganzen Schädeb
oder bestimmter Theile destiselbeü zu erwähnen. (.Man vergleicb»*
auf Fig. 12 die An dama ne si u No. 2 und die Anachore teu-Jimo-
lanerin No. 1.) Es würde un.s zu weit fuhren, sümmtliche in dieser
Beziehung herr.schenden Gebräuche Ijerichten zu widlcn, welchi- lip-
.sonders in Afrika ihre Heimath habcu.
Am Rumpfe sind wir bereit.'» dou durch die Tüttowirui
hervorgerufenen Verunstaltungen Vod den sonst
noch vorgenommenen Proceduren niu-i im ^•■' "'•■* .,, iifi,
die Behutidluug der Brüste uud der Gc
10. Der 6e«ci)a»ek und seine Aaffftssan^ der wdbl. 8efa<>nheit. 75
doch später diesen Orgatieu ein besonderes Kapitel zu widmen
}iaben, so können wir auch die Besi^recbung ihrer Verunstaltungen
bis dahin verschieben. Jedoch geben wir hier noch als Probe nach
Hu'üfl^ eine i)arstellung, wie die Tanembar-Insulanerinnen »ich
die BrHste tiittowiren.
Fig. 14. TfcttowLrnng der Brttit« bei den Tan«m bar •lBsnUo«rianen inaoh HinM).
Au den oberen Extremitäten müssen wir die absonderliche
Unsitte erwähnen, die Fingernägel bis zu unglaublicher Länge
wachsen zu lassen (Annamiten), um dadurch deu Beweis zu
liefern, dass die Besitzerin ihre Hände nicht zur Arbeit zu protaniren
nöthig hat. Das Abschneiden einzelner P^iugerglieder, wie es uns in
Afrika (Buschniännerj. im südlichen Indien und bei Indianern
begegnet, hat nicht die Bedeutung einer Verschönerung, sondern
es i«t entweder ein Zeichen der Trauer, oder ein Opfer zur Ab-
wendung von (jefahren. Andn'e^ hat die hierher gehörigen Thiit-
saclien zusammengestellt.
Wenn schon von einem grossen Theile der in dfu vorhergehenden
Zeilen beschriebenen sogenannten Verschönerungen gesagt werden
muss, dass sie der Geschmacksrichtimg der civilisirten Nationen
geradezu widerprechen , so gilt dieses doch in ganz besonderem
Maaäüe von einer Umformung, von einer Körperplastik, um mit
Jolmnnes Itittike^ zu reden, welche einen Tlieil de>s weiblicht^n
Körpers im wahren Sinne des Wortes zur Verkrüppelung bringt,
dessen normaler Bau und gut«, harmonische Entwickeluug bei allen
Völkern europäischer ('ultur sich einer hervorragenden Anerken-
nung erfreut; ich meine den Fuss und den Unterschenkel. Dass leider
auch unsere I>amen nicht absolut von dem Vorwurfe freigesprochen
werden können, dass sie an diesen Theilen künstliche Mittel wirken
lassen, um dem Ideale ihres eigenen missverst^mdenen Schön-
heitsbegritle.s möglichst nahe zu kommen, d;us wurde bereits weiter
oben angedeutet, und die beifolgende Abbildimg mag eine Vorstel-
lung von einer der allergewöhnlichsten Verbildungen, dem sogenannten
Ballen, geben, welche die Füsse durch zu spitzes Schuhwerk er-
dulden und welche, wie man nach den hier dargestellten Verände-
rungen an dem Grosszehengelenke sehr wohl begreifen wird, eine
dauernde Quelle ganz erheblicher Unbequemlichkeiten und Schmerzen
für die unglückliche Besitzerin abgiebt. (Fig. 15.) Alle übrigen
Völker haben den Fuss als dasjenige anerkannt und geachtet, was
7r»
III. Uio iistlietiiich<>
iMnnff
■/
Flg. 15.
Eatinad«t*r BktUn
er in Wirklichkeit, i«t, ab das hochwichtige ujid unentbehrliche
LocomotidriH- und Stlitzorgan des gesammten Korpers: dem(ietürwv»
erfreut er sich aurli alifjjeiueiti einer ganz besonderen ^Schonung
und l'flege und ist von den sogenaniiten V»t-
Hchimerungen, von gewaltsamen Umfornoiingen
verschont geblieben. Höchstens werden dir
Zehen mit Ringen gesclmiückt oder noch hau*
Hger das Fus.sgelenk. Allerding« sind die um
da.s letztere gelegten Ringe bei einigen Danien
Mittelnfrikas so schwer, diiüs auf deiu
Fussblatt dicke Schwielen entstehen {Tapfien-
f t herk). Ein einziges Volk nur ist es, weldies
j .^'^ \ eine VerkrUppelung der Beine und Flisse ttb-
L^m^r^ b\ sichtlich herl)eifrihrt : diis sind die Chinesen.
^(jttnUm Jf niese kiuistliche Verbildung des Thinesen-
^^n^^^^k fusses ist eil) weibliches \'erschönerung8niittel
im uUerstrengsten Sinne. Denn niemals und
unter keinen Umständen wird diese Procedur an
den Füssen derKnaben vorgenommen. Ztnu Ruhme
de» weiltlidien (üeschleclites in Ch i n« sei es aber
gesagt, dass. SU verbreitet auch dirs«*
entstellende und flir jedes andere Volk
ausserdem Chinesischen abscheu-
liche Unsitte in dem himmlischen
Reiche ist, dennoch mehrere Di-
stricte sich von der Entstellung
frei gehalten haben, wie auch dif
Jetzt herrschende Kaisrrfamilie die-l
.<elbe verachtet und, wenn manl
dem Volksmuntie glauben darf, eil
an den Füssen Verkrtippelte. dJtj]
den kaiserlichen Pala.st betret«tuj
sollte, mit dem Tode bestrafen]
würde yBastiau). Die in deui
Sundainseln lebenden Chine'
sinnen verlcrfippel» auch üuvl
F(\s»e nicht. Dafilr werden nachj
KritHtr in gewie^sett Gebieten von
China (Singang-fu nml Laa*
titchou-fu) auch diel l^'*!
bis snmKjiiegcinütMiii iki i»ij<ieu
eti^Mwinfft, nm redit >tarb ahia-
ma({ieni. IlJer Effect wini noch er-
höht, wenn iii Air W'idfnniÜi^
m4 vm 4m BtUealtek» »m gm»km.
ein xoUbrfiter
Stnim -■' ' '
Sl reife« ftei
ly. Der Qescliinack and seine AnfTaäBaue iler weibl. Scbönheit, 77
it'l) in «ler That uur selten möglich, iU»ef denselben durch Besich-
Pmui^ der Fils.se chinesischer Dtunen (tenaueres zu erfahren. Denn
Frauen der Chinesen hüben eine liesondere Scheu, die ent-
»lösHteu Flisse sehen zu lassen: die Gattin darf' ihn selbst dem Ehe-
jÄun nicht neigen. Doch vermochten unn unter xVuderen die Aerzte
forache, ehemaliger Arzt der französischen Gesandtflchafl in Pe-
iug, Fmier, limuot, Schaulje und schon früher Lockharf ver-
isisliche Berichte zu liefern. Erst wieder iu neuerer Zeit haben
[Vf'hJiL'r in Halle, dann mw.h Hüdinf/cr- in Mlnu'lien die Auf-
lerksiimkeit auf diese willkürliche Verunsitultuug gelenkt.
Die künstliche Wrkleiuerung und Missgestaltung der Füjtse ist
den südlichen Provinzen Chinas allgemein bei den wohlhabenden
Klassen zu finden : weit WL'uiger im Norden, und insbesondere nicht
in Peking, wo die Tataren vurherrscben, bei denen diese Sitte
_5icht in Aufnahme kam. Femer hat fast jede chinesische Provinz
jre eigene Abweichung der Deformation. So begegnet man specit-U
II Ktiaug-si und Kuang-ton den sclumsteu und ausgesuchtesten
^xemjilaren. Unter <len reichen und vornehmen chinesischen
''ajnilien findet man sin tiach finigeu Angaben jedoch im ganzen
;hiuesi scheu K-eich, da dieser ..Luxus'' ihren Töchtern die besten
*ttrtien sichert. Die bannherzigen Schwestern in Peking haben l»ei
undeni in ihrer KrankenpHege den freien Fuss iu einigen Wochen
11 seiner früheren Form /uriickgehen sehen; freilich verdammen nie
lurch diese Experimente die Miidchen zur Ehelosigkeit, denn noch
lai der fremde Eintiu.s.s nicht vermocht, die Macht dieser verderb-
ichen Mode «u brechen.
Man befolgt in den verschiedenen Provinzen beim Binden des
•"uases verschiedene Verfahrungsweisen ; mau hat. aber auch zwei
irade der Verkrüppelung. Entweder werden nämlich bloss die
jhen verkrüppelt, oder es wird auch der hintere Theil des Fer.sen-
)eines senkrecht nach nntou gestellt. Die Operation des Bindens
^ird bei den niederen Klassen von der Mutter, bei den besseren
ätändeu von eigens dazu in dex Familie unterhaltenen Frauen aus-
geführt. In den reichen, auf schöne Töchter eitlen Familien beginnt
lie Vemnstaltung der l'^üsse mit dem vierten, bei auden-u mit dem
eebsten oder siebenten beben.sjuhre.
Zunächst wird, wie Mninchc angiebt, der Fuss geknetet,
in werden die vier kleinen Zehen mit Gewalt gebeugt und durch
ine Binde von 5 cm Breite mittelst fester Umwickelung in
lieser Lage erhalten. Täglich wird die Binde erneuert. Das Kind
igt einen zituulich hochreichenden Schnürstiefel, der sich nach
zuspitzt und eine jibitte Sohle ohne .\b.satz fuit. Dies Ver-
ffiebt nur den in den Nordprovinzen Chinas üblichen ge-
Ucüen Fnss. Zur Herstellung der zweiten, eleganteren Form
wenn die bleibende Beugung der Zehen erreicht ist,
den Fus» einen hallien t'ylinder von Metall und führt nun
auch wohl um den Unterschenkel, in iler
78
fMnung'
^-1
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j.
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"J
Fig. 17. NoriDAler MensoheDfuts
(nach H'e/rker). Zum Verglejoh mit Fig. 18.
Fig. 18. Fo88 einer Tor&efaiD«g
Chin«(in (ascb H'ffrJier).
Absicht, dessen Muskeln au einer der befil>sichtigten Gestaltung;
ieindlichen Wirkung zu hindern. Bei der Anlegung der Binden
presst die Mutter aus allen Krätzen PVrsenbein und Zehen über
dem Halbcylinder zusammen und führt auf diese Weise eine Lage-
verlinderung des sogenannten Kalinbeins herbei. Der so niisslhindelte
FuHs wird wjJÜter in einen Stiefel mit starker convexer Sohle ge-
steckt Man kann sich vorstellen, welche peinliche Schmerzen dem
armen Kinde die festen Umschnürungen verursachen. Die Bindemittel
bleiben Tag und Nacht liegen, selbst wenn die FOsgchen heisa und
fntziindet und die Kinder unruhig werden. Ist doch die Schönheit
des Ki'irpers höher anzuschlagen, als das Wohlbefinden der lieben
Kinder! Es kommt, wie Parker erzählt, bisweilen vor, dass beide
Füsse bis zu den Knöcliehi brandig werden, Haben nun aber die
jungen Mädchen die Misshandlung überstunden, so gehen sie fortan
nicht mehr wie andere Menschen einher, sondern sie wackeln wie
auf Stelzen, indem sie das ganze Gewicht des Körpers lediglich auf
der kleinen Fläche der Fensenspitze und dem Ballen der grossen
Zehe balanciren. Um nicht zu fallen, bedienen sich die Damen alsi
Stützen der Spazierstöcke oder sie lehnen sich auf begleitende
Dienerinnen. Doch sind trotz aller Mühsal die Chinesinnen
stolz auf ihre Fuss- Stumpfe. In der ptietischen Landessprache]
lieisst das verstümmelte Glied Kin-lien, d. h. .,gQldenej
Wasserlilie.*'
Mit frischen Farben beschreibt Capitain JihujhmH die von ibmJ
vorgenommene Besichtigung des Fusses einer Chin»'-''" •m IIa«'"!
eine« LandniannH wünschten wir den ..pied ini(mon" ein«
eiii hilbuchns jungem Mildohen von 16 .T.' , ' , i
um unm'ie Neugierde *u befriedijicn. .".
10. Der fteschinnck und «eine Äuffassang »ler weibl. Schönheit. 70
Glanz eine« neuen Kopftuches überwand bald ihre ZnrUckhultung: sie
EtegaoD die obem Bandagen, welche um den Foss und {iber einen schmalen.
[tod der Ferse herauff»ehenden Streifen gewunden waren, aufzuwickeln. Der
cboh wurde dann abgezogen und die ziveite Bandage abgenommen, welche
ieu Dienst eines Strumpfes versieht. Die Binden um die Zehen und KnOchel
'waren »ehr fest und hielten alles an seinem Platz. Als sie endlich den
kleinen Fues zeigte, war er zart» weiss und rein; das Bein war vom Knie
abwärt» sehr geschwunden, der Fuss schien an der Hacke wie gebrochen,
I während die vier kleineu Zehen unter den Fuss binabgezogen waren, so das*
■ur die grosse Zehe ihre natürliche Lage behalten hatte. Durch da* Brechen
[oder Biegeuj der Hacke wird ein hoher Bogen zwischen der Ferse und den
Zehen gebildet, während bei den Damen von Canton und Macao die Hacke
Kvinz onangetast^t bleibt, dagegen ein sehr hoher Absatz angebracht wird,
irodurch die Spitze der grossen Zehe auf den Boden kommt. Die unter den
puiMj eingeschlagenen Zehen Hessen sich nur mit der Hand insoweit vorbeugen,
dass man sah, sie seien nicht wirklich in den Fuss hineingewachsen."
Es giebt GipsabgUsae solcher Fiisse in ethnographischen Samui-
lungen; ihre Länge misst 4 hh "» Zoll, doch die elegantere Form
hat nur gegen 3 Zoll Länge.
Tlg. 19. Linktr Fast aintr Ohlneiis (nMb Junktru Die Haut ist entfent, am dtt
Muskola fr«iialegen.
„Die Betrachtung untreres Modells, sagt Welcker'^, sowie allea dasjenige,
m*B wir über den ModuH der chinesischen Fusstoilette wissen, lehrt^ dass es
icich utn eine äusserste , .Streckung", anatomisch gesprochen: um eine Plan-
iexion des Fusses, zugleich aber — und dieses ist offenbar das tief
reifendate Moment der geiiammteu Verunstaltung — um eine Einknickuug
iesFussuRhiuiilelt. bei welcher daaHinterende des Fersen beine« nach ab-
|t» geknickt und dem Mittelf usse entgegen gebogen wird(Fig. 19).
edorf kuimi der Erinnerung, <lasH nicht eine rasche Knickung, wobei cinTheil
achcn oder auch nur unuiittelbar verbogen würde, gemeint ist. E*
Mt »ich um dl»» Krzielung des Wachsens der Theile in gebogener Rieh-
•^iwrli Schienbein licHnden sich in einer und derselben Flucht,
.• niiliezu Kcnkrechl nach ubwrirts r»gt. während die
t^o
fIT. Dl* iSfitlietisebe AufTiuKuii^ «Ifs Weftjr
vier kleineren Zehen vom AuBfleDrande de» Fuases her unier die äohW urv*-
Kchlii^'en sind. Der Thei! de« Futises iilier, welcher desaen Hintorrand bilden
Monti\ die Fi'rse. ist mich unten zu lie^jeu sjekommen.
Ininter kam dus Hinterende des Fersenbeines <renau su unter den (lbrv?»?o
Fun» XU liefen, wie bei einem normalen Fuitse der Hacken eines Hjie1(«n-
nchuhes unterhttll) der Ferne lie(,,'t. Die Chinesin >^eht also bei ualiesu »eok-
recht gerichteten Mittelfuysknochen auf Jen verkfimmerten und vrroKsentheilB
rerbogenen Fusszehen ; das Hinterende des Fu.sses niht auf einem doppelten
Absätze — einmal auf dem untergebogenen Fersenhöcker und dieser aat dem
Absätze des Schuhes."
3Iartin'^ ria^t : „Pendant le travail defonuateur. il y a un certain nombrn
de vicliraes qui ne peuvent resiater et qui nieurent. Celles qui le «upport^nt
«ouft'rent plus ou moins suivant leur degrö de vigueur et leä uonditions d«
h'iir alinientntion.
La femnie chinoise marche sons fl^chir lesgenoux, lainant &peu pr^
inuctifs les n)nscle.4 de la janibe et jettant en avant les deux membres, donl
le« monvement« nont alors et entierenient subordonn^s i\ Taction des muacles
da biusiin Ceux-ci s'atrophient moins que len firemiers, et comparntivumeat
«euiblcut v\ii^ere8 comme volume^ ils donnent alors aux partie» mollw du
bassin un iijpect qui ]»eni faire croire ü une amplitude laquelle. en nöolit^.
■Vxiste ]ia.s."
£rkuudi||;t luan sich in China nach Urspnmg, Sinn luid Zweck
die&tjt» üigcntbümlichen (iebrHuchs, so bekommt man sehr wider-
sprechende Ansichten /.n boren. Wenn man von den Sagen absieht,
weldie den rrsprung der Sitte in die Zeit von 1 1(M> v. Chr.
Geburt /■nr(l<-k\ erlern, so variiren die historischen Angaben zwischen
den Zeiten des Kaisers )"fii»<;-/», «)9r» n. (-lir. Geburt, und des Kaiser»
f.i-Yitfi, 9t) l bis '.>7l» nach t'hristns. Sicher bestand die Sitte noch
nicht »ur Zeit des ('onfutst\ und Murm I*oU.>, der berühmte Rei-
sende, der sich im 13. Jahrhundert am glänzenden Hof des Kaisera
aufllielt, rrwähnt sie noeh »jirht. Nach Schergrr und anderen «oll
die Sju-he ihren tirund in der Kifersucht der Mämier balnju, welche,
wie er meint, /.u glauben scheinen, dass eine schwierige IJeweaüch-
keit der l''rauen auch eine grössere Garantie fJir deren Treue ist.
AIImu die« vrar nicht die umprQngliche Absicht bei Einftlhnu^ der
Sitte, auch denkt nnui in (''hiua, wenn man die FQse«e de» ganz
jnugt'ii MUdcheUsS einzuwickeln begimit, noch nicht an eine» später
er( rkeit dejtsteUwn g«ge.n den Ehemann. Eine be-
tri< iig ft\r die Kntiit«hung dieser Unsitte hat ii
bisher noiM» nuiit beixubringt>u vermocht,
„Wir wundern niuä,"* .«agt W'rirkrr, „fiber den Gebnoch
mi gos$chu)iHkK».svu und mit »o vielen UnbeqiMiiiUclikeiien rerl
denen Vtur»tt\mmetung, di>ch wir wcg«ss«D, Jass «s veit cdlei«
OriTfuie «ind, widche durch die hm uns gebrincKKche Art des
SKnnrvaa TvrkQmimtt wvnka. Allein w gieb- aber die
via* lN»Wik^»»" IVIAm.ii.t tr«ir ni.^bi will V..rvj,fblj^ „ . — S /mmmnff
tfe|(im diut ^ hat Uvtforlh in d«n
»ist.
10. Der Gescbmack and seine Auffassung derweibl. Schönheit. gl
bräunt — die Unsitte blieb. — Die Chinesinnen aber werden,
sobald die europäische Cultur das Reich der Mitte noch femer aus
dem Gleichgewicht bringt, das Schnüren der Füsse aufgeben und —
den Brustkasten schnüren."
Vielleicht gab es schon dereinst in Asien ein Volk, das den
Brauch hatte, die Füsse der Frau zu verkleinern. Bei Flinius
heisst es: ^,£ud03cus in meridianis Indiae viris plantas esse cubitales,
feminis adeo parras, ut Struthopodes appellentur. "
Den Verstümmelungen und Entstellungen zum Zwecke soge-
nannter Verschönerung haben wir noch die artificiellen Fettbildungen
anzuschliessen. Eine besondere Geschmacksrichtung für Frauenschön-
heit ist nämlich im Orient heimisch: dort halten viele Völker nur
solche Weiber für schön, deren Körper eine mehr als normale Fülle
durch reichliche Fettablagerung zeigt. Ein feiner Gliederbau gilt
dort nichts, und die Fettbildung wird durch eine förmliche Mästung
des jungen Mädchens im Harem gefördert.
Die klassische Gegend für die Wohlbeleibtheit ist Afrika.
Im Königreich Karagwah gilt ebenso wie in Unyoro mid anderen
afrikanischen Staaten bei allen Frauen, besonders bei denen des
Königs, die Wohlbeleibtheit als zum Begriff der Schönheit gehörig.
Schon von früher Jugend an werden die betreffenden Mädchen einer
richtigen Mästung mit Mehlbrei oder geronnener Milch unterworfen.
Diese Vorliebe für die übermässig vollen weiblichen Formen findet
sich allgemein bei den Arabern, und wohin diese ihre Herrschaft
und ihren Einfluss verbreitet haben. Zwar war das ältere arabische
Schönheitsideal durchaus nicht auf die Ueberschätzung der Fleisch-
masse basirt, und noch jetzt zeigen z. B. die Frauen der Himyaren
nie fette Gestalten. Aber bereits die Zeit Mohameds bietet uns in
Gestalt seiner dicken Lieblingsgattin A'ischa ein Beispiel ausser-
ordentlicher Beleibtheit
Das im Glänzen doch faule Wohlleben im Harem der vornehmen
Aegypter macht deren Weiber zur Corpulenz, und sogar zu einer
oft gewaltigen Fettablagerung geneigt. Solche Corjjulenz giebt aber
die Einleitung zu vielen leiblichen Beschwerden. Einen widerlichen
Eindruck macht der plumpe, watschelige Gang einer feisten Sitte
(Dame), woran zum Theil freilich die unpraktische Fiissbekleidung
Schuld hat. Eine Frau niederen Standes dagegen, welcher keine
zahlreichen Dienerinnen zu Gebote stehen, muss flelssig arbeiten und
wird daher nicht leicht fett. Sie bleibt durchsclinittlich schlanker,
graziöser, als die Frau aus höherer Lebenssphäre (Jlartmann^).
Die Frauen in Aegypten suchten seit langer Zeit die Fett-
bildnng theils durch den Gebrauch warmer Bäder, theils durch
ganz besondere diätetische Mittel zu fördern; dies bezeugt Alju'nus,
welcher audi speciell die eigenthümliche, zu diesem Zwecke benutzte
Methode beschreibt.
Die Trarsa in der Sahara zwischen Talifet und Timbuktu
verlegen sich ganz besonders auf die Erzeugung von Fettleibigkeit
Vloat, Um Waib. C. t. Aafl. 6
bei den Frauen; die Mädchen müssen freiwillig oder gezwungen
unerhörte Massen von Milch und Butter zu sich nehmen, eo das»
sie zuletzt eine Feistigkeit erzielen, die bei der Magerkeit der
Männer doppelt auffällt (Cfiavunne).
Unter den südnubischen Völkern herrscht der barbarische
Brauch, die jungen Mädchen vor ihrer Verheirathiing künstlich zu
mästen; denn Fettleibigkeit und Körperfülle gehört hier tu
den ersten Schönheitabediugungen des Weibes.
Vierzig Tage vor der Hochzeit wird das Mädchen zu fulgendem Regime
gezwungen: früh Morgens mit Tagesanbruch salbt man ihr den Körjier über
und über mit Fett ein, dann muss «ie einen Brei aus circa 1 Kilognunm
Durra-Mc'hl mit Wasser, ohne Salz und Würze gekocht, zu sich nehmen,
ie muÄS, denn neben ihr steht die hierin unerbittliche Mutter oder sonstige
8 Verwandte, der das Heirathsproject am Herzen liegt, mit dem Stocke oder
Kurbatsch aus Hippopolaiuuühiiut, und wehe ihr, wenn sie die Schikael ntcbl
bis auf den Grund leert. Selbst wenn sie die Uebermasse der faden widrigen
Nahrung erbricht, wird sie nicht diapensirt, es wird von neuem gebraclit
und muss hinuntergeschluckt werden. Nachmittags bekommt sie ebenfalU
Dorra-Brei (Lugma) mit etwas gekochtem Fleisch, dessen Brühe die Sauve
bildet; Abends dieselbe Quantität Brei wie am Morgen und endlich in der
Nacht noch eine grosge Kürbisuchale fetter Ziegenmilch. Dabei unablässige
äogüerliche Fetieiiueibungeu. Bei dieser Behandlung gewinnt der Körper
des Mädchens fast sichtbar an Rundung, und wenn die vierzig Tage vrr-
flonMU sind, gleicht er beinahe, um einen sudanesischen Vergleich zu ge-
brauchen, an Masse dem Nilpferde: doch entzückt das ihren Zukünftigen
und erweckt den Neid ihrer mageren Mitschwestern. Die Fettleibigkeit i»!
eben Mode, und was thut und leidet die Kvastochter nicht alles um deT
Mode willen? {Bernhoff [vergl. Fig. 21 No. l.]|
Den gleichen Geschmack verräth, was Paulitschke über die
Somali sagt:
„Der .lüngling huldigt seiner Geliebten durch Lieder. Er ruft ihr «:
Du bist schön. Deine Glieder sind üppig; tränkest flu Kaineelmilch, Du würett
noch schöner."
Auch auf H a w a i nehmen die Fettniassen der Frauen oft ganz
bedeutende Dimensionen an : dies gilt als die grösste Schönheit für
das weibliche Geschlecht; ebenso findet sich auf Tahiti Aehuliches.
Auch bei den Indern ist Corpulenz ein Erfordemiss für die Schön-
heit einer vornehmen Frau ; bereits diis Gesetzbuch des Miiwt
schreibt vor, bei der Wahl des Eheweibs darauf zu achten, diws
der Gang graziös wie der eines jungen Elephunten sei. Dagegen
fortlert der chinesische Brauch von der Frau eine zart^ vl-^rli-l«^
Gestalt.
11. Der UarwiiiisniLs über die Entwickelung weiblieher
Schönheit.
Was nun lUe Zuchtwahl und ihre R-
des weiblichen Geschlechts iH'tnlit« f^
II. Der DarwinisniQs Obw ilie Kntw-tckelung weiW. ScUSnlieit- 83
Wülil keinen Besseren hören, als C/iarIcs Danvin selber, welcher
folgendes äussert:
„Da die Frauen seit langer Zeit ihrer Schönheit wegen gewählt worden
lind, so ist es nirht fiberrascbend, dass einige der mieheinander auftretenden
\bäuderungen in einer bescbrUnkten Art und Weise überliefert worden sind,
Inas folglich auch die Frauen ihre Schönheit in einem etwas höheren Grade
jhren weiblichen ab ihren männlichen Nachkommen überliefert haben. E.«
sind il.iher die Frauen, wie die Hiei.<iten Personen zugeben wertleu, schöner
[geworden a\» die Männer. Die Frauen überliefern inde.'ta sicher die meisten
ihrer Chaniktere, mit Ausschluss der Schönheit, ihren Nüchkonnuen beider-
lei Geschlechts, oo dass das beständige VorKiehen der anziehenderen Frauen
[«lorch die Männer einer jeden Raise je nach ihrem Maa^sstabe von Geaehmack
führen wird, alle Individuen beider Geachlechter, die zu der KasBe ge
i, in einer und derselben Weise zu raodificiren.*'
Man tltirf freilich den Einfluss Her Zuchtwahl in seinem hypo-
thetischen Umfange nicht allzuweit ausdehnen, wie es nach meiner
Meinung Alfred Kirchhoff' in einem Falle versucht. Er meint, dass
Idie Austrulnegerinuen gar häutig furchtbare Kniittelschljlge
_gegen den Kopf bekommen, und dass diejenigen Frauen, welche
dergleichen Mi.Hssliandluugen überleben. 8ich durch erstaunliche Dicke
der Schädelknochen auszeichnen müssen, so dass gewi-sserraaiiasen
durch Vererbung von den Ueberlebenden aus die bedeutende Dicke
des Stirnbeins am Australneger erzeugt worden sei; Kirehhoff'
möchte diese Raßsen-Eigenthümüchkeit demnach der Zuchtwahl lu-
schreibeu.
Nun haben M'ir zwar geftmden, dass bei den niedrig stehenden
Rassen der Manu zumei.st nicht nach der durch äus.sere Reize des
Weibes bestinunten Zuneigung wühlt; allein wir können doch auch
eispiele angeben, in welchen bei barbarischen Stämmen die von
Darwin bespr^^tchene Zuchtwahl vorkommt. In einem gewissen
iiriide ist das Weib auch hier der auswählende Theil, indem es
fast überall demjenigen Manne zu entgehen ssucht, welcher ihm zu
S gefallen nicht im Staude ist. Wenn bei den A bi poiiern, einem
ndianerst am me in Südamerika, der Mann sich ein Weib
wählt, so handelt er mit den Eltern um den Preis: allein es kommt
nach V. Azara auch häufig vor, dass das Mädchen durch alles
das , was zwischen den Eltern und dem Bräutigam abgeiuacht ist,
einen Strich zieht und hartnäckig auch nur die Erwähnung der
Heirath verweigert; sie läuft nicht selten davon und verspottet den
Bräutigam; sie besteht demnach doch auf dem Hechte der Zustim-
mnng. Unter den Comanchen, jenen wilden Indianern im Norden
Mexikos, mnss der junge Mann seine Auaerwählte allerdings von
<lfr<»n Eltpra erkaufen, allein die Einwilligung des Mädrhens zur
Kl ' ir uncriässlich : führt sie das Pferd des Bewerbers in den
Ö! ii . : dieser an der Hütte angebunden hat, .so giebt .^ie damit
' Jawort {Grcgg). Bei den Kalmücken und ebenso bei den
'«D lies m a 1 a y i s c h e n Archipels findet zwischen Braut und
ktu. narbdem die Eltern der ersteren ihre Zustinnnung ge-
6»
geben haben, eine Art Wettlauf statt, und Clarfce sowie Bonrim er-
hielten die Versicherung, dass kein Fall vorkommt, wo ein Mädchen
ge&agen würde, wenn sie nicht für den Verfolger etwas einge-
noDinieu wäre. Beiden Kaffern, die ihre Frauen einfach kaufen,
sprechen die Mädchen ihre Zustimmung erst dann aus, wenn sich
der Mann gehörig prasentirt und seine „Gangart"' gehörig gezeigt
hat; und bei den Buschmänninnen von Südafrika muss
nach Burchell der Liebhaber, wenn ein Mädchen zur Mannbarkeit
heraugewaclisen ist, ohne verlobt zu sein, was freilich nicht häutig
vorkommt, ihre Zustimmung ebensowohl wie die der Eltern erlangen.
Schliesslich liaben nach Winwood Beade die Negerweiber unter
den int.elligenteren heidnischen Stämmen keine Schwierigkeiten, die-
jenigen Männer zu bekommen, welche sie wünschen; sie sind voll-
ständig fähig, sich zu verlieben und zarte, leidenschaftliche und
treue Anhänglichkeit zu äussern. Demnach befinden sich bei vielen
Wilden die Frauen in keinem so völlig unterwürfigen Zustünde in
Bezug auf das Heirathen, als häufig vermuthet wird. So schliesst
denn Darwin : „Eine Vorliebe seitens der Frauen, welche in irgend
einer Eüchtung stetig wirkt, wird schliesslich den Charakter d«i
Mannes afficireu, denn die Weiber werden allgemein nicht bloss
die hübscheren Mäiiuer je nach ihrem Maassstabe von Geschmack,
sondern diejenigen wählen, welche zu einer und derselben Zeit am
besten im Stande sind, sie zu vertbeidigen und zu unterhalten.'^
Umgekehrt werden die kraftvolleren Männer die anzielien deren
Weiber vorziehen.
12. Die Mischung der Russen steigert meist die Eutwlcltelun^
weiblicher Schönheit.
Die Leibesgestalt der Nachkommen wird um so weniger uiodi-
ficirt, und es kommen die Merkmale von Rasse und Kaste um so
deutlicher und schärfer zur Erscheinung, je reiner sich die Zeugenden
nur innerhalb der Kasse und Käst« vermischen. Dies tritt vortug»-
weise dort zu Tage, wo Jahrhunderte lang, wie beispielsweise bei
den Hindus, nach dem Gesetze Manu's Verehelichuugen nur iimer-
halb der Kaste erfolgen. Die Brahnianen, die bevorzugte Kiwste,
werden von de Golnneau als vorzüglich schön von Gestillt gerülimt :
und Meiners sagt: „Aeltere und neuere lleisendc bewunderten die
ausserordentliche Scliönheit der lud er und Indi er innen der
höheren Karten so sehr, dass sie dieselben für die schönsten
Menschen auf der ganzen Erde erklärten." Die geringeren Hindu«
hingegen besitzen ein minder vollkommenes Ebenmaass der Glieder»
Bei der Venuiscbung verschiedener Raissen aber k" iri
den Kindern bald die Eigenthümlichkeiten des Vuters, h.. r
Mutter durch Vererbung zur Erscheinung. Nach 1')
bei Vermischung eines Arabers mit
mehr nach der Mutter: verniibcht sich
egypterin, so besitzen die Kinder noch das Haar der Neger-
{aäse, während die Enkel schon schlichtes Haar besitzen und in
uh] allen Stücken mit den Aegyptern Übereinkommen; Euro-
jier ond Türken zeugen mit abyssiniscben Frauen Kinder,
eiche in ihren Kori)eribrmen den Bewohnern der iberischen
ialbinnel nahe stehen, nur Mangel an Gesichtsausdruck bekunden,
„ Van der liurj/ behauptet,'die Erfahrung bei Mischehen zwischen
^^hinesen und javanischen Frauen gemacht xu haben, dass
rade die Kinder, welche denselben entsprossen waren, mehr den
longolischen Typus zeigten und auch in Sitten, Gebräuchen,
flanieren und Denken (Tvaut'niiinpischcn Eigenschaften) dem Vater
liehen. Jch kann dieser Beobachtung in allen Stücken beipflichten."
JirtffuSfi,)
Bei Kanaken-Frauen auf Hawai (Sandwich-Inseln), die
tiit Miinnem von verschiedener Rasse Kinder erzeugt hatten, konnte
(irharfl Nenkoxifs constutiren, dass beispielsweise die Eine derselben
»in Kmd von einem V'ollblut-Kanaken, eins von einem Chinesen
bnd eins von einem Melanesier hatte, von denen alle unverkennbare
Spuren des Vaters trugen; bei dem Halb -Chinesen geschlitzte Augen
nd vorspringende Backenknochen, beim Halb-Melanesier spiralig
fekräuseltes Haar und das aulFallend grosse Weisse im Auge. In
ionolulu sah ^'euhuuss zwei Halb-Europiier (der Vater ein
Jeutscher), bei denen nur wenig noch an die Kanaka-Abkuuft
riunerte. So glichen also die männlichen Abkömmlinge mehr dem
l^ater. Ganz anders waren die Erscheinungen bei einer Halb-
)lut-FamiIie, in der der Vater ein Norweger mit blauen Augen
und blondem Haar, die Mutter ein Kanaka-Weib war. Diebeiden
dieser Khe entstimimenden Töchter hatten die dimkle Hautfarbe
und die Züge, auch die grosse Körpert^Ue, die massive Nase, die
dunkelbraunen Augen und Haare der Eingeborenen. Nach RicdfP
ind die Kinder von Chinesen, welche diese mit Weibern der
Aaru- Insulaner gezeugt haben, je nach dem Geschlecht ver-
Bchieden von Farbe, die Mädchen heller, die Kutil»en dunkler.
Mischlinge von Gilbert -Insulanerinnen (Mikronesien) mit
Weissen miterscheiden sich leicht durch die hellere Hautfarbung, die
.li - rötlieten Lippen und den europäischen Gesichtsausdruck.
i«;e von einem weissen Vater und einer Ponapesin (Caro-
lueu-lnseln) zeichneten sich vor Europäerinnen nur durch dunk-
eren Teint aus. Zweimal mit Weissen gemischtes Blut, also Drei-
iriert«»! wei.ss, ist von Weissen gar nicht mehr zu unterscheiden imd
ibenHo hell als letztere. Von Halbblut^Samoanerinnen gilt das
Jleiche. Die zweijährige Tochter eines Weissen und einer Frau
i«w Neuguinea erschien wie ein dunkel sonnenverbranntes Euro-
ȟerkind mit lockigem blonden Haar, tiefdunkeln Augen und
otlien l/ippen iFinftdi-).
Durch die Vermischung namentlich der europäischen mit
Vii Ratfsen scheint in den weiblichen Bastarden eine erhöhte
86
fll. Die ästhetische Aiiftaasung des Weibe-^
Schönheit gezüchtet zu werden. Sr/mtonia bebt bei dei
lingen der Malayen und Europäer besonders die Schönheit des
weiblichen Geschlechts hervor. Der Körperbau der Mulattinnen
ist zierlicJi ; etwas kürzere Arme, ganz allerliebste Hände, eine aus-
nehmend schön f^fewölbte Brust, die schönste Taille und unbeschreib-
lich kleine, gellillige Füsse macJien die ganze Persönlichkeit zu
einem höchst augenelnuen reizenden Wesen; „es ist gar keii» Ver-
gleich zwischen einer weissen, indolenten, gleichgültigen B ras ili a-
nerin und diesen ausgelassenen, munteren, oft tollen und dabei
hübsclien Mulattinnen möglich" {Berghaus).
Auch V. Nordenskjöld^ bestätigt die grössere Schönheit der
Mischlinge bei der weiblichen Bevölkerung Grönlands:
,,Die Frauen waren sorgfältig gekleidet, und etliche Halbblut-
Mädchen mit ihren braunen Augen und gesunden, vollen, beinahe
europäischen Zügen waren ziemlich hübsch. Der reine Eskimo-
typus ist jedoch äusserst hässlich und zwar nicht allein in den
Augen der Europäer, sondern jetzt, wie man behauptet, auch in
den Augen der Eingel>orenen selbst,"
Im nordwestlichen Amerika giebt es eine Mischrasse oder
Halbblfitige, die B o i s - B r u 1 e s , welche von den eingewanderten
Franzosen imd den Indianern (Siaux etc.) abstammen. Die
Frauen dieser franco- kanadischen Mestizenrasse sind im Allge-
meinen weis.ser als die Männer und selbst noch etwas blasser und
farbloser; viele Mestizinnen k(>nnen an Weisse und Feinheit der
Haut es mit den zartesten europäischen Damen aufnehmen: ihre
Züge sind rt'gelmitssig und graziös, und man tindet unter ihnen
oft Mädchen mit wahrhaft klassischer Schönheit. (Harard.)
Auch in Chile loben viele Mi.schlinge (Kreolen) aus india-
nischem und Weissem Blute (Araucauer und Spanier). Die Frauen
und Mädchen haben, wie TrcntU'r beschreibt, gewöhnlich einen
schönen weissen Teint, schönes, schwarzes, etwas starkes Haar, sehr
feurige, ausdrucksvolle Augen, etwas gebogene Nase, feine, aber
stark markirte schwarze Augenbrauen, welche einen Halbkrei*
bilden, sehr lange, seidenartige Augenwimpern, herrliche Zähne,
schöne Büste, sehr kleine Ohren, Hände und Füsse und graziöse
Bewegimgeu. Es gieljt unt^-r ilmen auch viele, welche blondea Haar
und blaue Augen haben.
Es würde unzweifelhaft A'on nicht geringem anthropologisdien
Interesse sein, die Mischlinge verschiedener Rassen genau zu unter-
suchen. Denn wenn auch, wie wir soeben gesehen haben, für ge-
wöhnlich durch Rassenkreuzung die Schönheit gesteigert wird, «0
findet dieses doch nicht immer statt. Unter welchen VerhältnLssen
kann man durch die Kreuzung bei den Nachkommen eine Ver-
schönerung erwarten? unter welchen Umständen überwiegen bd
•den Producten der Kreuzung die Eigen jtchaften des V " lUr
welchen die der Mutter V Wir würden hierdurch »'.
blick erhalten, was wir als stärkere uud wus wir t
Kü-tsen anzusehen haben.
I
*
Wenn ein Volk verkümmert, so geht auch dem weib-
lichen Geschlechte der Sinn für eigene Haltimg und schönes Be-
nehmen verloren. Die Geschichte weist genügende Beispiele auf,
welche dieser Behauptung zur Bestätigung dienen; wir greifen nur
fines aus der Reihe derselben heraus. Die Insel (.'jpern hat in
friüierer Zeit eine reiche Culturperiode erlebt; sie war die bevor-
zugte Cnltstätte der c y p r i s c h e n V'eniis^ der meergebornen, welcher
Frauen aus allen im Alterthum bekannten Landern Weihegeschenke
darbrachten : dort fand man auch ohne Zweifel nicht geringen
Wohlstand und einen für jene Zeit nicht geringen Culturgrad.
.ledenfalls nahm auch das weibliche Geschlecht ausserlich und inner-
lich an diesen verhiiltnissuiässig günstigen V^erhältnis.sen und Zu-
ständen Theil. Allein nunmehr ist ein grosser Theil der einst
fruchtbaren Insel verödet, die Bevölkerung zum grössten Theil arm
und ungebildet. Ueber die Indolenz der Frauen aus Cypern
äussert sich Samuel White Buh^r folgendermaassen : «Es war am
4. Februar und die Temperatur des Morgens und Abends zu kalt
(6" C), um zu bivouakiren. Trotz des kalten Windes umgab eine
grosse Anzahl Weiber und Kinder unsere Wagen; .sie fröhuten
stundenlang ihrer Neugier und froren in ihren leichteu, selbst-
gefertigten baumwolleneu Kleidern. Die Kinder waren meist hübsch
und viele der jüngeren Weiber von gutem Aussehen; es war aber
im Allgemeinen eine vullständige Vernachlässigung des Aeusseren
bemerkbar., welche in hervorragender Weise allen Frauen in Cypern
eigen ist. lu den meisten Ländern, in wilden wie in civilisirt^n,
folgen die Weiber einem natürlichen Zuge und schmücken ihre Per-
sonen in einem gewissen Gnide, lun sich anziehend zu macbeu ; aber
iu Cyjjcrn fehlt die nöthige Eitelkeit gänzlich, die man auf liein-
lichkeit und Kleidung verwenden sollte. Der saloppe Anzug giebt
ihren Gestalten ein unangenehmes Aeusseres, alle Mädchen und
Frauen sehen aus, als ob sie bald Mutter werden würden." Tiahcr
beschreibt das Aeussere näher, und wir bekommen den Eindnu-k,
dasM ihm hier die Repräsentantinnen eines verkommenen Geschlechts
entgegentraten. Ganz richtig sind dabei die Beniierkimgen, dass
ilas Merkmal zurückgegangener Cultur der Mangel der natürlicJieii
Vorliebe des Weibes ist, sich im Aeusseren möglichst schön dar-
y.ustellen durch Sduuuck, anständige Bekleidung etc. Die Sitten-
zustände eines verwilderten Volkes sprechen sich namentlich auch
^darin aus, dass beim weiblichen Geschlecht der angeborene Sinn für
;ene, auf gute Situation hindeutende, einen günstigen Eindruck
Jftuf den Begegnenden hinterlassende Erscheinung verloren gegangen
und einer auffallenden äusseren Vernaclilässigimg Platz geuiaiht
h&i, welche auch auf eine Verringerung des inneren Werthes hin-
88
III. Die Sätheit
Zurückgehfu derjenigen Verhältnisse atu Körper des weiblichen
rescbleohts aufh-eten, welche ganz allgemein als die charakterisb-
pben Merkmale imd Vorzüge vor dem männlichen Geschlecht be-
^.eichnet werden. Das Weib beginnt sofort durch die .somatische
Vernachlässigung männliche Züge, Form und Bewegungen zu be-
kommen*, dabei wird es schnell alt und abgelebt in seiner ganzen
Erscheinung.
Sehr autYallende Beispiele flir diese Thatsache linden wir tu
Deutschlands Gauen: In der Oberpfalz Ist das weibliche Ge-
schlecht fast durchaus von gleicher Grösse mit der niänulicben Be-
völkerung, und es bestätigt, .sich hier die Erfahrung, die bei allen
minder, gebildeten Volksstämmen sich wiederholt, dass, wo das
Weib in allen BeschUftigimgen die Gehülfin des Mannes ist, wie.
stellvertretend das Weib des Mannes, so auch der Mann des Weibes*
Arbeit verrichtet, auch in der äusseren Erscheinung das Weib di<'
harten Züge den Mäunes annimmt, imd ebenso oft Männer gefunden
werden mit hellen, weibischen Stimmen, als Weiber mit tiefem,
rauhem Organe, eine Wahrnehmung, die mit seltener Meisterschaft
auch in liiehls Naturgeschichte des Volkes so treffend, als aus-
Itthi'lich geschildert ist. Trotzdem finden sich auf dem Laude, wiv
Bremu't- Schaff er in der übe rp falz wahrnahm, die schönsten
Kinderköpfe mit ausdrucksA'ollen Augen und Zügen bei der Land-
bevnlkenmg. „ Das . i.st noch unverarbeiteter Roh.stotf. Leider,
da^s die Verarbeitimg so maugelbaft ist. Das aufblühende Mäd-
chen ist nur in der ersten Jugend hübsch, dann treten die
Können gröber und nias.sf nhafter hen'or, und nach wenig Wiichcn-
hetten hat dn^ km7. zuvor noch })lühende Weib das Aussehen
einer Matrone."
Und Gleiches fand im Norden Deutschlands Goldschmidt:'
„Die Schönheit und Jugondfrische der ärmeren jungen Leute im
nordwestlichen Deuts e h 1 a n d ist leider meist eine kurze ; sie über-
dauert die Kiud*^rjahre nicht sehr lange Zeit. Die schwere
Arbeit bei noch nicht voll entwickeltem Körper nimmt zu Ificht
die Fülle, die zur Schönheit nüthig ist, sie schafft frühzeitig Falten
des Gesichts und Steifheit und eckige Formen des Körjier«. Oft
habe ich schon eine Mutter, die mir ein Kind zeigte, für die Gros»-
mutter des.Helben gehalten. In jüngeren Jahren sind die Kinder der
kleineren Leute in allen Bewegungen freier und leichter. Früh aber
Verliert sich die Gewandtheit und Beweglichkeit; die Steifheit eine«
verfrtihten Alters vertritt beim Beginn des Munnesalters ihre SteUo.
An einem gewandten, leichten Gange, an freien, nicht eckigen B^
wegungen erkennt das geübte Auge bald, da.s8 ein Mann oder cju*
Frau vom Laude zu den w^ohlhabenden Leuten gehört, deren
frühe Jugend frei war von zu schwerer Arbeit."
Nicht allein im äusseren Aussehen, sondern auch
sl-ultung der Skelettt heile wird dah Weib imt'^r
verhüUni.ssen dem mäuiUichen Geschlecht so äl
I
i^riiwi»-
^erthrflnng der vrnh\. Schönheit rniter den Völkern. 8*>
•xuelle Unterschied fast ganz verwischt. Cr. Fritsch glauht, das»
jei den iracivilisirtt-n Menschen Schulter- und Beckengürtel nicht
ihre typische Entwickelung erlangen, z. B. hei den Kuffern sei du.-
1 weder recht männlich noch recht weiblich, sondern ein
K' !, welches jedoch dem männlichen Typus naher liegt.
lehnliches scheint Rir die Australier zu gelten.
H. Die YertbeiluDg der weiblichen Schönheit unter den
Tolkern.
Wenn allerding!» das Urtheil über die Schönheit ganz relativ ist,
wird doch immerhin der Europäer sagen kOnnen, ob sich die
^eiber einer bestimmten Rjisse mehr oder weniger seinem Schön-
leits ideale, welche» er sich im Gefolge einer geläuterten Äesthetik
gebildet hat, nähern, oder sich von ihm entternen.
Wer von uns könnte den Tvpas der mongolischen Rasse ttir
^i^hün" erklären, jene Männer und Frauen mit ihren flachen, runden,
oben zu stärker entwickelten Gesichtern, ihren kleinen, gegen
iase zu schief gestellten Augen, ihren schmalen, wenig gebogenen
ihren hohen, vorstehenden Backenknochen, ihrer an der
^ÜTD breit aufsitzenden, an der W^urzel dach liegenden, am Ende
und breit gebildeten Na.se, ihrem kxirzen Kinn, ihren grossen,
Bhenden Ohren und ihrer gelblichen Gesichtsfarbe? Und docli
es auch dort unter den Weibern, namentlich in .lapan, Indi-
inen, die, wenngleich nicht schön, doch immerhin „hübsch" ge-
werden mOssen. Die Weiber der Mongolen bekonmien.
sie sich seltener der freien Luft aussetzen, eine krankhaft
reiäHe Hautfarbe. Vor Allem ist aber bei dieser Kasse — nament-
lich durch den mangelnden oder schwachen Bartwuchs der Männer —
sine gewisse Aehnlichkeit zwischen den beiden Geschlechtem zn
bemerken, so das» es dort, wo eine weite Kleidung getragen wird,
>ft 8<'.hwer ist, Männer- und Weibergesichter aU.sogleich zu uuter-
L'heiden.
Welcher Europäer konnte jemals am Neger- Typus etwas
chrmes finden? .An jfnen schwarz- oder wenigstens dankelhäutigen,
rkknoohiir»?n F ut ihren langen, schmalen, im Unterkiefer-
leil vorhtehfnd' .. .. .item, ihren wuLst^en. aufgeworfenen Lippen,
breiten. dit:kr-n Naäen, grossen, weiten Nasenlöchern, krausen
SQ, üxr«n Rtierihiilichen Nacken, ihren schwachen Waden nnd
plattai FOsKn? Allein man würde sehr irren, wenn man
hier kurz angedeutet »*n hässlichen Typus für den in den eigent-
Ni-LTr - f.üi.ii-.'Ti allgemein herrschenden halten woUte.
.>r Kenner der Neger-Völker, sagt: „Wa»
randtjrpns der N e g e r - Phvsiognomie dar-
den Negern als eine Carricatur oder im
111. Die asthetf
besteu Falle als eine Stauiinesähnlichkeit augesehen werdeu, die
aber in Bezug auf Schönheit hinter der Masse der Neger stamme
znrllckbliebe.'* Namentlich werden gar oft von einzelneu Beobachtern
die schlanken Körper der Negerraädchen in ihrer Blnthezeit ab
„reizende" Erscheinungen geschildert. Und selbst den im Alter
urhässlichen Hottentotte nweibern erkennt man in ihrer Jagend
leichten und zarten Körperbau, sowie Kleinheit und Zartheit der
Extremitäten, der Hände und Ftisse zu. (Barrow.)
Wo ist das Vaterland der echten und reinen weiblichen Schön-
heit, die keiner künstlichen NachhiiUe bedarf? Giebt e;* einen
Punkt auf der Erde, welchem in dieser Hinsicht die Palme gebührt?
Man hat gesagt, Afm» ein Erdstrich die besondere Auszeichnung
habe, vorzüglich scbi5ne Frauen zu erzeugen, und daas es sich nur
darum handle, zu entscheiden, welches dieser Zone angehörende
hand in der ConcuiTenz Sieger bleibe. Zu diesem Erdstriche werden
Persien, die Itenachbarten Gegenden des Kaukasus, insbesondere
Circassien und Ueorgien, die europäische Türkei, Italien,,
das nördliche Spanien, Frankreich, England, Deutschland,
Polen, Dänemark, Schweden und ein Theil Norwegens und
Russlands gerechnet. Allein Jederraimn weiss, dass in sehr vielen
der hier genannten Länder die weibliche Schönheit im Allgemeinen
doch nur innerhalb der nationalen Grenzen ein bescheidenes Maass
hält, und das.s überall der Grad der Vollendung und der Annäherung
an das Ideal auf einer recht besclieidenen Höhe stehen bleibt, wenn
mau geuöthigt ist, erst eine Auslese im Volke zu veranstalten und
dann zu berechnen, wie viel oder wie wenig Procent -Theile den
nicht allzu scharten Geschmacks-Ansprüchen genügen.
Wir keimen in dieser Hinsicht sehr verschiedene Urtheile,
welche mehr oder weniger induviduell getarbt sind; mir scheinen
nur solche von. anerkannten Ae.sthetikern be^ichtensweiih. In Rom
und im römischen Gebiete, im Allgemeinen ui den Gegenden.
welche Winrkuhtmnn die nchöiien Provinzen Italiens nennt, ist,
wie er sagt, die hohe vollendete SthiVnheit gewissermaaasen beimi.sch
und ein Erzeugnis« des sanften Himmels. Es finden sich in diesen
Ländern, wie Winrkelmann hervorhebt, wenig halb entworfene,
unbestimmte und unbedeutende Züge des Gesichts, wie häufig jen-
seits der A 1 p e n , sondern sie sind theils erhaben, theils geistreich,
und die Form des Gesichts ist meist gross und voll, die Theile
desselben in grösster Uebereinstimmung unter einander. r>ieäer
enthusiastische Freund der Kunst setzt hinzu: Diese vorzügliche
Bildung ist so augenscheinlich, dass der Kopf des geringsten iMaunes
unter dem Pöbel in dem erhabensten historischen Gemälde kümite
angebracht werden, und unter den Weibern dicHes Standes würde
es nicht schwer sein, auch an den geringsten Orten ein RilJ tu
einer Jmw zu Hndeu.
Man kann eben in Sachen des Gescht" -^ - '"•• ^t'
der Frauen - Schönheit eines Volkes nder ^
14. Die Vertheilung der weibl. Schönheit unter den Völkern. 91
gichtig genug sein. Eine wohlthuende Zurückhaltung in dieser
Hinsicht finde ich beispielsweise in einer alten Reisebeschreibung,
deren Autor Baader von unseren Landsmänninnen in Schwaben
schreibt: „Die Ulm er Frauenzimmer werden von vielen Kennern
dieses Geschlechts — worunter ich mich von Amtswegen nicht
zählen darf — ftlr die schönsten in Schwaben gehalten." Wir
selbst mochten uns auch nicht ,von Amts wegen * zu den Kennern
rechnen; namentlich würden wir leicht Gefahr laufen, die deutschen
Frauen als beste Repräsentantinnen unseres Schönheits-Ideals auf-
zustellen. Deshalb geben wir in der folgenden Zusammenstellung
ethnologischer Abschätzung der Frauenschönheit eine Reihe von
Axissprttchen, die von fein abw^enden Beobachtern herrühren.
Europäerinnen.
Von fast allen, welche Italien bereisten, werden di* körperlichen Vor-
zfige der Italienerin anerkannt, zum Theil auch gerühmt, namentlich ihre
dunkeln Augen, und die plastischen Formen der Römerin. Freilich hat
eine kühlere Betrachtung stets den Enthusiasmus auf ein geringeres Maass
zurückgeführt. „Der Zauber, welcher jede neue Erscheinung und Situation
begleitet, ist der Grund all' der Illusionen, welche durch Reise-Phantasien
und Bilder über italienische Frauen verbreitet werden, über welche aber
Jeder, der längere Zeit in Italien lebte, die Achseln zuckt, wenn er sich
auch selten aufgelegt fühlt, solchen Illusionen entgegenzutreten, die mit
jedem neuen Maler, Dichter und ästhetischen Stylisten von Neuem erzeugt
werden, und sich ebenso wenig zerstören lassen, wie Fata raorgana in der
Wüste oder Nebel und Dunst auf der Haide." Diese Meinungoäusserung
des vielleicht allzu scharf urtheilenden Bogumil Goltz bezieht sich allerdings
vorzugsweise auf das geistige Leben der italienischsn Frauen, doch trift't
zum Theil sein Wort auch den Ruhm der körperlichen Schönheit; und die
zahlreichen Maler und Bildhauer, welche nach Italien, als höchster Kunst-
stätte, wallfahrteten, fanden dort für ihre Studien weibliche Modelle, deren
vielfach wiederholte Darstellung jedenfalls dazu beitrug, das» sich die gün-
stigste Meinung über die Reize der italienischen Frauenwelt überallhin
verbreitete. Allein auch in diesem Lande sind uianchc Gegenden fruchtbarer
an weiblicher Schönheit, als andere. Schon vor mehr als hundert Jahren
äusserte in dieser Beziehung Vollniann: „Es giebt wenig schöne Frauen-
zimmer in Rom, zumal unter Vornehmen, in Venedig und Neapel sind
sie häufiger. Die Italiener sagen es selbst im Sprichwort, dass die Röme-
rinnen nicht schön sind."
Auf Sicilien fand ich autlallend wenig hübsche Gesichter und Ge-
stalten bei Weibern, während viele Männer ein schöneres Aeussere zeigten.
Das Wort Hehn's: „Hier krümmt sich der Mensch nicht unter der Peit-
sche der Noth, die im nordischen Winter einen Theil der Bevölkerung
hässlich und blöde macht," kann sich meiner Ansicht nach in Süditalien
nur auf den männlichen Theil der Bevölkerung beziehen, denn diesem fehlt
nicht nur die Belastung mit Fabrikarl»eit und er theilt seine Zeit ein in ein
wenig Arbeit (noch dazu in freier Luft) und in Faulenzen, sondern er bürdet
die Lasten in erstaunlicher Weise theils dem Rücken des Esels, theils dem
Kopfe des Weibes auf. Diese letzteren haben vielleicht auch in der Schön-
heit der Formen durch zweierlei Umstände gelitten, indem bei der gewaltigen
Mifchun^ der Raufen auf Hicilien (Öikuler, Oriechou, Römer,
nianen, SaraKenen. Normannen u, a. w.) die einzelnen dieser
nicht eben ihre hcssercii Ei(;ensclmften auf die Generation Qbertrugcn, Diul]
indem zweitens dem weiblichen Ge^jchlecht eine Stellung zugewiesen wan]e,|
weklie vielmehr eine Verküniinerung, als eine Veredelung und Entwickelan^-J
der weiblichen Schönheit Hinderte.
Die Spanierinnen gemessen einen nicht geringen Ruf bezüglich Hirer
Äusseren Erscheinunff. Hierzu n)ag wohl unter Anderem die Mischung de«,
Blutes etwas beitragen, indem die keltisch-iberischen Ureinwohner eineni
Theil von römitichen, dann aber auch von maurischen Elementen in rieh
aufnahmen; und der fruchtbare Boden der iberischen Halbinsel förderte ge-j
wiH.s auch die eigenthümlicbe Anmuth des weiblichen Körpers. ,Dai) Aeusserej
^eiaer Spanierin." sagt Bogumil Goltz. ,ist der Ausdruck ihret* Charakters,
w schöner Wuchs, ihr majestätischer <Jang, ihre sonore Stimme, ihr
rÄchwarze-i, feuriges .^uge, die Heftigkeit ihrer Gestikulationen, kurz der Aus-
druck ihrer ganzen Persönlichkeit kündigt den Charakter an. Ihro Reiza]
entwickeln sieh frQh. um zeitig xu veru'elken. wossu das Klima, die hitzigen I
Nahrungsmitt«! und der tiinnliche Genuas beitragen. Eine Spanierin Tonl
vierzig Jahren scheint noch einmal «o alt, und ihre ganze Figur zeugt vou[
üebersättigung und beschleunigtem Alter," Von den Reizen einer Grana-
derin. noch mehr aber einer Sevillanerin spricht auch Schirnger-
ffld mit viel Knlliu,«iasm«s. Und der Italiener de Amicis sagt. .Ich glaubefl
in keinem Lande giebt es eine Frau, welche passender als die Andalusierinl
erscheint, um die Männer auf den Gedanken einer EntfOhrung zu bringen.
Und dies nicht allein, weil sie die Leidenschalt, den Ursprung aller Thor-
hciten, erweckt, sondern auch, weil sie aussieht, als sei sie zum Fangen ondj
Verstecken gemacht; sie ist so klein, leicht, rundlich, elastisch, biogsanu
Ihre beiden Füeschen könnte Jeder in die Tasche seines Ueberrockes stecken
und nie selbst, mit einer Hand um die Taille «pfefasst, wie eine Puppe auf-
heben. Es würde genügen, den Finger auf ihren Kopf zu drücken, um sie
wie ein Rohr zu knicken. Mit ihrer natürlichen Schönheit verbindet sie die
Kunst zu gehen und Blicke zu werfen, die einen unschuldigen Beobachtet,
verrückt macheu könnten." Aehnlich lautet das Urtheil von Obersteit
fiber die vielberühmten Reize der Andalusie rinnen: ,Die Verhältnisszahll
der schönen Frauen und Mädchen ist vielleicht in Sevilla nicht viel gtnstif
als in anderen, von der Natur nicht gerade stiefmütterlich bedachten Stftdten]
aber daas es hier einzelne so hervorragende Schönheiten giebt, wie sie ii
dieser Weise anderswo kaum zu finden sein dürften, unterliegt keioe
Zweifel. Insonderheit die Augen — und das gilt ziemlich allgemein — sind
hier von einer Gluth und einer Tiefe, doss sie durch diese Eigenschaft alleii
die Andalusierin verrathen. Ihren Teint wissen die Damen in ut»?rk«
würdiger Weise zu erhalten, trotzdem man ausser dem Fächer weder Hu|
noch Sonnenschirm als Schutzmittel gegen die brennende Sonne bei ihnei
sieht, ja es ist anzunehmen, dass diese blendende Weisse der Haut oft aal
RecSnung künstlicher Mittel zu setzen sei. ZSiilt man nun zu alleden
noch die so kleidbame Tracht der Mantilla, die grellfarbig»' BUmi«' lo
sehr üppigen dunkeln Haar, die auffallende Kleinheit derU'"'^" "•"' ^t
die lebendige Grazie des Gungcw und das ausdrucksvolle
fehlenden f^cher, so ist es kein Wurr^"' '" *■•■
Schönheit der Andal usierinnen gar
setzt dieser Autor in patrioti '
unsere deutscheu Mridcheii
BehOnhdt nnter
93
Die Portngieain imterHcheidet sich wesentlicb von der Spanierin.
i«t weniger mobil und lebensfreudig, weniger aufgeweckt und von Lust
Bseeli, ganz und gur im ötfentlichen Leben aufzugehen. Sie ist weniger
nlich, altt die Spanierin: sie verbleibt gern iiu Hause und sohaut, gelang-
»ili aus den Fenstern auf die StrasKi? hinab. Einen (legens^atz %u die^eui
rauenleben «elbi^t in den grßs&ten Provin/ialäLädien Lu^itaniens bildet die
schoinung (h:i Re»idpn7.bt'wohnerin, die .^itolr-e Schöne den .«tolzen Liäflabon.
ledenfalia sind die Frauen Lissiibons die schönsten des t.andes zwischen
liuho und Algarvc. Der Schinuner des Vergehens and Verblühens, der
streift, giebt ihnen einen Reiz, der viel Aebnlichkeit mit dem hat, den
Pd verblassendes Kunstwerk, ein durch die Jahrt»u.sende verwitterter Pracht-
imurk einflösst." {Sdurritja'- Lerchen feld.J
Die Merkmale der Schönheit sind auch in Griechenland nicht gleich-
verthcilL ,Der Anblick einer schönen Frau," sagt Ailolf liötticbtr,
%u Inneren Griechenlands efcwiiä so au.saerordentlich Seltenes, daas
jedesmal iibernischcnd wirkt. Die Frau wird sehr früh reif und ist oft
»o dreizehn bia \'ierzehn Jahren bereit» Mntter. Sie ndhrt ihr Kind bis in
fünfte und aechgte Jahr; daher oft mehrere gleichzeitig. Aber die Fi-uu
dabei schnell, und die harte Arbeit auf dem Felde und am Webstuhle
abt ihren Zügen etwas Herbes, ihre Formen werden grob und eckig, der
jg ächlejipend, was gegen die elastische, königliche Haltung der Männer
ich der niedrigwlen Klasse auttallend absticht. Wer die Frauen G riech en-
knda nur nach dem Aufenthalte in Athen beurtheilen wollte, wilnle s^ehr
gehen. Dort freilich, nm Sti-ande des Phaleron, lustwandelt um die
ilere Abeiid7.eit na<'h dem erfrischenden Wellenbad eine reiche Scbaar
lOner Fraucngestalten. Hört man hier die Nauien Penelojje, Helena, A»-
rufen, »o wird mau niciit enttüuscht. wenn man nach dem Antlitz.
Trftf^ennnen solcher Namen forscht. Gleichen nie mit dem dunkel um-
khtnt«>u. feinen Oval des Gesichts, der leicht gebogenen Niuse, den vollen
und grossen, glänzenden Augen auch nicht dem utti.schen ßildhuner-
tderklassJBchen Zeit, so dfirften sie sich doch italienischen Schönheiten
nu die Seite ntelleu und haben vor diesen den Vorzug der Haltung
die Wohlgeformtheit des Fuaoes voraus, eines Fussea, den — ich weis»
L'ebenit«tÄung — die Franxosen un pied bien cami»r^ nennen. Aber
^iwn Daineu gehören der einem behaglichen Nichtutliun lebenden Geld- und
»bart^anätokratie an, oder der hier nur splrlich vertretenen Klasse der
ilien auf dem Felde, ih(y nicht s&en, noch ernten, und die der Vater im
limrael doch kleidet und nährt, meist von den Inseln oder aus KleinaHion
lingewanderten Schönheiten, die in der Hauptstadt ihr Glück zu machon
it«!n nnd ein klägliches Knde in den Matrosenkntüpen am Peiraieu»
tu, auf denen in weithin sichtbaren Lettern die Inschrift ^Sifitoil-a
tfhrixUtes' pranfft."
Von d»'U Knmen der Neugriecben sagte schon ßar(tu)Mij: «Sie haben
ilich nchöne, aber früh welkende Busen und werden früh beleibt j
taltt Beiz« biett-t die Grazie und edle Bewegung des Halses in'bst der
Jtuflg. Die Frauen in Athen stehen seit alter Zeit hinter allen anderen
•"" t hinter den dortigen Albaneserinnen zurück.* — Von den
••«undesten Gegenden wohnenden Griechinnen äusaerte
"»"■n schöne Statur und Haltung; offene Physiognomie, sehr
>: U9 tragen den Kopf hoch, den Körper gerade und mehr
ri.i/ t. sie haben noble, dabei leichte Haltung und
I. im Allg'^nieinen »une t.aille noble et aiafee, «n
M
jiort miijesteux', »ehr schöne Züjfe voll Würde, aber ohne kalten Km«t,
vielmehr mit l(*bhaftem und geistvollem Aufdruck. Sonnini fand in Kreta,
wo freilich die Christen von ihren tiirkisirten Ltuidsleuteu unterdrückt werden,
die Weiber — wenn auch mit Ausnahmen — weniger schön, als andercwo
die Griechinnen; dagegen rühmte tSonnini im Allgemeinen die >SchOnbint
<ler Frauen im Archipelagus: auf Tino^ u. s. w., auch St. Saurrur nennt die
Frauen auf Leukadia nieisl schön.
Die Spurt line rinnen fand PotupieviUe blauängig, hager, doch ->chön
und edel gebaut, die Messenierinnen klein, mit regelmässigen tJesichts-
xvgeu, groHHen, blauen Augen, langem, schwarzum Haar. In Ohio« fand dt
Armicts ,, robuste" Frauen. CDiefenbach^J
Die albanesiachen Frauen verfügen selten über äunnere Vorcfige.
In den Gebirgsdiätricten «ind sie grobkuochig gebaut und die Gesichtrr
weisen harte, männliche Züge auf. In Süd- Albanien gelangt dergriechi>>chi>
Typus hin und wieder zum Durchbrach, doch sind auch hier die Frau*-!»
fast durchweg unschön. (Schii-eiger-Lrrdienfeld.)
Die Albaneaerinnen, sogenannte Olementiuerinnen . weldie in
«inen Theil Sirmiens (im kroatischen Crrenzlande) eingewandert «ind,
haben meist schön geschnittene Gesichtszüge und mandelförmig geschlitxte,
dunkle Augen, «ind «chlank und geschmeidig, ihr Gang ist »chön. CKram-
berger.)
Die Multeserinnen sind keine Italienerinnen und erinnern anili
nicht äehr stark an die Griechinnen-, isie haben etwas udel urabioche«
mit ihren ovalen Gesichtern, der nach unten zu herabgebogenen, acharfge-
achnitteuen Nase und ihren gluthvolltn, aber verschleierten .\ugen. Von
Gestalt sind sie gross und schlank, ihre (Jesichtsfarbe ist dunkel.
Die Rumäninnen aller Stände findet Fianzos hübsch, von flppi(j
ütolzeni, doch schlankem und »chmirgljareni Wüchse; Farbe braun; Aiigea
und Haar uclnvarz. Nach Kiiniti haben die Kumäninuen in 8erbi«i
weichere und rundere Formen, als die Serbinnen, schlanken, elaktixchen Bau
8chöne, unmutbige (te^^ta^lt und Bewegung; Augen feurig, ineiat dimkelj
Wimpern lang. Brauen dicht, Beine rund, Füsüe schmal und klein i Kopl
Gedieht, Nabe, Mund mahnen an antike Statuen.
Die Bulgarinnen bind nach Kanitz nicht selten ächön, haben tief4J
Farbe, frische» Aussehen, doch welken sie früh, (^uin sah schöne Bulga-
rinnen mit dunkeln Augen und Haaren.
£ine recht günstige Meinung erhalten wir von den Serbin neu darcl
die Mittheilung Fvatn iStJ^rcr'«, welcher schreibt: .J^OM in Serbien^
einem von Natur »o sehr bevorzugten Lande, auch «chöne Frauen zu g«»q
dcihen vermögen, wird wohl kaum Jemand bezweifeln. Besonders in
Städten Serbiens begegnet man oft i^ehr edlen Frauenge»talten; man «ieb^
darunter Gesichter vom feinntcn Schnitt und oft wahrhaft fll)«?rr.tiich«>ndj
Schönheit. Ein lebhafte» dunkles Auge nnd ein eben solches Hnar, ein «uf
fallend blasser und dabei doch etwaig südlich schimmernder Teint, nanfl an
gehaucht von dem annnithigen Roth der Wangen, geben solch eiii< m Cr-nicht^
etwas ungemein Vornehmes; denkt man sich noch dazu die ta'
solch einer Schönheit ringsumfloi<sen von dem nich an die edKi: .
Körpers in geschmeidigen Linien höchHt vortheilhaft anscbliesfeendva NaUanal
costQm, und mau hat ein prächtiges Bild."
Denjenigen Serbinnen, welch» an .tnnten
grenze wohnen, und wcl' ' ' '^ '
Banate wohnenden Sei
14. DJ? Vertheünng der weibl. BchOnbeit unter den Völkern. 95
tiajactich eine eingehende Betracbtiing. Sie haben einen stärkeren Kürper-
bau, ToUei^n Bueen, starke Hinterbacken und Wuden, eine entwickeltere
[uakulatur. sie isind auch etwas breitschultrijaper mit Ausnahme einiger (■»>
;n der Bacska und des Eikindaer Distriotü. Ferner haben sie einen
keren Haarwuchs, viel stärkere und dichtere Augenbrauen als die Be-
vjtfcerung dieser unabsehbaren Ebenen. Im Allgemeinen bat die Physio-
gnomie der Serbin eine .\ehnlichkeit mit dem griechischen Typus, indem
»ich die griechische Bevölkerung der Balkan-Halbinsel mit den Südslaven
liüchte. Rajacsich setzt hinzu: „Wenn auch die Serbin an der üreuKt-
von Croatien und Slavonien dunklere und geheimnissvollere Augen hat,
^ibr Blick der Liebe unzugänglich scheint, so liegt in dem sanfteren Äuge
ler verführerischen Banaterin eine bezaubernde Schönheit und eine grosse
*oej>ie, die eine magische Kratl auf jeden Mann ausüben uiuss. Obwohl
|ch längere Zeit unter dem schünen italienischen Volke lebte und so
Dches reizende und verführerische Auge sah, konnte ich mich nicht der
testen Gefühle erwehren, wenn ich den eleganten, «chlanken Wuchs der
eben, besonders aber jener im Tschaikisten- Bataillon, ihre schön
iten Nasen, ihren lieblichen, kleinen, wonnelä<helnden und Haussen
röiid und bezaubernde Schönheiten in so grosser Menge sah."
Die Weiber in Montenegro, obwohl in der ersten Jugendblüthe recht
inmulhig, erscheinen doch, wie ßernhurd Schicaiz versichert, sehr bnld schon
rtrrfallt-'u, bartkuochig, eckig und runzelig, sind auch im Allgeuicinen von viel
tleinerer Figur, als die Männer. Es hängt dies, wie Schwan sagt, zum nicht
{eringen Thcile mit dem ihnen beschiedenen Leben zusumuien. Die Fruu
rertritt hier das Lasttbier; miin sieht sie oft tief gebückt mit Lasten von
ineiu Centner und mehr einherwandeln, und während der Eückeu so l>e-
1a£t«t ist, handhaben die schwieligen Hände auch noch den Strickstrumjif.
Während bei den SUdslaven zumeist der Typus der äusseren Kr-
cheinung des Mannes schöner ist, als der des Weiber, bilden nur die
Kroaten eine Ausnahme; bei letzteren ist das Weib i>chOuer, als der
[in. Ein genauer Kenner dieser Volker sagt: „Steigert sich die äussere
Erscheinung des Weibes namentlich in Slavonien zur reizvollen Schönheit,
ist dob Fruuenguschlecht in der steinigen Cernagora (in den Felsen-
Gebirgen Montenegros) hager, reizlos, von düsterem Wesen, ohne Heiter-
keit, ein trauriger Ausdruck seines ganzen unglücklichen Daseins." fAtts-
ind 1888.)
Von den Türkinnen, insbesondere den Frauen der Osmanen,
reiche woniger als die in Konstantinopel meist eingeführten Frauen
lurch MiNchung entartet sind und auf dem Laude in der europäischen
uad vorderasiatischen Türkei wohnen, heisst es, dass sie im Allge-
jineinen unschön «>ind mit Ausnahme des Haares und der gewöhnlich dunklen,
e\\^u blauen Augen; sie haben gerade, ziemlich gi-osse Nase, Ubergrosseu
lund / DiiLutkalitt 18T7>. Nach anderer Angabe sind sie nie schön, vielmehr
iit Züge unregelmätsig ; der Kopf nicht edel-oval; gewöhnlich die Augeu-
kterue gross und dunkel mit bläulich-weisser Umrandung, die Lider schwer.
Sie Brauen und Wimpern voll und dicht; das Uaar schwarz oder braun,
'' Nuse und Mund meist gross, die FUsse selten schön; dagegen
tt* lieblich, dir Stirn inauohuial von freiem Umriss. De Amicit
*'iidt.il diu Türkinnen iu Koustantinopel , abgesehen von den be-
iden Abweiclüiiiv'i'u durch Blutmischung, durchschnittlich meist fett,
s'.hr weinB. aber gewöhnlich geschminkt; Augen
tnd «anfV; orale Uesicbtefurm . kleine Nrifte, ein
III. Die ästbetiseB^Tälf^mng dea Weibee.
wenig starke Lippen, randes Kiuu, der schöne Hai« lang und bewe^Hch;
Hände klein.
Was nun aber die Magyaren betrifft, welche viele xn den FiBB*li,|
Vaaiberif über zu den Turko-Tataren rechnen, so ist es bekannt, daM «ie
im Jahre 1882 eine Concurrenz und Preisbewerbung für die «chJinBten FnuMO
ihres Landes ausächrieben, und dass das Resultat itir die tuagyarisehe
Nation insofeni zieuilicb klJLgüch ausfiel, als sich an den Photugraphien der 1
Preisgekrönten für das geübte Auge des Ethnologen »ofort die Tbatauche
herausatelite, dass hier nicht von einem schönen magyarischen Typue, son-
dern lediglich von Repräsentantinnen der verschiedenen Nationülititten die
Rede sein kann, welche in merkwürdiger Mischung die Bevölkerung des
Königi'eichs Ungarn zasamtnenRetzen. Die magyarischen Müdchen und
Frauen nennt ein vielleicht allzu sehr schwärmender Mann „Erscheinungen
von pikantem Reize, Musterbilder von körperlicher und seelischer Gesundheit'
Die Polin zählt man gewöhnlich unter die europäischen SchÖnheita-
Ideale. Ein Mann, der in solchen Angelegenheiten wohl eine gewisse .Auto-
ritüt beaniiprucht und wenigstens möglichst zuverlSasigen Autoritäten folgt,
Sdureiffer-Lerchenfeid, vergleicht die Polinnen besonders su ihrem Vortheii
mit den Russinnen: „Ihre Erscheinung besitzt in der That ctwai« Blendendes,
namentlich durch den ruhigen, fast klassischen Schnitt der riosichtszfiga
Sie ist viel graziöser als die Russin, und ihre Eleganz verräth jedenfalls mehr
Geschmack, ak wir bei dieser wahrzunehmen in der L&g^ sind. Dabei
ist sie durchschnittlich vitd zarter gebaut, der Teint ist durchsichtiger und
feiner, das dunkle Auge verräth grosse Lebhaftigkeit, ohne jenen sinnlichen
(Schmelz zu besitzen, der beispielsweise an dell blauen Augensternen der
Nord-Russin haftet. Alles in Allem repräseutirt sich die polnische Dame
alj ein Bild von hervorragender Rassenschönheit, zu der »ich eine nat&r-
liehe Anmuth gesellt, die man sonst nur bei romanischen Frauen aoiu-
treffen pßegt."
Die Polinnen nannte Boijumil Goltz die „Spanierinnen des Nor^
dens": „sie haben dunkle, schön bewimperte, schmachtende, liebetrunkenc,
feucht verklärte Augen, welche tie in italienische, arabische und alle ande-
ren Augen umzuwandeln vermögen, und mit denen sie eben so leicht Y/tnVio
Bem'a Magdalenen porträtiren können, als rachescbnaabende Megftren, ala
Aspasien, Heloisen und Chlorindeu." Auch gehört nach Gnltt xu ihren
origin ollston und hinreissenden Schönheiten: ein weicher, schmiegsamer uod
biegsamer Wuch», von jener mittleren Grösse und Constitution, welche die
Eleganz dictirt; ein Wuchs, der durch keinen Schnürleib veratejft Und ver-
stärkt wird, vielmehr in der Bekleidung köstlicher Seiden-Roben eine Taille
von reizender Feinheit bildet, au welcher die leiseste Bewegung eine leben-
geschwellte und gruziöse werden musä. „Denkt man !<ich," »o fUhrt Oolts
fort, „zu diesen Liebes -Wiktlen einer polnischen ijva noch eine zierliche,
weisse, weiche, selbst bei Ilaus^frauen noch im spiUeren Alter durch Hund-
schuhe und durch Nichtsthun conservirte Hand, einen kleinen, srhrnulen.
hochgestfilltön Fuss. eine bervorspringcndo Hacke, so kann man - 'i-n,
wie die so schon Icbhiiftcn polnisThcn Mtlnncr sich 7n eirif*r 1; fit.
SQ einer Lcidfnsohivftlicbkeit i'i- ^nj
anderen t.nndc ids in Spnniei Im
h;'' ' (ji>H: hier nur die vom«'hmen. u
gcL ' Polinnen im Auiro: vi>n Ac\t
T^trvtcrinneo diecos Volk«« -i
14. Di«9 Vertheüung der weibl. Schönheit unt«r den Vßllcern.
r
^f ,J.ix Sachen raisiBcher FraaeD8cb0i)li(?it, so berichtet Schwtiger-
Lrr chenfcld, geben die Ansichten erheblich auseinander. Es kommt viel
darauf an, ob man dieselben an dem Typus einer GroHs-Rnssin oder an
dem einer Klein-RusBin, oder vollends an dem einer in das Raffinement
der Toilette und Selbstverschönerung eingeweihten Dame der vornehmen
ßesellschaft festhKlt. Die Klein-Russin. dem Temperament nach viel
^—lebhafter und feuriger als ihre nördliche Schwester, trägt auch äusserlicb
^HSie Merkmale einer mehr südlichen Rasse. Sie ist gross, schlank, bat dunkle
^Hiisdruckovolle Augen und schwarze Haare, welche kokett durch ein finger-
^^reites Band emporgebatten werden. Die Formen dea Körpers sind von so
^*Uristokrati8cher Feinheit und Zierlichkeit, daas man unwillkOrlich an das
polni sehe Blut erinnctt wird. ^Die Gross-Roastn ist, obwohl kleiner von
Gestalt, viel derbknochiger, als ihre sfldlicbe Stammverwandte, und ihre
KOrperformeu besitzen die ausgesprochene Neigung lu Qberm&ssigcr Abrun-
ung. Das Auge ist hell und besitzt einen freundlichen Ausdruck; eine sorg-
se Munterkeit ohne Schwärmerei spricht aus ihm, aber man vermisst auch
ie varme Entpfindung und vollends die schwüle Leidenschnft, die mitunter
ie Seele der Süd-Russin durchwühlt. Neben den blauen Augen gemahnt
,nch Doch das lichte, meist aschblonde Haar an die nördlichen Heimtiitze,
enen die Gross- Russin angehört. „Im Großen und Ganzen," so schlieast
'chictiger-Lrrchfnfeld, ,, macht auch «ie keinen unvortheilhaften Eindruck,
il! man von dem etwas breitknochigen, nicht sehr fein modellirten Ge-
chte absehen."
Im Gouvernement Kostroma, ziemlich im Norden des Zarenreichs,
an der Wolga, benachbart Nischnei^Nowgorod gelegen, ist der Mt-uschen-
tjpus echt ruBBisch, doch sind die Gesichtszüge hier weniger stumpf und bei
d«n Frauen oft orientalisch scharf und länglich: die gebogene Nase, der
ih«, fein geschnittene Mund, die dunklen, melancholischen Augen mit den
arkcn Brauen, die nicht hohe, glatte, breite Stirn und die brünette Haut-
rbe weisen auf den Orient hin.
,Was die Frauen anbelangt, so begegnet man namentlich in den zwei
tzt<>rwäbnten Fractioncn der Krim-Tat uren ( Gebirgs-Tataren und
jttorale Tataren) nicht selten vollkommenen Idealen der Frauenschönbeit,
die« auch in der europäischen Türkei der Fall itt, nur dass sie hier
,e dort in Folge des ^Ohen Heirathens und wegen der anstrengenden
rbcit. der sie unterworfen sind, recht früh altem und verwelkten Matronen
nlich sehen." fVamberifj
Von diesem tatarischen Volke wenden wir uns zu den Finnen
uropMB- Die Lappen- Frauen nannte W/<im« ^/fi.'/nwj» hübsch, ihre Geeicbte-
larbe aus Weiss und Roth gemischt; Ueymxrd lim 17. .Inhrh.) «agt: Ihr Haar
i m«i«t roih, wird selten grau im Alter. Die Woibcr der Esthen haben
eit lebendigere und schönere Gesicbtaxilge als ihre Mllnner; auch nach
mehr gelberes Haar, als diese, nie schwarze«.
Unter den Schwedinnen scheinen die Dal.-karlieriunen den Preis
er Schönheit am meisten bu verdienen. Iht ChaiUu, der vielgi^reiste Ameri-
auor. sagt von ihnen; „Auch unter den Frauen trifft man »ahlreicbe
. Erscheinungen, und viele der jungcu Mädchen besitieeii jene eigen-
: Onft schwedische Gesichtsfurbo. welche an Frische. Reinheit nnd
«Klitigkeit in keinem anderen Lande ihresgleichen findet, iu aller-
ter Volikommcnhfit. Einr in Milch schwimmende Apfelblnthf — die«
der viii/igo Vtr>.'lti( h, den ich für die »arte Kosentarbe »hrer WÄngtm xtt
ban vprina^. iJje :S.bwed innen allein dürfen sich rühmen, jvnen wunder^
IM«*a, Dm Walt», t. 3. Aati
96
TU. IKe Sstheüscbe AuiT&sBung des Weibee.
baren Kosenschitomer zn besitzen, der wie ein inatter Anhauch leise tind all-
Tn&hlicb in clac entzückende Weiss der Haut übergeht und ihnen einen so
eigenartig wirkenden Reiz verleiht. Vereinigen sich nun — wie bei den
Mädchen von Orsa, einer Pfarrei in Dalekarlien — mit so tadelloBem
Teint tiefblaue Augen, kirschrothe Lippen, HchSne, durch das Kaaen des
K&da (Fichtenhan;) blendendweiax erhaltene Zühne und blonde», seidenweiches
Haar, so stellt sich uns ein Bild weiblicher BchQnheit dar, wie man es in
ttolcher Vollendung unter keinem anderen Himmelsstriche antrifft."
Nicht überall in Schweden Hndet man no vorzügliche weibliche Reize.
Derselbe Reisende traf in dem 12 — 15 Meilen entfernt von Orsa liegenden
Elfdal keine einzige hübsche Fran-, die vorstehenden Backenknochen, wie
die platte aufgestülpte Nase lassen hier die halblappische Abstammung er-
kennen, wie denn auch hier die meisten Frauen kurzen gedrungenen Körper-
bau zeigen.
Dagegen üussert der gleiche Autor über die Mädchen und Weiber der
Provinz Piekinge: „Was der Ruf von der Schönheit der Frauen sagt, fand
ich im vollsten Maiisse bestätigt; meine Ankunft erfolgte zur Zeit der flea-
emte, und in emsiger Geschäftigkeit sah ich die herrlichen Gestalten sich
aof den Wiesen umherbewegen; das Wetter war wai-m, und so tragen die
meisten ausser dem Hemde, welches eine Schürze um die Taille festhielt,
keine weitere Bekleidang; den Kopf hatten sie malerisch mit einem rothea
Tuche umwunden, und obgleich das Gesicht vollkommen unbeschützt den
glühenden SonnenstrahI«?n ausgesetzt war, so zeigten doch die meisten Frauen
und Mädchen jene blendende Weisse und Zartheit der Gesichtsfarbe, wie
sie eben nur schwedischen Schönen eigen zu sein pflegt."
Die typische Frauenschöne ist nach J{/tnke^ in Oberbayern leicht ge-
bräunt mit dunklem, manchmal schwarzem Haar und das braune Auge
leuchtet von LebeuHkraft und Lebensmuth, welche sich ebenso in jeder Be-
wegung de» schlanken, aber tuuekel kräftigen Körpers aussprechen. Auch
lichte blaue Augen kennen hier einen mädcheuhaft-schmachlendon At
druck nicht.
Asiatinnen.
Jene nordischen, der mongolischen Ra«ae angehörenden Völker, di«
Ostjaken, Samojeden, Korjaken und Karatschadalen, die zumeist
in Sibirien wohnen und oft als „Turanier" bezeichnet werden, gehören
rii einer, mich unseren Begriffen höchst unschönen Völkergruppe, und int-
besondere gelten bei den meisten Reisenden ihre Weiber fast durchgängig
für hfiaslich. Man schrieb von diesen Frauen: „Aller weiblichen .\nmutb be-
raubt, unt.er8cheiden sie sich von den Männern bloss durch die Verschieden-
heit der GoBchleohtstheile; sie sind denselben so sehr ähnlich, dass man beide
Geschlechter auf den ersten Blick nicht leicht unterscheiden kann, ihre
Haut hat gemeiniglich eine Olivenfarbe; sie, sind von Statur zumeist klein."
Und doch durfte man eine junge Samojedin, welche sich im Jahre 1882
in Leipzig und anderen Städten dem Publikum zeigte, nichtecen als „hiUv
lieh", wenn auch nicht als schön bezeichnen.
Die Männer der Txchuktschen haben, wie *\ NordfuJikiiHd fs^n<\, «ine
braune Haut, während die Haut bei den jungen TBchnkt*^' h en -Weiberu
nahezu ebenso weiss und roth, wie bei don Eurn|irtern ist. Die jün|
Weiber machen, wie derselbe Reisende ■»»•jt, oft den Eindruck du-
muthigen, vorausgesetzt, dass mau es ' :)es widfldio
drucks zu erwehren, den der Schmutz u i
14. Die VerthelloD^ae^feu
Die Weiber der Bot.jaken lanJeD Gmelin und l'alias klein, nicht httbsch;
auch die Mordwinen haben nach Palhts nur selten schOne Frauen. Das
Gesiebt der Kalmückinnen sieht nicht unangenehm aaa. Dass et
auch anter ihnen sogar ächönbeiten in ihrer Art giebt, bezeugt Kalltnann,
welcher unter einer in Bai^el vorgezeigten Kalmücken-Horde die
Frau ÄMica, Mutter von drei Kindern, als solche bezeichnet, indem er
von ihr sogt: „Hijher gt^wachsen als alle anderen, schlank und doch kräftig,
Hilnde klein, feine Knochen; die Nase ist fein, leicht gekrümmt, der Kflckea
beschreibt eine schön geschwungene Linie, ächon dadurch verliert das breite
Gesicht »eine platte Oede: Augenspalte weit offen, die Plica marginalia »ehr
schwach, so dass der innere Augenwinkel frei ist. Augenwimpern lang,
Lider dünn im Gegensatz zu ihren Genossinnen und den Samo jedenfrauen.
Die Gesichtsbildung erinnert au die mancher Männer und Frauen aus
Sädungarn."
Ueber die Takuten, die sich selbst Socha oder Zacha nennen und
ein in Nordsibirien isolirt wohnendes türkischex Volk sind, berichtet
Ermann: .^bre oft schön gebauten Frauen haben regelmässige Zage, feurige
schwarze Aagen, lebhaftes und fröhliches Wesen, sie welken aber früh."
„Was die Physiognomie der Frauen von den westlichen der sibiri-
acben Türken [Tataren] anbelangt, ao zeichnet Rieh dieselbe durch
Regelmilssigkeit, mitunter durch .\nmuth aus; ihre Gesichtsfarbe ist be>
deutend weisser als die ihrer Milnner, nie haben ganz dunkle und lange Haare, ihre
Körperforuien sind gerundet und weich, die Endtheile ziemlich proportionirt;
die .Schultern sind bisweilen rückwärts geworfen, der Bauch hingegen nach
vorwärts gestreckt. Sehr beeinträchtigend wirkt auf die äussere Er«cheinung
der Tataren das bisweilen allzu starke Hervortreten der Backenknochen und
das häufige Auftreten der Augensuhmerzen, denen sie infolge des Wohnena
in raucherfOlltCQ Räumlichkeiten ausgesetzt sind. Diä Frauen, namentlich
wenn sie das dreissigste Jahr über.«chritten haben, zeichnen sich durch
grössere Wohlbeleibtheit auj^, als die Männer," ( Vambenj.)
Die Turkmenen -Frauen beschreibt Burnts als blond und oft hübsch.
Fraaer sagt von den Frauen derGöklen, die weniger tartarisch aussehen,
als «lieTekke's: „Neben meist gelben, blLsslichen und ubgemagerleu Frauen
sah ich sehr schöne jüngere mit nussbraunem und röthlichem Teint, ange-
nehmen, regelmässigen, gescheidten Gesichtern, durchdringenden schwarzen
Augen".
Während die Männer in .Afghanistan als schön gelobt werden, läset
sich dies von den afghanischen Frauen keineswegs behaupten.
In Jarkand sind die Frauen meiät hübsch und haben frische, ange-
nehme Physiognomien; ihre Füsse sind klein und wohlgestaltet.
Die persische Frau, sagt Poiak, ist von mittlerer Statur, weder mager
noch fett. .Sie hat grosse, offene, mandelförmig geschlitzte, von Wollust
trunkene Augen und feingewölbte, über der Nase zusam menge wacbsene
Brauen; ein rundes Gesicht wird bochgepriesen und von den Dichtern als
Mondgesicht bedungen. Ihre Extremitäten «ind besonders schön geformt;
Bruvt und Hüften sund breit, die Hautfarbe etwas brünett; die Haare sind
dunkelka^tanienbrnun. der Uaarboden sehr üppig. Man trachtet allerdings
durch künstlich« Mittel (Schminken, Schwärzen der Brauen u. a. w.) die
Körpenichönheit zu erhöhen. In Haltung und Bewegung ist die Perserin
graziös, ihr Gang int leicht, frei und flüchtig.
Den armeuiftchen Frauen schreibt Crousse zu: „une beautü puissante,
«panouie, vigour^use, comme cellis des races fortes", De Amicis sagt: Schönheit
7*
ITI. Die S«tBOTi«en^TnffM«nng de« Weibe«/
uad Reichthum der Formen. Beleibtheit, weisse Farbe, „orientalisches" Adler -
profil. grosse Augen mit langen Wimpern, das Gesicht ohne den geistigen
Schimmer lies griechischen Frauengesichta. Schindler eagt: Die Frauen der
wohlhabenden, unterrichteten und krie^smuthigen Armenier in Feridan
haben sehr rothe Gesichter. Karsten fand bei ihnen h&nfig schöne Gestalten
und regelraä^fsig ovale Gesichter, schwarze blitzeude Augen, reiches schi^rxes
Uaar. Ein anderer Autor giebt ihnen Schönheit, edle Züge, schlanken
Wuchs, ebenmässige Glieder, zarten Teint, reiches Haar.
Man hat oft gewisse Gegenden de» Kaukasus, insbesondere Cir-
cassien, Georgien und Mingrelien ab da» Eldorado der weiblichen
Schönheit gepriesen, namentlich in froherer Zeit : «ie lieferten die trefflichste
Harenis-Waare uach Konstantinopel. Man sagte, dass diese Weiber mit
den regelmüssigsten Zügen und dem reinsten Blute die auagebildetsten
Formen verbinden. Nach Ausspruch den französischen Reisenden Chardm,
der im vorigen Jahrhundert jene Ländor besuchte, sind die Georgierinnen
gross, wohlgebaut und ihr Wuchs ist ungemein frei und leicht. Die Cir-
Cassierinnen sollen nach ihm eben so schön sein; ihre Stime hoch; ein
Faden von der feinsten Schwfirze zeichnet anrauthig ihre Augenbrauen ; die
Augen sind gros», liebreizend, voller Feuer; die Nase schön geformt; der
Mund lachend and rein; die Lippen rosenroth. und das Kinn so, wie e« sein
muss, um das Eirund des vollkoniiupn3t<<n Gesichtes zu begrenzen. Dasn
konuut die schönste, frischeste Haut, welche die ScIavenhSodler zu Kaffa
ungescheut Proben bestehen Hessen, um zu zeigen . dass der Käufer nicht
etwa durch aufgelegtes Colorit getauscht werde. — Auch nagt Chardin zwar
nicht von allen, doch von vielen Mingrelierinnen: ,,Es giebt in Mingrelien
wunderschöne Weiber, von majestätischem Ansehen und herrlichem Antltts
und Wuchs. Dabei haben sie einen Blick, der alle, die sie sehen, um-
strickt." — Nach Pallas u. A. sind auch die Frauen der Tscherkessen
schön, doch unter ihrem Rufe, wenn auch meist gut gebildet, weiss von
Haut, mit regelmässigen ZBgen, kurzen Schenkeln.
Manche Tscherk essinnen haben eine anfgestOlpte Nase and rotbe
Haare, auch nicht immer 80 regelmUssigeZQge, wie die Mingrelierinnen. Um
eine schlanke Taille hervorzubringen und zu erhalten und das Fett- und
Wohlbeleibtwerden, das doch sonst im Orient vielfach als Schönheit
gilt, zu verhindern, beköstigen die tscherkessischen Mütter die Mäd-
chen fast nur mit Milch und sie legen ihnen im fBnften oder sechsten Jahre
eine starke Schnürbrust an.
Bodensledt sagt von den Tscherkessinnen: „Crnt«r den erwachsenen
Mädchen fand ich nur vier, die wirklich Schönheiten in unserem Sinne das
Wortes waren. Die übrigen zeichneten sich mehr durch schlanken Wuchs
und durch die Kleinheit ihrer Ohren. Hände und Füsse aus. Schwarzes Uaor
und dunkle Augen kommen bei ihnen nicht häufiger vor als bei uns, von
den Anwesenden hatten die mei'^ten blondes oder helles Haar und blaue
oder hellbraune Augen."
Die Hindu -Frau ist nach Pnul Mnntegazza^ schien und hat eine sftrt-
liche. leideuBc-haftliche Natur. Sie bat fast immer einige Schönheiten, naobt-
acbwance Augen, glühend wif die tropische Zone, gross, von hmgeu Wimpern
umschlossen und von dicht'-n AiiL'«»n1.r.i!i.>ii rihi-r«ili!\tt. t s, l,..)i.>ru,
Arme und Busen sind einer gi ; tie
vom Druck tyrannischer •"^^"•»v .,»„
Ruhen visrschöncrt »ii' •«.
14. Die Vertheilung der wdW. Schönheit unter den Völkern.
die xa »duslchtigen (jliedin»ac»en und die durch den taglichen Gebrauch von
piiD-Supiuri geachwSinsten iC&bne.
Die freie Verguttung, wie sie namentlich in Indien unter der
ay er- Rasse herrscht, acheint nach den £ri'olgen der seit Jahrhunderten
Wirkenden Zuchtwahl auf die Raase nicht ungüii^^tig xu wirken. Die JSIänner
Mind, wie Jmjor^ hervorhebt, grase, schön, von kriegeriachem Auaeehen, leicht-
»jViig und muthig. In ihrem Wetteifer um die Gunst der Frauen verwenden
sie grosse Sorgfalt auf ihr Aeusserea. Die Frauen werden als ungeuieiu
ftierlich, zart, reinlich, elegant, uninuthig und verführerisch geschildert und
ollen trotz des helNfien Klimas von auifallend weisser Hautfarbe sein. Jitgor
etat dabei darauf hin, daes auch in Sparta die dort bestehende Zucht-
ahl, welche die HrhöDtit«u Faare zutiatouienführte, einen Menschenachlag
iriielte, der an männlicher Kraft und Tapferkeit wie an weiblicher SchOn-
eit alle anderen Ghecheustämnje übertraf.
Unter den Weibern der Igorroteu auf den Philippinen giebt eb,
iWi8 Höh« Meyer fand, einige von so feinen ücBichtazQgen und ao weisser
Haut, wie jedwede hübsche Europäerin.
Unter den Malaiinnen fand Fitmch hübsch gebaut« Getitalten mit
ut. geformter BüBte.
Die uiulayii^chen Frauen auf der Halbinsel Malakka und einem
heile von Sumatra «ind mehr derb, al» zieilichi gebaut-, ihre olivenfarbige,
d mehr als kupfer-brüunlich bezeichnet« Haut lässt ein Erröthen der
eo kaum bemerken; noch mehr als bei den Männern ^ind bei ihnen
e, Gaumen und Mundschleimhaut »turk violett gefärbt.
Die reinen Malayinnen ttuf Java »ind nicht selten von tadellosem
ochs«, aber »ehr selten von einigermaassen hübscheu Uesichtnzüg&n. Da-
gegen sind daselbfit die Halfcasts, die „Nonna-Nounas", fast durchweg
^«affallend hübsch; sie haben nicht, wie die Malayinnen zumeist, die allzu
«uk aufgestülpte Nase, die allzu grosse Breite des lB^■helndeu Mundes und
as Uerau«fordernde der zu schuiul geschlitzten Augen.
Die Bewohner der Aru-luseln sind nicht von reiner Rassejsie haben
icht mehr Aehnlichkeit mit dem Papua, als mit dem Malayen; aush
acbeti Nie einen europäLichen Eindruck, vielleicht — wie Wallace meint —
durch Vermischung mit Portugiesen. „Hier wie unter den meisten Wilden,
I unter denen ich gelebt habe, war ich entzückt über die Schönheit der
menschlichen Formen I '■ »o ruft dieser gute Beobachter aus in Betrachtung
der Grazie des nackten Arunesen; seine Wort« beziehen sich nur auf die
milnnliche Schönheit; denn er »etzt hiuzu: „Die Frauen aber, ausgenommen
in fitihest«'r Jugend, sind keineswegs so uniunthig, wie die Mäjiner. Ihre
•charf ruarkirten Züge sind ^ichr unweiblich und harte Arbeit. Entbelirungen
Und sehr frühe Ueirath zerstören da?, was sie an Schönheit und kräftigerem
aussehen für eine kurze Zeit vielleicht besessen haben."
Die tibetanischen Frauen sind klein, schmutzig und gewöhnlich
unaL'fa{>n. zuweilen begegnet man jedoch auch erträglichen GeHicht^rn; die
Hautfarb« ist heller als bei den M&nnern , und die Zähne stehen regel-
uill«Nig<M. (PrzeieaUkij
Die Japanerin macht in ihrer äusseren Erscheinung entschieden einen
Ktiiistigcren Eindruck als die stammverwandte Chinesin. Namentlich ist
die Japanerin der bes^erea Stände sehr ansprechend; die Anmuth scheint
ihr aiigcborpH zu «ein; ihr otFcnr!» kindliches Gesicht ist ein Spiegel ihres
r «tehenden .\ugen sind glänzend schwort
; mischen Ausdruck. Die Zahn« »ind tadellos
102
tu. Die Satbetiflche Auffasming des Weibes.
weiss, duroh Zwibcbenräume getrennt und ein wenig vorstellend: daa Ha&r
ist zumeist reich. Dieses Alles bezieht sich insbesondere auf das Mädchen;
die Frau färbt sich nach landesQblicher Art die Zähne schwarz und reitst
sich die Augenbrauen aus; allein auch an den Frauen wird vor allem ihr
ausserordentlich freundliches und seelentroUeü Auge gerUhmt.
Die Frauen der Chinesen sind klein und zierlich-, so benennen sie
fast alle Beobachter, z. B. die Anthropologen der ,,Not'ara"-'Rei»t. Doch
sagen andere Berichterstatter: Ihr Wuchs ist von mittlerer Grösse und fein,
ihre Nase kurz, ihre Augen schwarz und feurig, ihr Mond klein, ihre
Lippen glänzend roth, ihre Brust stark, ihre Hautfarbe weiss. Wieder An-
dere urtheilen: „Die Chinesinnen füllen keineswegs das Schönheitsalbam
der Erde. Sie nind klein und unansehnlich von Gestalt; das Gesicht, bei
strenger Clausur meist mit einer krankhaften BiEsse bedeckt, hat gewöhnlich
einen Stich io'a Gelbe und ist in seiner Begrenzung nahezu kreisrund; das
charakteristische Merkmal der mongolischen Rasse, die schiefgeachlitzten
Augen, sollen zwar manchem Gesicht einen pikanten Anstrich verleihen, doch
wird man gut thun, anzunehmen, dass gerade die Schlitzäugigkeit den Ge-
aichtsauädruck erheblich eatstollt. Dabei kommen noch die vorsieheoden
Backenknochen, die kurze, platte Nase, die fleischigen Lippen und dM
schlichte, grobe Haar in 6*^tracht."
Ocea
nierinnen.
Von den PolynesJerinnen, deren Männer nicht selten stattliche Ge-
stalten von klassischer Schönheit zeigen, sagt Finsch: „Die Fraiieu sind im
Ganzen kleiner, aber in der Jugend ebentallx «ehr hübHche Erscheinungen,
mit wohlgeformter Büste, die leicht zur Fülle hinneigt. Alte Weiber sind hJUs-
lioh bis abschreckend hässUch."
Während manche Beobachter den Typus der Eanakinnen auf Hawai
als hübsch bezeichnen, und die Formen im jugendlichen Alter bi« sum
30. Jahre wohlgestaltet fanden, stimmen alle Berichterstatter darin äberetn,
dass sie schnell altem. Die Häuptlingsfrauen zeichnen sich, wie ihre Männer,
durch athletischen Bau, aowie durch Fettleibigkeit aus, was indess nach
den landläufigen Begriffen von Schönheit den physischen Reiz nur erhöht.
(Bechiinger.)
Auf Tahiti giebt ea einen Adel, dessen M&nner meist an 6 Fuss und
darüber gross, und die Weiber nicht viel kleiner sind. Auch bemerkt man
bei den Weibern Neigung zur Körperfülle, doch fand man hier nicht die
ungeheuren Fleischmasaen wie zu Hawai. Da die Tahitierinnen reicb-
liehe Kleider tragen, auch viel im Schatten leben, <«o sind sie oft von so
heller Farbe, da&s sie rothe Backen haben, und ein ErrSthen sichtbar wird.
Forster ist entzückt von ihren grossen heiteren Strahlenaugen und ihrem
unbeschreiblich holden Lächeln; allein er selbst sagt, dass die Weiber keine
regelmässigen Schönheiten wären, dass ihr Hauptreiz vielmehr in ihrer Freund-
lichkeit bestehe.
Die Weiber der Markesas -Inseln sind nach Porirr weniger schön,
als die Männer; bei souHt schönen Gliedern haben sie häusliche FQsse und
einen hilsslichen schwankenden Gang; nach Krusenstem i*t ihr Wuchs klein,
ihr Unterleib dick, allein das Geuicht ächön, rundlich, mit grossen funkelnden
Augen, schönen Zähnen und blühender Farbe. Daher hält e» Gerland fttr
eine übertriebene, oder nur für einzelne Bezirke gültige Behauptung, wenn |
Jac^nnot die Markesanerinnen für h&sslioher als alle übrigen Poly&e-
sitsrinnen erklärt. Schon dem Mendana fiel ihre Schönheit auf: tr rühmt i
14. Die Ver
TS weibL Schönheit oni»
I
I
I
ihre Arme und Häude. ihren Wuchii und sagt, sie seien schOner, ah ditr
schönsten Weiber in Lima.
Von den Melanesiern anf der Insel Tanna (Hebriden) heiast e»,
das« ihre Weilver klein und später tnuist h&gslich sind (Forster). Auf
Vate, einer anderen hebridischen Insel, sind die Weiber schlank und
zierlich CErakintJ; auf MallikoUo sind sie dagegen bässlich und schlecht
gewjkchsen, was bei der uiasaenhaiten Arbeit, welche auf ihnen liegt, nicht
verwundern kann; sie werden durch ihre sehr langen, schlatichartigen, hängen-
den BrQste sehr entstellt.
Auch auf Aoba waren die Weiber besonders bässlich; auf Vanikoro
aber ganz besonderü hässlich, sobald sie der ersten Jugend, in der sie bis-
weilen bObsch sind, entwachsen sind.
Die Weiber auf To mb ara sind minder hübsch, als die Männer fHunterJ.
auch auf Neuguinea sind die Weiber wegen des auf ihnen lastenden Druckes
meist häealich.
Von den Papuas, die uns im Allgemeinen als wenig anziehende Er*
•cheinungen geschildert werden, heisat es, dasa es unter ihnen sehr hübsche
Gesichter, besonders bei den jungen Männern und Knaben , manchmal auch
bei jüngeren Frauen giebt, doch üind auch nach unserem Geschmacke sehr
hässliche Gesiebter an der Tagesordnung. Die Weiber der SüJwestkQste der
Insel Doreb sind nach r. Eoatnbertj kleiner als die Männer, welche im
Allgemeinen eine mittlere Stator haben. Unverhältnissmässig dünne, magere
Beine bei sonst wohlproportionirtem Körper sind beim Papua nichts Seltenes,
zumal bei Frauen. Ein Papuumädcheu von 16 — 16 Jahren, welches von
tan Hasidt der Berliner anthropologischen Gesellschaft vorgestellt wurde,
besass eine ebenso zierliche Hand, wie einen zierlichen Fuse.
Die Weiber der Papuanen (Melanesier), sagt Jung, sind in der
«rtten Jugend nicht unschön, sehr bald von einer abstosseuden H&sslichkeit.
welche durch einen grossen Mangel an ReinUchkeit und die daraus, wie au^
schlechter Nahrung resultirenden Hautkrankheiten noch erhöht wird.
Die Frauen der Eingeborenen von Neuguinea .sind nach Metsger
feiner gebaut, als die Männer, haben ebenso tiefschwarzes Kraushaar, platte
Nase und breiten Mund, wie diese; dabei aber schmale Schultern und kleine,
hängende Brüste mit grossen Warzen.
Den Papuas Neuguineas älinlich sind die Melanesier des Admi-
ralitätsarohipels; die Männer sind hier wohlgewaohsen und kräftig, die
Frauen aber stehen, wie die Gelehrten des ChaUenger fanden, weit hinter
ihnen zurück; sie »eben wahrhaft abstossend aus, ini^besondere durch den
steten Gebrauch der Beteluuss; die alten Weiber sind nskch MikluchorMaclay
meist sehr mager und gleichen mit ihrem rasirten Kopfe, dessen stark aus-
geprägten Uautfalten, ihrem zusammengeflchrumpften Busen and hageren
Beinen fast ganz alten Männern.
Den Weibern der Maori auf Neuseeland fehlt die weibliche Qraiie,
sie hüben in allen ihren Bewegungen etwas Urwüchsiges, doch auch etwa«
ückiges. Man sieht unter ihnen, wie Buchner schreibt, suweilen schöne,
wohlgebildete Gestalten, aber natorgemftss giebt sich bei diesen die Verkom-
menheit noch vie\ deutlicher kund, als bei den Männern. Nach ZöUer, dem
CorrespODdenten der Kölner Zeitung, besitzen die Frauen weit grössere Fasse
als ihre Männer und geradezu fürchterliche Extremitäten. Nach Fin»eh sind sie
kleiner,uud im Ganzen weniger schön, ab die Männer; wirkliche Schönheiten in
unserem Sinne fand er nicht unter ihnen, dagegen solche unter Mischlingen. Diese
104
III. Die äsiheibche Auffaseong des Weibes.'
Melanesierinnen verblühen mei«t rasch und werden dann meist ha
für unseren Qeschmack.
Die Frauen der Gilbert-Insulaner (Mikronesier) sind kleiner, al«
ihre Mö.nner, die von mittlerer Grösse sind; sie erfreuen sich angenehmer
Gesichlsbildung und zarten Gliederbaues. Meinicke sagt; iJ))e Franen
schön und zart, haben langet: schwarzes und lockiges Haar, regelmässige,
von Geist und Frohsinn zeugende Geeichtsstflge mit gut entwickelter Stirn,
lebhaften -dunklen Augen, etwas vorspringenden Backenknochen und breiter
Nase, weissen, durch das Kauen der Pandanus - Frucht oft verdorbenen
zahnen.-'
Bei den Samoanern sind ilie Frauen weniger schön, als die Männer,
welche im Allgemeinen, wie fast alle Polynesier, als schöne Rasse gelten;
die Figur der Samoan erinnen ist zu sehr untersetzt; angenehm aber be-
r(ihrt ein Ausdruck von Schamhaftigkeit, der auf anderen Inseln so viel seltener
zu finden ist. (Jung.)
Von diesen Samoaner- Frauen sagte ZöUer: „Die schönste Samoa-
nerin würde doch immer nur mit einem dentüchen Bauermädchen ver-
glichen werden können. Um feinere Züge darsustellen, dazu sind die Nauen
zu breit, stehen die Backenknochen zu sehr hervor. Schöne Frauen würde
man nur schwer, hübsche sehr leicht herausfinden können, so lange sie noch
jung sind.''
Auf der Osterinsel zeigen alle Frauen, deren (iesichter man früher
iils viel runder und voller schildert«, als sie jetzt sind, schlaffe, verlebte Züge,
was sogar bei ganz jungen Mädchen beobachtet werden kann. Während in
der ganzen SOdsee Frauen und Mädchen voll und wohlgestaltet erscheinen»
verwelken sie hier bei ihrem ausschweifenden Leben und besonders in Folge
der Polyandrie sehr früh und schnell. Die Frauen Kind hier kleiner, ala auf
anderen Süd geeinsein; auch sind Frauen und Mädchen etwas heller von
Hantfarbe, als die Männer; sie erinnern in dieser Beziehung an die java-
nischen; ihre Haut fühlt sich mehr rauh, als weich an. .
Die Weiher der australischen Eingeborenen sind meist in der Mittel-
grCsse der weissen Frauen, selten sehr gross, in welchem Falle sie für Aus-
gezeichnet schön gehalten werden. In der früheren Jugend sind sie nicht
unlicblich; die Blüthezeit fällt in die Periode vom 10.— 14. Jahre. Mücke,
der sich lange in Südaustralien aufhielt, rühmt von tfinem im 15. Jahre
stehenden Mädchen die prächtige Rundung der im „edelsten Ebeumaasse"
gehaltenen Körperformen. Ihre llaut glänzte sammetweich, und die rotben,
etwas vollen Lippen Hessen „eine Perlenreihe der wohlgeformteeten, elfenbdn*
weissen Zähne" sichtbar werden.
Die australischen eingeborenen Weiber der Umgegend von .\d«1 aide
Bind mager, mit hängenden Brüsten (Kieler); und während die Männer eine
getmae Anmuth and Sicherheit haben, fehlt diese den Weibern, deren .\rme
und Beine von ganz besonderer Dünne sind (WVhdmi). Auch sind in der grossen
australischen Bucht die Weiber klein, mager und verkommen ^.6/'oicnr>.
Als im Jahre 1884 in Berlin eine Gruppe australischer Einge-
borener gezeigt wurde, hatte Virchow Gelegenheit hervorzuheben , wie sehr
er überrascht worden sei durch die ungezwungene, natürliche und häufig
geradezu schöne Form, iA welcher von diesen Naturmenschen die Körperbe-
wegungen aufgeführt werden; er sagt: „Die Frauen haben eine si> grazi&se
Art, den Kopf zu tragen. Kampf und Glieder zu stellen und zu bewegen,
als ob sie durch die Schule d«»r besten europäischen Gesellschaft gegangen
wären."
[4. IH« V«rtlieUau({ der wdbl. Schönheit unter den Völkern.
105
lAock
lat
Amerikauerinnen.
Die Yankees haben sich im Verlaufe der Zeit zu einer Bpecifischen
herausgebildet, und auch ihre Frauen haben viel Specifisches achon in
ihrem Aeuaseren. Ein ungalanter Yankee aaf^e einmal über seine Lands-
. männiimen : „Sie haben keine Knochen, keine Muskeln, keinen Saft — sie
nur Nerven. Und wie sollte mau es anders erwarten? Statt de»
les essen sie Kreide, statt de^ Weines trinken sie Eiawasser; sie tragen
i Cor«ett8 and dOnne Schuhe." c. Schweüjer- Lerchen feld citirt das ürtheil
learopäischer Beobachter. dasR die Mädchen in den Staaten der Union
[(and zwar die der nördlichen und östlichen) bei all' ihren körperlichen Vorzügen,
interessanten Bl&ägc, ihrer gewinnenden Schönheit und bestrickenden
imuth, gleichwohl einen entschiedenen Maugel an Lebenskraft bekunden.
macht c. Schiceüjer-Lerchttifeld auf den unterschied europäischer
Lbetammangaufmerluam: In den nördlichen Gebieten, wo sich das flämis ch e
geltend macht, ist die leibliche Schönheit der Frauen ganz anderer
L; die Haut ist zarter, dasAoge blauer und feuriger, als beim englischen
rpus; die New-Yorker Schöne hat mehr Farbe, die Bostoner Schöne
Feuer und Zartheit. Nur unter den höheren Ständen Amerika'» hat
lieh das otsprüngliche englische Schönheitsideal ungescbmälert zo erhalten
iwusst.
Ueber die Schönheit der mexikanischen Frauen sind die Urlbeile
Verschieden, doch wird allgemein zugestanden, dasa die Städterinnen, nament-
Jich die von rein spanischer Abkunft, immerhin zu den würdigen Repräsen-
^tanten weiblicher Schönheit zu zählen sind. Ibre Augen sind gross und
schwarz, ihr Haar Qppig und glänzend, die Zähne blendend weiss. Klein
Ton (ieet< bietet die Städterin durch eine gewisse angeborene Anmuth, die
dem südlichen Blute i'igentbömlich ist, einen vortheilhaftcn Eindruck. Dagegen
besitzen die m ex ikani sehen Landfraucn entjächieden weniger physische Vor-
xflge als die Städterinnen rein spanischen Blutes Zwar. sind auch hier Vor-
tüget wie glänzende, feurige Augen, blendende Zähne, reichliches Haar und
dergleichen nicht .nelten, dafäraber sind andere Geatchtstheile nichts weniger aU
schön, die Nase ist hässUch geformt, der Mund gross, die Backenknochen
vorstehend.
Welche npecifische Eigenschaften man den Creolinnen in Mittel-
hand Sfldamerika, diesen Abkömmlingen der Spanier, nachrühmt, ist ge-
ifigend bekannt: Ein rei.endes Gesicht mit blassem Teint, feingeschnittenen,
^funkelnden, langbewimperten Augen u. s. w.
Aus Quito, der Hauptstadt der Republik Ecuador, schreibt man:
I,J)ie Frauen wären im .Ulgemeinen hübsch zu nennen, doch sind auffallende
Schönheiten fast oben so selten, wie ausgesprochen hässliche Gesichter."
Ein um so weniger anziehendes Aeussorea besitzen für den geläuterten
Geschmack des Europäers die Frauen des arktischen Nordens in Amcri ka.
^ein es giebt doch recht autfalleude unterschiede namentlich zwischen den
ÜsUichen and wesüicheu B»'wohnem Grönlands. Die Vollblutweiber von
der Westküste sind meist ziemlich häHslieb. haben vor^ftehende Bäuche, wat-
schelnden Gang und sind in der Regel klein von Gestalt. Die Frauen der
OctkQst« hingegen sind zumeist gross und schlank und weit schöner als ihre
^Liuidom&nninoen im Westen. (Finn.J Charakteristisch für alle sind die
leinen Hände und Füsse.
(Jiinfl festlich gekleidete grönländische Schöne mit ihrer braunen,
(resichtsfarbe und ihn:>n glatten vollen Wangen sieht in dem aus
III, Die iLstheäs
fSSeo^^des Weibot.
ausffuw&hlten Sc^ebundslellen gefertigten, dicht anritzenden A^nzuge und den
klvinen. elt*gant«n. mit hohen Stulpen versehenen Stiefeln und den bunten
Perlfubänderu nui Halfl und Haar nicht Übel aae. Ihr Aeusserea gewinnt
noch durch eine «tetige Heiterkeit und ein Benehmen, in dem sich eine
grfiaHere Portion Koketterie geltend macht, als man bei einer Schönheit der
mit Unrecht verHchrieeueu Klskimoraase erwarten mOchte. Ein entschloasc-
nor SeehundjUgor führt das hübsche Mädchen mit milder Gewalt nach «einem
Zelte. Mit Gewalt wollen nie genommen sein und deahulb werden sie auch
mit Uewatt genommen, Sie wird «eine Frau, bringt Kinder zur Welt und
vernachiliaBigt ihr Aeusseren. Die vorher so gerade Haltung des Körpers
wird gebeugt in Folge der Gewohiiheit, ein Kind auf dem Rücken zu tragen,
die Rundung de« Körpern verschwindet, derselbe wird welk und der Gong
wackuUg, diiB Haar füllt an den Schläfen au«, die Zähne werden durch das
Kauen der Häute beim Gerben bis auf die Wurzel abgenutzt und die Sauber*
haUuug und Wartung des Köqiers und der Kleider versäumt. Die in ihrer
Jugend recht bi'huglichen Eskimoraädchen werden daher nach ihrer Verhei-
rathung abscheulich hässlich und achmutzig." {i\ Nordctisl^öld.)
Bei uichrereu Indianorstämmen Nordamerikau sind die Frauen
oft aufl'allend klein («elten über 5 Fuas nach Bartram bei den Creek u. s. w.):
»ie zeichnen »ich oft dnrcfa zierHche, kleine Hände und Füaae aus, bei den
meisten Stämmen tat ihr Wuchi) untersetzt, und sie haben dicke, runde
Köpfe mit breiten, flachen, runden Gesichtern. (Frim v. Wied.)
Die Weiber des untergegangenen Volkes der Chibcha waren nach
Oviedo im Vergleich mit anderen Indianerinnen hübsch.
Die Weiber der Koljuschen an der Nordwestkfiste von Amerika
zeigen einen krummen, wackelnden Gang, während die Männer stolz einher-
Bchreiteu; hc haben kleine Hände und meist kleine Fasse. (Holmherg.)
Auch von mehreren Stämmen Südamerika's, z. B. den Leugnas,
rühmt man die kleinen Füsse und Hände der Frauen.
Bei den Conibo am Yurua (Südamerika) sind die Frauen klein,
aber ohne die mageren Beine und dicken Bäuche der meisten übrigen süd-
lichen Stämme, (v. Heilwald.J Die Weiber der Araucanicr haben die-
Belben Züge, wie die Männer, ihr Wuchs ist klein, der Oberleib sehr lang,
die Beine sehr kurz, und sie sind äusserst hässlich.
Die jungen Mftdchen der Arawaken (Caraiben) in Guyana werden
des herrlichen Ebenmaawes ihrer Formen, der kräftigen Fülle i hrer Glieder,
der interessanten antiken Gesicht«bildung wegen gerühmt; sie besitzen grosne
»chwarxfl Augen, Nach Appun's Versicherung »ollen diese jungen Mädchen
edlff, äusserst anmuthig«, oft wahrhaft vollendete weibliche Formen zeigen
bei lurist rein griechischem Profil. Die Arekuna- Mädchen zeichnen «ich
kör]>orlich vor alten Übrigeu Indianerinnen aus: Appu» bewundert an
ihnen die Nase von edlem rO mischen Schnitt, und ihr kleiner Mund prangt
mit den feinsten, nur ein klein wenig geschwellten Lippen -, die feurigen
•chwBnen Augen und die TAbeasohwarsen Haare rollenden die Schönheit
diw«r MBdchen. dit> UbeidiM gleich allen Indianern mit sehr kleiamt
Händt^n und FQmmi MM0e«lAtt«t nind. Dagegen excelliren die Weiber der
Tarnroa duxdt Qxn WtßiSxhknL WMxread Appmm von drr SebSnbeit der
Indiaeerinneu Sadamrrika« untrr den Tropen aiii aolober üebcrediwftag-
Uthkdt berichtet, kann fhülich Site^ deren RctM keiacewe^ rtUuBen. So
«UfTemit wi eben der Gaechmnok !
Ein «chOncr. hrftl^wr MeaMbaMclAif »ind iK» WUfonier. die mtki
lelbet Tehuelchen nennen und «visdMn «Wn ehilenischen Anden wA
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W189(
■ habe
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14. Di« Vertheilaug der weibl. Schönheit tmter den Völkern.
der atlantischen Küste urahemiehen ; ihre Weiber sind durchschnittlich
kleiner und mit minder Üppigem flaarwtichs bedacht, gleichwohl aber von
AoRallender Wohlgestalt und Muskel^itärke.
Die Weiber der zwerghafteu Bewohner des Feuerlandes (Pescherils)
■ind noch kleiner, al« ihre Männer (durchschnittlich 1.544 mm hoch), doch
naasa eine nach Europa transportirl-e 1612 mm bei der von Virchote vor-
genommenen MeHHung. Bie Bildung des Kopfes dieser Frauen bleibt weit
hinter derjenigen Schädelbildung Jturück, die noch auf die Entwickeluug ge-
wisser intellecfcueller Fähigkeit hindeutet; sie mus« den Verdacht erregen,
da»g man eH hier mit einem beaonderK niedrigen Menschenstimm /.u thun
habe. Das Gesicht bei ihnen sieht so ans, als hittte man den Kopf zwischen
i Bretter gelegt und zusammengequetscht: die Nase ist so niedergedrückt,
Backenknochen treten so weit heraus, daas der Eindruck der Breite und
Niedrigkeit autfallend dominirt. Boehr und Kssendorfer schildern die^ Weiber
lila fett.
Afrikaneriunen.
üeber die aassere Erscheinung der ägyptischen Araberin. sagt
«. Schweiger- Lerdienfeld, l&s«t sich wenig Bemerkenswcrthes inittheilen. lu
Sacheu orientalischer Frauenschönheit gehen nämlich die Aneichten
xiemlicb auseinander. Strenge Schönheitsrichter, denen auf Schritt und Tritt
da* althelienische Schönheitsideal vorschwebt, legen mit Vorliebe an alle
Gesichter, die ihnen vorkommen, den klassischen Maassstab an und linden
dann n&tilrlich allerlei auszustellon. Sie fragen auch achselzuckend: Wa«
ist Schönes an einer AegypterinV Ist ihr Antlitz nicht so rund, wie die
Bcheibe des vollen Mondes, und gleicht ihr tfang nicht dem einer vollge-
Irwsenen Ente? Die Frage, oder richtiger, die mit dieser Frage verbundene
Negation, hat ohne Zweifel ihre Berechtigung. Aber mit dem Canip«r'8chen
Uesichtswinkel oder dem Übrigen anthropologischen Apparat ist der Sache
blutwenig gedient. Es braucht ein Antlitz nicht sonderlich ideal geschnitten
xo «ein und kann dennoch einen Reiz besitzen, der alle normalen Schönheits-
linien des althelleoischen Typus übertrifft. Dies gilt ganz besonders von den
arabischen Frauen Aegyptens. deren Köpfe selten nach einem bestimmten
Modelle geschnitten sind, obgleich der Gesammteindruck immer ein vor-
theilhafter bleibt. Ftut alle Aegypterinnen haben feingeformte, zierliche
H&nde und Fflsse-, ihr Gang verrttth angeborene Grazie, wenn auch vielleicht
jene eigentbümliche Schwingung der Hüften, welche die Araber „Ohung"
nennen, nicht allen Weibern wohl ansteht. Bezaubernd ist Aue tief dunkle,
zuweilen mystisch brennende, dann wieder mild anziehende Auge, dem hftufig
ein feuchtes Lustre eigenthUmlich ist. Dies Auge, sagt r. Schwäger- Lerchen-
fdd, kann eben so fieterisch glühen, als umschleiort schmachten, wenn die
Verschleierung eine vollkommene, das heisst; der Yaschmak nicht so dünn
ist, dass man durch dessen zartes Gewebe jeden Gesichtszug deutlich er-
kennt
Die Frauen der Aegypter zeigen die typischen Eigenihflmlichkeiten
de« Retu, d.h. des Altftgypters auf den bildlichen Darstellungen, wie ihn
R. Hartmann aus eigener Wahrnehmung beschreibt, doch ist der Charakter
in der für da« weibliche Geachlccht angemessenen Weise gemildert. Die
jOBgeo MUdchen sind ungemein gracil. Eine hübsche Darstellung nackter
iger Aegypterinnen bieten die mit ihrem königlichen Vater ein dem
'Belttch ähnliche» Spiel treibenden Töchter Rnmaes HI. zu Theben. Anch hat
tdtr Bei«eDdc noch jetzt Gelegenheit, Studien über den Körperbau solcher
in. Die &«i
»rang des Weibea.
Wesen zu machen , nicht nur bei Beobachtung <ler häufigen Badescenen, son-
dern auch beim Paasiren aeicbter Nilarme durch Marktleute, wobei stete ein
grösserer Theil de» Körpers entblösst wird. Sehr schön sind bei diesen
Personen, wie Ilartmann beieeugt, die Schultern und zuweilen die Oberarme
geformt. Der Oberschenkel, Unterarm und Unterschenkel sind öfters >u
mager, obwohl es in dieser Beziehung auch nicht an rdhmlichen AaS'
nahmen fehlt.
Ein Araber- Mädchen ist, wie c, Maltsahn von denjenigen der
Nomadea Tripolitanien» bemerkt, nur kurze Zeit schön, aber in
diexer Zeil ist «i«; würdig, eine Braut fflr Göttersöhne zu sein; sie ist ein
Stück Wüstenpoesie. Der Goldton des weiblichen Incamats, die phos-
phorescirende »chwarze Haiiräuth mit dem schönen Stich in's »ichillernde
Blauschwarz — der tiefdunkle, sehnsuchtumhauchte Blick mit der biimmtenen
Wimper-Gardine, und nicht zuletzt die geschmeidig-edle, wohlgerundete Ge-
stalt: das alles sind Reize, wozu es nicht des Culturmenschen bedarf, um
einen würdigen Kenner aufzutreiben. Kein Wander, daas ein so leicht er-
regbares, sich dem Eindrucke der Anssenwelt willig hingebendes Volk, wie
der arabische Nomade, die Schönheit seiner Erwählten mit Worten l)e-
singt, welche sich der glänzendsten Farbe, der eigenthümlichaten Vergleich«
bedienen.
Die Zeit der Blüthe des arabischen Weibes bei den Wüstennomaden
Afrikas ist eine äusserst kurze ; nur in der zartesten Jugend, etwa bis zum
16. Jahre, bleibt ihnen die Frische erhalten, welche Frauen des Nordens
noch im Spätfrühlinge ihres Lebens zeigen. Es ist ein unendlich vergäng-
licher Fraueutypus, der in den beiden extremen Polen, Hitze der Leiden-
schaft und Zartheit der Formen, seinen Ausdruck findet. Mit dem tief-
brünetten Teint und der zarten, noch vollen und dabei doch nicht zu
starken Formrundung, mit den wie von einem rosigen Ooldhauch durch-
schimmerten, braunen Wangen, mit dem fast allzu lebhaften Spiel ihrer
flammensprühenden schwarzen Augen und dem tiefen Dunkel ihres raben-
schwarzen Wollenhaares scheinen, wie Charanne in seiner «Sahara' sagt, die
jungen Mädchen der lustigen Zelte die Offenbarung eines unendlich reizenden
Typus. Ein solches Weib, ein solches Gebilde aus Feuer und Dunkel kann,
das fühlt man instinctm aasig, nur wenige Wochen schön bleiben. Obwohl
noch jung, sind viele Arabermädchen bereite verrunzelt, abgewelkt und ab-
gemagert-, die arabische WüstenschÖnheit wird je älter, je hagerer und mit
dreissig Jahren geradezu abschreckend hässlich, mit Ausnahme einiger Ge-
genden, wieTuat, wo die Frauen ähnlich wie beiden Berbern der Köst«o-
städte in vorrückenden Jahren sich oft üppiger Körperfülle erfreuen.
Dasa dem Neger-Typus auch beim weiblichen Geachlechte daa
Epitheton „schön' gegeben werden könnte, hat nach europäischen Schön-
heitsbegriffen keine Berechtigung. Schon die schvrarze Hautfarbe^ die pro-
gnathe Stellung des Gesichts mit dem vorstehenden Unterkiefer, die wulstigen
Lippen und überhaupt alle specifischen Neger- Merkmale müssen uns wohl
eher abstossen. alK anziehen. Und dennoch fehlt es nicht an Negerstämmen,
bei welchen, insbesondere bei jungen Mädchen, durch die klassischen Formen
und durch die geschmeidige Bewegung aller Gliedinaassen, durch den eigen-
thümlichen Reiz, der in dem Blicke ihrer Augen hegt, durch die prächtige
Weisse der Zahnreihen u. s. w. die Erscheinung des weiblichen Gescblcchtt
gerühmt wird, doch beschränkt «ich diese günstige Meinung stets nur
auf die Jugendzeit, da es .schöne Matronen* wie bei uns kaum je unter
den Negerinnen giebt. /
14.
J^f yrtni
Die Frauen am Gabun in Aequalorial- Afrika eind fast Lübüjohe
Encbeinungen, mit wohlgefürmten Extremitäten, hübschen, ausdrucksvollen
Angen nnd kaum merklich abgeplatteter Nase. Der Mund ist keineswega
weit, wohl aber die Unterlippe etwas aufgedunsen, dagegen die Zähne, wie
■elbütverständlicb, von tadelloser Schönheit.
Man könnte die Frauen der Wo 1 offen .schön nennen, wenn nicht die
Wade, wie boi anderen Neger- Völkern, unentwickelt wäre nnd die Füsse
nicht platt und die Fersen keine spornartige Verlängerung nach hinten
hätten.
Bei den Frauen der Berobra Nubiens Kind die Gliedmaassen schlank
nnd mager; .sie entwickeln sich spöter, als die ägyptischen; bereits vier-
sehnjährige Mädchen sind nicht selten noch busenlos. Sie verwelken vrie
die Südländerinnen schon frühzeitig. Alt« nu bische Franen sind besonders
hässlich. fHnrtmann ^.)
„Die Frauen der Somali, »agt PauUtschke, besitzen mitunter nicht
nnangenehuie Züge, eine schöne Büste und volle Brust. Stompfnasen, stark
hervortretende Stirn und feine, zierliehe Ohren sind mir an ihnen aufgefallen.
Aoch der Hals ist schön geformt, die Uflften schmal, das Becken breit, das
OeaiUs stark, ihre Bewegungen leicht und zierlich. Um die Mitte der zwan-
si^^ Jahre altern die Frauen, das Gesicht beginnt Falten anzunehmen, die
Brüste werden welk und lang un<l in den vierziger Jahren bereits bieten die
Frauen das Bild abschreckender Hässlichkeit."
Die Oalla- Frauen haben nach PauUtschke volle, breite Schultern und
■chöne volle Arme.
Die Habab-Fraaen sind nach r. Miiller in der Jugend schön, doch
altem sie in der Folge ra-sch.
In Abuscher. zu Wadai, sind nach Mattfucci's und Masmri's Ver-
^«cheruug Männer wie Weiber schön und von hoher Gestalt.
Unter den Negern des Sudan gilt nach Gerhard Bohlfs eine Frau
lit MOgenannten kaukasischen GesichtszOgen als eine Schönheit.
Eine genaue Schilderung der Frauen der Galla in Ostafrika verdanken
wir Juan Maria Schuver, welcher von den Männern dieses Volkes sagt: «Die
Oalla könnten das heiterste und glücklichste Volk sein, da sie eines der
fruchtbarsten Gebiete der Erde bewohnen, Land im Ueberfluss besitzen u. s. w.
Trotzdem weisen sie beständig eine Miene stoischer Melancholie auf und
machen den Eindruck von Ausgehungerten. Sie sind von ziemlich grosser
Statur, welche in Folge ihrer Magerkeit noch grösser erscheint." Dagegen
fährt er fort : «Die Frauen aller Klassen, mit Ausnahme der allerärmsten,
bieten einen so verschiedenen Anblick, das» ich mich immer von neuem dar-
öber wundern mu«st«^. Die jungen »ind von einer Lebhaftigkeit, die alle
Augenblicke zum Durchbruche zu kommen bereit ist. auch bÜ8.ten sie nicht
•o frühzeitig ihre Reize ein, wie die Negerinnen, vielleicht, weil sie den
Vortheü geniessen, bei den schweren Arbeiten von den Sclaven unterstützt
zu werden. Ihre Gestalt ist weit kleiner, als die der Männer, obwohl es an
grossen Frauen nicht ganz fehlt. Fast immer sind sie 10 — 15 cm kleiner,
als die Männer, and für diese mochte das Muass von 1.6U — 1.75 m als Durch*
«clmitt anzunehmen sein. Ihre physische Natur ist derartig von dem starken
. Oeschlechte verschieden, dass es schwer fällt, eine Erklärung dafür zu gelten.
iBci den Weibern sehen wir nur verhältuisamässig grössere Köpfe, obwohl
inoch immer der Kategorie von Mikrucephalen zuzurechnen, runde Schädel,
[■viereckige Getiichter. aber ausserordentlich abgerundete Züge, weit geöffnete
dunkelbraune Augen, Naaen mit leichter Tendenz zum Kümpfnäschen und
110
an der Wurzel eingedrfickt, dichte Augenbrauen, kleine fleischige Backen,
Kindermdndchen mit Perlvsähnen und aufgeworfenen Lippen and ein kleine«
Kinn. Der Nacken 'wl höbsch rund und durchaus nicht kranichartig, wie
bei den Männero, Füsae nnd Hände »ind fo klein, doHS man über die Be-
hauptung Byron'x lachen kSnnte, der hierin da« einzige wahre Zeichen der
AriHtokiatie erkennt. Die Formen sind rund und compact, die GliedmaaMea
korz, aVier die Formenfillle der jungen Negerinnen findet sich hier mir
Kelten. Sie tind hübech. aber nii'ht Hchfln." — Derselbe Autor sagt von den
jungen Mädchen der Herta im oberen Nilgebiet: ,Sie haben die voll-
endeten Formen klassischer Statuen."
Die Frauen der Bedacha sind in der Jugend nicht uoschSn; ihr zier-
licher Leib mit sehr feRi«n, gut entwickelten Brüsten altert aber frQh,
da «ie rieh durchschnittlich im 12. bis 1.5. Jahre verheirathen.
Die Weiber der Danäkil und Sa ho sind von edlem Wüchse und
•chOnen Formen, doch auch schnell verwelkend und alternd.
Die Abyssinierinnen haben nach der Beschreibung Steiner'« eine
niittelgro8«e Figur und besitzen Öfter« entwickelte.'« Fettpolster; junge M&d-
chen Hind reizend und »ehr «ympathisch; sie haben ein rundliches GeHichi,
eine nicht hohe, gewölbt« Stirn, ziemlich grossen Mund, rundes Kinn, nicht
selten ein Dop^^elkinn-, ein angenehmes Benehnien, und nicht geringer Fleiag
machen sie zu sehr gesuchten Artikeln für den Harem der Araber.
Das weibliche Geschlecht der äaurta uud Terroa, zweier St&mme,
die auf den beidcrneitigexi Abh&ngen des Gedem-Bergs in Ostafrika (von
Massauu landeinwärts nach Abyssinieu ku) wohnen, ist, wie zumeist bei
den auf nicht hoher Cultur 8tehend*»n Völkerschaften, bedeutend kleiner, als
da« niännlitht-. Die jungen Mädchen haben angenehme Züge, aber die groMe
Magerkeit im Alljremeinen thut der Schönheit ihres Körpers Abbrach, Ihre
HUnde, aber auch die der Mflnner, sind ausnehmend kh^in. Hohlfs sagt dazu:
„Dies ist eine Eigenthümlichkeit nkht bloss der Küstenbewohner, sondern
auch aller Abyssin i er, deren Hilnde überhaupt zu klein sind, als da«s ne
können schön genannt werden.' Der Grund der Kleinheit, der VerkOmme-
rung liegt im Nichtgebraucb, in der Arbeitslosigkeit.
Die meisten Weiber der Boilakertra, eines Volksstammes im Innern
von Madagascar, haben eine gute Haltung, einige drücken den Leib etwiu
Btark vor, alle haben aber schlanke, obwohl kräftige und wohlproportionirie
Taillen, trotzdem Schnttrleiber dort unbekatmt sind, fAudebert.j
„Einzelne Basutho in Transvaal, Frauen und Männer, haben
wirklich schönen Kurperbau, namentlich Männer und Jünglinge; unter den
Frauen und Mädchen sind dies doch nur sehr vfnnnzelte Ausnahmen. Nament-
lich machen die zumeist tabaksbeutelartig herabhängenden Brüste ein«sn
degoutanlen Anblick, obachon bei einzelnen jüngeren auch hier schöne Körper-
formen vorkommen." (Wanffemann.J
Unter den Frauen der Zulu-Kaffern giebt es anatomisch tad«Ilo«*_
Formen mit intelligenten Köpfen ond Physiognomien.
I
Wenn wir uns unter den Naturvölkern umblicken, so finden
wir, dass alle Ereignisse des Lebens mit höheren Gewalten, guten
oder bösen, in Verbindung gebracht werden. Da ist es nun wohl
nicht zu verwundem, dass in noch viel stärkerem Grade alle die
geheimnissvollen Vorgänge der Fortpflanzung und der Zeugung,
der Schwangerschaft und Geburt und der rathselhuften Entwicke-
lung vom Kinde zum geschlechtsreifen Individuum als unter der
Einwirkung der Götter und Dämonen «tehend aufgefiusst werden.
Es ist dann nur ein weiterer Schritt in dem gleichen Gedanken-
gange, wenn die auf unentwickelter Culturstuf'e Stehenden nun
durch Opfer und allerlei absonderliche und abergläubische Hand-
lungen den segensreichen Beistand der guten Geister sich gewinnen
und die feindlichen, gefahrdrohenden Eingriffe der bösen Geister
von sich und den Ihrigen abzuwenden bestrebt sind. In hohem
Grade erfinderisch hat sich in solchen Vornahmen der menschliche
Geist erwiesen, und es ist, wie wir sehen werden, kein Volk so tief-
stehend, aber auch keines so hochcivilisirt, dass wir nicht derartige
Proceduren bei ihm nachzuweisen im Stande wären. Fast immer
aber fühlen sich die Menschen zu schwach, ihre Angst und Sorge
um sich und die Ihrigen allein zu tragen und auf sich zu nehmen,
und mit den Gottheiten in directe Verbindung zu treten. Sie be-
dürfen dazu der Hülfe und UnterstQtzung klügerer, muthigerer und
bevorzugterer Naturen, welche mit ihnen und für sie die nothwen-
digeu Ceremonien vornehmen. So sind es die klugen Frauen, die
Priester und Priesterinnen, die Zauberer, Teufelsbeschwörer, Me-
dicinmänner und Schamanen, welche wir diese Hlilfsleistung ge-
währen Heben.
Es ist eine interessante culturgeschichtliche Erscheinung, dass
meJMtentheils in solchem Suchen nach kräftiger HUlfe die ersten
Änfiinge der sich entwickelnden Heilkunde verborgen liegen. Sehr
richtig schrieb einst Heu.nnger: „Die Anfange der Medicin bei
112 IV. Die Anffasning des Weibes im Volks- and religiOeen Olaohe».
wilden Völltem zeigen uns allgemein eine Verbindung supranatura-
listischer, mystischer Heünngsmittel mit physischen Heilungsmitteln,
und dieselben Personen verrichten die Incantationen und wenden
Wurzelkrüuter u. s. w. an. Bei fortschreitender Cultur trennen sich
beide, es giebt Incantatoren und Wurzelsucher, die zu Aeraten
werden; dass sie einige Zeit so nebeneinander bestehen, lehrt uns
selbst die griechische Medicin, wo bis iu's 4. Jahrh. n. Christo die
Aaklepios -Tempel neben den Aerzten fortbestehen und gerade in
der letzten Zeit recht vorzugsweise mir als b3rperphysische Heilungs-
orte. Allein gewöhnlich wird die mystische Medicin entweder bald
ganz abgeworfen, oder sie geht ganz auf die eigentlichen Priester
über." — Wir sind im Stande , auch in der Geburtshülfe diesen
Entwickelungsgang zu verfolgen.
Wenn nun aber solchen Völkern die Cultur von aussen her,
oder durch selbständige autochthone Ausbildung eine wirkliche
Heilkunde und ihre Vertreter, Aerzte, Geburtshelfer und Hebanuuen
zufuhrt, so bestehen jene Magier noch lauge Zeit neben den
letzteren fort. Unter den alten Indern aber blieb das Priesterthum
gänzlich mit der ärztlichen und geburtshülfhchen Praxis ver-
schmolzen in der ßrahraaneukaste, ganz ähnlich wie in dem mittel-
alterlichen Europa die Heilkunde in den Händen der Mönche war.
Das abergläubische Vertrauen der Völker richtete sich in ganz
eigenthüralicher Weise auf mannigfache Gegenstände bei den ver-
schiedenen Phasen des geschlechtlichen Lebens. So frei sich aber
auch in dieser Beziehung die Phantasie der Völker ergehen mochte.
80 finden wir doch auch eine gewisse Analogie unter ihnen hin-
sichtlich der Gegenstände, an welche sich ihr Vertrauen knüpfte.
Vielleicht und wahrscheinlich allerdings Obertragen sich manche
abergläubische Vorstellungen von einem Volke auf das andere;
gewbs aber gelangt«? der menschliche Geist vermöge seiner bei
verschiedenen Rassen Übereinstimmenden Organisation gar oft zu
ziemlich gleichen Begriffen, Anschauungsformen und Glaubens-
sätzen, Wir werden in den spateren Kapiteln sehr mannigfachen
abergläubischen Gebräuchen imd religiösen Ceremonieu begegnen.
Nur die genauere Beobachtung des natürlichen Vorganges bei den
einzelnen Acten der Geschlechtsverrichtungen war im ötande. die
Erkenntniss so weit zu lordern, dass der Aberglaube mehr und
mehr unter den Völkern Europas verschwand. Allein auch dort,
wo in den höheren, gebildeteren Schichten der Gesellscliaft dem
Aberglauben wenig Raum mehr gegeben wird, hängt mau nocli
immer in den niederen Volksklassen mit grosser Z;i]i
gewohnten abergläubischen Bräuchen. Ein solches
Aberglauben bei Schwangerschaft. Geburt und Woohenbi;
zu erklären, da man weiss, welche grosse Lebensdauer
alle Sitten, Gewohnheiten und Vorstellungen haben, di-
mal im Innersten der Familie: ' ! ' _\\\
die Geschlechtsverrichtungeu kn
m ult-
?»t«ongenTn
\»o leichter und um so inniger mit aborglünbiscben Haudlungeii, je
mystischer an sich die Ersoheinungen des Iült einschlagenden Natur-
vorguuges sind und — je ausschliessUcher sich bloss Weiber der
Beobachtung dieser Erscheinungen unterziehen.
Vergeblich sind aufgeklärte Geister bei den verschiedenen
[Natdonen bemtlht gewesen, solchem Aherghiuben energisch entgegeu-
zuarheiteu, und auch hier ist es wicflerum eine interessante, für
die überall gleiche Beschattenheit des menschlichen Geistes zeugende
'Ersdieinung, dass man bei weit voneinander entfernten Völkern
auch hierin auf die gleichen Mittel verfallen ist.
So wurden in der Bevölkening von Sidou, jetzt Saida (in
Palästina), syrische abergläubische Gebräuche gesammelt, welche
den unsrigen sehr glichen. Die Muselmänner daselbst nennen
|sie ,,Ilra er-rukke", d. i. die Spinnrocken-Wissenschaft.
Ganz ähnlich suchte im .lahre 171H Praetorium dem Aber-
glauben der Deutschen entgegenzutreten, indem er die aber-
gläubischen Gebräuche in einem dicken Buche sammelte und ab-
kanzelte, welches den Titel führte: „Die gestriegelte Rockeuphilo-
sophie. oder aufrichtige Untersuchung derer von vielen superklugen
Weibern hochgehaltenen Aberglauben (Chemnitz).'*
16. Die religiösen Satzungen in Uezug auf das Geschlechts-
leben der Frau.
Eb ist auffallend, wie sehr sich numclie Iteligionen mit den
Mysterien des Geschlechtslebens beschäftigen, mid wie häutig sich
auch in die geburtshülflichen (rebräuche der Völker ein religiöses
Moment einmischt-
Schon mit dem Eintritt der Geschle<-ht.sreife werden l>ei vielen
Völkern Bräuche und Cereuionieu vorgenommen, welche bei hitber
civilisirten Völkerschaften durch religiöse Kiten ersetzt werden.
Wenn manche Gründer von Heligionen gewi.^jse diätetische Sitten
lia ihrem Volke schon vorfanden und sie für zweckmässig, somit
aucli dem HeiU" des gesammten Menschengeschlechts für dienlich
hirit4-n. so legten sie denselben wohl die Bedeutung von Gott
wohlgr'iälligen Jlmidlungen bei. Sie suchten demnach die iluieu
nützlich erscheinende Volks3<itte durch strenge Gebote im Volke
flVr alle Zeiten zu festigen. Andere Male benutzten .sie wohl auch
nur rii 'n fest eingewtirzelten diätetischen Brauch als reli-
WtÖHC .^ lip IfHuillvmg. Dies tridil einzelne religiöse Vor-
R'lirift.t'ii iiikI ' -n, zu driirn hie und da die Pubertät«-
«"'^wickehiii':. il liliessung. die Schwangersdiaft, die Geburl,
■ '• "»renen Veranlassung gaben. Der Befehl,
nehmenden d iätetisclien Acte im Namen
I 8t-»?tig l>ei/.ubehiilten, kaun wohl /.\\\x\
im
DHC
Titeil der Abdicht ent^üpningen sein, für dauermlo Erhaltung de«
Menschengeschlechts Sorge zu tragen, während die höhere Forderung
der Religion geistige Erhebung und Veredelung des Mensehen ist.
In der Kegfl uetmien sich bei einem Volke, welches .sich aus
der rohesten Barbarei erhebt, xunächnt die Priester als die vorzugs-
weise gebildete Klasse der Ausübung der iirztlichcn Kunst an. So
beschäftigten sich auch die Keligiousgründer und Propheten mit der
Gesundheitspflege des Volkes.
Wir haben imderwürts gezeigt, dass die Beschneidung der
Knaben l>ei einer sehr grossen Anzahl von Völkern nur als Ndlks-
sittezu betrachten ist f /Voss-'V- Dort aber, wo sie von Religionslehreru
geheiligt luid befohlen wurde, wie bei den Juden, wurde sie als
nationales „Symbol* des von Gott auserwählten Volkes bezeichnet,
aber auch als Mittel, die Fruchtbarkeit, also die Vermehrung
des Volkes zu tVirdernl
Wie i^ehr religiöse Gesetzgeber e.s namentlich für eine Lebens-
aufgabe des Individuums halten, zur FortpHauzuug des Menschen-
geschlechts beizuti-agen, zeigt beispielsweise der Talmud, wo e»
heisst: „Wer das Heirathen vorsätzlich unterlässt, um nänilicJi
keine Leibeserben zu erzeugen, der ist moralisch einem Mörder
gleichzustellen :" demi die Rabbiner glaubten, dass ein Unverehe-
Üchter ebenso wie ein Mörder sich eine Vermiudenmg der Popu-
lation zu Schulden kommen lässt (Tr. Jihutuoth, (il3, b). Ferner
steht im Tulmud: ,,Wer auch nur zur Erhaltung eines einzigen
Menschen beiträgt, ist gleich als ob er das Weltall erhielte/' In
solchem Geiste, d. h. mit der Absicht auf Erzeugung und Erhaltung
der Menschen, waren denn auch religiöse Handlungen in Bezug
auf das Geschlechtsleben bei den .Juden eingesetzt worden. Mmes
sagt ausdi'ücklich : ..Beol)achtet meine Gesetze und meine Recht«,
durch deren Ausübung der Mensch leben soll" \z. B. Moses IK, 5).
So verstehen wir denn, hi welcher Absicht er die Reiuigungsgesetze
lür die Menstruireuden, die Wöchnerinnen u. s. w. gab, und warum
er diese Gesetze und ihre genaue Befolgung durch Einsetzung der
Brand- und Sühuopfer am Schlus.se des Wochenbetts gleichsam
unter die Controle der i'riester stellte. Schliesslich erinnere ich an
das religiöse Dogma: „Das Weib soll mit Schmerzen gebären''.
8<} nehmen manche andere Culte Lehren über die Lebensweise in
Bezug auf das Fortpflanzung-^- und Geschlechtsleben auf. ,>lch
nenne," .sagt Zöroaster im Gesetzbuche, „den Verheiratheten vor
dem Unverheiratheteu, den, welcher einen Hausstand bat, vor dem,
welcher keinen hat, den Familienvater vor dem Kin<lerlo8en, dan
Reichen vor dem Armen" etc. Bei den alten P« rst-rn und Medcru
endlich galt das Zendavesta als lu-ilige« Buch, und wir wissen,
eine wie grosse Rolle die Heilkunde durch die Schät/urMj- und Kr^
haltimg des Lebens in demselben spielte, obgleich un^
da.»^ zwanzigste Buch, der Vendidad, erhaltfi 'V '
Zofoaster's Lehren drangen, spiolten auch a
t(J. Ol* leTtg. 5?at*Ujigeü in Bezug auf Jas Geschlechtsleben der Fmu. 115
fine grosHe Rolle: sie prakticirten als Aerzte und Teufelsbanuer
lu'i Kranklieit, Geburt und Wocheubett. Und wie noch Leute bei
dt'u l'nrsen, die nach Zoruaskr's Lehre leben, die Ehelosigkeit
bestraft wird, so luusste auch bpi den alten Indern nach dem Gesetz-
Imche Manu's Jedemuinn heirathen, „weil das Geschlecht erhalten
werden niiiss". Das Gesetz Mnnns gielit auch Kathschläge in Bezug
auf die Wahl des Mädchens, und viele andere Bestimmungen Manus
liezengen. welchf? Aufgaben die Religion der Inder bei ihren 8itten-
vorschril'teu befolgte; insbesondere gehiken hierher die Reinheits-
iind Speisegesetze der Inder. Die Religionswächter der Inder,
[die Priester- und Mediciner-Kaste, die Brahraanen, lieaufsich-
tigten auch die Geburt und das Wochenbett. — Die Buddhisten
iKind durch die Macht ihrer Kirche äusserlirh nicht jjezwiuigeu.
iBich bei irgend welchen Familien-Angelegenheiten unter die
I Vormundschaft, der Priester zu stellen; allein sie wendeji sich
docli bei Familienereignissen an deren geistlichen Beistand, ja
die Lamaisten nehmen den Segen der Priester bei Farailien-
ereignissen noch häufiger in Anspruch, als die Katholiken. Der
gläubige Buddhist findet im Priester seinen geisthchen Vater,
uud dieser fuugirt auch bei der Gel)urt und der Namengebuug der
I Kinder. Ausserdem treiben die geistlichen Sohne des Buddha
Dlierall die Medicin, ])rauchen ihren Eintluss in den Familien also
nicht wie in christlichen Landen mit dem Hau.sarzte zu theilen;
in Tibet, China, in der Mongolei, im ganzen Norden Asiens
iüind sie zugleich Wahrsager, Astrologen, auch Geisterbeschwörer
^mid Zauberer; als solche bringen sie ihre Künste auch l>ei der
[(Jeburt in Anwendung. [Koejiptm.)
Manche Forscher auf dein Gebiete der Religionsgeschichte ver-
[neiut'n mit vollem Rechte, dass einzelne Gr-remuiiien und religiöse
[Satzungen, z. B, das Beschneiden, als wirkliche Sanitätsmaassregebi
wu betrachten seien ; solche Satzungen wurden nach ihnen mindestens
Inicht in hygieni8<rher Absicht, wie etwa bei ims das Impfen, ein-
tettlhrt. Wir geben auch zn, dass viele religiöse Gel)räuche, die
lit dem Geschlechtülebt'n zusanimenhüngen, eine hygienische Tendenz
«cht bcHnspnu'lien dürfen. Vielmehr wurde das Mysterium der
Jeugung und Fortpflanzung, welches liei mehreren V'ölkem unter
anderem zum al)stheulichen Phallusdienst führte, unter dem Einflüsse
ler verschiedenen Naturanschauung in mannigfachen, oft recht
JesundheitM.schädlichen Formen .symbolisirt. Dass aber die Religions-
tifler iu ihrem sell>stgewählten Berufe als refonnatorische Gesetz-
{ebt'r der Vr.lkor l)ei ihrer Wahl der symbolischen Handlungen,
McIh* !<ie empfohlen haben, aiu-h mehr oder weniger das Bewusstsein
>n deren Zweckmiuwigkeit selbst in hygienischer Hinsicht hatten,
wohl nicht ganz unwahrscheinlich. Beispielsweise gingen
iouen Mosis iU>er meustruirende, blut«?nde uud gebärende
'«r den ganzen Mosaismus beherrschenden Idee der
•« hervor: Mostfs wurde jedoch in der Wahl
-l.w.l.
] 16 IV. Die AnffaJiBUiig des Weihes im Volks- und religiösen Glaubeit.
und Ausführung aeiuer Satzungen durch klimatische Verljültnisse
bestimmt.
Wie alle die grossen Abschnitte in der Entwickelung und iu
dem Leben des einzelnen Individuums, die Geburt, die Verschonernngs-
procediuren am menschlichen Kürper (Ohr- und Lippeudurchbuhrung,
Tättowirung, ZahnverstOmmelung u. s. w.), die Beschneidung, die
Menstruation, die Schwaugerscliatt und der Tod von religiiisen Cere-
nionicii begleitet und mit al>ergläubischen Vorschriften umgeben
sind, das sehen wir auch in dem Umstände, dass in den genannten
Lebensperiodon die Betreuenden abgesondert von der Gemeinde ge-
halten werden, dass der Verkehr mit ihnen und das von ihnen
Ausgehende die sie Berührenden verunreinigt und auf eine gewii^se
Zeit hin ebenfalls zu dem Ausschluss aus der Gemeinde zwingt,
dass ihnen bestimmte Geschäfte vorzunehmen auf das Strengste
untersagt bleibt, dass ihnen bestimmte Dinge zu essen verordnet
und andere wieder als Nahrungsmittel zu verwenden verboten i«t.
Wir erkennen auch hierin wieder den untrennbaren Uebergang von
den religiösen zu den hygienischen Vorschriften.
17. Die FrHut*u»)|iractie.
Als eine sehr merkwi\rdige und absonderliche Erscheinung in
dem Lieben einiger Völker müssen wir es ansehen, dass bei ihnen
die Frauen sich einer eigenen von den Miuinem nicht benutzten
Sprache bedienen- Wenigstens haben sie für eine ganze Reihe von
Gegenständen und Begriffen ihre besonderen Ausdrücke und Be-
zeichnungen, welche die Männer niemala in den Mund nehmen und
ftir welche die letzteren ihre eigenen Worte besitzen.
Unter Anderen findet sich diese Erscheinung bei mehreren
caraibischen Stummen; insbesondere sind es die Stämme, welch«*
uuf den kleinen Antillen wohnen. liorhrfort sprach die V*er-
muthuug aus, dass einst die Caraibeu von den kleinen Antillen
Besitz nahmen, alle Männer daselbst tödteten, die Frauen aber ftir
sich behielten, welclie ihrer angestammten Sprache treu blieben.
Allein, dass in diesem Falle diese Erklärung ganz falsch ist» hat
Siolh- nachgewiesen: denn die caraibische Frauensprache besitzt
nur ein eii;ziges Wort, welches dem Arawaischen gleicht. Viel
walu-scheiiüicher ist es, dass diese Erscheinung einerseits in der
socialen Stellung der Frau bei den betreuenden Völkern und in
einer unserer Sprache fremden, schärferen Differenzirimu --r
Dinge, wie die Verwandtschaltsgrade, ihren ursprünglichen ' ■ vi.
Auch bei den (iuyacurus und mehreren anderen JStümmen
Brasiliens ist die Sprache der Weiber von der der Männer gänz-
lich oder doch iu einzelnen Worten verschieden t hier glaviht
17. Die Frauensprache. 117
/•. Jfartius auch die Spracliverschiedenheit der Gesclilechter von
einem gemischten Ursprung ableiten zu können.
Eine ganz ähnliche Erscheinung berichtet uns Hcrodot von
den loniern, welche ihre Frauen von den Karieru genommen
hatten, nachdem sie deren Männer erschlagen hatten.
Aber selbst bei uns lässt sich noch eine gewisse Analogie nach-
weisen, denn es diiriie wohl hinreichend bekannt sein, dass auch
unsere Damen ftir alles die Sphäre des Geschlechtslebens Berührende
ihre eigene Ausdrucksweise besitzen, welche von derjenigen der
Männer ganz bedeutend verschieden ist und gar nicht selten von den
letzteren nicht einmal verstanden werden kann. Hier war es wohl
das Schamgefühl, welches die besonderen Ausdrucke vorgeschrieben
und erfunden hat.
V. Die äusseren Sexiialorgaue des Weibes in
ethnograpMsclier Hinsicht.
18. Allgemeinem.
Die auatotnischen Verhaltnisse der (jcschlecbtjsorgHne und die
physiologischen Sexual -Fuuctioneti sind die wesentlichsten Chtirakti/-
risticu des weiblichen Organismus. Sie haben für die ethnographische
Forschung insofern eine nicht geringe Bedeutung, als sie thatsäch-
lich bei den Völkern guuz bedeutende Unterschiede darbieten.
Es sind hier zunächst die weiblichen Geschlecht-stheile in ihren
Fonuen zu betrachten, insoweit sie ein vijlkerkundlidies Interesse
besitzen. Zunächst zeigen die äusseren weiblichen Oienchlechtstheile
— einestheils die weibliche Scham, andern theils die Brüste — ge-
wisse wichtige Merkmale. Noch wenig wissen wir über die etbmi-
graphischen Diflerenzen der inneren Geschlechtstheile, der (iebär-
mutter mit ihren Anhängen, Schliesslich hat da.s Becken, als der-
jenige Skeletttheil , welcher bei Schwangerschaft und Geburt eine
wchtige Bolle spielt und sich vieliRütig in seiner Gestalt vom Becken
des Mannes unterscheidet, namentlich deshalb eine Bedeutung, weil t»
je nach der Kasse eine Ileihe charakteristischer Fonuen wahrneh-
men lässt.
Dann gelangen wir zu den Geschlechtsfunctiouen : Menstruation,
Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett, Säugungsgeschuft. Auch hier
ist so Manches typisch für Völker und Rassen.
Wir dürfen manche Gebräuche, die sich auf das Geschlechts-
leben und die Behandlung der Geschlechtsorgane beziehen, nicht
unbeaclitet lassen , obgleich sie nicht unmittelbar während der
Schwangerschaft, der Geburt oder dos Wochenbetts vorgenommen
werden. Denn manche dieser hier anzuführenden Gebräuche sind
nicht ganz ohne Einfluss aui' die Schwangerschaft und Geburt, sei
CS fordernd, sei e.s hindernd. Insofeni scheint mir nämlich insbe-
sondere die Kxc'.i>ttnn der Chtoris, die Vernäbung der Vulva, die
künstliche \
Pflege und !
beiiu Coitos u. s.
deutung xu sein.
ung der (Klitoris luid drr Nymphen, sowie die
der Brii.sti'. i\:\s tägenthrmiliche Beiiebnieu
ung
w. bei ui;i
Ein Tl '
ru Von nicht geringer ft«-
■•^' iil ihre EntHtehung
18. Allgemrifl
lli)
findet jodocli vielleicht, erst dann eine ErkUirunfjj, wenn man znyiir-
derst in hetrucht zieht, welche charakteristischen Eijventhiimlich-
keiten im natürlichen Bau der GcRchlecLtsorgane sich bei manchen
Vnlkrrschaft^n bemerklich machen.
Fast Überall auf der Erde ist mit den Genitalien der Begrifl'
deft Beschämenden, des Piidendura, verbunden \md das Aussprecheu
UireK Namens wird als etwas ITnanständiges. als etwas Beleidigen-
iles augesehen. Auch l)ei uns im niederen Volke wird bekanntlich
ihr Name als ein Scbimiit'wort verwendet und auf mehreren der
Inseln des alfurischen Meeres gilt der Zivruf ,,GeschlechtstheU
Deiner Mutter* als eine der schwersten Beleidigungen (RiedeV). Herudol
{173 II. KM't. KW erzählt: „In dem syrischen Palästina (wahr-
scheinlich die .ludäa ehischliessende Meeresküste) sah ich Säulen,
welche iler ägyptische König Sexostris aufstellte, und darauf die
oben angegebene Inschrift (sein Name, seine Herkunft und der Nrnue
des besiegten Volkes), sowie die Schamglieder eines Weibes. Wo
er ohne Kampf und leicht die Städte einnahm, bei diesen liess er
zwar auf die Säuleu dieselbe Inschrift setzen, wie bei den Völkern,
welche tapfer gewesen waren, nur fügte er noch die Schamglieder
dnes Weibes hinzu^ indem er damit kund thun wollte, dass sie
feige gewesen wären." Philipp Jacoh Sacks erzählt von einer Münze,
welche die Königin Manjaretltr von Dänemark schlagen liess ,pu-
denduin muliebre exacte referentem", zum Hohne für die Königin
von Norwegen und Schweden, welche sie besiegt hatte. Im
königlichen Miinzcabiuet von Berlin ist diese Münze, wie mir HeiT
Dr. Mimailicr freundlich mittlieilte, weder v<u*handen, noch bekannt,
.ledoch erzählte er mir, dass angeblicli eine ähnliche Darstellung
auf einer Münze August des Starken vorhanden ist, welche auf
Wunsch der Grätin Kosel deren Genitalien vor.stellen sollte. Diese
Legende liat ihren ]iositiven Hintergrund in einer ovalen Wappen-
umrahmung.
Aber auch eim- t-hrunvolle Bedeutung kann die Darstellung
der weiblichen Schaintheile haben. So findet sich dieselbe vielfach
aueh aut den Sculpturen und Bildertafeln, welche von der Besatzung
des preussischen Schifl'es Hyäne auf der Osberinsel ent-
deckt worden sind (Geindrr). Da sie sich immer zusammen
mit der dojipelteu Darstellung des Gottes Mnke-Mukf finden, des
Gottes der Eier, der das Mäimliche und das Weibliche reprä-sentirt
and der in dieser Do[ipeldar.stellnng die Geburt eines Menschen be-
zeichnen »oll, so .Süllen die daneben gestellten weibliehen Genitalien
ftlixetgen, dass die.se (leburt einer ehelichen Entbindung entspro.^sen
wnr. (Man vergleiche die Abbildung in Band II.)
Die Osterins ulaner haben auch jetzt noch in silten Haupt-
ling.sfamilien die Sitte bewahrt, dfuss bei der Eingehung einer ehe-
licli«a Veriiiüdung sich der Ehemann die Vulva der Frau in ähn-
licliiir Zeicluuuig etM'a zwei Zoll gross vorn auf die Brust unmittelbar
|;;<) V Ifii- iiii. -i-ii-ii ;!'-xii;il<<r^:.iiii; ili;i W<;ili<;>. in vthiiograph. Hinsicht,
iiiilr-r ilfiii i\<-lilkn|iio i'itil.iil.iowii-i., tun .li;ili;iii den B(;wei.s /u liefern,
•In - >■!' V)'l'lM'il'!li|l<-|. iN(..
Dil' Klliriii^niiilirn lirsc.lilirii<(iiMi sich ])i.sh(.>r mit grossem Inter-
i-»ric iiiil. ilrn knitiiiilo^i.sclii'it inul physiognoniischen £igenthQmlich-
liriti-ii <l<-r Mni.>4rli(>ni'uNs<>ii. Allüiii der Kopf und dtv8 Gesicht bieten
vii-lli-irhi. iiirhl hfdiMitt'ndi'rc (fthnographisciie Vergleichimgspunkt«
dm , iiIm ilii' Nvi-ihlirh<'ii (n'srhh^i'hiHÜieile. Man hat über die Be-
hiiiidi'rliciii'ii im Itiiii iIit ütiss«>ri>n Sexiiidorganu nur bei einzelnen
ViilKiTsrliiirifH gi'iiiiucNiii'liriirschuugnjangi'stellt; es ist eben schwer,
rim- ^iMillf^t'iuli' Zahl von Ol ijccini /.u hokonnnen und einer Betrach-
liiii^, i'\t'nlui'll Messung /u uidorwt'rfj'n. Doch die ethnographische
Iti'ili'utuitg drr Sa«-Iu< verdient «>s, das Material, so weit es schon
xorhaiideii inI, /.ustuuuien/.ubringeii, dann aborauch durch neue Bei-
(nij^je .Ml xergrl'i-^sern.
l!l. I)«s woibllohe Beokeii.
Nu\hst der (iestaliuug des Svhädels ist Itir die Anthropologie
des Wiubes diejeuig»' des lUvkeus jedoutalls das wichtigste Object
hiush-hthth des Skeleii-Bavu's. Dieser aus mohrerou Knochen zu-
s:«uuieugeset;.te Theil des knöcheniou iierlistes hat neben seiner
V»t"ga\»e. du» über utid in seiner Höhle liegenden l'nterleibs-Organe
Ml lv«igeu. auvh eiiu» gan.' wesontUeUe l>odoutuug. da es Uiuueutlich
d\e Sevvuiloi'gime sr.ul. die uüt ilun in engster Beziehung stehen,
und d.» seu\e V\m'»u\ erhält nisse tar den lu'bär.ut von höchster Wich-
takikeit nuuI. Iv. loTitev Hitisichi sind aui weibliciio!: IVcken zahl-
veiche lH's\Mul;-v(:e*.te'.'. «al'.r-'*:neh'.r.e!:. weU-he es vom iiiäimlicheu. iß
;is»l'.eiii V»v.4di" v.v/erTii'lxeivte'.: v.iid es gew:sser'.r.;uisse:'. er«: tT;r den
Me»-V.H'.Msiv. ■.;«» J.;-s tiebv;v:svory:;;\v.gfs gce:g::e: :i:.ich-:'^".
XN IV '.'.Av'..":'. .'.".■.'S'.'S A;1;"S ".V. iliT i.V.SvVrv.V.'.s'r.STt..'."."^ .Irr aklUklO-
■•.;\xv- >»".'. r".;t<'*.>iv';'.uv.e '.•.•. k*.e:v. •"..ii'.v *•.».■:•.-,•" v.v.i «■•::'".•.. T-tu K'-rp^rrbau
.v.v. ,i"vtV.'.v. '•..■.•.;••■. Ivsyv.vV. ./■.»; v.v.:tr:.'i:-- •■- -v. W-:;.ri-;^^-.^r -üestr
V':'..t;-v.is''."' ■. i'.v • >•.,'• V": •f,''"v*,'iv'/. •.:••..; >.»_v"!li;..\r-::: *<.::::: t-->
A.'\ .;," ^ S;\;.v,-v .■;,>•.■•■ n-vn •:--j::.:yyr »:vw:i:vT:. Mii: Li: Li*
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19. Das TTeibliche Beckcri
121
gpQÖiliigi M'uren und <He Ergebnisse der Messungen dann vergleichen
konnten.
Auch schon ohne den genaueren Vergleich durch Banduiaasi^
und Zirkel, schon durch das Augenmaass war man im Stande, grosse
Unterschiede zwischen den Frauenbecken verschiedener Hassen wahr-
zunehmen: und einer der Ersten, welcher auf solche Diiferenzen
auftuerksam machte und Me><sungen vornahm, war Stimmer im/. Eine
balmbrechende i\j-beit verdanken wir Vrolih, weh'her die Becken
von Negern, Javaneseh, vora Buschmann u, s. w. verglich.
Auf Grund dieses noch allzu geringen Materials machte dann
M.J. Weber in Bonn den Versuch, die Beckenforraen schon mit Rück-
sicht auf die Rasse zu gruppiren; sie sollten, wie er meinte, den Schädel-
tbmien entsprechen, so dass die ovale Fonn namentlich den Kau-
ksiern , die vierseitige den Mongolen, die runde den Ameri-
lUern, die keillV)riiiige den Negern zukäme. Seit jeuer Zeit ist
auf diesem Gebiet-e zwar viel, doch keineswegs — wie ich au ande-
rer Stelle dargethan habe (Ploss^'^) — Hinreichendes gearbeitet wor-
den, so dass wir schon im Stande wären, für das Russenbecken eine
»ystemati8«'he Eintheilung aufstellen zu können. Dort habe ich ge-
zeigt , dass für die Messungen des Beckens ein einheitliches und
gemeinsames Verfuhren fehlt. Dies ist eine Behuiiptung, welche
gleichzeitig Bulant/in in St. Petersburg ausspnich, ohne auch nur
auf die Frage über das Ra.s8enbecken einzugehen, indem er ledig-
lich die bisherigen Messungen des Europäer -Beckens quantitativ
und qualitativ fllr ungenügend erklärte, um aus ihnen die Eigen-
schaften des normalen Beckens festzustellen. Insbesondere scheint
e« mir auch sehr fraglich, ob man berechtigt ist, die Maassverhält-
uifise der Beckenhöhle, namentlich des> Beckeueinganges (d. h. der
Querdurchmes-'^er in seiner Proportion zu dem auf 100 berechneten
geraden Durchmesser als , Index "■ bezeichnet), ul.s Grundlage einer
jtystematischen Eintheilung aufzufassen. Schon Zc/öz/'T stellte dem-
gemäss die .runde" und die .Hinglichovale" Form des EingimgN
als typisch auf; imd C. Martin gnippirte: 1. Becken mit rundem
Eingange, bei denen die Conjugata (der .\bstand der Schambein-
«ymphyse von dem Promontorium des Kreuzbeins) fast eben so
gross ist, als der (^uerdurchmesser, und höchstens um ', ki kleiner
als dieser ist (Ureinwohner Amerikas, Australiens und der Innehj
des indischen und grossen Oceans); 2. Becken mit querova-
lem Eingange, bei welchen die Conjugata mehr als \'n) ihrer Länge
kleiner ist als der quere Diirchmesser (Bewohnerinnen Afrikas
und EuropusX In diesen Proportionen, dies wird allgemein an-
erkannt, Hegen aber nicht allein die bc-^onderen Merkmiile des
Hiiss«n-Tvpus. Es sind vielmebr gewiss viele Theile <les Beckens
»l« Rasuen-Merkmale charakteristisch, unter anderen die Darmbeln-
«chaui'eln, deren Breite, Stellung und Dicke bei gewissen Rjvssen
mehr o<ler weniger an das Thierbecken erinnert, z. B. das keilför-
mig verlängerte Hecken des Negers, wie Vrolik., l'nmcr^ Carl ViMjt
122 V.
«e de« Weibes ff
u. A. hervoigv'lioben liaben. Andere, wie de Quatrefm/es, linden in
solchen Bildungen nur ein Stehenhlfibcn auf frHhen Altersstufen.
Wie hier die Breite des grossen Beckens (d. h. der Abstund
der äusseren Ränder der Darnibeinscbaufeln von einander), so wird
von Anderen die Configivration des Kreuzbeins (Os sacrum) als
('harakt^ristiscli geschildert : Nach ßaranssr erreicht die Breite an
der Basis des Kreuzl>eins ihr Maxinnim bei der weissen Basse,
besonders bei den Europäern, dann folgen die gelben Kassen und
endlich die scliwar/.en, Hinsichtlich der Höhe des Kreuzl)ein8 be-
steht grosse Mannigfaltigkeit: die afrikanischen Neger erreichen die
grijsste Höhe untt^r den Kreuzbeinen mit ij Wirlieln, die Euro-
päer unter solchen mit 5 Wii'belu. Die Krümmung des Kreuz-
beins ist bei den weissen Rassen am stärksten, besonders bei Eu-
ropäern, dann folpen die gnllien Hassen, imd die flachsten Kreuz-
lieine haben die schwarzen.
Besondere Unterschiede zeigen sich imter den Ita.ssen höchst
wahrscheinlich in der Neigung des Beckens, d. h. in der Haltung
und Stellung de-sselben zur Runipfaxe. »Schon lirora machte ilar-
auf aufmerksam und gab ein besonderes Untersuchungsinstrument
für diese Verhältnisse an. Auch Hiimiy ging den Rassen- Di flfe-
renzen nach dieser Richtung hin nach. Jedoch Prorhmvnich, der
elienfttlls einen iMessapjvarut angab, kam nach seinen Erörterungen
zu dem Schluss. dnss man sich vorläufig wegen der grossen indi-
viduellen Schwankungen von der Bestimmung der Beckenueigimg
nicht viel iTu" die Unterscbeiduni( der Rassentypen versprechen darf.
Allein wir brechen hiermit die Besprechung dieser Fraise tjber
das RASseubecken ab, indetu wir lediglich auf die ausführlicheu
Arbeiten von Vrnlil>, Zauijer, Pntner-lieif , A. Wfisbac/i. Carl
Martin, O. von Franqur, Venieau, IVcrnicht //. Fntsc/i, G. Fritsch,
A. FiIatoff\ A. V. Schrenel:, Hennty u. A. verweisen. Denn die
Frage über das Itassenbecken im Allgemeinen geht beide Ge-
schlechter an ; unsere Aufgabe ist es vielmehr, dieselbe nur inso-
weit ins Ange zu fas-sen, als sie insbesondere das weibliche Ge-
schlecht betritt't.
Erwähnen wollen wir nur noch, dass die deutsche anthropolo-
gische Gesellschaft, im Wesentlichen durch eine Abhandlung von
Ploss^'* angeregt, im -lahre 1884 eine besondere Conmii.ssion erwählt
hat, welche die zweckuiässigste und fruchtbringenilste Art. , das
Rjissenbecken zu studiren, berathen und ausarbeiten soll.
Auch bei Vrdkern, die auf gleichem Boden wohnen, zeigen die
Becken erhebliche Ditlerenzeu. So fand Schrötrr, dass das Bcckeu
der Esthin und Deutschen ein .stärker entwickeltes L^t, als das der
Polin und .lud in; dass das Becken der letzteren überluiu}»t (la> in
allen Rassen klein.ste ist. Und unter den von iSchröter untersucliti'u
Becken fand sich die stärkste Neigung l)ei den Deutschen, eint»
geringere bei den polnischen Knmeu, eine i- 'i- '■■■••'"'■""•'^ 1-
•Tiid innen, und die allergeringste bei dw» Y.
£ennfi^uu;i itei cju uua üeiuseioen ludividuuiu
staute GrJ'if!8e, denn dii- Haltung und Stdlung desselben ruft wesent-
liche Veränderungen in dem Verhältnisse des Winkels hervor, welchen
die üeckeuaxe und die sogeniinnte Eliene des Beckens zur Körper-
Hxe bildet. Bisher wurde jedoch nicht nachgewiesen, dass die der
Rasse eigcnthOinliche Lieckenncigung die bei einem Volksstamine
beliebte KürjierhaUung der Gebärenden bestimmt oder beeintlusst.
Nach Mond ihre scheiden sich die Weiber Cochinchinas in
Annamitiiincn, Oambodgianerinnen, Chinesinnen und
Minh-hui»ng d. h. Mischlinge von Chinesen und Annamiten.
Von diesen hat die Chinesin das grösste Becken in allen Dimen-
sionen; du rt'ste, che/ eile, tont ce qui se rapporte aux organes de
la generation semljle avoir pris des proportions exageres. Die
Cambodgianerin hat das längste und schmälste Becken.
Ohne allen Zweifel halben die Lebensweise, die Sitten und Ge-
bräuche eines ^'^olkes einen gewis.seu Einfluss auf die herrschende
Beckenfonu. N'or allem ist die Ernährung des Skeletts überhaupt
und namentlich die Zuluhr von knochenbildendem Material sehr wichtig.
In dieser Hinsicht erinnere ich daran, dass G. Fyitgch bei Hotten-
totten und Buschmanns trauen die Becken sowie den ganzen
Kör})er verkünunert fand. Die Becken der Südafrikaner zeigten
weder recht die typischen männlichen, noch die weiblichen Formen,
sondern es war ein Gemisch der verschiedenen Charaktere vor-
.handcu, welches durchschnittlich dem männlichen T}-pns näher liegt.
[Dietie That^ache verdankt ihre Entstehung zum Theil den un-
günstigen Lebensbedingungen, unter welchen das Skelett nicht den
lirad der VoUkomnaenheit erreicht, als unter dem Einflüsse der ('i-
Ivilisation. Ausserdem will man gefunden haben, dass die Beckeu-
maaisse von Negerinnen, die in Amerika gel^oreu waren, durch-
|schuittlich sich dem europäischen Becken mehr nähern; neben
(den Verbesserungen der allgemeinen Verhältnisse war auch eine
I Verbessern ng des Knochengeriistes einhergegaiigeii.
Auch die geV)r5uc.hliche Tracht mag auf tlas Becken, nament-
lich während des Wachstlnnns, mechanisch formverändernd einwirken.
Ebenso wird jedenfall.'» eine specitische langandauernde Korperhaltung
und eine be.^ondere Arbeiisthätigkeit die Gestaltung dieser Knochen-
gruppt! mitbedingeu. Schon Cliassnniol sprach den Verdacht aus,
(bujs der Brauch junger Negerinnen, die Kinder rittlings auf
«len Hüften einherzutnigen, eine Verkrümmung des Seitentheils ihrer
Becken herbeittlhre. Und lirrthrrand, welcher die Becken der
iberinnen in Algerien sehr weit geöflnet fand, .sucht die Ur-
;he in drei Be<linguugeu : erstens im Tragen der Kinder auf dem
lücken während il»*r ganzen Säugungsperiode, zweitens im Reiten
I't'erd '^rhon in trüber .lugend »md ilrittens im Sitzen mit unter-
{e-< Beinrn narh Art der Schneider in unseren Landen, ii///*
> die Chinesinnen, bei denen er öfter hohe, .schmalf
•"nnd, dies mit Wahrscheinlichkeit nur der sitzenden Lebens-
1 2 4 V . Die ilusser
SalörgSSe des Weibes in etBnögmpf
weise zu verdanken haben. Das alles mlisste freilich noch naher'
untersucht werden, wie auch die etwaige Wirkung der Art, wie beij
manchen Völkern das kleine Kind eingeschnürt und getragen wird,]
wie es kriecht, bevor es auf die Beine kommt u. s. w. Gegen diel
Ansicht, dass der Rasseutypus der Beckeugostalt durch die Runipt-
last, durch den Muskelzug und durch den seitlichen Gegendruck |
der Femora nioditicirt werde, trat unter Anderen Schliepkake auf,
indem er meiut, da^s die Fonu des späteren Beckens im Ganzen
schon in der Uranlage desselben gegeben ist, und dass durch ^
Humpflast u. s. w. nur noch einzelne Modificationen hinzukommen. ^
Das Tragen der Kinder rittlings auf den Hinterbacken, welches
namentlich im Westen Afrikas bei den Negerinnen ganz gebräuch-
lich ist, hat auch zu der Vermuthung Anlass gegel>en, dass hier-l
durch die an diesen Weibern bemerkbare Einbiegung des Lenden-
theils am Rückgrat zu erklären sei; es würde hiermit der erste
Grad einer Rückgratsverkrümmung (Lordose) zu Stande kommen.
Die Körperhaltung, die durch solche Einwärtsbiegung des unteren
Theils der Wirbelsäule bedingt wird, hat wiederum zur Folge, dass ,
das Becken mehr als gewöhnlich geneigt ist, indem sich sein vor-
derer Theil ganz von selbst tiefer stellt. Allein auch diese grössere
Beckenueigung erzeugt nicht auch et^'a (durch die Alteration der
normaleu Richtung der Wirbelsäule) eine Verschiebung der Arti-
cidation der Wirbelkörper in der Sacro-Lupibar-Gegend (wie etwa nach
Hennig^ Lambl u. A. an der Pariser Hottentotten -Venus ge-
funden wurde). Vielmehr findet eine Abweichung der Stellung und
Richtung der gesammten Lumbar- Partie des Rückgrats statt. Da-
her ist auch Ber enger- Feraud im Irrthum, wenn er das Vorspringen
der Hinterbacken bei den Negern Senegambiens von der schiefen
Anschliessung des Beckens an die letzten Lendenwirbel herleitet. Aller- ■
dings ist nun die gesammte Beschaffenheit des ganzen Skeletttheils in ■
der Beckengegend durch diese Gewohnheit, das Kind zu tragen,
vielleicht erst erworben und dann mit der Zeit nach und nach ha-
bituell geworden. Eine weitere Frage ist aber, ob diese Einbiegung
der Lendenwirbel irgendwo den Geburtsverlauf beeinträchtigt?
Allerdings sollen viele Negerinneu bei der Geburt eine Stellung
einnehmen, in welcher die Lendenkrttmmung über dem Promontorium
sich wesentlich ausgleicht, so dass die Kindestheile l)ei der ver-
änderten ßcckenneigung leicht nach aussen gleiten tmd kein Hinder-
ttiss finden.
Der oft ausgesprochenen Behauptung gegenüber, dass die Ge-
burti.*n bei einem Volke oder bei einer Rasse wegen des speci-
fischen B ecken bau fs vi>i*7.ugswi»ise lej«*bt oder s<'.|iwer vor sidi
gt'hon, müssen wir «'ine lialtung bewahren: wir
glauben im Gcgentb-'il, ii
wiesen sind, «o lau
itiiTitrcn vnrjäu'fiß uner*
lichg«-
,.,...,,.. bei den
rbti-u und derwa.
1 20 ^'' ^J*! SluBseren Sexualorgnne ilc« Weibcä in ethuogravili. Hfii'^iclil.
Becken ganz genau in recht zahlreichen Exemplaren mit einander
zu verf^leicheu. Wir werden nn amlerer Stelle, wo wir von der
gesundheifc-igeuiHssen GeLurt uud ihren Bedingimgeu sprechen, auf
diesen Gegenstand austlihrlicher eingehen.
Ohne Zweifel sind n iilit lilosn s ä m m 1 1 i c h e Verhältnisse des Beckeu-
hunes, sondern auch mannigfache Eiirenthtlmli<hkoiteii des gesanimten
weiblichen Organismus, und nicht minder die U rossen Verhältnisse
von dem Kupl'e und der Schiilterhreite des ansgetragenen Kindes
luaassgeljend lür den mehr oder weniger günstigen Verlauf der Ge-
Iturten bei deu verschiedeuen Vülkerschafteu.
Und bei dem vergleichenden Studium der Moasse des weih«
liehen Beckens bei den verschiedenen Rasseu wird man, wenn mau
wirklich ein Bild von den realen Verhältnissen gewinnen will, nie-
mals versäumen dürfen, das Maass der SchTilterbreit^ uud das-
jenige der gesannuten Kürpergrösse mit in Vergleich zu stellen.
Von den Formverhältnissen des knöchernen Beckens wird na-
türlicher Weise zum nicht geringen Theile die Cuntiguration von
dem unteren KTirpeiende der Frau, namentlich diejenige der Ge-
jfässpartie uud der Schenkel, sich in Abhängigkeit betinden. Das
ist ja auch der Grund, dass Messungen am Lebenden an diejsen
Theilen einen Kückschluss auf die geringere oder Ijeti-ächtlichere
Grösse des knöchernen Beckens ermöglichen — ein Umstjiud,
welchen die moderne Geburtshülfe schon seit lauger Zeit für ihre
Zwecke auszunutzen gelernt hat. So kann es kommen, dass bei
bestimmter Stellung der Dannbeine von Natnr l»reite Becken den-
noch für das Auge einen schmalen Eindruck macheu. weil die
Darmbeinkämme nicht in gewohnter Weise lateralwärts ausladen»
sondern sich relativ genähert sind durch ein gesteigertes Steilstehen
der Darmbeine. Ein Beispiel hierfür liefern die Weiber der Loango-
Küßte, von denen Falkinstein'^ sagt:
...\uUUllend Lst un Allgemeinen diu geringe Mi'ckeubreite der Krauen,
ko AiuiA luau beide Geschlechter von hinten kaum untemcheiden würde; ilooh
komuien auch Ausnahtuen vor.*'
Faiditschkc erklärt ein „schiefstehendes" Becken als typisch
den Somali- und Galla-Frauen.
Aehnlich äussert sich auch Wolff* über die Negerinnen i^
Co ngo gebiete:
„Die breitt-n Beckcnknochon stehen, wie bekannt, bei allen Nf^reru
fteiU'r, als bei uns; divs ganze Becken iet um seine horiKöntale .Vxe ^'edieht.
»o dasy diici uutur*5 Kndu mehr nach hinten steht, aU bei aas, es treten da-
bei" dit^ (Jhiiaeen, die die Hinterbacken bilden, sehr »tark hervor, wiihrend
die ITfllten auch bei den Weibern 8chm»l sind.
Andererseits kann bei Frauen, welche im Ganzen eiiioi grazil«
and schmächtigen Eindruck machen, doch das Hintertheil relat
grosse Dimensionen erreichen: Sohatf- "' ' ' ' r lungereZ«
eintr gynäkologische Abtheilung in ^ • '
rl apanefinnen als breit un
pljywn , .1111. II «;.-llf ifTriK^i-ll >c(
19. Das weibliche Becken. 127
Ein zweiter wichtiger Factor, welcher für die Form der weib-
lichen Hüften kaum minder maassgebend ist, als das knöcherne Ge-
rüst des Beckens, das ist die grössere oder geringere Fülle des
üuterhautfettgewebes, dessen Menge bei verschiedenen Völkern eine
ausserordentlich verschiedene ist. Hierdurch wird, allerdings im
Vereine mit der Ausbildung der Schenkel und der Waden und mit
der Schulterl)reite, die allgemeine Erscheinung des Weibes, die wir
gewöhnlich als ihren Wuchs bezeichnen, ganz bedeutend beein-
ilusst oder eigentlich bedingt. Die Figur 20 ist bestimmt, einige
Repräsentantinnen des weiblichen Geschlechts vorzuführen, welche
dem Leser beträchtliche Verschiedenheiten in dieser Beziehung auch
bei jugendlichen Individuen vor Augen führen, insoweit dieselben
verschiedenen Rassen angehören. Die in ihren Proportionen unseren
Geschmack am meisten befriedigenden Gestalten sind die beiden
Europäerinnen (No. 5 und 8), denen die kleine Dajakin von
Borneo (No. 3) sich am nächsten anschliesst. Die Samoanerin
(No. 7) erscheint uns auch noch proportionirt gebaut, doch neigt
sie schon zu etwas überreichlicher Fülle hin, während die beiden
Sudanesinnen (No. 1 und 4) und die Australierin (No. 2) eine
für unser Auge abschreckende Magerkeit besitzen. Das Mondü-
Weib aus Oentral-Afrika (No. 6) zeigt recht deutlich den fast
männlichen Habitus, die beträchtliche Schulterbreite im Vergleich
zu der viel geringeren Hüftenbreite, und ausserdem bemerken wir
die für die afrikanischen Völker fast charakteristische kümmer-
liche Ausbildung der Waden.
Besonders arm an Unterhautfett sind namentlich die Australier-
innen. Bei denen aus Queensland, welche vor zwei Jahren
Europa durchreisten, machten die Hüften und Schenkel, sowie die
Waden, wenn derartige dürre Gebilde diesen Namen verdienen,
durch ihre ausserordentliche Schmalheit nind Magerkeit einen ge-
radezu überraschenden Eindruck. (Fig. 20 No. 2.)
Die Steigerung in das Extreme nach der anderen Richtung
hin treuen wir in einer eigenartigen, dem weiblichen Geschlechte
bei verschiedenen Völkerschaften Afrikas vornehmlich zukom-
menden Bildung eines besonders stark entwickelten Fettpolsters an
den Gesässtheilen. Es ist dieses der sogenannte Fettsteiss oder
die Steatopygie.
Diese Besonderheit kommt namentlich bei den Buschmann-
und Hottentotten -Frauen vor; sie tritt schon in der Jugend-
zeit auf, doch hat man noch nicht genauer angegeben, von welchem
Lebensalter an diese örtliche Fettablagerung sich vollzieht (Fig. 2 1
No.2). Blancard berichtet nach Le VaiUant, que l'hypertrophie
fessiere apparaissait des la premiere enfance, accentuant ainsi la
dilFerence entre la fille et le gar9on.
Auch von anderer Seite wird dieses behauptet. Jedoch zeigten
bei den kürzlich in Berlin ausgestellten sogenannten i''arjm'schen
Erdmenschen, d. h. Buschmännern aus der Kalahari-
Wtlste, auch die Männer eine ungewöhnliche fülle der Hintor-
backen. Allerdings stand das sie begleitende kleine Mndcheu in
dieser Beziehung den Männern karnn mtcb. (Fig. 21 No. 3.; Ajigeb-
lioh soll bei Mischlingen die 8teatopjgie nicht zur Ausbildung
gelangen.
„C"ettt' protiibemnce, sagt Louis \'inceiit, qui cxif.le au niveiiu de lu
rögion fessif-rc, a fetd regardee par certaina auteurs coranie tle nattirc muscu»
leuse: il n'en est rien; c'est une masse d'une con.sistance cla.stir|ue et Lrem-
Idautc cntierement formöe de graissc et traversee eu ton« teus par d«? gror
faisceaux de fibres lamineuscs, tres-irreguli^rement entre-croiaees.
Die von Civier beschriebene sogenannte H n t tentott e ii-
Venus besass diesen Fetthöcker in holiem (irade : die Höhe der
Hinterbacken betrug 10,2 cm. Die von Tloiirr und Murie unter-
suchte, etwa 21 .lahre alt in England verstorbene Buschmann in
hatte zwar keinen eigentlichen Fetthl'icker, doch war bei ihr die
Fettschicht der Hinterbacken l',4 Zoll dick, und die Haut darüber
hatte ein loses, gefaltetes Aussehen, als wenn sie früher viel be-
deutender ausgedehnt gewesen wäre. — Bei der von Luachla und
(iörts untersuchten Leiche der als „Buschwei h" bezeichneten Afundi/
betrug die Dicke des Fettpolsters, nachdem es ein ,Iahr lang in
Weingeist gelegen, in seiner grös^ten Mächtigkeit 4 — 4,5 cra ; es
war hier nicht bloss das angehäufte Fett bedeutender, sondern auch
die Vertheilung des Fettes eine andere, als bei Europäerinnen;
am stärksten war .sie in der Gegend der Darrabeinkämnie und über
den Muse, glutaei max., und während bei Europäerinnen die
Stärke der Wölbung vom Darmbein nach unten zu allmählich zu-
nimmt, verflacht sich bei der H<it tentott in die Partie immer
mehr nach der hinteren Oliersthenkelfläche hin. Die genaue ana^
tomische Beschreibung dieser Autoren schliesst völlig die Ansicht
ans, dass die auflallende Erscheinimg etwa von einer besonderen
Neigung des Becken.s herrühren könnt*;, und dass das Kreuzl»pin
nach hinten zu gestreckt sei.
Auf diesem Fettpolster, Aredi genannt, lässt die Hottentottin
ihr Kind ruhen: da-sselbe gilt unter dem Hottentottenvolke als
Schönheit, wie denn überhaupt runde, fette und flei.schige Formen
bei ihnen den Maassstab ftir diese Eigenschaft abgeben. Aach
Thophil Hiüin^ tritt der Meinung entgegen, dass das Kreuzbein
bei den Hottentotten abnorm vorrage, denn nicht bloss das weib-
liche, sondern auch das männliche Geschlecht zeigt bei diesem Volke
die Eigenthlinilichkeit, tind er selbst hatte an seinen iSpielkamerftdem
jungen Hottentotten, oft Gelegenheit zu beobachten, wie iu der
guten .lahreszeit, wo es viel Milch und Wildpret gab, Uire 6e«ft»i-
theile für unsere europäischen Vorstellungen nachjji i ' ' ' illmfl«?
nimeusioneu nrui>ilin:«n, wülircnd bei geringerer ^ iliese
Fettmusse sich wieder verlor.
Doch auch andere Völker Afrikas zeichn^Mi -Iil, ,li,i-. li ri;<1ii;<'he
Fettftblageruug HO jenen Theilen auit. Au ^e»
leu
horea die Nigritier des Nils und die Bongo nach Itortinann
hierhin, nvLch lit-voil auch die Soniäli und die Berber. Living-
slone will die Steatopygie sogar auch bei einigen Frauen der Boers
bemerkt haben, welche doch der weissen Hasse angehören. ThuUv
hält diese Angabe für kaum glaul>lich und mochte sie, wenn sie
tauf Thatsachen beruht, nur durch eine Vermischung der eingewan-
derten Ansiedler mit den Eingeborenen erklären ; dagegen weist er
doch auch auf die \'er8icherung von Kvox hin, das« der Fettreich-
V.
V
4
j
-k-'
Tix;
Fig. 21. Fenleibigkeit and Steatopygie.
1. BoogO'FrAU (C«utrikl-Afrikft) (naob Sihweinfiirtli). — 'i. K urauna -W«ili {Slld-
Afrik») (okoh Photgg»»pblc). — 3. Batehm^QU-Mtdchsu (^'urim'm-/i<'/' KtdoieD^oli}
(SUd-AfrikB) (naob riiotogrBphie). — ^. Aethlopiioh« ArAbctln su» deu Pjr»-
mldeugräbem ron Baqtra (naeh ItämicheH).
thum der Hinterbacken durch die Vermischung der Bu.schmänner
mit Kaffern oder mit Europäern bei deren Nachkommen ver-
schwinde.
Bei den Woloffen- Fniuen am Senegal kommt nun zwar
die eigentliche Steatopygie nicht vur, doch hat de lioclichioie an
ihnen eine nicht geringe Entwickelung der Fettbildung an den be-
treffenden Theilen bemerkt und er widerspricht in <lie.sur Beziehung
direct dem negativen Berichte Huard's. Iff Bftrhdn-une hat
von Woloffen -Weibern \'A) Individuen gemes-sen, und er fand den
Umfang der Hinterbacken, wenn auch nicht so bedeutend wie beim
Buschmaun-Weib. so doch grösser als bei den Europäerinnen,
Er hat folgende Zahlen bei der Messung von einem Trochanter
zum anderen liber den höchsten Punkt der Hinteri)ucken hinweg
gefunden: bei der Bu.schmanufrau: 0,791 m,
bei der Wo 1 off -Frau: 0,678 m,
bei den Europäerinnen: 0,ö44 m.
PlQit. Ii»i M.ii - 1 n 9
tinograph. Hinsk-hi.
Die Tibbu - Frauen haben vor den ßornu • Frauen, wie Gusiav
Nachtigal beobachtet, nicht allein den Vorzug regelmässiger, edlerer,
gefalligerer Züge, sondern in ihrer Gestalt den eines wohlgeformten
Beckens, das bei diesen durch seine starke Neigung im Verein mit
der reichlichen Fettablagerung ein widerlich vorspringendes Gesäss
hervorbringt.
In den Pyramidengräbem von Saqära in Aegypten fand
sich auf einem Steine das von Dümichen wiedergegebene Bildniss
einer arabischen Fürstin, welche in dem 17. Jahrhundert vor un-
serer Zeitrechnung regierte. (Fig. 21 No. 4.) Sie föllt durch die
starken Körperformen und namentlich durch die erhebliche Dicke
des beträchtlich vorspringenden Hintertheiles auf, wodurch sie sich
fanz wesentlich von den äusserst schmalhüftigen ägyptischen
rauenbildem «uteracheidet. Wie die Ausgrabungen von Dieulafoy
in S n s a bewiesen haben, waren die damaligen Bewohner dieses
Theiles von Asien Aethiopier. Und diesem Volksstamme gehört
ükue Zweifel auch unsere arabische Fttrafin an.
20. Die üusseren weiblichen Sexoalorgane und ihre
ethnographischen Merkmale.
Es kann leider nicht abgeleugnet werden, dass selbst solche
Objecte, die der Untersuchung durch Aerzte und Anthropologen so
leicht zugänglich sind, wie die weiblichen Sexualorgane europäischer
Nationalitäten, bisher durchaus noch nicht genau genug erörtert
worden .sind, .leder be.schäftigte Geburt.shelfer hatte wohl in seiner
Praxis mitunter Gelegenheit, z. B. ausnahmsweise grosse Nymphen zu
finden. Allein hier sind sie nur eben Ausnahmen : dagegen scheinen die
Verhältnisse sich in anderen Ländern häufiger zu wiederholen, in noch
anderen aber scheinen die betreffenden 'fheile constant grösser zu
sein. Sollte es wahr sein, dass auch hier schon Rasse und Klima
sich von Einflus.n auf Form und Gestalt der äusseren Geschlechts-
theile zeigen? So behauptet unter Anderen Columbat de l'fsrri',
dass in stidlichen Gegenden die Genitalien der Frauen gewöhnlich
höher und mehr nach vom gelegen sind, als in kalten und feuchten
Landern; es sollen die Schottinnen, die Engländerinnen und
Holländerinnen fast immer die Vulva weniger vorn und den
Uterus weiter unten, als die Französinnen des Südens, die Spa-
nierinnen mid Italienerinnen haben. Sollte sich etwas dem
Aehnliches bestätigen, so müsste man wohl als nächsten Grund der
differenten Erscheinung eine verschiedene N ' ' "' " . '
Beckens zu betrachten haben. Die gewol
Körpers ist dabei gewiss ebenfalls ik
In sehr vieler Hinsicht untfis. i
liehen fieschlechtstheile des iSl
20. IHe äusseren weibl. Sexaalorgane a. ihre etbnograpli. Hericmale. 13t
Hierüber sowie ober die Rassen-Diiferenzen beim Menseben hat vor
lUen V, Bi.^rJioff^ vergleichende anutotnische Untersuchungen angestellt.
Die Weiber aller MenschennisBeti besitzen, soweit .sie bla jetzt bekannt
lin«i, groiüse Schamlippen und einen Schainborj; und einen auf beiden stär-
keren Haarwuchs. Bei einigen StAmmen der äthiopischen Raase, vorzüg-
bei Buschniänninnen und Hottentottinnen, scheint allerdings eine
rindere Entwickelung des Schnmberges, der grossen Schamlippen und dos
lesauf denselben vorzukommen, ganz fehlen,sie jedoch niemals. Da-
^esitxen weder die Weibchen der Anthropoiden noch die übrigen
Affen einen Schamberg, deutliche grosse Schamlippen und stärkeren Haar-
I wuchs an den äusseren Geschlechtatheilcn. Nur allein der Orang-Utang hat
vielleicht eine schwache Andeutung grosBer Schamlippen.
Jedoch treten dieselben auch bei den übrigen Anthropoiden
nach Hartmann während der Menstruation deutUch hervor. Sie
besitzen daher kleine äussere und gro.sse innere Schamlippen. Um-
gekehrt ist eine massige Entwickelung der kleinen Schamhppen oder
Nymphen mit dem Praeputinm und Freniilum Clitoridis die Regel bei
dem menchlichen Weibe:
Die Schamtheile der Australierinnen sollen nach Köler^
etwas mehr zurückstehen, daher die Männer, „wa-s ülirigens bei
den meisten Australiern Sitte ist," die Begattxmg von hinten voll-
ziehen.
Jedoch stimmt das Letztere nicht mit den Angaben von Mik-
iHcho-Maclaif überein.
Ueber die Einwohnerinnen des alfurischenArchi pelsbesitzen
wir Nachrichten von RiedelK Er erklärt bei den Weibern der S e ra n g-
ilao- und G orong -Inseln die Beckenbreite ftir gering, den Vagi-
naleingang eng und dieLabia minora für rudimentär. Beiden Weibern
der Bnbar-Inseln ist das Becken breit, die sichtbare Spalte (pli)
der Vulva aber kurz und nicht so lang, als bei den meisten Am-
bonesinnen. Die Inseln L e t i , M o a imd L a k o r besitzen
eine schmalköpfige und eine breitköpfige Bevölkerung. Die Frauen
Ider ersteren haben eine länglichrunde Spalte der Pudenda, Die
breitköpfigen Frauen besitzen nur rudimentäre Nymphen. Die
Weiber von Buru Imben eine enge Schamspalte und rudimentäre
NjTüphen, aber grosse, stark entwickelte Hinterbacken, wohl in
Folge des angestrengten Bergsteigens.
Die Vaginen der Aar u- Insulanerinnen bezeichnet Riedel''* als
klein^ jedoch soll hierzu der Penis der Männer, welcher ebenfalls
nur eine geringe Grö».senentwickelung aufweist, im Verhältniss stehen.
Von den gro.^sen und breiten Schanilefzen der Guarani-
[Weiber in Südamerika sprechen tu Azara und Renygo'.
Bei der Section der an Pneumonie und Pleuritis verstorbenen
b'^eoKrländerin Lose fand v. Bischoff' Folgendes :
•" a«"' -n dernelVicn zeigte xich eben ao wenig wie
' • ' Spur von Haarwucha; nur auf der oborcn
{luden sich einzelne Hirchen (etwa 1 cm
Spur einer Rasnr oder AusreisAeu der Haare.
132
i«8 Wribm in ethnograph. Hinsicht.
Die grossen Schamlippen sind mSoaig ctark entwickelt und laasen
zwischen sich eine gegen 6,5 cm lange xiemlicb geschlossene Schanis^>alte.
Oben an dem Schamberg gehen sie mit einer etwas vertieften Conimissur
in einander über; nach unten und hinten bilden sie eine hioteie Commissut
mit einem schwach entwickelten Krenulotu und dahinter gelegener FoBsa
navicularis. Die rechte grosse Schamlippe ist etwas stärker entwickelt aU
die linke. Eigenthüinlich ist es, dass um den weit uä'en stehenden and von
einigen Hüniorrboidalknoten umgebenen After herum die Epidermis fehlt,
und dieser Mangel sich auch bis hinauf zu dem unteren Ende der linken
grossen Schamlippe fortsetzt. Die-te Arrosion musste von einem entweder
aua dem After oder aus der Vulva herrührenden scharfen Ausflüsse veran-
lasst sein. — Die kleinen Schamlippen ragen nicht vor der Schamspalte
vor, und ist die rechte ansehnlich grösser als die linke. Nach unten ver-
lieren sich beide in den Scheidenvorhof; nach oben theilt »ich die rechte in
zwei Fortsätze, deren Süsserer, sich an die innere Fläche der grossen Scham-
lippen anlehnend, bis an die obere Commiieur der letzteren sich hinzieht,
der innere aber sich, wie das obere Ende der linken kleinen Schamlippe,
abermals in zwei kleinere Falten spaltet, deren ftussere das Präputium
Clitoridis. die innere das Frcnulum Clitoridis in gewöhnlicher Weise bildet. —
Die Clitoris ist von normaler Grösse und auch die Glans derselben tritt
nicht mehr wie gewfibniich hervor; 2 cm hinter und unter der Clitoris be-
findet sich an der oberen Wand des Scheidenvorhofs die Harnröhrenöff-
uung, welche nur die EigenthQmlichkeit zeigt, dass von den sie umgebeaden
Schleimhautfalten eine auf jeder Seite aich im Bogen nach oben an der
inneren Seite des Scheidenvorhofs hinzieht und so auf beiden Seiten eine
kleine Tasche bildet. Am Scheideneingang finden sich mehrere ziemlich
stark hervortretende Carunculae myrtiformes.
Die Scheide ist 11 bis 12 cm lang, und plattgelegt 3,5 cm breit. Ei
finden sich an ihrer vorderen und hinteren Wand Coluranne rugarum, welche
besonders an der vorderen Wand ziemlich stark entwickelt sind und in einem
gegen die Harnröhrenöifnung sich hinziehenden Wulst vorspringen."
Schon früher war die ältere Feuerländerin Gatharina, die
Mutter des Mädchens von 4 Jahren, gestorben, r. Meyer berichtet
ans dem Gedächtniss, das.s bei ihr das Fettpolster der Labia uiajora
nur gering entwickelt war. Die beiden genannten Labien umgaben
eine klaffende Scbamspalte, so dass die Labia minora und die CHioris
sichtbar waren. Die Behaarung des Mons pubis bestand nur aus
zartem Flaum von V2 Ctti langen feinen Haaren.
Die Kamtschadalinnen sollen nach StcUer lauge und vor-
hängende Nymphen besitzen, ähnlich wie wir sie bei den Hotten-
tottinnen kennen lernen werden. — Nach Virey besitzen sie
mit grosser Wahrscheinlichkeit eine weite Mutterscheide, da sie
gewohnt sind, in ihrer Vagina eine Art Mutterkränzchen aus Birken-
rinde zu tragen. Ob sie dieses aber immer thun, oder ähnlich wie
manche Insulanerinnen des malayischen Archipels nur in der Zeit
der Menstruation, das ist aus dieser Notiz nicht zu ersehen.
Die äusseren Genitalien der Japanerinnen bieten manche
Eigenthüralichkeiten dar; Wernich fand Folgendes in seiner gynäko-
logischen Abtheilung zu Yeddo:
Die grossen Schamlippen sind fettarm and, auch bei jnogen rorsonea.
ii«c«ren weit
iogtvpt
«ehr schlatt'. Der Hamröbrenwulst springt ^ebr erheblich hervor, was viel»
Wtchi auf diia in den niederen St&nden ganz gebräuchliche Uriniren in auf-
rechter Stellang zurückzufUfaren ist. Die Scheide ist kurz, nie fand Wernich
ein« über 7 cm lang. Ein Hymen ist ihm niemals ku GeBicht gekommen.
Der Damm erschien im Allgemeinen nicht von besonderer Breite. Congestioni-
ning und Consifitenzsunahme (Erection) der Portio vaginalis kam bei den
Untersuchungen viel häutiger vor, als bei den europäischen Frauen.
Die Japanerinnen haben, wie es heisst, so enge Genitalien,
floss Aerzte angestellt sind, welche aus den Pnellis publicis die-
jenigen ftuasuchen. deren Genitalien ohne beiderseitige Incouvenienz
den Coitus mit dem krüftigen Gliede eines Europäers gestatten.
Ob diese mir zugegangene Mittheilung auf Thatsachen beniht, muss
weiter erörtert werden. *
Doenitz^ welcher Jahre lang als Angestellter der japani-
schen Regiemng gelebt hat und in Tokio eine sittenpolizei-
liche Controle der Prostituirten einführte, erklärt-e dem Herausgeber
die Angabe als unzutreffend. Die Vaginen waren t\ir die auch bei
gebräuchliche Durchschnittsnumnier der Mutterspiegel bequem
sirbar. Auch pflegen die dort lebenden Europäer sich selbst
Ihre ("oncubineii zu wählen und sie nicht aus den Händen der
Polizei zu empfangen.
Die Aunamiten-Fraa in Cochinchina ist in ihren Ge-
schlechtsorganen nach Mondiete anders gebaut, als die E u r o -
päerin. Sie besitzt nicht die grosse Erweiterung und die grosse
Krümmung, welche bei unseren trauen durch die Verlängerung de»
Perinaenm gegeben Ist ; alle zwischen Os pubis, Os ischii imd Os coc-
cjrgis liegenden Theile haben die Form eines Trapezoids. Weder
das Perinaeuui noch auch die äusseren Theile wölben sich ; es ist eine
Abflachung der grossen und kleinen Schamlippen vorhanden, und die
Mutter.^chtnde scheint sehr kurz zu sein, so dass das Orificium uteri
dem Scheideneingaug sehr nahe liegt.
Die Vagina der Tatarin soll selbst noch nach der Nieder-
kunft eine grosse Enge besitzen.
Bei den ßafiote- Negern an der Loango-KUste in West-
afrika wird das ihnen wohlbekannte Hymen nkumbi oder tschi-
kumbi gejiannt ; mit denselben Worten bezeichnet man aucli daselbst
ein junges Mädchen vom Zeitpunkte des Menstruationseintritt8 an
bis zur Hingabe an einen Mann. (Perhuel-Loesche.)
Nur bei einigen Negeryölkern wurden die äusseren Geni-
talien der Frauen, die schon Pruner-Beji zum Object seiner Beob-
achtungen gemacht hatte, so genau untersucht und beschrieben,
wie de liochebrmie bei den Woloffen gethan hat.
Kr bezeichnet dieae Genitalien als ,mediocrement d6velopp68*. Eine nur
eiaigo Millimeter hohe Falte Htellt die grossen Schamlippen dar, die Nymphen
riad «inigermaasBen nidiment&r and messen in der Breite 0,004 m, in der
lAnge 0,021 va; so charakteritirt sich das Ganze der Vulva durch eine .\b-
plattting. indem die Oberfläche änsserlich begrenzt ist von zwei cHpsoiden
FUtea* die sich von dem unteren Theil und der Mitte de« .Schumberges bi»
134 V. Die äusseren SexualoTgane dea Weibes in ethuogmph. Hituidit.
auf die vordere <»epend des Perinaeuin verbreiten; dabei schliesaen sich die
inneren Ränder dieser Falten aneinander, indem sie sich nur wie euie leichte.
wellige Linie, selbst bei den Frauen von gewissem Alter, abzeichnen. Aeha-
lich unterscheidet eich die Färbung dieser Tbeile von derjenigen der ganzen
Haut durch blasseres Ausseben, die Nymphen sind bei Erwachsenen schiefer-
blau, dunkelroth bei jungen Mädchen. Die Clitoria ragt beständig
vor; in allen gemessenen Fiillen maaes die freie Partie 0,013 m im Mittel.
Diese Gestaltung diflerirt wesentlich von der der Europilerinnen.
Auf der anderen Seite ist jedoch die habituelle Verlängerung der Nymphen,
welche andere Beobachter als Specialität der Negerinnen beschrieben, nicht
bei den Woloffon zu finden; vielmehr zeigen dieselben hier eine Art von
Atrophie; man kannte, wie de Jiochebntue meint, von einem wahren Zurück-
bleiben in der Elitwickelung reden, denn abgesehen von dem Vorspringen
der Clitoris und von der weiteren Ausdehnung der Obei-fläche der Vulva
kann man die anderen Theile nicht besser vergleichen, als mit denjenigen
eines europäischen Mädchenn von 8 bis 10 Jahren.
Sehr bemerkenswerth ist auch die Stellung, welche dieses Organ ein-
nimmt Wenn man eine senkrechte Linie durch den Körper der Frau von
oben bis unten auf die Basis zieht, und auf diese Linie eine perpendiculäre
Fläche sich gelegt denkt, welche das Niveau der Afteröffnung hllt, so findet
man, dasa die Fossa navicularis in dieser Fläche gelegen ist, und dass dem-
zufolge die Basis der Vulva in einem Punkte liegt, der verhältnissmäesig
hoch zur Verticalen ist. Weiterbm zeigt sich dies auch an der Länge des
Perinaeum, die sehr bemerkenswerth ist. Während die Länge desselben bei
der E uropäerin im Mittel 0,012 m misst, findet man sie bei der Woloff-
Frau 0.025 m; aus diesem Unterschied von 0,013 m erhellt, dass die Vulva
um 80 viel zurückliegt.
V. Bischoff' in München fand an den Genitalien einer
angeblich aus dem Sudan (Ostafrika) stammenden, in München
verstorbenen Negerin gut entwickelte grosse Schamlippen. Aber
obwohl die Person noch Jungfrau war, d. h. ein noch deutlich
ausgesprochenes Hymen besass, klaffte dennoch die Scharaspalte
in der Art, dass die beiden ansehnlich grossea Schamlippen mit
schwarzem Pigment versehen waren, während sie au ihrer inneren
Fläche, soweit diese den Scheidenvorhof begrenzte, von einer röth-
lichen Schleimhaut überzogen waren. v. Biscfwff' setzt hinzu ;
»Mit diesen geringeu Modificationen, die übrigens auch bei Euro-
päerinnen in ähnlicher Weise vorkommeu, stimmen die.se Geni-
talien ganz mit denen von Weibern europäischer Völkerschaften
überein, namentlich war auch hier die Clitoris keineswegH
stärker entwickelt.'-
Bei den Negerinnen soll nach .\usspruch eines anderen Autor»
das Hymen viel höher sitzen, als bei Weissen.
Von den äusseren Genitalien der eingeborenen Frauen Alge-
riens (Araberinnen) berichtet Bertherand Folgendes:
,Par8uitede la pr^cociti!> — dans la pubert^ hät^e, par nne vie «Adoi-
taire et le «limate — dan^ la d6pravation den moeurs favoris^es par Ik
poIygamie et les unions conjugales prömaturees, tes organee genitaux acqai^e&t
un d^reloppement tr^ • prononc^. Chez les femnxes surtoot. rexubötaoce
>)e teoseren weit
^nograpl
135
dee grandes levres explique parfaitement la aecessite de leur excision dsma
lee regioDB plus rapproch^es des tropiqnes. Le clitoris i-kI volomineux
et tr&a-pro6minent, le vagin trJ's-ample.*
Ausserordentlich viel ist bis in die neueste Zeit liinein discutirt
worden über die Scbamlefzen der Hottentotten- und Busch-
mann-Frauen, ihre sogenannte , Schürze" oder ,Tablier''. Schon
in älterer Zeit, z. B. durch Kolha, erliielt man Mittheilungen über
diesen interessanten und auffallenden Gegenstand; so berichtet schon
Ten BJiyne: ,Feminae Hottentotticae hoc sibi a ceteris genti-
buß peculiare habent, quod pleraeque earum dactyliformes , semper
geminas e pudendis propendentes , pruductas scilicet nymphas
gestent." Zwar erklärte der alte Blumetiharh diese Angaben iVir
eine Erdichtung. Doch gar bald wurden sie von Anderen {Tackard,
Spannaun, Sancks, Frron, Lesueiir) bestätigt. So schien denn
festzustehen, dass die .Schürze" der einj^eborenen Frauen in Afrika
in einer excessiven Entwickelung der Nymphen bestehe. Da trat
plötzlich Le VaiUant mit seiner bekannten ßehauptiuig auf, dass
hier nicht von einer natürlichen, vielmehr nur von einer künst-
lichen Missbildung die Kede sein könne. Man suchte aber, abgesehen
davon, dass doch auch bei vielen anderen Völkern von Natur ganz
ähnliche Missbildungen vorkommen, anatomisch nachzuweisen, dass
die mitunter 14 — 18 cm. betragende Vergrosserung der Nymphen
oft zugleich mit ,einer Verlängerung des Praeputiura Clitoridis bei
Frauen der Betschuanen-Stämme einhergehe. Namentlich machte
uns Cuvier mit den betreffenden Verhältnissen seiner berühmten
Hottentotten-Venus bekannt, welche zu Paris 181 <> starb;
und Johanm'S Miillcr besprach die Angelegenheit in gleichem Sinne.
Diese Hottentotten -Venus, deren Modell im Pariser Mu.seum
steht, hatte, wie de Quatrefayes berichtet, folgende Maasse: die rechte
kleine Schamlippe 55, die linke 61 mm Länge, die rechte 34, die
linke 32 mm Breite, die Dicke des Organs bleibt sich überall gleich
und erreicht 15 mm. Auch bildete Wilhelm Heinrich Buscli die
Hottentotten-Schürze als zu lange Nymphen durch natür-
liche Missbildung ab.
Nach Cuviers Untersuchung dieser Venus Hottentotte be-
standen die fleischigen Lappen, welche den Sinus pudoris constituiren,
in der Mitte aus dem Praeputium Clitoridis und dem obersten Theil
der Nymphen, alles Uebrige aus der Entwickelung der ivnteren
Partie des letzteren.
Weiterhin fand man an dieser im Jahre
1815 durch einen Holländer nach Paris
gebrachten und dort im nächsten Jahre ver-
storbenen sogenannten , Buschmann-
Hottentottin" nach Viret/s Bericht
bei der Untersuchung der Geschlechtstheile
an der Leiche, dass die angebliche
»Schürze" der Hottentottinuen „nichts
Fig. 22. HoUentottsnson&ne
(naoli Fbotogiaphie}.
1 RO ^- ^^^ llaasereQ Sexualorgaue des Weibes 'm ethnogr. Hlneicbt.
weiter «ei, als die beiden Nyniphen, welche sehr verlängert a<if
beiden SeiU'n hiih den fast unmerklich vorhandenen, sehr verklei-
nerton j^ro>(sen Schamlippen herabhängen. Diese von aussen braunen
und von iiuu'n betrachtet dunkelrothen Nymphen sind ungefähr
zwei Zoll lang vind bedecken den Eingang der Scheide und Harn-
röhre. Man kann dieselben, da sie abwärts und zunächst dem
Mittelflpinrh nicht anhängen, ungefähr wie zwei Ohren über der
Schaui in dit- Hölie heben."
Ks lag im (leiste jener Zeit, in welcher man diese Thatsachen
keniK.'Ji liTiitc, dii.s.>j die (»elehrt.en sofort aus analogen Erscheinungen
ciui! Erkliuung fiir die Entstehung so eigenth timlicher anatomischer
Bildung /u construiren Hucliten. Unter Anderem finde ich folgende
Aeu8M<'rung (Itcnard): „Man kann diu sonderbare Verlängerung der
äusseren Zeugungstheile der Afrikanerinnen mit der gewisser
Hlumen des nänüiclieii Himmelsstrichs vergleichen, z. B. mit den
Geiimieii (PelarRoniuin), deren obere Blumenblätter länger als die
nniereu sind, vit'lleiclit um die Geschlechtstheile zu bedecken und
gt*gi«u di«> allzu hrrnnende *Sonn€r von Afrika zu schützen. Linne
vergleicht die Hlunienblätter (l'etAla) mit den Nymphen, und die
Ursache der Verlängerung der einen wie der anderen kann in der
Hitze dos Klimas liegen." Ein solcher Erklärungsversuch ermangelt
allerdings weiterer Begründung; mindestens kann hier wohl nicht
an die teleologische Zweckbestimmung der verlängerten Nymphen
alw Sohutzorgane vor einer schädigenden Wirkung des heissen Klimas
gedacht werden.
Die bei der Section der Sarah von Cuvittr gefundenen anato-
misehen Verhältnisse stimmen ziemlich genau öbereiu mit dem, was
Reisende aus der Heimat der Hottentotten- Schürze nach genauer
Orientinmg berichtet hatten. Insbesondere erhielt die ganze Sache
ihre Bestätigung durch Damberger, durch Barrow und Andere.
Ditmhrt'gcr sagt:
,Di« Sehaiakfeen waren etwa 3 — 4 Zoll lang und formirt«n Qber der
Soham. wo ato flbevetnander geedüangen waren, gleichsam ein Schloss,
welobea, veaa •• geroitt wird, sich von selbst öffnet, da sicli dann die
SobamMbM BUMtreoken. Herr Vtänamt macht duron eine äbertriebene Be-
adneihva^, t«gl eOff»r, das« di«üeius*at waldte ihre Sehamtbeüe ae hali«*
«ollm. SUine oder tonst etwas Sofaweros ia ihre Lefeen hiafeo, wedorcli sie
in die Liofe geipgsn wilnleii; dts Unstaktlufte dieser Behnnptaag wird
JI«d«T Mehl eiasehes.* Stwa« geoaner beeohriA Bmrrott die Schaasthetle
det Weiber der BnsehiB inner: »Die bejratiwte Geschi^te, daas die hotten-
ioilisehefe FnuNMdnmer eixi «afev^luüielMi AalUmgmi aa den Theileii
habea, dfe das Aofe se<lca a sAea MmmuM, ist ia Aneelwag der Bnscb-
mlaeer TdOig wiixt. Die Borde, die wir aatzatai. war dräut medwa.
Bei der CaleniMhwig tuAm vir. dass ea ia comt VecOagem« der iaaeim
gehaiHppea bestead, dte «mIv oder wcaiger gros» warea. je aertidw dfa
Phoob «II oder eoMt bwihaffe« «ar.* MU dea JehMa oolte adadiek die
NnB»he» M Uac* wliiw Die Uage 4m giümtm, mtkkm Bamm
BMaea. beln« & loll. Die r\iita der so
20. I>ie äusseren vdbl. Sexnalorgane u. ibro ethoogRipli. Merkmale. 137
blau, in das Höthlicbe sich verlierend sein und am lueistea mit der des
Aufiwuchsea am Scboabel eines Truthahns Aehnlichkeit haben. Während
aber bei Europäerinnen die kleinen Schamlefxen sich runzeln, werden sie
bei den ITottentottinnen völlig glatt.
Nach Ausspruch des Zoologen Lichtenstein zu Berlin 'ist die
Hottentottenschürze kein Kunstproduct ; sie ist in der Jugend
vor der Pubertätsentwickelung und bis zum 20. Jahre im Ganzen
wenig ausgebildet und nimmt im Alter zu.
So viel wussten wir Thatsächliches ; da fand sich plötzlich
vor wenigen Jahren eine zweifache Gelegenheit, dass fast gleich-
zeitig von einigen Forschem die Sache wieder hier in Europa
anatomisch erörtert werden konnte. In Deutschland und
in England starben zwei Bnschweiber. Luschka mit
seinen Schülern in Tübingen untersuchten das eine, Flower und
Mtirie in London das andere Exemplar. Mehrere Jahre lang hatte
sich das Buschweib ,,Afandy''^ in Deutschland sehen lassen,
und als sie in ihrem 30. Lebensjahre zii Ulm gestorben war, lieferte
Luschka über ihre Geschlechtstheile eine genaue anatomische
Beschreibung mit Abbildungen. Während die grossen Schamlijjpen
ganz ähnlich wie in Cuvier's und Johannes MiilUr's Fjüleu schwach
ausgebildet waren, so dass sie wenig zur Bildmig einer Spalte
tendirten, vielmehr wesentlich dazu beitrugen, dasss die Nymphen
fast in ihrer ganzen Länge bloss lagen, bedingten fast ausschliess-
lich die kleinen Schamlippen ftir sich das Aequlvalent der Rima
pudendi. Sie hängen als zwei weiche, schrautzigrothe, von beiden
Seiten abgeplattete Lappen schlatf herunter tind berühren .sich mit
ihren zugekehrten Flächen so, dass nur im Bereiche der unteren
Ränder einiger Abstand obwaltet. Die Länge der Nymphen von
ihrer Basis bis zu der von derselben am weitesten entfernten Stelle
gemessen, belief sich auf 3 '12 cm, so dsvs-s sie also das Maass der
von Curier und MüUer beachriebenen Fälle nicht erreichten, dagegen
die gewöhnliche im Maximum nur 7 mm betragende Länge der
Nymphen weit übertrafen (Goerfs), — Flower's und Murie's Fall
betraf ein Buschmann-Mädchen, welches im wahrscheinlichen Alter
von 21 Jahren im Juni 1864 iii London an Tuberculose starb.
Auch bei diesem Mädchen waren die Labia majora nur klein, imd
wohl nur deshalb lag die ebenfalls massig entwickelte Clitoris weit
mehr zu Tage, als beim europäischen Weibe; doch war dieselbe
mit einem wohl entwickelten Praeputium versehen, dessen Seiten
sich abwärts in die Nymphen fortsetzten. Letztere stellten sich als
grosse, 1,2" lange, sehr ausdehnbare Lappen von dunkelrother, fast
schwärzlicher Farbe dar. Femer fuhren Flower uud MhHc nach
den Mittheilungen eines am Cap wohnenden Beobachters über die
äusseren Genitalien zweier anderer Hottentottinnen, Mutter und
Tochter, an: Bei der 12jährigen Tochter waren die Glutaei schon
mit dem bekannten halbkugeligen Fettkissen bedeckt, die Nymphen
hingen in aufrechter Stellung des Mädchens als zwei 3^/2" lange
lö^ane des Weibes in etlmögrapi
Lappen herab; das Hymen war nicht intact; — die Mutter nahm
ihre ungemein verlängerten Lappen auf, legte den rechten nm die
rechte Seite über das Gesäss, den linken ebenso, mid die Enden
beider berührten sich hinten in der Mittellinie,
JBlanchord benutzt die absonderliche Bildung der Genitalien
der Buschweiber^ ura den letzteren die niederste Stufe auf der
Scala der menschlichen Eutwickeliing zuzuweisen, indem er bei
ihnen eine erhebliche Thierähnliclikeit und zwar im Speciellen
pithecoide, affenartige Zustände nachzuweisen bemüht ist. Er citirt
Cncier, welcher sich über die Steatopygie der Buschweiber fol-
gendermaassen äussert;
,Elles ofi^ent une ressemblance frappante avec celles qui surviennent
aux femelles des mandrills, des papions, ek-, et qui prennent, k certaines
epoques de leur vie, un accroissement vraiment raonstrueux." ,,RappeloDa tout
d'abord, fahrt BlancJuird fort, que le tablier est oonstitue par une hjrper-
trophie coüsiderftble dea petitea levresj et du pr6puce du clitoria. En ni^me
tempB qiie les nymphes se dereloppeut de la sorte, la taille du clitoris aug-
monte elle-uidme dana de notablea proportions, niois lea grandes levTca et le
Qiont de Venus gabisscnt une regreasion veritable et sont loin de präsenter
un dÄveloppement cotuparable ä celai qu'ils atteignent chez les femuies
d'autrey races. II en reaulte que lea nymphea d^bordent de beaucoup lea
grandes levrea et que la rima pudendi, c'eat-äi-dire la ligne auivant laquelle
ä'affrontent ces demierea, n'exiate plna; ou plutöt, eile ae trouve anormale-
ment conatituee par lea petites levres.
On ne saurait meconnaStre l'analogie reuiarquable qui existe entro cette
diaposition de lu vulve chcz le chimpanzä fenaelle et la conlormation de ce«
tußmes partiea clicz la iemme boschimane."
In der Berliner anthropo-
logischen Gesellschaft besprach
Waldryer das Präparat von den
Geschlechtstheilen eine^ K o ♦
rannaweibes. Die im südöst-
lichen Afrika wohnenden Ko-
ranna sind Betschuanen
(Hottentotten), welche nach
F ritsch mit sehr viel Busch-
mannsblut gemischt sein sollen.
„Die beiden Labia inajora eind
gut entwickelt, deutlich durch eine
Pl(f. 23. Hotteiitott«n»ohttMe (n»ehÄ/«»rA<irrf). Furche von dem noch erhaltenen
Schenkelresto abgesetxt; die Com-
miaauralabiorura anperior ist ausgerundet und tritt nicht bestimmt hervor; ander
InnenÜii^he der grossen Labien finden sich noch vereinzelte stJlrkere Haare
im Zusammenhange mit der erwähnten äusseren Behaaning. EiueCoturoiaaura
labiomm inferior fehlt völlig, da die beiden Labien anulwärts sich weil ron
einander entfernen und sich unmerklich in die Haut den Daminea verlieren.
Oben haben die grossen Lippen eine Breite von 3 cui, in der Mitte von
2 cm, gegen das untere Ende von 1 cm.
2ü. Dieduflseren weibl. Sexualorgane o. ihre etlisogrmnii.
l»
Die Scbamgpalte klafTb ziemlich weit In ihrer ganzen I'iage. Dim
Klaffen wird bedingt durch eine umfangreiche Hervorra^j^ong. di« wie wi
fin«n] rundlichen Stiel unter der Comniissura labiorum soperior beginnt ud
abwärts in /.wei rundliche, blattförmige Lappen ausläuft. Letztere ragen
au« dein mittleren Theüo der Schamspadte hervor, liegen dicht aneinander
und decken schürten förmig den ganzen unteren Abgchnitt der genannten
Spalte bis zum Damme bin. Der stielfOrmige obere Theil diese« Vorhänge«
wird in dem Zustande, in welchem sich das Präparat gegenwärtig
von den Labia majora nicht gedeckt, ist ohne weitere« deatlidb
Dnlngt man die letzteren jedoch aneinander, so wie sie etw% bca
Schenkeln liegen müssen, so decken dieselben den StieL
Der letztere weist »ich ala da« verdickte and
längertc Praeputium clitoridis aus, die beiden Lappen jj< dat
tien der kleinen Schamlippen. Diese Lappen sind 4 c^ Ühr
Vestibulum vaginae begrenzen und gehen lateralwärta i
Basis der Labia majura ganz in derselben Weise Aber.
gewöhnlicher Gröt<8o und Form. Die Breite der Lappea
2,5 cm. Nach abwärts Het7.en sich dieselben in xma
welche nicht stärker entwickelt erscheinen, als klii—
Weiber, und sich ganz so wie solche verbalten,
der Commissura inferior hin, sind sie leicht wviädg
wieder etwas stäiker vor. Man kann also
Präparates drei .\bBcbnitte unterscheiden
entwickelt ist und in Form der SchOrze herri
ganz gewöhnlichem Verhalten, der auch bei
Labien von den letzteren völlig verdeckt w:
etwas wulstartig verdickten. Eine sogenanate
Fossa navicularis fehlt; vielmehr kommt 9mm4
eine Furche, welche zwischen den duialaft
minora auf den Damm hinausführt. Von 6mm \m
geht beidt-rgeits in normaler Weise ein FreBaüsn
ist auffallend klein, ohne deutliche Abi
puti(ilta.si-be darin. Das Vestibulum
mündung liegt ziemlieb weit von d«
deutlich her\or. Von der hinteren V
rum posterior stark und keilförmig
Nymphenpartien vor. Die Rugae w,
bat eine Länge von nicht ganz 2 ca
Bei Negerinnen konimi
11 anderer Grad der söge:
h/o beschreibt eine solche i
Breslauer Krankeubauie
weichung erklärt Johanna
Hypertrophie der Clitori» ;
Klappe vor der Sc-bainH|M]^
lippi'ti «ich wie gewöhnlidi
wuidor stehen und die
fh dem After zu
ia der Quere, 4 Zoll
Stiel.
Z4M
l«fe
f40 V. Dieäasle
se des Wuibes in <
In Beyrnt fand Duhomstt ein junges Mädchen von 14 Jahren,
deren Qeschlechtetheile er in folgender Weise beschreibt:
„J'obäervaia alors le grand developpement des nyoipbes, dont les plisj
muqueux se terniinivient eti pointe, reposaut ü terra sar une longueur de]
quelques centimr-tres de chaque cöte du vugin, avant de ae confondre aveo i
celui-i-i il ]a face interne des grandes lt>vres. Les deux lobes formnat ce
prolongement chiirnu des petites levres, partant du pröpuce, seniblaient
depasser la trace du cUtoris, dout on ne voyait pas le renflement arrondi
terminal. L'aspect de hi vulve de cette fiUo de qiiatorze aus, probableraent
d^jil d<5floree, etait repoussant. L'excroissance anormale, plus rouge que
la peaugeneralement d'un ton bistre, etait recouverte d'une p0U'<si6re ghse
rendue huunde par la secretion aebacee qui s'en echappait incessamraent.*
Eine Abbildung, nach der Natur aufgenommen, legte Duhoiisset '
der Pariser Societe d'Anthropologie am 15. Februar 1877 vor.
Bei dieser Gelegenheit spricht er seine Ansicht dahin au.«, dasa
eine derartige Verlängerung der Nymphen in heissen Zonen viel
häufiger vorkomme, als in gemässigten, selbst an solchen Plätzen,
wo sich die Mädchen und Frauen nicht etwa selbst durch Berüh-
rungen der Theile diese Verlängerungen hervorzubringen be.'^treben.
Dnhnnsset giebt zu, dass auch in gemässigten Zonen dergleichen
Verbildungen vorkommen, wie Bmca versichert hatte, der sie in
Frankreich nicht selten einseitig vorfand. Er meint, dass das
häufige Vorkommen im Orient dort die Veranlassimg gegeben habe,
eine Abtragung der Nymphen für nothwendig zu halten und hier-
mit die Circumcision einzuttihren.
Wir haben uns ziemlich ausftlhrlich mit dieser Angelegenheit
beschäftigt, und es fragt sich nmi, inwieweit man die hier be-
sprochene Gestaltung für eine ethnologische Eigenthüralichkeit zu
betrachten berechtigt ist? Hartmann sclireibt in dieser Be-
ziehung :
„Diellottentotten^^chürze braucht man nicht bloss in Südafrika:
KU suchen, man findet sie durch den ganzen Continent, sogar in Europa noch. |
häufig genug! Jeder 8tubenethnolog würde erstaunen, wenn ich ihm ein Gla«
voll sogenannter Hottentottenacbürzen, aus demPräparirsaale der Haupk-j
und Weltstadt Berlin stammend, fein säuberlich in Alkohol aufbewahrt,
vorweisen würde. Facta loquuntorl Nach unserer eigenen geburtshülfiichea
Beobachtung können wir allerding« bestätigen, dass ähnliche Bildungen bei,
unseren d eutschen Frauen nichts© selten sind, wie man wohl früher meinte. |
Allein für die Ethnologie handelt es sich doch nur darum, festzustellen.
<>r9t.€n.s welche durchschnittlichen Grössenverhilltnisse die It^-^rf^fft-nden (
Theile hier wie dort zeigen; zweitens welche Minima und Ma.x
dort vorkommen. FOr jetzt mangelt «s noch an geniig«ndem Ai
Wuldeyer wirft die Frs^e auf, ob wir in der Hottentottei
schürze ein Rassenmerkmal oder eventuell eine Theromorijhie, «nel
thierische Bildung zu erkennen haben. Und er citirt mehren*)
Autoren, denen zufolge ilie Hypertrophie der Nymphen in ihren]
Anfangen beim neugeborenen Kinde bereits deutlich unterscl" I'^""
sein soll. Vrolik z. B. schreibt an Ti&iemann:
20. Dfe Rnsseren ireibl. Sewalorgatie a.ihre ethnogrspli.
Et ce qne parait plun curieux encore. dans l'enfanl nouveuu-ne se trouve
d^jä la premilre ebouche de ce prolonj^ement comiiK' predijpoaition inn^f.
Eine sehr bedenkliche Erschüt-
terung erhält diese Ansicht von der
ethnographischen Bedeutung der Hnt-
teiitottenschtirze durch eine Er-
klärung des Missious-Superiiitendeu-
ten Merensly, welcher viele .Tnhre
unter diesen Leuten gelebt und ge-
wirkt hat. Er äusserte sich in der
Berliner anthropologischen Gesell-
8chnft iblgendermaassen :
,Wii8 die Hottentottenachürze
»ngeht, ao gelit meine Meinung duhlu,
da!<H »\e nicht natürlich ist, sondern,
wo sie vorhanden war, kUntstliL'h er-
zeugt wurde. Ich bin zu dieser Ansicht
durch die Beobachtung geführt, dass die
Basutho und viele andere afrikani-
sche Stämme eine kflnstüche Verlängerung
der Labia minoni zu bewirken wissen. Die
dazu nothwendige Manipulation wird von
den äUeren Mädchen an den kleineren
fast von der Geburt an geübt, sobald sie
mit dienen allein »iiid . wozu gemein-
iatnes Sammeln von Holz oder gemein'
«ames Suchen von Feldfrdchten fast täg-
lich Anlass giebt. l)ie Theile werden ge-
zerrt, später förmlich auf Hiülzchen ge-
wickelt."
In der Debatte zu dem 11«/-
</fV''r'8chen Vortrage erinnerte der
Herausgeber an den soeben citirten
Ä.usö]»ruch Merensky's und hob her-
vor, dass hierdurch auch sehr gut
die von Waldn/cr beschriebene Form
der Hottentottenschrirze ihre Er-
klärung findet, dass nämlich der obere Theil der kleinen Schara-
lippe am meisten vergrössert erscheint. Er ist es ja gerade, der
bei diesen Manipulationen am leichteHten mit den Fingerspitzen ge-
fasst und daher auch am ergiebigsten gedehnt zu werden vermag.
Wir mUssen uns übrigens vollständig HcütmatDi's Ausspruche
anschliessen, dass die Hottentottenschürze auch bei uns in
Deutschland gar nicht so nbermässig .selten von den .Verzten
augetroti'en wird. Der Heniusgeber kann es al)er nicht verschweigen,
dass diejenigen Fälle, welche er selber zu sehen Gelegenheit hatte,
.Ausschliesslich bei solchen Damen vorgekommen sind, wo der aller-
ägrllndetate Verdacht vorlag, dass sie masturbatorische Reizungen
Fig. 24. HoUgevolmitite Figur der
BuTKOnda {Bild-Afrika).
Hfnieranilclit, di« Hottontollen-
schürte ceigood. <Naoli Photogrnphie.)
(2 V . Die äu»«^ei^«iraäiörgane des Weibe« inevnnö^repG
auf diese Tbeile hatten einwirken lassen. Er äusserte sich kürzlich
in diesem Sinne gegen den Berliner Gynäkologen Karl Schnmhf,
der ihm erwiderte, dass er die Sache genau ebenso auffasse und
dass ihm in einer grossen Reihe von FHllen, wo
die vorliegenden Krankheits-Verhältnisse ein In-
quisitoriuni in dieser Richtung erforderten, immer
und übereinstimmend die frühere Masturbation zu-
gestanden worden sei.
E.s wird von einigen Anatomen mit Bestimmt-
heit behauptet, dass die Clitoris in südlichen
Zonen überhaupt grosser sei, als in den gemässig-
ten und kalten Zonen, und dass namentlich bei
einigen Völkern Nordafrikas constant eine Ver-
längerung der Clitoris und der kleinen Schamlippen
vorkommt. InsbeBoudere ist die Verlängerung bei
den Abyssinierinnen (nach Brurc), M a n -
dingos, Ibbos (nach Mungo Park) u, s. w.
bedeutend. Diese Thatsache konnte auf eine mög-
liche Erklärung des gerade bei diesen Völkern
heimischen Gebrauchs der blutigen Resection oder
Excision der Mädchen führen. Doch führt Gört^
dagegen an, dass die Beschneidung der Mädchen
in Kamtschatka, wo die Nymphen ja auch
vergrössert sind, sowie in Südafrika nicht
gebräuchlich ist. Er verwechselt hier oifenbar
die Excision der Clitoris mit der Beschneidung
der Nymphen, zwei Operationen, die scharf ge-
trennt werden müssen.
Dass den Afrikanern selbst diese ihre körper-
lichen EigenthUmlichkeiten sehr wohl zum Be-
wusstsein gekommen sind, das vermögen wir aus
Fig. 25. Hokgeaahnltn« gewissen Producten ihrer Kunstfertigkeit zu ersehen.
^OeYtrt*- AWkfr ^" ^^^^^ Schtceinfurtli^ eine aus Holz geschnitzte
di.koü.l'oh T,r«rä.. weibliche Figur der Bongo ab (Fig. 25), welche
*,"'*..^i"f''' ',*'*,^?'* zur Erinnerung an eine verstorbene Frau geferügt
wurde. Man erkennt an ihr mit grosser Deut-
lichkeit die verlängerte Clitoris. Das Museum des Berliner
Missionshauses besitzt eine ebenfalls in Holz gearbeitete Frauenfigur
von unbekannter Bestimmung, welche die Bavaenda, ein Bet-
ütchuanenstamm im nördlichsten Transvaal, gefertigt haben. Hier
sind die vergrösserten inneren Schauilippen in unverkennbarer
Weise zur Darstellung gebracht worden. (Fig. 24.)
r 6Tfff0lB0I Un^ I
S1. Die künstliche Vergrösserung der Scliamlippcn und der
tClitoris and die absiclitliclie Zerstörung; des Jungfern-
liäatcliens.
Wir haben diesen Gegenstand weiter oben bereits flüchtig berührt,
^ wir von der Hottentottenschürze sprachen- Wir müssen
H dieser Stelle aber hinzufügen, dass diese Organe durch Mani-
pulationen bei nicht wenigen Völkern verlängert und vergrösaert
werden. Dass die ursächlichen Beweggründe zu diesen absonder-
lichen Vornahmen aber allemal die gleichen sind, das möchten
wir als unwahrscheinlich betrachten. In den vorher besprochenen
Fällen handelte es sich xugestandenermaassen um die onanistische
Befriedigung des Geschlechtstriebes, tmd ob wir bei den Hand-
tierungen der grosseren Basutho- Mädchen den kleinen gegen-
über nur eine unschuldige Spielerei erkennen sollen, das erscheint
doch als in hohem Maasse fraglich. Wahrscheinlich ist auch hier
eine Verirrung des Geschlechtstriebes die Ursache, welcher in der
Onanisirung eines Anderen seine Befriedigung erstrebt. Allerdings
lässt es sich nicht leugnen, dass in anderen Fällen vielleicht nur eine
Verschönerung in dieser absonderlichen Weise erzeugt werden
sollte. Und ganz gewiss werden manche dieser Dinge vorgenom-
men, am eine Steigerung der geschlechtlichen Befriedigung hervor-
Ktirufen.
Schon Le VaiUant hatte behauptet, dass die Hottentottinnen
und die Nama qua -Frauen (nicht alle, sondern nur einzelne) aus
Eitelkeit die grossen Schamlippen verlängern, indem sie zuerst durch
Zerren imd Reiben diese Theile ausdehnen, dann aber auch durch
Anhängen von Gewichten die Länge derselben mehr und m^lir
steig-ern.
Auch mitten iu Afrika kommt bei mehreren Negervöliun
der Gebrauch einer künstlichen Verlängerung der Schatnlippai «m;
z. B. in Dahomey (Adams), ferner bei den Uganda. UM^pv
wird bei den Wahia am Niassa-See der Kitzler ko taoff warn tm
Finger ausgedehnt. Auf welcher Thatsache die Nadirieiil kente.
die Camnon am Tanganjika-See erhielt, mag wmA 4Bäkittti
werden: er erfuhr, dass weiter im Westen durch
Kiude es dahin gebracht werde, dass die Fettdeekr it» üj
wie eine Schürze bis auf die Mitte der Schenk*-!
der Gouverneur von Angola, Admiral AndrnäA,
Keiaendon Cameron, dass Aehnliches in der Nfilie vsi
titatttinde.
In Nordamerika findet bei den Miiiiitii Waiiiii lim
formiren der Geschlecht^theile statt; auch iot mlBr AbIKc^Im^'M
und Krähen- Indianern die künsttlicb«- V'.
fider auch der inneren Schamlippen g«
Auf der polynesischen Insel Punspr (btü>
tirt eine grosse Unsitte, über welobr JmIi
I
I
1 44 ^ ■ Di^ ^""äi
de« Weibes in etbnograph. Hinsicht/
.,Ale besonderer Keiz cmas Mädcbcus oder einer Frau gelten besonderg
verlSLngerte, berabhfijigende Labia interna. Zu diesem Behufe werden impo-
tente Greise angestellt, welche durch Ziehen und Zupfen bei M&dchen, noch
wenn dieselben kleine Kinder sind, dic&en Schmuck künstlich hervorzubringen
bemnht sind, und damit zu gewissen Zeiten bis zur herannahenden Pubertät
fortfahren. Zu gleicher Zeit ist es ebenso die Aufgabe dieser Impotenten,
der Clttoria eine mehr als natürliche Eutwickclung zu verleihen, weshalb
dieser Theii nicht allein anhaltend gerieben, sowie mit der Zunge beleckt,
sondern auch durch den Stich einer grossen Ameise gereizt wird, der einen
kurzen, prickelnden Reiz verursacht. Im Einklänge hiermit stehen die Extra-
vaganzen im Genuss des Geschlecht.'striebs. Die Männer bedienen sich zur
grösseren Aufreizung der Frauen nicht allein der Zunge, sondern auch der
Zähne, mit welchen sie die verlängerten Schamlippen fassen, um sie länger
zu zerren."
Man nimmt ferner an den Müdeben, und zwar schon im jugendlichen
Alter, Manipulationen vor, welche einzehie andere Theile der Sexual-
organe defonuiren. So giebt es zwei stark bevölkerte Länder auf der
Erde, China und Indien, deren Einwohner und Einwohnerinnen
völlig unbekannt wind mit dem Vorhandensein eines sogenannten
»Jungiernhiiutchens'' (Hymen), und die Ursache dieser Unbekannt-
Bchaft ist lediglich in einer übertriebenen Geaundheitsmaassrege) zu
suchen. Während sonst alle orientalischen Völker dem Hyjnen ab
Zeichen der Jungfräulichkeit der Braut einen hohen Werth beilegen,
wird dieses Häutchen sowohl in China iilö auch in Indien bei den
äusserst sorgfältig vorgenommenen Reinigungen der kleinen Mädchen
durch die Wärterinnen regelmässig zerstört. So kommt es, dass
die Chinesen und .selbst die chinesischen Aerzte gar nichts von der
Existenz des Hymen wissen. Die Kinderwürterinnen der Chinesen
betreiben näntlich, wie Ifnrt'uu de ViUnicnve erzählt, bei den täg-
lichen Waschungen der kleinen Kinder die Reinigung der Ge.schlecht«-
theile derselben und die Beseitigung des sich in den Genitalien bei
dem heissen Klima stark ansammelnden Schleime« so scrupulös, dass
sie stets den reinigenden Finger in die Scheide des kleinen Mädchens
einfuhren. Hierbei erleidet das Häutchen, das vor dem Scheiden-
eingang ausgespannt ist, eine wiederholte Ausdehnung nach innen
tmd verschwindet zumTheil. Aehnliches lindet sich im al iuris eben
Archipel auf der Insel Ambon und auf den Uliase- Inseln. Derselbe
Gebrauch herrscht auch in Indien selbst unter den dort wohnenden
Engländern und Holländern, welche einheimische Ammen an-
nehmen, üeberhaupt wird dort die Keinigung der Sexualtheile
sehr scrupulös durchgeführt. ,,Eine löbliche Eigenschaft des weib-
lichen Geschlechts," sagt /:/y>, ,,ist die Koinlichkeit der Genitalien,
und es hat in die.ser Be/iehung einen grossen Vorzug vor d<rm in
Europa, bei welchem Sorglosigkeit oder übergr«).ssc Scimmhaflig«
keit die Ge.schlechtstheile zu einer mephitischen Cloiike tunclien.
Hier folgt nach jeder natürlichen Befriedigimg Abwaschung mit
Was.ser."
Jungfrauen, die sirli noch im Besitz des Häutchens befindeOf
92. Die Beochtteidmig der Mädchen und die Tenfhna^.
Eb
.,Nulla inter illae inveoitar virg«),
nuixima cuiu cura oiunein
V» Kuoh UU8 Shnlichen Ursachen
lerintieo Brasiliens ebenfalls nicht geben.
V. Ftldnn'.t Bericht,
ra iietAte tUia«
entiiiiiqui' amovare aiadet, Iioc quidem uiodo
arliorifi in infundibuli l'orinatn redactum, ei ^an udt
itules itnuiisaii-) hnc et illud uiOvetur, per Infamdili J iii i
niittitur."
In ParH}j;iiav herracht eiue sehr currupte sm^
Hebamoii* ein Kind männlichen Geschlechto
it ihren Händen sehr ^»t8rk den Penis lug; bä
ou Pa ragua y !!ioil überhaupt das männliidie Glied «fe Im^
wenn das Kind jedoch weiblichen Geschlechts ist, ao bofet mt
em Finger in die Vagina, indem sie sagt: JÜa itt eise Fi
giebt es in Paraguay keine Jungfrau, iiuien dw ff
xerstört ist {MatUef/ujrzu's Hchriftliche Mittheiloiigec >.
Durch eine auf mehreren Iiiaeln de» alfori^^hen
enrachendt Unsitt« {RieiJd^) wird selbstrecstiii'Uidk
uugfernhaulchen vernichtet. Dieselbe besteh
ilädchcu wührend der Menstruatien Tampoo« tob
anmbiifit in die Scheide hineinsteckt, damit
cret aufsaugen sollen.
I«di>
=4
22. Die Beschneidang der Midchea umä die T(
Die Operation der BeechaeidoBg bd Midrixa
)lutigen Abtragang und Äusrottmig der dilori».
»otinm cUtoridis und zum TheO in Abiiagig der
lipp«o, Howie des Eingangs der Sdietde (BiSharg, ¥mBf\,
Gebrauch der Excision eiistiit bei einer
lAnzahl von VOlkem nicht blos« in Afrika,
Rchicdfuen anderen Orten der Erd«. ^laa find den Offcranffa iii
1 ätüdten Arabiens, wo der Zorof: ,0 Sohn der «nb4*duittte-
Q Frau* bei den Arabern ab ein Aoadnu-k der Veraditaag
t {Wilken), in Aegypten, in Nabien (Kordofan), in
byxtiiuien, im Seunaar und den iiiiilifiggiiideii Idmdam, in
lad-Sudan, bei den <-TalIaB, Agow», Gaffata und
ongas, tiowie manchen anderen Völkern Ostafrikaa. Die
Isilthal bei den kleinen Mädchen stattfindende Excision di
mphen soll auch in der kleinen Oase in der Lybiscbe
üste gebräuchlich sein. Aber nicht bloss bei diesen mei^t m
anisichen Völkeffcbaften im Osten dieses Enltheils, 8ondfr
im Westen bei den Negervnlkern: den Susus, in Harn
üc, bei den Mandingos, in der Gegend von Sii'rra-bt'oni»
Benin, in Congn und in Acra an der GoldklUt«,
«nhU, bei den Negern in Old-Culabar und in
Plott. I>M W«lb. I. 1. Aiifl
\
1)01
Luanda;
1 46 ^- ^c ftneseren SexvalorgRne des Weibes in ethnograpb. Hinsdii.
Südosten bei den Masai- und Wakuasi- Stammen ; im SUden b<
einigen Betschuana-Völkern. Dieselbe Sitte ist auch unter dei
Malayen des ostindischen Archipele, namentlich in Java hei|
misch. Und merkwürdiger Weise bat man sie schliesslich auc
unter den Indianern in Peru (den Chunchos oder Campal
und den Tuncas), sowie bei den Panos und fJlen Indianer]
am Ucajale-Fluss entdeckt.
Bei dieser grossen Verbreitung der eigenthümlichen Sitte
Kiuiächst die Frage, von welchem Punkte der Erde sie wohl atis-]
gegangen sein mag. Für jetzt lässt es sich wohl kaum mit Be
stimmtheit entscheiden, ob sie vielleicht schon von dem alten Aegypi
ten aus ihren Cxang nahm, oder ob sie ihren Urspnujg unter d«
Arabern hatte. Man meinte, dass sie wohl in Arabien ihre erst
Heiniath haben möchte, weil vorzugsweise die raoharaedauisüchei
Völker Anhänger der Sitte geworden sind. Allerdings spricht schoi
Strabo von der Beschneidung der Mädchen bei den Arabern, nai
vielleicht hat sich schon vor Mohamed die Sitte von Arabien at
nach Aegypten und anderen Ländern Afrikas verbreitet. De
die mohamedanisehe Religion hat an sich gar nichts mit dies
Sitte zu thun, auch sind ja unter den genannten Völkern Afrika«
viele nichtmohamedani^che.
Schon die alten Aegypter beschnitten die Mädchen im Alter
der Pubertät, wahrscheinlich meist im 14. Lebensjahre. Dies geht
aus folgender Stelle in einem Papyrus hervor, die ich bei BacA
(^Vn fand. Im fünfzehnten der britischen Papyri heisst es
liernardino Peyron: i,.4rm<i». ein in derClausur des meraphitisc hen|
peuni lebender Aegypter, reicht dem Strategen Diont/sios folgende
Schrift ein: Tatrmi, die Tochter der Nefori von Memphis, lebe mit »hm it
.Serapeum, und habe durch ihre Collecten und die freiwilligen Gaben der B«
fiucher bereits ein Vermögen, betragend ein Talent und 390 Drachmen, gesa
melt, das sie ihm aU Depositum zur Aufbewahrung anvertraut habe. Daraq
sei er vun der Mutter der TaUmi folgender Art betrogen worden: sie hab
ihm vorgegeben, die Tochter stehe in dem Alter, .in welchem sie nach ägypl
tischer Sitte beschnitten werden niüase {ntgnifiivfad'ai); er möge ihr dab«
jene Summe verabfolgen, damit sie bei der Vornahme jener feierlichen HaD(
iung die Tochter einkleiden und augemesaeu dotiren könne. Sollte sie nicl:
dazu kommen, das Vorhaben zu erfüllen und die Tochter TaUmi im Mon«
Mechir des Jahres XVIII zu beschneiden, no werde sie ihm die Summe vo|
2400 Drachmen zurückerstatten. Auf dienten Vorschlag sei er eingegangen iic^
habe der Sefur\ das Talent und die 3^0 Drachmen eingehllndigt. Al)er di^
Mutt«r habe von Allem Nichts gehalten, und aU nun die Tochter ihm Voi
würfe gemacht und ihr Geld zurückverlangt, sei es ihm durch mchtige («4
ivch&fte unmöglich geworden, sich sclb.'t nach Memphis zu bogeben nn^
dort seine Angelegenheit zu besorgen. Darum gehe seine Bitte dahin, Nefot
möge vor Oericht geladen und die Sache zum Gegenstand richterlicher Bl
urtheilung gemacht werden."
Diese Stelle beweist, djiss die Aegypter, welche die Beschneid
dnng des mannlichen (ieschlecht«« nur bei der Priester- und K- - -J^
[aste nbteiK das weibliche Geschlecht allgemein der beschneide ■
22. IKe Beschneidong der Mtldolien und die VernBhoug.
147
Twarfen, wobei die Tochter ihre Dotation erhielt, so dass sie gewisser-
maaesen in den Besitz ihres Heirathsgutes gelangte. Denn da in
Aegypten. wie Herodot bezeugt, kein Weib irgend ein Priester-
thum versah, so konnte auch die Beschneidung der Mädchen nicht
als priesterlicher Vorzug wie bei dem männlichen Geschlecht gelten ;
vielmehr war es vielleicht ein Vorrecht der im Serapeum erzogenen
Mädchen, im Pubertätsalter beschnitten zu werden, oder man be-
Bchnitt überhaupt alle Jungfrauen.
Uebrigens meint^en auch altrömische Autoren, dass die Sitte
wenigstens in Aegypten schon sehr alt sei, denn FavUns von
Aegina^ welcher im 7. Jahrhundert n. Chr. lebte, sagt: „Quapropter
Aegyptiis visuni est, ut antequam eruberet, amputetur, tunc prae-
cipue, quum nubiles virgiues sunt elocandae,'' — Allein, wenn es
auch nicht gelingen sollte, Arabien oder Aegypten als Ausgangs-
punkt der Sitte festzustellen und die Verbreitung derselben von hier
lUus Ober fast ganz Afrika und Ober den ostindischen Archipel
nachzuweisen, so würde doch der Weg, den sie nach Südamerika
zu den Indianern Perus sowie zu denMalayen des ostindi-
schen Archipels einschlug, ein ungelöstes Räthsel bleiben. Es ist
vielmehr mit gröbster Bestimmtheit anzunehmen, dass manche Völker
iselbständig zu dieser sonderbaren Sitte gelangten.
Man hat nicht ohne Berechtigung behauptet, dass die Opera-
tion in der Absicht ausgeführt werde, die Geschlechtslust abzu-
stumpfen. Denn abgesehen davon, dass manche Völker, unter
welchen die Operation eingeführt ist, eine solche Absicht als Zweck
der Operation angeben, trifft ja die Operation auch gerade die
iWolluMtorgane, welche durch sie entfernt werden. So sprach denn
Lauch ßrehm, der diesem Gegenstände eine besondere Aufmerk-
samkeit gewidmet hatte, gegen mich die Ansicht aus, dass diese
Openition nur vorgenommen wtlrde, um den bei den afrikani-
,cben Völkern ausserordentlich lebhaften Geschlechtstrieb der
Frauen zu vermindern. Andere meinten, dass die bedeutende
Grösse, welche in jene« Ländern häufig Clitoria und Nymphen
[erreichen, als Schönheitsfehler betrachtet, und dass deshalb zur
Abtragung dieser Theile geschritten wird. Bruce, welcher auf
seinen interessanten Wanderungen Gelegenheit hatte, über die
Sache bei den Aegyj>tern, Abyä.sinieru, Gallas, Agows,
Gaff ata und Gongas Erkundigungen einzuziehen, giebt als
beaonderen Grund der Sitte an, dass von dem heissen Klima
[oder von einer anderen Ursache eine gewisse Ungestaltheit an
jdfii Schamtheilen der Mädchen eintrete; und „um dieser abzu-
Ihelfeü, st«! die Besclineidung nothwendig". — Auch schon früher
rurdi* in Folge einer ärztlichen Untersuchung die Operation als
„notbwrndig" dargestellt. Die katholischen Priester, welche im
116. Jahrhundert in Abyssinien Fuhs gefasst und das Christenthum
'itet hatten, verboten zu jener Zeit die Beschueidung ihrer
1 . . iinnen, denn sie glaubten in derselben einen Ueberrest des
iBOgnpl
Heidenthuuis zu finden. Allein die Folge dieses Verbots war, dass
sich dort Niemand mit einer Katholikin verheirathen wollte. Die
Priester sahen sich daher geaöthigt, die Beschneidung der Weiber
zuzulassen, nachdem ein von der Propaganda in Rom abgesandter
Wundarzt die „Nothwendigkeit" des alten {durchaus nicht religiö.seu)
Gebrauchs festgestellt hatte. Der Arzt wollte nämlich daselbst
beobachtet haben, dass der in jenen Ländern heimische Auswuchs
(die grosse Clitoris imd die verlängerten Nymphen) an den Ge-
schlechtstheilen der Frauen bei den Männern einen grossen und
unüberwindlichen Abscheu errege tind folglich dem Zwecke der
Ehe hinderlich sei. Ebenso berichtete Mango Park aus dem
Westen A f r i k a s , dass daselbst die Mandingo-N eger die
Operation nicht als religiöse Ceremonie, sondern als etwas „Nttt*-
liches" betrachten, indem sie glauben, dass dadurch die Ehen sehr
fruchtbar werden.
Demnach betrachten wohl manche Völker die Operation um*
als eine zweckmässige Handlung zur Beseitigung eines mechanischen
Hindernisses für die Ausübung des Coitiis imd liir die Befruchtung.
So lassen sich die Widersprüche erklären, welche HKSseyger durch
sein Kaisomieinent nicht zu lösen vermochte, liusscgger, welcher
die Sitte im südlichen Nubien fand, sagt darüber:
„Die^e uralte Gewohnheit i^t uieiuei* Ansicht nach rein eine Erfindung
aildlicher Eifersucht, und ihr praktischer Nutzen lä«^>t sich um so wenigcv
einsehen, da der Keiz des Beisclilttfa weiblicher Seite durch dieHe Operation
Dothweadig vermindert und dadurch der Zuuahme der Bevölkerung entgegen-
gewirkt wird. Auch die scheinbar nothgedrungene Enthaltsamkeit im Um-
gänge mit dem anderen Geacblechte vor der Ehe wird dadurch keiuesweg«
allgemein erreicht, da mir mehrere FJüle bekannt sind, wo Mädchen, auf
diese Art päparirt, die Aufschneidung an sich vurnehmen lieseen, spAier
aber dem Acte der .\uf8chneidung, nur mit wenigen Umständen verbunden,
neuerdings sich unterwarfen, eine neue Vernarbung herbeitührten. und ohne
Anstand alt jungfräuliche PhOnixe ein efaülichc« Biludnins eingingen."
Ich glaube, dass Russegger die beiden verschiedenen Opera-
tionen der Excision und der nachher zu besprechenden „Veraähung'*
miteinander talschlich identiticirt oder verwechselt und deshalb
ihre verschiedene Tendenz verkannt hat. Die Vernahung ist aller-
dings ein Act der männlichen Eifersucht, die Excision aber bat
nur die Aufgabe, die als Hinderniss betrachteten Theile schon früh-
zeitig zu beseitigen. Nicht überall, wo die Excision vorgenommen
wird, nimmt man auch die Vernähung vor; jene O[jeration ist viel-
mehr weit verbreiteter als diese.
Die künstliche Verkürzung der Labia rainora und die Exstir-
patiou der Clitoris unter den Völkern Ostafrikas hat deiunach
vielleicht ursprünglich einen ganz V ii Zweck gehabt, wenn
auch diese Völker zum Theil die _ ^lich damit verbtindeue
Absicht jetzt nicht immer bei Befolgung der altherKebrachten Ge-
wohnheit völlig bewusst im Auge hj»l>eü. Wie wenig diese Völker
»ich selbst und Anderen Rechenschaft Ober die Bedeutung der 0|n?-
img der MäUchen
mir.
rsktion xn geben im Stande sind, scheint schon daraus hervorzugehen,
daüs so viele Fteiseode trotz manni^acher Erkundigungen keine
liestimmte Antwort auf die Frage über die eigentliche Absieht
crh»U«o konnten.
Die Beschneidung ist bei den meisten Völkern mit eigen-
thümlichen Ceremonien und Festen verbunden. Dae Lebensalter,
in welchem die Beschneidung der Mädchen stattfindet, ist meist
«•in selir jugendliches. In Arabien wird ihr das Mädchen schon
wenige Wochen nach der Geburt unterworfen (Niebithr)'. bei den
Somiili mit 3 — 4 Jahren (Fuulitschke) \ im südlichen Aegyp-
ten wird sie vor der Pubertät im 9. oder 10. Jahre vorgenom-
men (Werne), in Nubien im zarten Kindesalter (Russrpger),
bei den Mandingo-Negern zur Zeit der Mannbarkeit (Sinngo
Pari'), in A b y s s i n i e u , bei den G u 1 1 a s , A g o w s u. s. w.
gewöhnlich wenn das Mädchen 8 Jahre alt ist {Drum); in
Dongola iKordofan) um da.s 8. Jahr {Rüppell); bei den
.Vlatkisses, einem B et seh uanen- Volke in Südafrika,
zur Pubertätszeit [Delfgoryui^); ebenso in Old-Calabar (//pfraw);
bei den Malayen des ostindischen Archipels, in Java u. s. w.
zur Zeit des zweiten Zahnens (Epp); bei den Indianern
in Peru, den ('hunchos oder Campas, an Mädchen von
10 Jahren (lirandidirr). Bei den im südöstlichen Afrika
lebenden Masai- und Wakuasi- Stämmen, welche die S&hne
im 3. Jahre beschneiden, werden die Töchter erst kurz nach
ihrer Verheirathung beschnitten; bei den Negern zu Loanda
8 Tage vor der Hochzeit {DottrUle). Die Peuhls im Westen
Afrikas beschneiden die Mädchen bald nach der Geburt, In
Persien soll bei einigen Nomadenfitämmen nach Chardin die Be-
schneidung der Mädchen zur Zeit der Mannbarkeit üblich sein ;
doch konnte Polak trotz aller Nachfragen Nichts hierüber constatiren.
Eine Be.schreibung der Operation, wie sie zur Excision der
kleinen Schamlippen und wohl auch der Clitori.s in Aegypten
ausgeführt wird, lieferte Duhousset :
„La Circ oncision con.sicte seulement dnris renlevement du cUtoris, et
üe prutique de lii iiianierc suivante Hur Ich fille« de ncuf ü douze ans. L'opc-
rateur, qui chI le ylan »ouveut un barbier, se sert de ses doigta treiup^s
ilnns la c«ndre pour «aiwir \o clitoris, quil C'tire H plusieurs reprises d'arriire
«n aviinU atin de trancber d'uii seul coup de rnsoir, lorsqu'il preseiite un
(imple filet de peau. L» plnie est recouvert»? di* cendie pour arrtter le sung,
et s*' cicatride npr^« un r«»po8 roinplet ile quelques jour«. J'ui su plus tard,
<te l'iivwu iiieme den opemteurs. le peu de soin quon opportait ^ drooncire
ÜllttM dano les liniit*>8 roli^ieueea de l'operEtion, qu'on pmtiqu« plus lar-
Bejit t*n «ai*isgant les nymphesi ü In hnuteur du flitoris, et le.s coupunt
prenque ileur niiisiiance, ä Ja iace interne de« gnmdea Ifevres, dont Ich r»?plis
tuuqocux qui nou8 occupent sont pour ainsi dire 1a donblure cacbante le«
orgnue» reproductonrs; ce qui reute de« petitea lövrüs forme, por la i'iciitri«
«alioii des paroiH 1i8«es, s'indurant et ih ritreciaüant, une vulve bötinte, d'un
iM|t«ct ain^Uer che» les 1 f 1 1 u « circonciae«."
>0 y- Die äasseren Sexualorgane den Weibes in ethnograph. Hinsicht.
Ecker- erhielt das Präparat der betreffenden T heile von
einer Fellacheufraa von Billharz zum Geschenk. An dieeem
Präparat ist von der Glans cUtoridis, dem Praepntimn nnd den
Labia minora nichts zu sehen; alle diese Theile sind rolLstSndig
entfernt. Ecker iujicirte die Corpora cavemosa von ihrer Wurzel
aus; hiecbei zeigte sich, dass sie bis zu ihrer Vereinigung weg-
sam waren; von da an drang die Masse nicht mehr weiter vor
und die Korper verloren sich in einem narbigen Gewebe. Eine
Injection der bekanntlich insbesondere mit dem Gefasssystem
der Glans clitoridis zusammenhängenden Bulbi vesübuli gelang
ni ht. Es ist also, wie Ecker sagt, wohl anzimehmen, dass bei
dieser Operation die Qlans clitoridis mit ihrem Praeputium gefasst,
hervorgezogen imd ziemlich tief abgeschnitten wird.
In Aegypten und Abyssinien wird nach Hartman^- dus
Praeputium clitoridis, seltener die Clitoris selbst oder ein an der
vorderen Oommissur der Labia majora hervorwachsender Klunker
abgetragen.
Nach den Berichten von RiedeV wird auf fast allen
Inseln des alfurischen Archipels, namentlich durch-
gehends von der mohamedanischen Bevölkerung, die
Beschneidung ' der Mädchen ausgeftihrt. £s handelt
sich meistens um eine partielle R^section der Cli-
toris. Von den Einwohnern der Insel Buru er-
»., _„ «, zählt er:
Pir.2e. Eine ver-
iohnittene ^'^^ Eintritt der ersten Menstruation (bei Knaben Tor
fin bierin der Pubertät) werden die Zähne bis dicht zum Zahn-
(oMb Panrrri). fleischrande abgefeilt und die Beschneidung vorge«
nommen. Die Mädchen werden gebadet, auf einen Stein gesetzt
und von einer alten Frau wird ihnen ein Stück von der Glans clitoridi«
abgeacbnitten, angeblich um den Geschlechtstrieb vor der Verheiralhung tu
unterdrücken. Auf die Wunde werden als blut«tillende9 Mittel gebrannte
und pulverisirte Sagoblattrippen (ekbaa) aufgelegt. Dann trägt eine Frau
A.VL& Mädchen in die Hütte, wo es einer besonderen Diit unterzogen wird
nnd bis zur Heilung das Haus nicht verlassen darf. Die Sitte ist mohame-
danischen Ursprungs.
Bei den Seranglao- und Gorong-lnseln giebt er an, dass
die Clitoridektomie vom 7. bis zum 10. Jahre stattfindet und zwar
mit einem grossen Fest. Nicht selten tritt nach der Operation der
Tod an Verblutung ein; jedoch werden die Kinder dann glücklich
gepriesen^ da sie dann in Mohamed's 7. Hiumiel kommen. Die
Operation wird bei Mädchen durch die Frau des Geistlichen aus-
geführt und das Kind hinterher gebadet.
Auf C e 1 e b e s werden in den Landschaften Holontala, Bone,
Boalemo und Kattiuggola die jungen Mädchen in ihrem 9.,
12. oder 15. Jahre beschnitten; diese Handlung heisst „mopolifaoe
olimoe", d. h. „mit dem Citrus histrix gebadet werden". Auch
hierbei finden, wie bei der Knaben-Beschneidung, grosse Feierlichkeiten
22. Die Beeclineidang der Mädchen and die Vernäbung.
151
statt, doch venirsnchen die Mahlzeiten weniger Unkosten. Die
Operation verrichten weibliche Personen. {Riedel.^)
Wilket^ sagt: „Im Allgemeinen werden die Mädchen in jugendlicherem
Alter b«8ohoitten, als die Knaben, Da» bezeugt Herr vanHasselt unter Anderem
TOD den MenangkttbawAchen Malaven. Auch bei den Javanen iat
dtts der Fall; die Mädchen werden gegen das 6, bis 7. Jahr dem Eingriff
unterworfen. Bei den Makassaren und den Boeginefsen findet die Ope-
ration im Alter von 3 bis 7 Jahren statt, bei den Gorontalesen viel
»päter, aber doch immer noch früher, als bei den Knaben, nämlich mit 9, 12 oder
15 Jahren. Die Beschneidiuig wird im Inneren des Hauses ausgeführt, und
zwar stets von Frauen, während ebenso, wie bei den Boeginesen und Ma-
kassaren berichtet wird, den Männern, mit Ausnahme des Vaters vielleicht,
verboten iat, dabei zu sein. Uebrigens werden häufig dabei Feste gefeiert,
obgleich diese, wenigstens bei den Gorontalesen, nicht den Umfang und
Aufwand haben, wie bei der Knabenbeachueidung. Nnr bei den .Makas-
aaren und Boeginesen findet die Handlung ganz in der Still ie ohne Feier-
lichkeit statt. Worin der Eingriff besteht, und wie er ausgeführt wird, das
wird uns nur von den Javanesen, den Makassaren und den Boegi-
nesen berichtet. Bei den Erstgenannten wird ein Stück von der Clitoris.
vielleicht dieOlans olitoridis, abgeschnitten und das Abgeschnittene mit einem
Stückchen Curcuma in Kattun gewickelt und unter einem Kelorbaum (Mo-
ringa pterygosperma) vergraben. Daas wirklich die Clitoris beschnitten wird,
das geht aus der Bezeichnung puting-itil für die Operation hervor, d. b. das
Abbrechen von der itil oder Clitoris. Bei den Makassaren und den Boe-
ginesen wird nach Dr. Malthes nur ein ganz, ganz kleines Stückchen von
der Clitoris abgeschnitten, nur so viel, dass eben etwas Blut fliesst, daher
wird die Operation auch mit kattang oder katta bezeichnet, d. h. Abschaben.
Die Sache geschieht durch zwei Frauen, von denen die eine hinter dem
Madchen Platz nimmt, soviel als möglich die Schaintheile auseinander zerrt
und dadurch den Kitzler hervortreten lüsst. (Die Angabe von JEpp, dass
die kleinen Schamlippen beschnitten würden, scheint auf einem Irrthum zu
beruhen.) Ebenso wie die Beschneidung der Knaben bei den Mobaraedanern
in dem Archipel hat die der Mädchen mehr oder weniger den Charakter
einer Aufnahmeceremonie in den Glauben."
Besonders bemerkenswerth ist schliesslich, dass die Mädchen-
Besohneidung auch in Amerika als Volkssitte vorkommt. An eine
Einführung der Sitte von anderen Continenten kann hier wohl kaum
gedacht werden. Im jetzigen Freistaat Ecuador und in der Landschatt
Maynes daselbst leben die Panos-Indianer, welche im vorigen
Jahrhundert der Missionär Fratiz Xavier Vc.igl besuchte ; er erfuhr,
dass sie früher die Mädchen der Beschneidung unterworfen hatten :
als er nach der Ursache dieses Gebrauches sich erkundigte, sagte man
ihm, man habe beschnittene Weiber ftir fähiger und geschickter er-
achtet, ihren natürlichen Obliegenheiten nachaukomraen.
Die Indianer in Peru am Flusse Ucaj'ale, welche man mit dem
Namen Chunchos bezeichnet (auch C am p as), üben bei den Mädchen
von 10 Jahren ebenfalls die Circumcision aus. Bei dieser tJelegenheit
kommen die Nachbarn mit vollem Schmucke angethau zusammen und
bereiten sich 7 Tage lang durch feierliche Gesänge und Tänze zu
dem Feste vor, wobei sie in reichlicher Menge die berauschende
1 52 V. Die ftawerea Seznaioigaii« des W«ib«i in «ihnoi^raph. Elinsicht
Chicha, aus Manioc bereitet, gemessen. Am achteu Tage wird das
Mädchen durch eine starke Gabe des gegohreuen Manioc berauscht
nod iioempfindlicb gemacht; in diesem Zustande Tollbringt eine alt«
Frau an ihr die Operation. Durch einfache Uebergiessungen stillt
man die Blutung. Alsbald beginnen wieder die Gesänge und Tänze :
dann legt man das Opfer in eine Hängematte und trägt es von
Hans zu Hau.s. Durch die Circumcision ist das junge Mädchen unter
die Frauen aufgenommen (Gratididier).
Wir können dieses Thema nicht verlassen, ohne einer Form
der Beschneidung der Weiber zu gedenken, welche leider auch noch
in Europa vorkommt und namentlich in Russland und in Ru-
mänien ihre wesentlichste Verbreitung besitzt. Sie wird aus-
geföhrt zur höheren Ehre Gottes von der sonderbaren Secte der
SelbstversttUnmler oderSkopzen, über welche wir v. Pelikan aus«-
ftJhrliche Untersuchungen, durch zahlreiche Abbildungen erläutert,
verdanken. Bekanntlich stützen sich die Skopzen bei ihren ab-
sonderlichen Vornahmen auf einen Ausspruch des Evangelisten
Matthaeus (19, 12): „Denn es sind etliche Verschnitten, die sind aus
Mutterleibe also geboren; imd sind etliche Verschnitten, die von
Menschen verschnitten sind; und sind etliche Verschnitten, die sich
selbst Verschnitten haben um des Himmelreichs willen." Die vor-
genommenen Verstümmelungen betreffen bei den Weibern entweder
die Brüste oder die Genitalien oder beides zugleich. Wir betrachten
hier fürs erste nur die Verletzimgen an den Geschlechtstheilen.
Dieselben be^tehua in dem Ausschneiden der Nymphen allein oder mit
der Clitoris zugleich, oder in dem Ausschneiden des oberen Theils der grossen
Scbamlefzen sammt den Nymphen und der Clitoris, so dau durch die darauf
folgende unregelmässige Vemarbung dieser Theile die Schamspalte bedeutend
verengt wird.
Drei .Abbildungen der Genitalien von „Skopizen" oder „Skoptechichen"
f weiblichen Skopzen) erläutern die vorgenommenen Operationen. Alle drei
betreffen jungfräuliche Individuen mit intakt erhaltenem Hymen und unver-
letztem Frenulnm der groRsen Schamlippen. Bei der einen finden wir die
aeymmetriäche Excision der kleinen Labien. Die linke Nymphe zeigt un-
gefShr in der Mitte ihres freien Randes einen dreieckigen .Ausschnitt. Der
dreieckige Defect hat nach unten einen horizontalen Rand von 0,7 cm, nach
oben einen schrägen Rand unter 45 Grud nach lateralwftrts »bgeheud,
withrend die Lücke im äusseren Rande der Nymphe 1 cm beträgt. Die
Ränder des Ansschnitte« erscheinen abgerundet und verdickt. Die rechte
Nymphe ist in ihrem unteren Dritttheil scheinbar ganz von ihrer Basis
heraasgeschnitten and nur an ihrer unteren Grenze ist ein kleines Zipfel-
chen Jitehen geblieben, das zu einem hanfkomgrossen Knötchen ong«-
schwollen ist.
Auf einer anderen Tafel erkennen wir die symmetrische Aoseohneidung
der kleinen Schamlippen. Im oberen Dritttheile der Nymphe hat ein schräger
von oben komnu-nder Schnitt jederseits einen ungefähr 0,25 cm breiten
znngenfOrmigen Lappen ans den kleinen Schamlippen bis zu deren Basis
hin hemnagescbnitten. Eine zweite Excision hat die Mitte der kleinen
Labien getroifen and aas jeder ein dreieckiges ätück heraucgetctnsi vtm
IHe Besehneidung der Mädchen und di« VernähuniK'.
153
•OBgertthr derselben Fonu und UiÜsse wie der Ausschnitt an der liiikeu
Nym|ihc' der vorher besvhi-iebeaejB FerBon. Die Schnilträiider sind mit rund-
licher Verdickung vema.rWt. Auf dies« Weise ist zwischen den Ausschnitten
der kleinen Schamlippen von diewen jederseita ein ungelahr 0.3 cm breiter
Lappen stehen geblieben. Derselbe bietet aber keinen freien Rand dar.
sondern ist mit diesem mit der Schleimhaut der benachbarten grossen
Schanilippe narbij? verwuchsen, woran? geschlossen werden mus*. dass bei
der Operation auch diese wund gemacht worden ist und dass an den Lappen
auch von ihrem freien Rande ein feiner Saum abgetrennt wurde. Denn
beide Theile nmssten angefrischt. wie der Chirurg sagt. d. h. wund gemacht
«ein, wenn sie mit einander vei-wachsen sollten.
Die dritte Tafel, ebenso wie die vorigen in
LebeDfigrOase iiu.ogefnhrt, giebt uns d»w Bild einer Exci-
dirteu (Fig. 27). Eine Schamspalte im eigentlichen Sinno
existirt nicht, sondern wir sehen statt derselben ein
lilngsovales Loch von 3 zu 2 cm Durchmesser, das
trichterförmig nach abwärts (bei Rückenlage der
Patientin) zu führen scheint. An der Hinterwaud
dieses Loches markirt sich in der Mitte die ziemlich
grosse Harnröhrenöffnung und etwas seitwBrts von
dieser jederaeits eine kleine Schleimhanfcarunkel,
weiche wohl als einziger üeberrest der excidirten
Nymphen betrachtet werden raus«. Auf dem gra\i j,, ^j Ver»chniaeii«
behaarten Schamberge iät eine breite, unregelmas- 70-jShrige Jungfrau ast
sige. annähernd dreiseitige Narbe sichtbar, im Smiiaad, der Skop-
giössten Querdnrcbmesaer ä cm breit. Die Spitze diesed leniekte »ngehörend
narbigen Dreieck:* ist nach unten gekehrt und von ihr <"•«■» "• '*'"*«")•
läuft ein leicht gezackter Narbenslreifen in der Medianlinie abwärt« bis «u
der Hajnröhrenöffnung hin. Von einer Clitoria esistirt keine Spur, statt
der kleinen Schamlippen sind nur die beiden vorhererwähnten Carunkeln
erhalten. Grosse Schamlippen im gewöhnlichen Sinne des Wortes sind auch
nicht vorhanden. Jedenfalls wurde ihre gesauimte obere Abtheilung mit
fortgeschnitten und bei dem Verschluss der Wunden, der. wie gewisse regel-
mäsbig ungeordnete Pigmentflecke lehren, durch die blutige Nath stattge-
funden hat, muaste die Haut von dem stehengebliebenen Re^te der grossen
Schamlippen mit beträchtlicher Gewalt nach oben und zur Mitte zu heran-
gezogen werden. Hierdurch erscheinen die Labia majora nicht mehr als
„Lippen", sondern als nur minimal das Niveau der Umgebung ilberrngende
Hautflächen, die sich kaum noch durch die fast gänzlich verstrichene Labial-
Schenkelfurche gegen die Nuchbarschaft hin abgrenzen.
Dua Vernähen nach dem Beschneiden der Nymphen und das
Zusammeuheilen der Wundränder bis anf eine kleine Oett'nung fand
man von den N i 1 katarakten uul'wärts ganz allgemein gebräuchlich
bei den Bedschas, Gallas, Somalis, den Einwohnern
Harrars, auf Massaua u. s. vr. Die Operation besteht im All-
gemeinen in folgendem, später noch genauer zu beschreibenden
Verfahren : Der hervorstehende Theil der Nymphen (kleine Scham-
lippen) wird etwas beschnitten und dann die Wundräuder bis auf
eine kleine Oeffhung entweder zusammengenäht oder auch ohue Nath
zusammengeheilt. Schon im Mittelalter wurde von Magrizi be-
richtet, dass man bei den Beja (Bedscha) den Mädchen die
1 54 ^ • ^i« äuBseron Sexualorgane des Weibee in ethnograph. Hinsicht.
Schamlefzen beschneidet und dann die Wunde zusammeuwachsen
läset, um sie erst bei der Verheirathung wieder zu öffnen-
In Pegu in Indien fand Lindschotteti ebenfalls die Sitte der
Vemähung :
„Man findet etliche bei ihnen, eo ihren Töchtern, wenn nie geboren
werden, -ihre Scham zunähen und ihnen nur ein klein LOchlein laaaen, da-
durch sie ihr jungt'rauwlich Waeeer abschlagen mögen; wenn sie dann er-
wachsen und verheyrat werden, bo mag sie der Brfiutigam wiederumb nui'-
schneiden ao gross und so klein, als er vermeinet da$.s sie ihm eben
recht sei."
Diese Sitte hat offenbar die bekannte Bedeutung der Infibu-
lation und wird auch bisweilen mit diesem Namen bezeichnet.
Sie hat den Zweck, die Keuschheit der Mädchen sicher zu stellen
bis zur Heirath, vor welcher die entsprechende Gegenoperation ge-
macht wird. Geht der Ehemann auf Reisen, so wird häufig dasselbe
Verfahren au der Frau aufs neue angewendet, und er lasst es
wiederholen, so oft es ihm zweckmässig erscheint. Auch Sclaven-
händler bedienen sich desselben, damit die Sclavinnen nicht etwa
schwanger werden. Doch wird berichtet, dass der beabsichtigte
Zweck dennoch bisweilen unerreicht bleibt.
Es giebt Nil Völker, welche nur die Excision, andere, welche
Excision und Infibulation (Vernähung), noch andere, welche nur die
Infibulation Üben. So berichtet Harfmann* : Während man sich in
Aegypteu und Abyssinien damit begnügt, das Praeputium
clitoridis, seltener die Clitoris selbst oder einen an der vorderen
Commissur der Labia majora hervorwachsenden Klunker abzutragen
(Excision), macht man in Nubien, südlich von Wadi-Halfa, im
Senn aar und in einem Theile Kordofans auch noch die iländer
der Nymphen wund und lässt diese bis aul' eine kleine, dem Ab-
fluss des Harn dienende Stelle zusammenheilen (Yemahung, Infi-
bulation).
Sehr ausftihrlich über die Infibulation im Sudan berichtet
Peney, Chefarzt der Armee vom Sudan, mit folgenden Worten:
„G'eat vers Tage de aept ou huit uns. que la jeune fille est lirree i
la matrone chargee de l'op^rer. Quelques jours avont l'epoque 6icee pour
cet objet, la tn^re de famille invite les parents et oonnaissances du tese
föminm ä oe röunir cbez eile, et c'est par de« f^tes qu'on prölude i, la c^r^-
monie sanglante. Le nioment arrive, la victime, environn^e de toutes It»
femmes presenlea, est rouchec nur un lit oii eile est niuintenue par les aaaia-
tontes, tandiü que la routrone, armüe d'un rasoir et agenouilltie entre le«
cuisaes de la paliente. procedc k l'opL'ration. Celle-ci cotnmence par l'nbla-
tion d'une partie du clituris et des uymphes; de l& le rasoir descendont
8Ur le rehord des grande« l^vren, enli^ve sur leur bord interne et en contour>
n&nt lu vulve une languette de chair, large de deux centiint<tr«8 enriron.
Cetle Operation dare qtiatre on cinq minutes; et poor Guipechcr Jes cris de
la patiente de se faire entendre, le« aa8iHtatlt«^ ont soin de pouüsor des
clameurs 8ur le diapa«<m le plue uigu, tout que dureut le« manoeuvre> op«^
ratqires. L'ablation des purties achev<!>e et le sang ^tancb«^, la jeuue tille est
couchee sur le dos, les jftmbes ^tendue« «t li^s forteinent i'une i r»atre.
22. Die beacboeidung
d« fa9on 4 lenr iuterdire tout mouTemeot. Otta prvcaution est nec^Maire
ponr tn^Diiger la fonniitioD de la cicalrice. Asant d'abAndouner l'op^r^ aux
*oin)t de la nnture, la malrone introduit dana la partic inferieure du ragiii,
entr« lee Ivvres eaignantes de la plaie, un petit cylindre de bois, de lu
groaseur d'une plume d'oc«. L'office de ce cylindre, qui doit reater en plitüe
jusqu'au momcnt oii le trarail de la cicalrisation sera acteve, est de m^ua^er
nue ijBue aux uriues et plus tard aux menstrueF. C'est tout ce qui reste de
I>ern)^able dans le vagin.
„Quand la jeuue Nubienne prend un epoux, c'est encore h la matrone
qu'etle s'adrvisse pour que celle-ci rende aux parties sexuelles les dimon«tona
n^ceisaireft 6 racconiptbsetnent du mariage. Car i'ouverture exiAtante est
trop ötroitp et trop peu dilatable (i cause de la cicatrice donl eile est en-
touree) pour que le man le plus rigoureux puieise compter sur aea seula
efforts pour pC-netrer dana la place. La matrone intervient alors, et, pur
une incidioii longitudinale, eile produit une plaie par laquelle s'acoomplira
la copulation. Mals comine cette plaie nouvelle tendrait ü se refermcr, »i
lea parties saignante« restaient en contact, la matrone introduit entre les
lövrea de la plaie. et ii deux ou trois pouces de profondeur daua le vagin.
OD Qouveau cylindre vegetal, beaucoup phis volumineux que le premier ; car
ce demier doit Bgurer les diioensiionB du penis du marl 'Ce deuxietnc cy-
lindre reite en place une quarantaine de jour», c&poque oü la cicatriantion
est cotnplete et oü isa preeenpe d«vient inutile.
«Mais tout n'eiit paa dit pour la malheureuae qui s'eat une premiere
et une deuxi^me fois «ouniise & Top^ration. Si eile coni;oit, ce qui arrive
ordinairement, eile ne pourra paa accoucher sana 8on\)ir encore les eprcuven
de riaatrument Iranchant; car la meme bride rösietante qui entoure la vulve
et qui a'oppofait k la copulation, K'opposcra encoro k la dilatation de cette
portie par ou doit paaser l'enfant. 11 faudra donc encore döbrider. au
inoyen de large« et profondea incisionk, le« partiea qui refuaent de se dilater.
Soarent au moment oü l'enfant, en aortant du bassin, vient »'appuyer sur
la cloison interne dee parties genitales, souvent, dia-je, il arrive alors que
la matrone, qui doit aaiair cet instant pour inciser profondement les grandM
livrea. blet'se grievemcat le produit. qui cherche ä a'^chapper au dehora.
J'ai vu nioi-uieme, daua dea cas aeoiblable«, de» ooupa de raaoir, portc^a mal
babili'inent. produire die« iVnfant dea ble»<8ures uiortclle». Et cependant.
malgr^ le» douleur« qui accompagnent toujoura cette horrible pratique de
l'inHbulution. malgrü les dangers qu'elle fait courrir ä la femme et Ä l'enlaul
qui vä naltre. inalgre Uiutett lea tentives essaia par lea agent« du- gouverue-
ment ^gyptien pour bannir celtt- affreuae coutume, lea Soudaniennea
n'en peniatent paa moins dans leura id<*e8 ä cet egard; quand aux jeun*«
fillee. eile« y aemblent encore plua attach^es que lea hommes, car ellea pir- '
tendent que sana Vinfibulatioii eile» ne trouvemient aucun mari."
lieber diese Sitte bei den Sudanesen schreibt Brehm: Die
Ofbote des MohamedaniAmus befehlen nur die Circuracision: allein
dio Bewolmer des Sudan nehmen nicht nur diese Operation Tor,
„Bod etinm labüs minoribiui (nymphia) abscissis labia majora indc
A Veneris monte iwque ad vaginam simaudo ita copulant, ut tistulu
>»ol« ft«l urinam fundcndam pateat."" Die Operation wird mich
von alten Weibern au.sgeflibrt, welche mit stumpfen lla^sir-
. li die nöthigen Schnitte machen, dabei aber das Kind auf
entsetzliche Weise quälen. Oft uiuss es vier Wochen lang mit zu-
f56 ^- l^i^ äasseren Sezaalorgane da« Weibes in ethnograph. Hinueht.
saramenpebniuletieu Füssen auf dem Anqareb, d. i. dem dort ge-
bräuchlichen Bette, liegen bleiben, ehe die Wunde vernarbt
Vor der Hochzeit nun sendet der Ebespons den Angehörigen
des Mädcliens ein aus Holz geschnitztes Abbild seines Penis,
nach dessen Maoss die Oeffuung in den Schamtheilen des Mäd-
chens gemacht wetden soll. Ist die Frau geschwängert, so wird
vor der Niederkunft die Oeffuung erweitert. Nach mündlicheB Mit-
Uieilungen erfahre ich von Brehm, dass letsstere Operation durch
einen Schnitt von hinten nach vom, d. h. vom Damme her nach
dem Mons veneris hin vorgenommen wird, indem der vordere oder
obere Tb eil der Schanitheile zusammengeheilt ist und sich die
zurückgebliebene OefFnung nach hinten zu befindet. In seinen
Reiseskizzen versichert Brehm, dass es Ehemänner giebt, die nach
der Entbindung die Operation des Beschneidens an der Frau aber-
mals vornehmen, um dieselbe gleichsam in den jungfräulichen Zu-
stand zunk'kzui\ihren ; und dass im Königreiche Dar-Fur an
den zu beschneidenden Mädchen auch die Sutura cruenta vorge-
nommen wird, d. h. es werden, nachdem die kleinen Schamlippen
durch Schnitte wund gemacht worden sind, die grossen Schamlippen
durch Nadel und Faden mit einander verbunden.
Unter den Beduinen der westlichen Bejuda- Steppe nörd-
lich von Chart um werden die Mädchen im 5. — 8, Jahre der
,Intibulatiün' unterworfen: es wird damit die Vemähung gemeint.
Auch im Senn aar übt man nach CaUUand folgendes Ver-
fahren aus:
,Apr^ avoir dognii e«s deax membraneB, les plaies de Tun« et de
]*aulre sont rapproohdea, et la patiente est tenue dans an ^tat d'iinmobiliti
pre«que enü^re jaBqu'4 ce qu'elle« se goient r^uoiea easemble par aggluti-
nalion ; au mojcen d'one casble tr^s-mince. on manage uiie Ouvertüre ii peijut
■ufäsaot« pour les ^oulütnenti naturell. <Jueli{U« tempa avant le manag«,
il faut dtftruire par incision cette adberence contraire ä la natura. SM <Tir*
nent quelqo« »vuipt&iue färheux, ie fer rouge «t le rai>oir »oot la. 0& düait
que la s«n&ibiUtv enious^ee cbez ces peapi«* les etupeche d'apprvcter ki
toufruDcva inouien et les accideats gtnxes et iaevitabie« de c«f pntiqaai
inbuiuaitKeB, inrtrate^a pur le dcspotwne da sese le pia& fort, poor s'aavarcr
la joai8«anc« |M^uJ{>r« d« cette fl^ur virgioale ti fogitive daaa toos laa autm
p(^'A. Quoi qu'il en soil, ü en coüt« a«fex eher pour iair« remattre aoe
}oaB« fillfl BD etat de reaplir des devoin oo^jugaox. S*!! cn est qadqa'mi«
qni. tk defaut de noyena pÄcuniaiT««, S4* mane saiu avoir vabi cette pti^-
ratioo essentidle. c'est ä IVpoux pre-udre 4 cet ig»id ie porti qai lai con-
rient: mai« loraqu'ü reuisit, ciiO!te difficile. A la readre fc^onde. eOe % la
droit d'exijijer qu'ua« de* matroneoi. q»i ex^rteni ee cro«! inHier, tau« dk-
pamitj« gratis di^s ob^tade«. qoi coatrariest le trarul de I'eofaotenMdit. L>
Ji^iuic nnire, qui con^üirre l'«?s|wtir d» ■« rtnarier, aluMta poiat A «• mf-
■MUr» aaa Mcoad« tow aas iuitmrt» 4« oaUa d«ttU« Ua^iaiiant tna» 1» ea*
•tt mr«.**
In Kordofan uoaa bei dm maialea SliauBCD ibe Bimat
2U T^a vor der Uodtaöt akh ^ ,s«railcn BMdmaiihmg* oatw-
werfen: fymiu i\iUm€^ wdelier die« berichAal. meint j<>deiifiüls da-
l!2. Die Beschn^fduBg i«e MSdchen und die Yern&hnng.
157
mit die Aufschneidung^; um ihr 8. Lebensjahr werden dort die
Mädchen zuerst der Exoision unterworfen. RüppeU sagt:
,Die Aufsclincidunp der Bruut, d. li. die eröffnende Operation an den
Gesehlechtstheilen, hat nicht eher statt, als bis dtr ganze bedungene Hoch-
zeitspreis entrichtet ist. Die bei der Aufachueidung gemachte Oeffuung ist
nach Bedürfniss des Ehemanns grösser oder kleiner. Wenn nach erfolgter
Schwangerschaft die Zeit der Entbindung sich nähert, sü wird die Oeffnung
nSthigenfalls durch abermaligem Schneiden vergrössert, und nach erfolgter
Geburt wird die ganze Oefihung durch Auffrii^chen der Wundränder wieder
zum Verwachsen geeignet, wodurch die Wöchnerin gleichsam in einen jung-
fräulichen Zustand zurücktritt. Sie bleibt in Bolchem iO lange als sie das
Kind stillt; dann schreitet mau ubertnalt> zur Wiederaufschneidung. Diese
Operation wird wiederholt bi» nach dem dritten und vierten Wochenbett,
wenn es der Ehemanu verlangt ; öfters unterbleibt sie aber schon nach dem
ersten. — Ich habe Weiber gesehen, deren Männer kurz nach einem der
ersten Wochenbetten ihrer Gattin gestorben waren; und da zur Zeit des
Todesfalls die Wunde der Aufachueidung zugewachsen war, so befanden die
Frauen sich in einem sonderbaren Zustande, und ihre Elteni zwangen sie.
in dem traurigen Status zu bleiben ; denn durch die Aufschneidong würden
aie freiwillig in die Klasse der Freudenmädchen sich versetzt haben."
Die Mädchen der Somali werden im 8. — 10 Jahre nach
Weise der Galla und Abyssinier „vernäht", indem die ver-
wundeten Scüamlippenränder mit Pferdehaareu au 2 — 3 Stellen zu-
sammeugehertet werden. Sie verwach.sen his auf einen engen Kanal
zum Entleeren de.s Urins. PauWachhe berichtet von den Somali:
Das weibliche Geschlecht wird im Alter von 'i — 4 Jahren infibulirt.
Der Infibulation geht die Verkürzung der Clitoris und die Beschneidung der
äusseren Valvae voraus. Die Operation vollziehen erlahrene Frauen, welche
auch die inneren Lefzen bis auf eine kleine Oeffnung mit Pferdehaaren oder
Baumwollenzwim, auch mit Bast vernähen. Eine molu-tägig« Ruhe, während
welcher dem Mädchen die Fösse zusammengebunden werden, bringt die
Wunde zur Ausheilung. Vor der Ehe lösen die bezeichneten Chirurginnen
oder die Mädchen selbst die vermlhte Stelle, welche indessen meist erst vor
der Niederkunft völlig aufgetrennt wird.
Die Mädchen der Harari werden in der Kegel mit 7 Jahren
an den äusseren Valvae be.schnitten und von kundigen Frauen auf
gleiche Weise wie tlie Somali -Müdcbeu intibulirt und ebenso un-
mittelbar vor der Ehe im Alter von 13 — 14 Jahren wieder ge-
öffnet. ( Faiditschke.)
Die anderen in Afrika wohnenden Volker, die Wakamba,
Wanika, Wadjagga etc. nehmen diese Maassregel zur Sicherung
der .lungfrauschaft nicht vor.
Namentlich hebt Hartmann ganz besonders die Verschiedenheit
dieser beiden Operationen hervor.
„Bei der Vern&bung," sagt er, „macht man in Nubien, südlich von
Wndi Haifa, im Svnnuar und in einem Theile Kordofaus auch noch
die B-luder der Nymphen wund und lä^jst die<>e bis auf eine kleine, deao Ab-
flüsse des Harns dienende Stelle zuBnmmeuheilcn. Vor der Hochzeit wird
die Muk^ijjtha, die Veniähte, durch blutige Oi)erution ihrer Verschliessung
i^rieder enthoben (Fig. 28). Auch Sciavinnen werden solchergestalt lufibuliri. ¥.»
gi^t grausame Herren (selbst Europäer!), welche an SGlaviDoen, ihren
zeitweisen M&ittessen, jene Operation zwei- bi« dreimal haben ToUziehea
laasen und die Armen dann achlieiislich doch noch verkauft haben! Die
Verschliessung wird von alten Weibom mit schlechten Scheermes»em Toll-
brocht. Mao bindet die Beine der Patientin über den Knieen übereinander
und lässt rie so einige Wochen lang bei schmaler Kost auf dem Anqardb
liegen, bis die Heilung von statten gegangen. Der Sudanese betrachtet
die Vervchliessung seiner Töchter aU eine geheiligte Sitte und rühmt deren
VorirefHichkeit. Er begebt den Tag einer solchen Operation mit Festi*
vitäten."
E« scheint also nach Hartmann's Bericht, als ob man auch
bei der Vernähung gleichzeitig mit die Excisiou vollbringt. Hiervon
sprechen aber Andere nicht.
Ilartmann konnte eine ungefähr 30 Jahre alte
Sudanesin aus Alt-Dongola, v»relche vernäht
gewesen und wieder autgetrennt war, nach der Natur
zeichnen und hat dem Heraiisgeber ireundliclist diese
Zeichnung zur Veröflfentlichimg überlassen. Man er-
kennt die narbigen Reste der kleinen Schamlippen und
den Stumpf der abgeschnittenen Olitoris, unter dem
sich die Harnrohrenöflnung prasentirt.
Ein eigentliches Nähen scheint bei dieser Ope-
ration nach den Darstellungen Vieler nicht immer
stattzufindeu ; allein Burckhardt spricht auch hier-
von bei den Mnkhaeyt (consutae) genannten Ope-
ritten :
„Mihi cuntigit uigram quandam puellam, quae baoc
aikt" gewe«en« operationeni subierat, inspicere Labia pudendorum acu et
SudAnatin. fijo conauta mihi plane detect* fucre, foramine angusto in
^Ij^hliVt *Voa ineatum «rinn« relicto. Apud Esnc. Siout et Cairo
ftobert/ii rtmann.) tonsores Bunt. qui obslructionem novacula amovent. «ed
vulnua haud vuro letale evenit."
Diese Operation des Vernähens trennt auch Werne von der
Excision. Er sagt:
„Aber eine zweite Operation, welche in Aegypten nicht angewendet
wird und nur unter der mobamedanischen Bevölkerung vom ersten Katurakt
niiaulwttrtji in Gebrauch ist, wird indem genannten .\lter (im 9. oder 10.
Jahre) an dem Mädchen vollzogen und ist ein«; mehr sichere Vorkehrung,
al» alle die mit karistlichen Schlössern und Federn, mit welchen rohe Ritter
ihre Frauuu iim>iohU>sisen, wenn sie Kreuz- und andere Züge machten, oder
Uberbaupl den llatlinnen nicht trauten. Alte Weiber legen ein solches, deot
Volksglauben nntoi worfenes Opfer aaf einen Anqareb und «ciirificiren mit
einem scharfen Mfi*«er die beiden Wände d*?r grossen Schamlefzen bis auf
einen kleinen Ruum nach dem After hin. Darauf n<«hnien sie t?ine Ferda
(jene» lange StfJck Baumwollenieug mit vcrzierton Knd*>n, so Männer und
Weiber um ihren Körper g<lrt«n) und umwickeln damit dorn Madchen die
Knie fest, wodurch jene Ncarificirten Thnile, aneinander Kesohlosüen,» auf die
Dauer verwachsen, bis auf den nicht wund gemachten 'ITicil; in diu kleine
Fig. 38. Ein«
«isdenwvfge-
*o)uiitt«ne „Ter-
II
II
II
i
1
22. Die Bcscfaneidong der Mädchen und die VemAhung.
159
DeEEnuBg wird wegen des möglichen Zusammenwachsene ein Federkiel oder
»in dünnea Rohr geatecki, um den BedilHiiiu8en der Natar den Weg offen
lu halten. Vierzig lange Tage muss das Mädchen in dieser Lage auf dem
lAnqarßh mit gebundenen Knieen aushalten, auxgenomiDHD wo ein Bedürfni«»
intriit; und eo scheint dieser Zeitraum, der Erfahrimg Qher wirklich er-
I folgte ZoHammenwachsung der Schamlippen entsprechend, gleichsam gesetz'
lieh (U xein. Ist nun eine auf »eich' i^candalöse Art erhaltene Jungfrau —
reiche nicht selten, wenn man liebkosend eich ihr nähert, mit einem „el
(hab nia«dftht oder makfül" (das Thor i.st verxchlosaen) sich entschuldigt —
früher oder später Braut geworden, so werden die obscönen Handlungen
, fortgesetzt Eine von den Weihern, welche jene Operation ausführen,
(ommt unmittelbar vor der Hochzeit zum Bräutigam, um dessen männliche
fVoraClgn zn messen ; sie verfertigt darauf eine Art Phallus von Thon oder
Hotz und vetTichtet nach dem Uaaase desselben eine theilweise Aufschneidung -,
der mit einem FetUappen umwundene Zapfen bleibt stecken, um ein neues
Zusauintenwachsen zu verhfiten. Unter den gebräuchlichen lärmenden Hoch •
leitvfeirrlii'hkeiten führt alsdann der Hflann sein mit verbissenem Schmerze
einhersehreitendes Weib nach Hause auf das GerQst hinter einen grobwolle>
nen Vorhang — und schon nach 4 oder 5 Tagen, ohne die Wunden heilen
oder vernarben zu lassen, föllt der Thiermensch Aber sein Opfer her. Vor
> dem Gebären wird das Muliebre zwar durch totale Lösung in integrum resti-
loiri. allein nach der Geburt, je nach Belieben de« Mannes, bis auf die
t mittlere oder die kleinste Oeffnung wieder geschlossen, und so fort."
In der Berberei hrtxieWerne eine junge Wittwe kennen, welche
sich Ober den Tod ihres Gatten freute, weil er sie in kurzer Zeit
siebenmal einer solchen Operation, von der die Narben, sieht- und
fühlbar, Ekel erregen können, unbarmherzig unterworfen hatte.
Die Art und Weise, wie die Operation bei den Nubiern aus-
Igeftlhrt wird, beschrieb iTanner in der GeburtshQltiichen Gesellschaft
[zu Ijundon:
„Puella, adhuc tenera, huuii supina prostemitur, cruribus sursum trusis,
shuM Hexis et in diversum extensis. Sic jacenti, verendorum labia acuta
^OTftcula utrinque per totum paene os scalpunter, relicta ad extremum do-
orsR* hiutum in longitudinera quarta unciae parte, in quam calamus pennam
ftoserioam circulo aequiparans intro immittitur. Hoc facto labiorum mar-
igtOM, Kiuiguine udhiic ktiliante» in unum coguntur, eo con&ilio ut re3aaes-
fMntos conjungantur , et nihil aliud apertum relinquatur, quam exiguum
lllud foramnn. quod per calaoinm insertum retervatur.
Quae ut flut conjunctio et superficies labiorura scalpro nuper incisa quam
foplinie coeat, puellne crura gennbus et tulis inter se nexis colligantur. Hinc
Ht, ut nulla tuembrorum tensiune vcl luctalione labella jamjam concrescentia
tpotsint Heparari. Post paucos dies firmiter inteir se conhaerent, et forma,
Iqaam natura drderat, nulla upparet. l(a laovis est pars ea, quae monti qui
veueri« vocatur prwxime subjacel, ut Rpedem nudae feminau quem admodum
»culpton>« »tatuam ex ea parte laevigant, omnino repraesonlet. Caliiuio «üb-
iducto perexigun <]Uive relinqititur apertura officio urethrae fungitur.
Hoc arlificia tutis licet pueUis cum ^»ueris libere conaociuri, dum dies
tsaptialis advenoril, quo tempore »pousa sine controversia virgo est.
Fe«tum, quod in honorem nuptiarum celebratur. ritu, qui Hnetn austitati
[aUioc coftctan irapönat, coucludilur Bpon^^a a quibusdani ex amicij* »aia,
Bio pronubiirutu fu^entibu», tanquam jure occupatur. Molier, rej agcuda«
t.d;*!
I SexnäSöt^gnie iteviffeft«* m Hhnöfrmfh, BürfMlt.
perit«. ferrmneatuai fteitafB» eanrntam. im Ikkt vMknr OBale« imteni,
qMMl •■■1 adM«d«a «amitan Ml, vi, tftmm atifi» con aAibita, maam
imHiJfiliii. catk, aU 0|mm «A pwfoiaUn. üao ieta ttg— mta» £«aitar,
et riiMi I«Bfit«do tmÄem propc, q«ae pno* famt, reititwtar. Es iSo
tcapere ■ponw mnum» vigüäiitta » proaalne ohawiaUti. & qwbwi ad numtt
tagvrim 4t4mtituT. M mmte fmci n v%itia mueai proBaboe, e< ^imub,
fw>d es «CS e4Ni««sit. smcnlhinie» exspcetuit: qoo iatw e£lo. diom« omsb
feadBanoB elsrs roce, •rgata «iiasl et tniacsBÄA, omkv coo exultaate» «la-
iaat. . . . Aatoqaa« laofier poonm eaiti poorit. opa« eet. rv^xBan cecudo
Oalmn, qaae poal partam sradia« latrodacta ad ptioitia mewmwam Heraai
Mstnlater.-'
Ebenso spridit Burckhardt von dieser Gegeuopentioiv, d. k.
der Aa^hneidong nach der durch Circuracisioii (die er ülflcUädi
Exdno ditoridis nennt) entstandenen kfinstiiebm Terschliefisoag
der Tagina:
«CicaUix poat rsririomw« düoridM parietal ifBM Ys^iaae,
parro reücto, tater «e ghrtäiiat. Ceai >— ipaa aapliaKBa adreaiat, bm
a qua Tagiaa claoditiir, cotam ploribo* ladiditBr, «poaso ipao
loterdam ereait. at opcnAioaca cfliMt« aaqpcat aiae vf* aalieni atic^jas
«spcrtae, qaae HcalpeDo parte» vagiaaa pmteidias nadadit. ¥Ti»a« cnu<iaa
dw com Qxore pleromqBe habitat; «adeiUa Arabaai acBtaaÜa: Poat iaam
apcrtorae diea ooitiu. Ex lue coaiactadiae il. at «poawi» aiUMiaam
cipialttr. et es hoc fit. at ia Aegjpte 8apan«iri iaaaptac rapalaare
cmaa boenaom stodent, diceate«: Tabouiay wala' laljtfcMi"i'H> ^^ qaaa-
toai en sit inrita haec contiaeatia poat aiatriaMMiiaBi demoaatnuit, ttbidiat
qaam auuicie indolgeatet.'*
Fancrri hatte in Aegjpten Gelegenheit, eine tmgefihr
20jähhge Sudanesin zu untersuchen^ welche früher die Exdsion
4iirchg«nacht hatte. Er sagt too ihr:
llati irsh an Stelle der Sdtamapalte eine liaeare NarW, oater velcher
ita MV' !e Fmger die ClJtoris so ihrem Platae, aber rSOig Ur«^-
lieh Uli . u.-m geoaaatcii Narbeogewebe Tezst«ckt nachweiaeai konnte.
Nor venn man die Schenkel attseiBaAdenpreüte. aah man bei dem Perinlmn
die ScheideoOffimng in Form eöiaa SpallM. denea Biader durch den Kaxnm dar
kleinen Labien gebildet wurden, die gewissennaacseB mit den gruaseo «er>
cchmolzen waren. Die obere Commiwwr. die CUtorii, die Hamr^bieBOillndoBif
vad die Tordere B&IA« der kleinen Schamlippen varen verboigea, weil die
gjOMea Schamlippen mit eiaaader renclunolien waren (fig- 26 a. ti.)
Am oberen Niger, bei den Ma linke
and Bambara. scheint jedoch nach GxtUiem^
Comnaiidant der fransoaischen Marine-la-
fi&nterie, lediglich der Brauch der Oiruam-
cision ra bestehen:
„Cbet lea MatiBkis M lee Bambarraa. d«
jeq»e« Blies «oat gte^ffalemeat i«^« * i- *
qnins» ana aa aameat d» rop4rat»oa. Ii«a
apr- "i»ge, ali- ■ at
ffti l«nt« ptu. . , ur
"^ ■rar
VallariafMak
li
22. Ke BescluieiduDg der Müdchen nnd die yeraKhang.
161
I
fenimee d«a forgeroDit iiour les fille». L'Laatruiuent eiuplojd* est un simple
cooUau en (er grossiöremeot utguise. Les patientea ae doivent donner aucau
sign« de fAible«»e uu luotuent de TexciBioii. Couiuie dous nous etonniona
Bouvent de voir pratiquer la circonciRiou vi8-ä.-vi8 den) jeuaea filles, ou nous
rt-pondait, quu cellen-ci {(«»taient aiosi plua fideles ä leurs luaris; cepeadaut,
le» futQtuea iiidigi'iieg ne se piqiient guere de chastett'.
Le» fatnilles doiit leh L-nlants viennent de subir ropemtion de 1h cir-
coDcisioD, celebrent cette fete par den danRee et des chant««, ucconipugnes
de repas plns copieux que d'habitude. Le» richea tueiit den chevres, dea
pculetp, quelques fois ni^ni« un boeuf; \e» pauvre« ramaFsent deux ou troifl
chiens datis le village et ]es unieent avec le riz ou le coukcous; paHout on
confectionne du dolo et on se livre ä d'abondantes libations.
Apres rop^ralion. le» circoncis vetus de longuea roLes mutites de capu-
cbons qui leur lecouvreut 1a t^te, ne repataissent dans leura fannlles que
lorsqu'ils Boni eutii'renient guc^tia. Lee gur^ons sont K^piirös des filleu. . . .
L«9 tUIcK porteni de peütefc calebataee renipliea de menus cailloux, »euiblable^
1^ no8 jouetfi d'enfant. Au matin, de bonne beute, toua retoument soua leur
arbre. Lex cicntric^^'S sont longues ä ee guerir, car ce» iodigenes ne poa-
»tdent rien pour retenir les peaux api^s l'exciMOn; il faut bien compter
140 & 50 juars pour la gueriaon.
Le retour dans les faniilleä donne tieu & des longues fetefe. Les jeunes
gar^oni ont disormuia le droit de porter des armes et de donner leur avid
dans les conseils; les jeuneß filles peuvent se oiarier."
Ich habe mir Mühe gegeben, so viel als niöglich iiber die
'Wirkung und die Folgen zu erfahren, welche die Üperatiou
des Vemähens und. der Zustand des Vernäthseins auf das ßetindta
nnd die Gesundheit des Individuums äussert ; insbesondere erkun-
digte ich mich hier bei mehreren Afrika- Reisenden. Der ver-
storbene r. BeurmuHH, welcher in Wadai bekanntlich ermordet
«rurde, theilte mir nilhidlich mit, dass bei denjenigen \' ölkerschaften,
reiche die Vernähung der Geschlechtstheile ausüben, die Frauen
häufig sehr schwer gebären; auch sollen dort, wie er sagte, oft
.Missgebui-ten" vorkommen. Dagegen sollen nach r. JieMrmarin's
Ldgabe die afrikanischen Frauen, an welchen keine Vemähuug
Korgenommen wird, meist sehr leicht gebären. Jedenfalls liLsst sich
begreifen, dass der narbenbildende, eine Contraction und einen
Verschluss der äusseren Gebiirtstheile bedingende Process der Zu-
isÄnimcnheilung den Oeburtsvorgaog wesentlich beeinträchtigen kann.
Das Vernähen bringt jedoch noch andere N a o h t h e i l e mit
ridi; denn an vernähten Frauen, welche in den S|iitälern Aegyp-
lens mit syphilitischen Geschwüren an den Geschlechtstheile n dem
rerwtorbenen t'A/f (Jena) xu Gesicht kamen, musste nach münd-
lichen Mittheihmger» desselben eine Operation in ähnlicher Weise
orgeriommen werden, wie bei der Phimose au Männern; man
lu.ssie die verwachsenen Schamlippen durch einen Schnitt trennen,
widern sie eine tormliche Einschnürung der entzündeten und ge-
»chwollenen, von Syphilis ergriffenen unterliegenden Theile be-
wirkten und den Austritt des Schunker-Secretes hinderten. fW/?
PW>t«, lAw W*lb l. 2 Aufl.
11
ino^apb. Hinncht>
)iuridit4)tc mir, »I»m<« er nirgend» in den der Syphilw gewidmeten
Hpitill«'rn »o tHrohterliche ZerHtl'irnngen an den weiblichen Geschlechte-
thi*ilr>n ^4*t'iui<l('ii liiibt*. hIh in ügypt. i sclieu Krankenhäusern bei
oJnigt<ii frllhi-r ventahi gewesenen N e g e r - Sclavinnen. Diese
Nrhwiir/t'n Mnilchcn hiittr niun aus dem Inneren Afrika !< auf
einoni langen Zuge durch die Wüste transporürt, und sie waren
»interwi'gH von einem mit Syphilis behafteten Transporteur mitten
AHN der Sohivenkotte hcraungcnoramen, aufgeschnitten und zum
(N)ituM geniisNbraueht worden. Hierauf hatte man sie mit den
tViftchen ^^^uulen, die sich in grosster Ausdehnung schnell mit
•yphilili»i'hi'n (Joscliwllren bedeckten, auf wocheulangem Marsche
weiter triinsportirt, wol>ei sich denn bei völligem Mangel an Reini-
gung der kranken Titeile, bei der fortgesetzten Reibung durch das
Oeheu und b»«i dem hohen Hitzegrade der Luft der bemitleidens-
werthe /uHtand Husbildet«*, in welchem Uhle diese unglücklichen
IK'xohtipfe XU untersuchen <ifl««genheit fand.
l^ebenül diijt, wo die besprochenen Sitten herrschen, namenk-
UeU da, wo die Vemaliung allgemein üblich ist, ist das weibliche
UeschleciU^ wie Waitz mit Recht sagt, auf Aas Tiefste herabge-
würdigt. In der That steht bei diesen Völkern die Frau so niedtrig
int Weiihc, ditssi luan den BeeiU f^am weiblichen Wesens nsicfa der
Zahl der Knht« berechnet, ftlr die mwi deh ein solches erwirbt
Wo it)»er bMiglit^h die Benutsong der Arbeitskraft und die Befirie-
ili^uiitf der jmuuUcImh L\tst fhr die MSnner Beweggründe sind, ÖA
•iiM Fniu atuvsdMtftn, da wird man in der Wahl der VonsiditB-
VcbntnfeMg der KeoscUkak der Frau in Bwug
Nif ktrtwc «bta vielil hmauiftn delkal und »rt rerfiüirea.
Dms dia haid<a OpswÜnniw. aovoU die l!»ii bin idiiim ak aack
di* V«mOraa|r 4« IBdekem in keimr «nderea Abnett
üek ■iiii|[ilfthil worden^ al« tur Bew^kimg dar wyjhHAeii Kc
Imü» «Mi»! wir «m dm ~
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wvliAeft jH^ V.
!8. Der Mens Veseria und die Behandlnng der SehAmliaaTe. 163
1
■Weibliche Geschlecht höchst willkonimen ist, sofort auf den Gedankeu
geführt haben, dass hiermit das beste Mittel zur Bewahrung der
■Hfiblichen Keuschheit gefunden sei. So wurde allmählich die Aus-
führung jener Operation zum Zwecke der Herbeiflihrung einer
plastischen Vemarbung und Verschliessung der Geschlechtstheile
ein ganz allgemeiner, als sittliche Maassregel in grossem Ansehen
lebender Volksbrauch. Dass man dabei auch auf den Gedanken
*]iani, zur sicheren Herstellung der Vernarbung die frische Wunde
«« nähen, oder auch überhaupt durch eine Vemähung der äusseren
Geschlechtstheile den Verschluss derselben zu bewirken, ist wohl
nicht unmöglich; allein die allgemeine Erfahrung lehrte jedenfalls,
auch ohne Naht die An- und Zuheilung bei ruhigem Verhalten
Patientin bewirkt wurde.
[23. Der Mons Veneris and die Behandlung der Schamhaare.
Die Physiognomie des Mons Veneria wird im Wesentlichen
durch drei Factorcn hervorgerufen, durch die Form Verhältnisse des
knöchernen Beckens (besonders durch die Vergrösserung oder die
"Verringenitig des Winkels, welchen die beiden horizontalen Scham-
>einä«te mit einander bilden), durch die stärkere oder geringere
\blagerung von Cnterhautfettgewebe und endlich durch die Art
• Farbe und die Anordnung der Schambehaarung. Da nun diese
?j Dinge bei den Völkern der Erde in sehr verschiedenartiger
^v%s*i zur Eut Wickelung gekommen sind, so versteht es sich wohl
^ U)z von selber. diis.s auch an dem Schamberg Rassenunterschiede
>exiierkbar sein mÜHsen. Aber wir sind noch erheblich weit davon
itfernt, hier fertige Lehrsätze formnliren zu können. Denn leider
das zu Gebote stehende Beobachtungsmaterial noch ein in aller-
*" . rliches und spärliches. Ja selbst über die
-se bei dem weiblicheu Geschlecht der ciyi-
europäischen Nationen sind wir noch fast vollständig im
m. I>enn obgleich über ganz Europa eine enorme Menge
von Kliniken und Krankenhäusern zerstreut ist, in welchen täglich
Beobachtende aus- und eingehen, so hat es doch leider immer
sh an Beobachtern gefehlt, welche das sich ihnen überreich dar-
»teode Material zu verwerthen und filr eine genauere Verarbeitung
anzubringen sich bereit erklärt hätten. Der Herausgeber*
büreitfi an anderer Stelle »eine Klage darüber laut werden laasen.
hne VVi<birhall ist sie nicht verklungen. Wenigstens hat
riio, widches die von der deutschen anthropologischou
im .labre 1884 gewählte Commission ftVr das Studium
nhen HHliaaruug au«ge<irbeitet hat, aurh das Kdrpei-«]
i'. htiguog gefunden.
Jo/iannt- J , , lAgt: ,0n cnlen«! par le penü la partia cap^eor»
Itt iiarüu hooteuM, (ritu#« m la partie anterieoTe de« oi pabwj «I la Moti44
' 11*
Mta^
V.DifltoaMrttJ
ah. Hiwtdit.
tat c«lte partie, qui pamit el<;rt*e oomiae ane petite coUine aa-dMaoB 4h
gtmnde« Lerre«. qui pour cela est apell^ le Mont de Venu*, pturc« qae tou
oeax qui »'enroJlent »oo« l'^taadart de cette Dresse, doireat ii^cei.Maireiu(>nt
Tescalader. La. sabstanc« externe de la ^otte est faite »eolemeut de U
peko ; mau D n'en vm ainn de <a partie interne, puisqa' eile est presqor
Ivate de gratu«: ce qai ett fait exprt» pour la rendre ^paiate, nioUfl e«t
fort eiuinente. principalenient dans les jeunes fiUe» : ou cette rabstaiice dooce
et delicate eat trvB-prupre pour serrir d'Oreiller u Vrnws, de peor qoe Yo»
pobig de« deux Sfxes ee froiesant ensemble, s'opi>osait aa plaisir. qa'on doit
trouver daxu Ic coogres.* (Sdiung'.)
Eine eigeathQinliche Reflexion Über die Bt-haarung der Genitalitm
finden wir bei Gerdy: „Nach unten zeigt das Becken nur eine
Furche, an vrclclier man jedoch nach vom die geachlechUichcu Cb
hierauf den Daniin (perinaeum) und endlich nach hinten dir After othuiai
unterscheiden kann. Alle diese Theile eiud durch Ilaare verdeckt, to:
nehmlich aber die Zeugungsorgane. Es wird dadurch gl'>ichEam ein Schlei
gebildet, unter welchem »ich die^e schon durch ihre Lage versteckten Organo
den Aogen entziehen, und wunderbarer Weise gerade dann, wenn diu Ge-
schlechts theile auR ihrer urspränglicheu Keuschheit heraustreten, wenn ich
mich so ausdrücken darf, wenn die Geächlechtsdifferenx schon die Leiden-
aehaft der Liebe aufzuregen vermag, — gerade dann bedeckt sie die N.
mit einem Schleier, welcher die EinbildungekraA nnr oro «o m«br aal
und die m&chtigxte Leidenschaft nur um so stärker entflammt."
Der Schamberi^ g^^^ ^ seinen unteren Partien in die groesu
Schamlippen über und ninunt noch deren obere Cotnnii^ur in seineD
unteren Rand mit auf. Nach den Seiten reicht er bis an die Leisten
fnrchen und nach oben wird er von der unteren der beiden Bogen
linien begrenzt, welche mit dem Nabel zugekehrter Concavität d«
Uuterbauchgegend durchziehen. Eine reichliche Ablagerung
Unfcerhautfett lässt ihn bei den deutscheu Damen als flachmndlichen
Hügel über das Nivau der Umgebung hervortreten. Auch zeigt er in
der Mehrzahl der Falle von den Wbertätsjaliren an gewöhnlich in seiner
ganzen Ausdehnung einen mehr oder weniger dicbten Haarw
welcher aber mancherlei Variationen unterliegt, welche, wie
reits gesagt, noch nicht einmal in Deutschland hinreichend stndirt
worden sind. Der erste, welcher Tabellen darüber anlegte, war der
Terstorbene GynäkoloRe Etjijrl in Berlin, welcher dieselben seiner'
zeit dem Herausigeber^ zur Bearbeitung Überlassen hait«. Es gingj
aus der Analyse dieser Tabellen hervor, dass die Behaarung de*
Mona Veneris in Bezug auf ihre Farbe in einem ungeföhren, aber
nicht ganz absoluten Abhüugigkeits Verhältnisse zu der FarW der
Kopfhaare sich Wüiidet, während die Färbung der Augen einen
Hnckp<"M">"< =*"f 'H*^ FurW der Pubes nur mit grosser R«9erTe
«tattet
L'uter H'uii imter^uchten Erwachtenen waren:
il»iiiki«l."ii;i7iir ...... 'l'M\
I i>fluuLr.i
.""•ji.Huili.»;-«r :;j:'
I
Sja. Der MoM Venen« nnd die B^andlosg d«r SehAmhaare. fßS
helläugig 761
hellhaarig (KopiTiaar) .... 667
„ (Schamhaar) .... 671
Es waren also auch bei einigen Dunkelhaarigen wider Er-
' warten hellfarbige Schamhaare vorhanden. Die Schamhaare sind bald
kurz, bald lang, bald dünn gesät, bald dicht und buschig stehend,
bald schlicht und strafl". bald kraus und lockig. Ueber alle die.se
int-eressanten Dinge besitzen wir leider noch kein statistisches Ma-
terial. Nicht immer ist bei unseren Damen der ganze Schamberg
behaart, und bisweilen ist er sogar absolut haarlog. Dafür giebt
l'es aber wiederum andere Fälle, in welchen der Haarwuchs sowohl
nach den Seiten hin als auch nach oben die normalen Grenzen
überschreitet. Da dieses Zustände sind, wie sie bei dem raämi-
lichen Geschlechte in Deutschland als die normalen betrachtet
werden müssen, so habe ich eine solche Ausbreitung der Behaa-
Irung bei dem weiblichen Geschlecht als Heterogenie der Behaarung
bezeichnet. Für diese scheinen ganz besonders unsere Blondinen
prädispoiiirt zu sein.
Die grössere oder geringere Neigung des Beckens lässt anch
'den Schamberg mehr oder weniger hervoiireten. Auch soll die
I stärkere oder schwächere Sättigimg der Hautfarbung an dieser Stelle
unter den Völkern sehr wechsebi.
Bei den Chinesinnen soll in Folge der bekannten Operation
zur Verkümmerung des Fusses der Mons Veneria ungewöhnlich
gross werden und auch die Schamlippen in diese Hypertrophie eiii-
[bezogen werden; dies berichtet Stricker nach Angaben von Moravhe
und Lockart. Allein Selufmunn^ der hierüber nähere Erkundigungen
einzog, erhielt keine Bestätigung dieser Angabe, sondern vielmehr
eine verneinende Antwort.
Der Haarwuchs am Mons Veneris der Japanerinnen, sagt
Wernich., ist gegenüber der Stärke des Haupthaares und der Dicke
des einzelnen Haarschaftes dürftig; ausserordentlich selten bildet er
ein Dreieck, die ovale, die Vulva oberhalb imitirende Contour
herrscht vor. Doenits fand in ausserordentlicher Häufigkeit voll-
ständigen Mangel der Schambehaarung. Dass dieser Zustand aber
von den Japanern nicht als eine Schönheit betrachtet wii"d, geht
aus einem schwerbeleidigenden Schimpfworte hervor, das kawarage
heisst, zu deutsch Ziegelsteinhaar. Das bedeutet, die Geschimpfte
habe an ihrer Vulva so viel Haare, als sie ein Ziegelstein hat, also
gar keine.
Bei Neu-Britannieriunen sah Finsch^ wenn sie keine Aetz-
j mittel zur Entfernung der Pubes augewendet hatten, nicht selten
ftlondes Schamhaar, obwohl schwarzes die Regel bildet. Riedel^
hebt bei den breitküpfigen Einwohnerinnen der Inseln Leti, Moa
und Lakor besonders hervor, dass sie ein gut entwickeltes Fett-
polster am Mons Veneris besitzen. Sie scheinen sich demnach
1G6 ^- ^^ äoBseren Sexaalorgane des Weibes in ethnograpb. Hia»icb(.
hieriii sowohl von der schmalküptigen Bevölkerimg derselbea Ei-
lande, als auch von den Weibern der Qbrigen Inseln des alfurii«che&
Archipels zu unterscheiden. Auf den Aaru-Inselu und der Luang-
Sermata- Gruppe desselben Archipels ist der Schamberg und die
Achselhöhle nur wenig behaart. Auf den Babar-Inseln ist die
Achselhohle bei vielen Frauen sogar vollständig kahl, während auf
den Tanembar- und Timoriao -Inseln bei den Weibern aüer-
dings die Achselhohle und der Schamberg nur mit spärlichen, aber
mit langen Haaren bestanden ist. Auf dem Seranglao-. und
Oorong- Archipel gilt der Zuruf: Deine Mutter hat viele Haare
an den Genitalien, txir eine schwere Beleidigung. {Rietiel.^)
Bei der atteru Feuerländerin fand r. Meyer das Fettpolster
aaf dem Mons Veueris sehr gering entwickelt, so dass die vordere
Fläche der Schambeine als eine scharf begrenzte viereckige Er-
höhung hervorragte. Auch die jüngere Feuerländerin hatte nach
V. Bischofi' nur einen mäi>sig stark entwickelten Schamberg.
V. Bisdtoff konnte eine Sudan- Negerin obducireo, welche
einen gut entwickelten, mit krausen schwarzen Haaren reichlich {
bedeckten Venusberg besass, und Wald(yer sagt von seinem Ko-
ran na- Weibe :
,JVer Motu Veoeiis ist stark entwickelt mit «inem 2 bis 2.5 cm dicken J
Pe<ttpoUter. Derselbe ist mit schwanen, krausen, jedoch kanea Hnareal
didit besetst; diese stehen nicht in Gruppen, bilden aber hier and da kleine '
SpinllOckchen. Die Bebaarang setit »ich aaf die beiden grossen Scham-
lippen fort, wird at>er gvgea das iuit«s« Drittel der lelstecea bedeai
ftcbwftcher. SU beiden SeHm das Daimii«« tadon aiek not oodi
•Miktt« Haare."
Bei d«r Pariser Venus Hottentotte (bekanntlich keine Hot-
tentottin. sondern ein Buschweib"» fi&nden sich nur einige sehr
kurze Flocken von Wolle, gleich der des Hauptes, und auch bei
der von Lmsckia und Gdtis untersuchten Afandi zeigten .sicli nnrj
wenige kam Hirthen.
An die BdttBdhmg einzelner Tbeile der Sexuoloigane schliesst
.(iliich die der Schamhaare bei Frauen aa; denn manche Volker-
•eliailen kalten dieselben für ein wichttges Object freibücher Toi-^
letteoktoste. So werden di« Haare an den Sebuntbealen im Sudan,
wie in Aegrpten. Nubien and Arabien alfracirt Es iat dieaj
ein Brauch stTVnmliobigrr Mobamedaoer. Das tOrkische Ent
battrangamitlel« wthm OMUt mtmi Uorbei bwotat, besteht bekannt-
Ikb «aa Auripi|(iiMnt (Araenkniu solphuntma flanm) mtA gebrann-
tem Kalk, welche StoSv zu gleichen Theilen mit Roi»enwa.«ser
eüwr Paste angerübn ^
natan auf der beteefl«
ab^wischt wordca. >
Oncnt gmni aUgeinei'-
Rusma, in Persien vmc
muas »eh die mobam'vi
oacbdem diese Paste eir'
*Ue attfrdcgen und dann
Haare bewitigt. TW >'
ra:h-h nnd r* m»i>>*t in ■: r|
II aocb m Persiil
23 Der iCo^^eSeris ti&d die BemSSx^^au
iwr
Greschlechtstheilen, wie auch unter dea Armen im warmen Bade
regelmässig wegätzen. Das mohainedamsche Mädchen und die
christlichen Armenierinnen iu Persien thun dies nicht, wie
Hüntsschc^ mittheilt. Fnlah sagt: ,,I>ie Schamhaare werden dem
Ritualgesetz gemäss durch ein Präfmrat von Auripigment (zernichi
und Kalk entfernt: man nennt dies hadaehebi keschidew, d. i. sich
dem Gesetzlichen unterziehen; elegante Frauen aber rupfen sich die
Haare aus, bis endlich der Haarwuchs von selbst aufhört." Auch
Männer befolgen diese Vorschrift, die darin ihren Grund hat, dass
nach jeder Excretion das Waschen der Geschlechtstheile geboten
ist und die Haare eine genügende Reinigung nicht zulassen würden.
Doch man darf nicht glaul>eu, dass nur die eigentlichen Morgen-
länderinnen diese Sitte haben.
Petrus BeUonius erzählt, dass der Auripigmentverbrauch im
Morgenlaude in Folge dieser Sitte der Depilation ein so ungeheurer
ist, dass der Pächter der Metallzölle dem türkischen Sultan einen
Tribut von jährlich achtzehntausend Ducaten zu entrichten habe.
An der Guinea-Küste entfernen die jungen imd unverhei-
ratheten Negerinnen n&chMonrad die Haare in der Gegend der
Geschleuhtstheile ; wenn sie in den Stand der Ehe treten, so lassen
sie die Haare naturgemäss wachsen.
Die Weiber malayiscber Abst-ammung des niederländisch-
ostindischen Archipels pflegen die Schamhaare auszureissen,
daher, wie Epp versichert, der Mens Veneris bei ihnen fast kahl
erscheint. Bei Chinesinnen ist dies nicht der Fall. Bei Ersteren
mag diese Sitte durch die Ausbreitung des Islam rerursacht
worden sein.
Die Tungusen halten nach Georgi einen starken Haarwuchs
an den weiblichen Schamtheilen für Misswuchs und wie jeden Miss-
wuchs durch Einfluss und Wirkung des Teufels entstanden, wes-
wegen derselbe auch manche Scheidung unter diesem Volke veran-
lasst. Die Schamhaare werden bei den Mädchen d»^r Batta, sobald
sie sich zeigen, sofort ausgerissen und abrasirt, (Ilagen.)
Ini Grossen und Allgemeinen macht es den Eindruck, als ob
die Depilation mit Vorliebe von solchen Völkern ausgeübt wird,
welche von Natur eine nur geringe und dürftige Behaarung der
Schamtheile besitzen, ganz ähnlich wie sich solche Völker rasiren,
welche kümmerliche Barte haben. Die scheiubareu Ausnahmen
hiervon sind wohl dadurch bedingt, dass die absichtliche Ejithaa-
rung, einmal zur rituellen Operation erhoben, nun auch von allen
bekehrten Nationen angenommen werden musste.
Wenn ich oben sagte, dass die Depilation der Schamhaare bei
Frauen im Orient ein Brauch strenggläubiger Mohamedaner sei, so
muss ich doch auch anführen, dass schon längst vor Mohamed viele
Orientalinnen denselben Brauch übten; es liegt hier wieder ein Bei-
spiel dafür vor, dass die Völker geneigt sind, die von ihren Vor-
eltern überkommenen Sitten gleichsam zu religiösen Handlungen
1 68 ^' ^^ Baaseren Sexnalorgane des Weibes in etimogxaph. ffinaieht.
werden zu lassen. Ans Asien und Aegypten gii^ schon in alter
Zeit dieser Volksbrauch erst nach Griechenland und Italien
über. Obgleich diese Sitte von den griechischen Frauen eben-
falls angenonuuen zu sein scheint {Aristophanes^), so waren es
doch vorzüglich die Hetären und Lustdimen {Aristop^nes*) über-
haupt, welche die ortliche Depilation neben der allgemeinen an sich
vornahmen. Eben dieses Verhältniss mochte in Rom stattgefimdai
haben (Martial), wo die alteren Frauen die Entfernung der Haare
an den Genitalien als ein Mittel brauchten, ihr Alter zu verbergen.
Mdirere Autoren bezeugen, dass die Sitte sich in Italien bis auf
die neueren Zeiten erhalten hat; sie scheint daselbst noch der Rein-
li(dikeit wegen, sowie insbesondere zum Schutz gegen Ungeziefer
vorgenommen zu werden. {Rosenbaum.)
Dass die Schamhaare auch einstmals ihre medicinische Be-
deutung besassen, das erfahren wir aus dem Henricus ab Heer.
Sie wurden von den Feldscheerem benutzt, um Blutungen zu stillen,
indem sie mit gewissen Stoffen gemischt dem Kranken vor die Nase
gehalten wurden. Sie konnten Männern aber nur Hülfe bringen,
wenn sie von Weibern stammten, und umgekehrt. Auf einigen
Inseln des alfurischen Archipek (Serang, Eetar und Ewabu-
Inseln) geben die Madchen dem Auserwahlten ihres Herzens als
Liebespfand einige ihrer Kopf- oder Schamhaare, um ihn tren und
bestandig zu erhalten. (Riedd.^)
\1. Die inneren Sexualorgane des Weibes in
ethnographischer Hinsicht.
24. Die firkenntniss des anatoiniKchen Baues der inneren
weibnchen liescblechtsorgane.
Bpi rohen Völkern sind selbstveiständlicli nur sehr geringe
oder keine anatomischen Kenntnisse zu erwarten, und wenn wir
solche üherhaupt vorfinden, so können wir wohl annehmen, dass
sie nur durch die analogen Erscheinungen und Bildungen bei den
Thieren erworben sein können.
Die Anatomie der Geschlechtstheile war aber auch noch bei
den Aerzten der alten Aegypter, Griechen und Römer
höchst mangelhaft. Sie hatten offenbar nicht viel Gelegenheit, an
menschlichen Leichnamen Studien zu machen.
Inwieweit die altägyptischen Aerzte unterrichtet gewesen
2U sein scheinen, die doch wohl beim Einbalsamiren der Leichen
Beobachtungen anstellen konnten, erfuhr Henmg^ von dem be-
kannt-en Aegyptologen Ebers, aus de.ssen beriiluutem Pajwrus Fol-
gendes hervorgeht: Im Aegyptischen bedeutet das Wort matii,
männlich gebraucht (koptisch oti) die Gebärmutter (uterus), dagegen
weiblich gebraucht (auch oti) die Muiterscheide (vulva). Auaserdein
giebt es in jenem Papyrus auch eine Bezeichnung fl'ir die Gebär-
mutter: ,,mut*', -worm Ilennig^ eine Analogie unserer „Mutter*', jUijTi^ß,
mater finden ¥rill. So heisst eine Stelle: „Arzneien, um die Mutter
der Menschen einer Frau an ihre Stelle zuriickzubriugeu.'' Die
Eierstöcke heissen im Aegyp tischen benti und werden durch die
Dualform dieses Wortes, wie auch durch die ovalen übereinander
geschriebenen Ringel g deutüch bezeichnet, i. B. ,,Recepte vom Niclit-
fallenlassen der Eierstöcke''.
Aus der Beschreibung, welche der altgriechische Arzt
Jlippokrates von den weiblichen Seiualorganen giebt, erkennt man,
dass er diese wohl kaum je riciitig gesehen hat, dass er vielmehr
170 VI. Dieinn«
ine des Weibes
lögraph. Hinsicht.*
nur den Bau der Organe der Thiere auf den menschlichen Organis-
mus Überträgt: Es ist nämlich die Gebärmutter (Fruchthalter) der
Säugethiere bis auf die Affen höherer Ordnung mehr oder minder
doppelt, während die menschliche nur einfach ist; daher ist es
denn erklärlich, dass Hippokrafrs^ nur von den „Hörnern" und
„Höhlen" des Uterus, fi^ctjQ und iai^t^a spricht, nicht von eine'r
Gebärmutter, welcher jene „Hörner" (comua) mangeln. Ueber die
Eierstöcke oder ihre Analogie beim Weibe verlautet in den Hippo-
kratischen Schriften nichts. Aus einer Stelle bei Hippohratcs^
(„vasa ad uterum pUcantur" in lateinischer Uebersetzuug) hatte
man fälschlich geschlossen, dass er von den zur Gebärmutter
sich, schlängelnden Eileitern gesprochen habe. Vielmehr ist seine
ganze Schilderung der anatomischen Verhältnisse eine höchst un-
zulängliche. Und ebenso geht Aristoteles"^ fast nur nach Analogie
bei Thiereu. Rufius von Ephesus, welcher besonders die Ergebnisse
der Untersuchungen des Uerophüos an Thiereu benutzt«, spricht
gleichfalls von den Hörnern der Gebärnuitter. Er unterscheidet
aber an diesem Organe Fundus, unteres Ende, Cervix und Collum,
auch hat er schon Kenntniss von dur Existenz der Eileiter, deren
Entdecker, wie Galmus anführt, der zur Zeit des Aristoteles lebende
Philofimos war; sie sind erst später (1550) von Falhppia, dessen
Namen sie dann führten, zum zweiten Male entdeckt und genauer
beschrieben worden.
Fast noch geringer ist das Wissen der alten Juden und ihrer
Priesterärzte. Die talraudischen Aerzte machten zwar nach der
Behauptung von Israels viele Öectionen, wussten aber nicht viel vom
Bau lies Uterus, an dem sie ein Vestibulum (Collum) und Coena*
culum (Vasa sperraatica) unterschieden. Die Scheide war nach ihrem
Ausdruck der üomus extemus, ubi minister conculcat ; und Israels
glaubt, dass sie die Nymphen und das Hymen erwähnen (SehinaTm
und Tofifijoth). Eine Schlussfolgerung von den Sectionen der
Thiere auf die Form der Menschen zu ziehen, gestatteten die Rab-
biner nicht.
Zuerst war es Sorani4s, welcher genau die Gebärmutter von
der Scheide trennt; dabei beruft er eich auf die von ihm selbst
vorgenommenen Sectionen. Nach ihm hat die Gebärmutter des
Weibes die Form eines Schröpfkopfes und keineswegs die Gestalt
wie bei Thieren; er unterscheidet an ihr Halü, Nacken, Stiel, die
Flügel, die Seiten und den Grund. Den Muttermund beschreibt er
genau und sagt, dass der Uterus aus zwei Membranen besteht. Aus
den Vasa spermatica — so versteht Hennig die betr. Stelle —
streben, wie er sagt, je eine Arterie und eine Vene nach den Eier-
stöcken und neben ihnen hebt sich nach der Beschreibung 1»estimmt
jederseits vom Uterus ein dUnner Gang heraus, der als Eileiter an-
zusprechen ist. — Der Lateiner Muscio, genannt Moschimt, der
später, vielleicht erst im 6. Jahrhundert, in Rom lebte und em
compilatorisches Hebammenbuch verfiasste, scbliesst sich dem Soranus
I Organe.
fast gauz an, inderu er Uterus und Scheide unterscheidet.*) In
diesem Lehrbuch für Uebammen ist also vom Bau der Sexualorgane
alles dasjenige gelehrt, was die damaligen Aerzte bei ihren anato-
mischen Kenntnissen wussten. Dann gelit Gnlcnus wieder aiü" die
den Thieren ähnliche doppelhömige Gebärmutter zurück, und bei
Orihasius finden vni dieselbe Ansicht, ebenso wie bei dem im
Jahre 980 in Persien geborenen arabischen Arzte Avicenna.
Wenn dann Hennig^ sagt: , Einen grossen Zwischenraum ttber-
schreitend, treffen wir erst wieder bei Vesal eine auf den Soranus-
Mosckion sehen Stand aufgebaute verbesserte und vermehrte Auflage
der Abbildung von den inneren Zeugungstheilen" — so müssen wir
diesen Satz als einen solchen bezeichnen, der auf der falschen An-
nahme beruht, dass die in den üfo^sc/iton- Ausgaben gefundenen
Bilder der inneren Geschlechtsorgane von Mosehion selbst herrühren.
Es können die im 16. Jahrb. von Vesalius gezeichneten Bilder ab einiger-
maassen naturgetreu, bezeichnet werden. Im Allgemeinen ist auch das
von Plater (promovirte im 1<>. Jahrh. zu Montj! ellier) auge-
fertigte Bild ziemlich ähnlich dem von Ves(^tun gelieferten, nur
sind die von FaUoppia 15.')0 genauer beschriebenen Eileiter etwas
anders, doch noch immer nicht genau genug gezeichnet. Ob der
von Galenus als Entdecker der Eileiter bezeichnete Philotimus diese
Entdeckung wirklich gemacht hat, ist immerhin fraglich. Zuerst
wiederum in Europa nahm de Yiüatvwa (geb. 1300) die öffent-
liche Zergliederung weibUcher Leichen in Bologna vor.
Aus Susrutas Ayxirveda erfahren wir sehr wenig darüber, wie
»ich die indischen Aerzte die weiblichen Genitalien zusammen-
gesetzt dachten. In Hessler's lateinischer Ausgabe dieses Buches
ist Nichts enthalten, was über die Anatomie und Physiologie der
Schwangerschaft Aufschluss geben könnte. Zu der Stelle, wo die
Gebärmutterkrankheiten besprochen werden, bemerkt Hessler:
„Vocabuliim youi non secun uteruio, ac vulvam aiguificat; desiguat
igltar onme» partes genitales muHebreü, «luae ad coitum, conceptionetn, gra-
vi «litatem et partum pertinent."
Die Anhänger des Buddha berichten von der Erzeugung
desselben :
.Wie im Sohatzküsllein das Jairel. so liegt das Kind im Leib der Mutter
iniuer auf der rechten ^ieite desselben, unberührt von den Absonderungen
oad fieiachlicben Unreinigkfiteti des Schooäses."
*) Valentin Hose wies in seiner Ausgabe des Soranus (Leipzig 1882)
nach. dai8 ÜJosdnon (eigentlich Mundo) dem Soranuii und anderen Schrift-
•teUeni nur nachgeschrieben hat: dus lat. Original des MoKchiwi wurde im
15. Jahrh. in dai« GriecbiBchc übersetzt, und hier wurden jedenlallB auch
Abbildungen der inneren weibl. üeüchlechtBtbeile hinzugefügt, die Kicb
in der von Detces benurgten Ausgabe der Schrift Moichion's wieder-
len. Diese BQchör ütiuimen in der Hanptaache mit denjenigen überein,
welche wir beispielsweise bei liurff (Ein schön lustig Trostböchle etc. 1554)
finden, also dem damaligen ijtandpunktc der anatomischen Kenntnisse eni-
tprttchen.
172 VI , Die inneren Sexnalorgane des Weibe« i
»pfa. Hinsiebt.
Nach dieser buddhistischen Legende zu urtheUen, darf man
wenig Bekanntscliatt mit der Lage der Gebärmutter vordussetzen.
Die japanischen Geburtshelfer, inabesondere ihr Lehr-
meister Katufawa, der in den Jahren 1750—1760 sein Werk schrieb,
hatten, bevor sie von europäischen Aerzten genauere Kennt-
nis« Über den Buu des Körpers erhieltt^n, noch sehr unvollkommene»
Wissen von den anatomischen Theilen, welche fQr die Geburtshülfe
wichtig sind. Eine genauere Kenntnis^ von der Gebärmutter ver-
räth dieses Sun-ron betitelte Werk nicht. Als die hierher gehörenden
Theile bezeichnen sie Folgende:
1. Das Hüftbein (ganae« Becken); den Theil deeselben. welcher quer
l&uft und unter dem Nabel stebt, nennt man Querbein (offenbar kein be-
fitimmter anatomischer Begriff). Der andere Theil des Hüftbeins geht nach
unten und vereinigt «ich von beiden Seiten mitten zwischen beiden Schen-
keb. Dieser Theil heisat das vereinigende Bein (hlerpiit ist oft'enbar dir
Symphysis geraeint).
2. An dieser Stelle giebt es einen Zwischenraum, E-in*) ^d. i. diis Fen-
naeum); derselbe ist beim Manne 3 Bu (0.024 englische Fuss)**) breit, b-^i der
Frau 5 Du (0,040 engl. Fues), so lange sie nicht geboren hat, nach der ersten
Geburt wird er über 1 Sun (0.08 engl. Fuss) breit.
8. Vor dem vereinigenden Bein liegt die Scham, dahinter dor .Kaaa:
dringt man 4 Sun (0,32 engl. Fuss) in die Scham, so findet man oberhalb
des Anus die Oebilrmutter ; ihre Länge ist 8 Sun (0,64 engl. Fuss); ihr Mund
ist nach hinten gerichtet und liegt gerade in der Hnhe des unteren Künde*
defi Qnerbeins.
Was die Kenritm.«ts betrifft, welche die Chinesen von den
weiblichen Genitalien haben, so steht dieselbe auf einer sehr niederen
Stufe. Vom Becken und seiner Anatomie, obgleich doch die Gestalt
desselben so wichtig fiir den Geburtsmechanismus ist, scheinen äie
wenig oder nichts zu wissen; denn in den mit anatomischen Bildern
reichlich verzierten medicinischen Werken der Chinesen hat man
die Abbildung eines Beckens noch nicht finden können. Dahingegen
enthalten einzelne chinesische Abhandlungen über Geburtshlilfe
Beschreibungen der inneren Geschlechtstheile, wobei man leicht Sciieide
■and Gebärmutter unterscheiden kann: «ähnlich (wie die Beschreibung
*) In = beschatteter Theil-, E heisst der Punkt, an welchem sich die
Miyaku's vereinigen; die drei Miyaku's sind drei grosse Adern, von denen
die uine auf der Vorderseite, die zweite auf der Rückseite die Mitt« des
Körpers hinabllUift-, die dritte quer Über den Damm in beide Beine Hüft.
Sie sind, wie alle dergleichen Bestimmungen, Resultat der Speculation und
entsprechen keinem anatomischen Begriffe.
••) Das gewöhnlich gebräuchliche Langr-mnaass ist der Shiaku, der in
10 San und 100 B« jjetbeilt ist. Der im gew^ihnlichen Handwcrkergcbniucbe
benul«te ist h dem englischen Fuks gleich. Der in der üwburt«-
hülfe gebfjUK . naku ist dagegen nur 0,ö engl. Fuse lang, also dor
Sud 0.Ö8, der Bu O.üOÖ engl. Fuit.
S5. Die Qebanmitter.
173
lautet) einer Nenupbar-Blüthe, die auf ihrem Stengel sitzt'. Allein
man kann in der Beschreibung weder die Eileiter, noch die Eier-
stöcke wiedererkennen, noch erfahrt man, ob der Autor ihre Be-
deutung kennt. Die äusseren Geschlechtstheüe kenneu die Chi-
nesen, doch nur das Hjiuen nach IJureau de Vilhtieuve deshalb
nicht, weil dasselbe schon in der frühesten Jugend von den Wärte-
rinnen beim gewaltsamen Reinigen der Geschlechtatheile mit den
Fingern zersti>rt wird.
25. Die tiebiirniutier.
Es ist sehr die Frage, ob es hinsichtlich der Gestalt der Ge-
lutter Rassenunterschiede giebt. Gewisse auflallende Formen
rden allerdings gefunden, doch muss erst untersucht werden, ob
dieselben als Eigenthilmlichkeit der Rasse, oder als Folge der
individuellen Lebensweise aufgefasst werden müssen. Sehr bedeutend
werden wahrscheinlich die Difl'erenzen unter den Rassen nicht sein.
Pruti er -Hey (and bei den Negerinnen den Hals des Uterus dick
und verlängert.
Der Eingang der Vagina charakterisirt sich nach de Bnchebruue
bei der Wolo ffen - Frau durch eine besondere Engigkeit, sowie
durch auflallende Rigidität, ihre mittlere Tiefe beträgt 0,160 m;
ihre Färbung ist graubraun. Der Hals des Uterus ist birn-
iorniig, eng wie ein Schleienmaul, charakteriairt besonders durch
seine Lange und die Stellung des Orificium nach vorn; man
würde unter solchen Verhäitnisst n bei der Europäerin nach
dt; lioc/ifhrttncs Ansicht beginnenden Prolaj)Sus diaguosticiren.
Pnttifr-Bry hatte gesagt: ,,Chez la uegresse le col de lu
matrice est gros et allonge." De Rochebrune weist nun aber
die Anschauung zurück, dass diese Gestaltung ein ethuographi-
Isehes Merkmal sei. Vielmehr ist diese Gestaltung, die bei der
lEuropäerinals eine pathologische aufgefasst werden mlisste,
bei der Woloffin nur insofern physiologisch, als sie in Folge der
von Jugend an geflihrten Lebensweise entsteht; sie ist ein Ergebniss
Klimas, der Nahrung, des Tanzen«, der monatlichen Menstruation;
liof.UeltniHf geht die Wirkung dieser Einflüsse im Einzelnen
durch. — Schliesslich bemerken wir, djiss nach ilini die Durch-
schnitt.Nverhültnisse des Mutterhalses folgende sind ;
bei der Europäerin 0,017 m Länge, 0,031 m Uurchiuesst-v
„„ „ Wolüffin 0,044 „ „ 0,019 „
Mati darf jedoch nicht sogleich annehmen, dass diese Verlan-
mg des Collum uteri ein Rassen-Merkmal ist; sie kann durdi
juiannigfaclie Eintlibse bedingt sein: durch das die Gewebe erschliil-
1 74 VI. Die inneren Sexaalorgane des Weibes in ethnograph. Hinsidit.
iende Klima, durch die specifisohe Ernährung des Körpers u. s. w.
ist vielleicht eioe Disposition vorhanden, und hierdurch begllnstigt
kann die Gestalt- und Lageveränderung des Uterus leicht bei über-
mässigem Tanzen und anderen Leistungen des Körpers (Tragen
schwerer Lasten), besonders zur Zeit des Menstrualflusses, entstehen.
Unter ähnlichen Lebensverhältnissen soll bei Creolen, Hulies
u. s. w. eine gleiche Beschaffenheit des Uterus vorkommen, und
St. Vel berichtet, dass eine einfache hypertrophische Verlän-
genmg des Mutterhalses auch auf den Antillen unter älteren
Weibern vorkommt, welche den verschiedenen Klassen der Bevöl-
kerung angehören, aber nach mehreren Geburten durch schwere
Arbeit überlastet wurden.
Ebenso fraglich ist, ob der Bau des Uterus, welchen Oörts
bei dem Buschweibe Afandi vorfand, ein Merkmal der Rasse,
oder eine zuiallige Besonderheit des Individuums ist. Diese
Frau, die etwa 38 Jahre alt verstorben war und 3 Kinder geboren
haben soll, zeigte bei der Section einen Uterus, dessen Bau Görts
als „plump" bezeichnet; der Fundus wtu" convex, die Fläche des
Körpers stark gewölbt, die Vaginalportion kurz, cylinderisch, der
äussere Muttermund Hess bequem einen Gänsefederkiel durchtreten,
die Lippen waren dick, aber weder gekerbt, noch narbig eingezogen^
die Maaase übertrafen nicht die einer jugendlichen Gebärmutter bei
einer Europäerin.
Die inneren Genitalien der jüngeren Feuerländerin boten
folgende Eigenthünolichkeiten:
Die Portio vaginalis Uteri tritt an dem Scheidengewölbe'
nur mit der hinteren Muttermundslippe hervor, die vordere
ist ganz verstrichen. Der Muttermund bildet eine etwa 12 mm
lange quere Spalte, steht zwar ziemlich weit auf. hat aber
keine Einrisse oder Narben, so dass die Person wohl gewiss
keine reife Frucht geboren hat. Der Uterus hat einen Länge
durchmeeser von 8 cm, einen Querdurchmesser von 5,6
einen Dickendurchmesser von 3 cm, ist im Allgemeinen etwa
platt und ein wenig .schief gestaltet. An den 'Eierstöcken
fanden sich alte membranöse Exsudationen und Verwachsungen.
Diese Theile und die Eierstöcke zeigten die gewöhnliche Be-
schaffenheit. Der Constrictor cunni ist nur schwach, der
Bulbus vestibuli im gewöhnlichen Grade entwickelt.
Die Kenntnis« der unciviüsirten Völker von der Bedeu-
tung der Gebärmutter beschränkt sich auf Weniges. Von einer
Frau, welche unfruchtbar ist und deren Menses fehlen, meinen
'lacli Bertherami die .Araber in Algerien, dass ihre Gebär-
mutter verschlossen sei, und dass es dagegen kein Mittel gebe: sie
»cagen: ,,Gott wei.s.s es allein", um damit anzudeuten, dnss Nichts
zu tbun sei.
satter.
Bei vielen Völkern aber kommt die in so nuinnigfachen
Formen auftretende Nervenkrankheit, die Hysterie, vor, welche
man mit mehr oder weniger Hecht in Zusammenhang mit Er-
krankungen der Genitalorgane brachte. Zumeist freilich hält man
bei rohen Völkerschaften die Hysterische, wie überhaupt fast
alle Kranken mit nervösen Erscheinungen, ftir „Besessene". Lst
beispielsweise eine Frau in der Nay er- Kaste in Indien hyste-
risch oder leidet sie an Krämpfen, so gilt sie ftir besessen, und
man wendet sich an den Bhuta - Priester, damit er den Bhuta
(Dämon) in den Leib eines anderen Menschen oder Thieres treibe,
oder ihn zwinge, durch den Mund des Besessenen zu sprechen,
wahrzusagen und die Ursache der Krankheit und auch das Heil-
verfahren (hauptsächlich Spenden an den Priester) anzugeben.
(Jagor.-) Diese Austreibung des Dämons aus Hysterischen,
Kataleptischen und Epileptischen wird ungemein verbreitet auch
bei uns im Volke bis in neuere Zeit gefunden. Allein hie und
da dämmert doch auch die Ahnung eines von der Gebärmutter
anügehenden Nerven-Reflexes bei . hysterischen Leiden auf, aller-
dings in einer merkwürdig phantastischen Gestalt, die vielleicht auf
sehr alte Zeit zur(ickwei.st.
Merkwürdig ist die Thatsache, dass sowohl bei einzelnen
Völkern wie auch noch in den niederen Bevölkerungsschichten
der Jetztzeit . die Meinung vorkommt, die Gebärmutter sei ein
Thier. Im alten Rom sah sich der Arzt Soranus schon ver-
anlasst, solcher Meinung entgegenzutreten. Auch der grie-
chische Philosoph Plato (Kteintvaedder) sah den Uterus für
ein nach Befruchtung begehrliches Thier an, welches, wenn
seine Begierde nicht befriedigt wird, sich ungehalten zeigt und
im Körper herunizuwandern beginnt, wodurch er die Wege
der Lebensgeister und der Res}»iration verlegt. Die Folgen davon
ind schweres Angslgefllhl und zahlreiche Krankheiten, Gleiche
insichten herrschten zu Aristoteles' und Aduarius' Zeit, sowie
lange später noch. Aretäus sagt: „In der Mitte zwischen beiden
Flanken liegt beim Weibe der Uterus, ein weibliches Eingeweide,
welches vollständig einem Thiere gleicht, denn es bewegt sich in
den Flauken hin und her. Die Gebärmutter ergötzt sich an ange-
nehmen Gerüchen und nähert sich denselben, während sie vor üblen
zurückweicht. Sie gleicht daher einem Thiere und ist auch ein
solches." Dieser Autlnnsung zufolge bestand die Behandlung der
Hysterie nnmentlich darin, die Gebärmutter durch angenehm riechende
Mittel heranzulocken oder durch üble Gerüche zu verscheuchen. —
Auch Utppokrates spricht von Wanderungen, Ab- und Aufsteigen
der Gebärmutter, und seine Heilmethode gegen die damit verknüpften
Leiden besteht name^tlieh in Käucherungen, aromatischen Injectionen
m. 8. w. —
Erst (falfinus verwirft die Annahme einer Wanderung der
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Gebärmixtter, befolgt jedoch die Therapie des Htppokrnfei,
während Sonintis sowohl die Theorie als auch die Behandlung
desselben ablehnt.
In DeutschlHQd beschäftigt sich der Aberglaube viel mit
Uterinleiden: Die , Bermutter" bedeutet sowohl .Gebärmutter'
ab auch die , Mutterkrankheit " oder Hysterie. Hei mehreren
wninderthfitigen Gnrtrlen!>ildem sieht man unter anderen wäch-
sernen, ex voto aufgehängten Gestal-
ten (von Händen, Füssen und anderen
leidenden Gliedern) hier uud da ein»?
krebs- oder krotenartige Figur, unter
weither diese Krankheit verstanden
wird. Warum man gerade die Kröte
mit dieser Krankheit identificirt, ist,
wie Pamer sagt, nicht recht klar:
man hat gesagt: »vermuthlich weil
sich die Krankheit wie da.s Hin- und
Herkriechen einer Kröte empfinden
lässt*. — im Aufkircher Mirakel
heisst's: ,Die N. N. hat die Ber-
nnitter geschlagen'. Ira Fii rsten-
f e ! d er Mirakel : , Hansens Biherffers
Tochter hat die Bermutter die ganzen
Tage ohne Aufhören gebissen, bis
sie sich mit einer wechsen Ber-
nmetter allher verlobt". Die in den
Kirchen aufgehäugten Krötenbilder
"Pig. 30. Ei.*rne. VoÜvbild In Krtten- j,j„^j ^j^^t bloss vou Wachs, sondem
g«taU, die Öebämutter d«r.telUnd. i^^^gg ^Uch aUS EisCU. Die Idcutitj-
(Maieum « Wie.b»den.) ^irung der Hysterie mit der Kröte
weist auf Personificirung iler Krank-
heit hiu. Auch weiterhin forschte
Prt>cc7' nach den besonderen Beziehungen, welche die Kröte
zur Gebärmutter und den damit zusammenhängenden Krank-
heiten hat. Man pflegte femer in den niederbayriacheo
Leouha rd - Kirchen zu.Aigen, Ganacker, Grongörgen
Votivbilder von Wjichs oder Eisen in Krötengestalt zu opfern.
Eine solche Kröteufigur befindet sich im Wiesbadener Museum
(Fig. IJO) ; sie ist von durchschnittlich l cm dickem Eisen, nicht
getrieben, .sondern geschmiedet und die Verzierungen eingepunzt.
rsaeh dem V^jlksglauben kriecht die ,, Bermutter'* als Kröte
au^> dem Munde heraus, um sich zu baden, und kehrt zartick,
während die Knuike schläft; dami folgt Genesung \IJiuitJclmaHn).
Hat aber die Krau indessen den Mimd geschlossen, so kann sie,
wie wir später sehen werden, nicht wieder zurück, und in «liesem
Falle wird die Frau unfruchtbar. Auch auf den Inseln Serang
oder Nusaina ira malayischen Archipel wird nach Ukdfl^ der
(N«oh llunihlmaun.)
rterui« aU ein iebeudes, mit Uer Frau nicht zasatuuieublitigeudes
Wesen betrachtet, das, wenn die Frau nicht krank werden und ihr
[Oraler »ich ordentlich eutwickeh» soll, fort<lauernd mit Sperma
genitale get\Utert werden mixss.
Das erinnert an einen Ausspruch des wi'is«mi f^nhimo (Sprüche
JO, 15. 10):
,J>rei Dinge sind nicht zu «llttigen. und diw viurLe sj)nclit nicht: es ist
pamg. Die Hölle, iler Fniucu verschlosyenc Mutter, die Krde wird nicht
»er uatt. und diii« Feuer spricht nicht, es iwt genug."
Votivgabeu und zwar solche, welche figürlich die erkrankten
»eile des Körpers darstellten, wurden schon bei den Griechen
(yergl. J^alma di CtsnoJa's Ausgrabungen auf Cypern) und
öracrn in den Tempeln der Götter darge})rficht, welchen man
Itinen Eiufluss auf die Heilimg zuschrieb. Schon an sieh ist
Ldiese That«ache als Zeichen ähnlicher psychologischer Richtung
Völkerleben wichtig; besonders aber
eeigt sich eine Aehnlichkeit in dem
{rauche, dass die Fraueu die Bilder
Ijvrunkhaft veränderter Sexualorgane auf-
[liLngi'n.
So deutet Nemjehauer ebi im Na-
kionalmuseum zu Neapel aufbewahrtes,
KU Pompeji ausgegrabenes Exemplar
lua Terracotta, welches, wie er glaubt,
pine vorgefallene und mit der gefalteten
|nnd imigeHtiilpten Scbeidenschleimhaut
iberkleidete Gebärmutter darstellt, ^^^ ^^
Auch das Museo archeologico in l!iw^ii'»-^^^^i^»L'lllf
'lorenz besitzt derartige Votivstücke
in bliiKsröthlichem gebrannten Thon,
inier denen besonders eins von uuge- Miuk.
Fähr 2 Fdss Höbe ganz deutlich die
'^ulv», den Nabel und dazwischen in
»iner ovalen, flachen Vertiefimg den
|uergenujzelten Uterus mit der Scheiden-
portion und dem Muttermunde erkeu-
Jen lässt ^^' ^^' ^'^''^K'" '"• gobranntwo
ThoB
Absichtliche Laßeverändenmjjen der 0»Mu««o areheoiosico <□ pioran»
. <> . .... .« .. dte QebArmatter d«ritell«Dd (naob
o
«iaer Skltte d«« Her>uagebert).
uebärmutter werden in Niederländisch
Indien und bei den M u u d a • K o h I s
orgenonunt-n ; wir kommen in einem spateren Abschnitte darauf
KMti.
Vi
26. Die Eierstöcke and die Ovariotoiuie.
Die Bedeutung der Eierstocke (Ovarien) als fruchtlieferuder
Organe ist manchen Völkern nicht unbekannt. Unter den Einge-
borenen Ostindiena verstand man es, weibliche Castraten herzu-
stellen, indem, ähnlich wie bei uns die ,, Schweineschneider" an
Schweinen durch eine Operation die Eierstöcke entfernen, dort an
Mädchen die Ovariotomie, wenn auch nur in roher Weise, ausgetllhrt
wird. Von diesem vielleicht schon längst geübten Gebrauche be-
richtete Hoher tit.
Auf welche Weise die Operation ausgeführt wurde, konnte er
nicht ennitteln. Die von ihm untersuchten Personen waren unge-
fähr 25 Jahre alt, gross, muskulös und vollkommen gesund. Sie
hatten keinen Busen und keine Warze, auch keine Schamhaare ; der
Scheiden eiugang war vollkommen verschlossen und der Schambogen
so enge, dass sich die aul'steigenden Aeate der Sitzbeine und die
absteigenden der Schambeine fast berührten. Die ganze Gegend
der Schamtheüe zeigte keine Fettablagerung, ebenso wie die Hinter-
backen nicht mehr, als bei Männern, während der übrige Körper fl
hinreichend damit versehen war. Es war keine Spur einer Men* ^
stmalblutung oder einer deren Stelle vertretenden Blutung vor-
handen, ebenso kein Geschlechtstrieb. Mit Recht wird darauf hin-
gewiesen, dass diese Unglücklichen abermals den Beweis liefern,
wie der ganze weibliche Habitus von den Eierstocken
abhängt.
Man hat aus Stellen des Strttho ixnd des AlexaiMler ah Alex-
andro schlie.s.=ien zu dürfen gemeint, djisa auch die alten Lyder
und Aegypter die Kunst kannten, weibliche Eunuchen zu schaffen,
d. h. den Frauen oder Mädchen die Ovarien zu exstirpiren {Morand.
Hyrtl und Andere). Allein dort handelte es sich vielmehr wohl
nur um die Exstirpation der Olitoris, die jedenfalls schon in alter
Zeit bei den Orientalen geUbt worden war.
Dagegen machte uns v. Miklucho-Maclntf^ mit der Thatsaohe
bekannt, dass eines der rohesten Völker, die Australier, die
operative Entfernung der Eierstöcke üben, um den jiuigen Leuten
eine specielle Art von Hetären zu schaffen, welche nie Mütter wer-
den können. Diese Operation wird in einzelnen Gegenden
Australiens von Zeit zu Zeit au jimgen Mädchen vorge-
nommen: am sogen. Para p i tsc h uri - See fand ein Bericht-
erstatter ein solches zwitterhaftes Mädchen mit knabenartigem
Aussehen und mit länglichen Narben in der Leistengegend. Ein
andermal sah der Naturforscher Mac triHirnit/ am Cup York
ein eingeborenes Weib, dem man, wie die Narben zeigten, diel
Ovarien ausgeschnitten hatte; man hatte dies gethun, weil sie
itumm geboren war und man verhüten wollte, dass sie ebenfalls
imme Kinder gebäre.
26. Die Eierstocke und*^die Orariotomie. 179
Eine ganz besondere Methode, die Eierstöcke functionsunföhig
zu machen, versuchte man in der kleinen religiösen Secte, welche
am Anfange des vorigen Jahrhmiderts imter der Leitung der Eva
V. Buttler in der Grafschaft Sayn - Wittgenstein (Sass-
mannshansen) ihr Wesen trieb. Da jede gottesdienstliche
Handlung mit fleischlicher Vermischung der Gemeindeglieder en-
dete, so wurde der Versuch gemacht, Mädchen und Frauen bei
ihrer Aufnahme „durch eine schmerzhafte und lebensgeföhrliche
Operation der Zusanunendrttckung der Eierstöcke" für die Con-
ception unfähig zu machen, was aber nicht in allen Fällen mit
dem gewünschten Erfolge gekrönt wurde (Christiany).
12«
ML Die Frauenbnist in etlinograpMsclier
Hinsicht.
!7. Die Frftuenlirust in ihrer Russengestaliung, Behandinng
uihI Pflege.
In den Gesanitfen der alten und neueren Dichter einfs jeden
Volkes, Dameutlich in deujeui^en der Orientalen, wird die Form
der Brust eines schönen Mädchens stets mit hoher Begeisterung
und mit Worten geschildert, welche durch sinnliche Vergleichung
den unaussprechlichen Reiz der schönen Erscheinung empfinden
lassen sollen. Wir können an solchen Schilderungen ermessen,
welche ästhetischen Anforderungen je nach der Geschraacksrichtung
der Völker an die Gestaltung einer idealen Weiberbrust gestellt
werden. Uns liegt nun aber daran, vom naturhistorischen Stand-
punkte aus festzustellen, wie sich thatsächlich bei den verschiedenen
Menschenrassen und Volksstämnien die Brüste in ihrer Entwicke-
lung. Form, Thätigkeit und Rückbildung, sowie bei einer eigeu-
thiinilichen Behandlung verhalten. Man hat lange versäumt, dem
Gegenstande nach den hier angedeuteten Richtungen hin die recht«
Beachtung zu schenken ; insbesondere schien es auch schwer, durch
blosse Beschreibung der Gestaltung deutlich zu werden. {Ploss^^.)
Einen Versuch, die typischen Gestaltungen der Brust durch
bestimmten Ausdruck zu bezeichnen, um mit dieser Bezeichnung
sogleich ohne bildliche Darstellung den Habitus zu charakterisiren.
machten die frauzösis ch en Anthropologen. (Instructions.) Allein
ihre Bezeichnungen sind doch nicht so präcis, dass sie dem Sachver-
halt stets entsprechen und eine genauere Darlegung desselben oder ein
Bild überflüssig machen. Es heisst dort von den Brüsten:
,,KlIes sollt taiitöt hemispfateriques, tanl6t pluü ou moins pendttn»
tcfi, tantöt pirilormes, c'est-ä-dire en forme de poire,"
Zunächst möchte ich daraufhinweisen, dass die eigenthilmliche
Pflege und Bchandlungsweise der Brüste denselben bei vielen Völ-
kern eine vom Normalen abweichende Qestalt giebt. .Schon die
israelitischen Aerzte des Talniud waren auf den Einfluss auf-
iierksam, welchen die Pflege der Brust auf die Entwickelung dieses
lochwichtigen Organes äussert. Sie behaupten, dass bei den Töch-
irn der Bemittelten sich in der Regel die rechte Brust früher als
lie linke wölbe, in Folge des von ihnen auf der rechten Seite ge-
wöhnlich getragenen Umschlagetuches ; wogegen bei den ärmeren
^sKlassen sich die linke früher als die rechte wölbe, indem die
^^^[iidchen dieser Klasse gewohnt sind, mit der linken Hand Wasser
^Ktu schöpfen oder auch ihre Geschwister innherzutragen. Wer denkt
I^Riier nicht an die Känii>fe, welche bei unseren hochcivilisirteu
Völkern der Gegenwart alle einsichtsvollen Aerzte, an ihrer
Spitze der berühmte Anatom Simmoriniß, mit der Unsitte des
lenganschliessenden Frauenmieders noch immer bestehen? Allein
hftuch andere, und zwar nicht bloss civilisirte, vielmehr recht rohe
iTölkerschaften üben, wie wir in Folgendem sehen werden, sei es
[absichtlich, sei es unabsichtlich, einen behindeniden Druck auf die
sich entwickelnde Brust durch die Kleidung, ja selbst durch beson-
lere Vorrichtungen aus, während im Gegentheil andere Völker sich
feiner uorgtnltigen Cultur dieses dem Säugungsgeschäfte ge-
ridmeten Werkzeuges befleissigen. Die alte Sage von den Ama-
zonen, welche den Mädchen angebUch die rechte Brust ampu-
^tirten,*) damit diese bequemer fecliteii könnten, berulit vielleicht
^Huf der Bcoba«'htung, dass bei einem Volke die kriegerisch gesinn-
^Ren Frauen dtirch die enge Tracht mit einseitiger Compression der
^yBmst fjist völligen Matigel derselben zeigten.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass es in der That
primitive, nicht erworbene Unterschiede an der Weiberbrust
iter den verschiedenen Völkern giebt. Wir müssen dies schliessen
lus den stalüreichen Abbildungen, welche wir von überall her er-
lielten. Auch sagte schon IlifrtI: „Nur die Brüste der weissen
md gelben Kassen sind im jungfräulichen compacten Zustande
»albkiigelig: jene der Negerinnen dagegen unter gleichen
'erhältuisaen des Alters und der Köri)erbesci\atfenheit mehr in die
jängo gezogen, zugespitzt, nach aussen und unten gerichtet, kurz
lehr euterühnlich."'
Allerdings macht auch jegliche Fraueubrust eine Reihe von
^hasen in ilirer Entwickelung durchs je nach dem Lebensalter der
*) Nttcb Uippokrates ReUten bei diesem am Asow'gchen Meere (Milo-
iischen Sumpfe) wohnenden Volke der Sjinromtiter die Mütter den
langen Mädchen ein kQnsilicb dazu gearbeitetes, und Überdies noch glflhtmd
etuttcbte« Ku|>ferbloch auf die rechte Bru!^t, und linuuiteu dic^b so \hk, dasH
niclih uu'hr wiicliäen konnte, und dnsH sich alle Krutt nnd Stärke
th der rechten Schulter mul dem recliteu Arme hinziehe. Ursprung-
|ch «cythiich, rtrhietteu die Amnzoneu in den bildlichen Darstellungen
tr Griechen erst apllter die altdorisebe Tnicbt kretendiscber
lgemiU4leben : kurz unfge^chilrzte Tunika und KntblOaouui; der rechten
mit er .
182
VII. Die Frauenbrnst in ethnographischer Hinsicht.
Trägerin, welche durch ganz verschiedenartif,'e Fonugestalttuig
kennzeichnet sind. Wenn mau von allen diesen Entwickelungsphaeer
der Brust desselben Individuums getreue Darstellnngen mit einander
vergleichen würde, so könnte man bisweilen in die Versuchung
kommen, zu glauben, dass man die Erliste ganz verschiedener In-«]
dividuen vor sich habe. Man muss daher bei dem Urtheil, ds
mau über die Form der Brüste fremder Nationen abgiebt, recht
sorgfältig berücksichtigen, in welchem Lebensabschnitte sich die]
Besitzerinnen der betreffenden Brüste liefinden. Die auffallendsten}
Unterschiede bestehen zumeist innerhalb derselben Rasse in der|
Form der Brüste, je nachdem die letzteren bereits ihrer physiolo-
gischen Bestimmung genügt haben oder noch nicht. Die jung-
fräuliche Brust hat fast bei allen Völkern eine ganz andere Form,
als die Brüste von Frauen, welche bereits geboren haben, ganzj
besonders wenn sie schon längere Zeit ein oder gar mehrere j
Kinder gesäugt haben. Durch das Säugegeschäft werden die Brüste
zumeist mehr oder weniger stark herabhängend, welk, faltig und
nmzelig und zeigen nicht selten sehr wenig mit den Gesetzen der
Schönheit in Einklang stehende Knotenbildungen. Daraiif treten
die Veränderungen des Alters hinzu, welche bisweilen die Brüste
in platte, weit herabhängende Lappen umformen oder sie auch wohl
gänzlich verschwinden lassen, so dass nur noch eine untormliche.
Warze die Stelle bezeichnet, wo sie einstmals den Brustkorb ver-
schönten. Es ist eine der vielen noch ungelösten Aufgaben deri
Anthropologie, das Lebensalter zu bestimmen, in welchem bei den
verschiedenen Rassen imd Völkern die soeben geschilderten Verände-
rungen einzutreten pflegeu, sowie auch den Grad der Ausbildung,
welchen sie für gewöhnlich erreichen.
Schon wenn bei dem heranwachsenden Mädchen die Brust aus
dem neutralen oder puerilen Zustande sich in den weiblichen Typus
umzubilden beginnt, sind, wie es scheint (wie es aber noch viel ge-
nauer studirt imd erforscht werden muss), nicht uuwesenthche
Formenunterschiede zu beobachten. Bisweilen nimmt das den
grossen Brustmuskel bedeckende Fettpolster stetig und beträchthch
zu, während die VVarze und der VVarzenhof noch lange die kind-
liche Form und Grösse bewahrt; in anderen Fällen geht die Zu-
nahme und Ausbildung des Fettpolsters und der Warze in gleichem I
Schritte vorwärts, und wiederum in anderen Fällen kann man schon
lange, bevor an dem Fettpolster eine Veränderung zu bemerken ist,
den Warzenhof mit der VVarze in der Form einer kleinen, ungefähr
2 em Durchmesser an der Grundfläche darbietenden Halbkugel über
die Fläche des Brustkorbes hervortreten sehen. Der letztere Modus'
scheint in Nord-Deutschland der gewöhnlichste zu sein.
Wenn mau nun von der Rassengestaltung der weiblichen Brust ;
spricht, so pflegt man gewöhnlich nicht an die durch Wochenbetten
und Säugungsperioden beeinüufwiten, auch nicht an die vom Alter j
Vfrauderti^n Brüste zu denken, sondern an die jugendlichen und
'27. Die Fraaenbrast in ihrer Rais^engestaltang, Behandlung u. PSege. 183
jirngfriinHchen Brüste der jungen Mädchen in dem kräftigsten ge-
schlechtsreilen Alter. Hier sind bei den verschiedenen Rassen nicht
unerhebliche Formverschiedenheiten zu beobachten. Bald ist die
Warze klein und flach wie ein Kuöpfcheu, bald etwas massiger
und konisch geformt, mit breiterer Basis und abgerundeter Spitze,
bald gross und cylindrisch, fast wie ein Fingerglied. Wie die War-
zen, so zeigen auch die Warzenhöfe nicht unerhebliche Unterschiede.
Bald sind sie blass, bald dunkelrosa, bald braun und selbst fa^st
schwarz pigmentirt; bald bilden sie kleine, bald grössere oder selbst
ungeheuer grosse Scheiben, bald treten sie leicht, bald stark halb-
kugelig gewölbt über den Hügel der Brust hervor, und bLsweilen sind
sie durch eine deutlich ausgesprochene einschnürende Ringfnrche von
dem letzteren abgesetzt. Bei den Hügel» der Brüste hat man darauf zu
achten, ob sie mehr oder weniger unvermittelt aus der Fläche des Brust-
korbes herausquellen, oder ob die letztere schon von den ScJilüssel-
beineu an, nach abwärts allmählich an Unterhautfett zuneh-
mend, unmerklich in die Brüste übergeht. Man hat die Art ihres
Sitzes zu berücksichtigen, ob sie höher oder tiefer am Thorax,
ob sie näher der Medianlinie oder mehr zur Achselhöhle hin
ihren Ursprung nehmen. Von ganz besonderer Wichtigkeit ist
aber ihr Umfang, ihre Form und Gestaltung. Die Unzuläng-
liclikeit der französischen Bezeichnungeu in dieser Beziehung,
wie sie die Instructions authropologiques generales vorschlagen,
wurde oben bereits betont. Auch die Elemente danthropologie
generale von Topinard bringen hierfür keine neuen Vorschläge.
Die Formen, welche nach des Herausgebers Meimmg unterschieden
werden müssen, kann man bezeichnen nach der Grösse als 1. stark
oder üppig, 2. voll, 1:5. massig und 4. schwach, klein oder
spärlich, femer nach der Consistenz, beziehungsweise dem
grösseren oder geringeren Grade der Straffheit, als stehend,
oder hängend. Hier darf man jedoch nicht übersehen, dass bei
manchen Brüsten das Hängen durch die ursprüngliche Form be-
dingt ist und sehr wohl neben straÖer Consistenz bestehen kann.
Im engeren Sinne kann man bei der Form der Brüste drei Haupt-
gruppen unterscheiden, nämlich scheibenförmige Brüste, halb-
kugelige Brüste und konische Brüste. Die scheibentormigeu
Brüst« wiederholen ungelTihr die Form einer halben Mandarine;
der Durclimessfr ihrer Grundfläche übertrifft bei weitem ihre Höhe.
Die Halbkugeligen kann man je nach ihrer Grösse mit einem halben
(oder Drei>'iertel) Apfel, mit einer halben Apfelsine, oder mit einer
halben Cocosnuss u. s. w. vergleichen: immer ist ihre Höhe dem
DarchmesHer ihrer Grundfläche ungelahr gleich. Die konischen
Brüste sind pyriform (birntormig) oder citronenfijrmig zugespitzt,
oder auch an ein Ziegeneuter erinnernd. Bei ihnen ist stets die
Höhe, d. h. die Kutfernung ihrer Warze von dem Mittelpunkte
ihrer Grtuidfläche, erhebhch grösser als der Durchmesser der
letzteren. Zahlreiche und wiederholte Maasse, genaue Notizen,
184
VII. Die Fraaenbni«<t in ethnographiwcher Hinsicbt.
nicht ober den Gesainmteindruck. welcheu eine Berr'! Kf.
aondern über möglichst viele Einzelindividaeu , rei' , t«>-
graphische DarsteUunpen und ganz besonders Gypsabg&sse wärm
im Stande, unsere antliropologischen Kennhiisse auf diesem Gebiet«
iu recht erheblicher Weise zu fordern. In der Kegel niroint niAn
an, das» dort, wo die geschlechtliche Entwickelung trOh eintritt»
z. B. im Orient, auch die Rückbilduug der Brüste am t'rfiheät^i
beginnt.
Gehen wir nun zur descriptiven Betrachtung der ethnographi-
schen Unterschiede und Merkmale der Frauenbmst selbst Otier, so
werden wir tinden, daas leider noch keine auf Messi iti-
ileten genauen Beobachtungen vorliegen. Man b»-.-' -loh
bisher auf Mittheilungen auffallender Kennzeichen. Die tn^isteti
jener Formen der Mammae, welche als charakteristisch bei den
einzelnen Völkern beobachtet wurden, kommen auch bei uns in be-
sonderen Fällen als vereinzelte Exemplare vor. Allein gerade darin,
das« die!<e letzteren nur vereinzelt sind, \md dieselben doch wohl
zuraeid; nur als Ausnahme erscheinen, gewöhnlich auch jener, bei
einem besonderen Volke fast durchgängig vorgefundenen aus-
geprägten Form ermangeln, liegt eben die Bedeutung der ethno-
graphi-jcheri Merkntale an der Frauenbrust al« Kennzeichen i'iner
gemein«uinen Korpergestalt. Der Zukunft bleibt es vorbehalten.
Maassbestimniungeu hinsichtlich des Sitzes, des Umfunges «ind der
Grösse, der Form und Gestaltung von Brust und Brustwarze nebst
Warzenhof gleichsam statistisch aufzusammeln, sowie ausgedehntere
anatomische Untersuchungen anzustellen,
Ueber die nationalen Unterscbiede, welche man am FniaenbuseD bei
den europäischen Völkerschaften wahrgenommen hat, wollen wir in erster
Linie einiges anfübreu. Ja auch sie noch lauge uicht genau genu^ be-
kannt geworden eiud.
In Deutschland wird hiosichtlich der Pflege der Bmat auft^crordeot-
iicli viel sowohl in den Städten, ah auch nuf dem Lande gesüudigt, so dut>»
den Kindern ein guter Theil der ihnen zukommenden Nahruug hierdurch
entzogen wird. BeispielHweise führe ich nur im, dusa in Ober«chwal»en nach
Bück die Brust durch enge Kleider. Mieder u. s. w. zu völliger Unbrauch-
barkeit verkiUnmert; pchliesslich ist nur ein elendes Stück von einer Drunt-
wnrze vorhanden; es können deshalb dort nur sehr wenige Kinder geatitlt
werden, auch ist daher die Kindersterblichkeit dort ausserordentlich hoch.
Im südlichen Theile von Württemberg herrscht, wie mir Statt*
gnrter Aerzte niittheilen. der Brauch, daas die Landmädcben sich durch
ihre Tmeht die Brüste geflissentlich niederdrücken. Im Bregeuzerw nid
ixt dies im hoben Grade der Fall. Bei Oppermann (Scherr, EchrrJ tindet
»ich folgende Angabe über die Bewohnerinnen dieser Gegend: ,Die GestiUtßii
Hind kräftig und gedrangen, die HUften breit, die Beine ebeniuässig gvliMut.
Nur eins mangelt ihnen völlig: die Bru«t. Allerdings gewabrt man dfia*
selben Mangel auch Bouet bei Bergbewohnerinnen, aber e» ist dennoch oaf-
fallend, das» derselbe hier sogar bei Kolchen augetrott'en wird, die sonst Qppig
gebaut sind. Dies mag daher kommen, dass Mütter MolcJien Tüchteni. die
etwa vor anderen sich durch das, was diesen fehlt, atuzeichnen kdnnleo.
186
VII. Di« Frauenbruflt in ethnographischer Hinsicht.
tellerariige Hölzer auschnallen und su mit, Gewalt eine der schönsten Zierden
dea Weihes in ihrer Entwiclcehing hemmen." Auch Iti/r berichtet von den
Mädchen des Bregenzerwaldes: ,DieJuppe umitingt den Leib so eng, dau
sie fast die Entwickelung der Brust verhindert und bei älteren Frauen such
immer den Eindruck von Verbildungen hervorruft.' In der Dachauer
Gegend in Bayern ist das Stillen der Mütter völlig unbekannt (Kinder-
sterblichkeit 40 bis 50 Froccnt); durch diese P(lichtTernachl&«sigung. die auf
Kind und Kindeekinder übergegangen ist, sind die Organe des Silugens all-
niilhlicb verküininert; dazu kommt noch besonders die unschöne Tracht der
Dachauerinnen in der Form starrer, brettnrtiger Apparate, welche die Brüste
von der frühesten Jugend an in ihrer Entwickelung hemmen. (Custer.)
Jedem Fremden, der Deuts ch-Tyrol bereist, wird die flache Brust des
deutsch-ty roler Weibes auffallen. Von der Pubertätszeit an wird der
Brustkasten des Weibes in ein festes Mieder eingezwängt, das man füglich
einen Holzpanzer nennen kann, denn eine wohlcntwickelte Brust, die in an-
deren Ländern den Stolz eines Weibes bildet, gilt in Tyro 1 nicht als körper-
liche Zierdü. Die Brüste gelangen daher durch Druck zur Atrophie. Das
deutsch-tyroler Eheweih stillt ihr Neugeborene.s nicht oder höchstens
2—3 Wochen, theila weil die Brüste dazu nicht mehr göeignet sinil, theils
weil das Stillen nicht Sitte ist. Dagegen fehlt in Welschty rol dieser Holz-
panzcr, und dort ist auch die weibliche Brust besser entwickelt, als im
deutschen Norden. (Kleimcaediter.)
Dass auch ohne solche künstliche und absichtliche Beeinträchtigung»-
ntittel für das Wachsthum der Brüste die Entwickelung und die Grösse der-
selben in verschiedenen Theüen Deutschlands eine sehr verschiedene ist,
das dürfte wohl hinreicbeDd bekannt sein. In Schlesien z. B. pflegt sie.
wie es scheiiit, eine bescheidene, ja fast kümmerliche zu sein, während in
Mecklenburg, in der Würzburger Gegend und in Wien selbst noch
sehr junge Mädchen einen bereits üppig und voll entwickelten Busen darsu-
bieten pflegen.
Nach dem Ausspruche eines alten Dichters, den Hyrtl anführt, scheinen
die Frauen Oesterreichs in dieser Beziehung besonders in dem Rufe ge-
wesen zu sein; die Theile seiner Liebsten wünscht er aus verschiedenen
Ländern :
,Den Kopf aus Prag, die Füss' vom Rhein,
Die Brüst' axis Oesterreich im Schrein,
Aus Frankreich den gewölbten Bauch etc.*
Der Bau der Südeuropäerinnen bedingt wohl auch im Allgemeinen
eine frühere Entfaltung und üppigere Entwickelung ihrer Brüste. Ob wirk-
lich bei slavischen Völkern sich die Brustdrüse zeitiger ausbildet, ala
bei den germanischen, vrie einmal behauptet wurde, ist wohl noch nicht
ganz festgestellt. Die Serbinnen Syrniiens, der Bucska und des Ba*
nates haben keinen grossen Busen, auch hat dieser nicht die grosse Härte,
wie jener der Mädchen von Civil- und Militär-Croatien, deren gute Formen
nur jenen der starken Dalmatinerin oder Liccanerin. der Bunjevka,
aber h.^upt$2ichlich der reizenden und schönen Greozerin im Brooder ito-
giniente nachstehen.
Jedoch sagt c. B/ijacsich von deu syr mischen Serbinnen geradezu
iui Gegentheil. dass sie vollbusig sind und slark entwickelte Waden und
Hinterbacken besitzen.
Die italienischen Damen schmeichelten zu der Zeit, in welcher iVoN-
tfXffue sie auf seinen Reisen kennen lernte, dem Vornrtbeila ihrer Anbeter sa
lej?e.
«ohr, dae» eine übei-mSssig grosse BuKenllUe schön sei, sie ginubton sifl
(leohalb möglichst sichtbar machen zu müssen.
Die Spanierinnen des 16. und 17. Jahrhunderts dagegen hatten
ander« Begriffe von Hthönheit, als ihre Italien ii<chen Schwestern (d' Aulnaij),
wahrend diese nach blühendem Fett strebten, thaten jene allea Mögliche,
um sich mager zu erhalten, tni^besondere wurde die Entwickeluug des
Basen« mit Gewalt hintertrieben, indem man die schwellende Brust reifender
Mädchen vermittelst Tafeln von Blei platt drückte und zwar mit solcbeui
Erfolge, dasN bei vielen npani sehen üniiien statt der Busenhügel Vertiefungen
und Hohlen «ichtbar waren. Denn sie sorgten rec:ht geflisäentlich dafür,
da8B diese Reixe, nämlich eine hagere knochige Brust und ein ebenso hagerer
und knochiger Rücken weit hinab dem Anblick bloss gestellt würden.
Unter den Europäerinnen sollen die Portugiesinnen die grÖBst«u,
die Castilianerinnen die kleinsten Brüste haben CAbihjaufd). Die Grösse
der Brüste soll iu feuchten oder sumpfigen Gegenden bedeutender werden,
aU in trockenen Gebirgslandem (HifrÜ). Wenn Rubens seine Göttinnen und
Engel mit den Brüsten flandrischer Kuhmägde ausstattet, so läsest das
wohl auf seinen und seiner Zeitgenossen Eunstgeschmack schliessen, der
«ich für eine besondere Fülle des Fleisches und Fettes interessirte, nicht
aber darauf, dass die Frauen in Flandern, fast durchgängig die üppigsten
KOrperfomien aufzuweisen hatten.
Dass aber die Frauen in England, besonders diejenigen der höheren
Stände, verhältnisamäsaig gering entwickelte Brüste besitzen, scheint ebenso
fefltzuetehen, wie Jerselbe Mangel der Yankee-Frauen in New-York und
anderen Städten Nordamerikas; hier werden öH'entlich artefacte Brüste
von alleu möglichen Grössen xum Verbergen des Mangels angeboten.
In der europäischen und asiatisch enTürkei aber ist nä.c\i Oppenheim
jede Mutter im Stande, ihr Kind selbst zu nähren, da uieiualu eine Schnür-
bru«t die Brüste und Brustwarzeu zerdrückt. Nach dem Wochenbett bleibt
bei den Türkinnen gewöhnlich Schlauheit der Brüste zurück, dio an und
fflr sich in der Regel sehr entwickelt sind.
Bei den Völkern Amerikas beginnen wir mit der Südspitze de«
Coatinente. Von den Peacheräs, Bewohnern des Feuerlandes an der
Mftgelhaen ststrasse, hatte schon Esseudörftr im Jahre 1880 der an-
thropologischen Gesellschaft in Berlin berichtet, das«, während die
Männer auffallend mager sind, die Frauen bedeutende Fettentwickelung,
insbesondere sehr tippige Brünte zeigen. Dies bestätigt sich an den Pescherä-
Teibern, die nach Berlin gebracht worden waren; FiVcAoir- fand die Büste
sr voll; die Mammae stark und klüftig, ohne doch hässlich zu sein; sie
ti&ngen nur wenig, jedoch so, dass die grossen und wohlgebildeten Papillen
mehr nach unten stehen.
Von den HÜdamerikanischen Indianern erhielt man im Ganzen
wenig detaillirte Unlersuchungöberichte. Von den Weibern der Kayapo iu
«ler Provinz Matto (iroeso (Brasilien) sagt Ä^iyj/ifr; Die jüngeren Frauen
haben feste, kleine, etwas spitz zur Papilla zulaufende Brüste, die reiferen
eine volle, nicht unschöne Brust. Allein im Allgemeinen stehen die In*
diunerinnen Südamerikas in der allmählichen Verlängerung der BrOstä
hinter anderen nichtznrUck. Wenn diu Indianer-Frauen in Chile und Ca-
lifornicn mehrere Kinder geboren hüben, so sind ihre Brüste nach Aus-
spruch Hollin'i, Wundarzt bei La Virouet^a Expedition, ebenso schlatf und
herabhängend, wie bei Enropäprinnen in ähnlichen Fällen. Von den
Payaguas, diu am Paraguay-Strom wohnc>n, berichtet r. Asara, da8s
VU. Die FraueSS
lograpi
ihre Weiber den Busou der jungen Mädchen, sobald derselbe ausgewachs«!
ist und seine uatilrliche Grösse erreicht hat, entweder mit den Mänteln odvr
auch mit einem ledernen Riemen zusiitninenpressen, unj ihn hinterwärts
gegen den Gürtel zu ziehen, so das« er, ehe i^ie noch 24 Jahre alt werden,
wie ein Beutel an ihnen herabhängt. Nach Rentjtjtr hat der Buflen der
Guarani-Weiber das Eigenthümliche, daiis die Parthie des Warxeohofe».
erhaben auf der Brust aufsitzt, und er fand ebenfalls, dnss die Paragaa»
Weiber mittelst eines Gürtels die BrQste verlängern. Er meint aber,
dass sie von Natur nicht mehr als die Brüste der Europäerinnen
zur Verlängerung neigen, sondern dati« sie lediglich durch das Prassen
künstlich verlängert werden. Auch die Brüste der War r au -Indianerinnen
in British- Guiana hängen nach Scltomburyk, Hobald sie geboren haben,
schwammig herab.
Bezüglich der nordischen Völker Amerikas fehlen noch eingehen-
dere Berichte. Die Brüste der Eskimo-Weiber sind nach Smith ange-
wöhnlich entwickelt, doch nicht in so ausserordentlichem Grade, vrie die
Brüste der Hottentotten- und Buschmann-Frauen,
Bekanntlich sagt mau den Hottentotten-Frauen fa^t allgemein nach.
dasB sie die am stärksten herabhängenden Brünte haben, ebenso wie die
Weiber der Buschmänner. Schon lAchicnstein schrieb: ^Die scblaif herab-
hängenden Brüste und die übeniiäasig dicken, weit unter dem hohlen RQeken
vorstehenden Hintertheiie, in welchen sich gerade wie bei tifrikunischen
Schafen alles Fett de.« KSrpers gesammelt zu haben scheint, machen nebst
der übrigen HäsKlichkeit der ganzen Gestalt und der Gesichtsbildung die»«
Krauen in den Augen de.i Europäers zu wahren Scheusalen,'
Genauer beschreibt Fritsch^ die Gestalt der Hottentotten-Bru6t
«Die Entwickelung des Busens steht etwa derjenigen bei europäischen
Frauen näher, als diejenigen der A-bantu. Ich habe bei den Koi-koin
das massige, euterartige Ansehen der Brüste nicht beobachtet, welches bei
den anderen Regel ist-, der Busen ist vielmehr verhftltnissmässig klein, zuge«
spitzt, mit vortretender Brustwarze, der Wnrzenhof überragt die Oberfläche
nur wenig, wenn nicht wiederholtes Säugen darin eine Abänderung herbei-
führt.. Natürlich bleibt wegen der grossen Hinneigung aller Hautpartbien
zur Faltenbildung auch die Formation der Brüste in späteren Jahren nicht
80, wie sie oben beschrieben wurde, doch ist es gerade aus diesem Grunde
beraerkenswerth, dans man häufig Personen im Alter von dreissig Jahren
sieht, welche dieselben noch ziemlich unveÄndert zeigen. Je nach bdhereu
Alter hört dieser Köqjertheil allerdings auf, zu den Reizen des schönen Ge-
ächlecbta /.u gehören.* Barroir beschreibt bei den Hottentotten-Frauen,
während er für die Kaffern schwärmt, die Brüste als mit sehr grosser
Warae und hervorragendem Warzeuhofo , „was um so weniger,* wie Vrit^eh
hervorhebt. , zugegeben werden kann, als diese beiden Merkmale nicht zu-
sammen vorzukommen pflegen, das letztere aber ein entscheidendes Cliarak-
teristicum der A-bantu ist.*-
Man hat in Europa Gelegenheit gehabt, den anatomischeu B»u
der Brust einer Hottentottin sowie eines Buschweibe.«" genau kennen
zu lernen, da zwei weibliche Individuen dieser mit einander verwandten
Völker (eines in Paris, das andere in Tübingen) zur Section kaaiML.
Das Busch weil) Afandi, deren Körperbau nach ihrem im 88. LebensJAhM
•erfolgten Tode (sie soll drei Kinder gehabt haben) Görtg gouau btrachrieUi
hatte keineswegs hängende Brttste; dieser Autor nagt: ,In der For»
n\ation der Areola stimmt unser Buachweib mit der Pariser Venus Hot*
27. Die Frauenbrust in ihrer Rassengeetaltung, Behandlung u. Pflege. IgO
tentotte (Citvier'sJ, die einen vier Zoll messenden, mit strahlenförmigen
Runzeln versehenen Hof zeigte, gar nicht, dagegen wohl mit der Euro-
päerin Qberein; der Hof hat einen Durchmesser von 4^4 Zoll und ist un-
regelmässig, eher concentrisch als radiär gerunzelt. Die Papille ist wenig
vorstehend, doch wohl sichtbar und nicht verstrichen, vom Hof durch eine
sie ganz umfassende Rinne abgesetzt."
Die Cultur der Brüste bei den Kaffern ist einzig in ihrer Art. Schon
im 7. oder 8. Jahre beginnt die Mutter beim Mädchen die Brüste mit einer
Salbe zu bestreichen, die au« Fett und gepulverten Wurzeln bereitet ist.
Sie frottirt und umfasst mit ihren Fingerspitzen die die Brustwarze um-
gebenden Weichtheile, gleichsam um die Brustdrüse herauszuziehen, und
später wird letztere täglich lang und schmal ausgedehnt und mit Bast um-
schnfirti Von den Frauen der Basuthos werden die Kinder auf dem
Rücken getragen und sie reichen denselben, wie auch noch manche andere
Afrikanerinnen, die Brust durch den Arm hindurch. Um dies möglich
zu machen, werden, wie Holländer berichtet, schon lange vor der Nieder-
kunft die Brüste fortwährend gezogen; und so schön auch die Brust
eines jungen Kaffernmädchens sich producirt, so entsetzlich erscheinen
die lang herabhängenden Schläuche der Frauen, die bereits geboren haben.
Unter dem sehr uncultivirten Volksstamm der Boilakertra im Innern
von Madagaskar fani Auddiert bei den jungen Mädchen die Brüste rund,
fest und wohlgestaltet; die Saugwarze ist etwas stark entwickelt und von
schwarzer Farbe. Das Verkommen und Herabhängen der Brust bei älteren
Frauen entsteht einfach daraus, dass sie ihre Kinder Jahre lang säugen, und
zwar neben den Neugeborenen oft zugleich solche, welche so gross sind, dass
sie die Brüste der stehenden Mutter erreichen können.
Wenden wir uns zu den in den Nilländem wohnenden Völkern, so
treffen wir zunächst die Aegypterinnen, deren Brüste Hartmann^ in der
Jugend oval und prall fand, doch werden dieselben mit zunehmender Körper-
entwickelung und nach wiederholten Geburten welk und hängend. Die
Brüste der Fei Iah -Mädchen schwollen oft schon mit dem 11. bis 13. Jahre;
allein bei den Frauen von 25 bis 30 Jahren werden sie schon schlaff.
Die Weiber in Ober-Aegypten standen im Alterthum in dem Rufe,
sehr starke Brüste zu haben, wie aus folgenden Versen des Jucenalis her-
vorgeht :
Wer staunt kropfigten Hals in den Alpen an?
Wer in dem Eiland
Meroe grössere BrüsV als die fetten Säuglinge selber?
I*aulit8chke führt schöne Büsten und starke Brüste als typisch für die
tialla-Frauen an.
Möglichst genau beschreibt Harimann'^ die ni gritische Körperbildung.
„Viele Negermädcheu haben in der Jugend eine anmuthige, weich und
gracil geformte Büste. Die Brustdrüsen sind dann halbkugelig hervor-
stehend, prall, unten gewölbter, oben flacher. Der Warzenhof ist, wie bei
manchen unserer jungen Mädchen, ebenfalls gewölbt und von einer kurzen
Warze überragt. Häufiger aber zieht sich bei selbst jungen nigritischen
Frauenzimmern die Brust mehr oder minder spitzkugclförmig nach aussen.
Kegelförmig entwickelt sich dann auch der Warzenhof, weniger die Warze.
Das gewährt einen unschönen Anblick. Noch mehr verliert sich das Aesthe-
tische der weiblichen nigritischen Torsobildung, wenn solche spitzkugel-
förmigen Brüste früh welken und siech herabhängen. Nach Geburten können
I- ■'■■
111. .I---
27. Die FnmenbrastitJ ihrer Rassengestalttjng, Behandlang- o.Pflege. IPl
kräftigen Individnen sehr hart und derb, gewissermaassen auch strotzend.
flHeeelben nähern eich weniger der halbkugeligen, als der konischen Gestalt,
laben oft eine zu kleine und zu wenig verraittelte Baäi» und prSsentiren
ich im sehr seltenen Extrem fast zitzenähnlich und ungleich entwickelt.
DrOste von solcher Form folgen natürlich uiu so leichter dem Gesetz der
Schwere, und werden bald zu den herabhängenden Beuteln, welche vorzugs-
rcise an Afrikanerinnen getadelt werden, obgleich sie auch bei anderen
lauen vorkommen und bei Cultur-Nationen eV)enfalls nicht unbekannt sind.
He beasere Form mit breiter Basis ist naturgemäss die dauerhaftere und
Bn manchen FBllen auch noch eine Zierde des reiferen Weibes: in der Jugend
[cracheint sie häutig von vollendet schöner Bildung, bis auf die selten ge-
iflgeud scharf und klein abgesetzte Warze. Falkenstein- sagt von den Lo-
(ango-Negerinnen: ..Die weibliche Brust ist nur in seltenen Fällen wirklich
»chön gebildet, da sich schon bei Eintritt der Reife die Neigung zum Uiu-
kUntersiuken verruth. Die halbkugelige Form ist sehr selten, dagegen scheint
l<laa Wachsthum in die Länge zu überwiegen^ so dass mehr eine Kugelform
lentsteht, durch welche die Senkung begünstigt wird. Die Brustwarze sowie
[der umgebende Hof ist gewöhnlich stark entwickelt. Jede nach unseren Be-
Jgritfen vorhandene Schönheit schwindet überraschend schnell, in wenigen
[Jahren ist die elastische Straffheit der Jugend der verwelkten SchlalTheit des
IvMrseitigen Genusses gewichen.
U«ber die Frauen brüst bei den Woloff -Negern berichtet de Rochc-
brMtt«: „Ti'aspect piriforme des seins s'observe surtout chez les jeunes fillee,
bien que chez la femme uyant eu des enfants ces caracteres se maintiennent,
car les seina prodigieusement pendants que certain^ observateurs donnent h
la negresse en general ne peuvent s'appliquer k la Ouolove.' — Auch
bemerkte Brremjer-Feraud : „Les seins prennent chez les Onoloves un grand
dt'veloppement quand elles ont eu des enfants, et soit, qu'ellea allaitent,
9oit qu'elles aient aevrö lear nourriason, Us n'out bientöt plas rien de gracieux
d'agrt'able ä la vue.*
Besondere Beachtung verdient die eigenthümliche Behandlungsweise
der Brüste, welche bei manchen afrikanischen Völkern herrscht. Es ist
nftmlich sowohl am Congo (nach Hartmann u. A.}, als auch an der Loango-
Kflste (nach Prchuel-Loeaclw ntidi Faiken«tein), dann in Angola (nach Pogye).
schliesslich aber bei den südafrikanischen Bantu-Völkern (nach 1 Vi («c/»)
Brauch, dass schon das junge Müdchen ein Band oder eine Schnur über die
Brust um den Thorax schlingt, durch welches die Mammae niedergehalten
werden. (Fig. Ü3.)
Welche Wirkung nun aber dieser, oberhalb der Brüste aufliegende
Faden auf das Organ selbst ausübt, und welche Absicht man mit Anlegung
deswelben verbindet, wurde in der anthropologischen Gesellschaft zu Berlin
am 28. April 1877 erörtert. Fnlkeiuilein fand, dass an der Loango-Küste
nicht bloss eine Schnur, sondern statt derselben bisweilen auch ein zur Be-
kleidung dienendes langes Tuch durch seine verschlungenen Zipfel über der
Brost fe«t angezogen wird. Schon vor Itlngerer Zeit bat Hille berichtet,
dasa bei den Negersciavinnen zu Surinam Sitte ist, um den Oberkörper
ein dreieckig zusammengefaltetes Tuch Über die Brüste zu schlagen, dessen
Knden auf dem Kücken stratt zui^ammengebunden werden, wodurch die Brust
nach unten gezwilngt wird. Falkenstein meint, dass diese Sitte nicht etwa
da« Herabsinken der Brüste oder das Welken derselben verursache. Denn
die Ernährung der Brust werde, wie er anatomisch genauer nachweist, keines-
weg« durch jene Sclmur beeinträchtigt. Ebenso wenig glaubt er, dass die
ilscher iiui^iclit.
Negerinnen etwa durch ilas Tragen der Sclujur die Brüste zum frnhen Wel-
ken bringen wollen; m&u i^etze die Sitte, deren Ursprung luaii nicht kdubt,|
eben nur ^ewohuheitegeuiäas fort-, riellelcht, i>o Äasäeri FnlkettAttih, üble
mau sie früher zu Heilzwecken. Dagegen behauptet yritacJi. der dieMii '
Brauch in Südafrika kennen lernte, die heruntergebundene Brngt »ei b«i 1
den Bantu- Völkern, die in regelmäsaiger Ehe leben, ein Abzeichen der v«r-
heiratheten Frau, sie rcrleihe ihr Würde, wie die dunkle Hautfarbe dem
Manne Kespect. Fritach uieint. d&sä allerdings dieiies Heruuterbiud«u der j
Brüüte ein Heninteriiinken derselben bedinL,'e; damit sei jedoch freilich nicht
nothwendig ein Welken dieser Organe verknüpft. — »Wenn uiau,* «agt
Pcchticl-Loesche, ,iiu8 dieser Thatsache, dasg die Negerinnen verschiedener;
Vülksstäuinie eine Schnur über die Bräute
befestigen, auf eine der unHcreii ent-
gegengesetzte Bethätigung de» Schöa-
beitssinnes oder auf eine au« anderen
Gründen erutrebte Entstellung g<MschloK-
sen bat, so mag dies bezüglich jener
zutreffend «ein, bezüglich der Bafiote-
Neger an der Loango-Kü^te wäre
es eine Unrichtigkeit. Nicht nieder-
binden wollen dietie die Brüste, »oudern
die erschlafften und dem Ge^ietze der
Schwere folgenden bocbzielien. Die
Schnur wird über den oberen Rand g«-
legt, uio durch Sp;uinung, duroli Ver-
kürzung der Haut die Fülle der locker
gewordenen Hügel auf ihrer natür
lichen und wünschenswerthen Stelle va
erhalten.' Und wenn Bchliesslich die
Angüla-Nt?gerinnen tichun bei
ihren kleinen Mlldcben ein Hand llber
die Brust binden, «o meint Vogge.
der diese Sitte in allen von ihm b*-
reiften Ländern der Westküste fAiUL,
dasB dieiOB Band dazu bestimmt feel,
das Mädchen schon von Kindheit an
an «ein Tragen zu gewöhnen, denn oU
Frau müaae es i^päler die natürüchRii
Utlngebrüste niederhalten, damit die-
selben ihr bei Bewegungen nicht llUtig
werden.
In Persien entwickeln sich die Brüste frühzeitig, gedeihen »ber
nur zur mittleren Gröste und bleiben sclbtst unter dieser zurück, mit AoJi*
nähme der Weiber vom armcniKchen Stamme, deren Brü.<e weit aiu-
gobildeter sind. (Polak.j Trotzdem geben die BrÜ»te der l'er«arinoen
Milch, wie die SchweizerkUhe von guter KaA&c, wie ja überhaupt xow der
GrOiiae der Mamma durchaus kein Rückachlius anf eine gute Functio&S'
flthigkeit der Brustdrüse gemacht werden kann. Im Gegentheilc sind eogttr
»ehr starke Brüste für du» Säugegcschikft viel weniger zu gebrauchen, alc
die mittelgrueseu, wenigsten» bei uns in Norddeut^kchlund.
Die Perserin trägt ihre BdUte im Suhpensorium (Volukj, cUa wohl-
habende Frau legt bi&wcilcn gestrickte Ktui» um iliesciben (HüntstchtJ. Da
Fig. 33. LosBgo- Hegerin
nit d(T BrniticboBr.
(HsoV PliotogTftpkie.)
Hege 193
\\f Brüste in rersien sonst aber fri'i uml ohne beongendea Schnvlrleib ge-
ragen und nur mit Flor bedeckt werden, «o sind sie nicht einpfindlich gegen
SrkiUtung. Wenn die Warze der stillenden Perserin nicht gehörig her-
rorgetrelen ist, so werden junge Hunde anj;felegt, damit sie sich besser ent-
rickelt. Nach einigen Entbindungen werden ihre Brüste schlaff.
Die Frsiuen der Eingeborenen auf Formosa im Süden dieser Insel.
ier Siibari, Whang-tschut, Tuasok etc. sind ebenso wenig schön, wie
ihre bSaslichen MHnner, ebenfall.« klein und schwach gebaut, wie biese; ihre
Jflste i.st schlecht entwickelt, die Brüste klein und konisch zulaufend; nur
[bei den Whang-taohut und Bakurut sah Ibis, der dies berichtet,
sinige bes.iere weibliche Figuren.
Von der Ch ine. sinnen- Brust sagt J/oHrfü-ir: ,Le sein est admirablemenl
eonfornie, hemispherique, maia il a une grande tendanoe, vers l'äge de vingt-
[cinq ü vlngL-huit iius, ü se charger de grainee et 4 derenir beaucoup trop
voluniineux.* i
Die Frauen der Annamiten in Cochinchiua tragen, wie Antand,
MUiUlruvzt bei der französischen Expedition nach China und Cochin-
lehina, meldet, keine Schnilrbruät, aber sie betiiQhen sich, die Brüst« nieder-
IzudrHcken mittelst einer dreieckigen Bnimtbinde, welche durch ein doppeltes
[ntii Halfl und Rücken gewundene.«! Bund sehr ^aiBainniengeschnflrt wird.
Den Busen der Annamitin chorakterisirt Mondüfre in folgender Weise ;
j6 sein est habituellement heniic^phäriqne et regulier eher. la t'enime auna-
mite; le» soin^i piriformesr sont rares, et, chose assez reroarqnable, c'est le
i]ni «ouvent che/, les femnies qui ont la peuu la plu8 blanche qu'on les
frencontre. L'ccartenjent des mamelons, chez la jcune femme qui n'a pa» eu
m'enfani, est de 19 centimetres. Assex petita jusque vers dix-sept ans, iU
prennent an volume contiderable pendant la grosses.<ie et deviennent tres-
Idf'clivea dans le» derniers tempa de celle-ci. L'ureole varie beaucoup, mais
eile est d'aulant plus grande et color^e que la femme est plu.«i blanche, et
•on diametre, dans ce» circonstances, peut, comnie je l'ai ronstate plusicurs
[fois, avoir dr? 7 ä 9 centimetres. Le nianiclou reste courl. jusqu"i\ l'accon*
ichenient, maia Iü<i premiöres «uccions de IVufaHtle deveioppent rapidement.
lApne« tin premier alliiitement, il reste proeminent et color<5, ce qui tient ä
Fla longue duree de l'allaitement. 11 estrarequ'aprcji le »ein reprenne an forme
normale, commc nous le voyotis chez beaucoup de noF femmes, mnis il diminue
|lle volume, s'aH'aisso sans devenir toutefois tout i'i fait disgracieux.
Ihe BruKt einer Minh-huong. d. h. einer Mestize, n&hcrt sich in ihrer
^Cectalt derjenigen ihrer annamitiiichen Mutter, wie Mondiire fand; nur waren
bpi ihr die Warzen mehr hervorragend.
Nur bei xwei Cambodja-W^eibem, die noch keine Kinder hatten, sab
' Mondikre die Brust unbedeckt: dic.«elbe war .Icg^reinent piriforme'; er setzt
■hinxu: ,Malgre cette forme, lesmamelons pointent directemeut en avantet sont
uioins ecarte» Tun de Tautre de lü i\ 20 Miilimetre« que chez los autres femmes.»
Schnelle» Abwelk<'n der Brftste in Folge des Saugens kommt bei sehr
»zahlreichnn Vftlkeni vor, dagegen giebt es Andere, deren Weiber sich die
FftUe der Bruist besser bewahren: im Nordosten von Franxöfiisch-t'ocbin-
r hina, imf der lireuxe von An nam, (^ambodja und Cochinehina wohnen
beUpielnweJue die MoTs, von wolchen Anudre (iauUrr sagt: »Ihre Frauen
•ind gewiihnlich hiUs^lich, aber gut gobnui, mit voUeu Brüsten, die selbst
nach dem iT^ten Kinde keine Falten »eigen. "
Die II i n<lu- Frauen hingegen tragen unter dem Sari oder dem ^r- ••■■:
ungenähtKn Obergewand oin engnnschHcssendes L<>ibcben. Ob jen<
Ptdt«, Dm Welli. I. J. Ann. ]3
^räöenbrärtmet
Mieder, wflelioiä dieTsclierkessinnen tragen, irgendwie die Entwickelang i
der Brust bindet oder fördert, sollte doch genauer untersucht werden.
Bei den malayischen Frauen sind die Brilsle nach MtiUer' klein,
Kpitz und kugelig, der Busen wenig entwickelt und oft ganz platt. Dem^
gemässi würden sie einen bestimmten Typus haben; doch sagt Fitmck*'. Die
Brüste der Malay innen variiven ebenso sehr, wie überall nach Alter and
IndiFidualitilt ; zuweilen ist die Warze noch ganz versteckt, j» eingezogen,
zuweilen nxgt noch der dunkle Hof vor, dessen Au,sdehjiiing und Färbung
von hell- bis fast dankelbrauu ebenfalls alle Abstufungen zeigte.
Uebcr die Bewohnerinnen der Inseln des alfuriächen Archipel* ver-
danken ynx liiedel^ mehrere Angaben: Auf Buru haben die Mttdchen luittelni&s-
sig grofise Brüst«, die von oben platt und von unten gewölbt sind. Nach der
Niederkunft werden aie hängend mit abscheulichen Falten. Auf der Insel
Ambon und den Ülia.se-Inseln sind die Brüste wegen der Verstümiueluug
in der Jugend schlecht entwickelt; die Wiirzeuhöfe sind klein. Auf Serung
oder Nusaina benitzen Frauen, die nicht geboren haben, nur sehr kleine
Brüste. Auch die Brüste der Frauen auf den Seranglao- und Goroag-
Inseln sind klein und dabei pyriforra; ebenso auf den Watubela- Inseln.
Dagegen haben auf den Keei- oder E wabu-rlnseln junge Frauen grosse
und volle Brüste mit birnenförmig hervortretender Brustwar/e. Auf den
Tanenibar- und Timorlao-Inseln haben die jungen Weiber kleine birnen-
förmige, aber volle Brüste. Auch auf Lfti, Moa und Lakor sind die
Brfiste biruRJrmig, ebenso auf Keisar oder Makisar. dabei aber klein und
mit schwansen War/enböfen. In der Luang- nnd Ser mata-Gruppe sind
in Folge des Gebrauches de» Euiang, einer Art. Leibchen, <lie Brüste gedrückt
und mehr oder weniger missgestaltet. Auf der Sawa oder Hawa- Gruppe
(Hiedel') finden wir die Brüste der Mlldcben wieder Idein und piriforni.
Die Bewohnerinnen Oceaniens sirheinen sel\r häufig eine charakteri-
stivch gefonute Brust zu besitzen, indem die Beobachter von , spitzen" BrCUit«ii,
namentlich aber von einer Ein.^chnürung rings um den Warzenhof .<4prccbeti.
So fand Kubart/ bei den Frauen der Carolinen- Insel Yap meist kräftig
entwickelte, etwa« , spitze" Brüste.
Hiermit stimmt dasjenige überein, was auch r. Müiluchn-yiaciatj auf
anderen Inseln de;^ stillen Oceans wahrnahm.
Er sagt: ,Bei Mädchen von circa 1-5 — 12 Jahren, die noch keine Kinder
geboren hatten, fand ich die sonderbare Form der Brüste, die ich Achon an
einem anderen Orte erwähnt habe. Der obere Theil war von der siieinlicb
«traffen (jugendlichen) Mamma durch eine Einschnürung geschioden. Die
lieigegebene Skizze stellt diese Eigenthümlichkeit, welche ich bei Papaa-
MAdchcn von Neu-Guinea, sowie bei jungen Polynesierinnen (Sfttnoa)
ebenfalls gesehen habe. dar. Die asymmetrische Entwickelung der BrOsLe,
welche überhaupt nicht selten ist, scheint in diesem Falle fast die Kegel
RH sein: ich habe immer die Einschnürung an der einen Mamma tiefer gie-
troffen als an der anderen. — Im altgcsohnürten Theilo lies» sich die Brust'
drüse leicht durchfühlen. Dieses Vorhalten it<t nicht bei allen MAdchen xtl 1
lK?obachten, aber findet «ich, mehr oder weniger auxgcsjirot'hen. nicht selten;
es schien mir auch mit den Perioden de« geschleohllichen Lebou» (Sien«
struation und Schwang«<rschaft) nicht in directeni Zusammenhange xu 9tehM,
jedoch denke ich, t\a,^% nach wiederholter Lactation die Flinnchnörnug rer-
echwindet. da bei iUteren Weibern ich nie diese Form der Brüste gesr-hen hubr.*
Schliesslich bflwerkte r. Millucho-Maclaij, dass die Bezeichnung der Fr anxciaj
.inammelles pirifoTmei.* fUr diese Ge«taltnngder Brüste nicht tntüprifchend'f
28. Die Veratümnjelungen der weiblichen Brust. 195
Bei den Bewohnern von Ponape (östl. Carolinen) haben nach
Finsch^ die Mädchen meist tadellos entwickelte Brüste, die sanft gewölbt,
halbkugelförnng. fest sind, selten zur UeberfüUe hinneigen und nur bei
Frauen, welche Kinder säugten, die bekannte hängende Form annehmen.
Die Entwickelung der Brustwarze ist sehr verschieden bald tritt der dunkler
gefärbte Hof besonders hervorragend birnförmig vor, bald nur die Warze
allein; letztere fand sich bei jungen, eben aufblühenden Mädchen zuweilen
noch ganz versteckt, oder nur an der einen stärker entwickelt. Bei stark-
brüstigeu Mädchen, wo der Hof der Brustwarze, an der Basis sanft einge-
schnürt, besonders hervortrat, war die Warze doch noch ganz versteckt.
Auf Samoa sind nach Gräffe die Brüste „stark entwickelt, etwas
spitz". — Die Brüste der eingeborenen Mädchen auf den Viti-Inseln, ins-
besondere derjenigen, die eben erst reif geworden, zeichnen sich, wie Buchner
beschreibt, durch eine Hervorragung des Warzentheiies aus, der leicht ab-
geschnürt erscheint und so dem ganzen Organ etwas birnförmiges eri^heilt.
Die Frauen der Gilbert- Inseln sind in der Jugend sehr hübsche Er-
scheinungen mit wohlgeformter Büste, die leicht zur Fülle hinneigt. Schon
bei Mädchen mit noch ganz versteckter Brustwarze bemerkt man zuweilen
einen dunklen Hof um die letztei-e, dessen Ausdehnung und Färbung übrigens
individuell ausserordentlich variirt. Sehr häufig tritt bei jungen Mädchen
nur der dunklere Warzenhof halbkugelig erhaben vor. fFiftsch.y
Auf Maiaua (Hall-Insel), einer polynesischen Insel, fand Finsch
bei straffen jungen Mädchen die Brüste klein, fest, den etwas dunklem Hof
um die wenig vorragende Warze wenig ausgedehnt; bei einer älteren Frau
hingen die starkentwickelten Brüste durch ihre Schwere weit herab; die
wenig entwickelte Warze war sehr dunkel gefärbt, ebenso wie der merkbar
erhabene Hof.
Die Brüste der Melanesierinnen (Papuas) sind in der Jugend gut
entwickelt und geformt, neigen meist etwas zur Fülle und werden nach dem
ersten Kindbett gewöhnlich hängend. {Fin8ch.^)
Die Brüste eines 13—14 Jahre alten Motu -Mädchens fand Fins<^ in
der Entwickelung klein mit kleinerem dunkelgefUrbten Hof um die kleinere,
etwas hellere Warze. Dagegen war bei einem 16jährigen Motu -Mädchen
die Brust allerdings auch klein, doch schön halbkugelig, voll, mit wenig
hervorragender, kleiner Warze, und um dieselbe ein engbegrenzter dunkler Hof.
Die Brüste der Australierinnen, welche im Jahre 1884 nach Berlin
kamen und im Panoptikum sich dem Publikum zeigten, wurden zwar nicht
direct untersucht, allein nach den photographischen Aufnahmen von Virehow*
in folgender Weise charakterisirt: Die Büste von Tagarah (vielleicht 16 — 18
Jahre alt) ist von grosser Schönheit, ihre Brübte sind von streng jungfräulicher
Beschaffenheit; die vollen Brüste halbkugelig, oben etwas flacher, unten
stärker gewölbt, ein grosser, im Ganzen etwas vortretender Warzenhof mit
flacher rundlicher Warze.- Bei Yemberi (vielleicht in den zwanziger Jahren)
sind die Brüste gross, aber schlaff, hängend, mit weit herausgezogener Warze,
die bedeckende Haut fein runzelig.
28. Die Yerstümmelungen der weiblichen Brust.
Bevor wir das Thema der Frauen brnst verliis.sen, mllssen wir
noch einiger Verletzungen und Verstümmelungeu gedenken, welche
Vi*
196
VIL Die Franenbrost m ethnopprapliisclier 'Hinsicht
die Mütter und Angehörigen der Besitzerinnen oder diese selbst an]
den Brtisten, theils mit Absicht und üeberlegung, tbeils unbewus
zur Ausführung hringeu. Um mit den letzteren za beginnen,
sind es im Wesentlichen schwere Schädigungen der Brustwarze, 1
welche durch unzweckmüssige, die Brust beengende und drückeudi^
Mieder an ilirer Entwickelung und Ausbildung derartig behindert!
und beeinträchtigt wird, dass sie znm Säugen eines Kindes nur!
imvüükomiuen oder gar nicht gebraucht werden kann. Unsägliche
Schmerzen, körperliche sowohl als auch besonders solche der Seele,
welche die jungen Mütter erdulden müssen, sind auf das Tragen
derartiger Corsets in den Jahren ihrer Entwickelung zurückzuführen.
Dass diese Unsitte nicht nur bei uns in den Städt«i und nament-
lich auch in gewissen ländlichen Districten herrschend ist, sondern
dass • wir ihr auch auf dem Lande und sogar auf ferneu Inseln des
alfurischeu Archipels (auf den Sermata -Inseln; wieder be-
gegnen, das haben wir weiter oben bereit« gesehen.
Bei den Tscherkessen wird
dem jungen Mädchen im 10. bis
12. Jahre ron der Bnist bis an
die Hüfte hernb ein Schnürkleid
oder breiter Gürtel von rohgareni
Leder dicht um den Leib genäht
oder bei Vornehmen mit silbernen
Heften befestigt. Grosse Bröste in
haben, ist nach den Begriffen der
Osseten das Zeichen mangelnder
Sittlichkeit eines Mädchens. Daher
tragen die Ossetinnen ebenfalls ein
dicht ihre Brüste einschliessendes
Corset. Dieses Corset thut man dem
Mädchen von 7 — S Jahren, nach /'o-
kroivfily im 1 0. oder 1 1. Jahre, an und nimmt es bis zur Brautnacht nicht
mehr üb. Dann zerschneidet der junge Ehemann die das Corset
zu.sammeuhaltenden Schnüre und nimmt es ab. Nach dieser Ope-
ration entwickeln sich die Brüste unverhältnissmässig rasch. Hier
ist von den Osseten nördlich vom Kaukasus die Rede, die
viele Sitten von den Kabardinern angenommen haben, if?. S^tl-
///*.) Wie hoch und eng der Bnistkorb von diesem Instrument*'
umschlossen wird, ist aus Fig. H-4 zu ersehen. Auch die Kalmyk-
innen verflachen die Brüste durch ein Scbnürleib. j
Diese Art der Schädigung an den Brüsten nenne ich eine '
unbewusste, obgleich nach ho häufigen Wanumgen von Seiten der
Aerzte den eitlen und unverständigen .Müttern doch längst die Augen
hätten aufgehen können. Zur bewusateu und absichtlichen Ver-
stümmelung aber wird das Anlegen des Mieders, wenn es, wie das
leider in einigen geistlichen Orden die Regel ist, in der wohldurcJj- '
dachten Absicht geschieht, dio Brüste mögliclist an den ßnist* :
Fig. 34.
Corietdcr 0iiet{aBeii(EAiikBsn8)
(nach Pokrnwikyy.
korb beranzupressen, um sie womüglich durcb den permanenten
Druck /um Schwinden zu bringen, damit die Gott geweilite Jungirau
niclits an sich habe, wonach lüsterne Männeraugen blicken konnten,
und dass sie auch äusserlich schon hier auf Erden den Engeln im
Himmel ähnlich werde, welche bekanntlich weder Brüste, noch
auch ein Geschlecht besitzen. Hier ist auch daran zu erinnern,
was oben von Dachau, dem Bregenzorwalde und von Spanien
gesagt wurde.
Fig. 35. BüHiiii anr 8kopiei>-8«ot« gehärig, mii abjjeschaitteaen Brasten
(naoh v. Prhiinn).
V^erstimmiehingen unschuldigerer Art finden wir bei verschiedenen
Naturvölkern iu gewissen Arten der Tiittowirung wieder, von denen
auch ihre Brüste nicht verschont bleiben. Solche finden wir als
grosse Sternfigur mit geraden oder synmietrisch gekrümmten Strahlen
die Brustwarze umgebend auf Tan ein bar, oder als bogeiüoruiig ge-
stellte Funkte gleichsam die Projectionstigur der Mamma wiedergebend
auf Serang, beide im alfurischen Archipel gelegen, oder als einge-
schnittene Strichoruamente in senkrechter oder querer Stellung bei ver-
schiedenen Völkern des äijuatorialen Afrika. Das sind natürlich alles
unschädliche Spielereien, welche die spätere Function dieses so
198
YH. Die Frauenbrust in «thaographißcher Hinsicht.
wichtigen Organs in keinerlei Weise zu beeinträchtigen vermögen: '
Anders ist das aber mit einigen eingreifenderen Operationen, welchen
die Brüste unterzogen werden, und hier wird wohl jedem sofort
die Erzählung von den alten Amaz. onen in die Erinnerung koimnen.
Straho sagt von ihnen : Allen wird in der Jugend die rechte Brust
abgebrannt, damit sie sich des Armes zu jedem Gebrauche, besonders
zum Schleudern bedienen können.
Diodürus von Sicilien spricht ihnen sogar beide Brlist« ab;
,Wii-d aber ein Mädchen geboren, , so werden ihm die Brüste abge-
brannt, damit sie sich zur Zeit der Reife nicht erheben, denn man
hielt es fv\r kein geringes Hindemiss bei Führung der Waffen,
wenn die Brüste über den Leib hervorragten;" wegen dieses Mangeh
werden sie auch von den Griechen Amazonen genannt (zu
deutsch Brüstelose, von maza weibliche Brust und dem « priva-
tivum). Wir können uns mit diesen Damen hi?r nicht weiter be-
schäftigen, jedoch werden wir in einem späteren Abschnitte anf
dieselben zuiiickzukommeii hüben. '
Einen eigenthümlichen Brauch fand Cameron in Akalunga,
am Ufer des Tanganyika- Sees, ebenso wie in Kasangalowa
vor: dort scheinen die Frauen nicht, wie sonst die Negerinnen,
stolz auf ihre Brustwarzen zu sein; sie haben vielmehr eine leer«
Grube an der betreffenden Stelle, ('amcron sprach seine Verwroi-
denmg darüber aus, und man sagte ihm, e.s geschehe zur Zierde,
dass sie sich die Warzen ausschnitten. Sollten sie wirklich, so
dachte Cameron, sich freiwillig auf so schmerzhafte Weise ver-
stümmeln? Das konnte er nicht glauben: er vermuthete, es sei
eine Strafe, doch blieb er in Zweifel über den wahren Grund.
Am Herbertflusse in Australien werden jnngen Mädchen
nach Rotfih die Brustwarzen ausgerissen, um ihnen das Säugen un-
möglich zu machen.
Auch noch in imserem Jahrhtmdert werden abscheuliche .^ten
der Brustverstümmelung von der in Russland haupt^chlich ihr
Unwesen treibenden christlichen Secte der Skopzeu ausgeübt,
denen wir bereits weiter oben begegnet sind. Nach der vortreff-
lichen Abhandlung von r. J'rflhm über diese wunderlichen Heiligen
waren ihm Fälle bekannt geworden, wo zehn-, neun- und selbst
siebenjährigen Mädchen die Saugwarzen abgeschnitten worden vranm
und wo dieselben vor Gericht hartnäckig l)ehaupteten. sie hätten
solches an sich selbst verübt. Er unterscheidet bei diesen Skopizen,
wie die Weiber bei dieser Secte genannt werden, folgende Ver-
letzungsweisen an den Brüsten:
1 . das Ausachneiden, Ausätzen oder Abbrennen der Brustwarzen
einer- oder beiderseits. — Letzteres bei weitem häutiger.
2. Abtragung eines Theils der Mammae oder totale Amputation
der I»eiden Brüste (letzteres viel häufiger), so dass au ihrer Statt
Längsuarben entstehen, die denen ähnlich sind, welche nach der
operativen, zu Heilzwecken vorgenommenen Abtragung vorkommen.
Jungen Thieren a^aej
."J. Verschiedene Einschnitte anf beiden Brüsten, grösstentheils
' 8\Ti)metriscb vertheilt.
Angeblicli spielt in ihrem Gottesdienste eine Abendniahbfeier
■ ^ine grosse Holle, bei welcher den Conmiimicflnten statt der Hostie
cu klein«^)? StHckchen einer frisch abgeschnittenen, noch blutenden
Jnngtrauenbrust zum ICssen gereicht wird ; jedoch ist diese An-
schuldigung durch die gerichtlichen Untersuchungen nicht zur Ge-
nüge Hufgeklürt worden.
2<K Das Säugeil von jaiigeii Tliiereii an der Frauenbi-ust.
Die Sitte, dass Frauen Thiere an ihrer Brust saugen lassen, ist
ausserordentlich verbreitet, und zwar finden wir sie nicht bloss bei
sehr rohen Völkerschaften, sondern auch bei solchen mit fortge-
schrittener Cnitur. Unter den Urvölkern ist die Sitte namentlich
bei Australiern, Polynesiern. mehreren Indianerstiimmeu
Sudamerikas und hiei einigen Volkern Asiens heimisch.
Auf /ahlreichen Inseln des Stillen Oceans ist dieser eigeu-
thÜDiliche Gebniuch ganz allgemein. Auf einer der Qesellschafts-
Inseln bemerkte schon Geortj Fm'ster, dass Frauen zuweilen junge
Hunde an ihrer Brost sangen lassen, zumal wenn sie eben ihr
Hilugendes Kind verloren haben. In Hawai ernährten ehemals, wie
liemy berichtet, die Mütter neben ihren Kindern Hunde und Schweine
an ihrer Brust. Auf Neuseeland fand v. Iloclmfttter die poly-
nesische Sitte, dass die Frauen junge Ferkel säugten: auch Tu/er.
«fth, dass die Maori -Frauen auf Neuseeland Ferkel an ihrer
Bnjst saugen Hessen, sei es aus Liebe zu diesem Hausthier, .sei es,
weil sie nicht sogleich ein Kind fanden, w^elches eine Vicemutter
brauchte, Dussell)e .sah auch Oherläudir als gaj»z gewöhnlichen
Brauch unter den Eingeborenen der australischen Colonie Vic-
toria; er sagt: .Man s-icht keine Lubra ohne 5 bis 0 fleckige,
schmutzige, dfirre, räudige Hinide, deren Junge mit ihrem eigenen
Kinde ihre Milch theilen. In der Nähe von AI herton in Gipjis-
land sah ich einst eine Eingeborene, die abwechMi-lnd ihren Knubea
und vier jmige Hunde säugte.*
Wi'lhreiKl man .sich bei diesen Völkern darauf be.schrunkt, junge
Schwein»* und Hunde an der Frauenbrust saugen zu hissen, dehnen
andere Völker diesi- Sitte noch auf sehr verschiedene Thi<'re aus.
So legen die Arawaken - Weiber in Südamerika nicht bloss
Schweine, sondern auch jung eingofangeue Affen an die Brust, um
die Milch möfilichst lauge zu erhalten. Denselben Zweck der
dauernden Erlmltuug der MilchabKonderuug in der Brust verfolgen
auch noch andere südamerikanische VoIk.s.stämme in ähnlicher
Weise. Bei den Makusis-lndianern in Hritish-Guiana erhal-
lten (»ich die MQtter ihn- Milch bis an das hohe Alter, das Kiiul
lögnpnilö
VhiiÄiclit.
lileibt an ihren Hrlisten, so lange es demselben genillt Wenn siel
iTizwischen ilie Familie vermehrt, so ttberuiinmt die Grossmutt«»r
die Pfliclit der Mutter j<egen den Enkel. Dieser fiillt auch lueisten-
theils die Pflicht zu, die autgefiuideneu jungen Säugethiere. I5eutel-
ratteu, Aft'en, Kehe u. s. w. ;in ihrer Brust autzuziehen. Mau sieht
oft, djws die Weiber diesen jungen Thieren mit gleicher Zärt-
lichkeit die andere Brust reichen, wenn aus der einen da.« Kind
schon die Nahrung sog. Der Stolz der Frauen besteht nUuilich
hauptsächlich im Besitz einer grossen Anzahl zahmer Säugethiere.
(Sciwtnfmrfilj
Auch in 8iam mh. Scfiomhurffk, wie er mir mündlieh mittheilte,
sehr häutig, dass die Frauen Allen an ihrer Brust trinken lasaen.
Von den Kamt seh adalen wird erzählt, dass sie die jungen
Bären, welche sie mit nach Hause bringen, ihren Frauen an die
Brust legen, um sie. nachdem sie aufgefüttert sind, theils des Fleisches,
theils der Galle wegen zu wchlacliten, welche f{\r heilsam gilt.
Allein der fkmd bleibt doch im Allgemeiuen da« bevorzugte Lieb-
lings-Adoptiv-Kind bei zahlreichen Völkern, z. B. bei den Urvrdkern
Nordamerikas; so sali auch in Kanada (rahriel Sofjnrd Theodut,
dass die Indianer-Frauen manchmal junge Hunde an ihren Br[l$ten
saugen liessen, Ja der Hund spielt diese Rolle nicht bloss bei
wilden Völkerschaften, sondern auch bei Cultiirvülkern; wir wissen,
dass schon die alten liöui er innen die eigenthümliche Sitte hatten,
sich die Milch durch junge Hunde abziehen zu lassen; DiaufianA.
denselben Gebrauch noch in unseren Tagen in Neapel und
l'olnk in gleicher Weise in Persien, wo während der er.'<ten zwei
Tage nach dtr Geburt eines Kindes an die Brust der Mutter zarte
Bozar-HUnddien angelegt werden. Schliesslich kommt Aehnlichefi
sogar auch in Deutschland vor, wenigstens berichtet Oslander,
dass man in Göttingen hartnäckige Brustknoten zuweilen dadurch
zertheilt, dass man junge Hunde an den Warzen saugen la^wt.
Wir steinen hier wieder einer sehr interessanten ethnographischen
Thatsachi-' gegenüber; denn wir finden dieselben oder analuge Ge-
bräuche bei einer Reihe von Völkern, welche durch weite Länder
und Meere von einander getrennt sind, und welche sicherlich ulme
Kenntniös von einander zu den gleichen absonderlichen Gewohn-
heiten gekommen sind. Aber wenn auch die Sitte, oder sagen wir
lieber die L^nsitte dieselbe ist, so sind doch die Beweggrlinde, welche
sie verursachten, ausserordentlich verschieden. Ist es bei der Austra-
lierin die Liebe zu ihren Hunden, welche ihr später fUr die Üe-
schaft'ung des Lebensunterhaltes von so grosser Bedeutung werden,
die sie veranhusst, sie gemeinsam mit dem eigenen Kinde zu er-
nähren und aufzuziehen, — l^st es bei der Kam ttichadnlin die
weise Vorsorge einer tlichtigen Hausfrau, die sich einen werthvollen
Braten nicht entgehen L'issen, aber ihn so gross wie nur irgend
möglich haben will, — ist ea bei der Makusi-Ind ianerin die
lirbemle Opferwilligkeit der Grossmutter, welche dem Fnkel die
29. Das tilgen von jungen Thieren an der Frauenbrust. 201
Brnstnahrung nicht entziehen möchte, wenn ein neu angekommener
Weltbürger ihm die Mutterbrust streitig macht, und die daher
durch das Anlegen von Thieren die Brust für diesen Nothfall func-
tionsföhig, oder wie der Volksausdruck lautet „im Gange" erhalten
will, — so sind es endlich in Persien und früher in Deutschland
Gründe des ärztlichen Handelns, die den Frauen die Hunde an die
Brust legten. Aber noch bleibt uns immer eine Anzahl von Fallen
übrig, wo Mrir nicht ohne Weiteres einzusehen vermögen, was die
Frauen zu solchen Absonderlichkeiten veranlassen konnte; und um
dieses zu erklären, könnte man an zwei Dinge denken. Entweder
könnte hier der weitverbreitete Aberglaube zu Grunde liegen, dass
geschlechtlicher Verkehr ohne Folgen, d. h. ohne zu empfangen,
ausgeführt werden kann, so lange die Brust zum Nähren benutzt
wird, oder es könnten die wollüstigen Erregungen dadurch in er-
wünschter Weise ausgelöst hier den Ausschlag geben, welche that-
sächlich die Mehrzahl der Frauen während des Säugens zu em-
pfinden pflegt.
Zweite Abtheilung.
Das Leben des Weibes.
30. Die Hauptabschnitte in dem Leben des Weibes.
X Jar Kindischer art, Ix Jar desa Altere schuper,
XX Jar ein Jungfrau zart, Ixx Jar alt U^igestalt,
XXX Jar im hauss die frau, Ixxx Jar wüst und erkalt,
xl Jar ein Matron genau, xc Jar ein Marterbildt,
1 Jar eine Grossmuter, c Jar das Grab aussfQlt.
(Tobias Stimmer.)
Wir haben in den bisherigen Kapiteln das Weib, um es mit
einem Worte auszudrücken, von dem anatomischen Standpunkte aus
in Betracht gezogen. Die folgenden Abschnitte sollen mehr den
Lebenserscheinungen desselben gewidmet werden. Man kann die
gesammte Lebenszeit des Weibes in drei grosse Perioden eintheilen.
Die erste Periode umfasst die Zeit vom Mutterleibe bis zum
Eintritt der geschlechtlichen Reife. Man kann sie auch,
wenn auch nicht mit einer für alle Fälle geltenden Sicherheit, als
die Zeit vor dem Geschlechtsleben bezeichnen. Es darf hier
aber nicht vergessen werden, dass, wie wir sehen werden, der ge-
schlechtliche Verkehr bei nicht wenigen Völkern bereits vor dem
Beginn der geschlechtlichen Reife zu regelmässiger Ausübung zu
gelangen pflegt. Die zweite Periode ist die Zeit der Blüthe,
die Zeit des Geschlechtslebens, d.h. die Zeit von dem Eintritt
der Reife bis zu dem Erlöschen der weiblichen Fortpflanzungsfahig-
keit, bis zu dem sogenannten Klimakterium. Dass häufig der ge-
schlechtliche Verkehr weit über diese Grenze hinaus ausgedehnt wird,
das dürfte wohl als bekannt vorausgesetzt werden. Die dritte Periode
endlich umfasst die Zeit nach dem Aufhören des Geschlechts-
lebens, die Zeit von den klimakterischen Jahren bis zum
Grabe. Es sind diese genannten drei Perioden in Bezug auf ihre
zeitliche Ausdehnung von einer ganz ausserordentlichen Verschieden-
heit nicht allein bei den verschiedenen Rassen und Nationalitäten,
sondern sehr häufig auch bei den weiblichen Individuen derselben
Völkerschaft.
Wollen wir für die geschilderten Epochen kurze Ausdrücke
wählen, so können wir sie als die Kindheit, die Mannbar-
keit und das Alter des Weibes bezeichnen. Wir werden jetzt
das Weib durch alle diese drei wichtigen Abschnitte seines
Lebens zu begleiten haben.
Vm Das Weib im Mntterlcibe.
31, Die £rkeDutiiis8 des ües^vblechtes der Kinder im
Muttcrleibe,
Es ist eme figenthüniliche Ernclieinung in der Psychologie
der Völker, dass schon vom Mntterleibe an sich eine Ungleich-
werthigkeit der beiden Geschlechter nachweisen lässt, und zwar
ist es in der Mehrzahl der Fälle das weibliche, welches bereits von
seiner Geburt an als das miuderwerthige betrachtet zu werden pHegt<.
Hört Hiau dutli selbst in luisereni hüchcivilisirten Lande nicht selt-en
spöttelnde 15 L'inerkungen demjenigen zuraunen, welchem ,,nur ein Mäd-
chen" geboren ist. Wir werden spater noch zu erfahren haben,
wie wenige Berechtigung einem solchen Spotte innewohnt, aber
es ist wohl eine feststehende Thatsache, dass bei uns fast durch-
gehends die Geburt eines Kiiabeu mit grösserer Freude hegriLsst
wird, als diejenige eines Mädchens. Es i.st daher nicht zu ver-
wundern, wenn (he in guter Hoffnung sich befindenden Frauen
und vor allen Dingen deren kluge und vielerfahriine Rathgel>erin-
nen schon während der Schwangerschaft bemüht sind, das Ge-
schlecht des zukiinltigeu Weltbürgers vorlierznsagen. Und bis
zu dem achtzehnten Jahrhunderte hin lcl»ten seibat die Aerzte in
dem festen Glauben, dass sie sich in dem sicheren Besitze solcher
Erkennungsmittel beianden.
Schon bei den Aerzteu der alten Inder wurde ein«* frische.,
helle Gesichtsfarbe als untrügliches Vorzeichen fQr die bevorstehende
Geburt eines Knaben angesehen, auch hatten gewisse Gelüste und
Träume ihre ganz bestimmte Vorbedeutung. Aber die Uten
Inder gingen in ihren diagnostischen Bestimmungen noch weiter;
nach SHsrtUas Ayurvedas deutete ein auf beiden Seiten gleich
hoher Leib auf einen Zwitter (Napimsaka genannt, was eigent-
lich ein Nichtmännchen bedeutet), hingegen eine thalähnliche
Vertiefung in der Mitte des Leibes zeigte eine ZwiHinga-
echwangertichaft an.
Sehr eigentliümhche Uebereinstinimungen in den Ansichten
finden wir bei den Juden, den Griechen und den Köniern,
welche alle drei die rechte Seite der Schwangeren (wahrscheinlich
iÖ. IM* Erkcnötni** <i#« <?*acblechtp« der K1n<!er im Matterleibe. 207
die stlirkere o«ler „hitzigere") als dieienige bezeiclmen, ans
reicher die Kuabeii herrühren, die linke Seite hingefjen fTir den
L^rspnnig der Miülchen betrachten. Und dieser .\n.schauung ent-
jrecliend, .stellten .sie ihre Diagnose, d. h. .sie urtheilten nach den
»ichen rechts oder links am Auge, aus der früheren \nid stärkeren
Fülle der einen Brust, aus der grosseren Schwellung der einen
"Jauchseite, ans der schnelleren und kräflij?eren Beweglichkeit
ler einen Extremität, ans der Pulsbeschatleuheit auf beiden
leiten, ans dem Niederschlage des Urins auf einer von beiden
Seiten des N:icht-Geschirrs (Sornnus) oder auch aus dem Unter-
kinken oder Schwimmen eines Tropfens Blut oder Milch aus der
ihteu Seite.
Der Umstand, dass sie innerhalb der Gebärmutter jedem Ge-
Khlechte eine besondere Seite zuweisen, findet seine Erklärung
larin, dass sie iine anatomischen Kenntnisse nur von den Schlacht-
ind Opferthieren her besassen, imd das» die Wiederkäuer einen
gweigetheilten zweihörnigen Utenis besitzen und nicht eine einfache
lebärmutterhi'dile, wie sie dem Menschen zukommt.
Eine andere üeberein.stinimung finden wir unter den alten
Iriecheu und Römern, dass sie gemein.schaftlich ein gerötlietes,
>lriheudeH Angesicht der Schwangeren auf einen Knaben deuteten.
>ie meinten ferner, dass sich die Knaben früher bewegen,
i]n die Mädchen, und dass man die Zeit, in welcher die Kindes-
)ewegungen von den Schwangeren geftlhlt werden, als diag-
losti.schrs Merkmal benutzen könne. Plinius sagt: eine Ite-ssere
Gesichtsfarbe und Kindesbewegimgen am 40. Tage deuten auf
einen Knaben, das GegentlK-il aber, sowie eine leidite An-
ihwelliing der Schenkel und Leisten, auf ein Mädchen. Den
iluuben an diese Merkmale nahmen auch die Araber (an. Nach
f{h(UPS deutet ein voller, runder und harter Unterleib und eine
uuntere Gesichtsfarbe auf einen Knaben, aber eine rothpnnktirte
laut auf ein Mädchen; ,et si Caput mamiilae transmutatum l'uerit
ui rubedinem, pariet masculura, si ad nigredinem, Kham*. Aber
luch die rechte und linke Seite spielen bei Khcues die.selbe Rolle,
.'ie bei den Griechen. Avicrnna meinte gleichfalls, au.s verschie-
b'uen '/••leben rechter- und linkerseits das Geschlecht des Kinde.i
prkttnTien zu können. Nach Allnikasttn deutet I'ulciiritudo faciei et
kl^ili« niotus auf einen Knaben, aber l>emigratio rostri mamiilae
trae, discoloratio et maculae faciei auf ein Mädchen.
Nach Manodlo^ einem jüdischen Dichter, geb. I20.'i zu
1330 zu Fermo, ist, wie derselbe in einem .seiner vielen
ite (in .seinem Liederbuche I32ö) sagt, dnrch folgende
iSeichen zu erkennen, ob eine Frau, welche schwanger ist, ein
itännliche« Kind trägt: I. da« Gesicht der Mutter sieht schön und
L,ungetrUbt" aus; 2. die n>chte liriiät ist grösser, als die linke;
die PuLse der rei*bl«-ii Hand s«-blagen stärker; 4. die Adern unt-er
ler Zunge .-»ind t4rht< rsiits Irbhatter und frischer; 5. die Adrm
VIFI, Das Weili im
der ganzen rechten Seite simi zehnfach .%tiirker, ali die der linken :
6. der Warzenhof' der rechten Brust ist dunkel, wie bei einer leichten,
kräftigen Kameelstute; 7. das rechte Nasenloch pflegt zu bluten:
8. der Fötus liep;t mehr auf der rechten Seite des Leibes.
Als Mittel, zu erkennen, ob eine Schwangere ein Mädchen odefj
einen Knaben haben wird, giebt eine sehr alte, auf dem Blatte eines '
Bibelcodex (Leipziger Bibliothek) geschriebene und von BiosrnH
veröffentlichte Receptsammlung Folgendes an: „Sieh die Brustwarzen |
an: wpnu sie aufwärts stehen, wird's ein Knabe, wenn abwärts, ein!
Mädchen ; w«Min sie schön gefärlit .sind, ein Knabe, wenn schlecht,
ein Mädchen. "
In einer deutschen Bearbeitung des PlintHH- aus dem !•<. .lahr-
hundert lesen wir :
„Die Weiber, so Kuilblein trageu . sollen Llass gefürbt seyn. auch i
leichtlicher geberen, und das Kiud sich genieiulich am vierzigsten Tage regeiuJ
Mit den Meidlei% balte sichs anders, denn die werden gantz schwer-
lich getragen und regen sich allererst umb den neuntzigsten Tag."
Da es dann weiter heisst: ,,Wenn die Seele dein zubereiten Leibe ein-]
gegossen wirt, so fahnt er an zh leben, und sich in Mutter Leibe «u regen]
und bewegen," so ersehen wir hierans, dass nach der Ansicht der dauialigeaj
Zeit die Madchen in dem Mutt«rleibe um beinahe zwei Monate »pSter iaj
den Besitz einer Seele gelangen, als die Knaben.
In Deutschland im Frankenwalde glaubt das Volk, dass]
schlechtes Aussehen und besonders kränkliches Betinden in df
Schwangerschaft einen Knaben verspreche. {Flügel,)
Will eine schwangere Frau im Siebenblirger Sachsenlandöj
wissen, ob sie einen Knaben oder ein Mädchen haben werde, sc
nimmt sie eines jener Holzstäbcheu, die auf dem Webstuhl zwischen]
dem (.tarn stecken, und reitet darauf mit zugemachten Augen auf
die Gasse. Sieht sie hier zuerst einen Mann, so hat sie einen Knaben,!
wenn eine Frau, so ist ein Mädchen zu erwarten (in St. (Tenrirf iii
in Siebenbürgen). (HiHnn:)
Man glaubt in Steyermark. da.ss Jahre, in denen nudir Acpielj
und Ndsse gerathen. mehr Knaben, in denen hingegen mehr Hirner
gedeihen, mehr Mädchen zur Well kommen. Man deutet doi
Erscheinungen, z. B. Aufregung beim Beischlaf, blüliendes Aussehet
der Frau und energische Kiudesbewegungen auf einen Knaben, bleiche
Gesichtsfarbe, insbesondere „Leberflecke'* der Schwangeren auf eil
Mädchen. [Fossel]
Wie diese Völker, so glauben sowohl die Thineaen a).s auch di«
Türken im Besitze bestimmter Merkmale zu sein, die ihnen das Ge-
schlecht de.s Kinde.s verrathen. l>ie türkischen Hebammen marhei
nach Fratii der Schwangeren Hotfnung auf einen Knaben, wenn ,,la&c<
est turgescente, les joues colorees et les yeux brillants'*; sieerwart't
abi-r ein Mädchen, .,si la fenime e.st pälo, h\ les yeux sont '
j)h}'sionomie e.9t triste*'. Auch vermögen sie zum Erst, Vi
selbst Zwillingsschwangerschaften, welche im Orient durchaus nict
Kelten vorkommen sollen, mit einer gewissen Geschicklichkeit zii
erkennen und vorberzusagen.
Unter den Serben bedeutet die Entzündung der oberen Augen-
wimpern, da»s die Fruu mit einem Knal>en, die der unteren, dass sie mit
einem Mädchen schwanger ist. Will eine Serbin, wenn sie
[schwanger ist, wissen, ob sie einen Knaben oder ein Mädchen haben
wird, so soll sie im Garten zwei gleiche Grashalme zur Hälfte ab-
beissen, so dass sie ganz gleicli lang sind, und dann werden die-
selben in die Erde gesteckt. Dies wird Abends gemacht. Zugleich
aber wird eine Hälfte dem Knaben, die andere dem Mädchen ge-
widmet. Morgens früh sieht man nach, welches Ende grösser ge-
worden ist, ob jene des Knaben, oder diese des Mädchens. Nach
der grösseren Hälfte wird auch das Kind bestimmt. (Vetrowitsch.)
In Läpp Und scheint man allerdings Niemand die Kenntniss
zuzutrauen, dass er aus den Erschemungen au der Schwangeren
das (ireschlecht ihres Kindes bestimmen könne; vielmehr befragt die
Lappliinderin, wenn sie sich schwanger ftthlt, die Sterne, von
welchem Geschlecht ihr Kind ist. Wenn sie sieht, dass über dem
Mond ein Stern steht, so erwartet sie einen Knaben, steht aber
der Stern unter dem Monde, so glaubt sie, dass ihr Kind ein
Mädchen ist. {Scheff'er.)
Die nialayischen Hebammen auf den Philippinen bestimmen
schon in frühester Periode der Schwangerschaft das Geschlecht des
Kinde.s; die Frauen ermangeln nicht, sie in dieser wichtigen Frage
zu Rathe zu ziehen {MalUU): ihre Merkmale, die sie hierbei be-
nutzen, sind mir iedoch niclit bekannt.
Nach dem Ghiuben der Maori auf Neuseeland pflegt die
Geburt eines neuen Wesens schon vorher durch Träume angezeigt
zu werden. Wenn ein verheiratlieter Manu im Traume menschliche
Schädel mit Federn verziert erblickt, so wird ihm gewiss damit
ein Kind verheissen. Waren die Federn, welche er gesehen, vom
Kotuku, 30 wird das Kind ein Knabe, waren es dagegen Federn
vom Huia, so wird das Kind ein Mädchen. (Novara.)
Auch die Insulanerinnen des ali'urischen Archipels ver-
stehen es, bei Schwangerschaften vorherzubestimmen, ob ihnen ein
Knabe oder ein Mädchen geboren werden wird. Auf den Keei-
luselu geben Zaubermitte] hierüber den Aufschluss ; auf den Aaru-
luseln sagen en alte Frauen den Schwangeren vorher, weigern sich
aber hartnäckig, ihre Kennzeichen anzugeben. Bei der ersten
Schwangerschaft ist auf den ßabar-Inseln der Ehemann verpiliehtet.
unter der .Assistenz eines Sachverständigen ein Ferkel zu schlachten.
Diesem wird das Herz herausgenommen, und erblickt man beim
Aufschneiden desselben eine Ader mit einer Verdickung, so ist das
Kind ein Knabe, und im umgekehrten Falle ein Mädchen. Ist das
Orakel nicht deutlich genug, daim muss noch eine Henne ge-
schlachtet und an deren Herzen die Untersuchung wiederholt wer-
den. Wenn die schwangeren Weiber auf Leti, Moa und Lakor
Pl«(i, Dm Weib. I. 9. Aufl.
u
210
Vni. Dm Weib na Mntteriefbe.
an der Hinterseite ihrer Schenkel Schmerzen ffilüen, dann werden
sie einen Knaben znr Welt bringen. Auf Arabon und den Uliaae-
Inseln i^ilt es als A'^ orzeichen für eine Knabengeburt, wenn der
Unterbauch der Schwangeren gross ist und sie beim Laufen ihr
rechtes Bein schwer aufzuheben vermag. Ist aber der Oberbauch
gross und kann sie ihr linkes Bein schwer bewegen, dann wird sie
ein Mädchen zur Welt bringen. (liiedcl.^)
Was von allen diesen untrüglichen Zeichen zu halten ist, d»»
enthüllte uas schon mit klaren Worten gegen das Ende des 17.
Jahrhunderts der alte Pariser Geschworenen -Wundarzt Franrois
Mauriceau:
.Man kan den Weibern ihren Vorwitz und Sehnsucht, indem sie nx
wissen verlangen, ob sie schwanger oder nit, wohl genug thun. Es finden
Mich aber ihrer viel, und fast alle, die da wollen, man sol weiter gehen, und
ihnen sagen, ob es mit einem Büblein oder einem Mägdlein seye, das doch
schlechter Dinge unmöglich: obwohl fa.st keine Hebamme ist, die sich
n'lhmet, solche» zu errahten (in Wahrheit wol erraht«n; aber nicht, ru
treffen); dann wann das geschieht, so ist es viel mehr ein gewagter Handel,
als einige Wissenschaft, oder Bcdencken, da« sie gehabt haben, solches wahr-
sagen zu können. Man wird aber nfft oo hart gedrungen, und angefochtein,
sein Bedencken hiervon zu sagen, sonderlich von Frauen, die nie kein Kind
gehabt, ja auch von ihren Männern, die nicht weniger vorwitzig: dass man
ihnen jemals Schanden halben aufhnptfen muss, so gut man in diesetn Fall
kann."
Die Bfirharn Widenniomim, geschworene Hebamme, und der
Zeit Führerin derselben in des Heiligen Romischen Reich» Stadt
Augsburg, sclireibt im Jahre 1735 in ihrer „Anweisung christlicher
Hebammen:'
„Ob aber eine schwangere Frau mit einem MSgdlein oder Knftblein
schwanger gehe, weiss niemand gewiss, als GOTT allein, der auch in da*
Verborgene siehet. und fleiasig darum muss gebetten werden, dass er die
beschehrte Leiber -Frucht gnüdig erhalte, und zu rechter Zeit die Eltern
damit erfreue. Alsdann können sie selber sehen, was ihnen beschehrt worden."
32. Verlauf der Mädchen- nnd Knabenge harten.
Im Alterthume wurde fast allgemein angenommen, dass
Knabengeburten leichter vor sieb gehen, als Mädchengeburten.
Diese Ansicht linden wir bei ÄrisMeUs, Plimus und GaienHg
ausgesprochen. Aus der Stelle von Oalenus kann geschloflsen
werden, derselbe habe vielleicht angenommen, dass die Knabenge-
burten deshalb leichter sind, weil sich die Knaben kräftiger be-
wegen: Masculus antem in corpore quam feniina majorem niotum
pleruraque concitat et facilius paritur, tardius leraina.
Auch die Rabbiner des babylonischen Talmud hatten, wie
wir schon aofUhrtisn, diese Ansicht Sie meinten, die mäniilicheu und
32. Verlatif der "MUdcliCTJ- and Enabengebarten.
211
weiblichen Kinder müssten im Uterus in ähnlicher Weise
liegen, wie beim Coitus der Mann (das Gesicht nach unten) nnd
tlie Frau (das Gesicht nach oben). Deshalb glaubten sie auch,
ISS der weibliche Fötus mehr Rotationen vollenden müsse, als
fder männliche, und dass deshalb die Schmerzen der Gebären-
den bei der Gebart eines Mädchens grosser seien, als bei der
eines Knaben.
Man kann aber auch heute noch im Volke häutig dem
Glauben begegnen, dass sich die Mädchen in ihrer angeborenen
Schüchternheit nicht so ungenirt aus dem Mutterleibe heraus-
wagen, wie die Knaben. Wenn daher eine Entbindung länger
auf sich warten lässt, als die Schwangere oder deren weibliche
Umgebung herausgerechnet haben, so wird hierdurch bewiesen,
nicht dass die Damen sieb in der Feststellung des Termine« ver-
rechnet haben, sondern dass der zukünftige Sprössling ein Mäd-
chen ist, welches sich nicht entschliessen kann, das Licht der
1 Welt zu erblicken.
f Solchen unbegründeten Annahmen gegenüber steht eine hoch-
interessante Tbatsache, welche sich aus der Sterblichkeits-StÄtistik
ider Neugeborenen in allen Ländern ergiebt: Es unterliegt keinem
Zweifel, dass überall unter den Todtgeborenen sich ganz erheblich
%iebr Knaben befinden, als Mädchen. Was ist der Grimd für diese
merkwürdige Erscheinung? Müssen wir in dem Geburtsacte selbst
für die Knaben eine grössere Gefahr erblicken als fllr die Mädchen?
I Das lässt sich leider aus der Statistik nicht ersehen, da sich für
^bdie während der Geburt Gestorbenen in den Mortalitätslisten keine
^KRubriken finden.
^p Nach den älteren Beobachtungen von Waj}2)aeus ist das
' Verhältniss bei den Lebendgeboreneu = 100 : 105,8, bei den
^Todtgeborenen dagegen 100 Mädchen zu 140,8 Knaben. Que-
^Mtrlef- fand aus Beobachtungen für verschiedene europäische
^^ Länder, vorzugsweise aus den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts,
133,5 todtgeborene Knaben auf 100 todtgeborene Mädchen.
Neuere Untersuchungen von Bodio ergeben für die todtgebo-
renen Knaben gegenüber 100 todtgeborenen Mädchen folgende Ver-
hältnisszahlen :
Italien 140 (Jahre 1865— 1875), DeutschcB Reich 129 (J. 1872—75).
Oesterreich 131 (Cialeithanien J. 1866—1874). Belgien 135 (J, 1865
^bis 1874). Holland 126 (J. 1865—1873), Bayern 134 (J. 1865—1875). Nach
Kofficiellen Zahlungen ergab sieh während der Jahre 1865—1883 (resp. 1882)
~ ein durchschnittliches Verhältniss der Todtgeborenen auf 100 Mädchen, die
Zahl der Knaben: in Italien 137, Frankreich 145, Proussen 129,
Bayern 132, Sachsen 180, Thüringen 125, Württemberg 131,
, Baden 128, Oesterreich-Cisleith. 131. Belgien 134, Holland 128,
Johweden 134. Norwegen 129, Dänemark 130.
Es ist wohl nicht ohne Interesse, ausser den relativen auch
die wirklichen Zahlen kennen zu lemen.
14*
im Mutterleibe.
Todtgeborene.
l.ana
Zeit
Knaben
Mädchen
ttallea
1865—1883
801587
229478
Frankreich
1865—1882
473204
329284
Fr^'usBen . .
1H65— 1888 '
455633
838328
Bayern
r »
76916
56:J25
Sachsen
1* *
52891
16521
402O5
Thiiriuj?fin
12442
Württemberg
1871-1882
21255
16228
Baden
1865-1883 !
20203
15306
ElsasB-Lothringen
1872-1882
13706
11540
Oesterreich
1865-1883
218466
163381
Ungarn
1876—1882
35072
27505
Kroatien n. Slavonieu
\ 1874-1882
4954
3787
Schweiz
1870—1883
29598
22141
Belgien.
1865—1883
85358
63398
Holland
1865—1882 j
.1 i
78798
42991
20601
57896
Schweden
32210
Norwegen
15963
Dänemark
2u«i:{
15814
Spanien . ...
1865— ISTO
j 22085
14698
Runi&uien
1870-1882
j 1875-1878
19730
10704
15014
Rusäliind (europäigche^)
83ßS
Finnland
i 1S78— 1882
6016
8777
4621
MaBsachuaettB .
1 1870—1881
5928
Vermont
1873-1876
1881—1882
424
1 412
292
Connecticut
27S
Rh odc-läland .
1875—1888
1246
781
Wenn es unter diesen Culturläudern mit verschiedener Ntttio-
□alitiit allertlings Unterschiede giebt, so sind dieselben doch nicht
80 bedeutend, um aus denselben bestimmte Schlüsse ziehen zu dürfen;
nur ist auffallend, dass sich der Knabenl\berschus.s der Todtgeboronen
in den beiden Ländern romani. scher Zunge, in Italien und Frank-
reich, so hoch erhellt, wie in keinem der übrigen Länder. Doch
war in Gegenden der Vereinigten Staaten Nordamerikas der
K nabenüberschuss ebenfalls sehr groHS (Massachusetts 1870 bis
1883:148).
Man ist erst in neuerer Zeit bemüht gewesen, zu ermitteln,
welches die Ursachen sind, die diesem eigenthümlicheu Verhilltiiiftse
zu Grunde liegen. Der Umstand, diiss ja überhaupt melir Knaben
ah Mädchen geboren werden, wie wir oben gezeigt hüben, ist
zur Erklänuig nicht ausreichend, denn das Verhältniss der todt-
gebi>renen Knaben und Mädchen und der lel>endgeborenen Knaben
und Mädchen ist kein übereinstimmende.«. Es müssen hier noch an-
derweitige Factoren wirksam .«^ein.
Nach (.'larke und Anderen ist das mittlere Gewicht der wm-
geborenen Knaben grosser als das der Mädchen^ auch hat der Schidcl
82. Yerlanf der Mädchen- und Enabengebnrten. 213
des Knaben einen grösseren Umfang als der des Mädchens. Später
sachte Simpson zu ermittehni, warum die Knaben im Allgemeinen
schwerer geboren werden, als die Mädchen. Auch wollte die That-
sache, dass Knaben beim Geburtsact häufiger sterben, als Mädchen,
Meckel dadurch erklären, dass die Knaben sich lebhafter bewegen
imd deshalb häufig Veranlassung zur Drehung der Nabelschnur,
zur Hemmung des Kreislaufes und Absterben bieten. Gegen Clarke
trat Casper und gegen Simpson insbesondere Veit auf. Breslau
suchte Simpson's Ansicht zu bekräftigen; ich selbst (Ploss^) be-
leuchtete diese Frage nochmals. Jeden&lls wirken zu der grösseren
Geföhrdung des männlichen Organismus durch den Geburtsact ver-
schiedene Bedingungen zusammen: der grössere Umfang des Körpers,
insbesondere des Schädels, beim Knaben steht dabei gewiss in erster
Linie, jedoch bedarf diese Angelegenheit noch weiterer Erforschung
und Aufklärung.
Der japanische Geburtshelfer Kangawa sagt: „In dem Moment,
wo das Kind geboren ist und auf die ]\^tte des Fussbodens gelangt,
legt sich das männliche Kind auf den Bauch und das weibliche auf
den Rücken."
EX. Das Weib wälirend der Zeit der geschlecht- j
liehen Unreife oder die Kindheit des Weibes."
33. Die Änfnahine des Mtidchens nach der Gebart.
Es wurde bereits weiter oben darauf auftnerksam gemacht, dass
bei sehr vielen Völkerschaften die Gobiurt einer Tochter mit sehr
geringer Freude begrüast wird. Diese Missstimmung geht bei
einigen Nationen so weit, dass sie bemüht sind, diesen unliebsamen
Zuwachs ihrer Familie so schnell wie nur irgend möglich wieder
los zu werden, und das gelingt durch die Ermordung des Neuge-
borenen am allerpromptesten.
So erzählt llaun, dass die altenAraber der vorislamitischen
Zeit die Gewohnheit hatten, die neugeborenen Mädchen lebendig zu
begraben. Auch unter den Hindu ist nach Mantegazza^ die Tödtuog
der Töchter gleich nach der Geburt weit verbreitet, und als die
Europäer ihnen wegen ihrer Grausamkeit Vorwürfe machten, so
antworteten sie : Bezahlt nur die Mitgift för unsere Töchter und
wir werden sie leben lassen. Auch Bodhlimjk erzählt, dass in
Indien in den niederen Schichten der Bevölkerung, obgleich da^
Weib gegen rohe Willkür des Mannes durch das Gesetz geschützt
ist, doch ihr Loos so traurig ist, dass es begreiflich wird, wenn
man erfährt, dass indische Mütter häuHg ihre weiblichen Kinder
dem Tode in den heiligen Strömen Indiens preisgeben, um sie
vor dem ihnen im Leben bevorstehenden Loose zu bewahren.
Wenn nun auch nicht überall die Geburt einer Tochter gleich-
bedeutend mit ihrem Todesurtheil ist, so wird dieselbe docii von
manchen Völkern geradezu als eine Schande oder als ein Unglück
empfunden. So haben die Uiguren, welche zu den mittelasia-
tischen Türken gehören, die folgenden Verse:
,3<*sB<^f wi.>nn eino Tochter nicht geboren oder nicht am Leben bleibt,
Wird aie geboren, so ist es besser, wenn unier der Erde,
Wenn das Todtonmahl mit der Geburt vereint" fVantbery.)
Auch der Kirgise sagt: Bewahre nicht lange das Salz, denn
es wird zu Wu««er; bewahre nicht lange die Tochter, denn sie wird
zur Sciavin. Die Ossetin wird zur Entbindung in ihre Heimath
33. Die Aufnahme des Mädchens nach der Geburt.
215 •
et und kelirt mit leereu Häiulen zu ihrem Gatten zuriick, wenn
eine Tochter geboren hat. Ist sie aber von einem Knaben ent-
bundeu worden, dann bringt sie ihrem Gatten für die gtlnstige Be-
fruchtung reiche Geschenke mit.
Im Koran, welcher den Kindeamord verbietet, heisst es: „Hört der
Araber. du88 ihm eine Tochter geboren worden ist, so fUrbt die Truurigkeit
»ein Angesicht schwarz; die^e Nachricht düiikt ihm ein so ^chmählicbci^
Uebel, doäs er «ich vor keinem Menschen sehen lässt, und er ixt zweifelhaft,
ob er die ihm geborene Tochter zu »einer Unthre behalten^ oder ob er sie
iin die Erde scharren soll.*'
Eine Georgierin, die nur von Töchtern Mutter wird, wagt
es kaum, vor Menschen sich sehen zu la.ssen ; bei Geburt einea
Knaben aber giebt es fast tlberaJl grossen Jubel. [Bodetistedt)
Auch von den Montenegrinern wird die Geburt einer Tochter
beinahe als ein Unglück, mindestens als eine grosse Enttäuschung
^_ angesehen; .selbst in den höchsten Kreisen findet sich diese merk-
^B würdige Ansicht. Ist eine Tochter geboren, so stellt sich der
Vater auf die Schwelle des Hauses und senkt die Augen, gleichsam
. um seine Nachbarn und Freunde um Verzeihung zu bitten; wird
^m mehrere Male hinter einander eine Tochter geboren, statt eines
^LEjrben und zukünftigen Soldaten, so muss die Mutter, die ihrem
^Hfemn nur Tochter geschenkt hat, nach dem Volksglauben sieben
^^ftrieater zusammenrufen, die Oel weihen und umher sprengen, sowie
,1 die Schwelle des Hauses fortuehmeu und durch eine neue ersetzen
J^k roüssi'u, um das am Hochzeitstag durch böse Mächte behexte Haus
^1 2U reinigen. Ganz anders geht es jedoch im Hause her, wenn ein
^B Knabe geboren wurde; von fast toller Freude erdröhnt das ganze
^^ Haus ; der Tisch wird gedeckt und bald sammeln sich um ihn alle
Bekannten des Hause;! und bringen den Eltern ihre GUickwliusche
dar, darunter auch einen sehr merkwürdigen, der zugleich das
^ kriegerische Leben dieses Volkes kennzeichnet, nämlich den Wimsch,
^p dass der Neugeborene nicht in seinem Bette sterben möge.
Unter den Couibos, welche in Südamerika am Ucayale
wohnen, Ist dem Vater die Geburt eines Mädchens so gleichgültig,
jn so widerwärtig, dass er, wenn man ihm dieselbe meldet, sein
Moskitonetz nn.s])eit; dagegen schlägt er vor Freuden mit dem
Bogen auf die Erde, wenn ein Kn&be zur Welt gekommen ist, und
sagt der Mutter freundliche Worte. Weun die.se nach der Geburt
eines Mfidchens vom Flusse zurückkommt, in welchem sie sich und
das kleine Geschöpf gewaschen hat, senkt sie beim Eintreten in die
Hütte den Kopf und i.'^t so verschämt, da8.s sie kein Wort spricht.
{Marcuy.)
Wie bei fast allen Völkern Asiens, so ist insbesondere bei
den alten und jetzigen Chinesen die Geburt einer Tochter ein
wenig erfreuliches Ereignis». Bei manchen Nationen wird diesem
Unbehagen aber nur ein stummer Ausdruck gegeben, d. h. die
Geburt des Mädchens wird gleichgültig imd ohne äussere Zeioheti
216 IX. Das Weib während der Zeit der geecblechtlichen Unreife etc.
der Freude mit Stillschweigen fibergangen, während bei der Geburt
eines Knaben sehr gros.se, oft mehrere Tage andauernde Feste ver-
anstaltet werden. So finden wir es beiden .\rabern in Algerien,
so bei den Uiguren in Mittelasien, so liei den Chewsuren
{Radde) und so bei den Sarteu in Taschkent und Chokan.
Sehr interessant ist es, zu sehen, wie sich die Minderwerthigkeit
des weiblichen Geschlechtes in gewissen rituellen Vorschriften wieder-
spiegeit, welchen sich die Mutter nach der Entbindung zu unter-
ziehen verptlichtet ist, und welche verschieden sind, je nachdem
ein Mädchen oder ein Knabe geboren wurde.
Wenn eine Crih-Indianerin einen Knaben geboren haty, so
mu88 sie zwei, nach der Geburt eines Mädchens drei Monat« lang
von ihrem Manne getrennt leben. {liicJairdson.)
Aehnliche Unterschiede in Bezug auf das Geschlecht des Kindes
finden wir auch bereits in den Reinigiingsgesetzen der alten Is-
raeliten:
Bekiuintlich stellte Moses (8. B. M. 12) fest: »Wenn ein Weib besamet
wird, und gebieret ein KnSlblein, so soll sie sieben Tage unrein sein, so lange
«ie ihre Krankheit leidet. Und am achten Tage soll man das Fleisch seiner
Vorhaut beschneiden. Und sie soll daheim bleiben 3.3 Tage im Ulute ihrer
Reinigiinf;. Kein Heiliges solle sie anrühren, und zum Heiligthutn »oU iie
nicht kommen, bis dass die Tage ihrer Reinigung aus sind. Gebieret äe
aber ein MRdchen, »o 8oU sie zwei Wochen lang unrein sein, so lan'gu xie
ihre Krankheit leidet, und soll 66 Tage daheim bleiben, in dem Blate ihrer
Reinigung."
Bei den alten Griechen war die Frau durchschnittlich bis
zum vierzigsten Tage unrein ; das an diesem Tage abgehaltene Fest
liiess Tessarakostos ; die Frau wurde da durch Waschungen ge-
reinigt, ging in den Tempel der Diana, ojiterto derselben und
weihete ihren Gürtel. Aber aucli bei ihnen herrschte die sonder-
bare mosaische Ansicht von der ungleichen Zeitdauer der Unreinheit
bei Knaben- und Mädchengeburten, denn sie findet sich bei IJippo-
krtUe.t^. lu dieser hippokratisehen Schrift i^nrd auch der Versuch
gemacht, zu erklären, warum bei Knaben und Mädchen die Lochien-
reim'gung ungleiche Zeitdauer habe, — weil nämlich bei der Bil-
dtmg des Fötus die Sonderung der Glieder im weiblichen Fötus
längstens 42, im männlichen hingegen 30 Tage in Anspruch nimmt.
In Oberägypten geht am 40. Tage nach der Geburt die Mutter
mit dem Kinde in das Bad, liLsst sich vierzig Wasserbecher über
daa Haupt .schütten, weim der Sprössling, den sie geboren, ein
Knabe, und neununddreissig, wenn es ein Mädchen ist. Dann erst
sind Muttor und Kind rein. (Klutt^inger.)
Sonderbar ist, dass der Römer fllr eine Tochter ein Quandrans,
ftlr einen Knaben ein Sextans im Tempel der Juno zahlen musste.
Hier und da kommen solche Erscheinungen auch in Deutsch-
land vor: so zeigen manche Volkssitten oflenbar, das« man das
männliche Geschlecht höher .schätzt, als da» weibiirlie. An meh-
83. Die Aufiuiliaje des Mädchen» nach der lU'burl.
217
sn Orten, auch in der Schweiz (Seh äff hausen), wird die
[yat'hricht von der Gehurt eines Kindes durch ein Mädchen den
Nachbarn mitgetheilt, wobei sie einen grossen Blumenstrauss auf
ider Brust trägt; ist aber das Neugeborene ein Knabe, so hat sie
noch einen zweiten, umfangreicheren in der Hand. Auch war ehe-
^inals nach BIutif^Mi's Züricher Rechtsgeschichte verordnet, dass
der Vater bei der Geburt eiues Mädchenö ein Fuder Holz bekomme,
bei der Geburt eines Knaben aber zwei Fuder.
Im Etachthale in Tyrol Avlrd, wenn den Hirten in den
iBennhütten ein Kind geboren wird, das Familienereiguiss den über
den Bergen entfernt wohnenden Nachbarn durch Flintenschüsse kund
gethan ; der erste Schuss ruft die Hörer wach, die Anzahl der
iibrigen Büchsenschüsse thut zu wissen, ob sie die Ankunft eines
! Knaben oder eines Mädchens mitfeiern sollen. Wem käme hier-
bei nicht die merkwürdige Ceremonie in die Erinnerung, dem Volke
durch Kanonenschüsse die glückliche Entbindung einer Prinzessin
oder Königin anzuzeigen V Bekanntlich bedeuten hier 101 Schuas
die Geburt eines Prinzen, während eine neugeborene Prinzessin sich
mit 35 Schüssen begnügen rau.ss,
I Bei den Omaha-Indianern freut sich der Vater Ober die
Geburt eines Knaben ebenso .sehr, als über diejenige eine.s Mädchens,
und die letzteren pflegen sich sogar einer besseren Behandlung zu
ifrfreuen, da sie ja doch nicht selbst für sich sorgen können.
\{l*ors«y.) Aber wir begegnen auch solchen Votksstäninien , bei
[welchen die Geburt einer Tochter geradezu als ein viel erfreulicheres
[£reignis8 begrüsst wird, als eine Knabengeburt.
Wenn bei den Bewohnern der Aru -Inseln im malayischeu
Archipel, welche auf den mittleren dieser Inseln wohl zumeist
iNegritos sind, eine Frau eine Tochter zur Welt bringt, so ent-
steht grosse Freude, weil, wenn sich dieselbe später verheirathet,
die Eltern einen Brautpreis empfangen, von dorn auch alle die-
jenigen, welche bei der Geburt anwesend, einen gewissen Theil
bekommen. Man feiert dami ein Fest, wobei ein Schwein geschlachtet
und eine ungeheure Menge Arac getrunken wird. Die Geburt eines
fBohnes wird mit Gleichgültigkeit entgegengeiiomnieu. Die Gäste
begeben .sich dann traurig und enttäuscht nach Hause, und der
Ifirmen Mutter wird öfters noch vorgeworfen, da.'*s sie keiner Tochter
Leben geschenkt. Ein Mädchen wird gewöhnlich bei ihrer
rt schon verlobt und die Grösse de.s Brautschatzes zugleich
bestänunt. {v. Jloacnhnij.) Die Neuseeländer Maoris freuen sich
ebenfalls über die Gehurt einer Tochter mehr, als über die eines
jtBohoes. {Colnuton.)
Aach in Afrika finden wir Aehnliche.s wieder, so namentlich
Pbei den Mumbo, und bei den Kaffern- und Hottentotten-
•1. Denn hier repräsentirt jede Tochter einen Zuwach.s des
i/'ns, da sie dereinst für Kinder von dem Freier dem Vater
ibgokaui't werden muss. Je mehr Töchter ein Mann besitzt, desto
218 IX. Das Weib wührend der Zeit der geschlechtlidien ünmfe etc.
mehr Rinder stehen ihn^ in Aussiebt und hierin beroht ihr grosiicr
Reich thum.
Aber selb&t bis zum Extreme sehen wir die Berorzngung der
Mädchengebarten vor denjenigen der Knaben bei den Bejah ia
Afrika aiisgebüdet, von denen uns im Mittelalter Magrisi be-
richtet, dass bei ihnen von den Weibern die Lanzen gefeitigt
worden wären an einem Orte, wo kein ilann wohnen und hift-
kommen durfte, ausser um Lanzen zu kaufen. Wird eine
Frauen von dem Kinde (eines dieser Lanzenkäufer) eotbaüden,
tödtet sie es, wenn es männlichen, und sie läsit es Idwn^ wnui es
weiblichen GJeschlechts ist. {Hartmann.^)
So treffen wir also eiue Verschiedenheit in der SteUnng,
welche die beiden Geschlechter in der Familie einnekmen. be-
reits vom Mutterleibe an, und wir finden dieselbe auch in fftSt
allen Fällen bei solchen Völkern wieder, wo keäneswegB Ton einer
Ungleich werthigkeit der beiden Creschlechter ge^xrocbai werden
darf. Trotzdem wird der Unterschied des GeseUecUes acfaon dank
die symbolischen Gaben angedeutet, weldie der Vater oder die
Freunde des Hauses dem Neugeborenen auf sein erstes Lager legen :
Waffen dem Knaben, Hausgeräth dem Mädchen.
34. Das Leben des weiblichen Kindes.
Aach in dem Kinderspiele macht sich die Trennimg der Ge-
schlechter sehr bald in charakteristischer Weise bemerkbar. Denn
für gewShnüeb sind die Spiele der Kinder ja nur ein Wider-
schein von der Thätigkeit der Eltern, und so erscheint es uns gau i
natfirlich, dass die Knaben mehr das Gebahreo der Männer, imj
MSdehen dagegen mehr die Verricbtungen der Weiber nachzi
bestrebt sind. Gewisse mehr oder weniger feierliche Handli
unterbrechen das einförmige Leben des kleinen MiLdcbens, z. B.
Stechen der Ohr-, Nasen- und Lippenlöcher, die Tättowinmgen
sndere Vornahmen der sogenaimten Körperplastik. Dieses Alles im
Einzelnen hier durchzusprechen, würde weit Ober den Bahmen dieses
Baches hinausgehen.
W^ir Tel weisen in dieser Bezidiung zum Theil auf das weiter oben
bereits Gesagte und andentheils auf die auafUhrliche Behandlia^i
welche diese Gegenstände in dem anderen Werke von HrittHdk
Das Kind in Brauch und Sitte der Völker,
haben. Gewisse vorzeitige Erscheinungen des geschleehl
Lebens, die Kinderrerlobangen und Kind^ochzeiten, die Frahreife*
und der gesdüeditlicfce Umgang mit Kindem wer^ uns in den
piteren Kapiteln dieser Abhandlung noch weiter entgegenirvUn.
Und so können wir an dieser Stelle das kleine Mädchen rnrUrmfii,
am dasselbe in dem nächsteh Abschnitte als Jungfrau wiedemifindai.i
X. Die Reife des Weibes (die Pubertät).
35. Der Eintritt der Menstraation.
Das Wunder hat sich vollzogen! Aus dem Kinde ist eine
Jungfrau geworden: Der Ausdruck der Augen hat aicli verändert,
er ist sinniger und ernster, der Klang der Stimme ist volltönender
und melodischer geworden, die Formen des Körpers haben au Fülle
und Rundiuig gewonnen. Als Zeichen der Geschlechtsreife
des Mädchens gelten uns der Eintritt der monatlichen Reinigung,
die Ausbildung der BrQste und äusseren Genitalieu und das Her-
vorwachsen von Haaren am Schamberg \md in der vVchselhohte.
Diese äusseren Merkmale wurden von jeher als diejenigen der
Pubertät aufgefasst. In der Bibel heisst es bei /iV^cÄieHö, 7: Dein
Busen ist bereits gewölbt und Dein Haar hervorsprossend. Der
altindische Arzt Susriita aber sagt nur. daas sich cße Geschlechts-
reife durch die Menstruation iiussert, welche regelmässig mit Ab-
lauf eines Monats vnederkehrt. Als Zeichen der Menstruatiou giebt
er an, dass das Gesicht der Frauen gedunses und heiter sei, der Mund
und die Zähne nass, das» sie mannssüchtig seien und liebkosen, dass
Unterleib, Augen und Haare schlaft seien» die Arme dagegen, die
-Brüste, Schenkel, Nabel, Hüften, Schamberg und Hinterbacken
strotzen, dass sie voll Freude und Verlangen seien. Zendavesta sagt
von einer menstruirenden Frau: „Sie hat ihre Merkmale und Blut.*"
Was die chinesischen Aerzte von der Menstruation und ihrer
Physiologie wissen und in ihren gelehrten Werken darüber ge-
schrieben haben, ist Folgendes; Vom 14. — 15. Jahre au tritt bei
jeder Frau ein monatlicher Bhit-AbHuss (King-hiuc) aus den weib-
lichen Geschlechtstheilen (yn-hou) ein; er dauert gewöhnlich 2^/2,
3 — 4 Tage und regelt sich nach SOtägigen Periodeu. Wenn er 2
Tage zu früh eintritt, so heisst diese krankhafte Affectiou kan-tsieu,
wenn er 1 — 2 Tage zu spät eintritt, so heisst dies andere Leiden
tsieou-heou. Wenn der Ausfluss nicht lange Zeit nach der eigent-
lichen Periode eintritt, so ist die Frau zwei Krankheiten ausgesetzt,
entweder dem Hiue-tche oder Hiue-kou. Die Schmerzen, welche
^
220
X. Die Reife de» W«?ib€8 {die Pobert
bisweilen vor der Menstruation eintreten, heissen king-sien. die nach
der Menstruation Hng-heou. — Der Bluiausflus8 kann fünf ver-
schiedene Farben haben: die hellrothe ist gesund, die weisse deutet
auf Schwäche und entsteht durch innere Erkaltvuig; die schwarze
deutet auf starke Erhitzung des Blutfes ; die gelbe auf zu reichliche
Gallenabsonderung; die blaue entsteht, wenn die Frau durch Luft-
zug erkältet ist. In ähnlicher Weise verbreiten sich die chinesi-
schen Aerzte über zu reichlichen und ungenügenden Blutaustluss.
( Dabry.)
Die talmudischen Aerzte bezeichneten als Symptom der Reifc,
dass die Haare an den Genitalien zu wachsen begonnen haben;
an einer Stelle des Talmud wird auch als Kennzeichen nicht bloss
die merkliche Wölbung des Busens, so dass sich unter demselben
eine Falte bildet, sondern auch noch als höherer Grftd der Reife
angegeben, dass die Bnistwarzen elastisch werden. Andere Talmudiaten
bezeichnen ferner das Erscheinen der dunkelbraunen Farbe au dem
Cirkel um die Warze, endlich auch das Lockerwerdeu des Scham-
hUgels als Merkmal.
Die Naturvölker achten im Allgemeinen ziemlich genau auf
den Eintritt des für sie allein gültigen Zeichens der Pubertät, auf
das erste Erscheinen des Blutaustiusses, denn dieser ist es, welcher
ihnen zumeist die Veranlassimg giebt, mit dem jungen Mädchen
ein besonderes, ceremonielles Einweihungs- Verfahren vorzu-
nehmen, zugleich aber auch dasselbe abzusondern, sobald — wie-
wir später ausführlich zeigen werden — bei ihnen sich der Begriff
lies Unreinseins an die Menstruation überhaupt knüpft. Bestimmte
Tracht oder Symbole tragen bei einzelnen Völkern die eben reif
gewordenen Mädclien als Zeichen des jungfräuhchen Standes. Es
soll hiermit angedeutet werden, dass die junge Person nimmehr die
Keife zum Heirathen erlangt hat. Wir werden hierauf spater noch
zurückzukommen haben.
Man nimmt allgemein an, dass mit dem Eintritt der Menstni-
ation das weibliche Individuum das Pubertäts- Alter erreicht hat
(L h. dass das Zeichen eines Blutaustritts dasselbe als mannbar er-
scheinen lässt. Inwieweit diese Annahme gerechtfertigt ist, bleibt
fernerer Err)rtenmg überlassen. Hier l^eschäftigt uns die Frage,
welche Einflüsse vorzugsweise das frühere oder späten» Ein-
treten der Menstrualblutung beherrschen: Rasse, Klima^ Lebens-
weise u, s. w.
Die ältesten Angaben scheinen schon darauf hinzndeuteD, dtM
die Differenzen in der Zeit des Menstrual - Eintritts durch klima-
tische Unterschiede bedingt würden. Nach dem Ausspruche des
altindi^chen Arztes Siisiitta (in Ayurveda) pflegt die Menstrttation
mit dem 12, .Tuhn- (also Ijei den Frauen in Indien), nach den
Ruhbinern des) Talmud (also bei den Jüdinnen in Kleinasien)
in den meisten Fälleu im 13. Jahre, und nach Sommm aus Ephesas
85. Dw Bintrilt der Mcnstruataoa.
[(in dem vou ihm verfassten gebvirtshül fliehen Werke") zu Rom iui
14. Jahre einzutreten. Diejenigen Schriftsteller hingegen, ^reiche
'in Europa vor dem 15. Jahrh. lebten, wie der seiner Zeit so be-
rühmte Michaelis Scofun und der nicht mimler geschützte Alhertus
Magnus^ sprechen von dem 12. Lebensjahre -als von dem, mit welchem
der weibliche Körper diesen Grad der Entwickelung erreicht habe.
Derselben Ansicht ist Allrecht v. Haller: nach ihm erscheinen die
llenses in der Schweiz, Deutsehland, Britannien und anderen
[gemässigten Himmelsstrichen im Alter von 12 bis 13 Jaliren, später,
je weiter .wir nach Norden kommen; iu den warmen Gegenden
Asiens u. s. w, sollen sie schon im 8. — 10. Jahre eintreten. Diese
Ansicht Haller s galt lange Zeit hindurch unbedingt als die richtige.
Der EinHuss des Klima.s wurde insl)esondere vou Haller und
Humhoklt besprochen. Während jener für diesen Eintluss ent-
schieden eintrat, verfocht Huniholdt den der Ra.sse. Jioherton
vertrat nach den von ihm aufgesammelten Ergebnissen die Kassen-
disposition. Wenn wir aber nach dem heute vorliegenden Materiale
die Frage erörtern, welche besonderen Bedingungen und Ur-
sachen auf die frühere oder spätere Eiutrittszeit der Men-
ses einwirken, so tritt uns zunächst die Thatsache entgegen, dass
man häutig das Klima, insbesondere die durchschnittliche Jahres-
temperatur als das eintiussreichste Moment betrachtet. In der That
hat man durch Vergleiche zahlengemäss nachzuweisen vermocht
(Ruciborshi, Bondin u. A.), dass die herrschende Temperatur des
Wohnorts sehr eiufiussreich auf die zeitigere oder spätere Entwicke-
lung de» weiblichen Körpers in sexueller Hinsicht ist. Allein duss
noch andere Lebensbedingungen dabei zur Einwirkung gelangen,
ging schon mit grosser Sicherheit aus den Ergebnissen eines älteren
ärztlichen Statistikers, Marc d'Espinc's, hervor.
Diese Kesultnte, welche sich aus umfänglichen Forschungen
gewinnen liessen, stellte Marc d'Esinnc in folgenden Sätzen zu-
sammen: 1. In den gemä.ssigten Zonen tritt die Mannbarkeit bei
dem Weilie zwischen dem 0. und 24. Jahre ein. Das Alter aber,
wo der Eintritt am häufigsten Statt hat, ist das 14. oder 15. Jahr. —
2. Das mittlere Alter der Mannliarkeit erleidet sehr merkliche Varia-
tionen nach der geographischen Breite, in welcher man sie in dieser
gemässigten Zone beobachtet: und im Altgemeinen kann man sagen,
dass der Eintritt um so früher erfolgt, je meSir mau sich dem
Aequator nähert. — 3, Das Klima (wenn man darunter die mittlere
Jahrestemperatur versteht) ist bei der Betrachtung wichtiger, als
die geographische Breite; so dass das Gesetz hinsichtlich der geo-
graphi-schen Breite nur wahr ist, insofern das Klima mit der Breite
im Verhältniss bleibt. — 4. In den Fällen, wo alle wiihrnelinil»aren
Umstände gleich sind und wo das Klima variirt, sind die Ver-
schiedenheiten, welche man in den mittleren Altern der Mannbnrkeit
bemerkt, in einer geometrischen Beziehung fast gleich denjenigen
der mittleren Temperaturen. -^ 5. Frauen, welche in Städten ge-
222
boren sind oder daselbst ihre Kindheit zubringen, scheinen eine
fröbzeitigere Mannbarkeit zu haben, als diejenigen, welche anf dem
Lande in Dörfern geboren sind und ihre Kindheit verlebt haben.
Der Unterschied in den mittleren Mannbarkeitsjahren möchte jedoch
nicht mehr als ein Jahr betragen. Die grossen Städte haben, im
Verhältniss zu den gewöhnlichen Städten, die Eigenschaft, die
Mannbarkeit noch früher zu zeitigen. — 6. Die Bedingungen,
welche von Seiten des Temperaments am meisten auf frtihzeirige
Entwickelnng der Pubertät in unseren Klimaten von Einfluss zu<
sein scheinen, sind: schwarze Haare, graue Augen, eine feine weisse
Haut und ein starker Körperbau. Die Bedingungen, welche dagegen
mit am meisten verzögerter Mannbarkeit zusaramentreften, waren:
kastanienbraune Haare, grttnliche Augen, eine rauhe gefärbte Hatit
und ein schwacher zarter Körperbau.
Weiterhin bestätigte der englische Frauenarzt Tili den Ein-
fluss des Klimas, indem er bei einer Vergleichnng der Zahlen ver-
schiedener Beobachter fand, dass in heissen Klimaten die mittlere
Zeit der ersten Menstruation: 18 Jalire lt> Tage, in gemässigten:
1 4 Jahre 4 Monate 4 Tage, in kalten : 1 T) Jahre 1 0 Monate 5 Tage
betrug. Allein Tilt weist auch auf den Einfluss der Rasse (spätes
Menstruiren der Negerinnen), des Stammes, der Nationalsitten,
der Lebensweise in grossen und kleinen Städten und des frühen
Geschlechtsgenusses hin.
Eine weit eingehendere ZusaiHmcnstellung der Thatsachen auf einer
Tabelle, welche gleichzeitig die mittlere Jahrestemperatur, die geographische
Lage, die Rasse oder den Volksstamm nibricirt. verdanken wir dem Ber-
liner Arzt Krieger. Aus dieser Statistik ergiebt sich allerdings eine ent-
schiedene Wirkung des Klimas. Führt man die verschiedenen Orte der Be-
ubachtnng in einer Reihenfolge je nach der steigenden mittleren Jahres-
temperatur an, -so zeigen sich folgende mittlere Durchschnittaalter bei der
ersten Menstruation nach Jahr, Monat und Tag:
Schwedisch-Lappland 18 J.; Christiania 16 J. 9 M. 25 T.; Skeon
(Norwegen) 15 J. 5. M. 14 T.; Stockholm 15 J. 6 M. 22 T.; Kopenhagen
16 J. 9 M. 12 T.-, Göttingen 16 J. 2 M. 2 T.; Berlin 15 J. 7 M. 6 T.v
Mflnchen 16 J. 5 M. 11 T,; Wien 15 J. 8 M. 15 T.; Warschau 15 J. 1 M.;
Manchester 15 J. 6 M. 28 T.; London nach verschiedenen Zählangen
zwischen 15 J. 1 M. 4 T. und 14 J. 9 M. 9 T.-. Paris nach verschiedenen
ZaWungen zwischen 15 J. 4 M. 18 T. und 14 J. 5 M. 17 T.; Sahle.« d'Olonn«
14 J. 8 M. 23 T.; Lvon 14 J. 5 M. 29 T.; Toulon 14 J. 4 M. 5 T.; Nime«
14 J. 3 M. 2 T.; Montpellier 14 J. 2 M. 1 T.; Marseille 13 J. 11 M.
11 T.; Corfu 14 J.; Madeira 14 J. SM. (nach anderer Angabe 15 J. 5 M.
10T.)j Dekhan IS J. 3 M.; Calcutta 12 J. 6M.; Loheia 11 J.; Achroim
(Aegypten) 10 J. und Sierra Leone 10 J.
Es ist hiermit unzweifelhaft gezeigt, dass die klimatischen V<
hältnisse einen zeitigenden oder verzögernden Eintluss ausnben.
Wenn nun dagegen Zweifel durch einzelne Beobachtungen au8^
gesprochen wurden, so erklären sich dieselbe« dadurch, dass es docfa
noch andere Einflü!»!«e daneben gieb^.. Andere Male kennen Br*
85. Der Efntritt der Menstrtiation.
223
^
ühemungen, welche einen Klima- EinHuss nicht wahrnehmen lassen,
»ich ilooh nnbescliadet der constatirten Thatsache erklären lassen,
w geUuigtc Wf//er''\ welcher aus verschiedenen Ortschaften R\i sslands
nach St. Petersburg eingewanderte weibliche Individuen verglich,
zu dem Schluss: ,Im Ganzen scheint das Klima, soweit es unser
Material betrifft, keinen eingreifenden Einfluss auf den Eintritt der
Menses zu haben, und die Schwankungen, die dennoch vorkommen,
mehr den Nationalitäteu und Rassen zuzuschreiben zu sein." Allein
rlVrber giebt zu, dass er es doch mit nach Norden verschlagenen
^Kindern des Südens zu thun hatte, demnach die Beobachtung keine
rechten Anhaltepunkte darbietet.
Wir sind in den Stand gesetzt, die Tabellen Marc d^Espinr s,
TiU's^ Krieger s und ToinnartVs durch zahlreiche neuere Daten zu
vervollständigen. Allein es kommt uns hier vorzugsweise darauf
^^11, zu untersuchen, inwieweit Kriegers aus der tabellarischen
HSDebersicht gezogene Schlüsse beztiglich des Klima- Einflusses
^■richdg smd.
^H Nachdem Krieger nämlich die Verschiedenheiten der Lebens-
^Mreise als weniger einflussreich für den Menstruationseintritt erklärt
^Hiat, als die verschiedene Höhe des Wohnortes fiber dem Meeres-
^■ipiegel, gelangt er zu dem Resultat, dass ein wesentlicher Unter-
schied in dem mittleren Alter der ersten Menstruation besteht, je
nach dem Himmelsstriche, unter welchem die Menschen leben. Er
»ruft sich dabei mit Recht auf Dubois und Pojoi, welche in einer
PabeUe den Eintritt der ersten Regel bei je ÖOO Frauen im süd-
ichen Asien, in Frankreich und im nördlichen ßussland ver-
lohnen. Aus deren Tabelle liess sich berechnen, dass in der
leissen Zone die grosst-e Zahl der Frauen zwischen dem 11. und
14. .Inhre, in der gemässigten Zone zwischen dem 13. und 16. Jahre,
der kalten Zone zwischen dem 15. imd 18. .lahre menstruirt wird.
vrieger selbst sagt nun:
,AI<f die hauptsiichHchstt; Ursache diese« Unterschiedeä iuuh!! daher
|]1eril)ng8 Aa^ Klimu, angesehen werden und nur inuerh.'ilb dieses Einflusses.
das* Klima iiu<ialit, oder als conatiiuirenden Factoren des Klimas wird der
»ittleren .lahrestemperatiir. der geographischen L&nge und Breite, der Höhe
dem Meeresspiegel, der Nähe des Meeres und zum Theil auch dem
ItiAchen oder lilndlichen Wohnsit7.e «^inigeji Gewicht beiz<ilegen sein. In
rolchem Maaa«e aber jeder einzelne dieser Factoren ein vorwiegendes iuter-
»ao in Anspruch nehmen darf, ist zur Zeit wohl kaum zu entscheiden. Der
Uit(t(< endlich wird sich nicht jeder Einiluss auf den Mcnatruattons-Eintritt
V>Rprcchen lassen, doch möchte es schM-ierig sein, denselben zu deßniren."
)ünn »her ent.^rheidet sich Kriegrr auf Grund der von ihm aufgestellten
r^belle dahin, ,da«6 ei; -nicht die Rasse, sondern vielmehr dua Klima ist.
rodurch der Unterschied in dem .\ller der ersten Älenstrualion bedingt wird,*
er weiterhin behauptet, .daae die Wllrme der Luft, im geraden Vor-
HnijMC zu der frühen Entwickelung der weiblichen Geschlechtsreife ku
scheint.*
In Betreff des hier erwHhnt<?n Rassen -Einflusses müssen wir
224
allerdings hervorheben, dass einige Beobachter,, freilich ohnir
genauere numerische A'erhältnisae anzugeben, z. B. Polak u. Ä.,
denselben nicht gering auschjagen. Letzterer sagt: ,Ueberhaupt
scheint das frühere oder spätere Eintreten und Erlöschen der Men-
struation mehr von der Hasse als voju Klima abzuhängen, und ob-
wohl sie durch ein kaltes, nördliches Klima verzögert wird, so
verwischt sich doch in allen folgenden Generationen nicht der Eiu-
fluss der Russe. Als Beleg hierfür dienen die Jüdinnen in
Europa und die Negerinnen in I'ersien und den amerika-
nischen Colonien.* Auch bei uns erfährt man oft, dass die Mütter
berichteu, ihre Töchter hätten ebenso wie sie selbst zeitig oder
spät menstriiirt. Es scheint also Kusse und Erblichkeit etwas
mitzuspielen.
Auch iip/ienheim gLaubte aus seinen Beobachtungen an bul-
garischen, türkischen, armenischen und jüdischen Mädchen
auf eine Rassen -Diöerenz bezüglich der früheren Entwickelung der
Menses schliessen zu dürfen. Dann hatte Lehrun die Menstruationszeit
von je 100 Fraueu jüdischer und slavischer Herkunft (in sla-
vischer Bevölkerung) verglichen (Corre)^ wobei er fand, dass
eine grössere Anzahl der Jüdinnen schon im 13. Jahre ihre Mense«
bekamen, in welchem imr eine S lavin menstruirte. Allein wir
müssen doch auch darauf hinweisen, dass die ganze Lebensweise
mit in Betracht kommt. Eine so völhgo Zurückweisung der lias&en-
Differenz, wie wir bei Krieger und Topinaril finden, ist gewiss noch
nicht gerechti'ertigt, so lauge nicht genatiere Forschungen ange-
stellt sind. I
Weiterhin hat Weher in St. Petersburg den Beziehungen
des Menses -Eintritts zur Nationalität nachgeforscht. Interessant
sind seine Kesultate ; Bezeichnet man als «frühzeitigen" Eintritt den '1
von 15, als ,.späten- Eintritt den nach 17 Jahren, so bekommen
wir für 5 Nationalitäten:
Russin. Jüdin. Deutsche. Polin. Finnin-
Früher Eintritt: 48,5"/o. 54,50/o. 47,1 «io- 52,7» o- K»*'u.
Spätei- Eintritt: 6,36%. Sjo/o- 2,9 ",o. 2.9ö(0- I9,25<»,«.
Nehmen wir nun noch die Verbältnisse für .vorzeitig* bit> 13, uatl {
,,v«r8pätet" uach 18 Jabreu, so kooimen:
Kussin. Jüdin. Deutsche. Polin. Finnis,^
Vorzeitig: 10.0" „. 12,6",iu 8.20o. HJ^/o. 2.7oVl
Ver»i>atel: 2,S6<',o. l,20o. 3,8ö(o. 2,9»o. 0.0«;d.
Woraus zu sehen, dass bei den Finninnen, trotzdem im
(»anzen die Menstruation erst spät eintritt, doch Verspätungen zuj
den grossteu Seltenheiten gehören; dasselbe kam, ruan fast aoch
von dem vorzeitigen Eintritt sagen; wogegen bei den J öd innen!
und ilen slavischen Völkern der unzeitige Eintritt, besonders dcrj
vorzeitige, recht liüutig vorkommt.
Dagegen möchten wir, obgleich wir selbst schon ol)en klima-
tische Einflüsse nachgewiesen haben, die bei manchen Völkern
35. Der Eiutriü der Menstruation.
225
herrscbenden Sitten und GelirUuche nicht zu gering anschlagen.
Insbesondere darf man , wie wir Ijezüglich der verschiedenen
Heirat hsalter nivchwie.sen, die bei einzelnen Volkerschaften ge-
bräuchliche allzu frühe Ausübung des Coitus als wirkungsreich auf
frühen Eintritt der Menses bezeichnen. Bei den Esthinnen stellt
sich die Menstruation trotz des rauhen Klimas, trotz der abhärtenden
und den Eintritt der Men.ses verzögernden Lebensweise, trotz der
durchgängig torpiden Constitution, wenn auch .selten, schon im 15.,
selbst im 14. Jahre ein. Holst giebt dies der Unkeuschheit der
Mädchen schuld, indem hierdurch die Genitalien in ihrer Ent-
wickelung der des übrigen Körpers vorangehen. Die Schwierigkeit
des Beweises zeigt sich An Folgendem.
Viele und unter ihnen vorzugsweise Roberton betrachten das
frühe Verheiratheu der Mädchen bei den Hindu als Veraulassung
zum l'rühzeitigen ISIenstruiitionseintritt ; denn nach Manu durfte sich
ein Mädchen .schon mit dem 8. Jahre verheirathen, und in der
That betrachten es dort viele Eltern für eine Schande, wenn ihre
Tochter nicht jung heirathet; man sieht sogar eine Ehe nach dem
Eintritt der Hegel für sündig an. Diese indische Sitte könnte aller-
dings durch die frühe geschlechtliche Erregung aut zeitigen Eintritt
der Pubertät von Eiufluss sein , doch ist immerhin der Eintritt
der letzteren im 12. Jahre, wie man angegeben hat, keine andere
Erscheinung, als man auch bei anderen Orientalen findet. Da-
gegen erscheint nach Chenin beim Hindu- Mädchen die Regel
dadurch, dass es durch den Coitus geschlechtlich erregt wird,
keineswef^s früher, als bei europäischen Mädchen, die unter glei-
chen klimatischen Verhältnissen leben: aber die Dauer der Menopause
ist beim Hindu-Weibe länger, al.«* bei Europäerinnen: der
Fluss der Menses dauert ebenso lange, wie in unserem Klima,
3 — 5 Tage ; die Zwischenzeit zwischen den Perioden beträgt
25—28 Tage.
Die geschlechtliche R^ife ptlegt sich bei den Nay er- Mädchen
(Kaste in Indien) zwischen dem 13. und 15. Jahre einzustellen,
nur ausnahmsweise vor dem 12. SiiccrHchneider, der in Trovancore
lebt, kennt Mädchen der lUuvar- und anderer schlecht genährter
Kasten Süd -Indiens, die im 16. Jahre noch nicht ge.schlechtsreif
waren und noch unentwickelte Brüste hatten. Viele Mädchen der
Nayer-Ka-ste leben aber schon vom II. Jahre an mit Männern.
[Jaynr. 3In/f>rK)
Auch auf den Sandwichs- Inseln heirath^n die Mädchen vor
dem Eintritt der Pubertät, und nach Dumns hält man daselbst die
Menstruation tür die Folge des Coitus, und ihr Erscheinen bei
einem unverheiratheten jungen Mädchen fl\r ein Zeichen übler Auf-
führung.
Weiterhin wurde aber auch ein Einfluss des Ständeuuter-
Hchiedea constatirt. welcher jedenfalls mit einer Differenz der Er-
ziehung und gesammten Lebensweise zusammenhängt.
Plnit I>ai Weih, I. 3. AiiH.
15
X. Die Reife des Weibes (du
An 5611 weiblichen Individaen, die während 10 Jahren in Moskau
lebten, erörterte Benserujer den Eintritt der Menstruation. Ea Hess sich
bezüglich des ersten Auftretens der Menses anterscheiden eine frühe Periode
von 9 bis 12 Jahren, eine mittlere von 13 bis 16 Jähren und eine sp&tere
von 17 bia 22 Jahren. In Moskau hat sich nun mit Berücki^ichtigung der
Stände Folgendes ergeben: Das Maximum der frühen Periode (9 bis 12
Jahre) fällt auf den Adel und die Ausländer (es werden keine Nationalitäten
genannt); für die zweite, die mittlere, Periode fällt das ifasimura auf die
6eiHtlichkeit und den Kaufmannsstand; für die dritte Periode das
Maximum auf die Bauern. Es scheint hiernach also nicht das Klima einen
vorwiegenden Einfluss zu haben, sondern vielmehr die physische Erziehung,
vorherrschend die Nahrung, wobei jedoch dem durch Erblichkeit sich fort-
pflanzenden EinüusB der physischen Erziehung auf das Nervensystem gewiss
auch Rechnung zu tragen ist.
Dass Stand und Beruf sehr maassgebend sind, hat besonders Weber
nachgewiesen. Nach seinen in St. Petersburg angestellten Erörterungen
kommt das Maximum des ersten Menstruations-Eintritts auf das Jahr 14 bei
Hausfrauen, Näherinnen, Wäscherinnen, Ladenmädchen, Schuhmacherinnen,
Hebammen, Kindermägden, Wartefrauen ; auf das Jahr 15 bei Köchinnen,
Schneiderinneu, Händlerinnen, Ammen, Schauspielerinnen, Feldarbeiterinnen;
auf das Jahr 16 bei Stubenmägden, Prostituirten, Lehrerinnen, Warte-
frauen ; auf das Jahr 13 bei Lehrerinnen, Sängerinnen, Studentinnen und
Modistinnen (allerdings ist diese Rubrik zu gering an Zahl).
im (ianzen, so schliesst Weber, können wir vom EinfluHS der Beschäfti-
gung und Lebensweise sagen, dasa bei unseren Städterinnen die Menstruation
in den besseren Kreisen, in regelmässigen Verhältnissen, wo dos Weib seiner
Bestimmung nachzukommen vorbereitet wird und sie schliesslich in den
Stand der Hausfrauen tritt, die Menstruation zeitiger eintritt; wogegen bei
d«n Proletariern. Feldarbeiterinnen, bei Mädchen, die schon von Kindesbeinen
an zu schweren Arbeiten aiigehalten worden, die Menstruation später ein-
tritt. Auffallend früh tritt dieüelbe bei Mädchen ein, die sich dem Studium
und Oberhaupt den geistigen Ai-beitcn widmen, also bei Studentinnen,
Lehrerinnen, Schauspielerinnen, Sängerinnen und dergleichen.
Auch den Einfluss des Standesunterschiedes hinsichtlich des elterlichen
Berufes studirte Weber: beim Bauernstand im Mittel 14,8 Jahre, im Maxi-
mum 15 — 16, im Minimum 10 — 11 Jahre; dagegen, wenn man das begonnene
Jahr als voll nimmt, bekommen wir 16 Jahre als mittleren Menstruations-
eintritt; beim Bürgerstaud im Mittel 14,6 Jahre, Maximum 14 — 16 Jahr«;
beim Kaufmannsstand im Mittel 14,1 Jahre, im Maximum 14 — 15 Jahre; bei
Adligen und Officieren im Mittel 14,1, im Maximum 14 — 15 Jahre; beim
Beamten- und Gclebrtf^nstand im Mittel 14,29 Jahre, im Maximum 14 bis Ib
Jahre; beim Soldatenstand im Mittel 14,8 Jahre, im Maximum 16 — 17 Jahre;
beim geistlichen Stande waren die Zahlen zu klein, um sicher die Zahl
18,9 Jahre als Mittel bezeichnen zu können.
Der bedeutende Einiluss, welchen die Lebensweise äuüseri,
ergiebt sich aus lirierre de lioismont's Berechnungen in Puris;
er fand, dass durch luxuriöse und bequeme Lebensweise sowie durch
die verweichlichende Erziehungr der Menstruationseintritt gezeitigt
wird. In Paris ist nach ihn» das durchschnittliche Alter d^
PubertÄtseiotri t ts:
Bei Frauen der mittleren Büi-p»erkla8aen 15 Jahre 2 Mon.
, Handubeiterinnen 15 , 10 ,
„ Mägden 16 , 2 ,
. Tagelöhnerinnen 16 „ 1^2 »
Für Paris im Mittel . . . . . . . 14 Jahre 4 Mon.
In Wien fand Sciikits das mittlere Menstruation»- Alter
15 Jahre und S'/o Monate; hingegen auf dem Lande in Oester-
reich 16 Jahre und 2^/2 Monate, — Dass 3Iar<' d'Espine Äehn-
liches gefunden hatte, das haben wir bereits oben gesehen. Für
i'Strassburg und das Departement Bas-Rhiu (Elsass) fanden
Stöher und Tourdes, dass die Menstruation in der Stadt meist im
Alter von 13 Jahren eüitritt und nicht selten auch schon im 11.
und 12. Jahre; auf dem Lande scheint das Alter zwischen 15 bis
16 Jahren das gewöhnlichere zu sein, und oft erscheint sie hier
noch viel später.
Schon llippolitus Gunrinonius, der in Hall bei Innsbruck
als Arzt lebte und dessen berühmtes Buch ,Die Grewel der
Verwüstung menschlichen Geschlechts" im Jahre 1610 er-
schienen ist, hatte die Beobachtung gemacht, dass der Eintritt der
Geschlechtsreife bei den Bäuerinnen und den Städterinnen nicht zu
gleicher Zeit erfolge. Es heisst bei ihm:
,Za guter Kundschafft sehen wir, dass die Bawien Mägdlein in hiesiger
Landtscbafft, wie auch allenthalben, vil langsamber, als die Bürgers, oder
Edelieuth T&cbter, und selten vor dem 17 oder 18 oder auch 20igistem Jar,
zeitigen, darumben auch dise umb vil ISLnger als die Barger und Edelieuth
Kinder leben, und nit sobald als dieselben veralten. Item wir spüren fein
klar, und ohne vil Nachsinnen, dass in gemein, wann der Bawren Mägden
kaum zeitigen, die Bürgerlichen schon elliuh Kinder getragen haben. Ursach,
das« die Innwohner der Stätten, mehieres den gajlen Speisen und Trank
i^«Tgeben, darnach auch jhre Leiber 7<art. weich und gayl, und gar ^u bald
teitig werden, nicht änderst als ein Baum, welchen man zu fast begeust,
lein Frucht swar b&Ider als die andern zeitigt, aber nit so vollkommen, und
I veraltet auch desto bUder."
Dass sich bei verschiedenen Nationen, die in einem Lande
susammen wohnen, grosse Differenzen zeigen, geht aus den in Ungarn
igeatellten Untersuchungen Joachitns hervor. Es menstruirten
lort zum ersten Male:
Magyaribche Baaemm9dchen im 15. — 16. Jahre,
Israelitinnen „ 14. — 15. ,
Raizitischc Mädchen . . . , 13. — 14. ,
Slovukiache , ...» 16.— 17. ,
In Strassburg jedoch fanden Stobfr und Tourde* bei 29 Juden-
aftdchen, da«« sich der Monstraationseintritt durchschnittlich ebenso verhielt,
rie bei den Mädchen der übrigen Bevölkerung; er war in keinem Falle vor
12. Jahre, das Maximum war zwischen dem 14. und 17. Jahre. Freilich
2\i Individuen zu wenig!
Also nicht bloss durch das Klima, sondern auch durcli manche
ideren Verhältnisse, z. B. durch Hasse und Nationalität, Leben.s-
reiae, Be^^chäl'tigung, Erziehung, Nahrung, Wohnung, Kleidung,
15«
228
X. Die Reife des Weibes (die Pubertät).
Sitten und körperliche Beschaffenheit wird der Menstruatioüseintritt
bestimmt. Auch wurde schon von Hohrrton darauf hiDgeMriesen,
dass die Indianermiidchen allerdings schon sehr früh menstraireu,
die Negermädchen aber, die in ebenso heissen Zonen wohnen,
durchschnittlich in etwas späterem Alter reif werden; Roberton
sacht dies dadurch zu erklären, dass die Indianermädchen mehr
als die Negermädchen vorzeitiger geschlechtlicher Reizung aus-
gesetzt werden, denn viele Indianerinnen werden schon im 10.
Jahre Mütter. Ebenso behauptet Lnrrprde , dass in denselben
Breiten und Klimaten die Pubertätszeit der Neger und Mongolen
früher als bei Europäern eintrete. Hierbei wird wohl auf die
Thatsache zu verweisen sein, dass die angestammten EigenthOm-
lichkeiten sich nur langsam und im Verlaufe zahlreicher Genera-
tionen verändern können. Eigenthümlicher Weise sollen, wie man
allgemein angiebt, trotz des kalten Klimus hei den Mongolen,
Kalmücken, Samojeden, Lappen, Kamtschadalen, Jakuten,
Ostjaken u. a. die Mädchen schon im 12. — ]3. Jahre menstruiren.
Mag diese Behauptung im Allgemeinen wahr sein (für die Lappen
hat sie sich al.s unridiiig erwiesen), so würde aus einer solchen
Thatsache weder die Einfiusslosigkeit des Klimas, noch auch der
alleinige Einfluss der Rasse resultircn, sondern man könnte die Er-
scheinung aus der Lebensweise, insbesondere der animalischen
Nahrung und jener Gewohnheit dieser Völker erklären, in ihren
Hütten fortwährend eine bedeutende Hitze zu unterhalten. So weist
auch schon Krieger die Argumentation Wulhcr's zurück, der das
frühe Erscheinen der Menses bei den Mongolen als EigenthQm-
lichkeii der Rasse bezeichnet.
Schon die Aerzte des Talmud wnssten, dass die Lebens-
weise des Mädchens grossen Eintiuss auf die Eintrittszeit ihrer
Pubertät ausübt. So behauptet Rabbi Simon ben Gamiel von den
Mädchen, welche in Städten wohnen und dort Gelegenheit haben,
öfter Bäder zu benutzen. das.s bei ihnen da.s Behaartwerden der
Körpertheile sich weit früher einstelle, als dieses bei den Dorf-
bewohnerinnen der Fall sei, wogegen bei letzteren die frühere
Wölbung des Busens vorkommt in Folge ihrer anstrengenden körper-
lichen Arbeiten (Wunderbar).
Die Physiologie nimmt nach den bisherigen Beobachtungen im
Allgemeinen folgendes an: die ersten Menstruationen stellen sieh in
der gemässigten Zone im 14. — 16. Lebensjahr ein; als mittlere Zeit
wird l4'/3 Jahre angegeben, für die heisse dagegen 13, für die
kalte IS^i'o Jahre. Ueppige Lebensweise beschleunigt, karge Nah-
rung und harte Arbeit verzögert den Eintritt; ausserdem hat die
Rasse Einfluss {Hermann), aber, wie wir gesehen haben, auch die
Lebensstellung und die Beschäftigtmg. Es sind also sehr ver-
schiedenartige Factoren ftir den Zeit])unkt des Menstruations-Ein»
tritts maassgebend.
Nach diesen Erörterungen wollen wir die Erde durchwundern,
im die Zeit des ersten Eintretens der Menstruation bei den ver-
Bchiedenen Nationen kennen zu lernen.
Gs ist nicht leicht, bei fremden, insbesondere uncirilisirten YSlkem in
Jdieäer Angelegenheit sichere Beobachtungen zu machen, wie namentlich
\j''alk€nit4!in bezeugt. Bei einigen, z. B. den Negervölkem der Loango-
[Küste, konnten nach Ausspruch Pechiul-Lwsche's vielleicht gewisse Ceremo-
Isiea einen Anhalt dort gewÄhren, wo die Mütter das Alter ihrer Kinder auf
[«inem Kerbholz markiren. Solche volksgebnluchliche Ceremonien, von denen
[-wirnoch weiterhin sprechen werden, werden unter Anderen bei den Hindus
lie unterlassen und dort signalisiren die Mütter den Zeitpunkt genau. Allein
Igerade bei den Hindus liegt der Fall vor, dass die Aenste ihrer Vorfahren,
[der alten Inder, den Menstruations-Eintritt in sehr früher Zeit annehmen;
Terlegt ihn auf das 12. Jiihr. und Anffira schrieb : „Die Weiber
[gurö im 8. .lahr, rohine im 9. JkiUi-, kangkaka im 10. Jahr und nach
lern 10. Jahr mujaswala, wo die Frau ihre Regel hat." — Wenn wir dem
Ixiach die Angaben von Reisenden, welche nur auf wenig zuverlässige Aaa-
Isagen der Eingeborenen sich gründen, mit grosser Reserve aufnehmen, kOnnen
[wir nur diejenigen Mittheilungen als authentische Beobachtungen betrachten,
raie sich auf eine genaue Zählung einer bestiiumten Menge von Fällen und
fftuf eine proportionale Beiechnung stützen. Trotzdem dürfen wir in Ermange-
lung exacter Untersuchungen das vorliegende, durch Abschritzung gewonnene
Material nicht ganz unbeachtet lassen. Denn wir sind auf ein nicht vOllig
tweifelfreiee Material bezüglich einer grossen Reihe von Völkern be-
[^«chränkt, welche vor Allem bei der Frage über die klimatischen
Einflüsse zur Berücksichtigung gelangen müssen; dabei ist stets aas
Vorsicht hinter jeder Zahlen-Angabe ein Fragezeichen zu denken, wenn wir
in Ermangelung sicheren Materials den Mittheilungen der Reisenden in Fol-
gendem Beachtung schenken.
Schon bei den in der hoissen Zone wohnenden Negervölkern treten
IS .Angaben entgegen, welche keineswegs die Annahme eines besonders
en Eintretens der Menses in wannem Klima bestätigen; mindestens
die folgenden Daten wenig Uebereinstimniuug wahrnehmen. Di3
(gerin wird im Allgemeinen nach JRo6«t<om nicht sehr früh. d. h. zwischen
13. und 17. Jdhre, durschnittlich mit dein 15. .Tahre meustruirt, doch
Kommen mich ihm auch Fälle mit dein 11. Jahro vor. Bei den Wo Joffe n-
IJUlchun am Senegal glaubt de liochthrune die Reife zwischen dem 11.
'^nnd 12. Jahre annehmen zu dUH'en. In der Bai von Biaffra fand Daniell
dna 11. — 12. Jahr, bei Negerinneu in Aegypten Pruner den Zeitraum
Ivom 10. — 13. Jahr, liiijler daselbst vom 9. — 10. Jahr; die Mädchen sollen zu
Mensa nach Brthvi im 13., zu Bngos nach MuHzin<jer erst im 16., die
pxuaheli-Mädcben in Zanzibar gewöhnlich im 12. oder 13. Jahre reif
«rerden. Die Mädchen der Beräbra (Hamiten) entwickeln sich nach
Startmann nicht so früh wie die ägyptischen; sie gewinnen ihre Blüthe-
»cit Zwilchen l.'j und 19 Jahren, die Somali- Mädchen nach Ihufgemadusr
•nt im 16. Jahre.
Aus diesen, offenbar nur durch Abschätzung gewonnenen Angaben er-
nhcn wir, wie mannigfach und von einander abweichend unter den Völkern
pfilV, - die Verhältnisse angenommen werden. Der Zukunft bleibt die
) Hang vorbehalten; und FaikensUxn^ sogt gewiss mit Recht: „Ich
Uli iKiii weit entfernt davon, zu negiren, dass unter den Tropen der Eintritt
>ft hei 12 Jahren und auch früher beobachtet wird, ich muss aber anführen.
X. Die Keife dea Weibes (die Pubert
daas mir in mindeeiens eben so viel Fällen die Mlldcbeo (der Neger an der
Loango -Küate) ein Alter von 14 — 15 Jabren za haben scheinen. Ich gl&abe
also, daas die Grenzen für daa Auflr^ten bei den verschiedensten Völkern
näher liegen, als man annimmt, und möchte davor warnen, das Alter nach
dieser Erscheinung in Einklang mit den bisherigen Annahmen sch&txen lu
wollen, ohne zugleich die ganze KörperbeschaÖ'enheit des Individuums mit
in Betracht zu ziehen."
Diese Meinung stimmt im Allgemeinen mit einem Auaeprucbe ^adi-
tigaVs überein. Denn dass in Fezzan die Pubertät so aussergewöhnlich
firfih einträte, wie manche Reisende berichten, konnte NctdUigal, der dort
bekanntlich als Arzt prakticirte, nicht bestätigen. Er sah ebenso viele
Mädchen, die mit 15 Jahren nicht menstmirt waren, als solche, die das Zei-
chen der Reiie mit 12 Jahren darboten.
Aujs den heissen Districten Südamerikas wird angegeben, dass bei
den Indianerinnen in Nicderl&ndisch-Guyana (Surinam) die Menses
im 12. Jahre und darunter (nach SUdmann), bei den Campas oder Antia
am Amazonenatrom im 12. Jahre (nach GrixndidUr), bei den Pampas-
Indianerinnen im 10. — 12. Jahre (nach ManUgazsa), bei den Indiao«-
rinneo in Chile im 11. oder 12. Jahre (nach KoUiti) eintreten. Bei den
Indianerinnen in Peru sind die Menses sehr schwach, und sie stellen sich,
wie behauptet wird, bei ihnen viel später ein, als bei den Übrigen Rassen,
gewöhnlich erst im 14. Jahre, wenigstens bei den Gebirgsindianerinnen,
während sie bei deiv weissen Creolinnen oft schon im 9. Jahre erscheinen
sollen; auch hören sie bei den Indianerinnen Perus im 40. Jahre wieder
auf, oft noch viel früher. (Maifcr-AJirens.y Die Pajagua- Mädchen in
Paraguay menstruircn nach Renggtr schon im 11. Jahre.
Die in gemitsigteren Klimaten Nordamerikas wohnenden Indi-
anervölker zeigen auffallende Verschiedenheit; nach Ru^ch menstmiren ihre
Frauen im Allgemeinen selten vor dem 18. oder 20. Jahre, und sie sollen
schon, ehe sie 40 Jahre alt sind, die Menses verlieren. Dagegen treten bei i
ihnen nach Edtrin James schon gegen das 12. oder 13. Jahr die Menses ein,
doch fügt Jame« bei, dass die Angaben der Indianerinnen über ihr eigenes
Alter sehr zweifelhaft sind. Nach Keating beginnt die Menstruation der
Potowatomi am Michigan- See gewöhnlich im 14. Jahre und dauert bis
zum 50., ja 60. Jahr; dies erfuhr Keating von einem Häuptlinge des Stammen.
Bei anderen Indianerstämmen, den Dacotas und den Sioux. er-
scheint nach demselben Autor die Menstruation selten vor dem 15. uder 16.
Jahre; er erklllrt diesen Unterschied durch das rauhere Klima, in welchem
diese Stämme wohnen, und durch ihre grösseren Entbehnmgen. Nach Dough-
erty meustruiren die jungen 0 m a h a - Mädchen und erhalten die Fähigkeit,
Kinder zu zeugen, mit dem 12. oder 13. Jahre. Bei 82 Indianerinnen
trat nach liobertcm die erste Menstruation ein:
im 8. Lebensy. bei 1 Ind. im 13. Lebensj. bei 9 Ind.
9- ■• ,. 5 ,. „ 14. „ „ 8 „
10 9 „ „ 15 7 „
„ 16. und höheren Lebens-
jahren bei keiner.
In den nördlichen kalten Gegenden Amerikas ist ein späterer Men-
struations -Eintritt bemerkbar. In Alaska tritt bei den Indiani^rinneD
die Pubertät zwischen dem 14. und 17. Jahre ein, and auch die Eskimo-
Weiber menstruiren nach Roberton nicht vor dem 14. Jahre. Diese Naob-
2äL Der Eäaäa der MeBSCrBasäoa. 231
nebt timmmit mm ämem Bwifttf det Xisäoair Lm^ihriy. w^titec ia
Labrmdor fxtäStk. est ZI FSZk- rmrarhr- bä » öcth^hk. c<e -v«kbe& 4»^
Ma«W>r« 14 Jahn oier j^ager 'vm katte d—ifiTbe »»ü: äekx lae^fträn :
T<m des ffaacea 1< vuem die etstes Measa en«lä«i>e9 be£ je 4 in AJter
TOtt 14 s»d 13 Jaktva. be£ je S in Aher t»b 16 sad 17 J^^iea. bä 3 x»A
loTWiMliti III S>. Jaifaze. Dmc aist^a« Aixer bcoict alfo cr«a 1$ J«kre. JCv
Dimwmid. vticiier däe S«rdpvl-£xpeärtäD>& xater /ofai JBo» al» Asa be-
gleitete, tbeüt Bit. da» die Mouei bd den E f kimos oft ent mix 23 JaiucB
eiatreten vzwi aacb dusa äe^ ssr Sporea d&roa Tibnnd der " iiiiiii ■<!■■!<
xeigea.*) Tca luv Gr&aliaderiaaea bekuDea S? die ense üeaitnatäcka
zwiadken 13-^17 Jatrea. » tot aad 7 aacii die»eai Alter, ''mm flinva./
Ba des aactraliscbea Sekvarzea aza Fiake-Creek tritt die
MenatraatäoaailiJgkeLt scvCkaBeL vobl »ciioa mit dem ?_ spiteateat im
12. LebeariakTe aaeä IGwoair Kemgie: «a.
la Keabollaad -verdea zadi Macfrtfvr die MSdcbea mix den lü. — 1^
Jalne ouaabaz, ia Seacaledoaiea cacb Bona-parri im 12. Jalne. aaet
Fmaoa im 1±— U. JaLre sad sfilez. aad: rietar de Bodmt ia 12.— IS.
Jalne; aof dea Fidf clii-IaaeiB aaeii WiJket erst mit dem 14. Jalae. Die
Maori-MSddea asf Keaieeland meaftmiTea aaeb JBrmm «cboa in 12.
Jahi«, aacb Themmm jedocb erst im 13. — 1$. Jakie. Amf den Samoa-Iaida
stellt lid bei des veibliciiea EingeboreaeB die Meutraation im 1±— IS. Jabie.
adteaer Kboa im 10. Jahn ein. Dafor irerdea de edwa im 30. Jalne ah
and hitT^Tf*- ^Grmefcj Nach der Sebltzuag der Eatvickelaxign-eildltais!«
fiberbanpt tritt beiden Xegritoi der Philippinea die Pabertit nage&hr
mit den 10. Jahre eä. ^^efcadeafctry.y
Die llAidelfeia asf der laeel Täte i^eae Hebrideni. die freilich znmeüt
ihr eigeiM» Alter nicht keaa«. menftnnmi nach der Schitznnsr des Miasäcy-
nlr JfaedoMoU nnsrefihr im 13. Jahre.
Anf den In»ebi d» o^tindi>ehen Archipel« «ind die me:«tea Fiaaea
nach £fp *ehon im 14. Jahre meactnirt; doch coD man aoch einige treffen,
bei denen die ntonaXlicbe Beiaignn^ eT«t im 16. — 1?. Jahie eintritt. Anf
dem Aara-Archipel f?iiederlindifch - Oftindien) treten die Mease»
aber gev5hnlich rot d«m 10. Jahre ein. Bitdel*) Aaf den .\mboa-
oad riia*e-Ia*rfn. eben» anf den Tanembar- und Timorlao-
Inaeln. aovie in dem Barbar- Archipr-! i»t nach Biedei^ die Zeit zwijcheB
dem 9. und 11- Jafa* der gewöhnliche Termin flir den Eintritt der
ersten Begel. vJthrend man hä den T&cktem des Seraaglao- und
Gorong- Archipels da« 9. Jahr als da» aHsemetn gältige annehmen mo».
Aof den Watabela-JaMrla Mrhvankt der Zeitpunkt zwischen dem 9. und 12.
Jahre and aof der Lnaag- and Sermata-Gmppe zwischen dem 10. and
12. Jahre.
Ueber die Andamanesinnea erfahren wir von Mam. dass sie nicht
vor dem 15. Jahre ihre erst* Eegel bekommen and dass sie nicht tot 16
Jahren and nicht nehr nach 3o Jahren Kinder gebären. Das Maximom ihrer
GrOsae and K<&rperaas<iehnong erreichen »ie erst zwei bis drei Jahre nach
dem Eintritt ihrer enten Menstraation.
*ß Krvty^r bemerkt, da*« ktineewegf 6xi Frfihjahr es ist. ia welchem die
weissen Fr»o*a ihre ersten Men»«« bekomfuen. und ebenso wenig der Sommer,
sondern vielmehr der Herb»t. indem weit mehr als die HJOfte der von ilua
befragten Franea zuerst im September. October oder NoTcnber meastnürt
2ä2
(aiePBl
PWbcrtit ndü Mk ätiiU: la PAlistia» mk FaMv ia ISw nÜMmr in
IX. Jtkx. ackTflellai aocii Mk«: a Ssttba mmA Biflir m II.— 12. Jftkrc;
^dcr TArkei «»di Oppodhoa »chaB ia lOiJaltte. i» Per« ica ■»cli Ckmriim
i9.«Bdl0.1ifci«: aüeiBaadikicrpcM w r«tUMVifiile m «mem
iMigmiiiMilMBf ^r Ta'^itTifr — '-"' *^**
Baiäl <& MiBiliwIfy gtgem 4m 13w ia Sidp«r»ieB lilag^gmi aelMB
■ 4m 9. oder llL Jakr ob; aacii aadi AagmW Biaäudi»'» mfea ib
,S9rdper«ieB. kBifMhAfick ia der caspicekea CiaipiatiBi Gilaa. UoU
« ««r diM li. lilwÜMfcre. Aaek kmt aack Aasab« de»
iBTri«B CmK diwribe Pakotiialts wie Irlaad. ia Algier Olli
pBbesUlaaeit ^r Armkeria (^« ert aaMe*) Mck Bu^krmmd aaf
Altar ««• 9—10 Jakrea.
Ja AficB kubes wir ftr dieai S«aa oakcasadB« Arabiea. ladien
and Siaa m koäekakktigca. Die Araberia kepaat aock JBrtafcr in
r faa lOlaiaea «a ■lailiaiiB. la Hiado«tBa (Calcatia)
m kaa Ucr fie X^naU aaf da« danksdnatUwibe AUcr w 19 X
4 Ibaatca. Xack cwa Beiiekte. dca Jhliirf ii aas Beafalore.
ätL M jsorc. 10 Gnd tftiBirkw wie Calcatta, arkklk. tr^Ooi dort dia
n fciikiikaiHTiifc adt tS Jakm 2 Moastea da. la Dakkaa, Diaftriel
,Baakaj. fcadea Xgift aad ledtu aaterUwiaUa^ na 3W fM— ISJakra
5 Miaalt ftk idtttetca AUec C■■dw^ rtafciaer der Eatbcadaagakuade
ia Caleatta. inaütilte aaf Graad fca g> BaakackiangM das darehaeknilt-
ificke Alter Ar dos Mieihniiiai-gjatritt k« ciaipfcHvaca IVaaea auf
' IS J. 6 XsB.: ikafick Otmml av aar 37 nOca t^ dea IKrtiict BrageUn
iaar ISJ. 3»4ll«a. ga<k laaiegi dMlNifiiiyi dtr Aaatoarie «a Calcotta.
WM, ttitt kd dea Biada-MldrkM die Miailiaatina Mltea vor dsa
lIS. likM da; aater 127 Hiada-llidckeB ««i«a aar < tiVbtr acBstraizi;
•ft «n* ia 16.— 1& Jakse. Walk aMtoi. da«
[Viiklllaiaif kd dea Hiadn-WdbMa Ufa ilfcca aeiga, wi«
[kd dea Earepleriaaea. daes de ««dar darek die NatMaaBük nodi dmdl
Oitiadiea aker aeigt ia diaecr Beeickaag graeae
raliiakifdr Bd 27^ Pfeoceai tsalea die Mernttt mmA Bliieitia*» Berichten
ia Bcagalea ia 12., ia Dekkaa aad M jsare bd SM PioowU im IS.
f Jakre cia. Hi«r koaai ■liiiragi dia giaMS Vctsckiedeakeit d« Lel>ei»-
ia dea geMaatoa Dieldetaa ia Bekmdbl: daek adal Kritftr, dam
aeaäger roa FiataM ist» ak die ««nrkiedeae Bdka tker da« Utianä
bfaeiiknalm Oclt«: «s kaaa aiekt ■■MiiBrii. daa die Be-
Dekkaa. da diaaa «crcii adftar grOa-
Blefatiea dcawMk i
lekoaacB, als die
die Toa Ca^l»^ ItHk,
[Boakay aa%awiai»nn Iklai
falkadea, daa bd dea
^ia 12. wd la. JakM daliitL
11. aad 19l« li«g«. Wl Jlbad
raekl; k*«r id lU« «nd»
16 Jiäac9 S Moaate: an kOckvlsa slaadan dsa li.
l«. (nit 22,«)««) ind das 17 tnit XL»*«) JbIk
RasMA TOB Coekiaektn "«di
t*t. «ie Caleatta, die crttaa lt^
«r Stadt. SckBaaalick
Wdk ta Caleatta
k« diaaea 10S5
Hiada-m^rkia «Br Pak«rtli aniaaiil
In Coekiackiaa. dM »wisdiea den
rt WD aaaaaUiccke Vnmen unter-
««kr s|^ ist I»ttn.-h«rhnitt aaf
<, da*
iiti« tili) frdheHten nienstruirt. mit 16 Jahren und 4 Monaten; nächstdeni
folgt die Chinesin mit 16 Jahren und 6 Monaten-, dieser schlieiist sich
lie Miftchra^He der Minhhuong an mit 16 Jahren und 9 Monaten, und aui
p&teat«n tritt die Regel bei den Cambodjerinnen auf, nämlich mit 16
fahren und 10 Monaten.
In Siam tritt nach Campbell das junge Mildcheu nur iluaaerat selten
rüher als im 12. Jahr und ö. Monat in das PuVjertätsalter, meist erst später
^14. — 18, Jahre, so daüs im Allgemeinen die Menstruation hier verhältnißs*-
Hpttt eintritt. CampMl seihst beobachtete keinen Fall, in welchem
\ä\ die Menses vor 12 Jahren f) Monaten zeigten; ron 80 Mädchen men-
itruirten 5 nach zurückgelegtem zwölften, 8 nach dem dreizehnten, 8 nach
dam Tierzehnten, 16 nach dem fünfzehnten, 2 nach dein sechzehnten. 1 nach
dem siebzehnten Jahre. Demnach tritt in Siam die Menstruation meist
lach zurückgelegtem IB. — 16. Jahre ein. Die Mädchen der Singhaleeen
[»of Ceylon nenBtruiren nach Schmarda zuerst zvrischen dem 13. und 14.
Jahre.
Auch die Weiber der ostasiatischen gelben Rasse, der Mongolen
t'uviers (Chinesen, Mongolen etc.), sollen nach llureau de Villeneuce
xiumlich frühzeitig meoatruiren; er s&gi, da8s das Mittel zwiHchen dem 12.
ond 13. Jahre zu liegen scheine. Allein die Angaben ditferiren auch hier;
«Slfarend Schener das PuberUitsalter für China im 15. — 16. Jahre angiebt,
tritt nach Aussage des französischeii Arztes Morache bei den Chine-
sinnen zu Peking die Menstruation im 13. bis 14. Jahre ein.
In Japan erfolgt nach dem Bericht eines russischen Arztes der
^Wenstruations-Eintritt gewöhnlich im 14. Jahre, zuweilen schon im 1.3., fflnf-
tchnjährigo Mütter gehören nicht zu den Seltenheiten. Auch Wernich gicbt
^an, da«i in Japan die Menses im 14. und 15. Lebensjahre eintreten. Seltener,
[.ala sehr früh nienstruirte Personen, sind später menstmirte ; doch geh Ort ein
{Anfang der Periode vor di?ni 12. Lebensjahre schon zu den auffallenderen
ÜTScheinungeu. Die Mädchen, bei welchen die Menstruation sehr lange (bis
in's 18- Lebensjahr) auf ^\c\\ warten lässt, sind gewöhnlich nicht krank,
»m eelt«n«ten bleichsüchlig in unserem Sinne, sondern sie sind in der
Dntwickelung einfach zurück und l)leiben auch gei.stig Kinder. Wernidt, der
nach «einen Beobachtungen in Yeddo mittheilt, berichtet eine Aeusserung
Dolmetüchers über solche Mädchen, deren Menstruations-Kintritt sich
eOgerte: .Sie bekümmern sich nicht um Haumadeln und künstliches Auf-
i|)iren des Haares, sie pudern sich nicht den Hals und legen nicht
len Gürtel des erwachsenen MlUlchenR an, .sondern kleiden und geberden
lieh wie Kinder, spielen mit den Knaben auf der Strasse u. s. w." Ihre
lörperlicho und geiistige Entwickelung hat etwas Abweichendes; sie bleiben
tckig, wählend sonst die entwickelte Japanerin mit der ersten Mcnstru-
ilion Hchr starke Formen bekommt und besonders an den Brüsten und
lüften ausserordentlich in die Breit« geht.
Au« dem Süden Europas hat Ttiriziano berichtet, dasa in Corfu
lau 14. Jahr als das mittlere Alter für den Beginn der Menstruation zu be-
racht^ii «ei; dieses Aller erscheint autf:illerid spüt, doch musa einerseit« be-
lerkt w<irden, das* Tarieiatw dieoen .Ausspruch nur auf ürund von 38 Beob-
L'htungitn gethiin hat, und dass vielleicht ein Tbeil der letzteren ^ich au f
Jergbewohnerinnrn bezogen hat, wie Krieyer hervorhobt. Für Spanien und
b»Hen wird das Alter von 12 Jahren als das durchschnittliche für die erste
(tinstruation bezeichnet {Virty); in Minorka tritt sie nach CUghom
ivutt vor dem 14. Jnhre und oft schon im 11. Jahre ein. In Rom werden
234
X. Die Reife des Weibes (die Pubertät).
die Mädchen schon von Alters her mit 12 Jnhren für heiruihRfUiig geha
doch schon Zacchias, der dort als Arzt prakticirte, erklärte nach Tilt'S An»
gaben, dass kaum der zwölfte Theil der römischen M&dchen mit 12 Jahres'
schon menstrairt sei, ja viele sogar noch nicht mit 14 Jahren, obgleich «
auch solche gekannt hS.tte, deren Menses schon im 9. Jahre eingetreten ge-
wesen süien. Derselben Autorität zufolge hat Boss, der lange in Madeira
lebte, aus 240 Fällen da» mittlere Alter, in welchem die eingeborenen Mftd-
chen dort menstmiren, auf 14 Jahre und 8 Monate berechnet, Mrährend
Dytfter bei den meisten der von ihm gesammelten 228 Fälle, nämlich bei
67, den ersten Eintritt erst im 16. Jahre fand und als Durcbschnittsalter
15 Jahre 5',s Monate angiebt.
üeber die Menstniationsvcrhältnissü der Frauen in St. Petersburg
haben besonders die Arbeiten HortciWn, Lievert's, Tnrrunrsky'Sf Enko's, Bod-
tacittch's und Weber'f wichtiges Material beigebracht. Aus seiner Prirat-
praxis hat Weber'<^ 2375 Frauen und Mädchen bezüglich des Auftretens der
ersten Menstruation untersucht, wobei er fand, das* von ihnen 10 = 0,4*',o
mit 10 Jahren, 70 = 'Sß^jy mit 1! Jahren, 171 = 7.2% mit 12 ,Tahren,
415 = n,b% mit 13 Jahi-en, 556 = 23.4% mit 14 Jahren, 453 = 19«,«
mit 15 Jahren, 348 = 1^,6^^» mit 16 .Jahren, 200 = 8,4% mit 17 Jahren.
77 = 3,l"u rait 18 Jahren, 40 = 1,7% mit 19 Jahren, 16 = 0,75% mit
20 Jahren, 8 = 0,37"ü mit 21 Jahren, 5 = 0,2% mit 22 Jahren, 2 = 0.07««
mit 24 .Tahreii zum ersten Malt; menstruirt waren. Dieses Material nmfosst
allerding>< zum Theil Patientinnen, so dasa wohl anzunehmen ist, dass bei
nicht Wenigen auch MeiiKtruations-Anomalien vorliegen. Dasselbe umfasst
aber nicht bloss Städterinnen, sondern auch Bäuerinnen aus der Umgegend
at. Petersburg», und Welker* meint, dnss die Zahlen nicht nur für die
Frauen St. Petersburgs maaesgebendsind, sondern auch allgemeine Bedeu-
tung für in RuKsland lebende Frauen haben; denn fast die Hälfte aller
Frauen war noch nicht lange in .St. Petersburg ansässig, und die Ver-
gleicbung die.-^cr letzteren mit den ursprünglich in St. Petersburg An-
■aigen ergab nur geringe Unterschiede.
Somit fiel bei den von Wefjtr^ beobachteten Fällen der Menstruatious-
eintritt auf 14 ^ 2 Jahre. Dienes Resultat stimmt nun mit den Beobachtungen
der übrigen Autoren für St. Petersburg Qberein; so hat Kieter die Durch
schnittsxahl von 15,6 (nach Berichtigung), Hortritz 17,53 Jahre nach seiner
Privatpraxis, und 15,55 nach den Beobachtungen bei den Besuchern der
Ambulanz im Marien-Gebärhause (letztere waren zumeist eingeborene Städte-
rinnen, jene hingegen zu -j» Doribewohnerinnen, bei welchen die Meuae«
weit später eintreten sollen). lAecen hat für die mittlere Zeit des Menses-
Eintritts daselbst 16,44 Jahre festgesetzt (Patientinnen des Hebammen •
instituts). Tartioirski hatte bei 5000 Patientinnen eines Petersburger GebSr-
hauses die Mittelzahl 16,54 Jahre. Enko fand in der Lehranstalt de«|
Alexander -Mädcheninstituts, also bei wohlhabenden Rcsidenzlerinuen, a1»J
Resultat 14,75 Jahre.
Wir vergleichen diese Thatsachen mit solchen ans anderen nordisohtti
idem. In Kopenhagen fanden Baven und J^ewi/ bei 3840 Fällen <ÜM
liitlere Alter zu 16 Jahren 9 Monaten 12 Tagen, in Christiania Erugd
bei 157 Fällen 13 Tage mehr; Vofft bei 1821 Norwegerinnen 16,12 Jalire;
in Stockholm Fat/f bei 548 Fällen 16,6 Jahre, derselbe in Skien bei |
100 Fällen 15 Jahre 5 Monate 14 Tage. Wrethotm gab für das schwedische]
Lappland 18 Jabru. Vo/ztiiirdic tjnänen in Finnland 15,2 Jahre, Brr^ iQr ,
die FaTßer-Inseln bei 122 Fällen 16,13 Jahre. Hetnrieiua fOr Finnland b«j
35. Der Eintritt der
235
Fällen (der geburtsh. Klinik zu Helsingfors) 15 Jahre9 Monute25Tai|re
■n. Zahlreiche Berichte, die sich auf gleich groHse Zahlen von Fällen
Bttttzen, liegen aas Groesbritannien vor. Allein es ist keinesweg.-«
Fthunlich, filr das ganze Land ein mittleres Alter des Pubertät^- Eintritts
berechnen zn wollen. In London fand Guy bei 1498 Fällen die Mehrzahl
im IS. (17,80;o), im 16. (19,4%) und im 17. {U.6",o) Jahro zum ersten Mal
menatrairt; Krieger berechnet hieraus da* mittlere Alter zu 15 Jahren
tl Monat 4 Tagen. Tilt berechnete daselbst aus 1551 Fällen Aatf Alt«r von
15.06 Jahren. Wir übergehen die Angaben von Lee und Murphy sowie
We$t, ond führen nur noch die von Walter Bigden aus 2696 Fällen zu Lon-
don berechnete Zahl von durchschnittlich 14,96 Jahren an. Für Man-
chester liegen die Zählungen von Whitehearl vor, der in 4000 Fällen als
kCittel 15 Jahre 6 Monate 23 Tage berechnete, während Roherton sich ftSr
Manche.4ter auf zu kleine Zahlen beschrankte und bei seinen weiteren
t Angaben über die Engländerinnen uiiterliess, anzufiUiren, aus welchen
(Gegenden sie stammten,
üeber Frankreich hat ßrierre tie Boismant eine der ersten Arbeiten
geliefert; er fand unter 1111 Fällen einen, wo die Regeln im 6., einen zweiten,
vo sie im 8. Jahre begannen, im 10. Jahre schon 10, im 11. 29, im 12. 98,
die grösste Zahl: 190 oder 17,l"'o. menstruirte aber erst im 16. Jahre, und
auch im 18. sind immer noch 127 verzeichnet. Als das durchscbuittUche
Alter lassen sich hieraus für Paris nach dem Verfasser 14 Jahre 6 Monate
4 Tage berechnen. Aran giebt dagegen 15 Jahre 4 Monate und 8 Tage als
^niittleros Menstruationsalter für Paris an. Man ersieht hieraus so recht,
[was für falsche Bilder die Berechnungen eines sogenannten durchschnitt-
[ liehen Altera zu geben im Stande sind.
Wenn für Lyon Petrequin aus 432 Fällen das durchschnittliche .\lter
kaf 15 Jahre 6 Monate berechnete, so macht schon Krieger darauf aufmerksam,
hier wohl ein Reohnungsfehler zu Grunde liegt, da andere Beobachtet'
abweichende Resultate hatten; denn Boiichaeourt giebt den Menstrua-
lionsanfang für Lyon auf 14 Jahre ö Monate 29 Tage, für Marseille und
Toulon auf 13 Jahre 10 Monate, und J/arc cCKspine für Paris auf 14 Jahro
11 Monate 20 Tage, für Toulon auf 14 Jahre 4 Monate 29 Tage, für Mar-
• eille auf 13 Jahre 11 Monate 11 Tage an. Dienen Beobachtern standen
jedoch viel zu kleine Zahlen zu Gebote, um aus ihnen statistisch sichere
R««ull&te zu gewinnen; Bouchacourt nämlich benutzte nur 160, MarctCKspine
für Toulon 43, für Marseille sogar nur 24 Fälle.
Der österreichisch-ungarische Staat wird von so verschieden-
irtigen VolkssUlmmen bewohnt, dnsa die int^reäsante .\rbeit von Ssukits, den
lenatruatious Eintritt für jeden Theil dieses Landes zu berechnen, höchst
)anken«wcrth ist. Seine Untersuchungen umfassen 2275 Fälle, und er dehnte
eine Untersuchungen auch auf eine Vorgleichung der Verhältnisse in Stadt
id Land aas. Die jUng.><ten zwei Individuen waren beim Meustruatioue-
Ktntritt 10. die ältesten 25 Jahre alt. In den einzelnen Provinzen war dax
Üter des Mentstruations-Eintritts in
'ngarn :ius 118 Fallen im Mittel l.'t J
Eichlesien ..63 16 „
Böhmen ..430 16 ,. !
Ober- und Niederös terrL-ich ,. 603 16 .,
M&hren .. 273 16 ., ',
15 T.
23
Ifl Bayei
66
16 „ 10
iHummtstaat 0«>ttrreich
15 Jahre 71/1 M.
236
X. Die Reife des Weibes faie
Unter 665 in Wien geborenen Fr&uen fand Szukits die Zahl der noch
dem 16. Jahr Menstruirten (303) viel grösser als die der vor dieser Zeit
Menstruirten (152); bei den 1610 Frauen vom Lande war dieses Missver-
hältniäs noch grOsser, indem S88 nach und nur 304 vor dem 16. Jahre
menstruirt waren.
Aus Italien besitzen wir eine Liste, welche ihren Werth durch Tren-
nung des Lande» in einen nördlichen, luittlereit und südlichen Theil hat
und sich auf 2652 Fälle erstreckt. Im nördlichen und mittleren Italien
lallt die Mehrzahl der Fälle auf das 14. .Tahr i20,10 and 19,50«ü), im Bild-
lichen hingegen auf das 13. Jahr (16,75"o), doch fallen auch im Bildlichen
Italien vertältnissuiässig noch hohe Procentzahlen auf >lie späteren Lebens-
jahre, so dass selbst noch vom 15.— 20. Jahre sehr viele Madchen zum ersten
Male menstruiren. Bis zum 16. Jahre ist im mittleren Theile des Landes
eine weit grössere Zahl von Mädchen reif, als im südlichen.
Wenden wir unsere Blicke auf Deutschland, so finden wir, dasa auu
mehreren Städten des Reichs zahleiigemilsse Erhebungen vorliegen. Die
umfassendsten L'ntcruuchungen stellten Krieger und Louis Mayer in Berlin
an, indem dieser 6000, jener 5500 Fälle benutzte. Aus ihrer Tabelle ist er-
sichtlich, dass der Beginn der Menstruation am häufigsten im 15. Jahre er-
folgte (10.931" u der Fälle), diesem steht das 14. Jahr am nächsten (18,213%);
bei den übrigen sind die späteren Leben.-tjiihre weit reichlicher vertreten, als
die früheren. Während ein grosser Theil der hier zur Untersuchung her-
beigezogenen Fälle der Privatpraxis entstammt, viele derselben aber einer
erst mich Berlin verzogenen Reihe von Individuen anzugehören scheinen,
worden von Marcuse 3030 Falb der g^-nrikologiscben Klinik in Berlin >a
einer statistischen Unterstichung benutzt, die sich demnach auf die niederen
Stände beschränkte; hier fand der durchschnittliche Eintritt der Menses im
_16,18. Leben>ijahr statt.
Ueber den Eintritt der Menses bei der Münchener Bevölkerung, »o
bit solche durch die in der Gebäranstalt und geburtshüflichen Poliklinik
Überhaupt repriisentirten Bevölkerungsschichten vertreten werden kann, hat
Hecker an 3114 Füllen Untersuchungen angestellt. Hier sind das 16.
(16,92U/,j), 17. (16,44";o) "id 18. (15,61%) Jahr in absteigender Folge die
häufigsten Termine für den Eintritt der Menstruation, dann folgt da« 15.
(15,320/o). 19, (10,37'J,o), 14. (8,89%), 20. (7,51 "o) Jahr u. s. w. In den drei
genannten Jahren menstruirten zum ersten Male im Ganzen 48,97 *'ü, vor
dieser Zeit 29,37" oi nach derselbon 21,62'>;o. Hecker hat aber auch die
Stadt- und Land -Bevölkerung besonders untersucht, indem er die Fälle
aus der Stadt allein zusamnienzälilte, während die übrigen Fälle zumeist
aus Oberbayern stammen. Er gelangte zu dem Resultate: .Müu chen ver-
hält sich bezüglich des Menstruations-Eintritts ziemlich eben so, wie Ober-
bnyern; hier wie dort tritt die erste Menstruation durchschnittlich ziemlich
spät ein." Später hat Schlichting die Sache an S881 Fällen der MOuchener
Üinik und Poliklinik weiter verfolgt und ebenfalls das 16. Jahr aU da«
höchstbelnstete (mit lS,534^*o) gefunden; auch er findet ziemliche Ueberein*
■timmung zwischen Stadt und Land; die Mehrbelastung des 16. Jahre« boi
den Städterinnen erklärt er daraus, das« die die Gebäranstalt besuchenden
Städterinnen mehr der niederen Klasse angehören, während die Auswärtigen
£um Theil auch aus den besitzenden, zum anderen Theile aus den ärmerän
Ständen stammexi.
Vergleicht man nun München mit Berlin, so findet man frappant«
Unterschiede zu Gunsten der Berlinerinnen: In Berlin ist dtu 14. Stht
86. Die Frühreife. 237
mit I8O/0 und das 15. ungef&hr mit 190/o vertreten, während die höchsten
Procente in München das 151 mit 17V2% und das 16. mit 18',4<'/o giebt.
ScMichting macht darauf aufmerknam, dass Berlin ungefähr 4V2^ nördlicher
liegt, als München, dafür aber fast um 500 Meter niedriger. Diese 500
Meter scheinen nicht nur die 4'/2® Unterschied zu compensiren, sondern
lassen sogar die Jungfrauen Berlins um ein volles Jahr früher ihre Menses
zeitigen, als die Münchnerinnen. Er schliesst mit den Worten: »Aus
dem Ganzen möchte hervorgehen, dass die klimatischen Einflüsse auf den
Eintritt der ersten Menstruation sehr bestimmend wirken." Allein wir fragen,
ob nicht auch die differente Lebensweise mit in Anschlag zu bringen ist?
Es scheint, dass in Bayern auf dem Lande der Menstruationseintritt
überhaupt ziemlich spät fällt, denn 2^/%e2 berechnete im Frankenwalde
die mittlere Zeit des normalen Eintritts auf 17 Jahre und 5 1,2 Monat.
In Strassburg traf bei 600 in der Maternit^ aufgenommenen Frauen
nach Stolz's Beobachtung die grösste Zahl auf das Alter von 14 — 18 Jahren,
das Maximum auf das 18. Jahr. In einer Strassburger Tabaksfabrik er-
mittelte Levy bei 649 Frauen als mittleres Alter der Arbeiterinnen 15 Jahre
(20%); dann kam das 14. (19,630,o) und das 16. Jahr (19,17";o); im Alter
von 18 Jahren traten die Menses bei I0,780'o ein.
36. Die Frühreife.
Wir können diese Besprechungen über den Zeitpunkt, zu
welchem bei dem heranvrachsenden Mädchen die Menstruation zum
ersten Male eintritt, nicht verlassen, ohne gewisser Zustände zu
gedenken, die allerdings sehr selten sind und auch als im Allge-
meinen pathologisch bezeichnet werden müssen, welche aber doch
noch einer eingehenderen Untersuchung harren. Man hat diese
Dinge unter dem gemeinsamen Namen der Frühreife zusammen-
gefasst. Wir werden aber gleich sehen, dass hiermit sehr ver-
schiedenartige Processe bezeichnet worden sind. Unter Frühreife
im physischen Sinne und bei dem uns hier ja nur allein interessi-
renden weiblichen Greschlechte versteht man das Eintreten der
Menstruation und die Entwickelung der Brüste nebst dem Hervor-
sprossen der Scham- und Achselbehaarung in einem Lebensalter,
welches erheblich vor demjenigen liegt, in welchem unter normalen
Verhältnissen allerfrühestens zum ersten Male diese Dinge sich zu
zeigen pflegen. Man hat das Ausfliessen von Blut aus der Vagina
bei noch ausserordentlich jungen Mädchen, selbst noch vor dem
Ablaufe des ersten Lebensjahres, beobachtet und als Beispiele von
Frühreife beschrieben, auch wenn eine solche Blutung aus der
Scheide auch nur ein einziges Mal sich gezeigt hatte. Solche
Fälle muss man natürlicher Weise überhaupt vollständig ausschliessen.
Denn ob eine solche Blutung analoge Bedeutung wie eine wirkliche
Menstruationsblutung besitzt, das ist doch als ausserordentlich frag-
lich zu befrachten. Sollen derartige Blutabgänge wirklich als
Menstruationsblutflüsse angesehen werden, so muss man allermin-
238 X. Die Reife des Weibes (die Pubertät).
destens doch verlangen, dass sie mit einer gewissen Periodidtit
sich wiederholen. Bei manchen Kindern bestand die Frühröfe nnn
allein in dem Auftreten von nur als Menstruation zu deutenden
Blutungen, während die Fälle von Frühreife im eigentlichen Sinne
des Wortes auch noch andere, recht in die Augen fallende Merk-
male darboten. Die Brüste wuchsen und nahmen Formen an, wie
wir sie sonst nur bei reifen Jungfrauen zu sehen gewohnt sind,
die übrigen Körpertheile wvirden rund und voll und an den Geni-
taUen sprosste ein mehr oder weniger reicher Haarwuchs hervor,
In einigen Fällen, welche angeblich schon ganz ausserordentlich
früh, selbst schon mit einem Jahre menstruirt waren, soll die Be-
haarung der Geschlechtstheile sogar bereits angeboren gewesen sein.
Sehr lehrreich ist eine Beobachtung, in welcher die Obduction
ausgeführt werden konnte, die die Gebärmutter, die Eierstöcke und
die Scheide wie bei einer Erwachsenen ausgebildet nachzuweisen
vermochte. Durch diesen Umstand werden uns auch solche Fälle
verständlich, in welchen in sehr frühem Lebensalter, im 13., 12.,
11., ja selbst ein paar Mal schon im 9. Lebensjahre eine Schwan-
gerschaft eingetreten und das Kind sogar ausgetragen worden war.
Indianermädchen sollen nach Boherton nicht selten im 10. Jahre
Mütter werden. Wie weit bei diesen vorzeitig entwickelten
Kindern die Heterochronie ihrer Entwickelung von speciellen patho-
logischen Vorgängen abgeleitet werden muss, das ist für uns nicht
gut möglich, zu entscheiden. Jedenfalls aber fanden sich bei
mehreren solchen frühreifen Kindern, die gestorben waren, bei der
Obduction recht bedeutende Abnormitäten der inneren Organe vor,
nämlich einige Male Sarkom- und Hydatidenbildung in den Ovarien,
einige Male Hjdrocephalus, und ausserdem wird bei einigen Kindern
das Bestehen einer ßhachitis besonders hervorgehoben. Auch Fett-
sucht wurde in einem Falle verzeichnet. Besondere Bedingungen,
wie die Lebensweise der Mutter oder sonstige individuelle Lebens-
verhältnisse, vermochte man für die Frühreife nicht, auch nicht
Erblichkeit, als besondere oder gemeinschaftliche Gelegenheits-
nrsache naclizuweisen, obgleich sich eine ganze Reihe von Autoren
mit dieser Angelegenheit beschäftigt hat.*) Eine eingehende Kritik
♦) A. Kussmaul, Ueber geschlechtliche Frühreife in der Würzburger
luedic. Zeitschr. 1862. III. S. 346. — Bulletin de VAcad. roy. de mäaecine
<le Belgique 1878. XII. — W. Stricker, Weitere Mittheilungen zur Lehre von
der Menstruation; Vtrc/toic'« Archiv. 88. Band. 2. Heft, 1882. S. 379. —
Aeltere Beispiele von vorzeitiger Menstruation im 6., 5., 4.. 3., 2. und 1.
■Jahre, ja sogar bei Neugeborenen führt Mart. Schurig in seiner Partbenologia
historieo-niedica an (Dresdac et Lips. 1729 pag. 182 — 188). Diese Alteren
Fälle, sowie die folgenden, sind wohl nicht sicher bezeugt: TreutUng'g Fall
in: Act. natur. curios. Vol. V. p. 442; obs. 131. — G. T. Turins Fall in:
Ephem. natur. cur. Dec. III. a VII. et VIII. pag. 267; obs. 149. — Peehiin'»
Fall: Observ. phys. med. Lib. I. 34. p. 81. — Stalpart van der Wiel, Observ.
86. Die Prthrcife.
239
ist bei der Kürze der von den Beobachtern gemachten Angaben
t"ttr die Mehrzahl der Fälle Oberhaupt nicht auszuüben, und müssen
wir daher das Verständniss für die Aetiologie dieser Zustande auf
eine spätere Zeit vertagen.
Es mögen jetzt in aller Kürze hier die einschlägigen Beobachtungen
ihre Stelle finden:
1. X. auB Königsberg, im 9. Jahre menstr. (Mayer.)
2. Therese Fiecher uns Regensbarg, geb. 1807, im 6. Jahre menatr.,
litt ebenfalla an Hydrocephalus. C^VetslerJ
3. Lotti^e Flux, geb. 1802. gest. 1809, menstr. im 4. Leben«ij.; war
bärtig; litt, wie sich bei der Section ergab, an Hydrocephalua internus.
(Cooke.J
4. X. auB Werdorf, am Schloss des 1. Jahres raenBtr., litt an RhaehitiB.
(Susewind.J
5. Barbara Eckhofer, geb. 1806; im 9. Monat menstr. (d'OutrepotU.J
6. X. Blutabgang mit 9. 11, 14 und 18 Monaten. (Die/fenbachAj
7. S,, mit 2 Jahren 9 Monaten uienütr. (Lieber.)
8. X., mit 6 Mon. menstr., litt ebenfalls an Rhachitis. {Cesarano.)
9. X., mit 3 Mon. menstr., litt an Rhachitis. {Comarmond.)
10. X., mit 2 Monaten roenstr. {Zeller.)
11. Josefine X., geb. d. 15. März 1871, Zwillingsmädchen, deren Schwester
als l^lii^hr. Mädchen keine derartige Abnormität zeigt. Sogleich bei der
Geburt war die unverhältiÜBsmässige Grösse des Kindes aufgefalleo im Ver-
gleich zur Schwester; schon nach dem ersten Halbjahr begannen die Brüste
zu wachsen ; im 7. oder 8. Monat bekam sie wie die Schwester die ersten
Zähne. Als sie ca. 1 Jahr alt war, zeigte sich Blutapur, zum zweiten Male
Anfang Mai 1874, wo die Blutung stärker war; Blutabgang dauert 3 Tage;
von da ab regelmässig menstr. alle 4 Wochen ohne alle Beschwerde. Vom
5. Lebensj. an wurden die Perioden sogar sehr reichlich; seit dieser Zeit
klagte das Mädchen 3 Tage vor Eintritt der Menses über zeitweilige Schmerzen
im Bauch. Sie ist duukelbloud mit blauen Augen: mau wQrde sie bei ihrer
k<}rperlichen Ausbildung für 12 jähr., statt für 7'4Jährig halten. Interessant
ist der Vergleich mit der Zwilliugsschwester: sie wiegt 34,75 k, ihre
Schwester 20,0 k; ihre Grösse 139 cm, die der Schwester 121 cm; Umfang
der Wnrze 77 cm, der der Schwester 61 cm ; Umfang des Bauchs am Nabel
73 cm, der der Schwester 62 cm. {Stoct:er.}
12. Elisabeth Klinck, geb. 31. Oct. 1875 in Bornheim; mit 9 Monaten
menstr., die Menses im 2. Lebensj. geregelt; bei der im Febr. 1882 statt-
tindenden Untersuchung ergab sich reichlicher dunkler Haarwuchs an den
Cieachlechtsth. und gute Entwickelang der Brüste; sie wog 47 Pfund mit
6 Jahren 4 Monaten und war 120 cm gross. [Lorey.)
13. Charlotte L., mit 7 Jahren menstr., flaumartiges Haar an den Ge-
»cblechtsth., starke Entwickelung der Brust; litt au Steatom und Hydatiden
dex Ovarien nach Ergebniss der Section. {Gedicke.)
rarior. centur. prior. Lugd. Batav. 8. 1687. p. 336. — Dagegen wären wohl
noch zu berücksichtigen <lie Fälle von Plieninger, Camerer, Wit: und Müller
im Württemberger Corresp.-Blatte 1834, 1836 und 1839; dann FUtgd's Fall
im Bair. lutellig.-Blatte 1871; und Horteite's Fall in St. Petersburger med.
Zeitschr. XIII. S. 225.
X. Die Reife
14. Mary Anna G., geb. im M&rz 1845; Blutung im 5. Lebpusnionat
mit Smonatl., dann dmonatl., dann Tmonatl. Typus bis zum 6. Lebentijahiv,
luii schwarzen Haaren an den Geächlecht.stheQen und bei der Gebart hübnerei-
grossen Brüsten. (Wilson.)
15. Jart« Jones, seit dem 5. Jahre alle 3 — 4 Wochen 2 Tage luig
uaenstr., mit 3 Jahren Entwickelung der Brüste. {Peacoek.)
16. NelU/ 0., geb. 27. Jan. 1872 in London, vom 22. Lebensmosat «n
menstruirt. zeigte gehen von ihrer Geburt an sehr entwickelte Brüste; Men-
•88 erscheinen alle 4 Wochen; bevor sie eintreten, befindet sich das Kind
jedesmal etwas unwohl. Im Alter von 4 Jahren 2 Monaten fand man di^
Brüste vollständig ausgebildet, die Warzen so gross wie das Daumenglied
eines Mannes, Hof rosig geHlrbt, etwas hervorragend; bei jeder Menstr.
nehmen die Brüste an Umfang zu. Der ganze Körper trägt mit seinen
runden Formen alle Zeichen früher Reife und wiegt 55 Pfund englisch;
Wesen und Charakter ernster als gewöhnlich in diesem Alter. (Bouchut.)
17. X., zeigte schon als zwei Wochen altes Kind einen blutigen Aus-
flusB, der 2 — 3 Tage anhielt und seitdem fast genau jeden Monat wieder-
kehrt«; das Kind wird als kleines, fettes Wesen beschrieben, dessen Brflst«
bereits so entwickelt waren, wie bei einer 16 — 17jB,hr. Jungfrau; nach Aus-
sage der Mutter werden die Brüste zeitweilig harter und turgescirend; die
Warzen waren bei der Untersuchung im 4. Jahr über 5 cm lang und «benso
wie die 2 cm breite Areola dunkel piguicnlirt. Die äusseren (Genitalien gut
entwickelt, die Labia minora stark hervortretend, dagegen fehlte die De- ,
haarung der Schamgegend. Das Kind war rhachitisch und hatte bereit«
Genu valguro. Die geistige Entwickelung war dem Alter enti^precheiid.
{Vntnimottd .)
18. Anna Strobel. geb. 1876
bei St. Louis, menstr, mit Ift
MoD., hatte mit 4 Jahren 9 Mon.
stark entwickelte Brüste. (Ber-
nays.) (Fig. 36.)
!<). Kin SVsjährig. Mädchen
wurde den 15. Oct. 1883 der ge-
burtsh. Gesellschaft zu Leipiig
vorgestellt; ihr Aussehen war
das eines Mädchens von 6—'
Jahren. Brüste , Schanihaare,
Schamlippen sehr entwickelt, seit
Weihnachten 1881 war bei ihr
Menstruation mit viei*wöcb<iiit-
licheni Typus eingetreten.
20. Thcodora Vivtstissi war mit I
S^ij Jahren menstruirt. zeigte
tu den Geschlechtstheilt?!! starke,
-'^hwurze Huiire, ihre Brüste wa-
ren nehr stHrk entwickelt. BetJ
der Section zeigte sich Sarkom]
der Eierstocke. {Bnern^
21. X., mit 3 Jabren men*^
«truirt; gleichzeitig behftiirt«»]
«rh die Uescfairchtetbenfl uad
entwickelte sich dio Üraei,
Flg. 36.
FrUbr^f«! Kidobsn, 4>,« Jtkr ^t.
(Nkcli Bernau*.)
86. Die Frflbreife. 241
22. Eva Christine Fischer aoB/Eisenach, geb. 1750, gest. 18. Mai 1753,
war wie ein 20jährige8 Mädchen entwickelt und wurde 1758 auf der Leip-
ziger Ostermesse zur Schau gestellt. Sie wog 82 Pfund (Leipziger
Fleischergewicht) und ist in der -Anatomie zu Leipzig abgebildet.
28. X., 3 Jahre alt, menstrnirt alle 8 — 4 Wochen 3 — 4 Tage lang ohne
besonderes Leiden, besitzt eine ihr Lebensalter erheblich überschreitende
Schwere und Länge; beide Brüste halbkugelfönnig, Warzen prominirend,
Warzenhof blassroth; Schamlippen wie bei Erwachsenen entwickelt. {Wachs.)
24. Johanna Friederike Gloch aus Köthen, geb. 28. April 1799, gest.
1803, hatte an den Geschlechtstheilen starke, dunkelkrause Haare; Hänge-
brüste; litt an Hydrocephalus und Fettsucht. Bei der Section fanden sich
Uterus, Ovarien und Vagina wie bei einer Erwachsenen. {Tilesius.)
25. Mathilde H. aus Louisiana, geb. 30. Sept. 1827, mit 3 Jahren
menstr., von da an regelmässig jeden Monat jedesmal 4 Tage lang; schon
bei der Geburt behaarte Geschlechtsth. {Le Beau.)
26. X., geb. im Febr. 1880, Nordamerika; van Derweer sah das
Kind im Sept. 1882, wo es 2 Jahre 7 Monate alt war. Das Mädchen begann,
als es 4 Monate alt war, alle 28 Tage zu menstruiren; die Menses flössen
4 — 5 Tage. Das Kind ist ungemeiu gut entwickelt, 49 Pfund schwer, und
es sieht aus wie ein zehn- bis zwölfjähriges. Im Dec. 1882, Januar und
Febr. 1883 blieben die Menses aus. Ein ähnlicher Fall kam nicht in der
Familie vor.
27. Marie Augustine Coquelin geb. Michel in. Paris, menstruirte von 2 Va
Jahren an regelmässig, hatte im 8. Jahre stark entwickelte Brüste, heirathete
im 27. Jahre. [Descuret.)
28. X., mit 7 Monaten (am 4. April 1878) trat 8 Tage lang Blut aus
dfr Vulva; im folgenden Monat kehrte die Blutung wieder und währte
gleichfalls 3 Tage; und so allmählich weiter bis zum März 1879. Um diese
Zeit, als schon das Kind 18 Monate alt geworden, trat statt der Blutung
eine sehr reichliche Leukorrhoe auf, die bis Mitte Januar 1880 anhielt.
Hierauf zeigte sich nach einer heftigen Kolik Menorrhagie von neuem. Die
Menge des Blutes, die jedesmal abging, betrug bei 45 Gramm. Das Kind
hatte im Alter von 28 Monaten in Bezug auf seine runden Formen, sowie
75 cm breite Taille, ganz das Aussehen einer im Wachsthum stark zurück-
gebliebenen Frau. Die Brüste sind kräftig, über citronengross, elastisch und
turgescent, wie bei einem 16 — 17jähiigen Mädchen mit prominirenden Warzen
und sehr breitem Hof. Die äusseren Genitalien sehr gut entwickelt, die
Vulva-Oeffnung ist sehr gross, die Labien sind dick und der Schamberg mit
ziemlich langem, rothem Haar besetzt. In moralischer und physischer Hin-
sicht entspricht das Kind den Verhältnissen der ersten Kindheit. (Corttjanera.)
29. Anna S. in Altenburg, geb. 1860, mit 1 Jahr 7 Mon. menstr.,
Geschlechtsth. mit 8/4 Zoll langen Haaren, Brustdrüsen wie bei einer Frau;
bei der Section fand sich Sarkom der Ovarien. {Geinitz.)
30. Christine Therese A., geb. 27. Januar 1838; im 2. Jahre menstr.,
zeigte bei der Untersuchung im Dec. 1841 dunkle Haare an den Geschlechts-
theilen und Brüste wie bei einem 16jähr. Mädchen. (Carus.)
31. X., mit 9 Monaten menstr., zeigte im 2. Jahre Behaarung der Ge-
schlechtsth., und mit IV2 Jahren Entwickelung der Brüste. (Wall.)
32. Louise B. aus R., geb. 1840; mit 15 Monaten menstr., gleichzeitige
Entwickelung der Brüste. (Meuter.)
Flott, Dm Weib. L a. Anfl. 16
242
X. Die Reife de« Weibes (die PaberUlt).
33. üabella. Negerkind. geb. 6. Jsli 1821 in der Havann*, En^i*
des I. Jabre« meustr.. bei der Geburt schon entwickelte Bebaamng and
Brflät«. {Batnon de Iti Saffra.)
34. X, im 10. Monat menstr,, BehEarung und Brüste mit 2 Jahren
völlig entwickelt. {Lenho»8ek.)
35. /. B., geb. im Man 1863. am 15. Febr. 1876 entbanden. (K€bbell.)
36. M. H., aus P., wurde im 13 Jahre geschwängert {d'Outrtftont.)
37. A'., geh. 1867, kommt im Alter von 12 Jahren und 1 Monat mit
lebendem Kinde nieder.
38. Elisabeth Drayton in Tauntun (MasBach.), geb. am 25. M3nc
1847, vollzog den Coitus am 1. Mai 1857. kam nieder am 1. Febr. 185^.
39. Saüy Deiceese in Kentucky, gel>. 1824. mit einem Jahr men-^tr^
gebar im 10. Jahre. {Montgomery.)
40. A. M. aus P., im 9. Jahr menstr.. kurz nachher geschw&ogert. starb
14 Monate nach der Geburt an Phthisis. {d'Outrepont.)
41. Anna Mummenthakr aus Trachselwald lim Canton Berni, geh.
1751, gest. 1826, war mit "2 Jahren menstruirt; bei der Geburt waren die
Geschlecbtstheile behaart und die Brustdräsen entwickelt: im 9. Lebens-
jahre geschwängert; blieb bis zum 52. Jahre menstruirt. (f. Hnlhr.)
42. A'. aus Oher-Pallen in Niederl.-Luxembnrg, geb. 27. Oct. 1868,
zeigte sogleich bei der Geburt kräftigen Körperbau, die Schamgegend war
mit Haaren besetzt; menütruirte mit 4 Jahren; seit dem 8. Jahre treten die
Menses regelmässig ein; mit S Jahren war f>ie 133 cm hoch, von kruftigein
Körperbau: der Blick war kühn; die Brüste gut entwickelt. Geschlechtsth.
mit dichtem Haanmchs bedeckt. Sie hatte schon mit 8 Jahren Itilufigen
geschlechtlichen Umgang mit einem 32j&hr. Manne gepflogen: sie klagte Ober
Uebelkeit und war leicht icterisch. Seit 3 Monaten war die M)='tistr. aus-
geblieben, während 2' j Mon. erfolgten Blutungen, dann wurde am 27. Juü
1877 eine Hydatidenmole nebst einem Embrj'o ausgestosspn : <\^* Kind uoiia«
vollständig. {Molitor.)
Bei fremden Rassen und zwar ebensowohl bei solchen, die in
heissen, als auch bei solchen, welche in sehr kalten KUniaten woh-
nen, werden wir in dem Abschnitte über das HeirAtlusalter sehen,
dass Schwangerschaften in einem Lebensalter, in welchem wir das
Weib noch jus ein Kind zu betrachten gewohnt sind, durchaus
nicht zu den Seltenheiten zu zählen sind.
37. liebränehe bei dem Kintritt der Menstruation.
Das zum ersten Male nienstrnirende Madchen tritt in eine uvnt
Entwickelimgsepoche des Lebens ein : sie ist reif geworden, rhien
eigenen Hausstand zu gründen, zur Vermelxruug des Stammes uuch
ihrerseits 1 • •■n\ mit einem Witrtv. sie ist mannbar "-n.
Mit dem £. <irr l'ubertiit Vfrl)iudet sicli aber in -. v>-
erlauben sehr vieler Nationalitäten die Ansicht, dass das wcibbcbe
S7. Gebrftache bei dem Eintritt de
243
Teseu mit dieser erstmaligen Blutabsonderniig zunächst in einen
Eustand temporärer Unreinheit versetzt wird, in der sie abgesondert
rerden raiiss, um nicht Andere zu verunreinigen, und ferner auch,
SS es nothwendig ist, das arme Geschöpf durch die Aulerlegung
ron Leiden und Weh eine Art von Prllfung darchtuuchen zu lassen,
iurch deren Ablegung sie sich erst der Stamm esgeuossinnen für
rtirdig beweisen muss.
Eine solche Anschauung wiederholt sich bei einer recht grossen
Inzahl von Natur- und halbcivilisirten Völkern ; erst eine Läute-
uig durch höhere Cultur giebt der sexuellen Entwickehing des
[ädchens zur Jungfrau eine andere, eine geistigere Bedeutung.
ie Formen, in welchen die Erklärung, dass da.s Mädchen nun vom
[jnde zur Jungfrau herangereift ist, auftritt, sind bei verschiedenen
^■ilkem ausserordentlich mannigfach. Unt^r den rtthesteu Wilden
kommen dabei widerwärtige, jedenfalls uralte Sitten zum Vorschein,
[rhlimme Peinigungen, die vielleicht nicht immer allein den Eud-
reck haben, die Standhaftigkeit des armen Wesens zu prüfen,
indem wohl auch dazu dienen sollen, den vermeintlichen Dämon der
Inreinheit auszutreil)en. Hei anderen Völkern wird dagegen eine
»remonie vorgenommen, bei der das Mäddien ein Symbol, z. B.
inen besonderen Haarschniuck, t-ine besondere Kleidung, eine eigene
Pättowiruug oder Aehnliches erhält.
Bei mehreren australischen Slätumen werden sowohl an M&dchen als
ach an Knaben als Einfübnmg in die Mannbarkeit unter grossen Cei-emonieu
rei Zähne ausgeachlagcn, /.. B. im Seengebiet, vio diese Operation Täohir-
it«cbirri genannt wird; Zwei Stäbe von Hol/., die keilförcuig zugescbärft
id, werden zu beiden Seiten eine^ Zahnes eingetrieben-, auf den Zahn legt
kan ein Stück Fell und setzt darauf ein scharfes etwa 60 cm langes Holz-,
in bis zwei Schläge mit einem schweren Stein auf dieses Holz genügen in
ir Kegel, um den Zahn so zu lösen, d&as er mit der Hand herausgenoiumen
rerden kann. In gleicher Weirie wird der zweite Zahn entfernt, und dann
ichter Tbon auf die Wunde gedrückt, um die Blutung %u stillen.
ie Kinder vormthen kaum durch ein Zucken den Gesichts, dass sie
;hnier/ empfinden. Drei Tage nach der Operation muss dau Kind sich
fohl bliten, den Rücken von irgend Jemand zu sehen, sonst wächst sein
[und zu und es muss Hungers sterben. Die ansgezogenen Zähne bewahrt
in abergläubischer Weise ein Jabr lang in Emu-Federn gehüllt auf,
iinit die Adler nie nicht hnden und dem Kinde dann an Stelle der ausge-
;genen grössere wachsen, welche »ich in die Höhe krümmen und unter
ro«4eu Schmerzen den Tod verursachen würden.
Auf Tahiti tättowirt man die geschlechturoifen Madchen; diese harren
ipv.'s Momenten «i-hnsüchtig, denn nicht mannbar zu sein gilt für sie als
nde. {Fomter.) Auf Tonga veranstaltet man ihnen ein Fest und
' I nie. (Turner.) Wird in Neu -Irland ein Mftdchen mannbar, so
skt man nie auf etwa ■i Wochen in eine Art Käfig innerhalb des HauHCB,
•1ehe4 Nie bewohnt. Kränze aus wohlriechenden Pflanzen werden um ihre Taille
ad ihren Hain gebunden. Der Käfig wird gewöhnlich zweistöckig gebaut; oben
at die junge Dame, unten entweder ein altes Weib oder ein kleines Kind. Der
1, in dem das Mädchen verweilt, ist so klein, dass sie nicht aufrecht
16»
244
X. Die Reife des Weibes (die Pubertät).
stehen, sondern nur liegen oder sitzen kann. Nur bei Nacht darf sie diecn'
unbequemen Aufenthaltsort verläsaen. (Pmceü.) Auf Yap. einer der Ca
rolinen- Inseln, wird das Mädchen isolirt; es lebt 2 — 3 Monate in *iui>r
Hütte, tlie unweit de« Dorfes nur zu diesem Zwecke dient, fc. Mtkfudir-
Maclay.)
Bei den Malayen des oRtindischen Archipels hat sich dio Sitte
Qberall verbreitet, dass bei eingetretener Pubertät bei beiden Oeschlech- i
tem die Zühne um ein Viertel ihrer LUnge abgefeilt und Kchwarc
getUrbt werden, wozu oft noch das Auslegen derselben mit kleineu
Goldplatt^hcn kommt. Die grossen Festlichkeiten, die beim Zahnabfeileu
einer Prin/.e.s.'iin in Baren auf Celebe« stattfanden, beschreibt un*
Ida Pfeifer: Dos auf einer Matratze liegende Mädchen wurde Ton
einem alten Manne mit drei Feilen an ihren Zähnen so behandelt, das«
die obere Zahnreihe erst mit der gröberen, dann mit einer feineren,
schliesslich mit der kleinsten und feinsten Feile abgeraspelt wurde, wobei
der Operateur im Allgemeinen gefichickt verfuhr und die Prinzessin keinen
Laut von sich gab. Der Operateur erhielt dafilr ein Huhn, welchem er ein i
kleines 8tfick des Kammes abriss und hierauf das herausspritzende Blut auf |
die Zähne und Lippen der Prinzessin brachte. Hierauf wurde auch dieselbe I
Operation an sechs jungen Mädchen des Hofstaates vollzogen, aber mit
weniger Umständen, worauf ein grosses Gastmahl die Festlichkeit beschtorsj
Ist das Feilen der Zähne auf Timoriao bei einem reif gewordenen!
Idchen versäumt worden, so rauss die Operation ■^rährend der Schwanger-
Bhaft nachgeholt werden. (Siedel.) Wenn bei den Mädchen auf den
lawu- oder Haawu-Inseln (Niederländisch Indien) die Pubert.itj
eintritt, eo wird es der Operation des Zähucfcilens unterworfen; ein i
zusammengerolltes Koli-Blatt wird ihm wie ein Dilatator in die Va-
gina eingeschoben, um sie zu erweitem, uud ihre Brüste werden geknetet. ,
{RiedeU)
Frau Antonie Herf erzählt von Java: „So sah ich jüngst einen Au&ng.
Über dessen Bedeutung ich, so lange ich ihn sah, mich in völliger Unklarheit
befand. Voran zogen uogefilhr zwölf junge unbekleidete Javanesen. Allel
waren gelb ge^^udert. wodurch ihre Körper vrie in knapp anschlieasendenJ
Tricot gekleidet erschienen. Sie trugen die verschiedensten Toiletteogegen« |
stände: der eine einen kostbaren, zierlichen Spiegel in glänzendem Rahmen,
welcher mit in der Sonne funkelnden Steinen besetzt war. Ein anden^rj
hatte einen grossen, sehr schönen Fächer in der Hand, ein dritter Kainni <
und Bürste in offenem, beschnitztem Elfenbeinkusten, dcrmitrothem Samtaftl
ausgeschlagen war; der nächste trog auf goldenem Teller zwei Säckchen voul
dünnem, durchsichtigem Gewebe, von welchen das eine den hier allgemeinj
üblichen Schönheitspuder, aus dem Samen einer seltenen einheimisch« al
Pflanze bereitet, das andere Curcuma enthielt, ein Färbungsmittel, da« iclii
schon früher einmal erwähnt habe. Verschiedene andere Gegenstände, die|
noch weiter von den gelben Jünglingen vorQbergetragen wurden, waren mir
theils unerkennbar, Iheils überhaupt unbekannt. Ein Musikcorps fpl»<e.'
Hinter demselben w^urden lange, breite Bretter getragen, welche von
mit Blumen und Bändern geschmückten Tüchern bedeckt waren. I
riesige Blumcnsträustjc prangten auf denselben; verschiedene reich ««ria|
Geinohte, Kuchen und Früchte kennzeichneten sie als ambulante Fest
Dieser folgten wiederum Javanesenjilngliuge, welche HaushaltiingsigegeM«
stände in idealiairter Form und verdchwenderischer Ausschmückung trugvnJ
In der Mitte des Zuges bewegte sich langsam ein phantastisch aoMstaflirtcrJ
lation.
{en Tüchern drapirter ottener Wagen, welcher von vier blumen-
und bewimpelten Schimmeln (gezogen wurde. In demselben sass
in drollig herausgeputztes hmunea Javanenkind, etwa zehn Jahre alt und
echt onglücklich dreinschauend. Ihm folgte wiederum eine Schaar Ja vanen
in den denkbar buntesten Saronga und Kabayen, und ein zweites Musikcorps
lachte den Beschluss. Und was bedeutet diese wunderliche Komödie'? Den
rriumphzug eines zur 'Jungfrau herangereiften Kindes, welches nunmehr
ich als heiruthsfjlhig proclamirt war!"
Den Eintritt der ersten Menses r.eigt das Nayer-Mädchen in Malabar
liirch ihre Mutter ihrer Schwiegermutter, d. h. der Mutter ihres zur Zeit
Bgün^tigten Liebhaber« an, der ihr einen Krug Wa-sser über den Kopf
(Jaffoi.*) In Birma ist für das Madchen dos, was für den Knaben
Tättowiren, bei der Mannbarkeita-ErkUlrung das Ohrloch-Sfechen.
Dos Läppchen des Ohres wird mit einer silbernen Nadel durchstochen.
In die gemachte Oeönung werden so viele Stengel eines bestimmten
iirases gesteckt, als sie fasst. Dann wird durch Schrauben -Ohrringe
das Loch erweitert, in welche« später mächtige Ohrscheiben gesteckt
werden.
In 8 »am werden nach den uns zugegangenen Berichten des verstorbenen
Sdumbufffk dem Mädchen beim Eintritt der Menses die Haare abgeschoren
und manchmal 5—6 Tage lang Feierlichkeiten abgehalten, die besonders bei
königlichen Prinzessinnen gross sind.
Bei den Chinesen schmückt man das herangereifte Mädchen mit der
loamudel, dem Kopfputx der Frauen.
Als Zeichen der eingetretenen Jungfrauschaft erhält in Abyssinien
^das junge Mädchen einen besonderen Schmuck: sie tr^t mitten auf der
Stirn eine runde Elfenbein-Platte, welche mittelst eines Stirnbandes festge-
biUten ^nrd. (Slecker.)
Bei unseren Begriffen von Schamhaftigkeit und weiblicher Tugend ist
es uns ganz unverständlich, dass beiden Negervölkern der Loango-KQste
^Jungfrauen, welche sich bei Eintritt der Menses plötzlich ihres dereinstigen
Jcrufes bewuBst werden, ihr (ieheimuiss der ganzen Männenn'elt verkündet
eben; und doch ist es dort Sitte, die Betreifenden nicht nur im Dorfe
lurcb Qesang und Tanz zu feiern, sondern sie auch unter Begleitung der
Fugend beiderlei Geschlechts den Europäern vorzuführen. Eine solche Pro-
esNon giebt sich schon von Weitem durch ihren ausgelassenen Jubel kund,
Bnd führt die völlig Vermummte in die Mitte des Hofes, wo sie auf einer
Haie unter eisern Schirm Platz nimmt und von ihren Gespielen in höchst
deutlicher Weise ihre Aussichten für die Zukunft besingen hört. Für ein
Ha« Hura entschleiert, sie gern ihr Gesicht und bietet höchstens den Aus-
Pruck des befriedigten Stolzes, nun zu den Erwachsenen zu rechnen, niemal«
jer den der Schiim. {Falkenstein.'^) Ebenso führen die Neger der Gold-
lUst« da» /.um ersten Mole menstniirende Müdcheu im grössLen Putze
Inrch die Strassen, dabei werden Loblieder auf ihm Juugtrüulichkeit ge-
iDgen {hrodif., Cruickthank).
In Afrika besteht bei vielen Volksstümmen, wie wir gesehen haben,
jo Hittc, bei Eintritt der Pubertät die Beschneidung und Vemähung Tor-
loebmcn.
Die Naiua-IIoltuntotte n bekleiden das mannbare Mädchen uüt
Idübj reichgeschmückten Kaross, der !«ie als heirathstUhig bezeichnet
>ijj dahin g«ht fie nackt einher). Nach dieser Einkleidung sitzt sie drei
;e lang dem Eingange der Hütte gegenüber an der Seit*^, wo dM Buiu-J
^eräthe sich befindet, in einem von fussbohea Stuben eingeschlossenen 2',a|
bis 3 Fuss im Durchmesser weiten Kreise mit untergeschlagenen Beinen, '
den Hund zum Zeichen ihres UochgefühU und Stokes fiscbm aalartig i
vorgestreckt und zuweilen mit dem Kopfe herausfordernd nickend. Am
dritten Tage wird eine fette Ferse ge^jchlachtet. Der nächste Anverwandte,]
gewöhnlich ein älterer Vetter, erscheint mit der Nachbarschaft zur Gratu'
lation und zum Schmaus. Indem er ihr das Magenfell des Rindes Ober den
Kopf hängt, wünscht er ihr, so fruchtbar zu sein, wie eine junge Kuh. Dann
kommen ihre Freunde und Freundinnen mit ähnlichen Glückwünschen, wor-
auf der FestschmauE mit Tanz und Gesang beginnt, der mit einem Zech-
gelage endigt. {Hahn^.)
Die Makalaka haben nach Manch die Sitte, dass die alten Frauen i
das junge Mädchen zur Puberlütszeit t^lttowiren, wobei unter grossem {
Schmerz dem armen Wesen etwa 4000 Schnittchen in die Haut ge^macht :
werden; dann reibt n^an eine ätssende, durch Kohlenpulver geschwätzte]
Salbe ein.
Bei den Zulu-Eaffern werden nach Dohne die Mädchen zum Zeichen
der Reife mit rother Erde bestrichen.
Bei den Bas nth os werden die Mädchen fnaohJ?nd«im«nn) dem ,^ollo* ^
unterworfen ; Sie ziehen in Begleitung einer Aufseherin nach einer Stelle ^|
am Wasser, wo es tief geuug ist zum Untertauchen. Dort niUssen eio einen ^B
in das Wasser geworfi^nen Armring tauchend herausholen. Des Tags über
treiben sie sich im Felde umher, um für den weiblichen Beruf geschult zu
werden, daneben zu tanzen nnd zu gingen. Aber Nachts brauchen sie nicht |
im Felde zu bleiben: doch leben sie abgesondert. Sie schmieren sich mitl
Asche. In dieser Zeit ist das Weibervolk wie unsinnig ; sie verkleiden sich |
und treiben viel Muthwillen. Die Mädchen des Polio m5ssen verschieden«
Waschungen vornehmen. Zu Ende des Polio giebt es ein Fest, zu dem die
zuletzt beschnittenen Knaben eingeladen werden ; da giebt es Schmaus, Tau»-|
und Unzucht.
Auch bei den Marolong (B e t s c h u a n e n-Stamm) werden diel
Mädchen, sobald 8ie mannbar sind, 2 — 3 Monate lang unter strenger Ceneurj
in den Pflichten der Hausfrauen unterrichtet. Sobald die Meuses vorbei sind, i
werden sie gewaschen, ihr Kopf wird bis auf eine kleine Stelle rasirt und]
statt des Perlengürtels erhalten sie ein kleines SchQizchen, dann sind sid
heirathsfähig. [Joest.) Im nördlichen Transvaal heisst das Mannbar-1
keitsfest der Mädchen Koma. Es wird dazu eine besondere lange, mehr-j
tönige Pfeife gebraucht, die sie aber geheim zu halten scheinen. ( iranj^/^l
vtann.) Den Eintritt der Menses feiern die Bewohner des •Tuna-Oi-
bietes (äquatoriales Ostafrika), die Pokomo, zehn Abende und NächtoJ
hindurch mit Tanz und Festessen. (Dehnhardl.)
Die Indianer Südamerikas begehen die Einweihung de» Mä<lcben«|
sur Jungfrau mit zumeiKt recht peinigendem Verfahren. Einer uiUdereu]
Procedur wird es bei den W arr au -Indianern in British-G uiana on-J
terworfen: man beraubt es seines langen Haares, tanzt und schmückt das]
Mädchen mit Perlen und weichen Vogel-Daunen, die man mit Gummi anf
den geschorenen Kopf, un .\rme und Schenkel klebt. (Scham hur ff k\)
Andere Caraiben vülker in British -(jruiana verfahren cjualvoUtr,!
indem sie das Haar de» Mädchen»» ablirennen, worauf es von eimnu Zaubertrt
mit den NagMäbnen des Aguti(Da«yprocta) quer llberden Rücken «ww tief« Biti-
üintritt
lenürnaSönT
247
tchnitte erhrdt, iu welche Pfeffer eiugerieben wird; Schmerz darf die Gepeinigte
|liicht iluHBern. So wird sie mit an den Körper gebundenen Annen in eine
längematte gelegt und ihr ein Amulet von Zähnen uragehangen. Nachdem
lie so 3 Tage ohne Speise und Trank und ohne ein Wort zu sprechen zu-
?hracht hat, wird sie von den Banden, welche die Arme an den Körper
fbefestigen, befreit und in eine Hilngeroatte gelegtj die sie nun einen Monat
. Ung hüten mus», ohne Andere» zu geniessen, als ungekochte Wurzeln, Cas-
»aadabrod und Wasser. Am Ende de« Monats wiederholten sich diese Ope-
rationen, und erst nach Ablauf des dritten Monats ist die Prüfung über-
Btnndeo. (Sdtombtirgk.)
In Peru begehen die um Dcajrale- Strom hausenden Couibos bei
»olcher Gelegenheit das sogenannte Chenianabiqui-Feat. wobei mit Flöten
fCspielt und von beiden Geschlechtern getanzt wird; die jungen Mädchen
' (lasen sich toll und voll trinken und werden einen Tag und eine Nacht
}g von den alten Frauen im Tan:ee herumgedreht, bis sie niedersinken und
ie Leichen am Boden liegen. (Marce^.)
Bei den Uanpes haben die M3.dchen bei Eintritt der Pubert&t, auf
kärgliche Koat beschränkt und im oberen Theile der Hütte zunickgehalten,
[eine EmancipationsprQfung durch schwere Streiche mit schmiegsamen Ranken
Bu überstehen ; sie empfangen von jedem Familiengliede und Freunde nieh-
Irere Hiebe über den ganzen nackten Leib, oft bis zur Ohnmacht, ja bis zum
Pode. Diese Operation wird in sechsstündigen Zwischenrilumen viermal
riederholt, während sich die Angehörigen dem reichlichen Genüsse von
[Bpfif^en und Getrunken überlnsscm, dit> zu Prüfende aber nur an den in die
Kchüfiseln getauchten Züchtigungsinslrumenteu lecken darf. Hat sie die
*rüfungen überstanden, so darf sie alle.«! essen und wird für mannbar er-
klärt. Das Einwickeln, die Hautvei'wuudungen und das Bemalen der MiUl-
,chcn bei der MannbarkeitserklUrung kommen bei den Manäos und ihren
Stammverwandten, wie auch bei den Tamayos in Südbrasilien vor.
Jnter den Passes übersteht die angehende Jungfrau, in den oberen Raum
!er Hütte auf die Flängematte verwiesen, ein Monate langes Fasten. —
fAuch die zahmen Tucunaa am Amazonas verweisen ebenso wie die Col-
tina und Man he die Mädchen in den Bauchfang der Hütte und setzen sie
leiiion Monat lang auf magere Kost ; Bates erfuhr, dass diese Misshandlung
einem Falle den Tod des Opfers herbeiführte.
In Paraguay pflegen die Lenguas. die Payaguas und andere
MAmme das jnnge, mannbar werdende Mfidclicn zu tättowiren, nament-
lich im Gesicht; auch berichteten Demersay und Dobrühofj'er Gleiches von
Fden Abiponern. (i*. Aiara.) Die Patngonier feinm den Pubertätg-
Eintritt durch Pferdenpfer (Musters.) Die Chibchas (auch Muistas oder
MozcRs), ein fast gan% untergegangener Volksstamm, der in Neugra-
lada lebte, begingen zu dieser Gelegenheit ein grosses Fest. {WaiU.)
Unter den Apnehe- Indianern ist es ein wichtiges Familicn-
^«•t. zu dem alle Fiimilienglieder eingeladen werden, das l>eim Eintreten
irr Mannbarkeit eines Mildchens gefeiert wird. {Si>riny.)
Kinige californischelndiuner- Stämme, z. B. die II u p a , feiern auch
)rn Keif<>-Eintritt ab Fest. Fühlt ein jungem Mädchen den Zeitpunkt nahen,
|o mn«H «ie, wo immer sie sich auch befindet, den väterlichen Wigwam auf-
rochen; bleibt sie diesem fem, so wird sie ausgestossen und gilt fortan
kU Fremde. Es folgt dem Eintritt der Reife ein langes Fest» der Kin-
Ukibn odnr .lungtVrntanz:
X. Die Reife des Weibes (die PubertAt
Neun Tage kouiraeu die Männer des Abends zum Tanze zussunoien,
von deui die Weiber ausgeschlossen sind. Das Mädchen darf unterdessen
kein Fleisch essen und sieb vor keinem Manne sehen lassen. In der 10.
Nacht versteckt es sich in einen Winkel der Hütte. Dann kommen zwei
junge Männer und zwei alte Weiber ans ihrer Verwandtschaft, utn die Jung-
frau zu suchen und ab/.iiholen. Die jungen Burschen stülpen sich eine
Maske aus Leder oder vScbilf über den Kopf, die an den Seelöwen erinnert, .
und nehmen das Mädchen in die Mitte; rechts und links vuu ihnen stellen
sich die iilton Frauen auf. So treten die Fünf untvr die Versammlung. Da«
Mädchen schreitet zehn Mal vorwärts und rückwärts, erhebt die Hände zu
den Schultern und singt. Das letzte Vorwärtsschreiten endigt mit dem
Uochsprung. Darauf begrüsst die Versammlung das junge Geschöpf durch
laute Zurufe — und die Ceremonie ist beendigt. {Powers.)
Die Wintun - Indianer, ein anderer californisch er Stainm, veranstal-
ten bei Eintritt der Lieschiechtsreife eines Mädchens gleichfalls einen ..Reif-
heitsianz', zu welchem die Bewohner der nächsten Dörfer geladen werden.
Schon drei Tage vor diesem Feste nmss sich das Mädchen jeder anima-
lischen Kost enthalten, sie darf nur Kichelbrei geniessen. Während dieser
Fastenzeit ist die Aermste aus dem Lager verbannt in eine entfernt ge-
legene Bätie. Todesstrafe wird über denjenigen verhängt, der sie während
dieser Zeit berührt, oder es wagt, eich ihr zu nähern. Nach Ablauf dieser
Yorbereitungsfrist nimmt sie eine geweihte Suppe zu sich, <lie von den
Frtchten der Buckeye californica bereitet wird, indem aus denselben zuvor
durch Einweichen in Wasser das Gift entfernt wurde. Durch das Verzehren
dieser Ma^ae macbt sich das Mädchen würdig, an dem bevorstehenden Tante
theilxunchmen. isowie die Pflichten einer Frau zu übernehmen. Nunmehr er
scheinen die eingeladenen Stäuiuie, indem sie in langen Reihen herbeiziehen
und (IUI den Lagerplutz feurige, sinnliche Lieder singen. Sind alle Stämme
oder Deputationen derselben versammelt, was 2 bis 3 Tage in Anspruch
nimmt, ^o vereinigen sich Alle zu einem grossen Tanze, der in einem Rand-
marsch um das Dorf besteht, während ununterbrochen Chorge«änge erschallen.
Zum SehluBS der Ceremonie nimmt der Häuptling da» Mädchen bei der Hand
ttad lanst mit ihm die ganze Linie entlang, während die Gäste improrisirt«
OMftage anstimmen. Nicht immer sind letztere keusch und unschuldig, bis-
weüeu ob«cOn. Dann kommen auch Gelänge, in welchen jeder Indianer
seine eig«Den Geftlhle ausdrückt, wobei »ie seltsamer Weise vollkomniea
Tact mit •iiiuid(«r halten. Die Fmuen drücken bei solchen Gelegenheiten
keine uftkea»ch«D (}«fahle aus. (Powers.)
B« d«u »Iteti Mexikanern gab der Vater in vohlgesetzter R«de den
jlttgeo MAdeben Krtnahnung«a auf ihren Lebeaspfad mit; die Spruch«, di«
Uerbei der roberlieferuug geuUkM g«eagt wurden, sind ht>chst beodaleii*-
wertli. Dann wurdo das lfidel>«B m einer Tempelschule unterrielitet und
dieeor er>t <>nt]as*e(B. wenn «e «eh verhcirathon wollte.
Wir »eheu hier, wie ton dem eintuclu-a Freudealeste an äU»
uiahlioh ilie Anschauung sich ß«h& bricht, du.-^ <Ihs junge Mädclira
nun in ihi^^ »i.^it. ..-,*.» r<>«ii.>itttf^ieh(csn eiagvl'ilhrt uu«i duroh b«-
flooder» ^' ' wt-r\len tnik<is (ü^Qdafrikuner
u, » *» ' *' , ' " ' ' ' Uei
d«n hl ■ le»
neu U<tfi- iig ventulaatftf
Ü^ Die MeSSS^ratde gilt fOr ,i
249
Irelclie aber ak eine mehr geistige, an die christliche Einsegnung
lemde, aufgefasst worden ist.
38. Die Henstruirende gilt fTir ,,uiireiii*^
Der regelmässig wiederkehrende Ausfiuss von Blut aus den
reiblichen Geschlechtstheilen hatte und hat noch jetzt ft'ir alle Ur-
rölker nicht allein viel Räthselhattes, weshall) sich damit in ihrer
FVorstellung eine Menge von Irrthümem über das Wesen, den Zweck
id die Wirkung dieser natürlichen Function verknüpft, sondern
He legen sich auch in Bezug auf dieselbe, wie wir sehen werden,
sine primitive Hygieine znrecht. Das Auffallendste dabei ist die
lerkwürdige üebereinstimmung, welche man in letzterer Be-
iehnng unter den Völkeni von ganz verschiedener Rasse vor-
Indet. Diese grosse Üebereinstimmung der Vorstellungen und die
renge Durchführung der von den ürvölkern ziemlich gleichmässig
ftingeführten hygieinischen Maaasregeln könnte wohl zu der Ver-
luthung Veranlassung geben, dass sich in ihnen die Wirkung des
Tnstincts ausspricht. Die unwillkürliche Zurückhaltung gegen die
Mt-nstruirende, die Scheu vor ihr als einer sUnreinen", deren Be-
rUhmng einen Jeden zu beflecken im Stande ist, wird in der That
von Manchen als instinctiv gedeutet. Und auch hier sagt man
wieder, dass der Instinct ganz richtig und zweckmassig leite, weil
glaubt, dass wirklich die Berührung, insbesondere die Aus-
des Coitus mit einer menstruirenden Frau, einen Nach-
>eil für die Gesundheit des Mannes habe. Sonderbar genug soll hier-
»ch die Menstruation, welche nach Annahme der meisten Physio-
)gcn ziemlich gleichbedeutend mit der Brunst der Thiere ist, eine
»bstossende Wirkung auf das männliche Geschlecht ausüben, wjih-
snd doch diis brünstige Blutaustreteu aus den Geschlechtstheilen
Ics weiblichen Thieres eine besondere Anziehungskraft auf das
läiinchen hat, indem letzteres durch dasselbe herbeigelockt und
Bexuell aufgeregt wird. Ich möchte im Gegentheil in der Zu-
rückhaltung, die der Mann bei ürvölkern sich freiwillig gegen die
lenstjTiirende Frau auferlegt, eine schon mit vollem Bewusstseiu,
iurch gewisse Erfahrungen unterstützte und in Folge einer, wenn
^uch einfachen Reflexion frei gewühlte Handlung erblicken, die in
irer entschiedenen Durchluhrung, d. h. in der Ausdehnung, welche
Ihr viele Nationen geben (indem sie die Frauen noch längere Zeit
tach der Menstruation al)8ondern), mindestens keinen Vortheil für
lic Ftirtptlanzung des Menschengeschlechtes mit sich bringt. Dazu
«mnit noch, das» auch die Frau bei den Naturvölkern zur Zeit
(«DstruatiuQ eijje gewisse Zurückhaltung zu iiusseni scheint,
id das weibliche Thier zur Brunstzeit sich gerade sehr willig
Die Keife des Weibes (die Pubertät).
Nach der Meinung vieler Nationen ist es aber nicht allein
die Menstruation, sondern auch die Wochenbetts- und die ganze
Siivjgungszeit, also die eigentlichen sexualen Functionen, welche da»
Weib .unrein" machen. Bei einigen Völkerschaften herrscht sogar h
der Glaube, dass der Umgang der beiden Gesclilechter während |
der Menstriiations- und Wochenbettszeit etwas Giftiges erzeuge.
Hiermit ist also gewissermaassen in der Zurückhaltung, die sich ^
in Folge dessen der Mann, manchmal auch die gesammte Umgebung fl
des Weibes, auferlegt, eine Erscheinung primitiver Hygieine zur ™
Geltung gekommen.
Der Grad der Unreinheit, in welchem sich die Frau während
ihrer Periode befindet, ist allerdings je nach Ansicht der Völker j
immerhin sehr verschieden. Bei sehr vielen Völkern Afrikas ist fl
der Glaube an diese Unreinheit verbreitet, jedoch hier gilt sehr ™
liHuhg der Begriff des Unreinseins nur fQr den Mann hinsichtlich
des Coitus, nicht ftlr Andere hinsichtlich des socialen Umganges.
Allein bei vielen anderen Völkern, namentlich in Asien, nnd xmr
hier schon in $ehr alter Zeit nach religiösen Gesetzen, werden
die ineustniirenden Frauen abgesondert von aller Welt, man hält
sie tVa allgemein schädlich, man fUrchtet gewissermaassen eine
Cebertrag\jng des Unreinssein«, eine Ansteckung. Wnr finden
solche .strenge Maa&<:regelji, in welehen sich Hygieine und Beligton
gleichsam beseignai, insbesondere bei den indogermanischen
Völkern, den Iranern, ebenso wie bei Semiten, den Juden nsd ^
Arabern. Dagtegen wird ohne irgend welchen RinflQ.ss religio- ■
ser Art. nur unter dem Gebote dnes alt«i Volksbraachs, unter den
mongolischen Völkern sowohl die Kalm&ckin {Sammimmgy, als
•11^ die Samojedin {PaOas) fibr unrein betrachte! and in Afaaoo-
denug g<duJt«Q, wenn sie meustmirt.
Dort, wo die Menstnäreode nicht eben in einer Art von Haft
gehalten wird, ist mitoifeer wenqptens gAränrhhA, daaa säe ein
auf ihrca Zaafauid dealandM Abt eichen trigk; ao tmgm die Kaaaa
in Angola, so lange ihre Monatneit danot« «mm Binde «n ihr
Haa|il« Die Woloff-Xegerinaen lagen wihicnd der Meaatiua-
tion sMs tthar den Bahn als Ahaöehcn ein Sdornfftodi oder eisen
Fonktd in arbwiHMifH Fsrhen, dreiethig iniwiwmmgiligi vad kichl
•her dem Tonfeitheil der Brast ■iiwiainiiigiliillfft Dies ist dm
Mai im! ihres fhjudahigiadwn Tniisndii, (die ffunt^wt^ Dagegen
fl jede ■inidmiiaii FWa in fhaisitnidimhn We»e Hr tahn,
k lhishin|d fir anlwrthfhartriifselitnuiji, in Xmcaledonien,
«ad jed« Dorf hak eine eigene HMie, vo die Weiher &xe Zeil
tvCreanI riia jedem Umgänge ahwarftn nUa»» (de AMhasX eine
sie aacm aodi ha maaohen sadaen Volheni
s polTBe»ischea
mm*- «ad twa d«c
Brt
dir Woher
.nnrern"
die Menstruation szeit ffir die Frau selbst gewisse Gefahren
fliBt. zu deren Vorbeugung ihr ein besonderes diätetisches Re-
[gime auferlegt wird. Bei ernzelneti VtVlkern wird sie nicht nur
[abgesondert, sondern auch zu fleissigem Baden angehalten. Dagegen
durften bei den Maciisis - Indianern in British-(iuiaua , die
alle inenstruirendeu Frauen und Mädchen für unrein halten, die-
selben während dieser Epoche nicht baden, noch in den Wald
{eben, da sie dann den verliel)t«n Angriffen der Schlangen aus-
tzt sein würden. (Schomburgk.)
Durch das Herrschen derartiger Anschauung wird es für uns
fwohl verständlich, warum wir bei manchen Stämmen gerade bei
[dem ersten Eintreten der Menstruation Gebräuche finden, welche
[uns die Meinung errathen lassen, das» die.selbe in ganz hervor-
jender Weise verunreinige. Wir sehen daher, wie hier das ao-
leben reif gewordene Mädchen gleichsam au.sgest^>ssen wird ans der
menschlichen Gesellschaft xmd wie demselben oft erst nach einem
sehr erhebh'ch langen Zeiträume, welcher zu einer selbst extra laug
bemessenen Menstruationsperiode in gar keinem Verbältniss steht,
die Rückkehr in die Stammesgemeinschaft getattet wird, jedoch
nur nachdem es eine besonders feierliche Ceremouie der Reinigung
hat durchmachen mlissen.
Ein gutes Beispiel hierfür sind din Mildchen in Caiubodjn. Von dem
[Tage an. wo das erste Zeichen ihrer Mtmnbarkeit erscheint, miisB sie ,in den
Schatten" eintreten. An deroseUien Ahendenoch befestigen die Eltern Bauro-
woliniden um das Handgelenk und bereiten ein vollständiges Opfer für die
Ahnen, bestehend in Speisen, Kerzen. Räucherwerk. Das Eieigniss wird
jden Verstorbenen förmlich kund gethan: ^I'nsere Tochter wird mannbar:
*rir lassen sie in den Schatfen eintreten; schenkt ihr Eure Gunst." An
l^eiuselben Tage pflanzen .^ie eine Bunane, deren liüchte mir für da.s junge
eben bestitnuit sind, oder von ihr an die Bonzen geschickt werden.
Die von den Eltern dem Mädchen für die Zeit der Zuriickgezogenheit
'gi-gebenen Regeln lauten: „Lasa Dich vor keinem fremden Manne sehen:
,ficbau keinen Mann, seibat nicht verstohlener Weise an; nimm ebenüo, wie
[die Bonzen, Deine Nahrung nur zwischen Sonnenaufgang und Mittag; is«
[nur Reis, Salz, KokosnusH, Erbsen, Sesam aud Früchte; enthalte Dich von
i^iacfa und jeglichem Fleisch. Bade Dich nur, wenn die Nacht eingetreten
litt, zu einer Stunde, wenn man die Menschen nicht mehr erkennt, damit
[I)u von keinem lebenden Wesen gesehen wirst.* üeberhaupt darf da*.
[Mädchen nicht allein baden, sie wird von ihren Schwestern oder anderen
iVcrwandten begleitet. Sie arbeitet nur im Huuse, geht nirgendwo hin, nicht
einmal nach der Pagode.
Je naoh der Lebensstellung und dem Vermögen der Familie ist dii*se
iZuT<lckgezogcnbeit von IJlngPrcn- oder kürzerer Datier, sie wilhrt einig«
[Monate bis zu ui<;hrerc'n Jahren; arme Leute beachten sie wenigHtens 3 bis
lii Tage lang. DJ«*se ZurOckgezogenheit wird wilhrend dor Finntfrni.^s unter-
|brorhen: dann steckt this junge, ,,im Schatt<.'n'' beHndlichi* Mildchen ebt'nso
|wie die schwangere Frau ein Betelmesser, den Behfl.ltfr Klr den zum Belel-
kauen uOthigen Kalk in die von den Falten des Lungati <Scbur/.) gebildete
rMoU»; es zQndet Lichter und Räucherkerzen an Und g«ht weg, um Hahn
X. Die Reife des Weibe» (die PubertäkjT
(da* LTnj^ehtmer, welches die Finsterniss entstehen läsat, indem es die Sterne
xwiucheii den ZUhnen schüttelt) anzubeten, auf daRs es sein Flehen uiu
<jlück erbnrc. Duruuf kehrt es wieder «in den Schatten'^ zurück. Arme
Leute, welche keine !iiittel zur Anschaffung von Kerzen und Käiicherwerk
lioaitxen, lassen das Mädchen, welches hingebt, um Kahn zu verehren,
wcnigstena die schönsten Kleider anlegen und benutzen die Gelegenheit,
um der Tochter, welche gewissermaassen L'ahn zum Herrn anninaoit, aus der
Zurückgezogenheit hervortreten zu lassen. Wohlgestellte Leute erwarten
eine günstige Gelegenheit besonden im Januar, Februar oder Mai, um die
Cerenionie des Austritts aus dem Schatten zu begehen. Die Btinzen werden
gebeten, zu erscheinen und ihre Gebete zu wiederholen: das junge Mädchen
IUH8S sich vor ihnen in den Staub werfen. Nachbarn und Freunde werdeu
gebeten, dem Feste beizuwohnen.
Manchmal werden auch die Z^Lbuc den Mädchens dabei gef&rbt, an-
ütatt bis zur Huirath damit zu warten. Ebenso wird bei den jungen
MlVnnern diese Ceremonie bei der Aufnahme in die Religionsgemeinschaft
Oller bei der Heirath vorgenommen. Das Verfahren, welches hinsichtlich
doä jungen Mlldchens beobachtet wird, ist folgendes:
Kin Achar (ein weiser Mann) breitet ein Stück weissen Baumwollenzeugi-s
an*, legt acht Strohhalme in der Richtung der Himmelsgegenden auf da.<-
nelbc, niumit einen aus Kokosnuss verfertigten Napf und ein Weberschiffchen.
Dann geht er in die Scheuer, nimmt dort eben so viel mal Paddie (oder
ungodrosoheuen Reis), als das Mädchen Jahre zählte und schüttet denselben
auf das Zeug; wenn das Mädchen also 15 Jahre zählt, füllt er 15 mal deu
Napf und 15 mal das Schiflchon. In diesen Haufen Paddie versleckt er
den Napf, das Schiffchen, einen Bronzebecher und ein kleines Metallschiff;
darüber hin macht er den Paddie gleich und bedeckt ihn mit den Zipfeln
des weissen baumwollenzeuges. Alles die» muss in Abwesenheit des jungen
Mädchens geschehen, das darnach eingeladen wird, auf diesem gleicbge-
m»cbt<^n Paddie während der weiteren Dauer der Feierlichkeit Platz zu
nefamrn.
Per Achar murmelt nun Formeln, die den Zähnen GlQck bringen tiollen.
Kin alte» Paar, am liebsten Mann und Frau, stamptl Lack in einem Mürser.
wfthrv'od 7 Knaben, welche Bononenswetge mit Früchten in der Hand halten,
mit denen sie dos Stampfen im Mßrser nachahmen, dabej folgende Worte
singro: «Grossratcr Kühe, Gros^muttiir Kuh^ stampft den Lack gut, damit
VI an den Zähneu hängeu bleibt." Jedesmal wenn dos Wort bok = stampfen,
gotuugvn wird, lotsen der Mann und die Frnu die Stampfer im Tokt
ni«dcrfiilleu. Wenn der Gesang m> oft, wie die Sitt« es will, wiederholt i«t,
hOrvu die Knaben auf, während die alten Leute mit Stampfen fortfahren.
Kndlich wird der Lack durch ein Stück Musselin gesriht. um nar doA feinste
Pulver lu gt !
Form des nu
uu«geAis«rtvtit
j»t. Der '!%*
r« auf di>' .■ i
«larf nur i^< \
N«tt« Ott. Ui»
«km llokMii*
UMn |l«iiMMi<
Mau schneidet rin Blatt der Koko«'PaLme oocfa der
(ifbuses und umgiebt dieses Blatt mit ein wenig
:'' -izeuff. w«icjMs vocber in den Lack eingctonehi
I (H^^i^ P«clrH 4^m j«Bg«B M idchea am wrlcfaes
"^ -v.««lb«o liegen lAsst. Ei
.11 eian Spacksapta« ni-
M*iMn ksat««! ibrea Vmuis auf*
1 i4x Wrt3dÄe5»t*t. B<fi
38. Ihe Menstraiiende gilt fSr .unrein**. 253
schlaft, nm Jagd aof die Höhner and Enten der Eingeladenen la machen.
Bei Ti^^esanbrnch geht da« jong« Slädchen aus dem Hause cnd betet die
aufgehende Sonne an, indem es sich dreimal in den Staub wirft. Nach
langer nnd sorgfältiger Torbereitung macht der Ta Kühe die Bewegung als
ob er ihr die Zähne mit Hammerschlägen entfernen wollte, und bestreicht
sie mit einem an Ort nnd Stelle bereiteten Ra»$. Das Mädchen wirft
sich dreimal vor einem kleinen Altar nieder, auf welchem die bei häus-
lichen Festlichkeiten gewöhnlich gebrauchten Gegenstände aufgestellt
sind, nnd kehrt dann in das Haas zuräck. Bei allen diesen Festlich-
keiten moss es mit einem Haarwolst geschmückt sein, und wenn es aus
irgend einem Grande (Neuralgie etc-» kurzes Haar trägt, wie dies in Cam-
bodja gebräuchlich, so muss es sich mit falschen Zöpfen schmücken.
Wenn bei den Vedas. einer südindischen Sclarenkaste. sich bei
einem jungen Weibe (schon Tor dem 7.-9. Jahre Verheirathete cohabitiren
mit dem Manne, bevor die Geschlechtsreife eintrat) die Menses zum ersten
Mal einstellen, so wird dasselbe in einer für diesen Zweck erbauten besonderen
Hütte untergebracht, in welcher es 5 Tage weilt: nach Ablauf dieser Frist
bezieht es eine andere, halbwegs zwischen jener und der Wuhnstätte ihres
Mannes belegene Hütte, in der es abermals 5 Tage zubringt. Täglich geht
dAS junge Weib aus, um sich zu waschen. Am 10. Tage aber wird sie von
ihrer und ihres Mannes Schwester an das Wasser geführt, sie badet, wäscht
ihre Kleider , reibt sich mit Turmerik ein. badet abermals, ölt ihren Körper,
und kehrt dann (am 10. Tage) mit ihren Begleiterinnen in ihre Wohnung
zurück. Dort angekommen, kochen die drei Frauen Reis und verzehren
ihn gemeinschaftlich. Während jener Tage der Absonderung darf der Mann
in seiner Hütte nur Wurzeln essen, keinen Reis, aus Furcht, vom Teufel
umgebracht zu werden; am 9. Tage aber findet ein Fest statt. Der Boden
der Hütte wird mit Palnibranntwein besprengt, man ladet Freunde ein und
bewirthet sie mit Reis und Branntwein. Die Frau hält sich noch abge-
sondert in der zweiten Hütte. Am 10. Tage aber muss sich der Gatte aus
seiner Wohnung entfernen und darf sie erst wieder betreten, nachdem
die Weiber den Reis aufgezehrt haben. Während der nächsten 4 Tage
darf der Mann weder Reis im eigenen Hanse essen, noch Umgang mit seiner
Fran pflegen. Jedes Versehen in dem vorgeschriebenen Cereniouiell wird
von den Tsdiaicus (den zu Teufeln gewordenen Geistern gestorbener Vor-
fahren) streng geahndet! fOchlaginUceit.)
Auch bei den Kaders in den Anamally -Bergen in Indien und bei
den Badagas im Nilgiri-Gebirge werden die zum ersten Male menstruiren-
den Mädchen in eine besondere, nur den Weibern zugängliche Hütte ver-
bannt. Bei den letzteren dauert diese Absperrung aber nur drei Tage und
findet später nicht mehr statt. Im Anschlüsse daran werden die MädohtMi
t&ttowirt. (Jagor.)
Das zum ersten Male roenstruirende Mädchen wird auf der Insel Vat*'
(Neue Hebriden) abgesondert, weil sie für unrein gilt. In einigen Gegend«>n
der Inael muss sie in einem besonderen Hause verweilen. Ein Mann, der
mit einer solchen unreinen Person verkehrt, muss sich wegen der Veruu-
Feinigang ceremoniellen Waschungen unterwerfen; thut er es nicht, so
werden seine Tams, wie man glaubt, faulig.
Die Koljaschen an der Küste der Bering -Strasse verbinden den Gn-
derAbsperrang der Mädchen zur Zeit der Menstruation mit dem Gc-
oh«! dueh eine Operation den Kaljugn oder Holzklotz in die Unterlippt*
254
X. Die Reife des Weibes (die Pubertät).
einzusetzen. Nach Krman werden sie in Hütten oder 6 — 8 Fuss hohe, nur
mit einem vergitterten Lichtloch versehene Kätifj^e verbannt, nachdem ihre
Gesichter mit Russ geschwärzt worden. Jn jedem dieser Ställe steckt ein
Mädchen. Wei^'iamoio g-iebt an, dass die erste solcher Einsperrungen, die
ein Mädchen erlebte, nach altem Gebrauche ein Jahr gedauert habe, und
dass sie von der Durchschneidung der Unterlippe und dem mit dieser ver-
bundenen Feste unmittelbar gefolgt wurde. Beiden Sitchaer Koljuschen
sei diese Zeit /.war auf 3 — 6 Monat heruntergesetzt, die sonstigen Ge-
bräuche während derselben aber beibehalten. So werde namentlich dem
Mädchen wahrend dieaer Zeit eiu Hut mit sehr breiter Krempe anfgesetzt,
damit sie nicht durch ihre Blicke den Himmel verunreinige. Dieselben Vor-
sichtsmaassregeln werden auf den aleu tischen Inseln ebenso streng befolgt,
wie auf Sitcha. Bei den Ureinwühnern di-r Landenge Darien durften die
jungen Mädchen (nach Waßr) bei Eintritt der Geschlechtsreife dne Haus
nicht verlassen und sich keinem Fremden zeigen.
Die Absonderung des jungen Mildchens bei Eintritt der Reife dauert
unter den Indianern der Nordwestküste Amerikas ÜO Tage; während
dieser Zeit muss es, in einen kleinen Kaum des elterlichen Hauses gesperrt.
verweilen und erhält von irgend einer weiblichen Verwandten eine nur spär-
liche Nahrung. Wenn es sich niederlegt, so muss ihr der Kopf nach Süd«fn
gerichtet sein. Nach Beendigung der Abgeschlossenheit darf sie wieder wie
gewöhnlich im Hause wohnen und erhält ein neues Kleid und andere fest-
liche Geschenke von ihrem Vater oder nächsten Verwandten. Gewöhnlich
wird sie bald danach verheirathet und bekommt dann ebenfalls von den
Eltern Geschenke. (Jacobaen.)
Bei den Thlinkiten wurden früher die Mädchen bei beginnender
Pubertät in einer Zweig- oder Schneehütte längere Zeit abgesondert, als
jetzt, wo die Absperrung selten länger als 3 Monate dauert : ehemals er-
streckte sie sich auf ein Jahr. Nach Ablauf dieser Frist werden die allen
Kleider verbrannt, das Mädchen wird von Neuem geKchmückt und ein grosses
Fest gegeben. Dabei wird ihre Unterlippe durchstochen und in diese Oelf-
nuug anfänglich ein dicker Draht (gegenwärtig ein Silberdraht) oder ein
hölzerner Doppelknopf gebracht. Allmählich \vird diese Oetl'nung nach meh-
reren Monaten und Jahren immer grösser geschlitzt und die LippL< durch
ein in sie gebrachtes ovales oder elliptisches Brettchen oder Schfisselchen
immer weiter ausgedehnt, wodurch jede Frau das Ansehen gewinnt, als wenn
ein grosser, flacher, hölzerner Suppenlötfel in dan Fleisch der Unterlippe
eingewachsen w3re. Der äussere Rand dieses Tellerchens ist mit einer
Rinne versehen, damit die beträchtlich ausgedehnte Unterlippe de'^to fester
um dieselbe anliegt. Der Teller ist meist 2—3 Zoll breit und höchsten«
Vj Zoll dick; bei vornehmen Damen ist er jedoch grösser und Lttntisdorff
sah einen solchen, der 5 Zoll lang und 3 Zoll breit war. {Krause.)
Die Macusis- India ner in British-Guiana f<ondern d»'« Mädchen
als „unrein" ab, indem sie seine Hängematte in die Kuppelspitze der Hfltte
hängen, wo sie dem quälenden Rauche ausgesetzt ist. Dort bleibt diu
M&dchen mehrere Tage und darf nur Nachts herabkommm; während der
ganzen Zeit des MenstrualÜusses muss es streng fasten. .Msdann darf
herabsteigen, muss sich jedoch noch in einen dunklen Platz der IlQtt«
rQckxiehcn und ihren Cassada- Mehlbrei an einem besonderen Ftnu'r VckIh
nach 10 T>igea wird es st-lbst, sowi« allu von ihm berührt on ^
einem Piay (Zauberer) entzaubert; die von ihm benutzten TsSy
zertrQmmerti die Scherben vergraben. Nach der Rückkehr aua dem nrstfn Hiwlti
h' , unrein*.
i55
Q08» nlch das unglückliche Geschöpf auf einen Stuhl oder Stein stellen, wo
M 7011 der Mutter luit dünnen Ruthen ge[ieit8cht wird, ohne einen
Schmerzensschrei ausstossen zu dürfen- Bei der zweiten Periode der Men-
'stniation finden diese Geisseluugen wieder statt, 8ont<;t nicht mehr. Von du
an ist da* Mädchen sofort heiutthsrähig. (Poirer.)
In Brasilien sondern die Coroades die jungen Mädchen während
der ersten Menstiiiatioii von allem Verkehr ab, indem sie diese Zeit in einem
von Baumrinde geflochtenen Behälter verhrinj^en müssen. {Burmeister.)
IAn der Loango- Küste bringen die Bafiote-Neger das jungeMädcben
jn eine abgesonderte Hütte; dasselbe heisst von diesem Tage an bis zur Hingabe
yui einen Mann ukumbi oder tschikumbi ; die TOchter weniger bemittelter Leute
bewohnen eine gemeiaschaftliche Hütte. Hier werden die Jungfrauen von einer
Fraa. die von den Eltern als Vertrauensperson gewälilt worden, unterrichtet;
tielieicht bezieht sich dieser Unterricht luif zukünftige Pflichten; hier ist
übrigens das Mädchen als unrein betrachtet und wird schliesslich gebadet.
Die Makulolo und andere Stämme im Marud se-Mam bu nda-Reiche
lim Zambesi-See benachrichtigen, sobald ein Mädchen reif wird, deren
^Freundinnen, die nun .jeden Abend 8 Tage laug zu ihr kommen und sie bis
iefin die Nacht hinein mit Tanz unter Castagnetten-Begleitung unterhalteu.
■t die Tochter eine» Königs zu dieser Zeit schon verlobt, so wird sie von
»et weiblichen Verwandten in ein Dickicht geführt, wo sie eine Woche
f»g von einer Sclavin bedient, ein abgeschiedenes Leben führt; doch wird
ie auch hier von ihren Genossinnen des Abends aufgesucht, die ihr Nah-
ing hinstellen, ihren Kopf mit Parfüm einreiben und sie mit Ermahnungen
id Zureden für den ehelichen Stund vi>rbereiten, um nach Ablüuf der Frist
►ie ihrem Goniivbl zu übergeben. (Holub.)
Der Eintritt der Reife des Mudcheua wird im Euango-Gebiete nach
l\y'o1ff'^ mit grösseren Ceremonien gefeiert, wie an der Meeresküste, zu mal
Kn Kabinda. Dort kommt das Mildchen nach ihrer erston Menstruation in
bin kleities Häuschen, das innen vollständig mit rotb getÜrbteiu Zeug au.s-
jeschliigen resp. mit rolher Farbe angestrichen ist. Die rothe Farbe macht
lae Mildchen gewBhnlich selbst, indem sie Rothholz auf einem .Stein zerreibt.
im selbst ist ebenfalls roth bemalt uikd trägt rotb gefärbte Kleider. Da»
Csaen wird ihr von den Anvem'andten in die Hütte gebracht. Sie bleibt
nun ao lange in dem Farbenhaus, bis sie entweder herausgeheiratbet wird,
^der von den Anverwandten nur das juh primae noctis abgekauft ist ;
diesem Falle bleibt sie dann Mädchen. Man sieht hier i^ueh bisweilen
Ichon längst verheiruthete Weiber sich Iheiiweise roth t^rben, jedenfalk um
iren Khegemahl an die Zeit der ersten Liebe zu erinnern und dadurch in
leue« Entzücken zu versetzen.
bei den Mädi in Mittelafrika (zwischeu Dufilä und Fatiko)
herrscht die Sitt«;, dass die MOdchen zur Pubertätszeit in abgesouderteu
PBnuten mit ovalen EingangsöH'nungen ' verharren : zu ihnen gesellen sich
iwanglos alle munnbaren Knaben. Wird ein Mildehen schwanger, so ist ihr
bisberigAr (ieftlhrte verpflichtet, sie zu heirathen und ihr den üblichen Braul-
preii zu erlegen. CKmi» lieif.^^ Aehnliehes soll Durton von den südlich
vom Aequator wohnenden Völkern berichtet haben.
Viel«? Völker, unter ihnen vor allen Griechen und Römer, bringen
lit d*r Menstruation überhaupt sonderbaren Aberglauben in Verbindung.
Sur Zeit de« I'liniua glaubte man, duss eine Menatruirende Sturm und
log«! vertreiben könne; befinde sich eine roenstruirende Krau auf eineut
2Ö6
X. Die Reife de« Weib«8 (die Pubc
mit den Wogen und dem Orcan kämpfenden SchitFe, so werde da
(gerettet. Alle Insectcn »»ollen von ileu BRunien fallen, wenn sieh denaC
eine Men«truirende entkleidet niiheff. So vertrieb miin die C&uthariden tql
Kappadocien nach Metrodoras Scejtttius. indem eine Frau mit bis an diel
Lenden aufgeholienen Kleidern, oder auch nur mit blossen FQdäen, (^lösteml
Gflrtel und flatterudem Euar durch das Feld ging ; doch niusste nach P2tniu«|
diese Ceremouie vor Sonnenaufgang geschehen, da sonst die Saat verderbeuj
würde, denn auch junge Weinstöcke, Raute und Epbeu verküiuiuem, sobald
sie von einer Menstniirenden beröhrt werden. Rasirmesser rosten nac
Rolcher Berührung, und trächtige Thiere »borliren durch den blossen An«l
blick einer NUnistruircnden. Der Hund, welcher Menatrualblut leckt, soll]
tidl werden, die Früchte snllon verdorben und die Pfropfreiser aboterben^j
sobald eine Menatruirende Me berührt; die Früchte sollen von dem Baamei
f.iUen, unter welchen sich eine Holche Frau setzt, das Poch «oll an einem'
in Menstrualldut getauchten Faden nicht kleben und der Spiegel soll matt^
w»-rden, in den eine Menstniireude geblickt bat. Der Most soll sauer
werden, wenn sich eine Menstruirende in der Nähe befindet; ja noch beute
glaubt man, wie wir sehen werden, Aehnlichcs.
Den Griechen sind nach dem Vorgange des Hippokrate« die Kataraenien |
nur eine Reinigung [nä^uffoii), welche um so leichter von statten geht, wenn i
die Frau geboren hat. weil dann die Venen leichter flies«on.
Im heutigen Griechenland wird jede Mens(ri]irende für anrein ge-
halten, unter den Christen ist ihr daselbst das Communiciren verboten
und sie diirf sich nicht erlauben, die Bilder in der Kirche zu küssen. Soj
darf auch eine Israelitin sich während ihrer Menstruation nicht mit An-
dern an einen Tisch zum Speisen setzen, nicht in die Küche gehen nnd]
kein Walser aus dem ülaae trinken, das jemand Anderes benatten aoU.
(JJamian Georg.)
Den israelitischen Frauen hatte Moses wahrend der Menstrua-
tion, welche in der Bibel an verschiedenen Stellen; .der Weiber Weise,
der Weiber gewöhnliche Zeit, der Weiber Absonderung, der Weiber Krank-
heit* genannt wird, besondere Vorschriften gegeben. Sie mussten sieh
während ihrer Reinigung sieben Tage entfernt halten, in ihren GeniHchern
verweilen, weil sie ,,tame", d. h. unrein waren. Ditnu mossten sie noch
}eben Tage hinzureciineu und hierauf ihre Reinigungsopfer bringen. Der]
[unn durfte sich wfihrend dieser Zeit weder ihrem Bette nähern, noch eie
mit der Hand berühren, ohne sich nachher zu waschen; er wurde für unrein]
erklärt. Ja sogar ein Jeder, welcher etwa« der menstniirenden Frau Ange-I
höriges berührte, wurde dadurch unrein. Auf den ehelichen Umgang aberj
mit einem Weibe zur Zeit ihrer Reinigung stand Todesstrafe für beide j
Tbeile. Nach Beendigung ihrer monatlichen Reinigung mussten die israeli-
tischen Frauen zwei Turteltauben als Opfer darbringen. Später nahmen die
Anhänger der Ui Herrchen Schule an, dass die Zeit der Verunreinigung!
einige Tage vor Eintritt der Menstruation beginne, die Anhänger der 8ebule
des Schnmni mit dem Eintritt der Menstruation, dtf R;i*ibinpii hingegen
bestimmten A\iy Zeit des BoKinnenK der Veninv<>inigiii . i»r Ein-;
tritt der M<'!i-''-, Auf riniiMlVi^p .b'> TnrsAisrliPii \' iiri'l der|
Tradition , i in-
n«!n bf>'»"li /a'it ,
nach 'id ?,u nrhnii>n Uabvn.
I»'>"— odtfT aarh (wiw am'
H vorircnomrovu wtinieo.
SS. IHe Menstra^na
«anrein'
I
v«1cbe« mu>deateD8 eine Wagsermenge von 40 Sea enthalten muss. Doch
darf solches Wasser kein geschöpftes, sondern muss entweder unmittelbar
aus d«r Erde quellendes oder durch Regen angesammeltes Wasser sein. Bis
noch vor wenigen Decennien befanden sich diese Frauenbäder sowohl im
Auslände aU auch hol uns in sehr vielen Gemeinden in einem höchst ge-
sundheitswidrigen Zustande. In grösseren Städten waren sie in den Kellern
dfCT Sjnngoge, in kleineren Orten in Privatkellem, sehr schmutzig, in einem
feuchten Loche gelegen, und wurden sie von vielen Frauen benutzt, so dass
sich allmählich eine kelhafler Schlamm am Boden des Wassers ansammelte.
Metzger, Friedridi, Drusen, Wunderbar besprachen die sanitätspolizeüiche
Seite dieses Gegenstandes. {Picard.)
Unter den Mohamedanern gelten ähnliche religiöse Bräuche in Be-
log auf die Menstruation. Im Koran ( WaM) heisst es : „Trennt Euch von
den Weibern zur Zeit der monatlichen Reinigung und nähert Euch ihnen
nicht, als bis sie rein sind." So betrachten denn alle mohamedanischen
Volker die Frau während der Menstruation fUr unrein: in Arabien, Mas-
aaua. Aegypten und viele Völker in Ost- und Westafrika. Ebenso
wird in Persien unter den Mohamedanern die Menstruirende für unrein
gehalten, allein abgesondert wird sie nicht, wie mir Häntzsdie schreibt. Im
Orient, insbesondere in der Türkei und Persien, mfissen sich die Frauen
während der Menstruation sogar dreimal täglich baden. Im Sidi'^Khelil,
einem Gesetzbuch der Mohamedaner, heisst es: „Derjenige, welcher mit
Absicht, seine Wollust zu befriedigen, seine Frau, während sie menstruirt,
berührt, verliert die Kraft der geistigen Ruhe." Das Erscheinen der Menses
n&thigt die Frau, indem sie dieselbe unrein machen, sich aller religiösen
Pflichten zu enthalten.
Die Vorstellung, dass jede menstruirende Frau unrein ist, findet sich
schon bei den Iranern im grauen Alterthume. Die alten Meder, Bak-
trer und Perser hatten in dieser Beziehung sehr strenge religiöse Vor-
schriften. Sobald ein Mädchen oder eine Frau die eintretende Menstruation
bomi-rkte, mu.s»<te sie sich an einen einsamen, von aller menschlichen Ge-
sellschaft entfernten Ort begeben, wie es auch bis auf diesen Tag Sitte
ist unter den Urbewohnem des asiatischen Hochgebirges zwischen Tibet
und Indien. Im Zendavesta heisst es, das Mädchen werde unrein durch
ihre Zoiten, durch «Merkmale und Blut*. Die Menstruation galt den Iranern
als eine Schöpfung der bösen Geister. Der Legende nach war es Dschahi,
die Dämonin der Unzucht, an welcher zuerst durch Angra Mai^u die Menses
hervorgebracht wurden. Es sind also die Frauen während ihrer Regel ge-
wlMertaaUBsen in der Gewalt des Bösen; sie sind unrein und wirken verun-
reinigend auf ihre Umgebung. Darum wurden sie nach Avesta auf einen
eigenen Platz geV)racht und dort völlig abgeschlossen. Dieser Platz soll mit
trockonem Staube beschüttet und von Pflanzen und Kräutern gereinigt
werden (noch heute glaubt man in Deutschland, dass eine Menstruirende im
Krautfelde das Wachsthum der Pflanzen verderbet; er soll höher liegen aU
da« Haus, damit das Auge des Weibes nicht auf das Herdfeuer falle und e«
Teruufiiioige. Fünfzehn Schritte muss der Ort entfernt sein von den heiligen
^JOfsiniien Wasser und Feuer, sowie von den zum Opfern gebrauchten G(^
r&thnn. Die Männer und alle frommen Menschen durften sich nur auf drei
'■'•'••rn. Noch jetzt besteht in jedem Perserhaase eine solche Auf-
fflr unreine Frauen. Als normale Zeitdauer der Menses gelten
iluaaerste Grenze der neunte Tag; die Isolirung währt unter
VcriiAltnissen 4 Tage. Zeigt sich sogar noch nach 9 Tagten
ruo, Dut W»ib. 1 3. Aufl.
17
288
X. Die Reife de« Weibe« (die Pabottat).
Blut, 80 wirkten nach der Vorstellung der Iraner böse fieister auf die
Frau ein. 8ie wurde dann sogar mit 400 Schl&gen beetraf't und allerlei
Reioigungs-Ceremonien mit Wasser und Kuhham in ibrer Umgebung vorge-
nommen. Aach mussten zur weiteren Sübnung Ameisen und andere schäd-
Rehe Thiere erlegt werden. Avesta verbietet ausdrücklich den MRnnem ehe-
lichen Verkehr mit menstruirenden Weibern. Erat nach entsprechenden
Waschungen durfte die Frau wieder mit Menschen zusammenkommen.
{Geiger.) Pflegt sie während dieser Zeit Umgang mit einem Manne, so be-
kommt sie 20 Riemenstreiche, begeht sie dieses Verbrechen zum zweiten
Male. 80 erhält sie 20 Streiche mehr. Der Mann, welcher an diesem Orte
mit ihr sich eingelassen, begeht nach Zoroa«ter ein Verbrechen, für welches
es keine Aussöhnung giebt; er muss dafür bis zur Auferstehung der Todten
in der Hölle büs^en. Hatte ein Mann mit seiner eigenen Frau den Coitos
vollzogen, so wurde er „Tanafur", bekam 200 Riemenstreiche oder mosste
statt derselben 200 Derecus zahlen. {AU.)
Die Vorschriften fQr die Behandlung menstruirender Weiber stimmen
bei Zoroaster und Moses fast ganz überein. Das Weib wird an einen ab-
gesonderten Ort gebracht. Alles was sie berührt ist unrein. Nach ZoroasUr
muss sie an diesem Orte 4 Nächte bleiben, dann muss sie sich untersuchen,
und wenn sie dann ündet, dass die MeoHtniation noch vorhanden ist. noch
5 Nächte an dem Orte zubringen. Darauf zählt sie noch 9 Tage hinzu , wo
sie an dem Orte bleiben muss. lässt sich dann nach Vorschrift reinigen, darf
dann ihre Einsiedelei verlassen und sich in die menschliche Oeeellschaft be-
geben. Die Zahl 9 ist bei Moses auf 7 herabgesetzt.
An diesen altpersiachen Sitten halten auch noch diejenigen An-
hänger Zoroasters {est, welche einst (632) durch die Araber aus Persien
vertrieben wurden und sich dann in Indien, namentlich in Bombay,
niederliessen : die Parsen. Auch bei ihnen mass sich die menstrairende
Frau, weil sie unrein ist, an einen abgesonderten Ort des Hauses begeben:
man nennt denselben Daschtan-satan, und legt ihn eo an. dass die Sonnen-
strahlen keinen Zutritt haben, und Wasser, wie Feuer und Alles, was zum
Leben gehört, fern bleibt. Ehemals soll es Öffentliche Daschta-sataa's
gegeben haben; doch im Laufe der Zeit verminderte sich auch bei dem Volke
der Perser diese Barbarei. Während die armen Menstruirenden in ihren
Gefängnissen sitzen, dürfen sie mit Niemand sprechen. Niemand darf ihnen
nahe kommen; das Essen wird ihnen von weitem zugeschoben. Erst zwei
Tage nach Ablauf der monatlichen Reinigung ist dem Manne der Verkehr
mit dem Weibe wieder gestattet. (Du Perron.)
Wie die alten Inder, so pflegen noch heute mehrere Völker Ostin-
diens die Meni^truirenden stt^ng abzusondern; dies gilt nicht bloss bei den
noch immer den Geboten Zoroaster's folgenden Völkern , sondern auch von
anderen. Aeltere Berichte darüber lauten: ,In Oitindienist es Sitte, daa«
jedes Mädchen ihren periodischen Blutabgang durch ein mit ihrem Blute
gefärbtes Läppchen Leinwand, das am Halse befestigt wird, bekannt macbL*
( Wolf. ') — . So lange die Frauen in 0 a t i n d i e n ihre Reinigung haben, erlaubt
man ihnen kaum einen Plate im Hause; sie halten sich gemeiniglich in
einer besonderen, vor dem Hanse angebauten i"I:ill.<"" m* ^x^,.U■.r, ,..„.. :i>n<«n
Kuch das Essen bringt.' {üentil.) — Bei dcit ,ta
die Vorschriften der Sitten ii«-»"- "'i'" "i •
Nayera in Mklabar ist die '
rein: sie mn - — --■: — > — -
Koch- oder
38. Tut Menitniirende gilt fttr ^xuaem*
259
mm
zain 7. Tage einschliesslich halbrein, darf doe Zimmer verlaasen, aber noch
nicht den Tempel betreten. Das Product einer mengtruirenden Rani (Pris-
xeuin) heiset tirra-pickerda (heilige BlÜthen). Die Nayer^Frau sagt in
solchen Fallen viitü-darum (fem vom Hause). Verlangt man dann einen
Trank Wasser von ihr, «o luitwortet sie: ich bin nicht in Hauee. Bei Er-
biurang einei^ Nayer-Haaee« wird ein besonderer Ranm für Wöchnerinnen
nnd monstmirende Frauen bestimmt. In Trovancore ist fQr Rania (Prin-
ceaannen) in solchen Umständen ein eigener Palast vorhanden. {Jagor.''')
Besondere Formalitäten beobachten bei solchen Gelegenheiten die
Hindus, wie aus den Schriften Nittia carma und Padmapurana her-
vorgeht: „Sobald eine Ftuu ihre Regeln bekommt, so wird sie in ein ab-
gesondertes Local gebracht und ea darf 3 Tage lang Niemand mit ihr
verkehren. Am ersten Tage betrachtet sie sich als eine Paria (der Autor
nimmt an, die Frau sei von höherer Kaste). Am zweiten Tage hält sie sich
in gleicher Weise für unrein, als ob sie einen Brahma getödtet hätte. Am
tten Tage befindet sie sich in einem Zustande, der die Mitte zwischen
beiden voraupgegangenen Tagen hat. Am vierten Tage reinigt sie sich durch
Abwaschungen and alle die für diese Gelegenheit vorgeschriebenen Ceremo-
nien. Bevor dies geschehen ist. darf sie weder baden, noch irgend einen
Tbeil des Körpen waschen, noch auch weinen. Sie muss sich hüten, In-
leden oder irgend ein lebende« Wesen zu tödten. Es ist ihr verboten, ein
Pferd oder einen Ochsen oder Elephanten zu beateigen, sich im Palonkin
tragen 7.u Uäsen oder im Wagen zu fahren, ihren Kopf mit Oel zu salben,
h ein Spiel zu spielen, Wohlgerüche, wie Moschus u. a. w., an «ich zu bringen,
^^ttuf einem Bett zu liegen, nm Tage zu schlafen, die Zähne zu reiben nnd
^K4en Mund «uszuspilleD. .Schon der Wunsch, mit ihrem Ehemanne zu coha-
^HbiÜren, ist eine grosse Sünde. Sie darf nicht denken an Gott, noch an die
^■{Sonne, an die Opfer und Gebete, zu welchen sie verpflichtet ist. Sie soll
^Hf ersonen höheren Ranges nicht begrttssen. — Wenn «ich mehrere Frauen,
^™^die ihre Regel haben, zugleich in einem Gemach befinden, so dürfen «ie
^ kein Wort miteinander wechseln , noch sich untereinander berühren.
Eine Frau in diesem Zustande kann sich nicht einmal ihren Kindern n&hem,
w ist ihr versagt, sie anzufassen oder mit ihnen zu spielen. — Hat die
Frau demgemäsB drei Tage zugebracht, so verlaust sie am vierten das Ge-
mach, in dem sie abge8chlof.«en war, und man übergiebt sie den Wäscherinnen
zur Reinigung; sie zieht ein reine« Hemd an, und darüber noch ein zweites,
und 80 führt man sie zum Flu^ise, um ein Bad zu nehmen.* (DulxnsJ
Die im Norden I ndiens wohnenden Stämme von Ureinwohnern befolgen
zum Theil gleichfalls den Brauch der Frauen- Absonderung. Bei den Oauri,
.-inero sanskritsprechenden, nicht dem Zoroaster anhangenden Volke in
Bengalen, existirt folgende eigenthümliche Sitte. «Es begiebt sich jedes
lOdohen nnd jede Frau, sobald sie ihre Zeit bemerkt, schleunigst aus
ihrer Wohnung und geht nach einer kleinen auf dem Felde besonders
«tehendcn Hdtte, so von Baumil«ten als ein Korb geflochten ist und vor
aleher vorwärts ein langes leinene» Tuch herabhängt , welches als Thür
«au So lAiiKe als ihre Menstruation währt, wird ihr alle Tage sa mmb
1^ '" Viü Zeit verflossen ist, schickt »ie je nach Umständen dem
. ein junge» Huhn oder Taube zum Opfer. Nachher geht
ladrt ihre Verwandten zu einem Mahle ein.* (Tac^ni^r.)
. den Gebirgen und Thälern des Hindu -Ku«h wohnen
■', welche die Frauen ebenfalls bei jeder Menstruation
■ vom Dorfe entfernt stehendes Gebäude sich zurück-
260
X. Die Reife de» Weibes (die Pubertät).
»eben la-seen , 'weil sie dieselben für unrein halten. Auch hier inÜRBenl
sich die Weiber zum Sciilusse einem religiöaen ReinigangsverCüiren
unterwerfen. Dageg^en findet bei den Badagas im Nilgiri-Gebirge die]
Absonderung der Mädchen nur filr daa erste Mal des Menatruations-
Eintritte statt. (Jagor.)
lu Siftm gilt die Frau zur Zeit der Menstruation für unrein (nach
mündlichen Mittbeilungen Sclwmhurgk's).
Die menstruirenden Mädchen und Frauen müssen bei den Chewauren
(im Kaukasus) in entlegenen Hütten als ^unrein* gesondert leben; solche
aus Schieferplatten hergestellte Häuschen sieht man stets in der Nü.be der
Cbews urendörfer. Wllbrend dieser Zeit müssen die Weiber alte Kleider
anziehen. Ist schönes Wetter, so sitzen die Weiber auf dem Dache, und im
Sommer leisten sie in der Vertilgung von allerlei Ainlden Kräutern das Un-
glaubliche. Abends aber müssen diese ^unreinen* Wesen doch die Kühe
besorgen, und dann begeben sie sich zur Nacht wieder an den abgesonderten
Ort. Der Process der Menses verläuft in normaler Weise, länger als zwei
Tage sitait selten ein Chewauren-Weib in der „Samrewlo-Hütte*. {Raddt.)
Bevor die Frau wieder ins Dorf kommt, muss sie sich am ganzen KOrper^
waschen.
In China tragen die Frauen während ihrer Menses ein als Enveloppe
Busaminengefaltetes Papier vor den Geschlechtstheilen zwischen den Schenkebi h
und fangen in dieser Papierdüte das Menstrualblnt auf; dabei befestigen fle^|
an einem Gürtel ein Tuch, das zwischen den Schenkeln hindurchgezogen
wird und durch welches die Papierdüte an ihrem Plat2,e gehalten wird,
unsere europäischen Damen sind gewöhnt, einfach ein Tuch zwischen den
Schenkeln während ihrer Menses zu tragen, allein in China verweigern die
eingeborenen Dienerinnen ein solches mit Menstrualblut verunreinigtes
Tuch xu waschen; daher sehen sich die europäischen Frauen in China
genOtkigt, ebenfalls jene Papierdüte bei der Menstruation zu tragen.
In Japan bestehen ähnliche Vorrichtungen, welche die Frau w&hrttid^|
der Menstruation benntst, und an denen sie selbst einen ziemlicb genauen ^^
Anhaltspunkt Über die Menge des Henstrualblntee besitzt. Hierüber könnt«
Wemich Niifaere« erfahren. Zunächst wird nämlich statt de« gewöhnlich
um die Uüfte geschlungenen Tuches eine wohlconstruirte T-Binde angelegt,
welche Kama (»Pferdchen*) genannt wird. Doch soll dieselbe keineawei
dazu dienen, die Flüssigkeit aufxufangeo. Dies geschieht vielmehr auf an
den Weise. Die sich der Reinliclikeit befleis$igenden orientalischen Volk
b«traeht«& bekanntlich jede Verunreinigung mit einem Körpersecret (Blnt^^
SitAT-, Käsen- und Bronchialschleim) als eine so starke, dacs sie ein der-
artiges besehmutstes Kleidtutgs- oder Wäschestflck in der Regel nicht m?hr
an den Lei b bringen. VielfAch erwähnt wird die That«ache bei der 1
boag der papierenen jaiianosischen und chinesischen Schnu^
In noch höherem Grade gilt das Menstnnlexeret als ein tuireines, and aactt
«a seiner Aafsaogung wird Papier Tcrwandt. Die Fnuwa kaelKn buj i<ii
der aleU (au «tir>ichietleu«n Zwecken) in gritmnm Vunath
Pliptflri>MII«r «ine etwa knacViivm.!«!
«oh di««9 je nach BetÜrflüs*
Periode «. B. da* Tb--"— *-
mehnre Mal« vor.
von n - ' "'^ —
Fluai
38. Die Menstruirende gilt für .nur
'Aus der Zahl neun, die während eine» Menstxualtages verbraucht wird {6
\>iK 12 Stück), machen die Frauen einen Schlues auf den guten Ablauf der
Periode und auf die Reichlichkeii derselben. Diese letztere und eine kurze
Daaer gilt vornehmlich für ein Zeichen guter Gesundheit; weit weniger
Gewicht wird auf Oonsistenz, Farbe und etwaige Beimengungen gesetzt.
Bezüglich des Yerhaltens der Japanerinnen während ihrer Periode
gelten, nach Angabe Wa-nich's, der hierüber Angaben sammelte, als ganz
allgemein die Verbote den Badens, des Coitus und anstrengender Arbeit.
Auch fürchten sie sehr etwaige Erkältungen, welche sie ganz charakteristisch
Shimokase (Wind von unten) nennen. In einzelnen Provinzen des Innern
von Japan, speciell in Hida, ist den Frauen während dieser Zeit der
Tempelbesuch und das Beten zu den G6ttern oder guten Geistern auf das
Strengste untersag; in andern müssen sie aog&r die ganze Zeit in abge-
sonderten Gemächern zubringen und dürfen nicht mit ihren Familien
toaammen essen. Bemerkt die Frau das Aufhören des Blutäuases, so niuimt
«ie ein Bad, zieht andere Kleider an und legt die T-Binde ab. Mit diesen
Regein, sowie mit der Auffassung des ganzen Vorganges werdeu die jungen
Mädchen frühzeitig bekannt, indem sie den Gesprächen der etwas älteren
Mädchen und der erwachsenen Frauen zuhören. WernicJ^ glaubt, aus der
Erklärung und Ableitung der sämmtlicben Ausdrücke für „Menstruation'
einer Reihe ganz verständiger anderweitiger Auffassungen, aber nirgends
der bei uns immer populären zu begegnen, dass die Menstruation ein
Reinigungsact sei. So betrachtet also die Japanerin das auegefiosseno
Blut als ein höchst unreines — vielleicht das unreinste Excret — , verräth
aber in keinem der geläufigsten Ausdrücke, dass ihr Körper dabei oder da-
durch gereinigt werde. Man urtheile selbst. Der gewöhnlicluite Ausdruck
j int ,Gek-ke", was einfach monatliche Regel bedeutet. ,Mengori* oder
' ,Megori*, das demnächst gebräuchlichste, etwas feinere Wort ist wörtlich
Cirkeltour oder dasjenige, was regelmässig wiederkehrt. ,Akane Son-ke'
(ein etwa« ordinärer, vielfach in Volksliedern und Witzen gebrauchter Aus-
druck) heisst «RothCäTbung'; .Geschin* heisst monatliche Botschaft oder Ver-
kündigung, und sJakh' heisst einfach: Pflicht. Die beiden letzten sind schon
[etwas ungebräuchlichere Bezeichnungen.
Unter den Samojeden gilt das Weib überhaupt als unreines Wesen,
aber zur Zeit der monatlichen Reinigung am meisten verachtet; da
Aoaa sie gar oft über das Feuer schreiten und mit den Dämpfen von Renn-
[thierhaaren oder Bibergeil sich räuchern; da darf sie keine Speise für
MiLnner bereiten und ihnen gar nichts durreichen. CPaUas.J
Auf den aleutischen Inseln dauert die Absperrung für Frauen und
iMädchen jedesmal 7 Tage; sie ist dort durch das Eindringen des Christen*
|4hums ziemlich abgeschafft. Bei den Ttjnai sah Capitän Sagoakin im Jahre
|]^2 die mcnstruirenden Weiber mit achwarzbemalten Gesichtern unter einer
[ledernen Zeltderke abgesperrt. Die Koljuschen auf Sitcha sperren nach
CrnMn <l 'u und die Frauen drei Tage lang ab.
_A.eli' nilen wir bei den UrvClkem Amerikas sowohl im Süden,
im höhten Norden. Die Guajquiries am Orinoco glauben.
in eine munstruirende Frau ihr Wasser lässt, dadurch eine Dürre ent-
ii und das*, wenn irgend ein Mann dahin urinirt, wohin sie den Fuss
.,,. „•..ir-(«>n iijtn seine Schenkel aufschwellen. Sie fasten des-
it sie kein Gift mehr enthalten, sondern dies voU-
-.u uiul vergehe. (GumiUa.J Schon Güi hatte im vorigen
. duss (Üe Frauen der Indianer am Orinoco während
262
X. Die Reife dea Weibes (die Pubertät).
jeder Menütrnation fasten müBsen. Auch die Frauen anderer Indianer
vOlker Sfldanierikaa, e. B. der Maja's nach v. Azara, sowie der
Payagua nach Benffger, müssen bei der Menstruation eine besondere DiM
beobachten; die verheiratheten Frauen der ersteren dürfen überhaupt niemala
Fleisch von Kühen und Ochsen genieasen; während der Menses ernähren sie
sich lediglich von Gemüsen und Obst, sie vermeiden zu dieser Zeit Allet,
was fett ist, denn sie meinen, das» nach dem Genuas von Fett in dieser
kritischen Zeit Hörner auti der Stirn wachsen. Manche Stämme Süd-
amerikas sondern die Menstruirendo ängstlich ab; es werden ihr besondere
Cabanen angewiesen und Hie dürfen sich nicht erlauben, irgend etwas an-
zurühren, was noch gebraucht werden könnte. (Tm Potherie.)
Die Frauen der Indianer Nordamerikas beobachten zur Zeit ihrer
Menstruation sehr gros^eu Anstand. In jedem Wohnorte oder Lagerplatze
befand sich ein Gebäude, wo sowohl M&dchen als Frauen während jener
Periode verweilten und von der Übrigen Gesellschaft auf das Strengste ge-
sondert waren. Die Männer vermieden unterdessen alle Berührung mit ihren
Weibern; und bei den Nodowesaiern hätte man es unter keiner Bedingung
gestattet, irgend welche Gegenstände aus dem Orte des Aufenthaltes der
menstruirenden Frauen zu holen. (Carver.J Auch die Weiber der Crih-
Indianer dürfen sich während der monatlichen Reinigung nicht mit den
Männern geschlechtlich vermischen. ( Hiduirdson.) Der Maler Kerne, welcher
die Ojibeways am Uuron-See besuchte, schreibt: ,Zu gewissen be*
stimmten Zeiten ist den Krauen nicht der geringste Verkehr mit dem übrigen
Stamme gestattet, sondern sie müssen eine Hütte nicht weit vom Lager
bauen, in der sie bis zu ihrer Genesung völlig abgeschieden leben.* Aehn-
liche Erscheinungen in Brauch und Sitte gehen durch den ganzen hohen
Norden des amerikanischen Continente. Die Indianer am Stnarts-
Lake und Fraser-River in British-Nordamerika scheiden ihre Frauen
während ihrer Eatamenien vom Stamme ab und legen ihnen auch Speise-
vwrbote auf. (HamiiUm.) Und bei den Eingeborenen im Westen der Hud-
sonsbay, den Athapasken, den Huudarippen- und Kupfer-
Indianern, dürfen die Weiber während dieser Zeit nicht in einem Zelte
mit ihren Mrinuem bleiben, sondern sie kriechen in kleine, elende Hütten in
einiger Entfernung vom Lag«r der Horde. Die Weiber benutzen zuweilen
diesen Gebrauch, um sich auf einig« Zeit der üblen Laune ihres Eheherm
XQ entziehen. Bei den Oroahn-Indianern wird die Menstruation als «sa
Wttktmda gehörig" betrachtet. In der Mj-the vom Kaninchen und dem
schwarxen Bären w*if liacteingt, das Kaninchen, ein Stück vom schwarzen
Bären - Häuptling g«gen seine Grossmutter, verwundet« sie und veranlasste
hierdurch, dass sie di« Katamenien bekam. Seit dieser Zeit sind die Weiber
damit behaft«t. Unter den Omahas und Ponkas macht die Frau auf Tier
Tage ein abgesondertes Feuer, in einem kleinen Räume, und wohnt getreoui
vom übrigen Haushalte. Sie kocht und isst allein und sogt Niemandem etwas
von ihrem Unwohl.^ein. nicht einmal ihrem Ehe^ratten. Erwachsene Leute
(Urohten sie nicht, aber Kinder haben Ursache den Geruch zu fOrchten.
welchen nie vorbrt>itt>it. Woia eias mit ihr isst, bekommt ee eine aus-
zehrende BruKtiTTinkheit aad smm Lippen verdorren im Umkreise von zwei
ZoU. Sein Blut winl sohvart und das Kind nntss breohea. Am vierten o44r
fünften Tage badet sie tioh and wS«chi ihr Geschirr a. s. w DAitn durf sie
in ihren Haasbftll Stti11dk)nlu«o. Sine andere. ebenfalL« m i^a
darf mit ihr umtninenwoham. V^Lbrend der Begel wolle < lüt
Oirea ITmimii vcdcr aosMiiiaen Uegeti, noob tamu, und sie
I
I
88, Die Menstniirende gilt für ,,unreia'
SchÖMel, Napf oder Löffel benutzen. Seit über 10 Jahren, wo die
mehr mit den Weissen in Ber&luniag kommeii, ist die Sitte, nicht von
denelben Schüsael zu essen, abgekommen.
Auch bei den Eskimo der Nordweatküate Amerikas gelten die
Mftdchen und Frauen für unrein; sie dürfen nicht mit den übrigen Haus«
bewohnem gemeinsam dieselben Speise- und TrinkgeHlBse benutzen und be-
dienen sich während dieser Tage besonderer Geschirre. CJacob«en.)
Dt<r Brauch der Absonderung der Menstruirenden als einer „unreinen*
geht auch durch ganz Afrika. Auf der Westküste verbieten die Ibu-
Neger in Old-Calabar der Frau, das Haus zu verlassen; dieselbe muss auf
einer Art Nachtstuhl mit untergestelltem Gefass sitzen. (Heican). Bei den
Negern an der Guinea-Küste, sowie an der Zahn- und Elfenbein-
Kflate (in lasinij hat jedes Dorf eine abgesonderte, an hundert Schritt von der
Wohnung entfernte Hütte, «Bumamon" genannt, in welche sich alle Weiber
und Mädchen begeben und sich des Umgangs mit anderen Menschen enthalten
müssen, bis die Zeit der Reinigung verflossen ist; während dieser Zeit wird ihuon
der Lebensunterhalt dorthin gebracht. (Loyer.) Bei den Cougo- Negern
iDÜsieo MeuBtruirende volle sechs Tage in Abgeschlossenheit leben und dürfen
vor Niemandem sich blicken lassen; geschieht hierin ein Versehen, so fangen
die sechs Tage von neuem an. Nach Ablauf dieser Zeit muss die Frau mit
iTother Erde und alsdann durch ein Bad sich reinigen. CDeffrandpre.J
Unter den Negern der Loango- Küste (Bafiote) bleibtcdas menstruirende
Weib den Hütten fem, in welchen Männer hausen; die Frau gilt also während
dieser Zeit für unrein. (Pechuel- Loesdu.) Hier wird ein Stoff (genannt
Taknlla), welchen ein im Majombe- Gebiet wachsender Baum liefert, zu
Pulver verarbeitet und dazu von den Weibern benutzt, sich zur Zeit der
Periode roth zu bemalen. Während der Menstruation wird die Reinlich-
keit, welche die Bafiute- Neger an der Loango-Küste überhaupt aus-
zeichnet, nicht vernachlässigt; man wäscht und badet sich ohne Rücksicht
EU nehmen auf den jeweiligen Zustand, welcher überhaupt die Betreffenden
ireDig KU alteriren scheint. (Pechuel-Loesche.J Auch bei den Aschanti in
Westafrika sondern sich die menstruirenden Weiber von andei'Cn ab.
fBotcditsch.J Dasselbe geschieht unter den weiter im Innern wohnenden
Kalunda- Negern in der südlichen Hälfte des Co ngo- Beckens; die Frau
des gemeinen Negers wohnt alsdann hier allein in einer besonderen Hütte
und darf nicht für Andere Wasser holen oder Speisen bereiten; die vor-
nehmen Weiber verlassen mit ihrer nächsten Sclaven-Umgebang ihre officiellen
Wohnungen, um in entfernten, einsam gelegenen Wohnungen die Zeit ihrer
Beinigung abzuwarten. ( Pogge.)
Dieselben Sitten behielten die Neger, welche als Sclaven nach Süd-
amerika übergeführt wurden, und dann wieder ihre Freiheit erhielten, fast
unverändert bei. Bei den freien Negern in Surinam müssen die Frauens-
personen während der Dauer ihrer monatlichen Reinigung in einem besonders
dazu eingerichteten Hause verweilen. Auf dem Wege in dieses Quarantäne-
Baus musH die Frau «ich sorgfältig hüten, dass sie keiner ihr etwa begegnen-
den Mannsperson den Rücken zukehrt, noch weniger darf sie Jemand hmter
«rieb gehen lasNon, sondc^ra sin mui«, sobald ihr Jemand näher kommt, so
lange stehen blrtlben, bj« die Person vorüber ist. Ereignet es sich, dass ihr
auf diesem Wngo «jn Mann oder i^in« Frau entgegenkommt, so bleibt sie
■ i..lcich »t<"hen und ruft diT l'«r»on mit ängstlicher Stimme entgegen: ml
i^ ' ' rni V:\v\ (ich bin «iifoinf» Ihrn« Mannes Wohnung darf sie nicht eher
^ ' i' ' t-n, al« ).i!» All«« »orüber ist. Wenn sie während dieser Zeit
X. Die Reife des Weibes (die Pubertät).
auH ihrer Wohnung etwas nOthig oder bei einem Nachbar eine Verrichtang
hat, 80 musB sie au der Haustbür stehen bleiben und das BenOthigte sich
herauülangen lassen und sofort wieder vorsichtig nach ihrer Herberge eilen,
wie sie denn auch während dieser Zeit mit keiner anderen Frau Umgang
haben darf. (Hiemer.J
Die Mehrzahl der Volksstämme Südafrikas, die Eaffera. Hotten-
totten und Gonaquas übten, wie Le Vaillant fand, ähnlichen Brauch;
derselbe berichtet: „Wenn bei diesen Völkern eine Frau oder ein Mädchen
die Vorboten der Menstniation spürt, so verläset sie sogleich die Hütte ihres
Mannes oder ihrer Eltern und bleibt in einer gewissen Entfernung von dem
Wohnplatze der Horde, mit welcher sie alsdann keine weitere Gemeinschaft
hat. Gewöhnlich errichtet sie für sich eine Hütte, in welcher sie sieb so
lange verschlosaea hält, bis die Menstruation vorüber und sie durch BUer
gereinigt ist." Lc Vaillant macht bezüglich des zu dieser Zeit hervortreten-
den Schamgefühls folgende Bemerkung: ,Da zu solcher Zeit die Kleidung
dieser wilden Frau ihren Zustand nur sehr anvollkommen verbergen kann,
so würde ein solches Weib dem Spotte der übrigen ausgesetzt sein, wenn
man äusserlich die geringste Spur ihrer Krankheit entdeckte: ein dergleichen
verspottetes Weib würde alsdann die Zuneigung ihres Mannes oder Lieb-
habers sogleich verlieren. Man sieht also, dass diese natürliche Schamhaftig-
keit lediglich in dem Bewusstsein ihrer Unvollkommenheit und der Furcht
zu mis«fallen gegründet ist." Le VaiUatU hebt schliesslich ausdrücklich
hervor, dass in diesem Gebrauche die Bedeutung einer religiösen Cereraonie
nicht liege und dass er bloss der Reinlichkeit und des Anstanden wegen
eingeführt sei.
Von den Kaffern sagte AJberti nur. dass ihre Weiber während der
Menstruation von den Männern getrennt bleiben. Von den Hotten-
tottinnen wird auch von mehreren Seiten bestätigt, dasa sie sich während
ihrer Menses in eine abgesonderte Hütte zurückziehen, und dass sich bei
einigen Stämmen die Weiber obendrein ihr Gesicht mit einem brillennirroigen
Zeichen zu bemalen pflegen. (Novara.J An der Ostküste Afrikas bleibt
bei den Szuaheli nach Keraten das Mädchen nach der ersten Menstruation
40 Tage lang im Hause; es ist mir nicht bekannt, ob beim weiteren Men-
struations • Eintritt ähnliche Vorkehrungen getroffen werden. Bei den Ma-
kololo und anderen Stämmen des Marutse-Mambu nda-Reiches am
Zambesi in Afrika wird die verheiratheta Fruu während der Zeit ihrer
Menstruation für unrein gehalten und moss durch 7 Tage ihren Mann
meiden; gewöhnlich muss sie sich in einer Nebenhütte instaUiren, und dazu
dienen namentlich die backofenförmigen Häuser in der Hofunifriedigung der
königlichen Weiber. (Hoiwb.)
Jh^ Völker der Südsee, die Polynesier, Melanesier und Mikro-
neaier, sind ebenfalls Anhänger des Glaubens an da« ünreineein der Men-
struirenden. Aul den Marianen-, Carolinen-, Harschall- und Gilbe rt-
Inseln gelten nach Mertens' Bericht Menstruirende für unrein. WilMn,
Niettolaa und Ander« bestätigen, dass auf fast allen Inseln Polynesiens
die Weiber während ihrer Periode .unrein" und von dea Männern ge-
trennt sind.
Auf Yap, einer der westlichen Carolinen-Inseln, wird jede Frau
während der Menses abgesondert; sie lebt dann in einer Hütte, die entfernt
vom Dorfe iat, einem .As}'! für Frauen'; sie gilt für anrtfin und iliu-f «ich
nicht im Dorfe sehen lassen; dieii«lbe Uütt« wird auch von den Frau<m nach
der Entbindung als Wohnung fllr ihre Isolimng benutzt. Dies £a&d d**
»u IM« Xwtnmode gOk flr ^MmtoT. dfö
V. MiHmekt Ifarfcf*. Aaf 4er laad Cena ■iViiif. wie et Mete, üe Beqp-
bevolraer, üe inyiBBhB H&lifar«, ikre Friaf ä gWciwr .iit wlhiiail
diaMT Epoche m den Wald. Da^w%m beühtci CipitiB SdWw. ^ Ceran
befiadeiaidi ib jrfe» Dotfe ebi «yitoi Me— tiintiiwihaiii . wwäa «De Fzmn«
die gaaxe Zeit d« Beuignig cabnagea nd aüfc dm ¥lii»frii «ad nihtt
»it den t^iBtn« ¥i»def ia keiae BertUnaag Iwaiima *■
Aaf aidbvetCB laaela da alfaricehea Aidöpeb vixd dac Meaitnift-
tMaebfait als aekr aareia betodtteL Die HldrhM aad Raaea rteekea äcät xa
dieser Zeit TaDpoas aas areieh gcUopftem Baombaat ia die Scheide, aad na
werden wihreDd der B«gel Toa den Mioaera aidit gesdilerhÜJA bertikrt.
auf den Seranglae-Iassla sogar tob dea Mioaeia gaoöedea. Sie dttzfta
kam Feld aad kexaen Garten besadMa, keia Garn flrbea and lieia FSaeiteB
aieht gegen wirtig sein. — Aaf dea Aara-Iaaela dflbtfca ne aidrts pUMiswii.
koehea oder Enbereiten, aac^ airfat badea oder ndi wasrhna. Voa ibren
Umien sondeta ne ödi abu INe Etar-Iasalaaer Tcraieiden MngflQCäg
die Nibe der Httten, ia aekhui die UMrhfa öeb wibread der Meastma-
tion anfbalten ntflssea. Deaa wer caliSig anf Meastraalbhit tziti, der wiid
im Kriege aad in anderen Cntcmckaniagea aa^fldlieb aad ia j«der Be-
nehaag kraftlos. Aa^ aaf den Watabela-Iasela briagt das Menstrasl-
Uot den llianern üaglaek. (BieieL^J
In Tabiti reibt man die Fraoas wlbrend der Periode mit Karknma
ein, das dort als Priserratir gilt. (JÜmrmer.J
In Neobollaad geltea bei den Eingeborenen die Weiber wSbrend der
Periode 7 Tag« lang fBr nnrein, and so lange entbaUen ridi ibrer die X&nner;
sie wobnem dann ia einer abgesonderten HOtte fBr sieb. (Stkmrmaim.)
Wie weit robe VoDcer ia dem Glaaben geben, das» das menstroirende Wöb
•giftig* sei, seigt folgendes Beispid: „Ib Jahre 1870 tOdtete eiaAostra-
lier in der Nibe tob Townsville sein Weib, weO es sieb zor Zeit der
Menstraation in die Decke des Mannes gebfiOt hatte and so diesem Scha-
den brachte. (ArmiL)
Die Ansieht, dass die Ifenstndrende anrein and schaden bringend sei,
fand sidi and findet sieh noch aneh in Deotscbland.
In pdes getreaea Eekartkt anvorsichtiger Hebamme*, die
in Anfsnge des 16. Jahrimaderts ersehiea, steht geschrieben: «Dieses aas-
gewoxfene monatliche Blot ist aidit, wie einige vorgeben, ein so gutes Bhit,
wie es ans denen Adens gelassen wnrd, oder ans der Nase and Hals gebet,
sondern ein scharfes, anrönea and gleichsam dnich dea ganzen Leib aas-
gesondertes Geblfit, welches dnnb dergUäeben AbstOsse, gleich einem Qifft,
sowohl Menschen als Vieh nnd andern Sadien schadea kann. Wo dergiächen
Geblfit hinflUlet, ist es als dn Scheide -Wasser, nnd Hast in denen Tfiehem,
aoch nach dem geaaaestea Aaswaadien (wdches ein ander Blnt nicht that),
einen rGthlichen Flecken nach sich, man erfiUixet, daas ön Spiegel, in welchem
eine dergleichen Franenspersoa nnd Jangfer sich bespiegelt, gleich denen
Aagen rande Circkel-formige Flecke bekommt, welche nidit wieder können
abgebracht werden, Tomehmlich die von schOnem Glase, und mit Zinn and
Qoeckailber beleget sind. Zuweilen wird man aach aaf dem feinen Zinn gleiche
Merckm&l finden, ko will man aacb vorgeben, ob solten die Weine, die zn
der Zeit von einem Weibsbüde traktirt würden, verfallen and ihre Krallt
vediehren. Einige wollen behaapten, dass wenn man ein Haar einem Fraaen-
aanser zar Zeit dieses Aaswnris aosiiehet and io den Mist vergrabet, eine
^kUaage drans werden solL Diaaea ist gewiss, wann ein dergleichen Mensch
v^ad« beschanat, diaadhe nickiwdbl sa heilen ist, nnd woiem sie im
266
X. Die Reife dea Weibes (die Fubert&t).
Zorn einen Menschen beiaaet, und mit denen Zähnen verwundet, gar gefilhr-'
liehe nnd unheilsame Wunden entstehen. In Candia und Cyperu sollen
solche Bisse so übel gerathen, dass die Gebissenen (gleich von tollen Hunden
geschehen), in eine Raserey gerathen, und daran sterben, wie gemeldete Per-
sonen denen armen Kindern schaden (welches man das Besclireyen nennt),
ist bekannt, sehen sie darzu in Monden, und beschanen einen Menschen, ist^
es weit ärger." (Et^arih.)
Guarinonvts giebt den Weibern folgende Yerhaltungsregeln während der '
Menstruation :
Die Töchter lass nicht unter d*Leut, noch Hochzeit noch Tantz,
Die verehelichten mercken besonders auff, ihre Schantz,
Damit sie zu wehrender Blumens Zeit
Von ihren Männern sich schrauffen weit,
Nicht greinen, nicht zürnen, nicht schlagen umb,
Sonst schlägt das Gifft in d'Glieder, und werden krumb,
Die jungen Kinder nicht viel küssen noch berühren.
In der Küchel die Speise nicht selbst anrühren,
Nicht in die Keller, noch zum Weinfass gehen,
In Gärten umb die jungen Bäumblein auch nicht stehen,
In keinen reinen Spiegel hinein sehen,
DabejmbE stiU sitzen, dafflr neben,
Sich flonsten auch gar wol verwahren.
Das leinen Tuch hierinn nicht zu fast sparen,
Damit nicht das unwissend Hausagesinde
Das Gspor der Kranckheit auf dem Boden finde.
In dem Volke sind derartige Anschauungen aber auch beute noch er-
halten und zwar gar nicht selten sogar bei den sogenannten gebildeten
Ständen. Es darf die Menstrairende nicht in den Keller, weil man glaubt, durch
ihre Ausdünstung verderbe der Wein. Betritt im Meininger Oberlande
eine menstruirende Frau eine Brauerei, so schlägt das Gebräu um-, von einer
solchen Frau Eingemachtes hält sich nicht; Wein, Essig, Bier, das sie ab-
zieht, verdirbt. (Schleicher,) Ein solches Weib darf nicht pflanzen und nicht«
Oepflanztes berühren, sonst geht es ein, wie man in Schlesien meint
[Wuttke). Demgemäaa irrt Krieger, wenn er sagt: ,Wir begegnen jetzt
nicht mehr dem Glauben, dass eine menstniireude Frau durch ihre blosse
Gegenwurt das Verderben der in Keller oder Vorrathskammern aui-
bewahrten Milch, des Weins u. s. w. bewirken könne." Dieses Vorurtheil be-
steht im Gegentheil bei einem nicht geringen Theile des Volkes noch immer.
In Schwaben gilt Menstrualblut für Gift. Weiber sollen damit schon
öfter ihre Männer vergiftet haben; wo das Blut hinfällt, wächst kein Gnis
mehri der Coitus mit einer Menstruirenden soll Tripper erzeugen. In
Schwaben glaubt man aber auch, dass der Schlossbrunnen auf der
Dietenburg (bei Erisburg) unreine Weiber reinige, wenn sie »ich ihm
sahen; jedesmal überziehe er sich dann auf einige Zeit mit einer rothen
Haut (Stiel'.) In der Gegend von Königsberg i. Fr. beisst es nach den
Mittheilungen des verstorbenen Hildtbrandt , dass, wenn ein Mädchen an
ihrem Verlobungstage menstruirt, die.(« ihr für das ganze Leben Un-
glück bringt.
In Portugal existirt dar Glaube, dass die Frauen, welche ihre Menses
haben, von Eidechsen gebissen werden; deshalb pflegen die Frauen dort zninj
Schutz Hosen zu tragen. {Rfy-)
89. Dm MenacrnäT
sei- Bnc
39. Das Menstrualblnt als Arznei- und Zanbermittel.
Von der Anschauung, dass das bei der Menstruation aus den
Geschlechtstheilen ausfliessende Blut auf alle möglichen Dinge eine
schädliche oder sogar giftige Wirkung auszuüben im Stande sei, war
e nur ein Schritt zu dem Versuche, ob diese Verderben und Unter-
gang bringende Giftigkeit sich nicht auch an dem Feinde der Mensch-
heit, an der Ki-ankheit, bestätigen würde. Man kam also dazu, da»
Menstrualblut als Medicament zu benutzen. Es handelte sich hier
aber keineswegs allein um Arzneimittel, welche vom Volke nach
eigener Initiative heimlich und hinter dem Rücken der Aerzte an-
geordnet wurden, sondern diese letzteren selbst verordneten es, wie
wir in älteren medicinischen Werken finden können. Dem Men-
strualblute traute man nach Flinins folgende Heilkräfte zu: durch
Bestreichen mit demselben glaubte man Podagra, Kropf, Speichel-
drüseuent^sündung, Rose, Furunkeln, Wochenbettfieber, den Biss toller
Hunde, Epilepsie, Kopfschmerz etc. beseitigen zu können {Äbt).
Da aber das Ungewöhnliche, das Absonderliche sich von jeher
unter den vom Volke geschätzten Heilmitteln eine hervorragende
Stellung erobert hat, so ist es auch in unserem Falle sehr häufig
nicht jedes Menstrualblut, dem die heilende Kraft innewohnt, son-
dern es muss dasjenige sein, welches ein Mädchen als das erste
Zeichen ihrer eingetretenen Geschlechtsreife von sich giebt.
Vehch nannte das erste Menstrualblut einer Jungfrau: Zenitb.
Die gefärbte Wüsche getrocknet und mit Rheinwein oder Acetum
scilliticum extrahirt, giebt ein Medicament zu verschiedenem Ge-
brauch. Ettmiiller gab es innerlich gegen Epilei)8ie. So auch
Andere. Auch gegen den Morbus comitialis ist es gut. Ebenfalls
gegen den Stein auch als Emeuagogum. Als letzteres auch in
rod eingesclilossen, zusammen mit Theriak, gegen Tertianfieber.
Wird es Jemandem mit Wein beigebracht, so kann er mond-
süchtig oder liebestoll, auch wahnsinnig werden. Auch ist es gut
»wider das Verschlagen (contractura) der Pferde*. Auch äa'^serUch
wurde es gebraucht gegen Blutungen, Metrorrhagien, Erysipelaa,
Gicht etc. Ausschläge, Muttermäler. Kropf, Augenkrankheiten, Pest,
Biss vom tollen Hunde, Würmer, Brand u. s. w. (Schurig^).
Aber nicht allein als Medicin im gewöhnlichen Smne, sondern
auch als Amulet und Zaubemiittel ist das erste Menstrualblut einer
Jungfrau zu gebrauchen. Danid Becker erzälilt, da.<J8, wenn man
im Felde ein mit dem ersten Menstruationsblute beflecktes Tuch
an einen Stock heftet, an dieser Stelle die Hasen so zusammen-
laufen, dosa man sie leicht schiessen und selbst mit den Händen
greifen kann.
Die in .Tudäa wachsende fabelhafte Pflanze Barbaras, deren
Berührung den Menschen Wultet, kann nur dadiu-ch unschädlich
gemacht werden, dass man sie mit der Wxjrzel ausreisst. Dieses
268
X. Die Reife des Weibes (die Pal
ist aber imniöglich, wenn man sie nicht vorher mit Mensfcruations-
blut oder mit Frauenvirin begiesst, (Valentino Andrea Modlen-
hroecioJ)
Wir lesen in des getreuen Eckarih's unvorsichtiger Heb-Amme:
„Ho BCheinet es doch, alü wenn das Menstruum virginis primam vor andern
einen Vorzug habe, wiewohl manche es allzuweit in ihren Tugenden exaltiren,
und ausbreiten wollen, dannenhoro ich allen Eltern rathe, dass sie das erste
Gebliite, welches von ihren Töchtern ausgehet, wol in obacht nehmen, denn
wofern ein boaghafftiges etwas davon habhaflft würde, kan ea der Person
von der üolches gegangen ist, schaden. Die alten G othen und Finnen, aU auch
Lappländer, gebrauchten sich deanelben entgegen der Zauberey in ihren
Schifffahrten, dann wann ein Schiif an seinem Gange durch Zauberey ver-
hindert wurde, nahmen sie ein aolch Flecklein, machten es feuchte, und be-
strichen damit die obersten Theile der Un]g&.nge, womit die Zauberejr
wiche. Ein Mllgdlein, die von ihrem eigeuen Menstruo primo ein beflecktes
Stücklein mit ein Wenig Farrenkraut Wurzel in ein Tüchlein eingenehet am
Halse trllget, wird nicht leichtlich von bösen Leuten angetastet werden."' Es
bringt auch, auf dem blossen Leibe getragen. Glück im Spiel, und Sieg im
Kampfe, mit warmem Essig keilt es die Roee, es d3.mpft das Feuer und
heilt in das Trinkwasser getban verschlagene Pferde und Schweine und
Hunde, .wenn sie finnigt und scbäbigt seyn". Jedoch ist es am wirk-
samsten, «wenn ein Sohn von seiner leiblichen Mutter das primnm mea*
straum zu einem Angehencke haben kann". ,Ia Italien und andern Orta
pflegen einige Leute diese mit dem primo menstruo befleckte Tücher zu ver-
kauflfua, weil man aber des Vortheils halben, da es wol von andern oder
mehren mal kan genommen seyn, des rechten nicht gewiss seyn kan, ist
nicht wol SU trauen. Weswegen am besten, dass man von redlichen Leuten
solches zu bekommen sich bemühe. Vorsichtige Eltern aber sollen sich wol
in acht nehmen und zusehen, wem sie es geben, denn mit selbigem man
per magnetismum ihnen grossen Schaden und Unfug zurichten kan.*
Dass das Menstruationsblut auch zur Bereitung von Liebes-
tranken benutzt vforden ist, das werden wir später zu besprechen
haben. In Schwaben braucht man noch nach heutigem Aber-
glauben zum Schmieden allzeit siegreicher Waflen jungfräuliches
Menstruum und das Hemd einer Jungfrau, in dem sie ihre Zeit
gehabt.
40. Die Quantität des Menstmatiousblates.
Eine Bestimmung der Menge des Blutes, welches während der
Menstruation aus dem Körper ausgeschieden wird, hat selbstverständ-
lich ihre erheblichen Schwierigkeiten, und wird man gut thun, die
bisher vorliegenden Angaben, welche Ubrigeas ganz ausserordentiioh
spärlich sind, als approximative Schätzungen zu betrachten. So
hören wir von dem Physiologen Burdach, dass das Gewicht dieses
Blutes in kältereu Gegenden (England und Norddeutach-
Und) 90 Gramm, in gemässigten 150—180, in sttdlichen (Ita-
40. Die Qaantitilt dea MeiMtruaüossblates.
269
lien und Spanien) 360 und in den tropischen Gegenden 600
Gramm betrage.
Ganz txefFend sagt der bekannte Physiolog Ludwig: .Zahlen-
angaben, wie die von Bttrdnrh., müssen mit einem Fragezeichen
aufgenommen werden,'' Demgemass geben mit CTOsser Vorsicht
Wundt and andere Verfasser von Lehrbüchern der Physiologie auch
eine ganz runde, noch dazu in weiten Grenzen schwankende Zahl
an, indem sie von einer 100 — 200 Gramm betragenden Quantität
sprechen ; und ebenso vorsichtig äusserte sich Fwnke : ^Man
schätzt die mittlere Menge zu 4 — 5 Unzen; bei manchen Frauen
reducirt sich dieselbe zu einem sehr geringen Quantum, bei anderen
dag^^n ist die Blutung profus.*
So sind denn auch alle Vermuthungen über den Einfluss des
Klimas oder der Raase auf die Menge des ausgeschiedenen Men-
stnialblutes kaum benutzbar ; es schwanken ja auch die Schätzungen
der verschiedenen Beobachter gar nicht unbedeutend: Von Eng-
land und den Gegenden Oberdeutschlauds besitzen wir die
folgenden Angaben: drei Unzen nach Dehaen, vier Unzen nach
Smellie und Dohson, ftinf Unzen nach Pasta u. s. w. Und
wenn Emett und Fifzgerald den Blutausfluss in Spanien bis zu
einem Pfunde steigen fand, wenn SncUeti unter dem Wendekreis
sogar zwei imd drei Pfund gefunden haben will, so kann man ja
wohl auf die individuellen Verschiedenheiten, wie sie bei uns und
gewiss überall in diesen Dingen vorkommen, hinweisen, um den
Werth von dergleichen Ermittelungen zu beurtheilen.
Bei löO Woloffen-Negerinnen fand de RocJtehntne
den Blutverlust zu 95 Gramm. Riedel^ bezeichnet die Menstrua-
tion bei den Weibern der Ambon- und U Hase- Inseln als spär-
lich, ebenso auf den Tanembar- und Tirmolao-lnseln.
Dass aber durch einen Wechsel des Klimas recht erhebliche
Veränderungen in der Menge des Menstnialblutes hervorgerufen
werden können, das ist seit langer Zeit bekannt. Schon Blumen^
back giebt an, dass die Mehrzahl der Europäerinnen, welche
nach Guinea übersiedeln, sofort Menorrhagien bekommen.
Wenn Europäerinueu, welche in ein heisses Klima ziehen,
an allzu reichlichem Blutabgang bei den Menses leiden, so wird
vielleicht nicht selten die Ursaclie dieser Metrorrhagien darin be-
ruhen, dass sie in Folge einer Infection durch Malaria anämisch
geworden imd hierdiu*ch zu dergleichen Blutllüssen disponirt worden
sind. Dies wollen französische Aerzte, z. B. Bestion, nament-
lich in ungesunden Gegenden Afrikas beobachtet haben. Einen
solchen Gnmd hat vielleicht auch die von Stormont berichtete Er-
scheinung, dass die Negerinnen zu Sierra Leone beim Eintritt
der ersten Menstruation an einem ephemeren Fieber leiden. Da-
gegen hat Saint Vel auf Martinique durch das Klima keine
Vermehrung des Menstrualtlusses wahrgenommen.
Das venuag nun aber die Beobachtungen anderer Autoren na-
türlicher Weise nicht umzustossen. So wird von Alleytie in Demara
das dort herrschende Tertianfieber als Ursache der Dysmenorrhöe
beschuldigt, und Diindas berichtet, dass in B a h i a die Frauen durch
das heisse Kliina stärker deprimirt werden, als die Männer, weil
jene sich in weit stärkerem Maasse einem imthätigen Leben hin-
geben. (Tut.)
In St. Petersburg hatte WieJer Gelegenheit, Folgendes fest-
zustellen: Im Ganzen scheint der Eintritt der Menstruation, ob
früher oder später, nur von untergeordneter Bedeutung flir die
Menstrualmasse zu sein; hingegen spielen Körperconstitution und
Haarfarbe hierbei eine grosse Rolle; doch trifl't die allgemeine
Annahme, dass bei Brünetten die Quantität der Menses bedeutender
ist, wie bei den übrigen Frauen, nicht zu, da die profusen Menses
sehr häufig bei Blonden, besonders rothblonden, angetroffen werden.
41. Normale und anomale Menstmation.
Bei manchen Völkerschaften scheinen gewisse Lebensverhält-
nisse eine Neigung zu besonderen Menstruationsstörungen her-
beizuführen. Von Velpeau und Gardieu wurde angegeben, dass
Grönländerinnen nur alle 3 Monate und selbst nur 2 — 3 Mal im
.Tahre menatruirt werden. Es ist nicht mitgetheilt, woher diese beiden
französischen Geburtshelfer ihre Notiz haben. Nach Gue-
ndd soll bei den Eskimos die Menstruation während der Zeit
des Winters und des Mangels an Nahrung ausbleiben.
Als ein verkümmerter, durch ungenügende Ernährung herabge-
kommener, der chilenischen Völkerfamilie angehörender Indianer-
sta m m muss das Volk der Feuerländer betrachtet werden.
Hier ist nun die Thatsache sehr interessant, dass bei den in Eu-
ropa umh.erreisendeu, von Bischoff näher unl^rsuchten Feoer-
länderinnen während mindestens sechs Monaten keine Menstrua-
tion, d. h. keine bemerkbare Blutung aus den Genitalien wahrge-
nommen wurde, obgleich sie auf dem Schifte noch ganz nackt
gingen ; ihr Führer dagegen fand zuweilen geringe Blutspuren, ohne
in Beziehung auf den T}'pus etwas aussagen zu können.
Es war die Frage, ob die sonst in vierwöchentlichen Perioden
(nach Bischo/p) erfolgende Lösung eines reifen Eies vom Eierstock
bei den Frauen dieser Völkerscliaflen in der That nur halbjährliih
erfolge, oder ob sie zwar vierwöchentHch stattfinde, aber, wie bei den
meisten höheren Süugethieren, ohne von einer Blutung begleitet zu
sein. Nim starben auf der Reise zwei dieser Frauen ; die Eier-
stocke zeigten bei der Section keine Spur von der Reife nahen
Eiern. Dadurch wird es wahrscheinlich, dass die Menstrualblutung
ie xat
regelmässig mir in langen, bis halbjährlichen Zwischenpaiiseu ein-
tritt. Hier ist also die Annahme nicht abzuweisen, dass die phy-
sische Verkümmerung sich auch in den Organen ausspricht, welche
den sexuellen Zwecken dienen.
Auch im Memoire sur les Samojedes et les Lappons vom
Jahre 1762 heisst es: Ceux, qui ont pretendu, que les femmes des
Samojedes ne sont point sujettes aux Svacuations periodiques, se
sont trompSs; cependant il est vrai, qu'ellea ne les ont que tres-
faiblement et en petite quantite.
Die zurückgezogene, die Entwickelimg mannigfach hemmende
Lebensweise der Orientalinnen giebt nach iJfjr^fr oft zur Störung
der Menstruation Veranlassung, insbesondere zu Amenorrhoe, Dys-
menorrhoe, Metrorrhagie etc.
In Sierra Leone kommt, wie der dort beschäftigte Chirurg
Rohert Clarke fand, Amenorrhoe, Dysmenorrhöe, Leukon-höe und
profuse Menstruation bei den Negerinnen gleich haulig vor, wie
bei den Engländerinnen.
Die durchsclmittliche Dauer der Menstruation scheint überall
gleich zu sein. Bei den Negerinnen der Küste von Old-Ca-
labar dauert die Periode 3 — 4 Tage [Hcwun). Bei den Woloff-
Negerinnen ist nach de Rochebnitie die Dauer der Menses
kurz, der Blutverlust schwach. Während der Menstruation der
Negerin an der Loango- Küste glaubt man an deren Haut con-
statirt zu haben, dass dieselbe für mehrere Tage um eine iSchatti-
rung dunkelte.
Die Frauen der Eingeborenen in Algier besitzen zahlreiche
Recepte, um ihre Menstruation zu fordern. Die Einen werfen
Nchader (d. L Ammoniaksalz) auf das Feuer und setzen sich un-
mittelbar ober den Dampf; Andere machen die vorschriftsmässig aus-
zuführenden Abwaschungen und setzen dann sofort, die Genitalien dem
Rauche verschiedener auf das Feuer geworfener Stoffe aas ; wieder
Andere stecken Wolle in die Scheide (Meuwteja) und pudern zuvor
die Woüe mit Schwefelantimon (Koheul) ein. Auch schreibt die
Frau auf 4 oder 5 Blätter der Pappel den Namen ihres Vaters,
ihrer Mutt«r u. s. w., legt diese Blätter in ein kupfernes Schäch-
telchen und dieses in ein Feuer; sobald sich dieser Gegenstand mit
Rauchwölkchen bedeckt, 8o glaubt sie, dass sich die Menses bald
einstellen werden. Wenn aber die Menses zur rechten Zeit kommen,
jedoch zu gering und schwierig sind, dann muss die Frau eine Ab-
kochung der NigeUa sativa trinken {Bertherand). Wenn die Menses
zu stark fliessen, so bringt man in die Scheide eine Mischung von
Essig und Vitriol, oder von Honig, den man mit Vitiüol und Granat-
rinde versetzt hat.
Tritt in Fezzan die Menstruation trotzdem, dass der Körper
entwickelt ist, nicht ein, so geniesst die Kranke drei Tage lang
eine Paste von Färberröthe und Gerstenmehl mit Butter und Zucker
(NachtigiU).
In Persien gehören Unregelmässigkeiten der Menstnxation zu
den Seltenheiten (Folak); sie kommen nur bei Frauen vor, die von
ihrem Manne vernachlässigt werden.
Die eingeborenen Frauen in Indien aberleiden, "wie Stetcart,
Professor der GeburtshQlfe in Calcutta, versichert, sehr häufig aUj
Gebärmutterkrankheiten. {Tilt.)
Die Dauer ihrer Menstruation wird bei den Nayers (Jagor^\
zu 3 Tagen, bei den Hindu- Weibern {Ckervin) zu 3 bis 5 Tagen'
angegeben. Bei den Chewsuren dauert die Menstruation selten
länger als 2 Tage {Radde).
Im ostindischen Archipel steht unter den Mitteln, den
Eintritt der Menstruation zu beft>rdem, das Kneten bestimmter Ä
Theile des Leibes und der Gebrauch Erregung bewirkender Kräuter W
obenan. Es soll im Archipel allgemein angenommen werden,
dass der Mond sehr bedeutenden Einfluss aiif die monatliche Rei- J
nigung übe, und /.war so, dass junge Mädchen zur Zeit des Neu-H
mondes , ältere
zwar
Frauen
aber nach dem Vollmonde menstruiren.
Nur ungemein selten kommt es vor, dass Schwangere raenstniiren.
(Epp) {
Bei gesunden Japanerinnen dauert nach Wemich die Men-'
struation 3 — 4 Tage; im Krankenhause bei den verschiedenen pa-
thologischen Formen natürlich meist länger. Ein nicht sehr sauberes
japanesisches Volkslied, in welchem das Mädchen den Geliebten
beklagt, dass er sich während dieser Zeit ohne normalen Genusa]
behelfen müsse, nimmt die Dauer der Periode auf 7 Tage an. Die
Berechnung wird sehr sorgfaltig geftihrt, da sowohl die Verkür-
zung der Menstruationstage als auch des freien Intervalls für ein
Krankheitssymptom gilt. Als noch zur physiologischen Menstrua-
tion gehörig betrachtet niftn in Japan leichte wehenartige Schmer-
zen im ünt«rleibe und einen geringen Druck in der Schläfengegend.
Schmerz und Kältegefühl im Kreuz, Ziehen an den Schenkeln,
Schmerzen im Hiuterhaupte und in der Stirn sind als pathologische^
Symptome wohlbekannt.
In Japan gilt als menstmationstreibendes Mittel besonders j
die Abkochung der Wurzel von Rubia cordiflora, welche die Frauen
selbst Shenkong Akane nennen. Doch sind neuerdings Eisen- und
Chinin -Präparate, Fussbäder und Senfteige bereits populär ge-,
worden; zuweilen kommen auch Capsicum und Senf innerlich zur]
Anwendung.
• In Japan gebraucht man nach Williams gegen Antenorrhöaj
als Mittel Key-tu-sing, das ist eine Tinctur aus den Blättern eine«]
Baumes aus der KJjisse der Ternstromaceae ; man nimmt es zur Zeitl
des Vollmondes unter kabbalistischen Formen.
Die chinesischen Aerzte glauben bei den Wcibem dii»j
Menstruationsstörungen am Pulse erken- f :v '-■■".. ^; tzeo
bekanntlich drei Finger auf drei vn
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274
nach BfirnouiUi Menstruationfi - Anomalien eine sehr häufige Er-
scheinung.
Die Frauen der Lappländer haben nach Linne im Allge-
meinen sparsamere Katamenien, als die Schwedinnen; unter jenen
ist das Ausbleiben des Monatsflusses sehr selten mit Ausnahme
derer, die im Dienste der Colonisten leben; diese leiden mitunter
an Menstrualstörungen. Die bei den eathnischen Mädchen ziir
Zeit der Pubertätsentwickelung eintretenden Störimgen müssen zum
Theil davon abgeleitet werden, dass den jugendlichen Körpern zu
gewaltige Anstrengungen zugemuthet werden, die um so eher als
Krankheitsursachen wirken, als diesem starken Verbrauch in dem
noch nicht erwachsenen Körper und Alter oft nicht die solchem
Consum entsprechende Nahrung geboten wird. Beachten wir nun
noch die grosse Unkeuschheit der Esthenmädchen, so haben
wir em drittes krankmachendem Moment, welches die Bleichsucht,
Menstruationsstürungen. selbst Uterusleiden entstehen lässt (Holst).
Suppressio mensium kommt nach Ravn vielleicht nirgends so häu6g
vor, als auf den Faroer, Die Weiber gehen dort ohne Schuhe
und tragen nur ein Fell um die Füsse, so dass diese immer der
feuchten Kälte ausgesetzt sind. Von Nord-Island schreibt
OJa/f'm:
,Das Frauenzimmer hat bey Weitem keine so gute Gesundheit;
indem Obstructio mensium, insbesondere bejm unverheiratheten
Frauenzimmer, hier so wie in ganz Island sehr allgemein ist
Ihre gar zu stille Lebensart, scheint vornehmlich Schuld daran zu
seyn: denn ausserdem, dass sie wenige Belustigungen haben, wo-
diurch sie schon gezwungen, stillschweigend xmd schwermtithig in
ilirem Umgange und ihrer Aufführung werden, trägt es auch vieles
dazu bey, dass sie, wenige Tage im Sommer ausgenommen, stets
bey ihrer Haus- und WoUarbeit sitzen, ohne in die freye ,Luft zu
kommen. Hierzu kömmt, dass sie bei ihrer Arbeit nicht auf Stühlen
oder Bänken, sondern mit untergesclüagenen Beinen auf dem Fuss-
boden, auf einer Matte, einem Kissen oder einem Schaffelle sitzen.
Vielleicht giebt es noch viele andere Ursachen zu der schlechten
Gesundheit dieses Geschlechtes, die Niemand achtet oder zu
achten werth hält. Die angeföhrten sind aber wohl die Haupt-
Ursachen."
In Kleinrussland gebraucht man als die Menstruation för-
dernde Mittel den Aufguss von Lathraea squamaria mit Wasser
oder Branntwein zu einigeti Spitzgläsem täglich. In Sibirien
den gesättigten Aufgiiss von Geranium pratense. Im Nowgorod-
schen Gouvernement nimmt man Bierhefe \md frischgemolkene
Milch zu einem halben Bierglii-se de« Morgens nüchteni. Ausser-
dem wird noch in den südlichen Gouvernements itusslan«
sowohl bei Menstruatio mmia als auch cessans der Splint des
ba\imes benutzt. Bei der ersteren schabt man mit -•—— Mt
nach aufwärts den Ba.st ab, bei der Ietzter«^i von oi
I
Auch trintt man in Russlaud den Thee von Tanacetum vulgare
xmd gebraucht innerlich seit den ältesten Zeiten OL Terebinthinae
zu 12 — 15 Tropfen, Morgens und Abends, tnit einem starken Auf-
gnss von Artemisia (Krehel)
Die Volksmedicin bei europäischen Völkern beschäftigt sich
mehrfach mit den Frauenkrankheiten, soweit sie mit Störungen
des Blutilusges verbunden sind. Unter den Serben müssen Weiber,
die an Menstruationsbeschwerdeu leiden, den Saft rother Blüthen
trinken. Wenn es dagegen einer Frau lästig ist, jeden Monat von
der nionatlicheu Reinigung (die der Volksmuud bei den Serben
, weibliche Blüthe" nennt) heimgesucht zu werden, dann soU sie
eich bei dem Eintreten derselben waschen und mit dem Abwasch-
wasser eine rothe Rose begiessen {Ptirowitsch). In Ungarn leiden
nach Joachim die Jüdinnen sehr oft an profuser, die Unga-
rinnen häufiger au retrahirter Menstruation.
Auf der Insel Minorca erscheint nach CleglwrH die Menstrua-
aon bei jimgen Mädchen zweimal in einem Monat, bei anderen
alle 3 Wochen.
Gegen das Ausbleiben der Menstruation hilft, wie es in der
[Mark Brandenburg (in einer alten Handschrift) heisst, ein
Stück von einem Fischernetz und ein Zipfel von einem Manus-
hemde zu Pulver gebrannt imd eingegeben. Im Frankenwalde
{{Flügel) ist unter den Hausmitteln gegen mangellmfte Menstruation
[ivohl Safiran mit Wein das gewöhnlichste.
In Schwaben giebt man Melisse oder Mutterkraut bei schwachem
Geblüt, auch Raute treibt dort die Menstruation, ebenso Sabina,
[ auch Geissenham {Bitck) : femer wird Akelei als wciberzcittreibendes
Mittel benutzt. Gegen zu reichliche Menstruation gebraucht mau
daselbst frische Muttermilch, ebenso Katzendreck und Rosenöl. Bei
' Mutterblutfluss giebt man Hirtentäschlein mit Wein und Wasser
^gesotten. Dort glavibt man auch, dass bittere Mandeln die Men-
Ifitmation aufhören machen. In der Pfalz gebrauchen die Frauen
'auf dem Lande bei Menstruationsstörungen Getränke aus gemeiner
und auch römischer Camille, .Mutterkraut (Matricaria Parthenium),
Ötabkraut (Artemisia Abrotanum), Melisse, Pfefferminze, Quendel.
Schafgarbe und Rosmarin werden zu diesem Zwecke schon seltener
benutzt, wenn sie gleich minder schädlich sind, als beispielsweise
Zwet4)chenbraimtwein, allein oder mit Safran oder Aloe, ,LohrtJl* (Lor-
beerölj, wovon die Bäuerinnen gern Gebrauch machen, wenn ihre Pe-
.riode ganz zurückbleibt. Sie lassen wohl auch bei Amenorrhoe einen
^derlass am Fuss vornehmen, nehmen auch Thee vom Sevenbaum,
besonders dann, wemi sie eine verrauthete Schwangerschaft besei-
tigen wollen {Panli).
Eine durchaus nicht eigentbümliche, vielmehr zum Theil den
Hcn Gri.nh*'n entlehnte Behandlungsweise mit Räuchernngen,
heu u s w hatten bei l^Ienstruationsstönmgen die Deutschen
18«
176
im Mittelalter. So kommt in dem von P/VZ/^er^ lierausgegebenen,
im Xlll. Jahrh. von Bartholoniäns Anglicus verf'assten Arzneibuche
folgende Stelle vor:
Swelh wip ir BiechtuomeB (siechtum der wibe i. e. menslrua) niht haben
inuge, diu neme myrren unde temper si mit dem süge (Saftfi) artemj'sieii,
unde Hö diu temperunge danne getrucline, 8Ö sol äi rigelen (schaben, feilen)
ein hirzeiä horu (Hirschhorn) unde mische diu Kuaaunne unde behulle si
tI! rechlich unde mach einen rouch dar ftz unde setze den under diu bein:
an der wile so gewinnet si ir wipheit.
Ze gelicher wis sol si rütea (Eaute) i'zzen uude den »ouch (Saft) va»te
(stark) trinchen unde sol die wurzenschSben zwischen diu bein haben: s6 -le-
digen sich diu menstnm.
Ez ergSt vil dicke (es geschieht sehr oft), daz diu matrix ersticket, dft
daz chint inne Ht, eintweder von dem snierwe oder von dem foulen pluote,
daz 81 sich nicht erfurben (reinigen) mach. De» »ol man äu« bnozen (bes-
sern). Baz Nvip Bol neuien gruuiie rüten, unde ribe di wol va»t unde stAze
die an die stat. Ze gelicher wis du sold nemeu awebel unde temper den
mit starchem ezziche und habe die tomperungo lange für die na.xe unde
stÖz ir ein teil an die toiigen (geheime) stat, üü wird dir b^z-
Swenne daz wip den siechtuom hA,t, aö geswület sie ein teil umbe den
nabel unde walget (rollet) ir daz geliberte bluot under den rippen also diu
eiger unde beginnet fir diu Hder swellen uude get ir der touin in daz houbet
als der dicke rouch. Wil du des sieehtuomes nchiere (sogleich) buozen. s6
nim rtjten unde temper die mit guotem bonege unde salbe dich da mit »2
umbe die tougen stat. Wellest du aver schiere gesunt werden, so nim linse
und beize die mit w^ne, da nAh temper siu mit honege unde neuz die
erzente olle tage: du wirdes schiere gesunt.
Bei einem Blicke auf die (lyntikologie des Alterthums {Klein-
waechter) finden wir, da.s.s die altgrieehi. sehen Aerzte sich eine
ganz besondere Ansicht über die Menstruation und ihre Störungen
zurechtlegten. Nach Hippokrntes sind Weiber, die nie schwanger
waren, menstrualen Leiden viel mehr ausgesetzt, als jene, die ge-
boren haben, denn der Lochienfluss (Abgang im Wochenbett) wirkt
auf die Circulatiou wohlthätig ein. Durch die Schwangerschaft, so
stellte er sich vor, werden die Blutgeiäs.se der Baucheingeweide, Aea
Uterus sowie der Brüste gehörig erweitert, so dass .späterhin nach
tiberstandener Geburt der Blutabgang leichter .statttindet. Bei jenen
dagegen, die nie geboren haben, sind die Blutgetasse nicht gewöhnt,
sich auszudehnen, und kann daher da,s nienstruale Blut nicht so
leicht abtliessen. Die Gewebe des Weibes sind zarter und erhitzen
sich mehr. Dadurch entstehen Beschwerden; die durch die Aus-
dehnung der Blutgefässe gemildert werden. Deshalb ist uuch die
Warme des Weibes eine höhere, als die des Mannes. Durch den
monatlichen Blutfluss wird ein zu hohes Ansteigen der Körperwärme
verhindert. Es folgt nun bei HipjiohfiUa die Besprechung der Ur-
sachen, Erscheinungen, sowie der Behandlung einer Stocktmir und
eines zu reichlichen Klusnes der Menses: .seine Darütelluii i.-t
sich nicht auf genaue auatomisrh*' T'iiK rsuclnnic. dii- m.
noch bei seineu Nachfolgern vti '
41. Normale and anomale Menstxaation. 277
beim 'Ausbleiben des Blutflusses durch Uterusleiden Blutentziehung,
Ligaturen an den unteren Extremitäten 3 — 4 Tage lang, indem
man die Binde kurz vor der zu erwartenden Menstruation ab-
nimmt, einen Trank von Myrrhen, Räucherüngen u. s. w. GcUenus
entwickelte wiedenmi andere Ansichten. Die arabischen Schrift-
steller behandeln die Menstrualstörungen ziemlich gleichartig: Avi-
cenna empfiehlt ebenso wie Serapion Ligaturen um die Ober-
schenkel, Aderlass, und als menstruationstreibende Mittel Moschus,
Castoreum und Myrrhen.
XI. Der Eintritt des Weibes in das
GescMechtsleben.
42. Die Beziehaagen des Weibes zum niännliclieD UeschlecM*
Es giebt eiue Eutwickelung in der geistigen Auffassung des
weibliclien Wesens und die «Geisteswissenschaft* sollte sich mehr,
als es bisher geschah, mit der Geschichte dieser Ciüturentwickelung
befassen. Eine Stufenleiter weist gewiss auch das Verhältniss auf,
in welches uaturgemäss das Weib zum Manne tritt. Handelte es
sich darum, die Sprossen dieser Leiter zu charakterisiren, so würden
wir dort begannen müssen, wo der sexuelle In st inet ganz allein
seine Herrschaft ausübt, ein lustinct, welcher teleologisch die höhere
Bestimmung iiu Dienste der geschlechtlichen Fortpflanzung hat. Wir
würden danu zu schildern haben, wie sich nach und nach auch bei
diesen sexuellen Beziehungen im culturell sich entwickelnden Meu-
sehen ethische Geflihle regen, wie die psychische Neigung, die wir
Liebe nennen, als besseres Element zu jenem instinctiren Triebe
hinzutritt, um ihn allmählich zu veredeln.
Man hat den kühnen Ausspruch gethan, dass erst zur Zeit
Ale:rander des Grossen die Leidenschaft der Liebe zwischen Mann
und Weib an die Stelle roher Sinnlichkeit oder nüchterner Rück-
sicht trat. (Henne am Ehyii.) Allein wenn in dieser Beziehung wirk-
lich eine Stulenleiter zur Vollkommenheit in der ethischen Auf-
fassung der Liebe historisch nachweisbar ist, so hat sich bisher
doch Niemand die Aufgabe gestellt, diesen Entwickelungsgang mit
allen seinen Etappen darzustellen. Wir möchten Berufenere auffor-
dern, sich eine so schöne Aufgabe zu stellen!
Je höher ein Volk in der Cultur steht, um so geistiger und
sittenreiner ist das Band, welches beide Geschlechter mit einander
verknüpft. Bei den rohesten Völkern ist das Verhältniss ein sinn-
liches, und es kommen da fast bloss die Triebe zur Geltung, die
auch beim Thiere eüie bald länger, bald kürzer dauernde Verbindung
zwischen den Geschlechtern herstellen. Dann kann uns aber auch
nicht auffallend erscheinen, wenn dergleichen Völker ruhig gestatten,
dass schon bei Kindern der kaum erwachende Trieb ndt einer Freibeü
42. Die Beziehongen des Weibes zum m&imlieheii Geschlecht. 279
auftritt, die wir selbst als freche Unzucht bezeichnen, die von den
Erwachsenen dort aber als «Spielen* aufgefasst wird. Eine Zurück-
haltung Ton beiden Seiten gebietet die herrschende Sitte bei
Culturrölkem, denen noch nicht durch Uebercultur die Ethik ab-
handen gekommen ist; dagegen begegnen sich mit der naivsten Hin-
gebung Knaben und Mädchen unter vielen Naturvdlkem. Auf
Madagaskar stören und hindern nach Audebert die Eltern ihre
Kinder nicht; und bei den Basuthos in Südafrika giebt es nach
Missionär Grütsner neben der sanctionirten Hurerei eine heimliche,
welche die kleinsten Kinder treiben, und wobei die Knaben den
Mädchen Perlen, Messingdraht etc. als Hureulohn geben; die durch
Brauch sanctionirte aber besteht darin, dass ein Bräutigam mit einem
Genossen vor Abschluss der Verheirathung im Euraale seiner Braut
zwei bis drei Monate lang ein Heidenleben führen darf. Von dieser
untersten Spro^^se kann man die Stufenleiter bis zu deijenigen Höhe
der ciriliiirten Zustände verfolgen, wo sich zwischen .Jüngling und
Mädchen. Manr. und Frau das reine Gefühl der Liebe und Achtung
herstellt, und wo die Würde der Frauen ihr moralisches Recht an-
getreten haL
Bei der cukurgeschichtlichen Betrachtung der Verhältniss«;. die
wir im sictlicken ^'erhalten der Volker vorfinden, müssen wir un*
vor allem frei halten von der Neigung, jede Erscheinung von
unserem eig>»nen Büdangszustande aui in einer Färbung zu be-
tnchten. die unsere Beurtheilung durch falsche Beleuchtung auf
Irrwege f'üret würde. Unser subjertives Gefallen oder ^liaafallen
gieht -ra gar zn leicht eine schiefe Stellang zur >ach«r. Vielm'jhr
ist xxTj; a:;f -irizc, Gehii*te. das wir nunmehr becnften. vorzugswiri-*:
eiE»T sracz objrro'iTe Auffasaumz geb'XezL I^is ger<.hicc.cücb. G-r-
worien-r zz^iMitLAZ r'iistznstellei:. ur.«i dacn öer Ei::w:.."k'»iu::^ so virl-rr
Eiic'zjiizr^-z:s>^ im Mi»n9cheu- uni Vr.lkierl-jbec ^a-ziizuzeh-fi:. -<
CLjere A-^yan*. Flier arilt ■?< zunä«.'Lst. di-e Fr«-: iviz-iwrrtTn. oo
gewiäs** B-tZ-':::>. -iie -A-ir 'inis Vei '.irÄrvii'. BH-LZ;ri^--!St:z. t:2_
tV*ihlj'.Eji!i .z ■»ri-.-..-».'.h.»r Hinsich: ^lischsfr'j. zjir.tz. •eizjrcEÄiu-:
:a^
k^:: •••..•.i-.»: ■ .••^.•!\.:.u>f n i.»r P<vji:e' i*? M-rCÄ«;:js-i. n:-: w-.t
F:t7.-. ..•..; ,..-.-,.1 A-..I i . ;(H»- !*•'< ' v^i«* r^i'-i^ *--- ^---^"^ Eerr^-
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umi:
y- '.. . ^a..-;./ u.. rv--.* -'*•. -J^- •'.**-^-- '
43. Die Sc
igkeii des Weibes.
beiden wir als urspHinglich, welches als Ergebniss entweder einer
schon begonnenen Cultur oder einer fast vollendeten Verwilderunj^
betrachten, oder ob wir die Unterschiede der V^ölker in dieser üe-
adehung überhaupt auf Eigenthünilichkeiten nicht allgemein mensch-
licher Stamm naturelle zurt'ick führen müssen. Wir meinen, dass das
Geftihl der Schamhaftigkeit doch wohl im Allgemeinen als erster
Grad sittlicher Regung aufzufassen ist, die in den
Menschen erst einzieht, sobald er sich von dem Zu-
stande thierischer Rücksichtslosigkeit zu entfernen
beginnt, und sobald sich im socijilen Verkehr eine Vorstellung
über Conventionellen Anstand ethisch entAvickelt hat.
Der ursprüngliche Keim zur Erzeug\mg der Sitten ist ein sitt-
liches Gefiihl, seine Grundform das der Billigung und des Tadels.
So imgefähr hat Lazarus in seinem „Lehen der Seele" die Ent-
stehung der Sitten bezeichnet, die dort beginnen, wo der Instinct
aufhört.. Das sittliche Gefühl der Scham ist gewiss ein sehr pri-
mitives; es wird wohl in seiner einfachsten Gestalt (Verbergung ge-
wisser Körpertheile) durch die Voraussetzung eines Tadels und Vor-
wurfs seitens der Freimde und Verwandten erzeugt, falls man die
Theile oder Handlungen den Blicken Anderer aussetzt. — »Die
Achtung vorsieh selbst," so sagt gewiss sehr richtig de Qtta-
trefofff-S, , findet wohl den entschiedensten Ausdruck im Gefühle der
Scharahaftigkeit imd im Ehrgefühle. Auch bei den Wilden finden
wir diese beiden Gefühle. Die Schamliattigkeit tritt jedoch bei den
Wilden nicht selten in besonderen Gebräuchen und Handlungen
hervor, die das gerade Gegentheil der unsrigen sind, oder über-
haupt mit unseren Gebräuchen nichts zu schaffen haben. Dadurch
sind Missverständnisse veranlasst worden, luid ao hat man z. B.
ein gewisses Benehmen, wodurch bei manchen Polynesiern nur
ein ursprüngliches Schamgefühl zum Ausdruck gelangen .soll, als
die Aeusserung raffinirter schamloser Sinnlichkeit deuten wollen."
Fragen wir nun, ob es Menschen und Völker ohne alles Scham-
gefühl giebt imd welche Rolle dabei das weibliche Geschlecht spielt.
Eine eingehende Betrachtung dieser Angelegenheit finden wir
bei Feschti, welcher zu dem Schlüsse gelaugt:
«Brauch und Sitte entucbeidea über Veratattetes und AnstOssiges, und
«rat nachdem sich eine Ansicht befestigt hat, wird irgend ein Yerstoas zu
einer verwerflichen Handlung. Das Scbaiugenibl hat äicb noch gar nicht
geregt, es herrscht also Nacktheit beider Geschlechter bei den Australiern,
bei den Andanianen, bei etlichen Stämmen am weissen Nil, bei Jen rohen
NegL'rn des Sudan und bei den Buschmännern. Durchaus irrig wJlre
die Annahme, dasa sich das Schamgefühl früher beim weiblichen
Geschlecht rege, als beim männlichen, denn die Zahl solcher Menschen-
atämme, bei denen die Männer allein eich bekleiden, ist nicht unbetdlcht-
Ueh. Am Orinoco versicherten Mission&re unserem Akxander c. Hambuldt,
<1ms die Weiber weit weniger Schamgefühl zeigten iils die Männer. Bei
den Obbo-Negern .am Albert-See besteht die Bedeckung der Frauen in
«nnem Laubbü^chel, wUluend die Männer einen Fellschurx tragen etc.*
280
XI. Der Eintritt des Weibes in das Geschlecbtälebtju.
dazu angethan, dass wir aunehmen mlissen, ein instinctives Gefiilil
habe überall dit? Menschen bei so animalen Functionen auf ein be-
stimmtes Gebahren hingewiesen, oder es habe sich auch hier Sitte
und Brauch schon überall der Sache bemächtigt? Ist femer das
angeborene ethische öeftihl im Menschen mächtig genug, die so-
genannten , Wilden" von geschlechtlichen Verirrungen des
Weibes abzuhalten? Welche Verin-ungen kommen in dieser Hin-
sicht .bei den jetzigen Naturvölkern vor? War die Prostitution,
als sie im Leben der Menschen auftrat, sogleich als sittlich • ver-
werflicher Begriff anfgefasst worden, oder war sie schon längst vor-
handen, d, h. gab es einst in den Urzuständen des Menschen-
gesclilecht-s einen allgemeinen, durch keine ethischen Schranken
eingedämmten Hetärismus? War dieser Hetärismus, mit dem
sich die Mutterfolge imd das Mutterrecht entwickelte, die Vorstufe
zur Ehe?
Wie tritt dann der Begrifl' der Liebe auf, und in welcher mi
Weise übt das Weib bewnsst oder uubewusst einen L i e b e s - B
7. au her aus? Welche Typen des ehelichen Lebens finden ~
wir unter den Völkern der Erde, und welche dieser Typen sind
als die primitiven zu betrachten? Haben sich bei der Ehe gewisse
Bräuche, wie das Jus primae noctis, eingestellt und als tra-
ditionelle Ueberlieferungen aus der Vorzeit erhalten und welche
geschichtlichen Thatsachen liegen solchen Bräuchen zu Grunde?
Wie hat die Sitte, das KUma und die Lebensweise das Heiraths-
alter des Mädchens bei den verschiedenen Völkern beeinflusst?
Welche Begriffe von der Zeugung, Befruchtung und Em-
pfäügniss finden wir bei den Völkern vor? Und wie haben
schliesslich sociale Zustände und klimatische Verhältnisse auf die
Empfängniss des Weibes eingewirkt? Dies alles sind Fragen, die
noch keineswegs definitiv beantwortet werden können, für
deren Lösung wir aber Material in Folgendem beizxibringen ver-
suchen werden.
i
43. Die Schambaftigkeit des Weibes.
Ein dunkles Gesammtbewusst>*ein hat, wie der Psycholog L
bemerkt, in der beginnenden sittlichen Axisbildung die versclüeden^ji^
Arten der Scham erzeugt, .durch die das menschliche Geschlecb.
überall die Naturbasis seines geistigen Daseins zu verhüllen sucht,
und da am meisten, wo sie zu den zartesten und geistigsten Gl\tern
der Liebe und des Lebens die allersinnlichste Vermittlung bildet.*
Die Beobachtung der Naturvölker hat zuweilen eine rücksichtsvolle
Z ud Keuschheit des Benehmens, viel ötler aber eine thieriäclie
L losigkeit in der Befriedigung aller sinnlichen Bedürfnisse
bemerken lassen. Lotze hält es für sehr zweifelhaft, welches ro»^
XI. Dar Eintritt
ras Gedchl«obt«l
Erde, aui den Theil nicht gehen zu lassen; sie besitzen also ein perverse«
Anstandsgefühl.
Eine Prinzessin des Stammes der Apingi in Central afrika, erhielt von
Du Chailhi alg Geschenk ein schöngefärbtes Hemd, und sofort entkleidete
sie aicb vor seinen Augen, um dasselbe anzulegen. In der Stadt Lari in
Centralafrika sind alle Frauen völlig unbekleidet (Itenham).
Die Bedeckung der BiOasen ist bei den Weibern noch mancher anderem
Neger -Völker eine äusserst geringe oder nichtige. Emin Bei/ bemerkte auf
seiner Reise vom weissen Nil durch Njambara nach Kedibe, das« im
Bezirke .\niadi die Laubschurzen der Frauen oft eine pure Formalität.
Muster für die Breite individuellen Goschinacks sind ; vom dichten Büschel
grfln belaubter Zweige, die wirklich Blossen zu decken vermög«?n, bis zur
einfach grünen Ranke, die sich von der Gürtelschnur vorn nach der Gflrtel-
Hchnur hinten zieht. A'miw Bei/ sagt: »Das schwächere, hier aber sehr stäm-
mige Geschlecht ist im Bedecken sehr spar.!«am, und viele der fett-
glänzenden, eisenbeladenen Schönen hüllen sich absolut nur
in ihre Farbe. Im Moru-Lande gehen die Frauen meist völlig nackt,
nur einzelne hängen hinten an die Gürtelschnur ein Laubfragment. Sonder-
bar dabei ist, dass, wenn man einem Zuge solcher decoUetirten Schönen be-
gegnet, die Wasser tragen, sie zunächst mit der freien Hand ihr Gesicht
verdecken. Nach allem, was man in Afrika sieht, ist Scham doch
auch nur ein Erziehungsproduct.*
Von den Negerinnen der Westküste sagt Üölliurr: ,Das was wir
Schamhaftigkeit neimen, ist ganz gewiss auch hier vorhanden, nur weit
weniger entwickelt als bei civilisirten Völkern. Die jungen Mädchen nahmen
nicht den geringsten Anstand, sich vor den Augen der weissen Männer so-
wohl wie der schwarzen Männer selbst ihres ählip.ses, jenes fingerbreiten
zwischen den Schenkeln von vom nach hinten gezogenen Bändchens, zu
entledigen, sich mit einer schwarzen, im Lande verfertigten Seife einzureiben,
und dann an der Lagune abzuspülen.'
Bei dem Galla* Häuptling Ttdu in Gobo im oberen Nil gebiet fand
Jiinn Maria Schurer eine sehr primitive Hoftracht: er bemerkte, dass ein
halbrs Dutzend gelber wie schwarzer junger Mädchen in völlig nacktem Zu-
stande, ohne Kleidung, ohne irgendwelchen Zicrath einhergingen, obwohl
manche unter ihnen wohl kurz vor der Heirath standen. Bei dem Lenaeb-
barten Stamm der Koma- Neger fand er dagegen, dass die Mädchen ein
sehr entwickeltes Schamgefühl haben.
Bei den in der Cultur schon vorgeschrittenen Völkern kommen Ge-
bräuche vor, die unserer Auffassung von Sittlichkeit widersprechen. Wenn
in Japan beide Geschlechter höchst naiv und harmlos in öffentlichen Bädern
Töllig unbekleidet verkehren, ho darf man hier nicht von Schamlosigkeit
sprechen; hier billigt die Sitte «olchen Verkehr.
üeber die Schamhaftigkeit der Weiber in Cochinchina äussert
Mondi^re Folgendes: »La pudeur, ou du moins ce que nous nommons
iiinsi chez nous, genc peu la femme d'Annam. et eile vous ilit de l'air le
plus naturel et siin« que la moindre roMjii^^r ;ippiiraiase sur son front,
läge otJ pour la premifere fois eile s'est .:' r. Et ce n'est pot« seula*
iiient dana les clagses inft^rieures que Ics i a ainsi. J ai eu l'honnenr
il'ftfcre consulti* ou \ixite jiar pluüienri damcs de ce (|ao l'on ap|>elle 1* oour
de Hoä et qui rewsemblent beaucoup aux belle« et honnf'tcs damtnea da
rire d« Br«miümt. EUes m'ont raoont^ leur döbat« Atnonreux atea U
43. IKe Sc^lainlaft^ett des Weibes.
lim« franehü« ei U mime ünpodear qoe les fiUes de Das (Ibex Tiui.
Bei mehreren NaturTölkeni, beispielweise bei mutehea Poljneaiern,
ba^«ni, wie wir »cboti enr&hnten, erst die christlichen Mij>sionäre dadurch,
dm iie eine treiblicbe Bekleidong einführten, dem Volke neue Begriffe ron
Sehamhoftigkeit beigebracht Allein es giebt auch Naturvölker, die ohne
rine Berührung mit der Gesittung civUisirter Völkerschaften bei den Weibern
eine schämige Zarijckhaltung des weiblichen Geschlechts durch Bedeckung
nackter K5ri>erstellfn wahrnehmen lassen. Von den alfuriecben Frauen auf
Ceraui sagt Capitän Schuht: Trotz der Sp&rlichen Bekleidung sind sie sehr
keusch und zQchtig.
Unter den Mitua, einem südamerikanischen Volksstamme am 60 ja -
bero-Flnsse, welche von den benachbarten Indianern als Wilde beteichnet
werden, fand Crereattx die offenbaren Zeichen ron natürlicher Schamliaflig-
keit der Frauen: die Weiber tragen dort ein sackartiges Gewand; Crtreauj
kaufte einem Weibe ein solches Gewand ab, und als sie nun das neue mit
ilem alten vertauschen Bollte, ao zeigte sich, dass Schamgefühl ihr nicht
fremd war. denn sie konnte nur schwer durch ihren Mann zn diesem Wechsel
in Gegenwart der Fremden bestimmt werden.
Die Begriffe von Schamhaftigkeit bezüglich der Bedeckung der Sexual-
organe durch einen Schurz beginnen bei fast allen im Uebrigen unbekleidet
eiuhergehenden Völkern erst mit dem Eintritt der Reife, der Pubertät;
von cliesem Zeitpunkte an werden zumeist die Schamtheile den Blicken dei
männlichen Geschlechts nach dem Gebote der allgemeinen Volkssitte ent-
zogen; dem ganz jungen Mädchen wird in dieser Hinsicht meist noch keine
Zurückhaltung befohlen. Und doch giebt es auch recht rohe Völker, bei
denen sich schon am jungen Mädchen das Gefühl der Scham bemerken
lässt. Die weibliche .Schamhaftigkeit macht sich selbst bei so niedrigstehenden,
in ihrer Heimath vollständig nackt einhergehenden Frauen wie den Feucr-
l&nderinncn geltend, welche r. Bifichoff' in München bezüglich des Bauea
ihrer äusseren Geschlechtsorgane untersuchen und besichtigen wollte. Nur
unter Widerstreben konnte er zu einer sehr oberflächlichen .\nschauung ge-
langen-, selbst bei den kleinen vier- und dreijährigen Mädchen
der Truppe war es ihm unmöglich, sich von dem Verhalten ihrer Ge«
•chlechtstbeile zu überzeugen, indem ihr eigenes Sträuben auch noch von
ihrer Mutter unterstützt wurde, daher Biachoff auch bei diesen Kindern
über das Vorhandensein eine« Hymen keinen Aufschluss erhalten konnte.
Allein gerade in dieser moralischen Unterstützung durch die Matter
liegt mir die Andeutung, dass den Kleinen die Schamhaftigkeit
schon anerzogen war, d. h< das* es ihnen .^chon gewlssermaoesen
üls Sitte und Pflicht vorgestellt worden war, dergleichen verbergen sa
mOasen.
Bei manchen Naturvölkern ist aber den jungen Mädchen eine grössere
Decenz anerzogen, ah hei nehr civilisirten Völkern. Die Araucanerinnen
in Chile «ind bedeutend verschämter, als die chileniinchen Chnstiunen;
jene badeten «ich nur allein an verborgenen Orten, letztere zeigten weniger
Zurückhaltung. {Trnitkr.)
Habe« wir soeben gesehen, wie bei vielen Völkern es «ehr wohl mit
der Schamhaftigkeit vertrilglich ist. da«s die erwachst«nen Mädchen und
Tnmm entweder vnUst&ndig, oder doch ho gut wir nackend gehen, finden
wir da« andere Extrem bei den Muhamniodanerinnen, welche, wie ja all-
XL Der EiEtritt des Weibes in das
OescMechtsleben.
42. Die Beziehungen des Weibes znin männlichen Ueschlecht.
Es giebt eine Entvrickelung in der geistigen Auftassung des
weiblichen Wesens und die »Geisteswissenschaft" sollte sich mehr,
als es bisher geschah, mit der Geschieht« dieser Culturentwickelung
befassen. Eine Stufenleiter weist gewiss auch das Verhältniss aul",
in welches uatm'gemäss das Weib zum Manne tritt. Handelte es
sich darum, die Sprossen dieser Leiter zu charakterisiren, so würden
wir dort beginnen müssen, wo der sexueUe Instinct ganz allein
seine Herrschaft ausübt, ein Instinct, welcher teleologisch die höhere
Bestimmung im Dienste der geschlechtlichen Fortpflanzung hat. Wir
würden dann zu schildern habeu, wie sich nach und nach auch bei
diesen sexuellen Beziehungen im culturell sich entwickelnden Men-
schen ethische Geflihle regen, wie die psychische Neigung, die wir
Liebe nennen, als besseres Element zu jenem instinctiven Triebe
hinzutritt, um ihn aihuählich zu veredeln.
Man hat den kühnen Auss])nich gethan, dass erst zur Zeit
Alexander des Grossen die Leidenschaft der Liebe zwischen Mann
und Weib au die Stelle roher Sinnlichkeit oder nüchterner Rück-
sicht trat (Henne am Rhyn.) Allein wenn in dieser Beziehung wirk-
lich eine Stufenleiter zur Vollkommenheit in der ethischen Auf-
fassung der Liebe historisch nachweisbar ist, so hat sich bisher
doch Niemand die Aufgabe gestellt, diesen Entwickelungsgang mit
allen seinen Etappen darzustellen. Wir möchten Berufenere auffor*
dem, sich eine so schöne Aufgabe zu stellen!
Je höher ein Volk in der Cultur steht, um so geistiger und
sittenreiner ist das Band, welches beide Geschlechter mit einander
verknüpft. Bei den rohesten Völkern ist dtis Verhältniss ein sinn-
liches, imd es kommen da fast bloss die Triebe zur Geltung, die
auch beim Thiere eine bald länger, bald kürzer dauernde Verbindung
zwischen den Geschlechtern lierstellen. Dann kami uns aber auch
nicht auffallend erscheinen, wenn dergleichen Völker ruhig gestatten,
d«39 schon bei Kindern der kaum erwachende Trieb mit einer Freiheit
^
42. Die BeaehoBgen dea Weibes zum oiäniüichen Geschlecht. 279
auftritt, die wir selbst als freche Unzucht bezeichnen, die von den
Erwachsenen dort aber als .Spielen' aiifgefasst A>'ird. Eine Zurück-
haltung von beiden Seiten gebietet die herrschende Sitte bei
Colturvölkem, denen noch nicht durch üebercultur die Ethik ab-
handen gekommen ist : dagegen begegnen sich mit der naivsten Hin-
gebung Knaben und Mädchen unter vielen Naturvölkern. Auf
Madagaskar stören und liindem nach Audebert die Eltern ihre
Kinder nicht; und bei den Basuthos in Südafrika giebt es nach
Missionär Crriitäner neben der sanctionirten Hurerei eine heimliche,
welche die kleinsten Kinder treiben, und wobei die Knaben den
Mädchen Perlen, Messingdraht etc. als Hureulohn geben; die durch
Brauch sanctionirte aber besteht darin, dass ein Bräutigam mit einem
Genossen vor Abschluss der Verheirathung im Kraale seiner Braut
zwei bis drei Monate lang ein Heidenleben führen darf. Von dieser
untersten Sprosse kann man die Stufenleiter bis zu derjenigen Höhe
der civilisirten Zustände verfolgen, wo sich zwischen Jüngling und
Mädchen, Mann und Frau das reine Gefühl der Liebe und Achtung
herstellt, und wo die Würde der Frauen ihr moralisches Recht an-
getreten hat.
Bei der culturgeschichtlichen Betrachtung der Verhältnisse, die
wir im sittlichen Verhalten der Völker vorfinden, müssen wir uns
vor allem frei halten von der Neigung, jede Erscheinung von
unserem eigenen Bildungszustande aus in einer Färbung zu be-
trachten, die unsere Beurtheilung durch falsche Beleuchtung auf
Irrwege fuhren würde. Unser subjectives Gefallen oder Missfallen
giebt uns gar zu leicht eine schiefe Stellung zur Sache. Vielmehr
ist uns auf dem Gebiete, das wir nunmehr betreten, vorzugsweise
eine ganz objective Auffassung geboten. Das geschichtlich Ge-
wordene zunächst festzustellen, und dann der Entwickelung so vieler
Erscheinungen im Menschen- und Völkerlebeu nachzugehen, ist
unsere Au%abe. Hier gilt ed zunächst, die Frage aufzuwerfen, ob
?ewisse Begriffe, die wir uns bei unserem Bildungswesen vom
leiblichen in ethischer Hinsicht geschaffen haben, eingepflanzt
sind schon in das ursprüngliche Gefühl und Denken des Men-
schen? Liegen und lagen die Begriffe der Schamhaftigkeit,
der Keuschheit und die Werthschätzung der Jungfräulich-
keit schon vorgebildet in der Psyche des Menschen, und wie
kommen diese Begriffe dort, wo sie oder wenigstens Spuren von
ihnen bei Naturvölkern in die Erscheinung treten, in bestimmt-er
Form und Gestalt zum AusdruckV Wie haben sich solche Begriffe
datm mit der Gesittung weiter entwickelt, oder wie sind sie später
wieder verwischt worden? Dies Alles sind Fragen der Ethik und
Culturgeschichte, die uns ijn Folgenden beschäftigen werden.
Wie hat sich dann in physisch - ethnologischer Hinsicht das
sexuelle VerhältnLss des Weibes zum Manne in .seinen verschiedenen
Nuancen bei den Urvölkem gezeigt? Sind die Thatsachen, welche
man über die Ausübung des Coitus bei den Völkern erörterte.
280
XI. Der Eintritt des Weibes in das« Gescblecbtslebea.
dazu angethau, dass wir annehmen müssen, ein instinctives Gef
habe überall die Menschen bei so animalen Functionen auf' ein be-
stimmtes Gebühren hingewiesen, oder es habe sich auch liier Sitte
und Brauch schon überall der Sache bemächtigt? Ist femer das
angeborene ethische Gefühl im Menschen mächtig genug, die so-
genannten , Wilden" von geschlechtliehen Verirrungen des
Weibes abzuhalten? Welche Verirnmgen kommen in dieser Hin-
sicht .bei den jetzigen Naturvölkern vor? War die Prostitution,
als sie im Leben der Menschen auftrat, sogleich als sittlich -ver-
werflicher Begi-iil' aufgefasst worden, oder war sie schon längst vor-
handen, d. h. gab es einst in den Urzuständen des Menschen-
gesclüechtä einen allgemeinen, durch keine ethischen Schrankea
eingedämmten Hetärismus? War dieser Hetärismus, mit dem
sich die Mutterfolge und das Mutterrecht entwickelte, die Vorstufe
znr Ehe?
Wie tritt dann der Begriflf der Liebe auf, und in welcher
Weise Übt das Weib bewusst oder unbewusst einen Liebes-
z au her aus? Welche Typen des ehelichen Lebens finden
wir unter den Vülkeni der Erde, und welche dieser Typen sind
als die primitiven zu betrachten? Haben sich bei der Ehe gewisse
Bräuche, wie das Jus primae noctis, eingesteUt und als tra-
ditionelle üeberliefenmgen aus der Vorzeit erhalten und welche
geschichtlichen That^achen liegen solchen Bräuchen zu Grunde?
Wie hat die Sitte, das Khma und die Lebensweise das Heiraths-
alter des Mädchens bei den verschiedenen Völkern beeinflusst?
Welche Begrifle von der Zeugung, Befruchtung und Em-
pfängniss linden wir bei den Völkern vor? Und wie haben
schliesslich sociale Zustände imd klimatische Verhältnisse auf die
Empfängniss des Weibes eingewirkt? Dies alles sind Fragen, die
noch keineswegs definitiv beantwortet werden können, für
deren Lösung wir aber Material in Folgendem beizubringen ver-
suchen werden.
43. Die Schamhaftigkeit des Weibes.
Ein dunkles Gesammtbewusstsein hat, wie der Psycholog Lotee
bemerkt, in der beginnenden sittlichen Ausbildung die verschiedeoea
Arten der Scham erzeugt, .durch die das menschliche Geschlecht
überall die Naturbasis seines geistigen Daseins zu verhüllen sucht,
und da am meisten, wo sie zu den zartesten und geistigsten Gütern
der Liebe und des Lebens die allersinnlichste Vermittelnng bildet.*
Die Beobachtung der Naturvölker hat zuweilen eine rücksichtsvolle
Zartheit uml '' ' lieit des F "S, viel öfter abt;r ■ " rlsche
Rückhaltslo^ u der B- iig aller siunlirh. > tnisse
bemerken lassen. Lotse hält e« tür sehr zweifelhaft, weiches Yon
43. Die Scbaiuhaftjgkeit des Weibe».
281
leiden wir als ursprünglich, welches als Ergebniss entweder einer
schon begonnenen Oultur oder einer fast vollendeten Verwilderung
betrachten, oder ob wir die Unterschiede der Völker in dieser Be-
ziehung überhaupt auf Eigenthümlichkeiten nicht allgemein mensch-
licher Stiinun naturelle zurückführen müssen. Wir meinen, dasa das
Gefühl der Schamhaftigkeit doch wohl im Allgemeinen als erster
Grad sittlicher Regung aufzufassen ist, die in den
Menschen erst einzieht, sobald er sich von dem Zu-
stande thierischer Rücksichtslosigkeit zu entfernen
beginnt, und sobald sich im socialen Verkehr eine Vorstellung
über conventioneilen Anstand ethisch entwickelt hat.
Der ursprüngliche Keim zur Erzeugung der Sitten ist ein sitt-
liches Gefühl, seine Grundform das der Billigung und des Tadels.
So ungefähr hat Lazarus in seinem „Leben der Seele" die Ent-
stehung der Sitten bezeichnet, die dort beginnen, wo der Instinct
aufhört. Das sittliche Gefühl der Scham ist gewiss ein sehr pri-
mitives; es wird wohl in seiner einfachsten Gestalt (Verbergung ge-
wisser Körpertheile) durch die Voraussetzimg eines Tadels und Vor-
wurfs seitens der Fremide und Verwandten erzeugt, falls man die
Theile oder Handhnigen den Blicken Anderer aussetzt. — «Die
Achtung vor sich selbst,*' so sagt gewiss sehr richtig de Qua-
trefnges, , findet wohl den entschiedensten Ausdruck im Gefühle der
Schamhaftigkeit und im Ehrgefühle. Auch bei den Wilden finden
wir diese beiden Gefühle. Die Schamhaftigkeit tritt jedoch bei den
Wilden nicht selten in besonderen Gebräuchen und Handlungen
hervor, die das gerade Gegentheil der unsrigen sind, oder über-
haupt mit miseren Gebräuchen nichts zu schaffen haben. Dadurch
id Missverständnisse veranleisst worden, und so hat man z. B,
gewisses Benehmen, wodurch bei manchen Polyuesiern nur
ein ursprüngliches Schamgefiihi zum Ausdruck gelangen soll, als
die Aeussenmg raffinirter schamloser Sinnlichkeit deuten wollen."
Fragen wir nun, ob es Menschen und Völker ohne alles Öcham-
geitlhl giebt und welche Rolle dabei das weibliche Geschlecht spielt.
Eine eingehende Betrachtung dieser Angelegenheit finden wir
bei FcM'hel, welcher zu dem Schlüsse gelaugt:
«Brauch und Sitte entscheiden über Verstattetes und AnstOfisiges, and
erst nachdem sich eine Ansicht beft>8tigt hat, wird irgend ein Verstoss zu
einer verwerflichen Handlung. Das Schamgefühl hat sich noch gar nicht
geregt, es herrscht also Nacktheit beider Geschlechter bei den Australiern,
bei den Andamanen, bei etlichen Stämmen am weissen Nil, bei den rohen
Negorii dea Sudan und bei den Buschmännern. Durchaus irrig wäre
die Aurtahnie, dass sich das Schamgefühl früher beim weiblichen
Geschlecht rege, als beim männlichen, denn die Zahl solcher Menschen-
Hlämnie, bei denen die Männer allein sich bekleiden, ist nicht unbeträcht-
lich. Am ürinoco versicherten Missionäre unserem Alejcatider i". Humboldt,
dast die Weiber weit weniger Schamgefühl zeigten iiIk die Männer. Bei
dm Obbo-Negern ara Albert- See besieht die Bedeckung der Frauen in
•inetn LaubbQscbel, während die Männer einen Fellscburz tragen etc.*
282
XI. Der Eintritt des Weibes in das Gcschlecbtäleben.
Ueber die verschiedenen Begritte weiblicher Schamhaftigkeit
bei den Völkern muss man sehr vorsichtig urtheilen. Mau iindet
selbst bei nacktgehendeu Völkerschatten eine ausserordentliche
Decenz. Diese Zurückhaltung in der EntblÖssung gewisser Theile
kann recht wohl bestehen trotz uns unsittlich erscheinender Vor-
gänge und trotz der theilweisen Nacktheit. In dieser Hinsicht be-
merkt Fechuel-Locsche ganz treffend: Die theilweise Nacktheit der
Negerinnen wird gemildert durch die entschieden vortheilhafle
dunkle Farbe der Haut, und sie erscheint keineswegs so unzüchtig
und wirkt nicht so entsittlichend, wie das Verfllhrerische halbver-
hüllter Reize. Die wolilerzogene Negerin liebt es den Busen zu
bedecken xind ist empfindlich gegenüber musternden Männeraugen.
Begegnet sie ohne Obergewand dem Europäer, so führt sie
instinctiv, wiewohl oft auch nicht ohne Coquetterie, die Be-
wegung aus, welche an der mediceischen Venus so vielfach be-
leuchtet wurde.
Als erstes Zeichen der weiblichen Schamliaffcigkeit kommt bei
den allermeisten Völkern das Verhüllen der Scliamtheile zum Vor-
schein. Schon der Name dieser Theüe in sehr vielen Sy>rachen,
wie in der Deutschen, so im Lateinische'n (pudendum mu-
liebre), auch im Arabischen (Quärnfts) zeigt, dass man dieselben
flVr solche hielt, welche das sitthche Gefühl zu verbergen vor-
schreibt. Doch zvimeist wird bei den rohen Völkern erst zu der
Zeit das Verbergen und Verhüllen dieser Theile den jimgen Mäd-
chen durch die sittliche Nöthigung vorgeschrieben, wo die Menses
eintreten, denn bis dahin gehen dieselben ziuueist ganz unbedeckt
und unbekleidet umher. Wenn aber, wie bei den Indianern Süd-
amerikas und bei einigen anderen Völkern, nur die verheirat beten
Frauen sich bekleiden, die erwachsenen Mädchen aber nicht, so ist
Waite der Meinung, dass man diese Verhüllung nur auf Rechnimg
der Eifersucht der Männer zu setzen hat.
Wollen wir die bei den Völkern beobachteten Thatsachen durcbmustem,
80 beginnen wir wohl am besten mit den in der Cultur tief utebenden
Rassen; und hier treffen wir allerdings auf ein recht schwach angedeutetes
weiblichem Schamgefühl. Die Melnnesier sind im Punkte des Schämen:«
wenig zartfühlend. Auf den Salomon -Inseln kennt man eine Kleidung fast
gar nicht, selbst nicht bei den Frauen, die allerhöchstens einen kurzen
Blätter- oder Zeug-Schurz tragen (^Jung), Doch sind auch bei fast ollen
anderen Bewohnern der melanesischen Inseln die Weiber wenigstens in
soweit schamhaft, dass sie zwar niemals die Brfiste, doch einigermaassen den
mittleren Theil des Körpers bedecken. Auf Neucalc'do nieu tragen die
Männer nur einen dünnen Strick um den Leib, die Weiber hingegen einen
freilich äusseret schmalen Rock ans Rindenfasern, gelb oder schwarz gefärbt,
auch wohl mit Muscheln besetzt (Jung). Dieses Tragen des Franzengürtola
auf Neocaledonien ist nach de Rochas den Madchen untersagt, and
nur ein Recht der verheiratheten Frauen. Auf dem Neu-Britnnni«o-
Archipel ist die Bekleidung der Eingeborenen, wie derselbe Autor bezeugt, die
allerdOrftigste; hier war selbst bei den Frauen davon absolut nicht« vor-
handen.
Vielfältig kommt, wie Jung mir lierichtet, bei austrulisclien
Schwarzen das Gefühl der Scham zur Geltung. Die Tasmaaier hatten
eine eigenthümlichö Manier, mit auswärts gelegten Beinen zu sitzen; ihre
Weiber aber legten beim Sitzen die Beine so, dass ihre Scham durch den
Fu«s bedeckt war. {Labinadibre.)
In Polyneuien legen die Weiber, wenn ein Schiff die KOste ihrer
Insel anläuft, mit der grOsst'en Leichtigkeit ihre Kleider ab, die nur aua
jfwei Theilen bestehen, einem oberen, Poncho-ähnlichen und einem um die
Hüften gewundenen Lendentuch, man sieht «-ie dann um da« Schilf herum-
schwimmen und an Bord desselben steigen, ohne dem völlig nackten Zu-
stande irgendwie Rechnung zu tragen. Dies fand ächon statt, als die ersten
Europäer dort landeten, und noch heute besteht solcher Brauch. Die
Damen der Sandwich-Inseln begeben sich auf diese Weise auf die euro-
päischen Schiffe, indem sie beim Schwimmen ihre seidene Robe, ihre Schuhe
und ihre Sonnenschirme über die Wogen emporhalten (Beec/iy). Dieses
nach unseren Begriffen »schamlose* Gebnhreu iet ursprünglich wohl nur
das Ergebniss einer naiven Auffassung von Freiheit und Reinheit der Sitten,
die von jenen, damals noch wenig verdorbenen Weibern dem entarteten
Geschlechte der europäischen Matrosen entgegen gebracht wurde; allein
gar bald machte solche Naivität hei so unreiner Berührung der schmäh-
bchtiten Prostitution Platz. Ursprünglich schien nicht das Schamgefühl die
Verhüllung der Blosse vorzuschreiben; auf Tahiti bedeckten sich die Frauen
in den unteren Partien nach Cook'a Beobachtung ledigUch „aus Artigkeit".
Wenn die Missionäre auf mehreren Inseln der Sfldeee die Mädchen veran-
lassten, sich mit einer wenig amnuthigen Tracht zu bekleiden, so haben
dieselben neue Begriffe von Ansttüidigkcit gewonnen, aber zugleich das
natürliche Gefühl der »Artigkeit' verloren.
Früher Mraren die Weiber der Mikronesier sehr streng, schamhaft,
durchaus taktvoll und zurückhaltend. Auch im freien Verkehr mit den
Jünglingen ihres Volkes, welche den Mädchen für ihre Gunst Geschenke
geben müssen, herrscht bei aller Freiheit eine gewisse Schamhaftigkeit.
{Waits-Gerlanä.)
Grosse NaivitSt zeigen dagegen die Chinwan-Weiber auf der Insel
Formosa. Joest berichtet: »Schamgefühl ist nicht der Grund ihrer dichteu
Bekleidung; die Frauen und Mädchen zeigen, zumal beim Hocken, ohne
leu ihre Geächlechtstheile und häutig {lusserten sie den Wunsch, die
einigen zu besehen oder zu betasten, allein aus Neugierde."
Ausgebildeter tritt das weibliche Schamgefühl schon bei Afrika-
nerinnen zu Tage. In den heissen Strichen des Continents, namentlich
in den Aequatorialgegeuden, ist die Bekleidung der Männer und Frauen
sahlreicber Neger vOlker Äusserst dürltig und einfach. An der südlichen
Quinea-Küäte wohnen die Kannibalen-Stämme der Fan; die Frauen-Be-
kleidung beschräukt sich auf ein AÜenfell rückwärts, ein »chmalcs Stück
Zeug oder einen (irasbüschel vom; trotz dieser geringfügigen Verhüllung
sind die Frauen der Fan weit schamhafter, als die der anderen StUmrae.
Obwohl die Frauen der Berabra sehr wenig bekleidet einhergehen, und
die Mädchen bei ihrer Verheirathung nur eine sogenannte Rabat (ein den
Unterleib umfai^sender Riemen, von dem nur dünne Riemchen von verschie-
dener Länge herabhüngen) tragen , und auch sonst den Frentden gegenüber
sieb frei bewegen, sind sie doch von grosser Eiugezogenheit und Sitten-
reinheit. Bei einzelnen Negervölkern bedecken die Weiber den Hinteren;
nimmt man ihnen den Schur/, so werfen nie sich mit dem Rücken auf die
XI. Der Eintritt des Weibea in
(;eaif>in bekannt ist, sogar ihr Gesicht unt«r einem Schleier verbergen müseen.
ßodenstedt konnte in Tiflis von seiner Wohnung auH das Frauengemach
eines armenischen Kaufmanns überblicken: j
,Da sassen (bei jedem festlichen Anla«s) 30 — 40 armenische Frauen'
mit gekreuzten Beinen auf einem grossen, das ganze Zimmer ausmeasendea
^Teppich, in buntem Kreise, alle angethau mit schweren kostbaren Stoffen,
len Nacken von einem weissen Schleier überwallt, und das Leibchen zwie-
:h halbmondförmig so weit ausgeschnitten, dass des Busens besserer
Tbeil offen zur Schau lag. Ich kann hier die Bemerkung einschalten, dass
im Morgenlande die Frauen mit ihrem Buseu noch viel weniger heimlich
thun als bei uns. Dem strengsten Schamgefühl ist dort Geniige gethan,
mit dem Verhüllen des Gesichts. Alle übrigen Körpertheile werden gerin-
gerer Berilcksichtiguiig gewürdigt. Es ist um das Schicklichkeits- und An-
standsgefühl (wie es im Grunde allen Völkern inne wohnt, sich aber auf die
verschiedenste Art kundgiebtj ein eigenes Ding. Eine Schottin kann vor
lauter Schamhaftigkeit in Ohnmacht fallen, wenn sie einen Mann mit einem
Barte siebt, findet es aber ganz ihren Begriffen von Anstand gemS^s, dass
die Männer ohne Uosen einhergehen, ein Zustand, der den Damen anderer
LÄnder wieder das Blut der Scham in die Wangen treiben würde. Eine
bildende Europäerin wird, wenn sie sich von Männeraugen erspähet weiss»
alles andere eher verhüllen, ols ihr Gesicht. Eine Asiatin wird, unter ähn-
lichen Umständen, fremden Blicken alles andere eher preisgeben als ihr
Gesicht. Diese wenigen Beispiele mOgen genügen, um darzuthun, wie schwer
es ist, in dem, was man Sitte und Anstand nennt, die Scheidelinie zwischen
dem Ernsten und Komischen, zwischen Weisheit und Thorheit zu ziehen.
Der beschränkte Mensch ist immer am meisten geneigt, das zu belächeln,
was über seinen engen Gesichtskreis hinausreicht; je weiter der Blick, desto
milder das Urtheil."
Komisch wirkt es nun allerdings auf uns, wenn wir von Bittich erfahren,
dass die Tschuwaschinnen (Wolga-Türken) es für unmoralisch halten,
ihr« nackten FUsse zu zeigen, und dass sie sich sogar mit umwickelten
Füssen zu Bett Viegeben. Als Pendant hierzu erzählt Vavibery, das« die
Türkinnen Ceutralasiens ein Aehnliches thun und die Turkoma-
ninnen als lasterhaft verschreien, weil letzlere selbst in Gegenwart von
Fremden' barfüssig einhergehen. So lässt auch die Chinesin schämig nur
mit Widerstreben ihren kleinen Fuss nackt sehen, obgleich sie ihn im
lierlichen Schuh für eine grosse Schönheit hält. Di)^ Baschkirinnen da-
gegen halten ebenso wenig wie die Turkomaainnen und Kirgisinaen
ili« Sitte des Verschleiems für unbedingtes Erfordemiss.
£s wäre uuü aber ein ausserordentlicher Irrthum, wenn man
flauben wollte, dass dasjenige, was man als weibliche ächamhai^-
eit und ZQclitigkeit »u bezeichnen pflegt, bei den OiUturvölkem
Europas, bereits £U einem absolut feststehenden Begnife ^^ich her-
ausgebildet habe. Wie ausserordentlich wechselnd hier noch in den]
leisten Jahrhunderten die Anschauungen der Damen gewesen sind'
selbst in den höchsten und den gebildetsten Kreisen, das lehrt uns
i'in<»ch ein Blick auf die rhythmischen Schwankungen ■ "Ti-
moden. Was den einen Tag als frivol und gemein im höc ,yit
betrachtet wird, das gilt bereits den nächsten Tag in noch !;• -■ •/ rtcrl
Potenz tUr fein, naturgemäss imd wohlanständig. Gilt e^i lit-uu uüch j
für unschicklich, auch nur das Handgelenk unbedeckt m «ngco.
43. Die Schamhaftitrkeit des Weibes.
285
tneme franchise et la meme impudeur qae les Blies de Dan (Heet Yün,
paysan).*
Bei mehreren Naturrülfcern, beispielweise bei manchen Polynesiern,
haben, wie wir schon erwilhnten, erst die chriBtlichen Missionüre dudurcb,
dass sie eine weiblichp Bekleidung einführten, dem Volke neue Begriffe von
Schatnhaftigkeit beigebracht. Allein es giebt auch Naturvölker, die oluie
eine Berührung mit der Gesittung civiÜBirter Völkerschaften bei den Weibern
eine schämige Zurückhaltung des weiblichen Geschlechts durch Bedeckung
nackter K^rperstellen wahrnehmen lassen. Von den alfurischen Frauen auf
Ceram »agt CapitSn Seltuhe: Ttoit der ep&rlichen Bekleidung sind sie sehr
keusch und züchtig.
Unter den Mitua, einem südamerikanischen Volksstamme am Goya -
bero-Flusse, welche von den benachbarten Indianern als Wilde bezeichnet
werden, fand Creteaux die offenbaren Zeichen von natürlicher Schamhaftig-
keit der Frauen: die Weiber tragen dort ein sackartiges Gewand; Crereaur
kaufte einem Weibe ein solche» Gewand ab. und als sie nun das neue mit
dem alten vertauschen sollte, so zeigte sich, dass Schamgefrihl ihr nicht
fremd war, denn sie konnte nur schwer durch ihren Manu zu diesem Wechsel
in Gegenwart der Fremden bestimmt werden.
Die Begriffe von SchamhaftJgkeit bezüglich der Bedeckung der Sexual-
organe durch einen Schur;: beginnen bei fast allen im Uebrigen unbekleidet
einhergehenden Völkern erst mit dem Eintritt der Reife, derPubertfit;
von diesem Zeitpunkte an werden zumeist die Scham theile den Blicken des
mftnnlichen Geschlechts nach dem Gebote der allgemeinen Volkssitte ent-
zogen; dem ganz jungen Mädchen wird in dieser Hinsicht meist noch keine
Zurückhaltung befohlen, und doch giebt es auch recht rohe Völker, bei
denen »ich schon am jungen Mädchen das Gefilhl der Scham bemerken
lüsst. Die weibliche Schnmhaftigkeit macht sich selbst bei so niedrigstehenden,
in ihrer Heinmth vollständig nni:kt einhergehenden Frauen wie den Feuer-
lünderinnen geltend, welche r. Bischoff' in MOniihen bezüglich des Baues
ihrer äusseren Geechlecbtsorgane untersuchen und besichtigen wollte. Nur
unter Widerstreben konnte er ku einer sehr oberflächlichen Anschauung ge-
langen; selbst bei den kleinen vier- und dreijährigen Mädchen
der Truppe war ea ihm unmöglich, sich von dem Verhalten ihrer Ge-.
achlechtstheile zu überzeugen, indem ihr eigenes Striluben auch noch von
ihrer Mutter unterstützt wurde, daher Hischof] auch bei diesen Kindern
Ober das Vorhandensein eines Hymen keinen Aufschluss erhalten konnte.
Allein gerade in dieser moralischen Unterstützung durch die Mutter
liegt, mir die Andeutung, dass den Kleinen die Schanihaftigkeit
schon anerzogen war, d. h. dass es ihnen schon gewissermaassen
als Sitte und Pflicht vorgestellt worden wur, dergleichen verbergen zu
nittsseu.
B<>i manchen Naturvölkern ist al>er den jungen Müdchen eine grössere
Decenz anerzogen, als bei sehr civil isirten Völkern. Die Ära ucanerinnen
iu Chile sind bedeutend verschilmt^r, als die chilenischen Christinnen;
jene badeten sich nur allein an verborgenen Orten, letztere zeigten weniger
Zurückhaltung. (TrettUer.)
Haben wir soeben gesehen, wie bei vielen Völkern es sehr wohl mit
der Scharahaftigkeit vertraglich ist, dass die erwachsenen Mädchen und
^auen entAveder vollständig, oder doch so gut wie nackend gehen, finden
wir da» andere Extrem bei den Mohammedanerinnen, welche, wie ja all-
XI. Der Eintiitt des Weibes in
gemein bekannt ist, ao^ar ihr Gesicht unter einem äcbleier verbergen mOasen.
Bodenstedt konnte in Tiflis von seiner Wohnung aus das Frauengemach
eine« armenischen Kaufmanns überblicken:
,Dtt sassen (bei jedem festlichen Änlasa) 30 — 40 armenische Frauen j
mit gekreuzten Beinen auf einem grossen, das ganze Zimmer ausmessendea |
Teppich, in buntem Kreise, alle angethan mit schweren kostbaren Steifen,
den Nacken von einem weissen Schleier überwallt, und das Leibchen zwie-
fach halbmondförmig so weit ausgeschnitten, da^s des Busens besserer
Tbeil offen xur Schau lag. Ich kanu hier die Bemerkung einschalten, dass
im Morgenlande die Frauen mit ihrem Busen noch viel weniger heimlich
thun als bei uns. Dem strengsten Schamgefühl ist dort Genüge gethan,
mit dem Verhüllen des Gesichts. Alle übrigen Körpertheile werden gerin-
gerer Berücksichtigung gewürdigt. Es ist um das Schicklichkeits- und An*
fltandsgefühl (wie es im Grunde allen Völkern inne wohnt, sich aber auf die
verschiedenste Art kundgiebtj ein eigenes Ding. Eine Schottin kann vor
lauter Schamhaftigkeit in Ohnmacht fallen, wenn sie einen Mann mit einem
Barte sieht, findet es aber ganz ihren Begriden von Anstand gemäss, dass
die Männer ohne Hosen einhergehen, ein Zustand, der den Damen anderer
L&nder wieder das Blut der Scham in die Wangen treiben würde. Eine
badende Euro {tu er in wird, wenn sie sich von Männeraugen erspähet weiss,
alles andere eher verhüllen, als ihr Gesicht. Eine Asiatin wird, unter ILhn-
liehen Umständen , fremden Blicken alle» andere eher preisgeben als ihr
Gesicht. Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um diirzuthun, wie schwer
es ist, in dem, was man Sitte und Anstand nennt, die Scheidelinie zwischen
dem Ernsten und Komischen, zwischen Weisheit und Thorheit zu ziehen.
Der beschränkte Mensch ist immer am meisten geneigt, das zu belächeln,
was über seinen engen Gesichtskreis hinauareicht ; je weiter der Blick, desto
milder das Urtheil."
Komisch wirkt es nun allerdings auf uns, wenn wir von Jiittich erfahren,
dass die Tschuwaschinnen (Wolga-Türken) es für unmoralisch halten,
ihre nackten Füsse zu zeigen, und dass sie sich sogar mit umwickelten
Füssen zu Bett begeben. Als Pendant hierzu erzählt Vamhenj, da.ss die
Türkinnen Centralasiens ein Aehuliches thuu und die Turkoma-
ninnen als lasterhaft verschreien, weil letztere selbst in Gegenwart von
Fremden 'barfUssig einhergehen. So lüs^it auch die Chinesin schämig nur
mit Widerstreben ihren kleinen Fuss nackt sehen, obgleich sie ihn im
zierlichen Schuh für eine grosse «Schönheit hält. Die Baschkirinnen da-
gegen halten ebenso wenig wie die Turkomaninnen und Kirgisinnen
die Sitte des Yerschleierns für unbedingtes Erforderniss.
Es wtire uuu aber ein ausserordentlicher Irrtlium, wenn man
glauben wollte, dass dasjenige, was man als weibliche Schamhaftig-
keit und Züchtigkeit zu bezeichnen pflegt, bei den Culturvölkem
Europas. bereits zu eb^em absolut feststehenden Begriffe .sich her-
ausgebildet habe. Wie ausserordentlich wecliselnd hier noch in den
letzten Jahrhunderten die Anschauungen der Damen gewesen sind
selbst in den höchsteu und den gebildetsten Kreisen, das lehrt uns
einfach ein Blick auf die rhythmischen Schwankungen der Damen-
moden. Was den einen Tag als frivol und gemein im höchsten Grade
betrachtet wird, dsis gilt bereits den nächsten Tag in noch gesteigerter
Potenz fUr fein, naturgemäss und wohlanständig. Gilt es heute noch
lilr unschicklich, auch mir das Handgelenk unbedeckt zu zeigen,
4S. IKe ScIiaTnli aftigireit de« Weibes.
287
so trSgi man morgen ohne Scheu den ganzen Ann bis zu seinem
"Ursprung entblösst, und gestattet sogar einen unbeschrankten Ein-
I blick in die Achselhöhle. Muss das eine Mal der Hals verhüllt
Isein bis unter das Kinn, so erregt es Tags darauf keinen Anstoss,
Ldie Schultern bis tief hinab zum Rücken und die Brüste fast bis
Fl« ihrer Warze zu präsentireu. Darf eben noch auch nicht einmal
fdie Fussspitze imter dem Gewände hervorblicken, so ist es im
nächsten Augenbhck erlaubt, das Bein bis über das Knie hinaus
den profanen Männerblicken blosszusteUen. Muss endlich eiimial
die gesammte Kleidung so gewählt werden, dass man in ihr selbst
[bei der blühendsten Phantasie einen menschlichen Körper nicht
mehr zu ahnen vermag, so ist es in kurzer Zeit schicklich, dass
das Gewand dem Körper sich so knapp anschmiegt, dass man ihn
in allen seinen anatomischen Eigenthüralichkeiten sofort zu über-
blicken im Stande ist. Aber auch abgesehen von diesen Launen
der Mode hat die Schamhat^igkeit bei uns recht erhebliche Wand-
lungen erfahren, und wenn wir uns bemühen, aus unseren Dichtem
in dieser Beziehung die Anschauimgen der Damen des Mittelalters
kennen zu lernen, so begegnen wir dort für unsere heutige Auf-
fassung und Empfindung sehr eigenthümlichen Sitten und Gebräu-
chen. Lesen wir z. B. den Parzival, so finden wir, dass er irgendwo
als Gast aufgenommen, von Jünglingen entkleidet und zu Bett ge-
bracht wird, aber noch bevor er im Bett ist, erscheinen vornehme
Jungfrauen, lun ihm Erfrischungen zu credenzen. Man darf dabei
nicht vergessen, dass man in damaliger Zeit absolut nackend zu
schlafen pflegte. An einer anderen Stelle wtinscht eine Königin,
dass PafÄivid sie von ihren Feinden befreie, Sie sucht ihn, um
• diesen Beistand von ihm zu erbitten, Nachts allein in seinem Schlaf-
' gemach auf „nicht zu solcher Lust Gewinn, die aus Mtldchen Fruuen
macht unversehens in einer Nacht', sondern ,sie suchte Hülf und Freundes
Rath. Sie trug auch wehrlichen Staat: Ein Hemd von weisser Seide fein.
Wie könnte streitbarer sein, wenn sie zum Manne geht, ein Weib'? Auch
schwang die Frau um ihren Leib von Sammet einen Mantel lang: Sie gingt
'wie sie der Kummer zwang." Dann kniet sie an seinem Bette nieder, er
will das nicht leiden und bietet ihr seinen Platz an. ,Sie sprach, wollt ihr
Euch ehren, mir solche Zucht bewähren, nicht zu rühren meine Glieder,
leg ich mich zu Euch nieder. Den Frieden gab er feierlich; Da borg sie
in dem Bette sich." und nun setzt sie ihm ihr Gesuch auseinander, dem
er auch Folge giebt und ihre Stadt befreit, worauf sie sich ihm ergiebt.
,Den alten immer neuen Brauch übten da die Beiden auch."
I Ueberhaupt erscheint es als Sitte, dass die Ritter für irgend
eine ihnen bisher ganz unbekannte Dame kämpfen, deren Feinde
besiegen und dann sofort nach erfolgter ß.einigung und leiblicher
Erquickung mit der Dame zu Bette gehen, ein Kind mit ihr zeugen
, und dann von dannen ziehen {Wolfram von Enchcnbach).
Aus dem Ende des 16. Jahrhunderts schildert uns Qtmrinonius
>uderliche Sitten, die in Hall im Innthale in den Badstuben
chteu:
288 ^I- I^er Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben.
,Der Schlüssel der Jangkfrawschafft, ist die Qeschämigkeit, dann eben
von der Geschämigkeit wegen, wirdt manche wider ihren eignen Willen,
von der Unzucht abgehalten, durch diese Bäder aber, verleart man allge-
mach die Gescbämigkeit, und übet sich fein entblösster vor den Männern
sehen zu lassen. In dem vilen man auch gar kein Underschied, der abge«
sonderten Zimmer zu der EntblOssung noch zum Baden hat, ja die Bad-
wannen, darin man sitzt zu sonderm Fleiss under einander Mann und Weib
spicken, damit eins das ander desto besser und fQglicher sehen, und die
Schambarkeit gegen einander verlieren lernen. Wie viel mal sibe ich (ich
nenn darumb die Stadt nicht) die Mägdlein von 10. 12. 14. 16 und 18 Jaren
gantz entblösst, und allein mit einem kurtzen leinen offt schleussigen und
zerrissnen Badmantel, oder wie mans hier zu Land nennt, mit einer Badehr
allein vornen bedeckt, und binden umb den Rucken! Dieser und Füssen
offen, und die ein Hand mit gebür in dem Hindern haltend, von ihrem
Hauss auss, über die lang Gassen bey mitten tag, biss zum Bad lauffen?
Wie viel laufft neben ihnen die gantz entblössten, zehen-, zw5lff, viertzehen
und sechtzehen jährigen Knaben her, und begleit das erbar Gesindel."
Aehnliche Sitten sollen nach du ChaiUu noch heute im nörd-
lichen Norwegen und Finnland bestehen.
Dass noch zu der Zeit Kaiser Karl des Fünften bei seinen
feierlichen Einzügen die Töchter vornehmer Patrizier es sich zur
Ehre anrechneten, vollständig nackt dem Kaiser voranzuschreiten,
imd dass die Väter willig ihre Töchter dem Kaiser als Concubinen
tiberliessen, das möchte wohl hinreichend bekannt sein.
Einem eigenthümlichen Grade der Gastfreundschaft begegnen
wir noch vor wenigen Jahren in Island in der Nähe der Geisire,
die uns der den Lord Dufferin begleitende Arzt folgendermaassen
schildert :
Die erwachsene Tochter der Familie, bei welcher er Unterkunft ge-
funden hatte, führt ihn des Abends auf sein Schlafzimmer, „und ich war eben
im Begriff mich zu verbeugen und ihr gute Nacht zu wünschen, als sie auf
mich zutrat und mit einnehmender Grazie, der nicht zu widerstehen war,
darauf bestand, mir den Rock aufziehen zu helfen u.nd dann (zu den Extre-
mitäten übergehend) mich auch der Schuhe und Strümpfe zu entledigen. Mit
diesem höchst kritischen Theile ihrer Verrichtungen, dacht' ich natürlich,
würden ihre Geschäfte enden und ich endlich des Alleinseins theilhaftig
werden, das man zu einer solchen Stunde gewöhnlich für schicklich erachtet.
Nicht dran xu denken. Ehe ich wusste, wie mir geschah, sass ich da im
Hemde und huRenlos, während meine schöne Zofe vollauf beschäftigt war,
die geraubten Kleider nett zusammenzufalten und auf den nächsten Stuhl
hinzulegen. Mit der grössten Natürlichkeit von der Welt half sie mir ins
Bett, steckte die Decke überall hübsch ein, sagte mir noch allerlei hübsche
Dinge in Isländisch, gab mir einen herzlichen Kuss und ging." Morgens
wurde er durch einen Kuss wieder aufgeweckt.
Wir schliessen dieses Kapitel mit dem Hinweise auf den Aus-
spruch eines ungenannten Anthropologen, dem man gewiss bei-
stimmen darf:
„Mit der Ethik ist es ungeachtet mehrerer achtungswerther Versuche,
den Bann zu durchbrechen, noch nicht viel besser bestellt, als mit vielen
anderen Gebieten der „Geisteswissenschaften", welche ja sämmtlich auf
m
psychologi|dM-Sa«is berahen. Die Parole heiest auch hier, «elbat bei Vor-
urtheilsloflteff, AAeh immer: t'onslruireo! Zuerst macht man sich nach eig^ener
Bildung und Neig-ung, wie nach GedankengtrOmang der Zeit einen Begriff
von Tugend und Pflicht und sucht dann dessen geschichtliche Kryetallisation
XU finden und nachzuweisen. Einzig die Anthropologie, die Kenntnisii
der moralischen Anschanungen der Urvölker, soweit sie zu eruiren
sind, dann der noch lebenden Naturvölker, seien sie auch nur Kudera
SJterer Stämme und Rassen, kann hier therapeutisch und corrigirend wirken.
Vom Rechte gilt absolut dasselbe. Der Rccbtsbegritf ist biologisch nicht
angeboren, . nur gesellschaftlich denkbar, wie aucü During richtig behauptet."
Auch nach unserer Ueberzeugnng ißt .Schani" kein Gefilhl,
das dem Menschen angeboren ist; es ist nur die Anlage dazu
im Menschen vorhanden, sich einem auf socialer Grundlage ent-
standenen ethischen Beg^ifie anzuschliessen und unterzuordnen.
44. Die Keuschheit des Weibes.
Im primitiven Zustande des Geschlechtslebens ist der Begriff
Keuschheit wenig bekannt. Je tiefer in der Cultur eine Rasse steht,
um 80 freier ist auch die Befriedigvmg des sexuellen Bedürfnisses
gestattet, so lange das weibliche Individuum noch nicht verehelicht
ist. Man benift sich aber auch bezüglich der Keuschheit der Frauen
auf Zustände von Völkern, die keineswegs noch in jenen primitiven
Verhältnissen leben, welche ihnen als Urvölker vor der Betührung
mit Weissen einst eigen waren. So führt beispielsweise Kyre die
Weiber der Australier als höchst unkeusch an, deren Männer
auf ihre Treue keinen Werth legen.
Nach seiner Beschreibung ist das Leben der australischen Frau im
' Grunde nichts, als eine fortgesetzte Prostitution. Von ihrem zehnten Jahre
an cohabitii't sie mit jungen Burschen von vierzehn bis fünfzehn Jahren.
Spftter bietet sie sich auch jedem Ga.<<t^ an, der den Stamm auf eine Nacht
besucht. Die Australierin, die verheirathet ist oder vielmehr im Besitz
eine» Mannes sich befindet, kann auch von diesem verliehen werden. Wenn
der Mann abwesend ist, nimmt ein anderer seinen Platz ein. Wenn mehrere
iStfimme nebeneinander ihr Lager aufgeschlagen haben, so bringen die Männer
fcdes einen Stammes die Nacht über bei den Frauen des benachbarten
iStamraes zu; denn die Prostitution der am Murray-Flu-sse wohnenden
[Australier ist, ähnlich wie ihre Heirath, exogamisch. Allein hiergegen
ihrt Peschel an, dass die von J^i/re beobachteten Stämme am Murraj-
lusse schon vielfach in ihren Sitten durch den Verkehr mit europäischen
Ansiedlern verwildert sind, und dass andere Australier sich in dieser Hin-
sicht minder verdorben zeigen. Auch versicherte mir Jung, der vielfach noch
inverdorbene Stämme Central- Australiens persönlich kennen lernte,
^das8 dieselben keine so Qble Nachrede verdienen.
Weit reiner als in Australien ist das Leben des Weibea in Melanesien,
)enn in Neu-Caledonicn, wo nicht bloss die verheiratheten Frauen, ähn-
lich'wie in mehreren Inseln Polynesiens, keusch sind, sondern auch die
Plön, r>aa Weib. I. 3. AuB. 19
2f^0
XI. Der Eintritt des Weibea
Mädchen ungemein zurückhaltend sich benehmen, anf den Luyalitäta-
Inseln, den Hebriden war es den Matrosen Cook'a nicht möglich, ge-
schlechtlichen Umgang mit den eingeborenen Weibern zu pflegen, wie mit
den polyneeiüchen. Nur die Franzosen der zweiten Reise d'UrviUe'*
fanden auf Isabel, sowie Modera in der Marianuenstrasse, dasn die
Weiber angeboten wurden. (Waits-GerlandJ Von den Bewohnern der Insel
Spiritu Santo (auf den Neuen Hebriden) heisat ea: ,Ils ont la r^a-
tation de c^der leurs feuimea, mais assurdment i\» ne los offirent pas et je
n'en ai paa aper<;a une «eule; bieu plus, quelques officiers ittkni alles d&as
un viUage situe snr une des ilea de ]a baie, Tont trouve ävacue par le« femme«
ei les enfants.' (RoberJotJ Auf Neu-Guinea wird Keuschheit nicht so
«treng wie in Neu-Britannien gehalten, doch herrscht keine Prostitution.
(Fitisch.)
Jener Ruhm der Neo>Caledonierinnen wird allerdings durch neuere Be-
richte abgeschwächt; vielleicht haben europäische Einflüsse gewaltet. Dort
ist die Keufichheit jetzt wenig geschätzt; du Eoehas naunt« die Frauen der
Eingeborenen wilde Messalinen, und die alten Frauen führen schon früh
das junge Mädchen auf den Pfad def Lasters.
In Polynesien ist die freie Liebe das bewegende Princip des Lebens.
Auf allen Archipelen war die eheliche Verbindung eine änsaerst lockere, der
Gatte konnte »ein Weib verleihen wie ein Eigenthum. die Untreue der Frau
aber wurde höchstens als ein geringes Vergehen bestraft. Alle Reisenden stim-
men darin überein, dass den europäischen Seeleuten Mädchen und Weiber
durch deren Brüder, Väter oder Gatten zum beliebigen Gebrauch für gei'inges
Entgelt angeboten wurden. Die Weiber schwammen nackt zum Schifl'e und
stiegen an Bord, und ihre Väter oder Brüder instruirten sie über den Preis,
f^r den sie ihre Gunst hingeben sollten. Nur auf Neuseeland war, wie
Cook beiieugt, die Frau zurückhaltender. Sonst zeigte sich auf allen Inseln
kaum eine Idee von Schamgefühl, und derselbe Reisende fand Überall in den
Hütten der Wilden einen so wenig durch Zurückhaltnng gezügelten Verkehr,
dass die sexuellen Vereinigungen gleichsam coram populo geschahen. Eine
Prinzessin, Namens OfKiea, verschmähte es nicht, ein junges Mädclien anzu-
leiteo, dass »ie mit einem jungen Mensdien öHentlich cohabitire. (Cook.)
Auf den Inseln Polynesiens ist es nach Boiujaintille u. A. gar nichts
Seltenes, dasa dem besuchenden Gaste eine Tochter oder eine Frau ange-
boten wird. Auf Tahiti, den Gosellschaftsinseln u. s. w. wird der Liebes-
genuas als der höchste Reiz des Lebens . betrachtet ; und die Gesellschaft
der Areola setzen ihre ganze Lebensaul'gabe in die Befriedigung dieses Ver-
gnügens. Wir könnten die Liste dieser zügellosen Sitten noch sehr ver-
gröBsera. Die Einführung dea Christenthumg hat die Zustände allerdings
schon sehr geändert. Allein auf den Sandwich-Inseln fanden die Missionilro
die gröfiste Schwierigkeit für ihre christlichen Pretügten in dem völlig mangeln-
dfn VerständniHse dessen, was wir unter , Keuschheit* verstehen: „Die
Frauen kannten weder dos Wort, noch die Sache." (De Varitjny.)
Dae Leben des weiblichen Geschlechts auf Hawai fand auch Bidhard
Netüuitiss ^»?hr sittenlos; Mädchen von 12 — 14 Jahren sind in der Regel nicht
mehr junginlulich ; L'nzucht zwischen Vater und Tochter gehört keineswegs
zu den Seltenheiten.
Allein nicht bei allen Völkern der Sfldsee herrscht eine aolche Unbe-
fangenheit. Die Behütuiig der Keuschheit der Mädchen ist bei den Inf er-
röten auf Luzon (Philippinen) eine geradezu ängstliche, und Fehltritt«
werden mit schweren ikOrperlichun Zfichtigungen, nach Mumit-Lauff sogar
44. Die Keuscht
291
mit dem Tode bestraft. Bei den Lepan to- Igorroten rauss der Verführer
das MJldchen heirutheo oder ihr ein vollständiges Weibergewand und ein
belegte« Mattersobwein *chenken. und falls das Mädchen niederkommen
sollte, da« Kind erhiilten. Eine Scheidung aber der geschlecbtcreifen Jüng-
linge und Mädchen einer Rancherie in zwei grosse Hütten, wie sie Lillo de
(iarcüi angiebt, besteht nirgends mehr. (Meyer.-)
Anf mehreren Inseln de« malayi sehen Archipels herrscht zwischen
den jungen Leuten ein ganz unbeanütandeter geschlechtlicher Verkehr. Ea
ist aber auf «las Strengste verboten, doppelsinnige oder gar unzüchtige Aus-
drücke im Beisein der Frauen zu gebrauchen.
In Asien ist namentlich bei Völkern der mongolischen Rasse die
Freiheit der Sitten gross, während doch der Ehemann hier zumeist eine
wilde Eifersucht als Besitzer eines Weibes zeigt, unter den Malayen lebt
das M&dchen völlig ungebunden, «o lange man sie noch nicht verheiratbet
hat; allein in Lambock gilt Ehebrjch als Verbrechen; man wirft den Ver-
brecher mit der Verbrecherin Rücken an Rücken zusammengebunden den
Krokodilen vor. Auch in Cochinchina und Japan hSJt man auf Treue
in der Ehe, allein die Eltern dürfen ihre Töchter ohne Scham verkaufen,
sei es an Private, sei es in Prostitutionshäuser. In China kaufen sich
reiche Männer junge Mädchen von 14 Jahren für ihren Gebrauch. Nach
Turner }sann in Tibet jedes junge Mädchen ausserehelichen Umgang pflegen,
ohne dass ihr Ruf darunter leidet.
Die Bhutia in Indien legen nach Manteijfizza^ kein grosses Gewicht
anf die Keuschheit ihrer Weiber, eine Duldsamkeit, von welcher die letzteren
in ausgedehntester Weise Gebrauch machen. Eine absolute Keuschheit vor
der Ehe ist bei den Limbu in Indien nicht durchaus n5thig und die männ-
lichen Kinder des Mädchens werden vom Vater, die weiblichen von ,der
Mutter unterhalten. Weibliehe Keuschheit «oll bei den Völkern des west-
lichen Hinialaya, den Garros in Ladak, Spiti und Kulu, wo Po-
lyandrie herrscht, unbekannt sein. Wenn dort einer von mehreren Brüdern
eine Frau nimmt, so werden die übrigen ebenfalls ihre Miinner; jede Frau
hat das Recht, sich aus einer Reihe von Brüdern einen oder mehrere Män-
ner, nicht Liebhaber, zu wühlen. Eine Folge solchen Verkehrs ist, dass den
Weibern das Gefühl von Scham keine besonderen Fesseln anlegt: die Frau
giebt sich jedem Fremden, der sie dazu veranlasst, ohne ZOgern hin {Üotis-
aeUit). Einst floh ein Müdcben des Daphla-Volkes (zwischen China und
Britisch-Indien) auf indischen Boden und stellte sich unter eng-
lischen Schutz gegen ihren Vater, der sie einem in polyg'amischer Ehe
lebenden Nachbar hatte verheirathen wollen. Man verlieh ihr das Nieder-
lassnngsrecht ; sofort schmückte sie sich und holte aus einem Versteck ihren
Entführer, stellte diesem aber auch als ihre Gatten zwei Männer vor; es
stellte üich heraus, dass unter ihren Landsleuten Vielweiberei die Ausnahme,
dagegen unter den Tibetern Vielmännerei die Regel sei. Dabei beschränkt
tdch die Polyandrie nicht, wie in Tibet, auf Brüder, sondern erfolgt nivch
fireier Wahl! {SchUujinttreit.)
Die nicht civilisirteu Weddaht auf Ceylon halten eheliche Treu«
für :<e*b8tverst&ndlich. Von Ehebruch hört man nur da, wo man den Ver-
mach gemacht hat, »ie zu civilisiren. Bei den ihnen benachbarten singftle-
• iacbon Kandiern iüt der Ehebruch sehr vejrbreitet {VirclMic^).
Die Chowturen-Mridchen gelten für keusch. Unverheirathot niedenn-
kommen gilt dem Mädchen für eine so groRse Schande, daas »e gewöhnlich
19 •
292
XI. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben.
nicht übt-rlebt wird. Entweder erhängt sich dus lichwangei-e Idüdchen oder
es erschiesst sich. Die Pschawen-Mädchen sind minder züchtig {Hadde).
Die geschlechtliche Moral der Wotjüken weicht von der europäisch-
christlichen Sitte Ranz erheblich ab. Max Bwh sagt darüber: , Mädchen
und Burschen verkehren mit einander durchaus zwanglos und die soge-
nannte Kenschheit setzt der Liebe keine Schranken. Ja es ist sogar schimpf-
hch für ein Mädchen, wenn sie wenig von den Burschen aufgeaucbt wird.
Charakteristisch ist folgendes Sprichwort der Wotjäken: , Liebt der Bauer
(ein Mädchen) nicht, liebt auch Gott (es) nicht." Die hierauf bezüglichen
Schildeirungen der Autoren sind durchaus in keiner Wei.se übertrieben;
Ogtroicskn erzählt von einem Spiele, da» von Mildchen und Burschen ge-
spielt and Heirathsspiel genannt wird. Einige Burschen und Mädchen ver-
theilen sich paarweis; jeder Bursche wählt sich ein Mädchen, wobei es
selbstverständlich nicht immer ohne Streit abgeht; jedes Paar versteckt sich
dann an einem dunklen Ort, wo da« Spiel dann sehr realistisch aufgefasst
werden soll; darauf rersammeln sich die TFamilienpaare" alle wieder zur
Fortsetzung des Spiels, — da es für ein Mädchen .schimpflich ist, wenige
Besucher zu haben, so ist nur eine logische Folge, dass ea für ein Mildchen
ehrenvoll ist, Kinder zu haben. Sie bekommt dann einen reicheren Mann
und ihr Vater bekommt einen höheren Kal^-ni (Bruutgeld) für sie bezahlt.*
Buch bemerkt schliesnlich : .Ein wohlerhaltencr Rest jener .communen Ehe'
(Lubbock's) ist nun in der sogenannten Sittenlosigkeit der Mädchen zu linden,
welche ihren Geiühlen keinen Zwang anthuu und dem Bedürfnisse der Liebe
in vollem Maaasu genügen. Diese Eigenthümlichkeit Ist also nicht nh di^
Folge späterer Entsittlichung, sondern als etwas durcltaus Natürliches, Ur-
sprüngliches anzusehen.*
Eine andere Erscheinung im VClkerleben, die mit unseren Ansichten
von weiblicher Keuschheit wenig iiarmonirt, ist die bei nicht wenigen YOlker-
schatlen herrschende Gewohnheit, dem einkehrenden Gaittfreunde die eigene
Gattin anzubieten und zu überlassen. Man wird in diesem Punkte wohl ge-
wiss demjenigen beipüiohten, was ^dalfcer/ roti 0<am)«m hierüber sagt: „Die
Keuschheit ist nur nach unseren Satzungen eine Tugend, In einem der Nutur
näheren Zustande wird das Weib in dieser Hinsicht erat durch den Willen
des Mannes gebunden, dessen Besilzthum es geworden ist. Der Mensch lebt
von der Jagd. Der Mann sorgt für seine WaflFen und den Fang: das Weib
dient und duldet. Er hat gegen den Fremden keine Pflicht; wo er ihm be-
gegnet, mag er ihn tOdten und sein Besitzthum sich aneignen. Schenkt
er aber dem Fremdling das Leben, so schuldet er ihm fürder, was xum
Leben gehört. Das Mahl ist für alle bereitet und der Mann bedarf eines
Weibes, Auf einer höheren Stufe wird die Gastfreundschaft iu einer Tugend
und der Hausvater envartet am Wege den Fremdling und zieht ihn unter
sein ZeJt oder «ein Dach, dass er in seine Wohnung den Segen des Höchsten
bringe. Da macht es sich leicht zur Pflicht, ihm nein Weib anzubieten,
welches dann zu vergeh mttben eine Beleidigung sein würde. Das sind reine
un verderbte Sitten.*
Bei den (sesshaften, angesiedelten) Tschuktschen und KorjAken,
die wir schon oben besprochen, galt es nach (reortfi sogar aln eine Be-
leidigung, wenn der Ga«t die vom Hausherrn angebotene Tochter nder
Hausfrau zurückwies. Bei einigen sibirifschen V^ilkeru besteht diese Sitti*
nach Middtndorff noch heute. Allein auch hier würden wir irren, wnnu wir
nun anuebmea wollten, dasF bei dic*en Völkern, •'*■"■"•' t^'>»"'«" "" w-rij^
unsere Begriffe von Keuschheil xu Uicileu im ~
44- Die KeoBchheit des Weibw.
293
liehe Treue vermisst wird; die Hingebung dea Weibes geschiebt nur auf
Geheias dea Mannes, der über seine Frau ein lediglich mit seiner Genehmi-
gimg temporilr aufzugebendes Besitzerrecht ausäbt.
Ueberhaupt ist ea noch fraglich , inwieweit diese Sitten ursprfinglich
sind- Alle älteren Berichte kommen darin überein, dass Korjaken wie
Tschuktschen streng auf die Keuschheit ihrer Weiber Fremden gegenüber
hielten, das« eie nie ihre Weiber ihren Gästen anboten-, ja es standen schwere
Strafen auf Verletzung ehelicher Treue oder der Keuschheit. Auch v. Nordet*-
»kjöld und Boce schildern die Tschuktschinnen als sittlich, doch führt
letzterer die^e Eigenschaft auf Zwang zurück. Dass sich heutzutage die
alte Sittenstrenge bei dem reichlicheren Fremdenverkehr etwas gelockert
hat, ist begreiflich. So erzählt Ostatief, dass die Soegstie ihre Weiber und
Töchter den Fremden prostituiren, was sie für Pflicht halten. Das Gleiche
berichten Satter und JCrascheninnikotc von den sessbaften, nnges iedelt en
Korjaken und Tscbuktscfaen. {Gerland,)
Jedoch fand Erma?i und Kraacheninnikow die Sitte, dem Gastfreunde
die Frau zu überlassen, in Kamtschatka, //<i// bei den Eskimo, Hearne
vor hundert Jahren bei den nördlichen Tinne-Indianern, v. Midden-
dorff noch vor ungefähr 10 Jahren bei den Samojeden und Bindulph
bei den Bewohnern Hunsaa im westlichen Himalaja. Ja selbst aus
Europa wird Aehnliches berichtet, denn Murrer sagt-. ,Es ist in dem
^iderlaudt der Bruch, so der Wjrt einen lieben Gast hat, dass er ihm
«eine Frow zulegt auf guten Glauben.*
Mit Recht wird von Pesckel-KirchJw/f bemerkt: dass sehr viele Menschen-
stämme grosse QlcichgtJltigkeit gegen jugendliche ünkeuschheit zeigen und
«■rst mit der Ehe den Frauen Wandel auflegen. Allein es wird auch mit
eben so vielem Rechte der Versuch zurückgewiesen, aus dem Mangel eines
sprachlichen AuMdrucks, durch welchen „Jungfrau* und „IVau" unter-
schieden werden, auf eine Gleichgültigkeit gegen geschlechtliche Reinheit zu
«ichlieNsen-, denn manche Völker, z. B. die Abiponen, besitzen kein Wort
itir , Jungfrau", werden aber doch hinsichtlich ihrer Sittenstrenge gerühmt.
(Dohrühoffer.J „Eher lässt sich," wie Peschel- KirchJwff >iagi, „der gleiche
sprachliche Mangel ungün^itig bei den Comanchen deuten, da «ie Gast-
freunden ihrp Frauen überlassen. (Svhoolkraft.) Diesen schnöden Gebrauch
treffen wir in Nordamerika noch bei den AlSuten, die auch sonst durch
ihre widernatürlichen AusHchweifungt-n berüchtigt sind, dann bei Eskimos,
und endlich erzählt Ertnan Waiti, dass er in Kamtschatka auf die näm-
liche Sitte gestoNsen sei. Die Eskimos sind unter jenen wohl die scham-
losesten; Mfi,nner und Frauen liegen nackt dicht aneinander während der
Nacht unter einem Seehundsfelle ; dein Gaste macht man Platjj, indem man,
wie Parry fand, nur ein wenig zurückt. Auch bietet man dem Gastfreunde
die Weiber 7ur Benutziing an, die man auch allenfalls verleiht, verschenkt
oder verkauft. Nach Parry prostituiren «ich aber auch ihrerseits die Weiber
ia Abwesenheit ihres EheheiTn. Ein Bewohner der AI euten- Inseln äusserte
einet, wio Lanymlorff berichtet, zu einem Missiondr: „Mein Volk folgt im
Btfgatti'n dem Bfüspiele der Meerottem."
Wrnn aber bei den Altajern ein MRdchen veriiJhrt wird, was nur
höchüi üflten vorkommt, so versammeln sich alle männlichen Verwandten
d«"- ni und versuchen den Verführer zu übt^rreden, jene als seine Frau
h«-i I iinil dfm Vrtt«»r einen verhällnissmrissigen Kalj'm zu zahlen.
^u'mf.i 1 v\(f über ihn her und prügeln ihn so lange,
- 11: 1 bezahlt er ileni Vater ein kleines Strufgeld,
294
XI. Der füntcttt des Weihes in das Getichleclitsltfben.
giabt tbin eioe Flinte und einen Pelz und kann nan unangefochten nach
Hanse gehen. Daa Mädchen wird aber in diesem Falle nicht mehr als
Tochter betrachtet, sondern muss geraeine Dienste alb Magil leisten. (Radioff.)
Der Indianer folgt in «einen sexuellen Beziehungen lediglich seinem
Wohlgefallen, er darf gefahrlos mit einem fremden Weibe, selbst mit dem
Beines Freundes, sexuell verkehren. Bei den Sioux fand früher alljilhrlich eine
seltsame ÖÖ'entliche Beichte statt. Die in zwei Reihen gegeneinander auf
gestellten Jünglinge und Männer liessen sämmtliche Mädchen und Frauen
hindurch paHsiren, und jeder legte die Hand auf diejenige, mit welcher er
während de.s Jahres Umgang gepflogen hatte. Schliniuie Folgen hatte diesen
BekenntnUe für keinen der beiden Theile; nur wurde das Weib ein Jahr
lang, HO ot\ sich dasselbe ohne Frauenbegleitung ausserhalb des Lagers be-
fand, als Prostituirle behandelt. (Dodge.)
Die Indiauerfrauen einiger Stämme besitzen einen Eeusehheitsschutz,
der bei Männern Ansehen und Geltung hat. Ein Angriff auf ein Cheyenne-
Weib, das sich die Fä.sse mit einem Lariat, einem Stricke umwickelt hat,
würde als Nothzucht mit dem Tode geahndet werden-, ohne diesen Talisman
aber ist dasselbe in Abwesenheit des Eheherrn jedem fremden Menschen
wehrlos preisgegeben, (I)(Mige.)
Die Schetimascha-lndianer im südlichen Louisiana lebten in
monoganuscher Ehe und hielten streng auf Beobachtung der Keuschheit.
Liess ein Mädchen sich zu weit mit einem Manne ihrer Bekanntschaft ein^
ao harrte ihrer zu Hau^e die Prügelstrafe. (Gatachet.J
Dagegen fand Richard Rhode die Weiber der Bororos- Indianer an den
üfem des Paraguay wenig keusch, denn sie machten ihm sowie aeiuen
Leuten häufig Liebeaanträge.
Im Allgemeinen herrschen in Beziehung auf dasjenige, wa» wir Keuach-
heit nennen, auch unter den Völkern Afrikas sehr diü'eronte Zustände. In
Wadai wie in Darfur leben die Mädchen völlig ungebunden, und es tritt
erst dann ein festeres Verhältniss ein, wenn einer der Bewerber einen Vor-
zug erhält. Bei anderen Völkern, in Akra, am Congo etc. geben An««
Bchweifnngen der Mädchen keinen Anstoss, ebenso wenig bei den Papels,
wo jedoch auf Treue des Weibes streng gehalten wird. Dergleichen That-
sachen findet man noch mehrfach bei Waitz, der jedoch auch anführt, daaa
man dagegen an der Goldküste, Lu Dnhomey u. a. w. die Verführte be-
straft, oder den Verführer nöthigt, sie zu heirathen. Bei den Kaffern hat
der Verführer eines Mädchens Busse zu zahlen und es ist ihm verboten, die
Verführte zu heirathen. (Dohne.) Von allen Autoren wird (Jnest), ausser der
Schönheit, die Keuschheit der Zulumädchen gelobt-, das bezieht sich aber
doch wohl nur auf ihren Verkehr mit Europäern. Uebrigena würde jede«
Mädchen, das bei intimem Verkehr mit einem Weissen überrascht würd««
oder das gar einem Weissen ein Kind gebäre, sofort todtgeachlngen, and
da ist die Keuschheit am Ende etwas nicht sehr Verdienstvolles.
Die Masai im Innern von Ostafrika sollen dagegen, wie Thomson
behauptet, jede weibliche Person, die ausserehelich geschwängert iat, auch
wenn sie noch nicht mit einem Manne verheirathet ist, tödten.
Wie soll »ich denn auch der Begriff «Keuschheit" entwickeln in einem
Volke, dessen Anschauungen so tief stehen, dass ea anL Kinde selbst un-
süchtiges Wesen zulüsst? Von den Basutbo sagt Missionär Gfütjnttf:
„Unzucht ist Volkesitte, Nur in dem Fall, dass ein Mädchen dnbei ge-
achwüngert wird, was übrigen .■^ wunderbar genug nicht alku o' lol
(die MAdchea sagen su den Kerlen, die bei ihnen liegen-, verdirb i il**
fLeUst Ca: Bezahle Strafe! Der Betreffende bezahlt dann an einigen Orten
-2 Ziegen, anderwärts bi» xu 7 Kühen. So lange aber ein Mädchen nicht
schwanger Ut, so ist nie noch trotz aller Unzucht Xo lokile {in Ordnung).
Solche Unzucht der Kinder und Halberwachsenen heiast auch nicht anders
als: Xo raloka, d. h. spielen. Ein Seotsoa (Hurer) ist nur ein solcher
Mensch, der überall und mit jedem, sonderlich verheiratheten Weibe sich
abgiebt. Alle anderen oben genannten ,spielen' bloss, .wie die Hühner*.'
Auch in Niederländisch In dien sind schon lange vor der Ent-
wickelungs-Periode diei Kinder diesem Genüsse ergeben, und Coitus zwischen
Brüdern und Schwestern von 5 — 6 Jahren ist keine Seltenheit, (van der liurg.)
Bei den Valavä auf Madagaskar begatten sich die Kinder, ohne dass
die Eltern dagegen einschreiten, schon sehr früh, und (Audehert) ahroeu
mit wachsender Beweglichkeit immer mehr das Gebahreu der Eltern nach,
leider auch zum grOssten Vergnügen letzterer und unter ihrer Ermunterung
die Handlungen sich t&glich vor ihren Augen begattender Hau»-
thiere, so daas ein civilisirter Mensch sich mit Ekel von dem Treiben
dieser verthierten Jugend abwenden musa.
Sclion früh hat die religiöse Gesetzgebung ein grosses Ge-
wicht auf ein keusches Leben gelegt. Unschuld der weiblichen
Jugend und Keuschheit wird schon im mosaischen Gesetz ge-
boten: Es soll keine Hure sein unter den Töchtern Israels und
kein Schandbube unter den Söhnen Israels; und eines Priesters
Tochter, die also thuet, die anfiiuget, also zu thun, soll mit Feuer
verbrannt werden (3. Moses 19, 29. 21, 9. 5. Moses 28, 17).
Auch verdankt man der christlichen Religion die reine Auf-
fassung keuschen Wesens. Jahrhunderte lang war allerdings das
Christenthum nicht im Stande, gewisse Mängel des häuslichen Lebens,
insbesondere die Unsitten des asiatischen Hoflebens zu überwinden.
Allein die principiell verurtheilende Stellung, die es in Sachen un-
keuscher Liebe einnahm, brach mit der Zeit sich Bahn und drängte
wenigstens die oöenkundige Sittenlosigkeit in den Hintergrund. Mit
dem Eindringen einer Art von Schein-Christenthuni i.st jedoch
auf der anderen Seite einigen Urvölkem der Sinn fiir weibliche
Keuschheit merkwürdiger Weise verloren gegangen. Die gewiss
gute und heilsame Sitte der wilden Alfuren auf der Insel Cer am
(Joest), dass die jungen Leute im Baileo schlafen müssen, existirt
bei den Christen nicht; da schläft die ganze Familie in einem
Hanse, leider aber auch die Tochter mit ihren Geliebten und die
Sohne mit ihren Freundinnen, dabei herr.scht die ungebundenste
free love ; und wenn einmal ein Mädchen heirathet, dann vereinigt
sie «ich mei.st mit dem Manne, von dem sie glaubt, schofi mehrere
Kinder zu haben. Die Sitten der Wilden lockern und verschlech-
tem «ich viellach in der Berüliruug mit, einer Cultur, für die ihnen
das Verständnis« fehlt, die ihnen auch nur den altgewohi>ten Brauch
nimmt, ohne ihnen wirklich bessere Bräuche l^eizubringen.
Zugleich mit der Cultur, welche sich ein Volk erwirbt, stellen
|j(l. i.II. idingH wohl auch die höheren und edleren Begriffe über
b der Sittsamkeit des Weibes ein; allein die Art der
XI. Der Emtriit des Weibes in
Ueberwachung der Jieuschheit bei halbcivilisirten Völkern
zeugt doch wiederum recht oft von einem bemerkenswerthen Grade
sittlicher Rohheit. Wenn den polygamiechen Völkern des Orients
alä zuverlässige Wache fiir die Weiber des Harems nur der Ver-
schnittene {Ben/Mann) (Eunuch) dient, so kann man in sol-
chem Brauche kaum ein ethisches Mittel für einen ethischen Zweck
finden. Der Islam bringt dergleichen Zustände mit sich, indem
er sie unter Vermittelung christlicher Völker adoptirte. Denn es
findet sich der Ursprung des Eunuchenwesens nicht bei den Mo-
hammedanern. Hauri sagt sehr richtig: «Wir brauchen kaum zu
sagen, dass der Prophet solche Verhältnisse nicht gewollt hat. Die
gute altarahische Sitte ist hauptsächlich durch fremde, persische
und byzantinische Einflüsse zerstört worden. Auch am Hofe von
Constantinopel herrschten damals solche Zustände; so ist z. B.
das Eunuchenweseu von dorther bei den Arabern eingedrimgen.
Ein mosHmischer Theologe der ältesten Zeit berichtet: ,Die Sitte
des Verschneidens stammt von den Byzantinern, und wunderbar
ist es, dass gerade sie Christen sind und vor anderen Völkern
der Milde, der Humanität und der Barmherzigkeit sich rühmen,'
Die Chalifen von Damascus bezogen ihre Eunuchen ursprünglich
aus dem byzantinischen Reiche, und die von Cordova die ihrigen
aus Frankreich, besonders aus Verdun, wo die Juden welt-
berühmte Eunuchenanstalten hatten {Dozy). Trotzdem lallt ein
grosser Theil der Schuld au diesen Verhältnissen auf den Islam.
Polygamie und Haremslebeu liisst er bestehen, ja er macht sie zur
Gnmdlage des Familienlebens und umgiebt sie mit dem Nimbus
göttlicher Gebote. Unsittlichkeit wird die Folge sein, wo das Weib
sich in die vom Koran gezogenen Schranken fügt, aber ebenso gut
da, wo es nach grösserer Freiheit trachtet; denn dasä es nur durch
TJebertretuDg göttlichen Gesetzes sich eine freiere Stellung in der
Gesellschaft erringen kann, führt natürlich zu einer ungesunden»
unsittlichen Freiheit. "
Die Eifersucht der Männer hat es sowohl bei den Naturvölkern
als auch bei den i^ogenannten Vertretern der Civilisation verstanden,
mechanische Vorkehrungen zu treffen, welche eine etwaige Untreue
der Frauen zu verhüten im Stande waren. Es waren Appa-
rate, welche den Zugang zu den weiblichen Geschlechtstheilen
verschlossen. Einige afrikanische Völker sollen, wie es heisst,
ihre Frauen nicht ausgehen lassen, ohne dass dieselben sich ein Sieb
oder eine Rosen-Muschel vor die Gesclilechtstheile binden.
Ein anderes Verfahren, welches die Eifersucht der Ehemänner er-
saim, ist eine Art der Infibulation, d.h. das Einziehen eines Ranges
in die beiderseitigen Schamlippen, wodurch der Introitus vagiuini ver-
scblossen wird. Dieses Hülfsmittel soll im Orient sehr gebräuch-
lich gewesen sein. In Ostafrika wird bei vielen Völkeni aus der-
gleichen Gründen sehr juugen Mädchen die operative Verschliossung
der Scheide durch Wundmachen und narbiges Zusammenheilen der
44. Die Keuschheit des Weibes.
297
Scbauilippen geftbt, wie wir das in einem der vorigen Kapitel auß-
Itihrlicb kennen gelernt, haben.
Bei den Indianern beschreibt Pauw eine Art von Keasch-
heitsgllrtel : ^H consiste en une ceinture tress^ de fils d'airain et
cadenassee, au-dessns des hanches, au
moyen d'une serrure composee de cer-
cles mobiles, oü Ion a grave un cer-
tain nombre de caractere.s *»t de chitf-
res. II n'y a qu'une seule combinai-
8on poTur comprimer le ressort qui
ouvre, et c'est le secret du mari.*
Dass auch in Europa im Mit-
telalter derartige Marterwerkzeuge bis-
weilen in Gebrauch gewesen sind,
das mag wohl den Lesern hinreichend
bekannt sein. Wahrscheinlich waren
es die KreuzzQge, welchen diese bar-
barische Erfindung zu flanken ist,
darch die der eine oder der an-
dere der zu langer Abwesenheit von
Hause gezwungenen Ritter sich der
ehelichen Treue seiner Hausfrau im-
verbrtlchlich versichern wollte. Wie
absprechend aber bereits die Zeitge-
nossen Hber eine solche Grausamkeit
aburtheilten, das können wir aus fol-
genden Thatsachen entnehmen.
Im Arsenal zu Venedig soll
sich ein Instrument befinden, welches
man dort aufbewahrt, und aus einem
Process gegen Carrnra, einen kaiser-
lichen Gouverneur in Padua vom J,
1405, herstammt, indem dasselbe als
^fchlimmes Beweismittel ftir .seine Ver-
jjehen diente, für die er auf Befehl des Senates eingekerkert wurde:
,Ibi sunt serae et varia repagula, quibus turpe ülud monstrum
pellices suas occludebat (Misson).
Trotz dieser exemplarischen Bestrafung scheint sich das In-
strument nicht bloss in Italien, sondern auch in Frankreich ver-
breitet zu haben. Zuerst wurde der Versuch der Einführung unter
König Ihifiritk II. von einem Geschäftsmann gemacht, welcher eiserne
Keoschheitsgürtel, genannt ,ä la Bergamasque*. auf der Messe zu
Saint-Germain ausbot.
Da tenips du roy Ilenrt/, heisst en bei Brantönu, il gent un cärtain
quinqualleur, qui apporta une douzaine de ctfrtains engins h, la foire de
Saint Ofrmain pour brider le cas des fetnm»?«, qui estoient faicts de fer
et ceinturoient comtne une ceintore. et veuoient ä prendre pu le bas et se
^yii
Fig. 37. Eenichl>eiugart«l.
i.Nftcli einpm uiumymen Stioli des
11. .lalirhaniiert». I
XI. Der Eintritt de« Weibes u^l^^SeS^IecE
fermer 4 clef, ei subtilement faicta qu'il n'estoit paa poscdble que la
femme ce doulx pluisir, n'ayant quo quelques petita trous menua pour s^rvir
ä piuer.
Der Erfolg dieses Kaufiaaiines war ein höchst ungilnstiger.
Er musste Riehen^ denn die Bevölkerung drohte, ihn in die Seine zu
werfen. Später freilich mochte man sich wenigstens heimlich mit
dem Gebrauche und der Benutzung vertraut gemacht haben, deim im
Mus^e de Cluny zu Paris befindet sich em solches Instrument,
das durch seine Abnutzmig es wahrscheinlich macht, dass es viel-
fältig in Anwendung war. Es besteht aus einer Platte von Elfen-
bein, befestigt an einem GOrtel von Stahl, der von rothem Roste
bedeckt ist und mittelst eines Schlosses zugehalten werden kann.
Noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts war eine Frau
in Frankreich gegen ihren Ehegatten klagbar geworden, weil er
ihr einen solchen Keuschheitsgürtel angelegt hatte. Die Rede
seines Vertheidigers im Parlamente ist uns noch erhalten geblieben.
(Freydier.)
Die Abbildung eines solchen Gürtels hat uns ein unbekannter
Meister des lü. Jahrhunderts erlialten. Dieser Stich ist \on Hirih
in seinem culturgeschichtUchen Bilderbuche wiedergegeben. Ueber
der geschlossenen Dame, die aus der Geldtasche eines Alt«n mit
einer Hand Münzen herausnimmt und mit der anderen Hand das
Geld einem jungen, einen grossen Schlüssel haltenden Manne giebt,
steht auf einem Spru^hbande folgender Vers:
Es hilft kain ehloss f{ir frauwen Ust
kaiii trew mag sein dar lieb nit ist
Daruiub am schlUiiBel der luir gefeit
Den wOl ich kauffen umb dein gelt.
45. Die Jimgfraaschaft.
Der Begriff der Jungfrauschalt ist ein ethischer, der von der
Annahme ausgeht, dass die sexuelle Unberührtheit des Mädchens
einen ganz besonderen sittlichen Werth habe. In solcher Werth-
schätzung der weiblichen, intacten Individualität kommt cultur-
geschichtlich unter den Völkern ein Naturalismus und ein Idealis-
mus zur Erscheinung. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, das»
unt4?r Umständen auch bei Naturvölkern die Spuren ethischer Re-
gungen zu finden sind, welche auch beispielsweise durch Sitte und
Brauch einen gewissen Grad von Achtung und Werthschätzung der
Jungfräulichkeit erzeugten. Wir selbst halben uns allerdings schon
läng.st gewöhnt, in der Unnahbarkeit und Reinheit jungfriiuhchen
Zustandes das Ideal schöner und keuscher Weiblichkeit zu verehren.
Schon im altgermanischen Rechte wird die Jungfräulichkeit als
achtungsvoll aufgefasst, und auch die christliche Religion legt bekannt-
lict von Alters her einen so hohen Werth auf ein keusches jung-
^üulicheg Leben, dass manche verehelichte Frauen als Heilige noch
leutiges Tages verehrt werden, weil sie auch in dem Ehestande
die Jungfrauschaft sich bewahrt haben. Wenn nun auch die Ger-
manen, die sich dem Chriatenthum zuwandten, dem Weibe deshalb
nicht melu- eine hohe Achtung zollten, weil die Geistliclikeit ge-
neigt war. die Frau im Hinblick auf Eva's Sündeufall als ein nie-
driges und imreines Wesen zu betrachten ( Wnnhold]^ eo hat doch
ie jungfräuliche Reinheit immer unverändert ihre Hochachtung ge-
nossen, und in dem Cliristentbura hat die Verehnuig der Mutter
Hottes als die unbefleckte Jungfrau Maria dem junfräulichen Wesen
ine ganz besondere Glorie gegeben. Aber auch noch vieles andere
lat in unserem Bildungs- und Gesittungsgange dazu beigetragen,
die schon unseren Vorfahren geläufige ideale Bedeutung des Be-
griffes „Jungfrau" zu festigen und zu veredeln.
Ganz andere ethische Momente hingegen liegen der Werth-
echätzung jungfräulichen Zustande« bei vielen weniger civilifdrten
Völkern zu Grunde ; zumeist ist hier ein Naturalismus der gröbsten
Sorte, der ihre Auffassung leitet, und zugleich in achroffen — un-
sere Gefülile verletzenden — Formen zu Tage tritt. Nichts Sin-
niges, vielmehr nur Sinnliches ist zumeist das Motiv, welches die
eifersüchtige Mämierwelt bei niedrigem Culturgrade veranlasst,
A&a defiorirte Mädchen zu missachten und vom Ehebette zurück-
zuweisen.
Ein unverletztes HjTuen gilt bei den meisten Völkern als ein-
ziges Zeichen der Jungfrauschaft. Auch bei uns war das von jeher
der Fall, und die grosse Masse des Volkes hält an dieser Signatur
fest, obgleich die gerichtliche Medicin schon längst tiber diesen
populären Standpunkt hinaus ist. Das Hymen büdet eine Schleim-
hautfalte am Scheideneingrange, vor dem sie in den meisten Fällen
lalbmondfijnnig ausgespannt ist. Mau glaubte allgemein, dass die
in einzelnen Stellen des Scheideneingangs sich erhebenden warzigen
Excrescenzen, welche die Anatomen als ,Oarunculae myrtiformes*
bezeichneten, sich unmittelbar nach der Zerreissung des Hymen
beim ersten Coitus ausbildeten. Allein Karl Schröder hat mit
Sicherheit nachgewiesen, dass das Hymen bei der Cohabitation nicht
weiten ziemlich unverändert bleibt, indem es selbst bei oft wie-
derholtem Coitus sich nur ausdehnt oder eingekerbt erscheint.
Durch das Eindringen der Penis wird höchstens der freie Hand
des Hymen zerrissen. In des Regel kommen erst in Folge einer
Geburt solche Veränderungen zu Stande, als deren Ergebniss sich
jene Carunculae myrtiformes darstellen. Demgemäss ist das Vor«
indensein des Hymen kein Kriterium dafttr, dass die betrefl'ende
*er80n noch nicht cohabitirt hat. Auf der anderen Seite ist aber
auch, wenn das H}Tuen fehlt, die Annahme nicht ohne Weiteres be-
rechtigt, dass schon ein sexueller Verkehr mit einem Manne stattge-
funden habe, denn e.s giebt auch eine Reihe anderer Eingriffe, durch
welche das Hymen zerstört werden kann. Hiemach erleidet also
die weitverbreitete Meinung über das Kennzeichen der Defloration
sehr erhebliche Einschränkungen und Abänderungen.
Wir finden, wie bereits gesagt wurde, durchaus nicht bei allen
Völkern der Erde die gleiche Auffassung und Werthschätzung der
Jungfrauschaft, beziehungsweise eines imverletzten Jungfernhäut-
chens. Wenn, wie wir soeben gesehen haben, nun auch diese beiden
Begriffe sich nicht vollständig decken, so sind wir doch nicht im
Stande, sie absolut au-seinander zu halten. Und da zeigt es sich,
dass man eine ganze Stufenleiter der Achtung oder Jj ichtachtung
aufzustellen vermag, welche diese Zustände in der Meinung der
verschiedenen Völker gemessen. Beginnen wir mit denjenigen Na-
tionen, welche der Jungfrauschaft eine volktiindige Nichtachtung
entgegenbringen, so steht hier obenan die al)sichtliche Zerstörung
des Jungfernhäutchens oft schon von den ersten Lebenstagen an
durch die Hand der eigenen Mutter.
War es bei den Chinesinnen, bei den Bewohnerinnen von
Ambon und den Üliase-Liseln und bei den Indianern in über-
triebener Reinlichkeit ein wiederholtes und ganz energisches Waschen,
welches zu der Zerstörung des Hymen itihrt, waren es bei den soeben
reif gewordenen Mädchen des Bau da- Archipels wahrscheinlich ebeu-
faüs religiös-hygieiuische Ursachen, welche dazu führen, Tampons
aus Baumbast in die Scheide zu stecken, wahrscheinlich wohl, da-
mit das in hohem Grade für unrein angesehene Menstruationsblut
nicht sichtbar M'ird und die Schenkel nicht besudeln kann, so ist
die Absicht bei den Machacuras-Iudiauern eine durchaus an-
•dere, wenn sie durch ihre bereits oben beschriebenen Manipulationen
ihren kleinen Kindern die Jungfemhaut vernichten und die Scheide
erweitem. Hier soll das Mädchen für einen recht frühzeitigen
Verkelir mit erwachsenen Männern hergerichtet werden. Ganz ähn-
liche Zwecke verfolgen die onanistischen Reizungen, welche die
alten Impotenten auf den Philippinen bei den kleineu Mädchen
vornehmen, und auch die ähnlichen Spielereien, wie wir sie bei
manchen afrikanischen VöLkem die grösseren Mädchen bei den
kleineren haben ausftihren sehen, mögen halb bewnsst, halb unbe-
was.st die gleichen Ziele zu erstieben suchen.
Eine absolute Gleichgültigkeit gegen die Jungfrauschaft müssen
wir überall da erkennen, wo wir einen vollkommen unbehinderten
geschlechtlichen Verkehr zwischen den unverheiratheten jungen
Leuten beiderlei Geschlechts vorfinden. Wir haben hierfür bereits
mehrere Beispiele kennen gelernt vmd brauchen an dieser Stelle
dieselben wohl kaum zu wiederholen (Südsee-Insulaner, Be-
wohner des malayis eben Archipels, Norda.siaten. Japaner,
Indische Stämme, Afrikaner u. s. w.), und eine derartige Un-
beschränktheit finden wir bei den Madagassen, den Bnsutbo
n. 3. w. sogar schon im kindlichen Alter. Dass hier der Brilutigam
bei setner Auserwählteu bei der Verhoirathung ein Bestehen der
JungtVauschaft nicht voraussetzen kann, das bedarf wolil .keiner
weiteren Darlegung.
Wenn auch die Bewohner des Haawu- Archipels in nieder-
ländisch Indien den jungen Leuten einen ganz ungestörten ge-
schlechtlichen Verkehr gestatten und daher bei der Verehelichung
ein Bestehen der Jungfrauschaft, nicht durchaus verlangen, so geben
sie doch unter allen Umständen einer Virgo intacta den Vorzug.
Trotzdem hat es keine Schwierigkeit für den Fremden, für ein
Spielzeug oder ein Geschenk mit einem noch unbefleckten Madchen
zu cohabitiren. (Riedel.'')
Es giebt nun aber auch gewisse Stamme, welche noch einen
Schritt weiter gehen, indem sie das Fortbestehen der Jungfrauschaft
bei einer Erwachsenen geradezu flir eine Schande betrachten, für
einen sicheren Beweis, dass das Mädchen vor keines Mannes Augen
Gnade gefunden hat. Aehnliches haben wir weiter oben bei den
Wotjäken gesehen. Auch bei deti Chibchas (auch Muiscas
oder Mozcafi) in Neu-Granada, welche jetzt fast ganz unter-
gegangen sind, wurde die Jungfrauschaft als Beweis dafür ange-
sehen, dass das Mädchen unfähig sei, Liebe zu erwerben.
Wenn nun auch andere Nationen nicht so weit gegangen sind,
etwas Entehrendes in dem Vorhanden.sein eines Jungfernhäutchens
zu erblicken, so sehen .sie dasselbe doch als etwas an, das das ehe-
liche Vergnügen hindert und beeinträchtigt und welches dalier vor
dem Eintritt in die Ehe entfernt werden muss. Inwieweit ge-
schlechtliches Unvermögen in geringerem Grade, bedingt durch
Ausschweifungen in der Jugend, die erste Veranlassung zu diesen
Gebräuchen gegeben haben mag, das werden wir wohl niemals zu
entscheiden im Stande seiu.
Bei den Sakkalaven in Madagaskar entjungfern sich die
jungen Mädchen selbst vor ihrer Verheirathung, falls ihre Eltern
nicht schon früher datVir gesorgt haben, dass diese rräliuiinur-
üperation ausgeführt wurde. (NocL) Abscheulich ist die imge-
mein rohe Art, in welcher atistralische Stämme am Peak-
Flusse , um den geschlechthchen Verkehr mit sehr jungen Mäd-
chen zu ermöglichen, diesen die Vagina nach imd nach bis zu
den gewünschten Dimensionen erweitern. Dieses Geschäft sollen
die älteren Männer der Gesellschaft übernehmen. Wenn des jungen
Mädchens Brüste schwellen und .sich der Haarwuchs zeigt, so
entfuhrt sie eine Anzahl älterer Männer an einen einsamen Ort;
dort wird sie niedergelegt, ein Mann hält üire Arme, zwei an-
dere die Beine. Der vornehmste Mann tiihrt dann zuerst einen
Finger in die Vagina, dann zwei, zuletzt vier. Zurückgekehrt an
den Lagerplatz, kann das arme Ding in Folge der Mi.sshandlung
3 — 4 Tage denselben wegen Schmerzen nicht verlassen. Sobald
»je kann, geht sie fort, wird aber in jeden Winkel von den Männern
302
XI. Der Eintritt de« Weibes i^
verfolgt und muss sich den Coitus von 4 — 1> derselben gefallen
lassen. Dann aber lebt derjenige, mit dem sie als Kind versprochen
worden war, mit ihr als Gattin, wobei der Mann zuweilen circa
'»mal älter sein kann, als die Neuvermählte. Hill in Sydney be-
richtet auch, dass die Eingeborenen von Neu-Stid-Wales vor
der Heirath an der Braut, einem meist sehr jungen Mädchen, die
Defloratio mittebt eines Feuersteinsplitters vornehmen, der ^ßogenaa"
genannt wird, und mit welchem das Hymen aufgeschlitzt wird. Dies
geschieht, um den Eingang so gross oder so klein herzustellen, wie
es dem Gemahl passend schien.
Dieses letztere erinnert an die Operationen, welche bei den
excidirten und vernähten Mädchen in Afrika vor der Hochzeit
nothwemlig werden und bei welchen von Priestern oder von alten
Weihern dieses Wiederaufschneiden meistens mit sehr fragwürdigen
Instrumenten ausgeführt wird. Die alten Aegypter schnitten das
Hymen durch.
Bei anderen Völkern wieder begegnen wir der Sitte, daas die
En^miigfenuig der Braut allerdings „lege artis" vor sich geht, d. h.
durch die AuHühung .eines Beischlafes. Diesen vollföhrt aber nicht
der Bräutigam, sondern irgend ein anderer Mann au .seiner Stelle.
Wir dürfen diesen Gebrauch aber nicht mit einem ähnlichen ver-
wechseln, welchen wir später bei den verschiedenen Formen der
Ehe kennen lernen werden. Ich meine die einmalige Prekgebimg
des Mädchens an die Staramesgenossen, bevor sie durch die Ehe
das ausschliessliche, unantastbare Eigenthum eines Einzelnen fldrd.'
Hier liegen, wie wir seiner Zeit erläutern werden, durchaus andere
Motive zu Grunde. Um nun zu unserem Falle zurückzukehren,
so müssen wir in diesem primären Coitus durch einen Stellvertreter
doch wiederum einige Unterscheidungen treffen. Nach einem Aus-
spruche des heiligen Athanasiits hielten sich die Phönizier einen
besonderen Sclaven, dem das Amt oblag, die Braut zu defioriren.
Bei den Viscayern auf den Philippinen existiren nach BlumvU'
tritt Individuen, welche die Entjuugierung gewerbsmässig betreiben.
Wie einen Fortschritt in der Sittlichkeit müssen wir es betrachten,
wenn wir sehen, wie diese Entjungferung eine Ehre ist, die nur
einem hochgestellten Manne zukommt (jus primae noctis;, oder ein
Weihgeschenk, welches der Gottheit dargebracht werden muss und
welches daher das Bild der Gottheit selbst oder der Stellvertreter
Gottes auf Erden, der Priester, vorzunehmen berulen ist. Ein Bei-
spiel für den ersten Fall finden wir bei den Balanten in Sene-
gambieu, einem sehr rohen Negerstamme. Hier hat der Haupt»
hng die Verpflichtung, die Braute zu defioriren, wozu er sich oft
nur gegen ansehnliche Geschenke herbeilässt; ohne diesf ''' ' -
Zeugung des Häuptlings kann aber kein Müdclien heiratherj. >
Als Opfergabe an die Gottheit sehen wir die Erstlmge der
Jungfemschaft bei verschiedenen Völkern des Alterthoms darge-
bracht, zu denen auch die alten Römer gehörten. Angeblich sollen
303
sich die römischen Bräute auf den Schooss des Gottes Mutmitts
gesetzt haben, durch dessen Phallus das Hymen zerrissen imd die
Vagina erweitert wurde. Auch mit dem Lingam-Dienst in Indien
sind ähnliche Ceremonien verbunden.
Duquestie a vu, lierichtet Ditlanre, dans les environa de Pondichöry,
les jeunes mariees venir faire ä cette idole (le Lingam) de bois le aacrifice
cüniplet de leur virgfinite. Dans une partie de Tlnde, appeläe Canara, ainei
qae dans le« environs de Goa, de pareils «acriScea sont en usage. Lee jeunes
alles, avant d'epouser. offrent et doonent dans le teinple de Chiven (SchitcaJ
lea pr^miceR du luariage ü une semblable idole dont le Lingam est de fer;
et Ton foit jouer ä ce Dieu le röle de eacrificateur. Cvan Caerden.J
Die Muhe und Arbeit für das Götterbild übernahmen dann
später opferwillig die Priester oder auch die Zauberer. Das letzere
wird im 16. Jahrhundert von den Acowaschen und Kumaneu
Amerikas berichtet, während in Nicaragua der Oberpriester die
Bräute entjungferte, und dasa auch heute noch in Indien der
Bräutigam seine Braut zu einem Brahmineu flihrt, damit dieser ihr
die .lungfrauschaft nehme, ist eine oft erzählte Thatsache. Der be-
treffende Brahmine erhält für seine Bemühung ein Geschenk, das
bisweilen eine ganz beträchtliche Höhe erreicht. Ftir gewisse
Brahminen auf Malabar soll dieses Amt sogal- ihre einzige Berufs-
jjflicht gewesen sein. Für diejeuigeu Fälle, wo sich die Jungfrau
allerdings weder dem Priester noch auch dem Könige, sondern
irgend einem Fremden preisgeben muss, wie das iu Babylon und
Cypern der Fall war, erblickt Rosenhaum die Erklärung in dem
Umstand, dass nicht nur das Menstrualblut, sondern auch das bei
der Defloration durch die Zerreissung des Hymen fliessende Blut,
und somit auch der Act der Entjungferung selber für unrein ge-
halten wurde. Daher überliess man ihn den Fremden.
Den gröasten Werth legt man auf das angeblich specifische
Merkmal der Virginität in Asien und Afrika, und in den meisten
Ländern dieser Continente wünscht der Mann regelmässig bei dem
Vollzuge der Verheirathong untrügliche Beweise zu erhalten, dass
das in seinen Augen allein maassgeliende Zeichen der Jimgfrauschaft,
das Jxmgfemhäutchen, bei seiner oft für schweres Geld erkauften
Braut noch unberührt und imverletzt erhalten sei. Auch hier be-
gegnen wir wieder einer sehr beachtenswerthen Stufenfolge in der
Art und Weise, wie sich der Bräutigam die Ueberzeugung von der
geschlechtlichen ünberührtheit seiner Braut zu verschaflen suchte.
Als ersten Grad in dieser Beziehung können wir die Sitte betrachten,
nach welcher, wie Clot-Bey berichtet, in Aegypten das Hj'men
nicht etwa durch den ersten Beischlaf zerrissen wird, sondern der
m hüllt ein weisses Mousselintuch um den Zeigetinger der rechten
id und dringt in die Mutterscheide der jimgfräulichen Braut ein;
daü blutige Tuch nun zeigt er den Angehörigen vor. Unter anderen
orientalischen Völkerschaften wird diese Angelegenheit mit noch
[weniger Delicatesse behandelt. In Nubien wird gegen das U. Lebens-
Jahr hin das Älädcheii verlobt; der Ehemann deflorirt dasselbe mit
seinem Fiuger und vor Zeugen; als wirkliche Gattin ftthrt er
sie erst nach einem Jahre oder spater heim. Bei den Arabern
wird die Verlobte, M'enn sie nicht Wittwe ist, ebenfalls wie in
Aegypten initteLst des von einem leinenen Tuche umhüllten Zeige-
fingers der rechten Hand entjungfert, doch besorgt dies Geschäft
nicht der Mann, sondern eine Matrone, und jene führt dasselbe nur
dann aus, wenn die Verlobte gerade menatruirt; das Tuch wird
stets den Eltern gezeigt. Die Kopten verhalten sich ähnlich, wie
die Araber.
Ein Hoclizeitabrauch in SHdru-saland (Ashoth) besteht darin,
dass man ganz besondere Vorkehrungen trift't, um vor Zeugen, welche
die Bevölkerung vom Ergebnias ihrer Beobachtung sofort benach-
richtigen, die Ünverletztheit der Jungfrauschaft beim Coitus in der
Brautnacht feststellen zu lassen. Es ist sogar Brauch, dass die
Braut sich zuvor, ehe sie dein BrUuÜgam überlassen wird, vor
Zeugen vollständig entkleiden lassen muas, damit festgestellt werde,
ob sie nicht etwa Täuschungsmifctel bei sich habe; auch wird dann,
wenn der Bräutigam etwa unfähig ist, den Coitus in der Brautnacht
auszuüben, ein Anderer an seine Stelle berufen. Die Strafe und
die verächtliche Behandlung beim Nachweis des Verlustes der Jung-
femschaft sind ebenso erheblich, wie die Freude, wenn die Blat-
spuren im Hemd voi-gefunden werden.
Die Neugriechen auf Morea besitzen eine ganz absonder-
liche Jungfemschaftsprobe. Hier musste die Braut, bevor sie das
Brautbett bestieg, auf ein ledernes Sieb steigen. Durchtrat .sie
hierbei das letztere, so lag ihre Unbeflecktheit klar zu Tage. (Pou-
quevillc.)
Bei der Mehrzahl der orientalischen Volker und auch bei
einigen ihrer Nachbarn verlangt der Bräutigam in der Brautnacht
nach dem ersten Coitus im Ehebette Blutapuren zu finden zum
Zeichen, dass das Hymen von ihm selbst durchrissen, seine Frau
also nur erst von ihm selbst entjungfert worden sei. Diese Tro-
phäen seines Sieges und gleichzeitig die Keuschheitsbeweise seiner
Braut werden dem Kreise der Freunde und Verwandten im Triumphe
vorgezeigt. Bei den Samojeden und Ostjaken ist es nach Palias
sogar gebräuchlich, die Schwiegermutter ft\r die Oberbraciitcn Zeichen
der Jungfrauschaft zu beschenken. Auch die Bulgaren verlangen
nach Bogisic von dem jungen Ehemanne die sichtlichen Beweise
dafür, dass seine Braut noch Jungfrau war.
Aber wehe der Braut, die die. Probe nicht besieht. Es gtebt
keinerlei Entschuldigung für den iMangel des Hymen. In Persien
kann, wie PolaU berichtet, in einem solchen Falle die Frau auf
die einfache Aussage des Mannes hin nach der ersten Nucht Ver-
stössen werden. Dieser ungerechte Brauch wird oft benutzt zum
Zweck der Gelderpressung von den Schwiegereltern, die den Ruf
der Frau nicht betiecken lassen wollen. Doch trägt andererseits
dieser Brauch auch dazu bei, dass fast alle Mädchen in voller Vir-
ginität zur Ehe gelangen.
Auch in Nicaragua durfte der junge Gatte seine Verlobte
(nach Squier) iliren Eltern zurUckschickeu, wenn dieselbe schon
früher ihr Hymen eiugebüsst hatte. Ebenso streng wurde es mit
der Reinheit der Braut nach Acostas und Anderer Berichten im
alten Mexikaner- Reiche genommen.
Aehnlich ist es bei einigen anderen orientalischen Völkern,
aber auch bei gewissen a f r i k a n i s c h e n Stämmeh schickt der Bräu-
tigam die Braut den Eltern wieder zurück, wenn er sie in der Braut-
nacht nicht als .Tungfrau erfunden zu haben glaubt. Die Ehe ist damit
einfach für ungültig erklärt und aufgelöst. Ist bei den Szuaheli
im östlichen Afrika bei der Verheirathimg das Jangfemhäutchen
zerrissen gefunden, so müssen die Eltern die Hälfte des Brautgeldes
an den jungen Ehemann ziirückbezahlen. Bei dt- n Bulgaren wird
die Schande des Mädchens laut verkündet, wenn bei Vollzug der
Ehe die Beweise für ihre bisherige Jungfräulichkeit ungünstig aus-
gefallen sind, jedoch pflegen in einem solchen Falle ihre Eltern
die Bedenken des Schwiegersohnes durch eine entsprechende Ver-
inehnmg der Aussteuer zu beschwichtigen.
Findet der Gatte bei einer Zuluhochzeit heraus, dass es
mit der Jungfräulichkeit der Braut schlecht bestellt war, so zahlt
der Bruder oder Vater derselben an den jungen Gatten einen
Ochsen: ,to stop tbe hole", wie der Z u l u - Ausdruck im Eng-
lischen lautet. iJoest.)
Schon die Juden der Bibel hielten nach Moses' Gebot (5, 22)
gar streng auf die Jungfernschaft. Wenn ein Mann ein Weib ge-
nouomen und er sie unter dem Vorgeben, sie sei nicht mehr Jung-
frau, deren Eltern zurückgiebt, so soll ihr Vater die Aeltesten der
Stadt als Richter anrufen, vor diesen aber sollen die Kleider aus-
gebreitet werden. Der Mann soll dann für die ungerechte Bezich-
tigung einer Jungfrau Strafe zahlen und das Weib zur Gattin nehmen.
Wird jedoch die Dinie nicht als Jungfrau befunden, so soll sie
öÖ'entlich zn Tode gesteinigt werden.
Bei so strengen, das Lebensglück oder selbst das Leben de»
Mädchens bedrohenden Maassregeln, wenn die letztere ihre Keusch-
heit nicht zu bewahren gewusst hatte, uiusste es wohl begreiflich
sein, wie sie selbst oder die Ihrigen auf Mittel sannen, die verlorene
Jungfernschaft zu entschuldigen, zu bemänteln oder für die Zeit der
Prüfung scheinbar wiederherzustellen.
Wir sahen schon, dass die Matronen bei den Arabern die
Digitalentjimgferung vorsichtiger Weise an dem Ende der Meu-
struiition vornehmen. Hat bei den Persern das Unglück der De-
floration bei einem Mädchen stattgefunden, so suchen die Eltern
die Scliande abzuwenden, indem das Mädchen an einen armen
Teufel oder einen jungen Ivnaben verhcirathet und alsbald wieder
Pia«*, Dm Wnitt, I. ■.>. Aurt,
20
gMM-litMltff) irird, djumt nt dorn eiofMD aagcthcDee Uamie xor Frau
^ ^ r) w<^(l«ri kiina. Oder et wird am Tage der Entucbeidimg
iiiiMt im Folgenden beackriebeneo operaUven Eingriff nach-
: ■ i— rg«n kennen. IHeselben pflegen
My '>g die Schamlippen durch ein
VnM t>\n^*'U'[i,U' Niithc xn viT<.Mmg(.'ri , die dann beim Coitus atifge-
M«Min Wi<rd(!ii, HU diWH i:twaM Ulut fliesflt, wai? der Mann fiir ein
/iMchfln »och vorbanden gewesener Jungfrauschafl ansieht. Auch
rill iiiil. Ittiil ^iTtriLnkißH Hctiwüuinichen hoU öfter mit Vortheil in der
Hruiiliiuclil iti ili«^ V'iigiiia goHteckt worden sein.
In Htlnrien gmiitiMHl diiH juage Mädchen, das nicht mehr
•litiigt'ruii int, vur der Jirautnucbt die gekochten Früchte der Iris
«ibirictt. iKtrhd.)
K« »»«I. wolil m-ltr Hchwii'rig, m L-ntscheiden, ob es sich ledig-
lU^h um oiiiii i<igt'iithl\iiitii-lii\ besondera »*crupulöse Art handelt, das
Vorlmiidi'iim'iii ndi-r I'V'hlcn der .lungl'rauschiift zu constatiren, oder
iili wir tlunn eiiiu Art von Analogie für die Institution unserer
Trrtu«itug«Mi i-rbliiken mü«Ken, wenn wir sehen, daas bei manchen
ViWkttni b«'»liimut(< l'Veundo oder Anverwandte bei dem ersten Coitus
di'M jiuigi>ii riiiirfH y.tigegen sein und »ogar hierbei handgreiflich
lii'irtMt iiiid iu<hiNtir»>n rnftssen. So erfolgt /. 13. bei den katholischen
r|»rif«tt'U in A Ägypten die Kntjungffrung durch den Beischlaf,
WHlolii'm die beiden Schwiegermutter, die Mutter des Mannes so-
wohl uN auch di(\)ouig« der jungen Frau, beizuwohnen rer-
pHichtrt Nuul.
\W\ dorn ersten (Vitu« eines £he]> ^ stiren in Ab^ssinien
«WIM Ktmgeu, wolcho dabei der liegen' i die Beine so hinanf-
haUen, diu<«< dvr Khomann zwischen denselben seine Lust befiriedigen
)^^,... TV,...,. l>^i4«}u ^>ugett traten von da au zn dem Paare in ein
\\
w«loh«s einem verwtutdtschaiUicheu gleicht; dasselbe
M jUuxuai wi* bei uns dl« PaiKaiwrhaft. Stecktr^ welcher mir dias
aii|ttM£li«> gMyt mamh an, 4m» diaws Halten d» Beine bei dem
«w«b»n TiMtu» deebalb vurwenonunen vird, weil die jonge FVaa dort
wie Aberhaubt in tMmi Lindeni Ostafiikas eine dordi tfawÜicb
•uynkiiMe Verwncbmmfr Terechloasene Scheide bal, die Me^
«kSTwie anderw^Stelmt^ Sebutt. sond«» n« da. ^^
JS^amMun selbst dartli f>waHw»Hi HJtiPwhHtwi diee Ans ge-
«Am «Ud.
CSa jungm LmA» «rf der Iwal Dam* na m*laTiackem
Andbi|wt balwtt mbco takr aWoodarfichan 6«bcBoeb.
IM doMMMilirMk das» tW ««w Eb
IVr jwiipr llan
•aMC««!. «i %m
d«r I^Mlf^C
bbii^ wa
46. Der Beischlaf.
»inbar wütbend und bewaöiiet bis zu seinem Hause, indem sie
Braut«chatz fordern.' Die Anverwandten des jungen Mannes
kommen dann ebenfalls bewaffnet heraiüs. Bald aber hat man sich
über den Brautschatz geeinigt imd in Frieden \md Freundschaft
geht alles auseinander. Der junge Gatte lebt fortan im Hause der
•Frau. {Riedel})
Eines eigenthümlicben Edictes müssen wir zum Schlüsse noch
gedenken, welches in Rom der Kaiser Tiheriiis ergehen liess. Er
verbot, dass Jungfrauen hingerichtet würden. Hatten dieselben ihr
Leben verwirkt, so war es die Pflicht des Henkers, sie vor der
Hinrichtung zu defloriren. (Hyrtl.) Was für Motive ihn hierzu
bewogen haben mögen, das sind wir heute wohl nicht mehr im
Stande zu entscheiden.
^H Die Ethnologie darf sich nicht der Betrachtung derjenigen
^H Functionen und Bräuche entziehen, welche über das, was wir selbst
^^ unter .Sitte" verst-ehen, weit hinausgeht. Die Wissenschaft hat sich
imter Anderem auch mit Handlungen zu beschäftigen, welche wir
selbst gewiss mit Recht als ,discret zu behandelnde" auflassen, die
jedoch immerhin für die Culturforschung von Bedeutung sind. Hier
kommt das Thier im Menschen zum Vorschein. Die ethischen
Momente, welche auf solchem Gebiete zu Tage treten, süid freilich
unserem Empfinden wenig sympathisch, denn es müssen dabei sogar
recht widerwärtige Erscheinungen besprochen werden; allein die
Psychologie und Culturgeschichte dürfen sich ebenso wenig wie die
Naturgeschichte ihre Stoä'e nur nach dem uns mehr oder weniger
angenehmen Geschniack und Gei'ühl auswählen; sie haben vielmehr
die Pflicht der oftenen Darlegung, wo es sich darum liandelt,
sittliche Zustände aui" dem Gebiete der Völkerkunde zu charak-
terisiren, imd selbst diejenigen Züge nicht unbeachtet zu lassen,
h welche das brutale Element im Menschen zum Durchbruch
mt.
Die Stellung des Weibes in der Familie und dem Volke, die
gegenseitigen Beziehungen zwischen Mann und Frau sind für die
Stufe der Sittlichkeit., auf der ein jedes Volk steht, von höchster
Bedeutung. Eine wahre Stufenleiter zeigt sich da, von der tiefsten
Missachtung an bis zur grössten Hochschätzung, von der schänd-
lichsten Behandlung au bis zu den zartesten Rücksichten. Das rein
geschlechtliche Verhältniss tritt eben nur bei den rohesten Völkern
in den V^)rde^g^lmd, spielt aber auch noch bei den halbcivUisirten
Nationen eine ganz wesentliche Rolle, während bei hochcivi-
iTwirteu Zuständen das intellectuelle und moralische Wesen dem
I weiblichen Geschlechte seinen Wertli gicbt, die sexuellen Beziehungen
20*
geschieden wird, damit sie dann einem angesehenen Manne zur Frau
gegeben werden kann. Oder es wird am Tage der Eutscheidxmg
dnrch einen im Folgenden beschriebeneu operativen EingriÖ' unch-
geholfen, den einige -persische Chirurgen kennen. Dieselben ptlegeii
einige Stunden vor der Verheirathung die Schamlippen durch ein
Poax eingelegte Nathe zu vereinigen, die dann beim Coitiis atifge-
rissen werden, so dass etwas Blut fliesst, was der Mann för ein
Zeichen noch vorhanden gewesener Jungfrauschaft ansieht. Auch
ein mit Blut getränktes Schwämmchen soll öfter mit Vortheil in der
Brautnacht in die Vagina gesteckt worden sein.
In Sibirien geniesst das junge Mädchen, das nicht melur
Jungfrau ist, vor der Brautnacht die gekochten Frttchte der Iris
sibirica. {Krebel,)
Es ist wohl sehr schwierig, zu entscheiden, ob es sich ledig-
lich um eine eigenthüniliche, besonders scrupulöse Art handelt, das
Vorhandensein oder Fehlen der Jungfrauschaft zu constatireu, oder
ob wir darin eine Art von Analt^e für die Institution unserer
Trauzeugen erblicken müssen, wenn wir sehen, dass bei manchen
Völkern bestimmte Freunde oder Anverwandte bei dem ersten Coitus
des jungen Paiires zugegen sein und sogar hierbei handgreiflich
helfen und assistiren müssen. So erfolgt z. B. bei den katliolischen
Christen in Aegypten die Entjungferung durch den BeiscWat,
welchem die beiden Schwiegermütter, die Mutter des Mannes so-,
wohl als auch diejenige der jungen Frau, beizuwohnen ver-
pflichtet sind.
Bei dem ersten Coitus eines Ehepaars assistiren in Abyss»/*^®,^
zwei Zeugen, welche dabei der liegenden Frau die Beine so V^^^e
halten, dass der Ehemann zwischen denselben seine Lust befr*^* ^'^j
kann. Diese beiden Zeugen treten von da an zu dem Paare ^* ^
Verhältnis», welches einem verwandtschaftlichen gleich.\.', ^ . ^^^
ist ähnlich wie bei uns die Pathenachaft. Steche); welcViet " . ^^^j
mittheilte, giebt auch an, dass dieses Halten der Bev^w; ^ „ ^i
ersten Coitus deshalb vorgenommen wird, weil die j^'-^V?,^ x,«v«
w^ie überhaupt in vielen Ländern Ostatrikas eine il\"i-»-.>
eingeleitete Verwachsung verschlossene Scheide 1 >
nicht, wie anderwärts durch Schnitt, som '
Ehemanne selbst durch gewaltsames Eins
dftnet wird.
Die jungen Leute auf der Insel Da
Archipel hüben einen sehr absonderlichen
zu documentiren, dass sie eine Eh« ''
einem jungen Mädchen nach einig,
von diesem gebotenes Geschenk,
einigen Korallen, angenommen, (n>
Der junge Manu bleibt im Haus,
exercet, si fieri possit publice*. Di
der Braut ein grosses Gesclirei, ed
hn
308
m
aber unter der Herrschaft geläuterter ästhetischer Anschauunjf in
die engsten sittlichen Grenzen eingeschränkt werden. Wo das Weib
nichts ist, als der G(?geustand, durch welchen einestheils die viehi-
schen Gelüste befriedigt, anderentheils die anstrengende Arbeit des
Mannes verringert werden kann, da wird der Frau auch das Aergste
in Bezug auf den sexuellen Verkehr zugemuthet.
Dass bei südlichen Völkern nicht überall die Sinnlichkeit des
Weibes bei Ausübung des Coitus zu besonderer Erregung gelangt,
ist eine nicht zu bestreitende Thatsache, wenn man den Bericht-
erstattern Glauben schenken darf'. Von den Mädchen und Frauen auf
Ponape (Carolinen), welche unendlich kalt und eisig zu sein schie-
nen, erfahren wir von einem derselben diurch Finsch: «Drei Mädchen, die
ich behufs Constatirung der Beweglichkeit vorzunehmen Gelegenheit
fand, blieben bei den einleitenden Manipulationen total iudiöerent,
verhielten sich während der Operation vitllig passiv und reagü'ten
selbst im Culminatiouspunkte kaum wahrnehmbar; dagegen zeigten
sich alle drei Wiederholungen nicht abgeneigt und namentlich für
den Nervus rerum sehr empfänglich. Ein unter dem Arme ge-
tragener angefeuchteter Schwamm wurde jedesmal nach vollbrachtem
Actus mit grosser Behendigkeit xiu* Aufsaugung der ttbei'flüssigen
Materie introducirt, wodurch allzu grosser Schlüpfrigkeit bei nach-
folgenden Eiufülmingen kunstvoll vorgebeugft wird." Allerdinga
hatte es der berichterstÄttende Experimentator wohl lediglich mit
Subjecten zu thun, die gewerbsmässig zum Stande der \'^enus vulgi-
vaga gehörten.
Aber wenn dieses auch nicht der Fall gewesen sein sollte, so
ist doch noch nicht ohne weiteres anzmiehmen, dass so, wie sich
diese Weiber dem Fremdlinge gegenüber benommen haben, sie sich
nun auch im Verkehr mit ihren Stammesgenosnen verhalten würden.
Sehr lehrreich ist in dieser Beziehung eine Bemerkm)g, welche
Riedel^ über die Einwohnerinnen der Insel Buru macht: .Die
Frauen haben öfter intimen Umgang mit fremden Männern, jedoch
verhalten sie sich während der geschlechtlichen Vereinigung sehr
passiv und indifferent, aus Furcht, befruchtet zu werden.*
Dagegen bezeugt Apjyun, der lange unter ganz uncivilisirten
Indianern von Guiana gelebt hat imd selbst nach der Sitte des
Landes zeitweilig mit einer Eingeborenen verheirathet war, dass .alle
Indianerinnen geringere Neigung zu physischer Liebe haben''.
Auch unter civilisirten Nationen scheint die Frau beim sexuellen
Acte nicht überall sinnlich aufgeregt zu sein. Temperament und
Reizbarkeit sind jedenfalls in differenter Weise auftretende Hns.ven-
merkmale. Wie aber über Alles, so gebietet doch sc' i Sitte
und Brauch auch über die Art der Ausübung von !• i m, bei
denen die Frau meist ein mehr oder weniger passives Verhalten zeigt.
Man darf aber dabei nicht vergessen, da.S8 gar nicht selten diese
scheinbare Passivitüt ihren Grund in sexueller Schwäche des Mannes
hat, welche der Frau nicht die vollständige Vollendung des Actes
gestattet und die hinreichende Befriedigung gewährt.
Zwei bei tietstehendeu Völkern als allgemeiner Volksbrauch
uultretende Momente ßind es, welche ganz besonders in Bezug auf
den Coitus und seine Ausübung die bedauemswerthe Geringschätzung
des Weibes bezeichnend Erstens der Coitus vor der weiblichen
Geschlechtsreife und zweitens die Ausübung desselben in Gegen-
wart anderer Individuen. Diese beiden Erscheinungen im Völker-
leben bekunden gewiss eine noch tiefere Stufe sittlicher Zustünde, als
die von vielen Ethnologen ah charakteristisch für die Erniedrigung
des weiblichen Geschlechts hervorgehobenen Bräuche des Braut-
kaufs und des Brautraubes.
Bei nicht wenigen Völkern kommt es vor, dass, wie wir ira Artikel
über das Heirathsalter zeigen werden, geschlechtlicher Umgang
schon mit Mädchen vor der Geschlechtsreife getrieben wird. So bei
den Australiern, wo nach Angabe von Miklucko-Maday ein zehn-
bis elljähriges Mädchen nicht nur die Frau eines SO jährigen Mannes,
sondern auch die Maitresse eines Buggi-Matrosen ist, und wo der-
gleichen Verkehr oft stattfinden soll. Auch bei den Wolo ff- Ne-
gern am Senegal wird der Coitus gar nicht selten mit jungen
Mädchen vor dem Eintritt der Men.struation vollzogen, wie wir
auch in einigen Theilen Indiens und bei manchen Indianer-
stämme u die gleiche Unsitte antreffen.
Bei den Malajen der Philippinen wird der Coitus nach
Caüamaque augeblich ganz imgenirt. auf offener Strasse vollzogen;
derselbe Autor beschuldigt selbst Kinder der Unzucht. (Blumcntritt.)
Auch in Tahiti wurde die Begattung, wie Cooles Reisebegleiter
sahen, öffentlich vor Aller Augen ausgeführt, unter gutem Rath der
Umstehenden, namentlich der Weiber, worunter die Vornehmsten
sic-h befanden; doch wusste das betheiligte Mädchen (von 11 Jaliren)
schon allein guten Bescheid. Aehnliches erlebte la l'erouse auf
Samoa.
Dagegen diurften auf Neuseeland, wie Dieffenbach^ Foluk u. A,
berichten, die Mädchen allerdings ihre Gunst schenken, wem sie
wollten, allein sie entzogen sich doch dabei aus Schamhaftigkeit
den Blicken der Fremdeu, wenigstens dort, wo Europäer noch
nicht hingekommen waren. Und in diesem Punkte uiuss allerdings
der europäische Einfluss erst einen Zustand grosser Schamlosigkeit
herbeigeführt haben; denn auf Tahiti und anderen Inseln waren
früher die Weiber, insbesondere diejenigen der besseren Klassen,
wie Jüllis, Förster u. A. bezeugen, viel sittenstrenger. Die öffent-
liche Begattung, die lUderüchste Unzucht haben Bougamville's^
Marrhaml's, iJtwwnt d' Urvilles, Laplaces Schiffsleute in. den Häfen
einget^ihrt. ( Wait::-Gcrland.)
Die Frauen der G e b v u k a auf der Insel B u r u sind in Folge
der ihnen aufgebürdeten Arbeiten des Nachts gewöhnlich zu müde,
um den Coitu.s ,$icut oportet et commode* ^u vollziehen. Derselbe
«bker hä T«frr sarin- Di— u ■iiiifilikiL Bö 4»
Md Aabp« vmi 4v üliase-lHiii M 4h
■■ WaUe «M. Li 4^ SersBf Im«^
ibI Oer«Bff'AKiapd toülniifct te> jaBi^GflU» xm- ^a
^ P*leada der Fim mit «iner S^be aw OpräB. Mm
MB «Ü Inqper Zok ia 4a Bette «iMr Bi
{BieitL^ ^^
lieh nr Enregoag wcAbdwr WoOnik CAUjmiu BmMttpl kaS^
Att load Ponspe (wmO. CaroltBea) gut es ab brnnte« weib-
liche SdiSiihcit, dMB die kknwaSehanfippeaidirTerfuigexi «erden;
■nd die Verttagenm^ dewelben, wie £e der Cüton, wurde adM»,
vie wir aabra« bei den kkneo Mideben iihwtHiffi cneogt. Der
Xana «Tr*:^^ die WoQtuI bcioi Wetbe, indem er mü den TShamt
die Tcrlii^i^erteB Schamlippen fiarf, am sie lii^er zn zerreiv, nnd
etakpe Mänser gehen« wie Kitb«nf rernchert. so w«n. der Pirna
CW BMek Fiacfa in die Valra za afaefceB, am daanlbe nach and
mch hemancalecken. Solche widertidie and ahacheoEefae Expeci-
mtBi» werden mit der Hanptfran, mit welcher der Mann ein Kind
M erxeagw wQnscht, so weit getrie(>en, bis dieselbe so nxiniren an-
ftngt, and bienraf erst wird zum Coitoa geschritten. (FimsdL^
Aut den Inseln des AarU'Arcfaipds findet die BescfaneidnBg
der K-nnlKiti in der Weise iitatt, das« Omen das obere Sttkk der Vor-
hati' '<mmi wird. I>ie«e ganze Operation wird in der ansge-
sprn. Absicht aasgefOhrt. der Frao da« Wollos^ef^UJ bei der
AiuQbmig des Beischlafs zu erhoben. Auch die Se rang- Insulaner
lassen sich b fihnlicher Weise beschneiden, wenn die Scbamhsai«
herrorzusproÄse« bi-ginnen, and zwar auf Andringen der ron ihnen
erwfihlk^fti Miidch^-n, .ut angeant roluptat^m in coitn*. (liirdrlj)
In AhyNMinien haben ebenso wie an der Zanzibar- Küste
die ji'nf{t>n MS/lchcn Unterricht, in den Kumpfbew^ungen, welche sie
'/»ir KrhilJmng wollllstigen Reizes beim Coitus auszuführen haben;
die Unkcnntniss dieses Muskelspiels gilt uuter den Jungfrauen als
ftchaivle; hier heigst das rotircnde Hin- imd Herbewegen Duk-
I>uk. (Sfcrhr.)
Urii dem Weihe den Oenns« beim Coitus dtirch ein starkes
Reizmittel zu erhöhen, durchbohren sich ^-iele Dajaka die Glans
ponii» mit einer sUhenieti Nadel von oben nach unten; sie lassen
*' idel MO luiif^e «larin, bli die durcli ' ' Stelle als Kanal
ixt, tun dann In denselben vor >; is ein«>ti Apj>srat
rinzuhigen, welcher f«'xi .sit/en bleibt luid i-ini* stark«
iil.i'i- ilic fif -ililechtßlnst der : ., .;.
Vagiiui bewirkt, hierdnr«)'
in diesen Kanal uiii;^
sind
TeriüchitMien ;
kt, die ^
kleine
Auch
nnd
46. Der BeUchkt
N
mit Oetfnungeu an beiden Enden versehen sind ; in diese Oefiiauügeii
werden vor dem Coitus kleine Bündel von Borsten befestigt, so dass
der Apparat eine Art kleiner Bürsten darstellt, v. Miklucko-MacUiy '
sagt: ,Es ist wahrscheinlich, da diese Operation schmerzhaft, j(» ge-
fährlich ist, die Folgen derselben aber den Geschlechtsgenuss, be-
sonders der Frauen erhöhen, dass die Sitt«? sammt allen den Apparaten
von Frauen selbst oder nur für die Frauen erfunden ist. Jeden-
falls wird dieser Gebrauch durch die nicht nachlassenden Forderungen
der Frauen erhalten, indem die Männer ohne diese Accommodation
zum Festhalten der Reizapparate von den Frauen zurückgewiesen
werden; die Leute, die mehrere solcher Perforationen sich gefallen
lassen und mehrere der Instrumente führen können, werden von den
Frauen besonders gesxicht und geschätzt* Der Apparat heisst Am-
pallang: die Frau aber giebt dem Manne ihren Wunsch, dass er
»ich einen solchen anschafie, auf symbolische Webe zu erkennen:
er^ findet in seiner Reisschüssel ein zusanmiengerolltes Sirieblatt mit
einer hineingesteckten Cigarette, deren Länge das Maass des ge-
urOnschten Ampallang dai^edlt.
Auch axif Nord-Celebes unter den Alfuren fand Riedel filin-
liche, doch noch complicirtere Apparate, die dort Karabiong oder
Kambi hiessen. Und wie man daselbst ausserdem zur Steigerung
des WoUustgefühls für die Frau um die Corona der Glans den
Augeolidrand eines Bockes mit den Wimperhaaren versehen wie
einen borstigen Kragen bindet, so uraw^ickelt man auf Java und bei
den Sundanesen vor dem Coitus den Penis mit Streifen von Ziegenfell,
doch so, dass die Glans frei bleibt. Dergleichen Sitten sind weit ver-
breitet. Denn in Hinterindien zu Pegu (Bengalen) fand schon
Linschotteil, dass Einige am vorderen Theile des Penis ScheUen von
der Grösse einer welschen Nuss tnigen; und in China umwickeln
Wollüstlinge die Corona glandis mit den abgerissenen Fiedern einer
Vogelfeder, die beim Coitus bürstetiartig sich aufstellen und eine Rei-
bung bewirken. Hayen entdeckte unter den Batta in Sumatra ein von
umherziehenduu Medicinmannern geübtes operatives Verfahren, wobei
imfcer die Haut des Penie>, die eingeschnitten wird< Steincheu (Persim-
braon genannt), mitunter sogar 10 Stück derselben, bijsweilen auch
dreikantige Stückchen von Gold oder Silber eingeschoben werden,
damit sie einheilen und den Reiz des Coitus für die Frau erhöhen.
Aehnlich wird, wie Meyer^ mittheilt, von den Malayen auf
Borneo der Penis perforirt und ein zusammengedrehter sehr feiner
Messingdraht eingeiügt, der an den Enden bürstenartig auseinander
gezogen ist. Dos durch das Bohrloch zu steckende Ende wird
wahnicheitilich vor der Einführung in dasselbe zusunmiengedrückt
mid er*t vor der Ausübung des Beischlafs wieder auseinander ge-
bogen.
Nach den Gesetzen Zoroaaters soll man nicht nur vor dem
CoituB gewisse Gebete aussprechen, sondern es müssen auch nach dem
Coitus beide Eheleute gemeinschaftlicli ausrufen: „0 Sajiondomaäf
I
de« Weibe« in
icb vertraue Dir diesen Samen an, erhalte mir denselben, denn er
ist ein Mensch!"
Ebenso müssen Mann xmd Frau im Seranglao- und Gorong-
Archipel vor dem Beischlaf ein Gebet sprechen.
Bei einzelnen Völkern, z.B. den Kal'fern, ist der Brauch des
Probe-Coitus vor der Verheirathung eingeführt, doch muss der
junge Mann sich dabei htiten, eine Schwängerung herbeizuführen,
da ihn dieselbe verpflichten wi\rde, das Mädchen als Weib zu be-
halten. Deshalb befriedigt er seine Geschlechtslust zwischen ihren
Schenkeln,
Als der Herausgeber rm Jahre 1804 einige Zeit unter den
Masuren in Ost-Preussen lebt«, wurde ihm mitgetheilt, dass bei
der Landbevölkerung das sogenannte Probejahr ganz gebräuchlich
wäre. Beabsichtigen ein Paar junge Leute sich zu heirathen. so
verkehren sie ein Jahr geschlechtlich mit einander. Tritt während
dieses Zeitraumes eine Schwängerung ein, dann wird die Ehe ge-
schlossen, bleibt die Befruchtmig aber aus, dann geht das Paar
wieder auseinander, da sie dann nicht für einander geschaffen sind.
Bei anderen Völkern hingegen ist die eheliche Beiwohnung in
der Brautjiacht durch die Sitte verpönt. Bei den Esthen darf in
der Hochzeitsnacht weder die fleischliche Vermischung noch auch
sonst etwas darauf Hinzielendes stattfinden. In einigen Gegenden
Esthlands hütet man sich sogar, dass der Mann selbst den Busen
seiner PVau berühre, weil sonst beim späteren Stillen Milchknoten,
Entzündung und A bscesse der Brustdrüse folgen würden. (KreheL)
Auf den Keei-lnseln in dem Band a- Archipel dürfen die Jnng-
vermählten erst nach Verlauf dreier Nächte den Beischlaf ausüben,
und um sie mit Sicherheit vor einer Uebertretung dieses Gebot«»
zu schützen, muss in den ersten drei Nächten ihrer Ehe eine alte
Frau oder ein junges Kind zwischen ihnen schlafen. Was ist der
Grund für eine so merkwürdige Sitt«, die wir bei zwei weit von
«inander wolmenden und nach Rasse und Lebensverhältnissen gänz-
lich verschiedenen Volksstämmen antreÖen? Sollte es nicht ein un-
bewusster Nachklang jener Gebräuche sein, welche wir oben kennen
lernten, dass nämlich die erste Nacht nicht Aem Gatten gehört,
sondern der Gottheit dargebracht werden muss?
Die ausgebreitetste Volkssitte aber verbietet die Ausübung des
Coitus Überhaupt bei allen Zustanden des Weibes, welche als regel-
mässige sexuell-physiologische Fvmctionen auftreten: bei der Men-
struation, während der Schwangerschaft und während des Säu-
gens. Die strenge Befolgung dieses Brauches, welchen bei den Natur-
völkern nur die Tradition, nicht (wie bei eiuigen halbcivilisirten
Nationen) die Religion oder das Gesetz vorschreiben, die grosse Aus-
breitung desselben in den verschiedenen Contiuenten und die lange
Zurückhaltung, welche bei dem oft melirere Jahre dauernden Süuj^hm
der Ehefrau der Mann beobachten muss, sind ohne Zweifel «fhr
bemerkerswerthe Züge im Völkerleben, die wohl als primitiv
46. Der Beischlaf.
313
diätetische Maa.ssregeln Hufgefasst werden müssen. Wir können die
Völker recht passend in zwei Gruppen scheiden: in solche, welchen
nur der Brauch, and in diejenigen, welchen religiöse Vorschriiten
die £nthsilt.sanikeit auferlegen.
Unter manchen Völkern herrscht der Glaube, dass der Coitus
»nnrein* mache. ,So oft ein Babylonier,' sagt Herodot, .seiner
Frau beigewolint hat, zlindet er VVeihraach an und setzt sich da-
neben, welches die Frau gleichfalls thut. Bei Tagesanbruch baden
sich dann beide, denn ungewaschen rührt bei ihnen keiner etwas
an. Beides findet man auch bei den Arabern." Hiermit kommt
eine hygieinische Volkssitte zum Vorschein, die zum Cult wird.
Da nun der alte Geschichtsschreiber Herodot, der im 5. Jahrh.
vor Chr. schrieb, hier schon die Araber und Babylonier, zwei
jmitische Völker, als solche erwähnt, bei welchen die Sitte ein
Bonderes Reinigungsverfahren nach jedem Coitus erforderte, so
scheint es, als ob die Religionsgesetzgeber unter ihnen den Brauch
als einen solchen betrachteten, der geboten und geheiligt werden
mQsse. Ebenso war der Coitus bei den M e d e r n , B a k t r e r n und
Persern sowohl in der Menstruation«-, wie in der Säugungs-Periode
durch religiöse und gesetzliche Vorschriften streng untersagt;
200 Ruthenstreiche oder die Zahlung von 200 Decems waren die
Strafe dessen, welcher gegen das Verbot sündigte.
Schon unter den alten Juden der Bibel verunreinigte jeder Act
ehelicher Beiwohnung beide Theile bis an den Abend (8. Moses 15, 18);
beide Theile, der Mann und die Frau, mussten sich hinterher baden.
Sobald aber bei den Juden der Coitus während der Menstruation
vollzogen wurde, so hatten (3. Moses 20, 18) beide Theile das Leben
verwirkt.
Mohammed verbot im Koran den Ehemännern, ihren Frauen
während der Menses beizuwohnen, sie sogar zu berühren an den
Theilen unter den Kleidern vom Gürtel bis zu den Knien; nur die
Theile, welche höher liegen, sind zu berühren gestattet. Dieses Verbot
währte bis zum Aufhören der Regel, denn Gott hat befohlen:
, Bleibt fem von Euren Frauen, bis sie sich mit Wasser gereinigt
haben.' {Bertherand.) Nach den religiösen Geboten der Mohamme-
daner (Si khelil) ist der Ehemann nur dann verhindert, seiner
Frau beizuwohnen, wenn sie krank, menstruirt oder im Wochenbett
ist; heirathet er eine Jimgfrau, so soll er ihr sieben aufeinander
folgende Nächte sich widmen ; nimmt er eine neue, nicht mehr jung-
fräuliche Gattin, so ist er ihr nur drei aufeinander folgende Nächte
schuldig. Der Gatte kann mit einer seiner Frauen in der Reihe
seiner Besuche häutiger zusammenkommen, sobald die andere Frau
zustimmt, dass sie übergangen wird, sei es freiwillig oder nicht;
fttif der anderen Seite kann eine Frau ihrer Gefährtin ihre eigene
Reih« der Gatten-Besuche abtreten.
Wenn nun andererseits die Mohammedaner nach dem Koran
verbunden sind, der Frau regelmässig wöchentlich einmal beizu-
JerEmtnlt des Weibes in
wohueu, dasselbe Gesetz aber auch es den Eheleuten verbietet,
während der ganzen Zeit der Schwangerschaft luid des Nährens,
wahrend des Monatsflusses, sowie acht Tage vor und nach dieser
Zeit, endlich während der dreissigtagigen Fasten im Monat Kamasan
einander beizuwohnen, so mochten, wie Oppenheim hervorhebt, dem
streng an das Gebot sich haltenden Muselmann selbst bei seinen
vier Weibern die uns nach Luther's Ausspruch erlaubten honderfc-
undvier Umarmungen im Jahr nicht eiimial zu Gtite kommen.
Aber Überhaupt fkst alle Völker enthalten sich der Frau wahrend
der Menstruation, die, wie wir ja bereits oben gesehen haben, die
Frau in hohem Grade unrein macht.
In Abysainien darf Sonnabends kein ehelicher Coitus statt-
finden.
Zoroasfer .schrieb vor, dass ein Gatte seiner Frau einmal binnen
neun Tagen beiwohne; Sohn setzte das Minimum auf «Ireimal des
Monats fest; Mohammed erklärte es für einen Ehescheidungs-
grund, wenn der Mann nicht wenigstens das eine Mal in der
Woche seine Pflicht erfüllte.
Bei den Drusen ist es dem Ehemann nicht gestattet, mehr
als einmal in jedem Monat seiner Frau nach ihrer Reinigung bei-
zuwohnen; und wenn der Monat vorübergegangen ifit, ohne dass
sie die Menstruation gehabt hat, so nähert er sich ihr nicht; denn
er darf den Bei.schlaf während der Schwangerschaft nicht vollziehen;
ebenso wenig darf er sie während der zwei Jahre berühren, wo sie
stillt. {Pctermatin.)
Das Enthalten des geschlechtlichen Umganges ist bei den Wa-
kamba und Wakikuyu in Ostafrika geboten: so lange das Vieh
sich auf der Weide befindet, also tagsüber vom Austreiben am
Morgen bis zum Eintreiben am Abend. Femer gehen bei diesen
Völkern die Männer nicht zum Weibe, so lange .sie sich auf einer
Reise befinden, selbst nicht zu ihrem eigenen, wenn es sich in der
Carawane befinden sollte. Als Trauer beim Tode eines Verwandten
oder Häuptlings sind die Wanika gehalten, drei Tage lang nicht
zum Weibe zu gehen.
Dagegen ist der Beischlaf bei den Wakamba geboten, wenn
eine Wittwe heirathen will: dann muss ein fremder Manu — z. B.
M'swaheli oder M'kamba aus anderer Gegend — vorher mit ihr
einmal Umg^mg gehabt haben. Dieser Mann erhält zum Lohn
einen Oclisen.
Eine sonderbare Vorstellong von der sympathischen Wir-
kung des Zeugur)g.<age8chäftes auf Pflanzenwuchs findet sich b«t
manchen Natur so pflegt der Javane Nachts mit seiner
Frau in den 1. n der Vcniuf zu opfern, um seine Reis-
pflanziingen durch sein Beispie) zu vermehrter Fruchtbarkeit Mutu*
regen, {rar ■'"■ "-- -^ •>.,... .u.. »»,.... v;..v,'ohner der Mohikken
in üjreu H iit, (mn IlocuvtU.)
47. Die SteHnDg hei dem Coitos.
31 r,
Wir mtlsseti hier einer eigentliflmlichen Sitte Ewähnung thun,
welche, wenn auch nicht ein Coitus in dfin gewöhnlichen Sinne,
doch etwas in das Gebiet der innigen Verbindung der beiden Ge-
st-hlecht<ir Gehöriges ist. Es wurde oben bereits erwähnt, dass sich
die herangewachsenen Knaben der Serang- Insulaner auf das An-
dringen ihrer Freundinnen nach nialayischer Art beschneiden lassen.
Direct nach dieser Operation eilt der Jüngling zu seinem Mäd-
chen: penis vTikieratus ut sanetnr in ejus vulvani immittitur, und
▼erbleibt zwei Tage in dieser Position. Quando penis, qiiia prae-
putiuni nimis praecisum, non facile in puellae vaginam immitti poiest,
amicain, quae jam peperit, illa rogat, ut locutn suum suppleat, donec
desinierit sanguis effluvium. Dieser Dienst darf" von der Frau nicht
verweigert werden. {Riedel })
47. Die Stellung bei dem Coitas.
Es mag wohl sonderl)ar erscheinen, wenn wir der Lage und
Stellung, in welcher der Beischlaf ausgeübt wird, eine
besondere Betrachtung widmen.
Es ist keineswegs die Absicht, nach der Art des Pietro Are-
Uno alle solche Stellungen zu durchmustern, welche raffinirte Sinn-
lichkeit und WoUuat auszudenken vermochte, sondern nur diejenigen
Positionen verdienen unser Interesse, welche von bestimmten Völkern
gewohnheitsgemäss und der Regel nach ausgeführt werden, aber
von der uns als gewöhnlich geltenden Art. abweichen. Nicht das
erotische, .«sondern das ethnographisch -anthropologische Interesse
ist es also, welches uns diese Angelegenheit hier zu erörtern ver-
isst. Denn wir müssen der Sache schon deshalb unsere Aui-
rksamkeit zuwenden, weil in Folge der wahrgenommeneu Ditte-
renzen die Frage aufgeworfen werden muss, wenn sie auch heute
noch nicht detiiiitiv- beantwortet werden kann, welche Ursachen und
Be<lingungen denn hier eigentlich im Spiele sind, ob etwa nur
die Nachahmung des Gebahrens gewi.sser Thiere, oder ob besondere
Abweichungen von der Köq)erbildung der übrigen Menschenrassen
als der Grund hierfür angesehen werden müssen.
Dans der Mensch, wie zu allen physiologischen Functionen, so
auch zu den sexuellen, eine solche Stellung und Lage wählt, in
welcher ihm das Geschäft am leichtesten und bequemsten, hier auch
am genussreicLsten vor sich zu gehen scheint, ist leicht begreiflich.
Doch auch hier wird der Mensch bestimmt nicht lediglich von den
aus der Erfahrung gewonnenen Gewohnheiten, sondern in bevor-
zugtem Grade von Vorstellungen beherrscht, welche sich in undenk-
lichen Vorzeiten vielleicht zutiiichst Einzelnen im Volke aufdräng-
ten und die den anderen Stammes- und Volksgenossen als nach-
316
XI. Der Eintritt dw Weibes m das GescWechtsleben.
ahmungswerth erschienen, hiermit aber zur nationalen und traditio-
nell fortgettihrten Sitte wurden.
Solche Betrachtungen drängen sich uns auch bezüglich de«
Coitus auf; wir können vorläufig nur sagen, Aaas der Mensch wohl
zumeist die gegenseitige Lage wählen wird, in der die Fruu, wie
es gewöhnlich bei uns und gewiss auch bei den meisten anderen Vül-
kem geschieht, in Rückenlage mit erhobenen Schenkeln verharrt, wäh-
rend der jMann zwischen den Schenkeln kniet und sich mit Haad
und Ellenbogen während der Umarmung stdtzt. Neben dieser viel-
leicht als Normalstellung zu bezeichnenden Form des geschlecht-
lichen Verkehrs sind gleichsam ausnahmsweise bei den Völkern
einzelne smdere Stellungen gebräuchlich.
Bei den Bafiote-Negern an der Loango-Küste wird die
BeiwohnuQg liegend von der Seite ausgeftihrt. Besondere Gründe
hieri'iir konnte Fcdinel-Loesche nicht in. Erfahrung bringen ; es Hesse
sich vielleicht, wie er sagt, die Grösse des Penis als Ursache hier-
für anltiliren. Jedoch haben, wie wir sehen werden, auch andere
Völker einen ähnlichen Gebrauch, obgleich ihr Penis die gewöhn-
lichen Dimensionen nicht Obersclireitet.
Unter den anatomischen Handzeichnungen des Leonardo da
Vinci hat sich ein sehr interessantes Blatt erhalten, welches die
Bogen. Vains ohventa als die dem Bau der menschlichen Geschlechts-
theile entsprechendste darstellt. Der alte Blmnenhach sagt darüber :
„Besonders lehrreich ist eine Zeichnung, wo ein männlicher und ein
weiblicher Körper zusammen in copula, den Vorderleib gegen ein-
ander gekehrt, und beide von hinten nach vom (in sagittaler Rich-
tung, wie wir heute sagen), näjnlich vom Rückgrat bis 7Ami Brust-
bein und der Synchoiidrose der Schambeine durchschnitten, nm die
Richtung der männlichen Rutlie zu der Axe der weiblichen Scheide
zu zeigen, und die natürlichen Bestimmungen zur Venus obversa
zu erweisen, dargestellt werden."
Allein es haben sich vielleicht ursprlmglich bei einzelnen Völ-
kern ganz andere bevorzugte Stellungen heimisch gemacht, witi wir
sogleich zeigen werden. Dass allerdings unsere Normal Stellung
schon in den ältesten Zeiten und bei den verschiedensten Völkern
die herrschende war, geht aus vielen Zeugnissen hervor. Bei.spiels-
weise befinden sich unter den Peruanischen Alterthümern,
welche das Leipziger Museiuu für Völkerkrmde besitzt, zwei ganz
gleiche Doppelvasen, die plastisch ein den Coitus ausübendes Paar
darstellen, wobei die Frau auf dem Rücken liegt, wäh-
rend der Mann sich mit ihr Brust an Brust befindet, so dass er^H
mit seinem Munde das Kiim der Frau berührt Auf dem Rücken ^|
der männlichen Figur befindet sich die Oeffnuug des Gefnases, aas
der man trinken kann.
Dagegen besitzt das Berliner Museum Itir Völkerkunde ebf
falls eine altperuanische Unie (aV/ar«rfo-Sarauilung) , auf
D»>ckel eine Fruu in der Knie-Ellenbogeulagi' gelagert iat i;;
47. Die SteUnng het dem Coitns.
317
nach eineiD karzbeinigen Manne umsieht, der hinter ihr stehend
nnd seine Hände auf ihre Hüften legend, soeben mit der Immissio
penis beschäftigt ist. Da wir hier aus dem gleiclien Lande xwei
verschiedene Darstelhingen kennen lernen, so können wir weder die
eine noch die andere als den Ausdruck der damals herrschenden
Sitte ansehen.
Es ist überhaupt nicht leicht zu sagen, welchen Grad von Be-
weiskraft man solchen bildlichen Darstellungen beizulegen berechtigt
ist. Das Museum fiir Volkerkimde in Berlin besitzt eine in Holz
geschnitzte Gruppe aus dem Ben ue -Gebiete in Westafrika,
wo das Paar in der gewöhnlichen Stellung, die Frau in vollstän-
diger Rückenlage, der Mann auf ihr liegend gebildet ist. Eine in
derselben Sammlung befindliche figurenreiche Gruppe in Messing
von der westafrikanischen Sclavenküste zeigt zweimal
die Frau in der Riickeulage mit gespreizten Beinen, hochgezogenen
Knien imd fast wagerecht gehaltenen Unterschenkeln, wälirend der
Mann in beiden Fällen in aufrechter Stellung, aber mit gebeugten
Knien seinen Unterkörper der Erde nähernd die Immissio penis
vollzieht. Auf den berühmten prähistorischen Felsenzeichnungen bei
Bohu-slaen in Schonen finden sich nach den von Bruuius
gegebenen Nachbildungen zwei Paare, welche die Gohabitirnng im
Stehen ausführen.
Der Coitus wird, wie ee scheint, bei der Mehrzahl der Natur-
völker in der Rückenlage der Frau vollzogen; wenigstens würde wohl,
wenn dies nicht der Fall wäre, häufiger von Reisenden und Beob-
achtern das Vorkommen einer anderen Stellung erwähnt werden.
Von den Feuerländern, welche 1881 in Europa preducirt wur-
den, wurde nach Angabe ihrer Führer der Coitus ,ab anteriore*
vollzogen (f. hischoff^) ■ hiermit ist freilich nicht ausgeschlossen,
dass nicht auch andere Stellungen ausnahmsweise gewählt werden,
Theils in der hier beschriebenen , natürlichen" Lage, theils
aber auch so, dass der Mann liegt, während die Frau oben ist und
gleichsam auf ihm hegt, wird bei den Szuaheli in Zanzihar
(Ostafrika) nach den mir von Kersten mündlich gemachten Mit-
theilungen der Coitus ausgeübt; dabei macht die Frau eine eigen-
thümliche mahlende Bewegimg mit dem Leibe, Digitischa genannt,
welche jedenfalls zur Erhöhung des Genusses für den Mann dienen
soll. Diese Bewegungen werden den Mädchen von alten Weibern
gelelirt, bei welchen sie vierzig Tage lang in die Schule gehen.
Es ist dort beleidigend, wenn man einer Frau sagt, dass sie nicht
Digiti»cha machen könne. Aehnliches findet in Niederländisch-
indien statt.
In Ostafrika scheinen noch andere Manieren beliebt zu sein.
In Abyssiuien wird der Coitus auf zweifache Art vollzogen:
zumei.*it in der halben Seitenlage, dann aber auch so, das.^ die Frau
sich iu der Rückeiil ' ludet, währt'iid der Mann die Beine der-
•elbeu über seine ^ i nimmt. ySt(>cker.)
Bei den Sudanesen wird der Coitus, wie mir Btehnt init-
theilte, in ganz eigeuthiimlicher Weise vollzogen, denn er findet
nicht bloss im Liegen, sondern auch im Stehen statt, indem dabei
das Weib sich nach vom beugt, die Hände auf die Knie stemmt,
den Hinteni nach liinten hinausstreckt, während der Mann den
Coitus von hinten ausübt.
In Italien mag früher Aehnliches vorgekommen sein. Freshun^
welcher die Wandgemälde l'ompeji's genau studirte, viele der-
selben copiren liess und publicirte, hat die Beobachtung gemacht,
daas auf diesen Bildern stets dort, wo zwischen einem Paare der
Coitus zur Darstellung kommt, das Paar die Stellung wie bei sol-
chen Tloieren einnimmt, bei denen das Weibchen nach vorn vor-
gebeugt ist und das Männchen demselben von hinten beikommt.
Freshun sprach gegen mich die Vermuthung aus, dass diese Stel-
lung vielleicht zu jener Zeit im südlichen Italien sehr häufig war.
Wir dürfen aber nicht ausser Acht lassen, dass raffinirte Wol-
lust im damaligen römischen Reiche sehr verbreitet war, und der
Herausgeber konnte sich an Ort und Stelle überzeugen, dass die
Wandgemälde Pompeji *s auch noch andere höchst unnatürliche
Positionen für die Ausübung des Coitus zur Darstellung bringen.
Doch auch hoch im Norden giebt es ein V^olk, bei dem der
Manu sich der Frau gleichfalls von hinten nähert. Nach Hcssela
vollzieht der Inuit (Eskimo) des Smith-Sunds mit besonderer
Vorhebe den Beischlaf nach .Art der Vierfüsser; nach mUndlicher
Mittheilung eines Fremides eriulir Bessels, dass dies auch bei den
Koüjagen der Fall ist.
Ein anderer Gebrauch besteht in der Seiten läge: Von den
Kamtschadalen sagt Steiler: ,Bei ihnen heisst es, wer den Con-
cubitus verrichtet dergestalt, dass er oben aufliegt, begehe eine
grosse Sünde. Ein rechtgläubiger Itälmene muss ea von der Seite
verrichten, aus Ursache, weil es die Fische auch so machen, von
denen sie ihre meiste Nahrung haben.* Hier wird also doch ein
Gnmd angefülirt: es ist die Nachahmung der Thiere, welche als
Modell oder Vorbild dienen. — Auch die Tschuktschen und die
Namollos haben den gleichen Gebraoch.
Sehr wechsehid sind die Gewohnheiten in dieser Bezielumg bei
den Einwohnern der verschiedenen Inseln des alfurischen Archipel«.
Die Buru-Inüulauer führen den Coitus imter Bäumen aus, wobei
die Frau dit* Rückenlage einnipimt. Axich die Bewohner von Se-
ra ng cohabitiren im Walde, jedoch wird die Angelegenhesit im
Stehen abgemacht. Auf den Keei- Inseln wird im Sitzen cohabi-
tirt, {RiedeU) Auch auf den Aaru- Inseln wird von einigen Stäm-
men der Coitus in hockender Stellung vollzogen, wie bei den Ma-
rege in Nord-Queensland oder bei den Orang-Utang und
anderen Afl'euarten. {liicdel,'^)
Der Beischlaf wird nacli dem Bericht des Missionär Ketnpe
bei den centralaustralischen Schwarzen am Fiuke-Creek lie-
47. Die Stellung- bei dem Cottas.
810
gend vollzogea ; diese Beobachtung bezieht sich auf die Umgebung
der Missionsstation Hermannsborg nahe der Mac-Donnell-
Kette.
Bei den Australierinnen am Vincent-Golf (bei Adelaide)
sollen nach Kühler die Schamtheile etwas mehr als bei anderen
Völkern zuröckstehen, daher die Männer, »was übrigens bei den
meisten Australiern Sitte ist", die Begattung von hinten voll-
ziehen. Dagegen sind in einigen Gegenden Australiens unter
den Stämmen besondere Stellungen beliebt. Eine Coitus-Stellung,
welche sich gänzlich vou der anderer Völker unterscheidet, ist in
Westaustralien gebräuchlich; Fletcher Moore, berichtet, dass
sie dort mit dem Worte Mu-yang bezeichnet wird. Die Weise
ihrer Begattung ist sitzend, Gesicht gegen Gesicht. Auch ver-
sichert« mir Oberländer, der sich in Australien längere Zeit auf-
hielt, dass sich dort die Paare im Sitzen auf der Erde hockend
Brust an Brust bei eigenthümlicher Verschränkuug der Beine um-
fassen. Obgleich ich mit ihm die Situation ausführlich besprach,
so blieb es doch räthselhaft, wie sie praktisch ausführbar sei, bis
hierüber t\ Miklucho-Maclay^ genauere Erkundigungen eingezogen
hat. Die Eingeborenen entblöden sich nicht, die Begattung vor
Zuschauern am hellen Tage vorzunehmen, wenn mau ihnen ein
Glas Gin verspricht. Dabei nehmen sie die hockende Stellung
ein in einer von MikluctM-JUaday* bildlich dargestellten Weise.
Die Frau befindet sich zunächst in Rückenlage, der Mann hockt
zwischen ihren Schenkeln nieder und zieht die noch immer liegende
Fniu an sich, bis die Geschlechtstlieile aneinander treffen. Zuweilen
wird der Coitus in dieser Stellmig, der Mann hockend, die Frau
liegend, zum Abschluss gebracht; in den meisten Fällen aber
ist dieselbe nur die Präliminar -Stellung für ein weiteres Ver-
fahren^ indem der im Niederhocken verharrende Mann, den Ober-
körper der Frau vom Boden erhebend und an den sein^en heran-
ziehend, Brust au Brust in engster Umschlingung den Begattimgs-
act vollzieht.
Ein zuverlässiger junger Mann, Morton, berichtete als Augen-
zeuge Weiteres : Eines Abends, als er sich in der Nähe eines Camps
von Eingeborenen befand, fiel es ihm ein, einen Eingeborenen, der
xin\ ein Gläschen Gin bettelte, aufzufordern, vor ihm den Coitus
auszuüben. Der Eingeborene entfernte sich willig, um ein Weib
zu rufen, welches auch bald darauf erschien. Ohne irgend weicht?
Zeichen von Verlegenheit zu äussern, nur mit dem Gedanken, sein
Gläschen Gin rasch zu verdienen, machte sich der Mann an diib
Weib, wobei das Paar tlie vorstehend erwähnte Positur auiuiliui,
Die Operation in dieser Stellung ging nach der Meinung «les Mann«-*
[iiicht rasch genug von Statten, weshalb er mit der liemerkuni/.
,ßo dauert es zu lange, werde es auf die englische Manier ( «n>.
[fushion) versuchen,* da" Weib axif den Rücken sidi zu lug«» n"
ligte uud >el)H'r, auch liegend, den Coitus zu Ende bracni»* Ut
in das Gesohlechtste
Folge von Erzälilung von anderen erfahrenen Weissen war die Auf-
merksamkeit Mortons nach dem Coitus auf das Weib gerichtet.
Er bemerkte daher Folgendes: Nachdem der Mann aufgestanden
war und nach dem Gläschen Gin langte, richtete sich auch die
Frau auf, stellte die Beine auseinander und mit einer schlängelnden
Bewegung des ISlittelkörpers warf sie mit einem krüftigen Ruck
nach vorne ein Convolut von weisslichem Schleim (Sperma?) auf
den Boden, wonach sie sich entfernte. Uiese Art, sich des Sperma
zu entledigen, welche sogar eine bestimmte Benennung im Dialect
der Eingeborenen aufweisen soll, wird, nach den Aussagen der
weissen Ansiedler Nordaustraliens, von den eingeborenen
Weibern nach dem Coitus gewöhnlich ausgeübt, mit der Absicht,
keine weiteren Folgen des Zusammenseins mit einem weissen Manne
durchzumachen. Wir müssen freilich die Vermuthung aussprechen,
dass solche Schau.stellungen die Bevölkerung noch mehr zu cor-
rumpiren im Stande sind, als sie es schon in der Berührung mit
dem Auswurf der weissen Kasse geworden ist.
i
48. Mastarbation und Tribadie und die Unzucht mit Ttiieren.
Man hat oft die Meinung ausgesprochen, dass die Ueberfeinerung
der Cultur erst jene Sitten erzeugt habe, die sich als Befriedigung
des Sinnenreizes durch aussergeschlechtliche Reizmittel darstellen.
Sie sind jedoch nicht erst mit Ausartung der Civilisation in die
Welt gekommen. Vielmehr fiel auch manches Volk, das in schein-
bar idyllischem, offenbar aber sehr rohem Naturzustande lebte, einem
höchst unzüchtigen Gebahren anheiui. Wir fanden schon oben Ge-
legenheit, auf einige künstliche Ge.staltveränderungen der weiblichen
Geschlechtstheile hinzuweisen, die offenbar mit der schon bei jungen
Mädchen erregten Sinnenlust zusammenhangen. Die Kinder der
Wilden denken sich dabei gewiss nichts Schlimmes. Letonnieuu
sagt mit Recht: ,Les ecarts genesiques sont anormaui, mais, ä vrai
dire, ne sont pas contre nature. puisqu'on les observe chez uombre
d'animaux. *•
In der That müssen wir in der Masturbation und den «Imlichen
geschlechtlichen Reizungen einen allgemein thierischen Trieb ent-
decken, und es braucht hierbei nur an das Gebahren der Htmde,
an das gegenseitige Bespringen der Kühe und an das Onaniren
der AH'en erinnert zu werden. Auch bei zwei Hyänen hatte der
Herausgeber Gelegenheit, ein gegenseitiges offenbar beide Tbeile sehr
befriedigendes Lecken an den Genitalien zu l»eobacht«i.
Man darf wohl annch: in der Jugeml
Masturbation Einiges zur *
beitragen luag: doch kann T
C. .<,-].
•1)0
\v
nie
an«
Fulgen flir die Gesundheit, vielleicht auch flir die Zeugiuigsfähigkeit
sein, gewiss aber auch ein früheres Verblühen herbeiführen. Ein
Arzt, der längere Zeit im Orient prakticirte, sagt, dass die Mastur-
bation eine „condition extremement commune chez les jeimes filles
en Orient" ist; er setzt hinzu: ,Pour se rendre compte de sa fre-
qiience en general chez les jeunes fillea en Orient, ou n'a qu'en
penser au defaut d'exercice, ä la vie sedentaire, ä loisivete, ä Vennni
et surtout ä la confiance et ä la credulite des meres, qui negligent
tonte espece de surveillance ä l'egard de tout ce qui se passe chez
leur fille ä ses heures de solitude." (Eram.)
Bei den Khoikhoin (Nama-Hottentotten) ist unter dem
jüngeren weiblichen Geschlechte Masturbation so häufig, dass man
sie als Landessitte betrachten könnte. Es wird daher auch kein
besonderes Qeheimniss daraus gemacht, sondern in den Erzählungen
und Sagen sprechen die Leute davon wie von der gewöhnlichsten
Sache. (Fritsch*)
Die Uusittlichkeit war anter den Weibern der Viscayer auf
den Philippinen schon zur Zeit der Ankunft der Spanier daseibat
grenzenlos; sie hatten sogar die Erfindung eines künstlichen Penis
gemacht, um die unstillbaren Gelüste befriedigen zu können, und
ähnliche Mittel zur Sättigung unnatürlicher Wollust besassen sie
noch mehr. (Blumentriff.)
Die Manipulationen zur künstlichen Vergrössenuig der Clitoris
und der Nymphen werden, wie es scheint, bald absichtslos imindestens
nicht im bewussten Handeln), bald in mannigfacher Absicht vor-
genommen. Einestheüs ist wohl die auch bei vielen rohen Völkern
unter der weiblichen .lugend herrschende Masturbation, das
reizende Kitzeln, das wollusterregende Zupfen und Zerren an den
erregbaren Geschlechtstheilen, die Ursache der allmählich eintreten-
den Qestaltverändermig ; andererseits aber liegt vielleicht die mehr
oder weniger bewusste Absicht zu Grunde, nicht nur den eigenen
Wollustreiz zu erhöhen, sondern vielleicht aiich die Schamtheile
ziu- Ausübung der sogenannten Tribadie geschickter zu machen,
eiper Unsitte, welche von jeher im Orient ungemein verbreitet war.
Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass namentlich bei den Arabern
der schwungvoll unter ihnen betriebenen Tribadie, d, h. des wol-
lüstigen Verhaltens zwtier Frauenspersonen mit einander, eine künst-
liche Clitoris -Verlängerung vorausgip'g.
Allein diese Anomalie geschlechtlicher Vermischung (Amor
lesbicus — von der Insel Lesbos im Aegaeischen Meer mit
.der Hauptstadt Mytilene, deren Einwohner wegen ihrer Unsittlich-
keit berüchtigt waren) fand sich nicht bloss bei den Griechen tmter
der Bezeichnung: Xe^ßiäC^ty, sondern auch im alten Rom, wo
man die Frauenzimmer, welche- mittelst der abnorm grossen Clitoris
den Coitus miteinander ausübten, Tribaden oder Frictrices, Subi-
gatrices nannte. Wie fa.st alles derart aus Asien stammt, so be-
steht die betreifende Unsitte mehr oder weniger in mehreren Ländern
Platt, Diii Weib I. i. Aull.
21
IB
des Orieutä uoch heute, wo sie vielleicht durch da» Haremslebcn
aufrecht erhalten wird; sie soll nach Patent - Duchatelet jetzt noch
bei modernen Völkern vorkummeo- Dieses Unzuchts- Vergehen be-
zeichnet man auch aU Sodomia sexus miiUerum.
Wenn, wie wir zeigten, auch natörliche Vergröaserungen an
den Schamtheilen in der That bei Orientalinnen gar nicht selten
sind, so wird sich hieraus schon die Möglichkeit erklären lassen,
dass dort überhaupt ohne weitere künstliche Hüllsmittel unter
Frauen bisweilen ein geschlechtlicher Verkehr stattfinden kann.
Wenn aber ein Fall erzählt wird, dass aus solchem intimen Verkehr
auch die Befruchtung der einen Frau hervorging, so müsseu wir
den Beweis der Thatsache dem Berichterstatter (Dtthoussef) über-
lassen. Es sollen in Aegypten zwei Freundinnen dergleichen Un-
zucht miteinander getrieben und auch dann noch fortgesetzt haben,
als sich die eine derselben verheirathete; darauf sei es denn ge-
schehen, dass die nicht verheirathete Freundin schwanger wurde
und zwar, wie die Erklärung lautet, dadurch, dass die andere
noch Samen des vorher mit ihr cohabitirenden Mannes in der Scheide
barg und von diesem ihrer Genossin bei' der Umarmung abgab.
Dieser Fall wurde der Pariser anthropologischen Gesellschaft im
Jahre 1877 mitgetheilt.
Eine grausame Bestrafung solcher Tribadie berichtete Jan Moe-
quet in seinem Itinerarium:
Als ein gewisser König von Siani in ErfabruDg kommen, dasa seine
Beyschl&fferinnen und Nebenfrauen, derer eine grosse Anzubl, unter sich zu-
weilen dnrcb Nachahmung der männlichen Natnr. in (reilheit sich belustigten,
eo die Schönsten von dem Lande, die er nur bekommen kunte, hat er sie
IHr sich bescheiden, einer jeden zum Zeichen ihrer ünkeuschheit, ein natür-
liches Glied auf die Stirn und beide Backen brennen, und also lebt^ndig ins
Feuer werfen lassen.
Dass auch bei den deutschen Frauen des Mittelalters umuche
grobe Unsitte geherrscht haben muss, das ersehen wir aus dem
vom Bischof Jiurchard von Worms im 12. Jahrhundert verfassten
Verzeichnisse der Kirchenstrafen. Es heisst darin:
„Fecisti iiuod quaedam mulieres facere solent, at faceres quoddam
molimen aut machiuamentum in modum virilis meuibri, ad mensurara tuae
voluntatis, et illud loco verendorum tuorum, aut alterius, com aliquibuc
ligntoriü colligareN, et fomicationem facere^ cum aliid muliercolif, rel aliae
eoüem ini^trumeato sive alio tecum? Si fecisti, quinque annos per legitimas
feriaa poenit^as. Fecisti quod quaedam mulieres facere solent, utjam aupra-
dicto molimrne» vel alio aliquo machinamento, tu ipsa in t« solam facores
fomicationem ? Si fecisti , unum annum per legitimas ferms poeni*
teas." {Dulaure.)
Ein widernatürlicher Verkehr zwischen Weibern unrl n
ist ebeni'ftlk nicht erst eine Erfindung der Xeuzeit,
sagt darüber:
«Auch d<»r Frau wird die Schmach d«" it-.«...i;<a»
«Un ältesten Zeiten »cboa ert^lt \m* }' Ijl
GejicMochtlicher Verlcehr mit Oöttern, Geirtern, Teufeln u. DSinonen. 523
anxücbtigfon Launen des heiligen Bockca in Mendes hingaben. Heute, nach
einer langen Reihf» von Jahrhunderten, ist der Hund derjenige, •welcher die
Stelle jenes Bockes einuimiut. Mehr als einmal beten reizende Damen« in
den höchsten Sphären der gebildeten Gesiellschaft Europas, ihren Schosshund
aas Gründen an, die sie keiner lebenden Seele gestehen würden. Seltener
irt der Hund kein Schossbiindchen, und dann ist die Verirrung nur noch
niedriger und verwerflicher und statt eines thieri.'ichen Tribadinmus haben
wir ein Beispiel von thierigchem Coitus, von einem Hchmachvollen. ruchlosen
Zusammenleben des scbOnaten der Gesuhfipfe mit dem hSiji^lichsten, übel-
riechendsten aller Hausthiere."
Bei diesen widrigen Dingen spielt auch der Affe eine grosse
Rolle. In den Districten, wo der Gorilla und der Orang-Utang lebt,
werden zahlreiche Geschichten erzählt von Mädchenraub, den diese
grossen Bestien ausgeführt, und wie .sie mit diesen Geraubten ge-
schlechtlichen Verkehr gepflogen hätten. Solch ein Umgang mit den
Thiereu war aber docli immer nur ein erzwungener. Aber auch
über freiwillige Geschlechtavermischung zwischen Affen und Frauen
besitzen vfir Berichte. So glauben die Indianer im Amazonen-
gtromgebiete, dass die unter den Ugiua.s vorkonuuenden geschwänzten
Menschen einer .solchen Ebe zwi.schen einem Indianerweibe und
einem Coati-Affen entsprossen seien. {Bnrfcls.-)
Ein solches Zusammenleben mit dem Coati findet nach Francis
de Castdnau in jenen Gegenden auch jetzt noch statt. Er erzälilt:
,En descendant la riviere des Amazones, je vis un jour pres de
Fonteboa un Coati noir d'une enorme dimension: il appartenait
ä mie femme indienne, ä latiuelle j'offris un prix tres-considerable
pour le pays, de ce curieux aniinal ; mais eile refusa tout en eclatant
de rire. Vos efforts sont inutiles, me dit un Indien qui etait daus
la cabane, c'est son man."
49. Geschlechtlicher Verkehr mit Oöttern, Geistern, Teufeln
und Dämonen.
Es hat einmal Jemand den Ausspruch gethan: Der Beischlaf
ist die Triebfeder, welche die Welt bewegt; und eine yvie ungeheure
Rolle wenigstens bei den Volksstämmen niederer Cultur die ge-
schlechtlichen Verhältnisse, und zwar nicht selten schon von den
Jahren der Kindheit an, zu spielen pflegen, das haben wir bereits
wiederholentlich zu sehen Gelegenheit geliabt. Kein Wunder ist es
daher, dass die Phantasie des V^olkes mit diesen Dingen erfl\llt ist
und dass sie die leichten Reizungszustände in dem Bereiche des
Genitaiapparates, welche namentlich zu der Zeit der Pubertät sich
mit einer gewissen llegelmässigkeit einzustellen pflegen und reflec-
tx>ri!irch auf das Centralnervensystem fortgepflanzt, die bekannten
TrfiumH erotischer Natur hervorrufen, Ursache und Wirkung mit
einander verwechselnd, ft\r wirklich geschehene Dinge annimmt.
21"
XI. Dff
Wir finden daher angemem weit den Qknb« Tertratoi, daas bSn]
Geister
Alt üe Macht bfwBwiwi, die jongen Madolmi
and FnoMm atmohl nk andi die Jfingfingc and Männer waS ihran
nifhtlifhen Lager m beBodtai, natfixuehar Weise stete in der rer-
fehiriJHchfn Gestalt des entgegengeaetxien Geschlechtes, um mit
änea den BeiscUaf xa roOsidien. Im Tnuime wurde dieses alles
Bit durchlebt und dentlich emp&mden, und das den Pollutionen,
wHche in diancn Trämnen zu Stande komnen, am anderen Tage
folgende Gefthl ron Zendtli^enbeit wiirde der iiwangcuden Kraft
des bSsen NacfatgeiBteB angeschrieben. IMeee imlGttdalter als Incu-
bas oder Succabas, als Ephialtes and Hyphialtes, als Nacht-
mact oder Alp. als Canchemares oder Aufbacker bezeiclmeten
Dimonen waren bereits viele Jahrhunderte tot anserer ^ettrechnung
den Caltarrölkem West«siens bekannt and worden dort ab Nacht-
mannchen reep. Nachtweibeben gefürchtet. In den Rainen von
Ninireh hat aidi bekanntlirh eine grosae Beihe Tcn Terracotta-
täfelchen mit Keilschrift bededct gefnndai, widdie ab ein Theil
der Bibtiothek des AsgurboMupaH, des Sardamtpml der Bibel, erkannt
vordai sind. Es sind zum Theil KioigiaicLe Gesinge, Beschwörong»-
fbmdn ond Gebete in der Sprache der alten Akkader mit darüber.
geoeitita assyrischer Ueberaetzong, ond es bcgea loiiflglidie Zei-
dien rat, dass die akkadische Spnche in damnliger Zeit anr noch
unToHkomf iiiisImiIiw wmde, ein aichefer Beweis für ihr hohes
Alter, unter den BwinliwfiniiigirfMJiein kommt auch £e Stelle vor:
Gegen 4it Dlaoaea, d«a Genm«. dea rabisa. de« ridana.
da« Ge^emt. dM ScbatteabäU. d« Vaaq»jr,
da« Nacktsianckea, da« NaektweibckeA. dem wuMiriwn Kobold,
aad aDe« ücIkI. da« des MeiHckni erfuat,
wraaiiUhet FeatltdikeHeB. opCart and kaMmt alle
rasa eaer Wdkaach B«ai ffiasMl uB|iiml*igB!
Ikan die Sobm da« Fkiadi «am Opfen Tenahrr!
SiMB £a « Soba. der Hdd. in im Zaaber
ca» LebcB rcriiagcra!
Das NachtminndMn und das Nachtweibchen heiasen akkadisch
liDal und Idd-lülal; das bedeotet ,der BciwingeBde^ oder .die
bexwingende Beisdüfifierin'. Dieser Name giebt Ae Art und Weis«
an, wie sie äch derer bemichtigen, denen sie ihre ümannnngcn
assjrischi
Beide
die lÄHtk, wdcbe in der Ittmooidogie
lUmnd etnca wichtigea Flata annimmt. Es war das
mit
Adam in ein liebest erbiltntss trat, bevor
Sne grosse BoOe - -u.ht. \i:rki^ zwijt-heii
WcSiefn und alkrha&i: u bekanntlich auch in
ier csropuiitcbeD Vi<ik«>r. £s sei hier inent
die <uscliii'd«swLn Kinder d«^ /^'— .-^ut-^-^i \T»..r auch
urhigisciien KSa^e, nad swar t
Oeschlecbtb'cber Verkehr mit Göttern, Geistern, Teofeln tu DRmonen. 325
»
|i^
stammen von einem Meermigeheuer ab, das aus dem Wasser auf-
tauchend sich zu der am Ufer schlafenden Mutter des letzteren
legte. In anderen Fällen nehmen die Geister die Gestalt des Ehe-
mannes an, so dass die Frau den Betrug erst gewahr wird, wenn
er bereits vollendet ist. So wTurde der grimme Hagen von einem
Alf erzeugt, so der König Otnit vom Zwergkonig Alberich, und
die Gemahlin des Königs Aldrian empfing von einem Elfen in der
Gestalt ihres Gatten ein Kind. {Schwarte.)
Auch in dem Babar- Archipel in Indonesien besitzen Ijöse
Geister die Macht, junge Frauen in der Gestalt von deren Gatten
zn schwängern.
Den (rlauben an den Beischlaf mit der Gottheit können wir
in allen den Fällen als bestehend annehmen, wo wir die Sitte
finden, dass das reif gewordene oder zur Ehe schreitende Mädchen
ihre .Jungfrauschaft im Tempel darzubringen gehalten ist. Denn
der diesen Dienst überwachende Priester ist wohl ohne Zweifel we-
nigstens in früherer Zeit für eine wahre Incamation des Gottes an-
gesehen wordt-n. Hier muss auch an die Angabe des Herodot
über den ,Thurm zn Babel* erinnert werd,en.
Dieses Heiligthum des „Zeus Belus" schildert er als aus acht auf-
einander gestellten Thüruun bestehend. ,In dem letzten Thunu iet ein
grosser Tempel; in diesem Tempel befindet sich eine grosse, wohlgebettete
Lagerst&tte und daneben steht ein goldener Tisch, ein Götterbild ist aber
dort nicht aufgerichtet, auch verweilt kein Menach darin des Nachts, ausser
ein Weib, eine von den Eingeborenen, welche der Gott sich aus allen er-
wilhlt hat, wie die Cbaldäer versichern, welche Priester dieses Gottes
sind. Ebendieselben behaupten auch, wovon sie jedoch mich nicht über-
7.eugt haben, dass der Gott selbst in den Tempel komme und auf dem Lager
ruhe, gerade wie in dem ägyptischen Theben auf dieselbe Weise, nach
-Angabe der Aegypter: denn auch dort schläft in dem Tempel ein Weib: diese
beiden pflegen, wie man sagt, mit keinem Manne Umgang; ebenso auch ver-
hält es sich in dem lykischen Patara mit der Friesterin des Gottea
CApoOo) zur Zeit der Onkelung, denn es findet diese nicht immer daselbst
Htatt; wenn sie aber stattfindet, so wird sie dann die Nächte hindurch
mit dem Gott in den Tempel eingeschlossen."
Auch der oben erwähnte heilige Bock zu Mendes wurde von
den sich ihm prostituirenden Weibern ganz sicherlich als eine
Personification des Sonnengottes selbst angesehen. Fabelhafte dä-
monische Thiere als Stammväter ganzer Clanschaften findet man
vielfach erwähnt, namentlich bei Indianern und Polynesiern»
aber auch in Indien und auf den Sunda-Inseln, selbst die da>
ui sehen Könige und die Gothen sollten von einem Bären ab-
stammen, wozu Mannhardt bemerkt, das« Bjoern ein Beiname
Thors gewesen sei.
Eme ganz besondere Bolle spielte im 15. und 16. Jahrhundert,
aber auch noch in viel späterer Zeit, der Glaube an die sog»,
ten Teufelsbuhl.'«chaflen, und Jmn lioditi, der ebenfalls ff-* '
selben gluubie, liat viele Beispiele zusammengebracht.
Des ia daa
die Weiber ihre wiederholte, oft Jahrzehnte lang fortgesetzte üu-
zucht mit dem Teufel bekannt und mit dem Feuertode gebüsst
haben. Für gewöhnlich geht dieser geschlechtliche Verkehr des
Nachts vor sich ; man hat aber auch Frauen , gefunden, welche bey
hellem Tage mit dem Teufel ungeheure Gemeinschaffl gepflegt haben,
imd auf dem Felde oift gantz nackend sind gesehen worden. Ja
bissweilen haben ihre Männer sie mit den Teufeln verkuppelt ge-
funden, und als sie vermeynet, es wäre sonsten leckerhaffte Ge-
sellen, mit Prügel auff sie zugeschlagen, aber, leyder! nichts ge-
troffen."
Die Meinungen der Gelelirten waren darül^er getheilt, ob solch
ein Beischlaf mit dem Teufel fruchtbar sein könne oder nicht. Es
fanden sich aber doch viele, die die Erzeugimg einer „Teufelsbrut*
für möglich hielten. Das sind die Wech.selbälge oder KUJtröpfe,
die sich durch Missgestalt und ungeheure Gefrassigkeit auszeichnen.
Die Weiber, welche mit den Teufeln Gemeinschaft hatten, gaben
übereinstimmend an, dass sie deren Samen ganz kalt gefunden
haben. Das ist ganz natürlich, da er nicht frisch ejacuLirt ist,
denn es ist gestohlener menschlicher Same; «die hyphi»lti.sche oder
succubische Geister fangen den Samen von den Menschen auff,
und behelffen sich desselbigen gegen den Weibern in Gestalt der
Autflmcker."
Nach einer Ajigabe iu des getreuen EcJcarths ungewissen-
hafften Apothecker glaubte mau im 17. Jahrhundert in Schwe-
den, dass die Hexen dem Teufel in Block ulle gestohlene Kinder
zuführen mu.ssten. Dort hatten sie mit ihm und die Kinder mit
anderen Teufeln geschlechtlichen Verkehr. Sie machen dabei eine
vollständige Trauungsceremonie durch, deren Formel lautet: »Ver-
flucht sey, der ülier sechs Jahr alt nicht zwei oder drei Männer
oder Weiber habe." Den sie heirathen, ist ein Bock oder eine Sau,
mit welcher sie zwei, \'ier bis sechzehn Kinder haben. Diese sind
halb so gross wie „Christen-Kinder imd haben Angesichter denen
Ratzen gleich, aber kein Haar und feuerrothe Angesichter. Ihre
Geburt haben sie denen Hexen gleich alle Monat, sechs Wochen
oder zwey Monat." Die Teufelskinder werden sofort nach der
Geburt zerhackt, in einem Kessel gekocht und eine Salbe darai
gemacht, ,so hernach ausgetheilet wird".
Von jeher hat der Wald als das bevorzugte Bereich der
keuschen Angriffe der Dämonen gegen die Weiber gegolten
die Ltlstemheit der Satyru der Fauni und der Sylvani ist ja
liekannt. Es schliessen sich hier die i)«,v/r der alten Gallier und
die Forst- und Waldteufel der Deutschen an. Auch heut4.* noch.
müssen die Einwohner mehrerer indonesischen Eilande (Ambon,
Uliase-Inselu, Serang), und zwar die Männer ebenso gut wie die
Frauen, bei ihren Wandenmg-en im Walde sehr v. ' * '
Denn bestiramte Dämonen beiderlei Gesclilechts haii
zwingen die Menschen, die in ihre Nähe kommen, zum
■
4
aer
und V
«11. ~
{etBrismax nad Prostitution.
327
Wem das gescliehen ist, der stirbt in wenigen Tagen, da der Dä-
mon seine Seele mitnimmt. Auf Eetar sind diese Walddänionen
nur den Weibern und Mädchen gefährlich, so dass tliese, wenn sie
im Walde Holz sammeln, stets von einer Anzahl von Mäimem zum
Schutze begleitet werden mUssen. Auf den Aaru- Inseln hat der
unzüchtige Waldgeist nur Macht über die menstruirenden Weiber,
die in dieser Zeit daher den Wald nicht betreten dürfen, Thun
sie es dennoch, dann beschlaft sie der Geist und sie bekommen
davon einen Stein in den Uterus, oder sie müssen bald sterben.
(Riedel^)
Aber nach dem Glauben unserer Vorväter konnte der ge-
schlechtliche Umgang mit einem Geiste ein ganz legitimer und
von Kirche und Gesetz gebilligter Verkehr sein, vorausgesetzt näm-
lich, dass der den nächtlichen Besuch abstattende Geist derjenige
des in weiter Feme weilenden Ehegatten sei. Man hielt es näm-
lich noch im 1 7. Jahrhundert für möglich, das« die Seele den
lebenden Körper verlassen, in der Welt umherfliegen und nach
einiger Zeit in den Körper zurückkehren könne. Im Jahre lß37
bestätigte das Parlament zu G renoble die eheliche Geburt eines
Knaben, der nach vierjähriger Abwesenheit seines Vaters geboren
war, da seine Mutter , zugestünde, dass obgleich ihr Gemahl aus
Teutschland unter 4 Jahren nicht kommen wäre, sie ihn auch
nicht gesehen noch fleischlich erkannt hätte, so wäre nichts desto
weniger gar zn gewiss, dass sie ihr im Traume die Gegenwart und
Umbfassung ihres Gemahls feste eingemeldet, und alle Empfindungen,
sowohl der Empfangniss, als Schwängerung so accurat getühlet
hätte, als sie sonsten bey wUrcklichea" Gegenwart ihres Herrn em-
pfinden können*. Eine solche Art der Schwängerung wurde als
^m Lucina sine concubitu bezeichnet.
^1 Es giebt Erscheinungen im Völkerleben, die häufig mit Un-
recht in Analogie mit anderen gebracht werden ; dahin gehören
Thatsachen, die sich auf den ausserehelichen sexuellen Umgang be-
ziehen und welche bei genauer ßetrachtimg sich als sehr differeiit
darstellen. Als , Hetärismus " bezeichnet Zh/z/voc/c einen Zustand, der
ursiirUnglich, wie er meint, ein aUgemeiner Gebrauch des menschlichen
Geschlechts war, und bei dem die Frauen einer Horde Gemeingut
aller Männer gewesen sein sollen. Eine nicht geringe Reihe an-
I derer Forscher, M'Lcnnan, Monjan, Fost u. a., auch jüngst Ju-
fUus Lippnt schlössen sich ihm an. Es ist noch zwcifolhaft. ob
^die Untersuchungen dieser Männer den Sclüeier von den cht*-
• in der grauen Vorzeit gehoben haben, und iA>
"»«tttii vor Begrttndimg einer FamiJieu-Ziwati
50. Hetärisuius and Prostitat ion..
XI. Der Eintritt des Weibes in'
keit die sogenamite Gemeinschafts- oder Genossenschaftsehe über-
all geterrscht habe, den Thatsachen entspricht.
Unser vorläufig zurückhaltendes Urtheil in der Sache sprechen
wir im Artikel über die «Ehe" aus. Für fahjch halten wir es, den
Ausdruck , Hetärismus * für diesen hypothetischen Zustand zu adop-
tiren; der Inlxalt dieses altgriechischen Begriffes ist ein ganz an-
derer. Allerdings findet man einen, von Manchen als Hetäjrismus
bezeichneten geschlechthcTien Umgang bei sehr rohen Völkern,
welcher lediglich brutalen Neigimgen entspringt imd das weibliche
Geschlecht auf der niedersten Stufe socialer Stellung zeigt: Wenn
z. B. die australischen Schwarzen Mädchen zu unfruchtbaren He-
tären machen, indem sie ihnen die Ovarien exstirpiren, so kenn-
zeichnet sich hiermit die tiefste Herabwürdigimg des weiblichen Ge-
schlechts. Dann aber giebt es auch einen Hetärismus, bei dem
die Frau nicht etwa als Zuhälterin fl\r bloss sexuelle, sondern auch
ftLr geistige Genüsse dient.
Bei gewissen anderen Völkern wird die Preisgebung der Mäd*
chen nur gegenüber den Repräsentanten der Gottheit oder dem
Landesherm gefordert. Am merkwürdigsten sind in dieser Be-
ziehung die Verhältms.se auf einigen Süd see- Inseln. Die Uli-
taos der Mariannen- Inseln waren Mitglieder einer geschlossenen
Gesellschaft, die unter dem besonderen Schutze der Götter stand.
( WaiU.) Sie lebten unvermählt mit Mädchen aus den vornehmsten
Familien, und es galt sogar, wie Freycinet bezeugt, fllr die höchste
Ehre eines Mädchens, den Ausschweifungen dieser Männer zu dienen;
ein solches weibliches Wesen wurde sogar höher geachtet, als eine
wirkliche Jungfrau. Aehnliche Vorrechte genossen die Areois auf
den Gesellschafts- und anderen Inseln Polynesiens.
Ein anderes Bild der geaellschafllicheu Stellung von Hetären
als , Freundinnen" oder Genossinnen gewähren die Buhlerinnen
Alt- Griechenlands. Hier waren die Hansfrauen auf das häus-
liche Leben beschränkt, und die Männer fanden einen reizvollen
Genus« im freien Umgänge mit Weibeni, welche durch Bildung,
Feinheit des Benelunens und geistvolle Unterhaltimg neben der Hin-
gebung ihrer weiblichen Tugend eine grosse Anziehungskraft aus-
übten. Meist waren es Freigelassene, welche den Hetärenstand
ergriflTen, doch auch freigeborene Bürgerinnen, die aus Armuth der-
gleichen Verbindungen mit Männern eingingen. IHe Geliebten des
Alkibindes, Timaiuha und T/ieodaia, bewahrten ihrem Freunde noch
nach dessen Tode ein treues Andenken, während allerdings andere
Hetären lediglich aul" Ausbeutung ihres Liebhabers bedacht waren,-
wie aus ^ den Hetärengesprächen Lulian's hervorgeht. Immerhin
spielten die Hetären eine grosse Rolle im bürgerlichen Leben
Athens; Aristophnnes von Byzanz führt in seinem Buche die
Namen von 135 berühmten Hetären auf, und Solon soll das He-
tärengewerbe gesetzlich erlaubt haben, um der öffentlichen Sittlich-
keit willen, d. h. um die Ehemänner von dem unerlaubten Umgänge
lon.
mit verheiratbeten Frauen zuröckzubalten. Penkies, welcber, ob-
gleich verheirathet, die berühmte Aspasia zn seiner Freundin er-
kor, gab das erste Beispiel und fand nicht wenige Nachahmer.
Lais verkaufte ihre Gunst zu deiL höchsten Preisen ; Phryne
konnte mit ihrem erworbenen Reichthuni den Thebanern anbieten,
einen Theil ihrer zerstörten Stadtmauern wieder herstellen zu lassen.
Der Hetärismus war dort ein freies, nicht durch Sitte verpöntes
Gewerbe.
Dagegen finden wir im altgerraanischen Völkerleben die
ähnliche Erscheinung, dass sich der Vornehme ohne Aergerniss zu
erregen neben seiner Frau oder seinen rechtmässigen Frauen, wenn
auch nicht Hetären, so doch , Kebse" in unbeschränkter Zahl^halten
diurfte; dies war aber nicht ein .Hetärismus*, sondern das Con-
cubinat. (WeinhoM.) Die Kebse war zwar nicht gekauft oder ver-
mählt, sondern die gegenseitige Neigung schloss ohne Förmlichkeit
die Verbindung, welche der brau nicht Rang und Recht der Ehe-
frau, den Kindern nicht die Ansprl\che ehelicher Nachkommen ge-
währte. Allein die Kebse erhielt dann auch nach nordischen Ge-
setzen durch Verjährung rechtliche Erhöhung: Das Gulathingsbuch
bestimmte, dass nach zwanzigjähriger öffentlicher Dauer des Con-
cubinats die Kinder erbfähig seien; und das jüdische Recht setzte
fest, dass eine Beischläferin, die Jemand drei Jahre lang im Hause
hatte, zur rechtmässigen Ehe- und Hausfrau werde.
Weit widerwärtigere Erscheinungen im sittlichen Leben des
weiblichen Geschlechts treten uns dort entgegen, wo die Weiber
ihre Gunst einer grösseren Anzahl männlicher Personen gleichzeitig
hingeben. Doch auch auf diesem dunkeln Gebiete sittlicher Zu-
stände begegnen wir manniglachen Gegensätzen und Abstufungen,
die namentlich durch die bei den verschiedenen Völkern herrschen,-
den culturhisto3rischen Verhältnisse bedingt sind und unter dem
Einflüsse der heterogensten Momente einen mehr oder weniger
grossen Theil des weiblichen Geschlechts auf die moralische und
ethische Selbsterniedrigung der sexuellen Preisgebung hinweisen.
Hierher ist in allererster Linie diejenige weit verbreitete Unsitte
zu rechnen, welche man mit dem Namen der gastlichen Pro-
stitution bezeichnet hat, und welche darin besteht, dass dem in
dem Hause überh achten den Graste der Wirth die eigene Frau oder
Tochter als Bettgenossin überlassen muss.
In Chaldaea herrschte unter den wilden und kriegerischen
Bergvölkern die gastliche Prostitution: und bei den Korjaken
und Tschuktschen, nach Krascheninüow auch bei den alten
A 1 e u t e n , gilt es noch bis. in die neueste Zeit für eine Beleidigung,
wenn ein Gast die ilim als höchste Freundschaftsbezeugung ange-
botene Frau oder Tochter seines Wirthes nicht gebraucht. Auch bei
den Indianern haben wir bereits die gleiche Abscheulichkeit kennen
gelernt.
Im gewöhnlichen Sinne bezeichnet man aber imter Pro st i-
330
XI. Der Eintritt des Weibes in
tution nur diejenige Unzucht, welche aus der Selbslpreisgebiing
mehr oder minder oflFeu ein Gewerbe maclit, und die schon, wie
die Bibel bezeugt (1. Moses 34, 31; 38. 15), bei den alten He-
bräern zur Zeit der Patriarchen und Propheten heimisch, wenn
auch den Töchtern IsracVs verboten war.
In Griechenland ftlhrte Sohn die gesetzliche Prostitution
in Athen ein, und das Hetären wesen Griechenlands war doch
im Grunde nichts anderes, als eine dem Culturzustande des Volkes
entsprechende verfeinerte Prostitution. Wenigstens kann man Per-
sonen, wie die Fhryne, etwa als ein Analogon jetziger Ziihülterin-
nen oder femmes entretenues auffassen, die nur so lauge Einem au-
gehören, als derselbe sie bezahlt. Und daneben bestand bei den
Hellenen in arger Weise die gemeine Prostitution, wie aus mehre-
ren Stellen des Arisfophanes hervorgeht. A'^on den öffentlichen
Dirnen und Wollusthäusem wurden gesetzmässige Steuern erhoben
zum Besten von Tempeln u. s. w. Bei den Juden durften am
Heiligthuni Geld oder Geschenke, die durch Prostitution gewonnen
imd dann zur Beschwichtigung des Gewissens dargeboten wur-
den, von den Priestern angenommen werden. (Kinzlfr.) Wie in
Griechenland, so trug auch in Rom der Venus-Qi\x\t nicht
wenig zur Au.sbildung des Prostitutionswesen.^ bei. Die Römer
hatten öffentliche Freudenhäuser (Lupanaria und Fornices), sowie
selbstständige Lustdimen (Meretrices und Prostibulae), und in ihren
Bädern pflegten sich feile Frauen einzufinden, xm\ die Sinnlichkeit
für ihr Gewerbe auszubeuten. Ein solches antikes Bordell ist in
Pompeji wieder aufgedeckt worden: Man muss erstaunen Über die
ausserordentliche Engigkeit und Kleinheit der Räume.
Bei den alten Mexikanern gab es allerdings öffentliche Mäd-
chen, doch war ihr Gewerbe allgemein verachtet; dasselbe war bei
den alten Peruanern der Fall.
Der keusche Simi. die Sittlichkeit und Ehrbarkeit, welche deo
Frauen und Mädchen der alten Germanen in hohem Grade eigen
waren, gingen zu einem grossen T heile mit dem Eindringen römi-
scher Cultur und in der Berührung mit anderen Völkern verloren,
und an der sich steigernden Entartung der Sitten im Mittelalter
nahm das weibliche Geschlecht einen hervorragenden Antheil. Die
Prostitution nahm ausserordentlich überhand, trotzdem dass die
christlichen Gesetzgeber und Regenten dem Uebel anfangs energisch
zu steuern suchten. So gab Karl der Grossf in seinen Cupitularieu
das erste Beispiel eiserner Strenge gegen die Lustdinieu und die-
jenigen, welche sie vermietheten. Friedrich I. Burbarossa verbot
in den auf seinem ersten Heereszuge nach Italien im Jahre 1158
erlassenen sogenannten Friedensgesetzen den Kriegsleuten bei stren-
ger Sti'afe, Dirnen bei sich im Quartier zu haben; den betroffenen
Dirnen wurde die Nase abgeschnitten. Aber trotz alier Maassregelu,
mit welchen ilie Unzucht verfolgt wurde, war doch nichts Iiüufiger
in allen Städten, als liederhche Frauen und Frau«.'nhttU!*er. Und
^
I
I
hierzu trugen die'KreuzzJlge wesentlich bei. Daiui entstanden jene
Magdalenenorden , von denen Sprengel sagt, dum jedes Mädchen,
die des sinnlichen Genusses tiberdilissig war, in einen solchen
Orden eintrat, tim mit Geschmack und Auswahl ihren Vergnügungen
nachgehen zu können. Im 12. und 13. .Jahrhundert erliessen die
Städte Regulative ttir die öffentlichen Häuser, so Augsburg 1276
unter dem Titel „Verordnung der fahrenden Fräulein". Die conces-
sionirten Wirthe solcher Häuser zahlten grosse Abgaben; in Wien
gab es zwei Frauenhäuser als landesherrliche Lehen, deren Insassen
dem Kaiser bei seinem Einzüge feierlich entgegenzogeu ; der Erz-
bischof von Mainz beschwert sich 1442, die Stadt thue ihm
durch Licenzen Eintrag in seinem Einkommen* an den gemeinen
~^rauen und an der Buhlerei. Bei besonderen Gelegenheiten, wie
bei Reichstagen und Concilien, stellten sich vagirende Frauen schaa-
renweise ein, und alle Kriegszüge der damaligen Zeit waren immer
von einem gewaltigen Tross von fahrenden Weibern begleitet, deren
Disciplin officieU unter die Autorität eines Huren waibels gestellt
■werden musste. Bei der Beschreibung eines Heereszuges heisst es
im Parzhai (1. 459):
Auch Frauen sah man da genug;
Manche den zwölften Schwertgurt trug
Zu Pfände für verkaufte Lust.
Nicht Königinnen waren es jost:
Dieselben liuhlerinnen
Uiessen Marketenderinnen.
Concil zu Constanz (1414) lockte nicht weniger als 700 feile
Frauen herbei.
In den Städten besuchte man die Bordelle ohne Scham und
Scheu. Bedankt sich doch der Kaiser Siyismund bei den Bernern
„vor Fürsten und Herren", dass der Rath sein Gefolge drei Tage
lang unentgeltlich in den Gässlein der schönen Frauen bewirthei
habe; und als er einst in Ulm war, konnte er sich nicht enthalten,
selbst das Frauenhaus zu besuchen. Mit dieser Begünstigung käuf-
licher Wollust verband sich ein schmählicher Menschenhandel; Ro-
stocker Kaufleute schleppten ganze Ladungen fahrender Weiber
zu den Häringsfangem auf Schonen; schwäbische Dirnen wur-
den nach Venedig, vlämische nach London gebracht und galten
als gute Waare.
Langwierige Reisen waren im 16. und 17. Jahrhundert mit
grossen Beschwerden verbunden ; daher konnten die Fürsten jener
Zeit, wenn sie eine solche Reise unternahmen, ' ilireu Gemahlinnen
imd Töchtern nicht zumuthen, sie zu begleiten. Nur ött'entliche
Weiber waren abgehärtet genug, um den Fürsten bei Reisen und
HeereszUgen zu Fuss oder zu Pferde folgen zu köimen ; so wurdt-ri
e denn als ein nothwendiger Theil des fürstücheu Gefolgaa un-^
m Kriege als ein unentbehrHcher Theil des Trosses ange»'*'^
'ndtvig der Heiligt; war der einzige König des Mittelalters,
332 ^1* ^or Eintritt des Weibes in das Geschlechtalebeiii.
zwar Bordelle in seinem Reiche duldete, sie jedocli auf seinem £jreiiz-
zuge streng untersagte. Die anderen Fürsten vor ond nacli ihm
trösteten sich in den Armen von Buhlerinnen über die Trennung
vom Hause; die vielen Hunderte von Dirnen, welche den Kri^^s-
schaaren folgten, galten ihnen als EUtrem, ans dem sie sich das
Beste aussuchten. Die Schriftsteller jener Zeit sahen in -eolchem
Gebahren nichts Besonderes, nur das fanden sie tadelnswerili, dass
die Könige bisweilen die von ihnen geUebten Buhlerinnen wie Prin-
zessinnen herausputzten imd in die Gesellschaft erlauchter nnd edler
Frauen einführten, so dass die eigenen Ghittinnen in Gte&hr kamen,
öffentlichen Mädchen den Kuss des Friedens zu geben. Beim
ersten Reichstage in Worms, welchen Carl V. hieji, waren alle
Strassen dieser Stadt mit schönen Frauen oder mit feilen Dirnen
angefüllt. Nicht lange nachher folgten dem Heere, welches Herzog
AÜta nach den Niederlanden führte, vierhundert Buhlerinnen zu
IMerde nnd achthundert zu Fuss nach.
Wer sich Über diese Verhältnisse eingehender zu unterrichten
wünscht, dem empfehlen wir die Leetüre der Werke von Dufour
und von üahufaiur.
In den halbciviUsirten Ländern der Neuzeit tritt die Prostitu-
tion in sehr imgezügelter Form auf: Die Almehs in Aegypten,
die Nautfch-Mädchen in Indien sind die Vertreterinnen der" ge-
meinen Prostitution, wie bei rohen Völkern die Puzen auf Java nnd
die Sives in Polynesien.
Hindu- Mädchen jeder Kaste können Tempeln zum Tanzen
tfeweiht werden. Sie heirathen nicht, dürfen ab«r mit Leuten aus
der gleichen oder aus höherer Kaste sich prostituiren. Es giebt zwei
Arten Prostituirter: 1. Thassee oder einer Pagode attachirte
Tanzmädchen, 2. Vashee oder lV)stituirte. Die letzteren leben
in Bordollen in grossen Städten, oder in der Nähe von Arac-
schänken tvlor kloinen Tempeln. Die ersteren werden als Kinder
mit der Gottheit des Tem]vls verehelicht, sie stammen nicht selten
aus den voniohmsten Kasten, wenn ihr Vater in Folge eines Ge-
lübdes sie dem Tenipol geweiht hat. Sie erhalten täglich zwei
Twizstunden und zwei Gesangstundeu. Je nach der Bedeutung des
TemiH»ls. dem sie angehören, richtet sich die Höhe ihres Grehalte?.
Der rnterricht Ivpijimit mit ä Jahren. \md mit 7 bis 8 Jahren
hftlvn sie .Hx;!i^g»^lonlt und t^mzen bis zum 14. oder 15. Jahre 6 mal
täirlioh. Wenn sie a;jft-Ttnon, sind sie reich mit Gold nnd Bdel-
sunnen gt^sohr-iückt. Sie bilden gleiohs:«n eine eig«tte Kaste mit
fesjwft G«at"tror.. Sie i^niiT^ssen giv^ssos Ansehen und sitzen bei Ver-
saunmlusiTt'" ^^i *^cn Tonielimsien Mänueni. Sol^ld das Mädchen
ihre Reife tTiÄr.»rs V.&t. wird, wonn sie nicht bereits von einem
Br*hr.ii:ie2i dt::'..-»rlr: is:, ihre Jungtra-üschAtt einem diese Ehre suchen-
den FTWüder. flr ti::e o::tsprei"he.nae Summe überlassen, und von
CA. iz. f^lhrt sie e::: Leben fortvrviserjtter Prostit^mon mit Franden.
Xxht «^4«: w«\ie2 Kiaöer ei<j>fns von alten Weibern aofgefimgen,
50. HetäjriB
Prostitution.
333
weit von ihrer Heimat abgelegene Tempel verkauft zu
iShorit.)
Da in China die Gesetze über das Prostitutionswesen schwei-
gen, so können die Freudenmädchen ungestört ihr Gewerbe be-
treiben. Fast alle Bordelle sind mit Luxus ausgestattet und heisaen
wegen ihrer blauen Jalousien , blaue Häuser" (Tsing Lao). In jenen
Städten, welche, wie C an ton, am Flusse liegen, werden auch eigens
gebaute, festgeankerte Schiffe, sogenannte »Blumensohiffe" (Qoa
Thing), häufig als Bordelle benutzt. Die daselbst beherbergten
Mädchen sind Sclavinnen des Bordellbesitzers und ihr Zustand so-
wie das ihnen meist bevorstehende Schicksal wahrhaft beklagenswerth.
Sie werden gewöhnlich tu ihrem Gewerbe' systematisch herange-
bildet mid ebenso systematisch von ihren herzlosen Beßitzem aus-
gebeutet. Im Alt«r von 6 — 7 Jahren müssen sie die älteren "Mäd-
chen imd ihre Besucher bedienen, in dem Alter von 10 — 11 Jahren
lernen sie singen und spielen, auch lesen, schreiben und malen,
allein bereits im Alter von 13 — 15 Jahren werden sie von ihrem
Herrn gewinnbringend ausgenutzt, zunächst auswärts, nach 2 — 3
Jahren aber im Hause. Diese unglücklichen Wesen verwelken f'rtlh;
dann sieht man sie in allen Strassen der grossen Städte sitzen, um
vorübergehenden Soldaten und Tagelölmem gegen geringes Entgelt
^die zerrissenen Kleider auszubessern. Die bedeutende Ausbeutung
der Prostitution schädigt in China die Würde des weibUchen Ge-
schlechts in hohem Grade. Nach ot^ciellen Berichten gab es im
Jahre 1861 in Amoy, einer Seestadt mit 300000 Einwohnern,
3658 Bordelle, welche 25 000 Mädchen beherbergten.
In den alten Geschichten Chinas spielen diese „Blumenmäd-
chen*, d. h. die Insassen der auf dem Wasser schwimmendeu
„Blumenböte'', ungefähr die gleiche Rolle, wie die vornehmen Hetä-
reu in Griechenland. Sie sind der Inbegriti' aller Schönheit, guten
Erziehung und Bildung, die die männliche Jugend aufsucht, um die
eigene Bildung zu vervolbtändigen. Auch heute noch besteht diese
In.stitution, und theils in den Blumenschiften, theils in den blauen
Häusern werden Gaste empfangen. Arme Kinder werden gestohlen
oder von ihren Elteni verkauft und hier lediglich zur Prostitution
herangebildet. Aber das Ideale, was früher dieser Einrichtung einen
veredelnden Anstrich gab, ist hevite, wenn wir Colquhoim's Schil-
derungen Glauben schenken dürfen, vollständig verloren gegangen.
Er sagt:
,Von den Mädchen babeu manche recht angenehme Züge und ein gra-
ziöses Wesen, aber sie sind sämmtlicb im höchsten Giade ungebildet und
können weder lesen noch acbreiben, geschweige denn Lieder improvisiren,
wie sie in der guten alten Zeit gekonnt haben sollen. Im Norden findet
man allerdings, wie es heisat, auch beutigen Tags noch vereinzelte Mädchen,
welche diese Kunst verstehen. Nur die ausserordentliche Ungemüthlichkeit
des chinesischen Familienlebens kann vernünftige Leute veranlassen, die
GeseUscliaft der Damen ia den Blumeuböten aufzusuchen, wo das einfältigste
D«r
n dM
Spiel, da« in Italien gefafftoddkhe Mma, die ewBg« AbweehMhto«
G«aSBgen ood kiodüehcB Sdiancn liSdeL*
(haiz anders klingt es nun freilick, was uns der Militfir-Aüacl
«ler chinesischen Gesandtschaft in Paris, Herr T»ckeng Ki Tona.
hierüber erzahlt:
«Ge-wiese Reisende haben ec sich in den Kopf gesetzt, jene mit dem
Namen Blntnenschiff beseiehnetea Fahreenge, welche sich in der Nihe grosser
StSdte zeigen, als Stätten der AowchTeitnng zu f^chüdem. Das ist dorch-
an« unrichtig. Die ßlaiDenschiffe rerdienen diesen Raf ebenso «renig, wie die
Concerisftle Europas. £a bt dies ein Lieblingsrergnögen der chinesischen
Jugend. Man veTanstaltet Waseerpsrtien haapteichlicfa Abends in Geaell-
cehafl von Franen, welche die Einladung dazn annehmen. Diese Fraaen sind
nicht Terheiratbet ; äie sind ma8i1uli«ch nnd ans diesem Ormde werden sie
eingeladen. Will man eine Partie reranstalten, so findet man an Bord Ein-
ladungskarten , auf welchen man nur seinen eigenen Namen and den der
Kfinstlerin und die Zeit der Zasanunenkonfl auarufQllen braucht. Et ist dies
eine sehr angenehme Art, sich die langsam dahinschleichende Zeit eu ver-
treiben. Man findet auf dem Schiffe AUea, was ein Feinschroerher nur wOn-
cchen kann, und die Gesellschaft der Fianen. deren harmonische Stimmen in
Verbindung mit den melodischen Tönen der Instrumente bei einer Tasse köst-
lich duftenden Thees die Abendfrische beleben« wird nicht als eine alchtliehe
AneschweifuDg betrachtet.
Die Einladungen gelten nur fSr eine Stunde. Man kann die Zeit jedodi
anadehnen, wenn die Frau nicht anderweitig engagiri ist; — natürlich moM
das Honorar dann rerdoppelt werden, I>ie«e Frauen werden in unserer Ge-
sellschaft nicht in. Bezug auf ihre Sitten beortheilt; sie können in dieser
Hinsicht sein, wie sie wollen ; da« ist ihre Sache Der Reiz ihrer Unter-
haltung wird ebenso hoch geschätzt, als ihre Kunst. — — Wenn man von
diesen Zusammenkünften etwas anderes behauptet, so ist das einfach eine
Filschung der Wahrheit.* Nachher wird aber zugegeben, dass der Piatonis-
mns, den uns dieser Chinese glauben machen möchte, doch auch nicht von
absolutem Bestände ist.
Aach die Japaner betreiben die Prostitution im grossen Stil:
Man klagt als Ursache der schlimmen Yerbreitnng der Prostitution in
Japan die grosse Lockerheit der Ehe, insbesondere das Recht Aea Mann»
an, seine Fiaa nach Belieben zu verlassen. Wenn in Japan eine Frau von
ihrem Manne Verstössen wurde, so geht sie unrettbar dem Elende entgegen,
sobald sie nicht im Hause ihrer Eltern eine Zuäucht xu finden vermag. Is
diiiier Noth greift sie zum letzten verzweifelten Mittel, mn ihre Existenz tu
fristen, »ie verkauft ihre Tochter um einen niedrigen Prtris an eines der
Prostitutionshäuser, die unter dem Naracn TheehÄuser oder Gankiros unter
dem Schutze der Regierung stehen. Yoshiwaras (Freudenfclder) nennt man
in Japan die Stadttheile nnd oft auch die einzelnen, meist Verhältnis«-
mäMig grossen Häuser, welche der Aphrodite gewidmet sind- NH<:h dem
UrtheUe oller, weichte die einschlagenden Verhllltnisso.genau kennen, erscheint
in Japan da?« gefallene Frauenzimmer nie auf einer so niedrigen i^tufe. wie
in unseren grossen StÄdten. Ami' ' '' ' .\^n dsr
Youhiwara« vom besseren Theile d ondem
b*-- wei^s man doch, dass '»g
ihi' Igen Gewerb« oblie^n. ™
0«ler nächsten Yerwondteti
335
Stfsitzer Jcr öffentlichen Hüuser verkauften, wo sie in verschiedenen Dingen
unterrichtet werJen, nnmentlich aber in den Künnten der Aapasia, bi» zu der
leit, wo sie geeignet sind, als Sclavinnen ihrer Brodherren dieselben zu rer-
reriheo. (Ausland 1881.) Sinagawa, eine Vorstadt Yeddo'8, wird nur
ron Freodeniuädchen bewohnt. Allein kein socialer Fleck oder Schimpf i.st
ji»^r mit dem Gewerbe verknüpft; die öffentlichen Dirnen sind sogar sehr
r'sucht als Frauen und leben später in der Ehe unbescholten.
Der Prostitution haben wir genau genommen auch diejenige
^olkssitte vieler roher oder hiilbcivilisirter Nationen hinzuzurechnen,
welche wir unter der Bezeichnung des freien Verkehrs der Ge-
schlechter unter einander vor dem Eingehen einer Ehe bereits kennen
gelernt haben. Wenn hier auch sehr liäufig sich reine Concubinats-
verhältnisse entwickeln, so ist doch andererseits die Grenze zwischen
■ Concubinat und Prostitution hier lur uns kaum zu ziehen möglich.
Penn in sehr vielen Fällen ist wohl dieses Coucubinatsverhältniss
I ein häufig wechselndes, oder ein melireren jungen Männern gleich-
, zeitig gewährtes, und ferner finden wii* gar nicht selten die directe
■ÄA-Ugabe, da.ss das Mädchen für die Ueberlassung ihre.s Körpers
^BGe.Hchenke fordert und annimmt. Immerhin liat doch hier die freie
^rV\^ahl oder, wenn wir es so uenm-n wollen, die Liebe, ihr Recht be-
^lialten, während wir die Prostitution im eigentlichen Sinne des
"Wortes bisher doch immer nur von vereinzelten Weibern des Volkes
Iund zwar fast immer nur von solchen niederer Herkunft ausUben
aahi'n.
£inen widerlichen Eindruck macht es jedoch auf uns, wenn
wir erfahren, wie die Prostitution bei bestimmten Nationen eine so
allgemein verbreitete und so selbstverständliche Volkasitte ist, dass
die Eltern ilire Töchter besonders dazu anhalten und selbst die
Ehemänner Capital aus den Reizen ihrer eigenen Frauen schlagen.
Die Töchter der Lyder mussten sich, wie Uerodof {I. 93) erzählt,
)rostituiren und auf diese Weise ihre Mitgift sammeln. Die.s trieben
iie, bis sie sich verheirutheten, so dass sie sich selbst ausstatten
iten. Es gab in Ly dien ein sehr grosses Grabmal des Ah/at(es,
_ Vaters des Kroisos; auf diesem Grabe standen !> Denksäulen,
fäeren grösste die Buhldimen aus ihren Mitteln gesnumielt hatten.
Bei den Burjäten giebt es keine junge Frau, kein junges
Mädchen, die nicht bereit wäre, ihre Reize für klingende Münze
^■preiszugeben. Eine Folge der geschlechtlichen Ausschweifungen
^^fiind geheime Kraukheiten, welche in den Jurten der Nertschinsker
Steppe gra.ssiren, tust unheilbar sind und viele Opfer dahinraffen.
Alhin Kühn,)
Die Männer der4iai da- Indianer imtemehmen mit ihren Frauen
lll'^omnierlich «Speculationsreisen nach Victoria, woselbst jeder
roll beiden auf eigene Faust sein Glück macht, und sie dann gemein-
lui wieder heimkehren. Die traurigen Folgen äu.ssern sich auch
Jei den Weibern in verderblichen Krankheiten." [Jacohsen.)
Bei vielen Völkern Afrikas, z. B. den Mpongwe, sind die
IL Da
rifii
Afrika
dbs
Wab ak IwBMlifgn Baus, dtmok Bmt nebr noek emfeagen soQen
ili fie Arbeit dal SebErm. Dtther and itif IThrwinni i gen boeifc,
ikn. fatthmni dem eisten beskcB m Ihrrt— w, ja ühb aimbieiea;
4iBB kt der Fkonde Beklu ao trirl er rihlni. m er dber arm, ao
wird er der Sckre des Geanhla. SpeS^hait gegca einen fre^eh^en
Liebhaber wfird« der GcanU Mincr Gattin mit dem ^K^eiaiga* in I
der Hand bald aatraben.
Auf K iaa dagfgfn beitraft man die Prowritation mit dem Tode.
In den cirflsRiten Stiilen der Oeg^wart hnt maix sich in
inner eihSfatem Grade ud die ^iMrliTg»fcimg der Proaütatimi be-
nflfaL Aas zwei MotTven aah aidi der moderne Staat gsnöth^^i,
dam ProatitiitioB*weae& beschränkend entgegen n treten: einestbeÜB
aaa Oifindea der öffentlichen Moral, aodceoi&eila ans sanitäres
ROckBichten; das eine Mal wurden Sitten-Btlreaas m solchem
Zweck angeordnet, daa andere Mal hat die Medicinal-PoHzei
den Anfing ethallai, die Pnwtifcntwn als schlimmste Terbreitenn
yphiffiiacher Erkrankmigen xo Hberwachen. Die lefftslatoriache
Fnuda hat dabei rerBduedeoe W^e eömacUagen. Im Allgemeinen
beobachtet man xwd eulgcgeugeaetate ^ateme: aaf der einen Seite
die •bedingte Toleranz*, auf der andmn Seite die gewaltigsten
Aoatrengungen znr UnterdrGckung der Proetitiition. Man erkannte
nefir and mehr, daas die heimliche wie die offene Prostitution,
die in allen groesen A^erkehrsplätzen aoibitt, das sociale Lehen an-
bedingt als schlimme sociale Cebel schäd^en. Allein beide Arten
der Proetitation wirken in Terschiedenem Grade. Wie fsH^rall die
geheitne Prostitution in omgekehrtem Yeihaltai^ .^n
•teht, so herrscht jene dort am zQgelloseeten nc- ^^.^....^len,
wo letztere gar nicht besteht und die Abzugskanile ^ Unlauter-
keit fehlen. Sie oteckt dann alle Gesellschaf^klassen an, und aelbat
da« Famihenleben wird von ihrem Geist ergriffen. Auf der anderen
Bdte wurde freilich dem Bordellwesen der Vorwurf f^macht, daas
ani einem Bordell der Rücktritt eines reuigen Mädchens in eine
ge<irdnete Lehensweise schwer möglich ist. Und was für Nieder-
trächtigkeiten ausgeftihrt werden, um neuen Nachwuchs fUr diesas
unglQckliche Bordellleben zu erhalten, das haben znr GeuQge und
in erschreckender Weise die Enthüllungen der Palt-JlaU'Ga^ate tu
zeigen vemiocht
Er liegt nicht in dem Rahmen dieser Arbeit zu ontersuchen,
walehe Gesetze und Polizei Verordnungen die modernen «*•'•-- {n
dieicr Angelegenheit erlassen haben; das muss einer Staate < n-n
Monographie ober dieses hygieinisch so wichtige Thema Qberlaisen
bleibrn. Wir mtVssen aber noch nnser^ Aufmerksamlrett aof gewurn
Arten tfiiiiiorärer Prostitution t . welche im folgenden Ab-
BchriiHr flnditig skizzirt werdeu
51. Heilige Orgien un<] erotiscfae Feste.
337
51. Heilige Orgien und erotisclie Feste.
Man hat die Verpflichtung der Frauen und Mädchen, sich im
Tempel der Gottheit an bestimmten hohen Festtagen entweder dem
Priester oder den anderen Festgenosaen zu überlassen, mit dem
Namen der religiösen Prostitution bezeichnet.
Eine religiöse Prostitution gab es bei mehreren Völkerschaften :
in Babylon trieb man die Prostitution in Form eines Gultus der
Mylitia (einer der Venus analogen Göttin) ; dort zwang das Gesetz
jede Frau, einmal in ihrem Leben den Tempel dieser Göttin zu
besuchen, um sich in demselben einem Fremden preiszugeben.
Dieser Cult breitete sich ober Cypern, Phönikien imd andere
Länder Kleinasiens aus.
Bei den Armeniern mussten sich nach Strabo die Mädchen
for ihrer Verheirathung längere Zeit der Anaitis weihen, und Lu-
ianus erzählt, dass, wenn in Byblos die Frauen am Trauerfeste
ies Adottis sich nicht die Haare abschneiden lassen wollten, sie
rezwungen waren, sich einen Tag in dem Tempel der Aphrodite
lyhlie den Fremdem preiszugeben.
Auch die Aegypter hatten zu Ehren der Isis (PascfU) Feste,
>ei welchen die schrecklichsten Ausschweifungen stattfanden.
Die Griechen scheinen einen solchen Cult fiir ihre Aphrodite
in gleicher Gestalt nicht gekannt zu haben ; jedoch sind wir über die
rituellen Gebräuche der Aphrodite Fatidcmos zu wenig xmterrichtet
jand wissen nicht, ob deren Hierodulen ihren Dienst nur vorüber-
rehend zti verrichten hatten, oder ob ihre Anstellung eine dauernde
rar. In spaterer Zeit scheint allerdings das letztere der Fall ge-
resen zu sein. In Rom wurden, wie Juvenalis berichtet, bei den
i'esten der Bona Dea von den vornehmen Damen Orgien der
^hlimmsten Art gefeiert.
Wie aber auch in der Aera des Christenthums geschlechtliche
iusi*ch weifungen angeblich ziu- Ehre Gottes getrieben worden sind,
is beweisen die von Dixon in seinen Seelenbräuten geschil-
lerten Miickersecten, das beweisen die Gottesdienste der Eva von
iiätUr und ihrer Genossen, imd das l)ewei8en endlioh die gericht-
ichen Verhöre, welche in Russland mit den Mitgliedern der
ikopzensecte angestellt worden sind.
Aber auch Feste nicht religiösen, sondern profanen Charakters
werden von vielen Völkern gefeiert, bei denen der geschlechtliche
'^erkehr zwischen Weib und Mann theils pantomimisch zur Dar-
It^lhmg gebracht wird, theils wirklich in natura zur Ausfuhrung
klangt.
So soll in der warmen Jahreszeit in Australien bei einzelnen
tämmen (z. B. den Vatschandis) die Begattung mit einem Feste
feiert werden, das Kaaro heisst und mit einem Gelage der Männer
nt. Dann reiben sich die Männer mit Asche imd Fett ein
ffthren bei Mondlicht einen höchst obacönen Tanz um eine
!••■, Sm Wall). I. ». Abu. 22
XI. Der Eintritt des Weibe« in
Grube auf, die mit Gebüsch umgeben ist. Ghrube und Gebüsch
stellen das weibliche Glied, die von den Männern geachwungenen
Speere das männliche Glied vor. Die Männer springen mit wilden
Geberden, die ihre erregte Wollust verratheu, umher unter Stossen
ihrer Speere in die Grube, indem sie dazu singen: Pulli nira, watake
(Non foBsa, sed cunnus). {Müller.'^)
Die Kanaken auf Hawai haben einen losciven Tanz, der nach Buch-
fter unter allen polynesiscben Tänzen der laauivste ist und Hula-Hula
heisst. Zuerst setzton sich die Tänzerinnen sowohl wie die Musikanten mit
gekreuzten Beinen in zwei Reihen auf den Boden und erhoben einen Wecbael-
gcsang, wobei sie bald langsam, bald rasch und leidenschaftlich den Ober-
körper und die Arme hin und her warfen und kleine, mit Steinen gefüllte
Calabassen schüttelten, so dass ein beilloser rasselnder Lärm entstand. Die
Mdlodie war viel complicirter , als die beim Uaka der Masri und beim
Meke Meke der Viti. Die zwei Tänzerinnen trugen eigenthümüchen Schmuck
um die Knöchel, eine Art Mieder und aufgeschürzte Röcke; ehemals be-
schränkte sich das Coatüm auf oin Röckchen, das nur dazu diente, empor-
geschnellt zu werden. Nach einiger Zeit sprangen sie auf und machten
unter wildem Schreian und Rasseln mit dem Becken höchst unzüchtige Be-
wegungen. Die eingebornen Zuacbauer betheiligten sich höchst lebhaft an
dem Vergnügen, lachten entzückt und machten dieeelbcn Hüftbewcgungen.
Ueber die Belustigungen der Schwai-zeu im Kuango- Gebiete
(WestafrikaJ berichtete der Stabsarzt Wolff^:
(Der Tanz besteht hier überall zumeist aus möglichst schnellem seit-
lichen Hin- und Herbewegen des Hinteren, indem sich Männer und Weiber
gegenüberstehen, dann mehrmalB aufeinander zugehen und zurückweichen,
endlich sich umfassen. Hier stehen sie in dieser Stellung ein Weilchen
still, um dann wieder auseinander eu gehen und von vom anzufangen. In
manchen Dürfern in Madimba machen sie erat in dieser Umarmung die
nnzweideutigsten Bewegungen, um dann danach, wie ermattet, noch in
einander verschlungen ein Weilchen fitill zu verharren."
Spix und r. Martins wohnten im näclitlichen Ihmkel einem
Tanze der Puri in Sttdamerika bei, in de.ssen zweiter Abtheilung
die Weiber anfingen, das Becken stark zu rotiren und abwechselnd
nach vom und hinten zu stossen. Auch die Männer machten Stoss-
bewegungeu mit dem Mittelkörper, aber nur nach vom.
Dass derartige, die Sinne aufregende Tänze bei Völkern, welche
die Keuschheit der jungen Mädchen nicht verlangen, sehr bald zur
That ftliiren, das wird man wohl nicht wunderbar finden, und Ä'm-
lischer glaubt, dass hierdurch eine Art Zuchtwahl ausgeübt w«rde.
Er ffthrt eine Reihe von Beispielen au, welche seine Annahme zu
bestütigeu geeignet sind. Es möge das Folgende hier noch seine
Stelle finden.
.Die Ausübung d<-r Wahl seitens der Frauen und die AufraerkHamkeit«
die sie der iiusscren Er^chf iuuiig der Männer widmen, kann aus einem Tons«
der Raffern constatirt werden. Bei demeelben. erzählt .<l/bfrti, echaart Hieb
eine behebige Anzahl MiLnner, gewöhnlich ganz entkleidet, in gerader Linie \
dicht zosammen, wobei jeder seinen rechten, anfwJlrts gerichteten Arm, eintn |
Ötreitkolben in der Hund, mit dem linken »eine« Nebenmannes votkettot
$39
Dicht hinter den Männern steht eine Linie Frauen, deren Arme jedoch nicht
verkettet sind. Die Männer springen anhaltend und ohne alle Veränderung
mit gleichen Füssen in die Höhe, während man an den Frauen eine sich
beinahe an dem ganzen Köq)er äussernde krampfhafte Bewegung wahr-
nimmt, welche vorzüglich in Vor- und Zurückheugen der Achseln und einer
damit in Verbindung stehenden Kopfbewegung besteht. Dabei machen diese
von Zeit zu Zeit, indem sie nach einer halben Wendung sich einander in
sehr langsamem Schritte folgen, einen Gang um die Linie der
Männer und nehmen dann ihre erste Stellung wieder ein. Bei diesem
Allem wissen sie aicii, vorzüglich durch Niederschlagen der Augen,
ein sehr sittsames Ansehen zu geben. Es ist klar, dasH durch das Nieder-
schlagen der Augen der eigentliche Zweck der Umschau, die die Frauen über
die Reihe der Männer machen, deutlich angegeben wird.*
Aber auch in der Christenheit gab es Feste, bei denen die
Sittlichkeit um keine Spur grösser war, als bei diesen Heiden.
Besonders waren es die E.sels- und Narrenfeste, aber auch Kirch-
weihen und Processionen, welche zu den ächamlosesteu Ausschwei-
fungen führten. Und auch gewisse Tänze erfreuten sich keines
sehr feinen Rufes. So schreibt Praetorim (1668) von dem Tanze
Gallarda:
, Zudem dass solcher Wirbeltanz voller schändlicher onfläthiger GeV>er-
den and unzüchtiger Bewegungen ist.*
und Spangenbery sagt in seinen Brautpredigten :
«Behüte Gott alle frommen Gesellen für solchen Jungfrauen, die da
Lust zu den Abendtänzen haben und sich da gerne umbdrehen, unzüchtig
küssen and begreifen lassen, es muss freylich nichts gutes an ihnen sein;
da reizet nur eins das ander zur Unzucht und fiddern dem Teufel seine
Bolze. An solchen Tänzen verleuret manch Weib ihre Ehre und gut -Ge-
rücht. Maniohe Jungfraw lernt allda, dass ihr besser wäre, «ie hätte es nie
erfaren. Summa, es geschieht da nichts ehrliches, nichts göttliches.*
{Kulischer.)
Bei den Neu-Britanniern werden nach Weisser die jungen
Mädchen mit Eifersucht gehütet, und ein freier Verkehr mit jungen
Männern wird ihnen im Dorfe nicht gestattet; allein zu gewissen
Zeiten ertönt eine besonders hellklingende Trommel des Abends
aus dem Busch, worauf denselben erlaubt ist, sich dorthin zu be-
geben, wo sie dann mit Jungen Männern zusammentreffen.
Vielleicht haben wir es als Nachklänge im ethnographischen
Sinne aufzufassen, wemi wir zwar nicht mehr den unbehinderten
geschlechtlichen Verkehr bei den jungen Leuten antreffen, wenn wir
aber doch noch finden, dass bei aller sonstigen Decenz imd Keusch-
heit in den Worten doch bei gewissen Gelegenheiten unsittliche
und aiistössige Dinge zwischen den Jünglingen imd den jungen
Mädchen frei zu verhandeln erlaubt ist imd dieses auf beiden Seiten
die griJsste Heiterkeit verursacht.
Noch heutigen Tages ist diese Unsitte bei un.s, namentlich auf
dem Lande, nicht ausgestorben, und für gewöhnlich ist es der
Polterabend, der hierfür die Gelegenheit abgiebt, während früher im
340 ^« Der Eintritt des Weibes in da« Geschlechtsleben.
Mittelalter selbst in den vornehmsten Kreisen bei dem Öffentlichen
Beilager des jungen Paares die ärgsten Zoten ohne Scheu ange-
sprochen wurden. Auch pfl^^n auf dem Lande die Spinnstuben
nicht immer eine absolute Sittenreinheit in den Beden darzubieten
Etwas Aehnliches finden wir auch bei einem der Türken Völker
im westlichen Asien, bei den Kumücken.
,Za den Spielen (der Kumücken) gehOrt unter andern das SüjdQn-
Tajak, d. h. Liebesstock, welches meistens bei Hochzeiten and von
ünverbeiratheten gespielt wird, und wobei die Verliebten, indem sie sich
gegenseitig mit einem Stabe anf die Schulter schlagen, Dialoge theils sar*
kastischen, theils erotischen Inhalts wechseln." {Vambery.)
XII. Liebe und Ehe.
^
I
53. Die Liebe.
Es wird wohl immer eine unentschiedene Frage bleiben, wo
_enige, was wir unter dem Begriff der Liebe zu dem anderen
Geschlecht verstehen, in der Stufenfolge der Volker seinen Anfang
nimmt. Ob sie dem Menschen auf der niedersten Stufe der Cul-
turentwickelung wohl gänzlich fehlt ? Fast möchte es den Anschein
haben, als wenn sie bei manchen Völkern gar nicht existirte, wenn
wir das Weib fast schlechter und schmachvoller behandelt sehen,
als die Hausthiere, wenn wir sehen, wie nicht selten der geschlecht-
liche Verkehr durch Gewalt und Misshandlung erzwungen wird.
Und dennoch können wir nicht behaupten und beweisen, dass trotz
dieser Rohheiten nicht doch die Gattenliebe in ihren Keimen schon
vorhanden ist, wenn sie auch noch als ein schwach glimmender,
leicht verlöscheuder und fllr einen anderen Gegenstand wieder auf-
glühender Funken ihr verborgenes Dasein führt und noch nicht zu der
hellen weitatrahlenden Flamme geworden ist, als welche wir bei den
civüisirten Völkern die Liebe kennen. Wer wollte z. B^ den Feuer-
1 ändern die Liebe zu üiren Kindern absprechen, weil einmal ein
Vater sein Kind erschlug, weil es einen Korb mit Muscheln ver-
HchntteteV (Dartvin.^) Der Mann hatte nur nicht seine Stimmungen
in seiner Gewalt und Hess unüberlegt auf einen Zornanfall sofort
die Tbat folgen, und hat yielleicht in seinem Herzen später den
Verlust seines Kinde« tief betrauert. So mag es auch mit der uns
hier beschäftigenden Liebe sein ; oft mag sie scheinbar durch augen-
blickliche Missstimmungen verdrängt und vernichtet werden, und
dennoch tritt sie später vielleicht wieder in ihre Rechte.
Bei allen unverdorbenen Völkern erscheint allerdings die Mutter-
liebe stärker, als die Liebe zum Manne, Die „Hingebung* an den
Mann ist bei der Paarung entweder eine freiwillige oder eine ge-
zwungene. Der Mann erwirbt sich seine von ihm selbst nach eige-
nem Gutdünken oder diurch Andere Erwählte in mannigfachster
Weise und nach festgesetztem Brauch, sei es durch Raub, sei
es durch Kauf. Die Rolle, welche dabei das Weib spielt, ist zu-
meist eine untergeordnete; sie hat gar selten völlig freie Wahl.
XII. Liebe nnd Ehe.
Aber das AUes berechtigt uns nicht, diesen Völkern die Lieoe
ganzlich abzusprechen. Und wenn das geraubte oder gekaufte
Weib auch vielleicht im Anfange dem Manne mit Widerwillen nnd
mit Widerstreben sich hingeben mag, warum soll sich nicht später
bei ihr die Liebe entwickeln? Sind nicht die geraubten Sabine-
rinnen sehr treue Gattinnen geworden? Nun kommt noch hinzu,
dass, wie wir sehen werden, bei vielen Stämmen ein solcher Raub
oder Kauf gar nicht vorkommen kann, wenn nicht schon ein ge-
wisses Einverständiiiss zwischen den beiden jungen Leuten herrscht,
dass also auch der Frau ein gewisser Grad der Selbstbestimmung
erhalten bleibt. Solch ein Scheinraub findet bei den Tasmaniern,
bei den Polynesiern auf Tukopia und bei einigen Polarvölkem
statt. Aber auch manche anderen Nationen haben Anklänge hier-
von erhalten.
Einen Beweis, dass die wilden Volker die Fähigkeit zu sanften
Herzensregimgen nicht besässen, suchte man auch darin zu finden,
dass manchen derselben ein Wort für Liebe gänzlich fehlt. Damit
ist aber noch gar nichts bewiesen, denn nicht immer hat ein Volk
für dasjenige, was ihm zum Bewusstsein kommt, sofort auch eine
Bezeichnung in seiner Sprache. Und für derartige abstracte Be-
grilfe werden die Worte am allerspätesten erfunden.
Ein Mangel des Begriffes Liebe kann auch dadurch vorge-
täuscht werden, dass der uncivilisirte Mensch es für unanständig
und gegen seine Wl\rde verstossend ansieht, wenn er einen Anderen
seine Gefühle und Empfindungen erkennen oder ahnen lässt.
So erinnert Peschel daran, daes der Arawake in Guiana, wenn er
sich unbemerkt glaubt, weil er anders seiner Mannerwürde etwas zu vergeben
fürchtet, seine Frau mit feurigen Zärtlichkeiten fiberhiluft. Femer kann
man auch die Germanen als ein für zarte Liebe zugängliches Urvolk an-
führen, denn n^^ch Tacitus stellten sie die Frauen sehr hoch: Inesse quin
etiam sancbum alLquid et providum putant; nee ant consilia earam adsper-
nantur, aut re^ponaa negligunt.
Im Lande der Muskogee giebt es einen Lover's Leap, einen Felsen,
von dem sich zwei verfolgte unglückliche Liebende herabstürzten in den
Fluss, und der Mississippi hat seinen Maiden 's rock, an den sich eine
ähnliche Sage knüpft. Dass sich Mädchen unter den Indianern Nord-
amerikas in Folge von unglückhchej' Liebe erhingen, kam öfters vor; und
Hedkttcaeder sovrie Tanner ere&blen selbst Fälle von Selbstmord bei MSjonem
bei IndianerTöIkern aus gleichem Grunde. Selbstmord, den manchmal
schon ein geringer ehelicher Zwist veranlasst, ist bei den I n d i a n e r ■ Weibern
hlUiKger. als bei deren Männern, welche sich (nach Keating) bisweilen aus Neid
gegen den Ruhm eines Rivalen umbringen. In den Fällen des Mississippi
von St. Anthony ertränkte sich einst ein Weib mit ihren Kindern, da ihr
Mann ein zweites nahm; und bei den Kuistcno opfert sich nicht »eilen
ein Weib auf dem Grabe ihres Mannes. Das berühmt« Beispiel einer iQd*
amerikaDi^che u Indianerin, die sich auf dem Gmbe ihres Gellebten
umbrachte, um nicht in die Hund der Spanier tu fallen, hat Outvara be-
richtet und später ilel Bareo Centera ausführlich '
Von den ilarar! im nordöstlichen Afrika sa^'i 'i^-' Die Neigung
I
der beiden Geschlechter zueinander ist in der Jugend eine ganz intenäive
und edle, und in einer ganzen Reihe von Liebesliedem wird den Gefühlen
des Herzens oft in überschw&nglicher Weise Ausdruck gegeben. Unter den
Galla und Bantu kam es vor, dass erkaufte Weiber, welche den aufge*
nCthigten Ehemännern nicht gut waren, sich lieber das Leben nahmen, als
da«8 f>ie den für sie entehrenden Pact schlössen.
Polak stellt den Satz auf: Der Begriff von Liebe, den wir liaben,
existirt, wie im ganzen Orient, auch in Persien nicht. Jedoch
widersprechen dem doch ganz entschieden die glühenden Schilderungen
treuer Liebe, wie sie uns in Tausend und einer Nacht gegeben werden.
Treue Liebe zu ihren Gatt«n und zartes Liebeswerben unter
den ünverheiratheten treöen wir auch bei den Bewohnern der Stld-
Lseeinseln au. Man muss eben in der Liebe verschiedene Grade
rund Abstufungen anerkennen, zwischen denen ein weiter Spielraum
liegt, aber wahrscheinlich giebt es kein einziges Volk oder sicher-
lich doch nur sehr wenige, welche auch nicht einmal im Besitze
der geringsten Grade von Liebe sich befinden sollten.
53. Der Liebeszauber.
Ist einmal die Liebe erwacht und hat sie nicht die erwünschte
Gegenliebe gefunden, so hat sie von jeher nach übernatürlichen
Mitteln gesucht, um dieselbe dennoch zu erringen. Hat sie diese
Gegenliebe aber erlangt, so schwebt sie nicht selten in banger
Furcht, sie wieder zu verlieren, mid wiederum müssen magische
Processe die schützende Hülfe gewähren.
I Der Aberglaube an dergleichen Mittel ist über sehr viele Völker
verbreitet, nur die besonderen Maassnalmieu wechseln je nach den
Sitten \md der Anschauung der Nation.
Es kommt auch auf diesem Gebiete eine ganze Reihe von
[ hochinteresiianten Erscheinungen der Mystik zum Vorschein, und
insbesondere werden wir einige solcher Erscheinungen mit Hülfe
einer altmythologischen Symbolik erklären können. Beispiels-
I weise flthren wir nur Folgendes an: Der Apfel ist das heidnische
Symbol der sinnlichen Liebe; es werden t^er auch die Liebes-
göttinnen mit einem Äpfel in der Hand abgebildet; einen Apfel
h-ägt auch die slavische Sitca, die Göttin des Lebens und der Frucht-
barkeit. Am Weihnachtsfeiei-tag isst im Voigtland der Bursche
einen Apfel; da« erste Mädchen, da« ihm entgegen kommt, ist seine
künftige Frau. (Koehler.) Und ebenso mag es sich mit anderen
Requisiten des Liebesorakels, mit dem Bleigiessen, dem Schuh-
I werten tmd mit den mannigfachen Handlungen verhalten, welche
|bei dem Liebeszauber ztun Vorschein konunen.
Bei der Anwendung des Liebeszaubers haben wir verschiedene
Grade und Methoden zu unterscheiden. Einestheils sind es rein
sympathetische Mittel, welche von fem her auf denjenigen, desaer
344
XII. Liebe uad Ehe,
Namen der deu Zauber Ausübende nennt, ihre Wirkung «its>«
oder es aind besondere geheiizmifisrolle Dinge, die man sber mit
^em zu Bezaubernden in directe Berfihrong bringea maaa. oder'
endlich die Zaubermittel müssen von demjenigen, uf den ea abg»-
«eben ist, in irgend einem N^irungsmittel, selbetvgCTtindlich MUMJ
•«in Wissen, genossen worden sein. Hier schlieest sidi das Liebes-
orakel an, durch das man Oberhaupt erst den G^enstand kennvn
zn lernen hofft, von welchem man einst geliebt werden wird. Femer
mu08 man eine schon gewonnene Liebe zu erhalten, eine verlorene
wieder zu erwerben und endlich die Fesseln einer lästigen Liebe wie-
der los zu werden suchen.
Bis in das graue Alterthum sind wir im Stande, derartige!
magische Handlungen nachzuweisen. So gab es schon im aUenl
Indien einen Liebeszauber, durch dessen BeihtÜfe das Mfidcben auf (
djis Herz ihres heias Geliebten zu mrkeu suchte. Ein Beisiiiel
findet sich in einem Zauberspruch zur Fesselung eines Mannes und
zur Vertreibung einer glQcklichen Nebenbuhlerin (R. Veda 10. 145i:
.Dteae Pflanze grabe ich aus, das kräftige Kraut, durch welches msa
die Nebenbuhlerin verdrängt, durch welches man einen Uattra erlangt.
Du mit den ausgebreiteten Bl&ttem, heilbringende, kiaflreiche, von d«a
Göttern geapendete, blase weit weg meine Nebenbuhlerin, verschaffe mir einea
eigenen Gatten.
Herrlicher bin ich, o herrliche« Gewächs, herrlicher aU die Herriidien«
aber meine Nebeubuhlerin, die soll niedriger sein ala die Niedrigen,
Nicht nehme ich ihren Namen in den Mund, nicht weile tie gern beij
diesem Stamme, in weite Feme treiben wir die Nebenbuhlerin.
Ich bin überwältigend, da bist siegreich, wir beide siegreich, wollen ,
Nebenbuhlerin bewältigen.
Dir legte ich die siegreiche rar Seite, dich belegte ich mit der »ti
reichen; mir laufe dein Streben nach wie die Kuh dem Kalb, wie Wasser
dem Wege entlang eile ep."
Eine ganze Reihe solcher Segen zur Entflammung (^uc)
Liebf" in dem Herzen eines Mannes hat uns der Atharvaveda
aufbewahrt. (Zimmer.)
Einen Liebeszauber bei den alten Aegyp t er n hat Erman'-^ aus dem
grossen Pariser ZauberpapjTUS nachgewie.sen. Eine der Formeln
lautet:
.Mein . . . xu legen an den Nabel de» Leibes der A'. N., es zu bringen (?)
den . . . der N. N. und dase sie gebe, was in ihrer Hand ist, in meine Hand,
was in ihrem Mund iiit in meinen Mund, was in ihrem Leib ist in meinitn
Loib, vfas in ihren weiblichen Gliedmaasaen, gleich, gleich, augenblicklich,
augenblicklich.^
Die alten Romer brauten Liebestränke, welchen man die Kraft
zuschrieb, Personen beiderlei Geschlechts, die sich frtiher ganz gleich-
gültig gewesen, ineinander verliebt zu macheu oder durch die man
den« (Jej^enstaudu .seiner Anbetung Gegenliebe einzuimpfen hoSle.
LucuIIhs soll durch einen solchen den Verstand und zuletzt das
Leben eingebUsst hüben. Der Dichter Lncretius nahm sich das
Leben im Liebeswnlm, der ihm angeblich durch ein Philtrum —
$46
wnd0B
Bofs
80 Mumie man deu .Liebeätnunk* — beigebracht ward«. Dagegen soD
Aptdejus das H.en der reichen PudenUBa dtii^h ein Phütnun gewoimeo
haben, das aus Spargel, Krebescfawanten, Fischlaich, Tranbenblut
und der Znnge de* fabelhaften Vocels Jjop zusammengesetzt war.
Der Italiener Porta erzählt Wunderdinge von der Wirkung
des Hippomanee, einer schwarzen Haut, die, roo der Ch^ase einer
getrocimeten Feige, anf der Stirn neugeborena* Fluten wuchs und«
von den Griechen zn Polrer rerbrannt, im Blute des Liebenden
als Philtnun gebraucht wurde.
8^on xa früherer Zeit «cheinea oiuere germa.nisckca Altvotdena die
»LJetwaoberei getrieben so haben. Di« Ueba MlWt «mM^ aa flir ewen
tSaaber gehalten haben, da sie ja eiacB ao Ibenws ad^Aigaa Einiaai aaf
Leib asd S«ele, auf GeUt nnd GÖaltb aatttbi. Maa Mdite im »kaBdiaaTi-
^•chen Norden xor Eir«gaaff der liebe dia aijatiadM Wirkaag der Baaea ßn
witWtmAoU datihat. Aawerb makreaaa aordiachea Sagen, die
Mieker Kraft der Boaen BeJafnele briogcn, lenen wir aaa den Liedern
Sitgfntd detgleiekaa LiebemitUl kennen. In dem errtaa BrjfukOlitde
Rnaen gegen BetbOmng durch Crefode Weiber mügetkaüt; die Boae
Nand (Not) aaf den Nagel. Odraaen auf den RAekea der Haad aad anf daa
gertbit> worin der Liebertraak (nünnisweig) geboten wird, waren an
Zweck wirksMn. Alt heraaden kiftftig gnÜ ein Trank, durch
vad Lieder nnd Bania reidi g— gnH Ueber dieaua Ab«r>
■prieU Bradcr ArlkäU: ,Pfni, glaafail da. daa» da eiaan Maane
ii[ in Tliri sau ilmal nllin ■i'^nn ~' '^- '^^'^i isfni hinrinrtrmiii Inniifuit'"
Sin aademal mft er: ,Es gcka maaehe mit bUeem Zaaberwerk aaa, daaa
wtkacB, eiaee Baaein Sohn oder eiaea Kaecbi an beanbera. Ptm, da
ThSria! waram beaaabeni da nkkt einen Gtaföa odv eiaan KflaigT
werdest da ja eine Ktaigin werden. Allein nieki bin«« iank Kr-
Prcdigtea, Modarn aoch aü Tid loifligcBca )6tteia «
Enhe gegfla Miehea Aba^giaabeB la Falie; aad Wnialill flftit aa:
die BexcBV«C»lga^ca bMktai. kiack&e wiihi MHea Tanneiallid
laaber ein W^b anf daa Sekeitakaafen. nsd ntanehae Mldckea
MiaaB Liebräi mit dem Tode bttwea*
in ecrtcT Linie galt es. mit geräaaa Zaabermxtteta dem gcb^tiea «.■
ttaade „Etwas antnthnn''. d. h. ihm etwa* hmaüiA bwiabriagea aaf (
ptUhische Wme, wedureh ein an wideratak lieber I
wird. Dabei worden oft die tbmri«diacben Michte ai BsUk
Ob^eäek die niiliftidin in Deataeblaadaaf die;
aad dea Gcbiaaek Mieter Jfitflal hatpcdicksStnlca I
Glaaba aadk dmm aack nckt gaaa. ab ama aafkiili. die
aack beata kenma im Talk»
Mittel la AnwaadBag.
Der deatseke Tolkaaberglaabe a. B. ii4
«a Mitteki sar Liebe» -Srwabaag, die nrfkkka
UiBimiia Zant aiad gewime ZaaV«r«pr«ckc aa iialba^: Ba^wb«
dir Oberpfals eiaea ZaBbanpraik. ia
|p,t»r- «a deakfifrmekai Moad w«ad
dock LFt aar bei ■■■ikwielBB Xaad dar Sfiadk tbb Wghtf.
.Gs«M dsck Gott, läebec
leb 9^ «ek kf««
Sakeät dar Moadi
53. Der LiebeBZHu"beT.
347
)dei":
Meinem Herzallerliebsten aaPa Bett:
Las« ihm nicht Rast, läse ihm nicht Ruh,
Da88 er zu mir kommen mu (muss)!"
„Ei du mein lieber Abendstem,
Ich seh dich heut und allzeit gern;
Schein hin, schein her,
Schein über neun Eck,
Schein Ober meines Herzallerliebsten sein Bett,
Dasa er nicht rastet, nicht ruht,
Bis er an mich denken thut!"
Die Ausübung eines Liebeszanljers ist in einem Gemälde (flandrische
Jchule) aus dem 15. Jahrhundert dargestellt, das sich im Leipziger Museum
befindet und von lÄtbke besprochen wird; dazu ist eine treflliche Copie ge-
^geben (Fig. 88) : In der Mitte eines mit Kamin und reichlichem Hausgeräth ver-
lehenen Gemaches steht ein nacktes Mildchen, nur mit einem dännen
'Schleier bedeckt; neben ihr befindet sich eine Truhe mit geöffnetem Deckel; in
derselben, die auf einem Schemel steht, erblickt man ein Herz, wahrscheinlich
Iein Wachsbild. In der rechten Hand hiVlt das Mädchen Feuerstein und
Schwamm, in der erhobenen Linken einen Stahl, mit dem sie aus dem Feuer-
Btein Funken schlagt; diese letzteren sprühen auf das Herz herunter, wahrend
"Tom Schwamm auf dasselbe Funken herabfallen. Durch eine im Hintergrund
tich öffnende ThQr tritt ein junger Mann in das Gemach.
Ueber die Bedeutung dieser Scene kann man nicht zweifelhaft sein:
Offenbar ist hier die magische Handlung eines Liebeazaubers dargestellt, der
»in solcher Form namentlich im Mittelalter verbreitet war. Sie bestand darin,
dass man ein Bild aus Wachs oder anderem Stoffe (in ganzer menschlicher
Figur oder auch in Gestalt eines Herzens) mit dem Nßmen Dessen, auf den
es abgesehen war, taufte und es dann glühen oder schmelzen machte. Durch
die Wirkung galt nun Derjenige, dessen Namen das Bild trug, mit seinem
I Wesen als magisch an dasselbe gebunden; er sollte, indem er Aehnliches
[erlitt, wie das Bild, in Liebe entzündet werden. Jacob Grimm erwähnt
[folgende Stelle aus dem Gedicht eines fahrenden Schülers:
„3üt wunderlichen Sachen
I^ ich sie denne machen
von wahs (Wachs) einen Kobolt
wil si daz er ihr werde holt
und töufez in den brunnen
und leg in an die sunnen."
In der R<«gel Hess man da» Zauberbild (den „Atzmann'*), statt es in die
[Bonne zu legen, am Feuer „bähen". In unserem Bilde ist die „Taufe" durch
ein Benetzen des Herzens angedeutet, zugleich aber auch das Entzünden oder
I „Versengen".
Auch bei den Indianern in Nordaroerika spielt ein Bild des Ge>
' liebten bei dem Liebeszanber eine wichtige Rolle. Nach Keating fertigen die
iChippeway-Mädchen ein solches Abbild des begehrten Mannes und streuen
ein gewisses Pulver auf die Herzgegend, Bemerkenswerth ist hier, dass
bei «liesem uncivilisirten Volke der Sitz der Liebe in die Herzgegend
„wird.
in man (im 8am lande) da, wo ea Niemand hOrt, drei Mal laut
len Namen der geliebten Person ruft, «o zwingt man sie dadurch, an den
Rufenden ra denken. {FriHdAitr.)
Am Johanxiisabend itreat man in der Gegend ron Angerberg (muh
Müllrnhotf) finen beliebigen Samen in die Erde und epriebt dabei:
,Ioh •treoe meinen Sameo
In Abntkam» Namen,
Diese Nacht mein FräuUeb
Im Sdüafe tu erwarten.
Wie er geht und steht.
Wie er auf der Gasse gebt!*
<Mer man streut Leinsamen in 's Bett und spricht:
pich efte Leineamen
In Gottee Jen Namen,
tn Abrahams Garten
Will ich mein Feinslieb erwarten.*
Ein eigenthflmlicheg magisches Mittel ul der Sudzauber, aueh 8<ed>
sauber, nordisch: seidr. E» wird unter gewissen Sprüchen ein St^k ge>
braachter Kleider oder Haar in einem neuen Geschirr gesotten, so kooiml
Über die sprOde Person plötzlich die Liebe mit solcher Gewalt, daas sie da>
hin Laufen muss, wo die Liebe gesotten wird, and cwar um so schneller, je
st^ker das Wasser im Topfe wallt; und kann sie es nicht eriaufen. so mnas
sie sich zu Tode rennen ; kein Hindemiss auf dem Wege ist so stark, das« es
nicht Obennmden werden wollte. Schömcerth beriehtet von einigea FiUeo,
in welclien die Verliebten, wie sie fest sn wissen Raubten, unter dem Baue
solchen Zaubers gestanden haben.
Derartiger Zauber ist aber nicht allein auf die enropiiscben TOlkcr-
•cbaften beschränkt. Das beweist eine Angabe von Sitdd*.
,8ynpatheti8cbe Mittel, Liebeswahn zu erregen, werden von den aof
Djailolo und Halamahera (HolL-Oatiodieu) lebenden Galela and
Tobeloresen unter der Bezeichnung ,golea laha* ofl angewendet. Die
UBprtngUche Galela weise ist die Bezaubenmg mittelst Binnen. Man r^%M
m dam Zwecke 3 Tage nach Neumond 4 ümnuru- und 4 Gabi-Btamen. «teilt
sie in einen weisen Topf mit Wasaar, setst diasalben unter freien Hiounel
▼or sich hin und spricht, wenn die Staxne sich aeigen: ,Frao Sonne, dn bell
leuchtende Fran, ich gUnie wie die Sonne, die anftpriagt (aoigelit). ick
gUnze wie der Mond, der sich leigt. ich giSnse wie der Stern an HiauMi.
teh glftttte wie das Feuer, das flammt, idi gHütae wie die SonaeabiBsw, dia
sidi SiEaet, möge X mich lieben, an mich denken \m Tmg», wie bei NnchL*
Naeh diesen Worten muss Gedeht und Körper dreiaal aüt dem Waaitt
gewaschen werden, in dem die Binmen lagto.*
Auf den Aam- nnd Tanembar-insefai (Kiederl&ndiseb-Osti
dien) wenden aaeh viele Miaaer spspatlictiadie Zaabennittci an. ob
Ftna in sieh rediebt an aiariwa. fHimblKj Gnaa Ikalieb ist es aaf den
Seranglno- aad-Goroag-bmla.
iliissrinnkiillirh nnanig<ig ist die sweite Art des LiebeaauAen, bei
wddMm das gdiebie Wesea aüi bestiaunten abaoaderiici— Diagta
werden arasa. ba Bpreewnld, dar bsknaatüA eiae weadisobe
mg basilst. sagt OMa an «taadaea Octea. daas der jaage "
Mldfii— IS liebe sa gewiaaaa. ia doea A laiisiiiibanfeii ciacn Icbtadsn Ffaack
lüaeiatbon and eowcii mtggikam aeD, daas «r niabi» siekt oad atdtla bOrl.
dann aadi einigen Stondea anss er wiedesteauaea und
Pft>selMs aelBBeB, daraof das MUcben eine Band fsbea oad ftr dabei A«
Frosekband in ihre Haad drflekea.
Aack in DeotscbUad ist d«r Finadb an wie^Ügw H<ifcMitte< Ar
349
den Liebeszaober. In Schwaben, Böfameo, He^isen, Oldeaburg thut
der Barsch einen Laubfrosch in einen neuen Topf und bindet ihn &in Georgi-
tage vor Sonneniviifgang in einen AmeiBenhaufen ; ist der Frosch dann von
den Ameiiien verzehrt, so nimmt man am folgenden Georgitage (also nach
Jahresfrist!) die Knöchelchen heraus und bestreicht mit einem solcheu (dem
Schenkelknochen) da« Mädchen auf sich zu. In Ostpreussen sticht man
zw'ii »ich begattende Frösche mit einer Nadel durch, und mit dieser Nadel
heftet man dann einen Augenblick die eigenen Kleider mit denen dee Ge-
liebten rusammen. (Toppen). In der Oberpfalz muas der Bursche die
Hand des Mädchens mit dem Füsschen eines am Lukastage gefangenen Laub-
frosches blutig ritzen.
Dem Frosch schliesst sich die Fledermaus, die Eule und der Hahn an,
also 8&mmtlich Thiere, welche in der Mythologie und in der schwarzen
Kunst von jeher eine wichtige Rolle zu spielen bestimmt gewesen sind. In
Ostpreuasen berührt das Mädchen ihren Geliebten heimlich mit einer Fleder-
mauskralle; sie nauss dabei aber einen Zaubersegen murmeln. Im Samt and e
heisst es: Man scbiesse eine Eule und koche sie in der Mittemachtsstunde.
Alsdann suche man aus ihrem Kopfe zwei Knöcbelchen, welche wie Hacke
und Schaufel gestaltet sind. Das Uebrige von der Eole vergrabe man unter
die Traufe. Wünscht man nun ein Mäldchen für sich zu gewinnen, so darf
man sie nur heimlich mit der Hacke berühren : sie ist „festgehackt". Reisst
man einem Hahne die Schwanzfedern' aus und drückt sie dem begehrten
Mädchen heimlich in die Hand, so hat man ihre Liebe erobert (in Schwa-
ben). In Böhmen genügt es, mit diesen drei Federn aus dem Hahnen-
achwanze den Hals des Mädchens zu bestreichen.
Aach manche Pflanzen stehen in ganz besonderem Ansehen. In
Franken trftgt das Mädchen Liebstöckelwurzel , imSpessart Lieb-
BtCckelblüthe im Rosmarinbüschel bei sich, um den Geliebten an sich zu
fesseln. Es kann, so heisst es in Posen, der Bursch von der reinen Jung'-
fraa dann nicht mehr lassen, wenn letztere in seinen Brustlatz die Spitxe
eines Rosmarins einnäht. Und wie in Neugriechenland, so ist auch in
{Ostpreussen und der Oberpfalz das heimliche Zustecken von vier-
blättrigem Klee besonders in die Schuhe von troumachender Wirkung; ander-
'wärte, z. B. in Böhmen, legt man Rosenäpfel dem Schatz in's Bett. Bei
den Sfld-S laven gräbt nach Kranss^ ,das Mßdchen die Erde aus, in welcher
die FusMspur des geliebten Burschen sich abgedrückt hat, giebt die Erde in
einen Blumentopf und pflanzt die Ncvenblumo (Calendula oflicinalis). Das
ist die Blume, die nicht welkt! So wie die gelbe Blume wächst und blüht
and nicht hinwelkt, so soll auch die Liebe de» Burschen zu dem Mädchen
wachsen, blähen und nicht verwelken.*
In Italien giebt es {t\i das Mädchen ein unfehlbares Mitt«l, sich den
'JUngllng geneigt zu machen; sie muss ihm „das Pulver werfen". Da ist
[die Eidechse, ein »onst in Calabrien allgemein respectirtes Thierchen, denn
trftgt ja Wasser in die H5lle, ihr Feaer za löschen; diesmal musa sie
die Liebe respectirt kein Gesetz. Das Mädchen nimmt also die
Sidechse, ertränkt sie in Wein, dOrrt sie an der Sonne und stösst sie zu
Naiver. Von diesem Pulver nimmt sie eine Prise und bestäubt damit den
beliebten. Dies hält man fUr ein unfehlbares Liebeszwangsmittel, und du-
^on stammt die Phrase: Sie hat mir da» Pulver geworfen, d. h. eben, mich
•ich verliebt gemacht. (Kaden.)
Sympathetische Zaubermittel , um Männer und Frauen liebestoll zu
Sachen, werden auf Buru angewendet. Man benutzt dazu Sirih-Pinang
tuittol wirklich dem zu Bezaubernden einverleibt haben, mit anderen Worten,
wenn sie im Stande gewesen sind, dasselbe seinem Trank oder aeiuen
Speisen beizuminchen. Hier stehen obenan die sogenannten Liebesträuke,
die Philtra der alten Griechen und Römer, und wie bei allen Völkern,
80 spielen sie auch unter den Deutschen und bei den Süd-Slaven eine
bevorzugte Rolle. Die alte Magie kommt da zum Vorschein, und noch bis in
die neue Zeit giebt es Verblendete, die an ihre Macht glauben. Eiiie Frau.
die rait Liebeetränken handelte, wurde im Jahre 1859 zu Berlin verhaftet;
sie hatte täglich gute Geschtlfte gemacht. Von der Liebstöckel-Wurzel, deren
mystische Kraft hochgeachätzl wurde, macht man in Franken einen Liebea-
irank; die Böhmen aber tröpfeln zu gleichem Zweck Fledermaua-Blut in's
Bier; nicht ungefillirlich mag alterding« die Liebeawuth »ein. welche die
fränkischen Mädchen bei ihren Geliebten dadurch erzeugen. da.ss ^ie den-
selben in Kaö'ee eine Abkochung von spanischen Fliegen übergeben, denen
sie vorher den Kopf abgebissen haben; denn das in diesen Thierchen ent-
haltene Cantharidin wirkt schwer schädigend auf die inneren Organe , nament-
lich auf die Nieren ein.
üeberhaupt waren die LiebestriLnke früher sehr gefürchtet und nach
dem Ausspruch der alten Aerzte sollen Leute dadurch wahnsinnig ge-
worden sein, ein Ausspruch, der sich vielleicht auf die angefahrten Beispiele
von angeblichem Liebeswahn im alten Rom stützte. Zachias sagt: Pocula
amatoria bominem infatuunt et insaniam pariunt, ut nonnullonim animaliuni
cerebra et »olaraum fuiioäum.
Eine meisterhafte Schilderung von der Wirkung eines solchen
Liebestrankes verdanken wir bekanntlich Gottfried von Sfrassbnrtf :
Die Königin bereitete
Ihrer Weisheit gemäss
In einem Glasgefilss
Einen Trank der Minne.
Der mit so feinem Sinne
War ersonnen and erdacht
Und mit solcher Kraft vollbracht,
Wer davon trank, den Durst zu Rtillen
Mit einem Andern, wider Willen
Mupst er ihn minnen und meinen.
Und jener ihn, mir ihn den Einen.
Ihnen war Ein Tod, Ein Leben,
Eine Lust, Ein Leid gegeben.
Sobald den Trank die Magd, der Mann
Inot gekostet und Tristan,
Hat Minne schon sich eingestellt.
Sie, die zu schaffen macht der Welt,
Die nach allen Herzen pflegt zu stellen,
Und Hess, von beiden ungesehen,
Bchon ihre Siegesfahne wehen:
Sie zog sie ohne Widerstreit
Unter ihre Macht und Herrlichkeit.
Da wurden eins nnd einerlei
Die zwiefalt waren erst und zwei:
Nicht mehr entzweit war jetzt ihr Sinn.
iMtldem Ha«s war gans dahin.
XII. Liebe ui
Die Stthnerin, Frau Minne,
Halt« Beider Sinne
Von Hass so ganz gereinigt,
In Liebe so vereinigt»
Daes eins so lauter und so Uar
Dem andern wie ein Spiegel war.
Sie hatten Beide nnr Ein Herz:
Sein Verdrnss schuf ihr den grössten Schmerz,
Ihr Schmer/. verdrosH ihn mächtig.
Sie waren Beid" einträchtig
In der Freude wie im Leide,
Und hehlten sicha doch Beide.
Da» kam von Scham und Zweifel her:
Sie schKmt« sich, eo that auch er;
Sie zweifelt an ihm, Er an ihr.
Wie Beide blind auch vor Begier
Sich einem Wunsche möchten nahn,
Zu schwer doch kam es ihnen an
Zu beginnen, anzufangen:
Das barg ihr Wünschen und Verlangen.
Aber auch hier sehen wir bald wieder bei dem Landvolke die Suc
von dem eigenen KOrper dem Anderen etwas einzugeben. Im Spreewalde
macht der .Tflngling da« Mädchen in sich verliebt, wenn er »ich in den
kleinen Finger der linke Hand schneidet und das dabei hervorquellende Blut
dem Mädchen heimlich zu essen giebt. (v. Sdmknhurg.) Auch in Böhmen
Mchneidel man «ich in der letzten Stunde de« Jahre« in den Finger, mischt
drer Tropfen Blut in einen Trank und Itlast ihn den oder die Geliebte trinken«
Ein Liebespulver schätzt man in den Niederlanden. {Wolf.*)
Man nimmt eine Hostie, die jedoch noch nicht geweiht sein darf, «cfareibt
auf dieselbe einige Worte mit dem Blute aus dem Riugfmger und läast als-
dann von einem Priester fünf Messen darüber lesen. Dann theilt man die
Hostie in zwei gleiche Theile, deren einen man selbst nimmt und den an-
deren der Person giebt, deren Liebe man gewinnen will. Dadurch „ist schon
viel Unheil geschehen und manches keusche Mägdelein verführt worden".
Doch auch das gewöhnliche Blut genSgte dem Vorstellungsvermögen
des ungeb j Ideten Pöbels nicht. Es musste noch etwas Besonderes dabei sein.
Und so wählte man dann das Menstmalionsblut, um e» für die Zauberspeise
zu benutzen. Der bereits im 9. Jahrhundert vorkommende Zauber, den
.Männern weibliches Menstrualblut in Speise und Trank zu mischen, kommt
vereinzelt noch vor, z. B. im Rheinland. Bei BurcAard von W o r m s heisst
68: .Fecisti qaod quaedam mulieres fatere solent? Tollunt mcnstruum suum
«anguincm, et immiscent cibo vel potui, et dant viris suis ad maudacandum
vel ad bibendum, ut plus diligantur ab eis. Si fecisti, quinque annos per
legitimas ferias poeniteai.*
Die hervorra^^etndste Rollo spielt hier jedoch ebenfalls wieder d«r
Schweisii. Man mus» Aepfel oder .Semmeln, welche der Andere essen soll,
im Samlande mit dem Schweisse des Körpers bethauen; in Schlesien,
Böhmen und Oldenburg trilgt man Obst, besondere einen Apfel, oder
Weissbrod, oder ein Stück Zucker so lange auf der blossen Haut unter d«na
Arme, bis es von Seh weiss durchdrangen ist, und giebt es dem Anderen zu
esson. Ganz Gleiches geschieht Im Spreewalde. Wenn dort aber ein Mäd»
chen die Liebe eines , Jungen* haben will, so soll sie «ich die Nacht aber
53. Der Liel
353
ein KAulcfacn Semmel oder Zwieback oder einen Apfel zwischen die Beine
auf die Pudenda legen, es da durchs oh witzen lassen unxl dann dem Junjiren
ZD essen geben, so kann er nicht von ihr lassen. Auch ein durchgesch «ritzte»
seidenes Halstuch, das zu Zunder verbrannt, pulverisirt and dem Essen bei-
gemengt wird, giebt einen wirksamen Liebeszauber ab. Die Chiloten in
der südlichsten Provinz von Chile benutzten ebenfalls den Schweiss als
Mittel f[lr Liebeszanber. Die junge Chi lotin webt aus F&den von gewisser
Farbe Tücher, die sie eine Zeit lang bei sich trägt; dann weiss sie sie dem
geliebten Jüngling entweder in die Kleidung zu bringen, oder sie kooht ihm
ein Getränk und seiht dasselbe durch ein Zaubertuch. Nach dem Genüsse
widersteht er ihrem Anblicke nicht. Das ist aber alles den Leuten noch
nicht unappetitlich genug. Man Ifisst in Böhmen Haare aus der Achsel-
höhle gepulvert in den Kuchen backen, und anderwärts bestreicht man das)
Brod, dos der Andere essen soU, mit Ohrenschmalt. Selbst das Semen virile
wird, wie im frühesten Mittelalter (Watsertchkbtn), noch jetzt in Böhmen
der Speise oder dem Tmnke eines Mädchens beigemischt. (Grohmann.)
Andere genies^en eine Muskatnuss, die dann wieder, abgegangen, dem Ge-
liebten zum Genüsse heimlich beigebracht wird. Will Einer, dass Jemand
zu ihm in Liebe entbrenne, so muss er auf nüchternen Mageu drei Pfeffer-
körner verschlucken; spilterhin, nachdem er sich entleert, die Körner aus
seinem Abgang heraussuchen, trocknen und zu Pulver stossen. Dieses Pfllver-
chen wird in einen Kuchen verbacken und der Geliebten oder dem Geliebten
zum Essen gegeben. (Gegend von Varazdin.) (Krams.^J
In den Decreten des Bischof BurcAarrf von Worms finden wir: Fecisti
quod quaedam muliores facere solent? prostemunt se in faciem, et disco-
opertis natibus, jubent ut supra nadas nates conficiatur panis, et, eo decocto
tradunt maritis suis ad comedendum. Hoc ideo faciimt, ut plus exardescant
in amorem illaruni. Si fecinti. duos annos per legitimas ferias poeuiteas.
( instasti de semine viri tui ut propter tua diabolica facta , plus in amorem
tuum exardesc^eretV Si fecisti «eptem annos per legitimas ferias poenitere
debes. Fecisti quod quaedam mulieres facere solent? Tollunt piscem vi^^m
et mittunt eum in Puerperium suum et tamdiu ibi tenent, donec mortuus
fuerit, et, decocto, piace, vel assato, maritis suis ad comedendum tradunt.
Ideo faclunt hoc ut plus in amorem earum exardesctint. Si fecisti, duus
annos per legitimas annos poonitcas.
In früher gebrauchten Liebestränken gab es folgende Ingredienzien;.
{Mark) Lorbeerzweige, das Gehirn eines Sperlings, die Knochen von der
linken Seite einer von Ameisen angefressenen Kröte, das Blut und Herz von
l_Tauben, die TesUkel des Esels, Pferdes, Hahns, und ganz besonders wieder
Menstrualblut. (Schwaben.)
Der Liebeszauber, welchen die Neugriechen haben, mag wohl zu
einem grossen Tbeil aiis alter Zeit stammen. Es giebt jetzt in EpiruM
und Thessalien (im Alterthum bedeutete bekanntlich «Thessali er in"
eine Zauberin) weise Frauen, die mit Dämonen oder Geistern in enger Ver-
I binduug stehen und deshalb ein einträgliche«, doch unheimliches Geschäft be-
treiben. Sie verstehen die Liebestränke, tplXzffct der Alten, zu brauen, oder
sie sind i4u Besitz von Wunderkräutem , mit denen man die Geliebte oder
^en Geliebten nur zu berühren hat, um sie ganz willfährig zu machen,
ist das sogenannte zgiqtvXX' {ov) fii Ttacega 9>ViUa (Klee mit vier Btät-
h), dem noch mehr Wunderkräfte zugeschrieben werden, x. B. dan Oetlnen
les Festverscblossenen. {Dossius.)
Plo«*, Dm Wfib. I. 1, Ann. 20
354
Xn. Liebe and Ehe.
Auch in Bosnien ist der Glaube und das Vertrauen auf gewiane
alte Frauen sehr ^tobs, welche im Rufe stehen, durch Weissagungen,
Salben und andere Mittel He^enraeisterei zu treiben. Sie uind es auch,
welche abergläubische Frauen in vielen Dingen, go auch in Sachen der
Liebe, um Rath und Hülfe befragen. Wird ein Mohammedaner seiner
Gattin untreu, so darf dieselbe nicht dagegen murren, sie bleibt treu und
schweigt — zu Hause. Sie sucht dann aber die Hülfe solcher klugen Frau
auf. Ist ihre Lage eitie derartige, dass ein Gebet allein noch nützen kann,
so wird die Quacksalberin befragt, welches Gebet und wie oft sie es t&glich
verrichten, welche Speisen sie ihrem Gatten kochen, wie sie das zum Ardes
(Waschen) nothwendige Preskir (Tuch) stecken soll? Die Quack^alberin hört
die Klagen ihrer Clientin so ruhig lind gleichnilssig an, wie dies bei uns
die .\dvokaten zu thun pflegen. Ist dann die Clientin zu Ende, so tritt
eine kleine Pause ein, nach welcher die Magierin die Taxe für ihre Prophe-
zeihung feststellt und gleich auch einhebt und bei Seite legt, und dann
erst sinnt sie darüber nach, welche Mittel in diesem Falle angewendet wer-
den sollen. Bei Treu- and Ehebruch werden von der Quacksalberin bei
3,lteren Clienten BohnenkOrner, bei jüngeren Erbsenkömer angewendet.
Diese Körner tragen gewisse Einschnitte ; wenn nun die Clientin ihr Leid
geklagt, welches in der Regel darin besteht, dass ihr Mann in der Nachbar-
schaft sich ein anderes Weib hält, and wenn sie dann die vereinbarte Taxe
zuvor entrichtet hat, dann streut die alte Hexe diese Bohnen- und Erbsen^
kOmer mit einer eigenthümlichen Gewandtheit auf die grosse Tasse, welche
sich auf dem Teppich befindet, prüft dann die Lage der Einschnitte der
Bohnen- oder Erbsenkömer und liest aus denselben ihre von jeher als un-
fehlbar anerkannten Ansichten herab. Sie erzählt dann, warum der Gatte
treulos geworden, wodurch die Rivalin ihn an sich fessele, was zu thun sei, utn
dem Uebel abzuhelfen und dergleichen mehr. Nie vergisst sie aber, die
Clientin auf einen späteren Tag wieder zu sich zu bestellen, selbstrerst&nd-
lieb mit Geschenken. {Stratus.) In Marocco wird nach Quedenfehil der
Kopf eines Geiers und eines grossen Sauriers benutzt, um gepulvert, heimlich
dem Gatten beigebracht zu werden, damit seine der Frau verloren gegangene
Liebe wiederkehre.
In Deutschland sind bestimmte Taf^ dem Liebeszwange besonders
günstig; es sind dies Johanni (24. Juni), Andreas (30. November) und %y\-
vester (31. December). An diesen Tagen sind besondere Zaubersprüche
'von grosser Kraft. Aber auch Ostern reiht sich hieran. So giebt die Ver-
liebte in Tyrol ihrem Schatze Ostereier zu essen, welche sie am Oeter-
Sonntage auf einem geweihten Feuer gesotten hat.
Es geht jedoch den Verliebten, welche durch Zauberei Jemandem »den
Nachlauf angethan haben*, wie man in Schwaben sagt, nicht selten ähn-
lich, wie dem bekannten Zauberlehrling. Sie sind des Segens überdrüssig
und möchten die Liebe des Anderen wieder mit guter Manier loswerden.
Das geht natürlich nur durch einen neuen Zauber. Wer die oben erwähnte
Eolf geschossen und mit dem hackenfömiigen Knochen sein Mi^dchen fest-
gehackt hat, der thut gut. auch den Schftufelknochen sorgfältig zu bewahren.
Denn wenn er das Mfidchen wieder los sein will, so braucht er sie nur mit
dieser Schanfel zu beriihrt^n.
So wie man Liebe gewinnt, indem man Theile des eigenen Ich dem
anderen Menschen an oder in den Leib bringt, ebenso kimn man sich auch
in analoger Weise wieder von ihr befreien. Man verschafft sich zu diesem
Zwecke umgekehrt Etwas von de« AndereA Leibe, nnd macht es im Licht»
i
53. Der Lief
tr Sonne o<ler in der Nacht des Rauches vertrocknen oder vergehen; dumit
chwindet die Liebe, nicht selten aber auch der Leib. Was Liebe hervor-
rin^, kann »ie unter anderen Verhältnissen auch aufhSren macben.
Hieran reiht sich noch die Bosheit, welche verßchmähte Liebe oder
Bbrochene Treue ans Rache ersinnt und vollzieht. Ausser mehreren anderen,
laubemiitleln. welche namentlich die gegenseitige Liebe eines Brautpaares
au stören geeignet nein sollen, führt Schöntterth aus der Oberpfalx
Tolgendes an: Ein solches rachsüchtiges Wesen zündet um Mitternacht eine
iene an und ateclct nach vorgängiger Beschwörung eine Anzahl Nadeln
"mit den Worten in dieselbe: »Ich stech das Licht, ich stech das Liebt,
ich stech da« Her/., das ich Hebe.'' Wird der Geliebte nun spater untreu,
"O ist es sein Tod, Daher ist es wichtig, zu erfahren, dasa Allelujah-Klee,
welcier gegen Ostern seine kleinen weissen BlOthen trägt, gegen Liebes-
träuke schützt.
Dem Yolksgeschmack mehr zusagend ist ein Mittel, welches Paulini
«einer heylsaroen Dreck- Apotheke ant^hrt: ,Wem ein böses WeibsbUd
lero etwas sie zu liebun beygebracht hat, der befleisse sich nur, von ihrem
Kotb etwas zu bekommen, und lege es in seinen Schuch. Sobald der Koth
1 erwärmet, und ihme der Gestanck unter die Naaen gehet, so wird er einen
AbflCheu vor ihr tragen.*
Ein Liebeszauber wird nun aber nicht allein von solchen angewendet,
1^ welche bereits ihr Auge auf einen ihrer Mitmenschen geworfen haben, son-
I^Bem der Mensch ist von jeher liebebedilrftig. wenn er auch selber noch
^^Bcht weiss, wen er mit seiner Liebe beglficken soll. Und da mässen
^^vieder Zaubermittel helfen. In Frankreich wird man den Damen un-
^Hriderstehlich, wenn man ein Schwalbenherz bei sich trägt. Die Eingeborenen
des Östlichen Neu- Guinea glauben nach Comrie fest an Liebeszauber, der
^^^em genannten Berichterstatter hOchst geheimnissvoll mitgeth^ill wurde.
^BCr be«itehi darin, dass man das Gesicht uiit einem wohlriechenden Harze
^^nnreibt; das andere Geschlecht kann dem au beschmierten nicht widerstehen.
^Hper einheimische Name für diesen Zauber ist tübäi. Die K ei sar- Insulaner
^^%lauben dadurch Liebeswabu zu erzeugen, da«» sie auf die Fusstapfen
der Männer oder Frauen geheime Mittel legen, oder auf die Stellen, wo
diese ihren Urin hingelasseu haben, hintreien und ebenfalii dabin uriniren.
{BiedcV)
1 Ein einfacheres Mittel giebt es für indische Männer; sie verschaffen
y rieh einen gewöhnlichen kleinen Hufeisenmagnet; weis« der Besitzer einei
^^blcben dann noch gewisse kleine Zauberformeln geschickt anzubringen, so
^^■i kein weibliches Herz vor ihm sicher. (Martin.^)
^H Bei den Dajaken des südöstlichen Borneo ist es genügend, derglück-
^Hcbe Besitzer eines Djawet, d. h. eines heiligen Topfe« zu sein, um Gluck
^^b allen Dingen, namentlich aber auch in der Liebe, zu haben. (Crrabuicski.J
^^ Es ist nun femer eine ganz berechtigte Neugierde, erfahren zu wollen,
von wem man eigentlich geliebt werden wird. Und da müssen die Li<<be8-
orakel aushelfen, für welche ebenfalls die obengenannten heiligen Tage ganz
besonders geeignet sind. Aiu Andreasabend atösst man (in KOuigsberg^ drei-
mit den Füssen an das untere Ende des Bettes und spricht;
«Bettlad ich trete dich,
Heiliger Andreaif, ich bitte dich;
Laas nur im Traum erscheinen
Heate dt5n Liebsten mein."
28»
356 X^• Liebe und Ehe.
Am Sylveaterabend' sind zabb^iche Dinge geeignet snr Entacheidiug
der Frage, ob man im Verlaufe des Jabres heirathen werde. Am komüchiteo
ist folgende Procedur: Um die Mittemachtostonde stellt sich das M&dchen
nackt aaf den Herd und siebt darcb die Beine in den Schornstein oder
ins Ofenlocb; dort erblickt sie den ihr bestimmten Bräaiigam. Bei da
&üd-SlaVen föngt das Mädchen eine Spinne, steckt sie in ein Bohr nnd
stopft dasselbe an beiden Enden zu. Vor dem Schlafeng^ehen gedenkt ne
aller Heiligen, macht dreimal das Kreuzeszeichen über das Kopfpolster nsd
spricht: ,0 du Spinne, du kletterst in die Höhen nnd in die Tiefen, suche
meinen mir vom Schicksal bestimmten Mann auf und fahre mir ihn als
Traumbild vor. Führst du ihn her, so lasse ich dich am. Morgen wieder
frei, dass du weiterhin durch die Welt ziehen kannst; wenn du v(dx iiu
nicht herführst, so werde ich dich zerdrücken." (Krauts Aj
Wer noch mehr dergleichen Dinge zu erfahren wünscht, den Terwei«ea
wir auf die Abhandlungen von FriscJibier, Krauss^ und Wuttke, woselbst
er der mannigfachsten Gestaltung des Liebesorakels nachgehen kann.
54- Die Brantwerbang nnd der firantstand.
Dasjenige, was wir unter der Brautwerbung verstehen, ist
.einer Reihe von Völkern ein absolut unbekannter Bej^riff. Die
Werbung ist der Raub, die Hochzeit ist Gewalt. Aber es giebt
doch auch manche ziemlich tiefstehende Nationen, bei welchen schon
ein reguläres Bemühen nicht zu verkennen ist, sich auch der Za>
neigung und Einwilligung der Auserwählten zu versichern. Aller-
dings müssen wir auch hier an die "Verhältnisse mit einem ganz-
Uch anderen Maassstabe herantreten, als wir ihn «bei hochcivilisirten
Völkern anzulegen gewohnt sind. Denn gar nicht selten hat dieses
Liebeswerben durchaus nicht den Zweck, eine eheliche Verbindung
flir das Leben einzuleiten, sondern dasselbe wül nur die Einwilligung
zu einem regelmässigen geschlechtlichen Verkehre erlangen, welcher
aber, wenn er später wirklich zur Ehe führen sollte, noch eine
Werbung in veränderter Form nothwendig macht.
Sehr eigenthümlichen Gebräuchen begegnen wir auf diesem
Gebiete, welche sämmtlich zu verfolgen weit über den Rahmen
dieses Buches hinausgehen würde. Nur einige Beispiele sollen hier
aufgeführt werden.
Uebrigens ist es auch nicht inuner der Jüngling, welcher um
das Mädchen, sondern bisweilen umgekehrt das Mädchen, welches
um den Jüngling wirbt.
Soschickt auf der Insel Eetar im malayi 8 eben Archipel ein Mädchen,
wenn sie einem Manne gewogen ist, diesem eine mit Tabak gefällte Dose
aus geflochtenen Koliblättern , welche symbolisch ihre Geschlechtstheile
darstellt.
Auf den Tanembar- und Timorlao-Inseln gebt der Jüngling, der
sieb um die Gunst eines Mädchens bewerben wül, Nachts au ihr Haus und
klopft dort an, wo ihre Lagerstatt ist. Aus Anstandsrücksichten fragt «ie.
54. Die Brautwerbung and der Brautstand.
357
wer da ist, und wenn er Keinen Namen genannt hat, was er will. Er ant-
^_ wortet darauf: ,Icb habe keinen Pinang, ich bitte Dich um getrockneten
^Bentzwei gespaltenen Pinang mit Sirih." Ist ihm das Müdchen geneigt, dann
^Vsagt sie; , Warte ein wenig, ich will sehen, ob er jetzt noch zu finden ist,*
^m tmd reicht ihm durch eine Oeffnung den Sirih-Pinang. Um auf solche £ven<
tualitSten Torbereitet zn sein, pflegen daher die jungen Mädchen von
, dem Eintritt ihrer Reife an stets nur mit einem mit äirih gefüllten Korb
neben ^sich zu schlafen. Das Mädchen kraut darauf durch die OeShang
dem jungen Manne die Haare, während er ihren Busen betastet. Beides
geschieht sonst niemals, da beides tabu ist. Die folgende Nacht bringen
sie an einem stillen Platze ausserhalb des Hauses zu und tretTen sich bei
Tage im Busch, wo das Mädchen Holz Kammelu muss. Nach dem ersten
Beischlaf nimmt das Mädchen ihrem Auserwählten den Schamgürtel, die
Ohrringe oder den Kamm fort, um ihn zu zwingen, ihr treu zq sein und
um bei eintretejider Schwangerschaft einen. Beweis ii^ Händen zu haben,
wie sie sich ausdrücken, als Vergütung fttr den gegebenen Sirih-Pinaag. äo
leben sie einige Zeit mit einander, und wenn ihre Liebe von Bestand ist,
läset der Jüngling erst dann durch eine alte Frau der Form wegen bei dem
Mädchen anfragen, ob sie ihn heirathcn wolle. {Rkdd.)
Das Liebesverben eines samoaniscben Jünglings um seine Erkorene
und die Liebesneigung der letzteren schildert Kuhary aus eigenen Beobach-
tungen so anschaulich, dass wir uns nicht versagen können, seine Schilderung
in voller Ausführlichkeit wiederzugeben. „Samoa bietet gegen Mittag ein
wunderbar ruhiges Bild dar. Doch wenn die Sonne dem Versinken hinter die
Berge nahe ist, dann beleben sich die Wege und das „Malae" bevülkert sich
mit Gruppen lustiger Mädchen nnd Jünglinge. Hier im Kranze einiger Schünen
steht ein im Kampfe schon erprobter Jüngling, fs muss ein Manaja sein,
sein Haar ist sorgfältig geordnet. Er riecht nach Mosooi und Ula, die «ein
Halsband bilden; er ist sicherlich der Sohn eines reichen Vaters. Er steht
aufrecht und gesticulirt mit den erhobenen Armen derart, dass der ganze
Kopf schüttelt. Er stampft mit dem Fusse, er tritt hervor und zieht sieb
»zurück, 6r sti-eokt den Arm hervor, als wäre er mit einem Speer bewaffnet,
dann wieder schwingt er ihn im Kreise herum, als sei er im Begriöe, mit
einer Keule den Feind zu zerschmettern. Zweiiellos ist er ein Krieger, der
seinen schönen ZuhOrerinnen seine Thaten , seine Siege erzählt. Diese sind
ganz Ohr und Auge. Willenlos schütteln sie die kleinen Köpfchen. Der
brennende Blick verfolgt jede seiner Bewegungen, aus dem hälbgeöffiaeten
Mund,e, dessen Perlenreihen dicht gescJdossen, entschlüplt von Zeit zu Zeit
ein kurzer Ausruf. Sie horchen, sie ergOtzen sich. . . . Und al» endlich der
Erzähler geendigt und sich neben einer der Schönen uiederliess, da belohnen
allgemeine Ausrufe: Malie! Malle! onte ino ino! oute fefe! (Oh, wie hübsch,
wie hübsch! Oh, wie abscheulich! Oh ich fürchte mich !), den tapfem Krieger
nnd geschickten Hedner, Dieser, sich seines Erfolges bcwusst, fühlt die
Gunst und möchte sich ferner dankbar beweisen. Er erblickt einige Ge-
nossen und fragt sie aufmunternd: ,, Wollen wir nicht ein Lied anstimmen?"
nnd schon gruppiren sich die Chöre, und alle Theilnehmer setzen sich dichter
zusammen, einen Kreis zwischen sich freUasaend. Unser Erzähler ist der Vor-
sänger, alle Anwesenden bilden den Chor-, jedoch das Singen dauert nicht lange.
Der Krieger steht auf und stellt sich einer der schönsten Jungfrauen
gegenüber. Sie zögert, ja beinahe unwillig lässt sie sich von ihren Freun-
dinnen herzudrängen und von dem hübschen Tänzer ins Freie herausziehen.
Sie steht nun im Kreise und mit niedergeschlagenen j\ugen, mit ihren zarten
Xn. Liebe vadl Ehe.
Fingern d&s die lippigen Hdften amgebende Lavalava glättend, stellt »ie da«
Bild einer süssen Vena^heit dar. Der Chor, die Tänzer bereit aebend,
lindert den Gesang und filngt im Takte des gewöhnlichen Tanees ein Lied
an: anfangs langsam und leise, stufenweise lebhafter und lauter. Schauen
vir nun untiere Tänzer an.
Er erhebt seine Arme, und um sein Haupt Kreise siebend, schlägt er
den Takt mit den Fingerspii/en. Seine Füsse bewegen sich ohne den Boden*
lu berühren; er scheint ihn von sich abatossen zu wollen. Er erhebt sich
in höhere, überirdische Kegionen, seiner Tänzerin, der er die Seite zukehrl,
noch nicht gewahr. 8ie schlttgt ebenfalls leise den Takt mit den Fingern
und ihre Füsschen stossen gleich ihm den Boden ab. Beide schweben einem
höheren tJebiete xu , , , und hier werden sie sich gewahr. Der Ausdruck
des «f esichtes des TUnsers , jede Bewegung seiner Glieder , seines ganzen
Körper« drücken ein Erstaunfln und Entzücken aus. Sie wie eine Göttin,
blickt gleichgültig; ja um sieh des Eindringlings zu erwehren, flieht sie, den
kleineu Mund spiütttsch vorxtohond, ihm aus dem Wege. Er fürchtet sie za
wmoheucbeu und sucht sie durch Flehen anzulocken. Er steht unbeweglich,
\{\wv\\ jede Bewegung seines KOrpcrs das Bitten ausdrückend. Er streckt
••ItlitOobtig seine Arme aus, er bewegt sie leer vor dem Antlitze. Abweeen-
ImH Midmteiul, er drückt seine Brust, um sie vor dem Zerplatzen zu schützen.
|«< <i\<\ lieht. Und siehe! bewältigt durch solch Uebermaass des Or-
ftki I die scb^uü Tteterin anmuthig. Mit gesenktem Blicke, mit
Mk4k UutUn gohougteiu Haupte streckt sie ihre Arme ihm entgegen . . .
«ftt Mftebl sieh. . . . Der berauschte Tänzer glaubt noch nicht seinen Augen.
VNl9kwAt<« ii«bogt<n, steht er mit aufgerissenen Augen unbeweglich, einem
M«W iileleli I Kohou rast er in einem chaotischen Netze von Sprüngen und
^WiMM#^ii wtw i>in vom K^toer getroffener Fisch. Er ist schon neben ihr. ..
%hNM 4m rttvitr»lchlige! Anstatt das «ich darbietende Glück zu ergreifen,
\MI||<uM ei d<<r Willigen bittere Vorwürfe ihres Zauderns halber zu macheu.
■"if iKun Finger, er schüttelt den Kopf, verdreht die Augen .. .
ilir endlich uilhern, sie ergreifen will, entweicht sie ihm
iide hinweifgerissener Nebel und flieht höhnisch lächelnd
I Seite des Kreises zum unendlichen Ergötzen der Zuschaner,
V, rftVhrerin nicht genügend loben und über das Unglück
Werbers sich nicht genug freuen können. Der letztere,
i! ilon Wolken gefallen, begreift kaum was geschehen. . . .
vorher gesungene Lied: Teine talä ole! Oölilaj!
1>«M Mädchen sprach Oölilaj!
K\fi«im, wir wollen eilig schreiten,
Widle für üespinnst bereiten. Oölilaj! Oölilaj!
0 du Mund mit vollen Lippen,
WuTMiM Mprichst du «o begehrlich,
\V;iiu... hilfst du BO gerähilieh? Oölilaj! Oölilaj!
.1 rlit führt der Tänzer die verzwoiflungsvoUtten
i :.iiiat auf Rache! Er steht wieder dicht neben ilir.
I 1- Bewerber. Jede seiner Bewegungen athmet jeUt
milk'idslose Verhöhnung. Mit spöttisch gexücktom
In Jon Kücken zu durchbohren. Er verzieht spöttisch
■ lind prahlt hinter ihrem Rücken. Dos kann das
'^ ertragen. Sie will Auge in Auge die unwOrdigrn
n«t wendet sie sich um, Spott und Nt'>igeleira
ijüi-all. von allen Seiten. EHeArme lühlt aich
k\ .t>..kt ,1,
%i>
54. Die Braatwerbang and der Brautstand.
359
fe
besiegt, sie senkt da« früher stolze Haupt, sie drückt die Hände an's Herz,
•I4 ob «ie dein Schmerze den Eintritt verwehren wollte. Do« entwaffnet
d«n racbHilchtigen Verfolger wieder. Er bekundet Reue, er bittet am Ver-
gebung und Erbiu-men. Das Antlitz unserer Verführerin erhellt sich, «ie ist
nicht mehr unwillig, obwohl sie noch wankt und schweigt. Der Bittende
rerdoppelt, verzehnfacht seine Bemühungen. Er umkreist sie mit den an-
muthigsteu Sprüngen, er vollführt Wunder der Geschicklichkeit .... er
fleht immer , und endlich llisst sie sich von dem Wirbel ergreifen, Sic
tanzen zusammen, »ich gegenüber, mit einer Bewegung und einem Äthem.
Immer ruacher, immer leidenBchaftlicher, rasender. Ihre Körper scheinen zu
blinken. . . . Die einzelnen Glieder sind beinahe nicht zu erkennen. . . .
£b ist ein Chaos, in welchem sich die beiden verstehen, ein Chaos , da« die
gmnze Versammlung iu ilnsserstes Entzücken versetzt. Alle tanzen im Herzen
mit. Alle sind der Erde entrückt und vergeben die 3orge des Leben«.
Wilde Rufe: mali«! malie! lelei! lelei! (0 süss, o hübsch) mit heftigem
BfindeklatBchen untermengt, übertönen die Chöre und der Tanz löst sich in
allgemeinem Wirrwarr der Zufriedenheit und des Lobprei^ena auf.
Indessen ist die Zeit der Abendgebete und de« Abendmahles heran-
gerückt, und die Kreise zerstreuen sich. . . . Von allen Seiten hallen in
der Luft die Abschiedsgrüssc: Tofa! tofa! kreuz und quer, und alle gehen
nach ihren Häusern.
Wer jedoch in der Nähe des sich zerstreuenden Kreises der Tänzer
war, der konnte zwischen den hingeworfenen AbschiedsgrUssen einige viel-
bedeufcende Worte auffangen. „Tofa inga'', „tofä soifüa" sind mehr als
gleichgültige Grüsse, und ein rasche« „töro" als Antwort würde das Ohr des
Horchers treffen. Hit einem Räthsel beschäftigt, wollen wir noch nicht
schlafen, wir eilen weiter und suchen neue Eindrücke auf.
Das geheimnisBvolle Wort Töro bedeutet Zuckerrohr, und hier neben
dem Wege sehen wir ein damit bestelltes Feld. Treten wir hinein! Der
feuchte, einem Teppich gleiche Boden dämpft unsere Schritte. Nur der
Wind lispelt in den Zuckerrohrhabnen. Wir schlängeln uns immer weiter
hinein. Es ist Nacht . . . dunkel . . . der Mond noch nicht da . xonst würden
wir vielleicht das — töro — noch nicht gebort haben. Aber was ist da«?
Ganz leise, kaum hörbar, ertönt der Ruf der samoanischen Eule ... von
einer anderen Richtung ereilt uns wieder ein Gekreisch, wie es die kleine
Gecko- Eidechse hervorbringt. .. . Nachts ... auf dieser Stelle , das is{ un-
gewöhnlich! Plötzlich erschrecken wir beinahe. Unfern von uns sehen wir
einen Kopf zwischen den schwankenden Halmen versteckt. Wir erkennen
unseren Tanzer. Nun, dann wird wohl auch die schöne Eidechse nicht weit
entfernt sein. . . . Und wirklich , bald gleitet an uns eine Gestalt vorbei,
rasch und leicht wie ein Traum. Die beiden Köpfe vereinigten sich, wankten,
tanken und verschwanden, und in der Feme erschallte diese« Mal wirklich
der Ruf einer samoanischen Eule (Strix delicutula Gld.).
Ein Znckerrohrfeld ist des Nachts ein sicheres Versteck für zwei Lie-
bende. Niemand wird sie hier in der Zeit der Geister und Gespenster stören.
unser Pärchen weiss es und uubeaorgt um einen Lauscher kann man sie
sprechen hören.
— Du weisst Lilomajava, daas meine Eltern dich hassen; uns bleibt
nur die ,awenga" übrig.
— Wann und wo, moine Kftmaikai (Herrin)?
— Wenn der Mond um dieijp Zeit über diesem Felde steht, wirst du mich
am Bache tr«ff«o. Sei aber vorsichtig, denn die Casrigen haben scharfe Augen.
358
XII. Liebe und Ehe.
Fingern das die üppigen Hüften umgebende Lavalava glättend, stellt aie dai
Bild einer süsäen Verzagtheit dar. Der Chor, die Tänzer bereit Bebend,
ftndert den Gesang und fäjigt im Takte dea gewöhnlichen Tanzes ein Lied
an; anfangs langsam und leise, stufenweise lebhafter und lauter. Schauen
wir nun unsere Tiinzßr an.
Er erhebt seine Arme, und um sein Haupt Kreise eiehend , schiS^ er j
den Takt mit den Fingerspitzen. Seine Füase bewegen sich ohne den Bodea»
zu berühren; er Bcheint ihn von sich abstossen zu wollen. Er erhebt sieb
in höhere, überirdische Regionen, aeiner Tänzerin, der er die Seite zukehrt,
noch nicht gewahr. Sie schlägt ebenfalle leise den Takt mit den Fingeni
und ihre FüsBchen stosaen gleich ihm den Boden ab. Beide schweben einem
höheren Gebiete zu . . . und hier werden sie sich gewahr. Der Ausdruck
des Gesichtes des Tänzers, jede Bewegung seiner Glieder, seines ganzen
Körpers drücken ein Erstaunen und Entzücken aus. Sie wie eine Göttin,
blickt gleichgültig; ja um sich des Eindringlings zu erwehren, flieht sie, den
kleinen Mund spöttisch verziehend, ihm aus dem Wege. Er fürchtet sie xo
vereobeuchen und sucht sie durch Flehen anzulocken. Er steht unbewegUch.
durch jede Bewegung seines Körpers das Bitten ausdrückend. Er streckt
sehnsüchtig seine Arme aus, er bewegt sie leer vor dem Antlitze, Abwiwen-
heit andeutend, er drückt seine Brust, um sie vor dem Zerplatzen zu schützen.
Er bittet und fleht, und siehe! bewältigt durch solch Uebermaaaa des 6r-
fühls l&chelt die schöne Tänzerin anmuthig. Mit gesenktem Blicke, mit
nach hinten gebeugtem Haupte streckt sie ihre Arme ihm entgegen . . .
sie ergiebt sich. . . . Der berauschte Tanzer glaubt noch nicht seinen Augen.
Rückwärts gebogen, steht er mit aufgerissenen Augen unbeweglich, einem
Steine gleich ! Schon rast er in einem chaotischen Netze von Sprüngen und
Grimassen wie ein vom Speer getroftener Fisch. Er ist schon neben ihr.,
aber der Unvorsichtige! Anstatt das sich darbietende Glück zu ergreUea.
beginnt er der Willigen bittere Vorwürfe ihres Zaudems halber tu machen.
Er droht ihr mit dem Finger, er schüttelt den Kopf, verdreht die Augen . . .
und wie er sich ihr endlich nähern, sie ergreifen will, entweicht »ie ihm
wie ein vom Winde hinweggerissener Nebel und flieht höhnisch lUcheliiil
nach der anderen Seite des Kreises zum unendlichen Ergötzen der Zuschautrr,
die die zauberische Verführerin nicht genügend loben und über das Unglück
des ungeschickten Bewerbern sich nicht genug freuen können. Der letztere,
natürlich ganz aus den Wolken gefallen , begreift kaum was geschehen. . . .
Er denkt an das vorher gesungene Lied: Teine talä ole! Oolilaj!
Das Mädchen sprach 061ilaj!
Komm, wir wollen eilig schreiten,
Wolle für tiespinnst bereiten. Oölilaj! Oölit^j!
O du Mund mit vollen Lippen,
Warum sprichst du so begehrlich.
Warum lügst du so gomhilicb? Oölilaj 1 Oölilaj!
Schmerzlich enttäuscht führt der Tänzer die verzweitlungvTolkttB
Grimassen aus. aber er sinnt auf Rache! Er steht wieder dicht net - '-
aber nicht als flehender Bewerber. Jede seiner Bewegungen athui
unverhüllte Bosheit, mitleidslose Verhöhnung. Mit spÖttiscV
Zeigefinger droht er ihr den Rücken zu durchbohren. Er ver^i
den Mund, lacht höhnisch und prahlt hinter ihrem Röcken. L
junge Mädchen nicht lange ertragen. Sie will Auge in Auge ^'
Angrifle abweisen. Aber umsonst wendet sie sich um, 8p^'
verfolgen sie wie ein Irrlicht überall, voQ tSSÜß^^^*
bfsii-irt, -:-- ••LC' —
iiLs ob j-i-r ~:~ * .:.;
(Ion lach- ■.::-■..;:- :
gobunsjr ui.- Lr- ^-^
iiiclit tnt-Lr -i-v- — ^
luuthiL'-l-.:. "■■. :..i*"-
Heht i:-::.^: ".l. .
tanzcL ;.u..-in.:i.-.:.
liiiii;'. .' :.>.:.-•: .l :_
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Wilde K-:^ u.-„-
H;iiid«'kiatr '.:.'.•: -.z-i-
iiUfjfUH'iiivi:. V." ."v :
llldcxb^Z. .-• ..
jftTückt. 'inci ■.:.• ':.'
der Luft dit .-••-.• •■
nach ihren üku-?';
war. dei k'-i:!!'.'. ••
bed»-uteii'J» V».ir.- _
'_'l<;itJ.fc'ii;tJir' t..- ■
H-: •.:.-- ^r.-ii-:. .■
-■ i.:..i'-:. V :• -i -•.
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lachcn
•1 und
ten des
ingling
XII, Liebe und Ehe.
— Ab, meine Herrin, bin zu dieser Zeit werden noch drei loAge]
vergehen müsseu. Warum nicht gleich? Die 'morgende Sonne kaaiL Oftft
schon in Palauli Buden. Meine Lonte sind bereit, die See ist rahig, dv
Wind ist günstig. 0 komm! komm! . . .
Sie schweigt, aber ihr Arm windet sich kräftiger am seinen Nacken.
Er erhebt sich wie ein Biese und einem Pfeile gleich eilt er mit seiner
Hessen Bürde durch die wogenden Halme. Sie sind verschwanden. LaMt
uAs an den Meeresstrand gehen.
Es herrscht hier vollkommene Stille .... kaum unterbrochen von
dem leisen Geräusch der den weissen Sand benetzenden Fluth. Nor aus
der Ferne schallt das gTimmige Tosen der am Riffe zerschellenden
Brandung. Die kühle Landbrise bewegt die herabhängenden Palmwedel
kaum. Die Natur ruht aus. Auch am Strande des nachbarlichen Dorfe»
herrscht Stille, aber auf dem weissen Sande bewegen sich dunkle Gestalten.
Ein Toumalua, das einheimische Reisecanoe , wird ins Wasser hinanterge-
schoben. Die dunklen Gestalten sind verschwunden , ein aufrechtes drei-
eckiges Segel entfaltet sich und dem Strande entlang gleitend entschwindet
ea dem Blicke. Erst aus weiter Feme erreicht uns der gedämpfte Schall
eines Tritonhoms, dieser Schall begleitet das glückliche Liebespaar der
Küste entlang, den aus dem Schlafe gestörten Bewohnern etwas Besonderes
anzeigend. Er eilt Uun voraus nach Falauli, wo die Liebenden den Zorn
der Eltern vorübergehen lassen wollen.
Am nächsten Morgen Aufruhr in beiden Dörfern. Die Freunde des
glücklichen Bräutigams durchschreiten ihr Dorf und rufen aus: Aw4nga!!
Awängaü Die schöne Tiinetdai und der tapfere lAlomaidta sind Awängaü
Aw&ngaü Die stolzen Eltern der Braut hören mit verbissener Wnth di«
CiFentliche Ausrufung, die das Schicksal ihrer Tochter besiegelt. Während
einiger Zeit böses Blut auf beiden Seiten. Die alten Väter vermeiden sich,
die jungen Männer betrachten ihi'e Keulen und Speere , die hauptsächlichst»
Rolle spielen aber die Jungen.
Nach ein paar Wochen legt sich alles, und die Eltern schicken ihxtt
Tochter eine weisse Matte, als Zeichen der Verzeihung. Das Paar, das ndb
bis jetzt noch fremd blieb, kommt zurück. Eh wird die ^feiainga" vor»
genommen, und die' weisse Matte, mit Spuren der Würdigkeit der Braat.
wird ^egen einen Tbeil der Aussteuer ausgetauscht. Der andere wird bei
der ersten Niederkunft ausgehändigt.
Heirathet das Paar nicht aus Liebe, oder stehen keine Schwierigkeiten
bevor, so wird alles von den Verwandten geordnet. Früher war die .,Awünga"
(die Brautflucht) in Samoa an der Tagesordnung.'
Die Brautwerbung der Hottentotten in der Umgebung von Aagra
P6quena ist originell. Der Liebhaber geht zu den Eltern seiner Anser-
wählten, setzt sich stillschweigend nieder und kocht ebenso wortlos Kaffee. Ist
derselbe zubereitet» so giesst er einen Becher voll, um ihn der Bruut hinsu-
reichen ; trinkt diese ihn zur Hälfte aus und giebt dem Bräuti^m den Becher
zurück, damit dieser die andere Hälfte trinke, so ist er angenommen. Ohne
ein Wort zu sagen wird ihn das Mädchen leeren, wenn der BrautwerlMpr
ein bemittelter Mann ist und die Eltern ihr Töchterchen hoch genug be*
zahlt bekommen. Dann bedeutet das Leeren dee Bechers: ja, ich will deine
Frau werden. Lässt sie das Getränk stehen, so grämt sich der Liobhabor
nicht sehr, vielmehr wandert er in eine andere Hütte, um dort nochmals
Glück zo versuchen. {ßitfiismuMd Israel.)
Bei den Indianer- Völkern Nordamerikas war iwar die Ehe meist
54. Die Brantwerbtug rnid der Broutstand.
361
ein blosser Kaufvertrag anter den Eltern; allein zwischen den jungen Leuten
kam e« doch auch zu einem Einverständniss' anter Liebeawerbung. Wer
um ein M&dchen werben wollte, strebte sich anszuxeichnen .und schickte
seine beste Jugdiieute dem Mädchen, das ihm, wenn es ihm wohl wollte,
tiiivon ein Stück gekocht mit kleinen Liebesgaben zusandte; nni den be-
rühmten Krieger dagegen warben vielmehr die Mädchen, bei den Osagen
durch Darbieten einer ^laisQhre, ohne sich dadurch etwas zu vergeben, und
die Ehe selbst wurde meist nur dadurch geschlossen, doss bei einem Feste,
dua man veranstaltete, beide Theil« ihren Willen, aU Mann und Frau zu
lsb«il, Öffentlich erklärten nnd man ihnen mit gemeinsamen Kr&ften eine
Hfltte baute. {Waiti.)
Haben wir hier entweder den Jüngling oder ausnahmsweise
anch wohl das junge Mädchen in eigener Person als Werber auf-
treten sehen, so ist es doch bei weitem gebräuchlicher, seine Wer-
bung durch eine Mittelsperson anbringen zu lassen. Während diese
Freiwerber fast auf der ganzen Erde männlichen Gesclilechts sind,
und zwar entweder der Vater oder die Freunde des Bräutigams, so
finden wir auf den Inseln des malayischen Archipels die Sitte, dass
gerade W^eiber dieses Werbegeschäft übernehmen müssen, und zwar
müssen sie selber verheirathet und an Jahren bereits etwas vorge-
schritten sein. Auch darf sich die Mutter des jungen Mannes die-
ser Obliegenheit unterziehen.
Die sibirischen TQrken (Tataren) werden schon als Kinder mit
einander verlobt. Der Vater des Knaben reitet mit einigen Bekannten zum
Vater des Mädchens, um das er anhalten will, stellt sich und die Seinen vor,
nnd nach der Begrüssung sagt der werbende Vater zum Brautvater:
.,Wenn die Flut vor Deinem Hause stürmt, so will ich gern ein
sühQtsender Damm Dir werden; wenn der Wind vor Deinem Hause tobt,
will ich gern eine bergende Mauer werden; pfeifst Du mir, so will ich Dein
Hund sein und herbeilaufen, und wenn Du mich nicht auf den Kopf schlägst,
«0 trete ich gern in Dein Haus nnd will Dein Anverwandter werden."
Dann nehmen die Werbenden di<* gestopften [-"feifeu aua dem Munde
nnd legen sie an den Herd. Darauf verlassen sie das Haus und kehren
nach kurzer Pause wieder. Sind die Pfeifen nicht benutzt, so ist die Wer-
bung abgewiesen und sie reiten nach Hause: sind die Pfeifen aber aus-
geraucht, «0 ist der Werber willkommen. Dann zieht der Vater des Bräu-
tigams eine ächale hervor und füllt sie mit Airam; einer seiner Begleiter
stopft eine Pfeife, ein anderer ergreift eine glimmende Kohle vom Herd.
Ho stehen sie harrend. Nun giebt der Vater des Mädchens seine ZuMtim-
mung. Er leert die Schale, nimmt die dargebotene Pfeife an und läast sie
nicb durch die Kohle des Dritten anzünden. Dann folgt die Bewirthung
und die Besprechung des Kaljm, d. h. des Brautpreises. £r wird bei Aer>
nieren auf & bis 15 Rubel angegeben. „Der Verl obungsoct endet damit, dass
der Vat«r des Bräutigams den Eltern und den nächsten Anverwandten der
Bniat einige Geschenke macht." Der kleine Bräutigam hat dann , mit Ge-
schenken versehen, wiederhoU'ntlich im Hause der Bniat Besuche zu machen
1 nnd hält »ich oft l&ngeri; Zeit dort auf. „Er wird dann in Spiel und
I Arbeit der G«noHBe seiner Braut." ( Vambery?^
Die Werbimg bei den Basutho ist nach den interessanten Berichten des
[Mi«>iLonar GrikUntr eine 8«hT compücirte Sache. Zunächtt sacht der Jüngling
Li£be ofid ^^^^^
DicMT beeMiU flkk abduiB mm TaIv 4m 1
Es wird aaeirt aber «Uedci Glek&gSlfcigek gfpjoclie». Kw4H^
rtcJct er mit dfcm ögeatlidiCB Gmmie MÖes *^1^«^— f" heaa« a4 b«^: lA
hiB gekommcB, tia Htedckea TOB Kaeb la eriaktoL Kirh iBWgn Tiuir uiil
«chciabar tätlem KacMoikea aatvottei der Aaaccedelc : Wir nad acm. wir i
talwa kcü IIA; buk Da Yieh« Nu ldi«t der WoWade aber die tdtlMblcii
eiaigk ar aick mit dem Aadccm j
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55. Die Ehe.
863
in die Höhlung eines Baumefi eine Oeldgabe, während die Fraaen.
die anwesend sind, auf den Zweigen irgend eine Handarbeit auf-
hängen,* Die Frauen dürfen aber bei dieser feierlichen Handlung
I kein Gebet sprechen, nur eine Braut ist von diesem Verbote nicht
I betroffen. ( Vambh'y.)
\ Die Buddhisten in Tibet halten es für nothwendig, dass
^^^rautlente durch die Hülfe eine.s Astrologen in Erfahrung bringen.
^Bbb ihre Ehe eine gUickliche oder unglRc^iche werden wird. Das
Orakel geben zwölf Thiere ab, zahme und wilde, und zwar durch
die Art, wie sie sich einander begegnen, ob freundlich oder feind-
lich. Damit das Erstere stattfinde, erhält der Astrologe hoBe
Belohnung; denn ein Wiederauseinandergehen von Brautleuten wird
bei diesem Volke in höchstem Grade ungern gesehen. ( IVenier.)
In der deutschen Schweiz muss eine Braut sich wohl hüten,
^inem Kinde ein unfreundliches Gesicht zu machen, weil sie son.st
>ose Kinder bekommt. Wenn sie aber gar sich so weit vergässe,
fcinem Kinde etwas Böses anzuwünschen, dann wUrde sie in ihrem
»rsten Wochenbette ganz sicherlich ihren Tod finden.
55. Die Ehe.
Man pflegt gewöhnlich zu .«agen, der nächste und höchste
5weck der Ehe ist die Erzeugung des Nachwuchses. Dass, um
liesen Erfolg zu erzielen , aber die Ehe nicht durchaus erforder-
lich ist, das bedarf wohl kaum einer weiteren Erörterung. Viel
schwerer ist die Frage zu entscheiden, wie entstand die Ehe und
ist das, was man heutzutage .Ehe* nennt, schon Im Urzustände
der Menschheit vorhanden gewesen? Mit dieser culturhistorisch
wichtigen Frage haben sich in neuerer Zeit viele Anthropo-
logen beschäftigt. Die Idee, dass Weibergemeinschaft und
zwanglose Vermischung beider Geschlechter im Urzustände der
Menschheit geherrscht habe, ist nicht neu. Die alten Schriftsteller
Plinius, Ilcrodot, Straho berichteten von Völkern, die zu ihrer
Zeit in solchem oder ähnlichem Zustande lebten ; darauf hin wurde
von französischen Philosophen des vorigen Jahrhunderts die
Meinung ausgesprochen: ,Die Vernunft allein würde eher den ge-
rne inschafllichen Gebrauch, als den ausschliessenden Besitz der
Weiber anrathen*. (Baue.) Zweifel erhoben sich allerdings gar
bald gegen diese Theorie: »Wenn diese vollkommene Gemeinschaft
il.T Weiber und Güter je bestanden hat, so konnte sie doch nur
uiifcr Volk.shaufen bestehen, die nach Art der Wilden bloss von
den Wohlthaten der unbebauten Natur, d. h. in sehr geringer An-
hl auf emer grossen Strecke Landes lebten. Wären die Weiber
finschnftlich, welcher Mann würde sich mit dem Kinde be-
55. Die Elie.
S65
Zunächst haben wir nun zu untersuchen, ob sich aus diesen
ypen, von der , ungetheilt«?u Familie" beginnend, eine Stufenleiter
in der Entwickelungsgeschichte der Ehe verfolgen lässt. Als Ur-
typus der primitiven Geschlechtsgenossenschaft wurde namentlich
' von Bachofen ein Verhältniss bezeichnet, bei dem eine Gruppe von
I Blutsverwandten durch Abstammung von derselben Stammmutter
ttisammeugehalten wurde. Dieser Autor brachte lllr die von ihm nach
wtra/fO als Gynükokratie bezeichnete Form socialen Zusammen-
iBngs als Beweismittel aus griechischen und römischen Schrift-
Ikellem Berichte von einzelnen Völkerschaften bei, deren Bürgschaft
loch recht zweifelhaft ist. Wenn wir allerdings schon zugegeben
tiaben, dass man ein auf das System der Weiberierwandtschaft ge-
stütztes Genossenschaftswesen bei den verschiedensten nord- und
südamerikanischen Indianer stammen, bei zahlreichen Völker-
schaften der Südsee, bei indischen Urbevölkerungen, bei vielen
afrikanischen Stämmen (sowohl Neger- wie Congo-Völkem)
findet, so darf man amü dieser Thatsache doch nicht schlieseen, dass
es eine Zeit gegeben habe, wo diese Organisation allein auf der
Erde bekannt war.
Prüfen wir nun die Hypothese, dass ursprünglich im Leben
der Menschheit Weibergemeinschaft bestanden habe, so kann
(lan ja theoretisch dagegen nichts einwenden. Aber Sagen über
JinfUhrung der Ehe (bei Chinesen, Aegyptern u. s. w.) haben
einen Werth für den Beweis einer ursprt^nglichen Weibergemein-
jbaft. Fernerhin kann, wie Schniult bemerkt, aus dem regellosen
leschlechtsverkehr, der im Leben einzelner sogenannter Natur-
Blker beobachtet wurde, nicht ohne weiteres gefolgert werden,
Idass dieser Gebrauch aus der Urzeit der Menschheit stammt. Sol-
Öieni Hetarismus können örtliche Verirrungen und Sittenverwildenmg
n Grunde liegen.
I So zweifelhaft es nun scheint, dass einst sämmtliohe socia-
■n Zustände sich auf eine Weibergemeinschaft gegründet ha)>en,
p können wir doch nicht in Abrede stellen, dass es auch heute
Volker giebt, bei denen sich ka\mi von dem viel vorfindet, was wir
Ehe nennen. Namentlich einige Negervölker gehören hierhin,
and es ist besonders das Mutterrecht, welches bei ihnen dadurch
sich ausbildete, dass man nicht recht wissen konnte, wer der Vater
des Kindes sei. Aber wenn wir das Mutterrecht jetzt auch noch
ei manchen Völkern in Kraft antreffen, so kann man doch daraus
^och nicht den Schluss ziehen, dass es allüberall einst in prsi-
istorischer Zeit lediglich völlig freie Geschlechtsgenossenschaften
feben habe. Auch Lippert, welcher nachzuweisen sucht, dass
Mutterreeht dem Vaterrecht vorausging, stützt seine
lypothese, dass die Frauenherrschaft die cultnrgeBchichtlich
theste Stufe war, auf ebie Reihe von Erscheinungen im Völker-
"Irhi? einen bestimmten Schiusa auf prähistorische Ver-
numentlich auf allgemein herrschende Hechtszustände
366
XII. Liebe nnd Ehe.
des Weibes kaum zulassen. Fassen wir unser auf genaue Durch-
sicht der Quellen sich gründendes Urtheil zusammen, so finden wir ;
Erwiesen ist die Existenz des Mutterrechts in verschiedener Ge-
stalt bei vielen jetzt lebenden, auf niedriger Culturstufe stehenden
Völkerschaften, auch die Abgrenzung desselben gegenüber dem
Vaterrecht; die Möglichkeit, ja sogar die Wahrscheinlichkeit, dass
das Mutterrecht in grosser Ausdehnung dem Vaterrecht voraus-
ging, so lange sich feste Eheverhältnisse noch nicht gestaltet hatten^
ist nicht abzuleugnen. Unerwiesen, doch als eine noch discu-
table H>'pothese aufzufassen ist die Existenz der Weibergemein-
schaft sowie der Weiberherrschaft (Gynäkokratie) in der Fröhzeil
des Menschengeschlechts; wenn auch möglich, so sind solche Ver-
hältnisse doch nicht über allem Zweifel durch sogenannte , Rudi-
mente in Brauch und Sitte" und durch , Nachklänge in Mythe und
Sage" nachgewiesen. Wenigstens lässt sich die Entstehung vieler
als , Rudimente" oder , Nachklänge" aufgefasster Erscheinungen recht
wohl auf andere Weise erklären, als lediglich durch die Annahme,
dass sie Ueberbleibsel einer ehemals allgemein verbreiteten Weiber-
gemeinschaft und Weiberherrschaft sind. Dagegen gestehen wir zu,
dass sich einige Erscheinungen recht wohl durch diese theoretische
Annahme erklären lassen.
In ausgezeichneter Weise äusserte Adolf JBastian in einem
Vortrage vor der Berliner anthropologischen Gesellschaft seine
Ansichten über die Entwickelung der verschiedenen Formen der
Ehe und über das Matriarchat und Patriarchat. Es handelt sich
bei dem , Mutterrechte *, bei dem Matriarchate nicht etwa um
eine Bevorzugung der Frau, sondern vielmehr um jene tielste Ver-
achtimg, die dem schwächeren Geschlechte unter dem Rechte des
Stärkeren nicht erspart werden kann. Man muss zunäch.«it den
Primärzustand primitiver Horden in Betracht ziehen, wo sich der
Gegensatz der Geschlechter so entsdiieden ausspricht, dass sie sich
feindlich gegenüberstehen. Nicht liberorum quaerendorum causa
findet gelegentliches Zusammentreffen statt, sondern die Ursächlich-
keit liegt in der Brunst des Geschlechtstriebes, und hierbei vermögen
die Frauen, als das passiv gewährende Element, durch tlie zustehende
Macht der Versagung eine Art Superioritat zu bewahren, so dass
bei den Papua z. B. jede Beiwohnung mit dem dort üblichen
Muschelgeld extra bezahlt werden muss. Bei deu Aschanti
herrscht wie der König über die Mäimer, so seine Schwester ther
die Frauen.
Eine fernere Trennung in der primären Horde ist diejeiiige
nach Altersklassen, wo in jeder einzelnen und bei allen unt«" ein-
ander das Recht des Stärkeren so recht zur Geltung gelangt, \md
aus diesem Rechte des physisch Stärkeren entsteht durch fort-
sciireitcnde Cultivirung das Recht des gv keren: der l.i>h.r
dem Tode verfallene Altersschwache wird ^ ..^>., .icgt, um aus seinem
duri'h hmgjährige Erfahrungen aajjeeammelten WeisheitHschatae
Die Ehe.
'ortlieile zu ziehen. Hier sptlren sich schon culturelle Prädis-
Jositionen, "während im Zustand wilder Rohheit nur die Stärkeren
herrschen. Diese also, von der im Thiere schon mächtigsten Lust
jetrieben, werden sich zunächst die Frauen aneignen, und zwar
ie anlockenden besonders, also die jüngeren und verführerischen,
ie nächst tiefere Altersklasse, die, obwohl körperlich vorläufig
chwächer, den Geschlechtstrieb doch feuriger noch gähren fülilt,
)ramt dadurch in eine missliche Lage, da, wenn Frauen überhaupt,
icichstens die widerlichen und abgelebten noch übrig sind. Sie
kommen daher dazu, sich aus einem Nachbarstamme Weiber zu
mben, was von Seiten dieses zu entsprechenden Itacheraubzügen
ihrt. Die schliessliche Lösung pflegt in Herstellung einer Epi-
jamie gefunden zu sein, und mit solchem gegenseitigen Verständniss
Iber Connubiuni und Comnjercium fallt dann in die Nacht roher
Jarbaren der erste Lichtstrahl kluiftiger Civilisation unter dem Schutz
le-s Gastrechts durch einen Deus fidius. So wird es Brauch und
Jitte, aus fremdem Stamme zu heirathen; es folgt die Exogamie,
lie die Heirathen zwischen Genossen desselben Stammes, desselben
[•otems u. s. w. vollständig verbietet. Die herrschende Kaste bleibt
iber bisweilen bei der Endogamie, bei der Heirath unter den
^tammesgenossen, um das edle Blut unverraischt zu erhalten. Und
das kann sich soweit steigern, dass es selbst zu Heirathen 'zwischen
Bruder nnd Schwester kommt. So war es in den Dynastien der
Inca und der Achämeniden, so finden wir es noch bei den
Weddah in Ceylon, während die Beduinen sich mit dem An-
seht auf die Cousine begnügen. Für die aus dem anderen Stamme
linommene Frau ist nun diesem eine Entschädigung oder mit
anderen Worten ein Kaufpreis zu zahlen. Damit ist aber besten-
falls nur die Frau selbst verkauft, wogegen der Stamm auf das-
jenige, was in ihr noch zeugungsfähig verschlossen liegt, sein Be-
sitzrecht fortbewahrt., also auf die Kinder. Diese gehören deshalb
überall bei den Naturstämmen nicht dem Vater, sondern der Mutter,
und ersterer kann selbst zu einer Strafzahlung angehalten werden,
wenn ihm ein Kind stirbt. Denn durch diesen Tod wird das Ver-
mögen des Stammes der Mutter geschmälert. Deshalb wird bei den
Dualla im Voraus für lUe Kinder eine Zahlung geleistet, welche
bei etwaiger Kinderlo.sigkeit wieder zurückgezahlt wird. So finden
wir die Ehe durch Kauf als die am weit^esten verbreitete, und so-
lange die Kinder der Mutter angehören, .sind sie auf den Mutter-
''inider als den natürlichen Beschützer hingewiesen. Mit dem Vater
laben die Kinder nichts weiter zu thun und ebensowenig mit dem
k^mme, in welchem de leben, da sie ja eben dem Stjimrae der
Mutter angehören. Und so kann es kommen, dass sie in Kriegs-
_ Reiten mit dem letzteren gegen den Stamm zu kämpfen gezwungen
sind, in welchem sie geboren wurden.
En Australie, loruqri'ane guorre «^clate entre deux pooplade«, eile c«t
diio« chaque tribu !*> «i^nl dn dt'purt d'un graod oombr« de jeanes gen*!
368
XII. Liebe und Ehe.
qui voat rejoindre )a triba de leurs parents matemels, de eorte qu'il n'est
pas rare de voir le p^re et le fils dans des Camps oppos^s. fGiraud-Teulon.J
Ftir den im Culturinteresse peremptorisch geforderten U eber-
gang von dem Matriarchat zu dem Patriarchat ist es möglich ge-
worden, einige Phasen in ethischer Entwickelung zu belauschen. Das
durcligreifende Motiv liegt in den in der Vaterbrust erwachenden
Sympathie)! fiir die Kinder seines eigenen Fleisches, wenn auch nur
deshalb, weil sie bei dem mit dem Sesshaftwerden verknüpften
Ackerbau in dem Hause als Mitarbeiter geboren sind, da es un-
vortheilhaft wäre, sie daraus wieder zu entlassen, und die deshalb
lieber mit der Aussicht auf zustehende Erbfolge an der heimischen
Scholle festgehalten werden. Bisweilen giebt es dann Competenz-
conflicte mit dem Oheim, und bei den Navajo kommt es vor, da.s9
der Vater noch bei Lebzeiten den eigenen Kindeni sein Vermögen
schenkt, um die Fremden, denen es rechtlich zustehen würde, darum
zu betri\gen. Auch in der T^iinderlichen Sitte des Männerkindbettes
haben wir eine symbolische Form der Ablösung des Mutterrechtes
durch den Vater zu erkennen. Ein Erobererstanim jedoch, der sich
aus den Unterworfenen seine Frauen gewaltsam entnimmt, wird
ohne weiteres das Vaterrecht einilLhren. Und so gelangen wir zu
der vereinigten Familie mit dem geheiligten häuslichen Herd und
mit dem .Vater als Patriarchen an der Spitze.
Ausser der Endogamie und Exogamie, welche wir bereits kennen
gelernt habeii, die erstere als Heirath aus dem gleichen, die letztere
als Heirath aus einem fremden Stanime, haben wir noch einiger
anderer Bezeichnungen zu gedenken.
Polygamie heisst eigentlich Vielheirath, wird gewöhnlich aber
für Vielweiberei (Polygynie), d. h. eheliche Verbindung- eine»
Mannes mit mehreren Frauen, gebraucht. In der Form der Viel-
männerei (Polyandrie) war und ist die Polygamie weit seltener.
Je nach der Zalil der Individuen, welche mit einer Person de»
anderen Geschlechts ehelich vereinigt sind, heisst die Polygamie
wieder Bigamie, Trigamie etc. Die Vielweiberei ist über ganz
Afrika verbreitet und bei fast allen asiatischen Völkern durch
Sitte und Religion verstattet, dagegen wird sie in Amerika unter
den Indianervölkern selten angetroffen. Schon bei den alten He-
bräern kam nach dem Zeugniss einiger Bibelstellen Polygamie vor,
wie jedenfalls auch bei manchen anderen semitischen Völkern des
Alterthums: den Mobammedaneni erlaubt der Koi-an (Sui-e 4) aus-
drücklich die Ehe mit mehreren Weibern. In der Türkei IäI
Polygynie erlaubt, doch weit seltener, als mau in Europa annumut;
nur Wohlbemittelte können dort mehrere Frauen unterhalten, denn
ein zahlreich In " : r Harem verursacht einen j:: Kosten-
aufwand. No); pflegen Beamte, welche V< _'n lai
einen anderen Orl ausgesetzt sind, selten in Polyganuc xu leben,
weil die Frauen nicht gezwungen sind, dem Manne in seinen
neuen Bestimmungsort 7.u folgen, während audererseit« der Mann
55,
HucL die zurückbleibende Frau staudesgemäss zu unterhalten ver-
pflichtet ist.
Der Perser darf gesetzlich nicht mehr als vier rechtmässige
Frauen zu gleicher Zeit haben, nüt denen er eine auf die Dauer ver-
bindliche Ehe geschlossen hat. Vambi'ry äussert .sich iu folgender
Weise : , In den mohammedanischen Ländern — ich schrecke vor
der Kühnheit der Behauptung nicht zurück — wird unter Tausen-
den von Familien höchstens eine einzige gefunden, in der man die
legale Erlaubnis? zur Vielweiberei in Anspruch nimmt. Beim tür-
[Icischeu, persischen, afghanischen und tatarischen Volke
](d. h. bei den unteren Ständen) ist sie unerhört, ja undenkbar, da
mehrere Frauen auch grösseren Aufwand bedingen. Ebenso selten
und ganz vereinzelt kommt sie bei den Mittelklassen vor. In den
hohen und allerhöchsten Kreisen freilich wuchert dieses sociale
Uebel in erschreckender Weise.' Dagegen fand v. Maltsan in
den Städten Arabiens in der Kegel mehrere Frauen in einem
Hause, und von den Arabern Jerusalems haben die allerärmsteu
wenigstens zwei.
Auch die Germanen hatten Polygyuie. Adam von Bremen
lerzählt von den Schweden, dass sie in allem Maass hielten, nur
nicht iu der Zahl ihrer Weiber : Ein jeder nehme nach Verhultniss
aeijies Vennögens zwei oder drei oder noch mehr, die Reichen und
j die Fürsten ohne Beschränkung der Zahl, und es seien dieses rechte
Eben, denn die Kinder daraus seien vollberechtigt. Ausser bei
den Skandinaviern kommt die Vielweiberei noch ziemlich spät
bei den vornehmen Franken vor: König Chlotar I. nahm zwei
Schwestern zu Gemahlinnen, Charihert I. hatte viele Frauen, Du-
\ gohert I. drei Frauen (imd unzählige Kebse). Es waren dies wirk-
liche, durch Brautkauf, Verlobimg und Heimführung geschlossene
Ehen, neben welchen bei den G ermanen das Concubinat bestand,
wo aber die Kebse weder Rang noch Rechte der Ehefrau hatten. Das
Concubinat bestand während des ganzen Mittelalters bei den Rei-
cheren noch fort, ohne dass die öffentliche Meinung Anstoss daran
nahm. Schlies.slich bestand auch unter den Slaven bis zur Eiu-
[führung des Christenthums eine durch kein Gesetz beschränkte Po-
lygyuie. Wenn aber das indische Gesetz Monogamie vorschrieb,
so galt dies nur für die Sudra.s, die unterste Kaste, di« armen Leute,
deren Mittellosigkeit schon zu dem Brauche monogamischen Lebens
IgefÜhrt hatte; die Vaicja- Kaste durtte ein bis zwei Frauen
[nehmen, die der Krieger zwei oder drei, die Brahmanen kamen
]bis vier.
Unter allen christlichen Völkern wird aber die Polygamie
ch Kirche und Staat verpönt (Bigamie); nnr die Mormonen
en die V^ielweiberei gesetzlich zu und halten sie sogar für eine
Jott wobigetiillige Institution. Allerdings traten auch in Deutsch-
land zu munchen Zeiten Anhänger der Polygyuie auf (Wieder-
täufer zu Münster 1633): auch suchten im 17. Jahrhundert JoA.
P|a*a, Da» W»lb. 1. S. Aufl. 24
Xn. Liebe and Ebe.
Lyser^ Lorenz Berger u. a. durch ihre Schriften die Polygyuie zu
vertheidigen, letzterer insbesondere auf Anstiften des Kurfürsten
von der Pfalz, der zwei Frauen nahm. Allein allgemein ist
unter den civilisirten Völkern anerkannt, dass die sittliche Ordnung
den polygamischen Ehen entsclüeden abhold sei, und dass man,
namentlich im Hinblick auf den Orient und auf die Geschieht« der
morgenländischen Königshäuser, die Vielweiberei als schlimmes so-
ciales Gebrechen bezeichnen müsse. Als Gründe für die Uerrscfaafb
der Polygynie bei vielen Völkern werden angeführt: die schnelle
Entwickelung und frühe Heirathsfahigkeit der Mädchen und die
ausdauernde Kräftigkeit der Männer. Allein die religiösen und
ethischen Anschaumigen von der Ehe mid von der Stellung der
Frau in der Familie verurtheilten bei allen gebildeten Nationen
die Polygynie.
Polyandrie (Vielmännerei) ist die Verbindung einer Frau mit
mehreren Männern. Sie ist am verbreitetsten unter den Völkern
auf Ceylon, in Indien, insbesondere bei den Tod a, Cong, Nair
und anderen Stämmen im Nilgirigebirge, femer in Tibet, bei
den Eskimo, Aleuten, Konjagen und Koljuschen ; auch fand
man diese Sitte unter den Ureinwohnern am Orinoco sowie bei
australischen, nukahiwischen imd irokesischen Stämmen.
Auf Ceylon und bei den Völkerschaften am Fus^e des Himalaya
sind die gemeinsamen Gatten der Frau stets Brüder. Fast genau
so hielten es die alten Briten zu Cäsar' s Zeit. Die Sitte der
Polyandrie scheinen Sparsamkeitsrücksichten bei mehreren der ge-
nannten Völker aufrecht zu erhalten; auch ist Armuth die Veran-
lassung, dass unter den Herero in Südafrika Polyandrie bisweilen
vorkommt.
V. Ujfalvt/ hat im Kululande im westlichen Himalaya Ehe-
gen ossenscbaften angetroffen, wo 4 bis 6 Männer mit einer Fran
lebten. Diese Männer waren immer Brüder. Die Kinder sprechen
von einem älteren und jüngeren Vater, und sobald ein Gatte die
Schuhe eines seiner Brüder vor dem Ehegemache erblickt, so weiss
er, dass er dasselbe nicht zu betreten hat.
Wenn im südlichen Indien Ehen von einer Brüderzahl mit
mehreren Schwestern gesclilossen werden, und wenn bei den Po-,
lynesiern der Hawai-lnseln unter dem Namen Pimula die Sitte
herrschte, dass Brüder gemeinsam ihre Frauen, Schwestern gemein-
sam ihre Männer besassen, so bemerkt Feschel hierzu ganz richtig,
dass es sehr gewagt sein würde, diese vereinzelten Bräuche als
nothwendige Vorstufen zur strengen Ehe zu bezeichnen. Bei man-
chen Polynesiern gilt sogar als eigeuthlimliche Sitte die sogenannte
Blut*ifreundschaft, wonach zwei Männer, nachdem sie mit einander
eine auf einem gegenseitigen Schutz- imd Trutzbündniss beruhende
Freundschaft geschlossen, zur Weibergemeinschaft siel» ver-
pflichten.
Nicht immer ist bei einem Volke nur eine bestimmte, ednheit-
56. Die Ehen unter Bhitsverwandten.
371
liehe Form der Eheschliessang gebräuchlich. Unter den Ma-
layen zu Menangkabao awf Sumatra, bei denen sich die ver-
■wandtächaftlichen Beziehungen nach der Frau bestimmen und das
Vermögen der Frau durch sie vererbt wird, giebt es eine dreifache
Art der Ehe : die Ueirath durch djudjur ist ein vollständiger Kauf
der Frau; diese und die Kinder werden Eigenthum des Mamies
und fallen nach seinem Tode an seine Erben. Bei der Heirath
durch semando giebt der Mann ein bestimmtes Geschenk, beide
Eh^enossen stehen auf dem Fusse der Gleichheit und haben gleiche
Rechte auf Kinder und errungenes Vermögen. Bei der durch ambil
anak geschlosseneu Ehe zahlt der Mann nichts imd tritt in eine
untergeordnete Stellung zur Familie der Frau; er hat, kein Recht
auf die Kinder. Neben diesen Hauptarten der Ehe giebt es noch
mehrere Uebergangsformen. Und um nur noch ein Volk zu
nennen, erwähne ich, dass in Persien die Ehe entweder aekdi ist,
d. h. auf die Dauer verbindlich, so lange nicht ein Grund zur
Scheidung geltend gemacht werden kann, oder sighei, d. h. nur
auf eine vertragsmassige Zeit. Die Akdi entspricht ganz unserer
Ehefi'au, auch darf gesetzlich der Perser deren nicht mehr als eine
zu gleicher Zeit haben. Sighe, d. h. die durch Vertrag gehei-
rathete Frau, wird gegen ein gewisses Entgeld mid gegen fest-
gesetzte Entschädigimg bei eintretender Schwangerschaft geheirathet;
während dieser fixirten Zeit geniesst sie die vollen Rechte einer
legalen Frau ; nach Ablauf des Vertragstermins aber ist sie dem
Mamie gesetzlich verpi"int.
Ich denke, die vorstehenden Auseinandersetzungen werden ge-
nügend sein, lun dem Leser ein ungefähres Bild von der Vielseitig-
keit der Formen zu geben, unter welchen das Weib sich mit dem
Manne zu einer mehr oder weniger dauernden Gemeinschaft ver-
bindet, und flir manche Gebräuche, welche im ersten Augenblick
uns sinnlos und paradox erschienen, ist auch hier wieder das ge-
naue Studium der vergleichenden Ethnologie die nöthigen Erläu-
terungen und das volle Verständniss zu geben im Stande gewesen.
56. Die Ehen anter Blnisverwandten.
Nach den Erfahrungen, welche wir in dem vorigen Abschnitte
zu machen Gelegenheit liatten, werden uns zwei ErscheiTiungen in
dem Leihen der Völker nicht mehr zu ttberraschen vermögen, näm-
lich auf der einen Seite bei bestimmten Stämmen die Sitte, dass
die allerengsten Verwandtschaftsbande das Eingehen einer ehelichen Ge-
meinschaft nicht allein nicht zu hindern im Stande sind, sondern eher
«ogsu* noch zu begünstigen scheinen, während wiederum andererseits
bei anderen Stammen auch nicht einmal solche Verwandte eine Ehe
24*
XII. Liebe und Ehe.
mit einander schliessen dürfen, bei welchen nach unseren modernen
Anschauungen von einer Verwaudtschaft eigentlich gar nicht mehr
die Rede sein kann. Das eine ist eben ein Auswuchs der Exogamie,
während das erstere eine auf die Spitze getriebene Endogamie re-
präaentirt. Bei uns ist es bekanntlich erlaubt, dass Geschwister-
kinder mit einander sich verheirathen, und zwar ist es hier ganz
gleichgültig, ob die Vettern oder Basen von der Seite des Vaters
oder von derjenigen der Mutter herstammen. Bei den Dayaks
auf Borneo und auf Ambon und den U Hase -Inseln ist dagegen
die Ehe zwischen Geschwisterkindern absolut verboten, während man
in Neubritannien nur die Heirath mit mütterlichen Verwandten
streng untersagt. Auf den Aaru-Inselu in Niederländisch-
Indien ist aber gerade die Ehe mit den Kindern eines Onkels ver-
pönt, die Kinder einer Tante dagegen darf man heirathen. {Riedel.^}
Ganz ebenso ist es nach Marsdeii auch in Sumatra.
Unter der Schinkaste in Indien treffen wir wieder das
Verbot der Vettern- und Basenehe an , obgleich der moham-
medanische Ritus gegen eine solche Ehe nichts einziiwenden hat,
auch darf der Onkel nicht die Nichte und in Buschkar selbst
nicht eiumjil die Tochter der Nichte heirathen. Es ist vielleicht
nicht imnöthig, daran zu erinnern, dass bei uns bis vor Kurzem aller-
dings dem Onkel die Nichte und auch dem Neffen die Tante zu
ehelichen gestattet war, während aber das Erstere unbeanstandet
geschehen konnte, bedurfte eine eheliche Verbindung zwischen dem
Neffen und seiner Tante, gleichgültig ob es die Vaterschwester
oder die Mutterschwester ist, der landesherrlichen Genehmigung.
Die englische Kirche unterscheidet 30 Ver\\-andtschaftagrBde,
innerhalb deren nicht geheirathet werden darf. Der Engländer, der
eine diesen Gesetzen widersprechende Ehe eingehen wollte, flüch-
tete früher nach Dänemark, dann an den Rhein nach Duisburg,
xua sich dort trauen zu lassen, denn nach heimischen Gesetzen
war eine so vollzogene Verbindung .vollendete Thatsache*.
Die Tungusen, Samojeden imd Lappen verabscheuen eine
Ileirath in der Blutsverwandtschaft. Den Hebräern waren nach
mosaischem Gesetz die Ehen verboten mit der Stiefmutter, Stief-
tochter, Schwiegermutter, Schwiegertochter, Tochter des Stiefsolms
und der Stieftochter, des Bruders Frau und des Vaterbruders Frau.
Hatte dagegen der verstorbene Bruder mit seiner Frau keinen Solm
erzeugt, so war den Hebräern (wie aucJi den Altmexikanern und
anderen Völkern) die Elie mit seiner Wittwe nicht nur erlaubt,
sondern sie waren zu derselben sogai' Vfq)flichtet Bekanntlich be-
zeichnete man dieses als die Leviratsehe.
Auch bei den Römern war die Ehe verboten zwischen Aac€n-
denten und Descendenten, sowie zwischen allen Personen, die,
wenn auch nur theilweise, in einem ähnlichen Verhältui.ss zu ein-
ander standen, nämlich zwischen Stiefelteni tuid StiefkinderUt
56. Int Ebcb mtcr iHntswt ■ mdteit.
373
iegerelt«ni nod Schwiegerkindeni^ zwischen Adoptivdieni mtd
rkmdem.
darftcn in Athen und Sparta Hidbges<iiwitB(er sieh
eiMUehen, und nach Gart^aaso hatten die Incas in Peru das
Recht, ihre älteste Schwester, die nicht von derselben Mutter
stammte, ra heirath^i, nm auf diese Weise das Blnt der Sonne rein
zu erbaken.
Aber edbet mit der rechten Schwester sehen wir mandie Völker
ehelirhe VerHndimgeii eingehen (Perser, Phönikier, Araber,
die Griechen zn Cimons Zeit^, nnd zwar ist es hier wieder Ton
beBOoderem Interesse, dass es sich bei den Yeddas auf Cejlon
vm die jüngere Schwestter handelt, wahrend sie die ältere Schwester
nicht beirathen dOrfen. Doch auch noch nähere Verwandtachafts-
gnde nach unserer Anfhasm^ sind bei gewissen Stämmen kein
WhsiiimleonflB. So durfte bei den PhSniciern sowohl die Matter
den Soim« als anch der Vater die Tochter beirathen, nnd unter
dea aheo Arabern sprach das Gesetz dem Sohne die Yerpfiichtnng,
£e rerwittwete Matter zu ehdielun, sogar als ein besondercs Vor-
xtdkd jn. Bei den Chinesen dagegen dBrftn sich nicht cinBud
des g^eiefaen Kamens beirathon, aodi wenn sie gar nidil mit
rerwandt sind. (Mamtegasstfi),
fai den örilisirten Ländern hat man den Ehen zwischen Btots-
Iten Ton dem Standfnmkte der Gesundheitspflege ans in den
Jakren eine ganz besondere Anfinerirwikwit gewidnei, md
■ttd in allen FäUen damit düe Bhcn zwiadben GeackwiaCer-
I vmtanden. Es wird wohl kaiqn einen IwiMiitftij^tni Arzt
MB aafiMfkaaBen I^öen geben, dssm nidit derartig diebcbe
bdunnt geworden sind, aus denen schwäichbche oder
kza^ce Kmder herrotvegai^en sind, und vide Amtowai
eingf^Mud aü dieser Frage besehifligt
Venodie, £ese widitige
brii^jeB, bat George Dwwm\ der Sohn
angestellt Durch sehr mAherofle ststiwtisrhe Er-
kommt er zu dem Beenlfcite, da« £e gcArehiefeeB adiäd-
ÜdM» Folgen f&r die NachkoBsaiaek^ «m dea Ebn »wiatihen
0<ad>w>rtfflkiiwlgn durch die gelimdeaeB Z*k^**« nkht mchge wiesen
Er giebt aber sdber tA, daoB dieae Zahlen noch
gewesen sind md dnaa, wenn es gdänge, cina
Sktislik sn hefcoamen, aan adnr wtAl statt dieser
8«e«ttTeo eine positiTe Bcnntwoita^ der Fntfe erhalten kSonle;
& ^Aea Bon noch aräieai ■■«■■■— *^ nifiiirti ledit gewickügo
nd Rfhainiiiiiii^iii oAImbv pnJ^Mher AeBta
kbe heobMhtet hatt^ dbas Taabatwhait, StoapT-
«M «M nadnn oder sonstige Gehcediliclikeil b
Hwofi^^ot bei den Kadikommen m
wt an, daas diaae
AflerdiBipi
bei der
«BglAektkbeB Ar-
374
Xil. Liebe und Ehe.
Folge solcher Eheschliessungen zu sein brauchten. Im Gegentheil,
es giebt eine ganze Reihe von Fällen, in denen die Kinder, welche
aus diesen Ehen entsprossen sind, durchaus gesund und in dem an-
gegebenen Sinne intact durch ihr ganzes Leben sich verhalten haben.
Aber nicht selten sind dann die erwälinten Gebrechen später bei
ihren eigenen Kindern zur Beobachtung gekommen, und diese haben
so den Missgriff ihrer Grosseltem in der Gattenwahl zu büssen ge-
habt. Es würde nun aber zu weit gegangen sein, wenn man die
erwähnten Erkrankimgeu im zweiten oder dritten Gliede als eine
durchaus sichere und unausbleibliche Consequenz einer Ehe zwischen
Geschwisterkindern liiustellen wollte. Sind diese letzteren besonders
gesunde, kräftige Leute und stammen sie von ganz normalen Eltern
ab, dann können sie trotz ihres nahen Verwandtschaftsgrades den-
noch ganz gesunde Kinder erzeugen. Aber deswegen sind doch
diejenigen Fälle nicht fortzuleugnen, in welchen man die genannten
Schäden zur Beobachtung bekam. Und wenn Mitcheü., Manfegazza^
und andere Autoren in den Irrenhäusern und den Idiotenaustalten eine
verhälfcnissmässig grosse Zahl von Kranken fanden, deren Eltern Ge-
schwisterkinder gewesen sind; wenn nach Scott Hution in der Halifax-
Taubstummenschule (Canada) unter 110 taubstummen Kindern nicht
weniger als 56 aus Ehen zwischen Blutsverwandten entsprossen
sind, dann wird man sich den Worten George Darwins gewiss mit
voller Ueberzeugung aoschliessen, wenn er sagt: „Eine so allge-
meine Uebereinstimmung in Bezug auf die üblen Folgen der Ge-
schwisterkinder-Ehen muss vmzweifelhaft viel grösseres Gewicht
haben, als meine rein negativen Resultate."
Die Widersprüche und entgegengesetzten Meinungen der Autoren,
von denen die einen immer Beispiele für die Schädlichkeit, die
anderen solche fUr die Unschädlichkeit derartiger Ehen in das Feld
führen, finden woiil ihre Lösui^ in folgenden Sätzen: Sind die sich
mit einander verheirathenden Geschwisterkinder ganz gesund und
kräftig, dann können sie gesunde Kinder erzeugen, aber eine Garantie
hierfür besitzen sie nicht, und sollten ihre Kinder gesund sein, dann
können die besprochenen Degenerationsprocesse noch an deren Nach«
kouunenschaft zur Erscheinung kommen. Ist aber von den Ge-
schwisterkindem, welche mit einander in die Ehe treten wollen, das
eine nicht intact oder bieten sie gar alle beide krankhafte Zustände
dar, dann werden diese mit um so grösserer Wahrscheinlichkeit
bei ihren Nachkommen imd zwar in gesteigertem Maasse auftreten.
Denn gewiss hat EricMon Browne das Richtige getroffen, wenn er
sagt: „Es hat mir immer geschienen, dass die grosse Gefahr, welche
solche Ehen begleitet, in der Steigerung der krankhaften Körjjer-
jinlagen besteht, welche sie begünstigen. Erbliche Krankheiten
und Kachexien werden mit grösserer Wahrscheinlichkeit von Ge-
schwisterkindem getheilt, als von Personen, die auf keine Weise
verwandt sind, imd sie werden mit mehr als doppelter Stärke ver-
erbt, wenn sie beiden Eltern gemein sind. Sie scheinen das Quadrat
57. Das Jus praS^BÖrasT
oder der Cubus des combinirten Volumens zu sein. Selbst ge-
sunde Anlagen schlagen, wenn sie beiden Eltern gemein
sind, bei den Kindern oft in entschiedene Kachexien um."
Als die bestbewiesenen echUdlichen Folgen der Ehen zwischen
Geschwisterkindern stellt ManUyasza^ ausser den bereits genannten
noch die folgenden auf: Ausbleiben der Empfangniss, verkümmerte
Empfäugniss und Fehlgeburt, Missgeburten, Neigimg zu nervösen
Besehwerden, gehemmte Geistesentwickeluug, Anlage zu Skrofeln
und Tuberkeln, verringerte Lebensfaliigkeit, hohe Kindersterblich-
keit, Störungen der Menstruation, geringe Zeugungskraft und be-
stimmte I^eiden des Auges.
57. Das Jus primae noctis*
Wo eine bevorzugte Gesellschaft von Mäimem, wie dies bei
einigen Völkern vorkommt, sich Rechte auf die Töchter des Landes
vindicirt, sind diese zuweilen gehalten, sich eine Zeit lang dem
Hetärismus, der Prostitution hinzugeben. Man hat die Vermuthung
ausgesprochen, dass ein solches Vorrecht (Herrenrecht) der
ürtypus des Jus primae noctis gewesen sei, eines Brauches,
dessen Thatsächlicbkeit durch neuere Forschungen sehr in Frage
gestellt wurde.
Ganz allgemein hat man bis in die jüngste Zeit das Jus primae
noctis, wonach der Grundherr bei Hochzeiten seiner Untergebenen
das Recht haben sollte, den ersten Beischlaf mit der neuvermählten
Jungfrau zu vollziehen, als geschichtlich feststehende Thatsache be-
trachtet. Seit dem 16. Jahrhundert sagte man, der König von
Schottland Eventis III., zur Zeit des Kaisers Atigusius, habe dieses
Recht aufgebracht, das erst nach mehr als tausend Jahren durch
König Jlalcolm wieder abgeschatfk worden sei. Namentlich viele
französische Schriftsteller, darunter die Ency clopädisten,
liielten an dieser sehr verbreiteten Meinung fest, obgleich schon im
18, Jahrhundert Manche, darunter nicht wenige deutsche Gelehrte,
die Sache bezweifelten. Seit 1854 kam nun der Streit in Folge
eines von Dupin in der Akademie der Wissenschaften zu Paris
gelieferten Berichtes zu grösserer Lebhaftigkeit. Insbesondere be*
hauptete Louis Vcuiilot in mehreren Aufsätzen und Schriften, dass
das sogenannte Droit du seigneur niemals bestanden habe; auch
gab eine Conuuission vor der Akademie der Inschriften ihr Gutachten
in gleichem negirenden Sinne ab. In einem umfangreichen Werke
snchte Jules Drlpif trotzdem VeuiUots Ansicht zu widerlegen; ihm
reihten sich zahlreiche Gelehrte aus verschiedenen Ländeni an; von
deutschen: Jacoh Grimm, Wdnhold, Scherr, v. Maurer, Lifib-
rtcht, Bustiim, v. Hcllwald u. A.
376
Xn. Liebe und Ehe.
Vor wenig Jahren hat Karl Schmidt^ in Colmar sich ein-
gehend mit dieser Angelegenheit beschäftigt und alle Umstände,
alle in der Literatur zerstreuten Angaben mit einer anzuerkennen-
den Schärfe beleuchtet; man muss wohl zugeben, dass er aller-
mindestens die Stlitzeu, auf welche sich seine Gegner berufen könnten,
— wenn auch nur zu einem grossen Theile — erschüttert,
vielleicht sogar zerstört hat. •
Schmidt geht aufs genaueste Alles darch, was wir angeblich über
die Einftlhriuig des Jus primae noctis durch König J?cenu« 7/7. von Schott-
land wissen-, doch zeigt er auch, das« die Erzählung völlig in der Luft
8chw6bt. Dann forscht er, auf welcher Grundlage «ich die im Mittelalter
vorgekommene Sage befindet, dass ein Häuptling der weiesen Hunnen,
Namens ShorJcot, bei jeder Heirath in der Stadt Harapa das Vorrecht des
Ehemanns in Anspruch genommen habe ; er findet, dass in der Quelle eigent*
lieh nur von „Blutschande" die Rede sei. Ferner soll Marco Polo von
einem Ju.<< primae noctis in Cambodja gesprochen haben; Schmidt findet,
i dttss Marco nur sagte, der König wählte nach Belieben Mädchen fQr seinen
Harem; nach der Entlassung aus demselben stattete er sie aus. Ebenso
wenig sind ihm die Berichte über die Brahraanen in Ostindien za-
verliUsig.
Ganz unbestimmt sind die Nachrichten aus Deutschland, dass hier,
wie Lielnrecht behauptete, das Jus primae noctis einst bestanden habe. Wenn
V. Hormayr sagt, die Herren von Peraan (Südtyrol), von Racenstein und
Vntx (Schweiz) seien deshalb vertrieben worden, so fehlt darüber die Quelle.
Dergleichen Sagen von einem Privileg der Herren DtttnRovere in Italien,
der Herren von Prelletj und Paraanntj in Piemont geht Schmidt in gleicher
Weise ganz vergeblich nach.
In Frankreich soll das Gewohnheitsrecht der Kanoniker zu Lyon
bestanden haben, ihnen die Brilute die erste Nacht zu Überlassen als Jus
coxae locandae, und man beruft sich auf eine Urkunde vom J. 1132,
in der ein Verzicht auf dies Recht ausgesprochen sei. Doch beschr&nkt sich
dieser Verzicht lediglich auf Erlass einer Abgabe vom Hochzeitsmahl; von
Weiterem ist nicht die Rede.
Femer gab ea in Frankreich bis zum 17. Jahrhundert ein Droit
de Braconnage, z. B. bei den Herren von Mareitil in der Picardie,
welche bei den Töchtern ilu-er Herrschaft bei ihrer Verheirathung das Lehns-
recht beanspruchten, üie zu ,,braconner". Schmidt erklärt das Wort mit „um-
armen", also nicht gleichbedeutend mit d^florer. So gebt er alle Be-
hauptungen durch bezOglicb der vermeintlichen Rechte der Aebte von
St. Michel, des Grafen Guido ivn Chdtillon, der Herren von Larivirre,
Bourdet etc. — überall vermisst er den Nachweis. In Frankreich, z. B,
in Gascogne, existirte das sogen. Droit de cuissage oder jambage;
das ist aber nicht das Jus primae noctis, sondern es war dos Recht, ein
Bein in das Bett der Braut zu legen; ebenso gab es dort ein Recht des
Lehnsherrn, über das Bett der Braut hinwegzusteigen; doch halt letzteres
Schmidt nur für einen spasdgen Brauch, keineswegs identisch mit Jm
primae noctis.
Dann kamen aus Frankreich mehrere gerichtlichö Entscheidui
(auf< d. J. 1302 n. s. w.), die man als wichtige Urkunden für das ehemalijfje
Beetehen des Jos primae noctis ansah; unter Anderen betraf die oiae das
TOD den Bischöfen von Amiens beanirpnichte Recht, als „Gewohnheiicrucbt*',
Hit. Das Jas primfte noctis.
377
da«« Neuvermählte sich des Hochzeitsfestea enthalten massten, Lia die Bi-
8oh6fe am 2. oder 3. Tage ihre Genehmigung dazu gegeben hatten. Schmidt
6ndet hier wie in anderen angesogenen Ursachen keine Spur von Jus pri-
mae noctis.
Völlig ungerechtfertigt ist die Behauptung Blau's, das« die ürbewohner
der c anarischen Inseln da« Jos primae noctis gehabt hatten; die Bericht-
erstatter sprechen nur davon, das» die Häuptlinge überhaupt die Jung-
frauen deflorirten, aber ein besonderes Recht auf die Hochaeitsnacht hatten
•ie nicht. Mehr ru schaffen macht dem Autor die .\ngabe Vartltetna»,
in Calicut (Ostindien) die Brabminen da« Recht gehabt, nicht bloss
Frauen nach Belieben beiwohnen zu dürfen, sondern auch der jungen
Frau des Königs bei dessen Vermahlung, In diesem Falle, wo auch noch
andere Reisende Aehnliches berichten, handelt es sich um eine Institution
de« Caltus.
Schliesslich weist der Verfasser sämmtliche gerichtliche Entscheidungen
ftb, auf die man sich vorzugsweise beruft. Insbesondere nennt er da« im
J. 1812 entdeckte angebliche Urtheil des Grossseneschalls der (ru^'enne vom
IS. Juli 1302 ein „fälschlich angefertigtes Actenstück". Obwohl die Motive
der F&lschung nicht feststehen, so bezeichnet Schmidt doch den Verdacht
als dringend, dass die Pillschung in unlauterer Absicht durch Vertbeidiger
der Irrlehre vom Droit du seigneur des Mittelalters vorgenommen wurde.
DaiB einzige Urtheil, aus dem der ß«weis eines Anspruchs auf das
vermeintliche Jus primae noctis mit einem gewissen Scheine von Berech-
tigttng hergeleitet werden könnte, ist, wie Schmidt sagt , das Schiedsnrtheil
des Königs Ferdinand des Kntholisdien vom 21. April i486. Dasselbe be-
seitigt im 9. Artikel unter anderen Dingen einen Miasbrauch, der darin be-
stand, dass einige Grundherren (aus Herrschaften in Catalonien) bei Hei-
rathen ihrer Bauern den Anspruch erhoben, in der ersten Nacht mit der
neuvermählten Frau zu schlafen oder zum Zeichen der Horrschaft über die
Frau, nachdem sie sich zu Bett gelegt hatte, hinüberzuschreiten. „Allein
gerade dadurch, dass diese Urkunde gänzlich vereinzelt dastehen würde al«
Beweis filr das Jus primae noctis, scheint aus dem Zusammenhange der
Urkunde die .\nnahme gerechtfertigt zu sein, dass die in Anspruch genommene
Berechtigung sich auf die Vornahme einer Förmlichkeit beschränkte, die
aU symbolische Handlung die Abhängigkeit der Bauern von ihrem Grund-
herrn bezeichnen sollte."
Es sind eben „Hochzeitsgobräuche'S die im Geiste der Zeit lagen, wie
wenn beispielsweise nach kirchlichem Herkommen die Einsegnnng erst einen
oder drei Tage nach Abschluss der Ehe erfolgte; allein so ganz fremde
Dinge darf man doch nicht mit angeblichen llerrenrechten in Verbindung
bringen. Nach germanischen Rechtsgrundsätzen war bekanntlich das Bei -
lager (vor den Hochzeits^sten) die Form, in der die Ehen geschlossen
wurden. Auch diesen Brauch hat man zum Beweise eines Herrenrechto«
der erst«n Nacht verwerthet. indem es in einer Urkunde vom J. 1507 als
Gewohnheit«recht oder coatume von Drucat hoisst: ,,Wenn ein ünterthan
oder eine Unterthanin dea Ort«« Drucat sich verheirathet. und da» Hoch-
zeitsfest stattfindet, so kann der junge Ehemann die erste Nucht mit seiner
lIochzeitHdame nur dann schlafen, wenn dazu die Erlaubnisa des genannten
Herrn rrtheilt wird, oder der genannte Herr mit der Hochzoits-
dame geschlafen hat" St^midt legt diese Stelle so aus: das» es der
Erlaubnis« (die sonst unter Ueberreichung einer Ehrengabe vom Hochzeit«-
mahl nachzusuchen war) nicht bedurfte, wenn eine Pen^on heirathete, dio
378
XII. Liebe und Ehe.
mit dem Grundherrn unerlaubten Umgang gehabt hatte; von einem Herren-
rechte der ersten Nacht ist nach Heiner Ansicht hier nicht die Rede. Alle
weiteren Urkunden, die man anführte, lehnt Schmidt in ihrer Bedeutung als
Zeugnisse ab.
Man hat aber auch das Jus primae noctis aus dem „Hel^amua" der
Uraeit entwickeln wollen, den Bacitofett 1861 als Hypothese aufstellte und
WJ^Uan, Morgan, LulAmdk u. A. verfochten. Diese Lehre von einem regel-
losen Geschlechtsverkehr bei Naturvölkern weist Schmidt zurück, er findet
dort, wo geschlechtliche Unsitten vorkommen, nur „Sittenverwilderung",
keineswegs Ueberreste von Weibergemeinachall oder Hetäriamus ; so haben
auch die Folgerungen der Entstehung eines Jus primae noctis aas dem He-
Urismus, wie Badiofen und seine Nachfolger versuchten, keinen Werth.
Den dargelegten Ausführungen Sdunidfs schliessen wir uns
insofeni an, als wir seiner auf wissenschaftlicher Forschung be-
ruhenden Ausftlhmng beitreten: dass eine grosse Zahl der bisher
für das einstige Bestehen eines Jus primae noctis angeftihrten
Beweismittel nicht als geschichtliche „Thatsachen" aufgefasst wer-
den können, welche positiv darthim, dass das Jus primae noctis
wirklich in geschichtlicher Zeit ausgeübt wurde; in der That beruft
man sich zumeist auf blosse „Sagen", die nicht als Beweise gelten
können, dann aber auch auf „historische Quellen", in welchen jedoch
nur von symbolischen Bräuchen die Bede ist, und man hat
ialfichlich gar zu oft solche Bräuche sofort als Beispiel der Aus-
übung des Jus primae noctis bezeichnet.
Allein vrir verschliessen uns doch auch nicht der Kritik^ welche
Pfannet^chmidt dem Werke Schmidt^s angedeihen liess, indem wir
auch dessen allgemeinen Schllissen beitreten: Auf Gnind sicherer
Zeugnisse stossen wir zur Zeit des Mittelalters in Europa auf
eigenthiimliche Hochzeitsgebräuche, welche sich für diese Zeit zwar
als .symbolische' herausstellen, aber in irüheren Zeiten nicht solche
haben sein können. Vielmehr deutet Alles darauf hin, daas einst
das thatsächlich geübt wurde, was später nur noch sinnbildlich
seinen Ausdruck fand und in alterthlimlicher Redeweise schriftlich
fiiirt wurde. Da aber mit den symbolischen Gebräuchen, w^o sie
sich fanden, in historischen Zeiten sich leicht Missbräuche verbinden
konnten und solche in der That auch vorkamen, so führte dies zu
der irrthümüchen Annahme, dass noch zu der Zeit, in welcher man
diese Gebrauch« au&uzeiclmen anfing, ein sogenanntes Uerrenrecht
thatsfichlich geherrscht habe. Eine möglichst genaue Durchforschong
der mitteleuropäischen Ueirathsabgaben seit dem 10. Jahr-
hundert und der sonstigen Literaturdenkmäler des Mittelalters ergiebt
nichts, was darauf hiiuführeu könnte, dass für diese Zeit anstatt jeoer
symbolischen Hochzeitsgebräuche der Grundherren ältere, rohere in
Ucbong gewesen seien. Gleichwohl weisen aber diese syroboUscbai
Gebrauche in Verbindung mit Ss^euresten auf rohere Sittoi sorOck.
Schon der Umstand, dass in sehr verschiedenen Landschaiten und
Oenlichkeiteu sich charakteristische Sparen daron finden, fordert
solche Annahme. Die^e Spuren treffen wir an in Land- nnd Ort-
crliaften Grossbritanniens, Spaniens, Frankreichs, Italiens,
weiz, auch in Holland. Es sind dies Landschaften, in
denen lange keltische, ja theüweise vorkeltische Berölkenmjf
sesshaft war. Die historischen Nachrichten über Nord- und Stid-
Germanen, Slaven, Römer, Griechen, Perser bieten, soweit
ersichtlich, bis jetzt keine zwingende Handhabe zur Annahme eines
Jus primae noctis oder roher Hochzeitsgebräuche in dem ange-
gebenen Sinne. Bei den vedischen Indiern und deren Nach-
kommen scheint solche Annahme geradezu ausgeschlossen. Und
doch würde es voreilig sein, zu schliessen, dass trotz mangelnder
historischer Zeugnisse solche oder ahnliche Sitten nicht dennoch bei
arischen Völkern hätten vorkommen können. Für Europa scheint
vorläufig die Annahme die richtigere zu sein, dass rohe Hochzeits-
febräuche da vorgekommen sein werden, wo sich Reste vorarischer
tevölkenmg unter günstigen Existenzbedingungen erhalten hatten,
die von den arischen Eroberem angenommen wurden, sich aber
immer mehr local beschränkten, schon £rüh und zxmieist durch Ein*
Wirkung der christlichen Kirche erloschen und sich seit dieser Zeit
lur noch symbolisch erhielten, bis auch diese letzten sinnbildlichen
'rebräuche des Missbrauchs wegen theib in Geldabgaben umgesetzt,
theüs ganz beseitigt wurden.
Inwieweit noch hier imd da imter Naturvölkern ein dem .In«
primae noctis ähnlicher Brauch besteht, kann weiterer Forschung
fiberlasseu bleiben, da man doch erst in neuerer Zeit nach dieser
Bichtong hin Analogien aufzusammeln sucht. Eine besondere Form
des Jus primae noctis soll nach v. MiUucho-Maday bei einem ganz
primitiv lebenden melanesischen Volke, den Orang-Sakai aul' der
malajischen Halbinsel, stattfinden; dort nimmt der Vater der Braut
für sich das Recht des iws primae noctis in Anspruch, eine Unsitte,
die man auch auf Sumatra bei Battas imd auf Celebes (District
Tonsawang) bei Alfureu wiederfindet. Eine Reihe anderer
Beispiele ftir die Ausübung des Jus primae noctis durch Fürsten
^^exrntti& haben wir in dem Abschnitte Ober die Jungfrauschaft
kennen gelernt.
5S. Der Ehebraeh.
& umi natürlicherweise von Ehebruch bei solchen Völkern
ich Dicht die Rede sein, wo die eigenen Ehemänner ihre Wei-
' "^ *ß^ «öem übertriebenen Gefühle der Gastfreundschaft,
« a^ GfOikden schmutzigster Gewinnsucht, anderen 3iiännem zn
r 5j^f***™ Verkehr überiassen; denn volenti non fit injuria.
Ind da« Unrecht, was dem Gatten geschieht, die Unterschlagung
and ileemtrSchtigaag semee ihm aUein zustehenden Rechtes, ist es
doch unmer, das Torliegen moas, wenn wir von einem Bruche der
XU. Liebe uad Ehe.
Ehe sprechen sollen. Aber auch wenn wir diesen Maassstab an-
legen, 80 finden wir, dass die Anschauungen über diesen Pimkt bei
verschiedenen Völkern ausserordentlich verschieden sind. Ist es
vielleicht auch nicht ohne Weiteres gestattet, den Schluss zu ziehen,
dass bei denjenigen Nationen, wo wir die Weiber zum Ehebruche
sehr leicht geneigt finden, die Heiligkeit der Ehe in einem nur
geringen Ansehen steht, so können wir dieses letztere doch dort
ganz sicher annehmen, wo wir ftir den Ehebruch nur ganz unbe-
deutende und milde Strafen angesetzt finden. Denn hierin müseen
wir doch sicher von Seiten des Mannes eine Geringschätzung des
ausschliesslichen Besitzes seines Weibes erkennen, während in dem
ersteren Falle die Annahme immer noch nicht abgewiesen werden
konnte, dass die leicht erregbare Natur des Weibes starker gewesen
war, als die heiligen Bande der Ehe.
Ueber die Auffassung der Ehe von Seiten der Frauen der alten
Deutschen macht Tacitus eine sehr anerkennende Schilderung.
Er sagt: Keinen Theü ihrer Sitten könnte man mehr loben; bei
einem so zahlreichen Volke muss man die imter ihnen vorkommen-
den Ehebrüche selten nennen. So empfangen sie einen Gatten, .sind
mit ihm ein Korper und eine Seele, darüber geht kein Gedanke
hinaus, und keine Begierde führt sie weiter, mid wenn sie ihren
Ehemann nicht lieben, so lieben sie doch die Ehe; mit ihrem Ehe-
gemahl glauben sie leben und sterben zu müssen, auch verachten
sie nicht ihre Rathschlage und beachten aufmerksam ihre Antworten,
Eine sehr starke eheliche Treue finden wir aber auch bei manchen
Völkern, welche dem Mädchen einen unbehinderten geschlechtlichen
Verkehr mit jungen Leuten gestatten. Sobald das Mädchen in die
Ehe getreten ist, so ist ein Ehebruch etwas Unerhörtes. So treffen
wir es namentlich axif einigen Inseln des malayischen Archipels.
Die Frauen in der Mongolei allerdings sollen auch nach der \''er-
heirathuug da.<t zügellose Leben fortsetzen, das sie als Mädchen zu
ftlhren gewohnt gewesen sind.
«. Ujfalvi erzählt, dass, wenn ein Siaposch die Untreue seiner
Frau entdeckt, er ihr eine Tracht Prügel zukommen lässt und von
seinem Nebenbuhler irgend einen geringwerthigen Gegenstand als
Entschädigung fordert Auf Formosa ist der hintergangene Gatte
l>erechtigt, die Scheidung zu verlangen, imd beiden Theilen ist da-
nach eine Wiederverheirathung gestattet.
Wir haben bereits in dem Abschnitte Ober die Keuschheit des
Weibes das Gebiet der ehelichen Treue berühren müssen nnd e«
Bollen die dort angeführten Beispiele hier nicht noch einmal vor-
gefOlirt werden.
Bei den Apache-Indianern verstösst der Mann die Ehe-
brecherin aus seinem Hause, zuvor aber schneidet er ihr die Ni
ab und läast sich das Ankaufsgeld wieder zuri\ckzahlen. (Spnt\
Die Völker am Orinoco dagegen bestrafen den Ehebruch mit d«
Tode: bisweilen allerdings findet die Frau Verzeihung, niema
«8. Der
381
jedoch der Verftihrer. Wie leicht sich aber die Sioax-Indianer
ober den Ehebruch hinwegsetzen, das haben wir oben gesehen.
Verging ?ich in dem alten Peru eine Frau mit einem anderen
Manne, so wurde die Ehebrecherin sowie ihr Vei-ftlhrer mit dem
Tode bestraft; der Ehemann koimte eine mildere Strafe bean-
tragen. (Acosta, Garcäasso.) Ebenso wurde in Mexiko vor der
Ankiraft der Spanier eheliche Untreue schwer bestraft.
In Bezug auf die Bestrafung ehelicher Untreue haben sich auf
den Inseln im Südosten des malayischen Archipels die An-
schauungen gegen früher sehr geändert. Während früher der
Mann den Ehebrecher und sein ungetreues Weib (oder dieses allein)
sofort tüdten durfte, führt die Sache jetzt meistens zur Scheidung,
wobei gewöhnlich von den Eltern der Frau der Brautschatz zurück-
erstattet werden muss, während auf Leti, Moa imd La kor der
Ehebrecher dem betrogenen Manne ausserdem noch eine Busse zu
bezahlen verpflichtet ist. Die Keisar- (Makisar-) Insulaner
begnügen sich nur mit dieser Busszahlung und behalten die Frau;
übrigens ist bei ihnen Ehebruch eine grosse Seltenheit. Auf den
Babar- Inseln darf noch heute der Mann den Ehebrecher todtstechen.
Thut er dieses nicht, so zieht? er mit seinen Bluteverwandten be-
waffnet aus, tödtet Schweine imd anderes Vieh der Dorfbewohner,
während die Angehörigen des Ehebrechers sie zu besänftigen suchen
und den Schaden ersetzen, um Krieg zu vermeiden. Hat der Ehe-
brecher dann eine Busse bezahlt, so ist die Frau frei und kann
ersteren, ohne dass er einen Brautschatz zahlte heirathen. In öffent-
licher Versammlung lääst sich der neue Gatte dann von dem alten
einen Eid schwören, dass er nicht mehr versuchen wird, mit seiner
Frau geschlechtlich zu verkehren. Das geschieht unter besonderer
Ceremonie, worauf der erste Mann sich aus dem Hause der Frau
seine Sachen holt und die Scheidung als erfolgt, betrachtet wird.
(RiedeV)
Auf den Mars hall -Inseln wird Ehebruch am Manne gar
nicht, an der Frau aber nur durch Verstossung bestraft. Auf Sa-
moa, Tonga, den Sandwichs- und Marquesas-Inseln aber wird
der Ehebruch streng geahndet, und auf Ponape wird er sogar
häutig mit dem Tode bestraft.
Eine ungetreue Gattin schickt auf den P a 1 a u - Inseln der be-
trogene Ehemann einfach fort (Kubary); war aber auf den Marian-
nen-Inseln der letztere ehebrüchig, so rotteten sich die Frauen
zusammen and fielen über seine Habe her und zerstörten sie
gründlich.
Bei den Kalmücken wird Ehebruch mit 4 — 5 Stück Vieh
gebUsst; bei den Chinesen war Ehebruch ein Scheidungsgrund,
ebenso bei den Persern, jedoch durtte hier auch der Mann, wenn
e» ihm gelang, die Untreue seiner Gattin durch Zeugen zu erhärten,
seine Frau tödten. Sehr t«treng wt das Gesetz des Mohammed gegen
die Ehebrecherin. Der Konm befiehlt, das Weib, welches durdi
382
Xn. Liebe nnd Ehe
vier Zeujgen des Ehebruchs überföhrt ist, im Hause einzukerkern,
bis der Tod sie befreit oder Gott ihr ein Befreiungsniittel an die
Hand giebt. Später Hess man dem Weibe die Wahl zwischen Ein-
kerkerung und Steinigung. Gemildert wird die Strenge des Gesetzes
dadurch, dass vier Zeugen eri'orderlich sind, um den Ehebruch zu
beweisen. Wer ein Weib dieses Verbrechens bezichtigt, ohne den
Beweis dafilr erbringen zu können, erhält achtzig Peitschenhiebe.
Der Ehemann kann die vier Zeugen durch einen fünffachen Eid
ersetzen, jedoch steht es der Frau frei, sich durch denselben Eid
zu reinigen, und wenn sie dies thut, ist die Ehe gelost.
Auf offenkundigen Ehebruch wurde bei den alten Israeliten
über die beiden Verbrecher die Todesstrafe ausgesprochen, doch
entschieden darüber die Gerichte, nicht etwa der beleidigte Ehe-
raaim. Schon der blosse Verdacht auf begangene Untreue des Ehe-
weibes wurde streng geahndet; leugnete die Verdächtige, so erhielt
sie den ekelhaften Probetrank; gestand sie, so wurde sie gerichtlich
geschieden imd der ihr zukommenden Morgengabe verlustig. Dem
mosaischen, der Willkür eines eifersüchtigen Ehemannes Thür und
Thor öffnenden Gesetze wurden später von den Talmudisten Schranken
gesetzt. Der Ehemann konnte nur dann als Kläger auftreten, wenn
er vor zwei Zeugen seinem Weibe den Umgang mit einem gewissen
Manu verboten, imd sie dennoch nach Aussage zweier Zeugen einen
solchen Umgang fortgesetzt hatte.
In Camerun soll Ehebruch in der Weise bestraft werden,
dass der Mann zu einem namhaften Verlust an Palm- und Oelkemen
verurtheilt wird, dagegen man das Weib unter besonders graviren-
den Umständen der öffentlichen Schande prei.sgiebt. Auch muss der
Vater der ungetreuen Tochter wohl die Hälfte der Kaufsumme zu-
rückgeben, oder es treffen das Weib die Misshandlungen Seitens
ihres Mannes. Die Niam-Niara aber bestrafen ehehche Untreue
nicht selten sofort mit dem Tode.
Für Ehebruch bestimmte ein angelsächsisches Gesetz, dass
der Verbrecher das Wergeid der Frau erlege und dem verletzten
Gatten ein anderes Weib kaufe. In unseren Volksrechten herrscht
aber wie bei der Entführung einer Verlobten die fränkische For-
derung der Rückgabe der entführten Frau neben der zu leistenden
Geldbusse.
unter den heutigen Völkern Europas sind es namentlich
zwei, deren Damen sich in Bezug auf die eheliche Treue eines sehr
wenig rühmlichen Leumundes erfreuen^ Das sind die Französin-
nen und die Italienerinnen, Wieviel bei den ersteren die drama-
tische und Romanliteratur dazu beigetragen hat, sie in einen solchen
Ruf zu setzen, der vielleicht weit über das Thatsächliche hinaus-
geht, das ist natürlich nicht möglich zu entscheiden. In Italien
ist das sogenannte Cicisbeat so allgemein bekannt geworden,
dass man sich, wahrscheinlich sehr mit Unrecht, eine italie-
nische Dame ohne einen solchen Begleiter gar nicht recht vof-
59. Der Ehebroclj.
383
zustelleu vermag, nnd noch mehr hat man sich getauscht, wenn man
in einem solchen Verhältnisse sofort einen Ehebruch witterte.
Wenn es in jener Zeit zum guten Ton gehörte, dass sich die
verheirathete Frau von einem Cicisbeo bedienen und begleiten Hess,
welcher morgens bei ihr erschien, lun sich Verhaltungsmaassregeln
für den Tag ertheilen zu lassen, so lag in diesem Verhältnisse nichts
Unsittliches, wie wir etwa bei einem „Hausfreund" auch nur in beson-
deren Fällen anstössige Beziehungen annehmen dürl'en. Es war dies
ein dienender Cavalier, ein Vertrauter, bisweilen ein Geistlicher,
andere Male ein Milchbruder der Dame. Namentlich dieser letztere
galt wie ein Verwandter; denn die Milchbruderschaft versetzte die
beiden von einer Amme Ernährten auch bei vielen Völkern in einen
mystischen Rapport.. Cicisbeo hat die Bedeutung Galan, aber auch
, Bandschleif e"; wie eine solche hing der Betreffende an der Dame,
welcher er ergeben und zu Diensten war. Jetzt heisst im
Italienischen Cicisbea eine Kokette.
Ob dieses Verhältnis« nun aber wirklich immer ein so unschul-
diges ist, als welches es erscheint, das möchte doch die Frage
sein. Mantegaesa, welcher seine Landsmänninen doch wohl kennen
muss, sagt:
„Der Ehebruch ist eine so gewöhnliche Würze geworden, dass er in
unsere Litei-atur, in unsere Sitten eindringt und auf den Bühnen unserer
Theater dargestellt wird. Während wir una Monogamen nennen, sind wii-
Polygamen und Polyaadrer zu gleicher Zeit, und in vielen anscheinend
glücklichen und moralischen Familien hat die Frau mehrere Geliebten und
der Mann ist der Geliebte anderer Frauen oder Weiber, welche die Liebe
verkaufen. Der Ehebruch ist daher die nothwendige und erste Consequcnz,
weil Männer und Frauen der aufrichtigen, freien, glühenden Liebe bedürfen,
und wenn daher die Ehe dieselbe ausschliesst, so suchen Männer und Frauen
sie anderswo."
Ein untrügliches Zeichen, dass die Frau es mit mehr als einem
Manne gehalten hat, haben die Einwohner von Ambou und den
Uliase-Inseln. Es ist dort Gebrauch, dass eine Frau die Nach-
geburt schweigenden Mundes ziun Strande bringt und in das Meer
wirft. Treibt dieselbe auf dem Wasser, so ist die Frau veri}fiichtet,
es dem Ehegatten der Entbundenen mitzutheilen, der daran erkennt,
dass seine Frau ihm untreu war. {Riedel.^)
Ueberhaupt ist die Zeit der Niederkunft, in welcher die Seele
von Furcht und Baugeu erflillt ist, auch der rechte Augenblick,
um das schiildbefleckte Gewissen sich regen zu lassen. So flihlt
sich bei dem Beginne der Entbindung die Samojedin veranlasst,
einer alten Frau alle die einzelnen Fälle zu berichten, in denen
sie ihrem Manne die eheliche Treue brach, denn nur nach ge-
wissenhafter Beichte kann die Geburt ohne Störung von Statten
gehen. Aber auch selbst die Sünden der Vorfahren kommen in
dieser kritischen Zeit au das Tageslicht. Das beweist ein abson-
iderlicher Glaube, welcher auf den Luung-Sermata-Inseln herrscht-.
XII. Liel)e und Ehe.
Mau hält das lange Ausbleiben der Weben bei einer KreUsenden
für den sicheren Beweis, dass deren Mutter früher unerlaubten
Umgang gepflogen hat. (Riedel.^)
59. Das Helrathsalter.*)
Die sociale Stellung der Frauen, welche in innigstem Zusam-
menhange mit der allgemeinen Gesittung eines jeden Volkes steht,
ist sehr maassgebend für die Höhe des Alters, in welchem das
junge Mädchen gewöhnlich heirathet imd in welchem die meisten
Frauen gewöhnlich gebären. Das Klima imd der je nach klima-
tischen Verhältnissen mehr oder weniger früh eintretende Geschlechta-
trieb haben zunächst wohl auch in dieser Beziehung eine bestim-
mende Kraft; allein die Sittengesetze sind nicht allein vom Klima —
mijidestenö nicht immer direct von demselben — abhängig. Ja wir
kenneu gewisse Völker, bei welchen die sexuelle Reife und der
Geschlechtstrieb zwar von einer heissen Sonne frtih geweckt, aber
von der kühlen Sitte mindestens in Bezug auf das Heirathsalter
beschränkt und im Zaum gelialten werden.
Namentlich richtet sich das durchschnittliche Heirathsalter
der Frauen bei einem Volke nach dem Werthe, den überhaupt die
Frau für den Mann hat. Dort, wo letzterer sie lediglich zur Be-
friedigung seiner Simieslust benutzt, wird insbesondere in warmen
Zonen das Mädchen früh zur Ehe gelangen. Ebenso ab^ auch
dort, wo die Frau dem Manne fast nichts anderes als ein nütz-
liches und nothwendiges Hausthier ist. In letzterer Beziehung u;ilt
sie ihm gleich einigen Stück Vieh, welche er tiir sie eintauscut:
dann muss sie ihm aber wie eine Sclavin die häuslichen Arbeiten
verrichten. Geläuterte Sitten heben bekanntlich die Achtung und den
moralischen Werth der Frau; die Gemeinschaft mit ihr wird dann
mehr zum geistigen Bedürfniss des Mannes; er wartet ihre
geistige Reife ab und sucht sie erst später, als bei rohen Vötkem,
ziu" Ehe. Dazu kommt, dass unter unseren modernen Culturvölkem
die später eintretende Selbständigkeit des Mannes die Begründung
eines eigenen Hausstandes häufig genug gegen Wun.sch und
Willen verzögert, mid dass auch das von demselben zur Frau ge-
wählte Mädchen oft mehrere Jahre laug bis zur Eheschliessung
warten muss.
Dass man »sieben Jahre musonst freien '' muss. ist ja eine all-
bekannte abergläubische Drohung, welche den Uuverheiratlieten
gewisse unschiJdige Handlungen verbietet (z- B. die Butter anzu-
schneiden, sich eine Kopfljedeckuug des anderen Geschlechtes auf-
zusetzen u. s. w.). Dem Bearbeiter war aber in Berlin ein Ehe-
'} VergL Plofg U.
59. Dm Hdrathsalter.
JW5
paar bekannt, welches erst nach sechzehnjährigem Brautstaude so-
weit gekommen war, sich heirathen zu können. Die junge Frau
hatte ein Alter von 32 Jahren.
Allein auch der St^iat und seine Gesetze geben hei den Cultur-
volkem eine Minimal- Grenze tlir das Heirathsalter an. Die An-
schauungen der Staatsmänner und Gesetzgeber gehen, wie sich bei
verschiedenen Gelegenlieiten zeigte, oft weit auseinander; man
glaubte bald mehr die geistige, bald mehr die körperliche Reife
berücksichtigen zu müssen; auch selbst die Aerzte sind in dieser
Angt'legeuheit nicht immer gleicher Meinung. Dies veranlasst mich,
eine ethnographische Umschau zu halten und zu untersuchen, welche
Thatsachen und Schlüsse sich aus einer Vergleichung der Völker-
schaften hiüsichtlich der bei ihnen waltenden Sitten und Gebräuche
I bezüglich des Heirathsalters der Frau ergeben.
Zuvor jedoch wollen wir uns mit demjenigen bekannt machen,
was in cultivirten Staaten als das Gesetzliche betrachtet werden muss.
Wenn wir die alten und die neuen Culturvölker mit einander rer-
gleichen, so finden wir, daas mit der erhöhten Gesittung djvs Heirathsalter
der Mädchen wesentlich hinauBgerückt wird.
Bei den alten Indern scheinen die Mädchen früh in die Ehe ge-
kommen zu sein; denn nach dein Gesetze des Manu passt fär einen Mann
von 24 Jahren ein Mädchen von i<, für einen Mann von 30 Jahren ein
12 jähriges Mädchen. {Duncktr.)
Auch bei den alten Modern, Persern und Baktrern wurde für
»baldiges Verheirathen der Mädchen gesorgt, doch sollten die Mädchen, wie
e« nach Vendidad XIV, 66 scheint, nicht vor dem 15. Jalire /-ur Ehe ge-
geben werden. Ehelosigkeit aus freien Stücken wurde bei den M&dcheu,
auch wenn sie nur bis zum 18. Jahre dauerte, mit den längsten Höllen-
strafen bedroht, und es war den Mädchen vorgeschrieben, wenn sie das
heirathsfähige Alter erreichten, von den Eltern einen Mann zu fordern.
Nach dem Gebote des Avesta gab es nur drei ünreinigkeiten , für
welche eine Sahne und Reinigung eine Unmöglichkeit war. weder hier auf
Erden, noch auch in dem jenseitigen Leben, Daa war, wenn, man von
einem todten Hunde ass, wenn man den Leichnam eines Menschen ver-
speiste, und endlich, wenn ein Mädchen bis in sein 20Rte8 Jahr noch nicht
in die Ehe getreten war, Während bei den alten Griechen Lykurf) den
Jünglingen vor dem 87. Jahre zu heirathen verbot, verlangte l^lato beim
f Hanne das 30., beim Weibe das 20. Jahr.
Bei den alten Römern wurden die Mädchen zwischen dem 13. und
16. — 17. Jahre verbeirathet. Eine Frau, die 20 Jahre alt geworden, ohne
Mutter zu werden, verfiel schon den Strafen, die Auffustti» über Ehe- und
Kinderlosigkeit verhängt hatte. (Eiscndecher.) Es war also das Alter von
19 Jahren die äaesorste Grenze für die Schliessung der Ehe in naturgemässem
Alter. Die römischen Juristen stellten für Mädchen das 12. Jahr als dax
der Pubertät fest (Marquardt), und zum Schliessen einer gültigen Ehe wurde
dasselbe Lebensjahr bestimmt, doch fanden in späterer Zeit auch frühere
Verheirathungen statt. FriecUänder und Bossbach zeigen nach Leiohensteinen.
ie jung in der Regel Römerinnen gebaren. Wir finden bei den 6^>äteren
Omern Angaben Ober das zur Verheirathung geeignete Alter. Aureiius
odosius Macrobius sagt: „Naui et secundum .iura publica duodecimus
Plot«, Dm Wilb. L t. Anfl. 25
386
Xn. Liebe und Ehe.
annnii ia femina, et quartua decimus in paero definit puberlatü actatom."
Bei ülpiamu heisst es: „Justam matrimoniatn est, r;i inier eoa qai nuptias
contrahunt, coonuLium est. et tarn mxscuias pubea, quam femina poiens
Bit." Justinian verbot ehelosen Männern, eich eine Beischläferin su halten,
die unter 12 Jahre alt war; es musste demnach nicht selten vorkommen,
dass man so junge Concubinen hielt. Dio Cassius erzählt vom Kaiser
Augtisivis unter anderem: Weil auch einige sich mit Kindern verlobten, nur
um auf die Belohnung Verehelichter Anspruch machen zu k{)nnen, ohne doch
den -wahren Endxweck der Ehe zu befördern, 80 verordnete er, dasa keine
Verlobung Kraft haben sollte, auf die nicht wenigstens nach zwei Jahren
die wirkliebe Vollziehung der Ehe erfolgen könnte, mithin die Braut wenig-
stens 10 Jahr« alt sein mässte, wenn Einer jener Belohnung Hlhig sein
wollte, denn man rechnet das 12. Jahr fHr das reife Alter zur Vollziehung
der Ehe.
Die minder cultivirten, namentlich die in södlichen Gegenden woh-
nenden Volker Europas haben den Brauch der frühen Verheirathang der
Mädchen ziemlich allgemein. Ueber die Insel Minorca schreibt Cleghorn:
„Die Mädchen werden zeitig mannbar nnd zeitig alt. Sie heirathen in
einem Alter von 14 Jahren." Im südlichen Spanien finden Beirathen
im Alter von 12 Jahren statt. (Fire//.) Bei den Mainoten, den Be-
wohnern der Halbinsel Mai na in Griechenland, heirathen die Mädchen
«chon mit dem 13. oder 14. Jahre, die Männer vom 15. Jahre ab. Schiil-
bach berichtet, da^^s deshalb die Frauen mit einigen 20 Jahren schon ganx
alt aussehen, aber trotzdem ein hohes Alter erreichen.
Die Mädchen der Wallachen heirathen nach Paget mit dem 13.
oder 14. Jahre, verblühen aber rasch. Allein Czaploric» berichtet, da«-i
sie schon im 12. Jahre heirathen, und die Zigeunerin schon im 12. Jahre
Mutter wird. Schwicker bezeugt in seinem Werke über die Zigeuner in
Ungarn, dass bei ihnen Mütt-er mit 13 — 14 Lebensjahren vorkommen. Die
Moldauerinnen heirathen auch sehr frQh, und es ist nichts Seltenes,
.Mädchen von 15 Jahren schon mit Kindern gesegnet zu Hehen. „Ans dieser
Thatoache," sagt Seins, „dOrfte sich vielleicht die geringe Zunahme der
Bevölkerung erklären, da eo viele nicht lebensfähige Kinder geboren werden."
In Bosnien und der Herzegowina werden ebenfalls Mädchen mit dem 13.
oder höchstens 15, Jahre verbeirathet. Ihre körperlichen Reize nehmen raxch
ab. und mit dem 35. Jahre zählen sie meist schon zu den alten Frauen. (JSo*-
kü^rics.) Ueber die Süd- Slavon berichtet Krauss^: „Im Allgemeinen heirathen
Mädchen nach zurückgelegtem sechzehnten Lebensjahre, wann die Brüste
KU Bch wellen beginnen." Auf die Frage: Mit wieviel Jahren ist ein Mädchen
heirathsfähig? antwortete ein altes Mütterchen: „Sobald sie sich selbst einen
Dorn auH der Ferse heranizuziebcn vermag." Zuweilen kam es vor, dos«
man ein zehnjähriges Mädchen heimffihrte , doch sah man strenge darauf,
das« sie vor ihrer Reif« mit ihrem Manne das Lager nicht theilte. Aber
auch ältere Mädchen wurden öfter mit ganz jungen Burschen verbeirathet.
In Bosnien, in der Umgegend von Larajevo, heirathen die Myulchen von
14 bis 20 Jahren. Di» Ruthenen in Ungarn (C^n/iforicv) pßegen die MOd-
eben ebenfalls schon im 12. Jahre zu verheirathen, und in früherer Zeit ging
fs damit noch viel ärger r.ü, indem nach Siirmay Mädchen von 5 — 6 Jahren
verlobt nnd in die Wohnung des ihnen zugedachten Knaben gezogen wonlBB,
wo sie bei den künftigen Schwiegermüttern schliefen, bis sie hemim*in<en.
Nördlicher wohnende, wenig cultivirte Völker Europas zeigen «loli
ganz anders. So heiruthen b».<ispii»lswei)«e die Estbinnen «ehr seMf^a in sehr
59. Das Heirathsalter.
387
jngentUicbem AlUr. In den Jahren 1834 — 59 wurtWo in der estbaischen
Ötadtgeraeinde nur 4.5 Proc, in der Landgemeinde 11, ^ Proc. und in mehreren
Kirchspielen 15.« Proc. aller Heirathen vor beendigtem 20. Leben^jabre ge-
schloHsen. Wir finden hier ein VerbB-ltnies zwischen Land- nnd Stadtbe-
wohnern, welche? darauf hindeutet, dass die BeBchllftignngsweiBe auf das
Heirathsalter von Einflutss iai; andere Arbeit, andere Kost und andere Ge-
sittung wirken in differenter Weise bei einer und derselben Rasse und bei
gleichen kliiuati.-)chen Verhältnisaen.
Wajtpaetie berechnet als mittleres Heirathsalter aller Getrauten für
die Frauen;
in Sardinien 24,42 io Norwegen 28,0$
„ England 25,9$ „ den Niederlanden 28,88
„ Frankreich 26,o7 „ Belgien 29,i4
Von 10,000 getrauten Mildchen standt^n in einem Alter:
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unter 20 Jahren
13.S9
2030
504
791
959
von 20—25
.5388
4009
3799
2962
2883
von 25—30
2069
2229
3469
3550
3144
von 30—35
695
970
1406
1649
1614
von 35—40
282
422
475
636
780
von 40—45
135
j 271
195
246
373
von 4.r»'-50 „
57
*98
106
159
über 50
35
69
54
60
**
*) In den Niederlanden und Belgien unter 21 Jahren und von
21 bin 25 Jahren.
Für ganz Oeaterreich und speciell filr Steiermark fand ich: Es
heiratheten von je 10,000:
Fraaen
Oeaterreich
1860 1 1865
Steiermark
1860—1865
anter 20 Jahren
1656
1878
761
von 20—24
2584
2647
1908
von 24—80 „
2995
2783
3180
von 30—40 „
3065
1770
2890
von 40—50
600
581
1083
über .50
150
166
228
Fragt;!! wir nun, ob sich im Uiublick auf die bisher auge-
ftlhrten Thatsachfn ȟe Gesetzgebung der Augelegenlieit durch Fest-
stellen eines bestimmten Heirathaalter-s und durch bewundere Vor-
echriften annehmen soll, so iat zunächst hervorzuheben, dass nur
von einigen idealistiBchen Socialisten jede Eiumischung des Staates
auf die.nem Gebiete zurückgewiesen wird. So meint beispielsweise
Jieich: , Da nach laut allen Gesetzbüchern der civilisirten Welt Leute
25 ♦
S88
"KIL Liebe und Ehe.
vor Eintritt ihrer Volljährigkeit zum Behufe der Eheschliessimg der
Erlaubiiiss der Eltern oder ihrer Vertreter bedürfen, so muss durch
Belehrung darauf liiugewirkt werden, dass — ausserordentUche
Fälle ausgenommen — in unseren Breitengraden Niemand vor Zu-
rücklegung seines 23., beziehungsweise 20. Jahres von seinen Eltern
die Erlaubniss, eine Ehe zu schliesseu, ertheilt werde. Das Gesetz
darf das von mir geforderte Heirathsalter nicht dictiren.'
Schliesslich wünscht er das 15. resp. 18. Lebensjahr als gesetz-
liches Minimum.
Allein in allen civilisirteu Staaten ging die Gesetzgebung von
dem gewiss nicht unrichtigen Principe aus, dass einer das allgemeine
Wohl der Bevölkerung schädigenden Willkür durch gesetzliche Be-
stimmungen vorgebeugt werden müsse. Und da in cliristlichen
StaSiten von jeher die Kirche bei Verheirathungen concurrirte, so
finden wir, dass auch die kircldiche Gesetzgebung sich firüher der
Sache annahm. Die reellen Verhältnisse forderten überall dringend
zum legislatorischen Eingreifen und zu vorbeugenden Maassregeln
auf. In der Wahl des zulässigen Heiratlisalters schwankte mau
fireüich sehr.
Früher liess das kanonische Recht bei Eheschliessungen
das Mädchen im 12^ den Knaben im 14. Jahre reif sein. (Gitzhr.)
Im Mittelalter konaten nach dem longobardischen, dem friesi-
schen und dem sächsischen Rechte and auch nach dem Schwaben-
spiegel die M&dchcn mit 12 und die Knaben mit 11 Jahren beirathen.
Das gemeine Recht in Preusäen bestimmte ehemald doa 12. Jahr als
noch zolfissiges Heirathsalter fOr Mädchen, während nach dera Landrecht«
der braunschweigischea Kirchenorduong und der Eheorduung fflr da»
UroBsherzogthutu Baden M&dchen erat mit 14 und M&nner mit lä Jahnen
h«irathen durften.
Di« Angelegenheit des Heirnthsalters kam vor einiger Zeit im Kflnig-
reiuh Preubsen zur Discuasion, die ein besonderes Interesse dadurch gewährte,
dass sich Aerzte für ein sp&teres, Joristen für ein früheres Htdrathsalter
aussprachen, und dass damals letztere fllr die Gesetzgebung den Sieg duvon-
tmgen und die soeben genannten Bestimmungen angenommen wurden. Da-
gegen wird nunmehr für das ganze Deutsche Reich durch das Reichs-
geMtx vom 6. Februar 1875 für MFinner 20, für Weiber 16 Jahre als Minimum
de» Ueirathsalters festgestellt.
Ich glaube nun aber, darauf hinweiseu zu müssen, dass es
immer etwas Missliches ist, för alle Individualitaten gleichsam
schematisch das Minimum des fUr die Heirath befähigenden Alte«
durch ein Gesetz festzustellen. Denn es kommen in der That nicht
gar zu selten Fälle vor, in welchen die kr>rperliche Reife eines
Mädchens schon frnh eintritt. Vtlr solche Fälle müsste doch ein
ärztliche.s Guta< : -^anitätsbeamteo abzugeben) die Mög-
lichkeit zur Di~, : ... ., Jiren. Freilich hat bei der er«4«n
Lesung jenes neuen Gesetzes der Jostisuünister ausdt^klich ge»
bet - ' '"■ rensatiori ^^r geaotrl- *- ■ Beetimmang
b«: 11 wir i doäi n ihen wie
59. Das H«
389
moralischen Rückaichten Ausuahmen durch ärztliche Begutachtung
itlr zweckmässig halten. Denn im Volke, namentlich beim land-
wirihschaftlichen und industriellen Arbeiter, wird von jugendlich
Verlobten, wenn ihnen die Eheächliessung verboten ist, erfahrungs-
gemaäs gar nicht selten ein ausserehelicher Verkehr eingegangen.
In eüiigen Provinzea des öaterreichiächen Staates ist da« heiraths-
lUhtge Alter des veiblicbeo Geschlechts bis zum 15., dasjenige de« aiänn-
lichen bis zum 19. Jahre hinauigeschoben. {John.)
In Schweden existiren Verbote des Eitigehenx zu früher Ehen, wobei
aber den Lappenmüdchen bereits im 17. Lebensjahre die Verheirathung
sprechend ihrer Früheren Pabertätsentwicketnng gestattet ist.
In Frankreich wurde in den Verhandlungen, des Staatsraths über
bürgerliche Gesetzbuch einst das beirathsfilhige Alter auf 15 für den
Jüngling, und auf 13 für das Mädchen festgesetzt. Napoleon I. änderte das
aber in der Folge ab und setzte den Termin für die Ehestandsfähigkeit auf
18 resp. 15. Jahre, indem er bemerkte, dass, da nur für Einzelne eine
Ehe im 13. oder 14. Jahre nicht von überwiegend nachtheiligen Folgen be-
gleitet sei, es unpassend sei, durch ein Gesetz die ganze Generation in diesen
Jahren zur Eingehung von Ehen zu berechtigen. {Malevüle.)
In England ist ,,the age for consent to the matrimony" 14 Jahre
für das männliche, 12 Jahre für das weibliche Geschlecht. Jedoch ist eine
unter diesem Lebensalter itbgeschJossene Ehe an sich nicht nichtig, viel-
mehr nur noch unvollständig (imperfect) in der Weise, dass das zum Consens
erforderliche Alter abzuwarten ist und dann, je nachdem der Consens erfolgt
oder nicht, die Ehe ohne Weiteres gültig oder ungültig ist. Dies gilt jedoch
nur für Ehen .Solcher, die unter 7 Jahre alt sind. Die Ehen von Kindern
bis zu diesem Lebensalter sind ohne Weiteres nichtig. Bis zum Jahre 1866
ist eine Aendening dieses Rechtszu Standes nicht erfolgt, und man scheint
mit demselben bisher zufrieden gewesen zu sein.
In London beiratheten wELhrend des Jahre.s 1861 35 MB^cben im
Alter von 15 Jahren (10 Knaben im Alier von 16 Jahren).
Im ganzen russischen Reiche giebt es ein Landesgesetz, welches die
Ehe mit M&dchen vor dem 16. Jahre verbietet, sogar bei Bibirienatrafe
{Häntiscfu). Die russische Jungfrau in Astrachan hcirathet mit 16 — 18
Jahren. Da bei den Tataren der Bräutigam einen gewissen Preis den
Eltern der Braut zahlen musa, aber die meisten Tataren unbemittelt sind,
so beiruthen die Tataren (wenigstens nach Meyersohn die in Astrachan
wohnenden) nicht sehr fn'Jh; das männliche Geschlecht nllmlich im 25. bis
SO. Jahre, das weibliche erst im 20. Jahre. Allein manche arme Tataren,
denen es um den erwähnten Preis zu thun ist, verheirathen ihre Töchter
fast in der Kindheit, obgleich die Landesgesetze des russischen Reiches
ihnen das frühe Heirathen verbieten. Die Kalmückin heimtbet mit 16
Jahren {Meyersokn). Bei den Tungusen hingegen soll man noch Georgi
12jährige Gattinnen antreffen. Unter den Chewsuren, einem tranekan-
|tis eben Volke, wird nach Angabe des Fürsten J^rtrfotp das Mädchen zwar
lon in den Kinderjahren verlobt, allein die H^irath findet erst im 20.
'Tjeben.sjahre statt.
Wir haben hiermit bereits den Uebergang gemacht zudenau.sser-
popäischen Völkern. Hier treffen wir, wie wir sehen werden,
nicht selten ganz ausserordentlich junge Ehegattinnen an. Es ist
aber wohl nicht unnütz, hier daran zu erinnern, dass damit nicht für
59. Du UeiralbuaU
war, dl« geiueinäte Unzucht mit dem Kinde tfeibeo. Die Weiber sind ia
Folge dessen meist unfruchtbar.
Die MUdcben der Chayma verheiratheu aich nach Huitiboldt mit
12 Jahren. Die Indianerinnen Brasiliens werden früh verheiiathet,
«ind aber nicht sehr fruchtbar: v. Spix und r. Martius bähen Mütter von
20 Jahren, die schon 4 Kinder hatten; die Mädchen werden, wie diese bei-
den Reisenden berichten, rwischen dem l(>. und 12. Jahre in die Ehe gegeben.
Die Coroados-Indianerinnen {Biwmeister) gelangen wegen der
frühen Verheiratbang im 14. Jahre nicht recht zu. Kräften, werden schnell
alt und verlieren zeitig ihre Empfänglichkeit. Bei den Indianern in
Surinam (Niederlilndisch-Guiana) treten die Weiber mit 12 Jahren
in das heirathsiuhige Alter und verehelichen eich auch um diese Zeit. (Stedt-
viann,) In der Republik Buenoa-Ajres gestattet das bürgerliche GeHetx,
wie Mantegazia angiebt, den Mädchen mit 12, den Knaben mit 14 Jahren in
die Ehe zu treten.
Auf der Insel Jamaika werden natch Lonp die Mädchen früher mann-
bar und verwelken schneller, als in den nördlichen Gegenden ; sie verhei-
rathen sich sehr jung und werden im 12. Jahre Mütter. Aehnlich ist es
auf Trinidad nach Dauxion Lavayssi, Bei den Smu, einem mächtigen
ludiancrstamiue im Moskito-Gebiete in Mitlelaraerika, werden die
Mädchen im 10. bi» 13. Jahre zur Ehe gegeben, [de Orbigny.) Auf Cnba
werden viele Frauen im Alter von 13 Jahren Matter und fahren fort bis in
ilas 50. Jahr zu gebären.
Gleiche Verhältnisse fand man bei den wilden Volksat&mmen Nord-
amerikas. Nach jRobei'twt gebaren von 65 Indianerinnen zum ersten
Male :
im 10. Lebensjahre 1
„ 11. „ 4
., 12. „ 11
.. 13. „ U
„ 14. .. 18
„ 15. .. 12
„ 16. ,. 7
.. 17. „ 1
Auch Schoolkraft giebt an: »Diö Siou^- und Daco ta-Indiane-
rinuen gebären schon im jugendlichen Alter; sie selbst wissen selten, wie
alt sie sind; die Beobachter ihrer Bitten berichten aber, dass sie schon im
13. bis zum 15. Jahre niederkommen.* Bei den Delawaren und Irokesen
werden die Mädchen meist mit 14 Jahren verheirathet. (I^oskiel.) unter den
in den nördlichen Gegenden Amerikas wohnenden Indianern ereignet
es sich oft, dass der Mann von 35 bis 40 Jahren ein 10- bis 12jährige8
Mädchen zur Frau nimmt; in Folge des frühzeitigen Heirathens sind die
Indianerinneu des Nordens minder fruchtbar und können nicht so lauge
gebären, als in südlichen Gegenden. {Samuel Hearne.) John Franklin sagt:
«Die Indianer-Mädchen in den Forts, vorzüglich die Töchter der Canadier,
dürfen sehr früh sich verheirathen; häufig sieht man Frauen von 12 und
Mütter von 14 Jahren."
Bei den Indianern der Nordwestküste Amerikas werden die
Mädchen sehr früh, oft bereits bald nach der Geburt verheirathet, aber erst
im 12. bis 14. Lebensjahre wird die Ehe in Wirklichkeit gesclilossen.
Bei den Eskimos des Cumberland'Sundes werden Knaben und
Mädchen »chon in früher Kindheit mit einander bestimmt. Die Knal>en
59. Das E«a
sind. Allein ich zweifle nicht, das« die eingeborenen Weiber von Neusee-
land trüber aU die Frauen auBerer Rasae aufhören Kindes zu bekommen.*
Bei den Samojeden werden viele Frauen schon im 10. Jahre vor-
|heirathet, and im 11. oder 12. Jahre Mütter; dafür seil jedoch selten eine
tiianiojedin über SO Jahre alt werden. Auch die Frauen der Oetjaken
heirathet bisweilen im 10. Jahre und bringen oft achon im 15. Jahre Kinder
zur Welt. Ganz anders die Wotjäkinnen. die fast nie vor dem 22. oder
23. Jahre in die Ehe treten; denn daa Mädchen muss dem Manne folgen in
dessen Haus und ihr Vater wQrde, wenn sie früher heirathete, zu früh eine
Arbeiterin verlieren; der junge Mann müsste dann auch einen aehr hohen
Kaufschilling entrichten. (Bttch.)
Die alten Chinesen, hielten, wie e^ scheint, ziemlich streng darauf,
dass da« Heirathen in einer gewissen Altersperiode vorgenommen werde. Im
15. Jahre wird dem Müdchen (nach dem ungemein alten üesetzbuche „Li-ki")
feierlich die Haarnadel, der Kopfputz der Erwachsenen, ortbeilt, im 20. Jahre
heirathet sie, der Mann dagegen im 30. Jahre. Nach dem ..Kid-iii" fragte Ngai-
kung Confucius: „Ich habe gehört, dass nach dem Brauche der Mann im
SQ. und das M&dohen im 20. Jahre heirathen; warum heirathen sie nicht
später?" Conftunus erwiderte: „Dies festgesetzte Alter ist das üuiiserste, dag
nicht flberschritten werden darf; im 20. erhält der Mann den m&nnlichen
Hut. ist Mann und kann Vater werden; im 15. legt das Mädchen die Haar-
nadel an, und im 20. heirathet sie, wenn nicht eine besondere Ursache (die
Trauer um die Eltern) die Heirath bis in's 23. Jahr verschieben llsst.'' {Plath.)
Bei den Chinesen ist nicht durch Gesetz, aber dui'ch Herkommen fest-
gesetzt, dass Mädchen selten vor 15 Jahren in die Ehe gegeben werden,
Männer nicht vor dem 20- Lebensjahre heirathen! (r. ModUndorf.) Man hat
oft übertrieben, wenn man sagte, .dasa die Chinesenmädchen schon im
6. Jahre heirathen. Wahr ist, dass oft schon in diesem Alter die Heiraths-
contracte abgeschlossen werden und do^^ junge Mädchen auch schon in das
Haus ihres Eheherm eintritt. Allein wirklich geschlossen wird die Heirath
nicht eher, bevor nicht das Mädchen völlig entwickelt ist, d. h. erst nach
dem 12. und 13. Jahre. Die Ehen werden in Peking nach iVforac/*«'« Be-
richt aehr frühzeitig geschlossen, nicht selten schon in der Kindheit der
Individuen, in welchem Falle die Verbeiratheten so lange im Hause der
Eltern verweilen, bis die Geschlechtsreife bei ihnen eingetreten zu sein
scheint. Bei vielen Indochinesiunen und insbesondere den Japanerinnen
echliesst man die Eben später, doch immer noch allzu früh, denn in allen
diesen Ländern sind die Frauen früh verwelkt. Nach den Begriffen jener
Leute muss ein Weib nchon im 15. Jahre Mutter sein. [Uureau de ViUewHve.)
In üochinchina heirathen die Frauen der niederen Stände allerdings
bisweilen schon im 7., oft aber auch erst im 20. Lebensjahre. In keinem
Theile Asiens schreitet man so spät zur Ehe, als in Cochinchina. (Crawfurd.)
Mondicre^ sagt über die Einwohnerinnen von Cochinchina: ,Sur
440 Annamites ayant accouche, le premier eafant est venu ^ 20 ans
6 mois; sur 15 Chinoises ayant accouch^, le premier enfant est venu ä 18 ans
10 mois; eur 40 Minh-huong ayant accooche, le premier enfant est venu
ä 20 ans 9 mois; et sur 45 Cambodgiennes ayant accouch^, le premier
enfant est venu ä 22 ans 6 mois."
Die meisten malayischen Mädchen an der Südwestküste der malay-
i sehen Halbinsel werden nach Jsabella Jiircl im Alter von 14 — 15 Jahren verhei-
rathet. Gehen wir über auf die Inseln des Ostindischen Archipels, welche
zumeist ebenfalls malayisfche Völkerschaften bewohnen. In Java, wo
aUüM Manue vCTheirathel war ; es« wurden ihr noch ujidc*re Franoa von 10
bis 12 JahrKO gezeigt. Auoli der Arr.t Titus Tobler kannte eine Fmu in
Pal&atiDa, velcbe im 13. .lahre geburen hatte, und eine andere, eine elf-
jährige Jüdin, welche schon «eit zwei Jabren menstnuti und seit l'/a Jähren
rerheirathet war. Bei den Samaritanern p&egen sich die Knaben in
ihrem LS. oder 16. LebGoejahre, die Mädchen im 12. oder noch Irüher zu
verheirathen.
In Syrien sollen, wie man allgemein meint, die MtLdchen t'rUher
aU bei uns reifen; die» ist jedoch, wie der Missionär Rof/aon sagt, ein
Irrthum. Der Grund tn dieser Behauptung liege darin, da«» die Mädchen
allerdingn dort früher heirathen . allein sie werden gewöhnlich schon
vor dem Eintritt der Pubertät verheimthet. In jedem Alter des Mädcheni* ge<
schiebt das von 10 Jahren aufwärts, doch ist es am häufigsten im 13., 14.
und 15. Jahre; und die grösste Zahl der Neugeborenen werden 2, 3 oder 4 Jahre
nach der Verheirathung geboren. Man hält oe bei der Jugend der Bräute
dort nie für walimcbeinlich, dass, wie bei uns. ein Kind »chon im ersten
Jabro. nachdem die Ehe geschlossen wurde, geboren werde. Jiobson glaubt,
dass im Pnbert'ätsalter wenig Unterschied zwischen Syrien und Irland sei.
Die Weiber der Banjaneeeu auf Borneo heirathen bereits im 8. oder 9.
Jahre; im 20. aber hOren sie schon auf, Kinder zu zeugen; dass im 30- noch
eine Frau schwanger geworden w&re, ist ganz unerhört. (Finke.) Bei den
Alfuren auf Celebes geschieht die Verheirathung der Mädchen in ibrora
14. Jahre oder selbst früher, ,/agor berichtet, dass bei den Bicolindiern
(Philippinen) die Fi*auen selten vor dem 14. Jahre heirathen; 12 Jahre
ist der gesetzliche Termin. Er fand im Kirchenbuche von Polangui pjne
Trauung verzeichnet, bei welcher die Krau bei Vollziehung der Ehe nur
9 Jahre 10 Monate alt war. Die Europäer auf Celebes nehmen 12- bis
läjfihrige junge Mädchen der Eingeborenen als Concubinen zu sich und
befolgen hiermit eine Sitte, die daselbst ganz allgemein ist und nicht für
anatÖBsig gilt. Die Mincopie, d. h. die Eingeborenen der Andamanen-
Inaein, scheinen ihre TSchter früh za verheirathen. Einem Brabminen- Sträf-
ling, welcher im Jahre 18S8 zu ihnen entfioh und die ersten Nachrichten
von ihrer Lebensweise mit zurückbrachte, gab ein And umane seine Tochter
von 20 Jahren und wiederum deren Tochter von 9 Jahren, seine Enkelin
also, gleichzeitig zur Ehe. Mutter und Tochter fügten sich willig in ihre
Pflichten. Auf Ceylon pflegt, wie Robert Percival im Anfang des Jahr-
hunderts berichtete, das Mädchen schon im 12. Jahre in die Ehe zu treten,
und dies frühzeitige Heirathen wird als Grund des raschen Verblühen» der
Weiber betrachtet. Eine ausserordentlich frühe Verheirathung findet nicht
minder bei den Hindu statt. Dort wird nämlich die Ehe geschlossen,
wenn der Knabe 7 — 10 Jahre alt, das Mädchen aber, wie Eoer angiebt,
4 — 6 Jahre, wie mir jedoch Missionär Beierlein vorsicherte, 8 Jahre alt
ist. Man thut dies nicht deshalb, weil dort die Geschlechtsreife der
Mädchen um so viel früher als bei uns eintritt, denn nach BeierJetn
kommt die Menstruation in Ostindien nicht früher als bei uns zum
Vorschein, und nach Hotr beträgt der Unterschied zwischen hier und dort
hinsichtlich der Geschlechtsreife höchstens zwei Jahre. Die Sache beruht
vielmehr auch hier auf einem althergebrachten geheiligten Gebrauche. Nach
den Heirathsceremonien kehrt nämlich die Braut in das Haus ihrer Eltern
zurück: erst wenn nach einigen Jahren die Menstruation eintritt, wird da»
Mädchen unter Veran.staltung einer Öffentlichen Festlichkeit mit ihrem
Knabengatten vereinigt. Sie wohnen sodanu im Hause ihrer Eltern. So hat
XIL Liebe und Ehe.
es denn nach Korr Beispiele gegebeii, wo in «in and derselben Schale Vi
and Sohn in verschiedenes KJassen »a«9en. Diese AngaDen beziehea
Mif Dekan. In Unterbengalen hingegen findet nach RdberUm . wie wir
später sehen werden, die Begattung Ecbon vor dem MenBtraaüoaseintiiti
etatt In Calcntta herrscht, wie AUan Wdib berichtet, unter den Hindn
allgemein die Sitte, die Kinder frShzeitig zu verheirathen, und e« wird dem
Vater als ein dem Kindenuord analoges Verbrechen angerechnet, wenn «öne
Tochter im elterlichen Hanse menstruirt wird; daher werden die Kinder im
8. bi« 10. Jahre verheirathet, selten aber (unter 80 Fällen 28 mal) gebären
die Frauen vor erreichtem 14. Jahre. Nach .Angabe des Hauptmanns Best
aas dem Jahre 17gS erw&hlen die Mädchen zu Madras, wenn sie sich vor
dem 12. Jahre, in welchem sie oft schon mannbar sind, nicht verheiTathen
können, das Los eines Kebsweibe« oder eines Freudenmädchens. Dies ist
aieht ganx richtig. In der Ka«t« der Vornehmen ist es nämlich herkOmmUcb,
keia Hädehen zu freien, welches älter ist als 14 Jahre; ist nun ein Mlidclbesi
1& oder 16 Jahre alt geworden^ ohne dass sich ein Freier für sie gefutden
hätte, so weiht sie sich dem Tempeldienst der KalioA^x heiligen Matter
(Bkaioani), sie wird Mozli , weibliche Priesterin . und hiermit som verwor*
fensken Geschöpfe des Landes. Unter den Vedas (südindiache Sdaven*
käste) pflegen die Männer bei der Heirath 15 — 16 Jahre alt m «ein. die
Mädchen 7 — 9 Jahre; sie cohabitiren aber mit ihren Mannen sdioa ror
dem Eintritt der Geschlechtsreife (Jagor).
Unter den Bewohnern Centralasiens wird es mit dem HeirathiKltw
der Tochter sehr verschieden gehalten. Die Afghanen pflegen die lUd'
chen im 15. oder 16. Jahre in die Ehe su geben, doch trifft man aneh nicht gar
selten 25jährige Jungfrauen. (Mounstuart-Elp^nstone.) Dogegon bedrathcB
bei den Durahnern. einem die Berge Afghanistans bewohnenden StamoM,
die Mädchen im 14. oder 16. Jahre. Bei den Kafir- Stämmen am Hinda-
kash ist das Heirathsalter der Mädchen zwischen 15 — 20 Jahren. Die
wilden Bewohner Central -Indiens (imBusthar) verheirathen ihre TOehter
mit 15—17, die SOhne mit 14—24 Jahren. {GUufmrd.)
Nicht ohne Eiafluas auf die Sitte des frflhea Verhetrathens im Orieiit
aiOgen die religiösen Institutionen gewesen sein, die in GemeinselMfl mit
dea .klimatischen Einflössen ihre Wirkung äosserten. Die Heiiath gdMtft
(nach Si Khdii) unter die religiösen Pflichten der Mohammedaner, und aüi
dem 10. Leben^ahre ist es allen Mohammedanerinnen erlaubt, die Ehe esa-
zagehen, d. h. mit etwa 9*3 Jahr«-n unserer Sonn'enrechnung. JfittisismJ,
weldier am jeden Preis seine Anhänger schnell vermehren wollte, hatte
dabei Tocent aar an das «fldÜebe Arabien gedacht; er wnsste aber aädbi,
daas bei den Völkern der aaderen Lladcr die GeeeUaehlareüis spiter aaf-
tritt, als dort. Die Araberinaea reifiBB aber jcdcafiük frSber; aadi die-
Jenigaa, weiche in Afrika IdMa. .Eüae Araberin,* sagt Bmtt, «.g^ieii
■ehon im II. Jahre Kiadec, kflrt ab«r aacii schon im 20. Jahn viador aaf;
ihre Zeit betxigt also aar 9 Jahte.' Später setd er Unsn« da« di» TTTwirr
auf der afrikaalsehea KSste des arabischen
arabisohea Fiasea die abjssiaischea Middw
di«
ftOba Baitmiba der
Geld kauft, weil diese Hager Kinder gablim.
Wie im Oneni Ibechauiii, so
aaaeatlich nach in Persiea Braneh: PbM btrichtal*
Waba^maag. da« ta Teheran dasMäddMB («wAhalieh seboa im IS,.
14. Jahre, in Schirat «ogar •ehon hkatf mü 4tm ISL Jahr* SiaUcr
Kr sagt: .In weniger bemtUeltesi Familiao tsadkteC naa daaacb. die Toebt«
59.
897
I
I
Kclion in ihrem 10. oder 11. Jahre tu verheiratheu; jü mir siod Fälle be-
kannt, düna nach erkauftem Dispens des Prietiters die Verheiratbung schon
ini 7. Jahre stattfand; in guten Häusern jedoch werden die Töchter erst im
AlUtr von 12 oder 13 Jahren ausgestattet. Gesetzlich soll das Mädchen erst
nach erlangter voller Pubertät heirathen, d. h. mit eich einstellender Men-
struation, und wenn Scham- oder Achselhaare zu keimen beginnen, ähnlich
Aar oiotiaiBchen Vorschrift, doch hält man sich in den ärmeren Elaüsen nicht
daran, sotidem erkauft den Dispens von einem Priester. Ks heirathen Mäd-
chen mit noch unentTvickelten Menstruen und ganz platter Bru&t. jedoch ent-
wickelt sich beides in der Ehe rasch. Wie mir versichert wurde, komnieu
Fälle von Schwaagersohaft vor, ehe noch die Menstruation «ich eingestellt
hut.'^ Aus Nordpersieu, insbesondere aus der Provinz Gilan, berichtet
Hüntzaviif: Wenn auch mehr als die Hälfte der Mädchen zur Zeit der Pubertät,
d. b. im 14. Jahre, heirathet, so wird doch noch eine sehr grosse Menge
M&dchen schon zwischen dem 10. und 14. Jahre verheirathet. Auch die
Mädchen der Kurden, jenes Barbarenvolke:;, das in manchen Gegenden
West- und Nordpersiens wohnt und in den Euphratländern, Syrien
und Kleinaaien nomadisch umherstreift, heirathen nach Wagner zwischen
dum 10. und 12. Jahre.
Diosen westasiatischen VMkemschliessen sichdieNordafrikaaer an.
Die Weiber der Fezzaner haben nach Capitän Xi/ot» im 12. und 13. Jahre
Kinder und gleichen im 15. und 16. Jahre alten Weibern. In Tunis findet
nach O-iovaimi Ferrini zu frühe und zu häufige Begattung statt, und iht
die« unter anderen KinäQ^^sen eine Ursache, dass die Bevölkerung nicht zu-,
sundern abnimmt. In der Sahara von Algerien giebt es ein Volk, die
Beni Mezab, welches seine Töchter nach Dueeyrier's Bericht sehr früh ver-
heirathet; ea giebt unter ihnen Mütter von 12 Jahren. Unter den Kabilen
(zur Berber-Kasse gehörig) werden die Mädchen schon im 6. Jahre ver-
sprochen, nnd sie heirathen «wischen dem 10. und 12. Jahre. Diese frühe
Heirath scheint keinen so nachtheiligen Einfluss auf die knbilischen, wie
die arabischen Frauen zu üben, indem nach Leckre erstere nicht so schnell
zu altem scheinen, als letztere.
Die Aegypterinnen verbeirathen sich im Alter von 11 bis 13
Jahren. {Hartmann.) Das frühe Dahinwelken der ägyptischen Frauen,
wie der Morgenländerinnen überhaupt, schreibt Frau r. MinutoU dem früh-
zeitigen Heirathen zu. Die Kopten verehelichen ihre Kinder schon im 7.
oder 8. Jahre, und man sieht bei ihnen oft Mütter, die er^t 12 Jahre alt sind.
In Oberägypten verbeirathen sich nach Bruce die Mädchen selten nach
dem 16. Jahre, und einige, die er schwanger sali, waren ihrer Aussage niich
kaum II .Fahre alt; sie 'sahen aus wie eine Leiche und waren in ihrem
16. Jahn? iilter, als manche Engländerinnen in ihrem 60. Jahre. Klunzintfer
berichtet, dass in Überägypten Knaben von 15 — 18 Jahren Mädchen von
12 — 14 Jahren heirathen, und fügt hinzu, dass solche in unseren Augeu ver-
frühte F.hen (dort obendrein zu etwa zwei Dritttheilen zwischen Geschwister-
kindern geschlossen) doch in Bezog auf den Kindersegen keine üblen Wir>
kungen wahrnehmen lasaen.
Wir wenden ans nun zu den übrigen Völkern Afrikas. Die Unsittr
[der Aegypter. Mädchen von 6 — 8 Jahren zu verbeirathen, findet unter den
braunen Leuten zu Mensii nicht statt; unter 14 Jahren wird hier aelKn
ein Mildchen ehelichen; in dii'tem Jahre ist es aber völlig «•rwachsen. {Brehm.)
>ie Frau bei den Scbaugalla, welche augeblich mit 12 Jahren schon
lehrere Kinder geboren bat. wird nach dem 20. Jah^e selten Mutter, und
Xn. Liebe and Ehe.
hat mehr Runzeln ala eine SOjilhrige Europäerin, unter den Agow,
einen] VolkfiBtamme im Süden Abyssiniens, werden die Mildchen schon
im 9. Jahre mannbar, heirathen meist im 11. Jahre, hören aber schon im
30. Jahre auf, Kinder zu bekommen. Die Frauen der Abyaainier werden
in der Reg^el ungemein jung verheirathet ; Rüppell berichtet von einer
lOjIlhrigeu Fmu; das Alter dee Mannes kommt bei keiner Ehe in Berück-
äiehtigung, und sehr alte Männer hdrathen oft ganz junge Mädchen. In
Keradif. das tief in Ab>-esinien liegt, fand einst der Misaionilr Httrn
eine sonderbare Aufregung: es war plötzlich der Befehl erlassen worden,
dass alle Knaben über 14, alle Müdchen über 9 Jahre alt binnen 14 Tagen
heirathen sollten ; die Uebertrctung dieses Gesetzes sollte mit Geld eventuell
durch Peitschenhiebe bestraft werden: die ganze Bevölkerung feierte dem-
nach grosse Hochzeitsfeste, und überall sah man kleine Bräute und Bräuti-
gams. Unter den Bedu^' in den Habab- und Bogos- Ländern erfolgt nach
Mu7uiiiger die Verheirathung d<-'t* Mädchens bisweilen im 12. Jahre, doch la
der Kegel später. In Masaaua heirathen, wie Mitiisingcf angtebt, die Mäd-
chen im 12., die Jünglinge im 17. Jahre. Nach Brehm ist in Massaua die
Sitte, die Mädchen früh eu verheirathen, als Ursache der Cnfruchtbarkäit
der Weiber zu betrachten. Auch bei den Sudanesen verheirathen sich
nach Brehm's Mittheilungen die Mädchen von 12^14 Jahren, die Knaben
von 15 Jahren, Die Mädchen in Nubien heirathen nach Ähbadie regel-
mässig mit 12 Jahren; sie heirathen aber auch wnhl im 10. Jahre, und lange
bevor die Menstruation eintritt werden sie schon gekauft und zum Beischlaf
benutzt. In Siidnubien heirathet man auch nach ifm//w/^' nehr jung: Ehe-
paare iin 15. bi.'i 17. Lebensjahre sind keine Seltenheit. Die Somali, die
an der KQste des Meeres wohnen, lassen ihre Mädchen schon von den
13. Jahre an heirathen.
An der Goldküste werden die Heiratheu sehr frühzeitig ge-
schlossen, {(^ruickshank.) Bei den M'Pongo an der Kflste von Nord-
Guinea pflegen die Mädchen zwischen dem 10. bis 12. Lebensjahre
in die Ehe zu treten. (Ut/acinth Ilecquard.) Das Negervolk der Egba in
Yoruba, einem Lande zwischen dem Golf von Benin, dem Niger geg«n
Osten und Borgu im Norden, verlobt seine Töchter zeitig, doch finden
die Verheiraihungen selten vor dem 18. bis 20. Jahre statt. (Burton,) An
der Sierra-Leone-K&ate bei den Susu, Mandingo u. s. w, werden die
Mädchen schon vor ihrer Geburt verlobt, die Uochzeit wird jedoch
selten oder nie vor dem 14. Jahre vollzogen; auch erinnert sich Winter-
boUom nicht, in diesem Thelle von Afrika je eine Hchwangere Frau gesehen
EU haben, die nicht bereit« dieses Alter erreicht gehabt hi'itte. Eine früh-
zeitige Verlobung der Mädchen Sndet auch in Okl-Calabar. numenUich
bei den höheren Klassen, statt, bisweilen schon wenige Tage nach der Ge-
burt derselben, und zwar nicht »elten mit einem Manne in den mittleren
oder höheren .Tahren. Mitunter bat ein Mann, der schon einf Anzahl Weiber
hat, einen Säugling von 2— *d Wochen alt auf seinen Knieen und küsst und
herzt dos Kind als sein ,neues Weib". Im 7. oder 8. .labre wird da« Mäd-
chen zur Vorbereitung vor der Ehe in einer von der ötadt entfernten Farm
gemästet; dann lebt sie noch ein Paur Jahre frei unter den Weibern ihre«
Gemahl». Bei den Negern in Oabon wird da« Mädchen oft »ohon im
10. Jahre verheiratliot, wie Oriffon du Bellay augiebt; im 14. Jahre Ist dann
solch ein armes Geschupf Mutter und im 20. Jahre ein altea Weib. Allfita
noch den Berichten, die Itoberton einzog, finden bei den Negern die Ge-
burten im Allgemeinen selten früher ala im 16. Jahre statt; dorchschnitUicli
59. Das Heiräth salter.
399
Hollen hiernach die Negerinnen ebenso früh und ebenso spät gebären, wie
die Europäerinnen. Dagegen fand Du CliaiUu, dass diu Aschira in
WcBtafrika mit der Verheirathung nicht erst abwarten, bis da« Alter der
L Pubertät eintritt.
Bei den Eaffern beginnt, schon der I4j9,hrig8 Jange sich nach einer
'Dirne umsuKchauen, die er heimthen kann. Da« junge Amaxosa-(Kaff er-)
Mädchen wird bei Eintritt ihrer Mannbarkeit feierlich für heirathäfähig er-
klärt. Bei dem hierbei begangenen Fest geniesst sie das flbliche Vorrecht,
mit einem von ihr erwählten Gefährten, gewöhnlich für 2 — 4 Tage, zusaui-
menznleben. Die heirathalustigen, menstrolrten Mädchen tragen das Kopf-
ihaar in Nestfonu zusaoimengewunden. Es ist unter ihnen der Probe-Coitus
eingeführt, bei dem jedoch der junge Mann das Mädchen nicht schwängem
darf, wenn er sich die Entscheidung der Wahl vorbehalten will. Sol)ald
1>ei den Basutho die Kinder das 14. .Tahr erreicht haben, denken die Eltern
»n eine Heirath. {Casalis.) Allein die Mädchen der Basutho heirathen nicht
60 frQh, als man es von dem südlichen Klima erwarten sollte; erstens ist
es in ihrem gebirgigen Lande nicht so warm, wie im übrigen Afrika, an-
derentheils suchen die Väter ihre Töchter recht lange auszubieten, um einen grös-
seren Preis zu erzielen. (Uolb'inder.) Andere Betschuanen-Mädcben werden
[«benfall» durch Ceremonien bei Eintritt der Menses für heirath«fJlhig erklärt:
,12 oder 13 .Tahre ist wohl ein ganz gewöhnliches Alter für die Verheiia-
thung,* doch läsat sich dieses Alter selten genau angeben. Bei den Ovah-
Herero braucht das Mädchen zum Heirathen nicht älter als 12 Jahre zu
sein. Unter den Hottentotten werden schöne Mädchen nicht selten schon
mit dem 8. oder 9. .lahre verheirathet. {JJamberger.) Die Mädchen der
' BuschmäBner werden sogar im 7. .lahre verheirathet, und bisweilen mit
12. ja mit 10 Jahren Mütter. {BurcMl.) Die Frauen der Boers in Süd-
afrika heirathen gleichfalls sehr jung, zu cmer Zeit, wo der Körper kaum
Zeit gehabt hat, sich zu entwickeln, daher haben sie auch eine sehr kurze,
durchschnittliche Lebensdauer. (Fritsch.) Auf der Insel Madagaskar treten
nach den Angaben des Hieronymus Megiacerus aus dem Jahre 1609 die Mäd-
chen der Eingeborenen im 10. Lebensjahre in die Ehe, und die jungen
Männer ebenfalls schon mit 10 bis 12 Jahi-en.
Aehnlich wie die Frauen der Boers sollen nach ZieijUr auch die
'Damen der Vereinigten Staaten Nordamerikas sehr frühzeitig sich verehe-
lichen, «daher ereilt sie dns schonungslose Alter früher, als dies bei den
Fmaen in Deutschland der Fall ist."
Unter allen Schriftstellern, welche unserem Thema ihre Aut-
[merksamkeit gewidmet hahen, beschäftigte s\ch Roberton in Man-
chester am genauesten mit dieser Angelegenheit. Unter anderem
schrieb er einen Aufsatz : „Early Marriages so common in oriental
Coantriefl uo proof ol' early Puberty." Hier brachte er verschie-
dene Angaben über »Spanien, Griechenland, Rnssland u. s. w.
bei und gelaugte zu folgenden Sätzen:
,,Id England, Deutschland und dem übrigen protestantischen
Europa ist frühes und vorzeitignM Heirathen selten. Frühe» Heirathen
waltet hingegen unter jenen unciviliHirtcn Volksstämmen vor, welche in der
arktischen Zone umherschweifon. Auch im europäischen Russland ist
ein besonderes früh»'» V«!rheirttthen gebräuchlich. luftbesondere pflegt man
in allen Staaten Europas, in welchen Aberglaube und Unwissenheit ben-
[»chen, die Mädchen früh zu v^rheirathen, vorzugsweise ist bei der römisch-
und Ehe.
kiitholüscbra Bevölkerung Irlands trOhes Heirathen Sitte. So ist denn
Oberhaupt da« frühe Verheirathen nur durch die Rohheit der
Bevölkerung und nicht durch das Klima bedingt. Auch in den
Gegenden des Orients, in welchen t'ruhea Heirathen stattfindet, steht diese
Sitte anter dem EinSuase moralischer und politischer Zustände. Anstatt nun
aber das frühe Heirathen, welches in Asien heimisch ist, der roneiti^
Pubertät zust-hreiben zu wollen, sollte man mehr als bisher durch moralisc
und gesetzliche Mittel gegen diese Gewohnheit einschreiten.'*
Wir können in dieser Beziehung den Ansichten lioberton's
Töllig beistimmen, wenn er die socialen Zustände als vorzugweise
maassgebend in den Vordergrund stellt. Allein die Angelegenheit
hat nicht bloss eine sociale Bedeutung, sondern auch eine sanitäre,
und wir müssen die Frage aufwerfen : welchen Einiluss haben diese
frühzeitigen Heirathen auf den Organismus der Frau? wie wirken
sie auf deren physische Gesundheit und auf deren Lebensfähigkeit
ein ? welchen Einfluss haben sie auf die Fruchtbarkeit und auf die
Lebensfähigkeit und die Gesundheit der Nachkommenschaft?
Vor Allem ist es eine in ärztlichen Kreisen anerkannte That-^^
Sache, das» (wenigstens bei den Frauen der civilisirten Volk«
Europas) der Uterus und die Ovarien durchschnittlich bis in dap
20. Le]>ensjahr fortwachsen und sich entwickeln, und dass sie erst
von da an für ihre Functionen vollkommen reif und denselben ge-
wachsen sind. Ohne Zweifel kommen auch bei uns frühreife
i'iduen vor, bei welchen der physiologische Entwickelungspi
chneller durchlaufen imd früher beendet ist ; allein immerhin sind
'solche Fälle als Ausnahmen zu betrachten ; die bei weitem grösste
Mehrzahl weiblicher Individuen ist erst im 20. Jahre mit der
völligen Ausbildung der inneren Sexualorgane fertig. Sie können
demnach erst von da an ohne Nachtheil und in entsprechender
Weise ihrer sexuellen Bestimmung genügen. Vorzeitiges Fuuctic
uiren könnte in zweifacher Hinsicht Gefahren mit sich bringen;!
1. durch eine Schädigung des noch unreifen Körpers, 2. durch Pro-
duction eines schwachen und wenig lebensfähigen Geschlecht;.
Während namentlich in neuerer Zeit mehrere englische Aerzte
auf die Thatsache hingewiesen haben, dass schwächliclie und
reife Individuen eine uukräftige Generation hervorbringen, hab<
von jeher die Mediciner, z, B. schon Leake, behauptet, dass Frauen-
zimmer, die sehr frühzeitig Mütter werden, selten gesund sind
bald verwelken. Das zu friihe Heirathen erzeugt nach Lenke beü
^fveiblichen Geschlecht nicht selten Lungenkraünkheiten, und ii
)esondere tritt bei vorhandener Disposition nach einigen oder luehH
reren Kindbetten Phthisis ein. Wir überlassen die ünterauchui
dieser Frage der rein medicinischen Literatur, und wollen hier ni
ein paar gynäkologische Controversen berühren, die ein beaonderM
ethnograpluscbes Interesse beanspnichen.
Einen wichtigen Beweis dafür, da-ts'die frühzeitige Aul ^
Geschlechtstriebes die gcschlwhtliclie Entwickelung zmtit
59. Dua Heirathsalier.
401
liefern die Angaben Roh&rtons. Nach ihm treten die Mens«'s
bei den Hindu, unter welchen Kinderheirathen sehr gebräucMich
Rind, schon früh ein. In den Tabellen, welche Roherton raittheilt,
finden sich viele weibliche Individuen verzeichnet, welche Schon mit
13, 12 und 11 Jahren niederkamen, eins sogar .schon mit 10 Jahren.
1 Roberten gelangt durch vieltaltige Vergleichungen zu dem Schlüsse,
'dass die frühe Keife und Conception der Hindu- Weiber namentlich
in C a 1 c u 1 1 a nicht im Klima, sondern in dem frühen Heirathen und
der herrschenden Sittenlosigkeit überhaupt ihren Grund habe. Zur
I l^nt^rstützung dieser Meinung weist Rofurton insbesondere darauf
hin, dass Demerara und die Westindischen Inseln eine
höhere mittlere Jahreswärme haben, alsCalcutta und Dekan,
dass aber dort die Negerinnen nicht früher menstruiren, als die
Bewohnerinnen Englands.
Es ist nach Kussmaul die Thatsache wichtig, dass unter dem-
selben Klima und bei demselben ^''olke die Menstruation bei den
Mädchen der grossen Städte, deren Geschlechtstrieb durchschnitt-
bch frühe erregt wird, früher eintritt, als bei den Landmädchen.
Doch mögen zu dieser Diiferenz im Menstruationseiutritt wohl auch
noch andere, die Lebensweise der städtischen und ländlichen Be-
völkerung treffende Einflüs.se mitwirken, als lediglich die frühe
oder späte Begattung oder überhaupt die Erregung des Ge^chlecbts-
itriebes.
' Dass die Reifung der Eier (Follikel) am Eierstock durch Rei-
zung der Geschlechtstheile gezeitigt wird, scheinen die Experimente
Coste's an Kaninchen darzuthun, und Coste selbst deutet darauf hin,
[dass vielleicht auch der Ooitus die Berstung der Eierstocksfüüikel
befördere, die ohne Coitus nicht eingetreten sein würde.
Aber es giebt auch Ausnalunen von der Regel, dass früh-
zeitiger geschlechtlicher Verkehr den Eintritt der Menstruation be-
schleunigt. Denn Scherzer führt an, dass unter 50 chinesischen
Frauen, welche zwischen dem 1 7. und 20. Jahre geheirathet und
mit Ausnahme einer einzigen sämmtlich Kinder geboren hatten, sich
nur zwei befanden, die mit 17 Jaliren bereits menstruirt waren,
während bei allen anderen erst mit dem 19. Jalire die Regel eintrat.
Wer sich der Mühe unterzogen hat, die obigen Notizen über
das Heirathsalter durchzulesen, der wird wiederholentUch Bemer-
kimgen gefunden haben, aus denen die Schädlichkeit des vorzei-
tigen geschlechtlichen Verkehres flir den weiblichen Organismus
wenigstens für eine Reihe von Fällen zur Evidenz erwiesen ist. Auch
begegneten wir Kotizen, wo direct eine Verkürzung der Leben.s-
dauer ftfr die Frau behauptet wurde. Ausserdem a]?er ist es in
hohem Grade wahrscheinlich, dass das verfrühte Mutterwerden im
Allgemeinen die Geburten sehr erschwert. So wird unter Anderem
von Itoherton berichtet, da.sa das jugendliche Alter der Mütter in
Hindostan gewöhnlich die Ursache schwerer Gebiu-ten sei. Und
Ptehon im Jahre 1798 schrieb Fra Paolino da San Barthohmeo
Ploti, Dm W«lb. I. 2. Ann. 26
402 ^11- ^i^^e und Ehe.
aus Ostindien: , Viele indische Weiber büssen ihr Leben da,
wenn sie zum ersten Male in die Wochen konunm.* Auf der
anderen Seite versicherte mir jedoch der Missionär JBeierlein^ der
lange in der Provinz Madras weilte, dass, wenn auch die 3ilSdcha
daselbst bald nach Eintritt der Pubertät, demnach noch sehr jung,
schwanger werden, die Geburten dennoch nicht besonders schwer tot
sich gehen; ja man nimmt nach Beierlein's Ausspruch in jenen
Districten Ostindiens an, dass daselbst alle Weiher, auch äelbet
die eingewanderten Frauen, die Geburten verhältnissmassig leichter
überstehen, als in Europa. Auf den Antillen heirathen die
Mädchen der Colonisten auch sehr früh', wie Du Tertre im Jahre
lß67 berichtete; derselbe sah dort eine 12i/2J^'i^ffp Frau, die schon
geboren hatte, ihm aber versicherte, dass ihre J^^iederkunffc nicht
länger als eine halbe Viertelstunde gedauert habe und wenig schmen-
haft gewesen sei. Trotzdem möchte ich glauben, dass doch im All-
gemeinen in diesem Alter der Körper lüum genügend entwickelt
sein kann, wenn auch in jenen Gegenden die Entwickelung sclmeUer
vor sich geht, als bei uns. Dass von den Frauen im abjssi-
ni sehen Mensa 30% im Wochenbett sterben, ist nach Hassen-
stein wohl zum Theil Folge der vor gehöriger Entwickelung des
Körpers eingegangenen Ehen.
Ueber die Frage, inwieweit dna Alter der Mutter einen Einfluss aaf die
Kntwickefung von Gewicht und Länge des Kindes äussert, hat WerHitV
Untersuchungen angestellt. Er fand: 1. Das Gewicht der Neugeborena
nimmt mit steigendem Alter der Mutter bis zum 39., ihre Länge bis zon
44. Lebensjahre der Mutter constant zu. 2. Jedes, Product einer späteno
Schwangerschaft Übertrifft an Gewicht und Länge die ihm vorausgegangenen
:{. Sowohl das Alter der Mutter als die Zahl der Schwangerschafben bewirk«!
die Gewichts- und Längenzunahmo, und zwar jeder dieser Factoren in einen
progressionsweise auszudrückenden Maase. Das Zusammentreffen einer be-
stimmten Schwangerschaft mit ihrem Durchschnittsjahre wirkt auf die Ent-
wickelung der Frucht besonders günstig. So ergiebt sich aus den Tabellen-
dass z.B. eine Frau in Bayern unter sonst gleichen Umständen ihr ent«>
Kind im 24., ihr zweites im 27., ihr drittes um das 29. Lebenrsjohr am toU-
kommenstcn entwickelt gebären wird. 4. Erste Kinder, deren Mütter seb
spät uienstruirt wurden, stehen an Gewicht den Kindern anderer, besonder!
sehr frühe menstruirter Mütter nach.
Ueber die Gewichtsverhältni.sse wie die Lebensfähigkeit und
die Gesundheit .solcher Kinder, welche in den oben besprochen«!
Volksstümmen von sehr jungen und nach unseren Begrüfen noch
ganz unreifen Weibern geboren worden sind, fehlen uns leider noch
alle genaueren Angaben, jedoch werden wir kaum fehlgreifen wenn
wir uns imter diesen Erstgeburten nicht genule Hünen- und Recken-
ge.stalten vorstellen.
60. Die Ehescheidung.
403
f>0. Die Ehescheidung.
Was Gott ziisainiuengeftigt , das soll der Menacli nicht «chei-
leu, heisst es bekanntlich in der Trauungslbrmel der evangelischen
iirche. Aber dennoch hat das bürgerliche Recht eine Reihe von
''allen festzustellen sich gezwungen gesehen, in denen der fi\r das
Leben geschlossene, eheliche Bund durch richterlichen Spruch vor-
zeitig wieder gelöst werden kann. Und selbst die katholische Kirche,
I welcher die einmal geschlossene Ehe als imaufloslich gilt, mug.ste
iennoch anerkennen, dass es Leben-slagen giebt, in welchen das
'heilige Band doch durchaus wieder getrennt werden mu.ss, wobei
es in un.seren Augen ein rein äusserlicher Unterschied ist, dass hier
nicht der Richter, sondern der Pontifex maximus das erlösende Wort
z\i sprechen berechtigt ist. Es ist nun nicht etwa unsere Absicht,
hier die Geaetzesparagraphen der civilisirten Völker durchzusprechen,
welche eine Ehescheidung ttir zuläs.sig erklären, sondern gerade die
Zustünde bei weniger hochstehenden Rassen sind es, welche uns an
ieaer Stelle zu intei'esslren vermögen.
Wir haben weiter oben schon gesehen, dass bei den Persern,
den uordafrikanischen Mohamraedauem \ind auch bei ein-
iZelnen Völkern des südöstlichen Afrikas der in der Bratttnacht
Witdeckte Mangel des Jungfernhäutchens, also in den Augen dieser
icute der Verlust der Jiuigfrauschaft vor dem Abschlüsse der Ehe,
liese letztere ohne weiteres wieder aufzulösen im Stande ist.
Der Mohammedaner kann aber auch sonst jeden Augenblick
lach Belieben ohne Angabe des Grundes die Scheidung aussprechen.
^r mufis seiner Frau dann allerdings das Heiiathsgut verabfolgen
'und ihr über die Iddahzeit, d. h. Über die dreimonatliche Frist,
^ während welcher sie sich nicht wieder verheirathen darf, oder bis
zu ihrer Entbindung den Unterhalt gewähren. Allein diese
schützende Maassregel hat wenig zu bedeuten ; denn wenn die Frau
durch Ungehorsam die Scheidung veranlasst hat, oder wenn der
Mann „die Gebote Gottes nicht erfüllen zu können* ftirchtet, falls
er das Gut herausgiebt, so darf er einen Theil desselben oder das
tGanze behalten.
r GänzHch fremd ist dem Koran der Gedanke, dass die Frau
auf Scheidung dringen könnte. Allerdings hat das moslimische
Recht hierliber einige Bestimmungen getroifen ; es kann das l^eib
bei gewissen Gebrechen des Mannes oder bei hoflnungslosem ehe-
lichen Zwist Scheidung verlangen, aber dann hat es den Mann zu
entschädigen oder auf das Heirathsgut zu verzichten. I)ie ausge-
sprochene Scheidimg gilt ftir imwiderruflich, wenn sie durch Zeugen
beglaubigt ist; manche Frau ist aus drückender Knechtschaft be-
freit worden, weil der Mann in der Hitze des Zorns sein : ,Du bist
entlassen* sprach. Denn diese Erklärung genügt, um die Ehe zu
lösen. In Aegypten muss diese Erklärung aber dreimal abge-
reben werden.
26»
404 XII. Liebe und Ehe.
Den Muselmännern ist es erlaubt, sich dreimal von ihrer Fm
scheiden zu lassen und sie nach der Scheidung wieder za heiratho.
Nach dem dritten Male aber ist ihnen die Wiederheiratli Verbotes,
wenn nicht die Frau inzwischen mit einem anderen Manne die Ehe
eingegangen war, welche natürlicherweise ebenfalls erst wiedei
getrennt sein muss.
Bei den Persern pflegt der Ehebruch' zur Scheidung zu
führen, aber in der Regel erfolgt die Scheidung nur, wenn die Frau
khiderlos bleibt und ihr die Schuld davon beigemessen -werden kann,
zweitens wenn sie liederlich ist und drittens wenn der Mann glaubt,
dass mit ihrem Eintritte in das Haus Unglück über dasselbe kam:
man hält sie dann für ein böses Omen. Auch der Perser kuu
seine geschiedene Frau wieder ins Haus nehmen, nach der zwätai
Scheidung jedoch nur in dem Falle, wenn sie indessen an amen
Anderen verheirathet war und von diesem den Scheidebrief erhielt
Bei der Sighe, d. h. bei einer weiblichen Person, mit der er nui
eine Ehe auf Zeit eingegangen ist, kommt die Scheidung nicht in
Frage, da der Vertrag mit ihr von selbst nach bestimmter Zeit
abläuft.
Bei den heutigen Abchasiern darf eine unzufriedene ßattin
ohne Weiteres ihren Gemahl verlassen und zu ihrer Familie zurück-
kehren, ohne dass dieser das Recht hätte, sich zu beschweren.
{Serend.) Die Naya-Kurumbas im N i lg hiri - Gebirge haltet
die Ehe überhaupt nur so lange fiir bindend, als es ihnen beliebt
(Jagor.) Bei den Samojeden ist das Band der Ehe sehr locker,
geringfügige Ursachen können Scheidung herbeiführen; dann geht
der Mann des Kaufpreises verlustig; läuft eine Frau fort, so wti
ihre Eltern verpflichtet, den Kaufpreis zurückzuerstatten.
Bei den Akkadern, den Vorfahren der alten Assvrer.
durfte sich, wie glücklich erhaltene und von Lenottnanf geleseai
Keilschrifttäfelchen aussagen, wohl der Mann von der Frau. aW
nicht die Frau von dem Manne trennen:
, Rechtsspruch: Hat eine Frau ihren Ehemann beleidigt, hat sie .il'
bist nicht mehr wein Mann' zu ihm gesagt, so soll sie in den Fluss ge-
worfen werden." Kin Versuch der Ehescheidung von Seiten der Frau wini
also mit dem Tode bestraft. Der Mann dagegen konnte die Gattin obi»
Weiteres Verstössen,' wenn er noch nicht in ehelichen Verkehr mit ihr g*-
treten war: Hat ein Mann ein Weib geehelicht, und subigendo eam no:
comprcssit, so kann er eine Andere wählen. War ^.ber die Ehe in dieses
Sinne schon perfect geworden, so stand es ihm dennoch frei, mit Hinterlep»'-
einer Gelc^busse die Ehe wieder rückgängig zu machen; r Hechtsspruch: Hü
ein Mahn zu seiner Ehefrau ,du bist nicht mehr meine Frau' gesa^, so soE
er eine halbe Silbermine zahlen." Hestimmte Vergehen von Seiten d«
Frau, welche uns leider nicht näher bezeichnet werden, gestatteten dem Mmun
die Verstossuug der Ehefrau in sehr entehrender Form. Es lässt sich ver
muthen, dass Ehebruch von ihrer Seite die Ursache hierfür abgegebA
haben muss. «Ihre Verstossung hat er auf dem passur ausgesprocbeft
und zu ihrem Vater hat er sie zurückkehren lassen. ... Er hat ihr Beifii
60. Die Ehescheidung.
405
erstosBungsui'kande fibergeben, er hat dieselbe an ihren Rücken geheftet,
nd sie sodann aus dem Hanse gejagte In allen Fällen wird der Ehemann
in Kind bei aich überwachen dürfen, doch darf er jene nicht weiter he-
stigen. Hierauf, da sie zur Hurt» geworden, wird man sie auf der Strasse
lUfgreifen und mit sich fortführen können. Wo es am besten ihr passen
ird, darf sie ihr Hureugewerbe betrt?ibon. Als Hure wird sie der Sohn der
itrasee zu sich nehmen dürfen. Ihre Brust .... Ihr Vater und ihre Mutter
,e nicht wieder anerkennen sollen.*
Der Vorgang der Scheidung war bei den alten Israeliten
ur Zeit des noch bestehenden Tempels sehr umständlich. Ausser-
dem gab es verschiedene ScheidungsgrUnde:
I Der Mann konnte klagen, wenn die Frau Leibesfehler hatte, die den
^^^eiuchlaf hinderten, wenn sie in der Führung des Hauswesens oder äonst gegen
^Hlie jüdischen Gesetze verstiess, wenn sie ein unsittliches Leben führte oder
^Bdea Ehebruchs überführt wurde, wenn sie die Schwiegereltern beschimpfte oder
^Vdie ehelichen Pflichten verweigerte, endlick, wenn sie zehn Jalire kinderlos
blieb. Andererseits konnte die Frau klagen, wenn der Mann die ehehchen
l%ichten versagte, wenn er sie tyrannisch behandelte, von widerlicher oder
ansteckender Krankheit befallen war, ein verachtetes Gewerbe ergriffen hatte,
wenn er eines Verbrechens wegen flüchtig geworden war, und schliesslich
wenn er sich zur ehelichen Pflicht unfaliig zeigte.
Die chinesischen Bestimmungen über die Ehescheidimg waren
nach den Vorschriften von Confncius folgende:
Ungehorsam gegen die Eltern des Mannes, Unfruchtbarkeit. Ehebruch,
baeiguug oder Eifersucht, bOse Krankheit, Schwatzhaftigkeit, Diebstahl an
es Mannes Eigenthum. In drei Fällen durfte der Mann die Frau nicht ver-
lOssen: 1. wenn ihre Eltern, die zur Zeit der Verheirathung noch lebten,
sterben sind , 2. wenn sie die dreijährige Trauer um des Mannes Eltern
tragen hat, 3. wenn sie erst arm und niedrig, jetzt aber reich und ange-
lehen ist.
Der Japaner kann sich ohne besondere Gründe von seiner
rau trennen und er darf sich danach so oft wieder verheirathen,
Is er will, nur nicht mit der leiblichen Schwester oder mit der
chwester einer vorigen Gattin.
Auf den Mariannen dauert die Ehe nur so lange, als beide
atten es wollen. Lst der Mann nicht unterwürfig g'vnug, so ver-
fihst ihn die Gattin imd geht zu ihren Eltern, die dann über des
Mannes Eigenthum herzufallen pflegen und dasselbe zerstören. Will
auf den Palau- Inseln sich der Mann von seiner Frau trennen, so
schickt er sie einfach fort. Ihr folgen die Kinder, die von der
Mutter den Stand erben. (Knbary.)
Auf den südöstlichen Inseln des malayischeu Archipels,
von denen uns der schon so oft citirte Riedel so vortreffliche Schil-
derungen geliefert bat, herrschen in Bezug auf die Ehescheidung
sehr verschiedenartige Gebräuche. Auf Buru findet eine Eheschei-
dung überhaupt nicht statt, und wenn die Frau den Mann verlässt,
so sind ihre Verwandten verpflichtet, sie ihm wieder zurückzubringen,
uf den meisten anderen Inseln ist der hauptsächlichste Grund für
renauag der Ehe Untreue von Seiten der Frau oder auch
406
XII. Liebe und Ehe.
wohl von Seiten des Mauue». (Scrang.) Nächstdem bildet M
handlung der Frau einen Scheiduugsgrund, und zwar hat der Mann
dann im Gegensatze zu der vorhergenamaten Ursache keinen An-,
Spruch auf eine Rückerstattung des Brautschatzes. Im Gegentheil,
er muss die Geschenke wieder herausgebeu, die er bei der Hoch-
zeit von den Anverwandten der Frau erhalten hat, er muss ihnen
die Kosten zurückerstatten, welche die Hochzeit verursacht hat
(Am hon), und muss ihueu sogar noch eine Busse bezahlen (Leti,,
Moa und Lakor). 1
Auf' den Tanembar- und T imo rlao -Inseln darf die Frau
dann auch alles Gut au sich nehmen, was sie während der Ehe
erworben hat, und die Kinder verbleiben ihr, während auf den
Aaru-Insehi die Kinder bei Ehescheidung dem Vater folgen. Auch
bei dauerndem häuslichen Unfrieden kann die Scheidung ausgesprochen
werden (Ambon, Leti,.Moa, Lakor). Die Frauen auf Serang oder
Nusaina dürfen die Scheidung beantragen bei Impotenz des Mannen
oder wenn letzterer mit seinen Schwiegereltern in dauerndem Streite
lebt. Die Scheidung ^vird hier von den Aeltesten, auf Leti, Mu»
imd Lakor von der Familie, auf den Seranglao- imd Gorong-
Inseln von den Häuptern und Geistlichen ausgesprochen. Auf letz-
teren geben sie dann den Scheidebrief, vertheilen den Besitz und
die Kinder, lassen aber die Scheidung nicht zu, wenn die Gründe
nicht sehr gewichtig sind. Eine Wiederverheirathung emer geschie-
denen Frau darf nicht vor dem I35steu Tage stattfinden, und bis
zu diesem Termine gehört sie noch dem Manne und muss von ihm
unterhalten werden.
Bei den Kaffern ist die Ehescheidung überall üblich und
wird oft wegen geringfügiger Ursachen ins Werk gesetzt, (3lf-
reiishi.) Auch imter den Betschuanen kann der Mann" die
Scheidmig leicht ausführen, doch- muss er für den Unterhalt der
Geschiedenen sorgen, falls diese nicht schuldig befunden wird.
Bei den Kassanga in Afrika wird die Scheidung durch eine
einfache Mittheihmg an den ältesten Oheim der Frau bewirkt, der
mm dieselbe von neuem verkaufen kann. Je öfter also eine Schei-
dung erfolgt, desto einträglicher erweist sich der Besitz einer Nichte,
denn der Kaut])rei8 wird dem sich scheidenden Gatten nicht zurück-
erstattet. (Schüts,)
XIII. Das Weib im Zustande der Befruclitring.
61. Die Zeugung.
Ea bedarf nicht erst einer besonderen Erwähnung, das» för
<lie Erhaltung und die Fortpflanzung des meuschlicheu Geschlecht«
du8 Weib in ganz erheblicher Weise mehr in Anspnich genommen
wird als der Mann. Während der letztere dem jungen Keime des
neuen Individuums nur die Fähigkeit der Entwickelung in kurzem
einmaligen Acte überträgt, ist das Weib berufen, im Inneren ihres
Leibes ihm das schützende Nest zu gewähren, in welchem er
wachsen und einen bestinmiten Grad der Reife erreichen kann, von
ihrem Blute ihm die Materialien zuzuführen, die er zu seinem
Wachsthum nötbig hat, und wenn er endlich nach monatelanger
Verborgenheit das Licht der Welt erblickte, ihm mit dem wichtigsten
Producte ihres Korpers, der Milch, noch lange Zeit hindurch die
ausachliessliche Nahrung darzubieten. Alle diese wichtigen Fimc-
tionen fallen in die Periode der vollsten Korperkraft und der Höhe
der Eotwickelung des weiblichen Ge8(;hlechts, unter normalen Ver-
hältnissen wenigstens, und fast zwei volle Jahre verstreichen, und
gar nicht selten sogar noch mehr, um einem einzigen Keime das
alle« zu leisten, was wir soeben entwickelt haben, wobei es ja auch
noch das Gewöhnliche ist, dass, wenn die erwähnte Leistung für
ein neues Individuum soeben ihren Abschluss erreicht hat, 1>ereit8
ein anderer frisch befruchteter Keim die gleichen Ansprüche an die
Mutter stellt. Es ist daher durchaus in der Ordnung, dass wir
in diesem von dem Weibe handelnden Werke den besprochenen
Zuständen und Thätigkeiten eine ganz ausfuhrliche Berlicksichtigiuig
2U Theil werden lassen.
Erst seit Swammerdam (f 10^5) weiss man, das-s zur Befruch-
t\mg der Contact des Eie.s mit dem Samen nöthig ist, seit 6)>«//f'Ji^'M«i
(1768) kemit man die Befnichtungskraft der Samenfäden, seit Jinmj
(1850) das Eindringen derselben in das Ei, in dem dann eine ZeUeii-
bildung vor sich geht.
Wie die Zeugungslehre noch viele probiematiftclie l'i' ' i-
hfilt. so galt , Zeugung* von jeher bei den Völkern al» ein M
dessen Lösung man kaum enträthseln kann. Welchen Anthnl lumi
408
cfatuni?.
der Mann, welchen das Weib an der Erzeugung eines neuen Indi-
viduums, und wie sind beide im Stande, körperliche und geistige
Eigenschaften auf ihre Nachkommen zu übertragen? So etwa
mussten sich die Menschen frs^en, und überall dort, wo sich eine
primitive Wissenschaft, wo sich die ersten Ansätze und Anfange der
Philosophie und Naturlehre zu zeigen begannen, sticht« man durch
Kachdenken and durch Aufstellen einer Zeugungstheorie dem Problem
auf die Spur zu kommen. Hier tritt jedoch sofort die Mystik an
die Stelle einer Erfahrungswissenschaft, wie sich geschichtlich nach-
weisen lässt.
Die Talmudisten, welche bekanntlich zugleich Priester und
Aerzte waren, liessen den Fötus zmn Theil (Kuocheu, Sehnen, Hirn,
Weisses im Auge) aus dem weissen Samen des Mamies, zum andern
Theil (Haut, Fleisch, Haare. Schwarzes im Auge) aus dem rothen
Samen des Weibes entstehen. Gott tritt als vermittelndes Seeleu-
princlp dazwischen und giebt dem Ganzen das Leben.
Die altindischen Aerzte hatten eine ganz besondere Er-
zeugungstheorie, bei welcher sie ihre Ansichten vom höchsten Wesen
und der Schöpfung überhaupt zu Gnmde legten. Susriita sagt (nach
Vidlers): „Beim Beischlaf geht durch den Vayn*) die Ivt^jeia aus
dem Körper, dann ergiesst sich durch die Vereinigung der htgjeta
mit dem Vayu der männliche Samen in die weiblichen Geschlechts-
theile und vermischt sich mit dem monatlichen GeblOte ; darauf ge-
langt der werdende Embryo durch die Verbindung des Agni (Gott
des Feuers) mit dem Soma (die Mondgottheit als Zeugende) in den
Uterus. Zugleich mit dem Embryo geht auch die Seele in den
Uterus, begabt mit göttlichen und dämonisclien Eigenschaften.*
Aus den wissenschaftlichen Büchern der Tamulen lernen wir auch
die Physiologie (tatva-sästra genannt) der Hindus kennen (Schatu);
unter den fünf Organen der Thätigkeit sind ihnen die letzten der-
selben die Geschlechtstheile als Organe der Absonderung nnd der
Zeugung; nach ihrer mystischen Auöassung spiegelt sich Alles, was
im Mala-okosmus, d. i. der Welt, sich vorfindet, auch im Mikrokos-
mus, d. h. im menschlichen Leibe, ab; die mittlere Region des
letzteren wird als eine Lotosblume dargestellt und bei der Anbetung
dreien von den weiblichen Energien (Saktis) zugeschrieben.
Während demnach der altindische Arzt Susruta glaabt, daas
die Befruchtimg nur dadurch zu Stande kommt, dass sich der mann-
liche Samen mit dem monatlichen GeblOte mischt (denn in diesem
liegt seiner Meinung nach der Keim des kräftigen Embr}'oj, hat nach
•) Da« indiuche Wort Vaijit, das sich nicht durch einen passenden
ileut8cheu Ausdnick QbersetKun llUat, bedeutet Wind, Luft, und wird apvcittU
8ur Bezeichnung der im Körper befindlichen Luft ufebrauchl, die sich auf
fünferlei Weise tLuisert: I. bIm llespirutio. 2. aJ« Crepitus ventris. 3. alt Conli»
cum cer " ' ' " ' '" Durch di6
gemein . Leb»n«u>t.
Dt. IKb Zeogrung.
409
k
ier Ansicht des Ilippokratcs das Menetrualblut mit dem Act der
efruchtmig nicJits gemein, denn die Befruchtmig kommt nach ihm
dann zu Stande, wenn der beiderseitige Samen im Uterus bleibt .
und sich vermischt; ist aber die Kefruchtiing geschehen, so treten
die Katamenien in den Uterus, nicht monatlich, sondern jeden Tag
und werden zu Fleisch, imd so wächst das Kind.
Nach der Hippokraiischen Theorie bildet das Weib ebensowohl
Samen, als der Mann. Der Keim entsteht beim Zusammentrefl'en
mäunlichen Samens mit dem weiblichen, und die Aehnlichkeit des
erzeugten Geschöpfes mit den Erzeugern rührt daher, dsiss der Same,
von allen Theilen des Körpers geliefert, eine Art von* repriisentativem
Extract des letzteren darstellt. Diese jedenfalls schon vor Hippo-
krates (nach Flutarch schon bei Fi/thagoras) geltende Theorie wurde
namentlich von Aristoteles bekämpft; er selbst aber behauptete, dass
das Männchen den Anstose der Bewegung («^x? *^5 xtvifatcog) giebt,
das Weibchen aber den Stoft". Als den Stoffbeitrag, welchen das
Weib an das Erzeugniss abgiebt, sieht Aristoteles die Katamenien
an, imd es ist bekannt, wie er bereits die Menstniation des mensch-
lichen Weibes mit den Blut- und Schleimabgängeu parallelisirt hat,
welche zur Zeit der Brunst bei Thieren beobachtet werden. Die
Zeugung vergleicht er mit der Gerimumg der Milch durch Lab, bei
welcher die Milch den Stotf, das Lab aber das Princip der Ge-
rinnung abgebe. Hippokraies meinte also, dass im Samen zugleich
das dynamische und materielle Princip enthalten sei ; Artstoteies hin-
gegen vindicirte ihm nur das dynamische Princip- (His,)
Etwas ausführlicher geht Gcdfmus in tleui Buche ,de Semine"
auf den Gegenstand ein. Er tritt hier allenthalben Aristoteles ent-
gegen ; allein trotz der weiter fortgeschrittenen anatomischen De-
tailkenntnisse zeigt er sich nicht entfernt auf der Höhe seines
grossen Vorgängers. „Das Durchlesen seiner Abhandlung," sagt
HiSy „ hinterlässt vielmehr, trotz mancher vortreiFIichen Beobach-
tungen und Bemerkmigen, den peinlichen Eindruck, den wir em-
pfinden, wenn uns ein bedeutendes thatsächliches Material m ge-
künstelter Verknüpfung vorgeführt wird."
Die Aerzte der Araber gingen in ihrer Zeugungstheorie
>vieder auf Aristoteles zurück. Einer derselben, Abtd Welid Mn-
hammed hen Ahmed Um Rosehd et Maliki (auch genannt Ahen Rttis,
Aven linst, Averröes), welcher 11 OH in Marokko starb, vergleicht
die Ovarien, die sogenamiten weiblichen Hoden, mit den Brüsten
der Männer, indem beide für die Zeugung unnöthig wären. Der
Embryo werde nämlich durch das Menstrualblut ausgebildet, seine
Form jedoch bedinge hauptsächlich der männliche Same durch
seinen Luftgeist. Daher bezweifelte er auch nicht, dass eine Frau
in einem Bade geschwängert werden könne, worin vor Kurzem ein
Mann eine Pollution gehabt habe. Diese letztere Behauptung wurde
noch in unserem .Jahrhundert in England Gegenstand einer gerichts-
ärztlichen Discussion.
XIII. Das Weib im T^n
Ebenso wie bei den Aerzteu des Alterthums, spielte aooli Ig
verschiedenen Culten die Zeugung eine mystische RoUe. Wb
führen einige Beispiele an: Bei den Schiovaiten. weldiv
schreckliche Bhavani verehrten und einen seh" '"' '
Dienst haben, gilt die Zeugung selbst als eine th
liehe Zerstörung; mit der Geburt ist der Tod eng vurlumden: aaim
ist die Göttin der Wollust, die Bhavani, zugleich die Göttin der Zer«
Störung und des Todes. Im Lamaisnius haben alle organisclieo
Wesen eine doppelte Seele; die eine derselben wird die denkecdt
Seele, die andere das Leben genannt. Jene hat keineu bestinimtfi;
Sitz, irrt durch alle Glieder und kommt erst bei der Geburt in deo
Menschen, da.s Leben aber schon bei der Empfäugniss. Dug^n
liegen nach Ansicht der Khond's, eines indischen Urvolkjs. im
Menschen vier Seelen; die erste ist die der Seligkeit fähige Seele,
die zu Gott (Boura) zurtlckkehrt, die zweite gehört dem beeondeMB
Stamme auf der Erde an und wird innerhalb derselben wieder*
geboren, weshalb der Priester bei der Geburt jedes Kinde.4 »
erklären hat, welches der Familienglieder in demselben /.urnckge-
kehrt sei; die dritte hat die in Folge der Sünden als StnuV
verhängten Leiden z,u tragen, die vierte ist die, welche mit der Aul-
lösung des Kör^iens stirljt. (Bastian nach Macpherson.)
Es ist bei uns auf dem Lsmde noch eine weitverbreitet« An-
sicht, dass zu einer Schwängerung die beiderseitige voloptas a»*j
umgänglich uothwendig sei, weil nur auf diese Weise die mamhl
liehe mit der weiblichen .Natur" zusammenzutreffen vermöge,
wenn einem Manne Zwillinge geboren werden, so lässt er sie
Gefühle iteiner Mannestüchtigkeit gerne necken, dckss er ,<
tüchtig wie tleissig gewesen.* Je grösser die Aufregung,
grösser die Aussicht auf einen Buben. Das letztere hat nun
dings gewisse Thatsachen für sich, wenn nämlich die erwSbstFl
Aufregung auf Seiten der Frau sich befindet, während «i ■
seit« auch ohne diese, wie eine Anzahl von Nothzlichtigfuiii.
bei Bewusstlosen beweist, eine Schwängerung durchaus nicht n»*
möglieh ist.
Dass zu der Zeugung das Eindiingeu des mäimlichen Spem»
in den Genitalapparat der Frau ein nothwendiges Erfordemi» bt,
das wissen auch die AN'ilden Völker ganz genau, und manche v^n
diesen, die sogar noch auf sehr niederer Culturstufe sich betindrtu
wissen hiemach ihre Vorkehrungen zu treffen. Dahin gehört i. B.
die Mika-Operation, welche bestimmte Stämme Australiens an
ihren jungen Leuten ausführen und welche darin besteht, dass «#
ihnen mit einem Messer aus Feuerstein die Harnröhre von d«^
Eichelspitze bis zum Hodeupack aufspalten und die Wii
einigung zu verhindern wissen. Bei der geschlechtlichen \
gimg kommt dann der Ausfluss des Samens ausserhalb der weib*
liehen Geschlecht.stheile zu Stande. Bei den oben erwähnten ♦ '-_'
welche bei Brautwerbungen der Basutho die zu diesem /
dl. Die Zengua^.
409
der Ansicht des Hippokratf^ das Menstrualbhit mit dem Act der
Befruchtung nichts gemein, denn die BefhichtuDg kommt nach ihm
dann zu Staude, weun der beiderseitige Samen im Uterus bleibt .
imd sich vermischt: ist aber die Befruchtung geschehen, so treten
die Katameuien in den Uterus, nicht monatlich, sondern jeden Tag
und werden zu Fleisch, und so wächst das Kind.
Nach der Hippokrati sehen Theorie bildet das Weib ebensowohl
Samen, als der Mann. Der Keim entsteht beim Zusammentreffen
männlichen Samens mit dem weiblichen, und die Aehulichkeit dea
erieugten Geschöpfes mit den Erzeugern rührt daher, das» der Same,
von allen Theilen des Körpers geliefert, eine Art von* repräsentativem
Estract des letzteren darstellt. Diese jedenfalls schon vor Hippo-
krates (nach Mutarch schon bei Pythagoras) geltende Theorie wurde
namentlich von Aristoteles bekämpft; er selbst aber behauptete, dass
das Alänuchen den Anstoss der Bewegung (apZ9 '^'J? xtpr^atoog) giebt,
daa Weibchen aber den Stoff. Als den Stoft'beitrag, welchen dos
Weib an das Erzeugniss abgiebt, sieht Aristoteles die Katamenien
an, und es ist bekannt, wie er bereits die Menstruation des mensch-
lichen Weibes mit den Blut- und Schleimabgängen parallehsirt hat,
welche zur Zeit der Brunst bei Thieren beobachtet werden. Die
Zeugung vergleicht er mit der Gerimumg der Milch durch Lab, bei
welcher die Milch den Stoff, das Lab aber da.s Princip der Ge-
rinnung abgebe. Hippokrates meinte also, dass im Samen zugleich
das dynamische und materielle Princip enthalten sei: Aristoteles Ixin-
gegen vindicirte ihm nur das dynamische Princip. {Jlis.)
Etwas ausfUhrhcher geht Galenus in dem Buche .de Semine"
auf den Gegenstand ein. Er tritt hier allenthalben Aristoteles ent-
gegen ; allein trotz der weiter fortgeschrittenen anatomischen De-
jAUkenntnis.se zeigt er sich nicht entfernt auf der Höhe seines
ssen Vorgängers. ,Das Durchlesen seiner Abhjindlung, * sagt
fis, «hinterlässt vielmehr, trotz mancher vortrefflichen Beobach-
tungen und Bemerkungen, den peinlichen Eindruck, den wir em-
pfinden, wenn uns ein bedeutendes thatsäcliliches Material In ge-
künstelter Verknüpfimg vorgeführt wird."
Die Aerzt« der Araber gingen in ihrer Zeugungstheorie
wieder auf Aristottdes zurück. Einer derselben, Ahitl Welid jT/m-
hammed 1/en Ahmed lfm Roschd d Maliki (auch genannt Aben Etiis,
Aven ÜHSt^ Avcrröes), welcher 1198 in Marokko starb, vergleicht
die Ovarien, die sogenannten weiblichen Hoden, mit den Brüsten
der Männer, indem beide für die Zeugung imnöthig wären. Der
Embryo werde nämlich durch daa Menstrualbhit ausgebildet, seine
Form jedoch bedinge hauptsächlich der männliche Same durch
seinen Luftgeist. Daher bezweifelte er auch nicht, dass eine Frau
in einem Bade geschwängert werden könne, worin vor Kurzem ein
Mann eine Pollution gehabt habe. Diese letztere Behauptung wurde
noch in unserem Jahrhundert in England Gegenstand einer gerichts-
ürztlichen Dis;cu!<:*ion.
XIIT. Das W«!
Wir können uns auf die Erörterung dieser Streifcfinage hier ckiti
weiter einlassen, nur kurz andeuten wollen wir, dass vrir trns in
derselben auf deu Standpunkt JSTe/ircr's in Heidelberg stellen, der!
ebenso wie wir aus berechtigten Motiven an der Lelire von Ana]
zeitlichen Zusammenf allen von Follikelberstung (Ablr>sun|^ des Ei«sj
aus dem Eierstock) und Menstrualblutung vorltiufig festhält. In Fol-
gendem zeigen wir, welche Anschammgen hierüber in alter undj
neuer Zeit bei den Völkern zu Tage treten.
Die Ansicht, dass die Conception in einer bestimmten Zeit
nach Ablauf der Menstruation erfolge, wurde schon sehr firQhj
von dem altindischen Arzte 5Msr?</a ausgesprochen; er behauptete :j
„Die Zeit der Zeugung ist die zwölfte Nacht nach dem Erschei-
nen der Menses." Einige indische Aerzte rechneten dagepen den!
Beginn der Schwangerschaft auch von der Menstruation
rathen, um eine Conception herbeizuführen : ,Mau ül>e den B-
immer nach Abiaul" der Menses aus, wenn der Tag vorilber nnd
der Lotus sich schliesst."
Die Aerzte der Griechen und Römer knüpften die Eiupfungnts«
gleichfalls an den Zeitpunkt der Menses. Hippokrafes (De ^enitnr»)
sagt.: Hae uempe post menstruam purgationem utero concipiiint. AristO'
tdes: Plerasque post mensium fluxum, nonnullas vero fluentibus ad-
huc menstruis. Giücnns: Hoa autem conceptionis tempna est Tel
incipientibus vel cessantibus menstruis, Soranus sagt, da&t die
Zeit nach der Menstruation die geeignetste ist, denn kurz vorhfr
ist der Uterus von dem Menstrualblute zu erschwert; er leugnet
aber nicht, dass die Frauen auch zu anderer Zeit concipiren.
Der Coitus ist nach dem Talmud (Israels) dann als erfolg-
los hinsichtlich einer Conception zu betrachten, wenn der Ziiartand
der Genitalien oder auch die Qualität des Samens so beschaffon
ist, dass keine Ejaculation desselben möglich ist. Doch hält der
Talmud den Coitus unter gew^öhulicher Erection, wenn auch ohne
eigentliche Emissio penis in die Vagina, für zeugungstlihijr an«!
demnach in betreffenden Fällen für stran)ar. Auch führt der Tal-
mud an, dass weibliche Individuen olme wirklich ausgeübten Coitvis,
lediglich in Folge eines, wälireud des Bades zufallig von einem
männlichen Individuum ausgesonderten Spermas geschwängert wur-
den. Uebrigens schliesst nach dem Talmud der erste Coitiija einrr
Jungfrau die Mügliclikeit der Conception aus; dagegen wird die
Möglichkeit der Schwängerung durch einen Coitus während detl
Menstruation anerkannt; die Conception finde am 1., 2. oder]
3. Tage nach dem Coitus statt, und gewöhnhch kurz vor dem Ein-
tritt oder bald nach dem Ablauf der Menstruation. Als imf
bar wurde der Coitus betrachtet, wenn die BVau während de-
eine perpendiculäre Stellung eingenommen hatte. ( Wnnderltar.)
Für die Empfängnis» gilt bei den Nayer's in Malabar
4. Tag der Menstruation als besonders gün-stig; in vielen FIji
I
Kasten muasder Mann an diesem Tage mit seiner Frau cohalntiren,
und er begeht eine S linde, wenn er es unterläsat. (Jagor.)
Nach Annahme des japanischen Arzte» Kangawa ist die
Frau während der ersten zehn Tage nach den Menses befruchtungs-
tähig, nachher aber nicht mehr. {3Ii>/ak^.)
Obgleich die Physiologie der Chinesen sich nicht auf Ana-
tomie, sondern nur au±' Hypothesen stützt, so nähern sich docli
ihre Meinungen über Zeugung und Couception ziemlich unseren
Kenntnissen. Nach der chinesischen Theorie dringt das Sperma,
welches sie tsir nennen, in das Behältnlss der Kinder, genannt tse
kong (wahrscheinlich identisch mit Eierstock), wo es mit den sich
als Bläschen darstellenden Keimen zusammentrifft (mit den Ovulis).
Einer dieser Keime wird vom tsin berührt und befruchtet imd be-
ginnt nun sich zu entwickeln, (Jlureau.)
Sonderbare Vorstellungen herrschen über diese Dinge im deut-
schen Volksglauben. Im Frauke nwalde beLspjeL>*weise hält man
gemeiniglich hohe und gleichzeitige Erregung tür nothwendig zur
Empfangniss, imd je nachdem die Erregung rasch und kräftig oder
langsam und schwacJi erfolgt, unterscheidet man hitzige und kalte
Naturen imd sagt, sie passen nicht zusammen. Aehnliches gilt auch
in vielen anderen Gegenden Deutschlands. Auch weiss man
hier, wie fast überall, recht wohl, dass die Unterbrechung des
Coitus vor der Ejaculation vor Befruchtung sicher stelle. Besorgte
Mädclien im Frankenwalde halten oft wiederholten Aderlass fllr
ein Mittel gegen Schwangerschaft, sowolü gegen befürchtete als
wirklich vorhandene. Auch gluul)t man daselbst noch häutig, dass
der Beischlaf während des Monatsflusses wie während der Säugungs-
periode nicht schwängere, und nur die Ansicht, dass ein Beiwohnen
während der Periode dem Mmine schädlich sei, hindert eine häufigere
Enttäuschung. {Flügel.)
f63. Der £iiiflu8s der Jahreszeiten ond der socialen Zustände
auf die Empfangniss.
Die Physiologie hat in dem Vorgange, welcher sich im weib-
lichen Körper durch die Menstruation, Ovulation (Lösung eines reifen
Eies vom Eierstocke) und Empfangniss (Conception) kund giebt, so
grosse Aehnlichkeit mit dem bei Säugethieren auftretenden, als
Brunst bezeichneten Process gefunden, dass die meisten neuen Lehr-
bücher der Physiologie auf cUese An&logie hinweisen. Allein schon
in der regelmässigen, von der Jahreszeit abhängigen Wiederkehr
der Brunst schien ein Moment zu liegen, durch welches ein wesent-
licher Unterschied derselben von der ziemlich gleichmässig allmonat-
lich auftretenden Menstruation des Weibes bedingt ist. Es wird
414
XlII. Dae Weib im Zustande der Bülrachtuog.
daher von einigem Werthe sein, au der Hand der Statistik zu
prüfen, ob sich auch bei der Empfiingniss der Eintluss der Jahre.s-
zeiten bemerklich macht. Dagegen mnss freüich herN-orgehobeq
werden, dass auch selbst dann, wenn, in der That die Statistik eine
Vermehrung der Conceptionen in gewissen Jahreszeiten nachweist,
noch keineswegs damit die grössere oder geringere Conceptions-
tahigkeit des Weibes imter dem Einfiasse der mit den Jahreszeiten
sich ändernden Witterungszustäude, eine wechselnde Aendenmg in
dem physiologischen Verbalten der weiblichen Sexualorgane er-
wiesen ist. Vielmehr wird hier auch zu berücksichtigen sein, dass
das männliche Gesclilecht unter dem Einflüsse der Jahreszeiten
mehr oder weniger häutig zur Ausübung des Coitus veranlasst vnxd^
dass also die Steigerung oder Vermindenmg der Conceptionen* je
nach den Jahreszeiten mindestens zu einem grossen Theile durch
die sexuelle Erregung des männlichen Theils der Bevölkerung er-
klärt werden muss.
Zuerst war es Quetelct, welcher eine je iiacb den BeTOlkerungskliiSBeii
wechselnde Ab- und Zunahme der Geburten-Frequenx in den verBchiedenen
Monaten fand, nachdem einif^e frühere Versuche *) nach dieser Richtung hin
allzu wenig Beachtung gefunden hatten. Er wies nach, dass r-umeist ein
Gebarten- Maximum im Februar, ein Minimum ungeiu.hr auf den Juli traf;
seine 'Beobachtungen erstreckten eich besonders auf die Niederlande
(1815 — 26) und auf BrQssel. Er zeigte auch, dass dieser Einfiuss deai-
licher bemerkbar ist auf dem Lande als in den Stüdten; das Maximum der
Conceptionen im Mai entspricht nach ihm der Erhebung der Lebenekrafb
nach der Winterkülte : auf dem Lande aber, so meinte er, finde die Bevölkerung
weniger Schutz vor den Unbilden der Witterung, wie in den Stildten.
Vor Allen verdanken wir Villerme genaue Untersuchungen
dieser Angelegenheit.
Auch er fand, dass in Europa das Geburten-Marimum, entsprechend
den Conceptionen im Mai und Juni, im Februar und März stattfindet, und
dass diese Steigerung jedenfalls dem Einflüsse des Frühlings zuzuschreiben
sei. Um nun zu zeigen, dass die ungleiche Vertheilung der Geburten auf
die verschiedenen Monate ganz überwiegend Folge des Einflusses des jähr»
liehen Laufes der Erde um die Sonne und der daraus hervorgehenden grossen
Temperaturveriinderungen sei, beschränkte sich Villerme nicht auf die euro-
päischen Staaten, sondern er dehnte seine statistischen Unter«uchung<ui
auch auf die südliche Hemisphäre aus: in Buenos- Ayres, wo die Jahres-
zeiten in derselben Ordnung wie im Norden, nur 'm entgegengesetzter Zeit.
sich folgen, erweisen sich dieselben Einflüsse aucli auf die Geburten-Frequenz
wirksam. Aus diesen Erscheinungen schlos» Villerme; dass wir trotz unserer
Civilisation doch wenigstens theilweise den verschiedenen periodischen Ein-
•) Wargentin, welchen das Mijiisterium Schwedens mit der Bearbei-
tung der Bevölkerungs-Statistik beauftragte, lieferte schon im vorigen Jahr-
hundert eine, sich allerdin-»« nur auf Schweden beziehende Arbeit (Abhandl.
de» Kött. Schwedischen Akatl, der Wissen.-ich. . nli.r».'(.;( von Ki'xtuer,
Bd. 29, Jahrg. 1767), in welcher er auf die i 'T-
kehrenden Monats-Maxima und -Minima der li — ; f*
aufforderte, den Uraachen derselben - weiter naohzufuncbon.
63.DerEmflu88<
. social. ZuaUlade aaf d.Empf&DgUfl8.
flünHeii unterworfen sind, welche in dieaer Hinsicht Pflanzen und Thiere
beherrschen.
Alsdann untersuchte Vilierme auch die Frage , ob nicht etwa der
Wechsel der Jahreszeiten und der Temperatur gewisse Verhilltnisse im so-
cialen und nationalen Leben der Völker beherrscht, welche erst ihrerseits
einen inaassgebenden EinflasB auf die Vertheilung der Geburtafrequenz .je
nach Monaten und Jahreszeiten ausüben, so dass der Einfluss dieser letzteren
erst Jndirect zur Geltung kommt. Deshalb prüfte er den Einfluss der Ver-
theilung der Heirathen, jenen der Perioden angestrengter Arbeit und grösse-
rer Ruhe (Perioden, die fast bei jeder Bevölkerung nach Jahreszeiten
wechseln) , den Einfluss des Ueberßusscs oder Mangels an Nahrung , und
endlich den Einfluss gewisser allgemeiner Sitten und Gebräuche. Nach
diesen Untersuchungen haben die Epochen, in welchen die Heirathen am
hilutigsten, und jene, in welchen sie am seltensten sind, keinen sichtlichen
Kinflus« auf die Vertheilung der Geburten nach Jahreszeiten. Dagegen zeigt
sich ein Einfluss jener Jahreszeiten, die man als Epoche der Ruhe und Ar-
beitserholung beobachtet, und jener, welche sich durch reichlich!.* Nahrungs-
mittel und erhöhtes gesellschattliches Leben auszeichnen. Erniedrigend auf
die Häufigkeit der Geburten (resp. Conceptionen) wirken die Zeiten der
beschwerlichen Arbeit (Emte/eit), der Lebensmitteltheuerung, die strenge
Beobachtung der Fastenzeit. So gelangt ViUenne zu dem Schluss: „Die
umstände, welche uns kräftigen, erhöhen imsere Fruchtbarkeit, und die-
jenigen, welche uns schwächen, und noch vielmehr die, welche die Gesund-
heit untergraben, vermindern sie, womit jedoch keineswegs gesagt ist, dn&s
die Gesundheit allein die Fruchtbarkeit regelt."
Viüemifs Arbeiten aul' diesem Gebiete zeugeu von so viel
FleisB, Scharfsinn und Umsicht, dass sie, wie Wappäus hervorhebt,
das grosste Vertrauen verdienen.
Die Hauptresultate, zu welchen dann Wappäu« seibat bei Untersuchung
der Verhlltnisse (in Sardinien, Belgien, Niederlanden, Sachsen,
Schwedtin, Chile) gelangte, f'ind folgende: Das erst« allgemein sich zei-
gende Steigen der tieburtszahl in den Monaten Februar und März, ent-
üprecbend der grösseren Zahl der Conceptionen im Mai und Juni, ist der
belebenden Einwirkung der Jahreszeit zuzuschreiben. Diese physisch«;
Wirkung wird aber bei den katholischen Bevölkerungen verstärkt durch
die mit den Einrichtungen der Kirche in Beziehung stehenden besonderen
Hittcn und Gebriluche. Von dem Maximum dieser ersten Steigerung an
»inkt die Zahl der monatlichen Geburten wieder schnell herab , bis sie in
den Monaten Juni , Juli unil August ihr Minimum erreicht. Dieses Sinken
hat ebenfalls Überwiegend einen physischen Grund; es wird bewirkt theila
durch dia mit der Höhe des Sommers anfangende und allmählich zunehmende
Erschlaffung der allgemeinen natürlichen Productionskraft, theils durch die
von dftr Soraroerhitzo vielfach erzeugten , mehr oder weniger gefahrlichen
epidemischen Krankh<!iten. Verstärkt aber wird diese natürliche Eiii-
wirkuog bestonders gegen das Ende dieser Periode durch den den Concep-
tionen ebenfalls nachtheiligen KinHuss der sehr angestrengten und oft selbst
wenig nru:hÜiohe Ruhe zulassenden Arbeit der Erntezeit. Beide Ur-
«ftcben zutantmen bewirken, dans in allen Ländern die erste Senkung der
Curve die tiefste ist. Da« Minimum tritt im Norden später ein, als im Süden,
theiU weil im Süden die allgemeine Erschlutfung in der natürlichen Leben«-
kraft früher eintritt, «Is im Nordep, theils weil im Norden die anstrengesdM
416
XIII. Das Weib im Zustande der Befruchtung.
Erntearbeiten spilter fallen, als im Süden. Von (It^v Mitte des fiommers an. oief
in Schweden vom August an, steigt die monatliche Zahl der Geburten aufo
neue und erreicht überall ihr zweites Maximum im Monat September. Die
Ursachen dieses zweiten Steigen» sind entschieden nicht physischer, sondern
socialer Natur. Die zweite' Erhebung ist iui Süden und bei katboHscben
Bevölkerungen im Verhältniss zur ersten nur gering, im Norden dagegen
übertrifft sie die erste, so dass in Schweden der Monat September das ab-
solute Maximum der Geburten darbietet. Der Grund dieser merkwürdigen
Erscheinung i«t darin zu suchen , dass im Norden die die Reproduction
begünstigenden Eigenthüinlichkeiten des Lebens im Winter viel ent^hie-
dener hervortreten, als im Süden, vielleicht dass ausserdem auch die strengere
Beobachtung der kirchlichen Vorschriften für die Adventzeit bei den katho-
lischen Bevölkerungen des Südens die Fruchtbarkeit des Monats Deeembex
beschränkt. Nach dieser zweiten Steigerung erfolgt nun wieder ein zweites
Fallen bis zum November oder December, jedoch nicht so tief, wie das erste
im Sommer, und im protestantischen Norden weniger tief, als im katho-
lischen Süden. Die allgemein wirkende Ursache dieses Fallens ist wobl
ohne Zweifel in den überall auf die Gesundheit mehr oder weniger ungünstig
wirkenden Uebergängen des Winters zum Frühling zu suchen, welche
ungünstige physische Einwirkung auf die Conceptionen im Februar und
M&rz im katholischen Süden durch die in demselben Sinne wirkenden aus-
gelassenen V'ergnügangen des Caruevals und die strenge Beobachtung
der Fastenzeit verstärkt wird.
Dann wirft Wappütu auch einen BUck auf Sachsen, über dessen
Geburtenverhältnisse J^vrjel berichtet hatte; er zeigt, dass in diesem überaus
dicht bevölkerten, industriellen Lande die physischen sowie die socialen
Einflüsse mehr zurücktreten müBsen , und dass hieraus auch die Erschei-
nungen in der Geburtenvertheilung, welche im Allgemeinen bei der ziemlich
gleichmüssig sich fortsetzenden, sich maschinenartig bewegenden Arl>eit
gleichförmiger über das Jahr vertheilt ist. .«ich erklärt. Dagegen zeigt sich
in Chile eine grosse und rasche Steigerung der Geburten zur Zeit des Früh-
jahrs und des Sommeranfangs als natürliche Panwirkung dieser Jahreszeit auf
alle Reproductionen, indem diesem entsprechend in Chile das Maximum der
Geburten in der That ungerj,hr 6 Monate später lullt als in Europa,
'nämlich statt in den Februar und Mai in den September. Audi macht
Wappäus darauf aufmerksam, dass Chile eine weit zerstreute, fast allein
mit der physischen Cultur beschäftigte, stark katholische Bevölkerung al«
Gegensat?^ zu dem protestantischen, industriellen Sachsen besätzt; er sagt;
„Wie Sachsen den übrigen europäischen Staaten gegenüber gewisser-
moassen sich verhält wie eine städtische, industrielle Bevölkerung gegenüber
einer ackerbauenden, so drückt sich in der die Verh[iltjnsi»c Chile'» dar-
stellenden Curvc noch potenzirt der Charakter unserer ackerbauenden Be-
völkerung aus."
Eüien Versudi, die Untersuchungen von Wappätis weiter zu
fuhren, macht« Surmaui, indem er die Schwankungen der Empfang-
iiiflse in den einzelnen Theilen Italiens stiidirte. Seine Ergeb-
nisse sind:
Die Anschwellung der Eropfängnisszalü tritt im Süden Itnliptis frflb^
zeitig, im Norden dagegen erat splitor im Jalu-e ein, so zwar, d.i l-sn
eOdlichäten Gegenden «chou auf den April tritit uml mehr und mv\ ^ iu
den Mai und Juni verspätet, je mehr man sich dem Norden nilbürt, \ti» ate seblte
63. Der Einfiuss der Jahreszeiten n. d. social. Zastftnde auf d. Empfäagnias. 41 7
lieh im nördlichsten Theil der Halbinsel auf den Juli ßllU. In den aüdlichaten
Laadfitrichen von Italien ist nur ein Maximum und Minimum vorhanden,
wahrend in den nördlichsten Landestheilen zwei auftreten. Das Minimum,
welches der heissen Jahreszeit folgt, hat eine entschiedene Neigung um so erheb-
licher zu werden, je mehr man «ich dem Süden nllhort, während das Mini-
mum, welches sich an die Winterkälte knüpft, mit dem Norden zunimmt,
bin in den nördlichsten Theilen das nachwinterliche Minimum grösser wird,
ala das herbstliche. Im Allgemeinen sind die Schwankungen in den Cur-
ven der Empfängnisse um so .«itärker, je mehr man sich nach Soden wendet.
Am besten veranschaulicht eine Tabelle, welche Mayr aufetellte,
die Grenzen, innerhalb welcher sich die Geburten und die Empfäng-
nisse nach Monaten bewegen :
Tagesbetrag der Geburten (mit Einschluss der Todtgeborenen).
Deutsches
Reich
Bayern
Italien
Frankreich
Jahre 1W2-W75
Jtthrol»72-ltr7ö
Jahre lÖfti-lWl
Jahre 18«i-lWl
4889
578
2848
2887
1 4997
608
3025
3060
i 4913
594
2928
3018
4739
582
2805
2911
4605
575
2533
2742
4497
566
2371
2610
4582
566
2419
2625
4691
552
2496
2620
5029
582
2663
2665
4770
564
2605
2603
4756
566
2624
2661
4710
558
2587
2608
4763
673
2656
2749
Januar . . .
Februar . .
März . . .
April . . ■
Mai ....
Juni . . .
Juh. . . .
August . .
ßeptember .
October . .
November
December
Kalenderjahr
Unter Hinweis auf die voräteheuden Zahlenreihen sagt Mayr, dass man
wohl dem Ausspruche Quetelet's zustimmen musa, dass der Mensch sich zwar
zu allen Zeiten reprodacirt, aber doch rorzugaweise am Ende des Frühlings
und des Herbstes, und am wenigsten wHhrend des Sommers und Winters;
allein Mayr setzt hinzu, dass der Spätsommer sich der Fortpflanzung noch
ungünstiger zeigt, als der Hochsommer, und dass dem Grade nach die
Abnahme der Empfängnisse im Sp&tsommer und Frühherbst viel st3j'ker ist,
als im Winter. Zur Erklärung dieser letzteren That.sache liegt der Gedanke
nahe, dass ausser den verschiedenen socialen Einflüsaen auch noch die an-
gc«trongte Feldarbeit der Landbevölkerung eine besondere Wirkung ausübt,
wie schon Wappäus hervorhob.
In echt methodischer Weise ging dann Beitknnaun zu Werke,
am die mannigfach hier in Frage kommenden Ursachen an der
Hand der Statistik aa^zulbrschen.
Er stellte die Provinzen de« deutichen Reichs in vier Gruppen zu-
sammen:
1. Der Nordosten: Prov. Preussen. Pommern, Grosihertogth.
Mecklenburg -Schwerin.
2. Der Nordwesten: Prov. Hannover, Schleswig • Holstein,
HftMburg, Bremen. R«g.-Bez. Münster.
Plo*», Du Weib. I. U. .^ufl. 27
Xin. Das Weib im Zxu
'sr-
3. Der SüdoHten reap. die Mitte: Prov. Scblesien, Sachaeu. König-
reich Sachsen,
4. Der Südwesten: Köniffreich Bayern, Württemberg, Gros»-
herxogthum Baden und Eleass-Lothringen.
Zaniichst stellte sich heraus, dass, obgleich die einzelnen Gcbiet*-
gnippen ganz bedeutende Unterschiede unter sich aufweisen, die Zahlen der
Gebartenvertheilung auf die Monate im deutschen Reiche während der ein-
zelnen Jahre von 1873 — 77 sich ziemlich gleich blieben. Jedes Jahr hatte
den Typus des Gesammtreicbs, obgleich gewisse Abweichungen im Einzelnen
vorkamen. Die beiden Jabres-Maxima der Geburten fallen im Reiche auf
Februar und September, und so verhalt es sich auch in den einzelnen
Jahren, mit Ausnahme des Jahres 1877, wo das erste Maximum auf den
März fiiUt. Das erstti Minimum gehört dem Juni an, nur im Jahre 1875
tritt es bereits im April und Mai ein, das zweite Minimum im December
oder November. In drei Jahren ist das Winter- Maximum das bedeutendere,
in zweien fällt dasselbe auf den September. Es ist noch hervorzuheben, daaa
zuweilen ein drittes Maximum und Minimum am Ende des Jahres auftritt,
nämlich ein Maximum im November, ein Minimum im October.
In der 1. Gruppe (Nordosten) eröffnet der Monat Januar den jähr-
lichen GeburtengäDg mit einem hohen Verh<nisa, das jedoch zum Februar
noch steigt und damit das erste, das sogenannte Frühjahrs-Maximum erzeug.
Vom Februar nämlich sinken die Geburten ununterbrochen bis Juni, dem
Monat des absoluten Minimums^ nach welchem sogleich ein Steigen erfolgt,
plStzlicher und atSlrker als das vorangegangene Fallen. Im September wird
dann das zweite und hOchste Maximum erreicht; doch bereits im folgenden
Monat October zeigt sich daa zweite Minimum, das Ober dem Durchschnitt
bleibt.
Die Ursachen, die diesen Geburtenverhältnissen zu Grunde liegen, sind
theils physische, theila psychische. Die hohe Zahl der Conceptionen von
April bis Juni rührt von dem Einfluss des Frühlings her, welcher den Con-
ceptionen besonders günstig ist. Die starke Abnahme der Conceptionen
von Juli bis September und der noch niedrigere Stand im October sind
weniger dem physischen Einflüsse der heissen Jahreszeit zuzuschreiben, son»
dem stehen hauptsächlich mit dem wirthschaftlichen Leben der Bevölkerung^
in innigem Zusummenhonge: ein überwiegender Theil derselben ist im Acker-
bau thrvtig, deshalb auch im Spllt-iommer bei der Ernte und Bestellung der
Winterfrüchte physisch so sehr in Anspruch genommen, dasa auch die Con-
ceptionen darunter leiden. Die Zeit, welche hier im Nordosten zur Feld-
bestellung frei bleibt, ist bereits um etwa einen Monat kürzer, als im Westen ;
ein Theil der männlichen Bevölkerung ist in der warmen Jahreszeit auf See.
Nachdem aber die Ernte vollendet, leichlere Arbeit und Erholung eingetreten,
dann beginnt ein bedeutender Aufschwung der Conceptionen, der im pro»
testantischen Norden durch die Weihnachtszeit befördert wird. Dochdaranf
tritt im Januar ein natürlicher Rückschlag ein. und in den Monaten Februar
and März scheinen die wirthschaftlichen und socialen Factoren wieder Anlnss
zu einer Steigerung zu geben.
Die zweite Gruppe, der Nordwesten, welcher im Wesentlichen auf
denselben wirthschaftlichen Grundlagen beruht wie der Ost^n und noch
manches andere mit ihm gemein hat, zeigt auch im Allgemeinen einen ähn-
lichen Typus der Vertheilung der (Jeburton. Das Minimum im Juui tritt
nicht ganz >o stark auf, wie im Nordowten, daa Minimum der Geburten im
Winter dagegen fällt tiefer and später. Einmal werden die gTOaeen Stftdt«
68. DerEinflnss der Jahreszeiten u. d. social. ZustAi
agniss. 419
Hamburg und Bremen das Kloroent ie» Handel« und der Gewerbe mehr zur
Geltung bringen als die Seeatlldte der Ostsee, andererseits wird, namentlich
in Bezug auf das zweite Minimum, die Kirche von EinÖuss sein, indem der
Nordwesten ein gröKseres Verhältniss der katholischen Bevölkerung aufweist
als der Nordosten, wodurch sich der unterschied begründen lilsst.
Reihen wir die dritte Gruppe (den Südosten) hier an, ao treten uns,
insbesondere wenn dieselbe auf das Königreich Sachsen beschränkt wird,
gewichtige Differenzen entgegen. Das Vorherrschen der Industrie, also die
Beschäftigung der Bevölkerung, scheint hier für die VertheUung der Geburten
Bbend zu sein, was sich in den Sommermonaten geltend macht. Da
istrielle Beschäftigung gemeiniglich in allen Jahreszeiten dieselbe
Anstrengung verlangt und insofern also die Vertheilung der Geburten nicht
beeinflussen wird, so müssen es einmal die klimatischen und socialen Ver-
hältnisse, andererseits die wirthachaftlichen Wechsel und Conjuncturen sein,
welche die Schwankungen der Geburten nach Monaten bestimmen.
Hieran schliesst sich die vierte Gruppe (der Südwesten) sowohl dem
Gebiete nach, als der Aehnlichkeit der betreffenden Verhältnisse gemäss.
Die Vertheilung der Geburten hat in der That manches mit der dritten
Gruppe gemein, vor allem die schwachen Extreme. Als Eigenthümlichkeiten
sind hervorzuheben, dass in Süddeutschland das Frühjahrnmaximum der
Conceptionen dasjenige im Herbst regelmässig übertrifft, während es in den
übrigen Gruppen gewöhnlich übertroöen wird, femer dass in der vierten
Gruppe das Moment der katholischen Kirche am mächtigst«n wird. Hier
gehört nümlich die Mehrzahl dieser Kirche an, wahrend im übrigen De utsch-
land die protestantische Kirche vorherrscht Die katholische Eörche erzeugt
im ganzen Winter eine Erniedrigimg der Conceptionen, dabei wird aber im
Februar gewöhnlich ein Maximum und im folgenden März ein Minimum
gebildet. Da Ostern aber nicht auf dasselbe Datum f^t, sondern in den
Grenzen eines Monat« schwankt, so kommt es in vielen Jahren natürlich
vor, dass die letztgenannte Beeinflussung sich zuweilen verdeckt, ohne dass
aussergewöhnliche Beeinflussungen eintreten.
Wir können JBettkemann nicht weiter folgen in seinen werth-
voUeu Auseinandersetzungen über die Art und Weise, wie man die
statistischen Untersuchungen über die Ursachen der VertheUung der
Gebarten nach Monaten anzustellen hat, Er weist aui" die Schwie-
rigkeiten in dieser Angelegenheit hin, zeigt aber auch die Wege,
wie man dieselben zu überwinden hoti'en darf. Wir wollen nur
noch anführen, dass er bezüglich der Verhältnisse ehelich und im-
ehelich Geborener (in Frankreich und Deutschland) gefunden
hat, dass die VertheUung der unehelichen Conceptionen von den
sogenannten physischen Einflüssen stärker bewegt wird, als die der
ehelichen.
Auch in Rujiland giebt es, wie fast überall, zwei Geburten-Maxima;
allein hier fallen sin auf den Januar und October; die relative Mehrzahl der
■ ^oceptionen tindet demnach im April und Januar statt. Es sind hier
riss physiologisch-klimatische Ursachen, doch auch sociale und religiöse
igungen im Spiele. Wenigstens deuten darauf die Zahlen , wenn wir
nns nn die Jahreszeiten halten, die wohl einen minder zufälligen Charakter
tragen, als die monatlichen Daten. Sttlzen wir die Gesammtzahl der Ge-
bturtep (durchschnittlich im Jalire ;{,16d,40ü Geburten) gleich 12,000, so finden
27»
Xin. Dm
wir. daas die Conceptionen
folgendermaasBen vertheilen:
le der Betrachtang.
and Geburten in Rasaland 1867—70 üch
Gon-
ception.
G riech.
Orth.
Katho-
liken.
Prote-
stanten.
3107.7
2961,9
2869,5
3060,9
Hebräer.
Muham-
niedancr.
üeber-
haupt.
Geburten
FrQhling
Sonuner
Herbat
Winter
2883.7
2679,1
3206,5
3230,7
3015,6
3002,5
2907,1
3074,8
3193,5
2969,7
2951,9
2884,9
3335.1
2902,4
2852,3
2910,2
2916,4
2715.5
3166.7
3201.4
Winter
FrQhling
Sommer
Herbst
Demnach ftlUt das Maximum der Conceptionen in RuHsland fiberb&aiiti
und zugleich bei den Griechisch-Orthodoxen auf den Winter (da* Maximum]
der Geburten also auf den Herbst); es folgen, nach den Conceptionen ge-l
ordnet, der Herbst, der Frühling und der Winter; bei den Katholiken ist die]
Ordnung folgende: Winter, Frühling, Sommer. Herbat; bei den Hebräern:
Frühling, Sommer, Herbst, Winter; bei den Protestant'en : Frühling, Winter,!
Sommer. Herbst. „Die abweichende Vertheilung der Conceptionen nach denf
Jahreszeiten, wie sie Russland aufweist," sagt der Berichterstatter ^ifn»ff/a»trfy,|
„ist bedingt durch die anhaltende und strenge Fastenzeit im Frühling, äowiej
durch die ermüdenden Feldarbeiten im Sommer. Im Zu^tammenhang hiermit]
feteht auch die bedeutend grössere Anzahl von Eheschliessungen im Herbst]
und Winter, als im Sommer und Früliling, eine Erscheinung, welche zunil
Theil durch die erwähnten Ursachen, zum Theil durch die Nothtrendi^keitl
des Abwartens der Ernte erklfirt werden muss."
In den StUdtea Runäland» vertheilen sich die Conceptionen anders,!
als auf dem Lande, indem d&s Maximum auf den Herbst f&llt; sod.ann '
folgen: Winter, Sommer und Frühling, wie aus folgenden Zahlen zu er-
sehen ist:
Wichtigste Städte. Kreis-
Frühling 1779.8
Sommer 2458,8
Herbst . . 4081.9
Winter . . 3679.5
Was die u nelielicbon Conceptionen in Russland betrifft, so äuft»ert
sich bei ihnen der natürliche Einfluss der verschiedenen Jahreszeiten deot-
licher, als bei den ehelichen. Die Maxima der unehelichen Conceptionen
fallen in den westeuropäischen Staaten auf den Frühling und Sommer . di«
Minima auf den Herbst und Winter, wobei die Ditterenz zwischen den Maxime
und Minima bedeutend grosser ist, als bei den ehelichen Conceptionen. la
Russland fiLUt das Maximum der unehelicbrn Conceptionen auf den Winter
und Frühling, das Minimum auf den Sommer und Herbst. Folgende Zahlen
unterrichten über die Vertheilung der unehelichen Conceptionen:
Winter ... 31.^1,4
Frühling . . . 3077.8
Herbat ... j'.vjs,5
Sommer . . 2422,3
u. andere 8tildt«>.
1552,3
1333,8
4462.7
4651,2
Xr\^. Die Fmchtbarkeit des Weibes.
64. Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit.
Es ist, wie Niernand wohl bezweifeln wird, *von einem hohen
anthropologischen Interesse, eine Untersuchung darüber anzustellen,
ob bei den verschiedenen Völkern der Erde die Fähigkeit, sich zu
vermehren und ihren Stamm fortzupflanzen, in gleichmässiger Weise
vorhanden ist, oder ob sich in dieser Beziehung ethnologische Difl'e-
renzen nachweisen la.ssen. So mangelhaft mm auch das uns zu
Gebote stehende Material bisher leider ist, so gelingt es doch auch
mit diesen geringen Mitteln schon, den sicheren Beweis zu liefern,
dass hier wirklich recht erhebliche Verschiedenheiten existiren, und
bisweilen können wir sogar auch einen Einblick in die Gründe ge-
winnen, durch welche dieselben veranlasst werden. Wir berüliren
hier ein w-ichtiges Kapitel der Demographie, durch welches wir
tiefere Einblicke theils in das somatische Leben, theiLs in die
culttirelle Mission des Weibes zu werfen hoffen können.
Zunächst möchten wir darauf hinweisen, wie die Statistik die
weibliche Fruchtbarkeit zu untersuchen hat. Zur Messung der
«Fruchtbarkeit einer Bevölkenrag* dient in der Itegel die allge-
meine Geburtenziffer, welche lediglich die Gesammtzahl der
Geburten mit der Gesammtbevölkemng vergleicht. Ein Jahresbetrag
von weniger als 30 Geburten auf 1000 Einwohner ist nach den
int«i'nationalen statistischen Ermittelungen als gering, ein solcher
von 30 bis gegen 40 als normal, ein Betrag von 40 und melir
Geburten auf 1000 Einwohner aber als sehr hoch anzusehen.
Allein mehrere Statistiker (unter Anderen Mayr) machen darauf
aufmerksam, dass diese »allgemeine Geburtenziffer" als richtiger
Ausdruck der Fruchtbarkeit der Bevölkermig nicht angesehen wer-
den darf. Bei deren Ermittelung wird nämlich die gesammte
Bevölkerung in Rechnung gebracht, während doch nur ein Bruch-
theil der letzteren wirkhch bei der Fortpflanzung betheiligt und der-
selben iahig ist. ,Wäre überall der Bestand an Greisen und Kindern
vcrhältnissmässig gleich, dann wäre die Folgerung minder mirichtig,
weil dann die Fruchtbarkeit sich weuigsterm proportional den all-
gemeinen Geburtenziflem verhalten wllrde,* Auch nicht etwa das
422
XIV. Die Fruchtbarkeit des "Weibes.
Verhältüiss der Gesaimutzalil der Weiber in einer Bevölkerung kann
una einen richtigen Aufschluss über die weibliche Fruchtbar-
keit geben; denn die Frau ist eben nur eine gewisse Zeit lang
gebärfähig, und es müssten alle diejenigen weiblichen Personen
von der Zählung ausgeschlossen werden, welche theüs noch uicht
in die Periode der Gebärtahigkeit eingetreten, theils aber durch
Ueberschreiten dieser Periode steril geworden sind.
Wenn man nun bei zwei Völkern verschiedener Rasse ver-
schiedene Grade der Fruchtbarkeit vorfindet, so muss man sich wohl
hüten, hierin ohne Weiteres einen Kassenunterschied erkennen zu
wollen. Denn es zeigt sich bei näherer Untersuchung, dass die
grössere oder geringere Fruchtbarkeit noch durch eine Reihe anderer
Factoren recht erheblich beeinJBuast werden muss. Hierher gehört
der moralische Zustand der Bevölkerung, ihre sociale Lage und damit
Hand in Hand gehend das Altersverhältniss der Erzeuger zu einander.
Ohne Zweifei darf man als günstiges Zeichen ftlr das Wohl-
betintlen einer Bevölkerung die zunehmende Vermehrung derselben
durch immer steigende eheliche Fruchtbarkeit betrachten; auf der
anderen Seite erscheint die allmähliche Abnahme derselben als ßlerk-
mai irgend eines krankhaften Zustande» in der Morahtät oder ge-
ftllschaftlichen und staatlichen Ordnung.
Auf dergleichen Missstfinde deutet beispielsweiae die stockende Ent-
wickelong der Population in Frankreich. Während fast überall in Europa
die Fruchtbarkeit der Ehen auf mindestenä 4 Kinder sich berechnet, ergeben
sich nach den älteren Berechnungen von Wappäus nur 3,3, nach den neueren
Zusammenstellungen sogar nur 2,9 Kinder auf die Ehe. Der von den Fran-
zosen selbst in neuerer Zeit oft beklagte Stillstand in der Bevöikerung»-
entwickelung Frankreich» rührt nicht davon her, dass in Frankreich
zu wenig geheirathet wird, sondern davon, dass die Ehen dort weit weniger
fruchtbar sind, als sonst allenthalben in Europa. Auch spielt hier keine
Eigenartigkeit der «lateinischen Rasse* eine Rolle, denn in Italien kamen
von 1868 — 75 sogar 4,71 Kinder durchschnittlich auf die Ehe. Bertillon lenkto
vor Allem die Aufmerksamkeit seiner Landsloute auf diesen wunden F1«Gk:
und der französische Ethnograph Corre äusserte: ,La race frau^aise
tend chaque jour ä. s'amoindrire vis-ä-vis des autros races, dont Taccroisse-
ment proportionnel est beaucoup plus considt^rable. Mai» faut-il voir en ce
fait st regrettable le resultat d'une influence ethniquu, la preuve d'une d<J-
g^n^ration fatale et irr^mediable? Nous h^aitona t'i le croire, quand noua
voyons au Cauada leg famiOes franpaises avoir communement six ou
sept enfanta; nou» sommes plutöt portes & attribuer la decroissance de notre
Population ä un 6tat de moeurs latentes, contre lesquelluH il semit grand
temps que les legislateurs rt^agissent, s'ils ne renlcut m^riter plus tard le
reproche d'avoir ete les compllces inconsciente de ranniliÜation de la patrie.*
Man beschuldigt zumeist das in Frankreich herrschende »Zwei-
kindersystem' als Hinderniss grösserer Fruchtbarkeit. Allein es
mögen hier wohl auch noch andere Verlialtnis.se mit in Frage
kommen.
Es wirken zur grösseren oder geringeren Fruchtbarkeit eines
Volkes zahlreiche sociale Verhältnisse zusammen. Was aber io»»
64. Fruchtbarkeit und Unfruchtt
423
besondere die Verhältnisse des weiblicheji Theiles der Bevölkerung
anbetritft, so rauss man vor Allem das Alter der in die Ehe ge-
tretenen Frauen bei der ehelichen Fruchtbarkeit berücksichtigen.
Man liat gefunden, dass die Fruchtbarkeit der Ehen ihren höchsten
Werth erreicht, wenn die Eltern gleich alt sind oder wenn der
Mann 1 — G Jahre äU<;r ist, als die Frau. Das weibliche Geschlecht
aUern zeigte eine Zunahme der Fruchtbarkeit von 12 bis zu 27 Jahren.
Quetelet fasste die bezüglich des Alters auf die Geburtenhäufigkeit
gefundenen Resultate in Folgendem zusammen: Allzu früh ge-
schlossene Ehen fördern die Unl'ruchtbarkeit. Vom 33. Jahr an bei
Männern, vom 26. bei Frauen fängt, die Fruchtbarkeit an geringer
zu werden. Zu dieser Frist erreicht sie den Höhepunkt. Unter
sonst gleichen Umst^den ist sie am grössten, wo der Mann
mindestens ebenso alt, oder um etwas älter ist, als die Frau.
Für England hatt« schon Sudler, für Oesterreich Golilerl nach-
gewiesen, dass rechtzeitige Ehen die fnichtbarsteu sind, dass aus
vorzeitigen Ehen wenige und meist schwächliche Kinder hervor-
gehen, und dass die Fruchtbarkeit der Ehe um .so bedeutender ge-
mindert wird, je weiter das relative Alter der Eltern sich von den
ang^ebenen fruchtbarsten Altersverhältnissen entfernt. {Wappäus.)
Die Verschiedenheit im Alter der Zeugenden ist allerdings auch
zum Theil von der frOlieren oder späteren Pubertätsreife, sowie von
klimatischen Einflüssen abhängig. Man weiss, dass in den südlichen
Ländern mit romanischen Bevölkerungen die Ehen durchgängig
früher geschlossen werden können, als im Norden, theils wegen de«
früheren Eintrittes der physischen und socialen Reife bei jenen
Völkern, theils weil dort die nothwendigsten Bedürfnisse zum
Unterhalt einer Familie für die grosse Masse des Volkes geringer
und leichter zu erwerben sind, als im Norden. Hierzu kommt, dass
im Süden Europas das Band der Ehe fast durchgängig leichter
geschlossen wird, als bei den ruhigeren und besonneneren Bewohnern
des germanischen Europas. So sind denn hier weit weniger
Rasse und Klima, als vielmehr die mit historisch gegebenen Ver-
hältnissen in Zusammenhang stehenden Culturzustände, sowie die
hiervon wieder abhängige, die SexualverhäUnisse beherrschende
Lebensweise maassgebend.
Daher kommt es, dass beispielsweise Völkerschaften im Orient,
die unter gleichen klimatischen Verhältni.ssen leben, grosse Diffe-
renzen in der Fruchtbarkeit zeigen. So schrieb mir über die in
Griechenland lebenden Völker Damian Georg aus Athen, daas
die Jaden daselbst sehr fruchtbar sind, die Armenier ebenfalls,
die Griechen weniger, die Türken noch weniger; im Allgemeineo
aber sei das Volk in Griechenland sehr fnichtbar. Dass die jü-
dische Bevölkerung überall eine gro.sse Fruchtbarkeit zeigt, ist aber
gewiss Folge einer dieser Rasse besonders zukommenden Eigenschaft.
Die Sud-Slrtvinnen pflegen sehr fruchtbar zusein. Zwillinge
und auch Drilling«? gehören nicht zu den Seltenheiten. {Krams?)
424
XIV. Die Fruchtbarkeit des Weibes.
Eine recht interessante Bemerkung bezüglich der Fru<
eines nordischen Volkes machte 2>m Chaillu:
,£be ich Lappland besuchte, war ich in dam W&hne befangen, das?
der Einfluss des langandauernden Tageelichts, wie umgekehrt dann wieder
der kurzen dunklen Tage und langen Nichte nothwendiger Weise eine Ent-
artung der menschlichen Rasse' sur Folge haben müsse; aber gerade da*
Gegentbeil sollte sich finden: je weiter ich in Schweden wie in Norwegen
nach Norden vordrang, um so kräftiger und stärker schien mir der Menschen-
Hchlag, um so grösser waren die Familien und um so höher der Procent-
8Btz der Geburten im Verhältniss zur Zahl der Bevölkerung; betrog der-
selbe doch in Tromsöe 34' lo und in Finnmarken gar 368;j(, auf 1000 Per-
sonen jährlich. Es ist durchaus nichts Ungewöhnliches, in einer Famili«
und von einer Frau eine Zahl von 15 — 18 Kindern zu treuen und manchmal,
obgleich dies seltener vorkommt, steigt die wohl auch auf 20 — 24 K^Jpfe.
Allein Anscheine nach zeigt sich die Fisch- und Milchdiilt der Vermehrung
der menschlichen Rasse sehr fürderlich.' Ganz im Gegensatz hiei-zu sagte
früher Dahl: ,üie Lappländer sind bekanntlich sehr unfruchtbar, so daes
eine grosse Kinderzahl in einer Familie eine grosse Seltenheit ist." Zahlen
brachte freilich dieser Autor nicht bei.
Der Einfluss des Ortes und des Klimas auf die Fruchtbarkeit
darf überhaupt nicht überschätzt werden, denn die Bevölkerungen
von Ländern mit gleichem Klima zeigen ganz diflerente Geburten-
ziffern.
Diese Ziffer beträgt nach Queldet filr: Island 87, England 35, Kap
der guten Hoffnung 83,7, Frankreich 31,6, Schweden 37, Insel
Bourbon 24,5, Sicilien 24. Preussen 23,3, Venctien 22, Vereinigte
Staaten 20; es zeigt sich somit keine Beziehung zwischen diesen Zahlen
und den Breitegraden. Wappnus ilihrt ferner folgende Geburtenziffern an:
Mexiko 17, Venezuela 21,9, Bolivische Pro^nnzen Moxos und Chi-
quitoB 17,7, Unter -Canada 24,2, Ober-Canada 29,1, Neu-Süd-
Wales 28,6, Martinique bei Weissen 39,1, Martinique bei Farbigen 25,9»
Bourbon 23,5. Hier zeigt sich beispielsweise bei Martinique, wi«« gross
an einem Orte die Unterschiede zwischen verschiedenen Bevülkerungs-
klassen sind.
Die angelsächsische Rasse, die sich auf amerikanischem
Boden zimi Yankee-Typus gestaltete, zeigt bedenkliche Symptome;
man will bemerkt haben, dass ihre Frauen in der fünften und
sechsten Generation immer blasser und blasser, immer zarter, magerer
und zugleich ätherischer, daher für ihre höchste Aufgabe, nämlich
gesunde Kinder zu zeugen imd selbst zu ernähren, immer weniger
befähigt werden. In der That sinkt, wie das Bureau of Education
in seiner Schrift über Vital Statistics of America nachwies,
die Rate der Geburten in Amerika von Jahr zu Jahr; dieser Rück-
gang findet sich in allen Staaten stetig nnd allgemein: in Arkansas,
Alabama, Massachusetts, Connecticut, Michigan, Indiana,
Pennsylvania und New «York. Allerdings sind die Ueberschtt8«e
der Geburten stärker bei den Einwanderern, immerhin aber geringer,
als in irgend einem Lande Europas, Frankreich in seinen
trUbst«n Zeiten nicht ausgenommen. Die Abneigung der Frauen
4
I
C4. Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit.
425
iTi Amerika gegen die Mühen der Kindererziehung hat nicht ge-
ringen Äntheil an dieser Erscheinung.
Eine ganz erhebliche Abnahme der Fruchtbarkeit wird auch
von verschiedenen Autoren bei europäischen Faniüien behauptet,
welche dauernd in die Tropen übergesiedelt sind. »Die Fruchtbar-
keit der Frau, sagte VirdiOio* in seinem Vortrage Über die Accliraati-
sation, geht erfalirungsgemäss in den Tropen allmählich, aber doch
sehr sclmell» in wenigen Generationen zu Grunde." Und selbst von
Cuba, das ixiuuer als das Muster eines ttlr die Acclimatisation der
Europäer geeigneten Tropenlandes hingestellt worden ist, bestätigt
Jiamon de la Saffra, «was für andere Antillen, namentlich für die
französischen, schon seit längerer Zeit als ausgemachter Lehrsatz
giltv, dass eine weisse Familie, eine Creolenfamilie, die im Lande
ansässig ist und nicht durch neues europäisches Blut wieder auf-
gefrischt wird, sich überhaupt über die dritte Generation hinaus
nicht mehr als fruchtbar erweist."
Es ist femer zu berücksichtigen, dass Überall bei den Völkern
Europas die zeitlichen Schwankungen in der ehelichen Frucht-
barkeit besonders von den Preisen der wichtigsten Nahrungs-
mittel beherrscht werden, wie viele Statistiker nachgewiesen haben.
Ueberhaupt üben günstige Lebensverhältnisse wohl bei jeder Be-
völkerung den grössten Einlluss auf Erzeugung der Kachkommen-
schaft aus. Dass aber zahlreiche Momente, wie Ueberlastung
des weiblichen Geschlechts und hierdurch bedingte Häufigkeit
des Abortus, allzu frühes Heirathen, die Verbreitung gewisser Krank-
heiten, entnervende Gewohnheiten des männlichen Geschlechts u. s. w.
der Erzeugung von Kindern hinderlich sind, wird wohl auch bei
manchen Völkern als Grund der relativ geringen Fruchtbarkeit auf-
zufassen sein.
Weiterhin mag eine besonders bei vielen wilden Völkern hei-
mische Gewohnheit die Fruchtbarkeit sehr beschränken: das sehr
lange, oft mehrere Jahre dauernde Säugen der Kinder. Denn
schon an sich ist es physiologisch, dass für gewöhnlich, aber nicht
immer, die stillenden Frauen nicht concipiren ; ausserdem aber ver-
bietet bei \'ielen Völkern die Sitte, bei anderen die religiöse Vor-
schrift den sexuellen Umgang während der ganzen Säugungs-Periode ;
in Folge dessen wird auch die — schon an sich physiologisch ge-
ringe — Möglichkeit der Empfangniss während des Stillens aus-
geschlossen. Dass viele, namentlich auch wilde Völker das Stillen
der Kinder axisdrücklich deshalb jahrelang fortsetzen, um nicht so
bald wieder schwanger zu werden, haben wir anderwärts [Ploss)
dargethan.
Schliesslich mag jedoch auch die angebliche Unfruchtbarkeit
eine nur scheinbare sein. Denn bei manchen Völkern ist lediglich
da.-* oft vorkommende sofortige T(>dten der Neugeborenen und die
Fruchtubtreibung die alleinige Ursache, dass man nur wenig Kinder
auf die Ehe zählt.
XIV. Die Fruch«
Die Annahme, dass die Mischlinge aus vei-schiedeneu Ra&seu
meist wenig fruchtbar seien, ist falsch ; wenigstens hat sie durch-
aus keine allgemeine Gültigkeit. So lebt in Südamerika, na-
mentlich in Brasilien, eine sehr zahlreiche Bastardbevölkening
von Negern imd Portugiesen, in Chile eine solche aus In-
dianern und Spaniern, in anderen Theilen dieses Continent»
kommen die complicirtesten Kreuzungen zwischen Indianern,
Negern und Weissen vor, doch gerade diese dreifachen Kreuzungen
bieten die schärfste Probe fl\r die wechselseitige Fruchtbarkeit der
verschiedensten Stämme dar. Die gemischte Rasse in Paraguay
übertrifft sogar in der Fruchtbarkeit die beiden Rassen, aus denen
sie hervorgegangen. Insbesondere vermehren sich die in den euro-
päischen Colonien, sowie in den Staaten Südamerikas verbreite-
ten Mulatten, die Nachkömmlinge von Weissen und Negern.
he Vaillaud sagt: „Die Hottentotten erhalten, wenn sie sich
unter sich verheirathen, 3 oder 4 Kinder, wenn sie sich mit Negern
verbinden, verdreifachen sie diese Zahl und erhöhen sie noch mehr,
•«renn sie sich mit den Weissen vermischen."
Als Hinderniss der Conception betrachtet man seit ältester Zeit
Fettleibigkeit; deshalbg alten den Griechen die skytischen Frauen
als unfruchtbar. (Haeser.)
Bei den Kaders in den Auamally-Bergen (Indien) gilt es
als gutes Zeichen, wenn das erste Kind ein Mädchen ist ; man glaubt
dann auf viele Kinder rechnen zu können; später werden Knaben
vorgezogen. [Jagor.^)
Sehen wir uns nun unter den verschiedeneu Völkern des Erd-
balls bezüglich der weiblichen Fruchtbarkeit um, so müssen vrir
schon im Voraus gestehen, dass dasjenige, was wir hierüber That-
sächliches gefunden haben, noch in vieler Hinsicht des zahlen-
gemässen Beleges entbehrt, dass aber auch zweitens die vielleicht
sicheren, statistisch gefundenen Zahlen deshalb noch wenig für die
Beurtheüung der Ursachen der Fruchtbarkeitsverhältnisse zu ver-
werthen sind, weil zumeist die Beobachter imterlassen haben, ihre
Aufinerksamkeit auf die von uns oben angedeuteten einflussreichen
Bedingungen zu richten. Schon aus diesem Grunde lässt sich un-
sere, wenn auch lückenhafte, Darstelhmg rechtfertigen: denn die-
selbe hat den Zweck, die Augen Derer, die zu solchen bevölke-
rungswissenschaftlichen Studien schreiten, mehr imd mehr auf die
vorhandenen Lücken bezüglich unserer Bekanutscliatt mit den ein-
wirkenden Zuständen hinzulenken.
Asiatische Völker.
Unter deu trau« kaukasischen Völkern, inshoMOiulere den Gruaierb
and gm Bischen Armeniern, gehören kindem;icho Faiuilien ku den Selten»
heiteo: nicht mit Unrecht wird, wie gesagt, die Ursache dieser Encheiuuug
in dem zu frUhen AbschlaHsu der Ehen gesucht. (Koch.) Die Eheu der
Cbewguren sind kinderarm. Es werden selten mehr ab drei Kinder ia
427
lilJe gefunden. Diese Kinderarrauth ist eine absicbtlicbe. Zu-
Iit ea Bi-auch. die Ehe bis 7.um 20. Jahre des Mädchena zu verzögern.
Bei den verheiratheten Chewsuren gilt es als grosse Schande, wenn dem
jungen Paare vor Ablauf der ersten vier Jahre ein Kind geboren wird. Auch
später darf erst im Verlaufe von abermals drei Jahren eine Geburt statt-
finden. Die Leute meinen, dass b^i der rascheren Aufeinanderfolge der
Kinder das jüngere dem Ultercu die nöthige Pflege rauben würde. (Radde.)
Die Bed uinen- Weiber sind •a&ch Layard wenig fruchtbar; er glaubt,
dass das 2 — 3 Jahre lange Stillen dazu beitrügt. In Persien empfangen
Inach Poilak Frauen, welche für ihre Kinder Ammen halten, rasch nach
einander und gebären fast jedps Jahr, während in den ärmeren Klassen,
wo das Kind bis zum dritten Jahre von der Mutter gesäugt wird, Em-
pfängniss und Geburten sich langsamer folgen. Doch geschieht es auch,
du«H Frauen während und trotz der Lactation im zweiten Jahre wieder
uienstvuiren und empfangen. Durchschnittlich gebären die Perserinnen
6 — 8 mal. Die unfruchtbare Frau wird in Persien vom Manne fast
immer Verstössen. Ueber die in der persischen Provinz Gilan am
K aspischen Meere wohnenden Volkastämme schrieb mir Häntzsche,
^- dass als die Ursache der dort vorkommenden Unfruchtbarkeit anzuklagen
H sind: Frühe Heirathen, Mis8verhältni8.<< des Alters zwischen den Eheleuten!
H Hysterie, Menstruationsanomalien und andere krankhafte Zustände des Uterin-
H 8yst#mfl, grossentheils wohl erzeugt durch das widernatürliche Gebären.
Die S arten in Taschkent und Chok an sind sehr fruchtbar; es findet
sich nicht selten, dass eine Familie 15 lebende Kinder aufweist. Besitzt der
Sarte aber mehrere Frauen, so begegnet man in seiner Familie wohl mehr
als 30 Seelen. (Rusaische Revue.)
Von den Völkern im Kussenten Nordosten Asiens wissen wir im
Ganxen nur Weniges: Die Vuit nennt Dali nicht fruchtbar. Dip Tschuk-
■ tschen scheinen kinderreicher zu sein. Hooper wenigstens rechnete bei
ihnen 6 — 6 Kinder auf jedes Weib. Auch in den Tschuktschen-Dörfem
am Eismeer giebt es nach den Berichten der Vega-Expedition „Kinder in
I Menge." fGerland.)
Die sibirische Bevölkerung zeigt bedeutende Ditferenzen bezüglich
der Fruchtbarkeit. In einem Berichte (Jenissei) wird erwähnt, dass daselbst
die Fruchtbarkeit der Frauen abnimmt, je höher nach Norden zu das Volk
wohnt. So sind die Eheu im Turuchan'schen Gebiete auffallend weniger
ergiebig, als z. B. im südlichen und östlichen Sibirien. Wenn die Russin
im südlicheren Sibirien, aber auch noch unter dem 50—57." n. B., bis 24
Kinder gebären kann, so bringt ea ihre Landsmännin nahe am Polarkreis
etwa anf 10. 12, selten 15, in der Gegend von Worogof selten bis 19
Kinder; die Ostjakin höchstens bis 8 oder 9, die Tungusin im Maximum
aufs — 10. Die letzteren (Tungusinnen und Ostjakinnen) gebären über- '
haupt nur bis zn 30 — 35 Jahren, nie mehr im 40. Jahre. Die besten und
jQngdten Jahre in den Ehen, gewöhnlich anderwärts durch grössere Fruchtbar-
kkcit ausgezeichnet, sind bei den Familien der Eingewanderten in Turuchan
durch Kargheil der Geburten bemerkbar. Die Ostjaken sind nicht sehr
fruchtbar, selten triflft man Familien mit 3 oder 4 Kindern ; der Hauptgrund
des Kindermingela scheint jedoch in der grossen Kindersterblichkeit su
liegen. (Alesaindrow.)
Die Samojeden nehmen bekanntlich an Zahl ab, da ihre Ehen sehr
unfruchtbar sind, unter den von Sograf untersuchten Individuen befanden
«ich 18 verheiratbete Männer und 10 verheirathote Frauen; auf diese 28
XIV. Die
des Weihet.
Peraonea kamen im Ganzen nnr 25 lebend« Kinder, g«win eise sehr kleine
Zahl. 3üt den verstorbenen Kindern betxug die Anzahl 47, welche sich atiC
19 Eben rertheilt, daranter waren 6 Ehen kinderlos. Diese geringe Kinc
zahl iit wohl zu einem Theil anf die entsetzliche Schwächang des KArpc
durch Branntweingenass zd tchieben; andererseits acheint das abernus fr
Heirathen einen schlechten Einfluse tn üben. Knaben von 1(>^17 Jahren
werden mit Mädchen von 13 — 14 Jahren verheirathet. Aach die Tan gasen
(tlnd nicht sehr firuchtbar; die wenigsten Eltern sollen bei ihnen mtbr als
4 Kinder zeagen. [Georffi.)
Die Chinesen sind nach Scherztr ebenfalls wenig frachtbar, da die
Familie (d. h. dar Mann mit in der Regel 2 — 6 Frauen) darchächnlttlich
nicht mehr als 4 Kinder bat. Allein Scherier scheint die Ursache nicht
dem langdaaerden Säugen zd finden, denn er setzt noch hinzu: „Viele Praoea'
werden hftofig nach einigen Jahren wieder schwanger, selbst wenn sie noch
sftagen." Auf andere Weise werden von den chinesischen Aerzten als Ur-
sachen der Unfruchtbarkeit aufgeführt: 1. beim Manne Excessein der Liebe,
der Gebrauch des die Fettbildung übermässig ftirdemden Arseniks und der
Gebrauch de« die Geschlechtefanctionen zerstörenden Quecksilbers, endlich
auch die Ausübung des ,Cong-foa* (d. i. einer Manipulation, um die Em-
pfindung durch Anspannung der Aufmerksamkeit herabznsetzen , ähnlich
dem Kypnotismua oder thierischen Magnetismus); 2. beim Weibe ebenfalU
Liebes-Exce^se, Fettbüdung (welche das Eindringen des Sperma in die Ge-
nitalien hindern soll) und verschiedene Krankheiten, wie LeucorrhOe, Men-
struaLfehler, Prolapsus etc. Ausserdem zählen die chinesischen Aerzte nodi
zahlreiche Ursachen der Sterilität auf, wie ausserordentliche Magerkeit, äber-
mässige Gallenabsonderung etc. (Hureau.)
Obwohl Kindersegen in Japan als besondere Gunst des Himmel« an-
gesehen wird, sind doch die meisten Familien nach einigen Angaben weniff
zahlreich und bilden 3 Kinder wohl den Durchschnitt. Dagegen bezeugt
Wemich, dass die Japanerinnen im Allgemeinen sehr fruchtbar sind; der
um die Häuser sich tummelnde Kindersegen würde, wie er sagt, noch be-
deutender sein, wenn nicht eine Beschränkung durch das lange Säugen un.d
durch Abortus stattfände. Obgleich in Japan wie in China die jungen
Mädchen sich vor der Verheirathung ziemlich frei pro.<4tituiren dürfen, so
ist doch dies dem Wachsthum der Bevölkerungszahl nicht hinderlich. (!>>
tottrneau.)
Ueber die Fruchtbarkeit der Annamiten-Frauen Cochincbinas bat
Mondiire Stadien gemacht. Die Menstruation tritt bei ihnen durchschnitt-
lich spät (16 Jahre und 4 Mon.) ein-, nur 4 Piocent der Frauen trat vor
^sem Zeitpunkt in die Ehe, die grOsste Mehrzahl (941 Individuen) waren
sr als 17 Jahre bei ihrer Vereinigung mit dem Manne. Von die8en aber,
ie bei geschlechtlichem Umgänge Gelegenheit gehabt hätten, zu gebären,
hatte noch nicht die Hälfte (440) ein oder mehrere Kinder geboren. Daa
mittlere Alter, in welchem bei diesen die erst« Geburl DtattiuDd, war 20','9
Jahr. Die erste Geburt fällt also ziemlich spät; und während 86 Procent
Hchon vor Eintritt der Regeln den Coitus üben, sind 95 Procent menstruirt
vier Jahre, bevor sie ihr erstes Kind bekommen. Mondiire fand, das» 1)9
iVftuen, die im gebärfUhigen AltiT standen. ä4ö Kinder hatten. Da Ja«
junge Mädchen hier zumeist erst im Alter von 19 bis 20 Jahren in die Eh«
tritt, wo sie am geignetsten ist zur Zeugung, BO begünstigt die bi» dahin
den Sexnalorganen gewährte Ruhe die Empfängnis«, und so werden «io auch
in dieser Altersepoche zumeist äcbwun^^er.
64. Fruchtbarkeit und Tfafrncbtbarkeit.
Die Weiber der Nay er- Kaste in Indien bleiben bi« tum 40., auch
jis zum 45. Jahr fruchtbar; Mütter mit 10 Kindt^m uind nicht sehr selten.
lEine Frau in Calicut soll 16, eine andere sogar 20 Kinder geboren haLeii.
(JagoT.)
Amerikanische Volker.
Bei den Aleuten im Nordwesten AmerikaK i^t eine Familie selten
mit mehr als 2 — 3 Kindern gesegnet, wogegen die Verhältnisse der betaer
lebenden Bussen mit den eingeborenen Weibern Iruchtbarer sind. {liitter.)
In Alaska ßndet man in den Ehen der Eingeborenen gewöhnlich nur
1—3 Kinder; die höchste Zahl, welche Dali gefunden, betrug 6, auffallend
viele Ehen sind ganz kinderlos.
Die Fruchtbarkeit der Eskimo -Weiber ist nach jAindebrrg sehr be-
deutend, indem 21 Frauen im Durchschnitt 6 Kinder hatten ; unter 66 Frauen
[^aren nur 2, die keine Kinder hatten. (Roherton.) Dagegen berichtet Äbbcs,
daas die Ehen der Eskimos des Cuuiberland-Sundea sich keines grossen
jj Kindersegen-s erfreuen; selten trifft man mehr als /wet Kinder; die UrHacbi«
vermuthet er darin, duas der Mangel au passendem Ersatz für die Mutter-
milch die Frauen zwingt, ihre Kinder möglichst lange an der Brust zu halten,
sodann ist auch die Sterblichkeit unter den Kindern naturgemäss ungemein
gross. Kinderlose adoptiren oft ein Kind.
Die nordanierikanischen Indianer scheinen weniger fruchtbar zu
|«ein, als die Weissen. Ueckeicelder sah in indianischen Familien, die eho-
snald in Pennsylvanien lebten, selten mehr als 4—5 Kinder. Auch Lt Beau
berichtet, daas die Frauen der Indianer in Canada minder fruchtbar
Bind, als die Weissen. Der englische Reisende W«ld, welcher ebenfalls
die Weiber der canadischen Indianer, wie die der Ureinwohner Nord-
amerikas überhaupt, für minder fruchtbar, als die der Weissen hült, meint
wohl nicht mit Unrecht, dass deren Preisgebung im juirten Alter und das
lange Säugen der Kinder, während dessen sie keinen Verkehr mit den M&n-
nem unterhalten, die Ursache der geringen Fruchtbarkeit ist. Gänzliche Un-
fruchtbarkeit soll Übrigens bei den RothhB.uten selten sein, hüuiig dagegen
künstliche Fehlgeburten bei Verbeiratheten und Unverheiratbeten, denn meist
werden nicht mehr als 3 — 4 Kinder aufgewogen. (Waitz.) Aehnlich lauten
die Berichte ans dem tropischen Amerika. Die Frauen in Jalapa (Mexiko)
sind in der Kegßl fruchtbar, und Beispiele von Sterilität findet man selten;
allein häufig vermeiden sie e», Mütter zu werden, indem sie sich freiwillig
eine strenge Enthaltsamkeit auferlegen, um nicht die b&ualichen Sorgen zu
vermehren. (Annahs.)
Die Fruchtbarkeit der Frauen in Nicaragua ist sehr gross. Selbst
eingewanderte Frauen scheinen hier fruchtbarer zu werden, wenn Bernhard
Recht hat, welcher sagt, dai^s es nichts Seltenes sei, Frauen zu finden, die
15 — 20 Kinder geboren haben; eine Frau in Massya, die in der ersten Ehe
kein Kind hatte, gebar in der zweiten Ehe 27 Kinder.
In den Städten im Inneren der Insel Cuba, in Trinidad, Santo-Espi-
ritu und Villa Clara sind nach Ramon de la üagra {M(i;/er-Ahrens^) die
Ehen ausserordentlich fruchtbar; viele derselben zählen 12 Kinder, manche
sogar 20—25 oder 26 Kinder. In Trinidad (im Jahre 1858 mit 14,463 Einw.)
waren I Ehe mit 24 Kindern gesegnet, 2 Ehen mit 21, 1 Ehe mit 18, 1 mit
16 Kindern, 2 Ehen mit 15 Kindern, 10 Ehen mit 13 Kindern, also 260 Kin-
der aus 17 Ehen. Im Jahre 1853 zäUte man zu Trinidad 123 Familien
von Weissen, welche 8 — 10 lebende Kinder hatten. In Villa Clara gab es
64. Frncbtbarlfcit mid ünfrnchtbarkpit.
431
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HtafrLkas," sagt Hildebrandt, ,tiiiid aU MtHchHn^ sehr beterog<>n>>r
uäsen durch maucherlei Uii8itt«ii und Krankheiten, welche gescblechtUcben
;nd klimatischen Ursprungs sind, weniger kinderreich.*
Die Waxwaheli im Inneren Ostafrikas haben wenig Kinder: 1. wegen
.ex schrecklichen UnsittUcbkeit, die unt«r ihnen herrscht, 2. wegen des Ge-
:ha von Arzneimitteln, um Feblgeburt«n kq erzielen, da ihnen Kinder
bnlich als eine Last erscheinen. {Thom»on.)
Von den Neger-Franen giebt IVwnffr-Btfy an, dass ihnen llber»chwiuig-
liche Fruchtbarkeit nicht eigen sei, doch gäbe es solche . die bi» 10 Kinder
oberen; sie abortiren sehr h3,Qfig.
Im Allgemeinen ist bei den Negern der Westküste die Fruchtbarkeit
nicht gering; bei den Wol offen sogar nach de Jlochebrune sehr gross.
Wenn es in einem Berichte heisst: „Die Negerin des Ewe-Crebietes ist
selten mit mehr al» 6 Kindern gesegnet." so meinen wir. dass ein solcher
Segen doch schon recht ansehnlich iat. Bei den Fulbe- oder Fullo -Frauen ist
der Ejnderreichthum dagegen viel geringer, denn man fand, dass ein« Pullo-
Frau selten mehr als 3 — 4 Kinder hatte , während in den Familien anderer
Negerstilmme selten unter 6 — 8. oft aber 10 — 12 Kinder auf eine Mutter
kommen. Eine noch geringere Fruchtbarkeit zeigen die L o an go- Nege-
rinnen , da durchschnittlich bei ihnen ein Weib nur 2 oder 3 Kindern das
Lel>en schenkt. Pechtul-Lotsdie kann die Ursache dieser geringen Frucht-
barkeit nicht bestimmt angeben, und er sagt: ^Sollte neben allgemeiner
unsicherer ErntLhrung nicht auch willkürliche Verlängeruug der Lactations-
Periode von Kintluss sein?" Wir können von ärztlicher Seite eine solche
Wirkung übermässiger Ausdehnung des Öäugens nicht in Abrede stellen.
Von den Egba-Negern, welche in Yorubii, zwischen dem Golf von Benin
und dem Niger-Fluss wohnen, sagt Burton, dass bei ihnen die Ehen s«>lten
fruchtbar sind in Folge des verlängerten Stillens. Und von den Bewohnern
der Sierra-Leono-KUste, den Bullamer, Susu eta sagt Winterbottom,
welcher Arzt der britischen Colonie zu Freetown war, dass ausser der
Polygamie ein anderes Uinderniss, weshalb die Bevölkerung nicht zunehmen
kann, darin besteht, dass die Mütter ihren Kindern zu lange die Brust
eichen: ,denn während dieser Zeit, welche gemeiniglich zwei Jahre oder
wenigstens so lange dauert, bis das Kind im Stande ist, seiner Mutter eine
KiirbisSasche voll Wasser zu -bringen, leben sie von ihren Männern abge-
sondert. Es ist eben nichts Ungewöhnliches, dass eine Frau, die ein stillen-
des Kind hat, ihrem Manne eine andere Frau ver»chaf)t, die so lange ihre
Stolle vertritt, bis das Kind entwöhnt ist. Weiber, die mehr als 3 — i
Kinder zur Welt bnngen, sind in Afrika selten." Dies rührt jedoch keines-
wegs davon her, dass sie frühzeitig zu gebären aufhören, vielmehr kannte
Winterbottom Frauen, die 35 — 40 Jahre alt waren und gleichwohl noch
Kinder gebaren. Er macht noch auf eine andere Ursache der Unfruchtbar-
keit an der Sierra-Leone-Küste aufmerksam: So lange eine Frau um
eine verstorbene Freundin oder eine Verwandte trauert, lebt sie vom Manne
abgesondert. Schon Mungo-Park glaubte die Unfruchtbarkeit der Nege-
rinnen so zu erklären: „Da die Mandingo- Negerinnen lange, nicht
selten auch 3 Jahre lang säugen, und da während dieser ganzen Zeit der
Mann seine Gunst den anderen Frauen zuwendet, so kommt es, dass eine
Frau selten eine zahlreiche FamUie hat; wenige haben mehr als 5 oder 6
Kinder." Dagegen führt c/e i^oc?t€^run« für die von ihm beobachteten Neger
noch die Häufigkoit des natürlichen Abortus als Grund an. Die Ursachen,
welche denselben bei den Woloffen so oft herbeiführen, hängen eng mit
irr Lcl^aFWriä« d-er Wrfc-jr r:M=-.=c: is irei 'rilatli-räw. »^«»•f.Iflffn rt At
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Zft5«r=.-i Tarier i*- sri «^ S-iiw-Jij^ris: j»»i» ^reälizsic^ sisd. Weg«a
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PolTzi^ir bii =4= irr:, wi-» *r «ir:. ■■■»rijrr Kiri'Sr il« Yrtasa..
Di* War-.» irr G-irei-Xerer i= 3:«*ir: -Ar;hir«äi äd aasser-
Di* H Mterivt^istia iici ii:i: Äjrr;^f *.»£; •■■aaij fraecsbAr: «
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Ei<:z? necr ü 3 Ai^iTr b.rrrcr. Anierf s-:!'. « *kh v*rralx«z,. «lesa Ver-
gjäjh^r.g *i;:«r Ec-sirstott::. =it «iü=: E::r:Tlrr sSARzedes: daui sei
d:e rrsizüiric-i:-: i*r W*r:.ir ■■■« rrTsi^r- !•:* Kiffers, bsc^ ir>>tx
drr T-;*l^- Fnc-a:. w^riz Ki=.i-»r. HÄi-itif. I'vz>e-jei nl?«r «üe Fras«.
d*r iz*— i ' ziz- ;~zr: i^Bj«*:-: rt«»c.-»E. E=*«:-:r«=-rr l-?rc«ziri*:hen I=5«l]i.
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Anssralie; Tisd Oeeaaier.
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Di-T Xiiri* izf Xe-*TTl»- i i=i iijrwr ^ir :irfr:;i.*.';*r ^s-i d*a
Aziätrr^.er r ■ - -. JV»:;-«. T:r i»^: l»."i rji^i S.-*-;'.-?'-* A=^:.* ir A^:k-
li-i *i=.r rfürirll* Art*:: i<ä«ir-;:k:t ■»irif. ••rre-:!^;':«. iü« 'i-ei ■- — ■»" .si-»
».r^. • in
65. Das Ansehen, in welchem die Fruchtbarkeit steht. 433
sie ihre natürliche Bestimmung, da sie, wenn sie kinderlos sind, häufig von
ihren Männern weggejagt werden.
Die Frauen der Negritos (Philippinen) sollen im Ganzen nie mehr
als 4 Kinder gebären. (Mundt-Lauff.)
Zu Banka in HoUändisch-Ostindien sind nach Epp die Frauen
nicht sehr fruchtbar; derselbe sucht die Ursachen in der schmalen Kost.
Dagegen werden die Frauen auf Amboina, weiche zumeist von Fischen
und Sagn sich nähren, als ganz bespnders fruchtbar geschildert.
65. Das Ansehen, in welchem die Fruchtbarkeit steht.
Während vielen Völkern, bei welchen sich beide Eltern reichen
Kindersegen wünschen, die Fruchtbarkeit der Frau als besonderer
Vorzug' und als eheliches Glück gilt, hingegen die Unfruchtbarkeit
derselben gleichsam als unvollkommene Befähigung zur Verrichtung
ihrer ehelichen Aufgaben oder selbst als Strafe der zürnenden
G ottheit aufgefasst wird, betrachtet man im Gegentheil bei manchen
Völkern, deren Ehen nicht kinderreich sind, die grosse Fruchtbar-
keit als etwas Verächtliches. Eine Frau bei den Grönländern
hat 3 — 6 Kinder und gebiert alle 2 — 3 Jahre; wenn daher die
Grönländer von der Fruchtbarkeit anderer Nationen hören, so
vergleichen sie dieselben mit ihren Hunden. In ähnlicher Weise
verzogen die Indianerinnen in British-Guiana spöttisch den
Mund, als si» von Schomburgh erfuhren, dass bei Europäerinnen
Zwillingsgeburten nichts weniger als selten sind; auch sie sagten;
,Wir sind keine Hündinnen, die einen ganzen Haufen Junge werfen."
So ist auch in Europa die Freude über ein schnell folgendes Ge-
bären der Frauen bei manchen Völkern recht gering. In Frank-
reich schildert ein altes Volkslied die Ehe, welche mit zu vielem
,'Kindersegen " bedacht ist und deshalb als eine unglückliche be-
trachtet wird, in folgender ergreifender Weise:
,Nach einem Jahre ein Kind. Ist das eine Freude!
Nach zwei Jahren zwei Kinder; da kommt schon die Schwemiuth.
Nach drei Jahren drei Kinder; es ist ein wahrer Teufelsspuk.
Das eine schreit nach Brod, das andere nach Suppe,
Das dritte will gestillt werden, und die Brust ist siech.
Der Vater ist in der Schenke und führt ein schlechtes Leben,
Die Mutter ist daheim und weint und seufzt." (Theuriet.)
Wenn solche traurige Lieder im Volke gesungen werden,
dessen Herrscher,- Heinrich IV., einst wünschte, dass jeder Bauer
sein Huhn im Topfe habe, so dürfen wir uns wohl nicht wundem,
dass gerade dort das sogenannte „Zweikindersyste'm" Platz gegriffen
hat. Ueberhaupt ist es immer ein Zeichen socialer Gebrechen
und unzureichender Ernährungszustände, wenn eine geringe Frucht-
barkeit im Allgemeinen für ein Glück gilt. Dann sind es aber
auch nur noch wenige Schritte bis zur willkürlichen Beschränkung
der Kinderzahl.
Plo8t, Das Weib. I. 3. Ana. 28
— Iic JramriizuiLiir ix* T"sii.Ä.
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65. Bas Ansehen, tn welchem die Frncfatharlteit steht.
435
Kinderlosigkeit gUt im Morgeulande für ächmachToll , und die
'Moslini aowolü als auch die orientalischen Juden macheu die
Unfruchtbarkeit zu einem Scheidungsgruud. Vom Araber wird sie
im eigentlichen Sinne als Unsegen, von den Frauen desselben noch
Ldazu al« Schmach betrachtet. Ja eine arabische Frau, die nur
HEMädcben gebiert, sieht sich schon als verflucht imd mit einem Makel
^■behaftet au. {SandrczcJd.) Sie hält sich auch ftü* verzaubert.
1^ Unfruchtbarkeit ist für da.s türkische Weib das grösste Dn-
■^ glück, welches sie treffen kann, denn sie geniesat alsdann wenig
t Anaehen und wird von ilirem Manne vemachliiasigt und selbst von ihm
geschieden, und da man die Unfruchtbarkeit als einen Fehler in der
Organisation der Frau betrachtet, so kann diese .sich .selten zum
zweiten Male verehelichen. (Oppfufieim,) In Südalbanien sind
bei den Türken unfruchtbare Weiber tiirralich verachtet und daher,
weü sie Fruchtbarkeit erlangen wollen, in steter Verbindung mit
alten Zigeunerinnen, welche Geheimmittel besitzen sollen, um
»eine scjmelle Empfangni.ss herbeizuführen. (Lehnert.)
Die Mohammedaner meinen, dass sich gar nichts gegen Un-
fruchtbarkeit einer Frau thun lasse, da sie eine Fügung Gottes sei,
demi es steht im Koran: Gott macht nach seinem Willen, dass eine
Frau Müdeheu, eine andere Knaben, eine andere Kinder vun beiderlei
(Geschlecht bekömmt; er macht auch nach seinem Willen die
Frau unfruchtbar.
Doch sind sie der Ansicht, dass die helle oder duukle Com-
plexiou einer Frau für die Sterilität derselben von besonderer Be-
deutung ist: denn der Prophet sagt: , Ziehet eine Frau vor, deren
Haut braun ist, denn sie ist fruchtbar gegenüber einei Frau mit
allzu heller Haut, die vielleicht imfruchtbar ist,"
tWenn bei den Badagas am Nilgiri- Gebirge in Indien eine
Frau keine Kinder bekommt, so nimmt sie ihre Schwester als
»zweite Frau" in das Haus, .sie selbst bleibt aber Herrin. Ist dies
Auskunftsmittel nicht ausführbar, so wird die Frau zu ihren Eltern
heimgeschickt, oder sie heirathet einen Alten, der von ihr nicht
Kinder, sondern nur Arbeit verlangt. (Jagar.) Auch in mehreren
anderen Provinzen Indiens gilt die Unfruchtbarkeit der Frau als
etwas Verächtliches und als ein grosses Unglück.
Sobald bei den Ostindieru zu Madras die bei der Unfrucht-
barkeit gewöhnlich angewendeten rehgiösen Mittel nicht helfen,
darf der Mann seine Frau Verstössen, weil sie ihm keine Hoönuug
auf Nachkommenschaft giebt. (Best.)
Auch bei den Chinesen .steht Fruchtbarkeit in grossem An-
sehen; die grösste Freude einer Frau ist eine zahlreiche Familie;
keine unfruchtbare Frau hält sich für das unglücklit-hste Geschöpf;
hierzu steht im 8chreiend.steu Widerspruch die Thatsache, dass
iohinesische Eltern mit kaltem Blute ihre Kinder morden, oder sich
der Neugeborenen durch Aussetzen rasch entledigen. Aber nicht
ül)erall, wo mtui die Fruchtbarkeit an sich hochschätzt, ist auch
28*
66. Arzneiliche und mechanische Mittel gegen die Unfruchtbarkeit. 437
der Untreue und künstlicher Fehlgeburten; von anderen wird sie
nur als Unglück betrachtet und hat gewöhnlich Verstossung zur
Folge, (de Laet, Keating.)
Ehescheidungen finden bei den Indianern des Gran Chaco
in Südamerika häufig statt, sobald keine Kinder vorhanden sind,
d. h. der Mann verstösst in solchem Fall einfach sein Weib und
nimmt ein anderes. Ist jedoch das erste Kind geboren, so gehören
die Ehescheidungen zu den Ausnahmen. [Amelimg.)
Wir führen schliesslich noch einige Völker Europas an.
Nach slavischer Anschauung sind Kinder ein Segen Gottes;
eine Ehe ohne Kinder ist unglücklich und die junge Frau muss
die Schuld tragen. In Böhmen wird die junge Frau, welche im
ersten Jahre der Ehe ein Kind hat, belobt imd reich beschenkt.
iLiimzoic!) In Bulgarien ist Unfruchtbarkeit ebenso wie in Russ-
land ein durch Zauberei bedingtes Unglück. Bei den Slaven in
Istrien gilt die Kinderlosigkeit für ein Zeichen von Gottes Zorn;
unfruchtbare Weiber heissen dort nScirke" d. h. Zwitter, {v. Dürings-
feld.) Den Serben gereicht Kindersegen zur grössten Freude {Petro-
icitsch), und Kraiiss^ sagt:
„Das uufruchtbare Weib wird bemitleidet und geringgeschätzt. Ihre
^ftellung im Heim des ^Mannes wird immer unhaltbarer. Der Mann sucht in
tJeiufiii.schaft mit seinem Weibe durch zauberkräftige Mittel diesem Uebel-
stände abzuhelfen. Im Sprüchworte heisst es: Ein Weib ist kein Weib, ehe
sie nicht gebärt."
Bei den Ungarn scheint die Unfruchtbarkeit wenigstens im
Anfang der Ehe nicht für etwas Schlimmes zu gelten. Die Tugend
der Züchtigkeit wird so weit miss verstanden, dass die Weiber sich
scliümen, innerhalb des ersten, ja auch des zweiten Jalires nach der
Heirat h in die Wochen zu kommen. Im Gomörer Comitat verstehen
>ie die Kunst, sich davor zu hüten, so dass sie selten vor dem 6.
oder 7. Jahre der Ehe entbunden werden, (r. Csaplovics.)
66. Arzneiliche und mechaniselie Mittel gegen die
Unfruchtbarkeit.
Der den Menschen aller Rassen so natürliche Wunsch, Nach-
ki »Ulmenschaft zu erzeugen, und die grossen Nachtheile und Unlieb-
sauikeiten, welche bei vielen Völkern, wie wir gesehen haben, einer
unfruchtbaren Frau zu erwachsen pflegen, mussten natürlicher
Weise zu Versuchen führen, den bis dahin erhoÖten Kindersegen
durch künstliche Hülfsmittel doch noch zu erzielen. Die für diesen
Endzweck eingeschlagenen Wege sind dreierlei Art, nämlich erstens
das AnHelien des göttlichen Beistandes, zweitens die Austtihnmg
gewisser zauberischer, sympathetisch wirkender Handlungen, und
endlich die Anwendung mehr oder weniger zweckmässig gewählter,
empfolJen; es ist die Tiuctur aus den Blättern eines perennirenden
Baumes aus der Klasse der Temstromaceae : scbon nach einigen
«Stunden soll das Mittel sicher (V) auf die Meustruation wirken und
die »Sterilität heben. In China und Japan wird es zur Zeit des
Vollmondes mit kabbalintischen Formeln genommen.
IäIb die Geschlechtslust erregende und wahrscheinlich auch Ste-
TÜitSt beseitigende Mittel dieneu in Oberägypteu nach Kluit-
einger besonders Ingwer, das theure Ambra, eine fettwachsartige
Substanz aus dem Darm und der Blase des Pottwals, und Honig oder
Zininit und Karotten oder Rettig-Siunen mit Honig gekocht; ferner
die tialle des Raben, die gebrannten Schalen der Tridacma-Mußchel
^ mit Honig, auch der Blüthenstaub der Dattelpalme.
B lü Fezzan sucht man die Fruchtbarkeit der Frauen durch
reiclilichen Genuas getrockneter Eingeweide junger Häschen zu rer-
mehren, die noch au der Mutterbrust waren. (Nachtirial.)
IWenn eine Frau in Algier schon ein Kind bekommen hat,
daun aber längere Zeit nicht Avieder concipirt, so muss sie Schafs-
Urin oder auch Wasser trinken, in welchem man Ohrenschmal/
eines Esels hat maceriren lassen. (Bert für and.) Auch örtliche Kuren
sind im (Jrient im Gebrauch. Denn Fast in Beirut giebt an, dass in
Syrien unter den Frauen besonders UIcerationen der Portio vagi-
nalis vorkommen, herbeigeführt durch unsinnige Application von
reizenden Stoffen behufs Förderung der Conce])tion. In Ober-
mägypten wird nach Klumingcr ein kleines Stückchen Opium f[ir
H den ersteu Tag der Kur in den Schooss eingelegt, und die drei fol-
^Bgendcn Tage ein Stnckchen vom Wanst eines Wiederkäuers.
^ Die Indianer in Peru sollen Aphrodisiaca besitzen, welche
besonders auf das weibliche Geschlecht wirken ; sie führen den ge-
»meinschaftlichen Namen Firipiri. (Mcrntrio.)
Auch auf den Luang- und Sermata-lnseln int malayischen
Archipel sind Aphrodisiaca bei beiden Geschleciitern stark im
Gebrauch. Auf Ambon \ind den Uliase-Inseln müssen unfruchtbare
Weiber bestimmte Medicaniente einnehmen und in besonders vorge-
schriebener W^ eise baden. Ebenso giebt es auf Leti, Moa und Lakor
allerhand Arzneien gegen die Unfruchtbarkeit, aber liier mtissen die
Männer ebenfaUs diese Pocula sterilium trinken. Die Weiber der
Galela auf Djailolo (Niederländisch-Indien) kennen ebenfalls
Medicinen, welche ihnen die Schwängerung sichern. {Riedel.)
Unter den Westaustraliern herrscht die Meinung, dass Mäd-
chen nach dem 11. oder 12. Jahre keine Bandicuts (Beuteldachs,
Perameles) mehr essen dürfen, sonst werden sie unfruchtbar; wenn
dagegen die Frauen viel Kängumfleisch gemessen, so macht sie das
fruchtbar. (Jimk.)
In Sibirien gebrauchen die Mädchen vor der Brautnacht die
ekochten Früchte der Iri.s sibirica. Weiber, die in Kamtschatka
Kinder gebären wollen, essen Spinnen; einige Wöchnerinnen,
die dort bald wieder schwaiiger werden wollen, vejzehreu die Xubel-
scliniir ihres neugeborenen Kindes. (Kraschennikow.)
Hier finden wir schon selbst bei niederen Völkern die Vor-
stellung, dass bei Behinderung der Euipfäugniss etwas Krankhaft«»
vorliegt, dem man nicht bloss durch Sympathie, sondern auch durch
Diät und Therapie entgegentreten könne. Jedoch entwickelte sich
dort, wo die Heilkunde sich der Sache anzunehmen
begann, noch eine bessere Einsicht, die schon zu einer rationel-
leren, wenn auch noch recht primitiven Behandlungsweise ftihrte.
Eine Vorstelhmg von den Ursachen der Sterilitfit und eine
sich gegen dieselben richtende Therapie besassen ohne Zweifel
schon die alt griechischen Aerzte. Nach 'Hijipokrates Jconneu
folgende Zustände Sterilität bedingen: 1. Verdrehung and Schief-
stellung der Gebärmutter; 2. zu grosse Glätte der Innenwand der-
selben, bei der der Same nicht zurückgehalten wird; 15. Suppressioo
der Menses vmd Obstruction oberhalb des Muttermundes ; 4. Ueber-
t'Qllung des Uterus mit Blut und üljermiissige Secretion dos AJen-
strualblutes, welches das Sperma wegspült: 5. Gebärmuttervorfall,
bei dem die Uterusmünduug hart und callös wird. Nach Paulus
von Äeyina wird die Sterilität zuweilen durch mangelhafte Eruäh-
nmg, zuweilen durch Plethora hervorgerufen. Demgemäss luiiss
die allgemeine Lebensweise geregelt werden. Fette Weiber sind
zur Zeugung untauglich, weil sie nicht genug Samen haben, ebenso
heruntergekommene. Die Weiber müssen eine solche Kost zu sich
nehmen, die den Mouatstluss beiordert. In solchen Fällen, wo die
llble Beschaffenheit flutL-niperameutunil des Uterus die Sterilit^lt be-
ilingt und die sich durch Ausbleiben der Menses kennzeichnen, muss
eine aromatische, stimulirende Kost gegeben werden, um die ujitür-
liche Wärme anzuregen; gleichzeitig werde der Unterleib frottirt.
Ist der ganze Körper wärmer als gewöhnlich, die Menatruation
spärlicher als sonst und scbmerzhaft, sind die Geschlechtstheile ge-
schwürig, so muss man liieraus schliessen, dass der Uterus ein
warmes Intemperament hat. Da ist eine kühlende, feuchte Kust
angezeigt und ebenso kühle Umschlüge. Bei SteriUtät, bedingt
durch Feuchte des Uterus, sind die Menses dünn und profus; hier
ist austrocknende Kost augezeigt. Bei grosser Trockenheit der Gc'
bärmutter heilt man die Sterilität mittelst Bädern und Ssdben. Behiii"
dert dicker „Humor' die Conception, ho muss dieser herausbelUrdert
werden durch Purgantien. Ist dagegen die Gebärmutter uufgeblüht,
so wende man Aromatica und Pessarien au. Einen vex'schlosseiMJU
Muttermund erööue man mittelst aromatischer Injectionen, und gleich-
zeitig gebe man Terpentin, Nitrura, Elaterium, Ca-ssia und Thcer-
wasser; bei klauendem Miitterniundc hingegen Adsti' i. Zu-
weilen ist die Fruchtbarkeit dadurch })ehindert, das.s . ursion
des Uterus bestt^ht; hier ist der Coitus a posteriori Hugezwigt.
Letzteres empfiehlt auch Onhonitia, der aber auch weitcvli^. - --^t,
mau müsse dtn Muttermund erweitern, luu eine Schw; ift
zu ermügUcheiK während in anderen Fällen mittelst Adstringentien
die klaöVnden Muttermundslippeu einander genähert werden müs«t<.'ü,
um dus Abfliessen des Sperma zu verhüten. {Jettks.) So verworren
allerdings noch immer diese Ideen und R^thschlüge zu einem grossen
Theile waren, so sind sie doch immerhin die ersten ernsten An-
läufe zu einer rationelleren Behandlung der Sterilität.
In den hip^vkratUchfu Schriften (die zum Theil nicht von Hippo-
kratrs selbst herrlihren) wird eine Menge sinnloser Mittel angegeben,
um eine Frau fruchtbar und den Coitus erfolgreich zu machen.
Wenn du willst, du.ss eine Frau schwanger werde, so musst du sie
selbst und ihre Gebärmutter ausreinigen, d. h. es muss ein Mutter-
zäpfchen von t'eingeriebenem Natron, Kreuzklumnel, Knoblauch und
Feigen mit Honig bereitet in die Gebärmutter gelegt werden und
die Frau muss sich wann baden; nachdem dieselbe nücht^ni Dill
gegessen und echten Wein nachgetnmken hat, wird rothes Natron,
Kliruinel mid Harz mit Honig augemacht, in einem Stück Leinwand
als Mutterzäpfchen eingelegt. Wenn nun Wasser abfliesst, so lege
der Frau schwarze erweichende Mutterkränze ein und tathe ihr ehe-
lichen Umgang an. Wenn du will.st, dass eine Frau schwanger
werde — so lautet das nächstfolgende Recept — , so reüiige sie
selbst und ihre Gobtirmutter, und lege dann ein al>getragenes, mög-
Uchst feines und trockenes Leiuwandläppchen in die Gebärmutter
ein und zwar tauche das Läppchen in Honig, forme ein Mutter-
zäpfcheu darau.s, tauche es in Feigensaft, lege es ein, bis sich der
Muttermund erweitert hat, und schiebe es dann noch weiter liinein.
Ist nun aber das Wtusser abgezogen, fo «püle sich die Frau mit
Oel und Wein aus, schlafe beim Manne, und trinke, wenn sie ehe-
lichen Umgang geniesseu will, Poley in Kedros-Wein. Eine an-
dere Vorschrift wird im Lib. de superfoetatione gegeben: Wenn du
ein Weib behundel.st, um sie fiihig zur Conception zu machen,
scheint sie ausgereinigt und der Muttermund in löblichem Zustande
zu sein, so bade sie, reibe ihr den Kopf ab. salbe sie aber in keiner
Weise ein. Dann schlage ihr ein nicht riechendes gewaschenes
Leinwandtnch um den Hals und binde eine rein gewaschene oder '
nicht riecliende Netzhaube darüber, nachdem du zuerst das leinene
Tuch eingebunden hast, dann lege der Frau abgekochtes Mutterharz,
welche« am Feuer und nicht an der Sonne erweicht worden, als
Mntterkranz ein und las» sie schlafen. Wenn sie sich dann am
anderen Morgen früh die Netzhaube mit dem Leiuwandtuchc abge-
nommen hat, 80 lasse sie .lemanden an ihrem Scheitel riechen:
giebt sie einen Geruch von sich, so steht es mit der Ausreinigung
gut, wenn nicht, schlecht. Das Weib tbue dies aber nüchtern. Ist
»ie aber unfruchtbjir, .so wird «ie weder gereinigt, noch .sonst einen
Geruch verbreiten. Es wird aber auch nicht sc» gut riechen, wenn
du Jenes einer Schwangeren einlegst. Bei einem Weibe aber, welches
oft schwanger wird, leicht concipirt und gesund ist, wird der Scheitel
riechen, xelbst. wenn du ihr kein Mutterzäpfchen einlegst und sie
442
XIV. Die Fruchtbarkeit des W4
nicht ausreinigst: ausserdem aber wird er nicht riecLen. Wenn nun
Alles dem Anscheine nach in löblichem Zustande ist, und das Weib
sich mit dem Manne fleischlich venuischen soll, so mnss das Weib
nüchtern, der Mann aber nicht berauscht sein, sich kalt gebadet
und angemessene Speisen genossen haben. Merkt das Weib, dass
sie die SaraenflOssigkeit bei sich behalten hat, so nähere sie «eh
dann dem Manne nicht, sondern verhalte eich ruhig. Sie kann dies
aber gewahr werden, wenn der Mann sagt, er habe den Samen
ejaculirt, und das Weib dies vor Trockenheit nicht bemerkt. Giebt
aber die Gebarmutter die Samenflüssigkeit in die äusseren Scbam-
theile zurlick, wird das Weib nass, so vermische sie sich wieder
fleischlich, bis sie concipirt.
Wir legen dieses Verfahren so ausftihrlich dar, um zu zeigen,
wie sehr doch die Aerzte jener Zeit durch eine örtliche Behand-
lung zu helfen suchten, die zwar nicht zum Ziele führen konnte, die
aber ohne Zweifel noeh lange Zeit Vertrauen und Anwendung fand.
Aus.ser dieser örtlicJien Behandlung stand aber auch eine inner-
liche bei den Altgriechen in grossem Ansehen. Frauen, welche
sich Kinder wünschten, rieth man zur Zeit des inj)jioh-nif'.s Silphimn
mit Wein zu nehmen, jenes räthselhafte Mittel, welches die Alten so
hoch schätzten, und d^is vielleicht, wie Schroff" meinte, in der Tbapsis
Silphium Vivian vor einiger Zeit wieder aufgefunden worden ist.
In dem 1 7. Jahrhundert mussten die unfruchtbaren Weiber bei
, kalter uiid allzu feuchter Complexion* Tränke aus „Würznägelein'
(CaryophylJen I mit Melissenkraut und Pomeranzenschalen zu »idi
nehmen. Auch Kosmarin mit Mastixkürnem war ein beliebtes
Mittel. Koch heute wird in Steyermark nach Fossel Spurgel-
snmen mit Wein mid die jungen Hopfeusprossen als Salat zube-
reitet als Mittel gegen die Unfruchtbarkeit angewendet. Auch soll
die Frau zwei Monate den ehelichen Verkehr meiden, sich dann zur
Ader lassen und dann am darauffolgenden Tage den Beischlaf aus-
l\ben. Im Frankenwalde genies.st der Kaflee in dieser Beziehung
ein besonderes Vertrauen. (Fliif/el.)
Die Russen gebrauchen unter anderen Volksmitteln auch eine
Auflösung von Salpeter, innerlich genommen, um den Weibem
Fruchtbarkeit zu verschaft'en.
In Böhmen wendet sich die junge Frau (Czechin), um Kinder
zu bekommen, au eine sogenannte kluge Frau, welche ihr einen
Änfguss mit Wachholder zum Getränk verordnet.
67. («öttlichc nnd sympathetische Hülfe gegen die
Unfruchtbarkeit.
Es ist ein weitverbreiteter Zug des nieuschlichen (ieistos, nicht
allein den Mediciuuenten die Fähigkeit und Kraft zuzutriiueu, das»
sie die verlorene Gesundheit wiederzubringen vennöchten. Er mft
67. OCttliche und sympathetischö Hülie gegen die UnfTuchtbarkeit. 443
deswegen noch die Hülfe und den Beistaud cler Gottheit oder die-
jenige von dämonischen Gewalten herbei und greift ausserdem zu
ganz absonderlichen Handlungen, welche durch S;y"Tnpathie, ihm
selbst unerklärlich, aber um so gläubiger betrachtet, je abgeschmackter
und sinnloser dieselben sind, unfelilbar die ersehnte Heilung herbei-
führen sollen. So l»egegnen wir auch bei der Unfruchtbarkeit niclit
»elten der Anschauung, dass sie ein Fluch sei, von den Göttern
verhängt, eine Bezauberung von bösen Geistern oder mit diesen
verbundenen Menschen verursacht, und daaa eine Entsüliuuug oder
eine Lösung und Ueberwältigung des Zaubers den , verschlossenen
Leib' zu öffnen vermöge. Daher finden wir bei den Kelten die zu
Staub geriebene heilige Mistel als Mittel gegen die Unfruchtbarkeit.
Auch der Araber geht gegen die vermeintliche Verzauberung,
die er für Ursache der Unfruchtbarkeit hält, durch Entzauberung
vor; er nimiut zum Koran seine Zuflucht und zwar zur dritten Sure,
welche die Ueberschrift „Die Familie (oder das Geschlecht) Imruns"
führt Die Aufgabe dabei ist, den ganzen langen, aus 200 V^ei'sen
bestehenden Abschnitt mit Safran in ein kuj)fernes, verzinntes oder
unverzinntes Becken, ein Tast oder Tascht, zu schreiben, dann
siedendes Wasser darauf zu giessen und von diesem Weihwasser der
hülfsbedürftigen Frau einen Tbeil zu trinken zu geben, mit dem
übrigen aber Gesicht, Brust und Schooss der Frau zu bes])rengen.
Die Wahl dieser Sure ist dadurch erklärlich, dass die Araber
meinen, des Imrdn Frau Namens Ilannch sei Anfangs unfruchtbar
gewesen, habe jedoch dann Gnade gefunden und sei noch in späten
Jahren Mutter der Jungfrau Maria geworden. (Saitdreczki.)
Ini alten Rom wendete sich die unfruchtbare Frau mit Gebeten
an die •Juno Ffbrualis (von februare, reinigen), also die Reinigende,
Entsühnende. Die Entsühnung geschah auch in den Luperealien,
bei denen die Priester, Luperei genannt, nachdem sie Ziegen ge-
opfert, mit Stllckchen aus dem Felle derselben dm-ch die Strassen
liefen und die ihnen begegnenden und för diesen Zweck nackend
umherlaufenden Frauen mit denselben schlugen, um Fruchtbarkeit
zu erzielen. Man will eine ähnliche Frocedur in dem .Aufpeitschen'"
wiedertinden, welches am ersten Ost-erfeiertage die jungen Burschen
im Voigtlande in der Frllhe vornehmen, indem sie mit frischen
grttnen Reisern die Mädchen aus dem Bette herauspeitschen. Eben^so
erinnert an die Luperealien das Niederlausitzer „Zempem" und
da» Budissiner .Sem perlaufen*.
Um fruchtbar zu werden, hatte die Römerin ausserdem noch
verschiedene Hülfsmittel in Geiirauch. Thomas ßarfliolinu.s sagt:
Jlufini Foscino insident feminae, ut concipiant, Lupercis quoque
sc oflierunt, et ferula ceduntur caprina pelle corioque tecta. Gesteint
praeterea pixide Lyden, immenso prolis desideriti quo Reipublicae
augendae i:ausa, connubii retinendi et ob jus trium liberoruni ardent.
In Griechenland galt die Demeter aU die Vertreterin der
Pruchtbarkfit; sie stand in Beziehung zur Zeugimg, Geburt und
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«lurch di* Njcr.pr.f «i^r Ki;l;*r.-. -r -.----.:- - .ri.
wen cmpifohl«!!. St^hoa uri-^r-r rilTir ;:-:b.r ?u_:r iJl^-: jü
%r HaUa ab diej^nür« v*r*:crr=. w-rlvL-r irr Eri^r
Fruchtbarkeit un<l der Ehe Kmclersegen bringt; und sie wird auch
mit dem Was8er der Brunnen in Verbindung gebracht, denn die
Sage spricht davon, dnss die Kinder aus gewissen Brunnen, den
, Kinderbrunnen ", gehuh werdt-ii. Und die Brunnen spielen auch
in den Mythen anderer Völker eine Rolle beziigUch der Frucht-
barkeit. Die indische Gottin I'raruti war im Bade, ohne mit
einem Manne zu thun gehabt zu haben, schwanger geworden; sie
gebar den Genesa. Die M(Ut<?r des chinesischen Fo, des Buddha,
des Zoroaster verdanken sänimtlich dem Bade, dass ihre Unfrucht-
barkeit von ihnen genommen worden. In Altgriechenland' wurde
der riuss Elatus in Arkadien als heilsam gegen Unfruchtbar-
keit emplohlen; ebenso der thespische Quell am Helikon. Nach
Sotiidm' tmd Fhotii4s' Bericht hatte die Quelle zu Pyna am Hy-
mettos in der Nähe dos Tempels der Aphrodiif die Eigen.schaft,
Fratjen. deren Leib verschlossen, zu Kindern und ülierdies zu leichter
üeburt zu verhelfen. PUmus erzählt von der Eigenschaft der Thermen
Sinuessas, FruclitV)arkeit zu erzeugen. Bajae war in dieser Be-
ziehung geradezu berüchtigt.. So sagt Martial von einer Frau:
,Als Pnidopt' kam sie nach Bajae. aber als Helena ging sie.
ihren Gemahl verlassend und einem Jl\nglinge folgend,*
im Orient schreiten Frauen, die sich Nachkonuuenschaft wün-
schen, ohne zu sprechen sieben Mal über den Kürjier eines Ent-
haupteten. Andere tauchen zu demselben Zweck schweigend ein
Stück Baumwolle in das Blut des Enthaupteten und wenden dies
in einer ganz besonderen Weise an. Bei den Mekkaue rinnen
ist das Tragen eines Zaubergürtels als Mittel. Fruchtbarkeit zu ver-
schaflfen, sehr gebräuchlich. (Snoiick Ilurgrotije.)
Die Weiber der Maureu in Marokko behängen sich mit
einem Talisman oder einem Amulet, um sich gegen Unfruchtbarkeit
zu schützen ; besonders beliebt soll unter ihnen zu diesem Zwecke
die Pfote eines Stachelschweins sein, welcher die Eigenschaft bei-
gelegt wHrd, die Fruchtbarkeit zu erhöhen. (Schlaff intwrit.) Um
einen Sohn zu bekommen, treflen die Zeltbewohner in Marokko
viele abergläubische Vorkehrungen : .sie pilgern während der Schwan-
gerschaft ihrer Frau nach der heiligen Stadt Nesan und suchen
von dem Gross.scherif derselben, Sidi, das fe.st« Ver.s]>rechen zu
erlangen , dass der Allerhöcli.st.e einen Sohn schenken möchte :
daftir nimmt der Grossscherif als (Jeschenk ein Pferd; um ganz
»icher zu gehen, pilgert der gläubige Mann wohl auch nach Fez
xum Grabmal 3Iuki Edris, und opfert den Schriftgelehrten des
dortigen Gotteshauses eine Summe Geldes. (Hohlfa.)
In Algerien unweit Constantine befindet sich ein ganz im
Felsen gelegenes Bad mit der Quelle Uurmal er Babba, welches
Jüdinnen und Muurinnen seit uralter Zeit freipientiren, um bei Un-
fruchtbarkeit Hülfe zu suchen. An mehreren Wochentagen kommen
die eingeborenen Damen aus Constantine herab nach Sidi Merid,
schlachten vor der Thür der Grotte rin scliwurzes Huhn, opfern
446
XIV. Die Frnchtbarkeit des Weibes
im Inneren noch eine Wachskerze und einen Honigkuchen, nehmen
ein Bad und sind dann sicher, dass ihre WCnische bald in EriVillunR
gehen. Der Brauch ist jedenfalls nltLeidnisch, eine uralte Borber-
sitte; denn Thieropfer sind dem Islam fremd. (Kohvlt.)
Bei den Nord-Bas>utho in Malakong im nördlichen Trans-
vaal träf^ bei Kinderlosigkeit der Mann die Schuld und mnss daher
auch die Sülme versuchen und nicht die Frau. Missionar Scfiloe-
mann berichtet hierüber:
„Nachher kam unser (National-) Heiter Salomo und sagte, i
iUngs auch die Heiden ein Bevmasteein dafür hätten, dase man d .
koogen meinen Nilcbsten tCdte: sie würden nach dem Tode oine!» h,u Giaoi
gestorbenen Menschen oft durch ihr Gewissen von ihrer Schuld überzeugt.
Ihr Sprachgebrauch sagt geradezu: ,Er ist an Gram gestorben." — Da«
Gewissen eines «olchen, der einen Gestorbenen viel gekränkt bat, erwacht
oft bei etwa eintretenden Unglücksfällen, als Sterblichkeit unter den Kindern,
odtir bei gänzlichem Mangel derselben , Krankheit unter dem Vieh u. e. w.
Der dadurch Betroftene trJlgt diese Schläge zuerst mit dumpfer Ergebung,
nimmt aber bald seine Zuflucht zu den Zauberern un4 lä^st es sich viel
kosten, damit derselbe durch allerlei heilkräftiges Kraut und altQberliefert«
Gebete und Zauberformeln das Unglück von Haus und Hof vertreibe.
Sieht er aber, das« dennoch das Missgescbick nicht von ihm weicht, so giebt
er sich gelingen, sein Gewissen erwacht und er sagt: ,Es ist der Vater
(oder sonst einer), den du zu Tode gekränkt hast, welcher dir das UnglQck
zuschickt." Sein Plun ist dann sclmell gefasst, der Todte mues veriöbni
werden, damit Glück und Frieden zurückkehrt. £r geht in die Wildniss,
sucht dort das Grab des Vaters auf, und bekennt au demselben im Gebete,
was ihm Kummer macht. „Vater, ich habe keine Kinder, denn ich habe nn
Dir gesQndigt. Lass ab von Deinem Zum und kehre mir Dein Hen wieder
zu!" So fleht er, und dabei ergreift er irgend einen Gegenstand beim Grabe,
etwa ein Steinchen oder einen Zweig, und nimmt ihn mit nach Hause. Dort
wird derstilbe zu seinem Fetisch, welchen er als Amnlet mit sich herumtrigt
oder in seinem Hofraum irgendwo unterbringt. Die nahe Beziehung, w«loba
csr nun mit dem von ihm verehrten Gegenstande pHegt. soll diu wi*'.l.*r.
herge.'itellt« Gemeinschaft zwischen ihm und dem Verstorbenen and-
welchem dietser ganze Cultus gilt. Ein solcher Fetisch ist auch der liu^.,.
stamm, welcher als Eingangsschwelle zum grossen Veräammluuggplatze der
Hauptstadt dient. In ihm wird der verstorbene Häuptling Mancop<tne vet-
ehrt, zu dessen Versöhnung er dort niedergelegt wurde"
An der Sclavenküste von Guinea unter den Otschi-
Negcrn verschreibt sich das kinderlose Weib einem Fetisch zntu
Eigenthum, wenn er ihr Kindor geben wolle; tritt dieser Fall ein,
80 ist das Kind ein Fetisch kind und gehört dem Fetisch.
Bei den Negern m Yoruba an der Westküste von .\friko
ist diis Wasser bernhnit, da.s im Tempel der Naturgöttin aufbewahrt
wird. Diese wird als schwungere Frau dargestellt, imd das Waas«r,
I
I
das ilir geheiligt i^t, beimt/.t mau gegen Unfruchtbar!
Hchwere Geburt. In Abbeokouta wird von den unfn
i'raueu auch zu der hermaphroditischen Form des
b^'tet. die aus einer nackten Fra» »ti.l .in-u, I...kl.
zusauunengesetzt ist (Bastüui.)
\
67. Göttliche and armpathetische Hfllfe gegen die Ünfrachtbarkeit. 447
Auf dem Wege von Malange in Westafrika iii's Innere über
lie Grenze von Angola hinaus fand Lujc, dass die uufruclitbareu
Tegerinuen als fruchtbar machenden Fetisch zwei kleine, aus
Elfenbein geschnitzte "Figuren (die beiden Geschlechter darstellend)
m einer Schnur um den Leib tragen.
Die Frauen der Kitsch-Neger um Adael im äquatorialen
'Afrika westlich vom weissen Nil verrichten ihre Abwaschungen
nicht mit Wasser, weil sie davon Unfruchtbarkeit ftirchteii, sie
lehmen dazu viel weniger inischuldige Flüssigkeiten. Die Suda-
lesinnen tragen nach Brehm Amulete gegen die Unfruchtbarkeit
mter ihrer Schürze.
In Persien gilt tlie Alraunwurzel (Mandragora) als Amulet
jegen die Unfruchtbarkeit; sie heisst dort Mannskraut (merflnui
iäh) oder auch Liebeskraut (mehr-e-giä).
Dieselbe hat sich übrigens auch in verschiedenen Gauen
• eutschlands eines sro>s.seu Rufes erfretit, und manche Gtdehrte
wollten sie mit den Dudaiui der Bibel (L Mos. 'M. lü) identificiren
Iund sie haben geglaubt, dass ihnen die Lcuh ihre Schwangerschaft
EU danken habe. Ich vermag dieses aus der betretfenden Bibel-
Btelle nicht zu entnehmen.
Sterile Frauen in Bombay (Indien) gehen, um fruchtbar zu
werden, zu einem grossen Lingam (Bild eines männlichen Gliedes
als religiöses Symbol), und drehen sich um denselben im Kreise
unter Gebeten (mündliche Mittheilung Jagors). Unweit Bombay
befindet sich das heilige Brahminendorf Walkeschwar, wo die
höchsten Hindu -Kasten (Brahminen) mit Ausschluss imreiner Kasten
I wohnen. Einen im Mittelpunkt des Dorfes liegenden viereckigen
Teich umschliessen zahlreiche kleine Tempel, in deren Inneren ein
heiliger Stier liegt. Andere Gegenstande der Verelirung, gleich den
Stieren mit Blumen geschmückt, sind steinerne Symbole der Frucht-
barkeit, zum Theil von obscönster und grotesker Form (Lingam).
Solche sind auch an vielen Stellen der Wege innerhalb und ausser-
halb der Stadt Bombay zerstreut, mit rother Farbe bemalt. Sie
^■werden namentlich von kinderlosen Eheleuten besucht und ihre
^■rotheii Theile werden mit Goldpapierchen beklebt, auch mit duften-
den Blumen bedeckt, in der Hoffnung, durch diese Opfersi>enden
Imit Kindern gesegnet zu werden. {Hae.ckd.)
In Puna, fim-ni Hiiuptorle O^tinJioii.s zwischen Bombay imd
Madrus, hesnchte ,lolly Aoa beriJhml«' lleili^hum Akt (iöttin Parvati, da«
auf t'ineui ><ted('u Hügel liejft. Vor einem heiligten Buutu, einer Ficus indica,
in d«*r Mitte de« Dorfes, durch welches er kam, war eine fromme 8chaur
Hindu wetber beschJllti^l, den Lini^nm oder Phallus und andere aus Stein
Igearbeitel« SSymbole mit Spenden von RoHen zu ehren und mit rothem Farb-
' etoir zu bestreicliea, <len «ie nachher zum Betupfen ihrer eigenen Stirn vwr<
|w«udettiu. Doj StimKeichen wird jeden Morgen nach dem Bade erneuert.
Bei den Badaga« im Nilgiri- Gebirge (Indien) pBe^en Gatten, die
Liu unl'ruchtburer Ehe leben , einem Gotte einen kleinen silbernen Sonnen-
448
XIV. Die Frachtbarkeit des Weibes.
schirm oder hundert Kokosnü??«» zu geloben, faJU er ihnen ein Kind i^cLviilrt.]
Am Tage der TS'amengebung werden diese Gelübde abgetragen. L'nfroohtharr
Frauen wenden «ich in ihrer NoUi an ^lahaUnijn (Maha = gross, linspi =
phailus; ein Name tiiu-a/s), der in den Bwpen au vielen Orten in Oe«it«lt|
eincH Rufrec-hten Steins verehrt wird. Eine wegen der ihnen zugeniutlietenj
wunderbaren Entstehung für besonders wirksaii» gehaltene Klasse %'on JUnha-
Uiujas sind die beim Pflügen -/uwoilen im Boden gefundenen Steinbeile, diel
für spontan der Erde entsprossen gelten und daher mich swiigauiphu («rlbstj
entstanden) genannt werden. Diee erinnert au die Wuuderkratt , die manj
auch in Deutschland den sogenannten Blitzsieinen, nowie den auigcfu n denen I
Steinbeilen der Vorzeit oeilegt. Zwischen Tunjore und Trieb i uo pol jl
sieht man viele Hunderte grosser Pferde von gebranntem Thon aufgestellt.!
die dem Gotte Aijena von sterilen Weibern dargebracht sind, damit vt ihnm
Kinder schenke. Auch er verdankt die grosse Kundpchaft seiner wunder-
baren Geburt; denn Atjenas Eltern, Sira und Fi«/);!«, «iqd beide niilnulicb.J
Auch Hettf. eine Speciulgüttin der Badaga -Frauen, die in dem Nilgiri
viele Tempel hat, wird häutig angerufen.
Die SVeiber der Schins im Ffimalaya richten ihre Gebete um Rinder*
segen an den Tschili-Bau in (v. t'jfatty). Bei den Kara-Kirgisfn geltenJ
ebenfttUs Briume. und zwar vereinzelt .stehende .\pfelbö.ume. als ZuQuchtseitiltt«n|
für unfruchtbare Weiber. So heisist es in einem ihrer Gedichte, daf Hadlofi
übersetiit hat:
, Tschinlschi, des Aidar Tochter,
Hatt' einst Jaci/b ('htm gefreit.
,Wenn auch T^ih'vitschi gefreit ich,
Küi>ste ich doch nie ein Kind,
Tachiritschi It.tnd nie ihr Haar auf,
Gott um Hülfe flehend, schaut' aie
mich nicht an,
Fest nie band sie ihre Hüften,
Und gebar mir keinen Knaben.
Seit die Tschiritachi gefreit ich.
Sind schon 14 Jahr verHoKnen.
Nie ging sie zur heil'gen Stätte,
Wälzt sich nicht beim Apfo1b»iume.|
Uebeinachtet nie beim Heilqu«U,
0, erbarme Dich, mein HeiTgott,
Mög' im Leib der 7'sclnritscbt
Pocb lein Knabe jetzt entstehen!
Kfiniit' ich binden ihre HiH'ten,
Mir 'nen Sohn gebären lassen u. «. w."
(' Vnuili^rif.)
Von den Stid-Slaven erzählt uns Krauas^:
„Folgende zwei Zaubereien beruhen auf altem Glauben an die Bau^?
seele, welche in der Gestalt eines Holzwurme.'? in dem Baum ihren Aufent-
halt hat. Das Weib nimmt eine Holzschüssel voll Wasser und jtellt «t« ^
unter einen Dachbalken, wo aus dem wurmstichigen Holze feiner Wiimi-
frass herabrieselt. Ihr SJann schlagt mit irgend einem schweren Gegen'^tlind«
auf den Balken und schüttelt den Wurrostaub hemus. Glückt es dt-iu Weibo j
auch nur ein Bröcklein des Wurnifltaube» aufzufangen, so trinkt sie es sunimt
dem WfiasiT aus. Manches Weib sucht im Knoten der Hiuelstnude oaeh i
einem Wurm und isst ihn auf, wenn sie ihn findet.
Auch dor F'eucrfunke hat ühniidhe Kraft, das Weib zu befruchten. Da«
Weib hält eine Holzschüssel voll Wasser neben dem Feuer auf den» Herde.
Der Mann schlagt indessen zwei Feuerbrlnde aneinander, da«» die Funken'
sprühen. Nachdem einige Funken in die SchUwel gefalleo, trinkt da« Weib
da» Wasser aus der Schüssel aus."
Bei de» Tataren war es früher Sitte, das8 man am Morgen nach
der Hochzeitsnacht die JiiiigvtTmäliUen au8 der Jurte zvir Bt'griissuog
der neu aufgehenden Sonne herausfiihrtf. Mau nimmt nicht, mit Un-
recht an, daj«s diesi.« Sitte au« der altpersischen Gnltnrwell Htammt,
67. GSttliche und gjmpAthetUche Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit. 449
deun in derThat ist dies noch heute in Iran und in Mittelasien im
Gebrauch, ein Ueberbleibsel des alten Parsicultns, indem man sich
Bdem Glauben hingiebt, dass die Strahlen der aufgehenden Sonne
"^das wirksamste Mittel zur Erlangung der Fruchtbarkeit bei den
Neuvermählten seien.
^K Aber auch der Liugam- und Phallusdieust ist ja im Grunde
Hggenommen gar nichts Anderes, als eine Verehrung des befruchtenden
■ Sonnenstrahls, wenn die Götterbilder auch alhaiählich zum besseren
Verständniss für die rohe Menge menschüche Formen angenommen
haben.
In China giebt es Tempel der Fruchtbarkeit. Eduard
Pllüdchrandt besuchte einen solchen Tempel; die Andächtigen des-
Belbeu bestanden nur aus jungen hübschen Chinesinnen: die im,
Tempel beschäftigten Bonzen schienen ernstlich beflissen zu sein,
f. die Bittsteilerinnen in ihrem Kummer über den bisher mangelnden
jÄEhesegen zu trösten und bei beharrlichem Besuche ihres Tempels
^Luf eine bessere Zukunft hinzuweisen.
^P Die Miaotze, Ureüiwohner in der Provinz Canton, haben,
wie Missionär Krösvzijk berichtet, eigenthüniliche Gebräuche, um
Fruchtbarkeit zu erzielen. Ist bei ihnen eine Ehe kinderlos, so
b-ucht man in folgendem Mittel seine Zuflucht. Man nimmt einen
^^Korb, legt weisses Papier hinein und stellt einen Priester an, um
Hdies Papier anzubeten. Das Papier soll nämlich die Fa-lnnfi-mn
vorstellen. Die Fa-hmg-mo^ Blumengrossvater und Blumengross-
I mutter, sind Geister, welche die Seele des Kinde.s in einem Garten
lÄEurückhalten. Der Priester bringt nun Opfer von Hühnern oder
^»Schweinen diesen Blumenahueu, um sie günstig zu stimmen. Es
^fhängt ja nur davon ab, dass des Kindes Seele aus dem Garten eut-
^Bla.ss(<n werde, so muss da.s Kind .selbstverständlich zum Vorschein
^■kommen. Die <'eremonie nennt man Kau-fa, d. h. Bhimen anbeten.
^■^ „Bufwio," sagen die Japaner, welche viele Jahre ohne Kinder in der
^■Ehe gelebt hatte, richtete ihr Gebet an die Götter, wiirdß erhört und gebar
^^— fünfhundert Eier. Da sie befürchtete, daea die Eier vielleicht Ungeheuer
^^faervorbringen oitichten, so packte aie i»olche in eine Schachtel und warf sie
in» Wasser. Ein iilt«r Fischer, der die Schachtel fand, brütete die Eier in einem
IOfen aus, welche fanfbnmlert Kinder hervorbrachten. Die Kinder wurden
mit gekochtem Reia und BeifussbUittem gefüttert, und da man sie endlich
»ich Helber überliess, so fingen sie an, Strasnenrihiber zu werden. Da sie von
einem Manne hörten, der wegen seines grossen Keiobthums berühmt war,
«o enelUilten Hie ihre Geschichte vor dessen ThÜre und bettelten um einige
Speise. E* fügt«' .lieh, das» dieses Haus das Uaus ihrer Mutter war, welche
«ie sogbnch für ihre Kinder erkannte und ihren Freunden und Nachbarn
ein w\\x grosses (iastiiiahl gab. Sie wurde nachher unter dem Naun-n Heu-
taüa unter dw GDttinneu versetzt. Ihre öOO Söhne wurden beatinunt, ihre
l>e8tiLndigen begleiUir zu sein, und sie wird bis auf diesen Tag noch in
Japan al» di>? Göttin der Fruchtbuikeit und des Keichthunifi verehrt. {Jlorjit.)
Bei Kinderlosigkeit **chein»Mi die Orokcn, die Urbuwohner der Insel
Saobftlin, diti Ehe dadurch frurhtbar zu machen, dass sie über das Uelt
PInii, (>«• W*tl> t 3. Aufl.
29
XIV. Die Fruchtbiurkeit des Weibw.
eisen sonderbaren Götzen hängen. Ein solches Götzenbild fand in einet
Oroken- Hütte FoIJakow: »Es war eine Gruppe, die eine Frau und einen
Seehand , mit einer gemeinschaftlichen Decke bedeckt , zusammenscblafend
repräsentirte. Ich hatte schon früher erfahren, welche wichtige materielle
Bedeutung im Leben der Oroken und Giljaken der Seehund besitzt; ich
Ober'iCeagie mich indesa auch von der religiösen Bedeutung, die diesem Thiere
beigelegt wird, so daas ich auch diejenige des Götzen unschwer erfassen
konnte." Poljdkov nahm das Götzenbild und hing es an seine HQtte. Der
Orok bat, ihm es w^iederzugeben , da er es zum Schutz gegen Magen-
schmerzen halte; dies war jedoch eine falsche Angabe.
Sehr eigeuthtimliche Qebräache zur Erlangung der bisher Ter>
s^ten Fruchtbarkeit finden wir auf den Inseln de? malayischen
Archipels.
Wenn auf Engano eine Ehe unfruchtbar bleibt, so nehmen manche^
die sich Kinder wünschen, den Namen eines Thiere« an, zumal den eines
Hundes, welchen Thieren sie ebenso, wie wir Europäer, Namen geben;
ein Häuptling, den v, Soaenberg besuchte, biess nach seinem Liebliugahund
.PahV
Auf Amben und den üliase - Inseln opfern die unfruchtbaren Weiber
auf einem heiligen Stein und beten nachher in dem Tempel. Eine ähnliche
Kraft und Bedeutung hatte auf Java eine alte holländische Kanone, die
bei Btvtnvia auf treiem Fehle lag. Auf ihr pflegten die Weiber in ihren besten
Kleidern mit Blumen geschmiickt rittlings zu sitzen, manchmal zwei auf
einmal, dabei wurden Opfergaben au Heis, Früchten u. s. w. niedergelegt,
die dann natürlicher Weise von den Priestern eingesteckt wurden. (Kithl.)
Auf den WatuViela- und Aarn -Inseln opfert man auf den Gr&bem
der Vorfahren, ebeniso auf den Sula- Inseln. Hier gehen nach Riedel^
unfruchtbare Weiber mit ihren Milnnem zu den Grfibem der Eltern,
oder, wenn sie Mohammedaner sind, Freitags nach der sogenannten Kub
Karana, dem heiligen Grabe, um im Verein mit einigen alten Frauen da-
selbst zu beten, mit sich nehmend einige piga mena-mena, einen gefüllten
Sirih-Kober, einen Bambu mit Wasaer und eine lebende Geis, bei den
Heiden auch wohl ein junges Ferkel. Das Grab wird dann rein gekehrt,
die piga mena-mena mit dem darein gegossenen Wasser und der Sirih-
pinang auf das Grab gelegt, während die Geis oder das Schwein in der
Nachbarschaft festgebunden wird. Nachdem sie dies verrichtet haben, spricht
der Mann flU.<itenid: ,,(ich) theile mit dem Grabe meiner Eltern, wenn ich
ein Kind kriege, dann will ich eine Geis (Schwein) opfern oder dem Volke
zu speisen geben, ich verlange nach Heilmitteln, um ein Kind zu kriegen,
Medicin, die ich trinken kann; wenn ein Kind mir gegeben ist, komme ich
zttrück (um zu opfern).* Die betreffende Medicin wird im Traume sowohl der
Frau als dem Manne bekannt gemacht oder vorgeschrieben. Dann wascbcn
sich die Ehegonossen mit dem dadurch , dass es auf dem Grabe gestanden
hat, geweihten Walser und essen zusammen Sirih-pinang. Ein Theil des
letzteren wird in einer Schüssel auf dem Grabe zurückgelassen. Darauf kehren
sie nach ihrer Wohnung zurück, die Geis oder das Schwein wieder mit«
nehmend^ Wird die Frau schwanger, dann wird das bewoBste Thier ge-
schlachtet und den Negari-Genossen gekocht vorgesetzt, damit sie den
iWawa oder Geist de» Vaters oder des Heiligen, dessen Grab besucht wordea
iit, loben und preisen können.
Auf Serang betet der Priester« der nachher mit dm Dorf-
f genossen die Opfergaben verspeist, mit der Frau: .Herr Firmament,
Herr Erde, Himmel, Erde seid gnädig mid gebt mir ein Kiud."
Unfruchtbare Frauen auf Keisar nehmen das erste Ei ehier
Henne, gehen damit zu einem sachverständigen, alten Manne und
fragen ihn um Hülfe. Er legt das Ei auf ein Nunu- Blatt (ticus
altimeraloo) und drückt damit die Brüste der Frau unter dem
Murmeln von Segenswünschen, kocht dann das Ei in einem zu-
sammengefalteten Koli- Blatt (l)orassus flabelliformis), ninmit ein
Stückchen davon, legt es wieder auf das Jyunu-Blatt und lässt es
die Frau essen. Darauf drückt er mit dem Blatt die Nase und
die Brüste der Frau aufs Neue und bestreicht die rechte imd die
linke Schulter vou oben nach unten, wickelt darauf wieder ein Stück
von dem Ei in das Nunu-BIatt und lässt es in den Zweigen eines der
höchsten Bäume in der Nachbarschaft der Wohnung aufbewahren.
Sehr absonderlich nach unseren Begriffen sind die Maassnahiueti,
welche die Weiber auf den Babar-Inseln veranstalten, wenn ihnen
der Kindersegen versagt ist.
Sie suchen dann die Hdlfe eine» Hannes auf, der viele Kinder besitsi.
damit er für sie die (loltheit bitte. Der Ehegatte der Frau bringt darauf
50 — 60 junge Kahipufrücbte zusammen, während sie au» rothem Kattun
eine i'uppe von einem halben Meter Länffe verfertigt. Am verabredeten
Tage kommt der betretende Mann in daa Flaue der Frau, lüsst das Ehepaar
neben einander sitzen und setzt vor sie einen Tell«^ mit Sirih-pinung und
einer jungen Kalapat'rucht hin. Dabei hält die Frau die Puppe im Arme,
als ob sie dieeollie a&ugle. Die Frucht wird geöffnet und mit dein darin
enthaltenen Wasser Mann und Frau besprengt. Darauf nintnit der Helfer
ein Huhn, und h< dessen Füsse gegen den Kopf der Frau, indem er dazu
spricht: „0 Upulero, mache Gebrauch von dem Huhn, las» fallen, \a&n her-
uiedersteigen eioen Menschen, ich bitte dich, ich Uehe dich au, einen Men-
schen iasB fallen . lass ihn niedersteigen in meine U&nde und auf meinen
Schooss!* Sofort fragt er dann die Frau: «Ist das Kind gekommen?' Wor-
auf sie antwortet: ,Ja, es saugt bereits.* Dann berührt er da.« Haupt de«
Mannes mit den UUhnerfüesen und murmelt dazu einige Formeln. Das Huhn
wird danach durch einen Schlag gegen den Hauspfosten getOdtet. gcOffnet
und die Ader am Herzen untersucht. Es wird dann auf den Teller gelegt
und auf den Opferplatz im Hause gestellt. Dann wird im Dorfe verkündigt,
dass die Fran schwanger wäre, und alles kommt und beglUckwQnscht sie.
Ihr Mann leiht eine Schaukelwiege, in die sie die Puppe hineinlegt und
dieecIHe sieben Tage lang wie ein neugeborenes Kind behandelt, {liiedtl,^)
In ähnhcher Weise wird der imfruchtbareu Nischinamfrau
in Californien von ihrer Freundin eine Puppe aus Gnis geschenkt,
die sie dann, um ihre Unfruchtbarkeit zu beseitigen, Wiegenlieder
iBiugeud an die Brust legt. (Poieer.)
Die E.nkimo-Sagen berichten, dass eine alte Frau einem un-
fruchtbaren Weibe zwei Fische gesendet habe, einen Milchner und
einen Rogener, die letztere essen solle, je nachdem sie eiuen Sohn
oder eine Tochter wlinsche. Der Ehemann, der seiner Frau diese
Fische bringeo wollte, verzehrte auf der Heimreise aus Mangel an
Lebensmitteln den Kogener. In Folge des-sen wurde er schwanger
29»
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87. Göttliclie ond BjrtnpathctiRcTiP fffllfe gegen die Unfruchtbarkeit, 458
hätten während des Schlafes den Mund geöffnet, da kroch die
Muetter heraus und zum nächsten Wasser, wo sie sich badet«.
Wenn nun das Weib inzwischen den Mund nicht geschlossen hatte,
kroch die zurückkehrende Muetter wieder hinein und die frühere
Kranke war wieder gesund; hatte djis Weib aber inzwischen den
Mund geschlossen, so starb sie. Unfruchtbare Weiber opfern
solche Wachsfiguren bei Bildern der Gottesmutter und
der heiligen Kümmerniss. {Zingerle.^)
Bei Unfruchtbarkeit gelten wie überhaupt in katholischen Län-
dern Gebete zu den Heiligen für hülfreich; so stehen in Steier-
mark bei Erhoöuug des Kindersegens Wallfahrten zu wunder-
thätigen Gnadenbildeni, namentlich nach Maria Zell, Maria
Trost, Maria Lankowitz, Frauenberg bei Admont u. 8. w.
iu hohem Ansehen. (Fossel.)
Kindersegen verschalTt im Luxemburgischen die Muttergottes
Maria im AValde auf einer Eiche zwischen Alttrier und Hers-
berg, wie früher auf dem Helperberg, die heil. Lucia dagegen
im wallonischen Luxemburg. An der südlichen Grenze dieses
Landstrichs, nahe bei Verdau, sieht man noch in einem Felsen
den Lehnstuhl dieser Heiligen; diesen steinernen Sitz nehmen betend
kinderlose Frauen ein und erwarten mit Zuversicht die Erfüllung
ihrer Wünsche, (de la Fontaine.)
Wenn bei den Serben die Braut das erste Mal in das Haus
des Bräutigams kommt, sieht sie nach den Dachbatken, Wie Wel
Balken sie im ersten Augenblick erblickt, so viel Söhne wird sie haben.
Die Frau hängt auch ihr Hemd umgekehrt an einen gepfropften
Baum, so dass die Aermel nach unten hängen. Unter das Hemd stellt
sie ein Glas voll Wasser. Den nächsten Morgen trinkt die Frau
das Wasser aus und das Hemd zieht sie an. Andere lassen sich
von einer schwangeren Frau Sauerteig in den Gürtel geben und
schlafen mit demselben eine Xacht. Den nächsten Tag isst die
Frau den Sauerteig zum Frühstück auf. Ein sehr unter den Serben
verbreitetes Mittel ist schliesslich folgendes : Die Frau geht auf dem
Gottesacker auf ein Grab, iu welchem eine schwangere Frau be-
graben li«gt; dort isst sie das Gras von dem Grabe ab, während sie
tlir die Verstorbene betet und ihr zuruft, da.ss sie der Betenden ihr
Iviud schenke. Hierauf nimmt sie ein wenig Erde von diesem Grab
und trägt diese sehr lange Zeit im Gürtel. (Fetrtncitsch.) Einige
andere Mittel der SOd-Slaven haben wir oben schon kennen gelernte
In LTngaru herrscht der Aberglaube, dass die junge Frau
schon bei der Trauung durch eine Art Za»il>erei die Zahl der Kinder
bestinunen kunne, welche hie künftig bekommen wird: So viele
Kinder sie haben will, auf so viele Finger muss sie sich vor der Co-
pulation in der Kirche setzen, (f. Csaplovics.)
An einigen Orten in Russland wird schon bei Gelegenheit
der Hochzeit Rürk.sicht darauf genommen, dass der jungen Frau
der Kindersegen nicht fehle: in Kishni-Nowgorod z. B, werden
454
XIV. Die Fruchtbarkeit dea Weibea.
die Neuvermählteu so vom Hochzeitstisch geleitet, dass sie keinen
Kreis zu beschreiben haben, sonst bleibt dieEhe unfruchtbar. {Sunizuw.}
Auch die Französinnen riefen in der Noth der Unfrucht-
barkeit die Hülfe der Heiligen an, aber hier waren es männliche
Heilige, welche das Wunder verrichteten.
Noch bis zu der Zeit der Revolution bestand in Brest eine
Kapelle des heiligen Gnignolef, der das Attribut des Friapus ttlhrte.
,Le8 feminea steriles ou qui croignaient de I'&tre aUaient 4 cette atatue,
et, &\)Tha avoir gratt^ ou raclä ce que je n'ose nonuner, et bu cette poudre
infus^e dana un verre d'eau de la fontalne, ces femmes s'ea retournHieni
avec Tespoir d'&tre fertües."
St. GucrlichoH wird ähnlich verehrt und hat gleiche Erfolge.
(Harmanfl).
In den Pyrenäen bei Bourg-d'Oueil befindet sich eine
steinerne menschliche Figur von P/o Meter Höhe, welcher era
peyra de Peyrahita genannt wird. An ihm reiben sich die un-
fniclitburen Weiber, welche ilm umarmen und küssen.
Dass wir in diesen Dingen die Remiuiscenzen eines alten Phallns-
cultus wiedererkennen müssen, das liegt wohl auf der Hand und
es ist wohl nicht unwahrscheinlich, dass es hier ursprünglich jihö-
nizische Gottheiten sind, welche im Laufe der Jahrhunderte all-
mählich die Wandlung in christliche Heilige durchgemacht haben.
68. Die Terhütung der Befrochtang".
Die jüdische Frau, welche ihre Schwiuigerschaft vereitelte,
b^ng nach Josephiis ein tode.swürdiges Verbrechen. Die Juden
des alten Testaments kannten gewiss mehrere Methoden, die
Befruchtung zu verhüten: Es wird wenigstens von Onan berichtet,
dass er den Actus in dem Augenblicke miterbrach, wo er frucht-
bringende Folgen desselben vermuthen durfte.
Aehnliches erzählt Thompson von den Jünglingen der Massai;
denn da die Mädchen, wenn man bei ihnen eine Gravidität entdeckt»
ohne Gnade dem Tode verfallen sind, so extrahiren sie den Peru»
ante actum finitum.
Auch bei den Griechen und Römern kamen Prfiventiv-Mittel
zur Anwendung. Landerer berichtet, dass in dieser Hinsicht Vites
Agnus Castus in Alt-Griechenland eine grosse Rolle spielte.
Man nannte diese Pflanze Castus i. e. ayvog, quod ad iis, a quibus
estur aut bibitur, aut substemitur, castitatem conservat, quam ma-
tronae Atheniensium in Thesmophoriis cnstitatem custodientis
hujus arboris sibi stemebant.
Es wurden auch hn alten Rom Versuche gemacht, durch innere
Mittel P'rauen unfruchtbar zu machen. Nach der Lehre der Sym-
boliker und Sympathetiker sollten die Samen fruchtloser Bäume,
JChtOBg.
455
als Thee getrunken, Unfruchtbarkeit herbeifTüiren , so besonders
die im Haine der kinderlosen Proscrpina wachsenden Weidenbäome
(llonwi') und Pappeln, (v. Fahrice.) Plinius bemerkt dazu : occissime
autem salix amittit semen, antequani niaturitatem sentiat, ob id
dicta Jlomero frugiperda; secuta aetas scelere suo interpretAta est
hanc sententiam, quando senaen Salicis mulieri sterilitas medicamentnm
esse constat.
Der römische Arzt Soranus gab ausserdem den Rath, die Frau
solle, wenn ihr eine Geburt getahrlich zu werden droht, sich hüten,
den Beischlaf vor oder nach der Alenstniation einzugelien, vsie soll
im Moment der Ejaculation den Athem an sich halten, nach dem
Coitus mit gekrümmten Knieen sitzen, vor dem Coitus den Mutter-
mund mit Oel oder Honig, mit Opobalsara oder Absjnth verbunden,
bestreichen und sich Pessi mit zusammenziehenden Mitteln einlegen
lassen.
Da.«s auch noch bis in spätere Zeit selbst im deutschen
Volke der Glaube herrschte, dass Weiden-Thee unfruchtbar mache,
bezeugen Settz und Matthiolus; letzterer meint sogar, dass die
Blätter von Weiden mit Wasser getrunken nicht bloss Schwanger-
schaft verhindern, sondern auch, dass sie, wenn sie gesotten ge-
trunken werden, ,Lust mid Neigung zur UnkeuscLheit vertreiben."
In der Gegend von Kitzingen herrschte noch 179G der Aber-
glaube, dass ein Mädchen, welches Birnen oder Mispeln esse, die
auf Hagedomstämmen oculirt. seien, nicht empfange; eine Schwangere,
die davon gegessen, nicht gebären könne, {ßimdschuh.}
In Steiermark werden zur Verhütuug einer Empfiingniss
nicht selten die absurdesten Ilathschläge ertheilt und getreulich be-
folgt. Allgemein gilt das Wasser aus den Löscheimern der Schmiede,
nach jeder Menstruation getrunken, als unfruchtbar machend, ebenso
der Genuss von Zimmttinctur, englischem Balsam, Bienenhonig und
Abführmitteln aller Art, besonders von Aloe und Myrrhe. Verbürgten
Nachrichten zufolge haben die , ledigen Menscher" im . . . Thale
steyrischen Oberlandes seit vielen Jahren statt der modernen
Üfety sponges Leiuwandfetzen im Gebrauch. {Fossel.)
Will die Ungarin keine Kinder haben, so sucht sie sich durch
einen Zauber zu schützen, indem sie vor dem Beilager ein mit
Mohn gefülltes und gesperrtes Vorlegeschloss in den nächsten
Brunnen wirft, {v. Csaplovka.)
Wenn die Frau des Serben will, dass sie nie mehr Kinder
bekommt, soll sie mit den Beinen des Neugeborenen die HausthUre
zumachen. {Peiro witsch.) Wenn bei den Süd-Slaveu ein Kind
stirbt, .so darf der Sargdeckel zu Kopf und Füssen der Leiche nicht
vernagelt sein, weil sonst die Mutter unfruchtbar bliebe, oder
wenn es gut ginge, eine sehr Hchwere Geburt bei der nächsten Nie-
derkunft zu bestehen hätte. Will ein Weib einige Jahre hindurch
nicht nielir Kinder zur Welt bringen, so braucht sie bloss in das
erste BadewuMser ihres Kindes so viel Finger zu stecken, ' ak sj^
456
XIV. Die FTUchtbariceft de» Weibes.
Jalire bindurcli unfruchtbar bleiben will, und datm die Finger ab-
lecken. {Kraiiss.^)
in Kussland trinkt man , zur Verhütung der Schwangerschaft
einen Aufguss von Lycopodiuni annotium, oder am Morgen nüchtern
ein Glas warmes Wasser.
In Sibirien soll man jedesmal, wenn die Menses sich ein-
stellen , ein bestimmtes Gewicht Bleiweiss nehmen , wodurch diese
angeblich unterdrückt und bis zum nächsten Eintritte derselben die
Empttiugniss verhütet werden soll; beim Aussetzen de» Mittels kehrt
nach der im Volke ciirsirenden Meinung auch die Möglichkeit der
Emplangniss zurück, (Krehel)
Um nicht schwanger zu werden, sollen nach Kinnringer in
Oherägypten die Töchter Evu's' von dem Pulver der gebrannten
Porzellauschuecken-Schale (Cypraea) drei Mund voll nüchtern nehmen.
Wenn in Algier eine Fruu nicht sobald wieder schwanger werden
will, so trinkt sie einige Tage lang Wasser, in welchem man die
Blätter der Salsola und der Ptirsich eingeweicht hat, oder sie ge-
niesst den Saft der Frucht des Feigenbaums, auch braucht sie nur
auf ihrem Koiife ein Amulet zu tragen, ein Papier, auf dem zwei
Vierecke gezeichnet sind ; an jeder Ecke der letzteren sind \ ~ an-
gebracht, um welche herum arabische Worte .stehen. M—
Um Unlruchtbarkeit herbeizuführen, gebraucht mau auf den
Neuen Hebriden eine Pflanze, welche die Weiber verspeisen.
(Jamieson.)
Verschiedene rein mechanische Arten, sich vor der Befrnch-
tiuig zu schützen, haben wir bereits hei Australierinnen und bei
Bewohnerinnen des mal a v i s c h e n Archipels kennen gelernt. Letztere
verhalten sich nach R/rdd bei dem Coitus sehr indifferent, um nicht
geschwängert zu werden; erstere verstehen es, durch eine schlen-
kernde Bowegvmg der Heckenregion sich des eingedrungenen Speruia
zu entledigen. Auch kommen, wie wir gesehen haben, bei ihnen
Mädchen vor, denen, um sie unfruchtbar zu machen, die Eierstocke
herausgeschnitten waren, und das Gleiche fand sich in Ostindien.
Ebenfalls in Indien, bei den Muuda-Kohls und in Niederlän-
disch-Indien, verstehen sie es, Conception durch absichtlich vorge-
nommene Lageveriinderungen (Knickungen) der Gdiärmutter zu verhüten.
So sind jedenfalls die Worte des Missionar JtUinyhaus zu deuten,
welcher erzählt, dass arme Weiber unter den Muuda-Kohls in
Indien sich ohne Wissen der Männer die Gebärmutter verschieben
und verdrücken la.s.sen, um die Plage der Schwangerschaft los zu
sein. Und aus Niederländisch-lndien berichtet vun der Burtft
Der dort schon IHih entwickelte Geschlechtstrie}) iler Mädchen wird
anstandslos befriedigt, wobei man sich der Hülfe einer Doekoen,
einer der zahlreich vertretenen heilkundigen alten Frauen bedient,
um nicht zu concipiren. In der That scheinen diese Weiher zu vor»
stehen, durcli üus.sere Manipulationen, durch Drücken, Reiben, Kneten
durch die Bamhdecken hindurch, nicht von der Scheide aiw, eine
89. CTeberfruchtnng und mehTfaclie Schwangerschaft. 457
LHgeveränderuDg, Vor- oder Rückwärtsknickung der Gebürnmtter zu
Stande ?,« bringen, welche die Conception verbindert, und zwar ohne
dass weitere Beschwerden davon die Folge sind, als leichte Kreuz-
und Leistenschmerzen tmd Urinbeftchwerden in den ersten Tagen
der Procedur. Will ein derartiges Mädchen später heirathen und
Mutter werden, so wird die Gebärmutter wieder auf dieselbe Weise
in Ordnung gebracht.
Dass auch bei den civilisirten Völkern Europas allerhand
Vorkeiiningsmaassnahmen eine weit^ Verbreitung besitzen, bedarf
wohl an dieser Stelle keiner besonderen Erörterung, Es sind die
allbekannten Fisch- und Guinmiblasen und die Schwäramohen, und
auf der gynäkologischen Klinik in Berlin entdeckte E. Martin zti
meiner Studienzeit in der Vagina einer Frau sogar einen kleinen
Borsdorfer Apfel.
Wer sich über die schädlichen Wirkungen unterrichten will,
welche der sogenannte Coitus interruptu.s auf den Genitalapparat
und das Nervensystem der Frau auszuüben pflegt, den müssen wir
auf die Abhandlung von Valcnfa verweisen.
Ganz neuerdings ist ein neuer, sinnreich construirter Apparat,
das Pessarium occlusivum, zur Verhinderung der Emptaugniss von
Dr. Mrnsinga tu Flensburg (unter dem Pseudonym Hasse) in die
ärztliche Praxis eingeltihrt worden, welcher für gewisse Fälle ganz
unbestritten eine grosse Wichtigkeit und Berechtigung besitzt.
69. Ueberfmcliiung und inetirfaclie Sehwangersclrnft.
Wir können die Besprechimg der weiblichen Fruchtbarkeit
nicht abschlies-^en, ohne derjenigi-n Zustände zu gedenken, in welchen
nicht nur eins, sondern gleichzeitig mehrere Kinder im Mutterleibe
zur Entwickelung gelangen. Man pflegt hier die Unterscheidung
zti machen in die Fälle gewohnlicher Mehrschwangerschaft (Zwil-
linge, Drillinge, Vierlinge u. s. w.) und in diejenigen der üeber-
fruchtung. Die letztere, glaubte man, habe stattgefunden, wenn
in den Grösscndimensionen der beiden Früchte ein erhebliches, in
die Augen fallendes Missverhältniss be.steht, oder wenn, wie das
zuweilen vorkommt, zwischen der Geburt der beiden Früchte ein
Zeitraum von mehreren Tagen verstrichen ist. Manche niedere
I Volksstämme betrachten allerdings jede Zwillingsschwangerschaft als
eine Ueberfruchtung, und zwar halten .sie deren Zustandekommen
nur dann für möglich, wenn noch ein zweiter Mann sich an dem
Zeugungsgf.Kchäfte betheiligt Imt. So nur erklärt es sich, dass die
Eingeborenen in Guinea, Guiana und die Chibchas- und Sa-
livas-Indianer Zwillingsgeburten fUr den sicheren Beweis des Ehe-
bruch-s der Frau ansehen und diese und die Kinder dementsprechend
behaudehi.
458
Gebildetere Völker dachten sich die Ueberfriichtuug aof ver-
schiedene Weise, aber immer doch durch die alleinige Beihülfe des
Ehemannes entstanden. So hatte Empedohles die Ansicht aufge-
stellt, dass eine doppelte Schwangerschaft einer Theilung des männ-
lichen Samens ihren Ursprung verdanke. Erasistratos dagegen
(um 300 vor Christo) hielt eine doppelte Befruchtimg für möglich.
Culturgeschichtlich merkwürdig ist nun, dass die talniudi-
Bchen Aerzte allerdings eine solche Ueberschwängerung fl\r mög-
lich hielten, indem sie das Zeitmaass, innerhalb dessen eine solche
stattfinden könnte, bis auf drei Monate ausdehnten; eine Super-
fotation von nicht mehr als 40 Tagen konnte nach dem Talmud ohne
Nachtheil für beide Kinder geschehen. Dagegen sprechen sich
diese Aerzte dahin aus, dass eine Superfötation von längerem Zeit-
raum gewöhnlich das eine der beiden Kinder iu Gefahr bringe; in
solchen Fällen zeige das Ei desselben sehr geringe Spuren einer
menschlichen Gestalt, vielmehr eine „Sandalen-Form", und es
konmic dann gleich einem Abortus nur todt zur Welt. {Wunder-
bar.} Hier liegt offenbar die erste Beobachtung jener bisweilen
vorkommenden Zwillingsgeburten vor, bei denen das eine,
schon vor mehreren Monaten abgestorbene Kind platt gedruckt,
eingeschrumpft und vertrot-knet geboren wird, wobei aber an
eine Superfötation nicht zu denken ist. Im Talmud wird auch
davon gesprochen, dass die israelitischen Frauen in Aegypten
in einzelnen Fällen sogar mit sechs lebensfähigen Kindern über-
schwängert wurden mid letztere auch glücklich zur Welt bringen
konnten.
Die Möglichkeit einer Superfötation nahm auch Aristoteles an ;
als höchste Zahl der uiehrfachen Geburten gelten ihm Fünflinge.
Auch später noch hielten arabische Aerzte Superfötation für mög-
lich. Aüicenna erklärte sie für gefährlich, imd Abulkasem meinte,
dass das erste Kind vom zweiten leicht getödtet werde, dass aber
auch das zweite Kind möglicherweise sterbe.
Die Superfötation, oder, wie Sratuoni sie zu nennen vor-
schlägt, Super föcundation, hat bis in die neuere Zeit ihre Ver-
fechter gefunden. Im 17. Jahrhundert herrschten darüber sehr ab-
sonderliche Ansichten. Der anonyme Verfasser von des getreuen
Eckardfh's unvorsichtiger Heb-Amme erzählt, dass er selbst zwei
derartige Fälle beobachtet habe, einen im Jahre 1686, wo ein In-
tervall von zwei Monaten zwischen beiden Geburten bestand, und
den anderen im Jahre 1677, wo eine Dame zuerst von einem Sohne
und 12 Wochen später von einer Tochter entbunden worden war. Er
sagt: , Im Anfange und währenden 1 2 biss 20 Tagen kan dergleichen
Nachschwüngerung nicht geschehen, denn sie würde in zukommen-
den Saaraen eine Verwirrung machen und ein.s das andere ver-
derben." Auch der bekannte Gynäkologe Btisch verfocht noch im
Jahre 1849 die Mögliclikeit der Superföt^ition, und es sprachen liier-
für scheinbar diejenigen Beobachtungen, wo Europäerinnen Zwil-
linf^e von zwei Rassen, ein weisses und ein Mulatten -Kind, ge-
i boren, nachdeui sie sich kurz uacheiuauder mit eiuem Europäer
und einem Neger begattet hatten. Doch sind diese Fälle, auf deren
Berichte wir nicht näher eingehen, keineswegs sicher gestellt, auch
ißt bei der Bastardbildung nach wenig bekannten Regelu das Kind
bald mehr dem Vater, bald mehr der Mutter gleichend.
Eine analoge Geschichte erzählt auch schon der alte Plinius^
wo das eine Kind dem rechtmässigen Vater, das andere aber dem
Ehebrecher ähnlich gesehen habe.
Wollte man eine solche Möglichkeit statuiren, so mtisste der
zweite fruchtbare Coitus dem ersten in sehr kurzer Zeit nachfolgen
und es mQssten zwei Ovula zur Befruchtung bereit in der Gebär-
mutter sich befinden. Doch ist auch dieses noch nicht einmal be-
^»wiesen. Wir werden daher Scatizoni und Waffn^r beistimmen
^PluQssen, welche die Üeberfruchtung als eine physiologische Unmög-
i^lichkeit hinstellen.
Es wird den Lesern ohne Zweifel schon seit langer Zeit auf-
gefallen sein, dass unendlich viel häuflger Zwillinge von gleichem,
ab solche von gemischtem Geschlechte geboren werden. Nur die
letzteren sind immer als Zwillinge im eigentlichen Siime des Wortes
anzusehen, d. h. als das Product zweier gleichzeitig gereiften und
durch denselben Coitus befruchteten Eier. Die Zwillinge gleichen
Geschlechts können allerdings ebenfalls aui" die soeben geschilderte
Weise sich entwickelt haben. In einer grossen Reihe der Fälle
id sie aber ganz unzweifelhaft nur einem einzigen Eichen ent-
)88en, dessen Bildungskeim sich verdoppelt hat.
Für diese letztiere Gattung der Doppelgeburten hatte der ver-
[aiorbene Berliner Anatom und Embryologe Karl BogisUius
lllcichert die Bezeichnung Paarlinge vorgeschlagen, während er den
[Kamen Zwillinge für die erstere Gattung beibehielt.
Zu den Paarungen gehören nun unter allen üui-ständen die
oft beschriebenen und nicht selten für Geld gezeigten mit einander
verwachsenen Zwillinge. Ich erinnere hier an die Gebrüder Tocci,
an die zweiköpfige Nachtigal imd au die siamesischen
[Zwillinge. Es handelt sich hier überall durchaus nicht, wie der
Laie glauben könnte und wie auch die Gelehrten vergangener Jahr-
hunderte wirklich anj?enommen haben, wu einen Process der Ver-
fwachsung und V' 'zung, sondern um einen solchen der Ver-
Idoppelung. Die i =ige verdoppelt sich, und zwar von einem
)der von beiden Enden her. Geht nun diese die Verdoppelung
rzeugende Lungstheilimg nicht durch tue ganze Länge des Keimes
»iudurch, dann wird die eine Abtheihmg desselben (die obere, oder
lie untere, oder, was sehr gewöhnlich ist, die mittlere) einfach
>leiben, und an dieser Stelle scheinen dann die Zwillinge verwachsen
tu Sein, während sie also eigentlich nur unvollständig getheilt sind.
ietrifft. die Längstheilung und Verdoppelung nun aber die ganze
jänge des Keime:^, dann entstehen zwei vollständig von einander
getrennte Kinder, jedes für sich rollkommen entwickelt, aber immer
in einer gemeinKämen EihQlle steckend, immer gleichen Geschlechts
mid gewöhnlich mit gemeinsamem oder nnroLlstäiidig Terdoppeltem
Mtitterkuchen. Das sind die Paarlinge.
Die altgriechischen Aerzte, z. B. der Hippokrattker, welcher
das Buch ,de natura pueri* rerfa-sst hat, konnten sich die Ent-
stehung Ton Zwillingen nur in der Weise denken, dass sie zwei
Höhlen in der Gebärmutter annahmen, in deren jeder sich eins der
beiden Kinder gebildet hatte. Da ihre gesammte Kenntniss der
menschlichen Anatomie nicht auf Obductionen menschlicher Leichen,
sondern aof üntersochongen an Thieren sich begründete, so sind
sie wohl zu entschuldigen. Denn die Gebärmutter der ^Viede^käIler
bildet nicht wie diejenige der Menschen eine einzige Höhle, sondern
sie läuft in zwei sogenannte Homer atis (nterus I , in d«ren
jedem die EmbrA'onen zu liegen pflegen. Ganz a;. .veise wird
aber diese thierische Form auch bei dem menschlichen Weibe be-
obachtet.
Soweit bis jetzt unsere Kenntnisse reichen, kommen Zvöllings-
geborten bei allen Rassen ror, aber, wie wir auch heute bereits
zu behaupten rermögen, durchaus nicht in einem auch nnr an»
nähernd gleichmässigen Verhältnisse. Rassenunterschiede alleia
können hierfDr keine befriedigende Erklärung abgeben. Denn oft
sehen wir unter Völkern der gleichen Abstammung und ganz nahe
hei einander wohnend bei dem einen Zwillingsgeburten als eine
grosse Seltenheit, bei dem anderen mit einer adSallenden Hänfig-
keit auftreten. Es wäre in hohem Grade interessant, wenn die
Reisenden und die in den Colonien Ajigesteliten diesem Gegenstaade
ihre Aufaierksamkeit zuzuwenden sich entschliessen wollten. So
berichtet MondUre über die Weiber in Cochinchina, dass bei
ihnen Zwillingsgeburten sehr selten vorzukommen pflegen; nach
seiner Berechnung nicht mehr als ein Fall auf 10 211 Geborten.
Jedoch fahrt er fort:
Chofc plas reroürquAble encore, nn seal uroudiMement, Beutr^. svcubl»
aroir le privilcge de ce» nai««aoces gämellMres; car sur le» 15 qoi oxit en
iiea ea 6 an». Beotre compte 9 ä lai eeale.
So finden wir auch auf den kleinen Inseln des mal?.- ■ ' ,n
Archipels in verschiedener Häufigkeit Zwillingsgeburten ;i.
Auf den Watubela- Inseln sind sie eine ganz n«s« ,,*
Rarität, auf Buru, Eetar und den Aar u-Liseln sind , jj
selten, auf den Tanembar- und Timorlao-lnseln werden .«?ie schon
etwas häufiger beobachtet. Auf Leti, Moa und Lakor K..^;^«^^
die Einceborenen 80gar besondere Namen f&r die drei j .q
(■ ' ■ ' ' ombinationen (zwei Knaben, zwei Mädchen ckI- ii«
1, und auf den Ke ei- oder Ewa bu- Inseln w- .^x
relativer Häufigkeit - ^
»olleiJ nach T»rpm ,.;
ihnen nicht selten sein.
6».
tttBg trad mebrfAche
461
Bei den Wakinibus und Waniainwezys am Üjiji-See in
Centralafrika kommen nach Button und Spehc Zwilliugsge-
burten viel seltener vor, als bei den Dinkanegern und bei den
Kafferu. Jedoch sind sie auch unter den letzteren bei den ein-
zelnen Süimmeu vou wechselnder Häufigkeit. Calloway berichtet
einen Fall, wo ein Mann, in dessen Familie wiederholt bereits
Zwillingsschwangerschaflen vorgekommen waren, eine Frau aus einem
anderen Stamme heirathete, in welchem sie fast gar nicht vorkamen.
Bei der ersten Entbindung brachte diese Frau Zwillinge zur Welt.
Aus Ha Tschewasse im nördlichen Transvaal schrieb mir
Herr Missionar Bmster: , Ich bin zu der Ueberzeugung gekommen,
dass unter den schwarzen Völkern, wenigstens unter dem Volke,
wo ich mein Arbeitsfeld habe (Bawaenda, eine Abtheilung der
Basutho), viel mehr Zwillingsgeburten stattfinden, als daheim in
Europa. Unter etwa zwölf Frauen meiner Station fanden vor
einigen Jahren 3 nach einander folgende Zwillingsgeburten statt.'
Von den Aegypter innen erzählt schon Aristoteles, daas sie
sehr häutig mit Zwillingen niederkämen.
Im Jahre 1853 gab es in Trinidad bei einer BevJilkerungs-
zahl von noch nicht ganz 7U00 Seelen mehr als 30 Fälle von
Zwillingen unter den Erwachsenen, und im Jahre ISöli wurden in
ISanto-Espiritu auf Cuba 6 Zwillingsgeburten beobachtet,
^ Die Zwillingsschwangerschaften unter den europäischen Völkern
hat 'in neuerer Zeit besonders Brrtülon zum Gegenstaude senier
iMd
Zwilliiijrsfit-l'iirt'Mi
pro l'C)
Si-Iiwsjijrerschiift'^n
Pranltreich:] 1858—68
Italien
1868—70
I
PreuBsen
Galizien
Oeiterreicb 1851 — 70
1859-67
1851—59
10.00
10.36
Unter UÄ Zwillingsgeburten
f.inKfSchlechtlich | atwrigwihlechtlicli
34,9
12,50
12.50
11,90
64.3
62,5
62.4
62.0
35,7
37,5
37,6
38,0
61,3
38,7
Ungarn ' lasi— 59 I 18,00
Es i«t sehr beachtenswerth, dass hierin sich Preussen, Ga-
lizien und Oesterreiih einerseits und Frankreich und Italien
andererseits als zusammenstehend ergebt, während Ungarn die
höchste Stelle ebnimmt. BcrttlUm biüt sich für berechtigt, \iier\n
Difi'ereuzen zwischen der teutonischen und der latemiscUen
Hasse zu erblicken.
Aus dieser TitbcUe geht auch hervor, um wieviel häufiger die
Zwillinge das gleiche, als vei-schiedenes Geschlecht aufzuweisen
haben und auch in diesen Zahlten läa.st sich ein Untf^rschied zwiscYieii
d»^n beiden Kassen nicht iihleugneu. Die Zwilling« gleichen (ie-
.schlechtjj sind übrigens in der üher wiegenden Mehrzahl der Fä\\<sl
ä^
4d2 ^^T^- I>i« FrDchtbuk«t de> Weibet.
Midchec Das för die acgegebenes Zeiträiane im Ganzen in der
Tabelle Azsce^procbece procrcnude Teriiiltciss bleibt Bbrig^ns f&r
Preiissec <&! Frankreich ein nnrerindertes. an^ wenn man
Jahr för Jahr mit einander TerGrleicht : die Schwankiing«ii betragen
£e icaximo * -_ , Pn>Cient.
Sc' wichtig diese Unters^^^chimiren nun aoch sind, so wurde doch
bereit» vorhin der Bevei» geliefert, dass nicht allein die Rassen-
:::nT)£rs<hiede i^ die;»« Frage den Ausschlag g^ben. imd es wäre zur
weiteren Klü-üng dieser Angelegenheit dizrchau« nothwendi^. nicht
die Zwillingsgebunen ganzer Linier, sondern einzelner eng um-
Miriebecer Bezirke mit einander in Vergleich zu ziehen. £rst dann
ii«sae «:ch angeben, au: welche Punkte nun weiter noch Gewicht zu
lägv£ wäne, Dass wi den Süd-Slaven Zwillingsgebnrt«n häufig
sni. haben wir bereits erfahrer..
Wihreni bei niiuchen Völkern Zwüliiigsg^ebunen als ein be-
sonieres Ges':hrnk der «j:niriT. -.yier au.^h ai« eine glfickliche Vor-
beieuruni: •zicz.z aüriu. für die Eltern. s:'niem s^^caz flir den ge-
sfcnin::eu Stimn: an*re*ehen wrrien. halten wiederum andere XationcB
üiesifs üre-jiiss für eine S.hanie c»ier r:n aussierordentliches Un-
j:/S:k. diiS nich: sehe-n ieu ce^iltsa^n^en T:ö i» einen oder beider
kui-ier .-»irr "risweil'ru su:h ier Murrer rur F:Ige hat. £s ist hier
zu'.'ht ier '.Vi. üese Vrrhälmiise^ wc-i^^r ru enTwüejr. und Tenreisen
wir auf ii# in .ieni Kinie* J'...>!* ♦.resagre. Xur dasieaige. .wu
Äa5 Weib ingth". *?■: hier u.xh k-.-.ri r-erlhrL s:we:t e* nicht schon
au: den frlberen >f:reu «:ut iv^yre-.iun*: f*^i.
Auf ies: Insir'.u K.u:i:v:. l'au:*. N-.la uni Serua gilt eine
Zwilliii»:s5i:nwangers.i.afr iL« »rr.'issst xlin-ie. Auf Ambon und
£tc ri-.»sf -luftrln #v:i: r.^ >:rwar^rr ii-e Entwickeh:ng zweier
i-ju5er :u Tserr.:r.irru. ui-ivu: >vt ar^^s:!:-.! Term—iiÄ. anf dem
rJl:keu ru Sv!r.";a:tu ..u-i ;-!Sin:u:;;rurf»i:h*tUr p-^a^^g- cöer Pisang-
tri.itt :.-. trsser 'S-: irr. •.''TtUtTTr: lu >;i*:r:ka wird durch
i'ji >.Vr_r: t.;. l>-..'.-.-.*^r. ii^- £..Tt:r:i:.ijLr :::.-.^ Au;i ü^e Aschanti
..;..i 1".-*'. -i *.:::- ü:- V. ..::;: t..- .I».'.'.--^-. 'r.:t:h. I*as«s einige
'«'.irr ."..t '.-•r..r: ".v ..■• ...".:.c:-r a.> :".u ..Tijr.-i^ t.-iu £hebrach
"S: Vi. .:..-.: »:r -.-.. :>*:.:: *..■.: .^~-. >l.U'ier g!:rt:hz«tig im
>t.:r«r.<.:«f :t-: y-r:»->.k:"..-^ c:.';*." v.ri wf-u w-.r äie iola«nde
f^r.Tal;* ■*.c S,--w •«. >.:-"r:.;.-^r ii: -"■.TSkr.-.T.RXÄ^ftl.uag betrachten.
*.- ■•rr:::r- ».■' ..-..> vv. ; : .^:". V:.: .i;r. . v- v:.rs:':....j,j^j^ könaes;. <i*-«
s;r.,-i.-f V"7 .'.•.T.j;*i? ; .:t: . ■«-: :i.-.r.c^-: v.-.t^ ■.7:.--.i.7^ ^s nxan Ton
T.-.rr.r;i rs"".T. ^-r^-irrtf-v s. , :;
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««.(•:» .*N-*^ •^*« #i >
463
Fttr Frankreich gestaltet sich das Verhältniss s», diiss eino
Drillingsgeburt auf 857ü normale Geburten, oder auf 8(5 Zwillings-
geburten trifft. Der geschlechtlichen Combinationen bei den Kin-
dern sind hier natürlicherweise vier (3 Knaben, 3 Mädchen,
2 Knaben und 1 Mädchen, 1 Knabe und 2 Mädchen). Wie
diese sich in Zahlen- Verhältnissen gestalten, zeigt die folgende
Tabelle:
DrillingBgeburten.
Oesterreich.
(1851—70)
3 Knaben 25,06
3 Mädchen 21.6
2 Knaben 1 M&dchen 29,0
1 Knabe 2 M&dcben 24.4
46,6
53,4
Preuasen.
(1826-48) (1859—67)
21,0 1 ^'^'^
25,5
25
48
52
Frankreich.
(1858—60, 66—68) (1861—65)
27,7
23.4
51.1
24.4
23.4 \
47,8
13 Knaben ......
3 Mädchen
2 Knaben l Mädchen
1 Knabe 2 Madchen .
Hier ist nun gleich von vornherein eine höchst eigenthümhcue
Thatsache zu constatiren, welche die Drillingsgeburten ganz echarf
von den Zwillingsgeburten abtrennt. Während bei den letzteren
nämlich, wie wir gesehen haben, bei weitem häufiger Mädcben
Iuh Knaben geboren werden, finden wir hier bei den Drilling«!
gerade die Knaben in der Ueberzahl. Auch lässt sich h»
wieder wie in den früheren Tabellen erkennen, dass Frankreaek
eine besondere Siellang einnimmt gegenüber von Preussen um*
Oesterreich. ^
tVon Drillingsgeburten aus anderen Welttbeilen wird__«»
wie nichts berichtet. In Cocbinchina kommen sie nach
nicht vor, und in Centralafrika erklärt sie Barth j^^
Unerhörtes. Auf Cuba aber ereigneten sich in einem Daffr ^^
Bando im Jahre 1856 nicht weniger als 4 Drilling8g*l»"*-r"
Noch grösserer Kindersegen als drei auf emn»
Menschen selten beschieden. Wir sahen bereits, i«* *
eine sechsfache Schwangerschaft für möglich
H Äristotdes fünf Embryonen zugleich für das
B neueren Beobachtungen haben dem letztere»
^Lsflter immerhin handelt es sich hier stetf* uniau^i
^P^bmi man sie nur als Curiositäten zu UetiaefaaK
ist bemüht gewesen, die stati8iif*4.'beu VcriiStai»
j^ Geburten fentziu»t«?lb«u. Vr r.n,! ;ii\ AWsTauoaK ^ 1*
■ Geborene U7HH.H34 Kir -^i^^i^ ^
^^linge, 118 Vierlinge uu'i ■>
4G4
XIV. Die Fruchf
70. Die Eiitwickelung der Fracht.
Ueber die Entwickelung der Frucht hatten sich unter den
altindischen Brahmanenärzten schon vor Sitsrufa Streitigkeit«!!
gebildet. Sie glaubten nämlich, dass derjenige Körpertheil d«s
Fötus zuerst gebildet würde, der am wichtigsten sei. So kam es,
da-ss Saunaka den Kopf, Kritaviryya das Herz, Farnsunjifa den
Nabel, 31alkandaya Hände vmd Füsse, Subhnsi und Gmttama den
Rumpf flir das erste Gebilde hielten. Dhanvantare entscheidet sich
dafür, dass alle Theile gleichzeitig entstehen und nur der Zartheit
des Embryo wegen noch nicht erkannt werden könnten; man finde
ja auch in der Frucht der Bambusa arundinacea und der Magnifica
indica alle einzelnen Thi'ili' der künftigen Pflanze schon vorgebildet.
Auch scheinen die altindi.sehen Äerzt*?, ähnlich wie die tahnu-
dischen, genauere Nachforschungen an dem menschlichen Ei ange-
stellt zu haben.
Susruta beschreibt das Wachsen des Fötus in den veracUiedenen
Schwangerficbaftsuionaten auf folgende Weise: ,1m ersten Monnt enlstpht
der F'mbryo; im zweiten bildet sich durch Kälte. Wärme und Wind eine
härtliche Maase von zeitig werdenden Grundelementen des Körjiers; im
dritten werden die fünf Klünipcheu der Extremitäten und des Kopfes aus-
gebildet, aber die grossen und kleinen Glieder sind noch sehr kleine Tlieil-
chen; im vierten und den folgenden Monaten werden die Abtheilungen aller
grossen und kleinen Glieder schon fühlbar. Im acbten ist die Lebeualcraft
noch schwach; im neunten, zehnten oder zwölfton Monat endlich erfolgt die
Geburt. {VuUeris.) Auch im Einzehien construirte sich Stiffuta {Hessler)
nach Gutdünken eine eigenthümliche Entwickelungsgeschichte d«>« Embrro.
Nach ihm entsteht Lel>er und Milz des Embryo aus dem Blute, die Lungen
auti Blut und Schaum, der Unterleib aus Blut und Secreteu: dann bilden
sich im Uterus die Eingeweide, der After und der Bauch durch Auftreibiing
der Luft und es entsteht aus den Elementen des Blutes und Fleisches die
Zunge, aus der Vereinigung des Bluter und des Zellgewebes das >^wercb-
feil, aus der Vereinigung von Fleisch, Blut. Schleim und Zellgewebe die
Testikel, aus der Vereinigung von Blut und Schleim das Herz und in desMD
NachbarschaA die Nerven als Träger der Lebenskraft.
Susruta wusstc auch bereit«, dass die Ernährung des FOtus vermittelst
der NabelgefUsse stattfindet. .Ohne Zweifel." heiast es bei ihm. „ist in drtm
saftführenden Kanäle (Placenta) der Mutler das Nabelgefäss des Fötu»
verschlovsen. Dieses führt die Quintessenz des Speisesafles der Mutter dem
Fötus zu. Durch diese innige Verbindung der Mutter erhält der Fötus «ein
Wachfcthum , und die den ganzen Körper und die Glieder begleitenden
safUilbrenden und gekrümmten GefHese beleben durch ihre innige Verbin-
dung unter einander von der Zeit der Empfängnis« an die Abtheilungeii
der noch nicht gebildeten grossen und kleinen Glieder."
Die Chinesen stellen sich die Entwickelungsgeschichte den Fntiu
nach Darstellung des Buche« „l'ao-tsam-ta-seng-Pien" in folgender W«
vor: ,1m ersten Monate gleicht der befruchtete Keim o«lor da« K5 «in*
Wassertropfen ; im zweiten einer Roseuknospe: im dritten ^
das Ei und zeigt einen Kopfi im vierten siebt nitui die vqrtüj.'' u.'
erscheinen; im fQntten xeig«Q Hloh die OhedmaAMen ; im lOchsUu kiUitt nun
Au^en uud Mund iiutorsuheidon-, im Hielieaten Monat hat es eine menech-
liehe Form und kann leben, doch verlässt es in dieser Zeit nicht anders die
Mutter, als wie eine grüne Frucht, die , wenn sie abreisat, einen Theil des
Astes mit fortnimmt. der sie trägt; während des achten Monats ven'oll-
komronet eich das Kind so weit, dass e^ im neunten Monat einer reifen Frucht
gleicht, welche nur des Herabfallens gewSrtig ist. (Hureau.) Dieser Ver-
gleich des reifen Kindes mit der reifen Frucht scheint durch mehrere chine-
ische Werke hindurchzugehen. Denn in der .Abhandlung Ober die Gebnrta-
llfe*. welche f, Martius aus dem Chinesischen übersetzte, heisstes; ,Der
rzt Dschtili sagt: „Unreife Geburten sind genüglich von den natürlichen
»schieden. Denn die natürliche Geburt eines Kindes ist mit einer reifen
llastanie zu vergleichen, die in der Periode ihrer Zeitigung von selbst sanft
»fällt. Eine unzeitige Geburt aber iihnelt einer unreifen Frucht, die vom
Iturme gebrochen beim Herabfallen die Zweige mit abreisst,*
Geben wir nun den Tbat^achen nach, wie sich die Vorstellangen
liier die Frucht-Entwickelung bei den Aerzten des klassischen Alter-
juins gesttilteten , so finden wir unter Anderem die Ansiebt des
friecben Aihmaeon (um 540 v. Chr.), welcber behauptete (Aristo-
li's"^), dass der Kopf als Sitz der Seele zu allererst gebildet und
SS der Fötus zum Theil durch die Haut ernährt werde.
HippokraU^ empfahl, täglich ein bebriitetes Hühnerei zu unter-
icben, und stellte V^ergleiche zwischen diesem und dem mensch-
lichen Ovulum an.
Die drei Membranen: das Chorion, welches den Fötuü von
len Seiten umgiebt, die AUantois, eine doppelte Membran, und
Amnion, eine zarte Membran, werden von Soranus beschrieben;
folgt ziemlich treu Moschion, sie beide heben namentlich die
Bedeutung des Chorion hervor. Wir erfahren auch durch Soranus
lie Ansichten einiger frülieren Autoren über den Ursprung der
Tabelgeffisse; nach Empedokles gehüren dieselben der Leber an,
ch Fhaedrus dem Herzen; nach Herophilus gelangen die Venen
Sur Vena cava, die Arterien zur Arteria trachea; Eudemus endlich
leinte, die im Nabel des Embryo verbundenen Getasae gehen von
da in zwei Bogen unter dem Diaphragma auseinander, lieber das
Amnion waren die Autoren jener Zeit noch verschiedener Ansicht,
dessen Vorhandensein beim Menschen wurde von Einigen sogar ge-
leugnet. Die Cotyledonen werden von Soranus ausführlich besprochen
B-Pmo/f); er vergleicht die Cotyledonen der Thierplacenta mit den
kleineren Excrescenzen der Flacenta beim Menschen; durch sie
wird der Fötus ernährt. Die in ihnen gebildet4?n Gefasse verbinden
Kfiich zu zwei Venen und zwei Arterien, zu denen sich der Urach us
■gesellt; diese fünf Gefasse bilden den Nabelstrang; die zwei Venen
vereinigen sich und gehen zur Vena cava über, um dem Kinde
das Blut der Mutter zur Ernährung ^zuführen, und auch die
beiden Arterien werden in eine einzige, d. h. zur grossen Arterie
"(Aorta) verschmolzen.
Galenus kennt die sich aus dem ergossenen Blute bildende
[embran, das Chorion, zählt auch die AUantois zu den Eihäuten,
Plox, Dm Walb. L 3. Aafl. SO
466
XrV. Die Frachtbark«it des Weilte«.
sagt, dass Anfangs der Fötus wegen seiner Kleinheit uicht zti er-
kennen sei, und meint, dass sich zuerst das Uehim, dos Herz und
die Leber bilden; diese Organe senden dann die Medulla spinali«,
die Aorta und die Vena cava aus, worauf sich die Rl\ckenwirbe>l,
der Schädel und der Brustkorb bilden.
Die arabischen Aerzte folgten fast ganz den Angaben der
griechisch-römischen Autoren.
Ueber die Entwickeluug der Frucht waren die talmudischen
Aerzte getheilter Meinung. Einige glaubten, dass das Haupt und
die ihm zunächst liegeuden Organe sich zuerst bildeten, Andere
hingegen hielten datier, dass der Mittelpunkt des menschlichen Kör-
pers und namentlich die den Nabel umgebenden Theile zuerst ge-
bildet werden. (Nidda.) Der Talmud behauptet ferner, dsAS in
dem ersten Stadium der Entwickelung der Embryo eine heuschrockcn-
ähnliche Gestalt habe: die beiden Augen seien den Fliegenaugen
ahnhch, ebenso gleiche die Nase und die Nasenlöcher Fliegenpunkten,
und der Mund bilde einen haarscharten Streifen, die Extremitäten
aber seien noch nicht entwickelt, namentlich sei noch keine Zehen-
imd Fingerbildung zu bemerken. Erst im späteren Verlaufe (etwa
zu Ende des 3. Monats) seien die Nasenlöcher deutlich vorhanden^
flie Extremitäten zeigen Finger- und Zehenbildung, auch könne man
ilann das Geschlecht unterscheiden; um dies besser bewerkstelligen
zu können, empfiehlt der Talmud die Sondirung mit einer hölzernen
Sonde; doch lasst sich nach dem Talmud vor dem 4L Tage über
das Geschlecht nichts entscheiden. Erst als sicheres Zeichen einer
fortgeschrittenen Ausbildung ist nach dem Talmud die Haarbildong
zu betrachten.
Was die Talmudisten weiter Jiber die Ausbildung des Fötu«
erwähnen, scheint sich nur auf die Bildung der Geschlechtstheile
zu beziehen. Wie die Bildung des Kindes beiderlei GesohlechU
erst nach 40 Tagen vollbracht sei, so werde auch dann erat der
Fötus mit Haut bekleidet. Zur Fötusbilduiig ist nach ihnen nicht
die ganze Quantität des Samens nöthig. Verschiedene Körpertheile
werden theils aus dem Samen des Mannes, theils aus dem der Frau
gebildet : aus dem Samen des Mannes die Knochen, Sehnen, Gehirn
und das Weisse im Auge, aus dem rothen Samen der Frau Haut,
Fleisch, Haare und das Schwarze im Auge. Ueber die Membranen,
die den Fötus umsch Hessen, haben die Rabbiner sehr ccmfuse Be-
griffe. Als ein sehr tüchtiger Embryologe gilt unter ihnen der
Rabbiner Scheniui'l, welcher 270 n. Chr. starb.
Die Ansichten des Vhidicianus (um 370 n. Chr.) über Frucht-
entwickelung erhielten selbst in mittelalterlichen Gesetzgebungen
Geltung: Die Lehre von der Beseelung des Embryo im zwei-
ten Schwangerschaftsmonat und der Geschlechtsbildung im vierten
wirkte strafschärfend bei ktinstlichem Abortus, Verletzung Schwan-
r u. 8. w.
Der Aufschwung der neueren Embryologie gijig im 16. Jahr-
i
{
I
71. MiiddBeS^m«
seneneagong.
li ändert von Italien aus. Nachdem hereiis Faloppia und Arantüis
der Anatomie des Fötus ihre Aufmerksamkeit zugewendet hatten, wurde
vom Grafen Aldrovandi sovne von Volcher Coitur zuerst wiederum
die Entwickelung des Hühnchens im Ei zum Gegenstände wissen-
schaftlicher Beobachtung gemacht, und bald trat Fahricius ah
Aqtiapendeiite in deren Fusstapfen. Schliesslich hat aber Ilarec'if,
welcher 1657 im Alter von 79 Jahren starb, für diese Angelegen-
heit durch mustergültige naturwissenschaftliche Methode grundlegend
gewirkt.
Wir können hier weder die Geschichte der Embryologie, noch
auch die Entwickelung der Frucht im Miitterleibe durch alle ihre
Phasen weiter verfolgen. Wer über die letztei*e sich zu belehren
wünscht, den verweisen wir auf die vortreffliche Darstellung, welche
in allgemeinverständlicher Weise Johannes lian/ce^ von diesem Ge-
genstaude gegeben hat. Dort wird er, durch Abbildungen reichlich
erläutert, Dasjenige finden, was er sucht.
71. Mädchen- und Knaben-£rzeugiiDg.
Wir haben in einem der früheren Abschnitte bereits erfahren,
wie von vielen Völkern die Geburt einer Tochter nicht nur als
etwas Unerwünschtes, sondern geradezu als eine Schaude und ein
Unglück angesehen wird, wahrend wiederum andere Nationen sich
B weniger über Söhne freuen, da sie durch den Besitz vieler Töchter
" durch deren späteren Verkauf zu Reiclithum und Ansehen gelangen.
Und .so können wir es dann wohl verstehen, diiss man von Alters
Iher bestrebt gewesen ist, die Ursachen kennen zu lernen, warum
in dem einen Falle ein Knabe und in einem anderen ein Mädchen
.sich bildet, und die Mittel und Wege ausfindig zu macheu, um nach
eigener Willkür das gewünschte Geschlecht zu erzeugen. Man hat
sich bisher noch nicht der Mühe unterzogen, geschichtlich diesen
Bestrebungen nachzugehen, obgleich sie doch gar sehr zu der Cha-
rakteristik des culturellen Zustandes der einzelnen Nationen und zu
der Kenntniss von ihren Vorstellungen beizutragen vermögen. Und
was die Gebildeten und Gelehrten halbciviÜsirter Völker als eine
besondere Kunst auszubilden bestrebt waren, das brachte, wie wir
sehen werden, in der Mystik des Volkaaberglaubens ganz wunder-
liche tmd originelle Zaubermittel zu Tage.
In Susruta's Ayurvedas wird von dem altindischen Arzte
• Anweisung zu der Kunst, willkürlich Knaben und Mädchen zu
zeugen, gegeben: Drei Tage nach der Menstruation soll, wenn man
einen Knaben zeugen will, sich die Frau bei einer besonderen Diät
und in einem von be.sonderer Pflanze bereiteten Bette von ihrem
Manne fern halten. Am vierten Tage soll sie, gewaschen, mit neuen
KU'idern geschmückt und unter mystisch-religiösen Ceremonien sich
[dem Manne zeigen. Denn man glaubte, dass nach Qualität des
30'
468
XIV. Die Fruchtbarkeit des Weibea.
Mannes, den sie zuerst nach ihrer Reinigung durch die Menstruation
erblickt, sich die Qualität des Solines richtet, den sie gebären wird.
Sie selbst und ihr Gatte sind für einen ganzen Monat dem Brahnta
geweiht und nach dem Ablaut' dieser Frist muss der Beischlaf voll-
zogen werden. Der Mann aber muss sich zuvor, mit gereinigter
Butter salben und Reis mit reiner Butter und Milch gekocht ge*
niessen; die Frau dagegen muss sich mit Sesamöl salben und Sesamöl
mit einer Bohnenart gemessen. Ebenso muss der Mann nach jedes-
maligen Trostgebeten in der 4., 6., 8., 10. und 12. Nacht den Coitus
mit ihr vollziehen. Diese Tage sind die der Knabenerzeugung
günstigen. Wünschte sich aber der Mann eine Tochter, so musste
er den Beischlaf in der 5., 7., 9. und 11. Nacht ausüben. Noch
den drei der Menstruation folgenden T^eu der Vereinigung gab
der Arzt der Frau, wenn sie sich einen Knaben wünschte, 3 oder
4 Tropfen eines Liqueurs aus Spongia marina, Lakschana, Ficus
indica oder Hcdysarum lagopod. mit destillirtem Wasser bereitet in
das rechte Nasenloch, doch durfte die Frau diese Tropfen nicht
wieder ausschneuzen. Die altindischen Aerzte hatten femer die
Ansicht, dass ein Knabe entetehe, wenn des Mannes Zeugungsstoff
in grösseren Mengen vorhanden sei, ein Mädchen bei grösseren
Mengen des weiblichen Zeugungsstoffes, aber ein Napunsaka (An-
drogynus, Neuter, Zwitter oder Geschlechtsloser) entstehe bei gleichen
Theileu männlichen und weiblichen Stoffes.
Die talniudi.>ichen Aerzte behaupteten ebenfalls, dass der
Mann nach Belieben männliche und weibliche Früchte zeugen könne;
einer von ihnen, Rabl^i Jitzsdmhy sagte: wenn die Frau zuerst den
Samen verliert, dann gebiert sie einen Knaben, wenn der Mann
zuerst, dann ein Mädchen. Ferner wird im Talmud (Nidda) der
Grundsatz aufgestellt, dass, wenn während des Coitus das Weib
leidenschaftlicher betheiligt sei als der Mann, daraus eine männ-
liche Frucht erzielt werde, wogegen aber im umgekehrten Falle
ein Mägdlein geboren werde.
Der altgriechische Dichter Alkmüon, welcher etwa .*>40 v.Chr.
lebte, meinte, dass das. Geschlecht des Fötus je nach dem Vor-
herrschen der männlichen oder weiblichen Potenz bestimmt werde.
(Plutarch.) Der Philosoph, Arzt imd Zauberer Empcdohles (etwa
472 v. Chr.) erklärte die Geschlechtsverschiedenheit aus der wärmeren
und kälteren Temperatur, aus dem Verhältniss der Quantität des
Samens und der Wirkimg der Einbildungskraft. {FUäarch.) Die
Zeugungstheorien der Aerzte in altklassischer Zeit in Griechen-
land und Rom sind nach der Zusammenstellung derselben von
Ilis nicht derart, dass eine willkürliche Beeinflussimg des Geschlecht«
bei den Kindern fiir möglich gehalten wurde. Wohl ergeht sich
das dem Hippokrates (mit Unrecht) zugeschriebene Buch «Von der
Zeugung* in der Ansicht, dass beide Zeugende sowohl männlichen
als weiblichen Samen enthalten und dass nur dann männliche Kinder
erzeugt werden, wenn der kräftigere Samen überwiegt, Parmenides
71. Mäldchen- und Knaben ewengunp.
469
und Anajcagoras dagegen meinten, da.ss der recht« Eierstock tHr
Knaben, der unke ftir Mädchen sei. Nacli Arisfotclfs rührt die
Entscheidung darüber, welches Geschlecht die Kinder erhalten, ledig-
lich vom Manne her. Galen sagt: Die ungleiche Temperatur beider
Seiten des menschlichen Körpers ist der Grund, wesshalb die warme
rechte Seite zur Bildung von männlichen, die kalte linke Seite zu
der von weiblichen Kindern dient. Der berühmte arabische Arzt
Avicetina (f 1036) hielt es ftir möglich, nach Belieben Knaben
oder Mädchen zu erzeugen.
Auch mehrere alte deutsche Schriftsteller äussern sich über
diese Frage, z. B. Eucharius Jlösslin sagt in seinem ,Hebammen-
bOchlein' : , Wann des Mannes Samen heiss und fein viel ist, so
hat er die Kraft, da.'ss er ein Kuäblein giebt. Die andere Sache
ist, wann des Mannes Same nach dem meisten Theil kompt aus dem
gerechten Zeuglin des Mannes, und genommen wird in der Mutter
gerechte Seiten, das ist darumb, dass die gerecht« Seite hitziger ist,
denn die linke, und der Same aus dem gerecht-en Zeuglin kreftiger,
dann aus dem linken. Darum soll sich die Frau auö" die gerechte
Seite neigen zuband nach dem Werk, ob sie gern einen Knaben
woll haben." Desgleichen sagt Rueff' 'u\ seinem Buche: ,Ein schön
lustig Trostbüchlein etc.": ,Die Knäblein werden mehr in der
rechten Syten der Bärmutter empfangen und mehr von dem Samen,
der von dem gerechten Gemächt kommt. Aber die Mägdlein in der
linken Seite der Gebärmutter von dem linken Gemächt empfangen.
Denn die recht Seite von wegen der Leber hitziger ist im Leib,
>md die Unke Seit kälter. Aber fürnebmlich ist die grössere Hitz
des Samens ein Ursach der Knäblein.* Eine andere Ansicht tinde
ich in folgendem Werke: ,Der aus seiner Asche .sich wieder .schön
verjüngende Phönix oder ganz neue Alherfus Magnus von Casp
Nigrino'^; dort heis8.t es: „Wann aber ein Mann seiner Frauen in
einem Monat nicht mehr, als drei oder 4 malen beiwohnt, so wäre
der Samen bei einem wie dem andern viel durchkochter, dicker
und von Geistern mehr angeftillt. Er hätte mehr Fähigkeit einen
Knaben zu formiren, wenn man ihn nicht so oft vergösse. Und
daher geschieht es gewisslich aus dieser Ursachen, dass die Alten
bisweilen Söhne zeugen, denn gleichwie es an der natürlichen Hitze
mangelt, und ihr Samen roh und schwach ist* etc.
Ein chinesischer Arzt sagt: ,0b ein Sohn oder eine Tochter
geboren werde, dies hängt von dem Manne und nicht von dem
Weibe ab. Die tägliche Erl'alirung lehrt, dass mehr Knaben als
Mädchen geboren werden. Wir sehen aber auch wieder häutig, da.ss
in manchen Familien die Mutter lauter Töchter zur Welt bringt."
(«. Martfus.) Nach einer anderen Theorie der Chinesen wird <lie Ge-
schlechtsentwickelung des Fötus von den Elementen Yang und Yn ent-
schieden. Wenn nämlich das starke Princip Yang beim .Manne und das
J8chwiu;he Princip Yn beim Weibe vorherrscht, so erzeugen sie einen
LKnaben; im entgegengesetzten Falle wird es ein Mädchen. {Hurtau.)
470
XIV. Die yruclitbarkcit des Weibeg.
Aus alleu diesen verschiedeneu Ansichten können wir drei sich
entgegenstehende Meinungen fomiuliren. Die erste will nur dem
Manne die Fähigkeit der Einwirkung auf die Bildung des Ge-
schlechts zuweLsen, und zwar erzeugt seine rechte Seite, ab die
stärkere, heiligere und glücklichere, die Knahen, seine linke Seite
die Mädchen. Die beiden anderen Meinungen lassen auch dem
Weibe Gerechtigkeit widerfahren und weisen auch ihm die Fähig-
keit zu, die Entstehung des Geschlechts tu beeinflussen. Aber sie
weichen insofern diametral auseinander, als die eine eine directe,
die andere eine gekreuzte Vererbung des Geschlechtes zu verthei-
digen sucht. Die eine behauptet, um es mit anderen Worten avis-
zudrücken, dass der in geschlechthcher Beziehung Kräftigere der
beiden Zeugenden dem Kinde das eigene Geschlecht vererbe, während
die andere ihn gerade das entgegengesetzte Gt^schlecht in der Frucht
hervorrufen lässt. Wir wollen sehen, wie sich die neuere Wissen-
schaft über diese Punkte äussert.
Seit Hofacker und Sadler, die den Alterseinfluss der Zeugenden
durch ihre statistischen Ermittelungen betonten, betheiligten sich
zahlreiche Autoren an derselben. Insbesondere gab Verfasser diese«
Buches in einer kleinen Schrift {Mosii''\ die nunmehr in manchen
sehr wesentlichen Punkten der Richtigstellung bedarf, die Veran-
lassung zu weiteren Untersuchimgen und Discussionen. Die Be-
Tölkeruugsstiitistik Liefert ein Material, dessen Deutung grosse V^or-
sieht erheischt, und die Physiologie ist nur auf experimentelle
Thienrersuche angewiesen, die ebenfalls die grösste Vorsicht in
Rückschlüssen auf die Menschen gebieten. Eine neue Prüfung der
Angelegenheit auf statistischem Wege unternahm Schumann, welcher
den Alterseinfluss im Sinne der llofacher-Sadier'schen Hypothese
nicht bestätigt fand. Und dennoch haben nach seinen Ermittelungen
Mann und ^^'eib bezüglich ihres Alters einen besonderen Einfluas,
indem er fand, dass sowohl das absolute als auch das relative Alter
der Eltern auf das Geschlechtsverhältniss der Geborenen einwirkt,.
Beide Erzeuger haben nach ihm die Tendenz, ihr eigenes Gesclilecht
auf das Werdende zu übertragen. Dem Grade nach ist aber diese
Elinwirkung eine sehr ungleiche: in erster Linie ist es der Vater,
welcher die Geschlechtsentscheidung herbeiführt, woiiingegen der
Einfluss der Mutter von untergeordneter Bedeutimg ist, Damit wür-
den alle Hy])othesen fallen, welche der Mutter einen hervorragenden
Antheil bei der Geschlechtsbestimmung vindiciren: es lallt auch die
H3T)othese, welcher ich früher nachging und die darin bestand,
dass die Ernährung, welche die Mutter dem Fötus in den ersten
Monaten gewährt, fiir das Geschlecht des Kindes sehr maassgebend
ist. Schon längst hatte ich durch meine weiteren Studien die»e
Ansicht aufgegeben, ohne Gelegenheit zu nehmen, diese Aende-
rung meiner Anschauung zu bekennen. Nur die Meinung halte
ich zur Zeit für berechtigt, welche die Entscheidung de« Ge-
schlecht« der Kinder in den Befruchtungs-Act verlegt und nach
Lnftbenenengung.
i; '■
I
welcher das Geschlecht durch Vererbmig bestimmt wird. Dem-
nach trete ich dem Schlvusse Schumann' s bei, dass je grösser die
sexuelle tietahigung der Erzeuger, desto grösser der Einfluss der
letzteren ist. Nach Schunumn ist vorzugsweise der Mann der niaass-
gebende Theil, und kommt es in erster Linie auf des Mannes Be-
fähigung an: mit dem Grade derselben wechselt auch der Knaben-
Ueberschuss.
Nach statistischen Aufnahmen kommt Fürst zu dem Resultate,
dass allerdings das Alter, die Ernährung, die Jahreszeit und die
klimatischen Verhältnisse für die Bildung des Öeschlechta nicht
ohne Eintiuss sind, dass man den wesentlichen Factor aber in dem
Zeitpunkte der menstruationsfreien Zeit zu suchen habe, in welcher
die Befruchtung stattfindet. Tritt die letztere in den ersten 4 bis
o Tagen nach der Meostniation em, so würden gewöhnlich Knaben
geboren, während eine Conception in den späteren Tagen über-
wiegend Mädchen entstehen liesse. Die meiste Berechtigung scheint
dem Herausgeber die Ansicht von Ueinrich Janke zu haben, die
sich mit der vorher bereits erwähnten gekreuzten Vererbung in-
sofern deckt, als der geschlechtlich Mächtigere der beiden Erzeuger
dem Kinde das entgegengesetzte Geschlecht aufprägt, aber ihm seine
Eigenschaften vererbt. Er findet eine gewichtige Stütze fUr seine
Annahme in höchst interessanten Versuchen, welche Fiquet, ein be-
deutender Rindvieh/lichter in Houston in Texas, von denselben
Annahmen ausgehend, bei seinen Heerdeu angestellt hatte. Es war
diesem Herrn gelungen, in mehr als 30 Fällen hintereinander ohne
einen einzigen i\li.sserl'olg bereits mehrere Wochen vor der Befruch-
tung das Geschlecht willkürlich zu bestimmen, welches das später
geworfene Kalb aufweisen sollte. Wünschte er Bullenkälber zu
haben, so Hess er den Kühen eine sorgfältige Pflege angedeihen, den
Deckstier dagegen bei schmaler Kost zum Bespringen einer Ueihe
nicht für den Versuch bestimmter Kühe benutzen. Erst bei dem
zweiten oder dritten Rindern der Versuchskuh wurde sie mit dem
Bullen zusammengelassen, der dann nur eine sehr geringe Neigung
zum Bcspriugeu an den Tag legte, während die Kuh eine sehr
starke Geschlechtslust bezeigte. Zu dem bestimmten Termine warf
dann die Kuh das erwartete Bullenkalb. Sollte aber die Versuchs-
kuh eine Färse werfen, so wurde umgekehrt der Stier sehr gut
und kräftig genährt imd aufmerksam verpflegt, während die Kuh sich
auf magerer Weide mit einem frisch verschnittenen Ochsen nmher-
treiben musste, der seine vergeblichen Deckrersuche anstellte. Wenn
dann die Versuchsthiere später zusammengeführt wurden, so war
der Stier sehr springlustig, während die Kuh nur einen sehr massi-
gen Trieb für die Geschlechtsbefriedigung an den Tag legte: und
zum liestimmten Termine warf sie ein Kuhkalb.
Wenn es nun auch im Allgemeinen richtig ist, dass man nicht
alle Resultate von Thierversuchen ohne Weiteres auf den Menschen zu
übertragen vermag, so wird der aufmerksame Beobachter doch soviel
472
XIV. Die Fruchtbarkeit des Weibe«.
Analog;ieTi für die soeben geschilderten Verhältnisse auch bei den mensch-
lichen Ehen erkennen, und manche scheinbar paradoxe Erscheinung
des täglichen Lebens findet hierdurch ihre befriedigende Auilclärung.
Die Phantasie des Volkes hat auf diesem Gebiete mancherlei
besondere Richtimg angenommen, deren ursprüngliche Wurzeln wir
nur selt-en zu ahnen vermögen.
Bei den Esthen setzt sich die Frau wahrend der Schwanger-
schaft nicht auf einen Wassereimer, weil dann nur Töchter geboren
werden. Ja selbst nur der Traum von einem .solchen Sitzen wird
noch als einflussreich flir das entstehende Geschlecht angesehen. Man
deutet bei ihnen einen Traum von einem Brunnen oder Quell dahin,
dass ein Mädchen, den von einem Messer oder Beil, dass ein Knabe
zu erwarten sei. (Krebei)
In Ungarn darf die junge Frau bei der Uebersiedeinng in das
Haus ihres Mannes ihren Spinnrocken oder das Nähzeug nicht mit-
nehmen, weil sie sonst lauter Mädchen zu gebären Gefahr läuft.
(v. CsaploiHCS.) Üeberhaupt wünschen bei fast allen Völkern die
£ltem sich lieber einen Sohn aLs eine Tochter.
Bei den Czechen schlagen am Hochzeitstage rlie Knaben die
Braut mit ilireu Mützen, damit sie einen Sohn bekomme. Bei den
Slaven hat sich ausserdem ein uralter Brauch erhalten, dessen
Zweck es ist, die junge Frau in den Stand zu setzen. Söhne zu be-
konmien, und den sie vielleicht aus ihrer indogermanischen Hei-
math mitbrachten. Schon bei den alten Indern wurde der Braut ein
Knabe zugeführt; der Priester setzte den Knaben der Braut auf den
Schooss, die Braut beschenkte das Kind mit SUssigkeiten und ent-
liess es dann. Bei den Kasauben legt man noch heute, während der
jungen Frau der Kopf umhüllt wird, einen männlichen Säugling
auf ihre Knie; ebenso in Serbien, in Galizien, bei den südmace-
donischen Bulgaren und an vielen Orten in Hussland. {Lunuow.)
Es ist gewiss kein blosser Zufall, dass die altindische Sitte sich bei
8u vielen slavischen Völkern wiederfindet.
Bei uns in Deutschland herrscht in manchen Gegenden der
Aberglaube, dass, wenn es beim Coitu.s regnet, da.s Kind ein MSd>
chen wird, ist es aber trockenes Wetter, so wird das Kind ein
Knabe, (Praetorius.) Im Frankenwalde ist man der Meinung, dass
der zunehmende Mond Knaben , der abnehmende Mädchen bringe.
[Fliiijel.) In Franken (Bayern) steht bei Kaltenbruch (Land'
gericht Ellingen) eine alte Buche, die Wunderbuche genannt
Ein Absud von ihrem Holze, von schwangeren Weibern getrunki'n,
bringt die Geburt eines Knaben, dagegen ein Decoct der Ivimle die
eines Mädchens zu Stande. {Mayer.) Wenn eine Schwanger« mit
dem linken Fu.s.He zuerst ans dem Bette aufsteht, so giebt i«s ein
Mädchen, wenn mit dem rechten, einen Knaben; so glaubt uuui in
der Rheinpfalz. Will der Mann einen Knaben erzeugen, so
steckt er eiue Holzaxt zu sich in das Bett und spricht eine Formel
mit dem Endreim: ,Du sölbt hob' an Bnb*; will er ein M/Id chen,
L
71. Mädchen- nnd
labeneneagiiDir,
80 setzt er sich die Mütze seiner Frau auf und spricht eine Formel
mit dem Endreim: ,Du sollst hob' an Mad." (Spessart.)
Will ein Mann männliche Kinder erzengen, ho muss er, wie
es nach Zingeile in Tyrol heisst, Stiefel dazu anziehen. Nach
Liehrecht liegt die Deutimg dieser Symbolik auf der Hand; Stiefel
ist etwas männliches, Schuhe etwas weibliches. Die sogenannte
«Kuustzeugung' besteht darin, daas sieb der Vater, der einen Sohn
wünscht, ante actum den Penis mit Hasenblut, andernfalls mit
Qänseschmalz einschmieren soll.
In Neu-Griechenland wünscht man keine Töchter, denn sie
sind eine Bürde des Hauses. Um nun die Geburt einer Tochter
zu verhüten, muss die Schwangere das Kraut uoasvtxo-itotitvö ge-
messen. Dagegen erhält die nicht seltene und sehr geflirchtete Ver-
^^rttnschung. Frauen möchten mit weibliclieu Früchten niederkommen,
^^nadurch Kraft und Wirkung, dass man eine Anzahl durchlöcherter
Geldstücke vor der Thür der Betroffenen vergräbt. Aus dem näm-
lichen Grunde scheut man sich, während der Entbindung einen
weiblichen Namen auszusprechen. {Wavhsmuth.)
Wird bei der Nayer-Kaste in Indien ein Knabe gewünscht,
80 trinkt die Frau einen Monat nach der Empfängniss sieben Tage
lang gewisse KräuterbrUhen. Am Abend des 7. Tages wird das
goldene oder silberne Bild eines männlichen Kindes in einen Topf
mit kochender Milch versenkt und nach einigen Stunden heraus-
genommen. Die von einem Priester durch Gebete und Zauberformeln
vorbereitete Frau trinkt dann die Milch in Gegenwart des Gatten.
Dieser zermalmt einige Tamariudeublätter und träufelt den Sai1; in das
rechte Nasenloch der Frau, falls ein Knabe, iu das linke, falls ein
Mädchen gewünscht wird. Da die Weiber sich zuweilen irrthümlich
für schwanger halten, so werden diese Ceremonien mitunter auch
erst im 5. oder 7. Monat zugleich mit der PuUi-kuddi-Ceremonie
(zum Schutz der Schwangeren und des Embryo gegen den Teufel)
vorgenommen. Am folgenden Morgen trinkt die Schwangere den
Saft in der Hand zerdrückter Tamarinden blätter mit Wasser ge-
mischt. (Jagor.)
Wenn unter den Alfuren auf der Insel Celebes eine junge
Frau bemerkt, dass sie schwanger ist, so dreht sie mit ihrem Gatten
aus dem Baste eines gewissen Baumes, ,Cola" genannt, ein Ende
Tau, ,Tali rarabnm*' genannt. Hierauf wird ein Priester zum
Opfer gerufen. Während derselbe ein Huhn zum Opfer darbringt,
bittet er die Götter, den Wunsch der jungen Leute zu erfüllen.
Wünschen sie sich einen Sohn, dann müssen sie ihren Wimsch
durch die Bitte um ein Schwert, wünschen sie sich eine Tochtor,
dann durch die Bitte um Korallen oder Ohrgehänge zu erküminn
geben. Hierauf giebt der Priester oben genannte Gegenständ«» iinbai
einem .Sarong' (Ueberwurf, Kleidungsstück) der schwangMrim Kn»u
zniu Gebrauch. {Dirdrrich.}
XV. Das physische und sociale Verhalten
wahrend der Schwangerschaft.
72. Die Erkcnntniss der Schwangerschaft.
Wir stehen jetzt vor einem der allerwichtipsten Abschnitte in
dem Leben des Weibes. Die von ihrem Eierstocke gelieferte Keim- 1
zelle ist befruchtet worden und in ihrer Gebärmutter beginnt das
Wachsthuni und die Ausbildung eines neuen Individuums. Ein
neues Leben ist geweckt: aber auch die Frau tritt durch diesen für
sie neuen Znstand gleichsam in ein neues Ijeben ein. Vielem hat
sie zvi thun und vieles zu meiden, bis es ihr nach erfolgter Ent-
bindung und nach glücklich überstandenem Wochenbett endlich zn
der gewohnten Lebensweise ihrer Stammesgenossen zurückzukehren
gestattet ist.
Wir werden erfahren, wie man zu den verschiedenen Zeiten
und bei verschiedenen Völkern bestrebt gewe.'^en ist, untrügliche
Zeichen för den Eintritt der Schwangerschaft ausfindig zu machen,
wie derselbe feierlich begrtisst wird imd durch bestimmte coremo-
nielle Handlungen seine Weihe erhält; wir werden sehen, wie die
Schwangere sich einer bestimmten Diät zu unterziehen, besondere]
manuelle Behandlungsmethoden zu erdulden, sich in bestimmt vor-
geschriebener Weise zu verhalten hat, und auch die bei den Völkern ^
herrschenden Ansichten über Schwangerschaftsdauer, sowie über die |
Kindeslage und schliesslich die Ursachen des mehr oder weniger j
häufig vorkommenden natürlichen Abortus werden wir kennen lemeiLl
Das Alles bietet ohne Zweifel wichtige Erscheinungen im oal~|
turellen Leben der verschiedenen Nationen dar.
Fast bei allen Völkern der Erde musste es aufgefallen sein,]
dass der Geburt eines Kindes ein monatelanges Ausbleiben der regel-l
massigen Menstruations-Ausscheidungen vorhergegangen sein muas.
Und daher ist das Ausbleiben der Menstruation wohl überall alaj
das erst« und sicherste objective Merkmal der Schwaugersclnifl be-j
trachtet worden. (Epp.) Es folgt dann in zweiter Linie du-s A nsch we 1-
len des Leibes »md später erst das Stärkerwerden der Brüste.
Aber schon Aristoteles (VII. 2) beobachtete, dass die Menses aocbj
?2. Die ErkenntuBs der Schwaogenohaft.
475
•'ährend der Schwangerschaft flössen, und er meinte, dass hierbei
'<lie PVucht schlecht gebildet werde.
Wenn mau aber nach der Schwangerschaftsdiagnose bei ver-
jßchiedenen Völkern fragt, so muss man dabei die „Merkmale der
[«ingetretenen Conception* und die , Merkmale der Schwangerschaft*
luseinander halten. Beide Keihen von Merkmalen werden manch-
lal in den älteren Schriften so sehr neben- und durcheinander auf-
Igeführt, dass man sie kaum zu trennen vermag.
Das Zurückbleiben des Samens beim Goitus wird als Zeichen
Ider Empfangniss bei den alten Indern, den Griechen, Römern,
Deutschen etc. betrachtet. Susnäa (in der Ayurveda) führt
als Zeichen, dass eine Frau concipirt hat, Folgendes an: , Müdig-
keit. Erschöpfung, Durst, Einfallen der Lenden, Zurückbleiben des
Samens und Blutes, und zitternde Bewegung der Vulva. Dahin
gehören auch die schwarze Färbung der Brustwarzen, «las Zuberge-
stehen der Haare und das Strotzen der Adern, das Sinken der Augen-
lider, das Erbrechen, die Furcht vor der Begattung, das Fliessen
AUS Mund und Nase und die Ohnmacht." ( Vi<Uers.) Das Ausbleiben
des Monatstlusses erklären sie durch das Verschlossensein des Mutter-
mundes. Letzteres gilt ihnen aber noch nicht als ein Symptom der
Schwangerschaft. Als solches nennt jedoch Hippokrates den Ver-
schluss des Oriticiiuu, imd von da an nahmen alle Culturvölker
dieses Merkmal auf.
Die alten Inder betrachteten auch ein „Fliessen aus Mund
mid Käse' als Schwangerschaftssymptom; so übersetzte Vttüers.
Dahingegen ist in Hessler's lateinischer Uebersetzung des Susrtäa
»überhaupt nur von einem , Abträufeln " oder .Abfliessen" von
Schleim die Rede, ohne dass die Nase oder der Mund erwähnt wird,
so dass es danach ungewiss bleibt, aus welchem Organe es statt-
Itindet, und dass man auch an einen Ausfluss aus der Scheide denken
köuut^;. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass Vuüers den Siim
der Stelle richtig verstanden hat.
Jetzt wissen wir auch, wie die alten Aegypter vor 4000 Jahren
bei ihrer Schwangerschaftsdiagnose verfuhren und welcher sinnlosen
Mittel sie sich hierbei bedienten. Brwjsch in Berlin berichtet über
^-inen im königl. Museum zu Berlin sich befindenden Papyrus, der
walirschfiulich aus der Zeit der 11>. oder 20. Dynastie stammt und
eine merkwürdige Anleitung zum Heilen verschiedener Krankheiten
enthält. Er ist nächst dem Pap^'rus El)ers das älteste medici-
nische Werk, welches wir besitzen, denn er soll aus dem XIV. Jahr-
hundert vor unserer Zeitrechnimg herstammen. Die zahlreichen
Receptformeln aber, welche die Schnft enthält, und das schon
ausgebildet« System in der Methode, solche llecepte zu ver-
•schreiben, lassen uns vermuthen, dass schon lange zuvor die Heil-
kunst mit einem gewissen ürade von Sorgfalt cultivirt worden
mag. BriK^sch übersetzt eine Stelle dieser interessanten alt-
rptiächeu Äbhiuidlung, welche .HicU mit den Mitteln bescliäf-
>B^I^Bi9cne^^80ciale Verhalben während der Schwangenc
tigt, um zu erkennen, ob eine Frau schwanger ist oder nicht. Dort
heisst es :
Man gebe der Fran das Kraut Boudodou-k& mit Milch von einem
Weibe, welche ein mänuliches Kind geboren hat; wenn sich dann die Frea
erbricht, so wird sie gebären ; wenn sie aber Borborj-gmen bekommt, so wird
sie niemals gebttren. Dann wird dasselbe Recept noch einmal empfohlen
mit dem einzigen Unterschiede, dass man davon eine Injection in die Ei C^^
der Frau macht. Dann folgt ein anderes Mittel zu gleichem Zwecke der
Schwangerschaftsdiagnose nach C'habas' üebersetzung: Wenn die Fraa einen
salzigen, trüben oder sedimentöaen Urin hat, ao wird sie gebären, findet man
dies nicht, so gebiert sie nicht. Eine andere Probe ist folgende: Die Frau
muBB sich hinlegen, und man reibt dann ihren Arm bis zum Vorderarm kr&ftig
mit frißchem Oele ein; wenn man sie dann am anderen Morgen untersacht
und ihre Gefässe sehr trocken findet, so beweist dies, dass sie nicht ge-
bären wird; findet man dieselben aber feucht, ebenso wie auch die Haut
ihrer Glieder, so darf man vermuthen, dass sie gebären wird. Ein femer
beHchriebenes Beweismittel wird von Brugsch als sehr obscön bezeichnet.
Auch lehrt der Verfasser der Papyrus-Schrift, die Schwangerschaft aus der
Beachatfenheit der Augen zu erkennen: „Wenn das eine ihrer Augen die
(braune Haut-) Farbe eines Amou (Asiaten) hat, das andere Auge aber
die Farbe eines Negers, so ist sie nicht schwanger; wenn aber beide
Augen die gleiche Farbe haben, so ist sie schwanger. * Zum Schluss kommt
ein noch sonderbareres Beweismittel. Weizen und Gerste mOge die Fraa
in zwei Sticken den Tag über in ihrem Urine einweichen; wenn sie keimen.
BO ist sie schwanger, keimen sie aber nicht, so ist sie auch nicht schwanger.
Ist es nur der Weizen, welcher aufkeimt, ao wird sie einen Knaben gfebüren,
keimt hingegen die (Jerste, so wird es ein Mädchen.
Aebnliche abergläubische diagnostische Hülfsmitt«! finden sich
auch bei den alten Griechen. In dem pseud o hippo krati-
ihen Buche über die weibliche Natur (De nat. muliebr.) heisst e«:
,üm es zu erfahren, ob die Frau empfangen wird, schabe (kochet einen
Knoblauchkopf ab und lege ihn (oder Netopon in Wolle gewickelt) in die
Gebärmutter ein, am folgenden Tag bringe di5 Frau ihren Finger zur Unter-
suchung ein, und gebe darauf Acht, ob sie aus dem Munde riecht, denn
dann steht es gut, wenn nicht, so lege man den Knoblauchskopf wieder ein.
Wenn du ermitteln willst, ob eine Frau schwanger ist oder nicht, so
bestreiche ihr die Augen mit rothem Stein (Bolus?); dringt nun das Mtttal
ein, so ist die Frau schwanger, wenn nicht, so ist sie nicht schwanger.*
Den talniudischen Aerzten galten als Schwangerschafkszeichen:
Ein dicker hoch aufgetriebener Unterleib, namentlich nach ^''erlsaf
dreier Monate, seitdem der Coitus stattgefanden ; Auscliwellung der
Urliste (oder gar Ausfliosgen von Milch aus denselben), endlich ge-
wisse Spurzeichen, welche die Fusstritte einer Schwangeren in locke»
rer Erde zurücklassen sollen. Da die taJmudi.schen Aerzte auch die
extrauterine und die Mola-Schwangerschaft kannten, ao ist anzu»
nehmen, dass sie selb.st die angegebenen Merkmale wohl nur mit
ziemlicher Behutsamkeit als Norm anerkannt ha))en.
Aus der Fussspur diagnosticirt in einer buddhistischen Er-
zählung, die uns Schiefner zugänglich gemacht hat, ein Brahmanen-
arzt die Gravidität nicht allein eines Weibes, sondern sogur einer
72. Die Erk^C
ler
ItHephantin. Die Fussspur musste einem Elepbanteuweibchen ange-
hören, da sie länglicli war, während die Spur der Mäimchen eine
iTunde ist, und trächtig musste das Thier gewesen sein, »weil sie
beide Ftisse drückend gegangen war.*" Mit einem Männchen aber
musste sie trächtig sein, .weil sie mit dem rechten Fusse mehr
gedrückt hatte.* Die Schwangerschaft der Frau, die von dem Thiere
abgestiegen war, erkannte der Arzt, «weil der Absatz des Fusses
recht tief eingedrückt hatte."
Die Aerzte bei den Chinesen beiragen den Puls, wenn sie
ermitteln wollen, ob eine Frau schwanger ist. (du Ualde.) Sie
halten eine Frau für schwanger, wenn sie bei allgemeiner Gesund-
heit und bei Verhaltuug der Menstruation einen regelmässigen und
tief anschlagenden Puls hat.
Ausserdem diagnosticiren sie auch die SchwnngerBchaft, wenn der
[Pankt tsche (sie setzen die Finger auf drei Punkte der Arterie, genannt
tHuen, tsche und kouan) stärker als gewöhnlich anschlägt. Wenn der Puls
um unteren Punkte in der Gegend des rechten Handwurzelgelenks schlüpfend
und strutzend ist, so ist die Frau mit einem Mädchen schwanger; wenn
man dasselbe Zeichen an der Unken Hand findet, so ist ga ein Knabe; findet
man das Zeichen aber beiderseits, so wird sie zwei Kinder gebären. (Hureatt.)
Wenn sich eine Frau im Allgemeinen wohl befindet und einen regelmässigen,
oberflächlichen oder tiefen Puls hat, und wenn die Menstruation ausblieb,
so ist sie schwanger. Man hat dafür noch mehr Beweis, wenn der Tsche-
Pols hoch ist und heftiger als gewöhnlich. Wenn femer die Frau zart ist
und wenn man beim festen Aufsetzen des Fingers auf den Puls im Ellen-
bogengelenk Pulsschlüge ohne Unterbrechung fühlt, und wenn die Menstrua-
tion ausgeblieben war, so ist die Frau schwanger. Sie ist es auch dann,
wenn beim Aussetzen der Menstruation ihre sechs Pulse natürlich bleiben.
Auch ist sie es, wenn der Tsuen-Puls klein, der Kouan- (Ellenbogen-) Puls
gleitend, der Tsche-Puls b^?sehlelln)gt ist. Im ersten Monat ist der Puls
bald langsam, bald beschleunigt; im zweiten und dritten Monat gleitend
und schwach oder massig langsam, oder bald langsam, bald beschleunigt;
im Tierten Monat massig langsam, gleitend uder langsam und abwechselnd
beschleunigt; im fünften Monat krüftig anschlagend. {Dahrif.)
Die japanischen Aerzte gehen schon weiter, denn sie ftiblen
nicht bloäs den Puls, betasten die Brüste mid untersuchen deren
Zustand, sondern sie exploriren auch auf eigenthümliche Weise den
Unterleib von aussen. Die innere Untersuchung mit dem Finger
per vaginam kannten sie wenigstens bis vor einigen Jahrzehnten
noch nichts, da sie aber von dieser , hübschen Methode" nun gehört
haben und, wie der japanische Arzt Mimazuma sagte, ihren
hohen Werth nicht verkennen, so werden sich schon jetzt nicht
ihrer wenige japanische, modern medicinisch geschulte Aerzte
bedienen.
Einen Monat nach der Befruchtung kommen nach Ansicht des
Japaners Kanyaua die ersten Symptome der Schwangerschaft,
Wegen Behinderung der Regel treten leichte Kopfschmerzen, Un-
behaglichkeit in der Magengegend, Verdriesslichkeiten ein. Bis zum
45, Tage steigern sieb die Symptome, es tritt Erbrechen hinzu, weil
478 XV. Dasphj
>ciale Verhalten wilhrecd Oe^^wSSge
das Blut gegen den Magen stösst; Blutandrang zum Kopf, Frost,
Fieber, Durst, zuweilen Leibschmerz, Durchfall; nach denn 45. bis
50. Tage zeigt sich Mattigkeit, die Schwangere liegt lieber, als da««
sie sich aufsetzt; sie isst gern säuerliches Obst, (J/cV/aA-c.) Kan-
gawa sagt:
,Da nun alle oben genannten Symptome denen des Fiebers sehr ähnlich
sind, BO mass man zur genauen Diagnose die Untersnchnng dor drei
Orte vornehmen: 1. die Arterien der vier Fingerspitzen; behafs dieser
Untersuchung legt der Arzt seine Fingerspitzen gegen diejenigen dar Frau;
2. die Arteria cruralis; 3. die Arteria radialis. Ist Schwangerschnlt vor-
handen, 80 schlagen die Arterien Nr. 1 und 2 stärker, als Nr. 3.* In einem
späteren Buche wird angeführt, das.'; die Untersuchung der drei Arterien
nicht immer genügend sei, da wSiirend der heissen Jahreszeit auch ohne die
Schwangerschaft die Fingerartcrien stärker schlagen, al.*; die radialis. GenSgt
diese Methode zur Feststellung der Diagnose im 2. und 3. Monat nicht,
80 legt der Arzt seine rechte Hand auf Kiubi, d. i. die Herzgrube and palpirt
allmählich bis Tensuh, d. i. der Punkt I3 Zoll unter dem Nabel; mit der
linken Hand geht er von der Schambeingegend leicht drückend in der
Mittellinie aufwärts bis nach der Tensuh der anderen Seite. Er fohlt dann
bei Schwangerschaft einen kugelförmigen, glatten Gegenstand von der
Grösse einer Kastanie. Die Palpation muss mit leisem Drnck geschehen.
Ist der Gegenstand, den man hier fühlt, hart, eckig, laug, so ist er als
Kothmasse zu betrachten. Sind dagegen mehrere Gegenstände zu fühltm,
so ist es ein Blutklumpen.
Als weiteres Sj'mptom der Schwangerschaft wird der dunkle Hof um
di« Brustwarze angeführt (der allerdings bei Japanerinnen ganz dunkel-
braun, fast schwarz wird), doch wird gleichzeitig ein Fall erwähnt, wo
ohne vorhandene Schwangerschaft der Hof sich braun zeigte und sogar
etwas Flüssigkeit aus den Brustwarzen auszudrücken war.
Kommt die Frau angeblich im 4. oder 5. Monat der Schwangerschaft
zum Arzt, ho sull dieser sie fragen, ob sie früher ihre Menses regelmässig
und reichlich hatte; im Bejahnngsfulle liegt Schwangerschaft vor, im Ver-
neinungsfalle dagegen, namentlich wenn der Leib verhältnissmässig klein
igt, hat mau es mit einem Blutklumpen 7,u thun. Im 6. oder 7. Monat
fühlt man in der Gegend des Nabels und etwas darunter einen weichen
kagelförmigen Gegenstand, in welchem eine Pulsation mit der Hand wahr-
nehmbar ist. Fehlt dieses letztere Symptom, so giebt das stärkere PuUiren
der Cruralarterie und eine Adhärenz und erschwerte Vorschiebbarkeit der
Haut zwischen Nabel und Schambein Anhaltspunkte für die Diagnose der
Seh wn ngersch af t.
Als eine besonders weise Fürsorge der Natur führt Kangawa an. doM
das weibliche Kreuz (unter Kreuz versteht er die Figur, welche durch die
Vertiefungen und Hervorragungen auf den Dornfortsiltzen der unteren
Wirbel und des Kreuzbeins einerseits, auf dem Hüftbeinkamm auderenteit«
gebildet sind) breit und ausgebuchtet ist, da« männliche dagegen gtsiad«
und schmal.
Als Zeichen für ZwillingHschwangerschaft wird von Kangavca ein Ein-
sinken der Mittellinie des Köqwrs angenommen. Sind Zwillinge vorhanden,
ao hat regelrecht der linke den Kopf nach unten, der recht« hat ihn nudi
oben. Jeder hat seine eigene Placenta; der linke kommt bei der Geburt
zuerst. Liegen dangen beide Zwilling« mit dem Kopfe aaoh oben, oder 1
72. Die Erkennt«
479
eil unten, so haben sie nur eine gemeinschaftliche Placonta, und die Ge-
)art ist stets mit grosser Gefahr verknüpft. Das Geschlecht beider Zwil-
inge kann verschieden sein. Zuweilen entwickelt sich ein Zwilling auf
Lösten des anderen: dann wird letzterer im 7. Monat mit dem Sack geboren.
Die Hebammen des Orients haben keinen Begriff von der
leren Untersuchung. Erani berichtet:
„La conceptioD d'une jeune femme est le plus souvent constatee par
los sages-fcmraea en Orient. Du uionient que la famille apervoit une grosseur
'dans le venire de la jeune niariee, eile fait appeler inimediatement la sage-
fenune, qui jage la natnre de la grosseur et pose son diagnostic*
Natllrlicherweise bleiben hierbei diagnostische Irrthümer nicht
aus. wie auch Eram einen solchen berichtet.
Bei den Negern in Old-Calabar gilt als Schwangerschafts-
jZeichen das Ausbleiben der Menses, ein bleiche.s, aschfarbenes Aus-
sehen des Gesichts und des oberen Theiles der Brust mit zerstreuten
jgelblichen Flecken, und das Duiiklerwerden des Warzeuhofes. Diese
letztere Verfärbung gilt den Negern fiir ein so untrügliches Zeichen,
iass sich die Mämier gegen den Versuch sträubten, eine Kleidung
|«jnzufuhren, welche dieses Zeichen verdeckt. (Hewan.)
Unter dem Volke Russlands gilt als Zeichen der Schwanger-
das Erscheinen von Sommersprossen. (Krehel.)
.Kann bei den Süd-Slaven das Weib .sich auf keine andere Weise
die Gewissheit verschatfen, dass sie in gesegneten Cmst^den sich befinde,
BO soll sie an drei aufeinander folgenden Abenden hinter der Thiir eine
PLxt nass machen und sie daselb.st über Nacht liegen lassen. Ist die Axt
lle drei mal am Morgen verrostet, so ist das Weib gewiss auch schwanger."
Ein höchst wunderliches Schwangerschaftszeichen haben die
Serben: Bekommt dort irgend Jemand ein Gerstenkorn, so bedeutet
das, dass seine Tante .schwanger ist; ist das Gerstenkorn am
unteren Lid, so wird das Kind ein Mädchen, ist es am oberen Lid,
80 wird es ein Bube sein. (Petroicitsch^ Krauss,^)
Zur Erkennung der Schwangerschaft thut man in der Kheiu-
pfalz eine geistige Flüssigkeit: Apfel-, Bim- oder anderen Wein
Kill eine «Bolb (grosser, runder, langstieliger Metalllöilel) und lääst
Heü über Nacht stehen; bricht nach dem Genuss die Frau, dann ist
es richtig. Wenn im Frankenwalde ein zeugungsfähiges Weib
krank ist, so sagt die Nachbarschaft vermuthungsweise : „sie hebt
wohl an." { Flügel.)
Der Ausdruck: ,Sie ist in gesegneten Umständen* für »sie
[ist schwanger* geht zieinlich durch ganz Deutschland; ebenso
iheisst es bis nach dem sächsischen Siebenbürgen hin: «sie ist
[in anderen Umständen." Bei den Sachsen in Siebenbürgen
I herrschen aber aucli noch verschiedene Bezeichnungett, welche diesen
I Zustand einigermaassen bildlich auffassen: ,Sie ist wie die Leute*;
^»sie ist bleiben gehen"; ,Bie ist in Erwartung"; »auf schwerem
.sie soll nach Rom reisen*; »sie ist des Herrn Magd';
,sie ist so geschickt''; ,sie ist nicht allein". In einzelnen Or
Schäften des siebenbürgischen S ac kseu I andes sind humc
ristische derbe Redensarteu gebräuchlich: „Sie hat den Kalendei
verloren" (Eibesdorf); ,sie hat eine neue Schürze erhalten'!
(Gergeschdorl"); ,sie hat sich gestossen — ist widergelauf'en, daher!
ist sie geschwollen" (Deutsch-Kreuz); ,sie bekoramt einen Rain]
am Bauch" (daseibst); „sie hat eine Bohne verschluckt und darat
Wasser getrunken, nun quillt dieselbe* (daselbst); ,sie hat ds
Neunmonatswaaser" (daselbst). {Hillner.)
73. Die Schwangerschaftsdaner.
Ueber die Zeitdauer, welche normaler Weise der Embryo iaj
dem Mutierleibe sich aufhalten könne, herrschen bei einzelnen Völ-
kern sehr absonderliche Ansiebten. So steht in dem chinesischen!
Buche Dan-zi-nan-fan geschrieben: ,Die tägliche Erfalirung beweist^
es, dass eine Frau 7 — -10 Monate schwanger gehe. Aber es giebt
auch Frauen, deren Schwangerschaft 1 — 2 Jahre währet.*
Als sicherster Anhaltspunkt für die Schwangerschnftsberechnung
gilt bei den japanischen Frauen das Ausbleiben der Menstruation;]
früher war dieses Zeichen bei der offiziellen Eiutheilung des Jaliresl
in Moudnionate noch bequemer, indem sie einfach vom ersten Aus-
bleiben der Regel lO derartige Zeitabschnitte als zur VoUendangi
der Schwangerschaft nöthig ansahen. Sonderbarer Weise setzte es
sie in Verlegenheit, wenn die letzte Menstruation aus den Schluss-
tagen dos einen (Kalender-)Monat^ bis in die er.sten des nächsten
biuüber reichte (Zeki mantangi, wie der Kunstausdruck lautete): ee
wurde dann die Berechnung ungenau, da sie den angefangenen i
Monat noch als einen voUen xiiitrechueteu. Jetzt rechnen die Frauen
nach den Tagen (280 Tage), sie geben aber zu, dass sie sich oft
verzählen. ( Wernich)
Der japanische Arzt Kangawa nimmt in seinem Buche San-
rong au, dass bei Erstgebärenden der Termin der Geburt 300 Tage, ,
bei Mehrgebärenden 275 Tage nach der Emplangniss sei. {Miyahe.)
Als normale Schwangerschaftsdauer galt den talmudischen
Aerzten ein Zeitraum von 271 oder 272, oder auch 273 Tagen.
Doch konnte nach dem Talmud ein Weib auch 12 Monate lang
schwanger gehen. (Israels.)
Die buddhistische Legende berichtet, dass Buddha von seiner
Mutter nach Verlauf von 10 Monaten geboren worden sei.
Die alten Griechen hatten über das Vorkommen verspäteter
Geburten noch keine übereinstimmende Ansicht gewonnen. In dorn
pseudohippokratischen Werke De natura pueri wird dds Vor-
kommen derselben bezweifelt; allein in dem ebenfalls pseudo*
hippokratischen Buche De Diaeta, sowie von Aristofeics und
73. Die Schwangerscbaftsdaiier.
481
'^limm wird dasselbe ftir möglich gehalten. Aristoteles sagt., dass
?ine Schwangerschaft nach Einigen auch 11 Monate dauern könne,
tieht aber diese Angabe in Zweifel; und Plinius führt einen Fall
au, iu welchem die Geburt -angeblich erst nach 13 Schwangerschaftä-
nionaten erfolgte.
Den i'otowatomi-Häuptling 3[eta fragte Keatiug, wie lange
ibei seinem Stamme die Schwangerschaft dauere. Dieser antwortete,
sie variire zwischen 8 und 9 Monaten.
Wenn bei den Omaha-Indianern die Frau nicht berechnen
wie lange sie schwsinger sein wird, so bittet sie ihren Gatten
M)i3er einen alten Mann, es ihr zu sagen.
Nach dem türkischen Gesetzbuche (Multeka ül Ubbür), welches
l-die Gnmdlage der religiösen., politischen und sittlichen Verfassung
des tflrkischen Reiches bildet, dauert die Schwangerschaft von
6 bis 24 Monaten. Legitim ist also das im Anfange de» 7. Monats
geborene Kind, und ebenso dasjenige, welches eine Frau vor Ablauf
von zwei Jahren nach der Verwittwung oder Verstossung zur Welt
bringt. Die türkischen Rechtsgelehrten entscheiden hier Folgendes:
Wenn eine Frau, die zur zweiten Ehe schreitet, schwanger wird,
ohne zuvor ihre Zurückgezogenheit erklärt zu haben, so wird ihr
in den ersten 6 Monaten geborene.s Kind dem ersten Manne zuge-
schrieben (und dieser Umstand bewirkt zugleich die Autlösimg der
Ehe). Wenn aber eine Frau erklärt, sie sei nicht schwanger, und
dennoch vor dem Ende des 1 1. Monats nach dem Tode des Mannes
niederkommt, so wird das Kind nichtsdestoweniger als ehelich und
dem Verstorbenen angehörig betrachtet. (OppenJteim.)
In Bezug auf die Dauer der Schwangerschaft haf, wie Karl
Schrneder sagt, die Erfahrung gezeigt, dass man etwa 270 — 280
Tage nach dem ersten Tage der letzten Periode den Eintritt der
Geburt erwarten kann. Fürst glaubt einen Unterschied in der
Schwangerschaftsdauer zwischen solchen Frauen, die zum ersten
Male schwanger wurden, und solchen, die bereits mehrmals geboren
hatten, feststellen zu können, und zwar ist bei den letzteren die
Zeit eine längere. Er berechnet die Dauer der Gravidität bei Erst-
gebärenden vom Ende der letzten Menstruation auf 278 Tage, vom
Tage der Empfängnis» an auf 268^/2 Tage, während bei Mehrge-
bärenden diese beiden Zeiträume 282 Tage beziehimgsweise 271 Tage
betragen haben.
Bei den Söd-Slaven herrscht nach Krauss^ ,im Bauemvolke
der wunderbare Glaube, dass unter gewissen Umständen das Weib
in sechs Wochen ein vollkommen ausgereiftes Kind austragen kann.
Vielleicht ist dieser Glaube dadurch hervorgerufen worden, dass
manche junge Frau kurz nach ihrer Vermählung eines Kindes genas.
Zur Erklärung des Wunders wurde die Zeit der Scbwangerschafl
tief hinabgedrückt. '
?10«f, Ua< Wölb. I. J. Atill.
:U
iwaQ((«r
74. CerenionJen nnd religiöse Uebränclie bei dem
eintreten der Schwangerschaft.
Der Eintritt der Schwangerschaft gieht nicht wenigen Nationen
die Veranlassung, der Gottheit in religiösen GelVihlen den Dank zn
sagen und durch eine besondere Weihung die in gesegneten Um-
ständen befindliche Frau sowie das keimende junge Leben dem
ferneren Schutze der Gottheit zu empfehlen. In diesem Gebahren
tritt schon, wie man zugeben wird, ein ziemlicher Grad von Gesittung
zu Tage.
Bei den alten Mexikanern wurde der Eintritt der Schwanger-
schaft bei der Neuvermählten mit einem Feste gefeiert, und die
dabei Üblichen Reden warnten sie, das ihr bevorstehende Glück
ihrem eigenen Verdienste zuzuschreiben und sich nicht zum Stolze
hinreissen zu lassen, denn nur Gottes Gnade sei es, der sie es zu
verdanken habe. Bei einem späteren Feste wurde ihr unter ähn-
lichen Reden eine Hebamme bestellt, von der sie gebadet wurde
und manche Rathschläge erhielt. { WaiU.)
Auch bei den alt«n Juden wurde während der Schwangerschaft
für das Kind gebetet, und wir haben an anderer Stelle die Gebet-
foruieln angefllhrt, welche die Talmudistjeii für die vei^schiedenen
Perioden der Schwangerschaft vorschrieben. Eine Steile im Talmud
Becbaroth fol. 60a lautet:
Diebue tHbns priotibus homo misencordiam imploret, ne foct-iduni fiat
«emen; a tribus (diebus inde) aaque ad quadraginta invocet luieiericordiiun,
iit gtt mas; a quadrageäimo die inde usque ad tres tnenaea mi^ericordiaro
invocet, ae RM Sandalus; a tribue nienäibua inde usque ad Rex menBen mi-
.«iericordiam imploret, ne fiat abortua ; n sex mensibus usque ad novem im*
ploret mixericordiaTn, ut exeat in pace! (IsraeU.)
Die Griechinnen lösten bei der ersten Schwangerschaft ihren
Gürtel und weihten denselben im Tempel der Artemis', sie feierten
zu Ehren der (renettjUis {Aphrodite) Feste, um eine günstige Geburt
zu erbitten. Vielleicht aus sehr frtiher Zeit Altgriechenlands,
wo wahrscheinlich von Schwangeren der Beistand der Götter unter
gewissen Formeln erfleht wurde, stammt ein noch jetzt in Neu-
griechenland beobachteter, wenn auch seltener werdender Brauch:
in der Nähe von Athen, am nördlichen Abhang des sogenannten
NymphenhUgels bei der hochalten Inschrift uQog Jtög rutschen
die Schwangeren, um da« Gebären zu erleichtem, an einer durch
vielen Gebrauch bereits geglätteten Stelle den Berg hinunter. Auch
existirt daselbst der Gebrauch, am Ende der Schwangerschaft einen
Hahn zu schlachten. Manche wollen, vielleicht fälschlich, diese Sitte
mit dem Hahnopfer in Beziehung bringen, das die Altgriechen
dem Aeskulap darbrachten. ( WarfismtUh.)
Der Göttin Postvrrsa oder Prfi^sa opferte die Römerin, mn
eine günstige Kindeslage zu erzielen.
Wenn in Ostindien zu Madras eine Frau ihrem Mann«^ tum
T4. CiiiiiifJL» s. refif . «j'luliii'ht bein fjmnttm 4ar "ikwi^iminn, 4SS
eisttz* Male Hoi&imig gkbc. VatEr zu vcrden. so «eflt er «in
Freodezifess an. und im säebenten Mosms Ofrfot die gaaze Familie
den Göobt:: dies berichiMe sdxm im Jafai« 17^S .B>^. In den
ersten Mocases vird mit der Xarer-Fiaa eine Cenmosie rorge-
nomsDes. die man oft aocfa his zom 5. oder 7. Monat anfarhiett.
weO san fiber die Tliai&aclie der Sdiwaugeiaebaft nidit säd>er ist;
am azäderes: Motc«a nach dieser Ceremome trinkt äe einen An^naa
Ton Tazcarinden. Ist bei doi Badaeas einem indischen Volke im
Nilziri-Gebie« eine Fna im 7. Monat sAwaager. so findet eine
zweite Heirazh als Conäxmadoo der eisen statt: Venraadte mnd
Freande rersaminehi äch: die Gasse ätzen as der einen Wand, die
Gatten an der anderen. Der Ehemann fragt seinen Schviegerrater:
SoD ich diese Schir? um den Hab Ennr Tochter kgen? Wird
diese Fn<re bejaht, so wird die Schnur mngebunden cnd nach
wenigen Mimnen wieder abgezMMmnen. Tor dem Paare «sehen rwa
Schfissein. in welche die Verwazidten Geldstöcke fnr das Ehepnr
legen: «l-^«»»^ ändet ein Schmaus statt. -Japor.)
Sohnid eJDe Ksgeborece auf Jara seh im dritten Honate der
GraTidixit befindet, wird dies aDen Verwandten und Fxemiden ge-
meldet oimI es werden rerschiedene Geschenke damit rerbanden.
(^ToFora.^ Da^n werden auch im siebenten Monate alle Vawaadte za
einem Fotmahle geUden. Die Fru badet sich dazaof in der Müeh
einer unreifen Kokoscass. weiche der Ehemann geöffioet haben moas.
Vorhier werden acf der Schale dezsdben iwei schöne Fixeren, eine
männliche mid eine weibliche, eingegxaben, damit die Schwango«
dieselben betrachte Tmd «n schönes Kind zcr Weh bringe. Sie zieht
mm ein neaes Kleid an und rerschenkt das ahe an eine ihrer Mit-
6anen. welche ihr bei diesen VOTTichtmuren behülfbch gewesen
ist. Am Abeod wird den Gästen ein Sehattöispiel gegeben, welches
das Leben and dk .Abenieoer eines alten Helden rum Gegenstand
Wenn bei den Alfaren anf Celebe« die j::^ Ftm be-
merkt. ^Mäm äe m in»r«eanten Umständen «. so dreht sie hok
ihrem Gatten a«is dem Baste «ncs gewissen Banmes. ^1»U-. em
Ende Tan. .Tali rarahnm- genannt. Hierauf wird em ^«£«er zoin.
Opfer genrfen: er opfert ein Htüm and bm« ^^ott«. de^
Wonach der joniren Uate erftUen ru woUen: ihren Wmisch i»cK
einem Knaben ^eben «e durch die K«e 5"» «» =«»»'«- ü^^esx
Wonsch nach ehiem Mädchen durch ^^ »»^ °» ^^^ ^i*^
Ohnrebänge zn erkem^ii- Hierauf giebt der PnMter obengen«ax\^
(i^SSe nebst einem Sarong teberwurt öeidong^tuc* ,i^
schwanger« Fiaa znm Gefcracch. *j.„Vu-
I^lImai.cheKirtheTibev Mongolei ^.^^^^^ ^.^^^^
_ wenn dafSr >>«ahlt wird - Gebeu. ^,^^J^^-^ ^*^
In Japan sind zahlreiche '-^l^^^^J^, .j^^a, ^.^ ^^TT ^
Schw«»genJhaft /bei Anlegung der Leibbinde), .«üs =ach ,»^ ^
484
I phyBiBche aod aoeiale Verhalten irährend der Schrangwiiet
bort; sie wurden im vorigen Jahrhundert von Kangawa in seinem
Werke Sau-ron geschildert. Allein Miyake^ der uns mit dem In-
halte des Werkes im Allgemeinen bekannt macht, unterlägst es, von
diesen Ceremonieu besonders zu sprechen, da sie in den Palästen der
Shio-gune und Daimios sehr verschieden sind nach Zeit und Ort.
In Japan verschlucken Schwangere kurz vor der Entbindung ein
Stückchen Papier, auf welchem der Schutzpatron der Gebärenden
abgebildet ist, in der Hofliiung, so einer leichteren Entbindung ent-
gegenzugehen; Andere trinken in dieser Absicht ein Decoct aas un-
geborenen Hirschkälbeni, die getrocknet, zerstossen und dann ge-
kocht werden.
Fühlt sich auf den (malayischenj Seranglao und Gorong-
Inseln eine Frau schwanger, dann muss sie ein Stück Gember zum
Priester bringen, um durch ihn geweiht zu werden. Der Priester
thut dieses, indem er sie dreimal anbläst und die 112. Sure aus
dem Koran betet. Den Gember bewahrt die Frau dauernd bei sich,
um böse Einflüsse abzuhalten. Auch kaut sie Stückchen davon, um
diese von sich zu speien. Auf Tanembar imd Timoriao muas
die Frau, wenn sie sich schwanger fühlt, ein Opfer bringen iind
sich, wenn das nicht schon bei der Verheirathung geschehen ist,
die Zähne abfeilen lassen. Thut sie das nicht, dann wird sie ver-
achtet als eine, die die mores majorum beschimpft. Auf den Inseln
Romang, Dama, Teun, Nila und Serua muss die Schwangere,
sowie .sie ihre Gravidität bemerkt, ein Huhn schlachten und davon
den Kopf, ein Stück von der Zunge und die Leber an dem gewohn-
lichen Opferplatze dem Upulero opfern. Alle Monat muss sie dieses
Opfer wiederholen. Auf den Keei- Inseln setzt man, wenn die ersten
Anzeichen der Schwangerschaft .sich bemerklich machen, die Bluts-
verwandten davon in Kenntniss, besondere Feste werden aber nicht
gefeiert. (Riedel.^)
Auch in Afrika kommen bei manchen Völkerschaften charakte-
ristische Gebräuche vor: Hat bei den Masai in Ostafrika die
Frau empfangen, so holt der Mann einen grossen Topf Honig herbei,
mischt andere Dinge hinzu mid rührt es um, bis die Masse ganz
dUnn ist; dann nvft er die Häuptlinge herbei. Mann und Weib
setzen sich nieder, die Häuptlinge nehmen etwas von dem Honig
und spucken es über sie aus, indem sie zum Besten der Eltern and
des zu erwartenden Kindes ein Gebet sprechen. Dann hält jeder
seine Rede, worauf der übrige Honig getrunken wird, eine Art
Fest, ähnlich dem Pombe-Trinken der Negerstämme. (Last.)
Religion und Aberglaube vermischen sich in manchen
Gegenden recht innig; In Oesterreich ob der Ena kommt man
uan Falkenstein zu einer Kapelle, in der sich der heilige Wotf'
gang angeblich verborgen hielt; hier befindet sich ein Stein, durch
welchen Schwangere kriechen, um glücklich entbunden zu werden.
(Pamer.) Dies ist ein Brauch, der an das Rutachen der Schwaogeran
in Griechenland vom Nympheuhügel herab erinnert.
Töu Die Abwefa^ \i£aa- GcHia- «. TTImiwib ■HiiibiI der Sdnraagenehaft- 485
In Schwaben waO&faxxai die Schwangeren zur heiL J£arya-
r<ike mit dem Dracben iz. B. nadi Maria Schrei bä PfaUen-
dorf w oder zom hed. Christtpkorui 'Z. B. nach Laiz bei Si^ma-
ringen . oder tu St. Roduu, in dessen Kapdloi gewdhte eisenie
Krötes hängen als Symbole der Gefaiimoner. {Btui.
Die nordifchec Völker in Irland und Skandinarien feierten
bis noch ror KTZTzem in der Johannisnacht das BaaUfesi oder.
wie es in Norwegen heisst: ^BalderH&t*' . indem de in der Mitt-
sommercacht asf d^a Anhöhen ein Fe^er anzündeten nnd um das-
selbe rings herum tazizten. Hierbei bef mac denn durch da$ Feoer.
wenn man excen besond«i«en Wonsch ht^te: schwangere Frauen sah
man hindurch eehez:. inn eise glückliche Xkdczkucft zn erhüben.
: wod. yoi^jH^.
?5. Die Ahwekr Mscr Geister ni IÜhmcb wikrea« ier
Sekma^nckafL
Der Glaabe an die 31achx der Dimonen nin wohl bei doi
ineisten Xaiccrrölkem in den Terschiedensten Fonn€n auf xmi er-
hält ödi a»jch t-ei crdlisinen Nationen Tmter doi minder gebildeten
Klassen in der Form des Aberglauben«. Die Gefüir irad Xodu
die FnzcLi erzeryrt Tsüd erbäk diesen Glauben: denc alle» ScLliiEiae,
welches dem MetäcLeii widerfahrt, alle KrarkVeh :2id alles Usge-
mach siöd äclick^aig«:: der Dämonen. Dai:er gü: » in KrsiEikhens-
felUm Oberisa^ipt bei allen abr:ornien Erscheir::::ig>ri; . die t:<«s«n
DiQHmen r:; baaieL '^ier zu bescbwichtigen. " Die Minel rar
Yenöhnunz siz.i »*hr nannigialtig.
Parcbölo^iKrh li«* sich diese Enchein:^:^ recht irn d:a^
eine Dizstellimg Ltpp^rf* erklären:
,^D»** <ök M«tv.ü«it ^KVQt :r ci«er W«d« p.-.*itrr d*- y—fra-
die Art. wie « »= ^•*- B*2i^:ct*-r'.rrt*_:::^»-i rtlitrs*. \*üijr^ i,,^ 5^
nÜT« d«r Etkä*^'^? ^-'■*-^'*' «■-- -':"- "-^ ^:;^:=Äiti.-4aä* ErkeBttad«,
ja da» TÖlijf* Verk*ria« i*r ',etr-a« 4« Nkto ä^^^or:. Ti* c*t ä« «.-.->\^
Lebe«. l>=i Eif'-'^-si? "-^ ''''';% *^' 5«i^\^«^er. aud <i««e r^^^t^
mit ein« v^^^^'^ A-ti-i^i^ _*.- «^^ -r -^u .,««if-.aad die p&T.,;:^,
Wi..«» 5ber di* 5*^.-' ?v^ «* zilt t:-ii. D« Lt.« i^ Ue:^*.i4 ib^-
-1« «.*«:.««iJi>-i«- «>«vJ.->r.--.«rt.- - -^-*-
Völkern r<>Ilijr^ teoereirwtixuaytg. da>., «% lueir-ea. di^ Dixa^
aea
Gebärende bektimmern, sehr difierent. In Abyssinie
Hartmann berichtet, eine Nachteule, welche uxn das ]
an, dass eine Frau bald niederkommen werde; merkwü
herrscht ein ähnlicher Glaube unter den Wenden d
Zumeist sind es Luftgeister, welche das Haus der Schwi
geben und sie unheilvoll bedrohen; dies ist bei den £
bei den Persern und bei anderen Völkern der FalL
Es existirt auf den Philippinen eine ei^enthüi
Man sagt, der Amang wäre ein Bisaga (Bewohner
Luzon und Miudanao befindlichen Inseln), der mit den
Pact geschlossen hat. Er betritt weder Kirchen noch ander«
Unter der Achselgrube besitzt er eine Drüse voll Oel, das ih;
überall hinzufliegen, wohin er will. Er hat ferner Krallen
endlich lange Zunge von schwarzer Farbe, weich und gli
Hauptaufgabe besteht darin. Schwangeren den FOtus ans d^
reissen; dies geschieht, indem er (mit der Zunge) den letzt
wodurch der Tod der Schwangeren veranlasst wird, so das
den Fötus nun ruhig aufzehren kann. Ein von den Tagalc
nanntcr Nachtvogel kündigt den Asuang an; wenn jener sinj
man, dass sich der Asuang herumtreibt. {Oeearia.)
Als nützlicher Gel)rauch während der Schwangerscl
der nordcelebeischen Landzunge in Limo lo Pahal
Alfuren, dass die Frau ihr Haar nicht in losen A
trägt, so dass es hin- und herflattert; auch di^ sie i
Abend, sobald es regnerisch ist, aus dem Hause g^ehen,
die Frucht durch den Walao-lati oder die an den dunl
anwesenden Teufel aufgeregt oder gemisshandelt werde.
Ganz ähnliche Ursachen sind es, welche auf der i
Inselgruppe des malayi sehen Archipels das Ausgehen
und namentlich das Passiren von Gräbern verbieten.
Schwangeren auf den Watubela-Inseln bei Tase dat
75. Die Abwehr böser Geister u. Dilmoneu währeod der Schwaogerscbaft. 487
I
reuen der australischen Kolonie Victoria: dort aah Ohrrlüuder,
wie ein Mediciumann an drei eingeborenen JVauen, welche schwanger
waren, eine sonderbare Ceremonie vollzog: Sie standen vor ihm und
blickten ihm fest in die Augen. Darauf zog er sich murmelnd
nach einem Baumstumpfe zurück, schritt dann wieder auf die I'Vauen
zu und blies auf ihre Leiber. Dies alles sollte ohne Zweifel eine
sichere und glückliche Entbindung bewirken.
Wahrscheinlich haben wir in absonderlichen Gebräuchen in
Afrika auch eine Art von Dämonenaustreibung zu erblicken. Wenn
an der Goldküste eine Negerin zum ersten Male schwanger
wird, so treibt man sie unter Kothwürfen und Schimpfen in das
Meer, wo sie untertauchen niuss ; nach Beendigung dieser Ceremo-
nie läast sie Jedermann unbehelligt, nur eine Feti.sch-Pnesteriu macht
mit ihr allerhand Hocus pocus, um sie nach dem Volksglauben vor
der Einwirkung böser Geister zu schützen. {Brodie Crukksluxnk.)
Vornehme Frauen in Guinea werden kurz vor ihrer Eutbiudimg
ganz nackend in zahlreicher Gesellschaft durch ihren Ort geführt,
wie lUmwr erzählt. Bosmann bemerkt dasselbe, fügt aber hinzu,
dass sie auf diesem Wege von einer Anzahl junger Leute ebenfalls,
wie an der Goldküste, mit Schmutz beworfen und dann am See-
strunde ffebadet werden. (Kletnm.) Nach Mutton weinen sie auf dem
ganzen Wege,
Die hdnvfuigere Esthiu pllfgt jede Woche die Schuhe zu
wechseln, um den Teufel, von dem man glaubt, duss er ihr .stets
nachfolgt, um baldigst den jungen Weltbürger in seine Krallen ux
bekommen, aus der Spur zu bringen.
In Russland ist übrigens der Glaube an den , bösen Blick'
(den der Russe einfach „Glas*, das Auge nennt) sehr verbreitet;
namentlich aber ängstigen sich vor ihm die Frauen, wenn sie schwanger
*ind, denn daim tlirchten sie ihn für sich aelber, wie für die Frucht
ihres Leibes, die sie dann unter grossen Schmerzen gebären müssen.
Der wirksamste Schutz gegen die bösen Geister ist in den
Augen des Volkes ijuraer ein Amulett oder ein Talisman. Wenn bei
•den Ewe-Negeru au der Sclavenküste eine Frau sich Mutter
fühlt, so bringt sie den Göttern ein Opfer und wird vom Priester
mit einer Menge von Zauberzeichen am Körper behängt. Lux hat
unweit Malunge, der früheren Ostgrenze von Angola, wie über-
all in jenen Gegenden unter den Negern, einen ausgeprägten Glau-
ben an die Kraft der Feti.'^ihe, ähnlich wie an Amulette gefunden.
Schwangere Weiber trageu dort stets eine kleine Kalabasse (Kür-
bi»), welche mit Erduüssen uud Palmöl gellillt ist, bei sich, um
einer leichten Entbimlung sicher zu sein. Bei den Negern, welche
BuchniT in ihren Bräuchen beobachtete, spielt als Amulett das
,Peml)«" eine wichtige Rolle, d. i, ein feiner weisser, kaolinartiger
Thoii, der nicht überall zu finden ist, und deshalb oft weit her-
|{cholt wird und einen llandoLsartikel bildet. Seine Anwendung er-
tnaort violfiich an daa Weihwasser der Katholiken und der Ausdruck
488
I ^iliysiBcbe ond sodale Verhalten wftlnuiJÄ' ddr 'Se'h'wanf
,Pemb»' wird auch oft im Sinne von »Glück* oder ,S^en* ge-
braucht. Mau sagt ^Pemba geben', indem man sich die angefeuch-
tet* Substanz gegenseitig auf die Arme oder auf die Brust streicht.
Schwangere sowie Kranke beschmieren sich häufig damit das
ganze Gesicht.
Bei den Negervölkern Westafrikas behängt sich die
Schwangere an Hals, Arm und Fuss mit Zauberreichen und Zauber-
»chnUron; sie bekommt von einer Priesterin Manschetten aus Bast
um Hunde und Knie gelegt, welche ihr eine glückliche Gebart
garantiren sollen.
Bei den Dajaks auf Borneo nimmt nach v. Kessel die junge
Frau, sobald sie in gesegnetem Zustand einmal das Haus verläsä«
aus Furcht vor bösen Geistern stets einen Talisman (Ejun oder
Upuk) mit sich, d. i. ein Körbchen, das mit Blättern, Wur£4&ln,
Holxstückchen, namentlich aber mit zahlreichen Schneckenhäusern
behangvn ist.
Die Seranglao- Insulanerinnen tragen, abgesehen von dem be-
ttii» oben erwähnten Gember, nicht selten ein mit einem Koran-
Brache beschriel>enes und in Leinwand gewickeltes Stückchen Pa-
OMT bei sich, imi gegen die schädlichen Einwirkungen der bösen
vtaator g^ieit tu sein.
In Keugritichenland hält vaan daför, dasa die Schwangere
dar acbidUchen Gewalt der yeraiden ausgesetzt ist, gegen die sie
wkk dordi Unlübigea von Anraletten, zumal dee Jaspis, zu schQtxen
mtiAk, Ks ist «m^liK^bnogeBfd, wenn Jemand Aber dn achwangerca
Wttb stoigk; er SAnai danut den yeraidem den Weg; jenem bösen
Eittflaas TontabaMgan» Bina «r wieder aber dawribe znrücksteigen.
Auch darf aiA d» Scbwangei« nkht onier eiaaB Platanen- oder
Plippribania, Hock an QocllcB oder aoostigea HiiwiMliu Wasaeiro
llftn, «aal ha&t ^ Nenidm mA
76. Dte reehtlicke Stelhm^ der SckwiBgcna.
Volk«
[henaes^
«iMil hia sn
isl dMs aidit
dan Mit» -Aiy'y ^"^ aodwa
die GeUot
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WcA km falecd ihr« gewol
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76. Die recht
lang aer
489
Insbesondere arbeiten in Deutschland arbeitsame Frauen
Volke, wenn sie guter Hoffnung sind, meist fort bis zur
letzten Stimde der Niederkunft: freilich mag dies wohl an manchen
Platzen übertrieben werden,
üeberall dort aber, wo die gesellschaftliche Stellung der
Frau und Mutter eine achtungsvolle, ihre Behandlung keine rohe
t, wird ihr namentlich in dem hoffnungsvollen Zustande eine ver-
lelirte Rücksicht entgegengebracht, während ihr bei den rohesten
'^ölkeni dieselben Lasten aufgebürdet, dieselben Mühen zugemutbet
werden, die der Mann ihr- auch sonst auferlegt, wo sie ein Kind
[nicht unter ihrem Herzen trägt. Je cultivirter ein Volk ist, je
lehr bei ihm insbesondere der Familiensinn ausgebildet ist, um so
vorsichtiger behandelt man bei ihm die Schwangere imd imagekehrt.
86 Thatsache ist im Allgemeinen so bekannt, diiss es wohl weiter
ler Belege bedarf. Allein es kommen auch hier im Völkerleben
[Erscheinungen zu Tage, welche ein besonderes culturhistorisches
[Interesse beanspruchen.
Zumeist hängt die Schonung, welche man der in „anderen
Verhältnissen* lebenden Frau zu Theil werden lässt, von der
WerthHcliiitznng des in Aussicht stehenden Kindes ab. Denn wo
man, wie fa.st überall in Deutschland, die Kinder als „Segen
^■Gottes* betrachtet, da wird auch der Trägerin dieses zu erhoffenden
^K8egenä gewiss nicht geringe freudige Sorgfalt gewidmet ; sie ist ja,
^■80 heüföt es, »guter Hoffnung**. Der Ausdruck: ,sie ist in ge-
^■segneten Unistäudeu" für ,sie ist schwanger" geht ziemlich
BduTch ganz Deutschland.
Durch gewis.<?e Redewendungen wird der Zustand im Gespräch
auf eine Weise verdeckt und doch auch bezeichnet, welche die Be-
ziehungen oft weit herholt und nicht selten einigen "Humor verräth.
Bei den südamerikanischen Indianern, welche Pritw
\JHax zu Nemvied besuchte, wird das Loos der sonst als Lastthier
I betrachteten Frau in der Schwangerschaft einigermaassen erleich-
Itert ; auch die Indios da Matto ersparen iliren schwangeren
T^Vauen die harte Arbeit.
Ebenfnll* drang unter die Indianer Nordamerikas die Ver-
Feinernng, und durch die Berührung mit der Civilisation kam auch
>ei nicht wenigen Stämmen eine grössere Sorgfalt in der Behand-
lung der Schwangeren auf. In dieser Beziehung sagt Eiu/elmann:
Jei den umherziehenden Stämmen macht man sich wenig oder nichts
lUfl dem Zustande: mehr Aufmerksamkeit erregt er schon bei der
jehr au*äs«igen Bevrdkerung, wie den Pueblos oder Eingeborenen
hfexikos. Mau erlaubt der Schwangeren keine Ueberanstrengung
Und lässt sie oft warm baden.
Auf den <Jur(>linen-In.selu verdoppelt der Mann, der jederzeit
jruW AufuKtrkfiimikeit ftlr seine Frau ist, seine Rücksicht und Zürt-
ikeit wÄlirend ihrer Schwangerschaft. Sobald er diesen Zn^und
490 ^^*- ^^ phxsUche and sociale Verhiüteo'
der Schwangersc
bemerkt, arbeitet sie nicht mehr und bleibt beinahe unuier
Hanse in Matten eingehüllt: in dieser Zeit bedient sie der Mi
Auch auf den Palau-Inseln wird die Schwangere hiuäichtlici
der Arbeit geschont und von alten Weibern in Obhut genonuuc
Die Ostindier, welche Best im Jahre 1788 zu Madras beobai''ht«ieJ
behandeln die Schwangeren stets mit Achtung, und nicl - die
Familie, sondern auch Alle begegnen ihr mit rührt "fg*
< Alles, was ihr gefahrlich werden kann, wird end'emt, Alles,
was ihr Wohlsein fördern kann, herbeigeschaifL Fühlt sich io
Indien bei der Najer-Kaste eine Frau schwanger, so soll sie sicli
durch häufiges Beten, Baden und strenges Beobachten der religiOsen
Yorächriften besonders weihen. Dies gut für alle höheren Hindu*
Kasten. (Jagor.) Die Frauen der Battahs in Indien unterbrechen
während der Schwangerschaft ihre Feldarbeiten nicht : nur die^
Gattin des Häuptlings hat das Recht, während d^ letzten
Monate zu Hause zu bleiben.
Der Ausnahmezustand versetzt nun aber nach der Vorstcllui^j
vieler Völker die Frau in ein solches Verbaltniss, dass man
zwnngen ist, ihren Umgang zu meiden: sie gilt als unreia, el
wie bei ausserordentlich zahlreichen Völkern auch Menstmii^nde
und Wöchnerinnen für unrein gehalten werden: doch beschränkt
sich zumeist der Brauch darauf, dass während der Schwanger*
schau dem Manne der Coitus versagt ist. Bei den '>s rer-
iSsst der Mann seine Frau vollständig während der > ."rschafi
{Hoüaendrr)^ und wenn sich bei den Aschanti eine Frau in ge>
s^neten Umständen befindet, bleibt sie ohne Gemeinschaft mit dem
Manne. Doch ist dieses Verbot, eu cohabitiren, bei einigen Völkern
nur auf die letzte Zeit der Schwaugerschafl beschränkt: Bei dcBJ
S^uabeli in Ostafrika wird bis zum sechsten Monate nach der]
Empfangniss die Frau vom Manne benutzt, dann nicht mehr« sonst
fürchtet man schwere Geburt {Kersten). Auf eine an Sarth^ den,
berühmten Afrikareisenden, von mir gerichtete Anfrage, welcbe|
Beobachtungen er hinsichtlich der Lebensweise der Schwi
bei den von ihm besuchten Völkern Ceutralafrikas zu
Gelegenheit gehabt habe, antwortete er mir, , es sei ihm «affiülcod,
daas er sich nicht ein einziges Mal erinnere, eine hochscbwaogere
Frau gesehen zu haben, was doch bei der spärUcben Beklfi<luagi
nm so eher die Aufinerksamkeii auf adch ziehen muss,' Er erl
st«h diesen Umstand daraos. dass unter den Jtom IsUun G>»Tge-J
gangenen Völkerschaften die Frau im hGcbslen Zustande ii
gerschaft cnr nicht mehr ausgeht, was schon die en^e
Wühl erlaubt, und ein gleiche» «rh- i . it uiitcrl
Tieleu .1. ....... .'^.^i- .i ■....—. r,ki;.4, ^^ tttia. Die Jvinvaiigerr «ei
übrigens sunö^t kei' ', ausser für dvu Mann, der aitt
sch<>n seit Jen \^ <i^^B^^^Bpr»chaft
gerührt. CT<^<>n < ^^^^^^^^^Qr dei
t^^ebei: ' sprech«&: Tieimdir{
76. Die rechtliehe Stellung der Schwangeren.
491
jer wohl ein anderes Motiv der Zurückhaltung im »Spiel. ^Jeder
eger," sagt Schutt, der seine Beobachtungen in Westafrika
ioiachte, »sieht die Frau, die demnücbät gebären wird, als unrein
an; drei Wochen vor ihrer Entbindung muss sie das Dorf verlassen
und darf Keiner mit ihr verkehren; ohne jegliche Hülfe sieht sie
meistens der schweren Stunde entgegen."
Die Vorschrift, dass die schwangere Frau nicht den Coitus
stTihreu darf, ist eine weit verbreitete und vielleicht sind hier halb
bewusst hygieinische Rücksichten mit im Spiele. Der Indianer
f den Antillen (nach du Terfre) und in mehreren Gegenden
ordamerikas enthält sich des Beischlafs während der Schwanger-
hafl seiner Frau; in Florida (Hohn) muss er sich sogar noch
gere Zeit nachher bis zu zwei Jahren fern halten. Es ist hier
je Frage, ob diese Enthaltsamkeit durch den Glauben an ein ,TIn-
insein' während der Schwangerschaft bedingt wurde. Wait£ glaubt,
SS man die Frau hierdurch vielmehr vor allen störenden Einflüssen
bewahren sucht, um da» Gedeüien des Kindes zu tordern.
Die Neucaledonier und die Eingeborenen anderer jiolyne-
scher Inseln halten die Schwangeren für Tabu, d. h. uuberühr-
bar ebenso, wie zur Zeit ihrer Katamenien. (RocJms.)
^B Nicht bloss auf den Carolinen-, sondern auch auf den Ma-
^^Banen-, Murshal- und Gilbert- Inseln im Stilleu Oceau werden
^Hbe schwangeren Frauen gut gepflegt, sind aber manchen religiösen
^Bpeschränknngen in Speisen, Zusammensein mit Männern u. s. w.
unterworfen; sie gelten Tür „unrein". (Keate.) Sobald auf Yap,
einer der Carolinen-Inseln, ein Weib die ersten Zeichen der
Schwangerschaft fühlt, so enthält sie sich des weiteren Verkehrs
mit dem Manne und bleibt ihm auch 8 — 10 Monate nach der Ent^
bindung fem. Der Mann, der zu seinem Club (bai-bai) gehört,
t dort eine oder mehrere Geliebten und fügt sich ohne Murren in
ese Sitte. {3Iiklttcho-3Iaclay.)
Die Annamiten-Frnn in Cochinchina hält im Allgemeinen
älirend der Schwangerschaft eine besondere Lebensweise nicht für
thig (mit Ausnahme einiger später zu erwälmeuden Rücksichten
die Kost), allein vom sechsten oder siebenten Monat an will
der Sorge für den Haushalt, ebenso aber auch der Verpflichtung,
rem Gatten zum Beischlaf zu dienen, ledig sein; deshalb sucht sie
r ihren Gatten eine sogenannte vö be, d. h. eine Gattin niederen
ges, welche demselben gleichzeitig als Magd und als Frau dient.
oudiire,)
Auf den kleineu Inseln des malayischen Archipels ist die Ent-
Iturig vom Beischlaf während der Schwangerschaft eine allgemeine
d »treng durchgeführte Vorschrift, und der Wunsch, dieses lästigen
erbot«8 überhoben zu sein, giebt den Weibern bisweilen Veran-
Mwung zur kün.stlichen Fruchtabtreibung.
Die Siiimcsin gilt, wie ich von Schumbnrgk erfuhr, ebenfalls
ühmnd der Schwangerschaft für imrein.
492 ^V. Das physische und sociale Verhalten während der SchwangerschafL
Bei den Pschawen, einem transkaukasischen Volke, bei
dem die Frauen überhaupt sehr schlecht behandelt werden, bemfihen
sich die Schwangeren, ihren Zustand so lange wie möglich zu ver-
bergen. Bei gesegnetem Leibe wird nämlich die Frau mitsammt
ihrem Manne für imrein gehalten und von allen Festlichkeiten aus-
geschlossen. {Fürst Eristoic.)
Bei den Parsen hurt die eheliche Beiwohnung in der Schwanger-
schaft nach Verlauf von 4 Monaten und 10 Tagen auf; der Qber
diese Zeit verübte Beischlaf wird als todeswürdiges Verbrechen ge-
achtet, da man glaubt, dass die LeibesArucht dadurch geschädigt
werde, ydn Perron.)
Abgesehen von diesen vieUeicht mehr in das Gebiet der Ge-
sundheitspflege gehörenden Bestimmungen weisen auch die Gesetze
mancher Völker der Schwangeren eine rücksichtsvolle Ausnahme-
stellimg zu. Schon die altgermanischen Rechtsgebräuche nehmen
auf Schwangerschaft Rücksicht. Straten wurden erst nach der Ent-
bindung vollzogen: nur im Uexenprocess kannte man keine Scho-
niuig. ^WtinhoJd^ Bei den Römern genossen die Schwangeren
bis zur Niederkunft gewisse Rechte: sie konnten und durften in
Rom ebensowenig vor Gericht gezogen werden, wie. selbst bei Ver-
dacht der Sohwangersfchaft. in Athen und bei den Aegyptern.
Xach PIur:ir:J, lit tarJ. dei viiiditta hatte die:?« Gesetz bei den
Aegyptern «einen Ursprung und ginii von diesen auf die Griechen.
^päter auf die Römer über. Nach dem in Cochinchina geltenden
annumiti<chen Gesetz darf eine schwangere Frau, wenn sie ein
Verbrechen begebt, aiü' dem die Strafe vr.a StöokschlSgen steht,
nicht bestritt werden: man wartet mit dieser Stniie nicht bloss bis
>ie geboren hüt. s<.>i:den: noch hi:::der: Taae :;iich der Xiedrrk'inft.
Pas Gesetz '[.'esTraf: socar den RieLter, welcher rii.er Schwungeren
Stocksehläge t:r:l:eile:: läss: und hierdv.r«.!: Alorr^ venirsat'hr : der
Richter bekon:::.: diu.'.: 1'".' Stock?«. blägf '.Jid ^^ .Jihre Kertenstrafe.
_V ». r »• . Av.i:; u.:: der Ti.".ies-4:r.iiV w;Lr:e: ::j^ bei der Schwac-
irercii l'.'.' T.iir- :■.:»■. h i-rr Ge.v.r:.
F.is: ":': rr i:-.- i:---s.u::::::r:r. Inselirr.:: r m ::u S7:.::«':e:: des ma-
l.i v:«.. ;:r:: Ar-.":.:: r'.> r.i..:r:: '-vir .iir br>::::'.::..::".^ z-rTr>:re-, 'iiss
r::".v s^hTi^."»: .."-.r-. Fr.-.": ir. kririrr S.v.::r il> Zr "._r-- i'iftr-rten d:ui.
Wiji Irr '.^r ■.:■.*. :V:r "iT^r M ..-.s-ttj-.'. :s:, l.is ..":ns: ?:,'- i^.^: ?-: .. hae
^V.; ■'::.. r- > s-W--- ^ .•..:'•...' :l ."-.- :"...u: '.:-. K l-.k "■:,..:. .irr S.i'wir.;C^T>fn
.l.is 'vi > '..'..■.:. 'v:^^.:.L.::.L \;::v,r:i:r: :/.:.- A:::"rr:i r-:- Zözk
•.::..: S:r'.:: :.: -:>: -.r-. :.. v;-'.".-:.!.: i.'- -- -xxr -•' L.-. >.t;:-.. l.iss i-.:jrv'C
svuiv-i^r. ■-'■.> -"-■■-- r....r. >» .■. :r lis Ki::'. '.:-■>■? >■. .r. s^-j'cr ;u rj:ex
iwaBgorsn.
rieh selbst beachäftigt, daejeuige, was um sie her vorgeht, weniger
)eachtend, in ihren Angaben nicht eine genügende Glaubwürdigkeit
itraute und dasS sie daher auch als Zeugin nicht die ftir eine so
rwichtige Sache durchaus nothwendige Zuverlässigkeit besitzt. Vielleicht
'ist es nicht zu weit gegangen, wenn wir die iu Europa so vielfach
angetroffene Sitte, dass eine schwangere Frau nicht Gevatter stehen
darf, dass es ihr also verboten ist, ids Taufzeugin zu functioniren
(Ostpreussen, Pommern, Schlesien, Voigtland, Klein-
lussland), ursprünglich aus einem ähnlichen Gedankengange zu er-
tlären versuchen. Allerdings giebt das Volk jetzt als Ursache da-
ir an, dass eine solche Pathenschaft entweder dem Täufling oder dem
sukiinftigen Weltbürger unfehlbar den Tod bringen würde.
Als ein eigenthümlicher alter Rechtsbrauch besteht bei den
llaveu die Zadruga, eine Familiengemeinschaft, bei der unter den
?heilnehmeni das unbewegliche Vermögen gewöhnlich bei einer
)eabsichtigten Theilung ,in stipites", die Nahrungsmittel nach
Töpfen getheilt werden: dabei bekommt im Kreise von Sabac in
Serbien jede schwangere Frau für das noch nicht geborene Kind
so viel mehr, als sie im Rocke wegtragen kann. [Bogimc)
Unter den weissrussischen Bauern herrscht folgender Aber-
glaube: Wenn eine schwangere Frau um Geld oder um etwas Ess-
Jares bittet, und man ihr die Bitte abschlägt, so werden einem
jAläuse oder Ratten die Kleidung zernagen; wer die Bitte nicht er-
hallen kann, muss sofort der Frau ein kleines Kohlenstückchen, etwas
iJrde oder etwas Schutt nachwerfen. Die Maus ist das Sinnbild der
iieele. In der russischen Sage gehörten Mäuse zum Hauswesen
ier Jaya; sie dienen ihr, bringen den Kindern Zähne und be-
wirken bei den Leuten den Tod.
Der Ausnahmezustand, in welchem sich die Frau während ihrer
Schwangerschaft befindet, kann auf Andere sowohl glückbringend,
auch schädigend einwirken. Das letztere sahen wir ja bereits
>ei dem Gevatterstehen, das dem Täufling ein frühes Ende bereiten
BoU. Iu Weiss- Russland darf eine Schwangere nicht zugegen
»ein, wenn man der Braut die Haube aufsetzt, sonst ist die junge
"^rau das ganze Jahr hindurch schläfrig. {SumzoU}.) Die jungen sla-
wischen El>eleutö in Böhmen und Mähren sind dagegen hoch er-
freut, wenn eine Schwangere sie besucht. Denn das bringt der jungen
Gattin eine gUicldicbe Fruchtbarkeit. In denselben Ländern gilt
jRUch die Schwangere als segenbringend ftir ihr eigenes Kind, das
lie trägt Denn wenn sie auf etwas Lust bekonunt und sich dabei
va. einem Gliede kratzt, so wird es ihr Kind an derselben Stelle
ibeu, {Grohmann.)
XVI. Die Gesundheitspflege der Schwange]
77. Aerztliche und ritneUe Torsehrlften ftber ik
Schwangerschaft.
Bei vielen alten Völkern haben einestheils die Beligi«
Gesetzgeber, andemtheils die Aerzte den Schwangerai
besondere Vorschriften flir ihre Lebensweise gegeben. Dergesdk
liehe Umgang mit Schwangeren war bei den alten Iranern. i
Baktrern, Medern imd Persern durch religiöse Gesetze fl
verboten: wer eine solche beschlief, erhielt nach den Bestimno
des Vendidad 2000 Schläge; ausserdem musste er zur Sühne Ä
Vergehens 1000 Ladungen harten und ebenso viele weichen Hd
zum Feuer bringen, 1000 Stück Kleinvieh opfern, 1000 Schlrt
1000 Landeidediseu, 2000 Wassereidechsen, 3000 Ameisen üB*
und 30 Stege über fliessendes Wasser legen. Der Keim des Leb*
durfte nicht verschwendet xmd das bereits vorhandene neue I*
nicht verletzt werden. {Dimclrr.)
Auch die alten Hebräer hatten strenge, von ihren Priesi*
aufgestellte Gebote; die llabbiner im Talmud lehren:
,In den orstou drei Monaten nach der Empf&ngnisa ist der (*
Kowohl für die Schwanf»eren, als auch für die Frucht sehr nachtbeSig: *
denHelhon am 1)0. Taf^e ausübt, begeht eine Handlung, als wenn «*
Men.ichenleben vernichtet." Der vorsichtige Rabbi AMaja füjyt hinn: -
man jedoch diosfn Tag nicht immer genau wisBcn kann, so hfltet Got: ■
Kinmitigcn."
Die Aerzte der alten Inder empfahlen den Schwangeren *
sehr vorsichtige Diätetik: nach Ausspruch des Susrnta muss
Schwangere ErmiUlung, Goitus, Fasten, Beschwerden, Schlaf
Tage, nächtliches AVachen, ftram, Einsteigen in den Wagen, Fun
aufrechtes Sitzen, übermässige Bewegungen, unzeitiges Aderla*
ausdauernde Anstrengungen vermeiden. Die Gelllste der Frau niua
befriedigt werden, denn wenn man dies that, so glaubte n»c
ein starkes luul lang l(.'l)ondes Kind hofl'en zu dftrfen. Vom tf
Tage an sollte die Frau stets heiter, reinlich am Körper imd in
Kleidung, ruhig, guter Dinge und fromm sein. Schmutzige
ungestaltete Dinge durfte sie nicht berllhren, keine trockenen.
77. AemtKcfee nnd rittrelle VoTschriften Aber die SchwangerBchafl. 495
gebrannten und verdorbenen Speisen geniessen; das Ausgehen, das
Auftialten im leeren Hause, den heiligen Altar, Grabstätten, die
Nähe von Bäumen musste sie meiden und sich vor Zorn, Furcht,
Lastentragen und zu lautem Reden hüten. {Ilcssler, VnUers.)
Auch die Aerzte der Chinesen rathen ,als erste und wich-
tigste Regel* während der Schwangerschaft gänzliche Enthalhmg
von physischer Liebe, (r. Martins.) Dies wird in einer populären
Schrift, die ein Arzt zur Belehrung schwangerer Frauen verfasst hat.
rerlangt : aus.serdem galt ihm aber auch als Hauptregel für deren
'erhalten: ,Eine massige Bewegung, die nicht allzu sehr ermüdet."
Die alten Chinesen hielten es für das Gedeihen des Kindes
ehr forderlich, dass sich die Schwangere körperlich und geistig
jögUchst ruhig verhielt. Das Buch von den berrihmten Frauen
le« Lteuhiang im Siao-hio sagt:
,Ein.st unterstand eine schwangere Frau sich Nachts nicht auf die
Seite zu legen, beim Sitzen (auf der Matte) den Köqier nicht zu biegen,
licht auf einem Fusse zu stehen, keine ungesunde oder schlecht zer-
chnittene Speise zu geniessen, auf keiner schlecht gemachten Matte zu
itxen, keinen garstigen Gegenstand anzuschauen, noch üppige Töne zu
lOren. Abends musüte der Blinde (Musiker) die beiden ersten Oden des
''Tscben- und Tschao-nan im Liederbuche (die von der Haujjordnung handeln)
«ingen. nnd sie liess sich anständige Geschichten erxähleu. So wurde ein
^iich geistig gut geartetes Kind geboren."
Uebrigens wurde, wenigstens in fiilheren Zeiten, in China die
Frau während der letzten Zeit ihrer Schwangerschaft abgesondert.
~)er Li-lii (im Cap. Nei-tse 12 toi. 73 v.) sagt:
.Wenn eine Frau ein Kind geb&ren soll, so bewohab sie einen Monat
Lfieitenhaua. Der Mann schickt zweimal des Tages Jemanden oacbzu-
uuU fragt auch selber nach; seine Frau wa^t ihn aber nicht zu
len, sondern xchickt die Mu, seine Anfm^ zu beantworten, bis das Kind
aboren imI."
Knuffuu'a, der berühmte japanische Geburtshelfer, tritt der
japaniHchen Sitte entgegen, nach der man die schwangere
iu Htetü mit krummen Beinen liegen liess; man erhielt sogar
'^Während des Schlafes die Beine der Frau durch ein um die Knie
und den Kacken gelegt^es Band in einer gekrümmten Lage; es ge-
ihah «lies aus Furcht, dass das Kind in die gestreckten Beine
Beiner Mutter seine eigenen wie iu eine Hose hineinstecken könnte.
'angitxva sagt, diese Sitte sei mehr schädlich als nützlich, Aa. die
jekrünmiten Schenkel der Mutter die Schenkel des Kindes nach
)ben drängen mid dadurch Querlage entstehe. Dieselbe entsteht
lach ilim auch durcli die Leibbinde, zu reichliches Essen und durch
jhysische EinHüsHe. Ernstlich verbietet er übertriebenen Coitus in
ler Schwangerschaft; er empfiehlt warme Bäder. {Miyake.)
Von den Aerzten der alt<?n Römer, welche uns ihre Grund-
Itxe bezüglich des Verhalten.*! der Schwangeren hinterlassen haben^
Ihren wir nur Soranus aus Ephesus an.
Nach ihm ilndi'ri nich die Behandlung der Schwangerschaft je nach
Die Gesundheitspflege der Scbwoo^
drei Perioden derselben. In der ersten Zeit handelt es sich um
Erhaltung der Frucht, in der zweiten um Mildemng der mit der Schwiifl»!
gerschaft verbundenen Erscheinungen, Gelüste u. s. w,, in der dritten uad]
letzten Periode um die Vorbereitang ^iner günstigen Geburt. Die ertti
Periode erfordert Vermeidung aller körperlichen und geistigen Errogun^;:!
Furcht, Schreck, plötzliche heftige Freude u. s. w, , dann Husten. Nie»<;j).j
Fallen, Schwer -Tragen, Tanzen, Gebrauch der Abführcjittel, Trunken-
heit, Erbrechen, Durchfall u. s. w., kurz Alles, was Fehlgeburt beditig«aj
kann. Ruhiges Verhalten und m&asige Bewegung muss die Frau gleich-
m&Bsig wechseln lassen, dagegen sich aller Reibung des Unterleibes ent-l
halten; sie darf denselben nur mit frisch ausgepresstem Oel aus unreifen!
Oliven bestreichen. Während der ersten sieben Tage soll die Frau nicht]
baden, auch nicht Wein trinken. Dann kann sie jedoch nicht allzu fettes]
Fleisch und Fische geniessen; scharfe Speisen und Gewürze sind ihr verboten.!
Der Coitus wird als schädlich bezeichnet. Dergleichen Verhaltungenmaas-j
regeln und ihre BegrQndung giebt Soranus noch mannigfach. Eine ganil
ausführliche Besprechung der Diät in der Zeit, in welcher (etwa im zweiten
Monat) die sogenannten Gelüste auftreten, Enden wir in einem besonderen 1
Kapitel des Üoranus; wir kommen darauf zurück; ist aber die^e Periode)
vorüber, so hat die Frau noch weniger Vorsicht bezüglich des Liegens , der]
Einreibungen, der Speisen, des Weintrinkens, de* Badens, des Schlaf» zu(
beobachten, da nun ihre Constitution kräftiger ist und die Frucht reich-
lieberer Nahrung bedarf. Doch vom siebenten Monat an wird wiederum die]
Enthaltung heftigerer Bewegung empfohlen wegen der Gefahr, du« tti
die Frucht vom Uterus trenne, wenngleich die Erfahrung lehre, dasa ein
7 monatliche Frucht lebensfähig ist. Drücken der Brüste wird als mögliche]
Ursache von Abscessen und Einschnüren derselben als »chädlich bezeirhnot
Im achten Monat, den der Volksmund zu Sorami^ Zeit als „leichten" b*-J
zeichnete, der jedoch, auch seine Beschwerden hat, muss die Meng« der]
Speisen wieder vermindert werden; Die Frau soll nun mehr liegen, wenig]
gehen, kalte Bäder, welche beim Volke jener Zeit sehr beliebt waren, sichj
versagen. In den letzten Monaten hat die Frau den Unterleib, wenn dCT>I
selbe zu sehr vor- und herabhängt, mit einer Binde zu versehen und ihn mit]
Oel einzusalben; nach Ablaof des achten Monat« aber soll diese Bind«]
entfernt werden, und es sind dann warme Bäder zu gebrauchen, sogar i
Schwimmen in süssem , warmem Wasser, um die KSrpertheile geschmeidig j
zu machen; zu letzterem Zwecke dienen auch Bähungen, Sitzbfidor mit Ab*
kochungen von Leinmehl, Malven u. s. w., Einspritzungen mit «Q»»«» OtA
und Pessi aus Gänsefett. Dans schliesslich Soranus die Hebamme lehrt, w\
solle bei Eretgebtlrenden , welche festes Muskelfleisch und eint!» harten
Cervix Uteri haben, mit dem Finger den Muttermund einsalben and öffnen,
ist ohne Zweifel tudelnswerth.
Auf ähnlichen Grundsätzen, wie lüer ausgesprochen wurden,
verharrten noch Jahrhunderte lang die Vertreter der Heilkunde,
deren es eine Zeit lang unter den Arabern, dann aber bis weit
ins Mittelalter, ja sogar bis in neuere Zeit nur w ••An-
volle gab. In unseren frühesten deutschen H*- "ru '
werden Lehren aufgeiitellt, die ztuu Tiieil giuit veruauftig, xxua Tb«il
nur früheren Schriften entlehi'.i- -•••' '^ ■= • ■ l^wnise ff\" 7^'-*/««
in seinem .Der Schwam^eren 1 n»: Die " r»
«oll nicht faul und f .üiergehen, urnuaiMg«
78. Die Ernähning' der Schwangeren.
497
)rücken und Sprinsen unterlassen. Man soll sich hüten, sie auf die
Schulter oder den Nacken zu schlagen. Wenn die Geburt nahe ist,
so soll sie bisweilen mit ausgestreckten Schenkeln eine Stunde lang
sitzen, dann schnell wieder aufstehen, hohe Stiegen auf und ab
laufen, singen oder stark rufen. Die Verhaltungsregeln siud hier
also wesentlich einfacher, als bei Soranus. In dem unterweisenden
}edichte, welches Rösslin seinem Hebammenbiichlein angehängt
t, heisst es sehr naiv, nachdem die Diät der Schwangeren aus-
ihrlich in Versen angegeben worden:
,Wenn sich dann nuhet ihre Zeit,
Dass sie der Fnieht soll werden queil,
So sollen sie apacieren thon,
Die Treppen auf und nieder gohn.
Dardurch sie ring und fertig werden,
Zu gebeten oho all Beschwerden.*
78. Die Ernährung der Schwangeren.
Eine ausserordentlich weite Verbreitung hat die Annahme,
eine Frau während der Gravidität be.stimmte, ihr sonst gebräuch-
liche Nahnmgsmittel zu meiden hätte und dafür andere besonders
ausgewählte Speisen geniessen müsste. Wir haben bereits in den
vorigen Abschnitten derartige Verordnungen kennen gelernt. Die
^verschiedenartigsten Ideen liegen diesen Bestimnumgen zu Grunde
md nicht immer gelingt es, sich ein klares Bild von ihnen zu
entwerfen.
Atu einfachsten verstÄndlich ist das Verbot , zusamtnengewachsene
fruchte zu essen, wie wir es im Voigtlande, in Mecklenburg und auf
len Seranglao- und Gorong- Inseln finden. Man sieht ohn« Weiteres und
es wird auch noch besonders hinzugefügt, dasa man fürchtete, dasa durch
derartigt! Nahrung Zwillinge entstünden.
KUni gleich bei den Speiseverboten zu bleiben, so darf die schwangere
erb in kein Schweineüeisch essen, weil sonst ihr Kind schielend würde,
nd sie darf keine Fische essen, weil sonst ihr Kind lange stumm bleibt.
In Deutschland nahmen im 16. Jahrhundert auf Aurathen der Aorzte,
. B. RöMBlin's, die Schwangeren gegen Ende der Schwangerachail keine
■cbarfen Speisen zu sich.
Auf den Seranglao- und Goroog-Inieln darf die Schwangere keine
[lüapa und Kanari und nur wenig Salz und spaniKcheo Pfcfter zu »ich
lefamcn. und auf den Watubela-lnseln sind ihnen ausserdem auch Volvoli
Ind Raspen verboten. Zu den in der Gravidität verbotenen Speisen gehören
fische mit einem kleinen Schnabel und alles Fleisch von geschlachteten
rhieren, aur.h von den Beutelrattea. Auf Ambon und den Uliase-InsL'ln
i\\i die Regel, dasN di«; Frau in der Schwangerschaft Überhaupt nicht zuviel
isen BoU, weil sonst ihr Kind gefr&ssig werden würde.
Die »chwangere Japanerin verschmlÜit Kaninchen und Hasen zu ensen,
M Furcht, daas das Kind vinc lia«enifciiarte bekomme, und in einigen Go-
le&ditu Japan« is«t die Schwangere Überhaupt kein Fleisch. Im Boginn
1>U«*, Du W«lb. 1. 1, Atttt. 32
498
iVl. Die Geaundlieitspflege der Schwangerschaft.
der Schwangerschaft, d. h. sobald die Menses aasbleiben und Erbrechen auf-
tritt, wird bei den Annamiten-Frauen Nichte in der Lebensweise geündert.
Nur von einigen furchtsamen Weibern wird eine besondere, von alt^n Frauen
vorgeschriebene Diätetik befolgt: sie enthalten sich des Genusses von Ochsen-
fleiscb und von Papaya - FrQchten ; man glaubt , dass jenes Fleisch Ober
Nacht Abortus herbeiführt, während man von diesen Friichten eine ähnliche
Wirkung durch Erregung der Milch-Absonderung fürchtet. Allein die grosse
Mehrzahl bleibt bei der gewohnten Nahrung in der Erwartung, dam Bxeh
doA Kind rubig weiter entwickele.
In Limo lo Pahalaa auf der Nordcelebischen Landzang« haben
die Frauen (der Alfuren) während der Schwangerschaft sich des Essens von
stark riechenden Früchten zu enthalten, z. B. der Doerian, Koeini, der Krabben,
der Seekrebse, der Aale u. s. w. Vor der Erstgeburt darf auf den Bank«-
Inseln im westlichen Theil des Stillen Oceans die Frau niemals Fische
essen, die mit der Schlinge, dem Netze oder in einer Falle gefangen sind.
Aebnliche Gebräuche sind auch von den Viti -Inseln bekannt. (Eckardt.)
Die Indianerin Brasiliens vermeidet in der Schwangerschaft deo
FlcischgenuKs, und bei den Indianern des Gran Chaco essen überhauut
die verheinitbeten Personen kein Schaffleisch, weil sie meinen, dass die tu
erwartenden Kinder dann stumpfnasig werden. Die schwangere Negerin
der Loaugo-KUate trinkt keinen Rum mehr, weil das Kind Muttermale
bekommen könnte. Diesem Aberglauben wird jedoch nicht alIg«ueiD ge-
huldigt, da von Pechuel-Loescht auch ein abweichendes Verhalten beobachtet
wurde. Den schwangeren Jüdinnen der Bibel Cl. Huch Richter IS^ 7j war;
es sowohl verboten, Wein wie aach starke Getränke zu trinken, oder etwis |
Unreines zu essen.
Neben diesen Verboten finden wir aber auch ganz bestimmte Vor-
■chriften in Bezug auf die zu wählende Nahrung. So muss auf den ma-
lüyidcheu Inseln Romang, Dama, Teun, Nila und Serua die Schwan-
gere täglich robu Fische mit dem Safte von Citrus hystrix essen.
Auf den Carolinen-Inseln ist den Männern streng untersagt, mit der!
Frau zusammen zu essen, aber die kleinen Knaben, die noch keinen Qflzial
kragen, dürfen es ; nur sie dürfen ihr Kokosnüsse bringen, deren sie eine Mesfe
b«dArf, weil sie kein anderes Getränk zu sich nehmen darf, als die Milch
dleaer Frucht: judoch sind ihr mehrere Arten von Kokosnüssen und Brod-
fruchten streng verboten. Dies berichtet MaUmt, welcher 1816 als Natur- 1
forscher die ruBsische Expedition unter Capitftn lAtkt begleitet«.
Auf Java geniessen die Schwangeren vorzugsweise gern eine dort eebr
beliebte Speise, die man Radja nennt und die aus verschiedeneu unreifnn
BaumfrOchten bereitet wird, indem man dieselben schält, in Stücke achneidet,
zarstuinpft und dann mit Salz und reichlich mit spanischen Pfaffenchoten
vermischt. (Kuegel.)
lu China sagt der Arzt: .Da der Appetit in der SchwaagerschoA un
•ich schwach ist, so geniesst die Frau sbhon von selbst nicht viel; an
b«'»t«n goniosst sie Hühnerbrühe, in Scheiben geachnittene Früchte, nifotali
M,ht'r r»tt» Hpoisen.* Im Spociellen wird von einem chinesischen Ar*t«
(, -) gorathen-. ,Die Schwangere darf bloss »a&<f und !; u«»hrj
V, . Ik< als animalische, durchaus ober kein« widrijrcn Uf henj
l't"H" K""'"**""' Enthalten mu8« sie sich ganz TOT na,
ik\\<i \<A\"Tn\, allrr ficharf gesaltenen. sowie ., -itf
(, -n die ääfte ihro«KOrpflrs tui
I, ich ömpfehleuswerth fölr Scku
lag der scnwangereo.
ft
I
I
'Erbsenbrei, junger KobJ, uebat anderen leicht verdaulichen Erd- und Wurzel-
friichten. Von Fleischgattungen kann eine Schwangere alles leicht Ver-
Üaaliche und Zarte zum Genusa auswählen, namentlich nutzen ihr Hühner,
Enten, Tauben, junge Hunde und magere Ferkel. Nur musa mau AUea so
viel als möglich achmackhaft Eobereiten und den Schaum zuvor abnehmen.
Ein ganz vorzügliches Nahrungsmittel für Schwangere «ind Milchnpeiaen
aller Art. Dagegen ist ihnen der Genuas von allerhand unverdaulichen
und erhitzenden Speisen durchaus zu verbieten; bierunter gehören Ingwer,
Zittwer, Galgant, Pfeffer, Cardamom u. a. w. Nachtheilig für eine
Schwangere ist femer Hunde-, Esel-, Pferde-, Schweine- und Rattenileisch,
Kowie überhaupt das Fleisch von wilden Thieren. Sodann Muscusthiere,
Igel, Ratten, Mäuse, Schildkröten, Ottern, Frösche, Krebse, Heuschrocken,
Muscheln u. a. m. Desgleichen Schweineblut, Enteneier und endlich Alles,
was in Butter gebraten ist. Trinken mag eine Schwangere Alles, was leicht
und schmackhaft ist und nicht trunken macht. Jedoch Wein, ßier oder
gar Branntwein und Arac, sowie überhaupt alle anderen erhitzenden Ge-
tränke, dürfen einer Schwängern niemals gestattet werden."
Aeusserst vorsichtig, fast abergläubisch ängstlich und enthaltsam lebt
wfthrend der Schwangerschaft hinsichtbch der Nahrungswahl die Indianerin
Sfldamerikas unter vielen St&mmen. Bei den Gnaranis Brasiliens
mosa sie sogar faxten. Die Pahute- Indianer in Nordamerika suchen
durch ein der Schwangeren während der letzten Wochen vor der Niederkunft
vorgeschriebenes Fasten die Frucht zu nöthigeu, dass sie uiöglichst bald
danach strebe, an das Tageslicht zu treten , um sich an der Milch der
Mutter gütlich zu thun; ausserdem aber hoffen sie durch dieses Hungern
die Weichtheila der Geburtswege zum Schwinden zu bringen und somit daa
Thor für den hindurchtretenden Sprössling weit zu macheu. (Enyelmann.)
Die Indianer- Frauen in Canada essen während der Schwangerschaft
wenig. {Le Beau.)
Bei den Lappen ti-anken die Schwangeren vor ihrer Entbindung
Sarakka-Wein und sie assen nach derselben Sarakka-Grtttze. Die üarakka
war die eigentliche Geburtsgöttin der Lappen, die alles Werdende, be-
siondera die Frucht schützte. An sie richtete man auch während der
Schwangerschaft Gebete, man errichtete ihr in der Nähe ein Zelt, in dem
sie wohnte, bis die Stunde der Mutter gekommen war. {Passarge.)
Wir haben auch aus Deutschland bemerkenawerthe Thatsachen
aufgesammelt, durch die nch herausstellt, da«B gewisse Unsitten hiiuicht«
lieb der Diät der Schwangeren eine grosse Verbreitung fanden , dasa aber
der sich anknüpfende Volksglaube sonderbar variirt. Dies betrifft insbe-
sondere den Branntwein genuas, der doch nach rationeller Anschauung einer
Schwangeren nicht auzuratheii ist. Im Pongau in Oesterreich trinken
die Schwangeren viel Branntwein und lassen zur Ader, in der Absicht, dass
der Fötus klein bleibt und so die Entbindung leichter wird (Skoda); in der
Pfalz aber glauben die Schwangeron, durch Genuas von Branntwein dem
Kinde eine glatte weisse Haut zu verschalfen (Pauli) ; und schiesslich wollen
sie in der Rheinpfalz damit erzielen, dass das Kind schön werde.
In Berlin und Potsdam soll die Frau in der Gravidität immer die
Kanten vom Brode essen, weil sie dann einen kräftigen Jungen bekommt.
Der alte Jiösslin empfahl den Schwangeren nahrhafte Speisen, insbe-
sondere zur Stärkung einen kräftigen wohlriechenden Wein. d. h. Clanst
aus Ingwer, Nelken, Liebstöckel, Galgant, WeisskUmmul und weissem
Pfeffer.
500
In alter Zeit herrschte unter dem ruBBischen Adel die Ueberzeagung,
dasB eine Frau in anderen UmBtänden einen guten Appetit haben und unge-
hindert viel fettes und nahrhaftes Eesen zu eich nehmen mOtse; um das so «f-
reichen, nahm man 40 Stück Brod von Bettlern, und das masste die Frau essen.
Manche Völker, die schou etvas weiter in der CiTilieation Torge-
sohritten waren, haben sogar eine besondere Hjgieine für die verBchiedenen
Scbwangerschaftsepocben und -Monate aufgestellt. So hatten namentlich
die alten Inder eigene Speiseregeln für jeden Schwangorscbaft^monat:
Bis zum achten Monat sollte die Frau nur solche Speisen genieasen. die
Eum Wachsthum, von da an jedoch solche, die zur Kräftigung des Fötus
beitragen könnten. In Susruta's Ayurredas beisst es: „Die Schwangere mxuu
angenehm und süss schmeckende, milde, aromatische Speisen geniessen.
Namentlich sei in den drei ersten Scbwangerschaftemonaten die Speise sfiss
nnd erfrischend, im dritten Monat Reis in Wasser gekocht, im vierten in
geronnener Milch, im fünften in Wasser, im sechsten mit gereinigter Butter
gekocht. Dies ist nach Einigen die Diät der Schwangeren." Aber StMruUi
setzt hinzu : „Im vierten Monat darf sie Wasser mit frischer Butter gemischt
und KebhflhnerSeisch genieesen; im fünften eine mit Milch und Bult«r be-
reitete Speise; im sechsten eine Essenz aus Butter mit Flaeourtia cata-
pbracta bereitet oder gegohrenes Reiswasser; im siebenten Butter mit He-
mionitis cordifolia bereitet. Das Alles soll zum Wachsthum der Fracht bei-
tragen. Von da an wird der Embryo gekräftigt, wenn die Frau im achten
Monat Wasser mit Ziziphus jujuba, Pavonia odorata, Sida cordifolia, Anethum
sowo, Fleischbrühe, geronnene Milch, Molken, Seaamöl, Seesalz, Früchte der
Yangueria spinosa, Honig und gereinigte Butter geniesst. Zuletzt geniesse
sie bis zur Niederkunft mildes Wasser mit gegofarenem Reis und Rebhühner-
(nach VuUers: Antilopen-) Brühe."
Bei den Atheniensern ass die Schwangere zum besseren Gedeihen
des Kindes Kohl {Athmaeus), essbare Muscheln und Aepfelschalen, and ü«
erhielt ein Getränk aus Diptam bereitet. (Bartholinus.) Nach Ep
genoas sie den Kohl mit Oel und Käse:
.Cum Amphidromia celebrentur, qoibus mos est
Assare frusta casei Cheraonitae,
Oleoque brassicam in fasciculos coUectam incoqnere."
Und bei Q. Serenus Samonicus hei^t es:
,At ubi jam certum spondet praegnatio foe^us
Ut facili vigeat serrata puerpera partu
Dict&mnum bibitur, Cochleae maaduutur edules."
Die ROmer rathen, „vom achten Monat an m&ssig in der Nabrong
zu leben."
Wir haben gehört, was und wie die schwangere Frau essen
soll, und wir wollen noch einen ganz flüchtigen Einblick gewinne«,
wo sie ihre Nahrung zu sich nehmen und wo sie sie nicht zu sich
nehmen soll.
Dass eine Schwangere überall dort, wo sie für imrein gilt, an
dem gewöhnlichen Speiseplatz nicht ihr Mahl verzehren dar!', sondern ]
dass sie gezwungen ist, sk'h ein abgesondertes Winkelclicn aufzu-
suchen, das versteht sich von selbst. Die Schwangere auf den liuseln
Ambon und Uliase darf sich zum Essen nicht auf die Treppe des
Hauses setzen, weil sonst ihr Kind eine Hascnsoharto bekäme, sie
darf auf Seranglao und Gorong nicht aus einer Wanne oder tatal
J'-T- -»-iJS«^- l^f ■*2?^UÄrf~T»«.
T,.^ -"
.;-— ■ » -
* -rsr'^-'t^' - -j. ■
502
XYI. Die GeraSS
der Schwangeraol
Versicherung, dass eine willensstarke Frau dieselben ohne Weit
zu unterdrücken vermag.
Unter dem Volke namentlich auf dem Lande spielen die (Je-
lüste der Schwangeren aber auch heute noch eine grosse Rolle,
und es geht tlieses soweit, dass z. B. im Schwarzwulde eine
schwangere Frau, wenn sie von dem Gelüste befallen wird, ohne
Weiteres Früchte aus einem fremden Garten zu nehmen berechtigt
ist, jedoch besteht dabei die Bedingung, dass sie dieselben dann
auch sofort verzehren muss. Auch schon nach den Weisthümem
durften nach G-rimm die Schwangeren nach Belieben und ohne dass
sie straflDar waren, ihr Gelüste nach Wildpret, Obst und Gemüse
befriedigen, selbst wenn es anderen Leuten gehörte. Wenn in
Brandenburg eine Schwangere ihre Gelüste unterdrückt, so färchtet
man, dass ihr Kind niemals die betreftenden Speisen wird essen
können. In Schwaben glaubt man (Buck)^ dass eine Schwangere,
deren Sehnsucht nach einer gewissen Speise unerfüllt bleibt, ein
Kind mit einem Muttennale gebären werde, des.sen Form an die
betreffende Speise erinnert.
Man darf aber nicht etwa denken, da.ss „Gelüste" nur bei
Schwangeren höher civilisirter Völkerschaften vorkommen ; vielmehr
werden auch die Frauen der ürvölker von ihnen geplagt, und auch
bei ihnen herrscht die Meinung, dass es dem Kinde schade, wenn
man den Schwangeren die absonderlichen Genüsse versagt, nach
denen sie gelüstet. Wie die altindischen Aerzte schon meinten,
die Gelüste der Schwangeren müssten befriedigt werden, so st<.'llt«n
denselben Grundsatz die jüdischen Aerzte des Talmud auf; im
Falle der Nichtbefolgung desselben hielten .sie Leben und Gesund-
heit der Schwangeren oder ihrer Frucht ftir so sehr gefährdet, da^e
man nöthigenfalls selbst den Versöhnungstag entweihen und die
Speisegesetze unberücksichtigt lassen durfte.
Auch bei den heute lebenden wildeu Völkerschaften spielen die
Gelüste eine grosfle Rolle. So werden nach dem Zeugnisse dm
Abtes Gili die Indianerinnen am Oriuoco nicht weuig von
Gelüsten geplagt, und von den Indianern, welche ehemals Penn-
sylvanien bewohnten, erzählt Jlecl'twdder:
„Wenn eine kranke oder schwivngero Frau zn irgend einer Speise Ltul
hat, 80 macht der Ehemann sicii gleich auf. Bie zu besorgen." Er fflliri
Beispiele an, wo der Mann 40 — 50 Meilen lief, um eine Schüssvl Kraaiob-
beeren oder ein Gericht Welschkom zu schatfeu. Eichhörnchen, Enten and
dergleichen Leckcrbi^fien sind die Diugc. wonach die Frauen im Anfiing«
der Schwangeriichaft gewöhnlich gelüstet; der Mann spart keine Mühe, si*
herbeizuholen.
Aus den Nilländern berichtet Hartmann: Schwanijere leiden
auch in diesen Gegenden häufig uu muticherh'i
ständen, b»^.--.".!»^»-« am Tama, dem iu'K ''_'•"'♦''" <• .... .
derlicher > und an anderen I uia^n. 1' '»
sucht 1. . " ' " • ^ ' . ' \l,.yntiiftrit
Qeuü^''
K Die Sorge für die psychische Stimmung der Schwangeren. 503
lu Damascus geniessen die schwangeren Frauen das Pulver
les wohlriechenden Steines, genannt Tubaret homra, rother
Staub, theils wegen des angenehmen Geruchs, theils der Gesundheit
regen. Denselben Stein benutzt man dort gepulvert und mit warmem
7as8er zum Reinigen des Kopfes. (Petermann.)
Während der Schwangerschaft pflegen die Frauen zu Luck-
low in Indien Erde zu essen, die sie in kleinen Knollen ver-
jhren. In Bengalen dagegen ist diese Erde in kleine Scheiben
)n zierlicher Form gebracht. Sie essen dieselben in grossen Massen
)tz des Verbotes ihrer Ehemänner. (Jayor.)
Auch in Persien verzehren die Schwangeren nach Po/aft wäh-
snd der letzten Monate besonders viele Erde, Magnesia-Tabasclür.
>b wir hier Gelüste zu erkennen haben, oder ob diese absonder-
ichen Nahrungsmittel nicht vielmehr eine medicamentöse Bedeutung
sitzen, lassen wir dahingestellt.
Um echte Gelöste handelt es sich aber bei den Bewohnerinnen
der kleinen Inseln im Südosten des malayischen Archipels. Wir
haben bereits oben einige Speiseverbote kennen gelernt, die für
Kiese Frauen während der Schwangerschaft Geltung haben. Sie
werden aber sämmtlich hinfällig, sobald eine solche Frau von Qe-
Ist-en befallen wird. Dann darf sie eben Alles essen, z. B. aiif
erang auch herbe und saure Früchte, auf Anibon und den
'liase-In-seln ausser unreifen Früchten selbst gebrannten Thon und
ijcherben von Töpfen und Pfannen. Streng für die Schwangeren
^erpönt ist aber trotz aller sonstigen Nachsicht gegen die Gelüste
if Keisar die Ananas und auf den Inseln Leti, Moa und La-
ie r die Erdmandel (arachis hypogaea), letztere w«>il sie angeblich
•"ieber verursacht.
^0. Die Sorge für die psychische Stinimuiig der 8ciiwaugerea.
Während die auf niederer Cultur stehenden Völker ebenso
renig auf die geistige wie auf die kr)rperhche Ruhe der, wie bei
18 der Volksmund sagt, „in guter Hofl'nung" befindlichen Frau
l>edacht sind, beginnt man zumeist bei einiger Civilisation in dieser
Hinsicht rtick.sichts voller zu verfahren. Unter allen CulturvöUtem
denkt man schon daran, dass Heiterkeit des Gemüths, Reinlichkeit,
M&saigkeit in allen Genüssen die besten Vorsichtsmaassregeln in
fieser Beziehung sind und dass insbesondere alle heftigen Aflecte
rennieden werden muBHen. Schon die altindischen Aerzte be-
' ' M RathschlSge für Schwangere damit, dass sie ihnen
iidig , vergnügt* zu sein; und die Autoren unserer
lttrtt.i;ii li..'bHitiiiienbücher (ans dem 16. Jahrb.) sjigen, die Schwan*
?Te solle ,in Freude imd Wollust' leben. Jene rathen. Alles,
übel riecht, zu vermeiden, und auch diese meinen, die Schwan-
504 ^^' ^6 Oestincllieitspflege der Schwangerschaft.
gere müsse dem Gestank ausweichen. Der altindische Arzt Susruta
warnt vor Grabstätten, und ein chinesischer Arzt (i'. Martiua)
sagt: ,Eine Schwangere vermeide solche Orte, wo «uan ein Grab
bereitet, eine Leiche begräbt u. s. w.*
Das Verbot, sich bei Gräbern aufzuhalten und Leichen zu sehen,
ist ein weitverbreitetes. Wir begegnen ihm im malayischen Ar-
chipel auf Seranglao und Gorong und ebenso in Schlesien,
Pommern, Thüringen und dem Voigtlaude. Hier nimmt man
übrigens auch an, dass der Besuch des Kirchhofes dem entstehenden
Kinde zeitlebens eine Leichenfarbe oder gar der Schwangeren selber
den Tod zu bringen vermöchte. Streit und Zank muss die Schwangere
meiden, imd sie darf vor allen Dingen selbst nicht schelten oder gar
jähzornig werden, weil sonst auch ihr Kind böse werden würde
(Ostpreussen, Archangel, Luang- und Sermata-Inseln, Se-
ranglao und Gorong). Dass vielleicht die Sorge, der Schwangeren
eine ruhige und fröhliche Stimmung zu erhalten, die Ursache ist,
dass sie bei so verschiedenen Völkern nicht als Zeugin vor Gericht
erscheinen darf, wurde bereits früher erwähnt. Auch das Verbot
für die Schwangeren, Thiere zu tödten, muss wohl mit hierher
gerechnet werden. Wir finden dasselbe auf Seranglao und Go-
rong und auch im bayerischen Franken. Hier darf sie keine
jungen Katzen oder Hunde ins Wasser werfen, um sie zu ersäufen;
thut sie es dennoch, so wird sie kein lebendes Kind zur Welt
bringen. Auf den Inseln Ambon und den Uliase-Inselu darf sie
nicht einmal rohes Fleisch schneiden.
81. Das Versehen der Schwangeren.
Der Glaube, dass das plötzliche Sehen von etwas Hässlichem
oder gar Verkrüppeltem und Älissgestaltetem, über das die Schwanger*
erschrickt, in sympathetischer Weise dem Embryo Schaden bringe,
indem das Kind an irgend einer Stelle seines Körpers eine an diui
Gesehene erinnernde Miasbildung bekomme, ist über ganz Deutsch-
land verbreitet, findet sich aber ebenfalls bei manchen »osser-
europäischeu Völkern. Es ist noch nicht sehr lange her, dass nicht
allein das gebildete Publikum, sondern sogar die Aerzte jede Äfon«
strosität aus dem Versehen zu erklären sich bemühten, und natür-
licherweise gefiel es einer jungen Mutter, welche ein missgebildete»
Kmd zur Welt gebracht hatte, sich zu erinnern, dass sie iuiierhaJl»
der neun Monate ihrer Schwangerschaft einmal etwas Widerwärbgi»
gesehen oder sich über etwas erschreckt habe, dem sie dann bciw^-
willigst die Schuld an der Anomalie ilires Kimleü in die R'-linh««
schob. So glaubt man allgemein in Deutschland, dass die '
Diäler entstehfi
oder wenn si«-
81. Da
dar Schwafif
bluten sieht. Immer giebt dann das Feuermal das Bild der blut-
überströmten Stelle wieder. Auch das Erschrecken vor Thieren ist
höchst gefahrlich, weil die Schwangere sich ebenfalls daran versieht
und dann die Kinder je nach der Thiergattung mit behaarten Mutter-
oiälem, mit Hasenscharten, mit Schweineschwänzen oder Ziegen -
klauen, und wenn das Tbier, welches den Schreck eingejagt hat,
zufällig ein frischgeschlachtetes war, auch mit oöenem Bauche und
Torliegenden Eingeweiden geboren werden. Wenn die Mutter vor
einem Hasen erschrickt und sich dabei in das Gesicht fasst, so be-
kommt das Kind eine Hasenscharte ; es kann aber auch einen Hasen-
kopf bekommen (Spreewald). Wenn die schwangere Serbin in
dtLS Blut eines frischgeschlachteten Schweines tritt, so bekommt ihr
Kind rothe Flecke.
An das Versehen der Schwangeren glaubt man auch in
Kleinrussland, wo man es fixr besonders gefährlich hält, wenn
sie ein brennendes Haus sieht, denn dann bekommt das Kind auf
der Stirn einen schwarzen Strich oder einen duukelrothen Fleck
am Leibe. Im Gouvernement Charkow vermeiden Schwangere den
Anblick sehr häsalicher Menschen, besonders solcher, welche Narben
oder etwas Aehnliches im Gesiebt haben.
Dass schon die alten Juden an das Versehen der Schwan-
geren glaubten, geht aus der Er/ahlung des Alten Testaments von
Jacob hervor, welcher die trächtigen Mutterschafe angeblich mit
gutem Erfolge zum Anschauen verschiedenfarbiger Stäbe nüthigte.
Vielleicht hatten auch die alten Inder diesen Aberglauben, denn
Susruta warnte Schwangere, schmutzige und , ungestaltete" Dinge
zu berühren. Der oben genannte chinesische Arzt sagt: Man
hüte sich, eine Schwangere Hasen, Mäuse, Igel, Schildki-fHeu, Ottern,
Frösche, Kröten und dergl. sehen zu lassen. Ebenso muss auf
A m b o n und den Uliase-lnseln die schwangere Frau vor-
sichtig vermeiden, auf ihren Ausgängen Schlangen oder Affen zu
begegnen.
Auch unter den Urvölkeni Amerikas ist der Glaube an das
Versehen heimisch, z. B. unter den Indianern am Orinoco-Strom
in Südamerika. {G-iUi.}
Auch ist den Wakamba in Ostafrika nach Hildebrandt das
Versehen eine sehr bekannte Erscheinung. Empfindet die Frau
rechtzeitig, dass sie sich versehen hat, so muss sie die Arme nach
hinten bewegen und dazu sprechen , weggesagt ", dann wird das
Versehen unschädlich.
In Altpreussen herrscht, um das Versehen zu verhüten, die
Vorschrift, dass die Frau, sobald sie einem Krüppel u. s. w. be-
gegnet, nach dem Himmel oder auf ihre Fingernägel schauen soll.
Die Siebenbürger haben gegen das Versehen folgende Mittel.
Sie fordern die Schwangere auf, den Gegenstand, oder die Person.
«MJ welcher sie sich etwa versehen könnte, genau anzusehen und
ttch davor nicht zu erschrecken, oder den Blick sofort davon ab-
506
XVI. Die Geaandheitspflege der Schwangerichaft.
zuwenden (im Unterwald und Schassburg). Fürchtet die Frati.
sich an Etwas zu versehen, so soll sie sich sogleich an den Hiiit«t«n
greifen und sich in Erinnerung bringen, sich nicht verseben <u
wollen, dann wird es keine Folge haben, oder das Kind wird das
«Mal" an diesem Körpertheil erhalten (ebendaselbst). Hat ein »Ver-
sehen* schon stattgefunden, und ist in Folge dessen das Neuge-
borene mit einem Schaden behaftet, so sucht man denselben zu
vertreiben und den Folgen des Versehens entgegenzuwirken: 1. Jeden
Freitag in der Zeit der Wochen setzt sich die Wöchnerin, die sich
während der Schwangerschaft an etwas versehen, auf die Thür-
scbwelie, mit den Füssen auf einen Besen tretend und mit dem Ge-
sichte einwärts (ins Zimmer) gekehrt und denkt nach, was ihr
Hässliches begegnet ist. Schliesslich betet sie ein Vaterunser (in
Ratsch). 2. In Minarken und St. Georgen muss die Wöchnerin,
die sich versehen, sieben aufeinanderfolgende Freitage auf der ThQr-
schwelle mit dem Gesicht gegen die Gasse gekehrt, sitzen, wenn sie
ihr Kind von dem betreffenden Gebrechen befreien will. 3. Wenn
sich eine Schwangere verseben hat, so muss sie an jedem Sonntage
während des Glockenläutens in der Zeit der Wochen auf der Thür-
schwelle sitzen, das Kopftuch abnehmen, die Zöpfe auf den Kücken
herabhängen lassen und wünschen, dass das Gebrec-hen dem Kiode
vergehe. {Hillner.)
Es steht ja nun natürlich ausser allem Zweifel, daaa Schreck
und Gemüthsbewegungeu einer schwangeren Frau auf deren Nerven-
system und auf ihre Blutcirculation eine alterirende Wirkung haben
müssen, die sehr wohl zu Stönmgen in dem Wachsthum des Em-
bryo zu führen vermögen, und ganz neuerdings verficht der Leip-
ziger G}Tiäkologe Hennig die Schädlichkeit eines Erschrecken«
der Mutter für das Kind im Uterus:
«Dagegen werde ich wieder zu einer schon früher in meinen Vor-
lesungen vertheidigten Ansicht hingezogen, welche eine heftige, unvorliereitet
die Schwangere treffende Gemüthsbewegung, hier den Schreck bei eiavr
abergläubischen Pernon al« primum anspricht. Meine Theorie ist folgende:
während der körperlichen Erschütterung, welche jeden Schreck begleitet,
triät ausser dem bekannten präcardialdn Irradiatiousgefühle ein centrifu-
galer (Hirn-) Strom die bei Frauen so leicht erregbaren Verbinduugssträng«,
welche aus dem Rückenmarke zum Uterusgeflechte hLnstreichen. Da«*
dieser psychiBcbe Reir. zunächst nicht den plexus spermaticus tritfl, wird
durch die Thatsache erhärtet, dass die von heftiger Gemüthsbewegung bö-
iroffenen Frauen meist nicht hjpogastrische Schmerzen, sondern eiaea
kurzen ceniriscben Schmerz odt<r Krampf in di?r Gegend der ijübämiatt^v
angeben, der gern reflectorisch die ßeinmuskeln lähmt, zunächst TorÜber-
gehend. Sitzt nun im Uterus ein junges Ei, eo stelle ich mir vor, diun di« <
vorzeitige Wehe eine Welle im Fruchtwasser erregt. Diese Welle atfinl |
gegen den Scheidentheil, ifrückt entweder die Frucht abwärts , od<*r «tOaii
im Rückprall gegen den «ininH '^ '"'- — i-..^...i,,.{j nochmals von nb«B |
abprallend. Ulerbni werden . le dos Embryo laicht j
geaorrt , Spalten am *•' ' ' ^Ha Hal-
iUDK der GliedmMUf
Was der Lehre von dem Versehen der Schwangeren in der
Igeraeinheit, wie man sie früher aufgestellt hatte, aber mit Recht
len Boden entzogen hat, das ist der Umstand, dass der von der
Ititter mit aller Bestimmtheit angegebene Schreck, der dem Kinde
ie Missbildung gebracht haben sollte, in den meisten Fallen in
ien letzten Monaten der Schwangerschaft der Mutter begegnet war,
rährend das Zustandekommen der Monstrosität, wie die Ent-
wickelungsgeschichtö unwiderleglich bewies, aus den allerersten
LWochen nach der Befruchtung herrührte.
82. Abergläubische Yerhaltnngsregeln während der
Schwangerschaft.
Wir haben in den vorigen Abschnitten schon so vielerlei keimen
gelernt, was die Schwangere thun und was sie vermeiden soll, dass
lan glauben möchte, die Verhaltungsregeln seien nun damit er-
jft. Dem ist aber keineswegs so. Es ist besonders noch
therlei, vor dem sie sich zu hüten hat, wenn sie sich oder ihrem
Cinde keinen Schaden zufügen will. Erscheinen uns mm auch
lanche von diesen Bestimmungen ganz absurd, so können wir
ioch wieder bei anderen den Gedankengang ahnen, welcher die
tite zu diesen Vorschriften veranlasst hat. Alles Knüpfen, Knoten
Verbinden verursacht einen Verschluss und muss daher von
Scliwangeren unterlassen werden, wenn sie nicht selbst ver-
rschlosseu sein will oder mit anderen Worten, wenn sie einer schweren
Entbindimg ausweichen möchte. Darum darf sie auch auf den
luang- und Sermata- und den B ab ar- Inseln keine Stoffe
reben und auf den letzteren auch keine Matten flechten. In Franken
larf die Schwangere aus dem gleichen Grunde nicht über eine
^flugschleife hinwegschreiten, oder wenn sie es aus Versehen deimoch
rethan hat, so muss dieselbe wieder zusammengeharkt werden.
les Kriechen und Sich winden macht dem Kinde ümschlingungen
ler Nabelschnur, (Majer.) Daher vermeidet in der Pfalz die
Trau, unter einer Waschleine hiudurchzuschlüpfeu ; auch darf sie
ireder spinnen, haspeln, noch zwirnen. {PaHli.) Im bayeiri-
Bcben Franken darf sie ebenfalls nicht unter einem Seile oder einer
*lunke hindurchscblüpfen und dieselbe Besorgnis« ist bei den
Isthen die Ursache, dass Schwangere beim Waschen und Abspülen
ler KJeidungsstücke nicht kreistlirmig drehen. In Oldenburg
larf di«' S<'hwangere nicht unter dem Halse des Pferdes hindurch-
|) 1, nicht über eine Egge schreiten und nicht über eine Wagen-
. kriechen.
EUneo Wasserkopf bcskommt das Kind, wenn die Mutter sich am Woeaer
thun uiarht (Pr*.inH8«n). Damit das Kind nicht »chielcnd werde, darf in
'rauiHon die 8chwAugere durch kein Aat- oder Schlüsselloch oder in ein«
XVI. Die
IWIffil
Flasche sehen, in Serbien die Fraa nicht über eine Heugabel BckredUni
(Petrowit8ch), und auf der Insel Ambon und den Uli ase- Inseln die Scliwui-
gere nicht auf Riffen fischen und nicht Leute, die mit Lepra und bösen G«-
schwüren behaftet sind, hinter ihrem Bücken vorbeigehen lassen. Auf d«n
letzteren luaeln darf sie nicht mit dem Rücken gegen einen Kochtopf gekehrt
sitzen, weil sonst das Kind schwarz werden wflrde, während die Wendin
in Hannover Male und Sommersprossen macht, wenn sie gelbe Rüben
schabt oder etwas kocht, was spritzt. Rothe Haare bekommt das Kind im
Spreewalde, wenn die Schwangere, am den Flachs zu trocknen, in des
Backofen kriecht Hält eich die Wendin in Hannover and im Sprae-
walde bei etwas Uebelriechendem die Augen zu, so bekommt das Kind
einen stinkenden .\them, und zu einem Bettnässer macht die letzter» ihr
Kind, wenn sie ihr Wasser bei einer laufenden Dachtraufe abschlfi^.
Wenn die Schwangere einem armen Sünder auf seinem letzten Gange |
folgt, so wird da» Kind einst denselben Weg gehen. (Bayern.) Sie darfj
nicht Jemandem etwas fortnehmen oder heimlich essen, weil sonst ihr Kind
die Neigung zum Stehlen bekommt (Ostpreussen); aus dem gleicheA
Grunde darf sie auf Ambon und den Ul iase- Inseln nichts heimlich ver-
bergen. Eine verkehrte Lage giebb es dem Kinde, wenn auf den Luang-
und Sermata-Inseln und in Esthland das Brandholz verkehrt oder gegen
den Ast in das Feuer geschoben wird. Eine besonders grosse Gefahr bringt '
es dem Kinde auf Ambon und den Cliase-Inueln, sowie auf Seranglao
und Gorong und auf den Watubela- Inseln, wenn die Frau über Blinde,
Missgestaltete und Verkrüppelte ihren Spott treibt. Will die Frau auf So-
ranglao und Gorong gesunde und wohlgestaltete Kinder gebären, so
darf sie, wenn sie schwanger ist, nicht vor der Thüre sitzen, kein Holz uaf-
sammeln, nichts Stachliges fischen und nicht auf dem Rücken liegen. Auf
den Luang- und Sermata-Inseln darf nicht gekocht werden, wo eine
Schwangere im Hause ist. Die Esthin glaubt beim An«chneid«<u eines
Brodes ihren Kindern dadurch einen wohlget'ormten Mund zu verscbatfeu,
dass sie zunächst nur ein kleines Stück abschneidet. Bei den Serben darf {
die Schwangere daa Kreuz nicht küssen, weil sonst ihr Kind von Epilepaie
befallen wird, sie darf sich keinen kranken Zahn entfernen lassen, weil ihr
Kind sonst starben würde, und endlich küsst sie auch kein fremdes Kind,
aus Farcht, dass ihr dies eine Superfütation verursachen kOnnte.
Mit unbedeckten Haaren gehen und Katzen oder Hunde mit Ffluea
stoasen verursacht in Böhmen und Mähren Fehlgeburt.
um sich durch Sympathie eine glückliche Niederkunft zu sichern, bindoii
sich die Schwangeren in Brandenburg eine Seh langen haut, die sie findflo«]
um den Leib. {Engditn.) In Bayern schlafen sie auf Garn, welche« e
noch nicht sieben Jahre altes Mädchen gesponnen hat, weil dju glfiok« '
bringend Lst.
83. Die Pflichten des Ehemannes während der
Schwangerschaft.
Der Eintritt der Schwangerschaft legt nun aber nicht nnr d«r
Frau, sondern bei niauchen Völkern sogar auch dem Manne gant
bestimmte Verpflichtungen auf, mid zn diesen miuw man ja eigent-
lich auch schon die bereits erwühnt« Vürschriffc rechnen, dasa dur
). Die Pflichten des Ehemannes wfthrend der Sch^rangerschaft. 509
fctte während der Gravidität den Coitus und bisweilen sogar jeg-
"len Umgang mit der Ehefrau zu meiden hat. Bei den Pschaweu
'ranskaukasien) geht die Unreinheit der Frau während der
thwangerschaft. auch auf den Mann mit über, der dann ebenso wie
Ke Frau von allen Festliclikeiten ausgeschlossen wird.
Bei mehreren südamerikanischen Indianerstämmen ent-
ilten sich sowohl die Frau als auch der Mann während der Schwan-
srschaft des Genusses der Fleischspeisen ; bei den Guaranis geht der
"^tann nicht auf die Jagd, so lange seine Frau schwanger ist. Bei
anderen Stämmen, z. B. den Mauhees (nach v. Spür), muss der Ehe-
mann fasten und nur von Fischen und Frficliten leben. Schon die
alten Peruaner im Inca- Reiche liessen den Mann fasten, um
Zwillings- oder Missgeburten zu verhüten. Am Amazonenstrom
jebt es nach Chandless Stämme, die den Ehemännern Schwangerer
sehe, männliche Schildkröten imd Schildkrüteiieier zu speisen,
ausserdem aber auch angestrengte Arbeit verbieten. Besonders sind
Cariben, bei denen auch das Männerkindbett Sitte ist, in dieser
insicht für das Wohl des zu erwartenden Kindes besorgt.
Der Arbeit muss sich der Ehemann auch in Grönland bis
txa Geburt enthalten, weil sonst das Kind sterben würde. Und in
[amtscbatka machte man den Ehemann für die falsche Lage des
ides bei der Geburt verantwortlich, weil er zur Zeit der Nieder-
seiner Frau Holz über das Knie gebeugt hatte. (Stiller.)
Selbst die ungemein rohen Eingeborenen der Andamanen-
Inseln halten nach Man an dem Gebrauche fest, das» die Schwangere
weder Honig, noch Schweine, Marder (Paradoxurus) imd Eidechsen
ina) geiiiesst. Diese beiden letzteren Speisen vermeidet auch der
Utte, weil sonst der Embryo beunmhigt würde.
Der wilde Land-Dajak auf Borneo darf vor der Geburt des
Kindes nicht mit scharfen Instrumenten arbeiten, kein Thier tödten
und keine Flinte abfeuern. Noch viel weiter in solchem Aber-
Flauben gehen die Eingeborenen der Insel Nias (Niederländisch-
ndien): Mann und Frau müssen während der Schwangerschaft der
stzteren Orte vermeiden, wo ein Mord oder wo die Verbrennung
" les Hundes stattfand; sie dürfen kein Schwein oder Huhn tödten,
Jenn von den Krümmungen des Sterbenden würde etwas auf das
Kind übergehen; sie dürfen an keinem Hause zimmern, keinen Nagel
'•n, sich auf keine Leiter und in keine Thür stellen, kein
itt abbrechen, denn sonst würde das Kind nicht geboren
jrerden können; sie schauen in keinen Spiegel, in kein Bambusrohr,
mat würde das Kind schielen; sie essen keinen Bujuwu (Art Vogel),
^oa sonst spricht das Kind nicht, sondern krächzt, wie dieser Vogel;
sie mÜMsen noch unzählige aberg]ä»ibiBche Vorschriften ängst-
»efolgen, die ich mit ihren vermeintlichen Folgen hier nicht
ifzEbleu will. Auf Neubritannien muss der Ehemann zu Hause
leiben (nach Powell). Merkwürdig ist hierbei, wie häufig sich bei
ihr verschiedenen Völkern die abergläubischen Anschauungen wie-
510 Xyi. Die Gesundheitspflege. der Schwangenchftft.
derfinden: Auf Massaua im arabischen Meerbusen hfitefc sich, i
mir Brehm mündlich mittheüte, der Ehemann einer schwanga
Frau, ein Thier zu erschlagen, weil sonst die Frau das Knd Id
verlieren könne.
Auf Ambou tind den Üliase-Inseln darf der Ehemuni
Schwangeren nicht im Mondschein uriniren, denn dadurch, du
seine Scham entblösst, beleidigt er die auf dem Monde befindliiii
Frauen, was für seine Gattin eine schwere Entbindung nir Foij
haben würde.
Dies Alles sind abergläubische Vorstellmigen, weldie lagi
wie zauberhaft man sich Wirkung und Einfluss des Vateis i
seiner Lebensweise auf das Kind und sein Wohl denkt Der Yi
soll schliesslich nach diesem Volksglauben die Verantworfanf I
das Gedeihen des Kindes im Mutterleibe tragen.
Es möchte aber auch hier dem Herausgeber scheinen, alsva
wenigstens hinter einem Theil dieser abei^läubischen TTaidfa^
halb bewusst, halb unbewusst ein tieferer Smn verborgen lägtl
handelt sich hier mit grosser Wahracheinlichkeit xan ganx di
liehe Verpflichtungen, wie wir sie in der Sitte des Mannerkindbdk
erkennen müssen, dass nämlich der Vater das Anrecht auf A
Kind dadurch zu erwerben bestrebt ist, dass er an den Leidoi ■
Entbehrungen, welche die Schwangerschaft und das WochaU
auferlegen, in annähernd gleicher Weise wie die Gattin AtI^
nimmt. Von grossem Interesse ist es, dass wir bei den Carito
diese Gebräuche neben dem Männerkindbette antreffen.
XVU. Die Therapie der Scliwangerscliaft.
Mechanische Vorkehrungen wätirend der Schwangerschaft.
I Wir haben gesehen, wie selbst bei vielen roheu Volkern die
laicht sich Bahn gebrochen hat, dass körperliche Ueberanstren-
bgen während der Schwangerschaft der Mutter sowohl als auch
em Kinde zum Schaden gereichen. Aber andererseits lässt sich
sh nicht verkennen, dass eine zu grosse Verweichlichung während
Oravidität die Entbindung zu erschweren pflegt. Der englische
bnrtshelfer Riglty wies schon darauf liin, dass Schwangerschaft
d Geburt gerade dort am besten verlaufen, wo die Schwangeren
|e gewohnte Beschäftigung bis mr Niederkunft fortsetzen; auch
irt ims die tägliche Beobaclitung, dass unsere Arbeiterfrauen die
(tbindung leichter tiberstehen, als die in der Schwangerschaft sich
Bglichst ruhig verhaltenden vornehmen Damen. Auch Martin^ sagt:
I „Miü n'ignore que plus la femme ee rapproehe des conditions de la na-
re, plus aussi la fonction g^n^^ratrice s'accomplit sans bruit, et sans ces
kiblea eynergiqoes dea fouctiona physiques et morales qoi aont aoavent
188^68 jiisqu'Ä l'exaltution chez la femme civilisöe."
Immer imd immer tauchen aber sofort, wenn ein Volk einen
«rissen Civilisationsgrad erreicht, wenn sich besonders Geburts-
Iferinnen und Aerzte um das Wohl und Wehe der Schwangeren
Kümmern, die Gedanken an Schutzmaassregeln auf liinsichtlich der
ftltung, Stelluog und Lage, welche die Frau während derSchwan-
rschaft einnehmen soll. Den altindischen Frauen rieth Susrtita,
ih in der Schwangerschaft als Lager eines mit Schranken versehenen
ittes zu bedienen, in welchem sie in mehr sitzender Stellung
idafen rauasten. Ein chinesischer Arzt {v. Marh'us) giebt der
pwangereu den Rath, wechselweise auf beiden Seiten zu liegen,
B aber allein auf einer Seite zu schlafen. Auf dem Röcken zu
Igen, sei nachtheilig, auf dem Bauche aber höchst schädlich.
Ein besonderes Vorbeugungsmittel, welches sich sowohl bei
hen als auch namentlich bei civilisirten Völkern in ausgedehntem
rade eingebürgert hat, ist die Leibbinde. Im alten Rom, wo
die Schwangeren der grosseren Vorsicht wegen in Sänften
r von trächtigen Stuten tragen liessen, legten sie im achten
nat eine Binde um den Leib, die sofort bei der Geburt abge-'
512
XVn. Die Therapie der' Schwangerschaft.
nommen wurde (daher wurde die Göttin der Geburt mit dem Beinamen^
Sohij^ona bezeichnet). Eine Leibbinde zu tragen räth auch '-
aus Ephesus; dieselbe soll jedoch vom achten Monat an ;i.
werden, damit bei der nahenden Geburt das Gewicht des Kindes mit-)
wirke, dieselbe zu beschleunigen. Seit jener Zeit wurde das Tragen]
der Leibbinde in der Schwangerschaft von vielen Geburtshelfern ah
«Fördeningsmittel der Geburt", unter Anderen von Amhroisf ParS]
in Frankreich, beflirwortet
Auch empfiehlt der oliengenannte chinesische Arzt, eine 121
bis 14 Daumen breite Leibbinde zweimal um den Leib gewickelt
zu tragen. Ueber den Nutzen derselben sagt er: «Zuvörderst werden
durch selbige die Lenden gestärkt. Alsdann halt eine solche breite
Binde den Leib der Schwangeren zusammen, und wenn man un-
mittelbar vor der Niederkunft dieselbe losbindet, so wird alsdann
der Bauch erweitert und der Frucht dadurch Raum geschaÖY, sich
umzukehren." Die Birmauinnen tragen nach Ablauf des siebenten
Monats eine feste Binde um den Leib, um das Aufsteigen des Frucht-
halters zu verhindern, in der Meinung, dass, je höher die Frucht im
Bauche steigt, einen um so längeren Weg müsse sie beim Herunter*
steigen zurückzulegen haben, und um so schmerzhafter werde die
Entbindung sein. {Engelmann.)
Die Sitt^, in der Schwangerschaft eine Leibbinde zu tragen,
stammt in Japan aus sehr alter Zeit. Der geburtshUlfliche Re-
formator KuHf/aiva {Miyake) fand sie vor und eröffnete einen Feldzug
dagegen. Er sagt:
„In Japan ist es allgemein Sitte, dass die Frau Toin fünften Monate
an um ihren Leib ein seitlenes Tuch fest bindet; der Zweck, den man damit
■IM erreichen sucht, ist, den fötalen Dunst (Geist, Lebenskraft) zn bcrnhigea,
damit er nicht aufsteige. Man sagt, dasH die«e Bitte aus der Zeit der
Kaiserin JJjin-go-kogu etanune, die im Kriege gegen Korea selbst als Feld-
herrin einen Panzer trug, den sie, weil sie schwanger war, dadurch an ihren
Leib befestigte, dass sie ein zuüammengcfaltetos seidenes Tuch unj letzteren
fest anlegte. Nach der Eroberung von Korea gab sie einem Prinzen, dem nach-
maligen 16. Kaiser 0-djin (später zum Gott des Krieges erhoben) glacklich
das Leben. Der Kaiserin zu Ehren legten dann die schwangeren Frauen
ebenfalls die Binde an, in der HoH'nung, dadurch Friede und Wohlstand so
verewigen."
So knüpfte sich dort schon eine Sage an die Volkssitte. Kan-
yawa aber erklärt diese Herleitung nicht für geschichtlich, da aus
jener Zeit (200 n. Chr.) in den Geschicht*«quellen nichts, sondern
erst 1118 n. Chr. etwas von der Leibbinde erwähnt wird; und noch
später ist die Rede davon, dass die Gemahlin des Yoritomo in ihrer
Schwangerschaft mit besonderen Ceremonien die Leibbinde luolegte
Kanyuwa verwirft dieselbe .nach einer vieljiilirigeu Eriabruug ob
schädlich." Er demonstrirt diese seine Ansicht unter Hinw»»'- .l-r.,nr
das« die Natur die Krall besitze, allee Lebende wachM«^u ui
wickeln zw ' ' ' ' " ' " " ' '' i:
der Natur
i
9i. Mechanische Vorkehrnngcn -wahrend der Schwangerschaft. 513
stang ihrer Wurzel mit emeiu Steine ihr Wachstbum hindere:
ich die Thiere brächten ja ihre Jungen ohne Leibbinde zur Welt.
Jr beschuldigt die Binde, dass sie den Blutunilauf störe, Blutung
^ud Schwindel erzeuge, Schief läge des Kindes, kurz hunderterlei
ilamitäten bedinge.
»Leider kann ich allein, ein so kleiner Körper in der grossen
'^elt, meine Methode nicht verbreiten ; ich hoffe aber dennoch, dass
|ie allmählich durchdringen wird."" Mit diesen Worten scldiesst
' seine Verurtheilung der Leibbinde. Mit allen solchen
•u Neuerungen geht es Avie überall, so auch tu Japan,
jienilich langsam. Zwar erklärte in den zwanziger Jahren unseres
[ahrhunderts der japanische Arzt Mimcuuma\ , Früher trugen
ie Schwaugeren vom fünften Monat an die Leibbinde, jetzt ist sie
^lurch den Einfluss des Katu/awa-Gen-Fts abgeschafft." Dagegen
rar nach Ausspruch eines russischen Arztes diese Sitte noch in
en sechziger Jahren in Japan verbreitet; er sagt: , Schwangere
chnüren sich im ftinften Monat den Leib in der epigastrischen
Gegend mit einem schmalen Gurt sehr fest in der Absicht, dass
|er Fötus nicht zu gross werde und die Geburt nicht erschwere."
Wenn nun die Leibbinde auf den Unterleib der Schwangeren
Inen stetigen Einfluss ausübt, so hat man l>ei anderen Völkern
lurch Manipulationen, durch Kneten, Drücken und Mas-
iiren des Unterleibes einen ununterbrochenen Druck angewendlet.
}H» Geschäft ruht zumeist in den Händen von gewerbsmässig Hülfe-
tisienden, die damit die Absicht verbinden, eine etwa vorhandene
»Ische Lage des Kindes zu corrigiren. Die Manipulationen aljer
fhören in das Bereich des so ausgebreiteten, bei zahlreichen Völ-
kern beliebten Knetverfahrens. In Java wird von den Matronen,
reiche Hebammendienste leisten, der Unterleib der Schwangeren
eknetet; dieses eigentbümliche Verfahren heisst nach Köf/el ,Pit-
"pk*", nach Ilas.skarl ,Pidjed''. Das sind gewiss dieselljen Mani-
pulationen, Avclche bei den Alfuren auf Celebes (in Limo lo
*ahalaa auf der nordcelebischen Landzunge) während der
^hwangerschaft ununterbrochen vorgenommen werden, um dem
Kinde die rechte Lage zu geben. {Tiiedel) Von einem ähnlichen
^erfuhren der Hebammen in Mexiko berichtet v. Uslar. Auch wird
der Hepublik Guatemala der Schwangeren von der Hebamme
llmonatlich der LTnterleib gerieben und geschüttelt, ,um der Frucht
Ke gehörige Lage zu geben." (Bernouilli.) Den russischen
»uen in Astrachan wird ,im Falle einer zu frühen Senkimg
Fötus oder einer ungünstigen Lage desselben" der Leib einge-
ltet {im Russischen heisst es «pravit"). Diese Operation ver-
ebten alt^ Weiber, indem sie mit der rechten Hand nach oben
id mit der linken nach unten sanft drücken und stossen. {Mct/eraon.J
Japan behandelt man den Unterleib durch das sogenannte Am-
ilc lu einem Berichte {EnficJmunu) heisst es: Dort liearbeitet der
[cJJgrhülfe den Bauch der au seinem Nacken hängenden Scbwan-
I)M Weib. 1 - Katl. S3
514
geren; er stemmt seine Schultern an deren Brllste und seine Knie
zwischen ihre, so dass er sie fest ira Griff hat. Dann beginnt er
von der Seite her mit den Händen zu kneten, j-eibt vom siebenten
Halswirbel an nach unten und vorne, auch die Hinterbacken md
Hüften, mit seinen Handflächen und wiederholt diese Behandliuig
nach dem ftinften Monat jeden Morgen 60 bis 70 Male.
Man geht aber in der mechanischen HOlfeleistung zur Vor»|
bereitung auf die Geburt noch weiter, indem selbst bei wenig civili-
sirten Völkern eine künstliche Eröffnung der Geburtswege durch
Mittel vorgenommen wird, die bereits in das Gebiet der Gebär-
mutter-Chirurgie fallen. Schon die römischen Hebammen pllegtett
während des neunten Monats Pessarien von Fett einzulegen und
mechanische Beizungen des Muttermundes vorzunehmen.
Auf der Iiwel Yap werden der Schwangeren schon circa eineu
Monat vor der Gebi^ aufgerollte Blätter einer nicht überall auf
Yap wachsenden Pflanze in den Muttermimd eingeführt und immer
gegen neue, dickere Rollen gewechselt. Sie sollen den Zweck haben,
den Muttermund . zu erweitem , um die Geburt schmerzloser zu
machen, {v. Miklucho-Maclatf.) Sie wirken also in ganz ähnlicher
Weise wie die Pressschwämme oder wie die Laminaria- oder Tupelo-
Quellstifte.
S5. Das Baden und £insalbcn während der SchwangerschaftT
Der Gedjmke, dass Bäder und Oeleinreibungen der Schwangeren
nützlich sein können, liegt sehr nahe und so ünden wir dieselben
auch vielfach in Anwendung; insbesondere sind sie während der
letzten Zeit der Schwangerschaft bei den Orientalen sehr gebräuch-
lich; doch auch viele andere Völker benutzen dieselben. Wie nochi
jetzt in Indien, so wird auch wolü in der frühesten Zeit im Lande j
.des Ganges von diesen Mitteln Gebrauch gemacht worden sein-j
Allerdings möchte e» nach der im Allgemeinen unvoUkommenen
Uebersetzung des schon vielfach erwähnten, von Susruta geschrie-
benen Werkes Ayurveda in das Lateinische, welche wir Ut^ler
verdanken, scheinen, als ob jeuer alte Autor der Schwangeren Eiii-
salbuugen überhaupt verboten habe. Allein Viälers übersetzt die-i
selbe Stelle: ,Sie soll sich nicht selbst einsalben." Nach di«M«yj
letzteren Lesart hielt es also Susrtäa nur für schädlich, wena
die Schwangeren dergleichen Manipulationen eigenhändig besorgten.
Kicht nur bei den höheren Kasten Indiens ist das Baden in d«ri
Schwangerschaft sehr beliebt, sondern auch die Najer-Frau oimiot,
wenn sie schwanger ist, mehrfach Bäder mid soi^ Überhaupt ftrj
das gute Betindeu dos Körpers.
Wie auch üchon im nltcn Rom
während des neunten S- '••"■"•— "i"*«
Fett, freilich auch a'
86. Blatentziehungen während der Schwangerschaft. 515
nische Reizungen des Muttermundes in Anwendung zogen, so Hessen
auch später altarabische Aerzte, wie BJicuies, während der letzten
rierzehn Tage Bäder und Oeleinreibungen vornehmen.
In China werden den Schwangeren Bäder von kaltem Wasser
uid Seebäder angerathen; doch fürchtet man in anderen Gegenden,
durch das- Baden Schwangeren zu schaden. Im birmanischen
Reiche feiert man z. B. den ersten Tag des Jahres durch grosse
Feste, wobei Jedermann, der auf der Strasse geht, er mag noch
80 hohen Rang haben, in das Wasser getaucht wird; nur schwangere
Frauen sind yon dieser Ceremonie befreit, sie brauchen nur durch
ein Zeichen anzudeuten, dass sie respectirt sein wollen. (Hureau.)
Bei den russischen Frauen in Astrachan beisteht die Pflege
der Schwangeren hauptsächlich im Einreiben des Unterleibes mit
Oel oder Butter. {Meyerson.)
Auch sehr unciütivirte Völkerschaften haben ganz ähnlichen
diätetischen Brauch: auf den Tonga-Inseln reiben die Weiber den
schwangeren Leib mit einer Mischung von Oel und Gelbwurz ein,
um sich vor Erkältung zu schützen, {de liienmi.) Ebenso müssen
die schwangeren Frauen auf Seranglao imd Gorong, sowie auf
Ambon und den Ulia^e- Inseln sehr viel baden, und auf den letz-
teren Inseln müssen sie ihren Körper täglich zweimal mit fein-
gestampften Pinen- und Warear- Blättern bestreichen.
Während französische Geburtshelfer, unter Anderen schon
Pare, während der Schwangerschaft zur Erleichterung der Geburt
fette Stoffe in die Schenkel, die Schoossgegend, das Mittelfleisch und
die Geschlechtstheile einzureiben empfahlen, finden wir in dem ältesten
deutschen Hebammenbuche von Rösslin das Verbot: „Auch darf
sie keine Schwitzbäder, Salbungen des Leibes und Kopfes vor-
nehmen.** Dagegen sind jetzt in Deutschland bei den wohlhaben-
den Städterinnen laue Bäder am Jlnde der Schwangerschaft sehr
beliebt, um die Geburtstheile zu erschlaöen und die Spannung der
Bauchhaut zu mindern.
86. Blatentzlehangeii während der Schwangerschaft.
Bekannthch hat das Blutlassen lange Zeit hindurch bei den
Gultorvötkem eine ganz besondere Rolle gespielt; auch während
der Schwangerschaft war es noch bis vor gar nicht zu entfernter
Zeit ein sehr beliebtes, vorbeugendes Volksmittel. Aber auch bei
rohen Völkern finden wir vereinzelte Spuren der Meinung, dass das
BJnilassen nützlich in der Schwangerschaft sei. In Brasilien
bringen sich unter den Mauhee- Indianern aus diesem Grunde
aianche schwangeren Frauen Wunden an Armen und Beinen bei.
(«. MarHM)
Sehon frfilkb^ann der Kampf der Aerzte gegen die Unsitte dieses
fbrandiB. Da Su&nita die Blutentziehungen in der Schwan-
33*
516
XVII. Die Tlie»pie iet SchwangerBcbaft.
Jerschaft als schädlich verbietet, und- da die alten Inder in allen
solchen Dingen den Brahmanenäi"zten und ihren Rathschlägen ge-
wiss grosses Vertrauen schenkten, so ist anzunehmeu, dass sie das
Blutlassen der Schwangeren wirklich vermieden. Weun aber Janiii
jener altarabische Arzt Rha^cs vor dem unnöthigen AderlasseE
der Schwangeren warnt, so ist es wahrscheinlich, dass es zu setnet
Zeit schon im Volke recht gebräuchlich war, während der ietztei
Periode der Schwangerschatt häufig Ader zu lassen.
Orientalische Völkerschaften lieben das Aderlassen, beispiebj-
jWeiae die Perser, deren an den Aderlass schon gewohnte Frauen
ich im sechsten und siebenten Schwangerschaftsmonat einen Ader-
vornehmen, während ihn dieselben in den ersten Monaten^ be-j
sonders gegen Ende des dritten, ft\r schädlich halten. [PolaJc.)
Mitunter wird in China während der Schwangerschaft ein Ader-l
lass gemacht, eine Operation, die erst durch Mi,s.siouäre in China
eingeführt wurde und ,das Mittel der Fremden" heisst. Da« Volk
glaubt, dass eine Schwangere eich nie «von einem Manne die Ader
öffnen lassen darf, und die Hebammen erhalten natllrlich das Volk
in diesem Glauben zu ihrem eigenen Vortheil. {llnreau.)
Sehr beliebt ist das Aderlassen während der Schwangerschaiti
unter den Dalmatinern, welche bekanntUck slavischer Abkunftti
sind. Sie sind, wie es scheint, schon darin den Italienern sehr]
älmlich, dass sie übergrosse Freunde des Aderlasses überhaupt sind./
Dort müssen, wie DerhJich berichtet, die schwangeren Weiber,!
wenn die Geburt ohne üble Zufälle vor sieh gehen soll, zweimal sichj
die Ader öftiien ujid wenigstens einige Pfiind Blut entziehen lassen :[
1. in den ersten iTmf Monaten, falls Erbrechen, Schwindel, Kreuz-
oder Brustschmerzen, Harndrang, Zalmweh u. dergl. sich einstellen.
Zeigen sich aber diese Zufalle nicht, oder nur in sehr geringem
Grade, dann muss man erst recht zum Aderlass seine Zuflucht |
nehmen, um diesen üblen Symptomen vorzubeugen. 2. In den letzten i
Wochen der Schwangerschaft; man hält es für ein Präser^'ativmittelJ
gegen Krämpfe, Blutfluss und Apoplexie, wenn die Schwangere mi
der Aderlassbinde in das Wochenbett sich begiebt.
In Deutschland glaubt-e man lange, dass die Schwanger
ihrer Gesundheit wegen vor der Niederkunft Blut lassen müssen.]
Chirurgen, Bader und Hebammen hielten streng auf Befolgung/
dieses Vorurtheils. Die alten Hebammenordnungen verboten d»»j
Aderlassen nur in der ersten Schwangerschaftsperiode. Nach der!
Hebammenordnung des Lonicerus zu Frankfurt a. M, (1573) soll
die Schwangere ^in den ersten vier Monaten nicht Blut lassen, auch]
nicht Purgireu, denn es sind in dienen Monaten die Bande d«*
Frucht gar weich, zart und schwach." Noch in den letzKii .Uhr*
zehnten glaubten die Frauen im t' — ?'- ■•>><• -i-i- »i-nir-Mtl »Irr
Schwangerschaft den wietlcrholte;
87. Die mei
iem
rmmgexen.
in der Pfalz der Fall, indem dort (nach Pault) die Schwau-
anf dem Lande fast ohne A'usuahme Aderlässe voruehmen.
Im Anfange des 17. Jahrhunderts hat aber bereits Hippolytus
fdunrinonias in seinem grossen Werke vor dem Schaden gewarnt,
der ftir Mutter und Kind aus dem Aderlass erwächst. Er betitelt
das entsprechende Kapitel: Von dopelt Tyrannischen, dopelt ver-
wegenen, aller gebür straffwürdigen .\derlass-Grewln der schwangern
r "Weibern.
S7. Die niedicanientöse Bebandtang der Sehwangeren.
In Deutschland, wo sich von jeher eine grosse Neigung zur Quack-
isalbcrei geltend machte, hatten während des 16. Jahrhunderts die Hebammen
leinen reichhaltigen Medicamenten- Apparat gegen die kleinen und grossen
Leiden der Schwangerschaft: Wenn die Schwangere gefallen oder erschreckt
[ist, 80 dftSB man den Abortus förchtet, soll sie nach Anweisung alter Heb-
Bmmenbücher zur Verhütung desselben sich die Geschlecbtstbeile berftnchern
latisen und den Leib vorn waschen mit Wasser, in welchem Alaun, Gall-
Spfel, Schwarzwurz, Wein und Essig gesotten wurde. Frauen, welche ge-
wöhnlich zu früh niederkommen, sollen wälbrcnd der Schwangerschaft sich
alle Tage ein Fussbad bereiten lassen aus Odermennig, Camillenblunjen,
I Dill, Steinbrech und Salz zu gleichen Theilen, und darin eine Stunde vor dem
Nachtessen und drei Stunden nach demselben die Schenkel erwärmen und
mit warmen Tüchern abtrocknen, auch etliche Tage nüchtern einen Oold-
gfllden schwer von der gedörrten inneren Haut des HQhnernragens mit Wein
einnehmen. Bei Verstopfung rausate die Schwangere nach Angabe der
Hebammenordnung des Adam Louicerus (Frankfurt a. M. 1573) «Biretsch-
kräutlein mit Butter oder Lattichmiislein" gebrauchen, nöthigenfalls Stuhl-
Käpäein aus Honig und Eidotter oder von Venetianischer Seife; wenn
-das nicht half, do wurde mit Rath eines Medici eine Purgation aus Manna
und Casaia (Senna) gereicht. Wenn die Frau viel Ohnmacht und Beschwerniss
nach der EmpflngniaB empfindet, so soll sie einen .Morettrank" oder einen
I Trank von Rosen wasser, Ampferwasser, Zimmet und Manuchristiküchlein
gemacht trinken. So sie »Unlust zur Speise* hat, soll sie des Morgens ein
Trünklein von tiranutensyrup , Zimmetröhren und Ampferwasser oder einen
guten ,Morettrank* gebrauchen, ein Mogenpfloster legen und die Herzgrube
mit Ma«tixJil, Balsaniöt, Wermuthöl, Quittenöl u. a. w. schmieren. So eine
Fmu ihre , gewöhnliche Blume» (die Menstruation) bekommt, soll sie fol-
genden Scliwaden unten an sich gehen lassen und davon schwitzen: von
gro»iacm Wegerich, Eichenlaub, Brombeerlaub, Fünffingerkraut, Taubenmist,
Bohnenstroh und Habcrstroh von jedem gleich viel in Wasser gesotten; auch
I RoU Bio a\\ ihre Koi^t mit Wasser Itereiten lassen, darin ein Stahl gelüscht ixt.
Jetzt kennt man in Ditjutschland unter dem Landvolk allerlei Mittel
|l{<!g«n die Beschwerden der Schwangeren. In der Pfalz rathen gegen du
Erbrechen die Hebammen gewöhnlich Camillen-, Pfefferminz-, Zimmet-
{tiiee, ein/^n Löffel voll Malaga- Wein, auch aromatische Anfschlilge von Leb»
Branntwein, Nelken, Zimmet, .Vluskatnuas oder Hiesspapier mit
wnsser. Auch sympathetische Mittel werden hier und da nicht ver-
milir.. Die in der letzten Zeit der Schwangerschaft bisweilen eintreten<le
jtpj>fu0g bekämpft mun durch ein Glaa Honigwasser, Abends vordem
518
SVH. Die Therapie ätr Schwaagencbftf
Schlafengehen getrunken, oder darcb Senneablätter und kleine Rosinen mit
Zwetechenwasser infundirt, des MöVgens getrunken; zuweilen . anch dureh
Bittersalz in Fleischbrühe; auch nimmt man zu Kljstieren seine ZuflnchL
Gegen ürinbeachwerden brauchen die Schwangeren Dämpfe von Ca-
millen, Kleien und HoUunder in knieeuder Stellung, auch Einreibung ron
weissem Lilienöl, sowie Trinken von Mandelmilch. Bei varicöscn Venenj
werden spirituOee Einreibungen angewendet; bei Oedetn der SchamlippeoJ
trockene aromatische Fomentationen, auch örtliche Dampfbäder. Beim Herz-
klopfen Schwangerer wenden die Hebammen Getränk von kaltem Wasser oder
Zuckerwasser an. (PaitU.)
Abführmittel waren bei Schwangeren in Den lach 1 and fast Oberall
zur , Blutreinigung" sehr beliebt. Nicht bloss die oben erwähnte Frank-
furter Hebammenordnung verbietet schon ausdrückUch das Pargiren der
Schwangeren in den ereten vier Wochen wegen der abortiven Wirkung;
vielmehr wurde schon im Talmud (Tr. Pasachim) angedeutet, dass atarke
Abführmittel Abortus zur Folge haben können; und auch schon der alt*
arabische Ar^t Rhazes warnte vor dem Missbrauch der Purgantien gegen j
Ende der Schwangerschaft.
Behufs Erlangung einer leichten Entbindung beiascn die in Franken^
(Bayern) wohnenden israelitischen Frauen in der Schwangerschaft die
Stiele des Paradiesapfels ab. {Mayer.)
Bei den Römern genossen die schwangeren Frauen zur Vorbereitung
auf eine glückliche Geburt, theiis auch um den zu frühen Abgang der Frucht I
zu verhindern, Schnecken, einen Trank von Diptam und Granatapfelschalen;
uliter den aberglUubischen Mitteln befanden sich ferner Asche vom Ibis, !
Steine, die sich in Bäumen befanden, das Auge eines Chamäleon, das einem
Kinde zum ei-sten Male abgeschnittene Haar, Harnsteine u. s. w.
Im jetzigen Griechenland herrscht keine .besondere Behandlung der
schwangeren Frau; wenn eine solche an irgend einer acuten oder chroaiächen
Krankheit leidet, so ruft man deshalb doch keinen Arzt, weil man im Volke J
jedes Arzneimittel für abortiv hält. {Damian Georg.)
Bei den Naturvölkern wird nur selten, nach den Berichten der Reisenden .j
von Arzneien in der Schwangerschaft Gebrauch gemacht. Doch sind einige]
Beobachtungen in dieser Hinsicht immerhin bemerkenawerth. Einen sonder-
baren Zweck bei Verabreichung von Medicamenten in der Schwangerschaft]
verfolgen die Neger zu Old-Calabar in Ostafrika (Unvan): sie prüfeal
die Empffingniss mittelst Arzneien. Es gelten ihnen nämlich drei Arten von!
Schwangerschaft fOi- verhängniasvoll; Zwillinge, eine abgestorbene Frucht unilj
ein bald nach der Geburt absterbendes Kind. Die Entwinkelung solcher donxj
Untergange geweihten Früchte sollen nun Arzneien stören, wobei man sich vor-|
stellt, eine jenen Arzneiprüfungen widerstehende Frucht sei gesund und stramm, j
Wird darauf das Ei ausgestossen, so gilt es als unter die unglückliche Rcihrikj
gehörig. Die Mittel worden nun zuerst durch den Mund und den Mastdarm j
beigebracht, dann durch die Scheide, und in dem Falle, doas den erfteren ein]
blutiger AbBuss nachfolgt, auf den Muttermund selbst applioirt. 7" .ii.»...rn Bc-
hufe bedienen sie sich dreier Kräuter: einer Legnmin ose. einer \ iarl
(Euphorbia) und eine* Amomum. Der Stengel der Wolftiroili li «im, vuin
Safte triefend, in die Scheide hinaufgeschoben; auf den LcifuminoiKinKtuigo!
wird etwas gekauter und eingespeichelter Guinea T' " ' , woranf
in wenig Tagen die Fehlgeburt erlolgt. Die ;; l wirN» ^
nicht selten so heftig, dase allgemeinoa UebelbeiiuUcn, OiswcUcn der TH
erfolgt.
87. Die medicameutSse Behandlung der Schwangeren. 519
Ein Volksnuttel in China bei Schwangerschaft, wenn die Bewegung
der Leibeafracht üngelegenheit verursacht, ist ausser Ning kuen-tschi-
pao-tan (Mennigroth) ein Absud vom Seekohl und der weissen Bergdistel.
[Schwarz.) Wenn in China eine Schwangere von einer Krankheit befallen
wird, 80 hüten sich die Aerzte, diejenigen 'Mittel zu verordnen, welche im
normalen Zustande Hülfe leisten; sie glauben, durch die Schwangerschaft
Bei die Natur der Frau völlig umgekehrt. Deshalb verordnen sie derselben
■ anch eine besondere Arznei. Nur einige dieser bei Schwangerschaft ange-
wendeten Mittel sind uns bekannt: Ginseng alsTonicum; Pfeffer und Ingwer
als eröffnendes Mitlei; Rhabarber als Purgans. Das Erbrechen der Schwan-
geren bekämpfen die Chinesen mit Erfolg, wie sie sagen,' durch das arsenig-
laore Schwefeleisen, das sie auch als Abführmittel benutzen; ausserdem geben
sie, obgleich in kleinerer Gabe, die arsenige Säure, welche sie im Wechsel-
fieber höher schätzen als Chinin. Gegen den Medicamenten-Unfug während
der Schwangerschaft eifert auch ein chinesischer Arzt {v. Martitis); am
anschädlichsten, sagt er, sei noch die Arznei Dschah-wa-ru-rah. Hat die
Schwangere Schmerzen in der Gebärmutter oder in der Lumbargegend, so
wendet die Hebamme die Acupunctur an, wobei sie die Nadeln selbst bis
in die Gebärmutterhöhle einsticht; ja sie sucht sogar den zu lebhaften Fötus
dadurch za beruhigen, dass sie ihn ansticht. (^Hureau.)
XVIIL Normale und abnorme Schwangerschaft.
88. Die La^e und das Stürzen des Kindes im Matterleibe.
Durch den Mangel genauer geburtshülflicher Untersuchungen
im Alterthum und Mittelalter erklärt es sich, dass man lange Zeit
über die normale Lage des Kindes innerhalb der Gebärmutter im
Unklaren blieb, aber höchst merkwürdig ist die Uebereinstimmung
scheinbar von einander höchst unabhängiger Völker in der Vor-
stellung, daas das Kind während der Schwangerschaft ganz plötz-
lich seine Lage ändere. Erst die neuesten klinischen Beobachtungen
haben über die letztere Thataache das nöthige Licht verbreitet.
Ueber die Lage der Frucht im Uterus sagt der Talmud:
.Rabbi Simlai erklärt, dass das Kind im Mutterleibe einem zaEammen-
geroUten Buclie ähnlieh liege; die Hilnde sind auf beiden Seiten zusaroroen-
gelegt, beide Ellenbogen auf die Hütten und die FuBsfersen auf die Hinter-
backen gestützt, das Haupt zwischen den Knieen-, der Mund ist geschlossen,
aber der Nabel otFen; es geniesst dieselbe Nahrung, welche die Mutter z«
sich nimmt ; Excretion findet nicht !<tatt, weil die Mutter dadurch gefährdet
würde. Mit der Geburt wird der Nabel geschlossen, der Mund geöffnet.
sonst würde dos Kind unmöglich leben können."
Bei Hippolraies finden wir zuerst den Satz aufgestellt, dass
„alle Kinder mit dem Kopfe nach oben erzeugt werden, an den Tag aber '
treten viele auf dem Kopfe und werden viel sicherer frei, als welche auf die
Fttsse geboren werden." Als Vorbereitung zur Geburt gelten ihm die Zer-
reissung der Eihäute mit Umwälzung des Kinde8köq>era ; er sagt: „In den
letzten Tagen der Schwangerschaft tragen die Fraijen ihre B&ncbe am
leichtesten, weil es dem Kinde gelungen ist, sich zu wenden." Ein
Aengstigen des Kindes, so glaubt er, störe dessen selbständige Wendong.
An diesem Erbirrthum des Hippokrates, der sich lange Zeit
durch die ganze Literatur als Dogma erhielt, leidet auch Aristoteles,
indem er sagt:
„Bei allen Thieren befindet sich gleichm&ssig der Kopf im Ci« oben^
wenn sie aber gewachsen sind, und schon auszutreten strt'i «ie
»ich abwärts." Und in dem Uucb*« ..P^ «renerat. aniTnal." ;= i .ijif '
60cht deshalb bei der Geburt d
als unter dem Nabel liegt; du-
wie das Ofth&nge «iner Waage dahin n >^rii. -
Di« Lii
rSla des Kinde« inOsäf
Aristotdcs beschreibt die Lage des Embryo beim Meuscheu
V, dass er die Nase zwiscbeu den Knieen, die Augen auf denselben»
Obren aber ausser denselben hat. Anfangs liegt der Kopf auf-
arte, bei weiterem Wachsthum und Drange zur Geburt gelangt
ftr Kopf durch ein Umstürzen des Embryo nach unten, indem er
durch sein Gewicht auf den Muttermund sinkt.
Diese L'mdrehung der Frucht nannte mau später das Stürzen
Embryo oder la Cnlbüte. Nach Snsritta erfolgt dasselbe vor
Gebm-t.
Wir wissen, wie sehr sich dieser Irrthum durch alle Cultur-
Iblker hinzieht. Ja selbst zu der Zeit, als man begann, Leichen-
lungeu vorzunehmen, beheiTschte der Lehrsatz vom , Stürzen*
}ch lange die Anschauung. Obgleich Aranfius, ein Schüler Ve-
Is xmi Professor in Bologna, seiner eigenen Aussage nach bei
»ichenüfFnungen sehr häufig den Kopf des Fötus in der frühesten
eit der Schwangerschaft auf dem Muttermunde fand, so verthei-
Kgte er doch die Ansicht vom Stürzen des Kindes auf den Kopf,
erlegte aber die Zeit dieses Vorganges auf den Beginn der Geburt.
Jach ihm sitzt das Kind, wenn keine besonderen Stönmgen ein-
ften, bis zur Geburt auf dem Muttermunde, da der Grund des
herus mehr Raum ftlr den Kopf des Fötus darbiete, als der dem
lutterhalse nahe Theil der Gebärmutter.
Selbst später waren die Ergebnisse der Leichenöffnungen nicht
Stande, den Glauben an den alten Lehrsatz wankend zu machen,
und die Abbildungen der Kindeslagen im Mutterleibe, die wir bei-
)iel8weise in den alten deutschen Hebammenl>üchern von /?<yss/m,
iüff u. s. w. finden, sind Erzeugnisse der Pliantasie dieser Autoren
und können uns höchstens ein Lächeln Ober die Naivetät derselben
»gewinnen.
Nach der Ansicht des in seinem Jahrhundert so hochangesehenen
fauriceuu findet diese plötzliche Lageveräuderung im siebenten
lonate der Schwangerschaft statt, und ,man muss in Acht nehmen,
rann das Kind sein erstes Lager durch gedachten Sturzbaum ver-
idert und diese« letzten nicht gewohnt ist, es sich manchmal der-
laaMen rühret und wälzet, da»8 die Schwangere meinet, sie müsse
jr Kind gleich haben wegen der Schmerzen, die sie dabier em-
Undet."
Noch wi^niger darf es uns überraschen, wenn wir finden, das»
loch heute in Deutschland, vielleicht auch in Frankreich und
ingland, hier und da das Volk vom Stürzen des Kindes im Mutter-
»pricht: vielfach ist in Deutschland unter dem Volke diese
bekannt; so fand sie beispielsweise Tliigel im F ranken -
Ftide. Es war ja in den ältesten Hebammenbüchem der Deut-
^iien ebenfalls vom Stürzen des Kindes die Rede, und jedenfalls
IM» dii- alten Hebammen diese Sage in das Volk.
[)ie Gelehrten waren auch darüber uneinig, worin man den
Inind dieser Lageveräuderung des Embryo zu suchen habe, ob es
522 XVni. Normale und abnorme Schwangerachaft.
sich hier um einen Instinct des Kindes, oder um rein mechanische
Verhältnisse handele. Die erstere Ansicht vertrat Hippohrates, die
letztere Aristoteles.
Die bessere Erkenntniss kam erst nach und nach. Der Erste,
welcher die Lehre bekämpfte, war BecUdus Columbus, ein Schüler
Vesäl's, Im 12, Buche seines Werkes De re anatomica (1559) ver-
wirft er Alles, was jnan über das Stürzen des Kindes „simiarum
instar seu funambulorum et mimorum" gefabelt; denn die Enge des
Ortes dulde diesen Wechsel der Stellung nicht. Trotz dieses Ein-
spruchs verharrte man noch lange im alten Glauben und erst später
wurde derselbe ausgerottet durch Männer wie SmeUie, Solayres d€
Benhac und Andere.
Als nun nach so langer Dauer und so allgemeiner Geltung die
Lehre vom Stürzen des Kindes gestürzt worden war, wurde es unter
den Geburtshelfern ganz stille über den Vorgang einer Lage Ver-
änderung des Fötus, und dies ist es wohl, was nunmehr, nach-
dem erst vor wenig Jahrzehnten die thatsächlichen Erscheinungen
festgestellt worden sind, die grosste Verwunderung erregen mussr.
Wie konnte es konunen, so fr^te man sich, dass so zahlreiche
tüchtige Geburtshelfer in imserem Jahrhundert die Erscheinungen
nicht fanden? Warum entgingen ihnen die Erscheinungen? Haben
sie dieselben überhaupt nicht beobachtet? Ich meine gegenüber
diesen Fragen, dass Lageänderungen doch wohl hier und da beob-
achtet worden sind, dass man sich jedoch nicht getraute, mit seinen
Beobachtungen in die Oeffentlichkeit hervorzutreten, weil man sich
gegenüber der allgemeinen Ansicht, dass es kein , Stürzen*, keine
„Lageveränderung* giebt, in seinem ürtheile gefangen gab oder fürch-
tete , zurechtgewiesen zu werden. Unter dem Drucke eines aU-
gemein gültigen Dogma ging es hier den besser beobachtenden
Geburtshelfern hinsichtlich der Zurückhaltung bei Veröffentlichung
ihrer Erfahrung gewiss ebenso, wie früher denjenigen, welche nicht
wagten, gegen die Lehre vom Stürzen des Kindes Opposition zu
machen.
Der Erste, der durch öfter wiederholte Untersuchungen an
Mehrgeschwängerten mit offenem inneren Muttermunde das Vor-
kommen des Wechsels der Fruchtlage constatirte, scheint Onytmts
gewesen zu sein. Er fand; dass unter 43 Schwangeren nur bei
27 die Fruchtlage bis zur Geburt dieselbe blieb ; er erklärte sowohl
die normale Schädellage als auch die verschiedenen Verändenmgen
der Fruchtlage aus den Gesetzen der Gravitation. Seine Angaben
blieben von den Verfassern der geburtshülflichen Lehrbücher fast
ganz unbeachtet.
Wenn Männer, wie Justus Heinrich Wigand, wie Frans Carl
Nägele und Andere, deren Wirken für eine exacte Beobachtungs-
methode so maassgebend war, und von denen der erstere auch die
Lageveränderung des Fötus durch die sogenannte äussere Wendung
lehrte, die selbständig vorkommende Lageveränderusg des Kindes
tmfl
in ihren Werken nicht erwähnen, lässt sich allerdings annehmen,
dasB sie überhaupt den Vorgang niemals beobachtet haben.
Die Ersten, welche in neuerer Zeit gewissermaassen das Wag-
jjiiss unternahmen, sich vom Autoritäteu-Glanbeu wiederum bezie-
Iheatiich der Lageverjinderungen des Fötus entschieden loszureisseii,
Paul Dubais, dann aber in Deutschland v. Scanzoni.
Allein es waren keineswegs die Resultate wiederholter ünter-
sQchnngen au Schwangeren, welche sie als Beleg für ihre Meinung
iaüft\hrten. Vielmehr beriefen sie sich auf den statistischen Vergleich
: der Früh- und der rechtzeitigen Geburten mit der relativcu Zahl
|der Kopf-, Steiss- und Querlagen: bei Frühgeburten kommt, so
fand man, in den ersten Schwangerschaftsmonaten der Fötus unver-
hÄltniasmässig oft mit dem Steisse gegen den Hals des Uterus ge-
richtet, und die Häufigkeit dieser Lagen nimmt in eben dem Maasse
'flb, als sich die Schwangerschaft ilirem Ende nähert. Gleichsam
entschuldigend über seine Abtrünnigkeit sagt t', Scansoni (1853):
»Man wird uns nun vorwerfen, dass wir gegen die Ansicht der
[grössten Autoritäten die Lehre vom sogenannten Stürzen (Culbüte)
[des Fötus zu vertheidigen suchen. Wir müssen jedoch bemerken,
[doss uns einestheils die von den Gegnern dieser Ansicht vorge-
brachten Einwürfe nicht stichhaltig und andemtheil.s unsere Be-
[obachtungen im Verein mit jenen Duhois' beweiskräftig erscheinen.*
Scamoni spricht liier nur von einem Vorgange, der sich vor
[den letaten Schwangerschaftsmonafen ereignete, denn er sagt: ,Wir
[hegen die fe.^^te Ueberzeugung, dass der Fötus in den ersten Schivan-
[gerschaftsmonaten, wenn nicht häufiger, so doch gewiss ebenso oft
'mit dem Steissende nach abwärts gerichtet ist, als mit dem Kopfe,
»md dass eine vollkommene Umdrehung desselben nicht niu- mög-
lich erscheint, sondern gewiss auch in sehr vielen Fällen wirklich
{erfolgt.' Von einem Wechsel der Lagerung im Verlaufe
[der letzten Schwangerschaftsperiode sprach er damals
noch nicht.
Die neueren Beobachtungen haben nun unzweifelhaft bewiesen,
^dass ein Wechsel in der Lage des Embryo sehr häufig ist und um
leichter eintritt, je weniger weit die Schwangerschaft bereits vor-
I gerückt ist. Auch ist derselbe bei Mehrgeschwängerten weit häufiger
und selbst noch kurz vor der Geburt nicht selten, während er
»ei Erstgeschwjingerten in den drei letzten Schwangerschaftswochen
mr sehr ausnahmsweise noch vorkommt. Am häufigsten wandeln
{•ich Querlagen und Steisslagen in Schädellagen um, nächstdem
chädellagen in Querlagen und Steisslagen, aber Steisslagen gehen
shr selten in Querlagen Ober und auch das Umgekehrte findet
(selten statt. (Schwcdcr.)
Der Kampf der Aristoteliker und der Hippokratiker ober
Ue Ursache der Lageveränderung des Embryo ist dvirch die neueren
Poraclmugen dahin entscliieden, dass sie alle beide Recht haben.
)emi einerseits begünstigt die Schwere des kindlichen Kopfes die
XVIII. Normale m
Ausbildung der Schädellageu, andererseits aber wirkt auch der Em-
bryo selber durcli reflectorische Bewegungen hierzu mit, da er stets
bemuht ist, dem Drucke der Gebärmutterwand auszuweichen.
Solche Beobachtungen von Lageveränderungen des Fötus, sei es
direet an Schwaugereu, sei es indirect auf Grimd der Erfahrungen
bei Früh- und rechtzeitigen Geburten, sind es auch gewiss gewesen,
welche der Lehre vom Stürzen des Kindes eine weit grössere Aus-
breitung verschafft haben, als in unserer geburtshüll" liehen Literatur
gewöhnlich angegeben wird. Man erstaunt, wenn man findet, dass
Völker, die, wie es scheint, keinen literarischen Austausch imter ein-
ander gepflogen, in ganz gleicher Weise, wie die alten und neuen
Oulturvölker, wenigstens in früher Zeit das Dogma von der Culbüte
aufgestellt haben. Ich will hier einige dieser Völker und ihre An-
sichten in Kürze unllihren.
Die talmudischen Aerzte schrieben: Wenn die Zeit der Ge-
burt gekommen ist, so wendet sich das Kind und geht heraus; und
daraus entstehen die Schmerzen der Frau. [Israel.)
Auch ein chinesischer Arzt sagt in einer gehurtshülf liehen
Abhandlung : Das Kind drehe sich im Mutterleibe um, bevor es aiis
demselben zum Vorschein kommt. Nicht minder meinen die chine-
sischen Aerzte ähnlich wie Hippolrates., dass ein Aengstigen des
Kindes die Geburt störe. Femer steht in einer f. Martins über-
setzten chinesischen Abhandlung: „Sowie nun das Kind sich um-
gewendet und nach unten hingekehrt hat, werden auch alsbald die
Geburtsweben bei der Mutter zmiehinen"; und es wird die Fnige
aiügeworlen: »Wendet sich denn das Kind im Mutterleibe selbst?'
worauf die Antwort erfolgt: , Freilich wohll"
Bei einigen Völkern scheinen die Frauen auf die Kindesbewe-
gungeii besonders und zeitig zu achten. Gegen Ende des dritten
Monats, häufiger jedoch in der ersten Hälfte des vierten, iUhlt die
Aunamiten-Frau die Bewegungen des Kindes, Dann kündigt
sie dies sofort allen Nachbarinnen mit grösster Befriedigung an,
indem sie bei jeder Bewegung des Fötus sagt: ,er amüsirt sich,
indem er sich schaukelt."
Ebenso wie die Chinesen glauben auch die Japanesen no
die Umwälzung des Kindes. Der geburtshülfüche Reformator in
Japan. Kanf/ann, tritt gegen diese im Volke herrschende Aii-
schauung auf: .Ein bedauerlicher Irrthum ist es, wenn man glaubt,
dass vor der (teburt die Frucht sich umdreht; mau sieht dann nicht
ein, dass die Querlage oder umgekehrte Lage von Anfang der
Schwangerschaft besteht und sich mehr von selbst einrichtet; es wird
dadurch ein rechtzeitiges Handeln der Hebammen oder des Geburt»-
helfers verhindert. *
Die nach einem japanischen Holzschnitt gefertigte Fig. 89,
welche einige Lagen des Kindes im Mutterleibe veranschaulicht,
läset wohl schon die Einwirkimg europäischer Lehrt*" •"-
kennen.
88. Die Lage und das Stürzen des Kindes im Mutterleibe. 525
Fig. 39. Japahiiohe Darstellang der Eindeslagen im Mntterleiba.
(Nach einem Japauisclieu Hulzüchuitte.)
Bei vielen Völkern findet, wie wir sahen, während der Gravi-
dität ein regelmässiges Kneten und Streichen des Leibes statt. Viel-
leicht liegt auch diesen absonderlichen Maassnahnien die Anschauung
zu Grunde, dass das Kind im Mutterleibe in seiner Lage beein-
flusst werden könne und müsse.
Ob gewisse eigenthümliche Methoden der Leichen})estattung
ihre Ursache, wie manche glauben, in der Auifassuiig haben, dass
der Verstorbene der Mutter Erde zurückzugeben sei in derselben
Stellung, die er im Leibe seiner Mutter eingenommen habe, da.s
will dem Herausgeber nicht recht einleuchten. Man hat die Bei-
setzung der Leichen bei den Basuthos imd den Peruanern in
dieser Weise zu deuten versucht, und man müsste dann natürlich
auch daraus den Schluss ziehen, dass diese Völker bereits eine
deutliche Vorstellung von der Lage der Frucht in der Gebärmutter
besässen.
89. Die Schwangerschaft ausserlmlb der Uehärmutter.
Bei einzelnen Völkern finden wir mehr oder weniger deutliche
Spuren davon, dass ihnen das Vorkonunen einer Schwangerschaft
ausserhalb der Gebärmutter bekannt ist.
Der altindische Arzt Susruta scheint an einer Stelle des
Ayurvedas auf eine solche Schwangerschaft, wenn auch nur un-
deutlich, hinzuweisen : „Das vom Vayu beunridiigte und zum Leben
gekommene Sanienblut bläht den Leib auf. Dieses wird dann bis-
weilen durch seineu eigeneu Gang iu Ruhe gebracht und auf dem
Wege der Speisen fortgeschafft; bisweilen aber stirbt es ab und
man nennt es dann Nagodara (Brusthamisch). In diesem Falle
verfährt man wie beim todten Fötus." Vullers glaubt in dieser
von ilmi übersetzten Stelle des Ayurvedas zwei Ausgange der Ex-
trauterinschwangerschift vor sich zu haben: die Auflösung der
Frucht und deren stückweise Entleerung nach Aussen oder in den
Mastdarm oder in die Blase ; und zweitens die Verwandlung des
Fötus in eine fette, wacbsähnliche, von einer knöchernen Rinde um-
kleidete Masse (Steinkind, Lithopädion).
Die Legende der Buddhisten sagt, dass der Knabe Buddha
durch die rechte Seite oder Achselhöhle seiner Mutter geboren wor-
den sei. {Kocpjjcn.)
Die Rabbiner des Talmud nannten „Jotze Dot'an" ein
Kind, welches aus der Bauchseite der Mutter heraustritt. Ein Jotze
Dofan kann nach ihrer Ansicht lebend geboren werden ; sie behaup-
teten, dass sowohl das Kind als auch die Mutter in solchem Falle
mit dem Leben davon kämen. (Israel.) Sie nannten aber auch
Jotze Dofan ein durch den Schnitt (Laparotomie oder Gastrohystero-
tomie?) aus dem Leibe der Mutter geschnittenes Kind,
Bei Soranus findet sich ein Kapitel, in welchem vielleicht vou
einer Extrauterinschwangerschaft die Rede ist: Wie erkeimt man
die, welche am Magon empfangen haben (Bauch-schwangerschaftV),
ob sie nach Art der Pica oder nach dem vorliegenden Zustande
leiden? (näg dutXQlvofny aTOfiaxLx^v avveilijqtvtav etc.) Doch i;»t
das Kapitel so corrumpirt, dass ein bestimmter Sinn nicht heraus-
zufinden ist. {Ennerhis.)
Der altarabische Arzt AhitUuiseni, ttihrt in einem Kapit«!
„de extractione foetus mortui" die Beobachtung einer E> 'i'
Bchwangerschaft auf, wo er durch einen in der Nabelg',. '-t
Matter sich öfi'nenden Abscess Knochen des Fötus entfernte.
XIX. Unzeitige Geburten.
90. Die Arten der nnzeltlgen Gebnrten.
Bekanntermaassen führt nicht jeder in normaler Weise ausge-
führte Coitus zu einer Empfängniss, aber ebensowenig führt jegliche
Empfangniss und Schwängening nun auch zu einer normalen Geburt.
Wie die Früchte an dem Baume nicht alle ihre vollständige Reife
erreichen, sondern ein Theil derselben bereits vorzeitig abzufallen
pfl^t, so kommt es auch verhältnissmässig' nicht selten vor, dass
die menschliche Frucht bereits vor abgelaufener Reifiingszeit aus
dem Mutterleibe ausgestossen wird.
Tritt dieses Ausstossen der unreifen Frucht in einem Stadium
ein, wo dieselbe unter ganz besonders günstigen Verhältnissen noch
am Leben erhalten werden kann, so spricht man von einer Früh-
geburt. Eine Fehlgeburt (Abortus) dagegen nennt man das zu
Tage Treten des Kindes zu einer Zeit, in der es ausserhalb des
Matterleibes ein selbständiges Leben fortzuführen noch ausser
Stande ist.
Nicht allein äusserliche Umstände sind es, welche die Fehl-
geburten und Frühgeburten veranlassen, sondern auch solche, die
im Organismus nicht nur der Mutter, sondern gar nicht selten auch
des Vaters begründet sind. Aber beide Arten der vorzeitigen Geburt
werden auch absichtlich hervorgerufen theils aus verbrecherischer
Absicht von den Müttern selber, theils, um das Leben der letzteren
zu erhalten, durch die ärztliche Kunst.
A. Die zufällige Fehlgeburt.
91. Der natürliche Abortus, seine Ursachen und seine
Verbreitung.
Wenn wir ims unter den Völkern des Erdballs mnsehen , so
finden wir bei nicht wenigen derselben die natürlichen Fehlgeburten
mit einer grossen Häufigkeit auftreten, und gewiss haben wir sehr
528 XIX. Unzeitige Geburten.
oft in diesem Umstände den Gnmd zu suchen, warum bei manchen
Stämmen eine so geringe Zahl neugeborener Kinder beobachtet wird.
Die Ursachen dieser häufigen Fehlgeburten geben in sehr vielen
Fällen unverständige Lebens gewohnheiten ab. Aber den Völkern
fehlt zumeist die Einsicht in die Gefahr. Bisweilen sucht man im
volksthümlichen Glauben auch wohl die Ursache des häufigen Vor-
kommens von Abortus in ganz falschen Dingen. Auf solchem Irr-
wege scheinen sich schon die Hebräer einst befunden zu haben.
Das Alte Testament bietet uns das Beispiel einer Entgiftung der
Quellen durch Salz in der Erzählung von dem Wunder des Elisa,
welcher eine Quelle, deren Wasser Abortus hervorbrachte, durch
Hineinschütten von Salz zu einem gesunden machte (2. Könige 2, 19 ff.).
Die Quelle in der Nähe von Jericho wird noch gezeigt und soll
salzig schmeckendes Wasser haben. {Paulus.) Allein es liegt doch
nahe, anzunehmen, dass nicht der Genuss dieses Wassers, sondern
vielleicht das Tragen der dort schwer gefüllten Wassergefösse die
häufigen Fehlgeburten veranlasst habe.
So trägt auch ganz gewiss bei vielen Naturvölkern die Ueber-
lastung der Weiber einen grossen Theil der Schuld an dem Abortus.
An der auffallenden Unfruchtbarkeit auf Neuseeland ist nicht
bloss der dort herrschende Kindermord schuld, sondern wahrscheinlich
auch die auf die Frauen einwirkende Mühseligkeit ihres beständigen
Wanderlebens, ihre schwere Arbeit und der Mangel an Nahrung.
Während nach Muret in Europa durchschnittlich von 487 nur
20 Frauen (1:24,25^ unfruchtbar sind, stellte sich bei den Maori-
Frauen das Verhältniss wie 155 : 444 oder wie 1 : 2,86. ( WfiUers-
dorf- ürbair.) Nach Tuke scheint die hauptsächlichste Ursache tarn
häufigen Abortiren der Maori- Weiber die harte Arbeit derselben,
das Tragen schwerer Lasten und die brutale Behandlung von Seiteu
der Ehemänner zu sein. Allein auch hier suchen die Leute die
Ursache in etwas Anderem : Die Maori selbst meinen, die Ursache
der Unfruchtbarkeit ihrer Weiber liege in dem gewohnheitsmassigen
Genüsse eines gegohrenen Getränkes aus Mais.
In Neuholland sind (wie Gerland sagt) unter den Eingebo-
renen bei der schlechten Behandlung der Weiber FehJ-
geburten häufiger, als bei uns.
Aber eine gewisse körperliche Prädisposition dieser Völker Br
Fehlgeburten muss doch ausserdem noch vorausgesetzt"" " "
von anderen Naturvölkern wissen wir, dass sie trotz
grosser Anstrengungen und schlechter Behandlung
Schwangerschaft dennoch höchst selten zu abortiren pflegen.1
Bekanntlich werden die Indianerweiber Nordameri]
Allgemeinen von ihren Männern mit Arbeit tiberlastet, und vielll
abortiren sie häufig. Allein trotzdem behauptet Bttscft, dass»
den Indianerfrauen Fehlgeburten überhaupt sehr seiteu, und ciu.
auch ihre Ehen selten unfruchtbar sind. Und James fand das
Gleiche.
91. Der natfirliche Aborina, seine Ursaclien and seine Verbreitung. 529
Nach dem mir von Polak gegebenen Bericht ist in Persien,
170 derselbe Jahre lang als Leibarzt des Schahs sich aufhielt, der
uat&rliche Abortus ziemlich selten, trotzdem die Frauen während der
canzen Schwangerschaft nach Art der Männer auf den Pferden reiten.
Ist aber einmal Abortus entstanden, so hat Polak auch dort bemerkt,
dass er sich in der nächsten Schwangerschaft wiederholt (er sah
z. B. eine Frau, die 12 mal hintereinander abortirt hatte). In ähn-
licher Weise äussert sich Häntzsche über die persische Provinz
Oilan asEQ. kaspischen Meere.
Eine fernere Ursache für die Hervorrufung von Fehlgeburten
müssen wir in gewissen manuellen Bebandlungsmethoden suchen,
welchen man bei manchen Volksstämmen die schwangeren Frauen
unterzieht. Wir werden dieselben später noch genauer kennen
lernen. So sind z. B. Fehlgeburten und Frühgeburten bei den
Mexikanerinnen häufig, als deren Grund v. Uslar in Oajaca
(Mexiko) die Unsitte der Weiber anführt, dass sie sich im siebenten
Monate durch eine Hebamme am Unterleibe kneten lassen, um
«ine günstige Lage des Kindes zu erzielen.
Auch in Java sind die Ehen, von denen viele sogenannte
„wilde", d. h. illegitime Concubinat-Ehen sind, nach dem Be-
richt Kögd's unfruchtbar, weil viele javanische Frauen unzeitige
Leibesfrüchte gebären. Es ist dabei keine absichtliche Abtreibung
im Spiele, sondern das auf Java übliche Pidjet trägt die Schuld,
d. h. die Methode, den Kopf und Leib der Schwangeren zu drücken
imd sie an den Haaren und den Gliedmaassen zu ziehen. Einen
ferneren Grund aber müssen wir darin suchen, dass die Schwangeren
wegen der kleinen Leiden und Unbequemlichkeiten, welche mit der
Gravidität verbunden sind, von den alten Matronen allerhand Medi-
anen erhalten, die sie zwar nicht von ihrer vermeintlichen Krank-
heit befreien, aber die Frucht zu Schaden bringen.
Die Unsitte zu heisser Bader müssen wir nach Ferrin in
Tunis und nach Damian Georg in der Türkei als den Gnind
des häufig auftretenden Abortus bezeichnen. Es kommt aber hier
noch der Missbrauch unregelmässiger Diät, das Fahren auf schlechten
Wegen, das Trocknen der Wäsche auf der Terrasse der Häuser und
das mehrere Stunden lang dauernde Bereiten des Confects hinzu.
Auch sollen nach anderer Angabe die Türkinnen sehr häufig in
Folge des rohen geburtshülflichen Verfahrens an gewissen Frauen-
krankheiten leiden, welche wiederholte Schwangerschaft oder das
Austragen gesunder Kinder nicht zulassen.
i ^ Auch in der Einwirkung eines ungewohnten Klimas haben wir
■jL'eüie Gelegenheitsursache zu erblicken, doch ist hierbei wohl der
Hjp*gentliche Grund weniger die hohe Temperatur, als vielmehr die
^^ solchen Ländern gewöhnlich nicht fehlende Malaria. Acclimati-
» sind dann minder gefährdet, als Einwandernde. Bei den Ein-
^ •Jrenen in Cayenne'und Guiana ist Abortus selten; dagegen
/^Imt derselbe bei Europäerinnen, die entweder schwanger dort-
I Y***; Dm Weib. I. a. Aufl. 34
/
530 * ^^ ünzeitige Gebarten.
hin kommeiL, oder alsbald nach ihrer Ankunft schwanger werden,
ehe sie das klimatische Fieber überstanden haben, namentlidli im
7. und 8. Monat, in Folge des sich gewöhnlich einstellenden Fie-
bers häufiger Tor. (BajoH.) Auch in den Nilländern treten bei
Europäerinnen öfter Fehlgeburten auf. (HartmcmH.)
Ebenso abortiren die in Indien lebenden Enropierinnen
nach dem Zeugniss von Johnson und Martin besoiäers in der
heissen Jahreszeit ausserordentlidi häufig. Auch die allerdings sel-
tenen Aborte in der persischen Provinz Gilan woden toh Häntz-
sehe dem Sumpffiebö* zugeschrieben.
Die Japanesinnen glaubten, dass der Genuss von Süsswasser-
fischen Fehlgeburten herrorrufe, ein Abeiglauben, weldier Ton dem
japanischen Geburtshelfer Kangatca mit grosser Entsdnedenheit
bekämpft wird. Es wäre nicht ganz unmöglich, dass wen^stens
ein Thdl der absonderlichen SpeiseTorschriflen, denen bei TieJen
Völkern die schwangeren Frauen unterworfen sind, anf ähnUcheii
Anschauungen beruhe.
Die altindischen Brahmanenärzte haben auch eine warnende
Zusammenstellung derjenigen Dinge gemacht, durch wddie eine
Fehlgeburt herrorgerufen werden könne. Durch rohes Betragen,
schlechten Gang, durch Fahroi, Beitoi, Wackeln, Fallen, Qoiien,
Laufen, Schlagen, sdlüefes lä^oi und Sitzen, durch Fastai, starke
Stösse, aDzu rauhe, scharfe und bittere Xahrungsmittd von Vegeta-
bilien, zu viele Aetzmittel, sowie durch Drsoiterie, Erbredien, Ab-
führen, Hin- und Herbewegen, Unrerdaulichkeit. Abxdmx^ des
Fötus u. deigL wird der ^nbrjo von seinen Banden gelöst, so-
wie die Frucht durch verschiedene Unfälle von den Fe»eln des
Stieles. Bis zum viertel Monat kann Abortus stattfinden, aber bei
?:tarkem Fötus auch bis zum fünften und sechsten.
Ohne Zweifel ist unto* manchen Völkon Afrikas eine Feiil-
geburt nichts Seltenes. So exfuhren wir, dass bei den Hotten-
totten Abortus im 2. und 3. M<Hiat häufig ist {S<iersar)z in
Old-Calabar hingeg«i wird von Aai Negerinnen der «.Sdiwaa-
gerschaitsmonat als ein schlimmer betrachtet ; es beisst. dass in don-
selben häufig Abortus :stattfindet. (HewoM.) Anf den canariscken
Inseln aber gehören Fehlgeburten zu den Seltenbeätcai. {Maf
Grtifor.'.
Dage^n ereignet sich zu Jaffa in Palästina ToaA ToUer
häufig Abortus und es wo^en die Hebammen znweileD dabei za
Hülfe gerufen.
Bei den Annamiten- Frauen ist der Aboitos äossen« sehou
auch kommt es s«lir sdten vor. dass ein Annamiten- Weä> in
Folge von SdiU^en oder Verktzungen aboitirt. denn detjeuige,
welcher diese Verlelzai^en vennsadiie. erhält 6i* Banln^-HiBbe
«md cm Jdkr Kefebmiale; ciae MagistiniEpetwm, wvkfe <me «■>
ie Maas8i*gelit znr Vcrhötting von Fehlgeburt«». 531
baudcin lässt, erhält nach annamitischem Gesetz 24 Schläge und
3 Jahre Ketteustrafe. Solche Strafe bei Abortus durch Misshand-
lung gilt nur dann, wenn der dritte Schwangerschaftsmonat über-
schritten ist; in den ersten 3 Monaten gilt die Misshandlung nur
als einfache Verletzung.
Die Cambodja- Weiber aber scheinen Fehlgeburten ziemlich
häufig zu erdulden.
In China acheint Abortus häufig zu sein und das chinesi-
sche Lehrbuch über Geburtshülfe ,Pao-tsan-ta, seiig-Pieu* giebt
sich viel Mühe, Maassregeln zur Vorbeugung desselben anzugeben.
Allein die den unteren Klassen angehörenden chinesischen Frauen,
welche ^^el mehr als die unserigen sich gewissen Mühseligkeiten,
z. B. dem SchÜi'erdienste und Rudern, widmen müssen, abortireu
merkwürdiger Weise durchaus nicht so häufig, als man vermuthen
sollte; Uebung und Abhärtung thun hier viel. Bei den reichen Chi-
nesinnen di-sponirt vielmehr die Lebensweise zum Abortus. Die
Verunstaltung ihrer Füsse zwingt sie zur sitzenden Lebensweise und
zur Verweichlichung.
Unter den Europäerinnen hat man namentlich von den
Französinnen angenommen, dass sie in hervorragender Weise zu
Fehlgeburten geneigt sind. Auch hier wollte man den Gnind in
dem reichlichen Gebrauche warmer Bäder suchen, jedoch .sollen
auch gerade bei ihnen AnomaUen an den Genitalorganen nicht selten
sein. Die Esthinnen kennen nach Holsf. (Dorpat) Abort und Früh-
geburten fast gar nicht, obgleich sie während der Schwangerschaft
■ich keinerlei Schonung auferlegen.
Die niederen Volksschichten in Deutschland pflegen von
einer Fehlgeburt nicht viel Wesens zu machen. Sie sprechen nur
davon, dass es einer Frau , unrichtig geht"*.» dass sie „umgekippt"
oder, wie es im Siebenbürger Sachsenlaude heisst, dass sie
.verzettelt" oder , verschüttet* hat.
»2. Die Maassregeln zur Verhütung von Fehlgeburten.
Gewiss ist, wie wir .schon oben andeuteten, ein Tlieil von alle
den verwickelten Vorschriften, denen die schwangeren Frauen nach-
leben sollen, aus dem Gedanken hervorgegangen, das Eintreten von
Fehlgeburten zu verhüten, und gewiss muss wenigstens theilweise
auch das Verbot, mit der .schwangeren Frau den Beischlaf auszu-
üben, liierher gerecbnet werden. Aber wir begegnen auch bisweilen
ganz directen Angaben über die Sache. So muss sich die Frau in
Old-Calabar gauz besonders vor dem bösen Blicke zu schützen
«nchen: denn dieser ist es, der ilir den Abortus zuzuziehen vermag.
Auch anderem Zauber und dem Lärmen und den Aufregungen des
Dorfes iuu.hs sio sich bei vorgerückterer Schwangerschaft entziehen,
34«
532 XIX. Unzeitige Gebrnten.
um nicht einer Fehlgeburt zu xerbSkn, und deshalb pflegt sie ihre
Wohnnng in einer stiUen Farm aa&ascUagen.
Unter den alten Bömern herrschte die Sitte, dass die Schwan-
geren der Juno zur Verh&tong des Abortus im Hain am Esqui-
finischen Hfigel Blumen opferten, wobei sie keine Knoten in
Gewändern und in den £[aar«i haben durften. Es ging in Born
die Sage, dass, als einst der Abortus häufig vorkam, die Franen
die Juno in diesem Haine um Offenbarung eines Yerfafitm^s-
mittels baten. Die Gottin rief: „Der Bock mnss die italischen
Matronen bespringen!" Das erinnert an den oben erwähnten hei-
ligen Bock zu M ende 8, der die Fruchtbarkeit schaffen sollte.
Wir mßssen selbstverständlich zu diesen Verhütungsmaassr^dn
auch fast alle die religiösen Ceremonien rechnen, wdche mit den
schwangeren Franen vorgenommen werden. Denn ihr ethischer
Sinn ist ja doch im Wesentlichen nur das Erflehen einer ungestörten
und gesunden Schwangerschaft und einer leichten und gl&cklichen
Geburt. Zur Unterst&tznng dieser Gebete pflegen noch bisweilen
gewisse Amulette in Gebrauch und Ansehen zu stehen.
Ein solches Schutzmittel vor Abortus kommt schon im Talmud
(Tr. Sabbaih 66) vor, der Aetites, Adlerstein oder Klapperstein.
welcher von der Schwangeren getragen wurde. Auch limius er-
wähnt die Eigenschaft dieses Steines als Präservativ gegen FrQh-
geburt
Die Hippokratiker liessen zur Verhütung des Abortus viel
Knoblauch, den Stempel von Silphium (Thapeia Silphium Viv.?)
und Alles, was bläht, gemessen, denn der Saft von Si^himn galt
als blähuDgerzeugend, und dieses war ihrer Meinung nach f&r die
Schwangerschaft gQnstig.
93. Die Anzeiehen des beginnenden Abortes.
In der Frühzeit der Heilkunde brach sich nur allmählich eine
genauere Kenntniss über die Fehlgeburten Bahn. Als Zeichen eines
eintretenden Abortus führt Uippokrates das Weichwerden oder
Collabiren der Brüste an. Den Einfluss der Witterung auf den häu-
figen Abortus kannte er sehr genau.
Nach Diokles treten Horripilationen und Schwere der Glie-
der ein.
Genauer ist Soranus aus Ephesus in der Semiotik des Abortus:
Nach ihm fliesst zuerst wässrige Flüssigkeit aus den Geschlechtstheilen,
dann Blut, welches dem Fleischwasser ähnlich ist; ist der Embryo
gelöst, so fliesst reines Blut ab, welches in der Höhle des ütorus
angehäuft, coagulirt und dann excemirt wird. Bei Frauen, welche
Abortiva genommen, besteht Schwere und Schmerz in der Kreuzgegend,
im Unterleibe, in den Weichen, an den Augen, den Gliedern, Magen-
98. Die Anzeichen dea liegiiineiiden Abortns.
533
b«vschwerden, Kälte der Glieder, Schweiss, Ohnmacht, Opisthotonus,
Epilepsie, Schluchzen, Krampf und Schlaflossigkeit. (Pinoff.) Nach
Alomchion sind die Zeichen eines eintretenden Abortus: Anschwellen
der Brüste ohne bekannte Veranlassimg, ein Gefühl von Kälte und
Schwere in der Nierengegend, ein Ausfli essen von verschiedenartiger
Flüssigkeit aus der Scheide; dann endlich erscheint die abgehende
Frucht unter verschiedenartigen Horripilatiooen, Nach Rippohafes,
sagt Soranus^ erdulden die Frauen, welche einen mittehnässigen
Korper haben, einen zwei- oder dreimonatlichen Abortus ; denn ihre
Cotyledonen seien von Schleim zu sehr ertlillt, wodurch der Fotua
nicht in ihnen festgehalten, sondern von ihnen getrennt wird. Es
werden daher Mittel emptblilen, welche den Schleim lösen, nament-
lich Pessi aus Coloquintheu bereitet, wärmende und trocknende
Nahrung, Frictionen u. s. w. Es sind dies offenbar Mittel, um den
Abortus zu beschleunigen.
Die talmudischen Aerzte waren hinsichtlich der Fragen, ob
sich der Ütenis beim Abortus ohne Blutverlust öffnen könne oder
nicht, und ob jedesmal der Abortus von Schmerzen begleitet ist,
nicht einer Meinung. Sie glaubten, wie Hippokrates, das» der Süd-
wind giossen Einfluss auf die Entstehung des Abortus habe. Der Rab-
biner JehosfJtuah sagt im babylonischen Tahnnd : „EHe meisten
Frauen gebären regelmässig, die wenigsten erleiden einen Abortus,
imd wenn dies der Fall, so sind es Kinder weiblichen Geschlechts/*
Letzterer Satz ist falsch, da wir wissen, dass unter den Abortiv-
Kindem das männliche Geschlecht noch weit mehr überwiegt, als
imter den ausgetragenen Neugeborenen. Die Abortivform der Alten,
welche die Talmudisten als Samenfluss aus dem Uterus (^XP' o^**?
de» Aristotelea) erwähnen, wird von ihnen als eine Comiption des
männlichen Samens angesehen, welchen der Uterus drei Tage nach
dem Coitus wieder ausstösst. Sie nehmen auch einen Abortus secun-
dinarum an. Vorschriften zur Behandlung des Abortus filhren die
Rabbiner ausser einem Amulet nicht an.
Nach Ansicht der chinesischen Aerzte droht bei einer
Schwangeren der Abortus, wenn die Frau in den ersten Monaten
zittemd ist.
Die altindischen Aerzte stellen als Anzeichen einer be-
ginnenden Fehlgeburt Schmerzen im Rücken und in den Seiten,
Blutung, Harnretention , Hin- und Herlaufen der Schwangeren,
reissende Schruerzen im Uterus und in den Unterleibseingeweiden hin.
Sobald diese Symptome sich bemerkbar machten, ao verordneten sie
OUge und kühlende Mittel. Gegen die 8chmcr7.en liesflen xie Wri^hlia anti-
djaent^rica, Phuseolus trilobus, l>h'cyrrhi7.a ^labra, Flacurtia ciitaphrACta
und F. »apida im (relrtlnk mit Zucker und Ilonig nehmen ^ gegen Unter-
dritckung de« LTrina: (retnUik mit Aaa foetida, .Saurbbala, Allium sativum und
Aconu ciilamu3 bereitet. Bei heftiger Blutung: Pulver von CostuN arabicus,
Andfopogon serrnttmi, Dom^Rticu terra, MimoHa pudica, BlUthen von Orislea
}iia, Janminum arborescons u. s. w. ; bei Schmerzen o^ ' ujg
'•IC MUch mit Glycj-rrhJza glabra, Pinus Devadam und A^^i
XIX. Unzeid^^ieDwE
auch Milch mit Oxalis. Asparagus racemosus und Asclepias roseAf sowie Ter-
schiedene ähnliche Zueaiuinenhietzungeu. War die Frucht abgegangene «o
gaben die »ltiiidi8che|n Aerzte eine S^ieise aus Kuhmilch mit Ficus earica
und SälÄtü; war aber der Embryo abgestorben, eine Ptisune von Paspalua
framentaueus.
Von den Vorstellungen, die noch jetzt hie und da herrschen,
führen wir nur folgende an:
In manc-heu Gegenden Deuts chIandi^, namentlich im Fran-
kenwalde {Flügel) , ist bei drohender Frühgeburt ganz besonders
die Furcht vor dem 9. Tage gross, weil da, wie man glaubt, die
Gefahr leicht wiederkehrt.
In Galizien suchen die Hebammen durch Schmieren des Unter-
leibes und warme Kataplasmen so lange zu helfen, bis entweder der
Tod oder die Ejaculation de* Inhaltes die Gebürmutterblutung zum
Stillstände bringt.
B. Die absichtliche Fehlgeburt.
M. Die Fmchtabtreihiing.
Eine Betrachtung der mit Ab.sicht li ervorgerufenen Fehlgeht
bietet von verschiedenen Gesichtspunkten aus ein beträchtUche«
Interesse dar und zwar in erster Linie ein eulturgeschichtliches, ein
staatliches oder rechtliches und ein medicinisches.
Durch einen eingehenden Blick theils auf ethnographische Er-
scheinungen, theils auf die Geschichte der socialen und moriLÜi>cheu
Verhältnisse in den Culturstaaten erkennen wir, wie sich unter den
verschiedensten Verhältnissen die Anschauungen über die Kindes-
abtreibuug gestalteten, und wie mit der Läuterung der Sitten, zu-
gleich mit den platzgreifenden Ansichten über das Leben und das
Recht der Frucht, sich allmählich eine Beschränkung der Frucht-
abtreibung durch die Gesetze entwickelte. Wir werden finden, dass
noch heute unter den in primitiven, ebenso wie in halbcivilisirten
Zuständen lebenden Völkern der Brauch des könsthchen Abortus
in grösster Verbreitung besteht; demnach müssen wir sthliessen,
dasa die Fruchtabtreibung keineswegs erst ein Ergebniss degenerirter
socialer Verhältnisse ist. Sie wird allerdings, wie beispielsweise im
Orient, durch gewisse, das sociale Leben beherrschende Missstande
aufrecht erhalten. Doch haben ohne Zweifel recht zahlreiche, auf
der niedrigsten Culturstufe stehende Völkerschaften sie mit der
grossten Unbefangenheit von jeher ausgiebig geübt und thun
das auch heute noch lediglich aus dem Gnmde, um den Kinder-
segen zu beschränken. Vom ethischen Standpunkte bourtheilcn wir
diese Erscheinung als ein Ergebniss des leidigen Kampfes ums Da-
sein; allein es ist auch eine schlimme Thatsache, dass der so aus-
gedelmt vorkommende Abortus zum allmählichen Untergang vieler
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XIX. Unzorage
Die Bedinguiigeu itir die Sitte der Abtreibung mögen im All-
gemeinen dieselben sein, wie die, welche den Kindermord veran-
lassen. Allein bei der Abtreibung tallt auch noch die schwache
Schranke hinweg, welche wohl manchmal die Mutter abhält, das
Eigenerzeugte zu vertilgen, die Liebe zu dem ebengeborenen
lebenden Wesen imd die Furcht vor der Schuld, ein Leben zu
vernichten.
Unter den Naturvölkern stehen in der Civilisation die Oceanier
und Australier wohl am tiefsten. In Australien will man bemerkt
haben, das» , wegen der Schwierigkeit, womit die Auferziehung der
Kinder verbunden ist", die eingeborenen Mütter oftmals Fehlgeburten
herbeiführen. {Klemm, Oherlaetider.) In Neu-Süd-Wales un-
weit Sydney sterben die Eingeborenen wegen der hier gebräuch-
lichen Abtreibung der Leibesfrucht mehr und mehr aus, wie
V. Schrzer berichtet; die Spi-ache der Eingeborenen hat für das
Abtreiben einen eigenen Kunstausdruck: Mibra.
Auf Neuseeland war bis vor einiger Zeit das Abtreiben der
Frucht nicht minder gebräuchlich, als der Kindermord. Tuke be-
richtet, dass die Maori-Frauen auf Neuseeland häufig abor*
tiren; bei manchen derselben soll dies, wie er sagt, 2 oder 3 mal,
ja sogar 10 bis 12 mal geschehen sein. Er weiss zwar nicht
genau, ob der Abortus künstlich hervorgerufen wird oder zufällig
ist, doch glaubt er annehmen zu müssen, dass häutig das Erstere
der Fall ist. Domeny de Btensi schildert in seinem Werke Übet
Oceanien die Entbehrungen und Qualen, welche den eingeborenen
Frauen bei Schwangerschaft und Geburt von den Ihrigen auferlegt
werden, und fragt: Darf man sich wundem, dass manche dieser
Frauen dem Glücke entsagen, Mutter zu werden, und durch ge-
waltsame Mittel den Folgen ihrer Fruchtbarkeit vorbeugen? Uuter
den Eingeborenen Neucaledoniens haldigen nach dem Bericht des
französischen Schiffsarztes Rochns nicht etwa blosg unverheirathete
Dirnen dem Gebrauche des Abtreibens, sondern auch Frauen, um
der Mühe des Säugens zu entgehen, und um gewisse Körperreize
länger zu bewahren.
Das.s die Rücksicht auf die Erhaltung der jugendlichen Schön-
heit wie im alten Rom so auch den Frauen der Natxirvölker aU
Motiv zur Abtreibung keineswegs fremd ist, wird uns mehrfach
berichtet , nicht blo.s3 von den soeben genannten ganz rohen Be-
wohnerinnen Neucaledoniens, welche darnach streben, ihre Brüste
möglichst lange straff zu erhalten, sondern auch von SamoAt
Tahiti, Hawai und in alter Zeit von den Dariern.
Bei den Doresen, einem Papua-Stamme auf Neu-Guinea,
ist die Frau das Lastthier des Mannes ; um nicht mit grossen mütter-
lichen Sorgen beschwert zu werden, betrachten die Frauen zwri
Kinder für hinreichend mul treiben bei jeder folgenden Schw;
schaft die Frucht ab. Daher erklärt sich die geringe Zunahui» u. .
Bevölkerung.
>5, Die Verbrdtnng der Prachtabtreibnng unter den jetzigen Völlcern. 537
Auf den Gesellschafts-Inseln trat nach Bemet die Frucht-
reibuDg an die Stelle des früher gebräuchlichen Kindermordes.
Auf den Sandwichs-Inseln, auf denen der Kindermord früher
sehr gebräuchlich war, ist jetzt nach Angabe der Missionäre nur
die Hälfte der Ehen fruchtbar. Andrew fand von 96 verheiratheten
Sandwichs-Insulanerinnen 2S in kinderloser Ehe, also den vierten
Theil. Nach Wilkes ist hier der freiwillige Abortus sehr häufig.
Auf den Viti-lnseln, sagt Wilkes, giei3t es sehr viele Heb-
ammen, die meistens auch mit dem Creschäfte der hier sehr häufig
exercirten Fruchtabtreibung sich befassen. Auf Samoa ist der
Kindermord etwas ganz Unerhörtes, Abtreibung der Frucht dagegen,
und zwar mit Anwendung mechanischer Mittel, theils aus Scham,
theils aus Furcht vor frühem Altern, theils aus Trägheit ausser-
ordentlich in Uebung. Künstücher Abortus war auf den Gilbert-
Inseln wegen der Unfinchtbarkeit des Bodens sehr gebräuchlich.
Wohl scheinen auch die Ulitaos auf den Marianen diese Sitte
geübt zu haben, obwohl bestimmt« Angaben darüber nicht vorliegen.
Auf Buru im malayischen Archipel sind Eramenagoga viel
gebraucht, um keine Kinder zu bekommen, und ebenso wird der
künstliche Abort allgemein geduldet und an Mädchen und Frauen
vielfach ausgeübt. Die hierzu in Anwendung gezogenen Geheim-
mitiel scheinen dem Körper der Frau keinen bleibenden Nachtheil
zu verursachen. Auch auf Ambon und den Uliase- Inseln, auf
Babar, Keisar und den Watuhela-Inseln werden Abortiva viel-
fach benutzt. Auf Keisar thun es die Weiber gegen den Willen
ihrer Männer, um nicht mehr als höchstens zwei Kinder zu be-
kommen. Die Watubela-Insulanerinnen führen in gleicher Weise
das Zweikindersystem durch. Auf Babar greifen schwangere Frauen
zur künstlichen FruchtÄbtreibung, um nicht vom Coitus ausge-
schlossen zu sein, der während der Gravidität auf das strengste ver-
boten ist. Auch die Eetar-Insulanerinnen bedienen sich der Abor-
tiva, jedoch nur ganz im Geheimen. Die Galela und Tobe-
loresen gebrauchen sie ebenfalls viel. (RicdeU)
In Brunei auf Borneo sind die Kindesmorde nur deswegen
KO selten, weil man ijinen durch Abtreibung der Leibesfrucht zu-
vorkommt, worin die Eingeborenen eine solche Meisterschaft haben,
das« sie ihren Zweck ohne Gefahrdung des Patienten zu erreichen
wissen. Da die Vornehmen ihre Concubinen nach der ersten oder
zweiten Geburt, in Rnhestand zu versetzen pflegen, so schrecken
die gewissenlosen Weiber vor keinem Mittel zurück, um sich in
ihrer begünstigten Stellung länger zu behaupten. Ferner bleibt die
Hälfte iler adligen Töchter unvermälilt; damit sie infolge des uner-
laubten Umganges nicht niederkommen, wird bei Zeiten vorge-
beugt. {Spencer St. John.)
Bei den Hindu beschäftigen sich sowohl die Hebammen als
auch die ßarbierfrauen sehr viel mit Fruchtabtreibungen. (G. Smith.)
In keinem Lande der Welt, sagt Allun Webb in Calcutta, sind
538
Kindesinord iind küustlicher Abortus so häufig, als in Indien,
und wenn es auch der englischen Regierung gelungen ist, die
Tödtung der Neugeborenen zu verhindern, so kann sie doch nichts
gegen den Miasbrauch der Abortusbeförderung ausrichten, die schon
so manche Mutter mit ihrem Leben bezahlt hat; ilberall giebt es dort
Leute, die sich gewerbsmässig mit dem Abtreiben der Frucht be-
schäftigen.
Als besondere Ursache des häufigen Vorkommens von künst«
lichem Abortus bei den Indern bezeichnet Huillet die Sitte, dass
die Mädchen schon im zartesten Alter verheirathet und hierdurch
häufig schon früh zu Wittwen werden; in diesem Wittwenstande
ergeben sich viele der Prostitution, um nur ihren Lebensunterhalt
zu finden, schreiten dann aber bei eintretender Schwangerschaft
zum Abortus, um die Schande von sich selbst und von der Familie
abzuwenden.
Bei den Munda- Kohls in Chota Nagpore kommt es nach
Missionär JeUinghaus vor, dass ärmere Ehefrauen, wenn ihnen die
Schwangerschaften zu rasch aufeinander folgen, zu schlechten alten
Weibern gehen und Abtreibungsmittel anwenden. Ja sie lassen
sich auch oft ohne Wissen der Männer die Gebärmutter verdrücken
und verschieben, um die Plage der Schwangerschaften los zu seui.
Es scheint, dass sie diese scheussliche Unsitte von den niederen
Kasten der Hindus gelernt haben,
Ueber den enormen Umfang, welchen in Indien die Abtrei-
bung genommen bat, berichtet Shortt. Sie wird aus reügiösem Vor«
urtheü sowohl unter den Hindus, die in den englischen l^äsi-
dentschaften wohnen, als auch unter den wilden Stämmen getrieben.
Li Kutsch, einer Halbinsel nördlich von Bombay, fand Mac-
niurdo die Weiber sehr ausschweifend und den kflnsthchen Abortus
allgemein. Eine Mutter rühmte sich der fünfmaligen Abtreibung
ihrer Leibesfrixcht.
Wenn bei den Kafirn in Mittelasien eine Frau den Abortus
vornehmen will mit oder ohne Vorwissen des Mannes, so ist sie
stratlos, ebenso der Doctor, der den Abortus vollbringt. Das Tödteu
der Kinder nach der Geburt jedoch gilt als ebenso strafbar \ne
ein Mord. (Mackan.)
In Cochinchina ist die Abtreibimg ein sehr gewöhnliches
und dort zu Lande durchaus nicht als verbrecherisch betrachtete»
Mittel, der Unannehmhchkeit ausserehelicher Schwangerschaft rasch
ein Ende zu machen. {Crawfurd.)
Auch die Chinesen haben Kenntniss von den Abortirmitteln
und sie wenden dieselben nicht selten an.
Abtreibungen der Frucht sind nach Ttniherford Alcock in
Japan unter unverheiratheten Fraueuspereonen sehr im Schwung.
Wie wenig man dort sich vor der Abtreibung scheut, geht am
der Angabe Wernich's hervor, welcher sagt: .Der Fremde, wenn er
eine Japanerin zur Concubine nimmt, erklärt in sehr vielen Fällen
len jetrigen. Vö!
539
von vornherein, dass er nicht Kinder wünsche; wie die Betreffende
diesen Wunsch erfüllt, bleibt ihr überlassen."
In Persien soll nach mündlicher Ansknnft Volahs bei Ver-
beiratheten der künstliche Abortus nicht vorkommen. Allein Charilin,
der früher persische Sitten kennen lernte, versicherte, dass Frauen
dann den Abortus zu bewirken suchen, wenn sie bemerken, dass
ihre Männer durch die Zurückhaltung, welche sie dem persischen
Brauche gemäss während ihrer Schwangerschaft beobachten, be-
wogen werden, sich mit anderen Frauen einzulassen.
Wir schüesseu hier gleich die Türken an, weil sie ja eigent-
lich vielmehr als Asiaten wie als Europäer betrachtet werden
müssen.
Bei der Leichtigkeit und Straflosigkeit des künstlichen Abortus
giebt es im Orient keine unehelichen Kinder. Der Gebrauch, dass,
wenn eine Frau besserer Khisae zwei lebende Kinder, danmter einen
Knaben besitzt, bei jeder folgenden Schwangerschaft mit Wissen des
Mannes künstlicher Abortus herbeigeführt wird, gilt speciell nur für
höhere Klassen Constantinopels, doch nicht für die Masse der
Bevölkerung, auch nicht ItirAegypten und andere muHebnannische
Länder. Der französische Arzt J^rani, der ein Werk über die
Geburtshülfe in der Türkei geschrieben hat, bestätigt, dass im
Orient die Hebammen sehr häutig den Schwangeren die Frucht ab-
treiben. Ein englischer Arzt sagt: „Die Hüffe dieser Hebammen,
dieser ungebildeten Frauen aus allen Nationen, welche die unver-
nünftigsten Manipulationen mit der Gebärenden vornehmen, erstreckt
sich nicht bloss auf das Geschäft der Entbindung, sie werden viel-
mehr auch bei Frauen- und Kinderkrankheiten zugezogen, ver-
schreiben Mittel gegen Unfruchtbarkeit und erzeugen so manche
Gebännutterkrankheit. Aber ihr besonderer Beruf ist der ktinst-
bche Abortus. Die Türken halten die Abtreibung des Kindes für
nichts Schlechtes. Wenn eine Türkin ihre Nachkommeii.schaft
nicht mehr anwachsen lassen will, oder wenn sie fürchtet, dass
durch eine erneute Schwangerschaft das Stillen, das gewöhnlich bis
in das dritte Jahr fortgesetzt wird, unterbrochen werden könnte,
80 unterwirft sie sich mit der grossten Ruhe der Behandlung einer
Bebamme zur Einleitung einer Frühgeburt, bisweilen mit, andere
Male aber auch ohne Vorwissen des Ehemannes. Gefährliche Blutxmgen,
Entzündungen und Verwundungen der Gebärmutter sind die häufigen
Folgen solchen Verfahrens. Diese Sitten herrschen in den ärmsten
wie in den reichsten Häusern, und die Regierung schreitet nicht
gegen sie ein. Im Jahre 1859 brachte die raedicinische Gesell-
schaft zu Constantinopel das Treiben eines übelberüchtigten Ge-
sellen, der .sich selbst Doctor nannte und Handel mit Abortivniittcln
trieb, zur Kenntniss des Grossvezirs, doch ohne allen Erfolg.
Dieser Gebrauch des Abtreibens ist nach der Meinung des Bericht-
eratatters Ursache des schnellen Abnehmens der türkischen Be-
völkerung." Weiter äussert sich auch der deutsche Arzt Oppni-
540
XIX. Unzeitlge Gebnrten.
heim über diese Verhältnisse: ,In der Türkei wird der Abortus
häufig versucht und ist bis zum 5. Monat erlaubt, weil uach der
Meinung der Mohammedaner bis dahin noch kein Leben im Fötua
ist. Es werden häufig von verheiratheten Leuteu Abortivmittel öffent-
lich und ohne Scheu verlangt, vom Manne, um nicht zu viele Kinder
zxi ernähren, von der Frau mit Bewilligung ihres Gatten aus Furcht^
ein Wochenbett möchte ihren Reizen Abbruch thun, oft aber auch
vom Manne, der mit einer Sclavin Umgang hatte." Als häutige
Folgen des künstlichen Abortus in der Tlirkei führt Ojyjjfnfteitn
an: Fluor albus, Frolapsus uteri et recti tmd Mutterkrebs.
In Constantinopel wiirde auf Veranlassung von Prado eine
amtliche Untersuchung über die vorgekommenen criminellen Ab-
treibungen angestellt. Es ergab sich, dass in 10 Monaten des Jahres
1872 dieses Verbrechen in mehr als 3000 Fällen zu criminellen
Untersuchungen Veranlassung gegeben hatte. Die unmittelbare Ur-
sache dieser erschreckenden Erscheinung findet Prado in der Stellung
des Weibes im Orient. In erster Reihe geschieht es bei den mvisel-
männischen Frauen meist aus Gründen der Gefallsucht, dass das
Weib die Frucht seiner Empföngniss zerstört, und zwar lediglich zu
dem Zwecke, um die Schönheit seiner Formen so lange als
möglich zu erhalten und dadurch der Gefahr einer Ehe-
scheidung zu entgehen, welche die religiöse Gesetzgebung bei
den Muselmännern sehr erleichtert. Ein anderer Grund bestimmt
dagegen die christliche oder jüdische Frau zu diesem Verbrechen.
Um die Spur eines begangenen Vergehens zu verwischen, scheut
sie nämlich vor keinem Verbrechen zurück, und sei es selbst um
den Preis ihres Lebens, wie solches gewöhnlich der Fall ist. Ein
anderer Beweggrund scheint die Schwierigkeit zu sein, mit der die
mittleren Klassen für eine zahlreiche Familie den Lebensunterhalt
zu beachafl'en im Stande sind. Ausserdem spielen Rachsucht, Eifer*
sucht, Nebenbuhlereien und Aussichten auf Erbschaften eine erheb-
liche Rolle.
„Zar Schande unseres Berufes," sagt Prado, „müssen mr gestehen, d«M
es heute seibat noch unter unseren Collegen solche Elende giebt, welche
trotz eines Diploms dieses Btrafl)are Handwerk ausüben, allein ihro Z:ihl ist
glücklicherweiäc in unseren Tagen eine sehr beschränkte gewov ' aia
ehrlose Gewerbe wird heute beinahe ganz aasschlieBslich von ■- hirn
Hebammen betrieben, von unwürdigen Lucinen, welche uns an die Abtrei-
bungen alter Zeiten erinnern, deren Thaten Phuius beschri.l.on hat, wi«
Oltfmpias. die Thebanerin, Salpe und Sotira, und wenn olo nai
der Gegenwart anführen wollen, finden '"■•• ■"'> «n -i"" ■• •'^■A-
mischerinnen von Marseille u. s. w. V.
Ausnahme einzelner Pernönlichlr ^''■
Qben, im Allgemeiueu ixua \
welche vorher die schouiln
vollen und scbamloRcn Fi
sehener HSu
indem sie «V
95. Die Verbreitnng der Fruchtabtreibung outer den jetzigen Völkern. 541
tritten verleitet haben, und die dann in der Regel damit enden, gänzlich
ihr Opfer zu werden."
^ado weist darauf hin, dass dieses niederträchtige Gewerbe
der Abtreiberinnen eine der Hauptursacben der Abnahme der Be-
Tölkerong des türkischen Reiches ist. Er fordert die Behörden
Constantinopels auf. das Verbrechen mit der äussersten Strenge
ta verfolgen, die Hebammen sollen geprüft und überwacht werden.
Eine nicht geringe Anzahl der Völker Afrikas huldigt der
Unsitte des Abtreibens. Wir werden bei Besprechung der gebräuch-
lichen Abortirmittel auf mehrere dieser Völker zurückkommen. Hier
erwähnen wir nur einige derselben. Die ägyptischen Frauen-
zimmer neigen ausserordentlich zur künstlichen Erzeugung des
Aboitos, indem sie sich dadurch allzu zahlreicher kostspieliger Nach-
kommenschaft zu entledigen trachten. {Hartmann.) Das Verbrechen
■des kunstlichen Abortus kommt unter den Eingeborenen Algeriens
nach Bertherand ebenso häufig vor, wie nach Texter in Con-
stantinopel; man sieht in Butiken an öffentlichen Plätzen Jü-
dinnen diese Praxis betreiben.
Anf den Canarischen Inseln ist die Fruchtbarkeit der Weiber
sehr gross, und selbst Lustdimen bringen oft Kinder zur Welt,
wenn sie keine Mittel anwenden, einen Abortus zu be-
wirken. Man nimmt oft zu Abortivmitteln seine Zuflucht, und dies
ist um so leichter, da auf dem Lande die Pflanzen und Kräuter
nur zu gut bekannt sind, durch welche die Abtreibung bewirkt
werden kann; in den Städten ist kein Mangel an alten Weiliem,
die neben der Kuppelei dieses abscheuliche Gewerbe ungestraft be-
treiben. {Mac Gregor.)
Auf Massaua im arabischen Meerbusen ist das Abtreiben
der Frucht sehr häufig, weil die Väter verpflichtet sind, ihre Töchter
aufzuhängen, falls sie, ohne verheirathet zu sein, schwanger werden.
Solche eigenmächtige Handlung wird von Niemand gerügt. {Brchm.)
Die Szuaheli in Ostafrika, welche auch manchmal die Schwan-
ferschafk durch Medicin zu verhüten suchen, halten bis zum 2. h\H
. Schwangerschaftsmonat das Abtreiben der Frucht fiir möglich.
{Kersten.)
Der künstliche Abortus wird bei den Woloff- Negern sehr
häufig durch die Marabuts ausgeführt; nach Annahme de lioche-
bnme's wird infolge dieser Häufigkeit wahrscheinlich die Erschei-
nmiff za erklären sein, dass am Senegal unter den Negern die
ZaU der Sterbefölle diejenige der Geburten übersteigt.
Dort, wo Kindersegen die höchste Freude gewährt, wie bei
^■iHogerii der Loango-KUste, ist Abtreibung der Frucht natur-
nirital eme Seltenheit. Pechuel-Loesc/o;, der in dieser Beziehung
'^afiote-Negern Erkundigungen einzog, konnte nicht
forschen, wie weit die Abtreibung als verbrecheri.«<ch
d bestraft wird. ,,£s scheint," sugt er. .dass nur
Dmnier, namentlich solche, welclie längere Zeit ein
allzu fi-eies Leben geführt haben luid in reiferen Jaliren sich vör
der Entbindung t'ürchteu, im Geheimen den Abortus zu bewirken
suchen, durch Kneten und Drücken des Leibes sowohl, wie durch
übermässigen Genuss von rothem Pfetter.
Abtreibung der Leibevsfrucht mag nach Büttner bei den Herero
nicht selten vorkommen ; dies geschieht vielleicht aus verschiedenen
Ursachen. Büttner kannte einen Fall, wo eine Frau, die nllerdings
von ihrem Manne auf das schändlichste betrogen und Verstössen
war, aus Ingrimm das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug, zu
tödten versuchte. Das Abtreiben geschieht liier meist durch äusser-
liche Gewalt, durch Schlagen und Stossen des Unterleibs mit den
Füssen oder mit Steinen.
Die erste Erwähnung der künstlichen Fehlgeburten bei den
Eingeborenen von Amerika findet sich schon bei Lafi Casas und
Petrus Mariyr. Die Ueberbürdung mit Arbeit durch die Spanier
veranlasste die Mütter in ihrer Verzweiflung dazu, imi ihre Kinder
nicht demselben Elende auszusetzen. Noch jetzt kommt Abortus
itnd Kindermord bei den Eingeborenen von Nord- und Süd-
amerika vor.
Bei mehreren südamerikanischen Indianerstämmen haben
die Frauen, wie v. Azara gefunden hat, nur zwei Kinder, da
sie sich der übrigen durch Abtreiben zu entledigen pflegen. Diese
Sitte scheint aber erst allmählich sich eingebürgert zu haben. Die
Guyacurus an der Ostseite des Parana und die Lengua (eigent-
lich Shuiadache, denn Lengua oder , Zunge' wurden sie von den
Spaniern nur wegen der ungewöhnlichen Quaddeln genannt, die sie
in den Lippen trugen), zwei Pampas -Völker, welche sogar nur
ein Kind autzuziehen pflegen, sind namentlich infolge hiervon dem
Au.ssterben nahe. (Eschwege.) Bei den Guyacurus in Brasilien
geht das Bestreben der Frauen, dem Manne gefallig zu sein, so
weit, dass sie, wenn sie .sich schwanger fühlen, das Kind im Leibe
tödten, damit sie durch die Schwangerschaft und die Erziehung
des Kindes dem Manne nicht beschwerlich fallen. Dies thun sie,
so lange sie noch nicht 30 Jahre alt. Empfangen sie nach diesen
Jahren und gebären sie glQckhch, fo ziehen sie das Kind auf. Der
Grund, die Leibesfrucht zu tödten, liegt auch wohl mit darin, weil
sie während der Schwangerschaft und wälirend des Säugens keine
Gemeinschaft mit dem Manne haben dürfen. Aus der gleichen Ur-
sache findet nadi Dchrizhoff'er bei den Abipouerinnen die Ab-
treibung statt.
Die Mbayu> m i'araguay treiben dejjhalb die Kindi*r ul»,
weil die Frauen fürchten, durch das Austragen der Kiinlvr früh-
zeitig zu altem, und weil ihnen bei ihren Stmpuzen das .Vuf/.iehcn
der Kinder zu beschwerlich ist. Auch die bereiU auf 20(i Seelen
zusammengeschmolzenen Payaguas üben die Abtreibung fleiasig.
Die Indianer-Weiber am Orinoco sind über die Wirkung
d<'« Kindergebürens zweierlei Meinung, wie der Abt (fäi berichtet.:
96. Die Frdcl
StüSn^mter den Völkern wen
pinige sind der Ansicht, es gehe durch iVfthe und öftere Entbin-
dungen die Schönheit bald verloren, wogegen andere glauben, dass
gerade durch Entbindungen in sehr jugendlichem Alter die weib-
liche Schönheit am besten erhalten werde. Jene entledigen sich
der Schwangerschaft durch Gebrauch fruchtabtreibender Mittel,
diese suchen möglichst bald Kinder zur Welt zu bringen.
Während einige nordamerikanische ludiauerstämme den
künstlichen Abortus verabscheuen, z. B. die Chippeways, sind
viele andere Stämme wegen der bei ihnen heimischen Sitte, die
Kinder abzutreiben, dem Aussterben nahe. Bei rlen Winipegs
z.B. hatte im Jahre 1842 eine Frau durchschnittlich nur ein Kind;
im 0 r egon - Gebiete fanden sich deren mei.st nur zwei. Es ist
nicht unwahrscheinlich, dass an dieser scheinbaren Unfruchtbarkeit
der natürliche und künstliche Abortus ihre Schuld tragen. In einigen
nordamerikanischen Volksstämmen pflegen iia,ch.Hitnter die Fami-
lien nur 3 bis 4 Kinder aufzuziehen, die übrigen werden abgetrieben.
Häufig ist das Abtreiben bei den Knistenaux nach Mackemie, und
bei den Indianern von Astoria im Oregon- Gebiete nach Jl/ose*.
Die Weiber der Cadawba-lndianer exercirten nach Smith
die Abtreibung der Frucht sehr, besonders wenn sie ausserehelich
geschwängert wurden. Es ist begreiflich, dass solches widernatür-
liche Treiben ihre Gesundheit zerstört, ihr Geschlecht entnervt und
viel Veranlassung zu Fehlgeburten gegeben hat. Dass Smith selten
Mütter fand, die mehr als 2 Kinder hatten, lässt sich hieraus mit
Leichtigkeit erklären.
Von den Dakotas berichtet Schontkraft, dass sie als Abortiv-
mittel mehrere Pflanzen benutzen, die aber in manchen Fällen Mutter
und Kind den Tod bringen. Unehelich Geschwängerte üben regel-
mässig die Abtreibung, aber auch Verheirathete thua das nicht
selten.
Ueber das Vorkommen des künstb'chen Abortus bei den nord-
amerikanischen Indianern sagt Engdmann : , Bei manchen
unserer Indianer, namentlich bei denen, die durch die Berührung
mit der Civilisation laxere Moral haben, findet sich Abtreibung
häufig. Einige Stämme haben ein Recht hierzu, in Rücksicht auf
die Gefahr, welche der Mutter durch die Geburt eines Half-Bred-
Kindes erwächst, das tlir gewöhnlich so gross ist, dass sein Durch-
tritt durch das Becken der indianischen Mutter meist eine Unmög-
hV'hk».'it ist.*
9(i. Die Fmchtabtreibuiig anter den Völkern weisser Rasse.
Ex ist bekannt, dass unter den Weissen Nordamerikas die
I.\btreibung sehr üblich ist, und dass insbesondere in allen grossen
jStädten der Vereinigten Staaten eigene Anstalten existireu, in
[denen Mädchen un<l Frau«?n eine frühzeitige Entbindimg bewerkstelligen,
XIX. ünzeitigi^Jeoarwr
denn alle amerikanische Zeitungen der Union enthalten öffent-
liche Anzeigen solcher höllischen Etahlissementa. Nicht selten sollen
Weiber mit Wissen ihrer Ehegatten diese Institute aufsuchen. Man
findet darin so wenig etwas Unmoralisches, dass, wie herichtet wird,
Frauen ganz flüchtigen Bekannten erzählen, dass sie keine Kinder
zu haben wünschten und daher nach St. Louis oder New-Orleans
gehen, um ihre Leibesfrucht abzutreiben. Diese Sitte hat sich auch
schnell in den Städten Californiens heimisch gemacht.
In New- York schickt ein Quacksalber ein Circular umher, welche*
,To Ladies enceinte" adresairt ist und iu welchem er den Ladies empfiehlt;
«wbose healih will not Warrant their incurring riske incident to umtemity, j
or ihe culniinatiou of whicb threatens an impleasent denouement
a new and highly important scientific discovery, recently made by a regularlj
educated phy^ician and surgeon of extensive experience."
Auch in Europas grossen Städten scheint die Fruchtabtrei-
bnng tlberhand zu nehmen. Dies wird dadurch wahrscheinlich,
dass, wie Tardieti in Paris statistisch nachwies, sich die Unter-
suchungen gegen gewerbsmässige Fruchtabtreibung mehren.
In Paris wurden 1826 — 1830 nur 12 Personen wegen Abtreibung an-
geklagt, 1846 — 50 aber 46, und im Jahre 1853 so^ax 111 Personen, von denen
58 yerurtheilt wurden. Aber der Verdacht der Zunahme der Frachtab-
treibung trifft nicht bloss Paris, sondern auch andere Städte. Nach Tardiru
waren unter 100 wegen dieses Verbrechens von 1854 bi» 1861 Abgeurtheiltea
37 Hebammen, 9 Aerzte, 1 Droguist, 2 Charlatane etc.
Nach der Ansicht aller Sachverständigen wird die Fruchtabtrei-
bung in Paris vollkoionien haudwerksmässig namentlich durch die
einzelnen Hebammen und in .Privatentbindungsanstalten' betrieben,
deren wahrer Zweck allgemein bekannt ist. Manche führen darüber
in fast unumwundenen Ausdrücken Buch, wie Über andere gehurt«-
hülfiiche Verrieb tungeu, und machen ihre Operationen um eine ge-
ringe Belohnung. Ausser den Hebammen sind es nvir Aerzte, welche
sich mechanischer Mittel bedienen; die alten Weiher, die Pfuscher
und die Schwangeren selbst beschränken sich gewöhnlich auf trei-
bende Tränkeben.
In den Jahren 1846 — 1850 konnten von 188 F&Uen von Abtreibung nur j
bei 22 die Urheber des Verbrechens angeschuldigt werden. Unter 683 un-
reifen, in der Morgue su Paris aasgestelltcn Früchten stammen ^n, närolicb i
519, aus den ersten 6 Monaten der Schwangerschaft, und mit Wuhrschcin-
lichkeit lassen sich unter denselben die Mehrzahl der abgetriebenen Kröcht«!
vermutben. Die Zahl der Todt- und Unrcif<?eborennn ist in Paris in starkemf
Zunehmen. 1S05 kam 1 Todtgeburt auf 1612,12 Einwohner, 1849 dogegva i
1 auf 340,90, was gewiss auch durch die steigende Häufigkeit det .\btrnibuDff j
bedingt ist. .\uch Foley giebt an, dass in der Pariser Moi ür-
frUchte in wachsender Zahl rork&men: 1851 bis 1860 war der u. . ^Uhr-J
liehe Durchschnitt 49. von 1861 bid 1869 schon 57,S, und endlicii voa U
bis 1879 sog^iir beinnh" '-'i
Eine ausführlici ehe Arbeit Qbor di ' in FrAakrcich]
vorgekommenen gvTUJii; tv n. r , i . — ' -v— »Ir
GalUot, nach dessen B«r> v "1^$^
96. Die Fruchtabireibtmg unter den Völkern weisser Rasse. 545
gemachten Fälle auf 1032 belaufen. Die Anklagen vertheilen sich nach
Perioden folgendermaaasen:
im Jahre 1831—1835 zu 41 Fällen, im Jahre 1856—1860 zu 147 Fällen,
, , 1836—1840 , 67 „ , , 1861-1865 , 118 ;,
, 1841-^1845 , 91 , , , 1866-1870 „ 84 „
, 1846—1850 , 113 , , , 1871—1875 , 99 ,
, 1851—1855 „ 172 , , , 1876—1880 ,100 ,
Der Einflass des Bildungsgrades zeigt sich darin, dass von 100 rerpfiegten
Weibern 29 weder lesen noch schreiben konnten. Die Statistik Gälliofs
weist aus, dass sich die Zahl der als Abtreiberinnen zur Anzeige gekommenen
Hebammen allmählich vergrössert hat, dass aber ihre Yertheilung auf Stadt
und Land eine ganz besondere Bevorzugung der grossen Städte zeigt. Galliot
schliesst seine Resultate mit den Worten: ,0n se plaint de tous cöt^s,
en France, de la d^croissance de la population. On a fait recemment de
nombreuses lois pour prot^ger l'enfant; nous venons ä notre tour demander
une protection pour le foetus.*
Obgleich nur ein unverkältnissmässig geringer Theil der Frucht-
abtreibungen in Frankreich zur Kenntniss der Gerichte kommt,
80 konnte doch auch GaUiot aus seiner Statistik schliessen, dass
in diesem Lande das Verbrechen in beständiger Zunahme begriffen
ist, imd dass insbesondere Hebanunen sich c^bei betheiligen. Gal-
liot fordert strenge staatliche üebei^achung der Privatentbindungs-
anstalten, die ebenso nothwendig ist, wie die der Privatirrenanstalten.
Ebenso wie der Kindermord kommt nach GaUiot's Ermittelungen
der künstliche Abortus in gewissen Perioden des Jahres häufiger
vor, als in anderen. Während die meisten Kindermorde in Frank-
reich von Januar bis April vorkommen (Conceptionsmonate : April
bis Juli), dann von August bis December (Conceptionsmonate des
Weins und des Camevals), geschehen die meisten Fruchtabtreibungen
4 — 5 Monate nach den erwähnten Conceptionsperioden. üebrigens
giebt es in Frankreich bestimmte Orte, welche im besonderen Rufe
stehen, dass Schwangeren dort geholfen wird: Paris wird häufig
deshalb von schwangeren Engländerinnen aufgesucht, tmd nament-
lich wird Givors von Lyonerinnen frequentirt, da dort ein Arzt,
eine Hebamme und ein Gewürzkrämer das Geschäft betrieben; letz-
terer, der die Operation mit einer Stecknadel vollführte, gestand,
seit mindestens 10 Jahren thätig gewesen zu sein.
Eine Statistik der Fruchtobtreibungen in den Culturländem
kann sich überhaupt nur auf die vorgekommenen Gerichtsfalle be-
schranken. Eine solche hat Hausner geliefert, indem er angiebt:
Das Verbrechen der Abtreibung der Leibesfrucht wurde entdeckt:
In Oesterreich in 7 Fällen jährlich,
, Grossbritannien , 35 „ ,
, Preussen „ 21 „ ,
, Frankreich , 20 ,
, Bayern , 20 , .
, Hannover , 12 , ,
„ Spanien , 11 . „
, Sachsen , 8 .
»Württemberg , 5 .
Sloit, Dm W*ib. I. a. Aufl. 35
546
XIX. ünzeiöge Geburten.
Demnach kameu solche Fälle relativ am häufigsten zur Be-
volkennigszahl in Hannover, am seltensten in Frankreich vor.
Allein ans solchen Zahlen kann man über die relative Ver-
breitung des üebels durchaus nicht schliessen; denn wir wissen-
nicht, wie viele Fälle den Gerichten entgingen.
Von Steyermark sagt Fossd, dass dort Fruchtabtreibnngen
nicht seltener sind als anderswo.
In Serbien forscht die Städterin, welche meist sehr verwöhnt
und verhätschelt ist, nach Mitteln, um nicht zu gebären ; Aborfciva
werden gesucht und theuer bezahlt. Jedes .Jahr kommen verschie-
dene Fälle vor, wo junge Frauen ihren sträflichen V^orsatz mit dem
frühen Tode bezahlen. (Valenta.)
,Wie Jukic^ bezeufft, «ind Kimlesmorde unter den slavischen Türken
und, wie er zögernd hinzusetzt, in Nachahmung der tflrkiechen Dummheit
auch unter Christen an der Tagesordnung. Dasselbe ist auch in den slii«
voni sehen Niederungen der Fall, wo die Bäuerinnen noch häufiger ihre
Leibesfrucht abtreiben. Vor zehn Jahren wurden die Weiber eines ganxon
Dorfes bei Pozfiga wegen Fruchtabtreibung in Untersuchung gezogen. Eine
Mutter hatte ihrer eigenen Tochter eine Spindel in den Leib gestosäen. um
eine Abortirung zu erzielen. Die Tocht^er starb an der inneren Verletzung.
Der Mann itlhrte Klage und so kam die ganze Sache ans Tageslicht. Im
Ganzen wurden etwa 30 Frauen angeklagt. Die Sache verlief aber im Sande."
{Krauss. ')
Bei den Südslaven zwingen manche ge'ivissenlose Männer
öfters ihre schwangeren Frauen zu schweren Arbeiten, damit sie
auf jeden Fall abortiren. Die Volksstimme verurtheilt indessen
scharf ein solches Vorgehen, und brandmarkt es mit Schimpf mid
Schande. (Krauss.^)
Nach J/ascÄÄ*a soll auch in Schweden die Kinde-sabtreibung
gewerbsmässig geübt werden.
In Italien kommt Fruchtabtreibung häutig vor. Ziino be-
richtet in seinem Lehrbuch der gerichtlichen Medicin, dass es in
Neapel bestimmte Häuser giebt, in welchen dieselbe vorgenommen
wird-, als Reclame dient diesen Häusern ein eleganter Cilri^ka.Hten,
in dem sich Alkohol -Präparate als SJammlung couservirter Fötus
befinden. Der Herausgeber hat derartige Aushängekästen zu sehen
keine Gelegenheit gehabt.
Auch schon im alten Rom war die Frachtabtreibung wohl-
bekannt; anfänglich waren die Sitten allerdings streng und ib'e
Ehe heilig; aber mit der moralischen Zerrüttung der Kaiserzeit
wurde auch dieses Verbrechen hätifig, so dass Jutcnalis san^r
.\ber in reich vergoldetüm Bett ist die Wöchnerin wJtcn.
Dahin bringet e« Kunst, dabin ansneilichf HUlfi^
Freue Dich. ' ■. des». ui>
Reich' ihr - ik, d*«nn
Ein A '
Säoim'
97. Die Beweggrfinde ftir die Fracbtabtreibung. 547
Die Zauberiimeti und Wahrsagerinnen in Rom, welche als
Nebenbeschäftigung und besondere Specialitat die Fruchtabtreibungen
ausübten, hiessen Sagae. Man meint, dass hiervon das franzö-
sische Sage-femme herzuleiten sei. {GaUiot)
97. Die Beweggrfinde ffir die Fmchtabtreibang.
Fast möchte es wohl überflüssig erscheinen, dass wir hier einen
besonderen Abschnitt den Beweggründen widmen, welche die Frauen
und Mädchen zu dem gewaltsamen Mittel der Fruchtabtreibimg zu
yeranlassen vermögen, aber wer die vorhin zusammengestellten
Angaben mit Aufoierksamkeit gelesen hat, dem wird es längst schon
aufgefallen sein, dass hier die treibende Ursache durchaus nicht in
allen Fallen die gleiche ist. ,Es bedarf immer mächtiger Motive,
sagt Stricker, um die natürliche Zärtlichkeit der Mutter zu ihrem
geborenen oder ungeborenen Kinde in Zerstörungstrieb umzuwan-
deln." Auch diesem Satze stimmt unser Material nicht zu. Selbst
bei ziemlich hoch civilisirten Völkern ist wohl die Zärtlichkeit der
Mütter gegen das noch ungeborene Kind im Allgemeinen keines-
wegs sehr tiefgehend, und bei den wilden Nationen genügt, wie wir
sahen, oft ein kleiner ehelicher Zwist, um die Frau zu dem künst-
lichen Aborte zu bewegen.
Allerdings ist die allergewöhnlichste und am weitesten ver-
breitete Ursache der Fruchtabtreibung die Absicht, eine entehrende
Schwangerschaft, zu beseitigen, sei es dass es sich um die Schwän-
gerung einer Unverehelichten handelt, sei es dass eine Ehefrau das
Product eines Ehebruches zu vernichten gedenkt. Also die Furcht
vor der Schande oder vor der in solchen Fällen nicht selten sehr
harten Strafe lässt die Weiber zu den Abortivmitteln greifen. Nächst-
dem sind es die Nahrungssorgen, welche der Fruchtabtreibung zu
Grunde liegen, die gefürchtete oder die reale Unmöglichkeit, für
einen neuen Zuwachs der Familie den nothwendigen Lebensunter-
halt zu erwerben. Doch spielt hier nicht selten auch die Mode
ihre Rolle ; es ist nicht Sitte, in den ersten Jahren der Ehe nieder-
zukommen, oder es ist gebräuchlich, nicht mehr als ein oder zwei
Kinder zu besitzen, folglich werden alle übrigen Befruchtungen vor-
zeitig wieder vernichtet. Auch die Scheu der Frau, sich den Mühen
des Säugens zu unterziehen, oder den Strapazen, die mit der War-
tung eines jungen Köndes, namentlich bei nomadisirenden Völkern,
verbunden sind, kommen als Beweggrund in Betracht, sowie das
Bestreben, dem gestrengen Ehemann die Unbequemlichkeiten einer
Eleinkinderstube zu ersparen. Die Eifersucht und die weibliche
Eitelkeit sind auch keineswegs ganz schuldlos. Die erstere ver-
anlasst den künstlichen Abort, wenn die Frau fürchtet, dass in
85*
18
ten.
Folge ihrer Schvrangerschaft ihr Ehegemahl sich anderen Weibeni
zuwenden möchte. Aus Eitelkeit abortiren die Weiber in der
Hoffnung, sich durch die Vermeidung einer Gravidität möglichst
lange ihre Korperformen jiigendlich und mädchenhaft und nament-
lich ihre Brüste prall und rund zu erhalten. Das unstillbare Ver-
langen nach geachlechtlichem Verkehr mit dem Gatten, welcher der
Frau während der Schwangerschaft vollständig fem bleiben muss,
giebt bei manchen Nationen eine wichtige Triebfeder for die Aborte
ab. Manche Frauen, die mehrere Jahre ihr Kind zu säugen pflegen,
unterbrechen auch künstlich eine erneute Gravidität, um nicht durch
dieselbe ihre Milch zu verlieren. Das4 auch bei einem vorüber-
gehenden oder einem tieferen Groll gegen den Ehemann manche
Weiber den letzteren dadurch zu kränken suchen, dass sie ihre Leibes-
frucht abtreiben, das haben wir bereits gesagt. Nur ein Beweg-
grund ist noch zu erwähnen, und das ist gerade der einzige, welcher
vor der Moral zu bestehen vermag, nämlich die ärztliche Sorge ftir
die Gesundheit und das Leben der Mutter, welche durch die Ent-
bindung zu normaler Zeit in die höchste Gefahr gebracht werden
würde. Dass auch Naturvölker solche Rückeichten kennen, das be-
weist der oben citirte Ausspruch Engehuanns über die Indiane-
rinneu.
98. Die AbortiTmIttel.
Eine sehr grosse Zalil von Mitteln und Wegen haben die ver-
schiedenen Völker herausgefunden, um das in dem Mutterleibe
keimende Leben noch vor der Geburt wieder auszulöschen. Theils
sind es Arzneien und Medicamente, die sie zu diesem Zwecke in
Anwendimg bringen, theils sind es Manipulationen mechanischer
Natur. Je roher ein Volk ist, mit um so rücksichtsloseren Mitteln
gebt es zu Werke. Viele der jetzt auch noch bei uns als Volks-
mittel benutzten Arzneien wurden schon von den Aerzteu der früheren
Epochen als Abortivmittel benutzt. Allein auch gewisse operative
Eingriffe, deren sich die Aerzte bei uns erst in der Neuzeit be-
dienen, sind schon seit sehr alter Zeit bei einzelnen Völkerschaften
in Gebraueh-
Scbon die alt indischen .\er/to, dereu Malerin modica vor«ig«weilt> {
eine vegetabilisclie war, übten den kiinbtlicben Abortus aufi. Sie l>e«a8«mi
eine Liste von zusanimenf^esetzten Abtreibungspr^paraten, nnd zwar kam f(ir
jeden Bcbwaogerscbaftsmonat ein anderes in Anwendung. So fUr den ersten
Monat: Glycjrrhiza glabra, Tectonae grandis seinen, Aeclepias roaea und
PinuB Devaadäru; für den zweiten Monni: Osalis (asmantaaa). SeRamuni
Orientale, Piper lotigum. Rubin mnnjuata und Aspantgus racetnoatta — und »0.
fort bis zum 0. Monat: Glycyrrbiza gbibra, Panicum dactylnm, A ',-■•
roaea und Echitee frutescens. Die^e Mittel gaben die alten Bmhnianei
um Abortub zu bewirken, wenn der Leib der Sil . • j,^
auRrieb; docb bebnujiteten schon diiuial« einige Jftii
98. Die Abortivmittel. 549
bisweOen von selbst verschwindet. Auch Brechmittel gaben dio Aorst« «ur
Abtreibung der Fracht, jedoch finde ich nicht-, dass von mech(vni$chon Mit-
teln die Rede ist.
Anch den alten Juden waren Abortirmittel bekannt; ihr Gebrauch war
aber auf das strengste verboten.
Bei den alten Griechen war es zu Plato's Zeit den Hebammen er-
laubt, Abortus hervorzubringen, wo es ihnen nützlich schien, (r. SitboMj
Die Alten schieden die Abortiva in tp96ifia und enmutt', letztere vorhindom
die Conception, das tpQ'o^iov zerstört die geschehene Conception. Atokia
benutzt die Frau, um zu verhindern, dass der männliche Same sofort nach
dem Coitus die Befruchtung des Eies vollbringen kann, sei os, indem sie
sich bückt und kauert, damit der Same nicht in den Grund des THorus ge-
lange, sei es, dass sie niest, sei es, dass sie kaltes Wasser trinkt, dasM Hin «Ion
Muttermund mit altem Oel, Honig, Opobalsam, Wachs u. s. w. beHtrcioht und
mit einem Wattebausch verstopft. Ein Abortivmittel rieth auch Hippokratn
in dem Buche: ,De natura pueri'' einer Harfenspielerin, und obgleich nr
ausspricht, dass keiner Frau ein qt&oQtov gereicht werden dürfe, weil es Haoho
der Heilkunst sei, das von der Natur Erzeugte zu schützen und zu erhalten,
so hat er in diesem Falle doch bewirkt, dass nach 7maligom Springen eine
angeblich 6 Tage alte Frucht abging, die er möglichst genau bcschrnibt.
Als Abortiva sollen bei den alten Griechen und Römern Mentha
pelugium und Safran (Crocus sativus) gebräuchlich gewesen Huin.
Bei denBaktrern, Medern und Persern gab es alte Weiber, welche
den geschwängerten Mädchen die Frucht mittelst „Baga" oder „Kravpata"
oder anderer „auflösender" Baumarten abtrieben, doch ist mir nicht bekannt,
welche Baumarten hiermit bezeichnet wurden. (IJuneker.)
Im alten Rom wurde der künstliche Abortus nicht selten ausgeführt.
Soranus aber zog ihn nur nach bestimmten Indicationon (Kleinheit der ()«-
bännutter (?), Enge des Muttermundes, Geschwülste in demsnlb^m) in An-
wendung, er erklärte jedes Abortivum für gefährlich und motnto, Ahmh man
lieber die Conception verhindern solle, als dass man gonöthigt word», tb-n
Embryo zu zerstören. War der Fötus in der Schwangersohaft ahgostorWon,
so mnsste er durch Abortiva abgetrieben werden. Dun Abortus b'twirkU)
man in solchen Fällen nach thranuSf Aetitu n. s. w. durch CoinpresNion (\nn
Unterleibes mit Binden, Conquassationen, durch Klystiere von Adiitring(inti»n,
Fei taoii und Absynthium; Frictionen der Scharatheile, Bäder, A<lstring«rnti<)n
zum inneren Gebrauch, Pflaster ans Cyclamen, Klateriiini, AricDiisia, Absyn-
thium, Coloqninthen , Coccos cnidius, Nitrura, Opoponax u. n. w.; iirttch-
mittel, Niesemittel; endlich legte man auch einen I'nsiiuH au« Iris, Galbanuin,
Coccus cnidins, Teri>entfain mit Rosen*- und Cypßrnöl gemischt, ein und
machte am anderen Morgen an die Oenitali<;n Dämpfe mit «>n<;r Abkochung
von Foenu graecum und Artemisia. Die Kntfernung «nnes t^idtnn Kindns
ans dem Uterus sollt« nach Hfiranwi Anrtih Einlegen trockener Hr.hwhunnn,
zuerst dünner, später dick'jr, tular durch Kinleg^m von I'afiyni« in da« Ori-
ficium bewirkt werden.
Jene von fioranwi, Aüiiu und And«r«;n Ufinunnifm S\iiu:'\\tftutiUi\ monhitf
man nun in Rom wohl auch in Nolch^n Fäl1«»i l>«!nMt7,^n, wo di« »ng«'g<rb<m<:n
gebnrtshfilflichen Indication<;n f'ir Erregung d'r« Aborto« ni'hi vorlaig<-n.
Allein die Mitt*l, welch»? al« Abortiva im Volk«: M^i 'J»'n »l»>?n fClm'-rn vri-
btioehHeh war«n, bestand«» ni^ht blo«s au« inn^rtm M*uht:Mn*:nt.*rtt, «ond^n
<W wurde hierbei aacb *nn «ng«n^ tiintrtim*-ni b^nrjtzt {^/rütff 4*v Y.tiAffjtf
650
XIX. Unzeitige Geburten.
sphacles. Vielleicht ist dies ein Pessoriam, dessen aicb auch die Aente nF
Erregung dee Abortus bedienten.
Die alten Arnber benutzten, wenn die Geburt wegen Kleinheit d«
GebUrenden derselben geiUhrlich zu werden dTohte, als Abtreibungsmittel
Aderlasa, Heben und Tragen von gchwereo Lasten, Hungern, Reiz des Mutter-
mundes durch Einbringen von zusammengeroUteni Papier, einer Federepule,
eines Stückchen Holz u. s. w. Dabei war eine grosse Menge innerer Arznei-
mittel gebräuchlich. Namentlich bei Avicenna findet man diese Dinge auf-
gezählt ; aber auch ein eigeathümliches langhalsiges „Instrumentuni triangu-
latae extremitatis" benutzte er, um den Muttermund damit zu eröffnen und
hierauf Stotte zur Erregung des Abortus zu injiciren. Die arabischen
Frauen jener Zeit verfuhren ausserordentlich leichtsinnig hinsichtlich der
Abtreibung und entledigten sich mit derselben Gewissenlosigkeit ihrer Frucht,
wie noch jetzt die Frauen im Morgenlande. Abulkasem, der im Anfange de»
12. Jahrhunderts in Spanien lebte, ti-itt in einem Kapitel: „De Cautela
medici, quod non decipiatur a mulieribus in provocatione menstnii ne de*
atmatur conceptus" kräftig gegen den überall verbreiteten Gebrauch, sich
daa Kind abtreiben zu lassen, auf und warnt die Aerzte, Folge zu lei«t«n,
wenn sie von den Weibern veranlasst werden, da» Kind abzutreiben. Sollte
der künstliche Abortus nöthig erscheinen, so solle man eine geschickte Heb-
amme zu Rathe ziehen.
Die Abortiv-Mittel der alt-arabischen Aerzte hat Pfaff" zusammen-
gestellt. Es sind: Calendula ofBcinalis — Gummi ammoniac. — Herb. Aluali —
Epidemium alpin. — Aaag)'ris foctida — Juniperus Sabina — Iris florenl. —
Cyclamen europaeum — Artemisia arborescens — Adianthum Capillua Vc-
neris — Amjris Gileadensis — Lumbricua terreatris — Supinus Terme« —
Punaces Heraclion — Daucus Carota — Gentiana lutea — Nux Äbysainic»
— Lepidium sativum. — Cucumis Colocynthidis (in der Scheide getragen,
tödtet die Frucht) — Cheiranthus Cheiri — Arpaslathus — Oleum Abrot>«ni
— Oleum irinum — Meloe vesicator — Aristolochia rotunda — Crocu» sa-
tivus — Gnaphalium songuineum — Aspidium filii mas — Seseli tortuosum
— Saponaria offic. — Stachis germanica — Ferula persica — Lauru« caf<»ic& —
Angnjum senecta — Sesamum Orientale — Alumen — Pinus Cedra» —
Anchusa tinctor — Nigella sativa — Strobili Pini — Inula — Lanms nobiTi».
— Bryonia dioica — Mari'ubium plicatum — Rubia Tinctor. — Mentha —
Momordica elaterium — Cardamomum — Veronica auagallis — Cottni
arabicus — Hedera helix — Clinopodiuni vulgare — Centaureum majus —
Galbanum — Apium petrosciinum — Bubon macedonicum — Daphne cnidiuiu
— Myrrha — Thymus SerpillL
Diese Mittel wurden theils innerlich angewendet, theils a\n reis^ade
Pessarien in die Scheide eingeführt, theils wurde Abortus erzengt durch
Einführung kleiner, mit reizenden Pulvern bestreuter Wollbiusohe in die
Gebärmutter, nachdem vorher durch erweichende Pessarien eine Oeffhoo^
des Muttermundes bewerkstelligt war. Wir können uns wohl vor la*»
die örtlich wirkenden Mittel, in deren Application die altarabi- in
vielleicht grosse Virtuosen waren, den gewünschten Erfolg hat :.7Ik
wegs können wir jedoch annehmen, dass viele der innerlich gorti 'irl
die baabsichtigte Wirkung äusserten. l> au ihre Wirkuug bumhtJi
gewiss nicht auf den Ergebnissen gutei nng 1
Die deutschen Aerzte des l(i. J;; iimiki- atniet*
liehen Mitteln zur Abtreibung des abgebt. ; u ■ i ITiifrn
und Eüelsmist. von eia«m Natt'Cmhalg, tou Ai
98. Die Abortivinittel
551
lam, Upoponax, Ftirberröthe, Habicht- und Taubentoiat. Man gab der
Frau WeiQ titit Asa foetidu, Raute, Myrrhe oder mit Sevenbaum, auch Ab*
kochung von Feigen, Foenu grnceuui, Raute, Doste, legte ihr einen ZapJeJi
von Baumwolle in die Scheide, mit Gummi animoniacuiu, Opoponai, Cbriät-
wurz (Helleboru.s), Läusesamen (Staphysagria), Osterlucey (Aristolochia), Colo-
quinthen. Kuhgiille und Rautensaft; auch bestrich man dieses Zäpfchen mit
Rnuten8uft und Scaromonium, mit Uohlwurz, Sevenbaum, Gailenkrease u. s. w.
Die Frau niusste die Milch einer anderen Frau trinken; ferner Diptamsaft
mit Wein; dann folgten Bfider mit Wasserminzc, Gertwurz, Beifuss, Juden-
pech n. i, w. Erst ziemlich spilt kamen wirkaamere Arzneien zur Kenninifis
derAerzte. In Michard's Botanik heisst es: Früher war Seeale in Deutsch-
id Geheimmittel, aber schon 1747 wurde es von einem Geburtshelfer an-
rendet; spater untersuchte es Jenner in England genauer.
Wir gelangen nunmelir zu einer Uebersicht des Verfahrens
bei den jetzigen Völkerschaften und zwar wollen wir mit den irn-
civiliairten beginnen.
A^ara fragte einst die Mbaya- Frauen in Paraguay,
durch welche Mittel sie die Abtreibung bewerkstelligen? ,Du
sollst es gleich sehen," gaben sie ihm zur Antwort. Dax'auf
legte sich eine der Frauen vollkommen nackt auf die Erde
nieder und zwei alte Weiber fingen au, ihr mit den Fäusten die
heftigsten Schläge auf den Unterleib zu versetzen, bis das Blut aus
den Geschlechtstheileu herauslief. Dies war für sie ein Zeichen,
dasa die Fracht im Abgehen begriffen sei, und A^aya erfuhr auch
nach wenig Stunden, dass sie wiiklich abgegangen war. Zugleich
sagte man ihm al)er auch, dass manche von diesen Weibern für ihr
ganzes Leben die nachtheiligsten F'olgen davon empfinden, und dass
viele sogar theils während der Operation selbst, theüs an den Folgen
derselben sterben. Auch Renggfr sagt von den Payaguas in Pa-
raguay: Hat eine Frau schon mehrere Kinder, so lässt sie sich
bei der näch.sten Schwangerschaft den Leib mit Fäusten kneten,
um eine frühzeitige Niederkunft herbeizuführen, ein V^erfahren,
welches sogar von weissen Mädchen in Paraguay nachgeahmt wurde.
Bei den Queka-lndianern im hohen Nordwesten Amerikas
bat Jacohsen mit angesehen, wie die Medicinmäuner auf dem
ren von Weibern und Mädchen knieeu, um keimendes Leben zu
icken.
Der künstliche Abortus wird in Alaska (Nordamerika) bei
den Indianern zuweilen im 4. Schwangerschaft.«iraonate durch
Kneten und Comprimiren des Utenus vermittelst der Hand durch
die Buuchdecken ausgeführt.
Ueber das Abtreibungsverfahren der Eskimos berichtet Bea-
\tda: Aehnlich, wie sich im missionarisirten Grönland die Schwan-
geren des Kaminstockee (ein Stück Hol/ zum Ausweiten der tia^sen
Fufisbt'kleidung) zu diesem Zwecke bedienen, so benutzen die Ita-
nerinn)>n des Smith-Sundes entweder den Peitschenstiel oder
elnou andern Gegenstand und klopfen oder pressen sich damit gegen
da« Abdomen, welche Procedur mehrmab des Tages wiederholt
XIX. Unze
wird. Eine andere Art der Abtreibung der Leibesfrucht besteht in
der Perforation der Erabryonalhüllea , eine Operation, die wns in
gelindes Staunen versetzt. Eine dünngeschnitzte Walross- oder
Seehimdsrippe ist an ihrem einen Ende messerschneidenartig zuge-
schärft, während das entgegengesetzte stumpf und abgerundet ist.
Das erstere trägt einen aus gegerbtem Seehundsfell genähten cylin-
drisehen Ueberzug, der an beiden Enden oifen ist und dessen Länge
derjenigen des schneidenden Theiles des Knochenstücks entsprichtr
Sowohl an das obere als an das untere Ende dieses Futterals ist
ein etwa 15 — 18 Zoll langer Faden aus ttennthiersehne befestigt.
Wird diese Sonde in die Vagina eingettihrt, so ist der schneidende
Theil durch den Lederüberzug gedeckt. Wenn die Operirende weit
genug in die Geschlechtsöfinimg eingedrungen zu sein glaubt, so
übt sie einen sanft«n Zug auf den an dem unteren Ende des Futte-
rals befestigten Faden aus. Hierdurch wird selbstverständlich die
Messerschneide blossgelegft, worauf eine halbe Umdrehung der Sonde
vorgenommen wird, verbunden mit einem Stosse nach oben und
innen. Nachdem die Ruptur der Embryonalhüllen erfolgt, zieht
man das Instrument wieder zurück ; zuvor aber wird ein Zug auf den
oberen Faden des Messerfutterals ausgeführt, um den scharfen Theil
der Sonde zu bedecken und hierdurch einer Verletzung des Ge-
schlechtscanals vorzubeugen. Bessels erfuhr, dass diese Operation
von den Schwangeren stets selbst ausgefiihrt wird.
Die Bewohner der nördlichen Hudsonsbai nöthigen ihre
Weiber^ sich durch den Gebrauch eines gewissen, dort allgemein
wachsenden Krautes ihre Frucht abzutreiben, um sich von der be-
schwerlichen Last ihrer hülflosen Familie zu befreien. (EUis.) Das-
selbe thun auch die Irnkes innen in Cnnada, sowohl die verhei-
ratheten als auch die unverheiratheten. {Frank.)
Von den Eingeborenen Kamtschatkas berichtet Steiler: .Man
kann von den Itälmenen sagen, dass sie in der Ehe mehr Ab-
sicht auf die Wollust, als auf Erzeugung der Kinder haben, indem
sie die Schwangerschaft mit allerlei Arzneimitteln hintertreiben und
die Geburt sowohl mit Kräutern, als mit violenten äusserlichen
Unternehmungen abzutreiben suchen. Die Kinder abzutreiben haben
sie verschiedene Mittel, welche ich bis dato nur dem Namen nach
weiss, aber noch nicht gesehen habe. Das grausamste ist, dass sie
die Kinder im Mutt«rleibe todt drücken und ihnen Arm und Beine
durch alte Weiber zerbrechen und zerquetschen lassen. Und abor-
tiren sie nach diesen die todte Frucht ganz, oder sne putrescirt und
kommt in Stücken von ihnen, und geschieht es öfters, dass anch
die Mutter ihr Leben darüber lassen mnas," In Sibirien benntatCB
die Mädchen die Wurzel von Adonia vemalis und Adonis apennina.
(FranJc.)
Wenn bei den Mongolen ein Mädchen w£hrend d£>r Probe-
zeit geschwängert wird. >«> Iw'fn-Ir. si« ftir-K iliiri'lk i/i.WftltiSrfini»» iTrri<<li>|j.
theils äusserliche, «um 14.
98. Die AbortivTuittel.
553
mders giebt es eri'ahrene alte Weiber unter den Kalmücken,
dnrch lange fortgesetztes Reiben des Unterleibes, durch Auf-
legen glühender, in eine alte Schubsohle gewickelter Kohlen auf die
Gegend der Gebärmutter und durch andere hautschauemde Mani-
pulationen, welche die Mädchen mit der grössten Geduld ertragen
sollen, diesen Zweck zu erreichen suchen. (Pallas,)
la Japan ist künstliche Erregung des Abortus nicht gestattet;
sie gilt in den besseren Gesellschaftsklassen fiir eine grosse Schande.
Dennoch wird dieselbe bei unehelich Schwangeren und selbst bei ver-
heiratheten Frauen aus den niederen Ständen sehr häufig ausgeführt
Ton einer Art Hebammen, die im Uebrigen ganz unwissend sind.
Sie bedienen sich seit alter Zeit üazu eines Verfahrens, das erst in
diesem Jahrhundert bei einigen Geburtshelfern für die kflustlichä Erregung
der Frühgeburt in Aufnahme gekommen ist. Dies Verfahren besteht darin,
daas ein mehr als Fuss langes Stück der biegsamen, etwa an Dicke einem
Gänsekiel gleichenden Wurzel von Archyanthes aspera Thunberg zwischen
UteniHwand und Eihäute geschoben und daselbst 1 — 2 Tage liegen gelassen
wird. Die Wurzel wird vor dem Einführen, das mit Hülfe von zwei in die
Vagina eingeschobenen Fingern geschieht, mit Moschus bestrichen, ansser-
deoa wird auch innerlich Moschus gegeben. Der Erfolg dieses Verfahrens
ist sicher. Eine Modification desselben ist die Einführung von Seidenfäden,
die mit Moschns imprügnirt sind, in den Müttermund. Aber auch die rohe
Methode des Einstosscns von schwertförmig zugespitzten Bambusstäben oder
zugespitzten Zweigen einiger Sträncher in den Muttermund kommt vor und
führt nicht selten zum Tode. Als geeigneter Moment zur Ausführung gilt
der 4. und 5. Schwangerschaftsmouat.
In der chinesischen Abhandlung über Geburtshülfe, welche
V, Mitrtius übersetzte und die von einem chinesischen Arzt zur
Belehrung des Volies geschrieben ist, werden die Mittel genannt,
welche dem Volke zur möglichst schnellen und gefahrlosen Ent-
fernung einer abgestorbenen Frucht angerathen werden.
„Im Falle man vergewissert ist, dass die Fracht bereits im Leibe der
Matter abgestorben, so m'nss mau der Mutter die Arznei Fo-scba-san ein-
geben. Nach dieser wird die Frucht sehr leicht und ohne Schmerzen ab-
gehen. Sollte genanntes Mittel nicht die gewünschte Wirkung hervorbringen,
dann mische man einen Theil von der Arznei Fin-wei-san mit drei Thoileu
von der Arznei Pu-si-uh-jem zusammen und lasse diese Mischung die Mutter
einnehmen. Diese vortrefflichen Mitt«>l haben uralte weise Männer zum Besten
der Nachkommenschaft zusammengesetzt. Da« Mittel selbst zu bereiten ist
eine sehr leichte Sache, es kann dies ein Jedes. Mache daher ja von keiner
anderen unbekannten oder ungewöhnlichen Medicin Gebrauch.*
Der Arzt hält diese Abortivmittel demnach nur beim Tode der
Frucht Tür indicirt. Das Volk in China wird sich wohl kaum auf
diew Indication beschränken.
Auf der Insel Formosa wird der Leib der Schwangeren mit
Ffi^sen getreten, um Abortus zu bewirken. Von den Chinesen
^ n hierzu, mich Scherser, vielfach der Moschus (Shu-
'••ht.
Slam exigtirt ein Abortivmittel , welches von den Einge»
XIX. Lnzeitige Geburten.
borenen vielfach benutzt, aber geheim gehalten wird, wenigstens
konnte Schombimfk y welcher sich Mühe gab, Näheres darüber ru
erfahren, nicht herausbekommen, welche Pflanze man hierzu benutzte,
denn mau konnte ihm nur so viel mittheilen, dass es ein Mittel
vegetabilischer Natur sei.
In Karikal, einer französischen Besitzung in Ostindien,
wird unter der Bezeichnung schwarzer Kümmel die Nigella sativa
(eine Helleborus-Art) benutzt, deren scharfutherische Samen in klei-
neren Gaben (bis 15 Gran) als Emmenagogum, in grösseren als
Abortiviun wirken sollen ; sie werden gepulvert und mit Palmzucker
als Paste genommen. [CanoUe) Die Mainaten, die dort woh-
nen, Itihren in den Uterus ein festes Instrument, welches die Form
eines dünnen Steckens hat. Sie sprechen auch von der Anwendung
einer geschnittenen Binse, die an ihren beiden Enden 0,10 Ctm.
lang und 4 Millini. im Durchmesser ist, in den Uterus gebracht
wird und hier liegen bleibt.
Auch in dem übrigen Indien ist die Abtreibimg der Leibes-
frucht selir gebräuchlich. Ueber die Mittel, welche hier angewendet
werden, berichtet Sfiorft:
,Der Saft der friachen Blätter von Bambuea arundicea, der Milchsaft
verschiedener Euphorbiaceen (E. tirucalli, E. fortüis» E. Antiqaorum und
Calatrapis gigantea), auch Aea foelida, vermischt mit verschiedenen wohl-
riechenden und gewürzhaften Substanzen, wird viel benatzt. Als das wirk-
samste Mittel wird jedoch die Plumbago Zej'lanica angesehen, deren Wurael
gewöhnUch innerlich gereicht, aber auch local angewendet wird. Die Wurael
wird dann Eugeq)itzt und imiss mit grosser Gewalt in den Uterus geschoben
werden, da Shortt die Wurzel in inehreren Fällen noch daselbst antraf,
während die Frucht bereits auegestossen war. In der Leiche einer Frau, die
abortirt hatte, ward der Fundus uteri an drei verschiedenen Stellen per-
forlrt gefunden. Solche Fälle sollen nicht selten sein, wie denn anderweitig»
Oebälrmutterkranl^heiten infolge solcher Behandlung dort sehr häufig sind.*
Unter den Hindus in Calcutta giebt es Leute, die sich pro-
fessionsmässig mit dem Geschäfte des Abortus befassen und sich
dazu entweder des Eihautstiches oder medicamentöser Tränke be-
dienen, in welchen Asa foetida eine grosse Rolle zu spielen scbemt.
(Webb.)
Nach einem älteren Berichte {Krimi fs) soUen in Ostindien
die löderlichen Frauenzimmer sich ihr Kind durch imreife Ananas
abtreiben, und hiermit steht es vielleicht in Zusarauienhang, dik<*
die Schwangeren auf Keisar, selbst wenn sie an Gelüsten leidea«
die Ananas nicht essen dürfen.
Um gleich bei dem malaiischen Archipel zu bleiben, tm
eine andere Angabe von Ilietlel erwähnt, dass die Frauen auf Ba-
bar, um den Abortus einzuleiten, einen Extract von «^niicheni
Pfeö'er in Arac trinken. Ausserdem aber tritt derjeiii^,'
schwängerte, täglich im Haui^e oder im Wald.' vorsi
Leib, um die Frucht zu entfernen. Bei den (>
98. Die Abortivmittel. 555
loresen auf Djailolo sind Abortiva aus Kalapa-Oel, Citronen-
saft und verscliiedenen Baum wurzeln bereitet, viel in Gebrauch.
Kindsabtreibung ist auch auf den Neu-Hebriden (Insel Vate)
gebrauchlich und zwar wird dieselbe theils durch pflanzliche, theils
durch mechanische Mittel angestrebt. Für jede dieser beiden Arten
haben sie einen besonderen Namen. Die in Anwendung gezogene
Pflanze ist nicht bekannt, sie heisst bei ihnen nur Pflanze der
Fruchtabtreibung (Pflanze des Saibirien). Die mechanische Art be-
steht in Drücken und Kneten des Leibes durch die Hebanuuen, wo-
durch das Kind getodtet wird. An dieser Behandlung (mitimauri
genannt) geht ein Theil der Frauen zu Grunde. (Jamieson.)
Die Noeforezen, ein Papua-Stamm auf der Insel Noefoor,
unweit Neu-Guinea, betreiben die Fruchtabtreibung, wenn ihre
Frauen 3 — 4 Kinder geboren haben und nun nicht mehr gebären
wollen. Die Frauen lassen sich ausser dem Gebräu, das sie ein-
nehmen, ihren Leib mit einem Rohrbande fest zusammenschnüren
und dann mit Füssen treten, so dass die Frucht mit Gewalt abge-
trieben wird, (van Hassdt.)
Von den Samoa-Inseln wird berichtet, dass man sich dort
»mechanischer Mittel' zum Abortiren unter den Eingeborenen
bedient.
Eine grosse Kunstfertigkeit in der Kunst des Abtreibens be-
sitzen nach de Rochas' Angabe die Papuas auf Neucaledonien;
eine sehr gebräuchliche Art abzutreiben nennen sie die „Bananen-
Kur". Scheinbar besteht sie darin, dass die Schwangere gekochte
grüne Bananen siedend yerschlingt. Da die Bananen völlig vmschäd-
lich sind, so dienen sie, wie Rochas meint, nur zur Verschleierung
des wahren, bis jetzt noch nicht entdeckten Abortivraittels. Nicht
selten horte Rochas aus dem Munde der Eingeborenen: ,Da geht
auch Eine, die Bananen genommen hat.* Auch Moncelon giebt
an, dass ihre Mittel unbekannt, aber vegetabilischer Natur wären.
Er glaubt, dass gewisse Baumrinden dazu benutzt werden.
Von den Eingeborenen der australischen Colonie Victoria
schreibt Oherländer : Abortion durch Druck kommt keineswegs selten
vor, besonders nach einem Zanke zwischen Mann und Frau.
In Persien lassen sich die Schwangeren, insbesondere die
Unverheiratheten, im 6. oder 7. Monat den Abortus dadurch herbei-
führen, dass die Hebamme mittelst eines Hakens die Eihäute sprengt,
was in Teheran von mehreren deshalb renommirten Hebammen mit
grosser Geschicklichkeit ausgeführt wird. Nur einzelne unglück-
liche Geschöpfe wollen sich selbst helfen; sie setzen massenhafte
Blutegel an, machen Aderlässe an den Füssen, nehmen Brechmittel
aus Sulphas cupri, Drastica oder die Sprossen von der Dattelkrone;
und fruchten alle diese Mittel nicht, so lassen sie sich den Unter-
leib walken und treten. Viele dieser Unglücklichen gehen zu Grunde.
Fohk, der dies erzählt, wurde in Teheran oft um Abortivmittel
XIX. Uiueitige Geburten.
gebeteiL In der persischen Provinz Gilan am caspischen
Meere bewirkt man die Abtreibung durch Schläge, Stöase, Druck
u. 8. w. auf den Bauch, innerlich durch drastische Purganzen.
(Häntssche's Mittheil.)
In der Türkei treiben die Hebammen die Frucht durch Ein-
führung irgend eines reizenden Körpers (z. B. einer Pfeilenspitze)
in die Gebärmutter ab. (Eratn.) Den türkischen Weibern sind
nach Oppenheim der Safran und die Sabina als Abortivmittei be-
kannt; ausserdem bedienen sie sich häufig der Foha aurantiorum
mit der Jalappen- Wurzel, die sie mit kpchendera Wasser infon-
diren und als Thee trinken lassen, ein Mittel, das sie seiner Sicher-
heit wegen allen anderen vorziehen, nur sollen seiner Anwendung
lebensgefahrliche Blutungen folgen.
Die Weiber in Alexandrien benutzen Pfeffer, auch Lorbeer
und andere Mittel, ausserdem übt man hier das Kitzeln der Gebär-
mutter mittelst eines Stückes Holz aus. (Bericht des ehemal. Consul
Gerhard.)
Von den jetzigen Arabern wird Aehnliches berichtet; so sagt Jiique,
Militärant in Algerien, daas die Matronen, welche boi den arabiacUen
Stämmen Algiers die Entbindungen besorgen, auch den künstlichen Abortus
einleiten, indem sie die Function der Eihäute ausführen. Rüiue gab selbst
bei einer auf solche Weise entbundenen Frau in der Nähe dea Muttermunde«,
den die ungeschickte Hand der Matrone verfehlt hatte, zwei bis drei Wunden,
die Ton einem spitzen Instrumente herrührten. Wenn die Eingeborenen in
Algerien fürchten, dass das Kind ün Mutterleibe abgestorben ist, so luuaa die
Schwangere ein Getränk zu sich nehmen, bestehend aus Honig und vrarmer
Milch, in welchem Pulver von Vitriol Zdadj aufgelöst ist, dann soll das Kind
abgehen; sollte letzteres aber noch nicht ganz todt sein, so wird es sich auf
die Seite wenden und dann bestimmt ausgetrieben werden. {Berthera»d.)
Andere Abtreibemittel, deren sich die Frauen der Eingeborenen in
Algerien bedienen, sind: die saure Milch einer Hilndin, vermischt mit zer-
quetschten und geschulten Quitten getrunken. Oder die Frau muas drei
Tage lang eine Abkochung der Spargel wurxel und der Färberröthe- (Krupp-)
wuncel trinken. Oder ein Taleb musa auf dem Boden einer Tasse zwei
Worte aus dem Koran achreiben, und man wäscht dann diese Worte üb mit
einer Mischung von Wasser, Oel, Kümmel, Raute und Rettig; diee« Sub-
stanzen rauss die Frau selbst auf dem Boden der beschriebenen Tanse xcr^
quetschen und hin- und herreibeu, dann drei Tage lang davou trinken;
hierauf wird das Kind in ihrem Leibe eine solche Lage bekommen, daas e«
leicht abgeht. Audi umss die Frau 10 Tage lang fünfmal tt^'llch eine
Mischung von Milch und Salz trinken; ist daa Kind hiervon nicht herab-
gestiegen, so trinke sie süsse und saure Milch von zwei Kühen, gemischt
mit Essig; schon ein Schluck davon befreit sie vom Kinde. Sie miscfaea
Spargel und Talarfarat (?) durcheinander, actzen ein wenig Mehl tu und
kochen es mit etwas Wasser; hiervon essen sie drei Tage laug, wtlbrvod
deren sie gleichzeitig Wasser trinken aus einer Tasse, auf deren Boden g**
schrieben stehen die Worte; Mit Gott! Djbrahil (Name eine» Engel«) t Mit
Gott, mein Engel (hier folgt der Name des Engels der Frau) ! Mit Qottl
Srafil (Name eine« Engels)! Mit Gottl Äzrail (Name eines Engel«)! Mit
Univ. MohamiiKd (der Prophet)! Grass sei ihm, zrweimal Gnissl Er Ut ••, '
98. Die Abortivmittel. 557
welcher auferweckt, der darch seine Kraft vom Tode wieder erstehen lässt.
Er hat gesagt: Er lebe! zu dir, die zum ersten Male empfangen hat; er hat
CB gesagt, wenn sie trinkt während dreier Tage die Farbe, mit welcher in
die Tasse geschrieben ist. {Bertherand.)
Vor Abortas schreckt man nach Nachtigal auch in Fezzan nicht
stoück, denn kein Gesetz verbietet ihn; iJte Weiber besorgen ihn
mittelst Kügelchen von Rauchtabak oder von Baumwoue mit
iem Safte des Oschar (Colotropis precera), innerlich sollen Russ
irdener Kochgeschirre imd eine Henna-Maceration dieselbe Wirkung
haben. In Aetbiopien wird Holz und Harz der Ceder, des Sade-
banmes zur Erzeugung des Abortus benutzt. {Hartmann.) In
Massaua benutzt man nach Brehm's mir übergebenem Bericht
Absud einer nicht näher bezeichneten Thuja-Art. Die Ausführung
des künstlichen Abortus geschieht bei den Wol off -Negern durch
Marabuts; doch nicht alle von diesen betreiben das Qeschäft, viel-
mehr wohnen die Specialisten im Inneren, besonders in der Gegend
von Cayor. Dortbin begeben sich die freiwilligen Opfer, um von
dem Kinde befreit zu werden. Worin das Verfahren besteht, konnte
de JRochebrune nicht erfahren, nur so viel glaubt er erforscht zu
haben f dass in gewissen Fällen Arzneien eine Rolle spielen, dass
jedoch auch mechanische Handlungen nicht ausgeschlossen sind.
Die Negerinnen in Old-Calabar nehmen im dritten Schwan-
gerschaftsmonat Medicin, um, wie sie sagen, zu prüfen, welchen
Werth die Empfangniss habe:
Sie unterscheiden nämlich drei Arten einer misslungenen Conception:
1. die Conception von ZwUlingen, 2. die Conception eines zu früh abgehenden
Embryo, und 8. die Conception eines Kindes, welche» bald nach der Geburt
■tirbt. Sie nehmen nun die Medicin zu dem Zwecke ein, um eine solch«*
Conception zn vernichten, bevor sie, wie sie meinen, völlig Platz gegriffen
hat. Diese Arzneien werden durch den Mund, durch den After und durch
die Scheide eingeführt. Zuerst auf dem Wege durch den Mund und durch
den After; wenn dann eine blutige Ausscheidung aus der Vagina erfolgt, so
wird die Wirkung dieser Arzneien unterstützt durch eine unmittelbare Appli-
.eation an den Oebärmuttermund. Zu letzterem Zweck nehmen sie eine von drei
Pflanzen, eine Euphorbia, eine Leguminose oder ein Amomum. Das Stengel-
ende des Blattstieis der Euphorbia, welches seinen Saft ausschwitzt, wird in
die Vagina geschoben; zu demselben Zweck wird die Schote einer Hüli«en-
frocht eingelegt oder eine kleine Menge Guineapfefier mit Speichel zu einer
Masse zosammengerieben; dieser GuineapfefTer aber ist eine Amomuui-Art.
Nach Verlauf weniger Tage tritt Abortus ein. Allein es ist nicht der wahr«.-
und einfache Abortus, welchen die Negerinnen wUnHchen, es ist nach ihrer
Meinung nur ein unter jenen Bedingungen auftretender. Kr findet nur zur
Verhinderung einer jener drei Conceptionsarten statt, welche nach An-icht
der Negerweiber unnatürliche sind und keinen Halt im Uterus haben.
Aber nicht selten kommt e.s vor, da.s.s i'w Wirkung eine zu
starke war; später entwickeln sich constitutionelle Störungen und
oiffanische Leiden, und es folgt der Tod. (Henan.) Bei den Herero
giß Pfe£fer als Abortivmittel.
558
XTX. tTttzeitIg« Geburten.
Bei den Weissen in Amerika sollen die gewerbsmässigen Ab-
treiber besonders Junipenis virgininna gebrauchen. ^ait be-
obachtete dort vier Vergiltuugsfälle mit diesem Mittel. Doch wird
auf alle Fälle Ton den geübteren Personen ein mechanisches Ver-
fahren- benutzt.
Die Engländerinnen gebrauchen nach Taylor namentlich
Juniperus Sabina, aber die Blätter des Taxus (Eibenbaimi) scheine
ebenfalls renommirt und gebräuchlich zu sein; auch Eisenmittel (Siil"
phat, Chlorit) und in seltenen Fällen Canthariden werden angewendet.
In Russlaud sind als Abortivmittel nach Krcbel's Angabe
innerlich Sublimat, Sabina und Seeale comutum gebräuchlich. In
Esthland aber nehmen die schwangeren Mädchen Mercurius vivua
mit Fett gemischt; nach v. Lua: inuner vergeblich.
Eine ganz besondere Methode zur Fruchtabtreibimg scheint ein
Pfuscher in Schweden auszuüben. Edlhuj berichtet von eint>m
tödtlich abgelaufenen Fall, wo sich eine Frauensperson von eint-m
Feldhüttenbesitzer eine geheime Manipulation machen Hess ; derselbe
gab ihr eine Röhre, die sie so weit als möglich in den Leib ein-
fTihren musste ; dann that er in dieselbe einen Stotf und blies hinein.
Bei der Sectiou fand sich eine arsenige Säure im Uterus.
Im jetzigen Griechenland ist nach den mir von Professc
Damian Geonf in Athen vor mehreren Jahren zugegangenen brief-
lichen Mittheilungen am gebräuchlichsten Opium oder Belladonna,
welches die Frauen gewaltsam in die Scheide einführen; weniger
gebräuchlich ist das Sitzen auf sehr heissen sttMuemen Berkt?ti
innerhalb des Bades, und drittens die Pellentia, namentlich Kuda
odorans, Sabina und der Bernstein, selten allgemeine Aderl&aee,
welche immer am Fusse gemacht werden.
Bei weitem die grosste Erfind imgsgabe auf dem Gebiete der
unsauberen Kunst des Fruchtabtreibens scheint Frankreich be-
wiesen zu haben, wenn man auch nicht leugnen kann, dass im Volke
auch eine Reihe ganz unschuldiger Mittel in Gebrauch gezogen
werden. Namentlich haben Tardim und Goilard diesem Oeg«
stände ihre Aufmerksamkeit geschenkt. Meerzwiebel, Sassaparilk
Guajak, Aloe, Melisse, Camille, Artemisia, Safran, Absinth, Vanillf»,
Wacliholder, aber auch Seeale comutum, Jodpräparate und Alo.""-,
Juniperus Sabina und dessen ätherisches Oel kamen ihnen vor.
Durch letzteres, durch Cantharidenpulver mit Magnesia sulphuricj
und durch einen Trank, welcher aus Feldkelle, Rainfarm, Johaunia
kraut, Sadebaimi und Russ bereitet, sahen sie mehr als die Hälfte"
der Schwangeren zu Grunde gehen.
Bäder und Blutentziehuugen aller Art, körperliche Uel
mQdung, Fall, Stösse und Schläge gegen den Leib wurden el
falls oft in Anwendung gezogen. Ausserdem kommen abor at
hier die directen Einführungen in die Gel • r vor, Ui»'
durch Strick- imd Häkelnadeln. Auch die i. liit wai' i
98. Die Abortivmittel.
559
Fallen versucht wordeu. Die MortalitÄt (i«*r zur Kenntnis» der Be-
hörden gekommenen Fälle betrug 60 Procent,
Unter den slavischen Volksstämmen Deutschlands
scheinen ziemlich ähnliche Abortivmittel heimisch zu sein, wie unter
den deutschen. In Böhmen suchten sich nach J[/a.sr7//ra schwangere
Mädchen die Frucht durch Bier mit Paeonia, durch Asarum enro-
paeum, durch Decoct von Ruta graveolens und GlaubersalzJösung
abzutreiben. Zechmeister berichtet, dass in der Gegend von Essegg
in Böhmen nicht selten Schwangere im 5. oder 6. Monat abortiren
mit Holte gewisser Frauen, welche die Sache systematisch betreiben,
indem sie mittelst einer Spindel diu-ch den Muttermund die Eihäute,
ja auch den Kindeskopf durchstechen. In einem Falle war dem
Mädchen ein sechs Zoll langer federkieldicker Zweig in die Scheide
so eingeführt wordeu, dass sein vorderes Ende im Muttermund sich
befand, während das andere rlickwärts in der Masse des Kreuz-
beines steckte.
Die Abortivmittel, welche im Volke in den verschiedenen
Theileu Deutschlands in Anwendung gezogen werden, bieten im
Ganzen nur geringe Abweichungen von einander dar. lieber die
im Frankeuwalde gebräuchlichen Mittel zum Abtreiben führe
ich die Angaben an, welche wir durch Flügel erhielten. Dort
bezeichnet man besonders hohes und weites Hiuauslangen mit den
Armen, schweres Heben, Tragen, Tanzen, Springen, liolperiges
Fahren , freiwilliges Fallen , Belastimg des Leibes , sich treten
lassen u. s. w. als der Schwangerschaft sehr feindliche, beziehungs-
weise hülfreiche Vorgänge. Manche Weiber legen einen holien
VV.'ith auf das Auswinden von nasser Wäsche mit einiger Kraft.
.Mutter kraut* wird im Frankenwalde jedes Kraut genannt, von
dem ma^i glaubt, dass es treibende, die Thätigkeit der Gebärnmtter
anregende oder auch beruhigende Kräfte besitzt, so zunächst Me-
lisse, dann Minze, Raute u, s. w. Fast dmrchweg kennt man den
Sadebaum, Segelesbaum, weit seltener das Mutterkorn. In massigem
Rufe stehen ferner Brech- und Abfilhrraittel, besonders Aloe, dann
starker Katfee, Ziinmt. Safran: die Mutterblätter d. h. Sennesblätter
reinigen bekanntlich die Gebärmutter. Vom Schiesspulver sagt eine
rohe Weise: es macht olfen, da müsse es ztt einem Loche hinaas.
Im Stern- und Planetenbalsam (Perubalsam) vermuthet man eine
y^ • geheime Kraft., er dient gegen L^nvermögen nnd als
fu. Essig trinken, viel Kochsalz essen, dauernd hungern,
' viel Hratuitwein, überhaupt scharte giftige Sachen zu sich zu nehmen,
gelten weiter als Abortiva, Buben, meint man, seien leichter ab-
zutreiben, als Mädchen. «Das kann ju kein Mord sein, denn es
hat ju kein Leben," sagt nuwj unschukligerweise und verleitet durch
ilen Umstand, djuss <lie Schwjingere in der ersten Hälfte der Schwan-
gerschuft die Bewegungen des Kindes nicht fühlt. Man bittet wohl
auch den Arzt um ein Mittel, »welches die Jsabelschmu- abfris.st.*
Im Frankenwaldc glauben aueh die geschwängerten Mädchen,
560 ^I^- Unzeitige Gebarten.
durch wiederholten Aderlass die Frucht abtreiben zu können, auch
lassen sie sich spitze Gegenstände in die Scheide stossen.
Wenn man den Mädchen in der Pfalz durch Fragen entlockt,
dass sie schon Thee von den Blättern des Sevenbaumes (Juniperus
Sabina) getrunken haben, so kann man 6 gegen 1 setzen^ dass man
eine Schwangerschaft vor sich habe, die man nur unter der Form
einer Krankheit vertreiben soll. {Pauli.) In Schwaben suchen sich
die. Mädchen die Frucht ebenfaUs durch Sadebaum oder Beifiiss ab-
zutreiben, auch glaubt man dort, dass man die todte Frucht ab-
reiben kann, wenn man die Frau mit Ro^sschmalz von unten
hinauf räuchert. (Bück.)
Die Steyermärkerinnen benutzen nach Fossel als Abortive
scharfe Abführmittel, Mutterkorn, Jimiperus Sabina, die Zweige und
Blätter von Rosmarin und Aufgüsse von Theer.
In der Gegend von Ohrdruff (Thüringen) glaubt man im
Volke, dass die Schwangerschaft verschwinde, wenn eine Schwan-
gere einen Tropfen Blut unter gewissen Ceremonien in einen Baum
bohrt.
In früher Zeit scheint schwarze Seife als Abortivmittel gegolten
zu haben, denn schon Lindenstolpe nennt sie unter denselben:
„famosus in Belgio sapo niger".
Im Herzogthum Schleswig fand Thomsen, PKysikus in
Oappeln, dass von einer Frau, welche das Abtreiben gewerbs-
mässig betrieb, regelmässig gewisse Mittel in einer b^itunmten
Reihenfolge in Anwendung gebracht wurden.
Sic verordnete zuerst Abkochungen von Hopfen und Brombeerblättem
(RubuB fructicosus), dann Thymian oder Quendel (Thymus serpyllnm), Ros-
marin (in Schleswig von den gemeinen Leuten nur als Topfzierpfiänze
cultivirt) und Camillen; ferner Geil (Spartium scoparium), der aus einer ent-
fernten Haidegegend herbeigeschafft werden musste. Darauf ging die Frau
zu den stärker wirkenden Mitteln, zum 'Lebensbaum (Thuja occidentalin,
dort nur in geschlossenen Gärten als Zierstrauch gehegt und oft von den
Mädchen als Emmenagognm und ' Abortivum heimlich benutzt) und zur Sa-
bina (Juniperus sabina) Ober. Andere Mittel, welche in jener Gegend ge-
bräuchlich sind, sind das ilorescirendo Kraut des gemeinen Beifusses (Arte-
misia Tulg.), Brechmittel und Abkochungen der Blüthen der grossen gefüllten
Bauerrose (Paeonia). Das Hauptmittel aber der erwähnten berfihmten Ab-
treiberin war Safran (Crocus sativus), von dem die Schwangere etwa eine
Drachme mit einer Flasche Wasser unter Zusatz von etwas Stärke gekocht
in zwei Portionen früh und Abends zu sich nehmen musste (die Folgen waren
nach 1/2 Stunde üebelkeit mit Würgen, Müdigkeit, Eingenommensein und
Schmerzen des Kopfes, und nach dreitägigem Gebrauche des Mittels Schmerzen
im Leibe und Reissen in allen Gliedern). Wurde hierdurch nicht die er-
wünschte Wirkung erzielt, so nahm die Abtreiberin mit Hülfe eines Mannes
mechanische Manipulationen vor: Die Schwangere musste sich auf den Rücken
legen, worauf die Abtreiberin beide Fäuste auf den Bauch der Schwangeren
stemmte und damit so stark, als letztere es aushalten konnte, vom Nabel
abwärts in's Becken presste. Nun legte sich der Gehülfe der Abtreiberin aaf
die Knie zwischen die beiden ausgespreiztm Beine der Schwangeren hin, fabt
)ie Ahortiviuittcl.
5(U
I
I
I
Ficgeru in die Scheide uud arbeitete dariii bo lang« beram , bis es
ihm gslang, eine ..dttnae Haut" zu durcbatoseen. Diese Operation, -vrelcUe
als eine sebr scbmerahafte bezeichnet wurde, hatte uicbt jedesmal sogleich
den gewünschten Ert'olg, sondern musste in mehrtägigen Zwi^cbenräuraen,
in einem FaHe sogar fünfmal, wiederholt werden, ehe der Abortua wirk-
lich eintrat.
Werfen wir noch einmal einen Blick zurllck auf die Fülle der
Abtreibeniittel, wie das Volk sie in den verschiedensten Tbeüen der
Erde in Anwendung zieht, so sind wir im Stande, sie in bestimmte
grossere Kategorien zu ordnen. Am spärlichsten vertreten finden
wir die sympathetischen Mittel: sie scheinen in einer so wichtigen
und beängstigenden Lebenslage sich nicht das hinreichende Ver-
trauen haben erwerben zu können. Unter den innerlich, meistens bi
der Form heisser Aufgüsse, also von Thee, gebrauchten Medicamenten
finden sich imter vielen absolut wirkungslosen starke Aroniatica,
Brech- und Abfuhnnittef, reizende Stotfe, aber endlich auch solche,
welche eine directe Einwirkimg auf die Älusculatur der Gebärmutter
ausüben. Dann folgen die Maassnahmeu, welche man als die , nicht
Verdacht erregenden" bezeichnen konnte. Das sind in erster Linie
die grossen Anstrengimgen des KJ'trpers : übermüdendes Gehen imd
Tanzen, Lastenheben, Witsch eringen und absichtliche.s Fallen. Hier
scbliessen sich das gewaltsame Schütteln des Körpers, sowie auch
die heissen Bäder, die Aderlässe, das Hungern und die Niesemittel
an. Den Uebergang zu den örtlichen Mitteln bilden die raedicamen-
sn Klystiere, die Application von reizenden Pfiastem oder von
Ihenden, in eine Schuhsohle gehüllten Kohlen auf den Leib, und
endlich die heissen Käucherungen der Genitalien.
Die eigentliclv local angewendeten Methoden der Fruchtabtrei-
bung scheiden sich wieder in solche, welche von aussen vom Bauche
her die Gebärmutter treffen, und solche, welche theils auf die Vulva,
theils auf die Vagina mit dem Scbeidentheile der Gebärnmtter,
theils endlich auf die Höhle des Uterus selbst direct einzuwirken
suchen.
Der Leib wird lange Zeit gerieben, geknetet, mit den Fäusten
gepresst, gewalkt und geschlagen, gestossen uud mit den Fü.'isen
getreten. Auch kniet man sich darauf. Bisweilen wird der Bauch
vorher durch fest umgelegte Binden oder durch ein Kohrband ein-
geschnürt. Die äussere Scham wird mit starken Reibungen be-
handelt oder dicht mit Blutegeln besetzt. In die Vagina legt man
irritirendc Stoffe. Diese sind theils feht, theils in Pastonform, oder
man imprägnirt auch mit ihnen Pessarien oder Baumwoilentampons.
Der Scheidentheil des Uterus wird mit Stöckchen gekitzelt. Der
Muttermund wird durch Presaschwiimme, Papyrusröllchen, Feder-
spublen, Stöckcben oder Pfeifenspitzen eröffnet, Wicken- and Watte-
bäusche, mit Arzneistoffeti irobibirt, werden hiii j ' J"t, Einbla-
sungen und Einspritzungen werden ausgelVihrt. haben die
Leute auch gelernt, spitzige Instrumente zwinchtui tue Frucht und
Plgi«, Du Waib. I t AuS.
36
f,62 XIX. ünzeitige Geborten.
die Gebärmutterwand zu scliieben oder die Eihäute zu perforireu,
und die hierzu benutzten Gegenstände haben wir von sehr verschieden-
artiger Natur befunden. War auch von diesen letzteren Manipula-
tionen manche nicht gerade sehr geschickt ausgefallen, so las.sen sie
doch bereits ein Verständniss und eine Einsicht in das Wesen und
in die anatomischen Verhältnisse der Schwangerschaft erkennen,
wie man sie so tiefstehenden Schichten der Bevölkerung und so
wenig civilisirten Nationen durchaus nicht a priori zugetraut hätte.
99. Tersache znr Beschränkung der Frachtabtreibung.
Schon in frühen Zeiten hat die Gesetzgebung der Fruchtabtrei-
bung ihre Aufmerksamkeit zugewendet, Ln alten Gesetzbuche der
Perser, „Vendidad*, welches die Rechtsgrundsätze Zorousfer's
enthält, lesen wir:
„Wenn ein Mann ein Mädchen geschwängert hat und zu dieser sagt :
suche dich mit einer alten Frau xu befreunden, und diese Fmu bringt Bangha
oder Fra^pata oder eine andere der auflösenden Baumarten, so sind daa
Mädchen, der Mann und die Alte gleich strafbar. Jedes Mädchen, welche«
auh Scham vor den Menschen seiner Leibesfrucht einen Schaden beifQgt,
niusä für die Beschildigung des Kindes bflssen," (Duncker.)
Auch die Meder und Baktrer bestraften die Abtreibung.
Das brahmanische Gesetzbuch des Manu, welches die Lebens-
Tveise in den Haupt- und Misch- Kasten der Hindu regelt, verbietet
und bestraft ebenfalls die Abtreibung.
Die Abtreibungsmittel waren bei den Juden Mreng verboten;
eine Anwendung derselben wurde als eine Abart des Kindesmordes
betrachtet, und nach Flaviun Jost^phust mit dem Tode bestraft.
Wichtig ist hier auch die Bestimmung von 2. Moses 21 :
„Wenn Männer sich hadern und verletzen ein schwangeres Weib, dass
ihr die Frucht abgeht, und ihr kein Schaden widerHlhrt, so soll man ihn
nm Geld strafen, wieviel des Weibes Mann ihm auferlegt, und soll es geben
nach der Schiedsrichter Erkennen. Kommt ihr aber ein Schaden daraus, so
soll er lassen Seele um Seele, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand am
Hand. Fnss am Fuss, Brand um Brand, Wunde um Wunde, Beule um Beule."
Aus Aristofchs' Schriften geht hervor, dass die Griechen das
Uerbeifiihren einer P'ehl- oder Frühgeburt nicht als Verbrechen,
sondern unter Umständen als ein ziilässiges Verfahren betrachteten.
Die Stelle bei diesem Autor lautet :
„Wenn aber in der Ehe wider Erwarten Kinder erzeugt werden, »o soll
die Frucht, bevor sie Empfindung and Leben empfangen hat, abgetrieben
werden ; was hierbei mit der Heiligkeit der Gesetze übereinstimmt, wa« nicht,
i*it eben nach der Empfindung und dem Leben der Frucht za beurlh^ilen '•
Es scheint demnach die Absicht gewesen zu sein, die Eltern,
welche keine Kinder erzeugen wollten, zur Fruchtabtreibung xu
berechtigen, damit nicht etwa durch Übermässige Belastung der
99. Versal
lg der FruchtabtrMDäagr
wenig bemittelteu Familie mit Kindersegen das Gemeinwesen ge-
schädigt werde : nur durfte im Einzelfalle das Kind noch nicht
lebenslahig sein,
Aehnliohe Ansichten sprach Plato aus; er gestattete den Hebammen
die Abtreibung der Frucht vorzunehmen, indem er sagte: „Sie können die
Gebärende erleichtern oder auch eine Fehlgeburt herbeiführen, wenn man
eine solche beabsichtigt." Lichtenstndt und SchJcienmtdier betrachten diese
Beförderung der Frühgeburt durch Hebammen als ein auf den Wunsch der
Schwangeren verantitaltetea Abtreiben der Leibesfrucht; LictUenstädt ver-
luthet auch, dass vielleicht ein solches Fördern der Frühgeburt hier gemeint
kein könne, welches aus physischen Gründen zva Erhaltung der Mutter und
des Kindes notb wendig sei. Allein in dieser Beziehung hat Plato in keiner
Weise Andeutungen gegeben, vielmehr ganz allein die Hebammen für be-
rechtigt erklärt, Kinder abzutreiben.
In Rom herrschte dieselbe Sitte selbst bei den Frauen der
Vornehmen, Sctieca erwähnt dieses Laster als eine gewöhnliche
Sache. „Nie,'* sagt er zu seiner Mutter Helvia, ,hast Du Dich
Deiner Fruchtbarkeit geschämt, als wäre es ein Vorwurf Deines
Alters , nie hast Du gleich Anderen Deinen gesegneten Leib als eine
ananständige Last verborgen, nie Deine hofinungsvolle Frucht in
Deinen Eingeweiden selbst getodtet."
Wie stark verbreitet im damaligen Rom die Unsitte der Frucht-
abtreibung war, das haben wir bereits oben aus JurtnaVs Munde gehört.
Es kam so weit, dass der Mann fOr seine schwangere Frau einen sogenannten
Bauchhüter anstellte.
Der Gnmd dieser Erscheinung, dass die civilisirten Völker des
classischen AUerthum.s das Alitreiben so gleichgültig ansahen, ist
in der bei ilmen verbreiteten Meinung zu suchen; dass der Fötus
uoch kein Mensch, sondern bloss ein Theil der mütterlichen Ein-
geweide sei. Grosse Unterstützung gewährte einer solchen Ansicht
auch die stoische Schule. Die Geringschätzung eines kindlichen Le-
bens ging ja unter den Griechen uud Ufiraern bekanntlich so weit,
dass man ein soeben zur Welt gekommenes Kind noch keineswegs
flir einen zum Fortleben berechtigten Menschen hielt, so lange
diisselbe noch nicht vom Vater durch die Aufhebung (Sublatio) an-
erkannt und aufgenommen wurde. Noch rücksichtsloser durfte
man wohl gegen ein uoch nicht geborenes Kind verfalu-en. Den-
noch gab es Männer, wie Seticca, Juvenal, Ovid, die aufgeklärt
genug waren, (he Abtreibung tHr eine verabscheuungswUrdige Hand-
lung zu erklären. Der Letztere sagt:
Dio zuerst es begann, sich die keimende Frucht xu entreissen,
HJltt* in der blutigen Thal wahrlich zu sterben verdient.
Also allein, dass den Leib man nicht zeih' entstellender Runzeln,
klUlitest den Kampfplatz Du zu entsetzlichem Werk?
Was dorcfawahlt ihr den eigenen Leib mit spitzigen Waffen?
Qt^ht entsetzliche« Gift Kindern noch vor der Geburt?
Das bat die Tigerin nimmer gethan in Armeniens Be^gschlacht,
Selber die Löwin hat nimmer die Jungen erwürgt!
3G*
564
XIX. Cnzeitige Geburten.
Aber die zärtlichen Mädchen, sie thnn'a — doch triöl sie die Strafe.
Oft, wer vernichtet die Frucht, tödtet ^ch .selber dadurch;
TAdtet sich selbBt und liegt mit entfeBseltem Haar auf deoi Hobstosa,
Und wer immer sie siebt, ruft: Ihr geschah nach YerdienHt.
Im Einklänge mit den erwähnten allgemein herrschenden Anschau-
ungen war denn auch die Kiudesabtreibung nach den Gesetzen der
Romer nicht verboten oder für strafbar erklärt. Es stand ja den
Eltern frei, die Neugeborenen nach Willkür aufzuziehen oder aus-
zusetzen. Nur dann, wenn besondere, 8trafl)are Zwecke mit der
Kindesabtreibung verbunden waren, wurde gegen die betrefiend*
Person vorgegangen.
Die Miksia, deren Cicero erwühut, Hess sich durch Geld bestechen, um
mit dem Abtreiben ihrer Frucht ge\ri8scn Verwandten einen Dienst zu leisten ;
er behandelte in seiner Oratio pro Clueutio den Fall der Abtreibung, wobei
er die Yerurtheiluug der rou Seitenerben bestochenen Mutter lediglich vom
Gesichtspunkte einer Eigeuthumsbeächildigung des Vaters motivirt. Die Kaüer
Secerus und Antonius haben, wie das Justinianische Recht^buch zeigt, als
eine ausserordentliche Strafe die Verbannung fflr eine Kindesabtreiberin
festgesetzt*) bloss wegen des dem Ehemanne dadurch erwachsenen Schadens.
Allerdings hat derselbe Codex auch Strafen auf den gewerbsmilHbigen Ver-
kauf von Liebestränken und Abtreibemitteln geeetzt"). allein diese Ver-
fügung zeigt, dass man nur in diesem Handel ein eigentliche« Delictum sah:
dagegen wird die abtreibende Schwangere dabei gar nicht erwähnt. So lieaa
man dem Unfug, sich der Frucht zu entledigen, völlig freien Lauf; dieselbe
war wahrscheinlich deshalb nehr ausgebreitet, weil zur Zeit der Sitten-
verderbnias die vornehmen Frauen danach strebten, sich die Schönheit zu
erhalten und nicht durch Schwangerschaft, Geburt. Wochenbett und Kinder-
erziehang im freieü Genasse des Lebens gestOrt zu werden.
Von den Germanen hatte Tacüus zwar behauptet, dass sie
die Zahl der Bunder zu beschränken ftir verbrecherisch halten. Da-
gegen ist durch Grimm u. A. nachgewiesen worden, dass bei ihnen
einst allgemein die Sitte herrschte, die Kinder auszusetzen. So
scheint es. dass TacUiis lediglich darauf hindeuten wollte, dass die
Germanen jenen römischen Brauch, durch klinstliche Mittel Abor-
tus zu bewirken, nicht übten.
Dass jedoch auch diese Sitte der Fruchtabtreibung germa-
nischen Völkern bekannt war, beweist da.s bajuvarische Gesetz
VU, 18 und das salische Gesetz XXI. 2. Andeutungen über die
Anwendung von Abortivmitteln im Norden macheu Hävam 26,
Fiölsvinnsm. 23; vgl. Lex Rectitudines 89. Bei den Friesen
war nach der Lex Ffision. V. 1 die Abtreibung straflos. {Weinhold^
Jedoch rechnet das friesische Gesetzbuch unter die Menschen,
*) „Lidignnm enim videri potest. impune eam moritum tiberi«
fraudasae."
'*) iiQui abortionis aut amatorium poculum dant, et«i dolo non focia&t
tarnen, quia mali exempli res est, humiliores in metollum, hon««UordB i&
insulam, amissa parte bonorum, relegantur, quodsi eo molier ftllt bomo
'. sammo sappjicio affioiantor."
99, Versuche 7.ar Beschräakung^ der Fruchtabtreibung.
565
»^naQ, ohne Wehrgel<l zu zahlen, iödten könne, solche, die ein
Kind von der Mutter abtreiben.
Die ältesten deutschen Gesetzbücher beschränkten sich darauf,
den durch Kindesabtreibung angesteUten Schaden durch Geldstrafe
blissen zu lassen: Das alemannische, vom Frankenkon ig Dac^o-
hert (t 683) erneute Recbtsbuch bestrafte lediglich den, der ein^
Schwangere abortiren machte (höher, wenn es eine weibliche Frucht i
betraf, als wenn diese männlichen Geschlechts war oder letzteres
nicht erkamit wurde). Das salfräukische und das ripuarischei
Recht straft den Thäter um Geld, und zwar um so höher, wenn
die Mutter dabei zu Grunde ging.
Nach dem bavari sehen Gesetze aus dem 7. Jahrhundert be-
Ktraft« man Mitschuld an der Fruchtabtreibung mit 200 Geissei-
hieben, die Mutter aber mit Sclaverei; starb die Mutter, so wurde
die Mitschuldige mit dem Tode bestraft. Auch die Sammlung von
westgothischen Gesetzen von Chindastvind (f 652) und seinem
Sohne Jiecestvintl (f 672) enthalt unter der Rubrik .Antiqua* Be-
stimmungen gegen die Abtreibung: Wer einen Abtreibetrank einer
Schwangeren giebt, wird hingerichtet; eine Sclavin, die ein solches
Mittel sich verschaflFt, erhält 200 Peitschenhiebe; eine freie Schul-
dige wird zur Sclavin gemacht. Ein Freier, der durch Gewaltthat
Abortus einer Frau herbeiführte, bezahlte bei einem ausgebildeten
Fötus 250 Solidi, bei einem nichtausgebildeten nur 100. Ging die
Mirtter zu Grunde, so trat stets die Todesstrafe ein. {Spangcnbcrg.)
Von den Kirchenvätern wurde die Fruchtabtreibung geradezu
als Homicidium bezeichnet, und wenn auch einige Synodalbeschlüsse
auf dieses Vorgehen nur eine Busse gesetzt hatten, bald von sechs,
bald von zehn .lahren, so bezeichnete doch schon die sechste con-
stHntinopolitanische Synode die Abtreibung direct als Mord.
Auch Papst Stephan V. schrieb um 886: „Si ille, qui con-
eptnm in utero per abortum deleverit, homicida est" u. s. w. In
laBTentandener Ausl^ung mosaischer Aussprüche erklärte dann
iuf Grund unrichtiger üebersetzung der Septuaginta der Kirchen-
vater Ätujustinus , dass eine Frucht bis zum 40. Schwangerschafts-
tage imhelebt sei: auf Abtreibung einer solchen stand Geldbusse,
auf Abtreibung einer älteren, belebten Frucht hingegen die Todes-
strafe. Dieses verschiedene Strafmaass wurde auch beibehalten und ein
^Glossator des Codex Justinianus, Accnrsnis, verlangte, dass die Ab-
reibung einer imbelebteu Frucht (vor 40 Tagen Alters) mit Verbannung,
"die Abtreibung einer belebten Frucht mit Todesstrafe belegt werde.
Als Deutschland ein gemeinsames Reich geworden, und als
jene ältesten germanischen Gesetzbücher durch die Sammlungen
alter Rechtsgebrüuche ersetzt wurden, z. B. durch den Sachsen-
und Schwaben-Spiegel, in welchen die Abtreibung gar nicht er-
yvrähnt wird, so hielt man sich von da an wohl vielfach an den
fuNtiniunischen Codex, der sich in Deutschland mehr und melur
heimisch machte. Durch diesen Codex und seine Glossatoren kam
566
XIX. Cnaeitige Gebarten.
dann wiederum jene Theorie des kanonischen Rechts über »belebte"
und , unbelebte* Früchte in die 1533 vom Kaiser Carl V. veröfl'ent-
licbie peinliche Gerichtsordnung, die Carolina, welche bestimmte:
,So Jemand einem Weibsbild darch Bezwang, Essen oder Trinken ein
lebendig Kind abtreibt, — so solch üebel vorsätzlicher und boshofier Weise
geschieht, so soll der Mann mit dem Schwerdte als Todtschläger und die
Frau, 80 aie es auch an ihr selbst thäte, ertränkt oder sonst zum Tode be-
etruft werden. So aber ein Kind, das noch nicht lebendig war, von einem
Weibsbild getrieben würde, sollen die ürtheilei- der Strafe halber bei den
RecbtsvcrsUlndigen oder sonst, wie zu Ende dieser Ordnung gemeldet wird.
Raths pfiegen."
In Frankreich wurden die fränkischen Gesetze durch das
kanonische Recht, verbunden mit dem römischen, allmählich ver-
drängt. Die Parlamente Hessen die Abtreiber einfach aufknüpfen;
die Revolution änderte diese drakonische Gesetzgebung dahin ab,
dass der gefällige Helfer zu 20jähriger Kettenstrafe venirtheilt
Wurde; [Über die Frau, an der der Abortus vollzogen war, wurde
nichts bestimmt.
Die Engländer besassen seit dem \'i. Jahrhundert in dem
Fleta ihre Gesetzsammlimg; diese bedrohte den Abortus mit der
Todesstrafe, indem man dabei von dem Gesichtspunkte ausging,
dass durch dieses Verbrechen eine Beeinträchtigung des Staates
herbeigeführt werde. Ein Gesetz von 1803, die Ellenborough-
Acte, hielt noch den Unterschied zwischen belebter und unbelebter
Frucht fest.
In Oesterreich verfilgte das Josephinische Gesetzbach
von 1787 , dass eine Schwangere, die durch geflissentliche Hand-
lung sich ein todtes Kind abtreibt oder abtreiben lässt, ein Capital-
verbrechen begeht und 1 Monat bis 5 Jahre hartes Gefängnis» zu
gewärtigen habe; Mitschuldige erhalten kürzeres linderes Geiangniss.
Das preussische Landrecht von 1794 verfügte: Weibspersonen,
welche sich eines Mittels bedienen, die Leibesfrucht abzutreiben,
haben schon dadurch Zuchthausstrafe auf <> Monate bis 1 Jahr
verwirkt. Wirklich vollbrachte Abtreibung innerhalb der ersten
30 Schwangerschaftswocben ist mit 10 Monaten bis 1 Jalir Zucht-
haus bedroht. Helfer litten gleiche Strafe, erhielten aber bei mehr-
facher Ausübung des Verbrechens Staupenschlag.
Allein es gab und giebt auch heute noch Volker, die nicht
erat dem Christenthiune das sittliche Empfinden nach dieser Rich-
tung verdanken. Schon längst, ehe bei Griechen und Römern
die Abtreibung in Aufnahme kam, lebten, wie wir sahen, Völker-
schaften, welche die Abtreibung bestraften : die alten Juden, sowie
die Meder, Baktrer und Perser. Auch im alten Reiche der
Inka wurde die künstliche Fehlgebmrt mit dem Tode bestraft.
In China ist die Abtreibung allerdings durch den Strai'codex
verboten, und der Artikel 292, der von der Präparation der Gifte han-
delt, bedroht den Uebertreter mit 100 Bambushieben und 3 Jahren
£xil; trotzdem aber findet man in allen Städten, besonders in Peki ng,
09. Versuche £ur OescbrlLakung der Fruohtabtreibang.
567
die Wände an den Strassen mit Annoncen bedeckt, welche Mittel zvir
Herstellung der Menstruation anbieten, unter welchen sich wirk-
liche Abortivmittel verbergen. Die Polizei bekümmert sich nicht
darum. Wenn dennoch einmal die Sache zur Untersuchung gelangt,
80 erkundigt eich der Mandarine nicht nach der Thatsaohe des
Lbortus, sondern nach den persönlichen Verhältnissen, die das Ver-
brechen entschuldbar machen, und dieses bleibt dann unbestraft.
In dem Buche Si-Yuen-Lu ßudet sich auch angegeben, wie man
erkennen kann, ob eine Fruchtabtreibung .stattgefunden hat: mau
soll in die Scheide Quecksilber bringen; wird dessen Glanz matt,
so fand Abtreibung statt; auch soll die Magistratsperson durch eine
Hebamme constatiren lassen, ob das, was aus der Scheide abge-
gangen ist, ein Fötus oder ein Blutcoagiduiu sei. {Martin.)
Auch unter den heutigen uncultivirten Völkern giebt es einzelne,
wenn auch nur wenige, bei denen von einer Bestrafung der künst-
lichen Frühgeburt die Rede ist; es sind dies die Battas in Asien
und die Kaf fern stamme (Waitz), welche Strafen auf dieses Ver-
gehen setzten; letztere bestrafen sogar den mitwirkenden Arzt.
{Pcscliel)
Auch der türkische Strafcodex enthält zwar Straf bestim-
raungen, doch in einer so undeutlichen Fassung, dass die Richter
nie genau ermitteln können, wer eigentlich zu bestrafen ist. Das
Lbortiren hat unter der türkischen Bevölkerung eine so colossale
liuadehnung gewonnen, dass die Regierung sich seit Jahren vergebens
bemüht, eine wirksame Abhülfe zu schaffen. In der Hauptstadt
kommen jährlich 4000 Fälle vor, und zwar ausschliesslich unter der
türkischen Bevölkerung allein. Die türkische Zeitung «Dsche-
ride i-Havadis* vom Februar 1877 berichtet: 95 Proc. der Kinder
und mehr als ^/^ der Mütter sollen der Barbarei zum Opfer fallen.
in einem eigenthUmlichen Gegensatze zu diesen legislatorischen
Bestimmungen der Türken steht die folgende Angabe:
Noch im December des Jabres 1875 erliess die Mutter de« Sultans
Abdul Asia eine Verordoung, in welcher aie allen Insaaseu des grossfQrst-
Uchen Palastes ein Oe«etz einschärfte, das in letzter Zeit ausser Gebrauch
gekouimen zu sein schien, nfimlich dass, so oft eine ßewohnenn des Palastes
schwanger sei, dafür gesorgt werden mflsse, dass sie abortire-, gelinge die
Operation nicht, ao dUrfe bei der Geburt' des Kindes die Nabelschnur niL-ht
unterbanden werden; diejenigen Kinder aber, die jetzt im Paläste wären.
dQrften niemals zum Vorschein kommen. Zur AusfQhnmg dieser Barbarei
existirt e:ine eigene Klasse von Megären, welche unter dem Namen Canld
ehe, „die blutigen Hebammen", bekannt sind, und w(>lche ihr schauerliches
Gewerbe in den Palä8t«>n der Grossen uugescheut treiben.
Da das vorliegende Buch nicht juristischen Zwecken dient, so
entgehen wir der Versuchung, einen Vergleich zwischen den heute
in aen Culturstaaten über die Fruchtabtreibung gültigen Gesetzen
izustellen, und wir tilierlassen es dem Gesetzgeber, die Schatten-
»iten der Ijestehenden Verordnungen zu erkemien und deren Ver-
onening herbeizufuhren. Ftür uns ist es genügend gewesen, die
568
XIX. Unzeitige Geburten.
ungeheure Verbreitung zu zeigen, welche dieses Laster besitzt, und
auf die Gefahr hinzuweisen, welche dem einzelnen Individuum nicht
allein, sondern dem ganzen Volke daraus erwächst. Denn manche
Naturvolker verdanken ihr rapides Zusammenschmelzen und ihr
definitives Verschwinden von der Erde zum nicht geringen Theile
dem Verbrechen der Fnichtabtreibung.
C. Die Frühgeburt.
100. Wann ist die Frocht lebensfähig l
Es hat nicht unwesentlich zu der Entschuldigung der absieht»
liehen Fehlgeburten mit beigetragen, dass luan in der ersten Zeit
der Schwangerschaft den Embryo als einen unbelebten Gegenstand
betrachtete. Lange Abhandlungen sind darüber geschrieben worden,
von wann an die Frucht als belebt zu betrachten sei, oder nit
anderen Worten, zu welcher Zeit ihr die Seele gegeben würde. Lutgi
'Bonaciolo ist der Meinung, dass der männliche und weibliche Same
45 Tage gebraucht, um Saft, Blut, Fleisch und die übrigen Theile
des Embryo zu bilden. Tune anima.rationalis a sublimi Deo creatur,
creataque infunditur.
Die Aerzte haben ziemlich früh Abnormitäten an dem weib-
lichen Kürper kennen gelernt, welche die Frau in die höchste
Lebensgefahr bringen mussten, wenn sie zu normaler Zeit einer Ent-
bindung unterliegen sollte. Daher scheuten sich die Aerzte, und
zwar mit vollem Hechte, nicht, in solchen Fällen den künstlichen
Abortus einzuleiten. Dieses schreibt auch Moschion vor:
„Wenn die Schwangere einen festen Auswuchs oder sonst ein Hindemins
am Muttermunde hat, so soll die Fehlgeburt erregt werden; denn die reife
Frucht, die sie nicht gebären könnte, müsste absterben, oiid «de selbst würde
in die grösste Lebensgefahr versetzt werden."
Nun war es natürlicherweise nicht mehr femliegend, zu über-
legen, von welcher Zeit der Schwangerschaft an denn wohl ein zu
früh geborenes Kind am Leben erhalten werden könne.
Es ist nun interessant, zu sehen, was tVir eine lange Lebens-
dauer ein falscher Lehrsatz haben kann, wenn eine grosse Autorität
ihn aufgestellt hat.
Uippokrates hatte die Ansicht, dass eine im 8. Monat geborene
Frucht (Foetus octimestris) nicht lebensfähig sei, eine siebenmonat-
liche dagegen fortleben könne. Aristoteles ist .sich in der Sache
nicht ganz sicher; denn obgleich er die Octimestrefl ftir lebensfähig
erklärt, so setzt er doch hinzu: zumal in Aegypten, dagegen
weniger in Griechenland. Galen scliliesst sich in .seiner Abhand-
lung nfQi iniaf^i^von' ßgnpMv der Hippokratischeu Ansicht an. I>ie®e
Meiimng über die LebensunfUhigkeit eines achtmonatlichen Kindes
theilten auch die Talmudisten. Da sieh in der Erfahrung diese
Theorie nicht bewährte, so halfen sie sich dadurch aus der Vor-
101. Die kUnstliclie Frühgeburt.
569
lefjenlwit, daas sie ein Kind, welches im 8. Monat lebend geboren
vkiirJe, nur für ein siebenmonatliches erklärten, welches nur einen
Monat zu lange im Uterus verweilt habe.
Koch lange hielt man au der Lehre des Hippokrates fest.
So finden wir sie bei dem arabischen Arzte Ävicenmi wieder.
Auch Bernard von Gordon zu Montpellier trug sie in seinem
1305 verfassten „Liliüm medicinae" vor und suchte sie aus plane-
tarischen Grllnden zu beweisen. Noch weiter aber in der Astro-
logie und im Glauben an den £influss der Gestirne auf das Leben
des Fötus in den verschiedenen Schwangerschaftsmonaten ging
Jacob von Forli, um 1400 Lehrer zu Padua: in seiner Expo-
iltio zu Avicenna's Kapitel de gener. embryonis meint er: Im
1. Monat herrscht Jupiter quasi juvans pater als Geber des Lebens;
im 7. Monat die Luna als Betorderin des Lebens durch ihre
Feuchtigkeit und das von der Sonne empfangene Licht; dagegen
im 8. Monat Saturn^ der Feind des Lebens, welcher die Kinder
auffrisst; deshalb kann kein um diese Zeit geborenes Kind leben
bleiben; im 9. ^louat regiert wieder der erhaltende Ze?« und erhält
das Kind am Leben. Wir sehen, wie lange sich unter den Aerzten
die falsche Ansicht erhielt, wie sehr sich aber auch der Aberglaube
einer späteren Zeit noch mit der Mythologie der Römer vermischte.
Selbst noch der aufgeklärte französische Arzt Pari' huldigte
der hippokratischen Ansicht über die Lebensunfähigkeit der acht-
monatlichen Früchte, während er diejenigen von 7 Monaten für
lebensföbig erklärte.
Man hatt« aiich eine natürliche Erklärung für dieses eigen-
thümliche Verhalten aufgestellt, und zwar wurde das Stürzen des
Kindes dafür verantwortlich gemacht. Mit sieben Monaten sollte
dieses Stürzen erfolgen und dann konnte das Kind sofort gejboren
werden und am Leben bleiben. Wenn es aber nach dem Stürzen
noch femer im Mutterleibe verharrte, dann konnte es sich von der
Erschütterung im Laufe nur eines Monats noch nicht wieder soweit
erholt haben, um die Strapazen der Geburt überleben zu können;
dazu waren zwei volle Monate erforderlich.
Bei den Kabilen gilt die Frucht mit dem 7. Monat für
lebensfähig.
Xach Schrrmhr sieht man Kinder, welche vor der 29. Woche
geboren werden, ganz regelmässig zu Grunde gehen, aber auch
die Mehn;ahl der vor der 33. Woche geborenen Kinder pflogen in
|d' n Tagen nach der Geburt schon wieder zu sterben. Später
l^'jv" • können jedoch am Leben bleiben.
101. Die kQnfütllche Frühgebnrt.
Wir können den Abschnitt über die unzeitigen Geburten nicht
ohne mit zwei Worten der künstlichen FrQhgeburt zu
570
XIX. Unzeitige Geburten.
gedenken. Lag bei den Kindeeabtreibungen fast immer die be-
wusste Absicht vor, das Leben des sich bildenden Kindes zu ver'
nichten, so ist der wesentliche Zweck der künstlichen FrUhgeburt
gerade, das Leben des Kindes womöglich zu erhalten. Dieser ope-
rative £iugriil' beündet sich daher auch nicht, wie die Einleitung
der absichtlichen Fehlgeburten, in den Händen der Pfuscher, son-
dern ganz aiLSSchliesslich in denjenigen der Aerzte. Stets handelt
es sich nur um solche Fälle, in denen die mechanischen Verhält-
nisse in dem Korperbau der Schwangeren das Austreten eines aus-
getragenen Kindes unmöglich machen und die Mutter daher unfehl-
bar bei der Entbindung zu Grunde gehen würde. Allerdings haben
gewichtige ärztliche Stimmen noch im vorigen Jahrhuudert unter
diesen Bedingungen den künstlichen Abortus vertheidigt. Und auch
jetzt noch muss derselbe bei gewissen plötzlichen Erkrankungen der
Mutter zu ihrer Lebensrettung eingeleitet werden. Aber für ge-
wöhnlich macht man heute den Versuch, ausser dem Leben der
Mutter auch noch dasjenige des Kindes zu erhalten. Und so lässt man
der Schwangerschaft ungestört ihren Gang, bis die Zeit erreicht Lst,
in welcher man hoffen darf, dass das Kind schon seine Lebens-
fähigkeit erreicht hat, wie wir gesehen haben, also nicht vor der
zweivmddreissigsten Woche. Für die Ausführung sind verschiedene
Methoden empfohlen, die in den Lehrbüchern der Geburtehülfe nach-
zusehen sind.
Die erste Empfehlung der künstlichen Frühgeburt ging um
die Mitte des vorigen Jahrhunderts von England aus, namentlich
von Deütnan und Macaulay, in Deutschland wurde sie im Jahre
1804 zum ersten Male von Menzel ausgeführt. Ablehnend ver-
hielten sich die Franzosen unter der Führung von Bau4elot:que
gegen die Operation, aber seit 1831, wo Stalte in Strassburg
sie zum ersten Male im Lande in Anwendung zog, ist sie auch
allmählich dort zum Gemeingut aller Gynäkologen geworden.
103. Die Todtgebnrten.
Es mag dem Leser fast wie eine Wiederholung erscheinen,
wenn wir, nachdem wir in den früheren Abschnitten in so ausführ-
licher Weise über die todten Früchte, wie sie durch den natür-
lichen oder durch den willkürlich, sei es in verbrecherischer, sei
es in therapeutischer Absicht, herbeigeführten Abortus geboren
wurden, gehandelt haben, hier nun noch einmal auf die Todtge-
burten zurilckkommen. Wenn wir aber auch manches Aehnliclie
werden berühren müssen, so wird man doch wohl solir bald heraus-
flihlen, dass diese Wiederholungen in Wirklichkeit dennoch nur schein-
bare sind. Von einem Abortus im strengeren Sinne des Wortes
pflegt man dem allgemeinen Sprachgebrauche gemäss nämlich nur
in denjenigen Fällen zu sprechen, in welchen der innerhalb des
102. Die Todtgeburtei».
Ö71
Mutterleibes abgestorbene und durch vorzeitige Welieuthätigkeit
»US der Gebärmutter ausgestossene und zu Tage geförderte Embryo
noch im Ganzen massige und geringe Körperdimensionen darbietet,
wo derselbe also, um es mit anderen Worten auszudrücken, sieb
noch in einem relativ jugendlichen Alter seiner Entwickelung inner-
halb des mütterlichen Organismus befunden hatte. Wenn nun aber
die Frucht eine bedeutend längere Zeit im Mutterleibe gelebt hatte,
wenn sie bereits die Zeit erreichte, in welcher normaler Weise der
Fötus ausgetragen ist, oder wenn an diesem Zeitpunkte nicht viel
mehr mangelte, oder wenn wenigstens diejenigen Monate der Schwan-
gerschaft bereits herangekommen waren, in welchen unter günstigen
Umständen ein zwar zu früh, aber doch lebend geborenes Kind
schon am Leben erhalten werden kann, wenn also die körperliche
Ausbildung und die Grössendimensionen des Embryo schon einen
ziemlich erheblichen Grad angenommen haben, dann pflegt man,
wenn die Frucht ohne Leben zu Tage gefordert wird, nicht mehr
von einem Abortus, sondern von einer Todtgeburt zu sprechen.
Jedes Kind also, was mit gänzhch oder fast vollständig vollen-
deter körperlicher Entwickelung nicht lebend geboren wird, ist eine
Todtgeburt. Naturgemäss haben wir hier aber mancherlei Unter-
schiede und Abstufungen zu statuiren. Denn es ist, wie wohl kaum
erst für uns zu erwähnen nothwendig ist, eine recht erhebliche
Diflereuz, ob das sich entwickelnde Kindchen innerhalb des mütter-
lichen Organismus abstirbt und ob dann die kleine Leiche noch
eine mehr oder weniger lauge Zeit von der Mutter getragen wird,
oder ob der Fötus zwar lebend und gesund den normalen Abschluss
seiner intrauterinen Entwickelung erreichte, dann aber durch das
unglückliche Zusammentreffen besonderer unheilbringender Umstände
noch während des Qeburtsactes oder sogleich nach der Beendigung
desselben sein junges Leben wieder einbüssen musste.
Sefar mit unrecht haben bei manchen Völkern die Miltter oder die Heb-
ammen als Todtgeburten diejenigen GeburtaiUlle bezeichnet, wo sie das Neu-
geborene sogleich nach erfolgter Entbindung umgebracht haben. Wir finden
•olche traurigen Verhilltniflse bei gewissen Indinneretilmmen, aber auch
bei den Hindu, auf den Philippinen und in gewiüiicn Gebieten Contra t-
afrikas. Eine besonders hochgradige Verbreitung hatte diese Form der
gewaltsamen Todtgeburten angeblich im Anfangs unseres .Jahrhunderts in
den Sclavenstaaten des südlichen Nordamerika. Hier soll es in gewissen
Districten lange Zeit aU die Regel gegolten haben, dass die schwarzen Heb-
ammen die neugeborenen Kinder der Sclavinneu bereits während der Geburt
durch einen Stich mit der Nadel in das Gehirn todteten, um sie vor einem
ähnlichen grausamen und unglücklichen Schicksale, wie dasjenige ihrer Er*
zeuger war, zu bewahren.
Ein Abateibeu eines lebenden und bis zu der Zeit der Reife und vollen
Entwickelung auBgctragenen Kindes während der Geburt kommt im üebrigen
immer nur bei schweren Störungen des Geburtsmechanismus und ganz bc-
, «ondcrR durch lange Zeit hindurch fortgesetzte Compression des Nabelstranges
durch die Wandungen der Geburtswege £u Stande. Hierdurch wird die Blut-
circulation von dem Mutterkuchen aus in dem kindlichen Organismtia unter-
572
XIX. Unzeitige Gebarten.
brechen und auf diese Weise ein Stillstand aeines Herzens und damit naiur-
gemHas sein Tod herbeigefQhrt. Dass auch bisweilen unglückliche GrOsien-
verhilltnisse des Fötus im Vergleiche su der Weite der Geburtawege der
Mutter- für die Äerzte die zwingende Veranlassung werden k&nnen, das Kind,
um seine Geburt zu ermSglichen und das bedrohte Leben der Matter zu
erhalten, innerhalb des mütterlichen Leibes zu tödten, zu zerstückeln und
zu zerkleinem, das werden wir in einem späteren Abschnitt ausführlicher zu
besprechen haben.
Die Ursachen nun, welche aas Absterhen eines dem Zeitpunkte
des Ausgetragenseins beteits nahen Fötua herbeizuführen vermögen,
sind sehr mannigfacher Art und decken sich im Grossen und
Ganzen mit den Ursachen des natürlichen Abortus. Vor Allem
sind es starke Gewalteinwirkungen auf den mütterlichen Organismus
oder erhebliche psychische Erregungen und schwere acute Erkran-
kungen der Mutter, aber auch gewisse constitutionelle Krankheiten
der Mutter nicht allein, sondern auch des Vaters. Wenn der Em-
bryo abgestorben ist, so hat natürlicherweise die Schwangerschaft,
wenigstens in ihrer physiologischen Bedeutxmg, ihr Ende erreicht.
Es ist damit aber durchaus noch nicht gesagt, dass nun das todte
Kind auch sogleich durch die Kräfte der Natur aus dem Mutter-
leibe herausbefördert würde. Allerdings kann unter Umständen die
Ausstossung des abgestorbenen Fötus schon sehr bald nach seinem
Tode erfolgen; in ausserordentlich zahlreichen Fällen jedoch wird
er mehrere Wochen und selbst Monate hindurch in der mütterlichen
Gebärmutter zurückgehalten, und es kann sogar vorkommen, dass
er einen beträchtlich langen Zeitraum über die normale Schwanger-
schaftsdauer hinaus immer noch seine Stelle innerhalb des Mutter-
leibes behauptet.
Man möchte nun glauben, dass dieses längere Verweilen ^der kleinen
Leiche im Inneren des Uterus bei ihr einen ganz erheblichen Fäulnissprocess
hervorrufen müeste. Das ist nun aber keineswegs der Fall. Solch ein ab-
gestorbenes Kind verbreitet, wenn es zu Tage . gefördert ist, nicht einen
fauligen, sondern nur einen faden Geruch; es ist matschig weich, und alle
seine Theile zeigen eine vollkommene Durcbtränkung mit einem röthlichen
Blutwassor, während die Oberhaut sich in Blasen oder in Fetzen abhebt. Man
bezeichnet diesen Zustand als eine Erweichung, als eine MaceraUon Jea
Embrj'o. Ist der letztere sehr lange Zeit über die normale Schwangerschafts-
dauer hinaus im Imaeren des mütterlichen Organismus zurückgebalten worden,
dann kann er durch einen bestimmten Modus, der fettigen Degeneration
oder durch die Impi^gnining mit Kalksalzeu ein wacb^artiges oder selbst
ein eteinartig verhärtetes Ansehen darbieten, und wir haben dann ein Bei-
spiel eines sogenannten Lithopädlon, eines Steinkindes vor unH. Das sind
Zustände, welche in das Bereich der Pathologie gehören und die wir an
dieser Stelle nicht weiter verfolgen können.
Es ist mm wohl ausserordentlich natürlich und begreiflich,
dass, weon einem Weibe in den vorgerückten Monaten der Schwan-
gerschaft irgend eine von den weiter üben auseinandcrgesetzteu
Schädlichkeiten begegnet war, unt^r denen ihr g.inzer Organismus*]
nnd namentlich ihr Nervensystem in erheblicher Weise gelitten
102. Die Todtgeburl
573
hatte, sie selber aowolil als auch ihre Umgebung einige Sicherheit
darüber zu haben wünschten, ob der unter ihrem Herzen sich ent-
wickelnde Sprössling durch diese unglücklichen Zufälle getödtet
wurde, oder ob er trotz derselben noch am Leben geblieben sei.
Bereits vor mehreren Juhrhunderten sind die Aerzte bemüht ge-
wesens für ein solches Abgestorbensein der Kinder im Mutterleibe
untiügliche Kennzeichen aufzustellen. Aber schon die grosse An^
zahl (lieser Merkmale, die sie zusammengebracht haben, liefert uns
den deutlichen Beweis von der ausserordentlichen Schwierigkeit,
diese Angelegenheit mit unumstösslicher Sicherheit zu entscheiden.
So finden wir in Roesslins Rosengarten die folgenden Bemerkungen:
, Durch a^wölflf zeichen hinunten beschrieben wird erkand ein tod Kind
in Mutterleib. Erstlich, so der Frawen brüste welk und weich werden. Das
ander zeichen eines todt«n Kindes, So sich das Kind nicht mehr reget in
Mutter leib, und eich doch vorhin gereget hat. Da« dritte. Wenn dus ^ind
in Mutterleib liegt, feit von einer seiten zur anderen, wie ein stein, ao sich
die Frawe umbkeret. Das vierde zeichen, So der Frawen ir leib erkaldet,
und der Nabel, und sind doch vorhin warm gewesen. Das fünffte zeichen
ist, So aus der Bermuiter gehen böse stinkende Flüsse, und besonder, so
die Frawen scharpffe hitzige krankheit gehabt. Das sechste zeichen. Wenn
den Frawen ihr äugen tieiV stehen im Heubt, und das weis braun wird, und
ihre äugen starren, die Letltzen werden bleifarb und tunckelblaw. Das
sibende zeichen eines todten Kindes inn Mutterleib, so die Fraw unterm
Nabel und inn den gemechten gros wee hat, ihr angesiebt gantz ungcstalt
und missfarbe. Dan achte, So die Fraw begierde hat lu widerwertiger speis
fid trenck, ao man sonst nicht pflegt zu messen. Das neund, so sie nicht
ichlaffen mag. Das zehend, so die Frawe die hamwinde on unterlag hat,
bpg;irde zn stuelgang mit drängen und nSten, schafft doch wenig oder gar
nicht. Da* eilffte zeichen. Der Frawen wird gewonlich ihr athem stincken
und Übel riechen am andern oder dritten tag, nach dem dajs Kind tod ist.
Daa zwcllfte zeicheD, So mercket man, ob das kind {■od ist inn Mutter leib,
weiuk man ein Hand inn warmem waseer gewermet, und geleget auff der
Frawen leib, reget sich denn das Kind nicht von der werme, so ist es Tod.
Und ihemehr der zeichen funden werden an einer Schwanger Frawen, je
gewisser man ist, das das kind im Mutter leib tod ist."
Die Trüglichkeit und Unzuverlässigkeit von einem grossen
Theile dieser Zeichen wird auch wohl dem Nichtmediciner sofort
einleuchtend .sein, und die heutigen Geburtshelfer sind sich über die
erheblichen Schwierigkeiten, hier einen absolut sicheren Entscheid zu
treffen, vollkommen einig. Noch im Jahre 1886 sixgt-Karl Schroedcr:
, Gewissheit von dem erfolgten Tode geben nur die durch den etwa
geöffneten Muttermund hindurch deutlich gefÜiilten schlotternden
Kopfknochen." ■ Allerdings eii.stirt ja nun eine Ileihe von Vor-
kommnissen, welche den Verdacht auf den erfolgten Tod der Frucht
in hohem Grade zu erwecken im Stande sind. Das ist namentlich
das Aufhören der Kindeabewegungen und das Verschwinden der
Herztöne des Embryo.
Die KinilcKbi'wcgungon haben in der Meinung der Frauen eine ganft'
|li' 'itung. Von ihrem ersten Auftreten au rechnen sie die
[i: nger»chart, sehr mit Unrecht, denn ßmch erwähnt, daM
574
XIX. Unzeitige Geburten.
die erste Bewegung bald schon in der z'wOlften Woche, bald erst in dem
siebenten Monat bt'merkt \ranle. Man glaubte aach, daes die Knaben »iuh
früher bewegen, als die Mädchen. Ja selbst eine kunstgescbicbtliche Be-
deutung haben die Kindsbewegungen erhalten durch das „Hüpfen im Leibe"
der Elisabeth von dem embryonalen Johannes dem Täufer als Zeichen der
Huldigung bei seiner ersten Begegnung mit dem ebeufallä noch ungeborenen
Christum (LucM I, 41). Dieser in der christlichen Kunst bekanntlich sehr
vielfach Idinstlerisch geschilderte Gegenstand hat eine Fülle von bildlichen
und plastischen Darstellungen der Schwangergchaft hervorgerufen.
Die Her/.töne des Embrj'O sind von einem geschulten Geburtshelfer deut-
lich zu diagn osticiren. Verschwinden dieselben gleichzeitig mit den Kindes-
bewegungen, nachdem sie soeben noch mit Sicherheit nachweisbar waren, dann
ist ein gegründeter Verdacht auf ein erfolgtes Absterben der Fruclit vorhanden.
Aus allen diesen Auseinandersetzungen wird der Leser die
Ueberzeu^ng gewonnen haben, dass eine absolut sichere Ent-
scheidung, ob eine Frucht im Leibe abgestorben sei oder nicht,
durchaus keine leichte Sache ist, und dasa nur ein geschulter Ge-
burtshelfer im Stande sein kann, hierüber ein endgültiges L^rtheü
abzugeben.
103. Falsche Schwangerschaften.
Wir können unsere Besprechung der Schwangerschaft nicht
abschliessen, ohne noch mit wenigen Worten gewisser krankhafter
Zustände zu gedenken, welche im Stande sind, für Andere oder so-
gar auch für die von ihnen be-
trofiene Frau selber die irr-
thUmliche Vermuthung wach
zu rufen, dass eine Schwanger-
schaft vorhanden sei. Es ge-
hören hierhin in erster Linie
gewisse Arten von Geschwül-
sten des Unterleibes, Blasen-
würmer der Leber mid des
grossen Netzes und namentlich
Cysten- Bildungen der Eier-
stöcke, die sogenannte Eier-
stockawassersucht. Da diesel-
ben gar nicht selten unverhei-
rathete und oft sogar noch
recht jugendliche Individuen
befallen, und da ihralhnäh-
I lieh dicker und dicker werden-
der Leib ihnen, wenn sie be-
kleidet sind, das unbestreitbare
Aussehen einer Schwangeren
Tt irt «I . u TN . I. V* Äiebt, so haben die armen
Niwii Piiotogtmpliie.) Madchen auaser unter ihrer
KrankLeit gar häufig auch noch unter mancher spöttischen Bemer-
kung zu leiden.
Die höheren Grade dieser ungl&cklichen Affection lassen den
Bauch zu ganz unglaublichen Dimensionen sich ausdehnen (Fig. 40),
und nicht mit Unrecht hat man gesagt, dass schliesslich der gesanimte
Körper wie ein Anhängsel des Bauches erscheine.
Gewisse Formen der freien Bauchwassersucht, welche den Leib
ebenfalls ähnlich wie in der Schwangerschaft auszudehnen vermögen,
werden dennoch selten zu Verwechselungen Veranlassung geben, weil
sie fast ausschliesslich bei älteren Personen sich finden, deren allge-
meine Erscheinung keinerlei Zweifel über die Schwere ihres Leidens
aufkommen lässt.
Eine Affection, welche nicht nur die Umgebung der Frau, sondern
auch diese selbst irre zu führen vermag, ist zum Glück nicht sehr
häufig; sie hat aber nichtsdestoweniger in den früheren Jahrhun-
derten eine ganz hervorragende Rolle gespielt. Es ist das die , falsche
Schwängerung", welche zu der Entstehimg der Mondkälber führt.
Der Name Mondkalb, auch Mondkind, ungestaltes Fleisch, böse
BUrde genannt, stammt daher, dass man sich einbildete, dass der
Mond eine ganz directe Einwirkimg auf die Entstehung dieser
Dinge habe. Im Lateinischen heissen sie Mola, was angeb-
lich von der durch sie verursachten Beschwerde (moles) herkom-
men soll. Man hat hier zweierlei Zustände zusammengeworfen,
einerseits wahre Monstrositäten, die zu der Gruppe der kopflosen,
Alissgeburten gehören, und andererseits krankhaft entartete Eier,
welche auch als sogenannte Fleischmolen beschrieben worden sind.
Die in dem Uterus festgewachsenen Mondkälber, von denen bei
einigen Schriltstelleru die Rede ist, sind besonders grosse, breit
aufsitzende Gebärmutterpolypen gewesen. Bei Moriceau heisst es;
„Ein Mondkalb aber ist nichts anderos, als ein Fleisch-Klumpen ohne
Bein, ohne Gelenk und ohne Untenichied der Gliedniaassen. Das hat keine
Oesialt, noch ordentliche und aaagemachte Bildnu», und wird wider die Na*
tar, in der Beer-Mutter, nach dem BciüchlufT von des Mann» und Weib« ver-
dorbenen Samen gezeuget. Jedoch giebt es je zu Zeiten einige, die einen
.\nfang einer entwortfenen Gestalt haben. Gewiss ist. daas die Weiber diese
Oewächse nicht zeugen, sie haben denn beygeschlatfen. und werden so wol
beede Samen dazu erfordert, als zu einer rechten Zeugung.
Die Mondklllbcr cnseugen sich gemeiniglich, wann einer von den Samen
sowol der von dem Mann, als der von dem Weib, oder alle bet'do zugkich
bchwarh und verdorben sind, da die Beer-Multcr »ich nicht bemnliet, inu
eine wahre Zeugung, als vermittelst der Geister, deren die Samen ullor voll
•eyn müssen, aber um so viel desto leichter, je mehr da« wenigo, das sich
da befindet, ausgcloscben, und gleichsam ersteckt und ertrilnkt ist von der
Menge grobes verdorbenen Monat-Bluts, das da manohmal, bald nach der
EmpflngnuB zufleugt, und der Natur nicht der Weil IlLst, das jenige, so sie
mit grosser Mühe hat angefangen, auszumachen, und indem sie also ihr Werck,
dasselbe alles durch einander und in eine Unordnung werffend, verwirret,
so wird aus dorn Samen und diesem Geblüt ein rechter un geschaffen er Kluni-
peUj das wir ein Mondkalb nennen, und sich gemeiniglich anderswo nicht
576
XIX. ünaeitige Geburten.*
erzeuget, als nur in der Frauen ihrer Beor-Mutter. und eich niiDmeruiehr oder
doch gHr selten, in allen andern Thiore Beer-Mutter, weil diese keine Monat-
Zeit haben, wie jene finden lasset."
Die ADzeichen, woran die Schwangerschaft mit einem solchen
Mondkalbe' zu erkennen sei, die Unterschiede, welche seine Be-
wegungen von denen eines wirklichen Fötus darbieten, die medica-
mentösen und die operativen Mittel, welche nothwendig sind, um
die Frau von dieser Mola zu befreien, finden in den älteren geborta-
hölflichen Werken ihre auslührhche Erörterung; wir können sie
aber au dieser Stelle njit Stillschweigen übergehen.
Noch eine dritte Gattung der scheinbaren St^hwaugerschaft müssen
wir aber einer kurzen Betrachtung unterziehen. Sie ist es, welche
dem Volkamunde zu dem Spottverse die Veranlassung gegeben hat:
„Und wenn sie denkt, sie hat ein Kind,
Diinn hat sie den ganzen Banch voll Wind."
Ein allgemein anerkannter deutscher Name existirt für diesen
Zustand nicht; die Franzosen nennen ihn grossesse nerveuse,
die Engländer mit weniger treffender Bezeichnung spurioua
pregnancy. Es handelt sich hierbei um die volle, aber irrige Ueber-
zeugung von Seiten der Frau, das ssie schwanger sei, und sie empfindet
nach und nach wirklich alle subjectiven Erscheinungen der Gravidität.
Von diesen Zuständen sagt Schroeder:
„Dieselben kommen ebenso häufig vor bald nach der Heirath, aU im
Beginn des klimakterischen Alters, am häufigsten, aber doch nicht aosschlie«««
lieh, bei verheinitheten Frauen, besonders solchen, die «ich dringend Kinder
vrQnschen. Dabei schwillt das Abdomen in Folge von Tympanitis und Fell-
ahlagerung in den Bauebdecken und im Netz oft zu einer beträchtlichen
Ausdehnung an, Linea alba und Warxenhof färben sich bräuDlich, die Bniat-
drüsen schwellen stark an und entleeren Colostrum. Ausserdem glauben dio
Frauen deutliche, mitunter sogar häufige und lästige Fruchlbewegungvn stu
sparen; ja am berechneten Eade der Schwangerschaft legen sie sich wohl
ins Bett und klagen über heftige Wehen."
Wenn nun auch Schroeder sich dahin äussert, dass diese Fälle
mehr ,p.sychologi8«:h interessant als diagnostisch schwierig* sind,
so giebt er doch selber zu, dass nicht selten die sichere Entscheid
düng nur in der Chlorofonnoarkose getrofi'en werden kann, und die
Erfahrung hat gelehrt, dass hier bisweilen sogar berühmte Geburts-
helfer sich haben irreführen las.sen Was für deprimirende Empfin-
dungen, wieviel getäuschte Hotfnungen mit der Erkenntnis« dieser
Grossesse nerveuse für die arme Frau und ihre Umgebung verbun-
den sind, das bedarf wohl keiuer weiteren Auseinandersetzung.
Weutt übrigens die Frauen die üeberzeugung erlangt haben, dass
sie nicht schwanger waren, dann verschwinden" alle die vorher be-
schriebeneu Symptome der Schwangerschaft- sehr schnell, ohne ein
weiteres Zuthun des Arztes.
£nde des ersten Bandes.
nmitk viin Tb. Ho/mann in i>i*n.
WP9p.
41,
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* v?^ ■*• ?^ * vSS ■*■ ^ * 5^ *