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Full text of "Das Weib in Natur- und Völkerkunde v. 2"

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DAS  WEIB 


IN  DER 


NATUR-  UND  VÖLKERKUNDE. 


ANTHROPOLOGISCHE   STUDIEN 

VON 

D«-  H.  PLOSS. 


Zweite,  stark  vermehrte  Auflage. 

Nach  dem  Tode  des  Verfassers  bearbeitet  und  herausgegeben 

von 

Dr.  Max  Bartels. 


Mit  7  lithogr.  Tafeln,  dem  Portrait  des  Dr.  H.  FIosb  in  Lichtdruck 
und  107  Abbildongen  im  Text. 

Erster  Band. 


Leipzig. 

Th.  Grieben's  Verlag  (L   Fernau). 

1887. 


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P73 


Hermann  Heinrich  Ploss 

wurde  am  8.  Februar  1819  als  Sohn  des  Eaufinauns  Carl  Hein- 
rich Phss  in  Leipzig  geboren.  Seine  Gymnasialbildung  erhielt  er 
auf  der  dortigen  Nicolai-Schule,  in  welche  er  1832  eintrat  und  von 
der  er  im  Herbste  1839  mit  dem  Zeugniss  der  Reife  entlassen 
wurde.  Er  bezog  im  October  desselben  Jahres  die  Universität  seiner 
Vaterstadt  und  wurde  von  dieser  im  Jahre  1846  auf  Grund  seiner 
Inaugural- Dissertation  De  genest  psychosium  in  ptterperio  zum  Doctor 
medicinae  proraovirt.  Schon  frühzeitig  wurde  er  in  die  Bahnen 
wissenschaftlicher  Forschung  hineingelenkt,  denn  es  war  ihm  ver- 
gönnt, bereits  während  seiner  üniversitätsjahre  (1843 — 1846)  dem 
Gynäkologen  Friedrich  Ludwig  Meissner  als  Famulus  zur  Seite  zu 
stehen. 

Sehr  bald  nach  Beendigung  seiner  Studienzeit  bot  sich  ihm  ein 
neues  Feld  seiner  Thätigkeit  dar.  Er  trat  1846  als  Armenarzt  in 
den  communalen  Dienst  seiner  Vaterstadt,  dem  er,  wenn  auch  später 
in  anderen  Stellungen,  fast  bis  zu  seinem  Lebensende  treu  geblieben 
ist.  Die  Armenarztstelle  gab  er  1852  auf.  Vom  Juli  1866  bis 
Ostern  1867  war  er  als  stellvertretender  Bezirksarzt,  bis  1875  als 
Arzt  des  Wöchnerinnen -Vereines  thätig.  In  dem  gleichen  Jahre 
wählten  ihn  seine  Mitbürger  in  das  Stadtverordneten-Collegium,  dem 
er  bis  zum  Jahre  1881  angehört  hat. 

Als  das  Vaterland  im  Jahre  1866  der  Hülfe  auch  nicht  mehr 
militärpflichtiger  Aerzte  bedurfte,  bot  auch  Ploss  seine  Dienste  an 
und  übernahm  als  Oberarzt  eine  Abtheilung  in  dem  in  der  Leipziger 
Turnhalle  eingerichteten  Militärlazarethe.  Als  Zeichen  der  Aner- 
kennung für  diese  seine  Thätigkeit  wurde  ihm  vom  Könige  das 
Ritterkreuz  des  Albrecht-Ordens  verliehen. 

Er  war  nicht  verheirathet  und  widmete  sich  mit  ganz  beson- 
derem Eifer  dem  Vereinswesen.  Mit  noch  acht  Collegen  begründete 
er  im  Jahre  1854  die  geburtshülfliche  Gesellschaft   in  Leipzig,    in 


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welcher  er  sechs  Mal  das  Ehreuamt  eines  Directors,  zwei  Mal  das- 
jenige eines  Vice-Directors  bekleidete.  Hier  hat  er  21  grössere 
Vorträge  gehalten  und  der  Gesellschaft  dreimal  fiir  Festschriften 
ausführliche  wissenschatlliche  Abhandlungen  geliefert.  Es  war  dieses 
(\\r  die  Jubiliien  von  Credr  und  von  den  geburtshuU'lichen  Gesell- 
schaften von  Berlin  und  Hamburg.  Auch  von  dem  ärztlichen  Kreis- 
voreiu  Leipzig  wurde  er  mit  der  Abfassung  mehi"erer,  meist  hygiei- 
nischer  Schriften  betraut;  ebenso  ist  er  bei  der  Durchfiihrmig  der 
Desinfectionsordnung  für  die  sächsischen  Hebammen  hervorragend 
betheiligt  gewesen.  In  dem  ärztlichen  Bezirksvereine  Leipzig-Stadt 
hat  vr  bis  zu  seinem  Tode  durch  einen  Zeitraum  von  fast  10  Jahren 
das  Ehrenamt  des  Vorsitzenden  bekleidet.  Sein  warmes  Literesse 
fllr  alle  die  sociale  Stellung  des  ärztlichen  Standes  betreffenden 
Fragen,  sowie  die  hohe  Anerkennung,  welche  ihm  seine  CoUegen 
zollten,  wird  wohl  am  unzweideutigsten  dadurch  bewiesen,  dass  man 
duivh  stete  Wiederwahl  ihn  an  diesen  Posten  zu  fesseln  suchte. 
>Viederholeutlich  war  er  auch  von  diesem  Vereine  aus  zu  den  Ver- 
handlungen des  deutschen  Aerztevereinsbundes  abgeordnet  worden. 
Diesem  Zweige  seiner  vielseitigen  Thätigkeit  gehören  zahlreiche 
Artikel  in  dem  sächsisciien  Correspondenzblatte  mid  in  dem  ärzt- 
Udren  Vereinsblatto  an. 

Aber  nicht  allein  bei  seinen  Collegen,  sondern  auch  bei  seinen 
Fitienten  ww  Phss  hochgeachtet  und  gern  gesehen,  tmd  die  letz- 
teraa  hingen  mit  grosser  Liebe  imd  Verehrung  an  ihm.  Er  war 
«in  groenet  Kinderfreund,  ein  liebenswürdiger,  heiterer,  niemals  ab- 
gMpannter  Qese1UohHfk4.T.  und  man  kann  nur  staunen,  wie  er  bei 
allen  diesen  leitraubenden  VerpÜichtungen  noch  im  Stande  gewesen 
ist,  auf  wissenachafUich-literarischem  Gebiete  so  unendlich  fruchtbar 
SU  sein.  Es  kam  ihm  jedoch  bei  seiner  grossen,  die  Zeit  streng 
ausnutseoden  Arbeitakraft  sein  geringes  Schlafbedfir&iss,  sein  vor- 
treffliches  Oediefatniss  and  seine  sich  immer  mehr  und  mehr  er- 
weiternde Bekanntschaft  unter  den  Fachgelehriea  auoaerordentlich 
sn  statten.  Auch  hatt«  er  sich  too  An£ang  an  daran  gewohnt« 
alle  Mue  Stodien  irgendwie  berührenden  Angaben,  wdche  ihm  bei 
der  Lectftr«  aafirtiewien,  sofort  auf  Zetteb  xn  aotireot  «o  da»  er  sein 
btecarisches  Rohmaterial  in  jedem  AngcnbH^  bei  der  Hand  haben 
konnte.  Derart^  Kotnen  haben  sich  ia  seinem  Kachlasse  in  er- 
etaonlicher  Ansah!  VMgefonden  und  sie  Uefmi  den  Beweis,  daas 
«einen  immer  lasUoew  Geist  mtknn  oeoe,  ebenfiüls  auf  brett««1«r 


Hermaiin  Heiarich  Plos$. 


is  angelegte  wissenschaftliche  Arbeiten  schon  wieder  auf  das 
iefete  beschäftigten.  Es  wird  später  von  denselben  die  Rede  sein. 
Ploss  war  ein  grosser,  uervenstarker  und  sehr  kräftiger  Mann, 
welcher  nur  einer  geringen  Erholung  bedurl'te.  Diese  bestand 
meistentheils  in  dem  Besuche  wissenschaftlicher  Wanderversanim- 
luugen,  deren  regelmässiger  Gast  er  war  mid  auf  denen  er  seine 
umfassende  Personalbekanntschaft  pflegte  und  erweiterte.  Er  besass 
ein  grosses  Geschick,  neue  Bekanntschaften  anzuknüpfen  und  das 
Wissen  Anderer  fiir  sich  selbst  lehrreich  imd  nutzbar  zu  machen.  Im 
Frühsommer  seines  Sterbejahres  unternahm  er  eine  Reise  nach  Neapel 
und  Sicilien,  welche  ihn  in  hohem  Maasse  befriedigte.  Im  Herbst 
nahm  er  Theil  an  dem  Congress  der  deutschen  Anthropologen,  an 
der  Wanderversammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  und 
an  dem  Congress  für  öffentliche  Gesundheitspflege.  So  genoss  er 
noch  einmal  Alles,  was  diese  Welt  ihm  Interessantes  bot.  Am 
11.  December  1885  erlitt  er  einen  Gehirnschlag  und  starb,  ohne 
einen  Moment  das  Bewusstsein  wiedererlangt  zu  haben,  zwei  Tage 
später,  am  13.  December  1885,  im  .\lter  von  ÖQ'^/i  Jahren. 

Seine  literarische  Thatigkeit,  deren  Uebersicht  wir  am  Schlüsse 
dieser  Biographie  folgen  lassen,  hat  Ploss  schon  frühzeitig  be- 
gonnen. Er  trat  bereits  im  Anfange  der  fünfziger  Jahre,  also 
kurz  nach  Absolvirung  seiner  Studien,  mit  ein  Paar  populär- 
hygieinischen  Schriften  in  die  Oeffentlichkeit.  Später  hat  er  auch 
für  die  Leipziger  Illujitrirte  Zeitung  mid  für  Meyer's  Conversations- 
Lexioon  mehrere  Beitrage  geliefert.  In  Gemeinschaft  mit  Küchen- 
meister redigirte  er  mehrere  Jahre  hindurch  die  von  Varges  be- 
gründete Zeitschrift  für  Medicin,  Chirurgie  und  Geburtshülfe;  auch 
ist  er  mit  Frosch  zusammen  der  Herausgeber  einer  vierbändigen 
niedicinisch- chirurgischen  Encyclopädie  für  praktische  Aerzte  ge- 
wesen. Die  grosse  Zahl  seiner  sonstigen  Veröffentlichungen  betrifft 
iheila  die  ärztlichen  Standesinteressen,  theila  die  Staatsarzneikunde 
und  die  öffenthche  Gesundheitspflege,  vor  allen  Dingen  aber  die 
Gynäkologie  und  Oebxirtshülfe.  Ganz  neu  von  ihm  begründet  ist 
ein  Zweig  der  Wissenschaft,  welchen  man  als  die  anthropologisch- 
ethnographische  Gynäkologie  und  Pädiatrie  bezeichnen  kann.  Hier 
ii«t  »o  recht  sein  hervorragendes  Talent  zu  Tage  getreten,  die  ver- 
jenizelten  Beö>)achtung»?n  und  Angaben  der  Forscher  und  Reisenden 
t  in  xweckentsprechender  Weise  zu  einem  abgeschlossenen  Ganzen  zu 
'«unmeln   und   zur  Beleuchtung   wissenschaftlicher   Fragen    zu   ver- 


VT 


Hermann  Heinricti  PIogs. 


werthen.  Aber  er  hat  gerade  auf  diesem  Gebiete  auch  selber  be- 
fruchtend und  zu  erneuten  Forschungen  anregend  gewirkt,  und  seine 
Fragebogen  sind  hinausgegangen  in  alle  Welt,  um  unser  Wissen 
zu  bereichern  imd  zu  verrollständigen. 

Wie  bereits  gesagt  wurde,  haben  sich  unter  seinen  Papieren 
die  zahlreichen  Materialien  zu  mehreren  von  ihm  geplanten  neuen 
Veröifentlichungen  vorgefunden.  Fast  vollendet  ist  ein  Buch  über 
den  Tabak,  worin  er,  ganz  seiner  Eigenart  entsprechend,  die  ethno- 
graphischen Gesichtspunkte  in  den  Vordergrund  gestellt  hat.  Eine 
zweite  Abhandlung  sollte  eine  historisch-ethnographische  Betrach- 
ttmg  der  Prostitution  bearbeiten.  Ein  besonders  reichliches  Material 
fand  sich  zu  einer  dritten  Arbeit  vor.  Was  er  hiermit  beabsich- 
tigte, das  erfahren  wir  in  der  ersten  Auflage  des  vorliegenden  Werkes 
aus  Phss'  eigenem  Munde: 

,,Das  Gebiet  der  Ehe  ist  ein  so  umfassendes,  dass  es  eine  ein- 
gehende Betrachtung  erfordert.  Nachdem  Peschd  in  ausgezeichneter 
Weise  in  seiner  „Völkerkunde"  schon  die  Gesichtspunkte  dargestellt 
hat,  welche  uns  eine  vorsichtige  Auffassung  der  ethnologischen  Er- 
scheinungen ermöglichen,  halte  ich  es  fl\r  angemessen,  auf  dessen 
(von  Kitchhoff  vervollständigte)  Arbeit  zu  verweisen,  und  der  Sache 
später  eine  ausführlichere  Bearbeitung  zu  widmen,  welche  namentlich 
auch  die  Heirathsgebräuche  berücksichtigen  soll.  Aus  der  Geschichte 
imd  Naturlehre  der  Ehe  liegt  ein  so  reiches  Material  vor,  dass  die 
dahin  einschlagenden  Fragen  (Sterblichkeit,  Selbstmord  der  Ver- 
heiratheten  und  Unverehelichten  etc.,  erbliche  Krankheiten,  Bluts- 
verwaudten-Ehen,  Geschlechts- Verhältnisse  der  Geborenen  et«,)  neu 
gesichtet  und  beantw^ortet  werden  müssen.  Vor  Allem  aber  ist  die 
culturhifitorißche  Bedeutung  der  Ehe  insofern  hochwichtig,  als  sich 
aus  und  mit  ihr  die  sociale  Stellung  des  Weibes  entwickelt, 
ein  Thema,  das  wir  au  anderem  Orte  unter  dem  Titel  ,Das  Weib 
im  Familien-  und  socialen  Leben"  besprechen  werden, " 

So  mögen  diese  wenigen  Worte,  viel  zu  knapp  und  dürftig 
für  die  Freunde  des  Verstorbenen,  dem  Leser  eine  flüchtige  An- 
schauung geben  von  seiner  wissenschaftlichen  Vielseitigkeit,  Noch 
deutlicher  wird  dieselbe  werden,  wenn  wir  jetzt  einen  Blick  werfou_ 
auf  dos  Verzeichnisa  seiner  Veröifentlichungen.*) 


'I  Die   thaU&chliciii;^n   Angaben    sind    «üneiu   vom    IW 
Sätigev  iu  Leipzig  verfa«8ton  Nekrologe  cmtnotninen 


Verzeichiiiss 

der  Ton  Dr.  H.  Ploss  im  Druck  erschienenen  Werke  and 
grösseren  Zeitschriften-Artikel. 


1.  De  genesi  psychosium  in  puerperio.  Inaugural  -  Dissertation. 
Leipzig  1846. 

2.  üeber  die  das  Geschlechtsverhältniss  der  Kinder  bedingenden  Ur- 
sachen.   Berlin  (Hirschwald)  1859.   (40  S.   8«>.) 

3.  Ein  Blick  auf  die  neuesten  Beiträge  zur  Frage  über  das  Sexualver- 
haltniss  der  Neugeborenen.    Monatsschr.  f.  Geburtsk.     18.    S.  237.    1861. 

4.  üeber  Anwendung  des  Druckes  und  der  Vis  a  tergo  in  der  opera- 
tiven Gebortshülfe.  Zeitschr.  f.  Medicin,  Chirurgie  und  GeburtshQlfe  von 
Dr.  H.  Ploss.    Leipzig  1867.    S.  156. 

6.  Die  Art  der  Abnabelung  bei  verschiedenen  Völkern  (Abreissen ,  Ab- 
beissen,  Abschneiden  u.  s.  w.).    Deutsche  Klinik.    Berlin  1870.    Nr.  48. 

6.  Die  operative  Behandlung  der  weiblichen  Geschlechtstheile  bei  ver- 
schiedenen Völkern:  a.  Beschneidung  der  Mädchen,  b.  Vernähung  (Infibula- 
tion).    Zeitschr.  f.  Ethnologie.    Bd.  III.    Berlin  1871.    S.  381. 

7.  üeber  künstlich  hervorgebrachte  Deformitäten  an  den  weiblichen  Ge- 
schlechtstheilen  und  über  Behandlung  der  Schamhaare  bei  Frauen.  Deutsche 
Klinik.    Berlin  1871.   Nr.  27.    S.  242. 

8.  Das  Verfahren  verechiedener  Völker  bei  Ausstossung  und  Entfernung 
der  Nachgeburtstheile.    Deutsche  Klinik.     Berlin  1871.   Nr.  28. 

9.  Das  Männerkindbett  (Couvade),  seine  geographische  Verbreitung 
und  ethnographische  Bedeutung.  Jahrb.  d.  geographischen  Gesellschaft  in 
Leipzig  1871.  (16  S.) 

10.  üeber  die  Lage  und  Stellung  der  Frau  während  der  Geburt  bei 
verschiedenen  Völkern.     Leipzig  (Veit  &  Co.)  1872.   (67  S.  8«  in.  V.) 

11.  Das  Heirathsalter.  Jahresbericht  des  Leipziger  Vereins  f.  Erdkunde 
vom  Jahre  1872. 

12.  Die  ethnographischen  Merkmale  der  Frauenbrust  (nebst  einem  An- 
hang: Das  Säugen  von  jungen  Thieren  an  der  Frauenbrust).  Archiv  f.  An- 
thropol.  Bd.  V.    Braunschweig  1872.    S.  215. 

18.  Das  Kind  in  Brauch  und  Sitte  der  Völker.  Anthropologische  Studien. 
2  Bde.    Stuttgart  (Auerbach)  1876.  (619  S.  8".) 

1*.  Dr.  Struve's  künstliche  Mineralwässer  auf    der  I.   balneologischen 

^nwteilttng  zu  Frankfurt  a'M.    Leipzig  (F.  C.  W.  Vogel)  1881.     (34  S.  8".) 

"^  Historisch-anthropologische  Notizen    zur  Behandlung  der  Nachge- 

N   der  Festschrift    .Beiträge  zur  Geburtshüife,   Gynäkologie 

~  npzig  (Engelmann)  1881. 


16.  Das  kleine  Kind  vom  Tragbett  bits  /.um  ersten  Schritt.  Berlin  1881. 

17.  Uober  das  Gesiindheitswesen  und  seine  Regelung  im  Deutschen 
Reich.    Leipzig  (Gr6bner)  1882.    (91  S.  8".) 

18.  Zur  Geschichte.  Verbreitung  und  Methode  der  Fruchtabtreibung. 
Colturgeachichtlich  -  medicinische  Skizze.  Leipzig  (Veit  &  Co.)  1883. 
(47  S.  80.) 

19.  Zur  Verständigung  über  ein  gemeinsaraea  Verfahren  der  Becken- 
messung.     Archiv  f.  Anthropologie.  Bd.  XV.  1884. 

20.  Das  Kind  in  Brauch  und  Sitte  der  Völker.  Anthropologische  Studien. 
2.  Aufl.  N.  Ausg.  2  Bde.  Leipzig  (Th.  Grieben's  Vlg.,  L.  Fernau)  1884. 
(872  S.  8".) 

21.  Das  kleine  Kind  vom  Tragbett  bis  zum  ersten  Schritt.  Ueber  das 
Legen,  Tragen  und  Wiegen,  Gehen,  ^tehen  und  Sitzen  der  kleinen  Kinder 
bei  den  verschiedenen  Völkern  der  Erde.  2.  Auag.  Leipzig  (Th.  Grieben'« 
Vlg..  L.  Fernau)  1884.     (120  S.  8'>.)      Mit  Abb. 

22.  Das  Weib  in  der  Natur-  und  Völkerkunde.  Anthropolog.  Studien. 
2  Bde.    Leipzig  (Th.  Grieben's  Vlg.,  L.  Fernau)  1885.    (1078  S.  8\) 

23.  Geschichtliches  und  Ethnologisches  über  Kaabenbeschneiduog. 
Leipzig  (Hirschfeld)  1885.    (32  S.  80.) 

24.  Anweisung  zur  Pflege  und  Wartung  der  Kinder  in  den  ersten 
Lebensjahren.     Leipzig  (Barth)  1851.   (45  S.  8ö.) 

25.  Hygiea.  Die  Kunst,  ein  hohes  und  frohes  Alter  zu  erreichen. 
Ein  Buch  für  Jedermann,  insbesondere  eine  väterliche  Liebesgabe  für  den  in 
die  Welt  tretenden  Jüngling.     Leipzig  1851. 

26.  Ueber  die  das  Geechlechtsverhilltniss  des  Kindes  bedingenden  Ur- 
sachen.   Mon.  f.  Geb.  XU.  532.  1858. 

27.  Ueber  den  Einfluss  der  Jahreszeit  auf  die  Häufigkeit  der  Geburten 
and  auf  das  Geachlechtsverhältnias  des  neugeborenen  Kindes.  Monatsschr. 
f.  Geburtsk.  XIV.  S.  454. 

28.  Zur  Zwillingsatattstik.    Referat  in  der  Deutschen  Klinik.     1861. 

29.  Ueber  die  Operationsfrequenz  in  geburtshülflichcn  Kliniken  und 
Polikliniken.    Archiv  f  Gynäkologie.  VI. 

30.  Ueber  die  Operationsfrequenz  in  geburtshUlflichen  Kliniken  und  Poli- 
kliniken.    Monatsschrift  für  Geburtskandc  und  Frauenkrankheiten.    1869. 

31.  Studien  Über  Kindersterblichkeit.  Jahresbericht  für  Kinderheil- 
kunde.   1874. 

32.  Ueber  die  Frequenz  der  geburtshUlflichen  Operationen.  Monats- 
schrift Tür  GeburtshUlfe  und  Frauenkrankheiten.    Bd.  XXIII.   1884. 

33.  Proach  und  Plosa.  Mediciniach-chirurgisoheEncyklop&die  für  prak- 
tische Aerzte,  in  Verbindung  mit  mehreren  Aerzten  herausgegeben.  4  Bde. 
1854—1868. 

34.  H.  Plosaund  F.Küchenmeiater.  Zeitschrift  fürMedicin,  Chirurgie 
und  Geburtahülfe ,  bekundet  von  A.  W  Vargea.  Neue  Folge  Bd.  1 — 4 
(Bd.  16—19).    Leipzig  1862—186.5. 

35.  PloBs.  Vorwort  zu  Theodor  Waitz:  Die  Indianer  Nordamerikaa. 
Leipzig  1865. 

Ploas  verfasate  zahlreiche  Artikel 

im  sächsischen  Correspondenzhiatt, 

im  ärztlichen  Vereinsblatt, 

im  Archiv  für  Gynäkologie, 

io  der  Monatsschrift  f(tr  Geburtakunde, 

in  Meyer's  Converaalions-Lcxicoa, 

in  der  Leipziger  Illuatrirtcr  ■'"!♦"? 


Vorrede  des  Verfassers 

zur  ersten  Auflage. 


Wenn  ich  die  Früchte  meiner  vieljährigen  Studien  über  die 
, Naturgeschichte  des  Weibes  vorzugsweise  vom  völker- 
kundlichen Standpunkte  aus"  der  Oe£P'entlichkeit  übergebe,  so 
darf  ich  wohl  bekennen,  dass  ich  mir  bei  der  Bearbeitung  dieses 
ebenso  schonen  und  anziehenden,  als  auch  vielumfassenden  Stoffes  der 
grossen  Schwierigkeit  voll  bewusst  war,  die  ein  solches  Unternehmen 
dem  gewissenhaften  Autor  darbietet.  So  ergiebig  der  Gegenstand 
auf  der  einen  Seite  für  eine  allseitige  und  eingehende  Betrachtung 
ist,  so  hatte  ich  doch  eine  bestinunte  Umrahmung  im  Auge  zu  be- 
halten, auf  die  ich  mich  selbst  und  meinen  Leserkreis  beschränke. 
Ich  hatte  die  der  Natur-  und  Culturgeschichte  entnommenen  That- 
sachen,  die  für  das  Leben  und  Wesen  des  Weibes  charakteristisch 
sind,  in  ähnlicher  Weise  zu  verwerthen,  wie  ich  über  das  Kind 
und  seine  Behandlung  in  meinem  früher  erschienenen  Buche  (»Das 
Kind  in  Brauch  und  Sitte  der  Völker")  zahlreiche  Erscheinimgen  ans 
allen  Zeiten  und  Landen  dargelegt  und  geschildert  habe. 

Dadurch,  dass  ich  diese  Arbeit  als  „anthropologische 
Studien'  bezeichne,  glaube  ich  hinreichend  angedeutet  zu  haben, 
dass  ich  mir  keineswegs  die  —  von  einem  Einzelnen  kaum  jemals 
ausführbare  —  Aufgabe  stellte,  ein  vollständiges  Bild  vom  realen 
Leben  des  Weibes  und  von  seiner  idealen  Stellung  im  Reiche  der 
Natur  zu  entwerfen.  Vielmehr  ging  meine  Absicht  überhaupt  nur 
dahin,  das  mir  zu  Gebote  stehende,  in  ziemlicher  Beichhaltigkeit  zu- 
geflossene Material  lediglich  im  Lichte  der  modernen  Anthropologie 
und  Ethnologie,  also  vom  rein  naturwissenschaftlichen  Standpimkte 
ans,  zu  sichten  und  dem  Verständnisse  eines  Leserkreises  zugänglich 


Vorrede  des  Veriasäi 


ZU  machen,  dessen  Sinn   und  Bildung   für  dergleichen  Studien   em- 
ptanglich  und  vorbereitet  sind. 

Denn  ich  betrachte  das  Weib  in  seinem  geistigen  und  körper- 
lichen Wesen  mit  dem  Auge  des  Anthropologen  und  Arztes.  Dem- 
gemäss  musste  ich  mich  einestheils  mit  den  psychologischen,  ethi- 
schen und  ästhetischen  Zügen  des  , schönen'  Gesclüechts,  insbesondere 
auch  mit  der  Art  und  Weise  beschäftigen,  in  der  diese  Züge  von 
anderen  Forschem  neuerlich  aufgefasst  wurden.  Andemtheils  unter- 
suchte ich  die  physiologischen  Functionen  des  Weibes  in  so  weit,  als 
mir  durch  die  Völkerkunde  mannigfache  Thatsachen  bekannt  waren, 
welche  auf  dem  Wege  eingehender  Vergleichuug  der  bei  den  ver- 
schiedenen Völkerschaften  zu  Tage  tretenden  Zustände  über  die  ver- 
schiedene Organisation  und  Thätigkeit  des  weiblichen  Körpers  werth- 
volle  Aufschlüsse  gewährten.  Dabei  wxu*de  von  mir  nicht  unbe- 
achtet gelassen,  welche  Behandluugsweise  des  Weibes  unter  den 
Völkern  sich  namentlich  in  sexueller  Hinsicht  durch  Sitte  und  Bmuch 
beimisch  gemacht  hat,  und  wie  man  wohl  die  Entstehung  solcher 
Sitten  zu  erklären  im  Stande  ist 

So  darf  ich  wohl  sagen,  dass  ich  die  Lebensverhültnisse  des 
Weibes  zu  einem  grossen  Theile  nach  den  Anforderungen  und  Er- 
gebnissen der  Ethnographie  geschildert  habe.  Nach  der  einen  Rich- 
timg hin  musste  ich  —  immer  die  Einflüsse  der  Culturbedinguugen 
im  Auge  behaltend  —  das  geistige  Vermögen  des  Weibes,  sein 
Denken  und  Empfinden  als  einen  Theil  der  Geisteswissenschaft  in 
den  Bereich  meiner  Betrachtung  ziehen.  Nach  anderer  Richtung 
hin  eröffnete  ich  Einblicke  in  die  unter  dem  Einflüsse  von  Klima, 
Lebensweise  u.  s.  w.  stehenden  sexuellen  Beziehungen  des  weiblichen 
Geschlechts  von  der  Reife  und  Empfängniss  an  bis  zur  Erzeugung 
und  ersten  Pflege  des  Kindes,  ein  wichtiges  Kapitel  der  Biologie 
und  Entwickeluugsgeschichte  des  Weibes  bis  zur  Mutterschaft.  Und 
schliesslich  gelange  ich  zur  Schilderung  der  socialen  Lage,  in  welcher 
wir  das  Weib  bei  der  culturellen  Entwickelung  des  Menschenge- 
schlechts zu  allen  Zeiten  und  bei  allen  Rassen  finden  —  hier  lieferten 
mir  die  jüngsten  Untersuchungen  der  Sociologen  werthvolle  Anhalts- 
punkte zur  Besprechung  der  cultureUen  Einwirkungen,  durch  welche 
von  den  Urzuständen  des  Menschengeschlechts  an  bei  den  allmäh- 
lichen Fortschritten  in  Sitte,  Hecht  und  Religion  die  Stellung  d^ 
Weibes  die  jetzige  Höhe  bei  civilisirten  Völkern  erreicht«. 

Indem   ich    nun,  wie  ich  BUsdrücklinh  nnH  wipderhoU   betone. 


zur  ersten  Auflage.  XI 

nur  Dasjenige  klarstellen  will,  was  ich  durch  meine  Studien  auf 
dem  Gebiete  der  Natur-  und  Völkerkunde  gewann,  habe  ich  es  mit 
recht  positiven  Verhältnissen  und  fast  nur  mit  exacten  Forschungen 
zu  thun,  für  die  ich  mir  den  Stoff  meist  aus  weit  zerstreuten  Quellen, 
vielföltig  auch  durch  directe  Nachfrage  bei  Beisenden  und  Männern 
von  Fach  aus  allen  Theilen  der  Erde  herbeischaffen  musste.*)  — 
Allein  ich  hatte  bei  meiner  Dai^tellung  auch  nicht  wenige  wissen- 
schaftliche Probleme  zu  berühren.  In  der  Anthropologie  stossen 
wir  ja  überall  auf  Probleme  der  geschichtlichen  Entwickelung  der 
Menschheit,  für  welche  es  an  historischen  Documenten  fehlt.  Man 
sucht  sie,  so  gut  man  kann,  durch  eine  Forschungsmethede  zu  lösen, 
die  in  vielen  Zweigen  der  Naturwissenschaft,  z.  6.  der  Geologie, 
treffliche  Erfolge  aufzuweisen  hat.  Es  ist  dies  das  Verfiahren,  die 
Ueberreste  aus  früheren  Zuständen,  sowie  die  Anfönge  historischer 
Ueberlieferung  zur  Erklärung  jetzt  bestehender  und  gefundener  Er- 
scheinungen zu  benutzen.  So  viel  ich  konnte,  habe  ich  auch  nicht 
ermangelt,  diesen  Gang  der  Untersuchung  zu  betreten. 

Bei  solcher  Deutung  räthselhafter  Erscheinungen  im  Völker- 
leben ist  freilich  stets  die  grösste  Vorsicht  geboten;  die  schnell  be- 
reite Phantasie  darf  hier  nie  allzu  eifrig  an's  Werk  gehen.  Daher 
trat  ich  an  die  Beurtheilung  einzelner,  selbst  von  hervorragenden 
Forschem  geistvoll  ausgesprochener  Ansichten  über  manche  noch 
nicht  voll  erklärbare,  im  Cultur-  und  Völkerleben  auftretende  That- 
sachen  mit  einer  gewissen  Zurückhaltung,  die  mich  veranlasste, 
gegenüber  den  Anschauungen  und  ihrer  Motivirung  einfach  meine 
Bedenken  zu  äussern,  anstatt  mit  der  vollen  Kraft  der  Ueberzeugung 
einer  Hypothese  Raum  zu  geben,  die,  schwach  gestützt,  oft  all- 
zubald hinfällig  wird. 

Vielleicht  könnte  mein  Buch  bei  solchen  Lesern  nicht  die  volle 
Befriedigung  erwecken,  welche  mit  ungerechtfertigten  Erwartungen 
an  die  Leetüre  desselben  herantreten,  insbesondere  dann,  wenn  sie 
,  Aufgabe  und  Tendenz  desselben  verkennen.  Es  wäre  beispielsweise 
falsch,  wollte  man  von  einer  solchen  Arbeit  etwa  den  Versuch  einer 
.Lösung*  der  „ Frauenfrage "  verlangen,  die  ich  am  Schlüsse  nur  des- 
halb berühre,  weil  sich  die  Anthropologie  auch  mit  gewissen  histori- 
fcfaen  Momenten  derselben    zu  beschäftigen  hat.  —  Viele  Zustände 

*)  Zahlreiches  Material  habe  ich  durch  Beantwortung  von  Fragebogen 
*^teit^  welche  ich  theils  nach   vielen  Ländern  an   dort  sinsilsHige  Aerzte 
Privatleute  versandte,  theils  Reisenden  und  Missionären  mitgab. 


Xn  Vorrede  des  Verfassers  zur  ersten  Auflage. 

des  weiblichen  Geschlechts  bei  modernen  Culturvölkem  können  in 
der  Anthropologie  freilich  nur  insoweit  Berücksichtigung  finden,  als 
sich  neben  der  Givilisation  überall  im  Volke  Sitten  und  Bräuche 
erhalten  haben,  die  als  charakteristische  üeberlieferungen  und  Reste 
aus  frühesten  Zeiten  stammen. 

Ein  vorurtheilsloser  Kritiker  wird  mir  jedoch  im  Hinblick  auf 
die  oben  angedeuteten  Tendenzen  zugestehen,  dass  ich  mich  als 
Anthropolog  und  Arzt  in  den.  meinen  Studien  gezogenen  strengen 
Grenzen  gehalten  habe,  dass  ich  mich  aber  innerhalb  derselben  unter 
der  Führung  wissenschaftlichen  Ernstes  sowohl  bei  der  Wahl,  als 
auch  bei  der  Betrachtungsweise  des  Stoffes  vollkommen  frei  bewegte. 
Die  günstige  Aufnahme,  welche  beim  wissenschaftlichen  und  nicht- 
wissenschaftlichen  Publikum  mein  Werk  allseitig  während  seines 
seitherigen  lieferungsweisen  Erscheinens  erfahr,  giebt  mir  die  be- 
friedigende Gewähr  und  Hoffiiimg,  dass  es  nun,  nachdem  es  voll- 
ständ^  vorliegt,  weiterhin  solche  Leser  finden  wird,  welche  das 
rechte  Yerständniss,  doch  auch  den  ernsten  Sinn  für  die  Sache  mit- 
bringen !  und  der  Kreis  dieser  Leser  besteht  nicht  bloss  aus  Anthro- 
pologen und  Aerzten,  vielmehr  wird  in  meinem  Buche  gewiss  auch 
jeder  mit  höherer  Bildung  ausgerüstete  Mann  so  manches  Belehrende 
finden,  das  seinen  Gesichtskreis  bezüglich  der  Kenntnisse  auf  dem 
Gebiete  der  Physiologie  und  Psychologie  des  weiblichen  Geschlechts, 
der  Ethnographie  und  Gultui^eschichte  erweitert. 

Leipzig,  Mitte  October  1884. 

Dr.  Heinrich  Ploss. 


Vorrede  des  Herausgebers 

zur  zweiten  Auflage. 


Am  13.  December  1885  ist  Heinrich  Ploss  gestorben.  Un- 
ermttdlich  thätig,  fast  bis  zu  seinem  letzten  Athemznge,  hat  er 
mit  staunenswerthem  Fleisse  an  der  Zusammenbringung  wissen- 
schaftlichen Materiales  gearbeitet.  Eine  sehr  grosse  Zahl  ethno- 
graphischer und  anthropologischer  Aufzeichnungen  hat  sich  in 
seinem  Nachlasse  gefunden,  welche  ein  beredtes  Zeugniss  davon 
ablegen,  wie  er  unablässig  darauf  bedacht  gewesen  ist,  seine  all- 
bekannten Werke  weiter  auszubauen  und  für  neue  interessante  Ar- 
beiten den  Stoff  zusammenzubringen.  Alle  diese  Hofihungen  hat 
der  unerwartet  und  plötzlich  eingetretene  Tod  vereitelt. 

Von  dem  weiten  Interesse,  das  er  für  seine  Schriften  zu  er« 
wecken  verstanden  hat,  liefert  namentlich  «das  Weib*  einen  recht 
schlagenden  Beweis,  dessen  erste,  1500  Exemplare  starke  Auflage 
in  wenig  mehr  als  Jahresfrist  vergriffen  war.  Ploss  hat  nicht  mehr 
die  Genugthuung  gehabt,  diesen  erfrenlichen  und  fOr  ihn  so  ehren- 
vollen Erfolg  zu  erleben. 

Der  Wunsch  der  Hinterbliebenen  und  der  Verlagsbuchhandlung, 
dieses  Werk  von  Neuem  aufgelegt  zu  sehen,  veranlasste  den  Herrn 
Verleger,  auf  den  Vorschlag  des  Vorsitzenden  der  deutschen 
anthropologischen  Gesellschaft,  Herrn  Geheimrath  Virchow ,  den 
Unterzeichneten  zu  einer  Neubearbeitung  der  zweiten  Auflage  auf- 
zufordern. Sehr  gern  habe  ich  mich  dieser  mühevollen  Arbeit  unter- 
zogen, und  ich  bin  stets  bestrebt  gewesen,  die  Physiognomie  des 
Floss'achen  Werkes,  soweit  es  irgend  sich  mit  dem  Interesse  des 
Ganzen  vereinbaren  Uess,  zu  erhalten.  Es  waren  jedoch  einige  ein- 
greifende Veränderungen  nicht  zu  umgehen.  Die  Kapitel  der  ersten 
Anflf^e  waren  nicht  selten  in  der  Form  einzelner  in  sich  ab- 
geschlossener Essays  nebeneinander  gestellt,  und  da  kam  es  dann 


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nicht  selten  vor,  dass  sie  Dinge  enthielten,  welche  besser  in  einem 
anderen  Kapitel  ihre  Stelle  gefunden  hätten ,  oder  dass  sich  die 
gleichen  Angaben  in  mehreren  Kapiteln ,  bisweilen  mit  denselben 
Worten,  wiederfanden.  Hier  musste  mancherlei  geordnet,  umgestellt 
imd  gestrichen  werden,  und  gleichzeitig  glaube  ich,  durch  die 
Eintheilung  des  Ganzen  in  eine  grosse  Anzahl  mit  besonderer 
üeberschrift  versehener  klirzerer  Abschnitte  die  bequeme  Lesbar- 
keit des  Buches  nicht  unwesentlich  erhöht  zu  haben.  Gleichzeitig 
sind  viele  medicinische  und  anthropologische  Begriffe,  welche  Ploss 
als  bekannt  vorausgesetzt  hat,  die  dem  Nichtmediciner  jedoch  unmög- 
lich geläußg  sein  konnten,  in  kurzen,  aber  hoffentlich  leicht  ver- 
ständlichen Worten  erläutert  worden. 

Ein  besonderes  Gewicht  wnirde  darauf  gelegt,  die  anatomischen 
Unterschiede  zwischen  dem  männlichen  und  dem  weiblichen  Qe- 
Bchlechte ,  wie  sie  die  heutige  Specialforschung  festgestellt ,  aber 
in  einer  grossen  Reihe  schwer  zugänglicher  Einzelpublicationen 
niedergelegt  hat,  in  bequem  übersichtlicher  Weise  zusammenzu- 
stellen, wodurch,  wie  ich  hoffe,  auch  den  anthropologischen  Fach- 
genossen ein  kleiner  Dienst  geleistet  wurde. 

Von  den  oben  erwähnten  Notizen,  welche  sich  in  dem  Ploss' sehen 
Nachlasse  gefunden  haben,  wurde  selbstverständlich  möglichst  viel 
der  neuen  Auflage  einverleibt;  doch  ist  auch  sehr  Vieles  zugegeben, 
was  Ploss  nicht  zugänglich  gewesen  war.  Aus  den  Ploss'schen  Auf- 
zeichnungen geht  hervor,  das«  der  Verfasser  eine  Ausdehnung  seines 
Werkes  über  den  ursprünglich  von  i^m  gesteckten  Rahmen  hinaus 
nicht  beabsichtigt  hat:  er  war  nur  bestrebt  gewesen,  die  früheren 
Kapitel  weiter  auszubauen.  Hier  habe  ich  es  für  notliwendig  ge- 
halten, eine  eingreifende  Aenderung  vorzunehmen:  Das  P/o.sVsche 
»Weib*  war  eigentlich  ein  Torso;  wir  lernen  es  kennen  bei  dem 
Eintritt  der  Pubertät  und  verlassen  es  nach  dem  Abschhiss  de« 
Wochenbettes.  Alle  die  vielen  Beziehungen  des  Weibes,  welche 
sich  ausserhalb  der  Geschlechtssphäre  im  engeren  Sinne  befinden, 
waren  unberücksichtigt  geblieben.  Es  ist  daher  mein  Bestreben 
gewesen,  das  Bild  entsprechend  zu  vervollständigen,  was  einen  nicht 
geringen  Aufwand  von  Mühe  und  Arbeit  verursacht  hat,  da  es  auf 
diesem  Gebiete  vielfach  an  entsprerhonden  Vorarbeiten  fehlte.  So 
hat  nun  auch  das  geschlechtsreifo  Weib  im  Zustande  der  Ehelosig- 
keit, das  Weib  als  Wittwe,  daj«  Weib  in  seinem  VerhülUiii.*i«'  an 
den  nachfolgenden  Generationen  als  Mutter,  Stiefmutter,  Grosstuntter 


zur  zweiten  Auflage.  XV 

und  Schwiegermutter,  das  Weib  in  den  Jahren  des  Verblühens  und 
das  alternde  Weib  seine  volle  Berücksichtigung  gefunden,  und  wir 
begleiten  nun  dasuWeib  vom  Mutterleibe  an  durch  alle  seine  Lebens- 
phasen bis  in  die  Jahre  des  Greisenalters  und  selbst  bis  über  den 
Tod  hinaus.  So  glaube  ich,  in  der  vorliegenden  Auflage  dem  Leser 
ein  in  sich  zusammenhängendes  und  annähernd  abgeschlossenes 
Bild  von  dem  Weibe  in   anthropologischer  Beziehung    vorzuführen. 

Dass  hier,  wo  es  sich  um  anthropologische  Untersuchungen 
und  Erörterungen  handelte,  das  Weib  nicht  immer  in  keuscher  Ver- 
hüllung aufzutreten  vermochte,  das  bedarf  wohl  eigentlich  keiner  beson- 
deren Erwähnung.  Durch  die  üeberschriften  sind  die  betreflfenden  Ab- 
schnitte ja  bereits  hinreichend  gekennzeichnet,  und  wer  die  nackte 
Natur  nicht  glaubt  ertragen  zu  können,  der  ist  ja  nicht  gezwungen, 
diese  Kapitel  zu  lesen;  dem  Arzte  und  dem  Anthropologen  werden 
sie  aber,  wie  ich  mit  Zuversicht  annehme,  eine  nicht  unerwünschte 
Gabe  sein. 

Noch  ein  paar  Worte  möchte  ich  hinzufügen  über  die  äussere 
Erscheinung  dieser  zweiten  Auflage.  Die  Wahl  von  zweierlei 
Typen,  wobei  die  Specialangaben  kleiner  gedruckt  worden  sind, 
wird  unzweifelhaft  zur  bequemeren  Uebersichtlichkeit  des  Buches 
beitragen.  Aus  dem  gleichei;^  Grunde  sind  alle  Eigennamen  cursiv, 
alle  geographischen  und  ethnographischen  Namen  gesperrt  ge- 
druckt worden.  Die  Literaturangaben  sind,  um  unendliche  Wieder- 
holungen zu  vermeiden,  nicht  mehr  unter  den  Text  gesetzt,  son- 
dern in  alphabetischer  Anordnung  zusammengestellt  worden.  Die 
kleine  Zahl  neben  dem  Automamen  giebt  an,  welche  seiner  Ver- 
öffentlichungen gerade  citirt  worden  ist.  Die  Citate  aus  fremden 
Sprachen  sind  zur  grösseren  Bequemlichkeit  des  Lesers  fast  sämmt- 
lich  in  deutscher  Uebersetzung  gegeben  worden. 

Den  Vorschlag  des  Herrn  Verlegers,  der  neuen  Auflage  Ab- 
bildungen beizufügen,  habe  ich  natürlicherweise  mit  lebhafter 
Freude  begrüsst,  und  ich  bin  bemüht  gewesen,  möglichst  Vielseitiges 
in  dieser  Beziehung  darzubieten.  Soweit  es  sich  durchführen  liess, 
sind  den  Abbildungen  Photographien  zu  Grunde  gelegt,  von  denen 
ich  einzelne  eigens  flir  diesen  Zweck  aufgenommen  habe.*)  Die  im 
Texte  nur  kurz   angedeutete  Herkunft   der  Figuren  ist  in  der  Er- 


*)  Zum  Theil  mit  gütiger  Erlaubniss  des  Herrn  Gcheimrath  Bastiuu  im 
hietigen  königlichen  Museum  ffir  Volkskunde. 


X\T  Vorrede  des  Herausgebers  aur  zweiten  Auflage. 

klärung    der  Abbilduagen   mit  grosster  AusfUhrliclikeit   angegeben 
worden. 

So   möge   auch   die  neue  Auflage  hinausziehen  in   die  Welt, 
ein  ehrendes  Denkmal   des   rastlosen  Fleisses   des   für  die  Wissen- 
schaft leider  zu  früh  verstorbenen  Ver&ssers. 
Ehre  seinem  Andenken! 


Berlin,  Mitte  October  1887. 


Dr.  Max  Bartels, 

praktischer  Arzt. 


.Ju 


Inhalt  des  ersten  Bandes. 


Iiebenalanf  von  Hemuuui  Heinrich  Ploss m 

Veraeiohnias  der  von  Flosa  Im  Druok  erschienenen  Werke  und 

grösseren  Zeitsohrüten-Artikel VU 

Vorrede  des  Verfassers  aur  ersten  Auflage IX 

Vorrede  des  Herausgebers  zur  swelten  Auflage XIII 

Erste  Abtheilung. 

Der  Organismus  des  Weibes. 

I.  Die  anthropologische  Aufliftssung  des  Weibes.  Seite 

1.  Die  Entstehung  de»  Geschlechtes 8 

2.  Gestalt  und  Körperbau 8 

8.  Die  Sterblichkeit  des  weiblichen  Geschlechtes  und  der  Weiber- 

überschuss 28 

n.  Die  psychologische  AufiSusung  des  Weibes. 

4.  Die  psychologischen  Aufgaben  des  Weibes 32 

5.  Die  moderne  Psychologie   in  ihrer  Auffassung  des   weiblichen 
Charakters .  36 

6.  Die  abnormen  Ehen  und  der'  Selbstmord 44 

7.  Die  Betfaeiligung  des  weiblichen  Geschlechtes  am  Verbrechen  45 

m.   Die  ästhetische  Aufikssiing  des  Weibes. 

8.  Die  weibliche  Schönheit 49 

9.  Das  Schönheitsideal  bei  verschiedenen  Völkern 53 

10.  Der  Geschmack  und  seine  Auffassung  der  weibl.  Schönheit...  61 

11.  Der  Darwinismus  über  die  EntwickeTung  weiblicher  Schönheit  82 

12.  Die  Mischung  der  Rassen    steigert   meist   die  Entwickelung 
weiblicher  Schönheit 84 

13.  Die  Verkümmerung  des  weiblichen  Geschlechte« 87 

14.  Die  Vertheilung  der  weiblichen  Schönheit  unter  den  Völkern  89 

nr.    Die   Aufliusung    des  Weibes    im   Volks-    und    religiösen 
Olauben. 

15.  Der  Aberglaube  in  der  Behandlung  des  Weibes 111 

!•.  Die  religiösen  Satzungen   in   Bezug  auf  das  Geschlechtsleben 

^TFrau 113 

^"noensprache 116 

n 


XVIII  Inhalts -Verzeichniss. 

Seit« 
V.  Die    äussaren    Sezualorgane    des    Weibes     in     ethnogra- 
phischer Hinsicht. 

18.  Allgemeines 118 

19.  Das  weibliche  Becken 120 

20.  Die  äusseren    weiblichen  Sexualorgane   und  ihre  ethnogra- 

Ehischeu  Merkmale > 130 
>ie    künstliche   VergrOssemng    der    8chamlippen    und    der 
Clitoris  und  die  absichtliche  Zerstörung  des  Jun^ernhäutchens    143 

22.  Die  Be^chneidung  der  Mädchen  und  die  Vemäbung 145 

23.  Der  Mens  Veneria  und  die  Behandlung  der  Schamhaare 163 

VI.  Die  inneren  Bexualorgane  des  Weibes  in  ethnographischer 
Hinsicht. 

24.  Die  ErkenntnisB  des  anatomischen  Baues  der   inneren  weib- 
lichen Geschlechtsorgane 169 

25.  Die  Gebärmutter 173 

26.  Die  Eierstöcke  und  die  Ovariotomie 178 

Vn.  Die  Frauenbrust  in  ethnographischer  Hinsicht. 

27.  Die  Frauenbrust  in  ihrer  Rassengestaltung,  Behandlung  und 
Pflege 180 

28.  Die  Verstümmelungen  der  weiblichen  Brust 195 

29.  Das  Säugen  von  jungen  Thieren  an  der  Frauenbrust 199 

Zweite  Abtheilung. 

Das  Leben  des  Weibes. 

30.  Die  Hauptabschnitte  in  dem  Leben  des  Weibes 205 

Vm.  Das  Weib  im  Mutterleib«. 

31.  Die  Erkenntniss  des  Geschlechtes  der  Kinder  im  Mutterleibe  206 

32.  Verlauf  der  Mädchen-  und  Knabengeburten 210 

IZ.  Das  Weib  während  der  Zeit  der  geschlechtlichen  Unreife 
oder  die  Kindheit  des  Weibes. 
38.  Die  Aufnahme  des  Mädchens  nach  der  Geburt 214 

34.  Das  Leben  des  weiblichen  Kindes 218 

X.  Die  Reife  des  Weibes  (die  Pubertät). 

35.  Der  Eintritt  der  Menstruation 219 

i  36.  Die  Frühreife 287 

I  37.  (vebräuche  bei  dem  Eintritt  der  Menstruation 242 

38.  Die  Menstruirende  gilt  für  .unrein' 249 

39.  Das  Menstrualblut  als  Arznei-  und  Zaubermittei 267 

40.  Die  Quantität  des  Menstruationsblutes 268 

41.  Normale  und  anomale  Menstruation 270 

XI.  Der  Bintritt  des  Weibes  in  das  Oesohleohtsleben. 

42.  Die  Beziehungen  des  Weibes  zum  männlichen  Geschlecht. . .  278 

43.  Die  Schamhaftigkeit  des  Weibes  280 

44.  Die  Keuschheit  des  Weibes 289 

45.  Die  Jungfraitschaft 298 

46.  Der  Beischlaf 307 

47.  Die  Stellung  bei  dem  Uoitus 315 

48.  Masturbation  und  Tribadie  und  die  Unzucht  mit  Thieren...  320 

49.  Geschlechtlicher  Verkehr  mit  Göttern,  Geistern,  Teufeln  und 
Dämonen 323 

50.  Hetärismus  und  Prostitntion 827 

51.  Heilige  Orgien  und  erotische  Feste 837 


Inhalts -Veneiobniss.  XZX 

S«ito 
xn.  Liebe  und  Ebe. 

52.  Die  Liebe 341 

58.  Der  Liebeszauber 843 

54.  Die  Brautwerbimg  und  der  Brautstand 356 

55.  Die  Ehe 363 

56.  Die  Ehe  unter  Blutsverwandten 371 

57.  Das  Jus  primae  noctis 375 

58.  Der  Ehebruch 379 

59.  Das  Heirathsalter 384 

60.  Die  Ehescheidung 403 

XTTT.  Daa  Weib  tm  Zustande  der  Befiruohtung. 

61.  Die  Zeugung 407 

62.  Die  EmpfUngniss 411 

63.  Der  Einfluss  der  Jahreszeiten   und   der   socialen  ZustiUide 

auf  die  EmpiUngniss 413 

ZIV.  Die  Fruchtbarkeit  des  Weibea. 

64.  Fruchtbarkeit  und  Unfruchtbarkeit 421 

■65.  Das  Ansehen,  in  welchem  die  iVuchtbarkeit  steht 483 

66.  Arzneiliche  und  mechanische  Mittel  gegen  die  Unfruchtbarkeit  487 

67.  Gottliche  und  sympathetische  Hülfe  geg.  die  Unfruchtbark.  442 

68.  Die  Verhütung  der  Befruchtung 454 

69.  Ueberfruchtung  und  mehrfache  Schwangerschaft 457 

70.  Die  Entwickelung  der  Frucht 464 

71.  Mädchen-  und  Knaben- Erzeugung 467 

XV.  Das    physische    und    sociale  Verhalten    während    der 
Schwangerschaft. 

72.  Die  Erkenntniss  der  Schwangerschaft 474 

73.  Die  Schwangerschaftsdauer 480 

74.  Ceremonien  und  religiöse  Gebräuche  bei  dem  Eintreten  der 
Schwangerschaft 482 

75.  Die  Abwehr   bOser   Geister   und    Dämonen  während  der 
Schwangerschaft 485 

76.  Die  rechtliche  Stellung  der  Schwangeren 488 

XVX  Die  Gesundheitspflege  der  Schwangerschaft. 

77.  Aerztliche  und  rituelle  Vorschriften   über  die  Schwanger- 
schaft    494 

78.  Die  Ernährung  der  äcbwangereu 497 

79.  Die  Gelüste  der  Schwangeren 501 

80.  Die  Sorge   für  die  psychische  Stimmung  der  Schwangeren  503 

81.  Dos  Vergehen  der  Schwangeren 504 

82.  Abergläubische  Verhaltungsregeln  während  der  Schwanger» 
schalt 507 

83.  Die  Pflichten  des  Ehemannes  während  der  Schwangerschaft  508 

XVn.  Die  Therapie  der  Schwangerschaft. 

84.  Mechanische  Vorkehrungen  während  der  Schwangerschaft  511 

85.  Das  Baden   und  Einsalmin  während   der  Schwangerschaft  514 

86.  Blutentziehungen  während  der  Schwangerschaft 515 

87.  Die  medicamentOse  Behandlung  der  Schwangeren 517 

XVm.  Normale  und  abnorme  Schwangerschaft. 

88.  Die  Lage  und  daa  Stürzen  des  Kindes  im  Mutterleibe 520 

89.  Die  Schwangerschaft  auHserhalb  der  Gebärmutter 526 

II* 


XX  Inhalts -Verzeichniss. 

•  Seite 

XTX.  Unseitige  Geburten. 

90.  Die  Arten  der  anzeitigen  Geburten 527 

A.  Die  znf&llige  Fehlgeburt 

91.  Der  natflrl.  Abortus,  seine  Ursachen  und  seine  Verbreitung  527 

92.  Die  Maassregeln  zur  Verhfltong  von  Fehlgeburten 5S1 

98.  Die  Anzeichen  des  beginnenden  Abortus 532 

B.  Die  absichtliche  Fehlgeburt 

94.  Die  Fruchtabtreibnng 534 

95.  Die  Verbreitung  der  Fruchtabtreibung  unter  den  jetzigen 
Völkern 585 

96.  Die  Frachtabtreibung  unter  den  Völkern  weisser  Basse..  548 

97.  Die  BeweggrOnde  fQr  die  Fruchtabtreibung 547 

98.  Die  Abortivmittel 548 

99.  Versuche  zur  Beschränkung  der  Frachtabtreibang 562 

C.  Die  Frfihgeburt 

100.  Wann  ist  die  Frucht  lebensfthig? 568 

101.  Die  künstliche  Frühgeburt 569 

102.  Die  Todtgeburten 570 

103.  Falsche  Scbwangerschatleu .' . .  574 


Erste  Abtheilung. 

Der  Organismus  des  Weibes. 


Vloif.  Dm  Wtib.  I.    9.  Aalt. 


L  Anthropologische  Auffassung  des  Weibes. 

1.  Die  Entstehong  des  Geschlechts. 

Das  Weib  unterscheidet  sich  von  dem  Manne  iu  anatomischer, 
in  körperlicher  Beziehung  keineswegs  einzig  nnd  aUein  durch  die 
Verschiedenheiten  in  dem  Bau  der  Fortpflanzungsorgane.  Allerdings 
geben  die  Differenzen  dieser  für  die  Erhaltung  der  Art  bestimmten 
Gebilde  die  allerwesentlichsten  Unterschiede  zwischen  den  beiden 
Geschlechtem  ab  und  sie  werden  dieser  Eigenthömlichkeit  wegen  ja 
auch  mit  dem  Namen  Geschlechtsorgane  bezeichnet.  Es  soll  aul 
eine  ausführliche  Schilderung  derselben  an  dieser  Stelle  aus  leicht 
sichtlichen  Gründen  verzichtet  werden.  Wer  von  den  Lesern  sich 
»gehender  über  diesen  Gegenstand  zu  unterrichten  den  Wunsch 
iät,  den  mUssen  wir  auf  das  Studium  anatomischer  und  gynäko- 
logischer Handbücher  verweisen,  unter  denen  wir  die  Werke  von 
Robert  Hartmann^,  Henle  und  den  Atlas  der  Geburtskuude  von 
Kiwisch  V.  RotUrau  als  ftir  diesen  Zweck  besonders  geeignet 
in  Vorschlag  bringen.  Dass  der  Unterschied  in  dem  Ge- 
lechte dem  Menschen  bereits  angeboren  ist,  bedarf  wohl 
ler  besonderen  Erwähnung.  Weniger  allgemein  bekannt  dllrfte 
es  aber  sein ,  dass  diese  geschlechtlichen  Unterscheidungsmerk- 
male sich  während  der  Entwickelung  im  Mutterleibe  erst  allmählich 
herausbilden,  sich  ditl'erenziren,  wie  der  fachmännische  Ausdruck 
lautet.  Es  ist  also  keineswegs  der  eine  Keim  sogleich  nach  er- 
folgter Befruchtung  als  entschieden  weiblich,  ein  anderer  als  ent- 
schieden männlich  anzusehen,  sondern  esexistirt  eine  verhältuissmässig 
Innge  Periode  in  dem  Leben,  das  wir  unter  dem  Herzen  der  Mutter 
ftihren,  in  welcher  eine  Unterscheidung  in  männlich  und  weibUch 
noch  eine  absolute  Unmöglichkeit  ist,  selbst  noch  in  einer  Zeit, 
wo  die  Entwickelung  der  späteren  Geschlechtsorgane  bereits  ziemlich 
weite  Fortschritte  gemacht  hat. 

Werfen  wir  einen  Blick  auf  das  imtere  Körperende  eines  mensch- 
lichen Embryo  in  der  sechsten  Woche  seiner  Entwickelung,  wie  es 
uns  Luschka '   ubbildet,   so  bemerken  wir  dort  eine   kleine,    längs- 


iu 


äB 


M^ 


F(f.  1.    Di«  EntTiokelnng  der  Qnsni- 
Ullen  (aaoh  Lufchka), 


gestellte  Spalte,  welche  seitlich  ron  je  einer  Hautfalte  (GenitalfaUe, 
Geschlechtäfalte)   begrenzt  wird,  während  an  ihrem  vordersten  Ende 

ein  kleines  Höckerchen  (der  Geschlechts- 
höcker oder  Genitalhöcker)  hervorsprosst. 
Wir   möchten   bei    dem  Anblick   dieser 
Abbildung    glauben ,     dass    wir    unbe> 
streitbar  weibliche  Verhältnisse  vor  uns 
hätten ;    und    doch    ist  hier    eine  Ent- 
scheidung   über     das     zukünftige    Ge- 
schlecht   noch    vollständig    unmöglich; 
noch   hätte    diese    Frucht   sich    ebenso 
gut  zu  einem   Mädchen    wie  zu  einem 
Knaben    ausbilden    können.      Aus  -den 
beiden  Geschlechtsfalten  entwickeln  sich 
vom  Ende   des  dritten  Monats  ab    ent- 
weder   die    grossen  Schamlippen   oder, 
indem  sie  in  der  Medianlinie  miteinander 
verwachsen,  die  beiden  Hälften  des  Hodensacks.  Der  Geschlechtshöcker 
bleibt  entweder  klein  und  bildet  den  Kitzler,  oder  er  vergrössert  sich 
rasch  und  wächst  zum  Penis  aus.    Es  kommt  also,  wie  wir  sehen,  bei 
dem  Knaben   eine  Längsspalte    am   untersten  Ende   in    der  Median- 
linie zu  vollständigem  Verschluss,   welche   bei  dem  weiblichen  Ge- 
schlechte ftlr  die  ganze  Lebenszeit  erhalten  bleibt.     Bei  dem  ersten 
Anblick   hat   es  daher    einen    gewissen   Schein    von    Berechtigung, 
wenn  man  das  Weib  als  ein  in  der  Entwickelung  zurückgebliebeues, 
ein   im  Vergleich   zum  Manne    körperlich   tiefer   stehendes    Wesen 
betrachtet  hat. 

Das  Weib  ist  aber  seiner  Natur  nach  ebenso  vollkommen,  wie 
der  Mann  es  nach  der  seinigen  ist. 

Erst  die  moderne  Anthropologie  hat  durch  volle  Anerkennung 
dieses  Satzes  dem  Weibe  in  allen  seineu  körperlichen  und  geistigen 
Beziehungen  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen,  indem  sie  doch  auch 
ganz  besonders  die  Natur  desselben  in  allen  so  mannigfachen  .\iif- 
gaben  als  geschlechtliches  Wesen  und  namentlich  im  Vülkerleben 
würdigte. 

Die  altgriechischen  Naturforscher  und  Aerzte  freilich,  wie 
Hippokrates  und  Aristoteles,  hielten  uud  erklärten  das  Weib  für  ein 
unvollkommenes  Wesen,  für  einen  Halbmenschen.  Das  Weib,  so 
meinte  Hippokrates,  sei  niemals  im  Stande,  beide  Hände  mit  gleicher 
Geschicklichkeit  zu  gebrauchen  (rechts  und  links  zugleich,  anibi- 
^dexter);  nach  seiner  Ansicht  wären  dessen  innere  Oeschlechtstheile 
las  nämliche,  was  diejenigen  des  Mannes  äusserlich  sind;  und 
während  sie  beim  männlicheii  tJeschlechte  die  Wärme  heraustreibe, 
würden  sie  bei  dem  weiblichen  Geschlechte  von  der  Kälte  im  Innern 
zurückgehalten.  Dies  sind  Änschaumigen,  welche  iu  keiner  Weise 
den  wirklichen  physiologischen   Verhältnissen  entjsprechen. 

Das  Weib   trägt  ebenso  gut,    wie  der   Mann,   gegenüber   ilem 


1.  Die  Entsteliang  des  Geschlecht!. 


^ 


Thiere  alle  Vorzüge  der  menechlicbeu  Gattung  au  sich,  auch  hiu- 
nichtlich  der  specifisch  weiblichen  Eigenschaften.  Man  hat,  um  nur 
Einiges  anzuführen,  schon  öfter  auf  die  Gestaltung  der  Brüste,  auf 
die  Eigen thünilichkeiten  der  Menstruation,  auf  das  Vorhandensein 
eines  Jungfernhäutchens  als  charakteristische  Unterscheidungsmerk- 
luale  des  Menschen  vom  Thiere  hingewiesen.  Doch  beruht  das 
Wesentliche  nicht  in  solchen  Einzelheiten,  die  man  früher  her- 
vorhob. Die  Zweihrüstigkeit  ist  nicht  das  ausschliessliche  Eigen- 
tham  des  Weibes,  denn  ganz  abgesehen  von  den  AiFen  und  den 
meisten  Halbaffen  tragen  auch  die  Mehrzahl  der  Fledermäuse  zwei 
Zitzen  an  der  Brust  und  zwar  genau  an  derselben  Stelle,  wie  das 
menschliche  Weib. 

in  Betreff  des  Jungfernhäutchens  hat  schon  Blumenbach  den 
von  f.  Haller  angenonmieuen  moralischen  Zweck  desselben  zurück- 
gewiesen, während  Cuvier  und  andere  auch  bei  Säugethieren  eine 
Art  von  Jungfernhäutchen  fanden,  und  wenn  Flinius  das  Weib  ein 
.menstruirendes  Thier'  nennt  (animal  raen.struale),  so  ist  der  Unter- 
schied zwischen  Menstruation  und  Brunst  kaum  von  so  wesentlicher 
Bedeutung,  um  hierdurch  die  erhöhte  Natur  zu  begründen.  Auch 
ist,  wie  Ilohert  Harfmann^  sagt,  eine  Menstruation,  und  zwar  eine 
regelmässig  stattfindende,  durch  die  Beobachtungen  von  Bolau, 
Eiders  und  Harnes  wem'gstens  für  den  Chimpanse  durchaus  fest- 
gestellt worden.  Dieser  Vorgang  dürfte  wohl  auch  bei  den  übrigen 
Formen  nicht  auebleiben.  Es  findet  hierbei  eine  Schwellung  und 
Köthung  der  äusseren  Theile  statt.  Alsdann  treten  die  im  nicht  meu- 
struirtcn  Zustande  nur  wenig  deutlichen  grossen  Lippen  st.ark  her- 
vor. Die  kleinen  Lippen  und  der  Kitzler  sind  von  vorherrschender 
Grösse  und  Bedeutung.  Eine  beim  Chimpanse  constatirte,  oftmals 
excesaive  Schwellung  und  Röthung  dieser  Theile  sowie  auch  der 
Geaftssschwielen  lä-sst  sich  übrigens  ausserdem  noch  an  Pavianen  und 
Macacos  in  deren  Brunstperioden  leicht  wahmelimen. 

Von  den  vielen  weiteren  Versuchen,  das  Weib  in  seiner  uatur- 
lÜKturiiichen  Stellung  zu  erniedrigen,  sprechen  wir  nicht;  es  kamen 
auf  diesem  Gebiete  im  Verlaufe  der  Zeiten  die  ärgsten  Ausschrei- 
tungen vor.  Zum  Theil  beruhen  sie  auf  dem  durch  die  herrschende 
Cultur  erzeugten  Standpunkte  der  Anschaviung.  Begreiflich  ist, 
wenn  Vülker,  die  auf  der  niedrigsten  Stufe  der  Civilisation  stehen, 
das  Weib  in  seiner  Behandlung  bis  zur  Stufe  des  Thieres  herab- 
würdigen. Auch  ist  begreiflich,  dass  die  Orientalen  unter  dem  Ein- 
flusfte  ihres  Bildungsgrades  das  Weib  gering  schätzen,  da  sogar  der 
Koran  den  Männern  einen  so  grossen  Vorrang  einräumt,  das  Weib 
dagegen  für  ein  unvoUkommenes  Geschöpf  erklärt  und  sogar  vom 
pHmiiietfe  ausschliesst.  Und  nur  als  Ausfluss  einer  im  Zeitbewusst- 
Kcin  wurzelnden  Neigung  zu  Absonderlichkeiten  kann  beispielsweise 
die  Thatsache  aufgefasi^t  werden,  dass  einst  eine  anonyme  (von  Aci- 
dfilius  verfas.ste)  Abhandlung  darüber  erschien :  ,das8  das  Weib 
nicht  zum  menschlichen  Oeachlechte  gehöre"  (mulieres  horaines  uon 


6 


l.  Anthropologische  Anffassnsg  des  Weihes. 


esse),  —  eine  Schrift,  welche  zu  Verhandlungen  auf  dem  Coneüium 
zu  M  a  c  o  n  Veranlaasiing  gab. 

Es  ist  ein  Glück,  dass  die  Zeit  dieser  Concile  vorüber  ist, 
sonst  würde  auch  wohl  Paul  AJhrecht  sich  auf  einem  solchen 
zu  verantworten  haben,  der  auf  dem  deutschen  Anthropologen- 
congress  in  Breslau  im  Jahre  1 884  einen  Vortrag  hielt  über 
die  grössere  Bestialität  des  weiblichen  Menschengeschlechtes  in  ana- 
tomischer Hinsicht.     Es  heisst  darin: 

,,Au8  vielen  Thateachen  lüsst  sich  beweisen,  daiis  das  weibliche  Menschen- 
geschlecht Oberhaupt  das  beharrlichere,  d.  h.  das  anseren  wilden  Vorfahren 
nBher  stehende  Geschlecht  ist.    Solche  Beweise  sind: 

1.  die  geringere  Körperhöhe  des  weiblichen  Geschlechtes ^ 

2.  die  beim  weiblichen  Geschlechte  häufiger  vorkombiendeu  höheren  Grade 
von  Dolicbocepbalie; 

3.  die  häufigere  und  stärkere  Prognathie; 

4.  die  gewaltigere  Ausbildung  der  inneren  Schneidezähne; 

5.  der  dem   weiblichen  Gescblechte  vorwiegend  zukommende   Trochauter 
tertius 

6.  die  beim  weiblichen  Geachlechte  weniger  häufig  auftretende   Synostose 
des  ersten  Coccygt'iilwirbels  mit  deui  frslen  Krenzbeinwirbel; 

7.  die    beim    weiblichen   Geschlechte   häufiger  vorkommende   Anzahl   von 
fünf  Coccygealwirbeln ; 

8.  die  beim  weiblichen  Geacblechte  häufiger  aafti'etende  HypertrichoBis-, 

9.  die  bei  demselben  seltenere  Glatze. 

Was  den  TrocLanter  tertius  anbetrifft,  so  ist  dies  besonders  auffallend, 
denn  während  derselbe  bei  dem  menschlichen  Weibe  vorkommt,  ist  er  seltener 
beim  Manne  und  noch  seltener  bei  den  Affen.  Es  ist  dies  besonders  inter- 
essant, da  auf  diese  Weise  sich  das  menschliche  weibliche  Geschlecht  als 
noch  behurrlicber  als  die  gröbste  Anztihl  der  Affen  hinstellt  und  auf  ein 
Geschlecht  zurückgreift,  das  jedenfalls  wilder  war,  als  die  heulige  Affen- 
welt. — Dass  das  weibliche  Menschengeschlecht  (Ibrigens  nicht  nur 

anatomisch,  sondern  anch  physiologisch  das  wildere  Geschlecht  ist,  dOrfte 
schon  daraus  hervorgehen,  dass  Männer  wohl  nur  verhältnissmässig  selten 
ihre  Gegner  bcisseu  oder  kratzen,  während  doch  Nägel  und  Zähne  noch 
immer  zu  den  von  dem  weiblichen  Geschlechte  bevoneugten  Waffengattungen 
gehören." 

Erwälmt  mag  noch  werden,  dass  nach  DeUiunuy'^  das  Weib 
mehr  einen  Plattfuss  besitzt,  wie  er  niederen  Rassen  zukommt.  Er 
meint,  dass  die  hohen  Absätze  diesem  Mangel  abhelfen  sollen.  Nach 
Jiankc^  scheinen  Missbildungen  beim  weiblichen  Geschlecht«  häufiger 
■»ufzutreten,  als  beim  männlichen;  nur  in  einzelnen  besonderen 
Arten  überwiegt  das  letztere. 

Am  Weibe  kann  man  bald  mehr  da«  Geistige,  bald  mehr  das 
Leibliche  betrachten.  Daher  giebt  es  eine  ideale  und  eine  reale 
Auffassung  des  Weibe«,  und  unter  den  Philosophen  kommen  beide 
Auflassungen  zur  Geltung.  Der  realen  Charakteristik  des  Weibes 
durch  Sefiupmhaui'r  stellt  Michdet'x  idefilistischer  Standpunkt  gegen- 
fiber.  Und  während  i-,  Baert'nhnch  sich  iSrhoptnhaHer  nähert, 
sucht  LoUe  in  seinem  , Mikrokosmus'  die  rechte  Mitte  einzuhalten. 


Gauz  anders  der  Naturforscher  als  Physiolog  uud  Etlinograph. 
Für  ihn  handelt  es  sich  lediglich  um  die  reale  ErscbeiDUJig  und 
Stellung  der  Frau  gegenüber  dem  männlichen  Geschlechte  und  um 
ihre  specifischen,  je  nach  Rasse,  Volk  imd  Klima  wechselnden  kör- 
perlichen Merkmale  und  Functionen.  Hier  steht  das  somatische 
Leben  im  Vordergrunde  der  Betrachtung,  während  die  Anthropo- 
logie im  weiteren  Sinne  allerdings  auch  das  Psychische  im  Weibe 
zum  Gegenstand  der  Forschung  und  Betrachtung  macht. 

Weiterhin  hat  jedoch  auch  die  körperliche  Krscheiumig  des 
Weibes  eine  ästhetische  und  ideale  Beziehung  insofern,  als  es  sich 
fragt,  in  wie  weit  sich  im  Weibe  überhaupt  und  insbesondere  bei 
einzelnen  Völkern  das  ästhetisch  Schöne  kundgiebt. 

»Die  menschliche  Schönheit,"  sagte  schon  vor  längerer  Zeit 
Moreau,  , scheint  aus  der  Vollkommenheit  der  Formen  und  dem 
Zusammenhang  dieser  Vollkommenheit  mit  einer  höheren  Natur  imd 
einem  entwickelteren  Leben  zu  entspringen;  und  nach  dieser  Ansicht 
müssen  alle  äusseren  Züge,  welche  die  menschliche  Organisation 
vwj  der  thierischen  unterscheiden,  vorzüglich  zur  Schönheit  beitragen 
und  den  Hauptcharakter  derselben  bilden." 

Wenn  nun  die  Griechen  in  den  Statuen  Apollos  und  der 
Venus  Ideale  der  männlichen  xuid  der  weiblichen  Schönheit  dar- 
stellten, SU  finden  wir  allerdings,  das.s  deren  Gestalten,  ab  Re- 
präsentanten der  schönen  Rasse,  von  den  Körperformen  jener  rohen 
VftUter  sich  wesentlich  unterscheiden,  die,  wie  die  Buschmänner 
und  Feuerländer,  in  ihrer  Erscheinung  dem  menschenähnlichen 
Affen  weit  näher  stehen,  als  den  Prachtfiguren  der  griechi- 
schen Künstler. 

Auch  sucht  der  genannte  Autor  die  menschliche  Schönheit  vor 
lern  in  der  vollständigen  Vereinigung  der  äusseren  Merkmale  des 
[enschen,  der  immer  um  so  schöner  erscheint,  als  er  geeignet  und 
"geschickt  ist,  die  grossen  Beetimmungen  seines  Geschlechtes  zu  er- 
füllen. Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  wäre  man  dann  weiterhin 
im  Staude,  der  Frage  über  die  Bedeutung  der  Schönheit  bei  Mann 
Wid  Weib  näher  zu  treten,  in-sofem,  als  bei  ihnen  beiden  in  de 
Gestaltung  die  körperlichen  und  geistigen  Aufgaben  des  Geschlechte^ 
zum  Ausdruck  gelungen.  Doch  zeigt  der  weibliche  T>'pu.s  besonder"^ 
Abstufungen:  .Das  Weib  nähert  sich  mehr  derjenigen  Schön heite 
wie  «ie  liurkr  betrachtet,  um  sie  vom  Erhabenen  zu  unterscheiden, 
Alle  Züge,  Merkmale  und  Eigenschaften  desselben  sind  liebens-. 
würdig;  sie  flössen  weder  Furcht  noch  Ehrfurcht  ein:  sie  schmeicheln 
gleich  angenehuj  dem  Auge,  wie  dem  Geiste;  sie  bestechen  divi 
Slerz  und  erzeugen  Liebe  und  Verlangen.  Ein  ernstes  Ansehen, 
irgend  ein  rauher  Zug,  selbst  der  (liarakter  der  Majestät,  wfirde 
dem  Effecte  der  Schönheit  schaden,  wie  wir  sie  vom  Weibe  ver- 
langen; imd  Litcian  st^^llt  mit  Recht  den  Liebesgott  erschrocken 
über  Aus  männliche  Ansehen  der  3Iincri'a  dar.' 

Ueber  die  männliche    und    weibliche  Fonn    bemerkt    ^\'ilhc^tH 


Anthropologie 


««Bg 


*.  Huntholdt :  ,.Üer  eigentliche  Geschlecbteausdnick  ist  iti  der  männ^ 
Hellen  Gestalt  weniger  hervorstechend,  und  kaum  dürfte  es  möglieb 
sein,  das  Ideal  reiner  Männlichkeit  ebenso  wie  in  der  Vetius  das 
Ideal  reiner  Weiblichkeit  darzustellen." 

Viele  von  jenen  Zügen,  durch  welche  sich  das  Weib  vom 
Manne  körperlich  unterscheidet,  sind  es  vor  allem,  durch  deren  gtmt, 
besondere  ,echt  weibliche*  Ausbildung  uns  das  Weib  als  besonders 
schön  und  begehrenswerth  erscheint.  Sie  sind  es,  von  denen  wir  mit 
Oodhe  sagen:  ,Dtts  Ewig -weibliche  zieht  uns  an*.  Zunächst 
tn&BSeD  wir  uns  also  Ober  das  Typische  und  Charakteristische  am 
Prauenkörper  verst.andigen :  sein  Baa  wird  dann  weiter  in  ethno- 
graphischer Hinsicht  interessiren. 


im 

w« 


2.  iiegtalt  und  Körperbxa. 


'enn  auch  die  vorliegende  Abhandlung  nicht  ein  Lehrbuch 
der  Anatomie  zu  werden  b^bsichtigt,  so  erecheint  es  dem  Bear- 
beiter doch  unumgänglich  nothwendig,  den  Lesern  in  hinreichend 
ffeuauer  und  eingebender  Weise  einen  üeberblick  zn  verschaffen  fiber 
die  aoatomiachen  Vnterschiede,  welche,  abgesehen  von  den 
Geschlechtsorganen,  das  Weib  von  dem  Manne  darbietet. 
In  anihropologi$cheu  Studien,  weiche  das  Weib  xu  ihrem  Gej^n- 
fltande  haben,  dOrfen  diese  Angaben  nm  »o  weniger  fehlen^  als  bis^ 
her  noch  an  keinem  Platze  die  ausserordentliche  Uaiuiig&ltigkeit 
der  in  Frage  kommenden  Differenzen  ihre  bequem  üborsichtliche 
ZuakBuneastellnog  gefunden  hat  und  das  AnCrocIiiBn  der  betreffetsden 
Aagsbca  in  den  weit  verstreuten  Originaiaufailaen  doch  nur  mit 
gnMBer  MUhe  und  unTerhiltnisaDoiaBigem  Zeäteafwaade  mSglich 
sdn  wlbde. 

Es  wurde  bereits  im  An£uige  dieser  Arbeit  gmigt,  daas  es 
nkht  einsig  nnd  alküi  die  Oeaüalien  anid,  durch  welche 
die  Fna  tob  dem  MaaBe  mtacaeheidel,  Bb  fiadoi  ai^  eine 
Mcnce  tob  Abwmtmngen  in  dem  mmtnaiadMa  Baa  der 
Gcs^kchtcr.  wel<te  mu  nach  dem  Yatgmt  toq  CJmHet 
U)0ntPm  als  secundire  Geschlechtsckaraktere  cn  be- 
aciduien  pflegt  Zu  diesen  gdifiren  bei  dem  Weibe  in  aüotetsiar 
linie  die  &xtwicke)ung  der  Bdlate,  fiber  welche  wir  in  eiiMni 
Tipittrm  Kapitel  aiuiShilich  an  handeln  haben  werden.  Wir 
itenn  aae  daher  an  dieser  SieUe  mit  Stülschwasea  Ahmten. 
ftiwwiidini  knoMa  aber  nodi  ri^  ander»  ünterachiede  m  Be- 
trafdbi,  wddw  im  WoentfiAen  am^  nnf  die  Andntdnnw  dea  F«tt> 
poleier»,  des  aofpenmBlen  üntothautliBUgewebaa,  fisacr  der  M nakcb 
nsd  der  lawren  Oigaae  nnd  endlkh  nof  Abweichni^en  ia  Bau 
da»  Kaodmwetlkste»  bedien.  Dw  häecnoe  Ar  die  iiwmu  &w 
«eheinoD.:  len  G^^cblechier   'm  £e  Aoften  Cükndan  Untv- 


2.  Gestalt  tmd  KCrperbaa. 


schiede  bat  der  bekannte  Berliner  Frauenarzt   Wilhelm  Heinrich 
Btisch  mit  folgenden  Worten  charakterisirt: 

„Die  ausleere  Geetixlt  des  Weibes  stioimt  mehr  al»  die  des  Mannn»  mit 
den  Gesetzen  des  Schönen  überein  und  ist  daher  dem  Auge  (nalürlicb  dea 
Mannea)  angenehmer  und  gefälliger.  Die  Formen  aiod  anmuthiger  und  ge- 
randeter.  die  des  Mannas  eckig  und  abstossend  (nur  nicht  in  den  Augen  der 
Frauen).  Der  Kopf  des  Weibe«  ist  runder,  zeigt  weniger  ilervorragungeu 
und  ist  mit  starkem  Haarwuchs,  der  dem  Weibe  zu  vorzQglicber  Schönheit 
wird,  versehen.  Auch  das  Gepicht  ist  kSrzer  und  die  einzelnen  Theile  gehen 
leicht  ineinander  über,  so  dass  sie  in  sich  weniger  gesonderte  erscheinen ; 
daher  ist  auch  der  Ausdruck  des  Gesichts  beim  Weibe  weniger  bestimmt 
und  drückt  selten  besonderen  Charakter  aus.  Die  Stirne  ist  nicht  so  hoch, 
als  die  des  Hannes,  die  Nase  kleiner,  sowie  auch  der  Mund  ;  das  Kinn  ist 
weniger  spitz  und  nicht  mit  Haaren  bedeckt,  bo  dass  auch  das  Gesicht  rundere 
und  kleinere  Form  annimmt.  .  .  .  Der  Hals  ist  beim  Weibe  länger,  als  beim 
Manne,  und  weniger  in  seinen  Uebergängen  zum  Kopfe  und  zum  Rumpfe  ab- 
geschnitten; der  Kehlkopf  steht  weniger  hervor.  .  .  .  Schon  äusaerlich 
nimmt  man  in  den  Längenverhältnissen  dea  Rumpfes  ein  Ueberwiegeu  des 
Unterleibes  vor  der  Brust  wahr.  Diese  ist  schmaler  und  enger,  die  Lenden- 
wirbel sind  hoher,  als  beim  Manne;  der  Wuchs  wird  dadurch  schlanker;  der 
Umkreis  des  Brustkiutens  liegt  in  einer  Ebene  senkrecht  über  dem  Becken, 
beim  Manne  ragt  er  über  diesem  hervor.  Die  Beckengegend  zeichnet  sich 
durch  ihre  Breite  aus.  Die  Muskeln  sind  am  Rumpfe  ebenfall.<3  weniger 
sichtbar,  da  sie  mit  einer  grossen  Menge  Zellgewebe  unigeben  sind,  welches 
alle  Zwischenrilume  ausfüllt  und  alle  Theile  durch  sanfte  üebergänge  ver- 
einigt. Auch  die  Rippen  und  Hilftknucheo  stehen  weniger  hervor.  Der 
weibliche  Busen,  welcher  durch  die  stlirker  entwickelten  Brustdrüsen  und 
da»  umgebende  (Fett  enthaltende)  Zellgewebe  gebildet  wird,  stellt  das  Mias- 
verhältniss  zwischen  der  Brust  und  dem  Bauche  wieder  her  und  wirkt  bei 
schöner,  regelmfi-ssiger  Form  gleich  angenehm  auf  das  Auge  und  auf  das 
Gefühl." 

Die  Besonderheiten  des  übrigen  Körjters  schildert  Busch  weiterhin: 
„Der  Unterleib  ist  runder  und  tritt  bei  dem  Weibe  stärker  herror;  der 
^abel  ist  etwas  mehr  vertieft  und  weiter  von  der  Schamgegend  entfernt, 
als  beim  Manne.  Indem  die  Brust  von  den  Schultern  und  dem  Busen  nach 
unten  zu  allmählich  enger  wird,  geht  der  Unterleib  wiederum  in  die  breitere 
Hüftgegetid  über,  so  dass  kein  einförmiges  Uebergehen  des  oben  breiten  Rum- 
pfes in  die  schmaleren  unteren  Extremitäten  stattfindet.  In  der  Mitte  ist 
der  Rumpf,  und  zw.ir  in  der  Gegend  des  Rückens  und  der  Lenden,  am  eng- 
sten und  am  schlankesten  Das  Schlftsselbein  ist  kürzer  und  mehr  an  dem 
Rumpfe  anliegend,  die  Arme  kürzer,  runder,  fett-sr,  die  Finger  »ind  feiner 
und  spitzer.  Eine  gewisse  Fülle  und  Rundung  bezeichnet  beim  Weibe  die 
Schönheit  der  Arme.  An  den  unteren  Extremitäten  ist  der  Oberschenkel 
sowie  die  Beckengegend  stärker,  indem  hier  die  Muskelmasse  mehr  ent- 
wickelt isti  die  grossen  Trochanteren  stehen  weiter  von  einander  ab,  die 
Schenkel  steigen  schllg  von  innen  herab,  so  dass  die  Kniee  enger  bei- 
sammen stehen  und  die  inneren  Gelenkköpfe  mehr  nach  innen  hervorragen. 
Das  Knie  ist  rund  und  nur  achwach  Angedeutet,  die  Wade  zierlicher  und 
mich  unten  «chmttler;  die  Knöchel  treten  weniger  hervor  sowie  auch  die 
Schienbeinröhre,  Theile,  die  mehr  unter  der  Haut  eich  verbergen.  Der  Fnas 
j«t  kleiner  nnd  arhmiller,    so  dase  also  die  den  Körper  stützende  Fläche  ge- 


to 


1. 


nnger  Ut,  ak  bani  """■*  I»  TedAltaä»  s«b  B»»«^  mi  die  unt^r^a- 
ExtremitAt«!)  beim  Weibe  kleifier.  »o  da»  die  S^ABgcigCDd  niclit  wie  beim 
Hanne  den  Körper  in  zwei  gleiche  Hilft«ii  tlinlt,  rielmetir  die  Halbirungrs- 
linie  Ober  dem  Schambein  za  liegen  konunt.  Die  Schritte  de»  Weibes  siqd 
daher  Itleioer  und  der  Oang  iat  wegen  der  Stdhxng  der  Pfannen  mehr 
»chwankend,  aber  durch  die  Leichtigkeik  amnBtltigcr;  mmr  nm  Laufen  ist  das 
Weib  nicht  geeignet." 

Wir  mochten  noch  darauf  hinweisen,  daas  die  Physiologie  vor 
allem  in  zweifacher  Hinsicht  da^  organische  Leben  der  Frau  ver^ 
schieden  von  demjenigen  des  Mannes  findet :  Die  Frau  hat  wesent- 
lich mehr  mit  den  Functionen  der  Fortpflanzung  zu  thun; 
fäe  wird  mit  ihren  Kräften  durch  das  Sexuelle  (^Menstruation, 
Schwangerschaft,  Wochenbett,  Säugen  und  Pflege  des  Kindes)  in 
Anspruch  genommen.  Zweitens  zeigt  ihr  Nervensystem  eine 
specifisch  andere  Thätigkeit,  als  das  des  Mannes ;  die  Frau  arbeitet 
mehr  mit  den  Gefühlen,  der  Mann  vorzugsweise  mit  den  Gedanken. 
In  allen  Bewegungen  und  Geberden  spricht  sich  deutlich  dieses 
Verhältniss  aus ;  auch  übt  diejenige  Frau,  in  welcher  das  Gefulils- 
Itsben  am  reinsten  und  feinsten  zu  Tage  tritt,  den  hüchaten  Zauber 
in  «erthetischer  Hinsicht  auf  das  männliche  Gesclüecht  aus.  ' 

Wir  überlassen  es  dem  Äesthetiker,  nachzuweisen,  wie  nun  alle  ^ 
einzelnen  Theile  zusammenwirken  müssen,  um  dem  Ideal  der   voll*  fl 
endetsten  Schönheit  näher  zu  kommen.     Viele  haben  diesen  Versuch 
angestellt,    imter  anderen    auch   schon  Moreau    in    seiner    «Natur- 
gescliichte  des  Weibes''.     Dagegen  wird  uns  die  Frage  beschäftigen, 
was  uns   die  Physiologie   und   Anthropologie    von   den   physischen  j 
und  psycliischen  Verhältnissen  des  Weibes  zu  sagen  haben.  ^| 

.  Gehen  wir  nun  genauer  auf  die  secundaren  Geschlechtscharak-  ~ 
tere  ein,    so  fallt  in  erster  Linie  der  Unterschied   in  der  Kör- 
pergrösse    zwischen    den    beiden    Geschlechtem    in    die    Augen. 
Johannes  lianke^  sagt: 

„Deutlich  uusgeepruchene  Unterschiede  in  den  Llngenproportionen  de« 
KüTpeie   zeigen   die   beiden  Geschlechter.     Immerhin  sind  die    Unterschiede, 
procenti»cb  uuf  gleiche  K5rpergrdsee  berechnet,  klein  und  halten  sich  iu  den 
Grenzen  weniger  Procente  oder  erreichen  überhaupt  den  Werth  von  1  Procent  j 
der  Körpergröitse  nicht.    Da  es  hier  nicht  auf  eiacte  Zahlenwerthe  ankommen 
kann,  «o  begnügen  wir  uns  mit  der  Angabe  der  Ilauptreaultate  unserer  Ver- 
gleichung  zwischen  dem  ichöneu   und  dem  starken  Getichlechte.     Der  Mann 
unterscheidet  sich  vom  Weibe  durcii  einen  im  Verbriltni.ss    zur  Körpergrösse 
etwa«  kürzeren  Rumpf  und  ioi  VerbSltniBs  zur  Körpergröäse  und  Kumpflänge 
etwas    längere  Arme    und    Beine,    längere    Hände   und   Fasse;    im  Vorhält- j 
niss    zur    ganzen  oberen  Extremität  sind  seine  „freien  Beine"    etwas  länger, 
und  im  Vfirbiiltniss    zum  Obemrme    respective   Oberschenkel  besitzt  er  etwas  i 
ILingere  Unterarme  und  Unterschenkel;   sein  horizontaler  Kopfumfang  ist  iml 
Verhältnis«  /.ur   Eörpergröstie  etwas   geringer.    Mit  einem  Worte,  die  m&iui- 
liehen  Köqjerproporlionen   nähern  «ich  im  Allgemeinen  der  vollen  typisch- j 
mensclüichen    Kflrpereniwickelung   mehr   als    die   weiblichen   Proportion«» : 
das  Weib    steht   dagegen  im  Allgemeinen   der    kindlichen  KörpergliedcrungJ 
nlher.   es    steht   in   dieser   Beziehung   auf   eiueui    individuell    weniger   ent- 


11 


wickellen.  in  entwickelaugdgeschicbtlicheui  Suinc  niedrigerea  Eaiwickelungü- 
ataodpunkte  als  der  Mann»  Wir  verkennen  dabei  nicht,  dasa  sich  d&a  Weih 
körperlich  auch  noch  nach  anderen  Richtungen  als  nach  der  der  ewigen 
Jugend  von  dem  Manne  unterscheidet;  immerhin  aber  lehren  unsere  Ergeb- 
nisfle,  dase  der  im  Allgemeinen  luechaniach  weitaus  thätigere  Mann  der 
weitiaen  Culturraese,  seiner  gesteigerten  mechanischen  Leistung  entsprechend, 
auch  einen  mechanisch  mehr  durchgearbeiteten,  Qiecbiiui>'ch  vollendeteren 
Körper  besitzt  als  das  Weib.  Dass  da«  auch  für  Mann  und  Weib  der  mit 
Landwirt hschaft  be»cbäftigten  Landbevölkerung  der  weissen  Kafibe  Geltung 
bcBitzt,  lehren  die  Untersucbungsieihen,  welche  von  awei  ScbiUem  Stitda's 
an  lettischen  nud  1  itt  ha  ui«  eben  Männern  und  Weibern  angestellt  wurden. 
Immerhin  erecbeiiien  hier  aber,  wie  wir  ens'arten  konnten,  die  unterschiede 
zwischen  den  beiden  Geschlechtern  etwas  geringer.  Zweifellos  kann  eich 
auch  bei  dem  Weibe  durch  eine  in  Folge  dauernder  Lebensgewohuheiten  ge- 
steigerte mechanidche  Arbeitel eieto^g  4er  Glieder  ein  mehr  männlicher 
Habitus  des  Gliederbaues  ausbilden.'* 

Der  Körper  des  Weibes  steht  bei  allen  IVationen  der  Welt,  auch  bei 
den  am  wenigsten  cultivirten,  in  einem  ähnlichen  VerhSltniaa  eu  dem 
m&unlichcn,  wie  bbi  der  weissen  Culturrasse,  er  steht  überall  in  MiBe&  Pte- 
Portionen  dem  Kindesalter  näher  als  der  Körper  des  Mannes." 

Die  Haut  des  Weihen  ist  in  den  meisten  Fällen  zarter  and  feiner 
und  gewöhnlich  auch  um  einen  Farbenton  heller  ab  diejenige  der  Männer. 
Das  Letztere  bestätigt  liaelz  auch  für  die  Japanerinnen.  Bei  dem  Manne 
sind  bekanntlich  viele  Stelleu  des  Körpers  bei  unserer  Rasse  mehr  oder 
weniger  dicht  behaart,  während  die  kleineu,  feinen  Wollhärchen  eine  ganz 
unt«rgeordnete  Rolle  spielen.  Gerade  umgekehrt  ist  dan  bei  dem  weiblichen 
Geachlecht,  wo  nicht  eelteu  die  Wollhärchen  namentlich  an  bestimmten 
Körperstetleu  (Wangen,  Rücken,  Vorderarm  und  Waden)  einen  dichten 
Flaum  bilden  und  zwar  gewöhnlich  in  stärkerer  Ausbildung  bei  Blondinen 
als  bei  Branetten. 

Geschlechts  Verschiedenheiten  in  der  Behaarung  treten  nach  Wahleifer 
„bereits  im  Kindesalter  auf;  immer  erreicht  hier  in  der  Regel  schon  da^ 
Kopfhaar  der  Mädchen  eine  grössere  Länge  als  das  der  Knaben,  auch  wenn 
das  Haar  der  letzteren  unverschnitten  bliebe.  Dieser  Unterschied  bleibt  das 
ganze  Leben  hindurch  bestehen.  Die  durchschnittliche  typische  Länge  des 
Frauenkopfhanres  beläuft  sich  auf  58  bis  74  cm  fPincus}.  Meinen  Mes- 
sungen zufolge  sind  auch  die  einzelnen  Haupthaare  der  Frauen  durchschnitt- 
lich etwas  dicker  als  die  der  Männer,  wenigstens  in  Deutschland.  Die  Be- 
haarung des  weiblichen  Körpers  ist  nie  so  umfangreich  als  die  des 
m&nnlichen.  Das  Frauenschamhaar  bleibt  immer  kürzer,  steht  meist  dichter, 
und,  wie  meine  Mei^sungen  ergeben  haben,  erreichen  die  einzelnen  Haare 
durchschnittlich  eine  grössere  Dicke.  Hier  .stehe  ich  in  Uebereinstimmung 
mit  Pfaff,  doch  finde  ich  den  durch-schuittlichen  Unterschied  nicht  so  be- 
trächtlich wie  Pf'nff,  der  da*  Mänuerschamhaar  zu  0,11  mm,  das  Weiber- 
schamhaar  zu  0,15  mm  angiebt." 

Ee  kann  wohl  femer  als  bekannt  vorausgesetzt  werden,  dass  die  ge- 
sammte  Muskulatur  de«  Weibes  eine  minder  kräftige  Entwickelung  zeigt, 
als  dies  beim  Manne  der  Fall  ist;  dies  hat  zur  Folge,  dass  die  Bewegungen 
unkräftiger  sind;  dagegen  erscheinen  sie  zierlicher  and  feiner.  Der  Gang  des 
Weibes  ist  mehr  achwankend  und  schwebend. 

Aus  diesem  Verhalten  der  Muskulatur  reaultiren  aber  sehr  merkliche  Unter- 
schiede an  den  Skelettthcilen.  Bekanntermaaasen  bemerken  wir  an  den  Knochen 


12 


I.  AnthropologSaelie  ATiffaflran^  des  Weibes. 


HbsonderUcke  knotige  Verdickungen,  Fortsätze,  Leisten  und  Vorspiünge.  Diese 
sind  es,  die  die  AnfQgang  der  Muskeln  und  ihrer  Sehnen  an  die  Knochen 
vermitteln,  und  sie  sind  nm  so  lueträrhtlicber  nnd  um  so  massiger,  je  st&rker 
entwickelt  die  Maskulator  ist.  Das  ist  der  Grand,  waunim  sie  bei  dem  weib- 
lichen Geschlecbte  erbeblich  kleiner  und  unbedeutender  sind,  als  bei  dem 
männlichen. 

Auch  in  den  Functionen  der  inneren  Organe  walten  grosse  Diff»- 
renzen.  Was  die  Verdauung  betrifft,  so  bat  die  Frau  geringere  Neignng. 
Nahrung  aufeunebmen;  sie  kann  Hunger  und  Durst  leichter  ertragen.  Da» 
Herz  und  die  Blutgefässe  sind  im  männlichen  Körper  grösser,  weiter  und 
dickwandiger  als  im  weiblichen.  Die  Blutbildung  scheint  im  Weibe  rascber 
stattzufiuden;  daher  erträgt  es  grosse  Blutverluste  besser,  als  der  Mann,  und 
ersetzt  auch  das  verlorene  Blut  rascher. 

WnMbacJfi  ermittelte  die  Häufigkeit  des  Pulses  bei  einer  grosseren  Zahl 
von  Völkern  und  fand,  dass  die  Pulsfrequenz  beim  Manne  bis  zu  84,  beim 
Weibe  bis  zu  94  Schlägen  in  der  Minute  betragen  kann. 

Der  schnellere  Puls  bei  dem  Weibe  entspricht  seiner  reizbareren  Natur, 
der  Pulsuuterschied  beträgt  10  bis  14  Schläge  in  der  Minute.  Bei  gleicher 
Körpergrösse  hat  die  weibliche  Lunge  ','2  Liter  weniger  Capacität  als  die 
männliche.  Nach  Scharling  verbraucht  ein  Mädchen  von  10  Jahren  in 
24  Stunden  per  kg  0.22  gr,  ein  9jahriger  Knabe  0,25  gr  Koblenatofl'. 

Gewisse  Differenzen  in  Gewicht  und  Grösse  einzelner  Organe 
bei  beiden  Geschlechtern  fand  Be}iecl-e:  Bei  Männern  öbertriflt  das  Volum 
der  Lungen  jenes  der  Leber;  bei  Frauen  aber  ist  das  Umgekehrte  der  Fall; 
ferner  zeigte  sich  bei  Männern  das  Volum  beider  Nieren  kleiner,  als  jene« 
des  Herzens,  Frauen  aber  erwiesen  das  Gegentheil. 

Auch  in  dem  Bau  des  Brustkastens  (Thorax)  zeigt  sieb  eine  Verschieden- 
heit des  GeschlecbteB.  Die  geringere  Geräumigkeit  und  andere  Verhältnisse 
bewirken,  dass  die  Aus-  und  Eiuathmung  beim  Weibe  minder  ergiebig  iat. 
Schon  vor  fast  hundert  Jahren  hat  Aektrmann  die  EigentbClmlichkeit  des  weib- 
lichen Thorax  in  weBentlichon  Zügen  beschrieben.  Beim  Weibe  fand  er  unter 
anderem  den  knorpligen  Theil  der  unteren  Hippen  grösser  als  beim  Manne; 
bei  jenem  steht  dan  untere  Ende  des  Brustbeins  mit  dem  knöchernen  Theile 
der  vierten  Kippe  entweder  ganz  in  horizontaler  Linie  oder  e«  geht  noch 
etwas  tiefer  herunter;  das  Brustbein  des  Weibe»  ist  im  Ganzen  kleiner,  als 
das  männliche.  Vor  allem  aber  hat  das  berühmte  Schriftchen  des  ausgezeich- 
neten SOmmerring^,  welcher  dem  unverbesserlichen  weiblicben  Geschlechte  die 
fible  Wirkung  der  SchnÖrbnjst  vor  Augen  führte,  den  besonderen  Bau  des 
Thorax  gekennzeichnet,  Kr  gab  das  Bild  einer  medicei)>chen  Venus  und  zeich- 
nete auf  dasselbe  eine  Schnürbnist,  um  recbt  nugenflUIig  zu  beweisen,  wie 
schädlich  e'n  solcher  Modeartikel  ist.  Allein  hat  seinu  Warnung  die  Schnär* 
brüst  beseitigt?  Mit  Nichten!  Noch  beute  pflegen  viele  eitle  Mütter  die 
„Taille"  ihrer  Töchter  schon  in  frühem  Alter  zu  verunstalten.  Noch  immer 
herrscht  die  ünnittc,  die  Gesundheit  durch  die  Marterinstrumente  der  Pariser 
Mo4e,  die  Corsets,  zu  gefährden. 

Weiter  ergjib  sich  aus  den  zahlreiches  Messungen  von  Liharcxik^ 
dass  der  weibliche  Körper  sich  von  dem  männlichen  hauptsächlich  dadurch 
unterscheide,  dass  ihm  eine  Rippenbreite  (=  1  cm)  in  d>>r  Brust- 
länge fehlt,  wonacli  sich  dann  alle  anderen  Proportionbur'  durch 
Berechnung  ermitteln.  (Daher  die  kürzere  Luftröhre  und  h'  imedes 
Weibes,  das  breitere  Becken  u.  B.  W.)  —  Wie  der  biblische  Soböpfungsbericht 


13 


Weib  aus  einer  Rippe  des  Mannea  geschaffen  wurde,  läext 
erklären. 

Tergleicbende  Messungen,   die  anf  den  oberen,   mittleren  und  onteren 
'6  ruE  tu  Dl  fang  sich  bezogen,  stellte  bei  beiden  Geschlecbtem   und  in  rer- 

Iichiedenen  Lebon^altem  Wintrich  an.  Er  fand  je  nach  Alter  und  Geschlecht 
folgende  Abweichungen:  Bis  in  das  höhere  Mannes-  und  Frauenalter  sei  der 
obere  Ltrustumfong  grösser,  als  der  untere;  in  den  sechziger  Jahren  des  Leben» 
aber  kehre  dies-es  Verhältniss  sich  um.  Bei  Frauen  werde  der  untere  Brust- 
umfaug  von  dem  oberen  nicht  in  dem  Maasse  übertrofFen.  wie  bei  Männern. 
Üui  dM  vientehnte  Lebensjahr  werde  der  Brustkorb  des  Mannes  beträchtlich 
amnnglicher,  als  der  des  Weibes. 
Nach  Lenhossek  ist  das  weibliche  Schlüsselbein  weniger  gekrümmt, 
all«  das  männliche. 
Allein  es  sind  in  der  Tbat  noch  viele  andere  Verhältnisse  für  den  weib- 
lichen Torso  charakteristiach.  Eine  eingebende  Bearbeitung  dieses  Gegen- 
etandes  vordanken  wir  dem  Anatomen  Lucae,  auf  dessen  Darstellungen  wir 
einfach  verweisen.  Es  ist  eine  Aufgabe  der  Zukunft,  die  gewiss  recht  mannig- 
fachen Abweichungen  im  Bau  des  weiblichen  Torso  bei  den  verschiedenen 
Völkern  zu  erörtern. 

Unlängst  wurde  jene  schon  von  vielen  Autoren  berührte  Verpchiedenheit 

den    Proportionen    des   männlichen    und    weiblichen  Thorax,    namentlich 

in     Brustbeins,     auch    von    Strauch    besprochen,    welcher    im    Institute 

tßtiedn'n  zu  Dorpat  hierüber  genaue  Messungen  vornahm.  Auch  er  fand  ver- 
iilltiiit!»n)!ls!)ig  bei  Weibern  das  sogen.  Manubrium,  d.h.  den  oberen  Theil  des 

tfrusibeins,  grösser,  den  eigentlichen  Körper  des  Knochens  kleiner,  als  bei 
lännem.  Wie  sehr  diese  Verschiedenheit  theils  auf  die  Lage  der  inneren 
inistorgane  (Lungen  und  Her:),  theils  auf  die  Function  derselben  einen  Einfluss 
insübt,  besprach  femer  Henke,  welcher  sagt:  dass  sich  die  Eigen- 
Ihünilichkeit  des  weiblichen  Thorax  in  der  Gegend  des  unteren  Endes  vom 
Brustbeine,  wie  sie  vermuthlich  durch  den  Einfluss  der  Kleidung 
»nteteht,  auf  eine  blosse  Verschiebung  der  Grenzen  vom  Knochen  des  Bruf-t- 

jliein»  ttud  den  Knorpeln  der  Rippen,  innerhalb  der  Thoraxwand   beschränkt, 

[während  die  Proportionen  des  Raumes  hinter  derselben  und  ihre  Erfüllung 
lurch  die  inneren  Organe  sich  ziemlich  gleich  bleiben. 

Die  weibliche  Harnblase  i«t  breiter  als  diejenige  der  Männer,  namentlich 

jin  ihrem  oberen  Theile;  dafür  ist  j<ie  aber  von  vom  nach  hinten  mehr  verengt. 

Ihre  Capacität  ist   absolut  geringer,  als  die  der  männlichen.     JC.  Hoffmann 

^«nd  dieselbo  im  Mittel  bei  52  lebenden  Weibern  zu  650  ccm,  bei  74  lebenden 
länneru  zu  710  ccm;  bei  86  weiblichen  Leichen  betrug  sie  680  ccm  und 
»ci  100  inäuulichcn  Leichen  735  ccm. 

Die  Anthropologie  legt  ein  besonderes  Gewicht  auf  Form  und  Grösse 
les  Schädels;  deshalb  erwähnen  wir.  dass  groHi<e  Unterschiede  in  dieser 
}«zicbung  zwischen  dem  männlichen  und  weiblichen  Schädel  stattfinden. 
;n  Horizonlalumfung  des  Mannesschädpls  fand  Weh-ker  im  Mittel  521  mm 
ros«;  er  verhält  sich  zum  weiblichen  wie  100  ;  97.  Der  Schädelinnenraum 
Ift»  männlichen  Schädels.  14.50  ccm,  verhält  sich  zum  weiblichen  wie  100  -.  90. 
)»  uuu  die  niederen  Ra^aen  (Neger,  Malnjen,  Amerikaner)  im  Horizontul- 
Imtauguiit  den  kleinsten  weiblichen  deut-schen  Schädeln,  die  Mongolen  mit 
Im  kleinsten  und  mittelgroNnen  übereinstimmen,  so  könnte  man  vielleicht 
icineu,   da««  das  Weib  demgeinftss  den  [Jebcrgang  zu   niedrigeren 


Menachenraseen  bilde.     Allein  zu  solcher  Herabw€rdigang  das 
Geschlechts  dOrAe  wohl  kaum  die  Anthropologie  sich  herbeiliusen. 


Fig.  t,     Sie  0«oklMktt>üatci««kied*  «a  BcU4*l    (uch  ircJNr«). 
AwitMmUm.  A«rtr«2i«riB. 

Mach  Angaben  Ton  JMcmnaff,  welche  er  wohl  P.  Broca  entlehnt  hat, 
oad  nach  üntenuchungcn  von  Weldter  bleibt  die  Sch&delcapacitit  de« 
Weibes  bint«r  derjenigen  des  Mannes  sarück  bei 


Aastraliera 

Chiaeten 

Negern  (Dahomey) 

Negern 

Sokotranern 

Hindu  TO&  ßellari 


37  ccm  Eskimo  am  149  cem 

59     ..  Den t sehe  (Gegend 

73    ..  von  Halle)  ..     160    .. 

99    ..  Javanea  ..     164    „ 

114  Siamesen  .«     193     ,. 

122    ..  EngUndera  .,    904     „ 


Ein  weiterer  unterschied  gegenüber  der  phjsitchen  Erseheinoag  des 
Xanaes  besteht  darin,  dass  die  Form  des  weiblichen  Kopfes  weicher,  geran' 
dflter.  der  Gesicbtst  heil  des  Scbüdels.  nuuentlich  der  Kiefer  und  die  Sch&deil- 
basis.  kleiner,  und  letztere  in  ihren  histerHi  Abscbaitts  stark  TerschmUext 
ist.  Dabei  ist  die  Ba&is  gestrecktar.  der  Satlelwirbcl  grbnct  und  eine  aa(- 
fallende  Neigung  zur  Schielsfthnigkett  sowie  aar  Langkftpfigkeit  beim  Weibe 
entwickelt  Deshalb  hatten  mehrere  Anthropologen  den  Satx  ausgesprochen, 
dass  im  Allgemeinen  der  Tjpiis  dei  weiblichen  Schidels  sieh  io  vieler  Be- 
sjehaag  desüeiugen  de«  Kudesschädels  uAhert.  DengMaftas  vArdsoHUi  riel- 
leicfck  den  Sdüass  sieben  kdmien.  daa  Weib  sei  —  treajgstsaa  ia  eediser 
Schldelbildung  —  auf  einer  früheren  Entwickeloagsstaf«  ttehea 
geblieben.  Doeli  anch  diaser  B«hm4  giebt  uns  aicht  das  Bedit.  so  «ageo. 
dass  das  Weib  sich  gemlss  tautt  Kopfform  im  geistigen  Wesea  dna  Kiada 
nAkcr». 

Jckamme$  JtatJu^  bad.  dMS  \m  den SekidslB  der  wsiblickeB  altbaje- 
riech ea  LandbprOlkscQjig  ei»«  X«igtt»g  aa  kkaer>^  —  ■  hyiiologMch-mi- 
krocephalen.  bei  dea  ■UnnlieJi«&  8oUld«lB  difsgtm  >  ng  ta  grOtacnai 

— physiologisch- ma]tToeepbalea.Werth«a  ttr  di«  8ek».iri«.a(>ai. lUt  vortiemchl. 
Er  giebi  Ober  letstcr«  folgende  Tab«llt: 


2.  Gestalt  and  KOrperbau.  15 

Scbftdelinlialt  in    Knbikcen timetern. 

CWdektrJ  Mittel.  Minimum.  Maximum. 
SO  männl.  Schädel  „säcbsischen"  Stammes  1448        1220         1790 

80  weibl.  „  „  „  1380        1090  1550 

(JUmkeJ 
100  mftnnl.        „    d.  altbayeriscb.  LandbevSlk.       1503        1260  1780 

100  weibl.         „    „  „  „  1335        1100  1683 

flVeistbaeh) 
50  männl.        „    meist  Österreich.  Stammes  1521,6 

28  weibl.  ..        .,  „  „  1336,6 


Fig.  3.     Die  Q«foMeolito-üiit«nohiede  »m  Boli&del  (uMh  Ecker). 
Mann  aui  •inem  Mnkiiohen  Ontb«.  Fraa  »ui  einem  frftnkisohen  Grabe. 

Alexander  Ecker  "^  stellt  folgende  charakteristische  Eigenthümlichkeiten 
des  weiblichen  Scb&dels  auf: 

„Die  Unterschiede  des  weiblichen  vom  männlichen  Sch&del  sind  be- 
grfindet  theils  in  der  verschiedenen  Beschaffenheit  der  Knochenoberfl&ehe, 
theils  in  der  Verschiedenheit  der  absoluten  und  namentlich  der  relativen 
OrOsse  des  Schädels  und  seiner  einzelnen  Theile." 

1.  Geringere  Ausbildung  der  Muskelansätze,  besonders  Warzenfortsätze, 
Schläfen-  und  Nackenlinie,  Leisten  am  Unterkiefer,  arcus  superciliares 
(letzteres  als  Ausdruck  des  schwächer  entwickelten  Athemapparats).  „End- 
lich zeigen  sich,  entsprechend  der  grOsfieren  Hinneigung  des  weiblichen 
Schädels  zum  kindlichen,  die  VerknOcherungspunkte,  die  Tubera  frontalia 
und  porietalia,  in  der  Regel  beim  erwachsenen  Weibe  viel  deutlicher  als 
beim  Manne  entwickelt." 

,JDie  charakteristische  Physiognomie  des  weiblichen  Schädels  liegt  ausser 
in  den  oben  erwähnten  Eigenthümlichkeiten  der  Oberfläche  und  der  geringeren 
GrQsse  namentlich  in  folgenden  Merkmalen: 

1.  in  der  Kleinheit  des  Gesichtstheils  im  Verhältniss  zum  Himschädel. 
Der  weibliche  Charakter  ist  in  dieser  wie  in  mehreren  anderen  Beziehungen 
zugleich  der  mehr  kindliche,  das  Weib  steht  zwischen  Mann  und  Kind. 

2.  im  üeberwiegen  der  Schädeldecke  Ober  die  Schädelbasis. 

3.  in  geringerer  Hohe  des  Himscbädels. 

4.  in  einer  grösseren  Flachheit  des  Schädeldaches,  insbesondere  der 
Scheitelgegend. 


16 


I.  Anthropologische  Aoffassnag  dei  Weibe«. 


o.  Aas  dem  Uebenrieffen  der  Schädeldecke  aber  die  Sch&delbaü«  retal- 
tirt  unter  anderem  eine  Bildung  der  Stirn,  die  man  in  gleicher  Dad  noch 
stärker  aangeprägter  Weise  aoch  beim  Kinde  findet,  nämlich  eine  senk« 
rechte  Stellung  derselben,  die  bei  diesem  selbst,  über  die  senkrechte 
Linie  hinaa»gt;bend,  oben  stärker  hervorragt  als  unten.  Dieses  gerade  Stirn- 
)>rofil  verleiht  dem  weiblichen  Kopf  etwas  entschieden  Edle?. 


Fig.  4     Sie  &eioUeoltts-TrnteraoUede    am  Boli&del  (nMh  Eeker^). 
Sohwarmwftlder.  SohwsriwSlderin. 

6.  Der  flache  Sohädel  pflegt  ziemlich  plötzlich  in  die  senkrechte  Stim- 
linie  überzugehen,  so  dass  derüebergang  von  Stirn  in  Scheitel  nicht  in  einer 
Wölbung,  Hondern  in  einem  leichten  Winkel  stattfindet.  In  ähnlicher  Weise, 
wenn  auch  minder  ausgesprochen,  geht  in  einer  Art  winkliger  Biegung  der 
flache  Scheitel  in  dns  Hinterhaupt  über  (deutlicher  bei  brachycephalen  als 
bei  dolichocephalen  Schädeln)."  Der  weibliche  Typus  entsteht  dadurch,  dass 
der  kindliche  aber  die  Grenzen  der  Kindheit  hinaus  persistirt. 

Fürden  deutschen  Weiberschädel  macht  Weissbach^  folgende  Angaben: 
„Aus    diesen     zahlreichen    Untersuchungen    ergeben    sich    schliesslich 
folgende  (ieschlechtHeigenthümlichkeiten  des  deutschen  Weibersch&dels: 

1.  Der  ganze  Schädel  ist  absolut  kleiner  und  leichter,  mehr  in  die 
Breite,  aber  weniger  in  die  Höhe  entwickelt,  hat  eine  relativ  schmalere 
Basis,  in  der  »agittalen  Richtung  im  Ganzen  eine  flachere,  dagegen  in  der 
queren  eine  stärkere  Wölbung  als  der  Männerschädel. 

2.  Sein  Vorderhaupt  ist  kleiner,  wohl  ebenso  lang  wie  beim  Manne, 
dafür  aber  niedriger  und  schmäler,  in  sngittaltr  Richtung  viel  stärker,  in 
querer  oder  horizontaler  aber  etwas  flacher  gekrümmt:  seine  Stirnhöcker 
liegen  rdcksichtlich  der  Liinge  des  Schädels  etwas  weiter  auseinander,  hin- 
sichtlich seiner  grösseren  Breite  aber  näher  beisammen,  im  Verhältniss  zn 
welcher  überhaupt  alle  Brcitcnniaaüse  des  Vorderhauptes  viel  kleiner  als  beim 
Manne  sind. 

'i.  Das  durch  seine  überwiegende  Breitenentwickelung  die  gprössere 
Breite  des  ganzen  Schädels  bestimniemle  Mittelhaupt  dürfte  eben  deshalb, 
troizdou)  es  kürzer  und  niedriger  als  das  männliche  ist,  dieses  an  Grösse 
übertrotfcn;  ausserdem  hat  es  eine  flucherc  Sagittal Wölbung,  breitere  und  in 
querer  Richtung   stärker  gewölbte   Scheitelbeine,    deren  Tubera  weiter  aus- 


«inander,  aber  tiefer  uiitcn  liegen  und  einen  Scheitel  (den  Raum  zwischen 
I  Stirn-  und  Scheitelhöcker),  welcher  kürzer  und  breiter,  nach  vom  hin  mehr 
[verHchmälert  und  in  jeder  Richtung  flacher,  nur  zwiacheu  den  Scheitelhörkern 

etwas  stürker  gewölbt  i«t.     Die  Keikcbläfenfläche  gleicht  jener  des  Mannes, 

nur  ist  sie  an    der  Schläfen  schuppe   niedriger,    die  seitliche   Wand  aber   ist 

länger  und  in  horizontaler  Richtung  stärker  gewölbt. 

4.  Das  Hinterhaupt  des  weiblichen  Schädels  etebt  ganz  im  Gegen»at,ze 
zum  Vorder-  und  Mittelhuupte,  indem  es  sich  durch  grössere  Höhen-  und 
Längenentwickelung  bei  gleicher  Breite  von  dem  männlichen  unterscheidet, 
dieses  daher  an  relativer  Grösse  übertrifft;  nur  relativ  zur  Schädelbreite  iat 
ea  ähnlich  dem  Vorderhaupte  schmSJer.  Sein  Zwiacbenscheiteltbeil  (Recepta- 
culuni)  viel  länger  als  beim  Munne.  Seine  Wölbungen,  welche  sich  in  ihrem 
Verhalten  mehr  dem  Mittel-  als  Vorderhaupte  anachlieasen,  ditfuriren  von 
jenen  de.«  Mannes  dadurch,  da«s  die  sagittale  flacher,  die  »chräge  und  quere 
aber  stärker  Rind. 

5.  Die  Schädelbasis  des  Weibes  ist  schmäler  and  kürzer,  hat  ein  längeres 
Grundstück  (pars  basilaria),  ein  kleinereü,  etwas  schraälere.i  Hinterhattptaloch, 
näher  aneinander  gerückte  For.  stylomastoidea,  aber  weiter  voneinander 
«ntfemte  For.  ovalia. 

6.  Das  weibliche  Gesiebt  ist  im  Verhältniss  zum  Gebirnschädel  in  alleu 
Dimensionen  kiemer  als  da.s  männliche,  mehr  orthognath,  niedriger  und,  ent- 
gegen dem  breiteren  Gehirnschädel,  schmäler,  nur  oben  breiter,  unten  aber 
enger,  hat  eine  breitere  N^vsenwunel  weit  auseinander  liegende  Augen  und 
grössere  höhere  Orbitae;  breitere  Oberkiefer  mit  kleineren,  niedrigeren  Choanen 
und  kürzerem  aber  breiterem  Gaumen;  sein  Unterkiefer  ist  ebenfalls  kleiner 
flacher  gekrümmt,  hat  eine  breiteres  Kinn  und  kleinere,  niedrigere  und  schmälere 
Aeste,  welche  aber  unter  einem  grösseren  Winkel  am  Körper  eingepflanzt  sind. 

Noch  ist  zu  bemerken,  das»  die  einzelnen  Maas.se  des  Weiberachädels 
meistens  viel  weniger  individuellen  Verändeningen  als  beim  Manne  unterliegen." 

Wir  verdanken  Kopernicki  in  seinen  Untersuchungen  über  den  Zigeuner- 
scbädel  die  folgende  Zusammenstellung: 

«Es  ergiebt  sich  aus  den  von  Darin  aufgestellten  Messungen,  dass  unter 
^en  europäischen  weiblichen  Rassenscbädeln  nur  die  Isländerinnen  es 
sind,  bei  welchen  der  Höhenindex  (U,73)  des  Schädels  den  männlichen 
<Ü,71)  am  0,02  übertrifft. 

In  Asien  findet  man  dieses  Uebergewicht  an  den  Weiberschädeln  von 
Hindus,  Muselmännern  (O.Ül),  Khaa  (0,03)  und  Chinesen  (-(-  0.04).  — 
Dasselbe  findet  noch  statt  an  den  Javanesen-  (-f-  0,01),  Dajak- 
(-j-  0,04)  und  Tasnianier-  (-f  0,03)  Weiberschädeln. "  Zigeuner  (ui.  —  0,75) 
(w.  —  0,77)  =  (0.02). 

„Wir  sehen  also,  dass  ca  nur  wenige  Rassen  giebt,  wo  der  Uöbenindex 
der  Weiberscbädel  jenen  der  männlichen  übertrifft." 

„Wenn  wir  dabei  noch  diesen  Umstand  in  Betracht  ziehen,  dass  sngfar 
<iie  in  beiden  Geschlechtern  gleichen  oder  bei  Männerschädelu  nur  um  0,01 
überwiegenden  Höhenindicca  (die  Engifinderinn  en  scbädel  ausgenommen) 
nur  in  den  niedrigsten  Rasaen  vorkommen  (m  =  w):  Badoa,  Thais- 
(Guancben)  Neger,  Dahomanen.  Australier,  Marquesaner,  Kanä- 
le a  s  u  n  d  : 

nt  =w  -\-  0,01:  Lepchas,  Aequatorialneger,  Eskimos  von  Grön- 
land nnd  Bisajaner,  so  werden  wir  uns  für  berechtigt  halten,  zu  schliesaeii. 

Flflti,  Dst  Wdil     '  ^    t1  2 


18 


1.  AntbTopö1of?i«ehe  Aoffamong  dw  Weibe«. 


Am«  der  flberwiei^nde  Höhenimlei    der   Zigeunerinnenschftdel  eines  von 
den  ihnen  eigenthflm liehen  Raseenzeichen  bildet  etc." 

MorselH  konnte  in  Bezog  auf  da«  Gewicht  des  Schädeli  conata- 
tiren,  dass  der  männliche  Schädel  mehr  als  der  weihliche  wiegt.  Der  rnfton' 
liehe  Unterkiefer  übertritft  in  noch  höherem  Grade  als  der  Schädel  den 
weiblichen  an  Gewicht.     DasBelbe  findet  bei  den  anthropomorphen  Atfen  statt. 

Auch  die  individuellen  Verschiedenheiten  im  Schiulelgi-wicht  und  in 
noch  höherem  Grade  im  Gewichte  des  Unterkiefers  sind  beim  Weibe  grösfer 
aU  beim  Manne. 

Von  allen  craniometrischen  Geschlechtscharakteren  ist  daa  Gewicht  des 
ütiterkiefera  der  wichtigste. 

Der  Unterkiefer  wiept  im  Mittel: 

bei  Weibem ^^  ßr 

„    M  Innern 80    „ 

Differenz 17    „ 

Schaafhausen'^  in  Bonn  hat  nachgewiesen,  das«  die  oberen  medianen 
Schneidezähne  bei  MiVdchen  und  Frauen  nicht  nur  relativ,  Nondern  absolut 
breiter  sind,  als  diejenigen  von  Knaben  und  Mdnnern  in  denselbeu  Lebens- 
altern. Bei  ^Q  .Mildchen  und  50  Knaben  im  Alter  von  1*2  bis  1.5  Jahren  war 
die  mittlere  Breite  der  genannten  Zähne  wie  1,H3  (Mädchen)  zu  1  (Knaben). 
Bei  12  Männern  aua  Zundvoort  in  Holland  fand  er  eine  Breite  8,8  im 
Mittel,  wahrend  12  Frauen  8,8  hatten. 

Besonders  charakteristisch  igt  auch,  dass  das  knöcherne  Becken  des 
Weibes  nicht  bloss  breiter  ist,  sondern  dass  auch  in  Folge  dieser  grösseren 
Breite  die  Gelenkpfunnen  weiter  auseinander  stehen;  hiermit  ist  ferner  eine 
grössere  Couvergenz  der  Oberschenkelknochen  gegen  das  Knie  hin  verbunden; 
eine  entaprecbende  Divergenz  der  Unterschenkel  gegen  die  Füsse  hin  compen- 
sirt  wiederum  diese  Stellung  und  Richtung  der  Oberschenkel  und  verleiht 
dem  Körper  die  erforderliche  Stetigkeit.  Der  ganze  Bau  des  Beckens  eignet 
das  Weib  zum  Gebären. 

Lttst^ka  sagt;  „Die  Beckenregion  bietet,  aach  wenn  wir  von  den  an 
ihre  Anssenseite  geknüpften  Sexualorganen  vorerst  absehen,  nicht  geringe 
Ihren  Gesainmthabitns  betroifende  Geschlechtsunterschiede  dar,  welche 
innig  mit  der  Art  der  Anthednahme  am  Gattungsleben  zusammenhängen. 

Beim  Manne  wird  der  Raum  des  Beckens  nur  in  höchst  heKchränktem 
Maasse  dunh  das  Volumen  und  die  Thätigkeit  der  Geschlechtswerkzeuge  in 
Ajupruch  genommen,  indem  sie  grösiitentheils  nach  au<<sen  von  ihm  verlegt 
und  nur  ganz  vorilbcrgehend  beim  Geschüfte  der  Fortjiflanzung  interessirt 
oiod.  Damit  ateht  es  im  Einklänge,  dass  sein  Gebiet  auch  iUisserlich  einen 
beschrllnkteren  Umfang  bosilzt,  der  sich  zunächxt  in  einer  geringeren  HUfton- 
breite  und  in  einer  imcb  allen  Seiten  hin  viel  schwächeren  Wölbung  und 
Abrundung  beraerklich  macht.  Dieses  Verhältniss  kommt  um  so  stärker  zur 
Aunjirägnug,  als  beim  kräftig  entwickelten  mannlichen  Typus  eine  bedeutende, 
auf  einen  grossen  Brustumfang  hinweisende  Schnlterbieite  damit  concorrirt, 
wodurch  gleichsam  das  Ueberwiegen  des  individuellen  über  das  Gattuugsleben 
auHgedr>lckt  wird. 

Nach  einem  wesentlich  anderen  MnAsustalje  i»t  beim  Weibe  daa  Bocken 
iMifgebaut,  indem  die»«?»  nicht  ulliiin  zahl  reichere  und  theilweise  einer  beträcht- 
lichen Nergrösscrung unterliegende  Kingeweidc  zu  bebt'rltergcn  hat,  sondern  auch 
darauf  angelegt  sein  mus»,  der  voluminösen,  reifen  Leibestrufht  den  Durch« 
gung  durch  »eine  Uöhle  zu  gestalten.  Da<«  ihm  eutiipr<fchcnde  Gebiet  ist 
denigeuiAns  durt'h  einen  viel  grosseren  Umfang  charakterisirt,    welcher  nament' 


2.  Gestalt  nnd  RSrperbftu. 


19 


A 


lieh  in  der  Quere,  aber  auch 
in  der  Richiong  von  vom 
nach  hinten  sehr  vorwiegt, 
dagegen  in  den  Höhendimen- 
«ionen  im  Vergleiche  znni 
männlichen  Becken  nicht 
wenig  zurücksteht.  Die  gegen 
die  ProtuberantJA©  Irochan- 
tericae  in  viel  höherem  Grade 
znnehmenilc  Hüflenbreite  ver- 
jüngt sich  itm  schön  gebauten 
Fraueokörper  nach  oben  fast 
plötzlich  in  eine  Hchlanke 
Taillt^t  wähi-enJ  fie  am  eeitr 
licben  Umfang  nach  abwilrts 
unmerklich  in  die  ausser- 
ordentlich dicken,  abgeronde- 
len  und  stark  convergirenden  \  y^  ,JRj//* 

Oberschenkel  übergeht.  Die 
weibliche  Beckenregion  ist 
nach  allen  Seilen  hin  auf- 
fallend stark  gewölbt,  was 
nichtallein  in  gewissen  Skelett- 
verhrtllni89cn,  sondern  auch 
darin  b«>gr{lndet  ist,  dass  die 

Moskulatur  auf  einen  verhält- 

niflcmilsfig  kürzeren  Raum  zu- 

■animengedrängl      und      von 

einem      Clberall     mächtigeren 

Fettpolster  umgeben  wird. 
Üennig^  äussert  sich  Ober 

du  kindliche  Becken  folgen- 

derniftusen; 

«Die      Darrnbeinschoufeln, 

dereo    WjTdbung    später    das 

Charakteristische  des  Frauen- 

bftckoD»*  au»<machpn  hilft,  sind 

b«l     neugeborenen     Mädchen 

noch  knnbcnartig  steil. 

Da«  ftenlumigere  des  weib- 
lichen    kleinen     Beckens     ist 

xunUchst   in   der    Vorderwand 

angelegt  (brciti'reSchoossfuge,         V  ^ 

lavlit      abgtTiindeles.     auxgc-  ^s^^^^ 

«chwciftcB  Sitzbein);  die  111  n- 

tM-wand     ist    xnntichot    beim 

Knaben  breiter  wogen  der  von 

vomhen-in  krilftiffer  angelegten  Wirbelsäu  le.  Im  siebenten  Lebensjahre  erst  ver- 

broitert  «ich  das  weibliche  Kreuzbein  nnd  ist  der  IlaupttrSger  der  wichtigen ,  die 

EuropAorin  ao  vortheilbaft  anszeichnenden  Querspannung  des  BeokengürteU. 

Jr  roher  ein  Volk,    um  eo  verwischter  stellen  sich  die    geschlechtlichen 

L'ntericbiode  (am  knCchemen  BeckenJ  dar:  die  Dariu  beinschau  fein  rücken  mehr 

2« 


/äi 


O  -5 


I.  Anthropologische  Aafüassang  des  Weibes. 


^ 


m 


nach  hinten  oben  (thierühDlich);  die«  ist  bedingt  durch  die  den  Frauen  nnd 
M&drhen  aufgebürdete  schwere  MUnnerarbeit,  wodurch  das  Becken  zugleich 
eckiger,  den  MaskehirüprQngen  and  Auteiltzon  entgegenkommender  wird.* 

Die  GeschlechtHdiflerenT. 
am  knOchernen  Becken  bebil- 
dert Hartmann^  mit  folgen- 
den Worten : 

„Die  Gsschicchtgverschie- 
denbeiten  des  Beckens  bilden 
sich  erst  mit  der  Pubertäts- 
entwickelung  au9.  Manchmal 
verzögert  sich  die  Ausbildung 
der  typiechen  Charaktere  des 
weiblichen  Beckens  bis  zar 
ersten  Schwangerschalt.  Letz- 
teres Becken  ist  nan  nied- 
riger und  weiter  als  das 
männliche.  Seine  Darmbein- 
schaufeln sind  flacher,  weniger 
tief  ausgehöhlt,  wogegen  die- 
jenigen des  Mannea  steiler 
sind,  oben  und  innen  mehr 
wie  ausgegraben  erscheinen. 
Der  weibliche  Beckeneingang 
ist  grosser,  der  gerade  Durch- 
messer desselben  ist  länger. 
Diese  Oeffnung  ist  beim  Weibe 
quer-elliptincb ,  beim  Manne 
dagegen  karlenherzfbrmig.  Das 
weibliche  Kreuzbein  ist  breiter, 
vorn  weniger  concav.  Dns 
Promontorium  springt  weni- 
ger stark  vor,  die  Spitze  de» 
Sacrum  springt  mehr  zurück. 
Das  Steissbein  des  Weibes  ist 
beweglichei'  als  das  männliche. 
Am  weiblichen  Becken  wei- 
chen die  absteigenden  Sitz- 
beinäate  mehr  nach  aussen, 
wogegen  dieselben  beim  Manne 
steiler  niederwilrts  ziehon. 
Die  weibliche  Beckenhöhlo  ist 
weiter.  Die  Tubera  ischii  den 
Weibes  tttehen  dann  auch 
weiter  voneinander  fMitfemt. 
Situbeine  und  Schambeine 
bilden  am  weiblif:h«n  Becken 
stumpfer«  ,  am  mttnnlichen 
da^fegen  spiUere  Winkel,  ao 
^£s  der  Sfhamb«>g«n  am  crsi-rt..  «ich  orweiiert.  Der  Fugenknorpel  (Sym- 
l>1^e)    an    den  i*eiblichen    Schambeinen  i«t    niedriger  und  d.ckcr,    an   den 


2.  Gestalt  und  KQrperban. 


2t 


naAn&lichen  hoher  nnd  dQnner.  Der  weibliche  Beckenuuagang  ist  grOsser  als 
der  männliche.  Die  Abst&nde  der  Pfannen  des  weiteren  weiblichen  Beckeni 
sind  grösser  als  an  dem  engeren  männlichen  gleichartigen  Snochengebilde. 
Diu  weibliche  Foramen  obturatoriam  ist  breiter  und  elliptisch,  daa  mlliiDliche 
aber  ist  enger  und  dreieckig.  Alle  Knorpel  und  Bänder  des  Weiberbeckens 
sind  dehnbarer  als  die  de»  männlichen. 

Besonders  ausfOhrliche  Angaben  über  diesen  Gegenstand  verdanken  wir 
den»  französischen  Anatomen  Sappey;  sie  mögen  liusführlich  hier  ihre  Stelle  finden« 

„Du  bassin  compare  dans   \es  deux  sexes. 

a.  Differences  relatives  A,  i'epaisseur  des  parois,  auxbords 
et  aux  sailliera  de  la  cavit^  pelvienne.  Sous  ce  triple  point  de  vue 
le  baasin  de  Thomme  l'emporte  sur  celui  de  la  femme.  L'obaervation  nous 
tnontre  que  chez  lui  la  charpente  osseuse  est  plus  fortement  conatitu^. 
I>e  sacrum  et  les  oa  de  la  hauche  n'echappent  pas  ä  la  loi  generale:  leur 
partie  centrale,  leurs  bords,  leurs  angles,  toutea  les  apophyses  qui  lea  sur- 
montent,  ditTerent  trca-sensiblement  dans  les  deux  sexes.  A  leur  centre,  les 
t'osses  iliaques  deviennent  si  mincea  dans  le  sexe  feminin,  qu'elles  sont 
transparentes,  depressibles,  et  parfois  perforeea  :  le  corpa  des  pnbis,  les  bran- 
ches  ischio-pubiennea,  sont  auaai  beaucoup  plus  aplatis;  la  circonf^rence  su- 
p«!'rieure  et  In  circonference  inf^rieure  du  basain  sont  plua  mincea,  lea  sailHes 
üEseuees  sont  plus  petitea.  Dana  le  eexe  maaculiu  les  os  qui  forment  cette  ca- 
vit^,  les  OS  iliaques  surtoat,  sont  plus  volumineus,  plus  solides  et  plus  lourds, 
Voyee  chex  lui  l'^paisseur  des  erstes  iliaques ;  comparez  chez  l'un  et  l'aatre  lea 
i^pines  de  cenom,  les  tubt^rositea  iliaques,  les  tubärosit^s  de  l'ischion,  le  bonl 
interne  des  branches  ischio-pubiennea,  les  anglea  des  pubia  et  lear  brauche 
faorisontale:  d'un  cöU^  so  presentcnt  des  bords  et  des  saillies  qui  dänotent  un 
lijst^me  muHüulaire  faible;  de  l'autre,  des  borda  ^pais  et  des  saillies  volum 
neuse8  qui  annoncent  des  uiuaclea  plus  puiasanta.  Le  baaain,  ae  trouvant  en 
rapport  dans  cbacun  d'eox  avec  lea  mömes  maaclea,  et  donnant  attacbe  aux 
memea  tendons.  devait  prt'senter,  et  pr<5sente  en  effet  toutes  les  differences  qui 
decoulent  de  l'inegal  düveloppenient  de  l'appareil  locomoteur  dana  le« 
deux  sexes. 

b.  Differences  relatives  ä  l'inclinaison  du  baaain.  Nous 
avoos  vn:  l'*  que  cette  inclinaison  est  mesur<^e  par  l'angle  que  forme  le  plan 
de  chaque  detroit  avec  un  plan  horizontal  prolong6  de  la  partie  inf^rieure 
de  ceuX'ci  vers  le  sacrum;  2^  que  cet  angle  chez  la  femme  est  de  10  ik  11 
degr^  pour  le  detroit  inferieur,  et  de  60  pour  le  dt^troit  superieur.  Naegek, 
auquel  la  science  est  redevable  de  ces  deux  evaluationa  fond^es  sur  des 
donn^es  precises  et  trea-nombreuaes,  n'a  pas  ctendu  aes  recherches  au  sexe 
niMCulin. 

Les  fn^res  Weher  eonaiderent  rinolinaiaon  da  detroit  superieur  comma 
&  peu  pr^s  6gale  dans  les  deux  sexes.  L'obaervation  me  semble  au  contraire 
^tablir  qu'elle  est  un  peu  moindre  chez  rborome.     Pour  obtenir  dea  resultats 

I  comparatifs,  j'ai  suspendu  contre  un  mur  vertical  dea  tronca  appartenaats 
k  Tun  et  ^  l'autre  sexe;  puis  abaisaant  jusqu'au  mur  une  ligne  horizontale 
qui  nuaii  la  Symphyse  dea  pubia  et  qui  traversait  le  aacmm,  j'ai  me^urö 
l'anglo  qui  formait  cette  tige  avec  le  diam^tre  ancro-pubien:  il  a  vari6,  pour 
la  feuime,  de  54  i\  63  degrea;  et  pour  l'homme,  de  49  ä  60.  II  serait  done, 
en  moyenne,  de  58  degrt-s  pour  l'une,  et  do  54  pour  l'autre.  Mes  recherches, 
il  est  vrai.  n'out  porte  que  anr  »ix  hommes  et  autant  de  femmes,  Un  plus 
grand  nouibre  d'observations  serait  pent-btre  n^easaire  pour  r^soudre  cette 

l'iucation  dune  maniere  rigoureuse  et  definitive. 


c.  Differences  reliitivee  aux  dimensions  du  bassin.  Cbex  Ift 
fettuue,  le  diatnetre  eiendu  de  l'une  ü  l'autre  crete  iliaque  e^t  plus  long 
que  cbez  rhomme;  maia  celni  qui  se  porte  de  la  cr&te  iliaque  k  la  tubero- 
lit^  de  rischion  est  plus  court.  Les  diiuensiona  transversales  compardes  daoa 
les  deux  sexe«  diS'crent  en  mojenne  de  5  millimetres  seulement;  et  le« 
Terticale{>  de  10  k\  15.  Ce  que  le  sexe  mascuHn  perd  du  cöte  de  la  larg«ar, 
il  le  relrouve  dont,  et  au  delA,  du  cötc'  de  la  hauteur. 

Quant  au  diuiensions  antero-posterieures,  elles  sont  oussi  un  peu  plua 
consid^rables  cbez  la  fenimc,  si  Ton  considere  aeulement  l'excavation  pelvi- 
enne;  luaiB  lea  parois  du  bassin  ofFreut  plus  d'^paisaeur  daua  le  sexe  maa- 
culin;  et  cette  ditierence  d'^paisseur  compense  la  difference  de  capacite. 

De  la  predominance  des  dimeusions  transversales  cbez  la  femmc  d<^cou1e 
toute  une  B^rie  de  dii'ferencea  secondaires.  Le  detroit  superieur,  ö'allongeant 
dans  le  meme  »ens,  tent  d  prendre  cbez  eile  une  figure  elliptique.  La 
bruncbe  borizoutale  des  pubis  etant  plus  lougue,  les  carites  cotylotdes  aont 
plus  ecart«es,  les  t&tes  feniorales  plus  eloignees,  les  grauds  trocbanters  plus 
sailloats,  les  femurs  plus  obliques,  les  genoux  plus  rapproche«.  De  l'ecarte- 
ment  des  grands  irocbauters  resulte,  pour  ce  sexe,  un  mode  de  deambu- 
lation  particulier  dont  quelques  auteurs  out  donne  uue  idee  vraie,  mais 
exageree,  en  le  comparant  i  celui  des  paltnipedes. 

d.  Differences  relatives  ä  la  configuration.  Parmi  ces  diffe- 
rences, les  unes  se  rattacbent  au  graud  bassin,  les  autres  au  petit  bassin. 

Le  grand  basein  est  tiesevase  dans  le  sexe  feminin;  les  fosses  iliaque« 
sont  etal^es;  les  orötes  iliaques  dejetees  en  dehors  et  peu  sinueuses.  —  Dan« 
le  sexe  masculin,  les  fosses  iliaques  sont  plus  concaves;  lea  erstes  de  ce 
noni  plus  conloumees  et  plu»  reloveea. 

Le  petib  bassin  et  plus  large  cbez  la  femme,  plus  allonge  surtout  dans 
e  seas  transveraal.  Lea  angles  lateraux  du  dötroit  supörieur  s'arroudissent 
en  in^me  tenips  qu'ila  a'ecarteut,  d*oü  la  figure  elliptique  de  ce  detroit;  d'au- 
tant  plus  aecusee,  qu'il  est  plus  umple.  —  La  paroi  posterieure  de  Texca- 
vation  preüente  une  coucavite  plus  prononcee  et  plus  reguliere.  La  baae 
du  sacrum  est  plus  largc,  mais  seuletuent  cbez  les  femnies,  assez  notnbreuse, 
dont  le  detroit  superieur  depasse  son  ampleur  ordinaire.  —  La  paroi  anii- 
rieure  qu  pubienne  du  petit  bassin  est  plua  ätendue  dans  le  sens  transversal, 
mais  moins  ^lev^e.  —  Les  trous  «oua-pubiena  sont  plus  grands  et  triungu- 
laires;  les  tuberosites  de  l'i^cbiou  plus  ^cart^es;  les  branches  iscbio-pubiennes 
plua  etroitea;  leur  bord  interne  se  dejette  en  haut  et  en  debors.  —  L'arcade 
pubienne,  trös-large,  represente  une  sorte  de  poulie,  sur  laquelle  la  tÄte  du 
foetus  se  reflechit  au  nioment  oii  eil«  franchit  l'orifice  vulvaire.  Cette  arcadc 
offre  uue  largeur  de  25  ü  30  uiillimetres  k  sa  partie  supörieure,  et  de 
9  centim^trcs  inferieurement. 

La  cuisse  est  plus  longue  cbez  Thouime  que  cbez  la  femme  de  troia 
ceotiinitres.  Cette  differonce  est  due  en  partie  ä  la  direction  du  pli  de 
l'aine  qui  est  rectiligne  et  asccudaiit  cbez  l'un,  curviligne  et  non-ascendant 
cbez  l'autre  dans  la  inoitie  interne  de  aon  trajet,  d'oii  il  »uit  que  dans  le 
aexe  masculin  le  milieu  du  pli  est  pretique  toujours  plus  eleve  que  la  Hym- 
phjse  pubienne,  tnodiaquc  dan»  le  sexe  femiuin  ce  tnilieu  et  la  aympbjrae  sont 
iia&i  sur  le  mSme  plaa." 

Die  HUftenbreite  der  Weiber  wird  noch  vermehrt  durch  ein  eigenthQm* 
lichea  Verhalten  am  oberütcn  Ende  ihrer  Oberschenkel.  Der  Hals  der  Schenkel* 
beiae  ist  nämlich  lütiget  und  mehr  wagerecht  als  beim  Maone,  wodurch  dio 
grossen  Trocbantercn  weiter  nach  aussen  zu  liogiin  kommen.     Durch  alle  diaso 


vrperbau. 


f^rschiUIurU'n  Ei;,'eiitb<)inlichkeiten  erklärt  es  sich,  daK»  Wi  dem  Weibe  der 
QuerdurchmeeAtT  der  Hüften  denjenigen  der  Schultorn  «u  üliertroApn  pdegb, 
während  bei  den  Männern  gerade  umgekehrt  die  Schulterbreite  beträchtlicher 
aU  die  Hättbreit«  iüt.  Nach  Fehlmif  soll  sich  die  Weiblichkeit  an  dem  Becken 
bereit«  ku  dei'  Zeit  anfangen  geltend  lu  machen,  in  welcher  da»  Becken  zu 
verknöchern  beginnt. 

Eine  ganz  bedeutende  RoUe  in  dem  ErnähriingHprooesB  des  Körpers 
Hpielt  die  Fe  tibi]  düng.  Während  nun  das  männliche  (ieachleoht  hinaichtlicb 
der  Ernährung  mehr  vm  einer  kräftigen  Entwickeluiig  de»  Knochen-  und 
Mu«kelBy6teiiii9  neigt,  y.eigt  dus  weibliche  GeHchlechl  häutiger  eine  reiebiiche 
Anliigerung  von  Fett,  deseen  Vertheiluug  am  Körper  diesem  rundere  Formen 
triebt.  Diene  Rundung  trä^t  ohne  Zweifel  diLun ,  wenn  sie  in  den  normiilen 
Grenzen  »ich  zvi^t,  iitet«  diizu  bei,  dass  unn  die  Formen  der  weiblichen  6e- 
titalt  aU  achöu,  d.  b.  dorn  Ideale  weiblicher  Schönheit  möglichst  entsprechend, 
«rscheinen.  Dagegen  haben  für  uns  alle  jene  weiblichen  Figuren  etwa?  be- 
»oadera  AbflloxHeudex ,  welche  durch  allzugrosse  Magerkeit  die  Rundung  der 
Formen  vermisKeu  lasseu;  die»  kommt  beaonderH  bei  den  Weibern  ver- 
Hcbiedener  Völker  schon  in  einem  Alter  vor,  wo  bei  una  das  Weib  im  All- 
gemeinen noch  einer  gewinsen  Blüthe  Mich  erfreut.  Hierher  gehören  zumal 
die  Hottentottinnen,  auch  die  Au.stralierinnen  und  ander«.  Da- 
gegen giebt  «8  Völker,  bei  welchen  eine  übermässige  Erzeugung  von  Fett 
am  ge!<aiumten  weiblichen  Körper  etwa»  ganz  UewöbnIicheB  ist,  und  die  auch 
die«e  Ueberproductiou  zu  fördern  eucbeu  (Neger  und  einige  orientalische 
Völker),  und  bei  noch  anderen  Nationen  (uamcnilich  in  Afrika)  zeichnet  sich 
d«r  weibliche  Körper  durch  Ansammlung  von  Fettma^sen  an  gewissen  Theilen 
»UM.     Wir  gehen  auf  diese  Thatäacbeu  K^>äter  näher  ein. 

Hinsichtlich  gewisser  Lebensverhältnitiite  unterscheidet  sich  das  Weib 
vom  Manne  hauptsächlich  durch  die  Entwickeluug  des  Wuch8eH  und  durch 
audem  geartet«  Sterblichkeit.  Die  Wachsthums-Proportionen  er 
mittelt«  vor  allem  (^uetelcf^,  indem  er  in  .Schuten.  WaisenhäuHcrn  u.  b.  w- 
,eili»  B«ihe  von  Beobachtungen  anstellte.  Bei  der  Geburt  allerdings  über- 
tnflen  an  Grösse  die  Knaben  die  Mädchen  durchschnittlich  um  etwa 
1  ein  (Ü.i99 : 0,489).  Dagegen  wächst  das  Mädchen  weiterhin  so  rasch,  dass 
t»  m  dem  Alter  von  16 — 17  Jahren  verhältnisemässig  schon  ebenso  weit 
vorgerückt  ist,  als  der  Jüngling  von  18 — 19  Jahren.  Die  jährliche  Zunahm« 
zwiaclieu  5 — 15  Jahren  beträgt  nach  (^uetelet  bei  Knaben  ungefähr  b6  mm, 
w&brt<nd  (le  «ich  bei  Mädchen  nur  auf  etwa  52  mm  beläutt.  Fernerhin  fand 
dtsr»i*lbe  Statistiker  die  Grenzen  des  Wacbsthums  bei  beiden  Geschlechtern 
ungleich,  1.  weil  die  Individuen  weiblichen  GeKchlechtt  schon  bei  der  Geburt 
kleiner  sind,  als  die  des  männlichen;  2.  weil  das  Wacbc^thum  der  ersteren 
früher  sein  Ende  erreicht,  und  y.  weil  die  jährliche  Zunahme  der  körper- 
lichen Grösse  bei  ihnen  geringer  ist,  als  bei  dem  männlichen  Geschlechte.  — 
Ansserdem  erreicht  da*  Weib  später  als  der  Mann  sein  Gewichts  Maximum 
und  wiegt  am  meisten  um  das  fünlKigrite  Jahr. 

Nach  Sappey  ist  bei  der  Freu  der  Rumpf  f»*t  ebenso  lang  aU  die 
Unturextremitäten.  während  letztere  bei  Männern  im  Mittel  um  2,5  cm  dia 
Kumpflänge  iibertreti'en.  Der  Mann  erreicht  das  Maximum  seiner  Grösse  mit 
30  Jahren,  seines  Gewichtes  mit  4Ü  Jahren,  das  Wuib  letcliires  vnt  mit  50 
Jabnm, 


Mlnlaiin       | 

MmzlnsB       | 

Hllttl      1 

Giswichl  d«a  Manne« 

51,45a  kilo  1 

»1,246       1 

»2,049 

Gewicht  des  Weibes 

36.777           1 

73.983 

54.S77 

4c*  WaOm. 


anriaer 

8w  DsfiuMM  flun 
Altanfteriodea  sa 
G««kM  v«a  ttOO  G«hinm 
dean  GeacMecht«  rcfgiM^ea, 
da«  G^ira  m  Aller  Ton  7  bi» 
n  147$  p-  «o^:  mDcni  voa  da  aa 
».-«L  Jakie  warn  ÜEsiaulgewichi 
•l  Jäte«  (17»  gr)L  Bd  beUcB  Ge- 
I  G«hin-G«vidii  »t 
ÜB  Aller  Ton  60—70 
I  «war  Wi  Fkaacn  in  «UrinrcM  ÜMMae  ab 
Ober  dflK  Gnad  «ad  ^  Folgoi  dieMr 
ür  aicht  aa  dar  Zdl  n  möl 
TtfimmrJL  Mgi:  «Jei.  dm  b  fieniBe.  3  tal  eaaln*  pw  laa  cUirw  de 
Braea  rt  JUaeimf  rteak,  «i«<  la  ftaata  ttnMtt  piai  y  Ffc— »e  d'aa  actruim 
■cat  eieeiMif  ei  rapida  da  cerfcaa  avaat  viagt  aaa.  Ca  BananiBa  pflrfaoee 
•at  «<aM  n  €kai  ^a>  la  eoariie  g^afcale.  qa^oa  a'ca  icteaa«  paa  da  aeooad 
4  kn  eppowr  plas  Urd.  Doit-oa  «a  lirer  oeU«  coBtfq[«>aw  fae  1»  cnfTtaa 
flaiiaia  doh  Mre  tnite  avec  dca  pritaatiaM  taatei  paHwiafiiiM  et  qa'Jl 
aa  liiirtLiBtl  paa  par  eeaaiqpcal  &  «aa  idanallua  dipaanat  Mi  foreea  eM- 
Vralair' 

Er  ■toOt  daaa  fb^cad»  tatcrcnaate  tUvellt  i wia.   aas  wek^er 

der  üalenMkied  laiaAea  dca  aJaaKtImi  «ad  veiUi^ca  GcÜraca  ertielii- 
fick  «ad: 


SeMicwIkfc  beiaeikea«v  »Wi 
fiOkade  üattnckied*  darch  die  raachci 
TWü«  de«  KScpeoL 

Toa  weveaÜi^cr  Bedealaag  «dieiai 
Za-  aad  Abaakoc  da  Hirafewiebt«  i 
aeia.    BdiOB    na  Jalue  I8<1   luOla  Boji 
im  Bo«p<lal  too  SL  If  arrl^boae  j« 
vobö    er    darehacbaiUfidl    Giad.    daa« 
14  Jalirea  bei  Kaabca  ItB.  bei  UlfeW 
emidita  daa  »cibhAe  6etea 
l\ig$  gt),  daa  «infidha  «rf 
acMcditerB  aiauat  a^  voa  i 
jcdCM  Jabn^oit  bia  aam  60.  Jakre  ab. 
Jakrea  da  rwvilei  Aaateägea,  aad  xwai 
bei   Mlaaetn.     Ime   Hypolkeaa 


Aalor 


e  5 


Tkmoadt  (SekoUca) 
ir«idfccr  . 

Braea  (Begiatcr)  .  -  . 


IM4UlMgr 

|8T0il»t'-i«  , 

Wo  -J4i  . 

l«<:  -14S  . 

lfi4  „ 


Aalor 


Voa  CO-M  Jakrci 
Broom     (di 


rbwaaa^Verackicdct 

Biftkag 

»mm  (Evgiilarl 


1*»  ^ 


NäUlli— lid 


Daa  Weib  im  Altar  von  iO— «0  Jabrea  bat  alaa  IM— 164  gr. 
im  Alter  res  60—90  Jakrea  ItS — ISS  gr  waaiger  Gakira  aU  dat 
M  ao  n. 

r«b<T  die  MMWiaihalHfii  alckUgca  Palwukiidi^  wilili  Mk  ac^aa 
vtbrend  de«  eaib»ycaikia  Lakeaa  aa  daa  OcUmw  der  bddiB  flufkliibKi 
cfiDeBaca  aad  aackvetacn  kataa.  kai  «as  Atdfafv-t  aa^pülii.    Kr  •agi. 

JLun  mMM  giaabaa.  dcM  die  lM|rMMadM  (Icinklinklacatcn .liieja. 
wdebe  «ek  aa  ^ll«B  KOrpcrÜMflaa  ia  M>  aalTkn«MWr  WaiMi 


^H^m 


ftlt  und  Körperbau. 

an  dem  Or^an  des  Denkens,  dem  wichtigsten   des  Körpers,    gar  nicht,   oder 

,  nur  in  so  feinen  Nuancen  auftreten,  dass  sie  si<:h  der  Beobachtung  entziehen? 

Ist  es  denkbar,    dass  die  Parallele,   welche  zwischen  dem  Gehirn  und  der 

^Geistesthätigkeit  in  den  verschiedenen  Altersperioden,  also  von  der  frühesten 

Jagend  bis  in  das  h5chBte  Alter,  in  so  ausgeprägter  Art  vorhanden  ist,  nicht 

auch  fQr  die   beiden  Geschlechter,   deren  verschiedene  Stellung  bei  unseren 

civiliairten  Völkern    gewiss   nicht  das  Resultat  v:ui1illiger  Factoren,     sondern 

nur  da«  bestimmter  organischer  Einrichtungen  sein  kann,  Geltung  haben  soll?" 

Büdinger  kommt  durch  seine  Untersuchungen  zu  folgenden  Ergebuissen: 

„In  Bezug  auf  das  absolute  Gewicht  des   Gehirns  bestätigten  sich  die 

Angaben   von  Robert  Boj/d,    der  bei  todtgeborenen    Kindern    im  Mittel   ein* 

.DifTfrens  von  46  Gramm  minus  fBr  das   weibliche  Geschlecht  gefunden  hat. 


i.S3' 


Fig.  7,     Die  OegobleohU-Untenohicd«  «n  den  Gehirnen  nengeboreneT  Kind«; 

(aaoh  Hidinger^),     Oben   der  Btlmtheil,  unten  der  Hinterh&nptitheil. 

Koabe.  Btldohen. 

AUe  drei  Hauptdurchmesser  des  Gehirns  sind  bei  neugeborenen  Knaben 

»r  als   bei  Mädchen   und   /.war   im  Mittel   der  sagittale  um  0,9  cm,  der 

echte    und    der    quere    um   0,5   cm.     In    der   Mehrzahl    der    männlichen 

[YoctoHgebime  erscheinen  die  Stimlappen  etwas  massiger,  breiter  und  höher, 

laU  die  weiblichen.     HuscMe  hatte  schon   den  Satz   aufgestellt,   dass   beim 

[Vanne   mehr   Hirn    vor   der  Centralfurche ,    beim  Weibe   mehr   hinter   der* 

leiben  liege. 

WlLbrend    des    siebenten    und    achten    Monats    bleiben    am    weiblichen 

iebim  alle  Windungen  bedeutend  einfacher  als  am  münnUchcn,  so  dass  der 

inxe  Stirnlappen  beim  Mädchen   den  Eindruck  der  GiMte   oder  Nacktheit 

^inacht.     Alle  aecundlircn  Trans verüalfurchen  sind  am  männlichen  Hirn  schon 

angelegt,  während  dieselben  am  weiblichen  Hirn  noch  einfach  erscheinen  und 

^^iin  iangxiimereä  Wachsthum  zeigen.     Der  männliche  Schcitellappen  ist   ganx 

Ibirsonders   charakteristisch   verschieden  von   dem   weiblichen,   denn   während 

der  Stirn-    and    der   Hinterhauptslappen   noch    ve.rhältnissmässig   glatt   sind, 

[erscheint  er  bald  to  stark  gefurcht,   dass  er  sich  von  seiner  Umgebung  sehr 

wfEallend  unterscheidet.     Mit  Recht  hat  daher  Huschke  den  Scheitellappen 

Bim  Manne  für  eine  bevorzugte  Hirnpartie  erklärt. 

Dio  Centralfurche  verläuft  hei  dem  männlichen  Foetua  Öfters  schief; 
jedoch  ist  dieser  Unterschied  vom  weiblichen  Geschlechte  kein  constünter  and 
|i«t  riellAicht  weniger  durch  das  Geschlecht,  als  vielmehr  durch  die  Verschieden- 
Ibeit  der  Form  des  Kopfes  hervorgerufen. 


26 


I.  Anthropologiaehe  Aolüausuog  des  Weibes. 


Aiu  Gehirn  d«r  n«ugeboi«Den  Mädchen  ist  die  Iiuel  in  grOaseicr  Ah- 
dehnung  sichtbar  and  leichter  zogän^Iich,  «b  beim  Knaben;  die  FoM»  Syfaü 
wird  daher  am  weiblichen  Gehini  »}>iter  dorch  die  omgebenden  Windungen 
geschlossen,  ald  am  männlichen. 

Im  siebenten  ax;d  achten  Monat  i^t  die  perpendiknläre  S{>alte  na  der 
Innenfläch«  der  Hemi>phäre  beim  Mädchen  weniger  tief  eingMCfifct,  difl 
BütAoifiiiii  Bogenwindung  eben  um  dieselbe  glatter  and  einfncfa«r  nad  der 
Hinterhaaptdlappen  erscheint  weniger  vc-m  >cheitellappen  abge«etit.  ala  beim 
Knaben.  Aach  «ind  alle  Wicdcngen  an  der  Innenfläche  der  Hemiiphäie 
glatter  und  einfacher,  während  beim  Knaben  die  Forchen  iiefer  and  die  ^  in- 
dangen  ge«chläc;^ltcr  Ter'.aofen. 

Trotz  vieler  individueller  Aiunahmeo.  weichen  man  lorgfUtige  Bexflck- 
sichtigung  £^  TLcil  werden  Lu^en  mca«.  Läzji  man  die  TfaaUacbe,  dau 
ganz  verjt:hiedenc  typische  Bildungsgcäetze  für  die  Grosahirn- 
winJunge:!  der  ceideii.  Geschlechter  bestehen  and  «chon  im 
foetale::  Leben  sich  geltezid  machen,  nicht  be«ti«iten.'* 

Pjji!^:  c:nnte  durch  seine  snter  RÄdimjtr'*  Leit;;ng  auf  der  Münehener 
*r..kt.?"--»  ^dächze::  rn(er$-a<.'huage:i  nachweisen,  dj^s  da«  Gehirn  der  MSaner 
vLüjeniTT  deiWei^-rr  ..ziemliJC  l-eüeutend"  an  Laue.  Breite  und  H3he  flber- 
cri£t.  .X>:e  Meswunx  der  Gehimperlpberle  in  der  X«dianebene  ergiebt.  daM 
,1.^  r.är-'ijhe  Gehirz  in  a2ge3i:eben.er  Lbene  eines,  diirchschnittlich  um  2  CB 
.rrCsciere-  r=.ü=^  ha:  als  das  weibliche.-*  Die  Ces.traif-.;rche  de>  VaitnrW  ist 
<:.irJLscii::i*'.l-.c£.  län^r  und  >tärker  gvkh:;uLit  als  d:e  de»  Weibes,  und  et 
li-rst  bii^  Mann«  zieL:  Geiilm=:as«e  vcr  der  Cenlralfarche  als  beim  Weibe. 
ce:i>:zd-:r^  raoh.  der  Medutr^ebene  :.:.  Hiz^egen  kum  Putztet  die  Angabe, 
VTcibe  ziehr  ■jezirsr.-.a'Se   hinMr  der  Centrali-.irv:he   liege  als 


(1=.-=.  Mt:s*-=.ä-  ni-ht  b<#ü»:iorr 


w;;   uur   oc  5sS-l.i> 

lojiijch    g\*ia»:cl 

de»  Gehiro»  ai»  ei«   wajtvi*-  uv 


[e-  w.r   noch  Jakamma 

\jiHkt'-  h:ren:  ..7-Mr  deii  allgemeinen 

>e».;I:a:c:i.      weiche       wir      gewonnen 

^^  ha.ez,     s-.ri:     a=.   Wichtigkeit    voran 

\  die  LrjkTZ^uiis«  tu:;;!  ent^ecengesetzten 

\^        :i:i.-jr.*'ist  Oeseziciiäiigteit  der  Ent- 

wi^k-.«-.;:^:  i^s   Griixr.v.vin«    bei   dem 

\      ;_i:;:Ll:-:.ii  i:ii  WB;.l;:iec.  Geschlechte. 

\    \VÜ~-i   W-.7     r^:     d^i     Mäaaenchä- 

ii—   1-  -VU^ieLz.-"  :i  höhest  Maaue 

i:<f     Ne-c.::^^     vorwal;:::.     s«^en.      ein 

■,.'Z^•»:c'.CirJcjl-— ak:.-.,>fciale*  Himrolum 

:i     erT«..-i::j .     ü.xc^-.ecs     im    Gegen- 

s^:.     .ijk!.:     '.-e:     irs.     •'ra;ie&schadeln 

ei=e  Nr.c-j;i  a  i,'i>*;.-..g'3cher  Mikro- 

cei'iu».-.-,-      \\'..  *;ri;:i  r-,i:  fehlgehen, 

^-.>"ja    »-.r    ::::    .L.v>tf    v."i9«::z::iä*6igkeit. 

»-.:..":■.,>  »•.-.  T.vi...^  .i^ui.'ü.:  i  —  fdrdas 

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2.  Gestalt  nnd  Körperbau.  27 

des  Gehirns  an,  so  scheint  ans  die  hier  erkannte  biologische  Gesetzmässig- 
keit der  Entwickelang  des  Gehimvolams  bei  Männern  und  Frauen  einen  £in> 
blick  in  das  Yerhältniss  der  verschiedenen  intellectuellen  Begabung  der  beiden 
Geschlechter  zu  gestatten.  Bei  den  Frauen  überwiegt  die  Zahl  derjenigen, 
deren  psychisches  Instrument  eine  spärliche  Entwickelang  zeigt,  immerhin 
überragt  aber  eine  nicht  unbeträchtliche  Zahl  den  bei  Frauen  häufigsten 
Werth  des  GehimTolums  und  es  finden  sich  einzelne  Werthe  für  diese  Grösse, 
welche  dem  Maximum  für  Männergehirn volnm  nahe  stehen.  Das  letztere  ist 
dm  so  auffallender,  da  die  Massenentwickelung  des  Gehirns  auch  eine  Function 
der  Gesammtkörperentwickelung  ist,  in  welcher  der  altbayerische  Mann 
das  Weib  im  Allgemeinen  in  ziemlich  hohem  Maasse  überragt.  Es  stimmt 
das  mit  der  bekannten  Bemerkung  zusammen,  dass  das  Gehimvolum  der 
Frauen  in  Beziehung  auf  die  sonstige  Gesammtkörperentwickelung  relativ 
etwas  grösser  erscheint,  als  das  der  Männer.  Bei  den  Männern  ist  die  Zahl 
der  Schädel,  welche  das  häufigste  männliche  Hirnvolum  übersteigen,  grösser 
als  die  Zahl  jener,  welche  unter  diesem  Normalwerthe  bleiben ;  das  psychische 
Organ  der  Männer  zeigt  also  vorwiegend  eine  das  Mittelmaass  übersteigende 
Entwickelung,  und  die  Zahl  besonders  mächtig  entwickelter  Gehirne  ist 
relativ  viel  grösser  als  bei  den  Frauen. 

Wenn  wir  nur  im  Allgemeinen  von  der  Ausbildung  des  Instromentes 
auf  seine  Leistungsfähigkeit  zurückschliessen  dürfen,  so  würden  wir  also  in 
UebereinstimmuDg  mit  älteren  Beobachtungen  innerhalb  der  Sphäre  seiner 
originellen  Begabung  die  Leistungsfähigkeit  des  weiblichen  Gehirnes  für  das 
Durchschnitts  -Weib  etwas  höher  ansetzen  müssen,  als  die  Leistungsfähigkeit 
des  männlichen  Gehirnes  für  den  Durchschnitts-Mann.  Dagegen  bemerken 
wir,  dass  bei  den  Männern  die  Zahl  derjenigen  Individuen,  welche  eine  über 
das  Normalmaass  höher  gesteigerte  Gehirnentwickelung  und  damit  also  wohl 
eine  gesteigerte  cerebrale  Leistungsfähigkeit  besitzen ,  weit  grösser  ist,  als 
bei  den  Frauen,  und  dass  im  Gegensatz  dazu  unter  den  Frauen  sehr  viel  zahl- 
reicher als  bei  den  Männern  solche  vorkommen,  welche  in  Beziehung  auf 
die  Entwickelung  des  psychischen  Organs  unter  der  bei  ihnen  normalmäasigen 
Grösse  zurückbleiben.  Es  stimmen  diese  Beobachtungen,  wie  mir  scheint, 
überein  mit  den  allgemein  gültigen  Erfahrungen  über  die  Unterschiede  des 
psychischen  Leistungsvermögens  der  beiden  Geschlechter." 

Trotz  alier  dieser  handgreiflichen  Unterschiede  hat  der  Wiener  Anatom 
Brühl  versucht,  eine  principielle  Ungleichheit  in  dem  Bau  des  Gehirnes  der 
beiden  Geschlechter  abzuleugnen,  weil  unsere  Eenntniss  der  feineren  Anatomie 
bis  jetzt  noch  nicht  ausreichte,  an  der  Art  und  Zahl  der  Furchen  und  Windungen 
des  Grosshims  sofort  ein  weibliches  Gehirn  von  einem  männlichen  zu  unter- 
scheiden. Nach  den  vorher  gemachten  Angaben  bedarf  es  keines  weiteren 
Eingehens  auf  diesen  Einwurf.  Es  ist  auch  noch  gar  nicht  lange  her,  dass 
man  nicht  im  Stande  war,  einen  weiblichen  Schädel  von  einem  männlichen 
zu  unterscheiden,  und  dennoch  ist  uns  das  heute  möglich.  Und  auch  bei  den 
Gehirnen  wird  eine  derartige  Diagnose  vielleicht  mit  der  Zeit  gelingen.  Jeden- 
falls erscheinen  uns  die  bisher  aufgefundenen  Differenzen  wichtig  und 
charakteristisch  genug,  um  auch  den  eifrigsten  Vorfechter  <ler  Frauen- 
emancipation  aus  dem  Felde  schlagen  zu  können. 


mg  d«8  Weibe«. 


:).  Die  Sterblichkeit  des  weiblichen  Cieschlechtes  und  der 
Weiberäberschnss. 

Auch  die  Geburts-  und  Sterblichkeitsziffern  zeitigen 
Iwmerkenswertheünterschiede beiden  beiden Ge8ciilechtern('W'a^/>äifc«^. 
In  der  frühesten  Lebensperiode  zeigt  das  weibliche  IndiTiduum  eine 
auffallend  geringere  Mortalität.  Es  muss  eine  Ursache  bestehen, 
welche  die  Kinder  männlichen  Geschlechts  vor  und  bald  nach  der 
Geburt  energischer  hinwegrafit ,  als  die  Midcheai.  Die  grossere 
St<>rblichkeit  der  männlichen  Kinder  reicht  noch  weit  über  das 
SSuglingsalter  hinaus.  In  den  höheren  Lebensjahren  gestaltet  sich 
allerdings  die  Mortalität  etwas  anders.  So  hat  J5f»9ef  in  Prenssen 
enuitteltv  dass  die  Sterblichkeit  der  Frauen  die  grössere  ist  bloss 
in  den  Jahren  10 — 14,  dann  25 — 40,  endlich  Qber  60;  in  allen 
and«ren  Jahren  ist  sie  geringer.  Man  hat  über  die  Ursachen  dieser 
Diffanwen  UHUUUgfiaclw  Vermnthungen  and^esieilt,  doch  sind  alle 

uknueächend.    Eine  eigenthümlidie,  gewiss  allxa  teleo-     « 
Aber  dif»  grBaaatB  Sterblichkeit  minnlieher  Kinder  S 
fer  aa&,    indan  «r  ««gt:    ^E?  mag  wohl  die  Natur,  m 
in  der  Absicht,   aas   dem  Manne   ein  roUkommeneres  Geschöpf 
gtt  lalden,  als  aoa  dem  Weibe,  dabei  noch  mehr  Hinderaisw  find». 
EIb  kSaent  Orgunarnns  ist  aUoi  schidlicfaen  Einflftsagn  zogang- 
BolMr.^    &  isi  wuaJailkh,  w«a  aan  d«  weablicbcn  Qrgaownnis, 
w«l  «r  im  JQgeadfidMi  AHcr  giCsses«  ffmwdenM  Bdgt,   als  änen 
aaToUkommeDcr    Tennlagien    anfiMsk.      In  ^itocn  Lebeos)aliren 
inigea  n  dkr  grtfcren  MinncnfterUidLkeit  Dmrtiade  bei»    die  in 
der  niiwJiilliniiiig  «ad  Lebcnswciee  liegen  and  welnhe  don^   die 
rodMübette  Ar  die  Fnaen  aar  weng  ■■mgliilim 
WVBB.    Die    aoocnn  AlfeervlMBen  inn  m  uteluueni  ^BMcm  bm 
dn  Weiban  lelatiT  stirkcr  bcMbt,  ek  bei  den  MbuMtn. 

Der  Ton  der  Direiione  Generale  Statistica  des  ii 
lienischeo  Miusterinms  für  Lmiwirthsebaft,  Indmine  oad Handel] 
1S84     rrxi^ftentüchte    Beciobt:      PopoUaione,    MoTimento 
della  Stato  cirile,  giebi  «hw üdbeBBcbt  Aber  d&e  iahi«  1865 
bm  188a,  «M  w^lcber  ^e  V« 


«rtea  in  frei 
Icitnnm 


it«*4iaek  l^elen    .    .  Mll 

Eaglaa^  «ad  IrlMid  tH 

Fcaakreick  ....  Mft 

SckatiUad  1^ 

rtaatftfa   .  -^^ 

Bajeta  .    •     •  >^\' 

Sa»b»*B  l'^ 

Tk«ria$«a  ;^^^ 

PentsekeaBeteb.    <  M» 


im  ICttd  IlMieh  « 

KUaM^Lotkria^rx 

Daf%ra 

8«kweta 

lUleit« 
H«n»a4 

t}k«r««rk 

K  U  t  O  V  k  i  •  <  V     '-. 


100 


t«: 


Die  Sterblichkeit  des  weibl.  Geschlechte«  und  der  WeiberQberschuss      29 


Irland 106  Kaabea 

Oe8terreich(Ci8leitfaai].)106  , 
Kroatienu.  SlawonieD  106  , 
Norwegen  ....  106  , 
Serbien 106 


MaBaacbusetis 
Spanien       .     . 
Connecticut 
Rumäu  ien 
Griechenland 


106  Knaben 

107  , 

110  , 

111  , 

112  . 


i^' 


Wir  sehen  hier,    wie  durchgehends   die  Zahl   der  Knaben  die- 
jenige der  Mädchen   übertrifft  und  wie   unter   32  Ländern,    welche 
berücksichtigt  wurden,  in  den  berechneten  19  Jahren  in  nicht  weni- 
er    als    19  Ländern    das   Verhältniss  der  Knabengeburten   zu    den 
ädchengeburten  ein   constantt^s  war,  nämlich  wie  105  zu  100. 
Aufiullend  ungleich  stellt   sich   bei   den  centralaustrali- 
sehen  Schwarzen  am  Finke-Creek  nach  Angabe  des  Missionär 
Kempe  die  Zahl  der  Knaben-  und   Mädchengeburten:  in  den  Jahren 
1879  — 1882  kamen  etwa  4  Mädchen  auf  je  einen  Knaben. 

Ein    erheblicher  Ueberschuss  an  Weibeni    findet  sich  auf   der 
sei  Sal  eijer  im  malayischen  Archipel  südlich  von  Celebes,  wie 
r  durch  Engelhard  erfuhren.     Die  ftinf  Regentschaften  der  Insel 
esitzen  in  ihren  17  Ortschatten  eine  Bevölkerung  von  2035  Männern 
und  nicht  weniger  als  3337  Weibern. 

Wenn  wir  in  der  Ge^ammtbevölkerung  aller  europäischen 
Btaaten  das  Verhältniss  zwischen  männlichen  und  weiblichen  Per- 
^Bonen  berechnen,  so  stellt  sich  ein  Ueberschuss  der  letzteren  heraus 
^Bn  Proportion  von  102,1  Krauen  auf  100  Männer,  obgleich  unter 
^ben  Neugeborenen  ein  Geschlechtsverhältniss  von  105  Knaben  auf 
^Di30  Mädchen  besteht.  Allein  diesen  Weiberüberschuss  besitzt  nur 
^EBuropa,  denn  in  anderen  Continenten  findet  sich  eine  durchschnitt- 
lich grössere  Zahl  männlicher,  als  weiblicher  Personen.  Länder 
it  andauernd  starker  Auswanderung,  wie  Grossbritann  ien  und 
utscbland,  haben  ganz  natürlich  Männermangel,  da  vorzugs- 
eise  Männer  sich  in  die  fremden  Länder  begeben ;  demgemäss  ent- 
iht  in  Ländern  mit  starker  ^Einwanderung  dagegen  Frauenmangel. 
Thatsache  freilich  ist  nicht  allein  genügend  zur  Erklärung 
Weiberüberschusses.  Zunächst  sind  in  den  frühesten  Alters- 
sen  hinsichtlich  der  Sterblichkeit  die  Knaben  weit  mehr  ge- 
'uhrdet,  als  die  Mädchen.  Dann  aber  begleitet  die  grossere  Lebeus- 
rohung,  welche  die  Natur  dem  Knaben  als  böses  Geschenk  in 
ie  Wiege  legt,  diesen  fast  durch  sein  ganzes  Leben.  Mayr  sagt 
ierüber: 

„Abgesehen  von  der  in  ihrer  tödllicben  Wirkung  vielfucb  Aberschatzten 

khr,    welche  die   Entbindung   dem   Weibe  bereitet,    erscheint  der  Mann 

b   der  ganzen  Entwickelung  seines  Lobfna  bedrohter,  als  das  Weib.     Er 

in  jeder  Beziehung  zu  intensiverem  Verbrauche  der  Lebenskraft.     Die 

Arbeit  dea  Frieden«  wie  des  Krieges  bringt  ihm  weit  grossere  Anatren- 

ngen    and   Gefahren,  wie  dem  Weibe.     Der  grosseren   Summe   ph^^Riscber 

,  welche  er  besitzt,  steht  keineswegs  eine  entsprechende  gr&sscre  Wider- 

kraft  gegen  die  munuigfiiltigeu  Lc^bennbedrohungen  zur  Seite,  welche 

Dgebeu.     D»hei    darf  man    nicht    etwa  bloss    an    die  einzelnen   rasch 

»den  Vorgange,    wie    z.  B.  die   Verunglückungen    im    Oewerbebetriel>e, 

km.   denen  der  Manu  weit  mehr  ausgesetzt  i«t,  altt  das  Weib,  »on4ern 


80  I-  Anthropologische  Anffastang  des  Weibe«. 

aach  an  den  langsamen  Verzehr  der  Lebenskraft  im  Starm  und  Dnung  da 
Lebern.  Recht  belehrend  ist  in  dieser  Hinsicht  die  Criminal-Statistflc.  Nie- 
mand wird  bezweifeln,  das«  der  Weg  des  Verbrechens  auch  dem  leibtichen 
Wohle  nachtheilig  ist.  nnd  wollte  er  dies,  so  wftre  er  dnrch  den  einfachen  Hin- 
weis anf  die  Sterblichkeitsziffer  der  Galeere  nnd  des  Znchtbansea  belehrt 
Wenn  nun  aber  von  Tag  zo  Tag  das  mAnnliche  Ge«chlecht  einen  etwa 
f&nffach  grosseren  Betrag  zu  den  Verbrechern  stellt  als  das  weibliche,  nnd 
wenn  wir  auch  darin  nur  einen,  daftir  aber  statistisch  gut  erfassbarea 
Ausdruck  des  vielfachen  Anlasses  zu  rascherem  Verbranch  der  m&nnlichea 
Lebenskraft  erblicken,  so  werden  wir  uns  nicht  wundem  dOrfen,  wenn  ons 
die  Statistik  weiter  lehrt,  dass  wir  nns  nicht  irren,  wenn  wir  in  den  Strassen 
unserer  Städte  mehr  alte  Weiber  als  alte  Männer  zo  sehen  glauben." 

Derselbe  Antor  sagt:  ..Wegen  der  stärkeren  Besetzung  der  höheren  Alteia- 
klassen  bei  den  Weibern  findet  man  ein  namhaftes  Uebergewicht  darchlebter 
weiblicher  Lebenszeit  im  höheren  Alter.  Für  Bayern  ergab  sich  beispiels- 
weise aus  der  Erhebung  von  1875,  dass  die  51 — 55jahrigen  Weiber  mehr  als 
7  Millionen  durchlebter  Jahre  aufzuweisen  hatten,  während  die  Mftnner  gleichen 
Alters  nur  ein  Oesammtleben  von  nicht  einmal  ß'^j  Millionen  Jahren  dantellen. 

Ganz  bedeutende  Unterschiede  giebt  es  zwischen  den  Nationen  Earo  pas; 
den  höchsten  Frauen-Ueberschuss  zeigen  Grossbritannien  und  Schweden 
(106  weibliche  auf  100  männliche  Personen);  denn  wenn  man  1881  in  Eng- 
land (ohne  Schottland  und  Irland)  11947  726  männliche  und  12  660  665 
weibliche  Personen  zählte,  so  gab  es  daselbst  ein  Plus  von  712  989  Personen 
weiblichen  Geschlechts.  Da  muss  man  doch  noch  fragen,  ob  dieses  Plus  nicht 
vorzugsweise  durch  Weiber  repräsentirt  wird,  die  in  höheren  Altersklassen 
stehen.  Ein  ähnliches  Verhältniss  findet  sich  auch  in  einzelnen  deutschen 
Ländern,  namentlich  in  der  Provinz  Ostpreufsen  und  im  Königreich 
Württemberg,  während  Oldenburg  und  die  Provinz  Hannover  eine 
fast  gleiche  Zahl  von  Männern  und  Frauen  besitzen.  Dagegen  haben  die 
Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika  einen  Ueberschuss  der  männ- 
lichen Bevölkerung:  dieser  Thatsache  gegenüber  meint  der  französische 
Statistiker  £/oc^-,  dass  vielleicht  der  Grund  der  berühmten  nordamerikani- 
Hchen  Frauen  Verehrung  ursprünglich  in  diesem  der  Damenwelt  gflnstigen 
Verhältnisse  der  Nachfrage  und  des  Angebotes  zu  suchen  sei. 

Die  interessant^^  Frage,  ob  in  der  Th&t,  wie  behauptet  worden,  in  Eng- 
land 2  Millionen  Personen  weiblichen  Geschlechts  mehr  als  männlichen 
Geschlechts   eziHtiren,    wird   durch  folgende  Zahlen-VerhältnisBe  beleuchtet. 

(iroHsbritannien  zählte  1851:  13369  442  männliche  und  14074814. 
weibliche  Einwohner,  ein  Verhältniss,  welches  durch  den  indischen  und  den 
Krim -Krieg  wahrscheinlich  herbeigeführt  war. 

Im  Jahre  1861  zählte  man:  14  097  208  männliche  und  14939  300  weib^ 
liehe  Einwohner;  daH  Plus  der  weiblichen  Personen  betrug  also  noch  nicht 
1  Million.  1881:  17  203  947  miinnliche  (incl.  Soldaten),  17  992  615  weibUche; 
Plus  738  668. 

In  England  allein  (ohne  Schottland  und  Irland)  bestand  im  Jahre 
1875  (bei  22  712  266  Einwohner)  das  Verhältniss  von  96,13  männliche  auf 
100  weibliche  Pcmonen.  Im  Jahre  1881  war  das  Verbältniris:  11947  726 
männliche  und  12  660  665  weibliche,    also  712  939  plus  weibliche. 

Ingiinz  Europa  ist  das  Gescblechtsverhältniss  derGesammt-Bevölkerung 
—  100  Männer:  102,1  Frauen,  dagegen  in  Grossbritannien  100:106,2;  es 
überwiegt  demnach  hier  der  Frauen-Ueborschuss  ganz  bedeutend,  und  zwar  in 


3.  Die  Sterblichkeit  des  weibL  Geschlechtes  und  der  WeiberflberschusR.     31 

ziemlich  gleicher  Hohe,  wie  in  Schweden,  doch  ist  immerhin  die  Annahme 
ron  2  Millionen  viel  zu  hoch. 

In  dem  gleichen  Zeitninme  (1865—1888)  starben  jährlich  im  Mittel  auf 
je  100  weibliche  Individnen  in: 
Rhode  Island     ...      97  männl.   England  und  Wales  .     107  männl. 

Vermont 98      ,         Kroatienu.Slawonien    107 

Massachusetts  ...      99      ,         Spanien 107 

Schottland     ....    100      ,         Bayern 108 

Irland 100      ,         OesterreichCCisleithan.)  108 

Elsass-Lothringen     .     102      „         Ungarn 108 

Connecticut    ....     102      ,         Schweiz 108 

Norwegen  .....    103      ,         Belgien  ......    108 

D&nemark  .....     103       ,         Deutsches  Reich    .     .     109 

Finland 108      ,         Preussen 109 

Schweden    .....    104      ,         Sachsen 109 

Holland 105       ,         Thüringen...     ...     109 

Europäisch.  Russland   105      ,         Griechenland     ...     111 

Italien 106      ,  Serbien 112 

WOrtemberg       ...     106      ,,        Rumänien 116 

Frankreich     ....     107       , 

Wenn  wir  diese  Sterbelisten  iim  Ratb  fragen,  so  sehen  wir  also 
dass  wir  nur  drei  Länder  antreffen  (Rhode  Island,  Vermont 
Massachusetts),  wo  die  Zahl  der  weiblichen  Todten  grösser  ist, 
als  die  der  männlichen;  zwei  Länder  (Schottland  und  Irland), 
wo  die  Zahlen  der  beiden  Geschlechter  gleich  sind,  während  in 
allen  anderen  Ländern  die  Zahl  der  männlichen  Todten  diejenige  der 
weiblichen  übertrifft  und  zwar  nicht  selten  ganz  bedeutend.  Dass 
also  in  den  Culturstaaten  ein  Ueberschuss  an  Weibern  in  Wirk- 
lichkeit existirt,  das  mnss  als  eine  bewiesene  Thatsache  betrachtet 
werden. 


IL  Die  psycliologische  Auffassung  des  Weibes. 

4.  Die  psycliologischen  Aufgaben  des  Weibes, 

Ueber  das  Verhältniss  des  Weibes  zum  Manne  in  Bezug  auf 
ihre  gegenseitigen  geistigen  Fähigkeiten  legte  sich  der  Engländer 
Allan  die  Frage  vor: 

„Ist  liüb  Weib  in  intelleciueller  BesiehuDg  dem  Manne  gleich?  Bestehen 
keine  natürlichen,  geistigen  Verschiedenheiten  zwischen  den  beiden  Ge- 
Bchlechtem?  Sind  die  deutlichen  Unterschiede  im  Denken  und  Handeln,  die 
man  zwischen  WeiV)ern  und  Männern  bemerkt,  allein  durch  die  Erziehung 
bedingt,  oder  in  der  Natur  begründet?  Ist  das  Weib  einer  gleichen  geistigen 
Erziehung  fähig,  wie  der  Mann,  und  kann  gleichmä^siger  Unterricht  alle 
geistigen  Verschiedenheiten  zwischen  den  Geschlechtern  aufheben  und  dm 
Weib  zu  einem  erfolgreichen  Wettstreit  mit  dem  Manne  in  aller  Art  geistiger 
Arbeit  befähigen?" 

Wir  berühren  hiermit  gleichsam  die  »Frauenfrage",  welche 
freilich  vom  anthropologischen  Gesichtspunkte  aus  in  einer  den 
Frauenreehtlern  nicht  ganz  wünschenswerthen  Weise  beantwortet 
werden  muss.  Denn  wir  stellen  uns  vollständig  auf  die  Seite  von 
AUa»,  welcher  seine  Frage  fulgendermaassen  beantwortet: 

„Mein  Standpunkt  ist,  dasa  durchgreifende,  natürliche  und  dauernde 
Unterschiede  in  der  geistigen  und  moralischen  Bildung  beider  Geschlechter 
bestehen,  Hand  in  Hand  gebeud  mit  der  physischen  Organisation.  Man 
vergleiche  das  männliche  und  weibliche  Skelett,  man  studire  Mann  und  Weib 
im  physiologischen  und  im  pathologischen  Zustande,  in  der  Oexundheit  und 
Krankheit ;  man  beobachte  philosophisch  ihre  respectiven  BcKtrebungeo,  Beachdf- 
tigungcn,  Vergnügungen,  ihre  Neigungen,  ihr  Verlangen;  mau  vergogeuwärtige 
sich,  welche  Rolle  jedes  Geschlecht  in  der  Geschichte  gespielt  bat,  —  und  man 
wird  schwerlich  der  paradi»xen  Behauptung  beizutreten  vermögca,  dass  e«  keinen 
Ooschlechtsunlerschied  dos  Geistes  giebt  und  dass  die  geistige  Ver- 
schiedenheit der  Geschlechter  allein  eine  Folge  der  Erxiehuug  sein  soll. 
Ein  Weib  mit  männlichem  Sinn  ist  ein  ebenso  anomales  Geschöpf  als  eine 
Frau  mit  mannlicher  Brust,  mit  mttnulicheni  Becken,  mit  mannlicher  Musku- 
latur oder  mit  einem  Biirte." 

Wohl  muss  jeden»  unbefangenen  Beobachter  die  Thatsuche  aui- 
fallen,  dass  überall  schon  von  friihest^r  .Tu^jend  au  die  Neigungen, 
der  Geschmack  und  das  Vergnlig.-i.  }>.m  Ivid,.,,  r.^^chlechteni  hücliak 


4.  Die  p«j«ho1ogischen  Auff^uben  des  Weihes. 


different  smd.  Bei  allen  Völkern  (siehe  Ploss^")  zeigt  sich  schon 
Hüter  den  Kindern  in  den  Spieläiisserungen  der  geistige  unterschied 
beider  Geschlechter:  die  Knaben  sind  actirer,  lieben  kriegerische 
Spiele,  spielen  Räuber,  Soldaten  u,  s.  w. :  der  als  Madchen  ver- 
kleidete Achilles  griff  zum  Schwert.  Puppen,  Spiegel,  Putz  und 
Tänze  sind  die  Spiele  der  Mädchen. 

Die  Vertreter  der  , Frauenrechte*  behaupten  Gleichheit  zwischen 
Mann  und  Weib;  wenigstens  stehen,  wie  sie  sagen,  in  intellectueUer 
Hinsicht  die  beiden  Geschlechter  mindestens  auf  gleicher  Stufe,  ja 
man  sehe  sogar,  dass  in  geistiger  Beziehung  die  Mädchen  viel 
schneller  zur  Reife  gelangen  als  die  Knaben,"  und  dass  zum  Beispiel 
Mädchen  von  lü  .Fahren  in  Bezug  auf  ihre  geistige  Entwickelung 
die  gleichaltrigen  Knaben  bei  weitem  übertreffen.  Man  könne  sich 
hieraus  zum  mindesten  nicht  einen  Rückschluss  auf  eine  geistige 
Unterbilanz  bei  dem  weiblichen  Geschlechte  gestatten. 

Aber  diesem  Einwurf  setzt  Allan  mit  vollem  Rechte  einen 
anderen  entgegen.  Er  macht  nämlich  darauf  aufmerksam,  dass  ein 
Tliier  oder  eine  Pflanze,  je  höher  sie  auf  der  natOrlichen  Rangstufe 
stehen,  um  so  langsamer  ihre  höchste  Entwickelung  erlangen;  so 
sei  es  auch  mit  den  Knaben,  die  später  reifen,  als  die  Mädchen, 
sowohl  in  leiblicher,  als  in  geistiger  Hinsicht. 

Sehr  Kchön  befipricht  an  der  Hand  der  Geschiebte  Ixyrrnz  von  Stfin 
die  ,.Fraufnfrage* :  ,Es  ist  noch  keine  hundert  Jahre  her  in  einer  Weltge- 
ftchichte  von  ho  vielen  tausend  Jahren,  da.9s  man  überhaupt  begonnen  hat 
Ober  die  tiefere  Natur,  das  Wesen  und  die  Mission  der  Frau  in  der  uiensch- 
lichen  GenieinHchaft  nachzudenken.  Bei  allem  fattb  nnendliithen  Reichthum  der 
alten  Welt  in  allen  Gebieten  des  geistigen  Lebens  igt  hier  ein  Gebiet,  zu 
welchem  ihr  arbeitender  Gedanke  niemals  hinnngereicht  hat.  Selbst  an  den 
gröbsten  weiblichen  Gestalten  der  alten  Welt  gehen  nicht  bloss  Philosophie 
und  Geschichte,  jiondern  ttclbüt  die  geistreiche  Beobachtungsgabe  der  Pariser 
unter  den  Griechen,  der  Athenienser,  schweigend  vorüber,  und  weder  das 
schöne  Bild  der  PeneJope,  noch  die  glllnzende  Erscheinung  einer  Lnis,  noch 
die  machtvolle  einer  Khnpatrn  oder  die  schmachbedeckte  einer  Messaline 
haben  min  Nachdenken  auch  die  rtvsllos  Denkenden  unter  den  Alten  ange- 
spornt. Aristoielen  weiss  in  seiner  Politik  von  hnndgrt  Gründen,  aus  denen 
Männer  Rtark  uud  Staaten  gross  werden  und  vergehen,  aber  von  einem  der 
«gewaltigsten  Kactori-n  de«  Lebens  und  seiner  Bewegting,  von  dem  Weibe, 
weiss  er  nichtj>,  Phitn  kennt  alle  Ideale,  die  d^-a  Menschen,  der  Weisheit, 
des  Staates»,  der  Unsterblichkeit» —  da«  Ideal  des  Weibes  kennt  er  nicht. 
Die  Lyriker  besingen  alles  bis  zu  den  olympbchen  Spielen  und  Siegern,  aber 
die,  denen  si<.-h  zuletzt  auch  diese  Sieger  gerne  beugten,  die  Frauen,  kennen 
sie  nicht.  Unter  den  grossen  und  kleinen  Theaterdichtern  der  alten  Welt 
hat  nur  Sophoklrs  eine  Antigone;  .sie  wissen  alle  das  Weib  nicht  .ils  .Motiv' 
zu  ver«toh<;n  und  zu  benutzen,  und  darum  sind  uns  ihre  doust  so  grossen 
Dramen  Früchte  ohneBiüthen,  kalt  und  klar,  hart  und  historisch.  Allerdings  be- 
ginnt mit  der  germanischen  Welt  eine  andere  Zeit.  Das  Weib  tritt  in  di* 
Geschichte  und  ihre  Poesie  hinein;  an  der  Schwelle  derselben  stehen  Krtem- 
fkiUL  und  Bruntuld,  zvrei  Gestalten,  wie  sie  die  alte  Welt  nicht  kennt,  und 
Im«   wird    der  Inhalt    eines  zweiten  nicht  minder  grossen  Epos.     Dann 

Pto«*,   Du«  Wiii><.     I.    3.  Aufl.  3 


34 


11.  Die  pgychologiache  Auifaasuug  de«  Weibes. 


kommen  die  Troubadours  und  ihr  Reflex  bei  den  Deutschen,  die  Mijines&Q( 
das  Herz  der  geraiaiiiächeti  Völker  hat  gefunden,  wa«  der  Verstand  der  alten 
nicht  gesehen  hat,  die  Li  ebe  aU  jenen  milchtigen  Factor,  der  die  eine  Hftlfte 
des  m&nnlichen  Lebens  unbedingt  beherrBcht,  am  die  andere  glQcklich  oder 
unglücklich  zu  machen;  und  von  da  an  wird  die  Ehe  der  Inhalt  aller  K&mpfe, 
in  denen  das  Individuum  mit  den  individuellen,  ja  mit  den  gesellschaftlichen 
Yerbältnisaen  ringt.  Schon  iut  das  Pathos  aus  dem  rein  männlichen  ein  halb 
weibliches  geworden;  der  Mann,  der  früher  Bein  Leben  und  seine  hOchste 
Kraft  nur  dem  Staate  geweiht,  lernt  fQr  die  Frau  nicht  bloss  fühlen  und 
leben,  sondern  auch  sterben,  und  die  Poesie  des  achtzehnten  Jabrhunderta 
bedeckt  daa  Grab  aller  Werthers  mit  den  herrlichsten  Blumen  des  Liedes  und 
des  Trauerspiels.  Die  Frau  ist  du;  sie  ist  eine  Gewalt;  sie  ist  zur  Hillft« 
des  Lebens  geworden;  aber  sie  ist  doch  nur  ein  Eigenlhum  der  Dichtkunst. 
Kaum  dass  die  trockene  Satire  Geliert's  und  BaJyener's  hier  um)  da  einen 
komischen  Zug  in  die  gl&nzenden  Bilder  hineinzeichnet,  die  in  den  Gretchens 
und  Kl&rchens,  in  den  verschiedenen  Luisenhattigkeiten  und  Auiaranlhen 
ibre  tiefen,  schönen  Augen  auf  uns  richten  und  uns  fesseln;  die  schönen 
Gestalten  bleiben,  und  selbst  die  Sappho's,  die  uns  su  oft  begeistern,  sind 
unser  und  treten  mit  ebenso  viel  Klegans  als  Erfolg  in  das  sprudelnde  Leben 
unserer  Künstlerwelt  hinein.  Eh  ist  kein  Zweifel,  wir  sind  um  eine  Halb« 
Welt  reicher  geworden,  aber  bis  jetzt  nur  für  die  Dichtkunst.  Das  wirk- 
liche Leben  hat  noch  immer  die  Frau  nur  als  Thatsache,  nicht  als  die  grosse 
anerkannte  Kraft  aufgenommen,  die  in  ihr  lobt,  und  selbst  Bahcufn  «femme* 
incomprises*  haben  es  nicht  vermocht,  jenes  Interesse  an  den  weiblichen 
Gestaltungen  der  Dichtkunst  Ober  ihr  dreieaigstea  Lebensjahr  hinaus  featza- 
halten.  Da  kommt  nun  unsere  nüchterne  Zeit:  ihr  Charakter  ist  der  Ma  aBi- 
stab.  den  sie  in  tausend  Formen  in  ihrer  Hand  führt,  und  in  tausend  Formen 
messend  doch  immer  dasselbe  misst.  Das  aber,  was  sie  misst,  ist  der  Werth, 
und  zwar  mit  kühler  Härte  und  vollem  Bewuastaein  der  wirthschaftliche 
Werth  aller  Dinge.  Für  sie  ist  auch  die  Sonne  nichts  als  Licht  und  Wärme, 
die  Kraft  ist  Production,  der  Hain  der  Sänger  mit  sflsaduftender  Frühlin^s- 
luft  ist  ein  landwirthschaftlicher  Factor  für  die  Feuchtigkeit,  und  die  Blüthe 
aller  Dinge  hat  nur  als  Mutter  der  werthvollen  Erde  ihre  nationalökonomische 
B<>rechtigung.  Es  ist  sehr  traurig,  so  sehr  nützlich  zu  suin;  aber  es  ist  «o. 
Wer  will  es  wagen,  sich  dem  zu  entziehen?  Und  wenn  jetzt  jede  Form  de« 
Bewusataeins  von  den  nationalökonomischen  Messungen  angekränkelt  wird, 
kann  es  fehlen,  dass  wir  auch  das,  worin  der  Frühling  des  Lebens  sur  dau- 
ernden Gestalt  wird,  mit  diesem  Maasae  messen  ?' 
« 

So  gelangt  auch  dieser  treuliche  Schriftsteller  zu  einer  Ah- 
lehuiing  der  Emancipation  der  Frau,  indem  er  am  Schlüsse  seiner 
weiteren  Betrachtungen  sagt:  ,So  werde  ich  nicht  mit  den  Physio- 
logen über  das  Granimenge wicht  des  Hirns  discutiren;  ich  werde 
vielmehr  einfach  die  unzweifelliafte  Thatsache  feststellen,  dass  alle 
Berufe  der  Frau  zugänglich  sind  imd  »ein  sollen  mit  Ausnahme 
derer,  bei  denen  durch  die  strenge  Erfüllung  des  Berufs  selbst  der 
wahre  Beruf  der  Frau,  die  Ehe,  unmüglicb  wird.  Nun  glaube 
ich,  diese  Grenze  ist  in  den  Berufsarten  der  Frau  bereits  erreicht; 
die  Frau,  die  den  ganzen  Tag  hindurch  beim  Piilte,  am  Ilichter- 
tisch.  auf  der  TribQne  stehen  soll,  kann  sehr  ehrenwertb  und  .sehr 
nützlich  sein,   aber  sie  ist  eben  keine  Frau   mehr;    sie   kann  nicht 


4.  Die  psychölogiBclien  AnfgaTjen  des  Weibe«. 


35 


1 


ob,  ßie  kann  nicht  Mutter  sein."  Wir  stimmen  mit  v.  Stein 
öllig  in  dem  Satze  Uberein:  ,In  dem  Zustande  unserer  Ge- 
llschaft ist  die  Emancipation  ihrem  wahren  Wesen  nach  die 
Negation  der  Ehe."  Und  an  einer  anderen  Stelle  sagt  derselbe 
Antor:  «Es  ist  kein  Zweifel,  der  Träger  des  socialen  Gedankens  ist 
der  Mann,  die  Trägerin  des  socialen  Gefühles  aber  ist  die  Frau.* 
Die  Natur  hat  beide  Geschlechter  gewissermaassen  för  ihre  Leistungen 
auf  eine  Arbeitstheilung  hingewiesen. 

Die  Fehler,  welche  in  der  modernen  Erziehung  de.s  Weibes 
begangen  werden,  bedrohen  nicht  bloss  dessen  körperliches  und 
moralisches  Gedeihen,  sondern  sie  sind  auch  mit  schwerwiegenden 
Kacbtheilen  ftir  das  Wohl  der  Familie  und  damit  fllr  das  der  Ge- 
sellschuft verbunden. 

„Der  Beruf  de«  Weibes,  so  sagt  sehr  richtig  der  Seelen-Arzt  t\  Kraft- 
£bing,  ist  die  Ehe  und  in  dieser  ist  sie  berufen  als  Mutter,  ah  HaUHfrau,  als 
Gefährtin  des  Munncs  und  als  Erzieherin  ihrer  Kinder  ihre  Stelle  aassufUUen. 
Biesen  Berufspflichten  trägt  die  moderne  Erziehung  des  Mädchens  keineswegs 
▼olle  Rechnung.  Sie  scbiUligt  die  künftige  Leistung  als  Mutter,  indem  sie 
durch  z\i  vieles  Stubensitzen  und  Lemenlassen  den  Leib  verkOmraern  lässt, 
ie  Entwickelungsperiode  treibhausartig  verfrüht  und  über  den  Drang,  den 
Geist  zu  entwickeln,  nicht  einmal  den  Körper  in  seiner  wichtigsten  Entwicke- 
■lungsphase  schont.  Damit  wird  der  heutzutage  überaus  häufigen  Bleichsucht, 
w  Eingangspforte  so  vieler  Uebel,  wie  z,  B.  der  Lungen-  und  Nervenleiden, 
orschub  geleistet. 

Der  ethische  und  häusliche  Werth  des  Weibes  als  künftiger  Hausfrau 
und  Gefälirtin  des  Mannes  auf  seinem  oft  aufreibenden,  mühseligen  Lebensweg 
leidet  unter  einer  Erziehung,  die  nur  bestrebt  ist,  das  Mädchen  heutzutage 
viel  als  möglich  durch  äusseren  und  inneren  Aufputz  zu  einer  begehrens- 
«n  Partie  für  den  Mann  zu  machen  und  so  des  Mädchens  Zukunft  — 
tu  werden  —  thunlichst  zu  sichern.  Diese  Erziehungsweise  vemach- 
lllaMgi  die  tiemfiths-  und  Herzensbildung,  des  Sinn  für  Häuslichkeit,  Einfach- 
heit, GenQgaamkeit.  für  Hohes  und  Edles.  —  Sie  dient  nur  hohlem  Scheine, 
legt  Werth  auf  encyklopädisches  Wissen  und  auf  Fähigkeiten,  die  die  junge 
Dane  in  der  Geaellschaft  beliebt  machen,  mit  Verkümmemlaasen  der  echt 
weiblichen  Tugenden. 

Statistiker  versichern  in  allem  Ernste,  dass  etwa  75  Procent  der  Eben 
heutzutage  unglücklich  iiusfallen.  Mag  auch  diese  Ziffer  etwas  zu  hoch  ge- 
griffen sein,  SU  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  das«  die  an  Gemütb  und 
Herzeusbildun^  so  häufig  verkümmerte,  zu  Genuss  und  Luxus  erzogene,  über 
ihre  «o«i  .r,-  hiniins  gestellte,  körperlich  schwächliche   und   nach  den 

ertteii  Vt  ten  boreit.s  kränkelnde,  dahinwelkende  Frau  keine  Lebens, 

rtüi,  wtu  riiti  sein  aollto,  für  den  Mann  abgeben  kann.     Enttäuschungen 
beide«    Seiten   können  nicht  ausl^ieiben.     Die   Frau    fühlt   sich   in   ihrer 
LebetI«>'^  ht  befriedigt.     Körperlich  leidend  und  nervös  ist  sie  unfähig, 

ihren   m  >  n    und    häuslichen   Pilichteu    in    vollem   Umfange     nachzu- 

kooineD." 

Der  so  häutig  aufgestellten  Behauptung,  dass  es  sich  nicht  um 
angeborene  Verschiedeulieiten  in  dem  geistigen  Vermögen  des 
miinnlichen  und  w«'iblichen  Geschlechta  handele,  sondern  dass  die 
in    die    Augen   füllenden    Unterschiede   einzig    mid    allein   als    eine 

3* 


36  Q-  I)>c  psychologische  Auffkuuog  des  Weibe«. 

Folge  der  Terschiedenartigen  Erziehung  und  der  veretchiedenartigien 
Methoden  des  Unterrichts  bei  deu  beiden  GeschlecLteiti  angeseheu 
werden  müssten,  tritt  mit  klarem  und  Qberzeogendem  Beweise 
Ddaunay  entgegen: 

,0n  pourrait  croire  qua  rinatmction  donnie  ^alement  aux  iudividaa 
de  Tun  et  de  l'autre  sexe  a  pour  etfet  de  r^lablir  l'^galite  entre  eux.  II  n'en 
est  rien.  Au  contraire,  le  fonctiunnement  du  cerveaa  uccroit  la  pr^eminance 
de  Ilioiutne  sur  la  feninip.  Dana  lus  Cooles  mixtes,  oü  le«  deux  sexes  re- 
Voivent  la  uiöme  educatioD  juhqii'ä  quinse  ans,  les  iiutituteuni  observeni, 
qu'&  partir  de  douze  ans  les*  fiUea  ne  peuvent  plut  suivre  les  iiar^ons.  Cott« 
Observation  demontre  que  l'egalit^  des  deux  sexes  rdv^ea  par  «-ertains  philo- 
Bophea  n'eat  pas  pr^s  de  g'acroniplir.  An  contraire.  cett«  ägalit^,  qui  existait 
chez  les  rucea  priniitivea,  teud  ä  disptiraitre  avec  lea  progräa  de  la  ciritisation.* 

Eine  Gleichstellung  der  beiden  Geschlechter  darf  daher,  vrie 
mit  vollem  Rechte  Virchow^  »agt,  aus  intellectuellen  und  aus 
physischen  Gründen  nicht  angestrebt  werden,  denn  alle  Unterschiede 
müssen  bleiben,  die  in  der  physischen  Bestimmung  beider  Ge- 
schlechter gegeben  sind.  Eine  volle  Emancipation  würde  zur  Aut- 
losung der  Famüie  und  zur  öffentlichen  Erziehung  der  Kinder 
fahren,  einem  Zustande,  wie  er  nur  auf  den  niedrigsten  Stufen 
menschlicher  Cultiir  gefunden  werden  kann. 


5.  Die  moderne  Psycholog:ie  in  ihrer  Auffassung  des 
weiblichen  Charalcter«. 

Verbietet  sich  schon  durch  die  specitischen  physiologiscJM 
Functionen,  welche  das  weibhche  Geschlecht  insbesondere  btzüglicb 
seiner  t^exuellen  Aufgaben  (Emptungnisis,  Schwangerschaft,  Geburt, 
Wochenbett,  Säugen  und  Kindespflege}  von  der  Natiu-  übernommen 
hat.  eine  Gleichstellung  beider  Geschlechter,  so  tritt  der  Unter- 
schied zwischen  Mann  und  Frau  weiterhin  auch  in  psychologischer 
Hinsicht  recht  deutlich  hervor.  Denn  das  gerammte  geistige  Leben 
des  Weibes  erhält  specifische  Bildungsbahnen,  so  zwar,  dass 
dem  Weibe  allerdings  keineswegs  eine  geistige  Fähigkeit,  dif  der 
Mann   besitzt,    ganz   fehlt,  dass  aber    doch  theils  die   nr  .he 

Anlage,  theils  der  physiologische   Lebeusgang   gewisse    1 ^-c.ien 

mehr,  andere  weniger  beim  Weibe  zur  Entwickelung  gelangen 
lassen.  In  ethnologischer  Beziehung  bemerkt  hierüber  Lot^e^  sehr 
treffend  Folgendes: 

, Vergleicht  man  die  Dirergens  in  der  Richtung  der  g^iati^n  Bildung 
die  in  Culturrfllkern  niänoliche«  und  weibliche«  Ge?''>i{»^ht  scheidet,  mit  dem, 
was  »ich  bei  den  wilden  St&nimen  findet,  so  ist  zu  !•  diu»  «in  grxmser 

Theil  der  Zartheit,  der  Weichheit  und  des  O'^ftlhlyT--:  in  mju»  so  g«m 

Ton  der  feineren  und  geschmeidigeren  Te\'  r»  ablilngig 

macht,  ebenso  weni^r  in  diesem  Grad«  ^.^  ui,  aU  ja» 

leiblicheo  KiKcnschaften  selbst.    Mag  intmerhin  auch  bei  wilden  Völkern  die 


5.  Die  mod.  Psychologie  in  ihrer  Aoffassang  des  weibl.  Charakters.  37 


I 
I 
I 

r 


MDskelfaser  des  Manne»  stivxffer,  seine  Respiration  energiscber,  sein  Blutreicher 
leeten  Bestaodtheilen,  seine  Nerven  weniger  reizbar  sein,  so  sind  doch  alle 
Unterschiede  ohne  Zweifel  selbst  erst  durch  die  Lebensweise  der  Civili- 
OD  vergrössert,  die  vielleicht  alle  körperliche  Kraft  etwa«  herubeetzt,  aber 
aoTerh&ltnissntAsüig  mehr  die  des  weiblichen  Geschlechts,  während  sie  zugleich, 
wie  die  Zähmung  der  Thiere,  Schönheit  und  Feinheit  der  Gestalt  steigert. 
Gewiss  halten  wir  nicht  allen  psychischen  Unterschied  der  Geschlechter  für 
»oerzogen;  ihre  verschiedene  Bustiminung  luag  allerdings  auf  die  Richtung 
;ind  Bildung  grossen  natürlichen  Einfluss  uusÜben;  dagegen  sind  wir  Überzeugt, 
dass  die  meisten  detaillirten  Beachreibtingen  hierüber  nicht  Schilderungen 
eines  natürlichen,  sondern  eines  künstlichen  und  zwar  bald  eines  depravirlen, 
bald  eines  durch  Cultur  höher  entwickelten  Zustande«  sind.  Gewiss  gehört 
zu  den  Symptomen  einer  verkehrten  Bildung  und  selbst  einer  depravirten 
Ansicht  über  die  natürlichen  Verhältnisse  die  ungemeine  Wichtigkeit,  welche 
man  in  dem  weiblichen  Seelenleben  nicht  sowohl  den  Geschlechtsfunctionen. 
als  riehnebr  der  Reflexion  über  sie  und  der  beständigen  Erinnerung  an  aexu- 
«Uea  Leben  beiniisst.  während  man  dem  männlichen  Geiste  von  Anfang  an 
«ine  objectivere  Richtung  auf  zusuuinicnfaesende  Weltanschauung  zuschreibt. 
Man  begeht  denselben  Fehler,  den  man  so  häufig  bei  der  Betrai'htung  der 
Inntincte  begangen  sieht:  man  vergisst,  duss  neben  den  einzelnen  durch 
Nataranlage  bestimmten  Trieben  noch  ein  bewegliches  unabhängiges  Geistes- 
leben steht,  und  dass  der  Kreis  der  Interessen  nicht  mit  diesem  einen  Instincte 
abgeachioesen  ist.* 

Dass  die  periodisch  wiederkehrenden  Einflüsse,  welch«  durch 
die  vielgestaltige  Reihe  der  Fortpflanzungsfunctionen  das  Weib  in 
Anspruch  nehmen,  auch  auf  das  Seelenleben  desselben  während  der 
Ansttbung  die^^er  Functionen  einwirken,  ist  selbstverständlich.  Allein 
LoUf  macht  mit  Recht  darauf  aufmerksam,  dass  wir  noch  wenig 
»US  pbj'siologischen  Motiven  das  perraauente  Gepräge  zu  erklären 
rermögen,  welches  während  der  Zeiten  des  Aussetzens  jener  Ge- 
schlechtsfunctionen die  Gesammtentwickelung  des  Geistes  festhält 
Er  sagt:  Die  Dimensiontrn  der  Körpertheile,  des  Kopfes,  der  Brust 
des  Unterleibes  und  die  damit  verbundenen  Entwickelungsverschie- 
denbeiten  der  inneren  Organe  mögen  allerdings  durch  die  ab- 
weichende Rascbheit,  Kraft  und  Reizbarkeit  der  Functionen  cha- 
rakteristische Mischungen  des  Gemeingeillhls  bedingen,  aus  denen 
nicht  nur  Bevorzugung  einzelner  Gedankenkreise,  sondern  auch  eine 
"  ^hou    zu    gewissen     formalen     EigenthUmlichkeiten  des   Vor- 

./sverlaufs  und  der  Phantasie  folgen  ki'mnte.  Am  nächsten 
würde  es  uns  liegen,  die  Verschiedenheiten  der  Entwickelung  von 
der  Nalur  des  Nervensystems  und  seiner  Erregungen  abzuleiten. 
Bestimmte  Unterschiede  in  der  Structur  der  Centralorgane,  die  wir 
zu  deuten  wQssten,  sind  bisher  nicht  aufgefunden  worden. 

IHese  Aussprüche  Lotze's  gelten  noch  heute,  obgleich  seitdem 
drei  .lalirzehnte  verflossen  sind,  welche  in  der  Nervenphysiologie 
vieles  Neue  zu  Tage  brachten.  Noch  immer  wissen  wir  nur,  dass 
das  weibliche  Geschlecht  einer  grossen  Reihe  von  Nervenkran k- 
1  weit   zugänglicher   ist,    als  das    männliche,    dass    also  das 

-ystem  des  Weibes  ohne  Zweitel   eine  specifische  Thätigkeit 


88 


II.  Die  psychologische  Aoifaasaiig  des  Weibes. 


äussert.  Die  , Nervosität^,  diese  in  unserer  Zeit  und  bei  unserer 
Cultur  sehr  verbreitete  Anomalie,  ist  allerdings  wohl  auf"  beide  Ge- 
schlechter in  gleicher  Zahl  vertheüt;  und  es  ist  gewiss  falsch,  wenn 
man  behauptet,  dass  das  Weib  mehr  als  der  Mann  zur  Nervosität 
neigt  (3Iöbius).  Vielmehr  ist  es  Thatsache,  dass  das  Weib  vor- 
zagsweise  der  Hyperästhesie  und  den  mit  ihr  verbundenen  Krank- 
heitsformen ausgesetzt  ist,  und  dass  namentlich  die  sogenannten 
hysterischen  Zustände  fast  nur  bei  Weibern  vorkommen,  während 
sich  die  Hypochondrie  als  Mänuerkraukheit  darstellt ;  die  eigenthüm- 
lichen  Schwäche-  und  Erschöpfuugszustäude,  die  mau  als  .Neur- 
asthenie* bezeichnet,  sind  viel  häufiger  bei  Mäimern  als  bei 
Weibern  beobachtet  worden. 

,Da8  Weib,*  sagt  Möbius,  ,  verhält  sich  im  Allgemeinen  passiv. 
Es  herrscht  in  ihm  das  Gefühlsleben  vor ;  die  Intelligenz  ist,  wenn 
vielleicht  auch  von  vornherein  der  männlichen  ebenbürtig,  wenig 
entwickelt,  insbesondere  tritt  das  Vermögen  der  BegrifiFe,  die  Ver- 
nimft  zurück.  Insofern  kann  man  in  der  weiblichen  Natur  eine 
Disposition  zu  den  Nervenleiden  finden,  für  welche  Willensschwäche 
charakteristisch  ist." 

Alle  Jena  Perioden,  welche  als  Entwickelungsphasen  des  weib- 
lichen Geschlechts  auftreten,  geben  mehr  oder  weniger  Anlass  zu 
nervöser  Erkrankung;  der  Eintritt  der  Menstruation,  die  Schwanger- 
schaft, das  Wochenbett,  die  sogenannte  kritische  Zeit  (klimakterische 
Epoche)  haben  namentlich  bei  unseren  cultivirten  Lebensverhält- 
nissen die  verschiedensten  Störungen  im  Bereiche  des  Nervensystems 
im  Gefolge,  während  allerdings  die  Frauen  der  wilden  Völker  viel 
weniger  solchen  nervösen  Leiden,  sowie  auch  den  maanigfacheo 
Erkrankungen  der  Geschlechtsorgane  ausgesetzt  zu  sein 
scheinen. 

Um  die  mittlere  Stellung  in  der  Beurtheiluog  des  Weibes, 
welche  unter  den  deutschen  Philosophen  Lotae^  einnimmt, 
naher  zu  kennzeichnen,  können  wir  uns  nicht  enthalten,  weitere 
Aussprüche  dieses  Autors  im  wesentlichen  zu  berichten.  Die  ge- 
ringere Grösse  der  Kraft,  welche  das  weibliche  Geschlecht  im  Gegen- 
satz zum  männlichen  zeigt,  wird,  wie  er  sagt,  durch  ein  höheres 
Maass  der  Anbequemungstähigkeit  an  die  verschiedensten  Umstände 
ausgeglichen.  Die  leiblichen  Bedürtiiisse  der  Frauen  sind  weit  ge- 
ringer, als  die  der  Männer;  sie  essen  und  trinken  weniger;  sie 
aihmen  weniger  und  widerstehen  der  Erstickung,  wie  man  behauptet, 
besser.  Alle  Mtlh.seUgkeiten,  wenigstens  die,  welche  allmählich  an- 
wachsen und  fortdauern,  alle  Entbehrungen  ertragen  sie  theilst  leicliter, 
aki  die  Männer,  theiis  wenigstens  weit  gMlcklicher,  als  im  Verhältniss 
zu  ihrer  körperlichen  Kraft  erwartet  würde.  Sie  ül  '  '  n  Blut- 
verluste und  dauernde  Schmerzen  besser,  selbst  die  Reiz- 
barkeit ihres  Nerveusyatems,  um  deren  willen  viele  unbedeutende 
Störungen  ausgedehnte  Nachwirkungen  erwecken,  scheint  ebenso 
sehr  die  schnelle  und  gefahrlose   Zerstörung   der   erfahreneu   Er* 


5.  Die  mod.  l^7cbologIe  in  ihrer  Anffesciinig  des  yrnih}.  Charakters.    39 


f 


Schotterungen  zu  begOnstiwen.  So  erreichen  sie  selbst  unter  tju- 
günatigen  Umstanden  häufig  ein  hohes  Alter,  obgleich  die  Beispiele 
höchster,  bis  tief  in  das  zweite  Jahrhundert  reichender  Lebensdauer 
fast  ausschliesslich  auf  Männer  treffen.  Allen  sehr  heftigen  Sinnes- 
reizen von  Natur  abgeneigt,  haben  sie  doch  gegen  unangenehme 
EindrDcke  weit  mehr  nur  Jisthetischen  Widerwillen,  wo  der  Mann 
seinen  physischen  Ekel  mühsam  bezwingt.  Dieselbe  Anbequemungs- 
fähigkeit  zeigt  sich  in  den  verschiedenen  Lagen  des  Lebens.  Lotge 
fllhrt  dafür  die  alte,  richtige  Bemerkung  an,  dass  Frauen  sich  weit 
leichter  in  neue  Lebenszustände,  ungewohnten  Rang  und  veränderte 
Glllcksgüter  schicken,  während  der  Mann  die  Spuren  seiner  Jugend- 
erziehung  kaum  verwischen  kann.  Auch  weist  er  auf  das  Gemisch 
aanguinischer  Lebhaftigkeit  und  sentimentaler  Warmherzigkeit  hin, 
das  wir  an  Frauen  entweder  finden,  oder  dessen  Mangel  wir  als 
eine  ünvoUkommenheit  der  Einzelnen  beklagen. 

Freilich  stimmen  wir  mit  Lotse  darin  tiberein,  dass  es  sehr 
fraglich  ist,  inwieweit  das  geistige  Leben  beider  Geßchlechter,  das 
durch  diese  Zfige  charakteristisch  wird,  als  ein  Ergebnis»  der 
natürlichen  Anlagen  oder  als  ein  solches  der  Lebensverhältnisse  und 
des  Bildungskreises  aufzufassen  ist,  Lotse  glaubt  nicht,  dass  die 
iotellectuellen  Fähigkeiten  der  Geschlechter  sich  anders  als  durch 
die  Eigenthümlichkeit  der  Geflihlsinteressen  unterscheiden,  welche 
ihnen  ihre  Richtung  vorzeichnen: 

,.Ei»  dürfte  kaum  etwas  geben,  wuh  ein  weiblicher  Verstand  nicht  ein- 
leben könnte,  aber  sehr  vieles,  wofür  die  Frauen  «ich  nie  interesüiren  lernen. 
Sagt  in&u  nun  häufij^,  da«e  des  Mannes  Erkenntnis;)  das  Allgemeine,  die  des 
Weibes  das  Einzelne  suche,  so  wird  man  in  zahlreichen  Fällen  gerade  die 
IndiriduHÜsiningskraft  der  Frauen  geringer  finden;  ohnehin  wQrde  jene  Yer- 
Lheilung  des  Erkenntnissgescbilftea  nicht  zu  <len  egoiHtischen  Bestrebungen,  die 
mau  deut  männlichen  Willen,  und  zu  der  Unterordnung  unter  das  Allgemeine 
«tinimen,  die  man  der  weiblichen  Selbstbcschränkung  zuweist.  Man  würde 
vielleicht  richtiger  weinen,  dass  Erkenntnis«  und  Wille  des  Mannes  auf  All- 
{(emeines,  die  des  Weibes  auf  Gtinzes  gerichtet  sind."  Diesen  Satz  fahrt 
dann  L^jUtf  weiter  aus,  wobei  er  unter  anderem  [lus»ert:  „Es  ist  weibliche 
Art,  die  Anulyse  zu  hassen  and  das  entstandene  Ganze,  so  wie  es  abge- 
schlossen dasteht,  in  seinem  unmittelbaren  Werth«  und  seiner  Sch(Snheit  -^u 
geniessen  und  zu  bewundern," 

Dnnn  fUhrt  er  in  seiner  Charakterisirung  fort:  „Alle  männlichen  Be- 
strebungeTi  bemhen  auf  der  tiefen  Verehrung  des  Allgemeinen;  selbst  Stolz 
und  Kbrhircht  des  Mannen  ist  nicht  befriedigt  durch  grundlose  Gewährung, 
sondern  sein  Anspruch  beruht  auf  dem  Betrage  allgemein  anzuerkennender 
VoTBllg«*,  die  er  in  eich  zu  vereinigen  glaubt;  er  ftthlt  sich  durchweg  mehr, 
als  «in  (MgeuthÜmliches  Beispiel  des  Allgemeinen,  und  verlangt  mit  Anderen 
nach  eiocni  gemeinsamen  Maaese  gemessen  zu  werdcrn.  Die  Neigung  des  weib- 
lich<^n  (temflths  ixt  ebenso  andächtig  dem  Ganzen  gewidmet ;  so  wenig  die 
Schönheit  viner  Blume  nach  gemeinschaftlichem  Mnasso  mit  der  einer  anderen 
zu  ▼crgleichcu  itit,  so  wenig  wQnscht  das  Weib  nl«  ein  Beispiel  neben  anderen 
zu  gr-lten;  und  wo  der  Mann  gern  im  Dienste  dm  Allgemeinen  in  die  Meng6 
Gleichgesinnter  eintritt  and  in  ihr  untergeht,  will  das  Weib  als  schunos,  ge> 


40 


II.  Die  psychologuuhe  Auffassiuig  des  Weibes. 


Bohlostieneti  öauKes,  nur  aus  sich  selbst  vergt&ndlich,  nur  um  dor  unvergleiob- 
liehen  Eigeuihüniliclikeit  seines  indiriduellenWeseDS  willen  gesucht  uud  geliebt 
aein."  lu  vielen,  aus  dem  Leben  gegriffenen  ZQg^u  findet  Lot2e  Belege  dieser 
allgemeinen  Verschiedenheit:  Die  geschäftlichen  Verabredungen  der  Männer 
sind  kurz,  die  der  Frauen  wortreich  und  selten  ohne  vielfache  Wiederholung; 
sie  haben  wenig  Zutrauen  zu  der  Festigkeit  eines  gegebenen  Wortes  u.  s.  w. 
Das  Eigenthum  halt  der  Mann  am  häufigsten  für  das,  was  es  wirklich  ist,  für 
eine  Summe  verwendbarer  und  Iheilbarer  Mittel,  nnd  seine  Freigebigkeit  achtet 
kein  angebliches  Zusammengehören  derselben;  die  Verschwendung  der  Frauen 
besteht  meistens  in  Anschaffungen,  für  welche  sie  die  Ausgabeu  der  Entgelt- 
luittel  nicht  selbst  übernehmen.  Das  einmal  erworbene  und  in  ihren  Händen 
ho6udl)che  Eigenthum  erscheint  ihnen  dagegen  leicht  als  ein  unantastbarer 
Bestand,  dessen  Theile,  weil  sie  ein  Ganzes  bilden,  voneinander  zu  rei(>8en 
unrecht  wäre. 

Am  Schlüsse  seiner  Darstellung  sagt  Lolie:  „Ich  möchte  endlich  die 
Behauptung  wagen,  dass  fOr  das  weibliche  Gemüth  die  Wahrheit  Oberhaupt 
einen  anderen  Sinn  hat,  als  fQr  den  männlichen  Geist.  Den  Frauen  ist  alles 
das  wahr,  was  durch  die  vernünftige  Bedeutung  gerechtfertigt  wird,  mit  der 
es  sich  in  das  Ganze  der  übrigen  Welt  und  ihrer  Verhältnisse  einfügt;  e« 
kommt  weniger  darauf  an,  ob  es  zugleich  reell  ixt.  Sie  neigen  deuhalb  zwar 
nicht  'iMT  Lüge,  aber  zum  Schein,  und  es  liegt  ihnen  nicht,  daran,  ob  irgend 
etwas,  was  in  einer  bestimmten,  ihnep  werth  gewordenen  Beziehung  den  ver- 
langten Dienst  des  Scheines  thut  — ,  auch  in  anderer  Bezit-hiing  verfolgt, 
sich  als  ein  solches  ahweisen  würde,  dem  mit  Recht  so  zu  äch'^iuen  gebührt. 
Selbst  «twas  scheinen  zu  wollen,  ohne  es  zu  sein,  ist  allerdings  ein  gemein- 
sames menschliches  Gebrechen;  aber  von  dem  wenigstena,  wax  er  be><itztr 
pflegt  der  Mann  Solidität  und  Echtheit  zu  verlangen ;  Frauen  dagegen  haben 
eine  sehr  ausgedehnte  Vorliebe  für  Surrogate.  Mit  diesen  Neigungen  siod 
sie  wissenschaftlichen  Bestrebungen  nicht  zug&aglich,  und  ihre  Gedanken 
haben  einen  ktlnstlerischen,  anschauenden  Gang.  So  wie  der  Dichter  nicht 
durch  Analyse  und  Berechnung  Charaktere  schafft,  sondern  deren  Wahrheit 
daran  prüft,  da^s  er  selbst  ohne  das  Gefühl  künstlicher  Selbstverdrebung^ 
ihre  ganze  Weise  in  seinem  eigenen  Gemüth  nachzuleben  vermag,  so  lieht  die 
weibliche  Phantasie  sich  unmittelbar  in  Dinge  hinein  cu  vernetzen .  nnd  so- 
bald sie  eine  Vorstellung  davon  erreicht,  wie  dem,  was  da  ist,  sich  bewegt 
and  entwickelt,  in  seinem  Sinn,  meiner  Bewegung  und  Entwickelung  wohl  xa 
Muthe  sein  möge,  glaubt  sie  ein  volles  Verst&ndniss  zu  besitzen.  Dass  eben 
die  Möglichkeit,  wie  dies  alles  so  sein  und  geschehen  könne,  selbst  noch  ein 
wisaenschaftliches  R&thsel  einschliesst,  ist  den  Frauen  schwer  begreiflich  sa 
machen.  Man  bemerkt  leicht,  wie  grosse  Güter  de«  Lebens,  wie  die  Sicher- 
heit des  religiösen  Glaubens  und  der  Friede  des  sittlichen  Gefühls  hiermit 
zasammenhängen;  aber  auch  in  kleinen,  unscheinbaren  Zügen  findet  man 
dies  Uebergewicht  des  lebendigen  Tactes  über  die  wisttenschaitliche  Zer- 
gliederung. Tausende  von  zierlichen  technischen  Handgriffen  wenden  die 
Frauen  bei  ihren  täglichen  Arb^^iten  an;  aber  wiu  sie  geschickt  ausführen, 
wissen  sie  kaum  zu  besehreiben,  sie  können  es  nur  zeigpu.  Die  analy«ireude 
Reflexion  auf  ibre  Bewegungen  liegt  ihnen  so  wenig  nahe,  dass  man  ohne 
Gefahr  grosseu  Irrthumes  behaupten  kann.  Worte  wie  rechts,  link«,  quer,  .über- 
wendlich' bedeuten  in  der  Sprache  der  Frauen  gar  keine  matheuiatischen 
Relationen,  sondern  gewisse  eigenthümlichc  Gefühle,  die  man  hat,  wenn  mau 
im  .\rbeiten  diesen  Bezeichnungen  folgt." 

Manche     Philosophen,     uameutlicU     Schopenhauer,     weisen 


5.  Die  mod.  Paycholotrie  in  ihrer  AafTassimg  des  weibL  Charakters.    4 1 


dem  weiblichen  Geschlecht  eine  Stellung  zu,  welche  ge- 
radezu als  eine  untergeordnete  bezeichnet  werden  mass.  Wir 
tonnen  solche  Urtheile  nicht  verschweigen,  denn  sie  rühren  von  un- 
j5weifelhaft  geistvollen  Männern  her,  und  sind  wiederum  ein  Beweis 
dafQr,  dass  es  nur  auf  den  Gesichtspunkt  ankommt,  von  dem  aus 
das  Weib  als  solches  betrachtet  und  aufgefasst  wird.  Schopen- 
hauer SHftX- 

„Schon  der  Anblick  der  weiblichen  Gestalt  lehrt,  dass  daa  Weib  weder 
:u  |?roi>Ben  geistigen,  noch  körperlichen  Arbeiten  bestimnit  ist.    Es  trägt  die 

':huld  des  Lebens  nicht  durch  Thun,  sondern   durch  Leiden  ab,    durch  die 

Tehen  der  Geburt,  die  Sorgfalt  für  das  Kind,  die  Unterwürfigkeit  anter  den 

lann.  dem  es  eine  geduldige  und  aufheiternde  Gefährtin  sein  soll.  Die 
kefligsten  Leiden,  Freuden  und  Kraftäusserungen  sind  ihm  nicht  beschieden; 

indem  sein  Leben  soll  stiller,  unbedeutsumer   und  gelinder  dahin  iliessen, 
llfl  daa  des  Mannes,  ohne  wesentlich  glücklicher  oder  unglücklicher  zu  sein. 
Zn  Pflegerinnen  und   Erzieherinnen  unserer  ersten   Kindheit  eignen  die 

Leiber   sich  gerade  dadurch,  dass  sie  selbst  kindisch,    läppisch  und   kurz- 
johtig,   mit  einem  Worte,   zeitlebens  grosse  Kinder  sind:   eine  Art  Mittel- 
fe  zwischen    dem  Kinde    und   dem  Manne,    als    welcher   der   eigentliche 

lensch  ist.  Man  betrachte  nur  ein  Mädchen,  wie  sie  Tage  lang  mit  einem 
[inde  tJlndelt,   herumtanzt  nnd  singt,   und  denke  eich,   was  ein  Mann,  beim 

>sten  Willen,  an  ihrer  Stelle  leisten  kannte. 

Mit   den   Machen    hat  es   die  Natur  auf  das,    was   man,    im   drama- 

irgiechen  Sinne,  einen  Kn&lletfect  nennt,  abgesehen,  vndeni  sie  dieselben 
kuf  wenige  Jahre  mit  fiberreichlicher  SchCnheit,  Reiz  und  Fülle  ausstattete, 
inf  Kosten   ihrer   ganxen   übrigen   Lebenszeit,    damit  sie   nämlich,   während 

pner  Jahre,  der  Phantasie  eines  Mannes  sich  in  dem  Maassc  bemächtigen 
tonnten,  dass  er  hingenKsen  wird,  die  Sorge  für  sie  auf  zeitlebens,  in  irgend 
tiner  Form,  ehrlich  ku  Übernehmen,  zu  welchem  Schritte  ihn  zu  vermögen 
lie  blosse  vernünftige  Deberlegung  keine  hinlänglich  sichere  Bürgschaft  zu 

eben  schien.    Sonach  hat  die  Natur  das  Weib,  eben  wie  jedes  andere  ihrer 

schöpfe,    mit    den    Waffen    und    Werkzeugen    ausgerüstet,    deren    es   zur 

Sicherung  seines  Daseins  bedarf,  und  auf  die  Zeit,  da  es  ihrer  bedarf,   wobei 

tiie  denn,"   so  setzt  ücltopcnhauer   wenig  höflich  hinzu,   „auch   mit  ihrer  ge- 

vfibnlichen   Sparsamkeit  verfahren  ist.     Wie  nämlich   die  weibliche   Ameise 

_oach  der  Begattung  die  fortan   Überflüssigen,  ja  für  das  Brutverhältniss  ge- 

Lhrlichen  Flügel  verliert,  so  meistens  nach  einem  oder  zwei  Kindbetten  das 

reib  seine  Schönheit,  wahrscheinlich  sogar  aus  demselben  Grunde."  Ilierin 
Indc  ich,  dass  Sdiopcnhatier  den  Versach  macht,  die  Schönheit  vom  teleo- 
logischen Standpunkte  aus  aufzufassen. 

Aach  in  der  zeitigeren  Reife  des  Woibes  findet  Schopenhauer  ein 

icben  für  die  Inferiorität,  indem  er  ausführt:  „Je  edler  und  vollkommener 
in9  Sache  ist,  desto  später  und  langsamer  gelangt  sie  zur  Reife.    Der  Mann 

rlaa^  die  Reife  seiner  Vernunft  und  Geisteskräfte   kaum   vor  dem  acbt- 

idswanugsten  Jahre,  das  Weib  mit  dem  achtzehnten.  Aber  es  ist  auch 
ine  Vernunft  darnach:  eine  gar  knapp  gemessene.    Daher  bleiben  die  Weiber 

Hr  Leben  lang  Kinder,  sehen  immer  nur  da«  nächste,  kleben  an  der  Gegen- 
den Schein  der  Dinge  fUr  die  Sache  und  ziehen  Kleinigkeiten 
n  Angelegenheiten  vor  etc." 
Dagegen    gesteht   Scttoprnhauer    zu;    ,.In    schwierigen    Angelegenheiten 
auch  Weise  der  allen  Germanen  auch  die  Weiber  zu  Rathe  zu  ziehen,  ist 


42 


p«fcbo]ogiic{!e  Anffksiaiig  des  Weibes. 


kWBfetvc^  verwerflich:  4enn  ihre  Äalfaesangsweifle  der  Dinge  ist  xoa  der 
^tuwägen  ganz  Terschieden  uod  xwar  beaonden  dadorcb,  dace  sie  gern  Afn 
kOntesten  Wog  zum  Ziele  und  Oberhaupt  das  mn&chst  Liegende  im  Auge 
fusen,  ober  welches  wir,  eben  weil  es  vor  unserer  Naae  liegt,  meictecB  weit 
hinwegsehen :  wo  es  uns  dann  noth  thut,  darauf  zarückgefShrt  ku  werden,  um 
die  nahe  und  einfache  Ansicht  wieder  zu  gewinnen.  Hiereu  kommt,  daaa  die 
Weiber  entschieden  nüchterner  sind,  als  wir.  wodurch  rie  in  den  Dingen 
nicht  mehr  »eben,  als  wirklich  da  ist;  wahrend  wir,  wenn  unsere  Leiden- 
Schäften  erregt  sind,  leicht  da«  Vorhandene  rergrOasem,  oder  Imagin&n» 
hinzufQgen. 

Ana  derselben  Quelle  iat  es  abzuleiten,  dass  die  Weiber  mehr  Mitleid 
und  daher  mehr  Menschenliebe  nnd  Theilnahme  an  Unglücklichen  zeigen,  als 
die  Männer,  hingegen  im  Punkte  dej-  tierechtigkeit.,  Redlichkeit  und  ÖBf 
hafligkeit  diesen  nachstehen. 

Weil  im  Gmnde  die  Weiber  ganz  allein  zur  Propagation  dea  GeschJ« 
da  sind  nnd  ihre  Bestimmung  darin  aufgeht,  so  leben  sie  durchw^  mehr  in 
der  Gattung,  al^i  in  den  Individuen,  nehmen  e«  in  ihrem  Herzen  emstlicber 
mit  den  Angelegenheiten  der  Gattung,  als  mit  den  individuellen.  Dies  giebt 
ihrem  ganzen  Wesen  und  Treiben  einen  gewissen  Leichtsinn  nnd  Oberhaupt 
eine  von  der  des  Mannes  ron  Grund  aus  verschiedene  Richtung,  aus  welcher 
die  »0  h&afige  nnd  fast  normale  Uneinigkeit  in  der  Ehe  erwSchst. 

Das  Schlimmste  jedoch  kommt  noch!  Sdtcptnhaytr  nrtheilt:  ,JHm 
niedrig  gewachsene,  schmalschultrige,  breithüftige  und  kurzbeinige  GeacUeobi  i 
das  schCne  nennen,  konnte  nur  der  vom  Geiichlechtstrieb  umnebelte  mlos-j 
liehe  Intellect :  in  diesem  Triebe  nämlich  steckt  seine  ganze  Schi^nheit.  Hit , 
»ehr  Fug.  als  das  schOne,  kOnnte  man  das  weibliche  Geschlecht  das  nn- 
ftttbetische  nennen.  Weder  fOr  Musik  noch  Poesie,  noch  bildende  Künste 
haben  sie  wirklich  und  w&hrhaflig  Sinn  und  Empfänglichkeit ,  sondern  bloss 
Aeßerei  zum  Behuf  ihrer  Gefallsucht  ist  es,  wenn  sie  solche  affectiren  und 
vorgeben.  Das  macht,  sie  sind  keines  rein  objectiren  Antbeils  an  ii^nd 
etwas  f&hig  nnd  der  Gmnd  ist,  denke  ich,  folgenden  Der  Mann  strebt  in 
allem  eine  directe  Herrschaft  über  die  Dinge  an,  entweder  durch  Verst^ea, 
oder  durch  Bezwingen  derselben.  Aber  das  Weib  ist  immer  nnd  überall  BoJ 
eine  bloss  in  directe  Herrschaft  verwiesen,  n&mlich  mittels  des  Mannes,  als 
welchen  allein  es  direct  zu  beherrschen  hat  Damm  liegt  es  in  der  Weiber 
Natur,  aUes  nur  als  Mittel,  den  Mann  zu  gewinnen,  anzusehen,  und  ihr  Aa- 
theil  an  irgend  etwas  anderem  ist  immer  nur  ein  simulirter,  ein  blotaec  Cn- 
w«g,  d.  h.  l&ufi  auf  Koketterie  und  AeCTerei  hinaas.* 

Das   Zagestäodniss ,    welches   oben  dem    weiblichen  Geschleclitl 
l)«tttglich  der  Schönheit  wahrend  des  jugendlichen  Alters  von  Srho- 
patkattar  gemacht   wnrde,    nimmt   also   dieser  Autor    a  i^se 

■emer  AosfQhningeiB  wieder  zurück :  ihm  gilt  diese  «Scli  fTlr 

nichts  als  eine  Selbett&oschung  des  männlichen  Geschlechts !  Spricht 
sich  in  diesem  ganzen  Gedankengange  nicht  der  Sinn  eines  echten 
nnd  rechten  Weiberbassen  ans? 

Wie  hart  and  ungerecht  auch  der  bekannte  Philosoph  Ednan} 
f.  Uarimamn  ^  über  die  Fragen  artheilt ,  können  wir  nicht  unbe- 
achtet lassen.  Wenn  einige  Züge  in  dem  ron  ihm  entworfenai 
G«tiwlde  deü  weiblichen  Charnl:*  ~'  treffeii,  so  ist  dasselbe 
doch  Tiel  XU  dimkel  gehalten: 


S.Dieinod  Fijdiolögie  in  ihrer  Auffassung  des  weibl.  Charakters.      43 


,Die  weibliche  Sittlichkeit,  namentlich  die  der  weiblichiten  Weiber,  ist 

(«ehr  oft  von  dieser  Art.  und  dies  ist  der  Hauptgrund,  warum  das  weibliche 

]  Geschlecht  im  Ganzen  so  $ehr  viel  schwerer  als  das  mSlnnliche  su  jener  sitt- 

Ilichen  Reife  des  Charakters    gelangt,   wo   die  Autonomie  erat  in  ihr    vollen 

iBecht  tritt-     Die  Mehriahl  der  Weiber  bleibt  ihr  Leben  lang  in  sittlicher 

linsicht  im  Stande  der  Unmündigkeit  und  bedarf  deshalb  bis  an    ihr  Ende 

ter  Bevormundung  durch  beteronome  Aatoritäten;  sie  selbst  haben  meistens 

ichtige  tiefOhl  dieser  BedOrftigkeit.  und  je  ant^biger  sie  sind,  dem  blostten 

ctam   des  modernen  Staates  eine  Autorität  einzuräumen,  je  mehr  «ich 

ir  Stolz  dagegen  auflehnt,  im  Gatten  oder  dem  natürlichen  Beschätzer  die 

leitende  Autorität  für  ihre  Handlungen  anzuerkennen,  desto  ängstlicher  klam- 

lem  sie  sich  an  die  heteronomen   Autoritäten  der  Religion  und  der  Sitte, 

lesto  haltloser  stouem  sie  als  steuerloses  Wrack  auf  dem  Ocean  des  Lebens 

luiher.  wenn  auch  diese  beiden  Anker  ihnen  zerrissen  sind.     Man  mag  diese 

Thatsache  im  Sinne  der  autonomen  Moral  sehr  betrübend  finden,   aber  man 

1USH  sie  im  [nteresse  der  Wahrheit  und  des  praktischen  Lebens  als  Thatsache 

tatiürkennen,  nach  ihr  seine  Vorkehrungen  treffen  und  sich  hüten,  ihre  Bedeu- 

ftimg  in  einem  falsch  verstandenen  Interesse  für  das  weibliche  Geschlecht  ab- 

II  zu  wollen.     Wenn  Wahrhaftigkeit  und    Ordnungssinn  Charakter- 

li'ten  darstellen,  bei  freuen  die  Erziehung  verbältni/^sraäsaig  mehr,  aU 

adereo,  zu  thun  vermag,  wenn  namentlich  der  Ordnungssinn  durch  äj^th^-- 

Sinn  ftir  Harmonie  zum  Theil  ersetzt  werden  kann:  so  sind  RechtUcb- 

It  und  Gerechtigkeit  diejenigen  beiden  Charaktereigenschaften,  welche  von 

fallen  biaher  betrachteten  moralischen  Triebfedern  beim  weihlichen  (leschlecbt 

Durchschnitt  am  schwächsten  vertreten  sind.     Daa    weibliche   Geschlecht 

(t  diu  anrechtliche  und  ungerechte  Geschlecht,  und  nur  derjenige  kann  sich 

Iber  die^e  Thatsache,   welche  natürlich   sehr   erhebliche  Ausnahmen  zolässt, 

[Ubisehes,  der  die  äussere  Legalität  und  die  Wahrung  der  schicklichen  Form 

Ijnii  dem  Vorhandensein  der  entsprechenden  Gesinnung  verwechselt." 

So  wirft  V.  Hartmann^  den  Frauen  vor,  dasa  sie  sich  mit 
[Vorliebe  im  Fahrwasser  rechtsfeindlicher  Neigungen  bewegten,  alle 
Defraudantinnen  aus  Passion  seien,  zxrr  Fälschung  eine  in- 
ÜTe  Neigung  hätten  (ein  Viert«!  der  Dienstbücher  weiblicher 
)ienstboten  in  Berlin  enthielten  plumpe  Fälschungen),  dass  sie  beim 
Spiel  mogelten  und  dies  den  Reiz  des  Spiels  ffir  sie  ausmache, 
däas  »!*•  nie  ohne  Ansehen  der  Person  urtheilten,  die  Mütter  stets 
'     '  der  und  Aschenbrödel  hatten  —  kurz  r.  Hartmann  weiss 

I  .HO  viel  üebles  nachzoreden,  dass  wir  glauben  mOftsen,  er 

habe  mit  denselben  recht  schlimme  Erfahrung  zu  machen  Oelegen- 
bait  gehabt.  Wir  halten  »«ein  Urtheil  nicht  für  ein  solches,  das  sich 
Ulf  eine  sich  weithin  erstreckende  Beobachtung  ntützt. 


6.   Die  abnormen  Ehen  und  der  Selbstmord. 

Die  Erscheinungen  im  Seelenleben  dfr  Frau  werden  durch 
methodische  Massenbeobachtung  zu  unserer  Kenntniss  gebracht.  Die 
Statistik  der  Bevölkerungsbewegung  zeigt,  dass  durchschnittlich  im 
Gebiete  des  deutscheu  Reichs  00 — ö5  Ehen  jährlich  geschlusseu 
werden,  bei  denen  der  weibliche  Theil  das  40.  und  45.  Jahr  bereits 
überschritten  hat.  Bei  einer  Anzahl  dieser  Ehen  ist  der  mannliche 
Theil  jünger,  als  der  weibliche.  Sogar  noch  im  höheren  Alter 
registriren  wir  Fälle,  in  denen  das  Weib  das  eheliche  Band  dem 
einsamen  Leben  vorzieht.  Die  Bevölkerungsstatistik  nennt  solche 
Ehen  vom  Standpunkte  der  Volksvermehrung  abnorme  Ehen. 

An  dieae  Thatsachen  schliesst  Ludwig  FM  folgende  Bemerkungen  an: 
„Ein  sehr  verbreitetes  Vorurtheil  führt  diese  Ehen  stete  auf  die  niedrigsta 
SpecalationBsucbt  zurück,  weit  man  es  für  uumSglicb  hält,  Clahs  ein  Weib  in 
diesem  Alter  noch  von  Liebe  erfasst  wf>rden  könne.  Allein  aus  der  psycho- 
logischen Betrachtung  gewisser  Criminalfiille,  welche  typischen  Werth  besitz-en, 
ergiebt  sich,  dasa  diese  psychologische  Unmöglichkeit  durchaus  nicht  vorhanden 
ist.  Sogar  in  Ländern,  in  welchen  die  Frauen  viel  rascher  verblühen,  als  bei 
uns,  finden  sich  ausweislich  der  Statistik  Fälle  von  Eheschliessungen  in  vor- 
gei-ücktem  Alter  in  keineswegs  verschwindender  Zahl.  Es  ist  dies  doppelt  merk- 
würdig, weil  die  Italienerin  sehr  früh  häaslich  wird;  während  die  deutsche 
Frau  der  höheren  Klassen  mit  vierzig  Jahren  in  zahlreichen  Füllen  noch  eine 
Erscheinung  bietet,  welche  das  Schönheiti<gefilhl  des  Künstlers  befriedigt,  iai 
die  Italienerin  in  diesen  Jahren  schon  ungemein  garstig.  Allein  das  Gefühl 
scheint  bei  der  Tochter  der  heissen  Zone  nicht  mit  dem  Körper  gleichen 
Schritt  XU  halten.  Die  leidenschaftliche  Natur,  die  Fähigkeit,  mit  der  Gluth 
der  Leidenschaft  zu  lieben,  scheint  in  der  zweiten  Hälfte  des  Lebens  noch 
in  derselben  Stärke  vorhanden  zu  sein,  wie  in  der  ersten.  Und  dieri  wird 
auch  in  Italien  durch  Criminalfalle  bestätigt,  in  welchen  Frauen  in  vorge- 
schrittenem Alter  aus  plötzlich  entfesselter  Leidenschaft  die  schwersten  Ver- 
brechen begingen,  welche  dem  Criminalijten  bekannt  »ind.  Die  Annalen  der 
italienischen  Fürstengeschlechter,  insbesondepe  die  der  itfo/iceer,  bieten 
hierfür  Beispiele. 

Eine  weitere  Stütze  giebt  die  Selbstmordstatistik  ab.  Zwar  ist  keiii 
Theil  derselben  so  unbestimmt  und  so  wenig  fundirt,  wie  das  Kapitel,  welches 
»ich  mit  den  Motiven  beschäftigt.  Allein  gleichwohl  darf  mit  ziemlicher 
Sicherheit  behauptet  werden,  dius  das  Motiv  der  Liebe  nur  zweimal  verhäng« 
nissvoll  und  ziihlreiche  Opfer  fordernd  in  das  weibliche  Leben  eingreift,  zuerst 
in  dem  Alter,  welches,  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  betrachtet,  das  klas- 
sische genannt  werden  darf,  in  den  Jahren  18  bis  22,  sodann  in  der  Zeit  vom 
Beginne  de»  vierten  Decenniuros  bis  über  die  Hälfte,  ja  bi«  gegen  das  Ende 
desselben.' 

Es  ist  gewiss  nicht  ohne  Interesse,  an  der  Haud  der  Statistik 
zu  prüfen,  wie  sich  die  Neigung,  seinem  Leben  ein  Ende  zu  machen, 
bei  den  verschiedenen  Geschlechtern  verhält,  laid  weiterhin  zu  unter- 
suchen, ob  sich  itlr  den  Selbstmord  in  der  Ehe  oder  in  der  Ehe- 
losigkeit eine  besondere  Gelegenheitsursache  nachweisen  lässt,  Die 
folgende  Tabelle  giebt  eine  Üebersicht  über  die  Falle  von  Selbst- 
mord, welche  in  ungefähr  den  gleichen  Zeiträumen  in  verschiedenen 
Ländern  Europas  vorgekommen  sind. 


(SeU'Btmorde) 
Land 


Zeit, 
rkuiii 


Total- ji 
8umrae'l 


Verehelichte     Ledige 


Samma  der 
£heloteu 


htalien 

{Bach  sen 

iBaden 

[ßcbwedeD 

[Schweiz 

[Norwegen 

If  inntand 
DUncmark 
WOrttemberg 


1867—83 
1865—83 
1865—83 


175»! 

16814 

4831 


18G5-S2;    6775 


187G— 8S 
1876-82 
1878—83 
1880—83 
1870—81 


5223 

930 

426 

2009 

3854 


5762 
6822 
1825 


w.    '  ama.'i    m.    \    * 

6894;'6317  ~ 


682 

1355 

276 


8237|3988 
2101  1793 


2728:  604  3332  1959 
1931    276  2207,1639 
368      94 


202      25 

867    189 
?    I    ? 


462'  211 
227!  108 
?      401 

17421   ? 


1220]  16531 590 
2981  4691135 
579    6201285 


9663 
7636 
2701 
3443 


297|  68l|l44||    2761 


54j  146'  42|' 
311    37   2S|i 
145    250 
?        ? 


930 

199 

985 

1873 


Aas  obiger  Tabelle  ergiebt  sich  folgeades : 
Von  54599  SelbsttnOidem  waren: 

männlich 32295 

weiblich 9213 

verehelicht 24702 

ehelos 30141 

verehelichte  Mänuer    .     .    20505 
,       ,        Weiber    .     .      8451 
ehelose  MUnner  ....     21790 
,     ,      Weiber   ....       5722 
Es  haben  sich  also  in  der  gleichen  Periode  über  dreimal  soviel, 
Miioner   das    Leben    genommen,    als    Frauen.     Die   grösseren    An- 
forderungen und  Aufregungen,  welche  der  Kampf  um  das  Dasein  an 
das  juüuuliche  Geschlei-ht  in    bedeutend  höherem  Maasse  stellt,    als 
HU  das  weibliehe,  geben  hierfür  eine  hinreichende  Erklärung.    Femer 
sehen   wir,    dass  die  Zahl    der    nicht    in  der  Ehe  lebenden  för  die 
Selbstmörder  ein  höheres  Contingent  geliefert  hat,    als  die  Verehe- 
lichten, und  zwar  die  Männer  sowohl,  als   auch   die   Weiber.     Wir 
werden  daher  wohl  berechtigt  sein,  in  der  Ehelosigkeit  in  gewissem 
Sinne  eines    der   prädisponirenden  Momente  für  den  Selbstmord  zu 
erblicken. 


9.  Die  Betheiligung  des  weiblicheu  Geschlechts  am 
Verbrechen, 

Der  Physiologe  Jiudolphi  sagt:  »Das  Weib  ist  im  Vergleich 
zum  Manne  zarter,  weicher,  kleiner,  beweglicher,  veränderlicher, 
reizbarer,  eitler,  demüthiger,  geduldiger,  frommer.  Schlecht  erzogen 
wird  es  zur  Furie  und  übertrifft  den  Mann  in  allen  Lastern." 

Mit  dem  Eintiusse  des  Geschlechts  auf  den  Hang  zum  Ver- 
brechen hat  uns  zuerst  Quetelet''  bekannt  gemacht.  An  der  ILuid 
der  Statistik  gelangt  er  zu  folgenden  Schlüssen: 

(Vereuchcn  wir  die  Thateacbuu  zu  analysiren,  so  scheint  es  mir.  das» 
die  Monilitüt  des  Mannet)  und  des  Weilca  (abgesehen  von  der  Schamhaftig- 
keitj  weniger  vfrttcbicdeu  iHl,  alt  man  im  Allgemeinen  annimuit.    Was  den 


11.  Die  psychologiscbe  AniYfrssiuig  das  Weibe«. 


EinflusB  der  Lebeosweiie  selbst  anbetrifft,  so  glaube  ich,  daas  derselbe  aicli 
recht  wohl  ermessen  ItUst  auM  den  Verbältniasen,  welche  beide  Geschlechter 
in  Betreff  verschiedener  Arten  von  Verbrechen,  bei  denen  weder  die  Stärke, 
noch  die  Schombaftigkeit  in  Betracht  kommt,  z.  B.  bei  Diebstiihlen,  bei 
falschem  Zeugniss,  bei  betrügerischem  Falliment  u.  a.  w.  darbieten ;  jene  Ver- 
hültnisae  betragen  etwa  100  zu  21  oder  zu  17,  d.  h.  5  oder  6  zu  1.  Bei  den 
anderen  FUsofaungen  ist  aus  angeführten  GrQuden  das  Verh&ltniss  etwaf>  stärker. 
Wollte  man  die  Intensität  der  Ursachen,  welche  auf  die  Frauen  einwirken, 
numerisch  auädrücken,  eo  kOnnte  man  sie  schätzen,  indem  man  sie  als  im 
Yerhältniea  zur  Stärke  selbst  stehend,  oder  ungefähr  wie  1  zu  2  annehmen 
würde;  dies  int  das  Verhältniss  beim  Vatenuord.  Bei  den  Verbrechen,  wo 
die  Schwilche  und  dan  zurückgezogene  Leben  der  Frauen  zugleich  in  Betracht 
kommt,  wie  V»eim  Todtschlag  oder  beim  Strassenraub,  müsste  man,  bei  Ver- 
folgung des  gleichen  Weges  bei  der  Berechnung,  das  Verhältniss  der  Stlrke 
i/g  mit  dem  der  Abhängigkeit  ^^  multipliciren,  dies  giebt  l/]o,  ein  Verb&lt* 
niss,  das  wirklich  mit  den  Ergebnissen  der  Statistik  ziemlich  überein- 
stimmt." 

Nach  der  Statistik  der  Aiifgreifungen  im  Seine-Departe- 
ment (1855 — 1864)  hätte  d.'is  Weib  im  Grossen  mid  Ganzen  nur 
etwa  den  ftinfteu  Theil  der  Wahrscheinlichkeit  des  Mannes,  der 
Stra^ustiz  zu  verfallen. 

Zu  ganz  ähnlichen  Schlüssen  gelangte  auch  der  Statistiker 
Georg  Mayr,  welcher  Queidet's  Angaben  mit  der  Verbrecher- 
Statistik  von  den  Schwurgerichten  Bayerns  (1840 — 18<tb)  verglich; 
es  ergab  sich  trotz  einiger  Fhictuationen  eine  ziemliche  Regel- 
mkssigkeit  der  Weiberbetheüigung.    Doch  setzt  Mayr  hinzu : 

«Allerdings  liegt  die  Sache  bei  tieferem  Eingehen,  namentlich  in  geo- 
graphischer Beziehung,  nicht  so  ganz  gleichartig.  Man  beobachtet  dann  bei* 
spielsweiee,  das«  die  Weiberbetheiligung  am  Verbrechen  in  grossen  Städtnn 
regelmäaaig  viel  grösser  ist,  als  bei  vorwiegend  ländlicher  Bevölkerung.  So 
trafen  aut  100  abgeortheilte  Individuen  solche  weiblichen  Geschlechts  wäbreaid 
der  Jahre  1862,63  bis  186566  bei  dem  ausschliesslich  städtischen  Gericht 
München:  31,  28,  30,  26.  dagegen  beim  ländlichen  Gericht  Freising 
10,  9,  9,  10.  Aber  gleichwohl  sind  auch  hier,  wie  man  sieht,  inv  Einzelnen 
die  Ergebnisse  bewunderungswürdig  constant.  Dasselbe  gilt  vun  der  Weiber' 
betheiligung  in  solchen  L&odern,  'in  welchen,  wie  in  England,  überhaupt  der 
gesammte  criminelle  Haag  der  weiblichen  Bevölkerung  einen  grossstätUi sehen 
Charakter  zu  tragen  scheint.  In  England  und  Wales  trafen  bei  den  vor 
da«  Schwurgericht  gehörigen  Keatcn  in  den  Jahren  1858  bis  1864  auf  100 
Männer  35,  36,  38,  33,  31.  32,  32  Weiber.  In  London  steigert  sich  diese 
criminelle  Weiberbetheüigung.  Es  trafen  nämlich  bei  den  Aufgreifuugen  der 
Polizei  1854  bis  1862  auf  100  MRnner  67  Weiber.  Liverpool  und  Dublin 
stehen  mit  69  bezw.  84  Weibern  auf  100  Männer  noch  hoher  oder  —  richtiger 
gesagt  —  tiefer.* 

Im  Allgemeinen  darf  mau  wohl  annehmen,  dass  mit  der  Zu- 
mihme  der  Betheiligung  d«a  Weibes  am  Kampfe  um  das  Leben  auch 
die  Zahl  der  Frauen  unter  den  Verbrechern  wächst.  Hierfilr  sdieint 
die  Tabelle  zu  sprechen,  welche  v.  Oettinycn  zuhauimensteUte: 
Von  je  1 00  Verbrechern  waren : 


7.  Die  Betbeilig^ung  des  weiblichen  Goftcblechta  am  Ves-brechen.        47 


froportion : 

Proportion  : 

n  Eagland      75  M. 

25  Fr. 

3     :1 

In  Baden           84  M. 

16  Fr. 

5.3:1 

,  Bayern         75    , 

25  , 

8    :1 

,    Preueeen     85  , 

15  , 

5.7:1 

,   Hannover    77    , 

28  , 

8,3:1 

,    Sachsen       85  , 

15   . 

5,7:1 

,  Dänemark   78    , 

22  , 

8,5:1 

,    Liv-,  Esth- 

„  Holland       82    , 

17  , 

4,5:1 

u.  Kurland  86   . 

14  . 

6.1:1 

,  Belgien        82    , 

18  ♦ 

4,5:1 

,    Spanien        88   , 

12  . 

7,3:1 

^  Frankreich 82   „ 

18» 

4.5:1 

,   Ruaaiand      90   , 

10  . 

9    :1 

,  OesterreichSa    „ 

18  .. 

4,9:1 

Die  Zahl  der  wegen  Trunkenheit  durch  die  Polizei  aufgegrifl'e- 
nen  Weiber  stieg  in  grösseren  Städten  Englands    in  überraschen- 
der Weise.     Nach  Baer   wurden    in  Manchester    aufgegriffen  im 
^Bruukenen  Zustande:    1847 — 1851:    935  Mäuner  und  207  Weiber, 
Ä^852— 185G:  651  Männer  und  84  Weiber;    dagegen  18(37—1871: 
^V903  Mäuner  und  2001   Weiber,    1872—1876:    7020  Männer  und 
^^801  Weiber.     In  Liverpool  stieg  die  Zahl  der  der  Polizei  in  die 
Hände  gefallenen  trunkenen  Frauen  von  4349  im  J.  1858  auf  5676 
'     im  J.  1864.     In   Glasgow   sind  während    der    Jahre    1850-  1860 
sogar    mehr   trunkene  Frauen  als   trimkene  Männer   in  Polizei-Ge- 
wahrsam   gebracht    worden.     Es   sind  allerdings  hier    fast  nur  die 
unteren  Klassen  der  Gesellschaft  vertreten,  doch  zeigt  sich  an  dem 
Terhältniss  ganz  deutlich    die  Wirkung    von  Elend   und  Entartung 
dieHer  Klassen,    die  in   der  sittlichen  Verkommenheit  des  Weibes 
ich  recht  deutlich  ausspricht. 

Das  ganze  Gebiet  des  deutschen  Reichs  umfasst  eine  officielle 

'riminal-Statistik  über  das  Jahr  1882,  aus  der  hervorgeht,  dass  die 

eatsche  Frauenwelt  in  den  Annalen  der  Strafrechtaptlege  nur  in  der 

Stärke  von  einem  Viertel,  das  sog.  starke  Geschlecht   aber   in    der 

Höhe  von  drei  Viertel  eingeschrieben  ist:  es  stehen  100  männlichen 

Verurtbeilten  nur  23,4    weibliche  gegenüber.     Allerdings  ist  dieses 

»nicht  ungünstige  Verhältnis«  nicht  in  allen  Theilen  des  Reiches  das 
gleiche.  Im  Herzogthum  Anhalt,  in  Dresden,  in  Leipzig,  den 
Fttrstenthümem  Reuss  und  Schwarzburg,  im  Herzogthum  Alten- 
Iburg  und  im  Reg.-Bez.  Bromberg  fallt  das  Weib  am  häufig- 
sten dem  Verbrechen  anheim,  im  Elsaas,  im  Kreise  Offenburg, 
den  Reg.-Bez.  Osnabrück  und  Münster,  Minden  und  im  Kreise 
Walde« hut  am  seltensten.  Die  meisten  Verurtheüungen  ergehen 
auch  bei  der  Aburtheilung  eines  weiblichen  Verbrechers  wegen  Dieb- 
«tabl,  sodatm  folgen  in  der  Scala  weiblicher  Schuld  und  SQnde 
Beleidigungen,  Mord  and  Meineid.  Die  hohe  Stelle,  welche  dabei 
der  Mord  einnimmt,  ist  besonders  durch  die  zahlreichoi  Strafband- 
langen  gegen  das  Leben  des  eigenen  Kindes  bedingt. 

üeberblicken  wir  die  vorstehenden  Ergebnisse  der  Moral-Sta- 

tiiitik,    so    erhalten    wir    den    Eindruck,    dti.4s    das  Weib    je    nach 

«einer  Lebenslage  sich  kaum  eines  grösseren,  doch  auch  keines 

ringeren  Grades  von  Morajität   rühmen   oder    «eihen  lassen  darf, 

dem  Manne  nachzujagen  ist^ 

Weiterhin  hat  iluiuinrr  eine    Crimiaal- Statistik    mit  Verglei- 

chung  der  beiden  Geschlechter  aus  zahlreichen  LSndem  tabellarisch 


III.  Die  ilsthetisclio  Auffassiins  des  Weibes. 


S.  Die  weibliche  Schönheit. 

In  einer  Hinsicht  ist  das  Weib  allerdings  dem  Manne  n«ch 
lljiemeiner ,  nur  von  wenigen  [Schopenhauer  etc.)  bestrittener 
einuug  überlegen:  in  der  Schönheit  der  äusseren  Körper- 
orm.  Allein  auch  dieser  Vorzug  ist  ungemein  ungleich  vertheilt. 
ine  Annäherung  an  das  Ideal  weiblicher  Schönheit,  das  wir  uns 
nter  dem  Einflüsse  einer  geläuterten  Aeafhetik  gebildet  haben,  ist 
ur  unter  höchst  günstigen  Verhältnissen  möglich. 

Wenn  man  im  Stande  wäre,  den  Begritt'  des  Schönen  tiberhaupt 
esftzustellen,  so  würde  dies  wohl  in  irgend  einem  Lehrbuch  der 
Wissen-schaft  vom  Schönen  (Äesthetik)  geschehen  sein.  Allein  bis- 
her suchlen  wir  vergebens!  In  einem  der  neuesten  Werke  dieser 
IArt  {Hohlfdd  und  Wünsche)  heisst  es  sogar:  »Die  Schönheit  ist 
»ine  bestimmte  Eigeuschaft,  die  nicht  für  .sich  .selbst  besteht,  .son- 
dern an  einem  Anderen  ist.  Was  schön  sei,  worin  die  Schönheit 
beiftehe,  »oll  selbst  erst  in  unserer  Wissetiscliaft  untersucht  werden. 
i/kber  auch  ohne  die  Idee  der  Schönheit  bereit«  klar  und  im  Allge- 
meinen zu  erkennen,  kann  das  Schöne  als  solches  angeschaut  und 
anerkannt  und  empfunden,  ja  sogar  vom  Künstler  hervorgebracht 
werden." 

Allel)  die  Anthropologen  haben  sich  mit  der  Frage  beschäftigt: 
,Wii8  ist  Schönheit   des  Menschen?    Schon   im  Jahre   1860  llber- 
b    C(*r(iier   der    anthropolo;;ischen    Gesellschaft    zu    Paris    eine 
rbeit  Ober  diese  Frage,  in  der  er  sagte;   .Die  Schönheit  ist  nicht 
Hwn  Eigcnthum  der  einen  oder  der    anderen    Rasse.      Jede    Rasse 
ifferirt    binsiclitlicli    der    ihr    eigenen    Schönheit    von   den  anderen 
KasMen.     So  sind  denn  die  Schöubeitsregehi  keine  allgemeinen ,  sie 
u(lwM.>n  für  jede  einzelne  Rasse  besonders  stiidirt  werden.*     Diesen 
ätzen  widerspricht    in  einem    vor  derselben  Gesellschaft   im  Jahre 
*•        '    "  "  L'e   l)fl(innat/'\   indem  er  behauptet,    daas  e.s 

Hinheitsregeln  giebt  sowohl  Oir  die  Mens«  ht'n, 
Hir  die  Thiere;  sie  begründen  sich  durch  die  von  danth  Jieniard 


r . *  .    iK- 


Aaa»mmttg  4t» 

aiHOtimmlUm    mffßwiimplmcheu  Gc«et«e,    die    in    drr' 

-    <w  Fona   riom  jeden  Organs   ^efooden  werden :    n 
ui  Mri^üii  ««in  Maximum  iler  Entwickelung,  welches  db 

)l  .  nnd  in    Betreff   der  Schönheit  deü 

flu  i  verschiedenen  Organe    in  einer  W- 

uUiimUni   Mf'Xli'hting    ntui    iti    einem    gewiMen   Verhältnisse  zu  ein- 
nimUi'    »litht«!).  |)iciien    Siit/en   gegenüber    miiss   man    doch    ein- 

Wi<rl«ii.    iltiaii   i'K   im«    wohl    kiuini   je   möglich    sein   wird,    fDr  jedej 
|(  iiMMiwrhlit'htMi  <i«'Nt  liliM'hU  ein  typisches  Schönheitsniodell 

I ti,    WH'  Hir  uiiNrjT   Kun««'  ««twa  der  Apollo    von   Belveder»? 

imImi'  iltf>  mvilimiti'Hv    Vfnm  gölten  kann. 

jliinM  it«  iilinr   .«'wigt'  8<'hl\nlioitsgesetze'  nicht  giebt,    wird  wohl 
.huli'riuium /iignhoii,  di«r  w«»isH,  dtms  der  Neger  seine  Negerin,  derl 
Iv  ri  I  lu  W  f  K  t'  M»in«»  K  II  l  ni  i\i'  k  i  ii  oljonw  sehr  und  mit  dem,«ielben  Rechte 
Nt  lin»t  IImiIi'I,  wIi'  diM'  W'i'isN«  »'twn  die  Frauenbilder  liaphaiVs.    Allein] 
d»'»uii)i>h  kiiiiM  niiiu  nunientlich   hetflghch  der  Frauen-Schönheit) 
Um.  '  (  »t  otnn  Vim»UNN«'t/\nig    nnd    Bedingung  des    SchonfindenBl 

II  il«p  N^M'iiiiili',    diLN  (l«>^u^»de   am  Korper   sein  muss,    dassj 

V'  '     ij>ov  in  nUen  soinen  Theilen  gerade  so  be-schaffenl 

»I  suui hohlen  8«'xw«lfnnctioneii  drs  Wfi ?il iilu- II 

f4i^iivhti^^>hi«  ||«>rf<^hl  worden  tu  ktinaviu 

,  Mvho>  U   oiti   4it4«irir  JUwJUmX  Ar  das  Obvmlt«t>    de«! 

W.  4t»  Fxira  4m  Dow— da  tilg  kleidet  vmi 

»*  t,   «wk^  Ami  IVy««  im  GattBag 

tW  gAanWH  flDt  hin  davdia»» 

K   «a^  )«4    »inwitiiA  ÜMIläK^  bH  der 

•«  Wm^m,  anMNmvtafckjede  sMvnde 


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51 


^lulividiK^llem  GeHlhl  ausfallt,  ao  steht  doch  in  allgemeiner  Ueber- 
Einstimmung  »o  viel  fe8t,  dass  die  Gabe  weiblicher  Schönheit  nach 
»nserem  europäischen  Geschmacke  auf  Rassen  und  Volker  nicht 
bloss  ungleich  vertheilt  ist,  und  dass  der  höhere  oder  geringere  Grad 
von  Schönheit  durch  verschiedene  physische  und  culturelle  Vt-r- 
hfiltniäse  bedingt  wird. 
^m  Alle    Einwirkungen,    die  den  Menschen    treffen,    die  Lebens - 

^■weise  und  das  Kliraa,  sind  vor  allem  maassgebend  tlir  die  schönen 
^■Formen,  oder  die  hässliche  Gestalt,  welche  wir  an  den  Weibern 
^Ker  verschiedenen  Volker  wahrnehmen.  Man  hat  gesagt,  dass  die 
vollendetste  Schönheit  nur  in  gemässigtem  Klima  anzutreffen  sei. 
Doch  von  grösserem  Einflüsse  scheinen  nicht  Luft  und  Sonne,  Kälte 
und  Wärme,  vielmehr  die  durch  die  Stellung  des  Weibes  be- 
dingte Möghchkeit  oder  Behinderung  einer  vollkommenen  Ent- 
wickelung  der  Gesammtorganisfition  zu  isein.  Einestheils  die 
Zuchtwahl,  welche  zur  Fortpflanzung  die  schönsten  Individuen  aus- 
sucht, anderntheils  die  Erziehung,  welche  zur  freien  Ausbildung  des 
einzelnen  Individuums  Gelegenheit  giebt,    sind   vorzugsweise  maass- 

»  gebend  fOr  den  reichen  Besitz  eines  Volkes  an  Weibern,  deren  Er- 
'scheinung  sich  dem  Ideal  uähert.  Dagegen  gedeiht  die  weibliche 
Schönheit  nicht  bei  einem  Volke,  dessen  Frauen  sich  von  Jugend 
auf  in  dem  herabgewürdigten  Zustande  von  Haustbieren  befinden 
und  bei  dem  der  Preis  eines  Eheweibes  sich  nach  deren  Arbeits- 
m  kratt  richtet. 

H  „Bei  den  rohen  Naturmenschen,"  sogt  HitM,  „desgleicheo  bei  verküm- 

H  »lerten,  in  ihrer  Oei-ittung  verkrüppelten  Volksgruppen  zeigt  sich  der  Gegen- 
f  »atz  van  Mann  und  Weih  noch  viellach  verwischt  und  verdunkelt.  Er  ver- 
deutlicht und  erweitert  sich  in  gleichem  Schritt  mit  der  wachsenden  Cultur. 
Bei  einer  sehr  abgeschlossen  lebenden  Landbevölkerung,  wie  bei  den  in  harter 
ki'irperljchev  Arbeit  erstarrten  Proletariern,  hut  der  männliche  und  weibliche 
Kopf  fast  die  gleiche  Physiognomie.  Ein  in  Männertrucht  gemaltes  Frauen- 
gesicht aus  diesen  Volksschichten  wird  sich  kaum  von  dem  Mannskopf  unter- 
scheiden lassen.  Namentlich  alte  Weiber  und  alte  Männer  gleichen  sich 
hier  wie  ein  Ei  dem  andern." 

Wie  gross  der  Einfluss  des  Klimas,  der  Nahrung  und  Lebens- 
weise u.  8.  w.  bezüglich  der  Veränderungen  ist,  welchen  der 
Mensch  im  Allgemeinen  untrcrworfeu  ist,  wurde  von  WaiLi  sehr 
eingehend  untersucht.  Allein  er  sagt  auch  bezüglich  der  Cultur 
des    geistigen    Lebens,    dass    zahlreiche   Folgen    der    verschiedenen 

»Culturzustände,  die  der  Mensch  durchläuft,  uns  gewissermaassen 
vor  einer  L^eberschätzung  der  kliuiatischen  und  geologischen  Ver- 
hältnisse wahren  ;  denn  wenn  der  Mensch  eine  höhere  Bildungsstufe 
erreicht  hat,  so  hört  er  schon  damit  auf,  genau  dem  Boden  imd 
den  Naturverhältnissen  zu  entsprechen,  denen  er  angehört. 

Wir    leugnen   also    nicht,    dass    klimatische    und    verschiedene 

[äussere   Lebensverhältnisse   von    entschiedenem,    bald   tTirderlichem, 

)ald   hemmendem    Einflüsse   auf   die   körperliche   luul  geistige  Ent- 

iekelung   der    Menschennatur    sind.     Allein  die   .\ufgul)e   »h-r   (Je- 


dei  Wnber. 


■^  utiA  oamenÜich  <ier  Erziehung  ist  es,  dergleichen  Ein- 
fiima  »  lMbcn«d>eo;  «ie  «ntwedo;  ao  weit  sie  gOnistig  sind,  2n 
ImmAmb,  oAtr  li«,  «oveit  sie  ongOostiig,  zn  patalysrai  durch  ror- 
N«:bli||i«  Vcrfthr«).  Dmin  der  Mensch  soll  und  wird  mehr  und 
tttthr  /Hill  Biäfft  ftbfr  die  niaterielJe  Xatur  gelÄngen.  So  lieget  es 
«i'  in  der  Hand  der  Nationen,    ebenso  sehr   der  physischen 

<wi<  IUI  inontliK'hen  Entwickelung  nachznstreben ;  wir  finden  auch 
in  d*'r  Thht.  danH  ••»  eine  Erziehung  giebt.  welche  solche  Aufgaben 
Verfolgt;  nur  i»!  Hie  leider  noch  nicht  zum  Gemeingut  geworden 
Jti  dna  „büBxen'u"  Theileu.  unter  den  gut  situirten  Klassen  der  Be- 
völkerung, ••rbiicken  wir  fast  überall  auch  schönere,  edlere  Gestaltung, 
nit'lti  bjoint  bfi  Miinnern,  sondeni  namentlich  bei  Frauen.  Der  Typus 
ilrr  H«  li<tiilirit  kann  .>t<:h  unter  so  gut  beeinflasateu  Individuen,  welche 
VOM  .liigrijii  IUI  ib'U  Mangel  nicht  kenneu,  sondern  nach  vollem  ße- 
dllilriiMM  in  iiitelligentf-r  Weise  erzogen  werden,  im  normalen  Aos- 
buii  iU'f  K<tr{n<rN  unbehindert  aitöbUden:  imd  so  setzt  sich  oft  io 
iImm  mit  (JlürkHglUern  hinreichend  ausgestatteten  Familien  nh  Erb- 
ullWk  itiii  Mi'lWUieH  und  edles  Aussehen  von  Generation  zu  Generation 
litil,  Krniliili  H(>|iiMi  wir  Völker  auch  oft  genug  in  den  sogenannten 
imlt'r«<ii  ScljiiliU'u  «'iiu'  reiche  Anzahl  schöner  weiblicher  Individuen 
pni(iiirirt'n,  uliglciili  du  Aruiuth  und  schlechte  Beschatt'enheit  der 
>lu|ji<iiib)rrji*hung  uutYullcud  sind.  Hier  ist  es  lediglich  die  sogar 
MuitU'  tiliul\nNligrn  ZusUinden  Gelegenheit  gewährende  Natur,  welche, 
w.    -  iiicbl   «u  si>lir  beschränkt  wird,  die  Entfaltung  des  schönen 

\N  1  'rxiiu>  möglich  macht. 

AiKtulb  und   Hod'vangniss  behindern  vor  Allem  die 

li4»lb«wii>"'^'"    »uul   die  hiermit   verbundene   ungenügende  En.^ „ 

ll*»     <  ti«i     kommt     namentlich    bei    dem    belasteten    weili 

\M\v\\  Ml  .» iiitvht  durch  vermindertes  Wachstimm,  gross-   ^'^.     keif 
•n'l\h«»^l\tv  KJ^i'^vovbaltuuc  und  biisslicbe  GesicbtstQge  zur  t  nu 

Kl»   ml   «»Im»  «I       ■ 


AvbiMt.«)^\tUiV,oil. 


>  im  wncTiwi  hc 

r  (iie  mdff  odm  vienigcr 

bei  dctt  YaOMSB.     Die  Alt- ^ 
-cliwTeRB  Aibotan  Terrichten 
<;  UuEt«  t  nu««s  4ae  AaahäUoBg  6es>  KOrpers 


<"««  yt^Mt  MM  (M««f  Nett»««')»»^«   «rohDroiirn   Ein 
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9» 


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53 

..Aucti  tiiü  Frftucn  «ind  Irpl'fliche  Seelabrer,  und  die  lappiacb«n 
tooi»«igenthiinier  lassen  ilie  Bedienung  der  Falirzeuge  und  Netze  oftmals 
lUBSchliesalich  von  ihren  Frauen,  Töchtern.  Schwestern  oder  auch  wohl  von 
Jen  ei^^en:}  zu  diesem  Zwecke  gedungenen  Weibern  besorgen. .  . .  Die  Züge 
ler  Fmuen  werden,  eine  natflrliche  Folge  ihres  beatSlndigeo  VerweilenH  im 
■"reien  und  ihrer  harten  Lebensweise,  mit  den  Jahren  sehr  grob  und  man 
tann  sie  olt  ebenso  wonig  von  den  Männern  unterscheiden,  wie  man  bei 
'Kindern  M&dchen  von  Knaben  zu  erkennen  verniBg." 

Schon  von  den  Indianern  Amerikas  wurde  berichtet,  da.ss 
Männer  und  Weiber  desselben  Stamnie.s  häufig  eine  sehr  gleich- 
irtige  und  in  vielen  Fällen  schwer  unterscheidbare  Gesichtsbildung 
)esit7eu,  ein  Umstand,  der  sehr  dazu  beiträgt,  den  Eindruck,  den 
liese  Individuen  hervorbringen,  zu  einem  äusserst  gleichmässigen  zu 
nacheii.  Die  Indianerweiber  nuisseu  in  der  That  aber  auch  alle 
Lrbeit  verrichten  und  sind  sehr  muskelstark  (Kohl). 


9.  Das  Schönheitsideal  bei  verschiedenen  Tölkern. 

Weuü  wir  eine   Umscliaw   halten   unter  den  Völkern  des  Erd- 
I  and  sehen,  wie  überall  die  Mädchen  von  den  Jünglingen  be- 
gehrt werden,   auch   bei  solchen  Rassen,   deren  Vertreterinnen   des 
weiblichen  Geschlechts  selbst  in  den  Jahren  ihrer  höchsten  Blüthe 
ins  in  Bexug  auf  ihre  äusseren  Formen  doch  nur  mit  Abscheu  oder 
'^iderwülen  zu  erfüllen  im  Stande  sind,    ao   müssen  wir  wohl  zu- 
festehen,   dass  das  Ideal  der  Schönheit,   wie  es  im  Geiste  der  ver- 
schiedenen Volker  lebendig  ist,  doch  sehr  verschiedener  und  nmnnig- 
:her  Art   sein    muss.     Von    einem   gewiss    nicht   untergeordneten 
logischen     und    wohl    auch    von    anthropologischem    Interesse 
llrde  es  sein,  wenn  es  uns  gelingen  würde,    dieses  Schönheitsideal 
den  verschiedenen  Völkern   aufzuspüren   und  uns    zu  vergegen- 
wärtigen.    Auf   den    ersten    Anblick    möchte  man   dieses   für  nicht 
so    schwierig    halten,   da   es    nur  wenige   Volksstämme  giebt, 
reiche   nicht  eine   gewisse   Freude   an  der  bildenden   Kunst  hätten 
»nd  nicht  auch  bis  z\i  der  (meist  plastischen)  Darstellung  der  meusch- 
.hen  Gestalt  vorgedrungen   wären.   Wir  würden  aber  gewiss  einem 
trordentlich    grossen    In-thum  miterliegen,   wenn    wir   in  diesen 
shnitzten     oder    auch    wohl    gemalten    weiblichen    Figuren    das 
:h5nheitsideal  des  Künstlers  erblicken  wollten.     Er  hat  gewiss  in 
^Ftätem   der  .Mehrzahl    der  Fälle  nichts  Weiteres  zu  bilden  be- 
itigt.,    als   ein  weibliches    nieoschliches  Wesen,   dessen  Formen 
natilrlicli  seinen  Siammesgenos-sinnen  ähnlich  zu  gestalten  suchte, 
er  Weiber  anderer  K«)rperform   nicht  kannte,   und  ganz  ähnlich 
die  Kinder  civilisirter  Rassen   war  er   wahrscheinlich  hoch   er- 
it,  «'  '   n   diese  Absicht   amiähenid  gelungen  ist,  ohne  dass 

L  beanspruchte,   da.ss    sein  Kunstwerk   nun   auch  den 


de»  Weibe«. 


lobegriff    der    nationalen     w«tbUchen    Schönheit    zur    Danstellauj 
bringen  sollte. 

Es  giebt  aber  noch  einen  andert;o  Weg,  am  uns  dem 
wQnHchten  Ziele  zu  nähern,  nur  schade,  dass  er  bbher  noch  so' 
»t'nig  geebnet  ist.  Das  sind  die  Lieder  liebegirrender  Jlinglingf, 
oder  Kchwärmeriächer  Dichter,  welche  gewohnlich  dasjenige  zum 
klaren  Auadrucke  bringen,  was  ihnen  das  umschwärmte  Liebchen 
aU  besonders  »ichön  und  besonders  begehreiiswerth  erscheinen  lässt. 
Von  dem  Schwanenhals,  dem  Busen  wie  Schnee,  den  Wangen  wie 
Milch  und  Blut,  den  Perlenzähnen  und  dem  Rosenmund,  den  Augeti, 
leuchtend  so  hell  wie  die  Sterne,  wie  sie  die  Liebeslieder  der  euro- 
päischen Völker  durchziehen,  braucht  der  Herausgeber  den  Lesern 
wohl  nicht  zu  erzählen.  Vielleicht  enthalten  die  verborgenen  Blätter 
ihrer  Notizbücher  selbst  noch  dergleichen  auageseufzte  Hj*perijeliu 
Hier  möge  nur  in  Kürze  über  das  Schönheitsideal  des  Europäers 
angeführt  werden,  was  Martin  Schurüf-  mit  den  Worten  des  Conrad 
Tiberiua  liango  dai-über  sagt:  „Als  eine  rollkommen  schöne  Frau 
muBS  bezeichnet  werden, 

quae  habeat  dtio  dura,  ubera  et  natee:  duo  mollia,  moaus  et  venlrvtu 
Uuo  brevia,  na«mu  et  pedes:  duo  longa,  digltos  et  latent:  duo  nigra,  ocuio* 
vt  oonchaiti :   duo  rubra,  genas  et  ob:  duo  alba,  crura  et  cerviceiii." 

Erwähnung  möge  auch  noch  eine  Redensart  der  Spanier 
finden,  welche,  um  die  Schönheit  eines  hohen  Fusssohlengewülbes 
zu  bezeichnen,  aussagt:  dass  unter  dem  Fusse  eines  schönen  Mäd- 
chens ein  Bächleiri  hindurch  fliesseii  könne  (Schauffuiusen).  FUr  uu» 
würde  es  aber  gerade  ein  bei  weitem  grösseres  Interesse  darbieten, 
wenn  wir  uns  die  entsprechenden  Herzensergüsse  aussereuropuischer 
Volker  zu  verschallen  vermöchten.  Zu  meinem  grossen  Bedauern 
ist  aber  das  Wenige,  was  ich  in  dieser  Beziehung  zu  bieten  im 
Stande  bin,  nur  ganz  spärlich  und  lückenhaft;  denn  in  den  >nelen 
Anthologien,  welche  existiren,  sie  mögen  noch  so  dickleibig  und 
vielbändig  .sein,  ist  gerade  dieses  Uebiet  vollständig  vernachlä-ssigt. 
Aber  auch  das  W^enige,  was  mir  zugäoghch  geworden  ist,  wird 
dem  Leser  schon  einen  Begriff  geben,  einerseits  wie  ganz  absonder- 
lich und  unserem  Geschmacko  und  Emptinden  fremd  die  die  weib- 
lichen Schlauheiten  verherrlichenden  Vergleichsbilder  gewählt  werden, 
uniK^rei-seit.s  iil>er  auch  wie  doch  für  gewisse  Vorzüge  des  weiblicben 
Körpers  die  Geschmacksrichhmg  der  Männer  als  eine  ganz  unbe- 
streitbar internationale   bezeichnet  zu  werden  verdient. 

Was  uns  auf  diesem  Gebiete  zu  Gebote  steht,  stammt  fast  alJe!« 
aus  Axien,  tuid  zwar  können  wir  aus  dem  Altindischen  »r» 
dem  Epos  Nal  und  Dnmajünfi  die  erste  Probe  liefern,  die  jgT] 
Fr^iedrich  Hiickcrt's^  Uebersetrung  eutuehmen: 

I)ft  sah  er,  vom  Mflgdetrossc 

rmp'bon.  die  Widarbn -Maid, 

(il&naciid,  als  wie  ■ 

l)ä->  vom  Himmel  .. 


Krleuchtenü  irdisicbe  üaLleu. 
Die  Glieder  getaucht  ia  Liebesreiz- 
Erweckten  der  Blicke  Liebeageiz, 
Doch  vor  dein  klaren  Angesicht 
Schämte  sich  Sonn-  und  Moadenlicbt. 
Die  Liebe  des  Liebeskrartken  wuchs, 
Wie  er  eah  Ihren  schlanken  Wuch«. 


^ 


Sie  nun  »ehend  in  halber  HflUe, 

Mit  der  Brüst'  und  der  Hüften  Fülle, 

Die  gliederzartwiichsricbtige, 

Vnllinondangebichtige, 

Gewölbaugenbrauenbogige, 

Sntiitläclielredewogige: 

Fiel  er,  der  Waidmiinn,  durch  so  fiel  Zierde 

In  die  Schlingen  der  Begierde. 

Vuii  der  uns  an  dieser  Stelle  interessirenden  Poesie  der  alten 
Hebräer  finden  wir  entsprechende  Beispiele  in  dem  alten  Testa- 
mente und  zwar  in  dem  hfdien  Liede  Salomonis.  Es  möge  mir 
gestattet  sein,  auch  hier  die  betreflFendeu  Verse  wiederzugeben: 

Ich  gleiche  Dich,  meine  Freundin,  meinem  relifigen  Zeuge  an  «lern 
"Wagen  Pharao. 

Deine  Backen  stehen  Heblich  in  den  Spangen  und  Dein  Hala  in  den 
Ketten. 

Wer  ist  die,  die  heraufgehet  aus  der  Wüete.  wie  ein  gerader  Rauch,  wie 
ein  Geräuch  von  Myrrhen,  Weibrauch  und  allerlei  Pulver  eines  Apotheki'rs? 

Siehe,  meine  Freundin,  Du  bist  schön,  siehe,  schön  bist  Du.  Deine 
Augen  sind  wie  Taubenaugen  zwischen  Deinen  Zöpfen.  Dein  Haar  ist  wie 
die  Ziegenheerde,  die  bescheren  sind  auf  dem  Berge  Gilead.  Deine  Zähne 
ftind  wie  die  Heerde  mit  beschnittener  Wolle,  die  aus  der  Schwemme  kommen, 
die  aÜKumal  Zwillinge  tragen  und  ist  keine  unter  ihnen  unfruchtbar. 

Deine  Lippen  siud  wie  eine  roninfarbene  Schnur,  und  Deine  Rede  lieblich. 

Deine  Wangen  sind  wie  der  Ritz  am  Granatapfel  xwischi'n  Deinen 
Zöpfen. 

Dein  Hals  ist  wie  der  Thurm  Davids  mit  Brustwehr  gebauet,  daran 
taoHend  Schilde  bangen,  und  allerlei  WaSen  der  Starken. 

Deine  zwo  BrQste  sind  wie  Kwei  junge  Rehzwillinge,  die  unter  den 
Rosen  weiden,  bis  der  Tag  kühle  werde  und  der  Schatten  weiche. 

Du  bist  allerdings  schOn,  meine  Freundin,  und  ist  kein  Flecken  an  Dir. 

Du  hast  mir  das  Herz  genommen,  meine  Schwester,  liebe  Braut,  mit 
Deiner  Angeu  einem  und  mit  Deiner  Halsketten  einer. 

Wie  BchSn  sind  Deine  Brüst«,  meine  Schwester,  liebe  Braut!  Deine 
rüsl«  sind  lieblicher  denn  Wein  und  der  Geruch  Deiner  Salben  flberlriffl 
alle  Wttnse. 

Dcinr  Lip|ion.  meine  Braut,  sind  wie  triefender  Honigseim,  Honig  und 
'****>  ist  unter  Deiner  Zunge,  und  Deiner  Kleider  Geruch  ist  wie  der  Geruch 


ie  Ut'rrorbricht  wie  die  Morgenröthe.  schön  wie  der  Mond. 
U  Sonue.  i»chr»»cklich  wie  die  Heeresspitzen? 


III.  Die  ästhetische  AuiTassuug  de«  Wejbea. 


Wie  schön  ist  Dein  Gang  in  den  Sohahen,  Du  FQrstcntochter.  uetne 
Lenden  stehen  gleich  aneinander,  wie  zwo  Spangen,  die  des  Meisters  Hand 
gemacht  hat. 

Dein  Nabel  ist  wie  ein  runder  Becher,  dem  nimmer  Getränk  mangelt. 
Dein  Bauch  ist  wie  ein  Weizenhaufen,  umsteckt  mit  Rosen.  Dein  Hals  ist 
wie  ein  elfenbeinerner  Thurm.  Deine  Augen  sind  wie  die  Teiche  zu  Ilesbon. 
am  Thor  Bathrabbim.  Deine  Naae  ist  wie  der  Thnnn  auf  Libanon,  der 
gegen  Damaskus  siehet. 

Dein  Haupt  stehet  auf  Dir,  wie  Carmel.  Da«  Haar  auf  Deinem  Haupt 
ist  wie  der  Purpur  deä  Königs  in  Falten  gebunden.  Deine  Länge  ist  gleich 
einem  Palmbaum,  und  Deine  BrQste  (gleich)  den  Weintrauben.  Lass  Deine 
Brflate  sein  wie  Trauben  am  Weinstock  und  Deiner  Nasen  Geruch  wie  AepfeL 

Eine  arabische  Quelle  aus  alter  Zeit  erschJiesst  sich  uns  iu 
den  Geiiichten  (Makamen)  des  Hariri  aus  Bas ra,  welcher  ani  Ende  des 
II,  Jahrhunderts  unserer  Zeitrechnung  gelebt  hat.  Wir  verdanken 
die  ITebersetziing  dieser  poetischen  Producte  bekanntlich  ebenfall» 
Friedrich  Bückert^. 

Und  in  anmuthigen  Bildern  —  sollt  ihr  mir  schildern  —  die  feurige 
Liebe,  die  ich  trage  —  zu  einer,  die  meine  Lust  und  meine  Plage,  —  dunkel- 
roth  von  Lippe  —  hart  wie  eine  Klippe,  —  gerade  wie  ein  Bolz.  —  aber* 
schwenglich  an  Stolz. 

Daß  Haar  um  ihre  Schläfe  nahm  den  Schlaf  von  meinen  Angen;  , 

Ich  !>chmachte,  weil  sie  mich  verliess,  in  dem  Verliese  des  Leidea. 
.\U8  ihrem  Wuchs  erwächst  mein  Tod,  mein  Blut  fliesst  nm  die  Blüthe 
Der  Wang'.  ihr  Auge  weidet  sich  am  Brand  des  Eingeweide«. 
Mein  Logs  i«t  hoffnungslos,  hin  mich  die  Mängellose  lOset; 
Doch  ist  mein  hoffnungsloser  Stand  ein  Gegenstand  des  Neides. 
Dem  Gleichgewicht  der  Glieder  war  mein  Auge  gleich  gewogen, 
Doch  eben  maass  das  Ebenmaass  des  Leibs  mein  Herz  voll  Leides. 

Eine  andere  Stelle  bei  Hariri  lautet  {Hurfmanu^): 
Ihre  schönen   Z&hne  gltlnzten  wie   Perlen,    Hageln,    oder  eiu   Tropf 
kostbaren  Weins,  weiss  schimmelnd,  wie  Camilleu-  oder  PalmenblQtbe. 

Ein  anderer  alter  arabischer  Dichter  Namens  Amrctlkeis 
sagt  (Hartmann^) : 

Das  lange  Hnar.  da«  ihren  Rücken  xiert,  ist  wie  eine  Kohle  sohwart, 
dicht,  und  wie  Palmranken  durch  und  durch  verächlungen. 

Ich  fasste  sie  bei  ihres  Hauptes  Haar  —  sie  bog  sich  sanft  zu  mir 
herüber;  dünn  war  ihr  Leib,  dick  und  stark  die  Hüfte. 

Ihr  Bein  glich  einer  Palmrfihre  von  Wasser  getrilnkt. 

Hartmann^  citirt  dann  ferner  Motannahi: 

Sie  blickte  mich  an  mit  den  Augen  einer  Gazelle  in  einer  weinerlichen 
Stellung,   und  wischte   das  Regengesprühe  über  eine  Rose  von  An  am. 

Ihr  Haar  ist  wie  ein  Rabe  schwarz,  buschigt,  nochtschwan,  dicht,  von 
Natur,  nicht  durch  Kunst  gekräuselt. 

Ihre  Lippen  duftender,  ab  Sommerlnftchen,  und  lieblicher,  dfltiii  *t:^' 
thiischer  Mnsküs  ihr  Hyacinthenhaar. 

Sie  schiessen  mit  Pfeilen,  dertm  Gefieder  dt«  AQijeiiwüu^eni  <<* 
»palten  die  Herxen,  ohne  xa  ritzen  die  H.^  u 


9.  Das  Schönheitsideal  bd  vewcHedenen  Völltern. 


57 


—       w 

I 


Und  selbst  den  Korau  können  wir  hier  anschliessen  (Snre  56 
eni  24): 

Und  68  werden  bei  ihnen  sein  schwars&ngigte,  gr04stvu^gte  Müdclien, 
wi#  Perlen  in  der  Muschel  verborgen. 

Der  Dichter  Atnru,  ebenfalls  ein  alter  berühmter  Araber,  singt: 
Bit  von  Wocbs  enthüllte  sie  ihren  scblänken,  Bcbön  proportionirien  Körper, 
nd  ihre  Seiten,  die  im  Gefolge  ihrer  Reize  prächtig  sich  ausdehnten, 
nd  ihre  Lenden,  so  lieblich  »trotzend,  üiisi^  des  Gezeltes  Thilr  sie  zu  fassen 
kiium  vermag, 

Und  ihre  Hüften  —  dhten  schöne  Wölbung  mir  den  Gebrauch  meiner  Sinne 
vor  Entzücken  raubt. 

Und  er  vergleicht  die  Beine  der  Geliebten  «mit  zwei  reifenden  S&ulen  von 
oder  glattem  Marmor,  an  welchem  Ringe  und  Spielereien  hangen, 
D  gerfinschvollefi  Get€ee  machen'.  (Hartm»nn>). 
Etwa«  reichlicheres  Material  bietet  sich  uns  aus  einer  um 
üiige  Jahrhunderte  späteren  Zeit  in  den  Hesar  Afsan  oder 
tausend  Märchen*,  bei  uns  bekannt  unter  dem  Namen  »Tausend 
nd  eine  Nacht*.  Wenn  auch  dieses  Werk  ursprünglich  persisch 
t  und  zwar  aus  dem  10.  Jahrhuudert  unserer  Zeitrechnung,  so 
ind  doch  die  auf  uns  gekommenen  Handschriften  in  arabischer 
prache  verfasst,  und  sie  sind  durchaus  nicht  wörtliche  Ueber- 
ctzungon  des  Originales,  sondern  freie  Bearbeitungen  und  Ver- 
ollständigungf-n  und  zwar  wahrscheinlich  von  einem  Aegypter 
US  dem  lü.  Jahrhundert.  Aus  dieser  Zeit  .stammen  also  jedenfalls 
uch  die  vielen  poetischen  Stellen,  welche  in  die  Märchen  einge- 
ocht^n  sind  und,  obgleich  in  Aegypten  verfasst,  müssen  sie  doch 
ohi  als  ein  Ausdruck  arabischen  Denkens  und  Fühlens  auf- 
elasst  werden.  Ich  gebe  einzelne  Proben  von  ihnen  nach  der 
^ebersetzung  des  Dr.  Gustav   Weil: 

Sie  ist  schojiegsanj,  wie  die  Zweige  des  Ban  (ein  Baum),  den  der  Zephyr 

ewegt;    wie   reizend    und    anziehend   ist    sie,    wenn    sie    gebt!     Bei    ihrem 

Lilcfaeln   gltlnzen    ihre   Zähne,    so   daes  wir  sie  för  einen   Blitzstrahl  halten 

können,    der    neben  .Sternen    leuchtet.     Von  ihren  kohlenschwarzen   Haaren 

hüDgen  Locken  herunter,    die  den  hellen  Mittag  in  die  Wolken  der  Nacht 

IltOllen  ;  zeigt  *ie  aber  ihr  Angesicht  in  der  Finsterniss,  so  beleuchtet  sie  alles 

on  Osten  bis  Werten.   Aus  Irrtbum   vergleicht  man  ihren  Wuchs  mit  dem 

chOnsten  Zweig  und  mit   Unrecht  ihre  Reize  mit  denen  einer  Gazelle.     Wo 

CoMte  eine  Gazelle  ihren  schönen  .Ausdruck  hernehmen? 

Ich  erblicke  an  ihrem  Busen  zwei  featgeschlousene  Knospen,  die  der 
tobende  nicht  umfassen  darf;  sie  bewachl  sie  mit  den  Pfeilen  ihrer  Blicke, 
i*  «ie  dem  entgegenschleudert,  der  Gewalt  braucht. 

Sic  erscheint  wie  der  Vollmond  in  einer  freundlichen  Nacht,  mit  zarten 
1aft«n  und  •chlnnkcm  Wüchse,  ihr  Auge  leseelt  die  Menschen  durch  ihre 
chönheit;  die  ROthe  ihrer  Wangen  gleicht  dem  Rubin;  »chwar/e  Haare 
D  ihr  bi«  zu  den  Füegeu  herunter;  hat«  tlich  wohl  vor  diesem  dichten 
'  '  l  ...»  kind  ihre  Seilen,  doch  ihr  Herz  ist  barter 'ale  FeUen. 
iiuen  Bchleudert  sie  Pfeile,  die  immer  richtig  treffen  und 
xein  mögen. 
Mt,    wohlduaend  ihr  Mund;    ihre  Aepfelwangeil 


Ui.  Die  aathetMche  Anffaiwg  de»  WeikM. 


tiftd  wie  Anemooea,  Weao  das  Lickt  iler  Sooiie  iia4  64»  Leuchten 
Mosdea  nch  begegnen,  wird  dae  Finnament  Tetdookelt;  wenn  ihre  ctmhlrif 
den  Wangen  tich  zeigen,  wird  die  Morgfnrfithe  aas  Scham  bla&s;  nad  wetiii 
b«i  ihreai  LScheln  ein  Blitz  aas  ihres  Zähnen  leuchtet,  so  wird  die  dunkl«- 
AbrnddAmaerang  heller  Morgen.  Ihr  Wuch«  Ist  so  ebeoiuä«8ig,  daso,  wenn 
«ie  etvcheint.  die  Zweige  des  Ban  eiferv>i]chtig  Über  sie  werden.  Der  Mond 
be«it2t  nar  einen  Theil  threr  Beize:  die  Sonne  wollte  eie  anfechten,  konnte 
nber  nicht.  Wo  hat    die  Sonne  H&ften,  wie  sie  die  Königin  meines  Herzens  hat?  , 

Ein  gcbönes  Mädchen!  Ihr  Speichel  ist  wie  Honig,  ihr  Auge  ist  schärferi 
al«  ein  indisches    Schwert;    ihre  Bewegungen    beschämen  die  Zweige  dril 
Ban,    und    wenn    eie  lächelt,    so   gleicht  sie    der    Atheniis.     Du    ^agst,    ihr»! 
Wangen  aeien  wie   Doppelroien.  doch  sie  empOrt    sich  darüber  und  spricht: 
Wer  wagt  e«,  mich   mit  einer  Rose  zn  Tergleichen?  wer  schämt  sich  nicht  zu] 
behaupten,    mein    Busen    sei    so  reizend   wie  die   Frucht  eines    (.iranatapiel-l 
baumes?  Bei  meiner  Schönheit  und  Anmuth!  bei  meinen  Augen  and  Bchwarxeal 
Haaren !    Wer  wieder   solche  Vergleiche  macht,  den  verbanne,  ich   aus  mpim-r 
Mähe  und  l^te  ihn    durch  die  Trennung;  denn  findet  er  in  den  Zweigrn  des 
Ban   meinen  Wuclu,    und  in  den  Bösen  meine  Wangen,  waa  hat  er  bei  mir 
tu  Itachen? 

Von  Proben  persischer   Poesie  gebe  ich  eine  Stelle   aus  den 
Liedern    des  Ferdoesi,    welcher  ungefähr  ein  Jahrhundert  vor  dei 
ersten  Kreuzzuge  dichtete  {Ilartnmnn^): 

£ben   und  weiss   faob  sich  in  reisender  Wfilbung  ihre  orale  Brust,  di<>j 
kuiuo  Phantasie  je  malen  kann. 
Ihr  schamhaftes  Auge, 
Ihre  wie  Elfenbein  blendende  Gebtalt 
Machen  des  Liebhaben;  Seufzer  I06, 

Kund  sind  ihre  Augenlider,  und  ihre  «chneeweisaen  Zähne 
Glänzen,  von  der  Hand  der  Natur  schön  geformt. 
Ihre  gerade  Nase  liegt  in  schönem  Ebenmaasse  au&gestreckt ; 
Ihr  schlummernd  Auge  wird  santt  gefächelt  durch  des  Geliebten  holden  Rlii-l 
Da«  Moschushaar  in  wallenden  Ringeln  gekräusell 
Spielet  in  der  Luft  und  scherzet,  wenn  es  losgebunden  flattert. 
Eine  liebliche  Röthe  schimmert  auf  ihrem  rosenfarbenen  Gesicht, 
Und  erhöhet  unwiderstehlich  ihrer  Schönheit  Reiz. 
«So  liebenswürdig  sind  ihre  Lippen,  dass  selbst  das  Lüftchen 
Sich  nicht  zu  nähern  wagt,  sondern  nur  von  ferne  wflnscht. 

Von  einem  älteren  Türken,  dem  Ibrahim  Bassa,  stammt  derj 
Ausspruch,   der  sich  auf  eine  von  ihm  geliebte  Prinzessin  bezii^t: 

Noch  erst  strahlt  unter  der  Morgenröthe  der  Stirn  das  grosse  schwarx« 
Auge  mit  allen  »einen  bezaubernden  Reizen  —  aber  alUuählich  frhebl  Mch 
die  apitzo  kleine  Nase  wie  aus  dem  Nebel  her\'or. 

Aus    moderner   Zeit    finden  wir  in    dem  Werke  von   Vambmj 
(iber   das  THrkonvolk  einige  Beispiele  poetischer  £rgiisse,  welcliej 
Jiernury  übersetzt  hat: 

Eine  Mutter  aus    dem  Volke  der  mittelasiatischen    noi 
disirenden  Türken  besingt  ihre  verstorbene  Tochter: 
Mein  Liebchen,  ich  will  sie  loben,  wi"  snh.v- 
Wio  in  Butter  gobackene«  Brot  w:i: 


9.  Da«  Schönheitsideal  bei  verschiedenen  Völkern.  59 

Von  den  West-Türken  stammen  folgende  Verse: 

0  -holde  Jungfer,  bogengleich  sind  deine  Brauen, 
Leben  und  Welt  bist  da.  Ach!  Ach! 
So  tanze  doch,  da  mein  Rosenzweig! 

Auch  eilt  Liebeslied  eines  iranischen  Türken  steht  uns  zur 
Verfügung,   das  ich  im  ganzen  Wortlaut  wiedergebe: 

1.  Der  Mond  bewegt  im  Kreise  sich,  am  unterzugehen. 
Ich  bin  schläfrig  and  möchte  gern  schlafen  gehen, 
Meine  Hände  die  haben  es  erlernt. 

Deine  Brüste  tanzen  zu  lassen. 

2.  Ich  bin  kein  Mond,  ich  bin  ein  Stern, 
Ich  bin  keine  Braut,  bin  eine  Jungfer  nur; 
0  Jüngling,  der  du  am  Thore  stehst. 
Komm  herein,  ich  bin  allein ! 

3.  Das  Eäppchen  hat  sie  seitwärts  aufgesetzt 

Und  legt  68  schelmisch  bald  auf  die  andere  Seite  hin; 

Ach,  ob  eines  einzelnen  Kusses 

Hat  sie  das  Herz  in  Blut  mir  gebadet. 

4.  Das  Muttermal  auf  deinem  Gesicht 
Gleicht  der  auf  der  Steppe  weidenden  Gazelle, 
Ja  ich  kenne  meine  Holde  genau, 

Denn  em  Doppelmal  hat  sie  im  Gesicht. 

Einige  Lieder  der  Albanesen  finden  sich  in  dem  Werke  von 
r.  Hahn^.  Ich  gebe  von  denselben  nur  solche  Stellen  wieder,  welche 
i\\T  unser  gegenwärtiges  Thema  von  Bedeutung  sind: 

Deine  Brauen  vernichten  mich. 

Wenn  du  dich  abwendest  und  von  der  Seite  blickst. 

Aus  deinem  Munde,  o  Liebling  (?) 

Quillt  Honig  und  Zucker. 

Deine  Perlenzähne 

Sind  Gift  für  meine  Wunde  u.  s.  w. 

Dieses  Lied  stammt  aus  Premet  an  der  Vojussa  und  ist  in 
toskischer  Sprache  mit  gegischen  Anklängen. 

Liebchen,  schlank  wie  ein  Spross 

Und  weiss  wie  Bernstein, 

Deine  Haare  (sind)  wie  Githersaiten, 

Dein  Duft  Bergmelissen, 

Dein  Mund  Gewürznelke  des  Kramladens. 


Gnade,  kleine  Freundin, 
Pomeranze,  Orange. 

Liebe  Dukatenstime, 
Liebe  Orangenstime. 

Kleine  rothe  Beere  an  dem  Abhang. 

Wie  ist  es  mit  mir  so,  o  Freund, 
Dau  ich  das  rothe  Haar  nicht  liebe? 


>ie  i»t 


t>»M  Hiiar  i^ib  wi«  ein  Venetiao^r  (Dukatev 
K«  gebt  vorfiber  der  Silberhah. 


Uni  mich  zo  beklagen,  den  Aenusten, 

Weg<Mi  eines  LiebcbepB  mit  dem  Schacbtelmunde. 

Da  Kleine,  die  Dieb  Dein  Mann  nicht  will. 
Steige  ein  Biscben  auf  die  Maner. 
Kntwodor  Du,  Kleine,  oder  Deine  Schwägerin, 
Damit  ich  die  Augen  und  Brauen  eehe. 
Warum  sind  Deine  Brauen  (so)  schwarz? 
Ilnitt  Du  etwa  Ualläpfel  aufgelegt? 
Sie:    Nein,  nein,  bei  Gott! 

Denn  ich  habe  selbst  die  Schönheit. 

In  i'iikt^ni  hicde  in  Nord-Celebes  heisst  es  nach  RiedeP: 
Din  ZUhnu'der  Geliebten  sind  prächtig  geileckt. 

Di'rii    Wi^rko   von    Vamhmj  entnehmen  wir  auch  die  Herzens- 
••rKniMi'  i'iijHH  lii'hi'glUhiMuk'ii   Haschkii-en : 

O  Liobchwn  mein,  Dein«  Augenbrauen 

iJl<'ich<M\  dem  noch  dilnnen  Neumonde! 

0  Liebchen  iin.'in.  Deine  Brüste 

lUeiuhen  dini  iioob  warmen  Butterknollen. 

Auf  hohen  Borgen  hab  ich  Feuer  angezündet 

Und  CK  brannte  die  Flamme  den  Berg  entlang. 

Auf  deine  rechte  Wange  hab*  einen  Knss  ich  gedrückt 

Und  die  linke  Wuuge  erbebte  davon. 

Auf  hoher  Berge  Gipfel 

Aul  Steinen  umhenusteigea  ist  schwer. 

O  Holde!  ohne  Kuren  Anblick 

Dn«i  Stunden  auKXuhalten  ist  woU  schwer! 

(SAbe  e«t  .ipfelbauwe. 

So  wttMte  ans  (tf«tTilach  ioh  nieh  tticht  tuüehnen. 

WkM  iMUM  il«U«btc  b«i  nur, 

(kk  wtri»  M  PNndtt  ich  aidi  niciil  «eadai. 

Wlv  ntffM  «Mk  4m  ScAiteMfeadoü  aa.  wie  es  «ich  xtMth  CotftdtmiM ' 
il<Kt  n« UM' litt  Ln^bildol  hiki.  1!r  «Mim^  rm  mmm  aditoea  Weib«,  datt*i* 
V^  tA,  Uffkw  wi«  rtraichVlathei.  «i»e  Taille  wie 

v^u  \\ -  ^  tipoatft  wi»  vktt  l.ot«»Ma»«i. 

Im   )..  vtt    d«r    H«r*ri    in    noHCfttlichen    Afriksv 

V1NII    Ammhi    ukte    i\iMl»(MrMr    «mig«   Pmobeo    gwU,    kommea   die 


10.  Der  Geschmack  und  seine  Aaffassong  der  weibl.  Schönheit.        $1 

Ich  sahein  weisses  Antlitz  und  darin  warenPunkte  an  Farbe  wie  die  Schwärze. . 
Deine  Augen  sind  wie  der  YoUniond,  und  dein  KOrper  ist  duftend  wie  der 

Geruch  des  Rosenwassers. . . . 
Und  Du  bist  wie  der  Garten  eines  Königs,  in  welchem  alle   Wohlgerflche 

vereinigt  sind. 
Und  bist  Du  wie  die  Fracht  des  Gartens  eines  fleissigen  Anbauers,   wie 
könntest  Dd  verdorren? 
Den  Abschluss   dieser  poetischen  Proben   möge   eine  Ode  des 
alten  Anakreon  bilden  (Hartmann^): 

Wuhlau!  male  Du  unter  den  Malern  der  erste, 

Meister  in  der  Rhodischen  Kunst, 

Male  meine  abwesende  Geliebte 

Genau,  wie  ich  Dir  es  sage. 

Male  mir  zuerst'  weiche  und  schwarze  Haare, 

Und  wenn's  das  Wachs  erlaubt,  lass  sie  auch  von  Salbe  triefen. 

Unter  den  dunklen  Haaren 

Aus  der  ganzen  Wange  heraus 

Wölbe  sich  eine  glatte  Stirn, 

Gl&nzend  weiss  wie  Elfenbein.  '• 

Die  Haare  zwischen  den  Augenbrauen 

Trenne  nicht -zu  merklich,  noch  lasse  sie  ineinander  fliessen. 

Die  gekrümmten  Augenbrauen, 

Der  Augenlider  schwarzer  Rand, 

Müssen  sich  bei  dieser,  wie  bei  jener 

Sanft  in  einen  Funkt  verlaufen. 

Das  Auge  mach^  genau  aus  Feuer, 

Zugleich  blau  wie  Minervens, 

Schmachtend  zugleich,  wie  Cytherens  Auge. 

Male  Na 8*  und  Wangen 

Rusenroth  mit  Milch  vermischt; 

Die  Lippe  sei  wie  die  der  Pytho. 

Zum  KuüH  einladend. 

An  dem  Rand  des  weichen  Kinns 

Um  den  marmorweisSen  Hals 

Müssen  alle  Grazien  sich  lagern. 

Uebrigens  umflattere  sie 

Ein  purpurfarbenes  Gewand. 

Nur  ein  wenig  Fleisch  spiele  sanft  hindurch 

Und  mache  nach  den  verborgenen  Reizen  lüstern. 

Doch  halt  ein !  ich  seh'  sie  schon, 

Bald,  wirst  du,  o  Wachs,  selbst  reden. 


10.  Der  Oeschmack  nnd  seine  Auffassung  der  weibliehen 

Selionlieit. 

Alles  dasjenige,  was  die  einzelnen  Völker  vermöge  ihrer  speci- 

'm    Geschmacksrichtung    fl\r   Schönheit     halten,     glauben    sie 

1  .Kimsthülfe  in's  rechte  Licht  stellen,    oder  auch  noch  über- 

I  SU  mAssen.    Namentlich  sorgen  die  Frauen  dafür,  der  Natur 


<52 


tn.  Die  Ssthetiscte  ÄX 


Wteib*F. 


in  dieser  Beziehung  zu  Hülfe  zn  kommen  und  an  sich  selbst,  sowie 
•n  ihren  Kindern  möglichst  gefällige  Formen  zii  schaffen.  Wenn 
e»  Thatsache  int,  «l«3.s,  wie  von  WeisbucJi  bei  der  Novara-ßei»e 
gefunden  wurde,  die  Chinesen  wie  fast  alle  raongolischeu 
Völker  von  Natur  kleine  Fftsse  haben,  so  wird  es  wohl  erklärlich, 
«laflw  bei  ihnen  die  Frauen  höherer  Klassen  die  Fttsse  ihrer  jungen 
Töchter  möglichst  verkleinem;  wenn  die  T  ah iti- Insulaner,  die 
Hottentotten,  viele  Neger  Völker  u.  s.  w.  die  ihne-.i  (igen- 
thflmliche  Breite  der  flachen  Nase  für  besonders  schön  halten,  so 
darf. man  sich  nicht  dnrüber  wundem,  dass  sie  Nase  und  Stim 
ihrer  Kinder  durch  Zusammendrücken  noch  mehr  abflachen;  wenn 
Humboldt,  angleht,  dass  die  amerikanischen  Indianer  ihre  Haut 
nur  deshalb  mit  rother  Farbe  bemalen,  weil  sie  die  natürliche 
n^tbung  ihrer  Haut  ttlr  hübsch  halten,  so  darf  man  ihm  wohl 
Glauben  Kcheuk*.Mi. 

So  sind  die  künstlich  hergestellten  Haartrachten  so  vieler  afri- 
kanischer Völker  bei  deren  Weibern  ebenfalls  nur  die  Erzeug- 
iUMne  einer  conventionellen  Geschmacksrichtung;  und  die  Holzpflocke, 
welch»'  die  Botokuden  in  den  Lippen  tragen,-  sollen  doch  nur 
dazu  dtotH'U,  den  schon  an  sich  hervorstehenden  Lippen  die  weite 
AnN(b.>linuttg  zt»  verschaffen,  welche  von  Natur  noch  nicht  in  ge- 
hörigem Grade  vorhanden  war.  Auch  ist  die  Compression  des 
SchUdel»,  die  ho  zalilreiche  Völker  an  ihren  Kindern  üben,  zumeist 
mit  der  Absicht  verbunden,  letzteren  den  Vorzug  einer  edleren,  sonst 
nur  bei  Vornehmen  wahrzunehmenden  Kopfbilduiig  zu  gewähren.  So 
wehselt  dan  (tt-fdlil  für  da.s  Schöne  am  menschlichen  Körper  je 
nach  nationalen  Eigenthümlichkeiten,  welche  £hrgeiz  oder  Eitelkeit 
für  ein  charakteristisches  Merkmal  der  Formenvollendung  halt. 

Man  wllrd<'  aber  ganz  erheblich  irren,  wenn  man  glauben 
wollt«.',  dass  di«'se  Dinge  nur  für  die  wilden  oder  halbciviiisirteii 
Völker  ihre  (Jülligkeit  l)esüssen.  Üeun  wenn  unsere  europäischen 
Damen  ihr«*  Taillm  inJ'tglirhst  zusammeiiüchuüreu,  sowie  ihr  Gesicht 
wth  und  weiss  schminken,  so  finden  wir  hierin  schliesslich  doch 
auch  nur  da«  Bestreben,  durch  Kunst  sich  dasjenige  zu  erwerben 
oder  zu  verstärken,  was  bei  ihnen  als  besonderer  Reiz  des  schönen 
(iwchleohts  gilt  mid  einem  wirklich  schönen  Individuum  schon 
von  der  Natur  verliehen  wurde.  Es  ist  nur  zwischen  den  uucivili- 
HJrten  Weibern  und  den  l>amen  der  sogenannten  hochstehenden 
llAKNen  folgiMider  wichtige  Unterschied  zu  constatiren.  Während 
lici  ilui)  erKteriMi  die  Ent*itellungen  ihrer  Körper,  welche  ihrer  Meinung 
Mach  Vrr»rliiMit«nnigen  desselben  sind,  meist  eine  gewisse,  durch 
.lahrhnnderl'e  langr  Gewulitiheit  ijeheilig^e  Tnn'^tanz  und  Gesetx- 
niÜNMgkeit  l»esit/en,  uut4'rli"-.  '-'i  unser'  i  einem  stet«», 

den  sinnlosen   Launen   d«i     \  -,;hi.i.    v  «i^^.:    x.m  ili»tii 

Stiuidpunkte  der  Logik  •  u 

Fr.  .,..., 

rli. 


63 


^  )e8trel)t  sind,   während   unsere  Damen    nach    kurzer   Zeit  dafgeuice 

als  hässlich  und  entstellend  profaniren,  was  ihnen  soeben  noch  als 

(las  Ideal  der  Schönheit  gegolten  hat. 

Um  Beispiele  hierfür  braucht  man  nicht  gerade  verlegen  zu 
^sein.  Bald  sollen  die  Flisse  lang  und  unnatürlich  schmal,  bald 
[^■wieder  feist  und  abnorm  kurz  erscheinen  —  beides,  wie  sich  dem 
^  Arzte  nicht  selten  zu  sehen  die  Gelegenheit  bietet,  zu  grosser  Qual 

und  oft.  nicht  wieder  reparirbarem  Schaden  der  Besitzerin.  Bald 
^Jgiebt  man  den  durchbohrten  Ohrläppchen  einen  kuopfartigen  Schmuck, 
W  unter   welchem    sie    scheinbar    verachwindea,    bald    wieder    werden 

Wahre  Lasten  in  die  Ohren  gehängt,  deren  Gewicht  die  Ohrläppchen 

■  zu  langen  ovaleu  Lappen  ausdehnt.     Bald  wird  der  Brustkorb  um- 
schlossen, als  wenn  die  Natur  den  Damen  die  Brüste  versagt  hätte, 
'      bald  wieder  werden  die  letzteren  durch  panzerartige  Vorrichtungen 
gewaltsam  in  die  Höhe  gequetscht,  so  dass  sie,  anstatt  an  der  nor- 

I malen  Stelle,  in  der  Unterschlttsselbeingrube  ihren  Sitz  zu  haben 
scheinen,  wobei  selbst  oft  bei  der  Bauchhaut  eine  Anleihe  gemacht 
werden  muss,  um  eine  Fülle  zu  heucheln,  die  die  missgünstige 
"Natur  versagt  hat.  Von  den  Versuchen,  bald  fadendürr,  bald 
wieder  tonnenartig  dick  zu  erscheinen,  wollen  wir  schweigen.  Aber 
aus  allem  diesen   geht  hervor,    dass  die  Damen  gänzlich  vergessen, 

Pdass  dem  Auge  des  Mannes  nichts  widerwärtiger  und  beleidigender 
i<;t,  als  die  Unnatur. 
Doch    kehren    wir   wieder    zu    den    , tiefer    stehenden*    Rassen 
zurück.    Die  Proceduren.  welche  diese  mit  ihren  Körpertheilen  vor- 
zunehmen gewohnt  sind,  .-sind  selii'  mannigfacher  Natur,  und  es  ist 
gewiss  nicht  ohne  Ititeresse,  dieselben  hier  in  grossen  Zügen  durch- 
zugehen.   Wir  machen  den  Anfang  mit  den  Bemal  ungen.     Die- 
.'«elben  erstrecken   sich  bisweilen  über  den  ganzen  Körjjer,    wie  bei 
manchen   indiau  er- Horden;    vorwiegend    sind    .sie    aber  auf  das 
(•resicht  beschränkt.     Hier  sind  sie  nicht  in  allen  Fällen  Mittel  der 
^  Verschrmenmg,    sondern  sie  haben  manchmal  gerade  die  entgegen- 
iBgesetzte  Bedeutimg.    So  müssen   sich  z.  B.  bei  gewissen  Indianer- 
I     Stämmen    die   Weiber   das   Gesicht    schwarz    färben,    wenn  tt\r  den 
männlichen»  Hausvorstand  die  Leichenfeier  abgehalten  wird.     In  der 
■Mehrzahl     der    Fälle    allerding.s    gilt    die    Beniiilung    als    ein    Ver- 
lßchönerang.smifrtcl,  z.  B.  bei  den  Andamanesinnen  (vfergl. Fig.  12 
'Jo.  2). 

So   sind  die   Färbungen   der  Augenbrauen  ja  bekannt,    welche 
)ei  den  orientalischen  Frauen  im  Gebrauche  sind. 

„Was  die  sonstigen  Toilettensuchcn  (beiden  Krim-Tataren)- anbelangt, 
jt  Vamhtry,  so  spielt  da«  Henna  (Laweonia  inemiis)  hier  eine  wichtigere 
Rolle  als  in  der  Türkei,  indem  die  Frauen,  wie  in  Persien  und  im  Kau- 
casa««,  mit  diesem  das-  RuropäiBche  Gerucbsorgan  beleidigenden  FarbsloH 
iicht  nur  Augenbrauen.  Nilgel,  Hand  und  HaU,  sondern  bisweilen  atich  das 
l<'li«rarz  fuukolnde  Haiir  roth  anstreichen,  eine  Sitte,  die  von  Alters  her  im 
iioslemisclion   Osten   beliebt   war   und  nchnn  von  Herodot  bei  den  Sc3then 


64 


III.  Die  Sfithetiscbe  Auffnssuug  des  Wpjhe* 


«rwähnt  wird,    deren   Weiber  aus   zerriebaaem  Cedem*  und  We: 
»ich  eine  Schminke  zubereiteten." 

Wahrscheinlich  steht  hierzu  auch  die  oben  citirte  Stelle  aus 
dem  hoheli  Liede  Salomotv's  in  Beziehung:  .Da&  Haar  auf  Deinem 
Haupt  ist  wie  der  Purpur  des  Königs  in  Falten  gebunden.'  Bei 
den  Eingeborenen  auf  Java  und  auf  anderen  Inseln  des  mal  ari- 
schen Archipels  herrscht  die  Sitte,  sich  die  Zähne  dunkel  zu  färben, 
und  sie  blicken  mit  unverhohlener  Verachtung  auf  die  weissen 
Zahne  der  Eurc»päerinnen,  „welche  denen  der  Hunde  gleichen". 
Auch  die  Zähne  der  ainanitigchen  Weiber  in  Cochinchina 
sind  nach  Jlondii're  keineswegs  nur  schwarz  vom  Bethelkauen, 
sondern  sie  tärben  sich   dieselben  mit  bestimmten  Droguen  : 

Butrefois  seulement  k  l'epoque  de  sa  premiere  menstruatioxi ;  aujouf- 
d'hoi  eile  est  en  progrfe  et  se  uoircii  les  dent-i  lorg  de  son  premier  coTt.  c'ett- 
i-dir«  priis  trois  ans  platOt  qu'antrefois.' 

Es  bedarf  wohl  keiner  Erwähnung,  dass  man  die  Bemalnng 
nicht  als  eine  ausschliessliche  Gewohnheit  des  weiblichen  GesrhlechtS' 
betrachten  darf.  Im  Gegentheil,  bei  sehr  ^-ielen  Völkern  pflegen 
sich  auch  die  Männer  zu  bemalen  und-  zwar  in  bei  weitem  aus- 
giebigerer Weise»  als  die  Weiber  dies  zu  thun  gewohnt  sind.  Die 
Absicht  und  die  Bedeutung  dieser  Sitte  ist  aber  wohl  nur  in  den 
seltensten  Fällen  die,  ihre  Schönheit  zu  steigern.  Micht  schöner, 
sondern  hässlicher,  abschreckender  und  ftircht^rlicher  wollen  diese 
Leute    erscheinen,    um   schon   durch    ihren    blossen    Anblick    ihren 

Gegnern,  oder  wenn  es  Zauberer  sind, 
ihren  Gläubigen  Angst  und  Entsetzen 
einzufl&ssen.  Daher  liudet  die  Bema- 
hmg  auch  gewöhnlich  nur  >  'ben' 
Zeiten  statt,    wo  sie  in  vol!-  ^,'«3* 

sclunucke     zu    er-  <-r     mit 

den  Gi>ttem  und  '     ^  _    zu  ver- 

kehren Wim  scheu. 
\  Ebenso  wie    die  benuütmg,     so  ist; 

\      »neb    die    Tättowirung    dort,    wo   sie 
Oberhaupt  noch  rorkommt  \an 

G^chlt^rhteru  gemcin&amr  j 

il  iTt   £fest   ganz  allgemein   die 

1  -^ug  der  Flmoen  von  derjeni 

gen     der    Mim>er     gai»     erfaeblicha 
^  . .  .^  .V.  j       '   MubiMeii-      Uns^    in- 
1       [  gmiiss  aasschheM^ 

/  I  >i«^*>.  und  wir  wQrdrii  wohl 

Wilg>«i*«a,    wenn    wir   in 
»hr  uutrr  allfc  URmaoden  dn  Mittel 


V. 


mr  Ver>«!i. 
Knll.T. 


i^».iT.  U'.'s  ^^  uu;U  Loi.Uuih' 


10.  Der  Gweliinaclr  iin«l  ?««<»  Anfftumonp  der  weiM.  Sctißnfipit.       ^5 

figt  worden.  Die  Ursachen  aber,  warum  fliese  weibliche« 
Wesen  sieb  tättowiren  lassen,  sind  nun  sehr  verschiedenartige. 
Bei  einem  Theile  der  Tättowimngen  haben  wir,  wie  wohl 
•leutlich  ersichtlich  ist,  nichts  Anderes  /u  erkennen,  als  das  er- 
wachende Schamgefühl,  als  den  Ausdnick  des  biblischen  Spruches: 
Und  sie  wurden  gewahr.  da88  sie  nackend  waren.  Sie  wollten  ihre 
Nacktheit  verhüllen  und  verstecken,  und  auf  diese  Weise  rrklärt 
es  sich,  wenn  die  Weiber  auf  den  Vi ti- Inseln,  wie  Luhhock^  er- 
zühlt.  auch  untfr  d^ni  Liku  (dein  Schamgnrti  tättowirt  waren.  Denn 
jt'denfalls  war  doch  wohl  iUe.se  Tilttowirung  vifd  früher  gebräuchlich, 
als  der  Schamgurt,  und  wahrscheinlich  auch  früher,  als  die  Tätto- 
wirung  der  übrigen  Kiirperstellen.  Auch  die  Wilden  von  Tahiti 
tiittowiren  .sich  nach  Iin'rho»'s  Angabe  an  der  Vulva:  ebenso  nach 
Fiusrh  die  Damen  von  Ponape  in  der  Carolin  »'n-Gnippe. 


Fig.  10.     Tfittowirnn;  der  ünttrtrtrumilftxsu  «inw  Pontptiin   (n»ab  Finimh^V 


I 

H  Nächstdem    kommen    wohl    die   BrUi^te    heran    und    dann    erst 

^B  der  Hauch,  die  Extremitäten  «.  s.  w. 

^B  Das«   übrigem*  di»'  Tättowirung  auch    für  die  scharfen    Augen 

^■des  Europaers  den  Eindruck  der  Nacktheit  erheblich  mildert,  oder 
^"gänzlich    verschwinden    Ifv^st,     das    wird    in  ganz  überein.stiramen- 
rJer  Wei.se  von  allen  Weisenden  l)e.st.Htigt. 

Bei  manchen  Völkern  ist  die  Tfittowinrng  das  Zeichen  bestimmter. 

I  glücklich  erreichter  Leben.-^ab.schnitte,  z.  B.  der  ersten  Men- 
struation u.  s.  w.,  sowie  auch,  um  einen  modernen  Polizeiausdruck 
zu  gebrauchen,  ihres  FarailienKt«nde.s,  ob  sie  ledig  oder  verheirathet 
sind.  So  ist  es  auf  Tahiti  undToba,  .so  bei  den  Weibern  der 
^-Juarani  in  Brasilien  und  bei  den  Kabylen.  Nach  Bn-» 
f/u-nmd  tragen  die  letzteren  auf  der  Stirn  zwischen  den  Augen- 
brauen, auf  einem  Nasenflügel  oder  auf  einer  Wange  ein  klei- 
knes  blaues  Kreuz,  das  durch  Schiesspulver  oder  Antimon* 
>xyd  hervorgerufen  ist.     Wenn  das  junge  Mädchen  heirathen  will, 

Plod,  Da*  Weib.   I.  :!.  Aufl.  .'• 


timamg 


90  läi«st  der  Taleb  dieses  Zeichen   durch  Application  von  djer  (un- 
gelöschter Kalk)    oder  saboun-akhal  (schwarae  Seife)  verschwinden. 

Das  TUttowiren  bei  eingetretener  Pubertät  hat  bei  einigen 
Stämmen  den  Chju-akter  einer  Art  von  Examen:  es  soll,  wie  es 
sdieint.  eine  Prrifiing  sein  in  der  klageloReu  Ertragung  heftiger 
körperlicher  Schmerzen.  Darum  wird  hier  die  Tüttowining  in  be- 
sonders peinigender  Weise  ausgeführt.  Haben  wir  hierin  vielleicht 
die  Absicht  zu  erkennen,  das  soeben  mannbar  gewordene  Mädchen 
auf  die  ihr  sjiäterhin  bevorst.ehenden  Geburtsschmerzen  vorzubereiten 
und  »ie  gegen  dieselben  abzuhärten,  oder  sollte  es  nur  lernen,  die 
Peinigungen  ihres  künftigen  Eheherm  zu  erdulden,  ohne  einen  Ton 
der  Kl^e  hören  zu  lassen? 

Schon  das  einfache  Tättowiren,  wie  es  auf  den  Viti-Iuseln 
gebrauchlic}i  ist,  verursacht  erhebliche  Schmerzen.  .,Doch  halten 
sie  die  Erduldung  desselben  für  eine  religiöse  Pflicht,  deren  Ver- 
nachlassigimg  sicherlich  nach  dem  Tode  bestratl  wird."    {Luhhock}) 

Auch  die  Frauen  der  Eskimo  sind ,  wie  v.  NordcnskjOld  * 
berichtet : 

„überall,  wo  «e  nicht  mit  den  Europäern  in  dauernder  BerQhruuK 
gCMtiuiden,  lAtiowirt,  nach  Mustern,  wie  sie  bei  den  Tschukt^cben  üblich. 
Man  leiste  früher  auch  in  Grönland  grosses  Gewicht  auf  die  Tättowirung  un<] 
glaubte  oder  richtiger  redet«  den  jungen  Mädchen,  welche  :iich  gegen  dies« 
«chTnr(n;httfte  Operation  sträubten,  ein,  dass  der  Kopf  der  Frau,  die  sich 
njcht  auf  diewe  Weiße  schmücken  lasse,  in  der  anderen  Welt  in  ein  Thran- 
geDU*  verwandelt  werde,  das  man  unter  die  Lampe  stellt,  um  aufzusatnmeln, 
WB«  so«  derselben  verHchöttet  wird.  Das  Tättowiren  geschieht  in  der  Weise, 
da««  man  mit  Hülfe  einer  Nadel  einen  in  LampenniHs  und  Thran  getauchten 
Faden  unti^r  die  Haut  zieht,  und  Kwar  nach  einem  vorher  auf  die^ielbe  ge- 
zi'irhneten  Mii.iter,  wobei  man  mit  dem  Finger  auf  die  durchnähte  Stellr 
drückt,  um  dif  .Sciiwärze  zurückzuhalten.  Das  Tättowiren  geschieht  auch 
durch  PunktLrung,  d.  b.  dadurch,  das«  man  die  &>chwü.rze  in  Löcher  reibt, 
dia  man  mit  einer  Nadel  in  die  Haut  gestochen  hat.  Auch  der  Graphit  wird 
%U  TWlowinuigsMchwärze  angewendet,  weshalb  auch  dieses  Mineral  em  Han- 
deliartikel  der  EiikimoH  ist." 

Luhlmck^  Hugt:  „Bei  den  Frauen  am  Murray  (Auetralien)  ist  die  vm- 
«igfi  wichtige  Handlung,  die  Eyre  kennen  lernte,  da.s  Abachrapcn  des  Kückenit. 
ICtftr.  nennt  e»  ein  TUttowiren,  der  richtige  Auadnick  würde  meiner  Meinung 
nach  „KinkerVien"  ^»in.  DieHe  Frocedur  ßndet  statt,  sobald  ein  Mädchen 
•rwku:h*i«n  iwt,  und  nuisi  üui^serMt  bohmerzhaft  sein.  Das  junge  Franenümmer 
knint  nicd<;r  und  legt  ihren  Kopf  zwischen  die  Kniee  einer  alt*.>u  starken 
Fruu,  und  der  Operateur  —  es  ist  immer  ein  Mann  —  macht  mit  einem 
Mui»rhi«l  od<'r  FiMic'mteinstUcke  reihenweise  von  der  rechten  zur  linken  yeile 
quor  lll<er  dun  Hürken  bis  dicht  an  die  Schulter  lange,  tiefe  Einschnitte  in 
da«  Fleiüch.  Der  Anblick  ist  ttusaerst  enipOreud.  Das  Blut  rinnt  in  Stri3ui»'ii 
b*rab  und  trUnkt  du;  Erde,  während  die  ScbmerzenHiiiiibtnr]|.'  .Um  .inn« 
Opftn  «ifh  XU  cinrnt  lauten  Angtitgeschrei  ^t«igem.  I 
•ioh  dii«  MAdchon  borc<itwiIlig  dio«er  Qual-,  denn  •^••> 
wird  »ohr  b^wundnrl." 

Allerdings  haben  die  Brl'"'-  '-'■'♦*  -  f*' .. 
luulereu  Zweck,    als  den,    ci 


Irritiilion  zu  versetzen,  um  eine  recht  stark  prominireude  Narlie, 
eine  Art  toö  Keloid  zu  erzeugen.  Aus  diesem  Grunde  reiben  sirh 
die  Einwohnerinnen  von  Kordofan  und  Darfur  Salz  in  die 
frischen  Tättowirungsschnitte.  da  die  hierdurch  entstehenden  Pro- 
tuberanzen grosse  personliche  Heize  verleihen,  (Darwin.)  (VI.  320.) 
Bisweilen  wissen  die  Wilden  selber  nicht,  was  sie  sich  bei  dem 
Tattowiren  denken.  Dh.«»  erhellt  ganz  deutlich  aus  folgender  Ge- 
schichte, welche  Tiflor  erzählt:  Auf  den  Vi ti- Inseln  tattowiren 
»ich  nur  die  Weiber,  während  sich  auf  den  ihnen  benachbarten 
Tonga- Inseln  nur  die  Männer  tattowiren.  Ein  Tunganer  war 
nach  den  Viti-Iaseln  gescliickt  worden,  um  zu  erfahren,  wie 
tiittowirt  würde.  Wälirend  der  Rückreise  sagte  er  sich  immer  vor: 
„Man  mus.«  die  Frauen  tattowiren  imd  nicht  die  Männer.''  Er 
stolperte  aber  über  ein  Hiudemiss.  fiel  hin  und  vergass  seinen  Satz, 
hO  da>)»  er  hei  seiner  Ankunft  den  t?einen  sagte:  „Man  muss  die 
Mämier  tattowiren  und  nicht  die  Weiber,''  und  seitdem  wurde  es 
auch  so  auageluhrt.  P o  1  y  n  e  s  i  s  c  h  e  r  Logik  genügt  diese  Erklärung, 
denn  die  S  a  m  o  a  n  e  r  haben  eine  ganz  ähnliche  Legende. 

Finsch  '  giebt  in  Uebereinstimmung  mit  Kuhary  seine  Meinung 
dahin  ab.  dass  die  Tättowirung  bei  den  Ponapesen  jetzt 
lediglich  Verschönerung.szwecken  dient  und  weder  mit  Rang,  Stand 
noch  Religion  irgend  etwas  zu  thim  hat.  Während  die  Sitte  des 
Tattowirens  auf  den  Gilbert-  und  M  arsh  al  1-Inseln  immer  mehr 
abkommt,  ist  sie  auf  Ponape  noch  in  voller  BUithe  und  von  grosser 
Vollkommenheit  der  Zeichnung  und  Au.sfiihrung.  liowley  hört^ 
von  einer  Frau  der  Magandja  in  Afrika,  deren  Körper  in 
Folge  frischer  Einschnitte  in  die  alten  Tättowirungfmarben  (um  sie 
proniinirend  zu  machen )  von  Blut  triefte,  dnss  sie  nach  Vernarbuug 
der  Wunden  die  grö.sste  Schönheit  im  Lande  sein  würde,  üebrigens 
werden  hier  die  Narben  besonders  benannt,  je  nach  den  Körjier- 
thcilen,  auf  denen  sie  ihren  Sitz  haben. 

Der  Begriff  der  Verschönenmg  ist  in  denjenigen  Fällen,  wenn 
auch  vielleicht  nur  noch  ganz  versteckt,  vorhanden,  wo,  wie  z.  B,  bei 
manchen  Südsee- In.sulanern,  das  Tattowiren  das  Vorrecht  der  Freien 
und  Vornehmen  ist,  durch  das  sie  sich  von  den  Sclavinnen,  denen 
Tattowiren  iii«lit  gestattet  i^t,  unterscheiden.  Sehr  lehrreich  ist  hier- 
für ein«'  Anfalle',  welche  wir  Charles  Darwin^  verdanken.  Sie  zeigt 
uns  zugleich.  da.s8  der  Tättowirung  unter  Umständen  auch  die  mystische 
Anschauung  zu  Grunde  liegt,  dass  sie  ein  Unheil  abwenden  könne. 
Darvin  erKÜhlt  in  Heiner  Reise  eine»  Naturforschern  um  die  Welt,  diws 
"Ä^  Fmnen  der  Miitaionare  auf  Neu -Seeland  die  bei  ihnen  dienenden  und 
nfttftrlicb  bwrcitB  bekehrten  jungen  Frauenziainier  m  a)>crreden  suchten,  rieh 
jmelil  tTit'      ■  ,,  lausen.    ,,Als  aber  ein  berühmter  Operuteur  &ua  dem  Süden 

^«»•-'•V..,,  siijften  sie:  „Wir  müssen  wirklich,  wenn  auch   nur  einige 

itiu  Liiif  nnirrpn  Lippen  haben,  Bonst  werden,  wenn  wir  alt  werden, 
n    zii'.:uriinrii«rhrumitfen    und    dann    würden   wir    sehr    hässlich 
t     (1831)    nii-ht  nahezu  »o  viel  tättowirt.   wie 
•  idun)if»zeichen    zwischen    dem  Hiluptliag  und 


«lern  Sciaven  darin  liegt,  wird  es  wiihr<*cheiiilich  noch  lango  ausgeübt  werden. 
Jeder  beliebifje  Ideenzug  wird    in   einer  kurxen  Zeit  Hchon  so  ge"«'ohnlT't> 
gemähti,  dasa  mir  die  Mi^äionarc  wogten,  »elhst  in  ihren  Augen  sehe  ein  ;l'I 
nicht   tätiowirtea  Gesicht  niedrig   und  nicht    wie    das  eines  Neaseel»ii->-.  . 
Oentlemajj  ans."     fVergl.  Fig.  12  No.  4.) 

iJie  Tättowirung  schlitzt  also  hiei-  vor  dem  Altwerdeu.  Viel- 
leidit  wird  dieser  Schutz  aiil'get'asst  uach  Art  einer  hoiniiopathi«'  l-"- 
Wirkung:  die  Mädchen  lassen  sich  Fui'chen  in  das  G 
fjclineiden,  iim  sieh  vor  dem  Auftret.en  von  Kuuzeln  zu  schützen. 
Vielleicht  hat  auch  die  Sitte  der  Ainos  auf  Yesso  eine  ähnliche 
Bedeutung : 

Die  Weiber  sind  nach  /•.  BruniU 
um  den  Mund  in  Form  eines  aufge- 
drehten Schntirrharts  blau  tättowirt, 
was  sie  sehr  hiL<slich  macht.  Die  erste 
Tättowirung  findet  gewöhnlich  iin  sie- 
beuten Jahre  statt  und  wird  dann 
allmählich  vergrössert.  (Vergl.  Fig.  12 
No.  5.) 

Auf  der  zu  den  L  i  u  -  k  i  u  -  In- 
selu  gehörigen  In.sel  Amarai  Oshi- 
ma  ist  das  Tättowiren  allem  bei  den 
Frauen  Sitte.  Sie  lassen  sich  regelniäa- 
sig  tättowiren  und  zwar  nur  den 
Rtk'ken  der  beiden  Hände.  iFig.  II.) 
„Die  Tatuzeichen  sind  stets  die  srJ«*i- 
chen;  man  weiss  jedoch  keine  Bedeu- 
tung anzugeben  und  erklärt  ausdrück- 
lich, dass  dieselbe  von  0  k  i  u  :t  w  a 
aus  erst  eingeführt,  worden.  Mei^t 
im  13.  Jahre  Hessen  sich  die  Mädchen 
dieses  Zeichen  eiuätzen  von  besonde- 
ren Leuten,  die  diese  Kunst  verstunden. 
Mit  drei  zusammengebundeneu  Nadeln 
wurden  lleihen  von  Einstichen  ge- 
macht und  darauf  die  gcwöhnliclic 
Tusche  eingerieben,  die  sonst  -^um  Schreiben  benutzt  wird.  Die  Farln- 
wird  indigoblan.  Seit  vier  Jalu-eu  hat  die  japauesische  Regierung 
das  Tättowiren  auch  hier  verboten,  wie  schon  seit  viel  längerer  Zeit 
in  Japan,'"     ( Doedirlvin.) 

Wenn  wir  in  den  Bemaltingen  und  in  fast  allen  Tättowirungwi 
noch  das  rein    decorattve  Moment  vor   uns   hatten,    so   fl 
ein  kleiner  Theil  der  letzteren,    welche  die  ausgesprochen»  \\ 

erkennen    lassen,    dicke   wulst^rtige    und   knupttTirniige   Narbeu 
erzeugen,  bereits  hinüber  in  das  Gebiet  der  Ki»rpi*rplastik,  d.  lu 
denjenigen    Mitteln    sogenannter    Verschi'merung,    welche   als    \vt- 


Fl«. 


11.      Tättowirto  Hund  einer 
Oabimaneri&i 
iikch   d«r   Tou    (.'iucm  Tlkttowlrer    «elbit 
TerfertigtwsZoioliuunK  (u>cli  nunterlttn). 


70 


11!.  Die  lUthetinche  Aaffiansmifr  ^^ 


MtOnunehmgeD  oder  Verdrlickungen  eiazeluer  Korpeiregionen  be» 
widmet  /.u    w»«rdeii  verdienen. 

HiiT  »teluMi  obenan  ilie  künstlicheu  Formgebungen  der  Schiidel- 
k«psel,  wie  si«  durch  zusamuienpressende  Kopöager  oder  durcb 
«?utsprwhi'nd  angelegte  Druckverbände  bereits  bei  Kindern  in  dem 
■artestitu  I/ebensalter  herbeigeltlhrt  werden.  Sehr  bekannte  B«i- 
spiele  sind  die  ..rOckwärtü  fliehend"  gepresste  Süru  der  alten  Ein- 
wuhuer  von  Mexiko  und  der  Flathead-lndianer  (heute  noch  in 
tiebrmuch).  ferner  die  kttnstiiche  Hrdierpresjiung  der  Schädeldecte. 
wie  sie  ebenfalls  noch  heutigen  Tages  bei  gewissen  Vtllkeru  des 
Kaukasus  geUbt  wird:  und  endlich  die  künstliche  Verlängening  der 
Hiuterhauptreffion,  welche  in  bejjtimmten  Theilen  vou  Frankreich 
iKH'h  imiuer  nicht  hat  »tiügerottet  werden  können. 

Wir   ki^nnen    ^  kurz    andeuten,    da    Gast    nberaU,    wu 

4t»wr  (lebniuch   h<.     -  1    war  oilirr  noch  im    Schwange  ist.   «r 

Wi  Wide»  (icjix'hlechirrn  in  gleichuMSsigier  Weise  zur  AasObung 
lip'hMttfl,  Mau  venjieivhr  hierüber  die  Ton  IHogx^  beBprochcoen 
tnMdiUottelieti  iVi^emtionen  aai  Kindeskörper.  Ftir  uns  too  Wichtig- 
keit i^  aber  eine  Angabe  ifr  Crespigmjf'x  Qb«*  £e  Malanaas 
auf  Horueo.  «eil  d<u1  nur  die  Köpfe  der  Mickiww  (aber  nidit 
•XitT\  d«>(ormirt  wml».  iBdeni  die  an  und  flir  aKh  adboa  fiache 
kmd  KurAckwektbcwi»  Stirn  noch  xurQdcveidwader  gcBMcbt  «ifd. 
Dvr  biena  bMinttW  Am^arat  wird  Jab  genaimL  Bfai  Ki£s«-n  uder 
INaUvr  mm  ^m  fra«^  BtiMtn  timet  Art  WMnriilie  wird 
Kwlwlw»  4mi  vwrvristit«*  Tbcü  itm  Jab  wai  den  ITiüdukupf  ge- 
Iwrt.    Oiw»  BJBK»  abd  arrkk  dkk  wi  tlmcb«.    Man  wecbseUj 

Vmi  dHi  iMm  IVfricb«  de»  Itf^Kbt»  jjibTiwwfca  GeUdn  habenj 
mM«««MDUII  di*  ««ftl«»tl^  V«>rbx»h>ini>>ab8»ciitliibinl!iiii'brtigim^^ 
dw  t%wwM<b<h>.  Wir  brawcWf  «■»  kicr  aidhl  eat  m  der  Fefsr 
lMK<b  ^iniMh»  OTaiw>bi>i»>  y^l»  doc4  di»  I^BckbaknBfpea  der 
l%rti|^Ana  Wbwb  VnIftWwfwmr  ««•  ^cbMKknchM  wtch.  bei 
MM)  «wb  w  mtW  vwImi  Vittm  «iatt  Vni  m 
<(¥<iiii^»i»>  '^'  ^^*^^  Hra»d»Ab«rg.  wird  dw»  ISotadnr  Ar 
^MvblM»  cvbaJlvtt«    Mirb«K    «w  d«r  V< 

ü^tW  ««^«  ^jm  s  »  w.jiM%n>wb»»»  JfilM  «a 

«k.>ii  «mX  dÜM»  W«k»if  «MMIMMd»  $llk»   ««• 

dvtf^    Vt'iAH*  aMM  \v<  KlIiiHliimiM 

»i  vm  H<>>>i^  |^»W«k{bA  w<»fcni  IffjMaf.    IW  Tx 

^b<*  1<m4  *iMvb  >aks 

.b    av«V    -J^^ 


wticd  a»  dwwic 


Ofa^ 


'?»?ine  AuffasAung  der  weibl.  Schönheit.         71 


I 


I 


wühlten  BanilmsroUen  zu  wahrhaft  enormer  (jr<'»s.se  auszudehnen. 
Zuletzt  werden  dann  als  Schmuck  Holzknopfe  (Madagascar, 
Centraiafrika),  Pulmeublattspiraleu  (Naya-Kurumbas  im  Nil- 
giri- Gebirge  \JatfOf'^\j  oder  Bhiraen  (Neuseeland)  in  den  enorm 
erweiterten  Ohrlöchern   getragen. 

Bei  den  Mädchen  der  Battas  wird  nach  Hnifcn  An»  (Jhrluch 
durch  ßauibu.'^pflricke  oder  Wolltuchknäuel  etwa  daumeugross 
erweitert,  um  einen  .silbernen  Reif  als  Schmuck  einzuhängen ,  der 
da.s  Läppchen  bedeutend  verlängert.  Ausserdem  durchlöchert  man 
den  oberen  Theil  der  Ohrmuschel,  in  welchem  dann  zierlich  ge- 
arbeitete Ohrringe  getragen  werden. 

Bei  den  Basuthos  in  Transvaal  war  e.s  Sitte  und  ist  es  stellen- 
weise auch  wohl  heute  noch,  nicht  die  Durchbohrung  in  dem  Ohr- 
läppchen selbst,  sondern  an  derjenigen  Stelle  HnziibriMgeii,  wo  die 
äusserste  Windung  der  Ohrmuschel,  der  Helix,  in  das  Ohrläppchen 
li  hergeht. 

Joest  berichtet,  dass  die  Mädchen  der  Makua  auf  Mo- 
zambique  e.s  lieben,  sich  eine  Perle  oder  dergleichen  in  einen 
Nasenflügel  zu  schrduben  und  sich,  abgesehen  von  10 — 15  Löcheni 
in  dem  Ohrrande,  das  Ohrläppchen  so  zu  erweitem,  dass  sie  Holz- 
pflöcke von  dem  Durchmesser  eines  Ffinfmarkstricks  hineindrängen 
können. 

Auch  in  bestimmten  Theilen  Os  ti  nd i  ens^vergl.  Fig.  1 2  No.  l )  und 
numentUch  bei  den  Mittu  in  Afrika  (verglFig.  12  No.  ;i  u.  Fig.  13) 
wird  die  Ohrmuschel  mit  einer  ganzen  Keihe  von  Durchbohrungen 
versehen.  Bei  manchen  Sildseevölkern  werden  tue  Ohrläppchen 
zu  ganz  erstaunlicher  Länge  ausgedehnt  und  ihre  Dnrcbbohrung 
zeigt,  ebenfalls  sehr  erhebliche  Dimensionen.  Gewöluilich  wird 
dann  das  Ohrläppchen  ntit  einer  ganzen  Reihe  von  Ringen  ge- 
Hchmückt,  welche  an  Fingerringe  erinnern.  Ein  Bei.sj»iel  liierför 
liefert  die  A nach oreten -Insulanerin  (Fig.  12  No.  7). 

in  dem  durchbohrten  Nasenflügel  pflegen  die  Damen  der  Hindu 
einen  King  zu  tragen.  Es  wird  z»i  diesem  Zwecke  aber  inmier  nur 
ein  Nasenflügel  benutzt  imd  zwar  scheint  entschieden  der  linke 
bevorzugt  zu  werden,  der  bei  einigen  Stämmen  durch  die  Schwere 
de»  oft  sehr  grossen  Ringes  ganz  beträchtlich  herabgezogen  wird. 
Das  zeigt  uns  z.  B.  die  Limboo-Frau  (Fig.  12  No.  8). 

Wenn  bei  den  Kaders  in  den  Anamally -Bergen  (Indien) 
die  Kinder  zu  laufen  beginnen,  so  werden  ihnen  Nase  und  Ohren 
dnrchbobrt;  Knaben  wie  Mädchen  tragen  Ohr-  und  Nasenringe: 
filtere  Leute  pflegen  diesen  Schmuck  abzulegen  [Jagor). 

Die  Bongo  trauen  (Centralafrikai  tragen  in  den  Nasen - 
Üngelii  und  in  der  Lippe  autrecht.stebende  HaluiütUcke  {Schirein- 
furtli*).  {Vergl.  Fig.  I3No.  4  und  (i.j  Die  Nasensclieidewand  zu  durch- 
bohren und  zwar  diclit  vor  dem  Ansätze  der  Oberlippe,  war  früher 
'ie|  verbreiteter  al»    beute.     Jetzt  aber   finden   wir   diese  Art   der 


sie  bei  beiden  Geschlechtern  herrscht.  In  der  C>efluung  wird  ein 
Knochen  oder  auch  ein  verziertes  Stück  Holz  getragen  (vergl.  Fig.  12 
No.  6).  Auch  die  Weiber  der  Dschur  im  östhchen  Sudan  halK^n 
häuüg  einen  eisenien  Ilinj^  durch  das  Septuni  nariam  oder  durch 
die  Mitte  de»  Nasenrückeas  j^ezogen  (r.  IhlUcahl). 

Bei  den  Verse höueruugeu  dei»  Mundes  konmien  in  er8tt«?r  Lime, 
abjfesehen  von  den  bereit»  erwähnten  Tättowiningen  (ier  Lippen, 
die  Färbungen  und  die  Verunstaltungen  der  Zähne  in  Betracht. 
Sie  werden  ganz  oder  theilweise  ausgebrochen,  treppenartig  abge- 
meisselt.  spitzig  zugefeilt  (vergl.  Fig.  13  N"o.  r>)  und  mit  dreieckigen 
Löchern  versehen.  Allerdings  ist  dies  Alles  in  viel  höherem  Grade 
bei  den  Männern  als  bei  den  Weiljiem  der  Fall,  jedoch  haben  letz- 
tere bisweilen  ihre  be*<onderen  Gebräuche. 

Die  Schneidezähne  der  Weiber  auf  Madagascur  sind  muh 
Jocst  hailischzalmartig  zugespitzt.    Hagm  i^agt: 

„Bei  den  Weib^^m  Her  Batta  werden  «U««  oberen  SchneiUezähne  }<leJch 
den  antereu  völlig  bi^  auf  das  Zabnfieifich  abgemeisselt.  Dieser  O^bmucb 
ist  constant:  man  wird  kaum  eine  Frau  Knden.  die  ihre  Zähm'  andere  trilg«^. 
Haben  die  Zähne  endlich  ihre  definitive  Form  erhiUten.  wenn  auch  «irtt 
nach  Jähren,  so  werden  sie  bei  beiden  <ie*cblechtem  schwarz,  s^'^f*''^'«  u*>^ 
zwar  ?<iiinmtliche  Z&hne  ausnahmslos.  Zu  diesem  Zwecke  verkohlt  luuti  «in 
Ötfick  Linjonenliok  auf  einer  Mes.^er-  oder  Parangklin^fe.  D*»  lierauBliüu- 
feinde  Harz  des  breiuiendeu  Holze?  vermischt  man  innig  uiit  der  Kohio  uod 
bestreicht  uiit  dem  so  erhaltenen  Fimi.'^^  die  Zähne  xwei  bis  dreimal  -,  die* 
selben  werden  dadurch  dauensd  tuid  intensiv  .-tchwikr«  gefärbt,  während 
rilhe  Firniss  zugleich  eine  etwa  gcfirtiietc  Zahnhöhle  verstopft." 

Auf  den  kleineren  Inseln  der  alfurischen  See  zwischen  Neu- 
guinea und  den  Sundainselu  berr.scht  fast  durchgängig  die  Sitte, 
den  Mä4lchen  zum  Zeichen  der  erreichten  Mannbarkeit  die  Z^lhiie 
abzufeilen. 

Auch  die  Lippen  entgehen  dem  Schicksale  nicht,  aus  Gri'inden 
sogenannter  Verschönerung  entstellt  und  verstlimraelt  zu  wenlen. 
Die  Frauen  der  afrikanischen  Bongo  z.  B.  zwängen  die  Ober- 
lippe jederzeit*  nahe  an  den  Mundwinkeln  in  Metallklammem  und 
jiu.Kserdem  tr.igon  sie  in  einem  Loche  mitten  in  der  Oberlippe  einen 
Huhn  oder  einen  Knpfenmgel  imd  in  der  Unterlippe  einen  Holz- 
ptluik  [Sihw'iufurth^,  vergl.  Fig,  13  No.  4  und  6).  Von  den  Weibern 
der  Miigundjii  sagt  Litinijstottf: 

,4hr  ubKonderlioliKter  Sohnuick  ist  du«  Felele.  der  ObcilippenrittK.  O'm 
Oberlippe  der  MBdrlmn  wird  an  der  UebergiuigH(tt«lle  zur  Na.<«en»ch)!ii(lowKnd 
durclibohrt  und  dnreh  ninen  eingoU'gten  Stift  da«  Wrheileji  gehindert  Ka 
werden  dann  allmAhlich  dickero  Stift«  cingi'legl,  biM  nach  Moniten  odisr 
Jahren  da»  Lach  no  ur»»*  \»t,  diu»  ein  llintf  von  iwei  Zoll  DurchmcMüRr 
hinuiugelcKt  worden  kann.  (Fig.  18  No.  I  )  Dii'^  bowtrkt  e«.  ibiss  in  ein«*ui 
Falle  die  btppo  xw«'i  Zull  Hbor  dio  Nii*en*v>t)"'  vorrut;te.  und  als  die  Dame 
IJUshidte.   hol«   dii  ■  '       "     •    ■       i      ■ 

brauen,  wilhn^nd 
•pitx  Abg^letllfn  ZiUu  luscUleji.     il  i^;.  )J  No.  ^.^ 


III.   Die  aeäthenSon^RltaMung  de.«  Weibes. 


Waruui  trugen  die  Frauen  diese  Dinge?  wurde  der   ehrbare  Il&nptlin^' 
Chinsurdi  gefragt.     Often  bar  erstaunt  über  eine  so  dumme  Frage  iTwiderte  | 
er:  ,,Der  Schönheit  wegen!  E»  sind  dies  die  einzigen  schOnen  Dinge,  welche 
die  Frauen  haben.     Männer   haben  IJärte.   Frauen   haben   keine.     Waj<   fQr 
eine  Art  von  Person  würde  die  Frau   sein  ohne  das  Pelele?    Sie  wfinip  wiei 
ein  Mann  mit  einem  Munde  ohne  Bart,  aber  gar  keine  Fraa  sein." 

Anstatt  dieses  Ringes  tragen  die  Weiber  der  M  ittu  nach  Schwrin- 
furth-  einen  Knopi"  au.M  Elfent)eit],  Harn  oder  auch  uns  Quarz.  Gleich- 
zeitig wird  ein  polirt(.'r  Quarzkegel  von  über  0  cm  Länge  in  der  Unter- 
lippe getragen.  (Fig.  13  No.  3.»  Die  Weiber  von  Latuka  tragen 
einen  Kryatall  in  der  Unterlippe,  und  die  Frau  des  Häuptlings 
äusserte  sich  gegen  ßnh^r,  da.ss  seine  Frau  sich  sehr  verschönem 
würde,  wenn  sie  ihre  Vorderziibne  aus  der  unteren  Kinnlade  heraus- 
ziehen und  den  langen  ÄUge.spit/ten,  polirten  Krystall  in  ihrer 
Unterlippe  tragen  wollte. 

Das«  bei  den  Botokuden  in  Slidanieriku  grosse  hülzerue 
Knöpfe  in  der  Unterlippe  getragen  werden,  dürft«  dem  Leser  wohl 
bekannt  sein,  Ihr  Narue  stamnit  von  dieser  Sitte  her.  Dieselbe 
herrscht  aber  bei  den  Müniiern  ganz  in  demselben  Maasse,  ab<  bei 
dem  weiblifbeii  Geschlecht. 

Auch  im  Norden  Amerikas  herrschiiu  ahnliche  Uebräuohe;  dw 
ersehen  wir  aus  einem  Berichte,  den  wir  dem  Cnpttän  «/»t'aA*r« 
verdanken : 

„In  den  E s k i lu o •  Dörfern  im  hohen  NordweHten  Amerikas  an  der  Müu- 
duDg  des  Kuskoquitn   weiss  sich   der  weibliche  Tbeil   mit  Perlen   sehr  m^ 
«chmflcken;   diese    werden  Überall,    auch    in    den   Flaaren,   angebracht.     Diel 
Unterlippe  der  jungen   Mädchen   wird    un   drei  Stellen   durchbohrt;    in   den 
Seitenlöohern  steckt  als  Lippenpfloek  je  ein  kleiner  krummer  Knochen,  dessen 
knopfförmiges  stärkeres  Knde   üicli    im  Innern   des  Mundes  befindet  iiud  du^ 
Herausfallen   des    Knochens  verhindert;   das   Süssere  Ende   des  Knocheuü  ist  j 
mit   Perlen   geschmilckt.     Auch   da?»  Mittelloch   der  unteren  Lippe   tnigt  al»^ 
Lippenpfiock  einen  ^anz  kleinen  Knochen  mit  Perlen.    Die  NivsenHcheidewandj 
der  jungen  Mädchen   ist  gleichfiiHs   durchbohrt  und   trügt  eine   bis  auf  dc&j 
Mund  herabhängende  Perleni»chnur.     Dieser  Naseuperleuschmuck    tindei  «ichj 
auch  bei  Jen  jungen  Rskimoscibünen  am  unteren  Thukon,  .sowie  weiter  nofd- 
wärts  bei  deu  Mallemuten,    Alle  diese  Eskimos  tättowiren  auch  das  Kion. , 
(Fig.  13  No.  2.) 

Von  den  Verun.staltungeu  am  Kopfe  haben  wir  noch  kurr  dii»| 
Ausreissen  der  Augenbrauen  (Btnigo Frauen.  ySchwf-infurth]  Japa* 
ue rinnen)  und  das  absonderliche  Abrasiren  des  ganzen  Schädeb 
oder  bestimmter  Theile  destiselbeü  zu  erwähnen.  (.Man  vergleicb»* 
auf  Fig.  12  die  An  dama ne si u  No.  2  und  die  Anachore teu-Jimo- 
lanerin  No.  1.)  Es  würde  un.s  zu  weit  fuhren,  sümmtliche  in  dieser 
Beziehung  herr.schenden  Gebräuche  Ijerichten  zu  widlcn,  welchi-  lip- 
.sonders  in  Afrika  ihre  Heimath  habcu. 

Am    Rumpfe    sind    wir   bereit.'»  dou    durch    die   Tüttowirui 
hervorgerufenen    Verunstaltungen  Vod    den   sonst 

noch  vorgenommenen  Proceduren  niu-i    im     ^•■'  "'•■* .,,  iifi, 

die  Behutidluug  der  Brüste  uud  der  Gc 


10.  Der  6e«ci)a»ek  und  seine  Aaffftssan^  der  wdbl.  8efa<>nheit.        75 

doch  später  diesen  Orgatieu  ein  besonderes  Kapitel  zu  widmen 
}iaben,  so  können  wir  auch  die  Besi^recbung  ihrer  Verunstaltungen 
bis  dahin  verschieben.  Jedoch  geben  wir  hier  noch  als  Probe  nach 
Hu'üfl^  eine  i)arstellung,  wie  die  Tanembar-Insulanerinnen  »ich 
die    BrHste   tiittowiren. 


Fig.  14.     TfcttowLrnng  der  Brttit«  bei   den  Tan«m  bar  •lBsnUo«rianen   inaoh  HinM). 

Au  den  oberen  Extremitäten  müssen  wir  die  absonderliche 
Unsitte  erwähnen,  die  Fingernägel  bis  zu  unglaublicher  Länge 
wachsen  zu  lassen  (Annamiten),  um  dadurch  deu  Beweis  zu 
liefern,  dass  die  Besitzerin  ihre  Hände  nicht  zur  Arbeit  zu  protaniren 
nöthig  hat.  Das  Abschneiden  einzelner  P^iugerglieder,  wie  es  uns  in 
Afrika  (Buschniännerj.  im  südlichen  Indien  und  bei  Indianern 
begegnet,  hat  nicht  die  Bedeutung  einer  Verschönerung,  sondern 
es  i«t  entweder  ein  Zeichen  der  Trauer,  oder  ein  Opfer  zur  Ab- 
wendung von  (jefahren.  Andn'e^  hat  die  hierher  gehörigen  Thiit- 
saclien  zusammengestellt. 

Wenn  schon  von  einem  grossen  Theile  der  in  dfu  vorhergehenden 
Zeilen  beschriebenen  sogenannten  Verschönerungen  gesagt  werden 
muss,  dass  sie  der  Geschmacksrichtimg  der  civilisirten  Nationen 
geradezu  widerprechen ,  so  gilt  dieses  doch  in  ganz  besonderem 
Maaäüe  von  einer  Umformung,  von  einer  Körperplastik,  um  mit 
Jolmnnes  Itittike^  zu  reden,  welche  einen  Tlieil  de>s  weiblicht^n 
Körpers  im  wahren  Sinne  des  Wortes  zur  Verkrüppelung  bringt, 
dessen  normaler  Bau  und  gut«,  harmonische  Entwickeluug  bei  allen 
Völkern  europäischer  ('ultur  sich  einer  hervorragenden  Anerken- 
nung erfreut;  ich  meine  den  Fuss  und  den  Unterschenkel.  Dass  leider 
auch  unsere  I>amen  nicht  absolut  von  dem  Vorwurfe  freigesprochen 
werden  können,  dass  sie  an  diesen  Theilen  künstliche  Mittel  wirken 
lassen,  um  dem  Ideale  ihres  eigenen  missverst^mdenen  Schön- 
heitsbegritle.s  möglichst  nahe  zu  kommen,  d;us  wurde  bereits  weiter 
oben  angedeutet,  und  die  beifolgende  Abbildimg  mag  eine  Vorstel- 
lung von  einer  der  allergewöhnlichsten  Verbildungen,  dem  sogenannten 
Ballen,  geben,  welche  die  Füsse  durch  zu  spitzes  Schuhwerk  er- 
dulden und  welche,  wie  man  nach  den  hier  dargestellten  Verände- 
rungen an  dem  Grosszehengelenke  sehr  wohl  begreifen  wird,  eine 
dauernde  Quelle  ganz  erheblicher  Unbequemlichkeiten  und  Schmerzen 
für  die  unglückliche  Besitzerin  abgiebt.  (Fig.  15.)  Alle  übrigen 
Völker  haben  den  Fuss  als  dasjenige  anerkannt  und  geachtet,    was 


7r» 


III.  Uio  iistlietiiich<> 


iMnnff 


■/ 


Flg.  15. 
Eatinad«t*r  BktUn 


er   in  Wirklichkeit,    i«t,    ab   das    hochwichtige    ujid    unentbehrliche 
LocomotidriH-   und  Stlitzorgan  des  gesammten  Korpers:    dem(ietürwv» 
erfreut  er   sich  aurli    alifjjeiueiti    einer    ganz    besonderen  ^Schonung 
und  l'flege   und   ist   von   den  sogenaniiten  V»t- 
Hchimerungen,    von   gewaltsamen  Umfornoiingen 
verschont    geblieben.      Höchstens    werden    dir 
Zehen    mit  Ringen  gesclmiückt  oder  noch  hau* 
Hger  das    Fus.sgelenk.    Allerding«  sind  die  um 
da.s  letztere  gelegten  Ringe  bei  einigen  Danien 
Mittelnfrikas      so     schwer,     diiüs    auf    deiu 
Fussblatt    dicke   Schwielen   entstehen    {Tapfien- 
f  t  herk).     Ein  einziges  Volk    nur  ist  es,    weldies 

j  .^'^        \  eine  VerkrUppelung    der    Beine    und   Flisse  ttb- 

L^m^r^    b\        sichtlich   herl)eifrihrt :    diis   sind    die  Chinesen. 
^(jttnUm      Jf        niese    kiuistliche    Verbildung    des    Thinesen- 
^^n^^^^k      fusses    ist  eil)   weibliches    \'erschönerung8niittel 
im    uUerstrengsten    Sinne.     Denn    niemals    und 
unter  keinen  Umständen  wird  diese  Procedur  an 
den  Füssen  derKnaben  vorgenommen.  Ztnu Ruhme 
de»  weiltlidien  (üeschleclites  in  Ch  i  n«  sei  es  aber 
gesagt,  dass.  SU  verbreitet  auch  dirs«* 
entstellende  und  flir  jedes  andere  Volk 
ausserdem  Chinesischen  abscheu- 
liche Unsitte  in   dem    himmlischen 
Reiche   ist,    dennoch   mehrere  Di- 
stricte    sich    von    der    Entstellung 
frei  gehalten  haben,   wie  auch   dif 
Jetzt  herrschende  Kaisrrfamilie  die-l 
.<elbe   verachtet    und,     wenn    manl 
dem  Volksmuntie  glauben  darf,  eil 
an    den    Füssen  Verkrtippelte.    dJtj] 
den     kaiserlichen     Pala.st     betret«tuj 
sollte,    mit     dem    Tode     bestrafen] 
würde     yBastiau).       Die     in     deui 
Sundainseln  lebenden  Chine' 
sinnen    verlcrfippel»    auch    üuvl 
F(\s»e   nicht.     Dafilr  werden  nachj 
KritHtr  in  gewie^sett  Gebieten  von 
China    (Singang-fu    nml    Laa* 
titchou-fu)  auch  diel  l^'*! 

bis  snmKjiiegcinütMiii  iki  i»ij<ieu 
eti^Mwinfft,  nm  redit  >tarb  ahia- 
ma({ieni.  IlJer  Effect  wini  noch  er- 
höht,    wenn    iii    Air    W'idfnniÜi^ 


m4  vm  4m  BtUealtek»  »m  gm»km. 


ein  xoUbrfiter 
Stnim  -■'      '  ' 


Sl  reife«    ftei 


ly.  Der  Qescliinack  and  seine  AnfTaäBaue  iler  weibl.  Scbönheit,        77 


it'l)  in  «ler  That  uur  selten  möglich,  iU»ef  denselben  durch  Besich- 
Pmui^  der  Fils.se  chinesischer  Dtunen  (tenaueres  zu  erfahren.  Denn 
Frauen  der  Chinesen  hüben  eine  liesondere  Scheu,  die  ent- 
»lösHteu  Flisse  sehen  zu  lassen:  die  Gattin  darf' ihn  selbst  dem  Ehe- 
jÄun  nicht  neigen.  Doch  vermochten  unn  unter  xVuderen  die  Aerzte 
forache,  ehemaliger  Arzt  der  französischen  Gesandtflchafl  in  Pe- 
iug,  Fmier,  limuot,  Schaulje  und  schon  früher  Lockharf  ver- 
isisliche  Berichte  zu  liefern.  Erst  wieder  iu  neuerer  Zeit  haben 
[Vf'hJiL'r  in  Halle,  dann  mw.h  Hüdinf/cr-  in  Mlnu'lien  die  Auf- 
lerksiimkeit  auf  diese  willkürliche  Verunsitultuug  gelenkt. 

Die  künstliche  Wrkleiuerung  und  Missgestaltung    der  Füjtse  ist 

den  südlichen  Provinzen  Chinas  allgemein  bei  den  wohlhabenden 

Klassen  zu  finden  :  weit  WL'uiger  im  Norden,  und  insbesondere  nicht 

in    Peking,    wo  die   Tataren    vurherrscben,    bei  denen  diese  Sitte 

_5icht  in  Aufnahme  kam.    Femer  hat  fast  jede  chinesische  Provinz 

jre  eigene  Abweichung  der  Deformation.    So   begegnet  man  specit-U 

II   Ktiaug-si  und  Kuang-ton  den  sclumsteu  und  ausgesuchtesten 

^xemjilaren.     Unter    <len  reichen    und    vornehmen    chinesischen 

''ajnilien   findet    man    sin  tiach  finigeu  Angaben  jedoch  im    ganzen 

;hiuesi scheu  K-eich,  da  dieser  ..Luxus''  ihren  Töchtern  die  besten 

*ttrtien  sichert.    Die  bannherzigen  Schwestern  in  Peking  haben  l»ei 

undeni   in  ihrer  KrankenpHege  den  freien  Fuss  iu  einigen  Wochen 

11  seiner  früheren  Form  /uriickgehen  sehen;    freilich  verdammen  nie 

lurch    diese  Experimente  die  Miidchen  zur  Ehelosigkeit,   denn  noch 

lai  der  fremde  Eintiu.s.s  nicht  vermocht,  die  Macht  dieser  verderb- 

ichen  Mode  «u  brechen. 

Man  befolgt  in  den  verschiedenen  Provinzen  beim  Binden  des 
•"uases  verschiedene  Verfahrungsweisen ;  mau  hat.  aber  auch  zwei 
irade  der  Verkrüppelung.  Entweder  werden  nämlich  bloss  die 
jhen  verkrüppelt,  oder  es  wird  auch  der  hintere  Theil  des  Fer.sen- 
)eines  senkrecht  nach  nntou  gestellt.  Die  Operation  des  Bindens 
^ird  bei  den  niederen  Klassen  von  der  Mutter,  bei  den  besseren 
ätändeu  von  eigens  dazu  in  dex  Familie  unterhaltenen  Frauen  aus- 
geführt. In  den  reichen,  auf  schöne  Töchter  eitlen  Familien  beginnt 
lie  Vemnstaltung  der  l'^üsse  mit  dem  vierten,  bei  auden-u  mit  dem 
eebsten  oder  siebenten   beben.sjuhre. 

Zunächst    wird,    wie    Mninchc    angiebt,    der    Fuss    geknetet, 
in  werden  die  vier  kleinen  Zehen  mit  Gewalt  gebeugt  und  durch 
ine    Binde    von    5    cm    Breite    mittelst    fester    Umwickelung    in 
lieser  Lage  erhalten.     Täglich  wird  die  Binde  erneuert.     Das  Kind 
igt   einen    zituulich    hochreichenden    Schnürstiefel,    der   sich   nach 
zuspitzt   und    eine   jibitte  Sohle    ohne   .\b.satz  fuit.     Dies  Ver- 
ffiebt  nur  den  in   den  Nordprovinzen  Chinas  üblichen  ge- 
Ucüen  Fnss.     Zur  Herstellung  der   zweiten,   eleganteren  Form 
wenn    die    bleibende    Beugung    der   Zehen    erreicht   ist, 
den  Fus»    einen   hallien    t'ylinder    von   Metall    und    führt  nun 
auch  wohl  um  den  Unterschenkel,  in  iler 


78 


fMnung' 


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Fig.  17.     NoriDAler  MensoheDfuts 

(nach    H'e/rker).     Zum   Verglejoh  mit  Fig.  18. 


Fig.  18.     Fo88  einer  Tor&efaiD«g 
Chin«(in    (ascb  H'ffrJier). 


Absicht,  dessen  Muskeln  au  einer  der  befil>sichtigten  Gestaltung; 
ieindlichen  Wirkung  zu  hindern.  Bei  der  Anlegung  der  Binden 
presst  die  Mutter  aus  allen  Krätzen  PVrsenbein  und  Zehen  über 
dem  Halbcylinder  zusammen  und  führt  auf  diese  Weise  eine  Lage- 
verlinderung  des  sogenannten  Kalinbeins  herbei.  Der  so  niisslhindelte 
FuHs  wird  wjJÜter  in  einen  Stiefel  mit  starker  convexer  Sohle  ge- 
steckt Man  kann  sich  vorstellen,  welche  peinliche  Schmerzen  dem 
armen  Kinde  die  festen  Umschnürungen  verursachen.  Die  Bindemittel 
bleiben  Tag  und  Nacht  liegen,  selbst  wenn  die  FOsgchen  heisa  und 
fntziindet  und  die  Kinder  unruhig  werden.  Ist  doch  die  Schönheit 
des  Ki'irpers  höher  anzuschlagen,  als  das  Wohlbefinden  der  lieben 
Kinder!  Es  kommt,  wie  Parker  erzählt,  bisweilen  vor,  dass  beide 
Füsse  bis  zu  den  Knöcliehi  brandig  werden,  Haben  nun  aber  die 
jungen  Mädchen  die  Misshandlung  überstunden,  so  gehen  sie  fortan 
nicht  mehr  wie  andere  Menschen  einher,  sondern  sie  wackeln  wie 
auf  Stelzen,  indem  sie  das  ganze  Gewicht  des  Körpers  lediglich  auf 
der  kleinen  Fläche  der  Fensenspitze  und  dem  Ballen  der  grossen 
Zehe  balanciren.  Um  nicht  zu  fallen,  bedienen  sich  die  Damen  alsi 
Stützen  der  Spazierstöcke  oder  sie  lehnen  sich  auf  begleitende 
Dienerinnen.  Doch  sind  trotz  aller  Mühsal  die  Chinesinnen 
stolz  auf  ihre  Fuss- Stumpfe.  In  der  ptietischen  Landessprache] 
lieisst  das  verstümmelte  Glied  Kin-lien,  d.  h.  .,gQldenej 
Wasserlilie.*' 

Mit  frischen  Farben  beschreibt  Capitain  JihujhmH  die  von  ibmJ 
vorgenommene  Besichtigung  des  Fusses  einer  Chin»'-''"     •m  IIa«'"! 
eine«   LandniannH  wünschten   wir  den   ..pied  ini(mon"   ein« 
eiii  hilbuchns  jungem   Mildohen  von  16  .T.'  ,  '      ,    i 

um  unm'ie  Neugierde  *u  befriedijicn.     .". 


10.  Der  fteschinnck  und  «eine  Äuffassang  »ler  weibl.  Schönheit.        70 

Glanz  eine«  neuen  Kopftuches  überwand  bald  ihre  ZnrUckhultung:  sie 
EtegaoD  die  obem  Bandagen,  welche  um  den  Foss  und  {iber  einen  schmalen. 
[tod  der  Ferse  herauff»ehenden  Streifen  gewunden  waren,  aufzuwickeln.  Der 
cboh  wurde  dann  abgezogen  und  die  ziveite  Bandage  abgenommen,  welche 
ieu  Dienst  eines  Strumpfes  versieht.  Die  Binden  um  die  Zehen  und  KnOchel 
'waren  »ehr  fest  und  hielten  alles  an  seinem  Platz.  Als  sie  endlich  den 
kleinen  Fues  zeigte,  war  er  zart»  weiss  und  rein;  das  Bein  war  vom  Knie 
abwärt»  sehr  geschwunden,  der  Fuss  schien  an   der  Hacke  wie  gebrochen, 

I während  die  vier  kleineu  Zehen  unter  den  Fuss  binabgezogen  waren,  so  das* 
■ur  die  grosse  Zehe  ihre  natürliche  Lage  behalten  hatte.  Durch  da*  Brechen 
[oder  Biegeuj  der  Hacke  wird  ein  hoher  Bogen  zwischen  der  Ferse  und  den 
Zehen  gebildet,  während  bei  den  Damen  von  Canton  und  Macao  die  Hacke 
Kvinz  onangetast^t  bleibt,  dagegen  ein  sehr  hoher  Absatz  angebracht  wird, 
irodurch  die  Spitze  der  grossen  Zehe  auf  den  Boden  kommt.  Die  unter  den 
puiMj  eingeschlagenen  Zehen  Hessen  sich  nur  mit  der  Hand  insoweit  vorbeugen, 
dass  man  sah,  sie  seien  nicht  wirklich  in  den  Fuss  hineingewachsen." 
Es  giebt  GipsabgUsae  solcher  Fiisse  in  ethnographischen  Samui- 
lungen;  ihre  Länge  misst  4  hh  "»  Zoll,  doch  die  elegantere  Form 
hat  nur  gegen  3  Zoll  Länge. 


Tlg.  19.     Linktr  Fast  aintr  Ohlneiis  (nMb  Junktru    Die  Haut  ist  entfent,  am  dtt 

Muskola   fr«iialegen. 

„Die  Betrachtung  untreres  Modells,  sagt  Welcker'^,  sowie  allea  dasjenige, 
m*B  wir  über  den  ModuH  der  chinesischen  Fusstoilette  wissen,  lehrt^  dass  es 
icich  utn  eine  äusserste  , .Streckung",  anatomisch  gesprochen:  um  eine  Plan- 
iexion  des  Fusses,  zugleich  aber  —  und  dieses  ist  offenbar  das  tief 
reifendate  Moment  der  geiiammteu  Verunstaltung  —  um  eine  Einknickuug 
iesFussuRhiuiilelt.  bei  welcher  daaHinterende  des  Fersen  beine«  nach  ab- 
|t»  geknickt  und  dem  Mittelf  usse  entgegen  gebogen  wird(Fig.  19). 
edorf  kuimi  der  Erinnerung,  <lasH  nicht  eine  rasche  Knickung,  wobei  cinTheil 
achcn  oder  auch  nur  unuiittelbar  verbogen  würde,  gemeint  ist.  E* 
Mt  »ich  um  dl»»  Krzielung  des  Wachsens  der  Theile  in  gebogener  Rieh- 
•^iwrli  Schienbein  licHnden  sich  in  einer  und  derselben  Flucht, 

.•   niiliezu  Kcnkrechl  nach  ubwrirts  r»gt.    während  die 


t^o 


fIT.  Dl*  iSfitlietisebe  AufTiuKuii^  «Ifs  Weftjr 


vier  kleineren  Zehen  vom  AuBfleDrande  de»  Fuases  her  unier  die  äohW  urv*- 
Kchlii^'en  sind.  Der  Thei!  de«  Futises  iilier,  welcher  desaen  Hintorrand  bilden 
Monti\  die  Fi'rse.  ist  mich  unten  zu  lie^jeu  sjekommen. 

Ininter  kam  dus  Hinterende  des  Fersenbeines  <renau  su  unter  den  (lbrv?»?o 
Fun»  XU  liefen,  wie  bei  einem  normalen  Fuitse  der  Hacken  eines  Hjie1(«n- 
nchuhes  unterhttll)  der  Ferne  lie(,,'t.  Die  Chinesin  >^eht  also  bei  ualiesu  »eok- 
recht  gerichteten  Mittelfuysknochen  auf  Jen  verkfimmerten  und  vrroKsentheilB 
rerbogenen  Fusszehen ;  das  Hinterende  des  Fu.sses  niht  auf  einem  doppelten 
Absätze  —  einmal  auf  dem  untergebogenen  Fersenhöcker  und  dieser  aat  dem 
Absätze  des  Schuhes." 

3Iartin'^  ria^t :  „Pendant  le  travail  defonuateur.  il  y  a  un  certain  nombrn 
de  vicliraes  qui  ne  peuvent  resiater  et  qui  nieurent.  Celles  qui  le  «upport^nt 
«ouft'rent  plus  ou  moins  suivant  leur  degrö  de  vigueur  et  leä  uonditions  d« 
h'iir  alinientntion. 

La  femnie  chinoise  marche  sons  fl^chir  lesgenoux,  lainant  &peu  pr^ 
inuctifs  les  n)nscle.4  de  la  janibe  et  jettant  en  avant  les  deux  membres,  donl 
le«  monvement«  nont  alors  et  entierenient  subordonn^s  i\  Taction  des  muacles 
da  biusiin  Ceux-ci  s'atrophient  moins  que  len  firemiers,  et  comparntivumeat 
«euiblcut  v\ii^ere8  comme  volume^  ils  donnent  alors  aux  partie»  mollw  du 
bassin  un  iijpect  qui  ]»eni  faire  croire  ü  une  amplitude  laquelle.  en  nöolit^. 
■Vxiste  ]ia.s." 

£rkuudi||;t  luan  sich  in  China  nach  Urspnmg,  Sinn  luid  Zweck 
die&tjt»  üigcntbümlichen  (iebrHuchs,  so  bekommt  man  sehr  wider- 
sprechende Ansichten  /.n  boren.  Wenn  man  von  den  Sagen  absieht, 
weldie  den  rrsprung  der  Sitte  in  die  Zeit  von  1 1(M>  v.  Chr. 
Geburt  /■nr(l<-k\ erlern,  so  variiren  die  historischen  Angaben  zwischen 
den  Zeiten  des  Kaisers  )"fii»<;-/»,  «)9r»  n.  (-lir.  Geburt,  und  des  Kaiser» 
f.i-Yitfi,  9t) l  bis  '.>7l»  nach  t'hristns.  Sicher  bestand  die  Sitte  noch 
nicht  »ur  Zeit  des  ('onfutst\  und  Murm  I*oU.>,  der  berühmte  Rei- 
sende, der  sich  im  13.  Jahrhundert  am  glänzenden  Hof  des  Kaisera 
aufllielt,  rrwähnt  sie  noeh  »jirht.  Nach  Schergrr  und  anderen  «oll 
die  Sju-he  ihren  tirund  in  der  Kifersucht  der  Mämier  balnju,  welche, 
wie  er  meint,  /.u  glauben  scheinen,  dass  eine  schwierige  IJeweaüch- 
keit  der  l''rauen  auch  eine  grössere  Garantie  fJir  deren  Treue  ist. 
AIImu  die«  vrar  nicht  die  umprQngliche  Absicht  bei  Einftlhnu^  der 
Sitte,  auch  denkt  nnui  in  (''hiua,  wenn  man  die  FQse«e  de»  ganz 
jnugt'ii  MUdcheUsS  einzuwickeln  begimit,  noch  nicht  an  eine»  später 
er(  rkeit    dejtsteUwn  g«ge.n  den  Ehemann.     Eine  be- 

tri<  iig   ft\r  die  Kntiit«hung  dieser  Unsitte    hat  ii 

bisher  noiM»  nuiit  beixubringt>u  vermocht, 

„Wir  wundern  niuä,"*  .«agt  W'rirkrr,  „fiber  den  Gebnoch 
mi  gos$chu)iHkK».svu  und  mit  »o  vielen  UnbeqiMiiiUclikeiien  rerl 
denen  Vtur»tt\mmetung,  di>ch  wir  wcg«ss«D,  Jass  «s  veit  cdlei« 
OriTfuie  «ind,  widche  durch  die  hm  uns  gebrincKKche  Art  des 
SKnnrvaa   TvrkQmimtt   wvnka.     Allein   w  gieb-  aber  die 

via*  lN»Wik^»»"  IVIAm.ii.t  tr«ir  ni.^bi   will     V..rvj,fblj^ „   . —  S /mmmnff 
tfe|(im   diut    ^  hat    Uvtforlh   in    d«n 

»ist. 


10.  Der  Gescbmack  and  seine  Auffassung  derweibl.  Schönheit.        gl 

bräunt  —  die  Unsitte  blieb.  —  Die  Chinesinnen  aber  werden, 
sobald  die  europäische  Cultur  das  Reich  der  Mitte  noch  femer  aus 
dem  Gleichgewicht  bringt,  das  Schnüren  der  Füsse  aufgeben  und  — 
den  Brustkasten  schnüren." 

Vielleicht  gab  es  schon  dereinst  in  Asien  ein  Volk,  das  den 
Brauch  hatte,  die  Füsse  der  Frau  zu  verkleinern.  Bei  Flinius 
heisst  es:  ^,£ud03cus  in  meridianis  Indiae  viris  plantas  esse  cubitales, 
feminis  adeo  parras,  ut  Struthopodes  appellentur. " 

Den  Verstümmelungen  und  Entstellungen  zum  Zwecke  soge- 
nannter Verschönerung  haben  wir  noch  die  artificiellen  Fettbildungen 
anzuschliessen.  Eine  besondere  Geschmacksrichtung  für  Frauenschön- 
heit ist  nämlich  im  Orient  heimisch:  dort  halten  viele  Völker  nur 
solche  Weiber  für  schön,  deren  Körper  eine  mehr  als  normale  Fülle 
durch  reichliche  Fettablagerung  zeigt.  Ein  feiner  Gliederbau  gilt 
dort  nichts,  und  die  Fettbildung  wird  durch  eine  förmliche  Mästung 
des  jungen  Mädchens  im  Harem  gefördert. 

Die  klassische  Gegend  für  die  Wohlbeleibtheit  ist  Afrika. 
Im  Königreich  Karagwah  gilt  ebenso  wie  in  Unyoro  mid  anderen 
afrikanischen  Staaten  bei  allen  Frauen,  besonders  bei  denen  des 
Königs,  die  Wohlbeleibtheit  als  zum  Begriff  der  Schönheit  gehörig. 
Schon  von  früher  Jugend  an  werden  die  betreffenden  Mädchen  einer 
richtigen  Mästung  mit  Mehlbrei  oder  geronnener  Milch  unterworfen. 
Diese  Vorliebe  für  die  übermässig  vollen  weiblichen  Formen  findet 
sich  allgemein  bei  den  Arabern,  und  wohin  diese  ihre  Herrschaft 
und  ihren  Einfluss  verbreitet  haben.  Zwar  war  das  ältere  arabische 
Schönheitsideal  durchaus  nicht  auf  die  Ueberschätzung  der  Fleisch- 
masse basirt,  und  noch  jetzt  zeigen  z.  B.  die  Frauen  der  Himyaren 
nie  fette  Gestalten.  Aber  bereits  die  Zeit  Mohameds  bietet  uns  in 
Gestalt  seiner  dicken  Lieblingsgattin  A'ischa  ein  Beispiel  ausser- 
ordentlicher Beleibtheit 

Das  im  Glänzen  doch  faule  Wohlleben  im  Harem  der  vornehmen 
Aegypter  macht  deren  Weiber  zur  Corpulenz,  und  sogar  zu  einer 
oft  gewaltigen  Fettablagerung  geneigt.  Solche  Corjjulenz  giebt  aber 
die  Einleitung  zu  vielen  leiblichen  Beschwerden.  Einen  widerlichen 
Eindruck  macht  der  plumpe,  watschelige  Gang  einer  feisten  Sitte 
(Dame),  woran  zum  Theil  freilich  die  unpraktische  Fiissbekleidung 
Schuld  hat.  Eine  Frau  niederen  Standes  dagegen,  welcher  keine 
zahlreichen  Dienerinnen  zu  Gebote  stehen,  muss  flelssig  arbeiten  und 
wird  daher  nicht  leicht  fett.  Sie  bleibt  durchsclinittlich  schlanker, 
graziöser,  als  die  Frau  aus  höherer  Lebenssphäre  (Jlartmann^). 

Die  Frauen  in  Aegypten  suchten  seit  langer  Zeit  die  Fett- 
bildnng  theils  durch  den  Gebrauch  warmer  Bäder,  theils  durch 
ganz  besondere  diätetische  Mittel  zu  fördern;  dies  bezeugt  Alju'nus, 
welcher  audi  speciell  die  eigenthümliche,  zu  diesem  Zwecke  benutzte 
Methode  beschreibt. 

Die  Trarsa  in  der  Sahara  zwischen  Talifet  und  Timbuktu 
verlegen  sich  ganz  besonders  auf  die  Erzeugung  von  Fettleibigkeit 

Vloat,  Um  Waib.  C.    t.  Aafl.  6 


bei  den  Frauen;  die  Mädchen  müssen  freiwillig  oder  gezwungen 
unerhörte  Massen  von  Milch  und  Butter  zu  sich  nehmen,  eo  das» 
sie  zuletzt  eine  Feistigkeit  erzielen,  die  bei  der  Magerkeit  der 
Männer   doppelt   auffällt  (Cfiavunne). 

Unter  den  südnubischen  Völkern  herrscht  der  barbarische 
Brauch,  die  jungen  Mädchen  vor  ihrer  Verheirathiing  künstlich  zu 
mästen;  denn  Fettleibigkeit  und  Körperfülle  gehört  hier  tu 
den  ersten  Schönheitabediugungen  des  Weibes. 

Vierzig  Tage  vor  der  Hochzeit  wird  das  Mädchen  zu  fulgendem  Regime 
gezwungen:  früh  Morgens  mit  Tagesanbruch  salbt  man  ihr  den  Körjier  über 
und  über  mit  Fett  ein,  dann  muss  «ie  einen  Brei  aus  circa  1  Kilognunm 
Durra-Mc'hl  mit  Wasser,  ohne  Salz  und  Würze  gekocht,  zu  sich  nehmen, 
ie  muÄS,  denn  neben  ihr  steht  die  hierin  unerbittliche  Mutter  oder  sonstige 
8 Verwandte,  der  das  Heirathsproject  am  Herzen  liegt,  mit  dem  Stocke  oder 
Kurbatsch  aus  Hippopolaiuuühiiut,  und  wehe  ihr,  wenn  sie  die  Schikael  ntcbl 
bis  auf  den  Grund  leert.  Selbst  wenn  sie  die  Uebermasse  der  faden  widrigen 
Nahrung  erbricht,  wird  sie  nicht  diapensirt,  es  wird  von  neuem  gebraclit 
und  muss  hinuntergeschluckt  werden.  Nachmittags  bekommt  sie  ebenfalU 
Dorra-Brei  (Lugma)  mit  etwas  gekochtem  Fleisch,  dessen  Brühe  die  Sauve 
bildet;  Abends  dieselbe  Quantität  Brei  wie  am  Morgen  und  endlich  in  der 
Nacht  noch  eine  grosge  Kürbisuchale  fetter  Ziegenmilch.  Dabei  unablässige 
äogüerliche  Fetieiiueibungeu.  Bei  dieser  Behandlung  gewinnt  der  Körper 
des  Mädchens  fast  sichtbar  an  Rundung,  und  wenn  die  vierzig  Tage  vrr- 
flonMU  sind,  gleicht  er  beinahe,  um  einen  sudanesischen  Vergleich  zu  ge- 
brauchen, an  Masse  dem  Nilpferde:  doch  entzückt  das  ihren  Zukünftigen 
und  erweckt  den  Neid  ihrer  mageren  Mitschwestern.  Die  Fettleibigkeit  i»! 
eben  Mode,  und  was  thut  und  leidet  die  Kvastochter  nicht  alles  um  deT 
Mode  willen?    {Bernhoff  [vergl.  Fig.  21  No.  l.]| 

Den  gleichen  Geschmack  verräth,  was  Paulitschke  über  die 
Somali  sagt: 

„Der  .lüngling  huldigt  seiner  Geliebten  durch  Lieder.  Er  ruft  ihr  «: 
Du  bist  schön.  Deine  Glieder  sind  üppig;  tränkest  flu  Kaineelmilch,  Du  würett 
noch  schöner." 

Auch  auf  H  a  w  a  i  nehmen  die  Fettniassen  der  Frauen  oft  ganz 
bedeutende  Dimensionen  an :  dies  gilt  als  die  grösste  Schönheit  für 
das  weibliche  Geschlecht;  ebenso  findet  sich  auf  Tahiti  Aehuliches. 
Auch  bei  den  Indern  ist  Corpulenz  ein  Erfordemiss  für  die  Schön- 
heit einer  vornehmen  Frau ;  bereits  diis  Gesetzbuch  des  Miiwt 
schreibt  vor,  bei  der  Wahl  des  Eheweibs  darauf  zu  achten,  diws 
der  Gang  graziös  wie  der  eines  jungen  Elephunten  sei.  Dagegen 
fortlert  der  chinesische  Brauch  von  der  Frau  eine  zart^  vl-^rli-l«^ 
Gestalt. 


11.  Der  UarwiiiisniLs  über  die  Entwickelung  weiblieher 

Schönheit. 

Was   nun  lUe  Zuchtwahl    und   ihre  R- 
des  weiblichen  Geschlechts  iH'tnlit«  f^ 


II.  Der  DarwinisniQs  Obw  ilie  Kntw-tckelung  weiW.  ScUSnlieit-        83 


Wülil  keinen  Besseren  hören,  als  C/iarIcs  Danvin  selber,  welcher 
folgendes  äussert: 

„Da  die  Frauen  seit  langer  Zeit  ihrer  Schönheit  wegen  gewählt  worden 
lind,  so  ist  es  nirht  fiberrascbend,  dass  einige  der  mieheinander  auftretenden 
\bäuderungen  in  einer  bescbrUnkten  Art  und  Weise  überliefert  worden  sind, 
Inas  folglich  auch  die  Frauen  ihre  Schönheit  in  einem  etwas  höheren  Grade 
jhren  weiblichen  ab  ihren  männlichen  Nachkommen  überliefert  haben.  E.« 
sind  il.iher  die  Frauen,  wie  die  Hiei.<iten  Personen  zugeben  wertleu,  schöner 
[geworden  a\»  die  Männer.  Die  Frauen  überliefern  inde.'ta  sicher  die  meisten 
ihrer  Chaniktere,  mit  Ausschluss  der  Schönheit,  ihren  Nüchkonnuen  beider- 
lei Geschlechts,  oo  dass  das  beständige  VorKiehen  der  anziehenderen  Frauen 
[«lorch  die  Männer  einer  jeden  Raise  je  nach  ihrem  Maa^sstabe  von  Geaehmack 
führen  wird,  alle  Individuen  beider  Geachlechter,  die  zu  der  KasBe  ge 

i,  in  einer  und  derselben  Weise  zu  raodificiren.*' 

Man  tltirf  freilich  den  Einfluss  Her  Zuchtwahl  in  seinem  hypo- 
thetischen Umfange  nicht  allzuweit  ausdehnen,  wie  es  nach  meiner 
Meinung  Alfred  Kirchhoff'  in  einem  Falle  versucht.   Er  meint,  dass 

Idie  Austrulnegerinuen  gar  häutig  furchtbare  Kniittelschljlge 
_gegen  den  Kopf  bekommen,  und  dass  diejenigen  Frauen,  welche 
dergleichen  Mi.Hssliandluugen  überleben.  8ich  durch  erstaunliche  Dicke 
der  Schädelknochen  auszeichnen  müssen,  so  dass  gewi-sserraaiiasen 
durch  Vererbung  von  den  Ueberlebenden  aus  die  bedeutende  Dicke 
des  Stirnbeins  am  Australneger  erzeugt  worden  sei;  Kirehhoff' 
möchte  diese  Raßsen-Eigenthümüchkeit  demnach  der  Zuchtwahl  lu- 
schreibeu. 

Nun  haben  M'ir  zwar  geftmden,  dass  bei  den  niedrig  stehenden 
Rassen  der  Manu  zumei.st  nicht  nach  der  durch  äus.sere  Reize  des 
Weibes  bestinunten  Zuneigung  wühlt;  allein  wir  können  doch  auch 
eispiele  angeben,  in  welchen  bei  barbarischen  Stämmen  die  von 
Darwin  bespr^^tchene  Zuchtwahl  vorkommt.  In  einem  gewissen 
iiriide  ist  das  Weib  auch  hier  der  auswählende  Theil,  indem  es 
fast  überall  demjenigen  Manne  zu  entgehen  ssucht,  welcher  ihm  zu 

S gefallen  nicht  im  Staude  ist.  Wenn  bei  den  A  bi  poiiern,  einem 
ndianerst am  me  in  Südamerika,  der  Mann  sich  ein  Weib 
wählt,  so  handelt  er  mit  den  Eltern  um  den  Preis:  allein  es  kommt 
nach  V.  Azara  auch  häufig  vor,  dass  das  Mädchen  durch  alles 
das ,  was  zwischen  den  Eltern  und  dem  Bräutigam  abgeiuacht  ist, 
einen  Strich  zieht  und  hartnäckig  auch  nur  die  Erwähnung  der 
Heirath  verweigert;  sie  läuft  nicht  selten  davon  und  verspottet  den 
Bräutigam;  sie  besteht  demnach  doch  auf  dem  Hechte  der  Zustim- 
mnng.  Unter  den  Comanchen,  jenen  wilden  Indianern  im  Norden 
Mexikos,  mnss  der  junge  Mann  seine  Auaerwählte  allerdings  von 
<lfr<»n  Eltpra  erkaufen,  allein  die  Einwilligung  des  Mädrhens  zur 
Kl  '  ir  uncriässlich :   führt  sie  das  Pferd  des  Bewerbers  in  den 

Ö! ii  .    :      dieser  an  der  Hütte  angebunden  hat,    .so  giebt  .^ie  damit 
'  Jawort  {Grcgg).     Bei   den    Kalmücken  und   ebenso  bei   den 
'«D  lies  m  a  1  a  y  i  s  c  h  e  n  Archipels  findet  zwischen  Braut  und 
ktu.   narbdem  die  Eltern  der  ersteren   ihre  Zustinnnung  ge- 

6» 


geben  haben,  eine  Art  Wettlauf  statt,  und  Clarfce  sowie  Bonrim  er- 
hielten die  Versicherung,  dass  kein  Fall  vorkommt,  wo  ein  Mädchen 
ge&agen  würde,  wenn  sie  nicht  für  den  Verfolger  etwas  einge- 
noDinieu  wäre.  Beiden  Kaffern,  die  ihre  Frauen  einfach  kaufen, 
sprechen  die  Mädchen  ihre  Zustimmung  erst  dann  aus,  wenn  sich 
der  Mann  gehörig  prasentirt  und  seine  „Gangart"'  gehörig  gezeigt 
hat;  und  bei  den  Buschmänninnen  von  Südafrika  muss 
nach  Burchell  der  Liebhaber,  wenn  ein  Mädchen  zur  Mannbarkeit 
heraugewaclisen  ist,  ohne  verlobt  zu  sein,  was  freilich  nicht  häutig 
vorkommt,  ihre  Zustimmung  ebensowohl  wie  die  der  Eltern  erlangen. 
Schliesslich  liaben  nach  Winwood  Beade  die  Negerweiber  unter 
den  int.elligenteren  heidnischen  Stämmen  keine  Schwierigkeiten,  die- 
jenigen Männer  zu  bekommen,  welche  sie  wünschen;  sie  sind  voll- 
ständig fähig,  sich  zu  verlieben  und  zarte,  leidenschaftliche  und 
treue  Anhänglichkeit  zu  äussern.  Demnach  befinden  sich  bei  vielen 
Wilden  die  Frauen  in  keinem  so  völlig  unterwürfigen  Zustünde  in 
Bezug  auf  das  Heirathen,  als  häufig  vermuthet  wird.  So  schliesst 
denn  Darwin :  „Eine  Vorliebe  seitens  der  Frauen,  welche  in  irgend 
einer  Eüchtung  stetig  wirkt,  wird  schliesslich  den  Charakter  d«i 
Mannes  afficireu,  denn  die  Weiber  werden  allgemein  nicht  bloss 
die  hübscheren  Mäiiuer  je  nach  ihrem  Maassstabe  von  Geschmack, 
sondern  diejenigen  wählen,  welche  zu  einer  und  derselben  Zeit  am 
besten  im  Stande  sind,  sie  zu  vertbeidigen  und  zu  unterhalten.'^ 
Umgekehrt  werden  die  kraftvolleren  Männer  die  anzielien deren 
Weiber  vorziehen. 


12.  Die  Mischung  der  Russen  steigert  meist  die  Eutwlcltelun^ 
weiblicher  Schönheit. 

Die  Leibesgestalt  der  Nachkommen  wird  um  so  weniger  uiodi- 
ficirt,  und  es  kommen  die  Merkmale  von  Rasse  und  Kaste  um  so 
deutlicher  und  schärfer  zur  Erscheinung,  je  reiner  sich  die  Zeugenden 
nur  innerhalb  der  Kasse  und  Käst«  vermischen.  Dies  tritt  vortug»- 
weise  dort  zu  Tage,  wo  Jahrhunderte  lang,  wie  beispielsweise  bei 
den  Hindus,  nach  dem  Gesetze  Manu's  Verehelichuugen  nur  iimer- 
halb  der  Kaste  erfolgen.  Die  Brahnianen,  die  bevorzugte  Kiwste, 
werden  von  de  Golnneau  als  vorzüglich  schön  von  Gestillt  gerülimt : 
und  Meiners  sagt:  „Aeltere  und  neuere  lleisendc  bewunderten  die 
ausserordentliche  Scliönheit  der  lud  er  und  Indi  er  innen  der 
höheren  Karten  so  sehr,  dass  sie  dieselben  für  die  schönsten 
Menschen  auf  der  ganzen  Erde  erklärten."  Die  geringeren  Hindu« 
hingegen  besitzen  ein  minder  vollkommenes  Ebenmaass  der  Glieder» 

Bei   der  Venuiscbung    verschiedener  Raissen   aber    k"  iri 

den  Kindern  bald  die  Eigenthümlichkeiten  des  Vuters,  h..  r 

Mutter  durch  Vererbung  zur  Erscheinung.     Nach  1') 
bei   Vermischung   eines    Arabers   mit 
mehr  nach  der  Mutter:    verniibcht  sich 


egypterin,  so  besitzen  die  Kinder  noch  das  Haar  der  Neger- 

{aäse,   während  die  Enkel  schon  schlichtes  Haar    besitzen    und  in 

uh]  allen  Stücken  mit  den  Aegyptern  Übereinkommen;   Euro- 

jier  ond  Türken    zeugen  mit   abyssiniscben  Frauen  Kinder, 

eiche    in   ihren    Kori)eribrmen    den   Bewohnern   der   iberischen 

ialbinnel  nahe  stehen,   nur  Mangel  an  Gesichtsausdruck  bekunden, 

„  Van  der  liurj/  behauptet,'die  Erfahrung  bei  Mischehen  zwischen 

^^hinesen  und   javanischen    Frauen   gemacht   xu    haben,    dass 

rade  die  Kinder,   welche  denselben  entsprossen  waren,   mehr  den 

longolischen  Typus  zeigten   und  auch  in  Sitten,    Gebräuchen, 

flanieren    und  Denken   (Tvaut'niiinpischcn  Eigenschaften)  dem    Vater 

liehen.    Jch  kann  dieser  Beobachtung  in  allen  Stücken  beipflichten." 

JirtffuSfi,) 

Bei  Kanaken-Frauen  auf  Hawai  (Sandwich-Inseln),  die 
tiit  Miinnem  von  verschiedener  Rasse  Kinder  erzeugt  hatten,  konnte 
(irharfl  Nenkoxifs  constutiren,  dass  beispielsweise  die  Eine  derselben 
»in  Kmd  von  einem  V'ollblut-Kanaken,  eins  von  einem  Chinesen 
bnd  eins  von  einem  Melanesier  hatte,  von  denen  alle  unverkennbare 
Spuren  des  Vaters  trugen;  bei  dem  Halb -Chinesen  geschlitzte  Augen 
nd  vorspringende  Backenknochen,  beim  Halb-Melanesier  spiralig 
fekräuseltes  Haar  und  das  aulFallend  grosse  Weisse  im  Auge.  In 
ionolulu  sah  ^'euhuuss  zwei  Halb-Europiier  (der  Vater  ein 
Jeutscher),  bei  denen  nur  wenig  noch  an  die  Kanaka-Abkuuft 
riunerte.  So  glichen  also  die  männlichen  Abkömmlinge  mehr  dem 
l^ater.  Ganz  anders  waren  die  Erscheinungen  bei  einer  Halb- 
)lut-FamiIie,  in  der  der  Vater  ein  Norweger  mit  blauen  Augen 
und  blondem  Haar,  die  Mutter  ein  Kanaka-Weib  war.  Diebeiden 
dieser  Khe  entstimimenden  Töchter  hatten  die  dimkle  Hautfarbe 
und  die  Züge,  auch  die  grosse  Körpert^Ue,  die  massive  Nase,  die 
dunkelbraunen  Augen  und  Haare  der  Eingeborenen.  Nach  RicdfP 
ind  die  Kinder  von  Chinesen,  welche  diese  mit  Weibern  der 
Aaru- Insulaner  gezeugt  haben,  je  nach  dem  Geschlecht  ver- 
Bchieden  von  Farbe,  die  Mädchen  heller,  die  Kutil»en  dunkler. 

Mischlinge  von  Gilbert -Insulanerinnen  (Mikronesien)  mit 
Weissen  miterscheiden  sich  leicht  durch  die  hellere  Hautfarbung,  die 
.li  -  rötlieten  Lippen  und  den  europäischen  Gesichtsausdruck. 
i«;e  von  einem  weissen  Vater  und  einer  Ponapesin  (Caro- 
lueu-lnseln)  zeichneten  sich  vor  Europäerinnen  nur  durch  dunk- 
eren  Teint  aus.  Zweimal  mit  Weissen  gemischtes  Blut,  also  Drei- 
iriert«»!  wei.ss,  ist  von  Weissen  gar  nicht  mehr  zu  unterscheiden  imd 
ibenHo  hell  als  letztere.  Von  Halbblut^Samoanerinnen  gilt  das 
Jleiche.  Die  zweijährige  Tochter  eines  Weissen  und  einer  Frau 
i«w  Neuguinea  erschien  wie  ein  dunkel  sonnenverbranntes  Euro- 
ȟerkind  mit  lockigem  blonden  Haar,  tiefdunkeln  Augen  und 
otlien  l/ippen  iFinftdi-). 

Durch    die    Vermischung    namentlich  der   europäischen  mit 
Vii    Ratfsen    scheint   in   den  weiblichen  Bastarden  eine  erhöhte 


86 


fll.  Die  ästhetische  Aiiftaasung  des   Weibe-^ 


Schönheit  gezüchtet  zu  werden.  Sr/mtonia  bebt  bei  dei 
lingen  der  Malayen  und  Europäer  besonders  die  Schönheit  des 
weiblichen  Geschlechts  hervor.  Der  Körperbau  der  Mulattinnen 
ist  zierlicJi ;  etwas  kürzere  Arme,  ganz  allerliebste  Hände,  eine  aus- 
nehmend  schön  f^fewölbte  Brust,  die  schönste  Taille  und  unbeschreib- 
lich kleine,  gellillige  Füsse  macJien  die  ganze  Persönlichkeit  zu 
einem  höchst  augenelnuen  reizenden  Wesen;  „es  ist  gar  keii»  Ver- 
gleich zwischen  einer  weissen,  indolenten,  gleichgültigen  B ras  ili a- 
nerin  und  diesen  ausgelassenen,  munteren,  oft  tollen  und  dabei 
hübsclien  Mulattinnen  möglich"    {Berghaus). 

Auch  V.  Nordenskjöld^  bestätigt  die  grössere  Schönheit  der 
Mischlinge  bei  der  weiblichen  Bevölkerung  Grönlands: 

,,Die  Frauen  waren  sorgfältig  gekleidet,  und  etliche  Halbblut- 
Mädchen  mit  ihren  braunen  Augen  und  gesunden,  vollen,  beinahe 
europäischen  Zügen  waren  ziemlich  hübsch.  Der  reine  Eskimo- 
typus  ist  jedoch  äusserst  hässlich  und  zwar  nicht  allein  in  den 
Augen  der  Europäer,  sondern  jetzt,  wie  man  behauptet,  auch  in 
den  Augen  der  Eingel>orenen  selbst," 

Im  nordwestlichen  Amerika  giebt  es  eine  Mischrasse  oder 
Halbblfitige,  die  B  o  i  s  -  B  r  u  1  e  s ,  welche  von  den  eingewanderten 
Franzosen  imd  den  Indianern  (Siaux  etc.)  abstammen.  Die 
Frauen  dieser  franco- kanadischen  Mestizenrasse  sind  im  Allge- 
meinen weis.ser  als  die  Männer  und  selbst  noch  etwas  blasser  und 
farbloser;  viele  Mestizinnen  k(>nnen  an  Weisse  und  Feinheit  der 
Haut  es  mit  den  zartesten  europäischen  Damen  aufnehmen:  ihre 
Züge  sind  rt'gelmitssig  und  graziös,  und  man  tindet  unter  ihnen 
oft  Mädchen  mit  wahrhaft  klassischer  Schönheit.  (Harard.) 

Auch  in  Chile  loben  viele  Mi.schlinge  (Kreolen)  aus  india- 
nischem und  Weissem  Blute  (Araucauer  und  Spanier).  Die  Frauen 
und  Mädchen  haben,  wie  TrcntU'r  beschreibt,  gewöhnlich  einen 
schönen  weissen  Teint,  schönes,  schwarzes,  etwas  starkes  Haar,  sehr 
feurige,  ausdrucksvolle  Augen,  etwas  gebogene  Nase,  feine,  aber 
stark  markirte  schwarze  Augenbrauen,  welche  einen  Halbkrei* 
bilden,  sehr  lange,  seidenartige  Augenwimpern,  herrliche  Zähne, 
schöne  Büste,  sehr  kleine  Ohren,  Hände  und  Füsse  und  graziöse 
Bewegimgeu.  Es  gieljt  unt^-r  ilmen  auch  viele,  welche  blondea  Haar 
und  blaue  Augen  haben. 

Es  würde  unzweifelhaft  A'on  nicht  geringem  anthropologisdien 
Interesse  sein,  die  Mischlinge  verschiedener  Rassen  genau  zu  unter- 
suchen. Denn  wenn  auch,  wie  wir  soeben  gesehen  haben,  für  ge- 
wöhnlich durch  Rassenkreuzung  die  Schönheit  gesteigert  wird,  «0 
findet  dieses  doch  nicht  immer  statt.  Unter  welchen  VerhältnLssen 
kann  man  durch  die  Kreuzung  bei  den  Nachkommen  eine  Ver- 
schönerung erwarten?  unter  welchen  Umständen  überwiegen  bd 
•den  Producten  der  Kreuzung  die  Eigen jtchaften  des  V  "      lUr 

welchen  die  der  Mutter  V     Wir  würden  hierdurch  »'. 
blick    erhalten,    was    wir    als    stärkere   uud    wus    wir  t 
Kü-tsen  anzusehen  haben. 


I 


* 


Wenn  ein  Volk  verkümmert,  so  geht  auch  dem  weib- 
lichen Geschlechte  der  Sinn  für  eigene  Haltimg  und  schönes  Be- 
nehmen verloren.  Die  Geschichte  weist  genügende  Beispiele  auf, 
welche  dieser  Behauptung  zur  Bestätigung  dienen;  wir  greifen  nur 
fines  aus  der  Reihe  derselben  heraus.  Die  Insel  (.'jpern  hat  in 
friüierer  Zeit  eine  reiche  Culturperiode  erlebt;  sie  war  die  bevor- 
zugte Cnltstätte  der  c  y  p  r  i  s  c  h  e  n  V'eniis^  der  meergebornen,  welcher 
Frauen  aus  allen  im  Alterthum  bekannten  Landern  Weihegeschenke 
darbrachten :  dort  fand  man  auch  ohne  Zweifel  nicht  geringen 
Wohlstand  und  einen  für  jene  Zeit  nicht  geringen  Culturgrad. 
.ledenfalls  nahm  auch  das  weibliche  Geschlecht  ausserlich  und  inner- 
lich an  diesen  verhiiltnissuiässig  günstigen  V^erhältnis.sen  und  Zu- 
ständen Theil.  Allein  nunmehr  ist  ein  grosser  Theil  der  einst 
fruchtbaren  Insel  verödet,  die  Bevölkerung  zum  grössten  Theil  arm 
und  ungebildet.  Ueber  die  Indolenz  der  Frauen  aus  Cypern 
äussert  sich  Samuel  White  Buh^r  folgendermaassen  :  «Es  war  am 
4.  Februar  und  die  Temperatur  des  Morgens  und  Abends  zu  kalt 
(6"  C),  um  zu  bivouakiren.  Trotz  des  kalten  Windes  umgab  eine 
grosse  Anzahl  Weiber  und  Kinder  unsere  Wagen;  .sie  fröhuten 
stundenlang  ihrer  Neugier  und  froren  in  ihren  leichteu,  selbst- 
gefertigten baumwolleneu  Kleidern.  Die  Kinder  waren  meist  hübsch 
und  viele  der  jüngeren  Weiber  von  gutem  Aussehen;  es  war  aber 
im  Allgemeinen  eine  vullständige  Vernachlässigung  des  Aeusseren 
bemerkbar.,  welche  in  hervorragender  Weise  allen  Frauen  in  Cypern 
eigen  ist.  lu  den  meisten  Ländern,  in  wilden  wie  in  civilisirt^n, 
folgen  die  Weiber  einem  natürlichen  Zuge  und  schmücken  ihre  Per- 
sonen in  einem  gewissen  Gnide,  lun  sich  anziehend  zu  macbeu ;  aber 
iu  Cyjjcrn  fehlt  die  nöthige  Eitelkeit  gänzlich,  die  man  auf  liein- 
lichkeit  und  Kleidung  verwenden  sollte.  Der  saloppe  Anzug  giebt 
ihren  Gestalten  ein  unangenehmes  Aeusseres,  alle  Mädchen  und 
Frauen  sehen  aus,  als  ob  sie  bald  Mutter  werden  würden."  Tiahcr 
beschreibt  das  Aeussere  näher,  und  wir  bekommen  den  Eindnu-k, 
dasM  ihm  hier  die  Repräsentantinnen  eines  verkommenen  Geschlechts 
entgegentraten.  Ganz  richtig  sind  dabei  die  Beniierkimgen,  dass 
ilas  Merkmal  zurückgegangener  Cultur  der  Mangel  der  natürlicJieii 
Vorliebe  des  Weibes  ist,  sich  im  Aeusseren  möglichst  schön  dar- 
y.ustellen  durch  Sduuuck,  anständige  Bekleidung  etc.  Die  Sitten- 
zustände  eines  verwilderten  Volkes  sprechen  sich  namentlich  auch 
^darin  aus,  dass  beim  weiblichen  Geschlecht  der  angeborene  Sinn  für 
;ene,  auf  gute  Situation  hindeutende,  einen  günstigen  Eindruck 
Jftuf  den  Begegnenden  hinterlassende  Erscheinung  verloren  gegangen 
und  einer  auffallenden  äusseren  Vernaclilässigimg  Platz  geuiaiht 
h&i,  welche  auch  auf  eine  Verringerung  des   inneren   Werthes  hin- 


88 


III.  Die  Sätheit 


Zurückgehfu    derjenigen    Verhältnisse    atu    Körper    des    weiblichen 
rescbleohts  aufh-eten,  welche  ganz  allgemein    als  die  charakterisb- 
pben  Merkmale  imd  Vorzüge  vor  dem  männlichen  Geschlecht    be- 
^.eichnet    werden.      Das  Weib    beginnt  sofort  durch  die  .somatische 
Vernachlässigung  männliche  Züge,    Form   und  Bewegungen  zu  be- 
kommen*, dabei  wird  es  schnell  alt    und   abgelebt  in  seiner  ganzen 
Erscheinung. 

Sehr  autYallende  Beispiele  flir  diese  Thatsache  linden  wir  tu 
Deutschlands  Gauen:  In  der  Oberpfalz  Ist  das  weibliche  Ge- 
schlecht fast  durchaus  von  gleicher  Grösse  mit  der  niänulicben  Be- 
völkerung, und  es  bestätigt,  .sich  hier  die  Erfahrung,  die  bei  allen 
minder,  gebildeten  Volksstämmen  sich  wiederholt,  dass,  wo  das 
Weib  in  allen  BeschUftigimgen  die  Gehülfin  des  Mannes  ist,  wie. 
stellvertretend  das  Weib  des  Mannes,  so  auch  der  Mann  des  Weibes* 
Arbeit  verrichtet,  auch  in  der  äusseren  Erscheinung  das  Weib  di<' 
harten  Züge  den  Mäunes  annimmt,  imd  ebenso  oft  Männer  gefunden 
werden  mit  hellen,  weibischen  Stimmen,  als  Weiber  mit  tiefem, 
rauhem  Organe,  eine  Wahrnehmung,  die  mit  seltener  Meisterschaft 
auch  in  liiehls  Naturgeschichte  des  Volkes  so  treffend,  als  aus- 
Itthi'lich  geschildert  ist.  Trotzdem  finden  sich  auf  dem  Laude,  wiv 
Bremu't- Schaff  er  in  der  übe  rp  falz  wahrnahm,  die  schönsten 
Kinderköpfe  mit  ausdrucksA'ollen  Augen  und  Zügen  bei  der  Land- 
bevnlkenmg.  „  Das .  i.st  noch  unverarbeiteter  Roh.stotf.  Leider, 
da^s  die  Verarbeitimg  so  maugelbaft  ist.  Das  aufblühende  Mäd- 
chen ist  nur  in  der  ersten  Jugend  hübsch,  dann  treten  die 
Können  gröber  und  nias.sf  nhafter  hen'or,  und  nach  wenig  Wiichcn- 
hetten  hat  dn^  km7.  zuvor  noch  })lühende  Weib  das  Aussehen 
einer  Matrone." 

Und  Gleiches  fand  im  Norden  Deutschlands  Goldschmidt:' 
„Die  Schönheit  und  Jugondfrische  der  ärmeren  jungen  Leute  im 
nordwestlichen  Deuts  e  h  1  a  n  d  ist  leider  meist  eine  kurze ;  sie  über- 
dauert die  Kiud*^rjahre  nicht  sehr  lange  Zeit.  Die  schwere 
Arbeit  bei  noch  nicht  voll  entwickeltem  Körper  nimmt  zu  Ificht 
die  Fülle,  die  zur  Schönheit  nüthig  ist,  sie  schafft  frühzeitig  Falten 
des  Gesichts  und  Steifheit  und  eckige  Formen  des  Körjier«.  Oft 
habe  ich  schon  eine  Mutter,  die  mir  ein  Kind  zeigte,  für  die  Gros»- 
mutter  des.Helben  gehalten.  In  jüngeren  Jahren  sind  die  Kinder  der 
kleineren  Leute  in  allen  Bewegungen  freier  und  leichter.  Früh  aber 
Verliert  sich  die  Gewandtheit  und  Beweglichkeit;  die  Steifheit  eine« 
verfrtihten  Alters  vertritt  beim  Beginn  des  Munnesalters  ihre  SteUo. 
An  einem  gewandten,  leichten  Gange,  an  freien,  nicht  eckigen  B^ 
wegungen  erkennt  das  geübte  Auge  bald,  da.s8  ein  Mann  oder  cju* 
Frau  vom  Laude  zu  den  w^ohlhabenden  Leuten  gehört,  deren 
frühe  Jugend  frei  war  von  zu  schwerer  Arbeit." 

Nicht  allein  im  äusseren  Aussehen,  sondern   auch 
sl-ultung  der  Skelettt  heile    wird    dah  Weib    imt'^r 
verhüUni.ssen  dem  mäuiUichen  Geschlecht  so  äl 


I 


i^riiwi»- 


^erthrflnng  der  vrnh\.  Schönheit  rniter  den  Völkern.  8*> 

•xuelle  Unterschied  fast  ganz  verwischt.     Cr.  Fritsch  glauht,   das» 

jei  den  iracivilisirtt-n  Menschen   Schulter-   und    Beckengürtel    nicht 

ihre  typische  Entwickelung  erlangen,  z.  B.  hei  den  Kuffern  sei  du.- 

1  weder    recht    männlich    noch    recht  weiblich,    sondern    ein 

K'  !,    welches    jedoch    dem    männlichen   Typus     naher    liegt. 

lehnliches  scheint  Rir  die  Australier  zu  gelten. 


H.  Die  YertbeiluDg  der  weiblichen  Schönheit  unter  den 

Tolkern. 

Wenn  allerding!»  das  Urtheil  über  die  Schönheit  ganz  relativ  ist, 
wird  doch  immerhin  der  Europäer  sagen  kOnnen,  ob  sich  die 
^eiber  einer  bestimmten  Rjisse  mehr  oder  weniger  seinem  Schön- 
leits  ideale,    welche»  er  sich  im  Gefolge  einer  geläuterten  Äesthetik 
gebildet  hat,  nähern,  oder  sich  von  ihm  entternen. 

Wer  von  uns  könnte  den  Tvpas  der  mongolischen  Rasse  ttir 
^i^hün"  erklären,  jene  Männer  und  Frauen  mit  ihren  flachen,  runden, 
oben  zu  stärker  entwickelten  Gesichtern,  ihren  kleinen,  gegen 
iase  zu  schief  gestellten  Augen,  ihren  schmalen,  wenig  gebogenen 
ihren  hohen,  vorstehenden  Backenknochen,  ihrer  an  der 
^ÜTD  breit  aufsitzenden,  an  der  W^urzel  dach  liegenden,  am  Ende 
und  breit  gebildeten  Na.se,  ihrem  kxirzen  Kinn,  ihren  grossen, 
Bhenden  Ohren  und  ihrer  gelblichen  Gesichtsfarbe?  Und  docli 
es  auch  dort  unter  den  Weibern,  namentlich  in  .lapan,  Indi- 
inen,  die,  wenngleich  nicht  schön,  doch  immerhin  „hübsch"  ge- 
werden mOssen.  Die  Weiber  der  Mongolen  bekonmien. 
sie  sich  seltener  der  freien  Luft  aussetzen,  eine  krankhaft 
reiäHe  Hautfarbe.  Vor  Allem  ist  aber  bei  dieser  Kasse  —  nament- 
lich durch  den  mangelnden  oder  schwachen  Bartwuchs  der  Männer  — 
sine  gewisse  Aehnlichkeit  zwischen  den  beiden  Geschlechtem  zn 
bemerken,  so  das»  es  dort,  wo  eine  weite  Kleidung  getragen  wird, 
>ft  8<'.hwer  ist,  Männer-  und  Weibergesichter  aU.sogleich  zu  uuter- 
L'heiden. 

Welcher  Europäer  konnte  jemals  am  Neger- Typus  etwas 

chrmes  finden?    .An  jfnen  schwarz-  oder  wenigstens  dankelhäutigen, 

rkknoohiir»?n  F  ut  ihren  langen,  schmalen,  im  Unterkiefer- 

leil  vorhtehfnd' ..        ..  .item,  ihren  wuLst^en.  aufgeworfenen  Lippen, 

breiten.  dit:kr-n  Naäen,  grossen,  weiten  Nasenlöchern,  krausen 

SQ,  üxr«n  Rtierihiilichen  Nacken,  ihren  schwachen  Waden  nnd 

plattai  FOsKn?     Allein  man  würde  sehr  irren,  wenn  man 

hier  kurz  angedeutet »*n  hässlichen  Typus  für  den  in  den  eigent- 

Ni-LTr  -  f.üi.ii-.'Ti     allgemein    herrschenden     halten    woUte. 

.>r  Kenner  der  Neger-Völker,  sagt:  „Wa» 

randtjrpns  der  N  e  g  e  r  -  Phvsiognomie  dar- 

den  Negern  als  eine  Carricatur  oder  im 


111.  Die  asthetf 


besteu  Falle  als  eine  Stauiinesähnlichkeit  augesehen  werdeu,  die 
aber  in  Bezug  auf  Schönheit  hinter  der  Masse  der  Neger  stamme 
znrllckbliebe.'*  Namentlich  werden  gar  oft  von  einzelneu  Beobachtern 
die  schlanken  Körper  der  Negerraädchen  in  ihrer  Blnthezeit  ab 
„reizende"  Erscheinungen  geschildert.  Und  selbst  den  im  Alter 
urhässlichen  Hottentotte nweibern  erkennt  man  in  ihrer  Jagend 
leichten  und  zarten  Körperbau,  sowie  Kleinheit  und  Zartheit  der 
Extremitäten,  der  Hände  und   Ftisse  zu.     (Barrow.) 

Wo  ist  das  Vaterland  der  echten  und  reinen  weiblichen  Schön- 
heit, die  keiner  künstlichen  NachhiiUe  bedarf?  Giebt  e;*  einen 
Punkt  auf  der  Erde,  welchem  in  dieser  Hinsicht  die  Palme  gebührt? 
Man  hat  gesagt,  Afm»  ein  Erdstrich  die  besondere  Auszeichnung 
habe,  vorzüglich  scbi5ne  Frauen  zu  erzeugen,  und  daas  es  sich  nur 
darum  handle,  zu  entscheiden,  welches  dieser  Zone  angehörende 
hand  in  der  ConcuiTenz  Sieger  bleibe.  Zu  diesem  Erdstriche  werden 
Persien,  die  Itenachbarten  Gegenden  des  Kaukasus,  insbesondere 
Circassien  und  Ueorgien,  die  europäische  Türkei,  Italien,, 
das  nördliche  Spanien,  Frankreich,  England,  Deutschland, 
Polen,  Dänemark,  Schweden  und  ein  Theil  Norwegens  und 
Russlands  gerechnet.  Allein  Jederraimn  weiss,  dass  in  sehr  vielen 
der  hier  genannten  Länder  die  weibliche  Schönheit  im  Allgemeinen 
doch  nur  innerhalb  der  nationalen  Grenzen  ein  bescheidenes  Maass 
hält,  und  das.s  überall  der  Grad  der  Vollendung  und  der  Annäherung 
an  das  Ideal  auf  einer  recht  besclieidenen  Höhe  stehen  bleibt,  wenn 
mau  geuöthigt  ist,  erst  eine  Auslese  im  Volke  zu  veranstalten  und 
dann  zu  berechnen,  wie  viel  oder  wie  wenig  Procent -Theile  den 
nicht  allzu  scharten  Geschmacks-Ansprüchen  genügen. 

Wir  keimen  in  dieser  Hinsicht  sehr  verschiedene  Urtheile, 
welche  mehr  oder  weniger  induviduell  getarbt  sind;  mir  scheinen 
nur  solche  von.  anerkannten  Ae.sthetikern  be^ichtensweiih.  In  Rom 
und  im  römischen  Gebiete,  im  Allgemeinen  ui  den  Gegenden. 
welche  Winrkuhtmnn  die  nchöiien  Provinzen  Italiens  nennt,  ist, 
wie  er  sagt,  die  hohe  vollendete  SthiVnheit  gewissermaaasen  beimi.sch 
und  ein  Erzeugnis«  des  sanften  Himmels.  Es  finden  sich  in  diesen 
Ländern,  wie  Winrkelmann  hervorhebt,  wenig  halb  entworfene, 
unbestimmte  und  unbedeutende  Züge  des  Gesichts,  wie  häufig  jen- 
seits der  A 1  p  e  n ,  sondern  sie  sind  theils  erhaben,  theils  geistreich, 
und  die  Form  des  Gesichts  ist  meist  gross  und  voll,  die  Theile 
desselben  in  grösster  Uebereinstimmung  unter  einander.  r>ieäer 
enthusiastische  Freund  der  Kunst  setzt  hinzu:  Diese  vorzügliche 
Bildung  ist  so  augenscheinlich,  dass  der  Kopf  des  geringsten  iMaunes 
unter  dem  Pöbel  in  dem  erhabensten  historischen  Gemälde  kümite 
angebracht  werden,  und  unter  den  Weibern  dicHes  Standes  würde 
es  nicht  schwer  sein,  auch  an  den  geringsten  Orten  ein  RilJ  tu 
einer  Jmw  zu  Hndeu. 

Man    kann   eben   in   Sachen   des  Gescht"  -^  -    '"••  ^t' 

der  Frauen  -  Schönheit  eines  Volkes   nder  ^ 


14.  Die  Vertheilung  der  weibl.  Schönheit  unter  den  Völkern.        91 

gichtig  genug  sein.  Eine  wohlthuende  Zurückhaltung  in  dieser 
Hinsicht  finde  ich  beispielsweise  in  einer  alten  Reisebeschreibung, 
deren  Autor  Baader  von  unseren  Landsmänninnen  in  Schwaben 
schreibt:  „Die  Ulm  er  Frauenzimmer  werden  von  vielen  Kennern 
dieses  Geschlechts  —  worunter  ich  mich  von  Amtswegen  nicht 
zählen  darf  —  ftlr  die  schönsten  in  Schwaben  gehalten."  Wir 
selbst  mochten  uns  auch  nicht  ,von  Amts  wegen  *  zu  den  Kennern 
rechnen;  namentlich  würden  wir  leicht  Gefahr  laufen,  die  deutschen 
Frauen  als  beste  Repräsentantinnen  unseres  Schönheits-Ideals  auf- 
zustellen. Deshalb  geben  wir  in  der  folgenden  Zusammenstellung 
ethnologischer  Abschätzung  der  Frauenschönheit  eine  Reihe  von 
Axissprttchen,  die  von  fein  abw^enden  Beobachtern  herrühren. 

Europäerinnen. 

Von  fast  allen,  welche  Italien  bereisten,  werden  di*  körperlichen  Vor- 
zfige  der  Italienerin  anerkannt,  zum  Theil  auch  gerühmt,  namentlich  ihre 
dunkeln  Augen,  und  die  plastischen  Formen  der  Römerin.  Freilich  hat 
eine  kühlere  Betrachtung  stets  den  Enthusiasmus  auf  ein  geringeres  Maass 
zurückgeführt.  „Der  Zauber,  welcher  jede  neue  Erscheinung  und  Situation 
begleitet,  ist  der  Grund  all'  der  Illusionen,  welche  durch  Reise-Phantasien 
und  Bilder  über  italienische  Frauen  verbreitet  werden,  über  welche  aber 
Jeder,  der  längere  Zeit  in  Italien  lebte,  die  Achseln  zuckt,  wenn  er  sich 
auch  selten  aufgelegt  fühlt,  solchen  Illusionen  entgegenzutreten,  die  mit 
jedem  neuen  Maler,  Dichter  und  ästhetischen  Stylisten  von  Neuem  erzeugt 
werden,  und  sich  ebenso  wenig  zerstören  lassen,  wie  Fata  raorgana  in  der 
Wüste  oder  Nebel  und  Dunst  auf  der  Haide."  Diese  Meinungoäusserung 
des  vielleicht  allzu  scharf  urtheilenden  Bogumil  Goltz  bezieht  sich  allerdings 
vorzugsweise  auf  das  geistige  Leben  der  italienischsn  Frauen,  doch  trift't 
zum  Theil  sein  Wort  auch  den  Ruhm  der  körperlichen  Schönheit;  und  die 
zahlreichen  Maler  und  Bildhauer,  welche  nach  Italien,  als  höchster  Kunst- 
stätte, wallfahrteten,  fanden  dort  für  ihre  Studien  weibliche  Modelle,  deren 
vielfach  wiederholte  Darstellung  jedenfalls  dazu  beitrug,  das»  sich  die  gün- 
stigste Meinung  über  die  Reize  der  italienischen  Frauenwelt  überallhin 
verbreitete.  Allein  auch  in  diesem  Lande  sind  uianchc  Gegenden  fruchtbarer 
an  weiblicher  Schönheit,  als  andere.  Schon  vor  mehr  als  hundert  Jahren 
äusserte  in  dieser  Beziehung  Vollniann:  „Es  giebt  wenig  schöne  Frauen- 
zimmer in  Rom,  zumal  unter  Vornehmen,  in  Venedig  und  Neapel  sind 
sie  häufiger.  Die  Italiener  sagen  es  selbst  im  Sprichwort,  dass  die  Röme- 
rinnen nicht  schön  sind." 

Auf  Sicilien  fand  ich  autlallend  wenig  hübsche  Gesichter  und  Ge- 
stalten bei  Weibern,  während  viele  Männer  ein  schöneres  Aeussere  zeigten. 
Das  Wort  Hehn's:  „Hier  krümmt  sich  der  Mensch  nicht  unter  der  Peit- 
sche der  Noth,  die  im  nordischen  Winter  einen  Theil  der  Bevölkerung 
hässlich  und  blöde  macht,"  kann  sich  meiner  Ansicht  nach  in  Süditalien 
nur  auf  den  männlichen  Theil  der  Bevölkerung  beziehen,  denn  diesem  fehlt 
nicht  nur  die  Belastung  mit  Fabrikarl»eit  und  er  theilt  seine  Zeit  ein  in  ein 
wenig  Arbeit  (noch  dazu  in  freier  Luft)  und  in  Faulenzen,  sondern  er  bürdet 
die  Lasten  in  erstaunlicher  Weise  theils  dem  Rücken  des  Esels,  theils  dem 
Kopfe  des  Weibes  auf.  Diese  letzteren  haben  vielleicht  auch  in  der  Schön- 
heit der  Formen  durch  zweierlei  Umstände  gelitten,  indem  bei  der  gewaltigen 


Mifchun^  der  Raufen  auf  Hicilien  (Öikuler,  Oriechou,  Römer, 
nianen,  SaraKenen.  Normannen  u,  a.  w.)  die  einzelnen  dieser 
nicht  eben  ihre  hcssercii  Ei(;ensclmften  auf  die  Generation  Qbertrugcn,  Diul] 
indem  zweitens  dem  weiblichen  Ge^jchlecht  eine  Stellung  zugewiesen  wan]e,| 
weklie  vielmehr  eine  Verküniinerung,  als  eine  Veredelung  und  Entwickelan^-J 
der  weiblichen  Schönheit  Hinderte. 

Die  Spanierinnen  gemessen  einen  nicht  geringen  Ruf  bezüglich  Hirer 
Äusseren  Erscheinunff.     Hierzu   n)ag  wohl   unter  Anderem  die  Mischung  de«, 
Blutes  etwas  beitragen,  indem  die  keltisch-iberischen  Ureinwohner  eineni 
Theil  von  römitichen,  dann  aber  auch  von  maurischen  Elementen  in  rieh 
aufnahmen;  und  der  fruchtbare  Boden  der  iberischen  Halbinsel  förderte  ge-j 
wiH.s  auch  die  eigenthümlicbe  Anmuth  des  weiblichen  Körpers.    ,Dai)  Aeusserej 

^eiaer  Spanierin."  sagt  Bogumil  Goltz.  ,ist  der  Ausdruck  ihret*  Charakters, 
w    schöner    Wuchs,    ihr    majestätischer    <Jang,    ihre   sonore    Stimme,    ihr 

rÄchwarze-i,  feuriges  .^uge,  die  Heftigkeit  ihrer  Gestikulationen,  kurz  der  Aus- 
druck  ihrer   ganzen   Persönlichkeit  kündigt  den   Charakter   an.     Ihro   Reiza] 
entwickeln  sieh  frQh.  um  zeitig  xu  veru'elken.  wossu  das  Klima,  die  hitzigen  I 
Nahrungsmitt«!  und  der  tiinnliche  Genuas   beitragen.     Eine  Spanierin  Tonl 
vierzig  Jahren  scheint  noch  einmal  «o  alt,   und  ihre  ganze  Figur  zeugt  vou[ 
üebersättigung  und  beschleunigtem  Alter,"     Von  den  Reizen   einer  Grana- 
derin.  noch  mehr  aber  einer  Sevillanerin  spricht  auch  Schirnger- 
ffld  mit  viel  Knlliu,«iasm«s.    Und  der  Italiener  de  Amicis  sagt.  .Ich  glaubefl 
in  keinem  Lande  giebt  es  eine  Frau,  welche  passender    als  die  Andalusierinl 
erscheint,  um  die  Männer  auf  den  Gedanken   einer  EntfOhrung  zu  bringen. 
Und   dies  nicht  allein,   weil  sie   die  Leidenschalt,   den  Ursprung   aller  Thor- 
hciten,  erweckt,  sondern  auch,  weil  sie  aussieht,  als  sei  sie  zum  Fangen  ondj 
Verstecken  gemacht;   sie  ist  so  klein,    leicht,    rundlich,    elastisch,   biogsanu 
Ihre  beiden  Füeschen  könnte  Jeder  in  die  Tasche  seines  Ueberrockes  stecken 
und  nie  selbst,   mit  einer  Hand   um  die  Taille   «pfefasst,   wie  eine  Puppe  auf- 
heben.    Es  würde  genügen,   den  Finger  auf  ihren  Kopf  zu  drücken,   um  sie 
wie  ein  Rohr  zu  knicken.    Mit  ihrer  natürlichen  Schönheit  verbindet  sie  die 
Kunst  zu  gehen  und  Blicke  zu   werfen,  die  einen   unschuldigen  Beobachtet, 
verrückt    macheu    könnten."      Aehnlich    lautet    das    Urtheil   von    Obersteit 
fiber  die  vielberühmten  Reize  der  Andalusie rinnen:    ,Die  Verhältnisszahll 
der  schönen  Frauen  und  Mädchen  ist  vielleicht  in  Sevilla  nicht  viel  gtnstif 
als  in  anderen,  von  der  Natur  nicht  gerade  stiefmütterlich  bedachten  Stftdten] 
aber   daas  es  hier  einzelne   so  hervorragende  Schönheiten  giebt,   wie  sie  ii 
dieser   Weise    anderswo    kaum    zu    finden    sein    dürften,    unterliegt   keioe 
Zweifel.     Insonderheit  die  Augen   —  und  das  gilt  ziemlich  allgemein  —  sind 
hier  von  einer  Gluth  und  einer  Tiefe,  doss  sie  durch  diese  Eigenschaft  alleii 
die   Andalusierin   verrathen.     Ihren    Teint   wissen    die   Damen    in    ut»?rk« 
würdiger  Weise   zu   erhalten,  trotzdem   man  ausser  dem  Fächer   weder   Hu| 
noch  Sonnenschirm  als  Schutzmittel  gegen   die    brennende  Sonne  bei  ihnei 
sieht,  ja  es  ist  anzunehmen,   dass  diese  blendende  Weisse  der  Haut  oft  aal 
RecSnung   künstlicher  Mittel    zu    setzen  sei.      ZSiilt   man    nun    zu    alleden 
noch  die  so  kleidbame  Tracht  der  Mantilla,   die   grellfarbig»'  BUmi«'   lo 
sehr  üppigen  dunkeln  Haar,  die  auffallende  Kleinheit  derU'"'^"  "•"'  ^t 
die  lebendige  Grazie  des  Gungcw  und  das  ausdrucksvolle 

fehlenden  f^cher,   so   ist  es   kein  Wurr^"'     '"       *■•■ 

Schönheit  der  Andal  usierinnen  gar 
setzt  dieser  Autor  in  patrioti    ' 
unsere  deutscheu  Mridcheii 


BehOnhdt  nnter 


93 


Die   Portngieain   imterHcheidet    sich  wesentlicb   von  der  Spanierin. 

i«t  weniger  mobil  und  lebensfreudig,   weniger  aufgeweckt  und  von  Lust 

Bseeli,   ganz   und   gur  im  ötfentlichen  Leben   aufzugehen.     Sie  ist  weniger 

nlich,  altt  die  Spanierin:  sie  verbleibt  gern  iiu  Hause  und  sohaut,  gelang- 

»ili  aus  den  Fenstern   auf  die  StrasKi?   hinab.     Einen  (legens^atz   %u  die^eui 

rauenleben  «elbi^t  in  den  grßs&ten  Provin/ialäLädien  Lu^itaniens  bildet  die 

schoinung  (h:i  Re»idpn7.bt'wohnerin,  die  .^itolr-e  Schöne  den  .«tolzen  Liäflabon. 

ledenfalia  sind  die  Frauen  Lissiibons  die  schönsten  des  t.andes  zwischen 

liuho  und    Algarvc.     Der  Schinuner  des  Vergehens   and  Verblühens,   der 

streift,    giebt  ihnen  einen  Reiz,    der  viel  Aebnlichkeit  mit  dem  hat,  den 

Pd  verblassendes  Kunstwerk,  ein  durch  die  Jahrt»u.sende  verwitterter  Pracht- 

imurk  einflösst."     {Sdurritja'- Lerchen feld.J 

Die  Merkmale  der  Schönheit  sind  auch  in  Griechenland  nicht  gleich- 

verthcilL     ,Der  Anblick   einer  schönen  Frau,"    sagt  Ailolf  liötticbtr, 

%u    Inneren   Griechenlands   efcwiiä  so  au.saerordentlich  Seltenes,   daas 

jedesmal   iibernischcnd   wirkt.     Die  Frau  wird  sehr  früh    reif  und  ist  oft 

»o  dreizehn  bia  \'ierzehn  Jahren  bereit»  Mntter.     Sie  ndhrt  ihr  Kind  bis  in 

fünfte  und  aechgte  Jahr;  daher  oft  mehrere  gleichzeitig.    Aber  die  Fi-uu 

dabei  schnell,  und  die  harte  Arbeit  auf  dem  Felde  und  am  Webstuhle 

abt  ihren  Zügen  etwas  Herbes,    ihre  Formen  werden  grob  und  eckig,    der 

jg  ächlejipend,  was  gegen  die  elastische,   königliche  Haltung  der  Männer 

ich  der  niedrigwlen  Klasse  auttallend  absticht.    Wer  die  Frauen  G riech en- 

knda  nur  nach  dem  Aufenthalte  in  Athen  beurtheilen  wollte,   wilnle  s^ehr 

gehen.     Dort  freilich,   nm  Sti-ande  des  Phaleron,    lustwandelt   um  die 

ilere   Abeiid7.eit   na<'h    dem   erfrischenden    Wellenbad    eine    reiche   Scbaar 

lOner   Fraucngestalten.     Hört  man  hier  die  Nauien  Penelojje,    Helena,   A»- 

rufen,    »o   wird   mau   niciit   enttüuscht.    wenn   man   nach   dem    Antlitz. 

Trftf^ennnen   solcher  Namen   forscht.     Gleichen  nie  mit   dem  dunkel  um- 

khtnt«>u.    feinen  Oval  des  Gesichts,    der  leicht  gebogenen  Niuse,    den  vollen 

und  grossen,  glänzenden  Augen  auch  nicht  dem  utti.schen  ßildhuner- 

tderklassJBchen  Zeit,  so  dfirften  sie  sich  doch  italienischen  Schönheiten 

nu  die  Seite  ntelleu  und   haben  vor  diesen  den  Vorzug  der  Haltung 

die  Wohlgeformtheit  des  Fuaoes  voraus,  eines  Fussea,  den  —  ich  weis» 

L'ebenit«tÄung  —   die  Franxosen    un    pied   bien  cami»r^  nennen.     Aber 

^iwn  Daineu  gehören  der  einem  behaglichen  Nichtutliun  lebenden  Geld-  und 

»bart^anätokratie   an,    oder    der  hier    nur  splrlich   vertretenen   Klasse   der 

ilien  auf  dem  Felde,  ih(y  nicht  s&en,   noch   ernten,   und   die  der  Vater   im 

limrael  doch  kleidet  und  nährt,  meist  von  den  Inseln  oder  aus  KleinaHion 

lingewanderten   Schönheiten,    die   in  der   Hauptstadt   ihr   Glück   zu   machon 

it«!n  nnd  ein  klägliches  Knde  in  den  Matrosenkntüpen  am  Peiraieu» 

tu,   auf  denen    in   weithin   sichtbaren   Lettern   die  Inschrift     ^Sifitoil-a 

tfhrixUtes'  pranfft." 

Von  d»'U  Knmen  der  Neugriecben  sagte  schon  ßar(tu)Mij:  «Sie  haben 

ilich    nchöne,    aber  früh    welkende   Busen    und    werden    früh    beleibt  j 

taltt  Beiz«  biett-t  die  Grazie   und  edle  Bewegung  des  Halses   in'bst   der 

Jtuflg.    Die  Frauen  in  Athen  stehen  seit  alter  Zeit  hinter  allen  anderen 

•""    t  hinter  den  dortigen  Albaneserinnen  zurück.*  —  Von  den 

••«undesten  Gegenden  wohnenden  Griechinnen  äusaerte 

"»"■n   schöne  Statur   und  Haltung;   offene  Physiognomie,  sehr 

>:  U9  tragen   den    Kopf  hoch,   den  Körper  gerade   und  mehr 

ri.i/  t.   sie    haben  noble,  dabei  leichte   Haltung  und 

I.  im  Allg'^nieinen    »une  t.aille  noble  et  aiafee,  «n 


M 


jiort  miijesteux',  »ehr  schöne  Züjfe  voll  Würde,  aber  ohne  kalten  Km«t, 
vielmehr  mit  l(*bhaftem  und  geistvollem  Aufdruck.  Sonnini  fand  in  Kreta, 
wo  freilich  die  Christen  von  ihren  tiirkisirten  Ltuidsleuteu  unterdrückt  werden, 
die  Weiber  —  wenn  auch  mit  Ausnahmen  —  weniger  schön,  als  andercwo 
die  Griechinnen;  dagegen  rühmte  tSonnini  im  Allgemeinen  die  >SchOnbint 
<ler  Frauen  im  Archipelagus:  auf  Tino^  u.  s.  w.,  auch  St.  Saurrur  nennt  die 
Frauen  auf  Leukadia  nieisl  schön. 

Die  Spurt  line rinnen  fand  PotupieviUe  blauängig,  hager,  doch  ->chön 
und  edel  gebaut,  die  Messenierinnen  klein,  mit  regelmässigen  tJesichts- 
xvgeu,  groHHen,  blauen  Augen,  langem,  schwarzum  Haar.  In  Ohio«  fand  dt 
Armicts  ,, robuste"  Frauen.     CDiefenbach^J 

Die  albanesiachen  Frauen  verfügen  selten  über  äunnere  Vorcfige. 
In  den  Gebirgsdiätricten  «ind  sie  grobkuochig  gebaut  und  die  Gesichtrr 
weisen  harte,  männliche  Züge  auf.  In  Süd- Albanien  gelangt  dergriechi>>chi> 
Typus  hin  und  wieder  zum  Durchbrach,  doch  sind  auch  hier  die  Frau*-!» 
fast  durchweg  unschön.     (Schii-eiger-Lrrdienfeld.) 

Die  Albaneaerinnen,  sogenannte  Olementiuerinnen .  weldie  in 
«inen  Theil  Sirmiens  (im  kroatischen  Crrenzlande)  eingewandert  «ind, 
haben  meist  schön  geschnittene  Gesichtszüge  und  mandelförmig  geschlitxte, 
dunkle  Augen,  «ind  «chlank  und  geschmeidig,  ihr  Gang  ist  »chön.  CKram- 
berger.) 

Die  Multeserinnen  sind  keine  Italienerinnen  und  erinnern  anili 
nicht  äehr  stark  an  die  Griechinnen-,  isie  haben  etwas  udel  urabioche« 
mit  ihren  ovalen  Gesichtern,  der  nach  unten  zu  herabgebogenen,  acharfge- 
achnitteuen  Nase  und  ihren  gluthvolltn,  aber  verschleierten  .\ugen.  Von 
Gestalt  sind  sie  gross  und  schlank,  ihre  (Jesichtsfarbe  ist  dunkel. 

Die  Rumäninnen  aller  Stände  findet  Fianzos  hübsch,  von  flppi(j 
ütolzeni,  doch  schlankem  und  »chmirgljareni  Wüchse;  Farbe  braun;  Aiigea 
und  Haar  uclnvarz.  Nach  Kiiniti  haben  die  Kumäninuen  in  8erbi«i 
weichere  und  rundere  Formen,  als  die  Serbinnen,  schlanken,  elaktixchen  Bau 
8chöne,  unmutbige  (te^^ta^lt  und  Bewegung;  Augen  feurig,  ineiat  dimkelj 
Wimpern  lang.  Brauen  dicht,  Beine  rund,  Füsüe  schmal  und  klein  i  Kopl 
Gedieht,  Nabe,  Mund  mahnen  an  antike  Statuen. 

Die  Bulgarinnen  bind  nach  Kanitz  nicht  selten  ächön,  haben  tief4J 
Farbe,  frische»  Aussehen,  doch  welken  sie  früh,  (^uin  sah  schöne  Bulga- 
rinnen mit  dunkeln  Augen  und  Haaren. 

£ine  recht  günstige  Meinung  erhalten  wir  von  den  Serbin  neu  darcl 
die    Mittheilung    Fvatn    iStJ^rcr'«,    welcher   schreibt:      .J^OM    in   Serbien^ 
einem   von   Natur  »o   sehr   bevorzugten  Lande,    auch   «chöne  Frauen   zu  g«»q 
dcihen   vermögen,    wird   wohl   kaum   Jemand   bezweifeln.     Besonders   in 
Städten  Serbiens  begegnet  man  oft  i^ehr  edlen  Frauenge»talten;  man  «ieb^ 
darunter  Gesichter  vom   feinntcn   Schnitt   und   oft  wahrhaft   fll)«?rr.tiich«>ndj 
Schönheit.    Ein  lebhafte»  dunkles  Auge  nnd  ein  eben  solches  Hnar,  ein  «uf 
fallend  blasser  und  dabei  doch  etwaig  südlich  schimmernder  Teint,   nanfl  an 
gehaucht  von  dem  annnithigen  Roth  der  Wangen,  geben  solch  eiii< m  Cr-nicht^ 
etwas  ungemein  Vornehmes;  denkt  man  sich  noch  dazu  die  ta' 
solch  einer  Schönheit  ringsumfloi<sen  von  dem  nich  an  die  edKi:  . 
Körpers  in  geschmeidigen  Linien  höchHt  vortheilhaft  anscbliesfeendva  NaUanal 
costQm,  und  mau  hat  ein  prächtiges  Bild." 

Denjenigen    Serbinnen,    welch»  an  .tnnten 

grenze  wohnen,  und  wcl'  '       '     '^    ' 

Banate  wohnenden  Sei 


14.  DJ?  Vertheünng  der  weibl.  BchOnbeit  unter  den  Völkern.        95 


tiajactich  eine  eingehende  Betracbtiing.    Sie  haben   einen  stärkeren  Kürper- 
bau,  ToUei^n   Bueen,   starke   Hinterbacken  und  Wuden,   eine   entwickeltere 
[uakulatur.  sie  isind  auch  etwas  breitschultrijaper  mit  Ausnahme   einiger  (■»> 
;n  der  Bacska  und  des  Eikindaer  Distriotü.    Ferner  haben  sie  einen 
keren   Haarwuchs,    viel  stärkere   und   dichtere  Augenbrauen   als  die   Be- 
vjtfcerung  dieser  unabsehbaren    Ebenen.     Im   Allgemeinen    bat  die   Physio- 
gnomie der  Serbin  eine  .\ehnlichkeit  mit  dem  griechischen  Typus,  indem 
»ich  die  griechische  Bevölkerung  der  Balkan-Halbinsel  mit  den  Südslaven 
liüchte.     Rajacsich  setzt  hinzu:    „Wenn  auch    die    Serbin  an   der  üreuKt- 
von  Croatien  und  Slavonien  dunklere  und  geheimnissvollere  Augen  hat, 
^ibr  Blick    der  Liebe  unzugänglich  scheint,  so    liegt  in  dem  sanfteren  Äuge 
ler  verführerischen  Banaterin  eine  bezaubernde  Schönheit  und  eine  grosse 
*oej>ie,   die  eine  magische  Kratl  auf  jeden  Mann    ausüben    uiuss.     Obwohl 
|ch   längere   Zeit  unter    dem    schünen    italienischen   Volke  lebte   und  so 
Dches  reizende  und  verführerische  Auge  sah,   konnte   ich   mich  nicht  der 
testen  Gefühle  erwehren,  wenn  ich   den  eleganten,  «chlanken  Wuchs   der 
eben,    besonders    aber  jener  im   Tschaikisten- Bataillon,    ihre    schön 
iten    Nasen,    ihren    lieblichen,    kleinen,    wonnelä<helnden    und    Haussen 
röiid  und  bezaubernde  Schönheiten  in  so  grosser  Menge  sah." 

Die  Weiber  in  Montenegro,  obwohl  in  der  ersten  Jugendblüthe  recht 
inmulhig,  erscheinen  doch,  wie  ßernhurd  Schicaiz  versichert,  sehr  bnld  schon 
rtrrfallt-'u,  bartkuochig,  eckig  und  runzelig,  sind  auch  im  Allgeuicinen  von  viel 
tleinerer  Figur,  als  die  Männer.  Es  hängt  dies,  wie  Schwan  sagt,  zum  nicht 
{eringen  Thcile   mit  dem   ihnen   beschiedenen   Leben   zusumuien.     Die   Fruu 
rertritt  hier  das  Lasttbier;  miin  sieht  sie  oft   tief  gebückt  mit  Lasten  von 
ineiu  Centner  und  mehr  einherwandeln,    und   während  der   Eückeu    so   l>e- 
1a£t«t  ist,  handhaben   die   schwieligen   Hände   auch  noch  den  Strickstrumjif. 
Während   bei   den   SUdslaven   zumeist  der   Typus    der    äusseren   Kr- 
cheinung   des    Mannes    schöner    ist,    als    der    des    Weiber,    bilden   nur   die 
Kroaten    eine    Ausnahme;    bei    letzteren    ist   das    Weib    i>chOuer,    als    der 
[in.     Ein  genauer  Kenner  dieser  Volker  sagt:    „Steigert  sich  die    äussere 
Erscheinung  des  Weibes  namentlich  in  Slavonien  zur  reizvollen  Schönheit, 
ist  dob  Fruuenguschlecht   in   der  steinigen    Cernagora    (in   den    Felsen- 
Gebirgen  Montenegros)  hager,  reizlos,  von  düsterem  Wesen,  ohne   Heiter- 
keit, ein   trauriger  Ausdruck   seines  ganzen   unglücklichen   Daseins."     fAtts- 
ind  1888.) 

Von  den  Türkinnen,  insbesondere  den  Frauen  der  Osmanen, 
reiche  woniger  als  die  in  Konstantinopel  meist  eingeführten  Frauen 
lurch  MiNchung  entartet  sind  und  auf  dem  Laude  in  der  europäischen 
uad  vorderasiatischen  Türkei  wohnen,  heisst  es,  dass  sie  im  Allge- 
jineinen  unschön  «>ind  mit  Ausnahme  des  Haares  und  der  gewöhnlich  dunklen, 
e\\^u  blauen  Augen;  sie  haben  gerade,  ziemlich  gi-osse  Nase,  Ubergrosseu 
lund  / DiiLutkalitt  18T7>.  Nach  anderer  Angabe  sind  sie  nie  schön,  vielmehr 
iit  Züge  unregelmätsig ;  der  Kopf  nicht  edel-oval;  gewöhnlich  die  Augeu- 
kterue  gross  und  dunkel  mit  bläulich-weisser  Umrandung,  die  Lider  schwer. 
Sie  Brauen  und  Wimpern  voll  und  dicht;  das  Uaar  schwarz  oder  braun, 
''  Nuse  und  Mund  meist  gross,  die  FUsse  selten  schön;  dagegen 

tt*  lieblich,  dir  Stirn  inauohuial  von  freiem  Umriss.    De  Amicit 
*'iidt.il    diu    Türkinnen    iu    Koustantinopel ,    abgesehen     von  den  be- 
iden   Abweiclüiiiv'i'u    durch    Blutmischung,    durchschnittlich    meist   fett, 
s'.hr    weinB.    aber  gewöhnlich   geschminkt;    Augen 
tnd    «anfV;    orale    Uesicbtefurm .     kleine    Nrifte,    ein 


III.  Die  ästbetiseB^Tälf^mng  dea  Weibee. 


wenig  starke   Lippen,    randes   Kiuu,   der  schöne  Hai«  lang  und  bewe^Hch; 
Hände  klein. 

Was  nun  aber  die  Magyaren  betrifft,  welche  viele  xn  den  FiBB*li,| 
Vaaiberif  über  zu  den  Turko-Tataren  rechnen,  so  ist  es  bekannt,  daM  «ie 
im  Jahre  1882  eine  Concurrenz  und  Preisbewerbung  für  die  «chJinBten  FnuMO 
ihres  Landes  ausächrieben,  und  dass  das  Resultat  itir  die  tuagyarisehe 
Nation  insofeni  zieuilicb  klJLgüch  ausfiel,  als  sich  an  den  Photugraphien  der  1 
Preisgekrönten  für  das  geübte  Auge  des  Ethnologen  »ofort  die  Tbatauche 
herausatelite,  dass  hier  nicht  von  einem  schönen  magyarischen  Typue,  son- 
dern lediglich  von  Repräsentantinnen  der  verschiedenen  Nationülititten  die 
Rede  sein  kann,  welche  in  merkwürdiger  Mischung  die  Bevölkerung  des 
Königi'eichs  Ungarn  zasamtnenRetzen.  Die  magyarischen  Müdchen  und 
Frauen  nennt  ein  vielleicht  allzu  sehr  schwärmender  Mann  „Erscheinungen 
von  pikantem  Reize,  Musterbilder  von  körperlicher  und  seelischer  Gesundheit' 
Die  Polin  zählt  man  gewöhnlich  unter  die  europäischen  SchÖnheita- 
Ideale.  Ein  Mann,  der  in  solchen  Angelegenheiten  wohl  eine  gewisse  .Auto- 
ritüt  beaniiprucht  und  wenigstens  möglichst  zuverlSasigen  Autoritäten  folgt, 
Sdureiffer-Lerchenfeid,  vergleicht  die  Polinnen  besonders  su  ihrem  Vortheii 
mit  den  Russinnen:  „Ihre  Erscheinung  besitzt  in  der  That  ctwai«  Blendendes, 
namentlich  durch  den  ruhigen,  fast  klassischen  Schnitt  der  riosichtszfiga 
Sie  ist  viel  graziöser  als  die  Russin,  und  ihre  Eleganz  verräth  jedenfalls  mehr 
Geschmack,  ak  wir  bei  dieser  wahrzunehmen  in  der  L&g^  sind.  Dabei 
ist  sie  durchschnittlich  vitd  zarter  gebaut,  der  Teint  ist  durchsichtiger  und 
feiner,  das  dunkle  Auge  verräth  grosse  Lebhaftigkeit,  ohne  jenen  sinnlichen 
(Schmelz  zu  besitzen,  der  beispielsweise  an  dell  blauen  Augensternen  der 
Nord-Russin  haftet.  Alles  in  Allem  repräseutirt  sich  die  polnische  Dame 
alj  ein  Bild  von  hervorragender  Rassenschönheit,  zu  der  »ich  eine  nat&r- 
liehe  Anmuth  gesellt,  die  man  sonst  nur  bei  romanischen  Frauen  aoiu- 
treffen  pßegt." 

Die  Polinnen  nannte  Boijumil  Goltz  die  „Spanierinnen  des  Nor^ 
dens":  „sie  haben  dunkle,  schön  bewimperte,  schmachtende,  liebetrunkenc, 
feucht  verklärte  Augen,  welche  tie  in  italienische,  arabische  und  alle  ande- 
ren Augen  umzuwandeln  vermögen,  und  mit  denen  sie  eben  so  leicht  Y/tnVio 
Bem'a  Magdalenen  porträtiren  können,  als  rachescbnaabende  Megftren,  ala 
Aspasien,  Heloisen  und  Chlorindeu."  Auch  gehört  nach  Gnltt  xu  ihren 
origin ollston  und  hinreissenden  Schönheiten:  ein  weicher,  schmiegsamer  uod 
biegsamer  Wuch»,  von  jener  mittleren  Grösse  und  Constitution,  welche  die 
Eleganz  dictirt;  ein  Wuchs,  der  durch  keinen  Schnürleib  veratejft  Und  ver- 
stärkt wird,  vielmehr  in  der  Bekleidung  köstlicher  Seiden-Roben  eine  Taille 
von  reizender  Feinheit  bildet,  au  welcher  die  leiseste  Bewegung  eine  leben- 
geschwellte und  gruziöse  werden  musä.  „Denkt  man  !<ich,"  »o  fUhrt  Oolts 
fort,  „zu  diesen  Liebes -Wiktlen  einer  polnischen  ijva  noch  eine  zierliche, 
weisse,  weiche,  selbst  bei  Ilaus^frauen  noch  im  spiUeren  Alter  durch  Hund- 
schuhe und  durch  Nichtsthun  conservirte  Hand,  einen  kleinen,  srhrnulen. 
hochgestfilltön  Fuss.  eine  bervorspringcndo  Hacke,  so  kann  man  -  'i-n, 

wie  die  so  schon  Icbhiiftcn  polnisThcn  Mtlnncr  sich  7n  eirif*r  1;  fit. 

SQ  einer  Lcidfnsohivftlicbkeit  i'i-  ^nj 

anderen   t.nndc  ids  in  Spnniei  Im 

h;''  '  (ji>H:  hier  nur  die  vom«'hmen.  u 

gcL  '    Polinnen    im    Auiro:    vi>n    Ac\t 

T^trvtcrinneo  diecos  Volk««  -i 


14.  Di«9  Vertheüung  der  weibl.  Schönheit  unt«r  den  Vßllcern. 


r 

^f  ,J.ix   Sachen   raisiBcher   FraaeD8cb0i)li(?it,     so     berichtet     Schwtiger- 

Lrr chenfcld,    geben    die    Ansichten    erheblich   auseinander.     Es  kommt  viel 

darauf  an,    ob   man  dieselben  an  dem  Typus    einer  GroHs-Rnssin  oder  an 

dem  einer  Klein-RusBin,  oder  vollends  an  dem    einer  in  das  Raffinement 

der  Toilette   und  Selbstverschönerung    eingeweihten    Dame    der    vornehmen 

ßesellschaft    festhKlt.     Die  Klein-Russin.    dem    Temperament   nach    viel 

^—lebhafter    und    feuriger  als  ihre  nördliche  Schwester,    trägt  auch  äusserlicb 

^HSie  Merkmale  einer  mehr  südlichen  Rasse.   Sie  ist  gross,  schlank,  bat  dunkle 

^Hiisdruckovolle  Augen  und  schwarze  Haare,   welche  kokett   durch  ein  finger- 

^^reites  Band    emporgebatten  werden.     Die  Formen  dea  Körpers  sind  von  so 

^*Uristokrati8cher  Feinheit    und   Zierlichkeit,    daas   man   unwillkOrlich  an  das 

polni  sehe  Blut  erinnctt  wird. ^Die  Gross-Roastn  ist,  obwohl  kleiner  von 

Gestalt,    viel   derbknochiger,     als    ihre    sfldlicbe    Stammverwandte,  und  ihre 

KOrperformeu  besitzen  die  ausgesprochene  Neigung  lu   Qberm&ssigcr  Abrun- 

ung.    Das  Auge  ist  hell  und  besitzt  einen  freundlichen  Ausdruck;  eine  sorg- 

se  Munterkeit  ohne  Schwärmerei  spricht  aus  ihm,   aber  man  vermisst  auch 

ie  varme  Entpfindung  und  vollends  die  schwüle  Leidenschnft,  die  mitunter 

ie  Seele  der  Süd-Russin  durchwühlt.     Neben   den  blauen  Augen  gemahnt 

,nch  Doch  das  lichte,   meist   aschblonde    Haar   an    die  nördlichen  Heimtiitze, 

enen  die  Gross- Russin  angehört.  „Im  Großen  und  Ganzen,"  so  schlieast 

'chictiger-Lrrchfnfeld,     ,, macht    auch    «ie    keinen  unvortheilhaften  Eindruck, 

il!    man   von  dem   etwas   breitknochigen,    nicht    sehr   fein    modellirten  Ge- 

chte  absehen." 

Im   Gouvernement  Kostroma,    ziemlich   im  Norden   des  Zarenreichs, 

an  der  Wolga,  benachbart  Nischnei^Nowgorod  gelegen,  ist  der  Mt-uschen- 

tjpus  echt  ruBBisch,  doch  sind  die  Gesichtszüge  hier  weniger  stumpf  und  bei 

d«n    Frauen  oft  orientalisch   scharf  und   länglich:  die  gebogene   Nase,  der 

ih«,  fein  geschnittene  Mund,  die  dunklen,  melancholischen  Augen  mit  den 

arkcn  Brauen,   die  nicht  hohe,  glatte,  breite  Stirn  und  die  brünette  Haut- 

rbe  weisen  auf  den  Orient  hin. 

,Was  die  Frauen  anbelangt,  so  begegnet  man  namentlich  in  den  zwei 

tzt<>rwäbnten    Fractioncn    der  Krim-Tat uren  (  Gebirgs-Tataren    und 

jttorale  Tataren)  nicht  selten  vollkommenen  Idealen  der  Frauenschönbeit, 

die«  auch  in  der  europäischen  Türkei  der  Fall  itt,  nur  dass  sie  hier 

,e  dort  in  Folge  des  ^Ohen  Heirathens   und    wegen   der  anstrengenden 

rbcit.  der  sie  unterworfen  sind,  recht  früh  altem  und  verwelkten  Matronen 

nlich  sehen."    fVamberifj 

Von    diesem    tatarischen  Volke    wenden    wir    uns    zu    den   Finnen 

uropMB-  Die  Lappen- Frauen  nannte  W/<im«  ^/fi.'/nwj»  hübsch,  ihre  Geeicbte- 

larbe  aus  Weiss  und  Roth  gemischt;  Ueymxrd  lim  17.  .Inhrh.)  «agt:  Ihr  Haar 

i  m«i«t  roih,    wird  selten  grau   im  Alter.     Die   Woibcr  der  Esthen  haben 

eit   lebendigere    und    schönere   Gesicbtaxilge    als   ihre  Mllnner;    auch    nach 

mehr  gelberes  Haar,  als  diese,  nie  schwarze«. 

Unter  den  Schwedinnen  scheinen  die  Dal.-karlieriunen  den  Preis 
er  Schönheit  am  meisten  bu  verdienen.  Iht  ChaiUu,   der  vielgi^reiste  Ameri- 
auor.    sagt    von    ihnen;     „Auch    unter    den    Frauen   trifft   man    »ahlreicbe 
.    Erscheinungen,  und  viele  der  jungcu  Mädchen  besitieeii  jene  eigen- 
:  Onft  schwedische  Gesichtsfurbo.    welche  an  Frische.  Reinheit  nnd 
«Klitigkeit    in    keinem    anderen    Lande    ihresgleichen    findet,    iu  aller- 
ter  Volikommcnhfit.     Einr  in  Milch  schwimmende  Apfelblnthf    —  die« 
der  viii/igo  Vtr>.'lti(  h,  den  ich  für  die  »arte  Kosentarbe  »hrer  WÄngtm  xtt 
ban  vprina^.    iJje  :S.bwed  innen  allein   dürfen  sich  rühmen,  jvnen  wunder^ 
IM«*a,  Dm  Walt»,  t.    3.  Aati 


96 


TU.  IKe  Sstheüscbe  AuiT&sBung  des  Weibee. 


baren  Kosenschitomer  zn  besitzen,  der  wie  ein  inatter  Anhauch  leise  tind  all- 
Tn&hlicb  in  clac  entzückende  Weiss  der  Haut  übergeht  und  ihnen  einen  so 
eigenartig  wirkenden  Reiz  verleiht.  Vereinigen  sich  nun  —  wie  bei  den 
Mädchen  von  Orsa,  einer  Pfarrei  in  Dalekarlien  —  mit  so  tadelloBem 
Teint  tiefblaue  Augen,  kirschrothe  Lippen,  HchSne,  durch  das  Kaaen  des 
K&da  (Fichtenhan;)  blendendweiax  erhaltene  Zühne  und  blonde»,  seidenweiches 
Haar,  so  stellt  sich  uns  ein  Bild  weiblicher  BchQnheit  dar,  wie  man  es  in 
ttolcher  Vollendung  unter  keinem  anderen  Himmelsstriche  antrifft." 

Nicht  überall  in  Schweden  Hndet  man  no  vorzügliche  weibliche  Reize. 
Derselbe  Reisende  traf  in  dem  12 — 15  Meilen  entfernt  von  Orsa  liegenden 
Elfdal  keine  einzige  hübsche  Fran-,  die  vorstehenden  Backenknochen,  wie 
die  platte  aufgestülpte  Nase  lassen  hier  die  halblappische  Abstammung  er- 
kennen, wie  denn  auch  hier  die  meisten  Frauen  kurzen  gedrungenen  Körper- 
bau zeigen. 

Dagegen  üussert  der  gleiche  Autor  über  die  Mädchen  und  Weiber  der 
Provinz  Piekinge:  „Was  der  Ruf  von  der  Schönheit  der  Frauen  sagt,  fand 
ich  im  vollsten  Maiisse  bestätigt;  meine  Ankunft  erfolgte  zur  Zeit  der  flea- 
emte,  und  in  emsiger  Geschäftigkeit  sah  ich  die  herrlichen  Gestalten  sich 
aof  den  Wiesen  umherbewegen;  das  Wetter  war  wai-m,  und  so  tragen  die 
meisten  ausser  dem  Hemde,  welches  eine  Schürze  um  die  Taille  festhielt, 
keine  weitere  Bekleidang;  den  Kopf  hatten  sie  malerisch  mit  einem  rothea 
Tuche  umwunden,  und  obgleich  das  Gesicht  vollkommen  unbeschützt  den 
glühenden  SonnenstrahI«?n  ausgesetzt  war,  so  zeigten  doch  die  meisten  Frauen 
und  Mädchen  jene  blendende  Weisse  und  Zartheit  der  Gesichtsfarbe,  wie 
sie  eben  nur  schwedischen  Schönen  eigen  zu  sein  pflegt." 

Die  typische  Frauenschöne  ist  nach  J{/tnke^  in  Oberbayern  leicht  ge- 
bräunt mit  dunklem,  manchmal  schwarzem  Haar  und  das  braune  Auge 
leuchtet  von  LebeuHkraft  und  Lebensmuth,  welche  sich  ebenso  in  jeder  Be- 
wegung de»  schlanken,  aber  tuuekel kräftigen  Körpers  aussprechen.  Auch 
lichte  blaue  Augen  kennen  hier  einen  mädcheuhaft-schmachlendon  At 
druck  nicht. 

Asiatinnen. 

Jene  nordischen,  der  mongolischen  Ra«ae  angehörenden  Völker,  di« 
Ostjaken,  Samojeden,  Korjaken  und  Karatschadalen,  die  zumeist 
in  Sibirien  wohnen  und  oft  als  „Turanier"  bezeichnet  werden,  gehören 
rii  einer,  mich  unseren  Begriffen  höchst  unschönen  Völkergruppe,  und  int- 
besondere  gelten  bei  den  meisten  Reisenden  ihre  Weiber  fast  durchgängig 
für  hfiaslich.  Man  schrieb  von  diesen  Frauen:  „Aller  weiblichen  .\nmutb  be- 
raubt, unt.er8cheiden  sie  sich  von  den  Männern  bloss  durch  die  Verschieden- 
heit der  GoBchleohtstheile;  sie  sind  denselben  so  sehr  ähnlich,  dass  man  beide 
Geschlechter  auf  den  ersten  Blick  nicht  leicht  unterscheiden  kann,  ihre 
Haut  hat  gemeiniglich  eine  Olivenfarbe;  sie, sind  von  Statur  zumeist  klein." 
Und  doch  durfte  man  eine  junge  Samojedin,  welche  sich  im  Jahre  1882 
in  Leipzig  und  anderen  Städten  dem  Publikum  zeigte,  nichtecen  als  „hiUv 
lieh",  wenn  auch  nicht  als  schön  bezeichnen. 

Die  Männer  der  Txchuktschen  haben,  wie  *\  NordfuJikiiHd  fs^n<\,  «ine 
braune  Haut,    während  die  Haut  bei  den  jungen   TBchnkt*^'  h  en -Weiberu 
nahezu  ebenso  weiss  und  roth,  wie  bei  don  Eurn|irtern  ist.    Die  jün| 
Weiber   machen,    wie   derselbe  Reisende    ■»»•jt,    oft    den    Eindruck    du- 
muthigen,    vorausgesetzt,  dass   mau  es  '  :)es   widfldio 

drucks  zu  erwehren,  den  der  Schmutz  u  i 


14.  Die  VerthelloD^ae^feu 


Die  Weiber  der  Bot.jaken  lanJeD  Gmelin  und  l'alias  klein,  nicht  httbsch; 
auch  die  Mordwinen  haben  nach  Palhts  nur  selten  schOne  Frauen.  Das 
Gesiebt  der  Kalmückinnen  sieht  nicht  unangenehm  aaa.  Dass  et 
auch  anter  ihnen  sogar  ächönbeiten  in  ihrer  Art  giebt,  bezeugt  Kalltnann, 
welcher  unter  einer  in  Bai^el  vorgezeigten  Kalmücken-Horde  die 
Frau  ÄMica,  Mutter  von  drei  Kindern,  als  solche  bezeichnet,  indem  er 
von  ihr  sogt:  „Hijher  gt^wachsen  als  alle  anderen,  schlank  und  doch  kräftig, 
Hilnde  klein,  feine  Knochen;  die  Nase  ist  fein,  leicht  gekrümmt,  der  Kflckea 
beschreibt  eine  schön  geschwungene  Linie,  ächon  dadurch  verliert  das  breite 
Gesicht  »eine  platte  Oede:  Augenspalte  weit  offen,  die  Plica  marginalia  »ehr 
schwach,  so  dass  der  innere  Augenwinkel  frei  ist.  Augenwimpern  lang, 
Lider  dünn  im  Gegensatz  zu  ihren  Genossinnen  und  den  Samo jedenfrauen. 
Die  Gesichtsbildung  erinnert  au  die  mancher  Männer  und  Frauen  aus 
Sädungarn." 

Ueber  die  Takuten,  die  sich  selbst  Socha  oder  Zacha  nennen  und 
ein  in  Nordsibirien  isolirt  wohnendes  türkischex  Volk  sind,  berichtet 
Ermann:  .^bre  oft  schön  gebauten  Frauen  haben  regelmässige  Zage,  feurige 
schwarze  Aagen,  lebhaftes  und  fröhliches  Wesen,  sie  welken  aber  früh." 

„Was  die  Physiognomie  der  Frauen  von  den  westlichen  der  sibiri- 
acben  Türken  [Tataren]  anbelangt,  ao  zeichnet  Rieh  dieselbe  durch 
Regelmilssigkeit,  mitunter  durch  .\nmuth  aus;  ihre  Gesichtsfarbe  ist  be> 
deutend  weisser  als  die  ihrer  Milnner,  nie  haben  ganz  dunkle  und  lange  Haare,  ihre 
Körperforuien  sind  gerundet  und  weich,  die  Endtheile  ziemlich  proportionirt; 
die  .Schultern  sind  bisweilen  rückwärts  geworfen,  der  Bauch  hingegen  nach 
vorwärts  gestreckt.  Sehr  beeinträchtigend  wirkt  auf  die  äussere  Er«cheinung 
der  Tataren  das  bisweilen  allzu  starke  Hervortreten  der  Backenknochen  und 
das  häufige  Auftreten  der  Augensuhmerzen,  denen  sie  infolge  des  Wohnena 
in  raucherfOlltCQ  Räumlichkeiten  ausgesetzt  sind.  Diä  Frauen,  namentlich 
wenn  sie  das  dreissigste  Jahr  über.«chritten  haben,  zeichnen  sich  durch 
grössere  Wohlbeleibtheit  auj^,  als  die  Männer,"  ( Vambenj.) 

Die  Turkmenen -Frauen  beschreibt  Burnts  als  blond  und  oft  hübsch. 
Fraaer  sagt  von  den  Frauen  derGöklen,  die  weniger  tartarisch  aussehen, 
als  «lieTekke's:  „Neben  meist  gelben,  blLsslichen  und  ubgemagerleu  Frauen 
sah  ich  sehr  schöne  jüngere  mit  nussbraunem  und  röthlichem  Teint,  ange- 
nehmen, regelmässigen,  gescheidten  Gesichtern,  durchdringenden  schwarzen 
Augen". 

Während  die  Männer  in  .Afghanistan  als  schön  gelobt  werden,  läset 
sich  dies  von  den  afghanischen  Frauen   keineswegs  behaupten. 

In  Jarkand  sind  die  Frauen  meiät  hübsch  und  haben  frische,  ange- 
nehme Physiognomien;    ihre  Füsse  sind  klein  und  wohlgestaltet. 

Die  persische  Frau,  sagt  Poiak,  ist  von  mittlerer  Statur,  weder  mager 
noch  fett.  .Sie  hat  grosse,  offene,  mandelförmig  geschlitzte,  von  Wollust 
trunkene  Augen  und  feingewölbte,  über  der  Nase  zusam menge wacbsene 
Brauen;  ein  rundes  Gesicht  wird  bochgepriesen  und  von  den  Dichtern  als 
Mondgesicht  bedungen.  Ihre  Extremitäten  «ind  besonders  schön  geformt; 
Bruvt  und  Hüften  sund  breit,  die  Hautfarbe  etwas  brünett;  die  Haare  sind 
dunkelka^tanienbrnun.  der  Uaarboden  sehr  üppig.  Man  trachtet  allerdings 
durch  künstlich«  Mittel  (Schminken,  Schwärzen  der  Brauen  u.  a.  w.)  die 
Körpenichönheit  zu  erhöhen.  In  Haltung  und  Bewegung  ist  die  Perserin 
graziös,  ihr  Gang  int  leicht,  frei  und  flüchtig. 

Den  armeuiftchen  Frauen  schreibt  Crousse  zu:  „une  beautü  puissante, 
«panouie,  vigour^use,  comme  cellis  des  races  fortes",  De  Amicis  sagt:  Schönheit 

7* 


ITI.  Die  S«tBOTi«en^TnffM«nng  de«  Weibe«/ 

uad  Reichthum  der  Formen.  Beleibtheit,  weisse  Farbe,  „orientalisches"  Adler - 
profil.  grosse  Augen  mit  langen  Wimpern,  das  Gesicht  ohne  den  geistigen 
Schimmer  lies  griechischen  Frauengesichta.  Schindler  eagt:  Die  Frauen  der 
wohlhabenden,  unterrichteten  und  krie^smuthigen  Armenier  in  Feridan 
haben  sehr  rothe  Gesichter.  Karsten  fand  bei  ihnen  h&nfig  schöne  Gestalten 
und  regelraä^fsig  ovale  Gesichter,  schwarze  blitzeude  Augen,  reiches  schi^rxes 
Uaar.  Ein  anderer  Autor  giebt  ihnen  Schönheit,  edle  Züge,  schlanken 
Wuchs,  ebenmässige  Glieder,  zarten  Teint,  reiches  Haar. 

Man  hat  oft  gewisse  Gegenden  de»  Kaukasus,  insbesondere  Cir- 
cassien,  Georgien  und  Mingrelien  ab  da»  Eldorado  der  weiblichen 
Schönheit  gepriesen,  namentlich  in  froherer  Zeit :  «ie  lieferten  die  trefflichste 
Harenis-Waare  uach  Konstantinopel.  Man  sagte,  dass  diese  Weiber  mit 
den  regelmüssigsten  Zügen  und  dem  reinsten  Blute  die  auagebildetsten 
Formen  verbinden.  Nach  Ausspruch  den  französischen  Reisenden  Chardm, 
der  im  vorigen  Jahrhundert  jene  Ländor  besuchte,  sind  die  Georgierinnen 
gross,  wohlgebaut  und  ihr  Wuchs  ist  ungemein  frei  und  leicht.  Die  Cir- 
Cassierinnen  sollen  nach  ihm  eben  so  schön  sein;  ihre  Stime  hoch;  ein 
Faden  von  der  feinsten  Schwfirze  zeichnet  anrauthig  ihre  Augenbrauen ;  die 
Augen  sind  gros»,  liebreizend,  voller  Feuer;  die  Nase  schön  geformt;  der 
Mund  lachend  and  rein;  die  Lippen  rosenroth.  und  das  Kinn  so,  wie  e«  sein 
muss,  um  das  Eirund  des  vollkoniiupn3t<<n  Gesichtes  zu  begrenzen.  Dasn 
konuut  die  schönste,  frischeste  Haut,  welche  die  ScIavenhSodler  zu  Kaffa 
ungescheut  Proben  bestehen  Hessen,  um  zu  zeigen .  dass  der  Käufer  nicht 
etwa  durch  aufgelegtes  Colorit  getauscht  werde.  —  Auch  nagt  Chardin  zwar 
nicht  von  allen,  doch  von  vielen  Mingrelierinnen:  ,,Es  giebt  in  Mingrelien 
wunderschöne  Weiber,  von  majestätischem  Ansehen  und  herrlichem  Antltts 
und  Wuchs.  Dabei  haben  sie  einen  Blick,  der  alle,  die  sie  sehen,  um- 
strickt." —  Nach  Pallas  u.  A.  sind  auch  die  Frauen  der  Tscherkessen 
schön,  doch  unter  ihrem  Rufe,  wenn  auch  meist  gut  gebildet,  weiss  von 
Haut,  mit  regelmässigen  ZBgen,  kurzen  Schenkeln. 

Manche  Tscherk essinnen  haben  eine  anfgestOlpte  Nase  and  rotbe 
Haare,  auch  nicht  immer  80  regelmUssigeZQge,  wie  die  Mingrelierinnen.  Um 
eine  schlanke  Taille  hervorzubringen  und  zu  erhalten  und  das  Fett-  und 
Wohlbeleibtwerden,  das  doch  sonst  im  Orient  vielfach  als  Schönheit 
gilt,  zu  verhindern,  beköstigen  die  tscherkessischen  Mütter  die  Mäd- 
chen fast  nur  mit  Milch  und  sie  legen  ihnen  im  fBnften  oder  sechsten  Jahre 
eine  starke  Schnürbrust  an. 

Bodensledt  sagt  von  den  Tscherkessinnen:  „Crnt«r  den  erwachsenen 
Mädchen  fand  ich  nur  vier,  die  wirklich  Schönheiten  in  unserem  Sinne  das 
Wortes  waren.  Die  übrigen  zeichneten  sich  mehr  durch  schlanken  Wuchs 
und  durch  die  Kleinheit  ihrer  Ohren.  Hände  und  Füsse  aus.  Schwarzes  Uaor 
und  dunkle  Augen  kommen  bei  ihnen  nicht  häufiger  vor  als  bei  uns,  von 
den  Anwesenden  hatten  die  mei'^ten  blondes  oder  helles  Haar  und  blaue 
oder  hellbraune  Augen." 

Die  Hindu -Frau  ist  nach  Pnul  Mnntegazza^  schien  und  hat  eine  sftrt- 
liche.  leideuBc-haftliche  Natur.  Sie  bat  fast  immer  einige  Schönheiten,  naobt- 
acbwance  Augen,  glühend  wif  die  tropische  Zone,  gross,  von  hmgeu  Wimpern 
umschlossen  und  von  dicht'-n  AiiL'«»n1.r.i!i.>ii  rihi-r«ili!\tt.  t  s,  l,..)i.>ru, 
Arme  und  Busen  sind  einer  gi  ;  tie 

vom  Druck  tyrannischer  •"^^"•»v  .,»„ 

Ruhen  visrschöncrt  »ii'  •«. 


14.  Die  Vertheilung  der  wdW.  Schönheit  unter  den  Völkern. 


die  xa  »duslchtigen  (jliedin»ac»en  und  die  durch  den  taglichen  Gebrauch  von 
piiD-Supiuri  geachwSinsten  iC&bne. 

Die   freie  Verguttung,   wie   sie   namentlich  in    Indien    unter  der 

ay er- Rasse  herrscht,    acheint  nach  den   £ri'olgen    der  seit  Jahrhunderten 

Wirkenden  Zuchtwahl  auf  die  Raase  nicht  ungüii^^tig  xu  wirken.    Die  JSIänner 

Mind,  wie  Jmjor^  hervorhebt,  grase,  schön,  von  kriegeriachem  Auaeehen,  leicht- 

»jViig  und  muthig.    In  ihrem  Wetteifer  um  die  Gunst  der  Frauen  verwenden 

sie    grosse    Sorgfalt    auf   ihr  Aeusserea.     Die  Frauen    werden   als   ungeuieiu 

ftierlich,   zart,   reinlich,   elegant,   uninuthig  und  verführerisch  geschildert  und 

ollen  trotz  des  helNfien  Klimas  von  auifallend  weisser  Hautfarbe  sein.    Jitgor 

etat  dabei   darauf  hin,    daes  auch   in  Sparta  die  dort  bestehende  Zucht- 

ahl,    welche    die    HrhöDtit«u   Faare    zutiatouienführte,    einen  Menschenachlag 

iriielte,  der  an  männlicher  Kraft   und  Tapferkeit  wie  an  weiblicher  SchOn- 

eit  alle  anderen  Ghecheustämnje  übertraf. 

Unter  den  Weibern  der  Igorroteu  auf  den  Philippinen  giebt  eb, 
iWi8  Höh«  Meyer  fand,  einige  von  so  feinen  ücBichtazQgen  und  ao  weisser 
Haut,  wie  jedwede  hübsche  Europäerin. 

Unter  den    Malaiinnen    fand  Fitmch  hübsch    gebaut«   Getitalten  mit 
ut.  geformter  BüBte. 

Die    uiulayii^chen    Frauen   auf  der  Halbinsel   Malakka    und  einem 
heile  von  Sumatra  «ind  mehr  derb,  al»  zieilichi  gebaut-,  ihre  olivenfarbige, 
d    mehr    als    kupfer-brüunlich    bezeichnet«  Haut   lässt    ein  Erröthen    der 
eo  kaum  bemerken;    noch   mehr  als   bei  den  Männern   ^ind  bei  ihnen 
e,  Gaumen  und  Mundschleimhaut  »turk  violett  gefärbt. 
Die  reinen  Malayinnen  ttuf  Java  »ind  nicht   selten  von  tadellosem 
ochs«,  aber  »ehr  selten  von  einigermaassen   hübscheu  Uesichtnzüg&n.     Da- 
gegen  sind  daselbfit  die  Halfcasts,    die  „Nonna-Nounas",    fast  durchweg 
^«affallend  hübsch;  sie  haben  nicht,  wie  die  Malayinnen  zumeist,  die  allzu 
«uk  aufgestülpte  Nase,   die  allzu  grosse  Breite  des  lB^■helndeu  Mundes  und 
as  Uerau«fordernde  der  zu  schuiul  geschlitzten  Augen. 

Die  Bewohner  der  Aru-luseln  sind  nicht  von  reiner  Rassejsie  haben 

icht    mehr   Aehnlichkeit    mit   dem  Papua,    als    mit  dem  Malayen;  aush 

acbeti  Nie  einen  europäLichen  Eindruck,  vielleicht — wie  Wallace  meint  — 

durch  Vermischung  mit  Portugiesen.    „Hier  wie  unter  den  meisten  Wilden, 

I unter  denen  ich  gelebt  habe,  war  ich  entzückt  über  die  Schönheit  der 
menschlichen  Formen  I  '■  »o  ruft  dieser  gute  Beobachter  aus  in  Betrachtung 
der  Grazie  des  nackten  Arunesen;  seine  Wort«  beziehen  sich  nur  auf  die 
milnnliche  Schönheit;  denn  er  »etzt  hiuzu:  „Die  Frauen  aber,  ausgenommen 
in  fitihest«'r  Jugend,  sind  keineswegs  so  uniunthig,  wie  die  Mäjiner.  Ihre 
•charf  ruarkirten  Züge  sind  ^ichr  unweiblich  und  harte  Arbeit.  Entbelirungen 
Und  sehr  frühe  Ueirath  zerstören  da?,  was  sie  an  Schönheit  und  kräftigerem 
aussehen  für  eine  kurze  Zeit  vielleicht  besessen  haben." 
Die  tibetanischen  Frauen  sind  klein,  schmutzig  und  gewöhnlich 
unaL'fa{>n.  zuweilen  begegnet  man  jedoch  auch  erträglichen  GeHicht^rn;  die 
Hautfarb«  ist  heller  als  bei  den  M&nnern ,  und  die  Zähne  stehen  regel- 
uill«Nig<M.    (PrzeieaUkij 

Die  Japanerin  macht  in  ihrer  äusseren  Erscheinung  entschieden  einen 
Ktiiistigcren  Eindruck  als  die  stammverwandte  Chinesin.  Namentlich  ist 
die  Japanerin  der  bes^erea  Stände  sehr  ansprechend;  die  Anmuth  scheint 
ihr  aiigcborpH  zu  «ein;    ihr   otFcnr!»   kindliches  Gesicht    ist   ein  Spiegel  ihres 

r  «tehenden  .\ugen  sind   glänzend  schwort 
; mischen  Ausdruck.    Die  Zahn«  »ind  tadellos 


102 


tu.  Die  Satbetiflche  Auffasming  des  Weibes. 


weiss,  duroh  Zwibcbenräume  getrennt  und  ein  wenig  vorstellend:  daa  Ha&r 
ist  zumeist  reich.  Dieses  Alles  bezieht  sich  insbesondere  auf  das  Mädchen; 
die  Frau  färbt  sich  nach  landesQblicher  Art  die  Zähne  schwarz  und  reitst 
sich  die  Augenbrauen  aus;  allein  auch  an  den  Frauen  wird  vor  allem  ihr 
ausserordentlich  freundliches  und  seelentroUeü  Auge  gerUhmt. 

Die  Frauen  der  Chinesen  sind  klein  und  zierlich-,  so  benennen  sie 
fast  alle  Beobachter,  z.  B.  die  Anthropologen  der  ,,Not'ara"-'Rei»t.  Doch 
sagen  andere  Berichterstatter:  Ihr  Wuchs  ist  von  mittlerer  Grösse  und  fein, 
ihre  Nase  kurz,  ihre  Augen  schwarz  und  feurig,  ihr  Mond  klein,  ihre 
Lippen  glänzend  roth,  ihre  Brust  stark,  ihre  Hautfarbe  weiss.  Wieder  An- 
dere urtheilen:  „Die  Chinesinnen  füllen  keineswegs  das  Schönheitsalbam 
der  Erde.  Sie  nind  klein  und  unansehnlich  von  Gestalt;  das  Gesicht,  bei 
strenger  Clausur  meist  mit  einer  krankhaften  BiEsse  bedeckt,  hat  gewöhnlich 
einen  Stich  io'a  Gelbe  und  ist  in  seiner  Begrenzung  nahezu  kreisrund;  das 
charakteristische  Merkmal  der  mongolischen  Rasse,  die  schiefgeachlitzten 
Augen,  sollen  zwar  manchem  Gesicht  einen  pikanten  Anstrich  verleihen,  doch 
wird  man  gut  thun,  anzunehmen,  dass  gerade  die  Schlitzäugigkeit  den  Ge- 
aichtsauädruck  erheblich  eatstollt.  Dabei  kommen  noch  die  vorsieheoden 
Backenknochen,  die  kurze,  platte  Nase,  die  fleischigen  Lippen  und  dM 
schlichte,  grobe  Haar  in  6*^tracht." 


Ocea 


nierinnen. 


Von  den  PolynesJerinnen,  deren  Männer  nicht  selten  stattliche  Ge- 
stalten von  klassischer  Schönheit  zeigen,  sagt  Finsch:  „Die  Fraiieu  sind  im 
Ganzen  kleiner,  aber  in  der  Jugend  ebentallx  «ehr  hübHche  Erscheinungen, 
mit  wohlgeformter  Büste,  die  leicht  zur  Fülle  hinneigt.  Alte  Weiber  sind  hJUs- 
lioh  bis  abschreckend  hässUch." 

Während  manche  Beobachter  den  Typus  der  Eanakinnen  auf  Hawai 
als  hübsch  bezeichnen,  und  die  Formen  im  jugendlichen  Alter  bi«  sum 
30.  Jahre  wohlgestaltet  fanden,  stimmen  alle  Berichterstatter  darin  äberetn, 
dass  sie  schnell  altem.  Die  Häuptlingsfrauen  zeichnen  sich,  wie  ihre  Männer, 
durch  athletischen  Bau,  aowie  durch  Fettleibigkeit  aus,  was  indess  nach 
den  landläufigen  Begriffen  von  Schönheit  den  physischen  Reiz  nur  erhöht. 
(Bechiinger.) 

Auf  Tahiti  giebt  ea  einen  Adel,  dessen  M&nner  meist  an  6  Fuss  und 
darüber  gross,  und  die  Weiber  nicht  viel  kleiner  sind.  Auch  bemerkt  man 
bei  den  Weibern  Neigung  zur  Körperfülle,  doch  fand  man  hier  nicht  die 
ungeheuren  Fleischmasaen  wie  zu  Hawai.  Da  die  Tahitierinnen  reicb- 
liehe  Kleider  tragen,  auch  viel  im  Schatten  leben,  <«o  sind  sie  oft  von  so 
heller  Farbe,  da&s  sie  rothe  Backen  haben,  und  ein  ErrSthen  sichtbar  wird. 
Forster  ist  entzückt  von  ihren  grossen  heiteren  Strahlenaugen  und  ihrem 
unbeschreiblich  holden  Lächeln;  allein  er  selbst  sagt,  dass  die  Weiber  keine 
regelmässigen  Schönheiten  wären,  dass  ihr  Hauptreiz  vielmehr  in  ihrer  Freund- 
lichkeit bestehe. 

Die  Weiber  der  Markesas -Inseln  sind  nach  Porirr  weniger  schön, 
als  die  Männer;  bei  souHt  schönen  Gliedern  haben  sie  häusliche  FQsse  und 
einen  hilsslichen  schwankenden  Gang;  nach  Krusenstem  i*t  ihr  Wuchs  klein, 
ihr  Unterleib  dick,  allein  das  Geuicht  ächön,  rundlich,  mit  grossen  funkelnden 
Augen,  schönen  Zähnen  und  blühender  Farbe.  Daher  hält  e»  Gerland  fttr 
eine  übertriebene,  oder  nur  für  einzelne  Bezirke  gültige  Behauptung,  wenn  | 
Jac^nnot  die  Markesanerinnen  für  h&sslioher  als  alle  übrigen  Poly&e- 
sitsrinnen  erklärt.    Schon  dem  Mendana  fiel  ihre  Schönheit  auf:  tr  rühmt  i 


14.  Die  Ver 


TS  weibL  Schönheit  oni» 


I 


I 


I 


ihre  Arme   und  Häude.    ihren  Wuchii    und  sagt,   sie    seien    schOner,    ah   ditr 
schönsten  Weiber  in  Lima. 

Von  den  Melanesiern  anf  der  Insel  Tanna  (Hebriden)  heiast  e», 
das«  ihre  Weilver  klein  und  später  tnuist  h&gslich  sind  (Forster).  Auf 
Vate,  einer  anderen  hebridischen  Insel,  sind  die  Weiber  schlank  und 
zierlich  CErakintJ;  auf  MallikoUo  sind  sie  dagegen  bässlich  und  schlecht 
gewjkchsen,  was  bei  der  uiasaenhaiten  Arbeit,  welche  auf  ihnen  liegt,  nicht 
verwundern  kann;  sie  werden  durch  ihre  sehr  langen,  schlatichartigen,  hängen- 
den BrQste  sehr  entstellt. 

Auch  auf  Aoba  waren  die  Weiber  besonders  bässlich;  auf  Vanikoro 
aber  ganz  besonderü  hässlich,  sobald  sie  der  ersten  Jugend,  in  der  sie  bis- 
weilen bObsch  sind,  entwachsen  sind. 

Die  Weiber  auf  To  mb  ara  sind  minder  hübsch,  als  die  Männer  fHunterJ. 
auch  auf  Neuguinea  sind  die  Weiber  wegen  des  auf  ihnen  lastenden  Druckes 
meist  häealich. 

Von  den  Papuas,  die  uns  im  Allgemeinen  als  wenig  anziehende  Er* 
•cheinungen  geschildert  werden,  heisat  es,  dasa  es  unter  ihnen  sehr  hübsche 
Gesichter,  besonders  bei  den  jungen  Männern  und  Knaben ,  manchmal  auch 
bei  jüngeren  Frauen  giebt,  doch  üind  auch  nach  unserem  Geschmacke  sehr 
hässliche  Gesiebter  an  der  Tagesordnung.  Die  Weiber  der  SüJwestkQste  der 
Insel  Doreb  sind  nach  r.  Eoatnbertj  kleiner  als  die  Männer,  welche  im 
Allgemeinen  eine  mittlere  Stator  haben.  Unverhältnissmässig  dünne,  magere 
Beine  bei  sonst  wohlproportionirtem  Körper  sind  beim  Papua  nichts  Seltenes, 
zumal  bei  Frauen.  Ein  Papuumädcheu  von  16 — 16  Jahren,  welches  von 
tan  Hasidt  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft  vorgestellt  wurde, 
besass    eine  ebenso  zierliche  Hand,  wie  einen  zierlichen  Fuse. 

Die  Weiber  der  Papuanen  (Melanesier),  sagt  Jung,  sind  in  der 
«rtten  Jugend  nicht  unschön,  sehr  bald  von  einer  abstosseuden  H&sslichkeit. 
welche  durch  einen  grossen  Mangel  an  ReinUchkeit  und  die  daraus,  wie  au^ 
schlechter  Nahrung  resultirenden  Hautkrankheiten  noch  erhöht  wird. 

Die  Frauen  der  Eingeborenen  von  Neuguinea  .sind  nach  Metsger 
feiner  gebaut,  als  die  Männer,  haben  ebenso  tiefschwarzes  Kraushaar,  platte 
Nase  und  breiten  Mund,  wie  diese;  dabei  aber  schmale  Schultern  und  kleine, 
hängende  Brüste  mit  grossen  Warzen. 

Den  Papuas  Neuguineas  älinlich  sind  die  Melanesier  des  Admi- 
ralitätsarohipels;  die  Männer  sind  hier  wohlgewaohsen  und  kräftig,  die 
Frauen  aber  stehen,  wie  die  Gelehrten  des  ChaUenger  fanden,  weit  hinter 
ihnen  zurück;  sie  »eben  wahrhaft  abstossend  aus,  ini^besondere  durch  den 
steten  Gebrauch  der  Beteluuss;  die  alten  Weiber  sind  nskch  MikluchorMaclay 
meist  sehr  mager  und  gleichen  mit  ihrem  rasirten  Kopfe,  dessen  stark  aus- 
geprägten Uautfalten,  ihrem  zusammengeflchrumpften  Busen  and  hageren 
Beinen  fast  ganz  alten  Männern. 

Den  Weibern  der  Maori  auf  Neuseeland  fehlt  die  weibliche  Qraiie, 
sie  hüben  in  allen  ihren  Bewegungen  etwas  Urwüchsiges,  doch  auch  etwa« 
ückiges.  Man  sieht  unter  ihnen,  wie  Buchner  schreibt,  suweilen  schöne, 
wohlgebildete  Gestalten,  aber  natorgemftss  giebt  sich  bei  diesen  die  Verkom- 
menheit noch  vie\  deutlicher  kund,  als  bei  den  Männern.  Nach  ZöUer,  dem 
CorrespODdenten  der  Kölner  Zeitung,  besitzen  die  Frauen  weit  grössere  Fasse 
als  ihre  Männer  und  geradezu  fürchterliche  Extremitäten.  Nach  Fin»eh  sind  sie 
kleiner,uud  im  Ganzen  weniger  schön,  ab  die  Männer;  wirkliche  Schönheiten  in 
unserem  Sinne  fand  er  nicht  unter  ihnen,  dagegen  solche  unter  Mischlingen.  Diese 


104 


III.  Die  äsiheibche  Auffaseong  des  Weibes.' 


Melanesierinnen  verblühen  mei«t  rasch  und  werden   dann  meist  ha 
für  unseren  Qeschmack. 

Die  Frauen  der  Gilbert-Insulaner  (Mikronesier)  sind  kleiner,  al« 
ihre  Mö.nner,  die  von  mittlerer  Grösse  sind;  sie  erfreuen  sich  angenehmer 
Gesichlsbildung  und  zarten  Gliederbaues.  Meinicke  sagt;  iJ))e  Franen 
schön  und  zart,  haben  langet:  schwarzes  und  lockiges  Haar,  regelmässige, 
von  Geist  und  Frohsinn  zeugende  Geeichtsstflge  mit  gut  entwickelter  Stirn, 
lebhaften -dunklen  Augen,  etwas  vorspringenden  Backenknochen  und  breiter 
Nase,  weissen,  durch  das  Kauen  der  Pandanus  -  Frucht  oft  verdorbenen 
zahnen.-' 

Bei  den  Samoanern  sind  ilie  Frauen  weniger  schön,  als  die  Männer, 
welche  im  Allgemeinen,  wie  fast  alle  Polynesier,  als  schöne  Rasse  gelten; 
die  Figur  der  Samoan  erinnen  ist  zu  sehr  untersetzt;  angenehm  aber  be- 
r(ihrt  ein  Ausdruck  von  Schamhaftigkeit,  der  auf  anderen  Inseln  so  viel  seltener 
zu  finden  ist.     (Jung.) 

Von  diesen  Samoaner- Frauen  sagte  ZöUer:  „Die  schönste  Samoa- 
nerin  würde  doch  immer  nur  mit  einem  dentüchen  Bauermädchen  ver- 
glichen werden  können.  Um  feinere  Züge  darsustellen,  dazu  sind  die  Nauen 
zu  breit,  stehen  die  Backenknochen  zu  sehr  hervor.  Schöne  Frauen  würde 
man  nur  schwer,  hübsche  sehr  leicht  herausfinden  können,  so  lange  sie  noch 
jung  sind.'' 

Auf  der  Osterinsel  zeigen  alle  Frauen,  deren  (iesichter  man  früher 
iils  viel  runder  und  voller  schildert«,  als  sie  jetzt  sind,  schlaffe,  verlebte  Züge, 
was  sogar  bei  ganz  jungen  Mädchen  beobachtet  werden  kann.  Während  in 
der  ganzen  SOdsee  Frauen  und  Mädchen  voll  und  wohlgestaltet  erscheinen» 
verwelken  sie  hier  bei  ihrem  ausschweifenden  Leben  und  besonders  in  Folge 
der  Polyandrie  sehr  früh  und  schnell.  Die  Frauen  Kind  hier  kleiner,  ala  auf 
anderen  Süd  geeinsein;  auch  sind  Frauen  und  Mädchen  etwas  heller  von 
Hantfarbe,  als  die  Männer;  sie  erinnern  in  dieser  Beziehung  an  die  java- 
nischen; ihre  Haut  fühlt  sich  mehr  rauh,  als  weich  an.   . 

Die  Weiher  der  australischen  Eingeborenen  sind  meist  in  der  Mittel- 
grCsse  der  weissen  Frauen,  selten  sehr  gross,  in  welchem  Falle  sie  für  Aus- 
gezeichnet schön  gehalten  werden.  In  der  früheren  Jugend  sind  sie  nicht 
unlicblich;  die  Blüthezeit  fällt  in  die  Periode  vom  10.— 14.  Jahre.  Mücke, 
der  sich  lange  in  Südaustralien  aufhielt,  rühmt  von  tfinem  im  15.  Jahre 
stehenden  Mädchen  die  prächtige  Rundung  der  im  „edelsten  Ebeumaasse" 
gehaltenen  Körperformen.  Ihre  llaut  glänzte  sammetweich,  und  die  rotben, 
etwas  vollen  Lippen  Hessen  „eine  Perlenreihe  der  wohlgeformteeten,  elfenbdn* 
weissen  Zähne"  sichtbar  werden. 

Die  australischen  eingeborenen  Weiber  der  Umgegend  von .\d«1  aide 
Bind  mager,  mit  hängenden  Brüsten  (Kieler);  und  während  die  Männer  eine 
getmae  Anmuth  and  Sicherheit  haben,  fehlt  diese  den  Weibern,  deren  .\rme 
und  Beine  von  ganz  besonderer  Dünne  sind  (WVhdmi).  Auch  sind  in  der  grossen 
australischen  Bucht  die  Weiber  klein,  mager  und  verkommen  ^.6/'oicnr>. 

Als  im  Jahre  1884  in  Berlin  eine  Gruppe  australischer  Einge- 
borener gezeigt  wurde,  hatte  Virchow  Gelegenheit  hervorzuheben ,  wie  sehr 
er  überrascht  worden  sei  durch  die  ungezwungene,  natürliche  und  häufig 
geradezu  schöne  Form,  iA  welcher  von  diesen  Naturmenschen  die  Körperbe- 
wegungen aufgeführt  werden;  er  sagt:  „Die  Frauen  haben  eine  si>  grazi&se 
Art,  den  Kopf  zu  tragen.  Kampf  und  Glieder  zu  stellen  und  zu  bewegen, 
als  ob  sie  durch  die  Schule  d«»r  besten  europäischen  Gesellschaft  gegangen 
wären." 


[4.  IH«  V«rtlieUau({  der  wdbl.  Schönheit  unter  den  Völkern. 


105 


lAock 


lat 


Amerikauerinnen. 

Die  Yankees  haben  sich  im  Verlaufe  der  Zeit   zu  einer  Bpecifischen 

herausgebildet,  und  auch  ihre  Frauen  haben  viel  Specifisches  achon  in 

ihrem  Aeuaseren.     Ein  ungalanter  Yankee   aaf^e  einmal   über  seine  Lands- 

.  männiimen :    „Sie  haben  keine  Knochen,   keine  Muskeln,   keinen  Saft   —    sie 

nur  Nerven.     Und   wie     sollte   mau    es   anders    erwarten?     Statt  de» 

les  essen  sie  Kreide,   statt  de^  Weines  trinken  sie  Eiawasser;    sie  tragen 

i  Cor«ett8  and  dOnne  Schuhe."    c.  Schweüjer- Lerchen feld  citirt  das  ürtheil 

learopäischer  Beobachter.  dasR  die  Mädchen  in  den  Staaten  der  Union 

[(and  zwar  die  der  nördlichen  und  östlichen)  bei  all'  ihren  körperlichen  Vorzügen, 

interessanten  Bl&ägc,   ihrer  gewinnenden  Schönheit  und  bestrickenden 

imuth,  gleichwohl  einen  entschiedenen  Maugel  an  Lebenskraft   bekunden. 

macht    c.  Schiceüjer-Lerchttifeld  auf  den  unterschied    europäischer 

Lbetammangaufmerluam:  In  den  nördlichen  Gebieten, wo  sich  das  flämis  ch  e 

geltend  macht,   ist   die   leibliche  Schönheit   der   Frauen   ganz  anderer 

L;  die  Haut  ist  zarter,  dasAoge  blauer  und  feuriger,  als  beim  englischen 

rpus;   die   New-Yorker  Schöne  hat   mehr  Farbe,    die  Bostoner  Schöne 

Feuer  und  Zartheit.     Nur  unter  den  höheren  Ständen  Amerika'»   hat 

lieh  das  otsprüngliche  englische  Schönheitsideal  ungescbmälert  zo  erhalten 

iwusst. 

Ueber  die  Schönheit  der  mexikanischen  Frauen  sind  die  Urlbeile 
Verschieden,  doch  wird  allgemein  zugestanden,  dasa  die  Städterinnen,  nament- 
Jich  die  von  rein  spanischer  Abkunft,  immerhin  zu  den  würdigen  Repräsen- 
^tanten  weiblicher  Schönheit  zu  zählen  sind.  Ibre  Augen  sind  gross  und 
schwarz,  ihr  Haar  Qppig  und  glänzend,  die  Zähne  blendend  weiss.  Klein 
Ton  (ieet&lt  bietet  die  Städterin  durch  eine  gewisse  angeborene  Anmuth,  die 
dem  südlichen  Blute  i'igentbömlich  ist,  einen  vortheilhaftcn  Eindruck.  Dagegen 
besitzen  die  m ex ikani  sehen  Landfraucn  entjächieden  weniger  physische  Vor- 
xflge  als  die  Städterinnen  rein  spanischen  Blutes  Zwar. sind  auch  hier  Vor- 
tüget  wie  glänzende,  feurige  Augen,  blendende  Zähne,  reichliches  Haar  und 
dergleichen  nicht  .nelten,  dafäraber  sind  andere  Geatchtstheile  nichts  weniger  aU 
schön,  die  Nase  ist  hässUch  geformt,  der  Mund  gross,  die  Backenknochen 
vorstehend. 

Welche  npecifische  Eigenschaften  man  den   Creolinnen    in  Mittel- 
hand Sfldamerika,  diesen  Abkömmlingen  der  Spanier,  nachrühmt,  ist  ge- 
ifigend  bekannt:  Ein  rei.endes  Gesicht  mit  blassem  Teint,  feingeschnittenen, 
^funkelnden,  langbewimperten  Augen  u.  s.  w. 

Aus    Quito,    der  Hauptstadt  der  Republik    Ecuador,    schreibt  man: 

I,J)ie  Frauen  wären  im  .Ulgemeinen  hübsch  zu  nennen,  doch  sind  auffallende 
Schönheiten  fast  oben  so  selten,  wie  ausgesprochen  hässliche  Gesichter." 
Ein  um  so  weniger  anziehendes  Aeussorea  besitzen  für  den  geläuterten 
Geschmack  des  Europäers  die  Frauen  des  arktischen  Nordens  in  Amcri  ka. 
^ein  es  giebt  doch  recht  autfalleude  unterschiede  namentlich  zwischen  den 
ÜsUichen  and  wesüicheu  B»'wohnem  Grönlands.  Die  Vollblutweiber  von 
der  Westküste  sind  meist  ziemlich  häHslieb.  haben  vor^ftehende  Bäuche,  wat- 
schelnden Gang  und  sind  in  der  Regel  klein  von  Gestalt.  Die  Frauen  der 
OctkQst«  hingegen  sind  zumeist  gross  und  schlank  und  weit  schöner  als  ihre 
^Liuidom&nninoen  im  Westen.  (Finn.J  Charakteristisch  für  alle  sind  die 
leinen  Hände  und  Füsse. 

(Jiinfl  festlich  gekleidete  grönländische  Schöne  mit  ihrer   braunen, 
(resichtsfarbe  und   ihn:>n  glatten  vollen  Wangen    sieht  in  dem  aus 


III,  Die  iLstheäs 


fSSeo^^des  Weibot. 


ausffuw&hlten  Sc^ebundslellen  gefertigten,  dicht  anritzenden  A^nzuge  und  den 
klvinen.  elt*gant«n.  mit  hohen  Stulpen  versehenen  Stiefeln  und  den  bunten 
Perlfubänderu  nui  Halfl  und  Haar  nicht  Übel  aae.  Ihr  Aeusserea  gewinnt 
noch  durch  eine  «tetige  Heiterkeit  und  ein  Benehmen,  in  dem  sich  eine 
grfiaHere  Portion  Koketterie  geltend  macht,  als  man  bei  einer  Schönheit  der 
mit  Unrecht  verHchrieeueu  Klskimoraase  erwarten  mOchte.  Ein  entschloasc- 
nor  SeehundjUgor  führt  das  hübsche  Mädchen  mit  milder  Gewalt  nach  «einem 
Zelte.  Mit  Gewalt  wollen  nie  genommen  sein  und  deahulb  werden  sie  auch 
mit  Uewatt  genommen,  Sie  wird  «eine  Frau,  bringt  Kinder  zur  Welt  und 
vernachiliaBigt  ihr  Aeusseren.  Die  vorher  so  gerade  Haltung  des  Körpers 
wird  gebeugt  in  Folge  der  Gewohiiheit,  ein  Kind  auf  dem  Rücken  zu  tragen, 
die  Rundung  de«  Körpern  verschwindet,  derselbe  wird  welk  und  der  Gong 
wackuUg,  diiB  Haar  füllt  an  den  Schläfen  au«,  die  Zähne  werden  durch  das 
Kauen  der  Häute  beim  Gerben  bis  auf  die  Wurzel  abgenutzt  und  die  Sauber* 
haUuug  und  Wartung  des  Köqiers  und  der  Kleider  versäumt.  Die  in  ihrer 
Jugend  recht  bi'huglichen  Eskimoraädchen  werden  daher  nach  ihrer  Verhei- 
rathung  abscheulich  hässlich  und  achmutzig."     {i\  Nordctisl^öld.) 

Bei  uichrereu  Indianorstämmen  Nordamerikau  sind  die  Frauen 
oft  aufl'allend  klein  («elten  über  5  Fuas  nach  Bartram  bei  den  Creek  u.  s.  w.): 
»ie  zeichnen  »ich  oft  dnrcfa  zierHche,  kleine  Hände  und  Füaae  aus,  bei  den 
meisten  Stämmen  tat  ihr  Wuchi)  untersetzt,  und  sie  haben  dicke,  runde 
Köpfe  mit  breiten,  flachen,  runden  Gesichtern.     (Frim  v.  Wied.) 

Die  Weiber  des  untergegangenen  Volkes  der  Chibcha  waren  nach 
Oviedo  im  Vergleich  mit  anderen  Indianerinnen  hübsch. 

Die  Weiber  der  Koljuschen  an  der  Nordwestkfiste  von  Amerika 
zeigen  einen  krummen,  wackelnden  Gang,  während  die  Männer  stolz  einher- 
Bchreiteu;  hc  haben  kleine  Hände  und  meist  kleine  Fasse.     (Holmherg.) 

Auch  von  mehreren  Stämmen  Südamerika's,  z.  B.  den  Leugnas, 
rühmt  man  die  kleinen  Füsse  und  Hände  der  Frauen. 

Bei  den  Conibo  am  Yurua  (Südamerika)  sind  die  Frauen  klein, 
aber  ohne  die  mageren  Beine  und  dicken  Bäuche  der  meisten  übrigen  süd- 
lichen Stämme,  (v.  Heilwald.J  Die  Weiber  der  Araucanicr  haben  die- 
Belben  Züge,  wie  die  Männer,  ihr  Wuchs  ist  klein,  der  Oberleib  sehr  lang, 
die  Beine  sehr  kurz,  und  sie  sind  äusserst  hässlich. 

Die  jungen  Mftdchen  der  Arawaken  (Caraiben)  in  Guyana  werden 
des  herrlichen  Ebenmaawes  ihrer  Formen,  der  kräftigen  Fülle  i  hrer  Glieder, 
der  interessanten  antiken  Gesicht«bildung  wegen  gerühmt;  sie  besitzen  grosne 
»chwarxfl  Augen,  Nach  Appun's  Versicherung  »ollen  diese  jungen  Mädchen 
edlff,  äusserst  anmuthig«,  oft  wahrhaft  vollendete  weibliche  Formen  zeigen 
bei  lurist  rein  griechischem  Profil.  Die  Arekuna- Mädchen  zeichnen  «ich 
kör]>orlich  vor  alten  Übrigeu  Indianerinnen  aus:  Appu»  bewundert  an 
ihnen  die  Nase  von  edlem  rO mischen  Schnitt,  und  ihr  kleiner  Mund  prangt 
mit  den  feinsten,  nur  ein  klein  wenig  geschwellten  Lippen  -,  die  feurigen 
•chwBnen  Augen  und  die  TAbeasohwarsen  Haare  rollenden  die  Schönheit 
diw«r  MBdchen.  dit>  UbeidiM  gleich  allen  Indianern  mit  sehr  kleiamt 
Händt^n  und  FQmmi  MM0e«lAtt«t  nind.  Dagegen  excelliren  die  Weiber  der 
Tarnroa  duxdt  Qxn  WtßiSxhknL  WMxread  Appmm  von  drr  SebSnbeit  der 
Indiaeerinneu  Sadamrrika«  untrr  den  Tropen  aiii aolober  üebcrediwftag- 
Uthkdt  berichtet,  kann  fhülich  Site^  deren  RctM  keiacewe^  rtUuBen.  So 
«UfTemit  wi  eben  der  Gaechmnok ! 

Ein  «chOncr.  hrftl^wr  MeaMbaMclAif  »ind  iK»  WUfonier.  die  mtki 
lelbet  Tehuelchen  nennen  und  «visdMn  «Wn  ehilenischen  Anden  wA 


I 

W189( 

■  habe 


I 


14.  Di«  Vertheilaug  der  weibl.  Schönheit  tmter  den  Völkern. 

der  atlantischen  Küste  urahemiehen ;  ihre  Weiber  sind  durchschnittlich 
kleiner  und  mit  minder  Üppigem  flaarwtichs  bedacht,  gleichwohl  aber  von 
AoRallender  Wohlgestalt  und  Muskel^itärke. 

Die  Weiber  der  zwerghafteu  Bewohner  des  Feuerlandes  (Pescherils) 
■ind  noch  kleiner,  al«  ihre  Männer  (durchschnittlich  1.544  mm  hoch),  doch 
naasa  eine  nach  Europa  transportirl-e  1612  mm  bei  der  von  Virchote  vor- 
genommenen MeHHung.  Bie  Bildung  des  Kopfes  dieser  Frauen  bleibt  weit 
hinter  derjenigen  Schädelbildung  Jturück,  die  noch  auf  die  Entwickeluug  ge- 
wisser intellecfcueller  Fähigkeit  hindeutet;  sie  mus«  den  Verdacht  erregen, 
da»g  man  eH  hier  mit  einem  beaonderK  niedrigen  Menschenstimm  /.u  thun 
habe.  Das  Gesicht  bei  ihnen  sieht  so  ans,  als  hittte  man  den  Kopf  zwischen 
i  Bretter  gelegt  und  zusammengequetscht:  die  Nase  ist  so  niedergedrückt, 
Backenknochen  treten  so  weit  heraus,  daas  der  Eindruck  der  Breite  und 
Niedrigkeit  autfallend  dominirt.  Boehr  und  Kssendorfer  schildern  die^  Weiber 
lila  fett. 

Afrikaneriunen. 

üeber  die  aassere  Erscheinung  der  ägyptischen  Araberin.  sagt 
«.  Schweiger- Lerdienfeld,  l&s«t  sich  wenig  Bemerkenswcrthes  inittheilen.  lu 
Sacheu  orientalischer  Frauenschönheit  gehen  nämlich  die  Aneichten 
xiemlicb  auseinander.  Strenge  Schönheitsrichter,  denen  auf  Schritt  und  Tritt 
da*  althelienische  Schönheitsideal  vorschwebt,  legen  mit  Vorliebe  an  alle 
Gesichter,  die  ihnen  vorkommen,  den  klassischen  Maassstab  an  und  linden 
dann  n&tilrlich  allerlei  auszustellon.  Sie  fragen  auch  achselzuckend:  Wa« 
ist  Schönes  an  einer  AegypterinV  Ist  ihr  Antlitz  nicht  so  rund,  wie  die 
Bcheibe  des  vollen  Mondes,  und  gleicht  ihr  tfang  nicht  dem  einer  vollge- 
Irwsenen  Ente?  Die  Frage,  oder  richtiger,  die  mit  dieser  Frage  verbundene 
Negation,  hat  ohne  Zweifel  ihre  Berechtigung.  Aber  mit  dem  Canip«r'8chen 
Uesichtswinkel  oder  dem  Übrigen  anthropologischen  Apparat  ist  der  Sache 
blutwenig  gedient.  Es  braucht  ein  Antlitz  nicht  sonderlich  ideal  geschnitten 
xo  «ein  und  kann  dennoch  einen  Reiz  besitzen,  der  alle  normalen  Schönheits- 
linien  des  althelleoischen  Typus  übertrifft.  Dies  gilt  ganz  besonders  von  den 
arabischen  Frauen  Aegyptens.  deren  Köpfe  selten  nach  einem  bestimmten 
Modelle  geschnitten  sind,  obgleich  der  Gesammteindruck  immer  ein  vor- 
theilhafter  bleibt.  Ftut  alle  Aegypterinnen  haben  feingeformte,  zierliche 
H&nde  und  Fflsse-,  ihr  Gang  verrttth  angeborene  Grazie,  wenn  auch  vielleicht 
jene  eigentbümliche  Schwingung  der  Hüften,  welche  die  Araber  „Ohung" 
nennen,  nicht  allen  Weibern  wohl  ansteht.  Bezaubernd  ist  Aue  tief  dunkle, 
zuweilen  mystisch  brennende,  dann  wieder  mild  anziehende  Auge,  dem  hftufig 
ein  feuchtes  Lustre  eigenthUmlich  ist.  Dies  Auge,  sagt  r.  Schwäger- Lerchen- 
fdd,  kann  eben  so  fieterisch  glühen,  als  umschleiort  schmachten,  wenn  die 
Verschleierung  eine  vollkommene,  das  heisst;  der  Yaschmak  nicht  so  dünn 
ist,  dass  man  durch  dessen  zartes  Gewebe  jeden  Gesichtszug  deutlich  er- 
kennt  

Die  Frauen  der  Aegypter  zeigen  die  typischen  Eigenihflmlichkeiten 
de«  Retu,  d.h.  des  Altftgypters  auf  den  bildlichen  Darstellungen,  wie  ihn 
R.  Hartmann  aus  eigener  Wahrnehmung  beschreibt,  doch  ist  der  Charakter 
in  der  für  da«  weibliche  Geachlccht  angemessenen  Weise  gemildert.  Die 
jOBgeo  MUdchen  sind  ungemein  gracil.  Eine  hübsche  Darstellung  nackter 
iger  Aegypterinnen  bieten  die  mit  ihrem  königlichen  Vater  ein  dem 
'Belttch  ähnliche»  Spiel  treibenden  Töchter  Rnmaes  HI.  zu  Theben.  Anch  hat 
tdtr  Bei«eDdc  noch    jetzt  Gelegenheit,  Studien    über   den  Körperbau   solcher 


in.  Die  &«i 


»rang  des  Weibea. 


Wesen  zu  machen ,  nicht  nur  bei  Beobachtung  <ler  häufigen  Badescenen,  son- 
dern auch  beim  Paasiren  aeicbter  Nilarme  durch  Marktleute,  wobei  stete  ein 
grösserer  Theil  de»  Körpers  entblösst  wird.  Sehr  schön  sind  bei  diesen 
Personen,  wie  Ilartmann  beieeugt,  die  Schultern  und  zuweilen  die  Oberarme 
geformt.  Der  Oberschenkel,  Unterarm  und  Unterschenkel  sind  öfters  >u 
mager,  obwohl  es  in  dieser  Beziehung  auch  nicht  an  rdhmlichen  AaS' 
nahmen  fehlt. 

Ein  Araber- Mädchen  ist,  wie  c,  Maltsahn  von  denjenigen  der 
Nomadea  Tripolitanien»  bemerkt,  nur  kurze  Zeit  schön,  aber  in 
diexer  Zeil  ist  «i«;  würdig,  eine  Braut  fflr  Göttersöhne  zu  sein;  sie  ist  ein 
Stück  Wüstenpoesie.  Der  Goldton  des  weiblichen  Incamats,  die  phos- 
phorescirende  »chwarze  Haiiräuth  mit  dem  schönen  Stich  in's  »ichillernde 
Blauschwarz  —  der  tiefdunkle,  sehnsuchtumhauchte  Blick  mit  der  biimmtenen 
Wimper-Gardine,  und  nicht  zuletzt  die  geschmeidig-edle,  wohlgerundete  Ge- 
stalt: das  alles  sind  Reize,  wozu  es  nicht  des  Culturmenschen  bedarf,  um 
einen  würdigen  Kenner  aufzutreiben.  Kein  Wander,  daas  ein  so  leicht  er- 
regbares, sich  dem  Eindrucke  der  Anssenwelt  willig  hingebendes  Volk,  wie 
der  arabische  Nomade,  die  Schönheit  seiner  Erwählten  mit  Worten  l)e- 
singt,  welche  sich  der  glänzendsten  Farbe,  der  eigenthümlichaten  Vergleich« 
bedienen. 

Die  Zeit  der  Blüthe  des  arabischen  Weibes  bei  den  Wüstennomaden 
Afrikas  ist  eine  äusserst  kurze ;  nur  in  der  zartesten  Jugend,  etwa  bis  zum 
16.  Jahre,  bleibt  ihnen  die  Frische  erhalten,  welche  Frauen  des  Nordens 
noch  im  Spätfrühlinge  ihres  Lebens  zeigen.  Es  ist  ein  unendlich  vergäng- 
licher Fraueutypus,  der  in  den  beiden  extremen  Polen,  Hitze  der  Leiden- 
schaft und  Zartheit  der  Formen,  seinen  Ausdruck  findet.  Mit  dem  tief- 
brünetten Teint  und  der  zarten,  noch  vollen  und  dabei  doch  nicht  zu 
starken  Formrundung,  mit  den  wie  von  einem  rosigen  Ooldhauch  durch- 
schimmerten, braunen  Wangen,  mit  dem  fast  allzu  lebhaften  Spiel  ihrer 
flammensprühenden  schwarzen  Augen  und  dem  tiefen  Dunkel  ihres  raben- 
schwarzen Wollenhaares  scheinen,  wie  Charanne  in  seiner  «Sahara'  sagt,  die 
jungen  Mädchen  der  lustigen  Zelte  die  Offenbarung  eines  unendlich  reizenden 
Typus.  Ein  solches  Weib,  ein  solches  Gebilde  aus  Feuer  und  Dunkel  kann, 
das  fühlt  man  instinctm aasig,  nur  wenige  Wochen  schön  bleiben.  Obwohl 
noch  jung,  sind  viele  Arabermädchen  bereite  verrunzelt,  abgewelkt  und  ab- 
gemagert-, die  arabische  WüstenschÖnheit  wird  je  älter,  je  hagerer  und  mit 
dreissig  Jahren  geradezu  abschreckend  hässlich,  mit  Ausnahme  einiger  Ge- 
genden, wieTuat,  wo  die  Frauen  ähnlich  wie  beiden  Berbern  der  Köst«o- 
städte  in  vorrückenden  Jahren  sich  oft  üppiger  Körperfülle  erfreuen. 

Dasa  dem  Neger-Typus  auch  beim  weiblichen  Geachlechte  daa 
Epitheton  „schön' gegeben  werden  könnte,  hat  nach  europäischen  Schön- 
heitsbegriffen keine  Berechtigung.  Schon  die  schvrarze  Hautfarbe^  die  pro- 
gnathe  Stellung  des  Gesichts  mit  dem  vorstehenden  Unterkiefer,  die  wulstigen 
Lippen  und  überhaupt  alle  specifischen  Neger- Merkmale  müssen  uns  wohl 
eher  abstossen.  alK  anziehen.  Und  dennoch  fehlt  es  nicht  an  Negerstämmen, 
bei  welchen,  insbesondere  bei  jungen  Mädchen,  durch  die  klassischen  Formen 
und  durch  die  geschmeidige  Bewegung  aller  Gliedinaassen,  durch  den  eigen- 
thümlichen  Reiz,  der  in  dem  Blicke  ihrer  Augen  hegt,  durch  die  prächtige 
Weisse  der  Zahnreihen  u.  s.  w.  die  Erscheinung  des  weiblichen  Gescblcchtt 
gerühmt  wird,  doch  beschränkt  «ich  diese  günstige  Meinung  stets  nur 
auf  die  Jugendzeit,  da  es  .schöne  Matronen*  wie  bei  uns  kaum  je  unter 
den  Negerinnen  giebt.  / 


14. 


J^f  yrtni 


Die  Frauen  am  Gabun  in  Aequalorial- Afrika  eind  fast  Lübüjohe 
Encbeinungen,  mit  wohlgefürmten  Extremitäten,  hübschen,  ausdrucksvollen 
Angen  nnd  kaum  merklich  abgeplatteter  Nase.  Der  Mund  ist  keineswega 
weit,  wohl  aber  die  Unterlippe  etwas  aufgedunsen,  dagegen  die  Zähne,  wie 
■elbütverständlicb,  von  tadelloser  Schönheit. 

Man  könnte  die  Frauen  der  Wo  1  offen  .schön  nennen,  wenn  nicht  die 
Wade,  wie  boi  anderen  Neger- Völkern,  unentwickelt  wäre  nnd  die  Füsse 
nicht  platt  und  die  Fersen  keine  spornartige  Verlängerung  nach  hinten 
hätten. 

Bei  den  Frauen  der  Berobra  Nubiens  Kind  die  Gliedmaassen  schlank 
nnd  mager;  .sie  entwickeln  sich  spöter,  als  die  ägyptischen;  bereits  vier- 
sehnjährige  Mädchen  sind  nicht  selten  noch  busenlos.  Sie  verwelken  vrie 
die  Südländerinnen  schon  frühzeitig.  Alt«  nu  bische  Franen  sind  besonders 
hässlich.     fHnrtmann  ^.) 

„Die  Frauen  der  Somali,  »agt  PauUtschke,  besitzen  mitunter  nicht 
nnangenehuie  Züge,  eine  schöne  Büste  und  volle  Brust.  Stompfnasen,  stark 
hervortretende  Stirn  und  feine,  zierliehe  Ohren  sind  mir  an  ihnen  aufgefallen. 
Aoch  der  Hals  ist  schön  geformt,  die  Uflften  schmal,  das  Becken  breit,  das 
OeaiUs  stark,  ihre  Bewegungen  leicht  und  zierlich.  Um  die  Mitte  der  zwan- 
si^^  Jahre  altern  die  Frauen,  das  Gesicht  beginnt  Falten  anzunehmen,  die 
Brüste  werden  welk  und  lang  un<l  in  den  vierziger  Jahren  bereits  bieten  die 
Frauen  das  Bild  abschreckender  Hässlichkeit." 

Die  Oalla- Frauen  haben  nach  PauUtschke  volle,  breite  Schultern  und 
■chöne  volle  Arme. 

Die  Habab-Fraaen  sind  nach  r.  Miiller  in  der  Jugend  schön,  doch 
altem  sie  in  der  Folge  ra-sch. 

In  Abuscher.  zu  Wadai,  sind  nach  Mattfucci's  und  Masmri's  Ver- 
^«cheruug  Männer  wie  Weiber  schön  und  von  hoher  Gestalt. 

Unter  den  Negern   des  Sudan    gilt    nach  Gerhard  Bohlfs  eine    Frau 
lit  MOgenannten  kaukasischen  GesichtszOgen  als  eine  Schönheit. 

Eine  genaue  Schilderung  der  Frauen  der  Galla  in  Ostafrika  verdanken 
wir  Juan  Maria  Schuver,  welcher  von  den  Männern  dieses  Volkes  sagt:  «Die 
Oalla  könnten  das  heiterste  und  glücklichste  Volk  sein,  da  sie  eines  der 
fruchtbarsten  Gebiete  der  Erde  bewohnen,  Land  im  Ueberfluss  besitzen  u.  s.  w. 
Trotzdem  weisen  sie  beständig  eine  Miene  stoischer  Melancholie  auf  und 
machen  den  Eindruck  von  Ausgehungerten.  Sie  sind  von  ziemlich  grosser 
Statur,  welche  in  Folge  ihrer  Magerkeit  noch  grösser  erscheint."  Dagegen 
fährt  er  fort :  «Die  Frauen  aller  Klassen,  mit  Ausnahme  der  allerärmsten, 
bieten  einen  so  verschiedenen  Anblick,  das»  ich  mich  immer  von  neuem  dar- 
öber  wundern  mu«st«^.  Die  jungen  »ind  von  einer  Lebhaftigkeit,  die  alle 
Augenblicke  zum  Durchbruche  zu  kommen  bereit  ist.  auch  bÜ8.ten  sie  nicht 
•o  frühzeitig  ihre  Reize  ein,  wie  die  Negerinnen,  vielleicht,  weil  sie  den 
Vortheü  geniessen,  bei  den  schweren  Arbeiten  von  den  Sclaven  unterstützt 
zu  werden.  Ihre  Gestalt  ist  weit  kleiner,  als  die  der  Männer,  obwohl  es  an 
grossen  Frauen  nicht  ganz  fehlt.  Fast  immer  sind  sie  10 — 15  cm  kleiner, 
als  die  Männer,  and  für  diese  mochte  das  Muass  von  1.6U — 1.75  m  als  Durch* 
«clmitt  anzunehmen  sein.  Ihre  physische  Natur  ist  derartig  von  dem  starken 
.  Oeschlechte  verschieden,  dass  es  schwer  fällt,  eine  Erklärung  dafür  zu  gelten. 
iBci  den  Weibern  sehen  wir  nur  verhältuisamässig  grössere  Köpfe,  obwohl 
inoch  immer  der  Kategorie  von  Mikrucephalen  zuzurechnen,  runde  Schädel, 
[■viereckige  Getiichter.  aber  ausserordentlich  abgerundete  Züge,  weit  geöffnete 
dunkelbraune  Augen,    Naaen    mit    leichter  Tendenz    zum  Kümpfnäschen  und 


110 


an  der  Wurzel  eingedrfickt,  dichte  Augenbrauen,  kleine  fleischige  Backen, 
Kindermdndchen  mit  Perlvsähnen  und  aufgeworfenen  Lippen  and  ein  kleine« 
Kinn.  Der  Nacken  'wl  höbsch  rund  und  durchaus  nicht  kranichartig,  wie 
bei  den  Männero,  Füsae  nnd  Hände  »ind  fo  klein,  doHS  man  über  die  Be- 
hauptung Byron'x  lachen  kSnnte,  der  hierin  da«  einzige  wahre  Zeichen  der 
AriHtokiatie  erkennt.  Die  Formen  sind  rund  und  compact,  die  GliedmaaMea 
korz,  aVier  die  Formenfillle  der  jungen  Negerinnen  findet  sich  hier  mir 
Kelten.  Sie  tind  hübech.  aber  nii'ht  Hchfln."  —  Derselbe  Autor  sagt  von  den 
jungen  Mädchen  der  Herta  im  oberen  Nilgebiet:  ,Sie  haben  die  voll- 
endeten Formen  klassischer  Statuen." 

Die  Frauen  der  Bedacha  sind  in  der  Jugend  nicht  uoschSn;  ihr  zier- 
licher Leib  mit  sehr  feRi«n,  gut  entwickelten  Brüsten  altert  aber  frQh, 
da  «ie  rieh  durchschnittlich  im  12.  bis  1.5.  Jahre  verheirathen. 

Die  Weiber  der  Danäkil  und  Sa  ho  sind  von  edlem  Wüchse  und 
•chOnen  Formen,  doch  auch  schnell  verwelkend  und  alternd. 

Die  Abyssinierinnen  haben  nach  der  Beschreibung  Steiner'«  eine 
niittelgro8«e  Figur  und  besitzen  Öfter«  entwickelte.'«  Fettpolster;  junge  M&d- 
chen  Hind  reizend  und  »ehr  «ympathisch;  sie  haben  ein  rundliches  GeHichi, 
eine  nicht  hohe,  gewölbt«  Stirn,  ziemlich  grossen  Mund,  rundes  Kinn,  nicht 
selten  ein  Dop^^elkinn-,  ein  angenehmes  Benehnien,  und  nicht  geringer  Fleiag 
machen  sie  zu  sehr  gesuchten  Artikeln  für  den  Harem  der  Araber. 

Das  weibliche  Geschlecht  der  äaurta  uud  Terroa,  zweier  St&mme, 
die  auf  den  beidcrneitigexi  Abh&ngen  des  Gedem-Bergs  in  Ostafrika  (von 
Massauu  landeinwärts  nach  Abyssinieu  ku)  wohnen,  ist,  wie  zumeist  bei 
den  auf  nicht  hoher  Cultur  8tehend*»n  Völkerschaften,  bedeutend  kleiner,  als 
da«  niännlitht-.  Die  jungen  Mädchen  haben  angenehme  Züge,  aber  die  groMe 
Magerkeit  im  Alljremeinen  thut  der  Schönheit  ihres  Körpers  Abbrach,  Ihre 
HUnde,  aber  auch  die  der  Mflnner,  sind  ausnehmend  kh^in.  Hohlfs  sagt  dazu: 
„Dies  ist  eine  Eigenthümlichkeit  nkht  bloss  der  Küstenbewohner,  sondern 
auch  aller  Abyssin  i er,  deren  Hilnde  überhaupt  zu  klein  sind,  als  da«s  ne 
können  schön  genannt  werden.'  Der  Grund  der  Kleinheit,  der  VerkOmme- 
rung  liegt  im  Nichtgebraucb,  in  der  Arbeitslosigkeit. 

Die  meisten  Weiber  der  Boilakertra,  eines  Volksstammes  im  Innern 
von  Madagascar,  haben  eine  gute  Haltung,  einige  drücken  den  Leib  etwiu 
Btark  vor,  alle  haben  aber  schlanke,  obwohl  kräftige  und  wohlproportionirie 
Taillen,  trotzdem  Schnttrleiber  dort  unbekatmt  sind,    fAudebert.j 

„Einzelne  Basutho  in  Transvaal,  Frauen  und  Männer,  haben 
wirklich  schönen  Kurperbau,  namentlich  Männer  und  Jünglinge;  unter  den 
Frauen  und  Mädchen  sind  dies  doch  nur  sehr  vfnnnzelte  Ausnahmen.  Nament- 
lich machen  die  zumeist  tabaksbeutelartig  herabhängenden  Brüste  ein«sn 
degoutanlen  Anblick,  obachon  bei  einzelnen  jüngeren  auch  hier  schöne  Körper- 
formen  vorkommen."     (Wanffemann.J 

Unter  den  Frauen  der  Zulu-Kaffern   giebt    es   anatomisch    tad«Ilo«*_ 
Formen  mit  intelligenten  Köpfen  ond  Physiognomien. 


I 


Wenn  wir  uns  unter  den  Naturvölkern  umblicken,  so  finden 
wir,  dass  alle  Ereignisse  des  Lebens  mit  höheren  Gewalten,  guten 
oder  bösen,  in  Verbindung  gebracht  werden.  Da  ist  es  nun  wohl 
nicht  zu  verwundem,  dass  in  noch  viel  stärkerem  Grade  alle  die 
geheimnissvollen  Vorgänge  der  Fortpflanzung  und  der  Zeugung, 
der  Schwangerschaft  und  Geburt  und  der  rathselhuften  Entwicke- 
lung  vom  Kinde  zum  geschlechtsreifen  Individuum  als  unter  der 
Einwirkung  der  Götter  und  Dämonen  «tehend  aufgefiusst  werden. 
Es  ist  dann  nur  ein  weiterer  Schritt  in  dem  gleichen  Gedanken- 
gange, wenn  die  auf  unentwickelter  Culturstuf'e  Stehenden  nun 
durch  Opfer  und  allerlei  absonderliche  und  abergläubische  Hand- 
lungen den  segensreichen  Beistand  der  guten  Geister  sich  gewinnen 
und  die  feindlichen,  gefahrdrohenden  Eingriffe  der  bösen  Geister 
von  sich  und  den  Ihrigen  abzuwenden  bestrebt  sind.  In  hohem 
Grade  erfinderisch  hat  sich  in  solchen  Vornahmen  der  menschliche 
Geist  erwiesen,  und  es  ist,  wie  wir  sehen  werden,  kein  Volk  so  tief- 
stehend, aber  auch  keines  so  hochcivilisirt,  dass  wir  nicht  derartige 
Proceduren  bei  ihm  nachzuweisen  im  Stande  wären.  Fast  immer 
aber  fühlen  sich  die  Menschen  zu  schwach,  ihre  Angst  und  Sorge 
um  sich  und  die  Ihrigen  allein  zu  tragen  und  auf  sich  zu  nehmen, 
und  mit  den  Gottheiten  in  directe  Verbindung  zu  treten.  Sie  be- 
dürfen dazu  der  Hülfe  und  UnterstQtzung  klügerer,  muthigerer  und 
bevorzugterer  Naturen,  welche  mit  ihnen  und  für  sie  die  nothwen- 
digeu  Ceremonien  vornehmen.  So  sind  es  die  klugen  Frauen,  die 
Priester  und  Priesterinnen,  die  Zauberer,  Teufelsbeschwörer,  Me- 
dicinmänner  und  Schamanen,  welche  wir  diese  Hlilfsleistung  ge- 
währen Heben. 

Es  ist  eine  interessante  culturgeschichtliche  Erscheinung,  dass 
meJMtentheils  in  solchem  Suchen  nach  kräftiger  HUlfe  die  ersten 
Änfiinge  der  sich  entwickelnden  Heilkunde  verborgen  liegen.  Sehr 
richtig   schrieb   einst   Heu.nnger:    „Die    Anfange    der   Medicin  bei 


112    IV.  Die  Anffasning  des  Weibes  im  Volks-  and  religiOeen  Olaohe». 


wilden  Völltem  zeigen  uns  allgemein  eine  Verbindung  supranatura- 
listischer, mystischer  Heünngsmittel  mit  physischen  Heilungsmitteln, 
und  dieselben  Personen  verrichten  die  Incantationen  und  wenden 
Wurzelkrüuter  u.  s.  w.  an.  Bei  fortschreitender  Cultur  trennen  sich 
beide,  es  giebt  Incantatoren  und  Wurzelsucher,  die  zu  Aeraten 
werden;  dass  sie  einige  Zeit  so  nebeneinander  bestehen,  lehrt  uns 
selbst  die  griechische  Medicin,  wo  bis  iu's  4.  Jahrh.  n.  Christo  die 
Aaklepios -Tempel  neben  den  Aerzten  fortbestehen  und  gerade  in 
der  letzten  Zeit  recht  vorzugsweise  mir  als  b3rperphysische  Heilungs- 
orte. Allein  gewöhnlich  wird  die  mystische  Medicin  entweder  bald 
ganz  abgeworfen,  oder  sie  geht  ganz  auf  die  eigentlichen  Priester 
über."  —  Wir  sind  im  Stande ,  auch  in  der  Geburtshülfe  diesen 
Entwickelungsgang  zu  verfolgen. 

Wenn  nun  aber  solchen  Völkern  die  Cultur  von  aussen  her, 
oder  durch  selbständige  autochthone  Ausbildung  eine  wirkliche 
Heilkunde  und  ihre  Vertreter,  Aerzte,  Geburtshelfer  und  Hebanuuen 
zufuhrt,  so  bestehen  jene  Magier  noch  lauge  Zeit  neben  den 
letzteren  fort.  Unter  den  alten  Indern  aber  blieb  das  Priesterthum 
gänzlich  mit  der  ärztlichen  und  geburtshülfhchen  Praxis  ver- 
schmolzen in  der  ßrahraaneukaste,  ganz  ähnlich  wie  in  dem  mittel- 
alterlichen Europa  die  Heilkunde  in  den  Händen  der  Mönche  war. 
Das  abergläubische  Vertrauen  der  Völker  richtete  sich  in  ganz 
eigenthüralicher  Weise  auf  mannigfache  Gegenstände  bei  den  ver- 
schiedenen Phasen  des  geschlechtlichen  Lebens.  So  frei  sich  aber 
auch  in  dieser  Beziehung  die  Phantasie  der  Völker  ergehen  mochte. 
80  finden  wir  doch  auch  eine  gewisse  Analogie  unter  ihnen  hin- 
sichtlich der  Gegenstände,  an  welche  sich  ihr  Vertrauen  knüpfte. 
Vielleicht  und  wahrscheinlich  allerdings  Obertragen  sich  manche 
abergläubische  Vorstellungen  von  einem  Volke  auf  das  andere; 
gewbs  aber  gelangt«?  der  menschliche  Geist  vermöge  seiner  bei 
verschiedenen  Rassen  Übereinstimmenden  Organisation  gar  oft  zu 
ziemlich  gleichen  Begriffen,  Anschauungsformen  und  Glaubens- 
sätzen, Wir  werden  in  den  spateren  Kapiteln  sehr  mannigfachen 
abergläubischen  Gebräuchen  imd  religiösen  Ceremonieu  begegnen. 
Nur  die  genauere  Beobachtung  des  natürlichen  Vorganges  bei  den 
einzelnen  Acten  der  Geschlechtsverrichtungen  war  im  ötande.  die 
Erkenntniss  so  weit  zu  lordern,  dass  der  Aberglaube  mehr  und 
mehr  unter  den  Völkern  Europas  verschwand.  Allein  auch  dort, 
wo  in  den  höheren,  gebildeteren  Schichten  der  Gesellscliaft  dem 
Aberglauben  wenig  Raum  mehr  gegeben  wird,  hängt  mau  nocli 
immer  in  den  niederen  Volksklassen  mit  grosser  Z;i]i 
gewohnten  abergläubischen  Bräuchen.  Ein  solches 
Aberglauben  bei  Schwangerschaft.  Geburt  und  Woohenbi; 
zu  erklären,  da  man  weiss,  welche  grosse  Lebensdauer 
alle  Sitten,  Gewohnheiten  und  Vorstellungen  haben,  di- 
mal    im   Innersten    der   Familie:  '    !    '  _\\\ 

die  Geschlechtsverrichtungeu  kn 


m  ult- 


?»t«ongenTn 

\»o  leichter  und  um  so  inniger  mit  aborglünbiscben  Haudlungeii,  je 
mystischer  an  sich  die  Ersoheinungen  des  Iült  einschlagenden  Natur- 
vorguuges  sind  und  —  je  ausschliessUcher  sich  bloss  Weiber  der 
Beobachtung  dieser  Erscheinungen  unterziehen. 

Vergeblich    sind    aufgeklärte    Geister    bei    den    verschiedenen 

[Natdonen  bemtlht  gewesen,  solchem  Aherghiuben  energisch  entgegeu- 
zuarheiteu,  und  auch  hier  ist  es  wicflerum  eine  interessante,  für 
die  überall  gleiche  Beschattenheit  des  menschlichen  Geistes  zeugende 

'Ersdieinung,  dass  man  bei  weit  voneinander  entfernten  Völkern 
auch  hierin  auf  die  gleichen  Mittel  verfallen  ist. 

So  wurden  in  der  Bevölkening  von  Sidou,  jetzt  Saida  (in 
Palästina),  syrische  abergläubische  Gebräuche  gesammelt,  welche 
den    unsrigen    sehr  glichen.     Die    Muselmänner  daselbst  nennen 

|sie   ,,Ilra  er-rukke",  d.  i.  die  Spinnrocken-Wissenschaft. 

Ganz  ähnlich  suchte  im  .lahre  171H  Praetorium  dem  Aber- 
glauben der  Deutschen  entgegenzutreten,  indem  er  die  aber- 
gläubischen Gebräuche  in  einem  dicken  Buche  sammelte  und  ab- 
kanzelte, welches  den  Titel  führte:  „Die  gestriegelte  Rockeuphilo- 
sophie.  oder  aufrichtige  Untersuchung  derer  von  vielen  superklugen 
Weibern  hochgehaltenen  Aberglauben  (Chemnitz).'* 


16.    Die  religiösen  Satzungen  in  Uezug  auf  das  Geschlechts- 
leben der  Frau. 

Eb  ist  auffallend,  wie  sehr  sich  numclie  Iteligionen  mit  den 
Mysterien  des  Geschlechtslebens  beschäftigen,  mid  wie  häutig  sich 
auch  in  die  geburtshülflichen  (rebräuche  der  Völker  ein  religiöses 
Moment  einmischt- 

Schon  mit  dem  Eintritt  der  Geschle<-ht.sreife  werden  l>ei  vielen 
Völkern  Bräuche  und  Cereuionieu  vorgenommen,  welche  bei  hitber 
civilisirten  Völkerschaften  durch  religiöse  Kiten  ersetzt  werden. 

Wenn  manche  Gründer  von  Heligionen  gewi.^jse  diätetische  Sitten 
lia  ihrem  Volke  schon  vorfanden  und  sie  für  zweckmässig,  somit 
aucli  dem  HeiU"  des  gesammten  Menschengeschlechts  für  dienlich 
hirit4-n.  so  legten  sie  denselben  wohl  die  Bedeutung  von  Gott 
wohlgr'iälligen  Jlmidlungen  bei.  Sie  suchten  demnach  die  iluieu 
nützlich  erscheinende  Volks3<itte  durch  strenge  Gebote  im  Volke 
flVr  alle  Zeiten  zu  festigen.  Andere  Male  benutzten  .sie  wohl  auch 
nur    rii  'n    fest  eingewtirzelten   diätetischen    Brauch   als    reli- 

WtÖHC   .^  lip   IfHuillvmg.      Dies    tridil    einzelne    religiöse    Vor- 

R'lirift.t'ii    iiikI    '  -n,    zu    driirn    hie    und    da    die    Pubertät«- 

«"'^wickehiii':.  il  liliessung.  die  Schwangersdiaft,  die  Geburl, 

■  '•  "»renen    Veranlassung    gaben.      Der    Befehl, 

nehmenden  d  iätetisclien  Acte  im  Namen 

I    8t-»?tig  l>ei/.ubehiilten,    kaun  wohl    /.\\\x\ 


im 


DHC 


Titeil  der  Abdicht  ent^üpningen  sein,  für  dauermlo  Erhaltung  de« 
Menschengeschlechts  Sorge  zu  tragen,  während  die  höhere  Forderung 
der  Religion  geistige  Erhebung  und  Veredelung  des  Mensehen  ist. 
In  der  Kegfl  uetmien  sich  bei  einem  Volke,  welches  .sich  aus 
der  rohesten  Barbarei  erhebt,  xunächnt  die  Priester  als  die  vorzugs- 
weise gebildete  Klasse  der  Ausübung  der  iirztlichcn  Kunst  an.  So 
beschäftigten  sich  auch  die  Keligiousgründer  und  Propheten  mit  der 
Gesundheitspflege  des  Volkes. 

Wir  haben  imderwürts  gezeigt,  dass  die  Beschneidung  der 
Knaben  l>ei  einer  sehr  grossen  Anzahl  von  Völkern  nur  als  Ndlks- 
sittezu  betrachten  ist  f /Voss-'V-  Dort  aber,  wo  sie  von  Religionslehreru 
geheiligt  luid  befohlen  wurde,  wie  bei  den  Juden,  wurde  sie  als 
nationales  „Symbol*  des  von  Gott  auserwählten  Volkes  bezeichnet, 
aber  auch  als  Mittel,  die  Fruchtbarkeit,  also  die  Vermehrung 
des  Volkes  zu  tVirdernl 

Wie  i^ehr  religiöse  Gesetzgeber  e.s  namentlich  für  eine  Lebens- 
aufgabe  des  Individuums  halten,   zur  FortpHauzuug  des  Menschen- 
geschlechts  beizuti-agen,    zeigt  beispielsweise  der  Talmud,    wo  e» 
heisst:     „Wer    das   Heirathen    vorsätzlich   unterlässt,    um    nänilicJi 
keine   Leibeserben    zu    erzeugen,    der    ist   moralisch   einem    Mörder 
gleichzustellen :"    demi  die   Rabbiner  glaubten,    dass  ein  Unverehe- 
Üchter   ebenso  wie   ein  Mörder  sich   eine  Vermiudenmg  der  Popu- 
lation  zu  Schulden  kommen    lässt   (Tr.  Jihutuoth,   (il3,   b).     Ferner 
steht  im   Tulmud:    ,,Wer  auch  nur  zur  Erhaltung  eines  einzigen 
Menschen  beiträgt,   ist  gleich   als  ob   er  das   Weltall   erhielte/'     In 
solchem  Geiste,  d.  h.  mit  der  Absicht  auf  Erzeugung  und  Erhaltung 
der    Menschen,    waren    denn    auch    religiöse    Handlungen    in    Bezug 
auf  das  Geschlechtsleben  bei  den  .Juden  eingesetzt  worden.     Mmes 
sagt  ausdi'ücklich :    ..Beol)achtet  meine  Gesetze   und  meine  Recht«, 
durch  deren  Ausübung  der  Mensch  leben  soll"  \z.  B.  Moses  IK,  5). 
So  verstehen  wir  denn,  hi  welcher  Absicht  er  die  Reiuigungsgesetze 
lür  die  Menstruireuden,  die  Wöchnerinnen  u.  s.  w.  gab,  und  warum 
er  diese  Gesetze  und   ihre  genaue  Befolgung   durch  Einsetzung  der 
Brand-    und    Sühuopfer    am    Schlus.se    des   Wochenbetts    gleichsam 
unter  die  Controle  der  i'riester  stellte.    Schliesslich  erinnere  ich  an 
das   religiöse   Dogma:    „Das   Weib   soll    mit   Schmerzen   gebären''. 
8<}   nehmen   manche   andere   Culte   Lehren   über   die  Lebensweise  in 
Bezug   auf   das    Fortpflanzung-^-    und    Geschlechtsleben    auf.      ,>lch 
nenne,"    .sagt  Zöroaster  im  Gesetzbuche,    „den  Verheiratheten   vor 
dem  Unverheiratheteu,  den,  welcher  einen  Hausstand  bat,  vor  dem, 
welcher   keinen   hat,    den   Familienvater  vor   dem  Kin<lerlo8en,    dan 
Reichen  vor  dem  Armen"  etc.    Bei  den  alten  P«  rst-rn  und  Medcru 
endlich  galt  das  Zendavesta  als  lu-ilige«  Buch,   und  wir  wissen, 
eine  wie  grosse  Rolle  die  Heilkunde  durch   die  Schät/urMj-  und   Kr^ 
haltimg  des  Lebens  in  demselben  spielte,  obgleich  un^ 
da.»^  zwanzigste  Buch,  der  Vendidad,  erhaltfi    'V    ' 
Zofoaster's   Lehren   drangen,   spiolten   auch  a 


t(J.  Ol*  leTtg.  5?at*Ujigeü  in  Bezug  auf  Jas  Geschlechtsleben  der  Fmu.   115 


fine    grosHe   Rolle:   sie  prakticirten    als  Aerzte  und  Teufelsbanuer 
lu'i  Kranklieit,    Geburt  und  Wocheubett.     Und  wie  noch  Leute  bei 
dt'u    l'nrsen,    die  nach  Zoruaskr's  Lehre  leben,    die  Ehelosigkeit 
bestraft  wird,  so  luusste  auch  bpi  den  alten  Indern  nach  dem  Gesetz- 
Imche  Manu's  Jedemuinn  heirathen,   „weil  das  Geschlecht  erhalten 
werden  niiiss".    Das  Gesetz  Mnnns  gielit  auch  Kathschläge  in  Bezug 
auf  die  Wahl  des  Mädchens,  und  viele  andere  Bestimmungen  Manus 
liezengen.  welchf?  Aufgaben  die  Religion  der  Inder  bei  ihren  8itten- 
vorschril'teu   befolgte;    insbesondere  gehiken  hierher  die  Reinheits- 
iind   Speisegesetze    der    Inder.      Die  Religionswächter  der  Inder, 
[die     Priester-    und    Mediciner-Kaste,     die    Brahraanen,     lieaufsich- 
tigten  auch   die    Geburt    und   das  Wochenbett.  —    Die    Buddhisten 
iKind     durch    die    Macht   ihrer    Kirche    äusserlirh    nicht    jjezwiuigeu. 
iBich      bei     irgend     welchen     Familien-Angelegenheiten     unter     die 
I Vormundschaft,    der    Priester    zu    stellen;     allein   sie   wendeji  sich 
docli    bei   Familienereignissen    an    deren    geistlichen    Beistand,    ja 
die    Lamaisten    nehmen    den    Segen    der    Priester    bei    Farailien- 
ereignissen    noch    häufiger    in  Anspruch,    als   die  Katholiken.     Der 
gläubige    Buddhist    findet    im    Priester    seinen    geisthchen    Vater, 
uud  dieser  fuugirt  auch   bei  der  Gel)urt  und  der  Namengebuug  der 
I Kinder.      Ausserdem    treiben    die   geistlichen    Sohne    des    Buddha 
Dlierall  die  Medicin,    ])rauchen    ihren  Eintluss  in   den  Familien  also 
nicht   wie    in   christlichen   Landen    mit   dem  Hau.sarzte   zu    theilen; 
in  Tibet,    China,   in  der  Mongolei,    im  ganzen  Norden  Asiens 
iüind   sie  zugleich   Wahrsager,   Astrologen,    auch   Geisterbeschwörer 
^mid    Zauberer;    als   solche   bringen   sie    ihre  Künste  auch    l>ei  der 
[(Jeburt  in  Anwendung.     [Koejiptm.) 

Manche  Forscher  auf  dein  Gebiete  der  Religionsgeschichte  ver- 

[neiut'n  mit  vollem  Rechte,    dass  einzelne  Gr-remuiiien   und  religiöse 

[Satzungen,  z.  B,  das  Beschneiden,  als  wirkliche  Sanitätsmaassregebi 

wu  betrachten  seien ;  solche  Satzungen  wurden  nach  ihnen  mindestens 

Inicht  in  hygieni8<rher  Absicht,   wie  etwa  bei   ims  das  Impfen,    ein- 

tettlhrt.     Wir   geben  auch   zn,    dass  viele  religiöse  Gel)räuche,    die 

lit  dem  Geschlechtülebt'n  zusanimenhüngen,  eine  hygienische  Tendenz 

«cht    bcHnspnu'lien    dürfen.      Vielmehr    wurde   das    Mysterium    der 

Jeugung  und  Fortpflanzung,    welches   liei   mehreren    V'ölkem   unter 

anderem  zum  al)stheulichen  Phallusdienst  führte,  unter  dem  Einflüsse 

ler    verschiedenen    Naturanschauung     in    mannigfachen,    oft    recht 

JesundheitM.schädlichen  Formen  .symbolisirt.    Dass  aber  die  Religions- 

tifler  iu  ihrem  sell>stgewählten  Berufe  als   refonnatorische  Gesetz- 

{ebt'r   der  Vr.lkor    l)ei    ihrer   Wahl    der    symbolischen    Handlungen, 

McIh*  !<ie  empfohlen  haben,  aiu-h  mehr  oder  weniger  das  Bewusstsein 

>n  deren  Zweckmiuwigkeit  selbst   in  hygienischer  Hinsicht  hatten, 

wohl  nicht  ganz  unwahrscheinlich.     Beispielsweise  gingen 

iouen  Mosis  iU>er  meustruirende,  blut«?nde  uud  gebärende 

'«r    den    ganzen    Mosaismus    beherrschenden   Idee    der 

•«    hervor:     Mostfs  wurde  jedoch   in  der  Wahl 


-l.w.l. 


]  16    IV.  Die  AnffaJiBUiig  des  Weihes  im  Volks-  und  religiösen  Glaubeit. 

und  Ausführung  aeiuer   Satzungen   durch    klimatische  Verljültnisse 
bestimmt. 

Wie  alle  die  grossen  Abschnitte  in  der  Entwickelung  und  iu 
dem  Leben  des  einzelnen  Individuums,  die  Geburt,  die  Verschonernngs- 
procediuren  am  menschlichen  Kürper  (Ohr-  und  Lippeudurchbuhrung, 
Tättowirung,  ZahnverstOmmelung  u.  s.  w.),  die  Beschneidung,  die 
Menstruation,  die  Schwaugerscliatt  und  der  Tod  von  religiiisen  Cere- 
nionicii  begleitet  und  mit  al>ergläubischen  Vorschriften  umgeben 
sind,  das  sehen  wir  auch  in  dem  Umstände,  dass  in  den  genannten 
Lebensperiodon  die  Betreuenden  abgesondert  von  der  Gemeinde  ge- 
halten werden,  dass  der  Verkehr  mit  ihnen  und  das  von  ihnen 
Ausgehende  die  sie  Berührenden  verunreinigt  und  auf  eine  gewii^se 
Zeit  hin  ebenfalls  zu  dem  Ausschluss  aus  der  Gemeinde  zwingt, 
dass  ihnen  bestimmte  Geschäfte  vorzunehmen  auf  das  Strengste 
untersagt  bleibt,  dass  ihnen  bestimmte  Dinge  zu  essen  verordnet 
und  andere  wieder  als  Nahrungsmittel  zu  verwenden  verboten  i«t. 
Wir  erkennen  auch  hierin  wieder  den  untrennbaren  Uebergang  von 
den  religiösen  zu  den  hygienischen  Vorschriften. 


17.  Die  FrHut*u»)|iractie. 

Als  eine  sehr  merkwi\rdige  und  absonderliche  Erscheinung  in 
dem  Lieben  einiger  Völker  müssen  wir  es  ansehen,  dass  bei  ihnen 
die  Frauen  sich  einer  eigenen  von  den  Miuinem  nicht  benutzten 
Sprache  bedienen-  Wenigstens  haben  sie  für  eine  ganze  Reihe  von 
Gegenständen  und  Begriffen  ihre  besonderen  Ausdrücke  und  Be- 
zeichnungen, welche  die  Männer  niemala  in  den  Mund  nehmen  und 
ftir  welche  die  letzteren  ihre  eigenen  Worte  besitzen. 

Unter  Anderen  findet  sich  diese  Erscheinung  bei  mehreren 
caraibischen  Stummen;  insbesondere  sind  es  die  Stämme,  welch«* 
uuf  den  kleinen  Antillen  wohnen.  liorhrfort  sprach  die  V*er- 
muthuug  aus,  dass  einst  die  Caraibeu  von  den  kleinen  Antillen 
Besitz  nahmen,  alle  Männer  daselbst  tödteten,  die  Frauen  aber  ftir 
sich  behielten,  welclie  ihrer  angestammten  Sprache  treu  blieben. 
Allein,  dass  in  diesem  Falle  diese  Erklärung  ganz  falsch  ist»  hat 
Siolh-  nachgewiesen:  denn  die  caraibische  Frauensprache  besitzt 
nur  ein  eii;ziges  Wort,  welches  dem  Arawaischen  gleicht.  Viel 
walu-scheiiüicher  ist  es,  dass  diese  Erscheinung  einerseits  in  der 
socialen  Stellung  der  Frau  bei  den  betreuenden  Völkern  und  in 
einer    unserer    Sprache  fremden,    schärferen  Differenzirimu  --r 

Dinge,  wie  die  Verwandtschaltsgrade,  ihren  ursprünglichen  '  ■  vi. 

Auch  bei  den  (iuyacurus  und  mehreren  anderen  JStümmen 
Brasiliens  ist  die  Sprache  der  Weiber  von  der  der  Männer  gänz- 
lich   oder    doch    iu    einzelnen    Worten    verschieden  t    hier    glaviht 


17.  Die  Frauensprache.  117 

/•.  Jfartius  auch  die  Spracliverschiedenheit  der  Gesclilechter  von 
einem  gemischten  Ursprung  ableiten  zu  können. 

Eine  ganz  ähnliche  Erscheinung  berichtet  uns  Hcrodot  von 
den  loniern,  welche  ihre  Frauen  von  den  Karieru  genommen 
hatten,  nachdem  sie  deren  Männer  erschlagen  hatten. 

Aber  selbst  bei  uns  lässt  sich  noch  eine  gewisse  Analogie  nach- 
weisen, denn  es  diiriie  wohl  hinreichend  bekannt  sein,  dass  auch 
unsere  Damen  ftir  alles  die  Sphäre  des  Geschlechtslebens  Berührende 
ihre  eigene  Ausdrucksweise  besitzen,  welche  von  derjenigen  der 
Männer  ganz  bedeutend  verschieden  ist  und  gar  nicht  selten  von  den 
letzteren  nicht  einmal  verstanden  werden  kann.  Hier  war  es  wohl 
das  Schamgefühl,  welches  die  besonderen  Ausdrucke  vorgeschrieben 
und  erfunden  hat. 


V.  Die  äusseren  Sexiialorgaue  des   Weibes  in 
ethnograpMsclier  Hinsicht. 

18.  Allgemeinem. 

Die  auatotnischen  Verhaltnisse  der  (jcschlecbtjsorgHne  und  die 
physiologischen  Sexual -Fuuctioneti  sind  die  wesentlichsten  Chtirakti/- 
risticu  des  weiblichen  Organismus.  Sie  haben  für  die  ethnographische 
Forschung  insofern  eine  nicht  geringe  Bedeutung,  als  sie  thatsäch- 
lich  bei  den  Völkern  guuz  bedeutende  Unterschiede  darbieten. 

Es  sind  hier  zunächst  die  weiblichen  Geschlecht-stheile  in  ihren 
Fonuen  zu  betrachten,  insoweit  sie  ein  vijlkerkundlidies  Interesse 
besitzen.  Zunächst  zeigen  die  äusseren  weiblichen  Oienchlechtstheile 
—  einestheils  die  weibliche  Scham,  andern  theils  die  Brüste  —  ge- 
wisse wichtige  Merkmale.  Noch  wenig  wissen  wir  über  die  etbmi- 
graphischen  Diflerenzen  der  inneren  Geschlechtstheile,  der  (iebär- 
mutter  mit  ihren  Anhängen,  Schliesslich  hat  da.s  Becken,  als  der- 
jenige Skeletttheil ,  welcher  bei  Schwangerschaft  und  Geburt  eine 
wchtige  Bolle  spielt  und  sich  vieliRütig  in  seiner  Gestalt  vom  Becken 
des  Mannes  unterscheidet,  namentlich  deshalb  eine  Bedeutung,  weil  t» 
je  nach  der  Kasse  eine  Ileihe  charakteristischer  Fonuen  wahrneh- 
men lässt. 

Dann  gelangen  wir  zu  den  Geschlechtsfunctiouen :  Menstruation, 
Schwangerschaft,  Geburt,  Wochenbett,  Säugungsgeschuft.  Auch  hier 
ist  so  Manches  typisch  für  Völker  und  Rassen. 

Wir  dürfen  manche  Gebräuche,  die  sich  auf  das  Geschlechts- 
leben und  die  Behandlung  der  Geschlechtsorgane  beziehen,  nicht 
unbeaclitet  lassen ,  obgleich  sie  nicht  unmittelbar  während  der 
Schwangerschaft,  der  Geburt  oder  dos  Wochenbetts  vorgenommen 
werden.  Denn  manche  dieser  hier  anzuführenden  Gebräuche  sind 
nicht  ganz  ohne  Einfluss  aui'  die  Schwangerschaft  und  Geburt,  sei 
CS  fordernd,  sei  e.s  hindernd.  Insofeni  scheint  mir  nämlich  insbe- 
sondere die  Kxc'.i>ttnn  der  Chtoris,  die  Vernäbung  der  Vulva,  die 
künstliche  \ 
Pflege  und  ! 
beiiu  Coitos  u.  s. 
deutung  xu  sein. 


ung  der  (Klitoris  luid  drr   Nymphen,    sowie  die 
der  Brii.sti'.    i\:\s    tägenthrmiliche   Beiiebnieu 


ung 
w.   bei   ui;i 

Ein  Tl     ' 


ru  Von  nicht  geringer  ft«- 
■•^'         iil  ihre  EntHtehung 


18.  Allgemrifl 


lli) 


findet  jodocli  vielleicht,  erst  dann  eine  ErkUirunfjj,  wenn  man  znyiir- 
derst  in  hetrucht  zieht,  welche  charakteristischen  Eijventhiimlich- 
keiten  im  natürlichen  Bau  der  GcRchlecLtsorgane  sich  bei  manchen 
Vnlkrrschaft^n  bemerklich  machen. 

Fast  Überall  auf  der  Erde  ist  mit  den  Genitalien  der  Begrifl' 
deft  Beschämenden,  des  Piidendura,  verbunden  \md  das  Aussprecheu 
UireK  Namens  wird  als  etwas  ITnanständiges.  als  etwas  Beleidigen- 
iles  augesehen.  Auch  l)ei  uns  im  niederen  Volke  wird  bekanntlich 
ihr  Name  als  ein  Scbimiit'wort  verwendet  und  auf  mehreren  der 
Inseln  des  alfurischen  Meeres  gilt  der  Zivruf  ,,GeschlechtstheU 
Deiner  Mutter*  als  eine  der  schwersten  Beleidigungen  (RiedeV).  Herudol 
{173  II.  KM't.  KW  erzählt:  „In  dem  syrischen  Palästina  (wahr- 
scheinlich die  .ludäa  ehischliessende  Meeresküste)  sah  ich  Säulen, 
welche  iler  ägyptische  König  Sexostris  aufstellte,  und  darauf  die 
oben  angegebene  Inschrift  (sein  Name,  seine  Herkunft  und  der  Nrnue 
des  besiegten  Volkes),  sowie  die  Schamglieder  eines  Weibes.  Wo 
er  ohne  Kampf  und  leicht  die  Städte  einnahm,  bei  diesen  liess  er 
zwar  auf  die  Säuleu  dieselbe  Inschrift  setzen,  wie  bei  den  Völkern, 
welche  tapfer  gewesen  waren,  nur  fügte  er  noch  die  Schamglieder 
dnes  Weibes  hinzu^  indem  er  damit  kund  thun  wollte,  dass  sie 
feige  gewesen  wären."  Philipp  Jacoh  Sacks  erzählt  von  einer  Münze, 
welche  die  Königin  Manjaretltr  von  Dänemark  schlagen  liess  ,pu- 
denduin  muliebre  exacte  referentem",  zum  Hohne  für  die  Königin 
von  Norwegen  und  Schweden,  welche  sie  besiegt  hatte.  Im 
königlichen  Miinzcabiuet  von  Berlin  ist  diese  Münze,  wie  mir  HeiT 
Dr.  Mimailicr  freundlich  mittlieilte,  weder  v<u*handen,  noch  bekannt, 
.ledoch  erzählte  er  mir,  dass  angeblicli  eine  ähnliche  Darstellung 
auf  einer  Münze  August  des  Starken  vorhanden  ist,  welche  auf 
Wunsch  der  Grätin  Kosel  deren  Genitalien  vor.stellen  sollte.  Diese 
Legende  liat  ihren  ]iositiven  Hintergrund  in  einer  ovalen  Wappen- 
umrahmung. 

Aber  auch  eim-  t-hrunvolle  Bedeutung  kann  die  Darstellung 
der  weiblichen  Schaintheile  haben.  So  findet  sich  dieselbe  vielfach 
aueh  aut  den  Sculpturen  und  Bildertafeln,  welche  von  der  Besatzung 
des  preussischen  Schifl'es  Hyäne  auf  der  Osberinsel  ent- 
deckt worden  sind  (Geindrr).  Da  sie  sich  immer  zusammen 
mit  der  dojipelteu  Darstellung  des  Gottes  Mnke-Mukf  finden,  des 
Gottes  der  Eier,  der  das  Mäimliche  und  das  Weibliche  reprä-sentirt 
and  der  in  dieser  Do[ipeldar.stellnng  die  Geburt  eines  Menschen  be- 
zeichnen »oll,  so  .Süllen  die  daneben  gestellten  weibliehen  Genitalien 
ftlixetgen,  dass  die.se  (leburt  einer  ehelichen  Entbindung  entspro.^sen 
wnr.     (Man  vergleiche  die  Abbildung  in  Band  II.) 

Die  Osterins ulaner  haben  auch  jetzt  noch  in  silten  Haupt- 
ling.sfamilien  die  Sitte  bewahrt,  dfuss  bei  der  Eingehung  einer  ehe- 
licli«a  Veriiiüdung  sich  der  Ehemann  die  Vulva  der  Frau  in  ähn- 
licliiir  Zeicluuuig  etM'a  zwei  Zoll  gross  vorn  auf  die  Brust  unmittelbar 


|;;<)   V    Ifii-  iiii. -i-ii-ii  ;!'-xii;il<<r^:.iiii;  ili;i  W<;ili<;>.  in  vthiiograph.  Hinsicht, 
iiiilr-r  ilfiii  i\<-lilkn|iio  i'itil.iil.iowii-i.,  tun  .li;ili;iii  den  B(;wei.s  /u  liefern, 

•In  -       >■!'     V)'l'lM'il'!li|l<-|.    iN(.. 

Dil'  Klliriii^niiilirn  lirsc.lilirii<(iiMi  sich  ])i.sh(.>r  mit  grossem  Inter- 
i-»ric  iiiil.  ilrn  knitiiiilo^i.sclii'it  inul  physiognoniischen  £igenthQmlich- 
liriti-ii  <l<-r  Mni.>4rli(>ni'uNs<>ii.  Allüiii  der  Kopf  und  dtv8  Gesicht  bieten 
vii-lli-irhi.  iiirhl  hfdiMitt'ndi'rc  (fthnographisciie  Vergleichimgspunkt« 
dm  ,  iiIm  ilii'  Nvi-ihlirh<'ii  (n'srhh^i'hiHÜieile.  Man  hat  über  die  Be- 
hiiiidi'rliciii'ii  im  Itiiii  iIit  ütiss«>ri>n  Sexiiidorganu  nur  bei  einzelnen 
ViilKiTsrliiirifH  gi'iiiiucNiii'liriirschuugnjangi'stellt;  es  ist  eben  schwer, 
rim-  ^iMillf^t'iuli'  Zahl  von  Ol ijccini /.u  hokonnnen  und  einer  Betrach- 
liiii^,  i'\t'nlui'll  Messung  /u  uidorwt'rfj'n.  Doch  die  ethnographische 
Iti'ili'utuitg  drr  Sa«-Iu<  verdient  «>s,  das  Material,  so  weit  es  schon 
xorhaiideii  inI,  /.ustuuuien/.ubringeii,  dann  aborauch  durch  neue  Bei- 
(nij^je  .Ml  xergrl'i-^sern. 


l!l.  I)«s  woibllohe  Beokeii. 

Nu\hst  der  (iestaliuug  des  Svhädels  ist  Itir  die  Anthropologie 
des  Wiubes  diejeuig»'  des  lUvkeus  jedoutalls  das  wichtigste  Object 
hiush-hthth  des  Skeleii-Bavu's.  Dieser  aus  mohrerou  Knochen  zu- 
s:«uuieugeset;.te  Theil  des  knöcheniou  iierlistes  hat  neben  seiner 
V»t"ga\»e.  du»  über  utid  in  seiner  Höhle  liegenden  l'nterleibs-Organe 
Ml  lv«igeu.  auvh  eiiu»  gan.'  wesontUeUe  l>odoutuug.  da  es  Uiuueutlich 
d\e  Sevvuiloi'gime  sr.ul.  die  uüt  ilun  in  engster  Beziehung  stehen, 
und  d.»  seu\e  V\m'»u\ erhält nisse  tar  den  lu'bär.ut  von  höchster  Wich- 
takikeit  nuuI.  Iv.  loTitev  Hitisichi  sind  aui  weibliciio!:  IVcken  zahl- 
veiche  lH's\Mul;-v(:e*.te'.'.  «al'.r-'*:neh'.r.e!:.  weU-he  es  vom  iiiäimlicheu.  iß 
;is»l'.eiii  V»v.4di"  v.v/erTii'lxeivte'.:  v.iid  es  gew:sser'.r.;uisse:'.  er«:  tT;r  den 
Me»-V.H'.Msiv.  ■.;«»  J.;-s  tiebv;v:svory:;;\v.gfs  gce:g::e:  :i:.ich-:'^". 

XN  IV    '.'.Av'..":'.     .'.".■.'S'.'S    A;1;"S    ".V.     iliT    i.V.SvVrv.V.'.s'r.STt..'."."^     .Irr    aklUklO- 

■•.;\xv- >»".'.   r".;t<'*.>iv';'.uv.e    '.•.•.  k*.e:v.  •"..ii'.v *•.».■:•.-,•"  v.v.i  «■•::'".•.. T-tu  K'-rp^rrbau 

.v.v.   ,i"vtV.'.v. '•..■.•.;••■.   Ivsyv.vV. ./■.»;  v.v.:tr:.'i:-- •■-      -v.  W-:;.ri-;^^-.^r  -üestr 

V':'..t;-v.is''."'     ■.  i'.v  •   >•.,'•    V":  •f,''"v*,'iv'/.   •.:••..;  >.»_v"!li;..\r-:::  *<.:::::  t--> 

A.'\   .;,"  ^  S;\;.v,-v    .■;,>•.■•■    n-vn  •:--j::.:yyr    »:vw:i:vT:.     Mii:   Li:    Li* 

■.•.'."•x.'*"'.  s"-.'     ':vv'\,-"     ■■     ■^-.'V  •■:     :'.■•:»■.,■"<:'  -.".^    ■i."     \:r    -rrSTiU  FÜi'IZiT 

•v,"    V.'-    >    ;■    wv>-,-   N,  'tl'-,"^  >,•■.'.•  j;'  .   •.vii"    .- iT  Cii. .".:-:.'.    "•'It  «tili'? 

V\*"'     .■,    •*.         .*     .      .'.  t'«'    ^^  t.  .•■*'-      ..■      ,«:•:■"■.■"     S"^!:"  'T  ■     M  ."■.•;.■:"  ^.Tr     '»^*""-r^ 
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19.  Das  TTeibliche  Beckcri 


121 


gpQÖiliigi  M'uren  und  <He  Ergebnisse  der  Messungen  dann  vergleichen 
konnten. 

Auch  schon  ohne  den  genaueren  Vergleich  durch  Banduiaasi^ 
und  Zirkel,  schon  durch  das  Augenmaass  war  man  im  Stande,  grosse 
Unterschiede  zwischen  den  Frauenbecken  verschiedener  Hassen  wahr- 
zunehmen: und  einer  der  Ersten,  welcher  auf  solche  Diiferenzen 
auftuerksam  machte  und  Me><sungen  vornahm,  war  Stimmer  im/.  Eine 
balmbrechende  i\j-beit  verdanken  wir  Vrolih,  weh'her  die  Becken 
von  Negern,  Javaneseh,  vora  Buschmann  u,  s.  w.  verglich. 
Auf  Grund  dieses  noch  allzu  geringen  Materials  machte  dann 
M.J.  Weber  in  Bonn  den  Versuch,  die  Beckenforraen  schon  mit  Rück- 
sicht auf  die  Rasse  zu  gruppiren;  sie  sollten,  wie  er  meinte,  den  Schädel- 
tbmien  entsprechen,  so  dass  die  ovale  Fonn  namentlich  den  Kau- 
ksiern  ,  die  vierseitige  den  Mongolen,  die  runde  den  Ameri- 
lUern,  die  keillV)riiiige  den  Negern  zukäme.  Seit  jeuer  Zeit  ist 
auf  diesem  Gebiet-e  zwar  viel,  doch  keineswegs  —  wie  ich  au  ande- 
rer Stelle  dargethan  habe  (Ploss^'^)  —  Hinreichendes  gearbeitet  wor- 
den, so  dass  wir  schon  im  Stande  wären,  für  das  Russenbecken  eine 
»ystemati8«'he  Eintheilung  aufstellen  zu  können.  Dort  habe  ich  ge- 
zeigt ,  dass  für  die  Messungen  des  Beckens  ein  einheitliches  und 
gemeinsames  Verfuhren  fehlt.  Dies  ist  eine  Behuiiptung,  welche 
gleichzeitig  Bulant/in  in  St.  Petersburg  ausspnich,  ohne  auch  nur 
auf  die  Frage  über  das  Ra.s8enbecken  einzugehen,  indem  er  ledig- 
lich die  bisherigen  Messungen  des  Europäer -Beckens  quantitativ 
und  qualitativ  fllr  ungenügend  erklärte,  um  aus  ihnen  die  Eigen- 
schaften des  normalen  Beckens  festzustellen.  Insbesondere  scheint 
e«  mir  auch  sehr  fraglich,  ob  man  berechtigt  ist,  die  Maassverhält- 
uifise  der  Beckenhöhle,  namentlich  des>  Beckeueinganges  (d.  h.  der 
Querdurchmes-'^er  in  seiner  Proportion  zu  dem  auf  100  berechneten 
geraden  Durchmesser  als  , Index "■  bezeichnet),  ul.s  Grundlage  einer 
jtystematischen  Eintheilung  aufzufassen.  Schon  Zc/öz/'T  stellte  dem- 
gemäss  die  .runde"  und  die  .Hinglichovale"  Form  des  EingimgN 
als  typisch  auf;  imd  C.  Martin  gnippirte:  1.  Becken  mit  rundem 
Eingange,  bei  denen  die  Conjugata  (der  .\bstand  der  Schambein- 
«ymphyse  von  dem  Promontorium  des  Kreuzbeins)  fast  eben  so 
gross  ist,  als  der  (^uerdurchmesser,  und  höchstens  um  ',  ki  kleiner 
als  dieser  ist  (Ureinwohner  Amerikas,  Australiens  und  der  Innehj 
des  indischen  und  grossen  Oceans);  2.  Becken  mit  querova- 
lem Eingange,  bei  welchen  die  Conjugata  mehr  als  \'n)  ihrer  Länge 
kleiner  ist  als  der  quere  Diirchmesser  (Bewohnerinnen  Afrikas 
und  EuropusX  In  diesen  Proportionen,  dies  wird  allgemein  an- 
erkannt, Hegen  aber  nicht  allein  die  bc-^onderen  Merkmiile  des 
Hiiss«n-Tvpus.  Es  sind  vielmebr  gewiss  viele  Theile  <les  Beckens 
»l«  Rasuen-Merkmale  charakteristisch,  unter  anderen  die  Darmbeln- 
«chaui'eln,  deren  Breite,  Stellung  und  Dicke  bei  gewissen  Rjvssen 
mehr  o<ler  weniger  an  das  Thierbecken  erinnert,  z.  B.  das  keilför- 
mig verlängerte  Hecken  des  Negers,  wie   Vrolik.,  l'nmcr^  Carl  ViMjt 


122    V. 


«e  de«  Weibes  ff 


u.  A.  hervoigv'lioben  liaben.     Andere,  wie   de  Quatrefm/es,  linden  in 
solchen  Bildungen  nur  ein  Stehenhlfibcn  auf  frHhen  Altersstufen. 

Wie  hier  die  Breite  des  grossen  Beckens  (d.  h.  der  Abstund 
der  äusseren  Ränder  der  Darnibeinscbaufeln  von  einander),  so  wird 
von  Anderen  die  Configivration  des  Kreuzbeins  (Os  sacrum)  als 
('harakt^ristiscli  geschildert :  Nach  ßaranssr  erreicht  die  Breite  an 
der  Basis  des  Kreuzl>eins  ihr  Maxinnim  bei  der  weissen  Basse, 
besonders  bei  den  Europäern,  dann  folgen  die  gelben  Kassen  und 
endlich  die  scliwar/.en,  Hinsichtlich  der  Höhe  des  Kreuzl)ein8  be- 
steht grosse  Mannigfaltigkeit:  die  afrikanischen  Neger  erreichen  die 
grijsste  Höhe  untt^r  den  Kreuzbeinen  mit  ij  Wirlieln,  die  Euro- 
päer unter  solchen  mit  5  Wii'belu.  Die  Krümmung  des  Kreuz- 
beins ist  bei  den  weissen  Rassen  am  stärksten,  besonders  bei  Eu- 
ropäern, dann  folpen  die  gnllien  Hassen,  imd  die  flachsten  Kreuz- 
lieine  haben  die  schwarzen. 

Besondere  Unterschiede  zeigen  sich  imter  den  Ita.ssen  höchst 
wahrscheinlich  in  der  Neigung  des  Beckens,  d.  h.  in  der  Haltung 
und  Stellung  de-sselben  zur  Runipfaxe.  »Schon  lirora  machte  ilar- 
auf aufmerksam  und  gab  ein  besonderes  Untersuchungsinstrument 
für  diese  Verhältnisse  an.  Auch  Hiimiy  ging  den  Rassen- Di flfe- 
renzen  nach  dieser  Richtung  hin  nach.  Jedoch  Prorhmvnich,  der 
elienfttlls  einen  iMessapjvarut  angab,  kam  nach  seinen  Erörterungen 
zu  dem  Schluss.  dnss  man  sich  vorläufig  wegen  der  grossen  indi- 
viduellen Schwankungen  von  der  Bestimmung  der  Beckenueigimg 
nicht  viel  iTu"  die  Unterscbeiduni(  der  Rassentypen  versprechen  darf. 

Allein  wir  brechen  hiermit  die  Besprechung  dieser  Fraise  tjber 
das  RASseubecken  ab,  indetu  wir  lediglich  auf  die  ausführlicheu 
Arbeiten  von  Vrnlil>,  Zauijer,  Pntner-lieif ,  A.  Wfisbac/i.  Carl 
Martin,  O.  von  Franqur,  Venieau,  IVcrnicht  //.  Fntsc/i,  G.  Fritsch, 
A.  FiIatoff\  A.  V.  Schrenel:,  Hennty  u.  A.  verweisen.  Denn  die 
Frage  über  das  Itassenbecken  im  Allgemeinen  geht  beide  Ge- 
schlechter an  ;  unsere  Aufgabe  ist  es  vielmehr,  dieselbe  nur  inso- 
weit ins  Ange  zu  fas-sen,  als  sie  insbesondere  das  weibliche  Ge- 
schlecht betritt't. 

Erwähnen  wollen  wir  nur  noch,  dass  die  deutsche  anthropolo- 
gische Gesellschaft,  im  Wesentlichen  durch  eine  Abhandlung  von 
Ploss^'*  angeregt,  im  -lahre  1884  eine  besondere  Conmii.ssion  erwählt 
hat,  welche  die  zweckuiässigste  und  fruchtbringenilste  Art. ,  das 
Rjissenbecken  zu  studiren,  berathen  und  ausarbeiten  soll. 

Auch  bei  Vrdkern,  die  auf  gleichem  Boden  wohnen,  zeigen  die 
Becken  erhebliche  Ditlerenzeu.  So  fand  Schrötrr,  dass  das  Bcckeu 
der  Esthin  und  Deutschen  ein  .stärker  entwickeltes  L^t,  als  das  der 
Polin  und  .lud in;  dass  das  Becken  der  letzteren  überluiu}»t  (la>  in 
allen  Rassen  klein.ste  ist.  Und  unter  den  von  iSchröter  untersucliti'u 
Becken  fand  sich  die  stärkste  Neigung  l)ei  den  Deutschen,  eint» 
geringere  bei  den  polnischen  Knmeu,  eine  i-  'i-  '■■■••'"'■""•'^  1- 
•Tiid innen,  und  die  allergeringste  bei  dw»  Y. 


£ennfi^uu;i  itei  cju  uua  üeiuseioen  ludividuuiu 
staute  GrJ'if!8e,  denn  dii-  Haltung  und  Stdlung  desselben  ruft  wesent- 
liche Veränderungen  in  dem  Verhältnisse  des  Winkels  hervor,  welchen 
die  üeckeuaxe  und  die  sogeniinnte  Eliene  des  Beckens  zur  Körper- 
Hxe  bildet.  Bisher  wurde  jedoch  nicht  nachgewiesen,  dass  die  der 
Rasse  eigcnthOinliche  Lieckenncigung  die  bei  einem  Volksstamine 
beliebte  KürjierhaUung  der  Gebärenden  bestimmt  oder  beeintlusst. 

Nach  Mond  ihre  scheiden  sich  die  Weiber  Cochinchinas  in 
Annamitiiincn,  Oambodgianerinnen,  Chinesinnen  und 
Minh-hui»ng  d.  h.  Mischlinge  von  Chinesen  und  Annamiten. 
Von  diesen  hat  die  Chinesin  das  grösste  Becken  in  allen  Dimen- 
sionen; du  rt'ste,  che/ eile,  tont  ce  qui  se  rapporte  aux  organes  de 
la  generation  semljle  avoir  pris  des  proportions  exageres.  Die 
Cambodgianerin  hat  das  längste  und  schmälste  Becken. 

Ohne  allen  Zweifel  halben  die  Lebensweise,  die  Sitten  und  Ge- 
bräuche  eines  ^'^olkes   einen  gewis.seu  Einfluss   auf  die  herrschende 
Beckenfonu.     N'or   allem  ist  die  Ernährung  des  Skeletts  überhaupt 
und  namentlich  die  Zuluhr  von  knochenbildendem  Material  sehr  wichtig. 
In  dieser  Hinsicht  erinnere  ich  daran,  dass  G.  Fyitgch  bei  Hotten- 
totten und  Buschmanns  trauen    die   Becken    sowie   den    ganzen 
Kör})er  verkünunert  fand.     Die  Becken  der   Südafrikaner  zeigten 
weder  recht  die  typischen  männlichen,  noch  die  weiblichen  Formen, 
sondern    es   war   ein    Gemisch   der    verschiedenen    Charaktere    vor- 
.handcu,  welches  durchschnittlich  dem  männlichen  T}-pns  näher  liegt. 
[Dietie    That^ache    verdankt  ihre   Entstehung    zum    Theil    den    un- 
günstigen Lebensbedingungen,  unter  welchen  das  Skelett  nicht  den 
lirad  der  VoUkomnaenheit  erreicht,  als  unter  dem  Einflüsse  der  ('i- 
Ivilisation.     Ausserdem  will  man  gefunden  haben,  dass  die   Beckeu- 
maaisse  von  Negerinnen,  die  in  Amerika  gel^oreu  waren,  durch- 
|schuittlich    sich    dem  europäischen  Becken  mehr  nähern;   neben 
(den    Verbesserungen    der   allgemeinen  Verhältnisse   war   auch    eine 
I  Verbessern ng  des  Knochengeriistes  einhergegaiigeii. 

Auch  die  geV)r5uc.hliche  Tracht  mag  auf  tlas  Becken,  nament- 
lich während  des  Wachstlnnns,  mechanisch  formverändernd  einwirken. 
Ebenso  wird  jedenfall.'»  eine  specitische  langandauernde  Korperhaltung 
und  eine  be.^ondere  Arbeiisthätigkeit  die  Gestaltung  dieser  Knochen- 
gruppt!  mitbedingeu.  Schon  Cliassnniol  sprach  den  Verdacht  aus, 
(bujs  der  Brauch  junger  Negerinnen,  die  Kinder  rittlings  auf 
«len  Hüften  einherzutnigen,  eine  Verkrümmung  des  Seitentheils  ihrer 
Becken  herbeittlhre.  Und  lirrthrrand,  welcher  die  Becken  der 
iberinnen  in  Algerien  sehr  weit  geöflnet  fand,  .sucht  die  Ur- 
;he  in  drei  Be<linguugeu :  erstens  im  Tragen  der  Kinder  auf  dem 
lücken  während  il»*r  ganzen  Säugungsperiode,  zweitens  im  Reiten 
I't'erd  '^rhon  in  trüber  .lugend  »md  ilrittens  im  Sitzen  mit  unter- 
{e-<  Beinrn  narh  Art  der  Schneider  in  unseren  Landen,  ii///* 

>  die  Chinesinnen,    bei  denen   er  öfter    hohe,   .schmalf 
•"nnd,  dies  mit  Wahrscheinlichkeit  nur  der  sitzenden  Lebens- 


1 2  4     V .  Die  ilusser 


SalörgSSe  des  Weibes  in  etBnögmpf 


weise  zu  verdanken  haben.     Das   alles   mlisste  freilich  noch  naher' 
untersucht  werden,  wie  auch  die  etwaige  Wirkung  der  Art,  wie  beij 
manchen  Völkern  das  kleine  Kind  eingeschnürt  und  getragen  wird,] 
wie  es  kriecht,    bevor  es  auf  die  Beine  kommt  u.  s.  w.    Gegen  diel 
Ansicht,  dass  der  Rasseutypus  der  Beckeugostalt  durch  die  Runipt- 
last,    durch    den  Muskelzug    und  durch    den   seitlichen  Gegendruck  | 
der  Femora  nioditicirt  werde,    trat   unter  Anderen   Schliepkake  auf, 
indem    er  meiut,    da^s  die  Fonu  des  späteren  Beckens  im  Ganzen 
schon    in    der    Uranlage    desselben    gegeben    ist,    und    dass    durch ^ 
Humpflast  u.  s.  w.  nur  noch  einzelne  Modificationen  hinzukommen.  ^ 

Das  Tragen  der  Kinder  rittlings  auf  den  Hinterbacken,  welches 
namentlich  im  Westen  Afrikas  bei  den  Negerinnen  ganz  gebräuch- 
lich ist,    hat  auch  zu  der  Vermuthung  Anlass  gegel>en,  dass  hier-l 
durch  die  an  diesen  Weibern   bemerkbare  Einbiegung  des   Lenden- 
theils  am   Rückgrat    zu   erklären  sei;    es    würde   hiermit   der    erste 
Grad    einer  Rückgratsverkrümmung   (Lordose)    zu   Stande   kommen. 
Die  Körperhaltung,   die  durch  solche  Einwärtsbiegung  des  unteren 
Theils  der  Wirbelsäule  bedingt  wird,  hat  wiederum  zur  Folge,  dass , 
das  Becken  mehr  als  gewöhnlich  geneigt  ist,  indem  sich  sein  vor- 
derer Theil  ganz  von  selbst  tiefer  stellt.    Allein  auch  diese  grössere 
Beckenueigung   erzeugt  nicht   auch  et^'a  (durch  die  Alteration  der 
normaleu  Richtung    der  Wirbelsäule)  eine   Verschiebung   der   Arti- 
cidation  der  Wirbelkörper  in  der  Sacro-Lupibar-Gegend  (wie  etwa  nach 
Hennig^  Lambl  u.  A.  an   der  Pariser  Hottentotten -Venus  ge- 
funden wurde).     Vielmehr  findet  eine  Abweichung  der  Stellung  und 
Richtung  der  gesammten  Lumbar- Partie   des  Rückgrats  statt.     Da- 
her ist  auch  Ber enger- Feraud  im  Irrthum,  wenn  er  das  Vorspringen 
der  Hinterbacken  bei  den  Negern  Senegambiens  von  der  schiefen 
Anschliessung  des  Beckens  an  die  letzten  Lendenwirbel  herleitet.    Aller-  ■ 
dings  ist  nun  die  gesammte  Beschaffenheit  des  ganzen  Skeletttheils  in  ■ 
der   Beckengegend   durch    diese   Gewohnheit,    das   Kind   zu  tragen, 
vielleicht  erst  erworben  und  dann  mit  der  Zeit  nach  und  nach  ha- 
bituell geworden.   Eine  weitere  Frage  ist  aber,  ob  diese  Einbiegung 
der    Lendenwirbel    irgendwo    den    Geburtsverlauf    beeinträchtigt? 
Allerdings  sollen  viele  Negerinneu  bei  der  Geburt   eine  Stellung 
einnehmen,  in  welcher  die  Lendenkrttmmung  über  dem  Promontorium 
sich  wesentlich  ausgleicht,   so   dass  die    Kindestheile    l)ei    der    ver- 
änderten ßcckenneigung  leicht  nach  aussen  gleiten  tmd  kein  Hinder- 
ttiss  finden. 

Der  oft  ausgesprochenen  Behauptung  gegenüber,  dass  die  Ge- 
burti.*n  bei  einem  Volke  oder  bei  einer  Rasse  wegen  des  speci- 
fischen  B  ecken  bau  fs  vi>i*7.ugswi»ise  lej«*bt  oder  s<'.|iwer  vor  sidi 
gt'hon,    müssen    wir    «'ine  lialtung    bewahren:    wir 


glauben  im  Gcgentb-'il,    ii 
wiesen  sind,  «o  lau 


itiiTitrcn    vnrjäu'fiß  uner* 
lichg«- 
,.,...,,..  bei  den 
rbti-u  und  derwa. 


1 20     ^''  ^J*!  SluBseren  Sexualorgnne  ilc«  Weibcä  in  ethuogravili.  Hfii'^iclil. 


Becken  ganz  genau  in  recht  zahlreichen  Exemplaren  mit  einander 
zu  verf^leicheu.  Wir  werden  nn  amlerer  Stelle,  wo  wir  von  der 
gesundheifc-igeuiHssen  GeLurt  uud  ihren  Bedingimgeu  sprechen,  auf 
diesen  Gegenstand  austlihrlicher  eingehen. 

Ohne  Zweifel  sind  n  iilit  lilosn  s  ä  m  m  1 1  i  c  h  e  Verhältnisse  des  Beckeu- 
hunes,  sondern  auch  mannigfache  Eiirenthtlmli<hkoiteii  des  gesanimten 
weiblichen  Organismus,  und  nicht  minder  die  U  rossen  Verhältnisse 
von  dem  Kupl'e  und  der  Schiilterhreite  des  ansgetragenen  Kindes 
luaassgeljend  lür  den  mehr  oder  weniger  günstigen  Verlauf  der  Ge- 
Iturten  bei  deu  verschiedeuen  Vülkerschafteu. 

Und  bei  dem  vergleichenden  Studium  der  Moasse  des  weih« 
liehen  Beckens  bei  den  verschiedenen  Rasseu  wird  man,  wenn  mau 
wirklich  ein  Bild  von  den  realen  Verhältnissen  gewinnen  will,  nie- 
mals versäumen  dürfen,  das  Maass  der  SchTilterbreit^  uud  das- 
jenige der  gesannuten  Kürpergrösse  mit  in  Vergleich  zu  stellen. 

Von  den  Formverhältnissen  des  knöchernen  Beckens  wird  na- 
türlicher Weise  zum  nicht  geringen  Theile  die  Cuntiguration  von 
dem  unteren  KTirpeiende  der  Frau,  namentlich  diejenige  der  Ge- 
jfässpartie  uud  der  Schenkel,  sich  in  Abhängigkeit  betinden.  Das 
ist  ja  auch  der  Grund,  dass  Messungen  am  Lebenden  an  diejsen 
Theilen  einen  Kückschluss  auf  die  geringere  oder  Ijeti-ächtlichere 
Grösse  des  knöchernen  Beckens  ermöglichen  —  ein  Umstjiud, 
welchen  die  moderne  Geburtshülfe  schon  seit  lauger  Zeit  für  ihre 
Zwecke  auszunutzen  gelernt  hat.  So  kann  es  kommen,  dass  bei 
bestimmter  Stellung  der  Dannbeine  von  Natnr  l»reite  Becken  den- 
noch für  das  Auge  einen  schmalen  Eindruck  macheu.  weil  die 
Darmbeinkämme  nicht  in  gewohnter  Weise  lateralwärts  ausladen» 
sondern  sich  relativ  genähert  sind  durch  ein  gesteigertes  Steilstehen 
der  Darmbeine.  Ein  Beispiel  hierfür  liefern  die  Weiber  der  Loango- 
Küßte,  von  denen  Falkinstein'^  sagt: 

...\uUUllend  Lst  un  Allgemeinen  diu  geringe  Mi'ckeubreite  der  Krauen, 
ko  AiuiA  luau  beide  Geschlechter  von  hinten  kaum  untemcheiden  würde;  ilooh 
komuien  auch  Ausnahtuen  vor.*' 

Faiditschkc  erklärt  ein  „schiefstehendes"  Becken  als  typisch 
den  Somali-  und  Galla-Frauen. 

Aehnlich  äussert  sich  auch    Wolff*  über  die  Negerinnen  i^ 
Co  ngo  gebiete: 

„Die  breitt-n  Beckcnknochon  stehen,  wie  bekannt,  bei  allen  Nf^reru 
fteiU'r,  als  bei  uns;  divs  ganze  Becken  iet  um  seine  horiKöntale  .Vxe  ^'edieht. 
»o  dasy  diici  uutur*5  Kndu  mehr  nach  hinten  steht,  aU  bei  aas,  es  treten  da- 
bei" dit^  (Jhiiaeen,  die  die  Hinterbacken  bilden,  sehr  »tark  hervor,  wiihrend 
die  ITfllten  auch  bei  den  Weibern  8chm»l  sind. 

Andererseits  kann  bei  Frauen,  welche  im  Ganzen  eiiioi  grazil« 
and  schmächtigen  Eindruck  machen,  doch  das  Hintertheil  relat 
grosse  Dimensionen  erreichen:  Sohatf-  "'  '         '  '    r  lungereZ« 

eintr  gynäkologische  Abtheilung  in  ^  •    ' 

rl  apanefinnen  als  breit  un 

pljywn      , .1111. II       «;.-llf      ifTriK^i-ll      >c( 


19.  Das  weibliche  Becken.  127 

Ein  zweiter  wichtiger  Factor,  welcher  für  die  Form  der  weib- 
lichen Hüften  kaum  minder  maassgebend  ist,  als  das  knöcherne  Ge- 
rüst des  Beckens,  das  ist  die  grössere  oder  geringere  Fülle  des 
üuterhautfettgewebes,  dessen  Menge  bei  verschiedenen  Völkern  eine 
ausserordentlich  verschiedene  ist.  Hierdurch  wird,  allerdings  im 
Vereine  mit  der  Ausbildung  der  Schenkel  und  der  Waden  und  mit 
der  Schulterl)reite,  die  allgemeine  Erscheinung  des  Weibes,  die  wir 
gewöhnlich  als  ihren  Wuchs  bezeichnen,  ganz  bedeutend  beein- 
ilusst  oder  eigentlich  bedingt.  Die  Figur  20  ist  bestimmt,  einige 
Repräsentantinnen  des  weiblichen  Geschlechts  vorzuführen,  welche 
dem  Leser  beträchtliche  Verschiedenheiten  in  dieser  Beziehung  auch 
bei  jugendlichen  Individuen  vor  Augen  führen,  insoweit  dieselben 
verschiedenen  Rassen  angehören.  Die  in  ihren  Proportionen  unseren 
Geschmack  am  meisten  befriedigenden  Gestalten  sind  die  beiden 
Europäerinnen  (No.  5  und  8),  denen  die  kleine  Dajakin  von 
Borneo  (No.  3)  sich  am  nächsten  anschliesst.  Die  Samoanerin 
(No.  7)  erscheint  uns  auch  noch  proportionirt  gebaut,  doch  neigt 
sie  schon  zu  etwas  überreichlicher  Fülle  hin,  während  die  beiden 
Sudanesinnen  (No.  1  und  4)  und  die  Australierin  (No.  2)  eine 
für  unser  Auge  abschreckende  Magerkeit  besitzen.  Das  Mondü- 
Weib  aus  Oentral-Afrika  (No.  6)  zeigt  recht  deutlich  den  fast 
männlichen  Habitus,  die  beträchtliche  Schulterbreite  im  Vergleich 
zu  der  viel  geringeren  Hüftenbreite,  und  ausserdem  bemerken  wir 
die  für  die  afrikanischen  Völker  fast  charakteristische  kümmer- 
liche Ausbildung  der  Waden. 

Besonders  arm  an  Unterhautfett  sind  namentlich  die  Australier- 
innen. Bei  denen  aus  Queensland,  welche  vor  zwei  Jahren 
Europa  durchreisten,  machten  die  Hüften  und  Schenkel,  sowie  die 
Waden,  wenn  derartige  dürre  Gebilde  diesen  Namen  verdienen, 
durch  ihre  ausserordentliche  Schmalheit  nind  Magerkeit  einen  ge- 
radezu  überraschenden  Eindruck.      (Fig.  20  No.  2.) 

Die  Steigerung  in  das  Extreme  nach  der  anderen  Richtung 
hin  treuen  wir  in  einer  eigenartigen,  dem  weiblichen  Geschlechte 
bei  verschiedenen  Völkerschaften  Afrikas  vornehmlich  zukom- 
menden Bildung  eines  besonders  stark  entwickelten  Fettpolsters  an 
den  Gesässtheilen.  Es  ist  dieses  der  sogenannte  Fettsteiss  oder 
die  Steatopygie. 

Diese  Besonderheit  kommt  namentlich  bei  den  Buschmann- 
und  Hottentotten -Frauen  vor;  sie  tritt  schon  in  der  Jugend- 
zeit auf,  doch  hat  man  noch  nicht  genauer  angegeben,  von  welchem 
Lebensalter  an  diese  örtliche  Fettablagerung  sich  vollzieht  (Fig.  2 1 
No.2).  Blancard  berichtet  nach  Le  VaiUant,  que  l'hypertrophie 
fessiere  apparaissait  des  la  premiere  enfance,  accentuant  ainsi  la 
dilFerence  entre  la  fille  et  le  gar9on. 

Auch  von  anderer  Seite  wird  dieses  behauptet.  Jedoch  zeigten 
bei  den  kürzlich  in  Berlin  ausgestellten  sogenannten  i''arjm'schen 
Erdmenschen,    d.  h.   Buschmännern   aus  der  Kalahari- 


Wtlste,  auch  die  Männer  eine  ungewöhnliche  fülle  der  Hintor- 
backen. Allerdings  stand  das  sie  begleitende  kleine  Mndcheu  in 
dieser  Beziehung  den  Männern  karnn  mtcb.  (Fig.  21  No.  3.;  Ajigeb- 
lioh  soll  bei  Mischlingen  die  8teatopjgie  nicht  zur  Ausbildung 
gelangen. 

„C"ettt'  protiibemnce,  sagt  Louis  \'inceiit,  qui  cxif.le  au  niveiiu  de  lu 
rögion  fessif-rc,  a  fetd  regardee  par  certaina  auteurs  coranie  tle  nattirc  muscu» 
leuse:  il  n'en  est  rien;  c'est  une  masse  d'une  con.sistance  cla.stir|ue  et  Lrem- 
Idautc  cntierement  formöe  de  graissc  et  traversee  eu  ton«  teus  par  d«?  gror 
faisceaux  de  fibres  lamineuscs,  tres-irreguli^rement  entre-croiaees. 

Die  von  Civier  beschriebene  sogenannte  H  n  t  tentott  e  ii- 
Venus  besass  diesen  Fetthöcker  in  holiem  (irade :  die  Höhe  der 
Hinterbacken  betrug  10,2  cm.  Die  von  Tloiirr  und  Murie  unter- 
suchte, etwa  21  .lahre  alt  in  England  verstorbene  Buschmann  in 
hatte  zwar  keinen  eigentlichen  Fetthl'icker,  doch  war  bei  ihr  die 
Fettschicht  der  Hinterbacken  l',4  Zoll  dick,  und  die  Haut  darüber 
hatte  ein  loses,  gefaltetes  Aussehen,  als  wenn  sie  früher  viel  be- 
deutender ausgedehnt  gewesen  wäre.  —  Bei  der  von  Luachla  und 
(iörts  untersuchten  Leiche  der  als  „Buschwei  h"  bezeichneten  Afundi/ 
betrug  die  Dicke  des  Fettpolsters,  nachdem  es  ein  ,Iahr  lang  in 
Weingeist  gelegen,  in  seiner  grös^ten  Mächtigkeit  4 — 4,5  cra ;  es 
war  hier  nicht  bloss  das  angehäufte  Fett  bedeutender,  sondern  auch 
die  Vertheilung  des  Fettes  eine  andere,  als  bei  Europäerinnen; 
am  stärksten  war  .sie  in  der  Gegend  der  Darrabeinkämnie  und  über 
den  Muse,  glutaei  max.,  und  während  bei  Europäerinnen  die 
Stärke  der  Wölbung  vom  Darmbein  nach  unten  zu  allmählich  zu- 
nimmt, verflacht  sich  bei  der  H<it  tentott  in  die  Partie  immer 
mehr  nach  der  hinteren  Oliersthenkelfläche  hin.  Die  genaue  ana^ 
tomische  Beschreibung  dieser  Autoren  schliesst  völlig  die  Ansicht 
ans,  dass  die  auflallende  Erscheinimg  etwa  von  einer  besonderen 
Neigung  des  Becken.s  herrühren  könnt*;,  und  dass  das  Kreuzl»pin 
nach  hinten  zu  gestreckt  sei. 

Auf  diesem  Fettpolster,  Aredi  genannt,  lässt  die  Hottentottin 
ihr  Kind  ruhen:  da-sselbe  gilt  unter  dem  Hottentottenvolke  als 
Schönheit,  wie  denn  überhaupt  runde,  fette  und  flei.schige  Formen 
bei  ihnen  den  Maassstab  ftir  diese  Eigenschaft  abgeben.  Aach 
Thophil  Hiüin^  tritt  der  Meinung  entgegen,  dass  das  Kreuzbein 
bei  den  Hottentotten  abnorm  vorrage,  denn  nicht  bloss  das  weib- 
liche, sondern  auch  das  männliche  Geschlecht  zeigt  bei  diesem  Volke 
die  Eigenthlinilichkeit,  tind  er  selbst  hatte  an  seinen  iSpielkamerftdem 
jungen  Hottentotten,  oft  Gelegenheit  zu  beobachten,  wie  iu  der 
guten  .lahreszeit,  wo  es  viel  Milch  und  Wildpret  gab,  Uire  6e«ft»i- 
theile  für  unsere  europäischen  Vorstellungen  nachjji  i  '  '  '  illmfl«? 
nimeusioneu    nrui>ilin:«n,    wülircnd    bei    geringerer    ^  iliese 

Fettmusse  sich  wieder  verlor. 

Doch  auch  andere  Völker  Afrikas  zeichn^Mi  -Iil,  ,li,i-.  li  ri;<1ii;<'he 
Fettftblageruug   HO  jenen  Theilen  auit.     Au  ^e» 


leu 


horea  die  Nigritier  des  Nils  und  die  Bongo  nach  Itortinann 
hierhin,  nvLch  lit-voil  auch  die  Soniäli  und  die  Berber.  Living- 
slone  will  die  Steatopygie  sogar  auch  bei  einigen  Frauen  der  Boers 
bemerkt  haben,  welche  doch  der  weissen  Hasse  angehören.  ThuUv 
hält    diese  Angabe    für   kaum  glaul>lich    und  mochte  sie,    wenn  sie 

tauf  Thatsachen  beruht,  nur  durch  eine  Vermischung  der  eingewan- 
derten Ansiedler  mit  den  Eingeborenen  erklären ;  dagegen  weist  er 
doch  auch  auf  die  \'er8icherung  von  Kvox  hin,  das«  der  Fettreich- 


V. 


V 


4 


j 


-k-' 


Tix; 


Fig.  21.     Fenleibigkeit  and  Steatopygie. 

1.  BoogO'FrAU  (C«utrikl-Afrikft)  (naob  Sihweinfiirtli).  —  'i.  K  urauna -W«ili  {Slld- 

Afrik»)  (okoh  Photgg»»pblc).  —  3.  Batehm^QU-Mtdchsu  (^'urim'm-/i<'/' KtdoieD^oli} 

(SUd-AfrikB)  (naob  riiotogrBphie).    —  ^.  Aethlopiioh«  ArAbctln  su»  deu  Pjr»- 

mldeugräbem  ron  Baqtra  (naeh   ItämicheH). 

thum  der  Hinterbacken  durch  die  Vermischung  der  Bu.schmänner 
mit  Kaffern  oder  mit  Europäern  bei  deren  Nachkommen  ver- 
schwinde. 

Bei  den  Woloffen- Fniuen  am  Senegal  kommt  nun  zwar 
die  eigentliche  Steatopygie  nicht  vur,  doch  hat  de  lioclichioie  an 
ihnen  eine  nicht  geringe  Entwickelung  der  Fettbildung  an  den  be- 
treffenden Theilen  bemerkt  und  er  widerspricht  in  <lie.sur  Beziehung 
direct  dem  negativen  Berichte  Huard's.  Iff  Bftrhdn-une  hat 
von  Woloffen -Weibern  \'A)  Individuen  gemes-sen,  und  er  fand  den 
Umfang  der  Hinterbacken,  wenn  auch  nicht  so  bedeutend  wie  beim 
Buschmaun-Weib.  so  doch  grösser  als  bei  den  Europäerinnen, 
Er  hat  folgende  Zahlen  bei  der  Messung  von  einem  Trochanter 
zum  anderen  liber  den  höchsten  Punkt  der  Hinteri)ucken  hinweg 
gefunden:  bei  der  Bu.schmanufrau:  0,791   m, 

bei  der  Wo  1  off -Frau:        0,678  m, 
bei  den  Europäerinnen:  0,ö44  m. 
PlQit.  Ii»i  M.ii    -         1   n  9 


tinograph.  Hinsk-hi. 

Die  Tibbu  -  Frauen  haben  vor  den  ßornu  •  Frauen,  wie  Gusiav 
Nachtigal  beobachtet,  nicht  allein  den  Vorzug  regelmässiger,  edlerer, 
gefalligerer  Züge,  sondern  in  ihrer  Gestalt  den  eines  wohlgeformten 
Beckens,  das  bei  diesen  durch  seine  starke  Neigung  im  Verein  mit 
der  reichlichen  Fettablagerung  ein  widerlich  vorspringendes  Gesäss 
hervorbringt. 

In  den  Pyramidengräbem  von  Saqära  in  Aegypten  fand 
sich  auf  einem  Steine  das  von  Dümichen  wiedergegebene  Bildniss 
einer  arabischen  Fürstin,  welche  in  dem  17.  Jahrhundert  vor  un- 
serer Zeitrechnung  regierte.  (Fig.  21  No.  4.)  Sie  föllt  durch  die 
starken  Körperformen  und  namentlich  durch  die  erhebliche  Dicke 
des  beträchtlich  vorspringenden  Hintertheiles  auf,  wodurch  sie  sich 

fanz  wesentlich  von  den  äusserst  schmalhüftigen  ägyptischen 
rauenbildem  «uteracheidet.  Wie  die  Ausgrabungen  von  Dieulafoy 
in  S  n  s  a  bewiesen  haben,  waren  die  damaligen  Bewohner  dieses 
Theiles  von  Asien  Aethiopier.  Und  diesem  Volksstamme  gehört 
ükue  Zweifel  auch  unsere  arabische  Fttrafin  an. 


20.  Die  üusseren  weiblichen  Sexoalorgane  und  ihre 
ethnographischen  Merkmale. 

Es  kann  leider  nicht  abgeleugnet  werden,  dass  selbst  solche 
Objecte,  die  der  Untersuchung  durch  Aerzte  und  Anthropologen  so 
leicht  zugänglich  sind,  wie  die  weiblichen  Sexualorgane  europäischer 
Nationalitäten,  bisher  durchaus  noch  nicht  genau  genug  erörtert 
worden  .sind,  .leder  be.schäftigte  Geburt.shelfer  hatte  wohl  in  seiner 
Praxis  mitunter  Gelegenheit,  z.  B.  ausnahmsweise  grosse  Nymphen  zu 
finden.  Allein  hier  sind  sie  nur  eben  Ausnahmen  :  dagegen  scheinen  die 
Verhältnisse  sich  in  anderen  Ländern  häufiger  zu  wiederholen,  in  noch 
anderen  aber  scheinen  die  betreffenden  'fheile  constant  grösser  zu 
sein.  Sollte  es  wahr  sein,  dass  auch  hier  schon  Rasse  und  Klima 
sich  von  Einflus.n  auf  Form  und  Gestalt  der  äusseren  Geschlechts- 
theile  zeigen?  So  behauptet  unter  Anderen  Columbat  de  l'fsrri', 
dass  in  stidlichen  Gegenden  die  Genitalien  der  Frauen  gewöhnlich 
höher  und  mehr  nach  vom  gelegen  sind,  als  in  kalten  und  feuchten 
Landern;  es  sollen  die  Schottinnen,  die  Engländerinnen  und 
Holländerinnen  fast  immer  die  Vulva  weniger  vorn  und  den 
Uterus  weiter  unten,  als  die  Französinnen  des  Südens,  die  Spa- 
nierinnen mid  Italienerinnen  haben.  Sollte  sich  etwas  dem 
Aehnliches  bestätigen,  so  müsste  man  wohl  als  nächsten  Grund  der 
differenten  Erscheinung  eine  verschiedene  N  '  '  "'  "    .       ' 

Beckens  zu  betrachten  haben.    Die  gewol 
Körpers  ist  dabei  gewiss  ebenfalls  ik 

In  sehr  vieler  Hinsicht   untfis.  i 
liehen    fieschlechtstheile   des    iSl 


20.  IHe  äusseren  weibl.  Sexaalorgane  a.  ihre  etbnograpli.  Hericmale.  13t 

Hierüber  sowie  ober  die  Rassen-Diiferenzen  beim  Menseben  hat  vor 
lUen  V,  Bi.^rJioff^  vergleichende  anutotnische  Untersuchungen  angestellt. 
Die  Weiber  aller  MenschennisBeti  besitzen,  soweit  .sie  bla  jetzt  bekannt 
lin«i,  groiüse  Schamlippen  und  einen  Schainborj;  und   einen   auf  beiden   stär- 
keren Haarwuchs.     Bei  einigen  StAmmen  der  äthiopischen  Raase,  vorzüg- 
bei  Buschniänninnen  und  Hottentottinnen,  scheint  allerdings  eine 
rindere  Entwickelung  des  Schnmberges,  der  grossen  Schamlippen  und  dos 
lesauf  denselben  vorzukommen,  ganz  fehlen,sie  jedoch  niemals.     Da- 
^esitxen   weder    die  Weibchen    der  Anthropoiden    noch    die    übrigen 
Affen  einen  Schamberg,  deutliche  grosse  Schamlippen    und    stärkeren  Haar- 

I wuchs  an  den  äusseren  Geschlechtatheilcn.    Nur  allein  der  Orang-Utang  hat 
vielleicht  eine  schwache  Andeutung  grosBer  Schamlippen. 
Jedoch   treten  dieselben    auch    bei    den    übrigen  Anthropoiden 
nach   Hartmann   während    der   Menstruation    deutUch    hervor.     Sie 
besitzen  daher  kleine  äussere  und  gro.sse  innere  Schamlippen.     Um- 
gekehrt ist  eine  massige  Entwickelung  der  kleinen  Schamhppen  oder 
Nymphen  mit  dem  Praeputinm  und  Freniilum  Clitoridis  die  Regel  bei 
dem  menchlichen  Weibe: 
Die    Schamtheile    der    Australierinnen    sollen    nach    Köler^ 
etwas  mehr   zurückstehen,    daher   die  Männer,    „wa-s  ülirigens   bei 
den  meisten  Australiern  Sitte  ist,"  die  Begattxmg  von  hinten  voll- 
ziehen. 
Jedoch  stimmt  das  Letztere  nicht  mit  den  Angaben  von  Mik- 
iHcho-Maclaif  überein. 

Ueber  die  Einwohnerinnen  des  alfurischenArchi  pelsbesitzen 
wir  Nachrichten  von  RiedelK  Er  erklärt  bei  den  Weibern  der  S  e  ra  n  g- 

ilao-  und  G  orong -Inseln  die  Beckenbreite  ftir  gering,  den  Vagi- 
naleingang eng  und  dieLabia  minora  für  rudimentär.  Beiden  Weibern 
der  Bnbar-Inseln  ist  das  Becken  breit,  die  sichtbare  Spalte  (pli) 
der  Vulva  aber  kurz  und  nicht  so  lang,  als  bei  den  meisten  Am- 
bonesinnen.  Die  Inseln  L e t i ,  M o a  imd  L a k o r  besitzen 
eine  schmalköpfige  und  eine  breitköpfige  Bevölkerung.    Die  Frauen 

Ider  ersteren  haben    eine    länglichrunde   Spalte    der    Pudenda,     Die 
breitköpfigen    Frauen    besitzen    nur    rudimentäre    Nymphen.      Die 
Weiber  von   Buru   Imben   eine   enge  Schamspalte  und  rudimentäre 
NjTüphen,    aber   grosse,    stark   entwickelte    Hinterbacken,    wohl    in 
Folge  des  angestrengten  Bergsteigens. 
Die  Vaginen  der  Aar u- Insulanerinnen  bezeichnet  Riedel''*  als 
klein^  jedoch  soll  hierzu  der  Penis  der  Männer,    welcher  ebenfalls 
nur  eine  geringe  Grö».senentwickelung  aufweist,  im  Verhältniss  stehen. 
Von    den    gro.^sen    und   breiten  Schanilefzen    der  Guarani- 
[Weiber  in  Südamerika  sprechen  tu  Azara  und  Renygo'. 

Bei  der  Section  der  an  Pneumonie   und  Pleuritis  verstorbenen 
b'^eoKrländerin  Lose  fand  v.  Bischoff'  Folgendes : 

•"  a«"'  -n  dernelVicn  zeigte   xich    eben  ao  wenig  wie 

'  •  '   Spur  von  Haarwucha;  nur  auf  der  oborcn 

{luden    sich    einzelne  Hirchen   (etwa  1  cm 

Spur  einer  Rasnr  oder  AusreisAeu  der  Haare. 


132 


i«8  Wribm  in  ethnograph.  Hinsicht. 


Die  grossen  Schamlippen  sind  mSoaig  ctark  entwickelt  und  laasen 
zwischen  sich  eine  gegen  6,5  cm  lange  xiemlicb  geschlossene  Schanis^>alte. 
Oben  an  dem  Schamberg  gehen  sie  mit  einer  etwas  vertieften  Conimissur 
in  einander  über;  nach  unten  und  hinten  bilden  sie  eine  hioteie  Commissut 
mit  einem  schwach  entwickelten  Krenulotu  und  dahinter  gelegener  FoBsa 
navicularis.  Die  rechte  grosse  Schamlippe  ist  etwas  stärker  entwickelt  aU 
die  linke.  Eigenthüinlich  ist  es,  dass  um  den  weit  uä'en  stehenden  and  von 
einigen  Hüniorrboidalknoten  umgebenen  After  herum  die  Epidermis  fehlt, 
und  dieser  Mangel  sich  auch  bis  hinauf  zu  dem  unteren  Ende  der  linken 
grossen  Schamlippe  fortsetzt.  Die-te  Arrosion  musste  von  einem  entweder 
aua  dem  After  oder  aus  der  Vulva  herrührenden  scharfen  Ausflüsse  veran- 
lasst sein.  —  Die  kleinen  Schamlippen  ragen  nicht  vor  der  Schamspalte 
vor,  und  ist  die  rechte  ansehnlich  grösser  als  die  linke.  Nach  unten  ver- 
lieren sich  beide  in  den  Scheidenvorhof;  nach  oben  theilt  »ich  die  rechte  in 
zwei  Fortsätze,  deren  Süsserer,  sich  an  die  innere  Fläche  der  grossen  Scham- 
lippen anlehnend,  bis  an  die  obere  Commiieur  der  letzteren  sich  hinzieht, 
der  innere  aber  sich,  wie  das  obere  Ende  der  linken  kleinen  Schamlippe, 
abermals  in  zwei  kleinere  Falten  spaltet,  deren  ftussere  das  Präputium 
Clitoridis.  die  innere  das  Frcnulum  Clitoridis  in  gewöhnlicher  Weise  bildet.  — 
Die  Clitoris  ist  von  normaler  Grösse  und  auch  die  Glans  derselben  tritt 
nicht  mehr  wie  gewfibniich  hervor;  2  cm  hinter  und  unter  der  Clitoris  be- 
findet sich  an  der  oberen  Wand  des  Scheidenvorhofs  die  Harnröhrenöff- 
uung,  welche  nur  die  EigenthQmlichkeit  zeigt,  dass  von  den  sie  umgebeaden 
Schleimhautfalten  eine  auf  jeder  Seite  aich  im  Bogen  nach  oben  an  der 
inneren  Seite  des  Scheidenvorhofs  hinzieht  und  so  auf  beiden  Seiten  eine 
kleine  Tasche  bildet.  Am  Scheideneingang  finden  sich  mehrere  ziemlich 
stark  hervortretende  Carunculae  myrtiformes. 

Die  Scheide  ist  11  bis  12  cm  lang,  und  plattgelegt  3,5  cm  breit.  Ei 
finden  sich  an  ihrer  vorderen  und  hinteren  Wand  Coluranne  rugarum,  welche 
besonders  an  der  vorderen  Wand  ziemlich  stark  entwickelt  sind  und  in  einem 
gegen  die  Harnröhrenöifnung  sich  hinziehenden  Wulst  vorspringen." 

Schon  früher  war  die  ältere  Feuerländerin  Gatharina,  die 
Mutter  des  Mädchens  von  4  Jahren,  gestorben,  r.  Meyer  berichtet 
ans  dem  Gedächtniss,  das.s  bei  ihr  das  Fettpolster  der  Labia  uiajora 
nur  gering  entwickelt  war.  Die  beiden  genannten  Labien  umgaben 
eine  klaffende  Scbamspalte,  so  dass  die  Labia  minora  und  die  CHioris 
sichtbar  waren.  Die  Behaarung  des  Mons  pubis  bestand  nur  aus 
zartem  Flaum  von  V2  Ctti  langen  feinen  Haaren. 

Die  Kamtschadalinnen  sollen  nach  StcUer  lauge  und  vor- 
hängende Nymphen  besitzen,  ähnlich  wie  wir  sie  bei  den  Hotten- 
tottinnen  kennen  lernen  werden.  —  Nach  Virey  besitzen  sie 
mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  eine  weite  Mutterscheide,  da  sie 
gewohnt  sind,  in  ihrer  Vagina  eine  Art  Mutterkränzchen  aus  Birken- 
rinde zu  tragen.  Ob  sie  dieses  aber  immer  thun,  oder  ähnlich  wie 
manche  Insulanerinnen  des  malayischen  Archipels  nur  in  der  Zeit 
der  Menstruation,  das  ist  aus  dieser  Notiz  nicht  zu  ersehen. 

Die  äusseren  Genitalien  der  Japanerinnen  bieten  manche 
Eigenthüralichkeiten  dar;  Wernich  fand  Folgendes  in  seiner  gynäko- 
logischen Abtheilung  zu  Yeddo: 

Die  grossen  Schamlippen  sind  fettarm  and,  auch  bei  jnogen  rorsonea. 


ii«c«ren  weit 


iogtvpt 


«ehr  schlatt'.  Der  Hamröbrenwulst  springt  ^ebr  erheblich  hervor,  was  viel» 
Wtchi  auf  diia  in  den  niederen  St&nden  ganz  gebräuchliche  Uriniren  in  auf- 
rechter Stellang  zurückzufUfaren  ist.  Die  Scheide  ist  kurz,  nie  fand  Wernich 
ein«  über  7  cm  lang.  Ein  Hymen  ist  ihm  niemals  ku  GeBicht  gekommen. 
Der  Damm  erschien  im  Allgemeinen  nicht  von  besonderer  Breite.  Congestioni- 
ning  und  Consifitenzsunahme  (Erection)  der  Portio  vaginalis  kam  bei  den 
Untersuchungen  viel  häutiger  vor,  als  bei  den  europäischen  Frauen. 

Die  Japanerinnen  haben,  wie  es  heisst,  so  enge  Genitalien, 
floss  Aerzte  angestellt  sind,  welche  aus  den  Pnellis  publicis  die- 
jenigen ftuasuchen.  deren  Genitalien  ohne  beiderseitige  Incouvenienz 
den  Coitus  mit  dem  krüftigen  Gliede  eines  Europäers  gestatten. 
Ob  diese  mir  zugegangene  Mittheilung  auf  Thatsachen  beniht,  muss 
weiter   erörtert    werden.  * 

Doenitz^  welcher  Jahre  lang  als  Angestellter  der  japani- 
schen Regiemng  gelebt  hat  und  in  Tokio  eine  sittenpolizei- 
liche Controle  der  Prostituirten  einführte,  erklärt-e  dem  Herausgeber 
die  Angabe  als  unzutreffend.     Die  Vaginen  waren  t\ir  die  auch  bei 

gebräuchliche  Durchschnittsnumnier  der  Mutterspiegel  bequem 
sirbar.  Auch  pflegen  die  dort  lebenden  Europäer  sich  selbst 
Ihre  ("oncubineii  zu  wählen  und  sie  nicht  aus  den  Händen  der 
Polizei  zu  empfangen. 

Die  Aunamiten-Fraa  in  Cochinchina  ist  in  ihren  Ge- 
schlechtsorganen nach  Mondiete  anders  gebaut,  als  die  E  u  r  o  - 
päerin.  Sie  besitzt  nicht  die  grosse  Erweiterung  und  die  grosse 
Krümmung,  welche  bei  unseren  trauen  durch  die  Verlängerung  de» 
Perinaenm  gegeben  Ist ;  alle  zwischen  Os  pubis,  Os  ischii  imd  Os  coc- 
cjrgis  liegenden  Theile  haben  die  Form  eines  Trapezoids.  Weder 
das  Perinaeuui  noch  auch  die  äusseren  Theile  wölben  sich ;  es  ist  eine 
Abflachung  der  grossen  und  kleinen  Schamlippen  vorhanden,  und  die 
Mutter.^chtnde  scheint  sehr  kurz  zu  sein,  so  dass  das  Orificium  uteri 
dem  Scheideneingaug  sehr  nahe  liegt. 

Die  Vagina  der  Tatarin  soll  selbst  noch  nach  der  Nieder- 
kunft eine  grosse  Enge  besitzen. 

Bei  den  ßafiote- Negern  an  der  Loango-KUste  in  West- 
afrika  wird  das  ihnen  wohlbekannte  Hymen  nkumbi  oder  tschi- 
kumbi  gejiannt ;  mit  denselben  Worten  bezeichnet  man  aucli  daselbst 
ein  junges  Mädchen  vom  Zeitpunkte  des  Menstruationseintritt8  an 
bis  zur  Hingabe  an  einen  Mann.  (Perhuel-Loesche.) 

Nur  bei  einigen  Negeryölkern  wurden  die  äusseren  Geni- 
talien der  Frauen,  die  schon  Pruner-Beji  zum  Object  seiner  Beob- 
achtungen gemacht  hatte,  so  genau  untersucht  und  beschrieben, 
wie  de  liochebrmie  bei  den  Woloffen  gethan  hat. 

Kr  bezeichnet  dieae  Genitalien  als  ,mediocrement  d6velopp68*.  Eine  nur 
eiaigo  Millimeter  hohe  Falte  Htellt  die  grossen  Schamlippen  dar,  die  Nymphen 
riad  «inigermaasBen  nidiment&r  and  messen  in  der  Breite  0,004  m,  in  der 
lAnge  0,021  va;  so  charakteritirt  sich  das  Ganze  der  Vulva  durch  eine  .\b- 
plattting.  indem  die  Oberfläche  änsserlich  begrenzt  ist  von  zwei  cHpsoiden 
FUtea*  die  sich  von  dem  unteren  Theil  und  der  Mitte  de«  .Schumberges  bi» 


134    V.  Die  äusseren  SexualoTgane  dea  Weibes  in  ethuogmph.  Hituidit. 

auf  die  vordere  <»epend  des  Perinaeuin  verbreiten;  dabei  schliesaen  sich  die 
inneren  Ränder  dieser  Falten  aneinander,  indem  sie  sich  nur  wie  euie  leichte. 
wellige  Linie,  selbst  bei  den  Frauen  von  gewissem  Alter,  abzeichnen.  Aeha- 
lich  unterscheidet  eich  die  Färbung  dieser  Tbeile  von  derjenigen  der  ganzen 
Haut  durch  blasseres  Ausseben,  die  Nymphen  sind  bei  Erwachsenen  schiefer- 
blau, dunkelroth  bei  jungen  Mädchen.  Die  Clitoria  ragt  beständig 
vor;  in  allen  gemessenen  Fiillen  maaes  die  freie  Partie  0,013  m  im  Mittel. 

Diese  Gestaltung  diflerirt  wesentlich  von  der  der  Europilerinnen. 
Auf  der  anderen  Seite  ist  jedoch  die  habituelle  Verlängerung  der  Nymphen, 
welche  andere  Beobachter  als  Specialität  der  Negerinnen  beschrieben,  nicht 
bei  den  Woloffon  zu  finden;  vielmehr  zeigen  dieselben  hier  eine  Art  von 
Atrophie;  man  kannte,  wie  de  Jiochebntue  meint,  von  einem  wahren  Zurück- 
bleiben in  der  Elitwickelung  reden,  denn  abgesehen  von  dem  Vorspringen 
der  Clitoris  und  von  der  weiteren  Ausdehnung  der  Obei-fläche  der  Vulva 
kann  man  die  anderen  Theile  nicht  besser  vergleichen,  als  mit  denjenigen 
eines  europäischen  Mädchenn  von  8  bis  10  Jahren. 

Sehr  bemerkenswerth  ist  auch  die  Stellung,  welche  dieses  Organ  ein- 
nimmt Wenn  man  eine  senkrechte  Linie  durch  den  Körper  der  Frau  von 
oben  bis  unten  auf  die  Basis  zieht,  und  auf  diese  Linie  eine  perpendiculäre 
Fläche  sich  gelegt  denkt,  welche  das  Niveau  der  Afteröffnung  hllt,  so  findet 
man,  dasa  die  Fossa  navicularis  in  dieser  Fläche  gelegen  ist,  und  dass  dem- 
zufolge die  Basis  der  Vulva  in  einem  Punkte  liegt,  der  verhältnissmäesig 
hoch  zur  Verticalen  ist.  Weiterbm  zeigt  sich  dies  auch  an  der  Länge  des 
Perinaeum,  die  sehr  bemerkenswerth  ist.  Während  die  Länge  desselben  bei 
der  E  uropäerin  im  Mittel  0,012  m  misst,  findet  man  sie  bei  der  Woloff- 
Frau  0.025  m;  aus  diesem  Unterschied  von  0,013  m  erhellt,  dass  die  Vulva 
um  80  viel  zurückliegt. 

V.  Bischoff'  in  München  fand  an  den  Genitalien  einer 
angeblich  aus  dem  Sudan  (Ostafrika)  stammenden,  in  München 
verstorbenen  Negerin  gut  entwickelte  grosse  Schamlippen.  Aber 
obwohl  die  Person  noch  Jungfrau  war,  d.  h.  ein  noch  deutlich 
ausgesprochenes  Hymen  besass,  klaffte  dennoch  die  Scharaspalte 
in  der  Art,  dass  die  beiden  ansehnlich  grossea  Schamlippen  mit 
schwarzem  Pigment  versehen  waren,  während  sie  au  ihrer  inneren 
Fläche,  soweit  diese  den  Scheidenvorhof  begrenzte,  von  einer  röth- 
lichen  Schleimhaut  überzogen  waren.  v.  Biscfwff'  setzt  hinzu ; 
»Mit  diesen  geringeu  Modificationen,  die  übrigens  auch  bei  Euro- 
päerinnen in  ähnlicher  Weise  vorkommeu,  stimmen  die.se  Geni- 
talien ganz  mit  denen  von  Weibern  europäischer  Völkerschaften 
überein,  namentlich  war  auch  hier  die  Clitoris  keineswegH 
stärker  entwickelt.'- 

Bei  den  Negerinnen  soll  nach  .\usspruch  eines  anderen  Autor» 
das  Hymen  viel  höher  sitzen,  als  bei  Weissen. 

Von  den  äusseren  Genitalien  der  eingeborenen  Frauen  Alge- 
riens (Araberinnen)  berichtet  Bertherand  Folgendes: 

,Par8uitede  la  pr^cociti!>  —  dans  la  pubert^  hät^e,  par  nne  vie  «Adoi- 
taire  et  le  «limate  —  dan^  la  d6pravation  den  moeurs  favoris^es  par  Ik 
poIygamie  et  les  unions  conjugales  prömaturees,  tes  organee  genitaux  acqai^e&t 
un   d^reloppement   tr^  •  prononc^.    Chez   les   femnxes   surtoot.   rexubötaoce 


>)e  teoseren  weit 


^nograpl 


135 


dee  grandes  levres  explique  parfaitement  la  aecessite  de  leur  excision  dsma 
lee  regioDB  plus  rapproch^es  des  tropiqnes.  Le  clitoris  i-kI  volomineux 
et  tr&a-pro6minent,  le  vagin  trJ's-ample.* 

Ausserordentlich  viel  ist  bis  in  die  neueste  Zeit  liinein  discutirt 
worden  über  die  Scbamlefzen  der  Hottentotten-  und  Busch- 
mann-Frauen, ihre  sogenannte  , Schürze"  oder  ,Tablier''.  Schon 
in  älterer  Zeit,  z.  B.  durch  Kolha,  erliielt  man  Mittheilungen  über 
diesen  interessanten  und  auffallenden  Gegenstand;  so  berichtet  schon 
Ten  BJiyne:  ,Feminae  Hottentotticae  hoc  sibi  a  ceteris  genti- 
buß  peculiare  habent,  quod  pleraeque  earum  dactyliformes ,  semper 
geminas  e  pudendis  propendentes ,  pruductas  scilicet  nymphas 
gestent."  Zwar  erklärte  der  alte  Blumetiharh  diese  Angaben  iVir 
eine  Erdichtung.  Doch  gar  bald  wurden  sie  von  Anderen  {Tackard, 
Spannaun,  Sancks,  Frron,  Lesueiir)  bestätigt.  So  schien  denn 
festzustehen,  dass  die  .Schürze"  der  einj^eborenen  Frauen  in  Afrika 
in  einer  excessiven  Entwickelung  der  Nymphen  bestehe.  Da  trat 
plötzlich  Le  VaiUant  mit  seiner  bekannten  ßehauptiuig  auf,  dass 
hier  nicht  von  einer  natürlichen,  vielmehr  nur  von  einer  künst- 
lichen Missbildung  die  Kede  sein  könne.  Man  suchte  aber,  abgesehen 
davon,  dass  doch  auch  bei  vielen  anderen  Völkern  von  Natur  ganz 
ähnliche  Missbildungen  vorkommen,  anatomisch  nachzuweisen,  dass 
die  mitunter  14 — 18  cm.  betragende  Vergrosserung  der  Nymphen 
oft  zugleich  mit  ,einer  Verlängerung  des  Praeputiura  Clitoridis  bei 
Frauen  der  Betschuanen-Stämme  einhergehe.  Namentlich  machte 
uns  Cuvier  mit  den  betreffenden  Verhältnissen  seiner  berühmten 
Hottentotten-Venus  bekannt,  welche  zu  Paris  181  <>  starb; 
und  Johanm'S  Miillcr  besprach  die  Angelegenheit  in  gleichem  Sinne. 
Diese  Hottentotten -Venus,  deren  Modell  im  Pariser  Mu.seum 
steht,  hatte,  wie  de  Quatrefayes  berichtet,  folgende  Maasse:  die  rechte 
kleine  Schamlippe  55,  die  linke  61  mm  Länge,  die  rechte  34,  die 
linke  32  mm  Breite,  die  Dicke  des  Organs  bleibt  sich  überall  gleich 
und  erreicht  15  mm.  Auch  bildete  Wilhelm  Heinrich  Buscli  die 
Hottentotten-Schürze  als  zu  lange  Nymphen  durch  natür- 
liche Missbildung  ab. 

Nach  Cuviers  Untersuchung  dieser  Venus  Hottentotte  be- 
standen die  fleischigen  Lappen,  welche  den  Sinus  pudoris  constituiren, 
in  der  Mitte  aus  dem  Praeputium  Clitoridis  und  dem  obersten  Theil 
der  Nymphen,  alles  Uebrige  aus  der  Entwickelung  der  ivnteren 
Partie  des  letzteren. 

Weiterhin  fand  man  an  dieser  im  Jahre 
1815  durch  einen  Holländer  nach  Paris 
gebrachten  und  dort  im  nächsten  Jahre  ver- 
storbenen sogenannten  ,  Buschmann- 
Hottentottin"  nach  Viret/s  Bericht 
bei  der  Untersuchung  der  Geschlechtstheile 
an  der  Leiche,  dass  die  angebliche 
»Schürze"    der    Hottentottinuen    „nichts 


Fig.  22.     HoUentottsnson&ne 
(naoli  Fbotogiaphie}. 


1 RO       ^-  ^^^  llaasereQ  Sexualorgaue  des  Weibes  'm  ethnogr.  Hlneicbt. 

weiter  «ei,  als  die  beiden  Nyniphen,  welche  sehr  verlängert  a<if 
beiden  SeiU'n  hiih  den  fast  unmerklich  vorhandenen,  sehr  verklei- 
nerton j^ro>(sen  Schamlippen  herabhängen.  Diese  von  aussen  braunen 
und  von  iiuu'n  betrachtet  dunkelrothen  Nymphen  sind  ungefähr 
zwei  Zoll  lang  vind  bedecken  den  Eingang  der  Scheide  und  Harn- 
röhre. Man  kann  dieselben,  da  sie  abwärts  und  zunächst  dem 
Mittelflpinrh  nicht  anhängen,  ungefähr  wie  zwei  Ohren  über  der 
Schaui  in  dit-   Hölie  heben." 

Ks  lag  im  (leiste  jener  Zeit,  in  welcher  man  diese  Thatsachen 
keniK.'Ji  liTiitc,  dii.s.>j  die  (»elehrt.en  sofort  aus  analogen  Erscheinungen 
ciui!  Erkliuung  fiir  die  Entstehung  so  eigenth timlicher  anatomischer 
Bildung  /u  construiren  Hucliten.  Unter  Anderem  finde  ich  folgende 
Aeu8M<'rung  (Itcnard):  „Man  kann  diu  sonderbare  Verlängerung  der 
äusseren  Zeugungstheile  der  Afrikanerinnen  mit  der  gewisser 
Hlumen  des  nänüiclieii  Himmelsstrichs  vergleichen,  z.  B.  mit  den 
Geiimieii  (PelarRoniuin),  deren  obere  Blumenblätter  länger  als  die 
nniereu  sind,  vit'lleiclit  um  die  Geschlechtstheile  zu  bedecken  und 
gt*gi«u  di«>  allzu  hrrnnende  *Sonn€r  von  Afrika  zu  schützen.  Linne 
vergleicht  die  Hlunienblätter  (l'etAla)  mit  den  Nymphen,  und  die 
Ursache  der  Verlängerung  der  einen  wie  der  anderen  kann  in  der 
Hitze  dos  Klimas  liegen."  Ein  solcher  Erklärungsversuch  ermangelt 
allerdings  weiterer  Begründung;  mindestens  kann  hier  wohl  nicht 
an  die  teleologische  Zweckbestimmung  der  verlängerten  Nymphen 
alw  Sohutzorgane  vor  einer  schädigenden  Wirkung  des  heissen  Klimas 
gedacht  werden. 

Die  bei  der  Section  der  Sarah  von  Cuvittr  gefundenen  anato- 
misehen  Verhältnisse  stimmen  ziemlich  genau  öbereiu  mit  dem,  was 
Reisende  aus  der  Heimat  der  Hottentotten- Schürze  nach  genauer 
Orientinmg  berichtet  hatten.  Insbesondere  erhielt  die  ganze  Sache 
ihre  Bestätigung  durch  Damberger,  durch  Barrow  und  Andere. 
Ditmhrt'gcr  sagt: 

,Di«  Sehaiakfeen  waren  etwa  3 — 4  Zoll  lang  und  formirt«n  Qber  der 
Soham.  wo  ato  flbevetnander  geedüangen  waren,  gleichsam  ein  Schloss, 
welobea,  veaa  ••  geroitt  wird,  sich  von  selbst  öffnet,  da  sicli  dann  die 
SobamMbM  BUMtreoken.  Herr  Vtänamt  macht  duron  eine  äbertriebene  Be- 
adneihva^,  t«gl  eOff»r,  das«  di«üeius*at  waldte  ihre  Sehamtbeüe  ae  hali«* 
«ollm.  SUine  oder  tonst  etwas  Sofaweros  ia  ihre  Lefeen  hiafeo,  wedorcli  sie 
in  die  Liofe  geipgsn  wilnleii;  dts  Unstaktlufte  dieser  Behnnptaag  wird 
JI«d«T  Mehl  eiasehes.*  Stwa«  geoaner  beeohriA  Bmrrott  die  Schaasthetle 
det  Weiber  der  BnsehiB inner:  »Die  bejratiwte  Geschi^te,  daas die  hotten- 
ioilisehefe  FnuNMdnmer  eixi  «afev^luüielMi  AalUmgmi  aa  den  Theileii 
habea,  dfe  das  Aofe  se<lca  a  sAea  MmmuM,  ist  ia  Aneelwag  der  Bnscb- 
mlaeer  TdOig  wiixt.  Die  Borde,  die  wir  aatzatai.  war  dräut  medwa. 
Bei  der  CaleniMhwig  tuAm  vir.  dass  ea  ia  comt  VecOagem«  der  iaaeim 
gehaiHppea  bestead,  dte  «mIv  oder  wcaiger  gros»  warea.  je  aertidw  dfa 
Phoob  «II  oder  eoMt  bwihaffe«  «ar.*  MU  dea  JehMa  oolte  adadiek  die 
NnB»he»  M  Uac*  wliiw  Die  Uage  4m  giümtm,  mtkkm  Bamm 
BMaea.  beln«  &  loll.  Die  r\iita  der  so 


20.  I>ie  äusseren  vdbl.  Sexnalorgane  u.  ibro  ethoogRipli.  Merkmale.    137 


blau,  in  das  Höthlicbe  sich  verlierend  sein  und  am  lueistea  mit  der  des 
Aufiwuchsea  am  Scboabel  eines  Truthahns  Aehnlichkeit  haben.  Während 
aber  bei  Europäerinnen  die  kleinen  Schamlefxen  sich  runzeln,  werden  sie 
bei  den  ITottentottinnen  völlig  glatt. 

Nach  Ausspruch  des  Zoologen  Lichtenstein  zu  Berlin 'ist  die 
Hottentottenschürze  kein  Kunstproduct ;  sie  ist  in  der  Jugend 
vor  der  Pubertätsentwickelung  und  bis  zum  20.  Jahre  im  Ganzen 
wenig  ausgebildet  und  nimmt  im  Alter  zu. 

So  viel  wussten  wir  Thatsächliches ;  da  fand  sich  plötzlich 
vor  wenigen  Jahren  eine  zweifache  Gelegenheit,  dass  fast  gleich- 
zeitig von  einigen  Forschem  die  Sache  wieder  hier  in  Europa 
anatomisch  erörtert  werden  konnte.  In  Deutschland  und 
in  England  starben  zwei  Bnschweiber.  Luschka  mit 
seinen  Schülern  in  Tübingen  untersuchten  das  eine,  Flower  und 
Mtirie  in  London  das  andere  Exemplar.  Mehrere  Jahre  lang  hatte 
sich  das  Buschweib  ,,Afandy''^  in  Deutschland  sehen  lassen, 
und  als  sie  in  ihrem  30.  Lebensjahre  zii  Ulm  gestorben  war,  lieferte 
Luschka  über  ihre  Geschlechtstheile  eine  genaue  anatomische 
Beschreibung  mit  Abbildungen.  Während  die  grossen  Schamlijjpen 
ganz  ähnlich  wie  in  Cuvier's  und  Johannes  MiilUr's  Fjüleu  schwach 
ausgebildet  waren,  so  dass  sie  wenig  zur  Bildmig  einer  Spalte 
tendirten,  vielmehr  wesentlich  dazu  beitrugen,  dasss  die  Nymphen 
fast  in  ihrer  ganzen  Länge  bloss  lagen,  bedingten  fast  ausschliess- 
lich die  kleinen  Schamlippen  ftir  sich  das  Aequlvalent  der  Rima 
pudendi.  Sie  hängen  als  zwei  weiche,  schrautzigrothe,  von  beiden 
Seiten  abgeplattete  Lappen  schlatf  herunter  tind  berühren  .sich  mit 
ihren  zugekehrten  Flächen  so,  dass  nur  im  Bereiche  der  unteren 
Ränder  einiger  Abstand  obwaltet.  Die  Länge  der  Nymphen  von 
ihrer  Basis  bis  zu  der  von  derselben  am  weitesten  entfernten  Stelle 
gemessen,  belief  sich  auf  3 '12  cm,  so  dsvs-s  sie  also  das  Maass  der 
von  Curier  und  MüUer  beachriebenen  Fälle  nicht  erreichten,  dagegen 
die  gewöhnliche  im  Maximum  nur  7  mm  betragende  Länge  der 
Nymphen  weit  übertrafen  (Goerfs),  —  Flower's  und  Murie's  Fall 
betraf  ein  Buschmann-Mädchen,  welches  im  wahrscheinlichen  Alter 
von  21  Jahren  im  Juni  1864  iii  London  an  Tuberculose  starb. 
Auch  bei  diesem  Mädchen  waren  die  Labia  majora  nur  klein,  imd 
wohl  nur  deshalb  lag  die  ebenfalls  massig  entwickelte  Clitoris  weit 
mehr  zu  Tage,  als  beim  europäischen  Weibe;  doch  war  dieselbe 
mit  einem  wohl  entwickelten  Praeputium  versehen,  dessen  Seiten 
sich  abwärts  in  die  Nymphen  fortsetzten.  Letztere  stellten  sich  als 
grosse,  1,2"  lange,  sehr  ausdehnbare  Lappen  von  dunkelrother,  fast 
schwärzlicher  Farbe  dar.  Femer  fuhren  Flower  uud  MhHc  nach 
den  Mittheilungen  eines  am  Cap  wohnenden  Beobachters  über  die 
äusseren  Genitalien  zweier  anderer  Hottentottinnen,  Mutter  und 
Tochter,  an:  Bei  der  12jährigen  Tochter  waren  die  Glutaei  schon 
mit  dem  bekannten  halbkugeligen  Fettkissen  bedeckt,  die  Nymphen 
hingen   in  aufrechter  Stellung  des  Mädchens   als  zwei   3^/2"  lange 


lö^ane  des  Weibes  in  etlmögrapi 

Lappen  herab;  das  Hymen  war  nicht  intact;  —  die  Mutter  nahm 
ihre  ungemein  verlängerten  Lappen  auf,  legte  den  rechten  nm  die 
rechte  Seite  über  das  Gesäss,  den  linken  ebenso,  mid  die  Enden 
beider  berührten  sich  hinten  in  der  Mittellinie, 

JBlanchord  benutzt  die  absonderliche  Bildung  der  Genitalien 
der  Buschweiber^  ura  den  letzteren  die  niederste  Stufe  auf  der 
Scala  der  menschlichen  Eutwickeliing  zuzuweisen,  indem  er  bei 
ihnen  eine  erhebliche  Thierähnliclikeit  und  zwar  im  Speciellen 
pithecoide,  affenartige  Zustände  nachzuweisen  bemüht  ist.  Er  citirt 
Cncier,  welcher  sich  über  die  Steatopygie  der  Buschweiber  fol- 
gendermaassen  äussert; 

,Elles  ofi^ent  une  ressemblance  frappante  avec  celles  qui  surviennent 
aux  femelles  des  mandrills,  des  papions,  ek-,  et  qui  prennent,  k  certaines 
epoques  de  leur  vie,  un  accroissement  vraiment  raonstrueux."  ,,RappeloDa  tout 
d'abord,  fahrt  BlancJuird  fort,  que  le  tablier  est  oonstitue  par  une  hjrper- 
trophie  coüsiderftble  dea  petitea  levresj  et  du  pr6puce  du  clitoria.  En  ni^me 
tempB  qiie  les  nymphes  se  dereloppeut  de  la  sorte,  la  taille  du  clitoris  aug- 
monte  elle-uidme  dana  de  notablea  proportions,  niois  lea  grandes  levTca  et  le 
Qiont  de  Venus  gabisscnt  une  regreasion  veritable  et  sont  loin  de  präsenter 
un  dÄveloppement  cotuparable  ä  celai  qu'ils  atteignent  chez  les  femuies 
d'autrey  races.  II  en  reaulte  que  lea  nymphea  d^bordent  de  beaucoup  lea 
grandes  levrea  et  que  la  rima  pudendi,  c'eat-äi-dire  la  ligne  auivant  laquelle 
ä'affrontent  ces  demierea,  n'exiate  plna;  ou  plutöt,  eile  ae  trouve  anormale- 
ment  conatituee  par  lea  petites  levres. 

On  ne  saurait  meconnaStre  l'analogie  reuiarquable  qui  existe  entro  cette 
diaposition  de  lu  vulve  chcz  le  chimpanzä  fenaelle  et  la  conlormation  de  ce« 
tußmes  partiea  clicz  la  iemme  boschimane." 

In  der  Berliner  anthropo- 
logischen Gesellschaft  besprach 
Waldryer  das  Präparat  von  den 
Geschlechtstheilen  eine^  K  o  ♦ 
rannaweibes.  Die  im  südöst- 
lichen Afrika  wohnenden  Ko- 
ranna sind  Betschuanen 
(Hottentotten),  welche  nach 
F ritsch  mit  sehr  viel  Busch- 
mannsblut  gemischt  sein  sollen. 
„Die  beiden  Labia  inajora  eind 
gut  entwickelt,  deutlich  durch  eine 
Pl(f.  23.  Hotteiitott«n»ohttMe  (n»ehÄ/«»rA<irrf).      Furche    von    dem    noch    erhaltenen 

Schenkelresto  abgesetxt;  die  Com- 
miaauralabiorura  anperior  ist  ausgerundet  und  tritt  nicht  bestimmt  hervor;  ander 
InnenÜii^he  der  grossen  Labien  finden  sich  noch  vereinzelte  stJlrkere  Haare 
im  Zusammenhange  mit  der  erwähnten  äusseren  Behaaning.  EiueCoturoiaaura 
labiomm  inferior  fehlt  völlig,  da  die  beiden  Labien  anulwärts  sich  weil  ron 
einander  entfernen  und  sich  unmerklich  in  die  Haut  den  Daminea  verlieren. 
Oben  haben  die  grossen  Lippen  eine  Breite  von  3  cui,  in  der  Mitte  von 
2  cm,  gegen  das  untere  Ende  von  1  cm. 


2ü.  Dieduflseren  weibl.  Sexualorgane  o.  ihre  etlisogrmnii. 


l» 


Die  Scbamgpalte  klafTb  ziemlich  weit  In  ihrer  ganzen  I'iage.  Dim 
Klaffen  wird  bedingt  durch  eine  umfangreiche  Hervorra^j^ong.  di«  wie  wi 
fin«n]  rundlichen  Stiel  unter  der  Comniissura  labiorum  soperior  beginnt  ud 
abwärts  in  /.wei  rundliche,  blattförmige  Lappen  ausläuft.  Letztere  ragen 
au«  dein  mittleren  Theüo  der  Schamspadte  hervor,  liegen  dicht  aneinander 
und  decken  schürten  förmig  den  ganzen  unteren  Abgchnitt  der  genannten 
Spalte  bis  zum  Damme  bin.  Der  stielfOrmige  obere  Theil  diese«  Vorhänge« 
wird  in  dem  Zustande,  in  welchem  sich  das  Präparat  gegenwärtig 
von  den  Labia  majora  nicht  gedeckt,  ist  ohne  weitere«  deatlidb 
Dnlngt  man  die  letzteren  jedoch  aneinander,  so  wie  sie  etw%  bca 
Schenkeln  liegen  müssen,  so  decken  dieselben  den  StieL 

Der    letztere  weist    »ich    ala    da«   verdickte  and 
längertc  Praeputium   clitoridis  aus,    die  beiden  Lappen   jj<    dat 
tien   der   kleinen    Schamlippen.    Diese  Lappen    sind  4  c^  Ühr 
Vestibulum  vaginae  begrenzen  und  gehen  lateralwärta  i 
Basis  der  Labia  majura  ganz  in  derselben  Weise  Aber. 
gewöhnlicher  Gröt<8o  und  Form.   Die  Breite  der  Lappea 
2,5  cm.     Nach  abwärts  Het7.en   sich  dieselben  in  xma 
welche  nicht  stärker  entwickelt  erscheinen,  als  klii— 
Weiber,  und  sich  ganz  so  wie  solche  verbalten, 
der  Commissura  inferior  hin,  sind  sie  leicht  wviädg 
wieder  etwas  stäiker  vor.   Man  kann  also 
Präparates  drei  .\bBcbnitte  unterscheiden 
entwickelt    ist     und    in  Form    der  SchOrze  herri 
ganz  gewöhnlichem  Verhalten,    der    auch    bei 
Labien  von  den    letzteren  völlig  verdeckt  w: 
etwas  wulstartig  verdickten.     Eine  sogenanate 
Fossa  navicularis   fehlt;  vielmehr  kommt  9mm4 
eine    Furche,     welche    zwischen    den    duialaft 
minora  auf  den  Damm  hinausführt.  Von  6mm  \m 
geht  beidt-rgeits  in  normaler  Weise  ein  FreBaüsn 
ist  auffallend  klein,    ohne   deutliche   Abi 
puti(ilta.si-be  darin.     Das  Vestibulum 
mündung    liegt    ziemlieb  weit  von  d« 
deutlich  her\or.     Von  der  hinteren    V 
rum  posterior  stark  und  keilförmig 
Nymphenpartien    vor.    Die  Rugae  w, 
bat  eine  Länge  von  nicht  ganz  2  ca 

Bei  Negerinnen  konimi 

11  anderer  Grad  der  söge: 
h/o  beschreibt  eine  solche  i 
Breslauer    Krankeubauie 
weichung    erklärt    Johanna 
Hypertrophie    der    Clitori» ; 
Klappe  vor    der  Sc-bainH|M]^ 
lippi'ti  «ich  wie   gewöhnlidi 

wuidor    stehen    und    die 

fh    dem    After    zu 
ia  der  Quere,    4  Zoll 
Stiel. 


Z4M 


l«fe 


f40      V.  Dieäasle 


se  des  Wuibes  in  < 


In  Beyrnt  fand  Duhomstt  ein  junges  Mädchen  von  14 Jahren, 
deren  Qeschlechtetheile  er  in  folgender  Weise  beschreibt: 

„J'obäervaia  alors  le  grand  developpement  des  nyoipbes,    dont   les  plisj 
muqueux  se  terniinivient  eti   pointe,   reposaut  ü  terra   sar   une    longueur    de] 
quelques  centimr-tres  de  chaque  cöte  du  vugin,  avant  de  ae  confondre   aveo  i 
celui-i-i  il  ]a   face   interne   des   grandes   lt>vres.    Les  deux    lobes  formnat  ce 
prolongement   chiirnu    des    petites    levres,    partant   du  pröpuce,    seniblaient 
depasser  la  trace  du  cUtoris,  dout  on  ne  voyait   pas    le  renflement  arrondi 
terminal.     L'aspect  de  hi  vulve  de  cette  fiUo  de  qiiatorze  aus,  probableraent 
d^jil  d<5floree,    etait  repoussant.      L'excroissance    anormale,    plus  rouge    que 
la  peaugeneralement  d'un  ton  bistre,   etait  recouverte  d'une  p0U'<si6re  ghse 
rendue  huunde  par  la  secretion  aebacee  qui    s'en    echappait   incessamraent.* 

Eine  Abbildung,  nach  der  Natur  aufgenommen,  legte  Duhoiisset ' 
der  Pariser  Societe  d'Anthropologie  am  15.  Februar  1877  vor. 
Bei  dieser  Gelegenheit  spricht  er  seine  Ansicht  dahin  au.«,  dasa 
eine  derartige  Verlängerung  der  Nymphen  in  heissen  Zonen  viel 
häufiger  vorkomme,  als  in  gemässigten,  selbst  an  solchen  Plätzen, 
wo  sich  die  Mädchen  und  Frauen  nicht  etwa  selbst  durch  Berüh- 
rungen der  Theile  diese  Verlängerungen  hervorzubringen  be.'^treben. 
Dnhnnsset  giebt  zu,  dass  auch  in  gemässigten  Zonen  dergleichen 
Verbildungen  vorkommen,  wie  Bmca  versichert  hatte,  der  sie  in 
Frankreich  nicht  selten  einseitig  vorfand.  Er  meint,  dass  das 
häufige  Vorkommen  im  Orient  dort  die  Veranlassimg  gegeben  habe, 
eine  Abtragung  der  Nymphen  für  nothwendig  zu  halten  und  hier- 
mit die  Circumcision  einzuttihren. 

Wir  haben  uns  ziemlich  ausftlhrlich  mit  dieser  Angelegenheit 
beschäftigt,  und  es  fragt  sich  nmi,  inwieweit  man  die  hier  be- 
sprochene Gestaltung  für  eine  ethnologische  Eigenthüralichkeit  zu 
betrachten  berechtigt  ist?  Hartmann  sclireibt  in  dieser  Be- 
ziehung : 

„Diellottentotten^^chürze  braucht  man  nicht  bloss  in  Südafrika: 
KU  suchen,  man  findet  sie  durch  den  ganzen  Continent,  sogar  in  Europa  noch. | 
häufig  genug!     Jeder  8tubenethnolog  würde  erstaunen,  wenn  ich  ihm  ein  Gla« 
voll  sogenannter  Hottentottenacbürzen,  aus  demPräparirsaale  der  Haupk-j 
und  Weltstadt   Berlin  stammend,   fein  säuberlich   in  Alkohol   aufbewahrt, 
vorweisen  würde.    Facta  loquuntorl    Nach  unserer  eigenen  geburtshülfiichea 
Beobachtung  können  wir  allerding«  bestätigen,  dass  ähnliche  Bildungen  bei, 
unseren  d  eutschen  Frauen  nichts©  selten  sind,  wie  man  wohl  früher  meinte.  | 
Allein    für  die   Ethnologie  handelt  es   sich  doch   nur  darum,    festzustellen. 
<>r9t.€n.s  welche   durchschnittlichen   Grössenverhilltnisse  die   It^-^rf^fft-nden ( 
Theile  hier  wie  dort  zeigen;  zweitens  welche  Minima  und  Ma.x 
dort  vorkommen.     FOr  jetzt  mangelt  «s  noch  an  geniig«ndem  Ai 

Wuldeyer  wirft  die  Frs^e  auf,  ob  wir  in  der  Hottentottei 
schürze  ein  Rassenmerkmal  oder  eventuell  eine  Theromorijhie,   «nel 
thierische   Bildung    zu    erkennen    haben.      Und    er    citirt    mehren*) 
Autoren,    denen    zufolge    ilie   Hypertrophie   der   Nymphen  in  ihren] 
Anfangen  beim  neugeborenen  Kinde  bereits  deutlich  unterscl"  I'^"" 
sein  soll.     Vrolik  z.  B.  schreibt  an  Ti&iemann: 


20.  Dfe  Rnsseren  ireibl.  Sewalorgatie  a.ihre  ethnogrspli. 


Et  ce  qne  parait  plun  curieux  encore.  dans  l'enfanl  nouveuu-ne  se  trouve 
d^jä  la  premilre  ebouche   de    ce  prolonj^ement  comiiK'   predijpoaition  inn^f. 

Eine  sehr  bedenkliche  Erschüt- 
terung erhält  diese  Ansicht  von  der 
ethnographischen  Bedeutung  der  Hnt- 
teiitottenschtirze  durch  eine  Er- 
klärung des  Missious-Superiiitendeu- 
ten  Merensly,  welcher  viele  .Tnhre 
unter  diesen  Leuten  gelebt  und  ge- 
wirkt hat.  Er  äusserte  sich  in  der 
Berliner  anthropologischen  Gesell- 
8chnft   iblgendermaassen : 

,Wii8  die  Hottentottenachürze 
»ngeht,  ao  gelit  meine  Meinung  duhlu, 
da!<H  »\e  nicht  natürlich  ist,  sondern, 
wo  sie  vorhanden  war,  kUntstliL'h  er- 
zeugt wurde.  Ich  bin  zu  dieser  Ansicht 
durch  die  Beobachtung  geführt,  dass  die 
Basutho  und  viele  andere  afrikani- 
sche Stämme  eine  kflnstüche  Verlängerung 
der  Labia  minoni  zu  bewirken  wissen.  Die 
dazu  nothwendige  Manipulation  wird  von 
den  äUeren  Mädchen  an  den  kleineren 
fast  von  der  Geburt  an  geübt,  sobald  sie 
mit  dienen  allein  »iiid .  wozu  gemein- 
iatnes  Sammeln  von  Holz  oder  gemein' 
«ames  Suchen  von  Feldfrdchten  fast  täg- 
lich Anlass  giebt.  l)ie  Theile  werden  ge- 
zerrt, später  förmlich  auf  Hiülzchen  ge- 
wickelt." 

In  der  Debatte  zu  dem  11«/- 
</fV''r'8chen  Vortrage  erinnerte  der 
Herausgeber  an  den  soeben  citirten 
Ä.usö]»ruch  Merensky's  und  hob  her- 
vor, dass  hierdurch  auch  sehr  gut 
die  von  Waldn/cr  beschriebene  Form 
der  Hottentottenschrirze  ihre  Er- 
klärung findet,  dass  nämlich  der  obere  Theil  der  kleinen  Schara- 
lippe  am  meisten  vergrössert  erscheint.  Er  ist  es  ja  gerade,  der 
bei  diesen  Manipulationen  am  leichteHten  mit  den  Fingerspitzen  ge- 
fasst  und  daher  auch  am  ergiebigsten  gedehnt   zu  werden   vermag. 

Wir  mUssen  uns  übrigens  vollständig  HcütmatDi's  Ausspruche 
anschliessen,  dass  die  Hottentottenschürze  auch  bei  uns  in 
Deutschland  gar  nicht  so  nbermässig  .selten  von  den  .Verzten 
augetroti'en  wird.  Der  Heniusgeber  kann  es  al)er  nicht  verschweigen, 
dass  diejenigen  Fälle,  welche  er  selber  zu  sehen  Gelegenheit  hatte, 
.Ausschliesslich  bei  solchen  Damen  vorgekommen  sind,  wo  der  aller- 
ägrllndetate  Verdacht  vorlag,    dass  sie  masturbatorische  Reizungen 


Fig.  24.    HoUgevolmitite   Figur  der 

BuTKOnda  {Bild-Afrika). 

Hfnieranilclit,    di«     Hottontollen- 

schürte  ceigood.   <Naoli  Photogrnphie.) 


(2      V .  Die  äu»«^ei^«iraäiörgane  des  Weibe«  inevnnö^repG 


auf  diese  Tbeile  hatten  einwirken  lassen.  Er  äusserte  sich  kürzlich 
in  diesem  Sinne  gegen  den  Berliner  Gynäkologen  Karl  Schnmhf, 
der  ihm  erwiderte,  dass  er  die  Sache  genau  ebenso  auffasse  und 
dass  ihm  in  einer  grossen  Reihe  von  FHllen,  wo 
die  vorliegenden  Krankheits-Verhältnisse  ein  In- 
quisitoriuni  in  dieser  Richtung  erforderten,  immer 
und  übereinstimmend  die  frühere  Masturbation  zu- 
gestanden worden  sei. 

E.s  wird  von  einigen  Anatomen  mit  Bestimmt- 
heit behauptet,  dass  die  Clitoris  in  südlichen 
Zonen  überhaupt  grosser  sei,  als  in  den  gemässig- 
ten und  kalten  Zonen,  und  dass  namentlich  bei 
einigen  Völkern  Nordafrikas  constant  eine  Ver- 
längerung der  Clitoris  und  der  kleinen  Schamlippen 
vorkommt.  InsbeBoudere  ist  die  Verlängerung  bei 
den  Abyssinierinnen  (nach  Brurc),  M  a  n  - 
dingos,  Ibbos  (nach  Mungo  Park)  u,  s.  w. 
bedeutend.  Diese  Thatsache  konnte  auf  eine  mög- 
liche Erklärung  des  gerade  bei  diesen  Völkern 
heimischen  Gebrauchs  der  blutigen  Resection  oder 
Excision  der  Mädchen  führen.  Doch  führt  Gört^ 
dagegen  an,  dass  die  Beschneidung  der  Mädchen 
in  Kamtschatka,  wo  die  Nymphen  ja  auch 
vergrössert  sind,  sowie  in  Südafrika  nicht 
gebräuchlich  ist.  Er  verwechselt  hier  oifenbar 
die  Excision  der  Clitoris  mit  der  Beschneidung 
der  Nymphen,  zwei  Operationen,  die  scharf  ge- 
trennt werden  müssen. 

Dass  den  Afrikanern  selbst  diese  ihre  körper- 
lichen  EigenthUmlichkeiten    sehr   wohl    zum    Be- 
wusstsein  gekommen  sind,    das  vermögen  wir  aus 
Fig.  25.  Hokgeaahnltn«  gewissen  Producten  ihrer  Kunstfertigkeit  zu  ersehen. 
^OeYtrt*-  AWkfr    ^"  ^^^^^  Schtceinfurtli^  eine  aus  Holz    geschnitzte 
di.koü.l'oh  T,r«rä..  weibliche  Figur  der  Bongo  ab  (Fig.  25),  welche 
*,"'*..^i"f'''  ',*'*,^?'*  zur  Erinnerung  an  eine  verstorbene  Frau  geferügt 
wurde.     Man    erkennt   an    ihr   mit    grosser  Deut- 
lichkeit   die    verlängerte    Clitoris.      Das    Museum    des    Berliner 
Missionshauses  besitzt  eine  ebenfalls  in  Holz  gearbeitete  Frauenfigur 
von  unbekannter  Bestimmung,    welche    die   Bavaenda,    ein   Bet- 
ütchuanenstamm  im  nördlichsten  Transvaal,  gefertigt  haben.  Hier 
sind    die    vergrösserten    inneren    Schauilippen    in     unverkennbarer 
Weise  zur  Darstellung  gebracht  worden.  (Fig.  24.) 


r  6Tfff0lB0I  Un^  I 


S1.  Die  künstliche  Vergrösserung  der  Scliamlippcn  und  der 

tClitoris  and  die  absiclitliclie  Zerstörung;  des  Jungfern- 
liäatcliens. 
Wir  haben  diesen  Gegenstand  weiter  oben  bereits  flüchtig  berührt, 
^  wir  von  der  Hottentottenschürze  sprachen-  Wir  müssen 
H  dieser  Stelle  aber  hinzufügen,  dass  diese  Organe  durch  Mani- 
pulationen bei  nicht  wenigen  Völkern  verlängert  und  vergrösaert 
werden.  Dass  die  ursächlichen  Beweggründe  zu  diesen  absonder- 
lichen Vornahmen  aber  allemal  die  gleichen  sind,  das  möchten 
wir  als  unwahrscheinlich  betrachten.  In  den  vorher  besprochenen 
Fällen  handelte  es  sich  xugestandenermaassen  um  die  onanistische 
Befriedigung  des  Geschlechtstriebes,  tmd  ob  wir  bei  den  Hand- 
tierungen  der  grosseren  Basutho- Mädchen  den  kleinen  gegen- 
über nur  eine  unschuldige  Spielerei  erkennen  sollen,  das  erscheint 
doch  als  in  hohem  Maasse  fraglich.  Wahrscheinlich  ist  auch  hier 
eine  Verirrung  des  Geschlechtstriebes  die  Ursache,  welcher  in  der 
Onanisirung  eines  Anderen  seine  Befriedigung  erstrebt.  Allerdings 
lässt  es  sich  nicht  leugnen,  dass  in  anderen  Fällen  vielleicht  nur  eine 
Verschönerung  in  dieser  absonderlichen  Weise  erzeugt  werden 
sollte.  Und  ganz  gewiss  werden  manche  dieser  Dinge  vorgenom- 
men, am  eine  Steigerung  der  geschlechtlichen  Befriedigung  hervor- 
Ktirufen. 

Schon  Le  VaiUant  hatte  behauptet,  dass  die  Hottentottinnen 
und  die  Nama  qua -Frauen  (nicht  alle,  sondern  nur  einzelne)  aus 
Eitelkeit  die  grossen  Schamlippen  verlängern,  indem  sie  zuerst  durch 
Zerren  imd  Reiben  diese  Theile  ausdehnen,  dann  aber  auch  durch 
Anhängen  von  Gewichten  die  Länge  derselben  mehr  und  m^lir 
steig-ern. 

Auch  mitten  iu  Afrika  kommt  bei  mehreren  Negervöliun 
der  Gebrauch  einer  künstlichen  Verlängerung  der  Schatnlippai  «m; 
z.  B.  in  Dahomey  (Adams),  ferner  bei  den  Uganda.  UM^pv 
wird  bei  den  Wahia  am  Niassa-See  der  Kitzler  ko  taoff  warn  tm 
Finger  ausgedehnt.  Auf  welcher  Thatsache  die  Nadirieiil  kente. 
die  Camnon  am  Tanganjika-See  erhielt,  mag  wmA  4Bäkittti 
werden:  er  erfuhr,  dass  weiter  im  Westen  durch 
Kiude  es  dahin  gebracht  werde,  dass  die  Fettdeekr  it»  üj 
wie  eine  Schürze  bis  auf  die  Mitte  der  Schenk*-! 
der  Gouverneur  von  Angola,  Admiral  AndrnäA, 
Keiaendon  Cameron,  dass  Aehnliches  in  der  Nfilie  vsi 
titatttinde. 

In  Nordamerika  findet   bei  den  Miiiiitii  Waiiiii  lim 
formiren  der  Geschlecht^theile  statt;  auch  iot  mlBr  AbIKc^Im^'M 
und   Krähen- Indianern  die  künsttlicb«-  V'. 
fider  auch  der  inneren  Schamlippen  g« 

Auf  der  polynesischen  Insel  Punspr  (btü> 
tirt  eine  grosse  Unsitte,  über  welobr  JmIi 


I 
I 


1 44     ^  ■  Di^  ^""äi 


de«  Weibes  in  etbnograph.  Hinsicht/ 


.,Ale  besonderer  Keiz  cmas  Mädcbcus  oder  einer  Frau  gelten  besonderg 
verlSLngerte,  berabhfijigende  Labia  interna.  Zu  diesem  Behufe  werden  impo- 
tente Greise  angestellt,  welche  durch  Ziehen  und  Zupfen  bei  M&dchen,  noch 
wenn  dieselben  kleine  Kinder  sind,  dic&en  Schmuck  künstlich  hervorzubringen 
bemnht  sind,  und  damit  zu  gewissen  Zeiten  bis  zur  herannahenden  Pubertät 
fortfahren.  Zu  gleicher  Zeit  ist  es  ebenso  die  Aufgabe  dieser  Impotenten, 
der  Clttoria  eine  mehr  als  natürliche  Eutwickclung  zu  verleihen,  weshalb 
dieser  Theii  nicht  allein  anhaltend  gerieben,  sowie  mit  der  Zunge  beleckt, 
sondern  auch  durch  den  Stich  einer  grossen  Ameise  gereizt  wird,  der  einen 
kurzen,  prickelnden  Reiz  verursacht.  Im  Einklänge  hiermit  stehen  die  Extra- 
vaganzen im  Genuss  des  Geschlecht.'striebs.  Die  Männer  bedienen  sich  zur 
grösseren  Aufreizung  der  Frauen  nicht  allein  der  Zunge,  sondern  auch  der 
Zähne,  mit  welchen  sie  die  verlängerten  Schamlippen  fassen,  um  sie  länger 
zu  zerren." 

Man  nimmt  ferner  an  den  Müdeben,  und  zwar  schon  im  jugendlichen 
Alter,  Manipulationen  vor,  welche  einzehie  andere  Theile  der  Sexual- 
organe defonuiren.  So  giebt  es  zwei  stark  bevölkerte  Länder  auf  der 
Erde,  China  und  Indien,  deren  Einwohner  und  Einwohnerinnen 
völlig  unbekannt  wind  mit  dem  Vorhandensein  eines  sogenannten 
»Jungiernhiiutchens''  (Hymen),  und  die  Ursache  dieser  Unbekannt- 
Bchaft  ist  lediglich  in  einer  übertriebenen  Geaundheitsmaassrege)  zu 
suchen.  Während  sonst  alle  orientalischen  Völker  dem  Hyjnen  ab 
Zeichen  der  Jungfräulichkeit  der  Braut  einen  hohen  Werth  beilegen, 
wird  dieses  Häutchen  sowohl  in  China  iilö  auch  in  Indien  bei  den 
äusserst  sorgfältig  vorgenommenen  Reinigungen  der  kleinen  Mädchen 
durch  die  Wärterinnen  regelmässig  zerstört.  So  kommt  es,  dass 
die  Chinesen  und  .selbst die  chinesischen  Aerzte  gar  nichts  von  der 
Existenz  des  Hymen  wissen.  Die  Kinderwürterinnen  der  Chinesen 
betreiben  näntlich,  wie  Ifnrt'uu  de  ViUnicnve  erzählt,  bei  den  täg- 
lichen Waschungen  der  kleinen  Kinder  die  Reinigung  der  Ge.schlecht«- 
theile  derselben  und  die  Beseitigung  des  sich  in  den  Genitalien  bei 
dem  heissen  Klima  stark  ansammelnden  Schleime«  so  scrupulös,  dass 
sie  stets  den  reinigenden  Finger  in  die  Scheide  des  kleinen  Mädchens 
einfuhren.  Hierbei  erleidet  das  Häutchen,  das  vor  dem  Scheiden- 
eingang ausgespannt  ist,  eine  wiederholte  Ausdehnung  nach  innen 
tmd  verschwindet  zumTheil.  Aehnliches  lindet  sich  im  al iuris  eben 
Archipel  auf  der  Insel  Ambon  und  auf  den  Uliase- Inseln.  Derselbe 
Gebrauch  herrscht  auch  in  Indien  selbst  unter  den  dort  wohnenden 
Engländern  und  Holländern,  welche  einheimische  Ammen  an- 
nehmen, üeberhaupt  wird  dort  die  Keinigung  der  Sexualtheile 
sehr  scrupulös  durchgeführt.  ,,Eine  löbliche  Eigenschaft  des  weib- 
lichen Geschlechts,"  sagt  /:/y>,  ,,ist  die  Koinlichkeit  der  Genitalien, 
und  es  hat  in  die.ser  Be/iehung  einen  grossen  Vorzug  vor  d<rm  in 
Europa,  bei  welchem  Sorglosigkeit  oder  übergr«).ssc  Scimmhaflig« 
keit  die  Ge.schlechtstheile  zu  einer  mephitischen  Cloiike  tunclien. 
Hier  folgt  nach  jeder  natürlichen  Befriedigimg  Abwaschung  mit 
Was.ser." 

Jungfrauen,   die  sirli  noch  im  Besitz  des  Häutchens  befindeOf 


92.  Die  Beochtteidmig  der  Mädchen  und  die  Tenfhna^. 


Eb 

.,Nulla  inter  illae  inveoitar  virg«), 
nuixima  cuiu  cura  oiunein 


V»  Kuoh  UU8  Shnlichen  Ursachen 
lerintieo  Brasiliens  ebenfalls  nicht  geben. 
V.  Ftldnn'.t  Bericht, 
ra  iietAte    tUia« 

entiiiiiqui'  amovare  aiadet,  Iioc  quidem  uiodo 
arliorifi   in  infundibuli    l'orinatn    redactum,  ei  ^an  udt 
itules    itnuiisaii-)    hnc    et    illud    uiOvetur,    per  Infamdili  J  iii  i 
niittitur." 

In  ParH}j;iiav    herracht   eiue    sehr   currupte  sm^ 
Hebamoii*  ein  Kind  männlichen  Geschlechto 
it  ihren  Händen  sehr  ^»t8rk  den  Penis  lug;  bä 
ou  Pa  ragua  y  !!ioil  überhaupt  das  männliidie  Glied  «fe  Im^ 
wenn  das  Kind  jedoch  weiblichen  Geschlechts  ist,  ao  bofet  mt 
em  Finger  in  die  Vagina,  indem  sie  sagt:  JÜa  itt  eise  Fi 
giebt  es  in  Paraguay  keine  Jungfrau,  iiuien  dw  ff 
xerstört  ist  {MatUef/ujrzu's  Hchriftliche  Mittheiloiigec  >. 

Durch  eine  auf   mehreren    Iiiaeln   de»  alfori^^hen 
enrachendt   Unsitt«  {RieiJd^)    wird  selbstrecstiii'Uidk 
uugfernhaulchen  vernichtet.     Dieselbe  besteh 
ilädchcu  wührend  der  Menstruatien  Tampoo«  tob 
anmbiifit  in  die  Scheide  hineinsteckt,    damit 
cret  aufsaugen  sollen. 


I«di> 


=4 


22.  Die  Beschneidang  der  Midchea  umä  die  T( 

Die  Operation  der  BeechaeidoBg  bd  Midrixa 
)lutigen  Abtragang  und  Äusrottmig  der  dilori». 
»otinm  cUtoridis  und  zum  TheO  in  Abiiagig  der 
lipp«o,  Howie  des  Eingangs  der  Sdietde  (BiSharg,  ¥mBf\, 
Gebrauch  der  Excision  eiistiit  bei  einer 
lAnzahl  von  VOlkem  nicht  blos«  in  Afrika, 
Rchicdfuen  anderen  Orten  der  Erd«.  ^laa  find  den  Offcranffa  iii 
1  ätüdten  Arabiens,  wo  der  Zorof:  ,0  Sohn  der  «nb4*duittte- 
Q  Frau*  bei  den  Arabern  ab  ein  Aoadnu-k  der  Veraditaag 
t  {Wilken),  in  Aegypten,  in  Nabien  (Kordofan),  in 
byxtiiuien,  im  Seunaar  und  den  iiiiilifiggiiideii  Idmdam,  in 
lad-Sudan,  bei  den  <-TalIaB,  Agow»,  Gaffata  und 
ongas,    tiowie    manchen   anderen    Völkern    Ostafrikaa.      Die 

Isilthal    bei    den    kleinen    Mädchen   stattfindende  Excision    di 
mphen    soll    auch    in    der    kleinen  Oase    in    der  Lybiscbe 
üste  gebräuchlich  sein.     Aber  nicht  bloss  bei  diesen  mei^t  m 
anisichen  Völkeffcbaften    im  Osten    dieses  Enltheils,    8ondfr 
im   Westen  bei  den    Negervnlkern:    den  Susus,    in    Harn 
üc,    bei  den  Mandingos,    in   der  Gegend  von  Sii'rra-bt'oni» 

Benin,  in  Congn   und   in  Acra  an  der  GoldklUt«, 
«nhU,  bei  den  Negern  in  Old-Culabar  und  in 

Plott.   I>M  W«lb.  I.    1.  Aiifl 


\ 


1)01 

Luanda; 


1 46    ^-  ^c  ftneseren  SexvalorgRne  des  Weibes  in  ethnograpb.  Hinsdii. 


Südosten  bei   den  Masai-  und  Wakuasi- Stammen ;  im  SUden  b< 
einigen  Betschuana-Völkern.     Dieselbe  Sitte  ist  auch  unter  dei 
Malayen  des  ostindischen  Archipele,    namentlich    in  Java  hei| 
misch.     Und    merkwürdiger   Weise    bat    man  sie  schliesslich  auc 
unter    den    Indianern    in    Peru  (den  Chunchos   oder  Campal 
und  den  Tuncas),    sowie  bei  den  Panos    und    fJlen    Indianer] 
am  Ucajale-Fluss  entdeckt. 

Bei   dieser   grossen  Verbreitung   der   eigenthümlichen  Sitte 
Kiuiächst  die  Frage,    von  welchem  Punkte  der  Erde  sie  wohl  atis-] 
gegangen    sein    mag.     Für  jetzt   lässt    es  sich  wohl  kaum  mit  Be 
stimmtheit entscheiden,  ob  sie  vielleicht  schon  von  dem  alten  Aegypi 
ten    aus  ihren  Cxang    nahm,    oder  ob  sie  ihren  Urspnujg  unter  d« 
Arabern  hatte.  Man  meinte,  dass  sie  wohl  in  Arabien  ihre  erst 
Heiniath    haben    möchte,    weil   vorzugsweise    die  raoharaedauisüchei 
Völker  Anhänger  der  Sitte  geworden  sind.  Allerdings  spricht  schoi 
Strabo  von  der  Beschneidung  der  Mädchen  bei  den  Arabern,    nai 
vielleicht  hat  sich  schon  vor  Mohamed  die  Sitte  von  Arabien  at 
nach  Aegypten   und  anderen  Ländern   Afrikas    verbreitet.     De 
die  mohamedanisehe   Religion    hat    an    sich    gar  nichts  mit    dies 
Sitte  zu  thun,  auch  sind  ja  unter  den  genannten  Völkern   Afrika« 
viele  nichtmohamedani^che. 

Schon  die  alten  Aegypter  beschnitten  die  Mädchen  im  Alter 
der  Pubertät,  wahrscheinlich  meist  im  14.  Lebensjahre.     Dies  geht 
aus  folgender  Stelle  in  einem  Papyrus  hervor,    die    ich    bei  BacA 
(^Vn  fand.     Im  fünfzehnten  der  britischen  Papyri  heisst   es 
liernardino  Peyron:  i,.4rm<i».  ein  in  derClausur  des  meraphitisc  hen| 
peuni  lebender  Aegypter,  reicht  dem  Strategen  Diont/sios  folgende 
Schrift  ein:  Tatrmi,  die  Tochter  der  Nefori  von  Memphis,  lebe  mit  »hm  it 
.Serapeum,  und  habe  durch  ihre  Collecten  und  die  freiwilligen  Gaben  der  B« 
fiucher  bereits  ein  Vermögen,  betragend  ein  Talent  und  390  Drachmen,  gesa 
melt,  das  sie  ihm  aU  Depositum  zur  Aufbewahrung  anvertraut  habe.    Daraq 
sei  er  vun  der  Mutter  der  TaUmi  folgender  Art  betrogen  worden:  sie  hab 
ihm  vorgegeben,  die  Tochter  stehe  in  dem  Alter,  .in  welchem  sie  nach  ägypl 
tischer  Sitte  beschnitten  werden  niüase  {ntgnifiivfad'ai);  er  möge  ihr  dab« 
jene  Summe  verabfolgen,  damit  sie  bei  der  Vornahme  jener  feierlichen  HaD( 
iung  die  Tochter  einkleiden  und  augemesaeu  dotiren  könne.    Sollte  sie  nicl: 
dazu  kommen,    das  Vorhaben  zu  erfüllen  und  die  Tochter  TaUmi  im  Mon« 
Mechir  des  Jahres  XVIII  zu  beschneiden,   no  werde  sie  ihm  die  Summe  vo| 
2400  Drachmen  zurückerstatten.  Auf  dienten  Vorschlag  sei  er  eingegangen  iic^ 
habe  der  Sefur\  das  Talent  und  die  3^0  Drachmen  eingehllndigt.     Al)er  di^ 
Mutt«r  habe  von  Allem  Nichts  gehalten,  und  aU  nun  die  Tochter  ihm  Voi 
würfe  gemacht  und  ihr  Geld  zurückverlangt,  sei  es  ihm  durch  mchtige  («4 
ivch&fte  unmöglich  geworden,    sich  sclb.'t   nach  Memphis  zu   bogeben  nn^ 
dort  seine  Angelegenheit  zu  besorgen.    Darum  gehe  seine  Bitte  dahin,  Nefot 
möge  vor  Oericht  geladen  und    die  Sache  zum  Gegenstand  richterlicher  Bl 
urtheilung  gemacht  werden." 

Diese  Stelle  beweist,  djiss  die  Aegypter,  welche  die  Beschneid 
dnng  des  mannlichen  (ieschlecht««  nur  bei  der  Priester-  und  K-    -  -J^ 
[aste  nbteiK  das  weibliche  Geschlecht  allgemein  der  beschneide  ■ 


22.  IKe  Beschneidong  der  Mtldolien  und  die  VernBhoug. 


147 


Twarfen,  wobei  die  Tochter  ihre  Dotation  erhielt,  so  dass  sie  gewisser- 
maaesen  in  den  Besitz  ihres  Heirathsgutes  gelangte.  Denn  da  in 
Aegypten.  wie  Herodot  bezeugt,  kein  Weib  irgend  ein  Priester- 
thum  versah,  so  konnte  auch  die  Beschneidung  der  Mädchen  nicht 
als  priesterlicher  Vorzug  wie  bei  dem  männlichen  Geschlecht  gelten ; 
vielmehr  war  es  vielleicht  ein  Vorrecht  der  im  Serapeum  erzogenen 
Mädchen,  im  Pubertätsalter  beschnitten  zu  werden,  oder  man  be- 
Bchnitt  überhaupt  alle  Jungfrauen. 

Uebrigens  meint^en  auch  altrömische  Autoren,  dass  die  Sitte 
wenigstens  in  Aegypten  schon  sehr  alt  sei,  denn  FavUns  von 
Aegina^  welcher  im  7.  Jahrhundert  n.  Chr.  lebte,  sagt:  „Quapropter 
Aegyptiis  visuni  est,  ut  antequam  eruberet,  amputetur,  tunc  prae- 
cipue,  quum  nubiles  virgiues  sunt  elocandae,''  —  Allein,  wenn  es 
auch  nicht  gelingen  sollte,  Arabien  oder  Aegypten  als  Ausgangs- 
punkt der  Sitte  festzustellen  und  die  Verbreitung  derselben  von  hier 
lUus  Ober  fast  ganz  Afrika  und  Ober  den  ostindischen  Archipel 
nachzuweisen,  so  würde  doch  der  Weg,  den  sie  nach  Südamerika 
zu  den  Indianern  Perus  sowie  zu  denMalayen  des  ostindi- 
schen Archipels  einschlug,  ein  ungelöstes  Räthsel  bleiben.  Es  ist 
vielmehr  mit  gröbster  Bestimmtheit  anzunehmen,  dass  manche  Völker 
iselbständig  zu  dieser  sonderbaren  Sitte  gelangten. 

Man  hat  nicht  ohne  Berechtigung  behauptet,   dass  die  Opera- 
tion   in   der  Absicht   ausgeführt  werde,    die   Geschlechtslust    abzu- 
stumpfen.     Denn    abgesehen    davon,    dass    manche    Völker,    unter 
welchen  die  Operation  eingeführt  ist,  eine  solche  Absicht  als  Zweck 
der   Operation   angeben,    trifft   ja   die    Operation    auch    gerade    die 
iWolluMtorgane,  welche  durch  sie  entfernt  werden.     So  sprach  denn 
Lauch  ßrehm,    der    diesem   Gegenstände    eine   besondere    Aufmerk- 
samkeit  gewidmet   hatte,    gegen    mich    die  Ansicht  aus,   dass  diese 
Openition    nur   vorgenommen    wtlrde,    um   den  bei  den  afrikani- 
,cben     Völkern     ausserordentlich     lebhaften     Geschlechtstrieb    der 
Frauen    zu    vermindern.      Andere    meinten,    dass    die    bedeutende 
Grösse,    welche    in   jene«   Ländern    häufig    Clitoria   und   Nymphen 
[erreichen,   als   Schönheitsfehler    betrachtet,    und   dass    deshalb   zur 
Abtragung    dieser    Theile    geschritten    wird.     Bruce,    welcher  auf 
seinen    interessanten    Wanderungen    Gelegenheit    hatte,     über    die 
Sache    bei    den     Aegyj>tern,     Abyä.sinieru,    Gallas,     Agows, 
Gaff  ata     und     Gongas     Erkundigungen    einzuziehen,     giebt    als 
beaonderen   Grund    der    Sitte    an,    dass    von    dem    heissen   Klima 
[oder    von   einer    anderen  Ursache    eine    gewisse    Ungestaltheit    an 
jdfii    Schamtheilen    der  Mädchen    eintrete;    und    „um   dieser    abzu- 
Ihelfeü,    st«!   die  Besclineidung    nothwendig".    —    Auch    schon  früher 
rurdi*    in   Folge   einer   ärztlichen    Untersuchung   die  Operation    als 
„notbwrndig"   dargestellt.      Die   katholischen    Priester,    welche   im 
116.  Jahrhundert  in  Abyssinien  Fuhs  gefasst  und  das  Christenthum 
'itet  hatten,    verboten  zu  jener  Zeit  die  Beschueidung  ihrer 
1  . .  iinnen,   denn  sie  glaubten  in  derselben   einen   Ueberrest  des 


iBOgnpl 


Heidenthuuis  zu  finden.  Allein  die  Folge  dieses  Verbots  war,  dass 
sich  dort  Niemand  mit  einer  Katholikin  verheirathen  wollte.  Die 
Priester  sahen  sich  daher  geaöthigt,  die  Beschneidung  der  Weiber 
zuzulassen,  nachdem  ein  von  der  Propaganda  in  Rom  abgesandter 
Wundarzt  die  „Nothwendigkeit"  des  alten  {durchaus  nicht  religiö.seu) 
Gebrauchs  festgestellt  hatte.  Der  Arzt  wollte  nämlich  daselbst 
beobachtet  haben,  dass  der  in  jenen  Ländern  heimische  Auswuchs 
(die  grosse  Clitoris  imd  die  verlängerten  Nymphen)  an  den  Ge- 
schlechtstheilen  der  Frauen  bei  den  Männern  einen  grossen  und 
unüberwindlichen  Abscheu  errege  tind  folglich  dem  Zwecke  der 
Ehe  hinderlich  sei.  Ebenso  berichtete  Mango  Park  aus  dem 
Westen  A  f  r  i  k  a  s ,  dass  daselbst  die  Mandingo-N  eger  die 
Operation  nicht  als  religiöse  Ceremonie,  sondern  als  etwas  „Nttt*- 
liches"  betrachten,  indem  sie  glauben,  dass  dadurch  die  Ehen  sehr 
fruchtbar  werden. 

Demnach  betrachten  wohl  manche  Völker  die  Operation  um* 
als  eine  zweckmässige  Handlung  zur  Beseitigung  eines  mechanischen 
Hindernisses  für  die  Ausübung  des  Coitiis  imd  liir  die  Befruchtung. 
So  lassen  sich  die  Widersprüche  erklären,  welche  HKSseyger  durch 
sein  Kaisomieinent  nicht  zu  lösen  vermochte,  liusscgger,  welcher 
die  Sitte  im  südlichen  Nubien  fand,   sagt  darüber: 

„Die^e  uralte  Gewohnheit  i^t  uieiuei*  Ansicht  nach  rein  eine  Erfindung 
aildlicher  Eifersucht,  und  ihr  praktischer  Nutzen  lä«^>t  sich  um  so  wenigcv 
einsehen,  da  der  Keiz  des  Beisclilttfa  weiblicher  Seite  durch  dieHe  Operation 
Dothweadig  vermindert  und  dadurch  der  Zuuahme  der  Bevölkerung  entgegen- 
gewirkt wird.  Auch  die  scheinbar  nothgedrungene  Enthaltsamkeit  im  Um- 
gänge mit  dem  anderen  Geacblechte  vor  der  Ehe  wird  dadurch  keiuesweg« 
allgemein  erreicht,  da  mir  mehrere  FJüle  bekannt  sind,  wo  Mädchen,  auf 
diese  Art  päparirt,  die  Aufschneidung  an  sich  vurnehmen  lieseen,  spAier 
aber  dem  Acte  der  .\uf8chneidung,  nur  mit  wenigen  Umständen  verbunden, 
neuerdings  sich  unterwarfen,  eine  neue  Vernarbung  herbeitührten.  und  ohne 
Anstand  alt  jungfräuliche  PhOnixe  ein  efaülichc«  Biludnins  eingingen." 

Ich  glaube,  dass  Russegger  die  beiden  verschiedenen  Opera- 
tionen der  Excision  und  der  nachher  zu  besprechenden  „Veraähung'* 
miteinander  talschlich  identiticirt  oder  verwechselt  und  deshalb 
ihre  verschiedene  Tendenz  verkannt  hat.  Die  Vernahung  ist  aller- 
dings ein  Act  der  männlichen  Eifersucht,  die  Excision  aber  bat 
nur  die  Aufgabe,  die  als  Hinderniss  betrachteten  Theile  schon  früh- 
zeitig zu  beseitigen.  Nicht  überall,  wo  die  Excision  vorgenommen 
wird,  nimmt  man  auch  die  Vernähung  vor;  jene  O[jeration  ist  viel- 
mehr weit  verbreiteter  als  diese. 

Die  künstliche  Verkürzung  der  Labia  rainora  und  die  Exstir- 
patiou  der  Clitoris  unter  den  Völkern  Ostafrikas  hat  deiunach 
vielleicht  ursprünglich  einen  ganz  V  ii  Zweck  gehabt,  wenn 

auch  diese  Völker  zum  Theil  die  _  ^lich  damit  verbtindeue 
Absicht  jetzt  nicht  immer  bei  Befolgung  der  altherKebrachten  Ge- 
wohnheit völlig  bewusst  im  Auge  hj»l>eü.  Wie  wenig  diese  Völker 
»ich  selbst  und  Anderen  Rechenschaft  Ober  die  Bedeutung  der  0|n?- 


img  der  MäUchen 


mir. 


rsktion  xn  geben  im  Stande  sind,  scheint  schon  daraus  hervorzugehen, 
daüs  so  viele  Fteiseode  trotz  manni^acher  Erkundigungen  keine 
liestimmte  Antwort  auf  die  Frage  über  die  eigentliche  Absieht 
crh»U«o  konnten. 

Die  Beschneidung  ist  bei  den  meisten  Völkern  mit  eigen- 
thümlichen  Ceremonien  und  Festen  verbunden.  Dae  Lebensalter, 
in  welchem  die  Beschneidung  der  Mädchen  stattfindet,  ist  meist 
«•in  selir  jugendliches.  In  Arabien  wird  ihr  das  Mädchen  schon 
wenige  Wochen  nach  der  Geburt  unterworfen  (Niebithr)'.  bei  den 
Somiili  mit  3 — 4  Jahren  (Fuulitschke) \  im  südlichen  Aegyp- 
ten  wird  sie  vor  der  Pubertät  im  9.  oder  10.  Jahre  vorgenom- 
men (Werne),  in  Nubien  im  zarten  Kindesalter  (Russrpger), 
bei  den  Mandingo-Negern  zur  Zeit  der  Mannbarkeit  (Sinngo 
Pari'),  in  A  b  y  s  s  i  n  i  e  u ,  bei  den  G  u  1 1  a  s ,  A  g  o  w  s  u.  s.  w. 
gewöhnlich  wenn  das  Mädchen  8  Jahre  alt  ist  {Drum);  in 
Dongola  iKordofan)  um  da.s  8.  Jahr  {Rüppell);  bei  den 
.Vlatkisses,  einem  B  et  seh  uanen- Volke  in  Südafrika, 
zur  Pubertätszeit  [Delfgoryui^);  ebenso  in  Old-Calabar  (//pfraw); 
bei  den  Malayen  des  ostindischen  Archipels,  in  Java  u.  s.  w. 
zur  Zeit  des  zweiten  Zahnens  (Epp);  bei  den  Indianern 
in  Peru,  den  ('hunchos  oder  Campas,  an  Mädchen  von 
10  Jahren  (lirandidirr).  Bei  den  im  südöstlichen  Afrika 
lebenden  Masai-  und  Wakuasi- Stämmen,  welche  die  S&hne 
im  3.  Jahre  beschneiden,  werden  die  Töchter  erst  kurz  nach 
ihrer  Verheirathung  beschnitten;  bei  den  Negern  zu  Loanda 
8  Tage  vor  der  Hochzeit  {DottrUle).  Die  Peuhls  im  Westen 
Afrikas  beschneiden  die  Mädchen  bald  nach  der  Geburt,  In 
Persien  soll  bei  einigen  Nomadenfitämmen  nach  Chardin  die  Be- 
schneidung der  Mädchen  zur  Zeit  der  Mannbarkeit  üblich  sein ; 
doch  konnte  Polak  trotz  aller  Nachfragen  Nichts  hierüber  constatiren. 

Eine  Be.schreibung  der  Operation,  wie  sie  zur  Excision  der 
kleinen  Schamlippen  und  wohl  auch  der  Clitori.s  in  Aegypten 
ausgeführt  wird,    lieferte  Duhousset : 

„La  Circ  oncision  con.sicte  seulement  dnris  renlevement  du  cUtoris,  et 
üe  prutique  de  lii  iiianierc  suivante  Hur  Ich  fille«  de  ncuf  ü  douze  ans.  L'opc- 
rateur,  qui  chI  le  ylan  »ouveut  un  barbier,  se  sert  de  ses  doigta  treiup^s 
ilnns  la  c«ndre  pour  «aiwir  \o  clitoris,  quil  C'tire  H  plusieurs  reprises  d'arriire 
«n  aviinU  atin  de  trancber  d'uii  seul  coup  de  rnsoir,  lorsqu'il  preseiite  un 
(imple  filet  de  peau.  L»  plnie  est  recouvert»?  di*  cendie  pour  arrtter  le  sung, 
et  s*'  cicatride  npr^«  un  r«»po8  roinplet  ile  quelques  jour«.  J'ui  su  plus  tard, 
<te  l'iivwu  iiieme  den  opemteurs.  le  peu  de  soin  quon  opportait  ^  drooncire 
ÜllttM  dano  les  liniit*>8  roli^ieueea  de  l'operEtion,  qu'on  pmtiqu«  plus  lar- 
Bejit  t*n  «ai*isgant  les  nymphesi  ü  In  hnuteur  du  flitoris,  et  le.s  coupunt 
prenque  ileur  niiisiiance,  ä  Ja  iace  interne  de«  gnmdea  Ifevres,  dont  Ich  r»?plis 
tuuqocux  qui  nou8  occupent  sont  pour  ainsi  dire  1a  donblure  cacbante  le« 
orgnue»  reproductonrs;  ce  qui  reute  de«  petitea  lövrüs  forme,  por  la  i'iciitri« 
«alioii  des  paroiH  1i8«es,  s'indurant  et  ih  ritreciaüant,  une  vulve  bötinte,  d'un 
iM|t«ct  ain^Uer  che»  les  1  f  1 1  u  «  circonciae«." 


>0      y-  Die  äasseren  Sexualorgane  den  Weibes  in  ethnograph.  Hinsicht. 


Ecker-  erhielt  das  Präparat  der  betreffenden  T heile  von 
einer  Fellacheufraa  von  Billharz  zum  Geschenk.  An  dieeem 
Präparat  ist  von  der  Glans  cUtoridis,  dem  Praepntimn  nnd  den 
Labia  minora  nichts  zu  sehen;  alle  diese  Theile  sind  rolLstSndig 
entfernt.  Ecker  iujicirte  die  Corpora  cavemosa  von  ihrer  Wurzel 
aus;  hiecbei  zeigte  sich,  dass  sie  bis  zu  ihrer  Vereinigung  weg- 
sam waren;  von  da  an  drang  die  Masse  nicht  mehr  weiter  vor 
und  die  Korper  verloren  sich  in  einem  narbigen  Gewebe.  Eine 
Injection  der  bekanntlich  insbesondere  mit  dem  Gefasssystem 
der  Glans  clitoridis  zusammenhängenden  Bulbi  vesübuli  gelang 
ni  ht.  Es  ist  also,  wie  Ecker  sagt,  wohl  anzimehmen,  dass  bei 
dieser  Operation  die  Qlans  clitoridis  mit  ihrem  Praeputium  gefasst, 
hervorgezogen  imd  ziemlich  tief  abgeschnitten  wird. 

In  Aegypten  und  Abyssinien  wird  nach  Hartman^-  dus 
Praeputium  clitoridis,  seltener  die  Clitoris  selbst  oder  ein  an  der 
vorderen  Oommissur  der  Labia  majora  hervorwachsender  Klunker 
abgetragen. 

Nach  den  Berichten  von  RiedeV  wird  auf  fast  allen 
Inseln  des  alfurischen  Archipels,  namentlich  durch- 
gehends  von  der  mohamedanischen  Bevölkerung,  die 
Beschneidung '  der  Mädchen  ausgeftihrt.  £s  handelt 
sich  meistens  um  eine  partielle  R^section  der  Cli- 
toris.     Von    den    Einwohnern    der    Insel    Buru    er- 

».,   _„    «,  zählt  er: 

Pir.2e.   Eine  ver- 

iohnittene  ^'^^    Eintritt    der    ersten    Menstruation   (bei    Knaben    Tor 

fin bierin  der  Pubertät)  werden  die  Zähne  bis  dicht  zum  Zahn- 
(oMb  Panrrri).  fleischrande  abgefeilt  und  die  Beschneidung  vorge« 
nommen.  Die  Mädchen  werden  gebadet,  auf  einen  Stein  gesetzt 
und  von  einer  alten  Frau  wird  ihnen  ein  Stück  von  der  Glans  clitoridi« 
abgeacbnitten,  angeblich  um  den  Geschlechtstrieb  vor  der  Verheiralhung  tu 
unterdrücken.  Auf  die  Wunde  werden  als  blut«tillende9  Mittel  gebrannte 
und  pulverisirte  Sagoblattrippen  (ekbaa)  aufgelegt.  Dann  trägt  eine  Frau 
A.VL&  Mädchen  in  die  Hütte,  wo  es  einer  besonderen  Diit  unterzogen  wird 
nnd  bis  zur  Heilung  das  Haus  nicht  verlassen  darf.  Die  Sitte  ist  mohame- 
danischen Ursprungs. 

Bei  den  Seranglao-  und  Gorong-lnseln  giebt  er  an,  dass 
die  Clitoridektomie  vom  7.  bis  zum  10.  Jahre  stattfindet  und  zwar 
mit  einem  grossen  Fest.  Nicht  selten  tritt  nach  der  Operation  der 
Tod  an  Verblutung  ein;  jedoch  werden  die  Kinder  dann  glücklich 
gepriesen^  da  sie  dann  in  Mohamed's  7.  Hiumiel  kommen.  Die 
Operation  wird  bei  Mädchen  durch  die  Frau  des  Geistlichen  aus- 
geführt und  das  Kind  hinterher  gebadet. 

Auf  C e  1  e b e s  werden  in  den  Landschaften  Holontala,  Bone, 
Boalemo  und  Kattiuggola  die  jungen  Mädchen  in  ihrem  9., 
12.  oder  15.  Jahre  beschnitten;  diese  Handlung  heisst  „mopolifaoe 
olimoe",  d.  h.  „mit  dem  Citrus  histrix  gebadet  werden".  Auch 
hierbei  finden,  wie  bei  der  Knaben-Beschneidung,  grosse  Feierlichkeiten 


22.  Die  Beeclineidang  der  Mädchen  and  die  Vernäbung. 


151 


statt,  doch  venirsnchen  die  Mahlzeiten  weniger  Unkosten.  Die 
Operation  verrichten  weibliche  Personen.    {Riedel.^) 

Wilket^  sagt:  „Im  Allgemeinen  werden  die  Mädchen  in  jugendlicherem 
Alter  b«8ohoitten,  als  die  Knaben,  Da»  bezeugt  Herr  vanHasselt  unter  Anderem 
TOD  den  MenangkttbawAchen  Malaven.  Auch  bei  den  Javanen  iat 
dtts  der  Fall;  die  Mädchen  werden  gegen  das  6,  bis  7.  Jahr  dem  Eingriff 
unterworfen.  Bei  den  Makassaren  und  den  Boeginefsen  findet  die  Ope- 
ration im  Alter  von  3  bis  7  Jahren  statt,  bei  den  Gorontalesen  viel 
»päter,  aber  doch  immer  noch  früher,  als  bei  den  Knaben,  nämlich  mit  9,  12  oder 
15  Jahren.  Die  Beschneidiuig  wird  im  Inneren  des  Hauses  ausgeführt,  und 
zwar  stets  von  Frauen,  während  ebenso,  wie  bei  den  Boeginesen  und  Ma- 
kassaren  berichtet  wird,  den  Männern,  mit  Ausnahme  des  Vaters  vielleicht, 
verboten  iat,  dabei  zu  sein.  Uebrigens  werden  häufig  dabei  Feste  gefeiert, 
obgleich  diese,  wenigstens  bei  den  Gorontalesen,  nicht  den  Umfang  und 
Aufwand  haben,  wie  bei  der  Knabenbeachueidung.  Nnr  bei  den  .Makas- 
aaren  und  Boeginesen  findet  die  Handlung  ganz  in  der  Still ie  ohne  Feier- 
lichkeit statt.  Worin  der  Eingriff  besteht,  und  wie  er  ausgeführt  wird,  das 
wird  uns  nur  von  den  Javanesen,  den  Makassaren  und  den  Boegi- 
nesen berichtet.  Bei  den  Erstgenannten  wird  ein  Stück  von  der  Clitoris. 
vielleicht  dieOlans  olitoridis,  abgeschnitten  und  das  Abgeschnittene  mit  einem 
Stückchen  Curcuma  in  Kattun  gewickelt  und  unter  einem  Kelorbaum  (Mo- 
ringa  pterygosperma)  vergraben.  Daas  wirklich  die  Clitoris  beschnitten  wird, 
das  geht  aus  der  Bezeichnung  puting-itil  für  die  Operation  hervor,  d.  b.  das 
Abbrechen  von  der  itil  oder  Clitoris.  Bei  den  Makassaren  und  den  Boe- 
ginesen wird  nach  Dr.  Malthes  nur  ein  ganz,  ganz  kleines  Stückchen  von 
der  Clitoris  abgeschnitten,  nur  so  viel,  dass  eben  etwas  Blut  fliesst,  daher 
wird  die  Operation  auch  mit  kattang  oder  katta  bezeichnet,  d.  h.  Abschaben. 
Die  Sache  geschieht  durch  zwei  Frauen,  von  denen  die  eine  hinter  dem 
Madchen  Platz  nimmt,  soviel  als  möglich  die  Schaintheile  auseinander  zerrt 
und  dadurch  den  Kitzler  hervortreten  lüsst.  (Die  Angabe  von  JEpp,  dass 
die  kleinen  Schamlippen  beschnitten  würden,  scheint  auf  einem  Irrthum  zu 
beruhen.)  Ebenso  wie  die  Beschneidung  der  Knaben  bei  den  Mobaraedanern 
in  dem  Archipel  hat  die  der  Mädchen  mehr  oder  weniger  den  Charakter 
einer  Aufnahmeceremonie  in  den  Glauben." 

Besonders  bemerkenswerth  ist  schliesslich,  dass  die  Mädchen- 
Besohneidung  auch  in  Amerika  als  Volkssitte  vorkommt.  An  eine 
Einführung  der  Sitte  von  anderen  Continenten  kann  hier  wohl  kaum 
gedacht  werden.  Im  jetzigen  Freistaat  Ecuador  und  in  der  Landschatt 
Maynes  daselbst  leben  die  Panos-Indianer,  welche  im  vorigen 
Jahrhundert  der  Missionär  Fratiz  Xavier  Vc.igl  besuchte ;  er  erfuhr, 
dass  sie  früher  die  Mädchen  der  Beschneidung  unterworfen  hatten : 
als  er  nach  der  Ursache  dieses  Gebrauches  sich  erkundigte,  sagte  man 
ihm,  man  habe  beschnittene  Weiber  ftir  fähiger  und  geschickter  er- 
achtet, ihren  natürlichen  Obliegenheiten  nachaukomraen. 

Die  Indianer  in  Peru  am  Flusse  Ucaj'ale,  welche  man  mit  dem 
Namen  Chunchos  bezeichnet  (auch  C  am  p as),  üben  bei  den  Mädchen 
von  10  Jahren  ebenfalls  die  Circumcision  aus.  Bei  dieser  tJelegenheit 
kommen  die  Nachbarn  mit  vollem  Schmucke  angethau  zusammen  und 
bereiten  sich  7  Tage  lang  durch  feierliche  Gesänge  und  Tänze  zu 
dem  Feste  vor,    wobei  sie    in  reichlicher  Menge   die   berauschende 


1 52     V.  Die  ftawerea  Seznaioigaii«  des  W«ib«i  in  «ihnoi^raph.  Elinsicht 


Chicha,  aus  Manioc  bereitet,  gemessen.  Am  achteu  Tage  wird  das 
Mädchen  durch  eine  starke  Gabe  des  gegohreuen  Manioc  berauscht 
nod  iioempfindlicb  gemacht;  in  diesem  Zustande  Tollbringt  eine  alt« 
Frau  an  ihr  die  Operation.  Durch  einfache  Uebergiessungen  stillt 
man  die  Blutung.  Alsbald  beginnen  wieder  die  Gesänge  und  Tänze : 
dann  legt  man  das  Opfer  in  eine  Hängematte  und  trägt  es  von 
Hans  zu  Hau.s.  Durch  die  Circumcision  ist  das  junge  Mädchen  unter 
die  Frauen  aufgenommen  (Gratididier). 

Wir  können  dieses  Thema  nicht  verlassen,  ohne  einer  Form 
der  Beschneidung  der  Weiber  zu  gedenken,  welche  leider  auch  noch 
in  Europa  vorkommt  und  namentlich  in  Russland  und  in  Ru- 
mänien ihre  wesentlichste  Verbreitung  besitzt.  Sie  wird  aus- 
geföhrt  zur  höheren  Ehre  Gottes  von  der  sonderbaren  Secte  der 
SelbstversttUnmler  oderSkopzen,  über  welche  wir  v.  Pelikan  aus«- 
ftJhrliche  Untersuchungen,  durch  zahlreiche  Abbildungen  erläutert, 
verdanken.  Bekanntlich  stützen  sich  die  Skopzen  bei  ihren  ab- 
sonderlichen Vornahmen  auf  einen  Ausspruch  des  Evangelisten 
Matthaeus  (19,  12):  „Denn  es  sind  etliche  Verschnitten,  die  sind  aus 
Mutterleibe  also  geboren;  imd  sind  etliche  Verschnitten,  die  von 
Menschen  verschnitten  sind;  und  sind  etliche  Verschnitten,  die  sich 
selbst  Verschnitten  haben  um  des  Himmelreichs  willen."  Die  vor- 
genommenen Verstümmelungen  betreffen  bei  den  Weibern  entweder 
die  Brüste  oder  die  Genitalien  oder  beides  zugleich.  Wir  betrachten 
hier  fürs  erste  nur  die  Verletzimgen  an  den  Geschlechtstheilen. 

Dieselben  be^tehua  in  dem  Ausschneiden  der  Nymphen  allein  oder  mit 
der  Clitoris  zugleich,  oder  in  dem  Ausschneiden  des  oberen  Theils  der  grossen 
Scbamlefzen  sammt  den  Nymphen  und  der  Clitoris,  so  dau  durch  die  darauf 
folgende  unregelmässige  Vemarbung  dieser  Theile  die  Schamspalte  bedeutend 
verengt  wird. 

Drei  .Abbildungen  der  Genitalien  von  „Skopizen"  oder  „Skoptechichen" 
f weiblichen  Skopzen)  erläutern  die  vorgenommenen  Operationen.  Alle  drei 
betreffen  jungfräuliche  Individuen  mit  intakt  erhaltenem  Hymen  und  unver- 
letztem Frenulnm  der  groRsen  Schamlippen.  Bei  der  einen  finden  wir  die 
aeymmetriäche  Excision  der  kleinen  Labien.  Die  linke  Nymphe  zeigt  un- 
gefShr  in  der  Mitte  ihres  freien  Randes  einen  dreieckigen  .Ausschnitt.  Der 
dreieckige  Defect  hat  nach  unten  einen  horizontalen  Rand  von  0,7  cm,  nach 
oben  einen  schrägen  Rand  unter  45  Grud  nach  lateralwftrts  »bgeheud, 
withrend  die  Lücke  im  äusseren  Rande  der  Nymphe  1  cm  beträgt.  Die 
Ränder  des  Ansschnitte«  erscheinen  abgerundet  und  verdickt.  Die  rechte 
Nymphe  ist  in  ihrem  unteren  Dritttheil  scheinbar  ganz  von  ihrer  Basis 
heraasgeschnitten  and  nur  an  ihrer  unteren  Grenze  ist  ein  kleines  Zipfel- 
chen Jitehen  geblieben,  das  zu  einem  hanfkomgrossen  Knötchen  ong«- 
schwollen  ist. 

Auf  einer  anderen  Tafel  erkennen  wir  die  symmetrische  Aoseohneidung 
der  kleinen  Schamlippen.  Im  oberen  Dritttheile  der  Nymphe  hat  ein  schräger 
von  oben  komnu-nder  Schnitt  jederseits  einen  ungefähr  0,25  cm  breiten 
znngenfOrmigen  Lappen  ans  den  kleinen  Schamlippen  bis  zu  deren  Basis 
hin  hemnagescbnitten.  Eine  zweite  Excision  hat  die  Mitte  der  kleinen 
Labien   getroifen  and  aas   jeder  ein   dreieckiges  ätück  heraucgetctnsi   vtm 


IHe  Besehneidung  der  Mädchen  und  di«  VernähuniK'. 


153 


•OBgertthr  derselben  Fonu  und  UiÜsse  wie  der  Ausschnitt  an  der  liiikeu 
Nym|ihc'  der  vorher  besvhi-iebeaejB  FerBon.  Die  Schnilträiider  sind  mit  rund- 
licher Verdickung  vema.rWt.  Auf  dies«  Weise  ist  zwischen  den  Ausschnitten 
der  kleinen  Schamlippen  von  diewen  jederseita  ein  ungelahr  0.3  cm  breiter 
Lappen  stehen  geblieben.  Derselbe  bietet  aber  keinen  freien  Rand  dar. 
sondern  ist  mit  diesem  mit  der  Schleimhaut  der  benachbarten  grossen 
Schanilippe  narbij?  verwuchsen,  woran?  geschlossen  werden  mus*.  dass  bei 
der  Operation  auch  diese  wund  gemacht  worden  ist  und  dass  an  den  Lappen 
auch  von  ihrem  freien  Rande  ein  feiner  Saum  abgetrennt  wurde.  Denn 
beide  Theile  nmssten  angefrischt.  wie  der  Chirurg  sagt.  d.  h.  wund  gemacht 
«ein,  wenn  sie  mit  einander  vei-wachsen  sollten. 

Die   dritte    Tafel,    ebenso    wie    die    vorigen    in 
LebeDfigrOase  iiu.ogefnhrt,  giebt  uns  d»w  Bild  einer  Exci- 
dirteu  (Fig.  27).  Eine  Schamspalte  im  eigentlichen  Sinno 
existirt  nicht,    sondern  wir  sehen   statt  derselben  ein 
lilngsovales   Loch    von   3   zu  2  cm  Durchmesser,   das 
trichterförmig     nach     abwärts    (bei    Rückenlage    der 
Patientin)    zu    führen    scheint.     An    der    Hinterwaud 
dieses   Loches    markirt  sich  in  der  Mitte  die  ziemlich 
grosse    Harnröhrenöffnung    und   etwas    seitwBrts    von 
dieser    jederaeits    eine    kleine    Schleimhanfcarunkel, 
weiche    wohl    als    einziger    üeberrest    der   excidirten 
Nymphen    betrachtet   werden   raus«.     Auf  dem    gra\i    j,,     ^j      Ver»chniaeii« 
behaarten    Schamberge   iät    eine   breite,    unregelmas-    70-jShrige  Jungfrau  ast 
sige.      annähernd     dreiseitige     Narbe    sichtbar,      im    Smiiaad,    der   Skop- 
giössten  Querdnrcbmesaer  ä  cm  breit.  Die  Spitze  diesed        leniekte  »ngehörend 
narbigen  Dreieck:*  ist  nach  unten  gekehrt  und  von  ihr         <"•«■»  "•  '*'"*«")• 
läuft  ein  leicht  gezackter  Narbenslreifen    in  der  Medianlinie  abwärt«  bis  «u 
der    Hajnröhrenöffnung  hin.     Von   einer  Clitoria    esistirt   keine  Spur,    statt 
der   kleinen  Schamlippen    sind    nur   die    beiden  vorhererwähnten  Carunkeln 
erhalten.    Grosse  Schamlippen  im  gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes  sind  auch 
nicht  vorhanden.     Jedenfalls  wurde   ihre   gesauimte   obere  Abtheilung   mit 
fortgeschnitten  und  bei  dem  Verschluss  der  Wunden,  der.  wie  gewisse  regel- 
mäsbig  ungeordnete  Pigmentflecke  lehren,    durch  die  blutige   Nath   stattge- 
funden hat,  muaste  die  Haut  von  dem  stehengebliebenen  Re^te  der  grossen 
Schamlippen  mit  beträchtlicher  Gewalt  nach  oben   und  zur  Mitte  zu  heran- 
gezogen  werden.     Hierdurch   erscheinen   die   Labia   majora  nicht    mehr  als 
„Lippen",  sondern   als  nur  minimal  das  Niveau  der  Umgebung  ilberrngende 
Hautflächen,  die  sich  kaum  noch  durch  die  fast  gänzlich  verstrichene  Labial- 
Schenkelfurche  gegen  die  Nuchbarschaft  hin  abgrenzen. 

Dua  Vernähen  nach  dem  Beschneiden  der  Nymphen  und  das 
Zusammeuheilen  der  Wundränder  bis  anf  eine  kleine  Oett'nung  fand 
man  von  den  N i  1  katarakten  uul'wärts  ganz  allgemein  gebräuchlich 
bei  den  Bedschas,  Gallas,  Somalis,  den  Einwohnern 
Harrars,  auf  Massaua  u.  s.  vr.  Die  Operation  besteht  im  All- 
gemeinen in  folgendem,  später  noch  genauer  zu  beschreibenden 
Verfahren :  Der  hervorstehende  Theil  der  Nymphen  (kleine  Scham- 
lippen) wird  etwas  beschnitten  und  dann  die  Wundräuder  bis  auf 
eine  kleine  Oeffhung  entweder  zusammengenäht  oder  auch  ohue  Nath 
zusammengeheilt.  Schon  im  Mittelalter  wurde  von  Magrizi  be- 
richtet,   dass   man    bei  den    Beja  (Bedscha)    den    Mädchen    die 


1 54      ^  •  ^i«  äuBseron  Sexualorgane  des  Weibee  in  ethnograph.  Hinsicht. 


Schamlefzen  beschneidet  und  dann  die  Wunde  zusammeuwachsen 
läset,    um  sie   erst   bei  der  Verheirathung  wieder  zu  öffnen- 

In  Pegu  in  Indien  fand  Lindschotteti  ebenfalls  die  Sitte  der 
Vemähung : 

„Man  findet  etliche  bei  ihnen,  eo  ihren  Töchtern,  wenn  nie  geboren 
werden, -ihre  Scham  zunähen  und  ihnen  nur  ein  klein  LOchlein  laaaen,  da- 
durch sie  ihr  jungt'rauwlich  Waeeer  abschlagen  mögen;  wenn  sie  dann  er- 
wachsen und  verheyrat  werden,  bo  mag  sie  der  Brfiutigam  wiederumb  nui'- 
schneiden  ao  gross  und  so  klein,  als  er  vermeinet  da$.s  sie  ihm  eben 
recht  sei." 

Diese  Sitte  hat  offenbar  die  bekannte  Bedeutung  der  Infibu- 
lation  und  wird  auch  bisweilen  mit  diesem  Namen  bezeichnet. 
Sie  hat  den  Zweck,  die  Keuschheit  der  Mädchen  sicher  zu  stellen 
bis  zur  Heirath,  vor  welcher  die  entsprechende  Gegenoperation  ge- 
macht wird.  Geht  der  Ehemann  auf  Reisen,  so  wird  häufig  dasselbe 
Verfahren  au  der  Frau  aufs  neue  angewendet,  und  er  lasst  es 
wiederholen,  so  oft  es  ihm  zweckmässig  erscheint.  Auch  Sclaven- 
händler  bedienen  sich  desselben,  damit  die  Sclavinnen  nicht  etwa 
schwanger  werden.  Doch  wird  berichtet,  dass  der  beabsichtigte 
Zweck  dennoch  bisweilen  unerreicht  bleibt. 

Es  giebt  Nil  Völker,  welche  nur  die  Excision,  andere,  welche 
Excision  und  Infibulation  (Vernähung),  noch  andere,  welche  nur  die 
Infibulation  Üben.  So  berichtet  Harfmann* :  Während  man  sich  in 
Aegypteu  und  Abyssinien  damit  begnügt,  das  Praeputium 
clitoridis,  seltener  die  Clitoris  selbst  oder  einen  an  der  vorderen 
Commissur  der  Labia  majora  hervorwachsenden  Klunker  abzutragen 
(Excision),  macht  man  in  Nubien,  südlich  von  Wadi-Halfa,  im 
Senn  aar  und  in  einem  Theile  Kordofans  auch  noch  die  iländer 
der  Nymphen  wund  und  lässt  diese  bis  aul'  eine  kleine,  dem  Ab- 
fluss  des  Harn  dienende  Stelle  zusammenheilen  (Yemahung,  Infi- 
bulation). 

Sehr  ausftihrlich  über  die  Infibulation  im  Sudan  berichtet 
Peney,  Chefarzt  der  Armee  vom  Sudan,  mit  folgenden  Worten: 

„G'eat  vers  Tage  de  aept  ou  huit  uns.  que  la  jeune  fille  est  lirree  i 
la  matrone  chargee  de  l'op^rer.  Quelques  jours  avont  l'epoque  6icee  pour 
cet  objet,  la  tn^re  de  famille  invite  les  parents  et  oonnaissances  du  tese 
föminm  ä  oe  röunir  cbez  eile,  et  c'est  par  de«  f^tes  qu'on  prölude  i,  la  c^r^- 
monie  sanglante.  Le  nioment  arrive,  la  victime,  environn^e  de  toutes  It» 
femmes  presenlea,  est  rouchec  nur  un  lit  oii  eile  est  niuintenue  par  les  aaaia- 
tontes,  tandiü  que  la  routrone,  armüe  d'un  rasoir  et  agenouilltie  entre  le« 
cuisaes  de  la  paliente.  procedc  k  l'opL'ration.  Celle-ci  cotnmence  par  l'nbla- 
tion  d'une  partie  du  clituris  et  des  uymphes;  de  l&  le  rasoir  descendont 
8Ur  le  rehord  des  grande«  l^vren,  enli^ve  sur  leur  bord  interne  et  en  contour> 
n&nt  lu  vulve  une  languette  de  chair,  large  de  deux  centiint<tr«8  enriron. 
Cetle  Operation  dare  qtiatre  on  cinq  minutes;  et  poor  Guipechcr  Jes  cris  de 
la  patiente  de  se  faire  entendre,  le«  aa8iHtatlt«^  ont  soin  de  pouüsor  des 
clameurs  8ur  le  diapa«<m  le  plue  uigu,  tout  que  dureut  le«  manoeuvre>  op«^ 
ratqires.  L'ablation  des  purties  achev<!>e  et  le  sang  ^tancb«^,  la  jeuue  tille  est 
couchee  sur  le  dos,   les  jftmbes   ^tendue«  «t  li^s  forteinent  i'une  i  r»atre. 


22.  Die  beacboeidung 


d«  fa9on  4  lenr  iuterdire  tout  mouTemeot.  Otta  prvcaution  est  nec^Maire 
ponr  tn^Diiger  la  fonniitioD  de  la  cicalrice.  Asant  d'abAndouner  l'op^r^  aux 
*oin)t  de  la  nnture,  la  malrone  introduit  dana  la  partic  inferieure  du  ragiii, 
entr«  lee  Ivvres  eaignantes  de  la  plaie,  un  petit  cylindre  de  bois,  de  lu 
groaseur  d'une  plume  d'oc«.  L'office  de  ce  cylindre,  qui  doit  reater  en  plitüe 
jusqu'au  momcnt  oii  le  trarail  de  la  cicalrisation  sera  acteve,  est  de  m^ua^er 
nue  ijBue  aux  uriues  et  plus  tard  aux  menstrueF.  C'est  tout  ce  qui  reste  de 
I>ern)^able  dans  le  vagin. 

„Quand  la  jeuue  Nubienne  prend  un  epoux,  c'est  encore  h  la  matrone 
qu'etle  s'adrvisse  pour  que  celle-ci  rende  aux  parties  sexuelles  les  dimon«tona 
n^ceisaireft  6  racconiptbsetnent  du  mariage.  Car  i'ouverture  exiAtante  est 
trop  ötroitp  et  trop  peu  dilatable  (i  cause  de  la  cicatrice  donl  eile  est  en- 
touree)  pour  que  le  man  le  plus  rigoureux  puieise  compter  sur  aea  seula 
efforts  pour  pC-netrer  dana  la  place.  La  matrone  intervient  alors,  et,  pur 
une  incidioii  longitudinale,  eile  produit  une  plaie  par  laquelle  s'acoomplira 
la  copulation.  Mals  comine  cette  plaie  nouvelle  tendrait  ü  se  refermcr,  »i 
lea  parties  saignante«  restaient  en  contact,  la  matrone  introduit  entre  les 
lövrea  de  la  plaie.  et  ii  deux  ou  trois  pouces  de  profondeur  daua  le  vagin. 
OD  Qouveau  cylindre  vegetal,  beaucoup  phis  volumineux  que  le  premier ;  car 
ce  demier  doit  Bgurer  les  diioensiionB  du  penis  du  marl  'Ce  deuxietnc  cy- 
lindre reite  en  place  une  quarantaine  de  jour»,  c&poque  oü  la  cicatriantion 
est  cotnplete  et  oü  isa  preeenpe  d«vient  inutile. 

«Mais  tout  n'eiit  paa  dit  pour  la  malheureuae    qui   s'eat  une  premiere 

et  une  deuxi^me  fois  «ouniise  &  Top^ration.     Si    eile    coni;oit,    ce   qui  arrive 

ordinairement,  eile  ne  pourra  paa  accoucher  sana  8on\)ir  encore  les  eprcuven 

de  riaatrument  Iranchant;  car  la  meme  bride  rösietante  qui  entoure  la  vulve 

et  qui  a'oppofait  k  la  copulation,  K'opposcra  encoro  k  la  dilatation  de  cette 

portie    par    ou    doit    paaser   l'enfant.     11   faudra    donc    encore    döbrider.  au 

inoyen  de  large«  et  profondea  incisionk,  le«  partiea  qui  refuaent  de  se  dilater. 

Soarent  au  moment  oü  l'enfant,    en  aortant  du  bassin,    vient  »'appuyer  sur 

la  cloison  interne  dee  parties  genitales,  souvent,  dia-je,    il    arrive  alors   que 

la  matrone,  qui  doit  aaiair  cet  instant  pour  inciser  profondement  les  grandM 

livrea.    blet'se    grievemcat    le   produit. qui  cherche  ä  a'^chapper    au    dehora. 

J'ai  vu  nioi-uieme,    daua  dea  cas  aeoiblable«,  de»  ooupa  de  raaoir,  portc^a  mal 

babili'inent.    produire  die«  iVnfant  dea   ble»<8ures  uiortclle».     Et    cependant. 

malgr^    le»  douleur«  qui  accompagnent  toujoura    cette  horrible  pratique  de 

l'inHbulution.  malgrü  les  dangers  qu'elle  fait  courrir  ä  la  femme  et  Ä  l'enlaul 

qui  vä  naltre.  inalgre  Uiutett  lea  tentives  essaia  par  lea  agent«  du-  gouverue- 

ment   ^gyptien    pour  bannir  celtt-  affreuae    coutume,    lea  Soudaniennea 

n'en    peniatent  paa  moins  dans  leura  id<*e8  ä  cet  egard;    quand   aux  jeun*« 

fillee.  eile«  y  aemblent  encore  plua  attach^es  que  lea  hommes,  car  ellea  pir-  ' 

tendent  que  sana  Vinfibulatioii  eile»  ne  trouvemient  aucun  mari." 

lieber  diese  Sitte  bei  den  Sudanesen  schreibt  Brehm:  Die 
Ofbote  des  MohamedaniAmus  befehlen  nur  die  Circuracision:  allein 
dio  Bewolmer  des  Sudan  nehmen  nicht  nur  diese  Operation  Tor, 
„Bod  etinm  labüs  minoribiui  (nymphia)  abscissis  labia  majora  indc 
A  Veneris  monte  iwque  ad  vaginam  simaudo  ita  copulant,  ut  tistulu 
>»ol«  ft«l  urinam  fundcndam  pateat.""  Die  Operation  wird  mich 
von  alten  Weibern  au.sgeflibrt,  welche  mit  stumpfen  lla^sir- 
.  li  die  nöthigen  Schnitte  machen,  dabei  aber  das  Kind  auf 
entsetzliche  Weise  quälen.    Oft  uiuss  es  vier  Wochen  lang  mit  zu- 


f56     ^-  l^i^  äasseren  Sezaalorgane  da«  Weibes  in  ethnograph.  Hinueht. 


saramenpebniuletieu  Füssen  auf  dem  Anqareb,  d.  i.  dem  dort  ge- 
bräuchlichen Bette,  liegen  bleiben,  ehe  die  Wunde  vernarbt 
Vor  der  Hochzeit  nun  sendet  der  Ebespons  den  Angehörigen 
des  Mädcliens  ein  aus  Holz  geschnitztes  Abbild  seines  Penis, 
nach  dessen  Maoss  die  Oeffuung  in  den  Schamtheilen  des  Mäd- 
chens gemacht  wetden  soll.  Ist  die  Frau  geschwängert,  so  wird 
vor  der  Niederkunft  die  Oeffuung  erweitert.  Nach  mündlicheB  Mit- 
Uieilungen  erfahre  ich  von  Brehm,  dass  letsstere  Operation  durch 
einen  Schnitt  von  hinten  nach  vom,  d.  h.  vom  Damme  her  nach 
dem  Mons  veneris  hin  vorgenommen  wird,  indem  der  vordere  oder 
obere  Tb  eil  der  Schanitheile  zusammengeheilt  ist  und  sich  die 
zurückgebliebene  OefFnung  nach  hinten  zu  befindet.  In  seinen 
Reiseskizzen  versichert  Brehm,  dass  es  Ehemänner  giebt,  die  nach 
der  Entbindung  die  Operation  des  Beschneidens  an  der  Frau  aber- 
mals vornehmen,  um  dieselbe  gleichsam  in  den  jungfräulichen  Zu- 
stand zunk'kzui\ihren ;  und  dass  im  Königreiche  Dar-Fur  an 
den  zu  beschneidenden  Mädchen  auch  die  Sutura  cruenta  vorge- 
nommen wird,  d.  h.  es  werden,  nachdem  die  kleinen  Schamlippen 
durch  Schnitte  wund  gemacht  worden  sind,  die  grossen  Schamlippen 
durch  Nadel  und  Faden  mit  einander  verbunden. 

Unter  den  Beduinen  der  westlichen  Bejuda- Steppe  nörd- 
lich von  Chart  um  werden  die  Mädchen  im  5. — 8,  Jahre  der 
,Intibulatiün'    unterworfen:  es  wird  damit  die  Vemähung  gemeint. 

Auch  im  Senn  aar  übt  man  nach  CaUUand  folgendes  Ver- 
fahren aus: 

,Apr^  avoir  dognii  e«s  deax  membraneB,  les  plaies  de  Tun«  et  de 
]*aulre  sont  rapproohdea,  et  la  patiente  est  tenue  dans  an  ^tat  d'iinmobiliti 
pre«que  enü^re  jaBqu'4  ce  qu'elle«  se  goient  r^uoiea  easemble  par  aggluti- 
nalion  ;  au  mojcen  d'one  casble  tr^s-mince.  on  manage  uiie  Ouvertüre  ii  peijut 
■ufäsaot«  pour  les  ^oulütnenti  naturell.  <Jueli{U«  tempa  avant  le  manag«, 
il  faut  dtftruire  par  incision  cette  adberence  contraire  ä  la  natura.  SM  <Tir* 
nent  quelqo«  »vuipt&iue  färheux,  ie  fer  rouge  «t  le  rai>oir  »oot  la.  0&  düait 
que  la  s«n&ibiUtv  enious^ee  cbez  ces  peapi«*  les  etupeche  d'apprvcter  ki 
toufruDcva  inouien  et  les  accideats  gtnxes  et  iaevitabie«  de  c«f  pntiqaai 
inbuiuaitKeB,  inrtrate^a  pur  le  dcspotwne  da  sese  le  pia&  fort,  poor  s'aavarcr 
la  joai8«anc«  |M^uJ{>r«  d«  cette  fl^ur  virgioale  ti  fogitive  daaa  toos  laa  autm 
p(^'A.  Quoi  qu'il  en  soil,  ü  en  coüt«  a«fex  eher  pour  iair«  remattre  aoe 
}oaB«  fillfl  BD  etat  de  reaplir  des  devoin  oo^jugaox.  S*!!  cn  est  qadqa'mi« 
qni.  tk  defaut  de  noyena  pÄcuniaiT««,  S4*  mane  saiu  avoir  vabi  cette  pti^- 
ratioo  essentidle.  c'est  ä  IVpoux  pre-udre  4  cet  ig»id  ie  porti  qai  lai  con- 
rient:  mai«  loraqu'ü  reuisit,  ciiO!te  difficile.  A  la  readre  fc^onde.  eOe  %  la 
droit  d'exijijer  qu'ua«  de*  matroneoi.  q»i  ex^rteni  ee  cro«!  inHier,  tau«  dk- 
pamitj«  gratis  di^s  ob^tade«.  qoi  coatrariest  le  trarul  de  I'eofaotenMdit.  L> 
Ji^iuic  nnire,  qui  con^üirre  l'«?s|wtir  d»  ■«  rtnarier,  aluMta  poiat  A  «•  mf- 
■MUr»  aaa  Mcoad«  tow  aas  iuitmrt»  4«  oaUa  d«ttU«  Ua^iaiiant  tna»  1»  ea* 
•tt  mr«.** 

In  Kordofan  uoaa  bei  dm  maialea  SliauBCD  ibe  Bimat 
2U  T^a  vor  der  Uodtaöt  akh  ^  ,s«railcn  BMdmaiihmg*  oatw- 
werfen:  fymiu  i\iUm€^  wdelier  die«  berichAal.  meint  j<>deiifiüls  da- 


l!2.  Die  Beschn^fduBg  i«e  MSdchen  und  die  Yern&hnng. 


157 


mit    die    Aufschneidung^;    um    ihr  8.  Lebensjahr   werden    dort  die 
Mädchen  zuerst  der  Exoision  unterworfen.     RüppeU  sagt: 

,Die  Aufsclincidunp  der  Bruut,  d.  li.  die  eröffnende  Operation  an  den 
Gesehlechtstheilen,  hat  nicht  eher  statt,  als  bis  dtr  ganze  bedungene  Hoch- 
zeitspreis entrichtet  ist.  Die  bei  der  Aufachueidung  gemachte  Oeffuung  ist 
nach  Bedürfniss  des  Ehemanns  grösser  oder  kleiner.  Wenn  nach  erfolgter 
Schwangerschaft  die  Zeit  der  Entbindung  sich  nähert,  sü  wird  die  Oeffnung 
nSthigenfalls  durch  abermaligem  Schneiden  vergrössert,  und  nach  erfolgter 
Geburt  wird  die  ganze  Oefihung  durch  Auffrii^chen  der  Wundränder  wieder 
zum  Verwachsen  geeignet,  wodurch  die  Wöchnerin  gleichsam  in  einen  jung- 
fräulichen Zustand  zurücktritt.  Sie  bleibt  in  Bolchem  iO  lange  als  sie  das 
Kind  stillt;  dann  schreitet  mau  ubertnalt>  zur  Wiederaufschneidung.  Diese 
Operation  wird  wiederholt  bi»  nach  dem  dritten  und  vierten  Wochenbett, 
wenn  es  der  Ehemanu  verlangt ;  öfters  unterbleibt  sie  aber  schon  nach  dem 
ersten.  —  Ich  habe  Weiber  gesehen,  deren  Männer  kurz  nach  einem  der 
ersten  Wochenbetten  ihrer  Gattin  gestorben  waren;  und  da  zur  Zeit  des 
Todesfalls  die  Wunde  der  Aufachueidung  zugewachsen  war,  so  befanden  die 
Frauen  sich  in  einem  sonderbaren  Zustande,  und  ihre  Elteni  zwangen  sie. 
in  dem  traurigen  Status  zu  bleiben  ;  denn  durch  die  Aufschneidong  würden 
aie  freiwillig  in  die  Klasse  der  Freudenmädchen  sich  versetzt  haben." 

Die  Mädchen  der  Somali  werden  im  8. — 10  Jahre  nach 
Weise  der  Galla  und  Abyssinier  „vernäht",  indem  die  ver- 
wundeten Scüamlippenränder  mit  Pferdehaareu  au  2 — 3  Stellen  zu- 
sammeugehertet  werden.  Sie  verwach.sen  his  auf  einen  engen  Kanal 
zum  Entleeren  de.s  Urins.     PauWachhe  berichtet  von  den  Somali: 

Das  weibliche  Geschlecht  wird  im  Alter  von  'i — 4  Jahren  infibulirt. 
Der  Infibulation  geht  die  Verkürzung  der  Clitoris  und  die  Beschneidung  der 
äusseren  Valvae  voraus.  Die  Operation  vollziehen  erlahrene  Frauen,  welche 
auch  die  inneren  Lefzen  bis  auf  eine  kleine  Oeffnung  mit  Pferdehaaren  oder 
Baumwollenzwim,  auch  mit  Bast  vernähen.  Eine  molu-tägig«  Ruhe,  während 
welcher  dem  Mädchen  die  Fösse  zusammengebunden  werden,  bringt  die 
Wunde  zur  Ausheilung.  Vor  der  Ehe  lösen  die  bezeichneten  Chirurginnen 
oder  die  Mädchen  selbst  die  vermlhte  Stelle,  welche  indessen  meist  erst  vor 
der  Niederkunft  völlig  aufgetrennt  wird. 

Die  Mädchen  der  Harari  werden  in  der  Kegel  mit  7  Jahren 
an  den  äusseren  Valvae  be.schnitten  und  von  kundigen  Frauen  auf 
gleiche  Weise  wie  tlie  Somali -Müdcbeu  intibulirt  und  ebenso  un- 
mittelbar vor  der  Ehe  im  Alter  von  13 — 14  Jahren  wieder  ge- 
öffnet.    ( Faiditschke.) 

Die  anderen  in  Afrika  wohnenden  Volker,  die  Wakamba, 
Wanika,  Wadjagga  etc.  nehmen  diese  Maassregel  zur  Sicherung 
der  .lungfrauschaft  nicht  vor. 

Namentlich  hebt  Hartmann  ganz  besonders  die  Verschiedenheit 
dieser  beiden  Operationen  hervor. 

„Bei  der  Vern&bung,"  sagt  er,  „macht  man  in  Nubien,  südlich  von 
Wndi  Haifa,  im  Svnnuar  und  in  einem  Theile  Kordofaus  auch  noch 
die  B-luder  der  Nymphen  wund  und  lä^jst  die<>e  bis  auf  eine  kleine,  deao  Ab- 
flüsse des  Harns  dienende  Stelle  zuBnmmeuheilcn.  Vor  der  Hochzeit  wird 
die  Muk^ijjtha,   die  Veniähte,  durch   blutige   Oi)erution   ihrer  Verschliessung 


i^rieder  enthoben  (Fig.  28).  Auch  Sciavinnen  werden  solchergestalt  lufibuliri.  ¥.» 
gi^t  grausame  Herren  (selbst  Europäer!),  welche  an  SGlaviDoen,  ihren 
zeitweisen  M&ittessen,  jene  Operation  zwei-  bi«  dreimal  haben  ToUziehea 
laasen  und  die  Armen  dann  achlieiislich  doch  noch  verkauft  haben!  Die 
Verschliessung  wird  von  alten  Weibom  mit  schlechten  Scheermes»em  Toll- 
brocht.  Mao  bindet  die  Beine  der  Patientin  über  den  Knieen  übereinander 
und  lässt  rie  so  einige  Wochen  lang  bei  schmaler  Kost  auf  dem  Anqardb 
liegen,  bis  die  Heilung  von  statten  gegangen.  Der  Sudanese  betrachtet 
die  Vervchliessung  seiner  Töchter  aU  eine  geheiligte  Sitte  und  rühmt  deren 
VorirefHichkeit.  Er  begebt  den  Tag  einer  solchen  Operation  mit  Festi* 
vitäten." 

E«  scheint  also  nach  Hartmann's  Bericht,  als  ob  man  auch 
bei  der  Vernähung  gleichzeitig  mit  die  Excisiou  vollbringt.  Hiervon 
sprechen  aber  Andere  nicht. 

Ilartmann  konnte  eine  ungefähr  30  Jahre  alte 
Sudanesin  aus  Alt-Dongola,  v»relche  vernäht 
gewesen  und  wieder  autgetrennt  war,  nach  der  Natur 
zeichnen  und  hat  dem  Heraiisgeber  ireundliclist  diese 
Zeichnung  zur  Veröflfentlichimg  überlassen.  Man  er- 
kennt die  narbigen  Reste  der  kleinen  Schamlippen  und 
den  Stumpf  der  abgeschnittenen  Olitoris,  unter  dem 
sich  die  Harnrohrenöflnung  prasentirt. 

Ein  eigentliches  Nähen  scheint  bei  dieser  Ope- 
ration nach  den  Darstellungen  Vieler  nicht  immer 
stattzufindeu ;  allein  Burckhardt  spricht  auch  hier- 
von bei  den  Mnkhaeyt  (consutae)  genannten  Ope- 
ritten  : 

„Mihi    cuntigit   uigram    quandam    puellam,    quae    baoc 

aikt"    gewe«en«  operationeni    subierat,    inspicere    Labia    pudendorum  acu  et 

SudAnatin.     fijo  conauta  mihi    plane  detect*    fucre,    foramine    angusto  in 

^Ij^hliVt  *Voa  ineatum    «rinn«    relicto.      Apud     Esnc.     Siout     et    Cairo 

ftobert/ii  rtmann.)  tonsores     Bunt.     qui    obslructionem    novacula    amovent.    «ed 

vulnua  haud  vuro  letale  evenit." 

Diese  Operation  des  Vernähens  trennt  auch  Werne  von  der 
Excision.     Er  sagt: 

„Aber  eine  zweite  Operation,  welche  in  Aegypten  nicht  angewendet 
wird  und  nur  unter  der  mobamedanischen  Bevölkerung  vom  ersten  Katurakt 
niiaulwttrtji  in  Gebrauch  ist,  wird  indem  genannten  .\lter  (im  9.  oder  10. 
Jahre)  an  dem  Mädchen  vollzogen  und  ist  ein«;  mehr  sichere  Vorkehrung, 
al»  alle  die  mit  karistlichen  Schlössern  und  Federn,  mit  welchen  rohe  Ritter 
ihre  Frauuu  iim>iohU>sisen,  wenn  sie  Kreuz-  und  andere  Züge  machten,  oder 
Uberbaupl  den  llatlinnen  nicht  trauten.  Alte  Weiber  legen  ein  solches,  deot 
Volksglauben  nntoi  worfenes  Opfer  aaf  einen  Anqareb  und  «ciirificiren  mit 
einem  scharfen  Mfi*«er  die  beiden  Wände  d*?r  grossen  Schamlefzen  bis  auf 
einen  kleinen  Ruum  nach  dem  After  hin.  Darauf  n<«hnien  sie  t?ine  Ferda 
(jene»  lange  StfJck  Baumwollenieug  mit  vcrzierton  Knd*>n,  so  Männer  und 
Weiber  um  ihren  Körper  g<lrt«n)  und  umwickeln  damit  dorn  Madchen  die 
Knie  fest,  wodurch  jene  Ncarificirten  Thnile,  aneinander  Kesohlosüen,»  auf  die 
Dauer  verwachsen,   bis  auf  den  nicht  wund  gemachten  'ITicil;  in  diu  kleine 


Fig.  38.   Ein« 

«isdenwvfge- 

*o)uiitt«ne   „Ter- 


II 
II 

II 

i 


1 


22.  Die  Bcscfaneidong  der  Mädchen  und  die  VemAhung. 


159 


DeEEnuBg  wird  wegen  des  möglichen  Zusammenwachsene  ein  Federkiel  oder 
»in  dünnea  Rohr  geatecki,  um  den  BedilHiiiu8en  der  Natar  den  Weg  offen 
lu  halten.     Vierzig   lange  Tage   muss  das  Mädchen   in  dieser  Lage   auf  dem 

lAnqarßh  mit  gebundenen  Knieen  aushalten,  auxgenomiDHD  wo  ein  Bedürfni«» 
intriit;    und  eo  scheint  dieser  Zeitraum,    der   Erfahrimg  Qher  wirklich   er- 

I folgte  ZoHammenwachsung  der  Schamlippen  entsprechend,  gleichsam  gesetz' 

lieh  (U  xein.     Ist  nun  eine  auf  »eich'  i^candalöse  Art  erhaltene  Jungfrau  — 

reiche    nicht   selten,   wenn    man  liebkosend   eich    ihr  nähert,    mit   einem   „el 

(hab  nia«dftht  oder  makfül"  (das  Thor  i.st  verxchlosaen)  sich  entschuldigt  — 
früher  oder  später  Braut  geworden,    so  werden  die  obscönen   Handlungen 

, fortgesetzt  Eine  von  den  Weihern,  welche  jene  Operation  ausführen, 
(ommt  unmittelbar  vor  der  Hochzeit  zum  Bräutigam,  um  dessen  männliche 

fVoraClgn  zn  messen ;  sie  verfertigt  darauf  eine  Art  Phallus  von  Thon  oder 
Hotz  und  vetTichtet  nach  dem  Uaaase  desselben  eine  theilweise  Aufschneidung  -, 
der  mit  einem  FetUappen  umwundene  Zapfen  bleibt  stecken,  um  ein  neues 
Zusauintenwachsen  zu  verhfiten.  Unter  den  gebräuchlichen  lärmenden  Hoch  • 
leitvfeirrlii'hkeiten  führt  alsdann  der  Hflann  sein  mit  verbissenem  Schmerze 
einhersehreitendes  Weib  nach  Hause  auf  das  GerQst  hinter  einen  grobwolle> 
nen  Vorhang  —  und  schon  nach  4  oder  5  Tagen,  ohne  die  Wunden  heilen 
oder  vernarben  zu  lassen,   föllt  der  Thiermensch  Aber   sein  Opfer  her.     Vor 

>  dem  Gebären  wird  das  Muliebre  zwar  durch  totale  Lösung  in  integrum  resti- 
loiri.    allein   nach    der  Geburt,    je  nach   Belieben   de«   Mannes,    bis   auf  die 

t  mittlere  oder  die  kleinste  Oeffnung  wieder  geschlossen,  und  so  fort." 

In  der  Berberei  hrtxieWerne  eine  junge  Wittwe  kennen,  welche 
sich  Ober  den  Tod  ihres  Gatten  freute,    weil   er  sie  in  kurzer  Zeit 
siebenmal  einer  solchen  Operation,   von  der  die  Narben,  sieht-  und 
fühlbar,  Ekel  erregen  können,  unbarmherzig  unterworfen  hatte. 
Die  Art  und  Weise,  wie  die  Operation  bei  den  Nubiern  aus- 

Igeftlhrt  wird,  beschrieb  iTanner  in  der  GeburtshQltiichen  Gesellschaft 

[zu  Ijundon: 

„Puella,  adhuc  tenera,  huuii  supina  prostemitur,  cruribus  sursum  trusis, 
shuM  Hexis  et  in  diversum  extensis.    Sic  jacenti,  verendorum  labia  acuta 

^OTftcula  utrinque  per  totum  paene  os  scalpunter,  relicta  ad  extremum  do- 
orsR*  hiutum  in  longitudinera  quarta  unciae  parte,  in  quam  calamus  pennam 
ftoserioam    circulo   aequiparans  intro   immittitur.     Hoc   facto  labiorum    mar- 

igtOM,  Kiuiguine  udhiic   ktiliante»  in  unum    coguntur,    eo  con&ilio  ut  re3aaes- 

fMntos  conjungantur ,  et  nihil  aliud  apertum  relinquatur,  quam  exiguum 
lllud  foramnn.  quod   per  calaoinm  insertum  retervatur. 

Quae  ut  flut  conjunctio  et  superficies  labiorura  scalpro  nuper  incisa  quam 

foplinie  coeat,  puellne  crura  gennbus  et  tulis  inter  se  nexis  colligantur.  Hinc 
Ht,  ut  nulla  tuembrorum  tensiune  vcl  luctalione  labella  jamjam  concrescentia 

tpotsint   Heparari.     Post    paucos  dies  firmiter  inteir  se   conhaerent,    et  forma, 

Iqaam  natura  drderat,  nulla  upparet.  l(a  laovis  est  pars  ea,  quae  monti  qui 
veueri«  vocatur  prwxime  subjacel,  ut  Rpedem  nudae  feminau  quem  admodum 
»culpton>«  »tatuam  ex  ea  parte  laevigant,  omnino  repraesonlet.    Caliiuio  «üb- 

iducto  perexigun  <]Uive  relinqititur  apertura  officio  urethrae  fungitur. 

Hoc  arlificia  tutis  licet  pueUis  cum  ^»ueris  libere  conaociuri,   dum  dies 

tsaptialis  advenoril,  quo   tempore  »pousa  sine  controversia  virgo  est. 

Fe«tum,  quod  in  honorem  nuptiarum  celebratur.  ritu,  qui  Hnetn  austitati 

[aUioc   coftctan  irapönat,    coucludilur      Bpon^^a  a  quibusdani   ex    amicij*   »aia, 
Bio  pronubiirutu  fu^entibu»,  tanquam  jure  occupatur.    Molier,  rej  agcuda« 


t.d;*! 


I  SexnäSöt^gnie  iteviffeft«*  m  Hhnöfrmfh,  BürfMlt. 


perit«.  ferrmneatuai  fteitafB»  eanrntam.  im  Ikkt  vMknr  OBale«  imteni, 
qMMl  •■■1  adM«d«a  «amitan  Ml,  vi,  tftmm  atifi»  con  aAibita,  maam 
imHiJfiliii.  catk,  aU  0|mm  «A  pwfoiaUn.  üao  ieta  ttg— mta»  £«aitar, 
et  riiMi  I«Bfit«do  tmÄem  propc,  q«ae  pno*  famt,  reititwtar.  Es  iSo 
tcapere  ■ponw  mnum»  vigüäiitta  »  proaalne  ohawiaUti.  &  qwbwi  ad  numtt 
tagvrim  4t4mtituT.  M  mmte  fmci  n  v%itia  mueai  proBaboe,  e<  ^imub, 
fw>d  es  «CS  e4Ni««sit.  smcnlhinie»  exspcetuit:  qoo  iatw  e£lo.  diom«  omsb 
feadBanoB  elsrs  roce,  •rgata  «iiasl  et  tniacsBÄA,  omkv  coo  exultaate»  «la- 
iaat.  .  .  .  Aatoqaa«  laofier  poonm  eaiti  poorit.  opa«  eet.  rv^xBan  cecudo 
Oalmn,  qaae  poal  partam  sradia«  latrodacta  ad  ptioitia  mewmwam  Heraai 
Mstnlater.-' 

Ebenso  spridit  Burckhardt  von  dieser  Gegeuopentioiv,  d.  k. 
der  Aa^hneidong  nach  der  durch  Circuracisioii  (die  er  ülflcUädi 
Exdno  ditoridis  nennt)  entstandenen  kfinstiiebm  Terschliefisoag 
der  Tagina: 

«CicaUix  poat  rsririomw«  düoridM  parietal  ifBM  Ys^iaae, 
parro  reücto,  tater  «e  ghrtäiiat.  Ceai  >— ipaa  aapliaKBa  adreaiat,  bm 
a  qua  Tagiaa  claoditiir,  cotam  ploribo*  ladiditBr,  «poaso  ipao 
loterdam  ereait.  at  opcnAioaca  cfliMt«  aaqpcat  aiae  vf*  aalieni  atic^jas 
«spcrtae,  qaae  HcalpeDo  parte»  vagiaaa  pmteidias  nadadit.  ¥Ti»a«  cnu<iaa 
dw  com  Qxore  pleromqBe  habitat;  «adeiUa  Arabaai  acBtaaÜa:  Poat  iaam 
apcrtorae  diea  ooitiu.  Ex  lue  coaiactadiae  il.  at  «poawi»  aiUMiaam 
cipialttr.  et  es  hoc  fit.  at  ia  Aegjpte  8apan«iri  iaaaptac  rapalaare 
cmaa  boenaom  stodent,  diceate«:  Tabouiay  wala'  laljtfcMi"i'H>  ^^  qaaa- 
toai  en  sit  inrita  haec  contiaeatia  poat  aiatriaMMiiaBi  demoaatnuit,  ttbidiat 
qaam  auuicie  indolgeatet.'* 

Fancrri  hatte  in  Aegjpten  Gelegenheit,  eine  tmgefihr 
20jähhge  Sudanesin  zu  untersuchen^  welche  früher  die  Exdsion 
4iirchg«nacht  hatte.     Er  sagt  too  ihr: 

llati  irsh  an  Stelle  der  Sdtamapalte  eine  liaeare  NarW,  oater  velcher 
ita   MV'  !e  Fmger  die  ClJtoris   so  ihrem  Platae,    aber   rSOig    Ur«^- 

lieh   Uli  .  u.-m  geoaaatcii  Narbeogewebe  Tezst«ckt  nachweiaeai  konnte. 

Nor  venn  man  die  Schenkel  attseiBaAdenpreüte.  aah  man  bei  dem  Perinlmn 
die  ScheideoOffimng  in  Form  eöiaa  SpallM.  denea  Biader  durch  den  Kaxnm  dar 
kleinen  Labien  gebildet  wurden,  die  gewissennaacseB  mit  den  gruaseo  «er> 
cchmolzen  waren.  Die  obere  Commiwwr.  die  CUtorii,  die  Hamr^bieBOillndoBif 
vad  die  Tordere  B&IA«  der  kleinen  Schamlippen  varen  verboigea,  weil  die 
gjOMea  Schamlippen  mit  eiaaader  renclunolien  waren  (fig-  26  a.  ti.) 

Am  oberen  Niger,  bei  den  Ma linke 
and  Bambara.  scheint  jedoch  nach  GxtUiem^ 
Comnaiidant  der  fransoaischen  Marine-la- 
fi&nterie,  lediglich  der  Brauch  der  Oiruam- 
cision  ra  bestehen: 

„Cbet  lea  MatiBkis  M  lee  Bambarraa.  d« 
jeq»e«    Blies    «oat    gte^ffalemeat    i«^«     *  i-  * 

qnins»    ana    aa    aameat    d»   rop4rat»oa.  Ii«a 

apr-  "i»ge,    ali-  ■  at 

ffti  l«nt«  ptu. .  ,  ur 

"^  ■rar 


VallariafMak 


li 


22.  Ke  BescluieiduDg  der  Müdchen  nnd  die  yeraKhang. 


161 


I 


fenimee  d«a  forgeroDit  iiour  les  fille».  L'Laatruiuent  eiuplojd*  est  un  simple 
cooUau  en  (er  grossiöremeot  utguise.  Les  patientea  ae  doivent  donner  aucau 
sign«  de  fAible«»e  uu  luotuent  de  TexciBioii.  Couiuie  dous  nous  etonniona 
Bouvent  de  voir  pratiquer  la  circonciRiou  vi8-ä.-vi8  den)  jeuaea  filles,  ou  nous 
rt-pondait,  quu  cellen-ci  {(«»taient  aiosi  plua  fideles  ä  leurs  luaris;  cepeadaut, 
le»  futQtuea  iiidigi'iieg  ne  se  piqiient  guere  de  chastett'. 

Le»  fatnilles  doiit  leh  L-nlants  viennent  de  subir  ropemtion  de  1h  cir- 
coDcisioD,  celebrent  cette  fete  par  den  danRee  et  des  chant««,  ucconipugnes 
de  repas  plns  copieux  que  d'habitude.  Le»  richea  tueiit  den  chevres,  dea 
pculetp,  quelques  fois  ni^ni«  un  boeuf;  \e»  pauvre«  ramaFsent  deux  ou  troifl 
chiens  datis  le  village  et  ]es  unieent  avec  le  riz  ou  le  coukcous;  paHout  on 
confectionne  du  dolo  et  on  se  livre  ä  d'abondantes  libations. 

Apres  rop^ralion.  le»  circoncis  vetus  de  longuea  roLes  mutites  de  capu- 
cbons  qui  leur  lecouvreut  1a  t^te,  ne  repataissent  dans  leura  fannlles  que 
lorsqu'ils  Boni  eutii'renient  guc^tia.  Lee  gur^ons  sont  K^piirös  des  filleu.  .  .  . 
L«9  tUIcK  porteni  de  peütefc  calebataee  renipliea  de  menus  cailloux,  »euiblable^ 
1^  no8  jouetfi  d'enfant.  Au  matin,  de  bonne  beute,  toua  retoument  soua  leur 
arbre.  Lex  cicntric^^'S  sont  longues  ä  ee  guerir,  car  ce»  iodigenes  ne  poa- 
»tdent  rien  pour  retenir  les  peaux  api^s  l'exciMOn;  il  faut  bien  compter 
140  &  50  juars  pour  la  gueriaon. 

Le  retour  dans  les  faniilleä  donne  tieu  &  des  longues  fetefe.  Les  jeunes 
gar^oni  ont  disormuia  le  droit  de  porter  des  armes  et  de  donner  leur  avid 
dans  les  conseils;   les  jeuneß  filles  peuvent  se  oiarier." 

Ich   habe    mir   Mühe   gegeben,   so   viel    als   niöglich   iiber  die 
'Wirkung   und   die    Folgen   zu   erfahren,   welche  die  Üperatiou 
des  Vemähens  und.  der  Zustand  des  Vernäthseins  auf  das  ßetindta 
nnd  die  Gesundheit   des  Individuums  äussert ;    insbesondere  erkun- 
digte ich    mich   hier   bei    mehreren  Afrika- Reisenden.     Der  ver- 
storbene  r.   BeurmuHH,    welcher    in    Wadai   bekanntlich    ermordet 
«rurde,  theilte  mir  nilhidlich  mit,  dass  bei  denjenigen  \' ölkerschaften, 
reiche   die  Vernähung   der    Geschlechtstheile  ausüben,    die   Frauen 
häufig  sehr  schwer  gebären;    auch  sollen  dort,    wie   er   sagte,    oft 
.Missgebui-ten"  vorkommen.     Dagegen   sollen   nach   r.  JieMrmarin's 
Ldgabe  die  afrikanischen  Frauen,  an  welchen  keine  Vemähuug 
Korgenommen  wird,  meist  sehr  leicht  gebären.     Jedenfalls  liLsst  sich 
begreifen,    dass    der    narbenbildende,    eine    Contraction    und    einen 
Verschluss  der  äusseren  Gebiirtstheile   bedingende  Process    der  Zu- 
isÄnimcnheilung  den  Oeburtsvorgaog  wesentlich  beeinträchtigen  kann. 

Das  Vernähen  bringt  jedoch  noch  andere  N  a  o  h  t  h  e  i  l  e  mit 
ridi;  denn  an  vernähten  Frauen,  welche  in  den  S|iitälern  Aegyp- 
lens  mit  syphilitischen  Geschwüren  an  den  Geschlechtstheile n  dem 
rerwtorbenen  t'A/f  (Jena)  xu  Gesicht  kamen,  musste  nach  münd- 
lichen Mittheihmger»  desselben  eine  Operation  in  ähnlicher  Weise 
orgeriommen  werden,  wie  bei  der  Phimose  au  Männern;  man 
lu.ssie  die  verwachsenen  Schamlippen  durch  einen  Schnitt  trennen, 
widern  sie  eine  tormliche  Einschnürung  der  entzündeten  und  ge- 
»chwollenen,  von  Syphilis  ergriffenen  unterliegenden  Theile  be- 
wirkten   und   den   Austritt    des   Schunker-Secretes   hinderten.      fW/? 


PW>t«,  lAw  W*lb    l.     2    Aufl. 


11 


ino^apb.  Hinncht> 


)iuridit4)tc  mir,  »I»m<«  er  nirgend»  in  den  der  Syphilw  gewidmeten 
Hpitill«'rn  »o  tHrohterliche  ZerHtl'irnngen  an  den  weiblichen  Geschlechte- 
thi*ilr>n  ^4*t'iui<l('ii  liiibt*.  hIh  in  ügypt. i  sclieu  Krankenhäusern  bei 
oJnigt<ii  frllhi-r  ventahi  gewesenen  N  e  g  e  r  -  Sclavinnen.  Diese 
Nrhwiir/t'n  Mnilchcn  hiittr  niun  aus  dem  Inneren  Afrika !<  auf 
einoni  langen  Zuge  durch  die  Wüste  transporürt,  und  sie  waren 
»interwi'gH  von  einem  mit  Syphilis  behafteten  Transporteur  mitten 
AHN  der  Sohivenkotte  hcraungcnoramen,  aufgeschnitten  und  zum 
(N)ituM  geniisNbraueht  worden.  Hierauf  hatte  man  sie  mit  den 
tViftchen  ^^^uulen,  die  sich  in  grosster  Ausdehnung  schnell  mit 
•yphilili»i'hi'n  (Joscliwllren  bedeckten,  auf  wocheulangem  Marsche 
weiter  triinsportirt,  wol>ei  sich  denn  bei  völligem  Mangel  an  Reini- 
gung der  kranken  Titeile,  bei  der  fortgesetzten  Reibung  durch  das 
Oeheu  und  b»«i  dem  hohen  Hitzegrade  der  Luft  der  bemitleidens- 
werthe  /uHtand  Husbildet«*,  in  welchem  Uhle  diese  unglücklichen 
IK'xohtipfe  XU  untersuchen  <ifl««genheit  fand. 

l^ebenül  diijt,  wo  die  besprochenen  Sitten  herrschen,  namenk- 
UeU  da,  wo  die  Vemaliung  allgemein  üblich  ist,  ist  das  weibliche 
UeschleciU^  wie  Waitz  mit  Recht  sagt,  auf  Aas  Tiefste  herabge- 
würdigt. In  der  That  steht  bei  diesen  Völkern  die  Frau  so  niedtrig 
int  Weiihc,  ditssi  luan  den  BeeiU  f^am  weiblichen  Wesens  nsicfa  der 
Zahl  der  Knht«  berechnet,  ftlr  die  mwi  deh  ein  solches  erwirbt 
Wo  it)»er  bMiglit^h  die  Benutsong  der  Arbeitskraft  und  die  Befirie- 
ili^uiitf  der  jmuuUcImh  L\tst  fhr  die  MSnner  Beweggründe  sind,  ÖA 
•iiM  Fniu  atuvsdMtftn,  da  wird  man  in  der  Wahl  der  VonsiditB- 
VcbntnfeMg  der  KeoscUkak  der  Frau  in  Bwug 
Nif  ktrtwc  «bta  vielil  hmauiftn  delkal  und  »rt  rerfiüirea. 

Dms  dia  haid<a  OpswÜnniw.  aovoU  die  l!»ii  bin  idiiim  ak  aack 
di*  V«mOraa|r  4«  IBdekem  in  keimr  «nderea  Abnett 
üek  ■iiii|[ilfthil  worden^  al«  tur  Bew^kimg  dar  wyjhHAeii  Kc 
Imü»  «Mi»!  wir  «m  dm  ~ 


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»eil  übetiuMfi  tb«r  die 


wi». 


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wvliAeft  jH^  V. 


!8.  Der  Mens  Veseria  und  die  Behandlnng  der  SehAmliaaTe.        163 


1 


■Weibliche  Geschlecht  höchst  willkonimen  ist,  sofort  auf  den  Gedankeu 
geführt  haben,  dass  hiermit  das  beste  Mittel  zur  Bewahrung  der 
■Hfiblichen  Keuschheit  gefunden  sei.  So  wurde  allmählich  die  Aus- 
führung jener  Operation  zum  Zwecke  der  Herbeiflihrung  einer 
plastischen  Vemarbung  und  Verschliessung  der  Geschlechtstheile 
ein  ganz  allgemeiner,  als  sittliche  Maassregel  in  grossem  Ansehen 
lebender  Volksbrauch.  Dass  man  dabei  auch  auf  den  Gedanken 
*]iani,  zur  sicheren  Herstellung  der  Vernarbung  die  frische  Wunde 
««  nähen,  oder  auch  überhaupt  durch  eine  Vemähung  der  äusseren 
Geschlechtstheile  den  Verschluss  derselben  zu  bewirken,  ist  wohl 
nicht  unmöglich;  allein  die  allgemeine  Erfahrung  lehrte  jedenfalls, 
auch  ohne  Naht  die  An-  und  Zuheilung  bei  ruhigem  Verhalten 
Patientin  bewirkt  wurde. 


[23.  Der  Mons  Veneris  and  die  Behandlung  der  Schamhaare. 

Die  Physiognomie  des  Mons  Veneria  wird  im  Wesentlichen 
durch  drei  Factorcn  hervorgerufen,   durch  die  Form  Verhältnisse  des 
knöchernen  Beckens   (besonders   durch   die  Vergrösserung   oder  die 
"Verringenitig  des  Winkels,  welchen  die  beiden  horizontalen  Scham- 
>einä«te   mit   einander    bilden),    durch   die  stärkere    oder   geringere 
\blagerung   von  Cnterhautfettgewebe    und   endlich   durch  die  Art 
•  Farbe  und  die  Anordnung  der  Schambehaarung.    Da  nun  diese 
?j  Dinge   bei   den  Völkern    der  Erde   in    sehr  verschiedenartiger 
^v%s*i  zur  Eut Wickelung  gekommen  sind,  so   versteht  es  sich  wohl 
^  U)z  von  selber.    diis.s  auch  an  dem  Schamberg  Rassenunterschiede 
>exiierkbar  sein  mÜHsen.     Aber  wir  sind  noch  erheblich  weit  davon 
itfernt,  hier  fertige  Lehrsätze  formnliren  zu  können.    Denn  leider 
das  zu  Gebote  stehende  Beobachtungsmaterial  noch  ein  in  aller- 
*"  .  rliches  und  spärliches.     Ja  selbst  über  die 

-se  bei  dem  weiblicheu  Geschlecht  der  ciyi- 
europäischen  Nationen  sind  wir  noch  fast  vollständig  im 
m.     I>enn  obgleich   über  ganz  Europa  eine  enorme  Menge 
von  Kliniken  und  Krankenhäusern  zerstreut  ist,  in  welchen  täglich 
Beobachtende  aus-  und  eingehen,    so  hat  es  doch  leider  immer 
sh  an  Beobachtern  gefehlt,  welche  das  sich  ihnen  überreich  dar- 
»teode  Material  zu  verwerthen  und  filr  eine  genauere  Verarbeitung 
anzubringen    sich  bereit  erklärt  hätten.     Der  Herausgeber* 
büreitfi  an  anderer  Stelle  »eine  Klage  darüber  laut  werden  laasen. 


hne  VVi<birhall  ist  sie  nicht  verklungen.    Wenigstens  hat 
riio,  widches  die  von  der  deutschen  anthropologischou 
im  .labre   1884  gewählte  Commission  ftVr  das  Studium 
nhen    HHliaaruug    au«ge<irbeitet   hat,    aurh    das  Kdrpei-«] 
i'.  htiguog  gefunden. 

Jo/iannt-  J     ,  ,     lAgt:  ,0n  cnlen«!  par  le  penü  la  partia  cap^eor» 
Itt  iiarüu  hooteuM,  (ritu#«  m  la  partie  anterieoTe  de«  oi  pabwj  «I  la  Moti44 
'  11* 


Mta^ 


V.DifltoaMrttJ 


ah.  Hiwtdit. 


tat  c«lte  partie,  qui  pamit  el<;rt*e  oomiae  ane  petite  coUine  aa-dMaoB  4h 
gtmnde«  Lerre«.  qui  pour  cela  est  apell^  le  Mont  de  Venu*,  pturc«  qae  tou 
oeax  qui  »'enroJlent  »oo«  l'^taadart  de  cette  Dresse,  doireat  ii^cei.Maireiu(>nt 
Tescalader.  La.  sabstanc«  externe  de  la  ^otte  est  faite  »eolemeut  de  U 
peko ;  mau  D  n'en  vm  ainn  de  <a  partie  interne,  puisqa'  eile  est  presqor 
Ivate  de  gratu«:  ce  qai  ett  fait  exprt»  pour  la  rendre  ^paiate,  nioUfl  e«t 
fort  eiuinente.  principalenient  dans  les  jeunes  fiUe» :  ou  cette  rabstaiice  dooce 
et  delicate  eat  trvB-prupre  pour  serrir  d'Oreiller  u  Vrnws,  de  peor  qoe  Yo» 
pobig  de«  deux  Sfxes  ee  froiesant  ensemble,  s'opi>osait  aa  plaisir.  qa'on  doit 
trouver  daxu   Ic  coogres.*    (Sdiung'.) 

Eine  eigeathQinliche  Reflexion  Über  die  Bt-haarung  der  Genitalitm 
finden  wir  bei  Gerdy:    „Nach    unten    zeigt    das    Becken    nur    eine 

Furche,  an  vrclclier  man  jedoch  nach    vom    die  geachlechUichcu  Cb 

hierauf   den    Daniin    (perinaeum)  und   endlich   nach  hinten  dir  After othuiai 
unterscheiden    kann.      Alle    diese    Theile    eiud  durch  Ilaare  verdeckt,    to: 
nehmlich  aber  die  Zeugungsorgane.    Es  wird  dadurch  gl'>ichEam  ein  Schlei 
gebildet,    unter  welchem  »ich  die^e  schon  durch  ihre  Lage  versteckten  Organo 
den    Aogen  entziehen,    und    wunderbarer  Weise  gerade  dann,  wenn  diu  Ge- 
schlechts theile  auR  ihrer  urspränglicheu    Keuschheit  heraustreten,   wenn   ich 
mich  so  ausdrücken  darf,    wenn    die  Geächlechtsdifferenx  schon   die  Leiden- 
aehaft  der  Liebe  aufzuregen  vermag,   —   gerade  dann  bedeckt  sie  die  N. 
mit    einem  Schleier,    welcher   die  EinbildungekraA  nnr  oro  «o  m«br  aal 
und  die  m&chtigxte  Leidenschaft  nur  um  so  stärker  entflammt." 

Der  Schamberi^  g^^^  ^  seinen  unteren  Partien  in  die  groesu 
Schamlippen  über  und  ninunt  noch  deren  obere  Cotnnii^ur  in  seineD 
unteren  Rand  mit  auf.  Nach  den  Seiten  reicht  er  bis  an  die  Leisten 


fnrchen  und  nach  oben  wird  er  von  der  unteren  der  beiden  Bogen 
linien  begrenzt,  welche  mit  dem  Nabel    zugekehrter  Concavität  d« 


Uuterbauchgegend  durchziehen.  Eine  reichliche  Ablagerung 
Unfcerhautfett  lässt  ihn  bei  den  deutscheu  Damen  als  flachmndlichen 
Hügel  über  das  Nivau  der  Umgebung  hervortreten.  Auch  zeigt  er  in 
der  Mehrzahl  der  Falle  von  den  Wbertätsjaliren  an  gewöhnlich  in  seiner 
ganzen  Ausdehnung  einen  mehr  oder  weniger  dicbten  Haarw 
welcher  aber  mancherlei  Variationen  unterliegt,  welche,  wie 
reits  gesagt,  noch  nicht  einmal  in  Deutschland  hinreichend  stndirt 
worden  sind.  Der  erste,  welcher  Tabellen  darüber  anlegte,  war  der 
Terstorbene  GynäkoloRe  Etjijrl  in  Berlin,  welcher  dieselben  seiner' 
zeit  dem  Herausigeber^  zur  Bearbeitung  Überlassen  hait«.  Es  gingj 
aus  der  Analyse  dieser  Tabellen  hervor,  dass  die  Behaarung  de* 
Mona  Veneris  in  Bezug  auf  ihre  Farbe  in  einem  ungeföhren,  aber 
nicht  ganz  absoluten  Abhüugigkeits Verhältnisse  zu  der  FarW  der 
Kopfhaare  sich  Wüiidet,  während  die  Färbung  der  Augen  einen 
Hnckp<"M">"<  =*"f  'H*^  FurW  der  Pubes  nur  mit  grosser  R«9erTe 
«tattet 

L'uter  H'uii  imter^uchten  Erwachtenen  waren: 

il»iiiki«l."ii;i7iir  ......      'l'M\ 

I  i>fluuLr.i 

.""•ji.Huili.»;-«r  :;j:' 


I 


Sja.  Der  MoM  Venen«  nnd  die  B^andlosg  d«r  SehAmhaare.         fßS 

helläugig 761 

hellhaarig  (KopiTiaar)    ....     667 
„  (Schamhaar)  ....     671 

Es   waren   also    auch    bei   einigen   Dunkelhaarigen   wider    Er- 
' warten  hellfarbige  Schamhaare  vorhanden.   Die  Schamhaare  sind  bald 
kurz,  bald  lang,  bald  dünn  gesät,  bald  dicht  und  buschig  stehend, 
bald  schlicht  und  strafl".    bald  kraus   und  lockig.     Ueber    alle  die.se 
int-eressanten  Dinge  besitzen  wir  leider  noch  kein  statistisches  Ma- 
terial.    Nicht  immer  ist  bei  unseren  Damen  der  ganze  Schamberg 
behaart,  und  bisweilen   ist  er    sogar  absolut  haarlog.     Dafür  giebt 
l'es  aber  wiederum  andere  Fälle,  in  welchen  der  Haarwuchs  sowohl 
nach    den  Seiten    hin    als    auch  nach    oben   die   normalen   Grenzen 
überschreitet.     Da   dieses    Zustände   sind,    wie  sie    bei   dem    raämi- 
lichen    Geschlechte    in    Deutschland  als  die  normalen  betrachtet 
werden  müssen,    so    habe    ich  eine    solche  Ausbreitung  der  Behaa- 
Irung  bei  dem  weiblichen  Geschlecht  als  Heterogenie  der  Behaarung 
bezeichnet.     Für  diese  scheinen  ganz    besonders    unsere    Blondinen 
prädispoiiirt  zu  sein. 

Die   grössere    oder  geringere  Neigung  des  Beckens   lässt  anch 
'den    Schamberg    mehr    oder   weniger   hervoiireten.     Auch   soll  die 
I  stärkere  oder  schwächere  Sättigimg  der  Hautfarbung  an  dieser  Stelle 
unter  den  Völkern  sehr  wechsebi. 

Bei  den  Chinesinnen  soll  in  Folge  der  bekannten  Operation 
zur  Verkümmerung  des  Fusses  der  Mons  Veneria  ungewöhnlich 
gross  werden  und  auch  die  Schamlippen  in  diese  Hypertrophie  eiii- 
[bezogen  werden;  dies  berichtet  Stricker  nach  Angaben  von  Moravhe 
und  Lockart.  Allein  Selufmunn^  der  hierüber  nähere  Erkundigungen 
einzog,  erhielt  keine  Bestätigung  dieser  Angabe,  sondern  vielmehr 
eine  verneinende  Antwort. 

Der  Haarwuchs  am  Mons  Veneris  der  Japanerinnen,  sagt 
Wernich.,  ist  gegenüber  der  Stärke  des  Haupthaares  und  der  Dicke 
des  einzelnen  Haarschaftes  dürftig;  ausserordentlich  selten  bildet  er 
ein  Dreieck,  die  ovale,  die  Vulva  oberhalb  imitirende  Contour 
herrscht  vor.  Doenits  fand  in  ausserordentlicher  Häufigkeit  voll- 
ständigen Mangel  der  Schambehaarung.  Dass  dieser  Zustand  aber 
von  den  Japanern  nicht  als  eine  Schönheit  betrachtet  wii"d,  geht 
aus  einem  schwerbeleidigenden  Schimpfworte  hervor,  das  kawarage 
heisst,  zu  deutsch  Ziegelsteinhaar.  Das  bedeutet,  die  Geschimpfte 
habe  an  ihrer  Vulva  so  viel  Haare,  als  sie  ein  Ziegelstein  hat,  also 
gar  keine. 

Bei  Neu-Britannieriunen  sah  Finsch^  wenn  sie  keine  Aetz- 
j  mittel  zur  Entfernung    der  Pubes  augewendet  hatten,    nicht  selten 
ftlondes    Schamhaar,    obwohl    schwarzes  die  Regel  bildet.     Riedel^ 
hebt  bei  den  breitküpfigen  Einwohnerinnen    der  Inseln  Leti,   Moa 
und  Lakor   besonders    hervor,    dass  sie  ein  gut  entwickeltes  Fett- 
polster   am    Mons   Veneris    besitzen.      Sie  scheinen   sich  demnach 


1G6      ^-  ^^  äoBseren  Sexaalorgane  des  Weibes  in  ethnograpb.  Hia»icb(. 


hieriii  sowohl  von  der  schmalküptigen  Bevölkerimg  derselbea  Ei- 
lande, als  auch  von  den  Weibern  der  Qbrigen  Inseln  des  alfurii«che& 
Archipels  zu  unterscheiden.  Auf  den  Aaru-Inselu  und  der  Luang- 
Sermata- Gruppe  desselben  Archipels  ist  der  Schamberg  und  die 
Achselhöhle  nur  wenig  behaart.  Auf  den  Babar-Inseln  ist  die 
Achselhohle  bei  vielen  Frauen  sogar  vollständig  kahl,  während  auf 
den  Tanembar-  und  Timoriao -Inseln  bei  den  Weibern  aüer- 
dings  die  Achselhohle  und  der  Schamberg  nur  mit  spärlichen,  aber 
mit  langen  Haaren  bestanden  ist.  Auf  dem  Seranglao-.  und 
Oorong- Archipel  gilt  der  Zuruf:  Deine  Mutter  hat  viele  Haare 
an  den  Genitalien,  txir  eine  schwere  Beleidigung.  {Rietiel.^) 

Bei  der  atteru  Feuerländerin  fand  r.  Meyer  das  Fettpolster 
aaf  dem  Mons  Veueris  sehr  gering  entwickelt,  so  dass  die  vordere 
Fläche  der  Schambeine  als  eine  scharf  begrenzte  viereckige  Er- 
höhung hervorragte.  Auch  die  jüngere  Feuerländerin  hatte  nach 
V.  Bischofi'  nur  einen  mäi>sig  stark  entwickelten  Schamberg. 

V.  Bisdtoff  konnte    eine    Sudan- Negerin    obducireo,    welche 
einen  gut   entwickelten,    mit    krausen    schwarzen  Haaren    reichlich  { 
bedeckten  Venusberg  besass,  und    Wald(yer  sagt    von  seinem  Ko- 
ran na- Weibe  : 

,JVer  Motu  Veoeiis  ist  stark  entwickelt  mit  «inem  2  bis 2.5  cm  dicken  J 
Pe<ttpoUter.     Derselbe    ist    mit   schwanen,   krausen,  jedoch  kanea  Hnareal 
didit  besetst;  diese  stehen  nicht  in  Gruppen,  bilden  aber  hier  and  da  kleine ' 
SpinllOckchen.     Die   Bebaarang   setit    »ich    aaf  die  beiden  grossen  Scham- 
lippen fort,   wird    at>er  gvgea    das   iuit«s«    Drittel  der  lelstecea  bedeai 
ftcbwftcher.  SU  beiden  SeHm  das  Daimii««  tadon  aiek  not  oodi 
•Miktt«  Haare." 

Bei  d«r  Pariser  Venus  Hottentotte  (bekanntlich  keine  Hot- 
tentottin. sondern  ein  Buschweib"»  fi&nden  sich  nur  einige  sehr 
kurze  Flocken  von  Wolle,  gleich  der  des  Hauptes,  und  auch  bei 
der  von  Lmsckia  und  Gdtis  untersuchten  Afandi  zeigten  .sicli  nnrj 
wenige  kam  Hirthen. 

An  die  BdttBdhmg  einzelner  Tbeile  der  Sexuoloigane  schliesst 
.(iliich  die  der  Schamhaare   bei   Frauen  aa;  denn    manche  Volker- 
•eliailen  kalten  dieselben  für  ein  wichttges  Object    freibücher  Toi-^ 
letteoktoste.  So  werden  di«  Haare  an  den  Sebuntbealen  im  Sudan, 
wie  in  Aegrpten.  Nubien  and  Arabien  alfracirt     Es   iat   dieaj 
ein  Brauch   stTVnmliobigrr  Mobamedaoer.     Das    tOrkische   Ent 
battrangamitlel«  wthm  OMUt  mtmi  Uorbei  bwotat,  besteht  bekannt- 
Ikb  «aa  Auripi|(iiMnt  (Araenkniu  solphuntma  flanm)  mtA  gebrann- 
tem Kalk,  welche  StoSv  zu    gleichen  Theilen   mit   Roi»enwa.«ser 


eüwr   Paste    angerübn    ^ 
natan  auf  der  beteefl« 
ab^wischt   wordca.    > 
Oncnt    gmni  aUgeinei'- 
Rusma,  in  Persien  vmc 
muas    »eh    die    mobam'vi 


oacbdem   diese   Paste   eir' 
*Ue   attfrdcgen  und  dann 
Haare  bewitigt.    TW   >' 

ra:h-h  nnd    r*  m»i>>*t    in   ■:  r| 

II  aocb  m  Persiil 


23   Der  iCo^^eSeris  ti&d  die  BemSSx^^au 


iwr 


Greschlechtstheilen,  wie  auch  unter  dea  Armen  im  warmen  Bade 
regelmässig  wegätzen.  Das  mohainedamsche  Mädchen  und  die 
christlichen  Armenierinnen  iu  Persien  thun  dies  nicht,  wie 
Hüntsschc^  mittheilt.  Fnlah  sagt:  ,,I>ie  Schamhaare  werden  dem 
Ritualgesetz  gemäss  durch  ein  Präfmrat  von  Auripigment  (zernichi 
und  Kalk  entfernt:  man  nennt  dies  hadaehebi  keschidew,  d.  i.  sich 
dem  Gesetzlichen  unterziehen;  elegante  Frauen  aber  rupfen  sich  die 
Haare  aus,  bis  endlich  der  Haarwuchs  von  selbst  aufhört."  Auch 
Männer  befolgen  diese  Vorschrift,  die  darin  ihren  Grund  hat,  dass 
nach  jeder  Excretion  das  Waschen  der  Geschlechtstheile  geboten 
ist  und  die  Haare  eine  genügende  Reinigung  nicht  zulassen  würden. 
Doch  man  darf  nicht  glaul>eu,  dass  nur  die  eigentlichen  Morgen- 
länderinnen diese  Sitte  haben. 

Petrus  BeUonius  erzählt,  dass  der  Auripigmentverbrauch  im 
Morgenlaude  in  Folge  dieser  Sitte  der  Depilation  ein  so  ungeheurer 
ist,  dass  der  Pächter  der  Metallzölle  dem  türkischen  Sultan  einen 
Tribut  von  jährlich  achtzehntausend  Ducaten  zu  entrichten  habe. 

An  der  Guinea-Küste  entfernen  die  jungen  imd  unverhei- 
ratheten  Negerinnen  n&chMonrad  die  Haare  in  der  Gegend  der 
Geschleuhtstheile ;  wenn  sie  in  den  Stand  der  Ehe  treten,  so  lassen 
sie  die  Haare  naturgemäss  wachsen. 

Die  Weiber  malayiscber  Abst-ammung  des  niederländisch- 
ostindischen  Archipels  pflegen  die  Schamhaare  auszureissen, 
daher,  wie  Epp  versichert,  der  Mens  Veneris  bei  ihnen  fast  kahl 
erscheint.  Bei  Chinesinnen  ist  dies  nicht  der  Fall.  Bei  Ersteren 
mag  diese  Sitte  durch  die  Ausbreitung  des  Islam  rerursacht 
worden  sein. 

Die  Tungusen  halten  nach  Georgi  einen  starken  Haarwuchs 
an  den  weiblichen  Schamtheilen  für  Misswuchs  und  wie  jeden  Miss- 
wuchs  durch  Einfluss  und  Wirkung  des  Teufels  entstanden,  wes- 
wegen derselbe  auch  manche  Scheidung  unter  diesem  Volke  veran- 
lasst. Die  Schamhaare  werden  bei  den  Mädchen  d»^r  Batta,  sobald 
sie  sich  zeigen,  sofort  ausgerissen  und  abrasirt,     (Ilagen.) 

Ini  Grossen  und  Allgemeinen  macht  es  den  Eindruck,  als  ob 
die  Depilation  mit  Vorliebe  von  solchen  Völkern  ausgeübt  wird, 
welche  von  Natur  eine  nur  geringe  und  dürftige  Behaarung  der 
Schamtheile  besitzen,  ganz  ähnlich  wie  sich  solche  Völker  rasiren, 
welche  kümmerliche  Barte  haben.  Die  scheiubareu  Ausnahmen 
hiervon  sind  wohl  dadurch  bedingt,  dass  die  absichtliche  Ejithaa- 
rung,  einmal  zur  rituellen  Operation  erhoben,  nun  auch  von  allen 
bekehrten  Nationen  angenommen  werden  musste. 

Wenn  ich  oben  sagte,  dass  die  Depilation  der  Schamhaare  bei 
Frauen  im  Orient  ein  Brauch  strenggläubiger  Mohamedaner  sei,  so 
muss  ich  doch  auch  anführen,  dass  schon  längst  vor  Mohamed  viele 
Orientalinnen  denselben  Brauch  übten;  es  liegt  hier  wieder  ein  Bei- 
spiel dafür  vor,  dass  die  Völker  geneigt  sind,  die  von  ihren  Vor- 
eltern   überkommenen   Sitten  gleichsam   zu    religiösen  Handlungen 


1 68      ^'  ^^  Baaseren  Sexnalorgane  des  Weibes  in  etimogxaph.  ffinaieht. 

werden  zu  lassen.  Ans  Asien  und  Aegypten  gii^  schon  in  alter 
Zeit  dieser  Volksbrauch  erst  nach  Griechenland  und  Italien 
über.  Obgleich  diese  Sitte  von  den  griechischen  Frauen  eben- 
falls angenonuuen  zu  sein  scheint  {Aristophanes^),  so  waren  es 
doch  vorzüglich  die  Hetären  und  Lustdimen  {Aristop^nes*)  über- 
haupt, welche  die  ortliche  Depilation  neben  der  allgemeinen  an  sich 
vornahmen.  Eben  dieses  Verhältniss  mochte  in  Rom  stattgefimdai 
haben  (Martial),  wo  die  alteren  Frauen  die  Entfernung  der  Haare 
an  den  Genitalien  als  ein  Mittel  brauchten,  ihr  Alter  zu  verbergen. 
Mdirere  Autoren  bezeugen,  dass  die  Sitte  sich  in  Italien  bis  auf 
die  neueren  Zeiten  erhalten  hat;  sie  scheint  daselbst  noch  der  Rein- 
li(dikeit  wegen,  sowie  insbesondere  zum  Schutz  gegen  Ungeziefer 
vorgenommen  zu  werden.     {Rosenbaum.) 

Dass  die  Schamhaare  auch  einstmals  ihre  medicinische  Be- 
deutung besassen,  das  erfahren  wir  aus  dem  Henricus  ab  Heer. 
Sie  wurden  von  den  Feldscheerem  benutzt,  um  Blutungen  zu  stillen, 
indem  sie  mit  gewissen  Stoffen  gemischt  dem  Kranken  vor  die  Nase 
gehalten  wurden.  Sie  konnten  Männern  aber  nur  Hülfe  bringen, 
wenn  sie  von  Weibern  stammten,  und  umgekehrt.  Auf  einigen 
Inseln  des  alfurischen  Archipek  (Serang,  Eetar  und  Ewabu- 
Inseln)  geben  die  Madchen  dem  Auserwahlten  ihres  Herzens  als 
Liebespfand  einige  ihrer  Kopf-  oder  Schamhaare,  um  ihn  tren  und 
bestandig  zu  erhalten.     (Riedd.^) 


\1.  Die  inneren   Sexualorgane  des  Weibes  in 
ethnographischer  Hinsicht. 

24.   Die  firkenntniss  des  anatoiniKchen   Baues  der  inneren 
weibnchen  liescblechtsorgane. 

Bpi  rohen  Völkern  sind  selbstveiständlicli  nur  sehr  geringe 
oder  keine  anatomischen  Kenntnisse  zu  erwarten,  und  wenn  wir 
solche  üherhaupt  vorfinden,  so  können  wir  wohl  annehmen,  dass 
sie  nur  durch  die  analogen  Erscheinungen  und  Bildungen  bei  den 
Thieren  erworben  sein  können. 

Die  Anatomie  der  Geschlechtstheile  war  aber  auch  noch  bei 
den  Aerzten  der  alten  Aegypter,  Griechen  und  Römer 
höchst  mangelhaft.  Sie  hatten  offenbar  nicht  viel  Gelegenheit,  an 
menschlichen  Leichnamen  Studien  zu  machen. 

Inwieweit  die  altägyptischen  Aerzte  unterrichtet  gewesen 
2U  sein  scheinen,  die  doch  wohl  beim  Einbalsamiren  der  Leichen 
Beobachtungen  anstellen  konnten,  erfuhr  Henmg^  von  dem  be- 
kannt-en  Aegyptologen  Ebers,  aus  de.ssen  beriiluutem  Pajwrus  Fol- 
gendes hervorgeht:  Im  Aegyptischen  bedeutet  das  Wort  matii, 
männlich  gebraucht  (koptisch  oti)  die  Gebärmutter  (uterus),  dagegen 
weiblich  gebraucht  (auch  oti)  die  Muiterscheide  (vulva).  Auaserdein 
giebt  es  in  jenem  Papyrus  auch  eine  Bezeichnung  fl'ir  die  Gebär- 
mutter: ,,mut*',  -worm  Ilennig^  eine  Analogie  unserer  „Mutter*',  jUijTi^ß, 
mater  finden  ¥rill.  So  heisst  eine  Stelle:  „Arzneien,  um  die  Mutter 
der  Menschen  einer  Frau  an  ihre  Stelle  zuriickzubriugeu.''  Die 
Eierstöcke  heissen  im  Aegyp tischen  benti  und  werden  durch  die 
Dualform  dieses  Wortes,  wie  auch  durch  die  ovalen  übereinander 
geschriebenen  Ringel  g  deutüch  bezeichnet,  i.  B.  ,,Recepte  vom  Niclit- 
fallenlassen  der  Eierstöcke''. 

Aus  der  Beschreibung,  welche  der  altgriechische  Arzt 
Jlippokrates  von  den  weiblichen  Seiualorganen  giebt,  erkennt  man, 
dass  er  diese  wohl  kaum  je  riciitig  gesehen  hat,   dass   er  vielmehr 


170     VI.  Dieinn« 


ine  des  Weibes 


lögraph.  Hinsicht.* 


nur  den  Bau  der  Organe  der  Thiere  auf  den  menschlichen  Organis- 
mus Überträgt:  Es  ist  nämlich  die  Gebärmutter  (Fruchthalter)  der 
Säugethiere  bis  auf  die  Affen  höherer  Ordnung  mehr  oder  minder 
doppelt,  während  die  menschliche  nur  einfach  ist;  daher  ist  es 
denn  erklärlich,  dass  Hippokrafrs^  nur  von  den  „Hörnern"  und 
„Höhlen"  des  Uterus,  fi^ctjQ  und  iai^t^a  spricht,  nicht  von  eine'r 
Gebärmutter,  welcher  jene  „Hörner"  (comua)  mangeln.  Ueber  die 
Eierstöcke  oder  ihre  Analogie  beim  Weibe  verlautet  in  den  Hippo- 
kratischen  Schriften  nichts.  Aus  einer  Stelle  bei  Hippohratcs^ 
(„vasa  ad  uterum  pUcantur"  in  lateinischer  Uebersetzuug)  hatte 
man  fälschlich  geschlossen,  dass  er  von  den  zur  Gebärmutter 
sich,  schlängelnden  Eileitern  gesprochen  habe.  Vielmehr  ist  seine 
ganze  Schilderung  der  anatomischen  Verhältnisse  eine  höchst  un- 
zulängliche. Und  ebenso  geht  Aristoteles"^  fast  nur  nach  Analogie 
bei  Thiereu.  Rufius  von  Ephesus,  welcher  besonders  die  Ergebnisse 
der  Untersuchungen  des  Uerophüos  an  Thiereu  benutzt«,  spricht 
gleichfalls  von  den  Hörnern  der  Gebärnuitter.  Er  unterscheidet 
aber  an  diesem  Organe  Fundus,  unteres  Ende,  Cervix  und  Collum, 
auch  hat  er  schon  Kenntniss  von  dur  Existenz  der  Eileiter,  deren 
Entdecker,  wie  Galmus  anführt,  der  zur  Zeit  des  Aristoteles  lebende 
Philofimos  war;  sie  sind  erst  später  (1550)  von  Falhppia,  dessen 
Namen  sie  dann  führten,  zum  zweiten  Male  entdeckt  und  genauer 
beschrieben  worden. 

Fast  noch  geringer  ist  das  Wissen  der  alten  Juden  und  ihrer 
Priesterärzte.  Die  talraudischen  Aerzte  machten  zwar  nach  der 
Behauptung  von  Israels  viele  Öectionen,  wussten  aber  nicht  viel  vom 
Bau  lies  Uterus,  an  dem  sie  ein  Vestibulum  (Collum)  und  Coena* 
culum  (Vasa  sperraatica)  unterschieden.  Die  Scheide  war  nach  ihrem 
Ausdruck  der  üomus  extemus,  ubi  minister  conculcat ;  und  Israels 
glaubt,  dass  sie  die  Nymphen  und  das  Hymen  erwähnen  (SehinaTm 
und  Tofifijoth).  Eine  Schlussfolgerung  von  den  Sectionen  der 
Thiere  auf  die  Form  der  Menschen  zu  ziehen,  gestatteten  die  Rab- 
biner nicht. 

Zuerst  war  es  Sorani4s,  welcher  genau  die  Gebärmutter  von 
der  Scheide  trennt;  dabei  beruft  er  eich  auf  die  von  ihm  selbst 
vorgenommenen  Sectionen.  Nach  ihm  hat  die  Gebärmutter  des 
Weibes  die  Form  eines  Schröpfkopfes  und  keineswegs  die  Gestalt 
wie  bei  Thieren;  er  unterscheidet  an  ihr  Halü,  Nacken,  Stiel,  die 
Flügel,  die  Seiten  und  den  Grund.  Den  Muttermund  beschreibt  er 
genau  und  sagt,  dass  der  Uterus  aus  zwei  Membranen  besteht.  Aus 
den  Vasa  spermatica  —  so  versteht  Hennig  die  betr.  Stelle  — 
streben,  wie  er  sagt,  je  eine  Arterie  und  eine  Vene  nach  den  Eier- 
stöcken und  neben  ihnen  hebt  sich  nach  der  Beschreibung  1»estimmt 
jederseits  vom  Uterus  ein  dUnner  Gang  heraus,  der  als  Eileiter  an- 
zusprechen ist.  —  Der  Lateiner  Muscio,  genannt  Moschimt,  der 
später,  vielleicht  erst  im  6.  Jahrhundert,  in  Rom  lebte  und  em 
compilatorisches  Hebammenbuch  verfiasste,  scbliesst  sich  dem  Soranus 


I  Organe. 


fast  gauz  an,  inderu  er  Uterus  und  Scheide  unterscheidet.*)  In 
diesem  Lehrbuch  für  Uebammen  ist  also  vom  Bau  der  Sexualorgane 
alles  dasjenige  gelehrt,  was  die  damaligen  Aerzte  bei  ihren  anato- 
mischen Kenntnissen  wussten.  Dann  gelit  Gnlcnus  wieder  aiü"  die 
den  Thieren  ähnliche  doppelhömige  Gebärmutter  zurück,  und  bei 
Orihasius  finden  vni  dieselbe  Ansicht,  ebenso  wie  bei  dem  im 
Jahre  980  in  Persien  geborenen   arabischen  Arzte  Avicenna. 

Wenn  dann  Hennig^  sagt:  , Einen  grossen  Zwischenraum  ttber- 
schreitend,  treffen  wir  erst  wieder  bei  Vesal  eine  auf  den  Soranus- 
Mosckion  sehen  Stand  aufgebaute  verbesserte  und  vermehrte  Auflage 
der  Abbildung  von  den  inneren  Zeugungstheilen"  —  so  müssen  wir 
diesen  Satz  als  einen  solchen  bezeichnen,  der  auf  der  falschen  An- 
nahme beruht,  dass  die  in  den  üfo^sc/iton- Ausgaben  gefundenen 
Bilder  der  inneren  Geschlechtsorgane  von  Mosehion  selbst  herrühren. 
Es  können  die  im  16.  Jahrb.  von  Vesalius  gezeichneten  Bilder  ab  einiger- 
maassen  naturgetreu,  bezeichnet  werden.  Im  Allgemeinen  ist  auch  das 
von  Plater  (promovirte  im  1<>.  Jahrh.  zu  Montj! ellier)  auge- 
fertigte Bild  ziemlich  ähnlich  dem  von  Ves(^tun  gelieferten,  nur 
sind  die  von  FaUoppia  15.')0  genauer  beschriebenen  Eileiter  etwas 
anders,  doch  noch  immer  nicht  genau  genug  gezeichnet.  Ob  der 
von  Galenus  als  Entdecker  der  Eileiter  bezeichnete  Philotimus  diese 
Entdeckung  wirklich  gemacht  hat,  ist  immerhin  fraglich.  Zuerst 
wiederum  in  Europa  nahm  de  Yiüatvwa  (geb.  1300)  die  öffent- 
liche Zergliederung  weibUcher  Leichen  in  Bologna  vor. 

Aus  Susrutas  Ayxirveda  erfahren  wir  sehr  wenig  darüber,  wie 
»ich  die  indischen  Aerzte  die  weiblichen  Genitalien  zusammen- 
gesetzt dachten.  In  Hessler's  lateinischer  Ausgabe  dieses  Buches 
ist  Nichts  enthalten,  was  über  die  Anatomie  und  Physiologie  der 
Schwangerschaft  Aufschluss  geben  könnte.  Zu  der  Stelle,  wo  die 
Gebärmutterkrankheiten  besprochen  werden,  bemerkt  Hessler: 

„Vocabuliim  youi  non  secun  uteruio,  ac  vulvam  aiguificat;  desiguat 
igltar  onme»  partes  genitales  muHebreü,  «luae  ad  coitum,  conceptionetn,  gra- 
vi «litatem  et  partum  pertinent." 

Die  Anhänger  des  Buddha  berichten  von  der  Erzeugung 
desselben : 

.Wie  im  Sohatzküsllein  das  Jairel.  so  liegt  das  Kind  im  Leib  der  Mutter 
iniuer  auf  der  rechten  ^ieite  desselben,  unberührt  von  den  Absonderungen 
oad  fieiachlicben  Unreinigkfiteti  des  Schooäses." 


*)  Valentin  Hose  wies  in  seiner  Ausgabe  des  Soranus  (Leipzig  1882) 
nach.  dai8  ÜJosdnon  (eigentlich  Mundo)  dem  Soranuii  und  anderen  Schrift- 
•teUeni  nur  nachgeschrieben  hat:  dus  lat.  Original  des  MoKchiwi  wurde  im 
15.  Jahrh.  in  dai«  GriecbiBchc  übersetzt,  und  hier  wurden  jedenlallB  auch 
Abbildungen  der  inneren  weibl.  üeüchlechtBtbeile  hinzugefügt,  die  Kicb 
in  der  von  Detces  benurgten  Ausgabe  der  Schrift  Moichion's  wieder- 
len.  Diese  BQchör  ütiuimen  in  der  Hanptaache  mit  denjenigen  überein, 
welche  wir  beispielsweise  bei  liurff  (Ein  schön  lustig  Trostböchle  etc.  1554) 
finden,  also  dem  damaligen  ijtandpunktc  der  anatomischen  Kenntnisse  eni- 
tprttchen. 


172     VI ,  Die  inneren  Sexnalorgane  des  Weibe«  i 


»pfa.  Hinsiebt. 


Nach  dieser  buddhistischen  Legende  zu  urtheUen,  darf  man 
wenig  Bekanntscliatt   mit   der  Lage   der  Gebärmutter   vordussetzen. 

Die  japanischen  Geburtshelfer,  inabesondere  ihr  Lehr- 
meister Katufawa,  der  in  den  Jahren  1750—1760  sein  Werk  schrieb, 
hatten,  bevor  sie  von  europäischen  Aerzten  genauere  Kennt- 
nis« Über  den  Buu  des  Körpers  erhieltt^n,  noch  sehr  unvollkommene» 
Wissen  von  den  anatomischen  Theilen,  welche  fQr  die  Geburtshülfe 
wichtig  sind.  Eine  genauere  Kenntnis^  von  der  Gebärmutter  ver- 
räth  dieses  Sun-ron  betitelte  Werk  nicht.  Als  die  hierher  gehörenden 
Theile  bezeichnen  sie  Folgende: 

1.  Das  Hüftbein  (ganae«  Becken);  den  Theil  deeselben.  welcher  quer 
l&uft  und  unter  dem  Nabel  stebt,  nennt  man  Querbein  (offenbar  kein  be- 
fitimmter  anatomischer  Begriff).  Der  andere  Theil  des  Hüftbeins  geht  nach 
unten  und  vereinigt  «ich  von  beiden  Seiten  mitten  zwischen  beiden  Schen- 
keb.  Dieser  Theil  heisat  das  vereinigende  Bein  (hlerpiit  ist  oft'enbar  dir 
Symphysis  geraeint). 

2.  An  dieser  Stelle  giebt  es  einen  Zwischenraum,  E-in*)  ^d.  i.  diis  Fen- 
naeum);  derselbe  ist  beim  Manne  3  Bu  (0.024  englische  Fuss)**)  breit,  b-^i  der 
Frau  5  Du  (0,040  engl.  Fues),  so  lange  sie  nicht  geboren  hat,  nach  der  ersten 
Geburt  wird  er  über  1  Sun  (0.08  engl.  Fuss)  breit. 

8.  Vor  dem  vereinigenden  Bein  liegt  die  Scham,  dahinter  dor  .Kaaa: 
dringt  man  4  Sun  (0,32  engl.  Fuss)  in  die  Scham,  so  findet  man  oberhalb 
des  Anus  die  Oebilrmutter ;  ihre  Länge  ist  8  Sun  (0,64  engl.  Fuss);  ihr  Mund 
ist  nach  hinten  gerichtet  und  liegt  gerade  in  der  Hnhe  des  unteren  Künde* 
defi  Qnerbeins. 

Was  die  Kenritm.«ts  betrifft,  welche  die  Chinesen  von  den 
weiblichen  Genitalien  haben,  so  steht  dieselbe  auf  einer  sehr  niederen 
Stufe.  Vom  Becken  und  seiner  Anatomie,  obgleich  doch  die  Gestalt 
desselben  so  wichtig  fiir  den  Geburtsmechanismus  ist,  scheinen  äie 
wenig  oder  nichts  zu  wissen;  denn  in  den  mit  anatomischen  Bildern 
reichlich  verzierten  medicinischen  Werken  der  Chinesen  hat  man 
die  Abbildung  eines  Beckens  noch  nicht  finden  können.  Dahingegen 
enthalten  einzelne  chinesische  Abhandlungen  über  Geburtshlilfe 
Beschreibungen  der  inneren  Geschlechtstheile,  wobei  man  leicht  Sciieide 
■and  Gebärmutter  unterscheiden  kann:  «ähnlich  (wie  die  Beschreibung 


*)  In  =  beschatteter  Theil-,  E  heisst  der  Punkt,  an  welchem  sich  die 
Miyaku's  vereinigen;  die  drei  Miyaku's  sind  drei  grosse  Adern,  von  denen 
die  uine  auf  der  Vorderseite,  die  zweite  auf  der  Rückseite  die  Mitt«  des 
Körpers  hinabllUift-,  die  dritte  quer  Über  den  Damm  in  beide  Beine  Hüft. 
Sie  sind,  wie  alle  dergleichen  Bestimmungen,  Resultat  der  Speculation  und 
entsprechen  keinem  anatomischen  Begriffe. 

••)  Das  gewöhnlich  gebräuchliche  Langr-mnaass  ist  der  Shiaku,  der  in 
10  San  und  100  B«  jjetbeilt  ist.  Der  im  gew^ihnlichen  Handwcrkergcbniucbe 
benul«te  ist  h  dem  englischen  Fuks  gleich.    Der  in  der  üwburt«- 

hülfe  gebfjUK  .  naku  ist  dagegen  nur  0,ö  engl.  Fuse  lang,   also   dor 

Sud  0.Ö8,  der  Bu  O.üOÖ  engl.  Fuit. 


S5.  Die  Qebanmitter. 


173 


lautet)  einer  Nenupbar-Blüthe,  die  auf  ihrem  Stengel  sitzt'.  Allein 
man  kann  in  der  Beschreibung  weder  die  Eileiter,  noch  die  Eier- 
stöcke wiedererkennen,  noch  erfahrt  man,  ob  der  Autor  ihre  Be- 
deutung kennt.  Die  äusseren  Geschlechtstheüe  kenneu  die  Chi- 
nesen, doch  nur  das  Hjiuen  nach  IJureau  de  Vilhtieuve  deshalb 
nicht,  weil  dasselbe  schon  in  der  frühesten  Jugend  von  den  Wärte- 
rinnen beim  gewaltsamen  Reinigen  der  Geschlechtatheile  mit  den 
Fingern  zersti>rt  wird. 


25.    Die  tiebiirniutier. 

Es  ist  sehr  die  Frage,  ob  es  hinsichtlich  der  Gestalt  der  Ge- 
lutter  Rassenunterschiede  giebt.  Gewisse  auflallende  Formen 
rden  allerdings  gefunden,  doch  muss  erst  untersucht  werden,  ob 
dieselben  als  Eigenthilmlichkeit  der  Rasse,  oder  als  Folge  der 
individuellen  Lebensweise  aufgefasst  werden  müssen.  Sehr  bedeutend 
werden  wahrscheinlich  die  Difl'erenzen  unter  den  Rassen  nicht  sein. 
Pruti  er -Hey  (and  bei  den  Negerinnen  den  Hals  des  Uterus  dick 
und  verlängert. 

Der  Eingang  der  Vagina  charakterisirt  sich  nach  de  Bnchebruue 
bei  der  Wolo  ffen  -  Frau  durch  eine  besondere  Engigkeit,  sowie 
durch  auflallende  Rigidität,  ihre  mittlere  Tiefe  beträgt  0,160  m; 
ihre  Färbung  ist  graubraun.  Der  Hals  des  Uterus  ist  birn- 
iorniig,  eng  wie  ein  Schleienmaul,  charakteriairt  besonders  durch 
seine  Lange  und  die  Stellung  des  Orificium  nach  vorn;  man 
würde  unter  solchen  Verhäitnisst n  bei  der  Europäerin  nach 
dt;  lioc/ifhrttncs  Ansicht  beginnenden  Prolaj)Sus  diaguosticiren. 
Pnttifr-Bry  hatte  gesagt:  ,,Chez  la  uegresse  le  col  de  lu 
matrice  est  gros  et  allonge."  De  Rochebrune  weist  nun  aber 
die  Anschauung  zurück,  dass  diese  Gestaltung  ein  ethuographi- 
Isehes  Merkmal  sei.  Vielmehr  ist  diese  Gestaltung,  die  bei  der 
lEuropäerinals  eine  pathologische  aufgefasst  werden  mlisste, 
bei  der  Woloffin  nur  insofern  physiologisch,  als  sie  in  Folge  der 
von  Jugend  an  geflihrten  Lebensweise  entsteht;  sie  ist  ein  Ergebniss 
Klimas,  der  Nahrung,  des  Tanzen«,  der  monatlichen  Menstruation; 
liof.UeltniHf  geht  die  Wirkung  dieser  Einflüsse  im  Einzelnen 
durch.  —  Schliesslich  bemerken  wir,  djiss  nach  ilini  die  Durch- 
schnitt.Nverhültnisse  des  Mutterhalses  folgende  sind ; 

bei  der  Europäerin  0,017  m  Länge,  0,031  m  Uurchiuesst-v 
„„     „     Wolüffin        0,044  „       „        0,019  „ 

Mati  darf  jedoch  nicht  sogleich  annehmen,    dass  diese  Verlan- 
mg   des   Collum   uteri  ein  Rassen-Merkmal  ist;    sie  kann  durdi 
juiannigfaclie  Eintlibse  bedingt  sein:  durch  das  die  Gewebe  erschliil- 


1 74     VI.  Die  inneren  Sexaalorgane  des  Weibes  in  ethnograph.  Hinsidit. 

iende  Klima,  durch  die  specifisohe  Ernährung  des  Körpers  u.  s.  w. 
ist  vielleicht  eioe  Disposition  vorhanden,  und  hierdurch  begllnstigt 
kann  die  Gestalt-  und  Lageveränderung  des  Uterus  leicht  bei  über- 
mässigem Tanzen  und  anderen  Leistungen  des  Körpers  (Tragen 
schwerer  Lasten),  besonders  zur  Zeit  des  Menstrualflusses,  entstehen. 
Unter  ähnlichen  Lebensverhältnissen  soll  bei  Creolen,  Hulies 
u.  s.  w.  eine  gleiche  Beschaffenheit  des  Uterus  vorkommen,  und 
St.  Vel  berichtet,  dass  eine  einfache  hypertrophische  Verlän- 
genmg  des  Mutterhalses  auch  auf  den  Antillen  unter  älteren 
Weibern  vorkommt,  welche  den  verschiedenen  Klassen  der  Bevöl- 
kerung angehören,  aber  nach  mehreren  Geburten  durch  schwere 
Arbeit  überlastet  wurden. 

Ebenso  fraglich  ist,  ob  der  Bau  des  Uterus,  welchen  Oörts 
bei  dem  Buschweibe  Afandi  vorfand,  ein  Merkmal  der  Rasse, 
oder  eine  zuiallige  Besonderheit  des  Individuums  ist.  Diese 
Frau,  die  etwa  38  Jahre  alt  verstorben  war  und  3  Kinder  geboren 
haben  soll,  zeigte  bei  der  Section  einen  Uterus,  dessen  Bau  Görts 
als  „plump"  bezeichnet;  der  Fundus  wtu"  convex,  die  Fläche  des 
Körpers  stark  gewölbt,  die  Vaginalportion  kurz,  cylinderisch,  der 
äussere  Muttermund  Hess  bequem  einen  Gänsefederkiel  durchtreten, 
die  Lippen  waren  dick,  aber  weder  gekerbt,  noch  narbig  eingezogen^ 
die  Maaase  übertrafen  nicht  die  einer  jugendlichen  Gebärmutter  bei 
einer  Europäerin. 

Die  inneren  Genitalien  der  jüngeren  Feuerländerin  boten 
folgende  Eigenthünolichkeiten: 

Die  Portio  vaginalis  Uteri  tritt  an  dem  Scheidengewölbe' 
nur  mit  der  hinteren  Muttermundslippe  hervor,  die  vordere 
ist  ganz  verstrichen.  Der  Muttermund  bildet  eine  etwa  12  mm 
lange  quere  Spalte,  steht  zwar  ziemlich  weit  auf.  hat  aber 
keine  Einrisse  oder  Narben,  so  dass  die  Person  wohl  gewiss 
keine  reife  Frucht  geboren  hat.  Der  Uterus  hat  einen  Länge 
durchmeeser  von  8  cm,  einen  Querdurchmesser  von  5,6 
einen  Dickendurchmesser  von  3  cm,  ist  im  Allgemeinen  etwa 
platt  und  ein  wenig  .schief  gestaltet.  An  den  'Eierstöcken 
fanden  sich  alte  membranöse  Exsudationen  und  Verwachsungen. 
Diese  Theile  und  die  Eierstöcke  zeigten  die  gewöhnliche  Be- 
schaffenheit. Der  Constrictor  cunni  ist  nur  schwach,  der 
Bulbus   vestibuli   im   gewöhnlichen   Grade   entwickelt. 

Die  Kenntnis«  der  unciviüsirten  Völker  von  der  Bedeu- 
tung der  Gebärmutter  beschränkt  sich  auf  Weniges.  Von  einer 
Frau,  welche  unfruchtbar  ist  und  deren  Menses  fehlen,  meinen 
'lacli  Bertherami  die  .Araber  in  Algerien,  dass  ihre  Gebär- 
mutter verschlossen  sei,  und  dass  es  dagegen  kein  Mittel  gebe:  sie 
»cagen:  ,,Gott  wei.s.s  es  allein",  um  damit  anzudeuten,  dnss  Nichts 
zu  tbun  sei. 


satter. 


Bei  vielen  Völkern  aber  kommt  die  in  so  nuinnigfachen 
Formen  auftretende  Nervenkrankheit,  die  Hysterie,  vor,  welche 
man  mit  mehr  oder  weniger  Hecht  in  Zusammenhang  mit  Er- 
krankungen der  Genitalorgane  brachte.  Zumeist  freilich  hält  man 
bei  rohen  Völkerschaften  die  Hysterische,  wie  überhaupt  fast 
alle  Kranken  mit  nervösen  Erscheinungen,  ftir  „Besessene".  Lst 
beispielsweise  eine  Frau  in  der  Nay er- Kaste  in  Indien  hyste- 
risch oder  leidet  sie  an  Krämpfen,  so  gilt  sie  ftir  besessen,  und 
man  wendet  sich  an  den  Bhuta  -  Priester,  damit  er  den  Bhuta 
(Dämon)  in  den  Leib  eines  anderen  Menschen  oder  Thieres  treibe, 
oder  ihn  zwinge,  durch  den  Mund  des  Besessenen  zu  sprechen, 
wahrzusagen  und  die  Ursache  der  Krankheit  und  auch  das  Heil- 
verfahren (hauptsächlich  Spenden  an  den  Priester)  anzugeben. 
(Jagor.-)  Diese  Austreibung  des  Dämons  aus  Hysterischen, 
Kataleptischen  und  Epileptischen  wird  ungemein  verbreitet  auch 
bei  uns  im  Volke  bis  in  neuere  Zeit  gefunden.  Allein  hie  und 
da  dämmert  doch  auch  die  Ahnung  eines  von  der  Gebärmutter 
anügehenden  Nerven-Reflexes  bei .  hysterischen  Leiden  auf,  aller- 
dings in  einer  merkwürdig  phantastischen  Gestalt,  die  vielleicht  auf 
sehr  alte  Zeit  zur(ickwei.st. 

Merkwürdig  ist  die  Thatsache,  dass  sowohl  bei  einzelnen 
Völkern  wie  auch  noch  in  den  niederen  Bevölkerungsschichten 
der  Jetztzeit .  die  Meinung  vorkommt,  die  Gebärmutter  sei  ein 
Thier.  Im  alten  Rom  sah  sich  der  Arzt  Soranus  schon  ver- 
anlasst, solcher  Meinung  entgegenzutreten.  Auch  der  grie- 
chische Philosoph  Plato  (Kteintvaedder)  sah  den  Uterus  für 
ein  nach  Befruchtung  begehrliches  Thier  an,  welches,  wenn 
seine  Begierde  nicht  befriedigt  wird,  sich  ungehalten  zeigt  und 
im  Körper  herunizuwandern  beginnt,  wodurch  er  die  Wege 
der  Lebensgeister  und  der  Res}»iration  verlegt.  Die  Folgen  davon 
ind  schweres  Angslgefllhl  und  zahlreiche  Krankheiten,  Gleiche 
insichten  herrschten  zu  Aristoteles'  und  Aduarius'  Zeit,  sowie 
lange  später  noch.  Aretäus  sagt:  „In  der  Mitte  zwischen  beiden 
Flanken  liegt  beim  Weibe  der  Uterus,  ein  weibliches  Eingeweide, 
welches  vollständig  einem  Thiere  gleicht,  denn  es  bewegt  sich  in 
den  Flauken  hin  und  her.  Die  Gebärmutter  ergötzt  sich  an  ange- 
nehmen Gerüchen  und  nähert  sich  denselben,  während  sie  vor  üblen 
zurückweicht.  Sie  gleicht  daher  einem  Thiere  und  ist  auch  ein 
solches."  Dieser  Autlnnsung  zufolge  bestand  die  Behandlung  der 
Hysterie  nnmentlich  darin,  die  Gebärmutter  durch  angenehm  riechende 
Mittel  heranzulocken  oder  durch  üble  Gerüche  zu  verscheuchen.  — 
Auch  Utppokrates  spricht  von  Wanderungen,  Ab-  und  Aufsteigen 
der  Gebärmutter,  und  seine  Heilmethode  gegen  die  damit  verknüpften 
Leiden  besteht  name^tlieh  in  Käucherungen,  aromatischen  Injectionen 
m.  8.  w.  — 

Erst   (falfinus   verwirft  die    Annahme    einer   Wanderung    der 


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Gebärmixtter,  befolgt  jedoch  die  Therapie  des  Htppokrnfei, 
während  Sonintis  sowohl  die  Theorie  als  auch  die  Behandlung 
desselben  ablehnt. 

In  DeutschlHQd  beschäftigt  sich  der  Aberglaube  viel  mit 
Uterinleiden:  Die  ,  Bermutter"  bedeutet  sowohl  .Gebärmutter' 
ab  auch  die  , Mutterkrankheit "  oder  Hysterie.  Hei  mehreren 
wninderthfitigen  Gnrtrlen!>ildem  sieht  man  unter  anderen  wäch- 
sernen, ex  voto  aufgehängten  Gestal- 
ten (von  Händen,  Füssen  und  anderen 
leidenden  Gliedern)  hier  uud  da  ein»? 
krebs-  oder  krotenartige  Figur,  unter 
weither  diese  Krankheit  verstanden 
wird.  Warum  man  gerade  die  Kröte 
mit  dieser  Krankheit  identificirt,  ist, 
wie  Pamer  sagt,  nicht  recht  klar: 
man  hat  gesagt:  »vermuthlich  weil 
sich  die  Krankheit  wie  da.s  Hin-  und 
Herkriechen  einer  Kröte  empfinden 
lässt*.  —  im  Aufkircher  Mirakel 
heisst's:  ,Die  N.  N.  hat  die  Ber- 
nnitter geschlagen'.  Ira  Fii  rsten- 
f e !  d  er  Mirakel :  ,  Hansens  Biherffers 
Tochter  hat  die  Bermutter  die  ganzen 
Tage  ohne  Aufhören  gebissen,  bis 
sie  sich  mit  einer  wechsen  Ber- 
nmetter  allher  verlobt".  Die  in  den 
Kirchen  aufgehäugten  Krötenbilder 
"Pig.  30.  Ei.*rne.  VoÜvbild  In  Krtten-  j,j„^j  ^j^^t  bloss  vou  Wachs,  sondem 
g«taU,    die    Öebämutter    d«r.telUnd.     i^^^gg   ^Uch    aUS  EisCU.     Die  Idcutitj- 

(Maieum  «  Wie.b»den.)  ^irung  der  Hysterie  mit  der  Kröte 

weist  auf  Personificirung  iler  Krank- 
heit hiu.  Auch  weiterhin  forschte 
Prt>cc7'  nach  den  besonderen  Beziehungen,  welche  die  Kröte 
zur  Gebärmutter  und  den  damit  zusammenhängenden  Krank- 
heiten hat.  Man  pflegte  femer  in  den  niederbayriacheo 
Leouha  rd  -  Kirchen  zu.Aigen,  Ganacker,  Grongörgen 
Votivbilder  von  Wjichs  oder  Eisen  in  Krötengestalt  zu  opfern. 
Eine  solche  Kröteufigur  befindet  sich  im  Wiesbadener  Museum 
(Fig.  IJO) ;  sie  ist  von  durchschnittlich  l  cm  dickem  Eisen,  nicht 
getrieben,  .sondern  geschmiedet  und  die  Verzierungen  eingepunzt. 
rsaeh  dem  V^jlksglauben  kriecht  die  ,, Bermutter'*  als  Kröte 
au^>  dem  Munde  heraus,  um  sich  zu  baden,  und  kehrt  zartick, 
während  die  Knuike  schläft;  dami  folgt  Genesung  \IJiuitJclmaHn). 
Hat  aber  die  Krau  indessen  den  Mimd  geschlossen,  so  kann  sie, 
wie  wir  später  sehen  werden,  nicht  wieder  zurück,  und  in  «liesem 
Falle  wird  die  Frau  unfruchtbar.  Auch  auf  den  Inseln  Serang 
oder  Nusaina  ira  malayischen  Archipel  wird  nach  Ukdfl^  der 


(N«oh  llunihlmaun.) 


rterui«    aU    ein  iebeudes,    mit  Uer  Frau  nicht  zasatuuieublitigeudes 
Wesen  betrachtet,  das,  wenn  die  Frau  nicht  krank  werden  und  ihr 
[Oraler    »ich    ordentlich    eutwickeh»    soll,    fort<lauernd  mit  Sperma 
genitale  get\Utert  werden  mixss. 

Das  erinnert  an  einen  Ausspruch  des  wi'is«mi  f^nhimo  (Sprüche 
JO,  15.  10): 

,J>rei  Dinge  sind  nicht  zu  «llttigen.  und  diw  viurLe  sj)nclit  nicht:  es  ist 
pamg.    Die  Hölle,    iler  Fniucu   verschlosyenc   Mutter,    die  Krde    wird  nicht 
»er  uatt.  und  diii«  Feuer  spricht  nicht,  es  iwt  genug." 

Votivgabeu   und   zwar  solche,    welche   figürlich  die  erkrankten 
»eile  des  Körpers  darstellten,    wurden  schon  bei  den  Griechen 
(yergl.    J^alma    di    CtsnoJa's    Ausgrabungen    auf    Cypern)     und 
öracrn    in  den   Tempeln    der  Götter  darge})rficht,    welchen  man 
Itinen    Eiufluss    auf   die    Heilimg    zuschrieb.      Schon    an    sieh    ist 
Ldiese   That«ache    als    Zeichen    ähnlicher    psychologischer    Richtung 
Völkerleben  wichtig;  besonders  aber 
eeigt     sich     eine    Aehnlichkeit    in    dem 
{rauche,     dass    die    Fraueu    die   Bilder 
Ijvrunkhaft  veränderter  Sexualorgane  auf- 
[liLngi'n. 

So  deutet  Nemjehauer  ebi  im  Na- 
kionalmuseum  zu  Neapel  aufbewahrtes, 
KU  Pompeji  ausgegrabenes  Exemplar 
lua  Terracotta,  welches,  wie  er  glaubt, 
pine  vorgefallene  und  mit  der  gefalteten 
|nnd  imigeHtiilpten  Scbeidenschleimhaut 
iberkleidete  Gebärmutter  darstellt,  ^^^  ^^ 

Auch    das    Museo   archeologico    in       l!iw^ii'»-^^^^i^»L'lllf 

'lorenz   besitzt    derartige   Votivstücke 
in     bliiKsröthlichem     gebrannten     Thon, 
inier   denen   besonders    eins    von   uuge-       Miuk. 
Fähr  2  Fdss    Höbe     ganz     deutlich    die 

'^ulv»,  den  Nabel  und  dazwischen  in 
»iner  ovalen,  flachen  Vertiefimg  den 
|uergenujzelten  Uterus  mit  der  Scheiden- 
portion   und    dem    Muttermunde   erkeu- 

Jen   lässt  ^^'  ^^'  ^'^''^K'"  '"•  gobranntwo 

ThoB 
Absichtliche  Laßeverändenmjjen  der  0»Mu««o  areheoiosico  <□  pioran» 

.    <>    .       ....      .«    ..  dte    QebArmatter    d«ritell«Dd   (naob 


o 


«iaer  Skltte  d««  Her>uagebert). 


uebärmutter    werden    in  Niederländisch 
Indien    und    bei    den    M u  u  d a  •  K  o  h I  s 
orgenonunt-n ;    wir  kommen   in   einem   spateren   Abschnitte  darauf 


KMti. 


Vi 


26.  Die  Eierstöcke  and  die  Ovariotoiuie. 

Die  Bedeutung  der  Eierstocke  (Ovarien)  als  fruchtlieferuder 
Organe  ist  manchen  Völkern  nicht  unbekannt.  Unter  den  Einge- 
borenen Ostindiena  verstand  man  es,  weibliche  Castraten  herzu- 
stellen, indem,  ähnlich  wie  bei  uns  die  ,, Schweineschneider"  an 
Schweinen  durch  eine  Operation  die  Eierstöcke  entfernen,  dort  an 
Mädchen  die  Ovariotomie,  wenn  auch  nur  in  roher  Weise,  ausgetllhrt 
wird.  Von  diesem  vielleicht  schon  längst  geübten  Gebrauche  be- 
richtete Hoher  tit. 

Auf  welche  Weise  die  Operation  ausgeführt  wurde,  konnte  er 
nicht  ennitteln.  Die  von  ihm  untersuchten  Personen  waren  unge- 
fähr 25  Jahre  alt,  gross,  muskulös  und  vollkommen  gesund.  Sie 
hatten  keinen  Busen  und  keine  Warze,  auch  keine  Schamhaare ;  der 
Scheiden eiugang  war  vollkommen  verschlossen  und  der  Schambogen 
so  enge,  dass  sich  die  aul'steigenden  Aeate  der  Sitzbeine  und  die 
absteigenden  der  Schambeine  fast  berührten.  Die  ganze  Gegend 
der  Schamtheüe  zeigte  keine  Fettablagerung,  ebenso  wie  die  Hinter- 
backen nicht  mehr,  als  bei  Männern,  während  der  übrige  Körper  fl 
hinreichend  damit  versehen  war.  Es  war  keine  Spur  einer  Men*  ^ 
stmalblutung  oder  einer  deren  Stelle  vertretenden  Blutung  vor- 
handen, ebenso  kein  Geschlechtstrieb.  Mit  Recht  wird  darauf  hin- 
gewiesen, dass  diese  Unglücklichen  abermals  den  Beweis  liefern, 
wie  der  ganze  weibliche  Habitus  von  den  Eierstocken 
abhängt. 

Man  hat  aus  Stellen  des  Strttho  ixnd  des  AlexaiMler  ah  Alex- 
andro  schlie.s.=ien  zu  dürfen  gemeint,  djisa  auch  die  alten  Lyder 
und  Aegypter  die  Kunst  kannten,  weibliche  Eunuchen  zu  schaffen, 
d.  h.  den  Frauen  oder  Mädchen  die  Ovarien  zu  exstirpiren  {Morand. 
Hyrtl  und  Andere).  Allein  dort  handelte  es  sich  vielmehr  wohl 
nur  um  die  Exstirpation  der  Olitoris,  die  jedenfalls  schon  in  alter 
Zeit  bei  den  Orientalen  geUbt  worden  war. 

Dagegen  machte  uns  v.  Miklucho-Maclntf^  mit  der  Thatsaohe 
bekannt,  dass  eines  der  rohesten  Völker,  die  Australier,  die 
operative  Entfernung  der  Eierstöcke  üben,  um  den  jiuigen  Leuten 
eine  specielle  Art  von  Hetären  zu  schaffen,  welche  nie  Mütter  wer- 
den können.  Diese  Operation  wird  in  einzelnen  Gegenden 
Australiens  von  Zeit  zu  Zeit  au  jimgen  Mädchen  vorge- 
nommen: am  sogen.  Para  p  i  tsc  h  uri  -  See  fand  ein  Bericht- 
erstatter ein  solches  zwitterhaftes  Mädchen  mit  knabenartigem 
Aussehen  und  mit  länglichen  Narben  in  der  Leistengegend.  Ein 
andermal  sah  der  Naturforscher  Mac  triHirnit/  am  Cup  York 
ein  eingeborenes  Weib,  dem  man,  wie  die  Narben  zeigten,  diel 
Ovarien  ausgeschnitten  hatte;  man  hatte  dies  gethun,  weil  sie 
itumm  geboren  war  und  man  verhüten  wollte,  dass  sie  ebenfalls 
imme  Kinder  gebäre. 


26.  Die  Eierstocke  und*^die  Orariotomie.  179 

Eine  ganz  besondere  Methode,  die  Eierstöcke  functionsunföhig 
zu  machen,  versuchte  man  in  der  kleinen  religiösen  Secte,  welche 
am  Anfange  des  vorigen  Jahrhmiderts  imter  der  Leitung  der  Eva 
V.  Buttler  in  der  Grafschaft  Sayn  -  Wittgenstein  (Sass- 
mannshansen)  ihr  Wesen  trieb.  Da  jede  gottesdienstliche 
Handlung  mit  fleischlicher  Vermischung  der  Gemeindeglieder  en- 
dete, so  wurde  der  Versuch  gemacht,  Mädchen  und  Frauen  bei 
ihrer  Aufnahme  „durch  eine  schmerzhafte  und  lebensgeföhrliche 
Operation  der  Zusanunendrttckung  der  Eierstöcke"  für  die  Con- 
ception  unfähig  zu  machen,  was  aber  nicht  in  allen  Fällen  mit 
dem  gewünschten  Erfolge  gekrönt  wurde  (Christiany). 


12« 


ML  Die  Frauenbnist  in  etlinograpMsclier 

Hinsicht. 

!7.  Die   Frftuenlirust  in  ihrer  Russengestaliung,  Behandinng 

uihI  Pflege. 

In  den  Gesanitfen  der  alten  und  neueren  Dichter  einfs  jeden 
Volkes,  Dameutlich  in  deujeui^en  der  Orientalen,  wird  die  Form 
der  Brust  eines  schönen  Mädchens  stets  mit  hoher  Begeisterung 
und  mit  Worten  geschildert,  welche  durch  sinnliche  Vergleichung 
den  unaussprechlichen  Reiz  der  schönen  Erscheinung  empfinden 
lassen  sollen.  Wir  können  an  solchen  Schilderungen  ermessen, 
welche  ästhetischen  Anforderungen  je  nach  der  Geschraacksrichtung 
der  Völker  an  die  Gestaltung  einer  idealen  Weiberbrust  gestellt 
werden.  Uns  liegt  nun  aber  daran,  vom  naturhistorischen  Stand- 
punkte aus  festzustellen,  wie  sich  thatsächlich  bei  den  verschiedenen 
Menschenrassen  und  Volksstämnien  die  Brüste  in  ihrer  Entwicke- 
lung.  Form,  Thätigkeit  und  Rückbildung,  sowie  bei  einer  eigeu- 
thiinilichen  Behandlung  verhalten.  Man  hat  lange  versäumt,  dem 
Gegenstande  nach  den  hier  angedeuteten  Richtungen  hin  die  recht« 
Beachtung  zu  schenken ;  insbesondere  schien  es  auch  schwer,  durch 
blosse  Beschreibung  der  Gestaltung  deutlich  zu  werden.  {Ploss^^.) 
Einen  Versuch,  die  typischen  Gestaltungen  der  Brust  durch 
bestimmten  Ausdruck  zu  bezeichnen,  um  mit  dieser  Bezeichnung 
sogleich  ohne  bildliche  Darstellung  den  Habitus  zu  charakterisiren. 
machten  die  frauzösis  ch  en  Anthropologen.  (Instructions.)  Allein 
ihre  Bezeichnungen  sind  doch  nicht  so  präcis,  dass  sie  dem  Sachver- 
halt stets  entsprechen  und  eine  genauere  Darlegung  desselben  oder  ein 
Bild  überflüssig  machen.     Es  heisst  dort  von  den  Brüsten: 

,,KlIes  sollt  taiitöt  hemispfateriques,  tanl6t  pluü  ou  moins  pendttn» 
tcfi,  tantöt  pirilormes,  c'est-ä-dire  en  forme  de  poire," 

Zunächst  möchte  ich  daraufhinweisen,  dass  die  eigenthilmliche 
Pflege  und  Bchandlungsweise  der  Brüste  denselben  bei  vielen  Völ- 
kern   eine    vom    Normalen   abweichende  Qestalt   giebt.     .Schon  die 


israelitischen  Aerzte  des  Talniud  waren  auf  den  Einfluss  auf- 
iierksam,  welchen  die  Pflege  der  Brust  auf  die  Entwickelung  dieses 
lochwichtigen  Organes  äussert.  Sie  behaupten,  dass  bei  den  Töch- 
irn  der  Bemittelten  sich  in  der  Regel  die  rechte  Brust  früher  als 
lie  linke  wölbe,  in  Folge  des  von  ihnen  auf  der  rechten  Seite  ge- 
wöhnlich getragenen  Umschlagetuches ;  wogegen  bei  den  ärmeren 
^sKlassen  sich  die  linke  früher  als  die  rechte  wölbe,  indem  die 
^^^[iidchen  dieser  Klasse  gewohnt  sind,  mit  der  linken  Hand  Wasser 
^Ktu  schöpfen  oder  auch  ihre  Geschwister  innherzutragen.  Wer  denkt 
I^Riier  nicht  an  die  Känii>fe,  welche  bei  unseren  hochcivilisirteu 
Völkern  der  Gegenwart  alle  einsichtsvollen  Aerzte,  an  ihrer 
Spitze  der  berühmte  Anatom  Simmoriniß,  mit  der  Unsitte  des 
lenganschliessenden  Frauenmieders  noch  immer  bestehen?  Allein 
hftuch  andere,  und  zwar  nicht  bloss  civilisirte,  vielmehr  recht  rohe 
iTölkerschaften  üben,  wie  wir  in  Folgendem  sehen  werden,  sei  es 
[absichtlich,  sei  es  unabsichtlich,  einen  behindeniden  Druck  auf  die 
sich  entwickelnde  Brust  durch  die  Kleidung,  ja  selbst  durch  beson- 
lere  Vorrichtungen  aus,  während  im  Gegentheil  andere  Völker  sich 
feiner  uorgtnltigen  Cultur  dieses  dem  Säugungsgeschäfte  ge- 
ridmeten  Werkzeuges  befleissigen.  Die  alte  Sage  von  den  Ama- 
zonen, welche  den  Mädchen  angebUch  die  rechte  Brust  ampu- 
^tirten,*)  damit  diese  bequemer  fecliteii  könnten,  berulit  vielleicht 
^Huf  der  Bcoba«'htung,  dass  bei  einem  Volke  die  kriegerisch  gesinn- 
^Ren  Frauen  dtirch  die  enge  Tracht  mit  einseitiger  Compression  der 
^yBmst  fjist  völligen  Matigel  derselben   zeigten. 

Es  kann  kein  Zweifel  darüber  bestehen,    dass    es    in  der  That 
primitive,  nicht  erworbene   Unterschiede  an   der  Weiberbrust 
iter  den  verschiedenen  Völkern  giebt.     Wir  müssen  dies  schliessen 
lus  den  stalüreichen  Abbildungen,  welche   wir  von   überall  her  er- 
lielten.     Auch    sagte    schon   IlifrtI:     „Nur  die  Brüste  der  weissen 
md    gelben    Kassen    sind    im  jungfräulichen    compacten    Zustande 
»albkiigelig:    jene     der    Negerinnen    dagegen     unter     gleichen 
'erhältuisaen  des  Alters  und  der  Köri)erbesci\atfenheit  mehr  in  die 
jängo  gezogen,  zugespitzt,    nach   aussen  und  unten  gerichtet,  kurz 
lehr  euterühnlich."' 

Allerdings    macht    auch   jegliche   Fraueubrust   eine  Reihe  von 
^hasen  in  ilirer  Entwickelung  durchs  je  nach  dem  Lebensalter  der 


*)  Nttcb  Uippokrates  ReUten  bei  diesem  am  Asow'gchen  Meere  (Milo- 

iischen    Sumpfe)    wohnenden    Volke     der    Sjinromtiter   die   Mütter    den 

langen  Mädchen  ein  kQnsilicb  dazu  gearbeitetes,  und  Überdies  noch  glflhtmd 

etuttcbte«  Ku|>ferbloch  auf  die  rechte  Bru!^t,  und  linuuiteu  dic^b  so  \hk,  dasH 

niclih    uu'hr    wiicliäen    konnte,     und     dnsH    sich   alle  Krutt    nnd  Stärke 

th    der   rechten  Schulter   mul  dem    recliteu  Arme    hinziehe.       Ursprung- 

|ch   «cythiich,      rtrhietteu    die  Amnzoneu  in  den  bildlichen    Darstellungen 

tr    Griechen    erst    apllter    die     altdorisebe    Tnicbt     kretendiscber 

lgemiU4leben :    kurz    unfge^chilrzte  Tunika    und    KntblOaouui;    der    rechten 

mit  er . 


182 


VII.  Die  Frauenbrnst  in  ethnographischer  Hinsicht. 


Trägerin,   welche  durch  ganz  verschiedenartif,'e  Fonugestalttuig 
kennzeichnet  sind.   Wenn  mau  von  allen  diesen  Entwickelungsphaeer 
der  Brust  desselben  Individuums  getreue  Darstellnngen  mit  einander 
vergleichen  würde,    so    könnte    man   bisweilen    in   die  Versuchung 
kommen,  zu  glauben,   dass   man  die  Erliste  ganz  verschiedener  In-«] 
dividuen   vor    sich  habe.     Man    muss   daher   bei  dem  Urtheil,    ds 
mau    über   die  Form    der  Brüste    fremder  Nationen    abgiebt,  recht 
sorgfältig    berücksichtigen,    in  welchem    Lebensabschnitte    sich   die] 
Besitzerinnen   der  betreffenden  Brüste   liefinden.     Die  auffallendsten} 
Unterschiede    bestehen   zumeist    innerhalb    derselben    Rasse    in  der| 
Form  der  Brüste,    je  nachdem  die  letzteren  bereits  ihrer  physiolo- 
gischen   Bestimmung   genügt    haben   oder  noch  nicht.      Die    jung- 
fräuliche Brust  hat  fast  bei  allen  Völkern  eine  ganz  andere  Form, 
als    die   Brüste    von  Frauen,    welche   bereits   geboren  haben,    ganzj 
besonders    wenn    sie   schon    längere    Zeit    ein    oder    gar    mehrere  j 
Kinder  gesäugt  haben.    Durch  das  Säugegeschäft  werden  die  Brüste 
zumeist    mehr   oder  weniger    stark  herabhängend,    welk,  faltig  und 
nmzelig  und  zeigen  nicht  selten  sehr  wenig  mit  den  Gesetzen  der 
Schönheit   in    Einklang   stehende  Knotenbildungen.     Daraiif  treten 
die  Veränderungen   des  Alters  hinzu,    welche  bisweilen    die  Brüste 
in  platte,  weit  herabhängende  Lappen  umformen  oder  sie  auch  wohl 
gänzlich    verschwinden   lassen,    so    dass  nur  noch  eine  untormliche. 
Warze   die  Stelle  bezeichnet,    wo  sie  einstmals  den  Brustkorb  ver- 
schönten.    Es  ist   eine    der  vielen    noch    ungelösten  Aufgaben   deri 
Anthropologie,   das  Lebensalter  zu  bestimmen,  in  welchem  bei  den 
verschiedenen  Rassen  imd  Völkern  die  soeben  geschilderten  Verände- 
rungen  einzutreten  pflegeu,    sowie  auch   den  Grad  der  Ausbildung, 
welchen  sie  für  gewöhnlich  erreichen. 

Schon  wenn  bei  dem  heranwachsenden  Mädchen  die  Brust  aus 
dem  neutralen  oder  puerilen  Zustande  sich  in  den  weiblichen  Typus 
umzubilden  beginnt,  sind,  wie  es  scheint  (wie  es  aber  noch  viel  ge- 
nauer studirt  imd  erforscht  werden  muss),  nicht  uuwesenthche 
Formenunterschiede  zu  beobachten.  Bisweilen  nimmt  das  den 
grossen  Brustmuskel  bedeckende  Fettpolster  stetig  und  beträchthch 
zu,  während  die  VVarze  und  der  VVarzenhof  noch  lange  die  kind- 
liche Form  und  Grösse  bewahrt;  in  anderen  Fällen  geht  die  Zu- 
nahme und  Ausbildung  des  Fettpolsters  und  der  Warze  in  gleichem  I 
Schritte  vorwärts,  und  wiederum  in  anderen  Fällen  kann  man  schon 
lange,  bevor  an  dem  Fettpolster  eine  Veränderung  zu  bemerken  ist, 
den  Warzenhof  mit  der  VVarze  in  der  Form  einer  kleinen,  ungefähr 
2  em  Durchmesser  an  der  Grundfläche  darbietenden  Halbkugel  über 
die  Fläche  des  Brustkorbes  hervortreten  sehen.  Der  letztere  Modus' 
scheint  in  Nord-Deutschland  der  gewöhnlichste  zu  sein. 

Wenn  mau  nun  von  der  Rassengestaltung  der  weiblichen  Brust ; 
spricht,  so  pflegt  man  gewöhnlich  nicht  an  die  durch  Wochenbetten 
und  Säugungsperioden  beeinüufwiten,    auch  nicht  an   die   vom  Alter j 
Vfrauderti^n  Brüste  zu   denken,    sondern  an    die  jugendlichen    und 


'27.  Die  Fraaenbrast  in  ihrer  Rais^engestaltang,  Behandlung  u.  PSege.   183 


jirngfriinHchen  Brüste  der  jungen  Mädchen  in  dem  kräftigsten  ge- 
schlechtsreilen  Alter.  Hier  sind  bei  den  verschiedenen  Rassen  nicht 
unerhebliche  Formverschiedenheiten  zu  beobachten.  Bald  ist  die 
Warze  klein  und  flach  wie  ein  Kuöpfcheu,  bald  etwas  massiger 
und  konisch  geformt,  mit  breiterer  Basis  und  abgerundeter  Spitze, 
bald  gross  und  cylindrisch,  fast  wie  ein  Fingerglied.  Wie  die  War- 
zen, so  zeigen  auch  die  Warzenhöfe  nicht  unerhebliche  Unterschiede. 
Bald  sind  sie  blass,  bald  dunkelrosa,  bald  braun  und  selbst  fa^st 
schwarz  pigmentirt;  bald  bilden  sie  kleine,  bald  grössere  oder  selbst 
ungeheuer  grosse  Scheiben,  bald  treten  sie  leicht,  bald  stark  halb- 
kugelig gewölbt  über  den  Hügel  der  Brust  hervor,  und  bLsweilen  sind 
sie  durch  eine  deutlich  ausgesprochene  einschnürende  Ringfnrche  von 
dem  letzteren  abgesetzt.  Bei  den  Hügel»  der  Brüste  hat  man  darauf  zu 
achten,  ob  sie  mehr  oder  weniger  unvermittelt  aus  der  Fläche  des  Brust- 
korbes herausquellen,  oder  ob  die  letztere  schon  von  den  ScJilüssel- 
beineu  an,  nach  abwärts  allmählich  an  Unterhautfett  zuneh- 
mend, unmerklich  in  die  Brüste  übergeht.  Man  hat  die  Art  ihres 
Sitzes  zu  berücksichtigen,  ob  sie  höher  oder  tiefer  am  Thorax, 
ob  sie  näher  der  Medianlinie  oder  mehr  zur  Achselhöhle  hin 
ihren  Ursprung  nehmen.  Von  ganz  besonderer  Wichtigkeit  ist 
aber  ihr  Umfang,  ihre  Form  und  Gestaltung.  Die  Unzuläng- 
liclikeit  der  französischen  Bezeichnungeu  in  dieser  Beziehung, 
wie  sie  die  Instructions  authropologiques  generales  vorschlagen, 
wurde  oben  bereits  betont.  Auch  die  Elemente  danthropologie 
generale  von  Topinard  bringen  hierfür  keine  neuen  Vorschläge. 
Die  Formen,  welche  nach  des  Herausgebers  Meimmg  unterschieden 
werden  müssen,  kann  man  bezeichnen  nach  der  Grösse  als  1.  stark 
oder  üppig,  2.  voll,  1:5.  massig  und  4.  schwach,  klein  oder 
spärlich,  femer  nach  der  Consistenz,  beziehungsweise  dem 
grösseren  oder  geringeren  Grade  der  Straffheit,  als  stehend, 
oder  hängend.  Hier  darf  man  jedoch  nicht  übersehen,  dass  bei 
manchen  Brüsten  das  Hängen  durch  die  ursprüngliche  Form  be- 
dingt ist  und  sehr  wohl  neben  straÖer  Consistenz  bestehen  kann. 
Im  engeren  Sinne  kann  man  bei  der  Form  der  Brüste  drei  Haupt- 
gruppen unterscheiden,  nämlich  scheibenförmige  Brüste,  halb- 
kugelige Brüste  und  konische  Brüste.  Die  scheibentormigeu 
Brüst«  wiederholen  ungelTihr  die  Form  einer  halben  Mandarine; 
der  Durclimessfr  ihrer  Grundfläche  übertrifft  bei  weitem  ihre  Höhe. 
Die  Halbkugeligen  kann  man  je  nach  ihrer  Grösse  mit  einem  halben 
(oder  Drei>'iertel)  Apfel,  mit  einer  halben  Apfelsine,  oder  mit  einer 
halben  Cocosnuss  u.  s.  w.  vergleichen:  immer  ist  ihre  Höhe  dem 
DarchmesHer  ihrer  Grundfläche  ungelahr  gleich.  Die  konischen 
Brüste  sind  pyriform  (birntormig)  oder  citronenfijrmig  zugespitzt, 
oder  auch  an  ein  Ziegeneuter  erinnernd.  Bei  ihnen  ist  stets  die 
Höhe,  d.  h.  die  Kutfernung  ihrer  Warze  von  dem  Mittelpunkte 
ihrer  Grtuidfläche,  erhebhch  grösser  als  der  Durchmesser  der 
letzteren.     Zahlreiche    und    wiederholte   Maasse,    genaue    Notizen, 


184 


VII.  Die  Fraaenbni«<t  in  ethnographiwcher  Hinsicbt. 


nicht  ober  den  Gesainmteindruck.  welcheu  eine  Berr'!  Kf. 

aondern    über    möglichst  viele    Einzelindividaeu ,    rei'  ,       t«>- 

graphische  DarsteUunpen  und  ganz  besonders  Gypsabg&sse  wärm 
im  Stande,  unsere  antliropologischen  Kennhiisse  auf  diesem  Gebiet« 
iu  recht  erheblicher  Weise  zu  fordern.  In  der  Kegel  niroint  niAn 
an,  das»  dort,  wo  die  geschlechtliche  Entwickelung  trOh  eintritt» 
z.  B.  im  Orient,  auch  die  Rückbilduug  der  Brüste  am  t'rfiheät^i 
beginnt. 

Gehen  wir  nun  zur  descriptiven  Betrachtung  der  ethnographi- 
schen Unterschiede  und  Merkmale  der  Frauenbmst  selbst  Otier,  so 
werden  wir  tinden,   daas   leider    noch  keine  auf  Messi  iti- 

ileten    genauen   Beobachtungen    vorliegen.     Man    b»-.-'  -loh 

bisher  auf  Mittheilungen  auffallender  Kennzeichen.  Die  tn^isteti 
jener  Formen  der  Mammae,  welche  als  charakteristisch  bei  den 
einzelnen  Völkern  beobachtet  wurden,  kommen  auch  bei  uns  in  be- 
sonderen Fällen  als  vereinzelte  Exemplare  vor.  Allein  gerade  darin, 
das«  die!<e  letzteren  nur  vereinzelt  sind,  \md  dieselben  doch  wohl 
zuraeid;  nur  als  Ausnahme  erscheinen,  gewöhnlich  auch  jener,  bei 
einem  besonderen  Volke  fast  durchgängig  vorgefundenen  aus- 
geprägten Form  ermangeln,  liegt  eben  die  Bedeutung  der  ethno- 
graphi-jcheri  Merkntale  an  der  Frauenbrust  al«  Kennzeichen  i'iner 
gemein«uinen  Korpergestalt.  Der  Zukunft  bleibt  es  vorbehalten. 
Maassbestimniungeu  hinsichtlich  des  Sitzes,  des  Umfunges  «ind  der 
Grösse,  der  Form  und  Gestaltung  von  Brust  und  Brustwarze  nebst 
Warzenhof  gleichsam  statistisch  aufzusammeln,  sowie  ausgedehntere 
anatomische  Untersuchungen  anzustellen, 

Ueber  die  nationalen  Unterscbiede,  welche  man  am  FniaenbuseD  bei 
den  europäischen  Völkerschaften  wahrgenommen  hat,  wollen  wir  in  erster 
Linie  einiges  anfübreu.  Ja  auch  sie  noch  lauge  uicht  genau  genu^  be- 
kannt  geworden  eiud. 

In  Deutschland  wird  hiosichtlich  der  Pflege  der  Bmat  auft^crordeot- 
iicli  viel  sowohl  in  den  Städten,  ah  auch  nuf  dem  Lande  gesüudigt,  so  dut>» 
den  Kindern  ein  guter  Theil  der  ihnen  zukommenden  Nahruug  hierdurch 
entzogen  wird.  BeispielHweise  führe  ich  nur  im,  dusa  in  Ober«chwal»en  nach 
Bück  die  Brust  durch  enge  Kleider.  Mieder  u.  s.  w.  zu  völliger  Unbrauch- 
barkeit  verkiUnmert;  pchliesslich  ist  nur  ein  elendes  Stück  von  einer  Drunt- 
wnrze  vorhanden;  es  können  deshalb  dort  nur  sehr  wenige  Kinder  geatitlt 
werden,  auch  ist  daher  die  Kindersterblichkeit  dort  ausserordentlich  hoch. 

Im  südlichen  Theile  von  Württemberg  herrscht,  wie  mir  Statt* 
gnrter  Aerzte  niittheilen.  der  Brauch,  daas  die  Landmädcben  sich  durch 
ihre  Tmeht  die  Brüste  geflissentlich  niederdrücken.  Im  Bregeuzerw  nid 
ixt  dies  im  hoben  Grade  der  Fall.  Bei  Oppermann  (Scherr,  EchrrJ  tindet 
»ich  folgende  Angabe  über  die  Bewohnerinnen  dieser  Gegend:  ,Die  GestiUtßii 
Hind  kräftig  und  gedrangen,  die  HUften  breit,  die  Beine  ebeniuässig  gvliMut. 
Nur  eins  mangelt  ihnen  völlig:  die  Bru«t.  Allerdings  gewabrt  man  dfia* 
selben  Mangel  auch  Bouet  bei  Bergbewohnerinnen,  aber  e»  ist  dennoch  oaf- 
fallend,  das»  derselbe  hier  sogar  bei  Kolchen  augetrott'en  wird,  die  sonst  Qppig 
gebaut  sind.  Dies  mag  daher  kommen,  dass  Mütter  MolcJien  Tüchteni.  die 
etwa  vor   anderen   sich   durch  das,   was  diesen  fehlt,   atuzeichnen    kdnnleo. 


186 


VII.  Di«  Frauenbruflt  in  ethnographischer  Hinsicht. 


tellerariige  Hölzer  auschnallen  und  su  mit,  Gewalt  eine  der  schönsten  Zierden 
dea  Weihes  in  ihrer  Entwiclcehing  hemmen."  Auch  Iti/r  berichtet  von  den 
Mädchen  des  Bregenzerwaldes:  ,DieJuppe  umitingt  den  Leib  so  eng,  dau 
sie  fast  die  Entwickelung  der  Brust  verhindert  und  bei  älteren  Frauen  such 
immer  den  Eindruck  von  Verbildungen  hervorruft.'  In  der  Dachauer 
Gegend  in  Bayern  ist  das  Stillen  der  Mütter  völlig  unbekannt  (Kinder- 
sterblichkeit 40  bis  50  Froccnt);  durch  diese  P(lichtTernachl&«sigung.  die  auf 
Kind  und  Kindeekinder  übergegangen  ist,  sind  die  Organe  des  Silugens  all- 
niilhlicb  verküininert;  dazu  kommt  noch  besonders  die  unschöne  Tracht  der 
Dachauerinnen  in  der  Form  starrer,  brettnrtiger  Apparate,  welche  die  Brüste 
von  der  frühesten  Jugend  an  in  ihrer  Entwickelung  hemmen.  (Custer.) 

Jedem  Fremden,  der  Deuts  ch-Tyrol  bereist,  wird  die  flache  Brust  des 
deutsch-ty roler  Weibes  auffallen.  Von  der  Pubertätszeit  an  wird  der 
Brustkasten  des  Weibes  in  ein  festes  Mieder  eingezwängt,  das  man  füglich 
einen  Holzpanzer  nennen  kann,  denn  eine  wohlcntwickelte  Brust,  die  in  an- 
deren Ländern  den  Stolz  eines  Weibes  bildet,  gilt  in  Tyro  1  nicht  als  körper- 
liche Zierdü.  Die  Brüste  gelangen  daher  durch  Druck  zur  Atrophie.  Das 
deutsch-tyroler  Eheweih  stillt  ihr  Neugeborene.s  nicht  oder  höchstens 
2—3  Wochen,  theila  weil  die  Brüste  dazu  nicht  mehr  göeignet  sinil,  theils 
weil  das  Stillen  nicht  Sitte  ist.  Dagegen  fehlt  in  Welschty rol  dieser  Holz- 
panzcr,  und  dort  ist  auch  die  weibliche  Brust  besser  entwickelt,  als  im 
deutschen  Norden.     (Kleimcaediter.) 

Dass  auch  ohne  solche  künstliche  und  absichtliche  Beeinträchtigung»- 
ntittel  für  das  Wachsthum  der  Brüste  die  Entwickelung  und  die  Grösse  der- 
selben in  verschiedenen  Theüen  Deutschlands  eine  sehr  verschiedene  ist, 
das  dürfte  wohl  hinreicbeDd  bekannt  sein.  In  Schlesien  z.  B.  pflegt  sie. 
wie  es  scheiiit,  eine  bescheidene,  ja  fast  kümmerliche  zu  sein,  während  in 
Mecklenburg,  in  der  Würzburger  Gegend  und  in  Wien  selbst  noch 
sehr  junge  Mädchen  einen  bereits  üppig  und  voll  entwickelten  Busen  darsu- 
bieten  pflegen. 

Nach  dem  Ausspruche  eines  alten  Dichters,  den  Hyrtl  anführt,  scheinen 
die  Frauen  Oesterreichs  in  dieser  Beziehung  besonders  in  dem  Rufe  ge- 
wesen  zu  sein;  die  Theile  seiner  Liebsten  wünscht  er  aus  verschiedenen 
Ländern : 

,Den  Kopf  aus  Prag,  die  Füss'  vom  Rhein, 
Die  Brüst'  axis  Oesterreich  im  Schrein, 
Aus  Frankreich  den  gewölbten  Bauch  etc.* 

Der  Bau  der  Südeuropäerinnen  bedingt  wohl  auch  im  Allgemeinen 
eine  frühere  Entfaltung  und  üppigere  Entwickelung  ihrer  Brüste.  Ob  wirk- 
lich bei  slavischen  Völkern  sich  die  Brustdrüse  zeitiger  ausbildet,  ala 
bei  den  germanischen,  vrie  einmal  behauptet  wurde,  ist  wohl  noch  nicht 
ganz  festgestellt.  Die  Serbinnen  Syrniiens,  der  Bucska  und  des  Ba* 
nates  haben  keinen  grossen  Busen,  auch  hat  dieser  nicht  die  grosse  Härte, 
wie  jener  der  Mädchen  von  Civil-  und  Militär-Croatien,  deren  gute  Formen 
nur  jenen  der  starken  Dalmatinerin  oder  Liccanerin.  der  Bunjevka, 
aber  h.^upt$2ichlich  der  reizenden  und  schönen  Greozerin  im  Brooder  ito- 
giniente  nachstehen. 

Jedoch  sagt  c.  B/ijacsich  von  deu  syr mischen  Serbinnen  geradezu 
iui  Gegentheil.  dass  sie  vollbusig  sind  und  slark  entwickelte  Waden  und 
Hinterbacken  besitzen. 

Die  italienischen  Damen  schmeichelten  zu  der  Zeit,  in  welcher  iVoN- 
tfXffue  sie  auf  seinen  Reisen  kennen  lernte,  dem  Vornrtbeila  ihrer  Anbeter  sa 


lej?e. 


«ohr,  dae»    eine    übei-mSssig   grosse    BuKenllUe  schön  sei,    sie    ginubton    sifl 
(leohalb  möglichst  sichtbar  machen  zu  müssen. 

Die  Spanierinnen  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  dagegen  hatten 
ander«  Begriffe  von  Hthönheit,  als  ihre  Italien  ii<chen  Schwestern  (d' Aulnaij), 
wahrend  diese  nach  blühendem  Fett  strebten,  thaten  jene  allea  Mögliche, 
um  sich  mager  zu  erhalten,  tni^besondere  wurde  die  Entwickeluug  des 
Basen«  mit  Gewalt  hintertrieben,  indem  man  die  schwellende  Brust  reifender 
Mädchen  vermittelst  Tafeln  von  Blei  platt  drückte  und  zwar  mit  solcbeui 
Erfolge,  dasN  bei  vielen  npani sehen  üniiien  statt  der  Busenhügel  Vertiefungen 
und  Hohlen  «ichtbar  waren.  Denn  sie  sorgten  rec:ht  geflisäentlich  dafür, 
da8B  diese  Reixe,  nämlich  eine  hagere  knochige  Brust  und  ein  ebenso  hagerer 
und  knochiger  Rücken  weit  hinab  dem  Anblick  bloss  gestellt  würden. 

Unter  den  Europäerinnen  sollen  die  Portugiesinnen  die  grÖBst«u, 
die  Castilianerinnen  die  kleinsten  Brüste  haben  CAbihjaufd).  Die  Grösse 
der  Brüste  soll  iu  feuchten  oder  sumpfigen  Gegenden  bedeutender  werden, 
aU  in  trockenen  Gebirgslandem  (HifrÜ).  Wenn  Rubens  seine  Göttinnen  und 
Engel  mit  den  Brüsten  flandrischer  Kuhmägde  ausstattet,  so  läsest  das 
wohl  auf  seinen  und  seiner  Zeitgenossen  Eunstgeschmack  schliessen,  der 
«ich  für  eine  besondere  Fülle  des  Fleisches  und  Fettes  interessirte,  nicht 
aber  darauf,  dass  die  Frauen  in  Flandern, fast  durchgängig  die  üppigsten 
KOrperfomien  aufzuweisen  hatten. 

Dass  aber  die  Frauen  in  England,  besonders  diejenigen  der  höheren 
Stände,  verhältnisamäsaig  gering  entwickelte  Brüste  besitzen,  scheint  ebenso 
fefltzuetehen,  wie  Jerselbe  Mangel  der  Yankee-Frauen  in  New-York  und 
anderen  Städten  Nordamerikas;  hier  werden  öH'entlich  artefacte  Brüste 
von  alleu  möglichen  Grössen  xum  Verbergen  des  Mangels  angeboten. 

In  der  europäischen  und  asiatisch  enTürkei  aber  ist  nä.c\i  Oppenheim 
jede  Mutter  im  Stande,  ihr  Kind  selbst  zu  nähren,  da  uieiualu  eine  Schnür- 
bru«t  die  Brüste  und  Brustwarzeu  zerdrückt.  Nach  dem  Wochenbett  bleibt 
bei  den  Türkinnen  gewöhnlich  Schlauheit  der  Brüste  zurück,  dio  an  und 
fflr  sich  in  der  Regel  sehr  entwickelt  sind. 

Bei  den  Völkern  Amerikas  beginnen  wir  mit  der  Südspitze  de« 
Coatinente.  Von  den  Peacheräs,  Bewohnern  des  Feuerlandes  an  der 
Mftgelhaen  ststrasse,  hatte  schon  Esseudörftr  im  Jahre  1880  der  an- 
thropologischen Gesellschaft  in  Berlin  berichtet,  das«,  während  die 
Männer  auffallend  mager  sind,  die  Frauen  bedeutende  Fettentwickelung, 
insbesondere  sehr  tippige  Brünte  zeigen.  Dies  bestätigt  sich  an  den  Pescherä- 
Teibern,  die  nach  Berlin  gebracht  worden  waren;  FiVcAoir-  fand  die  Büste 
sr  voll;  die  Mammae  stark  und  klüftig,  ohne  doch  hässlich  zu  sein;  sie 
ti&ngen  nur  wenig,  jedoch  so,  dass  die  grossen  und  wohlgebildeten  Papillen 
mehr  nach  unten  stehen. 

Von  den  HÜdamerikanischen  Indianern  erhielt  man  im  Ganzen 
wenig  detaillirte  Unlersuchungöberichte.  Von  den  Weibern  der  Kayapo  iu 
«ler  Provinz  Matto  (iroeso  (Brasilien)  sagt  Ä^iyj/ifr;  Die  jüngeren  Frauen 
haben  feste,  kleine,  etwas  spitz  zur  Papilla  zulaufende  Brüste,  die  reiferen 
eine  volle,  nicht  unschöne  Brust.  Allein  im  Allgemeinen  stehen  die  In* 
diunerinnen  Südamerikas  in  der  allmählichen  Verlängerung  der  BrOstä 
hinter  anderen  nichtznrUck.  Wenn  diu  Indianer-Frauen  in  Chile  und  Ca- 
lifornicn  mehrere  Kinder  geboren  hüben,  so  sind  ihre  Brüste  nach  Aus- 
spruch Hollin'i,  Wundarzt  bei  La  Virouet^a  Expedition,  ebenso  schlatf  und 
herabhängend,  wie  bei  Enropäprinnen  in  ähnlichen  Fällen.  Von  den 
Payaguas,  diu     am    Paraguay-Strom  wohnc>n,    berichtet  r.  Asara,   da8s 


VU.  Die  FraueSS 


lograpi 


ihre  Weiber  den  Busou  der  jungen  Mädchen,  sobald  derselbe  ausgewachs«! 
ist  und  seine  uatilrliche  Grösse  erreicht  hat,  entweder  mit  den  Mänteln  odvr 
auch  mit  einem  ledernen  Riemen  zusiitninenpressen,  unj  ihn  hinterwärts 
gegen  den  Gürtel  zu  ziehen,  so  das«  er,  ehe  i^ie  noch  24  Jahre  alt  werden, 
wie  ein  Beutel  an  ihnen  herabhängt.  Nach  Rentjtjtr  hat  der  Buflen  der 
Guarani-Weiber  das  Eigenthümliche,  daiis  die  Parthie  des  Warxeohofe». 
erhaben  auf  der  Brust  aufsitzt,  und  er  fand  ebenfalls,  dnss  die  Paragaa» 
Weiber  mittelst  eines  Gürtels  die  BrQste  verlängern.  Er  meint  aber, 
dass  sie  von  Natur  nicht  mehr  als  die  Brüste  der  Europäerinnen 
zur  Verlängerung  neigen,  sondern  dati«  sie  lediglich  durch  das  Prassen 
künstlich  verlängert  werden.  Auch  die  Brüste  der  War  r  au -Indianerinnen 
in  British- Guiana  hängen  nach  Scltomburyk,  Hobald  sie  geboren  haben, 
schwammig  herab. 

Bezüglich  der  nordischen  Völker  Amerikas  fehlen  noch  eingehen- 
dere Berichte.  Die  Brüste  der  Eskimo-Weiber  sind  nach  Smith  ange- 
wöhnlich entwickelt,  doch  nicht  in  so  ausserordentlichem  Grade,  vrie  die 
Brüste  der  Hottentotten-  und  Buschmann-Frauen, 

Bekanntlich  sagt  mau  den  Hottentotten-Frauen  fa^t  allgemein  nach. 
dasB  sie  die  am  stärksten  herabhängenden  Brünte  haben,  ebenso  wie  die 
Weiber  der  Buschmänner.  Schon  lAchicnstein  schrieb:  ^Die  scblaif  herab- 
hängenden Brüste  und  die  übeniiäasig  dicken,  weit  unter  dem  hohlen  RQeken 
vorstehenden  Hintertheiie,  in  welchen  sich  gerade  wie  bei  tifrikunischen 
Schafen  alles  Fett  de.«  KSrpers  gesammelt  zu  haben  scheint,  machen  nebst 
der  übrigen  HäsKlichkeit  der  ganzen  Gestalt  und  der  Gesichtsbildung  die»« 
Krauen  in  den  Augen  de.i  Europäers  zu  wahren  Scheusalen,' 

Genauer  beschreibt  Fritsch^  die  Gestalt  der  Hottentotten-Bru6t 
«Die  Entwickelung  des  Busens  steht  etwa  derjenigen  bei  europäischen 
Frauen  näher,  als  diejenigen  der  A-bantu.  Ich  habe  bei  den  Koi-koin 
das  massige,  euterartige  Ansehen  der  Brüste  nicht  beobachtet,  welches  bei 
den  anderen  Regel  ist-,  der  Busen  ist  vielmehr  verhftltnissmässig  klein,  zuge« 
spitzt,  mit  vortretender  Brustwarze,  der  Wnrzenhof  überragt  die  Oberfläche 
nur  wenig,  wenn  nicht  wiederholtes  Säugen  darin  eine  Abänderung  herbei- 
führt.. Natürlich  bleibt  wegen  der  grossen  Hinneigung  aller  Hautpartbien 
zur  Faltenbildung  auch  die  Formation  der  Brüste  in  späteren  Jahren  nicht 
80,  wie  sie  oben  beschrieben  wurde,  doch  ist  es  gerade  aus  diesem  Grunde 
beraerkenswerth,  dans  man  häufig  Personen  im  Alter  von  dreissig  Jahren 
sieht,  welche  dieselben  noch  ziemlich  unveÄndert  zeigen.  Je  nach  bdhereu 
Alter  hört  dieser  Köqjertheil  allerdings  auf,  zu  den  Reizen  des  schönen  Ge- 
ächlecbta  /.u  gehören.*  Barroir  beschreibt  bei  den  Hottentotten-Frauen, 
während  er  für  die  Kaffern  schwärmt,  die  Brüste  als  mit  sehr  grosser 
Warae  und  hervorragendem  Warzeuhofo ,  „was  um  so  weniger,*  wie  Vrit^eh 
hervorhebt.  , zugegeben  werden  kann,  als  diese  beiden  Merkmale  nicht  zu- 
sammen vorzukommen  pflegen,  das  letztere  aber  ein  entscheidendes  Cliarak- 
teristicum  der  A-bantu  ist.*- 

Man  hat  in  Europa  Gelegenheit  gehabt,  den  anatomischeu  B»u 
der  Brust  einer  Hottentottin  sowie  eines  Buschweibe.«"  genau  kennen 
zu  lernen,  da  zwei  weibliche  Individuen  dieser  mit  einander  verwandten 
Völker  (eines  in  Paris,  das  andere  in  Tübingen)  zur  Section  kaaiML. 
Das  Busch  weil)  Afandi,  deren  Körperbau  nach  ihrem  im  88.  LebensJAhM 
•erfolgten  Tode  (sie  soll  drei  Kinder  gehabt  haben)  Görtg  gouau  btrachrieUi 
hatte  keineswegs  hängende  Brttste;  dieser  Autor  nagt:  ,In  der  For» 
n\ation  der  Areola  stimmt  unser  Buachweib  mit  der  Pariser  Venus  Hot* 


27.  Die  Frauenbrust  in  ihrer  Rassengeetaltung,  Behandlung  u.  Pflege.    IgO 

tentotte  (Citvier'sJ,  die  einen  vier  Zoll  messenden,  mit  strahlenförmigen 
Runzeln  versehenen  Hof  zeigte,  gar  nicht,  dagegen  wohl  mit  der  Euro- 
päerin Qberein;  der  Hof  hat  einen  Durchmesser  von  4^4  Zoll  und  ist  un- 
regelmässig, eher  concentrisch  als  radiär  gerunzelt.  Die  Papille  ist  wenig 
vorstehend,  doch  wohl  sichtbar  und  nicht  verstrichen,  vom  Hof  durch  eine 
sie  ganz  umfassende  Rinne  abgesetzt." 

Die  Cultur  der  Brüste  bei  den  Kaffern  ist  einzig  in  ihrer  Art.  Schon 
im  7.  oder  8.  Jahre  beginnt  die  Mutter  beim  Mädchen  die  Brüste  mit  einer 
Salbe  zu  bestreichen,  die  au«  Fett  und  gepulverten  Wurzeln  bereitet  ist. 
Sie  frottirt  und  umfasst  mit  ihren  Fingerspitzen  die  die  Brustwarze  um- 
gebenden Weichtheile,  gleichsam  um  die  Brustdrüse  herauszuziehen,  und 
später  wird  letztere  täglich  lang  und  schmal  ausgedehnt  und  mit  Bast  um- 
schnfirti  Von  den  Frauen  der  Basuthos  werden  die  Kinder  auf  dem 
Rücken  getragen  und  sie  reichen  denselben,  wie  auch  noch  manche  andere 
Afrikanerinnen,  die  Brust  durch  den  Arm  hindurch.  Um  dies  möglich 
zu  machen,  werden,  wie  Holländer  berichtet,  schon  lange  vor  der  Nieder- 
kunft die  Brüste  fortwährend  gezogen;  und  so  schön  auch  die  Brust 
eines  jungen  Kaffernmädchens  sich  producirt,  so  entsetzlich  erscheinen 
die  lang  herabhängenden  Schläuche  der  Frauen,  die  bereits  geboren  haben. 
Unter  dem  sehr  uncultivirten  Volksstamm  der  Boilakertra  im  Innern 
von  Madagaskar  fani  Auddiert  bei  den  jungen  Mädchen  die  Brüste  rund, 
fest  und  wohlgestaltet;  die  Saugwarze  ist  etwas  stark  entwickelt  und  von 
schwarzer  Farbe.  Das  Verkommen  und  Herabhängen  der  Brust  bei  älteren 
Frauen  entsteht  einfach  daraus,  dass  sie  ihre  Kinder  Jahre  lang  säugen,  und 
zwar  neben  den  Neugeborenen  oft  zugleich  solche,  welche  so  gross  sind,  dass 
sie  die  Brüste  der  stehenden  Mutter  erreichen  können. 

Wenden  wir  uns  zu  den  in  den  Nilländem  wohnenden  Völkern,  so 
treffen  wir  zunächst  die  Aegypterinnen,  deren  Brüste  Hartmann^  in  der 
Jugend  oval  und  prall  fand,  doch  werden  dieselben  mit  zunehmender  Körper- 
entwickelung und  nach  wiederholten  Geburten  welk  und  hängend.  Die 
Brüste  der  Fei  Iah -Mädchen  schwollen  oft  schon  mit  dem  11.  bis  13.  Jahre; 
allein  bei  den  Frauen  von  25  bis  30  Jahren  werden  sie  schon  schlaff. 

Die  Weiber  in  Ober-Aegypten  standen  im  Alterthum  in  dem  Rufe, 
sehr  starke  Brüste  zu  haben,  wie  aus  folgenden  Versen  des  Jucenalis  her- 
vorgeht : 

Wer  staunt  kropfigten  Hals  in  den  Alpen  an? 

Wer  in  dem  Eiland 
Meroe  grössere  BrüsV  als  die  fetten  Säuglinge  selber? 

I*aulit8chke  führt  schöne  Büsten  und  starke  Brüste  als  typisch  für  die 
tialla-Frauen  an. 

Möglichst  genau  beschreibt  Harimann'^  die  ni  gritische  Körperbildung. 
„Viele  Negermädcheu  haben  in  der  Jugend  eine  anmuthige,  weich  und 
gracil  geformte  Büste.  Die  Brustdrüsen  sind  dann  halbkugelig  hervor- 
stehend, prall,  unten  gewölbter,  oben  flacher.  Der  Warzenhof  ist,  wie  bei 
manchen  unserer  jungen  Mädchen,  ebenfalls  gewölbt  und  von  einer  kurzen 
Warze  überragt.  Häufiger  aber  zieht  sich  bei  selbst  jungen  nigritischen 
Frauenzimmern  die  Brust  mehr  oder  minder  spitzkugclförmig  nach  aussen. 
Kegelförmig  entwickelt  sich  dann  auch  der  Warzenhof,  weniger  die  Warze. 
Das  gewährt  einen  unschönen  Anblick.  Noch  mehr  verliert  sich  das  Aesthe- 
tische  der  weiblichen  nigritischen  Torsobildung,  wenn  solche  spitzkugel- 
förmigen  Brüste  früh  welken  und  siech  herabhängen.  Nach  Geburten  können 


I-  ■'■■ 
111. .I--- 


27.  Die  FnmenbrastitJ  ihrer  Rassengestalttjng,  Behandlang- o.Pflege.    IPl 


kräftigen   Individnen  sehr  hart   und  derb,    gewissermaassen  auch  strotzend. 

flHeeelben  nähern  eich  weniger  der  halbkugeligen,  als  der  konischen  Gestalt, 

laben   oft   eine  zu  kleine  und   zu   wenig  verraittelte  Baäi»  und  prSsentiren 

ich  im  sehr  seltenen  Extrem    fast    zitzenähnlich  und   ungleich  entwickelt. 

DrOste  von   solcher   Form  folgen   natürlich   uiu   so  leichter  dem  Gesetz   der 

Schwere,  und  werden  bald  zu  den  herabhängenden  Beuteln,   welche  vorzugs- 

rcise  an  Afrikanerinnen  getadelt  werden,   obgleich  sie  auch  bei  anderen 

lauen  vorkommen  und  bei  Cultur-Nationen  eV)enfalls  nicht  unbekannt  sind. 

He  beasere  Form   mit  breiter  Basis   ist  naturgemäss  die  dauerhaftere  und 

Bn  manchen  FBllen  auch  noch  eine  Zierde  des  reiferen  Weibes:  in  der  Jugend 

[cracheint  sie  häutig  von    vollendet   schöner  Bildung,    bis  auf  die  selten  ge- 

iflgeud  scharf  und  klein  abgesetzte  Warze.    Falkenstein-  sagt  von  den  Lo- 

(ango-Negerinnen:  ..Die  weibliche  Brust  ist  nur  in  seltenen  Fällen  wirklich 

»chön  gebildet,  da  sich  schon  bei  Eintritt  der  Reife  die  Neigung  zum  Uiu- 

kUntersiuken  verruth.    Die  halbkugelige  Form  ist  sehr  selten,  dagegen  scheint 

l<laa  Wachsthum  in  die  Länge  zu  überwiegen^  so  dass  mehr  eine  Kugelform 

lentsteht,  durch  welche  die  Senkung  begünstigt  wird.     Die  Brustwarze  sowie 

[der  umgebende  Hof  ist  gewöhnlich  stark  entwickelt.   Jede  nach  unseren  Be- 

Jgritfen  vorhandene  Schönheit   schwindet   überraschend   schnell,    in    wenigen 

[Jahren  ist  die  elastische  Straffheit  der  Jugend  der  verwelkten  SchlalTheit  des 

IvMrseitigen  Genusses  gewichen. 

U«ber  die  Frauen  brüst  bei  den  Woloff -Negern  berichtet  de  Rochc- 
brMtt«:  „Ti'aspect  piriforme  des  seins  s'observe  surtout  chez  les  jeunes  fillee, 
bien  que  chez  la  femme  uyant  eu  des  enfants  ces  caracteres  se  maintiennent, 
car  les  seina  prodigieusement  pendants  que  certain^  observateurs  donnent  h 
la  negresse  en  general  ne  peuvent  s'appliquer  k  la  Ouolove.'  —  Auch 
bemerkte  Brremjer-Feraud :  „Les  seins  prennent  chez  les  Onoloves  un  grand 
dt'veloppement  quand  elles  ont  eu  des  enfants,  et  soit,  qu'ellea  allaitent, 
9oit  qu'elles  aient  aevrö  lear  nourriason,  Us  n'out  bientöt  plas  rien  de  gracieux 
d'agrt'able  ä  la  vue.* 

Besondere  Beachtung  verdient  die  eigenthümliche  Behandlungsweise 
der  Brüste,  welche  bei  manchen  afrikanischen  Völkern  herrscht.  Es  ist 
nftmlich  sowohl  am  Congo  (nach  Hartmann  u.  A.},  als  auch  an  der  Loango- 
Kflste  (nach  Prchuel-Loeaclw  ntidi  Faiken«tein),  dann  in  Angola  (nach  Pogye). 
schliesslich  aber  bei  den  südafrikanischen  Bantu-Völkern  (nach  1  Vi («c/») 
Brauch,  dass  schon  das  junge  Müdchen  ein  Band  oder  eine  Schnur  über  die 
Brust  um  den  Thorax  schlingt,  durch  welches  die  Mammae  niedergehalten 
werden.     (Fig.  Ü3.) 

Welche  Wirkung  nun  aber  dieser,  oberhalb  der  Brüste  aufliegende 
Faden  auf  das  Organ  selbst  ausübt,  und  welche  Absicht  man  mit  Anlegung 
deswelben  verbindet,  wurde  in  der  anthropologischen  Gesellschaft  zu  Berlin 
am  28.  April  1877  erörtert.  Fnlkeiuilein  fand,  dass  an  der  Loango-Küste 
nicht  bloss  eine  Schnur,  sondern  statt  derselben  bisweilen  auch  ein  zur  Be- 
kleidung dienendes  langes  Tuch  durch  seine  verschlungenen  Zipfel  über  der 
Brost  fe«t  angezogen  wird.  Schon  vor  Itlngerer  Zeit  bat  Hille  berichtet, 
dasa  bei  den  Negersciavinnen  zu  Surinam  Sitte  ist,  um  den  Oberkörper 
ein  dreieckig  zusammengefaltetes  Tuch  Über  die  Brüste  zu  schlagen,  dessen 
Knden  auf  dem  Kücken  stratt  zui^ammengebunden  werden,  wodurch  die  Brust 
nach  unten  gezwilngt  wird.  Falkenstein  meint,  dass  diese  Sitte  nicht  etwa 
da«  Herabsinken  der  Brüste  oder  das  Welken  derselben  verursache.  Denn 
die  Ernährung  der  Brust  werde,  wie  er  anatomisch  genauer  nachweist,  keines- 
weg«  durch  jene  Sclmur   beeinträchtigt.     Ebenso  wenig  glaubt  er,   dass  die 


ilscher  iiui^iclit. 


Negerinnen  etwa  durch  ilas  Tragen  der  Sclujur  die  Brüste  zum  frnhen  Wel- 
ken bringen  wollen;   m&u  i^etze  die  Sitte,  deren  Ursprung  luaii  nicht  kdubt,| 
eben    nur   ^ewohuheitegeuiäas    fort-,    riellelcht,    i>o  Äasäeri  FnlkettAttih,    üble 
mau    sie    früher   zu    Heilzwecken.     Dagegen    behauptet  yritacJi.    der  dieMii ' 
Brauch  in   Südafrika  kennen    lernte,   die  heruntergebundene  Brngt  »ei  b«i  1 
den  Bantu- Völkern,  die  in  regelmäsaiger  Ehe  leben,  ein  Abzeichen  der  v«r- 
heiratheten    Frau,    sie  rcrleihe  ihr   Würde,   wie  die  dunkle  Hautfarbe    dem 
Manne  Kespect.     Fritach  uieint.  d&sä  allerdings  dieiies    Heruuterbiud«u    der  j 
Brüüte  ein  Heninteriiinken  derselben  bedinL,'e;  damit  sei  jedoch  freilich  nicht 
nothwendig    ein    Welken    dieser  Organe    verknüpft.   —    »Wenn    uiau,*    «agt 
Pcchticl-Loesche,  ,iiu8  dieser  Thatsache,  dasg  die  Negerinnen  verschiedener; 

Vülksstäuinie  eine  Schnur  über  die  Bräute 
befestigen,  auf  eine  der  unHcreii  ent- 
gegengesetzte Bethätigung  de»  Schöa- 
beitssinnes  oder  auf  eine  au«  anderen 
Gründen  erutrebte  Entstellung  g<MschloK- 
sen  bat,  so  mag  dies  bezüglich  jener 
zutreffend  «ein,  bezüglich  der  Bafiote- 
Neger  an  der  Loango-Kü^te  wäre 
es  eine  Unrichtigkeit.  Nicht  nieder- 
binden wollen  dietie  die  Brüste,  »oudern 
die  erschlafften  und  dem  Ge^ietze  der 
Schwere  folgenden  bocbzielien.  Die 
Schnur  wird  über  den  oberen  Rand  g«- 
legt,  uio  durch  Sp;uinung,  duroli  Ver- 
kürzung der  Haut  die  Fülle  der  locker 
gewordenen  Hügel  auf  ihrer  natür 
lichen  und  wünschenswerthen  Stelle  va 
erhalten.'  Und  wenn  Bchliesslich  die 
Angüla-Nt?gerinnen  tichun  bei 
ihren  kleinen  Mlldcben  ein  Hand  llber 
die  Brust  binden,  «o  meint  Vogge. 
der  diese  Sitte  in  allen  von  ihm  b*- 
reiften  Ländern  der  Westküste  fAiUL, 
dasB  dieiOB  Band  dazu  bestimmt  feel, 
das  Mädchen  schon  von  Kindheit  an 
an  «ein  Tragen  zu  gewöhnen,  denn  oU 
Frau  müaae  es  i^päler  die  natürüchRii 
Utlngebrüste  niederhalten,  damit  die- 
selben ihr  bei  Bewegungen  nicht  llUtig 
werden. 
In  Persien  entwickeln  sich  die  Brüste  frühzeitig,  gedeihen  »ber 
nur  zur  mittleren  Gröste  und  bleiben  sclbtst  unter  dieser  zurück,  mit  AoJi* 
nähme  der  Weiber  vom  armcniKchen  Stamme,  deren  Brü.<e  weit  aiu- 
gobildeter  sind.  (Polak.j  Trotzdem  geben  die  BrÜ»te  der  l'er«arinoen 
Milch,  wie  die  SchweizerkUhe  von  guter  KaA&c,  wie  ja  überhaupt  xow  der 
GrOiiae  der  Mamma  durchaus  kein  Rückachlius  anf  eine  gute  Functio&S' 
flthigkeit  der  Brustdrüse  gemacht  werden  kann.  Im  Gegentheilc  sind  eogttr 
»ehr  starke  Brüste  für  du»  Säugegcschikft  viel  weniger  zu  gebrauchen,  alc 
die  mittelgrueseu,  wenigsten»  bei  uns  in  Norddeut^kchlund. 

Die  Perserin   trägt   ihre  BdUte  im  Suhpensorium  (Volukj,  cUa  wohl- 
habende Frau  legt  bi&wcilcn  gestrickte  Ktui»  um  iliesciben  (HüntstchtJ.    Da 


Fig.  33.     LosBgo- Hegerin 
nit    d(T  BrniticboBr. 
(HsoV  PliotogTftpkie.) 


Hege   193 


\\f  Brüste  in  rersien  sonst  aber  fri'i  uml  ohne  beongendea  Schnvlrleib  ge- 
ragen  und  nur  mit  Flor  bedeckt  werden,  «o  sind  sie  nicht  einpfindlich  gegen 
SrkiUtung.  Wenn  die  Warze  der  stillenden  Perserin  nicht  gehörig  her- 
rorgetrelen  ist,  so  werden  junge  Hunde  anj;felegt,  damit  sie  sich  besser  ent- 
rickelt.     Nach  einigen  Entbindungen  werden   ihre  Brüste  schlaff. 

Die  Frsiuen  der  Eingeborenen    auf    Formosa    im  Süden  dieser    Insel. 

ier  Siibari,   Whang-tschut,  Tuasok  etc.  sind  ebenso  wenig  schön,  wie 

ihre  bSaslichen  MHnner,  ebenfall.«  klein  und  schwach  gebaut,  wie  biese;  ihre 

Jflste  i.st  schlecht  entwickelt,   die  Brüste  klein    und  konisch  zulaufend;    nur 

[bei    den   Whang-taohut    und    Bakurut    sah    Ibis,    der   dies    berichtet, 

sinige  bes.iere  weibliche  Figuren. 

Von  der  Ch  ine. sinnen- Brust  sagt  J/oHrfü-ir:  ,Le  sein  est  admirablemenl 
eonfornie,  hemispherique,  maia  il  a  une  grande  tendanoe,  vers  l'äge  de  vingt- 
[cinq  ü  vlngL-huit  iius,   ü  se  charger  de  grainee  et  4  derenir   beaucoup  trop 
voluniineux.*  i 

Die  Frauen   der  Annamiten  in    Cochinchiua   tragen,    wie  Antand, 

MUiUlruvzt  bei  der  französischen  Expedition  nach   China  und  Cochin- 

lehina,  meldet,  keine  Schnilrbruät,  aber  sie  betiiQhen  sich,  die  Brüst«  nieder- 

IzudrHcken  mittelst  einer  dreieckigen  Bnimtbinde,  welche  durch  ein  doppeltes 

[ntii  Halfl  und  Rücken  gewundene.«!  Bund  sehr  ^aiBainniengeschnflrt  wird. 

Den  Busen  der  Annamitin  chorakterisirt  Mondüfre  in  folgender  Weise ; 

j6  sein  est  habituellement  heniic^phäriqne  et  regulier  eher.  la  t'enime  auna- 

mite;   le»  soin^i  piriformesr  sont  rares,   et,  chose  assez  reroarqnable,  c'est  le 

i]ni   «ouvent   che/,    les  femnies   qui    ont  la  peuu    la  plu8  blanche    qu'on  les 

frencontre.    L'ccartenjent  des  mamelons,  chez  la  jcune  femme  qui  n'a  pa»  eu 

m'enfani,    est   de    19  centimetres.     Assex  petita  jusque  vers  dix-sept  ans,   iU 

prennent  an   volume    contiderable  pendant   la  grosses.<ie   et  deviennent  tres- 

Idf'clivea  dans  le»  derniers  tempa   de  celle-ci.     L'ureole  varie  beaucoup,    mais 

eile  est  d'aulant   plus  grande  et  color^e  que  la  femme  est  plu.«i  blanche,  et 

•on  diametre,  dans  ce»  circonstances,  peut,    comnie  je  l'ai  ronstate  plusicurs 

[fois,  avoir  dr?  7  ä   9   centimetres.     Le    nianiclou    reste    courl.  jusqu"i\  l'accon* 

ichenient,  maia  Iü<i  premiöres  «uccions  de  IVufaHtle  deveioppent  rapidement. 

lApne«  tin  premier  alliiitement,  il  reste  proeminent  et  color<5,    ce   qui  tient  ä 

Fla  longue  duree  de  l'allaitement.  11  estrarequ'aprcji  le  »ein  reprenne  an  forme 

normale,  commc  nous  le  voyotis  chez  beaucoup  de  noF  femmes,  mnis  il  diminue 

|lle  volume,  s'aH'aisso  sans  devenir  toutefois  tout  i'i  fait  disgracieux. 

Ihe  BruKt  einer  Minh-huong.  d.  h.  einer  Mestize,  n&hcrt  sich  in  ihrer 
^Cectalt  derjenigen  ihrer  annamitiiichen  Mutter,  wie  Mondiire  fand;  nur  waren 
bpi  ihr  die  Warzen  mehr  hervorragend. 

Nur  bei  xwei  Cambodja-W^eibem,  die  noch  keine  Kinder  hatten,  sab 

'  Mondikre  die  Brust  unbedeckt:    dic.«elbe  war  .Icg^reinent  piriforme';  er  setzt 

■hinxu:  ,Malgre  cette  forme,  lesmamelons  pointent  directemeut  en  avantet  sont 

uioins  ecarte»  Tun  de  Tautre  de  lü  i\  20  Miilimetre«  que  chez  los  autres  femmes.» 

Schnelle»  Abwelk<'n  der   Brftste  in  Folge   des  Saugens    kommt  bei  sehr 

»zahlreichnn  Vftlkeni   vor,   dagegen    giebt  es  Andere,    deren  Weiber   sich   die 

FftUe  der  Bruist  besser  bewahren:  im  Nordosten  von  Franxöfiisch-t'ocbin- 

r  hina,  imf  der  lireuxe  von  An  nam,  (^ambodja  und  Cochinehina  wohnen 

beUpielnweJue   die   MoTs,    von  wolchen  Anudre  (iauUrr  sagt:    »Ihre   Frauen 

•ind  gewiihnlich   hiUs^lich,    aber  gut   gobnui,    mit  voUeu  Brüsten,    die  selbst 

nach  dem  iT^ten  Kinde  keine  Falten  »eigen. " 

Die  II i  n<lu- Frauen  hingegen  tragen  unter  dem  Sari  oder  dem  ^r-   ••■■: 
ungenähtKn  Obergewand  oin    engnnschHcssendes    L<>ibcben.     Ob  jen< 
Ptdt«,  Dm  Welli.  I.    J.  Ann.  ]3 


^räöenbrärtmet 


Mieder,  wflelioiä  dieTsclierkessinnen  tragen,  irgendwie  die  Entwickelang i 
der  Brust  bindet  oder  fördert,  sollte  doch  genauer  untersucht  werden. 

Bei  den  malayischen  Frauen  sind  die  Brilsle  nach  MtiUer'  klein, 
Kpitz  und  kugelig,  der  Busen  wenig  entwickelt  und  oft  ganz  platt.  Dem^ 
gemässi  würden  sie  einen  bestimmten  Typus  haben;  doch  sagt  Fitmck*'.  Die 
Brüste  der  Malay innen  variiven  ebenso  sehr,  wie  überall  nach  Alter  and 
IndiFidualitilt ;  zuweilen  ist  die  Warze  noch  ganz  versteckt,  j»  eingezogen, 
zuweilen  nxgt  noch  der  dunkle  Hof  vor,  dessen  Au,sdehjiiing  und  Färbung 
von  hell-  bis  fast  dankelbrauu  ebenfalls  alle  Abstufungen  zeigte. 

Uebcr  die  Bewohnerinnen  der  Inseln  des  alfuriächen  Archipel*  ver- 
danken ynx  liiedel^  mehrere  Angaben:  Auf  Buru  haben  die  Mttdchen  luittelni&s- 
sig  grofise  Brüst«,  die  von  oben  platt  und  von  unten  gewölbt  sind.  Nach  der 
Niederkunft  werden  aie  hängend  mit  abscheulichen  Falten.  Auf  der  Insel 
Ambon  und  den  Ülia.se-Inseln  sind  die  Brüste  wegen  der  Verstümiueluug 
in  der  Jugend  schlecht  entwickelt;  die  Wiirzeuhöfe  sind  klein.  Auf  Serung 
oder  Nusaina  benitzen  Frauen,  die  nicht  geboren  haben,  nur  sehr  kleine 
Brüste.  Auch  die  Brüste  der  Frauen  auf  den  Seranglao-  und  Goroag- 
Inseln  sind  klein  und  dabei  pyriforra;  ebenso  auf  den  Watubela- Inseln. 
Dagegen  haben  auf  den  Keei-  oder  E wabu-rlnseln  junge  Frauen  grosse 
und  volle  Brüste  mit  birnenförmig  hervortretender  Brustwar/e.  Auf  den 
Tanenibar-  und  Timorlao-Inseln  haben  die  jungen  Weiber  kleine  birnen- 
förmige, aber  volle  Brüste.  Auch  auf  Lfti,  Moa  und  Lakor  sind  die 
Brfiste  biruRJrmig,  ebenso  auf  Keisar  oder  Makisar.  dabei  aber  klein  und 
mit  schwansen  War/enböfen.  In  der  Luang-  nnd  Ser mata-Gruppe  sind 
in  Folge  des  Gebrauches  de»  Euiang,  einer  Art.  Leibchen,  <lie  Brüste  gedrückt 
und  mehr  oder  weniger  missgestaltet.  Auf  der  Sawa  oder  Hawa- Gruppe 
(Hiedel')  finden  wir  die  Brüste  der  Mlldcben  wieder  Idein  und  piriforni. 

Die  Bewohnerinnen  Oceaniens  sirheinen  sel\r  häufig  eine  charakteri- 
stivch  gefonute  Brust  zu  besitzen,  indem  die  Beobachter  von  , spitzen"  BrCUit«ii, 
namentlich  aber  von  einer  Ein.^chnürung  rings  um  den  Warzenhof  .<4prccbeti. 
So  fand  Kubart/  bei  den  Frauen  der  Carolinen- Insel  Yap  meist  kräftig 
entwickelte,  etwa«  , spitze"  Brüste. 

Hiermit  stimmt  dasjenige  überein,  was  auch  r.  Müiluchn-yiaciatj  auf 
anderen  Inseln  de;^  stillen  Oceans  wahrnahm. 

Er  sagt:  ,Bei  Mädchen  von  circa  1-5 — 12  Jahren,  die  noch  keine  Kinder 
geboren  hatten,  fand  ich  die  sonderbare  Form  der  Brüste,  die  ich  Achon  an 
einem  anderen  Orte  erwähnt  habe.  Der  obere  Theil  war  von  der  siieinlicb 
«traffen  (jugendlichen)  Mamma  durch  eine  Einschnürung  geschioden.  Die 
lieigegebene  Skizze  stellt  diese  Eigenthümlichkeit,  welche  ich  bei  Papaa- 
MAdchcn  von  Neu-Guinea,  sowie  bei  jungen  Polynesierinnen  (Sfttnoa) 
ebenfalls  gesehen  habe.  dar.  Die  asymmetrische  Entwickelung  der  BrOsLe, 
welche  überhaupt  nicht  selten  ist,  scheint  in  diesem  Falle  fast  die  Kegel 
RH  sein:  ich  habe  immer  die  Einschnürung  an  der  einen  Mamma  tiefer  gie- 
troffen  als  an  der  anderen.  —  Im  altgcsohnürten  Theilo  lies»  sich  die  Brust' 
drüse  leicht  durchfühlen.  Dieses  Vorhalten  it<t  nicht  bei  allen  MAdchen  xtl  1 
lK?obachten,  aber  findet  «ich,  mehr  oder  weniger  auxgcsjirot'hen.  nicht  selten; 
es  schien  mir  auch  mit  den  Perioden  de«  geschleohllichen  Lebou»  (Sien« 
struation  und  Schwang«<rschaft)  nicht  in  directeni  Zusammenhange  xu  9tehM, 
jedoch  denke  ich,  t\a,^%  nach  wiederholter  Lactation  die  Flinnchnörnug  rer- 
echwindet.  da  bei  iUteren  Weibern  ich  nie  diese  Form  der  Brüste  gesr-hen  hubr.* 
Schliesslich  bflwerkte  r.  Millucho-Maclaij,  dass  die  Bezeichnung  der  Fr  anxciaj 
.inammelles  pirifoTmei.*  fUr  diese  Ge«taltnngder  Brüste  nicht  tntüprifchend'f 


28.  Die  Veratümnjelungen  der  weiblichen  Brust.  195 

Bei  den  Bewohnern  von  Ponape  (östl.  Carolinen)  haben  nach 
Finsch^  die  Mädchen  meist  tadellos  entwickelte  Brüste,  die  sanft  gewölbt, 
halbkugelförnng.  fest  sind,  selten  zur  UeberfüUe  hinneigen  und  nur  bei 
Frauen,  welche  Kinder  säugten,  die  bekannte  hängende  Form  annehmen. 
Die  Entwickelung  der  Brustwarze  ist  sehr  verschieden  bald  tritt  der  dunkler 
gefärbte  Hof  besonders  hervorragend  birnförmig  vor,  bald  nur  die  Warze 
allein;  letztere  fand  sich  bei  jungen,  eben  aufblühenden  Mädchen  zuweilen 
noch  ganz  versteckt,  oder  nur  an  der  einen  stärker  entwickelt.  Bei  stark- 
brüstigeu  Mädchen,  wo  der  Hof  der  Brustwarze,  an  der  Basis  sanft  einge- 
schnürt,   besonders  hervortrat,    war  die  Warze  doch  noch  ganz  versteckt. 

Auf  Samoa  sind  nach  Gräffe  die  Brüste  „stark  entwickelt,  etwas 
spitz".  —  Die  Brüste  der  eingeborenen  Mädchen  auf  den  Viti-Inseln,  ins- 
besondere derjenigen,  die  eben  erst  reif  geworden,  zeichnen  sich,  wie  Buchner 
beschreibt,  durch  eine  Hervorragung  des  Warzentheiies  aus,  der  leicht  ab- 
geschnürt  erscheint  und  so  dem  ganzen  Organ  etwas  birnförmiges  eri^heilt. 

Die  Frauen  der  Gilbert- Inseln  sind  in  der  Jugend  sehr  hübsche  Er- 
scheinungen mit  wohlgeformter  Büste,  die  leicht  zur  Fülle  hinneigt.  Schon 
bei  Mädchen  mit  noch  ganz  versteckter  Brustwarze  bemerkt  man  zuweilen 
einen  dunklen  Hof  um  die  letztei-e,  dessen  Ausdehnung  und  Färbung  übrigens 
individuell  ausserordentlich  variirt.  Sehr  häufig  tritt  bei  jungen  Mädchen 
nur  der  dunklere  Warzenhof  halbkugelig  erhaben  vor.     fFiftsch.y 

Auf  Maiaua  (Hall-Insel),  einer  polynesischen  Insel,  fand  Finsch 
bei  straffen  jungen  Mädchen  die  Brüste  klein,  fest,  den  etwas  dunklem  Hof 
um  die  wenig  vorragende  Warze  wenig  ausgedehnt;  bei  einer  älteren  Frau 
hingen  die  starkentwickelten  Brüste  durch  ihre  Schwere  weit  herab;  die 
wenig  entwickelte  Warze  war  sehr  dunkel  gefärbt,  ebenso  wie  der  merkbar 
erhabene  Hof. 

Die  Brüste  der  Melanesierinnen  (Papuas)  sind  in  der  Jugend  gut 
entwickelt  und  geformt,  neigen  meist  etwas  zur  Fülle  und  werden  nach  dem 
ersten  Kindbett  gewöhnlich  hängend.     {Fin8ch.^) 

Die  Brüste  eines  13—14  Jahre  alten  Motu -Mädchens  fand  Fins<^  in 
der  Entwickelung  klein  mit  kleinerem  dunkelgefUrbten  Hof  um  die  kleinere, 
etwas  hellere  Warze.  Dagegen  war  bei  einem  16jährigen  Motu -Mädchen 
die  Brust  allerdings  auch  klein,  doch  schön  halbkugelig,  voll,  mit  wenig 
hervorragender,  kleiner  Warze,  und  um  dieselbe  ein  engbegrenzter  dunkler  Hof. 

Die  Brüste  der  Australierinnen,  welche  im  Jahre  1884  nach  Berlin 
kamen  und  im  Panoptikum  sich  dem  Publikum  zeigten,  wurden  zwar  nicht 
direct  untersucht,  allein  nach  den  photographischen  Aufnahmen  von  Virehow* 
in  folgender  Weise  charakterisirt:  Die  Büste  von  Tagarah  (vielleicht  16 — 18 
Jahre  alt)  ist  von  grosser  Schönheit,  ihre  Brübte  sind  von  streng  jungfräulicher 
Beschaffenheit;  die  vollen  Brüste  halbkugelig,  oben  etwas  flacher,  unten 
stärker  gewölbt,  ein  grosser,  im  Ganzen  etwas  vortretender  Warzenhof  mit 
flacher  rundlicher  Warze.-  Bei  Yemberi  (vielleicht  in  den  zwanziger  Jahren) 
sind  die  Brüste  gross,  aber  schlaff,  hängend,  mit  weit  herausgezogener  Warze, 
die  bedeckende  Haut  fein  runzelig. 


28.  Die  Yerstümmelungen  der  weiblichen  Brust. 

Bevor  wir  das  Thema  der  Frauen brnst  verliis.sen,    mllssen  wir 
noch  einiger  Verletzungen  und  Verstümmelungeu  gedenken,  welche 

Vi* 


196 


VIL  Die  Franenbrost  m  ethnopprapliisclier 'Hinsicht 


die  Mütter  und  Angehörigen  der  Besitzerinnen  oder  diese  selbst  an] 
den  Brtisten,  theils  mit  Absicht  und  üeberlegung,  tbeils  unbewus 
zur  Ausführung  hringeu.     Um  mit  den  letzteren  za    beginnen, 
sind   es    im  Wesentlichen    schwere    Schädigungen    der   Brustwarze,  1 
welche  durch  unzweckmüssige,  die  Brust  beengende  und  drückeudi^ 
Mieder  an    ilirer  Entwickelung   und  Ausbildung  derartig   behindert! 
und    beeinträchtigt    wird,    dass    sie    znm    Säugen    eines   Kindes   nur! 
imvüükomiuen  oder  gar  nicht  gebraucht  werden  kann.     Unsägliche 
Schmerzen,  körperliche  sowohl  als  auch  besonders  solche  der  Seele, 
welche    die  jungen   Mütter    erdulden    müssen,   sind  auf  das  Tragen 
derartiger  Corsets  in  den  Jahren  ihrer  Entwickelung  zurückzuführen. 
Dass  diese  Unsitte    nicht  nur  bei  uns  in   den  Städt«i  und  nament- 
lich auch  in  gewissen  ländlichen  Districten  herrschend  ist,  sondern 
dass  •  wir  ihr  auch  auf  dem  Lande  und  sogar  auf  ferneu  Inseln  des 
alfurischeu    Archipels    (auf  den  Sermata -Inseln;  wieder  be- 
gegnen, das  haben  wir  weiter  oben  bereit«  gesehen. 

Bei  den  Tscherkessen  wird 
dem  jungen  Mädchen  im  10.  bis 
12.  Jahre  ron  der  Bnist  bis  an 
die  Hüfte  hernb  ein  Schnürkleid 
oder  breiter  Gürtel  von  rohgareni 
Leder  dicht  um  den  Leib  genäht 
oder  bei  Vornehmen  mit  silbernen 
Heften  befestigt.  Grosse  Bröste  in 
haben,  ist  nach  den  Begriffen  der 
Osseten  das  Zeichen  mangelnder 
Sittlichkeit  eines  Mädchens.  Daher 
tragen  die  Ossetinnen  ebenfalls  ein 
dicht  ihre  Brüste  einschliessendes 
Corset.  Dieses  Corset  thut  man  dem 
Mädchen  von  7 — S  Jahren,  nach  /'o- 
kroivfily  im  1 0.  oder  1 1.  Jahre,  an  und  nimmt  es  bis  zur  Brautnacht  nicht 
mehr  üb.  Dann  zerschneidet  der  junge  Ehemann  die  das  Corset 
zu.sammeuhaltenden  Schnüre  und  nimmt  es  ab.  Nach  dieser  Ope- 
ration entwickeln  sich  die  Brüste  unverhältnissmässig  rasch.  Hier 
ist  von  den  Osseten  nördlich  vom  Kaukasus  die  Rede,  die 
viele  Sitten  von  den  Kabardinern  angenommen  haben,  if?.  S^tl- 
///*.)  Wie  hoch  und  eng  der  Bnistkorb  von  diesem  Instrument*' 
umschlossen  wird,  ist  aus  Fig.  H-4  zu  ersehen.  Auch  die  Kalmyk- 
innen verflachen  die  Brüste  durch  ein  Scbnürleib.  j 
Diese  Art  der  Schädigung  an  den  Brüsten  nenne  ich  eine ' 
unbewusste,  obgleich  nach  ho  häufigen  Wanumgen  von  Seiten  der 
Aerzte  den  eitlen  und  unverständigen  .Müttern  doch  längst  die  Augen 
hätten  aufgehen  können.  Zur  bewusateu  und  absichtlichen  Ver- 
stümmelung aber  wird  das  Anlegen  des  Mieders,  wenn  es,  wie  das 
leider  in  einigen  geistlichen  Orden  die  Regel  ist,  in  der  wohldurcJj-  ' 
dachten  Absicht    geschieht,    dio  Brüste    mögliclist    an    den    ßnist*  : 


Fig.  34. 


Corietdcr  0iiet{aBeii(EAiikBsn8) 
(nach  Pokrnwikyy. 


korb  beranzupressen,  um  sie  womüglich  durcb  den  permanenten 
Druck  /um  Schwinden  zu  bringen,  damit  die  Gott  geweilite  Jungirau 
niclits  an  sich  habe,  wonach  lüsterne  Männeraugen  blicken  konnten, 
und  dass  sie  auch  äusserlich  schon  hier  auf  Erden  den  Engeln  im 
Himmel  ähnlich  werde,  welche  bekanntlich  weder  Brüste,  noch 
auch  ein  Geschlecht  besitzen.  Hier  ist  auch  daran  zu  erinnern, 
was  oben  von  Dachau,  dem  Bregenzorwalde  und  von  Spanien 
gesagt  wurde. 


Fig.  35.     BüHiiii  anr  8kopiei>-8«ot«  gehärig,  mii  abjjeschaitteaen  Brasten 
(naoh  v.  Prhiinn). 

V^erstimmiehingen  unschuldigerer  Art  finden  wir  bei  verschiedenen 
Naturvölkern  iu  gewissen  Arten  der  Tiittowirung  wieder,  von  denen 
auch  ihre  Brüste  nicht  verschont  bleiben.  Solche  finden  wir  als 
grosse  Sternfigur  mit  geraden  oder  synmietrisch  gekrümmten  Strahlen 
die  Brustwarze  umgebend  auf  Tan  ein  bar,  oder  als  bogeiüoruiig  ge- 
stellte Funkte  gleichsam  die  Projectionstigur  der  Mamma  wiedergebend 
auf  Serang,  beide  im  alfurischen  Archipel  gelegen,  oder  als  einge- 
schnittene Strichoruamente  in  senkrechter  oder  querer  Stellung  bei  ver- 
schiedenen Völkern  des  äijuatorialen Afrika.  Das  sind  natürlich  alles 
unschädliche    Spielereien,    welche    die    spätere   Function    dieses    so 


198 


YH.  Die  Frauenbrust  in  «thaographißcher  Hinsicht. 


wichtigen  Organs  in  keinerlei  Weise  zu  beeinträchtigen  vermögen: ' 
Anders  ist  das  aber  mit  einigen  eingreifenderen  Operationen,  welchen 
die  Brüste  unterzogen  werden,  und  hier  wird  wohl  jedem  sofort 
die  Erzählung  von  den  alten  Amaz. onen  in  die  Erinnerung  koimnen. 
Straho  sagt  von  ihnen :  Allen  wird  in  der  Jugend  die  rechte  Brust 
abgebrannt,  damit  sie  sich  des  Armes  zu  jedem  Gebrauche,  besonders 
zum  Schleudern  bedienen  können. 

Diodürus  von  Sicilien  spricht  ihnen  sogar  beide  Brlist«  ab; 
,Wii-d  aber  ein  Mädchen  geboren, ,  so  werden  ihm  die  Brüste  abge- 
brannt, damit  sie  sich  zur  Zeit  der  Reife  nicht  erheben,  denn  man 
hielt  es  fv\r  kein  geringes  Hindemiss  bei  Führung  der  Waffen, 
wenn  die  Brüste  über  den  Leib  hervorragten;"  wegen  dieses  Mangeh 
werden  sie  auch  von  den  Griechen  Amazonen  genannt  (zu 
deutsch  Brüstelose,  von  maza  weibliche  Brust  und  dem  «  priva- 
tivum).  Wir  können  uns  mit  diesen  Damen  hi?r  nicht  weiter  be- 
schäftigen, jedoch  werden  wir  in  einem  späteren  Abschnitte  anf 
dieselben  zuiiickzukommeii  hüben.  ' 

Einen  eigenthümlichen  Brauch  fand  Cameron  in  Akalunga, 
am  Ufer  des  Tanganyika- Sees,  ebenso  wie  in  Kasangalowa 
vor:  dort  scheinen  die  Frauen  nicht,  wie  sonst  die  Negerinnen, 
stolz  auf  ihre  Brustwarzen  zu  sein;  sie  haben  vielmehr  eine  leer« 
Grube  an  der  betreffenden  Stelle,  ('amcron  sprach  seine  Verwroi- 
denmg  darüber  aus,  und  man  sagte  ihm,  e.s  geschehe  zur  Zierde, 
dass  sie  sich  die  Warzen  ausschnitten.  Sollten  sie  wirklich,  so 
dachte  Cameron,  sich  freiwillig  auf  so  schmerzhafte  Weise  ver- 
stümmeln? Das  konnte  er  nicht  glauben:  er  vermuthete,  es  sei 
eine  Strafe,  doch  blieb  er  in  Zweifel  über  den  wahren  Grund. 

Am  Herbertflusse  in  Australien  werden  jnngen  Mädchen 
nach  Rotfih  die  Brustwarzen  ausgerissen,  um  ihnen  das  Säugen  un- 
möglich zu  machen. 

Auch  noch  in  imserem  Jahrhtmdert  werden  abscheuliche  .^ten 
der  Brustverstümmelung  von  der  in  Russland  haupt^chlich  ihr 
Unwesen  treibenden  christlichen  Secte  der  Skopzeu  ausgeübt, 
denen  wir  bereits  weiter  oben  begegnet  sind.  Nach  der  vortreff- 
lichen Abhandlung  von  r.  J'rflhm  über  diese  wunderlichen  Heiligen 
waren  ihm  Fälle  bekannt  geworden,  wo  zehn-,  neun-  und  selbst 
siebenjährigen  Mädchen  die  Saugwarzen  abgeschnitten  worden  vranm 
und  wo  dieselben  vor  Gericht  hartnäckig  l)ehaupteten.  sie  hätten 
solches  an  sich  selbst  verübt.  Er  unterscheidet  bei  diesen  Skopizen, 
wie  die  Weiber  bei  dieser  Secte  genannt  werden,  folgende  Ver- 
letzungsweisen an  den  Brüsten: 

1 .  das  Ausachneiden,  Ausätzen  oder  Abbrennen  der  Brustwarzen 
einer-  oder  beiderseits.  —  Letzteres  bei  weitem  häutiger. 

2.  Abtragung  eines  Theils  der  Mammae  oder  totale  Amputation 
der  I»eiden  Brüste  (letzteres  viel  häufiger),  so  dass  au  ihrer  Statt 
Längsuarben  entstehen,  die  denen  ähnlich  sind,  welche  nach  der 
operativen,  zu  Heilzwecken  vorgenommenen  Abtragung  vorkommen. 


Jungen  Thieren  a^aej 

."J.  Verschiedene  Einschnitte  anf  beiden  Brüsten,   grösstentheils 
'  8\Ti)metriscb  vertheilt. 

Angeblicli  spielt  in  ihrem  Gottesdienste  eine  Abendniahbfeier 
■  ^ine  grosse  Holle,  bei  welcher  den  Conmiimicflnten  statt  der  Hostie 
cu  klein«^)?  StHckchen  einer  frisch  abgeschnittenen,  noch  blutenden 
Jnngtrauenbrust  zum  ICssen  gereicht  wird ;  jedoch  ist  diese  An- 
schuldigung durch  die  gerichtlichen  Untersuchungen  nicht  zur  Ge- 
nüge Hufgeklürt  worden. 


2<K  Das  Säugeil  von  jaiigeii  Tliiereii  an  der  Frauenbi-ust. 

Die  Sitte,  dass  Frauen  Thiere  an  ihrer  Brust  saugen  lassen,  ist 
ausserordentlich  verbreitet,  und  zwar  finden  wir  sie  nicht  bloss  bei 
sehr  rohen  Völkerschaften,  sondern  auch  bei  solchen  mit  fortge- 
schrittener Cnitur.  Unter  den  Urvölkern  ist  die  Sitte  namentlich 
bei  Australiern,  Polynesiern.  mehreren  Indianerstiimmeu 
Sudamerikas  und  hiei  einigen  Volkern  Asiens  heimisch. 

Auf  /ahlreichen  Inseln  des  Stillen  Oceans  ist  dieser  eigeu- 
thÜDiliche  Gebniuch  ganz  allgemein.  Auf  einer  der  Qesellschafts- 
Inseln  bemerkte  schon  Geortj  Fm'ster,  dass  Frauen  zuweilen  junge 
Hunde  an  ihrer  Brost  sangen  lassen,  zumal  wenn  sie  eben  ihr 
Hilugendes  Kind  verloren  haben.  In  Hawai  ernährten  ehemals,  wie 
liemy  berichtet,  die  Mütter  neben  ihren  Kindern  Hunde  und  Schweine 
an  ihrer  Brust.  Auf  Neuseeland  fand  v.  Iloclmfttter  die  poly- 
nesische  Sitte,  dass  die  Frauen  junge  Ferkel  säugten:  auch  Tu/er. 
«fth,  dass  die  Maori -Frauen  auf  Neuseeland  Ferkel  an  ihrer 
Bnjst  saugen  Hessen,  sei  es  aus  Liebe  zu  diesem  Hausthier,  .sei  es, 
weil  sie  nicht  sogleich  ein  Kind  fanden,  w^elches  eine  Vicemutter 
brauchte,  Dussell)e  .sah  auch  Oherläudir  als  gaj»z  gewöhnlichen 
Brauch  unter  den  Eingeborenen  der  australischen  Colonie  Vic- 
toria; er  sagt:  .Man  s-icht  keine  Lubra  ohne  5  bis  0  fleckige, 
schmutzige,  dfirre,  räudige  Hinide,  deren  Junge  mit  ihrem  eigenen 
Kinde  ihre  Milch  theilen.  In  der  Nähe  von  AI  herton  in  Gipjis- 
land  sah  ich  einst  eine  Eingeborene,  die  abwechMi-lnd  ihren  Knubea 
und  vier  jmige  Hunde  säugte.* 

Wi'lhreiKl  man  .sich  bei  diesen  Völkern  darauf  be.schrunkt,  junge 
Schwein»*  und  Hunde  an  der  Frauenbrust  saugen  zu  hissen,  dehnen 
andere  Völker  diesi-  Sitte  noch  auf  sehr  verschiedene  Thi<'re  aus. 
So  legen  die  Arawaken  -  Weiber  in  Südamerika  nicht  bloss 
Schweine,  sondern  auch  jung  eingofangeue  Affen  an  die  Brust,  um 
die  Milch  möfilichst  lauge  zu  erhalten.  Denselben  Zweck  der 
dauernden  Erlmltuug  der  MilchabKonderuug  in  der  Brust  verfolgen 
auch  noch  andere  südamerikanische  VoIk.s.stämme  in  ähnlicher 
Weise.  Bei  den  Makusis-lndianern  in  Hritish-Guiana  erhal- 
lten (»ich  die  MQtter   ihn-   Milch  bis   an  das    hohe  Alter,    das  Kiiul 


lögnpnilö 


VhiiÄiclit. 


lileibt  an  ihren  Hrlisten,  so  lange  es  demselben  genillt  Wenn  siel 
iTizwischen  ilie  Familie  vermehrt,  so  ttberuiinmt  die  Grossmutt«»r 
die  Pfliclit  der  Mutter  j<egen  den  Enkel.  Dieser  fiillt  auch  lueisten- 
theils  die  Pflicht  zu,  die  autgefiuideneu  jungen  Säugethiere.  I5eutel- 
ratteu,  Aft'en,  Kehe  u.  s.  w.  ;in  ihrer  Brust  autzuziehen.  Mau  sieht 
oft,  djws  die  Weiber  diesen  jungen  Thieren  mit  gleicher  Zärt- 
lichkeit die  andere  Brust  reichen,  wenn  aus  der  einen  da.«  Kind 
schon  die  Nahrung  sog.  Der  Stolz  der  Frauen  besteht  nUuilich 
hauptsächlich  im  Besitz  einer  grossen  Anzahl  zahmer  Säugethiere. 
(Sciwtnfmrfilj 

Auch  in  8iam  mh.  Scfiomhurffk,  wie  er  mir  mündlieh  mittheilte, 
sehr  häutig,  dass   die  Frauen  Allen   an    ihrer  Brust  trinken  lasaen. 

Von  den  Kamt  seh  adalen  wird  erzählt,  dass  sie  die  jungen 
Bären,  welche  sie  mit  nach  Hause  bringen,  ihren  Frauen  an  die 
Brust  legen,  um  sie.  nachdem  sie  aufgefüttert  sind,  theils  des  Fleisches, 
theils  der  Galle  wegen   zu  wchlacliten,  welche  f{\r  heilsam  gilt. 

Allein  der  fkmd  bleibt  doch  im  Allgemeiuen  da«  bevorzugte  Lieb- 
lings-Adoptiv-Kind  bei  zahlreichen  Völkern,  z.  B.  bei  den  Urvrdkern 
Nordamerikas;  so  sali  auch  in  Kanada  (rahriel  Sofjnrd  Theodut, 
dass  die  Indianer-Frauen  manchmal  junge  Hunde  an  ihren  Br[l$ten 
saugen  liessen,  Ja  der  Hund  spielt  diese  Rolle  nicht  bloss  bei 
wilden  Völkerschaften,  sondern  auch  bei  Cultiirvülkern;  wir  wissen, 
dass  schon  die  alten  liöui  er  innen  die  eigenthümliche  Sitte  hatten, 
sich  die  Milch  durch  junge  Hunde  abziehen  zu  lassen;  DiaufianA. 
denselben  Gebrauch  noch  in  unseren  Tagen  in  Neapel  und 
l'olnk  in  gleicher  Weise  in  Persien,  wo  während  der  er.'<ten  zwei 
Tage  nach  dtr  Geburt  eines  Kindes  an  die  Brust  der  Mutter  zarte 
Bozar-HUnddien  angelegt  werden.  Schliesslich  kommt  Aehnlichefi 
sogar  auch  in  Deutschland  vor,  wenigstens  berichtet  Oslander, 
dass  man  in  Göttingen  hartnäckige  Brustknoten  zuweilen  dadurch 
zertheilt,   dass  man  junge  Hunde  an  den  Warzen  saugen  la^wt. 

Wir  steinen  hier  wieder  einer  sehr  interessanten  ethnographischen 
Thatsachi-'  gegenüber;  denn  wir  finden  dieselben  oder  analuge  Ge- 
bräuche bei  einer  Reihe  von  Völkern,  welche  durch  weite  Länder 
und  Meere  von  einander  getrennt  sind,  und  welche  sicherlich  ulme 
Kenntniös  von  einander  zu  den  gleichen  absonderlichen  Gewohn- 
heiten gekommen  sind.  Aber  wenn  auch  die  Sitte,  oder  sagen  wir 
lieber  die  L^nsitte  dieselbe  ist,  so  sind  doch  die  Beweggrlinde,  welche 
sie  verursachten,  ausserordentlich  verschieden.  Ist  es  bei  der  Austra- 
lierin die  Liebe  zu  ihren  Hunden,  welche  ihr  später  fUr  die  Üe- 
schaft'ung  des  Lebensunterhaltes  von  so  grosser  Bedeutung  werden, 
die  sie  veranhusst,  sie  gemeinsam  mit  dem  eigenen  Kinde  zu  er- 
nähren und  aufzuziehen,  —  l^st  es  bei  der  Kam ttichadnlin  die 
weise  Vorsorge  einer  tlichtigen  Hausfrau,  die  sich  einen  werthvollen 
Braten  nicht  entgehen  L'issen,  aber  ihn  so  gross  wie  nur  irgend 
möglich  haben  will,  —  ist  ea  bei  der  Makusi-Ind  ianerin  die 
lirbemle   Opferwilligkeit   der  Grossmutter,    welche   dem   Fnkel    die 


29.  Das  tilgen  von  jungen  Thieren  an  der  Frauenbrust.  201 

Brnstnahrung  nicht  entziehen  möchte,  wenn  ein  neu  angekommener 
Weltbürger  ihm  die  Mutterbrust  streitig  macht,  und  die  daher 
durch  das  Anlegen  von  Thieren  die  Brust  für  diesen  Nothfall  func- 
tionsföhig,  oder  wie  der  Volksausdruck  lautet  „im  Gange"  erhalten 
will,  —  so  sind  es  endlich  in  Persien  und  früher  in  Deutschland 
Gründe  des  ärztlichen  Handelns,  die  den  Frauen  die  Hunde  an  die 
Brust  legten.  Aber  noch  bleibt  uns  immer  eine  Anzahl  von  Fallen 
übrig,  wo  Mrir  nicht  ohne  Weiteres  einzusehen  vermögen,  was  die 
Frauen  zu  solchen  Absonderlichkeiten  veranlassen  konnte;  und  um 
dieses  zu  erklären,  könnte  man  an  zwei  Dinge  denken.  Entweder 
könnte  hier  der  weitverbreitete  Aberglaube  zu  Grunde  liegen,  dass 
geschlechtlicher  Verkehr  ohne  Folgen,  d.  h.  ohne  zu  empfangen, 
ausgeführt  werden  kann,  so  lange  die  Brust  zum  Nähren  benutzt 
wird,  oder  es  könnten  die  wollüstigen  Erregungen  dadurch  in  er- 
wünschter Weise  ausgelöst  hier  den  Ausschlag  geben,  welche  that- 
sächlich  die  Mehrzahl  der  Frauen  während  des  Säugens  zu  em- 
pfinden pflegt. 


Zweite  Abtheilung. 

Das  Leben  des  Weibes. 


30.  Die  Hauptabschnitte  in  dem  Leben  des  Weibes. 

X  Jar  Kindischer  art,  Ix  Jar  desa  Altere  schuper, 

XX  Jar  ein  Jungfrau  zart,  Ixx  Jar  alt  U^igestalt, 

XXX  Jar  im  hauss  die  frau,  Ixxx  Jar  wüst  und  erkalt, 

xl  Jar  ein  Matron  genau,  xc  Jar  ein  Marterbildt, 

1  Jar  eine  Grossmuter,  c  Jar  das  Grab  aussfQlt. 

(Tobias  Stimmer.) 
Wir  haben  in  den  bisherigen  Kapiteln  das  Weib,  um  es  mit 
einem  Worte  auszudrücken,  von  dem  anatomischen  Standpunkte  aus 
in  Betracht  gezogen.  Die  folgenden  Abschnitte  sollen  mehr  den 
Lebenserscheinungen  desselben  gewidmet  werden.  Man  kann  die 
gesammte  Lebenszeit  des  Weibes  in  drei  grosse  Perioden  eintheilen. 
Die  erste  Periode  umfasst  die  Zeit  vom  Mutterleibe  bis  zum 
Eintritt  der  geschlechtlichen  Reife.  Man  kann  sie  auch, 
wenn  auch  nicht  mit  einer  für  alle  Fälle  geltenden  Sicherheit,  als 
die  Zeit  vor  dem  Geschlechtsleben  bezeichnen.  Es  darf  hier 
aber  nicht  vergessen  werden,  dass,  wie  wir  sehen  werden,  der  ge- 
schlechtliche Verkehr  bei  nicht  wenigen  Völkern  bereits  vor  dem 
Beginn  der  geschlechtlichen  Reife  zu  regelmässiger  Ausübung  zu 
gelangen  pflegt.  Die  zweite  Periode  ist  die  Zeit  der  Blüthe, 
die  Zeit  des  Geschlechtslebens,  d.h.  die  Zeit  von  dem  Eintritt 
der  Reife  bis  zu  dem  Erlöschen  der  weiblichen  Fortpflanzungsfahig- 
keit,  bis  zu  dem  sogenannten  Klimakterium.  Dass  häufig  der  ge- 
schlechtliche Verkehr  weit  über  diese  Grenze  hinaus  ausgedehnt  wird, 
das  dürfte  wohl  als  bekannt  vorausgesetzt  werden.  Die  dritte  Periode 
endlich  umfasst  die  Zeit  nach  dem  Aufhören  des  Geschlechts- 
lebens, die  Zeit  von  den  klimakterischen  Jahren  bis  zum 
Grabe.  Es  sind  diese  genannten  drei  Perioden  in  Bezug  auf  ihre 
zeitliche  Ausdehnung  von  einer  ganz  ausserordentlichen  Verschieden- 
heit nicht  allein  bei  den  verschiedenen  Rassen  und  Nationalitäten, 
sondern  sehr  häufig  auch  bei  den  weiblichen  Individuen  derselben 
Völkerschaft. 

Wollen  wir  für  die  geschilderten  Epochen  kurze  Ausdrücke 
wählen,  so  können  wir  sie  als  die  Kindheit,  die  Mannbar- 
keit und  das  Alter  des  Weibes  bezeichnen.  Wir  werden  jetzt 
das  Weib  durch  alle  diese  drei  wichtigen  Abschnitte  seines 
Lebens  zu  begleiten  haben. 


Vm  Das  Weib  im  Mntterlcibe. 

31,  Die  £rkeDutiiis8  des  ües^vblechtes  der  Kinder  im 

Muttcrleibe, 

Es  ist  eme  figenthüniliche  Ernclieinung  in  der  Psychologie 
der  Völker,  dass  schon  vom  Mntterleibe  an  sich  eine  Ungleich- 
werthigkeit  der  beiden  Geschlechter  nachweisen  lässt,  und  zwar 
ist  es  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  das  weibliche,  welches  bereits  von 
seiner  Geburt  an  als  das  miuderwerthige  betrachtet  zu  werden  pHegt<. 
Hört  Hiau  dutli  selbst  in  luisereni  hüchcivilisirten  Lande  nicht  selt-en 
spöttelnde  15 L'inerkungen  demjenigen  zuraunen,  welchem  ,,nur  ein  Mäd- 
chen" geboren  ist.  Wir  werden  spater  noch  zu  erfahren  haben, 
wie  wenige  Berechtigung  einem  solchen  Spotte  innewohnt,  aber 
es  ist  wohl  eine  feststehende  Thatsache,  dass  bei  uns  fast  durch- 
gehends  die  Geburt  eines  Kiiabeu  mit  grösserer  Freude  hegriLsst 
wird,  als  diejenige  eines  Mädchens.  Es  i.st  daher  nicht  zu  ver- 
wundern, wenn  (he  in  guter  Hoffnung  sich  befindenden  Frauen 
und  vor  allen  Dingen  deren  kluge  und  vielerfahriine  Rathgel>erin- 
nen  schon  während  der  Schwangerschaft  bemüht  sind,  das  Ge- 
schlecht des  zukiinltigeu  Weltbürgers  vorlierznsagen.  Und  bis 
zu  dem  achtzehnten  Jahrhunderte  hin  lcl»ten  seibat  die  Aerzte  in 
dem  festen  Glauben,  dass  sie  sich  in  dem  sicheren  Besitze  solcher 
Erkennungsmittel  beianden. 

Schon  bei  den  Aerzteu  der  alten  Inder  wurde  ein«*  frische., 
helle  Gesichtsfarbe  als  untrügliches  Vorzeichen  fQr  die  bevorstehende 
Geburt  eines  Knaben  angesehen,  auch  hatten  gewisse  Gelüste  und 
Träume  ihre  ganz  bestimmte  Vorbedeutung.  Aber  die  Uten 
Inder  gingen  in  ihren  diagnostischen  Bestimmungen  noch  weiter; 
nach  SHsrtUas  Ayurvedas  deutete  ein  auf  beiden  Seiten  gleich 
hoher  Leib  auf  einen  Zwitter  (Napimsaka  genannt,  was  eigent- 
lich ein  Nichtmännchen  bedeutet),  hingegen  eine  thalähnliche 
Vertiefung  in  der  Mitte  des  Leibes  zeigte  eine  ZwiHinga- 
echwangertichaft  an. 

Sehr  eigentliümhche  Uebereinstinimungen  in  den  Ansichten 
finden  wir  bei  den  Juden,  den  Griechen  und  den  Köniern, 
welche   alle   drei   die  rechte  Seite   der  Schwangeren  (wahrscheinlich 


iÖ.  IM*  Erkcnötni**  <i#«  <?*acblechtp«  der  K1n<!er  im  Matterleibe.     207 


die  stlirkere  o«ler  „hitzigere")  als  dieienige  bezeiclmen,  ans 
reicher  die  Kuabeii  herrühren,  die  linke  Seite  hingefjen  fTir  den 
L^rspnnig  der  Miülchen  betrachten.  Und  dieser  .\n.schauung  ent- 
jrecliend,  .stellten  .sie  ihre  Diagnose,  d.  h.  .sie  urtheilten  nach  den 
»ichen  rechts  oder  links  am  Auge,  aus  der  früheren  \nid  stärkeren 
Fülle  der  einen  Brust,  aus  der  grosseren  Schwellung  der  einen 
"Jauchseite,  ans  der  schnelleren  und  kräflij?eren  Beweglichkeit 
ler  einen  Extremität,  ans  der  Pulsbeschatleuheit  auf  beiden 
leiten,  ans  dem  Niederschlage  des  Urins  auf  einer  von  beiden 
Seiten  des  N:icht-Geschirrs  (Sornnus)  oder  auch  aus  dem  Unter- 
kinken  oder  Schwimmen  eines  Tropfens  Blut  oder  Milch  aus  der 
ihteu  Seite. 

Der  Umstand,  dass  sie  innerhalb  der  Gebärmutter  jedem  Ge- 
Khlechte  eine  besondere  Seite  zuweisen,  findet  seine  Erklärung 
larin,  dass  sie  iine  anatomischen  Kenntnisse  nur  von  den  Schlacht- 
ind  Opferthieren  her  besassen,  imd  das»  die  Wiederkäuer  einen 
gweigetheilten  zweihörnigen  Utenis  besitzen  und  nicht  eine  einfache 
lebärmutterhi'dile,  wie  sie  dem  Menschen  zukommt. 

Eine  andere  üeberein.stinimung  finden  wir  unter  den  alten 
Iriecheu  und  Römern,  dass  sie  gemein.schaftlich  ein  gerötlietes, 
>lriheudeH  Angesicht  der  Schwangeren  auf  einen  Knaben  deuteten. 
>ie  meinten  ferner,  dass  sich  die  Knaben  früher  bewegen, 
i]n  die  Mädchen,  und  dass  man  die  Zeit,  in  welcher  die  Kindes- 
)ewegungen  von  den  Schwangeren  geftlhlt  werden,  als  diag- 
losti.schrs  Merkmal  benutzen  könne.  Plinius  sagt:  eine  Ite-ssere 
Gesichtsfarbe  und  Kindesbewegimgen  am  40.  Tage  deuten  auf 
einen  Knaben,  das  GegentlK-il  aber,  sowie  eine  leidite  An- 
ihwelliing  der  Schenkel  und  Leisten,  auf  ein  Mädchen.  Den 
iluuben  an  diese  Merkmale  nahmen  auch  die  Araber  (an.  Nach 
f{h(UPS  deutet  ein  voller,  runder  und  harter  Unterleib  und  eine 
uuntere  Gesichtsfarbe  auf  einen  Knaben,  aber  eine  rothpnnktirte 
laut  auf  ein  Mädchen;  ,et  si  Caput  mamiilae  transmutatum  l'uerit 
ui  rubedinem,  pariet  masculura,  si  ad  nigredinem,  Kham*.  Aber 
luch  die  rechte  und  linke  Seite  spielen  bei  Khcues  die.selbe  Rolle, 
.'ie  bei  den  Griechen.  Avicrnna  meinte  gleichfalls,  au.s  verschie- 
b'uen  '/••leben  rechter-  und  linkerseits  das  Geschlecht  des  Kinde.i 
prkttnTien  zu  können.  Nach  Allnikasttn  deutet  I'ulciiritudo  faciei  et 
kl^ili«  niotus  auf  einen  Knaben,  aber  l>emigratio  rostri  mamiilae 
trae,  discoloratio  et  maculae  faciei  auf  ein  Mädchen. 
Nach  Manodlo^  einem  jüdischen  Dichter,  geb.  I20.'i  zu 
1330  zu  Fermo,  ist,  wie  derselbe  in  einem  .seiner  vielen 
ite  (in  .seinem  Liederbuche  I32ö)  sagt,  dnrch  folgende 
iSeichen  zu  erkennen,  ob  eine  Frau,  welche  schwanger  ist,  ein 
itännliche«  Kind  trägt:  I.  da«  Gesicht  der  Mutter  sieht  schön  und 
L,ungetrUbt"  aus;  2.  die  n>chte  liriiät  ist  grösser,  als  die  linke; 
die  PuLse  der  rei*bl«-ii  Hand  s«-blagen  stärker;  4.  die  Adern  unt-er 
ler  Zunge  .-»ind    t4rht<  rsiits   Irbhatter   und   frischer;    5.   die  Adrm 


VIFI,  Das  Weili  im 


der  ganzen  rechten  Seite  simi  zehnfach  .%tiirker,  ali  die  der  linken : 
6.  der  Warzenhof'  der  rechten  Brust  ist  dunkel,  wie  bei  einer  leichten, 
kräftigen  Kameelstute;  7.  das  rechte  Nasenloch  pflegt  zu  bluten: 
8.  der  Fötus  liep;t  mehr  auf  der  rechten  Seite  des  Leibes. 

Als  Mittel,  zu  erkennen,  ob  eine  Schwangere  ein  Mädchen  odefj 
einen  Knaben  haben  wird,  giebt  eine  sehr  alte,  auf  dem  Blatte  eines ' 
Bibelcodex  (Leipziger  Bibliothek)  geschriebene  und  von  BiosrnH 
veröffentlichte  Receptsammlung  Folgendes  an:  „Sieh  die  Brustwarzen | 
an:  wpnu  sie  aufwärts  stehen,  wird's  ein  Knabe,  wenn  abwärts,  ein! 
Mädchen  ;  w«Min  sie  schön  gefärlit  .sind,  ein  Knabe,  wenn  schlecht, 
ein  Mädchen. " 

In  einer  deutschen  Bearbeitung  des  PlintHH-  aus  dem  !•<.  .lahr- 
hundert  lesen  wir : 

„Die  Weiber,  so  Kuilblein  trageu .  sollen  Llass  gefürbt  seyn.  auch  i 
leichtlicher  geberen,  und  das  Kiud  sich  genieiulich  am  vierzigsten  Tage  regeiuJ 

Mit  den  Meidlei%  balte  sichs   anders,    denn  die  werden  gantz  schwer- 
lich getragen  und  regen  sich  allererst  umb  den  neuntzigsten  Tag." 

Da  es  dann  weiter  heisst:  ,,Wenn  die  Seele  dein  zubereiten  Leibe  ein-] 
gegossen  wirt,  so  fahnt  er  an  zh  leben,  und  sich  in  Mutter  Leibe  «u  regen] 
und  bewegen,"  so  ersehen  wir  hierans,  dass  nach  der  Ansicht  der  dauialigeaj 
Zeit  die  Madchen  in  dem  Mutt«rleibe  um  beinahe  zwei  Monate  »pSter  iaj 
den  Besitz  einer  Seele  gelangen,  als  die  Knaben. 

In  Deutschland  im   Frankenwalde  glaubt  das  Volk,    dass] 
schlechtes    Aussehen    und    besonders    kränkliches    Betinden    in    df 
Schwangerschaft  einen  Knaben  verspreche.     {Flügel,) 

Will  eine  schwangere  Frau  im  Siebenblirger  Sachsenlandöj 
wissen,  ob  sie  einen  Knaben  oder  ein  Mädchen  haben  werde,  sc 
nimmt  sie  eines  jener  Holzstäbcheu,  die  auf  dem  Webstuhl  zwischen] 
dem  (.tarn  stecken,  und  reitet  darauf  mit  zugemachten  Augen  auf 
die  Gasse.  Sieht  sie  hier  zuerst  einen  Mann,  so  hat  sie  einen  Knaben,! 
wenn  eine  Frau,  so  ist  ein  Mädchen  zu  erwarten  (in  St.  (Tenrirf  iii 
in  Siebenbürgen).    (HiHnn:) 

Man  glaubt  in  Steyermark.  da.ss  Jahre,  in  denen  nudir  Acpielj 
und  Ndsse  gerathen.  mehr  Knaben,  in  denen  hingegen  mehr  Hirner 
gedeihen,  mehr  Mädchen  zur  Well  kommen.  Man  deutet  doi 
Erscheinungen,  z.  B.  Aufregung  beim  Beischlaf,  blüliendes  Aussehet 
der  Frau  und  energische  Kiudesbewegungen  auf  einen  Knaben,  bleiche 
Gesichtsfarbe,  insbesondere  „Leberflecke'*  der  Schwangeren  auf  eil 
Mädchen.    [Fossel] 

Wie  diese  Völker,  so  glauben  sowohl  die  Thineaen  a).s  auch  di« 
Türken  im  Besitze  bestimmter  Merkmale  zu  sein,  die  ihnen  das  Ge- 
schlecht de.s  Kinde.s  verrathen.  l>ie  türkischen  Hebammen  marhei 
nach  Fratii  der  Schwangeren  Hotfnung  auf  einen  Knaben,  wenn  ,,la&c< 
est  turgescente,  les  joues  colorees  et  les  yeux  brillants'*;  sieerwart't 
abi-r  ein  Mädchen,  .,si  la  fenime  e.st  pälo,  h\  les  yeux  sont  ' 
j)h}'sionomie    e.9t    triste*'.    Auch  vermögen  sie  zum  Erst,  Vi 

selbst  Zwillingsschwangerschaften,  welche  im  Orient  durchaus  nict 


Kelten  vorkommen  sollen,  mit  einer  gewissen  Geschicklichkeit  zii 
erkennen  und  vorberzusagen. 

Unter  den  Serben  bedeutet  die  Entzündung  der  oberen  Augen- 
wimpern, da»s  die  Fruu  mit  einem  Knal>en,  die  der  unteren,  dass  sie  mit 
einem  Mädchen  schwanger  ist.  Will  eine  Serbin,  wenn  sie 
[schwanger  ist,  wissen,  ob  sie  einen  Knaben  oder  ein  Mädchen  haben 
wird,  so  soll  sie  im  Garten  zwei  gleiche  Grashalme  zur  Hälfte  ab- 
beissen,  so  dass  sie  ganz  gleicli  lang  sind,  und  dann  werden  die- 
selben in  die  Erde  gesteckt.  Dies  wird  Abends  gemacht.  Zugleich 
aber  wird  eine  Hälfte  dem  Knaben,  die  andere  dem  Mädchen  ge- 
widmet. Morgens  früh  sieht  man  nach,  welches  Ende  grösser  ge- 
worden ist,  ob  jene  des  Knaben,  oder  diese  des  Mädchens.  Nach 
der  grösseren  Hälfte  wird  auch  das  Kind  bestimmt.    (Vetrowitsch.) 

In  Läpp  Und  scheint  man  allerdings  Niemand  die  Kenntniss 
zuzutrauen,  dass  er  aus  den  Erschemungen  au  der  Schwangeren 
das  (ireschlecht  ihres  Kindes  bestimmen  könne;  vielmehr  befragt  die 
Lappliinderin,  wenn  sie  sich  schwanger  ftthlt,  die  Sterne,  von 
welchem  Geschlecht  ihr  Kind  ist.  Wenn  sie  sieht,  dass  über  dem 
Mond  ein  Stern  steht,  so  erwartet  sie  einen  Knaben,  steht  aber 
der  Stern  unter  dem  Monde,  so  glaubt  sie,  dass  ihr  Kind  ein 
Mädchen  ist.    {Scheff'er.) 

Die  nialayischen  Hebammen  auf  den  Philippinen  bestimmen 
schon  in  frühester  Periode  der  Schwangerschaft  das  Geschlecht  des 
Kinde.s;  die  Frauen  ermangeln  nicht,  sie  in  dieser  wichtigen  Frage 
zu  Rathe  zu  ziehen  {MalUU):  ihre  Merkmale,  die  sie  hierbei  be- 
nutzen, sind  mir  iedoch  niclit  bekannt. 

Nach  dem  Ghiuben  der  Maori  auf  Neuseeland  pflegt  die 
Geburt  eines  neuen  Wesens  schon  vorher  durch  Träume  angezeigt 
zu  werden.  Wenn  ein  verheiratlieter  Manu  im  Traume  menschliche 
Schädel  mit  Federn  verziert  erblickt,  so  wird  ihm  gewiss  damit 
ein  Kind  verheissen.  Waren  die  Federn,  welche  er  gesehen,  vom 
Kotuku,  30  wird  das  Kind  ein  Knabe,  waren  es  dagegen  Federn 
vom  Huia,  so  wird  das  Kind  ein  Mädchen.    (Novara.) 

Auch  die  Insulanerinnen  des  ali'urischen  Archipels  ver- 
stehen es,  bei  Schwangerschaften  vorherzubestimmen,  ob  ihnen  ein 
Knabe  oder  ein  Mädchen  geboren  werden  wird.  Auf  den  Keei- 
luselu  geben  Zaubermitte]  hierüber  den  Aufschluss ;  auf  den  Aaru- 
luseln  sagen  en  alte  Frauen  den  Schwangeren  vorher,  weigern  sich 
aber  hartnäckig,  ihre  Kennzeichen  anzugeben.  Bei  der  ersten 
Schwangerschaft  ist  auf  den  ßabar-Inseln  der  Ehemann  verpiliehtet. 
unter  der  .Assistenz  eines  Sachverständigen  ein  Ferkel  zu  schlachten. 
Diesem  wird  das  Herz  herausgenommen,  und  erblickt  man  beim 
Aufschneiden  desselben  eine  Ader  mit  einer  Verdickung,  so  ist  das 
Kind  ein  Knabe,  und  im  umgekehrten  Falle  ein  Mädchen.  Ist  das 
Orakel  nicht  deutlich  genug,  daim  muss  noch  eine  Henne  ge- 
schlachtet und  an  deren  Herzen  die  Untersuchung  wiederholt  wer- 
den.    Wenn  die  schwangeren  Weiber  auf  Leti,    Moa   und   Lakor 


Pl«(i,  Dm  Weib.  I.    9.  Aufl. 


u 


210 


Vni.  Dm  Weib  na  Mntteriefbe. 


an  der  Hinterseite  ihrer  Schenkel  Schmerzen  ffilüen,  dann  werden 
sie  einen  Knaben  znr  Welt  bringen.  Auf  Arabon  und  den  Uliaae- 
Inseln  i^ilt  es  als  A'^ orzeichen  für  eine  Knabengeburt,  wenn  der 
Unterbauch  der  Schwangeren  gross  ist  und  sie  beim  Laufen  ihr 
rechtes  Bein  schwer  aufzuheben  vermag.  Ist  aber  der  Oberbauch 
gross  und  kann  sie  ihr  linkes  Bein  schwer  bewegen,  dann  wird  sie 
ein  Mädchen  zur  Welt  bringen.    (liiedcl.^) 

Was  von  allen  diesen  untrüglichen  Zeichen  zu  halten  ist,  d»» 
enthüllte  uas  schon  mit  klaren  Worten  gegen  das  Ende  des  17. 
Jahrhunderts  der  alte  Pariser  Geschworenen -Wundarzt  Franrois 
Mauriceau: 

.Man  kan  den  Weibern  ihren  Vorwitz  und  Sehnsucht,  indem  sie  nx 
wissen  verlangen,  ob  sie  schwanger  oder  nit,  wohl  genug  thun.  Es  finden 
Mich  aber  ihrer  viel,  und  fast  alle,  die  da  wollen,  man  sol  weiter  gehen,  und 
ihnen  sagen,  ob  es  mit  einem  Büblein  oder  einem  Mägdlein  seye,  das  doch 
schlechter  Dinge  unmöglich:  obwohl  fa.st  keine  Hebamme  ist,  die  sich 
n'lhmet,  solche»  zu  errahten  (in  Wahrheit  wol  erraht«n;  aber  nicht,  ru 
treffen);  dann  wann  das  geschieht,  so  ist  es  viel  mehr  ein  gewagter  Handel, 
als  einige  Wissenschaft,  oder  Bcdencken,  da«  sie  gehabt  haben,  solches  wahr- 
sagen zu  können.  Man  wird  aber  nfft  oo  hart  gedrungen,  und  angefochtein, 
sein  Bedencken  hiervon  zu  sagen,  sonderlich  von  Frauen,  die  nie  kein  Kind 
gehabt,  ja  auch  von  ihren  Männern,  die  nicht  weniger  vorwitzig:  dass  man 
ihnen  jemals  Schanden  halben  aufhnptfen  muss,  so  gut  man  in  diesetn  Fall 
kann." 

Die  Bfirharn  Widenniomim,  geschworene  Hebamme,  und  der 
Zeit  Führerin  derselben  in  des  Heiligen  Romischen  Reich»  Stadt 
Augsburg,  sclireibt  im  Jahre  1735  in  ihrer  „Anweisung  christlicher 
Hebammen:' 

„Ob  aber  eine  schwangere  Frau  mit  einem  MSgdlein  oder  Knftblein 
schwanger  gehe,  weiss  niemand  gewiss,  als  GOTT  allein,  der  auch  in  da* 
Verborgene  siehet.  und  fleiasig  darum  muss  gebetten  werden,  dass  er  die 
beschehrte  Leiber -Frucht  gnüdig  erhalte,  und  zu  rechter  Zeit  die  Eltern 
damit  erfreue.    Alsdann  können  sie  selber  sehen,  was  ihnen  beschehrt  worden." 


32.  Verlauf  der  Mädchen-  nnd  Knabenge  harten. 

Im   Alterthume    wurde    fast   allgemein   angenommen,   dass 
Knabengeburten  leichter  vor  sieb  gehen,  als  Mädchengeburten. 

Diese  Ansicht  linden  wir  bei  ÄrisMeUs,  Plimus  und  GaienHg 
ausgesprochen.  Aus  der  Stelle  von  Oalenus  kann  geschloflsen 
werden,  derselbe  habe  vielleicht  angenommen,  dass  die  Knabenge- 
burten  deshalb  leichter  sind,  weil  sich  die  Knaben  kräftiger  be- 
wegen: Masculus  antem  in  corpore  quam  feniina  majorem  niotum 
pleruraque  concitat  et  facilius  paritur,  tardius  leraina. 

Auch  die  Rabbiner  des  babylonischen  Talmud  hatten,  wie 
wir  schon  aofUhrtisn,  diese  Ansicht    Sie  meinten,  die  mäniilicheu  und 


32.  Verlatif  der  "MUdcliCTJ-  and  Enabengebarten. 


211 


weiblichen  Kinder  müssten  im  Uterus  in  ähnlicher  Weise 
liegen,  wie  beim  Coitus  der  Mann  (das  Gesicht  nach  unten)  nnd 
tlie  Frau  (das  Gesicht  nach  oben).  Deshalb  glaubten  sie  auch, 
ISS  der  weibliche  Fötus  mehr  Rotationen  vollenden  müsse,  als 
fder  männliche,  und  dass  deshalb  die  Schmerzen  der  Gebären- 
den bei  der  Gebart  eines  Mädchens  grosser  seien,  als  bei  der 
eines  Knaben. 

Man  kann  aber  auch  heute  noch  im  Volke  häutig  dem 
Glauben  begegnen,  dass  sich  die  Mädchen  in  ihrer  angeborenen 
Schüchternheit  nicht  so  ungenirt  aus  dem  Mutterleibe  heraus- 
wagen, wie  die  Knaben.  Wenn  daher  eine  Entbindung  länger 
auf  sich  warten  lässt,  als  die  Schwangere  oder  deren  weibliche 
Umgebung  herausgerechnet  haben,  so  wird  hierdurch  bewiesen, 
nicht  dass  die  Damen  sieb  in  der  Feststellung  des  Termine«  ver- 
rechnet haben,  sondern  dass  der  zukünftige  Sprössling  ein  Mäd- 
chen ist,  welches  sich  nicht  entschliessen  kann,  das  Licht  der 
1  Welt  zu  erblicken. 

f         Solchen  unbegründeten  Annahmen  gegenüber  steht  eine  hoch- 
interessante Tbatsache,  welche  sich   aus  der  Sterblichkeits-StÄtistik 
ider  Neugeborenen  in  allen  Ländern  ergiebt:   Es  unterliegt  keinem 
Zweifel,  dass  überall  unter  den  Todtgeborenen  sich  ganz  erheblich 
%iebr  Knaben  befinden,  als  Mädchen.    Was  ist  der  Grimd  für  diese 
merkwürdige  Erscheinung?    Müssen  wir  in   dem  Geburtsacte  selbst 
für  die  Knaben  eine  grössere  Gefahr  erblicken  als  fllr  die  Mädchen? 
I      Das   lässt   sich  leider  aus   der  Statistik  nicht  ersehen,   da  sich  für 
^bdie  während  der  Geburt  Gestorbenen  in  den  Mortalitätslisten  keine 
^KRubriken  finden. 

^p         Nach    den     älteren     Beobachtungen    von     Waj}2)aeus    ist    das 
'      Verhältniss    bei    den    Lebendgeboreneu    =    100  :  105,8,    bei    den 
^Todtgeborenen    dagegen    100    Mädchen    zu    140,8    Knaben.      Que- 
^Mtrlef-    fand    aus    Beobachtungen    für    verschiedene     europäische 
^^  Länder,  vorzugsweise  aus  den  fünfziger  Jahren  dieses  Jahrhunderts, 
133,5    todtgeborene     Knaben     auf     100     todtgeborene     Mädchen. 
Neuere    Untersuchungen    von    Bodio    ergeben    für    die     todtgebo- 
renen Knaben  gegenüber  100  todtgeborenen  Mädchen  folgende   Ver- 
hältnisszahlen : 

Italien  140  (Jahre  1865— 1875),  DeutschcB  Reich  129  (J.  1872—75). 

Oesterreich  131  (Cialeithanien  J.  1866—1874).   Belgien  135  (J,  1865 

^bis  1874).  Holland  126  (J.  1865—1873),  Bayern  134  (J.  1865—1875).  Nach 

Kofficiellen  Zahlungen   ergab  sieh  während  der  Jahre  1865—1883  (resp.  1882) 

~  ein  durchschnittliches  Verhältniss   der  Todtgeborenen   auf  100  Mädchen,  die 

Zahl    der    Knaben:    in    Italien    137,    Frankreich    145,    Proussen    129, 

Bayern    132,     Sachsen    180,     Thüringen    125,     Württemberg    131, 

, Baden   128,    Oesterreich-Cisleith.   131.    Belgien    134,    Holland    128, 

Johweden  134.  Norwegen  129,  Dänemark  130. 

Es  ist  wohl  nicht  ohne  Interesse,    ausser   den    relativen    auch 
die  wirklichen  Zahlen  kennen  zu  lemen. 

14* 


im  Mutterleibe. 


Todtgeborene. 

l.ana 

Zeit 

Knaben 

Mädchen 

ttallea  

1865—1883 

801587 

229478 

Frankreich 

1865—1882 

473204 

329284 

Fr^'usBen    .     . 

1H65— 1888  ' 

455633 

838328 

Bayern   

r                   » 

76916 

56:J25 

Sachsen      

1*                 * 

52891 
16521 

402O5 

Thiiriuj?fin 

12442 

Württemberg 

1871-1882 

21255 

16228 

Baden 

1865-1883  ! 

20203 

15306 

ElsasB-Lothringen 

1872-1882 

13706 

11540 

Oesterreich 

1865-1883 

218466 

163381 

Ungarn 

1876—1882 

35072 

27505 

Kroatien  n.  Slavonieu 

\  1874-1882 

4954 

3787 

Schweiz                    

1870—1883 

29598 

22141 

Belgien.                         

1865—1883 

85358 

63398 

Holland 

1865—1882  j 

.1     i 

78798 
42991 

20601 

57896 

Schweden 

32210 

Norwegen 

15963 

Dänemark 

2u«i:{ 

15814 

Spanien .              ... 

1865— ISTO 

j      22085 

14698 

Runi&uien 

1870-1882 
j  1875-1878 

19730 
10704 

15014 

Rusäliind  (europäigche^) 

83ßS 

Finnland 

i  1S78— 1882 

6016 
8777 

4621 

MaBsachuaettB . 

1  1870—1881 

5928 

Vermont 

1873-1876 
1881—1882 

424 

1          412 

292 

Connecticut 

27S 

Rh  odc-läland . 

1875—1888 

1246 

781 

Wenn  es  unter  diesen  Culturläudern  mit  verschiedener  Ntttio- 
□alitiit  allertlings  Unterschiede  giebt,  so  sind  dieselben  doch  nicht 
80  bedeutend,  um  aus  denselben  bestimmte  Schlüsse  ziehen  zu  dürfen; 
nur  ist  auffallend,  dass  sich  der  Knabenl\berschus.s  der  Todtgeboronen 
in  den  beiden  Ländern  romani. scher  Zunge,  in  Italien  und  Frank- 
reich, so  hoch  erhellt,  wie  in  keinem  der  übrigen  Länder.  Doch 
war  in  Gegenden  der  Vereinigten  Staaten  Nordamerikas  der 
K nabenüberschuss  ebenfalls  sehr  groHS  (Massachusetts  1870  bis 
1883:148). 

Man  ist  erst  in  neuerer  Zeit  bemüht  gewesen,  zu  ermitteln, 
welches  die  Ursachen  sind,  die  diesem  eigenthümlicheu  Verhilltiiiftse 
zu  Grunde  liegen.  Der  Umstand,  diiss  ja  überhaupt  melir  Knaben 
ah  Mädchen  geboren  werden,  wie  wir  oben  gezeigt  hüben,  ist 
zur  Erklänuig  nicht  ausreichend,  denn  das  Verhältniss  der  todt- 
gebi>renen  Knaben  und  Mädchen  und  der  lel>endgeborenen  Knaben 
und  Mädchen  ist  kein  übereinstimmende.«.  Es  müssen  hier  noch  an- 
derweitige Factoren  wirksam  .«^ein. 

Nach  (.'larke  und  Anderen  ist  das  mittlere  Gewicht  der  wm- 
geborenen  Knaben  grosser  als  das  der  Mädchen^  auch  hat  der  Schidcl 


82.  Yerlanf  der  Mädchen-  und  Enabengebnrten.  213 

des  Knaben  einen  grösseren  Umfang  als  der  des  Mädchens.  Später 
sachte  Simpson  zu  ermittehni,  warum  die  Knaben  im  Allgemeinen 
schwerer  geboren  werden,  als  die  Mädchen.  Auch  wollte  die  That- 
sache,  dass  Knaben  beim  Geburtsact  häufiger  sterben,  als  Mädchen, 
Meckel  dadurch  erklären,  dass  die  Knaben  sich  lebhafter  bewegen 
imd  deshalb  häufig  Veranlassung  zur  Drehung  der  Nabelschnur, 
zur  Hemmung  des  Kreislaufes  und  Absterben  bieten.  Gegen  Clarke 
trat  Casper  und  gegen  Simpson  insbesondere  Veit  auf.  Breslau 
suchte  Simpson's  Ansicht  zu  bekräftigen;  ich  selbst  (Ploss^)  be- 
leuchtete diese  Frage  nochmals.  Jeden&lls  wirken  zu  der  grösseren 
Geföhrdung  des  männlichen  Organismus  durch  den  Geburtsact  ver- 
schiedene Bedingungen  zusammen:  der  grössere  Umfang  des  Körpers, 
insbesondere  des  Schädels,  beim  Knaben  steht  dabei  gewiss  in  erster 
Linie,  jedoch  bedarf  diese  Angelegenheit  noch  weiterer  Erforschung 
und  Aufklärung. 

Der  japanische  Geburtshelfer  Kangawa  sagt:  „In  dem  Moment, 
wo  das  Kind  geboren  ist  und  auf  die  ]\^tte  des  Fussbodens  gelangt, 
legt  sich  das  männliche  Kind  auf  den  Bauch  und  das  weibliche  auf 
den  Rücken." 


EX.  Das  Weib  wälirend  der  Zeit  der  geschlecht-  j 
liehen  Unreife  oder  die  Kindheit  des  Weibes." 


33.  Die  Änfnahine  des  Mtidchens  nach  der  Gebart. 

Es  wurde  bereits  weiter  oben  darauf  auftnerksam  gemacht,  dass 
bei  sehr  vielen  Völkerschaften  die  Gobiurt  einer  Tochter  mit  sehr 
geringer  Freude  begrüast  wird.  Diese  Missstimmung  geht  bei 
einigen  Nationen  so  weit,  dass  sie  bemüht  sind,  diesen  unliebsamen 
Zuwachs  ihrer  Familie  so  schnell  wie  nur  irgend  möglich  wieder 
los  zu  werden,  und  das  gelingt  durch  die  Ermordung  des  Neuge- 
borenen am  allerpromptesten. 

So  erzählt  llaun,  dass  die  altenAraber  der  vorislamitischen 
Zeit  die  Gewohnheit  hatten,  die  neugeborenen  Mädchen  lebendig  zu 
begraben.  Auch  unter  den  Hindu  ist  nach  Mantegazza^  die  Tödtuog 
der  Töchter  gleich  nach  der  Geburt  weit  verbreitet,  und  als  die 
Europäer  ihnen  wegen  ihrer  Grausamkeit  Vorwürfe  machten,  so 
antworteten  sie :  Bezahlt  nur  die  Mitgift  för  unsere  Töchter  und 
wir  werden  sie  leben  lassen.  Auch  Bodhlimjk  erzählt,  dass  in 
Indien  in  den  niederen  Schichten  der  Bevölkerung,  obgleich  da^ 
Weib  gegen  rohe  Willkür  des  Mannes  durch  das  Gesetz  geschützt 
ist,  doch  ihr  Loos  so  traurig  ist,  dass  es  begreiflich  wird,  wenn 
man  erfährt,  dass  indische  Mütter  häuHg  ihre  weiblichen  Kinder 
dem  Tode  in  den  heiligen  Strömen  Indiens  preisgeben,  um  sie 
vor  dem  ihnen  im  Leben  bevorstehenden  Loose  zu  bewahren. 

Wenn  nun  auch  nicht  überall  die  Geburt  einer  Tochter  gleich- 
bedeutend mit  ihrem  Todesurtheil  ist,  so  wird  dieselbe  docii  von 
manchen  Völkern  geradezu  als  eine  Schande  oder  als  ein  Unglück 
empfunden.  So  haben  die  Uiguren,  welche  zu  den  mittelasia- 
tischen Türken  gehören,  die  folgenden  Verse: 

,3<*sB<^f  wi.>nn  eino  Tochter  nicht  geboren  oder  nicht  am  Leben  bleibt, 

Wird  aie  geboren,  so  ist  es  besser,  wenn  unier  der  Erde, 

Wenn  das  Todtonmahl  mit  der  Geburt  vereint"  fVantbery.) 

Auch  der  Kirgise  sagt:  Bewahre  nicht  lange  das  Salz,  denn 
es  wird  zu  Wu««er;  bewahre  nicht  lange  die  Tochter,  denn  sie  wird 
zur  Sciavin.     Die  Ossetin   wird  zur  Entbindung  in  ihre  Heimath 


33.  Die  Aufnahme  des  Mädchens  nach  der  Geburt. 


215  • 


et  und  kelirt  mit  leereu  Häiulen  zu  ihrem  Gatten  zuriick,  wenn 
eine  Tochter  geboren  hat.   Ist  sie  aber  von  einem  Knaben  ent- 
bundeu  worden,  dann  bringt  sie  ihrem  Gatten  für  die  gtlnstige  Be- 
fruchtung reiche  Geschenke  mit. 

Im  Koran,  welcher  den  Kindeamord  verbietet,  heisst  es:  „Hört  der 
Araber.  du88  ihm  eine  Tochter  geboren  worden  ist,  so  fUrbt  die  Truurigkeit 
»ein  Angesicht  schwarz;  die^e  Nachricht  düiikt  ihm  ein  so  ^chmählicbci^ 
Uebel,  doäs  er  «ich  vor  keinem  Menschen  sehen  lässt,  und  er  ixt  zweifelhaft, 
ob  er  die  ihm    geborene  Tochter  zu  »einer  Unthre  behalten^   oder  ob  er  sie 

iin  die  Erde  scharren  soll.*' 
Eine  Georgierin,    die  nur  von  Töchtern  Mutter  wird,    wagt 
es  kaum,    vor  Menschen  sich   sehen  zu  la.ssen ;    bei  Geburt  einea 
Knaben  aber  giebt  es  fast  tlberaJl  grossen  Jubel.    [Bodetistedt) 
Auch  von  den  Montenegrinern  wird  die  Geburt  einer  Tochter 
beinahe  als  ein  Unglück,    mindestens  als  eine  grosse  Enttäuschung 
^_  angesehen;    .selbst  in  den  höchsten  Kreisen   findet  sich  diese  merk- 
^B  würdige    Ansicht.     Ist    eine    Tochter    geboren,    so    stellt  sich    der 
Vater  auf  die  Schwelle  des  Hauses  und  senkt  die  Augen,  gleichsam 
.        um    seine  Nachbarn  und  Freunde   um  Verzeihung  zu  bitten;    wird 
^m  mehrere    Male    hinter    einander    eine  Tochter   geboren,    statt   eines 
^LEjrben  und  zukünftigen  Soldaten,    so   muss  die  Mutter,    die  ihrem 
^Hfemn  nur  Tochter  geschenkt  hat,    nach  dem  Volksglauben  sieben 
^^ftrieater  zusammenrufen,  die  Oel  weihen  und  umher  sprengen,  sowie 
,1        die  Schwelle  des  Hauses   fortuehmeu  und  durch   eine  neue  ersetzen 
J^k  roüssi'u,  um  das  am  Hochzeitstag  durch  böse  Mächte  behexte  Haus 
^1  2U  reinigen.     Ganz  anders  geht  es  jedoch  im  Hause  her,  wenn  ein 
^B  Knabe  geboren  wurde;    von  fast  toller  Freude  erdröhnt  das  ganze 
^^  Haus ;  der  Tisch  wird  gedeckt  und  bald  sammeln  sich  um  ihn  alle 
Bekannten  des  Hause;!  und  bringen    den  Eltern  ihre  GUickwliusche 
dar,    darunter    auch   einen    sehr   merkwürdigen,    der    zugleich    das 
^  kriegerische  Leben  dieses  Volkes  kennzeichnet,  nämlich  den  Wimsch, 
^p  dass  der  Neugeborene  nicht  in  seinem  Bette  sterben  möge. 

Unter  den  Couibos,  welche  in  Südamerika  am  Ucayale 
wohnen,  Ist  dem  Vater  die  Geburt  eines  Mädchens  so  gleichgültig, 
jn  so  widerwärtig,  dass  er,  wenn  man  ihm  dieselbe  meldet,  sein 
Moskitonetz  nn.s])eit;  dagegen  schlägt  er  vor  Freuden  mit  dem 
Bogen  auf  die  Erde,  wenn  ein  Kn&be  zur  Welt  gekommen  ist,  und 
sagt  der  Mutter  freundliche  Worte.  Weun  die.se  nach  der  Geburt 
eines  Mfidchens  vom  Flusse  zurückkommt,  in  welchem  sie  sich  und 
das  kleine  Geschöpf  gewaschen  hat,  senkt  sie  beim  Eintreten  in  die 
Hütte  den  Kopf  und  i.'^t  so  verschämt,  da8.s  sie  kein  Wort  spricht. 
{Marcuy.) 

Wie  bei  fast  allen  Völkern  Asiens,  so  ist  insbesondere  bei 
den  alten  und  jetzigen  Chinesen  die  Geburt  einer  Tochter  ein 
wenig  erfreuliches  Ereignis».  Bei  manchen  Nationen  wird  diesem 
Unbehagen  aber  nur  ein  stummer  Ausdruck  gegeben,  d.  h.  die 
Geburt  des  Mädchens  wird  gleichgültig  imd   ohne  äussere  Zeioheti 


216    IX.  Das  Weib  während  der  Zeit  der  geecblechtlichen  Unreife  etc. 


der  Freude  mit  Stillschweigen  fibergangen,  während  bei  der  Geburt 
eines  Knaben  sehr  gros.se,  oft  mehrere  Tage  andauernde  Feste  ver- 
anstaltet werden.  So  finden  wir  es  beiden  .\rabern  in  Algerien, 
so  bei  den  Uiguren  in  Mittelasien,  so  liei  den  Chewsuren 
{Radde)  und  so  bei  den  Sarteu  in  Taschkent  und  Chokan. 
Sehr  interessant  ist  es,  zu  sehen,  wie  sich  die  Minderwerthigkeit 
des  weiblichen  Geschlechtes  in  gewissen  rituellen  Vorschriften  wieder- 
spiegeit,  welchen  sich  die  Mutter  nach  der  Entbindung  zu  unter- 
ziehen verptlichtet  ist,  und  welche  verschieden  sind,  je  nachdem 
ein  Mädchen  oder  ein  Knabe  geboren  wurde. 

Wenn  eine  Crih-Indianerin  einen  Knaben  geboren  haty,  so 
mu88  sie  zwei,  nach  der  Geburt  eines  Mädchens  drei  Monat«  lang 
von  ihrem  Manne  getrennt  leben.    {liicJairdson.) 

Aehnliche  Unterschiede  in  Bezug  auf  das  Geschlecht  des  Kindes 
finden  wir  auch  bereits  in  den  Reinigiingsgesetzen  der  alten  Is- 
raeliten: 

Bekiuintlich  stellte  Moses  (8.  B.  M.  12)  fest:  »Wenn  ein  Weib  besamet 
wird,  und  gebieret  ein  KnSlblein,  so  soll  sie  sieben  Tage  unrein  sein,  so  lange 
«ie  ihre  Krankheit  leidet.  Und  am  achten  Tage  soll  man  das  Fleisch  seiner 
Vorhaut  beschneiden.  Und  sie  soll  daheim  bleiben  3.3  Tage  im  Ulute  ihrer 
Reinigiinf;.  Kein  Heiliges  solle  sie  anrühren,  und  zum  Heiligthutn  »oU  iie 
nicht  kommen,  bis  dass  die  Tage  ihrer  Reinigung  aus  sind.  Gebieret  äe 
aber  ein  MRdchen,  »o  8oU  sie  zwei  Wochen  lang  unrein  sein,  so  lan'gu  xie 
ihre  Krankheit  leidet,  und  soll  66  Tage  daheim  bleiben,  in  dem  Blate  ihrer 
Reinigung." 

Bei  den  alten  Griechen  war  die  Frau  durchschnittlich  bis 
zum  vierzigsten  Tage  unrein ;  das  an  diesem  Tage  abgehaltene  Fest 
liiess  Tessarakostos ;  die  Frau  wurde  da  durch  Waschungen  ge- 
reinigt, ging  in  den  Tempel  der  Diana,  ojiterto  derselben  und 
weihete  ihren  Gürtel.  Aber  aucli  bei  ihnen  herrschte  die  sonder- 
bare mosaische  Ansicht  von  der  ungleichen  Zeitdauer  der  Unreinheit 
bei  Knaben-  und  Mädchengeburten,  denn  sie  findet  sich  bei  IJippo- 
krtUe.t^.  lu  dieser  hippokratisehen  Schrift  i^nrd  auch  der  Versuch 
gemacht,  zu  erklären,  warum  bei  Knaben  und  Mädchen  die  Lochien- 
reim'gung  ungleiche  Zeitdauer  habe,  —  weil  nämlich  bei  der  Bil- 
dtmg  des  Fötus  die  Sonderung  der  Glieder  im  weiblichen  Fötus 
längstens  42,  im  männlichen  hingegen  30  Tage  in  Anspruch  nimmt. 

In  Oberägypten  geht  am  40.  Tage  nach  der  Geburt  die  Mutter 
mit  dem  Kinde  in  das  Bad,  liLsst  sich  vierzig  Wasserbecher  über 
daa  Haupt  .schütten,  weim  der  Sprössling,  den  sie  geboren,  ein 
Knabe,  und  neununddreissig,  wenn  es  ein  Mädchen  ist.  Dann  erst 
sind  Muttor  und  Kind  rein.    (Klutt^inger.) 

Sonderbar  ist,  dass  der  Römer  fllr  eine  Tochter  ein  Quandrans, 
ftlr  einen  Knaben  ein  Sextans  im  Tempel  der  Juno  zahlen  musste. 

Hier  und  da  kommen  solche  Erscheinungen  auch  in  Deutsch- 
land vor:  so  zeigen  manche  Volkssitten  oflenbar,  das«  man  das 
männliche  Geschlecht  höher  .schätzt,   als  da»  weibiirlie.     An  meh- 


83.  Die  Aufiuiliaje  des  Mädchen»  nach  der  lU'burl. 


217 


sn    Orten,    auch    in   der    Schweiz    (Seh  äff  hausen),    wird    die 
[yat'hricht   von    der  Gehurt   eines  Kindes    durch   ein  Mädchen   den 

Nachbarn  mitgetheilt,  wobei  sie  einen  grossen  Blumenstrauss  auf 
ider  Brust  trägt;    ist  aber  das  Neugeborene   ein  Knabe,    so  hat  sie 

noch  einen  zweiten,  umfangreicheren  in  der  Hand.  Auch  war  ehe- 
^inals   nach    BIutif^Mi's  Züricher  Rechtsgeschichte  verordnet,    dass 

der  Vater  bei  der  Geburt  eiues  Mädchenö  ein  Fuder  Holz  bekomme, 

bei  der  Geburt  eines  Knaben  aber  zwei  Fuder. 

Im   Etachthale    in    Tyrol   Avlrd,    wenn   den    Hirten    in    den 
iBennhütten  ein  Kind  geboren  wird,  das  Familienereiguiss  den  über 

den  Bergen  entfernt  wohnenden  Nachbarn  durch  Flintenschüsse  kund 

gethan ;    der    erste    Schuss   ruft    die    Hörer   wach,    die  Anzahl   der 

iibrigen   Büchsenschüsse   thut   zu  wissen,   ob  sie  die  Ankunft  eines 

! Knaben  oder  eines  Mädchens  mitfeiern  sollen.  Wem  käme  hier- 
bei nicht  die  merkwürdige  Ceremonie  in  die  Erinnerung,  dem  Volke 
durch  Kanonenschüsse  die  glückliche  Entbindung  einer  Prinzessin 
oder  Königin  anzuzeigen  V  Bekanntlich  bedeuten  hier  101  Schuas 
die  Geburt  eines  Prinzen,  während  eine  neugeborene  Prinzessin  sich 
mit  35  Schüssen  begnügen  rau.ss, 

I  Bei    den   Omaha-Indianern    freut   sich    der  Vater  Ober  die 

Geburt  eines  Knaben  ebenso  .sehr,  als  über  diejenige  eine.s  Mädchens, 
und  die  letzteren  pflegen  sich  sogar  einer  besseren  Behandlung  zu 
ifrfreuen,  da  sie  ja  doch  nicht  selbst  für  sich  sorgen  können. 
\{l*ors«y.)  Aber  wir  begegnen  auch  solchen  Votksstäninien ,  bei 
[welchen  die  Geburt  einer  Tochter  geradezu  als  ein  viel  erfreulicheres 
[£reignis8  begrüsst  wird,  als  eine  Knabengeburt. 

Wenn  bei  den  Bewohnern  der  Aru -Inseln  im  malayischeu 
Archipel,    welche   auf  den   mittleren   dieser  Inseln   wohl  zumeist 
iNegritos   sind,  eine  Frau  eine  Tochter  zur  Welt  bringt,    so  ent- 
steht grosse  Freude,    weil,    wenn  sich  dieselbe   später  verheirathet, 
die   Eltern   einen    Brautpreis   empfangen,    von    dorn  auch  alle  die- 
jenigen,   welche   bei    der    Geburt   anwesend,    einen   gewissen  Theil 
bekommen.    Man  feiert  dami  ein  Fest,  wobei  ein  Schwein  geschlachtet 
und  eine  ungeheure  Menge  Arac  getrunken  wird.    Die  Geburt  eines 
fBohnes   wird   mit  Gleichgültigkeit    entgegengeiiomnieu.     Die   Gäste 
begeben   .sich   dann   traurig   und   enttäuscht   nach  Hause,    und   der 
Ifirmen  Mutter  wird  öfters  noch  vorgeworfen,  da.'*s  sie  keiner  Tochter 
Leben    geschenkt.      Ein    Mädchen  wird    gewöhnlich    bei    ihrer 

rt   schon   verlobt    und    die  Grösse    de.s  Brautschatzes  zugleich 

bestänunt.  {v.  Jloacnhnij.)  Die  Neuseeländer  Maoris  freuen  sich 
ebenfalls  über  die  Gehurt  einer  Tochter  mehr,  als  über  die  eines 
jtBohoes.   {Colnuton.) 

Aach  in  Afrika  finden  wir  Aehnliche.s  wieder,  so  namentlich 
Pbei    den    Mumbo,    und    bei    den    Kaffern-    und    Hottentotten- 
•1.     Denn  hier  repräsentirt  jede  Tochter   einen  Zuwach.s  des 
i/'ns,  da  sie  dereinst  für  Kinder  von   dem  Freier  dem  Vater 
ibgokaui't  werden  muss.     Je  mehr  Töchter  ein  Mann  besitzt,  desto 


218     IX.  Das  Weib  wührend  der  Zeit  der  geschlechtlidien  ünmfe  etc. 

mehr  Rinder  stehen  ihn^  in  Aussiebt  und  hierin  beroht  ihr  grosiicr 
Reich  thum. 

Aber  selb&t  bis  zum  Extreme  sehen  wir  die  Berorzngung  der 
Mädchengebarten  vor  denjenigen  der  Knaben  bei  den  Bejah  ia 
Afrika  aiisgebüdet,  von  denen  uns  im  Mittelalter  Magrisi  be- 
richtet, dass  bei  ihnen  von  den  Weibern  die  Lanzen  gefeitigt 
worden  wären  an  einem  Orte,  wo  kein  ilann  wohnen  und  hift- 
kommen  durfte,  ausser  um  Lanzen  zu  kaufen.  Wird  eine 
Frauen  von  dem  Kinde  (eines  dieser  Lanzenkäufer)  eotbaüden, 
tödtet  sie  es,  wenn  es  männlichen,  und  sie  läsit  es  Idwn^  wnui  es 
weiblichen  GJeschlechts  ist.    {Hartmann.^) 

So  treffen  wir  also  eiue  Verschiedenheit  in  der  SteUnng, 
welche  die  beiden  Geschlechter  in  der  Familie  einnekmen.  be- 
reits vom  Mutterleibe  an,  und  wir  finden  dieselbe  auch  in  fftSt 
allen  Fällen  bei  solchen  Völkern  wieder,  wo  keäneswegB  Ton  einer 
Ungleich werthigkeit  der  beiden  Creschlechter  ge^xrocbai  werden 
darf.  Trotzdem  wird  der  Unterschied  des  GeseUecUes  acfaon  dank 
die  symbolischen  Gaben  angedeutet,  weldie  der  Vater  oder  die 
Freunde  des  Hauses  dem  Neugeborenen  auf  sein  erstes  Lager  legen : 
Waffen  dem  Knaben,  Hausgeräth  dem  Mädchen. 


34.  Das  Leben  des  weiblichen  Kindes. 

Aach  in  dem  Kinderspiele  macht  sich  die  Trennimg  der  Ge- 
schlechter sehr  bald  in  charakteristischer  Weise  bemerkbar.  Denn 
für  gewShnüeb  sind  die  Spiele  der  Kinder  ja  nur  ein  Wider- 
schein von  der  Thätigkeit  der  Eltern,  und  so  erscheint  es  uns  gau  i 
natfirlich,  dass  die  Knaben  mehr  das  Gebahreo  der  Männer,  imj 
MSdehen  dagegen  mehr  die  Verricbtungen  der  Weiber  nachzi 
bestrebt  sind.  Gewisse  mehr  oder  weniger  feierliche  Handli 
unterbrechen  das  einförmige  Leben  des  kleinen  MiLdcbens,  z.  B. 
Stechen  der  Ohr-,  Nasen-  und  Lippenlöcher,  die  Tättowinmgen 
sndere  Vornahmen  der  sogenaimten  Körperplastik.  Dieses  Alles  im 
Einzelnen  hier  durchzusprechen,  würde  weit  Ober  den  Bahmen  dieses 
Baches  hinausgehen. 

W^ir  Tel  weisen  in  dieser  Bezidiung  zum  Theil  auf  das  weiter  oben 
bereits  Gesagte  und  andentheils   auf  die  auafUhrliche   Behandlia^i 
welche  diese  Gegenstände  in  dem  anderen  Werke  von  HrittHdk 
Das     Kind     in     Brauch     und    Sitte     der    Völker, 

haben.      Gewisse     vorzeitige    Erscheinungen    des     geschleehl    

Lebens,  die  Kinderrerlobangen  und  Kind^ochzeiten,  die  Frahreife* 
und  der  gesdüeditlicfce  Umgang  mit  Kindem  wer^  uns  in  den 
piteren  Kapiteln  dieser  Abhandlung  noch  weiter  entgegenirvUn. 
Und  so  können  wir  an  dieser  Stelle  das  kleine  Mädchen  rnrUrmfii, 
am  dasselbe  in  dem  nächsteh  Abschnitte  als  Jungfrau  wiedemifindai.i 


X.  Die  Reife  des  Weibes  (die  Pubertät). 


35.  Der  Eintritt  der  Menstraation. 

Das  Wunder  hat  sich  vollzogen!  Aus  dem  Kinde  ist  eine 
Jungfrau  geworden:  Der  Ausdruck  der  Augen  hat  aicli  verändert, 
er  ist  sinniger  und  ernster,  der  Klang  der  Stimme  ist  volltönender 
und  melodischer  geworden,  die  Formen  des  Körpers  haben  au  Fülle 
und  Rundiuig  gewonnen.  Als  Zeichen  der  Geschlechtsreife 
des  Mädchens  gelten  uns  der  Eintritt  der  monatlichen  Reinigung, 
die  Ausbildung  der  BrQste  und  äusseren  Genitalieu  und  das  Her- 
vorwachsen von  Haaren  am  Schamberg  \md  in  der  vVchselhohte. 
Diese  äusseren  Merkmale  wurden  von  jeher  als  diejenigen  der 
Pubertät  aufgefasst.  In  der  Bibel  heisst es  bei /iV^cÄieHö,  7:  Dein 
Busen  ist  bereits  gewölbt  und  Dein  Haar  hervorsprossend.  Der 
altindische  Arzt  Susriita  aber  sagt  nur.  daas  sich  cße  Geschlechts- 
reife durch  die  Menstruation  iiussert,  welche  regelmässig  mit  Ab- 
lauf eines  Monats  vnederkehrt.  Als  Zeichen  der  Menstruatiou  giebt 
er  an,  dass  das  Gesicht  der  Frauen  gedunses  und  heiter  sei,  der  Mund 
und  die  Zähne  nass,  das»  sie  mannssüchtig  seien  und  liebkosen,  dass 
Unterleib,  Augen  und  Haare  schlaft  seien»  die  Arme  dagegen,  die 
-Brüste,  Schenkel,  Nabel,  Hüften,  Schamberg  und  Hinterbacken 
strotzen,  dass  sie  voll  Freude  und  Verlangen  seien.  Zendavesta  sagt 
von  einer  menstruirenden  Frau:   „Sie  hat  ihre  Merkmale  und  Blut.*" 

Was  die  chinesischen  Aerzte  von  der  Menstruation  und  ihrer 
Physiologie  wissen  und  in  ihren  gelehrten  Werken  darüber  ge- 
schrieben haben,  ist  Folgendes;  Vom  14. — 15.  Jahre  au  tritt  bei 
jeder  Frau  ein  monatlicher  Bhit-AbHuss  (King-hiuc)  aus  den  weib- 
lichen Geschlechtstheilen  (yn-hou)  ein;  er  dauert  gewöhnlich  2^/2, 
3 — 4  Tage  und  regelt  sich  nach  SOtägigen  Periodeu.  Wenn  er  2 
Tage  zu  früh  eintritt,  so  heisst  diese  krankhafte  Affectiou  kan-tsieu, 
wenn  er  1 — 2  Tage  zu  spät  eintritt,  so  heisst  dies  andere  Leiden 
tsieou-heou.  Wenn  der  Ausfluss  nicht  lange  Zeit  nach  der  eigent- 
lichen Periode  eintritt,  so  ist  die  Frau  zwei  Krankheiten  ausgesetzt, 
entweder    dem    Hiue-tche   oder  Hiue-kou.     Die  Schmerzen,  welche 


^ 


220 


X.   Die  Reife  de»  W«?ib€8  {die  Pobert 


bisweilen  vor  der  Menstruation  eintreten,  heissen  king-sien.  die  nach 
der  Menstruation  Hng-heou.  —  Der  Bluiausflus8  kann  fünf  ver- 
schiedene Farben  haben:  die  hellrothe  ist  gesund,  die  weisse  deutet 
auf  Schwäche  und  entsteht  durch  innere  Erkaltvuig;  die  schwarze 
deutet  auf  starke  Erhitzung  des  Blutfes ;  die  gelbe  auf  zu  reichliche 
Gallenabsonderung;  die  blaue  entsteht,  wenn  die  Frau  durch  Luft- 
zug erkältet  ist.  In  ähnlicher  Weise  verbreiten  sich  die  chinesi- 
schen Aerzte  über  zu  reichlichen  und  ungenügenden  Blutaustluss. 
( Dabry.) 

Die  talmudischen  Aerzte  bezeichneten  als  Symptom  der  Reifc, 
dass  die  Haare  an  den  Genitalien  zu  wachsen  begonnen  haben; 
an  einer  Stelle  des  Talmud  wird  auch  als  Kennzeichen  nicht  bloss 
die  merkliche  Wölbung  des  Busens,  so  dass  sich  unter  demselben 
eine  Falte  bildet,  sondern  auch  noch  als  höherer  Grftd  der  Reife 
angegeben,  dass  die  Bnistwarzen  elastisch  werden.  Andere Talmudiaten 
bezeichnen  ferner  das  Erscheinen  der  dunkelbraunen  Farbe  au  dem 
Cirkel  um  die  Warze,  endlich  auch  das  Lockerwerdeu  des  Scham- 
hUgels  als  Merkmal. 

Die  Naturvölker  achten  im  Allgemeinen  ziemlich  genau  auf 
den  Eintritt  des  für  sie  allein  gültigen  Zeichens  der  Pubertät,  auf 
das  erste  Erscheinen  des  Blutaustiusses,  denn  dieser  ist  es,  welcher 
ihnen  zumeist  die  Veranlassimg  giebt,  mit  dem  jungen  Mädchen 
ein  besonderes,  ceremonielles  Einweihungs- Verfahren  vorzu- 
nehmen, zugleich  aber  auch  dasselbe  abzusondern,  sobald  —  wie- 
wir  später  ausführlich  zeigen  werden  —  bei  ihnen  sich  der  Begriff 
lies  Unreinseins  an  die  Menstruation  überhaupt  knüpft.  Bestimmte 
Tracht  oder  Symbole  tragen  bei  einzelnen  Völkern  die  eben  reif 
gewordenen  Mädclien  als  Zeichen  des  jungfräuhchen  Standes.  Es 
soll  hiermit  angedeutet  werden,  dass  die  junge  Person  nimmehr  die 
Keife  zum  Heirathen  erlangt  hat.  Wir  werden  hierauf  spater  noch 
zurückzukommen  haben. 

Man  nimmt  allgemein  an,  dass  mit  dem  Eintritt  der  Menstni- 
ation  das  weibliche  Individuum  das  Pubertäts- Alter  erreicht  hat 
(L  h.  dass  das  Zeichen  eines  Blutaustritts  dasselbe  als  mannbar  er- 
scheinen lässt.  Inwieweit  diese  Annahme  gerechtfertigt  ist,  bleibt 
fernerer  Err)rtenmg  überlassen.  Hier  l^eschäftigt  uns  die  Frage, 
welche  Einflüsse  vorzugsweise  das  frühere  oder  späten»  Ein- 
treten der  Menstrualblutung  beherrschen:  Rasse,  Klima^  Lebens- 
weise  u,  s.  w. 

Die  ältesten  Angaben  scheinen  schon  darauf  hinzndeuteD,  dtM 
die  Differenzen  in  der  Zeit  des  Menstrual  -  Eintritts  durch  klima- 
tische Unterschiede  bedingt  würden.  Nach  dem  Ausspruche  des 
altindi^chen  Arztes  Siisiitta  (in  Ayurveda)  pflegt  die  Menstrttation 
mit  dem  12,  .Tuhn-  (also  Ijei  den  Frauen  in  Indien),  nach  den 
Ruhbinern  des)  Talmud  (also  bei  den  Jüdinnen  in  Kleinasien) 
in  den  meisten  Fälleu  im  13.  Jahre,  und  nach  Sommm  aus  Ephesas 


85.  Dw  Bintrilt  der  Mcnstruataoa. 


[(in  dem  vou  ihm  verfassten  gebvirtshül fliehen  Werke")   zu  Rom  iui 
14.  Jahre  einzutreten.     Diejenigen  Schriftsteller    hingegen,    ^reiche 

'in  Europa  vor  dem  15.  Jahrh.  lebten,  wie  der  seiner  Zeit  so  be- 
rühmte Michaelis  Scofun  und  der  nicht  mimler  geschützte  Alhertus 
Magnus^  sprechen  von  dem  12.  Lebensjahre  -als  von  dem,  mit  welchem 
der  weibliche  Körper  diesen  Grad  der  Entwickelung  erreicht  habe. 
Derselben  Ansicht  ist  Allrecht  v.  Haller:  nach  ihm  erscheinen  die 
llenses  in  der  Schweiz,  Deutsehland,  Britannien  und  anderen 
[gemässigten  Himmelsstrichen  im  Alter  von  12  bis  13  Jaliren,  später, 
je  weiter  .wir  nach  Norden  kommen;  iu  den  warmen  Gegenden 
Asiens  u.  s.  w,  sollen  sie  schon  im  8. — 10.  Jahre  eintreten.  Diese 
Ansicht  Haller  s  galt  lange  Zeit  hindurch  unbedingt  als  die  richtige. 
Der  EinHuss  des  Klima.s  wurde  insl)esondere  vou  Haller  und 
Humhoklt  besprochen.  Während  jener  für  diesen  Eintluss  ent- 
schieden eintrat,  verfocht  Huniholdt  den  der  Ra.sse.  Jioherton 
vertrat  nach  den  von  ihm  aufgesammelten  Ergebnissen  die  Kassen- 
disposition. Wenn  wir  aber  nach  dem  heute  vorliegenden  Materiale 
die  Frage  erörtern,  welche  besonderen  Bedingungen  und  Ur- 
sachen auf  die  frühere  oder  spätere  Eiutrittszeit  der  Men- 
ses einwirken,  so  tritt  uns  zunächst  die  Thatsache  entgegen,  dass 
man  häutig  das  Klima,  insbesondere  die  durchschnittliche  Jahres- 
temperatur als  das  eintiussreichste  Moment  betrachtet.  In  der  That 
hat  man  durch  Vergleiche  zahlengemäss  nachzuweisen  vermocht 
(Ruciborshi,  Bondin  u.  A.),  dass  die  herrschende  Temperatur  des 
Wohnorts  sehr  eiufiussreich  auf  die  zeitigere  oder  spätere  Entwicke- 
lung  de»  weiblichen  Körpers  in  sexueller  Hinsicht  ist.  Allein  duss 
noch  andere  Lebensbedingungen  dabei  zur  Einwirkung  gelangen, 
ging  schon  mit  grosser  Sicherheit  aus  den  Ergebnissen  eines  älteren 
ärztlichen  Statistikers,  Marc  d'Espinc's,  hervor. 

Diese  Kesultnte,  welche  sich  aus  umfänglichen  Forschungen 
gewinnen  liessen,  stellte  Marc  d'Esinnc  in  folgenden  Sätzen  zu- 
sammen: 1.  In  den  gemä.ssigten  Zonen  tritt  die  Mannbarkeit  bei 
dem  Weilie  zwischen  dem  0.  und  24.  Jahre  ein.  Das  Alter  aber, 
wo  der  Eintritt  am  häufigsten  Statt  hat,  ist  das  14.  oder  15.  Jahr.  — 
2.  Das  mittlere  Alter  der  Mannliarkeit  erleidet  sehr  merkliche  Varia- 
tionen nach  der  geographischen  Breite,  in  welcher  man  sie  in  dieser 
gemässigten  Zone  beobachtet:  und  im  Altgemeinen  kann  man  sagen, 
dass  der  Eintritt  um  so  früher  erfolgt,  je  meSir  mau  sich  dem 
Aequator  nähert.  —  3,  Das  Klima  (wenn  man  darunter  die  mittlere 
Jahrestemperatur  versteht)  ist  bei  der  Betrachtung  wichtiger,  als 
die  geographische  Breite;  so  dass  das  Gesetz  hinsichtlich  der  geo- 
graphi-schen  Breite  nur  wahr  ist,  insofern  das  Klima  mit  der  Breite 
im  Verhältniss  bleibt.  —  4.  In  den  Fällen,  wo  alle  wiihrnelinil»aren 
Umstände  gleich  sind  und  wo  das  Klima  variirt,  sind  die  Ver- 
schiedenheiten, welche  man  in  den  mittleren  Altern  der  Mannbnrkeit 
bemerkt,  in  einer  geometrischen  Beziehung  fast  gleich  denjenigen 
der  mittleren  Temperaturen.    -^    5.  Frauen,   welche  in  Städten  ge- 


222 


boren  sind  oder  daselbst  ihre  Kindheit  zubringen,  scheinen  eine 
fröbzeitigere  Mannbarkeit  zu  haben,  als  diejenigen,  welche  anf  dem 
Lande  in  Dörfern  geboren  sind  und  ihre  Kindheit  verlebt  haben. 
Der  Unterschied  in  den  mittleren  Mannbarkeitsjahren  möchte  jedoch 
nicht  mehr  als  ein  Jahr  betragen.  Die  grossen  Städte  haben,  im 
Verhältniss  zu  den  gewöhnlichen  Städten,  die  Eigenschaft,  die 
Mannbarkeit  noch  früher  zu  zeitigen.  —  6.  Die  Bedingungen, 
welche  von  Seiten  des  Temperaments  am  meisten  auf  frtihzeirige 
Entwickelnng  der  Pubertät  in  unseren  Klimaten  von  Einfluss  zu< 
sein  scheinen,  sind:  schwarze  Haare,  graue  Augen,  eine  feine  weisse 
Haut  und  ein  starker  Körperbau.  Die  Bedingungen,  welche  dagegen 
mit  am  meisten  verzögerter  Mannbarkeit  zusaramentreften,  waren: 
kastanienbraune  Haare,  grttnliche  Augen,  eine  rauhe  gefärbte  Hatit 
und  ein  schwacher  zarter  Körperbau. 

Weiterhin  bestätigte  der  englische  Frauenarzt  Tili  den  Ein- 
fluss  des  Klimas,  indem  er  bei  einer  Vergleichnng  der  Zahlen  ver- 
schiedener Beobachter  fand,  dass  in  heissen  Klimaten  die  mittlere 
Zeit  der  ersten  Menstruation:  18  Jalire  lt>  Tage,  in  gemässigten: 
1 4  Jahre  4  Monate  4  Tage,  in  kalten :  1 T)  Jahre  1 0  Monate  5  Tage 
betrug.  Allein  Tilt  weist  auch  auf  den  Einfluss  der  Rasse  (spätes 
Menstruiren  der  Negerinnen),  des  Stammes,  der  Nationalsitten, 
der  Lebensweise  in  grossen  und  kleinen  Städten  und  des  frühen 
Geschlechtsgenusses  hin. 

Eine  weit  eingehendere  ZusaiHmcnstellung  der  Thatsachen  auf  einer 
Tabelle,  welche  gleichzeitig  die  mittlere  Jahrestemperatur,  die  geographische 
Lage,  die  Rasse  oder  den  Volksstamm  nibricirt.  verdanken  wir  dem  Ber- 
liner Arzt  Krieger.  Aus  dieser  Statistik  ergiebt  sich  allerdings  eine  ent- 
schiedene Wirkung  des  Klimas.  Führt  man  die  verschiedenen  Orte  der  Be- 
ubachtnng  in  einer  Reihenfolge  je  nach  der  steigenden  mittleren  Jahres- 
temperatur an,  -so  zeigen  sich  folgende  mittlere  Durchschnittaalter  bei  der 
ersten  Menstruation  nach  Jahr,  Monat  und  Tag: 

Schwedisch-Lappland  18  J.;  Christiania  16  J.  9  M.  25  T.;  Skeon 
(Norwegen)  15  J.  5.  M.  14  T.;  Stockholm  15  J.  6  M.  22  T.;  Kopenhagen 
16  J.  9  M.  12  T.-,  Göttingen  16  J.  2  M.  2  T.;  Berlin  15  J.  7  M.  6  T.v 
Mflnchen  16  J.  5  M.  11  T,;  Wien  15  J.  8  M.  15  T.;  Warschau  15  J.  1  M.; 
Manchester  15  J.  6  M.  28  T.;  London  nach  verschiedenen  Zählangen 
zwischen  15  J.  1  M.  4  T.  und  14  J.  9  M.  9  T.-.  Paris  nach  verschiedenen 
ZaWungen  zwischen  15  J.  4  M.  18  T.  und  14  J.  5  M.  17  T.;  Sahle.«  d'Olonn« 
14  J.  8  M.  23  T.;  Lvon  14  J.  5  M.  29  T.;  Toulon  14  J.  4  M.  5  T.;  Nime« 
14  J.  3  M.  2  T.;  Montpellier  14  J.  2  M.  1  T.;  Marseille  13  J.  11  M. 
11  T.;  Corfu  14  J.;  Madeira  14  J.  SM.  (nach  anderer  Angabe  15  J.  5  M. 
10T.)j  Dekhan  IS  J.  3  M.;  Calcutta  12  J.  6M.;  Loheia  11  J.;  Achroim 
(Aegypten)  10  J.  und  Sierra  Leone  10  J. 

Es  ist  hiermit  unzweifelhaft  gezeigt,  dass  die  klimatischen  V< 
hältnisse  einen  zeitigenden  oder  verzögernden  Eintluss  ausnben. 

Wenn  nun  dagegen  Zweifel  durch  einzelne  Beobachtungen  au8^ 
gesprochen  wurden,  so  erklären  sich  dieselbe«  dadurch,  dass  es  docfa 
noch   andere   Einflü!»!«e   daneben    gieb^..     Andere  Male   kennen  Br* 


85.  Der  Efntritt  der  Menstrtiation. 


223 


^ 


ühemungen,  welche  einen  Klima- EinHuss  nicht  wahrnehmen  lassen, 
»ich  ilooh  nnbescliadet  der  constatirten  Thatsache  erklären  lassen, 
w  geUuigtc  Wf//er''\  welcher  aus  verschiedenen  Ortschaften  R\i  sslands 
nach  St.  Petersburg  eingewanderte  weibliche  Individuen  verglich, 
zu  dem  Schluss:  ,Im  Ganzen  scheint  das  Klima,  soweit  es  unser 
Material  betrifft,  keinen  eingreifenden  Einfluss  auf  den  Eintritt  der 
Menses  zu  haben,  und  die  Schwankungen,  die  dennoch  vorkommen, 
mehr  den  Nationalitäteu  und  Rassen  zuzuschreiben  zu  sein."  Allein 
rlVrber  giebt  zu,  dass  er  es  doch  mit  nach  Norden  verschlagenen 
^Kindern  des  Südens  zu  thun  hatte,  demnach  die  Beobachtung  keine 
rechten  Anhaltepunkte  darbietet. 

Wir  sind  in  den  Stand  gesetzt,  die  Tabellen  Marc  d^Espinr  s, 

TiU's^  Krieger  s  und   ToinnartVs  durch  zahlreiche  neuere  Daten  zu 

vervollständigen.     Allein   es    kommt   uns  hier  vorzugsweise   darauf 

^^11,    zu   untersuchen,    inwieweit   Kriegers    aus    der    tabellarischen 

HSDebersicht  gezogene   Schlüsse  beztiglich   des  Klima- Einflusses 

^■richdg  smd. 

^H  Nachdem  Krieger  nämlich  die  Verschiedenheiten  der  Lebens- 
^Mreise  als  weniger  einflussreich  für  den  Menstruationseintritt  erklärt 
^Hiat,  als  die  verschiedene  Höhe  des  Wohnortes  fiber  dem  Meeres- 
^■ipiegel,  gelangt  er  zu  dem  Resultat,  dass  ein  wesentlicher  Unter- 
schied in  dem  mittleren  Alter  der  ersten  Menstruation  besteht,  je 
nach  dem  Himmelsstriche,  unter  welchem  die  Menschen  leben.  Er 
»ruft  sich  dabei  mit  Recht  auf  Dubois  und  Pojoi,  welche  in  einer 
PabeUe  den  Eintritt  der  ersten  Regel  bei  je  ÖOO  Frauen  im  süd- 
ichen  Asien,  in  Frankreich  und  im  nördlichen  ßussland  ver- 
lohnen. Aus  deren  Tabelle  liess  sich  berechnen,  dass  in  der 
leissen  Zone  die  grosst-e  Zahl  der  Frauen  zwischen  dem  11.  und 
14.  .Inhre,  in  der  gemässigten  Zone  zwischen  dem  13.  und  16.  Jahre, 
der  kalten  Zone  zwischen  dem  15.  imd  18.  .lahre  menstruirt  wird. 
vrieger  selbst  sagt  nun: 

,AI<f    die    hauptsiichHchstt;    Ursache    diese«    Unterschiedeä    iuuh!!    daher 

|]1eril)ng8  Aa^  Klimu,  angesehen  werden  und  nur  inuerh.'ilb  dieses  Einflusses. 

das*  Klima  iiu<ialit,  oder  als  conatiiuirenden  Factoren  des  Klimas  wird  der 

»ittleren  .lahrestemperatiir.  der  geographischen  L&nge  und  Breite,  der  Höhe 

dem   Meeresspiegel,    der  Nähe    des   Meeres    und   zum  Theil    auch  dem 

ItiAchen  oder  lilndlichen  Wohnsit7.e   «^inigeji  Gewicht  beiz<ilegen  sein.     In 

rolchem  Maaa«e  aber  jeder  einzelne  dieser  Factoren  ein  vorwiegendes  iuter- 

»ao  in  Anspruch  nehmen  darf,  ist  zur  Zeit  wohl  kaum  zu  entscheiden.    Der 

Uit(t(<  endlich  wird  sich  nicht  jeder  Einiluss   auf  den  Mcnatruattons-Eintritt 

V>Rprcchen  lassen,   doch  möchte   es   schM-ierig  sein,    denselben  zu  deßniren." 

)ünn    »her  ent.^rheidet    sich    Kriegrr   auf  Grund    der  von    ihm    aufgestellten 

r^belle   dahin,    ,da«6   ei;  -nicht  die   Rasse,    sondern  vielmehr  dua  Klima  ist. 

rodurch  der  Unterschied  in  dem  .\ller  der  ersten  Älenstrualion  bedingt  wird,* 

er  weiterhin   behauptet,    .daae  die  Wllrme  der  Luft,  im  geraden  Vor- 

HnijMC  zu    der   frühen    Entwickelung   der    weiblichen  Geschlechtsreife    ku 

scheint.* 

In  Betreff  des  hier  erwHhnt<?n  Rassen -Einflusses  müssen  wir 


224 


allerdings  hervorheben,  dass  einige  Beobachter,,  freilich  ohnir 
genauere  numerische  A'erhältnisae  anzugeben,  z.  B.  Polak  u.  Ä., 
denselben  nicht  gering  auschjagen.  Letzterer  sagt:  ,Ueberhaupt 
scheint  das  frühere  oder  spätere  Eintreten  und  Erlöschen  der  Men- 
struation mehr  von  der  Hasse  als  voju  Klima  abzuhängen,  und  ob- 
wohl sie  durch  ein  kaltes,  nördliches  Klima  verzögert  wird,  so 
verwischt  sich  doch  in  allen  folgenden  Generationen  nicht  der  Eiu- 
fluss  der  Russe.  Als  Beleg  hierfür  dienen  die  Jüdinnen  in 
Europa  und  die  Negerinnen  in  I'ersien  und  den  amerika- 
nischen Colonien.*  Auch  bei  uns  erfährt  man  oft,  dass  die  Mütter 
berichteu,  ihre  Töchter  hätten  ebenso  wie  sie  selbst  zeitig  oder 
spät  menstriiirt.  Es  scheint  also  Kusse  und  Erblichkeit  etwas 
mitzuspielen. 

Auch  iip/ienheim  gLaubte  aus  seinen  Beobachtungen  an  bul- 
garischen, türkischen,  armenischen  und  jüdischen  Mädchen 
auf  eine  Rassen -Diöerenz  bezüglich  der  früheren  Entwickelung  der 
Menses  schliessen  zu  dürfen.  Dann  hatte  Lehrun  die  Menstruationszeit 
von  je  100  Fraueu  jüdischer  und  slavischer  Herkunft  (in  sla- 
vischer  Bevölkerung)  verglichen  (Corre)^  wobei  er  fand,  dass 
eine  grössere  Anzahl  der  Jüdinnen  schon  im  13.  Jahre  ihre  Mense« 
bekamen,  in  welchem  imr  eine  S lavin  menstruirte.  Allein  wir 
müssen  doch  auch  darauf  hinweisen,  dass  die  ganze  Lebensweise 
mit  in  Betracht  kommt.  Eine  so  völhgo  Zurückweisung  der  lias&en- 
Differenz,  wie  wir  bei  Krieger  und  Topinaril  finden,  ist  gewiss  noch 
nicht  gerechti'ertigt,  so  lauge  nicht  genatiere  Forschungen  ange- 
stellt sind.  I 

Weiterhin    hat   Weher   in   St.    Petersburg    den   Beziehungen 
des    Menses -Eintritts    zur    Nationalität   nachgeforscht.      Interessant 
sind  seine  Kesultate ;  Bezeichnet  man  als   «frühzeitigen"   Eintritt  den '1 
von  15,    als  ,.späten-   Eintritt   den  nach   17  Jahren,    so  bekommen 
wir  für  5  Nationalitäten: 

Russin.       Jüdin.       Deutsche.       Polin.       Finnin- 
Früher  Eintritt:  48,5"/o.        54,50/o.  47,1  «io-  52,7» o-        K»*'u. 

Spätei-  Eintritt:  6,36%.  Sjo/o-  2,9 ",o.  2.9ö(0-        I9,25<»,«. 

Nehmen  wir  nun    noch  die  Verbältnisse  für    .vorzeitig*    bit>  13,   uatl  { 
,,v«r8pätet"  uach  18  Jabreu,  so  kooimen: 

Kussin.       Jüdin.       Deutsche.       Polin.       Finnis,^ 

Vorzeitig:  10.0"  „.         12,6",iu  8.20o.  HJ^/o.         2.7oVl 

Ver»i>atel:  2,S6<',o.  l,20o.  3,8ö(o.  2,9»o.  0.0«;d. 

Woraus    zu    sehen,    dass    bei    den    Finninnen,    trotzdem    im 
(»anzen    die  Menstruation   erst  spät   eintritt,    doch  Verspätungen  zuj 
den    grossteu    Seltenheiten  gehören;    dasselbe  kam,   ruan    fast  aoch 
von  dem    vorzeitigen  Eintritt   sagen;    wogegen  bei  den  J  öd  innen! 
und  ilen  slavischen  Völkern  der  unzeitige  Eintritt,    besonders  dcrj 
vorzeitige,  recht  liüutig  vorkommt. 

Dagegen  möchten  wir,  obgleich  wir  selbst  schon  ol)en  klima- 
tische   Einflüsse    nachgewiesen    haben,    die    bei    manchen    Völkern 


35.  Der  Eiutriü  der  Menstruation. 


225 


herrscbenden  Sitten  und  GelirUuche  nicht  zu  gering  anschlagen. 
Insbesondere  darf  man ,  wie  wir  Ijezüglich  der  verschiedenen 
Heirat hsalter  nivchwie.sen,  die  bei  einzelnen  Volkerschaften  ge- 
bräuchliche allzu  frühe  Ausübung  des  Coitus  als  wirkungsreich  auf 
frühen  Eintritt  der  Menses  bezeichnen.  Bei  den  Esthinnen  stellt 
sich  die  Menstruation  trotz  des  rauhen  Klimas,  trotz  der  abhärtenden 
und  den  Eintritt  der  Men.ses  verzögernden  Lebensweise,  trotz  der 
durchgängig  torpiden  Constitution,  wenn  auch  .selten,  schon  im  15., 
selbst  im  14.  Jahre  ein.  Holst  giebt  dies  der  Unkeuschheit  der 
Mädchen  schuld,  indem  hierdurch  die  Genitalien  in  ihrer  Ent- 
wickelung  der  des  übrigen  Körpers  vorangehen.  Die  Schwierigkeit 
des  Beweises  zeigt  sich  An  Folgendem. 

Viele  und  unter  ihnen  vorzugsweise  Roberton  betrachten  das 
frühe  Verheiratheu  der  Mädchen  bei  den  Hindu  als  Veraulassung 
zum  l'rühzeitigen  ISIenstruiitionseintritt ;  denn  nach  Manu  durfte  sich 
ein  Mädchen  .schon  mit  dem  8.  Jahre  verheirathen,  und  in  der 
That  betrachten  es  dort  viele  Eltern  für  eine  Schande,  wenn  ihre 
Tochter  nicht  jung  heirathet;  man  sieht  sogar  eine  Ehe  nach  dem 
Eintritt  der  Hegel  für  sündig  an.  Diese  indische  Sitte  könnte  aller- 
dings durch  die  frühe  geschlechtliche  Erregung  aut  zeitigen  Eintritt 
der  Pubertät  von  Eiufluss  sein ,  doch  ist  immerhin  der  Eintritt 
der  letzteren  im  12.  Jahre,  wie  man  angegeben  hat,  keine  andere 
Erscheinung,  als  man  auch  bei  anderen  Orientalen  findet.  Da- 
gegen erscheint  nach  Chenin  beim  Hindu- Mädchen  die  Regel 
dadurch,  dass  es  durch  den  Coitus  geschlechtlich  erregt  wird, 
keineswef^s  früher,  als  bei  europäischen  Mädchen,  die  unter  glei- 
chen klimatischen  Verhältnissen  leben:  aber  die  Dauer  der  Menopause 
ist  beim  Hindu-Weibe  länger,  al.«*  bei  Europäerinnen:  der 
Fluss  der  Menses  dauert  ebenso  lange,  wie  in  unserem  Klima, 
3  —  5  Tage ;  die  Zwischenzeit  zwischen  den  Perioden  beträgt 
25—28  Tage. 

Die  geschlechtliche  R^ife  ptlegt  sich  bei  den  Nay er- Mädchen 
(Kaste  in  Indien)  zwischen  dem  13.  und  15.  Jahre  einzustellen, 
nur  ausnahmsweise  vor  dem  12.  SiiccrHchneider,  der  in  Trovancore 
lebt,  kennt  Mädchen  der  lUuvar-  und  anderer  schlecht  genährter 
Kasten  Süd -Indiens,  die  im  16.  Jahre  noch  nicht  ge.schlechtsreif 
waren  und  noch  unentwickelte  Brüste  hatten.  Viele  Mädchen  der 
Nayer-Ka-ste  leben  aber  schon  vom  II.  Jahre  an  mit  Männern. 
[Jaynr.    3In/f>rK) 

Auch  auf  den  Sandwichs- Inseln  heirath^n  die  Mädchen  vor 
dem  Eintritt  der  Pubertät,  und  nach  Dumns  hält  man  daselbst  die 
Menstruation  tür  die  Folge  des  Coitus,  und  ihr  Erscheinen  bei 
einem  unverheiratheten  jungen  Mädchen  fl\r  ein  Zeichen  übler  Auf- 
führung. 

Weiterhin  wurde  aber  auch  ein  Einfluss  des  Ständeuuter- 
Hchiedea  constatirt.  welcher  jedenfalls  mit  einer  Differenz  der  Er- 
ziehung und  gesammten  Lebensweise  zusammenhängt. 


Plnit     I>ai  Weih,  I.    3.  AiiH. 


15 


X.  Die  Reife  des  Weibes  (du 


An  5611  weiblichen  Individaen,  die  während  10  Jahren  in  Moskau 
lebten,  erörterte  Benserujer  den  Eintritt  der  Menstruation.  Ea  Hess  sich 
bezüglich  des  ersten  Auftretens  der  Menses  anterscheiden  eine  frühe  Periode 
von  9  bis  12  Jahren,  eine  mittlere  von  13  bis  16  Jähren  und  eine  sp&tere 
von  17  bia  22  Jahren.  In  Moskau  hat  sich  nun  mit  Berücki^ichtigung  der 
Stände  Folgendes  ergeben:  Das  Maximum  der  frühen  Periode  (9  bis  12 
Jahre)  fällt  auf  den  Adel  und  die  Ausländer  (es  werden  keine  Nationalitäten 
genannt);  für  die  zweite,  die  mittlere,  Periode  fällt  das  ifasimura  auf  die 
6eiHtlichkeit  und  den  Kaufmannsstand;  für  die  dritte  Periode  das 
Maximum  auf  die  Bauern.  Es  scheint  hiernach  also  nicht  das  Klima  einen 
vorwiegenden  Einfluss  zu  haben,  sondern  vielmehr  die  physische  Erziehung, 
vorherrschend  die  Nahrung,  wobei  jedoch  dem  durch  Erblichkeit  sich  fort- 
pflanzenden EinüusB  der  physischen  Erziehung  auf  das  Nervensystem  gewiss 
auch  Rechnung  zu  tragen  ist. 

Dass  Stand  und  Beruf  sehr  maassgebend  sind,  hat  besonders  Weber 
nachgewiesen.  Nach  seinen  in  St.  Petersburg  angestellten  Erörterungen 
kommt  das  Maximum  des  ersten  Menstruations-Eintritts  auf  das  Jahr  14  bei 
Hausfrauen,  Näherinnen,  Wäscherinnen,  Ladenmädchen,  Schuhmacherinnen, 
Hebammen,  Kindermägden,  Wartefrauen ;  auf  das  Jahr  15  bei  Köchinnen, 
Schneiderinneu,  Händlerinnen,  Ammen,  Schauspielerinnen,  Feldarbeiterinnen; 
auf  das  Jahr  16  bei  Stubenmägden,  Prostituirten,  Lehrerinnen,  Warte- 
frauen ;  auf  das  Jahr  13  bei  Lehrerinnen,  Sängerinnen,  Studentinnen  und 
Modistinnen  (allerdings  ist  diese  Rubrik  zu  gering  an  Zahl). 

im  (ianzen,  so  schliesst  Weber,  können  wir  vom  EinfluHS  der  Beschäfti- 
gung und  Lebensweise  sagen,  dasa  bei  unseren  Städterinnen  die  Menstruation 
in  den  besseren  Kreisen,  in  regelmässigen  Verhältnissen,  wo  dos  Weib  seiner 
Bestimmung  nachzukommen  vorbereitet  wird  und  sie  schliesslich  in  den 
Stand  der  Hausfrauen  tritt,  die  Menstruation  zeitiger  eintritt;  wogegen  bei 
d«n  Proletariern.  Feldarbeiterinnen,  bei  Mädchen,  die  schon  von  Kindesbeinen 
an  zu  schweren  Arbeiten  aiigehalten  worden,  die  Menstruation  später  ein- 
tritt. Auffallend  früh  tritt  dieüelbe  bei  Mädchen  ein,  die  sich  dem  Studium 
und  Oberhaupt  den  geistigen  Ai-beitcn  widmen,  also  bei  Studentinnen, 
Lehrerinnen,  Schauspielerinnen,  Sängerinnen  und  dergleichen. 

Auch  den  Einfluss  des  Standesunterschiedes  hinsichtlich  des  elterlichen 
Berufes  studirte  Weber:  beim  Bauernstand  im  Mittel  14,8  Jahre,  im  Maxi- 
mum 15 — 16,  im  Minimum  10 — 11  Jahre;  dagegen,  wenn  man  das  begonnene 
Jahr  als  voll  nimmt,  bekommen  wir  16  Jahre  als  mittleren  Menstruations- 
eintritt; beim  Bürgerstaud  im  Mittel  14,6  Jahre,  Maximum  14 — 16  Jahr«; 
beim  Kaufmannsstand  im  Mittel  14,1  Jahre,  im  Maximum  14 — 15  Jahre;  bei 
Adligen  und  Officieren  im  Mittel  14,1,  im  Maximum  14 — 15  Jahre;  beim 
Beamten-  und  Gclebrtf^nstand  im  Mittel  14,29  Jahre,  im  Maximum  14  bis  Ib 
Jahre;  beim  Soldatenstand  im  Mittel  14,8  Jahre,  im  Maximum  16 — 17  Jahre; 
beim  geistlichen  Stande  waren  die  Zahlen  zu  klein,  um  sicher  die  Zahl 
18,9  Jahre  als  Mittel  bezeichnen  zu  können. 

Der  bedeutende  Einiluss,  welchen  die  Lebensweise  äuüseri, 
ergiebt  sich  aus  lirierre  de  lioismont's  Berechnungen  in  Puris; 
er  fand,  dass  durch  luxuriöse  und  bequeme  Lebensweise  sowie  durch 
die  verweichlichende  Erziehungr  der  Menstruationseintritt  gezeitigt 
wird.  In  Paris  ist  nach  ihn»  das  durchschnittliche  Alter  d^ 
PubertÄtseiotri  t  ts: 


Bei  Frauen  der  mittleren  Büi-p»erkla8aen  15  Jahre    2  Mon. 

,     Handubeiterinnen 15      ,       10      , 

„    Mägden 16      ,        2      , 

.    Tagelöhnerinnen 16      „        1^2  » 

Für  Paris  im  Mittel    .     .    .     .     .    .    .  14  Jahre    4  Mon. 

In    Wien     fand    Sciikits     das     mittlere     Menstruation»- Alter 

15  Jahre  und  S'/o  Monate;  hingegen  auf  dem  Lande  in  Oester- 
reich  16  Jahre  und  2^/2  Monate,  —  Dass  3Iar<'  d'Espine  Äehn- 
liches   gefunden  hatte,   das   haben   wir   bereits  oben  gesehen.     Für 

i'Strassburg  und  das  Departement  Bas-Rhiu  (Elsass)  fanden 
Stöher  und  Tourdes,  dass  die  Menstruation  in  der  Stadt  meist  im 
Alter  von  13  Jahren  eüitritt  und  nicht  selten  auch  schon  im  11. 
und  12.  Jahre;  auf  dem  Lande  scheint  das  Alter  zwischen  15  bis 

16  Jahren  das  gewöhnlichere  zu  sein,  und  oft  erscheint  sie  hier 
noch  viel  später. 

Schon  llippolitus  Gunrinonius,  der  in  Hall  bei  Innsbruck 
als  Arzt  lebte  und  dessen  berühmtes  Buch  ,Die  Grewel  der 
Verwüstung  menschlichen  Geschlechts"  im  Jahre  1610  er- 
schienen ist,  hatte  die  Beobachtung  gemacht,  dass  der  Eintritt  der 
Geschlechtsreife  bei  den  Bäuerinnen  und  den  Städterinnen  nicht  zu 
gleicher  Zeit  erfolge.     Es  heisst  bei  ihm: 

,Za  guter  Kundschafft  sehen  wir,  dass  die  Bawien  Mägdlein  in  hiesiger 
Landtscbafft,  wie  auch  allenthalben,  vil  langsamber,  als  die  Bürgers,  oder 
Edelieuth  T&cbter,  und  selten  vor  dem  17  oder  18  oder  auch  20igistem  Jar, 
zeitigen,  darumben  auch  dise  umb  vil  ISLnger  als  die  Barger  und  Edelieuth 
Kinder  leben,  und  nit  sobald  als  dieselben  veralten.  Item  wir  spüren  fein 
klar,  und  ohne  vil  Nachsinnen,  dass  in  gemein,  wann  der  Bawren  Mägden 
kaum  zeitigen,  die  Bürgerlichen  schon  elliuh  Kinder  getragen  haben.  Ursach, 
das«  die  Innwohner  der  Stätten,  mehieres  den  gajlen  Speisen  und  Trank 
i^«Tgeben,  darnach  auch  jhre  Leiber  7<art.  weich  und  gayl,  und  gar  ^u  bald 
teitig  werden,  nicht  änderst  als  ein  Baum,  welchen  man  zu  fast  begeust, 
lein  Frucht  swar  b&Ider  als  die  andern  zeitigt,  aber  nit  so  vollkommen,  und 
I  veraltet  auch  desto  bUder." 

Dass  sich  bei  verschiedenen  Nationen,  die  in  einem  Lande 
susammen wohnen,  grosse  Differenzen  zeigen,  geht  aus  den  in  Ungarn 
igeatellten  Untersuchungen  Joachitns  hervor.  Es  menstruirten 
lort  zum  ersten  Male: 

Magyaribche  Baaemm9dchen  im  15. — 16.  Jahre, 

Israelitinnen „     14. — 15.       , 

Raizitischc  Mädchen     .     .     .    ,     13. — 14.       , 
Slovukiache         ,  ...»     16.— 17.       , 

In  Strassburg  jedoch  fanden  Stobfr  und  Tourde*  bei  29  Juden- 
aftdchen,  da««  sich  der  Monstraationseintritt  durchschnittlich  ebenso  verhielt, 
rie  bei  den  Mädchen  der  übrigen  Bevölkerung;  er  war  in  keinem  Falle  vor 
12.  Jahre,  das  Maximum  war  zwischen  dem  14.  und  17.  Jahre.  Freilich 
2\i  Individuen  zu  wenig! 

Also  nicht  bloss  durch  das  Klima,  sondern  auch  durcli  manche 
ideren  Verhältnisse,  z.  B.  durch  Hasse   und  Nationalität,    Leben.s- 
reiae,   Be^^chäl'tigung,    Erziehung,    Nahrung,    Wohnung,    Kleidung, 

15« 


228 


X.  Die  Reife  des  Weibes  (die  Pubertät). 


Sitten  und  körperliche  Beschaffenheit  wird  der  Menstruatioüseintritt 
bestimmt.  Auch  wurde  schon  von  Hohrrton  darauf  hiDgeMriesen, 
dass  die  Indianermiidchen  allerdings  schon  sehr  früh  menstraireu, 
die  Negermädchen  aber,  die  in  ebenso  heissen  Zonen  wohnen, 
durchschnittlich  in  etwas  späterem  Alter  reif  werden;  Roberton 
sacht  dies  dadurch  zu  erklären,  dass  die  Indianermädchen  mehr 
als  die  Negermädchen  vorzeitiger  geschlechtlicher  Reizung  aus- 
gesetzt werden,  denn  viele  Indianerinnen  werden  schon  im  10. 
Jahre  Mütter.  Ebenso  behauptet  Lnrrprde ,  dass  in  denselben 
Breiten  und  Klimaten  die  Pubertätszeit  der  Neger  und  Mongolen 
früher  als  bei  Europäern  eintrete.  Hierbei  wird  wohl  auf  die 
Thatsache  zu  verweisen  sein,  dass  die  angestammten  EigenthOm- 
lichkeiten  sich  nur  langsam  und  im  Verlaufe  zahlreicher  Genera- 
tionen verändern  können.  Eigenthümlicher  Weise  sollen,  wie  man 
allgemein  angiebt,  trotz  des  kalten  Klimus  hei  den  Mongolen, 
Kalmücken,  Samojeden,  Lappen,  Kamtschadalen,  Jakuten, 
Ostjaken  u.  a.  die  Mädchen  schon  im  12. — ]3.  Jahre  menstruiren. 
Mag  diese  Behauptung  im  Allgemeinen  wahr  sein  (für  die  Lappen 
hat  sie  sich  al.s  unridiiig  erwiesen),  so  würde  aus  einer  solchen 
Thatsache  weder  die  Einfiusslosigkeit  des  Klimas,  noch  auch  der 
alleinige  Einfluss  der  Rasse  resultircn,  sondern  man  könnte  die  Er- 
scheinung aus  der  Lebensweise,  insbesondere  der  animalischen 
Nahrung  und  jener  Gewohnheit  dieser  Völker  erklären,  in  ihren 
Hütten  fortwährend  eine  bedeutende  Hitze  zu  unterhalten.  So  weist 
auch  schon  Krieger  die  Argumentation  Wulhcr's  zurück,  der  das 
frühe  Erscheinen  der  Menses  bei  den  Mongolen  als  EigenthQm- 
lichkeii  der  Rasse  bezeichnet. 

Schon  die  Aerzte  des  Talmud  wnssten,  dass  die  Lebens- 
weise des  Mädchens  grossen  Eintiuss  auf  die  Eintrittszeit  ihrer 
Pubertät  ausübt.  So  behauptet  Rabbi  Simon  ben  Gamiel  von  den 
Mädchen,  welche  in  Städten  wohnen  und  dort  Gelegenheit  haben, 
öfter  Bäder  zu  benutzen.  das.s  bei  ihnen  da.s  Behaartwerden  der 
Körpertheile  sich  weit  früher  einstelle,  als  dieses  bei  den  Dorf- 
bewohnerinnen der  Fall  sei,  wogegen  bei  letzteren  die  frühere 
Wölbung  des  Busens  vorkommt  in  Folge  ihrer  anstrengenden  körper- 
lichen Arbeiten  (Wunderbar). 

Die  Physiologie  nimmt  nach  den  bisherigen  Beobachtungen  im 
Allgemeinen  folgendes  an:  die  ersten  Menstruationen  stellen  sieh  in 
der  gemässigten  Zone  im  14. — 16.  Lebensjahr  ein;  als  mittlere  Zeit 
wird  l4'/3  Jahre  angegeben,  für  die  heisse  dagegen  13,  für  die 
kalte  IS^i'o  Jahre.  Ueppige  Lebensweise  beschleunigt,  karge  Nah- 
rung und  harte  Arbeit  verzögert  den  Eintritt;  ausserdem  hat  die 
Rasse  Einfluss  {Hermann),  aber,  wie  wir  gesehen  haben,  auch  die 
Lebensstellung  und  die  Beschäftigtmg.  Es  sind  also  sehr  ver- 
schiedenartige Factoren  ftir  den  Zeit])unkt  des  Menstruations-Ein» 
tritts  maassgebend. 

Nach  diesen  Erörterungen  wollen  wir  die  Erde  durchwundern, 


im  die  Zeit  des  ersten  Eintretens   der    Menstruation  bei   den   ver- 
Bchiedenen  Nationen  kennen  zu  lernen. 

Gs  ist  nicht  leicht,  bei  fremden,  insbesondere  uncirilisirten  YSlkem  in 
Jdieäer    Angelegenheit   sichere    Beobachtungen    zu    machen,    wie   namentlich 
\j''alk€nit4!in    bezeugt.      Bei  einigen,    z.  B.   den  Negervölkem  der  Loango- 
[Küste,  konnten  nach  Ausspruch  Pechiul-Lwsche's  vielleicht  gewisse  Ceremo- 
Isiea  einen  Anhalt  dort  gewÄhren,  wo  die  Mütter  das  Alter  ihrer  Kinder  auf 
[«inem  Kerbholz  markiren.  Solche  volksgebnluchliche  Ceremonien,  von  denen 
[-wirnoch  weiterhin  sprechen  werden,  werden  unter  Anderen  bei  den  Hindus 
lie  unterlassen  und  dort  signalisiren  die  Mütter  den  Zeitpunkt  genau.  Allein 
Igerade  bei  den  Hindus  liegt  der  Fall  vor,  dass  die  Aenste  ihrer  Vorfahren, 
[der  alten  Inder,  den  Menstruations-Eintritt   in  sehr  früher  Zeit  annehmen; 
Terlegt    ihn    auf   das    12.   Jiihr.   und  Anffira  schrieb :     „Die  Weiber 
[gurö  im   8.  .lahr,  rohine  im  9.  JkiUi-,  kangkaka  im  10.  Jahr  und  nach 
lern  10.  Jahr  mujaswala,  wo  die  Frau  ihre  Regel   hat."    —  Wenn   wir  dem 
Ixiach  die  Angaben  von  Reisenden,   welche   nur  auf  wenig   zuverlässige  Aaa- 
Isagen  der  Eingeborenen  sich  gründen,  mit  grosser  Reserve  aufnehmen,  kOnnen 
[wir  nur  diejenigen  Mittheilungen  als  authentische  Beobachtungen  betrachten, 
raie  sich    auf  eine  genaue  Zählung   einer  bestiiumten  Menge  von  Fällen  und 
fftuf  eine  proportionale  Beiechnung  stützen.  Trotzdem  dürfen  wir  in  Ermange- 
lung exacter  Untersuchungen  das  vorliegende,  durch  Abschritzung  gewonnene 
Material  nicht  ganz  unbeachtet  lassen.     Denn  wir  sind    auf  ein  nicht  vOllig 
tweifelfreiee    Material    bezüglich      einer    grossen    Reihe     von    Völkern     be- 
[^«chränkt,      welche    vor    Allem    bei    der    Frage     über    die     klimatischen 
Einflüsse    zur   Berücksichtigung    gelangen    müssen;     dabei    ist    stets    aas 
Vorsicht  hinter  jeder  Zahlen-Angabe  ein  Fragezeichen  zu  denken,  wenn  wir 
in  Ermangelung  sicheren  Materials  den  Mittheilungen  der  Reisenden  in  Fol- 
gendem Beachtung  schenken. 

Schon  bei   den  in  der  hoissen  Zone  wohnenden  Negervölkern  treten 
IS   .Angaben  entgegen,    welche   keineswegs    die   Annahme    eines  besonders 
en    Eintretens    der    Menses    in    wannem   Klima  bestätigen;     mindestens 
die   folgenden    Daten     wenig    Uebereinstimniuug    wahrnehmen.      Di3 
(gerin  wird  im  Allgemeinen  nach  JRo6«t<om  nicht  sehr  früh.  d.  h.  zwischen 
13.  und  17.  Jdhre,  durschnittlich   mit  dein  15.  .Tahre  meustruirt,    doch 
Kommen  mich  ihm  auch  Fälle  mit  dein  11.  Jahro  vor.     Bei  den  Wo  Joffe  n- 
IJUlchun   am    Senegal    glaubt   de  liochthrune    die  Reife    zwischen  dem  11. 
'^nnd  12.  Jahre  annehmen  zu  dUH'en.    In  der  Bai  von   Biaffra  fand  Daniell 
dna  11. — 12.  Jahr,    bei    Negerinneu   in   Aegypten    Pruner  den  Zeitraum 

Ivom  10. — 13.  Jahr,  liiijler  daselbst  vom  9. — 10.  Jahr;  die  Mädchen  sollen  zu 
Mensa  nach  Brthvi  im  13.,  zu  Bngos  nach  MuHzin<jer  erst  im  16.,  die 
pxuaheli-Mädcben  in  Zanzibar  gewöhnlich  im  12.  oder  13.  Jahre  reif 
«rerden.  Die  Mädchen  der  Beräbra  (Hamiten)  entwickeln  sich  nach 
Startmann  nicht  so  früh  wie  die  ägyptischen;  sie  gewinnen  ihre  Blüthe- 
»cit  Zwilchen  l.'j  und  19  Jahren,  die  Somali- Mädchen  nach  Ihufgemadusr 
•nt  im  16.  Jahre. 

Aus  diesen,  offenbar  nur  durch  Abschätzung  gewonnenen  Angaben  er- 

nhcn  wir,  wie  mannigfach  und  von  einander  abweichend  unter  den  Völkern 

pfilV,  -    die   Verhältnisse    angenommen    werden.     Der   Zukunft   bleibt   die 

)  Hang  vorbehalten;  und  FaikensUxn^  sogt  gewiss  mit  Recht:   „Ich 

Uli  iKiii  weit  entfernt  davon,  zu  negiren,  dass  unter  den  Tropen  der  Eintritt 

>ft  hei  12  Jahren  und  auch  früher  beobachtet  wird,  ich  muss  aber  anführen. 


X.  Die  Keife  dea  Weibes  (die  Pubert 


daas  mir  in  mindeeiens  eben  so  viel  Fällen  die  Mlldcbeo  (der  Neger  an  der 
Loango  -Küate)  ein  Alter  von  14 — 15  Jabren  za  haben  scheinen.  Ich  gl&abe 
also,  daas  die  Grenzen  für  daa  Auflr^ten  bei  den  verschiedensten  Völkern 
näher  liegen,  als  man  annimmt,  und  möchte  davor  warnen,  das  Alter  nach 
dieser  Erscheinung  in  Einklang  mit  den  bisherigen  Annahmen  sch&txen  lu 
wollen,  ohne  zugleich  die  ganze  KörperbeschaÖ'enheit  des  Individuums  mit 
in  Betracht  zu  ziehen." 

Diese  Meinung  stimmt  im  Allgemeinen  mit  einem  Auaeprucbe  ^adi- 
tigaVs  überein.  Denn  dass  in  Fezzan  die  Pubertät  so  aussergewöhnlich 
firfih  einträte,  wie  manche  Reisende  berichten,  konnte  NctdUigal,  der  dort 
bekanntlich  als  Arzt  prakticirte,  nicht  bestätigen.  Er  sah  ebenso  viele 
Mädchen,  die  mit  15  Jahren  nicht  menstmirt  waren,  als  solche,  die  das  Zei- 
chen der  Reiie  mit  12  Jahren  darboten. 

Aujs  den  heissen  Districten  Südamerikas  wird  angegeben,  dass  bei 
den  Indianerinnen  in  Nicderl&ndisch-Guyana  (Surinam)  die  Menses 
im  12.  Jahre  und  darunter  (nach  SUdmann),  bei  den  Campas  oder  Antia 
am  Amazonenatrom  im  12.  Jahre  (nach  GrixndidUr),  bei  den  Pampas- 
Indianerinnen  im  10. — 12.  Jahre  (nach  ManUgazsa),  bei  den  Indiao«- 
rinneo  in  Chile  im  11.  oder  12.  Jahre  (nach  KoUiti)  eintreten.  Bei  den 
Indianerinnen  in  Peru  sind  die  Menses  sehr  schwach,  und  sie  stellen  sich, 
wie  behauptet  wird,  bei  ihnen  viel  später  ein,  als  bei  den  Übrigen  Rassen, 
gewöhnlich  erst  im  14.  Jahre,  wenigstens  bei  den  Gebirgsindianerinnen, 
während  sie  bei  deiv  weissen  Creolinnen  oft  schon  im  9.  Jahre  erscheinen 
sollen;  auch  hören  sie  bei  den  Indianerinnen  Perus  im  40.  Jahre  wieder 
auf,  oft  noch  viel  früher.  (Maifcr-AJirens.y  Die  Pajagua- Mädchen  in 
Paraguay  menstruircn  nach  Renggtr  schon  im  11.  Jahre. 

Die  in  gemitsigteren  Klimaten  Nordamerikas  wohnenden  Indi- 
anervölker zeigen  auffallende  Verschiedenheit;  nach  Ru^ch  menstmiren  ihre 
Frauen  im  Allgemeinen  selten  vor  dem  18.  oder  20.  Jahre,  und  sie  sollen 
schon,  ehe  sie  40  Jahre  alt  sind,  die  Menses  verlieren.  Dagegen  treten  bei  i 
ihnen  nach  Edtrin  James  schon  gegen  das  12.  oder  13.  Jahr  die  Menses  ein, 
doch  fügt  Jame«  bei,  dass  die  Angaben  der  Indianerinnen  über  ihr  eigenes 
Alter  sehr  zweifelhaft  sind.  Nach  Keating  beginnt  die  Menstruation  der 
Potowatomi  am  Michigan- See  gewöhnlich  im  14.  Jahre  und  dauert  bis 
zum  50.,  ja  60.  Jahr;  dies  erfuhr  Keating  von  einem  Häuptlinge  des  Stammen. 
Bei  anderen  Indianerstämmen,  den  Dacotas  und  den  Sioux.  er- 
scheint nach  demselben  Autor  die  Menstruation  selten  vor  dem  15.  uder  16. 
Jahre;  er  erklllrt  diesen  Unterschied  durch  das  rauhere  Klima,  in  welchem 
diese  Stämme  wohnen,  und  durch  ihre  grösseren  Entbehnmgen.  Nach  Dough- 
erty  meustruiren  die  jungen  0  m  a  h  a  -  Mädchen  und  erhalten  die  Fähigkeit, 
Kinder  zu  zeugen,  mit  dem  12.  oder  13.  Jahre.  Bei  82  Indianerinnen 
trat  nach  liobertcm  die  erste  Menstruation  ein: 

im    8.  Lebensy.  bei     1  Ind.         im  13.  Lebensj.  bei  9  Ind. 
9-         ■•  ,.      5    ,.  „  14.         „  „    8     „ 

10 9    „  „  15 7     „ 

„  16.  und  höheren  Lebens- 
jahren bei  keiner. 

In  den  nördlichen  kalten  Gegenden  Amerikas  ist  ein  späterer  Men- 
struations -Eintritt  bemerkbar.  In  Alaska  tritt  bei  den  Indiani^rinneD 
die  Pubertät  zwischen  dem  14.  und  17.  Jahre  ein,  and  auch  die  Eskimo- 
Weiber  menstruiren   nach   Roberton  nicht  vor  dem  14.  Jahre.     Diese  Naob- 


2äL  Der  Eäaäa  der  MeBSCrBasäoa.  231 


nebt  timmmit  mm  ämem  Bwifttf  det  Xisäoair  Lm^ihriy.  w^titec  ia 
Labrmdor  fxtäStk.  est  ZI  FSZk-  rmrarhr-  bä  »  öcth^hk.  c<e  -v«kbe&  4»^ 
Ma«W>r«  14  Jahn  oier  j^ager  'vm  katte  d—ifiTbe  »»ü:  äekx  lae^fträn : 
T<m  des  ffaacea  1<  vuem  die  etstes  Measa  en«lä«i>e9  be£  je  4  in  AJter 
TOtt  14  s»d  13  Jaktva.  be£  je  S  in  Aher  t»b  16  sad  17  J^^iea.  bä  3  x»A 
loTWiMliti  III  S>.  Jaifaze.  Dmc  aist^a«  Aixer  bcoict  alfo  cr«a  1$  J«kre.  JCv 
Dimwmid.  vticiier  däe  S«rdpvl-£xpeärtäD>&  xater  /ofai  JBo»  al»  Asa  be- 
gleitete, tbeüt  Bit.  da»  die  Mouei  bd  den  E  f  kimos  oft  ent  mix  23  JaiucB 
eiatreten  vzwi  aacb  dusa  äe^  ssr  Sporea  d&roa  Tibnnd  der  "  iiiiiii  ■<!■■!< 
xeigea.*)  Tca  luv  Gr&aliaderiaaea  bekuDea  S?  die  ense  üeaitnatäcka 
zwiadken  13-^17  Jatrea.  »  tot  aad  7  aacii  die»eai  Alter,     ''mm  flinva./ 

Ba  des  aactraliscbea  Sekvarzea  aza  Fiake-Creek  tritt  die 
MenatraatäoaailiJgkeLt  scvCkaBeL  vobl  »ciioa  mit  dem  ?_  spiteateat  im 
12.  LebeariakTe    aaeä  IGwoair  Kemgie:  «a. 

la  Keabollaad  -verdea  zadi  Macfrtfvr  die  MSdcbea  mix  den  lü. — 1^ 
Jalne  ouaabaz,  ia  Seacaledoaiea  cacb  Bona-parri  im  12.  Jalne.  aaet 
Fmaoa  im  1±— U.  JaLre  sad  sfilez.  aad:  rietar  de  Bodmt  ia  12.— IS. 
Jalne;  aof  dea  Fidf clii-IaaeiB  aaeii  WiJket  erst  mit  dem  14.  Jalae.  Die 
Maori-MSddea  asf  Keaieeland  meaftmiTea  aaeb  JBrmm  «cboa  in  12. 
Jahi«,  aacb  Themmm  jedocb  erst  im  13. — 1$.  Jakie.  Amf  den  Samoa-Iaida 
stellt  lid  bei  des  veibliciiea  EingeboreaeB  die  Meutraation  im  1±— IS.  Jabie. 
adteaer  Kboa  im  10.  Jahn  ein.  Dafor  irerdea  de  edwa  im  30.  Jalne  ah 
and  hitT^Tf*-  ^Grmefcj  Nach  der  Sebltzuag  der  Eatvickelaxign-eildltais!« 
fiberbanpt  tritt  beiden  Xegritoi  der  Philippinea  die  Pabertit  nage&hr 
mit  den  10.  Jahre  eä.     ^^efcadeafctry.y 

Die  llAidelfeia  asf  der  laeel  Täte  i^eae  Hebrideni.  die  freilich  znmeüt 
ihr  eigeiM»  Alter  nicht  keaa«.  menftnnmi  nach  der  Schitznnsr  des  Miasäcy- 
nlr  JfaedoMoU  nnsrefihr  im  13.  Jahre. 

Anf  den  In»ebi  d»  o^tindi>ehen  Archipel«  «ind  die  me:«tea  Fiaaea 
nach  £fp  *ehon  im  14.  Jahre  meactnirt;  doch  coD  man  aoch  einige  treffen, 
bei  denen  die  ntonaXlicbe  Beiaignn^  eT«t  im  16. — 1?.  Jahie  eintritt.  Anf 
dem  Aara-Archipel  f?iiederlindifch  -  Oftindien)  treten  die  Mease» 
aber  gev5hnlich  rot  d«m  10.  Jahre  ein.  Bitdel*)  Aaf  den  .\mboa- 
oad  riia*e-Ia*rfn.  eben»  anf  den  Tanembar-  und  Timorlao- 
Inaeln.  aovie  in  dem  Barbar- Archipr-!  i»t  nach  Biedei^  die  Zeit  zwijcheB 
dem  9.  und  11-  Jafa*  der  gewöhnliche  Termin  flir  den  Eintritt  der 
ersten  Begel.  vJthrend  man  hä  den  T&cktem  des  Seraaglao-  und 
Gorong- Archipels  da«  9.  Jahr  als  da»  aHsemetn  gältige  annehmen  mo». 
Aof  den  Watabela-JaMrla  Mrhvankt  der  Zeitpunkt  zwischen  dem  9.  und  12. 
Jahre  and  aof  der  Lnaag-  and  Sermata-Gmppe  zwischen  dem  10.  and 
12.  Jahre. 

Ueber  die  Andamanesinnea  erfahren  wir  von  Mam.  dass  sie  nicht 
vor  dem  15.  Jahre  ihre  erst*  Eegel  bekommen  and  dass  sie  nicht  tot  16 
Jahren  and  nicht  nehr  nach  3o  Jahren  Kinder  gebären.  Das  Maximom  ihrer 
GrOsae  and  K<&rperaas<iehnong  erreichen  »ie  erst  zwei  bis  drei  Jahre  nach 
dem  Eintritt  ihrer  enten  Menstraation. 

*ß  Krvty^r  bemerkt,  da*«  ktineewegf  6xi  Frfihjahr  es  ist.  ia  welchem  die 
weissen  Fr»o*a  ihre  ersten  Men»««  bekomfuen.  und  ebenso  wenig  der  Sommer, 
sondern  vielmehr  der  Herb»t.  indem  weit  mehr  als  die  HJOfte  der  von  ilua 
befragten  Franea  zuerst  im   September.   October  oder  NoTcnber  meastnürt 


2ä2 


(aiePBl 


PWbcrtit  ndü  Mk  ätiiU:  la  PAlistia»  mk  FaMv  ia  ISw  nÜMmr  in 
IX.  Jtkx.  ackTflellai  aocii  Mk«:  a  Ssttba  mmA  Biflir  m  II.— 12.  Jftkrc; 
^dcr  TArkei  «»di  Oppodhoa  »chaB  ia  lOiJaltte.  i»  Per« ica  ■»cli  Ckmriim 
i9.«Bdl0.1ifci«:  aüeiBaadikicrpcM  w  r«tUMVifiile  m  «mem 
iMigmiiiMilMBf  ^r  Ta'^itTifr — '-"'  *^** 
Baiäl  <&  MiBiliwIfy  gtgem  4m  13w  ia  Sidp«r»ieB  lilag^gmi  aelMB 
■  4m  9.  oder  llL  Jakr  ob;  aacii  aadi  AagmW  Biaäudi»'»  mfea  ib 
,S9rdper«ieB.  kBifMhAfick  ia  der  caspicekea  CiaipiatiBi   Gilaa.  UoU 

«  ««r  diM  li.  lilwÜMfcre.   Aaek  kmt  aack  Aasab«  de» 
iBTri«B   CmK   diwribe   Pakotiialts    wie   Irlaad.     ia   Algier   Olli 
pBbesUlaaeit   ^r   Armkeria   (^«  ert  aaMe*)    Mck  Bu^krmmd   aaf 
Altar  ««•  9—10  Jakrea. 

Ja  AficB   kubes  wir  ftr  dieai  S«aa  oakcasadB«  Arabiea.    ladien 
and  Siaa   m  koäekakktigca.    Die  Araberia  kepaat  aock  JBrtafcr  in 

r  faa  lOlaiaea  «a  ■lailiaiiB.    la  Hiado«tBa  (Calcatia) 

m  kaa  Ucr  fie  X^naU  aaf  da«  danksdnatUwibe  AUcr  w  19  X 

4  Ibaatca.  Xack  cwa  Beiiekte.  dca  Jhliirf  ii  aas  Beafalore. 
ätL  M jsorc.  10  Gnd  tftiBirkw  wie  Calcatta,  arkklk.  tr^Ooi  dort  dia 
n  fciikiikaiHTiifc  adt  tS  Jakm  2  Moastea  da.    la  Dakkaa,  Diaftriel 

,Baakaj.  fcadea  Xgift  aad  ledtu  aaterUwiaUa^  na  3W  fM—  ISJakra 

5  Miaalt  ftk  idtttetca  AUec    C■■dw^  rtafciaer  der  Eatbcadaagakuade 
ia  Caleatta.  inaütilte  aaf  Graad  fca  g>  BaakackiangM  das  darehaeknilt- 

ificke  Alter  Ar  dos  Mieihniiiai-gjatritt  k«  ciaipfcHvaca  IVaaea  auf 
'  IS  J.  6  XsB.:  ikafick  Otmml  av  aar  37  nOca  t^  dea  IKrtiict  BrageUn 
iaar  ISJ.  3»4ll«a.  ga<k  laaiegi  dMlNifiiiyi  dtr  Aaatoarie  «a  Calcotta. 
WM,  ttitt  kd  dea  Biada-MldrkM  die  Miailiaatina  Mltea  vor  dsa 
lIS.  likM  da;  aater  127  Hiada-llidckeB  ««i«a  aar  <  tiVbtr  acBstraizi; 

•ft  «n*  ia  16.— 1&  Jakse.    Walk  aMtoi.  da« 

[Viiklllaiaif  kd  dea  Hiadn-WdbMa  Ufa  ilfcca  aeiga,  wi« 

[kd  dea  Earepleriaaea.  daes  de  ««dar  darek  die  NatMaaBük  nodi  dmdl 

Oitiadiea  aker aeigt  ia diaecr Beeickaag graeae 
raliiakifdr  Bd  27^  Pfeoceai  tsalea  die  Mernttt  mmA  Bliieitia*»  Berichten 
ia  Bcagalea  ia  12.,  ia  Dekkaa  aad  M jsare  bd  SM  PioowU  im  IS. 
f  Jakre  cia.  Hi«r  koaai  ■liiiragi  dia  giaMS  Vctsckiedeakeit  d«  Lel>ei»- 
ia  dea  geMaatoa  Dieldetaa  ia  Bekmdbl:  daek  adal  Kritftr,  dam 
aeaäger  roa  FiataM  ist»  ak  die  ««nrkiedeae  Bdka  tker  da«  Utianä 
bfaeiiknalm  Oclt«:  «s  kaaa  aiekt  ■■MiiBrii.  daa  die  Be- 
Dekkaa.  da  diaaa  «crcii  adftar  grOa- 


Blefatiea  dcawMk  i 

lekoaacB,    als   die 
die   Toa    Ca^l»^   ItHk, 
[Boakay   aa%awiai»nn    Iklai 
falkadea,    daa    bd    dea 
^ia   12.   wd    la.  JakM    daliitL 
11.    aad    19l«    li«g«.    Wl    Jlbad 
raekl;    k*«r    id    lU«    «nd» 

16  Jiäac9  S  Moaate:  an  kOckvlsa  slaadan  dsa  li. 
l«.  (nit  22,«)««)  ind  das  17  tnit  XL»*«)  JbIk 
RasMA    TOB    Coekiaektn  "«di 


t*t.  «ie  Caleatta,  die  crttaa  lt^ 
«r  Stadt.  SckBaaalick 
Wdk    ta    Caleatta 

k«    diaaea    10S5 

Hiada-m^rkia     «Br    Pak«rtli    aniaaiil 

In    Coekiackiaa.    dM   »wisdiea    den 

rt    WD    aaaaaUiccke    Vnmen  unter- 

««kr   s|^   ist    I»ttn.-h«rhnitt    aaf 

<,    da* 


iiti«  tili)  frdheHten  nienstruirt.  mit  16  Jahren    und  4  Monaten;    nächstdeni 

folgt    die    Chinesin     mit    16  Jahren  und  6  Monaten-,    dieser    schlieiist   sich 

lie  Miftchra^He  der   Minhhuong  an  mit  16  Jahren  und  9  Monaten,  und  aui 

p&teat«n  tritt  die  Regel  bei  den    Cambodjerinnen    auf,    nämlich   mit   16 

fahren  und  10  Monaten. 

In  Siam  tritt  nach    Campbell  das  junge  Mildcheu    nur   iluaaerat  selten 

rüher  als   im  12.  Jahr  und  ö.  Monat  in  das  PuVjertätsalter,  meist  erst  später 

^14. — 18,  Jahre,  so  daüs  im  Allgemeinen  die  Menstruation  hier  verhältnißs*- 

Hpttt  eintritt.     CampMl  seihst  beobachtete   keinen  Fall,    in  welchem 

\ä\  die   Menses  vor   12  Jahren  f)  Monaten    zeigten;    ron  80  Mädchen  men- 

itruirten  5  nach  zurückgelegtem  zwölften,    8  nach  dem  dreizehnten,    8  nach 

dam  Tierzehnten,  16  nach  dem  fünfzehnten,  2  nach  dein  sechzehnten.  1  nach 

dem    siebzehnten    Jahre.      Demnach   tritt  in   Siam   die   Menstruation  meist 

lach   zurückgelegtem  IB. — 16.  Jahre  ein.      Die  Mädchen  der  Singhaleeen 

[»of   Ceylon    nenBtruiren  nach   Schmarda  zuerst  zvrischen   dem  13.  und  14. 

Jahre. 

Auch  die  Weiber  der  ostasiatischen  gelben  Rasse,  der  Mongolen 
t'uviers  (Chinesen,  Mongolen  etc.),  sollen  nach  llureau  de  Villeneuce 
xiumlich  frühzeitig  meoatruiren;  er  s&gi,  da8s  das  Mittel  zwiHchen  dem  12. 
ond  13.  Jahre  zu  liegen  scheine.  Allein  die  Angaben  ditferiren  auch  hier; 
«Slfarend  Schener  das  PuberUitsalter  für  China  im  15. — 16.  Jahre  angiebt, 
tritt  nach  Aussage  des  französischeii  Arztes  Morache  bei  den  Chine- 
sinnen zu  Peking  die  Menstruation  im  13.  bis  14.  Jahre  ein. 

In    Japan    erfolgt    nach    dem    Bericht   eines    russischen    Arztes  der 

^Wenstruations-Eintritt  gewöhnlich  im   14.  Jahre,  zuweilen  schon  im  1.3.,  fflnf- 

tchnjährigo  Mütter  gehören  nicht  zu  den  Seltenheiten.     Auch   Wernich  gicbt 

^an,  da«i  in  Japan  die  Menses  im  14.  und  15.  Lebensjahre  eintreten.     Seltener, 

[.ala  sehr  früh  nienstruirte  Personen,  sind  später  menstmirte ;  doch  geh  Ort  ein 

{Anfang  der  Periode  vor    di?ni    12.  Lebensjahre  schon   zu    den   auffallenderen 

ÜTScheinungeu.    Die  Mädchen,  bei  welchen  die  Menstruation  sehr  lange  (bis 

in's  18-  Lebensjahr)     auf  ^\c\\    warten  lässt,    sind  gewöhnlich    nicht    krank, 

»m    eelt«n«ten    bleichsüchlig    in    unserem    Sinne,     sondern    sie    sind    in    der 

Dntwickelung  einfach  zurück  und  l)leiben  auch  gei.stig  Kinder.     Wernidt,  der 

nach  «einen  Beobachtungen  in  Yeddo  mittheilt,  berichtet  eine  Aeusserung 

Dolmetüchers  über  solche  Mädchen,    deren  Menstruations-Kintritt  sich 

eOgerte:  .Sie  bekümmern  sich  nicht  um  Haumadeln  und  künstliches  Auf- 

i|)iren    des    Haares,    sie    pudern    sich    nicht    den    Hals    und    legen    nicht 

len   Gürtel  des    erwachsenen   MlUlchenR   an,    .sondern   kleiden   und  geberden 

lieh  wie  Kinder,    spielen    mit  den  Knaben    auf    der    Strasse    u.  s.  w."     Ihre 

lörperlicho  und  geiistige  Entwickelung  hat  etwas  Abweichendes;    sie  bleiben 

tckig,    wählend  sonst  die  entwickelte   Japanerin    mit  der  ersten  Mcnstru- 

ilion    Hchr    starke   Formen    bekommt    und    besonders    an   den  Brüsten    und 

lüften  ausserordentlich  in  die  Breit«  geht. 

Au«  dem  Süden  Europas  hat  Ttiriziano  berichtet,  dasa  in  Corfu 
lau  14.  Jahr  als  das  mittlere  Alter  für  den  Beginn  der  Menstruation  zu  be- 
racht^ii  «ei;  dieses  Aller  erscheint  autf:illerid  spüt,  doch  musa  einerseit«  be- 
lerkt  w<irden,  das*  Tarieiatw  dieoen  .Ausspruch  nur  auf  ürund  von  38  Beob- 
L'htungitn  gethiin  hat,  und  dass  vielleicht  ein  Tbeil  der  letzteren  ^ich  au  f 
Jergbewohnerinnrn  bezogen  hat,  wie  Krieyer  hervorhobt.  Für  Spanien  und 
b»Hen  wird  das  Alter  von  12  Jahren  als  das  durchschnittliche  für  die  erste 
(tinstruation  bezeichnet  {Virty);  in  Minorka  tritt  sie  nach  CUghom 
ivutt  vor  dem  14.  Jnhre  und  oft  schon  im  11.  Jahre  ein.     In   Rom  werden 


234 


X.  Die  Reife  des  Weibes  (die  Pubertät). 


die  Mädchen  schon  von  Alters  her  mit  12  Jnhren  für  heiruihRfUiig  geha 
doch  schon  Zacchias,  der  dort  als  Arzt  prakticirte,  erklärte  nach  Tilt'S  An» 
gaben,  dass  kaum  der  zwölfte  Theil  der  römischen  M&dchen  mit  12  Jahres' 
schon  menstrairt  sei,  ja  viele  sogar  noch  nicht  mit  14  Jahren,  obgleich  « 
auch  solche  gekannt  hS.tte,  deren  Menses  schon  im  9.  Jahre  eingetreten  ge- 
wesen süien.  Derselben  Autorität  zufolge  hat  Boss,  der  lange  in  Madeira 
lebte,  aus  240  Fällen  da»  mittlere  Alter,  in  welchem  die  eingeborenen  Mftd- 
chen  dort  menstmiren,  auf  14  Jahre  und  8  Monate  berechnet,  Mrährend 
Dytfter  bei  den  meisten  der  von  ihm  gesammelten  228  Fälle,  nämlich  bei 
67,  den  ersten  Eintritt  erst  im  16.  Jahre  fand  und  als  Durcbschnittsalter 
15  Jahre  5',s  Monate  angiebt. 

üeber  die  Menstniationsvcrhältnissü  der  Frauen  in  St.  Petersburg 
haben  besonders  die  Arbeiten  HortciWn,  Lievert's,  Tnrrunrsky'Sf  Enko's,  Bod- 
tacittch's  und  Weber'f  wichtiges  Material  beigebracht.  Aus  seiner  Prirat- 
praxis  hat  Weber'<^  2375  Frauen  und  Mädchen  bezüglich  des  Auftretens  der 
ersten  Menstruation  untersucht,  wobei  er  fand,  das*  von  ihnen  10  =  0,4*',o 
mit  10  Jahren,  70  =  'Sß^jy  mit  1!  Jahren,  171  =  7.2%  mit  12  ,Tahren, 
415  =  n,b%  mit  13  Jahi-en,  556  =  23.4%  mit  14  Jahren,  453  =  19«,« 
mit  15  Jahren,  348  =  1^,6^^»  mit  16  .Jahren,  200  =  8,4%  mit  17  Jahren. 
77  =  3,l"u  rait  18  Jahren,  40  =  1,7%  mit  19  Jahren,  16  =  0,75%  mit 
20  Jahren,  8  =  0,37"ü  mit  21  Jahren,  5  =  0,2%  mit  22  Jahren,  2  =  0.07«« 
mit  24  .Tahreii  zum  ersten  Malt;  menstruirt  waren.  Dieses  Material  nmfosst 
allerding><  zum  Theil  Patientinnen,  so  dasa  wohl  anzunehmen  ist,  dass  bei 
nicht  Wenigen  auch  MeiiKtruations-Anomalien  vorliegen.  Dasselbe  umfasst 
aber  nicht  bloss  Städterinnen,  sondern  auch  Bäuerinnen  aus  der  Umgegend 
at.  Petersburg»,  und  Welker*  meint,  dnss  die  Zahlen  nicht  nur  für  die 
Frauen  St.  Petersburgs  maaesgebendsind,  sondern  auch  allgemeine  Bedeu- 
tung für  in  RuKsland  lebende  Frauen  haben;  denn  fast  die  Hälfte  aller 
Frauen  war  noch  nicht  lange  in  .St.  Petersburg  ansässig,  und  die  Ver- 
gleicbung  die.-^cr  letzteren  mit  den  ursprünglich  in  St.  Petersburg  An- 
■aigen  ergab  nur  geringe  Unterschiede. 

Somit  fiel  bei  den  von  Wefjtr^  beobachteten  Fällen  der  Menstruatious- 
eintritt  auf  14  ^  2  Jahre.  Dienes  Resultat  stimmt  nun  mit  den  Beobachtungen 
der  übrigen  Autoren  für  St.  Petersburg  Qberein;  so  hat  Kieter  die  Durch 
schnittsxahl  von  15,6  (nach  Berichtigung),  Hortritz  17,53  Jahre  nach  seiner 
Privatpraxis,  und  15,55  nach  den  Beobachtungen  bei  den  Besuchern  der 
Ambulanz  im  Marien-Gebärhause  (letztere  waren  zumeist  eingeborene  Städte- 
rinnen, jene  hingegen  zu  -j»  Doribewohnerinnen,  bei  welchen  die  Meuae« 
weit  später  eintreten  sollen).  lAecen  hat  für  die  mittlere  Zeit  des  Menses- 
Eintritts  daselbst  16,44  Jahre  festgesetzt  (Patientinnen  des  Hebammen  • 
instituts).  Tartioirski  hatte  bei  5000  Patientinnen  eines  Petersburger  GebSr- 
hauses  die  Mittelzahl  16,54  Jahre.  Enko  fand  in  der  Lehranstalt  de«| 
Alexander -Mädcheninstituts,  also  bei  wohlhabenden  Rcsidenzlerinuen,  a1»J 
Resultat  14,75  Jahre. 

Wir  vergleichen  diese  Thatsachen  mit  solchen  ans  anderen  nordisohtti 
idem.  In  Kopenhagen  fanden  Baven  und  J^ewi/  bei  3840  Fällen  <ÜM 
liitlere  Alter  zu  16  Jahren  9  Monaten  12  Tagen,  in  Christiania  Erugd 
bei  157  Fällen  13  Tage  mehr;  Vofft  bei  1821  Norwegerinnen  16,12  Jalire; 
in  Stockholm  Fat/f  bei  548  Fällen  16,6  Jahre,  derselbe  in  Skien  bei  | 
100  Fällen  15  Jahre  5  Monate  14  Tage.  Wrethotm  gab  für  das  schwedische] 
Lappland  18  Jabru.  Vo/ztiiirdic  tjnänen  in  Finnland  15,2  Jahre,  Brr^  iQr  , 
die  FaTßer-Inseln  bei  122  Fällen  16,13  Jahre.  Hetnrieiua  fOr  Finnland  b«j 


35.  Der  Eintritt  der 


235 


Fällen  (der  geburtsh.  Klinik  zu  Helsingfors)  15  Jahre9  Monute25Tai|re 
■n.  Zahlreiche  Berichte,  die  sich  auf  gleich  groHse  Zahlen  von  Fällen 
Bttttzen,  liegen  aas  Groesbritannien  vor.  Allein  es  ist  keinesweg.-« 
Fthunlich,  filr  das  ganze  Land  ein  mittleres  Alter  des  Pubertät^- Eintritts 
berechnen  zn  wollen.  In  London  fand  Guy  bei  1498  Fällen  die  Mehrzahl 
im  IS.  (17,80;o),  im  16.  (19,4%)  und  im  17.  {U.6",o)  Jahro  zum  ersten  Mal 
menatrairt;    Krieger   berechnet    hieraus    da*    mittlere    Alter    zu    15    Jahren 

tl  Monat  4  Tagen.     Tilt  berechnete  daselbst  aus  1551  Fällen  Aatf  Alt«r  von 
15.06  Jahren.     Wir   übergehen    die  Angaben    von    Lee    und   Murphy    sowie 
We$t,  ond  führen  nur  noch  die  von  Walter  Bigden  aus  2696  Fällen  zu  Lon- 
don  berechnete    Zahl  von    durchschnittlich     14,96    Jahren    an.      Für    Man- 
chester  liegen  die  Zählungen   von  Whitehearl  vor,    der  in  4000  Fällen  als 
kCittel  15  Jahre  6  Monate  23  Tage   berechnete,    während   Roherton   sich  ftSr 
Manche.4ter    auf  zu   kleine  Zahlen    beschrankte    und    bei    seinen   weiteren 
t Angaben  über  die    Engländerinnen   uiiterliess,    anzufiUiren,    aus    welchen 
(Gegenden  sie  stammten, 
üeber  Frankreich  hat  ßrierre  tie  Boismant  eine  der  ersten  Arbeiten 
geliefert;  er  fand  unter  1111  Fällen  einen,  wo  die  Regeln  im  6.,  einen  zweiten, 
vo  sie  im  8.  Jahre  begannen,  im  10.  Jahre  schon  10,  im  11.  29,  im  12.  98, 
die  grösste  Zahl:  190  oder  17,l"'o.  menstruirte  aber  erst  im  16.  Jahre,  und 
auch   im    18.  sind    immer  noch  127  verzeichnet.     Als    das    durchscbuittUche 
Alter  lassen  sich  hieraus  für  Paris  nach  dem  Verfasser  14  Jahre  6  Monate 
4  Tage  berechnen.     Aran  giebt  dagegen  15  Jahre  4  Monate  und  8  Tage  als 
^niittleros  Menstruationsalter  für   Paris   an.    Man   ersieht  hieraus   so  recht, 
[was   für    falsche   Bilder   die  Berechnungen  eines   sogenannten  durchschnitt- 
[  liehen  Altera  zu  geben  im  Stande  sind. 

Wenn  für  Lyon  Petrequin  aus  432  Fällen  das  durchschnittliche  .\lter 
kaf  15  Jahre  6  Monate  berechnete,  so  macht  schon  Krieger  darauf  aufmerksam, 
hier  wohl  ein  Reohnungsfehler  zu  Grunde  liegt,  da  andere  Beobachtet' 
abweichende  Resultate  hatten;  denn  Boiichaeourt  giebt  den  Menstrua- 
lionsanfang  für  Lyon  auf  14  Jahre  ö  Monate  29  Tage,  für  Marseille  und 
Toulon  auf  13  Jahre  10  Monate,  und  J/arc  cCKspine  für  Paris  auf  14  Jahro 
11  Monate  20  Tage,  für  Toulon  auf  14  Jahre  4  Monate  29  Tage,  für  Mar- 
•  eille  auf  13  Jahre  11  Monate  11  Tage  an.  Dienen  Beobachtern  standen 
jedoch  viel  zu  kleine  Zahlen  zu  Gebote,  um  aus  ihnen  statistisch  sichere 
R««ull&te  zu  gewinnen;  Bouchacourt  nämlich  benutzte  nur  160,  MarctCKspine 
für  Toulon  43,  für  Marseille  sogar  nur  24  Fälle. 

Der   österreichisch-ungarische    Staat   wird  von  so  verschieden- 

irtigen  VolkssUlmmen  bewohnt,  dnsa  die  int^reäsante  .\rbeit  von  Ssukits,  den 

lenatruatious  Eintritt   für  jeden  Theil   dieses  Landes  zu  berechnen,    höchst 

)anken«wcrth  ist.     Seine  Untersuchungen  umfassen  2275  Fälle,  und  er  dehnte 

eine  Untersuchungen  auch   auf  eine  Vorgleichung  der  Verhältnisse  in  Stadt 

id    Land    aas.     Die  jUng.><ten  zwei   Individuen  waren    beim  Meustruatioue- 

Ktntritt  10.  die   ältesten   25  Jahre  alt.     In  den  einzelnen  Provinzen  war  dax 

Üter  des  Mentstruations-Eintritts  in 

'ngarn  :ius  118  Fallen  im  Mittel  l.'t  J 

Eichlesien  ..63      16  „ 

Böhmen ..430      16   ,.     ! 

Ober-  und  Niederös terrL-ich     ,.     603 16   ., 

M&hren  ..     273  16    .,     ', 


15  T. 


23 


Ifl  Bayei 


66 


16   „  10 


iHummtstaat  0«>ttrreich 


15  Jahre  71/1 M. 


236 


X.  Die  Reife  des  Weibes  faie 


Unter  665  in  Wien  geborenen  Fr&uen  fand  Szukits  die  Zahl  der  noch 
dem  16.  Jahr  Menstruirten  (303)  viel  grösser  als  die  der  vor  dieser  Zeit 
Menstruirten  (152);  bei  den  1610  Frauen  vom  Lande  war  dieses  Missver- 
hältniäs  noch  grOsser,  indem  S88  nach  und  nur  304  vor  dem  16.  Jahre 
menstruirt  waren. 

Aus  Italien  besitzen  wir  eine  Liste,  welche  ihren  Werth  durch  Tren- 
nung des  Lande»  in  einen  nördlichen,  luittlereit  und  südlichen  Theil  hat 
und  sich  auf  2652  Fälle  erstreckt.  Im  nördlichen  und  mittleren  Italien 
lallt  die  Mehrzahl  der  Fälle  auf  das  14.  .Tahr  i20,10  and  19,50«ü),  im  Bild- 
lichen hingegen  auf  das  13.  Jahr  (16,75"o),  doch  fallen  auch  im  Bildlichen 
Italien  vertältnissuiässig  noch  hohe  Procentzahlen  auf  >lie  späteren  Lebens- 
jahre, so  dass  selbst  noch  vom  15.— 20.  Jahre  sehr  viele  Madchen  zum  ersten 
Male  menstruiren.  Bis  zum  16.  Jahre  ist  im  mittleren  Theile  des  Landes 
eine  weit  grössere  Zahl  von  Mädchen  reif,  als  im  südlichen. 

Wenden  wir  unsere  Blicke  auf  Deutschland,  so  finden  wir,  dasa  auu 
mehreren  Städten  des  Reichs  zahleiigemilsse  Erhebungen  vorliegen.  Die 
umfassendsten  L'ntcruuchungen  stellten  Krieger  und  Louis  Mayer  in  Berlin 
an,  indem  dieser  6000,  jener  5500  Fälle  benutzte.  Aus  ihrer  Tabelle  ist  er- 
sichtlich, dass  der  Beginn  der  Menstruation  am  häufigsten  im  15.  Jahre  er- 
folgte (10.931"  u  der  Fälle),  diesem  steht  das  14.  Jahr  am  nächsten  (18,213%); 
bei  den  übrigen  sind  die  späteren  Leben.-tjiihre  weit  reichlicher  vertreten,  als 
die  früheren.  Während  ein  grosser  Theil  der  hier  zur  Untersuchung  her- 
beigezogenen Fälle  der  Privatpraxis  entstammt,  viele  derselben  aber  einer 
erst  mich  Berlin  verzogenen  Reihe  von  Individuen  anzugehören  scheinen, 
worden  von  Marcuse  3030  Falb  der  g^-nrikologiscben  Klinik  in  Berlin  >a 
einer  statistischen  Unterstichung  benutzt,  die  sich  demnach  auf  die  niederen 
Stände  beschränkte;  hier  fand  der  durchschnittliche  Eintritt  der  Menses  im 
_16,18.  Leben>ijahr  statt. 

Ueber  den  Eintritt  der  Menses  bei  der  Münchener  Bevölkerung,  »o 
bit  solche  durch  die  in  der  Gebäranstalt  und  geburtshüflichen  Poliklinik 
Überhaupt  repriisentirten  Bevölkerungsschichten  vertreten  werden  kann,  hat 
Hecker  an  3114  Füllen  Untersuchungen  angestellt.  Hier  sind  das  16. 
(16,92U/,j),  17.  (16,44";o)  "id  18.  (15,61%)  Jahr  in  absteigender  Folge  die 
häufigsten  Termine  für  den  Eintritt  der  Menstruation,  dann  folgt  da«  15. 
(15,320/o).  19,  (10,37'J,o),  14.  (8,89%),  20.  (7,51  "o)  Jahr  u.  s.  w.  In  den  drei 
genannten  Jahren  menstruirten  zum  ersten  Male  im  Ganzen  48,97 *'ü,  vor 
dieser  Zeit  29,37"  oi  nach  derselbon  21,62'>;o.  Hecker  hat  aber  auch  die 
Stadt-  und  Land -Bevölkerung  besonders  untersucht,  indem  er  die  Fälle 
aus  der  Stadt  allein  zusamnienzälilte,  während  die  übrigen  Fälle  zumeist 
aus  Oberbayern  stammen.  Er  gelangte  zu  dem  Resultate:  .Müu  chen  ver- 
hält sich  bezüglich  des  Menstruations-Eintritts  ziemlich  eben  so,  wie  Ober- 
bnyern;  hier  wie  dort  tritt  die  erste  Menstruation  durchschnittlich  ziemlich 
spät  ein."  Später  hat  Schlichting  die  Sache  an  S881  Fällen  der  MOuchener 
Üinik  und  Poliklinik  weiter  verfolgt  und  ebenfalls  das  16.  Jahr  aU  da« 
höchstbelnstete  (mit  lS,534^*o)  gefunden;  auch  er  findet  ziemliche  Ueberein* 
■timmung  zwischen  Stadt  und  Land;  die  Mehrbelastung  des  16.  Jahre«  boi 
den  Städterinnen  erklärt  er  daraus,  das«  die  die  Gebäranstalt  besuchenden 
Städterinnen  mehr  der  niederen  Klasse  angehören,  während  die  Auswärtigen 
£um  Theil  auch  aus  den  besitzenden,  zum  anderen  Theile  aus  den  ärmerän 
Ständen  stammexi. 

Vergleicht  man  nun  München  mit  Berlin,  so  findet  man  frappant« 
Unterschiede  zu  Gunsten  der  Berlinerinnen:    In  Berlin  ist  dtu  14.  Stht 


86.  Die  Frühreife.  237 

mit  I8O/0  und  das  15.  ungef&hr  mit  190/o  vertreten,  während  die  höchsten 
Procente  in  München  das  151  mit  17V2%  und  das  16.  mit  18',4<'/o  giebt. 
ScMichting  macht  darauf  aufmerknam,  dass  Berlin  ungefähr  4V2^  nördlicher 
liegt,  als  München,  dafür  aber  fast  um  500  Meter  niedriger.  Diese  500 
Meter  scheinen  nicht  nur  die  4'/2®  Unterschied  zu  compensiren,  sondern 
lassen  sogar  die  Jungfrauen  Berlins  um  ein  volles  Jahr  früher  ihre  Menses 
zeitigen,  als  die  Münchnerinnen.  Er  schliesst  mit  den  Worten:  »Aus 
dem  Ganzen  möchte  hervorgehen,  dass  die  klimatischen  Einflüsse  auf  den 
Eintritt  der  ersten  Menstruation  sehr  bestimmend  wirken."  Allein  wir  fragen, 
ob  nicht  auch  die  differente  Lebensweise  mit    in  Anschlag   zu  bringen  ist? 

Es  scheint,  dass  in  Bayern  auf  dem  Lande  der  Menstruationseintritt 
überhaupt  ziemlich  spät  fällt,  denn  2^/%e2  berechnete  im  Frankenwalde 
die  mittlere  Zeit  des  normalen  Eintritts  auf  17  Jahre  und  5 1,2  Monat. 

In  Strassburg  traf  bei  600  in  der  Maternit^  aufgenommenen  Frauen 
nach  Stolz's  Beobachtung  die  grösste  Zahl  auf  das  Alter  von  14 — 18  Jahren, 
das  Maximum  auf  das  18.  Jahr.  In  einer  Strassburger  Tabaksfabrik  er- 
mittelte Levy  bei  649  Frauen  als  mittleres  Alter  der  Arbeiterinnen  15  Jahre 
(20%);  dann  kam  das  14.  (19,630,o)  und  das  16.  Jahr  (19,17";o);  im  Alter 
von  18  Jahren  traten  die  Menses  bei  I0,780'o  ein. 


36.  Die  Frühreife. 


Wir  können  diese  Besprechungen  über  den  Zeitpunkt,  zu 
welchem  bei  dem  heranvrachsenden  Mädchen  die  Menstruation  zum 
ersten  Male  eintritt,  nicht  verlassen,  ohne  gewisser  Zustände  zu 
gedenken,  die  allerdings  sehr  selten  sind  und  auch  als  im  Allge- 
meinen pathologisch  bezeichnet  werden  müssen,  welche  aber  doch 
noch  einer  eingehenderen  Untersuchung  harren.  Man  hat  diese 
Dinge  unter  dem  gemeinsamen  Namen  der  Frühreife  zusammen- 
gefasst.  Wir  werden  aber  gleich  sehen,  dass  hiermit  sehr  ver- 
schiedenartige Processe  bezeichnet  worden  sind.  Unter  Frühreife 
im  physischen  Sinne  und  bei  dem  uns  hier  ja  nur  allein  interessi- 
renden  weiblichen  Greschlechte  versteht  man  das  Eintreten  der 
Menstruation  und  die  Entwickelung  der  Brüste  nebst  dem  Hervor- 
sprossen der  Scham-  und  Achselbehaarung  in  einem  Lebensalter, 
welches  erheblich  vor  demjenigen  liegt,  in  welchem  unter  normalen 
Verhältnissen  allerfrühestens  zum  ersten  Male  diese  Dinge  sich  zu 
zeigen  pflegen.  Man  hat  das  Ausfliessen  von  Blut  aus  der  Vagina 
bei  noch  ausserordentlich  jungen  Mädchen,  selbst  noch  vor  dem 
Ablaufe  des  ersten  Lebensjahres,  beobachtet  und  als  Beispiele  von 
Frühreife  beschrieben,  auch  wenn  eine  solche  Blutung  aus  der 
Scheide  auch  nur  ein  einziges  Mal  sich  gezeigt  hatte.  Solche 
Fälle  muss  man  natürlicher  Weise  überhaupt  vollständig  ausschliessen. 
Denn  ob  eine  solche  Blutung  analoge  Bedeutung  wie  eine  wirkliche 
Menstruationsblutung  besitzt,  das  ist  doch  als  ausserordentlich  frag- 
lich zu  befrachten.  Sollen  derartige  Blutabgänge  wirklich  als 
Menstruationsblutflüsse   angesehen  werden,    so  muss  man  allermin- 


238  X.  Die  Reife  des  Weibes  (die  Pubertät). 

destens  doch  verlangen,  dass  sie  mit  einer  gewissen  Periodidtit 
sich  wiederholen.  Bei  manchen  Kindern  bestand  die  Frühröfe  nnn 
allein  in  dem  Auftreten  von  nur  als  Menstruation  zu  deutenden 
Blutungen,  während  die  Fälle  von  Frühreife  im  eigentlichen  Sinne 
des  Wortes  auch  noch  andere,  recht  in  die  Augen  fallende  Merk- 
male darboten.  Die  Brüste  wuchsen  und  nahmen  Formen  an,  wie 
wir  sie  sonst  nur  bei  reifen  Jungfrauen  zu  sehen  gewohnt  sind, 
die  übrigen  Körpertheile  wvirden  rund  und  voll  und  an  den  Geni- 
taUen  sprosste  ein  mehr  oder  weniger  reicher  Haarwuchs  hervor, 
In  einigen  Fällen,  welche  angeblich  schon  ganz  ausserordentlich 
früh,  selbst  schon  mit  einem  Jahre  menstruirt  waren,  soll  die  Be- 
haarung der  Geschlechtstheile  sogar  bereits  angeboren  gewesen  sein. 

Sehr  lehrreich  ist  eine  Beobachtung,  in  welcher  die  Obduction 
ausgeführt  werden  konnte,  die  die  Gebärmutter,  die  Eierstöcke  und 
die  Scheide  wie  bei  einer  Erwachsenen  ausgebildet  nachzuweisen 
vermochte.  Durch  diesen  Umstand  werden  uns  auch  solche  Fälle 
verständlich,  in  welchen  in  sehr  frühem  Lebensalter,  im  13.,  12., 
11.,  ja  selbst  ein  paar  Mal  schon  im  9.  Lebensjahre  eine  Schwan- 
gerschaft eingetreten  und  das  Kind  sogar  ausgetragen  worden  war. 
Indianermädchen  sollen  nach  Boherton  nicht  selten  im  10.  Jahre 
Mütter  werden.  Wie  weit  bei  diesen  vorzeitig  entwickelten 
Kindern  die  Heterochronie  ihrer  Entwickelung  von  speciellen  patho- 
logischen Vorgängen  abgeleitet  werden  muss,  das  ist  für  uns  nicht 
gut  möglich,  zu  entscheiden.  Jedenfalls  aber  fanden  sich  bei 
mehreren  solchen  frühreifen  Kindern,  die  gestorben  waren,  bei  der 
Obduction  recht  bedeutende  Abnormitäten  der  inneren  Organe  vor, 
nämlich  einige  Male  Sarkom-  und  Hydatidenbildung  in  den  Ovarien, 
einige  Male  Hjdrocephalus,  und  ausserdem  wird  bei  einigen  Kindern 
das  Bestehen  einer  ßhachitis  besonders  hervorgehoben.  Auch  Fett- 
sucht wurde  in  einem  Falle  verzeichnet.  Besondere  Bedingungen, 
wie  die  Lebensweise  der  Mutter  oder  sonstige  individuelle  Lebens- 
verhältnisse, vermochte  man  für  die  Frühreife  nicht,  auch  nicht 
Erblichkeit,  als  besondere  oder  gemeinschaftliche  Gelegenheits- 
nrsache  naclizuweisen,  obgleich  sich  eine  ganze  Reihe  von  Autoren 
mit  dieser  Angelegenheit  beschäftigt  hat.*)    Eine  eingehende  Kritik 


♦)  A.  Kussmaul,  Ueber  geschlechtliche  Frühreife  in  der  Würzburger 
luedic.  Zeitschr.  1862.  III.  S.  346.  —  Bulletin  de  VAcad.  roy.  de  mäaecine 
<le  Belgique  1878.  XII.  —  W.  Stricker,  Weitere  Mittheilungen  zur  Lehre  von 
der  Menstruation;  Vtrc/toic'«  Archiv.  88.  Band.  2.  Heft,  1882.  S.  379.  — 
Aeltere  Beispiele  von  vorzeitiger  Menstruation  im  6.,  5.,  4..  3.,  2.  und  1. 
■Jahre,  ja  sogar  bei  Neugeborenen  führt  Mart.  Schurig  in  seiner  Partbenologia 
historieo-niedica  an  (Dresdac  et  Lips.  1729  pag.  182 — 188).  Diese  Alteren 
Fälle,  sowie  die  folgenden,  sind  wohl  nicht  sicher  bezeugt:  TreutUng'g  Fall 
in:  Act.  natur.  curios.  Vol.  V.  p.  442;  obs.  131.  —  G.  T.  Turins  Fall  in: 
Ephem.  natur.  cur.  Dec.  III.  a  VII.  et  VIII.  pag.  267;  obs.  149.  —  Peehiin'» 
Fall:  Observ.  phys.  med.  Lib.  I.  34.  p.  81.  —  Stalpart  van  der  Wiel,  Observ. 


86.  Die  Prthrcife. 


239 


ist  bei  der  Kürze  der  von  den  Beobachtern  gemachten  Angaben 
t"ttr  die  Mehrzahl  der  Fälle  Oberhaupt  nicht  auszuüben,  und  müssen 
wir  daher  das  Verständniss  für  die  Aetiologie  dieser  Zustande  auf 
eine  spätere  Zeit  vertagen. 

Es  mögen  jetzt  in  aller  Kürze  hier  die  einschlägigen  Beobachtungen 
ihre  Stelle  finden: 

1.  X.  auB  Königsberg,  im  9.  Jahre  menstr.    (Mayer.) 

2.  Therese  Fiecher  uns  Regensbarg,  geb.  1807,  im  6.  Jahre  menatr., 
litt  ebenfalla  an  Hydrocephalus.    C^VetslerJ 

3.  Lotti^e  Flux,  geb.  1802.  gest.  1809,  menstr.  im  4.  Leben«ij.;  war 
bärtig;  litt,  wie  sich  bei  der  Section  ergab,  an  Hydrocephalua  internus. 
(Cooke.J 

4.  X.  auB  Werdorf,  am  Schloss  des  1.  Jahres  raenBtr.,  litt  an  RhaehitiB. 
(Susewind.J 

5.  Barbara  Eckhofer,  geb.  1806;  im  9.  Monat  menstr.    (d'OutrepotU.J 

6.  X.  Blutabgang  mit  9.  11,  14  und  18  Monaten.     (Die/fenbachAj 

7.  S,,  mit  2  Jahren  9  Monaten  uienütr.     (Lieber.) 

8.  X.,  mit  6  Mon.  menstr.,  litt  ebenfalls  an  Rhachitis.    {Cesarano.) 

9.  X.,  mit  3  Mon.  menstr.,  litt  an  Rhachitis.    {Comarmond.) 
10.  X.,  mit  2  Monaten  roenstr.     {Zeller.) 


11.  Josefine  X.,  geb.  d.  15.  März  1871,  Zwillingsmädchen,  deren  Schwester 
als  l^lii^hr.  Mädchen  keine  derartige  Abnormität  zeigt.  Sogleich  bei  der 
Geburt  war  die  unverhältiÜBsmässige  Grösse  des  Kindes  aufgefalleo  im  Ver- 
gleich zur  Schwester;  schon  nach  dem  ersten  Halbjahr  begannen  die  Brüste 
zu  wachsen ;  im  7.  oder  8.  Monat  bekam  sie  wie  die  Schwester  die  ersten 
Zähne.  Als  sie  ca.  1  Jahr  alt  war,  zeigte  sich  Blutapur,  zum  zweiten  Male 
Anfang  Mai  1874,  wo  die  Blutung  stärker  war;  Blutabgang  dauert  3  Tage; 
von  da  ab  regelmässig  menstr.  alle  4  Wochen  ohne  alle  Beschwerde.  Vom 
5.  Lebensj.  an  wurden  die  Perioden  sogar  sehr  reichlich;  seit  dieser  Zeit 
klagte  das  Mädchen  3  Tage  vor  Eintritt  der  Menses  über  zeitweilige  Schmerzen 
im  Bauch.  Sie  ist  duukelbloud  mit  blauen  Augen:  mau  wQrde  sie  bei  ihrer 
k<}rperlichen  Ausbildung  für  12 jähr.,  statt  für  7'4Jährig  halten.  Interessant 
ist  der  Vergleich  mit  der  Zwilliugsschwester:  sie  wiegt  34,75  k,  ihre 
Schwester  20,0  k;  ihre  Grösse  139  cm,  die  der  Schwester  121  cm;  Umfang 
der  Wnrze  77  cm,  der  der  Schwester  61  cm ;  Umfang  des  Bauchs  am  Nabel 
73  cm,  der  der  Schwester  62  cm.    {Stoct:er.} 

12.  Elisabeth  Klinck,  geb.  31.  Oct.  1875  in  Bornheim;  mit  9  Monaten 
menstr.,  die  Menses  im  2.  Lebensj.  geregelt;  bei  der  im  Febr.  1882  statt- 
tindenden  Untersuchung  ergab  sich  reichlicher  dunkler  Haarwuchs  an  den 
Cieachlechtsth.  und  gute  Entwickelang  der  Brüste;  sie  wog  47  Pfund  mit 
6  Jahren  4  Monaten  und  war  120  cm  gross.     [Lorey.) 

13.  Charlotte  L.,  mit  7  Jahren  menstr.,  flaumartiges  Haar  an  den  Ge- 
»cblechtsth.,  starke  Entwickelung  der  Brust;  litt  au  Steatom  und  Hydatiden 
dex  Ovarien  nach  Ergebniss  der  Section.    {Gedicke.) 


rarior.  centur.  prior.  Lugd.  Batav.  8.  1687.  p.  336.  —  Dagegen  wären  wohl 
noch  zu  berücksichtigen  <lie  Fälle  von  Plieninger,  Camerer,  Wit:  und  Müller 
im  Württemberger  Corresp.-Blatte  1834,  1836  und  1839;  dann  FUtgd's  Fall 
im  Bair.  lutellig.-Blatte  1871;  und  Horteite's  Fall  in  St.  Petersburger  med. 
Zeitschr.  XIII.  S.  225. 


X.  Die  Reife 


14.  Mary  Anna  G.,  geb.  im  M&rz  1845;  Blutung  im  5.  Lebpusnionat 
mit  Smonatl.,  dann  dmonatl.,  dann  Tmonatl.  Typus  bis  zum  6.  Lebentijahiv, 
luii  schwarzen  Haaren  an  den  Geächlecht.stheQen  und  bei  der  Gebart  hübnerei- 
grossen  Brüsten.     (Wilson.) 

15.  Jart«  Jones,  seit  dem  5.  Jahre  alle  3 — 4  Wochen  2  Tage  luig 
uaenstr.,  mit  3  Jahren  Entwickelung  der  Brüste.     {Peacoek.) 

16.  NelU/  0.,  geb.  27.  Jan.  1872  in  London,  vom  22.  Lebensmosat  «n 
menstruirt.  zeigte  gehen  von  ihrer  Geburt  an  sehr  entwickelte  Brüste;  Men- 
•88  erscheinen  alle  4  Wochen;  bevor  sie  eintreten,  befindet  sich  das  Kind 
jedesmal  etwas  unwohl.  Im  Alter  von  4  Jahren  2  Monaten  fand  man  di^ 
Brüste  vollständig  ausgebildet,  die  Warzen  so  gross  wie  das  Daumenglied 
eines  Mannes,  Hof  rosig  geHlrbt,  etwas  hervorragend;  bei  jeder  Menstr. 
nehmen  die  Brüste  an  Umfang  zu.  Der  ganze  Körper  trägt  mit  seinen 
runden  Formen  alle  Zeichen  früher  Reife  und  wiegt  55  Pfund  englisch; 
Wesen  und  Charakter  ernster  als  gewöhnlich  in  diesem  Alter.    (Bouchut.) 

17.  X.,  zeigte  schon  als  zwei  Wochen  altes  Kind  einen  blutigen  Aus- 
flusB,  der  2 — 3  Tage  anhielt  und  seitdem  fast  genau  jeden  Monat  wieder- 
kehrt«; das  Kind  wird  als  kleines,  fettes  Wesen  beschrieben,  dessen  Brflst« 
bereits  so  entwickelt  waren,  wie  bei  einer  16 — 17jB,hr.  Jungfrau;  nach  Aus- 
sage der  Mutter  werden  die  Brüste  zeitweilig  harter  und  turgescirend;  die 
Warzen  waren  bei  der  Untersuchung  im  4.  Jahr  über  5  cm  lang  und  «benso 
wie  die  2  cm  breite  Areola  dunkel  piguicnlirt.  Die  äusseren  (Genitalien  gut 
entwickelt,  die  Labia  minora  stark  hervortretend,  dagegen  fehlte  die  De- , 
haarung  der  Schamgegend.  Das  Kind  war  rhachitisch  und  hatte  bereit« 
Genu  valguro.  Die  geistige  Entwickelung  war  dem  Alter  enti^precheiid. 
{Vntnimottd .) 

18.  Anna  Strobel.  geb.  1876 
bei  St.  Louis,  menstr,  mit  Ift 
MoD.,  hatte  mit  4  Jahren  9  Mon. 
stark  entwickelte  Brüste.  (Ber- 
nays.)     (Fig.  36.) 

!<).  Kin  SVsjährig.  Mädchen 
wurde  den  15.  Oct.  1883  der  ge- 
burtsh.  Gesellschaft  zu  Leipiig 
vorgestellt;  ihr  Aussehen  war 
das  eines  Mädchens  von  6—' 
Jahren.  Brüste ,  Schanihaare, 
Schamlippen  sehr  entwickelt,  seit 
Weihnachten  1881  war  bei  ihr 
Menstruation  mit  viei*wöcb<iiit- 
licheni    Typus    eingetreten. 

20.  Thcodora  Vivtstissi  war  mit  I 
S^ij     Jahren    menstruirt.      zeigte 

tu  den  Geschlechtstheilt?!!  starke, 
-'^hwurze  Huiire,  ihre  Brüste  wa- 
ren nehr    stHrk    entwickelt.      BetJ 
der  Section   zeigte   sich   Sarkom] 
der  Eierstocke.     {Bnern^ 

21.  X.,   mit  3   Jabren    men*^ 
«truirt;      gleichzeitig     behftiirt«»] 
«rh     die    Uescfairchtetbenfl    uad 
entwickelte  sich  dio  Üraei, 


Flg.  36. 


FrUbr^f«!  Kidobsn,  4>,«  Jtkr  ^t. 
(Nkcli  Bernau*.) 


86.  Die  Frflbreife.  241 

22.  Eva  Christine  Fischer  aoB/Eisenach,  geb.  1750,  gest.  18.  Mai  1753, 
war  wie  ein  20jährige8  Mädchen  entwickelt  und  wurde  1758  auf  der  Leip- 
ziger Ostermesse  zur  Schau  gestellt.  Sie  wog  82  Pfund  (Leipziger 
Fleischergewicht)  und  ist  in  der -Anatomie  zu  Leipzig  abgebildet. 

28.  X.,  3  Jahre  alt,  menstrnirt  alle  8 — 4  Wochen  3 — 4  Tage  lang  ohne 
besonderes  Leiden,  besitzt  eine  ihr  Lebensalter  erheblich  überschreitende 
Schwere  und  Länge;  beide  Brüste  halbkugelfönnig,  Warzen  prominirend, 
Warzenhof  blassroth;  Schamlippen  wie  bei  Erwachsenen  entwickelt.   {Wachs.) 

24.  Johanna  Friederike  Gloch  aus  Köthen,  geb.  28.  April  1799,  gest. 
1803,  hatte  an  den  Geschlechtstheilen  starke,  dunkelkrause  Haare;  Hänge- 
brüste; litt  an  Hydrocephalus  und  Fettsucht.  Bei  der  Section  fanden  sich 
Uterus,  Ovarien  und  Vagina  wie  bei  einer  Erwachsenen.     {Tilesius.) 

25.  Mathilde  H.  aus  Louisiana,  geb.  30.  Sept.  1827,  mit  3  Jahren 
menstr.,  von  da  an  regelmässig  jeden  Monat  jedesmal  4  Tage  lang;  schon 
bei  der  Geburt  behaarte  Geschlechtsth.    {Le  Beau.) 

26.  X.,  geb.  im  Febr.  1880,  Nordamerika;  van  Derweer  sah  das 
Kind  im  Sept.  1882,  wo  es  2  Jahre  7  Monate  alt  war.  Das  Mädchen  begann, 
als  es  4  Monate  alt  war,  alle  28  Tage  zu  menstruiren;  die  Menses  flössen 
4 — 5  Tage.  Das  Kind  ist  ungemeiu  gut  entwickelt,  49  Pfund  schwer,  und 
es  sieht  aus  wie  ein  zehn-  bis  zwölfjähriges.  Im  Dec.  1882,  Januar  und 
Febr.  1883  blieben  die  Menses  aus.  Ein  ähnlicher  Fall  kam  nicht  in  der 
Familie  vor. 

27.  Marie  Augustine  Coquelin  geb.  Michel  in.  Paris,  menstruirte  von  2 Va 
Jahren  an  regelmässig,  hatte  im  8.  Jahre  stark  entwickelte  Brüste,  heirathete 
im  27.  Jahre.     [Descuret.) 

28.  X.,  mit  7  Monaten  (am  4.  April  1878)  trat  8  Tage  lang  Blut  aus 
dfr  Vulva;  im  folgenden  Monat  kehrte  die  Blutung  wieder  und  währte 
gleichfalls  3  Tage;  und  so  allmählich  weiter  bis  zum  März  1879.  Um  diese 
Zeit,  als  schon  das  Kind  18  Monate  alt  geworden,  trat  statt  der  Blutung 
eine  sehr  reichliche  Leukorrhoe  auf,  die  bis  Mitte  Januar  1880  anhielt. 
Hierauf  zeigte  sich  nach  einer  heftigen  Kolik  Menorrhagie  von  neuem.  Die 
Menge  des  Blutes,  die  jedesmal  abging,  betrug  bei  45  Gramm.  Das  Kind 
hatte  im  Alter  von  28  Monaten  in  Bezug  auf  seine  runden  Formen,  sowie 
75  cm  breite  Taille,  ganz  das  Aussehen  einer  im  Wachsthum  stark  zurück- 
gebliebenen Frau.  Die  Brüste  sind  kräftig,  über  citronengross,  elastisch  und 
turgescent,  wie  bei  einem  16 — 17jähiigen  Mädchen  mit  prominirenden  Warzen 
und  sehr  breitem  Hof.  Die  äusseren  Genitalien  sehr  gut  entwickelt,  die 
Vulva-Oeffnung  ist  sehr  gross,  die  Labien  sind  dick  und  der  Schamberg  mit 
ziemlich  langem,  rothem  Haar  besetzt.  In  moralischer  und  physischer  Hin- 
sicht entspricht  das  Kind  den  Verhältnissen  der  ersten  Kindheit.  (Corttjanera.) 

29.  Anna  S.  in  Altenburg,  geb.  1860,  mit  1  Jahr  7  Mon.  menstr., 
Geschlechtsth.  mit  8/4  Zoll  langen  Haaren,  Brustdrüsen  wie  bei  einer  Frau; 
bei  der  Section  fand  sich  Sarkom  der  Ovarien.    {Geinitz.) 

30.  Christine  Therese  A.,  geb.  27.  Januar  1838;  im  2.  Jahre  menstr., 
zeigte  bei  der  Untersuchung  im  Dec.  1841  dunkle  Haare  an  den  Geschlechts- 
theilen und  Brüste  wie  bei  einem  16jähr.  Mädchen.     (Carus.) 

31.  X.,  mit  9  Monaten  menstr.,  zeigte  im  2.  Jahre  Behaarung  der  Ge- 
schlechtsth., und  mit  IV2  Jahren  Entwickelung  der  Brüste.    (Wall.) 

32.  Louise  B.  aus  R.,  geb.  1840;  mit  15  Monaten  menstr.,  gleichzeitige 
Entwickelung  der  Brüste.    (Meuter.) 

Flott,  Dm  Weib.  L    a.  Anfl.  16 


242 


X.  Die  Reife  de«  Weibes  (die  PaberUlt). 


33.  üabella.  Negerkind.  geb.  6.  Jsli  1821  in  der  Havann*,  En^i* 
des  I.  Jabre«  meustr..  bei  der  Geburt  schon  entwickelte  Bebaamng  and 
Brflät«.     {Batnon  de  Iti  Saffra.) 

34.  X,  im  10.  Monat  menstr,,  BehEarung  und  Brüste  mit  2  Jahren 
völlig  entwickelt.     {Lenho»8ek.) 


35.  /.  B.,  geb.  im  Man  1863.  am  15.  Febr.  1876  entbanden.   (K€bbell.) 

36.  M.  H.,  aus  P.,  wurde  im  13   Jahre  geschwängert     {d'Outrtftont.) 

37.  A'.,  geh.  1867,  kommt  im  Alter  von  12  Jahren  und  1  Monat  mit 
lebendem  Kinde  nieder. 

38.  Elisabeth  Drayton  in  Tauntun  (MasBach.),  geb.  am  25.  M3nc 
1847,  vollzog  den  Coitus  am  1.  Mai  1857.  kam  nieder  am  1.  Febr.  185^. 

39.  Saüy  Deiceese  in  Kentucky,  gel>.  1824.  mit  einem  Jahr  men-^tr^ 
gebar  im  10.  Jahre.     {Montgomery.) 

40.  A.  M.  aus  P.,  im  9.  Jahr  menstr..  kurz  nachher  geschw&ogert.  starb 
14  Monate  nach  der  Geburt  an  Phthisis.     {d'Outrepont.) 

41.  Anna  Mummenthakr  aus  Trachselwald  lim  Canton  Berni,  geh. 
1751,  gest.  1826,  war  mit  "2  Jahren  menstruirt;  bei  der  Geburt  waren  die 
Geschlecbtstheile  behaart  und  die  Brustdräsen  entwickelt:  im  9.  Lebens- 
jahre geschwängert;  blieb  bis  zum  52.  Jahre   menstruirt.     (f.  Hnlhr.) 

42.  A'.  aus  Oher-Pallen  in  Niederl.-Luxembnrg,  geb.  27.  Oct.  1868, 
zeigte  sogleich  bei  der  Geburt  kräftigen  Körperbau,  die  Schamgegend  war 
mit  Haaren  besetzt;  menütruirte  mit  4  Jahren;  seit  dem  8.  Jahre  treten  die 
Menses  regelmässig  ein;  mit  S  Jahren  war  f>ie  133  cm  hoch,  von  kruftigein 
Körperbau:  der  Blick  war  kühn;  die  Brüste  gut  entwickelt.  Geschlechtsth. 
mit  dichtem  Haanmchs  bedeckt.  Sie  hatte  schon  mit  8  Jahren  Itilufigen 
geschlechtlichen  Umgang  mit  einem  32j&hr.  Manne  gepflogen:  sie  klagte  Ober 
Uebelkeit  und  war  leicht  icterisch.  Seit  3  Monaten  war  die  M)='tistr.  aus- 
geblieben, während  2'  j  Mon.  erfolgten  Blutungen,  dann  wurde  am  27.  Juü 
1877  eine  Hydatidenmole  nebst  einem  Embrj'o  ausgestosspn  :  <\^*  Kind  uoiia« 
vollständig.     {Molitor.) 

Bei  fremden  Rassen  und  zwar  ebensowohl  bei  solchen,  die  in 
heissen,  als  auch  bei  solchen,  welche  in  sehr  kalten  KUniaten  woh- 
nen, werden  wir  in  dem  Abschnitte  über  das  HeirAtlusalter  sehen, 
dass  Schwangerschaften  in  einem  Lebensalter,  in  welchem  wir  das 
Weib  noch  jus  ein  Kind  zu  betrachten  gewohnt  sind,  durchaus 
nicht  zu  den  Seltenheiten  zu  zählen  sind. 


37.  liebränehe  bei  dem  Kintritt  der  Menstruation. 

Das  zum  ersten  Male  nienstrnirende  Madchen  tritt  in  eine  uvnt 
Entwickelimgsepoche  des  Lebens  ein :  sie  ist  reif  geworden,  rhien 
eigenen  Hausstand  zu  gründen,  zur  Vermelxruug  des  Stammes  uuch 
ihrerseits  1  •  •■n\  mit  einem  Witrtv.  sie  ist  mannbar  "-n. 

Mit  dem  £.  <irr  l'ubertiit  Vfrl)iudet  sicli  aber  in  -.  v>- 

erlauben  sehr  vieler  Nationalitäten  die  Ansicht,   dass  das  wcibbcbe 


S7.  Gebrftache  bei  dem  Eintritt  de 


243 


Teseu  mit  dieser  erstmaligen  Blutabsonderniig  zunächst  in  einen 
Eustand  temporärer  Unreinheit  versetzt  wird,  in  der  sie  abgesondert 
rerden  raiiss,  um  nicht  Andere  zu  verunreinigen,  und  ferner  auch, 
SS  es  nothwendig  ist,  das  arme  Geschöpf  durch  die  Aulerlegung 
ron  Leiden  und  Weh  eine  Art  von  Prllfung  darchtuuchen  zu  lassen, 
iurch  deren  Ablegung  sie  sich  erst  der  Stamm esgeuossinnen  für 
rtirdig  beweisen  muss. 

Eine  solche  Anschauung  wiederholt  sich  bei  einer  recht  grossen 
Inzahl  von  Natur-  und   halbcivilisirten  Völkern ;    erst   eine  Läute- 

uig  durch  höhere  Cultur  giebt  der  sexuellen  Entwickehing  des 
[ädchens   zur   Jungfrau   eine   andere,    eine    geistigere    Bedeutung. 

ie  Formen,  in  welchen  die  Erklärung,  dass  da.s  Mädchen  nun  vom 
[jnde  zur  Jungfrau  herangereift  ist,  auftritt,  sind  bei  verschiedenen 
^■ilkem  ausserordentlich  mannigfach.  Unt^r  den  rtthesteu  Wilden 
kommen  dabei  widerwärtige,  jedenfalls  uralte  Sitten  zum  Vorschein, 
[rhlimme  Peinigungen,    die  vielleicht  nicht  immer  allein   den  Eud- 

reck  haben,  die  Standhaftigkeit  des  armen  Wesens  zu  prüfen, 
indem  wohl  auch  dazu  dienen  sollen,  den  vermeintlichen  Dämon  der 
Inreinheit  auszutreil)en.     Hei   anderen  Völkern  wird   dagegen   eine 

»remonie  vorgenommen,  bei  der  das  Mäddien  ein  Symbol,  z.  B. 
inen  besonderen  Haarschniuck,  t-ine  besondere  Kleidung,  eine  eigene 
Pättowiruug  oder  Aehnliches  erhält. 

Bei  mehreren  australischen  Slätumen  werden  sowohl  an  M&dchen  als 

ach  an  Knaben  als  Einfübnmg  in  die  Mannbarkeit  unter  grossen  Cei-emonieu 

rei  Zähne  ausgeachlagcn,  /..  B.  im  Seengebiet,  vio  diese  Operation  Täohir- 

it«cbirri  genannt  wird;    Zwei  Stäbe  von  Hol/.,    die  keilförcuig   zugescbärft 

id,  werden  zu  beiden  Seiten  eine^  Zahnes  eingetrieben-,  auf  den  Zahn  legt 

kan  ein  Stück  Fell  und  setzt  darauf  ein  scharfes  etwa  60  cm  langes  Holz-, 

in  bis  zwei  Schläge  mit  einem  schweren  Stein  auf  dieses  Holz  genügen  in 

ir  Kegel,  um  den  Zahn  so  zu  lösen,  d&as  er  mit  der  Hand  herausgenoiumen 

rerden  kann.     In  gleicher  Weirie  wird  der  zweite  Zahn  entfernt,  und  dann 

ichter    Tbon     auf    die    Wunde     gedrückt,     um    die   Blutung     %u    stillen. 

ie    Kinder    vormthen     kaum     durch    ein    Zucken     den  Gesichts,    dass    sie 

;hnier/  empfinden.     Drei   Tage    nach    der  Operation    muss    dau  Kind    sich 

fohl  bliten,    den  Rücken  von   irgend   Jemand   zu   sehen,    sonst  wächst  sein 

[und  zu  und  es   muss  Hungers   sterben.     Die  ansgezogenen  Zähne  bewahrt 

in   abergläubischer  Weise  ein   Jabr    lang  in  Emu-Federn   gehüllt    auf, 

iinit  die  Adler  nie  nicht  hnden  und  dem  Kinde    dann  an  Stelle  der  ausge- 

;genen  grössere  wachsen,    welche   »ich   in    die   Höhe    krümmen    und    unter 

ro«4eu  Schmerzen  den  Tod  verursachen  würden. 

Auf  Tahiti  tättowirt  man  die  geschlechturoifen  Madchen;  diese  harren 

ipv.'s  Momenten  «i-hnsüchtig,   denn  nicht  mannbar  zu  sein  gilt  für  sie  als 

nde.  {Fomter.)     Auf  Tonga  veranstaltet  man  ihnen    ein  Fest  und 

'  I   nie.  (Turner.)      Wird   in   Neu -Irland  ein  Mftdchen  mannbar,  so 

skt  man  nie    auf  etwa  ■i  Wochen  in   eine  Art  Käfig  innerhalb  des  HauHCB, 

•1ehe4  Nie  bewohnt.  Kränze  aus  wohlriechenden  Pflanzen  werden  um  ihre  Taille 

ad  ihren  Hain  gebunden.  Der  Käfig  wird  gewöhnlich  zweistöckig  gebaut;  oben 

at  die  junge  Dame,  unten  entweder  ein  altes  Weib  oder  ein  kleines  Kind.  Der 

1,    in  dem  das  Mädchen  verweilt,    ist  so  klein,    dass  sie   nicht  aufrecht 

16» 


244 


X.  Die  Reife  des  Weibes  (die  Pubertät). 


stehen,  sondern  nur  liegen  oder  sitzen  kann.    Nur  bei  Nacht  darf  sie  diecn' 
unbequemen    Aufenthaltsort   verläsaen.     (Pmceü.)     Auf  Yap.    einer  der  Ca 
rolinen- Inseln,   wird   das    Mädchen    isolirt;   es  lebt  2 — 3  Monate    in  *iui>r 
Hütte,    tlie    unweit  de«    Dorfes  nur    zu  diesem  Zwecke  dient,     fc.  Mtkfudir- 
Maclay.) 

Bei  den    Malayen   des    oRtindischen    Archipels  hat  sich   dio  Sitte 
Qberall  verbreitet,    dass   bei   eingetretener  Pubertät    bei    beiden    Oeschlech-  i 
tem     die    Zühne    um    ein    Viertel    ihrer   LUnge    abgefeilt    und    Kchwarc 
getUrbt     werden,     wozu     oft    noch     das    Auslegen     derselben    mit     kleineu 
Goldplatt^hcn  kommt.    Die    grossen  Festlichkeiten,    die    beim    Zahnabfeileu 
einer    Prin/.e.s.'iin    in    Baren     auf   Celebe«     stattfanden,     beschreibt      un* 
Ida     Pfeifer:      Dos    auf    einer     Matratze    liegende    Mädchen     wurde     Ton 
einem    alten    Manne  mit  drei    Feilen    an    ihren  Zähnen  so  behandelt,   das« 
die     obere    Zahnreihe     erst    mit     der    gröberen,     dann   mit  einer    feineren, 
schliesslich   mit  der  kleinsten   und  feinsten  Feile  abgeraspelt  wurde,    wobei 
der  Operateur  im  Allgemeinen  gefichickt  verfuhr  und  die  Prinzessin    keinen 
Laut  von  sich  gab.     Der  Operateur  erhielt  dafilr  ein  Huhn,    welchem  er  ein  i 
kleines  8tfick  des  Kammes  abriss  und  hierauf  das  herausspritzende  Blut  auf  | 
die  Zähne  und  Lippen  der  Prinzessin  brachte.    Hierauf  wurde  auch  dieselbe  I 
Operation    an    sechs   jungen   Mädchen    des    Hofstaates   vollzogen,    aber   mit 
weniger  Umständen,  worauf  ein  grosses  Gastmahl  die  Festlichkeit  beschtorsj 
Ist    das    Feilen    der    Zähne     auf     Timoriao    bei     einem    reif    gewordenen! 
Idchen  versäumt  worden,  so  rauss  die  Operation  ■^rährend  der  Schwanger- 
Bhaft    nachgeholt   werden.    (Siedel.)     Wenn    bei    den    Mädchen    auf    den 
lawu-    oder    Haawu-Inseln     (Niederländisch    Indien)     die    Pubert.itj 
eintritt,    eo    wird    es    der   Operation    des    Zähucfcilens     unterworfen;     ein  i 
zusammengerolltes    Koli-Blatt   wird    ihm     wie     ein    Dilatator    in    die    Va- 
gina  eingeschoben,    um  sie  zu  erweitem,    uud  ihre  Brüste  werden  geknetet. , 
{RiedeU) 

Frau  Antonie  Herf  erzählt  von  Java:  „So  sah  ich  jüngst  einen  Au&ng. 
Über  dessen  Bedeutung  ich,  so  lange  ich  ihn  sah,  mich  in  völliger  Unklarheit 
befand.    Voran  zogen  uogefilhr  zwölf  junge  unbekleidete  Javanesen.    Allel 
waren  gelb  ge^^udert.    wodurch   ihre   Körper  vrie   in   knapp   anschlieasendenJ 
Tricot  gekleidet  erschienen.     Sie  trugen  die  verschiedensten  Toiletteogegen«  | 
stände:  der  eine  einen  kostbaren,  zierlichen  Spiegel  in  glänzendem  Rahmen, 
welcher  mit  in    der  Sonne    funkelnden   Steinen    besetzt  war.     Ein    anden^rj 
hatte  einen   grossen,    sehr  schönen  Fächer  in  der  Hand,    ein   dritter    Kainni  < 
und  Bürste  in  offenem,  beschnitztem  Elfenbeinkusten,  dcrmitrothem  Samtaftl 
ausgeschlagen  war;  der  nächste  trog  auf  goldenem  Teller  zwei  Säckchen  voul 
dünnem,    durchsichtigem  Gewebe,   von  welchen  das  eine  den  hier  allgemeinj 
üblichen    Schönheitspuder,    aus    dem    Samen    einer    seltenen    einheimisch«  al 
Pflanze  bereitet,   das  andere  Curcuma  enthielt,   ein  Färbungsmittel,    da«  iclii 
schon  früher  einmal  erwähnt  habe.     Verschiedene   andere  Gegenstände,    die| 
noch  weiter  von  den  gelben  Jünglingen  vorQbergetragen  wurden,  waren  mir 
theils    unerkennbar,    Iheils   überhaupt    unbekannt.     Ein  Musikcorps   fpl»<e.' 
Hinter  demselben  w^urden  lange,  breite  Bretter  getragen,  welche  von 
mit  Blumen  und  Bändern  geschmückten  Tüchern  bedeckt  waren.     I 
riesige  Blumcnsträustjc  prangten  auf  denselben;   verschiedene  reich  ««ria| 
Geinohte,   Kuchen   und  Früchte   kennzeichneten  sie   als   ambulante  Fest 
Dieser    folgten    wiederum    Javanesenjilngliuge,    welche    HaushaltiingsigegeM« 
stände  in  idealiairter  Form   und  verdchwenderischer  Ausschmückung   trugvnJ 
In  der  Mitte  des  Zuges  bewegte  sich  langsam  ein  phantastisch  aoMstaflirtcrJ 


lation. 


{en  Tüchern  drapirter  ottener  Wagen,  welcher  von  vier  blumen- 
und  bewimpelten  Schimmeln  (gezogen  wurde.  In  demselben  sass 
in  drollig  herausgeputztes  hmunea  Javanenkind,  etwa  zehn  Jahre  alt  und 
echt  onglücklich  dreinschauend.  Ihm  folgte  wiederum  eine  Schaar  Ja  vanen 
in  den  denkbar  buntesten  Saronga  und  Kabayen,  und  ein  zweites  Musikcorps 
lachte  den  Beschluss.  Und  was  bedeutet  diese  wunderliche  Komödie'?  Den 
rriumphzug  eines  zur  'Jungfrau  herangereiften  Kindes,  welches  nunmehr 
ich  als  heiruthsfjlhig  proclamirt  war!" 

Den  Eintritt  der  ersten  Menses  r.eigt  das  Nayer-Mädchen  in  Malabar 
liirch  ihre  Mutter  ihrer  Schwiegermutter,  d.  h.  der  Mutter  ihres  zur  Zeit 
Bgün^tigten  Liebhaber«  an,  der  ihr  einen  Krug  Wa-sser  über  den  Kopf 
(Jaffoi.*)  In  Birma  ist  für  das  Madchen  dos,  was  für  den  Knaben 
Tättowiren,  bei  der  Mannbarkeita-ErkUlrung  das  Ohrloch-Sfechen. 
Dos  Läppchen  des  Ohres  wird  mit  einer  silbernen  Nadel  durchstochen. 
In  die  gemachte  Oeönung  werden  so  viele  Stengel  eines  bestimmten 
iirases  gesteckt,  als  sie  fasst.  Dann  wird  durch  Schrauben -Ohrringe 
das  Loch  erweitert,  in  welche«  später  mächtige  Ohrscheiben  gesteckt 
werden. 

In  8 »am  werden  nach  den  uns  zugegangenen  Berichten  des  verstorbenen 
Sdumbufffk  dem  Mädchen  beim  Eintritt  der  Menses  die  Haare  abgeschoren 
und  manchmal  5—6  Tage  lang  Feierlichkeiten  abgehalten,  die  besonders  bei 
königlichen  Prinzessinnen  gross  sind. 

Bei  den  Chinesen  schmückt  man  das  herangereifte  Mädchen  mit  der 
loamudel,  dem  Kopfputx  der  Frauen. 

Als  Zeichen  der   eingetretenen  Jungfrauschaft  erhält  in    Abyssinien 
^das  junge  Mädchen    einen  besonderen  Schmuck:    sie    tr^t    mitten    auf   der 
Stirn  eine  runde  Elfenbein-Platte,    welche  mittelst  eines  Stirnbandes  festge- 
biUten  ^nrd.     (Slecker.) 

Bei  unseren  Begriffen   von  Schamhaftigkeit  und  weiblicher  Tugend  ist 

es  uns  ganz  unverständlich,  dass  beiden  Negervölkern  der  Loango-KQste 

^Jungfrauen,  welche  sich  bei  Eintritt  der  Menses  plötzlich  ihres  dereinstigen 

Jcrufes   bewuBst  werden,    ihr  (ieheimuiss   der  ganzen  Männenn'elt  verkündet 

eben;    und    doch  ist    es    dort  Sitte,    die  Betreifenden    nicht  nur    im   Dorfe 

lurcb   Qesang  und  Tanz  zu   feiern,    sondern  sie  auch   unter  Begleitung  der 

Fugend  beiderlei  Geschlechts  den  Europäern  vorzuführen.  Eine  solche  Pro- 

esNon  giebt  sich  schon  von  Weitem  durch  ihren  ausgelassenen  Jubel  kund, 

Bnd  führt  die  völlig  Vermummte  in   die  Mitte  des  Hofes,    wo  sie  auf  einer 

Haie  unter  eisern  Schirm  Platz   nimmt  und   von   ihren  Gespielen  in  höchst 

deutlicher  Weise  ihre  Aussichten   für   die   Zukunft  besingen   hört.     Für  ein 

Ha«  Hura  entschleiert,  sie  gern  ihr  Gesicht  und  bietet  höchstens    den  Aus- 

Pruck  des  befriedigten  Stolzes,  nun  zu  den  Erwachsenen  zu  rechnen,  niemal« 

jer  den  der  Schiim.     {Falkenstein.'^)     Ebenso  führen  die  Neger  der  Gold- 

lUst«   da»    /.um  ersten   Mole    menstniirende    Müdcheu    im    grössLen    Putze 

Inrch  die    Strassen,     dabei    werden    Loblieder  auf  ihm  Juugtrüulichkeit  ge- 

iDgen  {hrodif.,  Cruickthank). 

In  Afrika  besteht  bei  vielen  Volksstümmen,  wie  wir  gesehen  haben, 
jo  Hittc,  bei  Eintritt  der  Pubertät  die  Beschneidung  und  Vemähung  Tor- 
loebmcn. 

Die  Naiua-IIoltuntotte  n  bekleiden  das  mannbare  Mädchen  uüt 
Idübj  reichgeschmückten  Kaross,  der  !«ie  als  heirathstUhig  bezeichnet 
>ijj    dahin   g«ht  fie   nackt  einher).     Nach  dieser  Einkleidung  sitzt  sie  drei 


;e  lang  dem  Eingange  der  Hütte  gegenüber  an  der  Seit*^,  wo  dM  Buiu-J 
^eräthe  sich  befindet,    in  einem  von  fussbohea  Stuben  eingeschlossenen  2',a| 
bis  3  Fuss  im   Durchmesser    weiten    Kreise   mit    untergeschlagenen   Beinen, ' 
den    Hund    zum    Zeichen    ihres    UochgefühU     und    Stokes    fiscbm aalartig  i 
vorgestreckt    und    zuweilen    mit    dem    Kopfe  herausfordernd    nickend.     Am 
dritten  Tage  wird  eine  fette  Ferse  ge^jchlachtet.     Der  nächste  Anverwandte,] 
gewöhnlich  ein  älterer  Vetter,    erscheint    mit    der  Nachbarschaft  zur  Gratu' 
lation  und  zum  Schmaus.     Indem  er  ihr  das  Magenfell  des  Rindes  Ober  den 
Kopf  hängt,  wünscht  er  ihr,  so  fruchtbar  zu  sein,  wie  eine  junge  Kuh.  Dann 
kommen  ihre  Freunde  und  Freundinnen  mit  ähnlichen  Glückwünschen,  wor- 
auf der  FestschmauE  mit  Tanz   und  Gesang  beginnt,    der    mit  einem  Zech- 
gelage endigt.  {Hahn^.) 

Die  Makalaka  haben  nach  Manch  die  Sitte,  dass  die  alten  Frauen i 
das  junge  Mädchen  zur  Puberlütszeit  t^lttowiren,  wobei  unter  grossem  { 
Schmerz  dem  armen  Wesen  etwa  4000  Schnittchen  in  die  Haut  ge^macht : 
werden;  dann  reibt  n^an  eine  ätssende,  durch  Kohlenpulver  geschwätzte] 
Salbe  ein. 

Bei  den  Zulu-Eaffern  werden  nach  Dohne  die  Mädchen  zum  Zeichen 
der  Reife  mit  rother  Erde  bestrichen. 

Bei  den  Bas  nth  os  werden  die  Mädchen  fnaohJ?nd«im«nn)  dem  ,^ollo*  ^ 
unterworfen ;     Sie   ziehen    in    Begleitung  einer  Aufseherin  nach  einer  Stelle  ^| 
am  Wasser,  wo  es  tief  geuug  ist  zum  Untertauchen.     Dort  niUssen  eio  einen  ^B 
in  das  Wasser  geworfi^nen  Armring  tauchend   herausholen.     Des   Tags   über 
treiben    sie  sich  im  Felde  umher,    um  für  den  weiblichen  Beruf  geschult  zu 
werden,  daneben  zu  tanzen  nnd  zu  gingen.     Aber  Nachts  brauchen  sie  nicht  | 
im  Felde  zu  bleiben:    doch  leben  sie  abgesondert.    Sie  schmieren   sich   mitl 
Asche.     In  dieser  Zeit  ist  das  Weibervolk  wie  unsinnig ;    sie  verkleiden  sich  | 
und  treiben  viel  Muthwillen.     Die  Mädchen    des  Polio    m5ssen    verschieden« 
Waschungen  vornehmen.     Zu  Ende  des  Polio  giebt  es  ein  Fest,   zu  dem  die 
zuletzt  beschnittenen  Knaben  eingeladen  werden ;  da  giebt  es  Schmaus,  Tau»-| 
und  Unzucht. 

Auch  bei  den  Marolong  (B  e  t  s  c  h  u  a  n  e  n-Stamm)  werden  diel 
Mädchen,  sobald  8ie  mannbar  sind,  2 — 3  Monate  lang  unter  strenger  Ceneurj 
in  den  Pflichten  der  Hausfrauen  unterrichtet.  Sobald  die  Meuses  vorbei  sind,  i 
werden  sie  gewaschen,  ihr  Kopf  wird  bis  auf  eine  kleine  Stelle  rasirt  und] 
statt  des  Perlengürtels  erhalten  sie  ein  kleines  SchQizchen,  dann  sind  sid 
heirathsfähig.  [Joest.)  Im  nördlichen  Transvaal  heisst  das  Mannbar-1 
keitsfest  der  Mädchen  Koma.  Es  wird  dazu  eine  besondere  lange,  mehr-j 
tönige  Pfeife  gebraucht,  die  sie  aber  geheim  zu  halten  scheinen.  ( iranj^/^l 
vtann.)  Den  Eintritt  der  Menses  feiern  die  Bewohner  des  •Tuna-Oi- 
bietes  (äquatoriales  Ostafrika),  die  Pokomo,  zehn  Abende  und  NächtoJ 
hindurch  mit  Tanz  und  Festessen.  (Dehnhardl.) 

Die  Indianer  Südamerikas  begehen  die  Einweihung  de»  Mä<lcben«| 
sur  Jungfrau  mit  zumeiKt  recht  peinigendem  Verfahren.  Einer  uiUdereu] 
Procedur  wird  es  bei  den  W  arr  au -Indianern  in  British-G  uiana  on-J 
terworfen:  man  beraubt  es  seines  langen  Haares,  tanzt  und  schmückt  das] 
Mädchen  mit  Perlen  und  weichen  Vogel-Daunen,  die  man  mit  Gummi  anf 
den  geschorenen  Kopf,  un  .\rme  und  Schenkel  klebt.    (Scham  hur  ff  k\) 

Andere    Caraiben  vülker    in    British -(jruiana    verfahren    cjualvoUtr,! 
indem  sie  das  Haar  de»  Mädchen»»  ablirennen,  worauf  es  von  eimnu  Zaubertrt 
mit  den  NagMäbnen  des  Aguti(Da«yprocta)  quer  llberden  Rücken  «ww  tief«  Biti- 


üintritt 


lenürnaSönT 


247 


tchnitte  erhrdt,  iu  welche  Pfeffer  eiugerieben  wird;  Schmerz  darf  die  Gepeinigte 
|liicht  iluHBern.     So  wird    sie  mit  an  den  Körper  gebundenen  Annen  in  eine 
längematte  gelegt  und  ihr  ein  Amulet  von  Zähnen  uragehangen.     Nachdem 
lie  so  3  Tage  ohne  Speise  und  Trank    und   ohne  ein  Wort  zu  sprechen  zu- 
?hracht  hat,  wird    sie  von    den   Banden,    welche    die  Arme  an  den  Körper 
fbefestigen,  befreit  und  in  eine  Hilngeroatte  gelegtj  die  sie  nun  einen  Monat 
.  Ung  hüten  mus»,  ohne  Andere»  zu  geniessen,  als  ungekochte  Wurzeln,  Cas- 

»aadabrod  und  Wasser.  Am  Ende  de«  Monats  wiederholten  sich  diese  Ope- 
rationen, und  erst  nach  Ablauf  des  dritten  Monats  ist  die  Prüfung  über- 
Btnndeo.  (Sdtombtirgk.) 

In  Peru   begehen  die  um   Dcajrale- Strom    hausenden   Couibos  bei 
»olcher  Gelegenheit  das  sogenannte  Chenianabiqui-Feat.    wobei    mit    Flöten 
fCspielt  und  von  beiden  Geschlechtern  getanzt    wird;    die   jungen  Mädchen 
' (lasen    sich    toll    und  voll  trinken   und  werden  einen  Tag  und  eine  Nacht 
}g  von  den  alten  Frauen  im  Tan:ee  herumgedreht,  bis  sie  niedersinken  und 
ie  Leichen  am  Boden  liegen.  (Marce^.) 

Bei  den  Uanpes    haben    die    M3.dchen  bei  Eintritt  der  Pubert&t,    auf 
kärgliche  Koat  beschränkt  und  im   oberen  Theile  der  Hütte  zunickgehalten, 
[eine  EmancipationsprQfung  durch  schwere  Streiche  mit  schmiegsamen  Ranken 
Bu  überstehen ;    sie  empfangen  von  jedem  Familiengliede  und  Freunde  nieh- 
Irere  Hiebe  über  den  ganzen  nackten  Leib,  oft  bis  zur  Ohnmacht,  ja  bis  zum 
Pode.     Diese    Operation    wird    in    sechsstündigen    Zwischenrilumen    viermal 
riederholt,    während    sich   die    Angehörigen    dem    reichlichen  Genüsse  von 
[Bpfif^en  und  Getrunken  überlnsscm,  dit>  zu  Prüfende  aber  nur  an  den  in  die 
Kchüfiseln    getauchten    Züchtigungsinslrumenteu    lecken    darf.     Hat    sie  die 
*rüfungen  überstanden,    so    darf   sie  alle.«!    essen  und  wird  für  mannbar  er- 
klärt.    Das  Einwickeln,  die  Hautvei'wuudungen  und  das  Bemalen  der  MiUl- 
,chcn  bei   der  MannbarkeitserklUrung  kommen    bei  den  Manäos    und  ihren 
Stammverwandten,    wie    auch    bei    den  Tamayos    in  Südbrasilien    vor. 
Jnter  den  Passes  übersteht  die  angehende  Jungfrau,   in  den  oberen  Raum 
!er  Hütte    auf   die  Flängematte   verwiesen,    ein    Monate    langes    Fasten.  — 
fAuch  die  zahmen  Tucunaa  am  Amazonas  verweisen  ebenso  wie  die  Col- 
tina und  Man  he  die  Mädchen  in  den  Bauchfang  der  Hütte  und  setzen  sie 
leiiion  Monat  lang  auf  magere  Kost ;    Bates  erfuhr,  dass  diese  Misshandlung 
einem  Falle  den  Tod  des  Opfers  herbeiführte. 

In  Paraguay  pflegen  die  Lenguas.  die  Payaguas  und  andere 
MAmme  das  jnnge,  mannbar  werdende  Mfidclicn  zu  tättowiren,  nament- 
lich im  Gesicht;  auch  berichteten  Demersay  und  Dobrühofj'er  Gleiches  von 
Fden  Abiponern.  (i*.  Aiara.)  Die  Patngonier  feinm  den  Pubertätg- 
Eintritt  durch  Pferdenpfer  (Musters.)  Die  Chibchas  (auch  Muistas  oder 
MozcRs),  ein  fast  gan%  untergegangener  Volksstamm,  der  in  Neugra- 
lada    lebte,    begingen     zu    dieser  Gelegenheit  ein  grosses  Fest.  {WaiU.) 

Unter  den  Apnehe- Indianern  ist  es  ein  wichtiges  Familicn- 
^«•t.  zu  dem  alle  Fiimilienglieder  eingeladen  werden,  das  l>eim  Eintreten 
irr  Mannbarkeit  eines  Mildchens  gefeiert  wird.     {Si>riny.) 

Kinige  californischelndiuner- Stämme,  z.  B.  die  II u p a ,  feiern  auch 
)rn  Keif<>-Eintritt  ab  Fest.  Fühlt  ein  jungem  Mädchen  den  Zeitpunkt  nahen, 
|o  mn«H  «ie,  wo  immer  sie  sich  auch  befindet,  den  väterlichen  Wigwam  auf- 
rochen; bleibt  sie  diesem  fem,  so  wird  sie  ausgestossen  und  gilt  fortan 
kU  Fremde.  Es  folgt  dem  Eintritt  der  Reife  ein  langes  Fest»  der  Kin- 
Ukibn  odnr  .lungtVrntanz: 


X.  Die  Reife  des  Weibes  (die  PubertAt 


Neun  Tage  kouiraeu  die  Männer  des  Abends  zum  Tanze  zussunoien, 
von  deui  die  Weiber  ausgeschlossen  sind.  Das  Mädchen  darf  unterdessen 
kein  Fleisch  essen  und  sieb  vor  keinem  Manne  sehen  lassen.  In  der  10. 
Nacht  versteckt  es  sich  in  einen  Winkel  der  Hütte.  Dann  kommen  zwei 
junge  Männer  und  zwei  alte  Weiber  ans  ihrer  Verwandtschaft,  utn  die  Jung- 
frau zu  suchen  und  ab/.iiholen.  Die  jungen  Burschen  stülpen  sich  eine 
Maske  aus  Leder  oder  vScbilf  über  den  Kopf,  die  an  den  Seelöwen  erinnert,  . 
und  nehmen  das  Mädchen  in  die  Mitte;  rechts  und  links  vuu  ihnen  stellen 
sich  die  iilton  Frauen  auf.  So  treten  die  Fünf  untvr  die  Versammlung.  Da« 
Mädchen  schreitet  zehn  Mal  vorwärts  und  rückwärts,  erhebt  die  Hände  zu 
den  Schultern  und  singt.  Das  letzte  Vorwärtsschreiten  endigt  mit  dem 
Uochsprung.  Darauf  begrüsst  die  Versammlung  das  junge  Geschöpf  durch 
laute  Zurufe  —  und  die  Ceremonie  ist  beendigt.  {Powers.) 

Die  Wintun  -  Indianer,  ein  anderer  californisch  er  Stainm,  veranstal- 
ten  bei  Eintritt  der  Lieschiechtsreife  eines  Mädchens  gleichfalls  einen  ..Reif- 
heitsianz',  zu  welchem  die  Bewohner  der  nächsten  Dörfer  geladen  werden. 
Schon  drei  Tage  vor  diesem  Feste  nmss  sich  das  Mädchen  jeder  anima- 
lischen Kost  enthalten,  sie  darf  nur  Kichelbrei  geniessen.  Während  dieser 
Fastenzeit  ist  die  Aermste  aus  dem  Lager  verbannt  in  eine  entfernt  ge- 
legene Bätie.  Todesstrafe  wird  über  denjenigen  verhängt,  der  sie  während 
dieser  Zeit  berührt,  oder  es  wagt,  eich  ihr  zu  nähern.  Nach  Ablauf  dieser 
Yorbereitungsfrist  nimmt  sie  eine  geweihte  Suppe  zu  sich,  <lie  von  den 
Frtchten  der  Buckeye  californica  bereitet  wird,  indem  aus  denselben  zuvor 
durch  Einweichen  in  Wasser  das  Gift  entfernt  wurde.  Durch  das  Verzehren 
dieser  Ma^ae  macbt  sich  das  Mädchen  würdig,  an  dem  bevorstehenden  Tante 
theilxunchmen.  isowie  die  Pflichten  einer  Frau  zu  übernehmen.  Nunmehr  er 
scheinen  die  eingeladenen  Stäuiuie,  indem  sie  in  langen  Reihen  herbeiziehen 
und  (IUI  den  Lagerplutz  feurige,  sinnliche  Lieder  singen.  Sind  alle  Stämme 
oder  Deputationen  derselben  versammelt,  was  2  bis  3  Tage  in  Anspruch 
nimmt,  ^o  vereinigen  sich  Alle  zu  einem  grossen  Tanze,  der  in  einem  Rand- 
marsch  um  das  Dorf  besteht,  während  ununterbrochen  Chorge«änge  erschallen. 
Zum  SehluBS  der  Ceremonie  nimmt  der  Häuptling  da»  Mädchen  bei  der  Hand 
ttad  lanst  mit  ihm  die  ganze  Linie  entlang,  während  die  Gäste  improrisirt« 
OMftage  anstimmen.  Nicht  immer  sind  letztere  keusch  und  unschuldig,  bis- 
weüeu  ob«cOn.  Dann  kommen  auch  Gelänge,  in  welchen  jeder  Indianer 
seine  eig«Den  Geftlhle  ausdrückt,  wobei  »ie  seltsamer  Weise  vollkomniea 
Tact  mit  •iiiuid(«r  halten.  Die  Fmuen  drücken  bei  solchen  Gelegenheiten 
keine  uftkea»ch«D  (}«fahle  aus.  (Powers.) 

B«  d«u  »Iteti  Mexikanern  gab  der  Vater  in  vohlgesetzter  R«de  den 
jlttgeo  MAdeben  Krtnahnung«a  auf  ihren  Lebeaspfad  mit;  die  Spruch«,  di« 
Uerbei  der  roberlieferuug  geuUkM  g«eagt  wurden,  sind  ht>chst  beodaleii*- 
wertli.  Dann  wurdo  das  lfidel>«B  m  einer  Tempelschule  unterrielitet  und 
dieeor  er>t  <>nt]as*e(B.  wenn  «e  «eh  verhcirathon  wollte. 

Wir  »eheu  hier,  wie  ton  dem  eintuclu-a  Freudealeste  an  äU» 
uiahlioh  ilie  Anschauung  sich  ß«h&  bricht,  du.-^  <Ihs  junge  Mädclira 
nun  in  ihi^^  »i.^it. ..-,*.»  r<>«ii.>itttf^ieh(csn  eiagvl'ilhrt  uu«i  duroh  b«- 
flooder»    ^'  '     wt-r\len     tnik<is    (ü^Qdafrikuner 

u,  »    *»  '  *'     ,    '  " '    '    '  Uei 

d«n  hl  ■  le» 

neu    U<tfi-  iig    ventulaatftf 


Ü^  Die  MeSSS^ratde  gilt  fOr  ,i 


249 


Irelclie  aber  ak  eine  mehr  geistige,    an  die  christliche  Einsegnung 
lemde,  aufgefasst  worden  ist. 


38.  Die  Henstruirende  gilt  fTir  ,,uiireiii*^ 

Der    regelmässig    wiederkehrende  Ausfiuss   von   Blut    aus   den 

reiblichen  Geschlechtstheilen  hatte  und  hat  noch  jetzt  ft'ir  alle  Ur- 

rölker  nicht  allein  viel  Räthselhattes,    weshall)    sich  damit  in  ihrer 

FVorstellung  eine  Menge  von  Irrthümem  über  das  Wesen,  den  Zweck 

id  die  Wirkung  dieser  natürlichen  Function  verknüpft,  sondern 
He  legen  sich  auch  in  Bezug  auf  dieselbe,  wie  wir  sehen  werden, 
sine    primitive  Hygieine   znrecht.     Das  Auffallendste    dabei  ist   die 

lerkwürdige  üebereinstimmung,  welche  man  in  letzterer  Be- 
iehnng  unter  den  Völkeni  von  ganz  verschiedener  Rasse  vor- 
Indet.     Diese  grosse  Üebereinstimmung   der  Vorstellungen  und  die 

renge  Durchführung  der  von  den  ürvölkern  ziemlich  gleichmässig 
ftingeführten    hygieinischen    Maaasregeln   könnte  wohl  zu  der  Ver- 

luthung  Veranlassung  geben,  dass  sich  in  ihnen  die  Wirkung  des 
Tnstincts  ausspricht.  Die  unwillkürliche  Zurückhaltung  gegen  die 
Mt-nstruirende,  die  Scheu  vor  ihr  als  einer  sUnreinen",  deren  Be- 
rUhmng  einen  Jeden  zu  beflecken  im  Stande  ist,  wird  in  der  That 
von  Manchen  als  instinctiv  gedeutet.  Und  auch  hier  sagt  man 
wieder,  dass  der  Instinct  ganz  richtig  und  zweckmassig  leite,  weil 
glaubt,  dass  wirklich  die  Berührung,  insbesondere  die  Aus- 
des   Coitus    mit   einer    menstruirenden    Frau,    einen    Nach- 

>eil  für  die  Gesundheit  des  Mannes  habe.  Sonderbar  genug  soll  hier- 

»ch  die  Menstruation,   welche   nach  Annahme   der  meisten  Physio- 

)gcn  ziemlich  gleichbedeutend  mit  der  Brunst  der  Thiere  ist,  eine 
»bstossende  Wirkung  auf  das  männliche  Geschlecht  ausüben,  wjih- 

snd  doch  diis  brünstige  Blutaustreteu  aus  den  Geschlechtstheilen 
Ics    weiblichen    Thieres   eine    besondere    Anziehungskraft    auf  das 

läiinchen  hat,  indem  letzteres  durch  dasselbe  herbeigelockt  und 
Bexuell  aufgeregt  wird.  Ich  möchte  im  Gegentheil  in  der  Zu- 
rückhaltung, die  der  Mann  bei  ürvölkern  sich  freiwillig  gegen  die 

lenstjTiirende  Frau  auferlegt,  eine  schon  mit  vollem  Bewusstseiu, 
iurch  gewisse  Erfahrungen  unterstützte  und  in  Folge  einer,  wenn 
^uch  einfachen  Reflexion  frei  gewühlte  Handlung  erblicken,    die  in 

irer  entschiedenen  Durchluhrung,  d.  h.  in  der  Ausdehnung,  welche 
Ihr  viele  Nationen  geben  (indem  sie  die  Frauen  noch  längere  Zeit 
tach  der  Menstruation  al)8ondern),  mindestens  keinen  Vortheil  für 
lic  Ftirtptlanzung  des  Menschengeschlechtes  mit  sich  bringt.     Dazu 

«mnit   noch,    das»    auch    die  Frau  bei   den  Naturvölkern  zur  Zeit 

(«DstruatiuQ  eijje  gewisse   Zurückhaltung    zu    iiusseni   scheint, 

id  das  weibliche  Thier  zur  Brunstzeit  sich  gerade  sehr  willig 


Die  Keife  des  Weibes  (die  Pubertät). 

Nach  der  Meinung  vieler  Nationen    ist    es   aber    nicht   allein 
die  Menstruation,    sondern    auch    die  Wochenbetts-    und  die  ganze 
Siivjgungszeit,  also  die   eigentlichen  sexualen  Functionen,  welche  da» 
Weib   .unrein"   machen.     Bei  einigen  Völkerschaften  herrscht  sogar    h 
der  Glaube,    dass    der  Umgang    der    beiden  Gesclilechter    während   | 
der  Menstriiations-  und  Wochenbettszeit    etwas  Giftiges    erzeuge. 
Hiermit    ist    also  gewissermaassen    in  der  Zurückhaltung,    die  sich    ^ 
in  Folge  dessen  der  Mann,  manchmal  auch  die  gesammte  Umgebung  fl 
des  Weibes,    auferlegt,    eine    Erscheinung    primitiver  Hygieine  zur   ™ 
Geltung  gekommen. 

Der  Grad  der  Unreinheit,    in  welchem  sich  die  Frau  während 
ihrer  Periode  befindet,    ist    allerdings   je    nach  Ansicht   der  Völker    j 
immerhin  sehr  verschieden.     Bei  sehr  vielen  Völkern  Afrikas  ist  fl 
der  Glaube    an    diese  Unreinheit  verbreitet,    jedoch    hier    gilt  sehr  ™ 
liHuhg  der  Begriff  des  Unreinseins   nur  fQr  den  Mann  hinsichtlich 
des  Coitus,    nicht  ftlr  Andere  hinsichtlich    des   socialen  Umganges. 
Allein  bei  vielen  anderen  Völkern,  namentlich  in  Asien,  nnd  xmr 
hier    schon    in  $ehr  alter  Zeit  nach  religiösen  Gesetzen,    werden 
die  ineustniirenden  Frauen  abgesondert  von  aller  Welt,  man  hält 
sie    tVa    allgemein   schädlich,    man    fUrchtet    gewissermaassen    eine 
Cebertrag\jng  des  Unreinssein«,  eine  Ansteckung.     Wnr  finden 
solche  .strenge  Maa&<:regelji,  in  welehen  sich  Hygieine  und  Beligton 
gleichsam    beseignai,    insbesondere    bei    den    indogermanischen 
Völkern,  den  Iranern,  ebenso  wie  bei  Semiten,  den  Juden  nsd  ^ 
Arabern.     Dagtegen  wird  ohne  irgend  welchen  RinflQ.ss  religio-  ■ 
ser  Art.  nur  unter  dem  Gebote  dnes  alt«i  Volksbraachs,  unter  den 
mongolischen  Völkern  sowohl  die  Kalm&ckin  {Sammimmgy,  als 
•11^  die  Samojedin  {PaOas)  fibr  unrein  betrachte!  and  in  Afaaoo- 
denug  g<duJt«Q,  wenn  sie  meustmirt. 

Dort,  wo  die  Menstnäreode  nicht  eben  in  einer  Art  von  Haft 
gehalten  wird,  ist  mitoifeer  wenqptens  gAränrhhA,  daaa  säe  ein 
auf  ihrca  Zaafauid  dealandM  Abt  eichen  trigk;  ao  tmgm  die  Kaaaa 
in  Angola,  so  lange  ihre  Monatneit  danot«  «mm  Binde  «n  ihr 
Haa|il«  Die  Woloff-Xegerinaen  lagen wihicnd  der  Meaatiua- 
tion  sMs  tthar  den  Bahn  als  Ahaöehcn  ein  Sdornfftodi  oder  eisen 
Fonktd  in  arbwiHMifH  Fsrhen,  dreiethig  iniwiwmmgiligi  vad  kichl 
•her  dem  Tonfeitheil  der  Brast  ■iiwiainiiigiliillfft  Dies  ist  dm 
Mai  im!  ihres  fhjudahigiadwn  Tniisndii,  (die  ffunt^wt^   Dagegen 

fl  jede  ■inidmiiaii  FWa  in  fhaisitnidimhn  We»e  Hr  tahn, 
k  lhishin|d  fir  anlwrthfhartriifselitnuiji,  in  Xmcaledonien, 
«ad  jed«  Dorf  hak  eine  eigene  HMie,  vo  die  Weiher  &xe  Zeil 
tvCreanI  riia  jedem  Umgänge  ahwarftn  nUa»»  (de  AMhasX  eine 
sie  aacm  aodi  ha  maaohen  sadaen  Volheni 


s  polTBe»ischea 
mm*-  «ad  twa  d«c 
Brt 


dir  Woher 


.nnrern" 


die    Menstruation szeit    ffir   die   Frau    selbst  gewisse  Gefahren 
fliBt.  zu  deren  Vorbeugung    ihr    ein  besonderes  diätetisches  Re- 
[gime    auferlegt    wird.     Bei    ernzelneti  VtVlkern   wird  sie  nicht  nur 
[abgesondert,  sondern  auch  zu  fleissigem  Baden  angehalten.   Dagegen 
durften  bei  den  Maciisis  -  Indianern    in    British-(iuiaua ,    die 
alle  inenstruirendeu  Frauen    und  Mädchen    für   unrein    halten,    die- 
selben   während    dieser    Epoche    nicht    baden,    noch    in  den  Wald 
{eben,    da   sie    dann    den    verliel)t«n  Angriffen  der  Schlangen  aus- 
tzt  sein  würden.  (Schomburgk.) 

Durch  das  Herrschen    derartiger  Anschauung   wird  es  für  uns 
fwohl    verständlich,    warum    wir    bei  manchen  Stämmen  gerade  bei 
[dem    ersten    Eintreten    der  Menstruation  Gebräuche  finden,  welche 
[uns    die    Meinung    errathen    lassen,    das»    die.selbe  in  ganz  hervor- 
jender  Weise  verunreinige.     Wir  sehen  daher,    wie   hier   das  ao- 
leben reif  gewordene  Mädchen  gleichsam  au.sgest^>ssen  wird  ans  der 
menschlichen  Gesellschaft    xmd    wie  demselben  oft  erst  nach  einem 
sehr  erhebh'ch  langen  Zeiträume,  welcher  zu  einer  selbst  extra  laug 
bemessenen  Menstruationsperiode    in  gar   keinem  Verbältniss   steht, 
die  Rückkehr    in    die    Stammesgemeinschaft    getattet  wird,   jedoch 
nur  nachdem  es  eine  besonders  feierliche  Ceremouie  der  Reinigung 
hat  durchmachen  mlissen. 

Ein  gutes  Beispiel  hierfür  sind  din  Mildchen  in  Caiubodjn.   Von  dem 

[Tage  an.  wo  das  erste  Zeichen  ihrer  Mtmnbarkeit  erscheint,  miisB  sie  ,in  den 

Schatten"  eintreten.     An  deroseUien  Ahendenoch  befestigen  die  Eltern  Bauro- 

woliniden  um   das  Handgelenk  und  bereiten  ein   vollständiges  Opfer  für  die 

Ahnen,   bestehend    in  Speisen,    Kerzen.    Räucherwerk.     Das    Eieigniss    wird 

jden  Verstorbenen  förmlich  kund    gethan:    ^I'nsere    Tochter    wird    mannbar: 

*rir  lassen   sie   in   den  Schatfen    eintreten;    schenkt    ihr    Eure    Gunst."     An 

l^eiuselben  Tage  pflanzen  .^ie  eine  Bunane,  deren  liüchte    mir  für  da.s  junge 

eben  bestitnuit  sind,  oder  von  ihr  an  die  Bonzen  geschickt  werden. 

Die  von  den  Eltern  dem  Mädchen  für  die  Zeit  der  Zuriickgezogenheit 

'gi-gebenen  Regeln  lauten:     „Lasa  Dich    vor  keinem    fremden    Manne  sehen: 

,ficbau  keinen  Mann,  seibat  nicht  verstohlener  Weise  an;    nimm  ebenüo,  wie 

[die  Bonzen,    Deine   Nahrung  nur  zwischen    Sonnenaufgang   und   Mittag;   is« 

[nur  Reis,  Salz,  KokosnusH,  Erbsen,  Sesam  aud  Früchte;   enthalte   Dich  von 

i^iacfa    und   jeglichem    Fleisch.     Bade  Dich  nur,   wenn  die  Nacht  eingetreten 

litt,    zu  einer  Stunde,    wenn  man    die  Menschen  nicht  mehr  erkennt,    damit 

[I)u    von    keinem    lebenden    Wesen    gesehen    wirst.*      üeberhaupt   darf   da*. 

[Mädchen    nicht    allein   baden,    sie  wird  von   ihren   Schwestern  oder  anderen 

iVcrwandten  begleitet.  Sie  arbeitet  nur  im  Huuse,  geht  nirgendwo  hin,  nicht 

einmal  nach  der  Pagode. 

Je  naoh  der  Lebensstellung  und  dem  Vermögen  der  Familie  ist  dii*se 
iZuT<lckgezogcnbeit  von  IJlngPrcn-  oder  kürzerer  Datier,  sie  wilhrt  einig« 
[Monate  bis  zu  ui<;hrerc'n  Jahren;  arme  Leute  beachten  sie  wenigHtens  3  bis 
lii  Tage  lang.  DJ«*se  ZurOckgezogenheit  wird  wilhrend  dor  Finntfrni.^s  unter- 
|brorhen:  dann  steckt  this  junge,  ,,im  Schatt<.'n''  beHndlichi*  Mildchen  ebt'nso 
|wie  die  schwangere  Frau  ein  Betelmesser,  den  Behfl.ltfr  Klr  den  zum  Belel- 
kauen  uOthigen  Kalk  in  die  von  den  Falten  des  Lungati  <Scbur/.)  gebildete 
rMoU»;    es  zQndet  Lichter  und  Räucherkerzen   an   Und  g«ht  weg,  um   Hahn 


X.  Die  Reife  des  Weibe»  (die  PubertäkjT 


(da*  LTnj^ehtmer,  welches  die  Finsterniss  entstehen  läsat,  indem  es  die  Sterne 
xwiucheii  den  ZUhnen  schüttelt)  anzubeten,  auf  daRs  es  sein  Flehen  uiu 
<jlück  erbnrc.  Duruuf  kehrt  es  wieder  «in  den  Schatten'^  zurück.  Arme 
Leute,  welche  keine  !iiittel  zur  Anschaffung  von  Kerzen  und  Käiicherwerk 
lioaitxen,  lassen  das  Mädchen,  welches  hingebt,  um  Kahn  zu  verehren, 
wcnigstena  die  schönsten  Kleider  anlegen  und  benutzen  die  Gelegenheit, 
um  der  Tochter,  welche  gewissermaassen  L'ahn  zum  Herrn  anninaoit,  aus  der 
Zurückgezogenheit  hervortreten  zu  lassen.  Wohlgestellte  Leute  erwarten 
eine  günstige  Gelegenheit  besonden  im  Januar,  Februar  oder  Mai,  um  die 
Cerenionie  des  Austritts  aus  dem  Schatten  zu  begehen.  Die  Btinzen  werden 
gebeten,  zu  erscheinen  und  ihre  Gebete  zu  wiederholen:  das  junge  Mädchen 
IUH8S  sich  vor  ihnen  in  den  Staub  werfen.  Nachbarn  und  Freunde  werdeu 
gebeten,  dem  Feste  beizuwohnen. 

Manchmal  werden  auch  die  Z^Lbuc  den  Mädchens  dabei  gef&rbt,  an- 
ütatt  bis  zur  Huirath  damit  zu  warten.  Ebenso  wird  bei  den  jungen 
MlVnnern  diese  Ceremonie  bei  der  Aufnahme  in  die  Religionsgemeinschaft 
Oller  bei  der  Heirath  vorgenommen.  Das  Verfahren,  welches  hinsichtlich 
doä  jungen  Mlldchens  beobachtet  wird,  ist  folgendes: 

Kin  Achar  (ein  weiser  Mann)  breitet  ein  Stück  weissen  Baumwollenzeugi-s 
an*,  legt  acht  Strohhalme  in  der  Richtung  der  Himmelsgegenden  auf  da.<- 
nelbc,  niumit  einen  aus  Kokosnuss  verfertigten  Napf  und  ein  Weberschiffchen. 
Dann  geht  er  in  die  Scheuer,  nimmt  dort  eben  so  viel  mal  Paddie  (oder 
ungodrosoheuen  Reis),  als  das  Mädchen  Jahre  zählte  und  schüttet  denselben 
auf  das  Zeug;  wenn  das  Mädchen  also  15  Jahre  zählt,  füllt  er  15  mal  deu 
Napf  und  15  mal  das  Schiflchon.  In  diesen  Haufen  Paddie  versleckt  er 
den  Napf,  das  Schiffchen,  einen  Bronzebecher  und  ein  kleines  Metallschiff; 
darüber  hin  macht  er  den  Paddie  gleich  und  bedeckt  ihn  mit  den  Zipfeln 
des  weissen  baumwollenzeuges.  Alles  die»  muss  in  Abwesenheit  des  jungen 
Mädchens  geschehen,  das  darnach  eingeladen  wird,  auf  diesem  gleicbge- 
m»cbt<^n  Paddie  während  der  weiteren  Dauer  der  Feierlichkeit  Platz  zu 
nefamrn. 

Per  Achar  murmelt  nun  Formeln,  die  den  Zähnen  GlQck  bringen  tiollen. 
Kin  alte»  Paar,  am  liebsten  Mann  und  Frau,  stamptl  Lack  in  einem  Mürser. 
wfthrv'od  7  Knaben,  welche  Bononenswetge  mit  Früchten  in  der  Hand  halten, 
mit  denen  sie  dos  Stampfen  im  Mßrser  nachahmen,  dabej  folgende  Worte 
singro:  «Grossratcr  Kühe,  Gros^muttiir  Kuh^  stampft  den  Lack  gut,  damit 
VI  an  den  Zähneu  hängeu  bleibt."  Jedesmal  wenn  dos  Wort  bok  =  stampfen, 
gotuugvn  wird,  lotsen  der  Mann  und  die  Frnu  die  Stampfer  im  Tokt 
ni«dcrfiilleu.  Wenn  der  Gesang  m>  oft,  wie  die  Sitt«  es  will,  wiederholt  i«t, 
hOrvu  die  Knaben  auf,  während  die  alten  Leute  mit  Stampfen  fortfahren. 
Kndlich  wird  der  Lack  durch  ein  Stück  Musselin  gesriht.  um  nar  doA  feinste 


Pulver  lu  gt ! 
Form  des  nu 
uu«geAis«rtvtit 
j»t.     Der   '!%* 
r«  auf  di>'   .■    i 
«larf  nur   i^<    \ 

N«tt«  Ott.  Ui» 
«km  llokMii* 
UMn   |l«iiMMi< 


Mau  schneidet  rin  Blatt  der  Koko«'PaLme  oocfa  der 

(ifbuses    und  umgiebt    dieses    Blatt    mit  ein  wenig 

:''  -izeuff.   w«icjMs  vocber   in   den  Lack    eingctonehi 

I       (H^^i^  P«clrH    4^m  j«Bg«B  M idchea  am  wrlcfaes 

"^  -v.««lb«o  liegen   lAsst.    Ei 

.11   eian  Spacksapta«  ni- 

M*iMn  ksat««!  ibrea  Vmuis  auf* 

1  i4x  Wrt3dÄe5»t*t.     B<fi 


38.  Ihe  Menstraiiende  gilt  fSr  .unrein**.  253 

schlaft,  nm  Jagd  aof  die  Höhner  and  Enten  der  Eingeladenen  la  machen. 
Bei  Ti^^esanbrnch  geht  da«  jong«  Slädchen  aus  dem  Hause  cnd  betet  die 
aufgehende  Sonne  an,  indem  es  sich  dreimal  in  den  Staub  wirft.  Nach 
langer  nnd  sorgfältiger  Torbereitung  macht  der  Ta  Kühe  die  Bewegung  als 
ob  er  ihr  die  Zähne  mit  Hammerschlägen  entfernen  wollte,  und  bestreicht 
sie  mit  einem  an  Ort  nnd  Stelle  bereiteten  Ra»$.  Das  Mädchen  wirft 
sich  dreimal  vor  einem  kleinen  Altar  nieder,  auf  welchem  die  bei  häus- 
lichen Festlichkeiten  gewöhnlich  gebrauchten  Gegenstände  aufgestellt 
sind,  nnd  kehrt  dann  in  das  Haas  zuräck.  Bei  allen  diesen  Festlich- 
keiten moss  es  mit  einem  Haarwolst  geschmückt  sein,  und  wenn  es  aus 
irgend  einem  Grande  (Neuralgie  etc-»  kurzes  Haar  trägt,  wie  dies  in  Cam- 
bodja    gebräuchlich,    so    muss    es    sich    mit    falschen   Zöpfen    schmücken. 

Wenn  bei  den  Vedas.  einer  südindischen  Sclarenkaste.  sich  bei 
einem  jungen  Weibe  (schon  Tor  dem  7.-9.  Jahre  Verheirathete  cohabitiren 
mit  dem  Manne,  bevor  die  Geschlechtsreife  eintrat)  die  Menses  zum  ersten 
Mal  einstellen,  so  wird  dasselbe  in  einer  für  diesen  Zweck  erbauten  besonderen 
Hütte  untergebracht,  in  welcher  es  5  Tage  weilt:  nach  Ablauf  dieser  Frist 
bezieht  es  eine  andere,  halbwegs  zwischen  jener  und  der  Wuhnstätte  ihres 
Mannes  belegene  Hütte,  in  der  es  abermals  5  Tage  zubringt.  Täglich  geht 
dAS  junge  Weib  aus,  um  sich  zu  waschen.  Am  10.  Tage  aber  wird  sie  von 
ihrer  und  ihres  Mannes  Schwester  an  das  Wasser  geführt,  sie  badet,  wäscht 
ihre  Kleider ,  reibt  sich  mit  Turmerik  ein.  badet  abermals,  ölt  ihren  Körper, 
und  kehrt  dann  (am  10.  Tage)  mit  ihren  Begleiterinnen  in  ihre  Wohnung 
zurück.  Dort  angekommen,  kochen  die  drei  Frauen  Reis  und  verzehren 
ihn  gemeinschaftlich.  Während  jener  Tage  der  Absonderung  darf  der  Mann 
in  seiner  Hütte  nur  Wurzeln  essen,  keinen  Reis,  aus  Furcht,  vom  Teufel 
umgebracht  zu  werden;  am  9.  Tage  aber  findet  ein  Fest  statt.  Der  Boden 
der  Hütte  wird  mit  Palnibranntwein  besprengt,  man  ladet  Freunde  ein  und 
bewirthet  sie  mit  Reis  und  Branntwein.  Die  Frau  hält  sich  noch  abge- 
sondert in  der  zweiten  Hütte.  Am  10.  Tage  aber  muss  sich  der  Gatte  aus 
seiner  Wohnung  entfernen  und  darf  sie  erst  wieder  betreten,  nachdem 
die  Weiber  den  Reis  aufgezehrt  haben.  Während  der  nächsten  4  Tage 
darf  der  Mann  weder  Reis  im  eigenen  Hanse  essen,  noch  Umgang  mit  seiner 
Fran  pflegen.  Jedes  Versehen  in  dem  vorgeschriebenen  Cereniouiell  wird 
von  den  Tsdiaicus  (den  zu  Teufeln  gewordenen  Geistern  gestorbener  Vor- 
fahren) streng  geahndet!     fOchlaginUceit.) 

Auch  bei  den  Kaders  in  den  Anamally -Bergen  in  Indien  und  bei 
den  Badagas  im  Nilgiri-Gebirge  werden  die  zum  ersten  Male  menstruiren- 
den  Mädchen  in  eine  besondere,  nur  den  Weibern  zugängliche  Hütte  ver- 
bannt. Bei  den  letzteren  dauert  diese  Absperrung  aber  nur  drei  Tage  und 
findet  später  nicht  mehr  statt.  Im  Anschlüsse  daran  werden  die  MädohtMi 
t&ttowirt.    (Jagor.) 

Das  zum  ersten  Male  roenstruirende  Mädchen  wird  auf  der  Insel  Vat*' 
(Neue  Hebriden)  abgesondert,  weil  sie  für  unrein  gilt.  In  einigen  Gegend«>n 
der  Inael  muss  sie  in  einem  besonderen  Hause  verweilen.  Ein  Mann,  der 
mit  einer  solchen  unreinen  Person  verkehrt,  muss  sich  wegen  der  Veruu- 
Feinigang  ceremoniellen  Waschungen  unterwerfen;  thut  er  es  nicht,  so 
werden  seine  Tams,  wie  man  glaubt,  faulig. 

Die  Koljaschen  an  der  Küste  der  Bering -Strasse  verbinden  den  Gn- 
derAbsperrang  der  Mädchen  zur  Zeit  der  Menstruation  mit  dem  Gc- 

oh«!  dueh  eine  Operation  den  Kaljugn  oder  Holzklotz  in  die  Unterlippt* 


254 


X.  Die  Reife  des  Weibes  (die  Pubertät). 


einzusetzen.  Nach  Krman  werden  sie  in  Hütten  oder  6 — 8  Fuss  hohe,  nur 
mit  einem  vergitterten  Lichtloch  versehene  Kätifj^e  verbannt,  nachdem  ihre 
Gesichter  mit  Russ  geschwärzt  worden.  Jn  jedem  dieser  Ställe  steckt  ein 
Mädchen.  Wei^'iamoio  g-iebt  an,  dass  die  erste  solcher  Einsperrungen,  die 
ein  Mädchen  erlebte,  nach  altem  Gebrauche  ein  Jahr  gedauert  habe,  und 
dass  sie  von  der  Durchschneidung  der  Unterlippe  und  dem  mit  dieser  ver- 
bundenen Feste  unmittelbar  gefolgt  wurde.  Beiden  Sitchaer  Koljuschen 
sei  diese  Zeit  /.war  auf  3 — 6  Monat  heruntergesetzt,  die  sonstigen  Ge- 
bräuche während  derselben  aber  beibehalten.  So  werde  namentlich  dem 
Mädchen  wahrend  dieaer  Zeit  eiu  Hut  mit  sehr  breiter  Krempe  anfgesetzt, 
damit  sie  nicht  durch  ihre  Blicke  den  Himmel  verunreinige.  Dieselben  Vor- 
sichtsmaassregeln  werden  auf  den  aleu tischen  Inseln  ebenso  streng  befolgt, 
wie  auf  Sitcha.  Bei  den  Ureinwühnern  di-r  Landenge  Darien  durften  die 
jungen  Mädchen  (nach  Waßr)  bei  Eintritt  der  Geschlechtsreife  dne  Haus 
nicht  verlassen  und  sich  keinem  Fremden  zeigen. 

Die  Absonderung  des  jungen  Mildchens  bei  Eintritt  der  Reife  dauert 
unter  den  Indianern  der  Nordwestküste  Amerikas  ÜO  Tage;  während 
dieser  Zeit  muss  es,  in  einen  kleinen  Kaum  des  elterlichen  Hauses  gesperrt. 
verweilen  und  erhält  von  irgend  einer  weiblichen  Verwandten  eine  nur  spär- 
liche Nahrung.  Wenn  es  sich  niederlegt,  so  muss  ihr  der  Kopf  nach  Süd«fn 
gerichtet  sein.  Nach  Beendigung  der  Abgeschlossenheit  darf  sie  wieder  wie 
gewöhnlich  im  Hause  wohnen  und  erhält  ein  neues  Kleid  und  andere  fest- 
liche Geschenke  von  ihrem  Vater  oder  nächsten  Verwandten.  Gewöhnlich 
wird  sie  bald  danach  verheirathet  und  bekommt  dann  ebenfalls  von  den 
Eltern  Geschenke.     (Jacobaen.) 

Bei  den  Thlinkiten  wurden  früher  die  Mädchen  bei  beginnender 
Pubertät  in  einer  Zweig-  oder  Schneehütte  längere  Zeit  abgesondert,  als 
jetzt,  wo  die  Absperrung  selten  länger  als  3  Monate  dauert :  ehemals  er- 
streckte sie  sich  auf  ein  Jahr.  Nach  Ablauf  dieser  Frist  werden  die  allen 
Kleider  verbrannt,  das  Mädchen  wird  von  Neuem  geKchmückt  und  ein  grosses 
Fest  gegeben.  Dabei  wird  ihre  Unterlippe  durchstochen  und  in  diese  Oelf- 
nuug  anfänglich  ein  dicker  Draht  (gegenwärtig  ein  Silberdraht)  oder  ein 
hölzerner  Doppelknopf  gebracht.  Allmählich  \vird  diese  Oetl'nung  nach  meh- 
reren Monaten  und  Jahren  immer  grösser  geschlitzt  und  die  LippL<  durch 
ein  in  sie  gebrachtes  ovales  oder  elliptisches  Brettchen  oder  Schfisselchen 
immer  weiter  ausgedehnt,  wodurch  jede  Frau  das  Ansehen  gewinnt,  als  wenn 
ein  grosser,  flacher,  hölzerner  Suppenlötfel  in  dan  Fleisch  der  Unterlippe 
eingewachsen  w3re.  Der  äussere  Rand  dieses  Tellerchens  ist  mit  einer 
Rinne  versehen,  damit  die  beträchtlich  ausgedehnte  Unterlippe  de'^to  fester 
um  dieselbe  anliegt.  Der  Teller  ist  meist  2—3  Zoll  breit  und  höchsten« 
Vj  Zoll  dick;  bei  vornehmen  Damen  ist  er  jedoch  grösser  und  Lttntisdorff 
sah  einen  solchen,  der  5  Zoll  lang  und  3  Zoll  breit  war.  {Krause.) 

Die  Macusis- India  ner  in  British-Guiana  f<ondern  d»'«  Mädchen 
als  „unrein"  ab,  indem  sie  seine  Hängematte  in  die  Kuppelspitze  der  Hfltte 
hängen,  wo  sie  dem  quälenden  Rauche  ausgesetzt  ist.  Dort  bleibt  diu 
M&dchen  mehrere  Tage  und  darf  nur  Nachts  herabkommm;  während  der 
ganzen  Zeit  des  MenstrualÜusses  muss  es  streng  fasten.  .Msdann  darf 
herabsteigen,  muss  sich  jedoch  noch  in  einen  dunklen  Platz  der  IlQtt« 
rQckxiehcn  und  ihren  Cassada- Mehlbrei  an  einem  besonderen  Ftnu'r  VckIh 
nach  10  T>igea  wird  es  st-lbst,  sowi«  allu  von  ihm  berührt on  ^ 
einem  Piay  (Zauberer)  entzaubert;  die  von  ihm  benutzten  TsSy 
zertrQmmerti  die  Scherben  vergraben.  Nach  der  Rückkehr  aua  dem  nrstfn  Hiwlti 


h'  , unrein*. 


i55 


Q08»  nlch  das  unglückliche  Geschöpf  auf  einen  Stuhl  oder  Stein  stellen,  wo 
M    7011    der    Mutter    luit    dünnen     Ruthen    ge[ieit8cht   wird,     ohne   einen 
Schmerzensschrei  ausstossen    zu   dürfen-     Bei    der  zweiten  Periode  der  Men- 
'stniation  finden  diese  Geisseluugen  wieder  statt,  8ont<;t  nicht  mehr.     Von  du 
an  ist  da*  Mädchen  sofort  heiutthsrähig.  (Poirer.) 

In  Brasilien  sondern  die  Coroades  die  jungen  Mädchen  während 
der  ersten  Menstiiiatioii  von  allem  Verkehr  ab,  indem  sie  diese  Zeit  in  einem 
von  Baumrinde  geflochtenen  Behälter  verhrinj^en  müssen.  {Burmeister.) 

IAn  der  Loango-  Küste  bringen  die  Bafiote-Neger  das  jungeMädcben 
jn  eine  abgesonderte  Hütte;  dasselbe  heisst  von  diesem  Tage  an  bis  zur  Hingabe 
yui  einen  Mann  ukumbi  oder  tschikumbi ;  die  TOchter  weniger  bemittelter  Leute 
bewohnen  eine  gemeiaschaftliche  Hütte.    Hier  werden  die  Jungfrauen  von  einer 
Fraa.  die  von  den   Eltern  als  Vertrauensperson  gewälilt  worden,  unterrichtet; 
tielieicht   bezieht   sich    dieser  Unterricht  luif  zukünftige  Pflichten;    hier  ist 
übrigens  das  Mädchen    als    unrein  betrachtet  und  wird  schliesslich  gebadet. 
Die  Makulolo  und  andere  Stämme  im  Marud  se-Mam  bu  nda-Reiche 
lim    Zambesi-See    benachrichtigen,    sobald    ein  Mädchen    reif   wird,   deren 
^Freundinnen,  die  nun  .jeden  Abend  8  Tage  laug  zu  ihr  kommen  und  sie  bis 
iefin  die  Nacht  hinein  mit  Tanz  unter  Castagnetten-Begleitung  unterhalteu. 
■t  die  Tochter  eine»  Königs  zu  dieser  Zeit  schon  verlobt,    so    wird  sie  von 
»et    weiblichen    Verwandten    in  ein  Dickicht  geführt,    wo  sie  eine  Woche 
f»g  von  einer  Sclavin  bedient,  ein  abgeschiedenes  Leben  führt;   doch  wird 
ie    auch    hier  von  ihren  Genossinnen  des  Abends  aufgesucht,    die  ihr  Nah- 
ing  hinstellen,  ihren  Kopf  mit  Parfüm  einreiben  und  sie  mit  Ermahnungen 
id  Zureden  für  den  ehelichen  Stund  vi>rbereiten,  um  nach  Ablüuf  der  Frist 
►ie  ihrem  Goniivbl  zu  übergeben.  (Holub.) 

Der  Eintritt  der  Reife  des  Mudcheua  wird    im  Euango-Gebiete   nach 

l\y'o1ff'^  mit  grösseren  Ceremonien  gefeiert,    wie  an    der  Meeresküste,    zu  mal 

Kn  Kabinda.     Dort  kommt  das  Mildchen  nach  ihrer  erston  Menstruation  in 

bin  kleities  Häuschen,  das  innen  vollständig  mit   rotb    getÜrbteiu    Zeug  au.s- 

jeschliigen  resp.  mit  rolher  Farbe  angestrichen  ist.     Die  rothe  Farbe  macht 

lae  Mildchen  gewBhnlich  selbst,  indem  sie  Rothholz  auf  einem  .Stein  zerreibt. 

im  selbst   ist   ebenfalls  roth  bemalt    uikd  trägt  rotb  gefärbte  Kleider.     Da» 

Csaen  wird    ihr  von    den   Anvem'andten   in   die    Hütte  gebracht.     Sie  bleibt 

nun  ao  lange  in  dem  Farbenhaus,    bis  sie  entweder  herausgeheiratbet  wird, 

^der    von    den    Anverwandten    nur    das    juh   primae  noctis    abgekauft    ist ; 

diesem  Falle    bleibt    sie   dann    Mädchen.     Man    sieht  hier  i^ueh  bisweilen 

Ichon  längst  verheiruthete  Weiber  sich  Iheiiweise  roth  t^rben,  jedenfalk  um 

iren  Khegemahl   an   die  Zeit  der  ersten  Liebe  zu  erinnern  und  dadurch  in 

leue«  Entzücken  zu  versetzen. 

bei  den  Mädi  in  Mittelafrika  (zwischeu  Dufilä  und  Fatiko) 
herrscht    die    Sitt«;,    dass  die   MOdchen   zur   Pubertätszeit   in   abgesouderteu 

PBnuten  mit  ovalen  EingangsöH'nungen  '  verharren :  zu  ihnen  gesellen  sich 
iwanglos  alle  munnbaren  Knaben.  Wird  ein  Mildehen  schwanger,  so  ist  ihr 
bisberigAr  (ieftlhrte  verpflichtet,  sie  zu  heirathen  und  ihr  den  üblichen  Braul- 
preii  zu  erlegen.  CKmi»  lieif.^^  Aehnliehes  soll  Durton  von  den  südlich 
vom  Aequator  wohnenden  Völkern  berichtet  haben. 

Viel«?  Völker,  unter  ihnen  vor  allen  Griechen  und  Römer,  bringen 
lit  d*r  Menstruation  überhaupt  sonderbaren  Aberglauben  in  Verbindung. 
Sur  Zeit  de«  I'liniua  glaubte  man,  duss  eine  Menatruirende  Sturm  und 
log«!  vertreiben  könne;    befinde    sich    eine  roenstruirende    Krau   auf  eineut 


2Ö6 


X.  Die  Reife  de«  Weib«8  (die  Pubc 


mit   den  Wogen    und    dem    Orcan   kämpfenden   SchitFe,    so  werde   da 
(gerettet.     Alle  Insectcn  »»ollen  von  ileu  BRunien  fallen,  wenn  sieh  denaC 
eine  Men«truirende  entkleidet  niiheff.     So  vertrieb  miin  die  C&uthariden   tql 
Kappadocien   nach  Metrodoras  Scejtttius.   indem   eine  Frau  mit  bis  an  diel 
Lenden  aufgeholienen  Kleidern,  oder  auch  nur  mit  blossen  FQdäen,  (^lösteml 
Gflrtel  und  flatterudem  Euar  durch  das  Feld  ging ;  doch  niusste  nach  P2tniu«| 
diese  Ceremouie  vor  Sonnenaufgang  geschehen,  da  sonst  die  Saat  verderbeuj 
würde,  denn  auch  junge  Weinstöcke,  Raute  und  Epbeu  verküiuiuem,  sobald 
sie    von    einer    Menstniirenden    beröhrt    werden.      Rasirmesser    rosten    nac 
Rolcher  Berührung,    und    trächtige    Thiere  »borliren   durch   den  blossen  An«l 
blick    einer    NUnistruircnden.     Der    Hund,    welcher  Menatrualblut  leckt,   soll] 
tidl  werden,    die  Früchte    snllon    verdorben   und  die   Pfropfreiser   aboterben^j 
sobald  eine  Menatruirende  Me  berührt;  die  Früchte  sollen  von    dem  Baamei 
f.iUen,    unter  welchen  sich   eine  Holche  Frau   setzt,    das  Poch  «oll  an  einem' 
in   Menstrualldut  getauchten  Faden  nicht  kleben   und   der  Spiegel  soll  matt^ 
w»-rden,    in    den    eine    Menstniireude    geblickt   bat.      Der    Most    soll    sauer 
werden,  wenn  sich  eine  Menstruirende  in  der  Nähe  befindet;  ja  noch  beute 
glaubt  man,  wie  wir  sehen  werden,  Aehnlichcs. 

Den  Griechen  sind  nach  dem  Vorgange  des  Hippokrate«  die  Kataraenien  | 
nur  eine  Reinigung  [nä^uffoii),  welche  um  so  leichter  von  statten  geht,  wenn  i 
die  Frau  geboren  hat.  weil  dann  die  Venen  leichter  flies«on. 

Im  heutigen  Griechenland  wird  jede  Mens(ri]irende  für  anrein  ge- 
halten, unter  den  Christen  ist  ihr  daselbst  das  Communiciren  verboten 
und  sie  diirf  sich  nicht  erlauben,  die  Bilder  in  der  Kirche  zu  küssen.  Soj 
darf  auch  eine  Israelitin  sich  während  ihrer  Menstruation  nicht  mit  An- 
dern an  einen  Tisch  zum  Speisen  setzen,  nicht  in  die  Küche  gehen  nnd] 
kein  Walser  aus  dem  ülaae  trinken,  das  jemand  Anderes  benatten  aoU. 
(JJamian  Georg.) 

Den    israelitischen    Frauen    hatte  Moses    wahrend  der  Menstrua- 
tion, welche  in  der    Bibel    an  verschiedenen  Stellen;    .der    Weiber  Weise, 
der  Weiber  gewöhnliche  Zeit,  der  Weiber  Absonderung,  der  Weiber  Krank- 
heit*   genannt    wird,    besondere    Vorschriften    gegeben.     Sie    mussten    sieh 
während  ihrer  Reinigung    sieben  Tage  entfernt  halten,    in  ihren  GeniHchern 
verweilen,    weil    sie    ,,tame",    d.  h.   unrein   waren.     Ditnu  mossten  sie  noch 
}eben  Tage  hinzureciineu  und  hierauf    ihre   Reinigungsopfer    bringen.     Der] 
[unn  durfte  sich  wfihrend  dieser  Zeit    weder  ihrem  Bette  nähern,  noch  eie 
mit  der  Hand  berühren,  ohne  sich  nachher  zu  waschen;  er  wurde  für  unrein] 
erklärt.     Ja  sogar  ein  Jeder,  welcher  etwa«  der  menstniirenden  Frau  Ange-I 
höriges  berührte,  wurde  dadurch    unrein.     Auf   den   ehelichen  Umgang  aberj 
mit    einem    Weibe    zur    Zeit    ihrer    Reinigung    stand  Todesstrafe  für  beide  j 
Tbeile.     Nach  Beendigung  ihrer  monatlichen  Reinigung  mussten  die  israeli- 
tischen Frauen  zwei  Turteltauben  als  Opfer  darbringen.     Später  nahmen  die 
Anhänger   der   Ui Herrchen    Schule    an,    dass  die  Zeit  der  Verunreinigung! 
einige  Tage  vor  Eintritt  der  Menstruation  beginne,  die  Anhänger  der  8ebule 
des    Schnmni    mit    dem   Eintritt  der  Menstruation,    dtf  R;i*ibinpii  hingegen 
bestimmten  A\iy  Zeit  des  BoKinnenK  der  Veninv<>inigiii  .  i»r  Ein-; 

tritt  der  M<'!i-''-,     Auf  riniiMlVi^p  .b'>   TnrsAisrliPii  \'  iiri'l  der| 

Tradition   ,  i  in- 

n«!n  bf>'»"li  /a'it , 

nach  'id  ?,u  nrhnii>n  Uabvn. 

I»'>"—  odtfT  aarh   (wiw  am' 

H  vorircnomrovu  wtinieo. 


SS.  IHe  Menstra^na 


«anrein' 


I 


v«1cbe«  mu>deateD8  eine  Wagsermenge  von  40  Sea  enthalten  muss.  Doch 
darf  solches  Wasser  kein  geschöpftes,  sondern  muss  entweder  unmittelbar 
aus  d«r  Erde  quellendes  oder  durch  Regen  angesammeltes  Wasser  sein.  Bis 
noch  vor  wenigen  Decennien  befanden  sich  diese  Frauenbäder  sowohl  im 
Auslände  aU  auch  hol  uns  in  sehr  vielen  Gemeinden  in  einem  höchst  ge- 
sundheitswidrigen Zustande.  In  grösseren  Städten  waren  sie  in  den  Kellern 
dfCT  Sjnngoge,  in  kleineren  Orten  in  Privatkellem,  sehr  schmutzig,  in  einem 
feuchten  Loche  gelegen,  und  wurden  sie  von  vielen  Frauen  benutzt,  so  dass 
sich  allmählich  eine  kelhafler  Schlamm  am  Boden  des  Wassers  ansammelte. 
Metzger,  Friedridi,  Drusen,  Wunderbar  besprachen  die  sanitätspolizeüiche 
Seite  dieses  Gegenstandes.  {Picard.) 

Unter  den  Mohamedanern  gelten  ähnliche  religiöse  Bräuche  in  Be- 
log auf  die  Menstruation.  Im  Koran  ( WaM)  heisst  es :  „Trennt  Euch  von 
den  Weibern  zur  Zeit  der  monatlichen  Reinigung  und  nähert  Euch  ihnen 
nicht,  als  bis  sie  rein  sind."  So  betrachten  denn  alle  mohamedanischen 
Volker  die  Frau  während  der  Menstruation  fUr  unrein:  in  Arabien,  Mas- 
aaua.  Aegypten  und  viele  Völker  in  Ost-  und  Westafrika.  Ebenso 
wird  in  Persien  unter  den  Mohamedanern  die  Menstruirende  für  unrein 
gehalten,  allein  abgesondert  wird  sie  nicht,  wie  mir  Häntzsdie  schreibt.  Im 
Orient,  insbesondere  in  der  Türkei  und  Persien,  mfissen  sich  die  Frauen 
während  der  Menstruation  sogar  dreimal  täglich  baden.  Im  Sidi'^Khelil, 
einem  Gesetzbuch  der  Mohamedaner,  heisst  es:  „Derjenige,  welcher  mit 
Absicht,  seine  Wollust  zu  befriedigen,  seine  Frau,  während  sie  menstruirt, 
berührt,  verliert  die  Kraft  der  geistigen  Ruhe."  Das  Erscheinen  der  Menses 
n&thigt  die  Frau,  indem  sie  dieselbe  unrein  machen,  sich  aller  religiösen 
Pflichten  zu  enthalten. 

Die  Vorstellung,  dass  jede  menstruirende  Frau  unrein  ist,  findet  sich 
schon  bei  den  Iranern  im  grauen  Alterthume.  Die  alten  Meder,  Bak- 
trer  und  Perser  hatten  in  dieser  Beziehung  sehr  strenge  religiöse  Vor- 
schriften. Sobald  ein  Mädchen  oder  eine  Frau  die  eintretende  Menstruation 
bomi-rkte,  mu.s»<te  sie  sich  an  einen  einsamen,  von  aller  menschlichen  Ge- 
sellschaft entfernten  Ort  begeben,  wie  es  auch  bis  auf  diesen  Tag  Sitte 
ist  unter  den  Urbewohnem  des  asiatischen  Hochgebirges  zwischen  Tibet 
und  Indien.  Im  Zendavesta  heisst  es,  das  Mädchen  werde  unrein  durch 
ihre  Zoiten,  durch  «Merkmale  und  Blut*.  Die  Menstruation  galt  den  Iranern 
als  eine  Schöpfung  der  bösen  Geister.  Der  Legende  nach  war  es  Dschahi, 
die  Dämonin  der  Unzucht,  an  welcher  zuerst  durch  Angra  Mai^u  die  Menses 
hervorgebracht  wurden.  Es  sind  also  die  Frauen  während  ihrer  Regel  ge- 
wlMertaaUBsen  in  der  Gewalt  des  Bösen;  sie  sind  unrein  und  wirken  verun- 
reinigend auf  ihre  Umgebung.  Darum  wurden  sie  nach  Avesta  auf  einen 
eigenen  Platz  geV)racht  und  dort  völlig  abgeschlossen.  Dieser  Platz  soll  mit 
trockonem  Staube  beschüttet  und  von  Pflanzen  und  Kräutern  gereinigt 
werden  (noch  heute  glaubt  man  in  Deutschland,  dass  eine  Menstruirende  im 
Krautfelde  das  Wachsthum  der  Pflanzen  verderbet;  er  soll  höher  liegen  aU 
da«  Haus,  damit  das  Auge  des  Weibes  nicht  auf  das  Herdfeuer  falle  und  e« 
Teruufiiioige.  Fünfzehn  Schritte  muss  der  Ort  entfernt  sein  von  den  heiligen 
^JOfsiniien  Wasser  und  Feuer,  sowie  von  den  zum  Opfern  gebrauchten  G(^ 
r&thnn.  Die  Männer  und  alle  frommen  Menschen  durften  sich  nur  auf  drei 
'■'•'••rn.  Noch  jetzt  besteht  in  jedem  Perserhaase  eine  solche  Auf- 
fflr  unreine  Frauen.  Als  normale  Zeitdauer  der  Menses  gelten 
iluaaerste  Grenze  der  neunte  Tag;  die  Isolirung  währt  unter 
VcriiAltnissen  4  Tage.     Zeigt    sich    sogar  noch  nach  9  Tagten 


ruo,    Dut   W»ib.  1       3.  Aufl. 


17 


288 


X.  Die  Reife  de«  Weibe«  (die  Pabottat). 


Blut,  80  wirkten  nach  der  Vorstellung  der  Iraner  böse  fieister  auf  die 
Frau  ein.  8ie  wurde  dann  sogar  mit  400  Schl&gen  beetraf't  und  allerlei 
Reioigungs-Ceremonien  mit  Wasser  und  Kuhham  in  ibrer  Umgebung  vorge- 
nommen. Aach  mussten  zur  weiteren  Sübnung  Ameisen  und  andere  schäd- 
Rehe  Thiere  erlegt  werden.  Avesta  verbietet  ausdrücklich  den  MRnnem  ehe- 
lichen Verkehr  mit  menstruirenden  Weibern.  Erat  nach  entsprechenden 
Waschungen  durfte  die  Frau  wieder  mit  Menschen  zusammenkommen. 
{Geiger.)  Pflegt  sie  während  dieser  Zeit  Umgang  mit  einem  Manne,  so  be- 
kommt sie  20  Riemenstreiche,  begeht  sie  dieses  Verbrechen  zum  zweiten 
Male.  80  erhält  sie  20  Streiche  mehr.  Der  Mann,  welcher  an  diesem  Orte 
mit  ihr  sich  eingelassen,  begeht  nach  Zoroa«ter  ein  Verbrechen,  für  welches 
es  keine  Aussöhnung  giebt;  er  muss  dafür  bis  zur  Auferstehung  der  Todten 
in  der  Hölle  büs^en.  Hatte  ein  Mann  mit  seiner  eigenen  Frau  den  Coitos 
vollzogen,  so  wurde  er  „Tanafur",  bekam  200  Riemenstreiche  oder  mosste 
statt  derselben  200  Derecus  zahlen.     {AU.) 

Die  Vorschriften  fQr  die  Behandlung  menstruirender  Weiber  stimmen 
bei  Zoroaster  und  Moses  fast  ganz  überein.  Das  Weib  wird  an  einen  ab- 
gesonderten Ort  gebracht.  Alles  was  sie  berührt  ist  unrein.  Nach  ZoroasUr 
muss  sie  an  diesem  Orte  4  Nächte  bleiben,  dann  muss  sie  sich  untersuchen, 
und  wenn  sie  dann  ündet,  dass  die  MeoHtniation  noch  vorhanden  ist.  noch 
5  Nächte  an  dem  Orte  zubringen.  Darauf  zählt  sie  noch  9  Tage  hinzu ,  wo 
sie  an  dem  Orte  bleiben  muss.  lässt  sich  dann  nach  Vorschrift  reinigen,  darf 
dann  ihre  Einsiedelei  verlassen  und  sich  in  die  menschliche  Oeeellschaft  be- 
geben.    Die  Zahl  9  ist  bei  Moses  auf  7  herabgesetzt. 

An  diesen  altpersiachen  Sitten  halten  auch  noch  diejenigen  An- 
hänger Zoroasters  {est,  welche  einst  (632)  durch  die  Araber  aus  Persien 
vertrieben  wurden  und  sich  dann  in  Indien,  namentlich  in  Bombay, 
niederliessen :  die  Parsen.  Auch  bei  ihnen  mass  sich  die  menstrairende 
Frau,  weil  sie  unrein  ist,  an  einen  abgesonderten  Ort  des  Hauses  begeben: 
man  nennt  denselben  Daschtan-satan,  und  legt  ihn  eo  an.  dass  die  Sonnen- 
strahlen keinen  Zutritt  haben,  und  Wasser,  wie  Feuer  und  Alles,  was  zum 
Leben  gehört,  fern  bleibt.  Ehemals  soll  es  Öffentliche  Daschta-sataa's 
gegeben  haben;  doch  im  Laufe  der  Zeit  verminderte  sich  auch  bei  dem  Volke 
der  Perser  diese  Barbarei.  Während  die  armen  Menstruirenden  in  ihren 
Gefängnissen  sitzen,  dürfen  sie  mit  Niemand  sprechen.  Niemand  darf  ihnen 
nahe  kommen;  das  Essen  wird  ihnen  von  weitem  zugeschoben.  Erst  zwei 
Tage  nach  Ablauf  der  monatlichen  Reinigung  ist  dem  Manne  der  Verkehr 
mit  dem  Weibe  wieder  gestattet.    (Du  Perron.) 

Wie  die  alten  Inder,  so  pflegen  noch  heute  mehrere  Völker  Ostin- 
diens die  Meni^truirenden  stt^ng  abzusondern;  dies  gilt  nicht  bloss  bei  den 
noch  immer  den  Geboten  Zoroaster's  folgenden  Völkern ,  sondern  auch  von 
anderen.  Aeltere  Berichte  darüber  lauten:  ,In  Oitindienist  es  Sitte,  daa« 
jedes  Mädchen  ihren  periodischen  Blutabgang  durch  ein  mit  ihrem  Blute 
gefärbtes  Läppchen  Leinwand,  das  am  Halse  befestigt  wird,  bekannt  macbL* 
( Wolf. ')  —  . So  lange  die  Frauen  in  0  a  t  i  n  d  i  e  n  ihre  Reinigung  haben,  erlaubt 
man  ihnen  kaum  einen  Plate  im  Hause;  sie  halten  sich  gemeiniglich  in 
einer  besonderen,  vor  dem  Hanse  angebauten  i"I:ill.<""  m*  ^x^,.U■.r,  ,..„..  :i>n<«n 
Kuch  das  Essen  bringt.'  {üentil.)  —  Bei  dcit  ,ta 

die  Vorschriften    der   Sitten    ii«-»"-    "'i'"  "i  • 
Nayera  in  Mklabar  ist  die  ' 
rein:  sie  mn  -  —    --■:  —    > — - 
Koch-  oder 


38.  Tut  Menitniirende  gilt  fttr  ^xuaem* 


259 


mm 


zain  7.  Tage  einschliesslich  halbrein,  darf  doe  Zimmer  verlaasen,  aber  noch 
nicht  den  Tempel  betreten.  Das  Product  einer  mengtruirenden  Rani  (Pris- 
xeuin)  heiset  tirra-pickerda  (heilige  BlÜthen).  Die  Nayer^Frau  sagt  in 
solchen  Fallen  viitü-darum  (fem  vom  Hause).  Verlangt  man  dann  einen 
Trank  Wasser  von  ihr,  «o  luitwortet  sie:  ich  bin  nicht  in  Hauee.  Bei  Er- 
biurang  einei^  Nayer-Haaee«  wird  ein  besonderer  Ranm  für  Wöchnerinnen 
nnd  monstmirende  Frauen  bestimmt.  In  Trovancore  ist  fQr  Rania  (Prin- 
ceaannen)  in  solchen  Umständen  ein  eigener  Palast  vorhanden.    {Jagor.''') 

Besondere  Formalitäten  beobachten  bei  solchen  Gelegenheiten  die 
Hindus,  wie  aus  den  Schriften  Nittia  carma  und  Padmapurana  her- 
vorgeht: „Sobald  eine  Ftuu  ihre  Regeln  bekommt,  so  wird  sie  in  ein  ab- 
gesondertes Local  gebracht  und  ea  darf  3  Tage  lang  Niemand  mit  ihr 
verkehren.  Am  ersten  Tage  betrachtet  sie  sich  als  eine  Paria  (der  Autor 
nimmt  an,  die  Frau  sei  von  höherer  Kaste).  Am  zweiten  Tage  hält  sie  sich 
in  gleicher  Weise  für  unrein,  als  ob  sie  einen  Brahma  getödtet  hätte.  Am 
tten  Tage  befindet  sie  sich  in  einem  Zustande,  der  die  Mitte  zwischen 
beiden  voraupgegangenen  Tagen  hat.  Am  vierten  Tage  reinigt  sie  sich  durch 
Abwaschungen  and  alle  die  für  diese  Gelegenheit  vorgeschriebenen  Ceremo- 
nien.  Bevor  dies  geschehen  ist.  darf  sie  weder  baden,  noch  irgend  einen 
Tbeil  des  Körpen  waschen,  noch  auch  weinen.  Sie  muss  sich  hüten,  In- 
leden  oder  irgend  ein  lebende«  Wesen  zu  tödten.  Es  ist  ihr  verboten,  ein 
Pferd  oder  einen  Ochsen  oder  Elephanten  zu  beateigen,  sich  im  Palonkin 
tragen  7.u  Uäsen  oder  im  Wagen  zu  fahren,  ihren  Kopf  mit  Oel  zu  salben, 
h  ein  Spiel  zu  spielen,  Wohlgerüche,  wie  Moschus  u.  a.  w.,  an  «ich  zu  bringen, 
^^ttuf  einem  Bett  zu  liegen,  nm  Tage  zu  schlafen,  die  Zähne  zu  reiben  nnd 
^K4en  Mund  «uszuspilleD.  .Schon  der  Wunsch,  mit  ihrem  Ehemanne  zu  coha- 
^HbiÜren,  ist  eine  grosse  Sünde.  Sie  darf  nicht  denken  an  Gott,  noch  an  die 
^■{Sonne,  an  die  Opfer  und  Gebete,  zu  welchen  sie  verpflichtet  ist.  Sie  soll 
^Hf  ersonen  höheren  Ranges  nicht  begrttssen.  —  Wenn  «ich  mehrere  Frauen, 
^™^die  ihre  Regel  haben,  zugleich  in  einem  Gemach  befinden,  so  dürfen  «ie 
^  kein  Wort  miteinander  wechseln ,  noch  sich  untereinander  berühren. 
Eine  Frau  in  diesem  Zustande  kann  sich  nicht  einmal  ihren  Kindern  n&hem, 
w  ist  ihr  versagt,  sie  anzufassen  oder  mit  ihnen  zu  spielen.  —  Hat  die 
Frau  demgemäsB  drei  Tage  zugebracht,  so  verlaust  sie  am  vierten  das  Ge- 
mach, in  dem  sie  abge8chlof.«en  war,  und  man  übergiebt  sie  den  Wäscherinnen 
zur  Reinigung;  sie  zieht  ein  reine«  Hemd  an,  und  darüber  noch  ein  zweites, 
und  80  führt  man  sie  zum  Flu^ise,  um  ein  Bad  zu  nehmen.*  (DulxnsJ 

Die  im  Norden  I  ndiens  wohnenden  Stämme  von  Ureinwohnern  befolgen 

zum  Theil  gleichfalls  den  Brauch  der  Frauen- Absonderung.    Bei  den  Oauri, 

.-inero    sanskritsprechenden,     nicht    dem    Zoroaster   anhangenden    Volke     in 

Bengalen,    existirt  folgende  eigenthümliche  Sitte.     «Es  begiebt  sich  jedes 

lOdohen   nnd   jede    Frau,    sobald   sie   ihre    Zeit   bemerkt,  schleunigst   aus 

ihrer  Wohnung    und    geht    nach    einer    kleinen   auf  dem    Felde   besonders 

«tehendcn  Hdtte,    so   von  Baumil«ten   als    ein  Korb  geflochten   ist   und  vor 

aleher  vorwärts    ein   langes    leinene»  Tuch  herabhängt ,   welches    als  Thür 

«au    So  lAiiKe  als  ihre   Menstruation  währt,  wird  ihr  alle  Tage  sa  mmb 

1^  '"  Viü  Zeit  verflossen  ist,  schickt  »ie  je  nach  Umständen  dem 

.  ein  junge»  Huhn  oder  Taube  zum  Opfer.   Nachher  geht 

ladrt  ihre  Verwandten  zu  einem  Mahle  ein.*    (Tac^ni^r.) 

.    den  Gebirgen    und  Thälern    des  Hindu -Ku«h  wohnen 

■',    welche    die   Frauen   ebenfalls    bei    jeder    Menstruation 

■    vom    Dorfe   entfernt    stehendes   Gebäude   sich    zurück- 


260 


X.  Die  Reife  de»  Weibes  (die  Pubertät). 


»eben   la-seen ,   'weil   sie   dieselben   für   unrein   halten.      Auch   hier   inÜRBenl 
sich     die    Weiber     zum     Sciilusse     einem     religiöaen    ReinigangsverCüiren 
unterwerfen.     Dageg^en   findet  bei  den  Badagas  im  Nilgiri-Gebirge  die] 
Absonderung    der    Mädchen    nur    filr    daa    erste    Mal     des    Menatruations- 
Eintritte  statt.     (Jagor.) 

lu    Siftm    gilt    die    Frau    zur  Zeit   der  Menstruation   für   unrein  (nach 
mündlichen  Mittbeilungen  Sclwmhurgk's). 

Die  menstruirenden  Mädchen  und  Frauen  müssen  bei  den  Chewauren 
(im  Kaukasus)  in  entlegenen  Hütten  als  ^unrein*  gesondert  leben;  solche 
aus  Schieferplatten  hergestellte  Häuschen  sieht  man  stets  in  der  Nü.be  der 
Cbews  urendörfer.  Wllbrend  dieser  Zeit  müssen  die  Weiber  alte  Kleider 
anziehen.  Ist  schönes  Wetter,  so  sitzen  die  Weiber  auf  dem  Dache,  und  im 
Sommer  leisten  sie  in  der  Vertilgung  von  allerlei  Ainlden  Kräutern  das  Un- 
glaubliche. Abends  aber  müssen  diese  ^unreinen*  Wesen  doch  die  Kühe 
besorgen,  und  dann  begeben  sie  sich  zur  Nacht  wieder  an  den  abgesonderten 
Ort.  Der  Process  der  Menses  verläuft  in  normaler  Weise,  länger  als  zwei 
Tage  sitait  selten  ein  Chewauren-Weib  in  der  „Samrewlo-Hütte*.  {Raddt.) 
Bevor  die  Frau  wieder  ins  Dorf  kommt,  muss  sie  sich  am  ganzen  KOrper^ 
waschen. 

In  China  tragen  die  Frauen  während  ihrer  Menses  ein  als  Enveloppe 
Busaminengefaltetes  Papier  vor  den  Geschlechtstheilen  zwischen  den  Schenkebi  h 
und  fangen  in  dieser  Papierdüte  das  Menstrualblnt  auf;  dabei  befestigen  fle^| 
an  einem  Gürtel  ein  Tuch,  das  zwischen  den  Schenkeln  hindurchgezogen 
wird  und  durch  welches  die  Papierdüte  an  ihrem  Plat2,e  gehalten  wird, 
unsere  europäischen  Damen  sind  gewöhnt,  einfach  ein  Tuch  zwischen  den 
Schenkeln  während  ihrer  Menses  zu  tragen,  allein  in  China  verweigern  die 
eingeborenen  Dienerinnen  ein  solches  mit  Menstrualblut  verunreinigtes 
Tuch  xu  waschen;  daher  sehen  sich  die  europäischen  Frauen  in  China 
genOtkigt,     ebenfalls    jene    Papierdüte    bei    der    Menstruation    zu    tragen. 

In  Japan  bestehen  ähnliche  Vorrichtungen,  welche  die  Frau  w&hrttid^| 
der  Menstruation  benntst,  und  an  denen  sie  selbst   einen  ziemlicb  genauen ^^ 
Anhaltspunkt  Über  die  Menge  des  Henstrualblntee  besitzt.     Hierüber  könnt« 
Wemich   Niifaere«   erfahren.     Zunächst   wird    nämlich    statt  de«  gewöhnlich 
um  die  Uüfte  geschlungenen  Tuches  eine  wohlconstruirte  T-Binde  angelegt, 
welche  Kama   (»Pferdchen*)  genannt   wird.     Doch  soll  dieselbe  keineawei 
dazu  dienen,  die  Flüssigkeit  aufxufangeo.     Dies  geschieht  vielmehr  auf  an 
den  Weise.     Die  sich  der  Reinliclikeit  befleis$igenden   orientalischen  Volk 
b«traeht«&   bekanntlich  jede  Verunreinigung  mit  einem   Körpersecret  (Blnt^^ 
SitAT-,   Käsen-    und   Bronchialschleim)  als   eine  so  starke,  dacs  sie  ein  der- 
artiges besehmutstes  Kleidtutgs-  oder  Wäschestflck  in  der  Regel  nicht  m?hr 
an  den  Lei b  bringen.    VielfAch  erwähnt  wird  die  That«ache  bei  der  1 
boag  der  papierenen   jaiianosischen  und  chinesischen  Schnu^ 
In  noch  höherem  Grade  gilt  das  Menstnnlexeret  als  ein  tuireines,  and  aactt 
«a  seiner  Aafsaogung  wird  Papier  Tcrwandt.    Die  Fnuwa  kaelKn  buj  i<ii 
der  aleU  (au   «tir>ichietleu«n    Zwecken)   in  gritmnm   Vunath 
Pliptflri>MII«r  «ine  etwa  knacViivm.!«! 
«oh  di««9  je  nach  BetÜrflüs* 
Periode  «.  B.  da*  Tb--"—  *- 
mehnre  Mal«  vor. 
von  n  -    '  "'^ — 

Fluai 


38.  Die  Menstruirende  gilt  für  .nur 


'Aus  der  Zahl  neun,  die  während  eine»  Menstxualtages  verbraucht  wird  {6 
\>iK  12  Stück),  machen  die  Frauen  einen  Schlues  auf  den  guten  Ablauf  der 
Periode  und  auf  die  Reichlichkeii  derselben.  Diese  letztere  und  eine  kurze 
Daaer  gilt  vornehmlich  für  ein  Zeichen  guter  Gesundheit;  weit  weniger 
Gewicht  wird  auf  Oonsistenz,  Farbe  und  etwaige  Beimengungen  gesetzt. 

Bezüglich  des  Yerhaltens  der  Japanerinnen  während  ihrer  Periode 
gelten,  nach  Angabe  Wa-nich's,  der  hierüber  Angaben  sammelte,  als  ganz 
allgemein  die  Verbote  den  Badens,  des  Coitus  und  anstrengender  Arbeit. 
Auch  fürchten  sie  sehr  etwaige  Erkältungen,  welche  sie  ganz  charakteristisch 
Shimokase  (Wind  von  unten)  nennen.  In  einzelnen  Provinzen  des  Innern 
von  Japan,  speciell  in  Hida,  ist  den  Frauen  während  dieser  Zeit  der 
Tempelbesuch  und  das  Beten  zu  den  G6ttern  oder  guten  Geistern  auf  das 
Strengste  untersag;  in  andern  müssen  sie  aog&r  die  ganze  Zeit  in  abge- 
sonderten Gemächern  zubringen  und  dürfen  nicht  mit  ihren  Familien 
toaammen  essen.  Bemerkt  die  Frau  das  Aufhören  des  Blutäuases,  so  niuimt 
«ie  ein  Bad,  zieht  andere  Kleider  an  und  legt  die  T-Binde  ab.  Mit  diesen 
Regein,  sowie  mit  der  Auffassung  des  ganzen  Vorganges  werdeu  die  jungen 
Mädchen  frühzeitig  bekannt,  indem  sie  den  Gesprächen  der  etwas  älteren 
Mädchen  und  der  erwachsenen  Frauen  zuhören.  WernicJ^  glaubt,  aus  der 
Erklärung  und  Ableitung  der  sämmtlicben  Ausdrücke  für  „Menstruation' 
einer  Reihe  ganz  verständiger  anderweitiger  Auffassungen,  aber  nirgends 
der  bei  uns  immer  populären  zu  begegnen,  dass  die  Menstruation  ein 
Reinigungsact  sei.  So  betrachtet  also  die  Japanerin  das  auegefiosseno 
Blut  als  ein  höchst  unreines  —  vielleicht  das  unreinste  Excret — ,  verräth 
aber  in  keinem  der  geläufigsten  Ausdrücke,  dass  ihr  Körper  dabei  oder  da- 
durch gereinigt  werde.  Man  urtheile  selbst.  Der  gewöhnlicluite  Ausdruck 
j  int  ,Gek-ke",  was  einfach  monatliche  Regel  bedeutet.  ,Mengori*  oder 
'  ,Megori*,  das  demnächst  gebräuchlichste,  etwas  feinere  Wort  ist  wörtlich 
Cirkeltour  oder  dasjenige,  was  regelmässig  wiederkehrt.  ,Akane  Son-ke' 
(ein  etwa«  ordinärer,  vielfach  in  Volksliedern  und  Witzen  gebrauchter  Aus- 
druck) heisst  «RothCäTbung';  .Geschin*  heisst  monatliche  Botschaft  oder  Ver- 
kündigung, und  sJakh'  heisst  einfach:  Pflicht.  Die  beiden  letzten  sind  schon 
[etwas  ungebräuchlichere  Bezeichnungen. 

Unter  den  Samojeden  gilt  das  Weib  überhaupt  als  unreines  Wesen, 

aber  zur  Zeit   der  monatlichen  Reinigung   am  meisten  verachtet;    da 

Aoaa  sie  gar  oft  über  das  Feuer  schreiten  und  mit  den  Dämpfen  von  Renn- 

[thierhaaren    oder   Bibergeil    sich    räuchern;    da   darf  sie   keine   Speise   für 

MiLnner  bereiten  und  ihnen  gar   nichts  durreichen.  CPaUas.J 

Auf  den  aleutischen  Inseln  dauert  die  Absperrung  für  Frauen  und 
iMädchen  jedesmal  7  Tage;  sie  ist  dort  durch  das  Eindringen  des  Christen* 
|4hums  ziemlich  abgeschafft.  Bei  den  Ttjnai  sah  Capitän  Sagoakin  im  Jahre 
|]^2  die  mcnstruirenden  Weiber  mit  achwarzbemalten  Gesichtern  unter  einer 
[ledernen  Zeltderke  abgesperrt.  Die  Koljuschen  auf  Sitcha  sperren  nach 
CrnMn  <l  'u   und  die  Frauen  drei  Tage  lang  ab. 

_A.eli'  nilen  wir  bei  den  UrvClkem  Amerikas  sowohl  im  Süden, 

im    höhten    Norden.      Die   Guajquiries    am    Orinoco    glauben. 

in  eine  munstruirende  Frau  ihr  Wasser  lässt,  dadurch  eine  Dürre  ent- 

ii  und  das*,   wenn   irgend   ein  Mann   dahin  urinirt,  wohin  sie  den  Fuss 

.,,.  „•..ir-(«>n   iijtn   seine  Schenkel   aufschwellen.     Sie  fasten  des- 

it   sie    kein    Gift  mehr  enthalten,  sondern  dies  voU- 

-.u    uiul   vergehe.    (GumiUa.J    Schon   Güi  hatte  im  vorigen 

.  duss  (Üe  Frauen  der  Indianer  am  Orinoco  während 


262 


X.  Die  Reife  dea  Weibes  (die  Pubertät). 


jeder  Menütrnation  fasten  müBsen.  Auch  die  Frauen  anderer  Indianer 
vOlker  Sfldanierikaa,  e.  B.  der  Maja's  nach  v.  Azara,  sowie  der 
Payagua  nach  Benffger,  müssen  bei  der  Menstruation  eine  besondere  DiM 
beobachten;  die  verheiratheten  Frauen  der  ersteren  dürfen  überhaupt  niemala 
Fleisch  von  Kühen  und  Ochsen  genieasen;  während  der  Menses  ernähren  sie 
sich  lediglich  von  Gemüsen  und  Obst,  sie  vermeiden  zu  dieser  Zeit  Allet, 
was  fett  ist,  denn  sie  meinen,  das»  nach  dem  Genuas  von  Fett  in  dieser 
kritischen  Zeit  Hörner  auti  der  Stirn  wachsen.  Manche  Stämme  Süd- 
amerikas sondern  die  Menstruirendo  ängstlich  ab;  es  werden  ihr  besondere 
Cabanen  angewiesen  und  Hie  dürfen  sich  nicht  erlauben,  irgend  etwas  an- 
zurühren, was  noch  gebraucht  werden  könnte.  (Tm  Potherie.) 

Die  Frauen  der  Indianer  Nordamerikas  beobachten  zur  Zeit  ihrer 
Menstruation  sehr  gros^eu  Anstand.  In  jedem  Wohnorte  oder  Lagerplatze 
befand  sich  ein  Gebäude,  wo  sowohl  M&dchen  als  Frauen  während  jener 
Periode  verweilten  und  von  der  Übrigen  Gesellschaft  auf  das  Strengste  ge- 
sondert waren.  Die  Männer  vermieden  unterdessen  alle  Berührung  mit  ihren 
Weibern;  und  bei  den  Nodowesaiern  hätte  man  es  unter  keiner  Bedingung 
gestattet,  irgend  welche  Gegenstände  aus  dem  Orte  des  Aufenthaltes  der 
menstruirenden  Frauen  zu  holen.  (Carver.J  Auch  die  Weiber  der  Crih- 
Indianer  dürfen  sich  während  der  monatlichen  Reinigung  nicht  mit  den 
Männern  geschlechtlich  vermischen.  ( Hiduirdson.)  Der  Maler  Kerne,  welcher 
die  Ojibeways  am  Uuron-See  besuchte,  schreibt:  ,Zu  gewissen  be* 
stimmten  Zeiten  ist  den  Krauen  nicht  der  geringste  Verkehr  mit  dem  übrigen 
Stamme  gestattet,  sondern  sie  müssen  eine  Hütte  nicht  weit  vom  Lager 
bauen,  in  der  sie  bis  zu  ihrer  Genesung  völlig  abgeschieden  leben.*  Aehn- 
liche  Erscheinungen  in  Brauch  und  Sitte  gehen  durch  den  ganzen  hohen 
Norden  des  amerikanischen  Continente.  Die  Indianer  am  Stnarts- 
Lake  und  Fraser-River  in  British-Nordamerika  scheiden  ihre  Frauen 
während  ihrer  Eatamenien  vom  Stamme  ab  und  legen  ihnen  auch  Speise- 
vwrbote  auf.  (HamiiUm.)  Und  bei  den  Eingeborenen  im  Westen  der  Hud- 
sonsbay,  den  Athapasken,  den  Huudarippen-  und  Kupfer- 
Indianern,  dürfen  die  Weiber  während  dieser  Zeit  nicht  in  einem  Zelte 
mit  ihren  Mrinuem  bleiben,  sondern  sie  kriechen  in  kleine,  elende  Hütten  in 
einiger  Entfernung  vom  Lag«r  der  Horde.  Die  Weiber  benutzen  zuweilen 
diesen  Gebrauch,  um  sich  auf  einig«  Zeit  der  üblen  Laune  ihres  Eheherm 
XQ  entziehen.  Bei  den  Oroahn-Indianern  wird  die  Menstruation  als  «sa 
Wttktmda  gehörig"  betrachtet.  In  der  Mj-the  vom  Kaninchen  und  dem 
schwarxen  Bären  w*if  liacteingt,  das  Kaninchen,  ein  Stück  vom  schwarzen 
Bären  -  Häuptling  g«gen  seine  Grossmutter,  verwundet«  sie  und  veranlasste 
hierdurch,  dass  sie  di«  Katamenien  bekam.  Seit  dieser  Zeit  sind  die  Weiber 
damit  behaft«t.  Unter  den  Omahas  und  Ponkas  macht  die  Frau  auf  Tier 
Tage  ein  abgesondertes  Feuer,  in  einem  kleinen  Räume,  und  wohnt  getreoui 
vom  übrigen  Haushalte.  Sie  kocht  und  isst  allein  und  sogt  Niemandem  etwas 
von  ihrem  Unwohl.^ein.  nicht  einmal  ihrem  Ehe^ratten.  Erwachsene  Leute 
(Urohten  sie  nicht,  aber  Kinder  haben  Ursache  den  Geruch  zu  fOrchten. 
welchen  nie  vorbrt>itt>it.  Woia  eias  mit  ihr  isst,  bekommt  ee  eine  aus- 
zehrende BruKtiTTinkheit  aad  smm  Lippen  verdorren  im  Umkreise  von  zwei 
ZoU.  Sein  Blut  winl  sohvart  und  das  Kind  nntss  breohea.  Am  vierten  o44r 
fünften  Tage  badet  sie  tioh  and  wS«chi  ihr  Geschirr  a.  s.  w  DAitn  durf  sie 
in  ihren  Haasbftll  Stti11dk)nlu«o.    Sine  andere.  ebenfalL«  m  i^a 

darf  mit  ihr  umtninenwoham.    V^Lbrend  der  Begel  wolle <  lüt 

Oirea  ITmimii  vcdcr  aosMiiiaen  Uegeti,  noob  tamu,  und  sie 


I 

I 


88,  Die  Menstniirende  gilt  für  ,,unreia' 

SchÖMel,    Napf  oder  Löffel  benutzen.    Seit   über    10    Jahren,   wo    die 
mehr  mit  den  Weissen  in  Ber&luniag  kommeii,  ist  die  Sitte,  nicht  von 
denelben  Schüsael  zu  essen,  abgekommen. 

Auch  bei  den  Eskimo  der  Nordweatküate  Amerikas  gelten  die 
Mftdchen  und  Frauen  für  unrein;  sie  dürfen  nicht  mit  den  übrigen  Haus« 
bewohnem  gemeinsam  dieselben  Speise-  und  TrinkgeHlBse  benutzen  und  be- 
dienen sich  während  dieser  Tage  besonderer  Geschirre.  CJacob«en.) 

Dt<r  Brauch  der  Absonderung  der  Menstruirenden  als  einer  „unreinen* 
geht  auch  durch  ganz  Afrika.  Auf  der  Westküste  verbieten  die  Ibu- 
Neger  in  Old-Calabar  der  Frau,  das  Haus  zu  verlassen;  dieselbe  muss  auf 
einer  Art  Nachtstuhl  mit  untergestelltem  Gefass  sitzen.  (Heican).  Bei  den 
Negern  an  der  Guinea-Küste,  sowie  an  der  Zahn-  und  Elfenbein- 
Kflate  (in  lasinij  hat  jedes  Dorf  eine  abgesonderte,  an  hundert  Schritt  von  der 
Wohnung  entfernte  Hütte,  «Bumamon"  genannt,  in  welche  sich  alle  Weiber 
und  Mädchen  begeben  und  sich  des  Umgangs  mit  anderen  Menschen  enthalten 
müssen,  bis  die  Zeit  der  Reinigung  verflossen  ist;  während  dieser  Zeit  wird  ihuon 
der  Lebensunterhalt  dorthin  gebracht.  (Loyer.)  Bei  den  Cougo- Negern 
iDÜsieo  MeuBtruirende  volle  sechs  Tage  in  Abgeschlossenheit  leben  und  dürfen 
vor  Niemandem  sich  blicken  lassen;  geschieht  hierin  ein  Versehen,  so  fangen 
die  sechs  Tage  von  neuem  an.  Nach  Ablauf  dieser  Zeit  muss  die  Frau  mit 
iTother  Erde  und  alsdann  durch  ein  Bad  sich  reinigen.  CDeffrandpre.J 
Unter  den  Negern  der  Loango- Küste  (Bafiote)  bleibtcdas  menstruirende 
Weib  den  Hütten  fem,  in  welchen  Männer  hausen;  die  Frau  gilt  also  während 
dieser  Zeit  für  unrein.  (Pechuel-  Loesdu.)  Hier  wird  ein  Stoff  (genannt 
Taknlla),  welchen  ein  im  Majombe- Gebiet  wachsender  Baum  liefert,  zu 
Pulver  verarbeitet  und  dazu  von  den  Weibern  benutzt,  sich  zur  Zeit  der 
Periode  roth  zu  bemalen.  Während  der  Menstruation  wird  die  Reinlich- 
keit, welche  die  Bafiute- Neger  an  der  Loango-Küste  überhaupt  aus- 
zeichnet, nicht  vernachlässigt;  man  wäscht  und  badet  sich  ohne  Rücksicht 
EU  nehmen  auf  den  jeweiligen  Zustand,  welcher  überhaupt  die  Betreffenden 
ireDig  KU  alteriren  scheint.  (Pechuel-Loesche.J  Auch  bei  den  Aschanti  in 
Westafrika  sondern  sich  die  menstruirenden  Weiber  von  andei'Cn  ab. 
fBotcditsch.J  Dasselbe  geschieht  unter  den  weiter  im  Innern  wohnenden 
Kalunda- Negern  in  der  südlichen  Hälfte  des  Co ngo- Beckens;  die  Frau 
des  gemeinen  Negers  wohnt  alsdann  hier  allein  in  einer  besonderen  Hütte 
und  darf  nicht  für  Andere  Wasser  holen  oder  Speisen  bereiten;  die  vor- 
nehmen Weiber  verlassen  mit  ihrer  nächsten  Sclaven-Umgebang  ihre  officiellen 
Wohnungen,  um  in  entfernten,  einsam  gelegenen  Wohnungen  die  Zeit  ihrer 
Beinigung  abzuwarten.  ( Pogge.) 

Dieselben  Sitten  behielten  die  Neger,  welche  als  Sclaven  nach  Süd- 
amerika übergeführt  wurden,  und  dann  wieder  ihre  Freiheit  erhielten,  fast 
unverändert  bei.  Bei  den  freien  Negern  in  Surinam  müssen  die  Frauens- 
personen während  der  Dauer  ihrer  monatlichen  Reinigung  in  einem  besonders 
dazu  eingerichteten  Hause  verweilen.  Auf  dem  Wege  in  dieses  Quarantäne- 
Baus  musH  die  Frau  «ich  sorgfältig  hüten,  dass  sie  keiner  ihr  etwa  begegnen- 
den Mannsperson  den  Rücken  zukehrt,  noch  weniger  darf  sie  Jemand  hmter 
«rieb  gehen  lasNon,  sondc^ra  sin  mui«,  sobald  ihr  Jemand  näher  kommt,  so 
lange  stehen  blrtlben,  bj«  die  Person  vorüber  ist.  Ereignet  es  sich,  dass  ihr 
auf  diesem  Wngo  «jn  Mann    oder    i^in«  Frau   entgegenkommt,   so  bleibt  sie 

■  i..lcich  »t<"hen  und   ruft   diT  l'«r»on  mit   ängstlicher  Stimme  entgegen:  ml 
i^  '    '  rni  V:\v\  (ich  bin  «iifoinf»     Ihrn«  Mannes  Wohnung  darf  sie  nicht  eher 

^  '  i' '  t-n,  al«  ).i!»  All««   »orüber  ist.     Wenn   sie  während  dieser  Zeit 


X.  Die  Reife  des  Weibes  (die  Pubertät). 


auH  ihrer  Wohnung  etwas  nOthig  oder  bei  einem  Nachbar  eine  Verrichtang 
hat,  80  musB  sie  au  der  Haustbür  stehen  bleiben  und  das  BenOthigte  sich 
herauülangen  lassen  und  sofort  wieder  vorsichtig  nach  ihrer  Herberge  eilen, 
wie  sie  denn  auch  während  dieser  Zeit  mit  keiner  anderen  Frau  Umgang 
haben  darf.  (Hiemer.J 

Die  Mehrzahl  der  Volksstämme  Südafrikas,  die  Eaffera.  Hotten- 
totten und  Gonaquas  übten,  wie  Le  Vaillant  fand,  ähnlichen  Brauch; 
derselbe  berichtet:  „Wenn  bei  diesen  Völkern  eine  Frau  oder  ein  Mädchen 
die  Vorboten  der  Menstniation  spürt,  so  verläset  sie  sogleich  die  Hütte  ihres 
Mannes  oder  ihrer  Eltern  und  bleibt  in  einer  gewissen  Entfernung  von  dem 
Wohnplatze  der  Horde,  mit  welcher  sie  alsdann  keine  weitere  Gemeinschaft 
hat.  Gewöhnlich  errichtet  sie  für  sich  eine  Hütte,  in  welcher  sie  sieb  so 
lange  verschlosaea  hält,  bis  die  Menstruation  vorüber  und  sie  durch  BUer 
gereinigt  ist."  Lc  Vaillant  macht  bezüglich  des  zu  dieser  Zeit  hervortreten- 
den Schamgefühls  folgende  Bemerkung:  ,Da  zu  solcher  Zeit  die  Kleidung 
dieser  wilden  Frau  ihren  Zustand  nur  sehr  anvollkommen  verbergen  kann, 
so  würde  ein  solches  Weib  dem  Spotte  der  übrigen  ausgesetzt  sein,  wenn 
man  äusserlich  die  geringste  Spur  ihrer  Krankheit  entdeckte:  ein  dergleichen 
verspottetes  Weib  würde  alsdann  die  Zuneigung  ihres  Mannes  oder  Lieb- 
habers sogleich  verlieren.  Man  sieht  also,  dass  diese  natürliche  Schamhaftig- 
keit  lediglich  in  dem  Bewusstsein  ihrer  Unvollkommenheit  und  der  Furcht 
zu  mis«fallen  gegründet  ist."  Le  VaiUatU  hebt  schliesslich  ausdrücklich 
hervor,  dass  in  diesem  Gebrauche  die  Bedeutung  einer  religiösen  Cereraonie 
nicht  liege  und  dass  er  bloss  der  Reinlichkeit  und  des  Anstanden  wegen 
eingeführt  sei. 

Von  den  Kaffern  sagte  AJberti  nur.  dass  ihre  Weiber  während  der 
Menstruation  von  den  Männern  getrennt  bleiben.  Von  den  Hotten- 
tottinnen wird  auch  von  mehreren  Seiten  bestätigt,  dasa  sie  sich  während 
ihrer  Menses  in  eine  abgesonderte  Hütte  zurückziehen,  und  dass  sich  bei 
einigen  Stämmen  die  Weiber  obendrein  ihr  Gesicht  mit  einem  brillennirroigen 
Zeichen  zu  bemalen  pflegen.  (Novara.J  An  der  Ostküste  Afrikas  bleibt 
bei  den  Szuaheli  nach  Keraten  das  Mädchen  nach  der  ersten  Menstruation 
40  Tage  lang  im  Hause;  es  ist  mir  nicht  bekannt,  ob  beim  weiteren  Men- 
struations •  Eintritt  ähnliche  Vorkehrungen  getroffen  werden.  Bei  den  Ma- 
kololo  und  anderen  Stämmen  des  Marutse-Mambu  nda-Reiches  am 
Zambesi  in  Afrika  wird  die  verheiratheta  Fruu  während  der  Zeit  ihrer 
Menstruation  für  unrein  gehalten  und  moss  durch  7  Tage  ihren  Mann 
meiden;  gewöhnlich  muss  sie  sich  in  einer  Nebenhütte  instaUiren,  und  dazu 
dienen  namentlich  die  backofenförmigen  Häuser  in  der  Hofunifriedigung  der 
königlichen  Weiber.  (Hoiwb.) 

Jh^  Völker  der  Südsee,  die  Polynesier,  Melanesier  und  Mikro- 
neaier,  sind  ebenfalls  Anhänger  des  Glaubens  an  da«  ünreineein  der  Men- 
struirenden.  Aul  den  Marianen-,  Carolinen-,  Harschall- und  Gilbe  rt- 
Inseln  gelten  nach  Mertens'  Bericht  Menstruirende  für  unrein.  WilMn, 
Niettolaa  und  Ander«  bestätigen,  dass  auf  fast  allen  Inseln  Polynesiens 
die  Weiber  während  ihrer  Periode  .unrein"  und  von  dea  Männern  ge- 
trennt sind. 

Auf  Yap,  einer  der  westlichen  Carolinen-Inseln,  wird  jede  Frau 
während  der  Menses  abgesondert;  sie  lebt  dann  in  einer  Hütte,  die  entfernt 
vom  Dorfe  iat,  einem  .As}'!  für  Frauen';  sie  gilt  für  anrtfin  und  iliu-f  «ich 
nicht  im  Dorfe  sehen  lassen;  dieii«lbe  Uütt«  wird  auch  von  den  Frau<m  nach 
der  Entbindung  als  Wohnung  fllr  ihre  Isolimng  benutzt.   Dies  £a&d  d** 


»u  IM«  Xwtnmode  gOk  flr  ^MmtoT.  dfö 


V.  MiHmekt  Ifarfcf*.  Aaf  4er  laad  Cena  ■iViiif.  wie  et  Mete,  üe  Beqp- 
bevolraer,  üe  inyiBBhB  H&lifar«,  ikre  Friaf  ä  gWciwr  .iit  wlhiiail 
diaMT  Epoche  m  den  Wald.  Da^w%m  beühtci  CipitiB  SdWw.  ^  Ceran 
befiadeiaidi  ib  jrfe»  Dotfe  ebi  «yitoi  Me— tiintiiwihaiii .  wwäa  «De  Fzmn« 
die  gaaxe  Zeit  d«  Beuignig  cabnagea  nd  aüfc  dm  ¥lii»frii  «ad  nihtt 
»it  den  t^iBtn«  ¥i»def  ia  keiae  BertUnaag  Iwaiima  *■ 

Aaf  aidbvetCB  laaela  da  alfaricehea  Aidöpeb  vixd  dac  Meaitnift- 
tMaebfait  als  aekr  aareia  betodtteL  Die  HldrhM  aad  Raaea  rteekea  äcät  xa 
dieser  Zeit  TaDpoas  aas  areieh  gcUopftem  Baombaat  ia  die  Scheide,  aad  na 
werden  wihreDd  der  B«gel  Toa  den  Mioaera  aidit  gesdilerhÜJA  bertikrt. 
auf  den  Seranglae-Iassla  sogar  tob  dea  Mioaeia  gaoöedea.  Sie  dttzfta 
kam  Feld  aad  kexaen  Garten  besadMa,  keia  Garn  flrbea  and  lieia  FSaeiteB 
aieht  gegen  wirtig  sein.  —  Aaf  dea  Aara-Iaaela  dflbtfca  ne  aidrts  pUMiswii. 
koehea  oder  Enbereiten,  aac^  airfat  badea  oder  ndi  wasrhna.  Voa  ibren 
Umien  sondeta  ne  ödi  abu  INe  Etar-Iasalaaer  Tcraieiden  MngflQCäg 
die  Nibe  der  Httten,  ia  aekhui  die  UMrhfa  öeb  wibread  der  Meastma- 
tion  anfbalten  ntflssea.  Deaa  wer  caliSig  anf  Meastraalbhit  tziti,  der  wiid 
im  Kriege  aad  in  anderen  Cntcmckaniagea  aa^fldlieb  aad  ia  j«der  Be- 
nehaag  kraftlos.  Aa^  aaf  den  Watabela-Iasela  briagt  das  Menstrasl- 
Uot  den  llianern  üaglaek.  (BieieL^J 

In  Tabiti  reibt  man  die  Fraoas  wlbrend  der  Periode  mit  Karknma 
ein,  das  dort  als  Priserratir  gilt.  (JÜmrmer.J 

In  Neobollaad  geltea  bei  den  Eingeborenen  die  Weiber  wSbrend  der 
Periode  7  Tag«  lang  fBr  nnrein,  and  so  lange  entbaUen  ridi  ibrer  die  X&nner; 
sie  wobnem  dann  ia  einer  abgesonderten  HOtte  fBr  sieb.  (Stkmrmaim.) 

Wie  weit  robe  VoDcer  ia  dem  Glaaben  geben,  das»  das  menstroirende  Wöb 
•giftig*  sei,  seigt  folgendes  Beispid:  „Ib  Jahre  1870  tOdtete  eiaAostra- 
lier  in  der  Nibe  tob  Townsville  sein  Weib,  weO  es  sieb  zor  Zeit  der 
Menstraation  in  die  Decke  des  Mannes  gebfiOt  hatte  and  so  diesem  Scha- 
den brachte.  (ArmiL) 

Die  Ansieht,  dass  die  Ifenstndrende  anrein  and  schaden  bringend  sei, 
fand  sidi  and  findet  sieh  noch  aneh  in  Deotscbland. 

In  pdes  getreaea  Eekartkt  anvorsichtiger  Hebamme*,  die 
in  Anfsnge  des  16.  Jahrimaderts  ersehiea,  steht  geschrieben:  «Dieses  aas- 
gewoxfene  monatliche  Blot  ist  aidit,  wie  einige  vorgeben,  ein  so  gutes  Bhit, 
wie  es  ans  denen  Adens  gelassen  wnrd,  oder  ans  der  Nase  and  Hals  gebet, 
sondern  ein  scharfes,  anrönea  and  gleichsam  dnich  dea  ganzen  Leib  aas- 
gesondertes  Geblfit,  welches  dnnb  dergUäeben  AbstOsse,  gleich  einem  Qifft, 
sowohl  Menschen  als  Vieh  nnd  andern  Sadien  schadea  kann.  Wo  dergiächen 
Geblfit  hinflUlet,  ist  es  als  dn  Scheide  -Wasser,  nnd  Hast  in  denen  Tfiehem, 
aoch  nach  dem  geaaaestea  Aaswaadien  (wdches  ein  ander  Blnt  nicht  that), 
einen  rGthlichen  Flecken  nach  sich,  man  erfiUixet,  daas  ön  Spiegel,  in  welchem 
eine  dergleichen  Franenspersoa  nnd  Jangfer  sich  bespiegelt,  gleich  denen 
Aagen  rande  Circkel-formige  Flecke  bekommt,  welche  nidit  wieder  können 
abgebracht  werden,  Tomehmlich  die  von  schOnem  Glase,  und  mit  Zinn  and 
Qoeckailber  beleget  sind.  Zuweilen  wird  man  aach  aaf  dem  feinen  Zinn  gleiche 
Merckm&l  finden,  ko  will  man  aacb  vorgeben,  ob  solten  die  Weine,  die  zn 
der  Zeit  von  einem  Weibsbüde  traktirt  würden,  verfallen  and  ihre  Krallt 
vediehren.  Einige  wollen  behaapten,  dass  wenn  man  ein  Haar  einem  Fraaen- 
aanser  zar  Zeit  dieses  Aaswnris  aosiiehet  and  io  den  Mist  vergrabet,  eine 
^kUaage  drans  werden  solL  Diaaea  ist  gewiss,  wann  ein  dergleichen  Mensch 

v^ad«  beschanat,  diaadhe  nickiwdbl  sa  heilen  ist,  nnd  woiem  sie  im 


266 


X.  Die  Reife  dea  Weibes  (die  Fubert&t). 


Zorn  einen  Menschen  beiaaet,  und  mit  denen  Zähnen  verwundet,  gar  gefilhr-' 
liehe  nnd  unheilsame  Wunden  entstehen.  In  Candia  und  Cyperu  sollen 
solche  Bisse  so  übel  gerathen,  dass  die  Gebissenen  (gleich  von  tollen  Hunden 
geschehen),  in  eine  Raserey  gerathen,  und  daran  sterben,  wie  gemeldete  Per- 
sonen denen  armen  Kindern  schaden  (welches  man  das  Besclireyen  nennt), 
ist  bekannt,  sehen  sie  darzu  in  Monden,  und  beschanen  einen  Menschen,  ist^ 
es  weit  ärger."  (Et^arih.) 

Guarinonvts  giebt  den  Weibern  folgende  Yerhaltungsregeln  während  der  ' 
Menstruation : 

Die  Töchter  lass  nicht  unter  d*Leut,  noch  Hochzeit  noch  Tantz, 

Die  verehelichten  mercken  besonders  auff,  ihre  Schantz, 

Damit  sie  zu  wehrender  Blumens  Zeit 

Von  ihren  Männern  sich  schrauffen  weit, 

Nicht  greinen,  nicht  zürnen,  nicht  schlagen  umb, 

Sonst  schlägt  das  Gifft  in  d'Glieder,  und  werden  krumb, 

Die  jungen  Kinder  nicht  viel  küssen  noch  berühren. 

In  der  Küchel  die  Speise  nicht  selbst  anrühren, 

Nicht  in  die  Keller,  noch  zum  Weinfass  gehen, 

In  Gärten  umb  die  jungen  Bäumblein  auch  nicht  stehen, 

In  keinen  reinen  Spiegel  hinein  sehen, 

DabejmbE  stiU  sitzen,  dafflr  neben, 

Sich  flonsten  auch  gar  wol  verwahren. 

Das  leinen  Tuch  hierinn  nicht  zu  fast  sparen, 

Damit  nicht  das  unwissend  Hausagesinde 

Das  Gspor  der  Kranckheit  auf  dem  Boden  finde. 
In  dem  Volke  sind  derartige  Anschauungen  aber  auch  beute  noch  er- 
halten und  zwar  gar  nicht  selten  sogar  bei  den  sogenannten  gebildeten 
Ständen.  Es  darf  die  Menstrairende  nicht  in  den  Keller,  weil  man  glaubt,  durch 
ihre  Ausdünstung  verderbe  der  Wein.  Betritt  im  Meininger  Oberlande 
eine  menstruirende  Frau  eine  Brauerei,  so  schlägt  das  Gebräu  um-,  von  einer 
solchen  Frau  Eingemachtes  hält  sich  nicht;  Wein,  Essig,  Bier,  das  sie  ab- 
zieht, verdirbt.  (Schleicher,)  Ein  solches  Weib  darf  nicht  pflanzen  und  nicht« 
Oepflanztes  berühren,  sonst  geht  es  ein,  wie  man  in  Schlesien  meint 
[Wuttke).  Demgemäaa  irrt  Krieger,  wenn  er  sagt:  ,Wir  begegnen  jetzt 
nicht  mehr  dem  Glauben,  dass  eine  menstniireude  Frau  durch  ihre  blosse 
Gegenwurt  das  Verderben  der  in  Keller  oder  Vorrathskammern  aui- 
bewahrten  Milch,  des  Weins  u.  s.  w.  bewirken  könne."  Dieses  Vorurtheil  be- 
steht im  Gegentheil  bei  einem  nicht  geringen  Theile  des  Volkes  noch  immer. 
In  Schwaben  gilt  Menstrualblut  für  Gift.  Weiber  sollen  damit  schon 
öfter  ihre  Männer  vergiftet  haben;  wo  das  Blut  hinfällt,  wächst  kein  Gnis 
mehri  der  Coitus  mit  einer  Menstruirenden  soll  Tripper  erzeugen.  In 
Schwaben  glaubt  man  aber  auch,  dass  der  Schlossbrunnen  auf  der 
Dietenburg  (bei  Erisburg)  unreine  Weiber  reinige,  wenn  sie  »ich  ihm 
sahen;  jedesmal  überziehe  er  sich  dann  auf  einige  Zeit  mit  einer  rothen 
Haut  (Stiel'.)  In  der  Gegend  von  Königsberg  i.  Fr.  beisst  es  nach  den 
Mittheilungen  des  verstorbenen  Hildtbrandt ,  dass,  wenn  ein  Mädchen  an 
ihrem  Verlobungstage  menstruirt,  die.(«  ihr  für  das  ganze  Leben  Un- 
glück bringt. 

In  Portugal  existirt  dar  Glaube,  dass  die  Frauen,  welche  ihre  Menses 
haben,  von  Eidechsen  gebissen  werden;  deshalb  pflegen  die  Frauen  dort  zninj 
Schutz  Hosen  zu  tragen.     {Rfy-) 


89.  Dm  MenacrnäT 


sei-  Bnc 


39.  Das  Menstrualblnt  als  Arznei-  und  Zanbermittel. 

Von  der  Anschauung,  dass  das  bei  der  Menstruation  aus  den 
Geschlechtstheilen  ausfliessende  Blut  auf  alle  möglichen  Dinge  eine 
schädliche  oder  sogar  giftige  Wirkung  auszuüben  im  Stande  sei,  war 
e  nur  ein  Schritt  zu  dem  Versuche,  ob  diese  Verderben  und  Unter- 
gang bringende  Giftigkeit  sich  nicht  auch  an  dem  Feinde  der  Mensch- 
heit, an  der  Ki-ankheit,  bestätigen  würde.  Man  kam  also  dazu,  da» 
Menstrualblut  als  Medicament  zu  benutzen.  Es  handelte  sich  hier 
aber  keineswegs  allein  um  Arzneimittel,  welche  vom  Volke  nach 
eigener  Initiative  heimlich  und  hinter  dem  Rücken  der  Aerzte  an- 
geordnet wurden,  sondern  diese  letzteren  selbst  verordneten  es,  wie 
wir  in  älteren  medicinischen  Werken  finden  können.  Dem  Men- 
strualblute  traute  man  nach  Flinins  folgende  Heilkräfte  zu:  durch 
Bestreichen  mit  demselben  glaubte  man  Podagra,  Kropf,  Speichel- 
drüseuent^sündung,  Rose,  Furunkeln,  Wochenbettfieber,  den  Biss  toller 
Hunde,  Epilepsie,  Kopfschmerz  etc.  beseitigen  zu  können  {Äbt). 

Da  aber  das  Ungewöhnliche,  das  Absonderliche  sich  von  jeher 
unter  den  vom  Volke  geschätzten  Heilmitteln  eine  hervorragende 
Stellung  erobert  hat,  so  ist  es  auch  in  unserem  Falle  sehr  häufig 
nicht  jedes  Menstrualblut,  dem  die  heilende  Kraft  innewohnt,  son- 
dern es  muss  dasjenige  sein,  welches  ein  Mädchen  als  das  erste 
Zeichen  ihrer  eingetretenen  Geschlechtsreife  von  sich  giebt. 

Vehch  nannte  das  erste  Menstrualblut  einer  Jungfrau:  Zenitb. 
Die  gefärbte  Wüsche  getrocknet  und  mit  Rheinwein  oder  Acetum 
scilliticum  extrahirt,  giebt  ein  Medicament  zu  verschiedenem  Ge- 
brauch. Ettmiiller  gab  es  innerlich  gegen  Epilei)8ie.  So  auch 
Andere.     Auch  gegen  den  Morbus  comitialis  ist  es  gut.     Ebenfalls 

gegen  den  Stein  auch  als  Emeuagogum.  Als  letzteres  auch  in 
rod  eingesclilossen,  zusammen  mit  Theriak,  gegen  Tertianfieber. 

Wird  es  Jemandem  mit  Wein  beigebracht,  so  kann  er  mond- 
süchtig oder  liebestoll,  auch  wahnsinnig  werden.  Auch  ist  es  gut 
»wider  das  Verschlagen  (contractura)  der  Pferde*.  Auch  äa'^serUch 
wurde  es  gebraucht  gegen  Blutungen,  Metrorrhagien,  Erysipelaa, 
Gicht  etc.  Ausschläge,  Muttermäler.  Kropf,  Augenkrankheiten,  Pest, 
Biss  vom  tollen  Hunde,  Würmer,  Brand  u.  s.  w.  (Schurig^). 

Aber  nicht  allein  als  Medicin  im  gewöhnlichen  Smne,  sondern 
auch  als  Amulet  und  Zaubemiittel  ist  das  erste  Menstrualblut  einer 
Jungfrau  zu  gebrauchen.  Danid  Becker  erzälilt,  da.<J8,  wenn  man 
im  Felde  ein  mit  dem  ersten  Menstruationsblute  beflecktes  Tuch 
an  einen  Stock  heftet,  an  dieser  Stelle  die  Hasen  so  zusammen- 
laufen,  dosa  man  sie  leicht  schiessen  und  selbst  mit  den  Händen 
greifen  kann. 

Die  in  .Tudäa  wachsende  fabelhafte  Pflanze  Barbaras,  deren 
Berührung  den  Menschen  Wultet,  kann  nur  dadiu-ch  unschädlich 
gemacht  werden,    dass  man   sie  mit   der  Wxjrzel   ausreisst.     Dieses 


268 


X.  Die  Reife  des  Weibes  (die  Pal 


ist  aber  imniöglich,  wenn  man  sie  nicht  vorher  mit  Mensfcruations- 
blut  oder  mit  Frauenvirin  begiesst,  (Valentino  Andrea  Modlen- 
hroecioJ) 

Wir  lesen   in  des  getreuen  Eckarih's  unvorsichtiger  Heb-Amme: 

„Ho  BCheinet  es  doch,  alü  wenn  das  Menstruum  virginis  primam  vor  andern 
einen  Vorzug  habe,  wiewohl  manche  es  allzuweit  in  ihren  Tugenden  exaltiren, 
und  ausbreiten  wollen,  dannenhoro  ich  allen  Eltern  rathe,  dass  sie  das  erste 
Gebliite,  welches  von  ihren  Töchtern  ausgehet,  wol  in  obacht  nehmen,  denn 
wofern  ein  boaghafftiges  etwas  davon  habhaflft  würde,  kan  ea  der  Person 
von  der  üolches  gegangen  ist,  schaden.  Die  alten  G  othen  und  Finnen,  aU  auch 
Lappländer,  gebrauchten  sich  deanelben  entgegen  der  Zauberey  in  ihren 
Schifffahrten,  dann  wann  ein  Schiif  an  seinem  Gange  durch  Zauberey  ver- 
hindert wurde,  nahmen  sie  ein  aolch  Flecklein,  machten  es  feuchte,  und  be- 
strichen damit  die  obersten  Theile  der  Un]g&.nge,  womit  die  Zauberejr 
wiche.  Ein  Mllgdlein,  die  von  ihrem  eigeuen  Menstruo  primo  ein  beflecktes 
Stücklein  mit  ein  Wenig  Farrenkraut  Wurzel  in  ein  Tüchlein  eingenehet  am 
Halse  trllget,  wird  nicht  leichtlich  von  bösen  Leuten  angetastet  werden."'  Es 
bringt  auch,  auf  dem  blossen  Leibe  getragen.  Glück  im  Spiel,  und  Sieg  im 
Kampfe,  mit  warmem  Essig  keilt  es  die  Roee,  es  d3.mpft  das  Feuer  und 
heilt  in  das  Trinkwasser  getban  verschlagene  Pferde  und  Schweine  und 
Hunde,  .wenn  sie  finnigt  und  scbäbigt  seyn".  Jedoch  ist  es  am  wirk- 
samsten, «wenn  ein  Sohn  von  seiner  leiblichen  Mutter  das  primnm  mea* 
straum  zu  einem  Angehencke  haben  kann".  ,Ia  Italien  und  andern  Orta 
pflegen  einige  Leute  diese  mit  dem  primo  menstruo  befleckte  Tücher  zu  ver- 
kauflfua,  weil  man  aber  des  Vortheils  halben,  da  es  wol  von  andern  oder 
mehren  mal  kan  genommen  seyn,  des  rechten  nicht  gewiss  seyn  kan,  ist 
nicht  wol  SU  trauen.  Weswegen  am  besten,  dass  man  von  redlichen  Leuten 
solches  zu  bekommen  sich  bemühe.  Vorsichtige  Eltern  aber  sollen  sich  wol 
in  acht  nehmen  und  zusehen,  wem  sie  es  geben,  denn  mit  selbigem  man 
per  magnetismum  ihnen  grossen  Schaden  und  Unfug  zurichten  kan.* 

Dass  das  Menstruationsblut  auch  zur  Bereitung  von  Liebes- 
tranken  benutzt  vforden  ist,  das  werden  wir  später  zu  besprechen 
haben.  In  Schwaben  braucht  man  noch  nach  heutigem  Aber- 
glauben zum  Schmieden  allzeit  siegreicher  Waflen  jungfräuliches 
Menstruum  und  das  Hemd  einer  Jungfrau,  in  dem  sie  ihre  Zeit 
gehabt. 


40.  Die  Quantität  des  Menstmatiousblates. 

Eine  Bestimmung  der  Menge  des  Blutes,  welches  während  der 
Menstruation  aus  dem  Körper  ausgeschieden  wird,  hat  selbstverständ- 
lich ihre  erheblichen  Schwierigkeiten,  und  wird  man  gut  thun,  die 
bisher  vorliegenden  Angaben,  welche  Ubrigeas  ganz  ausserordentiioh 
spärlich  sind,  als  approximative  Schätzungen  zu  betrachten.  So 
hören  wir  von  dem  Physiologen  Burdach,  dass  das  Gewicht  dieses 
Blutes  in  kältereu  Gegenden  (England  und  Norddeutach- 
Und)  90   Gramm,   in  gemässigten  150—180,  in  sttdlichen  (Ita- 


40.  Die  Qaantitilt  dea  MeiMtruaüossblates. 


269 


lien  und  Spanien)  360  und  in  den  tropischen  Gegenden  600 
Gramm  betrage. 

Ganz  txefFend  sagt  der  bekannte  Physiolog  Ludwig:  .Zahlen- 
angaben, wie  die  von  Bttrdnrh.,  müssen  mit  einem  Fragezeichen 
aufgenommen  werden,''  Demgemass  geben  mit  CTOsser  Vorsicht 
Wundt  and  andere  Verfasser  von  Lehrbüchern  der  Physiologie  auch 
eine  ganz  runde,  noch  dazu  in  weiten  Grenzen  schwankende  Zahl 
an,  indem  sie  von  einer  100 — 200  Gramm  betragenden  Quantität 
sprechen ;  und  ebenso  vorsichtig  äusserte  sich  Fwnke :  ^Man 
schätzt  die  mittlere  Menge  zu  4 — 5  Unzen;  bei  manchen  Frauen 
reducirt  sich  dieselbe  zu  einem  sehr  geringen  Quantum,  bei  anderen 
dag^^n  ist  die  Blutung  profus.* 

So  sind  denn  auch  alle  Vermuthungen  über  den  Einfluss  des 
Klimas  oder  der  Raase  auf  die  Menge  des  ausgeschiedenen  Men- 
stnialblutes  kaum  benutzbar ;  es  schwanken  ja  auch  die  Schätzungen 
der  verschiedenen  Beobachter  gar  nicht  unbedeutend:  Von  Eng- 
land und  den  Gegenden  Oberdeutschlauds  besitzen  wir  die 
folgenden  Angaben:  drei  Unzen  nach  Dehaen,  vier  Unzen  nach 
Smellie  und  Dohson,  ftinf  Unzen  nach  Pasta  u.  s.  w.  Und 
wenn  Emett  und  Fifzgerald  den  Blutausfluss  in  Spanien  bis  zu 
einem  Pfunde  steigen  fand,  wenn  SncUeti  unter  dem  Wendekreis 
sogar  zwei  imd  drei  Pfund  gefunden  haben  will,  so  kann  man  ja 
wohl  auf  die  individuellen  Verschiedenheiten,  wie  sie  bei  uns  und 
gewiss  überall  in  diesen  Dingen  vorkommen,  hinweisen,  um  den 
Werth  von  dergleichen  Ermittelungen  zu  beurtheilen. 

Bei  löO  Woloffen-Negerinnen  fand  de  RocJtehntne 
den  Blutverlust  zu  95  Gramm.  Riedel^  bezeichnet  die  Menstrua- 
tion bei  den  Weibern  der  Ambon-  und  U Hase- Inseln  als  spär- 
lich, ebenso  auf  den  Tanembar-  und  Tirmolao-lnseln. 

Dass  aber  durch  einen  Wechsel  des  Klimas  recht  erhebliche 
Veränderungen  in  der  Menge  des  Menstnialblutes  hervorgerufen 
werden  können,  das  ist  seit  langer  Zeit  bekannt.  Schon  Blumen^ 
back  giebt  an,  dass  die  Mehrzahl  der  Europäerinnen,  welche 
nach  Guinea  übersiedeln,  sofort  Menorrhagien  bekommen. 

Wenn  Europäerinueu,  welche  in  ein  heisses  Klima  ziehen, 
an  allzu  reichlichem  Blutabgang  bei  den  Menses  leiden,  so  wird 
vielleicht  nicht  selten  die  Ursaclie  dieser  Metrorrhagien  darin  be- 
ruhen, dass  sie  in  Folge  einer  Infection  durch  Malaria  anämisch 
geworden  imd  hierdiu*ch  zu  dergleichen  Blutllüssen  disponirt  worden 
sind.  Dies  wollen  französische  Aerzte,  z.  B.  Bestion,  nament- 
lich in  ungesunden  Gegenden  Afrikas  beobachtet  haben.  Einen 
solchen  Gnmd  hat  vielleicht  auch  die  von  Stormont  berichtete  Er- 
scheinung, dass  die  Negerinnen  zu  Sierra  Leone  beim  Eintritt 
der  ersten  Menstruation  an  einem  ephemeren  Fieber  leiden.  Da- 
gegen hat  Saint  Vel  auf  Martinique  durch  das  Klima  keine 
Vermehrung  des  Menstrualtlusses  wahrgenommen. 


Das  venuag  nun  aber  die  Beobachtungen  anderer  Autoren  na- 
türlicher Weise  nicht  umzustossen.  So  wird  von  Alleytie  in  Demara 
das  dort  herrschende  Tertianfieber  als  Ursache  der  Dysmenorrhöe 
beschuldigt,  und  Diindas  berichtet,  dass  in  B  a  h  i  a  die  Frauen  durch 
das  heisse  Kliina  stärker  deprimirt  werden,  als  die  Männer,  weil 
jene  sich  in  weit  stärkerem  Maasse  einem  imthätigen  Leben  hin- 
geben. (Tut.) 

In  St.  Petersburg  hatte  WieJer  Gelegenheit,  Folgendes  fest- 
zustellen: Im  Ganzen  scheint  der  Eintritt  der  Menstruation,  ob 
früher  oder  später,  nur  von  untergeordneter  Bedeutung  flir  die 
Menstrualmasse  zu  sein;  hingegen  spielen  Körperconstitution  und 
Haarfarbe  hierbei  eine  grosse  Rolle;  doch  trifl't  die  allgemeine 
Annahme,  dass  bei  Brünetten  die  Quantität  der  Menses  bedeutender 
ist,  wie  bei  den  übrigen  Frauen,  nicht  zu,  da  die  profusen  Menses 
sehr  häufig  bei  Blonden,  besonders  rothblonden,  angetroffen  werden. 


41.  Normale  und  anomale  Menstmation. 

Bei  manchen  Völkerschaften  scheinen  gewisse  Lebensverhält- 
nisse eine  Neigung  zu  besonderen  Menstruationsstörungen  her- 
beizuführen. Von  Velpeau  und  Gardieu  wurde  angegeben,  dass 
Grönländerinnen  nur  alle  3  Monate  und  selbst  nur  2 — 3  Mal  im 
.Tahre  menatruirt  werden.  Es  ist  nicht  mitgetheilt,  woher  diese  beiden 
französischen  Geburtshelfer  ihre  Notiz  haben.  Nach  Gue- 
ndd  soll  bei  den  Eskimos  die  Menstruation  während  der  Zeit 
des  Winters  und  des  Mangels  an  Nahrung  ausbleiben. 

Als  ein  verkümmerter,  durch  ungenügende  Ernährung  herabge- 
kommener, der  chilenischen  Völkerfamilie  angehörender  Indianer- 
sta m m  muss  das  Volk  der  Feuerländer  betrachtet  werden. 
Hier  ist  nun  die  Thatsache  sehr  interessant,  dass  bei  den  in  Eu- 
ropa umh.erreisendeu,  von  Bischoff  näher  unl^rsuchten  Feoer- 
länderinnen  während  mindestens  sechs  Monaten  keine  Menstrua- 
tion, d.  h.  keine  bemerkbare  Blutung  aus  den  Genitalien  wahrge- 
nommen wurde,  obgleich  sie  auf  dem  Schifte  noch  ganz  nackt 
gingen ;  ihr  Führer  dagegen  fand  zuweilen  geringe  Blutspuren,  ohne 
in  Beziehung  auf  den  T}'pus  etwas  aussagen  zu  können. 

Es  war  die  Frage,  ob  die  sonst  in  vierwöchentlichen  Perioden 
(nach  Bischo/p)  erfolgende  Lösung  eines  reifen  Eies  vom  Eierstock 
bei  den  Frauen  dieser  Völkerscliaflen  in  der  That  nur  halbjährliih 
erfolge,  oder  ob  sie  zwar  vierwöchentHch  stattfinde,  aber,  wie  bei  den 
meisten  höheren  Süugethieren,  ohne  von  einer  Blutung  begleitet  zu 
sein.  Nim  starben  auf  der  Reise  zwei  dieser  Frauen ;  die  Eier- 
stocke zeigten  bei  der  Section  keine  Spur  von  der  Reife  nahen 
Eiern.     Dadurch  wird  es  wahrscheinlich,  dass  die  Menstrualblutung 


ie  xat 


regelmässig  mir  in  langen,  bis  halbjährlichen  Zwischenpaiiseu  ein- 
tritt. Hier  ist  also  die  Annahme  nicht  abzuweisen,  dass  die  phy- 
sische Verkümmerung  sich  auch  in  den  Organen  ausspricht,  welche 
den  sexuellen  Zwecken  dienen. 

Auch  im  Memoire  sur  les  Samojedes  et  les  Lappons  vom 
Jahre  1762  heisst  es:  Ceux,  qui  ont  pretendu,  que  les  femmes  des 
Samojedes  ne  sont  point  sujettes  aux  Svacuations  periodiques,  se 
sont  trompSs;  cependant  il  est  vrai,  qu'ellea  ne  les  ont  que  tres- 
faiblement  et  en  petite  quantite. 

Die  zurückgezogene,  die  Entwickelimg  mannigfach  hemmende 
Lebensweise  der  Orientalinnen  giebt  nach  iJfjr^fr  oft  zur  Störung 
der  Menstruation  Veranlassung,  insbesondere  zu  Amenorrhoe,  Dys- 
menorrhoe, Metrorrhagie  etc. 

In  Sierra  Leone  kommt,  wie  der  dort  beschäftigte  Chirurg 
Rohert  Clarke  fand,  Amenorrhoe,  Dysmenorrhöe,  Leukon-höe  und 
profuse  Menstruation  bei  den  Negerinnen  gleich  haulig  vor,  wie 
bei  den  Engländerinnen. 

Die  durchsclmittliche  Dauer  der  Menstruation  scheint  überall 
gleich  zu  sein.  Bei  den  Negerinnen  der  Küste  von  Old-Ca- 
labar  dauert  die  Periode  3 — 4  Tage  [Hcwun).  Bei  den  Woloff- 
Negerinnen  ist  nach  de  Rochebnitie  die  Dauer  der  Menses 
kurz,  der  Blutverlust  schwach.  Während  der  Menstruation  der 
Negerin  an  der  Loango- Küste  glaubt  man  an  deren  Haut  con- 
statirt  zu  haben,  dass  dieselbe  für  mehrere  Tage  um  eine  iSchatti- 
rung  dunkelte. 

Die  Frauen  der  Eingeborenen  in  Algier  besitzen  zahlreiche 
Recepte,  um  ihre  Menstruation  zu  fordern.  Die  Einen  werfen 
Nchader  (d.  L  Ammoniaksalz)  auf  das  Feuer  und  setzen  sich  un- 
mittelbar ober  den  Dampf;  Andere  machen  die  vorschriftsmässig  aus- 
zuführenden Abwaschungen  und  setzen  dann  sofort,  die  Genitalien  dem 
Rauche  verschiedener  auf  das  Feuer  geworfener  Stoffe  aas ;  wieder 
Andere  stecken  Wolle  in  die  Scheide  (Meuwteja)  und  pudern  zuvor 
die  Woüe  mit  Schwefelantimon  (Koheul)  ein.  Auch  schreibt  die 
Frau  auf  4  oder  5  Blätter  der  Pappel  den  Namen  ihres  Vaters, 
ihrer  Mutt«r  u.  s.  w.,  legt  diese  Blätter  in  ein  kupfernes  Schäch- 
telchen und  dieses  in  ein  Feuer;  sobald  sich  dieser  Gegenstand  mit 
Rauchwölkchen  bedeckt,  8o  glaubt  sie,  dass  sich  die  Menses  bald 
einstellen  werden.  Wenn  aber  die  Menses  zur  rechten  Zeit  kommen, 
jedoch  zu  gering  und  schwierig  sind,  dann  muss  die  Frau  eine  Ab- 
kochung der  NigeUa  sativa  trinken  {Bertherand).  Wenn  die  Menses 
zu  stark  fliessen,  so  bringt  man  in  die  Scheide  eine  Mischung  von 
Essig  und  Vitriol,  oder  von  Honig,  den  man  mit  Vitiüol  und  Granat- 
rinde  versetzt  hat. 

Tritt  in  Fezzan  die  Menstruation  trotzdem,  dass  der  Körper 
entwickelt  ist,  nicht  ein,  so  geniesst  die  Kranke  drei  Tage  lang 
eine  Paste  von  Färberröthe  und  Gerstenmehl  mit  Butter  und  Zucker 
(NachtigiU). 


In  Persien  gehören  Unregelmässigkeiten  der  Menstnxation  zu 
den  Seltenheiten  (Folak);  sie  kommen  nur  bei  Frauen  vor,  die  von 
ihrem  Manne  vernachlässigt  werden. 

Die   eingeborenen  Frauen  in  Indien  aberleiden,  "wie  Stetcart, 
Professor  der  GeburtshQlfe  in  Calcutta,  versichert,  sehr  häufig  aUj 
Gebärmutterkrankheiten.  {Tilt.) 

Die  Dauer  ihrer  Menstruation  wird  bei  den  Nayers  (Jagor^\ 
zu  3  Tagen,  bei  den  Hindu- Weibern  {Ckervin)  zu  3  bis  5  Tagen' 
angegeben.     Bei    den  Chewsuren   dauert  die  Menstruation  selten 
länger  als  2  Tage  {Radde). 

Im  ostindischen    Archipel    steht    unter    den    Mitteln,    den 
Eintritt    der    Menstruation    zu    beft>rdem,    das    Kneten  bestimmter Ä 
Theile  des  Leibes  und  der  Gebrauch  Erregung  bewirkender  Kräuter  W 
obenan.      Es    soll     im    Archipel    allgemein    angenommen    werden, 
dass  der  Mond  sehr  bedeutenden  Einfluss   aiif  die  monatliche  Rei-  J 
nigung  übe,  und  /.war  so,  dass  junge  Mädchen   zur  Zeit  des  Neu-H 


mondes ,     ältere 


zwar 
Frauen 


aber    nach    dem    Vollmonde    menstruiren. 


Nur  ungemein  selten  kommt  es  vor,  dass  Schwangere  raenstniiren. 
(Epp)  { 

Bei  gesunden  Japanerinnen  dauert  nach  Wemich  die  Men-' 
struation  3 — 4  Tage;  im  Krankenhause  bei  den  verschiedenen  pa- 
thologischen Formen  natürlich  meist  länger.  Ein  nicht  sehr  sauberes 
japanesisches  Volkslied,  in  welchem  das  Mädchen  den  Geliebten 
beklagt,  dass  er  sich  während  dieser  Zeit  ohne  normalen  Genusa] 
behelfen  müsse,  nimmt  die  Dauer  der  Periode  auf  7  Tage  an.  Die 
Berechnung  wird  sehr  sorgfaltig  geftihrt,  da  sowohl  die  Verkür- 
zung der  Menstruationstage  als  auch  des  freien  Intervalls  für  ein 
Krankheitssymptom  gilt.  Als  noch  zur  physiologischen  Menstrua- 
tion gehörig  betrachtet  niftn  in  Japan  leichte  wehenartige  Schmer- 
zen im  ünt«rleibe  und  einen  geringen  Druck  in  der  Schläfengegend. 
Schmerz  und  Kältegefühl  im  Kreuz,  Ziehen  an  den  Schenkeln, 
Schmerzen  im  Hiuterhaupte  und  in  der  Stirn  sind  als  pathologische^ 
Symptome  wohlbekannt. 

In  Japan   gilt   als   menstmationstreibendes    Mittel   besonders j 
die  Abkochung  der  Wurzel  von  Rubia  cordiflora,  welche  die  Frauen 
selbst  Shenkong  Akane  nennen.     Doch  sind  neuerdings  Eisen-  und 
Chinin -Präparate,    Fussbäder    und    Senfteige    bereits    populär   ge-, 
worden;    zuweilen   kommen   auch  Capsicum  und  Senf  innerlich  zur] 
Anwendung. 

•  In  Japan  gebraucht  man  nach  Williams  gegen  Antenorrhöaj 
als  Mittel  Key-tu-sing,  das  ist  eine  Tinctur  aus  den  Blättern  eine«] 
Baumes  aus  der  KJjisse  der  Ternstromaceae ;  man  nimmt  es  zur  Zeitl 
des  Vollmondes  unter  kabbalistischen  Formen. 

Die    chinesischen   Aerzte   glauben   bei   den   Wcibem    dii»j 
Menstruationsstörungen   am  Pulse  erken-    f    :v  '-■■"..       ^;        tzeo 
bekanntlich    drei    Finger    auf    drei    vn 


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274 


nach   BfirnouiUi   Menstruationfi  -  Anomalien    eine    sehr   häufige  Er- 
scheinung. 

Die  Frauen  der  Lappländer  haben  nach  Linne  im  Allge- 
meinen sparsamere  Katamenien,  als  die  Schwedinnen;  unter  jenen 
ist  das  Ausbleiben  des  Monatsflusses  sehr  selten  mit  Ausnahme 
derer,  die  im  Dienste  der  Colonisten  leben;  diese  leiden  mitunter 
an  Menstrualstörungen.  Die  bei  den  eathnischen  Mädchen  ziir 
Zeit  der  Pubertätsentwickelung  eintretenden  Störimgen  müssen  zum 
Theil  davon  abgeleitet  werden,  dass  den  jugendlichen  Körpern  zu 
gewaltige  Anstrengungen  zugemuthet  werden,  die  um  so  eher  als 
Krankheitsursachen  wirken,  als  diesem  starken  Verbrauch  in  dem 
noch  nicht  erwachsenen  Körper  und  Alter  oft  nicht  die  solchem 
Consum  entsprechende  Nahrung  geboten  wird.  Beachten  wir  nun 
noch  die  grosse  Unkeuschheit  der  Esthenmädchen,  so  haben 
wir  em  drittes  krankmachendem  Moment,  welches  die  Bleichsucht, 
Menstruationsstürungen.  selbst  Uterusleiden  entstehen  lässt  (Holst). 
Suppressio  mensium  kommt  nach  Ravn  vielleicht  nirgends  so  häu6g 
vor,  als  auf  den  Faroer,  Die  Weiber  gehen  dort  ohne  Schuhe 
und  tragen  nur  ein  Fell  um  die  Füsse,  so  dass  diese  immer  der 
feuchten  Kälte  ausgesetzt  sind.  Von  Nord-Island  schreibt 
OJa/f'm: 

,Das  Frauenzimmer  hat  bey  Weitem  keine  so  gute  Gesundheit; 
indem  Obstructio  mensium,  insbesondere  bejm  unverheiratheten 
Frauenzimmer,  hier  so  wie  in  ganz  Island  sehr  allgemein  ist 
Ihre  gar  zu  stille  Lebensart,  scheint  vornehmlich  Schuld  daran  zu 
seyn:  denn  ausserdem,  dass  sie  wenige  Belustigungen  haben,  wo- 
diurch  sie  schon  gezwungen,  stillschweigend  xmd  schwermtithig  in 
ilirem  Umgange  und  ihrer  Aufführung  werden,  trägt  es  auch  vieles 
dazu  bey,  dass  sie,  wenige  Tage  im  Sommer  ausgenommen,  stets 
bey  ihrer  Haus-  und  WoUarbeit  sitzen,  ohne  in  die  freye  ,Luft  zu 
kommen.  Hierzu  kömmt,  dass  sie  bei  ihrer  Arbeit  nicht  auf  Stühlen 
oder  Bänken,  sondern  mit  untergesclüagenen  Beinen  auf  dem  Fuss- 
boden,  auf  einer  Matte,  einem  Kissen  oder  einem  Schaffelle  sitzen. 
Vielleicht  giebt  es  noch  viele  andere  Ursachen  zu  der  schlechten 
Gesundheit  dieses  Geschlechtes,  die  Niemand  achtet  oder  zu 
achten  werth  hält.  Die  angeföhrten  sind  aber  wohl  die  Haupt- 
Ursachen." 

In  Kleinrussland  gebraucht  man  als  die  Menstruation  för- 
dernde Mittel  den  Aufguss  von  Lathraea  squamaria  mit  Wasser 
oder  Branntwein  zu  einigeti  Spitzgläsem  täglich.  In  Sibirien 
den  gesättigten  Aufgiiss  von  Geranium  pratense.  Im  Nowgorod- 
schen  Gouvernement  nimmt  man  Bierhefe  \md  frischgemolkene 
Milch  zu  einem  halben  Bierglii-se  de«  Morgens  nüchteni.  Ausser- 
dem wird  noch  in  den  südlichen  Gouvernements  itusslan« 
sowohl  bei  Menstruatio  mmia  als  auch  cessans  der  Splint  des 
ba\imes  benutzt.  Bei  der  ersteren  schabt  man  mit  -•——  Mt 
nach  aufwärts  den  Ba.st  ab,  bei  der  Ietzter«^i  von  oi 


I 


Auch  trintt  man  in  Russlaud  den  Thee  von  Tanacetum  vulgare 
xmd  gebraucht  innerlich  seit  den  ältesten  Zeiten  OL  Terebinthinae 
zu  12 — 15  Tropfen,  Morgens  und  Abends,  tnit  einem  starken  Auf- 
gnss  von  Artemisia  (Krehel) 

Die  Volksmedicin  bei  europäischen  Völkern  beschäftigt  sich 
mehrfach  mit  den  Frauenkrankheiten,  soweit  sie  mit  Störungen 
des  Blutilusges  verbunden  sind.  Unter  den  Serben  müssen  Weiber, 
die  an  Menstruationsbeschwerdeu  leiden,  den  Saft  rother  Blüthen 
trinken.  Wenn  es  dagegen  einer  Frau  lästig  ist,  jeden  Monat  von 
der  nionatlicheu  Reinigung  (die  der  Volksmuud  bei  den  Serben 
, weibliche  Blüthe"  nennt)  heimgesucht  zu  werden,  dann  soU  sie 
eich  bei  dem  Eintreten  derselben  waschen  und  mit  dem  Abwasch- 
wasser eine  rothe  Rose  begiessen  {Ptirowitsch).  In  Ungarn  leiden 
nach  Joachim  die  Jüdinnen  sehr  oft  an  profuser,  die  Unga- 
rinnen   häufiger  au  retrahirter  Menstruation. 

Auf  der  Insel  Minorca  erscheint  nach  CleglwrH  die  Menstrua- 
aon  bei  jimgen  Mädchen  zweimal  in  einem  Monat,  bei  anderen 
alle  3  Wochen. 

Gegen  das  Ausbleiben  der  Menstruation  hilft,    wie    es   in  der 

[Mark   Brandenburg   (in   einer    alten    Handschrift)    heisst,    ein 

Stück   von    einem   Fischernetz   und   ein  Zipfel   von   einem  Manus- 

hemde  zu  Pulver  gebrannt  imd  eingegeben.     Im  Frankenwalde 

{{Flügel)  ist  unter  den  Hausmitteln  gegen  mangellmfte  Menstruation 

[ivohl  Safiran  mit  Wein  das  gewöhnlichste. 

In  Schwaben  giebt  man  Melisse  oder  Mutterkraut  bei  schwachem 
Geblüt,    auch    Raute    treibt    dort  die  Menstruation,    ebenso  Sabina, 
[  auch  Geissenham  {Bitck) :  femer  wird  Akelei  als  wciberzcittreibendes 
Mittel  benutzt.     Gegen  zu  reichliche  Menstruation    gebraucht   mau 
daselbst  frische  Muttermilch,  ebenso  Katzendreck  und  Rosenöl.   Bei 
'  Mutterblutfluss    giebt    man    Hirtentäschlein    mit  Wein   und  Wasser 
^gesotten.     Dort  glavibt  man  auch,    dass    bittere  Mandeln  die  Men- 
Ifitmation  aufhören  machen.     In  der  Pfalz  gebrauchen  die  Frauen 
'auf  dem  Lande   bei  Menstruationsstörungen  Getränke  aus  gemeiner 
und   auch  römischer  Camille,  .Mutterkraut   (Matricaria  Parthenium), 
Ötabkraut   (Artemisia  Abrotanum),    Melisse,    Pfefferminze,    Quendel. 
Schafgarbe  und  Rosmarin  werden  zu  diesem  Zwecke  schon  seltener 
benutzt,  wenn  sie  gleich  minder  schädlich  sind,    als  beispielsweise 
Zwet4)chenbraimtwein,  allein  oder  mit  Safran  oder  Aloe,  ,LohrtJl*  (Lor- 
beerölj,  wovon  die  Bäuerinnen  gern  Gebrauch  machen,  wenn  ihre  Pe- 
.riode  ganz  zurückbleibt.    Sie  lassen  wohl  auch  bei  Amenorrhoe  einen 
^derlass  am  Fuss  vornehmen,  nehmen  auch  Thee  vom  Sevenbaum, 
besonders  dann,    wemi    sie   eine  verrauthete  Schwangerschaft  besei- 
tigen wollen  {Panli). 

Eine  durchaus  nicht  eigentbümliche,   vielmehr   zum  Theil  den 

Hcn  Gri.nh*'n     entlehnte    Behandlungsweise    mit    Räuchernngen, 

heu  u   s    w    hatten  bei  l^Ienstruationsstönmgen  die  Deutschen 

18« 


176 


im  Mittelalter.  So  kommt  in  dem  von  P/VZ/^er^  lierausgegebenen, 
im  Xlll.  Jahrh.  von  Bartholoniäns  Anglicus  verf'assten  Arzneibuche 
folgende  Stelle  vor: 

Swelh  wip  ir  BiechtuomeB  (siechtum  der  wibe  i.  e.  menslrua)  niht  haben 
inuge,  diu  neme  myrren  unde  temper  si  mit  dem  süge  (Saftfi)  artemj'sieii, 
unde  Hö  diu  temperunge  danne  getrucline,  8Ö  sol  äi  rigelen  (schaben,  feilen) 
ein  hirzeiä  horu  (Hirschhorn)  unde  mische  diu  Kuaaunne  unde  behulle  si 
tI! rechlich  unde  mach  einen  rouch  dar  ftz  unde  setze  den  under  diu  bein: 
an  der  wile  so  gewinnet  si  ir  wipheit. 

Ze  gelicher  wis  sol  si  rütea  (Eaute)  i'zzen  uude  den  »ouch  (Saft)  va»te 
(stark)  trinchen  unde  sol  die  wurzenschSben  zwischen  diu  bein  haben:  s6 -le- 
digen sich  diu  menstnm. 

Ez  ergSt  vil  dicke  (es  geschieht  sehr  oft),  daz  diu  matrix  ersticket,  dft 
daz  chint  inne  Ht,  eintweder  von  dem  snierwe  oder  von  dem  foulen  pluote, 
daz  81  sich  nicht  erfurben  (reinigen)  mach.  De»  »ol  man  äu«  bnozen  (bes- 
sern). Baz  Nvip  Bol  neuien  gruuiie  rüten,  unde  ribe  di  wol  va»t  unde  stAze 
die  an  die  stat.  Ze  gelicher  wis  du  sold  nemeu  awebel  unde  temper  den 
mit  starchem  ezziche  und  habe  die  tomperungo  lange  für  die  na.xe  unde 
stÖz  ir  ein  teil  an  die  toiigen  (geheime)  stat,  üü  wird  dir  b^z- 

Swenne  daz  wip  den  siechtuom  hA,t,  aö  geswület  sie  ein  teil  umbe  den 
nabel  unde  walget  (rollet)  ir  daz  geliberte  bluot  under  den  rippen  also  diu 
eiger  unde  beginnet  fir  diu  Hder  swellen  uude  get  ir  der  touin  in  daz  houbet 
als  der  dicke  rouch.  Wil  du  des  sieehtuomes  nchiere  (sogleich)  buozen.  s6 
nim  rtjten  unde  temper  die  mit  guotem  bonege  unde  salbe  dich  da  mit  »2 
umbe  die  tougen  stat.  Wellest  du  aver  schiere  gesunt  werden,  so  nim  linse 
und  beize  die  mit  w^ne,  da  nAh  temper  siu  mit  honege  unde  neuz  die 
erzente  olle  tage:  du  wirdes  schiere  gesunt. 

Bei  einem  Blicke  auf  die  (lyntikologie  des  Alterthums  {Klein- 
waechter)  finden  wir,  da.s.s  die  altgrieehi. sehen  Aerzte  sich  eine 
ganz  besondere  Ansicht  über  die  Menstruation  und  ihre  Störungen 
zurechtlegten.  Nach  Hippokrntes  sind  Weiber,  die  nie  schwanger 
waren,  menstrualen  Leiden  viel  mehr  ausgesetzt,  als  jene,  die  ge- 
boren haben,  denn  der  Lochienfluss  (Abgang  im  Wochenbett)  wirkt 
auf  die  Circulatiou  wohlthätig  ein.  Durch  die  Schwangerschaft,  so 
stellte  er  sich  vor,  werden  die  Blutgeiäs.se  der  Baucheingeweide,  Aea 
Uterus  sowie  der  Brüste  gehörig  erweitert,  so  dass  .späterhin  nach 
tiberstandener  Geburt  der  Blutabgang  leichter  .statttindet.  Bei  jenen 
dagegen,  die  nie  geboren  haben,  sind  die  Blutgetasse  nicht  gewöhnt, 
sich  auszudehnen,  und  kann  daher  da,s  nienstruale  Blut  nicht  so 
leicht  abtliessen.  Die  Gewebe  des  Weibes  sind  zarter  und  erhitzen 
sich  mehr.  Dadurch  entstehen  Beschwerden;  die  durch  die  Aus- 
dehnung der  Blutgefässe  gemildert  werden.  Deshalb  ist  uuch  die 
Warme  des  Weibes  eine  höhere,  als  die  des  Mannes.  Durch  den 
monatlichen  Blutfluss  wird  ein  zu  hohes  Ansteigen  der  Körperwärme 
verhindert.  Es  folgt  nun  bei  HipjiohfiUa  die  Besprechung  der  Ur- 
sachen, Erscheinungen,  sowie  der  Behandlung  einer  Stocktmir  und 
eines  zu  reichlichen  Klusnes  der  Menses:  .seine  Darütelluii  i.-t 

sich  nicht  auf  genaue  auatomisrh*'  T'iiK  rsuclnnic.   dii-  m. 
noch  bei  seineu  Nachfolgern  vti  ' 


41.  Normale  and  anomale  Menstxaation.  277 

beim  'Ausbleiben  des  Blutflusses  durch  Uterusleiden  Blutentziehung, 
Ligaturen  an  den  unteren  Extremitäten  3 — 4  Tage  lang,  indem 
man  die  Binde  kurz  vor  der  zu  erwartenden  Menstruation  ab- 
nimmt, einen  Trank  von  Myrrhen,  Räucherüngen  u.  s.  w.  GcUenus 
entwickelte  wiedenmi  andere  Ansichten.  Die  arabischen  Schrift- 
steller behandeln  die  Menstrualstörungen  ziemlich  gleichartig:  Avi- 
cenna  empfiehlt  ebenso  wie  Serapion  Ligaturen  um  die  Ober- 
schenkel, Aderlass,  und  als  menstruationstreibende  Mittel  Moschus, 
Castoreum  und  Myrrhen. 


XI.  Der  Eintritt  des  Weibes  in  das 
GescMechtsleben. 

42.  Die  Beziehaagen  des  Weibes  zum  niännliclieD  UeschlecM* 

Es  giebt  eiue  Eutwickelung  in  der  geistigen  Auffassung  des 
weibliclien  Wesens  und  die  «Geisteswissenschaft*  sollte  sich  mehr, 
als  es  bisher  geschah,  mit  der  Geschichte  dieser  Ciüturentwickelung 
befassen.  Eine  Stufenleiter  weist  gewiss  auch  das  Verhältniss  auf, 
in  welches  uaturgemäss  das  Weib  zum  Manne  tritt.  Handelte  es 
sich  darum,  die  Sprossen  dieser  Leiter  zu  charakterisiren,  so  würden 
wir  dort  begannen  müssen,  wo  der  sexuelle  In  st  inet  ganz  allein 
seine  Herrschaft  ausübt,  ein  lustinct,  welcher  teleologisch  die  höhere 
Bestimmung  iiu  Dienste  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  hat.  Wir 
würden  danu  zu  schildern  haben,  wie  sich  nach  und  nach  auch  bei 
diesen  sexuellen  Beziehungen  im  culturell  sich  entwickelnden  Meu- 
sehen  ethische  Geflihle  regen,  wie  die  psychische  Neigung,  die  wir 
Liebe  nennen,  als  besseres  Element  zu  jenem  instinctiren  Triebe 
hinzutritt,  um  ihn  allmählich  zu  veredeln. 

Man  hat  den  kühnen  Ausspruch  gethan,  dass  erst  zur  Zeit 
Ale:rander  des  Grossen  die  Leidenschaft  der  Liebe  zwischen  Mann 
und  Weib  an  die  Stelle  roher  Sinnlichkeit  oder  nüchterner  Rück- 
sicht trat.  (Henne  am  Ehyii.)  Allein  wenn  in  dieser  Beziehung  wirk- 
lich eine  Stulenleiter  zur  Vollkommenheit  in  der  ethischen  Auf- 
fassung der  Liebe  historisch  nachweisbar  ist,  so  hat  sich  bisher 
doch  Niemand  die  Aufgabe  gestellt,  diesen  Entwickelungsgang  mit 
allen  seinen  Etappen  darzustellen.  Wir  möchten  Berufenere  auffor- 
dern, sich  eine  so  schöne  Aufgabe  zu  stellen! 

Je  höher  ein  Volk  in  der  Cultur  steht,  um  so  geistiger  und 
sittenreiner  ist  das  Band,  welches  beide  Geschlechter  mit  einander 
verknüpft.  Bei  den  rohesten  Völkern  ist  das  Verhältniss  ein  sinn- 
liches, und  es  kommen  da  fast  bloss  die  Triebe  zur  Geltung,  die 
auch  beim  Thiere  eüie  bald  länger,  bald  kürzer  dauernde  Verbindung 
zwischen  den  Geschlechtern  herstellen.  Dann  kann  uns  aber  auch 
nicht  auffallend  erscheinen,  wenn  dergleichen  Völker  ruhig  gestatten, 
dass  schon  bei  Kindern  der  kaum  erwachende  Trieb  ndt  einer  Freibeü 


42.  Die  Beziehongen  des  Weibes  zum  m&imlieheii  Geschlecht.      279 

auftritt,  die  wir  selbst  als  freche  Unzucht  bezeichnen,  die  von  den 
Erwachsenen  dort  aber  als  «Spielen*  aufgefasst  wird.  Eine  Zurück- 
haltung Ton  beiden  Seiten  gebietet  die  herrschende  Sitte  bei 
Culturrölkem,  denen  noch  nicht  durch  Uebercultur  die  Ethik  ab- 
handen gekommen  ist;  dagegen  begegnen  sich  mit  der  naivsten  Hin- 
gebung Knaben  und  Mädchen  unter  vielen  Naturvdlkem.  Auf 
Madagaskar  stören  und  hindern  nach  Audebert  die  Eltern  ihre 
Kinder  nicht;  und  bei  den  Basuthos  in  Südafrika  giebt  es  nach 
Missionär  Grütsner  neben  der  sanctionirten  Hurerei  eine  heimliche, 
welche  die  kleinsten  Kinder  treiben,  und  wobei  die  Knaben  den 
Mädchen  Perlen,  Messingdraht  etc.  als  Hureulohn  geben;  die  durch 
Brauch  sanctionirte  aber  besteht  darin,  dass  ein  Bräutigam  mit  einem 
Genossen  vor  Abschluss  der  Verheirathung  im  Euraale  seiner  Braut 
zwei  bis  drei  Monate  lang  ein  Heidenleben  führen  darf.  Von  dieser 
untersten  Spro^^se  kann  man  die  Stufenleiter  bis  zu  deijenigen  Höhe 
der  ciriliiirten  Zustände  verfolgen,  wo  sich  zwischen  .Jüngling  und 
Mädchen.  Manr.  und  Frau  das  reine  Gefühl  der  Liebe  und  Achtung 
herstellt,  und  wo  die  Würde  der  Frauen  ihr  moralisches  Recht  an- 
getreten haL 

Bei  der  cukurgeschichtlichen  Betrachtung  der  Verhältniss«;.  die 
wir  im  sictlicken  ^'erhalten  der  Volker  vorfinden,  müssen  wir  un* 
vor  allem  frei  halten  von  der  Neigung,  jede  Erscheinung  von 
unserem  eig>»nen  Büdangszustande  aui  in  einer  Färbung  zu  be- 
tnchten.  die  unsere  Beurtheilung  durch  falsche  Beleuchtung  auf 
Irrwege  f'üret  würde.  Unser  subjertives  Gefallen  oder  ^liaafallen 
gieht  -ra  gar  zn  leicht  eine  schiefe  Stellang  zur  >ach«r.  Vielm'jhr 
ist  xxTj;  a:;f  -irizc,  Gehii*te.  das  wir  nunmehr  becnften.  vorzugswiri-*: 
eiE»T  sracz  objrro'iTe  Auffasaumz  geb'XezL  I^is  ger<.hicc.cücb.  G-r- 
worien-r  zz^iMitLAZ  r'iistznstellei:.  ur.«i  dacn  öer  Ei::w:.."k'»iu::^  so  virl-rr 
Eiic'zjiizr^-z:s>^  im  Mi»n9cheu-  uni  Vr.lkierl-jbec  ^a-ziizuzeh-fi:.  -< 
CLjere  A-^yan*.  Flier  arilt  ■?<  zunä«.'Lst.  di-e  Fr«-:  iviz-iwrrtTn.  oo 
gewiäs**  B-tZ-':::>.  -iie  -A-ir  'inis  Vei  '.irÄrvii'.  BH-LZ;ri^--!St:z.  t:2_ 
tV*ihlj'.Eji!i    .z    ■»ri-.-..-».'.h.»r    Hinsich:    ^lischsfr'j.    zjir.tz.    •eizjrcEÄiu-: 


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F:t7.-.    ..•..;    ,..-.-,.1    A-..I    i .  ;(H»- !*•'< '    v^i«*  r^i'-i^  *---  ^---^"^  Eerr^- 
Wj-:,."    •.-'•-.•,..1     .  ..t'.,.-       Voj    At'i«»»    '''■•'  tn^rz.  ','.•  z,':l.£    .-'. 


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43.  Die  Sc 


igkeii  des  Weibes. 


beiden  wir  als  urspHinglich,  welches  als  Ergebniss  entweder  einer 
schon  begonnenen  Cultur  oder  einer  fast  vollendeten  Verwilderunj^ 
betrachten,  oder  ob  wir  die  Unterschiede  der  V^ölker  in  dieser  üe- 
adehung  überhaupt  auf  Eigenthünilichkeiten  nicht  allgemein  mensch- 
licher Stamm  naturelle  zurt'ick  führen  müssen.  Wir  meinen,  dass  das 
Geftihl  der  Schamhaftigkeit  doch  wohl  im  Allgemeinen  als  erster 
Grad  sittlicher  Regung  aufzufassen  ist,  die  in  den 
Menschen  erst  einzieht,  sobald  er  sich  von  dem  Zu- 
stande thierischer  Rücksichtslosigkeit  zu  entfernen 
beginnt,  und  sobald  sich  im  socijilen  Verkehr  eine  Vorstellung 
über  Conventionellen  Anstand  ethisch  entAvickelt  hat. 

Der  ursprüngliche  Keim  zur  Erzeug\mg  der  Sitten  ist  ein  sitt- 
liches Gefiihl,  seine  Grundform  das  der  Billigung  und  des  Tadels. 
So  imgefähr  hat  Lazarus  in  seinem  „Lehen  der  Seele"  die  Ent- 
stehung der  Sitten  bezeichnet,  die  dort  beginnen,  wo  der  Instinct 
aufhört..  Das  sittliche  Gefühl  der  Scham  ist  gewiss  ein  sehr  pri- 
mitives; es  wird  wohl  in  seiner  einfachsten  Gestalt  (Verbergung  ge- 
wisser Körpertheile)  durch  die  Voraussetzung  eines  Tadels  und  Vor- 
wurfs seitens  der  Freimde  und  Verwandten  erzeugt,  falls  man  die 
Theile  oder  Handlungen  den  Blicken  Anderer  aussetzt.  —  »Die 
Achtung  vorsieh  selbst,"  so  sagt  gewiss  sehr  richtig  de  Qtta- 
trefofff-S,  , findet  wohl  den  entschiedensten  Ausdruck  im  Gefühle  der 
Scharahaftigkeit  imd  im  Ehrgefühle.  Auch  bei  den  Wilden  finden 
wir  diese  beiden  Gefühle.  Die  Schamliattigkeit  tritt  jedoch  bei  den 
Wilden  nicht  selten  in  besonderen  Gebräuchen  und  Handlungen 
hervor,  die  das  gerade  Gegentheil  der  unsrigen  sind,  oder  über- 
haupt mit  unseren  Gebräuchen  nichts  zu  schaffen  haben.  Dadurch 
sind  Missverständnisse  veranlasst  worden,  luid  ao  hat  man  z.  B. 
ein  gewisses  Benehmen,  wodurch  bei  manchen  Polynesiern  nur 
ein  ursprüngliches  Schamgefühl  zum  Ausdruck  gelangen  .soll,  als 
die  Aeusserung  raffinirter  schamloser  Sinnlichkeit  deuten  wollen." 
Fragen  wir  nun,  ob  es  Menschen  und  Völker  ohne  alles  Scham- 
gefühl giebt  imd  welche  Rolle  dabei  das  weibliche  Geschlecht  spielt. 

Eine  eingehende  Betrachtung  dieser  Angelegenheit  finden  wir 
bei  Feschti,  welcher  zu  dem  Schlüsse  gelaugt: 

«Brauch  und  Sitte  entucbeidea  über  Veratattetes  und  AnstOssiges,  und 
«rat  nachdem  sich  eine  Ansicht  befestigt  hat,  wird  irgend  ein  Yerstoas  zu 
einer  verwerflichen  Handlung.  Das  Scbaiugenibl  hat  äicb  noch  gar  nicht 
geregt,  es  herrscht  also  Nacktheit  beider  Geschlechter  bei  den  Australiern, 
bei  den  Andanianen,  bei  etlichen  Stämmen  am  weissen  Nil,  bei  Jen  rohen 
NegL'rn  des  Sudan  und  bei  den  Buschmännern.  Durchaus  irrig  wJlre 
die  Annahme,  dasa  sich  das  Schamgefühl  früher  beim  weiblichen 
Geschlecht  rege,  als  beim  männlichen,  denn  die  Zahl  solcher  Menschen- 
atämme,  bei  denen  die  Männer  allein  eich  bekleiden,  ist  nicht  unbetdlcht- 
Ueh.  Am  Orinoco  versicherten  Mission&re  unserem  Akxander  c.  Hambuldt, 
<1ms  die  Weiber  weit  weniger  Schamgefühl  zeigten  iils  die  Männer.  Bei 
den  Obbo-Negern  .am  Albert-See  besteht  die  Bedeckung  der  Frauen  in 
«nnem  Laubbü^chel,  wUluend  die  Männer  einen  Fellschurx  tragen  etc.* 


280 


XI.  Der  Eintritt  des  Weibes  in  das  Geschlecbtälebtju. 


dazu  angethan,  dass  wir  aunehmen  mlissen,  ein  instinctives  Gefiilil 
habe  überall  dit?  Menschen  bei  so  animalen  Functionen  auf  ein  be- 
stimmtes Gebahren  hingewiesen,  oder  es  habe  sich  auch  hier  Sitte 
und  Brauch  schon  überall  der  Sache  bemächtigt?  Ist  femer  das 
angeborene  ethische  öeftihl  im  Menschen  mächtig  genug,  die  so- 
genannten , Wilden"  von  geschlechtlichen  Verirrungen  des 
Weibes  abzuhalten?  Welche  Verin-ungen  kommen  in  dieser  Hin- 
sicht .bei  den  jetzigen  Naturvölkern  vor?  War  die  Prostitution, 
als  sie  im  Leben  der  Menschen  auftrat,  sogleich  als  sittlich  •  ver- 
werflicher Begriff  anfgefasst  worden,  oder  war  sie  schon  längst  vor- 
handen, d,  h.  gab  es  einst  in  den  Urzuständen  des  Menschen- 
gesclilecht-s  einen  allgemeinen,  durch  keine  ethischen  Schranken 
eingedämmten  Hetärismus?  War  dieser  Hetärismus,  mit  dem 
sich  die  Mutterfolge  imd  das  Mutterrecht  entwickelte,  die  Vorstufe 
zur  Ehe? 

Wie  tritt  dann  der  Begrifl'  der  Liebe  auf,  und  in  welcher  mi 
Weise  übt  das  Weib  bewnsst  oder  uubewusst  einen  L  i  e  b  e  s  -  B 
7.  au  her  aus?  Welche  Typen  des  ehelichen  Lebens  finden  ~ 
wir  unter  den  Völkern  der  Erde,  und  welche  dieser  Typen  sind 
als  die  primitiven  zu  betrachten?  Haben  sich  bei  der  Ehe  gewisse 
Bräuche,  wie  das  Jus  primae  noctis,  eingestellt  und  als  tra- 
ditionelle Ueberlieferungen  aus  der  Vorzeit  erhalten  und  welche 
geschichtlichen  Thatsachen  liegen  solchen  Bräuchen  zu  Grunde? 
Wie  hat  die  Sitte,  das  KUma  und  die  Lebensweise  das  Heiraths- 
alter  des  Mädchens  bei  den  verschiedenen  Völkern  beeinflusst? 
Welche  Begriffe  von  der  Zeugung,  Befruchtung  und  Em- 
pfäügniss  finden  wir  bei  den  Völkern  vor?  Und  wie  haben 
schliesslich  sociale  Zustände  und  klimatische  Verhältnisse  auf  die 
Empfängniss  des  Weibes  eingewirkt?  Dies  alles  sind  Fragen,  die 
noch  keineswegs  definitiv  beantwortet  werden  können,  für 
deren  Lösung  wir  aber  Material  in  Folgendem  beizxibringen  ver- 
suchen werden. 


i 


43.  Die  Schambaftigkeit  des  Weibes. 

Ein  dunkles  Gesammtbewusst>*ein  hat,  wie  der  Psycholog  L 
bemerkt,  in  der  beginnenden  sittlichen  Axisbildung  die  versclüeden^ji^ 
Arten   der  Scham  erzeugt,    .durch  die  das  menschliche  Geschlecb. 
überall  die  Naturbasis  seines  geistigen  Daseins  zu  verhüllen  sucht, 
und  da  am  meisten,  wo  sie  zu  den  zartesten  und  geistigsten  Gl\tern 
der  Liebe  und  des  Lebens  die  allersinnlichste  Vermittlung  bildet.* 
Die  Beobachtung  der  Naturvölker  hat  zuweilen  eine  rücksichtsvolle 
Z  ud  Keuschheit  des  Benehmens,  viel  ötler  aber  eine  thieriäclie 

L  losigkeit  in  der  Befriedigung  aller  sinnlichen  Bedürfnisse 

bemerken  lassen.     Lotze  hält  es   für  sehr  zweifelhaft,  welches  ro»^ 


XI.  Dar  Eintritt 


ras  Gedchl«obt«l 


Erde,  aui  den  Theil  nicht  gehen  zu  lassen;    sie  besitzen  also  ein  perverse« 
Anstandsgefühl. 

Eine  Prinzessin  des  Stammes  der  Apingi  in  Central afrika,  erhielt  von 
Du  Chailhi  alg  Geschenk  ein  schöngefärbtes  Hemd,  und  sofort  entkleidete 
sie  aicb  vor  seinen  Augen,  um  dasselbe  anzulegen.  In  der  Stadt  Lari  in 
Centralafrika  sind  alle  Frauen  völlig  unbekleidet  (Itenham). 

Die  Bedeckung  der  BiOasen  ist  bei  den  Weibern  noch  mancher  anderem 
Neger -Völker  eine  äusserst  geringe  oder  nichtige.  Emin  Bei/  bemerkte  auf 
seiner  Reise  vom  weissen  Nil  durch  Njambara  nach  Kedibe,  das«  im 
Bezirke  .\niadi  die  Laubschurzen  der  Frauen  oft  eine  pure  Formalität. 
Muster  für  die  Breite  individuellen  Goschinacks  sind ;  vom  dichten  Büschel 
grfln  belaubter  Zweige,  die  wirklich  Blossen  zu  decken  vermög«?n,  bis  zur 
einfach  grünen  Ranke,  die  sich  von  der  Gürtelschnur  vorn  nach  der  Gflrtel- 
Hchnur  hinten  zieht.  A'miw  Bei/  sagt:  »Das  schwächere,  hier  aber  sehr  stäm- 
mige Geschlecht  ist  im  Bedecken  sehr  spar.!«am,  und  viele  der  fett- 
glänzenden, eisenbeladenen  Schönen  hüllen  sich  absolut  nur 
in  ihre  Farbe.  Im  Moru-Lande  gehen  die  Frauen  meist  völlig  nackt, 
nur  einzelne  hängen  hinten  an  die  Gürtelschnur  ein  Laubfragment.  Sonder- 
bar dabei  ist,  dass,  wenn  man  einem  Zuge  solcher  decoUetirten  Schönen  be- 
gegnet, die  Wasser  tragen,  sie  zunächst  mit  der  freien  Hand  ihr  Gesicht 
verdecken.  Nach  allem,  was  man  in  Afrika  sieht,  ist  Scham  doch 
auch  nur  ein  Erziehungsproduct.* 

Von  den  Negerinnen  der  Westküste  sagt  Üölliurr:  ,Das  was  wir 
Schamhaftigkeit  neimen,  ist  ganz  gewiss  auch  hier  vorhanden,  nur  weit 
weniger  entwickelt  als  bei  civilisirten  Völkern.  Die  jungen  Mädchen  nahmen 
nicht  den  geringsten  Anstand,  sich  vor  den  Augen  der  weissen  Männer  so- 
wohl  wie  der  schwarzen  Männer  selbst  ihres  ählip.ses,  jenes  fingerbreiten 
zwischen  den  Schenkeln  von  vom  nach  hinten  gezogenen  Bändchens,  zu 
entledigen,  sich  mit  einer  schwarzen,  im  Lande  verfertigten  Seife  einzureiben, 
und  dann  an  der  Lagune  abzuspülen.' 

Bei  dem  Galla*  Häuptling  Ttdu  in  Gobo  im  oberen  Nil  gebiet  fand 
Jiinn  Maria  Schurer  eine  sehr  primitive  Hoftracht:  er  bemerkte,  dass  ein 
halbrs  Dutzend  gelber  wie  schwarzer  junger  Mädchen  in  völlig  nacktem  Zu- 
stande, ohne  Kleidung,  ohne  irgendwelchen  Zicrath  einhergingen,  obwohl 
manche  unter  ihnen  wohl  kurz  vor  der  Heirath  standen.  Bei  dem  Lenaeb- 
barten Stamm  der  Koma- Neger  fand  er  dagegen,  dass  die  Mädchen  ein 
sehr  entwickeltes  Schamgefühl  haben. 

Bei  den  in  der  Cultur  schon  vorgeschrittenen  Völkern  kommen  Ge- 
bräuche vor,  die  unserer  Auffassung  von  Sittlichkeit  widersprechen.  Wenn 
in  Japan  beide  Geschlechter  höchst  naiv  und  harmlos  in  öffentlichen  Bädern 
Töllig  unbekleidet  verkehren,  ho  darf  man  hier  nicht  von  Schamlosigkeit 
sprechen;  hier  billigt  die  Sitte  «olchen  Verkehr. 

üeber  die  Schamhaftigkeit  der  Weiber  in  Cochinchina  äussert 
Mondi^re  Folgendes:  »La  pudeur,  ou  du  moins  ce  que  nous  nommons 
iiinsi  chez  nous,  genc  peu  la  femme  d'Annam.  et  eile  vous  ilit  de  l'air  le 
plus  naturel  et  siin«  que  la  moindre  roMjii^^r  ;ippiiraiase  sur  son  front, 
läge  otJ  pour  la  premifere  fois  eile  s'est  .:'  r.     Et  ce  n'est  pot«  seula* 

iiient  dana  les  clagses  inft^rieures  que  Ics  i  a  ainsi.   J  ai  eu  l'honnenr 

il'ftfcre  consulti*  ou  \ixite  jiar  pluüienri  damcs  de  ce  (|ao  l'on  ap|>elle  1*  oour 
de  Hoä  et  qui  rewsemblent  beaucoup  aux  belle«  et  honnf'tcs  damtnea  da 
rire    d«   Br«miümt.     EUes   m'ont    raoont^   leur    döbat«    Atnonreux    atea    U 


43.  IKe  Sc^lainlaft^ett  des  Weibes. 


lim«   franehü«   ei   U  mime   ünpodear  qoe  les  fiUes  de  Das  (Ibex  Tiui. 

Bei  mehreren  NaturTölkeni,  beispielweise  bei  mutehea  Poljneaiern, 
ba^«ni,  wie  wir  »cboti  enr&hnten,  erst  die  christlichen  Mij>sionäre  dadurch, 
dm  iie  eine  treiblicbe  Bekleidong  einführten,  dem  Volke  neue  Begriffe  ron 
Sehamhoftigkeit  beigebracht  Allein  es  giebt  auch  Naturvölker,  die  ohne 
rine  Berührung  mit  der  Gesittung  civUisirter  Völkerschaften  bei  den  Weibern 
eine  schämige  Zarijckhaltung  des  weiblichen  Geschlechts  durch  Bedeckung 
nackter  K5ri>erstellfn  wahrnehmen  lassen.  Von  den  alfuriecben  Frauen  auf 
Ceraui  sagt  Capitän  Schuht:  Trotz  der  Sp&rlichen  Bekleidung  sind  sie  sehr 
keusch  und  zQchtig. 

Unter  den  Mitua,  einem  südamerikanischen  Volksstamme  am 60 ja - 
bero-Flnsse,  welche  von  den  benachbarten  Indianern  als  Wilde  beteichnet 
werden,  fand  Crereattx  die  offenbaren  Zeichen  ron  natürlicher  Schamliaflig- 
keit  der  Frauen:  die  Weiber  tragen  dort  ein  sackartiges  Gewand;  Crtreauj 
kaufte  einem  Weibe  ein  solches  Gewand  ab,  und  als  sie  nun  das  neue  mit 
ilem  alten  vertauschen  Bollte,  ao  zeigte  sich,  dass  Schamgefühl  ihr  nicht 
fremd  war.  denn  sie  konnte  nur  schwer  durch  ihren  Mann  zn  diesem  Wechsel 
in  Gegenwart  der  Fremden  bestimmt  werden. 

Die  Begriffe  von  Schamhaftigkeit  bezüglich  der  Bedeckung  der  Sexual- 
organe durch  einen  Schurz  beginnen  bei  fast  allen  im  Uebrigen  unbekleidet 
eiuhergehenden  Völkern  erst  mit  dem  Eintritt  der  Reife,  der  Pubertät; 
von  cliesem  Zeitpunkte  an  werden  zumeist  die  Schamtheile  den  Blicken  dei 
männlichen  Geschlechts  nach  dem  Gebote  der  allgemeinen  Volkssitte  ent- 
zogen; dem  ganz  jungen  Mädchen  wird  in  dieser  Hinsicht  meist  noch  keine 
Zurückhaltung  befohlen.  Und  doch  giebt  es  auch  recht  rohe  Völker,  bei 
denen  sich  schon  am  jungen  Mädchen  das  Gefühl  der  Scham  bemerken 
lässt.  Die  weibliche  .Schamhaftigkeit  macht  sich  selbst  bei  so  niedrigstehenden, 
in  ihrer  Heimath  vollständig  nackt  einhergehenden  Frauen  wie  den  Feucr- 
l&nderinncn  geltend,  welche  r.  Bifichoff' in  München  bezüglich  des  Bauea 
ihrer  äusseren  Geschlechtsorgane  untersuchen  und  besichtigen  wollte.  Nur 
unter  Widerstreben  konnte  er  zu  einer  sehr  oberflächlichen  .\nschauung  ge- 
langen-, selbst  bei  den  kleinen  vier-  und  dreijährigen  Mädchen 
der  Truppe  war  es  ihm  unmöglich,  sich  von  dem  Verhalten  ihrer  Ge« 
•chlechtstbeile  zu  überzeugen,  indem  ihr  eigenes  Sträuben  auch  noch  von 
ihrer  Mutter  unterstützt  wurde,  daher  Biachoff  auch  bei  diesen  Kindern 
über  das  Vorhandensein  eine«  Hymen  keinen  Aufschluss  erhalten  konnte. 
Allein  gerade  in  dieser  moralischen  Unterstützung  durch  die  Matter 
liegt  mir  die  Andeutung,  dass  den  Kleinen  die  Schamhaftigkeit 
schon  anerzogen  war,  d.  h<  das*  es  ihnen  .^chon  gewlssermaoesen 
üls  Sitte  und  Pflicht  vorgestellt  worden  war,  dergleichen  verbergen  sa 
mOasen. 

Bei  manchen  Naturvölkern  ist  aber  den  jungen  Mädchen  eine  grössere 
Decenz  anerzogen,  ah  hei  nehr  civilisirten  Völkern.  Die  Araucanerinnen 
in  Chile  «ind  bedeutend  verschämter,  als  die  chileniinchen  Chnstiunen; 
jene  badeten  «ich  nur  allein  an  verborgenen  Orten,  letztere  zeigten  weniger 
Zurückhaltung.    {Trnitkr.) 

Habe«  wir  soeben  gesehen,  wie  bei  vielen  Völkern  es  «ehr  wohl  mit 
der  Schamhaftigkeit  vertrilglich  ist.  da«s  die  erwachst«nen  Mädchen  und 
Tnmm  entweder  vnUst&ndig,  oder  doch  ho  gut  wir  nackend  gehen,  finden 
wir  da«   andere    Extrem    bei   den  Muhamniodanerinnen,    welche,    wie  ja  all- 


XL  Der  EiEtritt  des  Weibes  in  das 
OescMechtsleben. 

42.  Die  Beziehungen  des  Weibes  znin  männlichen  Ueschlecht. 

Es  giebt  eine  Entvrickelung  in  der  geistigen  Auftassung  des 
weiblichen  Wesens  und  die  »Geisteswissenschaft"  sollte  sich  mehr, 
als  es  bisher  geschah,  mit  der  Geschieht«  dieser  Culturentwickelung 
befassen.  Eine  Stufenleiter  weist  gewiss  auch  das  Verhältniss  aul", 
in  welches  uatm'gemäss  das  Weib  zum  Manne  tritt.  Handelte  es 
sich  darum,  die  Sprossen  dieser  Leiter  zu  charakterisiren,  so  würden 
wir  dort  beginnen  müssen,  wo  der  sexueUe  Instinct  ganz  allein 
seine  Herrschaft  ausübt,  ein  Instinct,  welcher  teleologisch  die  höhere 
Bestimmung  im  Dienste  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  hat.  Wir 
würden  dann  zu  schildern  habeu,  wie  sich  nach  und  nach  auch  bei 
diesen  sexuellen  Beziehungen  im  culturell  sich  entwickelnden  Men- 
schen ethische  Geflihle  regen,  wie  die  psychische  Neigung,  die  wir 
Liebe  nennen,  als  besseres  Element  zu  jenem  instinctiven  Triebe 
hinzutritt,  um  ihn  aihuählich  zu  veredeln. 

Man  hat  den  kühnen  Auss])nich  gethan,  dass  erst  zur  Zeit 
Alexander  des  Grossen  die  Leidenschaft  der  Liebe  zwischen  Mann 
und  Weib  au  die  Stelle  roher  Sinnlichkeit  oder  nüchterner  Rück- 
sicht trat  (Henne  am  Rhyn.)  Allein  wenn  in  dieser  Beziehung  wirk- 
lich eine  Stufenleiter  zur  Vollkommenheit  in  der  ethischen  Auf- 
fassung der  Liebe  historisch  nachweisbar  ist,  so  hat  sich  bisher 
doch  Niemand  die  Aufgabe  gestellt,  diesen  Entwickelungsgang  mit 
allen  seinen  Etappen  darzustellen.  Wir  möchten  Berufenere  auffor* 
dem,  sich  eine  so  schöne  Aufgabe  zu  stellen! 

Je  höher  ein  Volk  in  der  Cultur  steht,  um  so  geistiger  und 
sittenreiner  ist  das  Band,  welches  beide  Geschlechter  mit  einander 
verknüpft.  Bei  den  rohesten  Völkern  ist  dtis  Verhältniss  ein  sinn- 
liches, imd  es  kommen  da  fast  bloss  die  Triebe  zur  Geltung,  die 
auch  beim  Thiere  eine  bald  länger,  bald  kürzer  dauernde  Verbindung 
zwischen  den  Geschlechtern  lierstellen.  Dann  kami  uns  aber  auch 
nicht  auffallend  erscheinen,  wenn  dergleichen  Völker  ruhig  gestatten, 
d«39  schon  bei  Kindern  der  kaum  erwachende  Trieb  mit  einer  Freiheit 


^ 


42.  Die  BeaehoBgen  dea  Weibes  zum  oiäniüichen  Geschlecht.      279 


auftritt,  die  wir  selbst  als  freche  Unzucht  bezeichnen,  die  von  den 
Erwachsenen  dort  aber  als  .Spielen'  aiifgefasst  A>'ird.  Eine  Zurück- 
haltung von  beiden  Seiten  gebietet  die  herrschende  Sitte  bei 
Colturvölkem,  denen  noch  nicht  durch  üebercultur  die  Ethik  ab- 
handen gekommen  ist :  dagegen  begegnen  sich  mit  der  naivsten  Hin- 
gebung Knaben  und  Mädchen  unter  vielen  Naturvölkern.  Auf 
Madagaskar  stören  und  liindem  nach  Audebert  die  Eltern  ihre 
Kinder  nicht;  und  bei  den  Basuthos  in  Südafrika  giebt  es  nach 
Missionär  Crriitäner  neben  der  sanctionirten  Hurerei  eine  heimliche, 
welche  die  kleinsten  Kinder  treiben,  und  wobei  die  Knaben  den 
Mädchen  Perlen,  Messingdraht  etc.  als  Hureulohn  geben;  die  durch 
Brauch  sanctionirte  aber  besteht  darin,  dass  ein  Bräutigam  mit  einem 
Genossen  vor  Abschluss  der  Verheirathung  im  Kraale  seiner  Braut 
zwei  bis  drei  Monate  lang  ein  Heidenleben  führen  darf.  Von  dieser 
untersten  Sprosse  kann  man  die  Stufenleiter  bis  zu  derjenigen  Höhe 
der  civilisirten  Zustände  verfolgen,  wo  sich  zwischen  Jüngling  und 
Mädchen,  Mann  und  Frau  das  reine  Gefühl  der  Liebe  und  Achtung 
herstellt,  und  wo  die  Würde  der  Frauen  ihr  moralisches  Recht  an- 
getreten hat. 

Bei  der  culturgeschichtlichen  Betrachtung  der  Verhältnisse,  die 
wir  im  sittlichen  Verhalten  der  Völker  vorfinden,  müssen  wir  uns 
vor  allem  frei  halten  von  der  Neigung,  jede  Erscheinung  von 
unserem  eigenen  Bildungszustande  aus  in  einer  Färbung  zu  be- 
trachten, die  unsere  Beurtheilung  durch  falsche  Beleuchtung  auf 
Irrwege  fuhren  würde.  Unser  subjectives  Gefallen  oder  Missfallen 
giebt  uns  gar  zu  leicht  eine  schiefe  Stellung  zur  Sache.  Vielmehr 
ist  uns  auf  dem  Gebiete,  das  wir  nunmehr  betreten,  vorzugsweise 
eine  ganz  objective  Auffassung  geboten.  Das  geschichtlich  Ge- 
wordene zunächst  festzustellen,  und  dann  der  Entwickelung  so  vieler 
Erscheinungen  im  Menschen-  und  Völkerlebeu  nachzugehen,  ist 
unsere  Au%abe.     Hier  gilt  ed  zunächst,  die  Frage  aufzuwerfen,  ob 

?ewisse  Begriffe,  die  wir  uns  bei  unserem  Bildungswesen  vom 
leiblichen  in  ethischer  Hinsicht  geschaffen  haben,  eingepflanzt 
sind  schon  in  das  ursprüngliche  Gefühl  und  Denken  des  Men- 
schen? Liegen  und  lagen  die  Begriffe  der  Schamhaftigkeit, 
der  Keuschheit  und  die  Werthschätzung  der  Jungfräulich- 
keit schon  vorgebildet  in  der  Psyche  des  Menschen,  und  wie 
kommen  diese  Begriffe  dort,  wo  sie  oder  wenigstens  Spuren  von 
ihnen  bei  Naturvölkern  in  die  Erscheinung  treten,  in  bestimmt-er 
Form  und  Gestalt  zum  AusdruckV  Wie  haben  sich  solche  Begriffe 
datm  mit  der  Gesittung  weiter  entwickelt,  oder  wie  sind  sie  später 
wieder  verwischt  worden?  Dies  Alles  sind  Fragen  der  Ethik  und 
Culturgeschichte,  die  uns  ijn  Folgenden  beschäftigen  werden. 

Wie  hat  sich  dann  in  physisch  -  ethnologischer  Hinsicht  das 
sexuelle  VerhältnLss  des  Weibes  zum  Manne  in  .seinen  verschiedenen 
Nuancen  bei  den  Urvölkem  gezeigt?  Sind  die  Thatsachen,  welche 
man   über   die   Ausübung   des   Coitus   bei   den  Völkern  erörterte. 


280 


XI.  Der  Eintritt  des  Weibes  in  das«  Gescblecbtslebea. 


dazu  angethau,  dass  wir  annehmen  müssen,  ein  instinctives  Gef 
habe  überall  die  Menschen  bei  so  animalen  Functionen  auf'  ein  be- 
stimmtes Gebühren  hingewiesen,  oder  es  habe  sich  auch  liier  Sitte 
und  Brauch  schon  überall  der  Sache  bemächtigt?  Ist  femer  das 
angeborene  ethische  Gefühl  im  Menschen  mächtig  genug,  die  so- 
genannten , Wilden"  von  geschlechtliehen  Verirrungen  des 
Weibes  abzuhalten?  Welche  Verirnmgen  kommen  in  dieser  Hin- 
sicht .bei  den  jetzigen  Naturvölkern  vor?  War  die  Prostitution, 
als  sie  im  Leben  der  Menschen  auftrat,  sogleich  als  sittlich -ver- 
werflicher Begi-iil'  aufgefasst  worden,  oder  war  sie  schon  längst  vor- 
handen, d.  h.  gab  es  einst  in  den  Urzuständen  des  Menschen- 
gesclüechtä  einen  allgemeinen,  durch  keine  ethischen  Schrankea 
eingedämmten  Hetärismus?  War  dieser  Hetärismus,  mit  dem 
sich  die  Mutterfolge  und  das  Mutterrecht  entwickelte,  die  Vorstufe 
znr  Ehe? 

Wie  tritt  dann  der  Begriflf  der  Liebe  auf,  und  in  welcher 
Weise  Übt  das  Weib  bewusst  oder  unbewusst  einen  Liebes- 
z  au  her  aus?  Welche  Typen  des  ehelichen  Lebens  finden 
wir  unter  den  Vülkeni  der  Erde,  und  welche  dieser  Typen  sind 
als  die  primitiven  zu  betrachten?  Haben  sich  bei  der  Ehe  gewisse 
Bräuche,  wie  das  Jus  primae  noctis,  eingesteUt  und  als  tra- 
ditionelle üeberliefenmgen  aus  der  Vorzeit  erhalten  und  welche 
geschichtlichen  That^achen  liegen  solchen  Bräuchen  zu  Grunde? 
Wie  hat  die  Sitte,  das  Khma  und  die  Lebensweise  das  Heiraths- 
alter  des  Mädchens  bei  den  verschiedenen  Völkern  beeinflusst? 
Welche  Begrifle  von  der  Zeugung,  Befruchtung  und  Em- 
pfängniss  linden  wir  bei  den  Völkern  vor?  Und  wie  haben 
schliesslich  sociale  Zustände  imd  klimatische  Verhältnisse  auf  die 
Empfängniss  des  Weibes  eingewirkt?  Dies  alles  sind  Fragen,  die 
noch  keineswegs  definitiv  beantwortet  werden  können,  für 
deren  Lösung  wir  aber  Material  in  Folgendem  beizubringen  ver- 
suchen werden. 


43.  Die  Schamhaftigkeit  des  Weibes. 

Ein  dunkles  Gesammtbewusstsein  hat,  wie  der  Psycholog  Lotee 
bemerkt,  in  der  beginnenden  sittlichen  Ausbildung  die  verschiedeoea 
Arten  der  Scham  erzeugt,  .durch  die  das  menschliche  Geschlecht 
überall  die  Naturbasis  seines  geistigen  Daseins  zu  verhüllen  sucht, 
und  da  am  meisten,  wo  sie  zu  den  zartesten  und  geistigsten  Gütern 
der  Liebe  und  des  Lebens  die  allersinnlichste  Vermittelnng  bildet.* 
Die  Beobachtung  der  Naturvölker  hat  zuweilen  eine  rücksichtsvolle 
Zartheit  uml  ''         '  lieit  des  F  "S,  viel  öfter  abt;r  ■         "     rlsche 

Rückhaltslo^  u  der  B-  iig  aller  siunlirh.  >  tnisse 

bemerken  lassen.     Lotse  hält  e«   tür  sehr  zweifelhaft,  weiches  Yon 


43.  Die  Scbaiuhaftjgkeit  des  Weibe». 


281 


leiden  wir  als  ursprünglich,  welches  als  Ergebniss  entweder  einer 
schon  begonnenen  Oultur  oder  einer  fast  vollendeten  Verwilderung 
betrachten,  oder  ob  wir  die  Unterschiede  der  Völker  in  dieser  Be- 
ziehung überhaupt  auf  Eigenthümlichkeiten  nicht  allgemein  mensch- 
licher Stiinun naturelle  zurückführen  müssen.  Wir  meinen,  dasa  das 
Gefühl  der  Schamhaftigkeit  doch  wohl  im  Allgemeinen  als  erster 
Grad  sittlicher  Regung  aufzufassen  ist,  die  in  den 
Menschen  erst  einzieht,  sobald  er  sich  von  dem  Zu- 
stande thierischer  Rücksichtslosigkeit  zu  entfernen 
beginnt,  und  sobald  sich  im  socialen  Verkehr  eine  Vorstellung 
über  conventioneilen  Anstand  ethisch  entwickelt  hat. 

Der  ursprüngliche  Keim  zur  Erzeugung  der  Sitten  ist  ein  sitt- 
liches Gefühl,  seine  Grundform  das  der  Billigung  und  des  Tadels. 
So  ungefähr  hat  Lazarus  in  seinem  „Leben  der  Seele"  die  Ent- 
stehung der  Sitten  bezeichnet,  die  dort  beginnen,  wo  der  Instinct 
aufhört.  Das  sittliche  Gefühl  der  Scham  ist  gewiss  ein  sehr  pri- 
mitives; es  wird  wohl  in  seiner  einfachsten  Gestalt  (Verbergung  ge- 
wisser Körpertheile)  durch  die  Voraussetzimg  eines  Tadels  und  Vor- 
wurfs seitens  der  Fremide  und  Verwandten  erzeugt,  falls  man  die 
Theile  oder  Handhnigen  den  Blicken  Anderer  aussetzt.  —  «Die 
Achtung  vor  sich  selbst,*'  so  sagt  gewiss  sehr  richtig  de  Qua- 
trefnges,  , findet  wohl  den  entschiedensten  Ausdruck  im  Gefühle  der 
Schamhaftigkeit  und  im  Ehrgefühle.  Auch  bei  den  Wilden  finden 
wir  diese  beiden  Gefühle.  Die  Schamhaftigkeit  tritt  jedoch  bei  den 
Wilden  nicht  selten  in  besonderen  Gebräuchen  und  Handlungen 
hervor,  die  das  gerade  Gegentheil  der  unsrigen  sind,  oder  über- 
haupt mit  miseren  Gebräuchen  nichts  zu  schaffen  haben.  Dadurch 
id  Missverständnisse  veranleisst  worden,  und  so  hat  man  z.  B, 
gewisses  Benehmen,  wodurch  bei  manchen  Polyuesiern  nur 
ein  ursprüngliches  Schamgefiihi  zum  Ausdruck  gelangen  soll,  als 
die  Aeussenmg  raffinirter  schamloser  Sinnlichkeit  deuten  wollen." 
Fragen  wir  nun,  ob  es  Menschen  und  Völker  ohne  alles  Öcham- 
geitlhl  giebt  und  welche  Rolle  dabei  das  weibliche  Geschlecht  spielt. 

Eine  eingehende  Betrachtung  dieser  Angelegenheit  finden  wir 
bei  FcM'hel,  welcher  zu  dem  Schlüsse  gelaugt: 

«Brauch  und  Sitte  entscheiden  über  Verstattetes  und  AnstOfisiges,  and 
erst  nachdem  sich  eine  Ansicht  beft>8tigt  hat,  wird  irgend  ein  Verstoss  zu 
einer  verwerflichen  Handlung.  Das  Schamgefühl  hat  sich  noch  gar  nicht 
geregt,  es  herrscht  also  Nacktheit  beider  Geschlechter  bei  den  Australiern, 
bei  den  Andamanen,  bei  etlichen  Stämmen  am  weissen  Nil,  bei  den  rohen 
Negorii  dea  Sudan  und  bei  den  Buschmännern.  Durchaus  irrig  wäre 
die  Aurtahnie,  dass  sich  das  Schamgefühl  früher  beim  weiblichen 
Geschlecht  rege,  als  beim  männlichen,  denn  die  Zahl  solcher  Menschen- 
Hlämnie,  bei  denen  die  Männer  allein  sich  bekleiden,  ist  nicht  unbeträcht- 
lich. Am  ürinoco  versicherten  Missionäre  unserem  Alejcatider  i".  Humboldt, 
dast  die  Weiber  weit  weniger  Schamgefühl  zeigten  iiIk  die  Männer.  Bei 
dm  Obbo-Negern  ara  Albert- See  besieht  die  Bedeckung  der  Frauen  in 
•inetn  LaubbQscbel,  während  die  Männer  einen  Fellscburz  tragen  etc.* 


282 


XI.  Der  Eintritt  des  Weibes  in  das  Gcschlecbtäleben. 


Ueber  die  verschiedenen  Begritte  weiblicher  Schamhaftigkeit 
bei  den  Völkern  muss  man  sehr  vorsichtig  urtheilen.  Mau  iindet 
selbst  bei  nacktgehendeu  Völkerschatten  eine  ausserordentliche 
Decenz.  Diese  Zurückhaltung  in  der  EntblÖssung  gewisser  Theile 
kann  recht  wohl  bestehen  trotz  uns  unsittlich  erscheinender  Vor- 
gänge und  trotz  der  theilweisen  Nacktheit.  In  dieser  Hinsicht  be- 
merkt Fechuel-Locsche  ganz  treffend:  Die  theilweise  Nacktheit  der 
Negerinnen  wird  gemildert  durch  die  entschieden  vortheilhafle 
dunkle  Farbe  der  Haut,  und  sie  erscheint  keineswegs  so  unzüchtig 
und  wirkt  nicht  so  entsittlichend,  wie  das  Verfllhrerische  halbver- 
hüllter Reize.  Die  wolilerzogene  Negerin  liebt  es  den  Busen  zu 
bedecken  xind  ist  empfindlich  gegenüber  musternden  Männeraugen. 
Begegnet  sie  ohne  Obergewand  dem  Europäer,  so  führt  sie 
instinctiv,  wiewohl  oft  auch  nicht  ohne  Coquetterie,  die  Be- 
wegung aus,  welche  an  der  mediceischen  Venus  so  vielfach  be- 
leuchtet wurde. 

Als  erstes  Zeichen  der  weiblichen  Schamliaffcigkeit  kommt  bei 
den  allermeisten  Völkern  das  Verhüllen  der  Scliamtheile  zum  Vor- 
schein. Schon  der  Name  dieser  Theüe  in  sehr  vielen  Sy>rachen, 
wie  in  der  Deutschen,  so  im  Lateinische'n  (pudendum  mu- 
liebre),  auch  im  Arabischen  (Quärnfts)  zeigt,  dass  man  dieselben 
flVr  solche  hielt,  welche  das  sitthche  Gefühl  zu  verbergen  vor- 
schreibt. Doch  zvimeist  wird  bei  den  rohen  Völkern  erst  zu  der 
Zeit  das  Verbergen  und  Verhüllen  dieser  Theile  den  jimgen  Mäd- 
chen durch  die  sittliche  Nöthigung  vorgeschrieben,  wo  die  Menses 
eintreten,  denn  bis  dahin  gehen  dieselben  ziuueist  ganz  unbedeckt 
und  unbekleidet  umher.  Wenn  aber,  wie  bei  den  Indianern  Süd- 
amerikas und  bei  einigen  anderen  Völkern,  nur  die  verheirat beten 
Frauen  sich  bekleiden,  die  erwachsenen  Mädchen  aber  nicht,  so  ist 
Waite  der  Meinung,  dass  man  diese  Verhüllung  nur  auf  Rechnimg 
der  Eifersucht  der  Männer  zu  setzen  hat. 

Wollen  wir  die  bei  den  Völkern  beobachteten  Thatsachen  durcbmustem, 
80  beginnen  wir  wohl  am  besten  mit  den  in  der  Cultur  tief  utebenden 
Rassen;  und  hier  treffen  wir  allerdings  auf  ein  recht  schwach  angedeutetes 
weiblichem  Schamgefühl.  Die  Melnnesier  sind  im  Punkte  des  Schämen:« 
wenig  zartfühlend.  Auf  den  Salomon -Inseln  kennt  man  eine  Kleidung  fast 
gar  nicht,  selbst  nicht  bei  den  Frauen,  die  allerhöchstens  einen  kurzen 
Blätter-  oder  Zeug-Schurz  tragen  (^Jung),  Doch  sind  auch  bei  fast  ollen 
anderen  Bewohnern  der  melanesischen  Inseln  die  Weiber  wenigstens  in 
soweit  schamhaft,  dass  sie  zwar  niemals  die  Brfiste,  doch  einigermaassen  den 
mittleren  Theil  des  Körpers  bedecken.  Auf  Neucalc'do  nieu  tragen  die 
Männer  nur  einen  dünnen  Strick  um  den  Leib,  die  Weiber  hingegen  einen 
freilich  äusseret  schmalen  Rock  ans  Rindenfasern,  gelb  oder  schwarz  gefärbt, 
auch  wohl  mit  Muscheln  besetzt  (Jung).  Dieses  Tragen  des  Franzengürtola 
auf  Neocaledonien  ist  nach  de  Rochas  den  Madchen  untersagt,  and 
nur  ein  Recht  der  verheiratheten  Frauen.  Auf  dem  Neu-Britnnni«o- 
Archipel  ist  die  Bekleidung  der  Eingeborenen,  wie  derselbe  Autor  bezeugt,  die 
allerdOrftigste;  hier  war  selbst  bei  den  Frauen  davon  absolut  nicht«  vor- 
handen. 


Vielfältig  kommt,  wie  Jung  mir  lierichtet,  bei  austrulisclien 
Schwarzen  das  Gefühl  der  Scham  zur  Geltung.  Die  Tasmaaier  hatten 
eine  eigenthümlichö  Manier,  mit  auswärts  gelegten  Beinen  zu  sitzen;  ihre 
Weiber  aber  legten  beim  Sitzen  die  Beine  so,  dass  ihre  Scham  durch  den 
Fu«s  bedeckt  war.     {Labinadibre.) 

In  Polyneuien  legen  die  Weiber,  wenn  ein  Schiff  die  KOste  ihrer 
Insel  anläuft,  mit  der  grOsst'en  Leichtigkeit  ihre  Kleider  ab,  die  nur  aua 
jfwei  Theilen  bestehen,  einem  oberen,  Poncho-ähnlichen  und  einem  um  die 
Hüften  gewundenen  Lendentuch,  man  sieht  «-ie  dann  um  da«  Schilf  herum- 
schwimmen und  an  Bord  desselben  steigen,  ohne  dem  völlig  nackten  Zu- 
stande irgendwie  Rechnung  zu  tragen.  Dies  fand  ächon  statt,  als  die  ersten 
Europäer  dort  landeten,  und  noch  heute  besteht  solcher  Brauch.  Die 
Damen  der  Sandwich-Inseln  begeben  sich  auf  diese  Weise  auf  die  euro- 
päischen Schiffe,  indem  sie  beim  Schwimmen  ihre  seidene  Robe,  ihre  Schuhe 
und  ihre  Sonnenschirme  über  die  Wogen  emporhalten  (Beec/iy).  Dieses 
nach  unseren  Begriffen  »schamlose*  Gebnhreu  iet  ursprünglich  wohl  nur 
das  Ergebniss  einer  naiven  Auffassung  von  Freiheit  und  Reinheit  der  Sitten, 
die  von  jenen,  damals  noch  wenig  verdorbenen  Weibern  dem  entarteten 
Geschlechte  der  europäischen  Matrosen  entgegen  gebracht  wurde;  allein 
gar  bald  machte  solche  Naivität  hei  so  unreiner  Berührung  der  schmäh- 
bchtiten  Prostitution  Platz.  Ursprünglich  schien  nicht  das  Schamgefühl  die 
Verhüllung  der  Blosse  vorzuschreiben;  auf  Tahiti  bedeckten  sich  die  Frauen 
in  den  unteren  Partien  nach  Cook'a  Beobachtung  ledigUch  „aus  Artigkeit". 
Wenn  die  Missionäre  auf  mehreren  Inseln  der  Sfldeee  die  Mädchen  veran- 
lassten, sich  mit  einer  wenig  amnuthigen  Tracht  zu  bekleiden,  so  haben 
dieselben  neue  Begriffe  von  Ansttüidigkcit  gewonnen,  aber  zugleich  das 
natürliche  Gefühl  der  »Artigkeit'  verloren. 

Früher  Mraren  die  Weiber  der  Mikronesier  sehr  streng,  schamhaft, 
durchaus  taktvoll  und  zurückhaltend.  Auch  im  freien  Verkehr  mit  den 
Jünglingen  ihres  Volkes,  welche  den  Mädchen  für  ihre  Gunst  Geschenke 
geben  müssen,  herrscht  bei  aller  Freiheit  eine  gewisse  Schamhaftigkeit. 
{Waits-Gerlanä.) 

Grosse  NaivitSt  zeigen  dagegen  die  Chinwan-Weiber  auf  der  Insel 
Formosa.  Joest  berichtet:  »Schamgefühl  ist  nicht  der  Grund  ihrer  dichteu 
Bekleidung;  die  Frauen  und  Mädchen  zeigen,  zumal  beim  Hocken,  ohne 
leu  ihre  Geächlechtstheile  und  häutig  {lusserten  sie  den  Wunsch,  die 
einigen  zu  besehen  oder  zu  betasten,  allein  aus  Neugierde." 

Ausgebildeter  tritt  das  weibliche  Schamgefühl  schon  bei  Afrika- 
nerinnen zu  Tage.  In  den  heissen  Strichen  des  Continents,  namentlich 
in  den  Aequatorialgegeuden,  ist  die  Bekleidung  der  Männer  und  Frauen 
sahlreicber  Neger vOlker  Äusserst  dürltig  und  einfach.  An  der  südlichen 
Quinea-Küäte  wohnen  die  Kannibalen-Stämme  der  Fan;  die  Frauen-Be- 
kleidung beschräukt  sich  auf  ein  AÜenfell  rückwärts,  ein  »chmalcs  Stück 
Zeug  oder  einen  (irasbüschel  vom;  trotz  dieser  geringfügigen  Verhüllung 
sind  die  Frauen  der  Fan  weit  schamhafter,  als  die  der  anderen  StUmrae. 
Obwohl  die  Frauen  der  Berabra  sehr  wenig  bekleidet  einhergehen,  und 
die  Mädchen  bei  ihrer  Verheirathung  nur  eine  sogenannte  Rabat  (ein  den 
Unterleib  umfai^sender  Riemen,  von  dem  nur  dünne  Riemchen  von  verschie- 
dener Länge  herabhüngen)  tragen ,  und  auch  sonst  den  Frentden  gegenüber 
sieb  frei  bewegen,  sind  sie  doch  von  grosser  Eiugezogenheit  und  Sitten- 
reinheit. Bei  einzelnen  Negervölkern  bedecken  die  Weiber  den  Hinteren; 
nimmt  man  ihnen  den  Schur/,  so  werfen   nie  sich  mit  dem  Rücken  auf  die 


XI.  Der  Eintritt  des  Weibea  in 


(;eaif>in  bekannt  ist,  sogar  ihr  Gesicht  unt«r  einem  Schleier  verbergen  müseen. 
ßodenstedt  konnte  in  Tiflis  von  seiner  Wohnung  auH  das  Frauengemach 
eines  armenischen  Kaufmanns  überblicken:  j 

,Da  sassen  (bei  jedem  festlichen  Anla«s)  30 — 40  armenische  Frauen' 
mit  gekreuzten  Beinen  auf  einem  grossen,  das  ganze  Zimmer  ausmeasendea 
^Teppich,  in  buntem  Kreise,  alle  angethau  mit  schweren  kostbaren  Stoffen, 
len  Nacken  von  einem  weissen  Schleier  überwallt,  und  das  Leibchen  zwie- 
:h  halbmondförmig  so  weit  ausgeschnitten,  dass  des  Busens  besserer 
Tbeil  offen  zur  Schau  lag.  Ich  kann  hier  die  Bemerkung  einschalten,  dass 
im  Morgenlande  die  Frauen  mit  ihrem  Buseu  noch  viel  weniger  heimlich 
thun  als  bei  uns.  Dem  strengsten  Schamgefühl  ist  dort  Geniige  gethan, 
mit  dem  Verhüllen  des  Gesichts.  Alle  übrigen  Körpertheile  werden  gerin- 
gerer Berilcksichtiguiig  gewürdigt.  Es  ist  um  das  Schicklichkeits-  und  An- 
standsgefühl (wie  es  im  Grunde  allen  Völkern  inne  wohnt,  sich  aber  auf  die 
verschiedenste  Art  kundgiebtj  ein  eigenes  Ding.  Eine  Schottin  kann  vor 
lauter  Schamhaftigkeit  in  Ohnmacht  fallen,  wenn  sie  einen  Mann  mit  einem 
Barte  siebt,  findet  es  aber  ganz  ihren  Begriffen  von  Anstand  gemS^s,  dass 
die  Männer  ohne  Uosen  einhergehen,  ein  Zustand,  der  den  Damen  anderer 
LÄnder  wieder  das  Blut  der  Scham  in  die  Wangen  treiben  würde.  Eine 
bildende  Europäerin  wird,  wenn  sie  sich  von  Männeraugen  erspähet  weiss» 
alles  andere  eher  verhüllen,  ols  ihr  Gesicht.  Eine  Asiatin  wird,  unter  ähn- 
lichen Umständen,  fremden  Blicken  alles  andere  eher  preisgeben  als  ihr 
Gesicht.  Diese  wenigen  Beispiele  mOgen  genügen,  um  darzuthun,  wie  schwer 
es  ist,  in  dem,  was  man  Sitte  und  Anstand  nennt,  die  Scheidelinie  zwischen 
dem  Ernsten  und  Komischen,  zwischen  Weisheit  und  Thorheit  zu  ziehen. 
Der  beschränkte  Mensch  ist  immer  am  meisten  geneigt,  das  zu  belächeln, 
was  über  seinen  engen  Gesichtskreis  hinausreicht;  je  weiter  der  Blick,  desto 
milder  das  Urtheil." 

Komisch  wirkt  es  nun  allerdings  auf  uns,  wenn  wir  von  Bittich  erfahren, 
dass  die  Tschuwaschinnen  (Wolga-Türken)  es  für  unmoralisch  halten, 
ihr«  nackten  FUsse  zu  zeigen,  und  dass  sie  sich  sogar  mit  umwickelten 
Füssen  zu  Bett  Viegeben.  Als  Pendant  hierzu  erzählt  Vavibery,  das«  die 
Türkinnen  Ceutralasiens  ein  Aehnliches  thun  und  die  Turkoma- 
ninnen  als  lasterhaft  verschreien,  weil  letzlere  selbst  in  Gegenwart  von 
Fremden' barfüssig  einhergehen.  So  lässt  auch  die  Chinesin  schämig  nur 
mit  Widerstreben  ihren  kleinen  Fuss  nackt  sehen,  obgleich  sie  ihn  im 
lierlichen  Schuh  für  eine  grosse  Schönheit  hält.  Di)^  Baschkirinnen  da- 
gegen halten  ebenso  wenig  wie  die  Turkomaainnen  und  Kirgisinaen 
ili«  Sitte  des  Verschleiems  für  unbedingtes  Erfordemiss. 

£s  wäre  uuü  aber  ein  ausserordentlicher    Irrthum,    wenn   man 

flauben  wollte,  dass  dasjenige,  was  man  als  weibliche  ächamhai^- 
eit  und  ZQclitigkeit  »u  bezeichnen  pflegt,  bei  den  OiUturvölkem 
Europas, bereits  £U  einem  absolut  feststehenden  Begnife  ^^ich  her- 
ausgebildet habe.  Wie  ausserordentlich  wechselnd  hier  noch  in  den] 
leisten  Jahrhunderten  die  Anschauungen  der  Damen  gewesen  sind' 
selbst  in  den  höchsten  und  den  gebildetsten  Kreisen,  das  lehrt  uns 
i'in<»ch  ein  Blick  auf  die  rhythmischen  Schwankungen  ■  "Ti- 

moden.    Was  den  einen  Tag  als  frivol  und  gemein  im  höc  ,yit 

betrachtet  wird,  das  gilt  bereits  den  nächsten  Tag  in  noch  !;•  -■  •/  rtcrl 
Potenz  tUr  fein,  naturgemäss  imd  wohlanständig.  Gilt  e^i  lit-uu  uüch  j 
für  unschicklich,  auch    nur   das   Handgelenk    unbedeckt   m   «ngco. 


43.  Die  Schamhaftitrkeit  des  Weibes. 


285 


tneme    franchise    et  la  meme   impudeur  qae   les  Blies  de  Dan  (Heet  Yün, 
paysan).* 

Bei  mehreren  Naturrülfcern,  beispielweise  bei  manchen  Polynesiern, 
haben,  wie  wir  schon  erwilhnten,  erst  die  chriBtlichen  Missionüre  dudurcb, 
dass  sie  eine  weiblichp  Bekleidung  einführten,  dem  Volke  neue  Begriffe  von 
Schatnhaftigkeit  beigebracht.  Allein  es  giebt  auch  Naturvölker,  die  oluie 
eine  Berührung  mit  der  Gesittung  civiÜBirter  Völkerschaften  bei  den  Weibern 
eine  schämige  Zurückhaltung  des  weiblichen  Geschlechts  durch  Bedeckung 
nackter  K^rperstellen  wahrnehmen  lassen.  Von  den  alfurischen  Frauen  auf 
Ceram  »agt  CapitSn  Seltuhe:  Ttoit  der  ep&rlichen  Bekleidung  sind  sie  sehr 
keusch  und  züchtig. 

Unter  den  Mitua,  einem  südamerikanischen  Volksstamme  am  Goya - 
bero-Flusse,  welche  von  den  benachbarten  Indianern  als  Wilde  bezeichnet 
werden,  fand  Creteaux  die  offenbaren  Zeichen  von  natürlicher  Schamhaftig- 
keit  der  Frauen:  die  Weiber  tragen  dort  ein  sackartiges  Gewand;  Crereaur 
kaufte  einem  Weibe  ein  solche»  Gewand  ab.  und  als  sie  nun  das  neue  mit 
dem  alten  vertauschen  sollte,  so  zeigte  sich,  dass  Schamgefrihl  ihr  nicht 
fremd  war,  denn  sie  konnte  nur  schwer  durch  ihren  Manu  zu  diesem  Wechsel 
in  Gegenwart  der  Fremden  bestimmt  werden. 

Die  Begriffe  von  SchamhaftJgkeit  bezüglich  der  Bedeckung  der  Sexual- 
organe durch  einen  Schur;:  beginnen  bei  fast  allen  im  Uebrigen  unbekleidet 
einhergehenden  Völkern  erst  mit  dem  Eintritt  der  Reife,  derPubertfit; 
von  diesem  Zeitpunkte  an  werden  zumeist  die  Scham  theile  den  Blicken  des 
mftnnlichen  Geschlechts  nach  dem  Gebote  der  allgemeinen  Volkssitte  ent- 
zogen; dem  ganz  jungen  Mädchen  wird  in  dieser  Hinsicht  meist  noch  keine 
Zurückhaltung  befohlen,  und  doch  giebt  es  auch  recht  rohe  Völker,  bei 
denen  »ich  schon  am  jungen  Mädchen  das  Gefilhl  der  Scham  bemerken 
lüsst.  Die  weibliche  Schnmhaftigkeit  macht  sich  selbst  bei  so  niedrigstehenden, 
in  ihrer  Heinmth  vollständig  nni:kt  einhergehenden  Frauen  wie  den  Feuer- 
lünderinnen  geltend,  welche  r.  Bischoff' in  MOniihen  bezüglich  des  Baues 
ihrer  äusseren  Geechlecbtsorgane  untersuchen  und  besichtigen  wollte.  Nur 
unter  Widerstreben  konnte  er  ku  einer  sehr  oberflächlichen  Anschauung  ge- 
langen; selbst  bei  den  kleinen  vier-  und  dreijährigen  Mädchen 
der  Truppe  war  ea  ihm  unmöglich,  sich  von  dem  Verhalten  ihrer  Ge-. 
achlechtstheile  zu  überzeugen,  indem  ihr  eigenes  Striluben  auch  noch  von 
ihrer  Mutter  unterstützt  wurde,  daher  Hischof]  auch  bei  diesen  Kindern 
Ober  das  Vorhandensein  eines  Hymen  keinen  Aufschluss  erhalten  konnte. 
Allein  gerade  in  dieser  moralischen  Unterstützung  durch  die  Mutter 
liegt,  mir  die  Andeutung,  dass  den  Kleinen  die  Schanihaftigkeit 
schon  anerzogen  war,  d.  h.  dass  es  ihnen  schon  gewissermaassen 
als  Sitte  und  Pflicht  vorgestellt  worden  wur,  dergleichen  verbergen  zu 
nittsseu. 

B<>i  manchen  Naturvölkern  ist  al>er  den  jungen  Müdchen  eine  grössere 
Decenz  anerzogen,  als  bei  sehr  civil isirten  Völkern.  Die  Ära  ucanerinnen 
iu  Chile  sind  bedeutend  verschilmt^r,  als  die  chilenischen  Christinnen; 
jene  badeten  sich  nur  allein  an  verborgenen  Orten,  letztere  zeigten  weniger 
Zurückhaltung.    (TrettUer.) 

Haben  wir  soeben  gesehen,  wie  bei  vielen  Völkern  es  sehr  wohl  mit 
der  Scharahaftigkeit  vertraglich  ist,  dass  die  erwachsenen  Mädchen  und 
^auen  entAveder  vollständig,  oder  doch  so  gut  wie  nackend  gehen,  finden 
wir  da»    andere    Extrem    bei   den  Mohammedanerinnen,    welche,    wie  ja  all- 


XI.  Der  Eintiitt  des  Weibes  in 


gemein  bekannt  ist,  ao^ar  ihr  Gesicht  unter  einem  äcbleier  verbergen  mOasen. 
Bodenstedt  konnte  in  Tiflis  von  seiner  Wohnung  aus  das  Frauengemach 
eine«  armenischen  Kaufmanns  überblicken: 

,Dtt  sassen  (bei  jedem  festlichen  Änlasa)  30 — 40  armenische  Frauen j 
mit  gekreuzten  Beinen  auf  einem  grossen,  das  ganze  Zimmer  ausmessendea  | 
Teppich,  in  buntem  Kreise,  alle  angethan  mit  schweren  kostbaren  Steifen, 
den  Nacken  von  einem  weissen  Schleier  überwallt,  und  das  Leibchen  zwie- 
fach halbmondförmig  so  weit  ausgeschnitten,  da^s  des  Busens  besserer 
Tbeil  offen  xur  Schau  lag.  Ich  kanu  hier  die  Bemerkung  einschalten,  dass 
im  Morgenlande  die  Frauen  mit  ihrem  Busen  noch  viel  weniger  heimlich 
thun  als  bei  uns.  Dem  strengsten  Schamgefühl  ist  dort  Genüge  gethan, 
mit  dem  Verhüllen  des  Gesichts.  Alle  übrigen  Körpertheile  werden  gerin- 
gerer Berücksichtigung  gewürdigt.  Es  ist  um  das  Schicklichkeits-  und  An* 
fltandsgefühl  (wie  es  im  Grunde  allen  Völkern  inne  wohnt,  sich  aber  auf  die 
verschiedenste  Art  kundgiebtj  ein  eigenes  Ding.  Eine  Schottin  kann  vor 
lauter  Schamhaftigkeit  in  Ohnmacht  fallen,  wenn  sie  einen  Mann  mit  einem 
Barte  sieht,  findet  es  aber  ganz  ihren  Begriden  von  Anstand  gemäss,  dass 
die  Männer  ohne  Hosen  einhergehen,  ein  Zustand,  der  den  Damen  anderer 
L&nder  wieder  das  Blut  der  Scham  in  die  Wangen  treiben  würde.  Eine 
badende  Euro  {tu  er  in  wird,  wenn  sie  sich  von  Männeraugen  erspähet  weiss, 
alles  andere  eher  verhüllen,  als  ihr  Gesicht.  Eine  Asiatin  wird,  unter  ILhn- 
liehen  Umständen ,  fremden  Blicken  alle»  andere  eher  preisgeben  als  ihr 
Gesicht.  Diese  wenigen  Beispiele  mögen  genügen,  um  diirzuthun,  wie  schwer 
es  ist,  in  dem,  was  man  Sitte  und  Anstand  nennt,  die  Scheidelinie  zwischen 
dem  Ernsten  und  Komischen,  zwischen  Weisheit  und  Thorheit  zu  ziehen. 
Der  beschränkte  Mensch  ist  immer  am  meisten  geneigt,  das  zu  belächeln, 
was  über  seinen  engen  Gesichtskreis  hinauareicht ;  je  weiter  der  Blick,  desto 
milder  das  Urtheil." 

Komisch  wirkt  es  nun  allerdings  auf  uns,  wenn  wir  von  Jiittich  erfahren, 
dass  die  Tschuwaschinnen  (Wolga-Türken)  es  für  unmoralisch  halten, 
ihre  nackten  Füsse  zu  zeigen,  und  dass  sie  sich  sogar  mit  umwickelten 
Füssen  zu  Bett  begeben.  Als  Pendant  hierzu  erzählt  Vamhenj,  da.ss  die 
Türkinnen  Centralasiens  ein  Aehuliches  thuu  und  die  Turkoma- 
ninnen  als  lasterhaft  verschreien,  weil  letztere  selbst  in  Gegenwart  von 
Fremden 'barfUssig  einhergehen.  So  lüs^it  auch  die  Chinesin  schämig  nur 
mit  Widerstreben  ihren  kleinen  Fuss  nackt  sehen,  obgleich  sie  ihn  im 
zierlichen  Schuh  für  eine  grosse  «Schönheit  hält.  Die  Baschkirinnen  da- 
gegen halten  ebenso  wenig  wie  die  Turkomaninnen  und  Kirgisinnen 
die  Sitte  des  Yerschleierns  für  unbedingtes  Erforderniss. 

Es  wtire  uuu  aber  ein  ausserordentlicher  Irrtlium,  wenn  man 
glauben  wollte,  dass  dasjenige,  was  man  als  weibliche  Schamhaftig- 
keit und  Züchtigkeit  zu  bezeichnen  pflegt,  bei  den  Culturvölkem 
Europas. bereits  zu  eb^em  absolut  feststehenden  Begriffe  .sich  her- 
ausgebildet habe.  Wie  ausserordentlich  wecliselnd  hier  noch  in  den 
letzten  Jahrhunderten  die  Anschauungen  der  Damen  gewesen  sind 
selbst  in  den  höchsteu  und  den  gebildetsten  Kreisen,  das  lehrt  uns 
einfach  ein  Blick  auf  die  rhythmischen  Schwankungen  der  Damen- 
moden. Was  den  einen  Tag  als  frivol  und  gemein  im  höchsten  Grade 
betrachtet  wird,  dsis  gilt  bereits  den  nächsten  Tag  in  noch  gesteigerter 
Potenz  fUr  fein,  naturgemäss  und  wohlanständig.  Gilt  es  heute  noch 
lilr  unschicklich,  auch   mir   das  Handgelenk   unbedeckt   zu    zeigen, 


4S.  IKe  ScIiaTnli  aftigireit  de«  Weibes. 


287 


so  trSgi  man  morgen  ohne  Scheu  den  ganzen  Ann  bis  zu  seinem 
"Ursprung  entblösst,  und  gestattet  sogar  einen  unbeschrankten  Ein- 
I  blick  in    die    Achselhöhle.     Muss    das   eine  Mal    der  Hals   verhüllt 
Isein  bis  unter  das  Kinn,  so  erregt  es  Tags  darauf  keinen  Anstoss, 
Ldie  Schultern   bis   tief  hinab  zum  Rücken  und  die  Brüste  fast  bis 
Fl«  ihrer  Warze  zu  präsentireu.    Darf  eben  noch  auch  nicht  einmal 
fdie  Fussspitze    imter    dem    Gewände    hervorblicken,    so    ist    es   im 
nächsten   Augenbhck   erlaubt,    das  Bein    bis   über   das  Knie  hinaus 
den   profanen   Männerblicken   blosszusteUen.     Muss    endlich    eiimial 
die  gesammte  Kleidung  so  gewählt  werden,  dass  man  in  ihr  selbst 
[bei    der   blühendsten    Phantasie    einen    menschlichen   Körper   nicht 
mehr  zu  ahnen  vermag,    so   ist  es   in   kurzer  Zeit  schicklich,  dass 
das  Gewand  dem  Körper  sich  so  knapp  anschmiegt,   dass  man   ihn 
in   allen   seinen   anatomischen  Eigenthüralichkeiten    sofort  zu  über- 
blicken   im    Stande    ist.     Aber  auch   abgesehen  von  diesen  Launen 
der  Mode  hat  die  Schamhat^igkeit  bei  uns  recht  erhebliche  Wand- 
lungen erfahren,  und  wenn  wir  uns  bemühen,  aus  unseren  Dichtem 
in  dieser  Beziehung  die  Anschauimgen  der  Damen  des  Mittelalters 
kennen   zu   lernen,    so   begegnen   wir  dort  für  unsere  heutige  Auf- 
fassung und  Empfindung  sehr  eigenthümlichen  Sitten  und  Gebräu- 
chen.  Lesen  wir  z.  B.  den  Parzival,  so  finden  wir,  dass  er  irgendwo 
als  Gast  aufgenommen,  von  Jünglingen  entkleidet  und  zu  Bett  ge- 
bracht wird,  aber  noch  bevor  er  im  Bett  ist,  erscheinen  vornehme 
Jungfrauen,  lun  ihm  Erfrischungen  zu  credenzen.     Man  darf  dabei 
nicht    vergessen,    dass    man    in  damaliger  Zeit  absolut  nackend  zu 
schlafen  pflegte.     An  einer  anderen   Stelle   wtinscht    eine   Königin, 
dass    PafÄivid   sie   von    ihren    Feinden  befreie,     Sie  sucht  ihn,   um 
•  diesen  Beistand  von  ihm  zu  erbitten,  Nachts  allein  in  seinem  Schlaf- 
'  gemach    auf    „nicht    zu    solcher    Lust    Gewinn,    die  aus    Mtldchen   Fruuen 
macht  unversehens  in  einer  Nacht',  sondern  ,sie  suchte  Hülf  und  Freundes 
Rath.     Sie  trug   auch    wehrlichen  Staat:    Ein  Hemd  von  weisser  Seide  fein. 
Wie  könnte  streitbarer  sein,  wenn  sie  zum  Manne    geht,    ein  Weib'?     Auch 
schwang  die  Frau  um  ihren  Leib  von  Sammet  einen  Mantel  lang:  Sie  gingt 
'wie  sie   der   Kummer    zwang."     Dann  kniet  sie  an    seinem  Bette  nieder,  er 
will  das  nicht  leiden  und  bietet  ihr  seinen  Platz  an.   ,Sie  sprach,  wollt  ihr 
Euch    ehren,    mir   solche  Zucht    bewähren,    nicht  zu  rühren   meine  Glieder, 
leg  ich  mich  zu  Euch  nieder.    Den  Frieden    gab   er  feierlich;  Da  borg   sie 
in  dem  Bette  sich."     und  nun  setzt  sie  ihm  ihr  Gesuch  auseinander,  dem 
er  auch  Folge  giebt   und   ihre  Stadt   befreit,    worauf  sie  sich  ihm  ergiebt. 
,Den  alten  immer  neuen  Brauch  übten  da  die  Beiden  auch." 
I         Ueberhaupt  erscheint  es  als  Sitte,    dass   die  Ritter   für  irgend 
eine  ihnen    bisher    ganz   unbekannte   Dame  kämpfen,    deren  Feinde 
besiegen  und  dann  sofort   nach    erfolgter  ß.einigung  und  leiblicher 
Erquickung  mit  der  Dame  zu  Bette  gehen,  ein  Kind  mit  ihr  zeugen 
, und  dann  von  dannen  ziehen  {Wolfram  von  Enchcnbach). 

Aus  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts  schildert  uns  Qtmrinonius 
>uderliche  Sitten,   die  in  Hall  im  Innthale  in  den  Badstuben 
chteu: 


288  ^I-  I^er  Eintritt  des  Weibes  in  das  Geschlechtsleben. 

,Der  Schlüssel  der  Jangkfrawschafft,  ist  die  Qeschämigkeit,  dann  eben 
von  der  Geschämigkeit  wegen,  wirdt  manche  wider  ihren  eignen  Willen, 
von  der  Unzucht  abgehalten,  durch  diese  Bäder  aber,  verleart  man  allge- 
mach die  Gescbämigkeit,  und  übet  sich  fein  entblösster  vor  den  Männern 
sehen  zu  lassen.  In  dem  vilen  man  auch  gar  kein  Underschied,  der  abge« 
sonderten  Zimmer  zu  der  EntblOssung  noch  zum  Baden  hat,  ja  die  Bad- 
wannen, darin  man  sitzt  zu  sonderm  Fleiss  under  einander  Mann  und  Weib 
spicken,  damit  eins  das  ander  desto  besser  und  fQglicher  sehen,  und  die 
Schambarkeit  gegen  einander  verlieren  lernen.  Wie  viel  mal  sibe  ich  (ich 
nenn  darumb  die  Stadt  nicht)  die  Mägdlein  von  10.  12.  14.  16  und  18  Jaren 
gantz  entblösst,  und  allein  mit  einem  kurtzen  leinen  offt  schleussigen  und 
zerrissnen  Badmantel,  oder  wie  mans  hier  zu  Land  nennt,  mit  einer  Badehr 
allein  vornen  bedeckt,  und  binden  umb  den  Rucken!  Dieser  und  Füssen 
offen,  und  die  ein  Hand  mit  gebür  in  dem  Hindern  haltend,  von  ihrem 
Hauss  auss,  über  die  lang  Gassen  bey  mitten  tag,  biss  zum  Bad  lauffen? 
Wie  viel  laufft  neben  ihnen  die  gantz  entblössten,  zehen-,  zw5lff,  viertzehen 
und  sechtzehen  jährigen  Knaben  her,  und  begleit  das  erbar  Gesindel." 

Aehnliche  Sitten  sollen  nach  du  ChaiUu  noch  heute  im  nörd- 
lichen Norwegen  und  Finnland  bestehen. 

Dass  noch  zu  der  Zeit  Kaiser  Karl  des  Fünften  bei  seinen 
feierlichen  Einzügen  die  Töchter  vornehmer  Patrizier  es  sich  zur 
Ehre  anrechneten,  vollständig  nackt  dem  Kaiser  voranzuschreiten, 
imd  dass  die  Väter  willig  ihre  Töchter  dem  Kaiser  als  Concubinen 
tiberliessen,  das  möchte  wohl  hinreichend  bekannt  sein. 

Einem  eigenthümlichen  Grade  der  Gastfreundschaft  begegnen 
wir  noch  vor  wenigen  Jahren  in  Island  in  der  Nähe  der  Geisire, 
die  uns  der  den  Lord  Dufferin  begleitende  Arzt  folgendermaassen 
schildert : 

Die  erwachsene  Tochter  der  Familie,  bei  welcher  er  Unterkunft  ge- 
funden hatte,  führt  ihn  des  Abends  auf  sein  Schlafzimmer,  „und  ich  war  eben 
im  Begriff  mich  zu  verbeugen  und  ihr  gute  Nacht  zu  wünschen,  als  sie  auf 
mich  zutrat  und  mit  einnehmender  Grazie,  der  nicht  zu  widerstehen  war, 
darauf  bestand,  mir  den  Rock  aufziehen  zu  helfen  u.nd  dann  (zu  den  Extre- 
mitäten übergehend)  mich  auch  der  Schuhe  und  Strümpfe  zu  entledigen.  Mit 
diesem  höchst  kritischen  Theile  ihrer  Verrichtungen,  dacht'  ich  natürlich, 
würden  ihre  Geschäfte  enden  und  ich  endlich  des  Alleinseins  theilhaftig 
werden,  das  man  zu  einer  solchen  Stunde  gewöhnlich  für  schicklich  erachtet. 
Nicht  dran  xu  denken.  Ehe  ich  wusste,  wie  mir  geschah,  sass  ich  da  im 
Hemde  und  huRenlos,  während  meine  schöne  Zofe  vollauf  beschäftigt  war, 
die  geraubten  Kleider  nett  zusammenzufalten  und  auf  den  nächsten  Stuhl 
hinzulegen.  Mit  der  grössten  Natürlichkeit  von  der  Welt  half  sie  mir  ins 
Bett,  steckte  die  Decke  überall  hübsch  ein,  sagte  mir  noch  allerlei  hübsche 
Dinge  in  Isländisch,  gab  mir  einen  herzlichen  Kuss  und  ging."  Morgens 
wurde  er  durch  einen  Kuss  wieder  aufgeweckt. 

Wir  schliessen  dieses  Kapitel  mit  dem  Hinweise  auf  den  Aus- 
spruch eines  ungenannten  Anthropologen,  dem  man  gewiss  bei- 
stimmen darf: 

„Mit  der  Ethik  ist  es  ungeachtet  mehrerer  achtungswerther  Versuche, 
den  Bann  zu  durchbrechen,  noch  nicht  viel  besser  bestellt,  als  mit  vielen 
anderen   Gebieten   der   „Geisteswissenschaften",    welche    ja    sämmtlich   auf 


m 

psychologi|dM-Sa«is  berahen.  Die  Parole  heiest  auch  hier,  «elbat  bei  Vor- 
urtheilsloflteff,  AAeh  immer:  t'onslruireo!  Zuerst  macht  man  sich  nach  eig^ener 
Bildung  und  Neig-ung,  wie  nach  GedankengtrOmang  der  Zeit  einen  Begriff 
von  Tugend  und  Pflicht  und  sucht  dann  dessen  geschichtliche  Kryetallisation 
XU  finden  und  nachzuweisen.  Einzig  die  Anthropologie,  die  Kenntnisii 
der  moralischen  Anschanungen  der  Urvölker,  soweit  sie  zu  eruiren 
sind,  dann  der  noch  lebenden  Naturvölker,  seien  sie  auch  nur  Kudera 
SJterer  Stämme  und  Rassen,  kann  hier  therapeutisch  und  corrigirend  wirken. 
Vom  Rechte  gilt  absolut  dasselbe.  Der  Rccbtsbegritf  ist  biologisch  nicht 
angeboren, .  nur  gesellschaftlich  denkbar,  wie  aucü  During  richtig  behauptet." 
Auch  nach  unserer  Ueberzeugnng  ißt  .Schani"  kein  Gefilhl, 
das  dem  Menschen  angeboren  ist;  es  ist  nur  die  Anlage  dazu 
im  Menschen  vorhanden,  sich  einem  auf  socialer  Grundlage  ent- 
standenen ethischen  Beg^ifie  anzuschliessen  und  unterzuordnen. 


44.  Die  Keuschheit  des  Weibes. 

Im  primitiven  Zustande  des  Geschlechtslebens  ist  der  Begriff 
Keuschheit  wenig  bekannt.  Je  tiefer  in  der  Cultur  eine  Rasse  steht, 
um  80  freier  ist  auch  die  Befriedigvmg  des  sexuellen  Bedürfnisses 
gestattet,  so  lange  das  weibliche  Individuum  noch  nicht  verehelicht 
ist.  Man  benift  sich  aber  auch  bezüglich  der  Keuschheit  der  Frauen 
auf  Zustände  von  Völkern,  die  keineswegs  noch  in  jenen  primitiven 
Verhältnissen  leben,  welche  ihnen  als  Urvölker  vor  der  Betührung 
mit  Weissen  einst  eigen  waren.  So  führt  beispielsweise  Kyre  die 
Weiber  der  Australier  als  höchst  unkeusch  an,  deren  Männer 
auf  ihre  Treue  keinen  Werth  legen. 

Nach  seiner  Beschreibung  ist  das  Leben  der  australischen  Frau    im 
'  Grunde  nichts,  als  eine  fortgesetzte  Prostitution.   Von  ihrem  zehnten  Jahre 
an  cohabitii't    sie    mit   jungen  Burschen    von  vierzehn  bis  fünfzehn  Jahren. 
Spftter  bietet  sie  sich  auch  jedem  Ga.<<t^  an,  der  den  Stamm  auf  eine  Nacht 
besucht.    Die  Australierin,  die  verheirathet  ist  oder  vielmehr  im  Besitz 
eine»  Mannes  sich  befindet,  kann  auch  von  diesem  verliehen  werden.   Wenn 
der  Mann  abwesend  ist,  nimmt  ein  anderer  seinen  Platz  ein.   Wenn  mehrere 
iStfimme  nebeneinander  ihr  Lager  aufgeschlagen  haben,  so  bringen  die  Männer 
fcdes    einen   Stammes    die    Nacht    über    bei    den    Frauen    des    benachbarten 
iStamraes    zu;    denn    die    Prostitution    der   am    Murray-Flu-sse    wohnenden 
[Australier    ist,    ähnlich    wie    ihre   Heirath,    exogamisch.     Allein  hiergegen 
ihrt  Peschel    an,    dass    die    von    J^i/re  beobachteten  Stämme   am  Murraj- 
lusse  schon  vielfach  in  ihren  Sitten  durch  den  Verkehr  mit  europäischen 
Ansiedlern  verwildert  sind,  und  dass  andere  Australier  sich  in  dieser  Hin- 
sicht minder  verdorben  zeigen.   Auch  versicherte  mir  Jung,  der  vielfach  noch 
inverdorbene    Stämme    Central- Australiens    persönlich    kennen    lernte, 
^das8  dieselben  keine  so  Qble  Nachrede  verdienen. 

Weit  reiner  als  in  Australien  ist  das  Leben  des  Weibea  in  Melanesien, 
)enn  in  Neu-Caledonicn,  wo  nicht  bloss  die  verheiratheten  Frauen,  ähn- 
lich'wie  in  mehreren   Inseln  Polynesiens,  keusch  sind,    sondern  auch  die 
Plön,  r>aa  Weib.  I.    3.  AuB.  19 


2f^0 


XI.  Der  Eintritt  des  Weibea 


Mädchen  ungemein  zurückhaltend  sich  benehmen,  anf  den  Luyalitäta- 
Inseln,  den  Hebriden  war  es  den  Matrosen  Cook'a  nicht  möglich,  ge- 
schlechtlichen Umgang  mit  den  eingeborenen  Weibern  zu  pflegen,  wie  mit 
den  polyneeiüchen.  Nur  die  Franzosen  der  zweiten  Reise  d'UrviUe'* 
fanden  auf  Isabel,  sowie  Modera  in  der  Marianuenstrasse,  dasn  die 
Weiber  angeboten  wurden.  (Waits-GerlandJ  Von  den  Bewohnern  der  Insel 
Spiritu  Santo  (auf  den  Neuen  Hebriden)  heisat  ea:  ,Ils  ont  la  r^a- 
tation  de  c^der  leurs  feuimea,  mais  assurdment  i\»  ne  los  offirent  pas  et  je 
n'en  ai  paa  aper<;a  une  «eule;  bieu  plus,  quelques  officiers  ittkni  alles  d&as 
un  viUage  situe  snr  une  des  ilea  de  ]a  baie,  Tont  trouve  ävacue  par  le«  femme« 
ei  les  enfants.'  (RoberJotJ  Auf  Neu-Guinea  wird  Keuschheit  nicht  so 
«treng  wie  in  Neu-Britannien  gehalten,  doch  herrscht  keine  Prostitution. 
(Fitisch.) 

Jener  Ruhm  der  Neo>Caledonierinnen  wird  allerdings  durch  neuere  Be- 
richte abgeschwächt;  vielleicht  haben  europäische  Einflüsse  gewaltet.  Dort 
ist  die  Keufichheit  jetzt  wenig  geschätzt;  du  Eoehas  naunt«  die  Frauen  der 
Eingeborenen  wilde  Messalinen,  und  die  alten  Frauen  führen  schon  früh 
das  junge  Mädchen  auf  den  Pfad  def  Lasters. 

In  Polynesien  ist  die  freie  Liebe  das  bewegende  Princip  des  Lebens. 
Auf  allen  Archipelen  war  die  eheliche  Verbindung  eine  änsaerst  lockere,  der 
Gatte  konnte  »ein  Weib  verleihen  wie  ein  Eigenthum.  die  Untreue  der  Frau 
aber  wurde  höchstens  als  ein  geringes  Vergehen  bestraft.  Alle  Reisenden  stim- 
men darin  überein,  dass  den  europäischen  Seeleuten  Mädchen  und  Weiber 
durch  deren  Brüder,  Väter  oder  Gatten  zum  beliebigen  Gebrauch  für  gei'inges 
Entgelt  angeboten  wurden.  Die  Weiber  schwammen  nackt  zum  Schifl'e  und 
stiegen  an  Bord,  und  ihre  Väter  oder  Brüder  instruirten  sie  über  den  Preis, 
f^r  den  sie  ihre  Gunst  hingeben  sollten.  Nur  auf  Neuseeland  war,  wie 
Cook  beiieugt,  die  Frau  zurückhaltender.  Sonst  zeigte  sich  auf  allen  Inseln 
kaum  eine  Idee  von  Schamgefühl,  und  derselbe  Reisende  fand  Überall  in  den 
Hütten  der  Wilden  einen  so  wenig  durch  Zurückhaltnng  gezügelten  Verkehr, 
dass  die  sexuellen  Vereinigungen  gleichsam  coram  populo  geschahen.  Eine 
Prinzessin,  Namens  OfKiea,  verschmähte  es  nicht,  ein  junges  Mädclien  anzu- 
leiteo,  dass  »ie  mit  einem  jungen  Mensdien  öHentlich  cohabitire.  (Cook.) 
Auf  den  Inseln  Polynesiens  ist  es  nach  Boiujaintille  u.  A.  gar  nichts 
Seltenes,  dasa  dem  besuchenden  Gaste  eine  Tochter  oder  eine  Frau  ange- 
boten wird.  Auf  Tahiti,  den  Gosellschaftsinseln  u.  s.  w.  wird  der  Liebes- 
genuas  als  der  höchste  Reiz  des  Lebens .  betrachtet ;  und  die  Gesellschaft 
der  Areola  setzen  ihre  ganze  Lebensaul'gabe  in  die  Befriedigung  dieses  Ver- 
gnügens. Wir  könnten  die  Liste  dieser  zügellosen  Sitten  noch  sehr  ver- 
gröBsera.  Die  Einführung  dea  Christenthumg  hat  die  Zustände  allerdings 
schon  sehr  geändert.  Allein  auf  den  Sandwich-Inseln  fanden  die  Missionilro 
die  gröfiste  Schwierigkeit  für  ihre  christlichen  Pretügten  in  dem  völlig  mangeln- 
dfn  VerständniHse  dessen,  was  wir  unter  , Keuschheit*  verstehen:  „Die 
Frauen  kannten  weder  dos  Wort,  noch  die  Sache."  (De   Varitjny.) 

Dae  Leben  des  weiblichen  Geschlechts  auf  Hawai  fand  auch  Bidhard 
Netüuitiss  ^»?hr  sittenlos;  Mädchen  von  12 — 14  Jahren  sind  in  der  Regel  nicht 
mehr  junginlulich ;  L'nzucht  zwischen  Vater  und  Tochter  gehört  keineswegs 
zu  den  Seltenheiten. 

Allein  nicht  bei  allen  Völkern  der  Sfldsee  herrscht  eine  aolche  Unbe- 
fangenheit. Die  Behütuiig  der  Keuschheit  der  Mädchen  ist  bei  den  Inf  er- 
röten auf  Luzon  (Philippinen)  eine  geradezu  ängstliche,  und  Fehltritt« 
werden    mit   schweren  ikOrperlichun  Zfichtigungen,  nach  Mumit-Lauff  sogar 


44.  Die  Keuscht 


291 


mit  dem  Tode  bestraft.  Bei  den  Lepan  to- Igorroten  rauss  der  Verführer 
das  MJldchen  heirutheo  oder  ihr  ein  vollständiges  Weibergewand  und  ein 
belegte«  Mattersobwein  *chenken.  und  falls  das  Mädchen  niederkommen 
sollte,  da«  Kind  erhiilten.  Eine  Scheidung  aber  der  geschlecbtcreifen  Jüng- 
linge und  Mädchen  einer  Rancherie  in  zwei  grosse  Hütten,  wie  sie  Lillo  de 
(iarcüi  angiebt,  besteht  nirgends  mehr.  (Meyer.-) 

Anf  mehreren  Inseln  de«  malayi sehen  Archipels  herrscht  zwischen 
den  jungen  Leuten  ein  ganz  unbeanütandeter  geschlechtlicher  Verkehr.  Ea 
ist  aber  auf  «las  Strengste  verboten,  doppelsinnige  oder  gar  unzüchtige  Aus- 
drücke im  Beisein  der  Frauen  zu  gebrauchen. 

In  Asien  ist  namentlich  bei  Völkern  der  mongolischen  Rasse  die 
Freiheit  der  Sitten  gross,  während  doch  der  Ehemann  hier  zumeist  eine 
wilde  Eifersucht  als  Besitzer  eines  Weibes  zeigt,  unter  den  Malayen  lebt 
das  M&dchen  völlig  ungebunden,  «o  lange  man  sie  noch  nicht  verheiratbet 
hat;  allein  in  Lambock  gilt  Ehebrjch  als  Verbrechen;  man  wirft  den  Ver- 
brecher mit  der  Verbrecherin  Rücken  an  Rücken  zusammengebunden  den 
Krokodilen  vor.  Auch  in  Cochinchina  und  Japan  hSJt  man  auf  Treue 
in  der  Ehe,  allein  die  Eltern  dürfen  ihre  Töchter  ohne  Scham  verkaufen, 
sei  es  an  Private,  sei  es  in  Prostitutionshäuser.  In  China  kaufen  sich 
reiche  Männer  junge  Mädchen  von  14  Jahren  für  ihren  Gebrauch.  Nach 
Turner  }sann  in  Tibet  jedes  junge  Mädchen  ausserehelichen  Umgang  pflegen, 
ohne  dass  ihr  Ruf  darunter  leidet. 

Die  Bhutia  in  Indien  legen  nach  Manteijfizza^  kein  grosses  Gewicht 
anf  die  Keuschheit  ihrer  Weiber,  eine  Duldsamkeit,  von  welcher  die  letzteren 
in  ausgedehntester  Weise  Gebrauch  machen.  Eine  absolute  Keuschheit  vor 
der  Ehe  ist  bei  den  Limbu  in  Indien  nicht  durchaus  n5thig  und  die  männ- 
lichen Kinder  des  Mädchens  werden  vom  Vater,  die  weiblichen  von  ,der 
Mutter  unterhalten.  Weibliehe  Keuschheit  «oll  bei  den  Völkern  des  west- 
lichen Hinialaya,  den  Garros  in  Ladak,  Spiti  und  Kulu,  wo  Po- 
lyandrie herrscht,  unbekannt  sein.  Wenn  dort  einer  von  mehreren  Brüdern 
eine  Frau  nimmt,  so  werden  die  übrigen  ebenfalls  ihre  Miinner;  jede  Frau 
hat  das  Recht,  sich  aus  einer  Reihe  von  Brüdern  einen  oder  mehrere  Män- 
ner, nicht  Liebhaber,  zu  wühlen.  Eine  Folge  solchen  Verkehrs  ist,  dass  den 
Weibern  das  Gefühl  von  Scham  keine  besonderen  Fesseln  anlegt:  die  Frau 
giebt  sich  jedem  Fremden,  der  sie  dazu  veranlasst,  ohne  ZOgern  hin  {Üotis- 
aeUit).  Einst  floh  ein  Müdcben  des  Daphla-Volkes  (zwischen  China  und 
Britisch-Indien)  auf  indischen  Boden  und  stellte  sich  unter  eng- 
lischen Schutz  gegen  ihren  Vater,  der  sie  einem  in  polyg'amischer  Ehe 
lebenden  Nachbar  hatte  verheirathen  wollen.  Man  verlieh  ihr  das  Nieder- 
lassnngsrecht ;  sofort  schmückte  sie  sich  und  holte  aus  einem  Versteck  ihren 
Entführer,  stellte  diesem  aber  auch  als  ihre  Gatten  zwei  Männer  vor;  es 
stellte  üich  heraus,  dass  unter  ihren  Landsleuten  Vielweiberei  die  Ausnahme, 
dagegen  unter  den  Tibetern  Vielmännerei  die  Regel  sei.  Dabei  beschränkt 
tdch  die  Polyandrie  nicht,  wie  in  Tibet,  auf  Brüder,  sondern  erfolgt  nivch 
fireier  Wahl!   {SchUujinttreit.) 

Die  nicht  civilisirteu  Weddaht  auf  Ceylon  halten  eheliche  Treu« 
für  :<e*b8tverst&ndlich.  Von  Ehebruch  hört  man  nur  da,  wo  man  den  Ver- 
mach gemacht  hat,  »ie  zu  civilisiren.  Bei  den  ihnen  benachbarten  singftle- 
•  iacbon    Kandiern   iüt   der  Ehebruch  sehr   vejrbreitet   {VirclMic^). 

Die  Chowturen-Mridchen  gelten  für  keusch.  Unverheirathot  niedenn- 
kommen  gilt  dem  Mädchen  für  eine  so  groRse  Schande,  daas  »e  gewöhnlich 

19  • 


292 


XI.  Der  Eintritt  des  Weibes  in  das  Geschlechtsleben. 


nicht  übt-rlebt  wird.  Entweder  erhängt  sich  dus  lichwangei-e  Idüdchen  oder 
es  erschiesst  sich.     Die  Pschawen-Mädchen    sind    minder  züchtig  {Hadde). 

Die  geschlechtliche  Moral  der  Wotjüken  weicht  von  der  europäisch- 
christlichen  Sitte  Ranz  erheblich  ab.  Max  Bwh  sagt  darüber:  , Mädchen 
und  Burschen  verkehren  mit  einander  durchaus  zwanglos  und  die  soge- 
nannte Kenschheit  setzt  der  Liebe  keine  Schranken.  Ja  es  ist  sogar  schimpf- 
hch  für  ein  Mädchen,  wenn  sie  wenig  von  den  Burschen  aufgeaucbt  wird. 
Charakteristisch  ist  folgendes  Sprichwort  der  Wotjäken:  , Liebt  der  Bauer 
(ein  Mädchen)  nicht,  liebt  auch  Gott  (es)  nicht."  Die  hierauf  bezüglichen 
Schildeirungen  der  Autoren  sind  durchaus  in  keiner  Wei.se  übertrieben; 
Ogtroicskn  erzählt  von  einem  Spiele,  da»  von  Mildchen  und  Burschen  ge- 
spielt and  Heirathsspiel  genannt  wird.  Einige  Burschen  und  Mädchen  ver- 
theilen  sich  paarweis;  jeder  Bursche  wählt  sich  ein  Mädchen,  wobei  es 
selbstverständlich  nicht  immer  ohne  Streit  abgeht;  jedes  Paar  versteckt  sich 
dann  an  einem  dunklen  Ort,  wo  da«  Spiel  dann  sehr  realistisch  aufgefasst 
werden  soll;  darauf  rersammeln  sich  die  TFamilienpaare"  alle  wieder  zur 
Fortsetzung  des  Spiels,  —  da  es  für  ein  Mädchen  .schimpflich  ist,  wenige 
Besucher  zu  haben,  so  ist  nur  eine  logische  Folge,  dass  ea  für  ein  Mildchen 
ehrenvoll  ist,  Kinder  zu  haben.  Sie  bekommt  dann  einen  reicheren  Mann 
und  ihr  Vater  bekommt  einen  höheren  Kal^-ni  (Bruutgeld)  für  sie  bezahlt.* 
Buch  bemerkt  schliesnlich :  .Ein  wohlerhaltencr  Rest  jener  .communen  Ehe' 
(Lubbock's)  ist  nun  in  der  sogenannten  Sittenlosigkeit  der  Mädchen  zu  linden, 
welche  ihren  Geiühlen  keinen  Zwang  anthuu  und  dem  Bedürfnisse  der  Liebe 
in  vollem  Maaasu  genügen.  Diese  Eigenthümlichkeit  Ist  also  nicht  nh  di^ 
Folge  späterer  Entsittlichung,  sondern  als  etwas  durcltaus  Natürliches,  Ur- 
sprüngliches anzusehen.* 

Eine  andere  Erscheinung  im  VClkerleben,  die  mit  unseren  Ansichten 
von  weiblicher  Keuschheit  wenig  iiarmonirt,  ist  die  bei  nicht  wenigen  YOlker- 
schatlen  herrschende  Gewohnheit,  dem  einkehrenden  Gaittfreunde  die  eigene 
Gattin  anzubieten  und  zu  überlassen.  Man  wird  in  diesem  Punkte  wohl  ge- 
wiss  demjenigen  beipüiohten,  was  ^dalfcer/  roti  0<am)«m  hierüber  sagt:  „Die 
Keuschheit  ist  nur  nach  unseren  Satzungen  eine  Tugend,  In  einem  der  Nutur 
näheren  Zustande  wird  das  Weib  in  dieser  Hinsicht  erat  durch  den  Willen 
des  Mannes  gebunden,  dessen  Besilzthum  es  geworden  ist.  Der  Mensch  lebt 
von  der  Jagd.  Der  Mann  sorgt  für  seine  WaflFen  und  den  Fang:  das  Weib 
dient  und  duldet.  Er  hat  gegen  den  Fremden  keine  Pflicht;  wo  er  ihm  be- 
gegnet, mag  er  ihn  tOdten  und  sein  Besitzthum  sich  aneignen.  Schenkt 
er  aber  dem  Fremdling  das  Leben,  so  schuldet  er  ihm  fürder,  was  xum 
Leben  gehört.  Das  Mahl  ist  für  alle  bereitet  und  der  Mann  bedarf  eines 
Weibes,  Auf  einer  höheren  Stufe  wird  die  Gastfreundschaft  iu  einer  Tugend 
und  der  Hausvater  envartet  am  Wege  den  Fremdling  und  zieht  ihn  unter 
sein  ZeJt  oder  «ein  Dach,  dass  er  in  seine  Wohnung  den  Segen  des  Höchsten 
bringe.  Da  macht  es  sich  leicht  zur  Pflicht,  ihm  nein  Weib  anzubieten, 
welches  dann  zu  vergeh mttben  eine  Beleidigung  sein  würde.  Das  sind  reine 
un verderbte  Sitten.* 

Bei  den  (sesshaften,  angesiedelten)  Tschuktschen  und  KorjAken, 
die  wir  schon  oben  besprochen,  galt  es  nach  (reortfi  sogar  aln  eine  Be- 
leidigung, wenn  der  Ga«t  die  vom  Hausherrn  angebotene  Tochter  nder 
Hausfrau  zurückwies.  Bei  einigen  sibirifschen  V^ilkeru  besteht  diese  Sitti* 
nach  Middtndorff  noch  heute.  Allein  auch  hier  würden  wir  irren,  wnnu  wir 
nun  anuebmea  wollten,  dasF  bei  dic*en  Völkern,  •'*■"■"•'  t^'>»"'«"  ""  w-rij^ 
unsere   Begriffe   von   Keuschheil    xu    Uicileu    im    ~ 


44-  Die  KeoBchheit  des  Weibw. 


293 


liehe  Treue  vermisst  wird;  die  Hingebung  dea  Weibes  geschiebt  nur  auf 
Geheias  dea  Mannes,  der  über  seine  Frau  ein  lediglich  mit  seiner  Genehmi- 
gimg  temporilr  aufzugebendes  Besitzerrecht  ausäbt. 

Ueberhaupt  ist  ea  noch  fraglich ,  inwieweit  diese  Sitten  ursprfinglich 
sind-  Alle  älteren  Berichte  kommen  darin  überein,  dass  Korjaken  wie 
Tschuktschen  streng  auf  die  Keuschheit  ihrer  Weiber  Fremden  gegenüber 
hielten,  das«  eie  nie  ihre  Weiber  ihren  Gästen  anboten-,  ja  es  standen  schwere 
Strafen  auf  Verletzung  ehelicher  Treue  oder  der  Keuschheit.  Auch  v.  Nordet*- 
»kjöld  und  Boce  schildern  die  Tschuktschinnen  als  sittlich,  doch  führt 
letzterer  die^e  Eigenschaft  auf  Zwang  zurück.  Dass  sich  heutzutage  die 
alte  Sittenstrenge  bei  dem  reichlicheren  Fremdenverkehr  etwas  gelockert 
hat,  ist  begreiflich.  So  erzählt  Ostatief,  dass  die  Soegstie  ihre  Weiber  und 
Töchter  den  Fremden  prostituiren,  was  sie  für  Pflicht  halten.  Das  Gleiche 
berichten  Satter  und  JCrascheninnikotc  von  den  sessbaften,  nnges  iedelt  en 
Korjaken  und  Tscbuktscfaen.     {Gerland,) 

Jedoch  fand  Erma?i  und  Kraacheninnikow  die  Sitte,  dem  Gastfreunde 
die  Frau  zu  überlassen,  in  Kamtschatka,  //<i// bei  den  Eskimo,  Hearne 
vor  hundert  Jahren  bei  den  nördlichen  Tinne-Indianern,  v.  Midden- 
dorff  noch  vor  ungefähr  10  Jahren  bei  den  Samojeden  und  Bindulph 
bei  den  Bewohnern  Hunsaa  im  westlichen  Himalaja.  Ja  selbst  aus 
Europa  wird  Aehnliches  berichtet,  denn  Murrer  sagt-.  ,Es  ist  in  dem 
^iderlaudt  der  Bruch,  so  der  Wjrt  einen  lieben  Gast  hat,  dass  er  ihm 
«eine  Frow  zulegt  auf  guten  Glauben.* 

Mit  Recht  wird  von  Pesckel-KirchJw/f  bemerkt:  dass  sehr  viele  Menschen- 
stämme  grosse  QlcichgtJltigkeit  gegen  jugendliche  ünkeuschheit  zeigen  und 
«■rst  mit  der  Ehe  den  Frauen  Wandel  auflegen.  Allein  es  wird  auch  mit 
eben  so  vielem  Rechte  der  Versuch  zurückgewiesen,  aus  dem  Mangel  eines 
sprachlichen  AuMdrucks,  durch  welchen  „Jungfrau*  und  „IVau"  unter- 
schieden werden,  auf  eine  Gleichgültigkeit  gegen  geschlechtliche  Reinheit  zu 
«ichlieNsen-,  denn  manche  Völker,  z.  B.  die  Abiponen,  besitzen  kein  Wort 
itir  , Jungfrau",  werden  aber  doch  hinsichtlich  ihrer  Sittenstrenge  gerühmt. 
(Dohrühoffer.J  „Eher  lässt  sich,"  wie  Peschel- KirchJwff  >iagi,  „der  gleiche 
sprachliche  Mangel  ungün^itig  bei  den  Comanchen  deuten,  da  «ie  Gast- 
freunden ihrp  Frauen  überlassen.  (Svhoolkraft.)  Diesen  schnöden  Gebrauch 
treffen  wir  in  Nordamerika  noch  bei  den  AlSuten,  die  auch  sonst  durch 
ihre  widernatürlichen  AusHchweifungt-n  berüchtigt  sind,  dann  bei  Eskimos, 
und  endlich  erzählt  Ertnan  Waiti,  dass  er  in  Kamtschatka  auf  die  näm- 
liche Sitte  gestoNsen  sei.  Die  Eskimos  sind  unter  jenen  wohl  die  scham- 
losesten; Mfi,nner  und  Frauen  liegen  nackt  dicht  aneinander  während  der 
Nacht  unter  einem  Seehundsfelle ;  dein  Gaste  macht  man  Platjj,  indem  man, 
wie  Parry  fand,  nur  ein  wenig  zurückt.  Auch  bietet  man  dem  Gastfreunde 
die  Weiber  7ur  Benutziing  an,  die  man  auch  allenfalls  verleiht,  verschenkt 
oder  verkauft.  Nach  Parry  prostituiren  «ich  aber  auch  ihrerseits  die  Weiber 
ia  Abwesenheit  ihres  EheheiTn.  Ein  Bewohner  der  AI euten- Inseln  äusserte 
einet,  wio  Lanymlorff  berichtet,  zu  einem  Missiondr:  „Mein  Volk  folgt  im 
Btfgatti'n  dem  Bfüspiele  der  Meerottem." 

Wrnn  aber  bei  den  Altajern  ein  MRdchen  veriiJhrt  wird,  was  nur 
höchüi  üflten  vorkommt,  so  versammeln  sich  alle  männlichen  Verwandten 
d«"-  ni  und  versuchen  den  Verführer  zu  übt^rreden,  jene  als  seine  Frau 

h«-i  I    iinil   dfm  Vrtt«»r    einen    verhällnissmrissigen  Kalj'm    zu   zahlen. 

^u'mf.i  1  v\(f  über  ihn  her  und  prügeln  ihn  so  lange, 

-  11:  1   bezahlt  er  ileni  Vater  ein  kleines  Strufgeld, 


294 


XI.  Der  füntcttt  des  Weihes  in  das  Getichleclitsltfben. 


giabt  tbin  eioe  Flinte  und  einen  Pelz  und  kann  nan  unangefochten  nach 
Hanse  gehen.  Daa  Mädchen  wird  aber  in  diesem  Falle  nicht  mehr  als 
Tochter  betrachtet,  sondern  muss  geraeine  Dienste  alb  Magil  leisten.  (Radioff.) 

Der  Indianer  folgt  in  «einen  sexuellen  Beziehungen  lediglich  seinem 
Wohlgefallen,  er  darf  gefahrlos  mit  einem  fremden  Weibe,  selbst  mit  dem 
Beines  Freundes,  sexuell  verkehren.  Bei  den  Sioux  fand  früher  alljilhrlich  eine 
seltsame  ÖÖ'entliche  Beichte  statt.  Die  in  zwei  Reihen  gegeneinander  auf 
gestellten  Jünglinge  und  Männer  liessen  sämmtliche  Mädchen  und  Frauen 
hindurch  paHsiren,  und  jeder  legte  die  Hand  auf  diejenige,  mit  welcher  er 
während  de.s  Jahres  Umgang  gepflogen  hatte.  Schliniuie  Folgen  hatte  diesen 
BekenntnUe  für  keinen  der  beiden  Theile;  nur  wurde  das  Weib  ein  Jahr 
lang,  HO  ot\  sich  dasselbe  ohne  Frauenbegleitung  ausserhalb  des  Lagers  be- 
fand, als  Prostituirle  behandelt.  (Dodge.) 

Die  Indiauerfrauen  einiger  Stämme  besitzen  einen  Eeusehheitsschutz, 
der  bei  Männern  Ansehen  und  Geltung  hat.  Ein  Angriff  auf  ein  Cheyenne- 
Weib,  das  sich  die  Fä.sse  mit  einem  Lariat,  einem  Stricke  umwickelt  hat, 
würde  als  Nothzucht  mit  dem  Tode  geahndet  werden-,  ohne  diesen  Talisman 
aber  ist  dasselbe  in  Abwesenheit  des  Eheherrn  jedem  fremden  Menschen 
wehrlos  preisgegeben,  (I)(Mige.) 

Die  Schetimascha-lndianer  im  südlichen  Louisiana  lebten  in 
monoganuscher  Ehe  und  hielten  streng  auf  Beobachtung  der  Keuschheit. 
Liess  ein  Mädchen  sich  zu  weit  mit  einem  Manne  ihrer  Bekanntschaft  ein^ 
ao  harrte  ihrer  zu  Hau^e  die  Prügelstrafe.  (Gatachet.J 

Dagegen  fand  Richard  Rhode  die  Weiber  der  Bororos- Indianer  an  den 
üfem  des  Paraguay  wenig  keusch,  denn  sie  machten  ihm  sowie  aeiuen 
Leuten  häufig  Liebeaanträge. 

Im  Allgemeinen  herrschen  in  Beziehung  auf  dasjenige,  wa»  wir  Keuach- 
heit  nennen,  auch  unter  den  Völkern  Afrikas  sehr  diü'eronte  Zustände.  In 
Wadai  wie  in  Darfur  leben  die  Mädchen  völlig  ungebunden,  und  es  tritt 
erst  dann  ein  festeres  Verhältniss  ein,  wenn  einer  der  Bewerber  einen  Vor- 
zug erhält.  Bei  anderen  Völkern,  in  Akra,  am  Congo  etc.  geben  An«« 
Bchweifnngen  der  Mädchen  keinen  Anstoss,  ebenso  wenig  bei  den  Papels, 
wo  jedoch  auf  Treue  des  Weibes  streng  gehalten  wird.  Dergleichen  That- 
sachen  findet  man  noch  mehrfach  bei  Waitz,  der  jedoch  auch  anführt,  daaa 
man  dagegen  an  der  Goldküste,  Lu  Dnhomey  u.  a.  w.  die  Verführte  be- 
straft, oder  den  Verführer  nöthigt,  sie  zu  heirathen.  Bei  den  Kaffern  hat 
der  Verführer  eines  Mädchens  Busse  zu  zahlen  und  es  ist  ihm  verboten,  die 
Verführte  zu  heirathen.  (Dohne.)  Von  allen  Autoren  wird  (Jnest),  ausser  der 
Schönheit,  die  Keuschheit  der  Zulumädchen  gelobt-,  das  bezieht  sich  aber 
doch  wohl  nur  auf  ihren  Verkehr  mit  Europäern.  Uebrigena  würde  jede« 
Mädchen,  das  bei  intimem  Verkehr  mit  einem  Weissen  überrascht  würd«« 
oder  das  gar  einem  Weissen  ein  Kind  gebäre,  sofort  todtgeachlngen,  and 
da  ist  die  Keuschheit  am  Ende  etwas  nicht  sehr  Verdienstvolles. 

Die  Masai  im  Innern  von  Ostafrika  sollen  dagegen,  wie  Thomson 
behauptet,  jede  weibliche  Person,  die  ausserehelich  geschwängert  iat,  auch 
wenn  sie  noch  nicht  mit  einem  Manne  verheirathet  ist,  tödten. 

Wie  soll  »ich  denn  auch  der  Begriff  «Keuschheit"  entwickeln  in  einem 
Volke,  dessen  Anschauungen  so  tief  stehen,  dass  ea  anL  Kinde  selbst  un- 
süchtiges  Wesen  zulüsst?  Von  den  Basutbo  sagt  Missionär  Gfütjnttf: 
„Unzucht  ist  Volkesitte,  Nur  in  dem  Fall,  dass  ein  Mädchen  dnbei  ge- 
achwüngert  wird,  was  übrigen .■^  wunderbar  genug  nicht  alku  o'  lol 

(die  MAdchea  sagen  su  den  Kerlen,  die  bei  ihnen  liegen-,  verdirb  i  il** 


fLeUst  Ca:  Bezahle  Strafe!  Der  Betreffende  bezahlt  dann  an  einigen  Orten 
-2  Ziegen,  anderwärts  bi»  xu  7  Kühen.  So  lange  aber  ein  Mädchen  nicht 
schwanger  Ut,  so  ist  nie  noch  trotz  aller  Unzucht  Xo  lokile  {in  Ordnung). 
Solche  Unzucht  der  Kinder  und  Halberwachsenen  heiast  auch  nicht  anders 
als:  Xo  raloka,  d.  h.  spielen.  Ein  Seotsoa  (Hurer)  ist  nur  ein  solcher 
Mensch,  der  überall  und  mit  jedem,  sonderlich  verheiratheten  Weibe  sich 
abgiebt.     Alle  anderen  oben  genannten  ,spielen'  bloss,  .wie  die  Hühner*.' 

Auch  in  Niederländisch  In  dien  sind  schon  lange  vor  der  Ent- 
wickelungs-Periode  diei  Kinder  diesem  Genüsse  ergeben,  und  Coitus  zwischen 
Brüdern  und  Schwestern  von  5 — 6  Jahren  ist  keine  Seltenheit,  (van  der  liurg.) 

Bei  den  Valavä  auf  Madagaskar  begatten  sich  die  Kinder,  ohne  dass 
die  Eltern  dagegen  einschreiten,  schon  sehr  früh,  und  (Audehert)  ahroeu 
mit  wachsender  Beweglichkeit  immer  mehr  das  Gebahreu  der  Eltern  nach, 
leider  auch  zum  grOssten  Vergnügen  letzterer  und  unter  ihrer  Ermunterung 
die  Handlungen  sich  t&glich  vor  ihren  Augen  begattender  Hau»- 
thiere,  so  daas  ein  civilisirter  Mensch  sich  mit  Ekel  von  dem  Treiben 
dieser  verthierten  Jugend  abwenden  musa. 

Sclion  früh  hat  die  religiöse  Gesetzgebung  ein  grosses  Ge- 
wicht auf  ein  keusches  Leben  gelegt.  Unschuld  der  weiblichen 
Jugend  und  Keuschheit  wird  schon  im  mosaischen  Gesetz  ge- 
boten: Es  soll  keine  Hure  sein  unter  den  Töchtern  Israels  und 
kein  Schandbube  unter  den  Söhnen  Israels;  und  eines  Priesters 
Tochter,  die  also  thuet,  die  anfiiuget,  also  zu  thun,  soll  mit  Feuer 
verbrannt  werden    (3.  Moses  19,  29.    21,  9.   5.  Moses  28,  17). 

Auch  verdankt  man  der  christlichen  Religion  die  reine  Auf- 
fassung keuschen  Wesens.  Jahrhunderte  lang  war  allerdings  das 
Christenthum  nicht  im  Stande,  gewisse  Mängel  des  häuslichen  Lebens, 
insbesondere  die  Unsitten  des  asiatischen  Hoflebens  zu  überwinden. 
Allein  die  principiell  verurtheilende  Stellung,  die  es  in  Sachen  un- 
keuscher  Liebe  einnahm,  brach  mit  der  Zeit  sich  Bahn  und  drängte 
wenigstens  die  oöenkundige  Sittenlosigkeit  in  den  Hintergrund.  Mit 
dem  Eindringen  einer  Art  von  Schein-Christenthuni  i.st  jedoch 
auf  der  anderen  Seite  einigen  Urvölkem  der  Sinn  fiir  weibliche 
Keuschheit  merkwürdiger  Weise  verloren  gegangen.  Die  gewiss 
gute  und  heilsame  Sitte  der  wilden  Alfuren  auf  der  Insel  Cer am 
(Joest),  dass  die  jungen  Leute  im  Baileo  schlafen  müssen,  existirt 
bei  den  Christen  nicht;  da  schläft  die  ganze  Familie  in  einem 
Hanse,  leider  aber  auch  die  Tochter  mit  ihren  Geliebten  und  die 
Sohne  mit  ihren  Freundinnen,  dabei  herr.scht  die  ungebundenste 
free  love ;  und  wenn  einmal  ein  Mädchen  heirathet,  dann  vereinigt 
sie  «ich  mei.st  mit  dem  Manne,  von  dem  sie  glaubt,  schofi  mehrere 
Kinder  zu  haben.  Die  Sitten  der  Wilden  lockern  und  verschlech- 
tem «ich  viellach  in  der  Berüliruug  mit, einer  Cultur,  für  die  ihnen 
das  Verständnis«  fehlt,  die  ihnen  auch  nur  den  altgewohi>ten  Brauch 
nimmt,  ohne  ihnen  wirklich  bessere  Bräuche  l^eizubringen. 

Zugleich  mit  der  Cultur,  welche  sich  ein  Volk  erwirbt,  stellen 
|j(l.  i.II.  idingH  wohl  auch  die  höheren  und  edleren  Begriffe  über 
b   der   Sittsamkeit    des   Weibes    ein;    allein   die  Art  der 


XI.  Der  Emtriit  des  Weibes  in 


Ueberwachung  der  Jieuschheit  bei  halbcivilisirten  Völkern 
zeugt  doch  wiederum  recht  oft  von  einem  bemerkenswerthen  Grade 
sittlicher  Rohheit.  Wenn  den  polygamiechen  Völkern  des  Orients 
alä  zuverlässige  Wache  fiir  die  Weiber  des  Harems  nur  der  Ver- 
schnittene {Ben/Mann)  (Eunuch)  dient,  so  kann  man  in  sol- 
chem Brauche  kaum  ein  ethisches  Mittel  für  einen  ethischen  Zweck 
finden.  Der  Islam  bringt  dergleichen  Zustände  mit  sich,  indem 
er  sie  unter  Vermittelung  christlicher  Völker  adoptirte.  Denn  es 
findet  sich  der  Ursprung  des  Eunuchenwesens  nicht  bei  den  Mo- 
hammedanern. Hauri  sagt  sehr  richtig:  «Wir  brauchen  kaum  zu 
sagen,  dass  der  Prophet  solche  Verhältnisse  nicht  gewollt  hat.  Die 
gute  altarahische  Sitte  ist  hauptsächlich  durch  fremde,  persische 
und  byzantinische  Einflüsse  zerstört  worden.  Auch  am  Hofe  von 
Constantinopel  herrschten  damals  solche  Zustände;  so  ist  z.  B. 
das  Eunuchenweseu  von  dorther  bei  den  Arabern  eingedrimgen. 
Ein  mosHmischer  Theologe  der  ältesten  Zeit  berichtet:  ,Die  Sitte 
des  Verschneidens  stammt  von  den  Byzantinern,  und  wunderbar 
ist  es,  dass  gerade  sie  Christen  sind  und  vor  anderen  Völkern 
der  Milde,  der  Humanität  und  der  Barmherzigkeit  sich  rühmen,' 
Die  Chalifen  von  Damascus  bezogen  ihre  Eunuchen  ursprünglich 
aus  dem  byzantinischen  Reiche,  und  die  von  Cordova  die  ihrigen 
aus  Frankreich,  besonders  aus  Verdun,  wo  die  Juden  welt- 
berühmte Eunuchenanstalten  hatten  {Dozy).  Trotzdem  lallt  ein 
grosser  Theil  der  Schuld  au  diesen  Verhältnissen  auf  den  Islam. 
Polygamie  und  Haremslebeu  liisst  er  bestehen,  ja  er  macht  sie  zur 
Gnmdlage  des  Familienlebens  und  umgiebt  sie  mit  dem  Nimbus 
göttlicher  Gebote.  Unsittlichkeit  wird  die  Folge  sein,  wo  das  Weib 
sich  in  die  vom  Koran  gezogenen  Schranken  fügt,  aber  ebenso  gut 
da,  wo  es  nach  grösserer  Freiheit  trachtet;  denn  dasä  es  nur  durch 
TJebertretuDg  göttlichen  Gesetzes  sich  eine  freiere  Stellung  in  der 
Gesellschaft  erringen  kann,  führt  natürlich  zu  einer  ungesunden» 
unsittlichen  Freiheit. " 

Die  Eifersucht  der  Männer  hat  es  sowohl  bei  den  Naturvölkern 
als  auch  bei  den  i^ogenannten  Vertretern  der  Civilisation  verstanden, 
mechanische  Vorkehrungen  zu  treffen,  welche  eine  etwaige  Untreue 
der  Frauen  zu  verhüten  im  Stande  waren.  Es  waren  Appa- 
rate, welche  den  Zugang  zu  den  weiblichen  Geschlechtstheilen 
verschlossen.  Einige  afrikanische  Völker  sollen,  wie  es  heisst, 
ihre  Frauen  nicht  ausgehen  lassen,  ohne  dass  dieselben  sich  ein  Sieb 
oder  eine  Rosen-Muschel  vor  die  Gesclilechtstheile  binden. 

Ein  anderes  Verfahren,  welches  die  Eifersucht  der  Ehemänner  er- 
saim,  ist  eine  Art  der  Infibulation,  d.h. das  Einziehen  eines  Ranges 
in  die  beiderseitigen  Schamlippen,  wodurch  der  Introitus  vagiuini  ver- 
scblossen  wird.  Dieses  Hülfsmittel  soll  im  Orient  sehr  gebräuch- 
lich gewesen  sein.  In  Ostafrika  wird  bei  vielen  Völkeni  aus  der- 
gleichen Gründen  sehr  juugen  Mädchen  die  operative  Verschliossung 
der  Scheide  durch  Wundmachen  und  narbiges  Zusammenheilen  der 


44.  Die  Keuschheit  des  Weibes. 


297 


Scbauilippen  geftbt,  wie  wir  das  in  einem  der  vorigen  Kapitel  auß- 
Itihrlicb  kennen  gelernt,  haben. 

Bei  den  Indianern  beschreibt  Pauw  eine  Art  von  Keasch- 
heitsgllrtel :  ^H  consiste  en  une  ceinture  tress^  de  fils  d'airain  et 
cadenassee,  au-dessns  des  hanches,  au 
moyen  d'une  serrure  composee  de  cer- 
cles  mobiles,  oü  Ion  a  grave  un  cer- 
tain  nombre  de  caractere.s  *»t  de  chitf- 
res.  II  n'y  a  qu'une  seule  combinai- 
8on  poTur  comprimer  le  ressort  qui 
ouvre,  et  c'est  le  secret  du  mari.* 

Dass  auch  in  Europa  im  Mit- 
telalter derartige  Marterwerkzeuge  bis- 
weilen in  Gebrauch  gewesen  sind, 
das  mag  wohl  den  Lesern  hinreichend 
bekannt  sein.  Wahrscheinlich  waren 
es  die  KreuzzQge,  welchen  diese  bar- 
barische Erfindung  zu  flanken  ist, 
darch  die  der  eine  oder  der  an- 
dere der  zu  langer  Abwesenheit  von 
Hause  gezwungenen  Ritter  sich  der 
ehelichen  Treue  seiner  Hausfrau  im- 
verbrtlchlich  versichern  wollte.  Wie 
absprechend  aber  bereits  die  Zeitge- 
nossen Hber  eine  solche  Grausamkeit 
aburtheilten,  das  können  wir  aus  fol- 
genden Thatsachen  entnehmen. 

Im  Arsenal  zu  Venedig  soll 
sich  ein  Instrument  befinden,  welches 
man  dort  aufbewahrt,  und  aus  einem 
Process  gegen  Carrnra,  einen  kaiser- 
lichen Gouverneur  in  Padua  vom  J, 
1405,  herstammt,  indem  dasselbe  als 
^fchlimmes  Beweismittel  ftir  .seine  Ver- 
jjehen  diente,  für  die  er  auf  Befehl  des  Senates  eingekerkert  wurde: 
,Ibi  sunt  serae  et  varia  repagula,  quibus  turpe  ülud  monstrum 
pellices  suas  occludebat  (Misson). 

Trotz  dieser  exemplarischen  Bestrafung  scheint  sich  das  In- 
strument nicht  bloss  in  Italien,  sondern  auch  in  Frankreich  ver- 
breitet zu  haben.  Zuerst  wurde  der  Versuch  der  Einführung  unter 
König  Ihifiritk  II.  von  einem  Geschäftsmann  gemacht,  welcher  eiserne 
Keoschheitsgürtel,  genannt  ,ä  la  Bergamasque*.  auf  der  Messe  zu 
Saint-Germain  ausbot. 

Da  tenips  du  roy  Ilenrt/,  heisst  en  bei  Brantönu,  il  gent  un  cärtain 
quinqualleur,  qui  apporta  une  douzaine  de  ctfrtains  engins  h,  la  foire  de 
Saint  Ofrmain  pour  brider  le  cas  des  fetnm»?«,  qui  estoient  faicts  de  fer 
et  ceinturoient  comtne  une  ceintore.  et  veuoient  ä  prendre  pu  le  bas  et  se 


^yii 


Fig.  37.     Eenichl>eiugart«l. 

i.Nftcli  einpm  uiumymen  Stioli  des 

11.  .lalirhaniiert».  I 


XI.  Der  Eintritt  de«  Weibes  u^l^^SeS^IecE 

fermer  4  clef,  ei  subtilement  faicta  qu'il  n'estoit  paa  poscdble  que  la 
femme  ce  doulx  pluisir,  n'ayant  quo  quelques  petita  trous  menua  pour  s^rvir 
ä  piuer. 

Der  Erfolg  dieses  Kaufiaaiines  war  ein  höchst  ungilnstiger. 
Er  musste  Riehen^  denn  die  Bevölkerung  drohte,  ihn  in  die  Seine  zu 
werfen.  Später  freilich  mochte  man  sich  wenigstens  heimlich  mit 
dem  Gebrauche  und  der  Benutzung  vertraut  gemacht  haben,  deim  im 
Mus^e  de  Cluny  zu  Paris  befindet  sich  em  solches  Instrument, 
das  durch  seine  Abnutzmig  es  wahrscheinlich  macht,  dass  es  viel- 
fältig in  Anwendung  war.  Es  besteht  aus  einer  Platte  von  Elfen- 
bein, befestigt  an  einem  GOrtel  von  Stahl,  der  von  rothem  Roste 
bedeckt  ist  und  mittelst  eines  Schlosses  zugehalten  werden  kann. 
Noch  in  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  war  eine  Frau 
in  Frankreich  gegen  ihren  Ehegatten  klagbar  geworden,  weil  er 
ihr  einen  solchen  Keuschheitsgürtel  angelegt  hatte.  Die  Rede 
seines  Vertheidigers  im  Parlamente  ist  uns  noch  erhalten  geblieben. 
(Freydier.) 

Die  Abbildung  eines  solchen  Gürtels  hat  uns  ein  unbekannter 
Meister  des  lü.  Jahrhunderts  erlialten.  Dieser  Stich  ist  \on  Hirih 
in  seinem  culturgeschichtUchen  Bilderbuche  wiedergegeben.  Ueber 
der  geschlossenen  Dame,  die  aus  der  Geldtasche  eines  Alt«n  mit 
einer  Hand  Münzen  herausnimmt  und  mit  der  anderen  Hand  das 
Geld  einem  jungen,  einen  grossen  Schlüssel  haltenden  Manne  giebt, 
steht  auf  einem  Spru^hbande  folgender  Vers: 

Es  hilft  kain  ehloss  f{ir  frauwen  Ust 

kaiii  trew  mag  sein  dar  lieb  nit  ist 

Daruiub  am  schlUiiBel  der  luir  gefeit 

Den  wOl  ich  kauffen  umb  dein  gelt. 


45.  Die  Jimgfraaschaft. 

Der  Begriff  der  Jungfrauschalt  ist  ein  ethischer,  der  von  der 
Annahme  ausgeht,  dass  die  sexuelle  Unberührtheit  des  Mädchens 
einen  ganz  besonderen  sittlichen  Werth  habe.  In  solcher  Werth- 
schätzung  der  weiblichen,  intacten  Individualität  kommt  cultur- 
geschichtlich  unter  den  Völkern  ein  Naturalismus  und  ein  Idealis- 
mus zur  Erscheinung.  Es  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel,  das» 
unt4?r  Umständen  auch  bei  Naturvölkern  die  Spuren  ethischer  Re- 
gungen zu  finden  sind,  welche  auch  beispielsweise  durch  Sitte  und 
Brauch  einen  gewissen  Grad  von  Achtung  und  Werthschätzung  der 
Jungfräulichkeit  erzeugten.  Wir  selbst  halben  uns  allerdings  schon 
läng.st  gewöhnt,  in  der  Unnahbarkeit  und  Reinheit  jungfriiuhchen 
Zustandes  das  Ideal  schöner  und  keuscher  Weiblichkeit  zu  verehren. 
Schon  im  altgermanischen  Rechte  wird  die  Jungfräulichkeit  als 
achtungsvoll  aufgefasst,  und  auch  die  christliche  Religion  legt  bekannt- 


lict  von  Alters  her  einen  so  hohen  Werth  auf  ein  keusches  jung- 
^üulicheg  Leben,  dass  manche  verehelichte  Frauen  als  Heilige  noch 
leutiges  Tages  verehrt  werden,  weil  sie  auch  in  dem  Ehestande 
die  Jungfrauschaft  sich  bewahrt  haben.  Wenn  nun  auch  die  Ger- 
manen, die  sich  dem  Chriatenthum  zuwandten,  dem  Weibe  deshalb 
nicht  melu-  eine  hohe  Achtung  zollten,  weil  die  Geistliclikeit  ge- 
neigt war.  die  Frau  im  Hinblick  auf  Eva's  Sündeufall  als  ein  nie- 
driges und  imreines  Wesen  zu  betrachten  ( Wnnhold]^  eo  hat  doch 
ie  jungfräuliche  Reinheit  immer  unverändert  ihre  Hochachtung  ge- 
nossen, und  in  dem  Cliristentbura  hat  die  Verehnuig  der  Mutter 
Hottes  als  die  unbefleckte  Jungfrau  Maria  dem  junfräulichen  Wesen 
ine  ganz  besondere  Glorie  gegeben.  Aber  auch  noch  vieles  andere 
lat  in  unserem  Bildungs-  und  Gesittungsgange  dazu  beigetragen, 
die  schon  unseren  Vorfahren  geläufige  ideale  Bedeutung  des  Be- 
griffes  „Jungfrau"   zu  festigen  und  zu  veredeln. 

Ganz  andere  ethische  Momente  hingegen  liegen  der  Werth- 
echätzung jungfräulichen  Zustande«  bei  vielen  weniger  civilifdrten 
Völkern  zu  Grunde ;  zumeist  ist  hier  ein  Naturalismus  der  gröbsten 
Sorte,  der  ihre  Auffassung  leitet,  und  zugleich  in  achroffen  —  un- 
sere Gefülile  verletzenden  —  Formen  zu  Tage  tritt.  Nichts  Sin- 
niges, vielmehr  nur  Sinnliches  ist  zumeist  das  Motiv,  welches  die 
eifersüchtige  Mämierwelt  bei  niedrigem  Culturgrade  veranlasst, 
A&a  defiorirte  Mädchen  zu  missachten  und  vom  Ehebette  zurück- 
zuweisen. 

Ein  unverletztes  HjTuen  gilt  bei  den  meisten  Völkern  als  ein- 
ziges Zeichen  der  Jungfrauschaft.  Auch  bei  uns  war  das  von  jeher 
der  Fall,  und  die  grosse  Masse  des  Volkes  hält  an  dieser  Signatur 
fest,  obgleich  die  gerichtliche  Medicin  schon  längst  tiber  diesen 
populären  Standpunkt  hinaus  ist.  Das  Hymen  büdet  eine  Schleim- 
hautfalte am  Scheideneingrange,  vor  dem  sie  in  den  meisten  Fällen 
lalbmondfijnnig  ausgespannt  ist.  Mau  glaubte  allgemein,  dass  die 
in  einzelnen  Stellen  des  Scheideneingangs  sich  erhebenden  warzigen 
Excrescenzen,  welche  die  Anatomen  als  ,Oarunculae  myrtiformes* 
bezeichneten,  sich  unmittelbar  nach  der  Zerreissung  des  Hymen 
beim  ersten  Coitus  ausbildeten.  Allein  Karl  Schröder  hat  mit 
Sicherheit  nachgewiesen,  dass  das  Hymen  bei  der  Cohabitation  nicht 
weiten  ziemlich  unverändert  bleibt,  indem  es  selbst  bei  oft  wie- 
derholtem Coitus  sich  nur  ausdehnt  oder  eingekerbt  erscheint. 
Durch  das  Eindringen  der  Penis  wird  höchstens  der  freie  Hand 
des  Hymen  zerrissen.  In  des  Regel  kommen  erst  in  Folge  einer 
Geburt  solche  Veränderungen  zu  Stande,  als  deren  Ergebniss  sich 
jene  Carunculae  myrtiformes  darstellen.  Demgemäss  ist  das  Vor« 
indensein  des  Hymen  kein  Kriterium  dafttr,  dass  die  betrefl'ende 
*er80n  noch  nicht  cohabitirt  hat.  Auf  der  anderen  Seite  ist  aber 
auch,  wenn  das  H}Tuen  fehlt,  die  Annahme  nicht  ohne  Weiteres  be- 
rechtigt, dass  schon  ein  sexueller  Verkehr  mit  einem  Manne  stattge- 
funden habe,  denn  e.s  giebt  auch  eine  Reihe  anderer  Eingriffe,  durch 


welche  das  Hymen  zerstört  werden  kann.  Hiemach  erleidet  also 
die  weitverbreitete  Meinung  über  das  Kennzeichen  der  Defloration 
sehr  erhebliche  Einschränkungen  und  Abänderungen. 

Wir  finden,  wie  bereits  gesagt  wurde,  durchaus  nicht  bei  allen 
Völkern  der  Erde  die  gleiche  Auffassung  und  Werthschätzung  der 
Jungfrauschaft,  beziehungsweise  eines  imverletzten  Jungfernhäut- 
chens. Wenn,  wie  wir  soeben  gesehen  haben,  nun  auch  diese  beiden 
Begriffe  sich  nicht  vollständig  decken,  so  sind  wir  doch  nicht  im 
Stande,  sie  absolut  au-seinander  zu  halten.  Und  da  zeigt  es  sich, 
dass  man  eine  ganze  Stufenleiter  der  Achtung  oder  Jj  ichtachtung 
aufzustellen  vermag,  welche  diese  Zustände  in  der  Meinung  der 
verschiedenen  Völker  gemessen.  Beginnen  wir  mit  denjenigen  Na- 
tionen, welche  der  Jungfrauschaft  eine  volktiindige  Nichtachtung 
entgegenbringen,  so  steht  hier  obenan  die  al)sichtliche  Zerstörung 
des  Jungfernhäutchens  oft  schon  von  den  ersten  Lebenstagen  an 
durch  die  Hand  der  eigenen  Mutter. 

War  es  bei  den  Chinesinnen,  bei  den  Bewohnerinnen  von 
Ambon  und  den  Üliase-Liseln  und  bei  den  Indianern  in  über- 
triebener Reinlichkeit  ein  wiederholtes  und  ganz  energisches  Waschen, 
welches  zu  der  Zerstörung  des  Hymen  itihrt,  waren  es  bei  den  soeben 
reif  gewordenen  Mädchen  des  Bau  da- Archipels  wahrscheinlich  ebeu- 
faüs  religiös-hygieiuische  Ursachen,  welche  dazu  führen,  Tampons 
aus  Baumbast  in  die  Scheide  zu  stecken,  wahrscheinlich  wohl,  da- 
mit das  in  hohem  Grade  für  unrein  angesehene  Menstruationsblut 
nicht  sichtbar  M'ird  und  die  Schenkel  nicht  besudeln  kann,  so  ist 
die  Absicht  bei  den  Machacuras-Iudiauern  eine  durchaus  an- 
•dere,  wenn  sie  durch  ihre  bereits  oben  beschriebenen  Manipulationen 
ihren  kleinen  Kindern  die  Jungfemhaut  vernichten  und  die  Scheide 
erweitem.  Hier  soll  das  Mädchen  für  einen  recht  frühzeitigen 
Verkelir  mit  erwachsenen  Männern  hergerichtet  werden.  Ganz  ähn- 
liche Zwecke  verfolgen  die  onanistischen  Reizungen,  welche  die 
alten  Impotenten  auf  den  Philippinen  bei  den  kleineu  Mädchen 
vornehmen,  und  auch  die  ähnlichen  Spielereien,  wie  wir  sie  bei 
manchen  afrikanischen  VöLkem  die  grösseren  Mädchen  bei  den 
kleineren  haben  ausftihren  sehen,  mögen  halb  bewnsst,  halb  unbe- 
was.st  die  gleichen  Ziele  zu  erstieben  suchen. 

Eine  absolute  Gleichgültigkeit  gegen  die  Jungfrauschaft  müssen 
wir  überall  da  erkennen,  wo  wir  einen  vollkommen  unbehinderten 
geschlechtlichen  Verkehr  zwischen  den  unverheiratheten  jungen 
Leuten  beiderlei  Geschlechts  vorfinden.  Wir  haben  hierfür  bereits 
mehrere  Beispiele  kennen  gelernt  vmd  brauchen  an  dieser  Stelle 
dieselben  wohl  kaum  zu  wiederholen  (Südsee-Insulaner,  Be- 
wohner des  malayis eben  Archipels,  Norda.siaten.  Japaner, 
Indische  Stämme,  Afrikaner  u.  s.  w.),  und  eine  derartige  Un- 
beschränktheit  finden  wir  bei  den  Madagassen,  den  Bnsutbo 
n.  3.  w.  sogar  schon  im  kindlichen  Alter.  Dass  hier  der  Brilutigam 
bei   setner  Auserwählteu   bei  der  Verhoirathung  ein   Bestehen   der 


JungtVauschaft  nicht   voraussetzen   kann,    das    bedarf  wolil  .keiner 
weiteren  Darlegung. 

Wenn  auch  die  Bewohner  des  Haawu- Archipels  in  nieder- 
ländisch Indien  den  jungen  Leuten  einen  ganz  ungestörten  ge- 
schlechtlichen Verkehr  gestatten  und  daher  bei  der  Verehelichung 
ein  Bestehen  der  Jungfrauschaft,  nicht  durchaus  verlangen,  so  geben 
sie  doch  unter  allen  Umständen  einer  Virgo  intacta  den  Vorzug. 
Trotzdem  hat  es  keine  Schwierigkeit  für  den  Fremden,  für  ein 
Spielzeug  oder  ein  Geschenk  mit  einem  noch  unbefleckten  Madchen 
zu  cohabitiren.     (Riedel.'') 

Es  giebt  nun  aber  auch  gewisse  Stamme,  welche  noch  einen 
Schritt  weiter  gehen,  indem  sie  das  Fortbestehen  der  Jungfrauschaft 
bei  einer  Erwachsenen  geradezu  flir  eine  Schande  betrachten,  für 
einen  sicheren  Beweis,  dass  das  Mädchen  vor  keines  Mannes  Augen 
Gnade  gefunden  hat.  Aehnliches  haben  wir  weiter  oben  bei  den 
Wotjäken  gesehen.  Auch  bei  deti  Chibchas  (auch  Muiscas 
oder  Mozcafi)  in  Neu-Granada,  welche  jetzt  fast  ganz  unter- 
gegangen sind,  wurde  die  Jungfrauschaft  als  Beweis  dafür  ange- 
sehen, dass  das  Mädchen  unfähig  sei,  Liebe  zu  erwerben. 

Wenn  nun  auch  andere  Nationen  nicht  so  weit  gegangen  sind, 
etwas  Entehrendes  in  dem  Vorhanden.sein  eines  Jungfernhäutchens 
zu  erblicken,  so  sehen  .sie  dasselbe  doch  als  etwas  an,  das  das  ehe- 
liche Vergnügen  hindert  und  beeinträchtigt  und  welches  dalier  vor 
dem  Eintritt  in  die  Ehe  entfernt  werden  muss.  Inwieweit  ge- 
schlechtliches Unvermögen  in  geringerem  Grade,  bedingt  durch 
Ausschweifungen  in  der  Jugend,  die  erste  Veranlassung  zu  diesen 
Gebräuchen  gegeben  haben  mag,  das  werden  wir  wohl  niemals  zu 
entscheiden  im  Stande  seiu. 

Bei  den  Sakkalaven  in  Madagaskar  entjungfern  sich  die 
jungen  Mädchen  selbst  vor  ihrer  Verheirathung,  falls  ihre  Eltern 
nicht  schon  früher  datVir  gesorgt  haben,  dass  diese  rräliuiinur- 
üperation  ausgeführt  wurde.  (NocL)  Abscheulich  ist  die  imge- 
mein  rohe  Art,  in  welcher  atistralische  Stämme  am  Peak- 
Flusse ,  um  den  geschlechthchen  Verkehr  mit  sehr  jungen  Mäd- 
chen zu  ermöglichen,  diesen  die  Vagina  nach  imd  nach  bis  zu 
den  gewünschten  Dimensionen  erweitern.  Dieses  Geschäft  sollen 
die  älteren  Männer  der  Gesellschaft  übernehmen.  Wenn  des  jungen 
Mädchens  Brüste  schwellen  und  .sich  der  Haarwuchs  zeigt,  so 
entfuhrt  sie  eine  Anzahl  älterer  Männer  an  einen  einsamen  Ort; 
dort  wird  sie  niedergelegt,  ein  Mann  hält  üire  Arme,  zwei  an- 
dere die  Beine.  Der  vornehmste  Mann  tiihrt  dann  zuerst  einen 
Finger  in  die  Vagina,  dann  zwei,  zuletzt  vier.  Zurückgekehrt  an 
den  Lagerplatz,  kann  das  arme  Ding  in  Folge  der  Mi.sshandlung 
3 — 4  Tage  denselben  wegen  Schmerzen  nicht  verlassen.  Sobald 
»je  kann,  geht  sie  fort,  wird  aber  in  jeden  Winkel  von  den  Männern 


302 


XI.  Der  Eintritt  de«  Weibes  i^ 


verfolgt  und  muss  sich  den  Coitus  von  4 — 1>  derselben  gefallen 
lassen.  Dann  aber  lebt  derjenige,  mit  dem  sie  als  Kind  versprochen 
worden  war,  mit  ihr  als  Gattin,  wobei  der  Mann  zuweilen  circa 
'»mal  älter  sein  kann,  als  die  Neuvermählte.  Hill  in  Sydney  be- 
richtet auch,  dass  die  Eingeborenen  von  Neu-Stid-Wales  vor 
der  Heirath  an  der  Braut,  einem  meist  sehr  jungen  Mädchen,  die 
Defloratio  mittebt  eines  Feuersteinsplitters  vornehmen,  der  ^ßogenaa" 
genannt  wird,  und  mit  welchem  das  Hymen  aufgeschlitzt  wird.  Dies 
geschieht,  um  den  Eingang  so  gross  oder  so  klein  herzustellen,  wie 
es  dem  Gemahl  passend  schien. 

Dieses  letztere  erinnert  an  die  Operationen,  welche  bei  den 
excidirten  und  vernähten  Mädchen  in  Afrika  vor  der  Hochzeit 
nothwemlig  werden  und  bei  welchen  von  Priestern  oder  von  alten 
Weihern  dieses  Wiederaufschneiden  meistens  mit  sehr  fragwürdigen 
Instrumenten  ausgeführt  wird.  Die  alten  Aegypter  schnitten  das 
Hymen  durch. 

Bei  anderen  Völkern  wieder  begegnen  wir  der  Sitte,  daas  die 
En^miigfenuig  der  Braut  allerdings  „lege  artis"  vor  sich  geht,  d.  h. 
durch  die  AuHühung  .eines  Beischlafes.  Diesen  vollföhrt  aber  nicht 
der  Bräutigam,  sondern  irgend  ein  anderer  Mann  au  .seiner  Stelle. 
Wir  dürfen  diesen  Gebrauch  aber  nicht  mit  einem  ähnlichen  ver- 
wechseln, welchen  wir  später  bei  den  verschiedenen  Formen  der 
Ehe  kennen  lernen  werden.  Ich  meine  die  einmalige  Prekgebimg 
des  Mädchens  an  die  Staramesgenossen,  bevor  sie  durch  die  Ehe 
das  ausschliessliche,  unantastbare  Eigenthum  eines  Einzelnen  fldrd.' 
Hier  liegen,  wie  wir  seiner  Zeit  erläutern  werden,  durchaus  andere 
Motive  zu  Grunde.  Um  nun  zu  unserem  Falle  zurückzukehren, 
so  müssen  wir  in  diesem  primären  Coitus  durch  einen  Stellvertreter 
doch  wiederum  einige  Unterscheidungen  treffen.  Nach  einem  Aus- 
spruche des  heiligen  Athanasiits  hielten  sich  die  Phönizier  einen 
besonderen  Sclaven,  dem  das  Amt  oblag,  die  Braut  zu  defioriren. 
Bei  den  Viscayern  auf  den  Philippinen  existiren  nach  BlumvU' 
tritt  Individuen,  welche  die  Entjuugierung  gewerbsmässig  betreiben. 
Wie  einen  Fortschritt  in  der  Sittlichkeit  müssen  wir  es  betrachten, 
wenn  wir  sehen,  wie  diese  Entjungferung  eine  Ehre  ist,  die  nur 
einem  hochgestellten  Manne  zukommt  (jus  primae  noctis;,  oder  ein 
Weihgeschenk,  welches  der  Gottheit  dargebracht  werden  muss  und 
welches  daher  das  Bild  der  Gottheit  selbst  oder  der  Stellvertreter 
Gottes  auf  Erden,  der  Priester,  vorzunehmen  berulen  ist.  Ein  Bei- 
spiel für  den  ersten  Fall  finden  wir  bei  den  Balanten  in  Sene- 
gambieu,  einem  sehr  rohen  Negerstamme.  Hier  hat  der  Haupt» 
hng  die  Verpflichtung,  die  Braute  zu  defioriren,  wozu  er  sich  oft 
nur  gegen  ansehnliche  Geschenke  herbeilässt;  ohne  diesf  '''  '  - 
Zeugung  des  Häuptlings  kann  aber  kein  Müdclien  heiratherj.  > 

Als  Opfergabe  an  die  Gottheit  sehen  wir  die  Erstlmge  der 
Jungfemschaft  bei  verschiedenen  Völkern  des  Alterthoms  darge- 
bracht, zu  denen  auch  die  alten  Römer  gehörten.   Angeblich  sollen 


303 

sich  die  römischen  Bräute  auf  den  Schooss  des  Gottes  Mutmitts 
gesetzt  haben,  durch  dessen  Phallus  das  Hymen  zerrissen  imd  die 
Vagina  erweitert  wurde.  Auch  mit  dem  Lingam-Dienst  in  Indien 
sind  ähnliche  Ceremonien  verbunden. 

Duquestie  a  vu,  lierichtet  Ditlanre,  dans  les  environa  de  Pondichöry, 
les  jeunes  mariees  venir  faire  ä  cette  idole  (le  Lingam)  de  bois  le  aacrifice 
cüniplet  de  leur  virgfinite.  Dans  une  partie  de  Tlnde,  appeläe  Canara,  ainei 
qae  dans  le«  environs  de  Goa,  de  pareils  «acriScea  sont  en  usage.  Lee  jeunes 
alles,  avant  d'epouser.  offrent  et  doonent  dans  le  teinple  de  Chiven  (SchitcaJ 
lea  pr^miceR  du  luariage  ü  une  semblable  idole  dont  le  Lingam  est  de  fer; 
et  Ton  foit  jouer  ä  ce  Dieu  le  röle  de  eacrificateur.  Cvan  Caerden.J 

Die  Muhe  und  Arbeit  für  das  Götterbild  übernahmen  dann 
später  opferwillig  die  Priester  oder  auch  die  Zauberer.  Das  letzere 
wird  im  16.  Jahrhundert  von  den  Acowaschen  und  Kumaneu 
Amerikas  berichtet,  während  in  Nicaragua  der  Oberpriester  die 
Bräute  entjungferte,  und  dasa  auch  heute  noch  in  Indien  der 
Bräutigam  seine  Braut  zu  einem  Brahmineu  flihrt,  damit  dieser  ihr 
die  .lungfrauschaft  nehme,  ist  eine  oft  erzählte  Thatsache.  Der  be- 
treffende Brahmine  erhält  für  seine  Bemühung  ein  Geschenk,  das 
bisweilen  eine  ganz  beträchtliche  Höhe  erreicht.  Ftir  gewisse 
Brahminen  auf  Malabar  soll  dieses  Amt  sogal-  ihre  einzige  Berufs- 
jjflicht  gewesen  sein.  Für  diejeuigeu  Fälle,  wo  sich  die  Jungfrau 
allerdings  weder  dem  Priester  noch  auch  dem  Könige,  sondern 
irgend  einem  Fremden  preisgeben  muss,  wie  das  iu  Babylon  und 
Cypern  der  Fall  war,  erblickt  Rosenhaum  die  Erklärung  in  dem 
Umstand,  dass  nicht  nur  das  Menstrualblut,  sondern  auch  das  bei 
der  Defloration  durch  die  Zerreissung  des  Hymen  fliessende  Blut, 
und  somit  auch  der  Act  der  Entjungferung  selber  für  unrein  ge- 
halten wurde.     Daher  überliess  man  ihn  den  Fremden. 

Den  gröasten  Werth  legt  man  auf  das  angeblich  specifische 
Merkmal  der  Virginität  in  Asien  und  Afrika,  und  in  den  meisten 
Ländern  dieser  Continente  wünscht  der  Mann  regelmässig  bei  dem 
Vollzuge  der  Verheirathong  untrügliche  Beweise  zu  erhalten,  dass 
das  in  seinen  Augen  allein  maassgeliende  Zeichen  der  Jimgfrauschaft, 
das  Jxmgfemhäutchen,  bei  seiner  oft  für  schweres  Geld  erkauften 
Braut  noch  unberührt  und  imverletzt  erhalten  sei.  Auch  hier  be- 
gegnen wir  wieder  einer  sehr  beachtenswerthen  Stufenfolge  in  der 
Art  und  Weise,  wie  sich  der  Bräutigam  die  Ueberzeugung  von  der 
geschlechtlichen  ünberührtheit  seiner  Braut  zu  verschaflen  suchte. 
Als  ersten  Grad  in  dieser  Beziehung  können  wir  die  Sitte  betrachten, 
nach  welcher,  wie  Clot-Bey  berichtet,  in  Aegypten  das  Hj'men 
nicht  etwa  durch  den  ersten  Beischlaf  zerrissen  wird,  sondern  der 
m  hüllt  ein  weisses  Mousselintuch  um  den  Zeigetinger  der  rechten 
id  und  dringt  in  die  Mutterscheide  der  jimgfräulichen  Braut  ein; 
daü  blutige  Tuch  nun  zeigt  er  den  Angehörigen  vor.  Unter  anderen 
orientalischen  Völkerschaften  wird  diese  Angelegenheit  mit  noch 
[weniger  Delicatesse  behandelt.  In  Nubien  wird  gegen  das  U.  Lebens- 


Jahr  hin  das  Älädcheii  verlobt;  der  Ehemann  deflorirt  dasselbe  mit 
seinem  Fiuger  und  vor  Zeugen;  als  wirkliche  Gattin  ftthrt  er 
sie  erst  nach  einem  Jahre  oder  spater  heim.  Bei  den  Arabern 
wird  die  Verlobte,  M'enn  sie  nicht  Wittwe  ist,  ebenfalls  wie  in 
Aegypten  initteLst  des  von  einem  leinenen  Tuche  umhüllten  Zeige- 
fingers der  rechten  Hand  entjungfert,  doch  besorgt  dies  Geschäft 
nicht  der  Mann,  sondern  eine  Matrone,  und  jene  führt  dasselbe  nur 
dann  aus,  wenn  die  Verlobte  gerade  menatruirt;  das  Tuch  wird 
stets  den  Eltern  gezeigt.  Die  Kopten  verhalten  sich  ähnlich,  wie 
die  Araber. 

Ein  Hoclizeitabrauch  in  SHdru-saland  (Ashoth)  besteht  darin, 
dass  man  ganz  besondere  Vorkehrungen  trift't,  um  vor  Zeugen,  welche 
die  Bevölkerung  vom  Ergebnias  ihrer  Beobachtung  sofort  benach- 
richtigen, die  Ünverletztheit  der  Jungfrauschaft  beim  Coitus  in  der 
Brautnacht  feststellen  zu  lassen.  Es  ist  sogar  Brauch,  dass  die 
Braut  sich  zuvor,  ehe  sie  dein  BrUuÜgam  überlassen  wird,  vor 
Zeugen  vollständig  entkleiden  lassen  muas,  damit  festgestellt  werde, 
ob  sie  nicht  etwa  Täuschungsmifctel  bei  sich  habe;  auch  wird  dann, 
wenn  der  Bräutigam  etwa  unfähig  ist,  den  Coitus  in  der  Brautnacht 
auszuüben,  ein  Anderer  an  seine  Stelle  berufen.  Die  Strafe  und 
die  verächtliche  Behandlung  beim  Nachweis  des  Verlustes  der  Jung- 
femschaft sind  ebenso  erheblich,  wie  die  Freude,  wenn  die  Blat- 
spuren  im  Hemd  voi-gefunden  werden. 

Die  Neugriechen  auf  Morea  besitzen  eine  ganz  absonder- 
liche Jungfemschaftsprobe.  Hier  musste  die  Braut,  bevor  sie  das 
Brautbett  bestieg,  auf  ein  ledernes  Sieb  steigen.  Durchtrat  .sie 
hierbei  das  letztere,  so  lag  ihre  Unbeflecktheit  klar  zu  Tage.  (Pou- 
quevillc.) 

Bei  der  Mehrzahl  der  orientalischen  Volker  und  auch  bei 
einigen  ihrer  Nachbarn  verlangt  der  Bräutigam  in  der  Brautnacht 
nach  dem  ersten  Coitus  im  Ehebette  Blutapuren  zu  finden  zum 
Zeichen,  dass  das  Hymen  von  ihm  selbst  durchrissen,  seine  Frau 
also  nur  erst  von  ihm  selbst  entjungfert  worden  sei.  Diese  Tro- 
phäen seines  Sieges  und  gleichzeitig  die  Keuschheitsbeweise  seiner 
Braut  werden  dem  Kreise  der  Freunde  und  Verwandten  im  Triumphe 
vorgezeigt.  Bei  den  Samojeden  und  Ostjaken  ist  es  nach  Palias 
sogar  gebräuchlich,  die  Schwiegermutter  ft\r  die  Oberbraciitcn  Zeichen 
der  Jungfrauschaft  zu  beschenken.  Auch  die  Bulgaren  verlangen 
nach  Bogisic  von  dem  jungen  Ehemanne  die  sichtlichen  Beweise 
dafür,  dass  seine  Braut  noch  Jungfrau  war. 

Aber  wehe  der  Braut,  die  die.  Probe  nicht  besieht.  Es  gtebt 
keinerlei  Entschuldigung  für  den  iMangel  des  Hymen.  In  Persien 
kann,  wie  PolaU  berichtet,  in  einem  solchen  Falle  die  Frau  auf 
die  einfache  Aussage  des  Mannes  hin  nach  der  ersten  Nucht  Ver- 
stössen werden.  Dieser  ungerechte  Brauch  wird  oft  benutzt  zum 
Zweck  der  Gelderpressung  von  den  Schwiegereltern,  die  den  Ruf 
der   Frau    nicht   betiecken    lassen   wollen.     Doch   trägt  andererseits 


dieser  Brauch  auch  dazu  bei,  dass  fast  alle  Mädchen  in  voller  Vir- 
ginität  zur  Ehe  gelangen. 

Auch  in  Nicaragua  durfte  der  junge  Gatte  seine  Verlobte 
(nach  Squier)  iliren  Eltern  zurUckschickeu,  wenn  dieselbe  schon 
früher  ihr  Hymen  eiugebüsst  hatte.  Ebenso  streng  wurde  es  mit 
der  Reinheit  der  Braut  nach  Acostas  und  Anderer  Berichten  im 
alten  Mexikaner- Reiche  genommen. 

Aehnlich  ist  es  bei  einigen  anderen  orientalischen  Völkern, 
aber  auch  bei  gewissen  a  f  r  i  k  a  n  i  s  c  h  e  n  Stämmeh  schickt  der  Bräu- 
tigam die  Braut  den  Eltern  wieder  zurück,  wenn  er  sie  in  der  Braut- 
nacht nicht  als  .Tungfrau  erfunden  zu  haben  glaubt.  Die  Ehe  ist  damit 
einfach  für  ungültig  erklärt  und  aufgelöst.  Ist  bei  den  Szuaheli 
im  östlichen  Afrika  bei  der  Verheirathimg  das  Jangfemhäutchen 
zerrissen  gefunden,  so  müssen  die  Eltern  die  Hälfte  des  Brautgeldes 
an  den  jungen  Ehemann  ziirückbezahlen.  Bei  dt- n  Bulgaren  wird 
die  Schande  des  Mädchens  laut  verkündet,  wenn  bei  Vollzug  der 
Ehe  die  Beweise  für  ihre  bisherige  Jungfräulichkeit  ungünstig  aus- 
gefallen sind,  jedoch  pflegen  in  einem  solchen  Falle  ihre  Eltern 
die  Bedenken  des  Schwiegersohnes  durch  eine  entsprechende  Ver- 
inehnmg  der  Aussteuer  zu  beschwichtigen. 

Findet  der  Gatte  bei  einer  Zuluhochzeit  heraus,  dass  es 
mit  der  Jungfräulichkeit  der  Braut  schlecht  bestellt  war,  so  zahlt 
der  Bruder  oder  Vater  derselben  an  den  jungen  Gatten  einen 
Ochsen:  ,to  stop  tbe  hole",  wie  der  Z  u  l  u  -  Ausdruck  im  Eng- 
lischen lautet.     iJoest.) 

Schon  die  Juden  der  Bibel  hielten  nach  Moses'  Gebot  (5,  22) 
gar  streng  auf  die  Jungfernschaft.  Wenn  ein  Mann  ein  Weib  ge- 
nouomen  und  er  sie  unter  dem  Vorgeben,  sie  sei  nicht  mehr  Jung- 
frau, deren  Eltern  zurückgiebt,  so  soll  ihr  Vater  die  Aeltesten  der 
Stadt  als  Richter  anrufen,  vor  diesen  aber  sollen  die  Kleider  aus- 
gebreitet werden.  Der  Mann  soll  dann  für  die  ungerechte  Bezich- 
tigung einer  Jungfrau  Strafe  zahlen  und  das  Weib  zur  Gattin  nehmen. 
Wird  jedoch  die  Dinie  nicht  als  Jungfrau  befunden,  so  soll  sie 
öÖ'entlich  zn  Tode  gesteinigt  werden. 

Bei  so  strengen,  das  Lebensglück  oder  selbst  das  Leben  de» 
Mädchens  bedrohenden  Maassregeln,  wenn  die  letztere  ihre  Keusch- 
heit nicht  zu  bewahren  gewusst  hatte,  uiusste  es  wohl  begreiflich 
sein,  wie  sie  selbst  oder  die  Ihrigen  auf  Mittel  sannen,  die  verlorene 
Jungfernschaft  zu  entschuldigen,  zu  bemänteln  oder  für  die  Zeit  der 
Prüfung  scheinbar  wiederherzustellen. 

Wir  sahen  schon,  dass  die  Matronen  bei  den  Arabern  die 
Digitalentjimgferung  vorsichtiger  Weise  an  dem  Ende  der  Meu- 
struiition  vornehmen.  Hat  bei  den  Persern  das  Unglück  der  De- 
floration bei  einem  Mädchen  stattgefunden,  so  suchen  die  Eltern 
die  Scliande  abzuwenden,  indem  das  Mädchen  an  einen  armen 
Teufel  oder   einen  jungen  Ivnaben  verhcirathet  und  alsbald  wieder 


Pia«*,  Dm  Wnitt,  I.    ■.>.  Aurt, 


20 


gMM-litMltff)  irird,  djumt  nt  dorn  eiofMD  aagcthcDee  Uamie  xor  Frau 

^  ^   r)  w<^(l«ri  kiina.    Oder  et  wird  am  Tage  der  Entucbeidimg 

iiiiMt  im  Folgenden  beackriebeneo  operaUven  Eingriff  nach- 
:  ■  i—  rg«n  kennen.  IHeselben  pflegen 
My  '>g  die  Schamlippen  durch  ein 

VnM  t>\n^*'U'[i,U'  Niithc  xn  viT<.Mmg(.'ri ,  die  dann  beim  Coitus  atifge- 
M«Min  Wi<rd(!ii,  HU  diWH  i:twaM  Ulut  fliesflt,  wai?  der  Mann  fiir  ein 
/iMchfln  »och  vorbanden  gewesener  Jungfrauschafl  ansieht.  Auch 
rill  iiiil.  Ittiil  ^iTtriLnkißH  Hctiwüuinichen  hoU  öfter  mit  Vortheil  in  der 
Hruiiliiuclil    iti   ili«^   V'iigiiia  goHteckt  worden  sein. 

In  Htlnrien  gmiitiMHl  diiH  juage  Mädchen,  das  nicht  mehr 
•litiigt'ruii  int,  vur  der  Jirautnucbt  die  gekochten  Früchte  der  Iris 
«ibirictt.    iKtrhd.) 

K«  »»«I.  wolil  m-ltr  Hchwii'rig,  m  L-ntscheiden,  ob  es  sich  ledig- 
lU^h  um  oiiiii  i<igt'iithl\iiitii-lii\  besondera  »*crupulöse  Art  handelt,  das 
Vorlmiidi'iim'iii  ndi-r  I'V'hlcn  der  .lungl'rauschiift  zu  constatiren,  oder 
iili  wir  tlunn  eiiiu  Art  von  Analogie  für  die  Institution  unserer 
Trrtu«itug«Mi  i-rbliiken  mü«Ken,  wenn  wir  sehen,  daas  bei  manchen 
ViWkttni  b«'»liimut(<  l'Veundo  oder  Anverwandte  bei  dem  ersten  Coitus 
di'M  jiuigi>ii  riiiirfH  y.tigegen  sein  und  »ogar  hierbei  handgreiflich 
lii'irtMt  iiiid  iu<hiNtir»>n  rnftssen.  So  erfolgt  /.  13.  bei  den  katholischen 
r|»rif«tt'U  in  A Ägypten  die  Kntjungffrung  durch  den  Beischlaf, 
WHlolii'm  die  beiden  Schwiegermutter,  die  Mutter  des  Mannes  so- 
wohl uN  auch  di(\)ouig«  der  jungen  Frau,  beizuwohnen  rer- 
pHichtrt  Nuul. 

\W\  dorn  ersten  (Vitu«  eines  £he]>  ^ stiren  in  Ab^ssinien 

«WIM  Ktmgeu,  wolcho  dabei  der  liegen'  i  die  Beine  so  hinanf- 

haUen,  diu<«<  dvr  Khomann  zwischen  denselben  seine  Lust  befiriedigen 
)^^,...     TV,...,.  l>^i4«}u  ^>ugett  traten  von  da  au  zn  dem  Paare  in  ein 


\\ 


w«loh«s  einem  verwtutdtschaiUicheu  gleicht;   dasselbe 


M  jUuxuai  wi*  bei  uns  dl«  PaiKaiwrhaft.  Stecktr^  welcher  mir  dias 
aii|ttM£li«>  gMyt  mamh  an,  4m»  diaws  Halten  d»  Beine  bei  dem 
«w«b»n  TiMtu»  deebalb  vurwenonunen  vird,  weil  die  jonge  FVaa  dort 
wie  Aberhaubt  in  tMmi  Lindeni  Ostafiikas  eine  dordi  tfawÜicb 
•uynkiiMe  Verwncbmmfr  Terechloasene  Scheide  bal,  die  Me^ 
«kSTwie  anderw^Stelmt^  Sebutt.  sond«»  n«  da.  ^^ 
JS^amMun  selbst  dartli   f>waHw»Hi  HJtiPwhHtwi  diee  Ans  ge- 

«Am  «Ud. 

CSa  jungm  LmA»  «rf  der  Iwal  Dam*  na  m*laTiackem 
Andbi|wt  balwtt  mbco  takr  aWoodarfichan  6«bcBoeb. 
IM  doMMMilirMk  das»  tW  ««w  Eb 


IVr  jwiipr   llan 
•aMC««!.  «i  %m 

d«r  I^Mlf^C 


bbii^   wa 


46.  Der  Beischlaf. 


»inbar  wütbend  und  bewaöiiet  bis  zu  seinem  Hause,  indem  sie 
Braut«chatz  fordern.'  Die  Anverwandten  des  jungen  Mannes 
kommen  dann  ebenfalls  bewaffnet  heraiüs.  Bald  aber  hat  man  sich 
über  den  Brautschatz  geeinigt  imd  in  Frieden  \md  Freundschaft 
geht  alles  auseinander.  Der  junge  Gatte  lebt  fortan  im  Hause  der 
•Frau.    {Riedel}) 

Eines  eigenthümlicben  Edictes  müssen  wir  zum  Schlüsse  noch 
gedenken,  welches  in  Rom  der  Kaiser  Tiheriiis  ergehen  liess.  Er 
verbot,  dass  Jungfrauen  hingerichtet  würden.  Hatten  dieselben  ihr 
Leben  verwirkt,  so  war  es  die  Pflicht  des  Henkers,  sie  vor  der 
Hinrichtung  zu  defloriren.  (Hyrtl.)  Was  für  Motive  ihn  hierzu 
bewogen  haben  mögen,  das  sind  wir  heute  wohl  nicht  mehr  im 
Stande  zu  entscheiden. 

^H  Die   Ethnologie   darf   sich    nicht   der   Betrachtung    derjenigen 

^H  Functionen  und  Bräuche  entziehen,  welche  über  das,  was  wir  selbst 
^^  unter  .Sitte"  verst-ehen,  weit  hinausgeht.  Die  Wissenschaft  hat  sich 
imter  Anderem  auch  mit  Handlungen  zu  beschäftigen,  welche  wir 
selbst  gewiss  mit  Recht  als  ,discret  zu  behandelnde"  auflassen,  die 
jedoch  immerhin  für  die  Culturforschung  von  Bedeutung  sind.  Hier 
kommt  das  Thier  im  Menschen  zum  Vorschein.  Die  ethischen 
Momente,  welche  auf  solchem  Gebiete  zu  Tage  treten,  süid  freilich 
unserem  Empfinden  wenig  sympathisch,  denn  es  müssen  dabei  sogar 
recht  widerwärtige  Erscheinungen  besprochen  werden;  allein  die 
Psychologie  und  Culturgeschichte  dürfen  sich  ebenso  wenig  wie  die 
Naturgeschichte  ihre  Stoä'e  nur  nach  dem  uns  mehr  oder  weniger 
angenehmen  Geschniack  und  Gei'ühl  auswählen;  sie  haben  vielmehr 
die  Pflicht  der  oftenen  Darlegung,  wo  es  sich  darum  liandelt, 
sittliche  Zustände  aui"  dem  Gebiete  der  Völkerkunde  zu  charak- 
terisiren,  imd  selbst  diejenigen  Züge  nicht  unbeachtet  zu  lassen, 
h  welche  das  brutale  Element  im  Menschen  zum  Durchbruch 
mt. 

Die  Stellung  des  Weibes  in  der  Familie  und  dem  Volke,  die 
gegenseitigen  Beziehungen  zwischen  Mann  und  Frau  sind  für  die 
Stufe  der  Sittlichkeit.,  auf  der  ein  jedes  Volk  steht,  von  höchster 
Bedeutung.  Eine  wahre  Stufenleiter  zeigt  sich  da,  von  der  tiefsten 
Missachtung  an  bis  zur  grössten  Hochschätzung,  von  der  schänd- 
lichsten Behandlung  au  bis  zu  den  zartesten  Rücksichten.  Das  rein 
geschlechtliche  Verhältniss  tritt  eben  nur  bei  den  rohesten  Völkern 
in  den  V^)rde^g^lmd,  spielt  aber  auch  noch  bei  den  halbcivUisirten 
Nationen  eine  ganz  wesentliche  Rolle,  während  bei  hochcivi- 
iTwirteu  Zuständen  das  intellectuelle  und  moralische  Wesen  dem 
I  weiblichen  Geschlechte  seinen  Wertli  gicbt,  die  sexuellen  Beziehungen 

20* 


geschieden  wird,  damit  sie  dann  einem  angesehenen  Manne  zur  Frau 
gegeben  werden  kann.  Oder  es  wird  am  Tage  der  Eutscheidxmg 
dnrch  einen  im  Folgenden  beschriebeneu  operativen  EingriÖ'  unch- 
geholfen,  den  einige -persische  Chirurgen  kennen.  Dieselben  ptlegeii 
einige  Stunden  vor  der  Verheirathung  die  Schamlippen  durch  ein 
Poax  eingelegte  Nathe  zu  vereinigen,  die  dann  beim  Coitiis  atifge- 
rissen  werden,  so  dass  etwas  Blut  fliesst,  was  der  Mann  för  ein 
Zeichen  noch  vorhanden  gewesener  Jungfrauschaft  ansieht.  Auch 
ein  mit  Blut  getränktes  Schwämmchen  soll  öfter  mit  Vortheil  in  der 
Brautnacht  in   die  Vagina  gesteckt  worden  sein. 

In  Sibirien  geniesst  das  junge  Mädchen,  das  nicht  melur 
Jungfrau  ist,  vor  der  Brautnacht  die  gekochten  Frttchte  der  Iris 
sibirica.     {Krebel,) 

Es  ist  wohl  sehr  schwierig,  zu  entscheiden,  ob  es  sich  ledig- 
lich um  eine  eigenthüniliche,  besonders  scrupulöse  Art  handelt,  das 
Vorhandensein  oder  Fehlen  der  Jungfrauschaft  zu  constatireu,  oder 
ob  wir  darin  eine  Art  von  Analt^e  für  die  Institution  unserer 
Trauzeugen  erblicken  müssen,  wenn  wir  sehen,  dass  bei  manchen 
Völkern  bestimmte  Freunde  oder  Anverwandte  bei  dem  ersten  Coitus 
des  jungen  Paiires  zugegen  sein  und  sogar  hierbei  handgreiflich 
helfen  und  assistiren  müssen.  So  erfolgt  z.  B.  bei  den  katliolischen 
Christen  in  Aegypten  die  Entjungferung  durch  den  BeiscWat, 
welchem  die  beiden  Schwiegermütter,  die  Mutter  des  Mannes  so-, 
wohl  als  auch  diejenige  der  jungen  Frau,  beizuwohnen  ver- 
pflichtet sind. 

Bei  dem  ersten  Coitus  eines  Ehepaars  assistiren  in  Abyss»/*^®,^ 
zwei  Zeugen,  welche  dabei  der  liegenden  Frau  die  Beine  so  V^^^e 
halten,  dass  der  Ehemann  zwischen  denselben  seine  Lust  befr*^*  ^'^j 
kann.   Diese  beiden  Zeugen  treten  von  da  an  zu  dem  Paare  ^*     ^ 
Verhältnis»,   welches  einem  verwandtschaftlichen  gleich.\.',    ^  .     ^^^ 
ist  ähnlich  wie  bei  uns  die  Pathenachaft.    Steche);  welcViet  "  .     ^^^j 
mittheilte,   giebt  auch   an,  dass   dieses   Halten  der   Bev^w;  ^    „  ^i 
ersten  Coitus  deshalb  vorgenommen  wird,  weil  die  j^'-^V?,^     x,«v« 
w^ie  überhaupt   in   vielen  Ländern    Ostatrikas  eine    il\"i-»-.> 
eingeleitete    Verwachsung    verschlossene    Scheide   1  > 
nicht,    wie   anderwärts   durch    Schnitt,    som  ' 
Ehemanne   selbst   durch    gewaltsames   Eins 
dftnet  wird. 

Die  jungen  Leute  auf  der  Insel  Da 
Archipel  hüben  einen  sehr  absonderlichen 
zu  documentiren,  dass  sie  eine  Eh«  '' 

einem  jungen  Mädchen  nach  einig, 
von    diesem    gebotenes   Geschenk, 
einigen   Korallen,  angenommen,   (n> 
Der  junge   Manu   bleibt   im  Haus, 
exercet,   si  fieri  possit  publice*.     Di 
der  Braut  ein  grosses  Gesclirei,  ed 


hn 


308 


m 


aber  unter  der  Herrschaft  geläuterter  ästhetischer  Anschauunjf  in 
die  engsten  sittlichen  Grenzen  eingeschränkt  werden.  Wo  das  Weib 
nichts  ist,  als  der  G(?geustand,  durch  welchen  einestheils  die  viehi- 
schen Gelüste  befriedigt,  anderentheils  die  anstrengende  Arbeit  des 
Mannes  verringert  werden  kann,  da  wird  der  Frau  auch  das  Aergste 
in  Bezug  auf  den  sexuellen  Verkehr  zugemuthet. 

Dass  bei  südlichen  Völkern  nicht  überall  die  Sinnlichkeit  des 
Weibes  bei  Ausübung  des  Coitus  zu  besonderer  Erregung  gelangt, 
ist  eine  nicht  zu  bestreitende  Thatsache,  wenn  man  den  Bericht- 
erstattern Glauben  schenken  darf'.  Von  den  Mädchen  und  Frauen  auf 
Ponape  (Carolinen),  welche  unendlich  kalt  und  eisig  zu  sein  schie- 
nen, erfahren  wir  von  einem  derselben  diurch  Finsch:  «Drei  Mädchen,  die 
ich  behufs  Constatirung  der  Beweglichkeit  vorzunehmen  Gelegenheit 
fand,  blieben  bei  den  einleitenden  Manipulationen  total  iudiöerent, 
verhielten  sich  während  der  Operation  vitllig  passiv  und  reagü'ten 
selbst  im  Culminatiouspunkte  kaum  wahrnehmbar;  dagegen  zeigten 
sich  alle  drei  Wiederholungen  nicht  abgeneigt  und  namentlich  für 
den  Nervus  rerum  sehr  empfänglich.  Ein  unter  dem  Arme  ge- 
tragener angefeuchteter  Schwamm  wurde  jedesmal  nach  vollbrachtem 
Actus  mit  grosser  Behendigkeit  xiu*  Aufsaugung  der  ttbei'flüssigen 
Materie  introducirt,  wodurch  allzu  grosser  Schlüpfrigkeit  bei  nach- 
folgenden Eiufülmingen  kunstvoll  vorgebeugft  wird."  Allerdinga 
hatte  es  der  berichterstÄttende  Experimentator  wohl  lediglich  mit 
Subjecten  zu  thun,  die  gewerbsmässig  zum  Stande  der  \'^enus  vulgi- 
vaga  gehörten. 

Aber  wenn  dieses  auch  nicht  der  Fall  gewesen  sein  sollte,  so 
ist  doch  noch  nicht  ohne  weiteres  anzmiehmen,  dass  so,  wie  sich 
diese  Weiber  dem  Fremdlinge  gegenüber  benommen  haben,  sie  sich 
nun  auch  im  Verkehr  mit  ihren  Stammesgenosnen  verhalten  würden. 
Sehr  lehrreich  ist  in  dieser  Beziehung  eine  Bemerkm)g,  welche 
Riedel^  über  die  Einwohnerinnen  der  Insel  Buru  macht:  .Die 
Frauen  haben  öfter  intimen  Umgang  mit  fremden  Männern,  jedoch 
verhalten  sie  sich  während  der  geschlechtlichen  Vereinigung  sehr 
passiv  und  indifferent,  aus  Furcht,  befruchtet  zu  werden.* 

Dagegen  bezeugt  Apjyun,  der  lange  unter  ganz  uncivilisirten 
Indianern  von  Guiana  gelebt  hat  imd  selbst  nach  der  Sitte  des 
Landes  zeitweilig  mit  einer  Eingeborenen  verheirathet  war,  dass  .alle 
Indianerinnen  geringere  Neigung  zu  physischer  Liebe  haben''. 
Auch  unter  civilisirten  Nationen  scheint  die  Frau  beim  sexuellen 
Acte  nicht  überall  sinnlich  aufgeregt  zu  sein.  Temperament  und 
Reizbarkeit  sind  jedenfalls  in  differenter  Weise  auftretende  Hns.ven- 
merkmale.    Wie  aber  über  Alles,  so  gebietet  doch  sc'  i  Sitte 

und  Brauch  auch  über  die  Art  der  Ausübung  von  !•  i  m,    bei 

denen  die  Frau  meist  ein  mehr  oder  weniger  passives  Verhalten  zeigt. 
Man  darf  aber  dabei  nicht  vergessen,  da.S8  gar  nicht  selten  diese 
scheinbare  Passivitüt  ihren  Grund  in  sexueller  Schwäche  des  Mannes 


hat,  welche  der  Frau  nicht  die  vollständige  Vollendung  des  Actes 
gestattet  und  die  hinreichende  Befriedigung  gewährt. 

Zwei  bei  tietstehendeu  Völkern  als  allgemeiner  Volksbrauch 
uultretende  Momente  ßind  es,  welche  ganz  besonders  in  Bezug  auf 
den  Coitus  und  seine  Ausübung  die  bedauemswerthe  Geringschätzung 
des  Weibes  bezeichnend  Erstens  der  Coitus  vor  der  weiblichen 
Geschlechtsreife  und  zweitens  die  Ausübung  desselben  in  Gegen- 
wart anderer  Individuen.  Diese  beiden  Erscheinungen  im  Völker- 
leben bekunden  gewiss  eine  noch  tiefere  Stufe  sittlicher  Zustünde,  als 
die  von  vielen  Ethnologen  ah  charakteristisch  für  die  Erniedrigung 
des  weiblichen  Geschlechts  hervorgehobenen  Bräuche  des  Braut- 
kaufs und  des  Brautraubes. 

Bei  nicht  wenigen  Völkern  kommt  es  vor,  dass,  wie  wir  ira  Artikel 
über  das  Heirathsalter  zeigen  werden,  geschlechtlicher  Umgang 
schon  mit  Mädchen  vor  der  Geschlechtsreife  getrieben  wird.  So  bei 
den  Australiern,  wo  nach  Angabe  von  Miklucko-Maday  ein  zehn- 
bis  elljähriges  Mädchen  nicht  nur  die  Frau  eines  SO  jährigen  Mannes, 
sondern  auch  die  Maitresse  eines  Buggi-Matrosen  ist,  und  wo  der- 
gleichen Verkehr  oft  stattfinden  soll.  Auch  bei  den  Wolo ff- Ne- 
gern am  Senegal  wird  der  Coitus  gar  nicht  selten  mit  jungen 
Mädchen  vor  dem  Eintritt  der  Men.struation  vollzogen,  wie  wir 
auch  in  einigen  Theilen  Indiens  und  bei  manchen  Indianer- 
stämme u  die  gleiche  Unsitte  antreffen. 

Bei  den  Malajen  der  Philippinen  wird  der  Coitus  nach 
Caüamaque  augeblich  ganz  imgenirt.  auf  offener  Strasse  vollzogen; 
derselbe  Autor  beschuldigt  selbst  Kinder  der  Unzucht.  (Blumcntritt.) 
Auch  in  Tahiti  wurde  die  Begattung,  wie  Cooles  Reisebegleiter 
sahen,  öffentlich  vor  Aller  Augen  ausgeführt,  unter  gutem  Rath  der 
Umstehenden,  namentlich  der  Weiber,  worunter  die  Vornehmsten 
sic-h  befanden;  doch  wusste  das  betheiligte  Mädchen  (von  11  Jaliren) 
schon  allein  guten  Bescheid.  Aehnliches  erlebte  la  l'erouse  auf 
Samoa. 

Dagegen  diurften  auf  Neuseeland,  wie  Dieffenbach^  Foluk  u.  A, 
berichten,  die  Mädchen  allerdings  ihre  Gunst  schenken,  wem  sie 
wollten,  allein  sie  entzogen  sich  doch  dabei  aus  Schamhaftigkeit 
den  Blicken  der  Fremdeu,  wenigstens  dort,  wo  Europäer  noch 
nicht  hingekommen  waren.  Und  in  diesem  Punkte  uiuss  allerdings 
der  europäische  Einfluss  erst  einen  Zustand  grosser  Schamlosigkeit 
herbeigeführt  haben;  denn  auf  Tahiti  und  anderen  Inseln  waren 
früher  die  Weiber,  insbesondere  diejenigen  der  besseren  Klassen, 
wie  Jüllis,  Förster  u.  A.  bezeugen,  viel  sittenstrenger.  Die  öffent- 
liche Begattung,  die  lUderüchste  Unzucht  haben  Bougamville's^ 
Marrhaml's,  iJtwwnt  d'  Urvilles,  Laplaces  Schiffsleute  in.  den  Häfen 
einget^ihrt.     ( Wait::-Gcrland.) 

Die  Frauen  der  G  e  b  v  u  k  a  auf  der  Insel  B  u  r  u  sind  in  Folge 
der  ihnen  aufgebürdeten  Arbeiten  des  Nachts  gewöhnlich  zu  müde, 
um  den  Coitu.s  ,$icut  oportet  et  commode*   ^u  vollziehen.   Derselbe 


«bker  hä  T«frr  sarin-  Di—  u  ■iiiifilikiL  Bö  4» 
Md  Aabp«  vmi  4v  üliase-lHiii  M  4h 

■■  WaUe  «M.  Li  4^  SersBf  Im«^ 
ibI  Oer«Bff'AKiapd  toülniifct  te>  jaBi^GflU»  xm-  ^a 
^  P*leada  der  Fim  mit  «iner  S^be  aw  OpräB.  Mm 
MB  «Ü  Inqper  Zok  ia  4a  Bette  «iMr  Bi 

{BieitL^  ^^ 

lieh  nr  Enregoag  wcAbdwr  WoOnik  CAUjmiu  BmMttpl  kaS^ 
Att  load  Ponspe  (wmO.  CaroltBea)  gut  es  ab  brnnte«  weib- 
liche SdiSiihcit,  dMB  die kknwaSehanfippeaidirTerfuigexi  «erden; 
■nd  die  Verttagenm^  dewelben,  wie  £e  der  Cüton,  wurde  adM», 
vie  wir  aabra«  bei  den  kkneo  Mideben  iihwtHiffi  cneogt.  Der 
Xana  «Tr*:^^  die  WoQtuI  bcioi  Wetbe,  indem  er  mü  den  TShamt 
die  Tcrlii^i^erteB  Schamlippen  fiarf,  am  sie  lii^er  zn  zerreiv,  nnd 
etakpe  Mänser  gehen«  wie  Kitb«nf  rernchert.  so  w«n.  der  Pirna 
CW  BMek  Fiacfa  in  die  Valra  za  afaefceB,  am  daanlbe  nach  and 
mch  hemancalecken.  Solche  widertidie  and  ahacheoEefae  Expeci- 
mtBi»  werden  mit  der  Hanptfran,  mit  welcher  der  Mann  ein  Kind 
M  erxeagw  wQnscht,  so  weit  getrie(>en,  bis  dieselbe  so  nxiniren  an- 
ftngt,  and  bienraf  erst  wird  zum  Coitoa  geschritten.  (FimsdL^ 

Aut  den  Inseln  des  AarU'Arcfaipds  findet  die  BescfaneidnBg 
der  K-nnlKiti  in  der  Weise  iitatt,  das«  Omen  das  obere  Sttkk  der  Vor- 
hati'  '<mmi  wird.   I>ie«e  ganze  Operation  wird  in  der  ansge- 

sprn.     Absicht  aasgefOhrt.  der  Frao  da«  Wollos^ef^UJ  bei  der 

AiuQbmig  des  Beischlafs  zu  erhoben.  Auch  die  Se rang- Insulaner 
lassen  sich  b  fihnlicher  Weise  beschneiden,  wenn  die  Scbamhsai« 
herrorzusproÄse«  bi-ginnen,  and  zwar  auf  Andringen  der  ron  ihnen 
erwfihlk^fti  Miidch^-n,   .ut  angeant  roluptat^m  in  coitn*.  (liirdrlj) 

In  AhyNMinien  haben  ebenso  wie  an  der  Zanzibar- Küste 
die  ji'nf{t>n  MS/lchcn  Unterricht,  in  den  Kumpfbew^ungen,  welche  sie 
'/»ir  KrhilJmng  wollllstigen  Reizes  beim  Coitus  auszuführen  haben; 
die  Unkcnntniss  dieses  Muskelspiels  gilt  uuter  den  Jungfrauen  als 
ftchaivle;  hier  heigst  das  rotircnde  Hin-  imd  Herbewegen  Duk- 
I>uk.   (Sfcrhr.) 

Urii    dem  Weihe    den    Oenns«    beim    Coitus    dtirch   ein   starkes 

Reizmittel   zu   erhöhen,  durchbohren    sich  ^-iele  Dajaka  die  Glans 

ponii»  mit  einer  sUhenieti  Nadel    von   oben  nach   unten;    sie    lassen 

*' idel  MO  luiif^e  «larin,  bli  die  durcli  '     '  Stelle   als  Kanal 

ixt,  tun  dann    In  denselben    vor    >;  is   ein«>ti   Apj>srat 

rinzuhigen,  welcher  f«'xi  .sit/en   bleibt   luid  i-ini*  stark« 

iil.i'i-  ilic  fif -ililechtßlnst  der  :  .,  .;. 


Vagiiui  bewirkt,  hierdnr«)' 
in  diesen  Kanal  uiii;^ 


sind 


TeriüchitMien ; 
kt,  die  ^ 


kleine 

Auch 

nnd 


46.  Der  BeUchkt 


N 


mit  Oetfnungeu  an  beiden  Enden  versehen  sind ;  in  diese  Oefiiauügeii 
werden  vor  dem  Coitus  kleine  Bündel  von  Borsten  befestigt,  so  dass 
der  Apparat  eine  Art  kleiner  Bürsten  darstellt,  v.  Miklucko-MacUiy ' 
sagt:  ,Es  ist  wahrscheinlich,  da  diese  Operation  schmerzhaft,  j(»  ge- 
fährlich ist,  die  Folgen  derselben  aber  den  Geschlechtsgenuss,  be- 
sonders der  Frauen  erhöhen,  dass  die  Sitt«?  sammt  allen  den  Apparaten 
von  Frauen  selbst  oder  nur  für  die  Frauen  erfunden  ist.  Jeden- 
falls wird  dieser  Gebrauch  durch  die  nicht  nachlassenden  Forderungen 
der  Frauen  erhalten,  indem  die  Männer  ohne  diese  Accommodation 
zum  Festhalten  der  Reizapparate  von  den  Frauen  zurückgewiesen 
werden;  die  Leute,  die  mehrere  solcher  Perforationen  sich  gefallen 
lassen  und  mehrere  der  Instrumente  führen  können,  werden  von  den 
Frauen  besonders  gesxicht  und  geschätzt*  Der  Apparat  heisst  Am- 
pallang:  die  Frau  aber  giebt  dem  Manne  ihren  Wunsch,  dass  er 
»ich  einen  solchen  anschafie,  auf  symbolische  Webe  zu  erkennen: 
er^  findet  in  seiner  Reisschüssel  ein  zusanmiengerolltes  Sirieblatt  mit 
einer  hineingesteckten  Cigarette,  deren  Länge  das  Maass  des  ge- 
urOnschten  Ampallang  dai^edlt. 

Auch  axif  Nord-Celebes  unter  den  Alfuren  fand  Riedel  filin- 
liche,  doch  noch  complicirtere  Apparate,  die  dort  Karabiong  oder 
Kambi  hiessen.  Und  wie  man  daselbst  ausserdem  zur  Steigerung 
des  WoUustgefühls  für  die  Frau  um  die  Corona  der  Glans  den 
Augeolidrand  eines  Bockes  mit  den  Wimperhaaren  versehen  wie 
einen  borstigen  Kragen  bindet,  so  uraw^ickelt  man  auf  Java  und  bei 
den  Sundanesen  vor  dem  Coitus  den  Penis  mit  Streifen  von  Ziegenfell, 
doch  so,  dass  die  Glans  frei  bleibt.  Dergleichen  Sitten  sind  weit  ver- 
breitet. Denn  in  Hinterindien  zu  Pegu  (Bengalen)  fand  schon 
Linschotteil,  dass  Einige  am  vorderen  Theile  des  Penis  ScheUen  von 
der  Grösse  einer  welschen  Nuss  tnigen;  und  in  China  umwickeln 
Wollüstlinge  die  Corona  glandis  mit  den  abgerissenen  Fiedern  einer 
Vogelfeder,  die  beim  Coitus  bürstetiartig  sich  aufstellen  und  eine  Rei- 
bung bewirken.  Hayen  entdeckte  unter  den  Batta  in  Sumatra  ein  von 
umherziehenduu  Medicinmannern  geübtes  operatives  Verfahren,  wobei 
imfcer  die  Haut  des  Penie>,  die  eingeschnitten  wird<  Steincheu  (Persim- 
braon  genannt),  mitunter  sogar  10  Stück  derselben,  bijsweilen  auch 
dreikantige  Stückchen  von  Gold  oder  Silber  eingeschoben  werden, 
damit  sie  einheilen  und  den  Reiz  des  Coitus  für  die  Frau  erhöhen. 

Aehnlich  wird,  wie  Meyer^  mittheilt,  von  den  Malayen  auf 
Borneo  der  Penis  perforirt  und  ein  zusammengedrehter  sehr  feiner 
Messingdraht  eingeiügt,  der  an  den  Enden  bürstenartig  auseinander 
gezogen  ist.  Dos  durch  das  Bohrloch  zu  steckende  Ende  wird 
wahnicheitilich  vor  der  Einführung  in  dasselbe  zusunmiengedrückt 
mid  er*t  vor  der  Ausübung  des  Beischlafs  wieder  auseinander  ge- 
bogen. 

Nach  den  Gesetzen  Zoroaaters  soll  man  nicht  nur  vor  dem 
CoituB  gewisse  Gebete  aussprechen,  sondern  es  müssen  auch  nach  dem 
Coitus  beide  Eheleute  gemeinschaftlicli  ausrufen:   „0  Sajiondomaäf 

I 


de«  Weibe«  in 


icb  vertraue  Dir  diesen  Samen  an,  erhalte  mir  denselben,  denn  er 
ist  ein  Mensch!" 

Ebenso  müssen  Mann  xmd  Frau  im  Seranglao-  und  Gorong- 
Archipel  vor  dem  Beischlaf  ein  Gebet  sprechen. 

Bei  einzelnen  Völkern,  z.B.  den  Kal'fern,  ist  der  Brauch  des 
Probe-Coitus  vor  der  Verheirathung  eingeführt,  doch  muss  der 
junge  Mann  sich  dabei  htiten,  eine  Schwängerung  herbeizuführen, 
da  ihn  dieselbe  verpflichten  wi\rde,  das  Mädchen  als  Weib  zu  be- 
halten. Deshalb  befriedigt  er  seine  Geschlechtslust  zwischen  ihren 
Schenkeln, 

Als  der  Herausgeber  rm  Jahre  1804  einige  Zeit  unter  den 
Masuren  in  Ost-Preussen  lebt«,  wurde  ihm  mitgetheilt,  dass  bei 
der  Landbevölkerung  das  sogenannte  Probejahr  ganz  gebräuchlich 
wäre.  Beabsichtigen  ein  Paar  junge  Leute  sich  zu  heirathen.  so 
verkehren  sie  ein  Jahr  geschlechtlich  mit  einander.  Tritt  während 
dieses  Zeitraumes  eine  Schwängerung  ein,  dann  wird  die  Ehe  ge- 
schlossen, bleibt  die  Befruchtmig  aber  aus,  dann  geht  das  Paar 
wieder  auseinander,  da  sie  dann  nicht  für  einander  geschaffen  sind. 

Bei  anderen  Völkern  hingegen  ist  die  eheliche  Beiwohnung  in 
der  Brautjiacht  durch  die  Sitte  verpönt.  Bei  den  Esthen  darf  in 
der  Hochzeitsnacht  weder  die  fleischliche  Vermischung  noch  auch 
sonst  etwas  darauf  Hinzielendes  stattfinden.  In  einigen  Gegenden 
Esthlands  hütet  man  sich  sogar,  dass  der  Mann  selbst  den  Busen 
seiner  PVau  berühre,  weil  sonst  beim  späteren  Stillen  Milchknoten, 
Entzündung  und  A  bscesse  der  Brustdrüse  folgen   würden.   (KreheL) 

Auf  den  Keei-lnseln  in  dem  Band a- Archipel  dürfen  die  Jnng- 
vermählten  erst  nach  Verlauf  dreier  Nächte  den  Beischlaf  ausüben, 
und  um  sie  mit  Sicherheit  vor  einer  Uebertretung  dieses  Gebot«» 
zu  schützen,  muss  in  den  ersten  drei  Nächten  ihrer  Ehe  eine  alte 
Frau  oder  ein  junges  Kind  zwischen  ihnen  schlafen.  Was  ist  der 
Grund  für  eine  so  merkwürdige  Sitt«,  die  wir  bei  zwei  weit  von 
«inander  wolmenden  und  nach  Rasse  und  Lebensverhältnissen  gänz- 
lich verschiedenen  Volksstämmen  antreÖen?  Sollte  es  nicht  ein  un- 
bewusster  Nachklang  jener  Gebräuche  sein,  welche  wir  oben  kennen 
lernten,  dass  nämlich  die  erste  Nacht  nicht  Aem  Gatten  gehört, 
sondern  der  Gottheit  dargebracht  werden  muss? 

Die  ausgebreitetste  Volkssitte  aber  verbietet  die  Ausübung  des 
Coitus  Überhaupt  bei  allen  Zustanden  des  Weibes,  welche  als  regel- 
mässige sexuell-physiologische  Fvmctionen  auftreten:  bei  der  Men- 
struation, während  der  Schwangerschaft  und  während  des  Säu- 
gens. Die  strenge  Befolgung  dieses  Brauches,  welchen  bei  den  Natur- 
völkern nur  die  Tradition,  nicht  (wie  bei  eiuigen  halbcivilisirten 
Nationen)  die  Religion  oder  das  Gesetz  vorschreiben,  die  grosse  Aus- 
breitung desselben  in  den  verschiedenen  Contiuenten  und  die  lange 
Zurückhaltung,  welche  bei  dem  oft  melirere  Jahre  dauernden  Süuj^hm 
der  Ehefrau  der  Mann  beobachten  muss,  sind  ohne  Zweifel  «fhr 
bemerkerswerthe    Züge    im    Völkerleben,    die    wohl    als    primitiv 


46.  Der  Beischlaf. 


313 


diätetische  Maa.ssregeln  Hufgefasst  werden  müssen.  Wir  können  die 
Völker  recht  passend  in  zwei  Gruppen  scheiden:  in  solche,  welchen 
nur  der  Brauch,  and  in  diejenigen,  welchen  religiöse  Vorschriiten 
die  £nthsilt.sanikeit  auferlegen. 

Unter  manchen  Völkern  herrscht  der  Glaube,  dass  der  Coitus 
»nnrein*  mache.  ,So  oft  ein  Babylonier,'  sagt  Herodot,  .seiner 
Frau  beigewolint  hat,  zlindet  er  VVeihraach  an  und  setzt  sich  da- 
neben, welches  die  Frau  gleichfalls  thut.  Bei  Tagesanbruch  baden 
sich  dann  beide,  denn  ungewaschen  rührt  bei  ihnen  keiner  etwas 
an.  Beides  findet  man  auch  bei  den  Arabern."  Hiermit  kommt 
eine  hygieinische  Volkssitte  zum  Vorschein,  die  zum  Cult  wird. 

Da  nun  der  alte  Geschichtsschreiber  Herodot,  der  im  5.  Jahrh. 
vor  Chr.  schrieb,  hier  schon  die  Araber  und  Babylonier,  zwei 
jmitische  Völker,  als  solche  erwähnt,  bei  welchen  die  Sitte  ein 
Bonderes  Reinigungsverfahren  nach  jedem  Coitus  erforderte,  so 
scheint  es,  als  ob  die  Religionsgesetzgeber  unter  ihnen  den  Brauch 
als  einen  solchen  betrachteten,  der  geboten  und  geheiligt  werden 
mQsse.  Ebenso  war  der  Coitus  bei  den  M  e  d  e  r  n  ,  B  a  k  t  r  e  r  n  und 
Persern  sowohl  in  der  Menstruation«-,  wie  in  der  Säugungs-Periode 
durch  religiöse  und  gesetzliche  Vorschriften  streng  untersagt; 
200  Ruthenstreiche  oder  die  Zahlung  von  200  Decems  waren  die 
Strafe  dessen,  welcher  gegen  das  Verbot  sündigte. 

Schon  unter  den  alten  Juden  der  Bibel  verunreinigte  jeder  Act 
ehelicher  Beiwohnung  beide  Theile  bis  an  den  Abend  (8.  Moses  15,  18); 
beide  Theile,  der  Mann  und  die  Frau,  mussten  sich  hinterher  baden. 
Sobald  aber  bei  den  Juden  der  Coitus  während  der  Menstruation 
vollzogen  wurde,  so  hatten  (3.  Moses  20,  18)  beide  Theile  das  Leben 
verwirkt. 

Mohammed  verbot  im  Koran  den  Ehemännern,  ihren  Frauen 
während  der  Menses  beizuwohnen,  sie  sogar  zu  berühren  an  den 
Theilen  unter  den  Kleidern  vom  Gürtel  bis  zu  den  Knien;  nur  die 
Theile,  welche  höher  liegen,  sind  zu  berühren  gestattet.  Dieses  Verbot 
währte  bis  zum  Aufhören  der  Regel,  denn  Gott  hat  befohlen: 
, Bleibt  fem  von  Euren  Frauen,  bis  sie  sich  mit  Wasser  gereinigt 
haben.'  {Bertherand.)  Nach  den  religiösen  Geboten  der  Mohamme- 
daner (Si  khelil)  ist  der  Ehemann  nur  dann  verhindert,  seiner 
Frau  beizuwohnen,  wenn  sie  krank,  menstruirt  oder  im  Wochenbett 
ist;  heirathet  er  eine  Jimgfrau,  so  soll  er  ihr  sieben  aufeinander 
folgende  Nächte  sich  widmen ;  nimmt  er  eine  neue,  nicht  mehr  jung- 
fräuliche Gattin,  so  ist  er  ihr  nur  drei  aufeinander  folgende  Nächte 
schuldig.  Der  Gatte  kann  mit  einer  seiner  Frauen  in  der  Reihe 
seiner  Besuche  häutiger  zusammenkommen,  sobald  die  andere  Frau 
zustimmt,  dass  sie  übergangen  wird,  sei  es  freiwillig  oder  nicht; 
fttif  der  anderen  Seite  kann  eine  Frau  ihrer  Gefährtin  ihre  eigene 
Reih«  der  Gatten-Besuche  abtreten. 

Wenn  nun  andererseits  die  Mohammedaner  nach  dem  Koran 
verbunden   sind,   der  Frau   regelmässig   wöchentlich   einmal    beizu- 


JerEmtnlt  des  Weibes  in 


wohueu,  dasselbe  Gesetz  aber  auch  es  den  Eheleuten  verbietet, 
während  der  ganzen  Zeit  der  Schwangerschaft  luid  des  Nährens, 
wahrend  des  Monatsflusses,  sowie  acht  Tage  vor  und  nach  dieser 
Zeit,  endlich  während  der  dreissigtagigen  Fasten  im  Monat  Kamasan 
einander  beizuwohnen,  so  mochten,  wie  Oppenheim  hervorhebt,  dem 
streng  an  das  Gebot  sich  haltenden  Muselmann  selbst  bei  seinen 
vier  Weibern  die  uns  nach  Luther's  Ausspruch  erlaubten  honderfc- 
undvier  Umarmungen  im  Jahr  nicht  eiimial  zu  Gtite  kommen. 

Aber  Überhaupt  fkst  alle  Völker  enthalten  sich  der  Frau  wahrend 
der  Menstruation,  die,  wie  wir  ja  bereits  oben  gesehen  haben,  die 
Frau  in  hohem  Grade  unrein  macht. 

In  Abysainien  darf  Sonnabends  kein  ehelicher  Coitus  statt- 
finden. 

Zoroasfer  .schrieb  vor,  dass  ein  Gatte  seiner  Frau  einmal  binnen 
neun  Tagen  beiwohne;  Sohn  setzte  das  Minimum  auf  «Ireimal  des 
Monats  fest;  Mohammed  erklärte  es  für  einen  Ehescheidungs- 
grund,  wenn  der  Mann  nicht  wenigstens  das  eine  Mal  in  der 
Woche  seine  Pflicht  erfüllte. 

Bei  den  Drusen  ist  es  dem  Ehemann  nicht  gestattet,  mehr 
als  einmal  in  jedem  Monat  seiner  Frau  nach  ihrer  Reinigung  bei- 
zuwohnen; und  wenn  der  Monat  vorübergegangen  ifit,  ohne  dass 
sie  die  Menstruation  gehabt  hat,  so  nähert  er  sich  ihr  nicht;  denn 
er  darf  den  Bei.schlaf  während  der  Schwangerschaft  nicht  vollziehen; 
ebenso  wenig  darf  er  sie  während  der  zwei  Jahre  berühren,  wo  sie 
stillt.  {Pctermatin.) 

Das  Enthalten  des  geschlechtlichen  Umganges  ist  bei  den  Wa- 
kamba  und  Wakikuyu  in  Ostafrika  geboten:  so  lange  das  Vieh 
sich  auf  der  Weide  befindet,  also  tagsüber  vom  Austreiben  am 
Morgen  bis  zum  Eintreiben  am  Abend.  Femer  gehen  bei  diesen 
Völkern  die  Männer  nicht  zum  Weibe,  so  lange  .sie  sich  auf  einer 
Reise  befinden,  selbst  nicht  zu  ihrem  eigenen,  wenn  es  sich  in  der 
Carawane  befinden  sollte.  Als  Trauer  beim  Tode  eines  Verwandten 
oder  Häuptlings  sind  die  Wanika  gehalten,  drei  Tage  lang  nicht 
zum  Weibe  zu  gehen. 

Dagegen  ist  der  Beischlaf  bei  den  Wakamba  geboten,  wenn 
eine  Wittwe  heirathen  will:  dann  muss  ein  fremder  Manu  —  z.  B. 
M'swaheli  oder  M'kamba  aus  anderer  Gegend  —  vorher  mit  ihr 
einmal  Umg^mg  gehabt  haben.  Dieser  Mann  erhält  zum  Lohn 
einen  Oclisen. 

Eine  sonderbare  Vorstellong  von  der  sympathischen  Wir- 
kung des  Zeugur)g.<age8chäftes  auf  Pflanzenwuchs  findet  sich  b«t 
manchen    Natur  so  pflegt  der  Javane  Nachts   mit  seiner 

Frau    in   den    1.  n   der    Vcniuf  zu   opfern,   um   seine   Reis- 

pflanziingen  durch  sein  Beispie)  zu  vermehrter  Fruchtbarkeit  Mutu* 
regen,  {rar  ■'"■  "--  -^  •>.,...  .u..  »»,....  v;..v,'ohner  der  Mohikken 
in  üjreu  H  iit,  (mn  IlocuvtU.) 


47.  Die  SteHnDg  hei  dem  Coitos. 


31  r, 


Wir  mtlsseti  hier  einer  eigentliflmlichen  Sitte  Ewähnung  thun, 
welche,  wenn  auch  nicht  ein  Coitus  in  dfin  gewöhnlichen  Sinne, 
doch  etwas  in  das  Gebiet  der  innigen  Verbindung  der  beiden  Ge- 
st-hlecht<ir  Gehöriges  ist.  Es  wurde  oben  bereits  erwähnt,  dass  sich 
die  herangewachsenen  Knaben  der  Serang- Insulaner  auf  das  An- 
dringen ihrer  Freundinnen  nach  nialayischer  Art  beschneiden  lassen. 
Direct  nach  dieser  Operation  eilt  der  Jüngling  zu  seinem  Mäd- 
chen: penis  vTikieratus  ut  sanetnr  in  ejus  vulvani  immittitur,  und 
▼erbleibt  zwei  Tage  in  dieser  Position.  Quando  penis,  qiiia  prae- 
putiuni  nimis  praecisum,  non  facile  in  puellae  vaginam  immitti  poiest, 
amicain,  quae  jam  peperit,  illa  rogat,  ut  locutn  suum  suppleat,  donec 
desinierit  sanguis  effluvium.  Dieser  Dienst  darf"  von  der  Frau  nicht 
verweigert  werden.  {Riedel }) 


47.  Die  Stellung  bei  dem  Coitas. 

Es  mag  wohl  sonderl)ar  erscheinen,  wenn  wir  der  Lage  und 
Stellung,  in  welcher  der  Beischlaf  ausgeübt  wird,  eine 
besondere  Betrachtung  widmen. 

Es  ist  keineswegs  die  Absicht,  nach  der  Art  des  Pietro  Are- 
Uno  alle  solche  Stellungen  zu  durchmustern,  welche  raffinirte  Sinn- 
lichkeit und  WoUuat  auszudenken  vermochte,  sondern  nur  diejenigen 
Positionen  verdienen  unser  Interesse,  welche  von  bestimmten  Völkern 
gewohnheitsgemäss  und  der  Regel  nach  ausgeführt  werden,  aber 
von  der  uns  als  gewöhnlich  geltenden  Art.  abweichen.  Nicht  das 
erotische,  .«sondern  das  ethnographisch -anthropologische  Interesse 
ist  es  also,  welches  uns  diese  Angelegenheit  hier  zu  erörtern  ver- 
isst.  Denn  wir  müssen  der  Sache  schon  deshalb  unsere  Aui- 
rksamkeit  zuwenden,  weil  in  Folge  der  wahrgenommeneu  Ditte- 
renzen  die  Frage  aufgeworfen  werden  muss,  wenn  sie  auch  heute 
noch  nicht  detiiiitiv- beantwortet  werden  kann,  welche  Ursachen  und 
Be<lingungen  denn  hier  eigentlich  im  Spiele  sind,  ob  etwa  nur 
die  Nachahmung  des  Gebahrens  gewi.sser  Thiere,  oder  ob  besondere 
Abweichungen  von  der  Köq)erbildung  der  übrigen  Menschenrassen 
als  der  Grund  hierfür  angesehen  werden  müssen. 

Dans  der  Mensch,  wie  zu  allen  physiologischen  Functionen,  so 
auch  zu  den  sexuellen,  eine  solche  Stellung  und  Lage  wählt,  in 
welcher  ihm  das  Geschäft  am  leichtesten  und  bequemsten,  hier  auch 
am  genussreicLsten  vor  sich  zu  gehen  scheint,  ist  leicht  begreiflich. 
Doch  auch  hier  wird  der  Mensch  bestimmt  nicht  lediglich  von  den 
aus  der  Erfahrung  gewonnenen  Gewohnheiten,  sondern  in  bevor- 
zugtem Grade  von  Vorstellungen  beherrscht,  welche  sich  in  undenk- 
lichen Vorzeiten  vielleicht  zutiiichst  Einzelnen  im  Volke  aufdräng- 
ten und  die  den    anderen   Stammes-  und  Volksgenossen   als   nach- 


316 


XI.  Der  Eintritt  dw  Weibes  m  das  GescWechtsleben. 


ahmungswerth  erschienen,  hiermit  aber  zur  nationalen  und  traditio- 
nell fortgettihrten  Sitte  wurden. 

Solche  Betrachtungen  drängen  sich  uns  auch  bezüglich  de« 
Coitus  auf;  wir  können  vorläufig  nur  sagen,  Aaas  der  Mensch  wohl 
zumeist  die  gegenseitige  Lage  wählen  wird,  in  der  die  Fruu,  wie 
es  gewöhnlich  bei  uns  und  gewiss  auch  bei  den  meisten  anderen  Vül- 
kem  geschieht,  in  Rückenlage  mit  erhobenen  Schenkeln  verharrt,  wäh- 
rend der  jMann  zwischen  den  Schenkeln  kniet  und  sich  mit  Haad 
und  Ellenbogen  während  der  Umarmung  stdtzt.  Neben  dieser  viel- 
leicht als  Normalstellung  zu  bezeichnenden  Form  des  geschlecht- 
lichen Verkehrs  sind  gleichsam  ausnahmsweise  bei  den  Völkern 
einzelne  smdere  Stellungen  gebräuchlich. 

Bei  den  Bafiote-Negern  an  der  Loango-Küste  wird  die 
BeiwohnuQg  liegend  von  der  Seite  ausgeftihrt.  Besondere  Gründe 
hieri'iir  konnte  Fcdinel-Loesche  nicht  in.  Erfahrung  bringen ;  es  Hesse 
sich  vielleicht,  wie  er  sagt,  die  Grösse  des  Penis  als  Ursache  hier- 
für anltiliren.  Jedoch  haben,  wie  wir  sehen  werden,  auch  andere 
Völker  einen  ähnlichen  Gebrauch,  obgleich  ihr  Penis  die  gewöhn- 
lichen Dimensionen  nicht  Obersclireitet. 

Unter  den  anatomischen  Handzeichnungen  des  Leonardo  da 
Vinci  hat  sich  ein  sehr  interessantes  Blatt  erhalten,  welches  die 
Bogen.  Vains  ohventa  als  die  dem  Bau  der  menschlichen  Geschlechts- 
theile  entsprechendste  darstellt.  Der  alte  Blmnenhach  sagt  darüber : 
„Besonders  lehrreich  ist  eine  Zeichnung,  wo  ein  männlicher  und  ein 
weiblicher  Körper  zusammen  in  copula,  den  Vorderleib  gegen  ein- 
ander gekehrt,  und  beide  von  hinten  nach  vom  (in  sagittaler  Rich- 
tung, wie  wir  heute  sagen),  näjnlich  vom  Rückgrat  bis  7Ami  Brust- 
bein und  der  Synchoiidrose  der  Schambeine  durchschnitten,  nm  die 
Richtung  der  männlichen  Rutlie  zu  der  Axe  der  weiblichen  Scheide 
zu  zeigen,  und  die  natürlichen  Bestimmungen  zur  Venus  obversa 
zu  erweisen,  dargestellt  werden." 

Allein  es  haben  sich  vielleicht  ursprlmglich  bei  einzelnen  Völ- 
kern ganz  andere  bevorzugte  Stellungen  heimisch  gemacht,  witi  wir 
sogleich  zeigen  werden.  Dass  allerdings  unsere  Normal  Stellung 
schon  in  den  ältesten  Zeiten  und  bei  den  verschiedensten  Völkern 
die  herrschende  war,  geht  aus  vielen  Zeugnissen  hervor.  Bei.spiels- 
weise  befinden  sich  unter  den  Peruanischen  Alterthümern, 
welche  das  Leipziger  Museiuu  für  Völkerkrmde  besitzt,  zwei  ganz 
gleiche  Doppelvasen,  die  plastisch  ein  den  Coitus  ausübendes  Paar 
darstellen,  wobei  die  Frau  auf  dem  Rücken  liegt,  wäh- 
rend der  Mann  sich  mit  ihr  Brust  an  Brust  befindet,  so  dass  er^H 
mit  seinem  Munde  das  Kiim  der  Frau  berührt  Auf  dem  Rücken  ^| 
der  männlichen  Figur  befindet  sich  die  Oeffnuug  des  Gefnases,  aas 
der  man  trinken  kann. 

Dagegen  besitzt  das  Berliner  Museum  Itir  Völkerkunde  ebf 
falls   eine   altperuanische  Unie  (aV/ar«rfo-Sarauilung) ,    auf 
D»>ckel  eine  Fruu  in  der  Knie-Ellenbogeulagi'  gelagert  iat  i;; 


47.  Die  SteUnng  het  dem  Coitns. 


317 


nach  eineiD  karzbeinigen  Manne  umsieht,  der  hinter  ihr  stehend 
nnd  seine  Hände  auf  ihre  Hüften  legend,  soeben  mit  der  Immissio 
penis  beschäftigt  ist.  Da  wir  hier  aus  dem  gleiclien  Lande  xwei 
verschiedene  Darstelhingen  kennen  lernen,  so  können  wir  weder  die 
eine  noch  die  andere  als  den  Ausdruck  der  damals  herrschenden 
Sitte  ansehen. 

Es  ist  überhaupt  nicht  leicht  zu  sagen,  welchen  Grad  von  Be- 
weiskraft man  solchen  bildlichen  Darstellungen  beizulegen  berechtigt 
ist.  Das  Museum  fiir  Volkerkimde  in  Berlin  besitzt  eine  in  Holz 
geschnitzte  Gruppe  aus  dem  Ben ue -Gebiete  in  Westafrika, 
wo  das  Paar  in  der  gewöhnlichen  Stellung,  die  Frau  in  vollstän- 
diger Rückenlage,  der  Mann  auf  ihr  liegend  gebildet  ist.  Eine  in 
derselben  Sammlung  befindliche  figurenreiche  Gruppe  in  Messing 
von  der  westafrikanischen  Sclavenküste  zeigt  zweimal 
die  Frau  in  der  Riickeulage  mit  gespreizten  Beinen,  hochgezogenen 
Knien  imd  fast  wagerecht  gehaltenen  Unterschenkeln,  wälirend  der 
Mann  in  beiden  Fällen  in  aufrechter  Stellung,  aber  mit  gebeugten 
Knien  seinen  Unterkörper  der  Erde  nähernd  die  Immissio  penis 
vollzieht.  Auf  den  berühmten  prähistorischen  Felsenzeichnungen  bei 
Bohu-slaen  in  Schonen  finden  sich  nach  den  von  Bruuius 
gegebenen  Nachbildungen  zwei  Paare,  welche  die  Gohabitirnng  im 
Stehen  ausführen. 

Der  Coitus  wird,  wie  ee  scheint,  bei  der  Mehrzahl  der  Natur- 
völker in  der  Rückenlage  der  Frau  vollzogen;  wenigstens  würde  wohl, 
wenn  dies  nicht  der  Fall  wäre,  häufiger  von  Reisenden  und  Beob- 
achtern das  Vorkommen  einer  anderen  Stellung  erwähnt  werden. 
Von  den  Feuerländern,  welche  1881  in  Europa  preducirt  wur- 
den, wurde  nach  Angabe  ihrer  Führer  der  Coitus  ,ab  anteriore* 
vollzogen  (f.  hischoff^)  ■  hiermit  ist  freilich  nicht  ausgeschlossen, 
dass  nicht  auch  andere  Stellungen  ausnahmsweise  gewählt  werden, 

Theils  in  der  hier  beschriebenen  , natürlichen"  Lage,  theils 
aber  auch  so,  dass  der  Mann  liegt,  während  die  Frau  oben  ist  und 
gleichsam  auf  ihm  hegt,  wird  bei  den  Szuaheli  in  Zanzihar 
(Ostafrika)  nach  den  mir  von  Kersten  mündlich  gemachten  Mit- 
theilungen der  Coitus  ausgeübt;  dabei  macht  die  Frau  eine  eigen- 
thümliche  mahlende  Bewegimg  mit  dem  Leibe,  Digitischa  genannt, 
welche  jedenfalls  zur  Erhöhung  des  Genusses  für  den  Mann  dienen 
soll.  Diese  Bewegungen  werden  den  Mädchen  von  alten  Weibern 
gelelirt,  bei  welchen  sie  vierzig  Tage  lang  in  die  Schule  gehen. 
Es  ist  dort  beleidigend,  wenn  man  einer  Frau  sagt,  dass  sie  nicht 
Digiti»cha  machen  könne.  Aehnliches  findet  in  Niederländisch- 
indien statt. 

In  Ostafrika  scheinen  noch  andere  Manieren  beliebt  zu  sein. 
In  Abyssiuien  wird  der  Coitus  auf  zweifache  Art  vollzogen: 
zumei.*it  in  der  halben  Seitenlage,  dann  aber  auch  so,  das.^  die  Frau 
sich  iu  der  Rückeiil  '  ludet,  währt'iid  der  Mann  die  Beine  der- 
•elbeu  über  seine  ^  i  nimmt.  ySt(>cker.) 


Bei  den  Sudanesen  wird  der  Coitus,  wie  mir  Btehnt  init- 
theilte,  in  ganz  eigeuthiimlicher  Weise  vollzogen,  denn  er  findet 
nicht  bloss  im  Liegen,  sondern  auch  im  Stehen  statt,  indem  dabei 
das  Weib  sich  nach  vom  beugt,  die  Hände  auf  die  Knie  stemmt, 
den  Hinteni  nach  liinten  hinausstreckt,  während  der  Mann  den 
Coitus  von  hinten  ausübt. 

In  Italien  mag  früher  Aehnliches  vorgekommen  sein.  Freshun^ 
welcher  die  Wandgemälde  l'ompeji's  genau  studirte,  viele  der- 
selben copiren  liess  und  publicirte,  hat  die  Beobachtung  gemacht, 
daas  auf  diesen  Bildern  stets  dort,  wo  zwischen  einem  Paare  der 
Coitus  zur  Darstellung  kommt,  das  Paar  die  Stellung  wie  bei  sol- 
chen Tloieren  einnimmt,  bei  denen  das  Weibchen  nach  vorn  vor- 
gebeugt ist  und  das  Männchen  demselben  von  hinten  beikommt. 
Freshun  sprach  gegen  mich  die  Vermuthung  aus,  dass  diese  Stel- 
lung vielleicht  zu  jener  Zeit  im  südlichen  Italien  sehr  häufig  war. 

Wir  dürfen  aber  nicht  ausser  Acht  lassen,  dass  raffinirte  Wol- 
lust im  damaligen  römischen  Reiche  sehr  verbreitet  war,  und  der 
Herausgeber  konnte  sich  an  Ort  und  Stelle  überzeugen,  dass  die 
Wandgemälde  Pompeji *s  auch  noch  andere  höchst  unnatürliche 
Positionen    für    die  Ausübung  des  Coitus   zur  Darstellung  bringen. 

Doch  auch  hoch  im  Norden  giebt  es  ein  V^olk,  bei  dem  der 
Manu  sich  der  Frau  gleichfalls  von  hinten  nähert.  Nach  Hcssela 
vollzieht  der  Inuit  (Eskimo)  des  Smith-Sunds  mit  besonderer 
Vorhebe  den  Beischlaf  nach  .Art  der  Vierfüsser;  nach  mUndlicher 
Mittheilung  eines  Fremides  eriulir  Bessels,  dass  dies  auch  bei  den 
Koüjagen  der  Fall  ist. 

Ein  anderer  Gebrauch  besteht  in  der  Seiten  läge:  Von  den 
Kamtschadalen  sagt  Steiler:  ,Bei  ihnen  heisst  es,  wer  den  Con- 
cubitus  verrichtet  dergestalt,  dass  er  oben  aufliegt,  begehe  eine 
grosse  Sünde.  Ein  rechtgläubiger  Itälmene  muss  ea  von  der  Seite 
verrichten,  aus  Ursache,  weil  es  die  Fische  auch  so  machen,  von 
denen  sie  ihre  meiste  Nahrung  haben.*  Hier  wird  also  doch  ein 
Gnmd  angefülirt:  es  ist  die  Nachahmung  der  Thiere,  welche  als 
Modell  oder  Vorbild  dienen.  —  Auch  die  Tschuktschen  und  die 
Namollos  haben  den  gleichen  Gebraoch. 

Sehr  wechsehid  sind  die  Gewohnheiten  in  dieser  Bezielumg  bei 
den  Einwohnern  der  verschiedenen  Inseln  des  alfurischen  Archipel«. 
Die  Buru-Inüulauer  führen  den  Coitus  imter  Bäumen  aus,  wobei 
die  Frau  dit*  Rückenlage  einnipimt.  Axich  die  Bewohner  von  Se- 
ra ng  cohabitiren  im  Walde,  jedoch  wird  die  Angelegenhesit  im 
Stehen  abgemacht.  Auf  den  Keei- Inseln  wird  im  Sitzen  cohabi- 
tirt,  {RiedeU)  Auch  auf  den  Aaru- Inseln  wird  von  einigen  Stäm- 
men der  Coitus  in  hockender  Stellung  vollzogen,  wie  bei  den  Ma- 
rege  in  Nord-Queensland  oder  bei  den  Orang-Utang  und 
anderen  Afl'euarten.  {liicdel,'^) 

Der  Beischlaf  wird  nacli  dem  Bericht  des  Missionär  Ketnpe 
bei  den  centralaustralischen  Schwarzen  am  Fiuke-Creek  lie- 


47.  Die  Stellung-  bei  dem  Cottas. 


810 


gend  vollzogea ;  diese  Beobachtung  bezieht  sich  auf  die  Umgebung 
der  Missionsstation  Hermannsborg  nahe  der  Mac-Donnell- 
Kette. 

Bei  den  Australierinnen  am  Vincent-Golf  (bei  Adelaide) 
sollen  nach  Kühler  die  Schamtheile  etwas  mehr  als  bei  anderen 
Völkern  zuröckstehen,  daher  die  Männer,  »was  übrigens  bei  den 
meisten  Australiern  Sitte  ist",  die  Begattung  von  hinten  voll- 
ziehen. Dagegen  sind  in  einigen  Gegenden  Australiens  unter 
den  Stämmen  besondere  Stellungen  beliebt.  Eine  Coitus-Stellung, 
welche  sich  gänzlich  vou  der  anderer  Völker  unterscheidet,  ist  in 
Westaustralien  gebräuchlich;  Fletcher  Moore,  berichtet,  dass 
sie  dort  mit  dem  Worte  Mu-yang  bezeichnet  wird.  Die  Weise 
ihrer  Begattung  ist  sitzend,  Gesicht  gegen  Gesicht.  Auch  ver- 
sichert« mir  Oberländer,  der  sich  in  Australien  längere  Zeit  auf- 
hielt, dass  sich  dort  die  Paare  im  Sitzen  auf  der  Erde  hockend 
Brust  an  Brust  bei  eigenthümlicher  Verschränkuug  der  Beine  um- 
fassen. Obgleich  ich  mit  ihm  die  Situation  ausführlich  besprach, 
so  blieb  es  doch  räthselhaft,  wie  sie  praktisch  ausführbar  sei,  bis 
hierüber  t\  Miklucho-Maclay^  genauere  Erkundigungen  eingezogen 
hat.  Die  Eingeborenen  entblöden  sich  nicht,  die  Begattung  vor 
Zuschauern  am  hellen  Tage  vorzunehmen,  wenn  mau  ihnen  ein 
Glas  Gin  verspricht.  Dabei  nehmen  sie  die  hockende  Stellung 
ein  in  einer  von  MikluctM-JUaday*  bildlich  dargestellten  Weise. 
Die  Frau  befindet  sich  zunächst  in  Rückenlage,  der  Mann  hockt 
zwischen  ihren  Schenkeln  nieder  und  zieht  die  noch  immer  liegende 
Fniu  an  sich,  bis  die  Geschlechtstlieile  aneinander  treffen.  Zuweilen 
wird  der  Coitus  in  dieser  Stellmig,  der  Mann  hockend,  die  Frau 
liegend,  zum  Abschluss  gebracht;  in  den  meisten  Fällen  aber 
ist  dieselbe  nur  die  Präliminar -Stellung  für  ein  weiteres  Ver- 
fahren^ indem  der  im  Niederhocken  verharrende  Mann,  den  Ober- 
körper der  Frau  vom  Boden  erhebend  und  an  den  sein^en  heran- 
ziehend, Brust  au  Brust  in  engster  Umschlingung  den  Begattimgs- 
act  vollzieht. 

Ein  zuverlässiger  junger  Mann,  Morton,  berichtete  als  Augen- 
zeuge Weiteres :  Eines  Abends,  als  er  sich  in  der  Nähe  eines  Camps 
von  Eingeborenen  befand,  fiel  es  ihm  ein,  einen  Eingeborenen,  der 
xin\  ein  Gläschen  Gin  bettelte,  aufzufordern,  vor  ihm  den  Coitus 
auszuüben.  Der  Eingeborene  entfernte  sich  willig,  um  ein  Weib 
zu  rufen,  welches  auch  bald  darauf  erschien.  Ohne  irgend  weicht? 
Zeichen  von  Verlegenheit  zu  äussern,  nur  mit  dem  Gedanken,  sein 
Gläschen  Gin  rasch  zu  verdienen,  machte  sich  der  Mann  an  diib 
Weib,  wobei  das  Paar  tlie  vorstehend  erwähnte  Positur  auiuiliui, 
Die  Operation  in  dieser  Stellung  ging  nach  der  Meinung  «les  Mann«-* 

[iiicht   rasch   genug   von    Statten,    weshalb   er  mit  der  liemerkuni/. 
,ßo  dauert  es  zu  lange,  werde  es  auf  die  englische  Manier  ( «n>. 

[fushion)  versuchen,*   da"  Weib  axif  den  Rücken  sidi   zu  lug«»    n" 
ligte  uud  >el)H'r,   auch  liegend,   den  Coitus   zu  Ende  bracni»*     Ut 


in  das  Gesohlechtste 


Folge  von  Erzälilung  von  anderen  erfahrenen  Weissen  war  die  Auf- 
merksamkeit Mortons  nach  dem  Coitus  auf  das  Weib  gerichtet. 
Er  bemerkte  daher  Folgendes:  Nachdem  der  Mann  aufgestanden 
war  und  nach  dem  Gläschen  Gin  langte,  richtete  sich  auch  die 
Frau  auf,  stellte  die  Beine  auseinander  und  mit  einer  schlängelnden 
Bewegung  des  ISlittelkörpers  warf  sie  mit  einem  krüftigen  Ruck 
nach  vorne  ein  Convolut  von  weisslichem  Schleim  (Sperma?)  auf 
den  Boden,  wonach  sie  sich  entfernte.  Uiese  Art,  sich  des  Sperma 
zu  entledigen,  welche  sogar  eine  bestimmte  Benennung  im  Dialect 
der  Eingeborenen  aufweisen  soll,  wird,  nach  den  Aussagen  der 
weissen  Ansiedler  Nordaustraliens,  von  den  eingeborenen 
Weibern  nach  dem  Coitus  gewöhnlich  ausgeübt,  mit  der  Absicht, 
keine  weiteren  Folgen  des  Zusammenseins  mit  einem  weissen  Manne 
durchzumachen.  Wir  müssen  freilich  die  Vermuthung  aussprechen, 
dass  solche  Schau.stellungen  die  Bevölkerung  noch  mehr  zu  cor- 
rumpiren  im  Stande  sind,  als  sie  es  schon  in  der  Berührung  mit 
dem  Auswurf  der  weissen  Kasse  geworden  ist. 


i 


48.  Mastarbation  und  Tribadie  und  die  Unzucht  mit  Ttiieren. 


Man  hat  oft  die  Meinung  ausgesprochen,  dass  die  Ueberfeinerung 
der  Cultur  erst  jene  Sitten  erzeugt  habe,  die  sich  als  Befriedigung 
des  Sinnenreizes  durch  aussergeschlechtliche  Reizmittel  darstellen. 
Sie  sind  jedoch  nicht  erst  mit  Ausartung  der  Civilisation  in  die 
Welt  gekommen.  Vielmehr  fiel  auch  manches  Volk,  das  in  schein- 
bar idyllischem,  offenbar  aber  sehr  rohem  Naturzustande  lebte,  einem 
höchst  unzüchtigen  Gebahren  anheiui.  Wir  fanden  schon  oben  Ge- 
legenheit, auf  einige  künstliche  Ge.staltveränderungen  der  weiblichen 
Geschlechtstheile  hinzuweisen,  die  offenbar  mit  der  schon  bei  jungen 
Mädchen  erregten  Sinnenlust  zusammenhangen.  Die  Kinder  der 
Wilden  denken  sich  dabei  gewiss  nichts  Schlimmes.  Letonnieuu 
sagt  mit  Recht:  ,Les  ecarts  genesiques  sont  anormaui,  mais,  ä  vrai 
dire,  ne  sont  pas  contre  nature.  puisqu'on  les  observe  chez  uombre 
d'animaux.  *• 

In  der  That  müssen  wir  in  der  Masturbation  und  den  «Imlichen 
geschlechtlichen  Reizungen  einen  allgemein  thierischen  Trieb  ent- 
decken, und  es  braucht  hierbei  nur  an  das  Gebahren  der  Htmde, 
an  das  gegenseitige  Bespringen  der  Kühe  und  an  das  Onaniren 
der  AH'en  erinnert  zu  werden.  Auch  bei  zwei  Hyänen  hatte  der 
Herausgeber  Gelegenheit,  ein  gegenseitiges  offenbar  beide  Tbeile  sehr 
befriedigendes  Lecken  an  den  Genitalien  zu  l»eobacht«i. 

Man  darf  wohl  annch:  in    der  Jugeml 


Masturbation  Einiges   zur  * 
beitragen  luag:  doch  kann  T 


C. .<,-]. 


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an« 


Fulgen  flir  die  Gesundheit,  vielleicht  auch  flir  die  Zeugiuigsfähigkeit 
sein,  gewiss  aber  auch  ein  früheres  Verblühen  herbeiführen.  Ein 
Arzt,  der  längere  Zeit  im  Orient  prakticirte,  sagt,  dass  die  Mastur- 
bation eine  „condition  extremement  commune  chez  les  jeimes  filles 
en  Orient"  ist;  er  setzt  hinzu:  ,Pour  se  rendre  compte  de  sa  fre- 
qiience  en  general  chez  les  jeunes  fillea  en  Orient,  ou  n'a  qu'en 
penser  au  defaut  d'exercice,  ä  la  vie  sedentaire,  ä  loisivete,  ä  Vennni 
et  surtout  ä  la  confiance  et  ä  la  credulite  des  meres,  qui  negligent 
tonte  espece  de  surveillance  ä  l'egard  de  tout  ce  qui  se  passe  chez 
leur  fille  ä  ses  heures  de  solitude."  (Eram.) 

Bei  den  Khoikhoin  (Nama-Hottentotten)  ist  unter  dem 
jüngeren  weiblichen  Geschlechte  Masturbation  so  häufig,  dass  man 
sie  als  Landessitte  betrachten  könnte.  Es  wird  daher  auch  kein 
besonderes  Qeheimniss  daraus  gemacht,  sondern  in  den  Erzählungen 
und  Sagen  sprechen  die  Leute  davon  wie  von  der  gewöhnlichsten 
Sache.  (Fritsch*) 

Die  Uusittlichkeit  war  anter  den  Weibern  der  Viscayer  auf 
den  Philippinen  schon  zur  Zeit  der  Ankunft  der  Spanier  daseibat 
grenzenlos;  sie  hatten  sogar  die  Erfindung  eines  künstlichen  Penis 
gemacht,  um  die  unstillbaren  Gelüste  befriedigen  zu  können,  und 
ähnliche  Mittel  zur  Sättigung  unnatürlicher  Wollust  besassen  sie 
noch  mehr.  (Blumentriff.) 

Die  Manipulationen  zur  künstlichen  Vergrössenuig  der  Clitoris 
und  der  Nymphen  werden,  wie  es  scheint,  bald  absichtslos  imindestens 
nicht  im  bewussten  Handeln),  bald  in  mannigfacher  Absicht  vor- 
genommen. Einestheüs  ist  wohl  die  auch  bei  vielen  rohen  Völkern 
unter  der  weiblichen  .lugend  herrschende  Masturbation,  das 
reizende  Kitzeln,  das  wollusterregende  Zupfen  und  Zerren  an  den 
erregbaren  Geschlechtstheilen,  die  Ursache  der  allmählich  eintreten- 
den Qestaltverändermig ;  andererseits  aber  liegt  vielleicht  die  mehr 
oder  weniger  bewusste  Absicht  zu  Grunde,  nicht  nur  den  eigenen 
Wollustreiz  zu  erhöhen,  sondern  vielleicht  aiich  die  Schamtheile 
ziu-  Ausübung  der  sogenannten  Tribadie  geschickter  zu  machen, 
eiper  Unsitte,  welche  von  jeher  im  Orient  ungemein  verbreitet  war. 
Denn  es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  namentlich  bei  den  Arabern 
der  schwungvoll  unter  ihnen  betriebenen  Tribadie,  d,  h.  des  wol- 
lüstigen Verhaltens  zwtier  Frauenspersonen  mit  einander,  eine  künst- 
liche Clitoris -Verlängerung  vorausgip'g. 

Allein  diese  Anomalie  geschlechtlicher  Vermischung  (Amor 
lesbicus  —  von  der  Insel  Lesbos  im  Aegaeischen  Meer  mit 
.der  Hauptstadt  Mytilene,  deren  Einwohner  wegen  ihrer  Unsittlich- 
keit  berüchtigt  waren)  fand  sich  nicht  bloss  bei  den  Griechen  tmter 
der  Bezeichnung:  Xe^ßiäC^ty,  sondern  auch  im  alten  Rom,  wo 
man  die  Frauenzimmer,  welche-  mittelst  der  abnorm  grossen  Clitoris 
den  Coitus  miteinander  ausübten,  Tribaden  oder  Frictrices,  Subi- 
gatrices  nannte.  Wie  fa.st  alles  derart  aus  Asien  stammt,  so  be- 
steht die  betreifende  Unsitte  mehr  oder  weniger  in  mehreren  Ländern 


Platt,    Diii  Weib    I.    i.  Aull. 


21 


IB 


des  Orieutä  uoch  heute,  wo  sie  vielleicht  durch  da»  Haremslebcn 
aufrecht  erhalten  wird;  sie  soll  nach  Patent  -  Duchatelet  jetzt  noch 
bei  modernen  Völkern  vorkummeo-  Dieses  Unzuchts- Vergehen  be- 
zeichnet man  auch  aU  Sodomia  sexus  miiUerum. 

Wenn,  wie  wir  zeigten,  auch  natörliche  Vergröaserungen  an 
den  Schamtheilen  in  der  That  bei  Orientalinnen  gar  nicht  selten 
sind,  so  wird  sich  hieraus  schon  die  Möglichkeit  erklären  lassen, 
dass  dort  überhaupt  ohne  weitere  künstliche  Hüllsmittel  unter 
Frauen  bisweilen  ein  geschlechtlicher  Verkehr  stattfinden  kann. 
Wenn  aber  ein  Fall  erzählt  wird,  dass  aus  solchem  intimen  Verkehr 
auch  die  Befruchtung  der  einen  Frau  hervorging,  so  müsseu  wir 
den  Beweis  der  Thatsache  dem  Berichterstatter  (Dtthoussef)  über- 
lassen. Es  sollen  in  Aegypten  zwei  Freundinnen  dergleichen  Un- 
zucht miteinander  getrieben  und  auch  dann  noch  fortgesetzt  haben, 
als  sich  die  eine  derselben  verheirathete;  darauf  sei  es  denn  ge- 
schehen, dass  die  nicht  verheirathete  Freundin  schwanger  wurde 
und  zwar,  wie  die  Erklärung  lautet,  dadurch,  dass  die  andere 
noch  Samen  des  vorher  mit  ihr  cohabitirenden  Mannes  in  der  Scheide 
barg  und  von  diesem  ihrer  Genossin  bei'  der  Umarmung  abgab. 
Dieser  Fall  wurde  der  Pariser  anthropologischen  Gesellschaft  im 
Jahre  1877  mitgetheilt. 

Eine  grausame  Bestrafung  solcher  Tribadie  berichtete  Jan  Moe- 
quet  in  seinem  Itinerarium: 

Als  ein  gewisser  König  von  Siani  in  ErfabruDg  kommen,  dasa  seine 
Beyschl&fferinnen  und  Nebenfrauen,  derer  eine  grosse  Anzubl,  unter  sich  zu- 
weilen dnrcb  Nachahmung  der  männlichen  Natnr.  in  (reilheit  sich  belustigten, 
eo  die  Schönsten  von  dem  Lande,  die  er  nur  bekommen  kunte,  hat  er  sie 
IHr  sich  bescheiden,  einer  jeden  zum  Zeichen  ihrer  ünkeuschheit,  ein  natür- 
liches Glied  auf  die  Stirn  und  beide  Backen  brennen,  und  also  lebt^ndig  ins 
Feuer  werfen  lassen. 

Dass  auch  bei  den  deutschen  Frauen  des  Mittelalters  umuche 
grobe  Unsitte  geherrscht  haben  muss,  das  ersehen  wir  aus  dem 
vom  Bischof  Jiurchard  von  Worms  im  12.  Jahrhundert  verfassten 
Verzeichnisse  der  Kirchenstrafen.     Es  heisst  darin: 

„Fecisti  iiuod  quaedam  mulieres  facere  solent,  at  faceres  quoddam 
molimen  aut  machiuamentum  in  modum  virilis  meuibri,  ad  mensurara  tuae 
voluntatis,  et  illud  loco  verendorum  tuorum,  aut  alterius,  com  aliquibuc 
ligntoriü  colligareN,  et  fomicationem  facere^  cum  aliid  muliercolif,  rel  aliae 
eoüem  ini^trumeato  sive  alio  tecum?  Si  fecisti,  quinque  annos  per  legitimas 
feriaa  poenit^as.  Fecisti  quod  quaedam  mulieres  facere  solent,  utjam  aupra- 
dicto  molimrne»  vel  alio  aliquo  machinamento,  tu  ipsa  in  t«  solam  facores 
fomicationem  ?  Si  fecisti ,  unum  annum  per  legitimas  ferms  poeni* 
teas."    {Dulaure.) 

Ein  widernatürlicher  Verkehr    zwischen  Weibern    unrl  n 

ist  ebeni'ftlk  nicht  erst   eine  Erfindung   der  Xeuzeit, 
sagt  darüber: 

«Auch  d<»r  Frau  wird  die  Schmach   d«"  it-.«...i;<a» 
«Un  ältesten  Zeiten  »cboa  ert^lt   \m*  }'  Ijl 


GejicMochtlicher  Verlcehr  mit  Oöttern,  Geirtern,  Teufeln  u.  DSinonen.  523 

anxücbtigfon  Launen  des  heiligen  Bockca  in  Mendes  hingaben.  Heute,  nach 
einer  langen  Reihf»  von  Jahrhunderten,  ist  der  Hund  derjenige,  •welcher  die 
Stelle  jenes  Bockes  einuimiut.  Mehr  als  einmal  beten  reizende  Damen«  in 
den  höchsten  Sphären  der  gebildeten  Gesiellschaft  Europas,  ihren  Schosshund 
aas  Gründen  an,  die  sie  keiner  lebenden  Seele  gestehen  würden.  Seltener 
irt  der  Hund  kein  Schossbiindchen,  und  dann  ist  die  Verirrung  nur  noch 
niedriger  und  verwerflicher  und  statt  eines  thieri.'ichen  Tribadinmus  haben 
wir  ein  Beispiel  von  thierigchem  Coitus,  von  einem  Hchmachvollen.  ruchlosen 
Zusammenleben  des  scbOnaten  der  Gesuhfipfe  mit  dem  hSiji^lichsten,  übel- 
riechendsten aller  Hausthiere." 

Bei  diesen  widrigen  Dingen  spielt  auch  der  Affe  eine  grosse 
Rolle.  In  den  Districten,  wo  der  Gorilla  und  der  Orang-Utang  lebt, 
werden  zahlreiche  Geschichten  erzählt  von  Mädchenraub,  den  diese 
grossen  Bestien  ausgeführt,  und  wie  .sie  mit  diesen  Geraubten  ge- 
schlechtlichen Verkehr  gepflogen  hätten.  Solch  ein  Umgang  mit  den 
Thiereu  war  aber  docli  immer  nur  ein  erzwungener.  Aber  auch 
über  freiwillige  Geschlechtavermischung  zwischen  Affen  und  Frauen 
besitzen  vfir  Berichte.  So  glauben  die  Indianer  im  Amazonen- 
gtromgebiete,  dass  die  unter  den  Ugiua.s  vorkonuuenden  geschwänzten 
Menschen  einer  .solchen  Ebe  zwi.schen  einem  Indianerweibe  und 
einem  Coati-Affen   entsprossen  seien.  {Bnrfcls.-) 

Ein  solches  Zusammenleben  mit  dem  Coati  findet  nach  Francis 
de  Castdnau  in  jenen  Gegenden  auch  jetzt  noch  statt.  Er  erzälilt: 
,En  descendant  la  riviere  des  Amazones,  je  vis  un  jour  pres  de 
Fonteboa  un  Coati  noir  d'une  enorme  dimension:  il  appartenait 
ä  mie  femme  indienne,  ä  latiuelle  j'offris  un  prix  tres-considerable 
pour  le  pays,  de  ce  curieux  aniinal ;  mais  eile  refusa  tout  en  eclatant 
de  rire.  Vos  efforts  sont  inutiles,  me  dit  un  Indien  qui  etait  daus 
la  cabane,  c'est  son  man." 


49.  Geschlechtlicher  Verkehr  mit  Oöttern,  Geistern,  Teufeln 

und  Dämonen. 

Es  hat  einmal  Jemand  den  Ausspruch  gethan:  Der  Beischlaf 
ist  die  Triebfeder,  welche  die  Welt  bewegt;  und  eine  yvie  ungeheure 
Rolle  wenigstens  bei  den  Volksstämmen  niederer  Cultur  die  ge- 
schlechtlichen Verhältnisse,  und  zwar  nicht  selten  schon  von  den 
Jahren  der  Kindheit  an,  zu  spielen  pflegen,  das  haben  wir  bereits 
wiederholentlich  zu  sehen  Gelegenheit  geliabt.  Kein  Wunder  ist  es 
daher,  dass  die  Phantasie  des  V^olkes  mit  diesen  Dingen  erfl\llt  ist 
und  dass  sie  die  leichten  Reizungszustände  in  dem  Bereiche  des 
Genitaiapparates,  welche  namentlich  zu  der  Zeit  der  Pubertät  sich 
mit  einer  gewissen  llegelmässigkeit  einzustellen  pflegen  und  reflec- 
tx>ri!irch  auf  das  Centralnervensystem  fortgepflanzt,  die  bekannten 
TrfiumH  erotischer  Natur  hervorrufen,  Ursache  und  Wirkung  mit 
einander   verwechselnd,    ft\r   wirklich    geschehene   Dinge    annimmt. 

21" 


XI.  Dff 


Wir  finden  daher  angemem  weit  den  Qknb«  Tertratoi,  daas  bSn] 


Geister 


Alt  üe  Macht   bfwBwiwi,   die  jongen  Madolmi 


and  FnoMm  atmohl  nk  andi  die  Jfingfingc  and  Männer  waS  ihran 
nifhtlifhen  Lager  m  beBodtai,  natfixuehar  Weise  stete  in  der  rer- 
fehiriJHchfn  Gestalt  des  entgegengeaetxien  Geschlechtes,  um  mit 
änea  den  BeiscUaf  xa  roOsidien.  Im  Tnuime  wurde  dieses  alles 
Bit  durchlebt  und  dentlich  emp&mden,  und  das  den  Pollutionen, 
wHche  in  diancn  Trämnen  zu  Stande  komnen,  am  anderen  Tage 
folgende  Gefthl  ron  Zendtli^enbeit  wiirde  der  iiwangcuden  Kraft 
des  bSsen  NacfatgeiBteB  angeschrieben.  IMeee  imlGttdalter  als  Incu- 
bas  oder  Succabas,  als  Ephialtes  and  Hyphialtes,  als  Nacht- 
mact  oder  Alp.  als  Canchemares  oder  Aufbacker  bezeiclmeten 
Dimonen  waren  bereits  viele  Jahrhunderte  tot  anserer  ^ettrechnung 
den  Caltarrölkem  West«siens  bekannt  and  worden  dort  ab  Nacht- 
mannchen  reep.  Nachtweibeben  gefürchtet.  In  den  Rainen  von 
Ninireh  hat  aidi  bekanntlirh  eine  grosae  Beihe  Tcn  Terracotta- 
täfelchen  mit  Keilschrift  bededct  gefnndai,  widdie  ab  ein  Theil 
der  Bibtiothek  des  AsgurboMupaH,  des  Sardamtpml  der  Bibel,  erkannt 
vordai  sind.  Es  sind  zum  Theil  KioigiaicLe  Gesinge,  Beschwörong»- 
fbmdn  ond  Gebete  in  der  Sprache  der  alten  Akkader  mit  darüber. 
geoeitita  assyrischer  Ueberaetzong,  ond  es  bcgea  loiiflglidie  Zei- 
dien  rat,  dass  die  akkadische  Spnche  in  damnliger  Zeit  anr  noch 
unToHkomf  iiiisImiIiw  wmde,  ein  aichefer  Beweis  für  ihr  hohes 
Alter,  unter  den  BwinliwfiniiigirfMJiein  kommt  auch  £e  Stelle  vor: 

Gegen  4it  Dlaoaea,  d«a  Genm«.  dea  rabisa.  de«  ridana. 

da«  Ge^emt.  dM  ScbatteabäU.  d«  Vaaq»jr, 

da«  Nacktsianckea,  da«  NaektweibckeA.  dem  wuMiriwn  Kobold, 

aad  aDe«  ücIkI.  da«  des  MeiHckni  erfuat, 

wraaiiUhet  FeatltdikeHeB.  opCart  and  kaMmt  alle 

rasa  eaer  Wdkaach  B«ai  ffiasMl  uB|iiml*igB! 

Ikan  die  Sobm  da«  Fkiadi  «am  Opfen  Tenahrr! 

SiMB  £a «  Soba.  der  Hdd.  in  im  Zaaber 

ca»  LebcB  rcriiagcra! 

Das  NachtminndMn  und  das  Nachtweibchen  heiasen  akkadisch 
liDal  und  Idd-lülal;  das  bedeotet  ,der  BciwingeBde^  oder  .die 
bexwingende  Beisdüfifierin'.  Dieser  Name  giebt  Ae  Art  und  Weis« 
an,  wie  sie  äch  derer  bemichtigen,  denen  sie  ihre  ümannnngcn 
assjrischi 


Beide 


die  lÄHtk,  wdcbe  in  der  Ittmooidogie 


lUmnd   etnca    wichtigea   Flata   annimmt.      Es    war  das 


mit 


Adam  in   ein  liebest  erbiltntss  trat,   bevor 


Sne  grosse  BoOe  -  -u.ht.  \i:rki^  zwijt-heii 

WcSiefn  und  alkrha&i:  u   bekanntlich  auch  in 

ier  csropuiitcbeD   Vi<ik«>r.     £s   sei  hier   inent 
die    <uscliii'd«swLn   Kinder  d«^  /^'—    .-^ut-^-^i      \T»..r   auch 
urhigisciien  KSa^e,  nad  swar  t 


Oeschlecbtb'cber  Verkehr  mit  Göttern,  Geistern,  Teofeln  tu  DRmonen.  325 


» 


|i^ 


stammen  von  einem  Meermigeheuer  ab,  das  aus  dem  Wasser  auf- 
tauchend sich  zu  der  am  Ufer  schlafenden  Mutter  des  letzteren 
legte.  In  anderen  Fällen  nehmen  die  Geister  die  Gestalt  des  Ehe- 
mannes an,  so  dass  die  Frau  den  Betrug  erst  gewahr  wird,  wenn 
er  bereits  vollendet  ist.  So  wTurde  der  grimme  Hagen  von  einem 
Alf  erzeugt,  so  der  König  Otnit  vom  Zwergkonig  Alberich,  und 
die  Gemahlin  des  Königs  Aldrian  empfing  von  einem  Elfen  in  der 
Gestalt  ihres  Gatten  ein  Kind.  {Schwarte.) 

Auch  in  dem  Babar- Archipel  in  Indonesien  besitzen  Ijöse 
Geister  die  Macht,  junge  Frauen  in  der  Gestalt  von  deren  Gatten 
zn  schwängern. 

Den  (rlauben  an  den  Beischlaf  mit  der  Gottheit  können  wir 
in  allen  den  Fällen  als  bestehend  annehmen,  wo  wir  die  Sitte 
finden,  dass  das  reif  gewordene  oder  zur  Ehe  schreitende  Mädchen 
ihre  .Jungfrauschaft  im  Tempel  darzubringen  gehalten  ist.  Denn 
der  diesen  Dienst  überwachende  Priester  ist  wohl  ohne  Zweifel  we- 
nigstens in  früherer  Zeit  für  eine  wahre  Incamation  des  Gottes  an- 
gesehen wordt-n.  Hier  muss  auch  an  die  Angabe  des  Herodot 
über  den   ,Thurm  zn  Babel*  erinnert  werd,en. 

Dieses  Heiligthum  des  „Zeus  Belus"  schildert  er  als  aus  acht  auf- 
einander gestellten  Thüruun  bestehend.  ,In  dem  letzten  Thunu  iet  ein 
grosser  Tempel;  in  diesem  Tempel  befindet  sich  eine  grosse,  wohlgebettete 
Lagerst&tte  und  daneben  steht  ein  goldener  Tisch,  ein  Götterbild  ist  aber 
dort  nicht  aufgerichtet,  auch  verweilt  kein  Menach  darin  des  Nachts,  ausser 
ein  Weib,  eine  von  den  Eingeborenen,  welche  der  Gott  sich  aus  allen  er- 
wilhlt  hat,  wie  die  Cbaldäer  versichern,  welche  Priester  dieses  Gottes 
sind.  Ebendieselben  behaupten  auch,  wovon  sie  jedoch  mich  nicht  über- 
7.eugt  haben,  dass  der  Gott  selbst  in  den  Tempel  komme  und  auf  dem  Lager 
ruhe,  gerade  wie  in  dem  ägyptischen  Theben  auf  dieselbe  Weise,  nach 
-Angabe  der  Aegypter:  denn  auch  dort  schläft  in  dem  Tempel  ein  Weib:  diese 
beiden  pflegen,  wie  man  sagt,  mit  keinem  Manne  Umgang;  ebenso  auch  ver- 
hält es  sich  in  dem  lykischen  Patara  mit  der  Friesterin  des  Gottea 
CApoOo)  zur  Zeit  der  Onkelung,  denn  es  findet  diese  nicht  immer  daselbst 
Htatt;  wenn  sie  aber  stattfindet,  so  wird  sie  dann  die  Nächte  hindurch 
mit  dem  Gott  in  den  Tempel  eingeschlossen." 

Auch  der  oben  erwähnte  heilige  Bock  zu  Mendes  wurde  von 
den  sich  ihm  prostituirenden  Weibern  ganz  sicherlich  als  eine 
Personification  des  Sonnengottes  selbst  angesehen.  Fabelhafte  dä- 
monische Thiere  als  Stammväter  ganzer  Clanschaften  findet  man 
vielfach  erwähnt,  namentlich  bei  Indianern  und  Polynesiern» 
aber  auch  in  Indien  und  auf  den  Sunda-Inseln,  selbst  die  da> 
ui sehen  Könige  und  die  Gothen  sollten  von  einem  Bären  ab- 
stammen, wozu  Mannhardt  bemerkt,  das«  Bjoern  ein  Beiname 
Thors  gewesen  sei. 

Eme  ganz  besondere  Bolle  spielte  im  15.  und  16.  Jahrhundert, 
aber  auch  noch  in  viel  späterer  Zeit,  der  Glaube   an  die  sog», 
ten  Teufelsbuhl.'«chaflen,  und  Jmn  lioditi,  der  ebenfalls  ff-*  ' 
selben  gluubie,    liat    viele   Beispiele    zusammengebracht. 


Des  ia  daa 


die  Weiber  ihre  wiederholte,  oft  Jahrzehnte  lang  fortgesetzte  üu- 
zucht  mit  dem  Teufel  bekannt  und  mit  dem  Feuertode  gebüsst 
haben.  Für  gewöhnlich  geht  dieser  geschlechtliche  Verkehr  des 
Nachts  vor  sich ;  man  hat  aber  auch  Frauen  , gefunden,  welche  bey 
hellem  Tage  mit  dem  Teufel  ungeheure  Gemeinschaffl  gepflegt  haben, 
imd  auf  dem  Felde  oift  gantz  nackend  sind  gesehen  worden.  Ja 
bissweilen  haben  ihre  Männer  sie  mit  den  Teufeln  verkuppelt  ge- 
funden, und  als  sie  vermeynet,  es  wäre  sonsten  leckerhaffte  Ge- 
sellen, mit  Prügel  auff  sie  zugeschlagen,  aber,  leyder!  nichts  ge- 
troffen." 

Die  Meinungen  der  Gelelirten  waren  darül^er  getheilt,  ob  solch 
ein  Beischlaf  mit  dem  Teufel  fruchtbar  sein  könne  oder  nicht.  Es 
fanden  sich  aber  doch  viele,  die  die  Erzeugimg  einer  „Teufelsbrut* 
für  möglich  hielten.  Das  sind  die  Wech.selbälge  oder  KUJtröpfe, 
die  sich  durch  Missgestalt  und  ungeheure  Gefrassigkeit  auszeichnen. 
Die  Weiber,  welche  mit  den  Teufeln  Gemeinschaft  hatten,  gaben 
übereinstimmend  an,  dass  sie  deren  Samen  ganz  kalt  gefunden 
haben.  Das  ist  ganz  natürlich,  da  er  nicht  frisch  ejacuLirt  ist, 
denn  es  ist  gestohlener  menschlicher  Same;  «die  hyphi»lti.sche  oder 
succubische  Geister  fangen  den  Samen  von  den  Menschen  auff, 
und  behelffen  sich  desselbigen  gegen  den  Weibern  in  Gestalt  der 
Autflmcker." 

Nach  einer  Ajigabe  iu  des  getreuen  EcJcarths  ungewissen- 
hafften  Apothecker  glaubte  mau  im  17.  Jahrhundert  in  Schwe- 
den, dass  die  Hexen  dem  Teufel  in  Block ulle  gestohlene  Kinder 
zuführen  mu.ssten.  Dort  hatten  sie  mit  ihm  und  die  Kinder  mit 
anderen  Teufeln  geschlechtlichen  Verkehr.  Sie  machen  dabei  eine 
vollständige  Trauungsceremonie  durch,  deren  Formel  lautet:  »Ver- 
flucht sey,  der  ülier  sechs  Jahr  alt  nicht  zwei  oder  drei  Männer 
oder  Weiber  habe."  Den  sie  heirathen,  ist  ein  Bock  oder  eine  Sau, 
mit  welcher  sie  zwei,  \'ier  bis  sechzehn  Kinder  haben.  Diese  sind 
halb  so  gross  wie  „Christen-Kinder  imd  haben  Angesichter  denen 
Ratzen  gleich,  aber  kein  Haar  und  feuerrothe  Angesichter.  Ihre 
Geburt  haben  sie  denen  Hexen  gleich  alle  Monat,  sechs  Wochen 
oder  zwey  Monat."  Die  Teufelskinder  werden  sofort  nach  der 
Geburt  zerhackt,  in  einem  Kessel  gekocht  und  eine  Salbe  darai 
gemacht,  ,so  hernach  ausgetheilet  wird". 

Von  jeher  hat  der  Wald  als  das  bevorzugte  Bereich  der 
keuschen  Angriffe  der  Dämonen  gegen  die  Weiber  gegolten 
die  Ltlstemheit  der  Satyru  der  Fauni  und  der  Sylvani  ist  ja 
liekannt.  Es  schliessen  sich  hier  die  i)«,v/r  der  alten  Gallier  und 
die  Forst-  und  Waldteufel  der  Deutschen  an.  Auch  heut4.*  noch. 
müssen  die  Einwohner  mehrerer  indonesischen  Eilande  (Ambon, 
Uliase-Inselu,  Serang),  und  zwar  die  Männer  ebenso  gut  wie  die 
Frauen,  bei  ihren  Wandenmg-en  im  Walde  sehr  v.  '  *  ' 
Denn  bestiramte  Dämonen  beiderlei  Gesclilechts  haii 
zwingen  die  Menschen,   die  in  ihre  Nähe  kommen,  zum 


■ 


4 


aer 

und  V 
«11.    ~ 


{etBrismax  nad  Prostitution. 


327 


Wem  das  gescliehen  ist,  der  stirbt  in  wenigen  Tagen,  da  der  Dä- 
mon seine  Seele  mitnimmt.  Auf  Eetar  sind  diese  Walddänionen 
nur  den  Weibern  und  Mädchen  gefährlich,  so  dass  tliese,  wenn  sie 
im  Walde  Holz  sammeln,  stets  von  einer  Anzahl  von  Mäimem  zum 
Schutze  begleitet  werden  mUssen.  Auf  den  Aaru- Inseln  hat  der 
unzüchtige  Waldgeist  nur  Macht  über  die  menstruirenden  Weiber, 
die  in  dieser  Zeit  daher  den  Wald  nicht  betreten  dürfen,  Thun 
sie  es  dennoch,  dann  beschlaft  sie  der  Geist  und  sie  bekommen 
davon  einen  Stein  in  den  Uterus,  oder  sie  müssen  bald  sterben. 
(Riedel^) 

Aber  nach  dem  Glauben  unserer  Vorväter  konnte  der  ge- 
schlechtliche Umgang  mit  einem  Geiste  ein  ganz  legitimer  und 
von  Kirche  und  Gesetz  gebilligter  Verkehr  sein,  vorausgesetzt  näm- 
lich, dass  der  den  nächtlichen  Besuch  abstattende  Geist  derjenige 
des  in  weiter  Feme  weilenden  Ehegatten  sei.  Man  hielt  es  näm- 
lich noch  im  1 7.  Jahrhundert  für  möglich,  das«  die  Seele  den 
lebenden  Körper  verlassen,  in  der  Welt  umherfliegen  und  nach 
einiger  Zeit  in  den  Körper  zurückkehren  könne.  Im  Jahre  lß37 
bestätigte  das  Parlament  zu  G renoble  die  eheliche  Geburt  eines 
Knaben,  der  nach  vierjähriger  Abwesenheit  seines  Vaters  geboren 
war,  da  seine  Mutter  ,  zugestünde,  dass  obgleich  ihr  Gemahl  aus 
Teutschland  unter  4  Jahren  nicht  kommen  wäre,  sie  ihn  auch 
nicht  gesehen  noch  fleischlich  erkannt  hätte,  so  wäre  nichts  desto 
weniger  gar  zn  gewiss,  dass  sie  ihr  im  Traume  die  Gegenwart  und 
Umbfassung  ihres  Gemahls  feste  eingemeldet,  und  alle  Empfindungen, 
sowohl  der  Empfangniss,  als  Schwängerung  so  accurat  getühlet 
hätte,  als  sie  sonsten  bey  wUrcklichea"  Gegenwart  ihres  Herrn  em- 
pfinden können*.  Eine  solche  Art  der  Schwängerung  wurde  als 
^m    Lucina  sine  concubitu  bezeichnet. 

^1  Es  giebt  Erscheinungen  im  Völkerleben,    die   häufig   mit  Un- 

recht in  Analogie    mit   anderen   gebracht  werden ;    dahin    gehören 
Thatsachen,  die  sich  auf  den  ausserehelichen  sexuellen  Umgang  be- 
ziehen und  welche  bei  genauer  ßetrachtimg  sich  als  sehr  differeiit 
darstellen.    Als  , Hetärismus "    bezeichnet  Zh/z/voc/c  einen  Zustand,  der 
ursiirUnglich,  wie  er  meint,  ein  aUgemeiner  Gebrauch  des  menschlichen 
Geschlechts   war,  und  bei  dem  die  Frauen  einer  Horde  Gemeingut 
aller  Männer  gewesen  sein  sollen.     Eine  nicht   geringe  Reihe   an- 
I  derer   Forscher,  M'Lcnnan,    Monjan,   Fost  u.  a.,   auch  jüngst  Ju- 
fUus  Lippnt    schlössen    sich    ihm  an.     Es  ist  noch  zwcifolhaft.    ob 
^die  Untersuchungen  dieser  Männer  den  Sclüeier  von  den  cht*- 

•  in  der  grauen  Vorzeit  gehoben  haben,  und  iA> 
"»«tttii  vor  Begrttndimg  einer  FamiJieu-Ziwati 


50.  Hetärisuius  and  Prostitat ion.. 


XI.  Der  Eintritt  des  Weibes  in' 


keit  die  sogenamite  Gemeinschafts-  oder  Genossenschaftsehe  über- 
all geterrscht  habe,  den  Thatsachen  entspricht. 

Unser  vorläufig  zurückhaltendes  Urtheil  in  der  Sache  sprechen 
wir  im  Artikel  über  die  «Ehe"  aus.  Für  fahjch  halten  wir  es,  den 
Ausdruck  ,  Hetärismus  *  für  diesen  hypothetischen  Zustand  zu  adop- 
tiren;  der  Inlxalt  dieses  altgriechischen  Begriffes  ist  ein  ganz  an- 
derer. Allerdings  findet  man  einen,  von  Manchen  als  Hetäjrismus 
bezeichneten  geschlechthcTien  Umgang  bei  sehr  rohen  Völkern, 
welcher  lediglich  brutalen  Neigimgen  entspringt  imd  das  weibliche 
Geschlecht  auf  der  niedersten  Stufe  socialer  Stellung  zeigt:  Wenn 
z.  B.  die  australischen  Schwarzen  Mädchen  zu  unfruchtbaren  He- 
tären machen,  indem  sie  ihnen  die  Ovarien  exstirpiren,  so  kenn- 
zeichnet sich  hiermit  die  tiefste  Herabwürdigimg  des  weiblichen  Ge- 
schlechts. Dann  aber  giebt  es  auch  einen  Hetärismus,  bei  dem 
die  Frau  nicht  etwa  als  Zuhälterin  fl\r  bloss  sexuelle,  sondern  auch 
ftLr  geistige  Genüsse  dient. 

Bei  gewissen  anderen  Völkern  wird  die  Preisgebung  der  Mäd* 
chen  nur  gegenüber  den  Repräsentanten  der  Gottheit  oder  dem 
Landesherm  gefordert.  Am  merkwürdigsten  sind  in  dieser  Be- 
ziehung die  Verhältms.se  auf  einigen  Süd see- Inseln.  Die  Uli- 
taos  der  Mariannen- Inseln  waren  Mitglieder  einer  geschlossenen 
Gesellschaft,  die  unter  dem  besonderen  Schutze  der  Götter  stand. 
(  WaiU.)  Sie  lebten  unvermählt  mit  Mädchen  aus  den  vornehmsten 
Familien,  und  es  galt  sogar,  wie  Freycinet  bezeugt,  fllr  die  höchste 
Ehre  eines  Mädchens,  den  Ausschweifungen  dieser  Männer  zu  dienen; 
ein  solches  weibliches  Wesen  wurde  sogar  höher  geachtet,  als  eine 
wirkliche  Jungfrau.  Aehnliche  Vorrechte  genossen  die  Areois  auf 
den  Gesellschafts-  und  anderen  Inseln  Polynesiens. 

Ein  anderes  Bild  der  geaellschafllicheu  Stellung  von  Hetären 
als  , Freundinnen"  oder  Genossinnen  gewähren  die  Buhlerinnen 
Alt- Griechenlands.  Hier  waren  die  Hansfrauen  auf  das  häus- 
liche Leben  beschränkt,  und  die  Männer  fanden  einen  reizvollen 
Genus«  im  freien  Umgänge  mit  Weibeni,  welche  durch  Bildung, 
Feinheit  des  Benelunens  und  geistvolle  Unterhaltimg  neben  der  Hin- 
gebung ihrer  weiblichen  Tugend  eine  grosse  Anziehungskraft  aus- 
übten. Meist  waren  es  Freigelassene,  welche  den  Hetärenstand 
ergriflTen,  doch  auch  freigeborene  Bürgerinnen,  die  aus  Armuth  der- 
gleichen Verbindungen  mit  Männern  eingingen.  IHe  Geliebten  des 
Alkibindes,  Timaiuha  und  T/ieodaia,  bewahrten  ihrem  Freunde  noch 
nach  dessen  Tode  ein  treues  Andenken,  während  allerdings  andere 
Hetären  lediglich  aul"  Ausbeutung  ihres  Liebhabers  bedacht  waren,- 
wie  aus ^  den  Hetärengesprächen  Lulian's  hervorgeht.  Immerhin 
spielten  die  Hetären  eine  grosse  Rolle  im  bürgerlichen  Leben 
Athens;  Aristophnnes  von  Byzanz  führt  in  seinem  Buche  die 
Namen  von  135  berühmten  Hetären  auf,  und  Solon  soll  das  He- 
tärengewerbe gesetzlich  erlaubt  haben,  um  der  öffentlichen  Sittlich- 
keit  willen,  d.  h.  um  die  Ehemänner  von  dem  unerlaubten  Umgänge 


lon. 


mit  verheiratbeten  Frauen  zuröckzubalten.  Penkies,  welcber,  ob- 
gleich verheirathet,  die  berühmte  Aspasia  zn  seiner  Freundin  er- 
kor, gab  das  erste  Beispiel  und  fand  nicht  wenige  Nachahmer. 
Lais  verkaufte  ihre  Gunst  zu  deiL  höchsten  Preisen ;  Phryne 
konnte  mit  ihrem  erworbenen  Reichthuni  den  Thebanern  anbieten, 
einen  Theil  ihrer  zerstörten  Stadtmauern  wieder  herstellen  zu  lassen. 
Der  Hetärismus  war  dort  ein  freies,  nicht  durch  Sitte  verpöntes 
Gewerbe. 

Dagegen  finden  wir  im  altgerraanischen  Völkerleben  die 
ähnliche  Erscheinung,  dass  sich  der  Vornehme  ohne  Aergerniss  zu 
erregen  neben  seiner  Frau  oder  seinen  rechtmässigen  Frauen,  wenn 
auch  nicht  Hetären,  so  doch  , Kebse"  in  unbeschränkter  Zahl^halten 
diurfte;  dies  war  aber  nicht  ein  .Hetärismus*,  sondern  das  Con- 
cubinat.  (WeinhoM.)  Die  Kebse  war  zwar  nicht  gekauft  oder  ver- 
mählt, sondern  die  gegenseitige  Neigung  schloss  ohne  Förmlichkeit 
die  Verbindung,  welche  der  brau  nicht  Rang  und  Recht  der  Ehe- 
frau, den  Kindern  nicht  die  Ansprl\che  ehelicher  Nachkommen  ge- 
währte. Allein  die  Kebse  erhielt  dann  auch  nach  nordischen  Ge- 
setzen durch  Verjährung  rechtliche  Erhöhung:  Das  Gulathingsbuch 
bestimmte,  dass  nach  zwanzigjähriger  öffentlicher  Dauer  des  Con- 
cubinats  die  Kinder  erbfähig  seien;  und  das  jüdische  Recht  setzte 
fest,  dass  eine  Beischläferin,  die  Jemand  drei  Jahre  lang  im  Hause 
hatte,  zur  rechtmässigen  Ehe-  und  Hausfrau  werde. 

Weit  widerwärtigere  Erscheinungen  im  sittlichen  Leben  des 
weiblichen  Geschlechts  treten  uns  dort  entgegen,  wo  die  Weiber 
ihre  Gunst  einer  grösseren  Anzahl  männlicher  Personen  gleichzeitig 
hingeben.  Doch  auch  auf  diesem  dunkeln  Gebiete  sittlicher  Zu- 
stände begegnen  wir  manniglachen  Gegensätzen  und  Abstufungen, 
die  namentlich  durch  die  bei  den  verschiedenen  Völkern  herrschen,- 
den  culturhisto3rischen  Verhältnisse  bedingt  sind  und  unter  dem 
Einflüsse  der  heterogensten  Momente  einen  mehr  oder  weniger 
grossen  Theil  des  weiblichen  Geschlechts  auf  die  moralische  und 
ethische  Selbsterniedrigung  der  sexuellen  Preisgebung  hinweisen. 
Hierher  ist  in  allererster  Linie  diejenige  weit  verbreitete  Unsitte 
zu  rechnen,  welche  man  mit  dem  Namen  der  gastlichen  Pro- 
stitution bezeichnet  hat,  und  welche  darin  besteht,  dass  dem  in 
dem  Hause  überh  achten  den  Graste  der  Wirth  die  eigene  Frau  oder 
Tochter  als  Bettgenossin  überlassen  muss. 

In  Chaldaea  herrschte  unter  den  wilden  und  kriegerischen 
Bergvölkern  die  gastliche  Prostitution:  und  bei  den  Korjaken 
und  Tschuktschen,  nach  Krascheninüow  auch  bei  den  alten 
A  1  e  u  t  e  n ,  gilt  es  noch  bis.  in  die  neueste  Zeit  für  eine  Beleidigung, 
wenn  ein  Gast  die  ilim  als  höchste  Freundschaftsbezeugung  ange- 
botene Frau  oder  Tochter  seines  Wirthes  nicht  gebraucht.  Auch  bei 
den  Indianern  haben  wir  bereits  die  gleiche  Abscheulichkeit  kennen 
gelernt. 

Im  gewöhnlichen  Sinne  bezeichnet  man   aber  imter  Pro  st  i- 


330 


XI.  Der  Eintritt  des  Weibes  in 


tution  nur  diejenige  Unzucht,  welche  aus  der  Selbslpreisgebiing 
mehr  oder  minder  oflFeu  ein  Gewerbe  maclit,  und  die  schon,  wie 
die  Bibel  bezeugt  (1.  Moses  34,  31;  38.  15),  bei  den  alten  He- 
bräern zur  Zeit  der  Patriarchen  und  Propheten  heimisch,  wenn 
auch  den  Töchtern  IsracVs  verboten  war. 

In  Griechenland  ftlhrte  Sohn  die  gesetzliche  Prostitution 
in  Athen  ein,  und  das  Hetären wesen  Griechenlands  war  doch 
im  Grunde  nichts  anderes,  als  eine  dem  Culturzustande  des  Volkes 
entsprechende  verfeinerte  Prostitution.  Wenigstens  kann  man  Per- 
sonen, wie  die  Fhryne,  etwa  als  ein  Analogon  jetziger  Ziihülterin- 
nen  oder  femmes  entretenues  auffassen,  die  nur  so  lauge  Einem  au- 
gehören, als  derselbe  sie  bezahlt.  Und  daneben  bestand  bei  den 
Hellenen  in  arger  Weise  die  gemeine  Prostitution,  wie  aus  mehre- 
ren Stellen  des  Arisfophanes  hervorgeht.  A'^on  den  öffentlichen 
Dirnen  und  Wollusthäusem  wurden  gesetzmässige  Steuern  erhoben 
zum  Besten  von  Tempeln  u.  s.  w.  Bei  den  Juden  durften  am 
Heiligthuni  Geld  oder  Geschenke,  die  durch  Prostitution  gewonnen 
imd  dann  zur  Beschwichtigung  des  Gewissens  dargeboten  wur- 
den, von  den  Priestern  angenommen  werden.  (Kinzlfr.)  Wie  in 
Griechenland,  so  trug  auch  in  Rom  der  Venus-Qi\x\t  nicht 
wenig  zur  Au.sbildung  des  Prostitutionswesen.^  bei.  Die  Römer 
hatten  öffentliche  Freudenhäuser  (Lupanaria  und  Fornices),  sowie 
selbstständige  Lustdimen  (Meretrices  und  Prostibulae),  und  in  ihren 
Bädern  pflegten  sich  feile  Frauen  einzufinden,  xm\  die  Sinnlichkeit 
für  ihr  Gewerbe  auszubeuten.  Ein  solches  antikes  Bordell  ist  in 
Pompeji  wieder  aufgedeckt  worden:  Man  muss  erstaunen  Über  die 
ausserordentliche  Engigkeit  und  Kleinheit  der  Räume. 

Bei  den  alten  Mexikanern  gab  es  allerdings  öffentliche  Mäd- 
chen, doch  war  ihr  Gewerbe  allgemein  verachtet;  dasselbe  war  bei 
den  alten  Peruanern  der  Fall. 

Der  keusche  Simi.  die  Sittlichkeit  und  Ehrbarkeit,  welche  deo 
Frauen  und  Mädchen  der  alten  Germanen  in  hohem  Grade  eigen 
waren,  gingen  zu  einem  grossen  T heile  mit  dem  Eindringen  römi- 
scher Cultur  und  in  der  Berührung  mit  anderen  Völkern  verloren, 
und  an  der  sich  steigernden  Entartung  der  Sitten  im  Mittelalter 
nahm  das  weibliche  Geschlecht  einen  hervorragenden  Antheil.  Die 
Prostitution  nahm  ausserordentlich  überhand,  trotzdem  dass  die 
christlichen  Gesetzgeber  und  Regenten  dem  Uebel  anfangs  energisch 
zu  steuern  suchten.  So  gab  Karl  der  Grossf  in  seinen  Cupitularieu 
das  erste  Beispiel  eiserner  Strenge  gegen  die  Lustdinieu  und  die- 
jenigen, welche  sie  vermietheten.  Friedrich  I.  Burbarossa  verbot 
in  den  auf  seinem  ersten  Heereszuge  nach  Italien  im  Jahre  1158 
erlassenen  sogenannten  Friedensgesetzen  den  Kriegsleuten  bei  stren- 
ger Sti'afe,  Dirnen  bei  sich  im  Quartier  zu  haben;  den  betroffenen 
Dirnen  wurde  die  Nase  abgeschnitten.  Aber  trotz  alier  Maassregelu, 
mit  welchen  ilie  Unzucht  verfolgt  wurde,  war  doch  nichts  Iiüufiger 
in    allen    Städten,    als   liederhche  Frauen  und  Frau«.'nhttU!*er.     Und 


^ 


I 
I 


hierzu  trugen  die'KreuzzJlge  wesentlich  bei.  Daiui  entstanden  jene 
Magdalenenorden ,  von  denen  Sprengel  sagt,  dum  jedes  Mädchen, 
die  des  sinnlichen  Genusses  tiberdilissig  war,  in  einen  solchen 
Orden  eintrat,  tim  mit  Geschmack  und  Auswahl  ihren  Vergnügungen 
nachgehen  zu  können.  Im  12.  und  13.  .Jahrhundert  erliessen  die 
Städte  Regulative  ttir  die  öffentlichen  Häuser,  so  Augsburg  1276 
unter  dem  Titel  „Verordnung  der  fahrenden  Fräulein".  Die  conces- 
sionirten  Wirthe  solcher  Häuser  zahlten  grosse  Abgaben;  in  Wien 
gab  es  zwei  Frauenhäuser  als  landesherrliche  Lehen,  deren  Insassen 
dem  Kaiser  bei  seinem  Einzüge  feierlich  entgegenzogeu ;  der  Erz- 
bischof von  Mainz  beschwert  sich  1442,  die  Stadt  thue  ihm 
durch  Licenzen  Eintrag  in  seinem  Einkommen*  an  den  gemeinen 
~^rauen  und  an  der  Buhlerei.  Bei  besonderen  Gelegenheiten,  wie 
bei  Reichstagen  und  Concilien,  stellten  sich  vagirende  Frauen  schaa- 
renweise  ein,  und  alle  Kriegszüge  der  damaligen  Zeit  waren  immer 
von  einem  gewaltigen  Tross  von  fahrenden  Weibern  begleitet,  deren 
Disciplin  officieU  unter  die  Autorität  eines  Huren waibels  gestellt 
■werden  musste.  Bei  der  Beschreibung  eines  Heereszuges  heisst  es 
im  Parzhai  (1.  459): 

Auch  Frauen  sah  man  da  genug; 

Manche  den  zwölften  Schwertgurt  trug 

Zu  Pfände  für  verkaufte  Lust. 

Nicht  Königinnen  waren  es  jost: 

Dieselben  liuhlerinnen 

Uiessen  Marketenderinnen. 
Concil  zu  Constanz  (1414)  lockte  nicht  weniger  als  700  feile 
Frauen  herbei. 

In  den  Städten  besuchte  man  die  Bordelle  ohne  Scham  und 
Scheu.  Bedankt  sich  doch  der  Kaiser  Siyismund  bei  den  Bernern 
„vor  Fürsten  und  Herren",  dass  der  Rath  sein  Gefolge  drei  Tage 
lang  unentgeltlich  in  den  Gässlein  der  schönen  Frauen  bewirthei 
habe;  und  als  er  einst  in  Ulm  war,  konnte  er  sich  nicht  enthalten, 
selbst  das  Frauenhaus  zu  besuchen.  Mit  dieser  Begünstigung  käuf- 
licher Wollust  verband  sich  ein  schmählicher  Menschenhandel;  Ro- 
stocker Kaufleute  schleppten  ganze  Ladungen  fahrender  Weiber 
zu  den  Häringsfangem  auf  Schonen;  schwäbische  Dirnen  wur- 
den nach  Venedig,  vlämische  nach  London  gebracht  und  galten 
als  gute  Waare. 

Langwierige  Reisen  waren  im  16.  und  17.  Jahrhundert  mit 
grossen  Beschwerden  verbunden ;  daher  konnten  die  Fürsten  jener 
Zeit,  wenn  sie  eine  solche  Reise  unternahmen, '  ilireu  Gemahlinnen 
imd  Töchtern  nicht  zumuthen,  sie  zu  begleiten.  Nur  ött'entliche 
Weiber  waren  abgehärtet  genug,  um  den  Fürsten  bei  Reisen  und 
HeereszUgen  zu  Fuss  oder  zu  Pferde  folgen  zu  köimen ;  so  wurdt-ri 
e  denn  als  ein  nothwendiger  Theil  des  fürstücheu  Gefolgaa  un-^ 
m  Kriege  als  ein  unentbehrHcher  Theil  des  Trosses  ange»'*'^ 
'ndtvig    der  Heiligt;  war  der   einzige   König  des  Mittelalters, 


332  ^1*  ^or  Eintritt  des  Weibes  in  das  Geschlechtalebeiii. 

zwar  Bordelle  in  seinem  Reiche  duldete,  sie  jedocli  auf  seinem  £jreiiz- 
zuge  streng  untersagte.  Die  anderen  Fürsten  vor  ond  nacli  ihm 
trösteten  sich  in  den  Armen  von  Buhlerinnen  über  die  Trennung 
vom  Hause;  die  vielen  Hunderte  von  Dirnen,  welche  den  Kri^^s- 
schaaren  folgten,  galten  ihnen  als  EUtrem,  ans  dem  sie  sich  das 
Beste  aussuchten.  Die  Schriftsteller  jener  Zeit  sahen  in  -eolchem 
Gebahren  nichts  Besonderes,  nur  das  fanden  sie  tadelnswerili,  dass 
die  Könige  bisweilen  die  von  ihnen  geUebten  Buhlerinnen  wie  Prin- 
zessinnen herausputzten  imd  in  die  Gesellschaft  erlauchter  nnd  edler 
Frauen  einführten,  so  dass  die  eigenen  Ghittinnen  in  Gte&hr  kamen, 
öffentlichen  Mädchen  den  Kuss  des  Friedens  zu  geben.  Beim 
ersten  Reichstage  in  Worms,  welchen  Carl  V.  hieji,  waren  alle 
Strassen  dieser  Stadt  mit  schönen  Frauen  oder  mit  feilen  Dirnen 
angefüllt.  Nicht  lange  nachher  folgten  dem  Heere,  welches  Herzog 
AÜta  nach  den  Niederlanden  führte,  vierhundert  Buhlerinnen  zu 
IMerde  nnd  achthundert  zu  Fuss  nach. 

Wer  sich  Über  diese  Verhältnisse  eingehender  zu  unterrichten 
wünscht,  dem  empfehlen  wir  die  Leetüre  der  Werke  von  Dufour 
und  von  üahufaiur. 

In  den  halbciviUsirten  Ländern  der  Neuzeit  tritt  die  Prostitu- 
tion in  sehr  imgezügelter  Form  auf:  Die  Almehs  in  Aegypten, 
die  Nautfch-Mädchen  in  Indien  sind  die  Vertreterinnen  der"  ge- 
meinen Prostitution,  wie  bei  rohen  Völkern  die  Puzen  auf  Java  nnd 
die  Sives  in  Polynesien. 

Hindu-  Mädchen  jeder  Kaste  können  Tempeln  zum  Tanzen 
tfeweiht  werden.  Sie  heirathen  nicht,  dürfen  ab«r  mit  Leuten  aus 
der  gleichen  oder  aus  höherer  Kaste  sich  prostituiren.  Es  giebt  zwei 
Arten  Prostituirter:  1.  Thassee  oder  einer  Pagode  attachirte 
Tanzmädchen,  2.  Vashee  oder  lV)stituirte.  Die  letzteren  leben 
in  Bordollen  in  grossen  Städten,  oder  in  der  Nähe  von  Arac- 
schänken  tvlor  kloinen  Tempeln.  Die  ersteren  werden  als  Kinder 
mit  der  Gottheit  des  Tem]vls  verehelicht,  sie  stammen  nicht  selten 
aus  den  voniohmsten  Kasten,  wenn  ihr  Vater  in  Folge  eines  Ge- 
lübdes sie  dem  Tenipol  geweiht  hat.  Sie  erhalten  täglich  zwei 
Twizstunden  und  zwei  Gesangstundeu.  Je  nach  der  Bedeutung  des 
TemiH»ls.  dem  sie  angehören,  richtet  sich  die  Höhe  ihres  Grehalte?. 
Der  rnterricht  Ivpijimit  mit  ä  Jahren.  \md  mit  7  bis  8  Jahren 
hftlvn  sie  .Hx;!i^g»^lonlt  und  t^mzen  bis  zum  14.  oder  15.  Jahre  6  mal 
täirlioh.  Wenn  sie  a;jft-Ttnon,  sind  sie  reich  mit  Gold  nnd  Bdel- 
sunnen  gt^sohr-iückt.  Sie  bilden  gleiohs:«n  eine  eig«tte  Kaste  mit 
fesjwft  G«at"tror..  Sie  i^niiT^ssen  giv^ssos  Ansehen  und  sitzen  bei  Ver- 
saunmlusiTt'"  ^^i  *^cn  Tonielimsien  Mänueni.  Sol^ld  das  Mädchen 
ihre  Reife  tTiÄr.»rs  V.&t.  wird,  wonn  sie  nicht  bereits  von  einem 
Br*hr.ii:ie2i  dt::'..-»rlr:  is:,  ihre  Jungtra-üschAtt  einem  diese  Ehre  suchen- 
den FTWüder.  flr  ti::e  o::tsprei"he.nae  Summe  überlassen,  und  von 
CA.  iz.  f^lhrt  sie  e:::  Leben  fortvrviserjtter  Prostit^mon  mit  Franden. 
Xxht  «^4«:  w«\ie2  Kiaöer  ei<j>fns  von  alten  Weibern  aofgefimgen, 


50.  HetäjriB 


Prostitution. 


333 


weit    von    ihrer    Heimat    abgelegene    Tempel    verkauft   zu 
iShorit.) 

Da  in  China  die  Gesetze  über  das  Prostitutionswesen  schwei- 
gen, so  können  die  Freudenmädchen  ungestört  ihr  Gewerbe  be- 
treiben. Fast  alle  Bordelle  sind  mit  Luxus  ausgestattet  und  heisaen 
wegen  ihrer  blauen  Jalousien  , blaue  Häuser"  (Tsing  Lao).  In  jenen 
Städten,  welche,  wie  C  an  ton,  am  Flusse  liegen,  werden  auch  eigens 
gebaute,  festgeankerte  Schiffe,  sogenannte  »Blumensohiffe"  (Qoa 
Thing),  häufig  als  Bordelle  benutzt.  Die  daselbst  beherbergten 
Mädchen  sind  Sclavinnen  des  Bordellbesitzers  und  ihr  Zustand  so- 
wie das  ihnen  meist  bevorstehende  Schicksal  wahrhaft  beklagenswerth. 
Sie  werden  gewöhnlich  tu  ihrem  Gewerbe'  systematisch  herange- 
bildet mid  ebenso  systematisch  von  ihren  herzlosen  Beßitzem  aus- 
gebeutet. Im  Alt«r  von  6 — 7  Jahren  müssen  sie  die  älteren  "Mäd- 
chen imd  ihre  Besucher  bedienen,  in  dem  Alter  von  10 — 11  Jahren 
lernen  sie  singen  und  spielen,  auch  lesen,  schreiben  und  malen, 
allein  bereits  im  Alter  von  13  — 15  Jahren  werden  sie  von  ihrem 
Herrn  gewinnbringend  ausgenutzt,  zunächst  auswärts,  nach  2  —  3 
Jahren  aber  im  Hause.  Diese  unglücklichen  Wesen  verwelken  f'rtlh; 
dann  sieht  man  sie  in  allen  Strassen  der  grossen  Städte  sitzen,  um 
vorübergehenden  Soldaten  und  Tagelölmem  gegen  geringes  Entgelt 
^die  zerrissenen  Kleider  auszubessern.  Die  bedeutende  Ausbeutung 
der  Prostitution  schädigt  in  China  die  Würde  des  weibUchen  Ge- 
schlechts in  hohem  Grade.  Nach  ot^ciellen  Berichten  gab  es  im 
Jahre  1861  in  Amoy,  einer  Seestadt  mit  300000  Einwohnern, 
3658  Bordelle,  welche  25  000  Mädchen  beherbergten. 

In  den  alten  Geschichten  Chinas  spielen  diese  „Blumenmäd- 
chen*, d.  h.  die  Insassen  der  auf  dem  Wasser  schwimmendeu 
„Blumenböte'',  ungefähr  die  gleiche  Rolle,  wie  die  vornehmen  Hetä- 
reu  in  Griechenland.  Sie  sind  der  Inbegriti' aller  Schönheit,  guten 
Erziehung  und  Bildung,  die  die  männliche  Jugend  aufsucht,  um  die 
eigene  Bildung  zu  vervolbtändigen.  Auch  heute  noch  besteht  diese 
In.stitution,  und  theils  in  den  Blumenschiften,  theils  in  den  blauen 
Häusern  werden  Gaste  empfangen.  Arme  Kinder  werden  gestohlen 
oder  von  ihren  Elteni  verkauft  und  hier  lediglich  zur  Prostitution 
herangebildet.  Aber  das  Ideale,  was  früher  dieser  Einrichtung  einen 
veredelnden  Anstrich  gab,  ist  hevite,  wenn  wir  Colquhoim's  Schil- 
derungen Glauben  schenken  dürfen,  vollständig  verloren  gegangen. 
Er  sagt: 

,Von  den  Mädchen  babeu  manche  recht  angenehme  Züge  und  ein  gra- 
ziöses Wesen,  aber  sie  sind  sämmtlicb  im  höchsten  Giade  ungebildet  und 
können  weder  lesen  noch  acbreiben,  geschweige  denn  Lieder  improvisiren, 
wie  sie  in  der  guten  alten  Zeit  gekonnt  haben  sollen.  Im  Norden  findet 
man  allerdings,  wie  es  heisat,  auch  beutigen  Tags  noch  vereinzelte  Mädchen, 
welche  diese  Kunst  verstehen.  Nur  die  ausserordentliche  Ungemüthlichkeit 
des  chinesischen  Familienlebens  kann  vernünftige  Leute  veranlassen,  die 
GeseUscliaft  der  Damen  ia  den  Blumeuböten  aufzusuchen,  wo  das  einfältigste 


D«r 


n  dM 


Spiel,  da«  in  Italien  gefafftoddkhe Mma,  die  ewBg«  AbweehMhto« 
G«aSBgen  ood  kiodüehcB  Sdiancn  liSdeL* 

(haiz  anders  klingt  es  nun  freilick,  was  uns  der  Militfir-Aüacl 
«ler  chinesischen  Gesandtschaft  in  Paris,  Herr  T»ckeng  Ki  Tona. 
hierüber  erzahlt: 

«Ge-wiese  Reisende  haben  ec  sich  in  den  Kopf  gesetzt,  jene  mit  dem 
Namen  Blntnenschiff  beseiehnetea  Fahreenge,  welche  sich  in  der  Nihe  grosser 
StSdte  zeigen,  als  Stätten  der  AowchTeitnng  zu  f^chüdem.  Das  ist  dorch- 
an«  unrichtig.  Die  ßlaiDenschiffe  rerdienen  diesen  Raf  ebenso  «renig,  wie  die 
Concerisftle  Europas.  £a  bt  dies  ein  Lieblingsrergnögen  der  chinesischen 
Jugend.  Man  veTanstaltet  Waseerpsrtien  haapteichlicfa  Abends  in  Geaell- 
cehafl  von  Franen,  welche  die  Einladung  dazn  annehmen.  Diese  Fraaen  sind 
nicht  Terheiratbet ;  äie  sind  ma8i1uli«ch  nnd  ans  diesem  Ormde  werden  sie 
eingeladen.  Will  man  eine  Partie  reranstalten,  so  findet  man  an  Bord  Ein- 
ladungskarten ,  auf  welchen  man  nur  seinen  eigenen  Namen  and  den  der 
Kfinstlerin  und  die  Zeit  der  Zasanunenkonfl  auarufQllen  braucht.  Et  ist  dies 
eine  sehr  angenehme  Art,  sich  die  langsam  dahinschleichende  Zeit  eu  ver- 
treiben. Man  findet  auf  dem  Schiffe  AUea,  was  ein  Feinschroerher  nur  wOn- 
cchen  kann,  und  die  Gesellschaft  der  Fianen.  deren  harmonische  Stimmen  in 
Verbindung  mit  den  melodischen  Tönen  der  Instrumente  bei  einer  Tasse  köst- 
lich duftenden  Thees  die  Abendfrische  beleben«  wird  nicht  als  eine  alchtliehe 
AneschweifuDg  betrachtet. 

Die  Einladungen  gelten  nur  fSr  eine  Stunde.  Man  kann  die  Zeit  jedodi 
anadehnen,  wenn  die  Frau  nicht  anderweitig  engagiri  ist;  —  natürlich  moM 
das  Honorar  dann  rerdoppelt  werden,  I>ie«e  Frauen  werden  in  unserer  Ge- 
sellschaft nicht  in.  Bezug  auf  ihre  Sitten  beortheilt;  sie  können  in  dieser 
Hinsicht  sein,  wie  sie  wollen  ;  da«  ist  ihre  Sache Der  Reiz  ihrer  Unter- 
haltung wird  ebenso  hoch  geschätzt,  als  ihre  Kunst.  —  —  Wenn  man  von 
diesen  Zusammenkünften  etwas  anderes  behauptet,  so  ist  das  einfach  eine 
Filschung  der  Wahrheit.*  Nachher  wird  aber  zugegeben,  dass  der  Piatonis- 
mns,  den  uns  dieser  Chinese  glauben  machen  möchte,  doch  auch  nicht  von 
absolutem  Bestände  ist. 

Aach  die  Japaner  betreiben  die  Prostitution  im  grossen  Stil: 

Man  klagt  als  Ursache  der  schlimmen  Yerbreitnng  der  Prostitution  in 
Japan  die  grosse  Lockerheit  der  Ehe,  insbesondere  das  Recht  Aea  Mann» 
an,  seine  Fiaa  nach  Belieben  zu  verlassen.  Wenn  in  Japan  eine  Frau  von 
ihrem  Manne  Verstössen  wurde,  so  geht  sie  unrettbar  dem  Elende  entgegen, 
sobald  sie  nicht  im  Hause  ihrer  Eltern  eine  Zuäucht  xu  finden  vermag.  Is 
diiiier  Noth  greift  sie  zum  letzten  verzweifelten  Mittel,  mn  ihre  Existenz  tu 
fristen,  »ie  verkauft  ihre  Tochter  um  einen  niedrigen  Prtris  an  eines  der 
Prostitutionshäuser,  die  unter  dem  Naracn  TheehÄuser  oder  Gankiros  unter 
dem  Schutze  der  Regierung  stehen.  Yoshiwaras  (Freudenfclder)  nennt  man 
in  Japan  die  Stadttheile  nnd  oft  auch  die  einzelnen,  meist  Verhältnis«- 
mäMig  grossen  Häuser,  welche  der  Aphrodite  gewidmet  sind-  NH<:h  dem 
UrtheUe  oller,  weichte  die  einschlagenden  Verhllltnisso.genau  kennen,  erscheint 
in  Japan  da?«  gefallene  Frauenzimmer  nie  auf  einer  so  niedrigen  i^tufe.  wie 
in    unseren   grossen   StÄdten.     Ami'  '       ''        '  .\^n   dsr 

Youhiwara«   vom  besseren  Theile  d  ondem 

b*--  wei^s  man  doch,  dass  '»g 

ihi'  Igen  Gewerb«   oblie^n.  ™ 

0«ler  nächsten  Yerwondteti 


335 


Stfsitzer  Jcr  öffentlichen  Hüuser  verkauften,  wo  sie  in  verschiedenen  Dingen 
unterrichtet  werJen,  nnmentlich  aber  in  den  Künnten  der  Aapasia,  bi»  zu  der 
leit,  wo  sie  geeignet  sind,  als  Sclavinnen  ihrer  Brodherren  dieselben  zu  rer- 
reriheo.  (Ausland  1881.)  Sinagawa,  eine  Vorstadt  Yeddo'8,  wird  nur 
ron  Freodeniuädchen  bewohnt.  Allein  kein  socialer  Fleck  oder  Schimpf  i.st 
ji»^r  mit  dem  Gewerbe  verknüpft;  die  öffentlichen  Dirnen  sind  sogar  sehr 
r'sucht  als  Frauen  und  leben  später  in  der  Ehe  unbescholten. 

Der  Prostitution  haben  wir  genau  genommen  auch  diejenige 
^olkssitte  vieler  roher  oder  hiilbcivilisirter  Nationen  hinzuzurechnen, 
welche  wir  unter  der  Bezeichnung  des  freien  Verkehrs  der  Ge- 
schlechter unter  einander  vor  dem  Eingehen  einer  Ehe  bereits  kennen 
gelernt  haben.  Wenn  hier  auch  sehr  liäufig  sich  reine  Concubinats- 
verhältnisse  entwickeln,  so  ist  doch  andererseits  die  Grenze  zwischen 

■  Concubinat  und  Prostitution  hier  lur  uns  kaum  zu  ziehen  möglich. 
Penn  in  sehr  vielen  Fällen  ist  wohl  dieses  Coucubinatsverhältniss 
I  ein  häufig  wechselndes,  oder  ein  melireren  jungen  Männern  gleich- 
,  zeitig  gewährtes,  und  ferner  finden  wii*  gar  nicht  selten  die  directe 
■ÄA-Ugabe,  da.ss  das  Mädchen  für  die  Ueberlassung  ihre.s  Körpers 
^BGe.Hchenke  fordert  und  annimmt.  Immerhin  liat  doch  hier  die  freie 
^rV\^ahl  oder,  wenn  wir  es  so  uenm-n  wollen,  die  Liebe,  ihr  Recht  be- 
^lialten,  während  wir  die  Prostitution  im  eigentlichen  Sinne  des 
"Wortes  bisher  doch  immer  nur  von  vereinzelten  Weibern  des  Volkes 

Iund  zwar  fast  immer  nur  von  solchen  niederer  Herkunft  ausUben 
aahi'n. 
£inen  widerlichen  Eindruck  macht  es  jedoch  auf  uns,  wenn 
wir  erfahren,  wie  die  Prostitution  bei  bestimmten  Nationen  eine  so 
allgemein  verbreitete  und  so  selbstverständliche  Volkasitte  ist,  dass 
die  Eltern  ilire  Töchter  besonders  dazu  anhalten  und  selbst  die 
Ehemänner  Capital  aus  den  Reizen  ihrer  eigenen  Frauen  schlagen. 
Die  Töchter  der  Lyder  mussten  sich,  wie  Uerodof  {I.  93)  erzählt, 
)rostituiren  und  auf  diese  Weise  ihre  Mitgift  sammeln.  Die.s  trieben 
iie,  bis  sie  sich  verheirutheten,  so  dass  sie  sich  selbst  ausstatten 
iten.  Es  gab  in  Ly dien  ein  sehr  grosses  Grabmal  des  Ah/at(es, 
_  Vaters  des  Kroisos;  auf  diesem  Grabe  standen  !>  Denksäulen, 
fäeren  grösste  die  Buhldimen  aus  ihren  Mitteln  gesnumielt  hatten. 
Bei  den  Burjäten  giebt  es  keine  junge  Frau,  kein  junges 
Mädchen,  die  nicht  bereit  wäre,  ihre  Reize  für  klingende  Münze 
^■preiszugeben.  Eine  Folge  der  geschlechtlichen  Ausschweifungen 
^^fiind  geheime  Kraukheiten,  welche  in  den  Jurten  der  Nertschinsker 
Steppe  gra.ssiren,  tust  unheilbar  sind  und  viele  Opfer  dahinraffen. 
Alhin  Kühn,) 

Die  Männer  der4iai da- Indianer  imtemehmen  mit  ihren  Frauen 

lll'^omnierlich    «Speculationsreisen   nach    Victoria,    woselbst  jeder 

roll  beiden  auf  eigene  Faust  sein  Glück  macht,  und  sie  dann  gemein- 

lui  wieder  heimkehren.     Die    traurigen  Folgen    äu.ssern  sich  auch 

Jei  den  Weibern  in  verderblichen  Krankheiten."  [Jacohsen.) 

Bei  vielen  Völkern  Afrikas,  z.  B.  den  Mpongwe,  sind    die 


IL  Da 


rifii 


Afrika 


dbs 


Wab  ak  IwBMlifgn  Baus,  dtmok  Bmt  nebr  noek  emfeagen  soQen 
ili  fie  Arbeit  dal  SebErm.  Dtther  and  itif  IThrwinni  i  gen  boeifc, 
ikn.  fatthmni  dem  eisten  beskcB  m  Ihrrt— w,  ja  ühb  aimbieiea; 
4iBB  kt  der  Fkonde  Beklu  ao  trirl  er  rihlni.  m  er  dber  arm,  ao 
wird  er  der  Sckre  des  Geanhla.  SpeS^hait  gegca  einen  fre^eh^en 
Liebhaber  wfird«  der  GcanU  Mincr  Gattin  mit  dem  ^K^eiaiga*  in  I 
der  Hand  bald  aatraben. 

Auf  K iaa  dagfgfn  beitraft  man  die  Prowritation  mit  dem  Tode. 

In  den  cirflsRiten  Stiilen  der  Oeg^wart  hnt  maix  sich  in 
inner  eihSfatem  Grade  ud  die  ^iMrliTg»fcimg  der  Proaütatimi  be- 
nflfaL  Aas  zwei  MotTven  aah  aidi  der  moderne  Staat  gsnöth^^i, 
dam  ProatitiitioB*weae&  beschränkend  entgegen  n  treten:  einestbeÜB 
aaa  Oifindea  der  öffentlichen  Moral,  aodceoi&eila  ans  sanitäres 
ROckBichten;  das  eine  Mal  wurden  Sitten-Btlreaas  m  solchem 
Zweck  angeordnet,  daa  andere  Mal  hat  die  Medicinal-PoHzei 
den  Anfing  ethallai,  die  Pnwtifcntwn  als  schlimmste  Terbreitenn 
yphiffiiacher  Erkrankmigen  xo  Hberwachen.  Die  lefftslatoriache 
Fnuda  hat  dabei  rerBduedeoe  W^e  eömacUagen.  Im  Allgemeinen 
beobachtet  man  xwd  eulgcgeugeaetate  ^ateme:  aaf  der  einen  Seite 
die  •bedingte  Toleranz*,  auf  der  andmn  Seite  die  gewaltigsten 
Aoatrengungen  znr  UnterdrGckung  der  Proetitiition.  Man  erkannte 
nefir  and  mehr,  daas  die  heimliche  wie  die  offene  Prostitution, 
die  in  allen  groesen  A^erkehrsplätzen  aoibitt,  das  sociale  Lehen  an- 
bedingt als  schlimme  sociale  Cebel  schäd^en.  Allein  beide  Arten 
der  Proetitation  wirken  in  Terschiedenem  Grade.  Wie  fsH^rall  die 
geheitne  Prostitution    in   omgekehrtem  Yeihaltai^  .^n 

•teht,  so  herrscht  jene  dort  am  zQgelloseeten  nc- ^^.^....^len, 

wo  letztere  gar  nicht  besteht  und  die  Abzugskanile  ^  Unlauter- 
keit fehlen.  Sie  oteckt  dann  alle  Gesellschaf^klassen  an,  und  aelbat 
da«  Famihenleben  wird  von  ihrem  Geist  ergriffen.  Auf  der  anderen 
Bdte  wurde  freilich  dem  Bordellwesen  der  Vorwurf  f^macht,  daas 
ani  einem  Bordell  der  Rücktritt  eines  reuigen  Mädchens  in  eine 
ge<irdnete  Lehensweise  schwer  möglich  ist.  Und  was  für  Nieder- 
trächtigkeiten ausgeftihrt  werden,  um  neuen  Nachwuchs  fUr  diesas 
unglQckliche  Bordellleben  zu  erhalten,  das  haben  znr  GeuQge  und 
in  erschreckender  Weise  die  Enthüllungen  der  Palt-JlaU'Ga^ate  tu 
zeigen  vemiocht 

Er  liegt  nicht  in  dem  Rahmen  dieser  Arbeit  zu  ontersuchen, 
walehe  Gesetze  und  Polizei  Verordnungen  die  modernen  «*•'•--  {n 
dieicr  Angelegenheit  erlassen  haben;  das  muss  einer  Staate <  n-n 

Monographie  ober  dieses  hygieinisch  so  wichtige  Thema  Qberlaisen 
bleibrn.  Wir  mtVssen  aber  noch  nnser^  Aufmerksamlrett  aof  gewurn 
Arten  tfiiiiiorärer  Prostitution  t  .  welche  im  folgenden  Ab- 

BchriiHr   flnditig  skizzirt  werdeu 


51.  Heilige  Orgien  un<]  erotiscfae  Feste. 


337 


51.  Heilige  Orgien  und  erotisclie  Feste. 

Man  hat  die  Verpflichtung  der  Frauen  und  Mädchen,  sich  im 
Tempel  der  Gottheit  an  bestimmten  hohen  Festtagen  entweder  dem 
Priester  oder  den  anderen  Festgenosaen  zu  überlassen,  mit  dem 
Namen  der  religiösen  Prostitution  bezeichnet. 

Eine  religiöse  Prostitution  gab  es  bei  mehreren  Völkerschaften : 
in  Babylon  trieb  man  die  Prostitution  in  Form  eines  Gultus  der 
Mylitia  (einer  der  Venus  analogen  Göttin) ;  dort  zwang  das  Gesetz 
jede  Frau,  einmal  in  ihrem  Leben  den  Tempel  dieser  Göttin  zu 
besuchen,  um  sich  in  demselben  einem  Fremden  preiszugeben. 
Dieser  Cult  breitete  sich  ober  Cypern,  Phönikien  imd  andere 
Länder  Kleinasiens  aus. 

Bei  den  Armeniern  mussten  sich  nach  Strabo  die  Mädchen 
for  ihrer  Verheirathung  längere  Zeit  der  Anaitis  weihen,  und  Lu- 
ianus  erzählt,  dass,  wenn  in  Byblos  die  Frauen  am  Trauerfeste 
ies  Adottis  sich  nicht  die  Haare  abschneiden  lassen  wollten,  sie 
rezwungen  waren,  sich  einen  Tag  in  dem  Tempel  der  Aphrodite 
lyhlie  den  Fremdem  preiszugeben. 

Auch  die  Aegypter  hatten  zu  Ehren  der  Isis  (PascfU)  Feste, 
>ei  welchen  die  schrecklichsten  Ausschweifungen  stattfanden. 

Die  Griechen  scheinen  einen  solchen  Cult  fiir  ihre  Aphrodite 

in  gleicher  Gestalt  nicht  gekannt  zu  haben ;  jedoch  sind  wir  über  die 

rituellen  Gebräuche  der  Aphrodite  Fatidcmos  zu  wenig  xmterrichtet 

jand  wissen  nicht,    ob  deren  Hierodulen  ihren  Dienst  nur  vorüber- 

rehend  zti  verrichten  hatten,  oder  ob  ihre  Anstellung  eine  dauernde 

rar.     In  spaterer  Zeit  scheint  allerdings   das  letztere    der  Fall  ge- 

resen  zu  sein.     In  Rom  wurden,   wie  Juvenalis  berichtet,  bei  den 

i'esten    der    Bona    Dea    von    den    vornehmen    Damen  Orgien  der 

^hlimmsten  Art  gefeiert. 

Wie  aber  auch  in  der  Aera  des  Christenthums  geschlechtliche 
iusi*ch weifungen  angeblich  ziu-  Ehre  Gottes  getrieben  worden  sind, 
is  beweisen  die  von  Dixon  in  seinen  Seelenbräuten  geschil- 
lerten Miickersecten,  das  beweisen  die  Gottesdienste  der  Eva  von 
iiätUr  und  ihrer  Genossen,  imd  das  l)ewei8en  endlioh  die  gericht- 
ichen  Verhöre,  welche  in  Russland  mit  den  Mitgliedern  der 
ikopzensecte  angestellt  worden  sind. 

Aber  auch  Feste  nicht  religiösen,  sondern  profanen  Charakters 

werden  von  vielen  Völkern  gefeiert,   bei  denen  der  geschlechtliche 

'^erkehr  zwischen  Weib  und  Mann   theils    pantomimisch   zur  Dar- 

It^lhmg  gebracht  wird,    theils  wirklich  in  natura  zur  Ausfuhrung 

klangt. 

So  soll  in  der  warmen  Jahreszeit  in  Australien  bei  einzelnen 

tämmen  (z.  B.  den  Vatschandis)  die  Begattung  mit  einem  Feste 

feiert  werden,  das  Kaaro  heisst  und  mit  einem  Gelage  der  Männer 

nt.     Dann    reiben    sich   die   Männer  mit  Asche   imd  Fett  ein 

ffthren    bei  Mondlicht   einen    höchst   obacönen  Tanz   um   eine 

!••■,  Sm  Wall).  I.    ».  Abu.  22 


XI.  Der  Eintritt  des  Weibe«  in 


Grube  auf,  die  mit  Gebüsch  umgeben  ist.  Ghrube  und  Gebüsch 
stellen  das  weibliche  Glied,  die  von  den  Männern  geachwungenen 
Speere  das  männliche  Glied  vor.  Die  Männer  springen  mit  wilden 
Geberden,  die  ihre  erregte  Wollust  verratheu,  umher  unter  Stossen 
ihrer  Speere  in  die  Grube,  indem  sie  dazu  singen:  Pulli  nira,  watake 
(Non  foBsa,  sed  cunnus).   {Müller.'^) 

Die  Kanaken  auf  Hawai  haben  einen  losciven  Tanz,  der  nach  Buch- 
fter  unter  allen  polynesiscben  Tänzen  der  laauivste  ist  und  Hula-Hula 
heisst.  Zuerst  setzton  sich  die  Tänzerinnen  sowohl  wie  die  Musikanten  mit 
gekreuzten  Beinen  in  zwei  Reihen  auf  den  Boden  und  erhoben  einen  Wecbael- 
gcsang,  wobei  sie  bald  langsam,  bald  rasch  und  leidenschaftlich  den  Ober- 
körper und  die  Arme  hin  und  her  warfen  und  kleine,  mit  Steinen  gefüllte 
Calabassen  schüttelten,  so  dass  ein  beilloser  rasselnder  Lärm  entstand.  Die 
Mdlodie  war  viel  complicirter ,  als  die  beim  Uaka  der  Masri  und  beim 
Meke  Meke  der  Viti.  Die  zwei  Tänzerinnen  trugen  eigenthümüchen  Schmuck 
um  die  Knöchel,  eine  Art  Mieder  und  aufgeschürzte  Röcke;  ehemals  be- 
schränkte sich  das  Coatüm  auf  oin  Röckchen,  das  nur  dazu  diente,  empor- 
geschnellt  zu  werden.  Nach  einiger  Zeit  sprangen  sie  auf  und  machten 
unter  wildem  Schreian  und  Rasseln  mit  dem  Becken  höchst  unzüchtige  Be- 
wegungen. Die  eingebornen  Zuacbauer  betheiligten  sich  höchst  lebhaft  an 
dem  Vergnügen,  lachten  entzückt  und  machten   dieeelbcn  Hüftbewcgungen. 

Ueber  die  Belustigungen  der  Schwai-zeu  im  Kuango- Gebiete 
(WestafrikaJ   berichtete  der  Stabsarzt   Wolff^: 

(Der  Tanz  besteht  hier  überall  zumeist  aus  möglichst  schnellem  seit- 
lichen Hin-  und  Herbewegen  des  Hinteren,  indem  sich  Männer  und  Weiber 
gegenüberstehen,  dann  mehrmalB  aufeinander  zugehen  und  zurückweichen, 
endlich  sich  umfassen.  Hier  stehen  sie  in  dieser  Stellung  ein  Weilchen 
still,  um  dann  wieder  auseinander  eu  gehen  und  von  vom  anzufangen.  In 
manchen  Dürfern  in  Madimba  machen  sie  erat  in  dieser  Umarmung  die 
nnzweideutigsten  Bewegungen,  um  dann  danach,  wie  ermattet,  noch  in 
einander  verschlungen  ein  Weilchen  fitill  zu  verharren." 

Spix  und  r.  Martins  wohnten  im  näclitlichen  Ihmkel  einem 
Tanze  der  Puri  in  Sttdamerika  bei,  in  de.ssen  zweiter  Abtheilung 
die  Weiber  anfingen,  das  Becken  stark  zu  rotiren  und  abwechselnd 
nach  vom  und  hinten  zu  stossen.  Auch  die  Männer  machten  Stoss- 
bewegungeu  mit  dem  Mittelkörper,  aber  nur  nach  vom. 

Dass  derartige,  die  Sinne  aufregende  Tänze  bei  Völkern,  welche 
die  Keuschheit  der  jungen  Mädchen  nicht  verlangen,  sehr  bald  zur 
That  ftliiren,  das  wird  man  wohl  nicht  wunderbar  finden,  und  Ä'm- 
lischer  glaubt,  dass  hierdurch  eine  Art  Zuchtwahl  ausgeübt  w«rde. 
Er  ffthrt  eine  Reihe  von  Beispielen  au,  welche  seine  Annahme  zu 
bestütigeu  geeignet  sind.  Es  möge  das  Folgende  hier  noch  seine 
Stelle  finden. 

.Die  Ausübung  d<-r  Wahl  seitens  der  Frauen  und  die  AufraerkHamkeit« 
die  sie  der  iiusscren  Er^chf  iuuiig  der  Männer  widmen,  kann  aus  einem  Tons« 
der  Raffern  constatirt  werden.    Bei  demeelben.  erzählt  .<l/bfrti,  echaart  Hieb 
eine  behebige  Anzahl  MiLnner,  gewöhnlich  ganz  entkleidet,  in  gerader  Linie  \ 
dicht  zosammen,  wobei  jeder  seinen  rechten,  anfwJlrts  gerichteten  Arm,  eintn  | 
Ötreitkolben   in  der  Hund,   mit  dem    linken   »eine«  Nebenmannes    votkettot 


$39 


Dicht  hinter  den  Männern  steht  eine  Linie  Frauen,  deren  Arme  jedoch  nicht 
verkettet  sind.  Die  Männer  springen  anhaltend  und  ohne  alle  Veränderung 
mit  gleichen  Füssen  in  die  Höhe,  während  man  an  den  Frauen  eine  sich 
beinahe  an  dem  ganzen  Köq)er  äussernde  krampfhafte  Bewegung  wahr- 
nimmt, welche  vorzüglich  in  Vor-  und  Zurückheugen  der  Achseln  und  einer 
damit  in  Verbindung  stehenden  Kopfbewegung  besteht.  Dabei  machen  diese 
von  Zeit  zu  Zeit,  indem  sie  nach  einer  halben  Wendung  sich  einander  in 
sehr  langsamem  Schritte  folgen,  einen  Gang  um  die  Linie  der 
Männer  und  nehmen  dann  ihre  erste  Stellung  wieder  ein.  Bei  diesem 
Allem  wissen  sie  aicii,  vorzüglich  durch  Niederschlagen  der  Augen, 
ein  sehr  sittsames  Ansehen  zu  geben.  Es  ist  klar,  dasH  durch  das  Nieder- 
schlagen  der  Augen  der  eigentliche  Zweck  der  Umschau,  die  die  Frauen  über 
die  Reihe  der  Männer  machen,  deutlich  angegeben  wird.* 

Aber  auch  in  der  Christenheit  gab  es  Feste,  bei  denen  die 
Sittlichkeit  um  keine  Spur  grösser  war,  als  bei  diesen  Heiden. 
Besonders  waren  es  die  E.sels-  und  Narrenfeste,  aber  auch  Kirch- 
weihen und  Processionen,  welche  zu  den  ächamlosesteu  Ausschwei- 
fungen führten.  Und  auch  gewisse  Tänze  erfreuten  sich  keines 
sehr  feinen  Rufes.  So  schreibt  Praetorim  (1668)  von  dem  Tanze 
Gallarda: 

, Zudem  dass  solcher  Wirbeltanz  voller  schändlicher  onfläthiger  GeV>er- 
den  and  unzüchtiger  Bewegungen  ist.* 

und  Spangenbery  sagt  in  seinen  Brautpredigten : 

«Behüte  Gott  alle  frommen  Gesellen  für  solchen  Jungfrauen,  die  da 
Lust  zu  den  Abendtänzen  haben  und  sich  da  gerne  umbdrehen,  unzüchtig 
küssen  and  begreifen  lassen,  es  muss  freylich  nichts  gutes  an  ihnen  sein; 
da  reizet  nur  eins  das  ander  zur  Unzucht  und  fiddern  dem  Teufel  seine 
Bolze.  An  solchen  Tänzen  verleuret  manch  Weib  ihre  Ehre  und  gut  -Ge- 
rücht. Maniohe  Jungfraw  lernt  allda,  dass  ihr  besser  wäre,  «ie  hätte  es  nie 
erfaren.  Summa,  es  geschieht  da  nichts  ehrliches,  nichts  göttliches.* 
{Kulischer.) 

Bei  den  Neu-Britanniern  werden  nach  Weisser  die  jungen 
Mädchen  mit  Eifersucht  gehütet,  und  ein  freier  Verkehr  mit  jungen 
Männern  wird  ihnen  im  Dorfe  nicht  gestattet;  allein  zu  gewissen 
Zeiten  ertönt  eine  besonders  hellklingende  Trommel  des  Abends 
aus  dem  Busch,  worauf  denselben  erlaubt  ist,  sich  dorthin  zu  be- 
geben, wo  sie  dann  mit  Jungen  Männern  zusammentreffen. 

Vielleicht  haben  wir  es  als  Nachklänge  im  ethnographischen 
Sinne  aufzufassen,  wemi  wir  zwar  nicht  mehr  den  unbehinderten 
geschlechtlichen  Verkehr  bei  den  jungen  Leuten  antreffen,  wenn  wir 
aber  doch  noch  finden,  dass  bei  aller  sonstigen  Decenz  imd  Keusch- 
heit in  den  Worten  doch  bei  gewissen  Gelegenheiten  unsittliche 
und  aiistössige  Dinge  zwischen  den  Jünglingen  imd  den  jungen 
Mädchen  frei  zu  verhandeln  erlaubt  ist  imd  dieses  auf  beiden  Seiten 
die  griJsste  Heiterkeit  verursacht. 

Noch  heutigen  Tages  ist  diese  Unsitte  bei  un.s,  namentlich  auf 
dem  Lande,  nicht  ausgestorben,  und  für  gewöhnlich  ist  es  der 
Polterabend,  der  hierfür  die  Gelegenheit  abgiebt,  während  früher  im 


340  ^«  Der  Eintritt  des  Weibes  in  da«  Geschlechtsleben. 

Mittelalter  selbst  in  den  vornehmsten  Kreisen  bei  dem  Öffentlichen 
Beilager  des  jungen  Paares  die  ärgsten  Zoten  ohne  Scheu  ange- 
sprochen wurden.  Auch  pfl^^n  auf  dem  Lande  die  Spinnstuben 
nicht  immer  eine  absolute  Sittenreinheit  in  den  Beden  darzubieten 
Etwas  Aehnliches  finden  wir  auch  bei  einem  der  Türken  Völker 
im  westlichen  Asien,  bei  den  Kumücken. 

,Za  den  Spielen  (der  Kumücken)  gehOrt  unter  andern  das  SüjdQn- 
Tajak,  d.  h.  Liebesstock,  welches  meistens  bei  Hochzeiten  and  von 
ünverbeiratheten  gespielt  wird,  und  wobei  die  Verliebten,  indem  sie  sich 
gegenseitig  mit  einem  Stabe  anf  die  Schulter  schlagen,  Dialoge  theils  sar* 
kastischen,  theils  erotischen  Inhalts  wechseln."  {Vambery.) 


XII.  Liebe  und  Ehe. 


^ 


I 


53.  Die  Liebe. 

Es  wird  wohl  immer  eine  unentschiedene  Frage  bleiben,  wo 
_enige,  was  wir  unter  dem  Begriff  der  Liebe  zu  dem  anderen 
Geschlecht  verstehen,  in  der  Stufenfolge  der  Volker  seinen  Anfang 
nimmt.  Ob  sie  dem  Menschen  auf  der  niedersten  Stufe  der  Cul- 
turentwickelung  wohl  gänzlich  fehlt  ?  Fast  möchte  es  den  Anschein 
haben,  als  wenn  sie  bei  manchen  Völkern  gar  nicht  existirte,  wenn 
wir  das  Weib  fast  schlechter  und  schmachvoller  behandelt  sehen, 
als  die  Hausthiere,  wenn  wir  sehen,  wie  nicht  selten  der  geschlecht- 
liche Verkehr  durch  Gewalt  und  Misshandlung  erzwungen  wird. 
Und  dennoch  können  wir  nicht  behaupten  und  beweisen,  dass  trotz 
dieser  Rohheiten  nicht  doch  die  Gattenliebe  in  ihren  Keimen  schon 
vorhanden  ist,  wenn  sie  auch  noch  als  ein  schwach  glimmender, 
leicht  verlöscheuder  und  fllr  einen  anderen  Gegenstand  wieder  auf- 
glühender Funken  ihr  verborgenes  Dasein  führt  und  noch  nicht  zu  der 
hellen  weitatrahlenden  Flamme  geworden  ist,  als  welche  wir  bei  den 
civüisirten  Völkern  die  Liebe  kennen.  Wer  wollte  z.  B^  den  Feuer- 
1  ändern  die  Liebe  zu  üiren  Kindern  absprechen,  weil  einmal  ein 
Vater  sein  Kind  erschlug,  weil  es  einen  Korb  mit  Muscheln  ver- 
HchntteteV  (Dartvin.^)  Der  Mann  hatte  nur  nicht  seine  Stimmungen 
in  seiner  Gewalt  und  Hess  unüberlegt  auf  einen  Zornanfall  sofort 
die  Tbat  folgen,  und  hat  yielleicht  in  seinem  Herzen  später  den 
Verlust  seines  Kinde«  tief  betrauert.  So  mag  es  auch  mit  der  uns 
hier  beschäftigenden  Liebe  sein ;  oft  mag  sie  scheinbar  durch  augen- 
blickliche Missstimmungen  verdrängt  und  vernichtet  werden,  und 
dennoch  tritt  sie  später  vielleicht  wieder  in  ihre  Rechte. 

Bei  allen  unverdorbenen  Völkern  erscheint  allerdings  die  Mutter- 
liebe stärker,  als  die  Liebe  zum  Manne,  Die  „Hingebung*  an  den 
Mann  ist  bei  der  Paarung  entweder  eine  freiwillige  oder  eine  ge- 
zwungene. Der  Mann  erwirbt  sich  seine  von  ihm  selbst  nach  eige- 
nem Gutdünken  oder  diurch  Andere  Erwählte  in  mannigfachster 
Weise  und  nach  festgesetztem  Brauch,  sei  es  durch  Raub,  sei 
es  durch  Kauf.  Die  Rolle,  welche  dabei  das  Weib  spielt,  ist  zu- 
meist eine  untergeordnete;    sie   hat  gar  selten    völlig  freie  Wahl. 


XII.  Liebe  nnd  Ehe. 


Aber  das  AUes  berechtigt  uns  nicht,  diesen  Völkern  die  Lieoe 
ganzlich  abzusprechen.  Und  wenn  das  geraubte  oder  gekaufte 
Weib  auch  vielleicht  im  Anfange  dem  Manne  mit  Widerwillen  nnd 
mit  Widerstreben  sich  hingeben  mag,  warum  soll  sich  nicht  später 
bei  ihr  die  Liebe  entwickeln?  Sind  nicht  die  geraubten  Sabine- 
rinnen sehr  treue  Gattinnen  geworden?  Nun  kommt  noch  hinzu, 
dass,  wie  wir  sehen  werden,  bei  vielen  Stämmen  ein  solcher  Raub 
oder  Kauf  gar  nicht  vorkommen  kann,  wenn  nicht  schon  ein  ge- 
wisses Einverständiiiss  zwischen  den  beiden  jungen  Leuten  herrscht, 
dass  also  auch  der  Frau  ein  gewisser  Grad  der  Selbstbestimmung 
erhalten  bleibt.  Solch  ein  Scheinraub  findet  bei  den  Tasmaniern, 
bei  den  Polynesiern  auf  Tukopia  und  bei  einigen  Polarvölkem 
statt.  Aber  auch  manche  anderen  Nationen  haben  Anklänge  hier- 
von erhalten. 

Einen  Beweis,  dass  die  wilden  Volker  die  Fähigkeit  zu  sanften 
Herzensregimgen  nicht  besässen,  suchte  man  auch  darin  zu  finden, 
dass  manchen  derselben  ein  Wort  für  Liebe  gänzlich  fehlt.  Damit 
ist  aber  noch  gar  nichts  bewiesen,  denn  nicht  immer  hat  ein  Volk 
für  dasjenige,  was  ihm  zum  Bewusstsein  kommt,  sofort  auch  eine 
Bezeichnung  in  seiner  Sprache.  Und  für  derartige  abstracte  Be- 
grilfe  werden  die  Worte  am  allerspätesten  erfunden. 

Ein  Mangel  des  Begriffes  Liebe  kann  auch  dadurch  vorge- 
täuscht werden,  dass  der  uncivilisirte  Mensch  es  für  unanständig 
und  gegen  seine  Wl\rde  verstossend  ansieht,  wenn  er  einen  Anderen 
seine  Gefühle  und  Empfindungen  erkennen  oder  ahnen  lässt. 

So  erinnert  Peschel  daran,  daes  der  Arawake  in  Guiana,  wenn  er 
sich  unbemerkt  glaubt,  weil  er  anders  seiner  Mannerwürde  etwas  zu  vergeben 
fürchtet,  seine  Frau  mit  feurigen  Zärtlichkeiten  fiberhiluft.  Femer  kann 
man  auch  die  Germanen  als  ein  für  zarte  Liebe  zugängliches  Urvolk  an- 
führen, denn  n^^ch  Tacitus  stellten  sie  die  Frauen  sehr  hoch:  Inesse  quin 
etiam  sancbum  alLquid  et  providum  putant;  nee  ant  consilia  earam  adsper- 
nantur,  aut  re^ponaa  negligunt. 

Im  Lande  der  Muskogee  giebt  es  einen  Lover's  Leap,  einen  Felsen, 
von  dem  sich  zwei  verfolgte  unglückliche  Liebende  herabstürzten  in  den 
Fluss,  und  der  Mississippi  hat  seinen  Maiden 's  rock,  an  den  sich  eine 
ähnliche  Sage  knüpft.  Dass  sich  Mädchen  unter  den  Indianern  Nord- 
amerikas in  Folge  von  unglückhchej'  Liebe  erhingen,  kam  öfters  vor;  und 
Hedkttcaeder  sovrie  Tanner  ere&blen  selbst  Fälle  von  Selbstmord  bei  MSjonem 
bei  IndianerTöIkern  aus  gleichem  Grunde.  Selbstmord,  den  manchmal 
schon  ein  geringer  ehelicher  Zwist  veranlasst,  ist  bei  den  I  n  d  i  a  n  e  r  ■  Weibern 
hlUiKger.  als  bei  deren  Männern,  welche  sich  (nach  Keating)  bisweilen  aus  Neid 
gegen  den  Ruhm  eines  Rivalen  umbringen.  In  den  Fällen  des  Mississippi 
von  St.  Anthony  ertränkte  sich  einst  ein  Weib  mit  ihren  Kindern,  da  ihr 
Mann  ein  zweites  nahm;  und  bei  den  Kuistcno  opfert  sich  nicht  »eilen 
ein  Weib  auf  dem  Grabe  ihres  Mannes.  Das  berühmt«  Beispiel  einer  iQd* 
amerikaDi^che  u  Indianerin,  die  sich  auf  dem  Gmbe  ihres  Gellebten 
umbrachte,  um  nicht  in  die  Hund  der  Spanier  tu  fallen,  hat  Outvara  be- 
richtet und  später  ilel  Bareo  Centera  ausführlich  ' 

Von  den  ilarar!  im  nordöstlichen  Afrika  sa^'i  'i^-'  Die  Neigung 


I 


der  beiden  Geschlechter  zueinander  ist  in  der  Jugend  eine  ganz  intenäive 
und  edle,  und  in  einer  ganzen  Reihe  von  Liebesliedem  wird  den  Gefühlen 
des  Herzens  oft  in  überschw&nglicher  Weise  Ausdruck  gegeben.  Unter  den 
Galla  und  Bantu  kam  es  vor,  dass  erkaufte  Weiber,  welche  den  aufge* 
nCthigten  Ehemännern  nicht  gut  waren,  sich  lieber  das  Leben  nahmen,  als 
da«8  f>ie  den  für  sie  entehrenden  Pact  schlössen. 

Polak  stellt  den  Satz  auf:  Der  Begriff  von  Liebe,  den  wir  liaben, 
existirt,    wie  im  ganzen  Orient,  auch  in  Persien  nicht.     Jedoch 
widersprechen  dem  doch  ganz  entschieden  die  glühenden  Schilderungen 
treuer  Liebe,  wie  sie  uns  in  Tausend  und  einer  Nacht  gegeben  werden. 
Treue  Liebe  zu   ihren  Gatt«n   und  zartes  Liebeswerben  unter 
den  ünverheiratheten  treöen  wir  auch  bei  den  Bewohnern  der  Stld- 
Lseeinseln  au.     Man   muss  eben  in  der  Liebe  verschiedene  Grade 
rund  Abstufungen  anerkennen,  zwischen  denen  ein  weiter  Spielraum 
liegt,  aber  wahrscheinlich  giebt  es  kein  einziges  Volk  oder  sicher- 
lich doch  nur  sehr   wenige,  welche   auch    nicht   einmal   im  Besitze 
der  geringsten  Grade  von  Liebe  sich  befinden  sollten. 


53.  Der  Liebeszauber. 

Ist  einmal  die  Liebe  erwacht  und  hat  sie  nicht  die  erwünschte 
Gegenliebe  gefunden,  so  hat  sie  von  jeher  nach  übernatürlichen 
Mitteln  gesucht,  um  dieselbe  dennoch  zu  erringen.  Hat  sie  diese 
Gegenliebe  aber  erlangt,  so  schwebt  sie  nicht  selten  in  banger 
Furcht,  sie  wieder  zu  verlieren,  mid  wiederum  müssen  magische 
Processe  die  schützende  Hülfe  gewähren. 

I  Der  Aberglaube  an  dergleichen  Mittel  ist  über  sehr  viele  Völker 

verbreitet,  nur  die  besonderen  Maassnalmieu  wechseln  je  nach  den 
Sitten  \md  der  Anschauung  der  Nation. 

Es    kommt    auch    auf  diesem    Gebiete   eine   ganze   Reihe   von 

[  hochinteresiianten  Erscheinungen  der  Mystik  zum  Vorschein,  und 
insbesondere  werden  wir  einige  solcher  Erscheinungen  mit  Hülfe 
einer  altmythologischen  Symbolik  erklären  können.   Beispiels- 

I  weise  flthren  wir  nur  Folgendes  an:  Der  Apfel  ist  das  heidnische 
Symbol  der  sinnlichen  Liebe;  es  werden  t^er  auch  die  Liebes- 
göttinnen mit  einem  Äpfel  in  der  Hand  abgebildet;  einen  Apfel 
h-ägt  auch  die  slavische  Sitca,  die  Göttin  des  Lebens  und  der  Frucht- 
barkeit. Am  Weihnachtsfeiei-tag  isst  im  Voigtland  der  Bursche 
einen  Apfel;  da«  erste  Mädchen,  da«  ihm  entgegen  kommt,  ist  seine 
künftige  Frau.  (Koehler.)  Und  ebenso  mag  es  sich  mit  anderen 
Requisiten  des  Liebesorakels,    mit   dem  Bleigiessen,    dem    Schuh- 

I werten   tmd   mit   den  mannigfachen  Handlungen   verhalten,    welche 

|bei  dem  Liebeszauber  ztun  Vorschein  konunen. 

Bei  der  Anwendung  des  Liebeszaubers  haben  wir  verschiedene 
Grade  und  Methoden  zu  unterscheiden.  Einestheils  sind  es  rein 
sympathetische  Mittel,  welche  von  fem  her  auf  denjenigen,   desaer 


344 


XII.  Liebe  uad  Ehe, 


Namen  der  deu  Zauber  Ausübende  nennt,  ihre  Wirkung  «its>« 
oder  es  aind  besondere  geheiizmifisrolle  Dinge,  die  man  sber  mit 
^em  zu  Bezaubernden  in  directe  Berfihrong  bringea  maaa.  oder' 
endlich  die  Zaubermittel  müssen  von  demjenigen,  uf  den  ea  abg»- 
«eben  ist,  in  irgend  einem  N^irungsmittel,  selbetvgCTtindlich  MUMJ 
•«in  Wissen,  genossen  worden  sein.  Hier  schlieest  sidi  das  Liebes- 
orakel an,  durch  das  man  Oberhaupt  erst  den  G^enstand  kennvn 
zn  lernen  hofft,  von  welchem  man  einst  geliebt  werden  wird.  Femer 
mu08  man  eine  schon  gewonnene  Liebe  zu  erhalten,  eine  verlorene 
wieder  zu  erwerben  und  endlich  die  Fesseln  einer  lästigen  Liebe  wie- 
der los  zu  werden  suchen. 

Bis   in   das    graue   Alterthum    sind  wir  im   Stande,    derartige! 
magische  Handlungen    nachzuweisen.     So   gab   es   schon   im   aUenl 
Indien  einen  Liebeszauber,  durch  dessen  BeihtÜfe  das  Mfidcben  auf  ( 
djis   Herz    ihres   heias   Geliebten    zu   mrkeu   suchte.     Ein    Beisiiiel 
findet  sich  in  einem  Zauberspruch  zur  Fesselung  eines  Mannes  und 
zur  Vertreibung  einer  glQcklichen  Nebenbuhlerin  (R.  Veda  10.  145i: 

.Dteae  Pflanze  grabe  ich  aus,  das  kräftige  Kraut,  durch  welches  msa 
die  Nebenbuhlerin  verdrängt,  durch  welches  man  einen  Uattra  erlangt. 

Du  mit  den  ausgebreiteten  Bl&ttem,  heilbringende,  kiaflreiche,  von  d«a 
Göttern  geapendete,  blase  weit  weg  meine  Nebenbuhlerin,  verschaffe  mir  einea 
eigenen  Gatten. 

Herrlicher  bin  ich,  o  herrliche«  Gewächs,  herrlicher  aU  die  Herriidien« 
aber  meine  Nebeubuhlerin,  die  soll  niedriger  sein  ala  die  Niedrigen, 

Nicht  nehme  ich  ihren  Namen  in  den  Mund,  nicht  weile  tie  gern  beij 
diesem  Stamme,  in  weite  Feme  treiben  wir  die  Nebenbuhlerin. 

Ich  bin  überwältigend,  da  bist  siegreich,  wir  beide  siegreich,  wollen , 
Nebenbuhlerin  bewältigen. 

Dir  legte  ich  die  siegreiche  rar  Seite,  dich  belegte  ich  mit  der  »ti 
reichen;   mir  laufe   dein  Streben  nach  wie  die  Kuh  dem  Kalb,  wie  Wasser 
dem  Wege  entlang  eile  ep." 

Eine  ganze  Reihe   solcher  Segen  zur  Entflammung  (^uc) 
Liebf"    in    dem   Herzen    eines   Mannes    hat   uns    der   Atharvaveda 
aufbewahrt.  (Zimmer.) 

Einen  Liebeszauber  bei  den  alten  Aegyp  t er  n  hat  Erman'-^  aus  dem 
grossen  Pariser  ZauberpapjTUS  nachgewie.sen.  Eine  der  Formeln 
lautet: 

.Mein  .  .  .  xu  legen  an  den  Nabel  de»  Leibes  der  A'.  N.,  es  zu  bringen  (?) 
den  .  .  .  der  N.  N.  und  dase  sie  gebe,  was  in  ihrer  Hand  ist,  in  meine  Hand, 
was  in  ihrem  Mund  iiit  in  meinen  Mund,  was  in  ihrem  Leib  ist  in  meinitn 
Loib,  vfas  in  ihren  weiblichen  Gliedmaasaen,  gleich,  gleich,  augenblicklich, 
augenblicklich.^ 

Die  alten  Romer  brauten  Liebestränke,  welchen  man  die  Kraft 
zuschrieb,  Personen  beiderlei  Geschlechts,  die  sich  frtiher  ganz  gleich- 
gültig gewesen,  ineinander  verliebt  zu  macheu  oder  durch  die  man 
den«  (Jej^enstaudu  .seiner  Anbetung  Gegenliebe  einzuimpfen  hoSle. 
LucuIIhs  soll  durch  einen  solchen  den  Verstand  und  zuletzt  das 
Leben  eingebUsst  hüben.  Der  Dichter  Lncretius  nahm  sich  das 
Leben  im  Liebeswnlm,    der  ihm  angeblich   durch    ein  Philtrum   — 


$46 


wnd0B 


Bofs 


80  Mumie  man  deu  .Liebeätnunk*  —  beigebracht  ward«.  Dagegen  soD 
Aptdejus  das  H.en  der  reichen  PudenUBa  dtii^h  ein  Phütnun  gewoimeo 
haben,  das  aus  Spargel,  Krebescfawanten,  Fischlaich,  Tranbenblut 
und  der  Znnge  de*  fabelhaften  Vocels  Jjop  zusammengesetzt  war. 
Der  Italiener  Porta  erzählt  Wunderdinge  von  der  Wirkung 
des  Hippomanee,  einer  schwarzen  Haut,  die,  roo  der  Ch^ase  einer 
getrocimeten  Feige,  anf  der  Stirn  neugeborena*  Fluten  wuchs  und« 
von  den  Griechen  zn  Polrer  rerbrannt,  im  Blute  des  Liebenden 
als  Philtnun  gebraucht  wurde. 
8^on  xa  früherer  Zeit  «cheinea  oiuere  germa.nisckca  Altvotdena  die 
»LJetwaoberei  getrieben  so  haben.  Di«  Ueba  MlWt  «mM^  aa  flir  ewen 
tSaaber  gehalten  haben,  da  sie  ja  eiacB  ao  Ibenws  ad^Aigaa  Einiaai  aaf 
Leib  asd  S«ele,  auf  GeUt  nnd  GÖaltb  aatttbi.  Maa  Mdite  im  »kaBdiaaTi- 
^•chen  Norden  xor  Eir«gaaff  der  liebe  dia  aijatiadM  Wirkaag  der  Baaea  ßn 
witWtmAoU  datihat.  Aawerb  makreaaa  aordiachea  Sagen,  die 
Mieker  Kraft  der  Boaen  BeJafnele  briogcn,  lenen  wir  aaa  den  Liedern 
Sitgfntd  detgleiekaa  LiebemitUl  kennen.  In  dem  errtaa  BrjfukOlitde 
Rnaen  gegen  BetbOmng  durch  Crefode  Weiber  mügetkaüt;  die  Boae 
Nand  (Not)  aaf  den  Nagel.  Odraaen  auf  den  RAekea  der  Haad  aad  anf  daa 
gertbit>  worin  der  Liebertraak  (nünnisweig)  geboten  wird,  waren  an 
Zweck  wirksMn.  Alt  heraaden  kiftftig  gnÜ  ein  Trank,  durch 
vad  Lieder  nnd  Bania  reidi  g— gnH  Ueber  dieaua  Ab«r> 
■prieU  Bradcr  ArlkäU:  ,Pfni,  glaafail  da.  daa»  da  eiaan  Maane 
ii[  in  Tliri  sau  ilmal  nllin  ■i'^nn  ~'  '^-  '^^'^i  isfni  hinrinrtrmiii  Inniifuit'" 
Sin  aademal  mft  er:  ,Es  gcka  maaehe  mit  bUeem  Zaaberwerk  aaa,  daaa 
wtkacB,  eiaee  Baaein  Sohn  oder  eiaea  Kaecbi  an  beanbera.  Ptm,  da 
ThSria!  waram  beaaabeni  da  nkkt  einen  Gtaföa  odv  eiaan  KflaigT 
werdest  da  ja  eine  Ktaigin  werden.  Allein  nieki  bin««  iank  Kr- 
Prcdigtea,  Modarn  aoch  aü  Tid  loifligcBca  )6tteia  « 
Enhe  gegfla  Miehea  Aba^giaabeB  la  Falie;  aad  Wnialill  flftit  aa: 
die  BexcBV«C»lga^ca  bMktai.  kiack&e  wiihi  MHea  Tanneiallid 
laaber  ein  W^b  anf  daa  Sekeitakaafen.  nsd  ntanehae  Mldckea 
MiaaB  Liebräi  mit  dem  Tode  bttwea* 

in  ecrtcT  Linie  galt  es.  mit  geräaaa  Zaabermxtteta  dem  gcb^tiea  «.■ 
ttaade  „Etwas  antnthnn''.  d.  h.  ihm  etwa*  hmaüiA  bwiabriagea  aaf  ( 
ptUhische  Wme,  wedureh  ein  an wideratak lieber  I 

wird.    Dabei  worden  oft  die  tbmri«diacben  Michte  ai  BsUk 
Ob^eäek  die  niiliftidin  in  Deataeblaadaaf  die; 
aad  dea  Gcbiaaek  Mieter  Jfitflal  hatpcdicksStnlca  I 
Glaaba  aadk  dmm  aack  nckt  gaaa.  ab  ama  aafkiili.  die 
aack  beata  kenma  im  Talk» 
Mittel  la  AnwaadBag. 

Der  deatseke  Tolkaaberglaabe  a.  B.  ii4 
«a  Mitteki   sar  Liebe» -Srwabaag,  die  nrfkkka 

UiBimiia      Zant  aiad  gewime  ZaaV«r«pr«ckc  aa  iialba^:  Ba^wb« 
dir  Oberpfals  eiaea  ZaBbanpraik.  ia 
|p,t»r-  «a  deakfifrmekai  Moad  w«ad 
dock  LFt  aar  bei  ■■■ikwielBB  Xaad  dar  Sfiadk  tbb  Wghtf. 
.Gs«M  dsck  Gott,  läebec 
leb  9^  «ek  kf«« 
Sakeät  dar  Moadi 


53.  Der  LiebeBZHu"beT. 


347 


)dei": 


Meinem  Herzallerliebsten  aaPa  Bett: 
Las«  ihm  nicht  Rast,  läse  ihm  nicht  Ruh, 
Da88  er  zu  mir  kommen  mu  (muss)!" 


„Ei  du  mein  lieber  Abendstem, 
Ich  seh  dich  heut  und  allzeit  gern; 
Schein  hin,  schein  her, 
Schein  über  neun  Eck, 

Schein  Ober  meines  Herzallerliebsten  sein  Bett, 
Dasa  er  nicht  rastet,  nicht  ruht, 
Bis  er  an  mich  denken  thut!" 
Die  Ausübung  eines  Liebeszanljers  ist  in  einem  Gemälde  (flandrische 
Jchule)  aus  dem  15.  Jahrhundert  dargestellt,  das  sich  im  Leipziger  Museum 
befindet  und  von  lÄtbke  besprochen  wird;   dazu  ist  eine  treflliche  Copie  ge- 
^geben  (Fig.  88) :  In  der  Mitte  eines  mit  Kamin  und  reichlichem  Hausgeräth  ver- 
lehenen    Gemaches    steht    ein    nacktes    Mildchen,    nur   mit   einem   dännen 
'Schleier  bedeckt;  neben  ihr  befindet  sich  eine  Truhe  mit  geöffnetem  Deckel;  in 
derselben,  die  auf  einem  Schemel  steht,  erblickt  man  ein  Herz,  wahrscheinlich 

Iein  Wachsbild.  In  der  rechten  Hand  hiVlt  das  Mädchen  Feuerstein  und 
Schwamm,  in  der  erhobenen  Linken  einen  Stahl,  mit  dem  sie  aus  dem  Feuer- 
Btein  Funken  schlagt;  diese  letzteren  sprühen  auf  das  Herz  herunter,  wahrend 
"Tom  Schwamm  auf  dasselbe  Funken  herabfallen.  Durch  eine  im  Hintergrund 
tich  öffnende  ThQr  tritt  ein  junger  Mann  in  das  Gemach. 
Ueber  die  Bedeutung  dieser  Scene  kann  man  nicht  zweifelhaft  sein: 
Offenbar  ist  hier  die  magische  Handlung  eines  Liebeazaubers  dargestellt,  der 

»in  solcher  Form  namentlich  im  Mittelalter  verbreitet  war.   Sie  bestand  darin, 
dass  man  ein  Bild  aus  Wachs  oder  anderem  Stoffe   (in  ganzer  menschlicher 
Figur  oder  auch  in  Gestalt  eines  Herzens)  mit  dem  Nßmen  Dessen,  auf  den 
es  abgesehen  war,  taufte  und  es  dann  glühen  oder  schmelzen  machte.    Durch 
die  Wirkung  galt   nun  Derjenige,   dessen  Namen   das  Bild  trug,  mit  seinem 
I Wesen  als  magisch  an  dasselbe  gebunden;  er  sollte,  indem  er  Aehnliches 
[erlitt,  wie  das  Bild,   in  Liebe  entzündet   werden.     Jacob   Grimm   erwähnt 
[folgende  Stelle  aus  dem  Gedicht  eines  fahrenden  Schülers: 
„3üt  wunderlichen  Sachen 
I^  ich  sie  denne  machen 
von  wahs  (Wachs)  einen  Kobolt 
wil  si  daz  er  ihr  werde  holt 
und  töufez  in  den  brunnen 
und  leg  in  an  die  sunnen." 
In  der  R<«gel  Hess  man  da»  Zauberbild  (den  „Atzmann'*),  statt  es  in  die 
[Bonne  zu  legen,  am  Feuer  „bähen".  In  unserem  Bilde  ist  die  „Taufe"  durch 
ein  Benetzen  des  Herzens  angedeutet,  zugleich  aber  auch  das  Entzünden  oder 
I  „Versengen". 

Auch  bei  den   Indianern  in  Nordaroerika  spielt  ein  Bild  des  Ge> 

'  liebten  bei  dem  Liebeszanber  eine  wichtige  Rolle.   Nach  Keating  fertigen  die 

iChippeway-Mädchen  ein  solches  Abbild  des  begehrten  Mannes  und  streuen 

ein  gewisses  Pulver  auf  die  Herzgegend,    Bemerkenswerth  ist  hier,  dass 

bei  «liesem  uncivilisirten   Volke  der  Sitz   der  Liebe  in  die  Herzgegend 

„wird. 

in  man  (im  8am  lande)  da,  wo  ea  Niemand  hOrt,  drei  Mal  laut 
len  Namen  der  geliebten  Person  ruft,  «o  zwingt  man  sie  dadurch,  an  den 
Rufenden  ra  denken.  {FriHdAitr.) 


Am  Johanxiisabend  itreat  man  in  der  Gegend  ron  Angerberg  (muh 
Müllrnhotf)  finen  beliebigen  Samen  in  die  Erde  und  epriebt  dabei: 
,Ioh  •treoe  meinen  Sameo 
In  Abntkam»  Namen, 
Diese  Nacht  mein  FräuUeb 
Im  Sdüafe  tu  erwarten. 
Wie  er  geht  und  steht. 
Wie  er  auf  der  Gasse  gebt!* 
<Mer  man  streut  Leinsamen  in 's  Bett  und  spricht: 
pich  efte  Leineamen 
In  Gottee  Jen  Namen, 
tn  Abrahams  Garten 
Will  ich  mein  Feinslieb  erwarten.* 

Ein  eigenthflmlicheg  magisches  Mittel  ul  der  Sudzauber,  aueh  8<ed> 
sauber,  nordisch:  seidr.  E»  wird  unter  gewissen  Sprüchen  ein  St^k  ge> 
braachter  Kleider  oder  Haar  in  einem  neuen  Geschirr  gesotten,  so  kooiml 
Über  die  sprOde  Person  plötzlich  die  Liebe  mit  solcher  Gewalt,  daas  sie  da> 
hin  Laufen  muss,  wo  die  Liebe  gesotten  wird,  and  cwar  um  so  schneller,  je 
st^ker  das  Wasser  im  Topfe  wallt;  und  kann  sie  es  nicht  eriaufen.  so  mnas 
sie  sich  zu  Tode  rennen ;  kein  Hindemiss  auf  dem  Wege  ist  so  stark,  das«  es 
nicht  Obennmden  werden  wollte.  Schömcerth  beriehtet  von  einigea  FiUeo, 
in  welclien  die  Verliebten,  wie  sie  fest  sn  wissen  Raubten,  unter  dem  Baue 
solchen  Zaubers  gestanden  haben. 

Derartiger  Zauber  ist  aber  nicht  allein  auf  die  enropiiscben  TOlkcr- 
•cbaften  beschränkt.    Das  beweist  eine  Angabe  von  Sitdd*. 

,8ynpatheti8cbe  Mittel,  Liebeswahn  zu  erregen,  werden  von  den  aof 
Djailolo  und  Halamahera  (HolL-Oatiodieu)  lebenden  Galela  and 
Tobeloresen  unter  der  Bezeichnung  ,golea  laha*  ofl  angewendet.  Die 
UBprtngUche  Galela  weise  ist  die  Bezaubenmg  mittelst  Binnen.  Man  r^%M 
m  dam  Zwecke  3  Tage  nach  Neumond  4  ümnuru-  und  4  Gabi-Btamen.  «teilt 
sie  in  einen  weisen  Topf  mit  Wasaar,  setst  diasalben  unter  freien  Hiounel 
▼or  sich  hin  und  spricht,  wenn  die  Staxne  sich  aeigen:  ,Frao  Sonne,  dn  bell 
leuchtende  Fran,  ich  gUnie  wie  die  Sonne,  die  anftpriagt  (aoigelit).  ick 
gUnze  wie  der  Mond,  der  sich  leigt.  ich  giSnse  wie  der  Stern  an  HiauMi. 
teh  glftttte  wie  das  Feuer,  das  flammt,  idi  gHütae  wie  die  SonaeabiBsw,  dia 
sidi  SiEaet,  möge  X  mich  lieben,  an  mich  denken  \m  Tmg»,  wie  bei  NnchL* 
Naeh  diesen  Worten  muss  Gedeht  und  Körper  dreiaal  aüt  dem  Waaitt 
gewaschen  werden,  in  dem  die  Binmen  lagto.* 

Auf  den  Aam-  nnd  Tanembar-insefai    (Kiederl&ndiseb-Osti 
dien)  wenden  aaeh  viele  Miaaer  spspatlictiadie  Zaabennittci  an.  ob 
Ftna  in  sieh  rediebt  an  aiariwa.    fHimblKj    Gnaa  Ikalieb  ist  es  aaf  den 
Seranglno-  aad-Goroag-bmla. 

iliissrinnkiillirh  nnanig&ltig  ist  die  sweite  Art  des  LiebeaauAen,  bei 
wddMm  das  gdiebie  Wesea  aüi  bestiaunten  abaoaderiici—  Diagta 
werden  arasa.    ba  Bpreewnld,  dar  bsknaatüA  eiae  weadisobe 
mg  basilst.  sagt  OMa  an  «taadaea  Octea.  daas  der  jaage  " 
Mldfii— IS  liebe  sa  gewiaaaa.  ia  doea  A  laiisiiiibanfeii  ciacn  Icbtadsn  Ffaack 
lüaeiatbon  and  eowcii  mtggikam  aeD,  daas  «r  niabi»  siekt  oad  atdtla  bOrl. 
dann  aadi  einigen  Stondea  anss  er  wiedesteauaea  und 
Pft>selMs  aelBBeB,  daraof  das  MUcben  eine  Band  fsbea  oad  ftr  dabei  A« 
Frosekband  in  ihre  Haad  drflekea. 

Aack  in  DeotscbUad  ist   d«r  Finadb  an  wie^Ügw  H<ifcMitte<  Ar 


349 


den  Liebeszaober.  In  Schwaben,  Böfameo,  He^isen,  Oldeaburg  thut 
der  Barsch  einen  Laubfrosch  in  einen  neuen  Topf  und  bindet  ihn  &in  Georgi- 
tage  vor  Sonneniviifgang  in  einen  AmeiBenhaufen ;  ist  der  Frosch  dann  von 
den  Ameiiien  verzehrt,  so  nimmt  man  am  folgenden  Georgitage  (also  nach 
Jahresfrist!)  die  Knöchelchen  heraus  und  bestreicht  mit  einem  solcheu  (dem 
Schenkelknochen)  da«  Mädchen  auf  sich  zu.  In  Ostpreussen  sticht  man 
zw'ii  »ich  begattende  Frösche  mit  einer  Nadel  durch,  und  mit  dieser  Nadel 
heftet  man  dann  einen  Augenblick  die  eigenen  Kleider  mit  denen  dee  Ge- 
liebten  rusammen.  (Toppen).  In  der  Oberpfalz  muas  der  Bursche  die 
Hand  des  Mädchens  mit  dem  Füsschen  eines  am  Lukastage  gefangenen  Laub- 
frosches blutig  ritzen. 

Dem  Frosch  schliesst  sich  die  Fledermaus,  die  Eule  und  der  Hahn  an, 
also  8&mmtlich  Thiere,  welche  in  der  Mythologie  und  in  der  schwarzen 
Kunst  von  jeher  eine  wichtige  Rolle  zu  spielen  bestimmt  gewesen  sind.  In 
Ostpreuasen  berührt  das  Mädchen  ihren  Geliebten  heimlich  mit  einer  Fleder- 
mauskralle;  sie  nauss  dabei  aber  einen  Zaubersegen  murmeln.  Im  Samt  and  e 
heisst  es:  Man  scbiesse  eine  Eule  und  koche  sie  in  der  Mittemachtsstunde. 
Alsdann  suche  man  aus  ihrem  Kopfe  zwei  Knöcbelchen,  welche  wie  Hacke 
und  Schaufel  gestaltet  sind.  Das  Uebrige  von  der  Eole  vergrabe  man  unter 
die  Traufe.  Wünscht  man  nun  ein  Mäldchen  für  sich  zu  gewinnen,  so  darf 
man  sie  nur  heimlich  mit  der  Hacke  berühren :  sie  ist  „festgehackt".  Reisst 
man  einem  Hahne  die  Schwanzfedern'  aus  und  drückt  sie  dem  begehrten 
Mädchen  heimlich  in  die  Hand,  so  hat  man  ihre  Liebe  erobert  (in  Schwa- 
ben). In  Böhmen  genügt  es,  mit  diesen  drei  Federn  aus  dem  Hahnen- 
achwanze  den  Hals  des  Mädchens  zu  bestreichen. 

Aach  manche  Pflanzen  stehen  in  ganz  besonderem  Ansehen.  In 
Franken  trftgt  das  Mädchen  Liebstöckelwurzel ,  imSpessart  Lieb- 
BtCckelblüthe  im  Rosmarinbüschel  bei  sich,  um  den  Geliebten  an  sich  zu 
fesseln.  Es  kann,  so  heisst  es  in  Posen,  der  Bursch  von  der  reinen  Jung'- 
fraa  dann  nicht  mehr  lassen,  wenn  letztere  in  seinen  Brustlatz  die  Spitxe 
eines  Rosmarins  einnäht.     Und  wie  in  Neugriechenland,  so  ist  auch    in 

{Ostpreussen   und  der   Oberpfalz    das    heimliche    Zustecken    von    vier- 
blättrigem  Klee  besonders  in  die  Schuhe  von  troumachender  Wirkung;  ander- 

'wärte,  z.  B.  in  Böhmen,  legt  man  Rosenäpfel  dem  Schatz  in's  Bett.  Bei 
den  Sfld-S  laven  gräbt  nach  Kranss^  ,das  Mßdchen  die  Erde  aus,  in  welcher 
die  FusMspur  des  geliebten  Burschen  sich  abgedrückt  hat,  giebt  die  Erde  in 
einen  Blumentopf  und  pflanzt  die  Ncvenblumo  (Calendula  oflicinalis).  Das 
ist  die  Blume,  die  nicht  welkt!  So  wie  die  gelbe  Blume  wächst  und  blüht 
and  nicht  hinwelkt,  so  soll  auch  die  Liebe  de»  Burschen  zu  dem  Mädchen 
wachsen,  blähen  und  nicht  verwelken.* 

In  Italien  giebt  es  {t\i  das  Mädchen  ein  unfehlbares  Mitt«l,  sich  den 

'JUngllng  geneigt  zu  machen;   sie   muss    ihm    „das  Pulver   werfen".     Da  ist 

[die  Eidechse,  ein  »onst  in  Calabrien  allgemein  respectirtes  Thierchen,  denn 
trftgt  ja  Wasser  in  die  H5lle,  ihr  Feaer  za  löschen;  diesmal  musa  sie 
die  Liebe  respectirt  kein  Gesetz.  Das  Mädchen  nimmt  also  die 
Sidechse,  ertränkt  sie  in  Wein,  dOrrt  sie  an  der  Sonne  und  stösst  sie  zu 
Naiver.  Von  diesem  Pulver  nimmt  sie  eine  Prise  und  bestäubt  damit  den 
beliebten.  Dies  hält  man  fUr  ein  unfehlbares  Liebeszwangsmittel,  und  du- 
^on  stammt  die  Phrase:  Sie  hat  mir  da»  Pulver  geworfen,  d.  h.  eben,  mich 
•ich  verliebt  gemacht.   (Kaden.) 

Sympathetische  Zaubermittel ,  um  Männer  und  Frauen  liebestoll  zu 
Sachen,    werden    auf   Buru    angewendet.     Man  benutzt  dazu  Sirih-Pinang 


tuittol  wirklich  dem  zu  Bezaubernden  einverleibt  haben,  mit  anderen  Worten, 
wenn  sie  im  Stande  gewesen  sind,  dasselbe  seinem  Trank  oder  aeiuen 
Speisen  beizuminchen.  Hier  stehen  obenan  die  sogenannten  Liebesträuke, 
die  Philtra  der  alten  Griechen  und  Römer,  und  wie  bei  allen  Völkern, 
80  spielen  sie  auch  unter  den  Deutschen  und  bei  den  Süd-Slaven  eine 
bevorzugte  Rolle.  Die  alte  Magie  kommt  da  zum  Vorschein,  und  noch  bis  in 
die  neue  Zeit  giebt  es  Verblendete,  die  an  ihre  Macht  glauben.  Eiiie  Frau. 
die  rait  Liebeetränken  handelte,  wurde  im  Jahre  1859  zu  Berlin  verhaftet; 
sie  hatte  täglich  gute  Geschtlfte  gemacht.  Von  der  Liebstöckel-Wurzel,  deren 
mystische  Kraft  hochgeachätzl  wurde,  macht  man  in  Franken  einen  Liebea- 
irank;  die  Böhmen  aber  tröpfeln  zu  gleichem  Zweck  Fledermaua-Blut  in's 
Bier;  nicht  ungefillirlich  mag  alterding«  die  Liebeawuth  »ein.  welche  die 
fränkischen  Mädchen  bei  ihren  Geliebten  dadurch  erzeugen.  da.ss  ^ie  den- 
selben in  Kaö'ee  eine  Abkochung  von  spanischen  Fliegen  übergeben,  denen 
sie  vorher  den  Kopf  abgebissen  haben;  denn  das  in  diesen  Thierchen  ent- 
haltene Cantharidin  wirkt  schwer  schädigend  auf  die  inneren  Organe ,  nament- 
lich auf  die  Nieren  ein. 

üeberhaupt  waren  die  LiebestriLnke  früher  sehr  gefürchtet  und  nach 
dem  Ausspruch  der  alten  Aerzte  sollen  Leute  dadurch  wahnsinnig  ge- 
worden sein,  ein  Ausspruch,  der  sich  vielleicht  auf  die  angefahrten  Beispiele 
von  angeblichem  Liebeswahn  im  alten  Rom  stützte.  Zachias  sagt:  Pocula 
amatoria  bominem  infatuunt  et  insaniam  pariunt,  ut  nonnullonim  animaliuni 
cerebra  et  »olaraum  fuiioäum. 

Eine  meisterhafte  Schilderung  von  der  Wirkung  eines  solchen 
Liebestrankes  verdanken  wir  bekanntlich  Gottfried  von  Sfrassbnrtf : 
Die  Königin  bereitete 
Ihrer  Weisheit  gemäss 
In  einem  Glasgefilss 
Einen  Trank  der  Minne. 
Der  mit  so  feinem  Sinne 
War  ersonnen  and  erdacht 
Und  mit  solcher  Kraft  vollbracht, 
Wer  davon  trank,  den  Durst  zu  Rtillen 
Mit  einem  Andern,  wider  Willen 
Mupst  er  ihn  minnen  und  meinen. 
Und  jener  ihn,  mir  ihn  den  Einen. 
Ihnen  war  Ein  Tod,  Ein  Leben, 
Eine  Lust,  Ein  Leid  gegeben. 

Sobald  den  Trank  die  Magd,  der  Mann 

Inot  gekostet  und   Tristan, 

Hat  Minne  schon  sich  eingestellt. 

Sie,  die  zu  schaffen  macht  der  Welt, 

Die  nach  allen  Herzen  pflegt  zu  stellen, 

Und  Hess,  von  beiden  ungesehen, 

Bchon  ihre  Siegesfahne  wehen: 

Sie  zog  sie  ohne  Widerstreit 

Unter  ihre  Macht  und  Herrlichkeit. 

Da  wurden  eins  nnd  einerlei 

Die  zwiefalt  waren  erst  und  zwei: 

Nicht  mehr  entzweit  war  jetzt  ihr  Sinn. 

iMtldem  Ha«s  war  gans  dahin. 


XII.  Liebe  ui 


Die  Stthnerin,  Frau  Minne, 

Halt«  Beider  Sinne 

Von  Hass  so  ganz  gereinigt, 

In  Liebe  so  vereinigt» 

Daes  eins  so  lauter  und  so  Uar 

Dem  andern  wie  ein  Spiegel  war. 

Sie  hatten  Beide  nnr  Ein  Herz: 

Sein  Verdrnss  schuf  ihr  den  grössten  Schmerz, 

Ihr  Schmer/.  verdrosH  ihn  mächtig. 

Sie  waren  Beid"  einträchtig 

In  der  Freude  wie  im  Leide, 

Und  hehlten  sicha  doch  Beide. 

Da»  kam  von  Scham  und  Zweifel  her: 

Sie  schKmt«  sich,  eo  that  auch  er; 

Sie  zweifelt  an  ihm,  Er  an  ihr. 

Wie  Beide  blind  auch  vor  Begier 

Sich  einem  Wunsche  möchten  nahn, 

Zu  schwer  doch  kam  es  ihnen  an 

Zu  beginnen,  anzufangen: 

Das  barg  ihr  Wünschen  und  Verlangen. 
Aber  auch  hier  sehen  wir  bald  wieder  bei  dem  Landvolke  die  Suc 
von  dem  eigenen  KOrper  dem  Anderen  etwas  einzugeben.  Im  Spreewalde 
macht  der  .Tflngling  da«  Mädchen  in  sich  verliebt,  wenn  er  »ich  in  den 
kleinen  Finger  der  linke  Hand  schneidet  und  das  dabei  hervorquellende  Blut 
dem  Mädchen  heimlich  zu  essen  giebt.  (v.  Sdmknhurg.)  Auch  in  Böhmen 
Mchneidel  man  «ich  in  der  letzten  Stunde  de«  Jahre«  in  den  Finger,  mischt 
drer  Tropfen  Blut  in  einen  Trank  und  Itlast  ihn  den  oder  die  Geliebte  trinken« 
Ein  Liebespulver  schätzt  man  in  den  Niederlanden.  {Wolf.*) 
Man  nimmt  eine  Hostie,  die  jedoch  noch  nicht  geweiht  sein  darf,  «cfareibt 
auf  dieselbe  einige  Worte  mit  dem  Blute  aus  dem  Riugfmger  und  läast  als- 
dann von  einem  Priester  fünf  Messen  darüber  lesen.  Dann  theilt  man  die 
Hostie  in  zwei  gleiche  Theile,  deren  einen  man  selbst  nimmt  und  den  an- 
deren der  Person  giebt,  deren  Liebe  man  gewinnen  will.  Dadurch  „ist  schon 
viel  Unheil  geschehen  und  manches  keusche  Mägdelein  verführt  worden". 

Doch  auch  das  gewöhnliche  Blut  genSgte  dem  Vorstellungsvermögen 
des  ungeb j  Ideten  Pöbels  nicht.  Es  musste  noch  etwas  Besonderes  dabei  sein. 
Und  so  wählte  man  dann  das  Menstmalionsblut,  um  e»  für  die  Zauberspeise 
zu  benutzen.  Der  bereits  im  9.  Jahrhundert  vorkommende  Zauber,  den 
.Männern  weibliches  Menstrualblut  in  Speise  und  Trank  zu  mischen,  kommt 
vereinzelt  noch  vor,  z.  B.  im  Rheinland.  Bei  BurcAard  von  W o r m s  heisst 
68:  .Fecisti  qaod  quaedam  mulieres  fatere  solent?  Tollunt  mcnstruum  suum 
«anguincm,  et  immiscent  cibo  vel  potui,  et  dant  viris  suis  ad  maudacandum 
vel  ad  bibendum,  ut  plus  diligantur  ab  eis.  Si  fecisti,  quinque  annos  per 
legitimas  ferias  poeniteai.* 

Die  hervorra^^etndste  Rollo  spielt  hier  jedoch  ebenfalls  wieder  d«r 
Schweisii.  Man  mus»  Aepfel  oder  .Semmeln,  welche  der  Andere  essen  soll, 
im  Samlande  mit  dem  Schweisse  des  Körpers  bethauen;  in  Schlesien, 
Böhmen  und  Oldenburg  trilgt  man  Obst,  besondere  einen  Apfel,  oder 
Weissbrod,  oder  ein  Stück  Zucker  so  lange  auf  der  blossen  Haut  unter  d«na 
Arme,  bis  es  von  Seh  weiss  durchdrangen  ist,  und  giebt  es  dem  Anderen  zu 
esson.  Ganz  Gleiches  geschieht  Im  Spreewalde.  Wenn  dort  aber  ein  Mäd» 
chen  die  Liebe  eines  , Jungen*  haben  will,  so  soll  sie  «ich  die  Nacht   aber 


53.  Der  Liel 


353 


ein  KAulcfacn  Semmel  oder  Zwieback  oder  einen  Apfel  zwischen  die  Beine 
auf  die  Pudenda  legen,  es  da  durchs  oh  witzen  lassen  unxl  dann  dem  Junjiren 
ZD  essen  geben,  so  kann  er  nicht  von  ihr  lassen.  Auch  ein  durchgesch «ritzte» 
seidenes  Halstuch,  das  zu  Zunder  verbrannt,  pulverisirt  and  dem  Essen  bei- 
gemengt wird,  giebt  einen  wirksamen  Liebeszauber  ab.  Die  Chiloten  in 
der  südlichsten  Provinz  von  Chile  benutzten  ebenfalls  den  Schweiss  als 
Mittel  f[lr  Liebeszanber.  Die  junge  Chi  lotin  webt  aus  F&den  von  gewisser 
Farbe  Tücher,  die  sie  eine  Zeit  lang  bei  sich  trägt;  dann  weiss  sie  sie  dem 
geliebten  Jüngling  entweder  in  die  Kleidung  zu  bringen,  oder  sie  kooht  ihm 
ein  Getränk  und  seiht  dasselbe  durch  ein  Zaubertuch.  Nach  dem  Genüsse 
widersteht  er  ihrem  Anblicke  nicht.  Das  ist  aber  alles  den  Leuten  noch 
nicht  unappetitlich  genug.  Man  Ifisst  in  Böhmen  Haare  aus  der  Achsel- 
höhle gepulvert  in  den  Kuchen  backen,  und  anderwärts  bestreicht  man  das) 
Brod,  dos  der  Andere  essen  soU,  mit  Ohrenschmalt.  Selbst  das  Semen  virile 
wird,  wie  im  frühesten  Mittelalter  (Watsertchkbtn),  noch  jetzt  in  Böhmen 
der  Speise  oder  dem  Tmnke  eines  Mädchens  beigemischt.  (Grohmann.) 
Andere  genies^en  eine  Muskatnuss,  die  dann  wieder,  abgegangen,  dem  Ge- 
liebten zum  Genüsse  heimlich  beigebracht  wird.  Will  Einer,  dass  Jemand 
zu  ihm  in  Liebe  entbrenne,  so  muss  er  auf  nüchternen  Mageu  drei  Pfeffer- 
körner verschlucken;  spilterhin,  nachdem  er  sich  entleert,  die  Körner  aus 
seinem  Abgang  heraussuchen,  trocknen  und  zu  Pulver  stossen.  Dieses  Pfllver- 
chen  wird  in  einen  Kuchen  verbacken  und  der  Geliebten  oder  dem  Geliebten 
zum  Essen  gegeben.    (Gegend  von  Varazdin.)     (Krams.^J 

In  den  Decreten  des  Bischof  BurcAarrf  von  Worms  finden  wir:  Fecisti 
quod  quaedam  muliores  facere  solent?  prostemunt  se  in  faciem,  et  disco- 
opertis  natibus,  jubent  ut  supra  nadas  nates  conficiatur  panis,  et,  eo  decocto 
tradunt  maritis  suis  ad  comedendum.  Hoc  ideo  faciimt,  ut  plus  exardescant 
in  amorem  illaruni.  Si  fecinti.  duos  annos  per  legitimas  ferias  poeuiteas. 
( instasti  de  semine  viri  tui  ut  propter  tua  diabolica  facta ,  plus  in  amorem 
tuum  exardesc^eretV  Si  fecisti  «eptem  annos  per  legitimas  ferias  poenitere 
debes.  Fecisti  quod  quaedam  mulieres  facere  solent?  Tollunt  piscem  vi^^m 
et  mittunt  eum  in  Puerperium  suum  et  tamdiu  ibi  tenent,  donec  mortuus 
fuerit,  et,  decocto,  piace,  vel  assato,  maritis  suis  ad  comedendum  tradunt. 
Ideo  faclunt  hoc  ut  plus  in  amorem  earum  exardesctint.  Si  fecisti,  duus 
annos  per  legitimas  annos  poonitcas. 

In  früher  gebrauchten  Liebestränken  gab  es  folgende  Ingredienzien;. 
{Mark)  Lorbeerzweige,  das  Gehirn  eines  Sperlings,  die  Knochen  von  der 
linken  Seite  einer  von  Ameisen  angefressenen  Kröte,  das  Blut  und  Herz  von 

l_Tauben,  die  TesUkel  des  Esels,  Pferdes,  Hahns,  und  ganz  besonders  wieder 
Menstrualblut.  (Schwaben.) 
Der  Liebeszauber,  welchen  die  Neugriechen  haben,  mag  wohl  zu 
einem  grossen  Tbeil  aiis  alter  Zeit  stammen.  Es  giebt  jetzt  in  EpiruM 
und  Thessalien  (im  Alterthum  bedeutete  bekanntlich  «Thessali  er  in" 
eine  Zauberin)  weise  Frauen,  die  mit  Dämonen  oder  Geistern  in  enger  Ver- 

I  binduug  stehen  und  deshalb  ein  einträgliche«,  doch  unheimliches  Geschäft  be- 
treiben. Sie  verstehen  die  Liebestränke,  tplXzffct  der  Alten,  zu  brauen,  oder 
sie  sind  i4u  Besitz  von  Wunderkräutem ,  mit  denen   man   die  Geliebte    oder 

^en  Geliebten    nur    zu    berühren    hat,    um    sie    ganz    willfährig  zu  machen, 
ist  das  sogenannte  zgiqtvXX'  {ov)  fii  Ttacega  9>ViUa  (Klee  mit    vier  Btät- 
h),  dem  noch  mehr  Wunderkräfte  zugeschrieben  werden,  x.  B.  dan  Oetlnen 
les  Festverscblossenen.    {Dossius.) 

Plo«*,  Dm  Wfib.  I.     1,  Ann.  20 


354 


Xn.  Liebe  and  Ehe. 


Auch  in  Bosnien  ist  der  Glaube  und  das  Vertrauen  auf  gewiane 
alte  Frauen  sehr  ^tobs,  welche  im  Rufe  stehen,  durch  Weissagungen, 
Salben  und  andere  Mittel  He^enraeisterei  zu  treiben.  Sie  uind  es  auch, 
welche  abergläubische  Frauen  in  vielen  Dingen,  go  auch  in  Sachen  der 
Liebe,  um  Rath  und  Hülfe  befragen.  Wird  ein  Mohammedaner  seiner 
Gattin  untreu,  so  darf  dieselbe  nicht  dagegen  murren,  sie  bleibt  treu  und 
schweigt  —  zu  Hause.  Sie  sucht  dann  aber  die  Hülfe  solcher  klugen  Frau 
auf.  Ist  ihre  Lage  eitie  derartige,  dass  ein  Gebet  allein  noch  nützen  kann, 
so  wird  die  Quacksalberin  befragt,  welches  Gebet  und  wie  oft  sie  es  t&glich 
verrichten,  welche  Speisen  sie  ihrem  Gatten  kochen,  wie  sie  das  zum  Ardes 
(Waschen)  nothwendige  Preskir  (Tuch)  stecken  soll?  Die  Quack^alberin  hört 
die  Klagen  ihrer  Clientin  so  ruhig  lind  gleichnilssig  an,  wie  dies  bei  uns 
die  .\dvokaten  zu  thun  pflegen.  Ist  dann  die  Clientin  zu  Ende,  so  tritt 
eine  kleine  Pause  ein,  nach  welcher  die  Magierin  die  Taxe  für  ihre  Prophe- 
zeihung  feststellt  und  gleich  auch  einhebt  und  bei  Seite  legt,  und  dann 
erst  sinnt  sie  darüber  nach,  welche  Mittel  in  diesem  Falle  angewendet  wer- 
den sollen.  Bei  Treu-  and  Ehebruch  werden  von  der  Quacksalberin  bei 
3,lteren  Clienten  BohnenkOrner,  bei  jüngeren  Erbsenkömer  angewendet. 
Diese  Körner  tragen  gewisse  Einschnitte  ;  wenn  nun  die  Clientin  ihr  Leid 
geklagt,  welches  in  der  Regel  darin  besteht,  dass  ihr  Mann  in  der  Nachbar- 
schaft sich  ein  anderes  Weib  hält,  and  wenn  sie  dann  die  vereinbarte  Taxe 
zuvor  entrichtet  hat,  dann  streut  die  alte  Hexe  diese  Bohnen-  und  Erbsen^ 
kOmer  mit  einer  eigenthümlichen  Gewandtheit  auf  die  grosse  Tasse,  welche 
sich  auf  dem  Teppich  befindet,  prüft  dann  die  Lage  der  Einschnitte  der 
Bohnen-  oder  Erbsenkömer  und  liest  aus  denselben  ihre  von  jeher  als  un- 
fehlbar anerkannten  Ansichten  herab.  Sie  erzählt  dann,  warum  der  Gatte 
treulos  geworden,  wodurch  die  Rivalin  ihn  an  sich  fessele,  was  zu  thun  sei,  utn 
dem  Uebel  abzuhelfen  und  dergleichen  mehr.  Nie  vergisst  sie  aber,  die 
Clientin  auf  einen  späteren  Tag  wieder  zu  sich  zu  bestellen,  selbstrerst&nd- 
lieb  mit  Geschenken.  {Stratus.)  In  Marocco  wird  nach  Quedenfehil  der 
Kopf  eines  Geiers  und  eines  grossen  Sauriers  benutzt,  um  gepulvert,  heimlich 
dem  Gatten  beigebracht  zu  werden,  damit  seine  der  Frau  verloren  gegangene 
Liebe  wiederkehre. 

In  Deutschland  sind  bestimmte  Taf^  dem  Liebeszwange  besonders 
günstig;  es  sind  dies  Johanni  (24.  Juni),  Andreas  (30.  November)  und  %y\- 
vester  (31.  December).  An  diesen  Tagen  sind  besondere  Zaubersprüche 
'von  grosser  Kraft.  Aber  auch  Ostern  reiht  sich  hieran.  So  giebt  die  Ver- 
liebte in  Tyrol  ihrem  Schatze  Ostereier  zu  essen,  welche  sie  am  Oeter- 
Sonntage  auf  einem  geweihten  Feuer  gesotten  hat. 

Es  geht  jedoch  den  Verliebten,  welche  durch  Zauberei  Jemandem  »den 
Nachlauf  angethan  haben*,  wie  man  in  Schwaben  sagt,  nicht  selten  ähn- 
lich, wie  dem  bekannten  Zauberlehrling.  Sie  sind  des  Segens  überdrüssig 
und  möchten  die  Liebe  des  Anderen  wieder  mit  guter  Manier  loswerden. 
Das  geht  natürlich  nur  durch  einen  neuen  Zauber.  Wer  die  oben  erwähnte 
Eolf  geschossen  und  mit  dem  hackenfömiigen  Knochen  sein  Mi^dchen  fest- 
gehackt hat,  der  thut  gut.  auch  den  Schftufelknochen  sorgfältig  zu  bewahren. 
Denn  wenn  er  das  Mfidchen  wieder  los  sein  will,  so  braucht  er  sie  nur  mit 
dieser  Schanfel  zu  beriihrt^n. 

So  wie  man  Liebe  gewinnt,  indem  man  Theile  des  eigenen  Ich  dem 
anderen  Menschen  an  oder  in  den  Leib  bringt,  ebenso  kimn  man  sich  auch 
in  analoger  Weise  wieder  von  ihr  befreien.  Man  verschafft  sich  zu  diesem 
Zwecke  umgekehrt  Etwas  von  de«  AndereA   Leibe,  nnd  macht  es  im  Licht» 


i 


53.  Der  Lief 


tr  Sonne  o<ler  in  der  Nacht  des  Rauches  vertrocknen  oder  vergehen;  dumit 
chwindet  die  Liebe,  nicht  selten  aber  auch  der  Leib.  Was  Liebe  hervor- 
rin^,  kann  »ie  unter  anderen  Verhältnissen  auch  aufhSren  macben. 

Hieran    reiht   sich    noch  die  Bosheit,  welche   verßchmähte  Liebe   oder 

Bbrochene  Treue  ans  Rache  ersinnt  und  vollzieht.    Ausser  mehreren  anderen, 

laubemiitleln.   welche  namentlich  die  gegenseitige  Liebe  eines  Brautpaares 

au    stören    geeignet    nein    sollen,     führt   Schöntterth    aus    der   Oberpfalx 

Tolgendes  an:  Ein  solches  rachsüchtiges  Wesen  zündet  um  Mitternacht  eine 

iene  an  und   ateclct  nach    vorgängiger  Beschwörung   eine   Anzahl    Nadeln 

"mit  den  Worten   in  dieselbe:    »Ich    stech    das    Licht,   ich    stech    das  Liebt, 

ich  stech  da«  Her/.,    das   ich  Hebe.''     Wird   der  Geliebte  nun  spater  untreu, 

"O  ist  es  sein  Tod,     Daher   ist  es  wichtig,  zu  erfahren,  dasa  Allelujah-Klee, 

welcier  gegen  Ostern    seine  kleinen   weissen    BlOthen    trägt,  gegen  Liebes- 

träuke  schützt. 

Dem  Yolksgeschmack  mehr   zusagend  ist   ein  Mittel,    welches   Paulini 

«einer  heylsaroen  Dreck- Apotheke  ant^hrt:     ,Wem    ein  böses  WeibsbUd 

lero  etwas  sie  zu  liebun  beygebracht  hat,  der  befleisse  sich  nur,  von  ihrem 

Kotb  etwas  zu  bekommen,  und  lege  es  in  seinen  Schuch.     Sobald  der  Koth 

1       erwärmet,  und  ihme  der  Gestanck  unter  die  Naaen  gehet,  so  wird  er  einen 

AbflCheu  vor  ihr  tragen.* 

Ein   Liebeszauber  wird  nun  aber  nicht  allein  von  solchen  angewendet, 

1^    welche  bereits  ihr  Auge  auf  einen   ihrer  Mitmenschen  geworfen  haben,  son- 

I^Bem    der   Mensch    ist   von  jeher  liebebedilrftig.    wenn    er  auch  selber  noch 

^^Bcht   weiss,   wen    er   mit   seiner   Liebe    beglficken   soll.     Und   da    mässen 

^^vieder   Zaubermittel    helfen.      In   Frankreich    wird    man  den  Damen  un- 

^Hriderstehlich,  wenn  man  ein  Schwalbenherz  bei  sich  trägt.     Die  Eingeborenen 

des  Östlichen  Neu- Guinea  glauben  nach  Comrie  fest  an  Liebeszauber,  der 

^^^em    genannten   Berichterstatter  hOchst    geheimnissvoll    mitgeth^ill   wurde. 

^BCr  be«itehi  darin,    dass    man    das  Gesicht  uiit  einem  wohlriechenden  Harze 

^^nnreibt;  das  andere  Geschlecht  kann  dem  au  beschmierten  nicht  widerstehen. 

^Hper  einheimische  Name    für  diesen  Zauber  ist  tübäi.     Die  K ei sar- Insulaner 

^^%lauben    dadurch    Liebeswabu    zu    erzeugen,    da«»    sie   auf   die   Fusstapfen 

der   Männer   oder    Frauen   geheime    Mittel   legen,  oder  auf  die  Stellen,    wo 

diese   ihren  Urin  hingelasseu  haben,  hintreien  und  ebenfalii  dabin  uriniren. 

{BiedcV) 

1  Ein  einfacheres  Mittel  giebt  es  für  indische  Männer;    sie  verschaffen 

y     rieh  einen  gewöhnlichen    kleinen  Hufeisenmagnet;    weis«    der  Besitzer  einei 

^^blcben  dann  noch  gewisse  kleine  Zauberformeln  geschickt  anzubringen,  so 

^^■i  kein  weibliches  Herz  vor  ihm  sicher.  (Martin.^) 

^H  Bei  den  Dajaken  des  südöstlichen  Borneo  ist  es  genügend,  derglück- 
^Hcbe  Besitzer  eines  Djawet,  d.  h.  eines  heiligen  Topfe«  zu  sein,  um  Gluck 
^^b  allen  Dingen,  namentlich  aber  auch  in  der  Liebe,  zu  haben.  (Crrabuicski.J 
^^  Es  ist  nun  femer  eine  ganz  berechtigte  Neugierde,  erfahren  zu  wollen, 
von  wem  man  eigentlich  geliebt  werden  wird.  Und  da  müssen  die  Li<<be8- 
orakel  aushelfen,  für  welche  ebenfalls  die  obengenannten  heiligen  Tage  ganz 
besonders  geeignet  sind.  Aiu  Andreasabend  atösst  man  (in  KOuigsberg^  drei- 
mit  den  Füssen  an  das  untere  Ende  des  Bettes  und  spricht; 

«Bettlad  ich  trete  dich, 
Heiliger  Andreaif,  ich  bitte  dich; 
Laas  nur  im  Traum  erscheinen 
Heate  dt5n  Liebsten  mein." 

28» 


356  X^•  Liebe  und  Ehe. 

Am  Sylveaterabend'  sind  zabb^iche  Dinge  geeignet  snr  Entacheidiug 
der  Frage,  ob  man  im  Verlaufe  des  Jabres  heirathen  werde.  Am  komüchiteo 
ist  folgende  Procedur:  Um  die  Mittemachtostonde  stellt  sich  das  M&dchen 
nackt  aaf  den  Herd  und  siebt  darcb  die  Beine  in  den  Schornstein  oder 
ins  Ofenlocb;  dort  erblickt  sie  den  ihr  bestimmten  Bräaiigam.  Bei  da 
&üd-SlaVen  föngt  das  Mädchen  eine  Spinne,  steckt  sie  in  ein  Bohr  nnd 
stopft  dasselbe  an  beiden  Enden  zu.  Vor  dem  Schlafeng^ehen  gedenkt  ne 
aller  Heiligen,  macht  dreimal  das  Kreuzeszeichen  über  das  Kopfpolster  nsd 
spricht:  ,0  du  Spinne,  du  kletterst  in  die  Höhen  nnd  in  die  Tiefen,  suche 
meinen  mir  vom  Schicksal  bestimmten  Mann  auf  und  fahre  mir  ihn  als 
Traumbild  vor.  Führst  du  ihn  her,  so  lasse  ich  dich  am.  Morgen  wieder 
frei,  dass  du  weiterhin  durch  die  Welt  ziehen  kannst;  wenn  du  v(dx  iiu 
nicht  herführst,  so  werde  ich  dich  zerdrücken."    (Krauts Aj 

Wer  noch  mehr  dergleichen  Dinge  zu  erfahren  wünscht,  den  Terwei«ea 
wir  auf  die  Abhandlungen  von  FriscJibier,  Krauss^  und  Wuttke,  woselbst 
er  der  mannigfachsten  Gestaltung  des  Liebesorakels  nachgehen  kann. 


54-  Die  Brantwerbang  nnd  der  firantstand. 

Dasjenige,  was  wir  unter  der  Brautwerbung  verstehen,  ist 
.einer  Reihe  von  Völkern  ein  absolut  unbekannter  Bej^riff.  Die 
Werbung  ist  der  Raub,  die  Hochzeit  ist  Gewalt.  Aber  es  giebt 
doch  auch  manche  ziemlich  tiefstehende  Nationen,  bei  welchen  schon 
ein  reguläres  Bemühen  nicht  zu  verkennen  ist,  sich  auch  der  Za> 
neigung  und  Einwilligung  der  Auserwählten  zu  versichern.  Aller- 
dings müssen  wir  auch  hier  an  die  "Verhältnisse  mit  einem  ganz- 
Uch  anderen  Maassstabe  herantreten,  als  wir  ihn  «bei  hochcivilisirten 
Völkern  anzulegen  gewohnt  sind.  Denn  gar  nicht  selten  hat  dieses 
Liebeswerben  durchaus  nicht  den  Zweck,  eine  eheliche  Verbindung 
flir  das  Leben  einzuleiten,  sondern  dasselbe  wül  nur  die  Einwilligung 
zu  einem  regelmässigen  geschlechtlichen  Verkehre  erlangen,  welcher 
aber,  wenn  er  später  wirklich  zur  Ehe  führen  sollte,  noch  eine 
Werbung  in  veränderter  Form  nothwendig  macht. 

Sehr  eigenthümlichen  Gebräuchen  begegnen  wir  auf  diesem 
Gebiete,  welche  sämmtlich  zu  verfolgen  weit  über  den  Rahmen 
dieses  Buches  hinausgehen  würde.  Nur  einige  Beispiele  sollen  hier 
aufgeführt  werden. 

Uebrigens  ist  es  auch  nicht  inuner  der  Jüngling,  welcher  um 
das  Mädchen,  sondern  bisweilen  umgekehrt  das  Mädchen,  welches 
um  den  Jüngling  wirbt. 

Soschickt  auf  der  Insel  Eetar  im  malayi 8 eben  Archipel  ein  Mädchen, 
wenn  sie  einem  Manne  gewogen  ist,  diesem  eine  mit  Tabak  gefällte  Dose 
aus  geflochtenen  Koliblättern ,  welche  symbolisch  ihre  Geschlechtstheile 
darstellt. 

Auf  den  Tanembar-  und  Timorlao-Inseln  gebt  der  Jüngling,  der 
sieb  um  die  Gunst  eines  Mädchens  bewerben  wül,  Nachts  au  ihr  Haus  und 
klopft  dort  an,  wo  ihre  Lagerstatt  ist.    Aus  Anstandsrücksichten  fragt  «ie. 


54.  Die  Brautwerbung  and  der  Brautstand. 


357 


wer  da  ist,  und  wenn  er  Keinen  Namen  genannt  hat,   was  er  will.    Er  ant- 

^_  wortet  darauf:    ,Icb  habe  keinen  Pinang,   ich  bitte  Dich  um  getrockneten 

^Bentzwei  gespaltenen  Pinang  mit  Sirih."    Ist  ihm  das  Müdchen  geneigt,  dann 

^Vsagt  sie;  , Warte  ein  wenig,  ich  will  sehen,  ob  er  jetzt  noch  zu  finden  ist,* 

^m  tmd  reicht  ihm  durch  eine  Oeffnung  den  Sirih-Pinang.   Um  auf  solche  £ven< 

tualitSten    Torbereitet    zn    sein,    pflegen    daher    die    jungen  Mädchen    von 

,  dem  Eintritt  ihrer  Reife   an  stets   nur  mit  einem  mit  äirih   gefüllten  Korb 

neben    ^sich    zu    schlafen.    Das  Mädchen    kraut   darauf  durch   die  OeShang 

dem  jungen  Manne   die  Haare,   während  er  ihren  Busen   betastet.    Beides 

geschieht  sonst  niemals,  da  beides  tabu    ist.    Die   folgende  Nacht   bringen 

sie   an    einem   stillen  Platze    ausserhalb  des  Hauses  zu  und  tretTen  sich  bei 

Tage  im  Busch,  wo  das  Mädchen  Holz    Kammelu    muss.     Nach   dem    ersten 

Beischlaf  nimmt   das  Mädchen    ihrem  Auserwählten    den   Schamgürtel,    die 

Ohrringe  oder  den  Kamm  fort,  um  ihn  zu   zwingen,  ihr    treu    zq    sein    und 

um  bei   eintretejider  Schwangerschaft   einen. Beweis   ii^  Händen    zu   haben, 

wie  sie  sich  ausdrücken,  als  Vergütung  fttr  den  gegebenen  Sirih-Pinaag.     äo 

leben  sie  einige  Zeit  mit  einander,  und  wenn  ihre  Liebe   von  Bestand    ist, 

läset  der  Jüngling  erst  dann  durch  eine  alte  Frau  der  Form  wegen  bei  dem 

Mädchen  anfragen,  ob  sie  ihn  heirathcn  wolle.     {Rkdd.) 

Das  Liebesverben  eines  samoaniscben  Jünglings  um  seine  Erkorene 
und  die  Liebesneigung  der  letzteren  schildert  Kuhary  aus  eigenen  Beobach- 
tungen so  anschaulich,  dass  wir  uns  nicht  versagen  können,  seine  Schilderung 
in  voller  Ausführlichkeit  wiederzugeben.  „Samoa  bietet  gegen  Mittag  ein 
wunderbar  ruhiges  Bild  dar.  Doch  wenn  die  Sonne  dem  Versinken  hinter  die 
Berge  nahe  ist,  dann  beleben  sich  die  Wege  und  das  „Malae"  bevülkert  sich 
mit  Gruppen  lustiger  Mädchen  nnd  Jünglinge.  Hier  im  Kranze  einiger  Schünen 
steht  ein  im  Kampfe  schon  erprobter  Jüngling,  fs  muss  ein  Manaja  sein, 
sein  Haar  ist  sorgfältig  geordnet.  Er  riecht  nach  Mosooi  und  Ula,  die  «ein 
Halsband  bilden;  er  ist  sicherlich  der  Sohn  eines  reichen  Vaters.  Er  steht 
aufrecht  und  gesticulirt  mit  den  erhobenen  Armen  derart,  dass  der  ganze 
Kopf  schüttelt.    Er  stampft  mit  dem  Fusse,   er  tritt  hervor  und    zieht  sieb 

»zurück,  6r  sti-eokt  den  Arm  hervor,  als  wäre  er  mit  einem  Speer  bewaffnet, 
dann  wieder  schwingt  er  ihn  im  Kreise  herum,  als  sei  er  im  Begriöe,  mit 
einer  Keule  den  Feind  zu  zerschmettern.  Zweiiellos  ist  er  ein  Krieger,  der 
seinen  schönen  ZuhOrerinnen  seine  Thaten ,  seine  Siege  erzählt.  Diese  sind 
ganz  Ohr  und  Auge.  Willenlos  schütteln  sie  die  kleinen  Köpfchen.  Der 
brennende  Blick  verfolgt  jede  seiner  Bewegungen,  aus  dem  hälbgeöffiaeten 
Mund,e,  dessen  Perlenreihen  dicht  gescJdossen,  entschlüplt  von  Zeit  zu  Zeit 
ein  kurzer  Ausruf.  Sie  horchen,  sie  ergOtzen  sich. .  .  .  Und  al»  endlich  der 
Erzähler  geendigt  und  sich  neben  einer  der  Schönen  uiederliess,  da  belohnen 
allgemeine  Ausrufe:  Malie!  Malle!  onte  ino  ino!  oute  fefe!  (Oh,  wie  hübsch, 
wie  hübsch!  Oh,  wie  abscheulich!  Oh  ich  fürchte  mich !),  den  tapfem Krieger 
nnd  geschickten  Hedner,  Dieser,  sich  seines  Erfolges  bcwusst,  fühlt  die 
Gunst  und  möchte  sich  ferner  dankbar  beweisen.  Er  erblickt  einige  Ge- 
nossen und  fragt  sie  aufmunternd:  ,, Wollen  wir  nicht  ein  Lied  anstimmen?" 
nnd  schon  gruppiren  sich  die  Chöre,  und  alle  Theilnehmer  setzen  sich  dichter 
zusammen,  einen  Kreis  zwischen  sich  freUasaend.  Unser  Erzähler  ist  der  Vor- 
sänger, alle  Anwesenden  bilden  den  Chor-,  jedoch  das  Singen  dauert  nicht  lange. 
Der  Krieger  steht  auf  und  stellt  sich  einer  der  schönsten  Jungfrauen 
gegenüber.  Sie  zögert,  ja  beinahe  unwillig  lässt  sie  sich  von  ihren  Freun- 
dinnen herzudrängen  und  von  dem  hübschen  Tänzer  ins  Freie  herausziehen. 
Sie  steht  nun  im  Kreise  und  mit  niedergeschlagenen  j\ugen,  mit  ihren  zarten 


Xn.  Liebe  vadl  Ehe. 


Fingern  d&s  die  lippigen  Hdften  amgebende  Lavalava  glättend,  stellt  »ie  da« 
Bild  einer  süssen  Vena^heit  dar.  Der  Chor,  die  Tänzer  bereit  aebend, 
lindert  den  Gesang  und  filngt  im  Takte  des  gewöhnlichen  Tanees  ein  Lied 
an:  anfangs  langsam  und  leise,  stufenweise  lebhafter  und  lauter.  Schauen 
vir  nun  untiere  Tänzer  an. 

Er  erhebt  seine  Arme,  und  um  sein  Haupt  Kreise  siebend,  schlägt  er 
den  Takt  mit  den  Fingerspii/en.  Seine  Füsse  bewegen  sich  ohne  den  Boden* 
lu  berühren;  er  scheint  ihn  von  sich  abatossen  zu  wollen.  Er  erhebt  sich 
in  höhere,  überirdische  Kegionen,  seiner  Tänzerin,  der  er  die  Seite  zukehrl, 
noch  nicht  gewahr.  8ie  schlttgt  ebenfalls  leise  den  Takt  mit  den  Fingern 
und  ihre  Füsschen  stossen  gleich  ihm  den  Boden  ab.  Beide  schweben  einem 
höheren  tJebiete  xu  ,  ,  ,  und  hier  werden  sie  sich  gewahr.  Der  Ausdruck 
des  «f esichtes  des  TUnsers ,  jede  Bewegung  seiner  Glieder ,  seines  ganzen 
Körper«  drücken  ein  Erstaunfln  und  Entzücken  aus.  Sie  wie  eine  Göttin, 
blickt  gleichgültig;  ja  um  sieh  des  Eindringlings  zu  erwehren,  flieht  sie,  den 
kleineu  Mund  spiütttsch  vorxtohond,  ihm  aus  dem  Wege.  Er  fürchtet  sie  za 
wmoheucbeu  und  sucht  sie  durch  Flehen  anzulocken.  Er  steht  unbeweglich, 
\{\wv\\  jede  Bewegung  seines  KOrpcrs  das  Bitten  ausdrückend.  Er  streckt 
••ItlitOobtig  seine  Arme  aus,  er  bewegt  sie  leer  vor  dem  Antlitze.  Abweeen- 
ImH  Midmteiul,  er  drückt  seine  Brust,  um  sie  vor  dem  Zerplatzen  zu  schützen. 
|«<  <i\<\  lieht.     Und  siehe!  bewältigt  durch  solch  Uebermaass   des  Or- 

ftki  I    die   scb^uü  Tteterin    anmuthig.     Mit   gesenktem  Blicke,    mit 

Mk4k  UutUn  gohougteiu  Haupte  streckt  sie  ihre  Arme  ihm  entgegen  .  .  . 
«ftt  Mftebl  sieh.  .  .  .  Der  berauschte  Tänzer  glaubt  noch  nicht  seinen  Augen. 
VNl9kwAt<«  ii«bogt<n,  steht  er  mit  aufgerissenen  Augen  unbeweglich,  einem 
M«W  iileleli  I  Kohou  rast  er  in  einem  chaotischen  Netze  von  Sprüngen  und 
^WiMM#^ii  wtw  i>in  vom  K^toer  getroffener  Fisch.  Er  ist  schon  neben  ihr.  .. 
%hNM  4m  rttvitr»lchlige!  Anstatt  das  «ich  darbietende  Glück  zu  ergreifen, 
\MI||<uM  ei  d<<r  Willigen  bittere  Vorwürfe  ihres  Zauderns  halber  zu  macheu. 
■"if  iKun  Finger,  er  schüttelt  den  Kopf,  verdreht  die  Augen  .. . 
ilir  endlich  uilhern,  sie  ergreifen  will,  entweicht  sie  ihm 
iide  hinweifgerissener  Nebel  und  flieht  höhnisch  lächelnd 
I  Seite  des  Kreises  zum  unendlichen  Ergötzen  der  Zuschaner, 
V,  rftVhrerin  nicht  genügend  loben  und  über  das  Unglück 
Werbers  sich  nicht  genug  freuen  können.  Der  letztere, 
i!  ilon  Wolken  gefallen,  begreift  kaum  was  geschehen.  .  .  . 
vorher  gesungene  Lied:  Teine  talä  ole!  Oölilaj! 
1>«M  Mädchen  sprach  Oölilaj! 
K\fi«im,  wir  wollen  eilig  schreiten, 
Widle  für  üespinnst  bereiten.  Oölilaj!  Oölilaj! 
0  du  Mund  mit  vollen  Lippen, 
WuTMiM  Mprichst  du  «o  begehrlich, 
\V;iiu...  hilfst  du  BO  gerähilieh?  Oölilaj!  Oölilaj! 

.1  rlit    führt   der   Tänzer    die     verzwoiflungsvoUtten 

i   :.iiiat  auf  Rache!    Er  steht  wieder  dicht  neben   ilir. 

I  1-  Bewerber.     Jede    seiner  Bewegungen   athmet  jeUt 

milk'idslose    Verhöhnung.     Mit    spöttisch   gexücktom 

In  Jon  Kücken  zu  durchbohren.     Er  verzieht  spöttisch 

■    lind  prahlt  hinter  ihrem  Rücken.     Dos  kann  das 

'^  ertragen.     Sie  will  Auge  in  Auge  die  unwOrdigrn 

n«t  wendet  sie  sich  um,  Spott  und  Nt'>igeleira 

ijüi-all.  von  allen  Seiten.     EHeArme  lühlt  aich 


k\   .t>..kt  ,1, 


%i> 


54.  Die  Braatwerbang  and  der  Brautstand. 


359 


fe 


besiegt,  sie  senkt  da«  früher  stolze  Haupt,  sie  drückt  die  Hände  an's  Herz, 
•I4  ob  «ie  dein  Schmerze  den  Eintritt  verwehren  wollte.  Do«  entwaffnet 
d«n  racbHilchtigen  Verfolger  wieder.  Er  bekundet  Reue,  er  bittet  am  Ver- 
gebung und  Erbiu-men.  Das  Antlitz  unserer  Verführerin  erhellt  sich,  «ie  ist 
nicht  mehr  unwillig,  obwohl  sie  noch  wankt  und  schweigt.  Der  Bittende 
rerdoppelt,  verzehnfacht  seine  Bemühungen.  Er  umkreist  sie  mit  den  an- 
muthigsteu  Sprüngen,  er  vollführt  Wunder  der  Geschicklichkeit  ....  er 
fleht  immer ,  und  endlich  llisst  sie  sich  von  dem  Wirbel  ergreifen,  Sic 
tanzen  zusammen,  »ich  gegenüber,  mit  einer  Bewegung  und  einem  Äthem. 
Immer  ruacher,  immer  leidenBchaftlicher,  rasender.  Ihre  Körper  scheinen  zu 
blinken.  .  .  .  Die  einzelnen  Glieder  sind  beinahe  nicht  zu  erkennen.  .  .  . 
£b  ist  ein  Chaos,  in  welchem  sich  die  beiden  verstehen,  ein  Chaos ,  da«  die 
gmnze  Versammlung  iu  ilnsserstes  Entzücken  versetzt.  Alle  tanzen  im  Herzen 
mit.  Alle  sind  der  Erde  entrückt  und  vergeben  die  3orge  des  Leben«. 
Wilde  Rufe:  mali«!  malie!  lelei!  lelei!  (0  süss,  o  hübsch)  mit  heftigem 
BfindeklatBchen  untermengt,  übertönen  die  Chöre  und  der  Tanz  löst  sich  in 
allgemeinem  Wirrwarr  der  Zufriedenheit  und  des  Lobprei^ena  auf. 

Indessen  ist  die  Zeit  der  Abendgebete  und  de«  Abendmahles  heran- 
gerückt, und  die  Kreise  zerstreuen  sich.  .  .  .  Von  allen  Seiten  hallen  in 
der  Luft  die  Abschiedsgrüssc:  Tofa!  tofa!  kreuz  und  quer,  und  alle  gehen 
nach  ihren  Häusern. 

Wer  jedoch  in  der  Nähe  des  sich  zerstreuenden  Kreises  der  Tänzer 
war,  der  konnte  zwischen  den  hingeworfenen  AbschiedsgrUssen  einige  viel- 
bedeufcende  Worte  auffangen.  „Tofa  inga'',  „tofä  soifüa"  sind  mehr  als 
gleichgültige  Grüsse,  und  ein  rasche«  „töro"  als  Antwort  würde  das  Ohr  des 
Horchers  treffen.  Hit  einem  Räthsel  beschäftigt,  wollen  wir  noch  nicht 
schlafen,  wir  eilen  weiter  und  suchen  neue  Eindrücke  auf. 

Das  geheimnisBvolle  Wort  Töro  bedeutet  Zuckerrohr,  und  hier  neben 
dem  Wege  sehen  wir  ein  damit  bestelltes  Feld.  Treten  wir  hinein!  Der 
feuchte,  einem  Teppich  gleiche  Boden  dämpft  unsere  Schritte.  Nur  der 
Wind  lispelt  in  den  Zuckerrohrhabnen.  Wir  schlängeln  uns  immer  weiter 
hinein.  Es  ist  Nacht . . .  dunkel  . . .  der  Mond  noch  nicht  da .  xonst  würden 
wir  vielleicht  das  —  töro  —  noch  nicht  gebort  haben.  Aber  was  ist  da«? 
Ganz  leise,  kaum  hörbar,  ertönt  der  Ruf  der  samoanischen  Eule  ...  von 
einer  anderen  Richtung  ereilt  uns  wieder  ein  Gekreisch,  wie  es  die  kleine 
Gecko- Eidechse  hervorbringt.  .. .  Nachts  ...  auf  dieser  Stelle ,  das  is{  un- 
gewöhnlich! Plötzlich  erschrecken  wir  beinahe.  Unfern  von  uns  sehen  wir 
einen  Kopf  zwischen  den  schwankenden  Halmen  versteckt.  Wir  erkennen 
unseren  Tanzer.  Nun,  dann  wird  wohl  auch  die  schöne  Eidechse  nicht  weit 
entfernt  sein.  . . .  Und  wirklich ,  bald  gleitet  an  uns  eine  Gestalt  vorbei, 
rasch  und  leicht  wie  ein  Traum.  Die  beiden  Köpfe  vereinigten  sich,  wankten, 
tanken  und  verschwanden,  und  in  der  Feme  erschallte  diese«  Mal  wirklich 
der  Ruf  einer  samoanischen  Eule  (Strix  delicutula  Gld.). 

Ein  Znckerrohrfeld  ist  des  Nachts  ein  sicheres  Versteck  für  zwei  Lie- 
bende. Niemand  wird  sie  hier  in  der  Zeit  der  Geister  und  Gespenster  stören. 
unser  Pärchen  weiss  es  und  uubeaorgt  um  einen  Lauscher  kann  man  sie 
sprechen  hören. 

—  Du  weisst  Lilomajava,  daas  meine  Eltern  dich  hassen;  uns  bleibt 
nur  die  ,awenga"  übrig. 

—  Wann  und  wo,  moine  Kftmaikai  (Herrin)? 

—  Wenn  der  Mond  um  dieijp  Zeit  über  diesem  Felde  steht,  wirst  du  mich 
am  Bache  tr«ff«o.    Sei  aber  vorsichtig,  denn  die  Casrigen  haben  scharfe  Augen. 


358 


XII.  Liebe  und  Ehe. 


Fingern  das  die  üppigen  Hüften  umgebende  Lavalava  glättend,  stellt  aie  dai 
Bild  einer  süsäen  Verzagtheit  dar.  Der  Chor,  die  Tänzer  bereit  Bebend, 
ftndert  den  Gesang  und  fäjigt  im  Takte  dea  gewöhnlichen  Tanzes  ein  Lied 
an;  anfangs  langsam  und  leise,  stufenweise  lebhafter  und  lauter.  Schauen 
wir  nun  unsere  Tiinzßr  an. 

Er  erhebt  seine  Arme,  und  um  sein  Haupt  Kreise  eiehend  ,  schiS^  er  j 
den  Takt  mit  den  Fingerspitzen.  Seine  Füase  bewegen  sich  ohne  den  Bodea» 
zu  berühren;  er  Bcheint  ihn  von  sich  abstossen  zu  wollen.  Er  erhebt  sieb 
in  höhere,  überirdische  Regionen,  aeiner  Tänzerin,  der  er  die  Seite  zukehrt, 
noch  nicht  gewahr.  Sie  schlägt  ebenfalle  leise  den  Takt  mit  den  Fingeni 
und  ihre  FüsBchen  stosaen  gleich  ihm  den  Boden  ab.  Beide  schweben  einem 
höheren  Gebiete  zu  .  .  .  und  hier  werden  sie  sich  gewahr.  Der  Ausdruck 
des  Gesichtes  des  Tänzers,  jede  Bewegung  seiner  Glieder,  seines  ganzen 
Körpers  drücken  ein  Erstaunen  und  Entzücken  aus.  Sie  wie  eine  Göttin, 
blickt  gleichgültig;  ja  um  sich  des  Eindringlings  zu  erwehren,  flieht  sie,  den 
kleinen  Mund  spöttisch  verziehend,  ihm  aus  dem  Wege.  Er  fürchtet  sie  xo 
vereobeuchen  und  sucht  sie  durch  Flehen  anzulocken.  Er  steht  unbewegUch. 
durch  jede  Bewegung  seines  Körpers  das  Bitten  ausdrückend.  Er  streckt 
sehnsüchtig  seine  Arme  aus,  er  bewegt  sie  leer  vor  dem  Antlitze,  Abwiwen- 
heit  andeutend,  er  drückt  seine  Brust,  um  sie  vor  dem  Zerplatzen  zu  schützen. 
Er  bittet  und  fleht,  und  siehe!  bewältigt  durch  solch  Uebermaaaa  des  6r- 
fühls  l&chelt  die  schöne  Tänzerin  anmuthig.  Mit  gesenktem  Blicke,  mit 
nach  hinten  gebeugtem  Haupte  streckt  sie  ihre  Arme  ihm  entgegen  .  .  . 
sie  ergiebt  sich.  .  .  .  Der  berauschte  Tanzer  glaubt  noch  nicht  seinen  Augen. 
Rückwärts  gebogen,  steht  er  mit  aufgerissenen  Augen  unbeweglich,  einem 
Steine  gleich !  Schon  rast  er  in  einem  chaotischen  Netze  von  Sprüngen  und 
Grimassen  wie  ein  vom  Speer  getroftener  Fisch.  Er  ist  schon  neben  ihr., 
aber  der  Unvorsichtige!  Anstatt  das  sich  darbietende  Glück  zu  ergreUea. 
beginnt  er  der  Willigen  bittere  Vorwürfe  ihres  Zaudems  halber  tu  machen. 
Er  droht  ihr  mit  dem  Finger,  er  schüttelt  den  Kopf,  verdreht  die  Augen . . . 
und  wie  er  sich  ihr  endlich  nähern,  sie  ergreifen  will,  entweicht  »ie  ihm 
wie  ein  vom  Winde  hinweggerissener  Nebel  und  flieht  höhnisch  lUcheliiil 
nach  der  anderen  Seite  des  Kreises  zum  unendlichen  Ergötzen  der  Zuschautrr, 
die  die  zauberische  Verführerin  nicht  genügend  loben  und  über  das  Unglück 
des  ungeschickten  Bewerbern  sich  nicht  genug  freuen  können.  Der  letztere, 
natürlich  ganz  aus  den  Wolken  gefallen ,  begreift  kaum  was  geschehen. .  . . 
Er  denkt  an  das  vorher  gesungene  Lied:  Teine  talä  ole!  Oolilaj! 
Das  Mädchen  sprach  061ilaj! 
Komm,  wir  wollen  eilig  schreiten, 
Wolle  für  tiespinnst  bereiten.  Oölilaj!  Oölit^j! 
O  du  Mund  mit  vollen  Lippen, 
Warum  sprichst  du  so  begehrlich. 
Warum  lügst  du  so  gomhilicb?  Oölilaj  1  Oölilaj! 
Schmerzlich  enttäuscht  führt  der  Tänzer  die  verzweitlungvTolkttB 
Grimassen  aus.  aber  er  sinnt  auf  Rache!  Er  steht  wieder  dicht  net  -  '- 
aber  nicht  als  flehender  Bewerber.  Jede  seiner  Bewegungen  athui 
unverhüllte  Bosheit,  mitleidslose  Verhöhnung.  Mit  spÖttiscV 
Zeigefinger  droht  er  ihr  den  Rücken  zu  durchbohren.  Er  ver^i 
den  Mund,  lacht  höhnisch  und  prahlt  hinter  ihrem  Röcken.  L 
junge  Mädchen  nicht  lange  ertragen.  Sie  will  Auge  in  Auge  ^' 
Angrifle  abweisen.  Aber  umsonst  wendet  sie  sich  um,  8p^' 
verfolgen  sie  wie  ein  Irrlicht  überall,  voQ  tSSÜß^^^* 


bfsii-irt,  -:--  ••LC'   — 
iiLs  ob  j-i-r    ~:~    * .:.; 
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XII,  Liebe  und  Ehe. 


—  Ab,  meine  Herrin,  bin  zu  dieser  Zeit  werden  noch  drei  loAge] 
vergehen  müsseu.  Warum  nicht  gleich?  Die  'morgende  Sonne  kaaiL  Oftft 
schon  in  Palauli  Buden.  Meine  Lonte  sind  bereit,  die  See  ist  rahig,  dv 
Wind  ist  günstig.     0  komm!  komm!  .  .  . 

Sie  schweigt,  aber  ihr  Arm  windet  sich  kräftiger  am  seinen  Nacken. 
Er  erhebt  sich  wie  ein  Biese  und  einem  Pfeile  gleich  eilt  er  mit  seiner 
Hessen  Bürde  durch  die  wogenden  Halme.  Sie  sind  verschwanden.  LaMt 
uAs  an  den  Meeresstrand  gehen. 

Es  herrscht  hier  vollkommene  Stille  ....  kaum  unterbrochen  von 
dem  leisen  Geräusch  der  den  weissen  Sand  benetzenden  Fluth.  Nor  aus 
der  Ferne  schallt  das  gTimmige  Tosen  der  am  Riffe  zerschellenden 
Brandung.  Die  kühle  Landbrise  bewegt  die  herabhängenden  Palmwedel 
kaum.  Die  Natur  ruht  aus.  Auch  am  Strande  des  nachbarlichen  Dorfe» 
herrscht  Stille,  aber  auf  dem  weissen  Sande  bewegen  sich  dunkle  Gestalten. 
Ein  Toumalua,  das  einheimische  Reisecanoe ,  wird  ins  Wasser  hinanterge- 
schoben.  Die  dunklen  Gestalten  sind  verschwunden ,  ein  aufrechtes  drei- 
eckiges Segel  entfaltet  sich  und  dem  Strande  entlang  gleitend  entschwindet 
ea  dem  Blicke.  Erst  aus  weiter  Feme  erreicht  uns  der  gedämpfte  Schall 
eines  Tritonhoms,  dieser  Schall  begleitet  das  glückliche  Liebespaar  der 
Küste  entlang,  den  aus  dem  Schlafe  gestörten  Bewohnern  etwas  Besonderes 
anzeigend.  Er  eilt  Uun  voraus  nach  Falauli,  wo  die  Liebenden  den  Zorn 
der  Eltern  vorübergehen  lassen  wollen. 

Am  nächsten  Morgen  Aufruhr  in  beiden  Dörfern.  Die  Freunde  des 
glücklichen  Bräutigams  durchschreiten  ihr  Dorf  und  rufen  aus:  Aw4nga!! 
Awängaü  Die  schöne  Tiinetdai  und  der  tapfere  lAlomaidta  sind  Awängaü 
Aw&ngaü  Die  stolzen  Eltern  der  Braut  hören  mit  verbissener  Wnth  di« 
CiFentliche  Ausrufung,  die  das  Schicksal  ihrer  Tochter  besiegelt.  Während 
einiger  Zeit  böses  Blut  auf  beiden  Seiten.  Die  alten  Väter  vermeiden  sich, 
die  jungen  Männer  betrachten  ihi'e  Keulen  und  Speere ,  die  hauptsächlichst» 
Rolle  spielen  aber  die  Jungen. 

Nach  ein  paar  Wochen  legt  sich  alles,  und  die  Eltern  schicken  ihxtt 
Tochter  eine  weisse  Matte,  als  Zeichen  der  Verzeihung.  Das  Paar,  das  ndb 
bis  jetzt  noch  fremd  blieb,  kommt  zurück.  Eh  wird  die  ^feiainga"  vor» 
genommen,  und  die'  weisse  Matte,  mit  Spuren  der  Würdigkeit  der  Braat. 
wird  ^egen  einen  Tbeil  der  Aussteuer  ausgetauscht.  Der  andere  wird  bei 
der  ersten  Niederkunft  ausgehändigt. 

Heirathet  das  Paar  nicht  aus  Liebe,  oder  stehen  keine  Schwierigkeiten 
bevor,  so  wird  alles  von  den  Verwandten  geordnet.  Früher  war  die  .,Awünga" 
(die  Brautflucht)  in  Samoa  an  der  Tagesordnung.' 

Die  Brautwerbung  der  Hottentotten  in  der  Umgebung  von  Aagra 
P6quena  ist  originell.  Der  Liebhaber  geht  zu  den  Eltern  seiner  Anser- 
wählten,  setzt  sich  stillschweigend  nieder  und  kocht  ebenso  wortlos  Kaffee.  Ist 
derselbe  zubereitet»  so  giesst  er  einen  Becher  voll,  um  ihn  der  Bruut  hinsu- 
reichen ;  trinkt  diese  ihn  zur  Hälfte  aus  und  giebt  dem  Bräuti^m  den  Becher 
zurück,  damit  dieser  die  andere  Hälfte  trinke,  so  ist  er  angenommen.  Ohne 
ein  Wort  zu  sagen  wird  ihn  das  Mädchen  leeren,  wenn  der  BrautwerlMpr 
ein  bemittelter  Mann  ist  und  die  Eltern  ihr  Töchterchen  hoch  genug  be* 
zahlt  bekommen.  Dann  bedeutet  das  Leeren  dee  Bechers:  ja,  ich  will  deine 
Frau  werden.  Lässt  sie  das  Getränk  stehen,  so  grämt  sich  der  Liobhabor 
nicht  sehr,   vielmehr   wandert  er  in  eine  andere  Hütte,  um  dort  nochmals 

Glück  zo  versuchen.    {ßitfiismuMd  Israel.) 

Bei  den  Indianer- Völkern  Nordamerikas  war  iwar  die  Ehe  meist 


54.  Die  Brantwerbtug  rnid  der  Broutstand. 


361 


ein  blosser  Kaufvertrag  anter  den  Eltern;  allein  zwischen  den  jungen  Leuten 
kam  e«  doch  auch  zu  einem  Einverständniss' anter  Liebeawerbung.  Wer 
um  ein  M&dchen  werben  wollte,  strebte  sich  anszuxeichnen  .und  schickte 
seine  beste  Jugdiieute  dem  Mädchen,  das  ihm,  wenn  es  ihm  wohl  wollte, 
tiiivon  ein  Stück  gekocht  mit  kleinen  Liebesgaben  zusandte;  nni  den  be- 
rühmten Krieger  dagegen  warben  vielmehr  die  Mädchen,  bei  den  Osagen 
durch  Darbieten  einer  ^laisQhre,  ohne  sich  dadurch  etwas  zu  vergeben,  und 
die  Ehe  selbst  wurde  meist  nur  dadurch  geschlossen,  doss  bei  einem  Feste, 
dua  man  veranstaltete,  beide  Theil«  ihren  Willen,  aU  Mann  und  Frau  zu 
lsb«il,  Öffentlich  erklärten  nnd  man  ihnen  mit  gemeinsamen  Kr&ften  eine 
Hfltte  baute.    {Waiti.) 

Haben  wir  hier  entweder  den  Jüngling  oder  ausnahmsweise 
anch  wohl  das  junge  Mädchen  in  eigener  Person  als  Werber  auf- 
treten sehen,  so  ist  es  doch  bei  weitem  gebräuchlicher,  seine  Wer- 
bung durch  eine  Mittelsperson  anbringen  zu  lassen.  Während  diese 
Freiwerber  fast  auf  der  ganzen  Erde  männlichen  Gesclilechts  sind, 
und  zwar  entweder  der  Vater  oder  die  Freunde  des  Bräutigams,  so 
finden  wir  auf  den  Inseln  des  malayischen  Archipels  die  Sitte,  dass 
gerade  W^eiber  dieses  Werbegeschäft  übernehmen  müssen,  und  zwar 
müssen  sie  selber  verheirathet  und  an  Jahren  bereits  etwas  vorge- 
schritten sein.  Auch  darf  sich  die  Mutter  des  jungen  Mannes  die- 
ser Obliegenheit  unterziehen. 

Die  sibirischen  TQrken  (Tataren)  werden  schon  als  Kinder  mit 
einander  verlobt.  Der  Vater  des  Knaben  reitet  mit  einigen  Bekannten  zum 
Vater  des  Mädchens,  um  das  er  anhalten  will,  stellt  sich  und  die  Seinen  vor, 
nnd  nach  der  Begrüssung  sagt  der  werbende  Vater  zum  Brautvater: 

.,Wenn  die  Flut  vor  Deinem  Hause  stürmt,  so  will  ich  gern  ein 
sühQtsender  Damm  Dir  werden;  wenn  der  Wind  vor  Deinem  Hause  tobt, 
will  ich  gern  eine  bergende  Mauer  werden;  pfeifst  Du  mir,  so  will  ich  Dein 
Hund  sein  und  herbeilaufen,  und  wenn  Du  mich  nicht  auf  den  Kopf  schlägst, 
«0  trete  ich  gern  in  Dein  Haus  nnd  will  Dein  Anverwandter  werden." 

Dann  nehmen  die  Werbenden  di<*  gestopften  [-"feifeu  aua  dem  Munde 
nnd  legen  sie  an  den  Herd.  Darauf  verlassen  sie  das  Haus  und  kehren 
nach  kurzer  Pause  wieder.  Sind  die  Pfeifen  nicht  benutzt,  so  ist  die  Wer- 
bung abgewiesen  und  sie  reiten  nach  Hause:  sind  die  Pfeifen  aber  aus- 
geraucht, «0  ist  der  Werber  willkommen.  Dann  zieht  der  Vater  des  Bräu- 
tigams eine  ächale  hervor  und  füllt  sie  mit  Airam;  einer  seiner  Begleiter 
stopft  eine  Pfeife,  ein  anderer  ergreift  eine  glimmende  Kohle  vom  Herd. 
Ho  stehen  sie  harrend.  Nun  giebt  der  Vater  des  Mädchens  seine  ZuMtim- 
mung.  Er  leert  die  Schale,  nimmt  die  dargebotene  Pfeife  an  und  läast  sie 
nicb  durch  die  Kohle  des  Dritten  anzünden.  Dann  folgt  die  Bewirthung 
und  die  Besprechung  des  Kaljm,  d.  h.  des  Brautpreises.  £r  wird  bei  Aer> 
nieren  auf  &  bis  15  Rubel  angegeben.  „Der  Verl obungsoct  endet  damit,  dass 
der  Vat«r  des  Bräutigams  den  Eltern  und  den  nächsten  Anverwandten  der 
Bniat  einige  Geschenke  macht."  Der  kleine  Bräutigam  hat  dann  ,  mit  Ge- 
schenken versehen,  wiederhoU'ntlich  im  Hause  der  Bniat  Besuche  zu  machen 
1  nnd  hält  »ich  oft  l&ngeri;  Zeit  dort  auf.  „Er  wird  dann  in  Spiel  und 
I  Arbeit  der  G«noHBe  seiner  Braut."    ( Vambery?^ 

Die  Werbimg  bei  den  Basutho  ist  nach  den  interessanten  Berichten  des 
[Mi«>iLonar  GrikUntr  eine  8«hT  compücirte  Sache.    Zunächtt  sacht  der  Jüngling 


Li£be  ofid  ^^^^^ 

DicMT  beeMiU  flkk  abduiB  mm  TaIv  4m  1 
Es  wird  aaeirt  aber  «Uedci  Glek&gSlfcigek  gfpjoclie».    Kw4H^ 
rtcJct  er  mit  dfcm  ögeatlidiCB  Gmmie  MÖes  *^1^«^— f"  heaa«  a4  b«^:  lA 
hiB  gekommcB,  tia  Htedckea  TOB  Kaeb  la  eriaktoL    Kirh  iBWgn  Tiuir  uiil 
«chciabar  tätlem  KacMoikea  aatvottei  der  Aaaccedelc :  Wir  nad  acm.  wir  i 
talwa  kcü  IIA;  buk  Da  Yieh«  Nu  ldi«t  der  WoWade  aber  die  tdtlMblcii 

eiaigk  ar  aick  mit  dem  Aadccm  j 
ia  Viekodkckit 
AlufMiüiM.  der  des  Tltd  ,a 
,llrtlardmWeg»\d.h.W^gtbewtarftM,wmrfMVdeilllddieMgMoMaltt. 
dersstseabai:  Üb bia y»<imaw,Sch»nplliib>kM «tittea.  Die aUeaFoMtm 
I  aaa  «».  S^anpftabak  ra  wablf  (dmaefte  bädei  afeaiabaiie,  brodAnoige 
Kockea)  mid  mkm  mm  ai»  SAmmfltümkUom  dkataif  ITthbasee  4amit  die 
4mmi dattk eil— baMmdtwaBotea dem Brtiili^iMibeibimM wird.  IKeserntil 
SB  der  FfifTiwbfcfit  dm  BEBM^dcaa  aaBamaamu  Kst 
Cdhwf  Ui  dm  BMK^gum  akckk  m  aa.  die  Dow 
Cr  mArnrnfti  ciaeB  ickhückM  Tkmdntd  vaa  dem  Tabak  nad 
dStBwe  Biilm.  <M>  d—  fciedidb  leer  41  m haai^t  wiid.  Tbgt  danuf 
Taker  dm  IHdrhiM  ma  JkmgM  «a  Sleiariek  Die  D«e 
«izd  der  Braai  tbe^geboi;  diem  amsiekclt  sie  xtesüch 
Pteka,  aad  tzigi  sm  immer,  oder  dacb  wiainiliai  bei  facdicfaeB  6e- 
dea  Hak.  TTarr  ItT  ibr  ITiad"  — ir  iii  Itiintbn  iMiii.  i1  li 
i,  dam  me  «ae  Gebairfte,  ader 
Bma«  iit    Die  Dme  «ird  ciek  abgetogi.  ■■iliiia  «e  >■«•  Fiaa  ibr 

die  FMoa  w  ibr  ab  Md  Idti^t   diem 
Dh  Belis.  ««kba  dm  fitk 
am  eia  ,3chll|fiii  iirlia*  m  uMMit     Oteaaf  akmwa^Fr 

mmtV  -•»  ■w««  em  Mmead  Kataea  ibm 

die 
abm  tt  MldtbM   te 

9-4t^e^    DmvMitoiMaVkb 


55.  Die  Ehe. 


863 


in  die  Höhlung  eines  Baumefi  eine  Oeldgabe,  während  die  Fraaen. 
die  anwesend  sind,  auf  den  Zweigen  irgend  eine  Handarbeit  auf- 
hängen,*    Die  Frauen  dürfen   aber   bei  dieser  feierlichen  Handlung 

I      kein  Gebet  sprechen,  nur  eine  Braut  ist  von  diesem  Verbote  nicht 

I      betroffen.  ( Vambh'y.) 

\  Die   Buddhisten    in   Tibet   halten   es  für  nothwendig,  dass 

^^^rautlente  durch  die  Hülfe  eine.s  Astrologen  in  Erfahrung  bringen. 

^Bbb  ihre  Ehe  eine  gUickliche  oder  unglRc^iche  werden  wird.  Das 
Orakel  geben  zwölf  Thiere  ab,  zahme  und  wilde,  und  zwar  durch 
die  Art,  wie  sie  sich  einander  begegnen,  ob  freundlich  oder  feind- 
lich. Damit  das  Erstere  stattfinde,  erhält  der  Astrologe  hoBe 
Belohnung;  denn  ein  Wiederauseinandergehen  von  Brautleuten  wird 
bei  diesem  Volke  in  höchstem  Grade  ungern  gesehen.  ( IVenier.) 

In  der  deutschen  Schweiz  muss  eine  Braut  sich  wohl  hüten, 
^inem  Kinde  ein  unfreundliches  Gesicht  zu  machen,  weil  sie  son.st 
>ose  Kinder  bekommt.  Wenn  sie  aber  gar  sich  so  weit  vergässe, 
fcinem  Kinde  etwas  Böses  anzuwünschen,  dann  wUrde  sie  in  ihrem 
»rsten  Wochenbette  ganz  sicherlich  ihren  Tod  finden. 


55.  Die  Ehe. 

Man  pflegt  gewöhnlich  zu  .«agen,  der  nächste  und  höchste 
5weck  der  Ehe  ist  die  Erzeugung  des  Nachwuchses.  Dass,  um 
liesen  Erfolg  zu  erzielen ,  aber  die  Ehe  nicht  durchaus  erforder- 
lich ist,  das  bedarf  wohl  kaum  einer  weiteren  Erörterung.  Viel 
schwerer  ist  die  Frage  zu  entscheiden,  wie  entstand  die  Ehe  und 
ist  das,  was  man  heutzutage  .Ehe*  nennt,  schon  Im  Urzustände 
der  Menschheit  vorhanden  gewesen?  Mit  dieser  culturhistorisch 
wichtigen  Frage  haben  sich  in  neuerer  Zeit  viele  Anthropo- 
logen beschäftigt.  Die  Idee,  dass  Weibergemeinschaft  und 
zwanglose  Vermischung  beider  Geschlechter  im  Urzustände  der 
Menschheit  geherrscht  habe,  ist  nicht  neu.  Die  alten  Schriftsteller 
Plinius,  Ilcrodot,  Straho  berichteten  von  Völkern,  die  zu  ihrer 
Zeit  in  solchem  oder  ähnlichem  Zustande  lebten ;  darauf  hin  wurde 
von  französischen  Philosophen  des  vorigen  Jahrhunderts  die 
Meinung  ausgesprochen:  ,Die  Vernunft  allein  würde  eher  den  ge- 
rne inschafllichen  Gebrauch,  als  den  ausschliessenden  Besitz  der 
Weiber  anrathen*.  (Baue.)  Zweifel  erhoben  sich  allerdings  gar 
bald  gegen  diese  Theorie:  »Wenn  diese  vollkommene  Gemeinschaft 
il.T  Weiber  und  Güter  je  bestanden  hat,  so  konnte  sie  doch  nur 
uiifcr  Volk.shaufen  bestehen,  die  nach  Art  der  Wilden  bloss  von 
den  Wohlthaten  der  unbebauten  Natur,  d.  h.  in  sehr  geringer  An- 
hl  auf  emer  grossen  Strecke  Landes  lebten.  Wären  die  Weiber 
finschnftlich,    welcher    Mann   würde    sich   mit    dem  Kinde  be- 


55.  Die  Elie. 


S65 


Zunächst  haben  wir  nun   zu   untersuchen,    ob  sich  aus  diesen 

ypen,  von  der  , ungetheilt«?u  Familie"  beginnend,  eine  Stufenleiter 

in  der  Entwickelungsgeschichte  der  Ehe   verfolgen  lässt.     Als  Ur- 

typus  der   primitiven  Geschlechtsgenossenschaft  wurde   namentlich 

'      von  Bachofen  ein  Verhältniss  bezeichnet,  bei  dem  eine  Gruppe  von 

I Blutsverwandten  durch  Abstammung  von  derselben  Stammmutter 
ttisammeugehalten  wurde.  Dieser  Autor  brachte  lllr  die  von  ihm  nach 
wtra/fO  als  Gynükokratie  bezeichnete  Form  socialen  Zusammen- 
iBngs  als  Beweismittel  aus  griechischen  und  römischen  Schrift- 
Ikellem  Berichte  von  einzelnen  Völkerschaften  bei,  deren  Bürgschaft 
loch  recht  zweifelhaft  ist.  Wenn  wir  allerdings  schon  zugegeben 
tiaben,  dass  man  ein  auf  das  System  der  Weiberierwandtschaft  ge- 
stütztes Genossenschaftswesen  bei  den  verschiedensten  nord-  und 
südamerikanischen  Indianer  stammen,  bei  zahlreichen  Völker- 
schaften der  Südsee,  bei  indischen  Urbevölkerungen,  bei  vielen 
afrikanischen  Stämmen  (sowohl  Neger-  wie  Congo-Völkem) 
findet,  so  darf  man  amü  dieser  Thatsache  doch  nicht  schlieseen,  dass 
es  eine  Zeit  gegeben  habe,  wo  diese  Organisation  allein  auf  der 
Erde  bekannt  war. 

Prüfen   wir   nun    die  Hypothese,    dass   ursprünglich  im  Leben 
der  Menschheit  Weibergemeinschaft    bestanden    habe,   so  kann 

(lan  ja  theoretisch  dagegen  nichts  einwenden.  Aber  Sagen  über 
JinfUhrung  der  Ehe  (bei  Chinesen,  Aegyptern  u.  s.  w.)  haben 
einen  Werth  für  den  Beweis  einer  ursprt^nglichen  Weibergemein- 
jbaft.  Fernerhin  kann,  wie  Schniult  bemerkt,  aus  dem  regellosen 
leschlechtsverkehr,  der  im  Leben  einzelner  sogenannter  Natur- 
Blker  beobachtet  wurde,  nicht  ohne  weiteres  gefolgert  werden, 
Idass  dieser  Gebrauch  aus  der  Urzeit  der  Menschheit  stammt.  Sol- 
Öieni  Hetarismus  können  örtliche  Verirrungen  und  Sittenverwildenmg 
n  Grunde  liegen. 
I  So  zweifelhaft  es  nun  scheint,  dass  einst  sämmtliohe  socia- 
■n  Zustände  sich  auf  eine  Weibergemeinschaft  gegründet  ha)>en, 
p  können  wir  doch  nicht  in  Abrede  stellen,  dass  es  auch  heute 
Volker  giebt,  bei  denen  sich  ka\mi  von  dem  viel  vorfindet,  was  wir 
Ehe  nennen.  Namentlich  einige  Negervölker  gehören  hierhin, 
and  es  ist  besonders  das  Mutterrecht,  welches  bei  ihnen  dadurch 
sich  ausbildete,  dass  man  nicht  recht  wissen  konnte,  wer  der  Vater 
des  Kindes  sei.  Aber  wenn  wir  das  Mutterrecht  jetzt  auch  noch 
ei  manchen  Völkern  in  Kraft  antreffen,  so  kann  man  doch  daraus 
^och  nicht  den  Schluss  ziehen,  dass  es  allüberall  einst  in  prsi- 
istorischer  Zeit  lediglich  völlig  freie  Geschlechtsgenossenschaften 
feben  habe.  Auch  Lippert,  welcher  nachzuweisen  sucht,  dass 
Mutterreeht  dem  Vaterrecht  vorausging,  stützt  seine 
lypothese,  dass  die  Frauenherrschaft  die  cultnrgeBchichtlich 
theste  Stufe  war,  auf  ebie  Reihe  von  Erscheinungen  im  Völker- 
"Irhi?  einen  bestimmten  Schiusa  auf  prähistorische  Ver- 
numentlich    auf  allgemein    herrschende   Hechtszustände 


366 


XII.  Liebe  nnd  Ehe. 


des  Weibes  kaum  zulassen.  Fassen  wir  unser  auf  genaue  Durch- 
sicht der  Quellen  sich  gründendes  Urtheil  zusammen,  so  finden  wir ; 
Erwiesen  ist  die  Existenz  des  Mutterrechts  in  verschiedener  Ge- 
stalt bei  vielen  jetzt  lebenden,  auf  niedriger  Culturstufe  stehenden 
Völkerschaften,  auch  die  Abgrenzung  desselben  gegenüber  dem 
Vaterrecht;  die  Möglichkeit,  ja  sogar  die  Wahrscheinlichkeit,  dass 
das  Mutterrecht  in  grosser  Ausdehnung  dem  Vaterrecht  voraus- 
ging, so  lange  sich  feste  Eheverhältnisse  noch  nicht  gestaltet  hatten^ 
ist  nicht  abzuleugnen.  Unerwiesen,  doch  als  eine  noch  discu- 
table  H>'pothese  aufzufassen  ist  die  Existenz  der  Weibergemein- 
schaft  sowie  der  Weiberherrschaft  (Gynäkokratie)  in  der  Fröhzeil 
des  Menschengeschlechts;  wenn  auch  möglich,  so  sind  solche  Ver- 
hältnisse doch  nicht  über  allem  Zweifel  durch  sogenannte  , Rudi- 
mente in  Brauch  und  Sitte"  und  durch  , Nachklänge  in  Mythe  und 
Sage"  nachgewiesen.  Wenigstens  lässt  sich  die  Entstehung  vieler 
als  , Rudimente"  oder  , Nachklänge"  aufgefasster  Erscheinungen  recht 
wohl  auf  andere  Weise  erklären,  als  lediglich  durch  die  Annahme, 
dass  sie  Ueberbleibsel  einer  ehemals  allgemein  verbreiteten  Weiber- 
gemeinschaft und  Weiberherrschaft  sind.  Dagegen  gestehen  wir  zu, 
dass  sich  einige  Erscheinungen  recht  wohl  durch  diese  theoretische 
Annahme  erklären  lassen. 

In  ausgezeichneter  Weise  äusserte  Adolf  JBastian  in  einem 
Vortrage  vor  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft  seine 
Ansichten  über  die  Entwickelung  der  verschiedenen  Formen  der 
Ehe  und  über  das  Matriarchat  und  Patriarchat.  Es  handelt  sich 
bei  dem  , Mutterrechte *,  bei  dem  Matriarchate  nicht  etwa  um 
eine  Bevorzugung  der  Frau,  sondern  vielmehr  um  jene  tielste  Ver- 
achtimg, die  dem  schwächeren  Geschlechte  unter  dem  Rechte  des 
Stärkeren  nicht  erspart  werden  kann.  Man  muss  zunäch.«it  den 
Primärzustand  primitiver  Horden  in  Betracht  ziehen,  wo  sich  der 
Gegensatz  der  Geschlechter  so  entsdiieden  ausspricht,  dass  sie  sich 
feindlich  gegenüberstehen.  Nicht  liberorum  quaerendorum  causa 
findet  gelegentliches  Zusammentreffen  statt,  sondern  die  Ursächlich- 
keit liegt  in  der  Brunst  des  Geschlechtstriebes,  und  hierbei  vermögen 
die  Frauen,  als  das  passiv  gewährende  Element,  durch  tlie  zustehende 
Macht  der  Versagung  eine  Art  Superioritat  zu  bewahren,  so  dass 
bei  den  Papua  z.  B.  jede  Beiwohnung  mit  dem  dort  üblichen 
Muschelgeld  extra  bezahlt  werden  muss.  Bei  deu  Aschanti 
herrscht  wie  der  König  über  die  Mäimer,  so  seine  Schwester  ther 
die  Frauen. 

Eine  fernere  Trennung  in  der  primären  Horde  ist  diejeiiige 
nach  Altersklassen,  wo  in  jeder  einzelnen  und  bei  allen  unt«"  ein- 
ander das  Recht  des  Stärkeren  so  recht  zur  Geltung  gelangt,  \md 
aus  diesem  Rechte  des  physisch  Stärkeren  entsteht  durch  fort- 
sciireitcnde  Cultivirung  das  Recht  des  gv  keren:  der  l.i>h.r 

dem  Tode  verfallene  Altersschwache  wird  ^  ..^>.,  .icgt,  um  aus  seinem 
duri'h     hmgjährige    Erfahrungen    aajjeeammelten    WeisheitHschatae 


Die  Ehe. 


'ortlieile   zu   ziehen.     Hier  sptlren   sich   schon   culturelle   Prädis- 
Jositionen,  "während  im  Zustand  wilder  Rohheit  nur  die  Stärkeren 
herrschen.     Diese  also,  von   der  im  Thiere  schon  mächtigsten  Lust 
jetrieben,    werden    sich    zunächst   die   Frauen  aneignen,    und   zwar 
ie  anlockenden  besonders,  also  die  jüngeren   und   verführerischen, 
ie    nächst   tiefere   Altersklasse,    die,   obwohl    körperlich    vorläufig 
chwächer,    den   Geschlechtstrieb   doch  feuriger   noch  gähren  fülilt, 
)ramt  dadurch  in  eine  missliche  Lage,  da,  wenn  Frauen  überhaupt, 
icichstens   die    widerlichen   und   abgelebten   noch   übrig   sind.     Sie 
kommen  daher   dazu,   sich   aus   einem  Nachbarstamme    Weiber   zu 
mben,  was  von  Seiten   dieses    zu    entsprechenden  Itacheraubzügen 
ihrt.     Die  schliessliche  Lösung  pflegt   in  Herstellung   einer  Epi- 
jamie  gefunden  zu  sein,  und  mit  solchem  gegenseitigen  Verständniss 
Iber  Connubiuni  und  Comnjercium    fallt   dann    in  die  Nacht  roher 
Jarbaren  der  erste  Lichtstrahl  kluiftiger  Civilisation  unter  dem  Schutz 
le-s  Gastrechts   durch    einen  Deus  fidius.     So   wird   es  Brauch   und 
Jitte,  aus  fremdem  Stamme  zu  heirathen;  es  folgt  die  Exogamie, 
lie  die  Heirathen  zwischen  Genossen  desselben  Stammes,  desselben 
[•otems  u.  s.  w.  vollständig  verbietet.    Die  herrschende  Kaste  bleibt 
iber   bisweilen   bei    der   Endogamie,    bei    der   Heirath    unter    den 
^tammesgenossen,  um  das  edle  Blut  unverraischt  zu  erhalten.    Und 
das  kann  sich  soweit  steigern,  dass  es  selbst  zu  Heirathen  'zwischen 
Bruder  nnd  Schwester   kommt.     So    war   es   in   den  Dynastien  der 
Inca   und    der   Achämeniden,    so   finden   wir    es    noch    bei    den 
Weddah  in  Ceylon,    während  die  Beduinen    sich   mit  dem  An- 
seht auf  die  Cousine  begnügen.    Für  die  aus  dem  anderen  Stamme 
linommene   Frau   ist    nun    diesem    eine   Entschädigung  oder   mit 
anderen  Worten  ein  Kaufpreis   zu   zahlen.     Damit  ist  aber  besten- 
falls nur  die  Frau  selbst   verkauft,   wogegen   der  Stamm   auf  das- 
jenige, was  in  ihr  noch  zeugungsfähig  verschlossen  liegt,   sein  Be- 
sitzrecht fortbewahrt.,  also  auf  die  Kinder.     Diese  gehören  deshalb 
überall  bei  den  Naturstämmen  nicht  dem  Vater,  sondern  der  Mutter, 
und  ersterer  kann  selbst  zu  einer  Strafzahlung  angehalten   werden, 
wenn  ihm  ein  Kind  stirbt.     Denn  durch  diesen  Tod  wird  das  Ver- 
mögen des  Stammes  der  Mutter  geschmälert.    Deshalb  wird  bei  den 
Dualla  im  Voraus  für  lUe  Kinder  eine  Zahlung   geleistet,    welche 
bei  etwaiger  Kinderlo.sigkeit  wieder  zurückgezahlt  wird.    So  finden 
wir  die  Ehe  durch  Kauf  als  die  am  weit^esten  verbreitete,  und  so- 
lange die  Kinder  der  Mutter  angehören,    .sind    sie   auf  den  Mutter- 
''inider  als  den  natürlichen  Beschützer  hingewiesen.   Mit  dem  Vater 
laben  die  Kinder  nichts  weiter  zu  thun  und  ebensowenig  mit  dem 
k^mme,  in  welchem  de  leben,    da   sie  ja   eben   dem  Stjimrae    der 
Mutter  angehören.     Und  so  kann  es  kommen,   dass   sie    in  Kriegs- 
_ Reiten  mit  dem  letzteren  gegen  den  Stamm  zu  kämpfen  gezwungen 
sind,  in  welchem  sie  geboren  wurden. 

En  Australie,  loruqri'ane  guorre  «^clate  entre  deux  pooplade«,  eile  c«t 
diio«  chaque  tribu  !*>  «i^nl  dn  dt'purt  d'un  graod   oombr«  de  jeanes  gen*! 


368 


XII.  Liebe  und  Ehe. 


qui  voat  rejoindre  )a  triba  de  leurs  parents  matemels,  de  eorte    qu'il  n'est 
pas  rare  de  voir  le  p^re  et  le  fils  dans  des  Camps  oppos^s.  fGiraud-Teulon.J 

Ftir  den  im  Culturinteresse  peremptorisch  geforderten  U  eber- 
gang von  dem  Matriarchat  zu  dem  Patriarchat  ist  es  möglich  ge- 
worden, einige  Phasen  in  ethischer  Entwickelung  zu  belauschen.  Das 
durcligreifende  Motiv  liegt  in  den  in  der  Vaterbrust  erwachenden 
Sympathie)!  fiir  die  Kinder  seines  eigenen  Fleisches,  wenn  auch  nur 
deshalb,  weil  sie  bei  dem  mit  dem  Sesshaftwerden  verknüpften 
Ackerbau  in  dem  Hause  als  Mitarbeiter  geboren  sind,  da  es  un- 
vortheilhaft  wäre,  sie  daraus  wieder  zu  entlassen,  und  die  deshalb 
lieber  mit  der  Aussicht  auf  zustehende  Erbfolge  an  der  heimischen 
Scholle  festgehalten  werden.  Bisweilen  giebt  es  dann  Competenz- 
conflicte  mit  dem  Oheim,  und  bei  den  Navajo  kommt  es  vor,  da.s9 
der  Vater  noch  bei  Lebzeiten  den  eigenen  Kindeni  sein  Vermögen 
schenkt,  um  die  Fremden,  denen  es  rechtlich  zustehen  würde,  darum 
zu  betri\gen.  Auch  in  der  T^iinderlichen  Sitte  des  Männerkindbettes 
haben  wir  eine  symbolische  Form  der  Ablösung  des  Mutterrechtes 
durch  den  Vater  zu  erkennen.  Ein  Erobererstanim  jedoch,  der  sich 
aus  den  Unterworfenen  seine  Frauen  gewaltsam  entnimmt,  wird 
ohne  weiteres  das  Vaterrecht  einilLhren.  Und  so  gelangen  wir  zu 
der  vereinigten  Familie  mit  dem  geheiligten  häuslichen  Herd  und 
mit  dem  .Vater  als  Patriarchen  an  der  Spitze. 

Ausser  der  Endogamie  und  Exogamie,  welche  wir  bereits  kennen 
gelernt  habeii,  die  erstere  als  Heirath  aus  dem  gleichen,  die  letztere 
als  Heirath  aus  einem  fremden  Stanime,  haben  wir  noch  einiger 
anderer  Bezeichnungen  zu  gedenken. 

Polygamie  heisst  eigentlich  Vielheirath,  wird  gewöhnlich  aber 
für  Vielweiberei  (Polygynie),  d.  h.  eheliche  Verbindung-  eine» 
Mannes  mit  mehreren  Frauen,  gebraucht.  In  der  Form  der  Viel- 
männerei (Polyandrie)  war  und  ist  die  Polygamie  weit  seltener. 
Je  nach  der  Zalil  der  Individuen,  welche  mit  einer  Person  de» 
anderen  Geschlechts  ehelich  vereinigt  sind,  heisst  die  Polygamie 
wieder  Bigamie,  Trigamie  etc.  Die  Vielweiberei  ist  über  ganz 
Afrika  verbreitet  und  bei  fast  allen  asiatischen  Völkern  durch 
Sitte  und  Religion  verstattet,  dagegen  wird  sie  in  Amerika  unter 
den  Indianervölkern  selten  angetroffen.  Schon  bei  den  alten  He- 
bräern kam  nach  dem  Zeugniss  einiger  Bibelstellen  Polygamie  vor, 
wie  jedenfalls  auch  bei  manchen  anderen  semitischen  Völkern  des 
Alterthums:  den  Mobammedaneni  erlaubt  der  Koi-an  (Sui-e  4)  aus- 
drücklich die  Ehe  mit  mehreren  Weibern.  In  der  Türkei  IäI 
Polygynie  erlaubt,  doch  weit  seltener,  als  mau  in  Europa  annumut; 
nur  Wohlbemittelte  können  dort  mehrere  Frauen  unterhalten,  denn 
ein  zahlreich  In      "      :  r  Harem   verursacht   einen  j::  Kosten- 

aufwand.    No);  pflegen   Beamte,    welche  V<  _'n   lai 

einen  anderen  Orl  ausgesetzt  sind,  selten  in  Polyganuc  xu  leben, 
weil  die  Frauen  nicht  gezwungen  sind,  dem  Manne  in  seinen 
neuen  Bestimmungsort  7.u  folgen,  während  audererseit«   der  Mann 


55, 


HucL  die  zurückbleibende  Frau  staudesgemäss  zu  unterhalten  ver- 
pflichtet ist. 

Der  Perser  darf  gesetzlich  nicht  mehr  als  vier  rechtmässige 
Frauen  zu  gleicher  Zeit  haben,  nüt  denen  er  eine  auf  die  Dauer  ver- 
bindliche Ehe  geschlossen  hat.  Vambi'ry  äussert  .sich  iu  folgender 
Weise :  ,  In  den  mohammedanischen  Ländern  —  ich  schrecke  vor 
der  Kühnheit  der  Behauptung  nicht  zurück  —  wird  unter  Tausen- 
den von  Familien  höchstens  eine  einzige  gefunden,  in  der  man  die 
legale  Erlaubnis?  zur  Vielweiberei  in  Anspruch  nimmt.     Beim  tür- 

[Icischeu,  persischen,    afghanischen  und  tatarischen  Volke 

](d.  h.  bei  den  unteren  Ständen)  ist  sie  unerhört,  ja  undenkbar,  da 
mehrere  Frauen  auch  grösseren  Aufwand  bedingen.  Ebenso  selten 
und  ganz  vereinzelt  kommt  sie  bei  den  Mittelklassen  vor.  In  den 
hohen  und  allerhöchsten  Kreisen  freilich  wuchert  dieses  sociale 
Uebel  in  erschreckender  Weise.'  Dagegen  fand  v.  Maltsan  in 
den  Städten  Arabiens  in  der  Kegel  mehrere  Frauen  in  einem 
Hause,  und  von  den  Arabern  Jerusalems  haben  die  allerärmsteu 
wenigstens  zwei. 

Auch  die  Germanen  hatten  Polygyuie.     Adam  von  Bremen 

lerzählt  von  den  Schweden,  dass  sie  in  allem  Maass  hielten,  nur 
nicht  iu  der  Zahl  ihrer  Weiber  :  Ein  jeder  nehme  nach  Verhultniss 
aeijies  Vennögens  zwei  oder  drei  oder  noch  mehr,  die  Reichen  und 

j  die  Fürsten  ohne  Beschränkung  der  Zahl,  und  es  seien  dieses  rechte 
Eben,  denn  die  Kinder  daraus  seien  vollberechtigt.  Ausser  bei 
den  Skandinaviern  kommt  die  Vielweiberei  noch  ziemlich  spät 
bei  den  vornehmen  Franken  vor:  König  Chlotar  I.  nahm  zwei 
Schwestern  zu  Gemahlinnen,    Charihert  I.  hatte  viele  Frauen,   Du- 

\  gohert  I.  drei  Frauen  (imd  unzählige  Kebse).  Es  waren  dies  wirk- 
liche, durch  Brautkauf,  Verlobimg  und  Heimführung  geschlossene 
Ehen,  neben  welchen  bei  den  G  ermanen  das  Concubinat  bestand, 
wo  aber  die  Kebse  weder  Rang  noch  Rechte  der  Ehefrau  hatten.  Das 
Concubinat  bestand  während  des  ganzen  Mittelalters  bei  den  Rei- 
cheren noch  fort,  ohne  dass  die  öffentliche  Meinung  Anstoss  daran 
nahm.     Schlies.slich   bestand  auch   unter  den  Slaven  bis  zur  Eiu- 

[führung  des  Christenthums  eine  durch  kein  Gesetz  beschränkte  Po- 
lygyuie. Wenn  aber  das  indische  Gesetz  Monogamie  vorschrieb, 
so  galt  dies  nur  für  die  Sudra.s,  die  unterste  Kaste,  di«  armen  Leute, 
deren  Mittellosigkeit  schon  zu  dem  Brauche  monogamischen  Lebens 

IgefÜhrt    hatte;    die  Vaicja- Kaste   durtte    ein   bis  zwei  Frauen 

[nehmen,  die   der  Krieger  zwei  oder  drei,   die  Brahmanen  kamen 

]bis  vier. 

Unter    allen    christlichen    Völkern    wird    aber   die   Polygamie 
ch  Kirche  und  Staat    verpönt    (Bigamie);    nnr   die  Mormonen 
en  die  V^ielweiberei  gesetzlich  zu  und  halten  sie  sogar  für  eine 
Jott  wobigetiillige  Institution.    Allerdings  traten  auch  in  Deutsch- 
land zu  munchen  Zeiten  Anhänger   der  Polygyuie    auf   (Wieder- 
täufer zu  Münster  1633):  auch  suchten  im  17.  Jahrhundert  JoA. 

P|a*a,  Da»  W»lb.  1.    S.  Aufl.  24 


Xn.  Liebe  and  Ebe. 


Lyser^  Lorenz  Berger  u.  a.  durch  ihre  Schriften  die  Polygyuie  zu 
vertheidigen,  letzterer  insbesondere  auf  Anstiften  des  Kurfürsten 
von  der  Pfalz,  der  zwei  Frauen  nahm.  Allein  allgemein  ist 
unter  den  civilisirten  Völkern  anerkannt,  dass  die  sittliche  Ordnung 
den  polygamischen  Ehen  entsclüeden  abhold  sei,  und  dass  man, 
namentlich  im  Hinblick  auf  den  Orient  und  auf  die  Geschieht«  der 
morgenländischen  Königshäuser,  die  Vielweiberei  als  schlimmes  so- 
ciales Gebrechen  bezeichnen  müsse.  Als  Gründe  für  die  Uerrscfaafb 
der  Polygynie  bei  vielen  Völkern  werden  angeführt:  die  schnelle 
Entwickelung  und  frühe  Heirathsfahigkeit  der  Mädchen  und  die 
ausdauernde  Kräftigkeit  der  Männer.  Allein  die  religiösen  und 
ethischen  Anschaumigen  von  der  Ehe  mid  von  der  Stellung  der 
Frau  in  der  Familie  verurtheilten  bei  allen  gebildeten  Nationen 
die  Polygynie. 

Polyandrie  (Vielmännerei)  ist  die  Verbindung  einer  Frau  mit 
mehreren  Männern.  Sie  ist  am  verbreitetsten  unter  den  Völkern 
auf  Ceylon,  in  Indien,  insbesondere  bei  den  Tod a,  Cong,  Nair 
und  anderen  Stämmen  im  Nilgirigebirge,  femer  in  Tibet,  bei 
den  Eskimo,  Aleuten,  Konjagen  und  Koljuschen  ;  auch  fand 
man  diese  Sitte  unter  den  Ureinwohnern  am  Orinoco  sowie  bei 
australischen,  nukahiwischen  imd  irokesischen  Stämmen. 
Auf  Ceylon  und  bei  den  Völkerschaften  am  Fus^e  des  Himalaya 
sind  die  gemeinsamen  Gatten  der  Frau  stets  Brüder.  Fast  genau 
so  hielten  es  die  alten  Briten  zu  Cäsar' s  Zeit.  Die  Sitte  der 
Polyandrie  scheinen  Sparsamkeitsrücksichten  bei  mehreren  der  ge- 
nannten Völker  aufrecht  zu  erhalten;  auch  ist  Armuth  die  Veran- 
lassung, dass  unter  den  Herero  in  Südafrika  Polyandrie  bisweilen 
vorkommt. 

V.  Ujfalvt/  hat  im  Kululande  im  westlichen  Himalaya  Ehe- 
gen ossenscbaften  angetroffen,  wo  4  bis  6  Männer  mit  einer  Fran 
lebten.  Diese  Männer  waren  immer  Brüder.  Die  Kinder  sprechen 
von  einem  älteren  und  jüngeren  Vater,  und  sobald  ein  Gatte  die 
Schuhe  eines  seiner  Brüder  vor  dem  Ehegemache  erblickt,  so  weiss 
er,  dass  er  dasselbe  nicht  zu  betreten  hat. 

Wenn  im  südlichen  Indien  Ehen  von  einer  Brüderzahl  mit 
mehreren  Schwestern  gesclilossen  werden,  und  wenn  bei  den  Po-, 
lynesiern  der  Hawai-lnseln  unter  dem  Namen  Pimula  die  Sitte 
herrschte,  dass  Brüder  gemeinsam  ihre  Frauen,  Schwestern  gemein- 
sam ihre  Männer  besassen,  so  bemerkt  Feschel  hierzu  ganz  richtig, 
dass  es  sehr  gewagt  sein  würde,  diese  vereinzelten  Bräuche  als 
nothwendige  Vorstufen  zur  strengen  Ehe  zu  bezeichnen.  Bei  man- 
chen Polynesiern  gilt  sogar  als  eigeuthlimliche  Sitte  die  sogenannte 
Blut*ifreundschaft,  wonach  zwei  Männer,  nachdem  sie  mit  einander 
eine  auf  einem  gegenseitigen  Schutz-  imd  Trutzbündniss  beruhende 
Freundschaft  geschlossen,  zur  Weibergemeinschaft  siel»  ver- 
pflichten. 

Nicht  immer  ist  bei  einem  Volke  nur  eine  bestimmte,  ednheit- 


56.  Die  Ehen  unter  Bhitsverwandten. 


371 


liehe  Form  der  Eheschliessang  gebräuchlich.  Unter  den  Ma- 
layen  zu  Menangkabao  awf  Sumatra,  bei  denen  sich  die  ver- 
■wandtächaftlichen  Beziehungen  nach  der  Frau  bestimmen  und  das 
Vermögen  der  Frau  durch  sie  vererbt  wird,  giebt  es  eine  dreifache 
Art  der  Ehe :  die  Ueirath  durch  djudjur  ist  ein  vollständiger  Kauf 
der  Frau;  diese  und  die  Kinder  werden  Eigenthum  des  Mamies 
und  fallen  nach  seinem  Tode  an  seine  Erben.  Bei  der  Heirath 
durch  semando  giebt  der  Mann  ein  bestimmtes  Geschenk,  beide 
Eh^enossen  stehen  auf  dem  Fusse  der  Gleichheit  und  haben  gleiche 
Rechte  auf  Kinder  und  errungenes  Vermögen.  Bei  der  durch  ambil 
anak  geschlosseneu  Ehe  zahlt  der  Mann  nichts  imd  tritt  in  eine 
untergeordnete  Stellung  zur  Familie  der  Frau;  er  hat, kein  Recht 
auf  die  Kinder.  Neben  diesen  Hauptarten  der  Ehe  giebt  es  noch 
mehrere  Uebergangsformen.  Und  um  nur  noch  ein  Volk  zu 
nennen,  erwähne  ich,  dass  in  Persien  die  Ehe  entweder  aekdi  ist, 
d.  h.  auf  die  Dauer  verbindlich,  so  lange  nicht  ein  Grund  zur 
Scheidung  geltend  gemacht  werden  kann,  oder  sighei,  d.  h.  nur 
auf  eine  vertragsmassige  Zeit.  Die  Akdi  entspricht  ganz  unserer 
Ehefi'au,  auch  darf  gesetzlich  der  Perser  deren  nicht  mehr  als  eine 
zu  gleicher  Zeit  haben.  Sighe,  d.  h.  die  durch  Vertrag  gehei- 
rathete  Frau,  wird  gegen  ein  gewisses  Entgeld  mid  gegen  fest- 
gesetzte Entschädigimg  bei  eintretender  Schwangerschaft  geheirathet; 
während  dieser  fixirten  Zeit  geniesst  sie  die  vollen  Rechte  einer 
legalen  Frau ;  nach  Ablauf  des  Vertragstermins  aber  ist  sie  dem 
Mamie  gesetzlich  verpi"int. 

Ich  denke,  die  vorstehenden  Auseinandersetzungen  werden  ge- 
nügend sein,  lun  dem  Leser  ein  ungefähres  Bild  von  der  Vielseitig- 
keit der  Formen  zu  geben,  unter  welchen  das  Weib  sich  mit  dem 
Manne  zu  einer  mehr  oder  weniger  dauernden  Gemeinschaft  ver- 
bindet, und  flir  manche  Gebräuche,  welche  im  ersten  Augenblick 
uns  sinnlos  und  paradox  erschienen,  ist  auch  hier  wieder  das  ge- 
naue Studium  der  vergleichenden  Ethnologie  die  nöthigen  Erläu- 
terungen und  das  volle  Verständniss  zu  geben  im  Stande  gewesen. 


56.  Die  Ehen  anter  Blnisverwandten. 

Nach  den  Erfahrungen,  welche  wir  in  dem  vorigen  Abschnitte 
zu  machen  Gelegenheit  liatten,  werden  uns  zwei  ErscheiTiungen  in 
dem  Leihen  der  Völker  nicht  mehr  zu  ttberraschen  vermögen,  näm- 
lich auf  der  einen  Seite  bei  bestimmten  Stämmen  die  Sitte,  dass 
die  allerengsten  Verwandtschaftsbande  das  Eingehen  einer  ehelichen  Ge- 
meinschaft nicht  allein  nicht  zu  hindern  im  Stande  sind,  sondern  eher 
«ogsu*  noch  zu  begünstigen  scheinen,  während  wiederum  andererseits 
bei  anderen  Stammen  auch  nicht  einmal  solche  Verwandte  eine  Ehe 

24* 


XII.  Liebe  und  Ehe. 


mit  einander  schliessen  dürfen,  bei  welchen  nach  unseren  modernen 
Anschauungen  von  einer  Verwaudtschaft  eigentlich  gar  nicht  mehr 
die  Rede  sein  kann.  Das  eine  ist  eben  ein  Auswuchs  der  Exogamie, 
während  das  erstere  eine  auf  die  Spitze  getriebene  Endogamie  re- 
präaentirt.  Bei  uns  ist  es  bekanntlich  erlaubt,  dass  Geschwister- 
kinder mit  einander  sich  verheirathen,  und  zwar  ist  es  hier  ganz 
gleichgültig,  ob  die  Vettern  oder  Basen  von  der  Seite  des  Vaters 
oder  von  derjenigen  der  Mutter  herstammen.  Bei  den  Dayaks 
auf  Borneo  und  auf  Ambon  und  den  U  Hase -Inseln  ist  dagegen 
die  Ehe  zwischen  Geschwisterkindern  absolut  verboten,  während  man 
in  Neubritannien  nur  die  Heirath  mit  mütterlichen  Verwandten 
streng  untersagt.  Auf  den  Aaru-Inselu  in  Niederländisch- 
Indien  ist  aber  gerade  die  Ehe  mit  den  Kindern  eines  Onkels  ver- 
pönt, die  Kinder  einer  Tante  dagegen  darf  man  heirathen.  {Riedel.^} 
Ganz  ebenso  ist  es  nach  Marsdeii  auch  in  Sumatra. 

Unter  der  Schinkaste  in  Indien  treffen  wir  wieder  das 
Verbot  der  Vettern-  und  Basenehe  an ,  obgleich  der  moham- 
medanische Ritus  gegen  eine  solche  Ehe  nichts  einziiwenden  hat, 
auch  darf  der  Onkel  nicht  die  Nichte  und  in  Buschkar  selbst 
nicht  eiumjil  die  Tochter  der  Nichte  heirathen.  Es  ist  vielleicht 
nicht  imnöthig,  daran  zu  erinnern,  dass  bei  uns  bis  vor  Kurzem  aller- 
dings dem  Onkel  die  Nichte  und  auch  dem  Neffen  die  Tante  zu 
ehelichen  gestattet  war,  während  aber  das  Erstere  unbeanstandet 
geschehen  konnte,  bedurfte  eine  eheliche  Verbindung  zwischen  dem 
Neffen  und  seiner  Tante,  gleichgültig  ob  es  die  Vaterschwester 
oder    die   Mutterschwester  ist,  der  landesherrlichen  Genehmigung. 

Die  englische  Kirche  unterscheidet  30  Ver\\-andtschaftagrBde, 
innerhalb  deren  nicht  geheirathet  werden  darf.  Der  Engländer,  der 
eine  diesen  Gesetzen  widersprechende  Ehe  eingehen  wollte,  flüch- 
tete früher  nach  Dänemark,  dann  an  den  Rhein  nach  Duisburg, 
xua  sich  dort  trauen  zu  lassen,  denn  nach  heimischen  Gesetzen 
war  eine  so  vollzogene  Verbindung  .vollendete  Thatsache*. 

Die  Tungusen,  Samojeden  imd  Lappen  verabscheuen  eine 
Ileirath  in  der  Blutsverwandtschaft.  Den  Hebräern  waren  nach 
mosaischem  Gesetz  die  Ehen  verboten  mit  der  Stiefmutter,  Stief- 
tochter, Schwiegermutter,  Schwiegertochter,  Tochter  des  Stiefsolms 
und  der  Stieftochter,  des  Bruders  Frau  und  des  Vaterbruders  Frau. 
Hatte  dagegen  der  verstorbene  Bruder  mit  seiner  Frau  keinen  Solm 
erzeugt,  so  war  den  Hebräern  (wie  aucJi  den  Altmexikanern  und 
anderen  Völkern)  die  Elie  mit  seiner  Wittwe  nicht  nur  erlaubt, 
sondern  sie  waren  zu  derselben  sogai'  Vfq)flichtet  Bekanntlich  be- 
zeichnete man  dieses  als  die  Leviratsehe. 

Auch  bei  den  Römern  war  die  Ehe  verboten  zwischen  Aac€n- 
denten  und  Descendenten,  sowie  zwischen  allen  Personen,  die, 
wenn  auch  nur  theilweise,  in  einem  ähnlichen  Verhältui.ss  zu  ein- 
ander   standen,     nämlich    zwischen    Stiefelteni    tuid    StiefkinderUt 


56.  Int  Ebcb  mtcr  iHntswt  ■  mdteit. 


373 


iegerelt«ni  nod  Schwiegerkindeni^  zwischen  Adoptivdieni  mtd 
rkmdem. 

darftcn  in  Athen  und  Sparta  Hidbges<iiwitB(er  sieh 
eiMUehen,  und  nach  Gart^aaso  hatten  die  Incas  in  Peru  das 
Recht,  ihre  älteste  Schwester,  die  nicht  von  derselben  Mutter 
stammte,  ra  heirath^i,  nm  auf  diese  Weise  das  Blnt  der  Sonne  rein 
zu  erbaken. 

Aber  edbet  mit  der  rechten  Schwester  sehen  wir  mandie  Völker 
ehelirhe  VerHndimgeii  eingehen  (Perser,  Phönikier,  Araber, 
die  Griechen  zn  Cimons  Zeit^,  nnd  zwar  ist  es  hier  wieder  Ton 
beBOoderem  Interesse,  dass  es  sich  bei  den  Yeddas  auf  Cejlon 
vm  die  jüngere  Schwestter  handelt,  wahrend  sie  die  ältere  Schwester 
nicht  beirathen  dOrfen.  Doch  auch  noch  nähere  Verwandtachafts- 
gnde  nach  unserer  Anfhasm^  sind  bei  gewissen  Stämmen  kein 
WhsiiimleonflB.  So  durfte  bei  den  PhSniciern  sowohl  die  Matter 
den  Soim«  als  anch  der  Vater  die  Tochter  beirathen,  nnd  unter 
dea  aheo  Arabern  sprach  das  Gesetz  dem  Sohne  die  Yerpfiichtnng, 
£e  rerwittwete  Matter  zu  ehdielun,  sogar  als  ein  besondercs  Vor- 
xtdkd  jn.  Bei  den  Chinesen  dagegen  dBrftn  sich  nicht  cinBud 
des  g^eiefaen  Kamens  beirathon,  aodi  wenn  sie  gar  nidil  mit 
rerwandt  sind.  (Mamtegasstfi), 
fai  den  örilisirten  Ländern  hat  man  den  Ehen  zwischen  Btots- 
Iten  Ton  dem  Standfnmkte  der  Gesundheitspflege  ans  in  den 
Jakren  eine  ganz  besondere  Anfinerirwikwit  gewidnei,  md 
■ttd  in  allen  FäUen  damit  düe  Bhcn  zwiadben  GeackwiaCer- 
I  vmtanden.  Es  wird  wohl  kaiqn  einen  IwiMiitftij^tni  Arzt 
MB  aafiMfkaaBen  I^öen  geben,  dssm  nidit  derartig  diebcbe 
bdunnt  geworden  sind,  aus  denen  schwäichbche  oder 
kza^ce  Kmder  herrotvegai^en  sind,  und  vide  Amtowai 
eingf^Mud  aü  dieser  Frage  besehifligt 
Venodie,  £ese  widitige 
brii^jeB,  bat  George  Dwwm\  der  Sohn 

angestellt  Durch  sehr  mAherofle  ststiwtisrhe  Er- 
kommt  er  zu  dem  Beenlfcite,  da«  £e  gcArehiefeeB  adiäd- 
ÜdM»  Folgen  f&r  die  NachkoBsaiaek^  «m  dea  Ebn  »wiatihen 
0<ad>w>rtfflkiiwlgn  durch  die  gelimdeaeB  Z*k^**«  nkht  mchge wiesen 
Er  giebt  aber  sdber  tA,  daoB  dieae  Zahlen  noch 
gewesen  sind  md  dnaa,  wenn  es  gdänge,  cina 
Sktislik  sn  hefcoamen,  aan  adnr  wtAl  statt  dieser 
8«e«ttTeo  eine  positiTe  Bcnntwoita^  der  Fntfe  erhalten  kSonle; 
&  ^Aea  Bon  noch  aräieai  ■■«■■■— *^  nifiiirti  ledit  gewickügo 
nd  Rfhainiiiiiii^iii  oAImbv  pnJ^Mher  AeBta 
kbe  heobMhtet  hatt^  dbas  Taabatwhait,  StoapT- 
«M  «M  nadnn  oder  sonstige  Gehcediliclikeil  b 
Hwofi^^ot  bei  den  Kadikommen  m 

wt  an,  daas  diaae 


AflerdiBipi 
bei  der 


«BglAektkbeB  Ar- 


374 


Xil.  Liebe  und  Ehe. 


Folge  solcher  Eheschliessungen  zu  sein  brauchten.  Im  Gegentheil, 
es  giebt  eine  ganze  Reihe  von  Fällen,  in  denen  die  Kinder,  welche 
aus  diesen  Ehen  entsprossen  sind,  durchaus  gesund  und  in  dem  an- 
gegebenen Sinne  intact  durch  ihr  ganzes  Leben  sich  verhalten  haben. 
Aber  nicht  selten  sind  dann  die  erwälinten  Gebrechen  später  bei 
ihren  eigenen  Kindern  zur  Beobachtung  gekommen,  und  diese  haben 
so  den  Missgriff  ihrer  Grosseltem  in  der  Gattenwahl  zu  büssen  ge- 
habt. Es  würde  nun  aber  zu  weit  gegangen  sein,  wenn  man  die 
erwähnten  Erkrankimgeu  im  zweiten  oder  dritten  Gliede  als  eine 
durchaus  sichere  und  unausbleibliche  Consequenz  einer  Ehe  zwischen 
Geschwisterkindern  liiustellen  wollte.  Sind  diese  letzteren  besonders 
gesunde,  kräftige  Leute  und  stammen  sie  von  ganz  normalen  Eltern 
ab,  dann  können  sie  trotz  ihres  nahen  Verwandtschaftsgrades  den- 
noch ganz  gesunde  Kinder  erzeugen.  Aber  deswegen  sind  doch 
diejenigen  Fälle  nicht  fortzuleugnen,  in  welchen  man  die  genannten 
Schäden  zur  Beobachtung  bekam.  Und  wenn  Mitcheü.,  Manfegazza^ 
und  andere  Autoren  in  den  Irrenhäusern  und  den  Idiotenaustalten  eine 
verhälfcnissmässig  grosse  Zahl  von  Kranken  fanden,  deren  Eltern  Ge- 
schwisterkinder gewesen  sind;  wenn  nach  Scott  Hution  in  der  Halifax- 
Taubstummenschule  (Canada)  unter  110  taubstummen  Kindern  nicht 
weniger  als  56  aus  Ehen  zwischen  Blutsverwandten  entsprossen 
sind,  dann  wird  man  sich  den  Worten  George  Darwins  gewiss  mit 
voller  Ueberzeugung  aoschliessen,  wenn  er  sagt:  „Eine  so  allge- 
meine Uebereinstimmung  in  Bezug  auf  die  üblen  Folgen  der  Ge- 
schwisterkinder-Ehen muss  vmzweifelhaft  viel  grösseres  Gewicht 
haben,  als  meine  rein  negativen  Resultate." 

Die  Widersprüche  und  entgegengesetzten  Meinungen  der  Autoren, 
von  denen  die  einen  immer  Beispiele  für  die  Schädlichkeit,  die 
anderen  solche  fUr  die  Unschädlichkeit  derartiger  Ehen  in  das  Feld 
führen,  finden  woiil  ihre  Lösui^  in  folgenden  Sätzen:  Sind  die  sich 
mit  einander  verheirathenden  Geschwisterkinder  ganz  gesund  und 
kräftig,  dann  können  sie  gesunde  Kinder  erzeugen,  aber  eine  Garantie 
hierfür  besitzen  sie  nicht,  und  sollten  ihre  Kinder  gesund  sein,  dann 
können  die  besprochenen  Degenerationsprocesse  noch  an  deren  Nach« 
kouunenschaft  zur  Erscheinung  kommen.  Ist  aber  von  den  Ge- 
schwisterkindem,  welche  mit  einander  in  die  Ehe  treten  wollen,  das 
eine  nicht  intact  oder  bieten  sie  gar  alle  beide  krankhafte  Zustände 
dar,  dann  werden  diese  mit  um  so  grösserer  Wahrscheinlichkeit 
bei  ihren  Nachkommen  imd  zwar  in  gesteigertem  Maasse  auftreten. 
Denn  gewiss  hat  EricMon  Browne  das  Richtige  getroffen,  wenn  er 
sagt:  „Es  hat  mir  immer  geschienen,  dass  die  grosse  Gefahr,  welche 
solche  Ehen  begleitet,  in  der  Steigerung  der  krankhaften  Körjjer- 
jinlagen  besteht,  welche  sie  begünstigen.  Erbliche  Krankheiten 
und  Kachexien  werden  mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  von  Ge- 
schwisterkindem  getheilt,  als  von  Personen,  die  auf  keine  Weise 
verwandt  sind,  imd  sie  werden  mit  mehr  als  doppelter  Stärke  ver- 
erbt, wenn  sie  beiden  Eltern  gemein  sind.   Sie  scheinen  das  Quadrat 


57.  Das  Jus  praS^BÖrasT 

oder  der  Cubus  des  combinirten  Volumens  zu  sein.  Selbst  ge- 
sunde Anlagen  schlagen,  wenn  sie  beiden  Eltern  gemein 
sind,  bei  den  Kindern  oft  in  entschiedene  Kachexien  um." 
Als  die  bestbewiesenen  echUdlichen  Folgen  der  Ehen  zwischen 
Geschwisterkindern  stellt  ManUyasza^  ausser  den  bereits  genannten 
noch  die  folgenden  auf:  Ausbleiben  der  Empfangniss,  verkümmerte 
Empfäugniss  und  Fehlgeburt,  Missgeburten,  Neigimg  zu  nervösen 
Besehwerden,  gehemmte  Geistesentwickeluug,  Anlage  zu  Skrofeln 
und  Tuberkeln,  verringerte  Lebensfaliigkeit,  hohe  Kindersterblich- 
keit, Störungen  der  Menstruation,  geringe  Zeugungskraft  und  be- 
stimmte I^eiden  des  Auges. 


57.  Das  Jus  primae  noctis* 

Wo  eine  bevorzugte  Gesellschaft  von  Mäimem,  wie  dies  bei 
einigen  Völkern  vorkommt,  sich  Rechte  auf  die  Töchter  des  Landes 
vindicirt,  sind  diese  zuweilen  gehalten,  sich  eine  Zeit  lang  dem 
Hetärismus,  der  Prostitution  hinzugeben.  Man  hat  die  Vermuthung 
ausgesprochen,  dass  ein  solches  Vorrecht  (Herrenrecht)  der 
ürtypus  des  Jus  primae  noctis  gewesen  sei,  eines  Brauches, 
dessen  Thatsächlicbkeit  durch  neuere  Forschungen  sehr  in  Frage 
gestellt  wurde. 

Ganz  allgemein  hat  man  bis  in  die  jüngste  Zeit  das  Jus  primae 
noctis,  wonach  der  Grundherr  bei  Hochzeiten  seiner  Untergebenen 
das  Recht  haben  sollte,  den  ersten  Beischlaf  mit  der  neuvermählten 
Jungfrau  zu  vollziehen,  als  geschichtlich  feststehende  Thatsache  be- 
trachtet. Seit  dem  16.  Jahrhundert  sagte  man,  der  König  von 
Schottland  Eventis  III.,  zur  Zeit  des  Kaisers  Atigusius,  habe  dieses 
Recht  aufgebracht,  das  erst  nach  mehr  als  tausend  Jahren  durch 
König  Jlalcolm  wieder  abgeschatfk  worden  sei.  Namentlich  viele 
französische  Schriftsteller,  darunter  die  Ency  clopädisten, 
liielten  an  dieser  sehr  verbreiteten  Meinung  fest,  obgleich  schon  im 
18,  Jahrhundert  Manche,  darunter  nicht  wenige  deutsche  Gelehrte, 
die  Sache  bezweifelten.  Seit  1854  kam  nun  der  Streit  in  Folge 
eines  von  Dupin  in  der  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Paris 
gelieferten  Berichtes  zu  grösserer  Lebhaftigkeit.  Insbesondere  be* 
hauptete  Louis  Vcuiilot  in  mehreren  Aufsätzen  und  Schriften,  dass 
das  sogenannte  Droit  du  seigneur  niemals  bestanden  habe;  auch 
gab  eine  Conuuission  vor  der  Akademie  der  Inschriften  ihr  Gutachten 
in  gleichem  negirenden  Sinne  ab.  In  einem  umfangreichen  Werke 
snchte  Jules  Drlpif  trotzdem  VeuiUots  Ansicht  zu  widerlegen;  ihm 
reihten  sich  zahlreiche  Gelehrte  aus  verschiedenen  Ländeni  an;  von 
deutschen:  Jacoh  Grimm,  Wdnhold,  Scherr,  v.  Maurer,  Lifib- 
rtcht,  Bustiim,  v.  Hcllwald  u.  A. 


376 


Xn.  Liebe  und  Ehe. 


Vor  wenig  Jahren  hat  Karl  Schmidt^  in  Colmar  sich  ein- 
gehend mit  dieser  Angelegenheit  beschäftigt  und  alle  Umstände, 
alle  in  der  Literatur  zerstreuten  Angaben  mit  einer  anzuerkennen- 
den Schärfe  beleuchtet;  man  muss  wohl  zugeben,  dass  er  aller- 
mindestens die  Stlitzeu,  auf  welche  sich  seine  Gegner  berufen  könnten, 
—  wenn  auch  nur  zu  einem  grossen  Theile  —  erschüttert, 
vielleicht  sogar  zerstört  hat.  • 

Schmidt  geht  aufs  genaueste  Alles  darch,  was  wir  angeblich  über 
die  Einftlhriuig  des  Jus  primae  noctis  durch  König  J?cenu«  7/7.  von  Schott- 
land wissen-,  doch  zeigt  er  auch,  das«  die  Erzählung  völlig  in  der  Luft 
8chw6bt.  Dann  forscht  er,  auf  welcher  Grundlage  «ich  die  im  Mittelalter 
vorgekommene  Sage  befindet,  dass  ein  Häuptling  der  weiesen  Hunnen, 
Namens  ShorJcot,  bei  jeder  Heirath  in  der  Stadt  Harapa  das  Vorrecht  des 
Ehemanns  in  Anspruch  genommen  habe ;  er  findet,  dass  in  der  Quelle  eigent* 
lieh  nur  von  „Blutschande"  die  Rede  sei.  Ferner  soll  Marco  Polo  von 
einem  Ju.<<  primae  noctis  in  Cambodja  gesprochen  haben;  Schmidt  findet, 
i  dttss  Marco  nur  sagte,  der  König  wählte  nach  Belieben  Mädchen  fQr  seinen 
Harem;  nach  der  Entlassung  aus  demselben  stattete  er  sie  aus.  Ebenso 
wenig  sind  ihm  die  Berichte  über  die  Brahraanen  in  Ostindien  za- 
verliUsig. 

Ganz  unbestimmt  sind  die  Nachrichten  aus  Deutschland,  dass  hier, 
wie  Lielnrecht  behauptete,  das  Jus  primae  noctis  einst  bestanden  habe.  Wenn 
V.  Hormayr  sagt,  die  Herren  von  Peraan  (Südtyrol),  von  Racenstein  und 
Vntx  (Schweiz)  seien  deshalb  vertrieben  worden,  so  fehlt  darüber  die  Quelle. 
Dergleichen  Sagen  von  einem  Privileg  der  Herren  DtttnRovere  in  Italien, 
der  Herren  von  Prelletj  und  Paraanntj  in  Piemont  geht  Schmidt  in  gleicher 
Weise  ganz  vergeblich  nach. 

In  Frankreich  soll  das  Gewohnheitsrecht  der  Kanoniker  zu  Lyon 
bestanden  haben,  ihnen  die  Brilute  die  erste  Nacht  zu  Überlassen  als  Jus 
coxae  locandae,  und  man  beruft  sich  auf  eine  Urkunde  vom  J.  1132, 
in  der  ein  Verzicht  auf  dies  Recht  ausgesprochen  sei.  Doch  beschr&nkt  sich 
dieser  Verzicht  lediglich  auf  Erlass  einer  Abgabe  vom  Hochzeitsmahl;  von 
Weiterem  ist  nicht  die  Rede. 

Femer  gab  ea  in  Frankreich  bis  zum  17.  Jahrhundert  ein  Droit 
de  Braconnage,  z.  B.  bei  den  Herren  von  Mareitil  in  der  Picardie, 
welche  bei  den  Töchtern  ilu-er  Herrschaft  bei  ihrer  Verheirathung  das  Lehns- 
recht beanspruchten,  üie  zu  ,,braconner".  Schmidt  erklärt  das  Wort  mit  „um- 
armen", also  nicht  gleichbedeutend  mit  d^florer.  So  gebt  er  alle  Be- 
hauptungen durch  bezOglicb  der  vermeintlichen  Rechte  der  Aebte  von 
St.  Michel,  des  Grafen  Guido  ivn  Chdtillon,  der  Herren  von  Larivirre, 
Bourdet  etc.  —  überall  vermisst  er  den  Nachweis.  In  Frankreich,  z.  B, 
in  Gascogne,  existirte  das  sogen.  Droit  de  cuissage  oder  jambage; 
das  ist  aber  nicht  das  Jus  primae  noctis,  sondern  es  war  dos  Recht,  ein 
Bein  in  das  Bett  der  Braut  zu  legen;  ebenso  gab  es  dort  ein  Recht  des 
Lehnsherrn,  über  das  Bett  der  Braut  hinwegzusteigen;  doch  halt  letzteres 
Schmidt  nur  für  einen  spasdgen  Brauch,  keineswegs  identisch  mit  Jm 
primae  noctis. 

Dann  kamen  aus  Frankreich  mehrere  gerichtlichö  Entscheidui 
(auf<  d.  J.  1302  n.  s.  w.),  die  man  als  wichtige  Urkunden  für  das  ehemalijfje 
Beetehen  des  Jos  primae  noctis  ansah;  unter  Anderen  betraf  die  oiae  das 
TOD  den  Bischöfen  von  Amiens  beanirpnichte  Recht,  als  „Gewohnheiicrucbt*', 


Hit.  Das  Jas  primfte  noctis. 


377 


da««  Neuvermählte  sich  des  Hochzeitsfestea  enthalten  massten,  Lia  die  Bi- 
8oh6fe  am  2.  oder  3.  Tage  ihre  Genehmigung  dazu  gegeben  hatten.  Schmidt 
6ndet  hier  wie  in  anderen  angesogenen  Ursachen  keine  Spur  von  Jus  pri- 
mae noctis. 

Völlig  ungerechtfertigt  ist  die  Behauptung  Blau's,  das«  die  ürbewohner 
der  c anarischen  Inseln  da«  Jos  primae  noctis  gehabt  hatten;  die  Bericht- 
erstatter sprechen  nur  davon,  das»  die  Häuptlinge  überhaupt  die  Jung- 
frauen deflorirten,  aber  ein  besonderes  Recht  auf  die  Hochaeitsnacht  hatten 
•ie  nicht.     Mehr   ru   schaffen    macht    dem   Autor    die   .\ngabe  Vartltetna», 

in  Calicut  (Ostindien)  die  Brabminen  da«  Recht  gehabt,  nicht  bloss 

Frauen  nach  Belieben  beiwohnen  zu  dürfen,  sondern  auch  der  jungen 
Frau  des  Königs  bei  dessen  Vermahlung,  In  diesem  Falle,  wo  auch  noch 
andere  Reisende  Aehnliches  berichten,  handelt  es  sich  um  eine  Institution 
de«  Caltus. 

Schliesslich  weist  der  Verfasser  sämmtliche  gerichtliche  Entscheidungen 
ftb,  auf  die  man  sich  vorzugsweise  beruft.  Insbesondere  nennt  er  da«  im 
J.  1812  entdeckte  angebliche  Urtheil  des  Grossseneschalls  der  (ru^'enne  vom 
IS.  Juli  1302  ein  „fälschlich  angefertigtes  Actenstück".  Obwohl  die  Motive 
der  F&lschung  nicht  feststehen,  so  bezeichnet  Schmidt  doch  den  Verdacht 
als  dringend,  dass  die  Pillschung  in  unlauterer  Absicht  durch  Vertbeidiger 
der  Irrlehre  vom  Droit  du  seigneur  des  Mittelalters  vorgenommen  wurde. 

DaiB  einzige  Urtheil,  aus  dem  der  ß«weis  eines  Anspruchs  auf  das 
vermeintliche  Jus  primae  noctis  mit  einem  gewissen  Scheine  von  Berech- 
tigttng  hergeleitet  werden  könnte,  ist,  wie  Schmidt  sagt ,  das  Schiedsnrtheil 
des  Königs  Ferdinand  des  Kntholisdien  vom  21.  April  i486.  Dasselbe  be- 
seitigt  im  9.  Artikel  unter  anderen  Dingen  einen  Miasbrauch,  der  darin  be- 
stand, dass  einige  Grundherren  (aus  Herrschaften  in  Catalonien)  bei  Hei- 
rathen  ihrer  Bauern  den  Anspruch  erhoben,  in  der  ersten  Nacht  mit  der 
neuvermählten  Frau  zu  schlafen  oder  zum  Zeichen  der  Horrschaft  über  die 
Frau,  nachdem  sie  sich  zu  Bett  gelegt  hatte,  hinüberzuschreiten.  „Allein 
gerade  dadurch,  dass  diese  Urkunde  gänzlich  vereinzelt  dastehen  würde  al« 
Beweis  filr  das  Jus  primae  noctis,  scheint  aus  dem  Zusammenhange  der 
Urkunde  die  .\nnahme  gerechtfertigt  zu  sein,  dass  die  in  Anspruch  genommene 
Berechtigung  sich  auf  die  Vornahme  einer  Förmlichkeit  beschränkte,  die 
aU  symbolische  Handlung  die  Abhängigkeit  der  Bauern  von  ihrem  Grund- 
herrn bezeichnen  sollte." 

Es  sind  eben  „Hochzeitsgobräuche'S  die  im  Geiste  der  Zeit  lagen,  wie 
wenn  beispielsweise  nach  kirchlichem  Herkommen  die  Einsegnnng  erst  einen 
oder  drei  Tage  nach  Abschluss  der  Ehe  erfolgte;  allein  so  ganz  fremde 
Dinge  darf  man  doch  nicht  mit  angeblichen  llerrenrechten  in  Verbindung 
bringen.  Nach  germanischen  Rechtsgrundsätzen  war  bekanntlich  das  Bei  - 
lager (vor  den  Hochzeits^sten)  die  Form,  in  der  die  Ehen  geschlossen 
wurden.  Auch  diesen  Brauch  hat  man  zum  Beweise  eines  Herrenrechto« 
der  erst«n  Nacht  verwerthet.  indem  es  in  einer  Urkunde  vom  J.  1507  als 
Gewohnheit«recht  oder  coatume  von  Drucat  hoisst:  ,,Wenn  ein  ünterthan 
oder  eine  Unterthanin  dea  Ort««  Drucat  sich  verheirathet.  und  da»  Hoch- 
zeitsfest stattfindet,  so  kann  der  junge  Ehemann  die  erste  Nucht  mit  seiner 
lIochzeitHdame  nur  dann  schlafen,  wenn  dazu  die  Erlaubnisa  des  genannten 
Herrn  rrtheilt  wird,  oder  der  genannte  Herr  mit  der  Hochzoits- 
dame  geschlafen  hat"  St^midt  legt  diese  Stelle  so  aus:  das»  es  der 
Erlaubnis«  (die  sonst  unter  Ueberreichung  einer  Ehrengabe  vom  Hochzeit«- 
mahl  nachzusuchen  war)  nicht  bedurfte,  wenn    eine  Pen^on    heirathete,    dio 


378 


XII.  Liebe  und  Ehe. 


mit  dem  Grundherrn  unerlaubten  Umgang  gehabt  hatte;  von  einem  Herren- 
rechte  der  ersten  Nacht  ist  nach  Heiner  Ansicht  hier  nicht  die  Rede.  Alle 
weiteren  Urkunden,  die  man  anführte,  lehnt  Schmidt  in  ihrer  Bedeutung  als 
Zeugnisse  ab. 

Man  hat  aber  auch  das  Jus  primae  noctis  aus  dem  „Hel^amua"  der 
Uraeit  entwickeln  wollen,  den  Bacitofett  1861  als  Hypothese  aufstellte  und 
WJ^Uan,  Morgan,  LulAmdk  u.  A.  verfochten.  Diese  Lehre  von  einem  regel- 
losen Geschlechtsverkehr  bei  Naturvölkern  weist  Schmidt  zurück,  er  findet 
dort,  wo  geschlechtliche  Unsitten  vorkommen,  nur  „Sittenverwilderung", 
keineswegs  Ueberreste  von  Weibergemeinachall  oder  Hetäriamus ;  so  haben 
auch  die  Folgerungen  der  Entstehung  eines  Jus  primae  noctis  aas  dem  He- 
Urismus,   wie  Badiofen   und    seine    Nachfolger   versuchten,   keinen  Werth. 

Den  dargelegten  Ausführungen  Sdunidfs  schliessen  wir  uns 
insofeni  an,  als  wir  seiner  auf  wissenschaftlicher  Forschung  be- 
ruhenden Ausftlhmng  beitreten:  dass  eine  grosse  Zahl  der  bisher 
für  das  einstige  Bestehen  eines  Jus  primae  noctis  angeftihrten 
Beweismittel  nicht  als  geschichtliche  „Thatsachen"  aufgefasst  wer- 
den können,  welche  positiv  darthim,  dass  das  Jus  primae  noctis 
wirklich  in  geschichtlicher  Zeit  ausgeübt  wurde;  in  der  That  beruft 
man  sich  zumeist  auf  blosse  „Sagen",  die  nicht  als  Beweise  gelten 
können,  dann  aber  auch  auf  „historische  Quellen",  in  welchen  jedoch 
nur  von  symbolischen  Bräuchen  die  Bede  ist,  und  man  hat 
ialfichlich  gar  zu  oft  solche  Bräuche  sofort  als  Beispiel  der  Aus- 
übung des  Jus  primae  noctis  bezeichnet. 

Allein  vrir  verschliessen  uns  doch  auch  nicht  der  Kritik^  welche 
Pfannet^chmidt  dem  Werke  Schmidt^s  angedeihen  liess,  indem  wir 
auch  dessen  allgemeinen  Schllissen  beitreten:  Auf  Gnind  sicherer 
Zeugnisse  stossen  wir  zur  Zeit  des  Mittelalters  in  Europa  auf 
eigenthiimliche  Hochzeitsgebräuche,  welche  sich  für  diese  Zeit  zwar 
als  .symbolische'  herausstellen,  aber  in  irüheren  Zeiten  nicht  solche 
haben  sein  können.  Vielmehr  deutet  Alles  darauf  hin,  daas  einst 
das  thatsächlich  geübt  wurde,  was  später  nur  noch  sinnbildlich 
seinen  Ausdruck  fand  und  in  alterthlimlicher  Redeweise  schriftlich 
fiiirt  wurde.  Da  aber  mit  den  symbolischen  Gebräuchen,  w^o  sie 
sich  fanden,  in  historischen  Zeiten  sich  leicht  Missbräuche  verbinden 
konnten  und  solche  in  der  That  auch  vorkamen,  so  führte  dies  zu 
der  irrthümüchen  Annahme,  dass  noch  zu  der  Zeit,  in  welcher  man 
diese  Gebrauch«  au&uzeiclmen  anfing,  ein  sogenanntes  Uerrenrecht 
thatsfichlich  geherrscht  habe.  Eine  möglichst  genaue  Durchforschong 
der  mitteleuropäischen  Ueirathsabgaben  seit  dem  10.  Jahr- 
hundert und  der  sonstigen  Literaturdenkmäler  des  Mittelalters  ergiebt 
nichts,  was  darauf  hiiuführeu  könnte,  dass  für  diese  Zeit  anstatt  jeoer 
symbolischen  Hochzeitsgebräuche  der  Grundherren  ältere,  rohere  in 
Ucbong  gewesen  seien.  Gleichwohl  weisen  aber  diese  syroboUscbai 
Gebrauche  in  Verbindung  mit  Ss^euresten  auf  rohere  Sittoi  sorOck. 
Schon  der  Umstand,  dass  in  sehr  verschiedenen  Landschaiten  und 
Oenlichkeiteu  sich  charakteristische  Sparen  daron  finden,  fordert 
solche  Annahme.    Die^e  Spuren  treffen  wir  an  in  Land-  nnd  Ort- 


crliaften  Grossbritanniens,  Spaniens,  Frankreichs,  Italiens, 
weiz,  auch  in  Holland.  Es  sind  dies  Landschaften,  in 
denen  lange  keltische,  ja  theüweise  vorkeltische  Berölkenmjf 
sesshaft  war.  Die  historischen  Nachrichten  über  Nord-  und  Stid- 
Germanen,  Slaven,  Römer,  Griechen,  Perser  bieten,  soweit 
ersichtlich,  bis  jetzt  keine  zwingende  Handhabe  zur  Annahme  eines 
Jus  primae  noctis  oder  roher  Hochzeitsgebräuche  in  dem  ange- 
gebenen Sinne.  Bei  den  vedischen  Indiern  und  deren  Nach- 
kommen scheint  solche  Annahme  geradezu  ausgeschlossen.  Und 
doch  würde  es  voreilig  sein,  zu  schliessen,  dass  trotz  mangelnder 
historischer  Zeugnisse  solche  oder  ahnliche  Sitten  nicht  dennoch  bei 
arischen  Völkern  hätten  vorkommen  können.  Für  Europa  scheint 
vorläufig  die  Annahme  die  richtigere  zu  sein,  dass  rohe  Hochzeits- 

febräuche  da  vorgekommen  sein  werden,  wo  sich  Reste  vorarischer 
tevölkenmg  unter  günstigen  Existenzbedingungen  erhalten  hatten, 
die  von  den  arischen  Eroberem  angenommen  wurden,  sich  aber 
immer  mehr  local  beschränkten,  schon  £rüh  und  zxmieist  durch  Ein* 
Wirkung  der  christlichen  Kirche  erloschen  und  sich  seit  dieser  Zeit 
lur  noch  symbolisch  erhielten,  bis  auch  diese  letzten  sinnbildlichen 
'rebräuche  des  Missbrauchs  wegen  theib  in  Geldabgaben  umgesetzt, 
theüs  ganz  beseitigt  wurden. 

Inwieweit  noch  hier  imd  da  imter  Naturvölkern  ein  dem  .In« 
primae  noctis  ähnlicher  Brauch  besteht,  kann  weiterer  Forschung 
fiberlasseu  bleiben,  da  man  doch  erst  in  neuerer  Zeit  nach  dieser 
Bichtong  hin  Analogien  aufzusammeln  sucht.  Eine  besondere  Form 
des  Jus  primae  noctis  soll  nach  v.  MiUucho-Maday  bei  einem  ganz 
primitiv  lebenden  melanesischen  Volke,  den  Orang-Sakai  aul'  der 
malajischen  Halbinsel,  stattfinden;  dort  nimmt  der  Vater  der  Braut 
für  sich  das  Recht  des  iws  primae  noctis  in  Anspruch,  eine  Unsitte, 
die  man  auch  auf  Sumatra  bei  Battas  imd  auf  Celebes  (District 
Tonsawang)  bei  Alfureu  wiederfindet.  Eine  Reihe  anderer 
Beispiele  ftir  die  Ausübung  des  Jus  primae  noctis  durch  Fürsten 
^^exrntti&  haben  wir  in  dem  Abschnitte  Ober  die  Jungfrauschaft 
kennen  gelernt. 


5S.  Der  Ehebraeh. 

&  umi  natürlicherweise  von  Ehebruch  bei  solchen  Völkern 
ich  Dicht  die  Rede  sein,  wo  die  eigenen  Ehemänner  ihre  Wei- 
'  "^  *ß^  «öem  übertriebenen  Gefühle  der  Gastfreundschaft, 
«  a^  GfOikden  schmutzigster  Gewinnsucht,  anderen  3iiännem  zn 
r  5j^f***™  Verkehr  überiassen;  denn  volenti  non  fit  injuria. 
Ind  da«  Unrecht,  was  dem  Gatten  geschieht,  die  Unterschlagung 
and  ileemtrSchtigaag  semee  ihm  aUein  zustehenden  Rechtes,  ist  es 
doch  unmer,  das  Torliegen  moas,   wenn  wir  von  einem  Bruche  der 


XU.  Liebe  uad  Ehe. 


Ehe  sprechen  sollen.  Aber  auch  wenn  wir  diesen  Maassstab  an- 
legen, 80  finden  wir,  dass  die  Anschauungen  über  diesen  Pimkt  bei 
verschiedenen  Völkern  ausserordentlich  verschieden  sind.  Ist  es 
vielleicht  auch  nicht  ohne  Weiteres  gestattet,  den  Schluss  zu  ziehen, 
dass  bei  denjenigen  Nationen,  wo  wir  die  Weiber  zum  Ehebruche 
sehr  leicht  geneigt  finden,  die  Heiligkeit  der  Ehe  in  einem  nur 
geringen  Ansehen  steht,  so  können  wir  dieses  letztere  doch  dort 
ganz  sicher  annehmen,  wo  wir  ftir  den  Ehebruch  nur  ganz  unbe- 
deutende und  milde  Strafen  angesetzt  finden.  Denn  hierin  müseen 
wir  doch  sicher  von  Seiten  des  Mannes  eine  Geringschätzung  des 
ausschliesslichen  Besitzes  seines  Weibes  erkennen,  während  in  dem 
ersteren  Falle  die  Annahme  immer  noch  nicht  abgewiesen  werden 
konnte,  dass  die  leicht  erregbare  Natur  des  Weibes  starker  gewesen 
war,  als  die  heiligen  Bande  der  Ehe. 

Ueber  die  Auffassung  der  Ehe  von  Seiten  der  Frauen  der  alten 
Deutschen  macht  Tacitus  eine  sehr  anerkennende  Schilderung. 
Er  sagt:  Keinen  Theü  ihrer  Sitten  könnte  man  mehr  loben;  bei 
einem  so  zahlreichen  Volke  muss  man  die  imter  ihnen  vorkommen- 
den Ehebrüche  selten  nennen.  So  empfangen  sie  einen  Gatten,  .sind 
mit  ihm  ein  Korper  und  eine  Seele,  darüber  geht  kein  Gedanke 
hinaus,  und  keine  Begierde  führt  sie  weiter,  mid  wenn  sie  ihren 
Ehemann  nicht  lieben,  so  lieben  sie  doch  die  Ehe;  mit  ihrem  Ehe- 
gemahl glauben  sie  leben  und  sterben  zu  müssen,  auch  verachten 
sie  nicht  ihre  Rathschlage  und  beachten  aufmerksam  ihre  Antworten, 
Eine  sehr  starke  eheliche  Treue  finden  wir  aber  auch  bei  manchen 
Völkern,  welche  dem  Mädchen  einen  unbehinderten  geschlechtlichen 
Verkehr  mit  jungen  Leuten  gestatten.  Sobald  das  Mädchen  in  die 
Ehe  getreten  ist,  so  ist  ein  Ehebruch  etwas  Unerhörtes.  So  treffen 
wir  es  namentlich  axif  einigen  Inseln  des  malayischen  Archipels. 
Die  Frauen  in  der  Mongolei  allerdings  sollen  auch  nach  der  \''er- 
heirathuug  da.<t  zügellose  Leben  fortsetzen,  das  sie  als  Mädchen  zu 
ftlhren  gewohnt  gewesen  sind. 

«.  Ujfalvi  erzählt,  dass,  wenn  ein  Siaposch  die  Untreue  seiner 
Frau  entdeckt,  er  ihr  eine  Tracht  Prügel  zukommen  lässt  und  von 
seinem  Nebenbuhler  irgend  einen  geringwerthigen  Gegenstand  als 
Entschädigung  fordert  Auf  Formosa  ist  der  hintergangene  Gatte 
l>erechtigt,  die  Scheidung  zu  verlangen,  imd  beiden  Theilen  ist  da- 
nach eine  Wiederverheirathung  gestattet. 

Wir  haben  bereits  in  dem  Abschnitte  Ober  die  Keuschheit  des 
Weibes  das  Gebiet  der  ehelichen  Treue  berühren  müssen  nnd  e« 
Bollen  die  dort  angeführten  Beispiele  hier  nicht  noch  einmal  vor- 
gefOlirt  werden. 

Bei  den  Apache-Indianern   verstösst  der  Mann  die  Ehe- 
brecherin aus  seinem  Hause,  zuvor  aber  schneidet  er   ihr  die  Ni 
ab  und  läast  sich  das  Ankaufsgeld  wieder  zuri\ckzahlen.    (Spnt\ 
Die  Völker  am  Orinoco  dagegen  bestrafen  den  Ehebruch  mit  d« 
Tode:    bisweilen    allerdings   findet   die    Frau    Verzeihung,    niema 


«8.  Der 


381 


jedoch  der  Verftihrer.  Wie  leicht  sich  aber  die  Sioax-Indianer 
ober  den  Ehebruch  hinwegsetzen,  das  haben  wir  oben  gesehen. 
Verging  ?ich  in  dem  alten  Peru  eine  Frau  mit  einem  anderen 
Manne,  so  wurde  die  Ehebrecherin  sowie  ihr  Vei-ftlhrer  mit  dem 
Tode  bestraft;  der  Ehemann  koimte  eine  mildere  Strafe  bean- 
tragen. (Acosta,  Garcäasso.)  Ebenso  wurde  in  Mexiko  vor  der 
Ankiraft  der  Spanier  eheliche  Untreue  schwer  bestraft. 

In  Bezug  auf  die  Bestrafung  ehelicher  Untreue  haben  sich  auf 
den  Inseln  im  Südosten  des  malayischen  Archipels  die  An- 
schauungen gegen  früher  sehr  geändert.  Während  früher  der 
Mann  den  Ehebrecher  und  sein  ungetreues  Weib  (oder  dieses  allein) 
sofort  tüdten  durfte,  führt  die  Sache  jetzt  meistens  zur  Scheidung, 
wobei  gewöhnlich  von  den  Eltern  der  Frau  der  Brautschatz  zurück- 
erstattet werden  muss,  während  auf  Leti,  Moa  imd  La  kor  der 
Ehebrecher  dem  betrogenen  Manne  ausserdem  noch  eine  Busse  zu 
bezahlen  verpflichtet  ist.  Die  Keisar-  (Makisar-)  Insulaner 
begnügen  sich  nur  mit  dieser  Busszahlung  und  behalten  die  Frau; 
übrigens  ist  bei  ihnen  Ehebruch  eine  grosse  Seltenheit.  Auf  den 
Babar- Inseln  darf  noch  heute  der  Mann  den  Ehebrecher  todtstechen. 
Thut  er  dieses  nicht,  so  zieht?  er  mit  seinen  Bluteverwandten  be- 
waffnet aus,  tödtet  Schweine  imd  anderes  Vieh  der  Dorfbewohner, 
während  die  Angehörigen  des  Ehebrechers  sie  zu  besänftigen  suchen 
und  den  Schaden  ersetzen,  um  Krieg  zu  vermeiden.  Hat  der  Ehe- 
brecher dann  eine  Busse  bezahlt,  so  ist  die  Frau  frei  und  kann 
ersteren,  ohne  dass  er  einen  Brautschatz  zahlte  heirathen.  In  öffent- 
licher Versammlung  lääst  sich  der  neue  Gatte  dann  von  dem  alten 
einen  Eid  schwören,  dass  er  nicht  mehr  versuchen  wird,  mit  seiner 
Frau  geschlechtlich  zu  verkehren.  Das  geschieht  unter  besonderer 
Ceremonie,  worauf  der  erste  Mann  sich  aus  dem  Hause  der  Frau 
seine  Sachen  holt  und  die  Scheidung  als  erfolgt,  betrachtet  wird. 
(RiedeV) 

Auf  den  Mars  hall -Inseln  wird  Ehebruch  am  Manne  gar 
nicht,  an  der  Frau  aber  nur  durch  Verstossung  bestraft.  Auf  Sa- 
moa,  Tonga,  den  Sandwichs-  und  Marquesas-Inseln  aber  wird 
der  Ehebruch  streng  geahndet,  und  auf  Ponape  wird  er  sogar 
häutig  mit  dem  Tode  bestraft. 

Eine  ungetreue  Gattin  schickt  auf  den  P  a  1  a  u  -  Inseln  der  be- 
trogene Ehemann  einfach  fort  (Kubary);  war  aber  auf  den  Marian- 
nen-Inseln der  letztere  ehebrüchig,  so  rotteten  sich  die  Frauen 
zusammen  and  fielen  über  seine  Habe  her  und  zerstörten  sie 
gründlich. 

Bei  den  Kalmücken  wird  Ehebruch  mit  4  —  5  Stück  Vieh 
gebUsst;  bei  den  Chinesen  war  Ehebruch  ein  Scheidungsgrund, 
ebenso  bei  den  Persern,  jedoch  durtte  hier  auch  der  Mann,  wenn 
e»  ihm  gelang,  die  Untreue  seiner  Gattin  durch  Zeugen  zu  erhärten, 
seine  Frau  tödten.  Sehr  t«treng  wt  das  Gesetz  des  Mohammed  gegen 
die  Ehebrecherin.     Der  Konm    befiehlt,    das  Weib,    welches  durdi 


382 


Xn.  Liebe  nnd  Ehe 


vier  Zeujgen  des  Ehebruchs  überföhrt  ist,  im  Hause  einzukerkern, 
bis  der  Tod  sie  befreit  oder  Gott  ihr  ein  Befreiungsniittel  an  die 
Hand  giebt.  Später  Hess  man  dem  Weibe  die  Wahl  zwischen  Ein- 
kerkerung und  Steinigung.  Gemildert  wird  die  Strenge  des  Gesetzes 
dadurch,  dass  vier  Zeugen  eri'orderlich  sind,  um  den  Ehebruch  zu 
beweisen.  Wer  ein  Weib  dieses  Verbrechens  bezichtigt,  ohne  den 
Beweis  dafilr  erbringen  zu  können,  erhält  achtzig  Peitschenhiebe. 
Der  Ehemann  kann  die  vier  Zeugen  durch  einen  fünffachen  Eid 
ersetzen,  jedoch  steht  es  der  Frau  frei,  sich  durch  denselben  Eid 
zu  reinigen,  und  wenn  sie  dies  thut,  ist  die  Ehe  gelost. 

Auf  offenkundigen  Ehebruch  wurde  bei  den  alten  Israeliten 
über  die  beiden  Verbrecher  die  Todesstrafe  ausgesprochen,  doch 
entschieden  darüber  die  Gerichte,  nicht  etwa  der  beleidigte  Ehe- 
raaim.  Schon  der  blosse  Verdacht  auf  begangene  Untreue  des  Ehe- 
weibes wurde  streng  geahndet;  leugnete  die  Verdächtige,  so  erhielt 
sie  den  ekelhaften  Probetrank;  gestand  sie,  so  wurde  sie  gerichtlich 
geschieden  imd  der  ihr  zukommenden  Morgengabe  verlustig.  Dem 
mosaischen,  der  Willkür  eines  eifersüchtigen  Ehemannes  Thür  und 
Thor  öffnenden  Gesetze  wurden  später  von  den  Talmudisten  Schranken 
gesetzt.  Der  Ehemann  konnte  nur  dann  als  Kläger  auftreten,  wenn 
er  vor  zwei  Zeugen  seinem  Weibe  den  Umgang  mit  einem  gewissen 
Manu  verboten,  imd  sie  dennoch  nach  Aussage  zweier  Zeugen  einen 
solchen  Umgang  fortgesetzt  hatte. 

In  Camerun  soll  Ehebruch  in  der  Weise  bestraft  werden, 
dass  der  Mann  zu  einem  namhaften  Verlust  an  Palm-  und  Oelkemen 
verurtheilt  wird,  dagegen  man  das  Weib  unter  besonders  graviren- 
den  Umständen  der  öffentlichen  Schande  prei.sgiebt.  Auch  muss  der 
Vater  der  ungetreuen  Tochter  wohl  die  Hälfte  der  Kaufsumme  zu- 
rückgeben, oder  es  treffen  das  Weib  die  Misshandlungen  Seitens 
ihres  Mannes.  Die  Niam-Niara  aber  bestrafen  ehehche  Untreue 
nicht  selten  sofort  mit  dem  Tode. 

Für  Ehebruch  bestimmte  ein  angelsächsisches  Gesetz,  dass 
der  Verbrecher  das  Wergeid  der  Frau  erlege  und  dem  verletzten 
Gatten  ein  anderes  Weib  kaufe.  In  unseren  Volksrechten  herrscht 
aber  wie  bei  der  Entführung  einer  Verlobten  die  fränkische  For- 
derung der  Rückgabe  der  entführten  Frau  neben  der  zu  leistenden 
Geldbusse. 

unter  den  heutigen  Völkern  Europas  sind  es  namentlich 
zwei,  deren  Damen  sich  in  Bezug  auf  die  eheliche  Treue  eines  sehr 
wenig  rühmlichen  Leumundes  erfreuen^  Das  sind  die  Französin- 
nen und  die  Italienerinnen,  Wieviel  bei  den  ersteren  die  drama- 
tische und  Romanliteratur  dazu  beigetragen  hat,  sie  in  einen  solchen 
Ruf  zu  setzen,  der  vielleicht  weit  über  das  Thatsächliche  hinaus- 
geht, das  ist  natürlich  nicht  möglich  zu  entscheiden.  In  Italien 
ist  das  sogenannte  Cicisbeat  so  allgemein  bekannt  geworden, 
dass  man  sich,  wahrscheinlich  sehr  mit  Unrecht,  eine  italie- 
nische Dame  ohne  einen   solchen    Begleiter  gar  nicht  recht  vof- 


59.  Der  Ehebroclj. 


383 


zustelleu  vermag,  nnd  noch  mehr  hat  man  sich  getauscht,  wenn  man 
in  einem  solchen  Verhältnisse  sofort  einen  Ehebruch  witterte. 

Wenn  es  in  jener  Zeit  zum  guten  Ton  gehörte,  dass  sich  die 
verheirathete  Frau  von  einem  Cicisbeo  bedienen  und  begleiten  Hess, 
welcher  morgens  bei  ihr  erschien,  lun  sich  Verhaltungsmaassregeln 
für  den  Tag  ertheilen  zu  lassen,  so  lag  in  diesem  Verhältnisse  nichts 
Unsittliches,  wie  wir  etwa  bei  einem  „Hausfreund"  auch  nur  in  beson- 
deren Fällen  anstössige  Beziehungen  annehmen  dürl'en.  Es  war  dies 
ein  dienender  Cavalier,  ein  Vertrauter,  bisweilen  ein  Geistlicher, 
andere  Male  ein  Milchbruder  der  Dame.  Namentlich  dieser  letztere 
galt  wie  ein  Verwandter;  denn  die  Milchbruderschaft  versetzte  die 
beiden  von  einer  Amme  Ernährten  auch  bei  vielen  Völkern  in  einen 
mystischen  Rapport..  Cicisbeo  hat  die  Bedeutung  Galan,  aber  auch 
,  Bandschleif e";  wie  eine  solche  hing  der  Betreffende  an  der  Dame, 
welcher  er  ergeben  und  zu  Diensten  war.  Jetzt  heisst  im 
Italienischen  Cicisbea  eine  Kokette. 

Ob  dieses  Verhältnis«  nun  aber  wirklich  immer  ein  so  unschul- 
diges ist,  als  welches  es  erscheint,  das  möchte  doch  die  Frage 
sein.  Mantegaesa,  welcher  seine  Landsmänninen  doch  wohl  kennen 
muss,  sagt: 

„Der  Ehebruch  ist  eine  so  gewöhnliche  Würze  geworden,  dass  er  in 
unsere  Litei-atur,  in  unsere  Sitten  eindringt  und  auf  den  Bühnen  unserer 
Theater  dargestellt  wird.  Während  wir  una  Monogamen  nennen,  sind  wii- 
Polygamen  und  Polyaadrer  zu  gleicher  Zeit,  und  in  vielen  anscheinend 
glücklichen  und  moralischen  Familien  hat  die  Frau  mehrere  Geliebten  und 
der  Mann  ist  der  Geliebte  anderer  Frauen  oder  Weiber,  welche  die  Liebe 
verkaufen.  Der  Ehebruch  ist  daher  die  nothwendige  und  erste  Consequcnz, 
weil  Männer  und  Frauen  der  aufrichtigen,  freien,  glühenden  Liebe  bedürfen, 
und  wenn  daher  die  Ehe  dieselbe  ausschliesst,  so  suchen  Männer  und  Frauen 
sie  anderswo." 

Ein  untrügliches  Zeichen,  dass  die  Frau  es  mit  mehr  als  einem 
Manne  gehalten  hat,  haben  die  Einwohner  von  Ambou  und  den 
Uliase-Inseln.  Es  ist  dort  Gebrauch,  dass  eine  Frau  die  Nach- 
geburt schweigenden  Mundes  ziun  Strande  bringt  und  in  das  Meer 
wirft.  Treibt  dieselbe  auf  dem  Wasser,  so  ist  die  Frau  veri}fiichtet, 
es  dem  Ehegatten  der  Entbundenen  mitzutheilen,  der  daran  erkennt, 
dass  seine  Frau  ihm  untreu  war.  {Riedel.^) 

Ueberhaupt  ist  die  Zeit  der  Niederkunft,  in  welcher  die  Seele 
von  Furcht  und  Baugeu  erflillt  ist,  auch  der  rechte  Augenblick, 
um  das  schiildbefleckte  Gewissen  sich  regen  zu  lassen.  So  flihlt 
sich  bei  dem  Beginne  der  Entbindung  die  Samojedin  veranlasst, 
einer  alten  Frau  alle  die  einzelnen  Fälle  zu  berichten,  in  denen 
sie  ihrem  Manne  die  eheliche  Treue  brach,  denn  nur  nach  ge- 
wissenhafter Beichte  kann  die  Geburt  ohne  Störung  von  Statten 
gehen.  Aber  auch  selbst  die  Sünden  der  Vorfahren  kommen  in 
dieser  kritischen  Zeit  au  das  Tageslicht.  Das  beweist  ein  abson- 
iderlicher  Glaube,  welcher  auf  den  Luung-Sermata-Inseln  herrscht-. 


XII.  Liel)e  und  Ehe. 

Mau  hält  das  lange  Ausbleiben  der  Weben  bei  einer  KreUsenden 
für  den  sicheren  Beweis,  dass  deren  Mutter  früher  unerlaubten 
Umgang  gepflogen  hat.  (Riedel.^) 


59.  Das  Helrathsalter.*) 

Die  sociale  Stellung  der  Frauen,  welche  in  innigstem  Zusam- 
menhange mit  der  allgemeinen  Gesittung  eines  jeden  Volkes  steht, 
ist  sehr  maassgebend  für  die  Höhe  des  Alters,  in  welchem  das 
junge  Mädchen  gewöhnlich  heirathet  imd  in  welchem  die  meisten 
Frauen  gewöhnlich  gebären.  Das  Klima  imd  der  je  nach  klima- 
tischen  Verhältnissen  mehr  oder  weniger  früh  eintretende  Geschlechta- 
trieb  haben  zunächst  wohl  auch  in  dieser  Beziehung  eine  bestim- 
mende Kraft;  allein  die  Sittengesetze  sind  nicht  allein  vom  Klima  — 
mijidestenö  nicht  immer  direct  von  demselben  —  abhängig.  Ja  wir 
kenneu  gewisse  Völker,  bei  welchen  die  sexuelle  Reife  und  der 
Geschlechtstrieb  zwar  von  einer  heissen  Sonne  frtih  geweckt,  aber 
von  der  kühlen  Sitte  mindestens  in  Bezug  auf  das  Heirathsalter 
beschränkt  und  im  Zaum  gelialten  werden. 

Namentlich  richtet  sich  das  durchschnittliche  Heirathsalter 
der  Frauen  bei  einem  Volke  nach  dem  Werthe,  den  überhaupt  die 
Frau  für  den  Mann  hat.  Dort,  wo  letzterer  sie  lediglich  zur  Be- 
friedigung seiner  Simieslust  benutzt,  wird  insbesondere  in  warmen 
Zonen  das  Mädchen  früh  zur  Ehe  gelangen.  Ebenso  ab^  auch 
dort,  wo  die  Frau  dem  Manne  fast  nichts  anderes  als  ein  nütz- 
liches und  nothwendiges  Hausthier  ist.  In  letzterer  Beziehung  u;ilt 
sie  ihm  gleich  einigen  Stück  Vieh,  welche  er  tiir  sie  eintauscut: 
dann  muss  sie  ihm  aber  wie  eine  Sclavin  die  häuslichen  Arbeiten 
verrichten.  Geläuterte  Sitten  heben  bekanntlich  die  Achtung  und  den 
moralischen  Werth  der  Frau;  die  Gemeinschaft  mit  ihr  wird  dann 
mehr  zum  geistigen  Bedürfniss  des  Mannes;  er  wartet  ihre 
geistige  Reife  ab  und  sucht  sie  erst  später,  als  bei  rohen  Vötkem, 
ziu"  Ehe.  Dazu  kommt,  dass  unter  unseren  modernen  Culturvölkem 
die  später  eintretende  Selbständigkeit  des  Mannes  die  Begründung 
eines  eigenen  Hausstandes  häufig  genug  gegen  Wun.sch  und 
Willen  verzögert,  mid  dass  auch  das  von  demselben  zur  Frau  ge- 
wählte Mädchen  oft  mehrere  Jahre  laug  bis  zur  Eheschliessung 
warten  muss. 

Dass  man  »sieben  Jahre  musonst  freien ''  muss.  ist  ja  eine  all- 
bekannte abergläubische  Drohung,  welche  den  Uuverheiratlieten 
gewisse  unschiJdige  Handlungen  verbietet  (z-  B.  die  Butter  anzu- 
schneiden, sich  eine  Kopfljedeckuug  des  anderen  Geschlechtes  auf- 
zusetzen u.  s.  w.).    Dem  Bearbeiter  war  aber  in  Berlin  ein  Ehe- 


'}  VergL  Plofg  U. 


59.  Dm  Hdrathsalter. 


JW5 


paar  bekannt,  welches  erst  nach  sechzehnjährigem  Brautstaude  so- 
weit gekommen  war,  sich  heirathen  zu  können.  Die  junge  Frau 
hatte  ein  Alter  von  32  Jahren. 

Allein  auch  der  St^iat  und  seine  Gesetze  geben  hei  den  Cultur- 
volkem  eine  Minimal- Grenze  tlir  das  Heirathsalter  an.  Die  An- 
schauungen der  Staatsmänner  und  Gesetzgeber  gehen,  wie  sich  bei 
verschiedenen  Gelegenlieiten  zeigte,  oft  weit  auseinander;  man 
glaubte  bald  mehr  die  geistige,  bald  mehr  die  körperliche  Reife 
berücksichtigen  zu  müssen;  auch  selbst  die  Aerzte  sind  in  dieser 
Angt'legeuheit  nicht  immer  gleicher  Meinung.  Dies  veranlasst  mich, 
eine  ethnographische  Umschau  zu  halten  und  zu  untersuchen,  welche 
Thatsachen  und  Schlüsse  sich  aus  einer  Vergleichung  der  Völker- 
schaften hiüsichtlich  der  bei  ihnen  waltenden  Sitten  und  Gebräuche 
I  bezüglich  des  Heirathsalters  der  Frau  ergeben. 
Zuvor  jedoch  wollen  wir  uns  mit  demjenigen  bekannt  machen, 
was  in  cultivirten  Staaten  als  das  Gesetzliche  betrachtet  werden  muss. 
Wenn  wir  die  alten  und  die  neuen  Culturvölker  mit  einander  rer- 
gleichen,  so  finden  wir,  daas  mit  der  erhöhten  Gesittung  djvs  Heirathsalter 
der  Mädchen  wesentlich  hinauBgerückt  wird. 
Bei  den  alten  Indern  scheinen  die  Mädchen  früh  in  die  Ehe  ge- 
kommen zu  sein;  denn  nach  dein  Gesetze  des  Manu  passt  fär  einen  Mann 
von  24  Jahren  ein  Mädchen  von  i<,  für  einen  Mann  von  30  Jahren  ein 
12 jähriges  Mädchen.     {Duncktr.) 

Auch  bei  den  alten    Modern,   Persern   und    Baktrern   wurde   für 

»baldiges  Verheirathen  der  Mädchen  gesorgt,  doch  sollten  die  Mädchen,  wie 
e«  nach  Vendidad  XIV,  66  scheint,  nicht  vor  dem  15.  Jalire  /-ur  Ehe  ge- 
geben werden.  Ehelosigkeit  aus  freien  Stücken  wurde  bei  den  M&dcheu, 
auch  wenn  sie  nur  bis  zum  18.  Jahre  dauerte,  mit  den  längsten  Höllen- 
strafen  bedroht,  und  es  war  den  Mädchen  vorgeschrieben,  wenn  sie  das 
heirathsfähige  Alter  erreichten,  von  den  Eltern  einen  Mann  zu  fordern. 

Nach  dem  Gebote  des  Avesta  gab  es  nur  drei  ünreinigkeiten ,  für 
welche  eine  Sahne  und  Reinigung  eine  Unmöglichkeit  war.  weder  hier  auf 
Erden,  noch  auch  in  dem  jenseitigen  Leben,  Daa  war,  wenn,  man  von 
einem  todten  Hunde  ass,  wenn  man  den  Leichnam  eines  Menschen  ver- 
speiste, und  endlich,  wenn  ein  Mädchen  bis  in  sein  20Rte8  Jahr  noch  nicht 
in  die  Ehe  getreten  war,  Während  bei  den  alten  Griechen  Lykurf)  den 
Jünglingen    vor    dem  87.  Jahre    zu  heirathen  verbot,  verlangte  l^lato  beim 

f  Hanne  das  30.,  beim  Weibe  das  20.  Jahr. 
Bei  den  alten  Römern  wurden  die  Mädchen  zwischen  dem  13.  und 
16. — 17.  Jahre  verbeirathet.  Eine  Frau,  die  20  Jahre  alt  geworden,  ohne 
Mutter  zu  werden,  verfiel  schon  den  Strafen,  die  Auffustti»  über  Ehe-  und 
Kinderlosigkeit  verhängt  hatte.  (Eiscndecher.)  Es  war  also  das  Alter  von 
19  Jahren  die  äaesorste  Grenze  für  die  Schliessung  der  Ehe  in  naturgemässem 
Alter.  Die  römischen  Juristen  stellten  für  Mädchen  das  12.  Jahr  als  dax 
der  Pubertät  fest  (Marquardt),  und  zum  Schliessen  einer  gültigen  Ehe  wurde 
dasselbe  Lebensjahr  bestimmt,  doch  fanden  in  späterer  Zeit  auch  frühere 
Verheirathungen  statt.  FriecUänder  und  Bossbach  zeigen  nach  Leiohensteinen. 
ie  jung  in  der  Regel  Römerinnen  gebaren.  Wir  finden  bei  den  6^>äteren 
Omern  Angaben  Ober  das  zur  Verheirathung  geeignete  Alter.  Aureiius 
odosius  Macrobius  sagt:  „Naui  et  secundum  .iura  publica  duodecimus 
Plot«,  Dm  Wilb.   L   t.  Anfl.  25 


386 


Xn.  Liebe  und  Ehe. 


annnii  ia  femina,  et  quartua  decimus  in  paero  definit  puberlatü  actatom." 
Bei  ülpiamu  heisst  es:  „Justam  matrimoniatn  est,  r;i  inier  eoa  qai  nuptias 
contrahunt,  coonuLium  est.  et  tarn  mxscuias  pubea,  quam  femina  poiens 
Bit."  Justinian  verbot  ehelosen  Männern,  eich  eine  Beischläferin  su  halten, 
die  unter  12  Jahre  alt  war;  es  musste  demnach  nicht  selten  vorkommen, 
dass  man  so  junge  Concubinen  hielt.  Dio  Cassius  erzählt  vom  Kaiser 
Augtisivis  unter  anderem:  Weil  auch  einige  sich  mit  Kindern  verlobten,  nur 
um  auf  die  Belohnung  Verehelichter  Anspruch  machen  zu  k{)nnen,  ohne  doch 
den  -wahren  Endxweck  der  Ehe  zu  befördern,  80  verordnete  er,  dasa  keine 
Verlobung  Kraft  haben  sollte,  auf  die  nicht  wenigstens  nach  zwei  Jahren 
die  wirkliebe  Vollziehung  der  Ehe  erfolgen  könnte,  mithin  die  Braut  wenig- 
stens 10  Jahr«  alt  sein  mässte,  wenn  Einer  jener  Belohnung  Hlhig  sein 
wollte,  denn  man  rechnet  das  12.  Jahr  fHr  das  reife  Alter  zur  Vollziehung 
der  Ehe. 

Die  minder  cultivirten,  namentlich  die  in  södlichen  Gegenden  woh- 
nenden Volker  Europas  haben  den  Brauch  der  frühen  Verheirathang  der 
Mädchen  ziemlich  allgemein.  Ueber  die  Insel  Minorca  schreibt  Cleghorn: 
„Die  Mädchen  werden  zeitig  mannbar  nnd  zeitig  alt.  Sie  heirathen  in 
einem  Alter  von  14  Jahren."  Im  südlichen  Spanien  finden  Beirathen 
im  Alter  von  12  Jahren  statt.  (Fire//.)  Bei  den  Mainoten,  den  Be- 
wohnern der  Halbinsel  Mai  na  in  Griechenland,  heirathen  die  Mädchen 
«chon  mit  dem  13.  oder  14.  Jahre,  die  Männer  vom  15.  Jahre  ab.  Schiil- 
bach  berichtet,  da^^s  deshalb  die  Frauen  mit  einigen  20  Jahren  schon  ganx 
alt  aussehen,  aber  trotzdem  ein  hohes  Alter  erreichen. 

Die  Mädchen  der  Wallachen  heirathen  nach  Paget  mit  dem  13. 
oder  14.  Jahre,  verblühen  aber  rasch.  Allein  Czaploric»  berichtet,  da«-i 
sie  schon  im  12.  Jahre  heirathen,  und  die  Zigeunerin  schon  im  12.  Jahre 
Mutter  wird.  Schwicker  bezeugt  in  seinem  Werke  über  die  Zigeuner  in 
Ungarn,  dass  bei  ihnen  Mütt-er  mit  13 — 14  Lebensjahren  vorkommen.  Die 
Moldauerinnen  heirathen  auch  sehr  frQh,  und  es  ist  nichts  Seltenes, 
.Mädchen  von  15  Jahren  schon  mit  Kindern  gesegnet  zu  Hehen.  „Ans  dieser 
Thatoache,"  sagt  Seins,  „dOrfte  sich  vielleicht  die  geringe  Zunahme  der 
Bevölkerung  erklären,  da  eo  viele  nicht  lebensfähige  Kinder  geboren  werden." 
In  Bosnien  und  der  Herzegowina  werden  ebenfalls  Mädchen  mit  dem  13. 
oder  höchstens  15,  Jahre  verbeirathet.  Ihre  körperlichen  Reize  nehmen  raxch 
ab.  und  mit  dem  35.  Jahre  zählen  sie  meist  schon  zu  den  alten  Frauen.  (JSo*- 
kü^rics.)  Ueber  die  Süd- Slavon  berichtet  Krauss^:  „Im  Allgemeinen  heirathen 
Mädchen  nach  zurückgelegtem  sechzehnten  Lebensjahre,  wann  die  Brüste 
KU  Bch wellen  beginnen."  Auf  die  Frage:  Mit  wieviel  Jahren  ist  ein  Mädchen 
heirathsfähig?  antwortete  ein  altes  Mütterchen:  „Sobald  sie  sich  selbst  einen 
Dorn  auH  der  Ferse  heranizuziebcn  vermag."  Zuweilen  kam  es  vor,  dos« 
man  ein  zehnjähriges  Mädchen  heimffihrte ,  doch  sah  man  strenge  darauf, 
das«  sie  vor  ihrer  Reif«  mit  ihrem  Manne  das  Lager  nicht  theilte.  Aber 
auch  ältere  Mädchen  wurden  öfter  mit  ganz  jungen  Burschen  verbeirathet. 
In  Bosnien,  in  der  Umgegend  von  Larajevo,  heirathen  die  Myulchen  von 
14  bis  20  Jahren.  Di»  Ruthenen  in  Ungarn  (C^n/iforicv)  pßegen  die  MOd- 
eben  ebenfalls  schon  im  12.  Jahre  zu  verheirathen,  und  in  früherer  Zeit  ging 
fs  damit  noch  viel  ärger  r.ü,  indem  nach  Siirmay  Mädchen  von  5 — 6  Jahren 
verlobt  nnd  in  die  Wohnung  des  ihnen  zugedachten  Knaben  gezogen  wonlBB, 
wo  sie  bei  den  künftigen  Schwiegermüttern  schliefen,  bis  sie  hemim*in<en. 
Nördlicher  wohnende,  wenig  cultivirte  Völker  Europas  zeigen  «loli 
ganz  anders.     So  heiruthen  b».<ispii»lswei)«e  die  Estbinnen  «ehr  seMf^a  in  sehr 


59.  Das  Heirathsalter. 


387 


jngentUicbem  AlUr.  In  den  Jahren  1834 — 59  wurtWo  in  der  estbaischen 
Ötadtgeraeinde  nur  4.5  Proc,  in  der  Landgemeinde  11, ^  Proc.  und  in  mehreren 
Kirchspielen  15.«  Proc.  aller  Heirathen  vor  beendigtem  20.  Leben^jabre  ge- 
schloHsen.  Wir  finden  hier  ein  VerbB-ltnies  zwischen  Land-  nnd  Stadtbe- 
wohnern, welche?  darauf  hindeutet,  dass  die  BeBchllftignngsweiBe  auf  das 
Heirathsalter  von  Einflutss  iai;  andere  Arbeit,  andere  Kost  und  andere  Ge- 
sittung wirken  in  differenter  Weise  bei  einer  und  derselben  Rasse  und  bei 
gleichen  kliiuati.-)chen  Verhältnisaen. 

Wajtpaetie  berechnet   als    mittleres  Heirathsalter    aller    Getrauten   für 
die  Frauen; 

in  Sardinien  24,42  io  Norwegen  28,0$ 

„  England  25,9$  „    den  Niederlanden    28,88 

„  Frankreich  26,o7  „    Belgien  29,i4 

Von  10,000  getrauten  Mildchen  standt^n  in  einem  Alter: 


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unter  20  Jahren 

13.S9 

2030 

504 

791 

959 

von  20—25 

.5388 

4009 

3799 

2962 

2883 

von  25—30 

2069 

2229 

3469 

3550 

3144 

von  30—35 

695 

970 

1406 

1649 

1614 

von  35—40 

282 

422 

475 

636 

780 

von  40—45 

135 

j  271 

195 

246 

373 

von  4.r»'-50       „ 

57 

*98 

106 

159 

über  50 

35 

69 

54 

60 

** 

*)  In  den  Niederlanden   und   Belgien   unter   21    Jahren    und   von 
21  bin  25  Jahren. 

Für  ganz  Oeaterreich  und  speciell  filr  Steiermark  fand   ich:    Es 
heiratheten  von  je  10,000: 


Fraaen 

Oeaterreich 
1860  1   1865 

Steiermark 
1860—1865 

anter  20  Jahren 

1656 

1878 

761 

von  20—24 

2584 

2647 

1908 

von  24—80       „ 

2995 

2783 

3180 

von  30—40       „ 

3065 

1770 

2890 

von  40—50 

600 

581 

1083 

über  .50 

150 

166 

228 

Fragt;!!  wir  nun,  ob  sich  im  Uiublick  auf  die  bisher  auge- 
ftlhrten  Thatsachfn  ȟe  Gesetzgebung  der  Augelegenlieit  durch  Fest- 
stellen eines  bestimmten  Heirathaalter-s  und  durch  bewundere  Vor- 
echriften  annehmen  soll,  so  iat  zunächst  hervorzuheben,  dass  nur 
von  einigen  idealistiBchen  Socialisten  jede  Eiumischung  des  Staates 
auf  die.nem  Gebiete  zurückgewiesen  wird.  So  meint  beispielsweise 
Jieich:  , Da  nach  laut  allen  Gesetzbüchern  der  civilisirten  Welt  Leute 

25  ♦ 


S88 


"KIL  Liebe  und  Ehe. 


vor  Eintritt  ihrer  Volljährigkeit  zum  Behufe  der  Eheschliessimg  der 
Erlaubiiiss  der  Eltern  oder  ihrer  Vertreter  bedürfen,  so  muss  durch 
Belehrung  darauf  liiugewirkt  werden,  dass  —  ausserordentUche 
Fälle  ausgenommen  —  in  unseren  Breitengraden  Niemand  vor  Zu- 
rücklegung seines  23.,  beziehungsweise  20.  Jahres  von  seinen  Eltern 
die  Erlaubniss,  eine  Ehe  zu  schliesseu,  ertheilt  werde.  Das  Gesetz 
darf  das  von  mir  geforderte  Heirathsalter  nicht  dictiren.' 
Schliesslich  wünscht  er  das  15.  resp.  18.  Lebensjahr  als  gesetz- 
liches Minimum. 

Allein  in  allen  civilisirteu  Staaten  ging  die  Gesetzgebung  von 
dem  gewiss  nicht  unrichtigen  Principe  aus,  dass  einer  das  allgemeine 
Wohl  der  Bevölkerung  schädigenden  Willkür  durch  gesetzliche  Be- 
stimmungen vorgebeugt  werden  müsse.  Und  da  in  cliristlichen 
StaSiten  von  jeher  die  Kirche  bei  Verheirathungen  concurrirte,  so 
finden  wir,  dass  auch  die  kircldiche  Gesetzgebung  sich  firüher  der 
Sache  annahm.  Die  reellen  Verhältnisse  forderten  überall  dringend 
zum  legislatorischen  Eingreifen  und  zu  vorbeugenden  Maassregeln 
auf.  In  der  Wahl  des  zulässigen  Heiratlisalters  schwankte  mau 
fireüich  sehr. 

Früher  liess  das  kanonische  Recht  bei  Eheschliessungen 
das  Mädchen  im  12^  den  Knaben  im  14.  Jahre  reif  sein.  (Gitzhr.) 

Im  Mittelalter  konaten  nach  dem  longobardischen,  dem  friesi- 
schen und  dem  sächsischen  Rechte  and  auch  nach  dem  Schwaben- 
spiegel  die  M&dchcn  mit  12  und  die  Knaben  mit  11  Jahren  beirathen. 

Das  gemeine  Recht  in  Preusäen  bestimmte  ehemald  doa  12.  Jahr  als 
noch  zolfissiges  Heirathsalter  fOr  Mädchen,  während  nach  dera  Landrecht« 
der  braunschweigischea  Kirchenorduong  und  der  Eheorduung  fflr  da» 
UroBsherzogthutu  Baden  M&dchen  erat  mit  14  und  M&nner  mit  lä  Jahnen 
h«irathen  durften. 

Di«  Angelegenheit  des  Heirnthsalters  kam  vor  einiger  Zeit  im  Kflnig- 
reiuh  Preubsen  zur  Discuasion,  die  ein  besonderes  Interesse  dadurch  gewährte, 
dass  sich  Aerzte  für  ein  sp&teres,  Joristen  für  ein  früheres  Htdrathsalter 
aussprachen,  und  dass  damals  letztere  fllr  die  Gesetzgebung  den  Sieg  duvon- 
tmgen  und  die  soeben  genannten  Bestimmungen  angenommen  wurden.  Da- 
gegen wird  nunmehr  für  das  ganze  Deutsche  Reich  durch  das  Reichs- 
geMtx  vom  6.  Februar  1875  für  MFinner  20,  für  Weiber  16  Jahre  als  Minimum 
de»  Ueirathsalters  festgestellt. 

Ich  glaube  nun  aber,  darauf  hinweiseu  zu  müssen,  dass  es 
immer  etwas  Missliches  ist,  för  alle  Individualitaten  gleichsam 
schematisch  das  Minimum  des  fUr  die  Heirath  befähigenden  Alte« 
durch  ein  Gesetz  festzustellen.  Denn  es  kommen  in  der  That  nicht 
gar  zu  selten  Fälle  vor,  in  welchen  die  kr>rperliche  Reife  eines 
Mädchens  schon  frnh  eintritt.  Vtlr  solche  Fälle  müsste  doch  ein 
ärztliche.s  Guta<  :  -^anitätsbeamteo  abzugeben)  die  Mög- 
lichkeit   zur  Di~,  :  ...    .,     Jiren.     Freilich    hat   bei  der  er«4«n 

Lesung  jenes  neuen  Gesetzes  der  Jostisuünister  ausdt^klich  ge» 
bet  -      '  '"■  rensatiori  ^^r  geaotrl-  *-  ■    Beetimmang 

b«:  11    wir   i  doäi  n  ihen  wie 


59.  Das  H« 


389 


moralischen  Rückaichten  Ausuahmen  durch  ärztliche  Begutachtung 
itlr  zweckmässig  halten.  Denn  im  Volke,  namentlich  beim  land- 
wirihschaftlichen  und  industriellen  Arbeiter,  wird  von  jugendlich 
Verlobten,  wenn  ihnen  die  Eheächliessung  verboten  ist,  erfahrungs- 
gemaäs   gar  nicht    selten  ein  ausserehelicher  Verkehr  eingegangen. 

In  eüiigen  Provinzea  des  öaterreichiächen  Staates  ist  da«  heiraths- 
lUhtge  Alter  des  veiblicbeo  Geschlechts  bis  zum  15.,  dasjenige  de«  aiänn- 
lichen  bis  zum  19.  Jahre  hinauigeschoben.    {John.) 

In  Schweden  existiren  Verbote  des  Eitigehenx  zu  früher  Ehen,  wobei 
aber  den  Lappenmüdchen  bereits  im  17.  Lebensjahre  die  Verheirathung 
sprechend  ihrer  Früheren  Pabertätsentwicketnng  gestattet  ist. 

In  Frankreich  wurde  in  den  Verhandlungen,  des  Staatsraths  über 
bürgerliche  Gesetzbuch  einst  das  beirathsfilhige  Alter  auf  15  für  den 
Jüngling,  und  auf  13  für  das  Mädchen  festgesetzt.  Napoleon  I.  änderte  das 
aber  in  der  Folge  ab  und  setzte  den  Termin  für  die  Ehestandsfähigkeit  auf 
18  resp.  15.  Jahre,  indem  er  bemerkte,  dass,  da  nur  für  Einzelne  eine 
Ehe  im  13.  oder  14.  Jahre  nicht  von  überwiegend  nachtheiligen  Folgen  be- 
gleitet sei,  es  unpassend  sei,  durch  ein  Gesetz  die  ganze  Generation  in  diesen 
Jahren  zur  Eingehung  von  Ehen  zu  berechtigen.    {Malevüle.) 

In  England  ist  ,,the  age  for  consent  to  the  matrimony"  14  Jahre 
für  das  männliche,  12  Jahre  für  das  weibliche  Geschlecht.  Jedoch  ist  eine 
unter  diesem  Lebensalter  itbgeschJossene  Ehe  an  sich  nicht  nichtig,  viel- 
mehr nur  noch  unvollständig  (imperfect)  in  der  Weise,  dass  das  zum  Consens 
erforderliche  Alter  abzuwarten  ist  und  dann,  je  nachdem  der  Consens  erfolgt 
oder  nicht,  die  Ehe  ohne  Weiteres  gültig  oder  ungültig  ist.  Dies  gilt  jedoch 
nur  für  Ehen  .Solcher,  die  unter  7  Jahre  alt  sind.  Die  Ehen  von  Kindern 
bis  zu  diesem  Lebensalter  sind  ohne  Weiteres  nichtig.  Bis  zum  Jahre  1866 
ist  eine  Aendening  dieses  Rechtszu Standes  nicht  erfolgt,  und  man  scheint 
mit  demselben  bisher  zufrieden  gewesen  zu  sein. 

In  London  beiratheten  wELhrend  des  Jahre.s  1861  35  MB^cben  im 
Alter  von  15  Jahren  (10  Knaben  im  Alier  von  16  Jahren). 

Im  ganzen  russischen  Reiche  giebt  es  ein  Landesgesetz,  welches  die 
Ehe  mit  M&dchen  vor  dem  16.  Jahre  verbietet,  sogar  bei  Bibirienatrafe 
{Häntiscfu).  Die  russische  Jungfrau  in  Astrachan  hcirathet  mit  16 — 18 
Jahren.  Da  bei  den  Tataren  der  Bräutigam  einen  gewissen  Preis  den 
Eltern  der  Braut  zahlen  musa,  aber  die  meisten  Tataren  unbemittelt  sind, 
so  beiruthen  die  Tataren  (wenigstens  nach  Meyersohn  die  in  Astrachan 
wohnenden)  nicht  sehr  fn'Jh;  das  männliche  Geschlecht  nllmlich  im  25.  bis 
SO.  Jahre,  das  weibliche  erst  im  20.  Jahre.  Allein  manche  arme  Tataren, 
denen  es  um  den  erwähnten  Preis  zu  thun  ist,  verheirathen  ihre  Töchter 
fast  in  der  Kindheit,  obgleich  die  Landesgesetze  des  russischen  Reiches 
ihnen  das  frühe  Heirathen  verbieten.  Die  Kalmückin  heimtbet  mit  16 
Jahren  {Meyersokn).  Bei  den  Tungusen  hingegen  soll  man  noch  Georgi 
12jährige  Gattinnen  antreffen.  Unter  den  Chewsuren,  einem  tranekan- 
|tis eben  Volke,  wird  nach  Angabe  des  Fürsten  J^rtrfotp  das  Mädchen  zwar 
lon  in  den  Kinderjahren  verlobt,  allein  die  H^irath  findet  erst  im  20. 
'Tjeben.sjahre  statt. 

Wir  haben  hiermit  bereits  den  Uebergang  gemacht  zudenau.sser- 
popäischen  Völkern.  Hier  treffen  wir,  wie  wir  sehen  werden, 
nicht  selten  ganz  ausserordentlich  junge  Ehegattinnen  an.  Es  ist 
aber  wohl  nicht  unnütz,  hier  daran  zu  erinnern,  dass  damit  nicht  für 


59.  Du  UeiralbuaU 


war,  dl«  geiueinäte  Unzucht    mit   dem  Kinde    tfeibeo.    Die  Weiber    sind    ia 
Folge  dessen  meist  unfruchtbar. 

Die  MUdcben  der  Chayma  verheiratheu  aich  nach  Huitiboldt  mit 
12  Jahren.  Die  Indianerinnen  Brasiliens  werden  früh  verheiiathet, 
«ind  aber  nicht  sehr  fruchtbar:  v.  Spix  und  r.  Martius  bähen  Mütter  von 
20  Jahren,  die  schon  4  Kinder  hatten;  die  Mädchen  werden,  wie  diese  bei- 
den Reisenden  berichten,  rwischen  dem  l(>.  und  12.  Jahre  in  die  Ehe  gegeben. 
Die  Coroados-Indianerinnen  {Biwmeister)  gelangen  wegen  der 
frühen  Verheiratbang  im  14.  Jahre  nicht  recht  zu.  Kräften,  werden  schnell 
alt  und  verlieren  zeitig  ihre  Empfänglichkeit.  Bei  den  Indianern  in 
Surinam  (Niederlilndisch-Guiana)  treten  die  Weiber  mit  12  Jahren 
in  das  heirathsiuhige  Alter  und  verehelichen  eich  auch  um  diese  Zeit.  (Stedt- 
viann,)  In  der  Republik  Buenoa-Ajres  gestattet  das  bürgerliche  GeHetx, 
wie  Mantegazia  angiebt,  den  Mädchen  mit  12,  den  Knaben  mit  14  Jahren  in 
die  Ehe  zu  treten. 

Auf  der  Insel  Jamaika  werden  natch  Lonp  die  Mädchen  früher  mann- 
bar und  verwelken  schneller,  als  in  den  nördlichen  Gegenden ;  sie  verhei- 
rathen  sich  sehr  jung  und  werden  im  12.  Jahre  Mütter.  Aehnlich  ist  es 
auf  Trinidad  nach  Dauxion  Lavayssi,  Bei  den  Smu,  einem  mächtigen 
ludiancrstamiue  im  Moskito-Gebiete  in  Mitlelaraerika,  werden  die 
Mädchen  im  10.  bi»  13.  Jahre  zur  Ehe  gegeben,  [de  Orbigny.)  Auf  Cnba 
werden  viele  Frauen  im  Alter  von  13  Jahren  Matter  und  fahren  fort  bis  in 
ilas  50.  Jahr  zu  gebären. 

Gleiche  Verhältnisse  fand  man  bei  den  wilden  Volksat&mmen  Nord- 
amerikas. Nach  jRobei'twt  gebaren  von  65  Indianerinnen  zum  ersten 
Male : 

im   10.  Lebensjahre  1 

„     11.  „  4 

.,    12.  „  11 

..    13.  „  U 

„    14.  ..         18 

„    15.  ..  12 

„    16.  ,.  7 

..    17.  „  1 

Auch  Schoolkraft  giebt  an:  »Diö  Siou^-  und  Daco ta-Indiane- 
rinuen  gebären  schon  im  jugendlichen  Alter;  sie  selbst  wissen  selten,  wie 
alt  sie  sind;  die  Beobachter  ihrer  Bitten  berichten  aber,  dass  sie  schon  im 
13.  bis  zum  15.  Jahre  niederkommen.*  Bei  den  Delawaren  und  Irokesen 
werden  die  Mädchen  meist  mit  14  Jahren  verheirathet.  (I^oskiel.)  unter  den 
in  den  nördlichen  Gegenden  Amerikas  wohnenden  Indianern  ereignet 
es  sich  oft,  dass  der  Mann  von  35  bis  40  Jahren  ein  10-  bis  12jährige8 
Mädchen  zur  Frau  nimmt;  in  Folge  des  frühzeitigen  Heirathens  sind  die 
Indianerinneu  des  Nordens  minder  fruchtbar  und  können  nicht  so  lauge 
gebären,  als  in  südlichen  Gegenden.  {Samuel  Hearne.)  John  Franklin  sagt: 
«Die  Indianer-Mädchen  in  den  Forts,  vorzüglich  die  Töchter  der  Canadier, 
dürfen  sehr  früh  sich  verheirathen;  häufig  sieht  man  Frauen  von  12  und 
Mütter  von  14  Jahren." 

Bei  den  Indianern  der  Nordwestküste  Amerikas  werden  die 
Mädchen  sehr  früh,  oft  bereits  bald  nach  der  Geburt  verheirathet,  aber  erst 
im  12.  bis  14.  Lebensjahre  wird  die  Ehe  in  Wirklichkeit  gesclilossen. 

Bei  den  Eskimos  des  Cumberland'Sundes  werden  Knaben  und 
Mädchen  »chon    in  früher  Kindheit   mit   einander   bestimmt.     Die  Knal>en 


59.  Das  E«a 


sind.  Allein  ich  zweifle  nicht,  das«  die  eingeborenen  Weiber  von  Neusee- 
land trüber  aU  die  Frauen  auBerer  Rasae  aufhören  Kindes  zu   bekommen.* 

Bei  den  Samojeden  werden  viele  Frauen  schon  im  10.  Jahre  vor- 
|heirathet,  and  im  11.  oder  12.  Jahre  Mütter;  dafür  seil  jedoch  selten  eine 
tiianiojedin  über  SO  Jahre  alt  werden.  Auch  die  Frauen  der  Oetjaken 
heirathet  bisweilen  im  10.  Jahre  und  bringen  oft  achon  im  15.  Jahre  Kinder 
zur  Welt.  Ganz  anders  die  Wotjäkinnen.  die  fast  nie  vor  dem  22.  oder 
23.  Jahre  in  die  Ehe  treten;  denn  daa  Mädchen  muss  dem  Manne  folgen  in 
dessen  Haus  und  ihr  Vater  wQrde,  wenn  sie  früher  heirathete,  zu  früh  eine 
Arbeiterin  verlieren;  der  junge  Mann  müsste  dann  auch  einen  aehr  hohen 
Kaufschilling  entrichten.  (Bttch.) 

Die  alten  Chinesen,  hielten,  wie  e^  scheint,  ziemlich  streng  darauf, 
dass  da«  Heirathen  in  einer  gewissen  Altersperiode  vorgenommen  werde.  Im 
15.  Jahre  wird  dem  Müdchen  (nach  dem  ungemein  alten  üesetzbuche  „Li-ki") 
feierlich  die  Haarnadel,  der  Kopfputz  der  Erwachsenen,  ortbeilt,  im  20.  Jahre 
heirathet  sie,  der  Mann  dagegen  im  30.  Jahre.  Nach  dem  ..Kid-iii"  fragte  Ngai- 
kung  Confucius:  „Ich  habe  gehört,  dass  nach  dem  Brauche  der  Mann  im 
SQ.  und  das  M&dohen  im  20.  Jahre  heirathen;  warum  heirathen  sie  nicht 
später?"  Conftunus  erwiderte:  „Dies  festgesetzte  Alter  ist  das  üuiiserste,  dag 
nicht  flberschritten  werden  darf;  im  20.  erhält  der  Mann  den  m&nnlichen 
Hut.  ist  Mann  und  kann  Vater  werden;  im  15.  legt  das  Mädchen  die  Haar- 
nadel an,  und  im  20.  heirathet  sie,  wenn  nicht  eine  besondere  Ursache  (die 
Trauer  um  die  Eltern)  die  Heirath  bis  in's  23.  Jahr  verschieben  llsst.''  {Plath.) 

Bei  den  Chinesen  ist  nicht  durch  Gesetz,  aber  dui'ch  Herkommen  fest- 
gesetzt, dass  Mädchen  selten  vor  15  Jahren  in  die  Ehe  gegeben  werden, 
Männer  nicht  vor  dem  20-  Lebensjahre  heirathen!  (r.  ModUndorf.)  Man  hat 
oft  übertrieben,  wenn  man  sagte,  .dasa  die  Chinesenmädchen  schon  im 
6.  Jahre  heirathen.  Wahr  ist,  dass  oft  schon  in  diesem  Alter  die  Heiraths- 
contracte  abgeschlossen  werden  und  do^^  junge  Mädchen  auch  schon  in  das 
Haus  ihres  Eheherm  eintritt.  Allein  wirklich  geschlossen  wird  die  Heirath 
nicht  eher,  bevor  nicht  das  Mädchen  völlig  entwickelt  ist,  d.  h.  erst  nach 
dem  12.  und  13.  Jahre.  Die  Ehen  werden  in  Peking  nach  iVforac/*«'«  Be- 
richt aehr  frühzeitig  geschlossen,  nicht  selten  schon  in  der  Kindheit  der 
Individuen,  in  welchem  Falle  die  Verbeiratheten  so  lange  im  Hause  der 
Eltern  verweilen,  bis  die  Geschlechtsreife  bei  ihnen  eingetreten  zu  sein 
scheint.  Bei  vielen  Indochinesiunen  und  insbesondere  den  Japanerinnen 
echliesst  man  die  Eben  später,  doch  immer  noch  allzu  früh,  denn  in  allen 
diesen  Ländern  sind  die  Frauen  früh  verwelkt.  Nach  den  Begriffen  jener 
Leute  muss  ein  Weib  nchon  im  15.  Jahre  Mutter  sein.  [Uureau  de  ViUewHve.) 

In  üochinchina  heirathen  die  Frauen  der  niederen  Stände  allerdings 
bisweilen  schon  im  7.,  oft  aber  auch  erst  im  20.  Lebensjahre.  In  keinem 
Theile  Asiens  schreitet  man  so  spät  zur  Ehe,  als  in  Cochinchina.  (Crawfurd.) 

Mondicre^  sagt  über  die  Einwohnerinnen  von  Cochinchina:  ,Sur 
440  Annamites  ayant  accouche,  le  premier  eafant  est  venu  ^  20  ans 
6  mois;  sur  15  Chinoises  ayant  accouch^,  le  premier  enfant  est  venu  ä  18  ans 
10  mois;  eur  40  Minh-huong  ayant  accooche,  le  premier  enfant  est  venu 
ä  20  ans  9  mois;  et  sur  45  Cambodgiennes  ayant  accouch^,  le  premier 
enfant  est  venu  ä  22  ans  6  mois." 

Die  meisten  malayischen  Mädchen  an  der  Südwestküste  der  malay- 
i  sehen  Halbinsel  werden  nach  Jsabella  Jiircl  im  Alter  von  14 — 15  Jahren  verhei- 
rathet.  Gehen  wir  über  auf  die  Inseln  des  Ostindischen  Archipels,  welche 
zumeist   ebenfalls   malayisfche    Völkerschaften    bewohnen.     In  Java,  wo 


aUüM  Manue  vCTheirathel  war  ;  es«  wurden  ihr  noch  ujidc*re  Franoa  von  10 
bis  12  JahrKO  gezeigt.  Auoli  der  Arr.t  Titus  Tobler  kannte  eine  Fmu  in 
Pal&atiDa,  velcbe  im  13.  .lahre  geburen  hatte,  und  eine  andere,  eine  elf- 
jährige Jüdin,  welche  schon  «eit  zwei  Jabren  menstnuti  und  seit  l'/a  Jähren 
rerheirathet  war.  Bei  den  Samaritanern  p&egen  sich  die  Knaben  in 
ihrem  LS.  oder  16.  LebGoejahre,  die  Mädchen  im  12.  oder  noch  Irüher  zu 
verheirathen. 

In  Syrien  sollen,  wie  man  allgemein  meint,  die  MtLdchen  t'rUher 
aU  bei  uns  reifen;  die»  ist  jedoch,  wie  der  Missionär  Rof/aon  sagt,  ein 
Irrthum.  Der  Grund  tn  dieser  Behauptung  liege  darin,  da«»  die  Mädchen 
allerdingn  dort  früher  heirathen .  allein  sie  werden  gewöhnlich  schon 
vor  dem  Eintritt  der  Pubertät  verheimthet.  In  jedem  Alter  des  Mädcheni*  ge< 
schiebt  das  von  10  Jahren  aufwärts,  doch  ist  es  am  häufigsten  im  13.,  14. 
und  15.  Jahre;  und  die  grösste  Zahl  der  Neugeborenen  werden  2,  3  oder  4  Jahre 
nach  der  Verheirathung  geboren.  Man  hält  oe  bei  der  Jugend  der  Bräute 
dort  nie  für  walimcbeinlich,  dass,  wie  bei  uns.  ein  Kind  »chon  im  ersten 
Jabro.  nachdem  die  Ehe  geschlossen  wurde,  geboren  werde.  Jiobson  glaubt, 
dass  im  Pnbert'ätsalter  wenig  Unterschied  zwischen  Syrien  und  Irland  sei. 

Die  Weiber  der  Banjaneeeu  auf  Borneo  heirathen  bereits  im  8.  oder  9. 
Jahre;  im  20.  aber  hOren  sie  schon  auf,  Kinder  zu  zeugen;  dass  im  30-  noch 
eine  Frau  schwanger  geworden  w&re,  ist  ganz  unerhört.  (Finke.)  Bei  den 
Alfuren  auf  Celebes  geschieht  die  Verheirathung  der  Mädchen  in  ibrora 
14.  Jahre  oder  selbst  früher,  ,/agor  berichtet,  dass  bei  den  Bicolindiern 
(Philippinen)  die  Fi*auen  selten  vor  dem  14.  Jahre  heirathen;  12  Jahre 
ist  der  gesetzliche  Termin.  Er  fand  im  Kirchenbuche  von  Polangui  pjne 
Trauung  verzeichnet,  bei  welcher  die  Krau  bei  Vollziehung  der  Ehe  nur 
9  Jahre  10  Monate  alt  war.  Die  Europäer  auf  Celebes  nehmen  12-  bis 
läjfihrige  junge  Mädchen  der  Eingeborenen  als  Concubinen  zu  sich  und 
befolgen  hiermit  eine  Sitte,  die  daselbst  ganz  allgemein  ist  und  nicht  für 
anatÖBsig  gilt.  Die  Mincopie,  d.  h.  die  Eingeborenen  der  Andamanen- 
Inaein,  scheinen  ihre  TSchter  früh  za  verheirathen.  Einem  Brabminen- Sträf- 
ling, welcher  im  Jahre  18S8  zu  ihnen  entfioh  und  die  ersten  Nachrichten 
von  ihrer  Lebensweise  mit  zurückbrachte,  gab  ein  And  umane  seine  Tochter 
von  20  Jahren  und  wiederum  deren  Tochter  von  9  Jahren,  seine  Enkelin 
also,  gleichzeitig  zur  Ehe.  Mutter  und  Tochter  fügten  sich  willig  in  ihre 
Pflichten.  Auf  Ceylon  pflegt,  wie  Robert  Percival  im  Anfang  des  Jahr- 
hunderts berichtete,  das  Mädchen  schon  im  12.  Jahre  in  die  Ehe  zu  treten, 
und  dies  frühzeitige  Heirathen  wird  als  Grund  des  raschen  Verblühen»  der 
Weiber  betrachtet.  Eine  ausserordentlich  frühe  Verheirathung  findet  nicht 
minder  bei  den  Hindu  statt.  Dort  wird  nämlich  die  Ehe  geschlossen, 
wenn  der  Knabe  7 — 10  Jahre  alt,  das  Mädchen  aber,  wie  Eoer  angiebt, 
4 — 6  Jahre,  wie  mir  jedoch  Missionär  Beierlein  vorsicherte,  8  Jahre  alt 
ist.  Man  thut  dies  nicht  deshalb,  weil  dort  die  Geschlechtsreife  der 
Mädchen  um  so  viel  früher  als  bei  uns  eintritt,  denn  nach  BeierJetn 
kommt  die  Menstruation  in  Ostindien  nicht  früher  als  bei  uns  zum 
Vorschein,  und  nach  Hotr  beträgt  der  Unterschied  zwischen  hier  und  dort 
hinsichtlich  der  Geschlechtsreife  höchstens  zwei  Jahre.  Die  Sache  beruht 
vielmehr  auch  hier  auf  einem  althergebrachten  geheiligten  Gebrauche.  Nach 
den  Heirathsceremonien  kehrt  nämlich  die  Braut  in  das  Haus  ihrer  Eltern 
zurück:  erst  wenn  nach  einigen  Jahren  die  Menstruation  eintritt,  wird  da» 
Mädchen  unter  Veran.staltung  einer  Öffentlichen  Festlichkeit  mit  ihrem 
Knabengatten  vereinigt.     Sie  wohnen  sodanu  im  Hause  ihrer  Eltern.     So  hat 


XIL  Liebe  und  Ehe. 


es  denn  nach  Korr  Beispiele  gegebeii,  wo  in  «in  and  derselben  Schale  Vi 
and  Sohn  in  verschiedenes  KJassen  »a«9en.  Diese  AngaDen  beziehea 
Mif  Dekan.  In  Unterbengalen  hingegen  findet  nach  RdberUm  .  wie  wir 
später  sehen  werden,  die  Begattung  Ecbon  vor  dem  MenBtraaüoaseintiiti 
etatt  In  Calcntta  herrscht,  wie  AUan  Wdib  berichtet,  unter  den  Hindn 
allgemein  die  Sitte,  die  Kinder  frShzeitig  zu  verheirathen,  und  e«  wird  dem 
Vater  als  ein  dem  Kindenuord  analoges  Verbrechen  angerechnet,  wenn  «öne 
Tochter  im  elterlichen  Hanse  menstruirt  wird;  daher  werden  die  Kinder  im 
8.  bi«  10.  Jahre  verheirathet,  selten  aber  (unter  80  Fällen  28  mal)  gebären 
die  Frauen  vor  erreichtem  14.  Jahre.  Nach  .Angabe  des  Hauptmanns  Best 
aas  dem  Jahre  17gS  erw&hlen  die  Mädchen  zu  Madras,  wenn  sie  sich  vor 
dem  12.  Jahre,  in  welchem  sie  oft  schon  mannbar  sind,  nicht  verheiTathen 
können,  das  Los  eines  Kebsweibe«  oder  eines  Freudenmädchens.  Dies  ist 
aieht  ganx  richtig.  In  der  Ka«t«  der  Vornehmen  ist  es  nämlich  herkOmmUcb, 
keia  Hädehen  zu  freien,  welches  älter  ist  als  14  Jahre;  ist  nun  ein  Mlidclbesi 
1&  oder  16  Jahre  alt  geworden^  ohne  dass  sich  ein  Freier  für  sie  gefutden 
hätte,  so  weiht  sie  sich  dem  Tempeldienst  der  KalioA^x  heiligen  Matter 
(Bkaioani),  sie  wird  Mozli ,  weibliche  Priesterin .  und  hiermit  som  verwor* 
fensken  Geschöpfe  des  Landes.  Unter  den  Vedas  (südindiache  Sdaven* 
käste)  pflegen  die  Männer  bei  der  Heirath  15 — 16  Jahre  alt  m  «ein.  die 
Mädchen  7 — 9  Jahre;  sie  cohabitiren  aber  mit  ihren  Mannen  sdioa  ror 
dem  Eintritt  der  Geschlechtsreife  (Jagor). 

Unter  den  Bewohnern  Centralasiens  wird  es  mit  dem  HeirathiKltw 
der  Tochter  sehr  verschieden  gehalten.  Die  Afghanen  pflegen  die  lUd' 
chen  im  15.  oder  16.  Jahre  in  die  Ehe  su  geben,  doch  trifft  man  aneh  nicht  gar 
selten  25jährige  Jungfrauen.  (Mounstuart-Elp^nstone.)  Dogegon  bedrathcB 
bei  den  Durahnern.  einem  die  Berge  Afghanistans  bewohnenden  StamoM, 
die  Mädchen  im  14.  oder  16.  Jahre.  Bei  den  Kafir- Stämmen  am  Hinda- 
kash  ist  das  Heirathsalter  der  Mädchen  zwischen  15 — 20  Jahren.  Die 
wilden  Bewohner  Central -Indiens  (imBusthar)  verheirathen  ihre  TOehter 
mit  15—17,  die  SOhne  mit  14—24  Jahren.    {GUufmrd.) 

Nicht  ohne  Eiafluas  auf  die  Sitte  des  frflhea  Verhetrathens  im  Orieiit 
aiOgen  die  religiösen  Institutionen  gewesen  sein,  die  in  GemeinselMfl  mit 
dea  .klimatischen  Einflössen  ihre  Wirkung  äosserten.  Die  Heiiath  gdMtft 
(nach  Si  Khdii)  unter  die  religiösen  Pflichten  der  Mohammedaner,  und  aüi 
dem  10.  Leben^ahre  ist  es  allen  Mohammedanerinnen  erlaubt,  die  Ehe  esa- 
zagehen,  d.  h.  mit  etwa  9*3  Jahr«-n  unserer  Sonn'enrechnung.  JfittisismJ, 
weldier  am  jeden  Preis  seine  Anhänger  schnell  vermehren  wollte,  hatte 
dabei  Tocent  aar  an  das  «fldÜebe  Arabien  gedacht;  er  wnsste  aber  aädbi, 
daas  bei  den  Völkern  der  aaderen  Lladcr  die  GeeeUaehlareüis  spiter  aaf- 
tritt,  als  dort.  Die  Araberinaea  reifiBB  aber  jcdcafiük  frSber;  aadi  die- 
Jenigaa,  weiche  in  Afrika  IdMa.  .Eüae  Araberin,*  sagt  Bmtt,  «.g^ieii 
■ehon  im  II.  Jahre  Kiadec,  kflrt  ab«r  aacii  schon  im  20.  Jahn  viador  aaf; 
ihre  Zeit  betxigt  also  aar  9  Jahte.'  Später  setd  er  Unsn«  da«  di»  TTTwirr 
auf  der  afrikaalsehea  KSste   des   arabischen 


arabisohea  Fiasea  die  abjssiaischea  Middw 


di« 


ftOba  Baitmiba   der 


Geld  kauft,  weil  diese  Hager  Kinder  gablim. 

Wie  im  Oneni  Ibechauiii,   so 
aaaeatlich   nach  in   Persiea   Braneh:    PbM  btrichtal* 
Waba^maag.  da«  ta  Teheran  dasMäddMB  («wAhalieh  seboa  im  IS,. 
14.  Jahre,  in  Schirat  «ogar  •ehon  hkatf  mü  4tm  ISL  Jahr*  SiaUcr 
Kr  sagt:  .In  weniger  bemtUeltesi  Familiao  tsadkteC  naa  daaacb.  die  Toebt« 


59. 


897 


I 


I 


Kclion  in  ihrem  10.  oder  11.  Jahre  tu  verheiratheu;  jü  mir  siod  Fälle  be- 
kannt, düna  nach  erkauftem  Dispens  des  Prietiters  die  Verheiratbung  schon 
ini  7.  Jahre  stattfand;  in  guten  Häusern  jedoch  werden  die  Töchter  erst  im 
AlUtr  von  12  oder  13  Jahren  ausgestattet.  Gesetzlich  soll  das  Mädchen  erst 
nach  erlangter  voller  Pubertät  heirathen,  d.  h.  mit  eich  einstellender  Men- 
struation, und  wenn  Scham-  oder  Achselhaare  zu  keimen  beginnen,  ähnlich 
Aar  oiotiaiBchen  Vorschrift,  doch  hält  man  sich  in  den  ärmeren  Elaüsen  nicht 
daran,  sotidem  erkauft  den  Dispens  von  einem  Priester.  Ks  heirathen  Mäd- 
chen mit  noch  unentTvickelten  Menstruen  und  ganz  platter  Bru&t.  jedoch  ent- 
wickelt sich  beides  in  der  Ehe  rasch.  Wie  mir  versichert  wurde,  komnieu 
Fälle  von  Schwaagersohaft  vor,  ehe  noch  die  Menstruation  «ich  eingestellt 
hut.'^  Aus  Nordpersieu,  insbesondere  aus  der  Provinz  Gilan,  berichtet 
Hüntzaviif:  Wenn  auch  mehr  als  die  Hälfte  der  Mädchen  zur  Zeit  der  Pubertät, 
d.  b.  im  14.  Jahre,  heirathet,  so  wird  doch  noch  eine  sehr  grosse  Menge 
M&dchen  schon  zwischen  dem  10.  und  14.  Jahre  verheirathet.  Auch  die 
Mädchen  der  Kurden,  jenes  Barbarenvolke:;,  das  in  manchen  Gegenden 
West- und  Nordpersiens  wohnt  und  in  den  Euphratländern,  Syrien 
und  Kleinaaien  nomadisch  umherstreift,  heirathen  nach  Wagner  zwischen 
dum  10.  und  12.  Jahre. 

Diosen  westasiatischen  VMkemschliessen  sichdieNordafrikaaer  an. 
Die  Weiber  der  Fezzaner  haben  nach  Capitän  Xi/ot»  im  12.  und  13.  Jahre 
Kinder  und  gleichen  im  15.  und  16.  Jahre  alten  Weibern.  In  Tunis  findet 
nach  O-iovaimi  Ferrini  zu  frühe  und  zu  häufige  Begattung  statt,  und  iht 
die«  unter  anderen  KinäQ^^sen  eine  Ursache,  dass  die  Bevölkerung  nicht  zu-, 
sundern  abnimmt.  In  der  Sahara  von  Algerien  giebt  es  ein  Volk,  die 
Beni  Mezab,  welches  seine  Töchter  nach  Dueeyrier's  Bericht  sehr  früh  ver- 
heirathet; ea  giebt  unter  ihnen  Mütter  von  12  Jahren.  Unter  den  Kabilen 
(zur  Berber-Kasse  gehörig)  werden  die  Mädchen  schon  im  6.  Jahre  ver- 
sprochen, nnd  sie  heirathen  «wischen  dem  10.  und  12.  Jahre.  Diese  frühe 
Heirath  scheint  keinen  so  nachtheiligen  Einfluss  auf  die  knbilischen,  wie 
die  arabischen  Frauen  zu  üben,  indem  nach  Leckre  erstere  nicht  so  schnell 
zu  altem  scheinen,  als  letztere. 

Die  Aegypterinnen  verbeirathen  sich  im  Alter  von  11  bis  13 
Jahren.  {Hartmann.)  Das  frühe  Dahinwelken  der  ägyptischen  Frauen, 
wie  der  Morgenländerinnen  überhaupt,  schreibt  Frau  r.  MinutoU  dem  früh- 
zeitigen Heirathen  zu.  Die  Kopten  verehelichen  ihre  Kinder  schon  im  7. 
oder  8.  Jahre,  und  man  sieht  bei  ihnen  oft  Mütter,  die  er^t  12  Jahre  alt  sind. 
In  Oberägypten  verbeirathen  sich  nach  Bruce  die  Mädchen  selten  nach 
dem  16.  Jahre,  und  einige,  die  er  schwanger  sali,  waren  ihrer  Aussage  niich 
kaum  II  .Fahre  alt;  sie  'sahen  aus  wie  eine  Leiche  und  waren  in  ihrem 
16.  Jahn?  iilter,  als  manche  Engländerinnen  in  ihrem  60.  Jahre.  Klunzintfer 
berichtet,  dass  in  Überägypten  Knaben  von  15 — 18  Jahren  Mädchen  von 
12 — 14  Jahren  heirathen,  und  fügt  hinzu,  dass  solche  in  unseren  Augeu  ver- 
frühte F.hen  (dort  obendrein  zu  etwa  zwei  Dritttheilen  zwischen  Geschwister- 
kindern  geschlossen)  doch  in  Bezog  auf  den  Kindersegen  keine  üblen  Wir> 
kungen  wahrnehmen  lasaen. 

Wir  wenden  ans  nun  zu  den  übrigen  Völkern  Afrikas.     Die  Unsittr 

[der  Aegypter.  Mädchen  von  6 — 8  Jahren  zu  verbeirathen,  findet  unter  den 

braunen  Leuten  zu  Mensii  nicht  statt;    unter    14  Jahren    wird    hier  aelKn 

ein  Mildchen  ehelichen;  in  dii'tem  Jahre  ist  es  aber  völlig  «•rwachsen.  {Brehm.) 

>ie    Frau    bei    den    Scbaugalla,    welche  augeblich   mit    12  Jahren   schon 

lehrere  Kinder  geboren  bat.    wird  nach  dem  20.  Jah^e   selten  Mutter,    und 


Xn.  Liebe  and  Ehe. 


hat  mehr  Runzeln  ala  eine  SOjilhrige  Europäerin,  unter  den  Agow, 
einen]  VolkfiBtamme  im  Süden  Abyssiniens,  werden  die  Mildchen  schon 
im  9.  Jahre  mannbar,  heirathen  meist  im  11.  Jahre,  hören  aber  schon  im 
30.  Jahre  auf,  Kinder  zu  bekommen.  Die  Frauen  der  Abyaainier  werden 
in  der  Reg^el  ungemein  jung  verheirathet ;  Rüppell  berichtet  von  einer 
lOjIlhrigeu  Fmu;  das  Alter  dee  Mannes  kommt  bei  keiner  Ehe  in  Berück- 
äiehtigung,  und  sehr  alte  Männer  hdrathen  oft  ganz  junge  Mädchen.  In 
Keradif.  das  tief  in  Ab>-esinien  liegt,  fand  einst  der  Misaionilr  Httrn 
eine  sonderbare  Aufregung:  es  war  plötzlich  der  Befehl  erlassen  worden, 
dass  alle  Knaben  über  14,  alle  Müdchen  über  9  Jahre  alt  binnen  14  Tagen 
heirathen  sollten ;  die  Uebertrctung  dieses  Gesetzes  sollte  mit  Geld  eventuell 
durch  Peitschenhiebe  bestraft  werden:  die  ganze  Bevölkerung  feierte  dem- 
nach grosse  Hochzeitsfeste,  und  überall  sah  man  kleine  Bräute  und  Bräuti- 
gams.  Unter  den  Bedu^'  in  den  Habab-  und  Bogos- Ländern  erfolgt  nach 
Mu7uiiiger  die  Verheirathung  d<-'t*  Mädchens  bisweilen  im  12.  Jahre,  doch  la 
der  Kegel  später.  In  Masaaua  heirathen,  wie  Mitiisingcf  angtebt,  die  Mäd- 
chen im  12.,  die  Jünglinge  im  17.  Jahre.  Nach  Brehm  ist  in  Massaua  die 
Sitte,  die  Mädchen  früh  eu  verheirathen,  als  Ursache  der  Cnfruchtbarkäit 
der  Weiber  zu  betrachten.  Auch  bei  den  Sudanesen  verheirathen  sich 
nach  Brehm's  Mittheilungen  die  Mädchen  von  12^14  Jahren,  die  Knaben 
von  15  Jahren,  Die  Mädchen  in  Nubien  heirathen  nach  Ähbadie  regel- 
mässig mit  12  Jahren;  sie  heirathen  aber  auch  wnhl  im  10.  Jahre,  und  lange 
bevor  die  Menstruation  eintritt  werden  sie  schon  gekauft  und  zum  Beischlaf 
benutzt.  In  Siidnubien  heirathet  man  auch  nach  ifm//w/^'  nehr  jung:  Ehe- 
paare iin  15.  bi.'i  17.  Lebensjahre  sind  keine  Seltenheit.  Die  Somali,  die 
an  der  KQste  des  Meeres  wohnen,  lassen  ihre  Mädchen  schon  von  den 
13.  Jahre  an  heirathen. 

An  der  Goldküste  werden  die  Heiratheu  sehr  frühzeitig  ge- 
schlossen, {(^ruickshank.)  Bei  den  M'Pongo  an  der  Kflste  von  Nord- 
Guinea  pflegen  die  Mädchen  zwischen  dem  10.  bis  12.  Lebensjahre 
in  die  Ehe  zu  treten.  (Ut/acinth  Ilecquard.)  Das  Negervolk  der  Egba  in 
Yoruba,  einem  Lande  zwischen  dem  Golf  von  Benin,  dem  Niger  geg«n 
Osten  und  Borgu  im  Norden,  verlobt  seine  Töchter  zeitig,  doch  finden 
die  Verheiraihungen  selten  vor  dem  18.  bis  20.  Jahre  statt.  (Burton,)  An 
der  Sierra-Leone-K&ate  bei  den  Susu,  Mandingo  u.  s.  w,  werden  die 
Mädchen  schon  vor  ihrer  Geburt  verlobt,  die  Uochzeit  wird  jedoch 
selten  oder  nie  vor  dem  14.  Jahre  vollzogen;  auch  erinnert  sich  Winter- 
boUom  nicht,  in  diesem  Thelle  von  Afrika  je  eine  Hchwangere  Frau  gesehen 
EU  haben,  die  nicht  bereit«  dieses  Alter  erreicht  gehabt  hi'itte.  Eine  früh- 
zeitige Verlobung  der  Mädchen  Sndet  auch  in  Okl-Calabar.  numenUich 
bei  den  höheren  Klassen,  statt,  bisweilen  schon  wenige  Tage  nach  der  Ge- 
burt derselben,  und  zwar  nicht  »elten  mit  einem  Manne  in  den  mittleren 
oder  höheren  .Tahren.  Mitunter  bat  ein  Mann,  der  schon  einf  Anzahl  Weiber 
hat,  einen  Säugling  von  2— *d  Wochen  alt  auf  seinen  Knieen  und  küsst  und 
herzt  dos  Kind  als  sein  ,neues  Weib".  Im  7.  oder  8.  .labre  wird  da«  Mäd- 
chen zur  Vorbereitung  vor  der  Ehe  in  einer  von  der  ötadt  entfernten  Farm 
gemästet;  dann  lebt  sie  noch  ein  Paur  Jahre  frei  unter  den  Weibern  ihre« 
Gemahl».  Bei  den  Negern  in  Oabon  wird  da«  Mädchen  oft  »ohon  im 
10.  Jahre  verheiratliot,  wie  Oriffon  du  Bellay  augiebt;  im  14.  Jahre  Ist  dann 
solch  ein  armes  Geschupf  Mutter  und  im  20.  Jahre  ein  altea  Weib.  Allfita 
noch  den  Berichten,  die  Itoberton  einzog,  finden  bei  den  Negern  die  Ge- 
burten im  Allgemeinen  selten  früher  ala  im  16.  Jahre  statt;  dorchschnitUicli 


59.  Das  Heiräth  salter. 


399 


Hollen  hiernach  die  Negerinnen  ebenso  früh  und  ebenso  spät  gebären,  wie 
die  Europäerinnen.  Dagegen  fand  Du  CliaiUu,  dass  diu  Aschira  in 
WcBtafrika  mit  der  Verheirathung  nicht  erst  abwarten,  bis  da«  Alter  der 

L Pubertät  eintritt. 

Bei  den  Eaffern  beginnt,  schon  der  I4j9,hrig8  Jange  sich  nach  einer 

'Dirne  umsuKchauen,  die  er  heimthen  kann.  Da«  junge  Amaxosa-(Kaff  er-) 
Mädchen  wird  bei  Eintritt  ihrer  Mannbarkeit  feierlich  für  heirathäfähig  er- 
klärt. Bei  dem  hierbei  begangenen  Fest  geniesst  sie  das  flbliche  Vorrecht, 
mit  einem  von  ihr  erwählten  Gefährten,  gewöhnlich  für  2 — 4  Tage,  zusaui- 
menznleben.     Die  heirathalustigen,  menstrolrten  Mädchen   tragen  das  Kopf- 

ihaar  in  Nestfonu  zusaoimengewunden.  Es  ist  unter  ihnen  der  Probe-Coitus 
eingeführt,  bei  dem  jedoch  der  junge  Mann  das  Mädchen  nicht  schwängem 
darf,  wenn  er  sich  die  Entscheidung  der  Wahl  vorbehalten  will.  Sol)ald 
1>ei  den  Basutho  die  Kinder  das  14.  .Tahr  erreicht  haben,  denken  die  Eltern 
»n  eine  Heirath.  {Casalis.)  Allein  die  Mädchen  der  Basutho  heirathen  nicht 
60  frQh,  als  man  es  von  dem  südlichen  Klima  erwarten  sollte;  erstens  ist 
es  in  ihrem  gebirgigen  Lande  nicht  so  warm,  wie  im  übrigen  Afrika,  an- 
derentheils  suchen  die  Väter  ihre  Töchter  recht  lange  auszubieten,  um  einen  grös- 
seren Preis  zu  erzielen.  (Uolb'inder.)  Andere  Betschuanen-Mädcben  werden 
[«benfall»  durch  Ceremonien  bei  Eintritt  der  Menses  für  heirath«fJlhig  erklärt: 
,12  oder  13  .Tahre  ist  wohl  ein  ganz  gewöhnliches  Alter  für  die  Verheiia- 
thung,*  doch  läsat  sich  dieses  Alter  selten  genau  angeben.  Bei  den  Ovah- 
Herero  braucht  das  Mädchen  zum  Heirathen  nicht  älter  als  12  Jahre  zu 
sein.  Unter  den  Hottentotten  werden  schöne  Mädchen  nicht  selten  schon 
mit  dem  8.  oder  9.  .lahre  verheirathet.  {JJamberger.)  Die  Mädchen  der 
'  BuschmäBner  werden  sogar  im  7.  .lahre  verheirathet,  und  bisweilen  mit 
12.  ja  mit  10  Jahren  Mütter.  {BurcMl.)  Die  Frauen  der  Boers  in  Süd- 
afrika heirathen  gleichfalls  sehr  jung,  zu  cmer  Zeit,  wo  der  Körper  kaum 
Zeit  gehabt  hat,  sich  zu  entwickeln,  daher  haben  sie  auch  eine  sehr  kurze, 
durchschnittliche  Lebensdauer.  (Fritsch.)  Auf  der  Insel  Madagaskar  treten 
nach  den  Angaben  des  Hieronymus  Megiacerus  aus  dem  Jahre  1609  die  Mäd- 
chen der  Eingeborenen  im  10.  Lebensjahre  in  die  Ehe,  und  die  jungen 
Männer  ebenfalls  schon  mit  10  bis  12  Jahi-en. 

Aehnlich  wie  die  Frauen  der  Boers  sollen  nach  ZieijUr  auch  die 
'Damen  der  Vereinigten  Staaten  Nordamerikas  sehr  frühzeitig  sich  verehe- 
lichen, «daher  ereilt  sie  dns  schonungslose  Alter  früher,  als  dies  bei  den 
Fmaen  in  Deutschland  der  Fall  ist." 

Unter  allen  Schriftstellern,  welche  unserem  Thema  ihre  Aut- 
[merksamkeit  gewidmet  hahen,  beschäftigte  s\ch  Roberton  in  Man- 
chester am  genauesten  mit  dieser  Angelegenheit.  Unter  anderem 
schrieb  er  einen  Aufsatz :  „Early  Marriages  so  common  in  oriental 
Coantriefl  uo  proof  ol'  early  Puberty."  Hier  brachte  er  verschie- 
dene Angaben  über  »Spanien,  Griechenland,  Rnssland  u.  s.  w. 
bei  und  gelaugte  zu  folgenden  Sätzen: 

,,Id  England,  Deutschland  und  dem  übrigen  protestantischen 
Europa  ist  frühes  und  vorzeitignM  Heirathen  selten.  Frühe»  Heirathen 
waltet  hingegen  unter  jenen  unciviliHirtcn  Volksstämmen  vor,  welche  in  der 
arktischen  Zone  umherschweifon.  Auch  im  europäischen  Russland  ist 
ein  besonderes  früh»'»  V«!rheirttthen  gebräuchlich.  luftbesondere  pflegt  man 
in  allen  Staaten  Europas,  in  welchen  Aberglaube  und  Unwissenheit  ben- 
[»chen,  die  Mädchen  früh  zu  v^rheirathen,  vorzugsweise  ist  bei  der  römisch- 


und  Ehe. 


kiitholüscbra  Bevölkerung  Irlands  trOhes  Heirathen  Sitte.  So  ist  denn 
Oberhaupt  da«  frühe  Verheirathen  nur  durch  die  Rohheit  der 
Bevölkerung  und  nicht  durch  das  Klima  bedingt.  Auch  in  den 
Gegenden  des  Orients,  in  welchen  t'ruhea  Heirathen  stattfindet,  steht  diese 
Sitte  anter  dem  EinSuase  moralischer  und  politischer  Zustände.  Anstatt  nun 
aber  das  frühe  Heirathen,  welches  in  Asien  heimisch  ist,  der  roneiti^ 
Pubertät  zust-hreiben  zu  wollen,  sollte  man  mehr  als  bisher  durch  moralisc 
und  gesetzliche  Mittel  gegen  diese  Gewohnheit  einschreiten.'* 

Wir  können  in  dieser  Beziehung  den  Ansichten  lioberton's 
Töllig  beistimmen,  wenn  er  die  socialen  Zustände  als  vorzugweise 
maassgebend  in  den  Vordergrund  stellt.  Allein  die  Angelegenheit 
hat  nicht  bloss  eine  sociale  Bedeutung,  sondern  auch  eine  sanitäre, 
und  wir  müssen  die  Frage  aufwerfen :  welchen  Einiluss  haben  diese 
frühzeitigen  Heirathen  auf  den  Organismus  der  Frau?  wie  wirken 
sie  auf  deren  physische  Gesundheit  und  auf  deren  Lebensfähigkeit 
ein  ?  welchen  Einfluss  haben  sie  auf  die  Fruchtbarkeit  und  auf  die 
Lebensfähigkeit  und  die  Gesundheit  der  Nachkommenschaft? 

Vor  Allem  ist  es  eine  in  ärztlichen  Kreisen  anerkannte  That-^^ 
Sache,  das»  (wenigstens  bei  den  Frauen  der  civilisirten  Volk« 
Europas)  der  Uterus  und  die  Ovarien  durchschnittlich  bis  in  dap 
20.  Le]>ensjahr  fortwachsen  und  sich  entwickeln,  und  dass  sie  erst 
von  da  an  für  ihre  Functionen  vollkommen  reif  und  denselben  ge- 
wachsen sind.  Ohne  Zweifel  kommen  auch  bei  uns  frühreife 
i'iduen   vor,    bei    welchen   der  physiologische  Entwickelungspi 

chneller  durchlaufen  imd  früher  beendet  ist ;  allein  immerhin  sind 
'solche  Fälle  als  Ausnahmen  zu  betrachten ;  die  bei  weitem  grösste 
Mehrzahl  weiblicher  Individuen  ist  erst  im  20.  Jahre  mit  der 
völligen  Ausbildung  der  inneren  Sexualorgane  fertig.  Sie  können 
demnach  erst  von  da  an  ohne  Nachtheil  und  in  entsprechender 
Weise  ihrer  sexuellen  Bestimmung  genügen.  Vorzeitiges  Fuuctic 
uiren  könnte  in  zweifacher  Hinsicht  Gefahren  mit  sich  bringen;! 
1.  durch  eine  Schädigung  des  noch  unreifen  Körpers,  2.  durch  Pro- 
duction  eines  schwachen  und  wenig  lebensfähigen  Geschlecht;. 

Während  namentlich  in  neuerer  Zeit  mehrere  englische  Aerzte 
auf  die  Thatsache  hingewiesen  haben,  dass  schwächliclie  und 
reife  Individuen  eine  uukräftige  Generation  hervorbringen,  hab< 
von  jeher  die  Mediciner,  z,  B.  schon  Leake,  behauptet,  dass  Frauen- 
zimmer, die  sehr  frühzeitig  Mütter  werden,  selten  gesund  sind 
bald  verwelken.  Das  zu  friihe  Heirathen  erzeugt  nach  Lenke  beü 
^fveiblichen  Geschlecht  nicht  selten  Lungenkraünkheiten,  und  ii 
)esondere  tritt  bei  vorhandener  Disposition  nach  einigen  oder  luehH 
reren  Kindbetten  Phthisis  ein.  Wir  überlassen  die  ünterauchui 
dieser  Frage  der  rein  medicinischen  Literatur,  und  wollen  hier  ni 
ein  paar  gynäkologische  Controversen  berühren,  die  ein  beaonderM 
ethnograpluscbes  Interesse  beanspnichen. 

Einen  wichtigen  Beweis  dafür,  da-ts'die  frühzeitige  Aul    ^ 

Geschlechtstriebes    die    gcschlwhtliclie    Entwickelung    zmtit 


59.  Dua  Heirathsalier. 


401 


liefern    die    Angaben    Roh&rtons.      Nach    ihm    treten    die    Mens«'s 
bei  den  Hindu,  unter  welchen  Kinderheirathen  sehr  gebräucMich 

Rind,  schon  früh  ein.  In  den  Tabellen,  welche  Roherton  raittheilt, 
finden  sich  viele  weibliche  Individuen  verzeichnet,  welche  Schon  mit 
13,  12  und  11  Jahren  niederkamen,  eins  sogar  .schon  mit  10  Jahren. 

1  Roberten  gelangt  durch  vieltaltige  Vergleichungen  zu  dem  Schlüsse, 

'dass  die  frühe  Keife  und  Conception  der  Hindu- Weiber  namentlich 
in  C  a  1  c  u  1 1  a  nicht  im  Klima,  sondern  in  dem  frühen  Heirathen  und 
der  herrschenden  Sittenlosigkeit  überhaupt  ihren  Grund  habe.     Zur 

I  l^nt^rstützung  dieser  Meinung  weist  Rofurton  insbesondere  darauf 
hin,  dass  Demerara  und  die  Westindischen  Inseln  eine 
höhere  mittlere  Jahreswärme  haben,  alsCalcutta  und  Dekan, 
dass  aber  dort  die  Negerinnen  nicht  früher  menstruiren,  als  die 
Bewohnerinnen  Englands. 

Es  ist  nach  Kussmaul  die  Thatsache  wichtig,  dass  unter  dem- 
selben Klima  und  bei  demselben  ^''olke  die  Menstruation  bei  den 
Mädchen  der  grossen  Städte,  deren  Geschlechtstrieb  durchschnitt- 
bch  frühe  erregt  wird,  früher  eintritt,  als  bei  den  Landmädchen. 
Doch  mögen  zu  dieser  Diiferenz  im  Menstruationseiutritt  wohl  auch 
noch  andere,  die  Lebensweise  der  städtischen  und  ländlichen  Be- 
völkerung treffende  Einflüs.se  mitwirken,  als  lediglich  die  frühe 
oder  späte  Begattung  oder  überhaupt  die  Erregung  des  Ge^chlecbts- 

itriebes. 

'  Dass  die  Reifung  der  Eier  (Follikel)  am  Eierstock  durch  Rei- 
zung der  Geschlechtstheile  gezeitigt  wird,  scheinen  die  Experimente 
Coste's  an  Kaninchen  darzuthun,  und  Coste  selbst  deutet  darauf  hin, 

[dass  vielleicht  auch  der  Ooitus  die  Berstung  der  Eierstocksfüüikel 
befördere,  die  ohne  Coitus  nicht  eingetreten  sein  würde. 

Aber  es  giebt  auch  Ausnalunen  von  der  Regel,  dass  früh- 
zeitiger geschlechtlicher  Verkehr  den  Eintritt  der  Menstruation  be- 
schleunigt. Denn  Scherzer  führt  an,  dass  unter  50  chinesischen 
Frauen,  welche  zwischen  dem  1 7.  und  20.  Jahre  geheirathet  und 
mit  Ausnahme  einer  einzigen  sämmtlich  Kinder  geboren  hatten,  sich 
nur  zwei  befanden,  die  mit  17  Jaliren  bereits  menstruirt  waren, 
während  bei  allen  anderen  erst  mit  dem  19.  Jalire  die  Regel  eintrat. 
Wer  sich  der  Mühe  unterzogen  hat,  die  obigen  Notizen  über 
das  Heirathsalter  durchzulesen,  der  wird  wiederholentUch  Bemer- 
kimgen  gefunden  haben,  aus  denen  die  Schädlichkeit  des  vorzei- 
tigen geschlechtlichen  Verkehres  flir  den  weiblichen  Organismus 
wenigstens  für  eine  Reihe  von  Fällen  zur  Evidenz  erwiesen  ist.  Auch 
begegneten  wir  Kotizen,  wo  direct  eine  Verkürzung  der  Leben.s- 
dauer  ftfr  die  Frau  behauptet  wurde.  Ausserdem  a]?er  ist  es  in 
hohem  Grade  wahrscheinlich,  dass  das  verfrühte  Mutterwerden  im 
Allgemeinen  die  Geburten  sehr  erschwert.  So  wird  unter  Anderem 
von  Itoherton  berichtet,  da.sa  das  jugendliche  Alter  der  Mütter  in 
Hindostan   gewöhnlich  die  Ursache  schwerer  Gebiu-ten  sei.     Und 

Ptehon    im    Jahre  1798    schrieb  Fra  Paolino  da  San  Barthohmeo 

Ploti,  Dm  W«lb.  I.  2.  Ann.  26 


402  ^11-  ^i^^e  und  Ehe. 

aus  Ostindien:  , Viele  indische  Weiber  büssen  ihr  Leben  da, 
wenn  sie  zum  ersten  Male  in  die  Wochen  konunm.*  Auf  der 
anderen  Seite  versicherte  mir  jedoch  der  Missionär  JBeierlein^  der 
lange  in  der  Provinz  Madras  weilte,  dass,  wenn  auch  die  3ilSdcha 
daselbst  bald  nach  Eintritt  der  Pubertät,  demnach  noch  sehr  jung, 
schwanger  werden,  die  Geburten  dennoch  nicht  besonders  schwer  tot 
sich  gehen;  ja  man  nimmt  nach  Beierlein's  Ausspruch  in  jenen 
Districten  Ostindiens  an,  dass  daselbst  alle  Weiher,  auch  äelbet 
die  eingewanderten  Frauen,  die  Geburten  verhältnissmassig  leichter 
überstehen,  als  in  Europa.  Auf  den  Antillen  heirathen  die 
Mädchen  der  Colonisten  auch  sehr  früh',  wie  Du  Tertre  im  Jahre 
lß67  berichtete;  derselbe  sah  dort  eine  12i/2J^'i^ffp  Frau,  die  schon 
geboren  hatte,  ihm  aber  versicherte,  dass  ihre  J^^iederkunffc  nicht 
länger  als  eine  halbe  Viertelstunde  gedauert  habe  und  wenig  schmen- 
haft  gewesen  sei.  Trotzdem  möchte  ich  glauben,  dass  doch  im  All- 
gemeinen in  diesem  Alter  der  Körper  lüum  genügend  entwickelt 
sein  kann,  wenn  auch  in  jenen  Gegenden  die  Entwickelung  sclmeUer 
vor  sich  geht,  als  bei  uns.  Dass  von  den  Frauen  im  abjssi- 
ni sehen  Mensa  30%  im  Wochenbett  sterben,  ist  nach  Hassen- 
stein  wohl  zum  Theil  Folge  der  vor  gehöriger  Entwickelung  des 
Körpers  eingegangenen  Ehen. 

Ueber  die  Frage,  inwieweit  dna  Alter  der  Mutter  einen  Einfluss  aaf  die 
Kntwickefung  von  Gewicht  und  Länge  des  Kindes  äussert,  hat  WerHitV 
Untersuchungen  angestellt.  Er  fand:  1.  Das  Gewicht  der  Neugeborena 
nimmt  mit  steigendem  Alter  der  Mutter  bis  zum  39.,  ihre  Länge  bis  zon 
44.  Lebensjahre  der  Mutter  constant  zu.  2.  Jedes,  Product  einer  späteno 
Schwangerschaft  Übertrifft  an  Gewicht  und  Länge  die  ihm  vorausgegangenen 
:{.  Sowohl  das  Alter  der  Mutter  als  die  Zahl  der  Schwangerschafben  bewirk«! 
die  Gewichts-  und  Längenzunahmo,  und  zwar  jeder  dieser  Factoren  in  einen 
progressionsweise  auszudrückenden  Maase.  Das  Zusammentreffen  einer  be- 
stimmten Schwangerschaft  mit  ihrem  Durchschnittsjahre  wirkt  auf  die  Ent- 
wickelung der  Frucht  besonders  günstig.  So  ergiebt  sich  aus  den  Tabellen- 
dass  z.B.  eine  Frau  in  Bayern  unter  sonst  gleichen  Umständen  ihr  ent«> 
Kind  im  24.,  ihr  zweites  im  27.,  ihr  drittes  um  das  29.  Lebenrsjohr  am  toU- 
kommenstcn  entwickelt  gebären  wird.  4.  Erste  Kinder,  deren  Mütter  seb 
spät  uienstruirt  wurden,  stehen  an  Gewicht  den  Kindern  anderer,  besonder! 
sehr  frühe  menstruirter  Mütter  nach. 

Ueber  die  Gewichtsverhältni.sse  wie  die  Lebensfähigkeit  und 
die  Gesundheit  .solcher  Kinder,  welche  in  den  oben  besprochen«! 
Volksstümmen  von  sehr  jungen  und  nach  unseren  Begrüfen  noch 
ganz  unreifen  Weibern  geboren  worden  sind,  fehlen  uns  leider  noch 
alle  genaueren  Angaben,  jedoch  werden  wir  kaum  fehlgreifen  wenn 
wir  uns  imter  diesen  Erstgeburten  nicht  genule  Hünen-  und  Recken- 
ge.stalten  vorstellen. 


60.  Die  Ehescheidung. 


403 


f>0.  Die  Ehescheidung. 

Was  Gott  ziisainiuengeftigt ,   das  soll   der  Menacli  nicht  «chei- 
leu,  heisst  es  bekanntlich  in  der  Trauungslbrmel  der  evangelischen 
iirche.     Aber  dennoch  hat   das  bürgerliche  Recht  eine  Reihe  von 
''allen  festzustellen  sich  gezwungen  gesehen,    in  denen  der  fi\r  das 
Leben  geschlossene,  eheliche  Bund   durch   richterlichen  Spruch  vor- 
zeitig wieder  gelöst  werden  kann.    Und  selbst  die  katholische  Kirche, 
I  welcher   die  einmal  geschlossene  Ehe    als  imaufloslich  gilt,  mug.ste 
iennoch   anerkennen,    dass  es  Leben-slagen    giebt,    in  welchen  das 
'heilige  Band  doch  durchaus  wieder   getrennt  werden   mu.ss,    wobei 
es  in  un.seren  Augen  ein  rein  äusserlicher  Unterschied  ist,  dass  hier 
nicht  der  Richter,  sondern  der  Pontifex  maximus  das  erlösende  Wort 
z\i  sprechen  berechtigt  ist.     Es  ist  nun  nicht  etwa  unsere  Absicht, 
hier  die  Geaetzesparagraphen  der  civilisirten  Völker  durchzusprechen, 
welche  eine  Ehescheidung  ttir  zuläs.sig  erklären,  sondern  gerade  die 
Zustünde  bei  weniger  hochstehenden  Rassen  sind  es,  welche  uns  an 
ieaer  Stelle  zu  intei'esslren  vermögen. 

Wir  haben  weiter  oben  schon  gesehen,  dass  bei  den  Persern, 

den    uordafrikanischen    Mohamraedauem    \ind  auch   bei    ein- 

iZelnen  Völkern  des  südöstlichen  Afrikas  der  in   der  Bratttnacht 

Witdeckte  Mangel  des  Jungfernhäutchens,  also  in  den  Augen  dieser 

icute  der  Verlust  der  Jiuigfrauschaft  vor  dem  Abschlüsse  der  Ehe, 

liese  letztere  ohne  weiteres   wieder  aufzulösen  im  Stande  ist. 

Der  Mohammedaner   kann   aber   auch    sonst  jeden  Augenblick 

lach  Belieben  ohne  Angabe  des  Grundes  die  Scheidung  aussprechen. 

^r  mufis    seiner  Frau   dann  allerdings    das  Heiiathsgut  verabfolgen 

'und   ihr   über  die  Iddahzeit,    d.  h.   Über   die   dreimonatliche   Frist, 

^ während  welcher  sie  sich  nicht  wieder  verheirathen  darf,  oder  bis 
zu  ihrer  Entbindung  den  Unterhalt  gewähren.  Allein  diese 
schützende  Maassregel  hat  wenig  zu  bedeuten ;  denn  wenn  die  Frau 
durch  Ungehorsam  die  Scheidung  veranlasst  hat,  oder  wenn  der 
Mann  „die  Gebote  Gottes  nicht  erfüllen  zu  können*  ftirchtet,  falls 
er  das  Gut  herausgiebt,  so  darf  er  einen  Theil  desselben  oder  das 
tGanze  behalten. 

r  GänzHch  fremd  ist  dem  Koran  der  Gedanke,  dass  die  Frau 
auf  Scheidung  dringen  könnte.  Allerdings  hat  das  moslimische 
Recht  hierliber  einige  Bestimmungen  getroifen ;  es  kann  das  l^eib 
bei  gewissen  Gebrechen  des  Mannes  oder  bei  hoflnungslosem  ehe- 
lichen Zwist  Scheidung  verlangen,  aber  dann  hat  es  den  Mann  zu 
entschädigen  oder  auf  das  Heirathsgut  zu  verzichten.  I)ie  ausge- 
sprochene Scheidimg  gilt  ftir  imwiderruflich,  wenn  sie  durch  Zeugen 
beglaubigt  ist;  manche  Frau  ist  aus  drückender  Knechtschaft  be- 
freit worden,  weil  der  Mann  in  der  Hitze  des  Zorns  sein :  ,Du  bist 
entlassen*  sprach.  Denn  diese  Erklärung  genügt,  um  die  Ehe  zu 
lösen.  In  Aegypten  muss  diese  Erklärung  aber  dreimal  abge- 
reben  werden. 

26» 


404  XII.  Liebe  und  Ehe. 

Den  Muselmännern  ist  es  erlaubt,  sich  dreimal  von  ihrer  Fm 
scheiden  zu  lassen  und  sie  nach  der  Scheidung  wieder  za  heiratho. 
Nach  dem  dritten  Male  aber  ist  ihnen  die  Wiederheiratli  Verbotes, 
wenn  nicht  die  Frau  inzwischen  mit  einem  anderen  Manne  die  Ehe 
eingegangen  war,  welche  natürlicherweise  ebenfalls  erst  wiedei 
getrennt  sein  muss. 

Bei  den  Persern  pflegt  der  Ehebruch'  zur  Scheidung  zu 
führen,  aber  in  der  Regel  erfolgt  die  Scheidung  nur,  wenn  die  Frau 
khiderlos  bleibt  und  ihr  die  Schuld  davon  beigemessen  -werden  kann, 
zweitens  wenn  sie  liederlich  ist  und  drittens  wenn  der  Mann  glaubt, 
dass  mit  ihrem  Eintritte  in  das  Haus  Unglück  über  dasselbe  kam: 
man  hält  sie  dann  für  ein  böses  Omen.  Auch  der  Perser  kuu 
seine  geschiedene  Frau  wieder  ins  Haus  nehmen,  nach  der  zwätai 
Scheidung  jedoch  nur  in  dem  Falle,  wenn  sie  indessen  an  amen 
Anderen  verheirathet  war  und  von  diesem  den  Scheidebrief  erhielt 
Bei  der  Sighe,  d.  h.  bei  einer  weiblichen  Person,  mit  der  er  nui 
eine  Ehe  auf  Zeit  eingegangen  ist,  kommt  die  Scheidung  nicht  in 
Frage,  da  der  Vertrag  mit  ihr  von  selbst  nach  bestimmter  Zeit 
abläuft. 

Bei  den  heutigen  Abchasiern  darf  eine  unzufriedene  ßattin 
ohne  Weiteres  ihren  Gemahl  verlassen  und  zu  ihrer  Familie  zurück- 
kehren, ohne  dass  dieser  das  Recht  hätte,  sich  zu  beschweren. 
{Serend.)  Die  Naya-Kurumbas  im  N i lg hiri  -  Gebirge  haltet 
die  Ehe  überhaupt  nur  so  lange  fiir  bindend,  als  es  ihnen  beliebt 
(Jagor.)  Bei  den  Samojeden  ist  das  Band  der  Ehe  sehr  locker, 
geringfügige  Ursachen  können  Scheidung  herbeiführen;  dann  geht 
der  Mann  des  Kaufpreises  verlustig;  läuft  eine  Frau  fort,  so  wti 
ihre  Eltern  verpflichtet,  den  Kaufpreis  zurückzuerstatten. 

Bei  den  Akkadern,  den  Vorfahren  der  alten  Assvrer. 
durfte  sich,  wie  glücklich  erhaltene  und  von  Lenottnanf  geleseai 
Keilschrifttäfelchen  aussagen,  wohl  der  Mann  von  der  Frau.  aW 
nicht  die  Frau  von  dem  Manne  trennen: 

, Rechtsspruch:  Hat  eine  Frau  ihren  Ehemann  beleidigt,  hat  sie  .il' 
bist  nicht  mehr  wein  Mann'  zu  ihm  gesagt,  so  soll  sie  in  den  Fluss  ge- 
worfen werden."  Kin  Versuch  der  Ehescheidung  von  Seiten  der  Frau  wini 
also  mit  dem  Tode  bestraft.  Der  Mann  dagegen  konnte  die  Gattin  obi» 
Weiteres  Verstössen,'  wenn  er  noch  nicht  in  ehelichen  Verkehr  mit  ihr  g*- 
treten  war:  Hat  ein  Mann  ein  Weib  geehelicht,  und  subigendo  eam  no: 
comprcssit,  so  kann  er  eine  Andere  wählen.  War  ^.ber  die  Ehe  in  dieses 
Sinne  schon  perfect  geworden,  so  stand  es  ihm  dennoch  frei,  mit  Hinterlep»'- 
einer  Gelc^busse  die  Ehe  wieder  rückgängig  zu  machen;  r Hechtsspruch:  Hü 
ein  Mahn  zu  seiner  Ehefrau  ,du  bist  nicht  mehr  meine  Frau'  gesa^,  so  soE 
er  eine  halbe  Silbermine  zahlen."  Hestimmte  Vergehen  von  Seiten  d« 
Frau,  welche  uns  leider  nicht  näher  bezeichnet  werden,  gestatteten  dem  Mmun 
die  Verstossuug  der  Ehefrau  in  sehr  entehrender  Form.  Es  lässt  sich  ver 
muthen,  dass  Ehebruch  von  ihrer  Seite  die  Ursache  hierfür  abgegebA 
haben  muss.  «Ihre  Verstossung  hat  er  auf  dem  passur  ausgesprocbeft 
und  zu  ihrem  Vater  hat  er  sie  zurückkehren   lassen.  ...    Er   hat    ihr  Beifii 


60.  Die  Ehescheidung. 


405 


erstosBungsui'kande  fibergeben,  er  hat  dieselbe  an  ihren  Rücken  geheftet, 
nd  sie  sodann  aus  dem  Hanse  gejagte  In  allen  Fällen  wird  der  Ehemann 
in  Kind  bei  aich  überwachen  dürfen,  doch  darf  er  jene  nicht  weiter  he- 
stigen.  Hierauf,  da  sie  zur  Hurt»  geworden,  wird  man  sie  auf  der  Strasse 
lUfgreifen  und  mit  sich  fortführen  können.  Wo  es  am  besten  ihr  passen 
ird,  darf  sie  ihr  Hureugewerbe  betrt?ibon.  Als  Hure  wird  sie  der  Sohn  der 
itrasee  zu  sich  nehmen  dürfen.  Ihre  Brust ....  Ihr  Vater  und  ihre  Mutter 
,e  nicht  wieder  anerkennen  sollen.* 

Der  Vorgang   der   Scheidung   war  bei   den    alten  Israeliten 
ur  Zeit  des  noch  bestehenden  Tempels  sehr  umständlich.     Ausser- 
dem gab  es  verschiedene  ScheidungsgrUnde: 

I Der  Mann  konnte  klagen,  wenn  die  Frau  Leibesfehler  hatte,  die  den 

^^^eiuchlaf  hinderten,  wenn  sie  in  der  Führung  des  Hauswesens  oder  äonst  gegen 
^Hlie  jüdischen  Gesetze  verstiess,  wenn  sie  ein  unsittliches  Leben  führte  oder 
^Bdea  Ehebruchs  überführt  wurde,  wenn  sie  die  Schwiegereltern  beschimpfte  oder 
^Vdie  ehelichen  Pflichten  verweigerte,  endlick,  wenn  sie  zehn  Jalire  kinderlos 
blieb.  Andererseits  konnte  die  Frau  klagen,  wenn  der  Mann  die  ehehchen 
l%ichten  versagte,  wenn  er  sie  tyrannisch  behandelte,  von  widerlicher  oder 
ansteckender  Krankheit  befallen  war,  ein  verachtetes  Gewerbe  ergriffen  hatte, 
wenn  er  eines  Verbrechens  wegen  flüchtig  geworden  war,  und  schliesslich 
wenn  er  sich  zur  ehelichen  Pflicht  unfaliig  zeigte. 

Die  chinesischen  Bestimmungen  über  die  Ehescheidimg  waren 
nach  den  Vorschriften  von  Confncius  folgende: 

Ungehorsam  gegen  die  Eltern  des  Mannes,  Unfruchtbarkeit.  Ehebruch, 
baeiguug  oder  Eifersucht,  bOse  Krankheit,  Schwatzhaftigkeit,  Diebstahl  an 
es  Mannes  Eigenthum.  In  drei  Fällen  durfte  der  Mann  die  Frau  nicht  ver- 
lOssen:  1.  wenn  ihre  Eltern,  die  zur  Zeit  der  Verheirathung  noch  lebten, 
sterben  sind  ,  2.  wenn  sie  die  dreijährige  Trauer  um  des  Mannes  Eltern 
tragen  hat,  3.  wenn  sie  erst  arm  und  niedrig,  jetzt  aber  reich  und  ange- 
lehen  ist. 

Der  Japaner  kann  sich  ohne  besondere  Gründe  von  seiner 
rau  trennen  und  er  darf  sich  danach  so  oft  wieder  verheirathen, 
Is  er  will,  nur  nicht  mit  der  leiblichen  Schwester  oder  mit  der 
chwester  einer  vorigen  Gattin. 

Auf  den  Mariannen  dauert  die  Ehe  nur  so  lange,  als  beide 
atten  es  wollen.  Lst  der  Mann  nicht  unterwürfig  g'vnug,  so  ver- 
fihst  ihn  die  Gattin  imd  geht  zu  ihren  Eltern,  die  dann  über  des 
Mannes  Eigenthum  herzufallen  pflegen  und  dasselbe  zerstören.  Will 
auf  den  Palau- Inseln  sich  der  Mann  von  seiner  Frau  trennen,  so 
schickt  er  sie  einfach  fort.  Ihr  folgen  die  Kinder,  die  von  der 
Mutter  den  Stand  erben.    (Knbary.) 

Auf  den  südöstlichen  Inseln  des  malayischeu  Archipels, 
von  denen  uns  der  schon  so  oft  citirte  Riedel  so  vortreffliche  Schil- 
derungen geliefert  bat,  herrschen  in  Bezug  auf  die  Ehescheidung 
sehr  verschiedenartige  Gebräuche.  Auf  Buru  findet  eine  Eheschei- 
dung überhaupt  nicht  statt,  und  wenn  die  Frau  den  Mann  verlässt, 
so  sind  ihre  Verwandten  verpflichtet,  sie  ihm  wieder  zurückzubringen, 
uf  den  meisten  anderen  Inseln  ist  der  hauptsächlichste  Grund  für 
renauag  der  Ehe  Untreue   von  Seiten   der  Frau   oder  auch 


406 


XII.  Liebe  und  Ehe. 


wohl  von  Seiten  des  Mauue».  (Scrang.)  Nächstdem  bildet  M 
handlung  der  Frau  einen  Scheiduugsgrund,  und  zwar  hat  der  Mann 
dann  im  Gegensatze  zu  der  vorhergenamaten  Ursache  keinen  An-, 
Spruch  auf  eine  Rückerstattung  des  Brautschatzes.  Im  Gegentheil, 
er  muss  die  Geschenke  wieder  herausgebeu,  die  er  bei  der  Hoch- 
zeit von  den  Anverwandten  der  Frau  erhalten  hat,  er  muss  ihnen 
die  Kosten  zurückerstatten,  welche  die  Hochzeit  verursacht  hat 
(Am hon),  und  muss  ihueu  sogar  noch  eine  Busse  bezahlen  (Leti,, 
Moa  und  Lakor).  1 

Auf' den  Tanembar-  und  T  imo  rlao -Inseln  darf  die  Frau 
dann  auch  alles  Gut  au  sich  nehmen,  was  sie  während  der  Ehe 
erworben  hat,  und  die  Kinder  verbleiben  ihr,  während  auf  den 
Aaru-Insehi  die  Kinder  bei  Ehescheidung  dem  Vater  folgen.  Auch 
bei  dauerndem  häuslichen  Unfrieden  kann  die  Scheidung  ausgesprochen 
werden  (Ambon,  Leti,.Moa,  Lakor).  Die  Frauen  auf  Serang  oder 
Nusaina  dürfen  die  Scheidung  beantragen  bei  Impotenz  des  Mannen 
oder  wenn  letzterer  mit  seinen  Schwiegereltern  in  dauerndem  Streite 
lebt.  Die  Scheidung  ^vird  hier  von  den  Aeltesten,  auf  Leti,  Mu» 
imd  Lakor  von  der  Familie,  auf  den  Seranglao-  imd  Gorong- 
Inseln  von  den  Häuptern  und  Geistlichen  ausgesprochen.  Auf  letz- 
teren geben  sie  dann  den  Scheidebrief,  vertheilen  den  Besitz  und 
die  Kinder,  lassen  aber  die  Scheidung  nicht  zu,  wenn  die  Gründe 
nicht  sehr  gewichtig  sind.  Eine  Wiederverheirathung  emer  geschie- 
denen Frau  darf  nicht  vor  dem  I35steu  Tage  stattfinden,  und  bis 
zu  diesem  Termine  gehört  sie  noch  dem  Manne  und  muss  von  ihm 
unterhalten  werden. 

Bei  den  Kaffern  ist  die  Ehescheidung  überall  üblich  und 
wird  oft  wegen  geringfügiger  Ursachen  ins  Werk  gesetzt,  (3lf- 
reiishi.)  Auch  imter  den  Betschuanen  kann  der  Mann"  die 
Scheidmig  leicht  ausführen,  doch-  muss  er  für  den  Unterhalt  der 
Geschiedenen  sorgen,  falls  diese  nicht  schuldig  befunden  wird. 
Bei  den  Kassanga  in  Afrika  wird  die  Scheidung  durch  eine 
einfache  Mittheihmg  an  den  ältesten  Oheim  der  Frau  bewirkt,  der 
mm  dieselbe  von  neuem  verkaufen  kann.  Je  öfter  also  eine  Schei- 
dung erfolgt,  desto  einträglicher  erweist  sich  der  Besitz  einer  Nichte, 
denn  der  Kaut])rei8  wird  dem  sich  scheidenden  Gatten  nicht  zurück- 
erstattet.   (Schüts,) 


XIII.  Das  Weib  im  Zustande  der  Befruclitring. 

61.  Die  Zeugung. 

Ea  bedarf  nicht  erst  einer  besonderen  Erwähnung,  das»  för 
<lie  Erhaltung  und  die  Fortpflanzung  des  meuschlicheu  Geschlecht« 
du8  Weib  in  ganz  erheblicher  Weise  mehr  in  Anspnich  genommen 
wird  als  der  Mann.  Während  der  letztere  dem  jungen  Keime  des 
neuen  Individuums  nur  die  Fähigkeit  der  Entwickelung  in  kurzem 
einmaligen  Acte  überträgt,  ist  das  Weib  berufen,  im  Inneren  ihres 
Leibes  ihm  das  schützende  Nest  zu  gewähren,  in  welchem  er 
wachsen  und  einen  bestinmiten  Grad  der  Reife  erreichen  kann,  von 
ihrem  Blute  ihm  die  Materialien  zuzuführen,  die  er  zu  seinem 
Wachsthum  nötbig  hat,  und  wenn  er  endlich  nach  monatelanger 
Verborgenheit  das  Licht  der  Welt  erblickte,  ihm  mit  dem  wichtigsten 
Producte  ihres  Korpers,  der  Milch,  noch  lange  Zeit  hindurch  die 
ausachliessliche  Nahrung  darzubieten.  Alle  diese  wichtigen  Fimc- 
tionen  fallen  in  die  Periode  der  vollsten  Korperkraft  und  der  Höhe 
der  Eotwickelung  des  weiblichen  Ge8(;hlechts,  unter  normalen  Ver- 
hältnissen wenigstens,  und  fast  zwei  volle  Jahre  verstreichen,  und 
gar  nicht  selten  sogar  noch  mehr,  um  einem  einzigen  Keime  das 
alle«  zu  leisten,  was  wir  soeben  entwickelt  haben,  wobei  es  ja  auch 
noch  das  Gewöhnliche  ist,  dass,  wenn  die  erwähnte  Leistung  für 
ein  neues  Individuum  soeben  ihren  Abschluss  erreicht  hat,  1>ereit8 
ein  anderer  frisch  befruchteter  Keim  die  gleichen  Ansprüche  an  die 
Mutter  stellt.  Es  ist  daher  durchaus  in  der  Ordnung,  dass  wir 
in  diesem  von  dem  Weibe  handelnden  Werke  den  besprochenen 
Zuständen  und  Thätigkeiten  eine  ganz  ausfuhrliche  Berlicksichtigiuig 
2U  Theil  werden  lassen. 

Erst  seit  Swammerdam  (f  10^5)  weiss  man,  das-s  zur  Befruch- 
t\mg  der  Contact  des  Eie.s  mit  dem  Samen  nöthig  ist,  seit  6)>«//f'Ji^'M«i 
(1768)  kemit  man  die  Befnichtungskraft  der  Samenfäden,  seit  Jinmj 
(1850)  das  Eindringen  derselben  in  das  Ei,  in  dem  dann  eine  ZeUeii- 
bildung  vor  sich  geht. 

Wie  die  Zeugungslehre  noch  viele  probiematiftclie  l'i'   '  i- 

hfilt.  so  galt  , Zeugung*  von  jeher  bei  den  Völkern  al»  ein  M 
dessen  Lösung  man  kaum  enträthseln  kann.    Welchen  Anthnl  lumi 


408 


cfatuni?. 


der  Mann,  welchen  das  Weib  an  der  Erzeugung  eines  neuen  Indi- 
viduums, und  wie  sind  beide  im  Stande,  körperliche  und  geistige 
Eigenschaften  auf  ihre  Nachkommen  zu  übertragen?  So  etwa 
mussten  sich  die  Menschen  frs^en,  und  überall  dort,  wo  sich  eine 
primitive  Wissenschaft,  wo  sich  die  ersten  Ansätze  und  Anfange  der 
Philosophie  und  Naturlehre  zu  zeigen  begannen,  sticht«  man  durch 
Kachdenken  and  durch  Aufstellen  einer  Zeugungstheorie  dem  Problem 
auf  die  Spur  zu  kommen.  Hier  tritt  jedoch  sofort  die  Mystik  an 
die  Stelle  einer  Erfahrungswissenschaft,  wie  sich  geschichtlich  nach- 
weisen lässt. 

Die  Talmudisten,  welche  bekanntlich  zugleich  Priester  und 
Aerzte  waren,  liessen  den  Fötus  zmn  Theil  (Kuocheu,  Sehnen,  Hirn, 
Weisses  im  Auge)  aus  dem  weissen  Samen  des  Mamies,  zum  andern 
Theil  (Haut,  Fleisch,  Haare.  Schwarzes  im  Auge)  aus  dem  rothen 
Samen  des  Weibes  entstehen.  Gott  tritt  als  vermittelndes  Seeleu- 
princlp  dazwischen  und  giebt  dem  Ganzen  das  Leben. 

Die  altindischen  Aerzte  hatten  eine  ganz  besondere  Er- 
zeugungstheorie, bei  welcher  sie  ihre  Ansichten  vom  höchsten  Wesen 
und  der  Schöpfung  überhaupt  zu  Gnmde  legten.  Susriita  sagt  (nach 
Vidlers):  „Beim  Beischlaf  geht  durch  den  Vayn*)  die  Ivt^jeia  aus 
dem  Körper,  dann  ergiesst  sich  durch  die  Vereinigung  der  htgjeta 
mit  dem  Vayu  der  männliche  Samen  in  die  weiblichen  Geschlechts- 
theile  und  vermischt  sich  mit  dem  monatlichen  GeblOte ;  darauf  ge- 
langt der  werdende  Embryo  durch  die  Verbindung  des  Agni  (Gott 
des  Feuers)  mit  dem  Soma  (die  Mondgottheit  als  Zeugende)  in  den 
Uterus.  Zugleich  mit  dem  Embryo  geht  auch  die  Seele  in  den 
Uterus,  begabt  mit  göttlichen  und  dämonisclien  Eigenschaften.* 
Aus  den  wissenschaftlichen  Büchern  der  Tamulen  lernen  wir  auch 
die  Physiologie  (tatva-sästra  genannt)  der  Hindus  kennen  (Schatu); 
unter  den  fünf  Organen  der  Thätigkeit  sind  ihnen  die  letzten  der- 
selben die  Geschlechtstheile  als  Organe  der  Absonderung  nnd  der 
Zeugung;  nach  ihrer  mystischen  Auöassung  spiegelt  sich  Alles,  was 
im  Mala-okosmus,  d.  i.  der  Welt,  sich  vorfindet,  auch  im  Mikrokos- 
mus, d.  h.  im  menschlichen  Leibe,  ab;  die  mittlere  Region  des 
letzteren  wird  als  eine  Lotosblume  dargestellt  und  bei  der  Anbetung 
dreien  von  den  weiblichen  Energien  (Saktis)  zugeschrieben. 

Während  demnach  der  altindische  Arzt  Susruta  glaabt,  daas 
die  Befruchtimg  nur  dadurch  zu  Stande  kommt,  dass  sich  der  mann- 
liche Samen  mit  dem  monatlichen  GeblOte  mischt  (denn  in  diesem 
liegt  seiner  Meinung  nach  der  Keim  des  kräftigen  Embr}'oj,  hat  nach 


•)  Da«  indiuche  Wort  Vaijit,  das  sich  nicht  durch  einen  passenden 
ileut8cheu  Ausdnick  QbersetKun  llUat,  bedeutet  Wind,  Luft,  und  wird  apvcittU 
8ur  Bezeichnung  der  im  Körper  befindlichen  Luft  ufebrauchl,  die  sich  auf 
fünferlei  Weise  tLuisert:  I.  bIm  llespirutio.  2.  aJ«  Crepitus  ventris.  3.  alt  Conli» 
cum  cer  "  '     '  "      '     '"  Durch   di6 

gemein  .  Leb»n«u>t. 


Dt.  IKb  Zeogrung. 


409 


k 


ier  Ansicht  des  Ilippokratcs  das  Menetrualblut  mit  dem  Act  der 
efruchtmig  nicJits  gemein,  denn  die  Befruchtmig  kommt  nach  ihm 
dann  zu  Stande,  wenn  der  beiderseitige  Samen  im  Uterus  bleibt . 
und  sich  vermischt;  ist  aber  die  Kefruchtiing  geschehen,  so  treten 
die  Katamenien  in  den  Uterus,  nicht  monatlich,  sondern  jeden  Tag 
und  werden  zu  Fleisch,  imd  so  wächst  das  Kind. 

Nach  der  Hippokraiischen  Theorie  bildet  das  Weib  ebensowohl 
Samen,  als  der  Mann.  Der  Keim  entsteht  beim  Zusammentrefl'en 
mäunlichen  Samens  mit  dem  weiblichen,  und  die  Aehnlichkeit  des 
erzeugten  Geschöpfes  mit  den  Erzeugern  rührt  daher,  dsiss  der  Same, 
von  allen  Theilen  des  Körpers  geliefert,  eine  Art  von*  repriisentativem 
Extract  des  letzteren  darstellt.  Diese  jedenfalls  schon  vor  Hippo- 
krates  (nach  Flutarch  schon  bei  Fi/thagoras)  geltende  Theorie  wurde 
namentlich  von  Aristoteles  bekämpft;  er  selbst  aber  behauptete,  dass 
das  Männchen  den  Anstose  der  Bewegung  («^x?  *^5  xtvifatcog)  giebt, 
das  Weibchen  aber  den  Stoft".  Als  den  Stoffbeitrag,  welchen  das 
Weib  an  das  Erzeugniss  abgiebt,  sieht  Aristoteles  die  Katamenien 
an,  imd  es  ist  bekannt,  wie  er  bereits  die  Menstniation  des  mensch- 
lichen Weibes  mit  den  Blut-  und  Schleimabgängeu  parallelisirt  hat, 
welche  zur  Zeit  der  Brunst  bei  Thieren  beobachtet  werden.  Die 
Zeugung  vergleicht  er  mit  der  Gerimumg  der  Milch  durch  Lab,  bei 
welcher  die  Milch  den  Stotf,  das  Lab  aber  das  Princip  der  Ge- 
rinnung abgebe.  Hippokraies  meinte  also,  dass  im  Samen  zugleich 
das  dynamische  und  materielle  Princip  enthalten  sei ;  Artstoteies  hin- 
gegen vindicirte  ihm  nur  das  dynamische  Princip-  (His,) 

Etwas  ausführlicher  geht  Gcdfmus  in  tleui  Buche  ,de  Semine" 
auf  den  Gegenstand  ein.  Er  tritt  hier  allenthalben  Aristoteles  ent- 
gegen ;  allein  trotz  der  weiter  fortgeschrittenen  anatomischen  De- 
tailkenntnisse zeigt  er  sich  nicht  entfernt  auf  der  Höhe  seines 
grossen  Vorgängers.  „Das  Durchlesen  seiner  Abhandlung,"  sagt 
HiSy  „  hinterlässt  vielmehr,  trotz  mancher  vortreiFIichen  Beobach- 
tungen und  Bemerkmigen,  den  peinlichen  Eindruck,  den  wir  em- 
pfinden, wenn  uns  ein  bedeutendes  thatsächliches  Material  m  ge- 
künstelter Verknüpfung  vorgeführt  wird." 

Die  Aerzte  der  Araber  gingen  in  ihrer  Zeugungstheorie 
>vieder  auf  Aristoteles  zurück.  Einer  derselben,  Abtd  Welid  Mn- 
hammed  hen  Ahmed  Um  Rosehd  et  Maliki  (auch  genannt  Ahen  Rttis, 
Aven  linst,  Averröes),  welcher  11  OH  in  Marokko  starb,  vergleicht 
die  Ovarien,  die  sogenamiten  weiblichen  Hoden,  mit  den  Brüsten 
der  Männer,  indem  beide  für  die  Zeugung  unnöthig  wären.  Der 
Embryo  werde  nämlich  durch  das  Menstrualblut  ausgebildet,  seine 
Form  jedoch  bedinge  hauptsächlich  der  männliche  Same  durch 
seinen  Luftgeist.  Daher  bezweifelte  er  auch  nicht,  dass  eine  Frau 
in  einem  Bade  geschwängert  werden  könne,  worin  vor  Kurzem  ein 
Mann  eine  Pollution  gehabt  habe.  Diese  letztere  Behauptung  wurde 
noch  in  unserem  .Jahrhundert  in  England  Gegenstand  einer  gerichts- 
ärztlichen Discussion. 


XIII.  Das  Weib  im  T^n 


Ebenso  wie  bei  den  Aerzteu  des  Alterthums,  spielte  aooli  Ig 
verschiedenen  Culten  die  Zeugung  eine  mystische  RoUe.  Wb 
führen  einige  Beispiele  an:  Bei  den  Schiovaiten.  weldiv 
schreckliche  Bhavani  verehrten  und  einen  seh"  '"'  ' 
Dienst  haben,  gilt  die  Zeugung  selbst  als  eine  th 
liehe  Zerstörung;  mit  der  Geburt  ist  der  Tod  eng  vurlumden:  aaim 
ist  die  Göttin  der  Wollust,  die  Bhavani,  zugleich  die  Göttin  der  Zer« 
Störung  und  des  Todes.  Im  Lamaisnius  haben  alle  organisclieo 
Wesen  eine  doppelte  Seele;  die  eine  derselben  wird  die  denkecdt 
Seele,  die  andere  das  Leben  genannt.  Jene  hat  keineu  bestinimtfi; 
Sitz,  irrt  durch  alle  Glieder  und  kommt  erst  bei  der  Geburt  in  deo 
Menschen,  da.s  Leben  aber  schon  bei  der  Empfäugniss.  Dug^n 
liegen  nach  Ansicht  der  Khond's,  eines  indischen  Urvolkjs.  im 
Menschen  vier  Seelen;  die  erste  ist  die  der  Seligkeit  fähige  Seele, 
die  zu  Gott  (Boura)  zurtlckkehrt,  die  zweite  gehört  dem  beeondeMB 
Stamme  auf  der  Erde  an  und  wird  innerhalb  derselben  wieder* 
geboren,  weshalb  der  Priester  bei  der  Geburt  jedes  Kinde.4  » 
erklären  hat,  welches  der  Familienglieder  in  demselben  /.urnckge- 
kehrt  sei;  die  dritte  hat  die  in  Folge  der  Sünden  als  StnuV 
verhängten  Leiden  z,u  tragen,  die  vierte  ist  die,  welche  mit  der  Aul- 
lösung  des  Kör^iens  stirljt.  (Bastian  nach  Macpherson.) 

Es  ist  bei  uns  auf  dem  Lsmde    noch  eine   weitverbreitet«  An- 
sicht, dass    zu  einer   Schwängerung    die   beiderseitige  voloptas  a»*j 
umgänglich  uothwendig  sei,   weil  nur  auf  diese  Weise    die  mamhl 
liehe  mit  der  weiblichen  .Natur"  zusammenzutreffen  vermöge, 
wenn  einem  Manne  Zwillinge  geboren  werden,    so  lässt  er  sie 
Gefühle    iteiner    Mannestüchtigkeit    gerne   necken,    dckss  er   ,< 
tüchtig   wie  tleissig   gewesen.*      Je  grösser   die   Aufregung, 
grösser  die  Aussicht  auf  einen  Buben.     Das  letztere  hat   nun 
dings   gewisse    Thatsachen   für   sich,    wenn   nämlich    die    erwSbstFl 
Aufregung   auf  Seiten    der  Frau   sich  befindet,    während    «i    ■ 
seit«   auch  ohne  diese,  wie  eine  Anzahl  von  Nothzlichtigfuiii. 
bei  Bewusstlosen  beweist,   eine   Schwängerung  durchaus   nicht  n»* 
möglieh  ist. 

Dass  zu  der  Zeugung  das  Eindiingeu  des  mäimlichen  Spem» 
in  den  Genitalapparat  der  Frau   ein  nothwendiges  Erfordemi»  bt, 
das  wissen  auch  die  AN'ilden  Völker  ganz  genau,    und    manche    v^n 
diesen,  die  sogar  noch  auf  sehr  niederer  Culturstufe  sich    betindrtu 
wissen  hiemach  ihre  Vorkehrungen  zu  treffen.     Dahin  gehört  i.  B. 
die  Mika-Operation,    welche  bestimmte  Stämme  Australiens   an 
ihren  jungen  Leuten  ausführen  und  welche  darin  besteht,    dass  «# 
ihnen    mit   einem    Messer   aus    Feuerstein   die   Harnröhre    von  d«^ 
Eichelspitze   bis   zum   Hodeupack    aufspalten    und    die    Wii 
einigung  zu  verhindern  wissen.     Bei  der  geschlechtlichen    \ 
gimg  kommt  dann  der  Ausfluss   des  Samens  ausserhalb    der    weib* 
liehen  Geschlecht.stheile  zu  Stande.   Bei  den  oben  erwähnten  ♦ '-_' 
welche  bei  Brautwerbungen  der  Basutho   die   zu  diesem   / 


dl.  Die  Zengua^. 


409 


der  Ansicht  des  Hippokratf^  das  Menstrualbhit  mit  dem  Act  der 
Befruchtung  nichts  gemein,  denn  die  BefhichtuDg  kommt  nach  ihm 
dann  zu  Staude,  weun  der  beiderseitige  Samen  im  Uterus  bleibt . 
imd  sich  vermischt:  ist  aber  die  Befruchtung  geschehen,  so  treten 
die  Katameuien  in  den  Uterus,  nicht  monatlich,  sondern  jeden  Tag 
und  werden  zu  Fleisch,  und  so  wächst  das  Kind. 

Nach  der  Hippokrati sehen  Theorie  bildet  das  Weib  ebensowohl 
Samen,  als  der  Mann.  Der  Keim  entsteht  beim  Zusammentreffen 
männlichen  Samens  mit  dem  weiblichen,  und  die  Aehulichkeit  dea 
erieugten  Geschöpfes  mit  den  Erzeugern  rührt  daher,  das»  der  Same, 
von  allen  Theilen  des  Körpers  geliefert,  eine  Art  von*  repräsentativem 
Estract  des  letzteren  darstellt.  Diese  jedenfalls  schon  vor  Hippo- 
krates  (nach  Mutarch  schon  bei  Pythagoras)  geltende  Theorie  wurde 
namentlich  von  Aristoteles  bekämpft;  er  selbst  aber  behauptete,  dass 
das  Alänuchen  den  Anstoss  der  Bewegung  (apZ9  '^'J?  xtpr^atoog)  giebt, 
daa  Weibchen  aber  den  Stoff.  Als  den  Stoft'beitrag,  welchen  dos 
Weib  an  das  Erzeugniss  abgiebt,  sieht  Aristoteles  die  Katamenien 
an,  und  es  ist  bekannt,  wie  er  bereits  die  Menstruation  des  mensch- 
lichen Weibes  mit  den  Blut-  und  Schleimabgängen  parallehsirt  hat, 
welche  zur  Zeit  der  Brunst  bei  Thieren  beobachtet  werden.  Die 
Zeugung  vergleicht  er  mit  der  Gerimumg  der  Milch  durch  Lab,  bei 
welcher  die  Milch  den  Stoff,  das  Lab  aber  da.s  Princip  der  Ge- 
rinnung abgebe.  Hippokrates  meinte  also,  dass  im  Samen  zugleich 
das  dynamische  und  materielle  Princip  enthalten  sei:  Aristoteles  Ixin- 
gegen  vindicirte  ihm  nur  das  dynamische  Princip.  {Jlis.) 

Etwas  ausfUhrhcher  geht  Galenus  in  dem  Buche  .de  Semine" 
auf  den  Gegenstand  ein.  Er  tritt  hier  allenthalben  Aristoteles  ent- 
gegen ;  allein  trotz  der  weiter  fortgeschrittenen  anatomischen  De- 
jAUkenntnis.se  zeigt  er  sich  nicht  entfernt  auf  der  Höhe  seines 
ssen  Vorgängers.  ,Das  Durchlesen  seiner  Abhjindlung,  *  sagt 
fis,  «hinterlässt  vielmehr,  trotz  mancher  vortrefflichen  Beobach- 
tungen und  Bemerkungen,  den  peinlichen  Eindruck,  den  wir  em- 
pfinden, wenn  uns  ein  bedeutendes  thatsäcliliches  Material  In  ge- 
künstelter Verknüpfimg  vorgeführt  wird." 

Die  Aerzt«  der  Araber  gingen  in  ihrer  Zeugungstheorie 
wieder  auf  Aristottdes  zurück.  Einer  derselben,  Ahitl  Welid  jT/m- 
hammed  1/en  Ahmed  lfm  Roschd  d  Maliki  (auch  genannt  Aben  Etiis, 
Aven  ÜHSt^  Avcrröes),  welcher  1198  in  Marokko  starb,  vergleicht 
die  Ovarien,  die  sogenannten  weiblichen  Hoden,  mit  den  Brüsten 
der  Männer,  indem  beide  für  die  Zeugung  imnöthig  wären.  Der 
Embryo  werde  nämlich  durch  daa  Menstrualbhit  ausgebildet,  seine 
Form  jedoch  bedinge  hauptsächlich  der  männliche  Same  durch 
seinen  Luftgeist.  Daher  bezweifelte  er  auch  nicht,  dass  eine  Frau 
in  einem  Bade  geschwängert  werden  könne,  worin  vor  Kurzem  ein 
Mann  eine  Pollution  gehabt  habe.  Diese  letztere  Behauptung  wurde 
noch  in  unserem  Jahrhundert  in  England  Gegenstand  einer  gerichts- 
ürztlichen  Dis;cu!<:*ion. 


XIIT.  Das  W«! 


Wir  können  uns  auf  die  Erörterung  dieser  Streifcfinage  hier  ckiti 
weiter  einlassen,   nur   kurz  andeuten  wollen   wir,    dass    vrir  trns  in 
derselben  auf  deu  Standpunkt  JSTe/ircr's  in  Heidelberg  stellen,  der! 
ebenso  wie  wir  aus  berechtigten  Motiven   an   der    Lelire    von   Ana] 
zeitlichen  Zusammenf allen  von  Follikelberstung  (Ablr>sun|^   des  Ei«sj 
aus  dem  Eierstock)  und  Menstrualblutung  vorltiufig  festhält.    In  Fol- 
gendem  zeigen   wir,    welche  Anschammgen   hierüber    in    alter  undj 
neuer  Zeit  bei  den  Völkern  zu  Tage  treten. 

Die  Ansicht,    dass    die  Conception    in    einer    bestimmten    Zeit 
nach  Ablauf  der  Menstruation  erfolge,  wurde  schon  sehr  firQhj 
von  dem  altindischen  Arzte  5Msr?</a  ausgesprochen;  er  behauptete  :j 
„Die  Zeit  der  Zeugung  ist  die  zwölfte  Nacht  nach  dem  Erschei- 
nen der  Menses."     Einige  indische  Aerzte  rechneten  dagepen  den! 
Beginn   der  Schwangerschaft  auch   von    der   Menstruation 
rathen,  um  eine  Conception  herbeizuführen :   ,Mau  ül>e  den  B- 
immer  nach  Abiaul"  der  Menses   aus,    wenn   der  Tag    vorilber    nnd 
der  Lotus  sich  schliesst." 

Die  Aerzte  der  Griechen  und  Römer  knüpften  die  Eiupfungnts« 
gleichfalls  an  den  Zeitpunkt  der  Menses.  Hippokrafes  (De  ^enitnr») 
sagt.:  Hae  uempe  post  menstruam  purgationem  utero  concipiiint.  AristO' 
tdes:  Plerasque  post  mensium  fluxum,  nonnullas  vero  fluentibus  ad- 
huc  menstruis.  Giücnns:  Hoa  autem  conceptionis  tempna  est  Tel 
incipientibus  vel  cessantibus  menstruis,  Soranus  sagt,  da&t  die 
Zeit  nach  der  Menstruation  die  geeignetste  ist,  denn  kurz  vorhfr 
ist  der  Uterus  von  dem  Menstrualblute  zu  erschwert;  er  leugnet 
aber  nicht,  dass  die  Frauen  auch  zu  anderer  Zeit  concipiren. 

Der  Coitus  ist  nach  dem  Talmud  (Israels)  dann  als  erfolg- 
los hinsichtlich  einer  Conception  zu  betrachten,  wenn  der  Ziiartand 
der  Genitalien  oder  auch  die  Qualität  des  Samens  so  beschaffon 
ist,  dass  keine  Ejaculation  desselben  möglich  ist.  Doch  hält  der 
Talmud  den  Coitus  unter  gew^öhulicher  Erection,  wenn  auch  ohne 
eigentliche  Emissio  penis  in  die  Vagina,  für  zeugungstlihijr  an«! 
demnach  in  betreffenden  Fällen  für  stran)ar.  Auch  führt  der  Tal- 
mud an,  dass  weibliche  Individuen  olme  wirklich  ausgeübten  Coitvis, 
lediglich  in  Folge  eines,  wälireud  des  Bades  zufallig  von  einem 
männlichen  Individuum  ausgesonderten  Spermas  geschwängert  wur- 
den. Uebrigens  schliesst  nach  dem  Talmud  der  erste  Coitiija  einrr 
Jungfrau  die  Mügliclikeit  der  Conception  aus;  dagegen  wird  die 
Möglichkeit  der  Schwängerung  durch  einen  Coitus  während  detl 
Menstruation    anerkannt;    die    Conception    finde    am    1.,    2.    oder] 

3.  Tage  nach  dem  Coitus  statt,  und  gewöhnhch  kurz  vor  dem  Ein- 
tritt oder  bald  nach  dem  Ablauf  der   Menstruation.     Als   imf 

bar  wurde  der  Coitus  betrachtet,  wenn  die  BVau  während  de- 
eine perpendiculäre  Stellung  eingenommen  hatte.  ( Wnnderltar.) 
Für   die  Empfängnis»    gilt  bei   den  Nayer's  in  Malabar 

4.  Tag  der  Menstruation  als  besonders  gün-stig;    in   vielen    FIji 


I 


Kasten  muasder  Mann  an  diesem  Tage  mit  seiner  Frau  cohalntiren, 
und  er  begeht  eine  S  linde,  wenn  er  es  unterläsat.  (Jagor.) 

Nach  Annahme  des  japanischen  Arzte»  Kangawa  ist  die 
Frau  während  der  ersten  zehn  Tage  nach  den  Menses  befruchtungs- 
tähig,  nachher  aber  nicht  mehr.  {3Ii>/ak^.) 

Obgleich  die  Physiologie  der  Chinesen  sich  nicht  auf  Ana- 
tomie, sondern  nur  au±'  Hypothesen  stützt,  so  nähern  sich  docli 
ihre  Meinungen  über  Zeugung  und  Couception  ziemlich  unseren 
Kenntnissen.  Nach  der  chinesischen  Theorie  dringt  das  Sperma, 
welches  sie  tsir  nennen,  in  das  Behältnlss  der  Kinder,  genannt  tse 
kong  (wahrscheinlich  identisch  mit  Eierstock),  wo  es  mit  den  sich 
als  Bläschen  darstellenden  Keimen  zusammentrifft  (mit  den  Ovulis). 
Einer  dieser  Keime  wird  vom  tsin  berührt  und  befruchtet  imd  be- 
ginnt nun  sich  zu  entwickeln,  (Jlureau.) 

Sonderbare  Vorstellungen  herrschen  über  diese  Dinge  im  deut- 
schen Volksglauben.  Im  Frauke nwalde  beLspjeL>*weise  hält  man 
gemeiniglich  hohe  und  gleichzeitige  Erregung  tür  nothwendig  zur 
Empfangniss,  imd  je  nachdem  die  Erregung  rasch  und  kräftig  oder 
langsam  und  schwacJi  erfolgt,  unterscheidet  man  hitzige  und  kalte 
Naturen  imd  sagt,  sie  passen  nicht  zusammen.  Aehnliches  gilt  auch 
in  vielen  anderen  Gegenden  Deutschlands.  Auch  weiss  man 
hier,  wie  fast  überall,  recht  wohl,  dass  die  Unterbrechung  des 
Coitus  vor  der  Ejaculation  vor  Befruchtung  sicher  stelle.  Besorgte 
Mädclien  im  Frankenwalde  halten  oft  wiederholten  Aderlass  fllr 
ein  Mittel  gegen  Schwangerschaft,  sowolü  gegen  befürchtete  als 
wirklich  vorhandene.  Auch  gluul)t  man  daselbst  noch  häutig,  dass 
der  Beischlaf  während  des  Monatsflusses  wie  während  der  Säugungs- 
periode  nicht  schwängere,  und  nur  die  Ansicht,  dass  ein  Beiwohnen 
während  der  Periode  dem  Mmine  schädlich  sei,  hindert  eine  häufigere 
Enttäuschung.  {Flügel.) 

f63.  Der  £iiiflu8s  der  Jahreszeiten  ond  der  socialen  Zustände 
auf  die  Empfangniss. 
Die  Physiologie  hat  in  dem  Vorgange,  welcher  sich  im  weib- 
lichen Körper  durch  die  Menstruation,  Ovulation  (Lösung  eines  reifen 
Eies  vom  Eierstocke)  und  Empfangniss  (Conception)  kund  giebt,  so 
grosse  Aehnlichkeit  mit  dem  bei  Säugethieren  auftretenden,  als 
Brunst  bezeichneten  Process  gefunden,  dass  die  meisten  neuen  Lehr- 
bücher der  Physiologie  auf  cUese  An&logie  hinweisen.  Allein  schon 
in  der  regelmässigen,  von  der  Jahreszeit  abhängigen  Wiederkehr 
der  Brunst  schien  ein  Moment  zu  liegen,  durch  welches  ein  wesent- 
licher Unterschied  derselben  von  der  ziemlich  gleichmässig  allmonat- 
lich  auftretenden  Menstruation   des  Weibes   bedingt  ist.     Es  wird 


414 


XlII.  Dae  Weib  im  Zustande  der  Bülrachtuog. 


daher  von  einigem  Werthe  sein,  au  der  Hand  der  Statistik  zu 
prüfen,  ob  sich  auch  bei  der  Empfiingniss  der  Eintluss  der  Jahre.s- 
zeiten  bemerklich  macht.  Dagegen  mnss  freüich  herN-orgehobeq 
werden,  dass  auch  selbst  dann,  wenn,  in  der  That  die  Statistik  eine 
Vermehrung  der  Conceptionen  in  gewissen  Jahreszeiten  nachweist, 
noch  keineswegs  damit  die  grössere  oder  geringere  Conceptions- 
tahigkeit  des  Weibes  imter  dem  Einfiasse  der  mit  den  Jahreszeiten 
sich  ändernden  Witterungszustäude,  eine  wechselnde  Aendenmg  in 
dem  physiologischen  Verbalten  der  weiblichen  Sexualorgane  er- 
wiesen ist.  Vielmehr  wird  hier  auch  zu  berücksichtigen  sein,  dass 
das  männliche  Gesclilecht  unter  dem  Einflüsse  der  Jahreszeiten 
mehr  oder  weniger  häutig  zur  Ausübung  des  Coitus  veranlasst  vnxd^ 
dass  also  die  Steigerung  oder  Vermindenmg  der  Conceptionen*  je 
nach  den  Jahreszeiten  mindestens  zu  einem  grossen  Theile  durch 
die  sexuelle  Erregung  des  männlichen  Theils  der  Bevölkerung  er- 
klärt werden  muss. 

Zuerst  war  es  Quetelct,  welcher  eine  je  iiacb  den  BeTOlkerungskliiSBeii 
wechselnde  Ab-  und  Zunahme  der  Geburten-Frequenx  in  den  verBchiedenen 
Monaten  fand,  nachdem  einif^e  frühere  Versuche  *)  nach  dieser  Richtung  hin 
allzu  wenig  Beachtung  gefunden  hatten.  Er  wies  nach,  dass  r-umeist  ein 
Gebarten- Maximum  im  Februar,  ein  Minimum  ungeiu.hr  auf  den  Juli  traf; 
seine 'Beobachtungen  erstreckten  eich  besonders  auf  die  Niederlande 
(1815 — 26)  und  auf  BrQssel.  Er  zeigte  auch,  dass  dieser  Einfiuss  deai- 
licher  bemerkbar  ist  auf  dem  Lande  als  in  den  Stüdten;  das  Maximum  der 
Conceptionen  im  Mai  entspricht  nach  ihm  der  Erhebung  der  Lebenekrafb 
nach  der  Winterkülte :  auf  dem  Lande  aber,  so  meinte  er,  finde  die  Bevölkerung 
weniger  Schutz  vor  den  Unbilden  der  Witterung,  wie  in  den  Stildten. 

Vor  Allen  verdanken  wir  Villerme  genaue  Untersuchungen 
dieser  Angelegenheit. 

Auch  er  fand,  dass  in  Europa  das  Geburten-Marimum,  entsprechend 
den  Conceptionen  im  Mai  und  Juni,  im  Februar  und  März  stattfindet,  und 
dass  diese  Steigerung  jedenfalls  dem  Einflüsse  des  Frühlings  zuzuschreiben 
sei.  Um  nun  zu  zeigen,  dass  die  ungleiche  Vertheilung  der  Geburten  auf 
die  verschiedenen  Monate  ganz  überwiegend  Folge  des  Einflusses  des  jähr» 
liehen  Laufes  der  Erde  um  die  Sonne  und  der  daraus  hervorgehenden  grossen 
Temperaturveriinderungen  sei,  beschränkte  sich  Villerme  nicht  auf  die  euro- 
päischen Staaten,  sondern  er  dehnte  seine  statistischen  Unter«uchung<ui 
auch  auf  die  südliche  Hemisphäre  aus:  in  Buenos- Ayres,  wo  die  Jahres- 
zeiten in  derselben  Ordnung  wie  im  Norden,  nur  'm  entgegengesetzter  Zeit. 
sich  folgen,  erweisen  sich  dieselben  Einflüsse  aucli  auf  die  Geburten-Frequenz 
wirksam.  Aus  diesen  Erscheinungen  schlos»  Villerme;  dass  wir  trotz  unserer 
Civilisation  doch  wenigstens  theilweise  den  verschiedenen  periodischen  Ein- 

•)  Wargentin,  welchen  das  Mijiisterium  Schwedens  mit  der  Bearbei- 
tung der  Bevölkerungs-Statistik  beauftragte,  lieferte  schon  im  vorigen  Jahr- 
hundert eine,  sich  allerdin-»«  nur  auf  Schweden  beziehende  Arbeit  (Abhandl. 
de»  Kött.  Schwedischen  Akatl,  der  Wissen.-ich. .  nli.r».'(.;(  von  Ki'xtuer, 
Bd.  29,  Jahrg.  1767),  in  welcher  er  auf  die   i  'T- 

kehrenden  Monats-Maxima  und  -Minima  der  li  — ;  f* 

aufforderte,  den  Uraachen  derselben  -  weiter  naohzufuncbon. 


63.DerEmflu88< 


.  social.  ZuaUlade  aaf  d.Empf&DgUfl8. 


flünHeii    unterworfen   sind,    welche   in    dieaer  Hinsicht   Pflanzen   und  Thiere 
beherrschen. 

Alsdann  untersuchte  Vilierme  auch  die  Frage ,  ob  nicht  etwa  der 
Wechsel  der  Jahreszeiten  und  der  Temperatur  gewisse  Verhilltnisse  im  so- 
cialen und  nationalen  Leben  der  Völker  beherrscht,  welche  erst  ihrerseits 
einen  inaassgebenden  EinflasB  auf  die  Vertheilung  der  Geburtafrequenz  .je 
nach  Monaten  und  Jahreszeiten  ausüben,  so  dass  der  Einfluss  dieser  letzteren 
erst  Jndirect  zur  Geltung  kommt.  Deshalb  prüfte  er  den  Einfluss  der  Ver- 
theilung der  Heirathen,  jenen  der  Perioden  angestrengter  Arbeit  und  grösse- 
rer Ruhe  (Perioden,  die  fast  bei  jeder  Bevölkerung  nach  Jahreszeiten 
wechseln) ,  den  Einfluss  des  Ueberßusscs  oder  Mangels  an  Nahrung ,  und 
endlich  den  Einfluss  gewisser  allgemeiner  Sitten  und  Gebräuche.  Nach 
diesen  Untersuchungen  haben  die  Epochen,  in  welchen  die  Heirathen  am 
hilutigsten,  und  jene,  in  welchen  sie  am  seltensten  sind,  keinen  sichtlichen 
Kinflus«  auf  die  Vertheilung  der  Geburten  nach  Jahreszeiten.  Dagegen  zeigt 
sich  ein  Einfluss  jener  Jahreszeiten,  die  man  als  Epoche  der  Ruhe  und  Ar- 
beitserholung beobachtet,  und  jener,  welche  sich  durch  reichlich!.*  Nahrungs- 
mittel und  erhöhtes  gesellschattliches  Leben  auszeichnen.  Erniedrigend  auf 
die  Häufigkeit  der  Geburten  (resp.  Conceptionen)  wirken  die  Zeiten  der 
beschwerlichen  Arbeit  (Emte/eit),  der  Lebensmitteltheuerung,  die  strenge 
Beobachtung  der  Fastenzeit.  So  gelangt  ViUenne  zu  dem  Schluss:  „Die 
umstände,  welche  uns  kräftigen,  erhöhen  imsere  Fruchtbarkeit,  und  die- 
jenigen, welche  uns  schwächen,  und  noch  vielmehr  die,  welche  die  Gesund- 
heit untergraben,  vermindern  sie,  womit  jedoch  keineswegs  gesagt  ist,  dn&s 
die  Gesundheit   allein    die   Fruchtbarkeit   regelt." 

Viüemifs  Arbeiten  aul'  diesem  Gebiete  zeugeu  von  so  viel 
FleisB,  Scharfsinn  und  Umsicht,  dass  sie,  wie  Wappäus  hervorhebt, 
das  grosste  Vertrauen  verdienen. 

Die  Hauptresultate,  zu  welchen  dann  Wappäu«  seibat  bei  Untersuchung 
der  Verhlltnisse  (in  Sardinien,  Belgien,  Niederlanden,  Sachsen, 
Schwedtin,  Chile)  gelangte,  f'ind  folgende:  Das  erst«  allgemein  sich  zei- 
gende Steigen  der  tieburtszahl  in  den  Monaten  Februar  und  März,  ent- 
üprecbend  der  grösseren  Zahl  der  Conceptionen  im  Mai  und  Juni,  ist  der 
belebenden  Einwirkung  der  Jahreszeit  zuzuschreiben.  Diese  physisch«; 
Wirkung  wird  aber  bei  den  katholischen  Bevölkerungen  verstärkt  durch 
die  mit  den  Einrichtungen  der  Kirche  in  Beziehung  stehenden  besonderen 
Hittcn  und  Gebriluche.  Von  dem  Maximum  dieser  ersten  Steigerung  an 
»inkt  die  Zahl  der  monatlichen  Geburten  wieder  schnell  herab ,  bis  sie  in 
den  Monaten  Juni ,  Juli  unil  August  ihr  Minimum  erreicht.  Dieses  Sinken 
hat  ebenfalls  Überwiegend  einen  physischen  Grund;  es  wird  bewirkt  theila 
durch  dia  mit  der  Höhe  des  Sommers  anfangende  und  allmählich  zunehmende 
Erschlaffung  der  allgemeinen  natürlichen  Productionskraft,  theils  durch  die 
von  dftr  Soraroerhitzo  vielfach  erzeugten ,  mehr  oder  weniger  gefahrlichen 
epidemischen  Krankh<!iten.  Verstärkt  aber  wird  diese  natürliche  Eiii- 
wirkuog  bestonders  gegen  das  Ende  dieser  Periode  durch  den  den  Concep- 
tionen ebenfalls  nachtheiligen  KinHuss  der  sehr  angestrengten  und  oft  selbst 
wenig  nru:hÜiohe  Ruhe  zulassenden  Arbeit  der  Erntezeit.  Beide  Ur- 
«ftcben  zutantmen  bewirken,  dans  in  allen  Ländern  die  erste  Senkung  der 
Curve  die  tiefste  ist.  Da«  Minimum  tritt  im  Norden  später  ein,  als  im  Süden, 
theiU  weil  im  Süden  die  allgemeine  Erschlutfung  in  der  natürlichen  Leben«- 
kraft  früher  eintritt,  «Is  im  Nordep,  theils  weil  im  Norden  die  anstrengesdM 


416 


XIII.  Das  Weib  im  Zustande  der  Befruchtung. 


Erntearbeiten  spilter  fallen,  als  im  Süden.  Von  (It^v  Mitte  des  fiommers  an.  oief 
in  Schweden  vom  August  an,  steigt  die  monatliche  Zahl  der  Geburten  aufo 
neue  und  erreicht  überall  ihr  zweites  Maximum  im  Monat  September.  Die 
Ursachen  dieses  zweiten  Steigen»  sind  entschieden  nicht  physischer,  sondern 
socialer  Natur.  Die  zweite' Erhebung  ist  iui  Süden  und  bei  katboHscben 
Bevölkerungen  im  Verhältniss  zur  ersten  nur  gering,  im  Norden  dagegen 
übertrifft  sie  die  erste,  so  dass  in  Schweden  der  Monat  September  das  ab- 
solute Maximum  der  Geburten  darbietet.  Der  Grund  dieser  merkwürdigen 
Erscheinung  i«t  darin  zu  suchen ,  dass  im  Norden  die  die  Reproduction 
begünstigenden  Eigenthüinlichkeiten  des  Lebens  im  Winter  viel  ent^hie- 
dener  hervortreten,  als  im  Süden,  vielleicht  dass  ausserdem  auch  die  strengere 
Beobachtung  der  kirchlichen  Vorschriften  für  die  Adventzeit  bei  den  katho- 
lischen Bevölkerungen  des  Südens  die  Fruchtbarkeit  des  Monats  Deeembex 
beschränkt.  Nach  dieser  zweiten  Steigerung  erfolgt  nun  wieder  ein  zweites 
Fallen  bis  zum  November  oder  December,  jedoch  nicht  so  tief,  wie  das  erste 
im  Sommer,  und  im  protestantischen  Norden  weniger  tief,  als  im  katho- 
lischen Süden.  Die  allgemein  wirkende  Ursache  dieses  Fallens  ist  wobl 
ohne  Zweifel  in  den  überall  auf  die  Gesundheit  mehr  oder  weniger  ungünstig 
wirkenden  Uebergängen  des  Winters  zum  Frühling  zu  suchen,  welche 
ungünstige  physische  Einwirkung  auf  die  Conceptionen  im  Februar  und 
M&rz  im  katholischen  Süden  durch  die  in  demselben  Sinne  wirkenden  aus- 
gelassenen V'ergnügangen  des  Caruevals  und  die  strenge  Beobachtung 
der  Fastenzeit  verstärkt  wird. 

Dann  wirft  Wappütu  auch  einen  BUck  auf  Sachsen,  über  dessen 
Geburtenverhältnisse  J^vrjel  berichtet  hatte;  er  zeigt,  dass  in  diesem  überaus 
dicht  bevölkerten,  industriellen  Lande  die  physischen  sowie  die  socialen 
Einflüsse  mehr  zurücktreten  müBsen ,  und  dass  hieraus  auch  die  Erschei- 
nungen in  der  Geburtenvertheilung,  welche  im  Allgemeinen  bei  der  ziemlich 
gleichmüssig  sich  fortsetzenden,  sich  maschinenartig  bewegenden  Arl>eit 
gleichförmiger  über  das  Jahr  vertheilt  ist.  .«ich  erklärt.  Dagegen  zeigt  sich 
in  Chile  eine  grosse  und  rasche  Steigerung  der  Geburten  zur  Zeit  des  Früh- 
jahrs und  des  Sommeranfangs  als  natürliche  Panwirkung  dieser  Jahreszeit  auf 
alle  Reproductionen,  indem  diesem  entsprechend  in  Chile  das  Maximum  der 
Geburten  in  der  That  ungerj,hr  6  Monate  später  lullt  als  in  Europa, 
'nämlich  statt  in  den  Februar  und  Mai  in  den  September.  Audi  macht 
Wappäus  darauf  aufmerksam,  dass  Chile  eine  weit  zerstreute,  fast  allein 
mit  der  physischen  Cultur  beschäftigte,  stark  katholische  Bevölkerung  al« 
Gegensat?^  zu  dem  protestantischen,  industriellen  Sachsen  besätzt;  er  sagt; 
„Wie  Sachsen  den  übrigen  europäischen  Staaten  gegenüber  gewisser- 
moassen  sich  verhält  wie  eine  städtische,  industrielle  Bevölkerung  gegenüber 
einer  ackerbauenden,  so  drückt  sich  in  der  die  Verh[iltjnsi»c  Chile'»  dar- 
stellenden Curvc  noch  potenzirt  der  Charakter  unserer  ackerbauenden  Be- 
völkerung aus." 

Eüien  Versudi,  die  Untersuchungen  von  Wappätis  weiter  zu 
fuhren,  macht«  Surmaui,  indem  er  die  Schwankungen  der  Empfang- 
iiiflse  in  den  einzelnen  Theilen  Italiens  stiidirte.  Seine  Ergeb- 
nisse sind: 

Die  Anschwellung  der  Eropfängnisszalü  tritt  im  Süden  Itnliptis  frflb^ 
zeitig,  im  Norden  dagegen  erat  splitor  im  Jalu-e  ein,  so  zwar,  d.i  l-sn 

eOdlichäten  Gegenden  «chou  auf  den  April  tritit  uml  mehr  und  mv\  ^  iu 

den  Mai  und  Juni  verspätet,  je  mehr  man  sich  dem  Norden  nilbürt,  \ti»  ate  seblte 


63.  Der  Einfiuss  der  Jahreszeiten  n.  d.  social.  Zastftnde  auf  d.  Empfäagnias.  41 7 


lieh  im  nördlichsten  Theil  der  Halbinsel  auf  den  Juli  ßllU.  In  den  aüdlichaten 
Laadfitrichen  von  Italien  ist  nur  ein  Maximum  und  Minimum  vorhanden, 
wahrend  in  den  nördlichsten  Landestheilen  zwei  auftreten.  Das  Minimum, 
welches  der  heissen  Jahreszeit  folgt,  hat  eine  entschiedene  Neigung  um  so  erheb- 
licher zu  werden,  je  mehr  man  «ich  dem  Süden  nllhort,  während  das  Mini- 
mum, welches  sich  an  die  Winterkälte  knüpft,  mit  dem  Norden  zunimmt, 
bin  in  den  nördlichsten  Theilen  das  nachwinterliche  Minimum  grösser  wird, 
ala  das  herbstliche.  Im  Allgemeinen  sind  die  Schwankungen  in  den  Cur- 
ven  der  Empfängnisse  um  so  .«itärker,  je  mehr  man  sich  nach  Soden  wendet. 

Am  besten  veranschaulicht  eine  Tabelle,  welche  Mayr  aufetellte, 
die  Grenzen,  innerhalb  welcher  sich  die  Geburten  und  die  Empfäng- 
nisse nach  Monaten  bewegen : 


Tagesbetrag  der  Geburten  (mit  Einschluss  der  Todtgeborenen). 


Deutsches 

Reich 

Bayern 

Italien 

Frankreich 

Jahre  1W2-W75 

Jtthrol»72-ltr7ö 

Jahre  lÖfti-lWl 

Jahre  18«i-lWl 

4889 

578 

2848 

2887 

1        4997 

608 

3025 

3060 

i        4913 

594 

2928 

3018 

4739 

582 

2805 

2911 

4605 

575 

2533 

2742 

4497 

566 

2371 

2610 

4582 

566 

2419 

2625 

4691 

552 

2496 

2620 

5029 

582 

2663 

2665 

4770 

564 

2605 

2603 

4756 

566 

2624 

2661 

4710 

558 

2587 

2608 

4763 

673 

2656 

2749 

Januar .     .  . 

Februar    .  . 

März    .     .  . 

April     .     .  ■ 
Mai  .... 

Juni      .    .  . 

Juh.    .    .  . 

August      .  . 

ßeptember  . 

October    .  . 
November 
December 
Kalenderjahr 

Unter  Hinweis  auf  die  voräteheuden  Zahlenreihen  sagt  Mayr,  dass  man 
wohl  dem  Ausspruche  Quetelet's  zustimmen  musa,  dass  der  Mensch  sich  zwar 
zu  allen  Zeiten  reprodacirt,  aber  doch  rorzugaweise  am  Ende  des  Frühlings 
und  des  Herbstes,  und  am  wenigsten  wHhrend  des  Sommers  und  Winters; 
allein  Mayr  setzt  hinzu,  dass  der  Spätsommer  sich  der  Fortpflanzung  noch 
ungünstiger  zeigt,  als  der  Hochsommer,  und  dass  dem  Grade  nach  die 
Abnahme  der  Empfängnisse  im  Sp&tsommer  und  Frühherbst  viel  st3j'ker  ist, 
als  im  Winter.  Zur  Erklärung  dieser  letzteren  That.sache  liegt  der  Gedanke 
nahe,  dass  ausser  den  verschiedenen  socialen  Einflüsaen  auch  noch  die  an- 
gc«trongte  Feldarbeit  der  Landbevölkerung  eine  besondere  Wirkung  ausübt, 
wie  schon    Wappäus  hervorhob. 

In  echt  methodischer  Weise  ging  dann  Beitknnaun  zu  Werke, 
am  die  mannigfach  hier  in  Frage  kommenden  Ursachen  an  der 
Hand  der  Statistik  aa^zulbrschen. 

Er  stellte  die  Provinzen  de«  deutichen  Reichs  in  vier  Gruppen  zu- 
sammen: 

1.  Der  Nordosten:  Prov.  Preussen.  Pommern,  Grosihertogth. 
Mecklenburg -Schwerin. 

2.  Der  Nordwesten:  Prov.  Hannover,  Schleswig •  Holstein, 
HftMburg,  Bremen.  R«g.-Bez.  Münster. 

Plo*»,  Du  Weib.  I.    U.  .^ufl.  27 


Xin.  Das  Weib  im  Zxu 


'sr- 


3.  Der  SüdoHten  reap. die  Mitte:  Prov.  Scblesien,  Sachaeu.  König- 
reich Sachsen, 

4.  Der  Südwesten:  Köniffreich  Bayern,  Württemberg,  Gros»- 
herxogthum  Baden  und  Eleass-Lothringen. 

Zaniichst  stellte  sich  heraus,  dass,  obgleich  die  einzelnen  Gcbiet*- 
gnippen  ganz  bedeutende  Unterschiede  unter  sich  aufweisen,  die  Zahlen  der 
Gebartenvertheilung  auf  die  Monate  im  deutschen  Reiche  während  der  ein- 
zelnen Jahre  von  1873 — 77  sich  ziemlich  gleich  blieben.  Jedes  Jahr  hatte 
den  Typus  des  Gesammtreicbs,  obgleich  gewisse  Abweichungen  im  Einzelnen 
vorkamen.  Die  beiden  Jabres-Maxima  der  Geburten  fallen  im  Reiche  auf 
Februar  und  September,  und  so  verhalt  es  sich  auch  in  den  einzelnen 
Jahren,  mit  Ausnahme  des  Jahres  1877,  wo  das  erste  Maximum  auf  den 
März  fiiUt.  Das  erstti  Minimum  gehört  dem  Juni  an,  nur  im  Jahre  1875 
tritt  es  bereits  im  April  und  Mai  ein,  das  zweite  Minimum  im  December 
oder  November.  In  drei  Jahren  ist  das  Winter- Maximum  das  bedeutendere, 
in  zweien  fällt  dasselbe  auf  den  September.  Es  ist  noch  hervorzuheben,  daaa 
zuweilen  ein  drittes  Maximum  und  Minimum  am  Ende  des  Jahres  auftritt, 
nämlich  ein  Maximum  im  November,  ein  Minimum  im  October. 

In  der  1.  Gruppe  (Nordosten)  eröffnet  der  Monat  Januar  den  jähr- 
lichen GeburtengäDg  mit  einem  hohen  Verh&ltnisa,  das  jedoch  zum  Februar 
noch  steigt  und  damit  das  erste,  das  sogenannte  Frühjahrs-Maximum  erzeug. 
Vom  Februar  nämlich  sinken  die  Geburten  ununterbrochen  bis  Juni,  dem 
Monat  des  absoluten  Minimums^  nach  welchem  sogleich  ein  Steigen  erfolgt, 
plStzlicher  und  atSlrker  als  das  vorangegangene  Fallen.  Im  September  wird 
dann  das  zweite  und  hOchste  Maximum  erreicht;  doch  bereits  im  folgenden 
Monat  October  zeigt  sich  daa  zweite  Minimum,  das  Ober  dem  Durchschnitt 
bleibt. 

Die  Ursachen,  die  diesen  Geburtenverhältnissen  zu  Grunde  liegen,  sind 
theils  physische,  theila  psychische.  Die  hohe  Zahl  der  Conceptionen  von 
April  bis  Juni  rührt  von  dem  Einfluss  des  Frühlings  her,  welcher  den  Con- 
ceptionen besonders  günstig  ist.  Die  starke  Abnahme  der  Conceptionen 
von  Juli  bis  September  und  der  noch  niedrigere  Stand  im  October  sind 
weniger  dem  physischen  Einflüsse  der  heissen  Jahreszeit  zuzuschreiben,  son» 
dem  stehen  hauptsächlich  mit  dem  wirthschaftlichen  Leben  der  Bevölkerung^ 
in  innigem  Zusummenhonge:  ein  überwiegender  Theil  derselben  ist  im  Acker- 
bau thrvtig,  deshalb  auch  im  Spllt-iommer  bei  der  Ernte  und  Bestellung  der 
Winterfrüchte  physisch  so  sehr  in  Anspruch  genommen,  dasa  auch  die  Con- 
ceptionen darunter  leiden.  Die  Zeit,  welche  hier  im  Nordosten  zur  Feld- 
bestellung frei  bleibt,  ist  bereits  um  etwa  einen  Monat  kürzer,  als  im  Westen ; 
ein  Theil  der  männlichen  Bevölkerung  ist  in  der  warmen  Jahreszeit  auf  See. 
Nachdem  aber  die  Ernte  vollendet,  leichlere  Arbeit  und  Erholung  eingetreten, 
dann  beginnt  ein  bedeutender  Aufschwung  der  Conceptionen,  der  im  pro» 
testantischen  Norden  durch  die  Weihnachtszeit  befördert  wird.  Dochdaranf 
tritt  im  Januar  ein  natürlicher  Rückschlag  ein.  und  in  den  Monaten  Februar 
and  März  scheinen  die  wirthschaftlichen  und  socialen  Factoren  wieder  Anlnss 
zu  einer  Steigerung  zu  geben. 

Die  zweite  Gruppe,  der  Nordwesten,  welcher  im  Wesentlichen  auf 
denselben  wirthschaftlichen  Grundlagen  beruht  wie  der  Ost^n  und  noch 
manches  andere  mit  ihm  gemein  hat,  zeigt  auch  im  Allgemeinen  einen  ähn- 
lichen Typus  der  Vertheilung  der  (Jeburton.  Das  Minimum  im  Juui  tritt 
nicht  ganz  >o  stark  auf,  wie  im  Nordowten,  daa  Minimum  der  Geburten  im 
Winter  dagegen  fällt  tiefer  and  später.    Einmal  werden  die  gTOaeen  Stftdt« 


68.  DerEinflnss  der  Jahreszeiten  u.  d.  social.  ZustAi 


agniss.  419 


Hamburg  und  Bremen  das  Kloroent  ie»  Handel«  und  der  Gewerbe  mehr  zur 
Geltung  bringen  als  die  Seeatlldte  der  Ostsee,  andererseits  wird,  namentlich 
in  Bezug  auf  das  zweite  Minimum,  die  Kirche  von  EinÖuss  sein,  indem  der 
Nordwesten  ein  gröKseres  Verhältniss  der  katholischen  Bevölkerung  aufweist 
als  der  Nordosten,  wodurch  sich  der  unterschied  begründen  lilsst. 

Reihen  wir  die  dritte  Gruppe  (den  Südosten)  hier  an,  ao  treten  uns, 
insbesondere  wenn  dieselbe  auf  das  Königreich  Sachsen  beschränkt  wird, 
gewichtige  Differenzen  entgegen.  Das  Vorherrschen  der  Industrie,  also  die 
Beschäftigung  der  Bevölkerung,  scheint  hier  für  die  VertheUung  der  Geburten 
Bbend  zu  sein,  was  sich  in  den  Sommermonaten  geltend  macht.  Da 
istrielle  Beschäftigung  gemeiniglich  in  allen  Jahreszeiten  dieselbe 
Anstrengung  verlangt  und  insofern  also  die  Vertheilung  der  Geburten  nicht 
beeinflussen  wird,  so  müssen  es  einmal  die  klimatischen  und  socialen  Ver- 
hältnisse, andererseits  die  wirthachaftlichen  Wechsel  und  Conjuncturen  sein, 
welche  die  Schwankungen  der  Geburten  nach  Monaten  bestimmen. 

Hieran  schliesst  sich  die  vierte  Gruppe  (der  Südwesten)  sowohl  dem 
Gebiete  nach,  als  der  Aehnlichkeit  der  betreffenden  Verhältnisse  gemäss. 
Die  Vertheilung  der  Geburten  hat  in  der  That  manches  mit  der  dritten 
Gruppe  gemein,  vor  allem  die  schwachen  Extreme.  Als  Eigenthümlichkeiten 
sind  hervorzuheben,  dass  in  Süddeutschland  das  Frühjahrnmaximum  der 
Conceptionen  dasjenige  im  Herbst  regelmässig  übertrifft,  während  es  in  den 
übrigen  Gruppen  gewöhnlich  übertroöen  wird,  femer  dass  in  der  vierten 
Gruppe  das  Moment  der  katholischen  Kirche  am  mächtigst«n  wird.  Hier 
gehört  nümlich  die  Mehrzahl  dieser  Kirche  an,  wahrend  im  übrigen  De  utsch- 
land  die  protestantische  Kirche  vorherrscht  Die  katholische  Eörche  erzeugt 
im  ganzen  Winter  eine  Erniedrigimg  der  Conceptionen,  dabei  wird  aber  im 
Februar  gewöhnlich  ein  Maximum  und  im  folgenden  März  ein  Minimum 
gebildet.  Da  Ostern  aber  nicht  auf  dasselbe  Datum  f^t,  sondern  in  den 
Grenzen  eines  Monat«  schwankt,  so  kommt  es  in  vielen  Jahren  natürlich 
vor,  dass  die  letztgenannte  Beeinflussung  sich  zuweilen  verdeckt,  ohne  dass 
aussergewöhnliche  Beeinflussungen  eintreten. 

Wir  können  JBettkemann  nicht  weiter  folgen  in  seinen  werth- 
voUeu  Auseinandersetzungen  über  die  Art  und  Weise,  wie  man  die 
statistischen  Untersuchungen  über  die  Ursachen  der  VertheUung  der 
Gebarten  nach  Monaten  anzustellen  hat,  Er  weist  aui"  die  Schwie- 
rigkeiten in  dieser  Angelegenheit  hin,  zeigt  aber  auch  die  Wege, 
wie  man  dieselben  zu  überwinden  hoti'en  darf.  Wir  wollen  nur 
noch  anführen,  dass  er  bezüglich  der  Verhältnisse  ehelich  und  im- 
ehelich  Geborener  (in  Frankreich  und  Deutschland)  gefunden 
hat,  dass  die  VertheUung  der  unehelichen  Conceptionen  von  den 
sogenannten  physischen  Einflüssen  stärker  bewegt  wird,  als  die  der 
ehelichen. 

Auch  in  Rujiland  giebt  es,  wie  fast  überall,  zwei  Geburten-Maxima; 
allein  hier  fallen  sin  auf  den  Januar  und  October;  die  relative  Mehrzahl  der 
■  ^oceptionen  tindet  demnach  im  April  und  Januar  statt.  Es  sind  hier 
riss  physiologisch-klimatische  Ursachen,  doch  auch  sociale  und  religiöse 
igungen  im  Spiele.  Wenigstens  deuten  darauf  die  Zahlen ,  wenn  wir 
nns  nn  die  Jahreszeiten  halten,  die  wohl  einen  minder  zufälligen  Charakter 
tragen,  als  die  monatlichen  Daten.  Sttlzen  wir  die  Gesammtzahl  der  Ge- 
bturtep  (durchschnittlich  im  Jalire  ;{,16d,40ü  Geburten)  gleich  12,000,  so  finden 

27» 


Xin.  Dm 

wir.    daas    die    Conceptionen 
folgendermaasBen  vertheilen: 


le  der  Betrachtang. 


and   Geburten    in  Rasaland    1867—70  üch 


Gon- 
ception. 

G  riech. 
Orth. 

Katho- 
liken. 

Prote- 
stanten. 

3107.7 
2961,9 
2869,5 
3060,9 

Hebräer. 

Muham- 
niedancr. 

üeber- 
haupt. 

Geburten 

FrQhling 
Sonuner 
Herbat 
Winter 

2883.7 
2679,1 
3206,5 
3230,7 

3015,6 
3002,5 
2907,1 
3074,8 

3193,5 
2969,7 
2951,9 
2884,9 

3335.1 
2902,4 
2852,3 
2910,2 

2916,4 
2715.5 
3166.7 
3201.4 

Winter 
FrQhling 
Sommer 
Herbst 

Demnach  ftlUt  das  Maximum  der  Conceptionen  in  RuHsland  fiberb&aiiti 
und  zugleich  bei  den  Griechisch-Orthodoxen  auf  den  Winter  (da*  Maximum] 
der  Geburten  also  auf  den  Herbst);  es  folgen,  nach  den  Conceptionen  ge-l 
ordnet,  der  Herbst,  der  Frühling  und  der  Winter;  bei  den  Katholiken  ist  die] 
Ordnung  folgende:  Winter,  Frühling,  Sommer.  Herbat;  bei  den  Hebräern: 
Frühling,  Sommer,  Herbst,  Winter;  bei  den  Protestant'en :  Frühling,  Winter,! 
Sommer.  Herbst.  „Die  abweichende  Vertheilung  der  Conceptionen  nach  denf 
Jahreszeiten,  wie  sie  Russland  aufweist,"  sagt  der  Berichterstatter  ^ifn»ff/a»trfy,| 
„ist  bedingt  durch  die  anhaltende  und  strenge  Fastenzeit  im  Frühling,  äowiej 
durch  die  ermüdenden  Feldarbeiten  im  Sommer.  Im  Zu^tammenhang  hiermit] 
feteht  auch  die  bedeutend  grössere  Anzahl  von  Eheschliessungen  im  Herbst] 
und  Winter,  als  im  Sommer  und  Früliling,  eine  Erscheinung,  welche  zunil 
Theil  durch  die  erwähnten  Ursachen,  zum  Theil  durch  die  Nothtrendi^keitl 
des  Abwartens  der  Ernte  erklfirt  werden  muss." 

In  den  StUdtea  Runäland»  vertheilen  sich  die  Conceptionen  anders,! 
als    auf  dem    Lande,    indem   d&s  Maximum   auf  den  Herbst  f&llt;    sod.ann ' 
folgen:    Winter,   Sommer    und    Frühling,    wie  aus   folgenden  Zahlen  zu  er- 
sehen ist: 

Wichtigste  Städte.  Kreis- 

Frühling  1779.8 

Sommer 2458,8 

Herbst     .  .  4081.9 

Winter     .  .  3679.5 

Was  die  u nelielicbon  Conceptionen  in  Russland  betrifft,  so  äuft»ert 
sich  bei  ihnen  der  natürliche  Einfluss  der  verschiedenen  Jahreszeiten  deot- 
licher,  als  bei  den  ehelichen.  Die  Maxima  der  unehelichen  Conceptionen 
fallen  in  den  westeuropäischen  Staaten  auf  den  Frühling  und  Sommer .  di« 
Minima  auf  den  Herbst  und  Winter,  wobei  die  Ditterenz  zwischen  den  Maxime 
und  Minima  bedeutend  grosser  ist,  als  bei  den  ehelichen  Conceptionen.  la 
Russland  fiLUt  das  Maximum  der  unehelicbrn  Conceptionen  auf  den  Winter 
und  Frühling,  das  Minimum  auf  den  Sommer  und  Herbst.  Folgende  Zahlen 
unterrichten  über  die  Vertheilung  der  unehelichen  Conceptionen: 

Winter    ...         31.^1,4 

Frühling      .    .     .     3077.8 

Herbat     ...     j'.vjs,5 

Sommer  .  .     2422,3 


u.  andere  8tildt«>. 
1552,3 
1333,8 
4462.7 
4651,2 


Xr\^.  Die  Fmchtbarkeit  des  Weibes. 


64.  Fruchtbarkeit  und  Unfruchtbarkeit. 

Es  ist,  wie  Niernand  wohl  bezweifeln  wird,  *von  einem  hohen 
anthropologischen  Interesse,  eine  Untersuchung  darüber  anzustellen, 
ob  bei  den  verschiedenen  Völkern  der  Erde  die  Fähigkeit,  sich  zu 
vermehren  und  ihren  Stamm  fortzupflanzen,  in  gleichmässiger  Weise 
vorhanden  ist,  oder  ob  sich  in  dieser  Beziehung  ethnologische  Difl'e- 
renzen  nachweisen  la.ssen.  So  mangelhaft  mm  auch  das  uns  zu 
Gebote  stehende  Material  bisher  leider  ist,  so  gelingt  es  doch  auch 
mit  diesen  geringen  Mitteln  schon,  den  sicheren  Beweis  zu  liefern, 
dass  hier  wirklich  recht  erhebliche  Verschiedenheiten  existiren,  und 
bisweilen  können  wir  sogar  auch  einen  Einblick  in  die  Gründe  ge- 
winnen, durch  welche  dieselben  veranlasst  werden.  Wir  berüliren 
hier  ein  w-ichtiges  Kapitel  der  Demographie,  durch  welches  wir 
tiefere  Einblicke  theils  in  das  somatische  Leben,  theiLs  in  die 
culttirelle  Mission  des  Weibes  zu  werfen  hoffen  können. 

Zunächst  möchten  wir  darauf  hinweisen,  wie  die  Statistik  die 
weibliche  Fruchtbarkeit  zu  untersuchen  hat.  Zur  Messung  der 
«Fruchtbarkeit  einer  Bevölkenrag*  dient  in  der  Itegel  die  allge- 
meine Geburtenziffer,  welche  lediglich  die  Gesammtzahl  der 
Geburten  mit  der  Gesammtbevölkemng  vergleicht.  Ein  Jahresbetrag 
von  weniger  als  30  Geburten  auf  1000  Einwohner  ist  nach  den 
int«i'nationalen  statistischen  Ermittelungen  als  gering,  ein  solcher 
von  30  bis  gegen  40  als  normal,  ein  Betrag  von  40  und  melir 
Geburten  auf  1000  Einwohner  aber  als  sehr  hoch  anzusehen. 
Allein  mehrere  Statistiker  (unter  Anderen  Mayr)  machen  darauf 
aufmerksam,  dass  diese  »allgemeine  Geburtenziffer"  als  richtiger 
Ausdruck  der  Fruchtbarkeit  der  Bevölkermig  nicht  angesehen  wer- 
den darf.  Bei  deren  Ermittelung  wird  nämlich  die  gesammte 
Bevölkerung  in  Rechnung  gebracht,  während  doch  nur  ein  Bruch- 
theil  der  letzteren  wirkhch  bei  der  Fortpflanzung  betheiligt  und  der- 
selben iahig  ist.  ,Wäre  überall  der  Bestand  an  Greisen  und  Kindern 
vcrhältnissmässig  gleich,  dann  wäre  die  Folgerung  minder  mirichtig, 
weil  dann  die  Fruchtbarkeit  sich  weuigsterm  proportional  den  all- 
gemeinen Geburtenziflem  verhalten  wllrde,*     Auch   nicht  etwa  das 


422 


XIV.  Die  Fruchtbarkeit  des  "Weibes. 


Verhältüiss  der  Gesaimutzalil  der  Weiber  in  einer  Bevölkerung  kann 
una  einen  richtigen  Aufschluss  über  die  weibliche  Fruchtbar- 
keit geben;  denn  die  Frau  ist  eben  nur  eine  gewisse  Zeit  lang 
gebärfähig,  und  es  müssten  alle  diejenigen  weiblichen  Personen 
von  der  Zählung  ausgeschlossen  werden,  welche  theüs  noch  uicht 
in  die  Periode  der  Gebärtahigkeit  eingetreten,  theils  aber  durch 
Ueberschreiten  dieser  Periode  steril  geworden  sind. 

Wenn  man  nun  bei  zwei  Völkern  verschiedener  Rasse  ver- 
schiedene Grade  der  Fruchtbarkeit  vorfindet,  so  muss  man  sich  wohl 
hüten,  hierin  ohne  Weiteres  einen  Kassenunterschied  erkennen  zu 
wollen.  Denn  es  zeigt  sich  bei  näherer  Untersuchung,  dass  die 
grössere  oder  geringere  Fruchtbarkeit  noch  durch  eine  Reihe  anderer 
Factoren  recht  erheblich  beeinJBuast  werden  muss.  Hierher  gehört 
der  moralische  Zustand  der  Bevölkerung,  ihre  sociale  Lage  und  damit 
Hand  in  Hand  gehend  das  Altersverhältniss  der  Erzeuger  zu  einander. 

Ohne  Zweifei  darf  man  als  günstiges  Zeichen  ftlr  das  Wohl- 
betintlen  einer  Bevölkerung  die  zunehmende  Vermehrung  derselben 
durch  immer  steigende  eheliche  Fruchtbarkeit  betrachten;  auf  der 
anderen  Seite  erscheint  die  allmähliche  Abnahme  derselben  als  ßlerk- 
mai  irgend  eines  krankhaften  Zustande»  in  der  Morahtät  oder  ge- 
ftllschaftlichen  und  staatlichen  Ordnung. 

Auf  dergleichen  Missstfinde  deutet  beispielsweiae  die  stockende  Ent- 
wickelong  der  Population  in  Frankreich.  Während  fast  überall  in  Europa 
die  Fruchtbarkeit  der  Ehen  auf  mindestenä  4  Kinder  sich  berechnet,  ergeben 
sich  nach  den  älteren  Berechnungen  von  Wappäus  nur  3,3,  nach  den  neueren 
Zusammenstellungen  sogar  nur  2,9  Kinder  auf  die  Ehe.  Der  von  den  Fran- 
zosen selbst  in  neuerer  Zeit  oft  beklagte  Stillstand  in  der  Bevöikerung»- 
entwickelung  Frankreich»  rührt  nicht  davon  her,  dass  in  Frankreich 
zu  wenig  geheirathet  wird,  sondern  davon,  dass  die  Ehen  dort  weit  weniger 
fruchtbar  sind,  als  sonst  allenthalben  in  Europa.  Auch  spielt  hier  keine 
Eigenartigkeit  der  «lateinischen  Rasse*  eine  Rolle,  denn  in  Italien  kamen 
von  1868 — 75  sogar  4,71  Kinder  durchschnittlich  auf  die  Ehe.  Bertillon  lenkto 
vor  Allem  die  Aufmerksamkeit  seiner  Landsloute  auf  diesen  wunden  F1«Gk: 
und  der  französische  Ethnograph  Corre  äusserte:  ,La  race  frau^aise 
tend  chaque  jour  ä.  s'amoindrire  vis-ä-vis  des  autros  races,  dont  Taccroisse- 
ment  proportionnel  est  beaucoup  plus  considt^rable.  Mai»  faut-il  voir  en  ce 
fait  st  regrettable  le  resultat  d'une  influence  ethniquu,  la  preuve  d'une  d<J- 
g^n^ration  fatale  et  irr^mediable?  Nous  h^aitona  t'i  le  croire,  quand  noua 
voyons  au  Cauada  leg  famiOes  franpaises  avoir  communement  six  ou 
sept  enfanta;  nou»  sommes  plutöt  portes  &  attribuer  la  decroissance  de  notre 
Population  ä  un  6tat  de  moeurs  latentes,  contre  lesquelluH  il  semit  grand 
temps  que  les  legislateurs  rt^agissent,  s'ils  ne  renlcut  m^riter  plus  tard  le 
reproche  d'avoir  ete  les  compllces  inconsciente  de  ranniliÜation  de  la  patrie.* 

Man  beschuldigt  zumeist  das  in  Frankreich  herrschende  »Zwei- 
kindersystem' als  Hinderniss  grösserer  Fruchtbarkeit.  Allein  es 
mögen  hier  wohl  auch  noch  andere  Verlialtnis.se  mit  in  Frage 
kommen. 

Es  wirken  zur  grösseren  oder  geringeren  Fruchtbarkeit  eines 
Volkes  zahlreiche  sociale  Verhältnisse  zusammen.     Was  aber  io»» 


64.  Fruchtbarkeit  und  Unfruchtt 


423 


besondere  die  Verhältnisse  des  weiblicheji  Theiles  der  Bevölkerung 
anbetritft,  so  rauss  man  vor  Allem  das  Alter  der  in  die  Ehe  ge- 
tretenen Frauen  bei  der  ehelichen  Fruchtbarkeit  berücksichtigen. 
Man  liat  gefunden,  dass  die  Fruchtbarkeit  der  Ehen  ihren  höchsten 
Werth  erreicht,  wenn  die  Eltern  gleich  alt  sind  oder  wenn  der 
Mann  1 — G  Jahre  äU<;r  ist,  als  die  Frau.  Das  weibliche  Geschlecht 
aUern  zeigte  eine  Zunahme  der  Fruchtbarkeit  von  12  bis  zu  27  Jahren. 
Quetelet  fasste  die  bezüglich  des  Alters  auf  die  Geburtenhäufigkeit 
gefundenen  Resultate  in  Folgendem  zusammen:  Allzu  früh  ge- 
schlossene Ehen  fördern  die  Unl'ruchtbarkeit.  Vom  33.  Jahr  an  bei 
Männern,  vom  26.  bei  Frauen  fängt,  die  Fruchtbarkeit  an  geringer 
zu  werden.  Zu  dieser  Frist  erreicht  sie  den  Höhepunkt.  Unter 
sonst  gleichen  Umst^den  ist  sie  am  grössten,  wo  der  Mann 
mindestens  ebenso  alt,  oder  um  etwas  älter  ist,  als  die  Frau. 
Für  England  hatt«  schon  Sudler,  für  Oesterreich  Golilerl  nach- 
gewiesen, dass  rechtzeitige  Ehen  die  fnichtbarsteu  sind,  dass  aus 
vorzeitigen  Ehen  wenige  und  meist  schwächliche  Kinder  hervor- 
gehen, und  dass  die  Fruchtbarkeit  der  Ehe  um  .so  bedeutender  ge- 
mindert wird,  je  weiter  das  relative  Alter  der  Eltern  sich  von  den 
ang^ebenen  fruchtbarsten  Altersverhältnissen  entfernt.    {Wappäus.) 

Die  Verschiedenheit  im  Alter  der  Zeugenden  ist  allerdings  auch 
zum  Theil  von  der  frOlieren  oder  späteren  Pubertätsreife,  sowie  von 
klimatischen  Einflüssen  abhängig.  Man  weiss,  dass  in  den  südlichen 
Ländern  mit  romanischen  Bevölkerungen  die  Ehen  durchgängig 
früher  geschlossen  werden  können,  als  im  Norden,  theils  wegen  de« 
früheren  Eintrittes  der  physischen  und  socialen  Reife  bei  jenen 
Völkern,  theils  weil  dort  die  nothwendigsten  Bedürfnisse  zum 
Unterhalt  einer  Familie  für  die  grosse  Masse  des  Volkes  geringer 
und  leichter  zu  erwerben  sind,  als  im  Norden.  Hierzu  kommt,  dass 
im  Süden  Europas  das  Band  der  Ehe  fast  durchgängig  leichter 
geschlossen  wird,  als  bei  den  ruhigeren  und  besonneneren  Bewohnern 
des  germanischen  Europas.  So  sind  denn  hier  weit  weniger 
Rasse  und  Klima,  als  vielmehr  die  mit  historisch  gegebenen  Ver- 
hältnissen in  Zusammenhang  stehenden  Culturzustände,  sowie  die 
hiervon  wieder  abhängige,  die  SexualverhäUnisse  beherrschende 
Lebensweise  maassgebend. 

Daher  kommt  es,  dass  beispielsweise  Völkerschaften  im  Orient, 
die  unter  gleichen  klimatischen  Verhältni.ssen  leben,  grosse  Diffe- 
renzen in  der  Fruchtbarkeit  zeigen.  So  schrieb  mir  über  die  in 
Griechenland  lebenden  Völker  Damian  Georg  aus  Athen,  daas 
die  Jaden  daselbst  sehr  fruchtbar  sind,  die  Armenier  ebenfalls, 
die  Griechen  weniger,  die  Türken  noch  weniger;  im  Allgemeineo 
aber  sei  das  Volk  in  Griechenland  sehr  fnichtbar.  Dass  die  jü- 
dische Bevölkerung  überall  eine  gro.sse  Fruchtbarkeit  zeigt,  ist  aber 
gewiss  Folge  einer  dieser  Rasse  besonders  zukommenden  Eigenschaft. 

Die  Sud-Slrtvinnen  pflegen  sehr  fruchtbar  zusein.  Zwillinge 
und  auch  Drilling«?  gehören  nicht  zu  den  Seltenheiten.  {Krams?) 


424 


XIV.  Die  Fruchtbarkeit  des  Weibes. 


Eine  recht  interessante  Bemerkung  bezüglich  der  Fru< 
eines  nordischen  Volkes  machte  2>m   Chaillu: 

,£be  ich  Lappland  besuchte,  war  ich  in  dam  W&hne  befangen,  das? 
der  Einfluss  des  langandauernden  Tageelichts,  wie  umgekehrt  dann  wieder 
der  kurzen  dunklen  Tage  und  langen  Nichte  nothwendiger  Weise  eine  Ent- 
artung der  menschlichen  Rasse'  sur  Folge  haben  müsse;  aber  gerade  da* 
Gegentbeil  sollte  sich  finden:  je  weiter  ich  in  Schweden  wie  in  Norwegen 
nach  Norden  vordrang,  um  so  kräftiger  und  stärker  schien  mir  der  Menschen- 
Hchlag,  um  so  grösser  waren  die  Familien  und  um  so  höher  der  Procent- 
8Btz  der  Geburten  im  Verhältniss  zur  Zahl  der  Bevölkerung;  betrog  der- 
selbe doch  in  Tromsöe  34' lo  und  in  Finnmarken  gar  368;j(,  auf  1000  Per- 
sonen jährlich.  Es  ist  durchaus  nichts  Ungewöhnliches,  in  einer  Famili« 
und  von  einer  Frau  eine  Zahl  von  15 — 18  Kindern  zu  treuen  und  manchmal, 
obgleich  dies  seltener  vorkommt,  steigt  die  wohl  auch  auf  20 — 24  K^Jpfe. 
Allein  Anscheine  nach  zeigt  sich  die  Fisch-  und  Milchdiilt  der  Vermehrung 
der  menschlichen  Rasse  sehr  fürderlich.'  Ganz  im  Gegensatz  hiei-zu  sagte 
früher  Dahl:  ,üie  Lappländer  sind  bekanntlich  sehr  unfruchtbar,  so  daes 
eine  grosse  Kinderzahl  in  einer  Familie  eine  grosse  Seltenheit  ist."  Zahlen 
brachte  freilich  dieser  Autor  nicht  bei. 

Der  Einfluss  des  Ortes  und  des  Klimas  auf  die  Fruchtbarkeit 
darf  überhaupt  nicht  überschätzt  werden,  denn  die  Bevölkerungen 
von  Ländern  mit  gleichem  Klima  zeigen  ganz  diflerente  Geburten- 
ziffern. 

Diese  Ziffer  beträgt  nach  Queldet  filr:  Island  87,  England  35,  Kap 
der  guten  Hoffnung  83,7,  Frankreich  31,6,  Schweden  37,  Insel 
Bourbon  24,5,  Sicilien  24.  Preussen  23,3,  Venctien  22,  Vereinigte 
Staaten  20;  es  zeigt  sich  somit  keine  Beziehung  zwischen  diesen  Zahlen 
und  den  Breitegraden.  Wappnus  ilihrt  ferner  folgende  Geburtenziffern  an: 
Mexiko  17,  Venezuela  21,9,  Bolivische  Pro^nnzen  Moxos  und  Chi- 
quitoB  17,7,  Unter -Canada  24,2,  Ober-Canada  29,1,  Neu-Süd- 
Wales  28,6,  Martinique  bei  Weissen  39,1,  Martinique  bei  Farbigen  25,9» 
Bourbon  23,5.  Hier  zeigt  sich  beispielsweise  bei  Martinique,  wi««  gross 
an  einem  Orte  die  Unterschiede  zwischen  verschiedenen  Bevülkerungs- 
klassen  sind. 

Die  angelsächsische  Rasse,  die  sich  auf  amerikanischem 
Boden  zimi  Yankee-Typus  gestaltete,  zeigt  bedenkliche  Symptome; 
man  will  bemerkt  haben,  dass  ihre  Frauen  in  der  fünften  und 
sechsten  Generation  immer  blasser  und  blasser,  immer  zarter,  magerer 
und  zugleich  ätherischer,  daher  für  ihre  höchste  Aufgabe,  nämlich 
gesunde  Kinder  zu  zeugen  imd  selbst  zu  ernähren,  immer  weniger 
befähigt  werden.  In  der  That  sinkt,  wie  das  Bureau  of  Education 
in  seiner  Schrift  über  Vital  Statistics  of  America  nachwies, 
die  Rate  der  Geburten  in  Amerika  von  Jahr  zu  Jahr;  dieser  Rück- 
gang findet  sich  in  allen  Staaten  stetig  nnd  allgemein:  in  Arkansas, 
Alabama,  Massachusetts,  Connecticut,  Michigan,  Indiana, 
Pennsylvania  und  New  «York.  Allerdings  sind  die  Ueberschtt8«e 
der  Geburten  stärker  bei  den  Einwanderern,  immerhin  aber  geringer, 
als  in  irgend  einem  Lande  Europas,  Frankreich  in  seinen 
trUbst«n   Zeiten   nicht   ausgenommen.     Die  Abneigung   der   Frauen 


4 


I 


C4.  Fruchtbarkeit  und  Unfruchtbarkeit. 


425 


iTi  Amerika  gegen  die  Mühen  der  Kindererziehung  hat  nicht  ge- 
ringen Äntheil  an  dieser  Erscheinung. 

Eine  ganz  erhebliche  Abnahme  der  Fruchtbarkeit  wird  auch 
von  verschiedenen  Autoren  bei  europäischen  Faniüien  behauptet, 
welche  dauernd  in  die  Tropen  übergesiedelt  sind.  »Die  Fruchtbar- 
keit der  Frau,  sagte  VirdiOio*  in  seinem  Vortrage  Über  die  Accliraati- 
sation,  geht  erfalirungsgemäss  in  den  Tropen  allmählich,  aber  doch 
sehr  sclmell»  in  wenigen  Generationen  zu  Grunde."  Und  selbst  von 
Cuba,  das  ixiuuer  als  das  Muster  eines  ttlr  die  Acclimatisation  der 
Europäer  geeigneten  Tropenlandes  hingestellt  worden  ist,  bestätigt 
Jiamon  de  la  Saffra,  «was  für  andere  Antillen,  namentlich  für  die 
französischen,  schon  seit  längerer  Zeit  als  ausgemachter  Lehrsatz 
giltv,  dass  eine  weisse  Familie,  eine  Creolenfamilie,  die  im  Lande 
ansässig  ist  und  nicht  durch  neues  europäisches  Blut  wieder  auf- 
gefrischt wird,  sich  überhaupt  über  die  dritte  Generation  hinaus 
nicht  mehr  als  fruchtbar  erweist." 

Es  ist  femer  zu  berücksichtigen,  dass  Überall  bei  den  Völkern 
Europas  die  zeitlichen  Schwankungen  in  der  ehelichen  Frucht- 
barkeit besonders  von  den  Preisen  der  wichtigsten  Nahrungs- 
mittel beherrscht  werden,  wie  viele  Statistiker  nachgewiesen  haben. 
Ueberhaupt  üben  günstige  Lebensverhältnisse  wohl  bei  jeder  Be- 
völkerung den  grössten  Einlluss  auf  Erzeugung  der  Kachkommen- 
schaft aus.  Dass  aber  zahlreiche  Momente,  wie  Ueberlastung 
des  weiblichen  Geschlechts  und  hierdurch  bedingte  Häufigkeit 
des  Abortus,  allzu  frühes  Heirathen,  die  Verbreitung  gewisser  Krank- 
heiten, entnervende  Gewohnheiten  des  männlichen  Geschlechts  u.  s.  w. 
der  Erzeugung  von  Kindern  hinderlich  sind,  wird  wohl  auch  bei 
manchen  Völkern  als  Grund  der  relativ  geringen  Fruchtbarkeit  auf- 
zufassen sein. 

Weiterhin  mag  eine  besonders  bei  vielen  wilden  Völkern  hei- 
mische Gewohnheit  die  Fruchtbarkeit  sehr  beschränken:  das  sehr 
lange,  oft  mehrere  Jahre  dauernde  Säugen  der  Kinder.  Denn 
schon  an  sich  ist  es  physiologisch,  dass  für  gewöhnlich,  aber  nicht 
immer,  die  stillenden  Frauen  nicht  concipiren ;  ausserdem  aber  ver- 
bietet bei  \'ielen  Völkern  die  Sitte,  bei  anderen  die  religiöse  Vor- 
schrift den  sexuellen  Umgang  während  der  ganzen  Säugungs-Periode ; 
in  Folge  dessen  wird  auch  die  —  schon  an  sich  physiologisch  ge- 
ringe —  Möglichkeit  der  Empfangniss  während  des  Stillens  aus- 
geschlossen. Dass  viele,  namentlich  auch  wilde  Völker  das  Stillen 
der  Kinder  axisdrücklich  deshalb  jahrelang  fortsetzen,  um  nicht  so 
bald  wieder  schwanger  zu  werden,  haben  wir  anderwärts  [Ploss) 
dargethan. 

Schliesslich  mag  jedoch  auch  die  angebliche  Unfruchtbarkeit 
eine  nur  scheinbare  sein.  Denn  bei  manchen  Völkern  ist  lediglich 
da.-*  oft  vorkommende  sofortige  T(>dten  der  Neugeborenen  und  die 
Fruchtubtreibung  die  alleinige  Ursache,  dass  man  nur  wenig  Kinder 
auf  die  Ehe  zählt. 


XIV.  Die  Fruch« 

Die  Annahme,  dass  die  Mischlinge  aus  vei-schiedeneu  Ra&seu 
meist  wenig  fruchtbar  seien,  ist  falsch ;  wenigstens  hat  sie  durch- 
aus keine  allgemeine  Gültigkeit.  So  lebt  in  Südamerika,  na- 
mentlich in  Brasilien,  eine  sehr  zahlreiche  Bastardbevölkening 
von  Negern  imd  Portugiesen,  in  Chile  eine  solche  aus  In- 
dianern und  Spaniern,  in  anderen  Theilen  dieses  Continent» 
kommen  die  complicirtesten  Kreuzungen  zwischen  Indianern, 
Negern  und  Weissen  vor,  doch  gerade  diese  dreifachen  Kreuzungen 
bieten  die  schärfste  Probe  fl\r  die  wechselseitige  Fruchtbarkeit  der 
verschiedensten  Stämme  dar.  Die  gemischte  Rasse  in  Paraguay 
übertrifft  sogar  in  der  Fruchtbarkeit  die  beiden  Rassen,  aus  denen 
sie  hervorgegangen.  Insbesondere  vermehren  sich  die  in  den  euro- 
päischen Colonien,  sowie  in  den  Staaten  Südamerikas  verbreite- 
ten Mulatten,  die  Nachkömmlinge  von  Weissen  und  Negern. 
he  Vaillaud  sagt:  „Die  Hottentotten  erhalten,  wenn  sie  sich 
unter  sich  verheirathen,  3  oder  4  Kinder,  wenn  sie  sich  mit  Negern 
verbinden,  verdreifachen  sie  diese  Zahl  und  erhöhen  sie  noch  mehr, 
•«renn  sie  sich  mit  den  Weissen  vermischen." 

Als  Hinderniss  der  Conception  betrachtet  man  seit  ältester  Zeit 
Fettleibigkeit;  deshalbg  alten  den  Griechen  die  skytischen  Frauen 
als  unfruchtbar.  (Haeser.) 

Bei  den  Kaders  in  den  Auamally-Bergen  (Indien)  gilt  es 
als  gutes  Zeichen,  wenn  das  erste  Kind  ein  Mädchen  ist ;  man  glaubt 
dann  auf  viele  Kinder  rechnen  zu  können;  später  werden  Knaben 
vorgezogen.  [Jagor.^) 

Sehen  wir  uns  nun  unter  den  verschiedeneu  Völkern  des  Erd- 
balls bezüglich  der  weiblichen  Fruchtbarkeit  um,  so  müssen  vrir 
schon  im  Voraus  gestehen,  dass  dasjenige,  was  wir  hierüber  That- 
sächliches  gefunden  haben,  noch  in  vieler  Hinsicht  des  zahlen- 
gemässen  Beleges  entbehrt,  dass  aber  auch  zweitens  die  vielleicht 
sicheren,  statistisch  gefundenen  Zahlen  deshalb  noch  wenig  für  die 
Beurtheüung  der  Ursachen  der  Fruchtbarkeitsverhältnisse  zu  ver- 
werthen  sind,  weil  zumeist  die  Beobachter  imterlassen  haben,  ihre 
Aufinerksamkeit  auf  die  von  uns  oben  angedeuteten  einflussreichen 
Bedingungen  zu  richten.  Schon  aus  diesem  Grunde  lässt  sich  un- 
sere, wenn  auch  lückenhafte,  Darstelhmg  rechtfertigen:  denn  die- 
selbe hat  den  Zweck,  die  Augen  Derer,  die  zu  solchen  bevölke- 
rungswissenschaftlichen Studien  schreiten,  mehr  imd  mehr  auf  die 
vorhandenen  Lücken  bezüglich  unserer  Bekanutscliatt  mit  den  ein- 
wirkenden Zuständen  hinzulenken. 


Asiatische  Völker. 

Unter  deu  trau« kaukasischen  Völkern,  inshoMOiulere  den  Gruaierb 
and  gm  Bischen  Armeniern,  gehören  kindem;icho  Faiuilien  ku  den  Selten» 
heiteo:  nicht  mit  Unrecht  wird,  wie  gesagt,  die  Ursache  dieser  Encheiuuug 
in  dem  zu  frUhen  AbschlaHsu  der  Ehen  gesucht.  (Koch.)  Die  Eheu  der 
Cbewguren    sind   kinderarm.    Es  werden   selten   mehr  ab   drei  Kinder  ia 


427 


lilJe  gefunden.  Diese  Kinderarrauth  ist  eine  absicbtlicbe.  Zu- 
Iit  ea  Bi-auch.  die  Ehe  bis  7.um  20.  Jahre  des  Mädchena  zu  verzögern. 
Bei  den  verheiratheten  Chewsuren  gilt  es  als  grosse  Schande,  wenn  dem 
jungen  Paare  vor  Ablauf  der  ersten  vier  Jahre  ein  Kind  geboren  wird.  Auch 
später  darf  erst  im  Verlaufe  von  abermals  drei  Jahren  eine  Geburt  statt- 
finden. Die  Leute  meinen,  dass  b^i  der  rascheren  Aufeinanderfolge  der 
Kinder  das  jüngere  dem  Ultercu  die  nöthige  Pflege  rauben  würde.  (Radde.) 
Die  Bed  uinen- Weiber  sind  •a&ch  Layard  wenig  fruchtbar;  er  glaubt, 
dass  das  2 — 3  Jahre    lange  Stillen  dazu  beitrügt.     In    Persien    empfangen 

Inach  Poilak  Frauen,  welche  für  ihre  Kinder  Ammen  halten,  rasch  nach 
einander  und  gebären  fast  jedps  Jahr,  während  in  den  ärmeren  Klassen, 
wo  das  Kind  bis  zum  dritten  Jahre  von  der  Mutter  gesäugt  wird,  Em- 
pfängniss  und  Geburten  sich  langsamer  folgen.  Doch  geschieht  es  auch, 
du«H  Frauen  während  und  trotz  der  Lactation  im  zweiten  Jahre  wieder 
uienstvuiren  und  empfangen.  Durchschnittlich  gebären  die  Perserinnen 
6 — 8  mal.  Die  unfruchtbare  Frau  wird  in  Persien  vom  Manne  fast 
immer  Verstössen.  Ueber  die  in  der  persischen  Provinz  Gilan  am 
K  aspischen  Meere  wohnenden  Volkastämme  schrieb  mir  Häntzsche, 
^-  dass  als  die  Ursache  der  dort  vorkommenden  Unfruchtbarkeit  anzuklagen 
H  sind:  Frühe  Heirathen,  Mis8verhältni8.<<  des  Alters  zwischen  den  Eheleuten! 
H  Hysterie,  Menstruationsanomalien  und  andere  krankhafte  Zustände  des  Uterin- 
H  8yst#mfl,  grossentheils  wohl  erzeugt  durch  das  widernatürliche  Gebären. 

Die  S  arten  in  Taschkent  und  Chok an  sind  sehr  fruchtbar;  es  findet 
sich  nicht  selten,  dass  eine  Familie  15  lebende  Kinder  aufweist.  Besitzt  der 
Sarte  aber  mehrere  Frauen,  so  begegnet  man  in  seiner  Familie  wohl  mehr 
als  30  Seelen.  (Rusaische  Revue.) 

Von  den  Völkern  im  Kussenten  Nordosten  Asiens  wissen  wir  im 
Ganxen  nur  Weniges:  Die  Vuit  nennt  Dali  nicht  fruchtbar.    Dip  Tschuk- 

■  tschen  scheinen  kinderreicher  zu  sein.  Hooper  wenigstens  rechnete  bei 
ihnen  6 — 6  Kinder  auf  jedes  Weib.  Auch  in  den  Tschuktschen-Dörfem 
am  Eismeer  giebt  es  nach  den  Berichten  der  Vega-Expedition  „Kinder  in 

I  Menge."  fGerland.) 
Die  sibirische  Bevölkerung  zeigt  bedeutende  Ditferenzen  bezüglich 
der  Fruchtbarkeit.  In  einem  Berichte  (Jenissei)  wird  erwähnt,  dass  daselbst 
die  Fruchtbarkeit  der  Frauen  abnimmt,  je  höher  nach  Norden  zu  das  Volk 
wohnt.  So  sind  die  Eheu  im  Turuchan'schen  Gebiete  auffallend  weniger 
ergiebig,  als  z.  B.  im  südlichen  und  östlichen  Sibirien.  Wenn  die  Russin 
im  südlicheren  Sibirien,  aber  auch  noch  unter  dem  50—57."  n.  B.,  bis  24 
Kinder  gebären  kann,  so  bringt  ea  ihre  Landsmännin  nahe  am  Polarkreis 
etwa  anf  10.  12,  selten  15,  in  der  Gegend  von  Worogof  selten  bis  19 
Kinder;  die  Ostjakin  höchstens  bis  8  oder  9,  die  Tungusin  im  Maximum 
aufs — 10.  Die  letzteren  (Tungusinnen  und  Ostjakinnen)  gebären  über- ' 
haupt  nur  bis  zn  30 — 35  Jahren,  nie  mehr  im  40.  Jahre.  Die  besten  und 
jQngdten  Jahre  in  den  Ehen,  gewöhnlich  anderwärts  durch  grössere  Fruchtbar- 

kkcit  ausgezeichnet,  sind  bei  den  Familien  der  Eingewanderten  in  Turuchan 
durch  Kargheil  der  Geburten  bemerkbar.  Die  Ostjaken  sind  nicht  sehr 
fruchtbar,  selten  triflft  man  Familien  mit  3  oder  4  Kindern ;  der  Hauptgrund 
des  Kindermingela  scheint  jedoch  in  der  grossen  Kindersterblichkeit  su 
liegen.  (Alesaindrow.) 

Die  Samojeden  nehmen  bekanntlich  an  Zahl  ab,  da  ihre  Ehen  sehr 
unfruchtbar  sind,  unter  den  von  Sograf  untersuchten  Individuen  befanden 
«ich  18  verheiratbete    Männer   und    10   verheirathote   Frauen;    auf  diese  28 


XIV.  Die 


des  Weihet. 


Peraonea  kamen  im  Ganzen  nnr  25  lebend«  Kinder,  g«win  eise  sehr  kleine 
Zahl.  3üt  den  verstorbenen  Kindern  betxug  die  Anzahl  47,  welche  sich  atiC 
19  Eben  rertheilt,  daranter  waren  6  Ehen  kinderlos.  Diese  geringe  Kinc 
zahl  iit  wohl  zu  einem  Theil  anf  die  entsetzliche  Schwächang  des  KArpc 
durch  Branntweingenass  zd  tchieben;  andererseits  acheint  das  abernus  fr 
Heirathen  einen  schlechten  Einfluse  tn  üben.  Knaben  von  1(>^17  Jahren 
werden  mit  Mädchen  von  13 — 14  Jahren  verheirathet.  Aach  die  Tan  gasen 
(tlnd  nicht  sehr  firuchtbar;  die  wenigsten  Eltern  sollen  bei  ihnen  mtbr  als 
4  Kinder  zeagen.  [Georffi.) 

Die  Chinesen  sind  nach  Scherztr  ebenfalls  wenig  frachtbar,  da  die 
Familie  (d.  h.  dar  Mann  mit  in  der  Regel  2 — 6  Frauen)  darchächnlttlich 
nicht  mehr  als  4  Kinder  bat.  Allein  Scherier  scheint  die  Ursache  nicht 
dem  langdaaerden  Säugen  zd  finden,  denn  er  setzt  noch  hinzu:  „Viele  Praoea' 
werden  hftofig  nach  einigen  Jahren  wieder  schwanger,  selbst  wenn  sie  noch 
sftagen."  Auf  andere  Weise  werden  von  den  chinesischen  Aerzten  als  Ur- 
sachen der  Unfruchtbarkeit  aufgeführt:  1.  beim  Manne  Excessein  der  Liebe, 
der  Gebrauch  des  die  Fettbildung  übermässig  ftirdemden  Arseniks  und  der 
Gebrauch  de«  die  Geschlechtefanctionen  zerstörenden  Quecksilbers,  endlich 
auch  die  Ausübung  des  ,Cong-foa*  (d.  i.  einer  Manipulation,  um  die  Em- 
pfindung durch  Anspannung  der  Aufmerksamkeit  herabznsetzen ,  ähnlich 
dem  Kypnotismua  oder  thierischen  Magnetismus);  2.  beim  Weibe  ebenfalU 
Liebes-Exce^se,  Fettbüdung  (welche  das  Eindringen  des  Sperma  in  die  Ge- 
nitalien hindern  soll)  und  verschiedene  Krankheiten,  wie  LeucorrhOe,  Men- 
struaLfehler,  Prolapsus  etc.  Ausserdem  zählen  die  chinesischen  Aerzte  nodi 
zahlreiche  Ursachen  der  Sterilität  auf,  wie  ausserordentliche  Magerkeit,  äber- 
mässige  Gallenabsonderung  etc.  (Hureau.) 

Obwohl  Kindersegen  in  Japan  als  besondere  Gunst  des  Himmel«  an- 
gesehen wird,  sind  doch  die  meisten  Familien  nach  einigen  Angaben  weniff 
zahlreich  und  bilden  3  Kinder  wohl  den  Durchschnitt.  Dagegen  bezeugt 
Wemich,  dass  die  Japanerinnen  im  Allgemeinen  sehr  fruchtbar  sind;  der 
um  die  Häuser  sich  tummelnde  Kindersegen  würde,  wie  er  sagt,  noch  be- 
deutender sein,  wenn  nicht  eine  Beschränkung  durch  das  lange  Säugen  un.d 
durch  Abortus  stattfände.  Obgleich  in  Japan  wie  in  China  die  jungen 
Mädchen  sich  vor  der  Verheirathung  ziemlich  frei  pro.<4tituiren  dürfen,  so 
ist  doch  dies  dem  Wachsthum  der  Bevölkerungszahl  nicht  hinderlich.  (!>> 
tottrneau.) 

Ueber  die  Fruchtbarkeit  der  Annamiten-Frauen  Cochincbinas  bat 
Mondiire  Stadien  gemacht.  Die  Menstruation  tritt  bei  ihnen  durchschnitt- 
lich spät  (16  Jahre  und  4  Mon.)  ein-,    nur  4  Piocent   der    Frauen    trat    vor 

^sem  Zeitpunkt  in  die  Ehe,  die  grOsste  Mehrzahl  (941    Individuen)  waren 
sr  als  17  Jahre  bei  ihrer  Vereinigung  mit  dem  Manne.     Von  die8en  aber, 

ie  bei  geschlechtlichem  Umgänge  Gelegenheit  gehabt  hätten,  zu  gebären, 
hatte  noch  nicht  die  Hälfte  (440)  ein  oder  mehrere  Kinder  geboren.  Daa 
mittlere  Alter,  in  welchem  bei  diesen  die  erst«  Geburl  DtattiuDd,  war  20','9 
Jahr.  Die  erste  Geburt  fällt  also  ziemlich  spät;  und  während  86  Procent 
Hchon  vor  Eintritt  der  Regeln  den  Coitus  üben,  sind  95  Procent  menstruirt 
vier  Jahre,  bevor  sie  ihr  erstes  Kind  bekommen.  Mondiire  fand,  das»  1)9 
iVftuen,  die  im  gebärfUhigen  AltiT  standen.  ä4ö  Kinder  hatten.  Da  Ja« 
junge  Mädchen  hier  zumeist  erst  im  Alter  von  19  bis  20  Jahren  in  die  Eh« 
tritt,  wo  sie  am  geignetsten  ist  zur  Zeugung,  BO  begünstigt  die  bi»  dahin 
den  Sexnalorganen  gewährte  Ruhe  die  Empfängnis«,  und  so  werden  «io  auch 
in  dieser  Altersepoche  zumeist  äcbwun^^er. 


64.  Fruchtbarkeit  und  Tfafrncbtbarkeit. 

Die  Weiber  der  Nay er- Kaste  in  Indien  bleiben  bi«   tum  40.,   auch 
jis  zum  45.  Jahr  fruchtbar;    Mütter  mit  10  Kindt^m  uind  nicht  sehr  selten. 
lEine  Frau  in  Calicut  soll  16,  eine  andere  sogar  20  Kinder  geboren  haLeii. 
(JagoT.) 

Amerikanische  Volker. 

Bei  den  Aleuten  im  Nordwesten  AmerikaK  i^t  eine  Familie  selten 
mit  mehr  als  2 — 3  Kindern  gesegnet,  wogegen  die  Verhältnisse  der  betaer 
lebenden  Bussen  mit  den  eingeborenen  Weibern  Iruchtbarer  sind.  {liitter.) 
In  Alaska  ßndet  man  in  den  Ehen  der  Eingeborenen  gewöhnlich  nur 
1—3  Kinder;  die  höchste  Zahl,  welche  Dali  gefunden,  betrug  6,  auffallend 
viele  Ehen  sind  ganz  kinderlos. 

Die  Fruchtbarkeit  der  Eskimo -Weiber  ist  nach  jAindebrrg  sehr  be- 
deutend, indem  21  Frauen  im  Durchschnitt  6  Kinder  hatten ;  unter  66  Frauen 
[^aren  nur  2,  die  keine  Kinder  hatten.  (Roherton.)  Dagegen  berichtet  Äbbcs, 
daas  die  Ehen  der  Eskimos  des  Cuuiberland-Sundea  sich  keines  grossen 
jj  Kindersegen-s  erfreuen;  selten  trifft  man  mehr  als  /wet  Kinder;  die  UrHacbi« 
vermuthet  er  darin,  duas  der  Mangel  au  passendem  Ersatz  für  die  Mutter- 
milch die  Frauen  zwingt,  ihre  Kinder  möglichst  lange  an  der  Brust  zu  halten, 
sodann  ist  auch  die  Sterblichkeit  unter  den  Kindern  naturgemäss  ungemein 
gross.     Kinderlose  adoptiren  oft  ein  Kind. 

Die  nordanierikanischen  Indianer  scheinen  weniger  fruchtbar  zu 

|«ein,  als  die  Weissen.  Ueckeicelder  sah  in  indianischen  Familien,  die  eho- 
snald  in  Pennsylvanien  lebten,  selten  mehr  als  4—5  Kinder.  Auch  Lt  Beau 
berichtet,  daas  die  Frauen  der  Indianer  in  Canada  minder  fruchtbar 
Bind,  als  die  Weissen.  Der  englische  Reisende  W«ld,  welcher  ebenfalls 
die  Weiber  der  canadischen  Indianer,  wie  die  der  Ureinwohner  Nord- 
amerikas überhaupt,  für  minder  fruchtbar,  als  die  der  Weissen  hült,  meint 
wohl  nicht  mit  Unrecht,  dass  deren  Preisgebung  im  juirten  Alter  und  das 
lange  Säugen  der  Kinder,  während  dessen  sie  keinen  Verkehr  mit  den  M&n- 
nem  unterhalten,  die  Ursache  der  geringen  Fruchtbarkeit  ist.  Gänzliche  Un- 
fruchtbarkeit soll  Übrigens  bei  den  RothhB.uten  selten  sein,  hüuiig  dagegen 
künstliche  Fehlgeburten  bei  Verbeiratheten  und  Unverheiratbeten,  denn  meist 
werden  nicht  mehr  als  3  —  4  Kinder  aufgewogen.  (Waitz.)  Aehnlich  lauten 
die  Berichte  ans  dem  tropischen  Amerika.  Die  Frauen  in  Jalapa  (Mexiko) 
sind  in  der  Kegßl  fruchtbar,  und  Beispiele  von  Sterilität  findet  man  selten; 
allein  häufig  vermeiden  sie  e»,  Mütter  zu  werden,  indem  sie  sich  freiwillig 
eine  strenge  Enthaltsamkeit  auferlegen,  um  nicht  die  b&ualichen  Sorgen  zu 
vermehren.   (Annahs.) 

Die  Fruchtbarkeit  der  Frauen  in  Nicaragua  ist  sehr  gross.  Selbst 
eingewanderte  Frauen  scheinen  hier  fruchtbarer  zu  werden,  wenn  Bernhard 
Recht  hat,  welcher  sagt,  dai^s  es  nichts  Seltenes  sei,  Frauen  zu  finden,  die 
15 — 20  Kinder  geboren  haben;  eine  Frau  in  Massya,  die  in  der  ersten  Ehe 
kein  Kind  hatte,  gebar  in  der  zweiten  Ehe  27  Kinder. 

In  den  Städten  im  Inneren  der  Insel  Cuba,  in  Trinidad,  Santo-Espi- 
ritu  und  Villa  Clara  sind  nach  Ramon  de  la  üagra  {M(i;/er-Ahrens^)  die 
Ehen  ausserordentlich  fruchtbar;  viele  derselben  zählen  12  Kinder,  manche 
sogar  20—25  oder  26  Kinder.  In  Trinidad  (im  Jahre  1858  mit  14,463  Einw.) 
waren  I  Ehe  mit  24  Kindern  gesegnet,  2  Ehen  mit  21,  1  Ehe  mit  18,  1  mit 
16  Kindern,  2  Ehen  mit  15  Kindern,  10  Ehen  mit  13  Kindern,  also  260  Kin- 
der aus  17  Ehen.  Im  Jahre  1853  zäUte  man  zu  Trinidad  123  Familien 
von  Weissen,  welche  8 — 10  lebende  Kinder  hatten.    In  Villa  Clara  gab  es 


64.  Frncbtbarlfcit  mid  ünfrnchtbarkpit. 


431 


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HtafrLkas,"    sagt    Hildebrandt,    ,tiiiid    aU    MtHchHn^   sehr    beterog<>n>>r 

uäsen  durch  maucherlei  Uii8itt«ii  und  Krankheiten,  welche  gescblechtUcben 

;nd  klimatischen  Ursprungs  sind,  weniger  kinderreich.* 

Die  Waxwaheli  im  Inneren  Ostafrikas  haben  wenig  Kinder:  1.  wegen 

.ex  schrecklichen  UnsittUcbkeit,  die  unt«r  ihnen  herrscht,  2.  wegen  des  Ge- 
:ha  von  Arzneimitteln,  um  Feblgeburt«n  kq  erzielen,  da  ihnen  Kinder 
bnlich  als  eine  Last  erscheinen.  {Thom»on.) 

Von  den  Neger-Franen  giebt  IVwnffr-Btfy  an,  dass  ihnen  llber»chwiuig- 
liche  Fruchtbarkeit  nicht  eigen  sei,  doch  gäbe  es  solche  .  die  bi»  10  Kinder 

oberen;  sie  abortiren  sehr  h3,Qfig. 

Im  Allgemeinen  ist  bei  den  Negern  der  Westküste  die  Fruchtbarkeit 
nicht  gering;  bei  den  Wol offen  sogar  nach  de  Jlochebrune  sehr  gross. 
Wenn  es  in  einem  Berichte  heisst:  „Die  Negerin  des  Ewe-Crebietes  ist 
selten  mit  mehr  al»  6  Kindern  gesegnet."  so  meinen  wir.  dass  ein  solcher 
Segen  doch  schon  recht  ansehnlich  iat.  Bei  den  Fulbe-  oder  Fullo -Frauen  ist 
der  Ejnderreichthum  dagegen  viel  geringer,  denn  man  fand,  dass  ein«  Pullo- 
Frau  selten  mehr  als  3 — 4  Kinder  hatte ,  während  in  den  Familien  anderer 
Negerstilmme  selten  unter  6 — 8.  oft  aber  10 — 12  Kinder  auf  eine  Mutter 
kommen.  Eine  noch  geringere  Fruchtbarkeit  zeigen  die  L o an go- Nege- 
rinnen ,  da  durchschnittlich  bei  ihnen  ein  Weib  nur  2  oder  3  Kindern  das 
Lel>en  schenkt.  Pechtul-Lotsdie  kann  die  Ursache  dieser  geringen  Frucht- 
barkeit nicht  bestimmt  angeben,  und  er  sagt:  ^Sollte  neben  allgemeiner 
unsicherer  ErntLhrung  nicht  auch  willkürliche  Verlängeruug  der  Lactations- 
Periode  von  Kintluss  sein?"  Wir  können  von  ärztlicher  Seite  eine  solche 
Wirkung  übermässiger  Ausdehnung  des  Öäugens  nicht  in  Abrede  stellen. 
Von  den  Egba-Negern,  welche  in  Yorubii,  zwischen  dem  Golf  von  Benin 
und  dem  Niger-Fluss  wohnen,  sagt  Burton,  dass  bei  ihnen  die  Ehen  s«>lten 
fruchtbar  sind  in  Folge  des  verlängerten  Stillens.  Und  von  den  Bewohnern 
der  Sierra-Leono-KUste,  den  Bullamer,  Susu  eta  sagt  Winterbottom, 
welcher  Arzt  der  britischen  Colonie  zu  Freetown  war,  dass  ausser  der 
Polygamie  ein  anderes  Uinderniss,  weshalb  die  Bevölkerung  nicht  zunehmen 
kann,  darin  besteht,  dass  die   Mütter    ihren  Kindern    zu    lange    die   Brust 

eichen:  ,denn  während  dieser  Zeit,  welche  gemeiniglich  zwei  Jahre  oder 
wenigstens  so  lange  dauert,  bis  das  Kind  im  Stande  ist,  seiner  Mutter  eine 
KiirbisSasche  voll  Wasser  zu  -bringen,  leben  sie  von  ihren  Männern  abge- 
sondert. Es  ist  eben  nichts  Ungewöhnliches,  dass  eine  Frau,  die  ein  stillen- 
des Kind  hat,  ihrem  Manne  eine  andere  Frau  ver»chaf)t,  die  so  lange  ihre 
Stolle  vertritt,  bis  das  Kind  entwöhnt  ist.  Weiber,  die  mehr  als  3 — i 
Kinder  zur  Welt  bnngen,  sind  in  Afrika  selten."  Dies  rührt  jedoch  keines- 
wegs davon  her,  dass  sie  frühzeitig  zu  gebären  aufhören,  vielmehr  kannte 
Winterbottom  Frauen,  die  35 — 40  Jahre  alt  waren  und  gleichwohl  noch 
Kinder  gebaren.  Er  macht  noch  auf  eine  andere  Ursache  der  Unfruchtbar- 
keit an  der  Sierra-Leone-Küste  aufmerksam:  So  lange  eine  Frau  um 
eine  verstorbene  Freundin  oder  eine  Verwandte  trauert,  lebt  sie  vom  Manne 
abgesondert.  Schon  Mungo-Park  glaubte  die  Unfruchtbarkeit  der  Nege- 
rinnen so  zu  erklären:  „Da  die  Mandingo- Negerinnen  lange,  nicht 
selten  auch  3  Jahre  lang  säugen,  und  da  während  dieser  ganzen  Zeit  der 
Mann  seine  Gunst  den  anderen  Frauen  zuwendet,  so  kommt  es,  dass  eine 
Frau  selten  eine  zahlreiche  FamUie  hat;  wenige  haben  mehr  als  5  oder  6 
Kinder."  Dagegen  führt  c/e  i^oc?t€^run«  für  die  von  ihm  beobachteten  Neger 
noch  die  Häufigkoit  des  natürlichen  Abortus  als  Grund  an.  Die  Ursachen, 
welche  denselben  bei  den  Woloffen  so  oft  herbeiführen,  hängen  eng  mit 


irr  Lcl^aFWriä«  d-er  Wrfc-jr  r:M=-.=c:  is  irei  'rilatli-räw.  »^«»•f.Iflffn  rt At 
iü  «nii-sd-».  sTCsJy'.irge  Zer5t-:'»«a  irr  Eiri«  tt-icAr:  ao5  d«r  aadem 
S^itc  i~<r  =i»:r,^s  •»  Ni<cK  lisx  F^stliccxätac  =:i£.  vo^ei  sie  sswr 
Mijci  i=^«aeEd*  -:-;-*c>;=.*  Tlzza  xztfzt:^—  ü-r  =i:  B-:iA»Bes  d*r  Backen- 
Zft5«r=.-i  Tarier  i*-  sri  «^  S-iiw-Jij^ris:  j»»i»  ^reälizsic^  sisd.  Weg«a 
ies  giaiissa  Fnci:  t  iri-ri-  -.=:  1-2  Tit.:  riilrs.  A  f  r :  k  i .  irs':«;*;  edee  ia  L  o  m  b  z  o . 
LH-  W"ji«eii:.>i  £«■«  ii-j  Prljgxri*  d:r5  fzr  ^extri.  ;i  mI':^  bei  d« 
PolTzi^ir  bii  =4=  irr:,  wi-»  *r  «ir:.  ■■■»rijrr  Kiri'Sr  il«  Yrtasa.. 

Di*  War-.»  irr  G-irei-Xerer   i=  3:«*ir: -Ar;hir«äi    äd  aasser- 

Di*  H Mterivt^istia  iici  ii:i:  Äjrr;^f  *.»£;  •■■aaij  fraecsbAr:  « 
c«i:«c.  w^-i  ■!?  üri-sbt.  i^  ies,  Ei-js.  der  Eitte-tirtsz  irrrducfcsitxliek 
Ei<:z?  necr  ü  3  Ai^iTr  b.rrrcr.  Anierf  s-:!'.  «  *kh  v*rralx«z,.  «lesa  Ver- 
gjäjh^r.g  *i;:«r  Ec-sirstott::.  =it  «iü=:  E::r:Tlrr  sSARzedes:  daui  sei 
d:e  rrsizüiric-i:-:  i*r  W*r:.ir  ■■■«  rrTsi^r-  !•:*  Kiffers,  bsc^  ir>>tx 
drr  T-;*l^-  Fnc-a:.  w^riz  Ki=.i-»r.  HÄi-itif.  I'vz>e-jei  nl?«r  «üe  Fras«. 
d*r  iz*— i  ' ziz-  ;~zr:  i^Bj«*:-: rt«»c.-»E.  E=*«:-:r«=-rr  l-?rc«ziri*:hen  I=5«l]i. 
der  G^i=.;i:TZ..  iL«  «Ir  ^:bi':ir    -:.  Jf iiMr-:«"i" . 

Anssralie;  Tisd  Oeeaaier. 

I'ir  Wc;:.ir  irr  ^'~j^':-:rT--*z  i=  Ni-i:!'. iri  j<ic«ir«rz.  «är  Ti»I* 
üi.i*r;  'rrt,  zlzLzi  Iri  El^lz:  v:-  41  TriZA-.  ■sin-elr*  If^TSör  L&nesi  V: 
ZZ.-.S  '—2  'T'-i-.zniz.  TiTü  Ä  yi.i:ii-.  1??  £ri:.f=.  I'ATis^a.  ii=,i  dir 
xziZzj.'.isi'-iz.'^-i'^'.'iT  l-iz  C-:'.:zii  Vi:;;r:A  cizi:    ":-is-:r:-ier*  t::ctso4r: 

T:n  vu».£rai=.'i:lTS  i=i  ?  rrtlü  i-Bi--r'ii':ri:- r?:.:r>ez.  •.y^'-^if»  i#r.  •  Pie 
Zaü  irr  5iri-»T  rir:~  EJi-*riiAr*  z-ii  ii-   :-:--.rili-»:ri'.:r  :"-•*-   S:h.Trir- 

Di-T  Xiiri*  izf  Xe-*TTl»- i  i=i  iijrwr  ^ir  :irfr:;i.*.';*r  ^s-i  d*a 
Aziätrr^.er  r  ■  - -.  JV»:;-«.  T:r  i»^:  l»."i  rji^i  S.-*-;'.-?'-*  A=^:.*  ir  A^:k- 
li-i  *i=.r  rfürirll*  Art*::  i<ä«ir-;:k:t  ■»irif.  ••rre-:!^;':«.   iü«  'i-ei  ■- — ■»"    .si-» 


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65.  Das  Ansehen,  in  welchem  die  Fruchtbarkeit  steht.  433 

sie  ihre  natürliche  Bestimmung,  da  sie,  wenn  sie  kinderlos  sind,  häufig  von 
ihren  Männern  weggejagt  werden. 

Die  Frauen  der  Negritos  (Philippinen)  sollen  im  Ganzen  nie  mehr 
als  4  Kinder  gebären.    (Mundt-Lauff.) 

Zu  Banka  in  HoUändisch-Ostindien  sind  nach  Epp  die  Frauen 
nicht  sehr  fruchtbar;  derselbe  sucht  die  Ursachen  in  der  schmalen  Kost. 
Dagegen  werden  die  Frauen  auf  Amboina,  weiche  zumeist  von  Fischen 
und  Sagn  sich  nähren,  als  ganz  bespnders  fruchtbar  geschildert. 


65.  Das  Ansehen,  in  welchem  die  Fruchtbarkeit  steht. 

Während  vielen  Völkern,  bei  welchen  sich  beide  Eltern  reichen 
Kindersegen  wünschen,  die  Fruchtbarkeit  der  Frau  als  besonderer 
Vorzug'  und  als  eheliches  Glück  gilt,  hingegen  die  Unfruchtbarkeit 
derselben  gleichsam  als  unvollkommene  Befähigung  zur  Verrichtung 
ihrer  ehelichen  Aufgaben  oder  selbst  als  Strafe  der  zürnenden 
G  ottheit  aufgefasst  wird,  betrachtet  man  im  Gegentheil  bei  manchen 
Völkern,  deren  Ehen  nicht  kinderreich  sind,  die  grosse  Fruchtbar- 
keit als  etwas  Verächtliches.  Eine  Frau  bei  den  Grönländern 
hat  3 — 6  Kinder  und  gebiert  alle  2 — 3  Jahre;  wenn  daher  die 
Grönländer  von  der  Fruchtbarkeit  anderer  Nationen  hören,  so 
vergleichen  sie  dieselben  mit  ihren  Hunden.  In  ähnlicher  Weise 
verzogen  die  Indianerinnen  in  British-Guiana  spöttisch  den 
Mund,  als  si»  von  Schomburgh  erfuhren,  dass  bei  Europäerinnen 
Zwillingsgeburten  nichts  weniger  als  selten  sind;  auch  sie  sagten; 
,Wir  sind  keine  Hündinnen,  die  einen  ganzen  Haufen  Junge  werfen." 
So  ist  auch  in  Europa  die  Freude  über  ein  schnell  folgendes  Ge- 
bären der  Frauen  bei  manchen  Völkern  recht  gering.  In  Frank- 
reich schildert  ein  altes  Volkslied  die  Ehe,  welche  mit  zu  vielem 
,'Kindersegen "  bedacht  ist  und  deshalb  als  eine  unglückliche  be- 
trachtet wird,  in  folgender  ergreifender  Weise: 

,Nach  einem  Jahre  ein  Kind.     Ist  das  eine  Freude! 
Nach  zwei  Jahren  zwei  Kinder;  da  kommt  schon  die  Schwemiuth. 
Nach  drei  Jahren  drei  Kinder;  es  ist  ein  wahrer  Teufelsspuk. 
Das  eine  schreit  nach  Brod,  das  andere  nach  Suppe, 
Das  dritte  will  gestillt  werden,  und  die  Brust  ist  siech. 
Der  Vater  ist  in  der  Schenke  und  führt  ein  schlechtes  Leben, 
Die  Mutter  ist  daheim  und  weint  und  seufzt."  (Theuriet.) 
Wenn    solche   traurige   Lieder  im  Volke    gesungen  werden, 
dessen  Herrscher,-  Heinrich  IV.,   einst  wünschte,  dass  jeder  Bauer 
sein  Huhn  im  Topfe  habe,  so  dürfen  wir  uns  wohl  nicht  wundem, 
dass  gerade  dort  das  sogenannte  „Zweikindersyste'm"  Platz  gegriffen 
hat.     Ueberhaupt    ist    es    immer   ein    Zeichen    socialer   Gebrechen 
und  unzureichender  Ernährungszustände,  wenn  eine  geringe  Frucht- 
barkeit  im  Allgemeinen   für   ein  Glück  gilt.     Dann   sind   es   aber 
auch  nur  noch  wenige  Schritte  bis  zur  willkürlichen  Beschränkung 
der  Kinderzahl. 

Plo8t,  Das  Weib.  I.   3.  Ana.  28 


—       Iic  JramriizuiLiir  ix*  T"sii.Ä. 


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65.   Bas  Ansehen,  tn  welchem  die  Frncfatharlteit  steht. 


435 


Kinderlosigkeit  gUt  im  Morgeulande  für  ächmachToll ,  und  die 
'Moslini  aowolü  als  auch  die  orientalischen  Juden  macheu  die 
Unfruchtbarkeit  zu  einem  Scheidungsgruud.  Vom  Araber  wird  sie 
im  eigentlichen  Sinne  als  Unsegen,  von  den  Frauen  desselben  noch 
Ldazu  al«  Schmach  betrachtet.  Ja  eine  arabische  Frau,  die  nur 
HEMädcben  gebiert,  sieht  sich  schon  als  verflucht  imd  mit  einem  Makel 
^■behaftet  au.  {SandrczcJd.)  Sie  hält  sich  auch  ftü*  verzaubert. 
1^  Unfruchtbarkeit  ist  für  da.s  türkische  Weib  das  grösste  Dn- 
■^  glück,    welches   sie   treffen  kann,    denn  sie  geniesat  alsdann  wenig 

t  Anaehen  und  wird  von  ilirem  Manne  vemachliiasigt  und  selbst  von  ihm 
geschieden,  und  da  man  die  Unfruchtbarkeit  als  einen  Fehler  in  der 
Organisation  der  Frau  betrachtet,  so  kann  diese  .sich  .selten  zum 
zweiten  Male  verehelichen.  (Oppfufieim,)  In  Südalbanien  sind 
bei  den  Türken  unfruchtbare  Weiber  tiirralich  verachtet  und  daher, 
weü  sie  Fruchtbarkeit  erlangen  wollen,  in  steter  Verbindung  mit 
alten  Zigeunerinnen,   welche  Geheimmittel    besitzen   sollen,    um 

»eine  scjmelle  Empfangni.ss  herbeizuführen.  (Lehnert.) 
Die  Mohammedaner  meinen,  dass  sich  gar  nichts  gegen  Un- 
fruchtbarkeit einer  Frau  thun  lasse,  da  sie  eine  Fügung  Gottes  sei, 
demi  es  steht  im  Koran:  Gott  macht  nach  seinem  Willen,  dass  eine 
Frau  Müdeheu,  eine  andere  Knaben,  eine  andere  Kinder  vun  beiderlei 

(Geschlecht  bekömmt;  er  macht  auch  nach  seinem  Willen  die 
Frau  unfruchtbar. 
Doch  sind  sie  der  Ansicht,  dass  die  helle  oder  duukle  Com- 
plexiou  einer  Frau  für  die  Sterilität  derselben  von  besonderer  Be- 
deutung ist:  denn  der  Prophet  sagt:  , Ziehet  eine  Frau  vor,  deren 
Haut  braun  ist,  denn  sie  ist  fruchtbar  gegenüber  einei  Frau  mit 
allzu  heller  Haut,  die  vielleicht  imfruchtbar  ist," 

tWenn  bei  den  Badagas  am  Nilgiri- Gebirge  in  Indien  eine 
Frau  keine  Kinder  bekommt,  so  nimmt  sie  ihre  Schwester  als 
»zweite  Frau"  in  das  Haus,  .sie  selbst  bleibt  aber  Herrin.  Ist  dies 
Auskunftsmittel  nicht  ausführbar,  so  wird  die  Frau  zu  ihren  Eltern 
heimgeschickt,  oder  sie  heirathet  einen  Alten,  der  von  ihr  nicht 
Kinder,  sondern  nur  Arbeit  verlangt.  (Jagar.)  Auch  in  mehreren 
anderen  Provinzen  Indiens  gilt  die  Unfruchtbarkeit  der  Frau  als 
etwas  Verächtliches  und  als  ein  grosses  Unglück. 

Sobald  bei  den  Ostindieru  zu  Madras  die  bei  der  Unfrucht- 
barkeit gewöhnlich  angewendeten  rehgiösen  Mittel  nicht  helfen, 
darf  der  Mann  seine  Frau  Verstössen,  weil  sie  ihm  keine  Hoönuug 
auf  Nachkommenschaft  giebt.  (Best.) 

Auch  bei  den  Chinesen  .steht  Fruchtbarkeit  in  grossem  An- 
sehen; die  grösste  Freude  einer  Frau  ist  eine  zahlreiche  Familie; 
keine  unfruchtbare  Frau  hält  sich  für  das  unglücklit-hste  Geschöpf; 
hierzu  steht  im  8chreiend.steu  Widerspruch  die  Thatsache,  dass 
iohinesische  Eltern  mit  kaltem  Blute  ihre  Kinder  morden,  oder  sich 
der  Neugeborenen  durch  Aussetzen  rasch  entledigen.  Aber  nicht 
ül)erall,    wo    mtui    die  Fruchtbarkeit   an  sich  hochschätzt,   ist  auch 

28* 


66.  Arzneiliche  und  mechanische  Mittel  gegen  die  Unfruchtbarkeit.    437 

der  Untreue  und  künstlicher  Fehlgeburten;  von  anderen  wird  sie 
nur  als  Unglück  betrachtet  und  hat  gewöhnlich  Verstossung  zur 
Folge,    (de  Laet,  Keating.) 

Ehescheidungen  finden  bei  den  Indianern  des  Gran  Chaco 
in  Südamerika  häufig  statt,  sobald  keine  Kinder  vorhanden  sind, 
d.  h.  der  Mann  verstösst  in  solchem  Fall  einfach  sein  Weib  und 
nimmt  ein  anderes.  Ist  jedoch  das  erste  Kind  geboren,  so  gehören 
die  Ehescheidungen  zu  den  Ausnahmen.  [Amelimg.) 

Wir  führen  schliesslich  noch  einige  Völker  Europas  an. 

Nach  slavischer  Anschauung  sind  Kinder  ein  Segen  Gottes; 
eine  Ehe  ohne  Kinder  ist  unglücklich  und  die  junge  Frau  muss 
die  Schuld  tragen.  In  Böhmen  wird  die  junge  Frau,  welche  im 
ersten  Jahre  der  Ehe  ein  Kind  hat,  belobt  imd  reich  beschenkt. 
iLiimzoic!)  In  Bulgarien  ist  Unfruchtbarkeit  ebenso  wie  in  Russ- 
land  ein  durch  Zauberei  bedingtes  Unglück.  Bei  den  Slaven  in 
Istrien  gilt  die  Kinderlosigkeit  für  ein  Zeichen  von  Gottes  Zorn; 
unfruchtbare  Weiber  heissen  dort  nScirke"  d.  h.  Zwitter,  {v.  Dürings- 
feld.)  Den  Serben  gereicht  Kindersegen  zur  grössten  Freude  {Petro- 
icitsch),  und  Kraiiss^  sagt: 

„Das  uufruchtbare  Weib  wird  bemitleidet  und  geringgeschätzt.  Ihre 
^ftellung  im  Heim  des  ^Mannes  wird  immer  unhaltbarer.  Der  Mann  sucht  in 
tJeiufiii.schaft  mit  seinem  Weibe  durch  zauberkräftige  Mittel  diesem  Uebel- 
stände  abzuhelfen.  Im  Sprüchworte  heisst  es:  Ein  Weib  ist  kein  Weib,  ehe 
sie  nicht  gebärt." 

Bei  den  Ungarn  scheint  die  Unfruchtbarkeit  wenigstens  im 
Anfang  der  Ehe  nicht  für  etwas  Schlimmes  zu  gelten.  Die  Tugend 
der  Züchtigkeit  wird  so  weit  miss verstanden,  dass  die  Weiber  sich 
scliümen,  innerhalb  des  ersten,  ja  auch  des  zweiten  Jalires  nach  der 
Heirat h  in  die  Wochen  zu  kommen.  Im  Gomörer  Comitat  verstehen 
>ie  die  Kunst,  sich  davor  zu  hüten,  so  dass  sie  selten  vor  dem  6. 
oder  7.  Jahre   der  Ehe   entbunden  werden,  (r.  Csaplovics.) 


66.  Arzneiliche  und  mechaniselie  Mittel  gegen  die 
Unfruchtbarkeit. 

Der  den  Menschen  aller  Rassen  so  natürliche  Wunsch,  Nach- 
ki »Ulmenschaft  zu  erzeugen,  und  die  grossen  Nachtheile  und  Unlieb- 
sauikeiten,  welche  bei  vielen  Völkern,  wie  wir  gesehen  haben,  einer 
unfruchtbaren  Frau  zu  erwachsen  pflegen,  mussten  natürlicher 
Weise  zu  Versuchen  führen,  den  bis  dahin  erhoÖten  Kindersegen 
durch  künstliche  Hülfsmittel  doch  noch  zu  erzielen.  Die  für  diesen 
Endzweck  eingeschlagenen  Wege  sind  dreierlei  Art,  nämlich  erstens 
das  AnHelien  des  göttlichen  Beistandes,  zweitens  die  Austtihnmg 
gewisser  zauberischer,  sympathetisch  wirkender  Handlungen,  und 
endlich  die  Anwendung  mehr  oder  weniger  zweckmässig  gewählter, 


empfolJen;  es  ist  die  Tiuctur  aus  den  Blättern  eines  perennirenden 
Baumes  aus  der  Klasse  der  Temstromaceae :  scbon  nach  einigen 
«Stunden  soll  das  Mittel  sicher  (V)  auf  die  Meustruation  wirken  und 
die  »Sterilität  heben.  In  China  und  Japan  wird  es  zur  Zeit  des 
Vollmondes  mit  kabbalintischen  Formeln  genommen. 

IäIb  die  Geschlechtslust  erregende  und  wahrscheinlich  auch  Ste- 
TÜitSt  beseitigende  Mittel  dieneu  in  Oberägypteu  nach  Kluit- 
einger  besonders  Ingwer,  das  theure  Ambra,  eine  fettwachsartige 
Substanz  aus  dem  Darm  und  der  Blase  des  Pottwals,  und  Honig  oder 
Zininit  und  Karotten  oder  Rettig-Siunen  mit  Honig  gekocht;  ferner 
die  tialle  des  Raben,  die  gebrannten  Schalen  der  Tridacma-Mußchel 
^  mit  Honig,  auch  der  Blüthenstaub  der  Dattelpalme. 
B  lü   Fezzan   sucht   man   die   Fruchtbarkeit    der  Frauen   durch 

reiclilichen  Genuas  getrockneter  Eingeweide  junger  Häschen  zu  rer- 
mehren,  die  noch  au  der  Mutterbrust  waren.    (Nachtirial.) 

IWenn  eine  Frau  in  Algier  schon  ein  Kind  bekommen  hat, 
daun  aber  längere  Zeit  nicht  Avieder  concipirt,  so  muss  sie  Schafs- 
Urin  oder  auch  Wasser  trinken,  in  welchem  man  Ohrenschmal/ 
eines  Esels  hat  maceriren  lassen.  (Bert  für  and.)  Auch  örtliche  Kuren 
sind  im  (Jrient  im  Gebrauch.  Denn  Fast  in  Beirut  giebt  an,  dass  in 
Syrien  unter  den  Frauen  besonders  UIcerationen  der  Portio  vagi- 
nalis vorkommen,  herbeigeführt  durch  unsinnige  Application  von 
reizenden  Stoffen  behufs  Förderung  der  Conce])tion.  In  Ober- 
mägypten  wird  nach  Klumingcr  ein  kleines  Stückchen  Opium  f[ir 
H  den  ersteu  Tag  der  Kur  in  den  Schooss  eingelegt,  und  die  drei  fol- 
^Bgendcn  Tage  ein  Stnckchen  vom  Wanst  eines  Wiederkäuers. 
^  Die  Indianer   in  Peru    sollen  Aphrodisiaca  besitzen,    welche 

besonders  auf  das  weibliche  Geschlecht  wirken ;  sie  führen  den  ge- 

»meinschaftlichen  Namen  Firipiri.  (Mcrntrio.) 
Auch  auf  den  Luang-  und  Sermata-lnseln  int  malayischen 
Archipel  sind  Aphrodisiaca  bei  beiden  Geschleciitern  stark  im 
Gebrauch.  Auf  Ambon  \ind  den  Uliase-Inseln  müssen  unfruchtbare 
Weiber  bestimmte  Medicaniente  einnehmen  und  in  besonders  vorge- 
schriebener W^  eise  baden.  Ebenso  giebt  es  auf  Leti,  Moa  und  Lakor 
allerhand  Arzneien  gegen  die  Unfruchtbarkeit,  aber  liier  mtissen  die 
Männer  ebenfaUs  diese  Pocula  sterilium  trinken.  Die  Weiber  der 
Galela  auf  Djailolo  (Niederländisch-Indien)  kennen  ebenfalls 
Medicinen,  welche  ihnen  die  Schwängerung  sichern.    {Riedel.) 

Unter  den  Westaustraliern  herrscht  die  Meinung,  dass  Mäd- 
chen nach  dem  11.  oder  12.  Jahre  keine  Bandicuts  (Beuteldachs, 
Perameles)  mehr  essen  dürfen,  sonst  werden  sie  unfruchtbar;  wenn 
dagegen  die  Frauen  viel  Kängumfleisch  gemessen,  so  macht  sie  das 
fruchtbar.    (Jimk.) 

In  Sibirien  gebrauchen  die  Mädchen  vor  der  Brautnacht  die 

ekochten  Früchte  der  Iri.s  sibirica.    Weiber,  die  in  Kamtschatka 

Kinder  gebären  wollen,   essen  Spinnen;   einige  Wöchnerinnen, 


die  dort  bald  wieder  schwaiiger  werden  wollen,  vejzehreu  die  Xubel- 
scliniir  ihres  neugeborenen  Kindes.    (Kraschennikow.) 

Hier  finden  wir  schon  selbst  bei  niederen  Völkern  die  Vor- 
stellung, dass  bei  Behinderung  der  Euipfäugniss  etwas  Krankhaft«» 
vorliegt,  dem  man  nicht  bloss  durch  Sympathie,  sondern  auch  durch 
Diät  und  Therapie  entgegentreten  könne.  Jedoch  entwickelte  sich 
dort,  wo  die  Heilkunde  sich  der  Sache  anzunehmen 
begann,  noch  eine  bessere  Einsicht,  die  schon  zu  einer  rationel- 
leren, wenn  auch  noch  recht  primitiven  Behandlungsweise  ftihrte. 

Eine  Vorstelhmg  von  den  Ursachen  der  Sterilitfit  und  eine 
sich  gegen  dieselben  richtende  Therapie  besassen  ohne  Zweifel 
schon  die  alt  griechischen  Aerzte.  Nach  'Hijipokrates  Jconneu 
folgende  Zustände  Sterilität  bedingen:  1.  Verdrehung  and  Schief- 
stellung der  Gebärmutter;  2.  zu  grosse  Glätte  der  Innenwand  der- 
selben, bei  der  der  Same  nicht  zurückgehalten  wird;  15.  Suppressioo 
der  Menses  vmd  Obstruction  oberhalb  des  Muttermundes  ;  4.  Ueber- 
t'Qllung  des  Uterus  mit  Blut  und  üljermiissige  Secretion  dos  AJen- 
strualblutes,  welches  das  Sperma  wegspült:  5.  Gebärmuttervorfall, 
bei  dem  die  Uterusmünduug  hart  und  callös  wird.  Nach  Paulus 
von  Äeyina  wird  die  Sterilität  zuweilen  durch  mangelhafte  Eruäh- 
nmg,  zuweilen  durch  Plethora  hervorgerufen.  Demgemäss  luiiss 
die  allgemeine  Lebensweise  geregelt  werden.  Fette  Weiber  sind 
zur  Zeugung  untauglich,  weil  sie  nicht  genug  Samen  haben,  ebenso 
heruntergekommene.  Die  Weiber  müssen  eine  solche  Kost  zu  sich 
nehmen,  die  den  Mouatstluss  beiordert.  In  solchen  Fällen,  wo  die 
llble  Beschaffenheit  flutL-niperameutunil  des  Uterus  die  Sterilit^lt  be- 
ilingt  und  die  sich  durch  Ausbleiben  der  Menses  kennzeichnen,  muss 
eine  aromatische,  stimulirende  Kost  gegeben  werden,  um  die  ujitür- 
liche  Wärme  anzuregen;  gleichzeitig  werde  der  Unterleib  frottirt. 
Ist  der  ganze  Körper  wärmer  als  gewöhnlich,  die  Menatruation 
spärlicher  als  sonst  und  scbmerzhaft,  sind  die  Geschlechtstheile  ge- 
schwürig, so  muss  man  liieraus  schliessen,  dass  der  Uterus  ein 
warmes  Intemperament  hat.  Da  ist  eine  kühlende,  feuchte  Kust 
angezeigt  und  ebenso  kühle  Umschlüge.  Bei  SteriUtät,  bedingt 
durch  Feuchte  des  Uterus,  sind  die  Menses  dünn  und  profus;  hier 
ist  austrocknende  Kost  augezeigt.  Bei  grosser  Trockenheit  der  Gc' 
bärmutter  heilt  man  die  Sterilität  mittelst  Bädern  und  Ssdben.  Behiii" 
dert  dicker  „Humor'  die  Conception,  ho  muss  dieser  herausbelUrdert 
werden  durch  Purgantien.  Ist  dagegen  die  Gebärmutter  uufgeblüht, 
so  wende  man  Aromatica  und  Pessarien  au.  Einen  vex'schlosseiMJU 
Muttermund  erööue  man  mittelst  aromatischer  Injectionen,  und  gleich- 
zeitig gebe  man  Terpentin,  Nitrura,  Elaterium,  Ca-ssia  und  Thcer- 
wasser;  bei  klauendem  Miitterniundc  hingegen  Adsti'  i.    Zu- 

weilen ist  die  Fruchtbarkeit  dadurch   })ehindert,  das.s  .  ursion 

des  Uterus  bestt^ht;  hier  ist  der  Coitus  a  posteriori  Hugezwigt. 
Letzteres  empfiehlt  auch  Onhonitia,  der  aber  auch  weitcvli^.  -  --^t, 
mau   müsse  dtn  Muttermund   erweitern,    luu  eine   Schw;  ift 


zu  ermügUcheiK  während  in  anderen  Fällen  mittelst  Adstringentien 
die  klaöVnden  Muttermundslippeu  einander  genähert  werden  müs«t<.'ü, 
um  dus  Abfliessen  des  Sperma  zu  verhüten.  {Jettks.)  So  verworren 
allerdings  noch  immer  diese  Ideen  und  R^thschlüge  zu  einem  grossen 
Theile  waren,  so  sind  sie  doch  immerhin  die  ersten  ernsten  An- 
läufe zu  einer  rationelleren  Behandlung  der  Sterilität. 

In  den  hip^vkratUchfu  Schriften  (die  zum  Theil  nicht  von  Hippo- 
kratrs  selbst  herrlihren)  wird  eine  Menge  sinnloser  Mittel  angegeben, 
um  eine  Frau  fruchtbar  und  den  Coitus  erfolgreich  zu  machen. 
Wenn  du  willst,  du.ss  eine  Frau  schwanger  werde,  so  musst  du  sie 
selbst  und  ihre  Gebärmutter  ausreinigen,  d.  h.  es  muss  ein  Mutter- 
zäpfchen von  t'eingeriebenem  Natron,  Kreuzklumnel,  Knoblauch  und 
Feigen  mit  Honig  bereitet  in  die  Gebärmutter  gelegt  werden  und 
die  Frau  muss  sich  wann  baden;  nachdem  dieselbe  nücht^ni  Dill 
gegessen  und  echten  Wein  nachgetnmken  hat,  wird  rothes  Natron, 
Kliruinel  mid  Harz  mit  Honig  augemacht,  in  einem  Stück  Leinwand 
als  Mutterzäpfchen  eingelegt.  Wenn  nun  Wasser  abfliesst,  so  lege 
der  Frau  schwarze  erweichende  Mutterkränze  ein  und  tathe  ihr  ehe- 
lichen Umgang  an.  Wenn  du  will.st,  dass  eine  Frau  schwanger 
werde  —  so  lautet  das  nächstfolgende  Recept  — ,  so  reüiige  sie 
selbst  und  ihre  Gobtirmutter,  und  lege  dann  ein  al>getragenes,  mög- 
Uchst  feines  und  trockenes  Leiuwandläppchen  in  die  Gebärmutter 
ein  und  zwar  tauche  das  Läppchen  in  Honig,  forme  ein  Mutter- 
zäpfcheu  darau.s,  tauche  es  in  Feigensaft,  lege  es  ein,  bis  sich  der 
Muttermund  erweitert  hat,  und  schiebe  es  dann  noch  weiter  liinein. 
Ist  nun  aber  das  Wtusser  abgezogen,  fo  «püle  sich  die  Frau  mit 
Oel  und  Wein  aus,  schlafe  beim  Manne,  und  trinke,  wenn  sie  ehe- 
lichen Umgang  geniesseu  will,  Poley  in  Kedros-Wein.  Eine  an- 
dere Vorschrift  wird  im  Lib.  de  superfoetatione  gegeben:  Wenn  du 
ein  Weib  behundel.st,  um  sie  fiihig  zur  Conception  zu  machen, 
scheint  sie  ausgereinigt  und  der  Muttermund  in  löblichem  Zustande 
zu  sein,  so  bade  sie,  reibe  ihr  den  Kopf  ab.  salbe  sie  aber  in  keiner 
Weise  ein.  Dann  schlage  ihr  ein  nicht  riechendes  gewaschenes 
Leinwandtnch  um  den  Hals  und  binde  eine  rein  gewaschene  oder ' 
nicht  riecliende  Netzhaube  darüber,  nachdem  du  zuerst  das  leinene 
Tuch  eingebunden  hast,  dann  lege  der  Frau  abgekochtes  Mutterharz, 
welche«  am  Feuer  und  nicht  an  der  Sonne  erweicht  worden,  als 
Mntterkranz  ein  und  las»  sie  schlafen.  Wenn  sie  sich  dann  am 
anderen  Morgen  früh  die  Netzhaube  mit  dem  Leiuwandtuchc  abge- 
nommen hat,  80  lasse  sie  .lemanden  an  ihrem  Scheitel  riechen: 
giebt  sie  einen  Geruch  von  sich,  so  steht  es  mit  der  Ausreinigung 
gut,  wenn  nicht,  schlecht.  Das  Weib  tbue  dies  aber  nüchtern.  Ist 
»ie  aber  unfruchtbjir,  .so  wird  «ie  weder  gereinigt,  noch  .sonst  einen 
Geruch  verbreiten.  Es  wird  aber  auch  nicht  sc»  gut  riechen,  wenn 
du  Jenes  einer  Schwangeren  einlegst.  Bei  einem  Weibe  aber,  welches 
oft  schwanger  wird,  leicht  concipirt  und  gesund  ist,  wird  der  Scheitel 
riechen,  xelbst.  wenn  du  ihr  kein  Mutterzäpfchen   einlegst   und   sie 


442 


XIV.  Die  Fruchtbarkeit  des  W4 


nicht  ausreinigst:  ausserdem  aber  wird  er  nicht  riecLen.  Wenn  nun 
Alles  dem  Anscheine  nach  in  löblichem  Zustande  ist,  und  das  Weib 
sich  mit  dem  Manne  fleischlich  venuischen  soll,  so  mnss  das  Weib 
nüchtern,  der  Mann  aber  nicht  berauscht  sein,  sich  kalt  gebadet 
und  angemessene  Speisen  genossen  haben.  Merkt  das  Weib,  dass 
sie  die  SaraenflOssigkeit  bei  sich  behalten  hat,  so  nähere  sie  «eh 
dann  dem  Manne  nicht,  sondern  verhalte  eich  ruhig.  Sie  kann  dies 
aber  gewahr  werden,  wenn  der  Mann  sagt,  er  habe  den  Samen 
ejaculirt,  und  das  Weib  dies  vor  Trockenheit  nicht  bemerkt.  Giebt 
aber  die  Gebarmutter  die  Samenflüssigkeit  in  die  äusseren  Scbam- 
theile  zurlick,  wird  das  Weib  nass,  so  vermische  sie  sich  wieder 
fleischlich,  bis  sie  concipirt. 

Wir  legen  dieses  Verfahren  so  ausftihrlich  dar,  um  zu  zeigen, 
wie  sehr  doch  die  Aerzte  jener  Zeit  durch  eine  örtliche  Behand- 
lung zu  helfen  suchten,  die  zwar  nicht  zum  Ziele  führen  konnte,  die 
aber  ohne  Zweifel  noeh  lange  Zeit  Vertrauen  und  Anwendung  fand. 
Aus.ser  dieser  örtlicJien  Behandlung  stand  aber  auch  eine  inner- 
liche bei  den  Altgriechen  in  grossem  Ansehen.  Frauen,  welche 
sich  Kinder  wünschten,  rieth  man  zur  Zeit  des  inj)jioh-nif'.s  Silphimn 
mit  Wein  zu  nehmen,  jenes  räthselhafte  Mittel,  welches  die  Alten  so 
hoch  schätzten,  und  d^is  vielleicht,  wie  Schroff"  meinte,  in  der  Tbapsis 
Silphium  Vivian    vor  einiger  Zeit   wieder    aufgefunden    worden    ist. 

In  dem  1 7.  Jahrhundert  mussten  die  unfruchtbaren  Weiber  bei 
, kalter  uiid  allzu  feuchter  Complexion*  Tränke  aus  „Würznägelein' 
(CaryophylJen  I  mit  Melissenkraut  und  Pomeranzenschalen  zu  »idi 
nehmen.  Auch  Kosmarin  mit  Mastixkürnem  war  ein  beliebtes 
Mittel.  Koch  heute  wird  in  Steyermark  nach  Fossel  Spurgel- 
snmen  mit  Wein  mid  die  jungen  Hopfeusprossen  als  Salat  zube- 
reitet als  Mittel  gegen  die  Unfruchtbarkeit  angewendet.  Auch  soll 
die  Frau  zwei  Monate  den  ehelichen  Verkehr  meiden,  sich  dann  zur 
Ader  lassen  und  dann  am  darauffolgenden  Tage  den  Beischlaf  aus- 
l\ben.  Im  Frankenwalde  genies.st  der  Kaflee  in  dieser  Beziehung 
ein  besonderes  Vertrauen.  (Fliif/el.) 

Die  Russen  gebrauchen  unter  anderen  Volksmitteln  auch  eine 
Auflösung  von  Salpeter,  innerlich  genommen,  um  den  Weibem 
Fruchtbarkeit  zu  verschaft'en. 

In  Böhmen  wendet  sich  die  junge  Frau  (Czechin),  um  Kinder 
zu  bekommen,  au  eine  sogenannte  kluge  Frau,  welche  ihr  einen 
Änfguss  mit  Wachholder  zum  Getränk  verordnet. 


67.  («öttlichc  nnd  sympathetische  Hülfe  gegen  die 
Unfruchtbarkeit. 

Es  ist  ein  weitverbreiteter  Zug  des  nieuschlichen  (ieistos,  nicht 
allein  den  Mediciuuenten  die  Fähigkeit  und  Kraft  zuzutriiueu,  das» 
sie  die  verlorene  Gesundheit  wiederzubringen    vennöchten.     Er  mft 


67.  OCttliche  und  sympathetischö  Hülie  gegen  die  UnfTuchtbarkeit.      443 


deswegen  noch  die  Hülfe  und  den  Beistaud  cler  Gottheit  oder  die- 
jenige von  dämonischen  Gewalten  herbei  und  greift  ausserdem  zu 
ganz  absonderlichen  Handlungen,  welche  durch  S;y"Tnpathie,  ihm 
selbst  unerklärlich,  aber  um  so  gläubiger  betrachtet,  je  abgeschmackter 
und  sinnloser  dieselben  sind,  unfelilbar  die  ersehnte  Heilung  herbei- 
führen sollen.  So  l»egegnen  wir  auch  bei  der  Unfruchtbarkeit  niclit 
»elten  der  Anschauung,  dass  sie  ein  Fluch  sei,  von  den  Göttern 
verhängt,  eine  Bezauberung  von  bösen  Geistern  oder  mit  diesen 
verbundenen  Menschen  verursacht,  und  daaa  eine  Entsüliuuug  oder 
eine  Lösung  und  Ueberwältigung  des  Zaubers  den  , verschlossenen 
Leib'  zu  öffnen  vermöge.  Daher  finden  wir  bei  den  Kelten  die  zu 
Staub  geriebene  heilige  Mistel  als  Mittel  gegen  die  Unfruchtbarkeit. 

Auch  der  Araber  geht  gegen  die  vermeintliche  Verzauberung, 
die  er  für  Ursache  der  Unfruchtbarkeit  hält,  durch  Entzauberung 
vor;  er  nimiut  zum  Koran  seine  Zuflucht  und  zwar  zur  dritten  Sure, 
welche  die  Ueberschrift  „Die  Familie  (oder  das  Geschlecht)  Imruns" 
führt  Die  Aufgabe  dabei  ist,  den  ganzen  langen,  aus  200  V^ei'sen 
bestehenden  Abschnitt  mit  Safran  in  ein  kuj)fernes,  verzinntes  oder 
unverzinntes  Becken,  ein  Tast  oder  Tascht,  zu  schreiben,  dann 
siedendes  Wasser  darauf  zu  giessen  und  von  diesem  Weihwasser  der 
hülfsbedürftigen  Frau  einen  Tbeil  zu  trinken  zu  geben,  mit  dem 
übrigen  aber  Gesicht,  Brust  und  Schooss  der  Frau  zu  bes])rengen. 
Die  Wahl  dieser  Sure  ist  dadurch  erklärlich,  dass  die  Araber 
meinen,  des  Imrdn  Frau  Namens  Ilannch  sei  Anfangs  unfruchtbar 
gewesen,  habe  jedoch  dann  Gnade  gefunden  und  sei  noch  in  späten 
Jahren  Mutter  der  Jungfrau  Maria  geworden.     (Saitdreczki.) 

Ini  alten  Rom  wendete  sich  die  unfruchtbare  Frau  mit  Gebeten 
an  die  •Juno  Ffbrualis  (von  februare,  reinigen),  also  die  Reinigende, 
Entsühnende.  Die  Entsühnung  geschah  auch  in  den  Luperealien, 
bei  denen  die  Priester,  Luperei  genannt,  nachdem  sie  Ziegen  ge- 
opfert, mit  Stllckchen  aus  dem  Felle  derselben  dm-ch  die  Strassen 
liefen  und  die  ihnen  begegnenden  und  för  diesen  Zweck  nackend 
umherlaufenden  Frauen  mit  denselben  schlugen,  um  Fruchtbarkeit 
zu  erzielen.  Man  will  eine  ähnliche  Frocedur  in  dem  .Aufpeitschen'" 
wiedertinden,  welches  am  ersten  Ost-erfeiertage  die  jungen  Burschen 
im  Voigtlande  in  der  Frllhe  vornehmen,  indem  sie  mit  frischen 
grttnen  Reisern  die  Mädchen  aus  dem  Bette  herauspeitschen.  Eben^so 
erinnert  an  die  Luperealien  das  Niederlausitzer  „Zempem"  und 
da»  Budissiner  .Sem perlaufen*. 

Um  fruchtbar  zu  werden,  hatte  die  Römerin  ausserdem  noch 
verschiedene  Hülfsmittel  in  Geiirauch.  Thomas  ßarfliolinu.s  sagt: 
Jlufini  Foscino  insident  feminae,  ut  concipiant,  Lupercis  quoque 
sc  oflierunt,  et  ferula  ceduntur  caprina  pelle  corioque  tecta.  Gesteint 
praeterea  pixide  Lyden,  immenso  prolis  desideriti  quo  Reipublicae 
augendae  i:ausa,  connubii  retinendi  et  ob  jus  trium  liberoruni  ardent. 

In  Griechenland  galt  die  Demeter  aU  die  Vertreterin  der 
Pruchtbarkfit;   sie   stand  in  Beziehung  zur  Zeugimg,  Geburt  und 


.  .v""'    '.--  .V. -"  1  .■-".    i  ■-'    1—1— ■-     *  -  i'-i."  i  ".:iij -.:.   -: 


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«lurch  di*  Njcr.pr.f  «i^r  Ki;l;*r.-.    -r  -.----.:-   -  .ri. 

wen  cmpifohl«!!.     St^hoa  uri-^r-r  rilTir  ;:-:b.r  ?u_:r  iJl^-:  jü 
%r  HaUa  ab  diej^nür«  v*r*:crr=.    w-rlvL-r    irr   Eri^r 


Fruchtbarkeit  un<l  der  Ehe  Kmclersegen  bringt;  und  sie  wird  auch 
mit  dem  Was8er  der  Brunnen  in  Verbindung  gebracht,  denn  die 
Sage  spricht  davon,  dnss  die  Kinder  aus  gewissen  Brunnen,  den 
, Kinderbrunnen ",  gehuh  werdt-ii.  Und  die  Brunnen  spielen  auch 
in  den  Mythen  anderer  Völker  eine  Rolle  beziigUch  der  Frucht- 
barkeit. Die  indische  Gottin  I'raruti  war  im  Bade,  ohne  mit 
einem  Manne  zu  thun  gehabt  zu  haben,  schwanger  geworden;  sie 
gebar  den  Genesa.  Die  M(Ut<?r  des  chinesischen  Fo,  des  Buddha, 
des  Zoroaster  verdanken  sänimtlich  dem  Bade,  dass  ihre  Unfrucht- 
barkeit von  ihnen  genommen  worden.  In  Altgriechenland' wurde 
der  riuss  Elatus  in  Arkadien  als  heilsam  gegen  Unfruchtbar- 
keit emplohlen;  ebenso  der  thespische  Quell  am  Helikon.  Nach 
Sotiidm'  tmd  Fhotii4s'  Bericht  hatte  die  Quelle  zu  Pyna  am  Hy- 
mettos  in  der  Nähe  dos  Tempels  der  Aphrodiif  die  Eigen.schaft, 
Fratjen.  deren  Leib  verschlossen,  zu  Kindern  und  ülierdies  zu  leichter 
üeburt  zu  verhelfen.  PUmus  erzählt  von  der  Eigenschaft  der  Thermen 
Sinuessas,  FruclitV)arkeit  zu  erzeugen.  Bajae  war  in  dieser  Be- 
ziehung geradezu  berüchtigt..  So  sagt  Martial  von  einer  Frau: 
,Als  Pnidopt'  kam  sie  nach  Bajae.  aber  als  Helena  ging  sie. 
ihren  Gemahl  verlassend  und  einem  Jl\nglinge  folgend,* 

im  Orient  schreiten  Frauen,  die  sich  Nachkonuuenschaft  wün- 
schen, ohne  zu  sprechen  sieben  Mal  über  den  Kürjier  eines  Ent- 
haupteten. Andere  tauchen  zu  demselben  Zweck  schweigend  ein 
Stück  Baumwolle  in  das  Blut  des  Enthaupteten  und  wenden  dies 
in  einer  ganz  besonderen  Weise  an.  Bei  den  Mekkaue rinnen 
ist  das  Tragen  eines  Zaubergürtels  als  Mittel.  Fruchtbarkeit  zu  ver- 
schaflfen,  sehr  gebräuchlich.     (Snoiick  Ilurgrotije.) 

Die  Weiber  der  Maureu  in  Marokko  behängen  sich  mit 
einem  Talisman  oder  einem  Amulet,  um  sich  gegen  Unfruchtbarkeit 
zu  schützen ;  besonders  beliebt  soll  unter  ihnen  zu  diesem  Zwecke 
die  Pfote  eines  Stachelschweins  sein,  welcher  die  Eigenschaft  bei- 
gelegt wHrd,  die  Fruchtbarkeit  zu  erhöhen.  (Schlaff intwrit.)  Um 
einen  Sohn  zu  bekommen,  treflen  die  Zeltbewohner  in  Marokko 
viele  abergläubische  Vorkehrungen :  .sie  pilgern  während  der  Schwan- 
gerschaft ihrer  Frau  nach  der  heiligen  Stadt  Nesan  und  suchen 
von  dem  Gross.scherif  derselben,  Sidi,  das  fe.st«  Ver.s]>rechen  zu 
erlangen ,  dass  der  Allerhöcli.st.e  einen  Sohn  schenken  möchte : 
daftir  nimmt  der  Grossscherif  als  (Jeschenk  ein  Pferd;  um  ganz 
»icher  zu  gehen,  pilgert  der  gläubige  Mann  wohl  auch  nach  Fez 
xum  Grabmal  3Iuki  Edris,  und  opfert  den  Schriftgelehrten  des 
dortigen  Gotteshauses  eine  Summe  Geldes.  (Hohlfa.) 

In  Algerien  unweit  Constantine  befindet  sich  ein  ganz  im 
Felsen  gelegenes  Bad  mit  der  Quelle  Uurmal  er  Babba,  welches 
Jüdinnen  und  Muurinnen  seit  uralter  Zeit  freipientiren,  um  bei  Un- 
fruchtbarkeit Hülfe  zu  suchen.  An  mehreren  Wochentagen  kommen 
die  eingeborenen  Damen  aus  Constantine  herab  nach  Sidi  Merid, 
schlachten    vor  der  Thür  der  Grotte   rin    scliwurzes  Huhn,   opfern 


446 


XIV.  Die  Frnchtbarkeit  des  Weibes 


im  Inneren  noch  eine  Wachskerze  und  einen  Honigkuchen,  nehmen 
ein  Bad  und  sind  dann  sicher,  dass  ihre  WCnische  bald  in  EriVillunR 
gehen.  Der  Brauch  ist  jedenfalls  nltLeidnisch,  eine  uralte  Borber- 
sitte;   denn  Thieropfer  sind  dem  Islam  fremd.    (Kohvlt.) 

Bei  den  Nord-Bas>utho  in  Malakong  im  nördlichen  Trans- 
vaal träf^  bei  Kinderlosigkeit  der  Mann  die  Schuld  und  mnss  daher 
auch  die  Sülme  versuchen  und  nicht  die  Frau.  Missionar  Scfiloe- 
mann  berichtet  hierüber: 

„Nachher  kam  unser  (National-)  Heiter  Salomo  und  sagte,  i 
iUngs  auch  die  Heiden  ein  Bevmasteein  dafür  hätten,  dase  man  d  . 
koogen  meinen  Nilcbsten  tCdte:  sie  würden  nach  dem  Tode  oine!»  h,u  Giaoi 
gestorbenen  Menschen  oft  durch  ihr  Gewissen  von  ihrer  Schuld  überzeugt. 
Ihr  Sprachgebrauch  sagt  geradezu:  ,Er  ist  an  Gram  gestorben."  —  Da« 
Gewissen  eines  «olchen,  der  einen  Gestorbenen  viel  gekränkt  bat,  erwacht 
oft  bei  etwa  eintretenden  Unglücksfällen,  als  Sterblichkeit  unter  den  Kindern, 
odtir  bei  gänzlichem  Mangel  derselben  ,  Krankheit  unter  dem  Vieh  u.  e.  w. 
Der  dadurch  Betroftene  trJlgt  diese  Schläge  zuerst  mit  dumpfer  Ergebung, 
nimmt  aber  bald  seine  Zuflucht  zu  den  Zauberern  un4  lä^st  es  sich  viel 
kosten,  damit  derselbe  durch  allerlei  heilkräftiges  Kraut  und  altQberliefert« 
Gebete  und  Zauberformeln  das  Unglück  von  Haus  und  Hof  vertreibe. 
Sieht  er  aber,  das«  dennoch  das  Missgescbick  nicht  von  ihm  weicht,  so  giebt 
er  sich  gelingen,  sein  Gewissen  erwacht  und  er  sagt:  ,Es  ist  der  Vater 
(oder  sonst  einer),  den  du  zu  Tode  gekränkt  hast,  welcher  dir  das  UnglQck 
zuschickt."  Sein  Plun  ist  dann  sclmell  gefasst,  der  Todte  mues  veriöbni 
werden,  damit  Glück  und  Frieden  zurückkehrt.  £r  geht  in  die  Wildniss, 
sucht  dort  das  Grab  des  Vaters  auf,  und  bekennt  au  demselben  im  Gebete, 
was  ihm  Kummer  macht.  „Vater,  ich  habe  keine  Kinder,  denn  ich  habe  nn 
Dir  gesQndigt.  Lass  ab  von  Deinem  Zum  und  kehre  mir  Dein  Hen  wieder 
zu!"  So  fleht  er,  und  dabei  ergreift  er  irgend  einen  Gegenstand  beim  Grabe, 
etwa  ein  Steinchen  oder  einen  Zweig,  und  nimmt  ihn  mit  nach  Hause.  Dort 
wird  derstilbe  zu  seinem  Fetisch,  welchen  er  als  Amnlet  mit  sich  herumtrigt 
oder  in  seinem  Hofraum  irgendwo  unterbringt.  Die  nahe  Beziehung,  w«loba 
csr  nun  mit  dem  von  ihm  verehrten  Gegenstande  pHegt.  soll  diu  wi*'.l.*r. 
herge.'itellt«  Gemeinschaft  zwischen  ihm  und  dem  Verstorbenen  and- 
welchem  dietser  ganze  Cultus  gilt.  Ein  solcher  Fetisch  ist  auch  der  liu^.,. 
stamm,  welcher  als  Eingangsschwelle  zum  grossen  Veräammluuggplatze  der 
Hauptstadt  dient.  In  ihm  wird  der  verstorbene  Häuptling  Mancop<tne  vet- 
ehrt,  zu  dessen  Versöhnung  er  dort  niedergelegt  wurde" 

An  der  Sclavenküste  von  Guinea  unter  den  Otschi- 
Negcrn  verschreibt  sich  das  kinderlose  Weib  einem  Fetisch  zntu 
Eigenthum,  wenn  er  ihr  Kindor  geben  wolle;  tritt  dieser  Fall  ein, 
80  ist  das  Kind  ein  Fetisch kind  und  gehört  dem  Fetisch. 

Bei  den  Negern  m  Yoruba  an  der  Westküste  von  .\friko 
ist  diis  Wasser  bernhnit,  da.s  im  Tempel  der  Naturgöttin  aufbewahrt 
wird.    Diese  wird  als  schwungere  Frau  dargestellt,  imd  das  Waas«r, 


I 
I 


das  ilir  geheiligt  i^t,    beimt/.t    mau    gegen  Unfruchtbar! 
Hchwere  Geburt.     In  Abbeokouta  wird  von   den   unfn 
i'raueu    auch    zu   der    hermaphroditischen  Form  des 
b^'tet.    die    aus   einer  nackten  Fra»    »ti.l    .in-u,    I...kl. 
zusauunengesetzt  ist  (Bastüui.) 


\ 


67.  Göttliche  and  armpathetische  Hfllfe  gegen  die  Ünfrachtbarkeit.      447 


Auf  dem  Wege  von  Malange  in  Westafrika  iii's  Innere  über 

lie  Grenze  von  Angola  hinaus  fand  Lujc,    dass    die  uufruclitbareu 

Tegerinuen    als    fruchtbar   machenden    Fetisch    zwei    kleine,    aus 

Elfenbein  geschnitzte  "Figuren  (die  beiden  Geschlechter  darstellend) 

m  einer  Schnur  um  den  Leib  tragen. 

Die    Frauen    der  Kitsch-Neger   um  Adael   im   äquatorialen 

'Afrika  westlich  vom  weissen  Nil  verrichten  ihre  Abwaschungen 

nicht  mit  Wasser,  weil  sie  davon   Unfruchtbarkeit  ftirchteii,   sie 

lehmen    dazu   viel  weniger  inischuldige  Flüssigkeiten.      Die   Suda- 

lesinnen   tragen  nach  Brehm  Amulete  gegen  die  Unfruchtbarkeit 

mter  ihrer  Schürze. 

In   Persien    gilt   tlie   Alraunwurzel   (Mandragora)    als  Amulet 
jegen    die   Unfruchtbarkeit;    sie    heisst   dort    Mannskraut   (merflnui 
iäh)  oder  auch  Liebeskraut  (mehr-e-giä). 

Dieselbe    hat    sich    übrigens    auch    in    verschiedenen    Gauen 

•  eutschlands  eines  sro>s.seu  Rufes   erfretit,   und   manche  Gtdehrte 

wollten   sie   mit   den  Dudaiui    der  Bibel  (L  Mos.  'M.  lü)  identificiren 

Iund  sie  haben  geglaubt,  dass  ihnen  die  Lcuh  ihre  Schwangerschaft 
EU  danken  habe.  Ich  vermag  dieses  aus  der  betretfenden  Bibel- 
Btelle  nicht  zu  entnehmen. 
Sterile  Frauen  in  Bombay  (Indien)  gehen,  um  fruchtbar  zu 
werden,  zu  einem  grossen  Lingam  (Bild  eines  männlichen  Gliedes 
als  religiöses  Symbol),  und  drehen  sich  um  denselben  im  Kreise 
unter  Gebeten  (mündliche  Mittheilung  Jagors).  Unweit  Bombay 
befindet  sich  das  heilige  Brahminendorf  Walkeschwar,  wo  die 
höchsten  Hindu -Kasten  (Brahminen)  mit  Ausschluss  imreiner  Kasten 

I wohnen.  Einen  im  Mittelpunkt  des  Dorfes  liegenden  viereckigen 
Teich  umschliessen  zahlreiche  kleine  Tempel,  in  deren  Inneren  ein 
heiliger  Stier  liegt.  Andere  Gegenstande  der  Verelirung,  gleich  den 
Stieren  mit  Blumen  geschmückt,  sind  steinerne  Symbole  der  Frucht- 
barkeit, zum  Theil  von  obscönster  und  grotesker  Form  (Lingam). 
Solche  sind  auch  an  vielen  Stellen  der  Wege  innerhalb  und  ausser- 
halb der  Stadt  Bombay  zerstreut,  mit  rother  Farbe  bemalt.  Sie 
^■werden  namentlich  von  kinderlosen  Eheleuten  besucht  und  ihre 
^■rotheii  Theile  werden  mit  Goldpapierchen  beklebt,  auch  mit  duften- 
den Blumen  bedeckt,  in  der  Hoffnung,  durch  diese  Opfersi>enden 
Imit  Kindern  gesegnet  zu  werden.  {Hae.ckd.) 
In  Puna,  fim-ni  Hiiuptorle  O^tinJioii.s  zwischen  Bombay  imd 
Madrus,  hesnchte  ,lolly  Aoa  beriJhml«'  lleili^hum  Akt  (iöttin  Parvati,  da« 
auf  t'ineui  ><ted('u  Hügel  liejft.  Vor  einem  heiligten  Buutu,  einer  Ficus  indica, 
in  d«*r  Mitte  de«  Dorfes,  durch  welches  er  kam,  war  eine  fromme  8chaur 
Hindu  wetber  beschJllti^l,  den  Lini^nm  oder  Phallus  und  andere  aus  Stein 
Igearbeitel«  SSymbole  mit  Spenden  von  RoHen  zu  ehren  und  mit  rothem  Farb- 
'  etoir  zu  bestreicliea,  <len  «ie  nachher  zum  Betupfen  ihrer  eigenen  Stirn  vwr< 
|w«udettiu.  Doj  StimKeichen  wird  jeden  Morgen  nach  dem  Bade  erneuert. 
Bei  den  Badaga«  im  Nilgiri-  Gebirge  (Indien)  pBe^en  Gatten,  die 
Liu  unl'ruchtburer  Ehe  leben  ,  einem   Gotte    einen    kleinen    silbernen  Sonnen- 


448 


XIV.  Die  Frachtbarkeit  des  Weibes. 


schirm  oder  hundert  Kokosnü??«»  zu  geloben,  faJU  er  ihnen  ein  Kind  i^cLviilrt.] 
Am  Tage  der  TS'amengebung  werden  diese  Gelübde  abgetragen.     L'nfroohtharr 
Frauen    wenden    «ich  in  ihrer  NoUi  an  ^lahaUnijn  (Maha  =  gross,  linspi  = 
phailus;    ein  Name  tiiu-a/s),  der   in  den  Bwpen   au    vielen  Orten   in  Oe«it«lt| 
eincH  Rufrec-hten  Steins  verehrt  wird.     Eine   wegen   der  ihnen   zugeniutlietenj 
wunderbaren  Entstehung  für  besonders  wirksaii»  gehaltene  Klasse  %'on  JUnha- 
Uiujas  sind  die  beim  Pflügen  -/uwoilen  im  Boden  gefundenen  Steinbeile,    diel 
für  spontan  der  Erde  entsprossen  gelten  und  daher  mich  swiigauiphu  («rlbstj 
entstanden)  genannt  werden.     Diee    erinnert    au    die  Wuuderkratt ,   die  manj 
auch  in  Deutschland  den  sogenannten  Blitzsieinen,  nowie  den  auigcfu n denen I 
Steinbeilen  der  Vorzeit   oeilegt.       Zwischen    Tunjore   und   Trieb  i  uo pol jl 
sieht  man  viele  Hunderte  grosser  Pferde   von    gebranntem  Thon    aufgestellt.! 
die  dem  Gotte  Aijena  von  sterilen  Weibern  dargebracht  sind,  damit  vt  ihnm 
Kinder  schenke.     Auch  er  verdankt  die    grosse   Kundpchaft    seiner    wunder- 
baren Geburt;  denn  Atjenas  Eltern,  Sira  und  Fi«/);!«,  «iqd  beide  niilnulicb.J 
Auch  Hettf.   eine  Speciulgüttin    der  Badaga -Frauen,    die  in   dem  Nilgiri 
viele  Tempel  hat,  wird  häutig  angerufen. 

Die  SVeiber  der  Schins  im  Ffimalaya  richten  ihre  Gebete  um  Rinder* 
segen  an  den  Tschili-Bau  in  (v.  t'jfatty).    Bei  den  Kara-Kirgisfn  geltenJ 
ebenfttUs  Briume.  und  zwar  vereinzelt  .stehende  .\pfelbö.ume.  als  ZuQuchtseitiltt«n| 
für  unfruchtbare  Weiber.     So  heisist  es  in  einem  ihrer  Gedichte,  daf  Hadlofi 
übersetiit  hat: 


,  Tschinlschi,  des  Aidar  Tochter, 
Hatt'  einst  Jaci/b  ('htm  gefreit. 
,Wenn  auch  T^ih'vitschi  gefreit  ich, 
Küi>ste  ich  doch  nie  ein  Kind, 
Tachiritschi   It.tnd   nie  ihr  Haar  auf, 
Gott  um  Hülfe   flehend,  schaut'    aie 
mich  nicht  an, 
Fest  nie  band  sie  ihre  Hüften, 
Und  gebar  mir  keinen  Knaben. 
Seit  die  Tschiritachi  gefreit  ich. 


Sind  schon  14  Jahr  verHoKnen. 
Nie  ging  sie  zur  heil'gen  Stätte, 
Wälzt  sich  nicht    beim  Apfo1b»iume.| 
Uebeinachtet  nie  beim  Heilqu«U, 
0,  erbarme  Dich,  mein  HeiTgott, 
Mög'  im  Leib  der  7'sclnritscbt 
Pocb  lein  Knabe  jetzt  entstehen! 
Kfiniit'  ich  binden  ihre  HiH'ten, 
Mir  'nen  Sohn  gebären  lassen  u.  «.  w." 
('  Vnuili^rif.) 

Von  den  Stid-Slaven  erzählt  uns  Krauas^: 

„Folgende  zwei  Zaubereien  beruhen   auf  altem  Glauben  an    die  Bau^? 
seele,  welche  in  der  Gestalt  eines  Holzwurme.'?   in  dem  Baum  ihren  Aufent- 
halt  hat.     Das  Weib   nimmt    eine  Holzschüssel   voll  Wasser    und    jtellt    «t«  ^ 
unter  einen    Dachbalken,    wo   aus   dem  wurmstichigen   Holze   feiner  Wiimi- 
frass  herabrieselt.     Ihr  SJann  schlagt  mit  irgend  einem  schweren  Gegen'^tlind« 
auf  den  Balken  und  schüttelt  den  Wurrostaub  hemus.     Glückt  es  dt-iu  Weibo  j 
auch  nur  ein  Bröcklein  des  Wurnifltaube»  aufzufangen,  so  trinkt  sie  es  sunimt 
dem  WfiasiT   aus.      Manches   Weib   sucht   im   Knoten  der   Hiuelstnude   oaeh  i 
einem  Wurm  und  isst  ihn  auf,  wenn  sie  ihn  findet. 

Auch  dor  F'eucrfunke  hat  ühniidhe  Kraft,  das  Weib  zu  befruchten.    Da« 
Weib  hält  eine  Holzschüssel  voll  Wasser  neben    dem  Feuer  auf  den»   Herde. 
Der  Mann  schlagt   indessen   zwei  Feuerbrlnde  aneinander,    da«»  die  Funken' 
sprühen.     Nachdem  einige  Funken  in  die  SchUwel  gefalleo,  trinkt  da«  Weib 
da»  Wasser  aus  der  Schüssel  aus." 

Bei  de»  Tataren  war  es  früher  Sitte,  das8  man  am  Morgen  nach 
der  Hochzeitsnacht  die  JiiiigvtTmäliUen  au8  der  Jurte  zvir  Bt'griissuog 
der  neu  aufgehenden  Sonne  herausfiihrtf.  Mau  nimmt  nicht,  mit  Un- 
recht an,  daj«s  diesi.«  Sitte  au«  der  altpersischen  Gnltnrwell  Htammt, 


67.  GSttliche  und  gjmpAthetUche  Hülfe  gegen  die  Unfruchtbarkeit.      449 


deun  in  derThat  ist  dies  noch  heute  in  Iran  und  in  Mittelasien  im 

Gebrauch,  ein  Ueberbleibsel  des  alten  Parsicultns,  indem  man  sich 
Bdem  Glauben  hingiebt,  dass  die  Strahlen  der  aufgehenden  Sonne 
"^das    wirksamste  Mittel    zur   Erlangung   der   Fruchtbarkeit  bei    den 

Neuvermählten  seien. 
^K         Aber    auch    der  Liugam-   und  Phallusdieust    ist  ja  im  Grunde 
Hggenommen  gar  nichts  Anderes,  als  eine  Verehrung  des  befruchtenden 
■  Sonnenstrahls,  wenn  die  Götterbilder  auch  alhaiählich  zum  besseren 

Verständniss  für  die  rohe  Menge  menschüche  Formen  angenommen 

haben. 

In  China  giebt   es  Tempel   der   Fruchtbarkeit.    Eduard 

Pllüdchrandt  besuchte  einen  solchen  Tempel;  die  Andächtigen  des- 
Belbeu  bestanden  nur  aus  jungen  hübschen  Chinesinnen:  die  im, 
Tempel  beschäftigten  Bonzen  schienen  ernstlich  beflissen  zu  sein, 
f.  die  Bittsteilerinnen  in  ihrem  Kummer  über  den  bisher  mangelnden 
jÄEhesegen  zu  trösten  und  bei  beharrlichem  Besuche  ihres  Tempels 
^Luf  eine  bessere  Zukunft  hinzuweisen. 

^P         Die  Miaotze,    Ureüiwohner    in   der  Provinz  Canton,  haben, 

wie  Missionär  Krösvzijk   berichtet,    eigenthüniliche  Gebräuche,    um 

Fruchtbarkeit   zu    erzielen.     Ist    bei   ihnen   eine  Ehe    kinderlos,  so 

b-ucht  man   in    folgendem  Mittel  seine  Zuflucht.     Man  nimmt  einen 

^^Korb,  legt  weisses  Papier  hinein  und   stellt    einen  Priester  an,  um 

Hdies  Papier  anzubeten.     Das   Papier  soll  nämlich  die  Fa-lnnfi-mn 

vorstellen.     Die  Fa-hmg-mo^    Blumengrossvater  und   Blumengross- 

I     mutter,  sind  Geister,  welche  die  Seele  des  Kinde.s  in   einem  Garten 

lÄEurückhalten.     Der  Priester    bringt   nun  Opfer    von    Hühnern    oder 

^»Schweinen  diesen  Blumenahueu,    um   sie  günstig    zu    stimmen.     Es 

^fhängt  ja  nur  davon  ab,  dass  des  Kindes  Seele  aus  dem  Garten  eut- 

^Bla.ss(<n  werde,  so  muss  da.s    Kind    .selbstverständlich    zum  Vorschein 

^■kommen.     Die  <'eremonie  nennt  man  Kau-fa,  d.  h.  Bhimen  anbeten. 

^■^        „Bufwio,"  sagen  die  Japaner,  welche  viele  Jahre  ohne  Kinder  in  der 

^■Ehe  gelebt  hatte,  richtete  ihr  Gebet  an  die  Götter,  wiirdß  erhört  und  gebar 

^^—  fünfhundert  Eier.     Da  sie  befürchtete,  daea  die  Eier  vielleicht  Ungeheuer 

^^faervorbringen  oitichten,  so  packte  aie  i»olche  in  eine  Schachtel  und  warf  sie 

in»  Wasser.    Ein  iilt«r  Fischer,  der  die  Schachtel  fand,  brütete  die  Eier  in  einem 

IOfen  aus,  welche  fanfbnmlert  Kinder  hervorbrachten.  Die  Kinder  wurden 
mit  gekochtem  Reia  und  BeifussbUittem  gefüttert,  und  da  man  sie  endlich 
»ich  Helber  überliess,  so  fingen  sie  an,  Strasnenrihiber  zu  werden.  Da  sie  von 
einem  Manne  hörten,  der  wegen  seines  grossen  Keiobthums  berühmt  war, 
«o  enelUilten  Hie  ihre  Geschichte  vor  dessen  ThÜre  und  bettelten  um  einige 
Speise.  E*  fügt«'  .lieh,  das»  dieses  Haus  das  Uaus  ihrer  Mutter  war,  welche 
«ie  sogbnch  für  ihre  Kinder  erkannte  und  ihren  Freunden  und  Nachbarn 
ein  w\\x  grosses  (iastiiiahl  gab.  Sie  wurde  nachher  unter  dem  Naun-n  Heu- 
taüa  unter  dw  GDttinneu  versetzt.  Ihre  öOO  Söhne  wurden  beatinunt,  ihre 
l>e8tiLndigen  begleiUir  zu  sein,  und  sie  wird  bis  auf  diesen  Tag  noch  in 
Japan  al»  di>?  Göttin  der  Fruchtbuikeit  und  des  Keichthunifi  verehrt.  {Jlorjit.) 
Bei  Kinderlosigkeit  **chein»Mi  die  Orokcn,  die  Urbuwohner  der  Insel 
Saobftlin,  diti  Ehe  dadurch  frurhtbar  zu  machen,  dass  sie   über   das  Uelt 


PInii,    (>«•   W*tl>     t      3.    Aufl. 


29 


XIV.  Die  Fruchtbiurkeit  des  Weibw. 


eisen  sonderbaren  Götzen  hängen.  Ein  solches  Götzenbild  fand  in  einet 
Oroken- Hütte  FoIJakow:  »Es  war  eine  Gruppe,  die  eine  Frau  und  einen 
Seehand ,  mit  einer  gemeinschaftlichen  Decke  bedeckt ,  zusammenscblafend 
repräsentirte.  Ich  hatte  schon  früher  erfahren,  welche  wichtige  materielle 
Bedeutung  im  Leben  der  Oroken  und  Giljaken  der  Seehund  besitzt;  ich 
Ober'iCeagie  mich  indesa  auch  von  der  religiösen  Bedeutung,  die  diesem  Thiere 
beigelegt  wird,  so  daas  ich  auch  diejenige  des  Götzen  unschwer  erfassen 
konnte."  Poljdkov  nahm  das  Götzenbild  und  hing  es  an  seine  HQtte.  Der 
Orok  bat,  ihm  es  w^iederzugeben ,  da  er  es  zum  Schutz  gegen  Magen- 
schmerzen halte;  dies  war  jedoch  eine  falsche  Angabe. 

Sehr  eigeuthtimliche  Qebräache  zur  Erlangung  der  bisher  Ter> 
s^ten  Fruchtbarkeit  finden  wir  auf  den  Inseln  de?  malayischen 
Archipels. 

Wenn  auf  Engano  eine  Ehe  unfruchtbar  bleibt,  so  nehmen  manche^ 
die  sich  Kinder  wünschen,  den  Namen  eines  Thiere«  an,  zumal  den  eines 
Hundes,  welchen  Thieren  sie  ebenso,  wie  wir  Europäer,  Namen  geben; 
ein  Häuptling,  den  v,  Soaenberg  besuchte,  biess  nach  seinem  Liebliugahund 
.PahV 

Auf  Amben  und  den  üliase  -  Inseln  opfern  die  unfruchtbaren  Weiber 
auf  einem  heiligen  Stein  und  beten  nachher  in  dem  Tempel.  Eine  ähnliche 
Kraft  und  Bedeutung  hatte  auf  Java  eine  alte  holländische  Kanone,  die 
bei  Btvtnvia  auf  treiem  Fehle  lag.  Auf  ihr  pflegten  die  Weiber  in  ihren  besten 
Kleidern  mit  Blumen  geschmiickt  rittlings  zu  sitzen,  manchmal  zwei  auf 
einmal,  dabei  wurden  Opfergaben  au  Heis,  Früchten  u.  s.  w.  niedergelegt, 
die   dann  natürlicher  Weise  von  den  Priestern  eingesteckt  wurden.    (Kithl.) 

Auf  den  WatuViela-  und  Aarn -Inseln  opfert  man  auf  den  Gr&bem 
der  Vorfahren,  ebeniso  auf  den  Sula- Inseln.  Hier  gehen  nach  Riedel^ 
unfruchtbare  Weiber  mit  ihren  Milnnem  zu  den  Grfibem  der  Eltern, 
oder,  wenn  sie  Mohammedaner  sind,  Freitags  nach  der  sogenannten  Kub 
Karana,  dem  heiligen  Grabe,  um  im  Verein  mit  einigen  alten  Frauen  da- 
selbst zu  beten,  mit  sich  nehmend  einige  piga  mena-mena,  einen  gefüllten 
Sirih-Kober,  einen  Bambu  mit  Wasaer  und  eine  lebende  Geis,  bei  den 
Heiden  auch  wohl  ein  junges  Ferkel.  Das  Grab  wird  dann  rein  gekehrt, 
die  piga  mena-mena  mit  dem  darein  gegossenen  Wasser  und  der  Sirih- 
pinang  auf  das  Grab  gelegt,  während  die  Geis  oder  das  Schwein  in  der 
Nachbarschaft  festgebunden  wird.  Nachdem  sie  dies  verrichtet  haben,  spricht 
der  Mann  flU.<itenid:  ,,(ich)  theile  mit  dem  Grabe  meiner  Eltern,  wenn  ich 
ein  Kind  kriege,  dann  will  ich  eine  Geis  (Schwein)  opfern  oder  dem  Volke 
zu  speisen  geben,  ich  verlange  nach  Heilmitteln,  um  ein  Kind  zu  kriegen, 
Medicin,  die  ich  trinken  kann;  wenn  ein  Kind  mir  gegeben  ist,  komme  ich 
zttrück  (um  zu  opfern).*  Die  betreffende  Medicin  wird  im  Traume  sowohl  der 
Frau  als  dem  Manne  bekannt  gemacht  oder  vorgeschrieben.  Dann  wascbcn 
sich  die  Ehegonossen  mit  dem  dadurch ,  dass  es  auf  dem  Grabe  gestanden 
hat,  geweihten  Walser  und  essen  zusammen  Sirih-pinang.  Ein  Theil  des 
letzteren  wird  in  einer  Schüssel  auf  dem  Grabe  zurückgelassen.  Darauf  kehren 
sie  nach  ihrer  Wohnung  zurück,  die  Geis  oder  das  Schwein  wieder  mit« 
nehmend^  Wird  die  Frau  schwanger,  dann  wird  das  bewoBste  Thier  ge- 
schlachtet und  den  Negari-Genossen  gekocht  vorgesetzt,  damit  sie  den 
iWawa  oder  Geist  de»  Vaters  oder  des  Heiligen,  dessen  Grab  besucht  wordea 
iit,  loben  und  preisen  können. 

Auf  Serang  betet   der  Priester«  der  nachher  mit  dm  Dorf- 


f genossen  die  Opfergaben  verspeist,  mit  der  Frau:   .Herr  Firmament, 
Herr  Erde,  Himmel,  Erde  seid  gnädig  mid  gebt  mir  ein  Kiud." 

Unfruchtbare  Frauen  auf  Keisar  nehmen  das  erste  Ei  ehier 
Henne,  gehen  damit  zu  einem  sachverständigen,  alten  Manne  und 
fragen  ihn  um  Hülfe.  Er  legt  das  Ei  auf  ein  Nunu- Blatt  (ticus 
altimeraloo)  und  drückt  damit  die  Brüste  der  Frau  unter  dem 
Murmeln  von  Segenswünschen,  kocht  dann  das  Ei  in  einem  zu- 
sammengefalteten Koli- Blatt  (l)orassus  flabelliformis),  ninmit  ein 
Stückchen  davon,  legt  es  wieder  auf  das  Jyunu-Blatt  und  lässt  es 
die  Frau  essen.  Darauf  drückt  er  mit  dem  Blatt  die  Nase  und 
die  Brüste  der  Frau  aufs  Neue  und  bestreicht  die  rechte  imd  die 
linke  Schulter  vou  oben  nach  unten,  wickelt  darauf  wieder  ein  Stück 
von  dem  Ei  in  das  Nunu-BIatt  und  lässt  es  in  den  Zweigen  eines  der 
höchsten  Bäume  in  der  Nachbarschaft  der  Wohnung  aufbewahren. 
Sehr  absonderlich  nach  unseren  Begriffen  sind  die  Maassnahiueti, 
welche  die  Weiber  auf  den  Babar-Inseln  veranstalten,  wenn  ihnen 
der  Kindersegen  versagt  ist. 

Sie  suchen  dann  die  Hdlfe  eine»  Hannes  auf,  der  viele  Kinder  besitsi. 
damit  er  für  sie  die  (loltheit  bitte.  Der  Ehegatte  der  Frau  bringt  darauf 
50 — 60  junge  Kahipufrücbte  zusammen,  während  sie  au»  rothem  Kattun 
eine  i'uppe  von  einem  halben  Meter  Länffe  verfertigt.  Am  verabredeten 
Tage  kommt  der  betretende  Mann  in  daa  Flaue  der  Frau,  lüsst  das  Ehepaar 
neben  einander  sitzen  und  setzt  vor  sie  einen  Tell«^  mit  Sirih-pinung  und 
einer  jungen  Kalapat'rucht  hin.  Dabei  hält  die  Frau  die  Puppe  im  Arme, 
als  ob  sie  dieeollie  a&ugle.  Die  Frucht  wird  geöffnet  und  mit  dein  darin 
enthaltenen  Wasser  Mann  und  Frau  besprengt.  Darauf  nintnit  der  Helfer 
ein  Huhn,  und  h&lt  dessen  Füsse  gegen  den  Kopf  der  Frau,  indem  er  dazu 
spricht:  „0  Upulero,  mache  Gebrauch  von  dem  Huhn,  las»  fallen,  \a&n  her- 
uiedersteigen  eioen  Menschen,  ich  bitte  dich,  ich  Uehe  dich  au,  einen  Men- 
schen iasB  fallen .  lass  ihn  niedersteigen  in  meine  U&nde  und  auf  meinen 
Schooss!*  Sofort  fragt  er  dann  die  Frau:  «Ist  das  Kind  gekommen?'  Wor- 
auf sie  antwortet:  ,Ja,  es  saugt  bereits.*  Dann  berührt  er  da.«  Haupt  de« 
Mannes  mit  den  UUhnerfüesen  und  murmelt  dazu  einige  Formeln.  Das  Huhn 
wird  danach  durch  einen  Schlag  gegen  den  Hauspfosten  getOdtet.  gcOffnet 
und  die  Ader  am  Herzen  untersucht.  Es  wird  dann  auf  den  Teller  gelegt 
und  auf  den  Opferplatz  im  Hause  gestellt.  Dann  wird  im  Dorfe  verkündigt, 
dass  die  Fran  schwanger  wäre,  und  alles  kommt  und  beglUckwQnscht  sie. 
Ihr  Mann  leiht  eine  Schaukelwiege,  in  die  sie  die  Puppe  hineinlegt  und 
dieecIHe  sieben  Tage  lang  wie  ein  neugeborenes  Kind  behandelt,  {liiedtl,^) 
In  ähnhcher  Weise  wird  der  imfruchtbareu  Nischinamfrau 
in  Californien  von  ihrer  Freundin  eine  Puppe  aus  Gnis  geschenkt, 
die  sie  dann,  um  ihre  Unfruchtbarkeit  zu  beseitigen,  Wiegenlieder 
iBiugeud  an  die  Brust  legt.  (Poieer.) 

Die  E.nkimo-Sagen  berichten,  dass  eine  alte  Frau  einem  un- 
fruchtbaren Weibe  zwei  Fische  gesendet  habe,  einen  Milchner  und 
einen  Rogener,  die  letztere  essen  solle,  je  nachdem  sie  eiuen  Sohn 
oder  eine  Tochter  wlinsche.  Der  Ehemann,  der  seiner  Frau  diese 
Fische  bringeo  wollte,  verzehrte  auf  der  Heimreise  aus  Mangel  an 
Lebensmitteln  den  Kogener.     In  Folge  des-sen  wurde  er  schwanger 

29» 


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87.  Göttliclie  ond  BjrtnpathctiRcTiP  fffllfe  gegen  die  Unfruchtbarkeit,     458 


hätten  während  des  Schlafes  den  Mund  geöffnet,  da  kroch  die 
Muetter  heraus  und  zum  nächsten  Wasser,  wo  sie  sich  badet«. 
Wenn  nun  das  Weib  inzwischen  den  Mund  nicht  geschlossen  hatte, 
kroch  die  zurückkehrende  Muetter  wieder  hinein  und  die  frühere 
Kranke  war  wieder  gesund;  hatte  djis  Weib  aber  inzwischen  den 
Mund  geschlossen,  so  starb  sie.  Unfruchtbare  Weiber  opfern 
solche  Wachsfiguren  bei  Bildern  der  Gottesmutter  und 
der  heiligen  Kümmerniss.  {Zingerle.^) 

Bei  Unfruchtbarkeit  gelten  wie  überhaupt  in  katholischen  Län- 
dern Gebete  zu  den  Heiligen  für  hülfreich;  so  stehen  in  Steier- 
mark bei  Erhoöuug  des  Kindersegens  Wallfahrten  zu  wunder- 
thätigen  Gnadenbildeni,  namentlich  nach  Maria  Zell,  Maria 
Trost,  Maria  Lankowitz,  Frauenberg  bei  Admont  u.  8.  w. 
iu  hohem  Ansehen.  (Fossel.) 

Kindersegen  verschalTt  im  Luxemburgischen  die  Muttergottes 
Maria  im  AValde  auf  einer  Eiche  zwischen  Alttrier  und  Hers- 
berg, wie  früher  auf  dem  Helperberg,  die  heil.  Lucia  dagegen 
im  wallonischen  Luxemburg.  An  der  südlichen  Grenze  dieses 
Landstrichs,  nahe  bei  Verdau,  sieht  man  noch  in  einem  Felsen 
den  Lehnstuhl  dieser  Heiligen;  diesen  steinernen  Sitz  nehmen  betend 
kinderlose  Frauen  ein  und  erwarten  mit  Zuversicht  die  Erfüllung 
ihrer  Wünsche,  (de  la  Fontaine.) 

Wenn  bei  den  Serben  die  Braut  das  erste  Mal  in  das  Haus 
des  Bräutigams  kommt,  sieht  sie  nach  den  Dachbatken,  Wie  Wel 
Balken  sie  im  ersten  Augenblick  erblickt,  so  viel  Söhne  wird  sie  haben. 
Die  Frau  hängt  auch  ihr  Hemd  umgekehrt  an  einen  gepfropften 
Baum,  so  dass  die  Aermel  nach  unten  hängen.  Unter  das  Hemd  stellt 
sie  ein  Glas  voll  Wasser.  Den  nächsten  Morgen  trinkt  die  Frau 
das  Wasser  aus  und  das  Hemd  zieht  sie  an.  Andere  lassen  sich 
von  einer  schwangeren  Frau  Sauerteig  in  den  Gürtel  geben  und 
schlafen  mit  demselben  eine  Xacht.  Den  nächsten  Tag  isst  die 
Frau  den  Sauerteig  zum  Frühstück  auf.  Ein  sehr  unter  den  Serben 
verbreitetes  Mittel  ist  schliesslich  folgendes :  Die  Frau  geht  auf  dem 
Gottesacker  auf  ein  Grab,  iu  welchem  eine  schwangere  Frau  be- 
graben li«gt;  dort  isst  sie  das  Gras  von  dem  Grabe  ab,  während  sie 
tlir  die  Verstorbene  betet  und  ihr  zuruft,  da.ss  sie  der  Betenden  ihr 
Iviud  schenke.  Hierauf  nimmt  sie  ein  wenig  Erde  von  diesem  Grab 
und  trägt  diese  sehr  lange  Zeit  im  Gürtel.  (Fetrtncitsch.)  Einige 
andere  Mittel  der  SOd-Slaven  haben  wir  oben  schon  kennen  gelernte 

In  LTngaru  herrscht  der  Aberglaube,  dass  die  junge  Frau 
schon  bei  der  Trauung  durch  eine  Art  Za»il>erei  die  Zahl  der  Kinder 
bestinunen  kunne,  welche  hie  künftig  bekommen  wird:  So  viele 
Kinder  sie  haben  will,  auf  so  viele  Finger  muss  sie  sich  vor  der  Co- 
pulation  in  der  Kirche  setzen,  (f.   Csaplovics.) 

An  einigen  Orten  in  Russland  wird  schon  bei  Gelegenheit 
der  Hochzeit  Rürk.sicht  darauf  genommen,  dass  der  jungen  Frau 
der  Kindersegen  nicht  fehle:  in  Kishni-Nowgorod  z.  B,  werden 


454 


XIV.  Die  Fruchtbarkeit  dea  Weibea. 


die  Neuvermählteu  so  vom  Hochzeitstisch  geleitet,  dass  sie  keinen 
Kreis  zu  beschreiben  haben,  sonst  bleibt  dieEhe  unfruchtbar.  {Sunizuw.} 

Auch  die  Französinnen  riefen  in  der  Noth  der  Unfrucht- 
barkeit die  Hülfe  der  Heiligen  an,  aber  hier  waren  es  männliche 
Heilige,  welche  das  Wunder  verrichteten. 

Noch  bis  zu  der  Zeit  der  Revolution  bestand  in  Brest  eine 
Kapelle  des  heiligen  Gnignolef,  der  das  Attribut  des  Friapus  ttlhrte. 

,Le8  feminea  steriles  ou  qui  croignaient  de  I'&tre  aUaient  4  cette  atatue, 
et,  &\)Tha  avoir  gratt^  ou  raclä  ce  que  je  n'ose  nonuner,  et  bu  cette  poudre 
infus^e  dana  un  verre  d'eau  de  la  fontalne,  ces  femmes  s'ea  retournHieni 
avec  Tespoir  d'&tre  fertües." 

St.  GucrlichoH  wird  ähnlich  verehrt  und  hat  gleiche  Erfolge. 
(Harmanfl). 

In  den  Pyrenäen  bei  Bourg-d'Oueil  befindet  sich  eine 
steinerne  menschliche  Figur  von  P/o  Meter  Höhe,  welcher  era 
peyra  de  Peyrahita  genannt  wird.  An  ihm  reiben  sich  die  un- 
fniclitburen  Weiber,  welche  ilm  umarmen  und  küssen. 

Dass  wir  in  diesen  Dingen  die  Remiuiscenzen  eines  alten  Phallns- 
cultus  wiedererkennen  müssen,  das  liegt  wohl  auf  der  Hand  und 
es  ist  wohl  nicht  unwahrscheinlich,  dass  es  hier  ursprünglich  jihö- 
nizische  Gottheiten  sind,  welche  im  Laufe  der  Jahrhunderte  all- 
mählich die  Wandlung  in  christliche  Heilige  durchgemacht  haben. 


68.  Die  Terhütung  der  Befrochtang". 

Die  jüdische  Frau,  welche  ihre  Schwiuigerschaft  vereitelte, 
b^ng  nach  Josephiis  ein  tode.swürdiges  Verbrechen.  Die  Juden 
des  alten  Testaments  kannten  gewiss  mehrere  Methoden,  die 
Befruchtung  zu  verhüten:  Es  wird  wenigstens  von  Onan  berichtet, 
dass  er  den  Actus  in  dem  Augenblicke  miterbrach,  wo  er  frucht- 
bringende Folgen  desselben  vermuthen  durfte. 

Aehnliches  erzählt  Thompson  von  den  Jünglingen  der  Massai; 
denn  da  die  Mädchen,  wenn  man  bei  ihnen  eine  Gravidität  entdeckt» 
ohne  Gnade  dem  Tode  verfallen  sind,  so  extrahiren  sie  den  Peru» 
ante  actum  finitum. 

Auch  bei  den  Griechen  und  Römern  kamen  Prfiventiv-Mittel 
zur  Anwendung.  Landerer  berichtet,  dass  in  dieser  Hinsicht  Vites 
Agnus  Castus  in  Alt-Griechenland  eine  grosse  Rolle  spielte. 
Man  nannte  diese  Pflanze  Castus  i.  e.  ayvog,  quod  ad  iis,  a  quibus 
estur  aut  bibitur,  aut  substemitur,  castitatem  conservat,  quam  ma- 
tronae  Atheniensium  in  Thesmophoriis  cnstitatem  custodientis 
hujus  arboris  sibi  stemebant. 

Es  wurden  auch  hn  alten  Rom  Versuche  gemacht,  durch  innere 
Mittel  P'rauen  unfruchtbar  zu  machen.  Nach  der  Lehre  der  Sym- 
boliker  und  Sympathetiker  sollten   die  Samen    fruchtloser  Bäume, 


JChtOBg. 


455 


als  Thee  getrunken,  Unfruchtbarkeit  herbeifTüiren ,  so  besonders 
die  im  Haine  der  kinderlosen  Proscrpina  wachsenden  Weidenbäome 
(llonwi')  und  Pappeln,  (v.  Fahrice.)  Plinius  bemerkt  dazu :  occissime 
autem  salix  amittit  semen,  antequani  niaturitatem  sentiat,  ob  id 
dicta  Jlomero  frugiperda;  secuta  aetas  scelere  suo  interpretAta  est 
hanc  sententiam,  quando  senaen  Salicis  mulieri  sterilitas  medicamentnm 
esse  constat. 

Der  römische  Arzt  Soranus  gab  ausserdem  den  Rath,  die  Frau 
solle,  wenn  ihr  eine  Geburt  getahrlich  zu  werden  droht,  sich  hüten, 
den  Beischlaf  vor  oder  nach  der  Alenstniation  einzugelien,  vsie  soll 
im  Moment  der  Ejaculation  den  Athem  an  sich  halten,  nach  dem 
Coitus  mit  gekrümmten  Knieen  sitzen,  vor  dem  Coitus  den  Mutter- 
mund mit  Oel  oder  Honig,  mit  Opobalsara  oder  Absjnth  verbunden, 
bestreichen  und  sich  Pessi  mit  zusammenziehenden  Mitteln  einlegen 
lassen. 

Da.«s  auch  noch  bis  in  spätere  Zeit  selbst  im  deutschen 
Volke  der  Glaube  herrschte,  dass  Weiden-Thee  unfruchtbar  mache, 
bezeugen  Settz  und  Matthiolus;  letzterer  meint  sogar,  dass  die 
Blätter  von  Weiden  mit  Wasser  getrunken  nicht  bloss  Schwanger- 
schaft verhindern,  sondern  auch,  dass  sie,  wenn  sie  gesotten  ge- 
trunken werden,  ,Lust  mid  Neigung  zur  UnkeuscLheit  vertreiben." 
In  der  Gegend  von  Kitzingen  herrschte  noch  179G  der  Aber- 
glaube, dass  ein  Mädchen,  welches  Birnen  oder  Mispeln  esse,  die 
auf  Hagedomstämmen  oculirt.  seien,  nicht  empfange;  eine  Schwangere, 
die  davon  gegessen,  nicht  gebären  könne,     {ßimdschuh.} 

In  Steiermark  werden  zur  Verhütuug  einer  Empfiingniss 
nicht  selten  die  absurdesten  Ilathschläge  ertheilt  und  getreulich  be- 
folgt. Allgemein  gilt  das  Wasser  aus  den  Löscheimern  der  Schmiede, 
nach  jeder  Menstruation  getrunken,  als  unfruchtbar  machend,  ebenso 
der  Genuss  von  Zimmttinctur,  englischem  Balsam,  Bienenhonig  und 
Abführmitteln  aller  Art,  besonders  von  Aloe  und  Myrrhe.  Verbürgten 
Nachrichten  zufolge  haben  die  , ledigen  Menscher"  im  .  .  .  Thale 
steyrischen  Oberlandes  seit  vielen  Jahren  statt  der  modernen 
Üfety  sponges  Leiuwandfetzen  im  Gebrauch.     {Fossel.) 

Will  die  Ungarin  keine  Kinder  haben,  so  sucht  sie  sich  durch 
einen  Zauber  zu  schützen,  indem  sie  vor  dem  Beilager  ein  mit 
Mohn  gefülltes  und  gesperrtes  Vorlegeschloss  in  den  nächsten 
Brunnen  wirft,  {v.  Csaplovka.) 

Wenn  die  Frau  des  Serben  will,  dass  sie  nie  mehr  Kinder 
bekommt,  soll  sie  mit  den  Beinen  des  Neugeborenen  die  HausthUre 
zumachen.  {Peiro witsch.)  Wenn  bei  den  Süd-Slaveu  ein  Kind 
stirbt,  .so  darf  der  Sargdeckel  zu  Kopf  und  Füssen  der  Leiche  nicht 
vernagelt  sein,  weil  sonst  die  Mutter  unfruchtbar  bliebe,  oder 
wenn  es  gut  ginge,  eine  sehr  Hchwere  Geburt  bei  der  nächsten  Nie- 
derkunft zu  bestehen  hätte.  Will  ein  Weib  einige  Jahre  hindurch 
nicht  nielir  Kinder  zur  Welt  bringen,  so  braucht  sie  bloss  in  das 
erste    BadewuMser  ihres  Kindes   so  viel  Finger  zu   stecken,  '  ak   sj^ 


456 


XIV.  Die  FTUchtbariceft  de»  Weibes. 


Jalire  bindurcli  unfruchtbar  bleiben  will,    und  datm  die  Finger  ab- 
lecken.    {Kraiiss.^) 

in  Kussland  trinkt  man , zur  Verhütung  der  Schwangerschaft 
einen  Aufguss  von  Lycopodiuni  annotium,  oder  am  Morgen  nüchtern 
ein  Glas  warmes  Wasser. 

In  Sibirien  soll  man  jedesmal,  wenn  die  Menses  sich  ein- 
stellen ,  ein  bestimmtes  Gewicht  Bleiweiss  nehmen ,  wodurch  diese 
angeblich  unterdrückt  und  bis  zum  nächsten  Eintritte  derselben  die 
Empttiugniss  verhütet  werden  soll;  beim  Aussetzen  de»  Mittels  kehrt 
nach  der  im  Volke  ciirsirenden  Meinung  auch  die  Möglichkeit  der 
Emplangniss  zurück,     (Krehel) 

Um  nicht  schwanger  zu  werden,  sollen  nach  Kinnringer  in 
Oherägypten  die  Töchter  Evu's'  von  dem  Pulver  der  gebrannten 
Porzellauschuecken-Schale  (Cypraea)  drei  Mund  voll  nüchtern  nehmen. 
Wenn  in  Algier  eine  Fruu  nicht  sobald  wieder  schwanger  werden 
will,  so  trinkt  sie  einige  Tage  lang  Wasser,  in  welchem  man  die 
Blätter  der  Salsola  und  der  Ptirsich  eingeweicht  hat,  oder  sie  ge- 
niesst  den  Saft  der  Frucht  des  Feigenbaums,  auch  braucht  sie  nur 
auf  ihrem  Koiife  ein  Amulet  zu  tragen,  ein  Papier,  auf  dem  zwei 
Vierecke  gezeichnet  sind ;  an  jeder  Ecke  der  letzteren  sind  \  ~  an- 
gebracht,  um  welche  herum  arabische   Worte  .stehen.         M— 

Um  Unlruchtbarkeit  herbeizuführen,  gebraucht  mau  auf  den 
Neuen  Hebriden  eine  Pflanze,  welche  die  Weiber  verspeisen. 
(Jamieson.) 

Verschiedene  rein  mechanische  Arten,  sich  vor  der  Befrnch- 
tiuig  zu  schützen,  haben  wir  bereits  hei  Australierinnen  und  bei 
Bewohnerinnen  des  mal a v i s c h e n  Archipels  kennen  gelernt.  Letztere 
verhalten  sich  nach  R/rdd  bei  dem  Coitus  sehr  indifferent,  um  nicht 
geschwängert  zu  werden;  erstere  verstehen  es,  durch  eine  schlen- 
kernde Bowegvmg  der  Heckenregion  sich  des  eingedrungenen  Speruia 
zu  entledigen.  Auch  kommen,  wie  wir  gesehen  haben,  bei  ihnen 
Mädchen  vor,  denen,  um  sie  unfruchtbar  zu  machen,  die  Eierstocke 
herausgeschnitten  waren,  und  das  Gleiche  fand  sich  in  Ostindien. 
Ebenfalls  in  Indien,  bei  den  Muuda-Kohls  und  in  Niederlän- 
disch-Indien,  verstehen  sie  es,  Conception  durch  absichtlich  vorge- 
nommene Lageveriinderungen  (Knickungen)  der Gdiärmutter  zu  verhüten. 
So  sind  jedenfalls  die  Worte  des  Missionar  JtUinyhaus  zu  deuten, 
welcher  erzählt,  dass  arme  Weiber  unter  den  Muuda-Kohls  in 
Indien  sich  ohne  Wissen  der  Männer  die  Gebärmutter  verschieben 
und  verdrücken  la.s.sen,  um  die  Plage  der  Schwangerschaft  los  zu 
sein.  Und  aus  Niederländisch-lndien  berichtet  vun  der  Burtft 
Der  dort  schon  IHih  entwickelte  Geschlechtstrie})  iler  Mädchen  wird 
anstandslos  befriedigt,  wobei  man  sich  der  Hülfe  einer  Doekoen, 
einer  der  zahlreich  vertretenen  heilkundigen  alten  Frauen  bedient, 
um  nicht  zu  concipiren.  In  der  That  scheinen  diese  Weiher  zu  vor» 
stehen,  durcli  üus.sere  Manipulationen,  durch  Drücken,  Reiben,  Kneten 
durch  die  Bamhdecken   hindurch,   nicht  von   der  Scheide  aiw,   eine 


89.  CTeberfruchtnng  und  mehTfaclie  Schwangerschaft.  457 

LHgeveränderuDg,  Vor-  oder  Rückwärtsknickung  der  Gebürnmtter  zu 
Stande  ?,«  bringen,  welche  die  Conception  verbindert,  und  zwar  ohne 
dass  weitere  Beschwerden  davon  die  Folge  sind,  als  leichte  Kreuz- 
und  Leistenschmerzen  tmd  Urinbeftchwerden  in  den  ersten  Tagen 
der  Procedur.  Will  ein  derartiges  Mädchen  später  heirathen  und 
Mutter  werden,  so  wird  die  Gebärmutter  wieder  auf  dieselbe  Weise 
in   Ordnung  gebracht. 

Dass  auch  bei  den  civilisirten  Völkern  Europas  allerhand 
Vorkeiiningsmaassnahmen  eine  weit^  Verbreitung  besitzen,  bedarf 
wohl  an  dieser  Stelle  keiner  besonderen  Erörterung,  Es  sind  die 
allbekannten  Fisch-  und  Guinmiblasen  und  die  Schwäramohen,  und 
auf  der  gynäkologischen  Klinik  in  Berlin  entdeckte  E.  Martin  zti 
meiner  Studienzeit  in  der  Vagina  einer  Frau  sogar  einen  kleinen 
Borsdorfer  Apfel. 

Wer  sich  über  die  schädlichen  Wirkungen  unterrichten  will, 
welche  der  sogenannte  Coitus  interruptu.s  auf  den  Genitalapparat 
und  das  Nervensystem  der  Frau  auszuüben  pflegt,  den  müssen  wir 
auf  die  Abhandlung  von    Valcnfa  verweisen. 

Ganz  neuerdings  ist  ein  neuer,  sinnreich  construirter  Apparat, 
das  Pessarium  occlusivum,  zur  Verhinderung  der  Emptaugniss  von 
Dr.  Mrnsinga  tu  Flensburg  (unter  dem  Pseudonym  Hasse)  in  die 
ärztliche  Praxis  eingeltihrt  worden,  welcher  für  gewisse  Fälle  ganz 
unbestritten  eine  grosse  Wichtigkeit  und  Berechtigung  besitzt. 


69.  Ueberfmcliiung  und  inetirfaclie  Sehwangersclrnft. 

Wir  können  die  Besprechimg  der  weiblichen  Fruchtbarkeit 
nicht  abschlies-^en,  ohne  derjenigi-n  Zustände  zu  gedenken,  in  welchen 
nicht  nur  eins,  sondern  gleichzeitig  mehrere  Kinder  im  Mutterleibe 
zur  Entwickelung  gelangen.  Man  pflegt  hier  die  Unterscheidung 
zti  machen  in  die  Fälle  gewohnlicher  Mehrschwangerschaft  (Zwil- 
linge, Drillinge,  Vierlinge  u.  s.  w.)  und  in  diejenigen  der  üeber- 
fruchtung.  Die  letztere,  glaubte  man,  habe  stattgefunden,  wenn 
in  den  Grösscndimensionen  der  beiden  Früchte  ein  erhebliches,  in 
die  Augen  fallendes  Missverhältniss  be.steht,  oder  wenn,  wie  das 
zuweilen  vorkommt,  zwischen  der  Geburt  der  beiden  Früchte  ein 
Zeitraum  von  mehreren  Tagen  verstrichen  ist.  Manche  niedere 
I  Volksstämme  betrachten  allerdings  jede  Zwillingsschwangerschaft  als 
eine  Ueberfruchtung,  und  zwar  halten  .sie  deren  Zustandekommen 
nur  dann  für  möglich,  wenn  noch  ein  zweiter  Mann  sich  an  dem 
Zeugungsgf.Kchäfte  betheiligt  Imt.  So  nur  erklärt  es  sich,  dass  die 
Eingeborenen  in  Guinea,  Guiana  und  die  Chibchas-  und  Sa- 
livas-Indianer  Zwillingsgeburten  fUr  den  sicheren  Beweis  des  Ehe- 
bruch-s  der  Frau  ansehen  und  diese  und  die  Kinder  dementsprechend 
behaudehi. 


458 


Gebildetere  Völker  dachten  sich  die  Ueberfriichtuug  aof  ver- 
schiedene Weise,  aber  immer  doch  durch  die  alleinige  Beihülfe  des 
Ehemannes  entstanden.  So  hatte  Empedohles  die  Ansicht  aufge- 
stellt, dass  eine  doppelte  Schwangerschaft  einer  Theilung  des  männ- 
lichen Samens  ihren  Ursprung  verdanke.  Erasistratos  dagegen 
(um  300  vor  Christo)  hielt  eine  doppelte  Befruchtimg  für  möglich. 

Culturgeschichtlich  merkwürdig  ist  nun,  dass  die  talniudi- 
Bchen  Aerzte  allerdings  eine  solche  Ueberschwängerung  fl\r  mög- 
lich hielten,  indem  sie  das  Zeitmaass,  innerhalb  dessen  eine  solche 
stattfinden  könnte,  bis  auf  drei  Monate  ausdehnten;  eine  Super- 
fotation  von  nicht  mehr  als  40  Tagen  konnte  nach  dem  Talmud  ohne 
Nachtheil  für  beide  Kinder  geschehen.  Dagegen  sprechen  sich 
diese  Aerzte  dahin  aus,  dass  eine  Superfötation  von  längerem  Zeit- 
raum gewöhnlich  das  eine  der  beiden  Kinder  iu  Gefahr  bringe;  in 
solchen  Fällen  zeige  das  Ei  desselben  sehr  geringe  Spuren  einer 
menschlichen  Gestalt,  vielmehr  eine  „Sandalen-Form",  und  es 
konmic  dann  gleich  einem  Abortus  nur  todt  zur  Welt.  {Wunder- 
bar.} Hier  liegt  offenbar  die  erste  Beobachtung  jener  bisweilen 
vorkommenden  Zwillingsgeburten  vor,  bei  denen  das  eine, 
schon  vor  mehreren  Monaten  abgestorbene  Kind  platt  gedruckt, 
eingeschrumpft  und  vertrot-knet  geboren  wird,  wobei  aber  an 
eine  Superfötation  nicht  zu  denken  ist.  Im  Talmud  wird  auch 
davon  gesprochen,  dass  die  israelitischen  Frauen  in  Aegypten 
in  einzelnen  Fällen  sogar  mit  sechs  lebensfähigen  Kindern  über- 
schwängert wurden  mid  letztere  auch  glücklich  zur  Welt  bringen 
konnten. 

Die  Möglichkeit  einer  Superfötation  nahm  auch  Aristoteles  an ; 
als  höchste  Zahl  der  uiehrfachen  Geburten  gelten  ihm  Fünflinge. 
Auch  später  noch  hielten  arabische  Aerzte  Superfötation  für  mög- 
lich. Aüicenna  erklärte  sie  für  gefährlich,  imd  Abulkasem  meinte, 
dass  das  erste  Kind  vom  zweiten  leicht  getödtet  werde,  dass  aber 
auch  das  zweite  Kind  möglicherweise  sterbe. 

Die  Superfötation,  oder,  wie  Sratuoni  sie  zu  nennen  vor- 
schlägt, Super föcundation,  hat  bis  in  die  neuere  Zeit  ihre  Ver- 
fechter gefunden.  Im  17.  Jahrhundert  herrschten  darüber  sehr  ab- 
sonderliche Ansichten.  Der  anonyme  Verfasser  von  des  getreuen 
Eckardfh's  unvorsichtiger  Heb-Amme  erzählt,  dass  er  selbst  zwei 
derartige  Fälle  beobachtet  habe,  einen  im  Jahre  1686,  wo  ein  In- 
tervall von  zwei  Monaten  zwischen  beiden  Geburten  bestand,  und 
den  anderen  im  Jahre  1677,  wo  eine  Dame  zuerst  von  einem  Sohne 
und  12  Wochen  später  von  einer  Tochter  entbunden  worden  war.  Er 
sagt:  , Im  Anfange  und  währenden  1 2  biss  20  Tagen  kan  dergleichen 
Nachschwüngerung  nicht  geschehen,  denn  sie  würde  in  zukommen- 
den Saaraen  eine  Verwirrung  machen  und  ein.s  das  andere  ver- 
derben." Auch  der  bekannte  Gynäkologe  Btisch  verfocht  noch  im 
Jahre  1849  die  Mögliclikeit  der  Superföt^ition,  und  es  sprachen  liier- 
für  scheinbar  diejenigen  Beobachtungen,  wo  Europäerinnen  Zwil- 


linf^e  von  zwei  Rassen,  ein  weisses  und  ein  Mulatten -Kind,  ge- 

i boren,  nachdeui  sie  sich  kurz  uacheiuauder  mit  eiuem  Europäer 
und  einem  Neger  begattet  hatten.  Doch  sind  diese  Fälle,  auf  deren 
Berichte  wir  nicht  näher  eingehen,  keineswegs  sicher  gestellt,  auch 
ißt  bei  der  Bastardbildung  nach  wenig  bekannten  Regelu  das  Kind 
bald  mehr  dem  Vater,  bald  mehr  der  Mutter  gleichend. 
Eine  analoge  Geschichte  erzählt  auch  schon  der  alte  Plinius^ 
wo  das  eine  Kind  dem  rechtmässigen  Vater,  das  andere  aber  dem 
Ehebrecher  ähnlich  gesehen  habe. 

Wollte  man   eine  solche  Möglichkeit  statuiren,    so  mtisste  der 
zweite  fruchtbare  Coitus  dem  ersten  in  sehr  kurzer  Zeit  nachfolgen 
und  es  mQssten  zwei  Ovula    zur  Befruchtung  bereit   in  der  Gebär- 
mutter sich  befinden.     Doch  ist  auch   dieses  noch  nicht  einmal  be- 
^»wiesen.     Wir    werden    daher    Scatizoni    und    Waffn^r    beistimmen 
^PluQssen,  welche  die  Üeberfruchtung  als  eine  physiologische  Unmög- 
i^lichkeit  hinstellen. 

Es  wird  den  Lesern  ohne  Zweifel  schon  seit  langer  Zeit  auf- 
gefallen sein,  dass  unendlich  viel  häuflger  Zwillinge  von  gleichem, 
ab  solche  von  gemischtem  Geschlechte  geboren  werden.  Nur  die 
letzteren  sind  immer  als  Zwillinge  im  eigentlichen  Siime  des  Wortes 
anzusehen,  d.  h.  als  das  Product  zweier  gleichzeitig  gereiften  und 
durch  denselben  Coitus  befruchteten  Eier.  Die  Zwillinge  gleichen 
Geschlechts  können  allerdings  ebenfalls  aui"  die  soeben  geschilderte 
Weise  sich  entwickelt  haben.  In  einer  grossen  Reihe  der  Fälle 
id  sie  aber  ganz  unzweifelhaft  nur  einem  einzigen  Eichen  ent- 
)88en,  dessen  Bildungskeim  sich  verdoppelt  hat. 
Für  diese  letztiere  Gattung  der  Doppelgeburten  hatte  der  ver- 
[aiorbene  Berliner  Anatom  und  Embryologe  Karl  BogisUius 
lllcichert  die  Bezeichnung  Paarlinge  vorgeschlagen,  während  er  den 
[Kamen  Zwillinge  für  die  erstere  Gattung  beibehielt. 

Zu  den  Paarungen  gehören  nun  unter  allen  üui-ständen  die 
oft  beschriebenen  und  nicht  selten  für  Geld  gezeigten  mit  einander 
verwachsenen  Zwillinge.  Ich  erinnere  hier  an  die  Gebrüder  Tocci, 
an  die  zweiköpfige  Nachtigal  imd  au  die  siamesischen 
[Zwillinge.  Es  handelt  sich  hier  überall  durchaus  nicht,  wie  der 
Laie  glauben  könnte  und  wie  auch  die  Gelehrten  vergangener  Jahr- 
hunderte wirklich  anj?enommen  haben,  wu  einen  Process  der  Ver- 
fwachsung  und  V'  'zung,  sondern  um  einen  solchen  der  Ver- 

Idoppelung.     Die   i  =ige   verdoppelt  sich,    und  zwar  von  einem 

)der  von  beiden  Enden  her.  Geht  nun  diese  die  Verdoppelung 
rzeugende  Lungstheilimg  nicht  durch  tue  ganze  Länge  des  Keimes 
»iudurch,  dann  wird  die  eine  Abtheihmg  desselben  (die  obere,  oder 
lie  untere,  oder,  was  sehr  gewöhnlich  ist,  die  mittlere)  einfach 
>leiben,  und  an  dieser  Stelle  scheinen  dann  die  Zwillinge  verwachsen 
tu  Sein,  während  sie  also  eigentlich  nur  unvollständig  getheilt  sind. 
ietrifft.  die  Längstheilung  und  Verdoppelung  nun  aber  die  ganze 
jänge  des  Keime:^,  dann   entstehen   zwei    vollständig    von  einander 


getrennte  Kinder,  jedes  für  sich  rollkommen  entwickelt,  aber  immer 
in  einer  gemeinKämen  EihQlle  steckend,  immer  gleichen  Geschlechts 
mid  gewöhnlich  mit  gemeinsamem  oder  nnroLlstäiidig  Terdoppeltem 
Mtitterkuchen.     Das  sind  die  Paarlinge. 

Die  altgriechischen  Aerzte,  z.  B.  der  Hippokrattker,  welcher 
das  Buch  ,de  natura  pueri*  rerfa-sst  hat,  konnten  sich  die  Ent- 
stehung Ton  Zwillingen  nur  in  der  Weise  denken,  dass  sie  zwei 
Höhlen  in  der  Gebärmutter  annahmen,  in  deren  jeder  sich  eins  der 
beiden  Kinder  gebildet  hatte.  Da  ihre  gesammte  Kenntniss  der 
menschlichen  Anatomie  nicht  auf  Obductionen  menschlicher  Leichen, 
sondern  aof  üntersochongen  an  Thieren  sich  begründete,  so  sind 
sie  wohl  zu  entschuldigen.  Denn  die  Gebärmutter  der  ^Viede^käIler 
bildet  nicht  wie  diejenige  der  Menschen  eine  einzige  Höhle,  sondern 
sie  läuft  in  zwei  sogenannte  Homer  atis  (nterus  I  ,   in  d«ren 

jedem  die  EmbrA'onen  zu  liegen  pflegen.   Ganz  a;.  .veise  wird 

aber  diese  thierische  Form  auch  bei  dem  menschlichen  Weibe  be- 
obachtet. 

Soweit  bis  jetzt  unsere  Kenntnisse  reichen,  kommen  Zvöllings- 
geborten  bei  allen  Rassen  ror,  aber,  wie  wir  auch  heute  bereits 
zu  behaupten  rermögen,  durchaus  nicht  in  einem  auch  nnr  an» 
nähernd  gleichmässigen  Verhältnisse.  Rassenunterschiede  alleia 
können  hierfDr  keine  befriedigende  Erklärung  abgeben.  Denn  oft 
sehen  wir  unter  Völkern  der  gleichen  Abstammung  und  ganz  nahe 
hei  einander  wohnend  bei  dem  einen  Zwillingsgeburten  als  eine 
grosse  Seltenheit,  bei  dem  anderen  mit  einer  adSallenden  Hänfig- 
keit  auftreten.  Es  wäre  in  hohem  Grade  interessant,  wenn  die 
Reisenden  und  die  in  den  Colonien  Ajigesteliten  diesem  Gegenstaade 
ihre  Aufaierksamkeit  zuzuwenden  sich  entschliessen  wollten.  So 
berichtet  MondUre  über  die  Weiber  in  Cochinchina,  dass  bei 
ihnen  Zwillingsgeburten  sehr  selten  vorzukommen  pflegen;  nach 
seiner  Berechnung  nicht  mehr  als  ein  Fall  auf  10  211  Geborten. 
Jedoch  fahrt  er  fort: 

Chofc  plas  reroürquAble  encore,  nn  seal  uroudiMement,  Beutr^.  svcubl» 
aroir  le  privilcge  de  ce»  nai««aoces  gämellMres;  car  sur  le»  15  qoi  oxit  en 
iiea  ea  6  an».  Beotre  compte  9  ä  lai  eeale. 

So  finden  wir  auch  auf  den  kleinen  Inseln  des  mal?.-  ■  '  ,n 
Archipels    in   verschiedener  Häufigkeit  Zwillingsgeburten  ;i. 

Auf   den    Watubela- Inseln    sind    sie    eine    ganz   n«s«  ,,* 

Rarität,  auf  Buru,  Eetar  und  den  Aar u-Liseln  sind  ,  jj 

selten,  auf  den  Tanembar-  und  Timorlao-lnseln  werden  .«?ie  schon 
etwas  häufiger  beobachtet.  Auf  Leti,  Moa  und  Lakor  K..^;^«^^ 
die  Einceborenen  80gar  besondere  Namen    f&r   die   drei    j  .q 

(■        '  ■     '  '    ombinationen  (zwei  Knaben,  zwei  Mädchen  ckI-  ii« 

1,  und  auf  den  Ke ei-  oder  Ewa bu- Inseln  w-  .^x 

relativer    Häufigkeit  -  ^ 

»olleiJ  nach  T»rpm  ,.; 

ihnen  nicht  selten  sein. 


6». 


tttBg  trad  mebrfAche 


461 


Bei  den  Wakinibus  und  Waniainwezys  am  Üjiji-See  in 
Centralafrika  kommen  nach  Button  und  Spehc  Zwilliugsge- 
burten  viel  seltener  vor,  als  bei  den  Dinkanegern  und  bei  den 
Kafferu.  Jedoch  sind  sie  auch  unter  den  letzteren  bei  den  ein- 
zelnen Süimmeu  vou  wechselnder  Häufigkeit.  Calloway  berichtet 
einen  Fall,  wo  ein  Mann,  in  dessen  Familie  wiederholt  bereits 
Zwillingsschwangerschaflen  vorgekommen  waren,  eine  Frau  aus  einem 
anderen  Stamme  heirathete,  in  welchem  sie  fast  gar  nicht  vorkamen. 
Bei  der  ersten  Entbindung  brachte  diese  Frau  Zwillinge  zur  Welt. 

Aus  Ha  Tschewasse  im  nördlichen  Transvaal  schrieb  mir 
Herr  Missionar  Bmster:  ,  Ich  bin  zu  der  Ueberzeugung  gekommen, 
dass  unter  den  schwarzen  Völkern,  wenigstens  unter  dem  Volke, 
wo  ich  mein  Arbeitsfeld  habe  (Bawaenda,  eine  Abtheilung  der 
Basutho),  viel  mehr  Zwillingsgeburten  stattfinden,  als  daheim  in 
Europa.  Unter  etwa  zwölf  Frauen  meiner  Station  fanden  vor 
einigen  Jahren  3  nach  einander   folgende  Zwillingsgeburten   statt.' 

Von  den  Aegypter innen  erzählt  schon  Aristoteles,  daas  sie 
sehr  häutig  mit  Zwillingen  niederkämen. 

Im  Jahre  1853  gab  es  in  Trinidad  bei  einer  BevJilkerungs- 
zahl  von  noch  nicht  ganz  7U00  Seelen  mehr  als  30  Fälle  von 
Zwillingen  unter  den  Erwachsenen,    und  im  Jahre   ISöli  wurden  in 

ISanto-Espiritu   auf  Cuba  6  Zwillingsgeburten  beobachtet, 
^  Die  Zwillingsschwangerschaften  unter  den  europäischen  Völkern 
hat 'in   neuerer  Zeit   besonders    Brrtülon   zum   Gegenstaude   senier 


iMd 


Zwilliiijrsfit-l'iirt'Mi 

pro  l'C) 
Si-Iiwsjijrerschiift'^n 


Pranltreich:]    1858—68 


Italien 


1868—70 


I 


PreuBsen 
Galizien 


Oeiterreicb      1851 — 70 


1859-67 
1851—59 


10.00 


10.36 


Unter  UÄ  Zwillingsgeburten 
f.inKfSchlechtlich    |  atwrigwihlechtlicli 


34,9 


12,50 


12.50 


11,90 


64.3 


62,5 


62.4 


62.0 


35,7 


37,5 


37,6 


38,0 


61,3 


38,7 


Ungarn        '     lasi— 59    I  18,00 

Es  i«t  sehr  beachtenswerth,  dass  hierin   sich  Preussen,    Ga- 
lizien  und  Oesterreiih  einerseits   und  Frankreich  und  Italien 
andererseits    als   zusammenstehend    ergebt,    während    Ungarn    die 
höchste  Stelle  ebnimmt.     BcrttlUm  biüt  sich  für  berechtigt,  \iier\n 
Difi'ereuzen    zwischen   der   teutonischen    und   der   latemiscUen 
Hasse  zu  erblicken. 

Aus  dieser  TitbcUe  geht  auch   hervor,  um  wieviel  häufiger  die 
Zwillinge    das    gleiche,    als    vei-schiedenes    Geschlecht    aufzuweisen 
haben  und  auch  in  diesen  Zahlten  läa.st  sich  ein  Untf^rschied  zwiscYieii 
d»^n   beiden  Kassen    nicht    iihleugneu.      Die  Zwilling«    gleichen    (ie- 
.schlechtjj   sind   übrigens   in   der  üher wiegenden  Mehrzahl    der    Fä\\<sl 


ä^ 


4d2  ^^T^-  I>i«  FrDchtbuk«t  de>  Weibet. 

Midchec  Das  för  die  acgegebenes  Zeiträiane  im  Ganzen  in  der 
Tabelle  Azsce^procbece  procrcnude  Teriiiltciss  bleibt  Bbrig^ns  f&r 
Preiissec  <&!  Frankreich  ein  nnrerindertes.  an^  wenn  man 
Jahr  för  Jahr  mit  einander  TerGrleicht :  die  Schwankiing«ii  betragen 
£e  icaximo  *  -_ ,   Pn>Cient. 

Sc'  wichtig  diese  Unters^^^chimiren  nun  aoch  sind,  so  wurde  doch 
bereit»  vorhin  der  Bevei»  geliefert,  dass  nicht  allein  die  Rassen- 
:::nT)£rs<hiede  i^  die;»«  Frage  den  Ausschlag  g^ben.  imd  es  wäre  zur 
weiteren  Klü-üng  dieser  Angelegenheit  dizrchau«  nothwendi^.  nicht 
die  Zwillingsgebunen  ganzer  Linier,  sondern  einzelner  eng  um- 
Miriebecer  Bezirke  mit  einander  in  Vergleich  zu  ziehen.  £rst  dann 
ii«sae  «:ch  angeben,  au:  welche  Punkte  nun  weiter  noch  Gewicht  zu 
lägv£  wäne,  Dass  wi  den  Süd-Slaven  Zwillingsgebnrt«n  häufig 
sni.  haben  wir  bereits  erfahrer.. 

Wihreni  bei  niiuchen  Völkern  Zwüliiigsg^ebunen  als  ein  be- 
sonieres  Ges':hrnk  der  «j:niriT.  -.yier  au.^h  ai«  eine  glfickliche  Vor- 
beieuruni:  •zicz.z  aüriu.  für  die  Eltern.  s:'niem  s^^caz  flir  den  ge- 
sfcnin::eu  Stimn:  an*re*ehen  wrrien.  halten  wiederum  andere  XationcB 
üiesifs  üre-jiiss  für  eine  S.hanie  c»ier  r:n  aussierordentliches  Un- 
j:/S:k.  diiS  nich:  sehe-n  ieu  ce^iltsa^n^en  T:ö  i»  einen  oder  beider 
kui-ier  .-»irr  "risweil'ru  su:h  ier  Murrer  rur  F:Ige  hat.  £s  ist  hier 
zu'.'ht  ier  '.Vi.  üese  Vrrhälmiise^  wc-i^^r  ru  enTwüejr.  und  Tenreisen 
wir  auf  ii#  in  .ieni  Kinie*  J'...>!*  ♦.resagre.  Xur  dasieaige.  .wu 
Äa5  Weib  ingth".  *?■:  hier  u.xh  k-.-.ri  r-erlhrL  s:we:t  e*  nicht  schon 
au:  den  frlberen  >f:reu  «:ut  iv^yre-.iun*:  f*^i. 

Auf  ies:  Insir'.u  K.u:i:v:.  l'au:*.  N-.la  uni  Serua  gilt  eine 
Zwilliii»:s5i:nwangers.i.afr  iL«  »rr.'issst  xlin-ie.  Auf  Ambon  und 
£tc  ri-.»sf -luftrln  #v:i:  r.^  >:rwar^rr  ii-e  Entwickeh:ng  zweier 
i-ju5er  :u  Tserr.:r.irru.  ui-ivu:  >vt  ar^^s:!:-.!  Term—iiÄ.  anf  dem 
rJl:keu  ru  Sv!r.";a:tu  ..u-i  ;-!Sin:u:;;rurf»i:h*tUr  p-^a^^g-  cöer  Pisang- 
tri.itt  :.-.  trsser  'S-:  irr.  •.''TtUtTTr:  lu  >;i*:r:ka  wird  durch 
i'ji  >.Vr_r:  t.;.  l>-..'.-.-.*^r.  ii^-  £..Tt:r:i:.ijLr  :::.-.^  Au;i  ü^e  Aschanti 
..;..i  1".-*'. -i  *.:::-  ü:-  V. ..::;:  t..-  .I».'.'.--^-.  'r.:t:h.  I*as«s  einige 
'«'.irr    ."..t    '.-•r..r:   ".v    ..■•  ...".:.c:-r    a.>    :".u  ..Tijr.-i^    t.-iu  £hebrach 

"S: Vi.  .:..-.:  »:r  -.-..  :>*:.::  *..■.:  .^~-.  >l.U'ier  g!:rt:hz«tig  im 
>t.:r«r.<.:«f  :t-:  y-r:»->.k:"..-^  c:.';*."  v.ri  wf-u  w-.r  äie  iola«nde 
f^r.Tal;*  ■*.c  S,--w  •«.  >.:-"r:.;.-^r  ii:  -"■.TSkr.-.T.RXÄ^ftl.uag  betrachten. 
*.-   ■•rr:::r-  ».■'  ..-..>  vv. ; :   .^:".  V:.:  .i;r. .  v-   v:.rs:':....j,j^j^  könaes;.  <i*-« 

s;r.,-i.-f  V"7  .'.•.T.j;*i? ;  .:t:  .  ■«-:  :i.-.r.c^-:  v.-.t^  ■.7:.--.i.7^  ^s  nxan  Ton 
T.-.rr.r;i rs"".T.  ^-r^-irrtf-v   s.  , :; 

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463 


Fttr  Frankreich  gestaltet  sich  das  Verhältniss  s»,  diiss  eino 
Drillingsgeburt  auf  857ü  normale  Geburten,  oder  auf  8(5  Zwillings- 
geburten trifft.  Der  geschlechtlichen  Combinationen  bei  den  Kin- 
dern sind  hier  natürlicherweise  vier  (3  Knaben,  3  Mädchen, 
2  Knaben  und  1  Mädchen,  1  Knabe  und  2  Mädchen).  Wie 
diese    sich    in   Zahlen- Verhältnissen    gestalten,    zeigt    die    folgende 

Tabelle: 

DrillingBgeburten. 


Oesterreich. 
(1851—70) 

3  Knaben 25,06 

3  Mädchen 21.6 

2  Knaben  1  M&dchen  29,0 
1  Knabe  2  M&dcben     24.4 


46,6 


53,4 


Preuasen. 
(1826-48)      (1859—67) 


21,0  1  ^'^'^ 


25,5 


25 


48 


52 


Frankreich. 
(1858—60,  66—68)      (1861—65) 
27,7 


23.4 


51.1 


24.4 
23.4  \ 


47,8 


13  Knaben  ...... 
3  Mädchen 
2  Knaben  l  Mädchen 
1  Knabe  2  Madchen  . 
Hier  ist  nun  gleich  von  vornherein  eine  höchst  eigenthümhcue 
Thatsache  zu  constatiren,  welche  die  Drillingsgeburten  ganz  echarf 
von  den  Zwillingsgeburten  abtrennt.  Während  bei  den  letzteren 
nämlich,    wie   wir   gesehen   haben,    bei    weitem   häufiger   Mädcben 

Iuh  Knaben  geboren  werden,  finden  wir  hier  bei  den  Drilling«! 
gerade  die  Knaben  in  der  Ueberzahl.  Auch  lässt  sich  h» 
wieder  wie  in  den  früheren  Tabellen  erkennen,  dass  Frankreaek 
eine  besondere  Siellang  einnimmt  gegenüber  von  Preussen  um* 
Oesterreich.  ^ 

tVon    Drillingsgeburten   aus  anderen    Welttbeilen  wird__«» 
wie  nichts  berichtet.   In  Cocbinchina  kommen  sie  nach 
nicht   vor,    und   in  Centralafrika    erklärt   sie   Barth    j^^ 
Unerhörtes.   Auf  Cuba  aber  ereigneten  sich  in  einem  Daffr  ^^ 
Bando  im  Jahre  1856  nicht  weniger   als   4  Drilling8g*l»"*-r" 
Noch    grösserer   Kindersegen    als    drei    auf   emn» 
Menschen  selten  beschieden.     Wir  sahen  bereits,  i«*  * 
eine    sechsfache   Schwangerschaft    für     möglich 
H    Äristotdes  fünf  Embryonen  zugleich  für  das 
B   neueren   Beobachtungen    haben    dem    letztere» 
^Lsflter  immerhin  handelt  es  sich  hier   stetf*  uniau^i 
^P^bmi   man   sie  nur  als  Curiositäten    zu     UetiaefaaK 
ist  bemüht  gewesen,   die  stati8iif*4.'beu   VcriiStai» 
j^  Geburten  fentziu»t«?lb«u.     Vr   r.n,!    ;ii\    AWsTauoaK  ^  1* 
■  Geborene  U7HH.H34  Kir  -^i^^i^  ^ 

^^linge,  118  Vierlinge  uu'i  ■> 


4G4 


XIV.  Die  Fruchf 


70.  Die  Eiitwickelung  der  Fracht. 

Ueber  die  Entwickelung  der  Frucht  hatten  sich  unter  den 
altindischen  Brahmanenärzten  schon  vor  Sitsrufa  Streitigkeit«!! 
gebildet.  Sie  glaubten  nämlich,  dass  derjenige  Körpertheil  d«s 
Fötus  zuerst  gebildet  würde,  der  am  wichtigsten  sei.  So  kam  es, 
da-ss  Saunaka  den  Kopf,  Kritaviryya  das  Herz,  Farnsunjifa  den 
Nabel,  31alkandaya  Hände  vmd  Füsse,  Subhnsi  und  Gmttama  den 
Rumpf  flir  das  erste  Gebilde  hielten.  Dhanvantare  entscheidet  sich 
dafür,  dass  alle  Theile  gleichzeitig  entstehen  und  nur  der  Zartheit 
des  Embryo  wegen  noch  nicht  erkannt  werden  könnten;  man  finde 
ja  auch  in  der  Frucht  der  Bambusa  arundinacea  und  der  Magnifica 
indica  alle  einzelnen  Thi'ili'  der  künftigen  Pflanze  schon  vorgebildet. 
Auch  scheinen  die  altindi.sehen  Äerzt*?,  ähnlich  wie  die  tahnu- 
dischen,  genauere  Nachforschungen  an  dem  menschlichen  Ei  ange- 
stellt zu  haben. 

Susruta  beschreibt  das  Wachsen  des  Fötus  in  den  veracUiedenen 
Schwangerficbaftsuionaten  auf  folgende  Weise:  ,1m  ersten  Monnt  enlstpht 
der  F'mbryo;  im  zweiten  bildet  sich  durch  Kälte.  Wärme  und  Wind  eine 
härtliche  Maase  von  zeitig  werdenden  Grundelementen  des  Körjiers;  im 
dritten  werden  die  fünf  Klünipcheu  der  Extremitäten  und  des  Kopfes  aus- 
gebildet, aber  die  grossen  und  kleinen  Glieder  sind  noch  sehr  kleine  Tlieil- 
chen;  im  vierten  und  den  folgenden  Monaten  werden  die  Abtheilungen  aller 
grossen  und  kleinen  Glieder  schon  fühlbar.  Im  acbten  ist  die  Lebeualcraft 
noch  schwach;  im  neunten,  zehnten  oder  zwölfton  Monat  endlich  erfolgt  die 
Geburt.  {VuUeris.)  Auch  im  Einzehien  construirte  sich  Stiffuta  {Hessler) 
nach  Gutdünken  eine  eigenthümliche  Entwickelungsgeschichte  d«>«  Embrro. 
Nach  ihm  entsteht  Lel>er  und  Milz  des  Embryo  aus  dem  Blute,  die  Lungen 
auti  Blut  und  Schaum,  der  Unterleib  aus  Blut  und  Secreteu:  dann  bilden 
sich  im  Uterus  die  Eingeweide,  der  After  und  der  Bauch  durch  Auftreibiing 
der  Luft  und  es  entsteht  aus  den  Elementen  des  Blutes  und  Fleisches  die 
Zunge,  aus  der  Vereinigung  des  Bluter  und  des  Zellgewebes  das  >^wercb- 
feil,  aus  der  Vereinigung  von  Fleisch,  Blut.  Schleim  und  Zellgewebe  die 
Testikel,  aus  der  Vereinigung  von  Blut  und  Schleim  das  Herz  und  in  desMD 
NachbarschaA  die  Nerven  als  Träger  der  Lebenskraft. 

Susruta  wusstc  auch  bereit«,  dass  die  Ernährung  des  FOtus  vermittelst 
der  NabelgefUsse  stattfindet.  .Ohne  Zweifel."  heiast  es  bei  ihm.  „ist  in  drtm 
saftführenden  Kanäle  (Placenta)  der  Mutler  das  Nabelgefäss  des  Fötu» 
verschlovsen.  Dieses  führt  die  Quintessenz  des  Speisesafles  der  Mutter  dem 
Fötus  zu.  Durch  diese  innige  Verbindung  der  Mutter  erhält  der  Fötus  «ein 
Wachfcthum  ,  und  die  den  ganzen  Körper  und  die  Glieder  begleitenden 
safUilbrenden  und  gekrümmten  GefHese  beleben  durch  ihre  innige  Verbin- 
dung unter  einander  von  der  Zeit  der  Empfängnis«  an  die  Abtheilungeii 
der  noch  nicht  gebildeten  grossen  und  kleinen  Glieder." 

Die  Chinesen   stellen   sich   die    Entwickelungsgeschichte   den    Fntiu 
nach  Darstellung    des  Buche«    „l'ao-tsam-ta-seng-Pien"    in    folgender  W« 
vor:    ,1m   ersten  Monate    gleicht    der   befruchtete  Keim  o«lor  da«  K5  «in* 
Wassertropfen ;  im  zweiten  einer  Roseuknospe:    im    dritten    ^ 
das  Ei  und  zeigt  einen  Kopfi  im  vierten  siebt  nitui  die  vqrtüj.''  u.' 

erscheinen;  im  fQntten  xeig«Q  Hloh  die  OhedmaAMen ;  im  lOchsUu  kiUitt  nun 


Au^en  uud  Mund  iiutorsuheidon-,  im  Hielieaten  Monat  hat  es  eine  menech- 
liehe  Form  und  kann  leben,  doch  verlässt  es  in  dieser  Zeit  nicht  anders  die 
Mutter,  als  wie  eine  grüne  Frucht,  die ,  wenn  sie  abreisat,  einen  Theil  des 
Astes  mit  fortnimmt.  der  sie  trägt;  während  des  achten  Monats  ven'oll- 
komronet  eich  das  Kind  so  weit,  dass  e^  im  neunten  Monat  einer  reifen  Frucht 
gleicht,  welche  nur  des  Herabfallens  gewSrtig  ist.  (Hureau.)  Dieser  Ver- 
gleich des  reifen  Kindes  mit  der  reifen  Frucht  scheint  durch  mehrere  chine- 
ische  Werke  hindurchzugehen.  Denn  in  der  .Abhandlung  Ober  die  Gebnrta- 
llfe*.  welche  f,  Martius  aus  dem  Chinesischen  übersetzte,  heisstes;  ,Der 
rzt  Dschtili  sagt:  „Unreife  Geburten  sind  genüglich  von  den  natürlichen 
»schieden.  Denn  die  natürliche  Geburt  eines  Kindes  ist  mit  einer  reifen 
llastanie  zu  vergleichen,  die  in  der  Periode  ihrer  Zeitigung  von  selbst  sanft 
»fällt.  Eine  unzeitige  Geburt  aber  iihnelt  einer  unreifen  Frucht,  die  vom 
Iturme  gebrochen  beim  Herabfallen  die  Zweige  mit  abreisst,* 

Geben  wir  nun  den  Tbat^achen  nach,  wie  sich  die  Vorstellangen 

liier  die  Frucht-Entwickelung  bei  den  Aerzten  des  klassischen  Alter- 

juins   gesttilteten ,   so   finden    wir  unter  Anderem   die  Ansiebt  des 

friecben  Aihmaeon  (um  540  v.  Chr.),  welcber  behauptete  (Aristo- 

li's"^),  dass  der  Kopf  als  Sitz  der  Seele   zu   allererst  gebildet  und 

SS  der  Fötus  zum  Theil  durch  die  Haut  ernährt  werde. 

HippokraU^  empfahl,  täglich  ein  bebriitetes  Hühnerei  zu  unter- 
icben,    und    stellte  V^ergleiche    zwischen  diesem  und  dem  mensch- 
lichen Ovulum  an. 

Die   drei  Membranen:    das  Chorion,   welches   den   Fötuü    von 
len  Seiten  umgiebt,    die  AUantois,   eine   doppelte  Membran,  und 
Amnion,  eine  zarte  Membran,  werden  von  Soranus  beschrieben; 
folgt  ziemlich  treu  Moschion,   sie   beide   heben  namentlich  die 
Bedeutung  des  Chorion  hervor.     Wir  erfahren  auch  durch  Soranus 
lie  Ansichten   einiger   frülieren    Autoren    über   den   Ursprung    der 
Tabelgeffisse;    nach   Empedokles    gehüren    dieselben   der  Leber   an, 
ch  Fhaedrus  dem  Herzen;  nach  Herophilus  gelangen  die  Venen 
Sur  Vena  cava,  die  Arterien  zur  Arteria  trachea;  Eudemus  endlich 
leinte,  die  im  Nabel  des  Embryo  verbundenen  Getasae  gehen  von 
da  in  zwei  Bogen  unter  dem  Diaphragma  auseinander,     lieber  das 
Amnion  waren  die  Autoren  jener  Zeit    noch  verschiedener  Ansicht, 
dessen  Vorhandensein  beim  Menschen  wurde  von  Einigen  sogar  ge- 
leugnet.   Die  Cotyledonen  werden  von  Soranus  ausführlich  besprochen 
B-Pmo/f);    er   vergleicht  die  Cotyledonen   der  Thierplacenta  mit  den 
kleineren    Excrescenzen    der    Flacenta    beim    Menschen;    durch    sie 
wird  der  Fötus  ernährt.    Die  in  ihnen  gebildet4?n  Gefasse  verbinden 
Kfiich  zu  zwei  Venen  und  zwei  Arterien,  zu  denen  sich  der  Urach us 
■gesellt;  diese  fünf  Gefasse  bilden  den  Nabelstrang;  die  zwei  Venen 
vereinigen   sich   und   gehen   zur  Vena  cava   über,   um   dem   Kinde 
das    Blut  der   Mutter    zur   Ernährung    ^zuführen,    und  auch    die 
beiden  Arterien  werden  in  eine  einzige,   d.  h.    zur  grossen  Arterie 
"(Aorta)  verschmolzen. 

Galenus  kennt   die   sich   aus    dem   ergossenen    Blute   bildende 
[embran,  das  Chorion,   zählt  auch  die  AUantois  zu  den  Eihäuten, 

Plox,  Dm  Walb.  L    3.  Aafl.  SO 


466 


XrV.  Die  Frachtbark«it  des  Weilte«. 


sagt,  dass  Anfangs  der  Fötus  wegen  seiner  Kleinheit  uicht  zti  er- 
kennen sei,  und  meint,  dass  sich  zuerst  das  Uehim,  dos  Herz  und 
die  Leber  bilden;  diese  Organe  senden  dann  die  Medulla  spinali«, 
die  Aorta  und  die  Vena  cava  aus,  worauf  sich  die  Rl\ckenwirbe>l, 
der  Schädel  und  der  Brustkorb  bilden. 

Die  arabischen  Aerzte  folgten  fast  ganz  den  Angaben  der 
griechisch-römischen  Autoren. 

Ueber  die  Entwickeluug  der  Frucht  waren  die  talmudischen 
Aerzte  getheilter  Meinung.  Einige  glaubten,  dass  das  Haupt  und 
die  ihm  zunächst  liegeuden  Organe  sich  zuerst  bildeten,  Andere 
hingegen  hielten  datier,  dass  der  Mittelpunkt  des  menschlichen  Kör- 
pers und  namentlich  die  den  Nabel  umgebenden  Theile  zuerst  ge- 
bildet werden.  (Nidda.)  Der  Talmud  behauptet  ferner,  dsAS  in 
dem  ersten  Stadium  der  Entwickelung  der  Embryo  eine  heuschrockcn- 
ähnliche  Gestalt  habe:  die  beiden  Augen  seien  den  Fliegenaugen 
ahnhch,  ebenso  gleiche  die  Nase  und  die  Nasenlöcher  Fliegenpunkten, 
und  der  Mund  bilde  einen  haarscharten  Streifen,  die  Extremitäten 
aber  seien  noch  nicht  entwickelt,  namentlich  sei  noch  keine  Zehen- 
imd  Fingerbildung  zu  bemerken.  Erst  im  späteren  Verlaufe  (etwa 
zu  Ende  des  3.  Monats)  seien  die  Nasenlöcher  deutlich  vorhanden^ 
flie  Extremitäten  zeigen  Finger-  und  Zehenbildung,  auch  könne  man 
ilann  das  Geschlecht  unterscheiden;  um  dies  besser  bewerkstelligen 
zu  können,  empfiehlt  der  Talmud  die  Sondirung  mit  einer  hölzernen 
Sonde;  doch  lasst  sich  nach  dem  Talmud  vor  dem  4L  Tage  über 
das  Geschlecht  nichts  entscheiden.  Erst  als  sicheres  Zeichen  einer 
fortgeschrittenen  Ausbildung  ist  nach  dem  Talmud  die  Haarbildong 
zu  betrachten. 

Was  die  Talmudisten  weiter  Jiber  die  Ausbildung  des  Fötu« 
erwähnen,  scheint  sich  nur  auf  die  Bildung  der  Geschlechtstheile 
zu  beziehen.  Wie  die  Bildung  des  Kindes  beiderlei  GesohlechU 
erst  nach  40  Tagen  vollbracht  sei,  so  werde  auch  dann  erat  der 
Fötus  mit  Haut  bekleidet.  Zur  Fötusbilduiig  ist  nach  ihnen  nicht 
die  ganze  Quantität  des  Samens  nöthig.  Verschiedene  Körpertheile 
werden  theils  aus  dem  Samen  des  Mannes,  theils  aus  dem  der  Frau 
gebildet :  aus  dem  Samen  des  Mannes  die  Knochen,  Sehnen,  Gehirn 
und  das  Weisse  im  Auge,  aus  dem  rothen  Samen  der  Frau  Haut, 
Fleisch,  Haare  und  das  Schwarze  im  Auge.  Ueber  die  Membranen, 
die  den  Fötus  umsch Hessen,  haben  die  Rabbiner  sehr  ccmfuse  Be- 
griffe. Als  ein  sehr  tüchtiger  Embryologe  gilt  unter  ihnen  der 
Rabbiner  Scheniui'l,  welcher  270  n.  Chr.  starb. 

Die  Ansichten  des  Vhidicianus  (um  370  n.  Chr.)  über  Frucht- 
entwickelung  erhielten  selbst  in  mittelalterlichen  Gesetzgebungen 
Geltung:  Die  Lehre  von  der  Beseelung  des  Embryo  im  zwei- 
ten Schwangerschaftsmonat  und  der  Geschlechtsbildung  im  vierten 
wirkte  strafschärfend  bei  ktinstlichem  Abortus,  Verletzung  Schwan- 
r  u.  8.  w. 

Der  Aufschwung  der  neueren  Embryologie  gijig  im  16.  Jahr- 


i 
{ 

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71.  MiiddBeS^m« 


seneneagong. 


li ändert  von  Italien  aus.  Nachdem  hereiis  Faloppia  und  Arantüis 
der  Anatomie  des  Fötus  ihre  Aufmerksamkeit  zugewendet  hatten,  wurde 
vom  Grafen  Aldrovandi  sovne  von  Volcher  Coitur  zuerst  wiederum 
die  Entwickelung  des  Hühnchens  im  Ei  zum  Gegenstände  wissen- 
schaftlicher Beobachtung  gemacht,  und  bald  trat  Fahricius  ah 
Aqtiapendeiite  in  deren  Fusstapfen.  Schliesslich  hat  aber  Ilarec'if, 
welcher  1657  im  Alter  von  79  Jahren  starb,  für  diese  Angelegen- 
heit durch  mustergültige  naturwissenschaftliche  Methode  grundlegend 
gewirkt. 

Wir  können  hier  weder  die  Geschichte  der  Embryologie,  noch 
auch  die  Entwickelung  der  Frucht  im  Miitterleibe  durch  alle  ihre 
Phasen  weiter  verfolgen.  Wer  über  die  letztei*e  sich  zu  belehren 
wünscht,  den  verweisen  wir  auf  die  vortreffliche  Darstellung,  welche 
in  allgemeinverständlicher  Weise  Johannes  lian/ce^  von  diesem  Ge- 
genstaude gegeben  hat.  Dort  wird  er,  durch  Abbildungen  reichlich 
erläutert,  Dasjenige  finden,  was  er  sucht. 


71.  Mädchen-  und  Knaben-£rzeugiiDg. 

Wir  haben  in  einem  der  früheren  Abschnitte  bereits  erfahren, 
wie  von  vielen  Völkern  die  Geburt  einer  Tochter  nicht  nur  als 
etwas  Unerwünschtes,  sondern  geradezu  als  eine  Schaude  und  ein 
Unglück  angesehen  wird,  wahrend  wiederum  andere  Nationen  sich 
B  weniger  über  Söhne  freuen,  da  sie  durch  den  Besitz  vieler  Töchter 
"  durch  deren  späteren  Verkauf  zu  Reiclithum  und  Ansehen  gelangen. 
Und  .so  können  wir  es  dann  wohl  verstehen,  diiss  man  von  Alters 

Iher  bestrebt  gewesen  ist,  die  Ursachen  kennen  zu  lernen,  warum 
in  dem  einen  Falle  ein  Knabe  und  in  einem  anderen  ein  Mädchen 
.sich  bildet,  und  die  Mittel  und  Wege  ausfindig  zu  macheu,  um  nach 
eigener  Willkür  das  gewünschte  Geschlecht  zu  erzeugen.  Man  hat 
sich  bisher  noch  nicht  der  Mühe  unterzogen,  geschichtlich  diesen 
Bestrebungen  nachzugehen,  obgleich  sie  doch  gar  sehr  zu  der  Cha- 
rakteristik des  culturellen  Zustandes  der  einzelnen  Nationen  und  zu 
der  Kenntniss  von  ihren  Vorstellungen  beizutragen  vermögen.  Und 
was  die  Gebildeten  und  Gelehrten  halbciviÜsirter  Völker  als  eine 
besondere  Kunst  auszubilden  bestrebt  waren,  das  brachte,  wie  wir 
sehen  werden,  in  der  Mystik  des  Volkaaberglaubens  ganz  wunder- 
liche tmd  originelle  Zaubermittel  zu  Tage. 

In    Susruta's  Ayurvedas    wird   von    dem    altindischen    Arzte 

•  Anweisung  zu  der  Kunst,  willkürlich  Knaben  und  Mädchen  zu 
zeugen,  gegeben:  Drei  Tage  nach  der  Menstruation  soll,  wenn  man 
einen  Knaben  zeugen  will,  sich  die  Frau  bei  einer  besonderen  Diät 
und  in  einem  von  be.sonderer  Pflanze  bereiteten  Bette  von  ihrem 
Manne  fern  halten.  Am  vierten  Tage  soll  sie,  gewaschen,  mit  neuen 
KU'idern  geschmückt  und  unter  mystisch-religiösen  Ceremonien  sich 
[dem  Manne   zeigen.     Denn    man  glaubte,   dass    nach   Qualität   des 

30' 


468 


XIV.  Die  Fruchtbarkeit  des  Weibea. 


Mannes,  den  sie  zuerst  nach  ihrer  Reinigung  durch  die  Menstruation 
erblickt,  sich  die  Qualität  des  Solines  richtet,  den  sie  gebären  wird. 
Sie  selbst  und  ihr  Gatte  sind  für  einen  ganzen  Monat  dem  Brahnta 
geweiht  und  nach  dem  Ablaut'  dieser  Frist  muss  der  Beischlaf  voll- 
zogen werden.  Der  Mann  aber  muss  sich  zuvor,  mit  gereinigter 
Butter  salben  und  Reis  mit  reiner  Butter  und  Milch  gekocht  ge* 
niessen;  die  Frau  dagegen  muss  sich  mit  Sesamöl  salben  und  Sesamöl 
mit  einer  Bohnenart  gemessen.  Ebenso  muss  der  Mann  nach  jedes- 
maligen Trostgebeten  in  der  4.,  6.,  8.,  10.  und  12.  Nacht  den  Coitus 
mit  ihr  vollziehen.  Diese  Tage  sind  die  der  Knabenerzeugung 
günstigen.  Wünschte  sich  aber  der  Mann  eine  Tochter,  so  musste 
er  den  Beischlaf  in  der  5.,  7.,  9.  und  11.  Nacht  ausüben.  Noch 
den  drei  der  Menstruation  folgenden  T^eu  der  Vereinigung  gab 
der  Arzt  der  Frau,  wenn  sie  sich  einen  Knaben  wünschte,  3  oder 
4  Tropfen  eines  Liqueurs  aus  Spongia  marina,  Lakschana,  Ficus 
indica  oder  Hcdysarum  lagopod.  mit  destillirtem  Wasser  bereitet  in 
das  rechte  Nasenloch,  doch  durfte  die  Frau  diese  Tropfen  nicht 
wieder  ausschneuzen.  Die  altindischen  Aerzte  hatten  femer  die 
Ansicht,  dass  ein  Knabe  entetehe,  wenn  des  Mannes  Zeugungsstoff 
in  grösseren  Mengen  vorhanden  sei,  ein  Mädchen  bei  grösseren 
Mengen  des  weiblichen  Zeugungsstoffes,  aber  ein  Napunsaka  (An- 
drogynus,  Neuter,  Zwitter  oder  Geschlechtsloser)  entstehe  bei  gleichen 
Theileu  männlichen  und  weiblichen  Stoffes. 

Die  talniudi.>ichen  Aerzte  behaupteten  ebenfalls,  dass  der 
Mann  nach  Belieben  männliche  und  weibliche  Früchte  zeugen  könne; 
einer  von  ihnen,  Rabl^i  Jitzsdmhy  sagte:  wenn  die  Frau  zuerst  den 
Samen  verliert,  dann  gebiert  sie  einen  Knaben,  wenn  der  Mann 
zuerst,  dann  ein  Mädchen.  Ferner  wird  im  Talmud  (Nidda)  der 
Grundsatz  aufgestellt,  dass,  wenn  während  des  Coitus  das  Weib 
leidenschaftlicher  betheiligt  sei  als  der  Mann,  daraus  eine  männ- 
liche Frucht  erzielt  werde,  wogegen  aber  im  umgekehrten  Falle 
ein  Mägdlein  geboren  werde. 

Der  altgriechische  Dichter  Alkmüon,  welcher  etwa  .*>40  v.Chr. 
lebte,  meinte,  dass  das.  Geschlecht  des  Fötus  je  nach  dem  Vor- 
herrschen der  männlichen  oder  weiblichen  Potenz  bestimmt  werde. 
(Plutarch.)  Der  Philosoph,  Arzt  imd  Zauberer  Empcdohles  (etwa 
472  v.  Chr.)  erklärte  die  Geschlechtsverschiedenheit  aus  der  wärmeren 
und  kälteren  Temperatur,  aus  dem  Verhältniss  der  Quantität  des 
Samens  und  der  Wirkimg  der  Einbildungskraft.  {FUäarch.)  Die 
Zeugungstheorien  der  Aerzte  in  altklassischer  Zeit  in  Griechen- 
land und  Rom  sind  nach  der  Zusammenstellung  derselben  von 
Ilis  nicht  derart,  dass  eine  willkürliche  Beeinflussimg  des  Geschlecht« 
bei  den  Kindern  fiir  möglich  gehalten  wurde.  Wohl  ergeht  sich 
das  dem  Hippokrates  (mit  Unrecht)  zugeschriebene  Buch  «Von  der 
Zeugung*  in  der  Ansicht,  dass  beide  Zeugende  sowohl  männlichen 
als  weiblichen  Samen  enthalten  und  dass  nur  dann  männliche  Kinder 
erzeugt  werden,  wenn  der  kräftigere  Samen  überwiegt,    Parmenides 


71.  Mäldchen-  und  Knaben ewengunp. 


469 


und  Anajcagoras  dagegen  meinten,  da.ss  der  recht«  Eierstock  tHr 
Knaben,  der  unke  ftir  Mädchen  sei.  Nacli  Arisfotclfs  rührt  die 
Entscheidung  darüber,  welches  Geschlecht  die  Kinder  erhalten,  ledig- 
lich vom  Manne  her.  Galen  sagt:  Die  ungleiche  Temperatur  beider 
Seiten  des  menschlichen  Körpers  ist  der  Grund,  wesshalb  die  warme 
rechte  Seite  zur  Bildung  von  männlichen,  die  kalte  linke  Seite  zu 
der  von  weiblichen  Kindern  dient.  Der  berühmte  arabische  Arzt 
Avicetina  (f  1036)  hielt  es  ftir  möglich,  nach  Belieben  Knaben 
oder  Mädchen  zu  erzeugen. 

Auch  mehrere  alte  deutsche  Schriftsteller  äussern  sich  über 
diese  Frage,  z.  B.  Eucharius  Jlösslin  sagt  in  seinem  ,Hebammen- 
bOchlein' :  , Wann  des  Mannes  Samen  heiss  und  fein  viel  ist,  so 
hat  er  die  Kraft,  da.'ss  er  ein  Kuäblein  giebt.  Die  andere  Sache 
ist,  wann  des  Mannes  Same  nach  dem  meisten  Theil  kompt  aus  dem 
gerechten  Zeuglin  des  Mannes,  und  genommen  wird  in  der  Mutter 
gerechte  Seiten,  das  ist  darumb,  dass  die  gerecht«  Seite  hitziger  ist, 
denn  die  linke,  und  der  Same  aus  dem  gerecht-en  Zeuglin  kreftiger, 
dann  aus  dem  linken.  Darum  soll  sich  die  Frau  auö"  die  gerechte 
Seite  neigen  zuband  nach  dem  Werk,  ob  sie  gern  einen  Knaben 
woll  haben."  Desgleichen  sagt  Rueff'  'u\  seinem  Buche:  ,Ein  schön 
lustig  Trostbüchlein  etc.":  ,Die  Knäblein  werden  mehr  in  der 
rechten  Syten  der  Bärmutter  empfangen  und  mehr  von  dem  Samen, 
der  von  dem  gerechten  Gemächt  kommt.  Aber  die  Mägdlein  in  der 
linken  Seite  der  Gebärmutter  von  dem  linken  Gemächt  empfangen. 
Denn  die  recht  Seite  von  wegen  der  Leber  hitziger  ist  im  Leib, 
>md  die  Unke  Seit  kälter.  Aber  fürnebmlich  ist  die  grössere  Hitz 
des  Samens  ein  Ursach  der  Knäblein.*  Eine  andere  Ansicht  tinde 
ich  in  folgendem  Werke:  ,Der  aus  seiner  Asche  .sich  wieder  .schön 
verjüngende  Phönix  oder  ganz  neue  Alherfus  Magnus  von  Casp 
Nigrino'^;  dort  heis8.t  es:  „Wann  aber  ein  Mann  seiner  Frauen  in 
einem  Monat  nicht  mehr,  als  drei  oder  4  malen  beiwohnt,  so  wäre 
der  Samen  bei  einem  wie  dem  andern  viel  durchkochter,  dicker 
und  von  Geistern  mehr  angeftillt.  Er  hätte  mehr  Fähigkeit  einen 
Knaben  zu  formiren,  wenn  man  ihn  nicht  so  oft  vergösse.  Und 
daher  geschieht  es  gewisslich  aus  dieser  Ursachen,  dass  die  Alten 
bisweilen  Söhne  zeugen,  denn  gleichwie  es  an  der  natürlichen  Hitze 
mangelt,  und  ihr  Samen  roh  und  schwach  ist*  etc. 

Ein  chinesischer  Arzt  sagt:  ,0b  ein  Sohn  oder  eine  Tochter 
geboren  werde,  dies  hängt  von  dem  Manne  und  nicht  von  dem 
Weibe  ab.  Die  tägliche  Erl'alirung  lehrt,  dass  mehr  Knaben  als 
Mädchen  geboren  werden.  Wir  sehen  aber  auch  wieder  häutig,  da.ss 
in  manchen  Familien  die  Mutter  lauter  Töchter  zur  Welt  bringt." 
(«.  Martfus.)  Nach  einer  anderen  Theorie  der  Chinesen  wird  <lie  Ge- 
schlechtsentwickelung  des  Fötus  von  den  Elementen  Yang  und  Yn  ent- 
schieden. Wenn  nämlich  das  starke  Princip  Yang  beim  .Manne  und  das 
J8chwiu;he  Princip  Yn  beim  Weibe  vorherrscht,  so  erzeugen  sie  einen 
LKnaben;  im  entgegengesetzten  Falle  wird  es  ein  Mädchen.  {Hurtau.) 


470 


XIV.  Die  yruclitbarkcit  des  Weibeg. 


Aus  alleu  diesen  verschiedeneu  Ansichten  können  wir  drei  sich 
entgegenstehende  Meinungen  fomiuliren.  Die  erste  will  nur  dem 
Manne  die  Fähigkeit  der  Einwirkung  auf  die  Bildung  des  Ge- 
schlechts zuweLsen,  und  zwar  erzeugt  seine  rechte  Seite,  ab  die 
stärkere,  heiligere  und  glücklichere,  die  Knahen,  seine  linke  Seite 
die  Mädchen.  Die  beiden  anderen  Meinungen  lassen  auch  dem 
Weibe  Gerechtigkeit  widerfahren  und  weisen  auch  ihm  die  Fähig- 
keit zu,  die  Entstehung  des  Geschlechts  tu  beeinflussen.  Aber  sie 
weichen  insofern  diametral  auseinander,  als  die  eine  eine  directe, 
die  andere  eine  gekreuzte  Vererbung  des  Geschlechtes  zu  verthei- 
digen  sucht.  Die  eine  behauptet,  um  es  mit  anderen  Worten  avis- 
zudrücken, dass  der  in  geschlechthcher  Beziehung  Kräftigere  der 
beiden  Zeugenden  dem  Kinde  das  eigene  Geschlecht  vererbe,  während 
die  andere  ihn  gerade  das  entgegengesetzte  Gt^schlecht  in  der  Frucht 
hervorrufen  lässt.  Wir  wollen  sehen,  wie  sich  die  neuere  Wissen- 
schaft über  diese  Punkte  äussert. 

Seit  Hofacker  und  Sadler,  die  den  Alterseinfluss  der  Zeugenden 
durch  ihre  statistischen  Ermittelungen  betonten,  betheiligten  sich 
zahlreiche  Autoren  an  derselben.  Insbesondere  gab  Verfasser  diese« 
Buches  in  einer  kleinen  Schrift  {Mosii''\  die  nunmehr  in  manchen 
sehr  wesentlichen  Punkten  der  Richtigstellung  bedarf,  die  Veran- 
lassung zu  weiteren  Untersuchimgen  und  Discussionen.  Die  Be- 
Tölkeruugsstiitistik  Liefert  ein  Material,  dessen  Deutung  grosse  V^or- 
sieht  erheischt,  und  die  Physiologie  ist  nur  auf  experimentelle 
Thienrersuche  angewiesen,  die  ebenfalls  die  grösste  Vorsicht  in 
Rückschlüssen  auf  die  Menschen  gebieten.  Eine  neue  Prüfung  der 
Angelegenheit  auf  statistischem  Wege  unternahm  Schumann,  welcher 
den  Alterseinfluss  im  Sinne  der  llofacher-Sadier'schen  Hypothese 
nicht  bestätigt  fand.  Und  dennoch  haben  nach  seinen  Ermittelungen 
Mann  und  ^^'eib  bezüglich  ihres  Alters  einen  besonderen  Einfluas, 
indem  er  fand,  dass  sowohl  das  absolute  als  auch  das  relative  Alter 
der  Eltern  auf  das  Geschlechtsverhältniss  der  Geborenen  einwirkt,. 
Beide  Erzeuger  haben  nach  ihm  die  Tendenz,  ihr  eigenes  Gesclilecht 
auf  das  Werdende  zu  übertragen.  Dem  Grade  nach  ist  aber  diese 
Elinwirkung  eine  sehr  ungleiche:  in  erster  Linie  ist  es  der  Vater, 
welcher  die  Geschlechtsentscheidung  herbeiführt,  woiiingegen  der 
Einfluss  der  Mutter  von  untergeordneter  Bedeutimg  ist,  Damit  wür- 
den alle  Hy])othesen  fallen,  welche  der  Mutter  einen  hervorragenden 
Antheil  bei  der  Geschlechtsbestimmung  vindiciren:  es  lallt  auch  die 
H3T)othese,  welcher  ich  früher  nachging  und  die  darin  bestand, 
dass  die  Ernährung,  welche  die  Mutter  dem  Fötus  in  den  ersten 
Monaten  gewährt,  fiir  das  Geschlecht  des  Kindes  sehr  maassgebend 
ist.  Schon  längst  hatte  ich  durch  meine  weiteren  Studien  die»e 
Ansicht  aufgegeben,  ohne  Gelegenheit  zu  nehmen,  diese  Aende- 
rung  meiner  Anschauung  zu  bekennen.  Nur  die  Meinung  halte 
ich  zur  Zeit  für  berechtigt,  welche  die  Entscheidung  de«  Ge- 
schlecht«  der   Kinder   in    den    Befruchtungs-Act   verlegt    und   nach 


Lnftbenenengung. 


i;  '■ 

I 


welcher  das  Geschlecht  durch  Vererbmig  bestimmt  wird.  Dem- 
nach trete  ich  dem  Schlvusse  Schumann' s  bei,  dass  je  grösser  die 
sexuelle  tietahigung  der  Erzeuger,  desto  grösser  der  Einfluss  der 
letzteren  ist.  Nach  Schunumn  ist  vorzugsweise  der  Mann  der  niaass- 
gebende  Theil,  und  kommt  es  in  erster  Linie  auf  des  Mannes  Be- 
fähigung an:  mit  dem  Grade  derselben  wechselt  auch  der  Knaben- 
Ueberschuss. 

Nach  statistischen  Aufnahmen  kommt  Fürst  zu  dem  Resultate, 
dass  allerdings  das  Alter,  die  Ernährung,  die  Jahreszeit  und  die 
klimatischen  Verhältnisse  für  die  Bildung  des  Öeschlechta  nicht 
ohne  Eintiuss  sind,  dass  man  den  wesentlichen  Factor  aber  in  dem 
Zeitpunkte  der  menstruationsfreien  Zeit  zu  suchen  habe,  in  welcher 
die  Befruchtung  stattfindet.  Tritt  die  letztere  in  den  ersten  4  bis 
o  Tagen  nach  der  Meostniation  em,  so  würden  gewöhnlich  Knaben 
geboren,  während  eine  Conception  in  den  späteren  Tagen  über- 
wiegend Mädchen  entstehen  liesse.  Die  meiste  Berechtigung  scheint 
dem  Herausgeber  die  Ansicht  von  Ueinrich  Janke  zu  haben,  die 
sich  mit  der  vorher  bereits  erwähnten  gekreuzten  Vererbung  in- 
sofern deckt,  als  der  geschlechtlich  Mächtigere  der  beiden  Erzeuger 
dem  Kinde  das  entgegengesetzte  Geschlecht  aufprägt,  aber  ihm  seine 
Eigenschaften  vererbt.  Er  findet  eine  gewichtige  Stütze  fUr  seine 
Annahme  in  höchst  interessanten  Versuchen,  welche  Fiquet,  ein  be- 
deutender Rindvieh/lichter  in  Houston  in  Texas,  von  denselben 
Annahmen  ausgehend,  bei  seinen  Heerdeu  angestellt  hatte.  Es  war 
diesem  Herrn  gelungen,  in  mehr  als  30  Fällen  hintereinander  ohne 
einen  einzigen  i\li.sserl'olg  bereits  mehrere  Wochen  vor  der  Befruch- 
tung das  Geschlecht  willkürlich  zu  bestimmen,  welches  das  später 
geworfene  Kalb  aufweisen  sollte.  Wünschte  er  Bullenkälber  zu 
haben,  so  Hess  er  den  Kühen  eine  sorgfältige  Pflege  angedeihen,  den 
Deckstier  dagegen  bei  schmaler  Kost  zum  Bespringen  einer  Ueihe 
nicht  für  den  Versuch  bestimmter  Kühe  benutzen.  Erst  bei  dem 
zweiten  oder  dritten  Rindern  der  Versuchskuh  wurde  sie  mit  dem 
Bullen  zusammengelassen,  der  dann  nur  eine  sehr  geringe  Neigung 
zum  Bcspriugeu  an  den  Tag  legte,  während  die  Kuh  eine  sehr 
starke  Geschlechtslust  bezeigte.  Zu  dem  bestimmten  Termine  warf 
dann  die  Kuh  das  erwartete  Bullenkalb.  Sollte  aber  die  Versuchs- 
kuh  eine  Färse  werfen,  so  wurde  umgekehrt  der  Stier  sehr  gut 
und  kräftig  genährt  imd  aufmerksam  verpflegt,  während  die  Kuh  sich 
auf  magerer  Weide  mit  einem  frisch  verschnittenen  Ochsen  nmher- 
treiben  musste,  der  seine  vergeblichen  Deckrersuche  anstellte.  Wenn 
dann  die  Versuchsthiere  später  zusammengeführt  wurden,  so  war 
der  Stier  sehr  springlustig,  während  die  Kuh  nur  einen  sehr  massi- 
gen Trieb  für  die  Geschlechtsbefriedigung  an  den  Tag  legte:  und 
zum  liestimmten  Termine  warf  sie  ein  Kuhkalb. 

Wenn  es  nun  auch  im  Allgemeinen  richtig  ist,  dass  man  nicht 
alle  Resultate  von  Thierversuchen  ohne  Weiteres  auf  den  Menschen  zu 
übertragen  vermag,  so  wird  der  aufmerksame  Beobachter  doch  soviel 


472 


XIV.  Die  Fruchtbarkeit  des  Weibe«. 


Analog;ieTi  für  die  soeben  geschilderten  Verhältnisse  auch  bei  den  mensch- 
lichen Ehen  erkennen,  und  manche  scheinbar  paradoxe  Erscheinung 
des  täglichen  Lebens  findet  hierdurch  ihre  befriedigende  Auilclärung. 

Die  Phantasie  des  Volkes  hat  auf  diesem  Gebiete  mancherlei 
besondere  Richtimg  angenommen,  deren  ursprüngliche  Wurzeln  wir 
nur  selt-en  zu  ahnen  vermögen. 

Bei  den  Esthen  setzt  sich  die  Frau  wahrend  der  Schwanger- 
schaft nicht  auf  einen  Wassereimer,  weil  dann  nur  Töchter  geboren 
werden.  Ja  selbst  nur  der  Traum  von  einem  .solchen  Sitzen  wird 
noch  als  einflussreich  flir  das  entstehende  Geschlecht  angesehen.  Man 
deutet  bei  ihnen  einen  Traum  von  einem  Brunnen  oder  Quell  dahin, 
dass  ein  Mädchen,  den  von  einem  Messer  oder  Beil,  dass  ein  Knabe 
zu  erwarten  sei.    (Krebei) 

In  Ungarn  darf  die  junge  Frau  bei  der  Uebersiedeinng  in  das 
Haus  ihres  Mannes  ihren  Spinnrocken  oder  das  Nähzeug  nicht  mit- 
nehmen, weil  sie  sonst  lauter  Mädchen  zu  gebären  Gefahr  läuft. 
(v.  CsaploiHCS.)  Üeberhaupt  wünschen  bei  fast  allen  Völkern  die 
£ltem  sich  lieber  einen  Sohn  aLs  eine  Tochter. 

Bei  den  Czechen  schlagen  am  Hochzeitstage  rlie  Knaben  die 
Braut  mit  ilireu  Mützen,  damit  sie  einen  Sohn  bekomme.  Bei  den 
Slaven  hat  sich  ausserdem  ein  uralter  Brauch  erhalten,  dessen 
Zweck  es  ist,  die  junge  Frau  in  den  Stand  zu  setzen.  Söhne  zu  be- 
konmien,  und  den  sie  vielleicht  aus  ihrer  indogermanischen  Hei- 
math mitbrachten.  Schon  bei  den  alten  Indern  wurde  der  Braut  ein 
Knabe  zugeführt;  der  Priester  setzte  den  Knaben  der  Braut  auf  den 
Schooss,  die  Braut  beschenkte  das  Kind  mit  SUssigkeiten  und  ent- 
liess  es  dann.  Bei  den  Kasauben  legt  man  noch  heute,  während  der 
jungen  Frau  der  Kopf  umhüllt  wird,  einen  männlichen  Säugling 
auf  ihre  Knie;  ebenso  in  Serbien,  in  Galizien,  bei  den  südmace- 
donischen  Bulgaren  und  an  vielen  Orten  in  Hussland.  {Lunuow.) 
Es  ist  gewiss  kein  blosser  Zufall,  dass  die  altindische  Sitte  sich  bei 
8u  vielen  slavischen  Völkern  wiederfindet. 

Bei  uns  in  Deutschland  herrscht  in  manchen  Gegenden  der 
Aberglaube,  dass,  wenn  es  beim  Coitu.s  regnet,  da.s  Kind  ein  MSd> 
chen  wird,  ist  es  aber  trockenes  Wetter,  so  wird  das  Kind  ein 
Knabe,  (Praetorius.)  Im  Frankenwalde  ist  man  der  Meinung,  dass 
der  zunehmende  Mond  Knaben ,  der  abnehmende  Mädchen  bringe. 
[Fliiijel.)  In  Franken  (Bayern)  steht  bei  Kaltenbruch  (Land' 
gericht  Ellingen)  eine  alte  Buche,  die  Wunderbuche  genannt 
Ein  Absud  von  ihrem  Holze,  von  schwangeren  Weibern  getrunki'n, 
bringt  die  Geburt  eines  Knaben,  dagegen  ein  Decoct  der  Ivimle  die 
eines  Mädchens  zu  Stande.  {Mayer.)  Wenn  eine  Schwanger«  mit 
dem  linken  Fu.s.He  zuerst  ans  dem  Bette  aufsteht,  so  giebt  i«s  ein 
Mädchen,  wenn  mit  dem  rechten,  einen  Knaben;  so  glaubt  uuui  in 
der  Rheinpfalz.  Will  der  Mann  einen  Knaben  erzeugen,  so 
steckt  er  eiue  Holzaxt  zu  sich  in  das  Bett  und  spricht  eine  Formel 
mit  dem  Endreim:  ,Du  sölbt  hob'  an  Bnb*;  will  er  ein  M/Id chen, 


L 


71.  Mädchen-  nnd 


labeneneagiiDir, 


80  setzt  er  sich  die  Mütze  seiner  Frau  auf  und  spricht  eine  Formel 
mit  dem  Endreim:    ,Du  sollst  hob'  an  Mad."     (Spessart.) 

Will  ein  Mann  männliche  Kinder  erzengen,  ho  muss  er,  wie 
es  nach  Zingeile  in  Tyrol  heisst,  Stiefel  dazu  anziehen.  Nach 
Liehrecht  liegt  die  Deutimg  dieser  Symbolik  auf  der  Hand;  Stiefel 
ist  etwas  männliches,  Schuhe  etwas  weibliches.  Die  sogenannte 
«Kuustzeugung'  besteht  darin,  daas  sieb  der  Vater,  der  einen  Sohn 
wünscht,  ante  actum  den  Penis  mit  Hasenblut,  andernfalls  mit 
Qänseschmalz  einschmieren  soll. 

In  Neu-Griechenland  wünscht  man  keine  Töchter,  denn  sie 
sind  eine  Bürde  des  Hauses.  Um  nun  die  Geburt  einer  Tochter 
zu  verhüten,  muss  die  Schwangere  das  Kraut  uoasvtxo-itotitvö  ge- 
messen. Dagegen  erhält  die  nicht  seltene  und  sehr  geflirchtete  Ver- 
^^rttnschung.  Frauen  möchten  mit  weibliclieu  Früchten  niederkommen, 
^^nadurch  Kraft  und  Wirkung,  dass  man  eine  Anzahl  durchlöcherter 
Geldstücke  vor  der  Thür  der  Betroffenen  vergräbt.  Aus  dem  näm- 
lichen Grunde  scheut  man  sich,  während  der  Entbindung  einen 
weiblichen  Namen  auszusprechen.     {Wavhsmuth.) 

Wird  bei  der  Nayer-Kaste  in  Indien  ein  Knabe  gewünscht, 
80  trinkt  die  Frau  einen  Monat  nach  der  Empfängniss  sieben  Tage 
lang  gewisse  KräuterbrUhen.  Am  Abend  des  7.  Tages  wird  das 
goldene  oder  silberne  Bild  eines  männlichen  Kindes  in  einen  Topf 
mit  kochender  Milch  versenkt  und  nach  einigen  Stunden  heraus- 
genommen. Die  von  einem  Priester  durch  Gebete  und  Zauberformeln 
vorbereitete  Frau  trinkt  dann  die  Milch  in  Gegenwart  des  Gatten. 
Dieser  zermalmt  einige  Tamariudeublätter  und  träufelt  den  Sai1;  in  das 
rechte  Nasenloch  der  Frau,  falls  ein  Knabe,  iu  das  linke,  falls  ein 
Mädchen  gewünscht  wird.  Da  die  Weiber  sich  zuweilen  irrthümlich 
für  schwanger  halten,  so  werden  diese  Ceremonien  mitunter  auch 
erst  im  5.  oder  7.  Monat  zugleich  mit  der  PuUi-kuddi-Ceremonie 
(zum  Schutz  der  Schwangeren  und  des  Embryo  gegen  den  Teufel) 
vorgenommen.  Am  folgenden  Morgen  trinkt  die  Schwangere  den 
Saft  in  der  Hand  zerdrückter  Tamarinden blätter  mit  Wasser  ge- 
mischt.    (Jagor.) 

Wenn  unter  den  Alfuren  auf  der  Insel  Celebes  eine  junge 
Frau  bemerkt,  dass  sie  schwanger  ist,  so  dreht  sie  mit  ihrem  Gatten 
aus  dem  Baste  eines  gewissen  Baumes,  ,Cola"  genannt,  ein  Ende 
Tau,  ,Tali  rarabnm*'  genannt.  Hierauf  wird  ein  Priester  zum 
Opfer  gerufen.  Während  derselbe  ein  Huhn  zum  Opfer  darbringt, 
bittet  er  die  Götter,  den  Wunsch  der  jungen  Leute  zu  erfüllen. 
Wünschen  sie  sich  einen  Sohn,  dann  müssen  sie  ihren  Wimsch 
durch  die  Bitte  um  ein  Schwert,  wünschen  sie  sich  eine  Tochtor, 
dann  durch  die  Bitte  um  Korallen  oder  Ohrgehänge  zu  erküminn 
geben.  Hierauf  giebt  der  Priester  oben  genannte  Gegenständ«»  iinbai 
einem  .Sarong'  (Ueberwurf,  Kleidungsstück)  der  schwangMrim  Kn»u 
zniu  Gebrauch.     {Dirdrrich.} 


XV.  Das  physische  und  sociale  Verhalten 
wahrend  der  Schwangerschaft. 

72.  Die  Erkcnntniss  der  Schwangerschaft. 

Wir  stehen  jetzt  vor  einem  der  allerwichtipsten  Abschnitte  in 
dem  Leben  des  Weibes.  Die  von  ihrem  Eierstocke  gelieferte  Keim- 1 
zelle  ist  befruchtet  worden  und  in  ihrer  Gebärmutter  beginnt  das 
Wachsthuni  und  die  Ausbildung  eines  neuen  Individuums.  Ein 
neues  Leben  ist  geweckt:  aber  auch  die  Frau  tritt  durch  diesen  für 
sie  neuen  Znstand  gleichsam  in  ein  neues  Ijeben  ein.  Vielem  hat 
sie  zvi  thun  und  vieles  zu  meiden,  bis  es  ihr  nach  erfolgter  Ent- 
bindung und  nach  glücklich  überstandenem  Wochenbett  endlich  zn 
der  gewohnten  Lebensweise  ihrer  Stammesgenossen  zurückzukehren 
gestattet  ist. 

Wir  werden   erfahren,    wie   man   zu   den  verschiedenen  Zeiten 
und    bei    verschiedenen  Völkern    bestrebt   gewe.'^en   ist,    untrügliche 
Zeichen  för  den  Eintritt  der  Schwangerschaft  ausfindig  zu  machen, 
wie  derselbe  feierlich  begrtisst  wird  imd    durch  bestimmte  coremo- 
nielle  Handlungen  seine  Weihe  erhält;    wir  werden  sehen,   wie  die 
Schwangere   sich   einer    bestimmten  Diät  zu  unterziehen,  besondere] 
manuelle  Behandlungsmethoden  zu  erdulden,   sich  in  bestimmt  vor- 
geschriebener Weise  zu  verhalten  hat,  und  auch  die  bei  den  Völkern  ^ 
herrschenden  Ansichten  über  Schwangerschaftsdauer,  sowie  über  die  | 
Kindeslage    und   schliesslich    die  Ursachen   des   mehr   oder  weniger  j 
häufig  vorkommenden  natürlichen  Abortus  werden  wir  kennen  lemeiLl 
Das    Alles    bietet    ohne    Zweifel   wichtige   Erscheinungen    im   oal~| 
turellen  Leben  der  verschiedenen  Nationen  dar. 

Fast  bei   allen  Völkern   der  Erde    musste   es  aufgefallen   sein,] 
dass  der  Geburt  eines  Kindes  ein  monatelanges  Ausbleiben  der  regel-l 
massigen  Menstruations-Ausscheidungen  vorhergegangen    sein  muas. 
Und  daher  ist  das  Ausbleiben  der  Menstruation  wohl  überall  alaj 
das  erst«  und  sicherste  objective  Merkmal  der  Schwaugersclnifl  be-j 
trachtet  worden.  (Epp.)  Es  folgt  dann  in  zweiter  Linie  du-s  A  nsch  we  1- 
len  des  Leibes  »md  später  erst  das  Stärkerwerden  der  Brüste. 
Aber  schon  Aristoteles  (VII.  2)  beobachtete,    dass  die  Menses  aocbj 


?2.  Die  ErkenntuBs  der  Schwaogenohaft. 


475 


•'ährend  der  Schwangerschaft  flössen,   und    er  meinte,    dass  hierbei 
'<lie  PVucht  schlecht  gebildet  werde. 

Wenn  mau    aber  nach  der  Schwangerschaftsdiagnose   bei  ver- 

jßchiedenen  Völkern   fragt,   so  muss  man   dabei  die  „Merkmale  der 

[«ingetretenen  Conception*   und  die  , Merkmale  der  Schwangerschaft* 

luseinander  halten.     Beide  Keihen  von  Merkmalen  werden   manch- 

lal  in  den  älteren  Schriften  so  sehr  neben-  und  durcheinander  auf- 

Igeführt,  dass  man  sie  kaum  zu  trennen  vermag. 

Das  Zurückbleiben  des  Samens   beim  Goitus  wird   als  Zeichen 

Ider  Empfangniss  bei  den  alten  Indern,  den  Griechen,  Römern, 
Deutschen  etc.  betrachtet.  Susnäa  (in  der  Ayurveda)  führt 
als  Zeichen,  dass  eine  Frau  concipirt  hat,  Folgendes  an:  , Müdig- 
keit. Erschöpfung,  Durst,  Einfallen  der  Lenden,  Zurückbleiben  des 
Samens  und  Blutes,  und  zitternde  Bewegung  der  Vulva.  Dahin 
gehören  auch  die  schwarze  Färbung  der  Brustwarzen,  «las  Zuberge- 
stehen der  Haare  und  das  Strotzen  der  Adern,  das  Sinken  der  Augen- 
lider, das  Erbrechen,  die  Furcht  vor  der  Begattung,  das  Fliessen 
AUS  Mund  und  Nase  und  die  Ohnmacht."  ( Vi<Uers.)  Das  Ausbleiben 
des  Monatstlusses  erklären  sie  durch  das  Verschlossensein  des  Mutter- 
mundes. Letzteres  gilt  ihnen  aber  noch  nicht  als  ein  Symptom  der 
Schwangerschaft.  Als  solches  nennt  jedoch  Hippokrates  den  Ver- 
schluss des  Oriticiiuu,  imd  von  da  an  nahmen  alle  Culturvölker 
dieses  Merkmal  auf. 

Die  alten  Inder  betrachteten  auch  ein  „Fliessen  aus  Mund 
mid  Käse'  als  Schwangerschaftssymptom;  so  übersetzte  Vttüers. 
Dahingegen  ist  in  Hessler's  lateinischer  Uebersetzung  des  Susrtäa 

»überhaupt  nur  von  einem  , Abträufeln "  oder  .Abfliessen"  von 
Schleim  die  Rede,  ohne  dass  die  Nase  oder  der  Mund  erwähnt  wird, 
so  dass  es  danach  ungewiss  bleibt,  aus  welchem  Organe  es  statt- 
Itindet,  und  dass  man  auch  an  einen  Ausfluss  aus  der  Scheide  denken 
köuut^;.  Es  ist  jedoch  sehr  wahrscheinlich,  dass  Vuüers  den  Siim 
der  Stelle  richtig  verstanden  hat. 
Jetzt  wissen  wir  auch,  wie  die  alten  Aegypter  vor  4000  Jahren 
bei  ihrer  Schwangerschaftsdiagnose  verfuhren  und  welcher  sinnlosen 
Mittel  sie  sich  hierbei  bedienten.  Brwjsch  in  Berlin  berichtet  über 
^-inen  im  königl.  Museum  zu  Berlin  sich  befindenden  Papyrus,  der 
walirschfiulich  aus  der  Zeit  der  11>.  oder  20.  Dynastie  stammt  und 
eine  merkwürdige  Anleitung  zum  Heilen  verschiedener  Krankheiten 
enthält.  Er  ist  nächst  dem  Pap^'rus  El)ers  das  älteste  medici- 
nische  Werk,  welches  wir  besitzen,  denn  er  soll  aus  dem  XIV.  Jahr- 
hundert vor  unserer  Zeitrechnimg  herstammen.  Die  zahlreichen 
Receptformeln  aber,  welche  die  Schnft  enthält,  und  das  schon 
ausgebildet«  System  in  der  Methode,  solche  llecepte  zu  ver- 
•schreiben,  lassen  uns  vermuthen,  dass  schon  lange  zuvor  die  Heil- 
kunst mit  einem  gewissen  ürade  von  Sorgfalt  cultivirt  worden 
mag.  BriK^sch  übersetzt  eine  Stelle  dieser  interessanten  alt- 
rptiächeu  Äbhiuidlung,    welche  .HicU   mit  den  Mitteln   bescliäf- 


>B^I^Bi9cne^^80ciale  Verhalben  während  der  Schwangenc 


tigt,  um  zu  erkennen,  ob  eine  Frau  schwanger  ist  oder  nicht.  Dort 
heisst  es : 

Man  gebe  der  Fran  das  Kraut  Boudodou-k&  mit  Milch  von  einem 
Weibe,  welche  ein  mänuliches  Kind  geboren  hat;  wenn  sich  dann  die  Frea 
erbricht,  so  wird  sie  gebären ;  wenn  sie  aber  Borborj-gmen  bekommt,  so  wird 
sie  niemals  gebttren.  Dann  wird  dasselbe  Recept  noch  einmal  empfohlen 
mit  dem  einzigen  Unterschiede,  dass  man  davon  eine  Injection  in  die  Ei  C^^ 
der  Frau  macht.  Dann  folgt  ein  anderes  Mittel  zu  gleichem  Zwecke  der 
Schwangerschaftsdiagnose  nach  C'habas'  üebersetzung:  Wenn  die  Fraa  einen 
salzigen,  trüben  oder  sedimentöaen  Urin  hat,  ao  wird  sie  gebären,  findet  man 
dies  nicht,  so  gebiert  sie  nicht.  Eine  andere  Probe  ist  folgende:  Die  Frau 
muBB  sich  hinlegen,  und  man  reibt  dann  ihren  Arm  bis  zum  Vorderarm  kr&ftig 
mit  frißchem  Oele  ein;  wenn  man  sie  dann  am  anderen  Morgen  untersacht 
und  ihre  Gefässe  sehr  trocken  findet,  so  beweist  dies,  dass  sie  nicht  ge- 
bären wird;  findet  man  dieselben  aber  feucht,  ebenso  wie  auch  die  Haut 
ihrer  Glieder,  so  darf  man  vermuthen,  dass  sie  gebären  wird.  Ein  femer 
beHchriebenes  Beweismittel  wird  von  Brugsch  als  sehr  obscön  bezeichnet. 
Auch  lehrt  der  Verfasser  der  Papyrus-Schrift,  die  Schwangerschaft  aus  der 
Beachatfenheit  der  Augen  zu  erkennen:  „Wenn  das  eine  ihrer  Augen  die 
(braune  Haut-)  Farbe  eines  Amou  (Asiaten)  hat,  das  andere  Auge  aber 
die  Farbe  eines  Negers,  so  ist  sie  nicht  schwanger;  wenn  aber  beide 
Augen  die  gleiche  Farbe  haben,  so  ist  sie  schwanger. *  Zum  Schluss  kommt 
ein  noch  sonderbareres  Beweismittel.  Weizen  und  Gerste  mOge  die  Fraa 
in  zwei  Sticken  den  Tag  über  in  ihrem  Urine  einweichen;  wenn  sie  keimen. 
BO  ist  sie  schwanger,  keimen  sie  aber  nicht,  so  ist  sie  auch  nicht  schwanger. 
Ist  es  nur  der  Weizen,  welcher  aufkeimt,  ao  wird  sie  einen  Knaben  gfebüren, 
keimt  hingegen  die  (Jerste,  so  wird  es  ein  Mädchen. 

Aebnliche  abergläubische  diagnostische  Hülfsmitt«!  finden  sich 
auch  bei  den  alten  Griechen.  In  dem  pseud  o  hippo  krati- 
ihen  Buche  über  die  weibliche  Natur  (De  nat.  muliebr.)  heisst  e«: 

,üm  es  zu  erfahren,  ob  die  Frau  empfangen  wird,  schabe  (kochet  einen 

Knoblauchkopf  ab  und  lege  ihn  (oder  Netopon  in  Wolle  gewickelt)  in  die 
Gebärmutter  ein,  am  folgenden  Tag  bringe  di5  Frau  ihren  Finger  zur  Unter- 
suchung ein,  und  gebe  darauf  Acht,  ob  sie  aus  dem  Munde  riecht,  denn 
dann  steht  es  gut,  wenn  nicht,  so  lege  man  den  Knoblauchskopf  wieder  ein. 

Wenn  du  ermitteln  willst,  ob  eine  Frau  schwanger  ist  oder  nicht,  so 
bestreiche  ihr  die  Augen  mit  rothem  Stein  (Bolus?);  dringt  nun  das  Mtttal 
ein,  so  ist  die  Frau  schwanger,  wenn  nicht,  so  ist  sie  nicht  schwanger.* 

Den  talniudischen  Aerzten  galten  als  Schwangerschafkszeichen: 
Ein  dicker  hoch  aufgetriebener  Unterleib,  namentlich  nach  ^''erlsaf 
dreier  Monate,  seitdem  der  Coitus  stattgefanden ;  Auscliwellung  der 
Urliste  (oder  gar  Ausfliosgen  von  Milch  aus  denselben),  endlich  ge- 
wisse Spurzeichen,  welche  die  Fusstritte  einer  Schwangeren  in  locke» 
rer  Erde  zurücklassen  sollen.  Da  die  taJmudi.schen  Aerzte  auch  die 
extrauterine  und  die  Mola-Schwangerschaft  kannten,  ao  ist  anzu» 
nehmen,  dass  sie  selb.st  die  angegebenen  Merkmale  wohl  nur  mit 
ziemlicher  Behutsamkeit   als  Norm  anerkannt  ha))en. 

Aus  der  Fussspur  diagnosticirt  in  einer  buddhistischen  Er- 
zählung, die  uns  Schiefner  zugänglich  gemacht  hat,  ein  Brahmanen- 
arzt  die  Gravidität  nicht  allein  eines  Weibes,    sondern  sogur  einer 


72.  Die  Erk^C 


ler 


ItHephantin.     Die  Fussspur  musste  einem  Elepbanteuweibchen  ange- 
hören,   da  sie  länglicli  war,   während  die  Spur    der  Mäimchen  eine 

iTunde  ist,  und  trächtig  musste  das  Thier  gewesen  sein,  »weil  sie 
beide  Ftisse  drückend  gegangen  war.*"  Mit  einem  Männchen  aber 
musste  sie  trächtig  sein,  .weil  sie  mit  dem  rechten  Fusse  mehr 
gedrückt  hatte.*  Die  Schwangerschaft  der  Frau,  die  von  dem  Thiere 
abgestiegen  war,  erkannte  der  Arzt,  «weil  der  Absatz  des  Fusses 
recht  tief  eingedrückt  hatte." 

Die  Aerzte  bei  den  Chinesen  beiragen  den  Puls,  wenn  sie 
ermitteln  wollen,  ob  eine  Frau  schwanger  ist.  (du  Ualde.)  Sie 
halten  eine  Frau  für  schwanger,  wenn  sie  bei  allgemeiner  Gesund- 
heit und  bei  Verhaltuug  der  Menstruation  einen  regelmässigen  und 
tief  anschlagenden  Puls  hat. 

Ausserdem   diagnosticiren    sie    auch    die   SchwnngerBchaft,    wenn    der 

[Pankt  tsche  (sie  setzen  die  Finger  auf  drei  Punkte  der  Arterie,  genannt 
tHuen,  tsche  und  kouan)  stärker  als  gewöhnlich  anschlägt.  Wenn  der  Puls 
um  unteren  Punkte  in  der  Gegend  des  rechten  Handwurzelgelenks  schlüpfend 
und  strutzend  ist,  so  ist  die  Frau  mit  einem  Mädchen  schwanger;  wenn 
man  dasselbe  Zeichen  an  der  Unken  Hand  findet,  so  ist  ga  ein  Knabe;  findet 
man  das  Zeichen  aber  beiderseits,  so  wird  sie  zwei  Kinder  gebären.  (Hureatt.) 
Wenn  sich  eine  Frau  im  Allgemeinen  wohl  befindet  und  einen  regelmässigen, 
oberflächlichen  oder  tiefen  Puls  hat,  und  wenn  die  Menstruation  ausblieb, 
so  ist  sie  schwanger.  Man  hat  dafür  noch  mehr  Beweis,  wenn  der  Tsche- 
Pols  hoch  ist  und  heftiger  als  gewöhnlich.  Wenn  femer  die  Frau  zart  ist 
und  wenn  man  beim  festen  Aufsetzen  des  Fingers  auf  den  Puls  im  Ellen- 
bogengelenk Pulsschlüge  ohne  Unterbrechung  fühlt,  und  wenn  die  Menstrua- 
tion ausgeblieben  war,  so  ist  die  Frau  schwanger.  Sie  ist  es  auch  dann, 
wenn  beim  Aussetzen  der  Menstruation  ihre  sechs  Pulse  natürlich  bleiben. 
Auch  ist  sie  es,  wenn  der  Tsuen-Puls  klein,  der  Kouan-  (Ellenbogen-)  Puls 
gleitend,  der  Tsche-Puls  b^?sehlelln)gt  ist.  Im  ersten  Monat  ist  der  Puls 
bald  langsam,  bald  beschleunigt;  im  zweiten  und  dritten  Monat  gleitend 
und  schwach  oder  massig  langsam,  oder  bald  langsam,  bald  beschleunigt; 
im  Tierten  Monat  massig  langsam,  gleitend  uder  langsam  und  abwechselnd 
beschleunigt;  im  fünften  Monat  krüftig  anschlagend.     {Dahrif.) 

Die  japanischen  Aerzte  gehen  schon  weiter,  denn  sie  ftiblen 
nicht  bloäs  den  Puls,  betasten  die  Brüste  mid  untersuchen  deren 
Zustand,  sondern  sie  exploriren  auch  auf  eigenthümliche  Weise  den 
Unterleib  von  aussen.  Die  innere  Untersuchung  mit  dem  Finger 
per  vaginam  kannten  sie  wenigstens  bis  vor  einigen  Jahrzehnten 
noch  nichts,  da  sie  aber  von  dieser  ,  hübschen  Methode"  nun  gehört 
haben  und,  wie  der  japanische  Arzt  Mimazuma  sagte,  ihren 
hohen  Werth  nicht  verkennen,  so  werden  sich  schon  jetzt  nicht 
ihrer  wenige  japanische,  modern  medicinisch  geschulte  Aerzte 
bedienen. 

Einen  Monat  nach  der  Befruchtung  kommen  nach  Ansicht  des 
Japaners  Kanyaua  die  ersten  Symptome  der  Schwangerschaft, 
Wegen  Behinderung  der  Regel  treten  leichte  Kopfschmerzen,  Un- 
behaglichkeit  in  der  Magengegend,  Verdriesslichkeiten  ein.  Bis  zum 
45,  Tage  steigern  sieb  die  Symptome,  es  tritt  Erbrechen  hinzu,  weil 


478  XV.  Dasphj 


>ciale  Verhalten  wilhrecd  Oe^^wSSge 


das  Blut  gegen  den  Magen  stösst;  Blutandrang  zum  Kopf,  Frost, 
Fieber,  Durst,  zuweilen  Leibschmerz,  Durchfall;  nach  denn  45.  bis 
50.  Tage  zeigt  sich  Mattigkeit,  die  Schwangere  liegt  lieber,  als  da«« 
sie  sich  aufsetzt;  sie  isst  gern  säuerliches  Obst,  (J/cV/aA-c.)  Kan- 
gawa  sagt: 

,Da  nun  alle  oben  genannten  Symptome  denen  des  Fiebers  sehr  ähnlich 
sind,  BO  mass  man  zur  genauen  Diagnose  die  Untersnchnng  dor  drei 
Orte  vornehmen:  1.  die  Arterien  der  vier  Fingerspitzen;  behafs  dieser 
Untersuchung  legt  der  Arzt  seine  Fingerspitzen  gegen  diejenigen  dar  Frau; 
2.  die  Arteria  cruralis;  3.  die  Arteria  radialis.  Ist  Schwangerschnlt  vor- 
handen, 80  schlagen  die  Arterien  Nr.  1  und  2  stärker,  als  Nr.  3.*  In  einem 
späteren  Buche  wird  angeführt,  das.';  die  Untersuchung  der  drei  Arterien 
nicht  immer  genügend  sei,  da  wSiirend  der  heissen  Jahreszeit  auch  ohne  die 
Schwangerschaft  die  Fingerartcrien  stärker  schlagen,  al.*;  die  radialis.  GenSgt 
diese  Methode  zur  Feststellung  der  Diagnose  im  2.  und  3.  Monat  nicht, 
80  legt  der  Arzt  seine  rechte  Hand  auf  Kiubi,  d.  i.  die  Herzgrube  and  palpirt 
allmählich  bis  Tensuh,  d.  i.  der  Punkt  I3  Zoll  unter  dem  Nabel;  mit  der 
linken  Hand  geht  er  von  der  Schambeingegend  leicht  drückend  in  der 
Mittellinie  aufwärts  bis  nach  der  Tensuh  der  anderen  Seite.  Er  fohlt  dann 
bei  Schwangerschaft  einen  kugelförmigen,  glatten  Gegenstand  von  der 
Grösse  einer  Kastanie.  Die  Palpation  muss  mit  leisem  Drnck  geschehen. 
Ist  der  Gegenstand,  den  man  hier  fühlt,  hart,  eckig,  laug,  so  ist  er  als 
Kothmasse  zu  betrachten.  Sind  dagegen  mehrere  Gegenstände  zu  fühltm, 
so  ist  es  ein  Blutklumpen. 

Als  weiteres  Sj'mptom  der  Schwangerschaft  wird  der  dunkle  Hof  um 
di«  Brustwarze  angeführt  (der  allerdings  bei  Japanerinnen  ganz  dunkel- 
braun, fast  schwarz  wird),  doch  wird  gleichzeitig  ein  Fall  erwähnt,  wo 
ohne  vorhandene  Schwangerschaft  der  Hof  sich  braun  zeigte  und  sogar 
etwas  Flüssigkeit  aus  den  Brustwarzen  auszudrücken  war. 

Kommt  die  Frau  angeblich  im  4.  oder  5.  Monat  der  Schwangerschaft 
zum  Arzt,  ho  sull  dieser  sie  fragen,  ob  sie  früher  ihre  Menses  regelmässig 
und  reichlich  hatte;  im  Bejahnngsfulle  liegt  Schwangerschaft  vor,  im  Ver- 
neinungsfalle dagegen,  namentlich  wenn  der  Leib  verhältnissmässig  klein 
igt,  hat  mau  es  mit  einem  Blutklumpen  7,u  thun.  Im  6.  oder  7.  Monat 
fühlt  man  in  der  Gegend  des  Nabels  und  etwas  darunter  einen  weichen 
kagelförmigen  Gegenstand,  in  welchem  eine  Pulsation  mit  der  Hand  wahr- 
nehmbar ist.  Fehlt  dieses  letztere  Symptom,  so  giebt  das  stärkere  PuUiren 
der  Cruralarterie  und  eine  Adhärenz  und  erschwerte  Vorschiebbarkeit  der 
Haut  zwischen  Nabel  und  Schambein  Anhaltspunkte  für  die  Diagnose  der 
Seh  wn  ngersch  af t. 

Als  eine  besonders  weise  Fürsorge  der  Natur  führt  Kangawa  an.  doM 
das  weibliche  Kreuz  (unter  Kreuz  versteht  er  die  Figur,  welche  durch  die 
Vertiefungen  und  Hervorragungen  auf  den  Dornfortsiltzen  der  unteren 
Wirbel  und  des  Kreuzbeins  einerseits,  auf  dem  Hüftbeinkamm  auderenteit« 
gebildet  sind)  breit  und  ausgebuchtet  ist,  da«  männliche  dagegen  gtsiad« 
und  schmal. 

Als  Zeichen  für  ZwillingHschwangerschaft  wird  von  Kangavca  ein  Ein- 
sinken der  Mittellinie  des  Köqwrs  angenommen.  Sind  Zwillinge  vorhanden, 
ao  hat  regelrecht  der  linke  den  Kopf  nach  unten,  der  recht«  hat  ihn  nudi 
oben.  Jeder  hat  seine  eigene  Placenta;  der  linke  kommt  bei  der  Geburt 
zuerst.    Liegen  dangen  beide  Zwilling«  mit  dem  Kopfe    aaoh   oben,    oder  1 


72.  Die  Erkennt« 


479 


eil  unten,  so  haben  sie  nur  eine  gemeinschaftliche  Placonta,  und  die  Ge- 
)art  ist  stets  mit  grosser  Gefahr  verknüpft.  Das  Geschlecht  beider  Zwil- 
inge  kann  verschieden  sein.  Zuweilen  entwickelt  sich  ein  Zwilling  auf 
Lösten  des  anderen:  dann  wird  letzterer  im  7.  Monat  mit  dem  Sack  geboren. 

Die   Hebammen    des   Orients   haben   keinen   Begriff   von    der 
leren  Untersuchung.     Erani  berichtet: 

„La  conceptioD  d'une  jeune  femme  est  le  plus    souvent   constatee    par 
los  sages-fcmraea  en  Orient.     Du  uionient  que  la  famille  apervoit  une  grosseur 
'dans  le  venire  de  la  jeune  niariee,  eile  fait  appeler  inimediatement  la  sage- 
fenune,  qui  jage  la  natnre  de  la  grosseur  et  pose  son  diagnostic* 

Natllrlicherweise  bleiben  hierbei  diagnostische  Irrthümer  nicht 
aus.  wie  auch  Eram  einen  solchen  berichtet. 

Bei  den  Negern  in  Old-Calabar  gilt  als  Schwangerschafts- 
jZeichen  das  Ausbleiben  der  Menses,  ein  bleiche.s,  aschfarbenes  Aus- 
sehen des  Gesichts  und  des  oberen  Theiles  der  Brust  mit  zerstreuten 
jgelblichen  Flecken,  und  das  Duiiklerwerden  des  Warzeuhofes.  Diese 
letztere  Verfärbung  gilt  den  Negern  fiir  ein  so  untrügliches  Zeichen, 
iass  sich  die  Mämier  gegen  den  Versuch  sträubten,  eine  Kleidung 
|«jnzufuhren,  welche  dieses  Zeichen  verdeckt.    (Hewan.) 

Unter  dem  Volke  Russlands  gilt  als  Zeichen  der  Schwanger- 
das Erscheinen  von  Sommersprossen.    (Krehel.) 
.Kann  bei  den  Süd-Slaven  das  Weib    .sich   auf  keine   andere  Weise 
die  Gewissheit  verschatfen,  dass  sie  in   gesegneten  Cmst^den  sich    befinde, 
BO  soll  sie   an    drei  aufeinander  folgenden  Abenden    hinter   der   Thiir    eine 

PLxt  nass  machen  und  sie  daselb.st  über  Nacht  liegen  lassen.  Ist  die  Axt 
lle  drei  mal  am  Morgen  verrostet,  so  ist  das  Weib  gewiss  auch  schwanger." 
Ein  höchst  wunderliches  Schwangerschaftszeichen  haben  die 
Serben:  Bekommt  dort  irgend  Jemand  ein  Gerstenkorn,  so  bedeutet 
das,  dass  seine  Tante  .schwanger  ist;  ist  das  Gerstenkorn  am 
unteren  Lid,  so  wird  das  Kind  ein  Mädchen,  ist  es  am  oberen  Lid, 
80  wird  es  ein  Bube  sein.    (Petroicitsch^  Krauss,^) 

Zur  Erkennung  der  Schwangerschaft  thut  man  in  der  Kheiu- 
pfalz  eine  geistige  Flüssigkeit:  Apfel-,  Bim-  oder  anderen  Wein 
Kill  eine  «Bolb  (grosser,  runder,  langstieliger  Metalllöilel)  und  lääst 
Heü  über  Nacht  stehen;  bricht  nach  dem  Genuss  die  Frau,  dann  ist 
es  richtig.  Wenn  im  Frankenwalde  ein  zeugungsfähiges  Weib 
krank  ist,  so  sagt  die  Nachbarschaft  vermuthungsweise :  „sie  hebt 
wohl  an."     { Flügel.) 

Der  Ausdruck:  ,Sie  ist  in  gesegneten  Umständen*  für  »sie 
[ist  schwanger*  geht  zieinlich  durch  ganz  Deutschland;  ebenso 
iheisst  es  bis  nach  dem  sächsischen  Siebenbürgen  hin:  «sie  ist 
[in  anderen  Umständen."  Bei  den  Sachsen  in  Siebenbürgen 
I  herrschen  aber  aucli  noch  verschiedene  Bezeichnungett,  welche  diesen 
I Zustand  einigermaassen  bildlich  auffassen:  ,Sie  ist  wie  die  Leute*; 
^»sie  ist  bleiben  gehen";  ,Bie  ist  in  Erwartung";  »auf  schwerem 
.sie   soll   nach  Rom   reisen*;    »sie  ist  des  Herrn  Magd'; 


,sie   ist  so    geschickt'';    ,sie   ist  nicht   allein".     In  einzelnen  Or 
Schäften   des   siebenbürgischen   S  ac  kseu  I  andes    sind    humc 
ristische   derbe  Redensarteu   gebräuchlich:    „Sie    hat   den  Kalendei 
verloren"    (Eibesdorf);    ,sie   hat    eine   neue   Schürze   erhalten'! 
(Gergeschdorl");  ,sie  hat  sich  gestossen  —  ist  widergelauf'en,  daher! 
ist  sie  geschwollen"  (Deutsch-Kreuz);   ,sie  bekoramt  einen  Rain] 
am  Bauch"  (daseibst);   „sie  hat  eine  Bohne  verschluckt  und  darat 
Wasser  getrunken,    nun  quillt  dieselbe*    (daselbst);    ,sie   hat    ds 
Neunmonatswaaser"   (daselbst).     {Hillner.) 


73.  Die  Schwangerschaftsdaner. 

Ueber  die  Zeitdauer,   welche  normaler  Weise  der  Embryo   iaj 
dem  Mutierleibe  sich  aufhalten  könne,  herrschen  bei  einzelnen  Völ- 
kern sehr  absonderliche  Ansiebten.     So  steht  in  dem  chinesischen! 
Buche  Dan-zi-nan-fan  geschrieben:   ,Die  tägliche  Erfalirung  beweist^ 
es,   dass  eine  Frau  7 — -10  Monate  schwanger  gehe.     Aber  es  giebt 
auch  Frauen,  deren  Schwangerschaft  1 — 2  Jahre  währet.* 

Als  sicherster  Anhaltspunkt  für  die  Schwangerschnftsberechnung 
gilt  bei  den  japanischen  Frauen  das  Ausbleiben  der  Menstruation;] 
früher  war  dieses  Zeichen  bei  der  offiziellen  Eiutheilung  des  Jaliresl 
in  Moudnionate  noch  bequemer,  indem  sie  einfach  vom  ersten  Aus- 
bleiben   der  Regel   lO   derartige  Zeitabschnitte  als   zur  VoUendangi 
der  Schwangerschaft  nöthig  ansahen.     Sonderbarer  Weise  setzte  es 
sie  in  Verlegenheit,  wenn  die  letzte  Menstruation  aus  den  Schluss- 
tagen dos  einen  (Kalender-)Monat^    bis  in   die  er.sten  des   nächsten 
biuüber  reichte  (Zeki  mantangi,  wie  der  Kunstausdruck  lautete):  ee 
wurde   dann   die   Berechnung   ungenau,    da    sie   den   angefangenen i 
Monat  noch  als  einen  voUen  xiiitrechueteu.    Jetzt  rechnen  die  Frauen 
nach  den  Tagen  (280  Tage),    sie  geben  aber  zu,    dass  sie  sich  oft 
verzählen.     ( Wernich) 

Der  japanische  Arzt  Kangawa  nimmt  in  seinem  Buche  San- 
rong  au,  dass  bei  Erstgebärenden  der  Termin  der  Geburt  300  Tage, , 
bei  Mehrgebärenden  275  Tage  nach  der  Emplangniss  sei.     {Miyahe.) 

Als  normale  Schwangerschaftsdauer  galt  den  talmudischen 
Aerzten  ein  Zeitraum  von  271  oder  272,  oder  auch  273  Tagen. 
Doch  konnte  nach  dem  Talmud  ein  Weib  auch  12  Monate  lang 
schwanger  gehen.     (Israels.) 

Die  buddhistische  Legende  berichtet,  dass  Buddha  von  seiner 
Mutter  nach  Verlauf  von  10  Monaten  geboren  worden  sei. 

Die  alten  Griechen  hatten  über  das  Vorkommen  verspäteter 
Geburten  noch  keine  übereinstimmende  Ansicht  gewonnen.  In  dorn 
pseudohippokratischen  Werke  De  natura  pueri  wird  dds  Vor- 
kommen derselben  bezweifelt;  allein  in  dem  ebenfalls  pseudo* 
hippokratischen    Buche   De   Diaeta,   sowie   von   Aristofeics   und 


73.  Die  Schwangerscbaftsdaiier. 


481 


'^limm  wird  dasselbe  ftir  möglich  gehalten.  Aristoteles  sagt.,  dass 
?ine  Schwangerschaft  nach  Einigen  auch  11  Monate  dauern  könne, 
tieht  aber  diese  Angabe  in  Zweifel;    und  Plinius  führt  einen  Fall 

au,  iu  welchem  die  Geburt  -angeblich  erst  nach  13  Schwangerschaftä- 

nionaten  erfolgte. 

Den  i'otowatomi-Häuptling  3[eta  fragte  Keatiug,  wie  lange 

ibei  seinem  Stamme  die  Schwangerschaft  dauere.    Dieser  antwortete, 
sie  variire  zwischen  8  und  9  Monaten. 

Wenn  bei   den  Omaha-Indianern   die  Frau  nicht  berechnen 
wie  lange  sie  schwsinger  sein  wird,  so  bittet  sie  ihren  Gatten 

M)i3er  einen  alten  Mann,  es  ihr  zu  sagen. 

Nach  dem  türkischen  Gesetzbuche  (Multeka  ül  Ubbür),  welches 

l-die  Gnmdlage  der  religiösen.,  politischen  und  sittlichen  Verfassung 
des  tflrkischen  Reiches  bildet,  dauert  die  Schwangerschaft  von 
6  bis  24  Monaten.  Legitim  ist  also  das  im  Anfange  de»  7.  Monats 
geborene  Kind,  und  ebenso  dasjenige,  welches  eine  Frau  vor  Ablauf 
von  zwei  Jahren  nach  der  Verwittwung  oder  Verstossung  zur  Welt 
bringt.  Die  türkischen  Rechtsgelehrten  entscheiden  hier  Folgendes: 
Wenn  eine  Frau,  die  zur  zweiten  Ehe  schreitet,  schwanger  wird, 
ohne  zuvor  ihre  Zurückgezogenheit  erklärt  zu  haben,  so  wird  ihr 
in  den  ersten  6  Monaten  geborene.s  Kind  dem  ersten  Manne  zuge- 
schrieben (und  dieser  Umstand  bewirkt  zugleich  die  Autlösimg  der 
Ehe).  Wenn  aber  eine  Frau  erklärt,  sie  sei  nicht  schwanger,  und 
dennoch  vor  dem  Ende  des  1 1.  Monats  nach  dem  Tode  des  Mannes 
niederkommt,  so  wird  das  Kind  nichtsdestoweniger  als  ehelich  und 
dem  Verstorbenen  angehörig  betrachtet.     (OppenJteim.) 

In  Bezug  auf  die  Dauer  der  Schwangerschaft  haf,  wie  Karl 
Schrneder  sagt,  die  Erfahrung  gezeigt,  dass  man  etwa  270 — 280 
Tage  nach  dem  ersten  Tage  der  letzten  Periode  den  Eintritt  der 
Geburt  erwarten  kann.  Fürst  glaubt  einen  Unterschied  in  der 
Schwangerschaftsdauer  zwischen  solchen  Frauen,  die  zum  ersten 
Male  schwanger  wurden,  und  solchen,  die  bereits  mehrmals  geboren 
hatten,  feststellen  zu  können,  und  zwar  ist  bei  den  letzteren  die 
Zeit  eine  längere.  Er  berechnet  die  Dauer  der  Gravidität  bei  Erst- 
gebärenden vom  Ende  der  letzten  Menstruation  auf  278  Tage,  vom 
Tage  der  Empfängnis»  an  auf  268^/2  Tage,  während  bei  Mehrge- 
bärenden diese  beiden  Zeiträume  282  Tage  beziehimgsweise  271  Tage 
betragen  haben. 

Bei  den  Söd-Slaven  herrscht  nach  Krauss^  ,im  Bauemvolke 
der  wunderbare  Glaube,  dass  unter  gewissen  Umständen  das  Weib 
in  sechs  Wochen  ein  vollkommen  ausgereiftes  Kind  austragen  kann. 
Vielleicht  ist  dieser  Glaube  dadurch  hervorgerufen  worden,  dass 
manche  junge  Frau  kurz  nach  ihrer  Vermählung  eines  Kindes  genas. 
Zur  Erklärung  des  Wunders  wurde  die  Zeit  der  Scbwangerschafl 
tief  hinabgedrückt. ' 


?10«f,  Ua<   Wölb.  I.     J.  Atill. 


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iwaQ((«r 


74.  CerenionJen  nnd  religiöse  Uebränclie  bei  dem 
eintreten  der  Schwangerschaft. 

Der  Eintritt  der  Schwangerschaft  gieht  nicht  wenigen  Nationen 
die  Veranlassung,  der  Gottheit  in  religiösen  GelVihlen  den  Dank  zn 
sagen  und  durch  eine  besondere  Weihung  die  in  gesegneten  Um- 
ständen befindliche  Frau  sowie  das  keimende  junge  Leben  dem 
ferneren  Schutze  der  Gottheit  zu  empfehlen.  In  diesem  Gebahren 
tritt  schon,  wie  man  zugeben  wird,  ein  ziemlicher  Grad  von  Gesittung 
zu  Tage. 

Bei  den  alten  Mexikanern  wurde  der  Eintritt  der  Schwanger- 
schaft bei  der  Neuvermählten  mit  einem  Feste  gefeiert,  und  die 
dabei  Üblichen  Reden  warnten  sie,  das  ihr  bevorstehende  Glück 
ihrem  eigenen  Verdienste  zuzuschreiben  und  sich  nicht  zum  Stolze 
hinreissen  zu  lassen,  denn  nur  Gottes  Gnade  sei  es,  der  sie  es  zu 
verdanken  habe.  Bei  einem  späteren  Feste  wurde  ihr  unter  ähn- 
lichen Reden  eine  Hebamme  bestellt,  von  der  sie  gebadet  wurde 
und  manche  Rathschläge  erhielt.     { WaiU.) 

Auch  bei  den  alt«n  Juden  wurde  während  der  Schwangerschaft 
für  das  Kind  gebetet,  und  wir  haben  an  anderer  Stelle  die  Gebet- 
foruieln  angefllhrt,  welche  die  Talmudistjeii  für  die  vei^schiedenen 
Perioden  der  Schwangerschaft  vorschrieben.  Eine  Steile  im  Talmud 
Becbaroth  fol.  60a  lautet: 

Diebue  tHbns  priotibus  homo  misencordiam  imploret,  ne  foct-iduni  fiat 
«emen;  a  tribus  (diebus  inde)  aaque  ad  quadraginta  invocet  luieiericordiiun, 
iit  gtt  mas;  a  quadrageäimo  die  inde  usque  ad  tres  tnenaea  mi^ericordiaro 
invocet,  ae  RM  Sandalus;  a  tribue  nienäibua  inde  usque  ad  Rex  menBen  mi- 
.«iericordiam  imploret,  ne  fiat  abortua ;  n  sex  mensibus  usque  ad  novem  im* 
ploret  mixericordiaTn,  ut  exeat  in  pace!     (IsraeU.) 

Die  Griechinnen  lösten  bei  der  ersten  Schwangerschaft  ihren 
Gürtel  und  weihten  denselben  im  Tempel  der  Artemis',  sie  feierten 
zu  Ehren  der  (renettjUis  {Aphrodite)  Feste,  um  eine  günstige  Geburt 
zu  erbitten.  Vielleicht  aus  sehr  frtiher  Zeit  Altgriechenlands, 
wo  wahrscheinlich  von  Schwangeren  der  Beistand  der  Götter  unter 
gewissen  Formeln  erfleht  wurde,  stammt  ein  noch  jetzt  in  Neu- 
griechenland  beobachteter,  wenn  auch  seltener  werdender  Brauch: 
in  der  Nähe  von  Athen,  am  nördlichen  Abhang  des  sogenannten 
NymphenhUgels  bei  der  hochalten  Inschrift  uQog  Jtög  rutschen 
die  Schwangeren,  um  da«  Gebären  zu  erleichtem,  an  einer  durch 
vielen  Gebrauch  bereits  geglätteten  Stelle  den  Berg  hinunter.  Auch 
existirt  daselbst  der  Gebrauch,  am  Ende  der  Schwangerschaft  einen 
Hahn  zu  schlachten.  Manche  wollen,  vielleicht  fälschlich,  diese  Sitte 
mit  dem  Hahnopfer  in  Beziehung  bringen,  das  die  Altgriechen 
dem  Aeskulap  darbrachten.     (  WarfismtUh.) 

Der  Göttin  Postvrrsa  oder  Prfi^sa  opferte  die  Römerin,  mn 
eine  günstige  Kindeslage  zu  erzielen. 

Wenn  in  Ostindien  zu  Madras  eine  Frau  ihrem  Mann«^  tum 


T4.  CiiiiiifJL»  s.  refif .  «j'luliii'ht  bein  fjmnttm  4ar  "ikwi^iminn,  4SS 


eisttz*  Male  Hoi&imig  gkbc.  VatEr  zu  vcrden.  so  «eflt  er  «in 
Freodezifess  an.  und  im  säebenten  Mosms  Ofrfot  die  gaaze  Familie 
den  Göobt::  dies  berichiMe  sdxm  im  Jafai«  17^S  .B>^.  In  den 
ersten  Mocases  vird  mit  der  Xarer-Fiaa  eine  Cenmosie  rorge- 
nomsDes.  die  man  oft  aocfa  his  zom  5.  oder  7.  Monat  anfarhiett. 
weO  san  fiber  die  Tliai&aclie  der  Sdiwaugeiaebaft  nidit  säd>er  ist; 
am  azäderes:  Motc«a  nach  dieser  Ceremome  trinkt  äe  einen  An^naa 
Ton  Tazcarinden.  Ist  bei  doi  Badaeas  einem  indischen  Volke  im 
Nilziri-Gebie«  eine  Fna  im  7.  Monat  sAwaager.  so  findet  eine 
zweite  Heirazh  als  Conäxmadoo  der  eisen  statt:  Venraadte  mnd 
Freande  rersaminehi  äch:  die  Gasse  ätzen  as  der  einen  Wand,  die 
Gatten  an  der  anderen.  Der  Ehemann  fragt  seinen  Schviegerrater: 
SoD  ich  diese  Schir?  um  den  Hab  Ennr  Tochter  kgen?  Wird 
diese  Fn<re  bejaht,  so  wird  die  Schnur  mngebunden  cnd  nach 
wenigen  Mimnen  wieder  abgezMMmnen.  Tor  dem  Paare  «sehen  rwa 
Schfissein.  in  welche  die  Verwazidten  Geldstöcke  fnr  das  Ehepnr 
legen:  «l-^«»»^  ändet  ein  Schmaus  statt.  -Japor.) 

Sohnid  eJDe  Ksgeborece  auf  Jara  seh  im  dritten  Honate  der 
GraTidixit  befindet,  wird  dies  aDen  Verwandten  und  Fxemiden  ge- 
meldet oimI  es  werden  rerschiedene  Geschenke  damit  rerbanden. 
(^ToFora.^  Da^n  werden  auch  im  siebenten  Monate  alle  Vawaadte  za 
einem  Fotmahle  geUden.  Die  Fru  badet  sich  dazaof  in  der  Müeh 
einer  unreifen  Kokoscass.  weiche  der  Ehemann  geöffioet  haben  moas. 
Vorhier  werden  acf  der  Schale  dezsdben  iwei  schöne  Fixeren,  eine 
männliche  mid  eine  weibliche,  eingegxaben,  damit  die  Schwango« 
dieselben  betrachte  Tmd  «n  schönes  Kind  zcr  Weh  bringe.  Sie  zieht 
mm  ein  neaes  Kleid  an  und  rerschenkt  das  ahe  an  eine  ihrer  Mit- 
6anen.  welche  ihr  bei  diesen  VOTTichtmuren  behülfbch  gewesen 
ist.  Am  Abeod  wird  den  Gästen  ein  Sehattöispiel  gegeben,  welches 
das  Leben  and  dk  .Abenieoer  eines   alten  Helden  rum  Gegenstand 

Wenn   bei   den   Alfaren   anf  Celebe«   die  j::^  Ftm   be- 
merkt.   ^Mäm    äe   m  in»r«eanten  Umständen  «.    so  dreht   sie  hok 
ihrem  Gatten   a«is   dem   Baste  «ncs  gewissen  Banmes.  ^1»U-.   em 
Ende  Tan.   .Tali  rarahnm-  genannt.    Hierauf  wird  em  ^«£«er  zoin. 
Opfer   genrfen:   er   opfert    ein   Htüm    and   bm«   ^^ott«.    de^ 
Wonach  der  joniren  Uate  erftUen  ru  woUen:  ihren  Wmisch  i»cK 
einem  Knaben   ^eben    «e   durch    die  K«e  5"»  «»  =«»»'«-    ü^^esx 
Wonsch  nach  ehiem  Mädchen    durch    ^^  »»^  °»  ^^^    ^i*^ 
Ohnrebänge  zn  erkem^ii-    Hierauf  giebt  der  PnMter  obengen«ax\^ 
(i^SSe  nebst  einem  Sarong    teberwurt    öeidong^tuc*       ,i^ 

schwanger«  Fiaa  znm  Gefcracch.  *j.„Vu- 

I^lImai.cheKirtheTibev  Mongolei  ^.^^^^^  ^.^^^^ 

_  wenn    dafSr    >>«ahlt    wird   -    Gebeu.    ^,^^J^^-^     ^*^ 

In    Japan    sind    zahlreiche    '-^l^^^^J^,    .j^^a,  ^.^  ^^TT       ^ 
Schw«»genJhaft  /bei  Anlegung  der  Leibbinde),  .«üs  =ach  ,»^    ^ 


484 


I  phyBiBche  aod  aoeiale  Verhalten  irährend  der  Schrangwiiet 


bort;  sie  wurden  im  vorigen  Jahrhundert  von  Kangawa  in  seinem 
Werke  Sau-ron  geschildert.  Allein  Miyake^  der  uns  mit  dem  In- 
halte des  Werkes  im  Allgemeinen  bekannt  macht,  unterlägst  es,  von 
diesen  Ceremonieu  besonders  zu  sprechen,  da  sie  in  den  Palästen  der 
Shio-gune  und  Daimios  sehr  verschieden  sind  nach  Zeit  und  Ort. 
In  Japan  verschlucken  Schwangere  kurz  vor  der  Entbindung  ein 
Stückchen  Papier,  auf  welchem  der  Schutzpatron  der  Gebärenden 
abgebildet  ist,  in  der  Hofliiung,  so  einer  leichteren  Entbindung  ent- 
gegenzugehen; Andere  trinken  in  dieser  Absicht  ein  Decoct  aas  un- 
geborenen Hirschkälbeni,  die  getrocknet,  zerstossen  und  dann  ge- 
kocht werden. 

Fühlt  sich  auf  den  (malayischenj  Seranglao  und  Gorong- 
Inseln  eine  Frau  schwanger,  dann  muss  sie  ein  Stück  Gember  zum 
Priester  bringen,  um  durch  ihn  geweiht  zu  werden.  Der  Priester 
thut  dieses,  indem  er  sie  dreimal  anbläst  und  die  112.  Sure  aus 
dem  Koran  betet.  Den  Gember  bewahrt  die  Frau  dauernd  bei  sich, 
um  böse  Einflüsse  abzuhalten.  Auch  kaut  sie  Stückchen  davon,  um 
diese  von  sich  zu  speien.  Auf  Tanembar  imd  Timoriao  muas 
die  Frau,  wenn  sie  sich  schwanger  fühlt,  ein  Opfer  bringen  iind 
sich,  wenn  das  nicht  schon  bei  der  Verheirathung  geschehen  ist, 
die  Zähne  abfeilen  lassen.  Thut  sie  das  nicht,  dann  wird  sie  ver- 
achtet als  eine,  die  die  mores  majorum  beschimpft.  Auf  den  Inseln 
Romang,  Dama,  Teun,  Nila  und  Serua  muss  die  Schwangere, 
sowie  .sie  ihre  Gravidität  bemerkt,  ein  Huhn  schlachten  und  davon 
den  Kopf,  ein  Stück  von  der  Zunge  und  die  Leber  an  dem  gewohn- 
lichen Opferplatze  dem  Upulero  opfern.  Alle  Monat  muss  sie  dieses 
Opfer  wiederholen.  Auf  den  Keei- Inseln  setzt  man,  wenn  die  ersten 
Anzeichen  der  Schwangerschaft  .sich  bemerklich  machen,  die  Bluts- 
verwandten davon  in  Kenntniss,  besondere  Feste  werden  aber  nicht 
gefeiert.  (Riedel.^) 

Auch  in  Afrika  kommen  bei  manchen  Völkerschaften  charakte- 
ristische Gebräuche  vor:  Hat  bei  den  Masai  in  Ostafrika  die 
Frau  empfangen,  so  holt  der  Mann  einen  grossen  Topf  Honig  herbei, 
mischt  andere  Dinge  hinzu  mid  rührt  es  um,  bis  die  Masse  ganz 
dUnn  ist;  dann  nvft  er  die  Häuptlinge  herbei.  Mann  und  Weib 
setzen  sich  nieder,  die  Häuptlinge  nehmen  etwas  von  dem  Honig 
und  spucken  es  über  sie  aus,  indem  sie  zum  Besten  der  Eltern  and 
des  zu  erwartenden  Kindes  ein  Gebet  sprechen.  Dann  hält  jeder 
seine  Rede,  worauf  der  übrige  Honig  getrunken  wird,  eine  Art 
Fest,  ähnlich  dem  Pombe-Trinken  der  Negerstämme.  (Last.) 

Religion  und  Aberglaube  vermischen  sich  in  manchen 
Gegenden  recht  innig;  In  Oesterreich  ob  der  Ena  kommt  man 
uan  Falkenstein  zu  einer  Kapelle,  in  der  sich  der  heilige  Wotf' 
gang  angeblich  verborgen  hielt;  hier  befindet  sich  ein  Stein,  durch 
welchen  Schwangere  kriechen,  um  glücklich  entbunden  zu  werden. 
(Pamer.)  Dies  ist  ein  Brauch,  der  an  das  Rutachen  der  Schwaogeran 
in  Griechenland  vom  Nympheuhügel  herab  erinnert. 


Töu  Die  Abwefa^ \i£aa- GcHia- «.  TTImiwib  ■HiiibiI  der  Sdnraagenehaft-  485 

In  Schwaben  waO&faxxai  die  Schwangeren  zur  heiL  J£arya- 
r<ike  mit  dem  Dracben  iz.  B.  nadi  Maria  Schrei  bä  PfaUen- 
dorf  w  oder  zom  hed.  Christtpkorui  'Z.  B.  nach  Laiz  bei  Si^ma- 
ringen  .  oder  tu  St.  Roduu,  in  dessen  Kapdloi  gewdhte  eisenie 
Krötes  hängen  als  Symbole  der  Gefaiimoner.  {Btui. 

Die  nordifchec  Völker  in  Irland  und  Skandinarien  feierten 
bis  noch  ror  KTZTzem  in  der  Johannisnacht  das  BaaUfesi  oder. 
wie  es  in  Norwegen  heisst:  ^BalderH&t*' .  indem  de  in  der  Mitt- 
sommercacht  asf  d^a  Anhöhen  ein  Fe^er  anzündeten  nnd  um  das- 
selbe rings  herum  tazizten.  Hierbei  bef  mac  denn  durch  da$  Feoer. 
wenn  man  excen  besond«i«en  Wonsch  ht^te:  schwangere  Frauen  sah 
man  hindurch  eehez:.  inn  eise  glückliche  Xkdczkucft   zn  erhüben. 

:  wod.   yoi^jH^. 


?5.  Die  Ahwekr  Mscr  Geister  ni  IÜhmcb  wikrea«  ier 

Sekma^nckafL 

Der  Glaabe  an  die  31achx  der  Dimonen  nin  wohl  bei  doi 
ineisten  Xaiccrrölkem  in  den  Terschiedensten  Fonn€n  auf  xmi  er- 
hält ödi  a»jch  t-ei  crdlisinen  Nationen  Tmter  doi  minder  gebildeten 
Klassen  in  der  Form  des  Aberglauben«.  Die  Gefüir  irad  Xodu 
die  FnzcLi  erzeryrt  Tsüd  erbäk  diesen  Glauben:  denc  alle»  ScLliiEiae, 
welches  dem  MetäcLeii  widerfahrt,  alle  KrarkVeh  :2id  alles  Usge- 
mach  siöd  äclick^aig«::  der  Dämonen.  Dai:er  gü:  »  in  KrsiEikhens- 
felUm  Oberisa^ipt  bei  allen  abr:ornien  Erscheir::::ig>ri; .  die  t:<«s«n 
DiQHmen  r:;  baaieL  '^ier  zu  bescbwichtigen.  "  Die  Minel  rar 
Yenöhnunz  siz.i  »*hr  nannigialtig. 

Parcbölo^iKrh  li«*  sich  diese  Enchein:^:^  recht  irn  d:a^ 
eine  Dizstellimg  Ltpp^rf*  erklären: 

,^D»**  <ök  M«tv.ü«it    ^KVQt    :r    ci«er  W«d«    p.-.*itrr    d*-  y—fra- 

die  Art.  wie  «  »=  ^•*-  B*2i^:ct*-r'.rrt*_:::^»-i  rtlitrs*.  \*üijr^  i,,^  5^ 
nÜT«  d«r  Etkä*^'^?  ^-'■*-^'*'  «■--  -':"-  "-^  ^:;^:=Äiti.-4aä*  ErkeBttad«, 
ja  da»  TÖlijf*  Verk*ria«  i*r  ',etr-a«  4«  Nkto  ä^^^or:.  Ti*  c*t  ä«  «.-.->\^ 
Lebe«.     l>=i  Eif'-'^-si?  "-^  ''''';% *^'  5«i^\^«^er.  aud  <i««e  r^^^t^ 


mit  ein«  v^^^^'^  A-ti-i^i^  _*.-  «^^  -r   -^u  .,««if-.aad    die    p&T.,;:^, 
Wi..«»   5ber  di*  5*^.-'  ?v^  «*  zilt   t:-ii.    D«    Lt.«    i^   Ue:^*.i4    ib^- 


-1«  «.*«:.««iJi>-i«-  «>«vJ.->r.--.«rt.-  -     -^-*- 


Völkern  r<>Ilijr^  teoereirwtixuaytg.  da>.,  «%  lueir-ea.  di^  Dixa^ 


aea 


Gebärende  bektimmern,  sehr  difierent.  In  Abyssinie 
Hartmann  berichtet,  eine  Nachteule,  welche  uxn  das  ] 
an,  dass  eine  Frau  bald  niederkommen  werde;  merkwü 
herrscht  ein  ähnlicher  Glaube  unter  den  Wenden  d 
Zumeist  sind  es  Luftgeister,  welche  das  Haus  der  Schwi 
geben  und  sie  unheilvoll  bedrohen;  dies  ist  bei  den  £ 
bei  den  Persern  und  bei  anderen  Völkern  der  FalL 

Es  existirt   auf  den  Philippinen  eine   ei^enthüi 

Man  sagt,  der  Amang  wäre  ein  Bisaga  (Bewohner 
Luzon  und  Miudanao  befindlichen  Inseln),  der  mit  den 
Pact  geschlossen  hat.  Er  betritt  weder  Kirchen  noch  ander« 
Unter  der  Achselgrube  besitzt  er  eine  Drüse  voll  Oel,  das  ih; 
überall  hinzufliegen,  wohin  er  will.  Er  hat  ferner  Krallen 
endlich  lange  Zunge  von  schwarzer  Farbe,  weich  und  gli 
Hauptaufgabe  besteht  darin.  Schwangeren  den  FOtus  ans  d^ 
reissen;  dies  geschieht,  indem  er  (mit  der  Zunge)  den  letzt 
wodurch  der  Tod  der  Schwangeren  veranlasst  wird,  so  das 
den  Fötus  nun  ruhig  aufzehren  kann.  Ein  von  den  Tagalc 
nanntcr  Nachtvogel  kündigt  den  Asuang  an;  wenn  jener  sinj 
man,  dass  sich  der  Asuang  herumtreibt.    {Oeearia.) 

Als  nützlicher  Gel)rauch  während  der  Schwangerscl 
der  nordcelebeischen  Landzunge  in  Limo  lo  Pahal 
Alfuren,  dass  die  Frau  ihr  Haar  nicht  in  losen  A 
trägt,  so  dass  es  hin-  und  herflattert;  auch  di^  sie  i 
Abend,  sobald  es  regnerisch  ist,  aus  dem  Hause  g^ehen, 
die  Frucht  durch  den  Walao-lati  oder  die  an  den  dunl 
anwesenden  Teufel  aufgeregt  oder  gemisshandelt  werde. 

Ganz  ähnliche  Ursachen  sind  es,    welche  auf    der  i 
Inselgruppe  des  malayi sehen  Archipels  das  Ausgehen 
und    namentlich    das   Passiren   von   Gräbern   verbieten. 
Schwangeren   auf  den  Watubela-Inseln  bei  Tase    dat 


75.  Die  Abwehr  böser  Geister  u.  Dilmoneu  währeod  der  Schwaogerscbaft.   487 


I 


reuen  der  australischen  Kolonie  Victoria:  dort  aah  Ohrrlüuder, 
wie  ein  Mediciumann  an  drei  eingeborenen  JVauen,  welche  schwanger 
waren,  eine  sonderbare  Ceremonie  vollzog:  Sie  standen  vor  ihm  und 
blickten  ihm  fest  in  die  Augen.  Darauf  zog  er  sich  murmelnd 
nach  einem  Baumstumpfe  zurück,  schritt  dann  wieder  auf  die  I'Vauen 
zu  und  blies  auf  ihre  Leiber.  Dies  alles  sollte  ohne  Zweifel  eine 
sichere  und  glückliche  Entbindung  bewirken. 

Wahrscheinlich  haben  wir  in  absonderlichen  Gebräuchen  in 
Afrika  auch  eine  Art  von  Dämonenaustreibung  zu  erblicken.  Wenn 
an  der  Goldküste  eine  Negerin  zum  ersten  Male  schwanger 
wird,  so  treibt  man  sie  unter  Kothwürfen  und  Schimpfen  in  das 
Meer,  wo  sie  untertauchen  niuss ;  nach  Beendigung  dieser  Ceremo- 
nie läast  sie  Jedermann  unbehelligt,  nur  eine  Feti.sch-Pnesteriu  macht 
mit  ihr  allerhand  Hocus  pocus,  um  sie  nach  dem  Volksglauben  vor 
der  Einwirkung  böser  Geister  zu  schützen.  {Brodie  Crukksluxnk.) 
Vornehme  Frauen  in  Guinea  werden  kurz  vor  ihrer  Eutbiudimg 
ganz  nackend  in  zahlreicher  Gesellschaft  durch  ihren  Ort  geführt, 
wie  lUmwr  erzählt.  Bosmann  bemerkt  dasselbe,  fügt  aber  hinzu, 
dass  sie  auf  diesem  Wege  von  einer  Anzahl  junger  Leute  ebenfalls, 
wie  an  der  Goldküste,  mit  Schmutz  beworfen  und  dann  am  See- 
strunde  ffebadet  werden.  (Kletnm.)  Nach  Mutton  weinen  sie  auf  dem 
ganzen  Wege, 

Die  hdnvfuigere  Esthiu  pllfgt  jede  Woche  die  Schuhe  zu 
wechseln,  um  den  Teufel,  von  dem  man  glaubt,  duss  er  ihr  .stets 
nachfolgt,  um  baldigst  den  jungen  Weltbürger  in  seine  Krallen  ux 
bekommen,  aus  der  Spur  zu  bringen. 

In  Russland  ist  übrigens  der  Glaube  an  den  , bösen  Blick' 
(den  der  Russe  einfach  „Glas*,  das  Auge  nennt)  sehr  verbreitet; 
namentlich  aber  ängstigen  sich  vor  ihm  die  Frauen,  wenn  sie  schwanger 
*ind,  denn  daim  tlirchten  sie  ihn  für  sich  aelber,  wie  für  die  Frucht 
ihres  Leibes,  die  sie  dann  unter  grossen  Schmerzen  gebären  müssen. 

Der  wirksamste  Schutz  gegen  die  bösen  Geister  ist  in  den 
Augen  des  Volkes  ijuraer  ein  Amulett  oder  ein  Talisman.  Wenn  bei 
•den  Ewe-Negeru  au  der  Sclavenküste  eine  Frau  sich  Mutter 
fühlt,  so  bringt  sie  den  Göttern  ein  Opfer  und  wird  vom  Priester 
mit  einer  Menge  von  Zauberzeichen  am  Körper  behängt.  Lux  hat 
unweit  Malunge,  der  früheren  Ostgrenze  von  Angola,  wie  über- 
all in  jenen  Gegenden  unter  den  Negern,  einen  ausgeprägten  Glau- 
ben an  die  Kraft  der  Feti.'^ihe,  ähnlich  wie  an  Amulette  gefunden. 
Schwangere  Weiber  trageu  dort  stets  eine  kleine  Kalabasse  (Kür- 
bi»),  welche  mit  Erduüssen  uud  Palmöl  gellillt  ist,  bei  sich,  um 
einer  leichten  Entbimlung  sicher  zu  sein.  Bei  den  Negern,  welche 
BuchniT  in  ihren  Bräuchen  beobachtete,  spielt  als  Amulett  das 
,Peml)«"  eine  wichtige  Rolle,  d.  i,  ein  feiner  weisser,  kaolinartiger 
Thoii,  der  nicht  überall  zu  finden  ist,  und  deshalb  oft  weit  her- 
|{cholt  wird  und  einen  llandoLsartikel  bildet.  Seine  Anwendung  er- 
tnaort  violfiich  an  daa  Weihwasser  der  Katholiken  und  der  Ausdruck 


488 


I  ^iliysiBcbe  ond  sodale  Verhalten  wftlnuiJÄ'  ddr 'Se'h'wanf 


,Pemb»'  wird  auch  oft  im  Sinne  von  »Glück*  oder  ,S^en*  ge- 
braucht. Mau  sagt  ^Pemba  geben',  indem  man  sich  die  angefeuch- 
tet* Substanz  gegenseitig  auf  die  Arme  oder  auf  die  Brust  streicht. 
Schwangere  sowie  Kranke  beschmieren  sich  häufig  damit  das 
ganze  Gesicht. 

Bei  den  Negervölkern  Westafrikas  behängt  sich  die 
Schwangere  an  Hals,  Arm  und  Fuss  mit  Zauberreichen  und  Zauber- 
»chnUron;  sie  bekommt  von  einer  Priesterin  Manschetten  aus  Bast 
um  Hunde  und  Knie  gelegt,  welche  ihr  eine  glückliche  Gebart 
garantiren  sollen. 

Bei  den  Dajaks  auf  Borneo  nimmt  nach  v.  Kessel  die  junge 
Frau,  sobald  sie  in  gesegnetem  Zustand  einmal  das  Haus  verläsä« 
aus  Furcht  vor  bösen  Geistern  stets  einen  Talisman  (Ejun  oder 
Upuk)  mit  sich,  d.  i.  ein  Körbchen,  das  mit  Blättern,  Wur£4&ln, 
Holxstückchen,  namentlich  aber  mit  zahlreichen  Schneckenhäusern 
behangvn  ist. 

Die  Seranglao- Insulanerinnen  tragen,  abgesehen  von  dem  be- 
ttii»  oben  erwähnten  Gember,  nicht  selten  ein  mit  einem  Koran- 
Brache  beschriel>enes  und  in  Leinwand  gewickeltes  Stückchen  Pa- 
OMT  bei  sich,  imi  gegen  die  schädlichen  Einwirkungen  der  bösen 
vtaator  g^ieit  tu  sein. 

In  Keugritichenland  hält  vaan  daför,  dasa  die  Schwangere 
dar  acbidUchen  Gewalt  der  yeraiden  ausgesetzt  ist,  gegen  die  sie 
wkk  dordi  Unlübigea  von  Anraletten,  zumal  dee  Jaspis,  zu  schQtxen 
mtiAk,  Ks  ist  «m^liK^bnogeBfd,  wenn  Jemand  Aber  dn  achwangerca 
Wttb  stoigk;  er  SAnai  danut  den  yeraidem  den  Weg;  jenem  bösen 
Eittflaas  TontabaMgan»  Bina  «r  wieder  aber  dawribe  znrücksteigen. 
Auch  darf  aiA  d»  Scbwangei«  nkht  onier  eiaaB  Platanen-  oder 
Plippribania,  Hock  an  QocllcB  oder  aoostigea  HiiwiMliu  Wasaeiro 
llftn,  «aal  ha&t  ^  Nenidm  mA 


76.  Dte  reehtlicke  Stelhm^  der  SckwiBgcna. 


Volk« 


[henaes^ 
«iMil  hia  sn 
isl  dMs  aidit 

dan  Mit»    -Aiy'y  ^"^  aodwa 
die  GeUot 


laesMci  die  Fi 
hr  6cUrt  i 


An*  m 


?y«xk 


An 
_  daont 
m  6er  Thai 
wr&aft  und 
WcA   km  falecd  ihr«  gewol 
~    "  wird  woiü  jederj 


76.  Die  recht 


lang  aer 


489 


Insbesondere  arbeiten  in  Deutschland  arbeitsame  Frauen 
Volke,    wenn  sie  guter  Hoffnung  sind,    meist  fort  bis  zur 
letzten  Stimde  der  Niederkunft:  freilich  mag  dies  wohl  an  manchen 
Platzen  übertrieben  werden, 

üeberall    dort    aber,    wo    die    gesellschaftliche    Stellung    der 

Frau  und  Mutter   eine   achtungsvolle,    ihre  Behandlung    keine  rohe 

t,  wird  ihr  namentlich  in  dem  hoffnungsvollen  Zustande  eine  ver- 

lelirte  Rücksicht  entgegengebracht,    während    ihr  bei  den  rohesten 

'^ölkeni  dieselben  Lasten  aufgebürdet,  dieselben  Mühen  zugemutbet 

werden,    die  der  Mann  ihr-  auch  sonst  auferlegt,    wo  sie  ein  Kind 

[nicht  unter   ihrem   Herzen  trägt.     Je   cultivirter  ein   Volk   ist,   je 

lehr  bei  ihm  insbesondere  der  Familiensinn  ausgebildet  ist,  um  so 

vorsichtiger  behandelt  man  bei  ihm  die  Schwangere  imd  imagekehrt. 

86  Thatsache  ist  im  Allgemeinen  so  bekannt,  diiss  es  wohl  weiter 

ler  Belege  bedarf.    Allein  es  kommen  auch  hier  im  Völkerleben 

[Erscheinungen  zu  Tage,    welche    ein   besonderes    culturhistorisches 

[Interesse  beanspruchen. 

Zumeist  hängt  die  Schonung,  welche  man  der  in  „anderen 
Verhältnissen*  lebenden  Frau  zu  Theil  werden  lässt,  von  der 
WerthHcliiitznng  des  in  Aussicht  stehenden  Kindes  ab.  Denn  wo 
man,  wie  fa.st  überall  in  Deutschland,  die  Kinder  als  „Segen 
^■Gottes*  betrachtet,  da  wird  auch  der  Trägerin  dieses  zu  erhoffenden 
^K8egenä  gewiss  nicht  geringe  freudige  Sorgfalt  gewidmet ;  sie  ist  ja, 
^■80  heüföt  es,  »guter  Hoffnung**.  Der  Ausdruck:  ,sie  ist  in  ge- 
^■segneten  Unistäudeu"  für  ,sie  ist  schwanger"  geht  ziemlich 
BduTch  ganz  Deutschland. 

Durch  gewis.<?e  Redewendungen  wird  der  Zustand  im  Gespräch 
auf  eine  Weise  verdeckt  und  doch  auch  bezeichnet,  welche  die  Be- 
ziehungen oft  weit  herholt  und  nicht  selten  einigen  "Humor  verräth. 
Bei  den  südamerikanischen  Indianern,  welche  Pritw 
\JHax  zu  Nemvied  besuchte,  wird  das  Loos  der  sonst  als  Lastthier 
I  betrachteten  Frau  in  der  Schwangerschaft  einigermaassen  erleich- 
Itert ;  auch  die  Indios  da  Matto  ersparen  iliren  schwangeren 
T^Vauen  die  harte  Arbeit. 

Ebenfnll*  drang  unter  die  Indianer  Nordamerikas  die  Ver- 
Feinernng,  und  durch  die  Berührung  mit  der  Civilisation  kam  auch 
>ei  nicht  wenigen  Stämmen  eine  grössere  Sorgfalt  in  der  Behand- 
lung der  Schwangeren  auf.  In  dieser  Beziehung  sagt  Eiu/elmann: 
Jei  den  umherziehenden  Stämmen  macht  man  sich  wenig  oder  nichts 
lUfl  dem  Zustande:  mehr  Aufmerksamkeit  erregt  er  schon  bei  der 
jehr  au*äs«igen  Bevrdkerung,  wie  den  Pueblos  oder  Eingeborenen 
hfexikos.  Mau  erlaubt  der  Schwangeren  keine  Ueberanstrengung 
Und   lässt  sie  oft  warm  baden. 

Auf  den  <Jur(>linen-In.selu  verdoppelt  der  Mann,  der  jederzeit 

jruW  AufuKtrkfiimikeit  ftlr  seine   Frau  ist,  seine  Rücksicht  und  Zürt- 

ikeit  wÄlirend  ihrer  Schwangerschaft.     Sobald  er  diesen  Zn^und 


490    ^^*-  ^^  phxsUche  and  sociale  Verhiüteo' 


der  Schwangersc 


bemerkt,    arbeitet   sie    nicht    mehr    und    bleibt    beinahe    unuier 
Hanse   in  Matten  eingehüllt:    in    dieser  Zeit    bedient  sie  der  Mi 

Auch  auf  den  Palau-Inseln  wird  die  Schwangere  hiuäichtlici 
der  Arbeit  geschont  und    von  alten  Weibern  in  Obhut  genonuuc 
Die  Ostindier,  welche  Best  im  Jahre  1788  zu  Madras  beobai''ht«ieJ 
behandeln  die  Schwangeren  stets  mit  Achtung,  und  nicl  -  die 

Familie,   sondern    auch    Alle    begegnen    ihr    mit    rührt  "fg* 

&lt;  Alles,  was  ihr  gefahrlich  werden  kann,  wird   end'emt,    Alles, 
was    ihr  Wohlsein    fördern    kann,    herbeigeschaifL      Fühlt    sich   io 
Indien  bei  der  Najer-Kaste  eine  Frau  schwanger,  so  soll  sie  sicli 
durch  häufiges  Beten,  Baden  und  strenges  Beobachten  der  religiOsen 
Yorächriften  besonders  weihen.    Dies  gut  für  alle  höheren  Hindu* 
Kasten.    (Jagor.)    Die  Frauen  der  Battahs  in  Indien  unterbrechen 
während    der    Schwangerschaft    ihre    Feldarbeiten    nicht :    nur    die^ 
Gattin   des  Häuptlings   hat  das  Recht,   während   d^  letzten 
Monate  zu  Hause  zu  bleiben. 

Der  Ausnahmezustand  versetzt  nun  aber  nach  der  Vorstcllui^j 
vieler  Völker  die  Frau   in  ein    solches  Verbaltniss,    dass   man 
zwnngen  ist,  ihren  Umgang  zu  meiden:  sie  gilt  als  unreia,  el 
wie    bei   ausserordentlich   zahlreichen  Völkern  auch   Menstmii^nde 
und  Wöchnerinnen    für    unrein    gehalten  werden:    doch   beschränkt 
sich    zumeist    der   Brauch    darauf,    dass    während    der    Schwanger* 
schau  dem  Manne  der  Coitus  versagt  ist.    Bei  den  '>s  rer- 

iSsst  der  Mann  seine  Frau  vollständig  während  der  >  ."rschafi 

{Hoüaendrr)^   und  wenn  sich  bei  den  Aschanti    eine  Frau  in  ge> 
s^neten  Umständen  befindet,  bleibt  sie  ohne  Gemeinschaft  mit  dem 
Manne.    Doch  ist  dieses  Verbot,  eu  cohabitiren,  bei  einigen  Völkern 
nur   auf  die  letzte  Zeit  der  Schwaugerschafl  beschränkt:    Bei    dcBJ 
S^uabeli  in  Ostafrika   wird   bis  zum   sechsten  Monate  nach  der] 
Empfangniss  die  Frau  vom  Manne  benutzt,  dann  nicht  mehr«  sonst 
fürchtet  man  schwere  Geburt  {Kersten).     Auf  eine  an  Sarth^    den, 
berühmten  Afrikareisenden,  von  mir  gerichtete  Anfrage,  welcbe| 
Beobachtungen   er    hinsichtlich    der  Lebensweise    der    Schwi 
bei   den   von    ihm  besuchten  Völkern  Ceutralafrikas    zu 
Gelegenheit  gehabt  habe,  antwortete  er  mir,   ,  es  sei  ihm  «affiülcod, 
daas  er  sich  nicht  ein   einziges  Mal  erinnere,  eine  hochscbwaogere 
Frau  gesehen  zu  haben,  was  doch  bei  der  spärUcben  Beklfi<luagi 
nm  so  eher  die  Aufinerksamkeii  auf  adch  ziehen  muss,'    Er  erl 
st«h  diesen   Umstand  daraos.    dass  unter   den    Jtom   IsUun  G>»Tge-J 
gangenen  Völkerschaften  die  Frau  im  hGcbslen  Zustande  ii 
gerschaft  cnr  nicht  mehr  ausgeht,  was  schon  die  en^e 
Wühl  erlaubt,  und  ein  gleiche»  «rh-        i  .  it  uiitcrl 

Tieleu  .1. ....... .'^.^i- .i         ■....—.    r,ki;.4,    ^^   tttia.     Die  Jvinvaiigerr  «ei 

übrigens  sunö^t  kei'  ',  ausser  für  dvu  Mann,    der  aitt 

sch<>n    seit    Jen    \^  <i^^B^^^Bpr»chaft 

gerührt.     CT<^<>n  <  ^^^^^^^^^Qr   dei 

t^^ebei:  '  sprech«&:  Tieimdir{ 


76.  Die  rechtliehe  Stellung  der  Schwangeren. 


491 


jer  wohl  ein  anderes  Motiv  der  Zurückhaltung  im  »Spiel.  ^Jeder 
eger,"  sagt  Schutt,  der  seine  Beobachtungen  in  Westafrika 
ioiachte,  »sieht  die  Frau,  die  demnücbät  gebären  wird,  als  unrein 
an;  drei  Wochen  vor  ihrer  Entbindung  muss  sie  das  Dorf  verlassen 
und  darf  Keiner  mit  ihr  verkehren;  ohne  jegliche  Hülfe  sieht  sie 
meistens  der  schweren  Stunde  entgegen." 

Die  Vorschrift,  dass  die  schwangere  Frau  nicht  den  Coitus 
stTihreu  darf,  ist  eine  weit  verbreitete  und  vielleicht  sind  hier  halb 
bewusst  hygieinische  Rücksichten  mit  im  Spiele.  Der  Indianer 
f  den  Antillen  (nach  du  Terfre)  und  in  mehreren  Gegenden 
ordamerikas  enthält  sich  des  Beischlafs  während  der  Schwanger- 
hafl  seiner  Frau;  in  Florida  (Hohn)  muss  er  sich  sogar  noch 
gere  Zeit  nachher  bis  zu  zwei  Jahren  fern  halten.  Es  ist  hier 
je  Frage,  ob  diese  Enthaltsamkeit  durch  den  Glauben  an  ein  ,TIn- 
insein'  während  der  Schwangerschaft  bedingt  wurde.  Wait£  glaubt, 
SS  man  die  Frau  hierdurch  vielmehr  vor  allen  störenden  Einflüssen 
bewahren  sucht,  um  da»  Gedeüien  des  Kindes  zu  tordern. 
Die  Neucaledonier  und  die  Eingeborenen  anderer  jiolyne- 
scher  Inseln  halten  die  Schwangeren  für  Tabu,  d.  h.  uuberühr- 
bar  ebenso,  wie  zur  Zeit  ihrer  Katamenien.  (RocJms.) 
^B  Nicht  bloss  auf  den  Carolinen-,  sondern  auch  auf  den  Ma- 
^^Banen-,  Murshal-  und  Gilbert- Inseln  im  Stilleu  Oceau  werden 
^Hbe  schwangeren  Frauen  gut  gepflegt,  sind  aber  manchen  religiösen 
^Bpeschränknngen  in  Speisen,  Zusammensein  mit  Männern  u.  s.  w. 
unterworfen;  sie  gelten  Tür  „unrein".  (Keate.)  Sobald  auf  Yap, 
einer  der  Carolinen-Inseln,  ein  Weib  die  ersten  Zeichen  der 
Schwangerschaft  fühlt,  so  enthält  sie  sich  des  weiteren  Verkehrs 
mit  dem  Manne  und  bleibt  ihm  auch  8 — 10  Monate  nach  der  Ent^ 
bindung  fem.  Der  Mann,  der  zu  seinem  Club  (bai-bai)  gehört, 
t  dort  eine  oder  mehrere  Geliebten  und  fügt  sich  ohne  Murren  in 
ese  Sitte.     {3Iiklttcho-3Iaclay.) 

Die  Annamiten-Frnn  in  Cochinchina  hält  im  Allgemeinen 

älirend  der  Schwangerschaft  eine  besondere  Lebensweise  nicht  für 

thig  (mit  Ausnahme  einiger  später   zu   erwälmeuden  Rücksichten 

die  Kost),    allein    vom  sechsten   oder   siebenten  Monat  an  will 

der  Sorge  für  den  Haushalt,  ebenso  aber  auch  der  Verpflichtung, 

rem  Gatten  zum  Beischlaf  zu  dienen,  ledig  sein;  deshalb  sucht  sie 

r  ihren  Gatten  eine  sogenannte  vö  be,  d.  h.  eine  Gattin  niederen 

ges,  welche  demselben  gleichzeitig  als  Magd  und  als  Frau  dient. 

oudiire,) 

Auf  den  kleineu  Inseln  des  malayischen  Archipels  ist  die  Ent- 

Iturig  vom  Beischlaf  während  der  Schwangerschaft  eine  allgemeine 

d  »treng  durchgeführte  Vorschrift,  und  der  Wunsch,  dieses  lästigen 

erbot«8  überhoben   zu  sein,  giebt  den  Weibern   bisweilen  Veran- 

Mwung  zur  kün.stlichen  Fruchtabtreibung. 

Die  Siiimcsin  gilt,  wie  ich  von  Schumbnrgk  erfuhr,  ebenfalls 
ühmnd  der  Schwangerschaft  für  imrein. 


492   ^V.  Das  physische  und  sociale  Verhalten  während  der  SchwangerschafL 

Bei  den  Pschawen,  einem  transkaukasischen  Volke,  bei 
dem  die  Frauen  überhaupt  sehr  schlecht  behandelt  werden,  bemfihen 
sich  die  Schwangeren,  ihren  Zustand  so  lange  wie  möglich  zu  ver- 
bergen. Bei  gesegnetem  Leibe  wird  nämlich  die  Frau  mitsammt 
ihrem  Manne  für  imrein  gehalten  und  von  allen  Festlichkeiten  aus- 
geschlossen.    {Fürst  Eristoic.) 

Bei  den  Parsen  hurt  die  eheliche  Beiwohnung  in  der  Schwanger- 
schaft nach  Verlauf  von  4  Monaten  und  10  Tagen  auf;  der  Qber 
diese  Zeit  verübte  Beischlaf  wird  als  todeswürdiges  Verbrechen  ge- 
achtet, da  man  glaubt,  dass  die  LeibesArucht  dadurch  geschädigt 
werde,     ydn  Perron.) 

Abgesehen  von  diesen  vieUeicht  mehr  in  das  Gebiet  der  Ge- 
sundheitspflege gehörenden  Bestimmungen  weisen  auch  die  Gesetze 
mancher  Völker  der  Schwangeren  eine  rücksichtsvolle  Ausnahme- 
stellimg  zu.  Schon  die  altgermanischen  Rechtsgebräuche  nehmen 
auf  Schwangerschaft  Rücksicht.  Straten  wurden  erst  nach  der  Ent- 
bindung vollzogen:  nur  im  Uexenprocess  kannte  man  keine  Scho- 
niuig.  ^WtinhoJd^  Bei  den  Römern  genossen  die  Schwangeren 
bis  zur  Niederkunft  gewisse  Rechte:  sie  konnten  und  durften  in 
Rom  ebensowenig  vor  Gericht  gezogen  werden,  wie.  selbst  bei  Ver- 
dacht der  Sohwangersfchaft.  in  Athen  und  bei  den  Aegyptern. 
Xach  PIur:ir:J,  lit  tarJ.  dei  viiiditta  hatte  die:?«  Gesetz  bei  den 
Aegyptern  «einen  Ursprung  und  ginii  von  diesen  auf  die  Griechen. 
^päter  auf  die  Römer  über.  Nach  dem  in  Cochinchina  geltenden 
annumiti<chen  Gesetz  darf  eine  schwangere  Frau,  wenn  sie  ein 
Verbrechen  begebt,  aiü'  dem  die  Strafe  vr.a  StöokschlSgen  steht, 
nicht  bestritt  werden:  man  wartet  mit  dieser  Stniie  nicht  bloss  bis 
>ie  geboren  hüt.  s<.>i:den:  noch  hi:::der:  Taae  :;iich  der  Xiedrrk'inft. 
Pas  Gesetz  '[.'esTraf:  socar  den  RieLter,  welcher  rii.er  Schwungeren 
Stocksehläge  t:r:l:eile::  läss:  und  hierdv.r«.!:  Alorr^  venirsat'hr :  der 
Richter  bekon:::.:  diu.'.:  1'".'  Stock?«. blägf  '.Jid  ^^  .Jihre  Kertenstrafe. 
_V  ».  r  »•  .  Av.i:;  u.::  der  Ti.".ies-4:r.iiV  w;Lr:e:  ::j^  bei  der  Schwac- 
irercii  l'.'.'  T.iir-  :■.:»■. h   i-rr  Ge.v.r:. 

F.is:  ":':  rr  i:-.-  i:---s.u::::::r:r.  Inselirr.:: r m  ::u  S7:.::«':e::  des  ma- 
l.i v:«..  ;:r::  Ar-.":.::  r'.>  r.i..:r::  '-vir  .iir  br>::::'.::..::".^  z-rTr>:re-,  'iiss 
r::".v  s^hTi^."»:  .."-.r-.  Fr.-.":  ir.  kririrr  S.v.::r  il>  Zr  "._r--  i'iftr-rten  d:ui. 
Wiji  Irr '.^r ■.:■.*.  :V:r  "iT^r  M  ..-.s-ttj-.'.  :s:,  l.is  ..":ns:  ?:,'-  i^.^:  ?-:  ..  hae 
^V.; ■'::.. r- >  s-W---  ^  .•..:'•...'  :l  ."-.- :"...u:  '.:-.  K  l-.k "■:,..:.  .irr  S.i'wir.;C^T>fn 
.l.is  'vi  >  '..'..■.:.  'v:^^.:.L.::.L  \;::v,r:i:r: :/.:.-  A:::"rr:i  r-:-  Zözk 
•.::..:  S:r'.::  :.:  -:>: -.r-. :..  v;-'.".-:.!.:  i.'- --  -xxr -•'  L.-.  >.t;:-..  l.iss  i-.:jrv'C 
svuiv-i^r. ■-'■.>  -"-■■--   r....r.  >»  .■.  :r   lis  Ki::'.    '.:-■>■?  >■. .r.  s^-j'cr  ;u   rj:ex 


iwaBgorsn. 


rieh  selbst  beachäftigt,  daejeuige,  was  um  sie  her  vorgeht,  weniger 
)eachtend,  in  ihren  Angaben  nicht  eine  genügende  Glaubwürdigkeit 
itraute  und  dasS  sie  daher  auch  als  Zeugin  nicht  die  ftir  eine  so 
rwichtige  Sache  durchaus  nothwendige  Zuverlässigkeit  besitzt.  Vielleicht 
'ist  es  nicht  zu  weit  gegangen,  wenn  wir  die  iu  Europa  so  vielfach 
angetroffene  Sitte,  dass  eine  schwangere  Frau  nicht  Gevatter  stehen 
darf,  dass  es  ihr  also  verboten  ist,  ids  Taufzeugin  zu  functioniren 
(Ostpreussen,  Pommern,  Schlesien,  Voigtland,  Klein- 
lussland),  ursprünglich  aus  einem  ähnlichen  Gedankengange  zu  er- 
tlären  versuchen.  Allerdings  giebt  das  Volk  jetzt  als  Ursache  da- 
ir  an,  dass  eine  solche  Pathenschaft  entweder  dem  Täufling  oder  dem 
sukiinftigen  Weltbürger  unfehlbar  den  Tod  bringen  würde. 

Als  ein  eigenthümlicher  alter  Rechtsbrauch  besteht  bei  den 
llaveu  die  Zadruga,  eine  Familiengemeinschaft,  bei  der  unter  den 
?heilnehmeni  das  unbewegliche  Vermögen  gewöhnlich  bei  einer 
)eabsichtigten  Theilung  ,in  stipites",  die  Nahrungsmittel  nach 
Töpfen  getheilt  werden:  dabei  bekommt  im  Kreise  von  Sabac  in 
Serbien  jede  schwangere  Frau  für  das  noch  nicht  geborene  Kind 
so  viel  mehr,  als  sie  im  Rocke  wegtragen  kann.    [Bogimc) 

Unter  den  weissrussischen  Bauern  herrscht  folgender  Aber- 
glaube: Wenn  eine  schwangere  Frau  um  Geld  oder  um  etwas  Ess- 
Jares  bittet,  und  man  ihr  die  Bitte  abschlägt,  so  werden  einem 
jAläuse  oder  Ratten  die  Kleidung  zernagen;  wer  die  Bitte  nicht  er- 
hallen kann,  muss  sofort  der  Frau  ein  kleines  Kohlenstückchen,  etwas 
iJrde  oder  etwas  Schutt  nachwerfen.  Die  Maus  ist  das  Sinnbild  der 
iieele.  In  der  russischen  Sage  gehörten  Mäuse  zum  Hauswesen 
ier  Jaya;  sie  dienen  ihr,  bringen  den  Kindern  Zähne  und  be- 
wirken bei  den  Leuten  den  Tod. 

Der  Ausnahmezustand,  in  welchem  sich  die  Frau  während  ihrer 
Schwangerschaft  befindet,  kann  auf  Andere  sowohl  glückbringend, 
auch  schädigend  einwirken.  Das  letztere  sahen  wir  ja  bereits 
>ei  dem  Gevatterstehen,  das  dem  Täufling  ein  frühes  Ende  bereiten 
BoU.  Iu  Weiss- Russland  darf  eine  Schwangere  nicht  zugegen 
»ein,  wenn  man  der  Braut  die  Haube  aufsetzt,  sonst  ist  die  junge 
"^rau  das  ganze  Jahr  hindurch  schläfrig.  {SumzoU}.)  Die  jungen  sla- 
wischen El>eleutö  in  Böhmen  und  Mähren  sind  dagegen  hoch  er- 
freut, wenn  eine  Schwangere  sie  besucht.  Denn  das  bringt  der  jungen 
Gattin  eine  gUicldicbe  Fruchtbarkeit.  In  denselben  Ländern  gilt 
jRUch  die  Schwangere  als  segenbringend  ftir  ihr  eigenes  Kind,  das 
lie  trägt  Denn  wenn  sie  auf  etwas  Lust  bekonunt  und  sich  dabei 
va.  einem  Gliede  kratzt,  so  wird  es  ihr  Kind  an  derselben  Stelle 
ibeu,  {Grohmann.) 


XVI.  Die  Gesundheitspflege  der  Schwange] 

77.  Aerztliche  und  ritneUe  Torsehrlften  ftber  ik 
Schwangerschaft. 

Bei  vielen  alten  Völkern  haben  einestheils  die  Beligi« 
Gesetzgeber,  andemtheils  die  Aerzte  den  Schwangerai 
besondere  Vorschriften  flir  ihre  Lebensweise  gegeben.  Dergesdk 
liehe  Umgang  mit  Schwangeren  war  bei  den  alten  Iranern. i 
Baktrern,  Medern  imd  Persern  durch  religiöse  Gesetze fl 
verboten:  wer  eine  solche  beschlief,  erhielt  nach  den  Bestimno 
des  Vendidad  2000  Schläge;  ausserdem  musste  er  zur  Sühne Ä 
Vergehens  1000  Ladungen  harten  und  ebenso  viele  weichen  Hd 
zum  Feuer  bringen,  1000  Stück  Kleinvieh  opfern,  1000  Schlrt 
1000  Landeidediseu,  2000  Wassereidechsen,  3000  Ameisen  üB* 
und  30  Stege  über  fliessendes  Wasser  legen.  Der  Keim  des  Leb* 
durfte  nicht  verschwendet  xmd  das  bereits  vorhandene  neue  I* 
nicht  verletzt  werden.  {Dimclrr.) 

Auch  die  alten  Hebräer  hatten  strenge,  von  ihren  Priesi* 
aufgestellte  Gebote;  die  llabbiner  im  Talmud  lehren: 

,In  den  orstou  drei  Monaten  nach  der  Empf&ngnisa  ist  der  (* 
Kowohl  für  die  Schwanf»eren,  als  auch  für  die  Frucht  sehr  nachtbeSig:  * 
denHelhon  am  1)0.  Taf^e  ausübt,  begeht  eine  Handlung,  als  wenn  «* 
Men.ichenleben  vernichtet."  Der  vorsichtige  Rabbi  AMaja  füjyt  hinn:  - 
man  jedoch  diosfn  Tag  nicht  immer  genau  wisBcn  kann,  so  hfltet  Got: ■ 
Kinmitigcn." 

Die  Aerzte  der  alten  Inder  empfahlen  den  Schwangeren  * 
sehr  vorsichtige  Diätetik:    nach   Ausspruch   des    Susrnta    muss 
Schwangere   ErmiUlung,   Goitus,   Fasten,    Beschwerden,    Schlaf 
Tage,  nächtliches  AVachen,  ftram,  Einsteigen  in  den  Wagen,  Fun 
aufrechtes  Sitzen,    übermässige  Bewegungen,   unzeitiges  Aderla* 
ausdauernde  Anstrengungen  vermeiden.    Die  Gelllste  der  Frau  niua 
befriedigt  werden,    denn  wenn  man  dies  that,    so  glaubte   n»c 
ein  starkes  luul  lang  l(.'l)ondes  Kind  hofl'en  zu  dftrfen.      Vom  tf 
Tage  an  sollte  die  Frau  stets  heiter,  reinlich  am  Körper  imd  in 
Kleidung,   ruhig,    guter  Dinge  und  fromm    sein.      Schmutzige 
ungestaltete  Dinge  durfte  sie  nicht  berllhren,   keine  trockenen. 


77.  AemtKcfee  nnd  rittrelle  VoTschriften  Aber  die  SchwangerBchafl.    495 


gebrannten  und  verdorbenen  Speisen  geniessen;  das  Ausgehen,  das 
Auftialten  im  leeren  Hause,  den  heiligen  Altar,  Grabstätten,  die 
Nähe  von  Bäumen  musste  sie  meiden  und  sich  vor  Zorn,  Furcht, 
Lastentragen  und  zu  lautem  Reden  hüten.  {Ilcssler,    VnUers.) 

Auch  die  Aerzte  der  Chinesen  rathen  ,als  erste  und  wich- 
tigste Regel*  während  der  Schwangerschaft  gänzliche  Enthalhmg 
von  physischer  Liebe,  (r.  Martins.)  Dies  wird  in  einer  populären 
Schrift,  die  ein  Arzt  zur  Belehrung  schwangerer  Frauen  verfasst  hat. 
rerlangt :  aus.serdem  galt  ihm  aber  auch  als  Hauptregel  für  deren 
'erhalten:  ,Eine  massige  Bewegung,  die  nicht  allzu  sehr  ermüdet." 
Die  alten  Chinesen  hielten  es  für  das  Gedeihen  des  Kindes 
ehr  forderlich,  dass  sich  die  Schwangere  körperlich  und  geistig 
jögUchst  ruhig  verhielt.  Das  Buch  von  den  berrihmten  Frauen 
le«  Lteuhiang  im  Siao-hio  sagt: 

,Ein.st  unterstand  eine  schwangere  Frau  sich  Nachts  nicht  auf  die 
Seite  zu  legen,  beim  Sitzen  (auf  der  Matte)  den  Köqier  nicht  zu  biegen, 
licht  auf  einem  Fusse  zu  stehen,  keine  ungesunde  oder  schlecht  zer- 
chnittene  Speise  zu  geniessen,  auf  keiner  schlecht  gemachten  Matte  zu 
itxen,  keinen  garstigen  Gegenstand  anzuschauen,  noch  üppige  Töne  zu 
lOren.  Abends  musüte  der  Blinde  (Musiker)  die  beiden  ersten  Oden  des 
''Tscben-  und  Tschao-nan  im  Liederbuche  (die  von  der  Haujjordnung  handeln) 
«ingen.  nnd  sie  liess  sich  anständige  Geschichten  erxähleu.  So  wurde  ein 
^iich  geistig  gut  geartetes  Kind  geboren." 

Uebrigens  wurde,  wenigstens  in  fiilheren  Zeiten,  in  China  die 
Frau  während  der  letzten  Zeit  ihrer  Schwangerschaft  abgesondert. 
~)er  Li-lii  (im  Cap.  Nei-tse  12  toi.  73  v.)  sagt: 

.Wenn  eine  Frau  ein  Kind  geb&ren  soll,  so  bewohab  sie  einen  Monat 

Lfieitenhaua.    Der  Mann  schickt  zweimal   des  Tages    Jemanden   oacbzu- 

uuU    fragt    auch    selber   nach;   seine  Frau  wa^t  ihn  aber  nicht  zu 

len,  sondern  xchickt  die  Mu,  seine  Anfm^  zu  beantworten,  bis  das  Kind 

aboren  imI." 

Knuffuu'a,  der  berühmte  japanische  Geburtshelfer,  tritt  der 
japaniHchen  Sitte  entgegen,  nach  der  man  die  schwangere 
iu  Htetü  mit  krummen  Beinen  liegen  liess;  man  erhielt  sogar 
'^Während  des  Schlafes  die  Beine  der  Frau  durch  ein  um  die  Knie 
und  den  Kacken  gelegt^es  Band  in  einer  gekrümmten  Lage;  es  ge- 
ihah  «lies  aus  Furcht,  dass  das  Kind  in  die  gestreckten  Beine 
Beiner  Mutter  seine  eigenen  wie  iu  eine  Hose  hineinstecken  könnte. 
'angitxva  sagt,  diese  Sitte  sei  mehr  schädlich  als  nützlich,  Aa.  die 
jekrünmiten  Schenkel  der  Mutter  die  Schenkel  des  Kindes  nach 
)ben  drängen  mid  dadurch  Querlage  entstehe.  Dieselbe  entsteht 
lach  ilim  auch  durcli  die  Leibbinde,  zu  reichliches  Essen  und  durch 
jhysische  EinHüsHe.  Ernstlich  verbietet  er  übertriebenen  Coitus  in 
ler  Schwangerschaft;  er  empfiehlt  warme   Bäder.  {Miyake.) 

Von  den  Aerzten  der  alt<?n  Römer,  welche  uns  ihre  Grund- 
Itxe  bezüglich  des  Verhalten.*!  der  Schwangeren  hinterlassen  haben^ 
Ihren  wir  nur  Soranus  aus  Ephesus  an. 

Nach   ihm    ilndi'ri    nich   die  Behandlung  der  Schwangerschaft  je  nach 


Die  Gesundheitspflege  der  Scbwoo^ 


drei    Perioden    derselben.      In   der    ersten    Zeit    handelt   es    sich    um 
Erhaltung  der  Frucht,  in  der  zweiten  um  Mildemng  der  mit  der  Schwiifl»! 
gerschaft  verbundenen  Erscheinungen,  Gelüste   u.  s.  w,,   in   der   dritten  uad] 
letzten   Periode    um    die  Vorbereitang    ^iner   günstigen   Geburt.     Die    ertti 
Periode   erfordert  Vermeidung    aller   körperlichen   und    geistigen    Errogun^;:! 
Furcht,    Schreck,    plötzliche    heftige  Freude   u.  s.  w, ,  dann  Husten.  Nie»<;j).j 
Fallen,     Schwer -Tragen,    Tanzen,    Gebrauch    der    Abführcjittel,    Trunken- 
heit, Erbrechen,    Durchfall  u.  s.  w.,    kurz  Alles,    was    Fehlgeburt    beditig«aj 
kann.     Ruhiges  Verhalten  und   m&asige    Bewegung    muss    die   Frau    gleich- 
m&Bsig  wechseln    lassen,  dagegen  sich    aller  Reibung    des   Unterleibes    ent-l 
halten;   sie  darf  denselben   nur  mit  frisch  ausgepresstem    Oel    aus    unreifen! 
Oliven  bestreichen.     Während  der  ersten    sieben  Tage    soll    die  Frau    nicht] 
baden,  auch  nicht  Wein  trinken.    Dann  kann  sie  jedoch  nicht   allzu    fettes] 
Fleisch  und  Fische  geniessen;  scharfe  Speisen  und  Gewürze  sind  ihr  verboten.! 
Der   Coitus  wird   als    schädlich   bezeichnet.     Dergleichen   Verhaltungenmaas-j 
regeln  und  ihre  BegrQndung   giebt    Soranus   noch   mannigfach.     Eine    ganil 
ausführliche  Besprechung  der  Diät  in  der  Zeit,  in  welcher  (etwa  im  zweiten 
Monat)  die  sogenannten  Gelüste  auftreten,  Enden  wir   in  einem   besonderen  1 
Kapitel    des    Üoranus;    wir   kommen  darauf   zurück;   ist  aber  die^e  Periode) 
vorüber,  so  hat  die  Frau  noch  weniger  Vorsicht  bezüglich  des  Liegens ,  der] 
Einreibungen,  der  Speisen,    des  Weintrinkens,    de*  Badens,    des   Schlaf»  zu( 
beobachten,   da   nun  ihre   Constitution  kräftiger  ist  und  die  Frucht  reich- 
lieberer  Nahrung  bedarf.   Doch  vom  siebenten  Monat  an  wird  wiederum  die] 
Enthaltung  heftigerer  Bewegung  empfohlen    wegen    der   Gefahr,    du«   tti 
die  Frucht  vom  Uterus   trenne,   wenngleich   die  Erfahrung  lehre,    dasa   ein 
7  monatliche  Frucht  lebensfähig  ist.     Drücken  der  Brüste  wird  als   mögliche] 
Ursache  von  Abscessen  und  Einschnüren  derselben  als  »chädlich  bezeirhnot 
Im  achten   Monat,  den  der   Volksmund  zu  Sorami^  Zeit  als  „leichten"   b*-J 
zeichnete,   der  jedoch,  auch   seine  Beschwerden    hat,    muss    die  Meng«   der] 
Speisen  wieder  vermindert  werden;  Die  Frau  soll  nun   mehr   liegen,    wenig] 
gehen,  kalte  Bäder,  welche  beim  Volke  jener  Zeit  sehr  beliebt  waren,   sichj 
versagen.     In  den  letzten  Monaten  hat  die  Frau   den   Unterleib,    wenn    dCT>I 
selbe  zu  sehr  vor-  und  herabhängt,  mit  einer  Binde  zu  versehen  und  ihn  mit] 
Oel  einzusalben;    nach   Ablaof  des   achten    Monat«    aber    soll    diese    Bind«] 
entfernt  werden,   und  es  sind    dann    warme    Bäder    zu    gebrauchen,    sogar i 
Schwimmen   in  süssem ,  warmem  Wasser,    um  die  KSrpertheile    geschmeidig j 
zu  machen;  zu  letzterem  Zwecke  dienen  auch  Bähungen,  Sitzbfidor  mit  Ab* 
kochungen  von  Leinmehl,  Malven  u.  s.  w.,  Einspritzungen    mit    «Q»»«»   OtA 
und  Pessi  aus  Gänsefett.     Dans  schliesslich  Soranus  die  Hebamme  lehrt,   w\ 
solle   bei  Eretgebtlrenden ,    welche    festes    Muskelfleisch    und    eint!»    harten 
Cervix  Uteri  haben,  mit  dem  Finger  den  Muttermund  einsalben  and  öffnen, 
ist  ohne  Zweifel  tudelnswerth. 

Auf  ähnlichen  Grundsätzen,  wie  lüer  ausgesprochen  wurden, 
verharrten  noch  Jahrhunderte  lang  die  Vertreter  der  Heilkunde, 
deren  es  eine  Zeit  lang  unter  den  Arabern,  dann  aber  bis  weit 
ins  Mittelalter,  ja  sogar  bis  in  neuere  Zeit  nur  w  ••An- 

volle    gab.     In    unseren    frühesten    deutschen    H*-  "ru  ' 

werden  Lehren  aufgeiitellt,  die  ztuu  Tiieil  giuit  veruauftig,  xxua  Tb«il 
nur  früheren  Schriften  entlehi'.i-  -•••'  '^  ■=  •  ■  l^wnise  ff\"  7^'-*/«« 
in  seinem   .Der  Schwam^eren  1  n»:  Die  "  r» 

«oll    nicht   faul    und    f  .üiergehen,    urnuaiMg« 


78.  Die  Ernähning'  der  Schwangeren. 


497 


)rücken  und  Sprinsen  unterlassen.  Man  soll  sich  hüten,  sie  auf  die 
Schulter  oder  den  Nacken  zu  schlagen.  Wenn  die  Geburt  nahe  ist, 
so  soll  sie  bisweilen  mit  ausgestreckten  Schenkeln  eine  Stunde  lang 
sitzen,  dann  schnell  wieder  aufstehen,  hohe  Stiegen  auf  und  ab 
laufen,  singen  oder  stark  rufen.  Die  Verhaltungsregeln  siud  hier 
also  wesentlich  einfacher,  als  bei  Soranus.  In  dem  unterweisenden 
}edichte,  welches  Rösslin  seinem  Hebammenbiichlein  angehängt 
t,  heisst  es  sehr  naiv,  nachdem  die  Diät  der  Schwangeren  aus- 
ihrlich  in  Versen  angegeben  worden: 

,Wenn  sich  dann  nuhet  ihre  Zeit, 
Dass  sie  der  Fnieht  soll  werden  queil, 
So  sollen  sie  apacieren  thon, 
Die  Treppen  auf  und  nieder  gohn. 
Dardurch  sie  ring  und  fertig  werden, 
Zu  gebeten  oho  all  Beschwerden.* 


78.  Die  Ernährung  der  Schwangeren. 

Eine  ausserordentlich  weite  Verbreitung  hat  die  Annahme, 
eine  Frau  während  der  Gravidität  be.stimmte,  ihr  sonst  gebräuch- 
liche Nahnmgsmittel  zu  meiden  hätte  und  dafür  andere  besonders 
ausgewählte  Speisen  geniessen  müsste.  Wir  haben  bereits  in  den 
vorigen  Abschnitten  derartige  Verordnungen  kennen  gelernt.  Die 
^verschiedenartigsten  Ideen  liegen  diesen  Bestimnumgen  zu  Grunde 
md  nicht  immer  gelingt  es,  sich  ein  klares  Bild  von  ihnen  zu 
entwerfen. 

Atu  einfachsten  verstÄndlich  ist  das  Verbot ,  zusamtnengewachsene 
fruchte  zu  essen,  wie  wir  es  im  Voigtlande,  in  Mecklenburg  und  auf 
len  Seranglao-  und  Gorong- Inseln  finden.  Man  sieht  ohn«  Weiteres  und 
es  wird  auch  noch  besonders  hinzugefügt,  dasa  man  fürchtete,  dasa  durch 
derartigt!  Nahrung  Zwillinge  entstünden. 

KUni  gleich  bei  den  Speiseverboten  zu  bleiben,  so  darf  die  schwangere 
erb  in   kein  Schweineüeisch  essen,  weil    sonst    ihr  Kind    schielend    würde, 
nd  sie  darf  keine  Fische  essen,  weil  sonst  ihr  Kind  lange  stumm  bleibt. 
In  Deutschland  nahmen  im  16.  Jahrhundert  auf  Aurathen  der  Aorzte, 
.  B.  RöMBlin's,    die    Schwangeren    gegen    Ende  der    Schwangerachail    keine 
■cbarfen  Speisen  zu  sich. 

Auf  den  Seranglao-  und  Goroog-Inieln  darf  die  Schwangere  keine 
[lüapa  und  Kanari  und  nur  wenig  Salz  und  spaniKcheo  Pfcfter  zu  »ich 
lefamcn.  und  auf  den  Watubela-lnseln  sind  ihnen  ausserdem  auch  Volvoli 
Ind  Raspen  verboten.  Zu  den  in  der  Gravidität  verbotenen  Speisen  gehören 
fische  mit  einem  kleinen  Schnabel  und  alles  Fleisch  von  geschlachteten 
rhieren,  aur.h  von  den  Beutelrattea.  Auf  Ambon  und  den  Uliase-InsL'ln 
i\\i  die  Regel,  dasN  di«;  Frau  in  der  Schwangerschaft  Überhaupt  nicht  zuviel 
isen  BoU,  weil  sonst  ihr  Kind  gefr&ssig  werden  würde. 

Die  »chwangere  Japanerin  verschmlÜit  Kaninchen  und  Hasen  zu  ensen, 

M  Furcht,  daas  das  Kind  vinc  lia«enifciiarte  bekomme,  und  in  einigen  Go- 

le&ditu  Japan«   is«t  die   Schwangere    Überhaupt    kein   Fleisch.     Im  Boginn 

1>U«*,  Du  W«lb.  1.    1,  Atttt.  32 


498 


iVl.  Die  Geaundlieitspflege  der  Schwangerschaft. 


der  Schwangerschaft,  d.  h.  sobald  die  Menses  aasbleiben  und  Erbrechen  auf- 
tritt, wird  bei  den  Annamiten-Frauen  Nichte  in  der  Lebensweise  geündert. 
Nur  von  einigen  furchtsamen  Weibern  wird  eine  besondere,  von  alt^n  Frauen 
vorgeschriebene  Diätetik  befolgt:  sie  enthalten  sich  des  Genusses  von  Ochsen- 
fleiscb  und  von  Papaya  -  FrQchten ;  man  glaubt ,  dass  jenes  Fleisch  Ober 
Nacht  Abortus  herbeiführt,  während  man  von  diesen  Friichten  eine  ähnliche 
Wirkung  durch  Erregung  der  Milch-Absonderung  fürchtet.  Allein  die  grosse 
Mehrzahl  bleibt  bei  der  gewohnten  Nahrung  in  der  Erwartung,  dam  Bxeh 
doA  Kind  rubig  weiter  entwickele. 

In  Limo  lo  Pahalaa  auf  der  Nordcelebischen  Landzang«  haben 
die  Frauen  (der  Alfuren)  während  der  Schwangerschaft  sich  des  Essens  von 
stark  riechenden  Früchten  zu  enthalten,  z.  B.  der  Doerian,  Koeini,  der  Krabben, 
der  Seekrebse,  der  Aale  u.  s.  w.  Vor  der  Erstgeburt  darf  auf  den  Bank«- 
Inseln  im  westlichen  Theil  des  Stillen  Oceans  die  Frau  niemals  Fische 
essen,  die  mit  der  Schlinge,  dem  Netze  oder  in  einer  Falle  gefangen  sind. 
Aebnliche  Gebräuche  sind  auch  von  den  Viti -Inseln  bekannt.  (Eckardt.) 
Die  Indianerin  Brasiliens  vermeidet  in  der  Schwangerschaft  deo 
FlcischgenuKs,  und  bei  den  Indianern  des  Gran  Chaco  essen  überhauut 
die  verheinitbeten  Personen  kein  Schaffleisch,  weil  sie  meinen,  dass  die  tu 
erwartenden  Kinder  dann  stumpfnasig  werden.  Die  schwangere  Negerin 
der  Loaugo-KUate  trinkt  keinen  Rum  mehr,  weil  das  Kind  Muttermale 
bekommen  könnte.  Diesem  Aberglauben  wird  jedoch  nicht  alIg«ueiD  ge- 
huldigt, da  von  Pechuel-Loescht  auch  ein  abweichendes  Verhalten  beobachtet 
wurde.  Den  schwangeren  Jüdinnen  der  Bibel  Cl.  Huch  Richter  IS^  7j  war; 
es  sowohl  verboten,  Wein  wie  aach  starke  Getränke  zu  trinken,  oder  etwis  | 
Unreines  zu  essen. 

Neben  diesen  Verboten  finden  wir  aber  auch  ganz  bestimmte  Vor- 
■chriften  in  Bezug  auf  die  zu  wählende  Nahrung.  So  muss  auf  den  ma- 
lüyidcheu  Inseln  Romang,  Dama,  Teun,  Nila  und  Serua  die  Schwan- 
gere täglich  robu  Fische  mit  dem  Safte  von  Citrus  hystrix  essen. 

Auf  den  Carolinen-Inseln  ist  den  Männern  streng  untersagt,  mit  der! 
Frau  zusammen  zu  essen,  aber  die  kleinen  Knaben,  die  noch  keinen  Qflzial 
kragen,  dürfen  es ;  nur  sie  dürfen  ihr  Kokosnüsse  bringen,  deren  sie  eine  Mesfe 
b«dArf,  weil  sie  kein  anderes  Getränk  zu  sich  nehmen  darf,  als  die  Milch 
dleaer  Frucht:  judoch  sind  ihr  mehrere  Arten  von  Kokosnüssen  und  Brod- 
fruchten  streng  verboten.  Dies  berichtet  MaUmt,  welcher  1816  als  Natur- 1 
forscher  die  ruBsische  Expedition  unter  Capitftn  lAtkt  begleitet«. 

Auf  Java  geniessen  die  Schwangeren  vorzugsweise  gern  eine  dort  eebr 
beliebte  Speise,  die  man  Radja  nennt  und  die  aus  verschiedeneu  unreifnn 
BaumfrOchten  bereitet  wird,  indem  man  dieselben  schält,  in  Stücke  achneidet, 
zarstuinpft  und  dann  mit  Salz  und  reichlich  mit  spanischen  Pfaffenchoten 
vermischt.     (Kuegel.) 

lu  China  sagt  der  Arzt:  .Da  der  Appetit  in  der  SchwaagerschoA  un 
•ich  schwach  ist,  so  geniesst  die  Frau  sbhon  von  selbst  nicht  viel;  an 
b«'»t«n  goniosst  sie  Hühnerbrühe,  in  Scheiben  geachnittene  Früchte,  nifotali 
M,ht'r  r»tt»  Hpoisen.*  Im  Spociellen  wird  von  einem  chinesischen  Ar*t« 
(,  -)  gorathen-.  ,Die  Schwangere  darf  bloss  »a&<f  und   !;  u«»hrj 

V,  .  Ik<  als  animalische,  durchaus  ober  kein«  widrijrcn  Uf  henj 

l't"H"  K""'"**""'     Enthalten  mu8«  sie  sich  ganz  TOT  na, 

ik\\<i    \<A\"Tn\,    allrr    ficharf  gesaltenen.    sowie    .,  -itf 

(,  -n  die  ääfte  ihro«KOrpflrs  tui 

I,  ich  ömpfehleuswerth  fölr  Scku 


lag  der  scnwangereo. 


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'Erbsenbrei,  junger  KobJ,  uebat  anderen  leicht  verdaulichen  Erd-  und  Wurzel- 
friichten.  Von  Fleischgattungen  kann  eine  Schwangere  alles  leicht  Ver- 
Üaaliche  und  Zarte  zum  Genusa  auswählen,  namentlich  nutzen  ihr  Hühner, 
Enten,  Tauben,  junge  Hunde  und  magere  Ferkel.  Nur  musa  mau  AUea  so 
viel  als  möglich  achmackhaft  Eobereiten  und  den  Schaum  zuvor  abnehmen. 
Ein  ganz  vorzügliches  Nahrungsmittel  für  Schwangere  «ind  Milchnpeiaen 
aller  Art.  Dagegen  ist  ihnen  der  Genuas  von  allerhand  unverdaulichen 
und  erhitzenden  Speisen  durchaus  zu  verbieten;  bierunter  gehören  Ingwer, 
Zittwer,  Galgant,  Pfeffer,  Cardamom  u.  a.  w.  Nachtheilig  für  eine 
Schwangere  ist  femer  Hunde-,  Esel-,  Pferde-,  Schweine-  und  Rattenileisch, 
Kowie  überhaupt  das  Fleisch  von  wilden  Thieren.  Sodann  Muscusthiere, 
Igel,  Ratten,  Mäuse,  Schildkröten,  Ottern,  Frösche,  Krebse,  Heuschrocken, 
Muscheln  u.  a.  m.  Desgleichen  Schweineblut,  Enteneier  und  endlich  Alles, 
was  in  Butter  gebraten  ist.  Trinken  mag  eine  Schwangere  Alles,  was  leicht 
und  schmackhaft  ist  und  nicht  trunken  macht.  Jedoch  Wein,  ßier  oder 
gar  Branntwein  und  Arac,  sowie  überhaupt  alle  anderen  erhitzenden  Ge- 
tränke, dürfen  einer  Schwängern  niemals  gestattet  werden." 

Aeusserst  vorsichtig,  fast  abergläubisch  ängstlich  und  enthaltsam  lebt 
wfthrend  der  Schwangerschaft  hinsichtbch  der  Nahrungswahl  die  Indianerin 
Sfldamerikas  unter  vielen  St&mmen.  Bei  den  Gnaranis  Brasiliens 
mosa  sie  sogar  faxten.  Die  Pahute- Indianer  in  Nordamerika  suchen 
durch  ein  der  Schwangeren  während  der  letzten  Wochen  vor  der  Niederkunft 
vorgeschriebenes  Fasten  die  Frucht  zu  nöthigeu,  dass  sie  uiöglichst  bald 
danach  strebe,  an  das  Tageslicht  zu  treten ,  um  sich  an  der  Milch  der 
Mutter  gütlich  zu  thun;  ausserdem  aber  hoffen  sie  durch  dieses  Hungern 
die  Weichtheila  der  Geburtswege  zum  Schwinden  zu  bringen  und  somit  daa 
Thor  für  den  hindurchtretenden  Sprössling  weit  zu  macheu.  (Enyelmann.) 
Die  Indianer- Frauen  in  Canada  essen  während  der  Schwangerschaft 
wenig.    {Le  Beau.) 

Bei  den  Lappen  ti-anken  die  Schwangeren  vor  ihrer  Entbindung 
Sarakka-Wein  und  sie  assen  nach  derselben  Sarakka-Grtttze.  Die  üarakka 
war  die  eigentliche  Geburtsgöttin  der  Lappen,  die  alles  Werdende,  be- 
siondera  die  Frucht  schützte.  An  sie  richtete  man  auch  während  der 
Schwangerschaft  Gebete,  man  errichtete  ihr  in  der  Nähe  ein  Zelt,  in  dem 
sie  wohnte,  bis  die  Stunde  der  Mutter  gekommen  war.    {Passarge.) 

Wir  haben  auch  aus  Deutschland  bemerkenawerthe  Thatsachen 
aufgesammelt,  durch  die  nch  herausstellt,  da«B  gewisse  Unsitten  hiiuicht« 
lieb  der  Diät  der  Schwangeren  eine  grosse  Verbreitung  fanden ,  dasa  aber 
der  sich  anknüpfende  Volksglaube  sonderbar  variirt.  Dies  betrifft  insbe- 
sondere den  Branntwein genuas,  der  doch  nach  rationeller  Anschauung  einer 
Schwangeren  nicht  auzuratheii  ist.  Im  Pongau  in  Oesterreich  trinken 
die  Schwangeren  viel  Branntwein  und  lassen  zur  Ader,  in  der  Absicht,  dass 
der  Fötus  klein  bleibt  und  so  die  Entbindung  leichter  wird  (Skoda);  in  der 
Pfalz  aber  glauben  die  Schwangeron,  durch  Genuas  von  Branntwein  dem 
Kinde  eine  glatte  weisse  Haut  zu  verschalfen  (Pauli) ;  und  schiesslich  wollen 
sie  in  der  Rheinpfalz  damit  erzielen,  dass  das  Kind  schön  werde. 

In  Berlin  und  Potsdam  soll  die  Frau  in  der  Gravidität  immer  die 
Kanten  vom  Brode  essen,  weil  sie  dann  einen  kräftigen  Jungen   bekommt. 

Der  alte  Jiösslin  empfahl  den  Schwangeren  nahrhafte  Speisen,  insbe- 
sondere zur  Stärkung  einen  kräftigen  wohlriechenden  Wein.  d.  h.  Clanst 
aus  Ingwer,  Nelken,  Liebstöckel,  Galgant,  WeisskUmmul  und  weissem 
Pfeffer. 


500 


In  alter  Zeit  herrschte  unter  dem  ruBBischen  Adel  die  Ueberzeagung, 
dasB  eine  Frau  in  anderen  UmBtänden  einen  guten  Appetit  haben  und  unge- 
hindert viel  fettes  und  nahrhaftes  Eesen  zu  eich  nehmen  mOtse;  um  das  so  «f- 
reichen,  nahm  man  40  Stück  Brod  von  Bettlern,  und  das  masste  die  Frau  essen. 
Manche  Völker,  die  schou  etvas  weiter  in  der  CiTilieation  Torge- 
sohritten  waren,  haben  sogar  eine  besondere  Hjgieine  für  die  verBchiedenen 
Scbwangerschaftsepocben  und  -Monate  aufgestellt.  So  hatten  namentlich 
die  alten  Inder  eigene  Speiseregeln  für  jeden  Schwangorscbaft^monat: 
Bis  zum  achten  Monat  sollte  die  Frau  nur  solche  Speisen  genieasen.  die 
Eum  Wachsthum,  von  da  an  jedoch  solche,  die  zur  Kräftigung  des  Fötus 
beitragen  könnten.  In  Susruta's  Ayurredas  beisst  es:  „Die  Schwangere  mxuu 
angenehm  und  süss  schmeckende,  milde,  aromatische  Speisen  geniessen. 
Namentlich  sei  in  den  drei  ersten  Scbwangerschaftemonaten  die  Speise  sfiss 
nnd  erfrischend,  im  dritten  Monat  Reis  in  Wasser  gekocht,  im  vierten  in 
geronnener  Milch,  im  fünften  in  Wasser,  im  sechsten  mit  gereinigter  Butter 
gekocht.  Dies  ist  nach  Einigen  die  Diät  der  Schwangeren."  Aber  StMruUi 
setzt  hinzu :  „Im  vierten  Monat  darf  sie  Wasser  mit  frischer  Butter  gemischt 
und  KebhflhnerSeisch  genieesen;  im  fünften  eine  mit  Milch  und  Bult«r  be- 
reitete Speise;  im  sechsten  eine  Essenz  aus  Butter  mit  Flaeourtia  cata- 
pbracta  bereitet  oder  gegohrenes  Reiswasser;  im  siebenten  Butter  mit  He- 
mionitis  cordifolia  bereitet.  Das  Alles  soll  zum  Wachsthum  der  Fracht  bei- 
tragen. Von  da  an  wird  der  Embryo  gekräftigt,  wenn  die  Frau  im  achten 
Monat  Wasser  mit  Ziziphus  jujuba,  Pavonia  odorata,  Sida  cordifolia,  Anethum 
sowo,  Fleischbrühe,  geronnene  Milch,  Molken,  Seaamöl,  Seesalz,  Früchte  der 
Yangueria  spinosa,  Honig  und  gereinigte  Butter  geniesst.  Zuletzt  geniesse 
sie  bis  zur  Niederkunft  mildes  Wasser  mit  gegofarenem  Reis  und  Rebhühner- 
(nach   VuUers:  Antilopen-)  Brühe." 

Bei  den  Atheniensern  ass  die  Schwangere  zum  besseren  Gedeihen 
des  Kindes  Kohl  {Athmaeus),  essbare  Muscheln  und  Aepfelschalen,  and  ü« 
erhielt  ein  Getränk  aus  Diptam  bereitet.  (Bartholinus.)  Nach  Ep 
genoas  sie  den  Kohl  mit  Oel  und  Käse: 

.Cum  Amphidromia  celebrentur,  qoibus  mos  est 

Assare  frusta  casei  Cheraonitae, 

Oleoque  brassicam  in  fasciculos  coUectam  incoqnere." 
Und  bei  Q.  Serenus  Samonicus  hei^t  es: 

,At  ubi  jam  certum  spondet  praegnatio  foe^us 

Ut  facili  vigeat  serrata  puerpera  partu 

Dict&mnum  bibitur,  Cochleae  maaduutur  edules." 
Die  ROmer  rathen,    „vom  achten   Monat  an  m&ssig  in  der  Nabrong 
zu  leben." 

Wir  haben  gehört,  was  und  wie  die  schwangere  Frau  essen 
soll,  und  wir  wollen  noch  einen  ganz  flüchtigen  Einblick  gewinne«, 
wo  sie  ihre  Nahrung  zu  sich  nehmen  und  wo  sie  sie  nicht  zu  sich 
nehmen  soll. 

Dass  eine  Schwangere  überall  dort,  wo  sie  für  imrein  gilt,  an 
dem  gewöhnlichen  Speiseplatz  nicht  ihr  Mahl  verzehren  dar!',  sondern  ] 
dass  sie  gezwungen  ist,  sk'h  ein  abgesondertes  Winkelclicn  aufzu- 
suchen, das  versteht  sich  von  selbst.  Die  Schwangere  auf  den  liuseln 
Ambon  und  Uliase  darf  sich  zum  Essen  nicht  auf  die  Treppe  des 
Hauses  setzen,  weil  sonst  ihr  Kind  eine  Hascnsoharto  bekäme,  sie 
darf  auf  Seranglao  und  Gorong  nicht  aus  einer  Wanne  oder  tatal 


J'-T-    -»-iJS«^-     l^f     ■*2?^UÄrf~T»«. 


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502 


XYI.  Die  GeraSS 


der  Schwangeraol 


Versicherung,  dass  eine  willensstarke  Frau  dieselben  ohne  Weit 
zu  unterdrücken  vermag. 

Unter  dem  Volke  namentlich  auf  dem  Lande  spielen  die  (Je- 
lüste  der  Schwangeren  aber  auch  heute  noch  eine  grosse  Rolle, 
und  es  geht  tlieses  soweit,  dass  z.  B.  im  Schwarzwulde  eine 
schwangere  Frau,  wenn  sie  von  dem  Gelüste  befallen  wird,  ohne 
Weiteres  Früchte  aus  einem  fremden  Garten  zu  nehmen  berechtigt 
ist,  jedoch  besteht  dabei  die  Bedingung,  dass  sie  dieselben  dann 
auch  sofort  verzehren  muss.  Auch  schon  nach  den  Weisthümem 
durften  nach  G-rimm  die  Schwangeren  nach  Belieben  und  ohne  dass 
sie  straflDar  waren,  ihr  Gelüste  nach  Wildpret,  Obst  und  Gemüse 
befriedigen,  selbst  wenn  es  anderen  Leuten  gehörte.  Wenn  in 
Brandenburg  eine  Schwangere  ihre  Gelüste  unterdrückt,  so  färchtet 
man,  dass  ihr  Kind  niemals  die  betreftenden  Speisen  wird  essen 
können.  In  Schwaben  glaubt  man  (Buck)^  dass  eine  Schwangere, 
deren  Sehnsucht  nach  einer  gewissen  Speise  unerfüllt  bleibt,  ein 
Kind  mit  einem  Muttennale  gebären  werde,  des.sen  Form  an  die 
betreffende  Speise  erinnert. 

Man  darf  aber  nicht  etwa  denken,  da.ss  „Gelüste"  nur  bei 
Schwangeren  höher  civilisirter  Völkerschaften  vorkommen ;  vielmehr 
werden  auch  die  Frauen  der  ürvölker  von  ihnen  geplagt,  und  auch 
bei  ihnen  herrscht  die  Meinung,  dass  es  dem  Kinde  schade,  wenn 
man  den  Schwangeren  die  absonderlichen  Genüsse  versagt,  nach 
denen  sie  gelüstet.  Wie  die  altindischen  Aerzte  schon  meinten, 
die  Gelüste  der  Schwangeren  müssten  befriedigt  werden,  so  st<.'llt«n 
denselben  Grundsatz  die  jüdischen  Aerzte  des  Talmud  auf;  im 
Falle  der  Nichtbefolgung  desselben  hielten  .sie  Leben  und  Gesund- 
heit der  Schwangeren  oder  ihrer  Frucht  ftir  so  sehr  gefährdet,  da^e 
man  nöthigenfalls  selbst  den  Versöhnungstag  entweihen  und  die 
Speisegesetze  unberücksichtigt  lassen  durfte. 

Auch  bei  den  heute  lebenden  wildeu  Völkerschaften  spielen  die 
Gelüste  eine  grosfle  Rolle.  So  werden  nach  dem  Zeugnisse  dm 
Abtes  Gili  die  Indianerinnen  am  Oriuoco  nicht  weuig  von 
Gelüsten  geplagt,  und  von  den  Indianern,  welche  ehemals  Penn- 
sylvanien  bewohnten,  erzählt  Jlecl'twdder: 

„Wenn  eine  kranke  oder  schwivngero  Frau  zn  irgend  einer  Speise  Ltul 
hat,  80  macht  der  Ehemann  sicii  gleich  auf.  Bie  zu  besorgen."  Er  fflliri 
Beispiele  an,  wo  der  Mann  40 — 50  Meilen  lief,  um  eine  Schüssvl  Kraaiob- 
beeren  oder  ein  Gericht  Welschkom  zu  schatfeu.  Eichhörnchen,  Enten  and 
dergleichen  Leckcrbi^fien  sind  die  Diugc.  wonach  die  Frauen  im  Anfiing« 
der  Schwangeriichaft  gewöhnlich  gelüstet;  der  Mann  spart  keine  Mühe,  si* 
herbeizuholen. 

Aus  den  Nilländern  berichtet  Hartmann:  Schwanijere  leiden 
auch  in  diesen  Gegenden    häufig  uu  muticherh'i 
ständen,   b»^.--.".!»^»-«  am  Tama,   dem  iu'K ''_'•"'♦''"  <•  ....     . 
derlicher    >  und   an   anderen   I  uia^n.     1'  '» 

sucht    1.    .  "       '       "  •         ^   '  .        '     \l,.yntiiftrit 

Qeuü^'' 


K  Die  Sorge  für  die  psychische  Stimmung  der  Schwangeren.       503 

lu  Damascus  geniessen  die   schwangeren  Frauen  das  Pulver 

les    wohlriechenden   Steines,    genannt    Tubaret    homra,   rother 

Staub,  theils  wegen  des  angenehmen  Geruchs,  theils  der  Gesundheit 

regen.  Denselben  Stein  benutzt  man  dort  gepulvert  und  mit  warmem 

7as8er  zum  Reinigen  des  Kopfes.    (Petermann.) 

Während   der  Schwangerschaft   pflegen  die  Frauen   zu  Luck- 

low    in    Indien    Erde  zu  essen,    die  sie  in  kleinen  Knollen  ver- 

jhren.     In  Bengalen  dagegen  ist  diese  Erde  in  kleine  Scheiben 

)n  zierlicher  Form  gebracht.    Sie  essen  dieselben  in  grossen  Massen 

)tz  des  Verbotes  ihrer  Ehemänner.    (Jayor.) 

Auch  in  Persien  verzehren  die  Schwangeren  nach  Po/aft  wäh- 

snd  der  letzten  Monate  besonders  viele  Erde,    Magnesia-Tabasclür. 

>b  wir  hier  Gelüste   zu  erkennen  haben,    oder  ob    diese  absonder- 

ichen  Nahrungsmittel  nicht  vielmehr  eine  medicamentöse  Bedeutung 

sitzen,  lassen  wir  dahingestellt. 

Um  echte  Gelöste  handelt  es  sich  aber  bei  den  Bewohnerinnen 
der  kleinen  Inseln  im  Südosten  des  malayischen  Archipels.  Wir 
haben   bereits    oben   einige  Speiseverbote    kennen    gelernt,    die  für 

Kiese   Frauen   während    der    Schwangerschaft   Geltung    haben.     Sie 
werden  aber  sämmtlich  hinfällig,    sobald  eine  solche  Frau  von  Qe- 
Ist-en  befallen   wird.     Dann   darf   sie  eben  Alles   essen,    z.  B.  aiif 
erang    auch   herbe   und    saure    Früchte,    auf  Anibon    und   den 
'liase-In-seln  ausser  unreifen  Früchten  selbst  gebrannten  Thon  und 
ijcherben   von  Töpfen   und  Pfannen.     Streng   für   die  Schwangeren 
^erpönt  ist  aber  trotz    aller  sonstigen  Nachsicht  gegen  die  Gelüste 
if  Keisar   die  Ananas  und  auf  den  Inseln  Leti,    Moa   und  La- 
ie r  die  Erdmandel  (arachis  hypogaea),  letztere  w«>il  sie  angeblich 
•"ieber  verursacht. 


^0.  Die  Sorge  für  die  psychische  Stinimuiig  der  8ciiwaugerea. 

Während  die  auf  niederer  Cultur  stehenden  Völker  ebenso 
renig  auf  die  geistige  wie  auf  die  kr)rperhche  Ruhe  der,  wie  bei 
18  der  Volksmund  sagt,  „in  guter  Hofl'nung"  befindlichen  Frau 
l>edacht  sind,  beginnt  man  zumeist  bei  einiger  Civilisation  in  dieser 
Hinsicht  rtick.sichts voller  zu  verfahren.  Unter  allen  CulturvöUtem 
denkt  man  schon  daran,  dass  Heiterkeit  des  Gemüths,  Reinlichkeit, 
M&saigkeit  in  allen  Genüssen  die  besten  Vorsichtsmaassregeln  in 
fieser  Beziehung  sind  und  dass  insbesondere  alle  heftigen  Aflecte 
rennieden  werden  muBHen.  Schon  die  altindischen  Aerzte  be- 
'  '  M  RathschlSge  für  Schwangere  damit,  dass  sie  ihnen 

iidig  , vergnügt*  zu  sein;  und  die  Autoren  unserer 
lttrtt.i;ii  li..'bHitiiiienbücher  (ans  dem   16.  Jahrb.)  sjigen,  die  Schwan* 
?Te    solle    ,in  Freude    imd  Wollust'    leben.     Jene  rathen.    Alles, 
übel  riecht,  zu  vermeiden,  und  auch  diese  meinen,  die  Schwan- 


504  ^^'  ^6  Oestincllieitspflege  der  Schwangerschaft. 

gere  müsse  dem  Gestank  ausweichen.  Der  altindische  Arzt  Susruta 
warnt  vor  Grabstätten,  und  ein  chinesischer  Arzt  (i'.  Martiua) 
sagt:  ,Eine  Schwangere  vermeide  solche  Orte,  wo  «uan  ein  Grab 
bereitet,  eine  Leiche  begräbt  u.  s.  w.* 

Das  Verbot,  sich  bei  Gräbern  aufzuhalten  und  Leichen  zu  sehen, 
ist  ein  weitverbreitetes.  Wir  begegnen  ihm  im  malayischen  Ar- 
chipel auf  Seranglao  und  Gorong  und  ebenso  in  Schlesien, 
Pommern,  Thüringen  und  dem  Voigtlaude.  Hier  nimmt  man 
übrigens  auch  an,  dass  der  Besuch  des  Kirchhofes  dem  entstehenden 
Kinde  zeitlebens  eine  Leichenfarbe  oder  gar  der  Schwangeren  selber 
den  Tod  zu  bringen  vermöchte.  Streit  und  Zank  muss  die  Schwangere 
meiden,  imd  sie  darf  vor  allen  Dingen  selbst  nicht  schelten  oder  gar 
jähzornig  werden,  weil  sonst  auch  ihr  Kind  böse  werden  würde 
(Ostpreussen,  Archangel,  Luang-  und  Sermata-Inseln,  Se- 
ranglao und  Gorong).  Dass  vielleicht  die  Sorge,  der  Schwangeren 
eine  ruhige  und  fröhliche  Stimmung  zu  erhalten,  die  Ursache  ist, 
dass  sie  bei  so  verschiedenen  Völkern  nicht  als  Zeugin  vor  Gericht 
erscheinen  darf,  wurde  bereits  früher  erwähnt.  Auch  das  Verbot 
für  die  Schwangeren,  Thiere  zu  tödten,  muss  wohl  mit  hierher 
gerechnet  werden.  Wir  finden  dasselbe  auf  Seranglao  und  Go- 
rong und  auch  im  bayerischen  Franken.  Hier  darf  sie  keine 
jungen  Katzen  oder  Hunde  ins  Wasser  werfen,  um  sie  zu  ersäufen; 
thut  sie  es  dennoch,  so  wird  sie  kein  lebendes  Kind  zur  Welt 
bringen.  Auf  den  Inseln  Ambon  und  den  Uliase-Inselu  darf  sie 
nicht  einmal  rohes  Fleisch  schneiden. 


81.  Das  Versehen  der  Schwangeren. 

Der  Glaube,  dass  das  plötzliche  Sehen  von  etwas  Hässlichem 
oder  gar  Verkrüppeltem  und  Älissgestaltetem,  über  das  die  Schwanger* 
erschrickt,  in  sympathetischer  Weise  dem  Embryo  Schaden  bringe, 
indem  das  Kind  an  irgend  einer  Stelle  seines  Körpers  eine  an  diui 
Gesehene  erinnernde  Miasbildung  bekomme,  ist  über  ganz  Deutsch- 
land verbreitet,  findet  sich  aber  ebenfalls  bei  manchen  »osser- 
europäischeu  Völkern.  Es  ist  noch  nicht  sehr  lange  her,  dass  nicht 
allein  das  gebildete  Publikum,  sondern  sogar  die  Aerzte  jede  Äfon« 
strosität  aus  dem  Versehen  zu  erklären  sich  bemühten,  und  natür- 
licherweise gefiel  es  einer  jungen  Mutter,  welche  ein  missgebildete» 
Kmd  zur  Welt  gebracht  hatte,  sich  zu  erinnern,  dass  sie  iuiierhaJl» 
der  neun  Monate  ihrer  Schwangerschaft  einmal  etwas  Widerwärbgi» 
gesehen  oder  sich  über  etwas  erschreckt  habe,  dem  sie  dann  bciw^- 
willigst  die  Schuld  an  der  Anomalie  ilires  Kimleü  in  die  R'-linh«« 
schob.  So  glaubt  man  allgemein  in  Deutschland,  dass  die  ' 
Diäler  entstehfi 
oder  wenn  si«- 


81.  Da 


dar  Schwafif 


bluten  sieht.  Immer  giebt  dann  das  Feuermal  das  Bild  der  blut- 
überströmten Stelle  wieder.  Auch  das  Erschrecken  vor  Thieren  ist 
höchst  gefahrlich,  weil  die  Schwangere  sich  ebenfalls  daran  versieht 
und  dann  die  Kinder  je  nach  der  Thiergattung  mit  behaarten  Mutter- 
oiälem,  mit  Hasenscharten,  mit  Schweineschwänzen  oder  Ziegen - 
klauen,  und  wenn  das  Tbier,  welches  den  Schreck  eingejagt  hat, 
zufällig  ein  frischgeschlachtetes  war,  auch  mit  oöenem  Bauche  und 
Torliegenden  Eingeweiden  geboren  werden.  Wenn  die  Mutter  vor 
einem  Hasen  erschrickt  und  sich  dabei  in  das  Gesicht  fasst,  so  be- 
kommt das  Kind  eine  Hasenscharte ;  es  kann  aber  auch  einen  Hasen- 
kopf bekommen  (Spreewald).  Wenn  die  schwangere  Serbin  in 
dtLS  Blut  eines  frischgeschlachteten  Schweines  tritt,  so  bekommt  ihr 
Kind  rothe  Flecke. 

An  das  Versehen  der  Schwangeren  glaubt  man  auch  in 
Kleinrussland,  wo  man  es  fixr  besonders  gefährlich  hält,  wenn 
sie  ein  brennendes  Haus  sieht,  denn  dann  bekommt  das  Kind  auf 
der  Stirn  einen  schwarzen  Strich  oder  einen  duukelrothen  Fleck 
am  Leibe.  Im  Gouvernement  Charkow  vermeiden  Schwangere  den 
Anblick  sehr  häsalicher  Menschen,  besonders  solcher,  welche  Narben 
oder  etwas  Aehnliches  im  Gesiebt  haben. 

Dass  schon  die  alten  Juden  an  das  Versehen  der  Schwan- 
geren glaubten,  geht  aus  der  Er/ahlung  des  Alten  Testaments  von 
Jacob  hervor,  welcher  die  trächtigen  Mutterschafe  angeblich  mit 
gutem  Erfolge  zum  Anschauen  verschiedenfarbiger  Stäbe  nüthigte. 
Vielleicht  hatten  auch  die  alten  Inder  diesen  Aberglauben,  denn 
Susruta  warnte  Schwangere,  schmutzige  und  , ungestaltete"  Dinge 
zu  berühren.  Der  oben  genannte  chinesische  Arzt  sagt:  Man 
hüte  sich,  eine  Schwangere  Hasen,  Mäuse,  Igel,  Schildki-fHeu,  Ottern, 
Frösche,  Kröten  und  dergl.  sehen  zu  lassen.  Ebenso  muss  auf 
A m  b o n  und  den  Uliase-lnseln  die  schwangere  Frau  vor- 
sichtig vermeiden,  auf  ihren  Ausgängen  Schlangen  oder  Affen  zu 
begegnen. 

Auch  unter  den  Urvölkeni  Amerikas  ist  der  Glaube  an  das 
Versehen  heimisch,  z.  B.  unter  den  Indianern  am  Orinoco-Strom 
in  Südamerika.     {G-iUi.} 

Auch  ist  den  Wakamba  in  Ostafrika  nach  Hildebrandt  das 
Versehen  eine  sehr  bekannte  Erscheinung.  Empfindet  die  Frau 
rechtzeitig,  dass  sie  sich  versehen  hat,  so  muss  sie  die  Arme  nach 
hinten  bewegen  und  dazu  sprechen  ,  weggesagt ",  dann  wird  das 
Versehen  unschädlich. 

In  Altpreussen  herrscht,  um  das  Versehen  zu  verhüten,  die 
Vorschrift,  dass  die  Frau,  sobald  sie  einem  Krüppel  u.  s.  w.  be- 
gegnet, nach  dem  Himmel  oder  auf  ihre  Fingernägel  schauen  soll. 

Die  Siebenbürger  haben  gegen  das  Versehen  folgende  Mittel. 
Sie  fordern  die  Schwangere  auf,  den  Gegenstand,  oder  die  Person. 
«MJ  welcher  sie  sich  etwa  versehen  könnte,  genau  anzusehen  und 
ttch  davor  nicht  zu  erschrecken,   oder   den  Blick   sofort  davon  ab- 


506 


XVI.  Die  Geaandheitspflege  der  Schwangerichaft. 


zuwenden  (im  Unterwald  und  Schassburg).  Fürchtet  die  Frati. 
sich  an  Etwas  zu  versehen,  so  soll  sie  sich  sogleich  an  den  Hiiit«t«n 
greifen  und  sich  in  Erinnerung  bringen,  sich  nicht  verseben  <u 
wollen,  dann  wird  es  keine  Folge  haben,  oder  das  Kind  wird  das 
«Mal"  an  diesem  Körpertheil  erhalten  (ebendaselbst).  Hat  ein  »Ver- 
sehen* schon  stattgefunden,  und  ist  in  Folge  dessen  das  Neuge- 
borene mit  einem  Schaden  behaftet,  so  sucht  man  denselben  zu 
vertreiben  und  den  Folgen  des  Versehens  entgegenzuwirken:  1.  Jeden 
Freitag  in  der  Zeit  der  Wochen  setzt  sich  die  Wöchnerin,  die  sich 
während  der  Schwangerschaft  an  etwas  versehen,  auf  die  Thür- 
scbwelie,  mit  den  Füssen  auf  einen  Besen  tretend  und  mit  dem  Ge- 
sichte einwärts  (ins  Zimmer)  gekehrt  und  denkt  nach,  was  ihr 
Hässliches  begegnet  ist.  Schliesslich  betet  sie  ein  Vaterunser  (in 
Ratsch).  2.  In  Minarken  und  St.  Georgen  muss  die  Wöchnerin, 
die  sich  versehen,  sieben  aufeinanderfolgende  Freitage  auf  der  ThQr- 
schwelle  mit  dem  Gesicht  gegen  die  Gasse  gekehrt,  sitzen,  wenn  sie 
ihr  Kind  von  dem  betreffenden  Gebrechen  befreien  will.  3.  Wenn 
sich  eine  Schwangere  verseben  hat,  so  muss  sie  an  jedem  Sonntage 
während  des  Glockenläutens  in  der  Zeit  der  Wochen  auf  der  Thür- 
schwelle  sitzen,  das  Kopftuch  abnehmen,  die  Zöpfe  auf  den  Kücken 
herabhängen  lassen  und  wünschen,  dass  das  Gebrec-hen  dem  Kiode 
vergehe.     {Hillner.) 

Es  steht  ja  nun  natürlich  ausser  allem  Zweifel,  daaa  Schreck 
und  Gemüthsbewegungeu  einer  schwangeren  Frau  auf  deren  Nerven- 
system und  auf  ihre  Blutcirculation  eine  alterirende  Wirkung  haben 
müssen,  die  sehr  wohl  zu  Stönmgen  in  dem  Wachsthum  des  Em- 
bryo zu  führen  vermögen,  und  ganz  neuerdings  verficht  der  Leip- 
ziger G}Tiäkologe  Hennig  die  Schädlichkeit  eines  Erschrecken« 
der  Mutter  für  das  Kind  im  Uterus: 

«Dagegen  werde  ich  wieder  zu  einer  schon  früher  in  meinen  Vor- 
lesungen vertheidigten  Ansicht  hingezogen,  welche  eine  heftige,  unvorliereitet 
die  Schwangere  treffende  Gemüthsbewegung,  hier  den  Schreck  bei  eiavr 
abergläubischen  Pernon  al«  primum  anspricht.  Meine  Theorie  ist  folgende: 
während  der  körperlichen  Erschütterung,  welche  jeden  Schreck  begleitet, 
triät  ausser  dem  bekannten  präcardialdn  Irradiatiousgefühle  ein  centrifu- 
galer  (Hirn-)  Strom  die  bei  Frauen  so  leicht  erregbaren  Verbinduugssträng«, 
welche  aus  dem  Rückenmarke  zum  Uterusgeflechte  hLnstreichen.  Da«* 
dieser  psychiBcbe  Reir.  zunächst  nicht  den  plexus  spermaticus  tritfl,  wird 
durch  die  Thatsache  erhärtet,  dass  die  von  heftiger  Gemüthsbewegung  bö- 
iroffenen  Frauen  meist  nicht  hjpogastrische  Schmerzen,  sondern  eiaea 
kurzen  ceniriscben  Schmerz  odt<r  Krampf  in  di?r  Gegend  der  ijübämiatt^v 
angeben,  der  gern  reflectorisch  die  ßeinmuskeln  lähmt,  zunächst  TorÜber- 
gehend.  Sitzt  nun  im  Uterus  ein  junges  Ei,  eo  stelle  ich  mir  vor,  diun  di«  < 
vorzeitige  Wehe  eine  Welle  im  Fruchtwasser  erregt.  Diese  Welle  atfinl  | 
gegen  den  Scheidentheil,  ifrückt  entweder  die  Frucht   abwärts ,   od<*r   «tOaii 

im  Rückprall  gegen  den  «ininH    '^     '"'- — i-..^...i,,.{j  nochmals  von  nb«B  | 

abprallend.      Ulerbni   werden    .  le    dos  Embryo    laicht  j 

geaorrt ,  Spalten  am  *•'       '  '  ^Ha  Hal- 

iUDK  der  GliedmMUf 


Was   der  Lehre    von   dem  Versehen    der  Schwangeren    in    der 

Igeraeinheit,  wie  man  sie  früher  aufgestellt  hatte,  aber  mit  Recht 

len  Boden   entzogen  hat,   das  ist   der  Umstand,   dass  der  von  der 

Ititter  mit  aller  Bestimmtheit  angegebene  Schreck,  der  dem  Kinde 

ie  Missbildung   gebracht  haben   sollte,    in   den   meisten  Fallen   in 

ien  letzten  Monaten  der  Schwangerschaft  der  Mutter  begegnet  war, 

rährend    das    Zustandekommen    der    Monstrosität,    wie    die    Ent- 

wickelungsgeschichtö    unwiderleglich   bewies,    aus    den    allerersten 

LWochen  nach  der  Befruchtung  herrührte. 


82.  Abergläubische  Yerhaltnngsregeln  während  der 
Schwangerschaft. 

Wir  haben  in  den  vorigen  Abschnitten  schon  so  vielerlei  keimen 

gelernt,  was  die  Schwangere  thun  und  was  sie  vermeiden  soll,  dass 

lan  glauben  möchte,    die  Verhaltungsregeln    seien   nun   damit  er- 

jft.      Dem    ist    aber    keineswegs    so.      Es   ist    besonders   noch 

therlei,  vor  dem  sie  sich  zu  hüten  hat,  wenn  sie  sich  oder  ihrem 

Cinde    keinen   Schaden    zufügen    will.      Erscheinen    uns   mm   auch 

lanche   von    diesen  Bestimmungen    ganz    absurd,   so    können    wir 

ioch   wieder   bei   anderen    den  Gedankengang  ahnen,    welcher   die 

tite  zu  diesen  Vorschriften  veranlasst  hat.    Alles  Knüpfen,  Knoten 

Verbinden   verursacht   einen  Verschluss    und   muss    daher    von 

Scliwangeren    unterlassen   werden,    wenn    sie    nicht   selbst   ver- 

rschlosseu  sein  will  oder  mit  anderen  Worten,  wenn  sie  einer  schweren 

Entbindimg    ausweichen    möchte.      Darum    darf  sie  auch   auf  den 

luang-    und    Sermata-    und   den   B ab ar- Inseln   keine   Stoffe 

reben  und  auf  den  letzteren  auch  keine  Matten  flechten.    In  Franken 

larf  die   Schwangere    aus    dem    gleichen  Grunde    nicht   über    eine 

^flugschleife  hinwegschreiten,  oder  wenn  sie  es  aus  Versehen  deimoch 

rethan    hat,    so    muss   dieselbe    wieder   zusammengeharkt    werden. 

les  Kriechen  und  Sich  winden  macht  dem  Kinde  ümschlingungen 

ler   Nabelschnur,     (Majer.)     Daher    vermeidet    in    der   Pfalz    die 

Trau,    unter  einer  Waschleine   hiudurchzuschlüpfeu ;    auch   darf  sie 

ireder    spinnen,    haspeln,    noch    zwirnen.    {PaHli.)      Im    bayeiri- 

Bcben  Franken  darf  sie  ebenfalls  nicht  unter  einem  Seile  oder  einer 

*lunke    hindurchscblüpfen    und    dieselbe    Besorgnis«    ist    bei    den 

Isthen  die  Ursache,  dass  Schwangere  beim  Waschen  und  Abspülen 

ler    KJeidungsstücke    nicht    kreistlirmig    drehen.      In    Oldenburg 

larf  di«'  S<'hwangere  nicht  unter  dem  Halse  des  Pferdes  hindurch- 

|)  1,  nicht  über  eine  Egge  schreiten  und  nicht  über  eine  Wagen- 

.  kriechen. 

EUneo  Wasserkopf  bcskommt  das  Kind,  wenn  die  Mutter  sich  am  Woeaer 
thun  uiarht  (Pr*.inH8«n).    Damit  das  Kind  nicht  »chielcnd  werde,  darf  in 
'rauiHon  die  8chwAugere  durch  kein  Aat-  oder  Schlüsselloch  oder  in  ein« 


XVI.  Die 


IWIffil 


Flasche  sehen,  in  Serbien  die  Fraa  nicht  über  eine  Heugabel  BckredUni 
(Petrowit8ch),  und  auf  der  Insel  Ambon  und  den  Uli ase- Inseln  die  Scliwui- 
gere  nicht  auf  Riffen  fischen  und  nicht  Leute,  die  mit  Lepra  und  bösen  G«- 
schwüren  behaftet  sind,  hinter  ihrem  Bücken  vorbeigehen  lassen.  Auf  d«n 
letzteren  luaeln  darf  sie  nicht  mit  dem  Rücken  gegen  einen  Kochtopf  gekehrt 
sitzen,  weil  sonst  das  Kind  schwarz  werden  wflrde,  während  die  Wendin 
in  Hannover  Male  und  Sommersprossen  macht,  wenn  sie  gelbe  Rüben 
schabt  oder  etwas  kocht,  was  spritzt.  Rothe  Haare  bekommt  das  Kind  im 
Spreewalde,  wenn  die  Schwangere,  am  den  Flachs  zu  trocknen,  in  des 
Backofen  kriecht  Hält  eich  die  Wendin  in  Hannover  and  im  Sprae- 
walde  bei  etwas  Uebelriechendem  die  Augen  zu,  so  bekommt  das  Kind 
einen  stinkenden  .\them,  und  zu  einem  Bettnässer  macht  die  letzter»  ihr 
Kind,  wenn  sie  ihr  Wasser  bei  einer  laufenden  Dachtraufe  abschlfi^. 

Wenn  die  Schwangere  einem  armen  Sünder  auf  seinem  letzten  Gange | 
folgt,  so  wird  da»  Kind  einst  denselben  Weg  gehen.  (Bayern.)  Sie  darfj 
nicht  Jemandem  etwas  fortnehmen  oder  heimlich  essen,  weil  sonst  ihr  Kind 
die  Neigung  zum  Stehlen  bekommt  (Ostpreussen);  aus  dem  gleicheA 
Grunde  darf  sie  auf  Ambon  und  den  Ul  iase- Inseln  nichts  heimlich  ver- 
bergen.  Eine  verkehrte  Lage  giebb  es  dem  Kinde,  wenn  auf  den  Luang- 
und  Sermata-Inseln  und  in  Esthland  das  Brandholz  verkehrt  oder  gegen 
den  Ast  in  das  Feuer  geschoben  wird.  Eine  besonders  grosse  Gefahr  bringt ' 
es  dem  Kinde  auf  Ambon  und  den  Cliase-Inueln,  sowie  auf  Seranglao 
und  Gorong  und  auf  den  Watubela- Inseln,  wenn  die  Frau  über  Blinde, 
Missgestaltete  und  Verkrüppelte  ihren  Spott  treibt.  Will  die  Frau  auf  So- 
ranglao  und  Gorong  gesunde  und  wohlgestaltete  Kinder  gebären,  so 
darf  sie,  wenn  sie  schwanger  ist,  nicht  vor  der  Thüre  sitzen,  kein  Holz  uaf- 
sammeln,  nichts  Stachliges  fischen  und  nicht  auf  dem  Rücken  liegen.  Auf 
den  Luang-  und  Sermata-Inseln  darf  nicht  gekocht  werden,  wo  eine 
Schwangere  im  Hause  ist.  Die  Esthin  glaubt  beim  An«chneid«<u  eines 
Brodes  ihren  Kindern  dadurch  einen  wohlget'ormten  Mund  zu  verscbatfeu, 
dass  sie  zunächst  nur  ein  kleines  Stück  abschneidet.  Bei  den  Serben  darf { 
die  Schwangere  daa  Kreuz  nicht  küssen,  weil  sonst  ihr  Kind  von  Epilepaie 
befallen  wird,  sie  darf  sich  keinen  kranken  Zahn  entfernen  lassen,  weil  ihr 
Kind  sonst  starben  würde,  und  endlich  küsst  sie  auch  kein  fremdes  Kind, 
aus  Farcht,  dass  ihr  dies  eine  Superfütation  verursachen  kOnnte. 

Mit  unbedeckten   Haaren  gehen  und  Katzen  oder  Hunde  mit  Ffluea 
stoasen  verursacht  in  Böhmen  und  Mähren  Fehlgeburt. 

um  sich  durch  Sympathie  eine  glückliche  Niederkunft  zu  sichern,  bindoii 
sich  die  Schwangeren  in  Brandenburg  eine  Seh  langen  haut,  die  sie  findflo«] 
um  den  Leib.  {Engditn.)  In  Bayern  schlafen  sie  auf  Garn,  welche«  e 
noch  nicht  sieben  Jahre  altes  Mädchen  gesponnen  hat,  weil  dju  glfiok« ' 
bringend  Lst. 


83.   Die  Pflichten  des  Ehemannes  während  der 
Schwangerschaft. 

Der  Eintritt  der  Schwangerschaft  legt  nun  aber  nicht  nnr  d«r 
Frau,  sondern  bei  niauchen  Völkern  sogar  auch  dem  Manne  gant 
bestimmte  Verpflichtungen  auf,  mid  zn  diesen  miuw  man  ja  eigent- 
lich auch  schon  die  bereits   erwühnt«  Vürschriffc  rechnen,    dasa  dur 


).  Die  Pflichten  des  Ehemannes  wfthrend  der  Sch^rangerschaft.    509 


fctte  während  der  Gravidität  den  Coitus  und  bisweilen  sogar  jeg- 
"len  Umgang  mit  der  Ehefrau  zu  meiden  hat.  Bei  den  Pschaweu 
'ranskaukasien)  geht  die  Unreinheit  der  Frau  während  der 
thwangerschaft.  auch  auf  den  Mann  mit  über,  der  dann  ebenso  wie 
Ke  Frau  von  allen  Festliclikeiten  ausgeschlossen  wird. 

Bei  mehreren  südamerikanischen  Indianerstämmen  ent- 
ilten  sich  sowohl  die  Frau  als  auch  der  Mann  während  der  Schwan- 
srschaft  des  Genusses  der  Fleischspeisen ;  bei  den  Guaranis  geht  der 
"^tann  nicht  auf  die  Jagd,  so  lange  seine  Frau  schwanger  ist.  Bei 
anderen  Stämmen,  z.  B.  den  Mauhees  (nach  v.  Spür),  muss  der  Ehe- 
mann fasten  und  nur  von  Fischen  und  Frficliten  leben.  Schon  die 
alten  Peruaner  im  Inca- Reiche  liessen  den  Mann  fasten,  um 
Zwillings-  oder  Missgeburten  zu  verhüten.  Am  Amazonenstrom 
jebt  es  nach  Chandless  Stämme,  die  den  Ehemännern  Schwangerer 
sehe,  männliche  Schildkröten  imd  Schildkrüteiieier  zu  speisen, 
ausserdem  aber  auch  angestrengte  Arbeit  verbieten.  Besonders  sind 
Cariben,  bei  denen  auch  das  Männerkindbett  Sitte  ist,  in  dieser 
insicht  für  das  Wohl  des  zu  erwartenden  Kindes  besorgt. 

Der  Arbeit  muss    sich    der  Ehemann   auch   in   Grönland   bis 
txa  Geburt  enthalten,  weil  sonst  das  Kind  sterben  würde.     Und  in 
[amtscbatka  machte  man  den  Ehemann  für  die  falsche  Lage  des 
ides  bei  der  Geburt  verantwortlich,  weil  er  zur  Zeit  der  Nieder- 
seiner Frau  Holz  über  das  Knie  gebeugt  hatte.  (Stiller.) 
Selbst    die   ungemein   rohen   Eingeborenen    der  Andamanen- 
Inseln  halten  nach  Man  an  dem  Gebrauche  fest,  das»  die  Schwangere 
weder  Honig,  noch  Schweine,  Marder  (Paradoxurus)  imd  Eidechsen 
ina)  geiiiesst.   Diese  beiden  letzteren  Speisen  vermeidet  auch  der 
Utte,  weil  sonst  der  Embryo  beunmhigt  würde. 

Der  wilde  Land-Dajak  auf  Borneo  darf  vor  der  Geburt  des 
Kindes  nicht  mit  scharfen  Instrumenten  arbeiten,  kein  Thier  tödten 
und    keine    Flinte   abfeuern.     Noch   viel    weiter   in    solchem   Aber- 

Flauben  gehen  die  Eingeborenen  der  Insel  Nias  (Niederländisch- 
ndien):  Mann  und  Frau  müssen  während  der  Schwangerschaft  der 
stzteren  Orte  vermeiden,  wo  ein  Mord  oder  wo  die  Verbrennung 
"  les  Hundes  stattfand;  sie  dürfen  kein  Schwein  oder  Huhn  tödten, 
Jenn  von  den  Krümmungen  des  Sterbenden  würde  etwas  auf  das 
Kind  übergehen;  sie  dürfen  an  keinem  Hause  zimmern,  keinen  Nagel 
'•n,  sich  auf  keine  Leiter  und  in  keine  Thür  stellen,  kein 
itt  abbrechen,  denn  sonst  würde  das  Kind  nicht  geboren 
jrerden  können;  sie  schauen  in  keinen  Spiegel,  in  kein  Bambusrohr, 
mat  würde  das  Kind  schielen;  sie  essen  keinen  Bujuwu  (Art  Vogel), 
^oa  sonst  spricht  das  Kind  nicht,  sondern  krächzt,  wie  dieser  Vogel; 
sie  mÜMsen  noch  unzählige  aberg]ä»ibiBche  Vorschriften  ängst- 
»efolgen,  die  ich  mit  ihren  vermeintlichen  Folgen  hier  nicht 
ifzEbleu  will.  Auf  Neubritannien  muss  der  Ehemann  zu  Hause 
leiben  (nach  Powell).  Merkwürdig  ist  hierbei,  wie  häufig  sich  bei 
ihr  verschiedenen  Völkern  die  abergläubischen  Anschauungen  wie- 


510  Xyi.  Die  Gesundheitspflege. der  Schwangenchftft. 

derfinden:  Auf  Massaua  im  arabischen  Meerbusen  hfitefc  sich,  i 
mir  Brehm  mündlich  mittheüte,  der  Ehemann  einer  schwanga 
Frau,  ein  Thier  zu  erschlagen,  weil  sonst  die  Frau  das  Knd  Id 
verlieren  könne. 

Auf  Ambou  tind  den  Üliase-Inseln  darf  der  Ehemuni 
Schwangeren  nicht  im  Mondschein  uriniren,  denn  dadurch,  du 
seine  Scham  entblösst,  beleidigt  er  die  auf  dem  Monde  befindliiii 
Frauen,  was  für  seine  Gattin  eine  schwere  Entbindung  nir  Foij 
haben  würde. 

Dies  Alles  sind  abergläubische  Vorstellmigen,  weldie  lagi 
wie  zauberhaft  man  sich  Wirkung  und  Einfluss  des  Vateis  i 
seiner  Lebensweise  auf  das  Kind  und  sein  Wohl  denkt  Der  Yi 
soll  schliesslich  nach  diesem  Volksglauben  die  Verantworfanf  I 
das  Gedeihen  des  Kindes  im  Mutterleibe  tragen. 

Es  möchte  aber  auch  hier  dem  Herausgeber  scheinen,  alsva 
wenigstens  hinter  einem  Theil  dieser  abei^läubischen  TTaidfa^ 
halb  bewusst,  halb  unbewusst  ein  tieferer  Smn  verborgen  lägtl 
handelt  sich  hier  mit  grosser  Wahracheinlichkeit  xan  ganx  di 
liehe  Verpflichtungen,  wie  wir  sie  in  der  Sitte  des  Mannerkindbdk 
erkennen  müssen,  dass  nämlich  der  Vater  das  Anrecht  auf  A 
Kind  dadurch  zu  erwerben  bestrebt  ist,  dass  er  an  den  Leidoi  ■ 
Entbehrungen,  welche  die  Schwangerschaft  und  das  WochaU 
auferlegen,  in  annähernd  gleicher  Weise  wie  die  Gattin  AtI^ 
nimmt.  Von  grossem  Interesse  ist  es,  dass  wir  bei  den  Carito 
diese  Gebräuche  neben  dem  Männerkindbette  antreffen. 


XVU.  Die  Therapie  der  Scliwangerscliaft. 

Mechanische  Vorkehrungen  wätirend  der  Schwangerschaft. 

I  Wir  haben  gesehen,  wie  selbst  bei  vielen  roheu  Volkern  die 
laicht  sich  Bahn  gebrochen  hat,  dass  körperliche  Ueberanstren- 
bgen  während  der  Schwangerschaft  der  Mutter  sowohl  als  auch 
em  Kinde  zum  Schaden  gereichen.  Aber  andererseits  lässt  sich 
sh  nicht  verkennen,  dass  eine  zu  grosse  Verweichlichung  während 
Oravidität  die  Entbindung  zu  erschweren  pflegt.  Der  englische 
bnrtshelfer  Riglty  wies  schon  darauf  liin,  dass  Schwangerschaft 
d  Geburt  gerade  dort  am  besten  verlaufen,  wo  die  Schwangeren 
|e  gewohnte  Beschäftigung  bis  mr  Niederkunft  fortsetzen;  auch 
irt  ims  die  tägliche  Beobaclitung,  dass  unsere  Arbeiterfrauen  die 
(tbindung  leichter  tiberstehen,  als  die  in  der  Schwangerschaft  sich 
Bglichst  ruhig  verhaltenden  vornehmen  Damen.  Auch  Martin^  sagt: 
I  „Miü  n'ignore  que  plus  la  femme  ee  rapproehe  des  conditions  de  la  na- 
re,  plus  aussi  la  fonction  g^n^^ratrice  s'accomplit  sans  bruit,  et  sans  ces 
kiblea  eynergiqoes  dea  fouctiona  physiques  et  morales  qoi  aont  aoavent 
188^68  jiisqu'Ä  l'exaltution  chez  la  femme  civilisöe." 

Immer  imd   immer  tauchen  aber  sofort,   wenn  ein  Volk  einen 

«rissen  Civilisationsgrad  erreicht,    wenn  sich   besonders   Geburts- 

Iferinnen  und  Aerzte  um  das  Wohl  und  Wehe   der  Schwangeren 

Kümmern,  die  Gedanken  an  Schutzmaassregeln  auf  liinsichtlich  der 

ftltung,  Stelluog  und  Lage,  welche  die  Frau  während  derSchwan- 

rschaft  einnehmen  soll.    Den  altindischen  Frauen  rieth  Susrtita, 

ih  in  der  Schwangerschaft  als  Lager  eines  mit  Schranken  versehenen 

ittes   zu   bedienen,    in  welchem  sie  in  mehr  sitzender  Stellung 

idafen  rauasten.     Ein   chinesischer  Arzt  {v.  Marh'us)  giebt  der 

pwangereu  den  Rath,   wechselweise  auf  beiden  Seiten  zu  liegen, 

B  aber  allein   auf  einer  Seite  zu   schlafen.     Auf  dem  Röcken  zu 

Igen,  sei  nachtheilig,  auf  dem  Bauche  aber  höchst  schädlich. 

Ein    besonderes    Vorbeugungsmittel,    welches   sich  sowohl   bei 

hen  als  auch  namentlich  bei  civilisirten  Völkern  in  ausgedehntem 

rade  eingebürgert  hat,    ist  die  Leibbinde.     Im  alten   Rom,   wo 

die  Schwangeren    der    grosseren  Vorsicht    wegen    in    Sänften 

r   von  trächtigen    Stuten   tragen   liessen,   legten   sie   im   achten 

nat  eine  Binde  um  den  Leib,    die  sofort   bei   der  Geburt  abge-' 


512 


XVn.  Die  Therapie  der'  Schwangerschaft. 


nommen  wurde  (daher  wurde  die  Göttin  der  Geburt  mit  dem  Beinamen^ 
Sohij^ona  bezeichnet).    Eine  Leibbinde  zu  tragen  räth  auch  '- 
aus  Ephesus;   dieselbe  soll  jedoch  vom  achten  Monat  an  ;i. 
werden,  damit  bei  der  nahenden  Geburt  das  Gewicht  des  Kindes  mit-) 
wirke,  dieselbe  zu  beschleunigen.    Seit  jener  Zeit  wurde  das  Tragen] 
der  Leibbinde  in  der  Schwangerschaft  von  vielen  Geburtshelfern  ah 
«Fördeningsmittel  der  Geburt",  unter  Anderen  von  Amhroisf  ParS] 
in  Frankreich,  beflirwortet 

Auch  empfiehlt  der  oliengenannte  chinesische  Arzt,  eine  121 
bis  14  Daumen  breite  Leibbinde  zweimal  um  den  Leib  gewickelt 
zu  tragen.  Ueber  den  Nutzen  derselben  sagt  er:  «Zuvörderst  werden 
durch  selbige  die  Lenden  gestärkt.  Alsdann  halt  eine  solche  breite 
Binde  den  Leib  der  Schwangeren  zusammen,  und  wenn  man  un- 
mittelbar vor  der  Niederkunft  dieselbe  losbindet,  so  wird  alsdann 
der  Bauch  erweitert  und  der  Frucht  dadurch  Raum  geschaÖY,  sich 
umzukehren."  Die  Birmauinnen  tragen  nach  Ablauf  des  siebenten 
Monats  eine  feste  Binde  um  den  Leib,  um  das  Aufsteigen  des  Frucht- 
halters zu  verhindern,  in  der  Meinung,  dass,  je  höher  die  Frucht  im 
Bauche  steigt,  einen  um  so  längeren  Weg  müsse  sie  beim  Herunter* 
steigen  zurückzulegen  haben,  und  um  so  schmerzhafter  werde  die 
Entbindung  sein.     {Engelmann.) 

Die  Sitt^,  in  der  Schwangerschaft  eine  Leibbinde  zu  tragen, 
stammt  in  Japan  aus  sehr  alter  Zeit.  Der  geburtshUlfliche  Re- 
formator KuHf/aiva  {Miyake)  fand  sie  vor  und  eröffnete  einen  Feldzug 
dagegen.     Er  sagt: 

„In  Japan  ist  es  allgemein  Sitte,  dass  die  Frau  Toin  fünften  Monate 
an  um  ihren  Leib  ein  seitlenes  Tuch  fest  bindet;  der  Zweck,  den  man  damit 
■IM  erreichen  sucht,  ist,  den  fötalen  Dunst  (Geist,  Lebenskraft)  zn  bcrnhigea, 
damit  er  nicht  aufsteige.  Man  sagt,  dasH  die«e  Bitte  aus  der  Zeit  der 
Kaiserin  JJjin-go-kogu  etanune,  die  im  Kriege  gegen  Korea  selbst  als  Feld- 
herrin einen  Panzer  trug,  den  sie,  weil  sie  schwanger  war,  dadurch  an  ihren 
Leib  befestigte,  dass  sie  ein  zuüammengcfaltetos  seidenes  Tuch  unj  letzteren 
fest  anlegte.  Nach  der  Eroberung  von  Korea  gab  sie  einem  Prinzen,  dem  nach- 
maligen 16.  Kaiser  0-djin  (später  zum  Gott  des  Krieges  erhoben)  glacklich 
das  Leben.  Der  Kaiserin  zu  Ehren  legten  dann  die  schwangeren  Frauen 
ebenfalls  die  Binde  an,  in  der  HoH'nung,  dadurch  Friede  und  Wohlstand  so 
verewigen." 

So  knüpfte  sich  dort  schon  eine  Sage  an  die  Volkssitte.  Kan- 
yawa  aber  erklärt  diese  Herleitung  nicht  für  geschichtlich,  da  aus 
jener  Zeit  (200  n.  Chr.)  in  den  Geschicht*«quellen  nichts,  sondern 
erst  1118  n.  Chr.  etwas  von  der  Leibbinde  erwähnt  wird;  und  noch 
später  ist  die  Rede  davon,  dass  die  Gemahlin  des  Yoritomo  in  ihrer 
Schwangerschaft  mit  besonderen  Ceremonien  die  Leibbinde  luolegte 
Kanyuwa  verwirft  dieselbe  .nach  einer  vieljiilirigeu  Eriabruug  ob 
schädlich."  Er  demonstrirt  diese  seine  Ansicht  unter  Hinw»»'-  .l-r.,nr 
das«  die  Natur  die  Krall  besitze,  allee  Lebende  wachM«^u  ui 
wickeln  zw  '  '  '        '      "    '      "     "      '      ''  i: 

der  Natur 


i 


9i.  Mechanische  Vorkehrnngcn  -wahrend  der  Schwangerschaft.      513 


stang   ihrer  Wurzel  mit  emeiu  Steine  ihr  Wachstbum   hindere: 

ich  die  Thiere  brächten  ja  ihre  Jungen  ohne  Leibbinde  zur  Welt. 

Jr  beschuldigt  die  Binde,    dass  sie  den  Blutunilauf  störe,    Blutung 

^ud  Schwindel   erzeuge,    Schief  läge  des  Kindes,   kurz  hunderterlei 

ilamitäten  bedinge. 

»Leider  kann  ich  allein,  ein  so  kleiner  Körper  in  der  grossen 
'^elt,  meine  Methode  nicht  verbreiten ;  ich  hoffe  aber  dennoch,  dass 
|ie  allmählich  durchdringen  wird.""  Mit  diesen  Worten  scldiesst 
'  seine  Verurtheilung  der  Leibbinde.  Mit  allen  solchen 
•u  Neuerungen  geht  es  Avie  überall,  so  auch  tu  Japan, 
jienilich  langsam.  Zwar  erklärte  in  den  zwanziger  Jahren  unseres 
[ahrhunderts  der  japanische  Arzt  Mimcuuma\  , Früher  trugen 
ie  Schwaugeren  vom  fünften  Monat  an  die  Leibbinde,  jetzt  ist  sie 
^lurch  den  Einfluss  des  Katu/awa-Gen-Fts  abgeschafft."  Dagegen 
rar  nach  Ausspruch  eines  russischen  Arztes  diese  Sitte  noch  in 
en  sechziger  Jahren  in  Japan  verbreitet;  er  sagt:  , Schwangere 
chnüren  sich  im  ftinften  Monat  den  Leib  in  der  epigastrischen 
Gegend  mit  einem  schmalen  Gurt  sehr  fest  in  der  Absicht,  dass 
|er  Fötus  nicht  zu  gross  werde  und  die  Geburt  nicht  erschwere." 
Wenn  nun  die  Leibbinde  auf  den  Unterleib  der  Schwangeren 
Inen  stetigen  Einfluss  ausübt,  so  hat  man  l>ei  anderen  Völkern 
lurch  Manipulationen,  durch  Kneten,  Drücken  und  Mas- 
iiren  des  Unterleibes  einen  ununterbrochenen  Druck  angewendlet. 
}H»  Geschäft  ruht  zumeist  in  den  Händen  von  gewerbsmässig  Hülfe- 
tisienden,  die  damit  die  Absicht  verbinden,  eine  etwa  vorhandene 
»Ische  Lage  des  Kindes  zu  corrigiren.  Die  Manipulationen  aljer 
fhören  in  das  Bereich  des  so  ausgebreiteten,  bei  zahlreichen  Völ- 
kern beliebten  Knetverfahrens.  In  Java  wird  von  den  Matronen, 
reiche  Hebammendienste  leisten,  der  Unterleib  der  Schwangeren 
eknetet;  dieses  eigentbümliche  Verfahren  heisst  nach  Köf/el  ,Pit- 
"pk*",  nach  Ilas.skarl  ,Pidjed''.  Das  sind  gewiss  dieselljen  Mani- 
pulationen, Avclche  bei  den  Alfuren  auf  Celebes  (in  Limo  lo 
*ahalaa  auf  der  nordcelebischen  Landzunge)  während  der 
^hwangerschaft  ununterbrochen  vorgenommen  werden,  um  dem 
Kinde  die  rechte  Lage  zu  geben.  {Tiiedel)  Von  einem  ähnlichen 
^erfuhren  der  Hebammen  in  Mexiko  berichtet  v.  Uslar.  Auch  wird 
der  Hepublik  Guatemala  der  Schwangeren  von  der  Hebamme 
llmonatlich  der  LTnterleib  gerieben  und  geschüttelt,  ,um  der  Frucht 
Ke  gehörige  Lage  zu  geben."  (Bernouilli.)  Den  russischen 
»uen  in  Astrachan  wird  ,im  Falle  einer  zu  frühen  Senkimg 
Fötus  oder  einer  ungünstigen  Lage  desselben"  der  Leib  einge- 
ltet {im  Russischen  heisst  es  «pravit").  Diese  Operation  ver- 
ebten alt^  Weiber,  indem  sie  mit  der  rechten  Hand  nach  oben 
id  mit  der  linken  nach  unten  sanft  drücken  und  stossen.  {Mct/eraon.J 
Japan  behandelt  man  den  Unterleib  durch  das  sogenannte  Am- 
ilc  lu  einem  Berichte  {EnficJmunu)  heisst  es:  Dort  liearbeitet  der 
[cJJgrhülfe  den  Bauch  der  au  seinem  Nacken  hängenden  Scbwan- 

I)M  Weib.  1     -   Katl.  S3 


514 

geren;  er  stemmt  seine  Schultern  an  deren  Brllste  und  seine  Knie 
zwischen  ihre,  so  dass  er  sie  fest  ira  Griff  hat.  Dann  beginnt  er 
von  der  Seite  her  mit  den  Händen  zu  kneten,  j-eibt  vom  siebenten 
Halswirbel  an  nach  unten  und  vorne,  auch  die  Hinterbacken  md 
Hüften,  mit  seinen  Handflächen  und  wiederholt  diese  Behandliuig 
nach  dem  ftinften  Monat  jeden  Morgen  60  bis  70  Male. 

Man  geht  aber  in  der  mechanischen  HOlfeleistung  zur  Vor»| 
bereitung  auf  die  Geburt  noch  weiter,  indem  selbst  bei  wenig  civili- 
sirten  Völkern  eine  künstliche  Eröffnung  der  Geburtswege  durch 
Mittel  vorgenommen  wird,  die  bereits  in  das  Gebiet  der  Gebär- 
mutter-Chirurgie fallen.  Schon  die  römischen  Hebammen  pllegtett 
während  des  neunten  Monats  Pessarien  von  Fett  einzulegen  und 
mechanische  Beizungen  des  Muttermundes  vorzunehmen. 

Auf  der  Iiwel  Yap  werden  der  Schwangeren  schon  circa  eineu 
Monat  vor  der  Gebi^  aufgerollte  Blätter  einer  nicht  überall  auf 
Yap  wachsenden  Pflanze  in  den  Muttermimd  eingeführt  und  immer 
gegen  neue,  dickere  Rollen  gewechselt.  Sie  sollen  den  Zweck  haben, 
den  Muttermund  .  zu  erweitem ,  um  die  Geburt  schmerzloser  zu 
machen,  {v.  Miklucho-Maclatf.)  Sie  wirken  also  in  ganz  ähnlicher 
Weise  wie  die  Pressschwämme  oder  wie  die  Laminaria-  oder  Tupelo- 
Quellstifte. 


S5.  Das  Baden  und  £insalbcn  während  der  SchwangerschaftT 

Der  Gedjmke,  dass  Bäder  und  Oeleinreibungen  der  Schwangeren 
nützlich  sein  können,  liegt  sehr   nahe  und  so  ünden   wir  dieselben 
auch   vielfach   in  Anwendung;    insbesondere   sind  sie  während  der 
letzten  Zeit  der  Schwangerschaft  bei  den  Orientalen  sehr  gebräuch- 
lich; doch  auch  viele  andere  Völker  benutzen  dieselben.    Wie  nochi 
jetzt  in  Indien,  so  wird  auch  wolü  in  der  frühesten  Zeit  im  Lande j 
.des   Ganges    von   diesen  Mitteln  Gebrauch   gemacht  worden    sein-j 
Allerdings  möchte    e»   nach    der    im  Allgemeinen  unvoUkommenen 
Uebersetzung  des  schon  vielfach  erwähnten,  von  Susruta  geschrie- 
benen Werkes  Ayurveda  in  das  Lateinische,  welche  wir  Ut^ler 
verdanken,  scheinen,  als  ob  jeuer  alte  Autor  der  Schwangeren  Eiii- 
salbuugen  überhaupt  verboten  habe.     Allein   Viälers  übersetzt  die-i 
selbe  Stelle:   ,Sie  soll  sich  nicht   selbst   einsalben."     Nach  di«M«yj 
letzteren   Lesart   hielt  es   also   Susrtäa   nur   für    schädlich,    wena 
die  Schwangeren  dergleichen  Manipulationen  eigenhändig  besorgten. 
Kicht  nur  bei  den  höheren  Kasten  Indiens   ist   das  Baden  in  d«ri 
Schwangerschaft  sehr  beliebt,  sondern  auch  die  Najer-Frau  oimiot, 
wenn  sie  schwanger  ist,    mehrfach  Bäder   mid  soi^  Überhaupt  ftrj 
das  gute  Betindeu  dos  Körpers. 

Wie  auch  üchon  im  nltcn  Rom 
während  des  neunten  S-  '••"■"•— "i"*« 
Fett,    freilich   auch  a' 


86.  Blatentziehungen  während  der  Schwangerschaft.  515 

nische  Reizungen  des  Muttermundes  in  Anwendung  zogen,  so  Hessen 
auch  später  altarabische  Aerzte,  wie  BJicuies,  während  der  letzten 
rierzehn  Tage  Bäder  und  Oeleinreibungen  vornehmen. 

In  China  werden  den  Schwangeren  Bäder  von  kaltem  Wasser 
uid  Seebäder  angerathen;  doch  fürchtet  man  in  anderen  Gegenden, 
durch  das-  Baden  Schwangeren  zu  schaden.  Im  birmanischen 
Reiche  feiert  man  z.  B.  den  ersten  Tag  des  Jahres  durch  grosse 
Feste,  wobei  Jedermann,  der  auf  der  Strasse  geht,  er  mag  noch 
80  hohen  Rang  haben,  in  das  Wasser  getaucht  wird;  nur  schwangere 
Frauen  sind  yon  dieser  Ceremonie  befreit,  sie  brauchen  nur  durch 
ein  Zeichen  anzudeuten,   dass  sie  respectirt  sein  wollen.  (Hureau.) 

Bei  den  russischen  Frauen  in  Astrachan  beisteht  die  Pflege 
der  Schwangeren  hauptsächlich  im  Einreiben  des  Unterleibes  mit 
Oel  oder  Butter.  {Meyerson.) 

Auch  sehr  unciütivirte  Völkerschaften  haben  ganz  ähnlichen 
diätetischen  Brauch:  auf  den  Tonga-Inseln  reiben  die  Weiber  den 
schwangeren  Leib  mit  einer  Mischung  von  Oel  und  Gelbwurz  ein, 
um  sich  vor  Erkältung  zu  schützen,  {de  liienmi.)  Ebenso  müssen 
die  schwangeren  Frauen  auf  Seranglao  imd  Gorong,  sowie  auf 
Ambon  und  den  Ulia^e- Inseln  sehr  viel  baden,  und  auf  den  letz- 
teren Inseln  müssen  sie  ihren  Körper  täglich  zweimal  mit  fein- 
gestampften Pinen-  und  Warear- Blättern  bestreichen. 

Während  französische  Geburtshelfer,  unter  Anderen  schon 
Pare,  während  der  Schwangerschaft  zur  Erleichterung  der  Geburt 
fette  Stoffe  in  die  Schenkel,  die  Schoossgegend,  das  Mittelfleisch  und 
die  Geschlechtstheile  einzureiben  empfahlen,  finden  wir  in  dem  ältesten 
deutschen  Hebammenbuche  von  Rösslin  das  Verbot:  „Auch  darf 
sie  keine  Schwitzbäder,  Salbungen  des  Leibes  und  Kopfes  vor- 
nehmen.** Dagegen  sind  jetzt  in  Deutschland  bei  den  wohlhaben- 
den Städterinnen  laue  Bäder  am  Jlnde  der  Schwangerschaft  sehr 
beliebt,  um  die  Geburtstheile  zu  erschlaöen  und  die  Spannung  der 
Bauchhaut  zu  mindern. 


86.  Blatentzlehangeii  während  der  Schwangerschaft. 

Bekannthch  hat  das  Blutlassen  lange  Zeit  hindurch  bei  den 
Gultorvötkem  eine  ganz  besondere  Rolle  gespielt;  auch  während 
der  Schwangerschaft  war  es  noch  bis  vor  gar  nicht  zu  entfernter 
Zeit  ein  sehr  beliebtes,  vorbeugendes  Volksmittel.  Aber  auch  bei 
rohen  Völkern  finden  wir  vereinzelte  Spuren  der  Meinung,  dass  das 
BJnilassen  nützlich  in  der  Schwangerschaft  sei.  In  Brasilien 
bringen  sich  unter  den  Mauhee- Indianern  aus  diesem  Grunde 
aianche  schwangeren  Frauen  Wunden  an  Armen  und  Beinen  bei. 
(«.  MarHM) 

Sehon  frfilkb^ann  der  Kampf  der  Aerzte  gegen  die  Unsitte  dieses 
fbrandiB.    Da  Su&nita  die  Blutentziehungen  in  der  Schwan- 

33* 


516 


XVII.  Die  Tlie»pie  iet  SchwangerBcbaft. 


Jerschaft  als  schädlich  verbietet,  und- da  die  alten  Inder  in  allen 
solchen  Dingen  den  Brahmanenäi"zten  und  ihren  Rathschlägen  ge- 
wiss grosses  Vertrauen  schenkten,  so  ist  anzunehmeu,  dass  sie  das 
Blutlassen  der  Schwangeren  wirklich  vermieden.  Weun  aber  Janiii 
jener  altarabische  Arzt  Rha^cs  vor  dem  unnöthigen  AderlasseE 
der  Schwangeren  warnt,  so  ist  es  wahrscheinlich,  dass  es  zu  setnet 
Zeit  schon  im  Volke  recht  gebräuchlich  war,  während  der  ietztei 
Periode  der  Schwangerschatt  häufig  Ader  zu  lassen. 

Orientalische  Völkerschaften    lieben    das  Aderlassen,    beispiebj- 
jWeiae  die  Perser,  deren  an  den  Aderlass   schon  gewohnte  Frauen 
ich  im  sechsten  und  siebenten  Schwangerschaftsmonat  einen  Ader- 
vornehmen,  während  ihn  dieselben  in  den  ersten  Monaten^  be-j 
sonders  gegen  Ende  des  dritten,  ft\r  schädlich  halten.  [PolaJc.) 

Mitunter  wird  in  China  während  der  Schwangerschaft  ein  Ader-l 
lass  gemacht,  eine  Operation,  die  erst  durch  Mi,s.siouäre  in  China 
eingeführt  wurde  und  ,das  Mittel  der  Fremden"  heisst.  Da«  Volk 
glaubt,  dass  eine  Schwangere  eich  nie  «von  einem  Manne  die  Ader 
öffnen  lassen  darf,  und  die  Hebammen  erhalten  natllrlich  das  Volk 
in  diesem  Glauben  zu  ihrem  eigenen  Vortheil.  {llnreau.) 

Sehr  beliebt  ist  das  Aderlassen    während   der  Schwangerschaiti 
unter  den  Dalmatinern,  welche  bekanntUck  slavischer  Abkunftti 
sind.     Sie  sind,    wie   es  scheint,   schon    darin  den  Italienern  sehr] 
älmlich,  dass  sie  übergrosse  Freunde  des  Aderlasses  überhaupt  sind./ 
Dort   müssen,    wie    DerhJich    berichtet,    die    schwangeren    Weiber,! 
wenn  die  Geburt  ohne  üble  Zufälle  vor  sieh  gehen  soll,  zweimal  sichj 
die  Ader  öftiien  ujid  wenigstens  einige  Pfiind  Blut  entziehen  lassen :[ 
1.  in  den  ersten  iTmf  Monaten,  falls  Erbrechen,  Schwindel,  Kreuz- 
oder  Brustschmerzen,  Harndrang,  Zalmweh  u.  dergl.  sich  einstellen. 
Zeigen   sich    aber   diese  Zufalle   nicht,    oder  nur  in  sehr  geringem 
Grade,    dann    muss   man   erst   recht    zum    Aderlass   seine    Zuflucht | 
nehmen,  um  diesen  üblen  Symptomen  vorzubeugen.    2.  In  den  letzten  i 
Wochen  der  Schwangerschaft;  man  hält  es  für  ein  Präser^'ativmittelJ 
gegen  Krämpfe,  Blutfluss  und  Apoplexie,  wenn  die  Schwangere  mi 
der  Aderlassbinde  in  das  Wochenbett  sich  begiebt. 

In  Deutschland    glaubt-e    man    lange,    dass  die  Schwanger 
ihrer  Gesundheit   wegen   vor   der  Niederkunft  Blut    lassen    müssen.] 
Chirurgen,    Bader   und    Hebammen    hielten    streng   auf   Befolgung/ 
dieses    Vorurtheils.     Die    alten    Hebammenordnungen    verboten   d»»j 
Aderlassen  nur   in    der   ersten  Schwangerschaftsperiode.     Nach  der! 
Hebammenordnung  des  Lonicerus  zu  Frankfurt  a.  M,  (1573)  soll 
die  Schwangere  ^in  den  ersten  vier  Monaten  nicht  Blut  lassen,  auch] 
nicht    Purgireu,    denn   es   sind   in    dienen    Monaten   die   Bande  d«* 
Frucht  gar  weich,  zart  und  schwach."     Noch  in  den  letzKii  .Uhr* 
zehnten   glaubten    die  Frauen    im    t'  —  ?'- ■•>><•  -i-i-     »i-nir-Mtl    »Irr 
Schwangerschaft    den    wietlcrholte; 


87.  Die  mei 


iem 


rmmgexen. 


in  der  Pfalz  der  Fall,  indem  dort  (nach  Pault)  die  Schwau- 
anf  dem  Lande  fast  ohne  A'usuahme  Aderlässe  voruehmen. 
Im  Anfange  des  17.  Jahrhunderts  hat  aber  bereits  Hippolytus 
fdunrinonias  in  seinem  grossen  Werke   vor  dem  Schaden  gewarnt, 
der  ftir  Mutter  und  Kind  aus  dem  Aderlass   erwächst.     Er  betitelt 
das    entsprechende  Kapitel:   Von    dopelt  Tyrannischen,    dopelt  ver- 
wegenen, aller  gebür  straffwürdigen  .\derlass-Grewln  der  schwangern 
r  "Weibern. 


S7.  Die  niedicanientöse  Bebandtang  der  Sehwangeren. 

In  Deutschland,  wo  sich  von  jeher  eine  grosse  Neigung  zur  Quack- 
isalbcrei  geltend  machte,  hatten  während  des  16.  Jahrhunderts  die  Hebammen 

leinen  reichhaltigen  Medicamenten- Apparat  gegen  die  kleinen  und  grossen 
Leiden  der  Schwangerschaft:  Wenn  die  Schwangere  gefallen  oder  erschreckt 

[ist,  80  dftSB  man  den  Abortus  förchtet,  soll  sie  nach  Anweisung  alter  Heb- 
Bmmenbücher  zur  Verhütung  desselben  sich  die  Geschlecbtstbeile  berftnchern 
latisen  und  den  Leib  vorn  waschen  mit  Wasser,  in  welchem  Alaun,  Gall- 
Spfel,  Schwarzwurz,  Wein  und  Essig  gesotten  wurde.  Frauen,  welche  ge- 
wöhnlich zu  früh  niederkommen,  sollen  wälbrcnd  der  Schwangerschaft  sich 
alle  Tage  ein   Fussbad  bereiten    lassen    aus  Odermennig,    Camillenblunjen, 

I  Dill,  Steinbrech  und  Salz  zu  gleichen  Theilen,  und  darin  eine  Stunde  vor  dem 
Nachtessen  und  drei  Stunden  nach  demselben  die  Schenkel  erwärmen  und 
mit  warmen  Tüchern  abtrocknen,  auch  etliche  Tage  nüchtern  einen  Oold- 
gfllden  schwer  von  der  gedörrten  inneren  Haut  des  HQhnernragens  mit  Wein 
einnehmen.  Bei  Verstopfung  rausate  die  Schwangere  nach  Angabe  der 
Hebammenordnung  des  Adam  Louicerus  (Frankfurt  a.  M.  1573)  «Biretsch- 
kräutlein  mit  Butter  oder  Lattichmiislein"  gebrauchen,  nöthigenfalls  Stuhl- 
Käpäein  aus    Honig  und  Eidotter  oder  von  Venetianischer  Seife;   wenn 

-das  nicht  half,  do  wurde  mit  Rath  eines  Medici  eine  Purgation  aus  Manna 
und  Casaia  (Senna)  gereicht.  Wenn  die  Frau  viel  Ohnmacht  und  Beschwerniss 
nach  der  EmpflngniaB  empfindet,  so  soll  sie  einen  .Morettrank"  oder  einen 

I  Trank  von  Rosen wasser,  Ampferwasser,  Zimmet  und  Manuchristiküchlein 
gemacht  trinken.  So  sie  »Unlust  zur  Speise*  hat,  soll  sie  des  Morgens  ein 
Trünklein  von  tiranutensyrup ,  Zimmetröhren  und  Ampferwasser  oder  einen 
guten  ,Morettrank*  gebrauchen,  ein  Mogenpfloster  legen  und  die  Herzgrube 
mit  Ma«tixJil,  Balsaniöt,  Wermuthöl,  Quittenöl  u.  a.  w.  schmieren.  So  eine 
Fmu  ihre  , gewöhnliche  Blume»  (die  Menstruation)  bekommt,  soll  sie  fol- 
genden Scliwaden  unten  an  sich  gehen  lassen  und  davon  schwitzen:  von 
gro»iacm  Wegerich,  Eichenlaub,  Brombeerlaub,  Fünffingerkraut,  Taubenmist, 
Bohnenstroh  und  Habcrstroh  von  jedem  gleich  viel  in  Wasser  gesotten;  auch 

I  RoU  Bio  a\\  ihre  Koi^t  mit  Wasser  Itereiten  lassen,  darin  ein  Stahl  gelüscht  ixt. 
Jetzt  kennt  man  in  Ditjutschland  unter  dem  Landvolk  allerlei  Mittel 

|l{<!g«n  die  Beschwerden  der  Schwangeren.  In  der  Pfalz  rathen  gegen  du 
Erbrechen   die   Hebammen   gewöhnlich   Camillen-,    Pfefferminz-,    Zimmet- 

{tiiee,  ein/^n  Löffel  voll  Malaga- Wein,  auch  aromatische  Anfschlilge  von  Leb» 
Branntwein,  Nelken,  Zimmet,  .Vluskatnuas  oder  Hiesspapier  mit 
wnsser.  Auch  sympathetische  Mittel  werden  hier  und  da  nicht  ver- 
milir..  Die  in  der  letzten  Zeit  der  Schwangerschaft  bisweilen  eintreten<le 
jtpj>fu0g  bekämpft  mun  durch  ein  Glaa  Honigwasser,  Abends  vordem 


518 


SVH.  Die  Therapie  ätr  Schwaagencbftf 


Schlafengehen  getrunken,  oder  darcb  Senneablätter  und  kleine  Rosinen  mit 
Zwetechenwasser  infundirt,  des  MöVgens  getrunken;  zuweilen .  anch  dureh 
Bittersalz  in  Fleischbrühe;  auch  nimmt  man  zu  Kljstieren  seine  ZuflnchL 
Gegen  ürinbeachwerden  brauchen  die  Schwangeren  Dämpfe  von  Ca- 
millen,  Kleien  und  HoUunder  in  knieeuder  Stellung,  auch  Einreibung  ron 
weissem  Lilienöl,  sowie  Trinken  von  Mandelmilch.  Bei  varicöscn  Venenj 
werden  spirituOee  Einreibungen  angewendet;  bei  Oedetn  der  SchamlippeoJ 
trockene  aromatische  Fomentationen,  auch  örtliche  Dampfbäder.  Beim  Herz- 
klopfen Schwangerer  wenden  die  Hebammen  Getränk  von  kaltem  Wasser  oder 
Zuckerwasser  an.     (PaitU.) 

Abführmittel  waren  bei  Schwangeren  in  Den  lach  1  and  fast  Oberall 
zur  , Blutreinigung"  sehr  beliebt.  Nicht  bloss  die  oben  erwähnte  Frank- 
furter Hebammenordnung  verbietet  schon  ausdrückUch  das  Pargiren  der 
Schwangeren  in  den  ereten  vier  Wochen  wegen  der  abortiven  Wirkung; 
vielmehr  wurde  schon  im  Talmud  (Tr.  Pasachim)  angedeutet,  dass  atarke 
Abführmittel  Abortus  zur  Folge  haben  können;  und  auch  schon  der  alt* 
arabische  Ar^t  Rhazes  warnte  vor  dem  Missbrauch  der  Purgantien  gegen j 
Ende  der  Schwangerschaft. 

Behufs  Erlangung  einer  leichten  Entbindung  beiascn  die  in  Franken^ 
(Bayern)  wohnenden  israelitischen  Frauen  in  der  Schwangerschaft  die 
Stiele  des  Paradiesapfels  ab.    {Mayer.) 

Bei  den  Römern  genossen  die  schwangeren  Frauen  zur  Vorbereitung 
auf  eine  glückliche  Geburt,  theiis  auch  um  den  zu  frühen  Abgang  der  Frucht  I 
zu  verhindern,  Schnecken,  einen  Trank  von  Diptam  und  Granatapfelschalen; 
uliter    den    aberglUubischen  Mitteln   befanden    sich    ferner  Asche    vom  Ibis, ! 
Steine,  die  sich  in  Bäumen  befanden,  das  Auge  eines  Chamäleon,  das  einem 
Kinde  zum  ei-sten  Male  abgeschnittene  Haar,  Harnsteine  u.  s.  w. 

Im  jetzigen  Griechenland  herrscht  keine  .besondere  Behandlung  der 
schwangeren  Frau;  wenn  eine  solche  an  irgend  einer  acuten  oder  chroaiächen 
Krankheit  leidet,  so  ruft  man  deshalb  doch  keinen  Arzt,  weil  man  im  Volke  J 
jedes  Arzneimittel  für  abortiv  hält.    {Damian  Georg.) 

Bei  den  Naturvölkern  wird  nur  selten,  nach  den  Berichten  der  Reisenden .j 
von  Arzneien  in  der  Schwangerschaft  Gebrauch  gemacht.  Doch  sind  einige] 
Beobachtungen  in  dieser  Hinsicht  immerhin  bemerkenawerth.  Einen  sonder- 
baren  Zweck  bei  Verabreichung  von  Medicamenten  in  der  Schwangerschaft] 
verfolgen  die  Neger  zu  Old-Calabar  in  Ostafrika  (Unvan):  sie  prüfeal 
die  Empffingniss  mittelst  Arzneien.  Es  gelten  ihnen  nämlich  drei  Arten  von! 
Schwangerschaft  fOi-  verhängniasvoll;  Zwillinge,  eine  abgestorbene  Frucht  unilj 
ein  bald  nach  der  Geburt  absterbendes  Kind.  Die  Entwinkelung  solcher  donxj 
Untergange  geweihten  Früchte  sollen  nun  Arzneien  stören,  wobei  man  sich  vor-| 
stellt,  eine  jenen  Arzneiprüfungen  widerstehende  Frucht  sei  gesund  und  stramm,  j 
Wird  darauf  das  Ei  ausgestossen,  so  gilt  es  als  unter  die  unglückliche  Rcihrikj 
gehörig.  Die  Mittel  worden  nun  zuerst  durch  den  Mund  und  den  Mastdarm  j 
beigebracht,  dann  durch  die  Scheide,  und  in  dem  Falle,  doas  den  erfteren  ein] 
blutiger  AbBuss  nachfolgt,  auf  den  Muttermund  selbst  applioirt.  7"  .ii.»...rn  Bc- 
hufe  bedienen  sie  sich  dreier  Kräuter:  einer  Legnmin  ose.  einer  \  iarl 

(Euphorbia)  und  eine*  Amomum.  Der  Stengel  der  Wolftiroili  li  «im,  vuin 
Safte  triefend,  in  die  Scheide  hinaufgeschoben;  auf  den  LcifuminoiKinKtuigo! 
wird  etwas  gekauter  und  eingespeichelter  Guinea  T'    "  '      ,    woranf 

in  wenig  Tagen   die  Fehlgeburt   erlolgt.     Die    ;;  l    wirN»  ^ 

nicht  selten  so  heftig,  dase  allgemeinoa  UebelbeiiuUcn,  OiswcUcn  der  TH 
erfolgt. 


87.  Die  medicameutSse  Behandlung  der  Schwangeren.  519 

Ein  Volksnuttel  in  China  bei  Schwangerschaft,  wenn  die  Bewegung 
der  Leibeafracht  üngelegenheit  verursacht,  ist  ausser  Ning  kuen-tschi- 
pao-tan  (Mennigroth)  ein  Absud  vom  Seekohl  und  der  weissen  Bergdistel. 
[Schwarz.)  Wenn  in  China  eine  Schwangere  von  einer  Krankheit  befallen 
wird,  80  hüten  sich  die  Aerzte,  diejenigen 'Mittel  zu  verordnen,  welche  im 
normalen  Zustande  Hülfe  leisten;  sie  glauben,  durch  die  Schwangerschaft 
Bei  die  Natur  der  Frau  völlig  umgekehrt.  Deshalb  verordnen  sie  derselben 
■  anch  eine  besondere  Arznei.  Nur  einige  dieser  bei  Schwangerschaft  ange- 
wendeten Mittel  sind  uns  bekannt:  Ginseng  alsTonicum;  Pfeffer  und  Ingwer 
als  eröffnendes  Mitlei;  Rhabarber  als  Purgans.  Das  Erbrechen  der  Schwan- 
geren bekämpfen  die  Chinesen  mit  Erfolg,  wie  sie  sagen,' durch  das  arsenig- 
laore  Schwefeleisen,  das  sie  auch  als  Abführmittel  benutzen;  ausserdem  geben 
sie,  obgleich  in  kleinerer  Gabe,  die  arsenige  Säure,  welche  sie  im  Wechsel- 
fieber höher  schätzen  als  Chinin.  Gegen  den  Medicamenten-Unfug  während 
der  Schwangerschaft  eifert  auch  ein  chinesischer  Arzt  {v.  Martitis);  am 
anschädlichsten,  sagt  er,  sei  noch  die  Arznei  Dschah-wa-ru-rah.  Hat  die 
Schwangere  Schmerzen  in  der  Gebärmutter  oder  in  der  Lumbargegend,  so 
wendet  die  Hebamme  die  Acupunctur  an,  wobei  sie  die  Nadeln  selbst  bis 
in  die  Gebärmutterhöhle  einsticht;  ja  sie  sucht  sogar  den  zu  lebhaften  Fötus 
dadurch  za  beruhigen,  dass  sie  ihn  ansticht.    (^Hureau.) 


XVIIL  Normale  und  abnorme  Schwangerschaft. 

88.  Die  La^e  und  das  Stürzen  des  Kindes  im  Matterleibe. 

Durch  den  Mangel  genauer  geburtshülflicher  Untersuchungen 
im  Alterthum  und  Mittelalter  erklärt  es  sich,  dass  man  lange  Zeit 
über  die  normale  Lage  des  Kindes  innerhalb  der  Gebärmutter  im 
Unklaren  blieb,  aber  höchst  merkwürdig  ist  die  Uebereinstimmung 
scheinbar  von  einander  höchst  unabhängiger  Völker  in  der  Vor- 
stellung, daas  das  Kind  während  der  Schwangerschaft  ganz  plötz- 
lich seine  Lage  ändere.  Erst  die  neuesten  klinischen  Beobachtungen 
haben  über  die  letztere  Thataache  das  nöthige  Licht  verbreitet. 

Ueber  die  Lage  der  Frucht  im  Uterus  sagt  der  Talmud: 

.Rabbi  Simlai  erklärt,  dass  das  Kind  im  Mutterleibe  einem  zaEammen- 
geroUten  Buclie  ähnlieh  liege;  die  Hilnde  sind  auf  beiden  Seiten  zusaroroen- 
gelegt,  beide  Ellenbogen  auf  die  Hütten  und  die  FuBsfersen  auf  die  Hinter- 
backen gestützt,  das  Haupt  zwischen  den  Knieen-,  der  Mund  ist  geschlossen, 
aber  der  Nabel  otFen;  es  geniesst  dieselbe  Nahrung,  welche  die  Mutter  z« 
sich  nimmt ;  Excretion  findet  nicht  !<tatt,  weil  die  Mutter  dadurch  gefährdet 
würde.  Mit  der  Geburt  wird  der  Nabel  geschlossen,  der  Mund  geöffnet. 
sonst  würde  dos  Kind  unmöglich  leben  können." 

Bei  Hippolraies  finden  wir  zuerst  den  Satz  aufgestellt,  dass 
„alle  Kinder  mit  dem  Kopfe  nach  oben  erzeugt  werden,  an  den  Tag  aber ' 
treten  viele  auf  dem  Kopfe  und  werden  viel  sicherer  frei,  als  welche  auf  die 
Fttsse  geboren  werden."  Als  Vorbereitung  zur  Geburt  gelten  ihm  die  Zer- 
reissung  der  Eihäute  mit  Umwälzung  des  Kinde8köq>era ;  er  sagt:  „In  den 
letzten  Tagen  der  Schwangerschaft  tragen  die  Fraijen  ihre  B&ncbe  am 
leichtesten,  weil  es  dem  Kinde  gelungen  ist,  sich  zu  wenden."  Ein 
Aengstigen  des  Kindes,    so  glaubt  er,    störe    dessen  selbständige  Wendong. 

An  diesem  Erbirrthum  des  Hippokrates,  der  sich  lange  Zeit 
durch  die  ganze  Literatur  als  Dogma  erhielt,  leidet  auch  Aristoteles, 
indem  er  sagt: 

„Bei  allen  Thieren  befindet  sich  gleichm&ssig  der  Kopf  im  Ci«  oben^ 
wenn  sie  aber  gewachsen  sind,  und  schon  auszutreten  strt'i  «ie 

»ich  abwärts."    Und  in  dem  Uucb*«  ..P^  «renerat.  aniTnal."  ;=  i  .ijif ' 

60cht  deshalb  bei  der  Geburt  d 
als  unter  dem  Nabel  liegt;  du- 
wie  das  Ofth&nge  «iner  Waage  dahin  n  >^rii.  - 


Di«  Lii 


rSla  des  Kinde«  inOsäf 


Aristotdcs    beschreibt   die  Lage   des   Embryo    beim   Meuscheu 
V,  dass  er  die  Nase  zwiscbeu  den  Knieen,  die  Augen  auf  denselben» 
Obren  aber  ausser  denselben  hat.    Anfangs  liegt  der  Kopf  auf- 
arte,  bei   weiterem  Wachsthum   und  Drange   zur  Geburt  gelangt 
ftr  Kopf  durch  ein  Umstürzen  des  Embryo  nach  unten,    indem  er 
durch  sein  Gewicht  auf  den  Muttermund  sinkt. 

Diese  L'mdrehung  der  Frucht  nannte  mau  später  das  Stürzen 
Embryo  oder  la  Cnlbüte.  Nach  Snsritta  erfolgt  dasselbe  vor 
Gebm-t. 

Wir  wissen,   wie  sehr  sich  dieser  Irrthum    durch  alle  Cultur- 

Iblker  hinzieht.     Ja  selbst   zu  der  Zeit,  als  man  begann,   Leichen- 

lungeu   vorzunehmen,    beheiTschte    der  Lehrsatz   vom  , Stürzen* 

}ch  lange  die  Anschauung.     Obgleich  Aranfius,   ein  Schüler   Ve- 

Is  xmi  Professor   in  Bologna,   seiner  eigenen  Aussage  nach  bei 

»ichenüfFnungen  sehr  häufig  den  Kopf  des  Fötus  in  der  frühesten 

eit   der  Schwangerschaft   auf  dem  Muttermunde   fand,    so  verthei- 

Kgte  er  doch    die  Ansicht  vom  Stürzen  des  Kindes   auf  den  Kopf, 

erlegte  aber  die  Zeit  dieses  Vorganges  auf  den  Beginn  der  Geburt. 

Jach  ihm  sitzt   das  Kind,   wenn  keine  besonderen  Stönmgen  ein- 

ften,    bis  zur  Geburt   auf  dem  Muttermunde,    da  der  Grund    des 

herus  mehr  Raum  ftlr  den  Kopf  des  Fötus  darbiete,   als  der  dem 

lutterhalse  nahe  Theil  der  Gebärmutter. 

Selbst  später  waren  die  Ergebnisse  der  Leichenöffnungen  nicht 
Stande,  den  Glauben  an  den  alten  Lehrsatz  wankend  zu  machen, 
und  die  Abbildungen  der  Kindeslagen  im  Mutterleibe,  die  wir  bei- 
)iel8weise  in  den  alten  deutschen  Hebammenl>üchern  von  /?<yss/m, 
iüff  u.  s.  w.  finden,  sind  Erzeugnisse  der  Pliantasie  dieser  Autoren 
und  können  uns  höchstens  ein  Lächeln  Ober  die  Naivetät  derselben 
»gewinnen. 

Nach  der  Ansicht  des  in  seinem  Jahrhundert  so  hochangesehenen 
fauriceuu  findet  diese  plötzliche  Lageveräuderung  im  siebenten 
lonate  der  Schwangerschaft  statt,  und  ,man  muss  in  Acht  nehmen, 
rann  das  Kind  sein  erstes  Lager  durch  gedachten  Sturzbaum  ver- 
idert  und  diese«  letzten  nicht  gewohnt  ist,  es  sich  manchmal  der- 
laaMen  rühret  und  wälzet,  da»8  die  Schwangere  meinet,  sie  müsse 
jr  Kind  gleich  haben  wegen  der  Schmerzen,  die  sie  dabier  em- 
Undet." 

Noch  wi^niger  darf  es  uns  überraschen,  wenn  wir  finden,  das» 
loch  heute  in  Deutschland,    vielleicht  auch  in  Frankreich  und 
ingland,  hier  und  da  das  Volk  vom  Stürzen  des  Kindes  im  Mutter- 
»pricht:  vielfach  ist  in  Deutschland  unter  dem  Volke  diese 
bekannt;    so    fand    sie   beispielsweise   Tliigel   im    F  ranken - 
Ftide.     Es  war  ja   in    den   ältesten  Hebammenbüchem  der  Deut- 
^iien   ebenfalls  vom  Stürzen  des  Kindes   die  Rede,    und  jedenfalls 
IM»  dii-  alten  Hebammen  diese  Sage  in  das  Volk. 
[)ie  Gelehrten   waren   auch   darüber   uneinig,    worin   man    den 
Inind  dieser  Lageveräuderung  des  Embryo  zu  suchen  habe,   ob  es 


522  XVni.  Normale  und  abnorme  Schwangerachaft. 

sich  hier  um  einen  Instinct  des  Kindes,  oder  um  rein  mechanische 
Verhältnisse  handele.  Die  erstere  Ansicht  vertrat  Hippohrates,  die 
letztere  Aristoteles. 

Die  bessere  Erkenntniss  kam  erst  nach  und  nach.  Der  Erste, 
welcher  die  Lehre  bekämpfte,  war  BecUdus  Columbus,  ein  Schüler 
Vesäl's,  Im  12,  Buche  seines  Werkes  De  re  anatomica  (1559)  ver- 
wirft er  Alles,  was  jnan  über  das  Stürzen  des  Kindes  „simiarum 
instar  seu  funambulorum  et  mimorum"  gefabelt;  denn  die  Enge  des 
Ortes  dulde  diesen  Wechsel  der  Stellung  nicht.  Trotz  dieses  Ein- 
spruchs verharrte  man  noch  lange  im  alten  Glauben  und  erst  später 
wurde  derselbe  ausgerottet  durch  Männer  wie  SmeUie,  Solayres  d€ 
Benhac  und  Andere. 

Als  nun  nach  so  langer  Dauer  und  so  allgemeiner  Geltung  die 
Lehre  vom  Stürzen  des  Kindes  gestürzt  worden  war,  wurde  es  unter 
den  Geburtshelfern  ganz  stille  über  den  Vorgang  einer  Lage  Ver- 
änderung des  Fötus,  und  dies  ist  es  wohl,  was  nunmehr,  nach- 
dem erst  vor  wenig  Jahrzehnten  die  thatsächlichen  Erscheinungen 
festgestellt  worden  sind,  die  grosste  Verwunderung  erregen  mussr. 
Wie  konnte  es  konunen,  so  fr^te  man  sich,  dass  so  zahlreiche 
tüchtige  Geburtshelfer  in  imserem  Jahrhundert  die  Erscheinungen 
nicht  fanden?  Warum  entgingen  ihnen  die  Erscheinungen?  Haben 
sie  dieselben  überhaupt  nicht  beobachtet?  Ich  meine  gegenüber 
diesen  Fragen,  dass  Lageänderungen  doch  wohl  hier  und  da  beob- 
achtet worden  sind,  dass  man  sich  jedoch  nicht  getraute,  mit  seinen 
Beobachtungen  in  die  Oeffentlichkeit  hervorzutreten,  weil  man  sich 
gegenüber  der  allgemeinen  Ansicht,  dass  es  kein  , Stürzen*,  keine 
„Lageveränderung*  giebt,  in  seinem  ürtheile  gefangen  gab  oder  fürch- 
tete ,  zurechtgewiesen  zu  werden.  Unter  dem  Drucke  eines  aU- 
gemein  gültigen  Dogma  ging  es  hier  den  besser  beobachtenden 
Geburtshelfern  hinsichtlich  der  Zurückhaltung  bei  Veröffentlichung 
ihrer  Erfahrung  gewiss  ebenso,  wie  früher  denjenigen,  welche  nicht 
wagten,  gegen  die  Lehre  vom  Stürzen  des  Kindes  Opposition  zu 
machen. 

Der  Erste,  der  durch  öfter  wiederholte  Untersuchungen  an 
Mehrgeschwängerten  mit  offenem  inneren  Muttermunde  das  Vor- 
kommen des  Wechsels  der  Fruchtlage  constatirte,  scheint  Onytmts 
gewesen  zu  sein.  Er  fand;  dass  unter  43  Schwangeren  nur  bei 
27  die  Fruchtlage  bis  zur  Geburt  dieselbe  blieb ;  er  erklärte  sowohl 
die  normale  Schädellage  als  auch  die  verschiedenen  Verändenmgen 
der  Fruchtlage  aus  den  Gesetzen  der  Gravitation.  Seine  Angaben 
blieben  von  den  Verfassern  der  geburtshülflichen  Lehrbücher  fast 
ganz  unbeachtet. 

Wenn  Männer,  wie  Justus  Heinrich  Wigand,  wie  Frans  Carl 
Nägele  und  Andere,  deren  Wirken  für  eine  exacte  Beobachtungs- 
methode so  maassgebend  war,  und  von  denen  der  erstere  auch  die 
Lageveränderung  des  Fötus  durch  die  sogenannte  äussere  Wendung 
lehrte,  die  selbständig  vorkommende  Lageveränderusg  des   Kindes 


tmfl 


in  ihren  Werken   nicht  erwähnen,   lässt  sich  allerdings  annehmen, 
dasB  sie  überhaupt  den  Vorgang  niemals  beobachtet  haben. 

Die  Ersten,  welche  in  neuerer  Zeit  gewissermaassen  das  Wag- 
jjiiss  unternahmen,   sich   vom  Autoritäteu-Glanbeu   wiederum    bezie- 
Iheatiich  der  Lageverjinderungen  des  Fötus  entschieden  loszureisseii, 
Paul  Dubais,    dann  aber  in  Deutschland  v.  Scanzoni. 
Allein  es  waren  keineswegs  die  Resultate  wiederholter  ünter- 
sQchnngen  au  Schwangeren,  welche  sie  als  Beleg  für  ihre  Meinung 
iaüft\hrten.    Vielmehr  beriefen  sie  sich  auf  den  statistischen  Vergleich 
:  der  Früh-    und    der  rechtzeitigen  Geburten    mit   der  relativcu  Zahl 
|der  Kopf-,    Steiss-  und   Querlagen:    bei   Frühgeburten    kommt,    so 
fand  man,  in  den  ersten  Schwangerschaftsmonaten  der  Fötus  unver- 
hÄltniasmässig  oft  mit  dem  Steisse  gegen  den  Hals  des  Uterus  ge- 
richtet, und  die  Häufigkeit  dieser  Lagen  nimmt  in  eben  dem  Maasse 
'flb,    als  sich   die  Schwangerschaft   ilirem   Ende   nähert.     Gleichsam 
entschuldigend  über  seine  Abtrünnigkeit   sagt  t',  Scansoni  (1853): 
»Man  wird   uns   nun  vorwerfen,    dass  wir  gegen   die  Ansicht   der 
[grössten  Autoritäten  die  Lehre  vom  sogenannten  Stürzen  (Culbüte) 
[des  Fötus   zu  vertheidigen  suchen.     Wir  müssen  jedoch  bemerken, 
[doss    uns   einestheils   die   von  den   Gegnern   dieser  Ansicht   vorge- 
brachten   Einwürfe   nicht   stichhaltig   und   andemtheil.s  unsere  Be- 
[obachtungen  im  Verein  mit  jenen  Duhois'  beweiskräftig  erscheinen.* 
Scamoni  spricht  liier  nur  von  einem  Vorgange,    der  sich  vor 
[den  letaten  Schwangerschaftsmonafen  ereignete,  denn  er  sagt:   ,Wir 
[hegen  die  fe.^^te  Ueberzeugung,  dass  der  Fötus  in  den  ersten  Schivan- 
[gerschaftsmonaten,  wenn  nicht  häufiger,  so  doch  gewiss  ebenso  oft 
'mit  dem  Steissende  nach  abwärts  gerichtet  ist,  als  mit  dem  Kopfe, 
»md  dass  eine  vollkommene  Umdrehung  desselben   nicht   niu-  mög- 
lich erscheint,  sondern  gewiss  auch  in  sehr  vielen  Fällen  wirklich 
{erfolgt.'     Von  einem  Wechsel  der  Lagerung  im  Verlaufe 
[der   letzten  Schwangerschaftsperiode   sprach   er  damals 
noch  nicht. 

Die  neueren  Beobachtungen  haben  nun  unzweifelhaft  bewiesen, 

^dass  ein  Wechsel  in  der  Lage  des  Embryo  sehr  häufig  ist  und  um 

leichter  eintritt,  je  weniger  weit  die  Schwangerschaft  bereits  vor- 

I  gerückt  ist.   Auch  ist  derselbe  bei  Mehrgeschwängerten  weit  häufiger 

und   selbst   noch   kurz   vor   der  Geburt   nicht   selten,    während   er 

»ei  Erstgeschwjingerten  in  den  drei  letzten  Schwangerschaftswochen 

mr  sehr  ausnahmsweise  noch  vorkommt.     Am   häufigsten  wandeln 

{•ich    Querlagen    und    Steisslagen    in   Schädellagen    um,    nächstdem 

chädellagen  in  Querlagen  und  Steisslagen,  aber  Steisslagen   gehen 

shr    selten    in   Querlagen   Ober  und   auch    das  Umgekehrte   findet 

(selten  statt.  (Schwcdcr.) 

Der  Kampf  der  Aristoteliker  und  der  Hippokratiker  ober 
Ue  Ursache  der  Lageveränderung  des  Embryo  ist  dvirch  die  neueren 
Poraclmugen  dahin  entscliieden,  dass  sie  alle  beide  Recht  haben. 
)emi  einerseits   begünstigt  die  Schwere   des  kindlichen  Kopfes  die 


XVIII.  Normale  m 


Ausbildung  der  Schädellageu,  andererseits  aber  wirkt  auch  der  Em- 
bryo selber  durcli  reflectorische  Bewegungen  hierzu  mit,  da  er  stets 
bemuht  ist,  dem  Drucke  der  Gebärmutterwand  auszuweichen. 

Solche  Beobachtungen  von  Lageveränderungen  des  Fötus,  sei  es 
direet  an  Schwaugereu,  sei  es  indirect  auf  Grimd  der  Erfahrungen 
bei  Früh-  und  rechtzeitigen  Geburten,  sind  es  auch  gewiss  gewesen, 
welche  der  Lehre  vom  Stürzen  des  Kindes  eine  weit  grössere  Aus- 
breitung verschafft  haben,  als  in  unserer  geburtshüll"  liehen  Literatur 
gewöhnlich  angegeben  wird.  Man  erstaunt,  wenn  man  findet,  dass 
Völker,  die,  wie  es  scheint,  keinen  literarischen  Austausch  imter  ein- 
ander gepflogen,  in  ganz  gleicher  Weise,  wie  die  alten  und  neuen 
Oulturvölker,  wenigstens  in  früher  Zeit  das  Dogma  von  der  Culbüte 
aufgestellt  haben.  Ich  will  hier  einige  dieser  Völker  und  ihre  An- 
sichten in  Kürze  unllihren. 

Die  talmudischen  Aerzte  schrieben:  Wenn  die  Zeit  der  Ge- 
burt gekommen  ist,  so  wendet  sich  das  Kind  und  geht  heraus;  und 
daraus  entstehen  die  Schmerzen  der  Frau.  [Israel.) 

Auch  ein  chinesischer  Arzt  sagt  in  einer  gehurtshülf liehen 
Abhandlung :  Das  Kind  drehe  sich  im  Mutterleibe  um,  bevor  es  aiis 
demselben  zum  Vorschein  kommt.  Nicht  minder  meinen  die  chine- 
sischen Aerzte  ähnlich  wie  Hippolrates.,  dass  ein  Aengstigen  des 
Kindes  die  Geburt  störe.  Femer  steht  in  einer  f.  Martins  über- 
setzten chinesischen  Abhandlung:  „Sowie  nun  das  Kind  sich  um- 
gewendet und  nach  unten  hingekehrt  hat,  werden  auch  alsbald  die 
Geburtsweben  bei  der  Mutter  zmiehinen";  und  es  wird  die  Fnige 
aiügeworlen:  »Wendet  sich  denn  das  Kind  im  Mutterleibe  selbst?' 
worauf  die  Antwort  erfolgt:   , Freilich  wohll" 

Bei  einigen  Völkern  scheinen  die  Frauen  auf  die  Kindesbewe- 
gungeii  besonders  und  zeitig  zu  achten.  Gegen  Ende  des  dritten 
Monats,  häufiger  jedoch  in  der  ersten  Hälfte  des  vierten,  iUhlt  die 
Aunamiten-Frau  die  Bewegungen  des  Kindes,  Dann  kündigt 
sie  dies  sofort  allen  Nachbarinnen  mit  grösster  Befriedigung  an, 
indem  sie  bei  jeder  Bewegung  des  Fötus  sagt:  ,er  amüsirt  sich, 
indem  er  sich  schaukelt." 

Ebenso  wie  die  Chinesen  glauben  auch  die  Japanesen  no 
die  Umwälzung  des  Kindes.  Der  geburtshülfüche  Reformator  in 
Japan.  Kanf/ann,  tritt  gegen  diese  im  Volke  herrschende  Aii- 
schauung  auf:  .Ein  bedauerlicher  Irrthum  ist  es,  wenn  man  glaubt, 
dass  vor  der  (teburt  die  Frucht  sich  umdreht;  mau  sieht  dann  nicht 
ein,  dass  die  Querlage  oder  umgekehrte  Lage  von  Anfang  der 
Schwangerschaft  besteht  und  sich  mehr  von  selbst  einrichtet;  es  wird 
dadurch  ein  rechtzeitiges  Handeln  der  Hebammen  oder  des  Geburt»- 
helfers  verhindert.  * 

Die  nach  einem  japanischen  Holzschnitt  gefertigte  Fig.  89, 
welche  einige  Lagen  des  Kindes  im  Mutterleibe  veranschaulicht, 
läset  wohl  schon  die  Einwirkimg  europäischer  Lehrt*"  •"- 
kennen. 


88.  Die  Lage  und  das  Stürzen  des  Kindes  im  Mutterleibe.         525 


Fig.  39.    Japahiiohe  Darstellang  der  Eindeslagen  im  Mntterleiba. 
(Nach  einem  Japauisclieu  Hulzüchuitte.) 

Bei  vielen  Völkern  findet,  wie  wir  sahen,  während  der  Gravi- 
dität ein  regelmässiges  Kneten  und  Streichen  des  Leibes  statt.  Viel- 
leicht liegt  auch  diesen  absonderlichen  Maassnahnien  die  Anschauung 
zu  Grunde,  dass  das  Kind  im  Mutterleibe  in  seiner  Lage  beein- 
flusst  werden  könne  und  müsse. 

Ob  gewisse  eigenthümliche  Methoden  der  Leichen})estattung 
ihre  Ursache,  wie  manche  glauben,  in  der  Auifassuiig  haben,  dass 
der  Verstorbene  der  Mutter  Erde  zurückzugeben  sei  in  derselben 
Stellung,  die  er  im  Leibe  seiner  Mutter  eingenommen  habe,  da.s 
will  dem  Herausgeber  nicht  recht  einleuchten.  Man  hat  die  Bei- 
setzung der  Leichen  bei  den  Basuthos  imd  den  Peruanern  in 
dieser  Weise  zu  deuten  versucht,  und  man  müsste  dann  natürlich 
auch  daraus  den  Schluss  ziehen,  dass  diese  Völker  bereits  eine 
deutliche  Vorstellung  von  der  Lage  der  Frucht  in  der  Gebärmutter 
besässen. 


89.  Die  Schwangerschaft  ausserlmlb  der  Uehärmutter. 

Bei  einzelnen  Völkern  finden  wir  mehr  oder  weniger  deutliche 
Spuren  davon,  dass  ihnen  das  Vorkonunen  einer  Schwangerschaft 
ausserhalb  der  Gebärmutter  bekannt  ist. 

Der  altindische  Arzt  Susruta  scheint  an  einer  Stelle  des 
Ayurvedas  auf  eine  solche  Schwangerschaft,  wenn  auch  nur  un- 
deutlich, hinzuweisen :  „Das  vom  Vayu  beunridiigte  und  zum  Leben 
gekommene  Sanienblut  bläht  den  Leib  auf.  Dieses  wird  dann  bis- 
weilen durch  seineu  eigeneu  Gang  iu  Ruhe  gebracht  und  auf  dem 
Wege  der  Speisen  fortgeschafft;  bisweilen  aber  stirbt  es  ab  und 
man  nennt  es  dann  Nagodara  (Brusthamisch).  In  diesem  Falle 
verfährt  man  wie  beim  todten  Fötus."  Vullers  glaubt  in  dieser 
von  ilmi  übersetzten  Stelle  des  Ayurvedas  zwei  Ausgange  der  Ex- 
trauterinschwangerschift  vor  sich  zu  haben:  die  Auflösung  der 
Frucht  und  deren  stückweise  Entleerung  nach  Aussen  oder  in  den 
Mastdarm  oder  in  die  Blase ;  und  zweitens  die  Verwandlung  des 
Fötus  in  eine  fette,  wacbsähnliche,  von  einer  knöchernen  Rinde  um- 
kleidete Masse  (Steinkind,  Lithopädion). 

Die  Legende  der  Buddhisten  sagt,  dass  der  Knabe  Buddha 
durch  die  rechte  Seite  oder  Achselhöhle  seiner  Mutter  geboren  wor- 
den sei.    {Kocpjjcn.) 

Die  Rabbiner  des  Talmud  nannten  „Jotze  Dot'an"  ein 
Kind,  welches  aus  der  Bauchseite  der  Mutter  heraustritt.  Ein  Jotze 
Dofan  kann  nach  ihrer  Ansicht  lebend  geboren  werden ;  sie  behaup- 
teten, dass  sowohl  das  Kind  als  auch  die  Mutter  in  solchem  Falle 
mit  dem  Leben  davon  kämen.  (Israel.)  Sie  nannten  aber  auch 
Jotze  Dofan  ein  durch  den  Schnitt  (Laparotomie  oder  Gastrohystero- 
tomie?)  aus  dem  Leibe  der  Mutter  geschnittenes  Kind, 

Bei  Soranus  findet  sich  ein  Kapitel,  in  welchem  vielleicht  vou 
einer  Extrauterinschwangerschaft  die  Rede  ist:  Wie  erkeimt  man 
die,  welche  am  Magon  empfangen  haben  (Bauch-schwangerschaftV), 
ob  sie  nach  Art  der  Pica  oder  nach  dem  vorliegenden  Zustande 
leiden?  (näg  dutXQlvofny  aTOfiaxLx^v  avveilijqtvtav  etc.)  Doch  i;»t 
das  Kapitel  so  corrumpirt,  dass  ein  bestimmter  Sinn  nicht  heraus- 
zufinden ist.    {Ennerhis.) 

Der  altarabische  Arzt  AhitUuiseni,  ttihrt  in  einem  Kapit«! 
„de  extractione  foetus  mortui"   die  Beobachtung  einer  E>  'i' 

Bchwangerschaft  auf,    wo  er  durch  einen   in   der  Nabelg',.  '-t 

Matter  sich  öfi'nenden  Abscess  Knochen  des  Fötus  entfernte. 


XIX.  Unzeitige  Geburten. 

90.  Die  Arten  der  nnzeltlgen  Gebnrten. 

Bekanntermaassen  führt  nicht  jeder  in  normaler  Weise  ausge- 
führte Coitus  zu  einer  Empfängniss,  aber  ebensowenig  führt  jegliche 
Empfangniss  und  Schwängening  nun  auch  zu  einer  normalen  Geburt. 
Wie  die  Früchte  an  dem  Baume  nicht  alle  ihre  vollständige  Reife 
erreichen,  sondern  ein  Theil  derselben  bereits  vorzeitig  abzufallen 
pfl^t,  so  kommt  es  auch  verhältnissmässig'  nicht  selten  vor,  dass 
die  menschliche  Frucht  bereits  vor  abgelaufener  Reifiingszeit  aus 
dem  Mutterleibe  ausgestossen  wird. 

Tritt  dieses  Ausstossen  der  unreifen  Frucht  in  einem  Stadium 
ein,  wo  dieselbe  unter  ganz  besonders  günstigen  Verhältnissen  noch 
am  Leben  erhalten  werden  kann,  so  spricht  man  von  einer  Früh- 
geburt. Eine  Fehlgeburt  (Abortus)  dagegen  nennt  man  das  zu 
Tage  Treten  des  Kindes  zu  einer  Zeit,  in  der  es  ausserhalb  des 
Matterleibes  ein  selbständiges  Leben  fortzuführen  noch  ausser 
Stande  ist. 

Nicht  allein  äusserliche  Umstände  sind  es,  welche  die  Fehl- 
geburten und  Frühgeburten  veranlassen,  sondern  auch  solche,  die 
im  Organismus  nicht  nur  der  Mutter,  sondern  gar  nicht  selten  auch 
des  Vaters  begründet  sind.  Aber  beide  Arten  der  vorzeitigen  Geburt 
werden  auch  absichtlich  hervorgerufen  theils  aus  verbrecherischer 
Absicht  von  den  Müttern  selber,  theils,  um  das  Leben  der  letzteren 
zu  erhalten,  durch  die  ärztliche  Kunst. 


A.  Die  zufällige  Fehlgeburt. 

91.  Der  natürliche  Abortus,  seine  Ursachen  und  seine 
Verbreitung. 

Wenn  wir  ims  unter  den  Völkern  des  Erdballs  mnsehen ,  so 
finden  wir  bei  nicht  wenigen  derselben  die  natürlichen  Fehlgeburten 
mit  einer  grossen  Häufigkeit  auftreten,  und  gewiss  haben  wir  sehr 


528  XIX.  Unzeitige  Geburten. 

oft  in  diesem  Umstände  den  Gnmd  zu  suchen,  warum  bei  manchen 
Stämmen  eine  so  geringe  Zahl  neugeborener  Kinder  beobachtet  wird. 
Die  Ursachen  dieser  häufigen  Fehlgeburten  geben  in  sehr  vielen 
Fällen  unverständige  Lebens  gewohnheiten  ab.  Aber  den  Völkern 
fehlt  zumeist  die  Einsicht  in  die  Gefahr.  Bisweilen  sucht  man  im 
volksthümlichen  Glauben  auch  wohl  die  Ursache  des  häufigen  Vor- 
kommens von  Abortus  in  ganz  falschen  Dingen.  Auf  solchem  Irr- 
wege scheinen  sich  schon  die  Hebräer  einst  befunden  zu  haben. 
Das  Alte  Testament  bietet  uns  das  Beispiel  einer  Entgiftung  der 
Quellen  durch  Salz  in  der  Erzählung  von  dem  Wunder  des  Elisa, 
welcher  eine  Quelle,  deren  Wasser  Abortus  hervorbrachte,  durch 
Hineinschütten  von  Salz  zu  einem  gesunden  machte  (2.  Könige  2,  19  ff.). 
Die  Quelle  in  der  Nähe  von  Jericho  wird  noch  gezeigt  und  soll 
salzig  schmeckendes  Wasser  haben.  {Paulus.)  Allein  es  liegt  doch 
nahe,  anzunehmen,  dass  nicht  der  Genuss  dieses  Wassers,  sondern 
vielleicht  das  Tragen  der  dort  schwer  gefüllten  Wassergefösse  die 
häufigen  Fehlgeburten  veranlasst  habe. 

So  trägt  auch  ganz  gewiss  bei  vielen  Naturvölkern  die  Ueber- 
lastung  der  Weiber  einen  grossen  Theil  der  Schuld  an  dem  Abortus. 

An  der  auffallenden  Unfruchtbarkeit  auf  Neuseeland  ist  nicht 
bloss  der  dort  herrschende  Kindermord  schuld,  sondern  wahrscheinlich 
auch  die  auf  die  Frauen  einwirkende  Mühseligkeit  ihres  beständigen 
Wanderlebens,  ihre  schwere  Arbeit  und  der  Mangel  an  Nahrung. 
Während  nach  Muret  in  Europa  durchschnittlich  von  487  nur 
20  Frauen  (1:24,25^  unfruchtbar  sind,  stellte  sich  bei  den  Maori- 
Frauen  das  Verhältniss  wie  155  :  444  oder  wie  1 :  2,86.  ( WfiUers- 
dorf-  ürbair.)  Nach  Tuke  scheint  die  hauptsächlichste  Ursache  tarn 
häufigen  Abortiren  der  Maori- Weiber  die  harte  Arbeit  derselben, 
das  Tragen  schwerer  Lasten  und  die  brutale  Behandlung  von  Seiteu 
der  Ehemänner  zu  sein.  Allein  auch  hier  suchen  die  Leute  die 
Ursache  in  etwas  Anderem :  Die  Maori  selbst  meinen,  die  Ursache 
der  Unfruchtbarkeit  ihrer  Weiber  liege  in  dem  gewohnheitsmassigen 
Genüsse  eines  gegohrenen  Getränkes  aus  Mais. 

In  Neuholland  sind  (wie  Gerland  sagt)  unter  den  Eingebo- 
renen bei  der  schlechten  Behandlung  der  Weiber  FehJ- 
geburten  häufiger,  als  bei  uns. 

Aber  eine  gewisse  körperliche  Prädisposition  dieser  Völker  Br 
Fehlgeburten  muss  doch  ausserdem  noch  vorausgesetzt""       "        " 
von  anderen  Naturvölkern  wissen  wir,    dass  sie  trotz 
grosser   Anstrengungen    und    schlechter   Behandlung 
Schwangerschaft  dennoch  höchst  selten  zu  abortiren  pflegen.1 

Bekanntlich  werden   die   Indianerweiber  Nordameri] 
Allgemeinen  von  ihren  Männern  mit  Arbeit  tiberlastet,  und  vielll 
abortiren    sie    häufig.     Allein  trotzdem    behauptet   Bttscft,    dass» 
den  Indianerfrauen  Fehlgeburten  überhaupt  sehr  seiteu,  und  ciu. 
auch    ihre   Ehen    selten    unfruchtbar  sind.     Und  James    fand    das 
Gleiche. 


91.  Der  natfirliche  Aborina,  seine  Ursaclien  and  seine  Verbreitung.   529 

Nach  dem  mir  von  Polak  gegebenen  Bericht  ist  in  Persien, 
170  derselbe  Jahre  lang  als  Leibarzt  des  Schahs  sich  aufhielt,  der 
uat&rliche  Abortus  ziemlich  selten,  trotzdem  die  Frauen  während  der 
canzen  Schwangerschaft  nach  Art  der  Männer  auf  den  Pferden  reiten. 
Ist  aber  einmal  Abortus  entstanden,  so  hat  Polak  auch  dort  bemerkt, 
dass  er  sich  in  der  nächsten  Schwangerschaft  wiederholt  (er  sah 
z.  B.  eine  Frau,  die  12  mal  hintereinander  abortirt  hatte).  In  ähn- 
licher Weise  äussert  sich  Häntzsche  über  die  persische  Provinz 
Oilan  asEQ.  kaspischen  Meere. 

Eine  fernere  Ursache  für  die  Hervorrufung  von  Fehlgeburten 
müssen  wir  in  gewissen  manuellen  Bebandlungsmethoden  suchen, 
welchen  man  bei  manchen  Volksstämmen  die  schwangeren  Frauen 
unterzieht.  Wir  werden  dieselben  später  noch  genauer  kennen 
lernen.  So  sind  z.  B.  Fehlgeburten  und  Frühgeburten  bei  den 
Mexikanerinnen  häufig,  als  deren  Grund  v.  Uslar  in  Oajaca 
(Mexiko)  die  Unsitte  der  Weiber  anführt,  dass  sie  sich  im  siebenten 
Monate  durch  eine  Hebamme  am  Unterleibe  kneten  lassen,  um 
«ine  günstige  Lage  des  Kindes  zu  erzielen. 

Auch  in  Java  sind  die  Ehen,  von  denen  viele  sogenannte 
„wilde",  d.  h.  illegitime  Concubinat-Ehen  sind,  nach  dem  Be- 
richt Kögd's  unfruchtbar,  weil  viele  javanische  Frauen  unzeitige 
Leibesfrüchte  gebären.  Es  ist  dabei  keine  absichtliche  Abtreibung 
im  Spiele,  sondern  das  auf  Java  übliche  Pidjet  trägt  die  Schuld, 
d.  h.  die  Methode,  den  Kopf  und  Leib  der  Schwangeren  zu  drücken 
imd  sie  an  den  Haaren  und  den  Gliedmaassen  zu  ziehen.  Einen 
ferneren  Grund  aber  müssen  wir  darin  suchen,  dass  die  Schwangeren 
wegen  der  kleinen  Leiden  und  Unbequemlichkeiten,  welche  mit  der 
Gravidität  verbunden  sind,  von  den  alten  Matronen  allerhand  Medi- 
anen erhalten,  die  sie  zwar  nicht  von  ihrer  vermeintlichen  Krank- 
heit befreien,  aber  die  Frucht  zu  Schaden  bringen. 

Die   Unsitte    zu    heisser  Bader  müssen   wir   nach  Ferrin   in 
Tunis  und   nach  Damian  Georg   in   der  Türkei   als   den  Gnind 
des  häufig  auftretenden  Abortus   bezeichnen.     Es  kommt  aber  hier 
noch  der  Missbrauch  unregelmässiger  Diät,  das  Fahren  auf  schlechten 
Wegen,  das  Trocknen  der  Wäsche  auf  der  Terrasse  der  Häuser  und 
das  mehrere  Stunden    lang   dauernde  Bereiten   des  Confects   hinzu. 
Auch  sollen  nach  anderer  Angabe   die  Türkinnen   sehr   häufig  in 
Folge  des  rohen  geburtshülflichen  Verfahrens  an  gewissen  Frauen- 
krankheiten  leiden,    welche   wiederholte  Schwangerschaft   oder   das 
Austragen  gesunder  Kinder  nicht  zulassen. 
i      ^      Auch  in  der  Einwirkung  eines  ungewohnten  Klimas  haben  wir 
■jL'eüie  Gelegenheitsursache   zu  erblicken,    doch  ist  hierbei  wohl    der 
Hjp*gentliche  Grund  weniger   die   hohe  Temperatur,    als  vielmehr  die 
^^  solchen  Ländern  gewöhnlich  nicht  fehlende  Malaria.     Acclimati- 
»  sind  dann  minder  gefährdet,  als  Einwandernde.     Bei  den  Ein- 
^  •Jrenen  in  Cayenne'und  Guiana  ist  Abortus  selten;  dagegen 
/^Imt  derselbe  bei  Europäerinnen,  die  entweder  schwanger  dort- 

I     Y***;  Dm  Weib.  I.    a.  Aufl.  34 


/ 


530  *  ^^  ünzeitige  Gebarten. 

hin  kommeiL,  oder  alsbald  nach  ihrer  Ankunft  schwanger  werden, 
ehe  sie  das  klimatische  Fieber  überstanden  haben,  namentlidli  im 
7.  und  8.  Monat,  in  Folge  des  sich  gewöhnlich  einstellenden  Fie- 
bers häufiger  Tor.  (BajoH.)  Auch  in  den  Nilländern  treten  bei 
Europäerinnen  öfter  Fehlgeburten  auf.    (HartmcmH.) 

Ebenso  abortiren  die  in  Indien  lebenden  Enropierinnen 
nach  dem  Zeugniss  von  Johnson  und  Martin  besoiäers  in  der 
heissen  Jahreszeit  ausserordentlidi  häufig.  Auch  die  allerdings  sel- 
tenen Aborte  in  der  persischen  Provinz  Gilan  woden  toh  Häntz- 
sehe  dem  Sumpffiebö*  zugeschrieben. 

Die  Japanesinnen  glaubten,  dass  der  Genuss  von  Süsswasser- 
fischen  Fehlgeburten  herrorrufe,  ein  Abeiglauben,  weldier  Ton  dem 
japanischen  Geburtshelfer  Kangatca  mit  grosser  Entsdnedenheit 
bekämpft  wird.  Es  wäre  nicht  ganz  unmöglich,  dass  wen^stens 
ein  Thdl  der  absonderlichen  SpeiseTorschriflen,  denen  bei  TieJen 
Völkern  die  schwangeren  Frauen  unterworfen  sind,  anf  ähnUcheii 
Anschauungen  beruhe. 

Die  altindischen  Brahmanenärzte  haben  auch  eine  warnende 
Zusammenstellung  derjenigen  Dinge  gemacht,  durch  wddie  eine 
Fehlgeburt  herrorgerufen  werden  könne.  Durch  rohes  Betragen, 
schlechten  Gang,  durch  Fahroi,  Beitoi,  Wackeln,  Fallen,  Qoiien, 
Laufen,  Schlagen,  sdlüefes  lä^oi  und  Sitzen,  durch  Fastai,  starke 
Stösse,  aDzu  rauhe,  scharfe  und  bittere  Xahrungsmittd  von  Vegeta- 
bilien,  zu  viele  Aetzmittel,  sowie  durch  Drsoiterie,  Erbredien,  Ab- 
führen, Hin-  und  Herbewegen,  Unrerdaulichkeit.  Abxdmx^  des 
Fötus  u.  deigL  wird  der  ^nbrjo  von  seinen  Banden  gelöst,  so- 
wie die  Frucht  durch  verschiedene  Unfälle  von  den  Fe»eln  des 
Stieles.  Bis  zum  viertel  Monat  kann  Abortus  stattfinden,  aber  bei 
?:tarkem  Fötus  auch  bis  zum  fünften  und  sechsten. 

Ohne  Zweifel  ist  unto*  manchen  Völkon  Afrikas  eine  Feiil- 
geburt  nichts  Seltenes.  So  exfuhren  wir,  dass  bei  den  Hotten- 
totten Abortus  im  2.  und  3.  M<Hiat  häufig  ist  {S<iersar)z  in 
Old-Calabar  hingeg«i  wird  von  Aai  Negerinnen  der  «.Sdiwaa- 
gerschaitsmonat  als  ein  schlimmer  betrachtet ;  es  beisst.  dass  in  don- 
selben  häufig  Abortus  :stattfindet.  (HewoM.)  Anf  den  canariscken 
Inseln  aber  gehören  Fehlgeburten  zu  den  Seltenbeätcai.  {Maf 
Grtifor.'. 

Dage^n  ereignet  sich  zu  Jaffa  in  Palästina  ToaA  ToUer 
häufig  Abortus  und  es  wo^en  die  Hebammen  znweileD  dabei  za 
Hülfe  gerufen. 

Bei  den  Annamiten- Frauen  ist  der  Aboitos  äossen«  sehou 
auch  kommt  es  s«lir  sdten  vor.  dass  ein  Annamiten- Weä>  in 
Folge  von  SdiU^en  oder  Verktzungen  aboitirt.  denn  detjeuige, 
welcher  diese  Verlelzai^en  vennsadiie.  erhält  6i*  Banln^-HiBbe 
«md  cm  Jdkr  Kefebmiale;   ciae  MagistiniEpetwm,  wvkfe  <me  «■> 


ie  Maas8i*gelit  znr  Vcrhötting  von  Fehlgeburt«».  531 

baudcin  lässt,  erhält  nach  annamitischem  Gesetz  24  Schläge  und 
3  Jahre  Ketteustrafe.  Solche  Strafe  bei  Abortus  durch  Misshand- 
lung gilt  nur  dann,  wenn  der  dritte  Schwangerschaftsmonat  über- 
schritten ist;  in  den  ersten  3  Monaten  gilt  die  Misshandlung  nur 
als  einfache  Verletzung. 

Die  Cambodja- Weiber  aber  scheinen  Fehlgeburten  ziemlich 
häufig  zu  erdulden. 

In  China  acheint  Abortus  häufig  zu  sein  und  das  chinesi- 
sche Lehrbuch  über  Geburtshülfe  ,Pao-tsan-ta,  seiig-Pieu*  giebt 
sich  viel  Mühe,  Maassregeln  zur  Vorbeugung  desselben  anzugeben. 
Allein  die  den  unteren  Klassen  angehörenden  chinesischen  Frauen, 
welche  ^^el  mehr  als  die  unserigen  sich  gewissen  Mühseligkeiten, 
z.  B.  dem  SchÜi'erdienste  und  Rudern,  widmen  müssen,  abortireu 
merkwürdiger  Weise  durchaus  nicht  so  häufig,  als  man  vermuthen 
sollte;  Uebung  und  Abhärtung  thun  hier  viel.  Bei  den  reichen  Chi- 
nesinnen di-sponirt  vielmehr  die  Lebensweise  zum  Abortus.  Die 
Verunstaltung  ihrer  Füsse  zwingt  sie  zur  sitzenden  Lebensweise  und 
zur  Verweichlichung. 

Unter  den  Europäerinnen  hat  man  namentlich  von  den 
Französinnen  angenommen,  dass  sie  in  hervorragender  Weise  zu 
Fehlgeburten  geneigt  sind.  Auch  hier  wollte  man  den  Gnind  in 
dem  reichlichen  Gebrauche  warmer  Bäder  suchen,  jedoch  .sollen 
auch  gerade  bei  ihnen  AnomaUen  an  den  Genitalorganen  nicht  selten 
sein.  Die  Esthinnen  kennen  nach  Holsf.  (Dorpat)  Abort  und  Früh- 
geburten fast  gar  nicht,  obgleich  sie  während  der  Schwangerschaft 
■ich  keinerlei  Schonung  auferlegen. 

Die  niederen  Volksschichten  in  Deutschland  pflegen  von 
einer  Fehlgeburt  nicht  viel  Wesens  zu  machen.  Sie  sprechen  nur 
davon,  dass  es  einer  Frau  , unrichtig  geht"*.»  dass  sie  „umgekippt" 
oder,  wie  es  im  Siebenbürger  Sachsenlaude  heisst,  dass  sie 
.verzettelt"  oder  , verschüttet*  hat. 


»2.  Die  Maassregeln  zur  Verhütung  von  Fehlgeburten. 

Gewiss  ist,  wie  wir  .schon  oben  andeuteten,  ein  Tlieil  von  alle 
den  verwickelten  Vorschriften,  denen  die  schwangeren  Frauen  nach- 
leben sollen,  aus  dem  Gedanken  hervorgegangen,  das  Eintreten  von 
Fehlgeburten  zu  verhüten,  und  gewiss  muss  wenigstens  theilweise 
auch  das  Verbot,  mit  der  .schwangeren  Frau  den  Beischlaf  auszu- 
üben, liierher  gerecbnet  werden.  Aber  wir  begegnen  auch  bisweilen 
ganz  directen  Angaben  über  die  Sache.  So  muss  sich  die  Frau  in 
Old-Calabar  gauz  besonders  vor  dem  bösen  Blicke  zu  schützen 
«nchen:  denn  dieser  ist  es,  der  ilir  den  Abortus  zuzuziehen  vermag. 
Auch  anderem  Zauber  und  dem  Lärmen  und  den  Aufregungen  des 
Dorfes  iuu.hs  sio  sich  bei  vorgerückterer  Schwangerschaft  entziehen, 

34« 


532  XIX.  Unzeitige  Gebrnten. 

um  nicht  einer  Fehlgeburt  zu  xerbSkn,  und  deshalb  pflegt  sie  ihre 
Wohnnng  in  einer  stiUen  Farm  aa&ascUagen. 

Unter  den  alten  Bömern  herrschte  die  Sitte,  dass  die  Schwan- 
geren der  Juno  zur  Verh&tong  des  Abortus  im  Hain  am  Esqui- 
finischen  Hfigel  Blumen  opferten,  wobei  sie  keine  Knoten  in 
Gewändern  und  in  den  £[aar«i  haben  durften.  Es  ging  in  Born 
die  Sage,  dass,  als  einst  der  Abortus  häufig  vorkam,  die  Franen 
die  Juno  in  diesem  Haine  um  Offenbarung  eines  Yerfafitm^s- 
mittels  baten.  Die  Gottin  rief:  „Der  Bock  mnss  die  italischen 
Matronen  bespringen!"  Das  erinnert  an  den  oben  erwähnten  hei- 
ligen Bock  zu  M ende 8,  der  die  Fruchtbarkeit  schaffen  sollte. 

Wir  mßssen  selbstverständlich  zu  diesen  Verhütungsmaassr^dn 
auch  fast  alle  die  religiösen  Ceremonien  rechnen,  wdche  mit  den 
schwangeren  Franen  vorgenommen  werden.  Denn  ihr  ethischer 
Sinn  ist  ja  doch  im  Wesentlichen  nur  das  Erflehen  einer  ungestörten 
und  gesunden  Schwangerschaft  und  einer  leichten  und  gl&cklichen 
Geburt.  Zur  Unterst&tznng  dieser  Gebete  pflegen  noch  bisweilen 
gewisse  Amulette  in  Gebrauch  und  Ansehen  zu  stehen. 

Ein  solches  Schutzmittel  vor  Abortus  kommt  schon  im  Talmud 
(Tr.  Sabbaih  66)  vor,  der  Aetites,  Adlerstein  oder  Klapperstein. 
welcher  von  der  Schwangeren  getragen  wurde.  Auch  limius  er- 
wähnt die  Eigenschaft  dieses  Steines  als  Präservativ  gegen  FrQh- 
geburt 

Die  Hippokratiker  liessen  zur  Verhütung  des  Abortus  viel 
Knoblauch,  den  Stempel  von  Silphium  (Thapeia  Silphium  Viv.?) 
und  Alles,  was  bläht,  gemessen,  denn  der  Saft  von  Si^himn  galt 
als  blähuDgerzeugend,  und  dieses  war  ihrer  Meinung  nach  f&r  die 
Schwangerschaft  gQnstig. 


93.  Die  Anzeiehen  des  beginnenden  Abortes. 

In  der  Frühzeit  der  Heilkunde  brach  sich  nur  allmählich  eine 
genauere  Kenntniss  über  die  Fehlgeburten  Bahn.  Als  Zeichen  eines 
eintretenden  Abortus  führt  Uippokrates  das  Weichwerden  oder 
Collabiren  der  Brüste  an.  Den  Einfluss  der  Witterung  auf  den  häu- 
figen Abortus  kannte  er  sehr  genau. 

Nach  Diokles  treten  Horripilationen  und  Schwere  der  Glie- 
der ein. 

Genauer  ist  Soranus  aus  Ephesus  in  der  Semiotik  des  Abortus: 
Nach  ihm  fliesst  zuerst  wässrige  Flüssigkeit  aus  den  Geschlechtstheilen, 
dann  Blut,  welches  dem  Fleischwasser  ähnlich  ist;  ist  der  Embryo 
gelöst,  so  fliesst  reines  Blut  ab,  welches  in  der  Höhle  des  ütorus 
angehäuft,  coagulirt  und  dann  excemirt  wird.  Bei  Frauen,  welche 
Abortiva  genommen,  besteht  Schwere  und  Schmerz  in  der  Kreuzgegend, 
im  Unterleibe,  in  den  Weichen,  an  den  Augen,  den  Gliedern,  Magen- 


98.  Die  Anzeichen  dea  liegiiineiiden  Abortns. 


533 


b«vschwerden,  Kälte  der  Glieder,  Schweiss,  Ohnmacht,  Opisthotonus, 
Epilepsie,  Schluchzen,  Krampf  und  Schlaflossigkeit.  (Pinoff.)  Nach 
Alomchion  sind  die  Zeichen  eines  eintretenden  Abortus:  Anschwellen 
der  Brüste  ohne  bekannte  Veranlassimg,  ein  Gefühl  von  Kälte  und 
Schwere  in  der  Nierengegend,  ein  Ausfli essen  von  verschiedenartiger 
Flüssigkeit  aus  der  Scheide;  dann  endlich  erscheint  die  abgehende 
Frucht  unter  verschiedenartigen  Horripilatiooen,  Nach  Rippohafes, 
sagt  Soranus^  erdulden  die  Frauen,  welche  einen  mittehnässigen 
Korper  haben,  einen  zwei-  oder  dreimonatlichen  Abortus ;  denn  ihre 
Cotyledonen  seien  von  Schleim  zu  sehr  ertlillt,  wodurch  der  Fotua 
nicht  in  ihnen  festgehalten,  sondern  von  ihnen  getrennt  wird.  Es 
werden  daher  Mittel  emptblilen,  welche  den  Schleim  lösen,  nament- 
lich Pessi  aus  Coloquintheu  bereitet,  wärmende  und  trocknende 
Nahrung,  Frictionen  u.  s.  w.  Es  sind  dies  offenbar  Mittel,  um  den 
Abortus  zu  beschleunigen. 

Die  talmudischen  Aerzte  waren  hinsichtlich  der  Fragen,  ob 
sich  der  Ütenis  beim  Abortus  ohne  Blutverlust  öffnen  könne  oder 
nicht,  und  ob  jedesmal  der  Abortus  von  Schmerzen  begleitet  ist, 
nicht  einer  Meinung.  Sie  glaubten,  wie  Hippokrates,  das»  der  Süd- 
wind giossen  Einfluss  auf  die  Entstehung  des  Abortus  habe.  Der  Rab- 
biner JehosfJtuah  sagt  im  babylonischen  Tahnnd :  „EHe  meisten 
Frauen  gebären  regelmässig,  die  wenigsten  erleiden  einen  Abortus, 
imd  wenn  dies  der  Fall,  so  sind  es  Kinder  weiblichen  Geschlechts/* 
Letzterer  Satz  ist  falsch,  da  wir  wissen,  dass  unter  den  Abortiv- 
Kindem  das  männliche  Geschlecht  noch  weit  mehr  überwiegt,  als 
imter  den  ausgetragenen  Neugeborenen.  Die  Abortivform  der  Alten, 
welche  die  Talmudisten  als  Samenfluss  aus  dem  Uterus  (^XP' o^**? 
de»  Aristotelea)  erwähnen,  wird  von  ihnen  als  eine  Comiption  des 
männlichen  Samens  angesehen,  welchen  der  Uterus  drei  Tage  nach 
dem  Coitus  wieder  ausstösst.  Sie  nehmen  auch  einen  Abortus  secun- 
dinarum  an.  Vorschriften  zur  Behandlung  des  Abortus  filhren  die 
Rabbiner  ausser  einem  Amulet  nicht  an. 

Nach  Ansicht  der  chinesischen  Aerzte  droht  bei  einer 
Schwangeren  der  Abortus,  wenn  die  Frau  in  den  ersten  Monaten 
zittemd  ist. 

Die  altindischen  Aerzte  stellen  als  Anzeichen  einer  be- 
ginnenden Fehlgeburt  Schmerzen  im  Rücken  und  in  den  Seiten, 
Blutung,  Harnretention ,  Hin-  und  Herlaufen  der  Schwangeren, 
reissende  Schruerzen  im  Uterus  und  in  den  Unterleibseingeweiden  hin. 

Sobald  diese  Symptome  sich  bemerkbar  machten,  ao  verordneten  sie 
OUge  und  kühlende  Mittel.  Gegen  die  8chmcr7.en  liesflen  xie  Wri^hlia  anti- 
djaent^rica,  Phuseolus  trilobus,  l>h'cyrrhi7.a  ^labra,  Flacurtia  ciitaphrACta 
und  F.  »apida  im  (relrtlnk  mit  Zucker  und  Ilonig  nehmen ^  gegen  Unter- 
dritckung  de«  LTrina:  (retnUik  mit  Aaa  foetida,  .Saurbbala,  Allium  sativum  und 
Aconu  ciilamu3  bereitet.  Bei  heftiger  Blutung:  Pulver  von  CostuN  arabicus, 
Andfopogon  serrnttmi,  Dom^Rticu  terra,  MimoHa  pudica,  BlUthen  von  Orislea 
}iia,    Janminum    arborescons  u.  s.   w. ;    bei  Schmerzen    o^  '  ujg 

'•IC  MUch  mit  Glycj-rrhJza  glabra,  Pinus  Devadam  und  A^^i 


XIX.  Unzeid^^ieDwE 

auch  Milch  mit  Oxalis.  Asparagus  racemosus  und  Asclepias  roseAf  sowie  Ter- 
schiedene  ähnliche  Zueaiuinenhietzungeu.  War  die  Frucht  abgegangene  «o 
gaben  die  »ltiiidi8che|n  Aerzte  eine  S^ieise  aus  Kuhmilch  mit  Ficus  earica 
und  SälÄtü;  war  aber  der  Embryo  abgestorben,  eine  Ptisune  von  Paspalua 
framentaueus. 

Von  den  Vorstellungen,  die  noch  jetzt  hie  und  da  herrschen, 
führen  wir  nur  folgende  an: 

In  manc-heu  Gegenden  Deuts chIandi^,  namentlich  im  Fran- 
kenwalde {Flügel) ,  ist  bei  drohender  Frühgeburt  ganz  besonders 
die  Furcht  vor  dem  9.  Tage  gross,  weil  da,  wie  man  glaubt,  die 
Gefahr  leicht  wiederkehrt. 

In  Galizien  suchen  die  Hebammen  durch  Schmieren  des  Unter- 
leibes und  warme  Kataplasmen  so  lange  zu  helfen,  bis  entweder  der 
Tod  oder  die  Ejaculation  de*  Inhaltes  die  Gebürmutterblutung  zum 
Stillstände  bringt. 


B.   Die  absichtliche  Fehlgeburt. 

M.  Die  Fmchtabtreihiing. 

Eine  Betrachtung  der  mit  Ab.sicht  li ervorgerufenen  Fehlgeht 
bietet  von  verschiedenen  Gesichtspunkten  aus  ein  beträchtUche« 
Interesse  dar  und  zwar  in  erster  Linie  ein  eulturgeschichtliches,  ein 
staatliches  oder  rechtliches  und  ein  medicinisches. 

Durch  einen  eingehenden  Blick  theils  auf  ethnographische  Er- 
scheinungen, theils  auf  die  Geschichte  der  socialen  und  moriLÜi>cheu 
Verhältnisse  in  den  Culturstaaten  erkennen  wir,  wie  sich  unter  den 
verschiedensten  Verhältnissen  die  Anschauungen  über  die  Kindes- 
abtreibuug  gestalteten,  und  wie  mit  der  Läuterung  der  Sitten,  zu- 
gleich mit  den  platzgreifenden  Ansichten  über  das  Leben  und  das 
Recht  der  Frucht,  sich  allmählich  eine  Beschränkung  der  Frucht- 
abtreibung durch  die  Gesetze  entwickelte.  Wir  werden  finden,  dass 
noch  heute  unter  den  in  primitiven,  ebenso  wie  in  halbcivilisirten 
Zuständen  lebenden  Völkern  der  Brauch  des  könsthchen  Abortus 
in  grösster  Verbreitung  besteht;  demnach  müssen  wir  sthliessen, 
dasa  die  Fruchtabtreibung  keineswegs  erst  ein  Ergebniss  degenerirter 
socialer  Verhältnisse  ist.  Sie  wird  allerdings,  wie  beispielsweise  im 
Orient,  durch  gewisse,  das  sociale  Leben  beherrschende  Missstande 
aufrecht  erhalten.  Doch  haben  ohne  Zweifel  recht  zahlreiche,  auf 
der  niedrigsten  Culturstufe  stehende  Völkerschaften  sie  mit  der 
grossten  Unbefangenheit  von  jeher  ausgiebig  geübt  und  thun 
das  auch  heute  noch  lediglich  aus  dem  Gnmde,  um  den  Kinder- 
segen zu  beschränken.  Vom  ethischen  Standpunkte  bourtheilcn  wir 
diese  Erscheinung  als  ein  Ergebniss  des  leidigen  Kampfes  ums  Da- 
sein; allein  es  ist  auch  eine  schlimme  Thatsache,  dass  der  so  aus- 
gedelmt  vorkommende  Abortus    zum  allmählichen  Untergang  vieler 


tmtt         V  ^    T-~— ri    '..'^    i~      ■^■-■r-^rrzi. 


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öiixn.    t»^    —*--':;•    -r   .a:-i::."::"-^i      -.ir:   i^-~   — — _• - 


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XIX.  Unzorage 


Die  Bedinguiigeu  itir  die  Sitte  der  Abtreibung  mögen  im  All- 
gemeinen dieselben  sein,  wie  die,  welche  den  Kindermord  veran- 
lassen. Allein  bei  der  Abtreibung  tallt  auch  noch  die  schwache 
Schranke  hinweg,  welche  wohl  manchmal  die  Mutter  abhält,  das 
Eigenerzeugte  zu  vertilgen,  die  Liebe  zu  dem  ebengeborenen 
lebenden  Wesen  imd  die  Furcht  vor  der  Schuld,  ein  Leben  zu 
vernichten. 

Unter  den  Naturvölkern  stehen  in  der Civilisation  die  Oceanier 
und  Australier  wohl  am  tiefsten.  In  Australien  will  man  bemerkt 
haben,  das»  ,  wegen  der  Schwierigkeit,  womit  die  Auferziehung  der 
Kinder  verbunden  ist",  die  eingeborenen  Mütter  oftmals  Fehlgeburten 
herbeiführen.  {Klemm,  Oherlaetider.)  In  Neu-Süd-Wales  un- 
weit Sydney  sterben  die  Eingeborenen  wegen  der  hier  gebräuch- 
lichen Abtreibung  der  Leibesfrucht  mehr  und  mehr  aus,  wie 
V.  Schrzer  berichtet;  die  Spi-ache  der  Eingeborenen  hat  für  das 
Abtreiben  einen  eigenen  Kunstausdruck:  Mibra. 

Auf  Neuseeland  war  bis  vor  einiger  Zeit  das  Abtreiben  der 
Frucht  nicht  minder  gebräuchlich,  als  der  Kindermord.  Tuke  be- 
richtet, dass  die  Maori-Frauen  auf  Neuseeland  häufig  abor* 
tiren;  bei  manchen  derselben  soll  dies,  wie  er  sagt,  2  oder  3  mal, 
ja  sogar  10  bis  12  mal  geschehen  sein.  Er  weiss  zwar  nicht 
genau,  ob  der  Abortus  künstlich  hervorgerufen  wird  oder  zufällig 
ist,  doch  glaubt  er  annehmen  zu  müssen,  dass  häutig  das  Erstere 
der  Fall  ist.  Domeny  de  Btensi  schildert  in  seinem  Werke  Übet 
Oceanien  die  Entbehrungen  und  Qualen,  welche  den  eingeborenen 
Frauen  bei  Schwangerschaft  und  Geburt  von  den  Ihrigen  auferlegt 
werden,  und  fragt:  Darf  man  sich  wundem,  dass  manche  dieser 
Frauen  dem  Glücke  entsagen,  Mutter  zu  werden,  und  durch  ge- 
waltsame Mittel  den  Folgen  ihrer  Fruchtbarkeit  vorbeugen?  Uuter 
den  Eingeborenen  Neucaledoniens  haldigen  nach  dem  Bericht  des 
französischen  Schiffsarztes  Rochns  nicht  etwa  blosg  unverheirathete 
Dirnen  dem  Gebrauche  des  Abtreibens,  sondern  auch  Frauen,  um 
der  Mühe  des  Säugens  zu  entgehen,  und  um  gewisse  Körperreize 
länger  zu  bewahren. 

Das.s  die  Rücksicht  auf  die  Erhaltung  der  jugendlichen  Schön- 
heit wie  im  alten  Rom  so  auch  den  Frauen  der  Natxirvölker  aU 
Motiv  zur  Abtreibung  keineswegs  fremd  ist,  wird  uns  mehrfach 
berichtet ,  nicht  blo.s3  von  den  soeben  genannten  ganz  rohen  Be- 
wohnerinnen Neucaledoniens,  welche  darnach  streben,  ihre  Brüste 
möglichst  lange  straff  zu  erhalten,  sondern  auch  von  SamoAt 
Tahiti,  Hawai  und  in  alter  Zeit  von  den  Dariern. 

Bei  den  Doresen,  einem  Papua-Stamme  auf  Neu-Guinea, 
ist  die  Frau  das  Lastthier  des  Mannes ;  um  nicht  mit  grossen  mütter- 
lichen Sorgen  beschwert  zu  werden,  betrachten  die  Frauen  zwri 
Kinder  für  hinreichend  mul  treiben  bei  jeder  folgenden  Schw; 
schaft  die  Frucht  ab.  Daher  erklärt  sich  die  geringe  Zunahui»  u. . 
Bevölkerung. 


>5,  Die  Verbrdtnng  der  Prachtabtreibnng  unter  den  jetzigen  Völlcern.    537 


Auf  den  Gesellschafts-Inseln  trat  nach  Bemet  die  Frucht- 
reibuDg  an  die  Stelle  des   früher  gebräuchlichen  Kindermordes. 

Auf  den  Sandwichs-Inseln,  auf  denen  der  Kindermord  früher 
sehr  gebräuchlich  war,  ist  jetzt  nach  Angabe  der  Missionäre  nur 
die  Hälfte  der  Ehen  fruchtbar.  Andrew  fand  von  96  verheiratheten 
Sandwichs-Insulanerinnen  2S  in  kinderloser  Ehe,  also  den  vierten 
Theil.  Nach  Wilkes  ist  hier  der  freiwillige  Abortus  sehr  häufig. 
Auf  den  Viti-lnseln,  sagt  Wilkes,  giei3t  es  sehr  viele  Heb- 
ammen, die  meistens  auch  mit  dem  Creschäfte  der  hier  sehr  häufig 
exercirten  Fruchtabtreibung  sich  befassen.  Auf  Samoa  ist  der 
Kindermord  etwas  ganz  Unerhörtes,  Abtreibung  der  Frucht  dagegen, 
und  zwar  mit  Anwendung  mechanischer  Mittel,  theils  aus  Scham, 
theils  aus  Furcht  vor  frühem  Altern,  theils  aus  Trägheit  ausser- 
ordentlich in  Uebung.  Künstücher  Abortus  war  auf  den  Gilbert- 
Inseln  wegen  der  Unfinchtbarkeit  des  Bodens  sehr  gebräuchlich. 
Wohl  scheinen  auch  die  Ulitaos  auf  den  Marianen  diese  Sitte 
geübt  zu  haben,  obwohl  bestimmt«  Angaben  darüber  nicht  vorliegen. 

Auf  Buru  im  malayischen  Archipel  sind  Eramenagoga  viel 
gebraucht,  um  keine  Kinder  zu  bekommen,  und  ebenso  wird  der 
künstliche  Abort  allgemein  geduldet  und  an  Mädchen  und  Frauen 
vielfach  ausgeübt.  Die  hierzu  in  Anwendung  gezogenen  Geheim- 
mitiel  scheinen  dem  Körper  der  Frau  keinen  bleibenden  Nachtheil 
zu  verursachen.  Auch  auf  Ambon  und  den  Uliase- Inseln,  auf 
Babar,  Keisar  und  den  Watuhela-Inseln  werden  Abortiva  viel- 
fach benutzt.  Auf  Keisar  thun  es  die  Weiber  gegen  den  Willen 
ihrer  Männer,  um  nicht  mehr  als  höchstens  zwei  Kinder  zu  be- 
kommen. Die  Watubela-Insulanerinnen  führen  in  gleicher  Weise 
das  Zweikindersystem  durch.  Auf  Babar  greifen  schwangere  Frauen 
zur  künstlichen  FruchtÄbtreibung,  um  nicht  vom  Coitus  ausge- 
schlossen zu  sein,  der  während  der  Gravidität  auf  das  strengste  ver- 
boten ist.  Auch  die  Eetar-Insulanerinnen  bedienen  sich  der  Abor- 
tiva, jedoch  nur  ganz  im  Geheimen.  Die  Galela  und  Tobe- 
loresen  gebrauchen  sie  ebenfalls  viel.  (RicdeU) 

In  Brunei  auf  Borneo  sind  die  Kindesmorde  nur  deswegen 
KO  selten,  weil  man  ijinen  durch  Abtreibung  der  Leibesfrucht  zu- 
vorkommt, worin  die  Eingeborenen  eine  solche  Meisterschaft  haben, 
das«  sie  ihren  Zweck  ohne  Gefahrdung  des  Patienten  zu  erreichen 
wissen.  Da  die  Vornehmen  ihre  Concubinen  nach  der  ersten  oder 
zweiten  Geburt,  in  Rnhestand  zu  versetzen  pflegen,  so  schrecken 
die  gewissenlosen  Weiber  vor  keinem  Mittel  zurück,  um  sich  in 
ihrer  begünstigten  Stellung  länger  zu  behaupten.  Ferner  bleibt  die 
Hälfte  iler  adligen  Töchter  unvermälilt;  damit  sie  infolge  des  uner- 
laubten Umganges  nicht  niederkommen,  wird  bei  Zeiten  vorge- 
beugt. {Spencer  St.  John.) 

Bei  den  Hindu  beschäftigen  sich  sowohl  die  Hebammen  als 
auch  die  ßarbierfrauen  sehr  viel  mit  Fruchtabtreibungen.  (G.  Smith.) 
In  keinem    Lande   der  Welt,   sagt  Allun   Webb  in  Calcutta,  sind 


538 


Kindesinord  iind  küustlicher  Abortus  so  häufig,  als  in  Indien, 
und  wenn  es  auch  der  englischen  Regierung  gelungen  ist,  die 
Tödtung  der  Neugeborenen  zu  verhindern,  so  kann  sie  doch  nichts 
gegen  den  Miasbrauch  der  Abortusbeförderung  ausrichten,  die  schon 
so  manche  Mutter  mit  ihrem  Leben  bezahlt  hat;  ilberall  giebt  es  dort 
Leute,  die  sich  gewerbsmässig  mit  dem  Abtreiben  der  Frucht  be- 
schäftigen. 

Als  besondere  Ursache  des  häufigen  Vorkommens  von  künst« 
lichem  Abortus  bei  den  Indern  bezeichnet  Huillet  die  Sitte,  dass 
die  Mädchen  schon  im  zartesten  Alter  verheirathet  und  hierdurch 
häufig  schon  früh  zu  Wittwen  werden;  in  diesem  Wittwenstande 
ergeben  sich  viele  der  Prostitution,  um  nur  ihren  Lebensunterhalt 
zu  finden,  schreiten  dann  aber  bei  eintretender  Schwangerschaft 
zum  Abortus,  um  die  Schande  von  sich  selbst  und  von  der  Familie 
abzuwenden. 

Bei  den  Munda- Kohls  in  Chota  Nagpore  kommt  es  nach 
Missionär  JeUinghaus  vor,  dass  ärmere  Ehefrauen,  wenn  ihnen  die 
Schwangerschaften  zu  rasch  aufeinander  folgen,  zu  schlechten  alten 
Weibern  gehen  und  Abtreibungsmittel  anwenden.  Ja  sie  lassen 
sich  auch  oft  ohne  Wissen  der  Männer  die  Gebärmutter  verdrücken 
und  verschieben,  um  die  Plage  der  Schwangerschaften  los  zu  seui. 
Es  scheint,  dass  sie  diese  scheussliche  Unsitte  von  den  niederen 
Kasten  der  Hindus  gelernt  haben, 

Ueber  den  enormen  Umfang,  welchen  in  Indien  die  Abtrei- 
bung genommen  bat,  berichtet  Shortt.  Sie  wird  aus  reügiösem  Vor« 
urtheü  sowohl  unter  den  Hindus,  die  in  den  englischen  l^äsi- 
dentschaften  wohnen,  als  auch  unter  den  wilden  Stämmen  getrieben. 

Li  Kutsch,  einer  Halbinsel  nördlich  von  Bombay,  fand  Mac- 
niurdo  die  Weiber  sehr  ausschweifend  und  den  kflnsthchen  Abortus 
allgemein.  Eine  Mutter  rühmte  sich  der  fünfmaligen  Abtreibung 
ihrer  Leibesfrixcht. 

Wenn  bei  den  Kafirn  in  Mittelasien  eine  Frau  den  Abortus 
vornehmen  will  mit  oder  ohne  Vorwissen  des  Mannes,  so  ist  sie 
stratlos,  ebenso  der  Doctor,  der  den  Abortus  vollbringt.  Das  Tödteu 
der  Kinder  nach  der  Geburt  jedoch  gilt  als  ebenso  strafbar  \ne 
ein  Mord.  (Mackan.) 

In  Cochinchina  ist  die  Abtreibimg  ein  sehr  gewöhnliches 
und  dort  zu  Lande  durchaus  nicht  als  verbrecherisch  betrachtete» 
Mittel,  der  Unannehmhchkeit  ausserehelicher  Schwangerschaft  rasch 
ein  Ende  zu  machen.  {Crawfurd.) 

Auch  die  Chinesen  haben  Kenntniss  von  den  Abortirmitteln 
und  sie  wenden  dieselben  nicht  selten  an. 

Abtreibungen  der  Frucht  sind  nach  Ttniherford  Alcock  in 
Japan  unter  unverheiratheten  Fraueuspereonen  sehr  im  Schwung. 
Wie  wenig  man  dort  sich  vor  der  Abtreibung  scheut,  geht  am 
der  Angabe  Wernich's  hervor,  welcher  sagt:  .Der  Fremde,  wenn  er 
eine  Japanerin  zur  Concubine  nimmt,  erklärt  in  sehr  vielen  Fällen 


len  jetrigen.  Vö! 


539 


von  vornherein,  dass  er  nicht  Kinder  wünsche;  wie  die  Betreffende 
diesen  Wunsch  erfüllt,  bleibt  ihr  überlassen." 

In  Persien  soll  nach  mündlicher  Ansknnft  Volahs  bei  Ver- 
beiratheten  der  künstliche  Abortus  nicht  vorkommen.  Allein  Charilin, 
der  früher  persische  Sitten  kennen  lernte,  versicherte,  dass  Frauen 
dann  den  Abortus  zu  bewirken  suchen,  wenn  sie  bemerken,  dass 
ihre  Männer  durch  die  Zurückhaltung,  welche  sie  dem  persischen 
Brauche  gemäss  während  ihrer  Schwangerschaft  beobachten,  be- 
wogen werden,  sich  mit  anderen  Frauen  einzulassen. 

Wir  schüesseu  hier  gleich  die  Türken  an,  weil  sie  ja  eigent- 
lich vielmehr  als  Asiaten  wie  als  Europäer  betrachtet  werden 
müssen. 

Bei  der  Leichtigkeit  und  Straflosigkeit  des  künstlichen  Abortus 
giebt  es  im  Orient  keine  unehelichen  Kinder.  Der  Gebrauch,  dass, 
wenn  eine  Frau  besserer  Khisae  zwei  lebende  Kinder,  danmter  einen 
Knaben  besitzt,  bei  jeder  folgenden  Schwangerschaft  mit  Wissen  des 
Mannes  künstlicher  Abortus  herbeigeführt  wird,  gilt  speciell  nur  für 
höhere  Klassen  Constantinopels,  doch  nicht  für  die  Masse  der 
Bevölkerung,  auch  nicht  ItirAegypten  und  andere  muHebnannische 
Länder.  Der  französische  Arzt  J^rani,  der  ein  Werk  über  die 
Geburtshülfe  in  der  Türkei  geschrieben  hat,  bestätigt,  dass  im 
Orient  die  Hebammen  sehr  häutig  den  Schwangeren  die  Frucht  ab- 
treiben. Ein  englischer  Arzt  sagt:  „Die  Hüffe  dieser  Hebammen, 
dieser  ungebildeten  Frauen  aus  allen  Nationen,  welche  die  unver- 
nünftigsten Manipulationen  mit  der  Gebärenden  vornehmen,  erstreckt 
sich  nicht  bloss  auf  das  Geschäft  der  Entbindung,  sie  werden  viel- 
mehr auch  bei  Frauen-  und  Kinderkrankheiten  zugezogen,  ver- 
schreiben Mittel  gegen  Unfruchtbarkeit  und  erzeugen  so  manche 
Gebännutterkrankheit.  Aber  ihr  besonderer  Beruf  ist  der  ktinst- 
bche  Abortus.  Die  Türken  halten  die  Abtreibung  des  Kindes  für 
nichts  Schlechtes.  Wenn  eine  Türkin  ihre  Nachkommeii.schaft 
nicht  mehr  anwachsen  lassen  will,  oder  wenn  sie  fürchtet,  dass 
durch  eine  erneute  Schwangerschaft  das  Stillen,  das  gewöhnlich  bis 
in  das  dritte  Jahr  fortgesetzt  wird,  unterbrochen  werden  könnte, 
80  unterwirft  sie  sich  mit  der  grossten  Ruhe  der  Behandlung  einer 
Bebamme  zur  Einleitung  einer  Frühgeburt,  bisweilen  mit,  andere 
Male  aber  auch  ohne  Vorwissen  des  Ehemannes.  Gefährliche  Blutxmgen, 
Entzündungen  und  Verwundungen  der  Gebärmutter  sind  die  häufigen 
Folgen  solchen  Verfahrens.  Diese  Sitten  herrschen  in  den  ärmsten 
wie  in  den  reichsten  Häusern,  und  die  Regierung  schreitet  nicht 
gegen  sie  ein.  Im  Jahre  1859  brachte  die  raedicinische  Gesell- 
schaft zu  Constantinopel  das  Treiben  eines  übelberüchtigten  Ge- 
sellen, der  .sich  selbst  Doctor  nannte  und  Handel  mit  Abortivniittcln 
trieb,  zur  Kenntniss  des  Grossvezirs,  doch  ohne  allen  Erfolg. 
Dieser  Gebrauch  des  Abtreibens  ist  nach  der  Meinung  des  Bericht- 
eratatters  Ursache  des  schnellen  Abnehmens  der  türkischen  Be- 
völkerung."    Weiter  äussert  sich  auch  der  deutsche  Arzt  Oppni- 


540 


XIX.  Unzeitlge  Gebnrten. 


heim  über  diese  Verhältnisse:  ,In  der  Türkei  wird  der  Abortus 
häufig  versucht  und  ist  bis  zum  5.  Monat  erlaubt,  weil  uach  der 
Meinung  der  Mohammedaner  bis  dahin  noch  kein  Leben  im  Fötua 
ist.  Es  werden  häufig  von  verheiratheten  Leuteu  Abortivmittel  öffent- 
lich und  ohne  Scheu  verlangt,  vom  Manne,  um  nicht  zu  viele  Kinder 
zxi  ernähren,  von  der  Frau  mit  Bewilligung  ihres  Gatten  aus  Furcht^ 
ein  Wochenbett  möchte  ihren  Reizen  Abbruch  thun,  oft  aber  auch 
vom  Manne,  der  mit  einer  Sclavin  Umgang  hatte."  Als  häutige 
Folgen  des  künstlichen  Abortus  in  der  Tlirkei  führt  Ojyjjfnfteitn 
an:  Fluor  albus,  Frolapsus  uteri  et  recti  tmd  Mutterkrebs. 

In  Constantinopel  wiirde  auf  Veranlassung  von  Prado  eine 
amtliche  Untersuchung  über  die  vorgekommenen  criminellen  Ab- 
treibungen angestellt.  Es  ergab  sich,  dass  in  10  Monaten  des  Jahres 
1872  dieses  Verbrechen  in  mehr  als  3000  Fällen  zu  criminellen 
Untersuchungen  Veranlassung  gegeben  hatte.  Die  unmittelbare  Ur- 
sache dieser  erschreckenden  Erscheinung  findet  Prado  in  der  Stellung 
des  Weibes  im  Orient.  In  erster  Reihe  geschieht  es  bei  den  mvisel- 
männischen  Frauen  meist  aus  Gründen  der  Gefallsucht,  dass  das 
Weib  die  Frucht  seiner  Empföngniss  zerstört,  und  zwar  lediglich  zu 
dem  Zwecke,  um  die  Schönheit  seiner  Formen  so  lange  als 
möglich  zu  erhalten  und  dadurch  der  Gefahr  einer  Ehe- 
scheidung zu  entgehen,  welche  die  religiöse  Gesetzgebung  bei 
den  Muselmännern  sehr  erleichtert.  Ein  anderer  Grund  bestimmt 
dagegen  die  christliche  oder  jüdische  Frau  zu  diesem  Verbrechen. 
Um  die  Spur  eines  begangenen  Vergehens  zu  verwischen,  scheut 
sie  nämlich  vor  keinem  Verbrechen  zurück,  und  sei  es  selbst  um 
den  Preis  ihres  Lebens,  wie  solches  gewöhnlich  der  Fall  ist.  Ein 
anderer  Beweggrund  scheint  die  Schwierigkeit  zu  sein,  mit  der  die 
mittleren  Klassen  für  eine  zahlreiche  Familie  den  Lebensunterhalt 
zu  beachafl'en  im  Stande  sind.  Ausserdem  spielen  Rachsucht,  Eifer* 
sucht,  Nebenbuhlereien  und  Aussichten  auf  Erbschaften  eine  erheb- 
liche Rolle. 

„Zar  Schande  unseres  Berufes,"  sagt  Prado,  „müssen  mr  gestehen,  d«M 
es  heute  seibat  noch  unter  unseren  Collegen  solche  Elende  giebt,  welche 
trotz  eines  Diploms  dieses  Btrafl)are  Handwerk  ausüben,  allein  ihro  Z:ihl  ist 
glücklicherweiäc  in  unseren  Tagen  eine   sehr  beschränkte  gewov  '     aia 

ehrlose  Gewerbe  wird  heute  beinahe  ganz  aasschlieBslich  von   ■-  hirn 

Hebammen  betrieben,  von  unwürdigen  Lucinen,  welche  uns  an  die  Abtrei- 
bungen alter  Zeiten  erinnern,  deren  Thaten  Phuius  beschri.l.on  hat,  wi« 
Oltfmpias.  die  Thebanerin,  Salpe  und  Sotira,  und  wenn  olo  nai 

der  Gegenwart   anführen  wollen,    finden    '"■••   ■"'>    «n    -i""  ■•  •'^■A- 

mischerinnen  von  Marseille  u.  s.  w.    V. 
Ausnahme  einzelner  Pernönlichlr  ^''■ 
Qben,    im    Allgemeiueu    ixua   \ 
welche  vorher  die  schouiln 
vollen  und  scbamloRcn  Fi 
sehener  HSu 
indem  sie  «V 


95.  Die  Verbreitnng  der  Fruchtabtreibung  outer  den  jetzigen  Völkern.    541 

tritten  verleitet  haben,  und  die  dann  in  der  Regel  damit  enden,  gänzlich 
ihr  Opfer  zu  werden." 

^ado  weist  darauf  hin,  dass  dieses  niederträchtige  Gewerbe 
der  Abtreiberinnen  eine  der  Hauptursacben  der  Abnahme  der  Be- 
Tölkerong  des  türkischen  Reiches  ist.  Er  fordert  die  Behörden 
Constantinopels  auf.  das  Verbrechen  mit  der  äussersten  Strenge 
ta  verfolgen,  die  Hebammen  sollen  geprüft  und  überwacht  werden. 

Eine  nicht  geringe  Anzahl  der  Völker  Afrikas  huldigt  der 
Unsitte  des  Abtreibens.  Wir  werden  bei  Besprechung  der  gebräuch- 
lichen Abortirmittel  auf  mehrere  dieser  Völker  zurückkommen.  Hier 
erwähnen  wir  nur  einige  derselben.  Die  ägyptischen  Frauen- 
zimmer neigen  ausserordentlich  zur  künstlichen  Erzeugung  des 
Aboitos,  indem  sie  sich  dadurch  allzu  zahlreicher  kostspieliger  Nach- 
kommenschaft zu  entledigen  trachten.  {Hartmann.)  Das  Verbrechen 
■des  kunstlichen  Abortus  kommt  unter  den  Eingeborenen  Algeriens 
nach  Bertherand  ebenso  häufig  vor,  wie  nach  Texter  in  Con- 
stantinopel;  man  sieht  in  Butiken  an  öffentlichen  Plätzen  Jü- 
dinnen diese  Praxis  betreiben. 

Anf  den  Canarischen  Inseln  ist  die  Fruchtbarkeit  der  Weiber 
sehr  gross,  und  selbst  Lustdimen  bringen  oft  Kinder  zur  Welt, 
wenn  sie  keine  Mittel  anwenden,  einen  Abortus  zu  be- 
wirken. Man  nimmt  oft  zu  Abortivmitteln  seine  Zuflucht,  und  dies 
ist  um  so  leichter,  da  auf  dem  Lande  die  Pflanzen  und  Kräuter 
nur  zu  gut  bekannt  sind,  durch  welche  die  Abtreibung  bewirkt 
werden  kann;  in  den  Städten  ist  kein  Mangel  an  alten  Weiliem, 
die  neben  der  Kuppelei  dieses  abscheuliche  Gewerbe  ungestraft  be- 
treiben. {Mac  Gregor.) 

Auf  Massaua  im  arabischen  Meerbusen  ist  das  Abtreiben 
der  Frucht  sehr  häufig,  weil  die  Väter  verpflichtet  sind,  ihre  Töchter 
aufzuhängen,  falls  sie,  ohne  verheirathet  zu  sein,  schwanger  werden. 
Solche  eigenmächtige  Handlung  wird  von  Niemand  gerügt.  {Brchm.) 
Die  Szuaheli  in  Ostafrika,  welche  auch  manchmal  die  Schwan- 

ferschafk  durch  Medicin  zu  verhüten  suchen,  halten  bis  zum  2.  h\H 
.  Schwangerschaftsmonat   das  Abtreiben   der  Frucht   fiir  möglich. 
{Kersten.) 

Der  künstliche  Abortus  wird  bei  den  Woloff- Negern  sehr 
häufig  durch  die  Marabuts  ausgeführt;  nach  Annahme  de  lioche- 
bnme's  wird  infolge  dieser  Häufigkeit  wahrscheinlich  die  Erschei- 
nmiff  za  erklären  sein,  dass  am  Senegal  unter  den  Negern  die 
ZaU  der  Sterbefölle  diejenige  der  Geburten  übersteigt. 

Dort,   wo  Kindersegen   die   höchste  Freude  gewährt,    wie  bei 

^■iHogerii  der  Loango-KUste,  ist  Abtreibung  der  Frucht  natur- 

nirital  eme  Seltenheit.      Pechuel-Loesc/o;,  der  in  dieser  Beziehung 

'^afiote-Negern   Erkundigungen    einzog,    konnte    nicht 

forschen,  wie  weit  die  Abtreibung  als  verbrecheri.«<ch 

d  bestraft   wird.      ,,£s   scheint,"    sugt  er.    .dass  nur 

Dmnier,  namentlich   solche,   welclie   längere  Zeit  ein 


allzu  fi-eies  Leben  geführt  haben  luid  in  reiferen  Jaliren  sich  vör 
der  Entbindung  t'ürchteu,  im  Geheimen  den  Abortus  zu  bewirken 
suchen,  durch  Kneten  und  Drücken  des  Leibes  sowohl,  wie  durch 
übermässigen  Genuss  von  rothem  Pfetter. 

Abtreibung  der  Leibevsfrucht  mag  nach  Büttner  bei  den  Herero 
nicht  selten  vorkommen ;  dies  geschieht  vielleicht  aus  verschiedenen 
Ursachen.  Büttner  kannte  einen  Fall,  wo  eine  Frau,  die  nllerdings 
von  ihrem  Manne  auf  das  schändlichste  betrogen  und  Verstössen 
war,  aus  Ingrimm  das  Kind,  das  sie  unter  ihrem  Herzen  trug,  zu 
tödten  versuchte.  Das  Abtreiben  geschieht  liier  meist  durch  äusser- 
liche  Gewalt,  durch  Schlagen  und  Stossen  des  Unterleibs  mit  den 
Füssen  oder  mit  Steinen. 

Die  erste  Erwähnung  der  künstlichen  Fehlgeburten  bei  den 
Eingeborenen  von  Amerika  findet  sich  schon  bei  Lafi  Casas  und 
Petrus  Mariyr.  Die  Ueberbürdung  mit  Arbeit  durch  die  Spanier 
veranlasste  die  Mütter  in  ihrer  Verzweiflung  dazu,  imi  ihre  Kinder 
nicht  demselben  Elende  auszusetzen.  Noch  jetzt  kommt  Abortus 
itnd  Kindermord  bei  den  Eingeborenen  von  Nord-  und  Süd- 
amerika vor. 

Bei  mehreren  südamerikanischen  Indianerstämmen  haben 
die  Frauen,  wie  v.  Azara  gefunden  hat,  nur  zwei  Kinder,  da 
sie  sich  der  übrigen  durch  Abtreiben  zu  entledigen  pflegen.  Diese 
Sitte  scheint  aber  erst  allmählich  sich  eingebürgert  zu  haben.  Die 
Guyacurus  an  der  Ostseite  des  Parana  und  die  Lengua  (eigent- 
lich Shuiadache,  denn  Lengua  oder  , Zunge'  wurden  sie  von  den 
Spaniern  nur  wegen  der  ungewöhnlichen  Quaddeln  genannt,  die  sie 
in  den  Lippen  trugen),  zwei  Pampas -Völker,  welche  sogar  nur 
ein  Kind  autzuziehen  pflegen,  sind  namentlich  infolge  hiervon  dem 
Au.ssterben  nahe.  (Eschwege.)  Bei  den  Guyacurus  in  Brasilien 
geht  das  Bestreben  der  Frauen,  dem  Manne  gefallig  zu  sein,  so 
weit,  dass  sie,  wenn  sie  .sich  schwanger  fühlen,  das  Kind  im  Leibe 
tödten,  damit  sie  durch  die  Schwangerschaft  und  die  Erziehung 
des  Kindes  dem  Manne  nicht  beschwerlich  fallen.  Dies  thun  sie, 
so  lange  sie  noch  nicht  30  Jahre  alt.  Empfangen  sie  nach  diesen 
Jahren  und  gebären  sie  glQckhch,  fo  ziehen  sie  das  Kind  auf.  Der 
Grund,  die  Leibesfrucht  zu  tödten,  liegt  auch  wohl  mit  darin,  weil 
sie  während  der  Schwangerschaft  und  wälirend  des  Säugens  keine 
Gemeinschaft  mit  dem  Manne  haben  dürfen.  Aus  der  gleichen  Ur- 
sache findet  nadi  Dchrizhoff'er  bei  den  Abipouerinnen  die  Ab- 
treibung statt. 

Die  Mbayu>  m  i'araguay  treiben  dejjhalb  die  Kindi*r  ul», 
weil  die  Frauen  fürchten,  durch  das  Austragen  der  Kiinlvr  früh- 
zeitig zu  altem,  und  weil  ihnen  bei  ihren  Stmpuzen  das  .Vuf/.iehcn 
der  Kinder  zu  beschwerlich  ist.  Auch  die  bereiU  auf  20(i  Seelen 
zusammengeschmolzenen    Payaguas  üben   die  Abtreibung    fleiasig. 

Die  Indianer-Weiber  am  Orinoco  sind  über  die  Wirkung 
d<'«  Kindergebürens  zweierlei  Meinung,  wie  der  Abt  (fäi  berichtet.: 


96.  Die  Frdcl 


StüSn^mter  den  Völkern  wen 


pinige  sind  der  Ansicht,  es  gehe  durch  iVfthe  und  öftere  Entbin- 
dungen die  Schönheit  bald  verloren,  wogegen  andere  glauben,  dass 
gerade  durch  Entbindungen  in  sehr  jugendlichem  Alter  die  weib- 
liche Schönheit  am  besten  erhalten  werde.  Jene  entledigen  sich 
der  Schwangerschaft  durch  Gebrauch  fruchtabtreibender  Mittel, 
diese  suchen  möglichst  bald  Kinder  zur  Welt  zu  bringen. 

Während  einige  nordamerikanische  ludiauerstämme  den 
künstlichen  Abortus  verabscheuen,  z.  B.  die  Chippeways,  sind 
viele  andere  Stämme  wegen  der  bei  ihnen  heimischen  Sitte,  die 
Kinder  abzutreiben,  dem  Aussterben  nahe.  Bei  rlen  Winipegs 
z.B.  hatte  im  Jahre  1842  eine  Frau  durchschnittlich  nur  ein  Kind; 
im  0  r  egon  -  Gebiete  fanden  sich  deren  mei.st  nur  zwei.  Es  ist 
nicht  unwahrscheinlich,  dass  an  dieser  scheinbaren  Unfruchtbarkeit 
der  natürliche  und  künstliche  Abortus  ihre  Schuld  tragen.  In  einigen 
nordamerikanischen  Volksstämmen  pflegen  iia,ch.Hitnter  die  Fami- 
lien nur  3  bis  4  Kinder  aufzuziehen,  die  übrigen  werden  abgetrieben. 
Häufig  ist  das  Abtreiben  bei  den  Knistenaux  nach  Mackemie,  und 
bei  den  Indianern  von  Astoria  im  Oregon- Gebiete  nach  Jl/ose*. 

Die  Weiber  der  Cadawba-lndianer  exercirten  nach  Smith 
die  Abtreibung  der  Frucht  sehr,  besonders  wenn  sie  ausserehelich 
geschwängert  wurden.  Es  ist  begreiflich,  dass  solches  widernatür- 
liche Treiben  ihre  Gesundheit  zerstört,  ihr  Geschlecht  entnervt  und 
viel  Veranlassung  zu  Fehlgeburten  gegeben  hat.  Dass  Smith  selten 
Mütter  fand,  die  mehr  als  2  Kinder  hatten,  lässt  sich  hieraus  mit 
Leichtigkeit  erklären. 

Von  den  Dakotas  berichtet  Schontkraft,  dass  sie  als  Abortiv- 
mittel mehrere  Pflanzen  benutzen,  die  aber  in  manchen  Fällen  Mutter 
und  Kind  den  Tod  bringen.  Unehelich  Geschwängerte  üben  regel- 
mässig die  Abtreibung,  aber  auch  Verheirathete  thua  das  nicht 
selten. 

Ueber  das  Vorkommen  des  künstb'chen  Abortus  bei  den  nord- 
amerikanischen  Indianern  sagt  Engdmann :  , Bei  manchen 
unserer  Indianer,  namentlich  bei  denen,  die  durch  die  Berührung 
mit  der  Civilisation  laxere  Moral  haben,  findet  sich  Abtreibung 
häufig.  Einige  Stämme  haben  ein  Recht  hierzu,  in  Rücksicht  auf 
die  Gefahr,  welche  der  Mutter  durch  die  Geburt  eines  Half-Bred- 
Kindes  erwächst,  das  tlir  gewöhnlich  so  gross  ist,  dass  sein  Durch- 
tritt durch  das  Becken  der  indianischen  Mutter  meist  eine  Unmög- 
hV'hk».'it   ist.* 


9(i.  Die  Fmchtabtreibuiig  anter  den  Völkern  weisser  Rasse. 

Ex  ist  bekannt,  dass  unter  den  Weissen  Nordamerikas  die 
I.\btreibung  sehr  üblich  ist,  und  dass  insbesondere  in  allen  grossen 
jStädten  der  Vereinigten  Staaten  eigene  Anstalten  existireu,  in 
[denen  Mädchen  un<l  Frau«?n  eine  frühzeitige  Entbindimg  bewerkstelligen, 


XIX.  ünzeitigi^Jeoarwr 


denn  alle  amerikanische  Zeitungen  der  Union  enthalten  öffent- 
liche Anzeigen  solcher  höllischen  Etahlissementa.  Nicht  selten  sollen 
Weiber  mit  Wissen  ihrer  Ehegatten  diese  Institute  aufsuchen.  Man 
findet  darin  so  wenig  etwas  Unmoralisches,  dass,  wie  herichtet  wird, 
Frauen  ganz  flüchtigen  Bekannten  erzählen,  dass  sie  keine  Kinder 
zu  haben  wünschten  und  daher  nach  St.  Louis  oder  New-Orleans 
gehen,  um  ihre  Leibesfrucht  abzutreiben.  Diese  Sitte  hat  sich  auch 
schnell  in  den  Städten  Californiens  heimisch  gemacht. 

In  New- York  schickt  ein  Quacksalber  ein  Circular  umher,  welche* 
,To  Ladies  enceinte"  adresairt  ist  und  iu  welchem  er  den  Ladies  empfiehlt; 
«wbose  healih  will  not  Warrant  their  incurring  riske  incident  to  umtemity,  j 

or  ihe  culniinatiou   of  whicb  threatens  an   impleasent  denouement 

a  new  and  highly  important  scientific  discovery,  recently  made  by  a  regularlj 
educated  phy^ician  and  surgeon  of  extensive  experience." 

Auch  in  Europas  grossen  Städten  scheint  die  Fruchtabtrei- 
bnng  tlberhand  zu  nehmen.  Dies  wird  dadurch  wahrscheinlich, 
dass,  wie  Tardieti  in  Paris  statistisch  nachwies,  sich  die  Unter- 
suchungen gegen  gewerbsmässige  Fruchtabtreibung  mehren. 

In  Paris  wurden  1826 — 1830  nur  12  Personen  wegen  Abtreibung  an- 
geklagt, 1846 — 50  aber  46,  und  im  Jahre  1853  so^ax  111  Personen,  von  denen 
58  yerurtheilt  wurden.  Aber  der  Verdacht  der  Zunahme  der  Frachtab- 
treibung  trifft  nicht  bloss  Paris,  sondern  auch  andere  Städte.  Nach  Tardiru 
waren  unter  100  wegen  dieses  Verbrechens  von  1854  bi»  1861  Abgeurtheiltea 
37  Hebammen,  9  Aerzte,  1  Droguist,  2  Charlatane  etc. 

Nach  der  Ansicht  aller  Sachverständigen  wird  die  Fruchtabtrei- 
bung in  Paris  vollkoionien  haudwerksmässig  namentlich  durch  die 
einzelnen  Hebammen  und  in  .Privatentbindungsanstalten'  betrieben, 
deren  wahrer  Zweck  allgemein  bekannt  ist.  Manche  führen  darüber 
in  fast  unumwundenen  Ausdrücken  Buch,  wie  Über  andere  gehurt«- 
hülfiiche  Verrieb tungeu,  und  machen  ihre  Operationen  um  eine  ge- 
ringe Belohnung.  Ausser  den  Hebammen  sind  es  nvir  Aerzte,  welche 
sich  mechanischer  Mittel  bedienen;  die  alten  Weiher,  die  Pfuscher 
und  die  Schwangeren  selbst  beschränken  sich  gewöhnlich  auf  trei- 
bende Tränkeben. 

In  den  Jahren  1846 — 1850  konnten  von  188  F&Uen  von  Abtreibung  nur  j 
bei  22  die  Urheber  des  Verbrechens  angeschuldigt  werden.  Unter  683  un- 
reifen, in  der  Morgue  su  Paris  aasgestelltcn  Früchten  stammen  ^n,  närolicb  i 
519,  aus  den  ersten  6  Monaten  der  Schwangerschaft,  und  mit  Wuhrschcin- 
lichkeit  lassen  sich  unter  denselben  die  Mehrzahl  der  abgetriebenen  Kröcht«! 
vermutben.  Die  Zahl  der  Todt-  und  Unrcif<?eborennn  ist  in  Paris  in  starkemf 
Zunehmen.  1S05  kam  1  Todtgeburt  auf  1612,12  Einwohner,  1849  dogegva  i 
1  auf  340,90,  was  gewiss  auch  durch  die  steigende  Häufigkeit  det  .\btrnibuDff  j 
bedingt  ist.     .\uch  Foley  giebt  an,   dass  in   der  Pariser  Moi  ür- 

frUchte  in  wachsender  Zahl  rork&men:  1851  bis  1860  war  der  u. .     ^Uhr-J 

liehe  Durchschnitt  49.  von  1861  bid  1869  schon  57,S,  und  endlicii  voa  U 
bis  1879  sog^iir  beinnh"  '-'i 

Eine  ausführlici  ehe  Arbeit  Qbor  di  '  in  FrAakrcich] 

vorgekommenen    gvTUJii;  tv  n.  r   ,  i  .  — '  -v—    »Ir 

GalUot,  nach  dessen  B«r> v  "1^$^ 


96.  Die  Fruchtabireibtmg  unter  den  Völkern  weisser  Rasse.         545 

gemachten  Fälle   auf  1032  belaufen.     Die  Anklagen  vertheilen   sich   nach 
Perioden  folgendermaaasen: 

im  Jahre  1831—1835  zu    41  Fällen,    im  Jahre  1856—1860  zu  147  Fällen, 
,       ,      1836—1840   ,     67      „  ,      ,      1861-1865   ,   118     ;, 

,      1841-^1845    ,      91      ,  ,      ,      1866-1870    „     84     „ 

,      1846—1850   ,    113      ,  ,      ,      1871—1875    ,     99     , 

,      1851—1855   „    172      ,  ,      ,      1876—1880   ,100     , 

Der  Einflass  des  Bildungsgrades  zeigt  sich  darin,  dass  von  100  rerpfiegten 
Weibern  29  weder  lesen  noch  schreiben  konnten.  Die  Statistik  Gälliofs 
weist  aus,  dass  sich  die  Zahl  der  als  Abtreiberinnen  zur  Anzeige  gekommenen 
Hebammen  allmählich  vergrössert  hat,  dass  aber  ihre  Yertheilung  auf  Stadt 
und  Land  eine  ganz  besondere  Bevorzugung  der  grossen  Städte  zeigt.  Galliot 
schliesst  seine  Resultate  mit  den  Worten:  ,0n  se  plaint  de  tous  cöt^s, 
en  France,  de  la  d^croissance  de  la  population.  On  a  fait  recemment  de 
nombreuses  lois  pour  prot^ger  l'enfant;  nous  venons  ä  notre  tour  demander 
une  protection  pour  le  foetus.* 

Obgleich  nur  ein  unverkältnissmässig  geringer  Theil  der  Frucht- 
abtreibungen  in  Frankreich  zur  Kenntniss  der  Gerichte  kommt, 
80  konnte  doch  auch  GaUiot  aus  seiner  Statistik  schliessen,  dass 
in  diesem  Lande  das  Verbrechen  in  beständiger  Zunahme  begriffen 
ist,  imd  dass  insbesondere  Hebanunen  sich  c^bei  betheiligen.  Gal- 
liot fordert  strenge  staatliche  üebei^achung  der  Privatentbindungs- 
anstalten,  die  ebenso  nothwendig  ist,  wie  die  der  Privatirrenanstalten. 
Ebenso  wie  der  Kindermord  kommt  nach  GaUiot's  Ermittelungen 
der  künstliche  Abortus  in  gewissen  Perioden  des  Jahres  häufiger 
vor,  als  in  anderen.  Während  die  meisten  Kindermorde  in  Frank- 
reich von  Januar  bis  April  vorkommen  (Conceptionsmonate :  April 
bis  Juli),  dann  von  August  bis  December  (Conceptionsmonate  des 
Weins  und  des  Camevals),  geschehen  die  meisten  Fruchtabtreibungen 
4 — 5  Monate  nach  den  erwähnten  Conceptionsperioden.  üebrigens 
giebt  es  in  Frankreich  bestimmte  Orte,  welche  im  besonderen  Rufe 
stehen,  dass  Schwangeren  dort  geholfen  wird:  Paris  wird  häufig 
deshalb  von  schwangeren  Engländerinnen  aufgesucht,  tmd  nament- 
lich wird  Givors  von  Lyonerinnen  frequentirt,  da  dort  ein  Arzt, 
eine  Hebamme  und  ein  Gewürzkrämer  das  Geschäft  betrieben;  letz- 
terer, der  die  Operation  mit  einer  Stecknadel  vollführte,  gestand, 
seit  mindestens  10  Jahren  thätig  gewesen  zu  sein. 

Eine  Statistik  der  Fruchtobtreibungen  in  den  Culturländem 
kann  sich  überhaupt  nur  auf  die  vorgekommenen  Gerichtsfalle  be- 
schranken.   Eine  solche  hat  Hausner  geliefert,   indem  er  angiebt: 
Das  Verbrechen  der  Abtreibung  der  Leibesfrucht  wurde  entdeckt: 
In  Oesterreich  in    7  Fällen  jährlich, 

,  Grossbritannien  ,    35      „  , 

,  Preussen  „   21      „  , 

,  Frankreich  ,    20      , 

,  Bayern  ,    20      ,  . 

,  Hannover  ,    12      ,  , 

„  Spanien  ,    11      .  „ 

,  Sachsen  ,     8      . 

»Württemberg         ,     5       . 
Sloit,  Dm  W*ib.  I.   a.  Aufl.  35 


546 


XIX.  ünzeiöge  Geburten. 


Demnach  kameu  solche  Fälle  relativ  am  häufigsten  zur  Be- 
volkennigszahl  in  Hannover,   am  seltensten   in  Frankreich  vor. 

Allein  ans  solchen  Zahlen  kann  man  über  die  relative  Ver- 
breitung des  üebels  durchaus  nicht  schliessen;  denn  wir  wissen- 
nicht,  wie  viele  Fälle  den  Gerichten  entgingen. 

Von  Steyermark  sagt  Fossd,  dass  dort  Fruchtabtreibnngen 
nicht  seltener  sind  als  anderswo. 

In  Serbien  forscht  die  Städterin,  welche  meist  sehr  verwöhnt 
und  verhätschelt  ist,  nach  Mitteln,  um  nicht  zu  gebären  ;  Aborfciva 
werden  gesucht  und  theuer  bezahlt.  Jedes  .Jahr  kommen  verschie- 
dene Fälle  vor,  wo  junge  Frauen  ihren  sträflichen  V^orsatz  mit  dem 
frühen  Tode  bezahlen.    (Valenta.) 

,Wie  Jukic^  bezeufft,  «ind  Kimlesmorde  unter  den  slavischen  Türken 
und,  wie  er  zögernd  hinzusetzt,  in  Nachahmung  der  tflrkiechen  Dummheit 
auch  unter  Christen  an  der  Tagesordnung.  Dasselbe  ist  auch  in  den  slii« 
voni  sehen  Niederungen  der  Fall,  wo  die  Bäuerinnen  noch  häufiger  ihre 
Leibesfrucht  abtreiben.  Vor  zehn  Jahren  wurden  die  Weiber  eines  ganxon 
Dorfes  bei  Pozfiga  wegen  Fruchtabtreibung  in  Untersuchung  gezogen.  Eine 
Mutter  hatte  ihrer  eigenen  Tochter  eine  Spindel  in  den  Leib  gestosäen.  um 
eine  Abortirung  zu  erzielen.  Die  Tocht^er  starb  an  der  inneren  Verletzung. 
Der  Mann  itlhrte  Klage  und  so  kam  die  ganze  Sache  ans  Tageslicht.  Im 
Ganzen  wurden  etwa  30  Frauen  angeklagt.  Die  Sache  verlief  aber  im  Sande." 
{Krauss. ') 

Bei  den  Südslaven  zwingen  manche  ge'ivissenlose  Männer 
öfters  ihre  schwangeren  Frauen  zu  schweren  Arbeiten,  damit  sie 
auf  jeden  Fall  abortiren.  Die  Volksstimme  verurtheilt  indessen 
scharf  ein  solches  Vorgehen,  und  brandmarkt  es  mit  Schimpf  mid 
Schande.   (Krauss.^) 

Nach  J/ascÄÄ*a  soll  auch  in  Schweden  die  Kinde-sabtreibung 
gewerbsmässig  geübt  werden. 

In  Italien  kommt  Fruchtabtreibung  häutig  vor.  Ziino  be- 
richtet in  seinem  Lehrbuch  der  gerichtlichen  Medicin,  dass  es  in 
Neapel  bestimmte  Häuser  giebt,  in  welchen  dieselbe  vorgenommen 
wird-,  als  Reclame  dient  diesen  Häusern  ein  eleganter  Cilri^ka.Hten, 
in  dem  sich  Alkohol -Präparate  als  SJammlung  couservirter  Fötus 
befinden.  Der  Herausgeber  hat  derartige  Aushängekästen  zu  sehen 
keine  Gelegenheit  gehabt. 

Auch  schon  im  alten  Rom  war  die  Frachtabtreibung  wohl- 
bekannt; anfänglich  waren  die  Sitten  allerdings  streng  und  ib'e 
Ehe  heilig;  aber  mit  der  moralischen  Zerrüttung  der  Kaiserzeit 
wurde  auch  dieses  Verbrechen  hätifig,  so  dass  Jutcnalis  san^r 

.\ber  in  reich  vergoldetüm  Bett  ist  die  Wöchnerin  wJtcn. 
Dahin  bringet  e«  Kunst,  dabin  ansneilichf  HUlfi^ 

Freue  Dich.  ' ■.  des».  ui> 

Reich'  ihr  -  ik,   d*«nn 

Ein  A ' 

Säoim' 


97.  Die  Beweggrfinde  ftir  die  Fracbtabtreibung.  547 

Die  Zauberiimeti  und  Wahrsagerinnen  in  Rom,  welche  als 
Nebenbeschäftigung  und  besondere  Specialitat  die  Fruchtabtreibungen 
ausübten,  hiessen  Sagae.  Man  meint,  dass  hiervon  das  franzö- 
sische Sage-femme  herzuleiten  sei.   {GaUiot) 


97.  Die  Beweggrfinde  ffir  die  Fmchtabtreibang. 

Fast  möchte  es  wohl  überflüssig  erscheinen,  dass  wir  hier  einen 
besonderen  Abschnitt  den  Beweggründen  widmen,  welche  die  Frauen 
und  Mädchen  zu  dem  gewaltsamen  Mittel  der  Fruchtabtreibimg  zu 
yeranlassen  vermögen,  aber  wer  die  vorhin  zusammengestellten 
Angaben  mit  Aufoierksamkeit  gelesen  hat,  dem  wird  es  längst  schon 
aufgefallen  sein,  dass  hier  die  treibende  Ursache  durchaus  nicht  in 
allen  Fallen  die  gleiche  ist.  ,Es  bedarf  immer  mächtiger  Motive, 
sagt  Stricker,  um  die  natürliche  Zärtlichkeit  der  Mutter  zu  ihrem 
geborenen  oder  ungeborenen  Kinde  in  Zerstörungstrieb  umzuwan- 
deln." Auch  diesem  Satze  stimmt  unser  Material  nicht  zu.  Selbst 
bei  ziemlich  hoch  civilisirten  Völkern  ist  wohl  die  Zärtlichkeit  der 
Mütter  gegen  das  noch  ungeborene  Kind  im  Allgemeinen  keines- 
wegs sehr  tiefgehend,  und  bei  den  wilden  Nationen  genügt,  wie  wir 
sahen,  oft  ein  kleiner  ehelicher  Zwist,  um  die  Frau  zu  dem  künst- 
lichen Aborte  zu  bewegen. 

Allerdings  ist  die  allergewöhnlichste  und  am  weitesten  ver- 
breitete Ursache  der  Fruchtabtreibung  die  Absicht,  eine  entehrende 
Schwangerschaft,  zu  beseitigen,  sei  es  dass  es  sich  um  die  Schwän- 
gerung einer  Unverehelichten  handelt,  sei  es  dass  eine  Ehefrau  das 
Product  eines  Ehebruches  zu  vernichten  gedenkt.  Also  die  Furcht 
vor  der  Schande  oder  vor  der  in  solchen  Fällen  nicht  selten  sehr 
harten  Strafe  lässt  die  Weiber  zu  den  Abortivmitteln  greifen.  Nächst- 
dem  sind  es  die  Nahrungssorgen,  welche  der  Fruchtabtreibung  zu 
Grunde  liegen,  die  gefürchtete  oder  die  reale  Unmöglichkeit,  für 
einen  neuen  Zuwachs  der  Familie  den  nothwendigen  Lebensunter- 
halt zu  erwerben.  Doch  spielt  hier  nicht  selten  auch  die  Mode 
ihre  Rolle ;  es  ist  nicht  Sitte,  in  den  ersten  Jahren  der  Ehe  nieder- 
zukommen, oder  es  ist  gebräuchlich,  nicht  mehr  als  ein  oder  zwei 
Kinder  zu  besitzen,  folglich  werden  alle  übrigen  Befruchtungen  vor- 
zeitig wieder  vernichtet.  Auch  die  Scheu  der  Frau,  sich  den  Mühen 
des  Säugens  zu  unterziehen,  oder  den  Strapazen,  die  mit  der  War- 
tung eines  jungen  Köndes,  namentlich  bei  nomadisirenden  Völkern, 
verbunden  sind,  kommen  als  Beweggrund  in  Betracht,  sowie  das 
Bestreben,  dem  gestrengen  Ehemann  die  Unbequemlichkeiten  einer 
Eleinkinderstube  zu  ersparen.  Die  Eifersucht  und  die  weibliche 
Eitelkeit  sind  auch  keineswegs  ganz  schuldlos.  Die  erstere  ver- 
anlasst den  künstlichen  Abort,   wenn  die  Frau  fürchtet,   dass  in 

85* 


18 


ten. 


Folge  ihrer  Schvrangerschaft  ihr  Ehegemahl  sich  anderen  Weibeni 
zuwenden  möchte.  Aus  Eitelkeit  abortiren  die  Weiber  in  der 
Hoffnung,  sich  durch  die  Vermeidung  einer  Gravidität  möglichst 
lange  ihre  Korperformen  jiigendlich  und  mädchenhaft  und  nament- 
lich ihre  Brüste  prall  und  rund  zu  erhalten.  Das  unstillbare  Ver- 
langen nach  geachlechtlichem  Verkehr  mit  dem  Gatten,  welcher  der 
Frau  während  der  Schwangerschaft  vollständig  fem  bleiben  muss, 
giebt  bei  manchen  Nationen  eine  wichtige  Triebfeder  for  die  Aborte 
ab.  Manche  Frauen,  die  mehrere  Jahre  ihr  Kind  zu  säugen  pflegen, 
unterbrechen  auch  künstlich  eine  erneute  Gravidität,  um  nicht  durch 
dieselbe  ihre  Milch  zu  verlieren.  Das4  auch  bei  einem  vorüber- 
gehenden oder  einem  tieferen  Groll  gegen  den  Ehemann  manche 
Weiber  den  letzteren  dadurch  zu  kränken  suchen,  dass  sie  ihre  Leibes- 
frucht abtreiben,  das  haben  wir  bereits  gesagt.  Nur  ein  Beweg- 
grund ist  noch  zu  erwähnen,  und  das  ist  gerade  der  einzige,  welcher 
vor  der  Moral  zu  bestehen  vermag,  nämlich  die  ärztliche  Sorge  ftir 
die  Gesundheit  und  das  Leben  der  Mutter,  welche  durch  die  Ent- 
bindung zu  normaler  Zeit  in  die  höchste  Gefahr  gebracht  werden 
würde.  Dass  auch  Naturvölker  solche  Rückeichten  kennen,  das  be- 
weist der  oben  citirte  Ausspruch  Engehuanns  über  die  Indiane- 
rinneu. 


98.  Die  AbortiTmIttel. 

Eine  sehr  grosse  Zalil  von  Mitteln  und  Wegen  haben  die  ver- 
schiedenen Völker  herausgefunden,  um  das  in  dem  Mutterleibe 
keimende  Leben  noch  vor  der  Geburt  wieder  auszulöschen.  Theils 
sind  es  Arzneien  und  Medicamente,  die  sie  zu  diesem  Zwecke  in 
Anwendimg  bringen,  theils  sind  es  Manipulationen  mechanischer 
Natur.  Je  roher  ein  Volk  ist,  mit  um  so  rücksichtsloseren  Mitteln 
gebt  es  zu  Werke.  Viele  der  jetzt  auch  noch  bei  uns  als  Volks- 
mittel benutzten  Arzneien  wurden  schon  von  den  Aerzteu  der  früheren 
Epochen  als  Abortivmittel  benutzt.  Allein  auch  gewisse  operative 
Eingriffe,  deren  sich  die  Aerzte  bei  uns  erst  in  der  Neuzeit  be- 
dienen, sind  schon  seit  sehr  alter  Zeit  bei  einzelnen  Völkerschaften 
in  Gebraueh- 

Scbon  die  alt  indischen  .\er/to,  dereu  Malerin  modica  vor«ig«weilt>  { 
eine  vegetabilisclie  war,  übten  den  kiinbtlicben  Abortus  aufi.    Sie  l>e«a8«mi 
eine  Liste  von  zusanimenf^esetzten  Abtreibungspr^paraten,  nnd  zwar  kam  f(ir 
jeden  Bcbwaogerscbaftsmonat  ein  anderes  in  Anwendung.    So  fUr  den  ersten 
Monat:    Glycjrrhiza   glabra,  Tectonae  grandis  seinen,    Aeclepias  roaea  und 
PinuB  Devaadäru;     für   den   zweiten    Monni:    Osalis  (asmantaaa).    SeRamuni 
Orientale,  Piper  lotigum.  Rubin  mnnjuata  und  Aspantgus  racetnoatta  —  und  »0. 
fort  bis   zum   0.  Monat:    Glycyrrbiza  gbibra,    Panicum  dactylnm,    A     ',-■• 
roaea  und  Echitee  frutescens.    Die^e  Mittel  gaben  die  alten  Bmhnianei 
um  Abortub  zu  bewirken,  wenn   der  Leib   der  Sil  .     •  j,^ 

auRrieb;  docb  bebnujiteten  schon  diiuial«  einige  Jftii 


98.  Die  Abortivmittel.  549 

bisweOen  von  selbst  verschwindet.  Auch  Brechmittel  gaben  dio  Aorst«  «ur 
Abtreibung  der  Fracht,  jedoch  finde  ich  nicht-,  dass  von  mech(vni$chon  Mit- 
teln die  Rede  ist. 

Anch  den  alten  Juden  waren  Abortirmittel  bekannt;  ihr  Gebrauch  war 
aber  auf  das  strengste  verboten. 

Bei  den  alten  Griechen  war  es  zu  Plato's  Zeit  den  Hebammen  er- 
laubt, Abortus  hervorzubringen,  wo  es  ihnen  nützlich  schien,  (r.  SitboMj 
Die  Alten  schieden  die  Abortiva  in  tp96ifia  und  enmutt',  letztere  vorhindom 
die  Conception,  das  tpQ'o^iov  zerstört  die  geschehene  Conception.  Atokia 
benutzt  die  Frau,  um  zu  verhindern,  dass  der  männliche  Same  sofort  nach 
dem  Coitus  die  Befruchtung  des  Eies  vollbringen  kann,  sei  os,  indem  sie 
sich  bückt  und  kauert,  damit  der  Same  nicht  in  den  Grund  des  THorus  ge- 
lange, sei  es,  dass  sie  niest,  sei  es,  dass  sie  kaltes  Wasser  trinkt,  dasM  Hin  «Ion 
Muttermund  mit  altem  Oel,  Honig,  Opobalsam,  Wachs  u.  s.  w.  beHtrcioht  und 
mit  einem  Wattebausch  verstopft.  Ein  Abortivmittel  rieth  auch  Hippokratn 
in  dem  Buche:  ,De  natura  pueri''  einer  Harfenspielerin,  und  obgleich  nr 
ausspricht,  dass  keiner  Frau  ein  qt&oQtov  gereicht  werden  dürfe,  weil  es  Haoho 
der  Heilkunst  sei,  das  von  der  Natur  Erzeugte  zu  schützen  und  zu  erhalten, 
so  hat  er  in  diesem  Falle  doch  bewirkt,  dass  nach  7maligom  Springen  eine 
angeblich  6  Tage  alte  Frucht  abging,  die  er  möglichst  genau  bcschrnibt. 

Als  Abortiva  sollen  bei  den  alten  Griechen  und  Römern  Mentha 
pelugium  und  Safran  (Crocus  sativus)  gebräuchlich  gewesen  Huin. 

Bei  denBaktrern,  Medern  und  Persern  gab  es  alte  Weiber,  welche 
den  geschwängerten  Mädchen  die  Frucht  mittelst  „Baga"  oder  „Kravpata" 
oder  anderer  „auflösender"  Baumarten  abtrieben,  doch  ist  mir  nicht  bekannt, 
welche  Baumarten  hiermit  bezeichnet  wurden.     (IJuneker.) 

Im  alten  Rom  wurde  der  künstliche  Abortus  nicht  selten  ausgeführt. 
Soranus  aber  zog  ihn  nur  nach  bestimmten  Indicationon  (Kleinheit  der  ()«- 
bännutter  (?),  Enge  des  Muttermundes,  Geschwülste  in  demsnlb^m)  in  An- 
wendung, er  erklärte  jedes  Abortivum  für  gefährlich  und  motnto,  Ahmh  man 
lieber  die  Conception  verhindern  solle,  als  dass  man  gonöthigt  word»,  tb-n 
Embryo  zu  zerstören.  War  der  Fötus  in  der  Schwangersohaft  ahgostorWon, 
so  mnsste  er  durch  Abortiva  abgetrieben  werden.  Dun  Abortus  b'twirkU) 
man  in  solchen  Fällen  nach  thranuSf  Aetitu  n.  s.  w.  durch  CoinpresNion  (\nn 
Unterleibes  mit  Binden,  Conquassationen,  durch  Klystiere  von  Adiitring(inti»n, 
Fei  taoii  und  Absynthium;  Frictionen  der  Scharatheile,  Bäder,  A<lstring«rnti<)n 
zum  inneren  Gebrauch,  Pflaster  ans  Cyclamen,  Klateriiini,  AricDiisia,  Absyn- 
thium, Coloqninthen ,  Coccos  cnidius,  Nitrura,  Opoponax  u.  n.  w.;  iirttch- 
mittel,  Niesemittel;  endlich  legte  man  auch  einen  I'nsiiuH  au«  Iris,  Galbanuin, 
Coccus  cnidins,  Teri>entfain  mit  Rosen*-  und  Cypßrnöl  gemischt,  ein  und 
machte  am  anderen  Morgen  an  die  Oenitali<;n  Dämpfe  mit  «>n<;r  Abkochung 
von  Foenu  graecum  und  Artemisia.  Die  Kntfernung  «nnes  t^idtnn  Kindns 
ans  dem  Uterus  sollt«  nach  Hfiranwi  Anrtih  Einlegen  trockener  Hr.hwhunnn, 
zuerst  dünner,  später  dick'jr,  tular  durch  Kinleg^m  von  I'afiyni«  in  da«  Ori- 
ficium  bewirkt  werden. 

Jene  von  fioranwi,  Aüiiu  und  And«r«;n  Ufinunnifm  S\iiu:'\\tftutiUi\  monhitf 
man  nun  in  Rom  wohl  auch  in  Nolch^n  Fäl1«»i  l>«!nMt7,^n,  wo  di«  »ng«'g<rb<m<:n 
gebnrtshfilflichen  Indication<;n  f'ir  Erregung  d'r«  Aborto«  ni'hi  vorlaig<-n. 
Allein  die  Mitt*l,  welch»?  al«  Abortiva  im  Volk«:  M^i  'J»'n  »l»>?n  fClm'-rn  vri- 
btioehHeh  war«n,  bestand«»  ni^ht  blo«s  au«  inn^rtm  M*uht:Mn*:nt.*rtt,  «ond^n 
<W  wurde  hierbei  aacb  *nn  «ng«n^  tiintrtim*-ni  b^nrjtzt  {^/rütff  4*v  Y.tiAffjtf 


650 


XIX.  Unzeitige  Geburten. 


sphacles.    Vielleicht  ist  dies  ein  Pessoriam,  dessen  aicb  auch  die  Aente  nF 
Erregung  dee  Abortus  bedienten. 

Die  alten  Arnber  benutzten,  wenn  die  Geburt  wegen  Kleinheit  d« 
GebUrenden  derselben  geiUhrlich  zu  werden  dTohte,  als  Abtreibungsmittel 
Aderlasa,  Heben  und  Tragen  von  gchwereo  Lasten,  Hungern,  Reiz  des  Mutter- 
mundes durch  Einbringen  von  zusammengeroUteni  Papier,  einer  Federepule, 
eines  Stückchen  Holz  u.  s.  w.  Dabei  war  eine  grosse  Menge  innerer  Arznei- 
mittel gebräuchlich.  Namentlich  bei  Avicenna  findet  man  diese  Dinge  auf- 
gezählt ;  aber  auch  ein  eigeathümliches  langhalsiges  „Instrumentuni  triangu- 
latae  extremitatis"  benutzte  er,  um  den  Muttermund  damit  zu  eröffnen  und 
hierauf  Stotte  zur  Erregung  des  Abortus  zu  injiciren.  Die  arabischen 
Frauen  jener  Zeit  verfuhren  ausserordentlich  leichtsinnig  hinsichtlich  der 
Abtreibung  und  entledigten  sich  mit  derselben  Gewissenlosigkeit  ihrer  Frucht, 
wie  noch  jetzt  die  Frauen  im  Morgenlande.  Abulkasem,  der  im  Anfange  de» 
12.  Jahrhunderts  in  Spanien  lebte,  ti-itt  in  einem  Kapitel:  „De  Cautela 
medici,  quod  non  decipiatur  a  mulieribus  in  provocatione  menstnii  ne  de* 
atmatur  conceptus"  kräftig  gegen  den  überall  verbreiteten  Gebrauch,  sich 
daa  Kind  abtreiben  zu  lassen,  auf  und  warnt  die  Aerzte,  Folge  zu  lei«t«n, 
wenn  sie  von  den  Weibern  veranlasst  werden,  da»  Kind  abzutreiben.  Sollte 
der  künstliche  Abortus  nöthig  erscheinen,  so  solle  man  eine  geschickte  Heb- 
amme zu  Rathe  ziehen. 

Die  Abortiv-Mittel  der  alt-arabischen  Aerzte  hat  Pfaff"  zusammen- 
gestellt. Es  sind:  Calendula  ofBcinalis  —  Gummi  ammoniac.  —  Herb.  Aluali  — 
Epidemium  alpin.  —  Aaag)'ris  foctida  —  Juniperus  Sabina  —  Iris  florenl.  — 
Cyclamen  europaeum  —  Artemisia  arborescens  —  Adianthum  Capillua  Vc- 
neris  —  Amjris  Gileadensis  —  Lumbricua  terreatris  —  Supinus  Terme«  — 
Punaces  Heraclion  —  Daucus  Carota  —  Gentiana  lutea  —  Nux  Äbysainic» 

—  Lepidium  sativum.  —  Cucumis  Colocynthidis  (in  der  Scheide  getragen, 
tödtet  die  Frucht)  —  Cheiranthus  Cheiri  —  Arpaslathus  —  Oleum  Abrot>«ni 

—  Oleum  irinum  —  Meloe  vesicator  —  Aristolochia  rotunda  —  Crocu»  sa- 
tivus  —  Gnaphalium  songuineum  —  Aspidium  filii  mas  —  Seseli  tortuosum 

—  Saponaria  offic.  —  Stachis  germanica  —  Ferula  persica  —  Lauru«  caf<»ic&  — 
Angnjum  senecta  —  Sesamum  Orientale  —  Alumen  —  Pinus  Cedra»  — 
Anchusa  tinctor  —  Nigella  sativa  —  Strobili  Pini  —  Inula  —  Lanms  nobiTi». 

—  Bryonia  dioica  —  Mari'ubium  plicatum  —  Rubia  Tinctor.  —  Mentha  — 
Momordica  elaterium  —  Cardamomum  —  Veronica  auagallis  —  Cottni 
arabicus  —  Hedera  helix  —  Clinopodiuni  vulgare  —  Centaureum  majus  — 
Galbanum  —  Apium  petrosciinum  —  Bubon  macedonicum  —  Daphne  cnidiuiu 

—  Myrrha  —  Thymus  SerpillL 

Diese  Mittel  wurden  theils  innerlich  angewendet,  theils  a\n  reis^ade 
Pessarien  in  die  Scheide  eingeführt,  theils  wurde  Abortus  erzengt  durch 
Einführung  kleiner,  mit  reizenden  Pulvern  bestreuter  Wollbiusohe  in  die 
Gebärmutter,  nachdem  vorher  durch  erweichende  Pessarien  eine  Oeffhoo^ 
des  Muttermundes  bewerkstelligt  war.    Wir  können  uns  wohl  vor  la*» 

die  örtlich  wirkenden  Mittel,  in  deren  Application  die  altarabi-  in 

vielleicht  grosse  Virtuosen  waren,   den   gewünschten  Erfolg  hat  :.7Ik 

wegs  können  wir  jedoch  annehmen,  dass  viele  der  innerlich  gorti  'irl 

die  baabsichtigte  Wirkung  äusserten.    l>  au  ihre  Wirkuug  bumhtJi 

gewiss  nicht  auf  den  Ergebnissen  gutei  nng  1 

Die  deutschen  Aerzte  des  l(i.  J;;  iimiki-  atniet* 

liehen  Mitteln  zur  Abtreibung  des  abgebt.  ;      u  ■  i  ITiifrn 

und  Eüelsmist.  von  eia«m  Natt'Cmhalg,  tou  Ai 


98.  Die  Abortivinittel 


551 


lam,  Upoponax,  Ftirberröthe,  Habicht-  und  Taubentoiat.  Man  gab  der 
Frau  WeiQ  titit  Asa  foetidu,  Raute,  Myrrhe  oder  mit  Sevenbaum,  auch  Ab* 
kochung  von  Feigen,  Foenu  grnceuui,  Raute,  Doste,  legte  ihr  einen  ZapJeJi 
von  Baumwolle  in  die  Scheide,  mit  Gummi  animoniacuiu,  Opoponai,  Cbriät- 
wurz  (Helleboru.s),  Läusesamen  (Staphysagria),  Osterlucey  (Aristolochia),  Colo- 
quinthen.  Kuhgiille  und  Rautensaft;  auch  bestrich  man  dieses  Zäpfchen  mit 
Rnuten8uft  und  Scaromonium,  mit  Uohlwurz,  Sevenbaum,  Gailenkrease  u.  s.  w. 
Die  Frau  niusste  die  Milch  einer  anderen  Frau  trinken;  ferner  Diptamsaft 
mit  Wein;  dann  folgten  Bfider  mit  Wasserminzc,  Gertwurz,  Beifuss,  Juden- 
pech n.  i,  w.  Erst  ziemlich  spilt  kamen  wirkaamere  Arzneien  zur  Kenninifis 
derAerzte.  In  Michard's  Botanik  heisst  es:  Früher  war  Seeale  in  Deutsch- 
id  Geheimmittel,  aber  schon  1747  wurde  es  von  einem  Geburtshelfer  an- 
rendet;  spater  untersuchte  es  Jenner  in  England  genauer. 
Wir  gelangen  nunmelir  zu  einer  Uebersicht  des  Verfahrens 
bei  den  jetzigen  Völkerschaften  und  zwar  wollen  wir  mit  den  irn- 
civiliairten  beginnen. 

A^ara  fragte  einst  die  Mbaya- Frauen  in  Paraguay, 
durch  welche  Mittel  sie  die  Abtreibung  bewerkstelligen?  ,Du 
sollst  es  gleich  sehen,"  gaben  sie  ihm  zur  Antwort.  Dax'auf 
legte  sich  eine  der  Frauen  vollkommen  nackt  auf  die  Erde 
nieder  und  zwei  alte  Weiber  fingen  au,  ihr  mit  den  Fäusten  die 
heftigsten  Schläge  auf  den  Unterleib  zu  versetzen,  bis  das  Blut  aus 
den  Geschlechtstheileu  herauslief.  Dies  war  für  sie  ein  Zeichen, 
dasa  die  Fracht  im  Abgehen  begriffen  sei,  und  A^aya  erfuhr  auch 
nach  wenig  Stunden,  dass  sie  wiiklich  abgegangen  war.  Zugleich 
sagte  man  ihm  al)er  auch,  dass  manche  von  diesen  Weibern  für  ihr 
ganzes  Leben  die  nachtheiligsten  F'olgen  davon  empfinden,  und  dass 
viele  sogar  theils  während  der  Operation  selbst,  theüs  an  den  Folgen 
derselben  sterben.  Auch  Renggfr  sagt  von  den  Payaguas  in  Pa- 
raguay: Hat  eine  Frau  schon  mehrere  Kinder,  so  lässt  sie  sich 
bei  der  näch.sten  Schwangerschaft  den  Leib  mit  Fäusten  kneten, 
um  eine  frühzeitige  Niederkunft  herbeizuführen,  ein  V^erfahren, 
welches  sogar  von  weissen  Mädchen  in  Paraguay  nachgeahmt  wurde. 
Bei  den  Queka-lndianern  im  hohen  Nordwesten  Amerikas 
bat  Jacohsen  mit  angesehen,  wie  die  Medicinmäuner  auf  dem 
ren  von  Weibern  und  Mädchen  knieeu,  um  keimendes  Leben  zu 
icken. 
Der  künstliche  Abortus  wird  in  Alaska  (Nordamerika)  bei 
den  Indianern  zuweilen  im  4.  Schwangerschaft.«iraonate  durch 
Kneten  und  Comprimiren  des  Utenus  vermittelst  der  Hand  durch 
die  Buuchdecken  ausgeführt. 

Ueber  das  Abtreibungsverfahren  der  Eskimos  berichtet  Bea- 
\tda:  Aehnlich,  wie  sich  im  missionarisirten  Grönland  die  Schwan- 
geren des  Kaminstockee  (ein  Stück  Hol/  zum  Ausweiten  der  tia^sen 
Fufisbt'kleidung)  zu  diesem  Zwecke  bedienen,  so  benutzen  die  Ita- 
nerinn)>n  des  Smith-Sundes  entweder  den  Peitschenstiel  oder 
elnou  andern  Gegenstand  und  klopfen  oder  pressen  sich  damit  gegen 
da«  Abdomen,    welche   Procedur  mehrmab    des  Tages  wiederholt 


XIX.  Unze 


wird.  Eine  andere  Art  der  Abtreibung  der  Leibesfrucht  besteht  in 
der  Perforation  der  Erabryonalhüllea ,  eine  Operation,  die  wns  in 
gelindes  Staunen  versetzt.  Eine  dünngeschnitzte  Walross-  oder 
Seehimdsrippe  ist  an  ihrem  einen  Ende  messerschneidenartig  zuge- 
schärft, während  das  entgegengesetzte  stumpf  und  abgerundet  ist. 
Das  erstere  trägt  einen  aus  gegerbtem  Seehundsfell  genähten  cylin- 
drisehen  Ueberzug,  der  an  beiden  Enden  oifen  ist  und  dessen  Länge 
derjenigen  des  schneidenden  Theiles  des  Knochenstücks  entsprichtr 
Sowohl  an  das  obere  als  an  das  untere  Ende  dieses  Futterals  ist 
ein  etwa  15  —  18  Zoll  langer  Faden  aus  ttennthiersehne  befestigt. 
Wird  diese  Sonde  in  die  Vagina  eingettihrt,  so  ist  der  schneidende 
Theil  durch  den  Lederüberzug  gedeckt.  Wenn  die  Operirende  weit 
genug  in  die  Geschlechtsöfinimg  eingedrungen  zu  sein  glaubt,  so 
übt  sie  einen  sanft«n  Zug  auf  den  an  dem  unteren  Ende  des  Futte- 
rals befestigten  Faden  aus.  Hierdurch  wird  selbstverständlich  die 
Messerschneide  blossgelegft,  worauf  eine  halbe  Umdrehung  der  Sonde 
vorgenommen  wird,  verbunden  mit  einem  Stosse  nach  oben  und 
innen.  Nachdem  die  Ruptur  der  Embryonalhüllen  erfolgt,  zieht 
man  das  Instrument  wieder  zurück ;  zuvor  aber  wird  ein  Zug  auf  den 
oberen  Faden  des  Messerfutterals  ausgeführt,  um  den  scharfen  Theil 
der  Sonde  zu  bedecken  und  hierdurch  einer  Verletzung  des  Ge- 
schlechtscanals  vorzubeugen.  Bessels  erfuhr,  dass  diese  Operation 
von  den  Schwangeren  stets  selbst  ausgefiihrt  wird. 

Die  Bewohner  der  nördlichen  Hudsonsbai  nöthigen  ihre 
Weiber^  sich  durch  den  Gebrauch  eines  gewissen,  dort  allgemein 
wachsenden  Krautes  ihre  Frucht  abzutreiben,  um  sich  von  der  be- 
schwerlichen Last  ihrer  hülflosen  Familie  zu  befreien.  (EUis.)  Das- 
selbe thun  auch  die  Irnkes innen  in  Cnnada,  sowohl  die  verhei- 
ratheten  als  auch  die  unverheiratheten.    {Frank.) 

Von  den  Eingeborenen  Kamtschatkas  berichtet  Steiler:  .Man 
kann  von  den  Itälmenen  sagen,  dass  sie  in  der  Ehe  mehr  Ab- 
sicht auf  die  Wollust,  als  auf  Erzeugung  der  Kinder  haben,  indem 
sie  die  Schwangerschaft  mit  allerlei  Arzneimitteln  hintertreiben  und 
die  Geburt  sowohl  mit  Kräutern,  als  mit  violenten  äusserlichen 
Unternehmungen  abzutreiben  suchen.  Die  Kinder  abzutreiben  haben 
sie  verschiedene  Mittel,  welche  ich  bis  dato  nur  dem  Namen  nach 
weiss,  aber  noch  nicht  gesehen  habe.  Das  grausamste  ist,  dass  sie 
die  Kinder  im  Mutt«rleibe  todt  drücken  und  ihnen  Arm  und  Beine 
durch  alte  Weiber  zerbrechen  und  zerquetschen  lassen.  Und  abor- 
tiren  sie  nach  diesen  die  todte  Frucht  ganz,  oder  sne  putrescirt  und 
kommt  in  Stücken  von  ihnen,  und  geschieht  es  öfters,  dass  anch 
die  Mutter  ihr  Leben  darüber  lassen  mnas,"  In  Sibirien  benntatCB 
die  Mädchen  die  Wurzel  von  Adonia  vemalis  und  Adonis  apennina. 
(FranJc.) 

Wenn  bei  den  Mongolen  ein  Mädchen  w£hrend  d£>r  Probe- 
zeit geschwängert  wird.  >«>  Iw'fn-Ir.  si«  ftir-K  iliiri'lk  i/i.WftltiSrfini»»    iTrri<<li>|j. 

theils  äusserliche,  «um  14. 


98.  Die  AbortivTuittel. 


553 


mders  giebt  es  eri'ahrene  alte  Weiber  unter  den  Kalmücken, 
dnrch  lange  fortgesetztes  Reiben  des  Unterleibes,  durch  Auf- 
legen glühender,  in  eine  alte  Schubsohle  gewickelter  Kohlen  auf  die 
Gegend  der  Gebärmutter  und  durch  andere  hautschauemde  Mani- 
pulationen, welche  die  Mädchen  mit  der  grössten  Geduld  ertragen 
sollen,  diesen  Zweck  zu  erreichen  suchen.    (Pallas,) 

la  Japan  ist  künstliche  Erregung  des  Abortus  nicht  gestattet; 
sie  gilt  in  den  besseren  Gesellschaftsklassen  fiir  eine  grosse  Schande. 
Dennoch  wird  dieselbe  bei  unehelich  Schwangeren  und  selbst  bei  ver- 
heiratheten  Frauen  aus  den  niederen  Ständen  sehr  häufig  ausgeführt 
Ton  einer  Art  Hebammen,  die  im  Uebrigen  ganz  unwissend  sind. 

Sie  bedienen  sich  seit  alter  Zeit  üazu  eines  Verfahrens,  das  erst  in 
diesem  Jahrhundert  bei  einigen  Geburtshelfern  für  die  kflustlichä  Erregung 
der  Frühgeburt  in  Aufnahme  gekommen  ist.  Dies  Verfahren  besteht  darin, 
daas  ein  mehr  als  Fuss  langes  Stück  der  biegsamen,  etwa  an  Dicke  einem 
Gänsekiel  gleichenden  Wurzel  von  Archyanthes  aspera  Thunberg  zwischen 
UteniHwand  und  Eihäute  geschoben  und  daselbst  1 — 2  Tage  liegen  gelassen 
wird.  Die  Wurzel  wird  vor  dem  Einführen,  das  mit  Hülfe  von  zwei  in  die 
Vagina  eingeschobenen  Fingern  geschieht,  mit  Moschus  bestrichen,  ansser- 
deoa  wird  auch  innerlich  Moschus  gegeben.  Der  Erfolg  dieses  Verfahrens 
ist  sicher.  Eine  Modification  desselben  ist  die  Einführung  von  Seidenfäden, 
die  mit  Moschns  imprügnirt  sind,  in  den  Müttermund.  Aber  auch  die  rohe 
Methode  des  Einstosscns  von  schwertförmig  zugespitzten  Bambusstäben  oder 
zugespitzten  Zweigen  einiger  Sträncher  in  den  Muttermund  kommt  vor  und 
führt  nicht  selten  zum  Tode.  Als  geeigneter  Moment  zur  Ausführung  gilt 
der  4.  und  5.  Schwangerschaftsmouat. 

In  der  chinesischen  Abhandlung  über  Geburtshülfe,  welche 
V,  Mitrtius  übersetzte  und  die  von  einem  chinesischen  Arzt  zur 
Belehrung  des  Volies  geschrieben  ist,  werden  die  Mittel  genannt, 
welche  dem  Volke  zur  möglichst  schnellen  und  gefahrlosen  Ent- 
fernung einer  abgestorbenen  Frucht  angerathen  werden. 

„Im  Falle  man  vergewissert  ist,  dass  die  Fracht  bereits  im  Leibe  der 
Matter  abgestorben,  so  m'nss  mau  der  Mutter  die  Arznei  Fo-scba-san  ein- 
geben. Nach  dieser  wird  die  Frucht  sehr  leicht  und  ohne  Schmerzen  ab- 
gehen. Sollte  genanntes  Mittel  nicht  die  gewünschte  Wirkung  hervorbringen, 
dann  mische  man  einen  Theil  von  der  Arznei  Fin-wei-san  mit  drei  Thoileu 
von  der  Arznei  Pu-si-uh-jem  zusammen  und  lasse  diese  Mischung  die  Mutter 
einnehmen.  Diese  vortrefflichen  Mitt«>l  haben  uralte  weise  Männer  zum  Besten 
der  Nachkommenschaft  zusammengesetzt.  Da«  Mittel  selbst  zu  bereiten  ist 
eine  sehr  leichte  Sache,  es  kann  dies  ein  Jedes.  Mache  daher  ja  von  keiner 
anderen  unbekannten  oder  ungewöhnlichen  Medicin  Gebrauch.* 

Der  Arzt  hält  diese  Abortivmittel  demnach  nur  beim  Tode  der 
Frucht  Tür  indicirt.  Das  Volk  in  China  wird  sich  wohl  kaum  auf 
diew  Indication  beschränken. 

Auf  der  Insel  Formosa  wird  der  Leib  der  Schwangeren  mit 
Ffi^sen  getreten,  um  Abortus  zu  bewirken.  Von  den  Chinesen 
^  n  hierzu,   mich  Scherser,   vielfach   der  Moschus  (Shu- 

'••ht. 
Slam  exigtirt   ein  Abortivmittel ,   welches  von  den  Einge» 


XIX.   Lnzeitige  Geburten. 


borenen  vielfach  benutzt,  aber  geheim  gehalten  wird,  wenigstens 
konnte  Schombimfk y  welcher  sich  Mühe  gab,  Näheres  darüber  ru 
erfahren,  nicht  herausbekommen,  welche  Pflanze  man  hierzu  benutzte, 
denn  mau  konnte  ihm  nur  so  viel  mittheilen,  dass  es  ein  Mittel 
vegetabilischer  Natur  sei. 

In  Karikal,  einer  französischen  Besitzung  in  Ostindien, 
wird  unter  der  Bezeichnung  schwarzer  Kümmel  die  Nigella  sativa 
(eine  Helleborus-Art)  benutzt,  deren  scharfutherische  Samen  in  klei- 
neren Gaben  (bis  15  Gran)  als  Emmenagogum,  in  grösseren  als 
Abortiviun  wirken  sollen ;  sie  werden  gepulvert  und  mit  Palmzucker 
als  Paste  genommen.  [CanoUe)  Die  Mainaten,  die  dort  woh- 
nen, Itihren  in  den  Uterus  ein  festes  Instrument,  welches  die  Form 
eines  dünnen  Steckens  hat.  Sie  sprechen  auch  von  der  Anwendung 
einer  geschnittenen  Binse,  die  an  ihren  beiden  Enden  0,10  Ctm. 
lang  und  4  Millini.  im  Durchmesser  ist,  in  den  Uterus  gebracht 
wird  und  hier  liegen  bleibt. 

Auch  in  dem  übrigen  Indien  ist  die  Abtreibimg  der  Leibes- 
frucht selir  gebräuchlich.  Ueber  die  Mittel,  welche  hier  angewendet 
werden,  berichtet  Sfiorft: 

,Der  Saft  der  friachen  Blätter  von  Bambuea  arundicea,  der  Milchsaft 
verschiedener  Euphorbiaceen  (E.  tirucalli,  E.  fortüis»  E.  Antiqaorum  und 
Calatrapis  gigantea),  auch  Aea  foelida,  vermischt  mit  verschiedenen  wohl- 
riechenden und  gewürzhaften  Substanzen,  wird  viel  benatzt.  Als  das  wirk- 
samste Mittel  wird  jedoch  die  Plumbago  Zej'lanica  angesehen,  deren  Wurael 
gewöhnUch  innerlich  gereicht,  aber  auch  local  angewendet  wird.  Die  Wurael 
wird  dann  Eugeq)itzt  und  imiss  mit  grosser  Gewalt  in  den  Uterus  geschoben 
werden,  da  Shortt  die  Wurzel  in  inehreren  Fällen  noch  daselbst  antraf, 
während  die  Frucht  bereits  auegestossen  war.  In  der  Leiche  einer  Frau,  die 
abortirt  hatte,  ward  der  Fundus  uteri  an  drei  verschiedenen  Stellen  per- 
forlrt  gefunden.  Solche  Fälle  sollen  nicht  selten  sein,  wie  denn  anderweitig» 
Oebälrmutterkranl^heiten   infolge  solcher  Behandlung  dort  sehr  häufig  sind.* 

Unter  den  Hindus  in  Calcutta  giebt  es  Leute,  die  sich  pro- 
fessionsmässig  mit  dem  Geschäfte  des  Abortus  befassen  und  sich 
dazu  entweder  des  Eihautstiches  oder  medicamentöser  Tränke  be- 
dienen, in  welchen  Asa  foetida  eine  grosse  Rolle  zu  spielen  scbemt. 
(Webb.) 

Nach  einem  älteren  Berichte  {Krimi fs)  soUen  in  Ostindien 
die  löderlichen  Frauenzimmer  sich  ihr  Kind  durch  imreife  Ananas 
abtreiben,  und  hiermit  steht  es  vielleicht  in  Zusarauienhang,  dik<* 
die  Schwangeren  auf  Keisar,  selbst  wenn  sie  an  Gelüsten  leidea« 
die  Ananas  nicht  essen  dürfen. 

Um  gleich  bei  dem   malaiischen  Archipel   zu  bleiben,   tm 
eine  andere  Angabe  von  Ilietlel  erwähnt,  dass  die  Frauen  auf  Ba- 
bar,    um   den  Abortus  einzuleiten,    einen  Extract    von   «^niicheni 
Pfeö'er  in  Arac  trinken.     Ausserdem   aber  tritt  derjeiii^,' 
schwängerte,    täglich   im   Haui^e   oder   im   Wald.'    vorsi 
Leib,  um  die  Frucht   zu  entfernen.     Bei  den  (> 


98.  Die  Abortivmittel.  555 

loresen  auf  Djailolo  sind  Abortiva  aus  Kalapa-Oel,  Citronen- 
saft  und  verscliiedenen  Baum  wurzeln  bereitet,  viel  in  Gebrauch. 

Kindsabtreibung  ist  auch  auf  den  Neu-Hebriden  (Insel  Vate) 
gebrauchlich  und  zwar  wird  dieselbe  theils  durch  pflanzliche,  theils 
durch  mechanische  Mittel  angestrebt.  Für  jede  dieser  beiden  Arten 
haben  sie  einen  besonderen  Namen.  Die  in  Anwendung  gezogene 
Pflanze  ist  nicht  bekannt,  sie  heisst  bei  ihnen  nur  Pflanze  der 
Fruchtabtreibung  (Pflanze  des  Saibirien).  Die  mechanische  Art  be- 
steht in  Drücken  und  Kneten  des  Leibes  durch  die  Hebanuuen,  wo- 
durch das  Kind  getodtet  wird.  An  dieser  Behandlung  (mitimauri 
genannt)  geht  ein  Theil  der  Frauen  zu  Grunde.     (Jamieson.) 

Die  Noeforezen,  ein  Papua-Stamm  auf  der  Insel  Noefoor, 
unweit  Neu-Guinea,  betreiben  die  Fruchtabtreibung,  wenn  ihre 
Frauen  3 — 4  Kinder  geboren  haben  und  nun  nicht  mehr  gebären 
wollen.  Die  Frauen  lassen  sich  ausser  dem  Gebräu,  das  sie  ein- 
nehmen, ihren  Leib  mit  einem  Rohrbande  fest  zusammenschnüren 
und  dann  mit  Füssen  treten,  so  dass  die  Frucht  mit  Gewalt  abge- 
trieben wird,     (van  Hassdt.) 

Von  den  Samoa-Inseln  wird  berichtet,  dass  man  sich  dort 
»mechanischer  Mittel'  zum  Abortiren  unter  den  Eingeborenen 
bedient. 

Eine  grosse  Kunstfertigkeit  in  der  Kunst  des  Abtreibens  be- 
sitzen nach  de  Rochas'  Angabe  die  Papuas  auf  Neucaledonien; 
eine  sehr  gebräuchliche  Art  abzutreiben  nennen  sie  die  „Bananen- 
Kur".  Scheinbar  besteht  sie  darin,  dass  die  Schwangere  gekochte 
grüne  Bananen  siedend  yerschlingt.  Da  die  Bananen  völlig  vmschäd- 
lich  sind,  so  dienen  sie,  wie  Rochas  meint,  nur  zur  Verschleierung 
des  wahren,  bis  jetzt  noch  nicht  entdeckten  Abortivraittels.  Nicht 
selten  horte  Rochas  aus  dem  Munde  der  Eingeborenen:  ,Da  geht 
auch  Eine,  die  Bananen  genommen  hat.*  Auch  Moncelon  giebt 
an,  dass  ihre  Mittel  unbekannt,  aber  vegetabilischer  Natur  wären. 
Er  glaubt,  dass  gewisse  Baumrinden  dazu  benutzt  werden. 

Von  den  Eingeborenen  der  australischen  Colonie  Victoria 
schreibt  Oherländer :  Abortion  durch  Druck  kommt  keineswegs  selten 
vor,  besonders  nach  einem  Zanke  zwischen  Mann  und  Frau. 

In  Persien  lassen  sich  die  Schwangeren,  insbesondere  die 
Unverheiratheten,  im  6.  oder  7.  Monat  den  Abortus  dadurch  herbei- 
führen, dass  die  Hebamme  mittelst  eines  Hakens  die  Eihäute  sprengt, 
was  in  Teheran  von  mehreren  deshalb  renommirten  Hebammen  mit 
grosser  Geschicklichkeit  ausgeführt  wird.  Nur  einzelne  unglück- 
liche Geschöpfe  wollen  sich  selbst  helfen;  sie  setzen  massenhafte 
Blutegel  an,  machen  Aderlässe  an  den  Füssen,  nehmen  Brechmittel 
aus  Sulphas  cupri,  Drastica  oder  die  Sprossen  von  der  Dattelkrone; 
und  fruchten  alle  diese  Mittel  nicht,  so  lassen  sie  sich  den  Unter- 
leib walken  und  treten.  Viele  dieser  Unglücklichen  gehen  zu  Grunde. 
Fohk,  der  dies  erzählt,   wurde  in  Teheran  oft  um  Abortivmittel 


XIX.  Uiueitige  Geburten. 


gebeteiL  In  der  persischen  Provinz  Gilan  am  caspischen 
Meere  bewirkt  man  die  Abtreibung  durch  Schläge,  Stöase,  Druck 
u.  8.  w.  auf  den  Bauch,  innerlich  durch  drastische  Purganzen. 
(Häntssche's  Mittheil.) 

In  der  Türkei  treiben  die  Hebammen  die  Frucht  durch  Ein- 
führung irgend  eines  reizenden  Körpers  (z.  B.  einer  Pfeilenspitze) 
in  die  Gebärmutter  ab.  (Eratn.)  Den  türkischen  Weibern  sind 
nach  Oppenheim  der  Safran  und  die  Sabina  als  Abortivmittei  be- 
kannt; ausserdem  bedienen  sie  sich  häufig  der  Foha  aurantiorum 
mit  der  Jalappen- Wurzel,  die  sie  mit  kpchendera  Wasser  infon- 
diren  und  als  Thee  trinken  lassen,  ein  Mittel,  das  sie  seiner  Sicher- 
heit wegen  allen  anderen  vorziehen,  nur  sollen  seiner  Anwendung 
lebensgefahrliche  Blutungen  folgen. 

Die  Weiber  in  Alexandrien  benutzen  Pfeffer,  auch  Lorbeer 
und  andere  Mittel,  ausserdem  übt  man  hier  das  Kitzeln  der  Gebär- 
mutter mittelst  eines  Stückes  Holz  aus.  (Bericht  des  ehemal.  Consul 
Gerhard.) 

Von  den  jetzigen  Arabern  wird  Aehnliches  berichtet;  so  sagt  Jiique, 
Militärant  in  Algerien,  daas  die  Matronen,  welche  boi  den  arabiacUen 
Stämmen  Algiers  die  Entbindungen  besorgen,  auch  den  künstlichen  Abortus 
einleiten,  indem  sie  die  Function  der  Eihäute  ausführen.  Rüiue  gab  selbst 
bei  einer  auf  solche  Weise  entbundenen  Frau  in  der  Nähe  dea  Muttermunde«, 
den  die  ungeschickte  Hand  der  Matrone  verfehlt  hatte,  zwei  bis  drei  Wunden, 
die  Ton  einem  spitzen  Instrumente  herrührten.  Wenn  die  Eingeborenen  in 
Algerien  fürchten,  dass  das  Kind  ün  Mutterleibe  abgestorben  ist,  so  luuaa  die 
Schwangere  ein  Getränk  zu  sich  nehmen,  bestehend  aus  Honig  und  vrarmer 
Milch,  in  welchem  Pulver  von  Vitriol  Zdadj  aufgelöst  ist,  dann  soll  das  Kind 
abgehen;  sollte  letzteres  aber  noch  nicht  ganz  todt  sein,  so  wird  es  sich  auf 
die  Seite  wenden  und  dann  bestimmt  ausgetrieben  werden.  {Berthera»d.) 

Andere  Abtreibemittel,  deren  sich  die  Frauen  der  Eingeborenen  in 
Algerien  bedienen,  sind:  die  saure  Milch  einer  Hilndin,  vermischt  mit  zer- 
quetschten und  geschulten  Quitten  getrunken.  Oder  die  Frau  muas  drei 
Tage  lang  eine  Abkochung  der  Spargel wurxel  und  der  Färberröthe- (Krupp-) 
wuncel  trinken.  Oder  ein  Taleb  musa  auf  dem  Boden  einer  Tasse  zwei 
Worte  aus  dem  Koran  achreiben,  und  man  wäscht  dann  diese  Worte  üb  mit 
einer  Mischung  von  Wasser,  Oel,  Kümmel,  Raute  und  Rettig;  diee«  Sub- 
stanzen rauss  die  Frau  selbst  auf  dem  Boden  der  beschriebenen  Tanse  xcr^ 
quetschen  und  hin-  und  herreibeu,  dann  drei  Tage  lang  davou  trinken; 
hierauf  wird  das  Kind  in  ihrem  Leibe  eine  solche  Lage  bekommen,  daas  e« 
leicht  abgeht.  Audi  umss  die  Frau  10  Tage  lang  fünfmal  tt^'llch  eine 
Mischung  von  Milch  und  Salz  trinken;  ist  daa  Kind  hiervon  nicht  herab- 
gestiegen, so  trinke  sie  süsse  und  saure  Milch  von  zwei  Kühen,  gemischt 
mit  Essig;  schon  ein  Schluck  davon  befreit  sie  vom  Kinde.  Sie  miscfaea 
Spargel  und  Talarfarat  (?)  durcheinander,  actzen  ein  wenig  Mehl  tu  und 
kochen  es  mit  etwas  Wasser;  hiervon  essen  sie  drei  Tage  laug,  wtlbrvod 
deren  sie  gleichzeitig  Wasser  trinken  aus  einer  Tasse,  auf  deren  Boden  g** 
schrieben  stehen  die  Worte;  Mit  Gott!  Djbrahil  (Name  eine»  Engel«) t  Mit 
Gott,  mein  Engel  (hier  folgt  der  Name  des  Engels  der  Frau) !  Mit  Qottl 
Srafil  (Name  eine«  Engels)!  Mit  Gottl  Äzrail  (Name  eines  Engel«)!  Mit 
Univ.  MohamiiKd  (der  Prophet)!    Grass  sei  ihm,  zrweimal   Gnissl    Er  Ut  ••, ' 


98.  Die  Abortivmittel.  557 

welcher  auferweckt,  der  darch  seine  Kraft  vom  Tode  wieder  erstehen  lässt. 
Er  hat  gesagt:  Er  lebe!  zu  dir,  die  zum  ersten  Male  empfangen  hat;  er  hat 
CB  gesagt,  wenn  sie  trinkt  während  dreier  Tage  die  Farbe,  mit  welcher  in 
die  Tasse  geschrieben  ist.    {Bertherand.) 

Vor  Abortas  schreckt  man  nach  Nachtigal  auch  in  Fezzan  nicht 
stoück,  denn  kein  Gesetz  verbietet  ihn;  iJte  Weiber  besorgen  ihn 
mittelst  Kügelchen  von  Rauchtabak  oder  von  Baumwoue  mit 
iem  Safte  des  Oschar  (Colotropis  precera),  innerlich  sollen  Russ 
irdener  Kochgeschirre  imd  eine  Henna-Maceration  dieselbe  Wirkung 
haben.  In  Aetbiopien  wird  Holz  und  Harz  der  Ceder,  des  Sade- 
banmes  zur  Erzeugung  des  Abortus  benutzt.  {Hartmann.)  In 
Massaua  benutzt  man  nach  Brehm's  mir  übergebenem  Bericht 
Absud  einer  nicht  näher  bezeichneten  Thuja-Art.  Die  Ausführung 
des  künstlichen  Abortus  geschieht  bei  den  Wol  off -Negern  durch 
Marabuts;  doch  nicht  alle  von  diesen  betreiben  das  Qeschäft,  viel- 
mehr wohnen  die  Specialisten  im  Inneren,  besonders  in  der  Gegend 
von  Cayor.  Dortbin  begeben  sich  die  freiwilligen  Opfer,  um  von 
dem  Kinde  befreit  zu  werden.  Worin  das  Verfahren  besteht,  konnte 
de  JRochebrune  nicht  erfahren,  nur  so  viel  glaubt  er  erforscht  zu 
haben f  dass  in  gewissen  Fällen  Arzneien  eine  Rolle  spielen,  dass 
jedoch  auch  mechanische  Handlungen  nicht  ausgeschlossen  sind. 

Die  Negerinnen  in  Old-Calabar  nehmen  im  dritten  Schwan- 
gerschaftsmonat Medicin,  um,  wie  sie  sagen,  zu  prüfen,  welchen 
Werth  die  Empfangniss  habe: 

Sie  unterscheiden  nämlich  drei  Arten  einer  misslungenen  Conception: 
1.  die  Conception  von  ZwUlingen,  2.  die  Conception  eines  zu  früh  abgehenden 
Embryo,  und  8.  die  Conception  eines  Kindes,  welche»  bald  nach  der  Geburt 
■tirbt.  Sie  nehmen  nun  die  Medicin  zu  dem  Zwecke  ein,  um  eine  solch«* 
Conception  zn  vernichten,  bevor  sie,  wie  sie  meinen,  völlig  Platz  gegriffen 
hat.  Diese  Arzneien  werden  durch  den  Mund,  durch  den  After  und  durch 
die  Scheide  eingeführt.  Zuerst  auf  dem  Wege  durch  den  Mund  und  durch 
den  After;  wenn  dann  eine  blutige  Ausscheidung  aus  der  Vagina  erfolgt,  so 
wird  die  Wirkung  dieser  Arzneien  unterstützt  durch  eine  unmittelbare  Appli- 
.eation  an  den  Oebärmuttermund.  Zu  letzterem  Zweck  nehmen  sie  eine  von  drei 
Pflanzen,  eine  Euphorbia,  eine  Leguminose  oder  ein  Amomum.  Das  Stengel- 
ende des  Blattstieis  der  Euphorbia,  welches  seinen  Saft  ausschwitzt,  wird  in 
die  Vagina  geschoben;  zu  demselben  Zweck  wird  die  Schote  einer  Hüli«en- 
frocht  eingelegt  oder  eine  kleine  Menge  Guineapfefier  mit  Speichel  zu  einer 
Masse  zosammengerieben;  dieser  GuineapfefTer  aber  ist  eine  Amomuui-Art. 
Nach  Verlauf  weniger  Tage  tritt  Abortus  ein.  Allein  es  ist  nicht  der  wahr«.- 
und  einfache  Abortus,  welchen  die  Negerinnen  wUnHchen,  es  ist  nach  ihrer 
Meinung  nur  ein  unter  jenen  Bedingungen  auftretender.  Kr  findet  nur  zur 
Verhinderung  einer  jener  drei  Conceptionsarten  statt,  welche  nach  An-icht 
der  Negerweiber  unnatürliche  sind  und  keinen  Halt  im  Uterus  haben. 

Aber  nicht  selten  kommt  e.s  vor,  da.s.s  i'w  Wirkung  eine  zu 
starke  war;  später  entwickeln  sich  constitutionelle  Störungen  und 
oiffanische  Leiden,  und  es  folgt  der  Tod.  (Henan.)  Bei  den  Herero 
giß  Pfe£fer  als  Abortivmittel. 


558 


XTX.  tTttzeitIg«  Geburten. 


Bei  den  Weissen  in  Amerika  sollen  die  gewerbsmässigen  Ab- 
treiber  besonders  Junipenis  virgininna  gebrauchen.  ^ait  be- 
obachtete dort  vier  Vergiltuugsfälle  mit  diesem  Mittel.  Doch  wird 
auf  alle  Fälle  Ton  den  geübteren  Personen  ein  mechanisches  Ver- 
fahren- benutzt. 

Die   Engländerinnen    gebrauchen    nach    Taylor    namentlich 
Juniperus  Sabina,  aber  die  Blätter  des  Taxus  (Eibenbaimi)  scheine 
ebenfalls  renommirt  und  gebräuchlich  zu  sein;  auch  Eisenmittel  (Siil" 
phat,  Chlorit)  und  in  seltenen  Fällen  Canthariden  werden  angewendet. 

In  Russlaud  sind  als  Abortivmittel  nach  Krcbel's  Angabe 
innerlich  Sublimat,  Sabina  und  Seeale  comutum  gebräuchlich.  In 
Esthland  aber  nehmen  die  schwangeren  Mädchen  Mercurius  vivua 
mit  Fett  gemischt;  nach  v.  Lua:  inuner  vergeblich. 

Eine  ganz  besondere  Methode  zur  Fruchtabtreibimg  scheint  ein 
Pfuscher  in  Schweden  auszuüben.  Edlhuj  berichtet  von  eint>m 
tödtlich  abgelaufenen  Fall,  wo  sich  eine  Frauensperson  von  eint-m 
Feldhüttenbesitzer  eine  geheime  Manipulation  machen  Hess ;  derselbe 
gab  ihr  eine  Röhre,  die  sie  so  weit  als  möglich  in  den  Leib  ein- 
fTihren  musste ;  dann  that  er  in  dieselbe  einen  Stotf  und  blies  hinein. 
Bei  der  Sectiou  fand  sich  eine  arsenige  Säure  im  Uterus. 

Im  jetzigen  Griechenland  ist  nach  den  mir  von  Professc 
Damian  Geonf  in  Athen  vor  mehreren  Jahren  zugegangenen  brief- 
lichen Mittheilungen  am  gebräuchlichsten  Opium  oder  Belladonna, 
welches  die  Frauen  gewaltsam  in  die  Scheide  einführen;  weniger 
gebräuchlich  ist  das  Sitzen  auf  sehr  heissen  sttMuemen  Berkt?ti 
innerhalb  des  Bades,  und  drittens  die  Pellentia,  namentlich  Kuda 
odorans,  Sabina  und  der  Bernstein,  selten  allgemeine  Aderl&aee, 
welche  immer  am  Fusse  gemacht  werden. 

Bei  weitem    die    grosste  Erfind imgsgabe   auf  dem  Gebiete  der 
unsauberen   Kunst   des   Fruchtabtreibens   scheint  Frankreich   be- 
wiesen zu  haben,  wenn  man  auch  nicht  leugnen  kann,  dass  im  Volke 
auch   eine  Reihe   ganz   unschuldiger   Mittel   in    Gebrauch   gezogen 
werden.     Namentlich   haben   Tardim  und   Goilard   diesem   Oeg« 
stände  ihre  Aufmerksamkeit  geschenkt.     Meerzwiebel,  Sassaparilk 
Guajak,  Aloe,  Melisse,  Camille,  Artemisia,  Safran,  Absinth,  Vanillf», 
Wacliholder,   aber  auch  Seeale   comutum,  Jodpräparate   und    Alo.""-, 
Juniperus   Sabina  und   dessen   ätherisches    Oel   kamen    ihnen   vor. 
Durch  letzteres,   durch  Cantharidenpulver  mit  Magnesia  sulphuricj 
und  durch  einen  Trank,  welcher  aus  Feldkelle,  Rainfarm,  Johaunia 
kraut,  Sadebaimi  und  Russ  bereitet,  sahen  sie  mehr  als  die  Hälfte" 
der  Schwangeren  zu  Grunde  gehen. 

Bäder    und    Blutentziehuugen    aller    Art,    körperliche    Uel 
mQdung,  Fall,   Stösse   und  Schläge   gegen  den  Leib  wurden  el 
falls   oft   in  Anwendung  gezogen.     Ausserdem    kommen   abor  at 
hier  die  directen  Einführungen  in  die  Gel  •  r  vor,  Ui»' 

durch  Strick-  imd  Häkelnadeln.   Auch  die  i.  liit  wai'  i 


98.  Die  Abortivmittel. 


559 


Fallen  versucht  wordeu.     Die  MortalitÄt  (i«*r  zur  Kenntnis»  der  Be- 
hörden gekommenen  Fälle  betrug  60  Procent, 

Unter  den  slavischen  Volksstämmen  Deutschlands 
scheinen  ziemlich  ähnliche  Abortivmittel  heimisch  zu  sein,  wie  unter 
den  deutschen.  In  Böhmen  suchten  sich  nach  J[/a.sr7//ra  schwangere 
Mädchen  die  Frucht  durch  Bier  mit  Paeonia,  durch  Asarum  enro- 
paeum,  durch  Decoct  von  Ruta  graveolens  und  GlaubersalzJösung 
abzutreiben.  Zechmeister  berichtet,  dass  in  der  Gegend  von  Essegg 
in  Böhmen  nicht  selten  Schwangere  im  5.  oder  6.  Monat  abortiren 
mit  Holte  gewisser  Frauen,  welche  die  Sache  systematisch  betreiben, 
indem  sie  mittelst  einer  Spindel  diu-ch  den  Muttermund  die  Eihäute, 
ja  auch  den  Kindeskopf  durchstechen.  In  einem  Falle  war  dem 
Mädchen  ein  sechs  Zoll  langer  federkieldicker  Zweig  in  die  Scheide 
so  eingeführt  wordeu,  dass  sein  vorderes  Ende  im  Muttermund  sich 
befand,  während  das  andere  rlickwärts  in  der  Masse  des  Kreuz- 
beines steckte. 

Die  Abortivmittel,  welche  im  Volke  in  den  verschiedenen 
Theileu  Deutschlands  in  Anwendung  gezogen  werden,  bieten  im 
Ganzen  nur  geringe  Abweichungen  von  einander  dar.  lieber  die 
im  Frankeuwalde  gebräuchlichen  Mittel  zum  Abtreiben  führe 
ich  die  Angaben  an,  welche  wir  durch  Flügel  erhielten.  Dort 
bezeichnet  man  besonders  hohes  und  weites  Hiuauslangen  mit  den 
Armen,  schweres  Heben,  Tragen,  Tanzen,  Springen,  liolperiges 
Fahren ,  freiwilliges  Fallen ,  Belastimg  des  Leibes ,  sich  treten 
lassen  u.  s.  w.  als  der  Schwangerschaft  sehr  feindliche,  beziehungs- 
weise hülfreiche  Vorgänge.  Manche  Weiber  legen  einen  holien 
VV.'ith  auf  das  Auswinden  von  nasser  Wäsche  mit  einiger  Kraft. 
.Mutter kraut*  wird  im  Frankenwalde  jedes  Kraut  genannt,  von 
dem  ma^i  glaubt,  dass  es  treibende,  die  Thätigkeit  der  Gebärnmtter 
anregende  oder  auch  beruhigende  Kräfte  besitzt,  so  zunächst  Me- 
lisse, dann  Minze,  Raute  u,  s.  w.  Fast  dmrchweg  kennt  man  den 
Sadebaum,  Segelesbaum,  weit  seltener  das  Mutterkorn.  In  massigem 
Rufe  stehen  ferner  Brech-  und  Abfilhrraittel,  besonders  Aloe,  dann 
starker  Katfee,  Ziinmt.  Safran:  die  Mutterblätter  d.  h.  Sennesblätter 
reinigen  bekanntlich  die  Gebärmutter.  Vom  Schiesspulver  sagt  eine 
rohe  Weise:  es  macht  olfen,  da  müsse  es  ztt  einem  Loche  hinaas. 
Im  Stern-  und  Planetenbalsam  (Perubalsam)  vermuthet  man  eine 
y^  •    geheime    Kraft.,    er    dient    gegen    L^nvermögen    nnd   als 

fu.  Essig  trinken,  viel  Kochsalz  essen,  dauernd  hungern, 
'  viel  Hratuitwein,  überhaupt  scharte  giftige  Sachen  zu  sich  zu  nehmen, 
gelten  weiter  als  Abortiva,  Buben,  meint  man,  seien  leichter  ab- 
zutreiben, als  Mädchen.  «Das  kann  ju  kein  Mord  sein,  denn  es 
hat  ju  kein  Leben,"  sagt  nuwj  unschukligerweise  und  verleitet  durch 
ilen  Umstand,  djuss  <lie  Schwjingere  in  der  ersten  Hälfte  der  Schwan- 
gerschuft die  Bewegungen  des  Kindes  nicht  fühlt.  Man  bittet  wohl 
auch  den  Arzt  um  ein  Mittel,  »welches  die  Jsabelschmu-  abfris.st.* 
Im   Frankenwaldc   glauben   aueh   die   geschwängerten   Mädchen, 


560  ^I^-  Unzeitige  Gebarten. 

durch  wiederholten  Aderlass  die  Frucht  abtreiben  zu  können,  auch 
lassen  sie  sich  spitze  Gegenstände  in  die  Scheide  stossen. 

Wenn  man  den  Mädchen  in  der  Pfalz  durch  Fragen  entlockt, 
dass  sie  schon  Thee  von  den  Blättern  des  Sevenbaumes  (Juniperus 
Sabina)  getrunken  haben,  so  kann  man  6  gegen  1  setzen^  dass  man 
eine  Schwangerschaft  vor  sich  habe,  die  man  nur  unter  der  Form 
einer  Krankheit  vertreiben  soll.  {Pauli.)  In  Schwaben  suchen  sich 
die.  Mädchen  die  Frucht  ebenfaUs  durch  Sadebaum  oder  Beifiiss  ab- 
zutreiben, auch  glaubt  man  dort,  dass  man  die  todte  Frucht  ab- 
reiben kann,  wenn  man  die  Frau  mit  Ro^sschmalz  von  unten 
hinauf  räuchert.  (Bück.) 

Die  Steyermärkerinnen  benutzen  nach  Fossel  als  Abortive 
scharfe  Abführmittel,  Mutterkorn,  Jimiperus  Sabina,  die  Zweige  und 
Blätter  von  Rosmarin  und  Aufgüsse  von  Theer. 

In  der  Gegend  von  Ohrdruff  (Thüringen)  glaubt  man  im 
Volke,  dass  die  Schwangerschaft  verschwinde,  wenn  eine  Schwan- 
gere einen  Tropfen  Blut  unter  gewissen  Ceremonien  in  einen  Baum 
bohrt. 

In  früher  Zeit  scheint  schwarze  Seife  als  Abortivmittel  gegolten 
zu  haben,  denn  schon  Lindenstolpe  nennt  sie  unter  denselben: 
„famosus  in  Belgio  sapo  niger". 

Im  Herzogthum  Schleswig  fand  Thomsen,  PKysikus  in 
Oappeln,  dass  von  einer  Frau,  welche  das  Abtreiben  gewerbs- 
mässig betrieb,  regelmässig  gewisse  Mittel  in  einer  b^itunmten 
Reihenfolge  in  Anwendung  gebracht  wurden. 

Sic  verordnete  zuerst  Abkochungen  von  Hopfen  und  Brombeerblättem 
(RubuB  fructicosus),  dann  Thymian  oder  Quendel  (Thymus  serpyllnm),  Ros- 
marin (in  Schleswig  von  den  gemeinen  Leuten  nur  als  Topfzierpfiänze 
cultivirt)  und  Camillen;  ferner  Geil  (Spartium  scoparium),  der  aus  einer  ent- 
fernten Haidegegend  herbeigeschafft  werden  musste.  Darauf  ging  die  Frau 
zu  den  stärker  wirkenden  Mitteln,  zum  'Lebensbaum  (Thuja  occidentalin, 
dort  nur  in  geschlossenen  Gärten  als  Zierstrauch  gehegt  und  oft  von  den 
Mädchen  als  Emmenagognm  und ' Abortivum  heimlich  benutzt)  und  zur  Sa- 
bina (Juniperus  sabina)  Ober.  Andere  Mittel,  welche  in  jener  Gegend  ge- 
bräuchlich sind,  sind  das  ilorescirendo  Kraut  des  gemeinen  Beifusses  (Arte- 
misia  Tulg.),  Brechmittel  und  Abkochungen  der  Blüthen  der  grossen  gefüllten 
Bauerrose  (Paeonia).  Das  Hauptmittel  aber  der  erwähnten  berfihmten  Ab- 
treiberin  war  Safran  (Crocus  sativus),  von  dem  die  Schwangere  etwa  eine 
Drachme  mit  einer  Flasche  Wasser  unter  Zusatz  von  etwas  Stärke  gekocht 
in  zwei  Portionen  früh  und  Abends  zu  sich  nehmen  musste  (die  Folgen  waren 
nach  1/2  Stunde  üebelkeit  mit  Würgen,  Müdigkeit,  Eingenommensein  und 
Schmerzen  des  Kopfes,  und  nach  dreitägigem  Gebrauche  des  Mittels  Schmerzen 
im  Leibe  und  Reissen  in  allen  Gliedern).  Wurde  hierdurch  nicht  die  er- 
wünschte Wirkung  erzielt,  so  nahm  die  Abtreiberin  mit  Hülfe  eines  Mannes 
mechanische  Manipulationen  vor:  Die  Schwangere  musste  sich  auf  den  Rücken 
legen,  worauf  die  Abtreiberin  beide  Fäuste  auf  den  Bauch  der  Schwangeren 
stemmte  und  damit  so  stark,  als  letztere  es  aushalten  konnte,  vom  Nabel 
abwärts  in's  Becken  presste.  Nun  legte  sich  der  Gehülfe  der  Abtreiberin  aaf 
die  Knie  zwischen  die  beiden  ausgespreiztm  Beine  der  Schwangeren  hin,  fabt 


)ie  Ahortiviuittcl. 


5(U 


I 


I 

I 


Ficgeru  in  die  Scheide  uud  arbeitete  dariii  bo  lang«  beram ,  bis  es 
ihm  gslang,  eine  ..dttnae  Haut"  zu  durcbatoseen.  Diese  Operation,  -vrelcUe 
als  eine  sebr  scbmerahafte  bezeichnet  wurde,  hatte  uicbt  jedesmal  sogleich 
den  gewünschten  Ert'olg,  sondern  musste  in  mehrtägigen  Zwi^cbenräuraen, 
in  einem  FaHe  sogar  fünfmal,  wiederholt  werden,  ehe  der  Abortua  wirk- 
lich eintrat. 

Werfen  wir  noch  einmal  einen  Blick  zurllck  auf  die  Fülle  der 
Abtreibeniittel,  wie  das  Volk  sie  in  den  verschiedensten  Tbeüen  der 
Erde  in  Anwendung  zieht,  so  sind  wir  im  Stande,  sie  in  bestimmte 
grossere  Kategorien  zu  ordnen.  Am  spärlichsten  vertreten  finden 
wir  die  sympathetischen  Mittel:  sie  scheinen  in  einer  so  wichtigen 
und  beängstigenden  Lebenslage  sich  nicht  das  hinreichende  Ver- 
trauen haben  erwerben  zu  können.  Unter  den  innerlich,  meistens  bi 
der  Form  heisser  Aufgüsse,  also  von  Thee,  gebrauchten  Medicamenten 
finden  sich  imter  vielen  absolut  wirkungslosen  starke  Aroniatica, 
Brech-  und  Abfuhnnittef,  reizende  Stotfe,  aber  endlich  auch  solche, 
welche  eine  directe  Einwirkimg  auf  die  Älusculatur  der  Gebärmutter 
ausüben.  Dann  folgen  die  Maassnahmeu,  welche  man  als  die  , nicht 
Verdacht  erregenden"  bezeichnen  konnte.  Das  sind  in  erster  Linie 
die  grossen  Anstrengimgen  des  KJ'trpers :  übermüdendes  Gehen  imd 
Tanzen,  Lastenheben,  Witsch eringen  und  absichtliche.s  Fallen.  Hier 
scbliessen  sich  das  gewaltsame  Schütteln  des  Körpers,  sowie  auch 
die  heissen  Bäder,  die  Aderlässe,  das  Hungern  und  die  Niesemittel 
an.  Den  Uebergang  zu  den  örtlichen  Mitteln  bilden  die  raedicamen- 
sn  Klystiere,  die  Application  von  reizenden  Pfiastem  oder  von 
Ihenden,  in  eine  Schuhsohle  gehüllten  Kohlen  auf  den  Leib,  und 
endlich   die  heissen    Käucherungen  der  Genitalien. 

Die  eigentliclv  local  angewendeten  Methoden  der  Fruchtabtrei- 
bung scheiden  sich  wieder  in  solche,  welche  von  aussen  vom  Bauche 
her  die  Gebärmutter  treffen,  und  solche,  welche  theils  auf  die  Vulva, 
theils  auf  die  Vagina  mit  dem  Scbeidentheile  der  Gebärnmtter, 
theils  endlich  auf  die  Höhle  des  Uterus  selbst  direct  einzuwirken 
suchen. 

Der  Leib  wird  lange  Zeit  gerieben,  geknetet,  mit  den  Fäusten 
gepresst,  gewalkt  und  geschlagen,  gestossen  uud  mit  den  Fü.'isen 
getreten.  Auch  kniet  man  sich  darauf.  Bisweilen  wird  der  Bauch 
vorher  durch  fest  umgelegte  Binden  oder  durch  ein  Kohrband  ein- 
geschnürt. Die  äussere  Scham  wird  mit  starken  Reibungen  be- 
handelt oder  dicht  mit  Blutegeln  besetzt.  In  die  Vagina  legt  man 
irritirendc  Stoffe.  Diese  sind  theils  feht,  theils  in  Pastonform,  oder 
man  imprägnirt  auch  mit  ihnen  Pessarien  oder  Baumwoilentampons. 
Der  Scheidentheil  des  Uterus  wird  mit  Stöckchen  gekitzelt.  Der 
Muttermund  wird  durch  Presaschwiimme,  Papyrusröllchen,  Feder- 
spublen,  Stöckcben  oder  Pfeifenspitzen  eröffnet,  Wicken-  and  Watte- 
bäusche, mit  Arzneistoffeti  irobibirt,  werden  hiii  j  '  J"t,  Einbla- 
sungen und  Einspritzungen  werden  ausgelVihrt.  haben  die 
Leute  auch  gelernt,    spitzige  Instrumente  zwinchtui  tue  Frucht  und 


Plgi«,  Du  Waib.  I     t   AuS. 


36 


f,62  XIX.  ünzeitige  Geborten. 

die  Gebärmutterwand  zu  scliieben  oder  die  Eihäute  zu  perforireu, 
und  die  hierzu  benutzten  Gegenstände  haben  wir  von  sehr  verschieden- 
artiger Natur  befunden.  War  auch  von  diesen  letzteren  Manipula- 
tionen  manche  nicht  gerade  sehr  geschickt  ausgefallen,  so  las.sen  sie 
doch  bereits  ein  Verständniss  und  eine  Einsicht  in  das  Wesen  und 
in  die  anatomischen  Verhältnisse  der  Schwangerschaft  erkennen, 
wie  man  sie  so  tiefstehenden  Schichten  der  Bevölkerung  und  so 
wenig  civilisirten  Nationen  durchaus  nicht  a  priori  zugetraut  hätte. 


99.  Tersache  znr  Beschränkung  der  Frachtabtreibung. 

Schon  in  frühen  Zeiten  hat  die  Gesetzgebung  der  Fruchtabtrei- 
bung ihre  Aufmerksamkeit  zugewendet,  Ln  alten  Gesetzbuche  der 
Perser,  „Vendidad*,  welches  die  Rechtsgrundsätze  Zorousfer's 
enthält,  lesen  wir: 

„Wenn  ein  Mann  ein  Mädchen  geschwängert  hat  und  zu  dieser  sagt : 
suche  dich  mit  einer  alten  Frau  xu  befreunden,  und  diese  Fmu  bringt  Bangha 
oder  Fra^pata  oder  eine  andere  der  auflösenden  Baumarten,  so  sind  daa 
Mädchen,  der  Mann  und  die  Alte  gleich  strafbar.  Jedes  Mädchen,  welche« 
auh  Scham  vor  den  Menschen  seiner  Leibesfrucht  einen  Schaden  beifQgt, 
niusä  für  die  Beschildigung  des  Kindes  bflssen,"     (Duncker.) 

Auch  die  Meder  und  Baktrer  bestraften  die  Abtreibung. 

Das  brahmanische  Gesetzbuch  des  Manu,  welches  die  Lebens- 
Tveise  in  den  Haupt-  und  Misch- Kasten  der  Hindu  regelt,  verbietet 
und  bestraft  ebenfalls  die  Abtreibung. 

Die  Abtreibungsmittel  waren  bei  den  Juden  Mreng  verboten; 
eine  Anwendung  derselben  wurde  als  eine  Abart  des  Kindesmordes 
betrachtet,  und  nach  Flaviun  Jost^phust  mit  dem  Tode  bestraft. 

Wichtig  ist  hier  auch  die  Bestimmung  von  2.  Moses  21 : 

„Wenn  Männer  sich  hadern  und  verletzen  ein  schwangeres  Weib,  dass 
ihr  die  Frucht  abgeht,  und  ihr  kein  Schaden  widerHlhrt,  so  soll  man  ihn 
nm  Geld  strafen,  wieviel  des  Weibes  Mann  ihm  auferlegt,  und  soll  es  geben 
nach  der  Schiedsrichter  Erkennen.  Kommt  ihr  aber  ein  Schaden  daraus,  so 
soll  er  lassen  Seele  um  Seele,  Auge  um  Auge,  Zahn  um  Zahn,  Hand  am 
Hand.  Fnss  am  Fuss,  Brand  um  Brand,  Wunde  um  Wunde,  Beule  um  Beule." 

Aus  Aristofchs'  Schriften  geht  hervor,  dass  die  Griechen  das 
Uerbeifiihren  einer  P'ehl-  oder  Frühgeburt  nicht  als  Verbrechen, 
sondern  unter  Umständen  als  ein  ziilässiges  Verfahren  betrachteten. 
Die  Stelle  bei  diesem  Autor  lautet : 

„Wenn  aber  in  der  Ehe  wider  Erwarten  Kinder  erzeugt  werden,  »o  soll 
die  Frucht,  bevor  sie  Empfindung  and  Leben  empfangen  hat,  abgetrieben 
werden ;  was  hierbei  mit  der  Heiligkeit  der  Gesetze  übereinstimmt,  wa«  nicht, 
i*it  eben  nach  der  Empfindung  und  dem  Leben  der  Frucht  za  beurlh^ilen  '• 

Es  scheint  demnach  die  Absicht  gewesen  zu  sein,  die  Eltern, 
welche  keine  Kinder  erzeugen  wollten,  zur  Fruchtabtreibung  xu 
berechtigen,    damit   nicht  etwa   durch   Übermässige   Belastung    der 


99.  Versal 


lg  der  FruchtabtrMDäagr 


wenig  bemittelteu  Familie  mit  Kindersegen  das  Gemeinwesen  ge- 
schädigt werde :  nur  durfte  im  Einzelfalle  das  Kind  noch  nicht 
lebenslahig  sein, 

Aehnliohe  Ansichten  sprach  Plato  aus;  er  gestattete  den  Hebammen 
die  Abtreibung  der  Frucht  vorzunehmen,  indem  er  sagte:  „Sie  können  die 
Gebärende  erleichtern  oder  auch  eine  Fehlgeburt  herbeiführen,  wenn  man 
eine  solche  beabsichtigt."  Lichtenstndt  und  SchJcienmtdier  betrachten  diese 
Beförderung  der  Frühgeburt  durch  Hebammen  als  ein  auf  den  Wunsch  der 
Schwangeren  verantitaltetea  Abtreiben  der  Leibesfrucht;  LictUenstädt  ver- 
luthet  auch,  dass  vielleicht  ein  solches  Fördern  der  Frühgeburt  hier  gemeint 
kein  könne,  welches  aus  physischen  Gründen  zva  Erhaltung  der  Mutter  und 
des  Kindes  notb wendig  sei.  Allein  in  dieser  Beziehung  hat  Plato  in  keiner 
Weise  Andeutungen  gegeben,  vielmehr  ganz  allein  die  Hebammen  für  be- 
rechtigt erklärt,  Kinder  abzutreiben. 

In  Rom  herrschte  dieselbe  Sitte  selbst  bei  den  Frauen  der 
Vornehmen,  Sctieca  erwähnt  dieses  Laster  als  eine  gewöhnliche 
Sache.  „Nie,'*  sagt  er  zu  seiner  Mutter  Helvia,  ,hast  Du  Dich 
Deiner  Fruchtbarkeit  geschämt,  als  wäre  es  ein  Vorwurf  Deines 
Alters ,  nie  hast  Du  gleich  Anderen  Deinen  gesegneten  Leib  als  eine 
ananständige  Last  verborgen,  nie  Deine  hofinungsvolle  Frucht  in 
Deinen  Eingeweiden  selbst  getodtet." 

Wie  stark  verbreitet  im  damaligen  Rom  die  Unsitte  der  Frucht- 
abtreibung war,  das  haben  wir  bereits  oben  aus  JurtnaVs  Munde  gehört. 
Es  kam  so  weit,  dass  der  Mann  fOr  seine  schwangere  Frau  einen  sogenannten 
Bauchhüter  anstellte. 

Der  Gnmd  dieser  Erscheinung,  dass  die  civilisirten  Völker  des 
classischen  AUerthum.s  das  Alitreiben    so  gleichgültig  ansahen,   ist 
in  der   bei  ilmen  verbreiteten  Meinung  zu   suchen;    dass  der  Fötus 
uoch  kein  Mensch,   sondern  bloss    ein  Theil   der  mütterlichen  Ein- 
geweide sei.     Grosse  Unterstützung  gewährte  einer  solchen  Ansicht 
auch  die  stoische  Schule.    Die  Geringschätzung  eines  kindlichen  Le- 
bens ging  ja  unter  den  Griechen  uud  Ufiraern  bekanntlich  so  weit, 
dass  man  ein  soeben  zur  Welt  gekommenes  Kind  noch  keineswegs 
flir   einen   zum   Fortleben    berechtigten   Menschen    hielt,    so   lange 
diisselbe  noch  nicht  vom  Vater  durch  die  Aufhebung  (Sublatio)  an- 
erkannt   und    aufgenommen   wurde.      Noch    rücksichtsloser    durfte 
man  wohl  gegen  ein  uoch  nicht  geborenes   Kind   verfalu-en.     Den- 
noch   gab    es    Männer,    wie  Seticca,    Juvenal,    Ovid,    die  aufgeklärt 
genug  waren,  (he  Abtreibung  tHr  eine  verabscheuungswUrdige  Hand- 
lung zu  erklären.     Der  Letztere  sagt: 
Dio  zuerst  es  begann,  sich  die  keimende  Frucht  xu  entreissen, 
HJltt*  in  der  blutigen  Thal  wahrlich  zu  sterben  verdient. 
Also  allein,  dass  den  Leib  man  nicht  zeih'  entstellender  Runzeln, 
klUlitest  den  Kampfplatz  Du  zu  entsetzlichem  Werk? 

Was  dorcfawahlt  ihr  den  eigenen  Leib  mit  spitzigen  Waffen? 
Qt^ht  entsetzliche«  Gift  Kindern  noch  vor  der  Geburt? 

Das  bat  die  Tigerin  nimmer  gethan  in  Armeniens  Be^gschlacht, 
Selber  die  Löwin  hat  nimmer  die  Jungen  erwürgt! 

3G* 


564 


XIX.  Cnzeitige  Geburten. 


Aber  die  zärtlichen  Mädchen,  sie  thnn'a  —  doch  triöl  sie  die  Strafe. 
Oft,  wer  vernichtet  die  Frucht,  tödtet  ^ch  .selber  dadurch; 
TAdtet  sich  selbBt  und  liegt  mit  entfeBseltem  Haar  auf  deoi  Hobstosa, 
Und  wer  immer  sie  siebt,  ruft:  Ihr  geschah  nach  YerdienHt. 

Im  Einklänge  mit  den  erwähnten  allgemein  herrschenden  Anschau- 
ungen war  denn  auch  die  Kiudesabtreibung  nach  den  Gesetzen  der 
Romer  nicht  verboten  oder  für  strafbar  erklärt.  Es  stand  ja  den 
Eltern  frei,  die  Neugeborenen  nach  Willkür  aufzuziehen  oder  aus- 
zusetzen. Nur  dann,  wenn  besondere,  8trafl)are  Zwecke  mit  der 
Kindesabtreibung  verbunden  waren,  wurde  gegen  die  betrefiend* 
Person  vorgegangen. 

Die  Miksia,  deren  Cicero  erwühut,  Hess  sich  durch  Geld  bestechen,  um 
mit  dem  Abtreiben  ihrer  Frucht  ge\ri8scn  Verwandten  einen  Dienst  zu  leisten  ; 
er  behandelte  in  seiner  Oratio  pro  Clueutio  den  Fall  der  Abtreibung,  wobei 
er  die  Yerurtheiluug  der  rou  Seitenerben  bestochenen  Mutter  lediglich  vom 
Gesichtspunkte  einer  Eigeuthumsbeächildigung  des  Vaters  motivirt.  Die  Kaüer 
Secerus  und  Antonius  haben,  wie  das  Justinianische  Recht^buch  zeigt,  als 
eine  ausserordentliche  Strafe  die  Verbannung  fflr  eine  Kindesabtreiberin 
festgesetzt*)  bloss  wegen  des  dem  Ehemanne  dadurch  erwachsenen  Schadens. 
Allerdings  hat  derselbe  Codex  auch  Strafen  auf  den  gewerbsmilHbigen  Ver- 
kauf von  Liebestränken  und  Abtreibemitteln  geeetzt").  allein  diese  Ver- 
fügung zeigt,  dass  man  nur  in  diesem  Handel  ein  eigentliche«  Delictum  sah: 
dagegen  wird  die  abtreibende  Schwangere  dabei  gar  nicht  erwähnt.  So  lieaa 
man  dem  Unfug,  sich  der  Frucht  zu  entledigen,  völlig  freien  Lauf;  dieselbe 
war  wahrscheinlich  deshalb  nehr  ausgebreitet,  weil  zur  Zeit  der  Sitten- 
verderbnias  die  vornehmen  Frauen  danach  strebten,  sich  die  Schönheit  zu 
erhalten  und  nicht  durch  Schwangerschaft,  Geburt.  Wochenbett  und  Kinder- 
erziehang  im  freieü  Genasse  des  Lebens  gestOrt  zu  werden. 

Von  den  Germanen  hatte  Tacüus  zwar  behauptet,  dass  sie 
die  Zahl  der  Bunder  zu  beschränken  ftir  verbrecherisch  halten.  Da- 
gegen ist  durch  Grimm  u.  A.  nachgewiesen  worden,  dass  bei  ihnen 
einst  allgemein  die  Sitte  herrschte,  die  Kinder  auszusetzen.  So 
scheint  es.  dass  TacUiis  lediglich  darauf  hindeuten  wollte,  dass  die 
Germanen  jenen  römischen  Brauch,  durch  klinstliche  Mittel  Abor- 
tus zu  bewirken,  nicht  übten. 

Dass  jedoch  auch  diese  Sitte  der  Fruchtabtreibung  germa- 
nischen Völkern  bekannt  war,  beweist  da.s  bajuvarische  Gesetz 
VU,  18  und  das  salische  Gesetz  XXI.  2.  Andeutungen  über  die 
Anwendung  von  Abortivmitteln  im  Norden  macheu  Hävam  26, 
Fiölsvinnsm.  23;  vgl.  Lex  Rectitudines  89.  Bei  den  Friesen 
war  nach  der  Lex  Ffision.  V.  1  die  Abtreibung  straflos.  {Weinhold^ 
Jedoch    rechnet    das    friesische   Gesetzbuch  unter   die  Menschen, 


*)     „Lidignnm    enim    videri    potest.    impune   eam   moritum    tiberi« 
fraudasae." 

'*)  iiQui  abortionis  aut  amatorium  poculum  dant,  et«i  dolo  non  focia&t 
tarnen,  quia  mali  exempli  res  est,  humiliores  in  metollum,  hon««UordB  i& 
insulam,    amissa  parte   bonorum,   relegantur,    quodsi   eo    molier   ftllt    bomo 

'.  sammo  sappjicio  affioiantor." 


99,  Versuche  7.ar  Beschräakung^  der  Fruchtabtreibung. 


565 


»^naQ,  ohne  Wehrgel<l  zu  zahlen,  iödten  könne,  solche,  die  ein 
Kind  von  der  Mutter  abtreiben. 

Die  ältesten  deutschen  Gesetzbücher  beschränkten  sich  darauf, 
den  durch  Kindesabtreibung  angesteUten  Schaden  durch  Geldstrafe 
blissen  zu  lassen:  Das  alemannische,  vom  Frankenkon  ig  Dac^o- 
hert  (t  683)  erneute  Recbtsbuch  bestrafte  lediglich  den,  der  ein^ 
Schwangere  abortiren  machte  (höher,  wenn  es  eine  weibliche  Frucht  i 
betraf,  als  wenn  diese  männlichen  Geschlechts  war  oder  letzteres 
nicht  erkamit  wurde).  Das  salfräukische  und  das  ripuarischei 
Recht  straft  den  Thäter  um  Geld,  und  zwar  um  so  höher,  wenn 
die  Mutter  dabei  zu  Grunde  ging. 

Nach  dem  bavari sehen  Gesetze  aus  dem  7.  Jahrhundert  be- 
Ktraft«  man  Mitschuld  an  der  Fruchtabtreibung  mit  200  Geissei- 
hieben, die  Mutter  aber  mit  Sclaverei;  starb  die  Mutter,  so  wurde 
die  Mitschuldige  mit  dem  Tode  bestraft.  Auch  die  Sammlung  von 
westgothischen  Gesetzen  von  Chindastvind  (f  652)  und  seinem 
Sohne  Jiecestvintl  (f  672)  enthalt  unter  der  Rubrik  .Antiqua*  Be- 
stimmungen gegen  die  Abtreibung:  Wer  einen  Abtreibetrank  einer 
Schwangeren  giebt,  wird  hingerichtet;  eine  Sclavin,  die  ein  solches 
Mittel  sich  verschaflFt,  erhält  200  Peitschenhiebe;  eine  freie  Schul- 
dige wird  zur  Sclavin  gemacht.  Ein  Freier,  der  durch  Gewaltthat 
Abortus  einer  Frau  herbeiführte,  bezahlte  bei  einem  ausgebildeten 
Fötus  250  Solidi,  bei  einem  nichtausgebildeten  nur  100.  Ging  die 
Mirtter  zu  Grunde,  so  trat  stets  die  Todesstrafe  ein.  {Spangcnbcrg.) 

Von  den  Kirchenvätern  wurde  die  Fruchtabtreibung  geradezu 
als  Homicidium  bezeichnet,  und  wenn  auch  einige  Synodalbeschlüsse 
auf  dieses  Vorgehen  nur  eine  Busse  gesetzt  hatten,  bald  von  sechs, 
bald  von  zehn  .lahren,  so  bezeichnete  doch  schon  die  sechste  con- 
stHntinopolitanische  Synode  die  Abtreibung  direct  als  Mord. 

Auch  Papst  Stephan   V.  schrieb    um  886:    „Si  ille,   qui  con- 
eptnm  in  utero  per  abortum  deleverit,  homicida  est"  u.  s.  w.     In 
laBTentandener  Ausl^ung   mosaischer   Aussprüche   erklärte    dann 
iuf  Grund  unrichtiger  üebersetzung    der  Septuaginta  der  Kirchen- 
vater Ätujustinus ,  dass  eine  Frucht  bis  zum  40.  Schwangerschafts- 
tage imhelebt  sei:   auf  Abtreibung   einer  solchen   stand  Geldbusse, 
auf  Abtreibung  einer  älteren,  belebten  Frucht  hingegen  die  Todes- 
strafe.  Dieses  verschiedene  Strafmaass  wurde  auch  beibehalten  und  ein 
^Glossator  des  Codex  Justinianus,  Accnrsnis,  verlangte,  dass  die  Ab- 
reibung einer  imbelebteu  Frucht  (vor  40  Tagen  Alters)  mit  Verbannung, 
"die  Abtreibung  einer  belebten  Frucht  mit  Todesstrafe  belegt  werde. 

Als  Deutschland  ein  gemeinsames  Reich  geworden,  und  als 
jene  ältesten  germanischen  Gesetzbücher  durch  die  Sammlungen 
alter  Rechtsgebrüuche  ersetzt  wurden,  z.  B.  durch  den  Sachsen- 
und  Schwaben-Spiegel,  in  welchen  die  Abtreibung  gar  nicht  er- 
yvrähnt  wird,  so  hielt  man  sich  von  da  an  wohl  vielfach  an  den 
fuNtiniunischen  Codex,  der  sich  in  Deutschland  mehr  und  melur 
heimisch  machte.    Durch  diesen  Codex  und  seine  Glossatoren  kam 


566 


XIX.  Cnaeitige  Gebarten. 


dann  wiederum  jene  Theorie  des  kanonischen  Rechts  über  »belebte" 
und  , unbelebte*  Früchte  in  die  1533  vom  Kaiser  Carl  V.  veröfl'ent- 
licbie  peinliche  Gerichtsordnung,  die  Carolina,  welche  bestimmte: 

,So  Jemand  einem  Weibsbild  darch  Bezwang,  Essen  oder  Trinken  ein 
lebendig  Kind  abtreibt,  —  so  solch  üebel  vorsätzlicher  und  boshofier  Weise 
geschieht,  so  soll  der  Mann  mit  dem  Schwerdte  als  Todtschläger  und  die 
Frau,  80  aie  es  auch  an  ihr  selbst  thäte,  ertränkt  oder  sonst  zum  Tode  be- 
etruft werden.  So  aber  ein  Kind,  das  noch  nicht  lebendig  war,  von  einem 
Weibsbild  getrieben  würde,  sollen  die  ürtheilei-  der  Strafe  halber  bei  den 
RecbtsvcrsUlndigen  oder  sonst,  wie  zu  Ende  dieser  Ordnung  gemeldet  wird. 
Raths  pfiegen." 

In  Frankreich  wurden  die  fränkischen  Gesetze  durch  das 
kanonische  Recht,  verbunden  mit  dem  römischen,  allmählich  ver- 
drängt. Die  Parlamente  Hessen  die  Abtreiber  einfach  aufknüpfen; 
die  Revolution  änderte  diese  drakonische  Gesetzgebung  dahin  ab, 
dass  der  gefällige  Helfer  zu  20jähriger  Kettenstrafe  venirtheilt 
Wurde;  [Über  die  Frau,  an  der  der  Abortus  vollzogen  war,  wurde 
nichts  bestimmt. 

Die  Engländer  besassen  seit  dem  \'i.  Jahrhundert  in  dem 
Fleta  ihre  Gesetzsammlimg;  diese  bedrohte  den  Abortus  mit  der 
Todesstrafe,  indem  man  dabei  von  dem  Gesichtspunkte  ausging, 
dass  durch  dieses  Verbrechen  eine  Beeinträchtigung  des  Staates 
herbeigeführt  werde.  Ein  Gesetz  von  1803,  die  Ellenborough- 
Acte,  hielt  noch  den  Unterschied  zwischen  belebter  und  unbelebter 
Frucht  fest. 

In  Oesterreich  verfilgte  das  Josephinische  Gesetzbach 
von  1787 ,  dass  eine  Schwangere,  die  durch  geflissentliche  Hand- 
lung sich  ein  todtes  Kind  abtreibt  oder  abtreiben  lässt,  ein  Capital- 
verbrechen  begeht  und  1  Monat  bis  5  Jahre  hartes  Gefängnis»  zu 
gewärtigen  habe;  Mitschuldige  erhalten  kürzeres  linderes  Geiangniss. 

Das  preussische  Landrecht  von  1794  verfügte:  Weibspersonen, 
welche  sich  eines  Mittels  bedienen,  die  Leibesfrucht  abzutreiben, 
haben  schon  dadurch  Zuchthausstrafe  auf  <>  Monate  bis  1  Jahr 
verwirkt.  Wirklich  vollbrachte  Abtreibung  innerhalb  der  ersten 
30  Schwangerschaftswocben  ist  mit  10  Monaten  bis  1  Jalir  Zucht- 
haus bedroht.  Helfer  litten  gleiche  Strafe,  erhielten  aber  bei  mehr- 
facher Ausübung  des  Verbrechens  Staupenschlag. 

Allein  es  gab  und  giebt  auch  heute  noch  Volker,  die  nicht 
erat  dem  Christenthiune  das  sittliche  Empfinden  nach  dieser  Rich- 
tung verdanken.  Schon  längst,  ehe  bei  Griechen  und  Römern 
die  Abtreibung  in  Aufnahme  kam,  lebten,  wie  wir  sahen,  Völker- 
schaften, welche  die  Abtreibung  bestraften :  die  alten  Juden,  sowie 
die  Meder,  Baktrer  und  Perser.  Auch  im  alten  Reiche  der 
Inka  wurde  die  künstliche  Fehlgebmrt  mit  dem  Tode  bestraft. 

In  China  ist  die  Abtreibung  allerdings  durch  den  Strai'codex 
verboten,  und  der  Artikel  292,  der  von  der  Präparation  der  Gifte  han- 
delt, bedroht  den  Uebertreter  mit  100  Bambushieben  und  3  Jahren 
£xil;  trotzdem  aber  findet  man  in  allen  Städten,  besonders  in  Peki  ng, 


09.  Versuche  £ur  OescbrlLakung  der  Fruohtabtreibang. 


567 


die  Wände  an  den  Strassen  mit  Annoncen  bedeckt,  welche  Mittel  zvir 
Herstellung  der  Menstruation  anbieten,  unter  welchen  sich  wirk- 
liche Abortivmittel  verbergen.  Die  Polizei  bekümmert  sich  nicht 
darum.  Wenn  dennoch  einmal  die  Sache  zur  Untersuchung  gelangt, 
80  erkundigt  eich  der  Mandarine  nicht  nach  der  Thatsaohe  des 
Lbortus,  sondern  nach  den  persönlichen  Verhältnissen,  die  das  Ver- 
brechen entschuldbar  machen,  und  dieses  bleibt  dann  unbestraft. 
In  dem  Buche  Si-Yuen-Lu  ßudet  sich  auch  angegeben,  wie  man 
erkennen  kann,  ob  eine  Fruchtabtreibung  .stattgefunden  hat:  mau 
soll  in  die  Scheide  Quecksilber  bringen;  wird  dessen  Glanz  matt, 
so  fand  Abtreibung  statt;  auch  soll  die  Magistratsperson  durch  eine 
Hebamme  constatiren  lassen,  ob  das,  was  aus  der  Scheide  abge- 
gangen ist,  ein  Fötus  oder  ein  Blutcoagiduiu  sei.   {Martin.) 

Auch  unter  den  heutigen  uncultivirten  Völkern  giebt  es  einzelne, 
wenn  auch  nur  wenige,  bei  denen  von  einer  Bestrafung  der  künst- 
lichen Frühgeburt  die  Rede  ist;  es  sind  dies  die  Battas  in  Asien 
und  die  Kaf  fern  stamme  (Waitz),  welche  Strafen  auf  dieses  Ver- 
gehen setzten;  letztere  bestrafen  sogar  den  mitwirkenden  Arzt. 
{Pcscliel) 

Auch    der    türkische   Strafcodex    enthält    zwar  Straf bestim- 

raungen,  doch  in  einer   so   undeutlichen  Fassung,    dass  die  Richter 

nie  genau  ermitteln  können,  wer   eigentlich    zu  bestrafen  ist.     Das 

Lbortiren  hat  unter  der  türkischen  Bevölkerung  eine  so  colossale 

liuadehnung  gewonnen,  dass  die  Regierung  sich  seit  Jahren  vergebens 

bemüht,    eine   wirksame    Abhülfe   zu   schaffen.     In    der  Hauptstadt 

kommen  jährlich  4000  Fälle  vor,  und  zwar  ausschliesslich  unter  der 

türkischen  Bevölkerung  allein.    Die  türkische  Zeitung  «Dsche- 

ride  i-Havadis*  vom  Februar  1877  berichtet:   95  Proc.  der  Kinder 

und  mehr  als  ^/^  der  Mütter  sollen  der  Barbarei  zum  Opfer  fallen. 

in  einem  eigenthUmlichen  Gegensatze  zu  diesen  legislatorischen 

Bestimmungen  der  Türken  steht  die  folgende  Angabe: 

Noch  im  December  des  Jabres  1875  erliess  die  Mutter  de«  Sultans 
Abdul  Asia  eine  Verordoung,  in  welcher  aie  allen  Insaaseu  des  grossfQrst- 
Uchen  Palastes  ein  Oe«etz  einschärfte,  das  in  letzter  Zeit  ausser  Gebrauch 
gekouimen  zu  sein  schien,  nfimlich  dass,  so  oft  eine  ßewohnenn  des  Palastes 
schwanger  sei,  dafür  gesorgt  werden  mflsse,  dass  sie  abortire-,  gelinge  die 
Operation  nicht,  ao  dUrfe  bei  der  Geburt'  des  Kindes  die  Nabelschnur  niL-ht 
unterbanden  werden;  diejenigen  Kinder  aber,  die  jetzt  im  Paläste  wären. 
dQrften  niemals  zum  Vorschein  kommen.  Zur  AusfQhnmg  dieser  Barbarei 
existirt  e:ine  eigene  Klasse  von  Megären,  welche  unter  dem  Namen  Canld 
ehe,  „die  blutigen  Hebammen",  bekannt  sind,  und  w(>lche  ihr  schauerliches 
Gewerbe  in  den  Palä8t«>n  der  Grossen  uugescheut  treiben. 

Da  das  vorliegende  Buch  nicht  juristischen  Zwecken  dient,  so 
entgehen  wir  der  Versuchung,  einen  Vergleich  zwischen  den  heute 
in  aen  Culturstaaten  über  die  Fruchtabtreibung  gültigen  Gesetzen 
izustellen,  und  wir  tilierlassen  es  dem  Gesetzgeber,  die  Schatten- 
»iten  der  Ijestehenden  Verordnungen  zu  erkemien  und  deren  Ver- 
onening  herbeizufuhren.     Ftür  uns   ist   es  genügend  gewesen,   die 


568 


XIX.  Unzeitige  Geburten. 


ungeheure  Verbreitung  zu  zeigen,  welche  dieses  Laster  besitzt,  und 
auf  die  Gefahr  hinzuweisen,  welche  dem  einzelnen  Individuum  nicht 
allein,  sondern  dem  ganzen  Volke  daraus  erwächst.  Denn  manche 
Naturvolker  verdanken  ihr  rapides  Zusammenschmelzen  und  ihr 
definitives  Verschwinden  von  der  Erde  zum  nicht  geringen  Theile 
dem  Verbrechen  der  Fnichtabtreibung. 


C.  Die  Frühgeburt. 

100.  Wann  ist  die  Frocht  lebensfähig  l 

Es  hat  nicht  unwesentlich  zu  der  Entschuldigung  der  absieht» 
liehen  Fehlgeburten  mit  beigetragen,  dass  luan  in  der  ersten  Zeit 
der  Schwangerschaft  den  Embryo  als  einen  unbelebten  Gegenstand 
betrachtete.  Lange  Abhandlungen  sind  darüber  geschrieben  worden, 
von  wann  an  die  Frucht  als  belebt  zu  betrachten  sei,  oder  nit 
anderen  Worten,  zu  welcher  Zeit  ihr  die  Seele  gegeben  würde.  Lutgi 
'Bonaciolo  ist  der  Meinung,  dass  der  männliche  und  weibliche  Same 
45  Tage  gebraucht,  um  Saft,  Blut,  Fleisch  und  die  übrigen  Theile 
des  Embryo  zu  bilden.  Tune  anima.rationalis  a  sublimi  Deo  creatur, 
creataque  infunditur. 

Die  Aerzte  haben  ziemlich  früh  Abnormitäten  an  dem  weib- 
lichen Kürper  kennen  gelernt,  welche  die  Frau  in  die  höchste 
Lebensgefahr  bringen  mussten,  wenn  sie  zu  normaler  Zeit  einer  Ent- 
bindung unterliegen  sollte.  Daher  scheuten  sich  die  Aerzte,  und 
zwar  mit  vollem  Hechte,  nicht,  in  solchen  Fällen  den  künstlichen 
Abortus  einzuleiten.    Dieses  schreibt  auch  Moschion  vor: 

„Wenn  die  Schwangere  einen  festen  Auswuchs  oder  sonst  ein  Hindemins 
am  Muttermunde  hat,  so  soll  die  Fehlgeburt  erregt  werden;  denn  die  reife 
Frucht,  die  sie  nicht  gebären  könnte,  müsste  absterben,  oiid  «de  selbst  würde 
in  die  grösste  Lebensgefahr  versetzt  werden." 

Nun  war  es  natürlicherweise  nicht  mehr  femliegend,  zu  über- 
legen, von  welcher  Zeit  der  Schwangerschaft  an  denn  wohl  ein  zu 
früh  geborenes  Kind  am  Leben  erhalten  werden  könne. 

Es  ist  nun  interessant,  zu  sehen,  was  tVir  eine  lange  Lebens- 
dauer ein  falscher  Lehrsatz  haben  kann,  wenn  eine  grosse  Autorität 
ihn  aufgestellt  hat. 

Uippokrates  hatte  die  Ansicht,  dass  eine  im  8.  Monat  geborene 
Frucht  (Foetus  octimestris)  nicht  lebensfähig  sei,  eine  siebenmonat- 
liche dagegen  fortleben  könne.  Aristoteles  ist  .sich  in  der  Sache 
nicht  ganz  sicher;  denn  obgleich  er  die  Octimestrefl  ftir  lebensfähig 
erklärt,  so  setzt  er  doch  hinzu:  zumal  in  Aegypten,  dagegen 
weniger  in  Griechenland.  Galen  scliliesst  sich  in  .seiner  Abhand- 
lung nfQi  iniaf^i^von'  ßgnpMv  der  Hippokratischeu  Ansicht  an.  I>ie®e 
Meiimng  über  die  LebensunfUhigkeit  eines  achtmonatlichen  Kindes 
theilten  auch  die  Talmudisten.  Da  sieh  in  der  Erfahrung  diese 
Theorie  nicht  bewährte,   so   halfen  sie  sich  dadurch  aus  der  Vor- 


101.   Die  kUnstliclie  Frühgeburt. 


569 


lefjenlwit,  daas  sie  ein  Kind,  welches  im  8.  Monat  lebend  geboren 
vkiirJe,  nur  für  ein  siebenmonatliches  erklärten,  welches  nur  einen 
Monat  zu  lange  im  Uterus  verweilt  habe. 

Koch  lange  hielt  man  au  der  Lehre  des  Hippokrates  fest. 
So  finden  wir  sie  bei  dem  arabischen  Arzte  Ävicenmi  wieder. 
Auch  Bernard  von  Gordon  zu  Montpellier  trug  sie  in  seinem 
1305  verfassten  „Liliüm  medicinae"  vor  und  suchte  sie  aus  plane- 
tarischen  Grllnden  zu  beweisen.  Noch  weiter  aber  in  der  Astro- 
logie und  im  Glauben  an  den  £influss  der  Gestirne  auf  das  Leben 
des  Fötus  in  den  verschiedenen  Schwangerschaftsmonaten  ging 
Jacob  von  Forli,  um  1400  Lehrer  zu  Padua:  in  seiner  Expo- 
iltio  zu  Avicenna's  Kapitel  de  gener.  embryonis  meint  er:  Im 
1.  Monat  herrscht  Jupiter  quasi  juvans  pater  als  Geber  des  Lebens; 
im  7.  Monat  die  Luna  als  Betorderin  des  Lebens  durch  ihre 
Feuchtigkeit  und  das  von  der  Sonne  empfangene  Licht;  dagegen 
im  8.  Monat  Saturn^  der  Feind  des  Lebens,  welcher  die  Kinder 
auffrisst;  deshalb  kann  kein  um  diese  Zeit  geborenes  Kind  leben 
bleiben;  im  9.  ^louat  regiert  wieder  der  erhaltende  Ze?«  und  erhält 
das  Kind  am  Leben.  Wir  sehen,  wie  lange  sich  unter  den  Aerzten 
die  falsche  Ansicht  erhielt,  wie  sehr  sich  aber  auch  der  Aberglaube 
einer  späteren  Zeit  noch  mit  der  Mythologie  der  Römer  vermischte. 

Selbst  noch  der  aufgeklärte  französische  Arzt  Pari'  huldigte 
der  hippokratischen  Ansicht  über  die  Lebensunfähigkeit  der  acht- 
monatlichen Früchte,  während  er  diejenigen  von  7  Monaten  für 
lebensföbig  erklärte. 

Man  hatt«  aiich  eine  natürliche  Erklärung  für  dieses  eigen- 
thümliche  Verhalten  aufgestellt,  und  zwar  wurde  das  Stürzen  des 
Kindes  dafür  verantwortlich  gemacht.  Mit  sieben  Monaten  sollte 
dieses  Stürzen  erfolgen  und  dann  konnte  das  Kind  sofort  gejboren 
werden  und  am  Leben  bleiben.  Wenn  es  aber  nach  dem  Stürzen 
noch  femer  im  Mutterleibe  verharrte,  dann  konnte  es  sich  von  der 
Erschütterung  im  Laufe  nur  eines  Monats  noch  nicht  wieder  soweit 
erholt  haben,  um  die  Strapazen  der  Geburt  überleben  zu  können; 
dazu  waren  zwei  volle  Monate  erforderlich. 

Bei  den  Kabilen  gilt  die  Frucht  mit  dem  7.  Monat  für 
lebensfähig. 

Xach  Schrrmhr  sieht  man  Kinder,  welche  vor  der  29.  Woche 

geboren  werden,    ganz  regelmässig   zu  Grunde   gehen,    aber    auch 

die  Mehn;ahl  der  vor  der  33.  Woche  geborenen  Kinder  pflogen  in 

|d'  n  Tagen  nach  der  Geburt  schon  wieder  zu  sterben.    Später 

l^'jv"        •  können  jedoch  am  Leben  bleiben. 


101.  Die  kQnfütllche  Frühgebnrt. 

Wir  können  den  Abschnitt  über  die  unzeitigen  Geburten  nicht 
ohne  mit  zwei  Worten   der  künstlichen  FrQhgeburt  zu 


570 


XIX.  Unzeitige  Geburten. 


gedenken.  Lag  bei  den  Kindeeabtreibungen  fast  immer  die  be- 
wusste  Absicht  vor,  das  Leben  des  sich  bildenden  Kindes  zu  ver' 
nichten,  so  ist  der  wesentliche  Zweck  der  künstlichen  FrUhgeburt 
gerade,  das  Leben  des  Kindes  womöglich  zu  erhalten.  Dieser  ope- 
rative £iugriil'  beündet  sich  daher  auch  nicht,  wie  die  Einleitung 
der  absichtlichen  Fehlgeburten,  in  den  Händen  der  Pfuscher,  son- 
dern ganz  aiLSSchliesslich  in  denjenigen  der  Aerzte.  Stets  handelt 
es  sich  nur  um  solche  Fälle,  in  denen  die  mechanischen  Verhält- 
nisse in  dem  Korperbau  der  Schwangeren  das  Austreten  eines  aus- 
getragenen Kindes  unmöglich  machen  und  die  Mutter  daher  unfehl- 
bar bei  der  Entbindung  zu  Grunde  gehen  würde.  Allerdings  haben 
gewichtige  ärztliche  Stimmen  noch  im  vorigen  Jahrhuudert  unter 
diesen  Bedingungen  den  künstlichen  Abortus  vertheidigt.  Und  auch 
jetzt  noch  muss  derselbe  bei  gewissen  plötzlichen  Erkrankungen  der 
Mutter  zu  ihrer  Lebensrettung  eingeleitet  werden.  Aber  für  ge- 
wöhnlich macht  man  heute  den  Versuch,  ausser  dem  Leben  der 
Mutter  auch  noch  dasjenige  des  Kindes  zu  erhalten.  Und  so  lässt  man 
der  Schwangerschaft  ungestört  ihren  Gang,  bis  die  Zeit  erreicht  Lst, 
in  welcher  man  hoffen  darf,  dass  das  Kind  schon  seine  Lebens- 
fähigkeit erreicht  hat,  wie  wir  gesehen  haben,  also  nicht  vor  der 
zweivmddreissigsten  Woche.  Für  die  Ausführung  sind  verschiedene 
Methoden  empfohlen,  die  in  den  Lehrbüchern  der  Geburtehülfe  nach- 
zusehen sind. 

Die  erste  Empfehlung  der  künstlichen  Frühgeburt  ging  um 
die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  von  England  aus,  namentlich 
von  Deütnan  und  Macaulay,  in  Deutschland  wurde  sie  im  Jahre 
1804  zum  ersten  Male  von  Menzel  ausgeführt.  Ablehnend  ver- 
hielten sich  die  Franzosen  unter  der  Führung  von  Bau4elot:que 
gegen  die  Operation,  aber  seit  1831,  wo  Stalte  in  Strassburg 
sie  zum  ersten  Male  im  Lande  in  Anwendung  zog,  ist  sie  auch 
allmählich  dort  zum  Gemeingut  aller  Gynäkologen  geworden. 


103.  Die  Todtgebnrten. 

Es  mag  dem  Leser  fast  wie  eine  Wiederholung  erscheinen, 
wenn  wir,  nachdem  wir  in  den  früheren  Abschnitten  in  so  ausführ- 
licher Weise  über  die  todten  Früchte,  wie  sie  durch  den  natür- 
lichen oder  durch  den  willkürlich,  sei  es  in  verbrecherischer,  sei 
es  in  therapeutischer  Absicht,  herbeigeführten  Abortus  geboren 
wurden,  gehandelt  haben,  hier  nun  noch  einmal  auf  die  Todtge- 
burten  zurilckkommen.  Wenn  wir  aber  auch  manches  Aehnliclie 
werden  berühren  müssen,  so  wird  man  doch  wohl  solir  bald  heraus- 
flihlen,  dass  diese  Wiederholungen  in  Wirklichkeit  dennoch  nur  schein- 
bare sind.  Von  einem  Abortus  im  strengeren  Sinne  des  Wortes 
pflegt  man  dem  allgemeinen  Sprachgebrauche  gemäss  nämlich  nur 
in  denjenigen  Fällen   zu    sprechen,    in    welchen   der   innerhalb   des 


102.  Die  Todtgeburtei». 


Ö71 


Mutterleibes  abgestorbene  und  durch  vorzeitige  Welieuthätigkeit 
»US  der  Gebärmutter  ausgestossene  und  zu  Tage  geförderte  Embryo 
noch  im  Ganzen  massige  und  geringe  Körperdimensionen  darbietet, 
wo  derselbe  also,  um  es  mit  anderen  Worten  auszudrücken,  sieb 
noch  in  einem  relativ  jugendlichen  Alter  seiner  Entwickelung  inner- 
halb des  mütterlichen  Organismus  befunden  hatte.  Wenn  nun  aber 
die  Frucht  eine  bedeutend  längere  Zeit  im  Mutterleibe  gelebt  hatte, 
wenn  sie  bereits  die  Zeit  erreichte,  in  welcher  normaler  Weise  der 
Fötus  ausgetragen  ist,  oder  wenn  an  diesem  Zeitpunkte  nicht  viel 
mehr  mangelte,  oder  wenn  wenigstens  diejenigen  Monate  der  Schwan- 
gerschaft bereits  herangekommen  waren,  in  welchen  unter  günstigen 
Umständen  ein  zwar  zu  früh,  aber  doch  lebend  geborenes  Kind 
schon  am  Leben  erhalten  werden  kann,  wenn  also  die  körperliche 
Ausbildung  und  die  Grössendimensionen  des  Embryo  schon  einen 
ziemlich  erheblichen  Grad  angenommen  haben,  dann  pflegt  man, 
wenn  die  Frucht  ohne  Leben  zu  Tage  gefordert  wird,  nicht  mehr 
von  einem  Abortus,  sondern  von  einer  Todtgeburt  zu  sprechen. 

Jedes  Kind  also,  was  mit  gänzhch  oder  fast  vollständig  vollen- 
deter körperlicher  Entwickelung  nicht  lebend  geboren  wird,  ist  eine 
Todtgeburt.  Naturgemäss  haben  wir  hier  aber  mancherlei  Unter- 
schiede und  Abstufungen  zu  statuiren.  Denn  es  ist,  wie  wohl  kaum 
erst  für  uns  zu  erwähnen  nothwendig  ist,  eine  recht  erhebliche 
Diflereuz,  ob  das  sich  entwickelnde  Kindchen  innerhalb  des  mütter- 
lichen Organismus  abstirbt  und  ob  dann  die  kleine  Leiche  noch 
eine  mehr  oder  weniger  lauge  Zeit  von  der  Mutter  getragen  wird, 
oder  ob  der  Fötus  zwar  lebend  und  gesund  den  normalen  Abschluss 
seiner  intrauterinen  Entwickelung  erreichte,  dann  aber  durch  das 
unglückliche  Zusammentreffen  besonderer  unheilbringender  Umstände 
noch  während  des  Qeburtsactes  oder  sogleich  nach  der  Beendigung 
desselben  sein  junges  Leben  wieder  einbüssen  musste. 

Sefar  mit  unrecht  haben  bei  manchen  Völkern  die  Miltter  oder  die  Heb- 
ammen als  Todtgeburten  diejenigen  GeburtaiUlle  bezeichnet,  wo  sie  das  Neu- 
geborene sogleich  nach  erfolgter  Entbindung  umgebracht  haben.  Wir  finden 
•olche  traurigen  Verhilltniflse  bei  gewissen  Indinneretilmmen,  aber  auch 
bei  den  Hindu,  auf  den  Philippinen  und  in  gewiüiicn  Gebieten  Contra t- 
afrikas.  Eine  besonders  hochgradige  Verbreitung  hatte  diese  Form  der 
gewaltsamen  Todtgeburten  angeblich  im  Anfangs  unseres  .Jahrhunderts  in 
den  Sclavenstaaten  des  südlichen  Nordamerika.  Hier  soll  es  in  gewissen 
Districten  lange  Zeit  aU  die  Regel  gegolten  haben,  dass  die  schwarzen  Heb- 
ammen die  neugeborenen  Kinder  der  Sclavinneu  bereits  während  der  Geburt 
durch  einen  Stich  mit  der  Nadel  in  das  Gehirn  todteten,  um  sie  vor  einem 
ähnlichen  grausamen  und  unglücklichen  Schicksale,  wie  dasjenige  ihrer  Er* 
zeuger  war,  zu  bewahren. 

Ein  Abateibeu  eines  lebenden  und  bis  zu  der  Zeit  der  Reife  und  vollen 
Entwickelung  auBgctragenen  Kindes  während  der  Geburt  kommt  im  üebrigen 
immer  nur  bei  schweren  Störungen  des  Geburtsmechanismus  und  ganz  bc- 
,  «ondcrR  durch  lange  Zeit  hindurch  fortgesetzte  Compression  des  Nabelstranges 
durch  die  Wandungen  der  Geburtswege  £u  Stande.  Hierdurch  wird  die  Blut- 
circulation  von  dem  Mutterkuchen  aus  in  dem  kindlichen  Organismtia  unter- 


572 


XIX.  Unzeitige  Gebarten. 


brechen  und  auf  diese  Weise  ein  Stillstand  aeines  Herzens  und  damit  naiur- 
gemHas  sein  Tod  herbeigefQhrt.  Dass  auch  bisweilen  unglückliche  GrOsien- 
verhilltnisse  des  Fötus  im  Vergleiche  su  der  Weite  der  Geburtawege  der 
Mutter-  für  die  Äerzte  die  zwingende  Veranlassung  werden  k&nnen,  das  Kind, 
um  seine  Geburt  zu  ermSglichen  und  das  bedrohte  Leben  der  Matter  zu 
erhalten,  innerhalb  des  mütterlichen  Leibes  zu  tödten,  zu  zerstückeln  und 
zu  zerkleinem,  das  werden  wir  in  einem  späteren  Abschnitt  ausführlicher  zu 
besprechen  haben. 

Die  Ursachen  nun,  welche  aas  Absterhen  eines  dem  Zeitpunkte 
des  Ausgetragenseins  beteits  nahen  Fötua  herbeizuführen  vermögen, 
sind  sehr  mannigfacher  Art  und  decken  sich  im  Grossen  und 
Ganzen  mit  den  Ursachen  des  natürlichen  Abortus.  Vor  Allem 
sind  es  starke  Gewalteinwirkungen  auf  den  mütterlichen  Organismus 
oder  erhebliche  psychische  Erregungen  und  schwere  acute  Erkran- 
kungen der  Mutter,  aber  auch  gewisse  constitutionelle  Krankheiten 
der  Mutter  nicht  allein,  sondern  auch  des  Vaters.  Wenn  der  Em- 
bryo abgestorben  ist,  so  hat  natürlicherweise  die  Schwangerschaft, 
wenigstens  in  ihrer  physiologischen  Bedeutxmg,  ihr  Ende  erreicht. 
Es  ist  damit  aber  durchaus  noch  nicht  gesagt,  dass  nun  das  todte 
Kind  auch  sogleich  durch  die  Kräfte  der  Natur  aus  dem  Mutter- 
leibe herausbefördert  würde.  Allerdings  kann  unter  Umständen  die 
Ausstossung  des  abgestorbenen  Fötus  schon  sehr  bald  nach  seinem 
Tode  erfolgen;  in  ausserordentlich  zahlreichen  Fällen  jedoch  wird 
er  mehrere  Wochen  und  selbst  Monate  hindurch  in  der  mütterlichen 
Gebärmutter  zurückgehalten,  und  es  kann  sogar  vorkommen,  dass 
er  einen  beträchtlich  langen  Zeitraum  über  die  normale  Schwanger- 
schaftsdauer  hinaus  immer  noch  seine  Stelle  innerhalb  des  Mutter- 
leibes behauptet. 

Man  möchte  nun  glauben,  dass  dieses  längere  Verweilen  ^der  kleinen 
Leiche  im  Inneren  des  Uterus  bei  ihr  einen  ganz  erheblichen  Fäulnissprocess 
hervorrufen  müeste.  Das  ist  nun  aber  keineswegs  der  Fall.  Solch  ein  ab- 
gestorbenes Kind  verbreitet,  wenn  es  zu  Tage .  gefördert  ist,  nicht  einen 
fauligen,  sondern  nur  einen  faden  Geruch;  es  ist  matschig  weich,  und  alle 
seine  Theile  zeigen  eine  vollkommene  Durcbtränkung  mit  einem  röthlichen 
Blutwassor,  während  die  Oberhaut  sich  in  Blasen  oder  in  Fetzen  abhebt.  Man 
bezeichnet  diesen  Zustand  als  eine  Erweichung,  als  eine  MaceraUon  Jea 
Embrj'o.  Ist  der  letztere  sehr  lange  Zeit  über  die  normale  Schwangerschafts- 
dauer hinaus  im  Imaeren  des  mütterlichen  Organismus  zurückgebalten  worden, 
dann  kann  er  durch  einen  bestimmten  Modus,  der  fettigen  Degeneration 
oder  durch  die  Impi^gnining  mit  Kalksalzeu  ein  wacb^artiges  oder  selbst 
ein  eteinartig  verhärtetes  Ansehen  darbieten,  und  wir  haben  dann  ein  Bei- 
spiel eines  sogenannten  Lithopädlon,  eines  Steinkindes  vor  unH.  Das  sind 
Zustände,  welche  in  das  Bereich  der  Pathologie  gehören  und  die  wir  an 
dieser  Stelle  nicht  weiter  verfolgen  können. 

Es   ist   mm   wohl   ausserordentlich   natürlich    und    begreiflich, 
dass,  weon  einem  Weibe  in  den  vorgerückten  Monaten  der  Schwan- 
gerschaft   irgend    eine   von    den   weiter    üben    auseinandcrgesetzteu 
Schädlichkeiten  begegnet  war,  unt^r  denen   ihr  g.inzer  Organismus*] 
nnd   namentlich  ihr   Nervensystem    in    erheblicher  Weise  gelitten 


102.  Die  Todtgeburl 


573 


hatte,  sie  selber  aowolil  als  auch  ihre  Umgebung  einige  Sicherheit 
darüber  zu  haben  wünschten,  ob  der  unter  ihrem  Herzen  sich  ent- 
wickelnde Sprössling  durch  diese  unglücklichen  Zufälle  getödtet 
wurde,  oder  ob  er  trotz  derselben  noch  am  Leben  geblieben  sei. 
Bereits  vor  mehreren  Juhrhunderten  sind  die  Aerzte  bemüht  ge- 
wesens  für  ein  solches  Abgestorbensein  der  Kinder  im  Mutterleibe 
untiügliche  Kennzeichen  aufzustellen.  Aber  schon  die  grosse  An^ 
zahl  (lieser  Merkmale,  die  sie  zusammengebracht  haben,  liefert  uns 
den  deutlichen  Beweis  von  der  ausserordentlichen  Schwierigkeit, 
diese  Angelegenheit  mit  unumstösslicher  Sicherheit  zu  entscheiden. 
So  finden  wir  in  Roesslins  Rosengarten  die  folgenden  Bemerkungen: 

, Durch  a^wölflf  zeichen  hinunten  beschrieben  wird  erkand  ein  tod  Kind 
in  Mutterleib.  Erstlich,  so  der  Frawen  brüste  welk  und  weich  werden.  Das 
ander  zeichen  eines  todt«n  Kindes,  So  sich  das  Kind  nicht  mehr  reget  in 
Mutter  leib,  und  eich  doch  vorhin  gereget  hat.  Da«  dritte.  Wenn  dus  ^ind 
in  Mutterleib  liegt,  feit  von  einer  seiten  zur  anderen,  wie  ein  stein,  ao  sich 
die  Frawe  umbkeret.  Das  vierde  zeichen,  So  der  Frawen  ir  leib  erkaldet, 
und  der  Nabel,  und  sind  doch  vorhin  warm  gewesen.  Das  fünffte  zeichen 
ist,  So  aus  der  Bermuiter  gehen  böse  stinkende  Flüsse,  und  besonder,  so 
die  Frawen  scharpffe  hitzige  krankheit  gehabt.  Das  sechste  zeichen.  Wenn 
den  Frawen  ihr  äugen  tieiV  stehen  im  Heubt,  und  das  weis  braun  wird,  und 
ihre  äugen  starren,  die  Letltzen  werden  bleifarb  und  tunckelblaw.  Das 
sibende  zeichen  eines  todten  Kindes  inn  Mutterleib,  so  die  Fraw  unterm 
Nabel  und  inn  den  gemechten  gros  wee  hat,  ihr  angesiebt  gantz  ungcstalt 
und  missfarbe.  Dan  achte,  So  die  Fraw  begierde  hat  lu  widerwertiger  speis 
fid  trenck,  ao  man  sonst  nicht  pflegt  zu  messen.  Das  neund,  so  sie  nicht 
ichlaffen  mag.  Das  zehend,  so  die  Frawe  die  hamwinde  on  unterlag  hat, 
bpg;irde  zn  stuelgang  mit  drängen  und  nSten,  schafft  doch  wenig  oder  gar 
nicht.  Da*  eilffte  zeichen.  Der  Frawen  wird  gewonlich  ihr  athem  stincken 
und  Übel  riechen  am  andern  oder  dritten  tag,  nach  dem  dajs  Kind  tod  ist. 
Daa  zwcllfte  zeicheD,  So  mercket  man,  ob  das  kind  {■od  ist  inn  Mutter  leib, 
weiuk  man  ein  Hand  inn  warmem  waseer  gewermet,  und  geleget  auff  der 
Frawen  leib,  reget  sich  denn  das  Kind  nicht  von  der  werme,  so  ist  es  Tod. 
Und  ihemehr  der  zeichen  funden  werden  an  einer  Schwanger  Frawen,  je 
gewisser  man  ist,  das  das  kind  im  Mutter  leib  tod  ist." 

Die  Trüglichkeit  und  Unzuverlässigkeit  von  einem  grossen 
Theile  dieser  Zeichen  wird  auch  wohl  dem  Nichtmediciner  sofort 
einleuchtend  .sein,  und  die  heutigen  Geburtshelfer  sind  sich  über  die 
erheblichen  Schwierigkeiten,  hier  einen  absolut  sicheren  Entscheid  zu 
treffen,  vollkommen  einig.  Noch  im  Jahre  1886  sixgt-Karl  Schroedcr: 
,  Gewissheit  von  dem  erfolgten  Tode  geben  nur  die  durch  den  etwa 
geöffneten  Muttermund  hindurch  deutlich  gefÜiilten  schlotternden 
Kopfknochen."  ■  Allerdings  eii.stirt  ja  nun  eine  Ileihe  von  Vor- 
kommnissen, welche  den  Verdacht  auf  den  erfolgten  Tod  der  Frucht 
in  hohem  Grade  zu  erwecken  im  Stande  sind.  Das  ist  namentlich 
das  Aufhören  der  Kindeabewegungen  und  das  Verschwinden  der 
Herztöne  des  Embryo. 

Die  KinilcKbi'wcgungon   haben   in    der  Meinung   der  Frauen  eine  ganft' 
|li'  'itung.     Von  ihrem  ersten  Auftreten   au   rechnen  sie  die 

[i:  nger»chart,  sehr  mit  Unrecht,  denn  ßmch  erwähnt,  daM 


574 


XIX.  Unzeitige  Geburten. 


die  erste  Bewegung  bald  schon  in  der  z'wOlften  Woche,  bald  erst  in  dem 
siebenten  Monat  bt'merkt  \ranle.  Man  glaubte  aach,  daes  die  Knaben  »iuh 
früher  bewegen,  als  die  Mädchen.  Ja  selbst  eine  kunstgescbicbtliche  Be- 
deutung haben  die  Kindsbewegungen  erhalten  durch  das  „Hüpfen  im  Leibe" 
der  Elisabeth  von  dem  embryonalen  Johannes  dem  Täufer  als  Zeichen  der 
Huldigung  bei  seiner  ersten  Begegnung  mit  dem  ebeufallä  noch  ungeborenen 
Christum  (LucM  I,  41).  Dieser  in  der  christlichen  Kunst  bekanntlich  sehr 
vielfach  Idinstlerisch  geschilderte  Gegenstand  hat  eine  Fülle  von  bildlichen 
und  plastischen  Darstellungen  der  Schwangergchaft  hervorgerufen. 

Die  Her/.töne  des  Embrj'O  sind  von  einem  geschulten  Geburtshelfer  deut- 
lich zu  diagn osticiren.  Verschwinden  dieselben  gleichzeitig  mit  den  Kindes- 
bewegungen, nachdem  sie  soeben  noch  mit  Sicherheit  nachweisbar  waren,  dann 
ist  ein  gegründeter  Verdacht  auf  ein  erfolgtes  Absterben  der  Fruclit  vorhanden. 

Aus  allen  diesen  Auseinandersetzungen  wird  der  Leser  die 
Ueberzeu^ng  gewonnen  haben,  dass  eine  absolut  sichere  Ent- 
scheidung, ob  eine  Frucht  im  Leibe  abgestorben  sei  oder  nicht, 
durchaus  keine  leichte  Sache  ist,  und  dasa  nur  ein  geschulter  Ge- 
burtshelfer im  Stande  sein  kann,  hierüber  ein  endgültiges  L^rtheü 
abzugeben. 


103.  Falsche  Schwangerschaften. 

Wir  können  unsere  Besprechung  der  Schwangerschaft  nicht 
abschliessen,  ohne  noch  mit  wenigen  Worten  gewisser  krankhafter 
Zustände  zu  gedenken,  welche  im  Stande  sind,  für  Andere  oder  so- 
gar auch  für  die  von  ihnen  be- 
trofiene  Frau  selber  die  irr- 
thUmliche  Vermuthung  wach 
zu  rufen,  dass  eine  Schwanger- 
schaft vorhanden  sei.  Es  ge- 
hören hierhin  in  erster  Linie 
gewisse  Arten  von  Geschwül- 
sten des  Unterleibes,  Blasen- 
würmer der  Leber  mid  des 
grossen  Netzes  und  namentlich 
Cysten- Bildungen  der  Eier- 
stöcke, die  sogenannte  Eier- 
stockawassersucht.  Da  diesel- 
ben gar  nicht  selten  unverhei- 
rathete  und  oft  sogar  noch 
recht  jugendliche  Individuen 
befallen,  und  da  ihralhnäh- 
I  lieh  dicker  und  dicker  werden- 
der Leib  ihnen,  wenn  sie  be- 
kleidet sind,  das  unbestreitbare 
Aussehen  einer  Schwangeren 
Tt    irt    «I         .      u  TN    .   I.  V*     Äiebt,   so   haben    die    armen 

Niwii  Piiotogtmpliie.)  Madchen    auaser  unter   ihrer 


KrankLeit  gar  häufig  auch  noch  unter  mancher  spöttischen  Bemer- 
kung zu  leiden. 

Die  höheren  Grade  dieser  ungl&cklichen  Affection  lassen  den 
Bauch  zu  ganz  unglaublichen  Dimensionen  sich  ausdehnen  (Fig.  40), 
und  nicht  mit  Unrecht  hat  man  gesagt,  dass  schliesslich  der  gesanimte 
Körper  wie  ein  Anhängsel  des  Bauches  erscheine. 

Gewisse  Formen  der  freien  Bauchwassersucht,  welche  den  Leib 
ebenfalls  ähnlich  wie  in  der  Schwangerschaft  auszudehnen  vermögen, 
werden  dennoch  selten  zu  Verwechselungen  Veranlassung  geben,  weil 
sie  fast  ausschliesslich  bei  älteren  Personen  sich  finden,  deren  allge- 
meine Erscheinung  keinerlei  Zweifel  über  die  Schwere  ihres  Leidens 
aufkommen  lässt. 

Eine  Affection,  welche  nicht  nur  die  Umgebung  der  Frau,  sondern 
auch  diese  selbst  irre  zu  führen  vermag,  ist  zum  Glück  nicht  sehr 
häufig;  sie  hat  aber  nichtsdestoweniger  in  den  früheren  Jahrhun- 
derten eine  ganz  hervorragende  Rolle  gespielt.  Es  ist  das  die  , falsche 
Schwängerung",  welche  zu  der  Entstehimg  der  Mondkälber  führt. 
Der  Name  Mondkalb,  auch  Mondkind,  ungestaltes  Fleisch,  böse 
BUrde  genannt,  stammt  daher,  dass  man  sich  einbildete,  dass  der 
Mond  eine  ganz  directe  Einwirkimg  auf  die  Entstehung  dieser 
Dinge  habe.  Im  Lateinischen  heissen  sie  Mola,  was  angeb- 
lich von  der  durch  sie  verursachten  Beschwerde  (moles)  herkom- 
men soll.  Man  hat  hier  zweierlei  Zustände  zusammengeworfen, 
einerseits  wahre  Monstrositäten,  die  zu  der  Gruppe  der  kopflosen, 
Alissgeburten  gehören,  und  andererseits  krankhaft  entartete  Eier, 
welche  auch  als  sogenannte  Fleischmolen  beschrieben  worden  sind. 
Die  in  dem  Uterus  festgewachsenen  Mondkälber,  von  denen  bei 
einigen  Schriltstelleru  die  Rede  ist,  sind  besonders  grosse,  breit 
aufsitzende  Gebärmutterpolypen  gewesen.     Bei  Moriceau   heisst  es; 

„Ein  Mondkalb  aber  ist  nichts  anderos,  als  ein  Fleisch-Klumpen  ohne 
Bein,  ohne  Gelenk  und  ohne  Untenichied  der  Gliedniaassen.  Das  hat  keine 
Oesialt,  noch  ordentliche  und  aaagemachte  Bildnu»,  und  wird  wider  die  Na* 
tar,  in  der  Beer-Mutter,  nach  dem  BciüchlufT  von  des  Mann»  und  Weib«  ver- 
dorbenen Samen  gezeuget.  Jedoch  giebt  es  je  zu  Zeiten  einige,  die  einen 
.\nfang  einer  entwortfenen  Gestalt  haben.  Gewiss  ist.  daas  die  Weiber  diese 
Oewächse  nicht  zeugen,  sie  haben  denn  beygeschlatfen.  und  werden  so  wol 
beede  Samen  dazu  erfordert,  als  zu  einer  rechten  Zeugung. 

Die  Mondklllbcr  cnseugen  sich  gemeiniglich,  wann  einer  von  den  Samen 
sowol  der  von  dem  Mann,  als  der  von  dem  Weib,  oder  alle  bet'do  zugkich 
bchwarh  und  verdorben  sind,  da  die  Beer-Multcr  »ich  nicht  bemnliet,  inu 
eine  wahre  Zeugung,  als  vermittelst  der  Geister,  deren  die  Samen  ullor  voll 
•eyn  müssen,  aber  um  so  viel  desto  leichter,  je  mehr  da«  wenigo,  das  sich 
da  befindet,  ausgcloscben,  und  gleichsam  ersteckt  und  ertrilnkt  ist  von  der 
Menge  grobes  verdorbenen  Monat-Bluts,  das  da  manohmal,  bald  nach  der 
EmpflngnuB  zufleugt,  und  der  Natur  nicht  der  Weil  IlLst,  das  jenige,  so  sie 
mit  grosser  Mühe  hat  angefangen,  auszumachen,  und  indem  sie  also  ihr  Werck, 
dasselbe  alles  durch  einander  und  in  eine  Unordnung  werffend,  verwirret, 
so  wird  aus  dorn  Samen  und  diesem  Geblüt  ein  rechter  un  geschaffen  er  Kluni- 
peUj   das  wir  ein  Mondkalb  nennen,  und  sich  gemeiniglich    anderswo    nicht 


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XIX.  ünaeitige  Geburten.* 


erzeuget,  als  nur  in  der  Frauen  ihrer  Beor-Mutter.  und  eich  niiDmeruiehr  oder 
doch  gHr  selten,  in  allen  andern  Thiore  Beer-Mutter,  weil  diese  keine  Monat- 
Zeit  haben,  wie  jene  finden  lasset." 

Die  ADzeichen,  woran  die  Schwangerschaft  mit  einem  solchen 
Mondkalbe'  zu  erkennen  sei,  die  Unterschiede,  welche  seine  Be- 
wegungen von  denen  eines  wirklichen  Fötus  darbieten,  die  medica- 
mentösen  und  die  operativen  Mittel,  welche  nothwendig  sind,  um 
die  Frau  von  dieser  Mola  zu  befreien,  finden  in  den  älteren  geborta- 
hölflichen  Werken  ihre  auslührhche  Erörterung;  wir  können  sie 
aber  au  dieser  Stelle  njit  Stillschweigen  übergehen. 

Noch  eine  dritte  Gattung  der  scheinbaren  St^hwaugerschaft  müssen 
wir  aber  einer  kurzen  Betrachtung  unterziehen.     Sie  ist  es,  welche 
dem  Volkamunde  zu  dem  Spottverse  die  Veranlassung  gegeben  hat: 
„Und  wenn  sie  denkt,  sie  hat  ein  Kind, 
Diinn  hat  sie  den  ganzen  Banch  voll  Wind." 

Ein  allgemein  anerkannter  deutscher  Name  existirt  für  diesen 
Zustand  nicht;  die  Franzosen  nennen  ihn  grossesse  nerveuse, 
die  Engländer  mit  weniger  treffender  Bezeichnung  spurioua 
pregnancy.  Es  handelt  sich  hierbei  um  die  volle,  aber  irrige  Ueber- 
zeugung  von  Seiten  der  Frau,  das  ssie  schwanger  sei,  und  sie  empfindet 
nach  und  nach  wirklich  alle  subjectiven  Erscheinungen  der  Gravidität. 

Von  diesen  Zuständen  sagt  Schroeder: 

„Dieselben  kommen  ebenso  häufig  vor  bald  nach  der  Heirath,  aU  im 
Beginn  des  klimakterischen  Alters,  am  häufigsten,  aber  doch  nicht  aosschlie««« 
lieh,  bei  verheinitheten  Frauen,  besonders  solchen,  die  «ich  dringend  Kinder 
vrQnschen.  Dabei  schwillt  das  Abdomen  in  Folge  von  Tympanitis  und  Fell- 
ahlagerung  in  den  Bauebdecken  und  im  Netz  oft  zu  einer  beträchtlichen 
Ausdehnung  an,  Linea  alba  und  Warxenhof  färben  sich  bräuDlich,  die  Bniat- 
drüsen  schwellen  stark  an  und  entleeren  Colostrum.  Ausserdem  glauben  dio 
Frauen  deutliche,  mitunter  sogar  häufige  und  lästige  Fruchlbewegungvn  stu 
sparen;  ja  am  berechneten  Eade  der  Schwangerschaft  legen  sie  sich  wohl 
ins  Bett  und  klagen  über  heftige  Wehen." 

Wenn  nun  auch  Schroeder  sich  dahin  äussert,  dass  diese  Fälle 
mehr  ,p.sychologi8«:h  interessant  als  diagnostisch  schwierig*  sind, 
so  giebt  er  doch  selber  zu,  dass  nicht  selten  die  sichere  Entscheid 
düng  nur  in  der  Chlorofonnoarkose  getrofi'en  werden  kann,  und  die 
Erfahrung  hat  gelehrt,  dass  hier  bisweilen  sogar  berühmte  Geburts- 
helfer sich  haben  irreführen  las.sen  Was  für  deprimirende  Empfin- 
dungen, wieviel  getäuschte  Hotfnungen  mit  der  Erkenntnis«  dieser 
Grossesse  nerveuse  für  die  arme  Frau  und  ihre  Umgebung  verbun- 
den sind,  das  bedarf  wohl  keiuer  weiteren  Auseinandersetzung. 
Weutt  übrigens  die  Frauen  die  üeberzeugung  erlangt  haben,  dass 
sie  nicht  schwanger  waren,  dann  verschwinden"  alle  die  vorher  be- 
schriebeneu Symptome  der  Schwangerschaft-  sehr  schnell,  ohne  ein 
weiteres  Zuthun  des  Arztes. 

£nde  des  ersten  Bandes. 


nmitk  viin  Tb.  Ho/mann  in  i>i*n. 


WP9p. 


41, 


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