77N Kaslansika £ Bi Sau ‘
1770 das Kaplaneihaus auf dem St. Salvator Werner H.A. Debler
Donnerstag, 18. März 2010: ein herrlicher Frühlingstag. Ich stehe oben auf dem doppel-
seitigen Treppenaufgang vor der schweren Barocktüre des Kaplaneihauses auf dem Salvator
und schaue ins Remstal hinab: Im Südosten liegt die Gmünder Altstadt mit ihrem Münster,
der Johanniskirche und dem Franziskanerkloster, unter mir das weitläufige Bahnhofsare-
al mit dem Königlichen Postamtsgebäude. Rechts daneben erhebt sich der locker bebaute
Hang der Straßdorfer Anhöhe, hinter der noch die Bergkuppen von Rechberg und Stuifen
hervorschauen. Im Südwesten des Remstals wird laut und geschäftig am Eingangsportal des
Gmünder Tunnels gearbeitet. Weiter rechts schiebt sich eine lange Autokolonne langsam
nach Westen in Richtung Stuttgart. — Hier oben ist alles ruhig. Alte Erinnerungen werden
wach an die Zeit vor 60 Jahren, als ich inmitten einer munteren Ministrantenschar bei der
alljährlich stattfindenden Rochusprozession am 16. August vom Münster zu den Felsenka-
pellen des Salvators zog.
Das Kaplaneihaus — ein Werk des Barockbaumeisters Johann Michael Keller
Ich wende mich um und sehe nach oben: Über der zweiflügeligen, barocken Türe mit ih-
ren zwei Türziehern, den zwei Schlüsselschildchen aus Messing und dem schmiedeeisernen
Oberlichtgitter mit seinen Ranken und seiner Blechrocaille entdecke ich unter der präch-
tigen Keilsteinkartusche die Jahreszahl 1770, das Erbauungsjahr des Hauses. Im Blendfeld
Blick vom Salvator zum Kaplaneihaus (links) und auf die Stadt Schwäbisch Gmünd (2010)
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Kaplaneihaus auf dem St. Salvator. Aquarel-
lierte Federzeichnung von Christian Rudolph,
1894
Über dem Barockportal: Wappenkartusche
mit dem nach rechts aufsteigenden Löwen,
dem Wappen der Gmünder Patrizierfamilie
Debler. Darunter Inschrift mit Chrono-
gramm sowie Jahr des Baubeginns (1770)
. unter der mit Füllhörnern gezierten, geschwungenen Portalbekrönung prangt eine große
Wappenkartusche mit dem nach rechts aufsteigenden Löwen, dem Wappen der Gmünder
Patrizierfamilie Debler, die schon im Jahre 1348 in der Stadt Gmünd urkundlich erwähnt
wird.
Das mächtige, zweigeschossige Kaplaneihaus mit seinen markanten Eckpilastern und seinem
hohen Walmdach erinnert mich an das Pfarrhaus in Westhausen (Ostalbkreis), das derselbe
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Baumeister, Johann Michael Keller (1721-1794), ein Jahr zuvor (1769) errichtet hatte.
Zwischen Jahreszahl und Deblerwappen steht, in Großbuchstaben geschrieben: „PROBI Co-
NIVGES GEORGIVS DEBLER ET THERESIA FVNDATORES ET CONDITORES (Die rechtschaffenen
Eheleute Georg und Theresia Debler sind Stifter und Gründer)“. Diese Inschrift enthält ein
Chronogramm, ein „barockes Wort-Zahl-Spiel“, wie es Dr. Klaus Graf ' einmal treffend
formuliert hat: Einige Großbuchstaben, die zugleich auch römische Ziffern sind, ergeben
nämlich, zusammengezählt, die Jahreszahl 1770, das Jahr des Baubeginns.
„Im Namen der Allerheiligsten Dreyfaltigkeit Gott des Vatters und des Sohns und des heiligen
Geistes, Amen. Nachdem wir beede hiernächst benamsie, nemlichen Ich Maria Theresia Deble-
rin, dermalen verwittibte Cassierin, Handelsfrau, und mit mir mein herzgeliebter Eheherr seel.,
Johann Georg Debler, weiland des Raths und Cassier (Stadtkämmerer), auch Handelsherr da-
hier in der Heil: Röm: ReichsStadt Schwäbisch-Gemünd, kurz vor dessen seel. Abscheiden, und
Hintritt aus dieser Welt, so den 21:”" Monatstag Januar dieses laufend 1770“ Jahres erfolgt ist,
mit gemeinsamem Willen und einträchtiger Verständnuß, auch genugsamer Überlegung verab-
redet, und beschloßen zur größeren Ehre und Glorii Gottes, und zur Beförderung der Andacht
und Verehrung des bittersten Leydens und Sterbens Jesu Christi, unseren Seelen aber zum Trost,
auch zum allgemeinen geistlichen Nutzen unserer übrigen lieben Mit-Christen, sonderbar denen
dahier, und in umliegender Nachbarschaft sich befinden, einen Beneficiatum Curatum auf den
hiesigen nahe bey der Stadt liegenden sogenannten Heil: Salvators-Berg, als einer uralten, weit
und breit berühmten Wallfahrt, allwo das heiligste Leyden und Todt unseres Göttlichen Erlösers
andächtig vorgestellet, auch täglich, wie nicht minder öfters das Jahr hindurch, unter großem
Zulauf des Volkes eifrigst verehret wird, in ewige Zeiten zu stiften und aufzustellen... “?
Mit diesen Worten beginnt die in dunkelroten Samt eingebundene 13-seitige Stiftungsur-
kunde (26,5 x 18,5 cm), die sich heute im Debler-Archiv des Gmünder Stadtarchivs befin-
det. Mit diesem Dokument der begüterten 56-jährigen Theresia Debler erfuhr die beliebte
und bekannte Salvatorwallfahrt eine deutliche Aufwertung.
Die Urkunde, datiert Samstag, 21. April 1770, legt in zehn Punkten schriftlich fest, wie die
14800 Gulden, welche das Ehepaar Debler stiften will, verwendet werden müssen: 10000
Gulden sollen umgehend der Stadtkasse „in perpetuum“ (auf ewig) als Darlehen zu 3 Prozent
Zins übergeben werden, um vom jährlichen Zinsertrag den Unterhalt eines künftigen Bene-
fiziaten (Kleriker, der seinen Unterhalt vom Ertrag einer Pfründe erhält) zu bestreiten. Als
Gegenleistung sollte dieser täglich eine Heilige Messe auf dem Salvator lesen. Zwei Messen
sollten wöchentlich als Seelmessen für die beiden Stifter bestimmt sein. Die übrigen Messen
Siegel mit Deblerwappen am Stiftungsbrief
vom 21. April 1770. Die Form des Wappen-
schildes weist darauf hin, dass sich Bürgermeis-
ter Caspar Debler, der als Richter gleichzeitig
auch Urkundsperson war, dieses Siegel schon im
Jahre 1554 zugelegt hat. Sein Siegel wurde im
18. Jahrhundert von den Gmünder Patrizierfa-
milien Debler als Wappen übernommen.
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Die neun letzten Zeilen des 13-seitigen Stiftungsbriefs, datiert 21. April 1770. Die Übersetzung lautet: „So gesche-
hen in der Heil: Röm: ReichsStadt Schwäbisch-Gemünd den 21ten Monats Tag April Anno Christi 1770. Maria
Theresia Deblerin als Stifterin. Die Bitten der herausragenden Stifterin zu Gunsten einer gnädigsten Beglaubigung
unter dem Datum Schwäbisch Gmünd, 21ten April 1770, Johannes Joseph Doll, Kanoniker und Stiftsdekan von
Gmünd. Für diese herrliche Stiftung unterschreibe ich, Franz Xaver Debler, Kanoniker von Gmünd, der ich als
Zeuge dazu gebeten wurde“.
darf der Benefiziat zum Gedenken anderer Verstorbener feiern, um damit sein Einkommen
zu erhöhen. Dem Salvatorkaplan wurde in der Urkunde von der Stifterin darüber hinaus ans
Herz gelegt, seine Gottesdienste zeitlich so zu legen, dass sie für die Gläubigen „bequem“
sind und dass die Wallfahrer an Sonn- und Feiertagen auch den Hauptgottesdienst in der
Pfarrkirche besuchen können. Die Woche über sollte sich der Benefiziat „jederzeit mit Spen-
dung des Allerheiligsten Altarsakraments und Beichthören fleißig und unermüdet zeigen“? Dafür
musste der Salvatorkaplan keine Predigten halten, denn dieses Privileg war bereits seit dem
Jahre 1644 den Kapuzinern vorbehalten.
Weitere 2000 Gulden ihres Stiftungskapitals waren für die Salvatorpflege bestimmt. Von
dem Zinsertrag sollten der Benefiziat als „director huius beneficii“, der Verwalter der Salvator-
pflege und der Mesner der Wallfahrt jährlich Entschädigungen erhalten. Schließlich sollte
für 2800 Gulden ein neues Benefiziatshaus erbaut werden. Die kunstbeflissene Stifterin
legte fest, dass der renommierte Gmünder Barockbaumeister Johann Michael Keller die
Planung und Bauleitung übernehmen solle.
Und so wird schon wenige Wochen später mit dem Bau am 5. Juni 1770 begonnen. Zur
selben Zeit tritt auch das Benefizium in Kraft: Der erste Priester, der die gestifteten Heiligen
Messen zu lesen hat, ist Stiftsdekan Franz Xaver Debler (1726-1802). Er übt das Benefiziat
jedoch nur aushilfsweise und für kurze Zeit aus. Schon nach einem Jahr kann das Kaplanei-
haus bezogen werden.
Barockes Treppengeländer im Kaplaneihaus
Das Bischöfliche Ordinariat in Augsburg
bestätigt das gestiftete Benefizium am 8.
Juli 1770. Es wird zunächst von Theresias
Schwager, dem Handelmann Franz Xaver
Debler (1757-1796), verwaltet. Mit Zu-
stimmung der Diözese wird im Juni 1772
schließlich Johann Michael Netzel zum
ersten Vikar der neuen Theresienkaplanei
ernannt. Er sollte solange dieses Amt aus-
üben, bis Johann Ignatius Bommas, ein
Verwandter der Stifter, seine theologischen
Studien abgeschlossen hat.
Das Debler’sche Benefizium ist das zweite
auf dem Salvator, denn schon im Dezem-
ber 1745 war auf dem St. Salvator das
Stahl’sche Benefizium eingerichtet worden.
Es verpflichtete den Salvatorkaplan, schon
damals sechs Heilige Messen pro Woche in der Kapelle zu lesen. Dafür erhielt der Stahl’sche
Benefiziat 200 Gulden jährlich sowie einen Mietzuschuss für seine Wohnung in der Innen-
stadt. Der erste Kaplan, Franz Ignaz Stahl, kam dieser Verpflichtung fast 30 Jahre lang nach,
doch kann er seit September 1776 aus gesundheitlichen Gründen nur noch zwei Gottes-
dienste pro Woche zelebrieren.
Durch die Stiftung des Debler'schen Benefiziums kann vier Jahre später die Salvatorwallfahrt
durch die ständige Anwesenheit eines Geistlichen wieder verlässlich geregelt und erweitert
werden. Da nun der Salvatorkaplan auch unmittelbar neben den Wallfahrtskapellen wohnt,
gibt die Diözese im Oktober 1770 ihre Zustimmung, dass auch das Allerheiligste dort oben
aufbewahrt werden darf. Das Beichthören, das seit 1745 zunächst in der Mesnerstube statt-
fand und im Jahre 1762 von der Diözese verboten worden war, darf von nun an wieder im
Kaplaneihaus praktiziert werden.
Johann Georg und Maria Theresia Debler: aus altem Gmünder Geschlecht
Johann Georg Debler wird am 18. April 1717 in Schwäbisch Gmünd geboren.‘ Sein 36-jäh-
riger Vater Johann, von Beruf Goldschmied, hatte im Jahre 1708 Magdalena Weickmann
geheiratet. Johann Georg zählt zu dem schon damals weit verzweigten Gmünder Debler-Ge-
schlecht, dessen Vorfahren sich bereits in der Mitte des 16. Jahrhunderts in vier verschiedene
Linien verzweigt haben, und zwar in die Peter-, Leonhard-, Melchior- und Johann-Linie.
Johann Georg ist ein Spross der Peter-Linie, der vorwiegend Goldschmiede und Handels-
herren, aber auch Bürgermeister, Ratsherren und der bekannte Stadtchronist Dominikus
Debler (1756-1836) sowie der große Magier Leopold Ludwig Döbler (1801-1864) an-
gehören. Der im Jahre 1656 geborene Großvater Johann Georgs führte in Gmünd nur den
Spitznamen „Darenhansel“, weil er — im Gegensatz zu seinem fünf Jahre jüngeren Bruder
Melchior, den man in Gmünd ob seiner Leibesfülle nur den „Breitenmelle“ nannte — ziem-
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Familienwappen des Handelsmannes
und Cassiers Johann Georg Debler
(1717-1770), der am 15. September
1760 (und nicht am 14. September 1759,
wie auf der Rückseite des Strobelbildes
vermerkt) in den Rat der Stadt gewählt
wurde.
lich „dürr“ war.’ Zahlreiche Debler
dieser Peter-Linie zählten schon
im 17. Jahrhundert zur führenden
Oberschicht der Stadt. Als „Stadt-
patrizier“ ist auch Johann Georg
Debler ein sehr kapitalkräftiger
Bürger, der im Schwerzer große
Liegenschaften besitzt und der es
sich leisten kann, als Mitglied der
städtischen Elite ein Leben zu füh-
ren, das sich an adligen Maßstäben
orientiert.
Zusammen mit seinem drei Jahre
jüngeren Bruder Johann, der am
8. August 1720 geboren wurde,
gründete Johann Georg im „Grü-
nen Haus“ in der Bocksgasse (heu-
te Bocksgasse 18, tele-electric) die
Handelsfirma „Gebrüder Debler“.
Beide Unternehmer wussten die für sie günstige Zeit zu nutzen: Ihre Waren — Gold- und
Silberwaren, Perlen, aber auch „Currente Galanterie-Waren“ wie Etuis, Schnallen, Dosen,
Ringe und Haarstifte sowie böhmische Steine, Baumwollstoffe aller Art, Messing, Kupfer,
Kaffee und Zucker — werden hauptsächlich nach Bayern exportiert, so dass man ihre Firma
in Gmünd nur die „Bayerische Handlung“ nennt.
Das Geschäft floriert, und so zählen diese beiden Debler vom „Grünen Haus“ neben den
Familien der Stahl und Storr bald zu den reichsten Bürgern der Stadt. Auch ihr politischer
Einfluss wächst zusehends. So wird Johann Georg Debler am 15. September 1760 in den
Rat der Stadt gewählt. Johann Georg Debler stirbt am 21. Januar 1770. Im Sterbebuch wird
er als „Senator Mercator, et egregius Fundator nimirum Benefiii Debleriani in monte S. Sal-
vatoris“ (Ratsmitglied, Handelsmann und natürlich ehrenvoller Gründer des Debler’schen
Benefiziums auf dem St. Salvator) bezeichnet.°
Maria Theresia Debler wird am 6. Oktober 1713 in Schwäbisch Gmünd als zweites Kind
des reichen 25-jährigen Rosenwirts Johannes Debler (1688-1759) und seiner 28-jährigen
Frau Rosina geboren.’ Das stattliche Gasthaus des Vaters, die „Rose“, eine zweistöckige
Schildwirtschaft mit Brauerei, Scheuern, einem zweistöckigen Sommerhaus sowie einem
gewölbten Waschhaus mit Backofen stand früher in der Rinderbacher Gass 292 (heutiges
Areal an der Ecke Rinderbacher Gasse / Rosenstraße). Die „Rose“, nach der später die „Ro-
senstraße“ ihren Namen erhielt, brannte im Jahre 1884 nieder und wurde nicht wieder
aufgebaut.
Nachdem Maria Anna, Theresias drei Jahre ältere Schwester, am 7. November 1735 Fer-
dinand Storr geheiratet hatte, wohnt Theresia noch fast neun Jahre lang im Hause ihres
Vaters Johannes, der sich im Jahre 1740 vergeblich um eine Ratsstelle beworben hatte. Dafür
wird er im Jahre 1747 zum Oberachtmeister der Bierbrauer und im Jahre 1756 zum Pfleger
der im Jahre 1616 gegründeten Balthasar-Debler-Stiftung berufen.
Am 11. August 1744 heiratet die im Ehebuch als „pudica virgo“ (keusche Jungfrau) bezeich-
nete 31-jährige Maria Theresia den wohlhabenden 27-jährigen Han--Isherrn Johann Georg
Debler.®
Als Theresias 71-jähriger Vater Johannes im Jahre 1759 stirbt, wird Theresia alleinige Erbin
seines großen Vermögens und seiner Liegenschaften. Die Wirtschaft „Zur Rose“ verpachtet
sie noch im selben Jahr an Josef Rudolf.
Repräsentation und Selbstdarstellung des Patrizierehepaares
Die Patrizier der Stadt leben auch noch im 18. Jahrhundert in ihrer eigenen Welt. Die Le-
bensform dieser privilegierten Schicht unterscheidet sich damals deutlich von der übrigen
Gmünder Bevölkerung: Diese „Großkopfeten“ lenken die Geschicke der Stadt, dominieren
den Rat, gründen Stiftungen, grenzen sich durch einen geschlossenen Heiratskreis von an-
deren Sozialgruppen ab und wohnen vorwiegend am Marktplatz in Repräsentationsbauten,
die sie von dem renommierten Barockbaumeister Johann Michael Keller erbauen ließen.
Darüber hinaus lassen sich die Handelsherren und ihre Frauen in großartigen Posen malen,
in denen sich damals auch die Landesfürsten gefallen. Johann Georg Strobel (1735-1792),
erster Zeichenlehrer an der 1776 gegründeten Zeichnungsschule, übt damals in Gmünd die
Funktion eines städtischen „Hofmalers“ aus, der die idealisierende Selbstdarstellung dieser
Klientel in der Porträtmalerei meisterhaft beherrscht. Und deshalb finden die meisten Ange-
hörigen der großen Stadtfamilien auch Gefallen daran, sich von diesem in Wallerstein gebo-
renen Maler porträtieren zu lassen. Auftraggeber und Maler achten dabei stets darauf, dass
der darzustellende Personenkreis möglichst niveauvoll in Szene gesetzt wird, indem man
sich beispielsweise in Körpersprache, Kleidung und Ausstattung am nächst höherstehenden
Stand, dem Adel, orientiert. „Man zeigte, was man besaß, weil man glaubte, dass der äußere
Reichtum auch den ‚inneren? steigern konnte“. ” Dadurch ist das jeweilige Abbild nur selten
Spiegel der Wirklichkeit, sondern eigentlich Wunschvorstellung des Porträtierten ebenso
wie von der spezifischen Handschrift des Künstlers wesentlich mitbestimmt. „Als Dreivier-
telfigur und in Frontalansicht positioniert, verzichtete Strobel in seiner stereotypen Aufteilung des
Bildfeldes nahezu gänzlich auf Raum- und Tiefenwirkung, Plastizität, Hintergrundkulisse und
individualisierte Körperlichkeit. Stattdessen bediente er sich aus stets demselben Repertoire an
Requisiten für Kleidung, Frisur, Farben, Stoffe, Accessoires, Blumen, Fächer, Schmuck und ande-
ren Utensilien und drapierte diese um das wichtigste und für seinen Auftraggeber informativste
Formelement — das Gesicht. Nach diesem Verfahren schuf Strobel eine Montage aus erstarrten
‚Anziehpuppen), deren leblose und hölzerne Körper zu Trägern wertvoller Informationen gerieten;
mit feinem Pinselstrich und Freude am Detail gemalt, erteilen diese sogenannten ‚Beigaben’ Aus-
kunft über den Wohlstand, die berufliche Karriere, die Kultur und die bedeutende Position des
Porträtierten im hierarchischen Gefüge der reichsstädtischen Gmünder Gesellschaft“.
Natürlich lassen sich auch Johann Georg und Maria Theresia Debler von diesem angese-
henen Maler Strobel porträtieren. Ihre beiden Bilder hängen heute noch im Treppenhaus des
Benefiziatshauses auf dem St. Salvator. Das Ölgemälde von Johann Georg Debler (Leinwand
81x61 cm, mit Rahmen 93x77 cm), der im Jahre 1760 auch mit dem Amt eines städtischen
Cassiers (Stadtkämmerers) betraut worden war, wird von Strobel, wie auf der Rückseite des
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Stifterbildnisse von Johann Georg Debler (1717-1770) und Maria Theresia Debler (1713 1774). Die Halbfi-
guren in Festtagskleidung wurden von Johann Georg Strobel in den Jahren 1760 (linkes Bild) und 1772 (rechtes
Bild) gemalt. - Johann Georg trägt eine rote Weste, vermutlich aus Seide, mit Goldlitzen und goldenen Knöpfen,
darüber eine schwarze Jacke, ebenfalls mit Goldlitzen und Goldknöpfen, dazu ein schmales Spitzenjabot am Hals
und große Spitzenmanschetten. Maria Theresia trägt ein blaues Kleid mit Miederschnürung und roter Schürze.
Als Gürtel fungiert eine vergoldete Filigranschleife, ein sogenanntes „Mäschle“, ein typisch Gmünder Schmuck-
stück. Darüber trägt Theresia eine langschößige blaue Jacke mit goldenem Spitzenkragen, Schleife und Bordüre,
große Manschetten und Spitzeneinsatz.
Bildes vermerkt, im Jahre 1760 gemalt. Auf dem Bild steht geschrieben: „Natus 1717 die
13 April. / Depietus 1760 / Mortuus 1770 die 21 jan“ (geboren am 13. April 1717, gemalt
1760, gestorben am 21. Januar 1770). Auf der Rückseite findet sich noch folgender Text:
„Wahre abbildung / des gottseel: herrn Johann Georg Debler / Handels-Herrn, wie auch des Raths
/ und Cassier, Stiffters des Debler-ischen Beneficij zu S. Salvator. / Ao 1717 de / 13. April Ist der
beglückte Tag, an / welchem Er gebohren. / Ao 1744 11 Aug. wöhlt Er sich Theresiam / zu seiner
liebsten braut / Ao 1759 de 14 Sept. Hat ihn der hohe stand / zum glid des Raths erhoben, / Ao
1770 de 21. Jan. Steigt auf sein seel zu Gott / auf den Er so sehr getraut, zweifels ohne / hat Gott
Ihm gegeben für seinen Lohn das ewig Leben. G. Stobel pinx.“
Das Bild der Stifterin Maria Theresia Debler wird von Strobel zwölf Jahre später, also im
Jahre 1772, gemalt. Auf dem Bild steht oben der Text: „Nata die 6 Septemb. 1713. / Depicta
Mense jan: 1772 / Mortua die 29 juny / 1774“ (geboren am 6. September 1713, gemalt im
Monat Januar 1772, gestorben am 29. Juni 1774). Auf der Rückseite ist zu lesen: „Wahre
abbildung / der Gottseel. Frau M: Theresia Deblerin / gebohrnen Deblerin Ehe=Consortin des /
Gottseel. Herrn Johann Georg Debler / HandelsHerrn und Cassiers / und Mitstiffterin des Deble-
rischen Beneficij / zu Sanct Salvator. / Ao 1713 den 6. Septemb. Ist solche beglückt / auf diese
Welt gekomen / Ao 1744 den 11. August Hat Herr Johannes Georg Debler sie zur Ehe genomen.
/ Ao 1770 den 5. Jun. Hat Sie an diesem haus / behend den Anfang gmacht. / und solches nach
eim jahr / erwünscht zu end gebracht. / Ao 177%, den 29. Jun. Ist sie in gott seelig ent / schlafen.
J.G: Strobel pinxit 1772“.
Einige dieser Daten stimmen allerdings nicht mit den Einträgen in den Gmünder Tauf- und
Sterbebüchern überein: Johann Georg Debler wurde demnach nicht am 13., sondern erst
am 18. April 1717 geboren. Maria Theresia wurde nicht am 6. September, sondern am 6.
Oktober 1713 geboren. Sie starb nicht am 29. Juni, sondern bereits am 16. Juni 1774.
Weitere wertvolle Stiftungen von Theresia Debler
Im 18. Jahrhundert war es immer noch Brauch, dass sich die reichen Patrizierfamilien durch
Schenkungen und Stiftungen zu profilieren suchten. Dies wurde oft aus Mildtätigkeit, aber
auch im Hinblick auf ihr späteres Seelenheil und aus Gründen des Sozialprestiges prakti-
ziert. Das dürfte wohl auch für das Ehepaar Debler gegolten haben, doch dachten diese
beiden generösen Personen bei ihren frommen Stiftungen meist auch immer an ihre sechs
Kinder, die schon im frühen Alter gestorben waren: Vier von ihnen hießen Rosa (geb. 15.
März 1747), Johannes (geb. 29. Dezember 1748), Johann Burckard (geb. 19. September
1750) und Johann Georg (geb. 22. Januar 1752). Die Namen der anderen beiden Kinder
konnten nicht ermittelt werden, da in den damaligen Sterbebüchern nur Erwachsene ein-
getragen und die Kinder jeweils nur summarisch am Ende eines Jahres genannt wurden.
Da jedoch alle sechs Kinder des Ehepaares auf der Totentafel von Johann Georg Debler mit
einem Kreuz auf ihren Köpfen abgebildet sind, kann davon ausgegangen werden, dass diese
schon vor dem Todestag Johann Georgs (21. Januar 1770) als Säuglinge bzw. Kleinkinder
gestorben waren.
Maria Theresia Debler hat durch weitere Stiftungen auch den Kirchenschatz der Gmünder
Pfarrkirche stark bereichert: So vermachte sie dem Gotteshaus am 13. Mai 1772 acht sil-
berne Blumenkrüge sowie vier silberne Hangleuchter für den Hochaltar. Ihre beiden großen
Sterbetafel des Johann Georg Debler. Die Kreuze über ihm und den Kindern bzw. Säuglingen weisen darauf hin,
dass diese Personen bereits gestorben waren. Auf der Tafelrückseite findet sich folgender Text: „Anno 1770 den
20. Jenner starbe in Gott seelig der wohledle und weise Herr Johann Georg Debler, des Raths und Cassier, seines
Alters 52 Jahre und 8 Monath. Ein Besorger der Ehr Gottes, Gutthäter der Kirchen und grosser Stiffter, Freund
der Geistlichkeit, Brod- und Nehr-Vatter der Handwercksleuth, milder Liebhaber der Armen, guter Haus-Halter
vor sich und das gemeine Wesen. R.I.P.“
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Deblerwappen am schmiedeeisernen Metallgitter der Unteren Felsenkapelle, das den Altarraum abschließt
silbernen Wandleuchtertafeln, die sie in Augsburg fertigen ließ, schmücken noch bis zum
heutigen Tag an Hochfesten die beiden Säulen links und rechts des Hochaltars. Die Reliefs
dieser Meisterwerke, jeweils 84 cm lang und 56 cm breit, zeigen den Heiligen Georg und die
Heilige Theresia, die Namenspatrone der Stifter.
Schließlich stiftete die feine Dame am 1. Juni 1773 acht Litaneien in der St. Johann Nepo-
muk-Oktav, fünf musikalische Ämter in der Fronleichnams-Oktav und eine jährliche Mette
am St. Theresia-Vorabend. Dafür übergab sie ihrem Vetter, dem 47-jährigen Stiftspropst
Franz Xaver Debler, 2300 Gulden. In Theresias Todesjahr (1774) vermachte sie Stiftsdekan
Debler weitere 10000 Gulden. Dieser kaufte davon Paramente, einen vergoldeten Kelch mit
Opferkännchen und 19 Messgewänder, auf welche er das Debler’sche Wappen sticken ließ.
„Die sämtlichen frommen Stiftungen dieser edlen Frau und ihres seligen Eheherrn belaufen sich
auf 30000 Gulden, wofür sie ihren Lohn im Himmel empfangen werden“.“
Im Jahre 1773: Ein Testament, das reichlich schenkt
Am 8. Januar 1773 unterschreibt die 59-jährige Maria Theresia Debler ihr Testament, das,
von einem Notar verfasst, auf 20 großformatigen, handbeschriebenen Seiten ihr riesiges Ver-
mögen an Verwandte, Gmünder Kirchen und Klöster, benachbarte Wallfahrtsorte und an
das Gmünder Waisenhaus verteilt. Da Theresia bei der Abfassung ihres letzten Willens keine
Kinder mehr hatte, wird der älteste Sohn ihres Schwagers, der 16-jährige Handelsmann
Franz Xaver Debler (1757-1796), zum Haupterben und Testamentsvollstrecker berufen.
Dafür erhält er von ihr später den Großteil ihrer Immobilien, den Familienschmuck und
ihr Bargeld.
„Im Namen der Allerheiligsten Dreyfaltigkeit Gott des Vaters und des Sohns und des Heiligsten
Geistes, Amen. Kund und zu wissen sey jedermänniglich, und besonders, denen es zu wissen
Eigenhändige Unterschrift von vınian, uns mil
Maria Iheresia Debler auf Seite
20 ihres Testaments, datiert 8. BY 3: gr al ©; OK ir rg ‚
Januar 1773 7 ; 2 ;
nothwendig, daß, nachdem mm an a * guadanian: an
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genwärtige Verordnung und
letzten Willen, wie solcher
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geschehen mag, wohlbedächt-
lich gemacht, und aufgerich-
tet habe...“ ”
Mit diesen Sätzen beginnt Iheresias Testament, in dem sie insgesamt 16272 Gulden ver-
teilt — eine riesige Summe, für die ein damaliger Handwerker 163 Jahre lang hätte arbeiten
müssen. Neben 24 Verwandten werden auch die Patres der vier Gmünder Mannsklöster,
Kirchen und Kapellen, Arme und Kranke in der Stadt sowie das Waisenhaus mit stattlichen
Geldbeträgen bedacht. Selbst die Kirchen in Oberelchingen, auf dem Rechberg und auf dem
Beißßwang erhalten von ihr ansehnliche Stiftungsgelder — vorausgesetzt, alle Erben stimmen
diesen Zuwendungen auch zu und streiten nicht darüber, denn „würde nun jemand aus ge-
meldten meinen Erben und Legatariis mit demjenigen, was ihm wohlmeynend vermacht, nicht
vergnügt und zufrieden seyn, sondern (wie es vielfältig zu geschehen pflegt) anstatt des Dankes
Zank, Hader und Streittigkeit schriftlich oder mündlich wider diesen meinen lezten Willen und
Verordnungen erregen, so ist mein ernstlicher Will und Verordnung, daß, sobald sich einer oder
der andere vor einem Hochlöblichen und Wohlweisen Magistrat, oder auch anderwärtig, münd-
lich, oder schriftlich wider diese meine Verordnungen sollte oponiren, er seines Antheils gänzlich
soll beraubt seyn, und solcher sein Antheil dem neu erbauten Waysenhaus zu ob angeführter
Verwendung soll zufallen. “'°
Tausend Seelenmessen für die Stifterin
Am 16. Juni 1774 stirbt Theresia Debler. Wie in ihrem Testament gewünscht, wird sie „auf
dem Pfarrkirchhof bey meinem geliebten Eheherrn seelig nach Christ katholischem Gebrauch
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Fun P2. Mir
arabius * Seasayı 75 mente SSphra
| 2 5 Georg, E IHR: enatos, Maratoı.® a
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Suikeineheinhe der beiden en Johann Georg (1770) und Theresia Debler (1774)
beerdigt“. Danach werden „tausend heilige Messen für mich, sobald als möglich, gelesen, auch
sowohl in der Pfarr- als in den drei Klosterkirchen jedes Mal ein musikalisches Seelamt gehal-
ten“.'* Die löbliche Studentenkongregation, die ihren „seeligen Leichnam zur Erde bestätti-
get”, erhält, wie im Testament vermerkt, für ihren Dienst 15 Gulden."
Nach solch üppigen Schenkungen wird die großherzige Frau im Sterbebuch der Pfarrkirche
zu Recht als „egregia benefactrix et Fundatrix (herausragende Wohltäterin und Stifterin)“
bezeichnet.”
Nach 1802: Gewollter Bedeutungsverlust der Salvatorwallfahrt durch die Gmünder
Stadtpfarrer
Die von Johann Georg und Theresia Debler gestifteten kirchlichen Wohltaten wurden be-
reits wenige Jahrzehnte später durch die beiden von der Aufklärung infizierten Gmünder
Stadtpfarrer Thomas Kratzer (1755-1824) und Franz Xaver Wildt (1780-1844) aufgeho-
ben bzw. in ihrer Wirkung stark eingeschränkt. Davon waren in der „Heil: Röm: uralt gantz
Katholischen Kajserl: Königl: Freyen Reichs Stadt Schwäb: Gemünde“ (so der Titel der Chronik
des Dominikus Debler vom Jahre 1780) auch die Klöster, die Kapellen und das Passionsspiel
betroffen. So ließen die beiden Gmünder Stadtpfarrer zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch
mehrere Kapellen in Gmünd abreißen und kirchliches Brauchtum abschaffen. Die Reaktion
der Gmünder ließ nicht lange auf sich warten: Am 5. März 1802 wurden bei Dekan Kratzer
nachts um ein halb eins die Fenster eingeworfen, so dass sich der Dekan, wie der Chronist
und Zeitzeuge Dominikus Debler berichtet, „auf die Bühne retirieren musste, um nicht ver-
steinert zu werden.“
Auch die Salvatorwallfahrt erfuhr durch die beiden Stadtpfarrer einschneidende Verände-
rungen: „Zunächst wurden 1803 die Vermögen der Benefizien der Familien Stahl-Storr und
Debler zur neugebildeten Kirchen- und Schulpflege gezogen, welche dafür fortan die Besoldung
der Benefiziaten zu übernehmen hatte. 1830 wurde das Debler'sche Benefizium, die Theresien-
kaplanei, mit dem Stahl-Storrschen Benefizium verbunden. Waren diese Änderungen ohne allzu
großes Gewicht, so waren weitere Maßnahmen, die insbesondere vom katholischen Kirchenrat in
Stuttgart und daneben von Vertretern der örtlichen Geistlichkeit ausgingen, geeignet, den Bestand
der Wallfahrt an sich in Frage zu stellen“ >" So musste beispielsweise der 64-jährige Anton Le-
opold Debler (1766-1839), ein Bruder des Chronisten Dominikus Debler, am 5. Novem-
ber 1830 eine Dienstanweisung unterschreiben, die ihm Dekan Wildt vorgelegt hatte. Da-
| Erledigung der St. Salvators-Saplanei.
In Folge des Ablebens de3 hohwürdigen Herrn Pfarrers Gerum ift
die Kaplanei der «Debler’fhen umd Stahl- Storr’fhen Stiftung ‚auf dem
&t. Salvator wieder zu befegen.
DBemerbungsgejuche, welche innerhalb. 14 Tagen eingereicht werden wollen,
‚übernimmt und erledigt im Einvetftändnih der Patronen de3 Stahl-Storr’ ihen
‚I Benefiiums
| ‚Schw. Gmünd, 21. Zanuar 1883.
ee Eiuad Debler, Kaufmann in Shin. Gmünd,
| le - Batron des Deblerihen Beneficiume. -
Anzeige im Deutschen Volksblatt vom 22. Januar 1883: „Erledigung der St. Salvators-Kaplanei“
nach durfte der Salvatorkaplan an Werktagen nur noch eine stille Messe lesen. Desgleichen
durften die Wallfahrer weder laut singen noch laut beten oder zur Kommunion gehen. Auch
das Allerheiligste durfte nicht mehr in der Salvatorkapelle aufbewahrt, kein Wettersegen
mehr erteilt und Kreuzpartikel sowie Reliquie während der Messen nicht mehr dem Volk
präsentiert werden. Beichthören auf dem Salvator wurde gänzlich abgeschafft. Dafür musste
der Iheresienkaplan an Sonn- und Feiertagen in der Pfarrkirche predigen und Messen lesen.
„Von der Wallfahrt des 17. und 18. Jahrhunderts war so nur mehr wenig verblieben. Die Ka-
buziner waren bereits 1810 nach Ellwangen verbracht worden, und die Messstiftungen wurden
nicht einmal mehr der Form nach eingehalten. Dem Überschwang des 18. Jahrhunderts war eine
Gegenreaktion von mehr als vergleichbarem Ausmaß gefolgt“?
Ein wichtiges Privileg der Debler: das Ernennungs- und Präsentationsrecht
Was aber die beiden „aufgeklärten“ Geistlichen nicht abschaffen oder aufweichen konnten,
das war das Privileg der Deblerfamilien, bei der Besetzung der Kaplaneistelle auf dem Salva-
tor ein gewichtiges Wort mit reden zu dürfen. In der Stiftungsurkunde vom Jahre 1770 wird
nämlich ausdrücklich vermerkt, dass die näheren Verwandten der Gmünder Stifterfamilie
das Recht der Ernennung und der Präsentation der Salvatorkapläne ausüben dürfen. Nach
dem Tode der Stifterin war dies zunächst Johann Debler (1720-1790), der Bruder ihres
verstorbenen Ehemanns. Danach durfte der Älteste der männlichen Deszendenten dieses
Privileg wahrnehmen.
Das Einkommen des Gmünder „Iheresienkaplans“ war schon immer sehr beachtlich: So
werden in einem „Bewerberaufruf‘ vom 24. Mai 1912 neben den Aufgaben des Seelsorgers
auch detailliert seine Einkünfte aufgelistet: Bewerberaufruf seitens des Herrn Rechtsanwalts Dr.
Debler in Gmünd als Vertreter der patronatsberechtigten Familie um die St. Salvatorkaplanei
ad St. Theresiam in Gmünd, mit welcher die Stahl-Storr'sche Me stiftung daselbst verbunden
ist, mit Meldungsfrist 15. Juni. Der Salvatorkaplan hat sich außer der Besorgung der Wallfahrt
noch an einigen Gotiesdiensten der Heiligkreuzkirche und an den Katechesen zu beteiligen; ferner
obliegt ihm die Pastoration des Kanisiushauses. - Das Pfründeinkommen besteht bei der Kaplanei
ad St. Theresiam in: Kapitalzinsen 177 M 40 Pf, Geldbesoldung 509 M 14 Pf Gebühren 16 M
29 Pf, Staatsaufbesserungen 994 M 85 Pf, Summe 1697 M 68 Pf wovon 68 M 32 Pf Pfründ-
ausgaben abgehen. Bei der Stahl-Storrschen Mefßstiftung in: Liegenschafisertrag 13 M 10 Pf,
Kapitalzinsen 135 M 85 Pf, Geldbesoldung 390 M 86 Pf, zusammen 539 M 81 Pf“ ”®
Vergleicht man die Preise anderer Güter der damaligen Zeit, dann kann man die Attrak-
105
106
tivität dieser Besoldung leicht erkennen: Zwei Strohhüte für Herren, Knaben und Mäd-
chen kosteten 95 Pfennig im Kaufhaus Stern, Marktplatz 24; Damen-Schnürstiefel bei R.
Altschüler, Kornhausstraße 11, waren für 6,75 Mark zu haben; ein Pfund Schweinefleisch
kostete 75 Pfennig, ein Knorr-Suppenwürfel 10 Pfennig, und ein Regenschirm in Halbseide
im Kaufhaus Alfred Meth (Bocksgasse 29) 2,95 Mark. *
Der umfangreiche Briefwechsel mit dem Bischöflichen Ordinariat zeigt, dass die Absprachen
mit Rottenburg meist problemlos verliefen, doch gab es immer wieder auch unterschiedliche
Bewertungen bei der Besetzung der Kaplaneistellen. So bittet beispielsweise Bischof Paul
Wilhelm von Keppler am 5. März 1912 den damaligen Patronatsherrn, Rechtsanwalt Dr.
Moritz Debler, er möge doch den Kernbacher Kaplan Herzer nicht berücksichtigen, „da
dieser Priester die Qualitäten nicht besitzt, die für die Wallfahrt und noch mehr für das Cani-
siushaus nötig sind... Ich möchte gewiß die Freiheit der Wahl nicht behindern, sondern würde
nur durch meine Personalkenntnis Ihnen zu Diensten sein für eine richtige Wahl“”° Rechts-
anwalt Dr. Debler akzeptierte diesen bischöflichen Rat —- und so wurde stattdessen Kaplan
Ludwig Zimmer neuer Kaplan auf dem St. Salvator.
Auch in späteren Jahren kommt es zwischen Rottenburg und dem Patronatsherrn immer
wieder zu Unstimmigkeiten bei der Besetzung der Theresienkaplanei. So weist Generalvikar
Dr. Kottmann vom Bischöflichen Ordinariat schon im Jahre 1945 auf den „immer stär-
ker werdenden Priestermangel hin, der einen aktiven Geistlichen für diese Stelle ausschließt“ °
Schließlich schreibt Domkapitular und Generalvikar Dr. Karl Knaupp am 3. Mai 1965 an
die damalige Patronatsherrin Berta Debler, Mutter des Biberacher Oberamtsrichters Dr.
Max Debler, dass die Salvator-Kaplanei wegen des Priestermangels definitiv nicht mehr be-
setzt werden könne. „Ich werde den ganzen Fragenkomplex untersuchen lassen, da mich dieses
einzigartige Familienpatronat auch persönlich interessiert. Es müsste wohl auch geprüft werden,
ob die Patronatsfamilie nicht mit Bau- und Instandhaltungs- Verpflichtungen belastet ist“?
Die Überprüfung hat nie stattgefunden, denn seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird
die Seelsorge auf dem Salvator nicht mehr durch „aktive“ Kapläne ausgeübt und die Stelle
von der Diözese auch nicht mehr ausgeschrieben. Stattdessen wohnen nur noch pensionierte
Geistliche im Kaplaneihaus auf dem Salvator wie beispielsweise Dr. Anton Möhler oder De-
kan Franz Müller. Das Debler’sche Patronatsrecht besteht aber rechtlich noch immer. — Seit
dem Jahre 2009 bewohnt der polnische Monsignore Stanislaw Bielawski das Kaplaneihaus
auf dem St. Salvator.
Die zehn Kapläne der Theresienkaplanei
Der erste Seelsorger im neu erbauten Kaplaneihaus war der 68-jährige Ignatius Stahl, der
am 18. Juli 1778 starb. Daraufhin wurde Johann Nepomuk Netzel als neuer Salvatorpfarrer
berufen, doch der gab sein Mandat umgehend an den Oberbettringer Pfarrer Josef Strau-
benmüller weiter. 1790 meldete sich für diese Stelle Anton Leopold Debler, den dessen
Bruder, der Chronist Dominikus Debler, mit den Worten charakterisierte: „Lebt so ziemlich
gut, hat aber alle oder die meisten geistlichen Macken und Gewohnheiten an sich“ 2° Da Debler
aber zunächst Pfarrer auf dem Möhnhof und danach in Mutlangen geworden war, wurde
ihm erst im Jahre 1802 die Theresienkaplanei auf dem Salvator übertragen. Nach der Ver-
einigung des Stahl‘schen mit dem Debler‘schen Benefizium im Jahre 1830 wurde Leopold
Debler alleiniger Salvatorkaplan. Nach seinem Tod im Jahre 1839 wurde Josef Bihlmayer
zum Salvatorkaplan ernannt. Er übte dieses Amt bis zum Jahre 1856 aus. Ihm folgten die
Kapläne Max von Auer (Kaplan von 1856 bis 1871) und Gustav Gerum (1871 bis 1884).
Im Oktober 1884 ernannte man Anton Kösler zum Salvatorkaplan, doch der wurde wenige
Wochen später am 28. November von einem Zug erfasst und getötet. Sein Nachfolger wur-
de der Gmünder Johann Baptist Bommas (1886 bis 1892). Am 11. Oktober 1892 folgte
ihm Kaplan Konrad Kirchner nach, der auch ein Wallfahrtsbüchlein über den Salvator ver-
öffentlichte. Kirchner starb im Jahre 1911. Sein Nachfolger wurde Kaplan Ludwig Zimmer,
der 1932 ins Canisiushaus zog und dort als Superior bei den dortigen Schwestern wirkte. Er
starb im Jahr 1945.
Im Jahre 1913: Votivgabe von Katharina Fischer
Wie eng die Menschen aus Gmünd und Umgebung auch vor 100 Jahren mit dem Salva-
tor verbunden waren, zeigt die Geschichte, welche mir die heute 82-jährige Waldstetterin
Margarete Guata, Tochter des bekannten Zigarrenhändlers Karl Fischer, am 16. April 2010
erzählt hat: „Im Jahre 1913 wurde mein damals 20-jähriger Vater Karl Borromäus Fischer,
Sohn eines Spraitbacher Großbauern, beim Ausfahren der Gülle auf einer Streuobstwiese von
seinen scheuenden Pferden so unglücklich gegen einen Baum gedrückt, dass er in das Gmünder
Spital eingeliefert werden musste. Weil nun dessen Mutter, die 47-jährige Katharina Fischer,
befürchtete, dass ihr geliebter Sohn bei der bevorstehenden Operation — ihm musste sein rechtes
Bein amputiert werden — sterben könnte, bat sie den Herrgott um Beistand. Ihr Glaube hat ihr
und ihrem Sohn geholfen: Karl Borromäus Fischer erholte sich schnell von seiner Beinampu-
tation und meisterie später sein Leben auch mit Krücken. Zum Dank ließ Katharina Fischer
später ein kleines Holzfüßchen zu den anderen an der Wand hängenden Votivgaben der Unteren
Felsenkapelle des Salvators anbringen. 22 Jahre später (1935) konnte ihr Sohn sogar dank einer
besonderen technischen Apparatur wieder selber Auto fahren. Noch viele Jahre lang zeigten meine
Eltern bei jedem Karfreitagsbesuch mir und meinen sieben Geschwistern diese Votivgabe auf dem
Salvator und erzählten uns immer, wie Gott damals meinem Vater Karl Borromäus auf wunder-
bare Weise geholfen hat.“
1917: 300-jähriges Jubiläum mit Wallfahrtswoche und Festgottesdiensten
Markante Jubiläen schaffen oft neue Dynamik und Motivation — so auch im Jahre 1917, als
Salvatorkaplan Ludwig Zimmer zum 300-jährigen Jubiläum des Baubeginns der Unteren
Felsenkapelle Tausende von Wallfahrern aus nah und fern begrüßen konnte. „In der Heilig-
kreuzkirche wird beim vormittägigen Hauptgottesdienst erstmal wieder das kirchlich vorgeschrie-
bene, Jahrhunderte hindurch gefeierte, aber im Laufe des vorigen Jahrhunderts abgekommene
Titularfest (Heiligkreuzfest) feierlich begangen mit Fesipredigt und levitiertem Hochamt; nach
demselben Segen mit dem Kreuzpartikel am Kreuzaltar. Für die Zukunft hat das hochwürdige
Bischöfliche Ordinariat auf eine Eingabe des Stadipfarramts verordnet, daß das Titularfest der
Heiligkreuzkirche jedes Jahr am Sonntag nach Kreuzerhöhung gefeiert werde und daß am Feste
Kreuzerhöhung selber (15. September) alljährlich von der Heiligkreuzpfarrgemeinde zugleich ex
voto (aus Gelöbnis) zur Danksagung für den göttlichen Schutz in großer Kriegsnot und als Bitte
um Bewahrung vor ähnlichen schweren Heimsuchungen die ehemals mit dem alten Kreuzfest
verbundene Prozession auf den Salvator wieder aufgenommen und abgehalten werde“? Und
viele kamen, wohl auch deshalb, weil in der Rems-Zeitung eine halbseitige, von Münster-
dekan Karl Ummenhofer verfasste Zeitungsannonce „Zum 300jährigen Jubiläum der Wall-
fahrtskirche St. Salvator in Gmünd 1617-1917“ ° erschien, die neben den Terminen der
Eröffnungsfeier und der Schlussfeier auch das Programm der fünftägigen Wallfahrtswoche
107
108
ULLI Annonce auf
TLLL———uäuunnn nn nnnsanen
= S=
inladung
zum 300 jähr. Subiläum der Walffahetskirhe-6t. Saloater
in Gmünd 1617—1917
tember 1917
anlässlich des
300-jährigen
Jubiläums des
in der Bode von Rrenzerföhung Sonntag ben 9. September bis Gonniag den 16. Gepiember, Baubeginns
; Re ‚ der Unteren
Eröffnungsfeier Felsenkapelle
Sonntag, den 9. September abends 6 Bas: felerlihe Segensandadht; Einläuten der Zubiläumsfeier" im
‚Anfhlug an das Gebetläuten.
Valfahrten Ser umliegenden Sandpfarreien auf den Saldator
mit Predigt nnd Yınt je vormittags 9 Nhr .
Montag, den 10, Sept,r Mutlangen, Webgan, Mittwoch, den 12, Sept: Bargau, Oberbettringen,
Zinmerbadh, Spraittah, Schlehtbadh (Schom- ° Weiler, Heubadh, Lautern, Bartholomä;
‚ dorf amd Lord); Bonserätag, den 13. Sept,: Straßdorf, Wald-
Diendtag, den Li. Sept.: Herlifofen, Zagingen, ftetten, NRechherg, Reichenbach, Winzingen, Wiß-
Leinzell (Göggingen), Hom, Unterböbingen, goldingen, Wäfchenbeuren;
Mögglingen; - Samatas, den 15. Sept.t entjerntere Orte,
Tituiorfeier ser Walfahristiche St. Salvator (Seit Krenzerhöhng)
Sreitag, den-14, Sept, vormittags 2/;9 Uhr: Feftgottesdienft mit Predigt und Hogan; nadmittags 6 Uhr:
Krenzwegandacht (beginnend am Mifjionstven). 4186
Schlussfeier
der beiden Lathol, Gmünder Stantpfarreiei.
Sonntag, den 16. September: Gedächtnisfeier beim Hauptgottesdienft in den beiden Gmünder Stadt:
pfarrlichen (Titufarfeier von Kreuzerhöhung in dev Heiligkreizkicche);
- ‚Kinderprogefiion auf den Salvator von der Johannisticde aus bormittägs */,9 Uhr mit
Sottesdienit oben;
Brozejlion der Ersahjenen auf den Salvator vor der Heiligfrenzliche aus nachmittags
27,3 Uhr mit Predigt und Litanei oben; nad Niüdkehr „Großer Gott“ und Sälubfegen.
Gelegenheit zu Beicht und Kommmator ift während der Zubiläumswoche auf dem Salvator täglid)
bon der Frühe an geboten‘; täglich wird auch morgens 7 Uhr eine Frühmefje und abends 6 Uhr Segensandbacht
gehalten. Zur Mithilfe beim Gottesdienft und bei dir Saframentsjpendung ift ein Drpensgeiftlicher
(Kapuziner) berufen,
Die Zubiläumgfeier und die Zubiläumswallfahrten follen zugleich eine öffentliche, veligiöfe Veranftaltung
"zur Erflehung eines baldigen Kriegsendes und eines guten Sriedenzichlufjes für unjer deutfches
Vaterland fein.
u zahlveicher Teilnahme werden die Katholiken aus Stadt und Bez Gmünd und weiterer Umgebung”
hiemit eingeladen,
" Gmünd, im September 1917. Dekan Hınmenkofer.
STREET
für die umliegenden Landpfarreien auf dem Salvator mit Predigt und Amt (vormittags um
9 Uhr) publizierte und regional steuerte.
Die Resonanz war überwältigend. „Der erste Wallfahristag war für die Wallfahrten von aus-
wärts recht günstig. Die Mutlanger Straße herein kam die große Prozession der vier Pfarreien
Mutlangen, Schlechtbach, Spraitbach und Zimmerbach, die eine stattliche Menge von Wallfah-
rern brachte. Über den Wald herunter kam die Gemeinde Wetzgau. Dazu gesellte sich eine größe-
re Zahl von Wallfahrern aus der Pfarrei Ohmenheim auf dem Härtsfeld“>'
Am zweiten Wallfahrtstag, an dem Pilger aus dem Leintal und dem oberen Remstal zum
Salvator strömten, gab „der Wallfahrtskirchenchor der Gmünder Damen beharrlich sein Bestes
als von Herzen kommende Jubiläumsgabe“??
Der Abschlusstag wurde von den beiden Gmünder Stadtpfarrern gestaltet. „Ende gut, alles
gut. Freilich spendete der Himmel auch wider Erwarten den schönsten Sonnenschein, der na-
mentlich die Prozessionen vormittags und nachmittags zu prächtigster Entfaltung gelangen ließ.
Schon morgens einhalb acht Uhr zogen die katholischen Gymnasialschüler betend den Kreuzweg
zur Höhe des Salvators hinauf, wo
H.H. Oberpräzeptor Dr. Graf pre-
digte und amtete. Um einhalb neun
Uhr ging dann die Kinderprozession
mit den Volksschülern und Töchter-
schülerinnen von der Johanniskirche
aus, um auf dem Heiligen Berg ihren
Gottesdienst zu feiern, wobei H.H.
Kaplan Zimmer in einer Anspra-
che den Kindern ein anschauliches
Kriegs- und Friedensbild vor die See-
le führte... Nachmittags zwei Uhr
war dann zunächst Andacht für die
Kriegsnöte, woran sich um halb drei
Uhr die Prozession der Erwachsenen
anschloß. Schier endlos war der Zug,
der sich vom Westportal der Heilig-
kreuzkirche zum Salvator bewegte.
Voran die männlichen und weib-
lichen Jugendvereine mit wehenden
Fahnen, hinter der Geistlichkeit im
Festornat eine große Anzahl Männer
und Frauen, so dass der Salvatorberg
buchstäblich von oben bis unten mit
Frommen Wallfahrern übersät war...
In gleicher Ordnung wie hinauf auf
den Berg zog dann die Prozession
wieder hinab in die Stadt, zurück in
die Heiligkreuzkirche, wo mit Tede-
um und sakramentalem Schlufsegen
die erhebende Jubelfeier endigte“.?
Die große Jubiläumswoche hat
wirklich alle Erwartungen erfüllt,
die am 8. September 1917 in der
Rems-Zeitung so formuliert wor-
den waren: „Mit der alten Über-
lieferung entsprechenden heiligen
Gefühlen werden in der Jubiläums-
woche die Wallfahrer ihre Schritte
zum Heiligtum lenken und bei des-
sen Anblick mit Freude und Trost
Der in Hechingen geborene und in Gmünd
lebende Pfarrer Karl Egler (1853-1933)
schrieb im Jahre 1917 ein stimmungsvolles
Gedicht über den St. Salvator, das in der
Rems-Zeitung am 15. September 1917 pu-
bliziert wurde
st. Salvater.
ufrer Di’ am Waldestand
Shut aleih dem treuen Wächter
‚Ein fißlanfer Turm in3 Stille Land,
-Sinab auf Gmündg Gefchkerhter,
Cr Erönt ein altes Heiligtum;
Dies Findet feines 'Schöpfers, Ruhnr
Auf Sankt Salvator3 Höhen.
Berfloffen find im Strom der Zeit
Bald dreißig. Fahrdefaden, 7
Seitsent de: :Bifchufs Hand geweiht
Den DU zum Duell der Gnaden!
*" Sie Seelen all, sie matt und frank,
Erlabt Jes beil’gen' Bornes Trank _
Und Tat fie voll gefunden, i
For in
Der Weg entlang Fniricht Shergemmut
Pit grimmen Tigerzähnen!
Eie Beriben, frech des „Lammes” Blut!
Dir taneı. Fülle Tränen:
Du Ihanft sek Serrn in Wundendrand,
And an die Bruft Schlägt deine Hand
Im heiligen Gefoben!
Nicht fonn der Bi im Feljenfhadt
Im Etannen jatt fi Tchen.
Hier lieh des Meigcls Punft und Mast
Ein Wunserwerf erftchen! _
Was Hoher Bildmerfinz erdacdht
Und Meifterband hervorgesradt,
Das bergen zwei Kapellen.
Wie bat fo wahr, gebeimnispoll
Die Sand die Form gegeben!
Was hier dem finrren Stein entquall,
Tas atmet Geift und Tehen!
Der Herr im Delberg-Mondenglang,
Der Säfher Char, der Bäume Kranz
Sind Tebende Gebilde!
Die mar des Künftler3 Herz vertrat
DR Ehrifti bitt'renz Leiden!
Wern mitleidsmweih dein Aug’
Sr Srenzeim Berjiheiden,
Diimet’3 Sich, ala. ch am Dlarierpfahl
Sreben erft der Herr empfahl
Den Geift den VBaterhänden!
Rillfenmen, füße Schulterfaft,
D Sireuz, das Yejus jendet, ,
Der mir vom bitteın Sreuzescit
Die Kraft zum Tragen fipendet:
Du biit mein fiarfer Pilgerftab,
Daran ih mutig wall zum Greb
Und froß zum Sion feige!
ihn Thant
D Heilig Sirenz, Ioenf Seite Frucht
D23 Tricdens unfrer Erde,
Daz fie in Sriegeäweh und mut
Zu Triimmerfeld nit wer!
Du bift Lie einz’ge Nettungssrcht.
Die fehnend unfer Auge fucht
109
110
a 3 U ER EC EEE Ber ae R Ri;
St. Salvator im März 2010: Links die Felsenkapellen mit Kirchturm, in der Mitte das Mesnerhaus, rechts das im
Jahre 1770 erbaute Kaplaneihaus
erfüllt werden. Im Geiste mit ihren Lieben im Feld vereinigt, werden sie die Anliegen ihrer
Familien im Gebet Gott empfehlen. Von der Festfeier an heiliger Stätte neu gestärkt, werden sie
froh heimkehren und denen im Felde Nachricht geben von ihrem schönen Wallfahrtstag mit dem
Bedauern darüber, daß sie nicht dabei sein konnten, mit dem Wunsch, daf nach dem Ende des
urchtbaren Krieges und nach glücklicher Heimkehr die Krieger aus der Stadt Gmünd und ihrer
Umgebung das Jubiläumsjahr mit einer Dankes- und Friedenswallfahrt schließen möchten“. *
Am 3. November 2009: Gründung eines „Salvator-Freundeskreises“
Auch in den vergangenen Jahrzehnten war der Salvator ein viel besuchtes Wallfahrtsziel, vor
allem in der Fastenzeit. Ich kann mich noch gut entsinnen, dass es am Karfreitag für uns
Gmünder selbstverständliche Pflicht war, den Kreuzweg zum Salvator hinauf zu pilgern und
zum Erlöser zu beten.
In den vergangenen 20 Jahren haben neben der Katholischen Kirchenpflege und anderen
Gmünder Bürgern vor allem der Verleger und Kunstmäzen Eduard Dietenberger sowie die
Gmünder Balthasar-Debler-Stiftung immer wieder Kapellen, Holzplastiken, Bildstöcke und
Bänke restaurieren lassen.
Und dann geschah im Spätsommer 2009 etwas Unerwartetes: Anlässlich seiner Amtseinset-
zung besuchte unser neuer Oberbürgermeister Richard Arnold mit I.K.H. Herzogin Diane
von Württemberg den Salvator. Die Herzogin zeigte sich betroffen über den Zustand der
sakralen Kunstwerke in den Felsenkapellen und versprach ihre Hilfe. Eine kurz darauf an-
gebotene Salvatorführung mit Werner K. Mayer stieß auf unerwartet hohes Interesse von
Seiten der Bevölkerung und musste viermal wiederholt werden. Wenige Wochen später, am
3. November 2009, konstituierte sich dann mit tatkräftiger Unterstützung der örtlichen
Presse unter dem Dach des Gmünder Münsterbauvereins im Kleinen Saal des Franziskaner
der „Salvator-Freundeskreis“. Dieser hat es sich zum Ziel gesetzt, den St. Salvator zu erhalten
und, wo nötig, auch zu restaurieren. Als Initiatoren traten Oberbürgermeister Richard Ar-
nold und Münsterpfarrer Robert Kloker auf. Die Schirmherrschaft übernahm I.K.H. Her-
zogin Diane von Württemberg. Zum Koordinator für Technik und Arbeitseinsätze wurde
Hans-Georg Walter berufen, für die Öffentlichkeitsarbeit und für Führungen wurde Werner
K. Mayer ausgewählt, und für die Organisation führt Klaus Rollny die Regie. Auch Müns-
terarchitekt Hermann Hänle, die Katholische Kirchenpflege und das Landesdenkmalamt
sind erfreulicherweise von Gründungsbeginn an mit im Boot. Seit dem 13. April 2010 gibt
es darüber hinaus einen Lenkungsausschuss, dem Rolf Crummenauer, Münsterpfarrer Ro-
bert Kloker, Werner K. Mayer, Klaus Rollny und Hans-Georg Walter angehören.
Seit Monaten schon wurden mit großem bürgerschaftlichen Engagement und mit bewun-
dernswerter Begeisterung über 80000 Euro an Spendengeldern gesammelt, Führungen an-
geboten sowie Putzaktionen und Baumfällarbeiten durchgeführt, wobei neben dem THW
auch viele uneigennützige Helfer Säge, Schaufel und Besen in die Hand nahmen. Unter dem
Mesnerhaus wurden neue WGs installiert, und die 500 kunstvoll gestalteten „Salvatoruhren“
des Bifora-Freundeskreises fanden schnell ihre Käufer. Auch die Balthasar-Debler-Stiftung
spendete vom Erlös des diesjährigen Dreifaltigkeitsfestes 500 Euro für „ihren“ Salvator.
Viele Gmünderinnen und Gmünder finden es großartig, dass nun auch der Salvator mit-
samt den Höhlen im Nachbargrundstück und einem Meditationsweg, der vom Salvator
zum Schönblick führt, in die Landesgartenschau 2014 integriert werden soll.
Wir Gmünder können wirklich stolz darauf sein, solch ein einzigartiges, denkmalgeschütztes
Juwel zu besitzen, und wir sollten auch weiterhin mit beispielhaftem bürgerschaftlichen
Engagement dafür sorgen, dass unser Salvator auch kommenden Generationen erhalten
bleibt!
Anmerkungen
1 Graf, Chronogramme in Gmünd, $. 125 und 130
Stiftungsurkunde vom 21. April 1770, Debler-Archiv im Stadtarchiv, sowie Testament vom 8. Januar 1773, Stadtar-
chiv Schwäbisch Gmünd, Familienkundliche Sammlungen, Inventuren und Teilungen, 18. Jahrhundert, Nr. 1259
3 Dieterich, Der Salvator, S. 88
4 Taufbucheintrag Pfarramt Gmünd, Bestand M 255, Band 22, Blatt 45
5 Werner Debler, Geschlecht der Debler, S. 27 £.
6
2
8
[597
Sterbebuch Pfarramt Gmünd, Bestand M 255, Band 21, Blatt 123
Taufbuch Pfarramt Gmünd, Bestand M 255, Band 21, Blatt 55
Ehebuch Pfarramt Gmünd, Bestand M 255, Band 50, Blatt 43
9 Boosen, Das Porträt im Barock, S. 6
10 Boosen, Das Porträt im Barock, S. 7
11 Werner Debler, Geschlecht der Debler, S. 122f., und Strobel, Kunstdenkmäler, Band IV, S. 133
12 Sterbebuch Pfarramt Gmünd, Bestand M 255, Band 61, Blatt 123
13 Taufbuch Pfarramt Gmünd, Bestand M 255, Band 72, Blatt 216
14 Der Volksfreund, Nr. 68, 22. Juni 1865
15 Testament, siehe Anmerkung 2
16 Testament Punkt 21, siche Anmerkung 2
17 Testament Punkt 2, siehe Anmerkung 2
111
112.
18 Testament Punkt 1, siehe Anmerkung 2
19 Testament Punkt 3, siehe Anmerkung 2
20 Sterbebuch Pfarramt Gmünd, Bestand M 255, Band 61, Blatt 147
21 Dieterich, St. Salvator, S. 91
22 Dieterich, St. Salvator, $. 92.
23 Kirchliches Amts-Blatt für die Diöcese Rottenburg, Nr. 13, 24. Mai 1912, S. 174
24 Rems-Zeitung vom 6. Mai 1912, $. 7; 8. Mai 1912, S. 7; 13. Mai 1912, S. 5; 18. Mai 1912, S.4und 7
25 Debler-Archiv im Stadtarchiv, Brief des Bischofs Paul Wilhelm von Keppler vom 5. März 1912
26 Debler-Archiv, Brief des Bischöflichen Ordinariats vom 20. März 1945 an den Vertreter der Debler'schen Familie
27 Brief des Generalvikars Dr. Karl Knaupp an Frau Berta Debler vom 3. Mai 1965
28 Werner Debler, Dominikus Debler, S. 17
29 Rems-Zeitung vom 15. September 1917, $. 3
30 Rems-Zeitung vom 8. September 1917, S. 5
31 Rems-Zeitung vom 11. September 1917, S. 2
32 Rems-Zeitung vom 12. September 1917, $.2
33 Rems-Zeitung vom 17. September 1917, $. 2
34 Rems-Zeitung vom 8. September 1917, $. 3
Literatur
Bächle, Hans-Wolfgang: Kreuzwegstationen zu den Salvator-Kapellen; in: Kultur und Geschichte im Gmünder Raum,
Remsdruckerei Schwäbisch Gmünd, 1982
Boosen, Monika, Holthuis, Gabriele: Das Porträt im Barock. Zum Werk von Johann Georg Strobel; Museumskatalog
Nr. 12, Einhorn-Verlag Schwäbisch Gmünd, 2001
Debler, Werner H.A.: Das Geschlecht der Debler und seine Bedeutung für die Stadt Schwäbisch Gmünd; Einhorn-
Verlag Schwäbisch Gmünd, 1985
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