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Full text of "Albert Deibele: Kalter Markt, einst Stadtgraben und Entenpfuhl, in: Einhorn 33, 1959, S. 13−16"

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KALTER MARKT einst Stadtgraben und Entenpfuhl | Albert Deibele 


Der Name „Kalter Markt“ ist nicht auf unsere 
Stadt beschränkt, sondern tritt auch anderswo 
auf. So hat unsere Nachbarstadt Ellwangen ihren 
„Kalten Markt“, einen großen Roß-, Vieh- und 
Krämermarkt, der in der kalten Jahreszeit, frü- 
her im Dezember, heute im Januar, abgehalten 
wird. Vielleicht geht auch der Gmünder Name 
auf solch einen winterlichen Markt zurück. Wir 
wissen es nicht. Wohl hat es noch vor fünfzig 
Jahren einen Luzienmarkt gegeben, der Mitte 
Dezember abgehalten, dann aber auf den Mai 
verlegt wurde. Allein, dieser Markt ist erst 1566 
eingeführt worden, während der Name „Kalter 
Markt“ schon 1533 in unseren Akten nachweis- 
bar ist. Es ıst auch nirgends zu lesen, daß der 
Luzienmarkt jemals auf dem Kalten Markt ab- 
gehalten worden wäre. 

Zur Stauferzeit, also vor achthundert Jahren, 
war der Kalte Markt ein Teil des Stadtgrabens. 
Zwischen ihm und dem Turniergraben dehnte 
sich damals unsere Stadt in ost-westlicher Rich- 
tung aus. Die Stadtmauer zog sich vom Kapel- 
lenturm, der breitspurig beim Schwarzen Ochsen 
mitten in der Kappelgasse stand, bis zum alten 
Rinderbacher Torturm bei der Weinhandlung 
Baur hin. Wichtige Gebäude hatte dieser Teil der 
Stadtmauer zu schützen, so vor allem die 
Schmalzgrube und das Franziskanerkloster. Als 
von 1300 ab die äußere Mauer erstellt wurde, 
von der sich heute noch einige Reste und Türme 
erhalten haben, füllte man die inneren Gräben 
auf, so auch denjenigen von der Kappelgasse zur 
Rinderbachergasse. Die Bauplatznot veranlaßte 
die Bürger, ihre Häuslein an die Außenseite der 
alten Stadtmauer zu bauen, wie es jetzt noch in 
der Honiggasse zu sehen ist. Vom Kapellentor 
bis zum Rinderbachertor zog sich bald eine Reihe 
kleiner gleichmäßiger Bürgerhäuser hin. Eine 
zweite Reihe bildete sich auf der gegenüberlie- 
genden Seite, und so entstand an dieser Stelle 
des alten Stadtgrabens eine breite Straße, unser 
heutiger Kalter Markt. Der Mühlbach, der vom 
Wasserturm hereinkam, teilte die Straße in zwei 
etwa gleich große Abschnitte. Nur der untere 
Teil vom Mühlbach bis zum Hahnen war der 
Kalte Markt, das obere Stück vom Mühlbach bis 
zum Lamm hieß noch vor hundert Jahren der 
„Entengraben“. Hier dürften noch lange Zeit 
nachher Überreste des alten Stadtgrabens mit 


Wasserpfützen gewesen sein, in denen sich das 
Entenvolk herumtrieb. 
Märkte sind sicherlich schon sehr früh auf dem 
Kalten Markt abgehalten worden, wenn auch 
Jahrmärkte nicht nachweisbar sind. Noch vor 
kurzem war die breite Straße für die Vieh-, 
Kartoffel-, Obst-, Kraut- und Holzmärkte frei- 
segeben worden, Vor einem Menschenalter hat- 
ten die Viehmärkte noch eine ganz andere Be- 
deutung als heute. An jedem ersten Montag eines 
Monats herrschte ein reges Leben und Treiben 
auf dem Kalten Markt. Vom Hahnen bis zum 
Lamm hinauf standen, oft in mehreren Reihen, 
Ochsen, Kühe, Rinder und Kälber. Bauern und 
„Schmuser“, in größeren und kleineren Gruppen, 
unterhielten sich lebhaft über die Viehpreise. Ge- 
schäftig drängten sich die Händler zwischen das 
Vieh, beschauten sıch die Stücke und untersuch- 
ten sie eingehend durch Abgreifen. 
Milchkühe gehandelt, so wurden auf dem freien 
Platz Melkproben vorgenommen. Arme Frauen 
standen mit Töpfen bereit, stellten diese für das 
Melken zur Verfügung, durften dafür aber auch 
die Milch behalten. Bald ging es an ein Feilschen 
und Handeln. Mit unglaublicher Zähigkeit und 
Hartnäcigkeit, unter großem Stimmaufwand, 
wurde um die letzte Mark gekämpft, bis end- 
lich ein kräftiger Handschlag das Geschäft be- 
endete. Heute sind diese Märkte sehr zusam- 
mengeschmolzen und fast zu einer Ausstellung 
von landwirtschaftlichen Maschinen geworden. 
Einst hieß es im Gmünder Viehmarktslied mit 
Recht: 

Wenn man am Blauen Montag 

den Viehmarkt sich besieht, 

und sieht, was für ein Leben, 

ein Treiben sich vollzieht, 

wie von der ganzen Gegend 

gekommen sind die Leut, 

da sieht man, wie sie leben, 

im Handel und im Streit. 

Heubach, Lindach, Koppenkreut, 

Horn und Tanau weit und breit: 

überall her da kommen sie 

und verschachern da ihr Vieh. 

Naze schaun zum Fenster raus, 

Stiere brüllen wild hinaus, 

und im Korbe wundernett, 


grunzen Schweine im Quartett. 


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Häuserpartie am Kalten Markt mit Königsturm. Im Vordergrund das Geburtshaus des Historienmalers Emmanuel 
Leutze. Lavierte Federzeichnung von C. Weißler 1864. Gmünder Altertümersammlung, Julius-Erhard-Stiftung. 


Im Herbst war auf dem Kalten Markt der 
Grofßmarkt für Kartoffeln, Obst und Kraut. Da- 
mals gehörten noch in den Keller einer jeden 
Familie eine große Stande voll Sauerkraut, hoch 
gefüllte Hurden mit Lagerobst, ein tüchtiger 
Haufen Kartoffeln und vor allem einige dick- 
bauchige Fässer, gefüllt mit Most. Ohne dieses 
Getränk konnten die alten Gmünder nicht leben. 
Mit Kuh- oder Pferdegespann wurden die Wa- 
ren herbeigeschafft. Die Pferde wurden in die 
benachbarten Ställe gestellt; die Kühe aber, da- 
mals noch im Doppeljoch gespannt, lagerten sich 


behaglich auf dem Boden und kauten friedlich 


ihr Futter. Im Herbst, bis weit in das Frühjahr 
hinein, kamen die Holzbauern und führten hoch- 
beladene Wagen mit Reisigwellen, mit Scheitern 
und Prügeln auf den Kalten Markt. Wenn die 
Ware hier bis zum Mittag nicht abgesetzt werden 
konnte, fuhren die Bauern mit ihren Gespannen 
durch die Stadt. Je nach der Ladung konnte man 
ihren Ruf hören: „Krombira, Krombira!“ oder 
„Filderkraut, kauft schönes Filderkraut!“ Die 
Buben sprangen fleißig mit, und bald schallte es 
durch die ganze Stadt: „Krombira! — Filder- 


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kraut!“ Die Holzbauern zogen straßenweise die 
Hausklingeln und priesen ihre Ware an, wäh- 
rend das übrig gebliebene Obst zumeist in den 
Mostereien noch verhandelt werden konnte. 
Heute ist das alles vorbei. Das Auto hat die 
Ochsen und Kühe restlos, die Pferde fast ganz 
von den Verkehrsstraßen verdrängt, und von 
dem ehemaligen Marktleben ist nur noch ein 
kümmerlicher Rest übrig geblieben. 

Der Kalte Markt war zur Reichsstadtzeit ein 
beschauliches Idyll: oben wateten die Enten in 
Sumpf und Wasserlachen; im Mühlbach trieben 
sich sommers die Buben herum, in den kleinen 
Häuschen klopften und feilten die Goldschmiede, 
und gegenüber der Wirtschaft zu den Drei Köni- 
gen hämmerte ein Schmied. Zu ihnen gesellten 
sich noch einzelne Kleinhandwerker wie Bäcker, 
Schuster, Metzger, Kübler und Uhrmacher, die 
sich gegenseitig besuchten und das Neueste be- 
sprachen. An den Brunnen trafen sich die Frauen 
und Mägde, und auch sie hatten oft gar Wich- 
tiges zu verhandeln. 

So erlebte der bekannte Arzt und Hopfenzüchter 
Dr. Josef Keringer den. Kalten Markt, wenn er 


um 1820 von seinem Hause, der heutigen Zweig- 
stelle der Kreissparkasse in der Hinteren Schmied- 
gasse, auf die Straße blickte. Damals standen 
noch alle die kleinen Häuschen bis hinauf zur 
Rinderbachergasse, und im letzten rechts, das 
1891 abgebrochen wurde, wohnte der Sohn eines 
armen Kammachers. Keringer hätte es sich sicher- 
lich nicht träumen lassen, daß dieser arme Junge, 
der sommers barfuß auf der Gasse spielte, ein- 
stens Amerikas größter Geschichtsmaler werden 
sollte. Der Knabe war Emmanuel Leutze. 

Keringer konnte von seinem Hause aus auch 
sehen, wie man 1797 aus dem „Brückle* (Kalter 
Markt 25) den einstens reichsten und gewaltig- 
sten Bürgermeister von Gmünd, Georg Franz 
von Stahl, Edeln von der Pfeilhalde, als armen 
Bankerotteur nach St. Leonhard hinausführte. 
Ihm hatten noch wenige Jahre zuvor das Mohr- 
sche Haus am Markt, das Schlößchen im Stadt- 
garten, verschiedene Häuser, Stallungen, Scheuern 
und Schäfereien gehört. Auch seine letzte Habe, 
das „Brückle“, wurde nach seinem Tode verstei- 
gert. Es ging über in den Besitz des bekannten 
Chronisten Dominikus Debler, der damals noch 
ein reicher Mann war. Auch er starb in bitterster 
Armut, nachdem er zwei Frauen und sämtlichen 
Kindern hatte ins Grab sehen müssen. Seine 


dritte Frau mußte ıhn durch Waschen kümmer- 
lich ernähren. 

Die letzten hundert Jahre haben den Kalten 
Markt stark verändert. Die Industrie hielt ihren 
Einzug, und so mußten einige Häuschen den 
Firmen Böhm und Kühn weichen. Der Neubau 
der früheren Ortskrankenkasse (Kalter Markt 16) 
änderte das Bild am Höferlesbach vollständig, 
wie auch durch den Umbau der Wirtschaft zum 
Drei König die Idylle des alten Stadtbildes an 
dieser Stelle verlorengingen. Vor einigen Jahren 
verschwand das Gebäude Nr. 22, aus welchem 
Gmünds erster Oberbürgermeister, Adolf Unter- 
see, hervorgegangen ist. Im Dezember letzten 
Jahres fiel Haus Nr. 27. Sein Nachbar, das 
„Brückle“, soll ihm bald folgen, um einem mo- 
dernen Ausstellungsgebäude der Firma Leicht 
Platz zu machen. 

Immer mehr wandeln sich die einfachen Bürger- 
häuser in moderne Ladengeschäfte um. An Stelle 
der alten kleinen Scheiben zeigen die großen 
Schaufenster ein Angebot von Waren, mit denen 
die früheren Bewohner des Kalten Marktes 
sicherlich nicht viel anzufangen gewußt hätten. 
Aber die Zeiten ändern sich und mit ihnen die 
Menschen, die Städte und deren Gassen und 
Straßen. 


Häusergruppe am Kalten Markt (Drei König) um 1860. Federzeichnung von J. Schertien. Gmünder Altertümersamm- 


lung, Julius-Erhard-Stiftung. 


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Kalter Markt, Blick zur Kappelgasse. Nach einer Originalzeichnung von Fred Dries, 1958. Das links 
vorne stehende kleine Häuschen Nr. 27 ist im Dezember 1958 abgerissen worden. Ebenso soll das 
Haus Nr. 22 am rechten Bildrand demnächst abgebrochen und der Platz durch eine Umgestaltung 
nach den Plänen der Silberwarenfabrik Gebrüder Kühn verschönert werden. 


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