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KALTER MARKT einst Stadtgraben und Entenpfuhl | Albert Deibele
Der Name „Kalter Markt“ ist nicht auf unsere
Stadt beschränkt, sondern tritt auch anderswo
auf. So hat unsere Nachbarstadt Ellwangen ihren
„Kalten Markt“, einen großen Roß-, Vieh- und
Krämermarkt, der in der kalten Jahreszeit, frü-
her im Dezember, heute im Januar, abgehalten
wird. Vielleicht geht auch der Gmünder Name
auf solch einen winterlichen Markt zurück. Wir
wissen es nicht. Wohl hat es noch vor fünfzig
Jahren einen Luzienmarkt gegeben, der Mitte
Dezember abgehalten, dann aber auf den Mai
verlegt wurde. Allein, dieser Markt ist erst 1566
eingeführt worden, während der Name „Kalter
Markt“ schon 1533 in unseren Akten nachweis-
bar ist. Es ıst auch nirgends zu lesen, daß der
Luzienmarkt jemals auf dem Kalten Markt ab-
gehalten worden wäre.
Zur Stauferzeit, also vor achthundert Jahren,
war der Kalte Markt ein Teil des Stadtgrabens.
Zwischen ihm und dem Turniergraben dehnte
sich damals unsere Stadt in ost-westlicher Rich-
tung aus. Die Stadtmauer zog sich vom Kapel-
lenturm, der breitspurig beim Schwarzen Ochsen
mitten in der Kappelgasse stand, bis zum alten
Rinderbacher Torturm bei der Weinhandlung
Baur hin. Wichtige Gebäude hatte dieser Teil der
Stadtmauer zu schützen, so vor allem die
Schmalzgrube und das Franziskanerkloster. Als
von 1300 ab die äußere Mauer erstellt wurde,
von der sich heute noch einige Reste und Türme
erhalten haben, füllte man die inneren Gräben
auf, so auch denjenigen von der Kappelgasse zur
Rinderbachergasse. Die Bauplatznot veranlaßte
die Bürger, ihre Häuslein an die Außenseite der
alten Stadtmauer zu bauen, wie es jetzt noch in
der Honiggasse zu sehen ist. Vom Kapellentor
bis zum Rinderbachertor zog sich bald eine Reihe
kleiner gleichmäßiger Bürgerhäuser hin. Eine
zweite Reihe bildete sich auf der gegenüberlie-
genden Seite, und so entstand an dieser Stelle
des alten Stadtgrabens eine breite Straße, unser
heutiger Kalter Markt. Der Mühlbach, der vom
Wasserturm hereinkam, teilte die Straße in zwei
etwa gleich große Abschnitte. Nur der untere
Teil vom Mühlbach bis zum Hahnen war der
Kalte Markt, das obere Stück vom Mühlbach bis
zum Lamm hieß noch vor hundert Jahren der
„Entengraben“. Hier dürften noch lange Zeit
nachher Überreste des alten Stadtgrabens mit
Wasserpfützen gewesen sein, in denen sich das
Entenvolk herumtrieb.
Märkte sind sicherlich schon sehr früh auf dem
Kalten Markt abgehalten worden, wenn auch
Jahrmärkte nicht nachweisbar sind. Noch vor
kurzem war die breite Straße für die Vieh-,
Kartoffel-, Obst-, Kraut- und Holzmärkte frei-
segeben worden, Vor einem Menschenalter hat-
ten die Viehmärkte noch eine ganz andere Be-
deutung als heute. An jedem ersten Montag eines
Monats herrschte ein reges Leben und Treiben
auf dem Kalten Markt. Vom Hahnen bis zum
Lamm hinauf standen, oft in mehreren Reihen,
Ochsen, Kühe, Rinder und Kälber. Bauern und
„Schmuser“, in größeren und kleineren Gruppen,
unterhielten sich lebhaft über die Viehpreise. Ge-
schäftig drängten sich die Händler zwischen das
Vieh, beschauten sıch die Stücke und untersuch-
ten sie eingehend durch Abgreifen.
Milchkühe gehandelt, so wurden auf dem freien
Platz Melkproben vorgenommen. Arme Frauen
standen mit Töpfen bereit, stellten diese für das
Melken zur Verfügung, durften dafür aber auch
die Milch behalten. Bald ging es an ein Feilschen
und Handeln. Mit unglaublicher Zähigkeit und
Hartnäcigkeit, unter großem Stimmaufwand,
wurde um die letzte Mark gekämpft, bis end-
lich ein kräftiger Handschlag das Geschäft be-
endete. Heute sind diese Märkte sehr zusam-
mengeschmolzen und fast zu einer Ausstellung
von landwirtschaftlichen Maschinen geworden.
Einst hieß es im Gmünder Viehmarktslied mit
Recht:
Wenn man am Blauen Montag
den Viehmarkt sich besieht,
und sieht, was für ein Leben,
ein Treiben sich vollzieht,
wie von der ganzen Gegend
gekommen sind die Leut,
da sieht man, wie sie leben,
im Handel und im Streit.
Heubach, Lindach, Koppenkreut,
Horn und Tanau weit und breit:
überall her da kommen sie
und verschachern da ihr Vieh.
Naze schaun zum Fenster raus,
Stiere brüllen wild hinaus,
und im Korbe wundernett,
grunzen Schweine im Quartett.
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Häuserpartie am Kalten Markt mit Königsturm. Im Vordergrund das Geburtshaus des Historienmalers Emmanuel
Leutze. Lavierte Federzeichnung von C. Weißler 1864. Gmünder Altertümersammlung, Julius-Erhard-Stiftung.
Im Herbst war auf dem Kalten Markt der
Grofßmarkt für Kartoffeln, Obst und Kraut. Da-
mals gehörten noch in den Keller einer jeden
Familie eine große Stande voll Sauerkraut, hoch
gefüllte Hurden mit Lagerobst, ein tüchtiger
Haufen Kartoffeln und vor allem einige dick-
bauchige Fässer, gefüllt mit Most. Ohne dieses
Getränk konnten die alten Gmünder nicht leben.
Mit Kuh- oder Pferdegespann wurden die Wa-
ren herbeigeschafft. Die Pferde wurden in die
benachbarten Ställe gestellt; die Kühe aber, da-
mals noch im Doppeljoch gespannt, lagerten sich
behaglich auf dem Boden und kauten friedlich
ihr Futter. Im Herbst, bis weit in das Frühjahr
hinein, kamen die Holzbauern und führten hoch-
beladene Wagen mit Reisigwellen, mit Scheitern
und Prügeln auf den Kalten Markt. Wenn die
Ware hier bis zum Mittag nicht abgesetzt werden
konnte, fuhren die Bauern mit ihren Gespannen
durch die Stadt. Je nach der Ladung konnte man
ihren Ruf hören: „Krombira, Krombira!“ oder
„Filderkraut, kauft schönes Filderkraut!“ Die
Buben sprangen fleißig mit, und bald schallte es
durch die ganze Stadt: „Krombira! — Filder-
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kraut!“ Die Holzbauern zogen straßenweise die
Hausklingeln und priesen ihre Ware an, wäh-
rend das übrig gebliebene Obst zumeist in den
Mostereien noch verhandelt werden konnte.
Heute ist das alles vorbei. Das Auto hat die
Ochsen und Kühe restlos, die Pferde fast ganz
von den Verkehrsstraßen verdrängt, und von
dem ehemaligen Marktleben ist nur noch ein
kümmerlicher Rest übrig geblieben.
Der Kalte Markt war zur Reichsstadtzeit ein
beschauliches Idyll: oben wateten die Enten in
Sumpf und Wasserlachen; im Mühlbach trieben
sich sommers die Buben herum, in den kleinen
Häuschen klopften und feilten die Goldschmiede,
und gegenüber der Wirtschaft zu den Drei Köni-
gen hämmerte ein Schmied. Zu ihnen gesellten
sich noch einzelne Kleinhandwerker wie Bäcker,
Schuster, Metzger, Kübler und Uhrmacher, die
sich gegenseitig besuchten und das Neueste be-
sprachen. An den Brunnen trafen sich die Frauen
und Mägde, und auch sie hatten oft gar Wich-
tiges zu verhandeln.
So erlebte der bekannte Arzt und Hopfenzüchter
Dr. Josef Keringer den. Kalten Markt, wenn er
um 1820 von seinem Hause, der heutigen Zweig-
stelle der Kreissparkasse in der Hinteren Schmied-
gasse, auf die Straße blickte. Damals standen
noch alle die kleinen Häuschen bis hinauf zur
Rinderbachergasse, und im letzten rechts, das
1891 abgebrochen wurde, wohnte der Sohn eines
armen Kammachers. Keringer hätte es sich sicher-
lich nicht träumen lassen, daß dieser arme Junge,
der sommers barfuß auf der Gasse spielte, ein-
stens Amerikas größter Geschichtsmaler werden
sollte. Der Knabe war Emmanuel Leutze.
Keringer konnte von seinem Hause aus auch
sehen, wie man 1797 aus dem „Brückle* (Kalter
Markt 25) den einstens reichsten und gewaltig-
sten Bürgermeister von Gmünd, Georg Franz
von Stahl, Edeln von der Pfeilhalde, als armen
Bankerotteur nach St. Leonhard hinausführte.
Ihm hatten noch wenige Jahre zuvor das Mohr-
sche Haus am Markt, das Schlößchen im Stadt-
garten, verschiedene Häuser, Stallungen, Scheuern
und Schäfereien gehört. Auch seine letzte Habe,
das „Brückle“, wurde nach seinem Tode verstei-
gert. Es ging über in den Besitz des bekannten
Chronisten Dominikus Debler, der damals noch
ein reicher Mann war. Auch er starb in bitterster
Armut, nachdem er zwei Frauen und sämtlichen
Kindern hatte ins Grab sehen müssen. Seine
dritte Frau mußte ıhn durch Waschen kümmer-
lich ernähren.
Die letzten hundert Jahre haben den Kalten
Markt stark verändert. Die Industrie hielt ihren
Einzug, und so mußten einige Häuschen den
Firmen Böhm und Kühn weichen. Der Neubau
der früheren Ortskrankenkasse (Kalter Markt 16)
änderte das Bild am Höferlesbach vollständig,
wie auch durch den Umbau der Wirtschaft zum
Drei König die Idylle des alten Stadtbildes an
dieser Stelle verlorengingen. Vor einigen Jahren
verschwand das Gebäude Nr. 22, aus welchem
Gmünds erster Oberbürgermeister, Adolf Unter-
see, hervorgegangen ist. Im Dezember letzten
Jahres fiel Haus Nr. 27. Sein Nachbar, das
„Brückle“, soll ihm bald folgen, um einem mo-
dernen Ausstellungsgebäude der Firma Leicht
Platz zu machen.
Immer mehr wandeln sich die einfachen Bürger-
häuser in moderne Ladengeschäfte um. An Stelle
der alten kleinen Scheiben zeigen die großen
Schaufenster ein Angebot von Waren, mit denen
die früheren Bewohner des Kalten Marktes
sicherlich nicht viel anzufangen gewußt hätten.
Aber die Zeiten ändern sich und mit ihnen die
Menschen, die Städte und deren Gassen und
Straßen.
Häusergruppe am Kalten Markt (Drei König) um 1860. Federzeichnung von J. Schertien. Gmünder Altertümersamm-
lung, Julius-Erhard-Stiftung.
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Kalter Markt, Blick zur Kappelgasse. Nach einer Originalzeichnung von Fred Dries, 1958. Das links
vorne stehende kleine Häuschen Nr. 27 ist im Dezember 1958 abgerissen worden. Ebenso soll das
Haus Nr. 22 am rechten Bildrand demnächst abgebrochen und der Platz durch eine Umgestaltung
nach den Plänen der Silberwarenfabrik Gebrüder Kühn verschönert werden.
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