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Full text of "Deibele ( 1960) Neune Meß Beck, Narrenhäuslesbeck"

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Hungersnot, Hungersnot! | Das ist ein grenlich 
Leiden! | Gäb’ euch der Bäcker kein täglich 
Brot / müßt alle Welt verscheiden! 

So singt die Zunft der Bäcker in Richard Wag- 
ners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“. 
Fürwahr: das Bäckerhandwerk gehört zu den 
wichtigsten und ältesten Berufen der Menschheit. 
Es war freilich ein weiter Weg von der Zeit, als 
die Hausfrau noch mit einem Reibstein Gras- 
samen zu Mehl zerrieb und den Teig auf heißen 
Steinen röstete, bis zur modernen Backstube der 
Gegenwart. Während die Bäuerin heute noch das 
tägliche Brot meist selbst backt, haben fast alle 
Städterinnen, die das Mehl kaufen müßten, diese 
Arbeit dem Bäcker überlassen. 

Schon in der Stauferzeit schlossen sich in-den 
Städten die Bäcker zu Zünften zusammen. Diese 
regelten die Ausbildung des Lehrlings, die Ar- 
beitszeit, die Erholung, den Lohn, den Ein- und 
Verkauf. Nach Feierabend vergnügten sich Mei- 
ster und Geselle in der Zunftstube. Dort wurden 
aber auch vor offener Zunftlade ernste Beratun- 
gen abgehalten. 

In Gmünd bildeten die Bäcker zusammen mit 
den Fischern und merkwürdigerweise auch den 


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Ernstes und Heiteres aus der Zunft der Gmünder Bäcker 


Vom Neune-Meß-Beck 


und dem Narrenhäuslesbeck 


Albert Deibele 


Innungszeichen der Gmünder Bäcker, das sich in der 
städtischen Altertümersammlung befindet. Foto Döbbelin 


Zieglern und Hafnern eine gemeinsame Zunft, 
die sich St. Elisabeth zur Patronin erwählt hatte. 
Die Stadt erteilte den Bäckern immer wieder 
strenge Vorschriften, die in den sogenannten 
„Bäckerordnungen“ zusammengefaßt waren. Von 
ihnen hat sich eine ganze Reihe noch erhal- 
ten; die älteste stammt aus dem Jahre 1515. Ihr 
Hauptinhalt ist folgender: 1. Die Bäcker müssen 
meistergültige Ware liefern. 2. Die Brote sind 
in genau vorgeschriebenen Preislagen herzustel- 
len. Die Preise müssen klar erkenntlich sein. 
3. Die Bäcker haben der Bürgerschaft guten He- 
fel (Sauerteig) aus Roggen- oder bestem Brot- 
mehl zu liefern. 4. Um jedem Wucher vorzubeu- 
gen, dürfen die Bäcker nur so viel Getreide la- 
sern, als sie für den laufenden Bedarf brauchen. 
Getreidehandel ist ihnen verboten. 

Auch sonst machte ihnen der Magistrat viele 
Vorschriften. So durfte zu Schwarzbrot keine 
Bierhefe verwendet und an Sonn- und Feiertagen 
vor 13 Uhr kein Brot verkauft werden. Das Hau- 
sieren mit Brot war streng verboten. Im Jahre 
1556 gebot der Magistrat, daß die Bäcker auf 
den Märkten bei ihrem Stand bleiben und nicht 
durch lautes Geschrei Kunden herbeilocken sol- 


157 


$ 


ichnungen und entsprechenden An- 


in Ze 


ikus Debler, auf der er i 


In 


D 


ik des Dom 


merkungen die einst in Schwäbisch Gmünd hergestellten Backwaren anschaulich beschreib 


hmten Chron 


Seite aus der berü 


ne 


Ei 


len. Bei der Berechnung des Verkaufspreises 
wurde bei Weißbrot der Kreuzerwecken, bei 
Schwarzbrot der sechspfündige Laib zugrunde 
selegt. Wenn z. B. ein Viertel Kernen 18 Batzen 
kostete, dann wog der Kreutzerwecken 140 
Gramm; der sechspfündige Laib Schwarzbrot ko- 
stete 13 Kreuzer = 52 Pfennige. Gewicht und 
Güte des Brotes wurden ständig durch einen 
städtischen Brotschauer geprüft. ; 

Die Einrichtungen der Backstuben waren früher 
denkbar einfach und Ladenräume meist über- 
haupt nicht vorhanden. Das Brot wurde gewöhn- 
lich im Erdgeschoß des alten Rathauses (1793 
abgebrochen) verkauft. Dort stand eine Reihe 
yon Schrannen und Tischen (wie heute auf dem 
Wochenmarkt), auf denen das Brot ausgelegt 
wurde. So konnte die Kundschaft die Leistungen 
der einzelnen Meister vergleichen, die Obrigkeit 
aber Güte, Preis und Gewicht der Ware überwa- 
chen. Bezeichnend für die damaligen Verhältnisse 
ist die Tatsache, daß ein Erlaß des Magistrats 
von 1520 es fremden Bäckern verbieten mußte, 
das Brot neben ihren Karren auf den bloßen Bo- 
den zu legen. 

Bei solch genauer Aufsicht konnte sich nur der 
Tüchtige durchsetzen. Deshalb erließ die Bäcker- 
zunft strenge Vorschriften für die Ausbildung 
des Nachwuchses. So wurde 1548 verlangt, daß 
niemand — eines Meisters Sohn ausgenommen — 
‚zum Meister genommen“ werden dürfe, der 
nicht mindestens zwei Jahre lang sein Handwerk 
von Grund aus erlernt und sein Können mit „gu- 
ter Kundschaft“ (Meisterstück) bewiesen hatte. 
War die Prüfung bestanden, dann mußte er den 
Zunftmeistern 12 Schilling Heller als Einstands- 
geld bezahlen, was gerade zu einer fröhlichen 
Mahlzeit in der Zunftstube ausreichte. 

Die Zünfte sind aus dem mittelalterlichen Leben 
der Stadt nicht wegzudenken. Eine Zeitlang lag 
sogar die ganze Stadtregierung in ihren Händen. 
Zusammen mit Bürgermeister und Rat besetzten 
sie alle Beamtenstellen. Erst 1544 wurde die 
Macht der Zünfte eingeschränkt, doch blieb ihr 
Einfluß immer noch recht groß. Das Gmünder 
Bäckergewerbe beteiligte sich zum Beispiel recht 
eifrig am politischen Leben der Reichsstadt. 
Mancher Bäcker kam als geachtetes Mitglied in 
den Rat; drei von ihnen brachten es sogar bis 
zum regierenden Bürgermeister. 

Nach dem Dreißigjährigen Krieg zerfielen die 
Zünfte mehr und mehr. Sie sahen ihre Haupt- 
aufgabe fast nur noch darin, übernommene Ge- 
bräuche fortzuschleppen und die Konkurrenz 
auszuschalten. Die Ausbildung des Nachwuchses 
wurde absichtlich behindert, indem man außer- 


ordentlich hohes Lehrgeld und langjährige Wan- 


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derschaft vorschrieb. Erst die wirtschaftlichen 
Umwälzungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts 
brachten auch hierin einen Wandel. Preußen 
führte 1810, Württemberg 1828 die Gewerbefrei- 
heit ein. Die letzten Reste des Zunftwesens wur- 
den 1862 beseitigt. Die neue Gewerbeordnung 
vom 1. April des genannten Jahres enthielt in 
ihrem Artikel 58 den einzigen Satz: „Die Zünfte 
sind aufgehoben“. 
Am 22. Juli 1862 berief das Oberamt (heute 
Landratsamt) durch die Tagespresse die hiesigen 
Zünfte zu ihrer letzten amtlichen Sitzung auf 
das Rathaus, damit sie das Todesurteil an sich 
selbst vollstreckten. Die Bäckerzunft stiftete ıhr 
bescheidenes Vermögen von 83 Gulden (etwa 
150 Mark) zu gleichen Teilen dem Blindenasyl, 
der Feuerwehr und dem Gesellenverein. Damit 
hatte die ruhmreiche Geschichte der Gmünder 
Bäckerzunft ein unrühmliches Ende gefunden. 
An die Stelle der Zünfte traten nach einiger Zeit 
die Innungen. Die Gmünder Bäcker schlossen sich 
1881 zu einer freien Innung zusammen. 
Von jeher hat sich das Bäckerhandwerk be- 
müht, durch verschiedenartiges Kleingebäck auch 
anspruchsvolle Kunden zufriedenzustellen. Die 
heutigen Wecken sind bekannt und bedürfen da- 
her lediglich der Erwähnung. Zu ihnen kamen 
vor 60 Jahren noch die Schmalzprügel und die 
Josefsküchlein. Letztere wurden nur für den 
Josefstag gebacken und mit einer gelben Masse 
bestrichen. Damals gab es auch noch „katholische“ 
und „Jlutherische* Wecken. Der „katholische“ 
war der althergebrachte runde Wasserwecken. 
Vor etwa 150 Jahren führte ein evangelischer 
Bäcker aus dem Unterland den gerissenen Wek- 
ken in Schwäbisch Gmünd ein. Als „lutherischen“ 
Wecken habe ich ihn selbst noch häufig in meiner 
Jugend gekauft. 
Gehen wir nochmals 100 Jahre weiter zurück, 
etwa bis zum Jahre 1800, so beweist uns eine 
Seite aus der Chronik des Dominikus Debler, daß 
schon zu dieser Zeit die Gmünder Bäcker auf der 
Höhe waren. Da nun nicht jeder die Hand- 
schrift Deblers entziffern kann, will ich seinen 
Text (vgl. die Bildtafel) mitteilen: Die Becken 
bachten sonst zerschiedenes Brod nehmlich Mir- 
bes — Schifflein hat die Form (Abb. Reihe 1) und 
kostet einen Pfinnig. Kindlein, eines kostet einen 
Pfinnig (Reihe 2). Hansel waren die Form, wie 
die Pfinnig Wecklein, man machte sie vor 1, 2 
und 4 Pfinnig groß — Nudlen (Reihe 3), man 
machte sie zu 2, 1 und %# Kreuzer groß — nehm- 
liche Nudlen machte man auch gefüllt mit 
Zwetschgen oder Äpfeln — Wecken von Apfeln 
(Reihe 4 rechts) 1 Kreuzer — Hirschbeck (Reihe 4 
Mitte). Bauern Bisch 1 und 2 Kreuzer (Reihe 4 


links) kostete einer 1 Kreuzer — Eierhändlein 
(Reihe 5) zu 2 und 1 Kreuzer groß — gesalzene 
Küchlein (Reihe 6 links) zu 2 Kreuzer — Ring- 
lein (Reihe 6 rechts) zu 2 Kreuzer — Bretzgen 
(Reihe 7 links) zu 20, 10, 6 und 2 Kreuzer — 
Ringlein (Reihe 7 rechts) Stück zu 1 Pfinnig — 
Krapfen mit Birnenschnitz (Reihe 8 links) Stück 
1 Kreuzer — Schneckennudlen (Reihe 8 Mitte) 
Stück */2 Kreuzer — Flädlein mit Knollen 
(Reihe 8 rechts) zu 1 und t/2 Kreuzer — Krapfen 
von Kirschen oder Zwetschgen (Reihe 9 links) 
1 Pfinnig, 1 und 2 Kieuzer — Studentenwecken 
(Reihe 9 Mitte) Stück t/2 Kreuzer — nehmliche 
Gattung Flädlein, Milchküchlein genannt. 

Früher Zusammenkunft von 
Handwerkern verschiedener Berufe, ohne daß es 
zu Neckereien kam. Sie waren oft Anlaß zu ern- 
stem Streit; heute lacht man über die harmlosen 
Scherze. Beliebt war z. B. der Spott über die 
Bäckerprüfung, von der man behauptete, sie sei 
bestanden, wenn einer eine halbe Stunde lang an 
einer Hausecke stehen konnte, ohne etwas zu 


gab es keine 


denken. Auch das Bäckerrätsel gehörte zu diesen 
Neckereien; es lautete: 

Warum machet dia Becka dia Wecka so klei... .. ? 
Se glaubet, se brenget’s en Ofa net nei! 


Die Lein ist einmal Floßgasse gewesen 


Die ältesten Industriebetriebe unserer Heimat, 
von denen wir seit 600 Jahren urkundliche Zeug- 
nisse besitzen, sind die Eisenhütten, die von den 
damaligen Territorialherren überall dort erstellt 
wurden, wo der Zufall oder systematische For- 
schung Erzvorkommen zutage förderten. Ihre 
Streuung reichte von Tauchenweiler und Hohen- 
roden bis auf das Härtsfeld, von Abtsgmünd 
über Wasseralfingen, Unterkochen, Königsbronn 
und Itzelberg bis nach Heidenheim und Mergel- 
stetten. Manche von ihnen fristeten allerdings nur 
ein kurzes Dasein; einige existieren heute noch 
und erfreuen sich sogar einer rühmenswerten Pro- 
sperität. | 

Komplizierter als heute, da Steinkohle, Koks 
und Elektrizität unbeschränkte Energie liefern, 
war einst die Produktion, als sie noch mit Holz- 
kohle betrieben werden mußte. Zusätzliche 
Schwierigkeiten ergaben sich aus dem Raubbau 
in den nahen Wäldern, der im Laufe der Zeit so 


Drollig waren mitunter die Hausnamen, die 
noch vor einem Menschenalter den Bäckern an- 
hafteten. So gab es in der Schmiedgasse den 
Nersch-Jockele, den Huber- und den Sauseles- 
beck. Auf dem Kalten Markt übte der Sedansbeck 
sein Handwerk aus. In der Franziskanergasse 
wohnte gar ein Neune-Meß-Beck, der den Aus- 
spruch tat: Bis zur Neune-Meß wird bacha, no 
ischt Schluß. Auf dem unteren Markt hauste der 
Meerbeck, beim Kornhaus der Schobelsbeck, auf 
dem Reitplatz der Brunnenbeck und in der Rech- 
bergstraße der dicke Brückle. Beim Pelikan gab 
es einmal einen Lockenbeck, in der Ledergasse 
den Hirschbeck. Weniger schön waren Namen 
wie Narrenhäuslesbeck und Schlamperer, die sich 
sogar in Urkunden finden. Ein drolliger Kauz 
von einem Bäcker lebte in der Pfeifergasse (heute 
Haus Nr. 28). Dieser hatte — vor vielen Jahren 
schon — einen Mann in Lebensgröße an den 
Hausgiebel gemalt und darunter schreiben lassen: 
Ihr Jungfern, wollt ihr haben einen Mann, 

des Bäckers Michels Kunst euch einen geben kann. 
Die gute alte Zeit konnte sich solche Späße erlau- 
ben; unsere heutige ist nüchterner und geschäfts- 
tüchtiger, aber — wie man wohl füglich sagen 
kann — kaum glüclicher geworden. 


Eduard Funk 


weitfortgeschritten war, daß der benötigte Brenn- 
stoff kaum mehr beschafft werden konnte. Aus 
diesem Dilemma erwuchs der Plan, für die her- 
zoglichen Hüttenwerke in Königsbronn Holz aus 
dem Welzheimer Wald, vor allem aus den rei- 
chen Forsten um Kaisersbach, herbeizuführen. 

Da in jener Zeit — zumal über größere Entfer- 
nungen — Pferdegespanne knapp und die Fuhr- 
löhne teuer waren, verfiel man auf die Idee, das 
Holz wenigstens einen Teil der Strecke auf dem 
Wasserwege zutransportieren. Die Anregung dazu 
lieferten ohne Zweifel die guten Erfahrungen, die 
man bei der Holzflößerei aus dem Welzheimer 
Wald über Wieslauf und Rems nach Waiblingen 
und Neckarrems gemacht hatte. Lediglich zu die- 
sem Zweck waren der Ebnisee und weitere Stau- 
seen im Haselbachtal angelegt worden; sie liefer- 
ten im Bedarfsfalle das Wasser, das die geklaf- 
terten Scheiterhölzer talwärts schwemmte. 

Schon im Jahre 1735 war ein ähnlicher Plan auf- 


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