Hungersnot, Hungersnot! | Das ist ein grenlich
Leiden! | Gäb’ euch der Bäcker kein täglich
Brot / müßt alle Welt verscheiden!
So singt die Zunft der Bäcker in Richard Wag-
ners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“.
Fürwahr: das Bäckerhandwerk gehört zu den
wichtigsten und ältesten Berufen der Menschheit.
Es war freilich ein weiter Weg von der Zeit, als
die Hausfrau noch mit einem Reibstein Gras-
samen zu Mehl zerrieb und den Teig auf heißen
Steinen röstete, bis zur modernen Backstube der
Gegenwart. Während die Bäuerin heute noch das
tägliche Brot meist selbst backt, haben fast alle
Städterinnen, die das Mehl kaufen müßten, diese
Arbeit dem Bäcker überlassen.
Schon in der Stauferzeit schlossen sich in-den
Städten die Bäcker zu Zünften zusammen. Diese
regelten die Ausbildung des Lehrlings, die Ar-
beitszeit, die Erholung, den Lohn, den Ein- und
Verkauf. Nach Feierabend vergnügten sich Mei-
ster und Geselle in der Zunftstube. Dort wurden
aber auch vor offener Zunftlade ernste Beratun-
gen abgehalten.
In Gmünd bildeten die Bäcker zusammen mit
den Fischern und merkwürdigerweise auch den
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Ernstes und Heiteres aus der Zunft der Gmünder Bäcker
Vom Neune-Meß-Beck
und dem Narrenhäuslesbeck
Albert Deibele
Innungszeichen der Gmünder Bäcker, das sich in der
städtischen Altertümersammlung befindet. Foto Döbbelin
Zieglern und Hafnern eine gemeinsame Zunft,
die sich St. Elisabeth zur Patronin erwählt hatte.
Die Stadt erteilte den Bäckern immer wieder
strenge Vorschriften, die in den sogenannten
„Bäckerordnungen“ zusammengefaßt waren. Von
ihnen hat sich eine ganze Reihe noch erhal-
ten; die älteste stammt aus dem Jahre 1515. Ihr
Hauptinhalt ist folgender: 1. Die Bäcker müssen
meistergültige Ware liefern. 2. Die Brote sind
in genau vorgeschriebenen Preislagen herzustel-
len. Die Preise müssen klar erkenntlich sein.
3. Die Bäcker haben der Bürgerschaft guten He-
fel (Sauerteig) aus Roggen- oder bestem Brot-
mehl zu liefern. 4. Um jedem Wucher vorzubeu-
gen, dürfen die Bäcker nur so viel Getreide la-
sern, als sie für den laufenden Bedarf brauchen.
Getreidehandel ist ihnen verboten.
Auch sonst machte ihnen der Magistrat viele
Vorschriften. So durfte zu Schwarzbrot keine
Bierhefe verwendet und an Sonn- und Feiertagen
vor 13 Uhr kein Brot verkauft werden. Das Hau-
sieren mit Brot war streng verboten. Im Jahre
1556 gebot der Magistrat, daß die Bäcker auf
den Märkten bei ihrem Stand bleiben und nicht
durch lautes Geschrei Kunden herbeilocken sol-
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$
ichnungen und entsprechenden An-
in Ze
ikus Debler, auf der er i
In
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ik des Dom
merkungen die einst in Schwäbisch Gmünd hergestellten Backwaren anschaulich beschreib
hmten Chron
Seite aus der berü
ne
Ei
len. Bei der Berechnung des Verkaufspreises
wurde bei Weißbrot der Kreuzerwecken, bei
Schwarzbrot der sechspfündige Laib zugrunde
selegt. Wenn z. B. ein Viertel Kernen 18 Batzen
kostete, dann wog der Kreutzerwecken 140
Gramm; der sechspfündige Laib Schwarzbrot ko-
stete 13 Kreuzer = 52 Pfennige. Gewicht und
Güte des Brotes wurden ständig durch einen
städtischen Brotschauer geprüft. ;
Die Einrichtungen der Backstuben waren früher
denkbar einfach und Ladenräume meist über-
haupt nicht vorhanden. Das Brot wurde gewöhn-
lich im Erdgeschoß des alten Rathauses (1793
abgebrochen) verkauft. Dort stand eine Reihe
yon Schrannen und Tischen (wie heute auf dem
Wochenmarkt), auf denen das Brot ausgelegt
wurde. So konnte die Kundschaft die Leistungen
der einzelnen Meister vergleichen, die Obrigkeit
aber Güte, Preis und Gewicht der Ware überwa-
chen. Bezeichnend für die damaligen Verhältnisse
ist die Tatsache, daß ein Erlaß des Magistrats
von 1520 es fremden Bäckern verbieten mußte,
das Brot neben ihren Karren auf den bloßen Bo-
den zu legen.
Bei solch genauer Aufsicht konnte sich nur der
Tüchtige durchsetzen. Deshalb erließ die Bäcker-
zunft strenge Vorschriften für die Ausbildung
des Nachwuchses. So wurde 1548 verlangt, daß
niemand — eines Meisters Sohn ausgenommen —
‚zum Meister genommen“ werden dürfe, der
nicht mindestens zwei Jahre lang sein Handwerk
von Grund aus erlernt und sein Können mit „gu-
ter Kundschaft“ (Meisterstück) bewiesen hatte.
War die Prüfung bestanden, dann mußte er den
Zunftmeistern 12 Schilling Heller als Einstands-
geld bezahlen, was gerade zu einer fröhlichen
Mahlzeit in der Zunftstube ausreichte.
Die Zünfte sind aus dem mittelalterlichen Leben
der Stadt nicht wegzudenken. Eine Zeitlang lag
sogar die ganze Stadtregierung in ihren Händen.
Zusammen mit Bürgermeister und Rat besetzten
sie alle Beamtenstellen. Erst 1544 wurde die
Macht der Zünfte eingeschränkt, doch blieb ihr
Einfluß immer noch recht groß. Das Gmünder
Bäckergewerbe beteiligte sich zum Beispiel recht
eifrig am politischen Leben der Reichsstadt.
Mancher Bäcker kam als geachtetes Mitglied in
den Rat; drei von ihnen brachten es sogar bis
zum regierenden Bürgermeister.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg zerfielen die
Zünfte mehr und mehr. Sie sahen ihre Haupt-
aufgabe fast nur noch darin, übernommene Ge-
bräuche fortzuschleppen und die Konkurrenz
auszuschalten. Die Ausbildung des Nachwuchses
wurde absichtlich behindert, indem man außer-
ordentlich hohes Lehrgeld und langjährige Wan-
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derschaft vorschrieb. Erst die wirtschaftlichen
Umwälzungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts
brachten auch hierin einen Wandel. Preußen
führte 1810, Württemberg 1828 die Gewerbefrei-
heit ein. Die letzten Reste des Zunftwesens wur-
den 1862 beseitigt. Die neue Gewerbeordnung
vom 1. April des genannten Jahres enthielt in
ihrem Artikel 58 den einzigen Satz: „Die Zünfte
sind aufgehoben“.
Am 22. Juli 1862 berief das Oberamt (heute
Landratsamt) durch die Tagespresse die hiesigen
Zünfte zu ihrer letzten amtlichen Sitzung auf
das Rathaus, damit sie das Todesurteil an sich
selbst vollstreckten. Die Bäckerzunft stiftete ıhr
bescheidenes Vermögen von 83 Gulden (etwa
150 Mark) zu gleichen Teilen dem Blindenasyl,
der Feuerwehr und dem Gesellenverein. Damit
hatte die ruhmreiche Geschichte der Gmünder
Bäckerzunft ein unrühmliches Ende gefunden.
An die Stelle der Zünfte traten nach einiger Zeit
die Innungen. Die Gmünder Bäcker schlossen sich
1881 zu einer freien Innung zusammen.
Von jeher hat sich das Bäckerhandwerk be-
müht, durch verschiedenartiges Kleingebäck auch
anspruchsvolle Kunden zufriedenzustellen. Die
heutigen Wecken sind bekannt und bedürfen da-
her lediglich der Erwähnung. Zu ihnen kamen
vor 60 Jahren noch die Schmalzprügel und die
Josefsküchlein. Letztere wurden nur für den
Josefstag gebacken und mit einer gelben Masse
bestrichen. Damals gab es auch noch „katholische“
und „Jlutherische* Wecken. Der „katholische“
war der althergebrachte runde Wasserwecken.
Vor etwa 150 Jahren führte ein evangelischer
Bäcker aus dem Unterland den gerissenen Wek-
ken in Schwäbisch Gmünd ein. Als „lutherischen“
Wecken habe ich ihn selbst noch häufig in meiner
Jugend gekauft.
Gehen wir nochmals 100 Jahre weiter zurück,
etwa bis zum Jahre 1800, so beweist uns eine
Seite aus der Chronik des Dominikus Debler, daß
schon zu dieser Zeit die Gmünder Bäcker auf der
Höhe waren. Da nun nicht jeder die Hand-
schrift Deblers entziffern kann, will ich seinen
Text (vgl. die Bildtafel) mitteilen: Die Becken
bachten sonst zerschiedenes Brod nehmlich Mir-
bes — Schifflein hat die Form (Abb. Reihe 1) und
kostet einen Pfinnig. Kindlein, eines kostet einen
Pfinnig (Reihe 2). Hansel waren die Form, wie
die Pfinnig Wecklein, man machte sie vor 1, 2
und 4 Pfinnig groß — Nudlen (Reihe 3), man
machte sie zu 2, 1 und %# Kreuzer groß — nehm-
liche Nudlen machte man auch gefüllt mit
Zwetschgen oder Äpfeln — Wecken von Apfeln
(Reihe 4 rechts) 1 Kreuzer — Hirschbeck (Reihe 4
Mitte). Bauern Bisch 1 und 2 Kreuzer (Reihe 4
links) kostete einer 1 Kreuzer — Eierhändlein
(Reihe 5) zu 2 und 1 Kreuzer groß — gesalzene
Küchlein (Reihe 6 links) zu 2 Kreuzer — Ring-
lein (Reihe 6 rechts) zu 2 Kreuzer — Bretzgen
(Reihe 7 links) zu 20, 10, 6 und 2 Kreuzer —
Ringlein (Reihe 7 rechts) Stück zu 1 Pfinnig —
Krapfen mit Birnenschnitz (Reihe 8 links) Stück
1 Kreuzer — Schneckennudlen (Reihe 8 Mitte)
Stück */2 Kreuzer — Flädlein mit Knollen
(Reihe 8 rechts) zu 1 und t/2 Kreuzer — Krapfen
von Kirschen oder Zwetschgen (Reihe 9 links)
1 Pfinnig, 1 und 2 Kieuzer — Studentenwecken
(Reihe 9 Mitte) Stück t/2 Kreuzer — nehmliche
Gattung Flädlein, Milchküchlein genannt.
Früher Zusammenkunft von
Handwerkern verschiedener Berufe, ohne daß es
zu Neckereien kam. Sie waren oft Anlaß zu ern-
stem Streit; heute lacht man über die harmlosen
Scherze. Beliebt war z. B. der Spott über die
Bäckerprüfung, von der man behauptete, sie sei
bestanden, wenn einer eine halbe Stunde lang an
einer Hausecke stehen konnte, ohne etwas zu
gab es keine
denken. Auch das Bäckerrätsel gehörte zu diesen
Neckereien; es lautete:
Warum machet dia Becka dia Wecka so klei... .. ?
Se glaubet, se brenget’s en Ofa net nei!
Die Lein ist einmal Floßgasse gewesen
Die ältesten Industriebetriebe unserer Heimat,
von denen wir seit 600 Jahren urkundliche Zeug-
nisse besitzen, sind die Eisenhütten, die von den
damaligen Territorialherren überall dort erstellt
wurden, wo der Zufall oder systematische For-
schung Erzvorkommen zutage förderten. Ihre
Streuung reichte von Tauchenweiler und Hohen-
roden bis auf das Härtsfeld, von Abtsgmünd
über Wasseralfingen, Unterkochen, Königsbronn
und Itzelberg bis nach Heidenheim und Mergel-
stetten. Manche von ihnen fristeten allerdings nur
ein kurzes Dasein; einige existieren heute noch
und erfreuen sich sogar einer rühmenswerten Pro-
sperität. |
Komplizierter als heute, da Steinkohle, Koks
und Elektrizität unbeschränkte Energie liefern,
war einst die Produktion, als sie noch mit Holz-
kohle betrieben werden mußte. Zusätzliche
Schwierigkeiten ergaben sich aus dem Raubbau
in den nahen Wäldern, der im Laufe der Zeit so
Drollig waren mitunter die Hausnamen, die
noch vor einem Menschenalter den Bäckern an-
hafteten. So gab es in der Schmiedgasse den
Nersch-Jockele, den Huber- und den Sauseles-
beck. Auf dem Kalten Markt übte der Sedansbeck
sein Handwerk aus. In der Franziskanergasse
wohnte gar ein Neune-Meß-Beck, der den Aus-
spruch tat: Bis zur Neune-Meß wird bacha, no
ischt Schluß. Auf dem unteren Markt hauste der
Meerbeck, beim Kornhaus der Schobelsbeck, auf
dem Reitplatz der Brunnenbeck und in der Rech-
bergstraße der dicke Brückle. Beim Pelikan gab
es einmal einen Lockenbeck, in der Ledergasse
den Hirschbeck. Weniger schön waren Namen
wie Narrenhäuslesbeck und Schlamperer, die sich
sogar in Urkunden finden. Ein drolliger Kauz
von einem Bäcker lebte in der Pfeifergasse (heute
Haus Nr. 28). Dieser hatte — vor vielen Jahren
schon — einen Mann in Lebensgröße an den
Hausgiebel gemalt und darunter schreiben lassen:
Ihr Jungfern, wollt ihr haben einen Mann,
des Bäckers Michels Kunst euch einen geben kann.
Die gute alte Zeit konnte sich solche Späße erlau-
ben; unsere heutige ist nüchterner und geschäfts-
tüchtiger, aber — wie man wohl füglich sagen
kann — kaum glüclicher geworden.
Eduard Funk
weitfortgeschritten war, daß der benötigte Brenn-
stoff kaum mehr beschafft werden konnte. Aus
diesem Dilemma erwuchs der Plan, für die her-
zoglichen Hüttenwerke in Königsbronn Holz aus
dem Welzheimer Wald, vor allem aus den rei-
chen Forsten um Kaisersbach, herbeizuführen.
Da in jener Zeit — zumal über größere Entfer-
nungen — Pferdegespanne knapp und die Fuhr-
löhne teuer waren, verfiel man auf die Idee, das
Holz wenigstens einen Teil der Strecke auf dem
Wasserwege zutransportieren. Die Anregung dazu
lieferten ohne Zweifel die guten Erfahrungen, die
man bei der Holzflößerei aus dem Welzheimer
Wald über Wieslauf und Rems nach Waiblingen
und Neckarrems gemacht hatte. Lediglich zu die-
sem Zweck waren der Ebnisee und weitere Stau-
seen im Haselbachtal angelegt worden; sie liefer-
ten im Bedarfsfalle das Wasser, das die geklaf-
terten Scheiterhölzer talwärts schwemmte.
Schon im Jahre 1735 war ein ähnlicher Plan auf-
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