Presented to the
LIBRARY ofthe
UNIVERSITY OF TORONTO
by
MRS. AILEEN WOLFF
BOCCACCIO DER DECAMERONE
DRITTER BAND
GIOVANNI BOCCACCIO
DER DECAMERONE
DEUTSCH VON HEINRICH CONRAD
IN FÜNF BÄNDEN MIT DEN KUPFERN UND
VIGNETTEN VON GRAVELOT, BOUCHER,
EISEN DER AUSGABE VON
1757
DRITTER BAND
MÜNCHEN 31 UND LEIPZIG
BEI GEORG MÜLLER UND HANS VON WEBER
ES SCHLIESST
DES DECAMERON VIERTER TAG,
UND ES BEGINNT
DER FÜNFTE,
AN DEM UNTER FIAMMETTAS REGIMENT
VON DEN GLÜCKSFÄLLEN
ERZÄHLT WIRD,
DIE NACH WIDRIGEN
UND BETRÜBENDEN EREIGNISSEN
LIEBENDE BETRAFEN
Aillamct Sc
Schon stand der Osten in weißem Glänze, und schon
erhellten die Strahlen der aufgehenden Sonne unsere
ganze Halbkugel, als Fiammetta von den süßen Ge-
sängen der Vögel, die des Tages erste Stunde mit
frohen Kehlen von Bäumen und Sträuchern ver-
kündeten, erwachte und, während sie selber aufstand,
die übrigen Mädchen und die drei Männer rufen ließ.
Langsamen Schrittes gingen sie dann auf das niedrig
gelegene Feld hinaus und lustwandelten unter mancher-
lei Gesprächen in der weiten Ebene auf tauigem
Grase, bis die Sonne schon ziemlich hoch am Himmel
stand.
Als aber die Sonnenstrahlen schon zu brennen an-
fingen, wandte die Königin ihre Schritte nach dem
Saale zurück, wo die Gesellschaft sich auf ihr Geheiß
zuerst mit trefflichem Weine und mit Gebackenem von
der geringen Anstrengung erholte, die sie sich gemacht,
und alsdann in dem anmutigen Garten bis zur Essens-
zeit ihrem Ergötzen nachging. Inzwischen bereitete der
verständige Seneschall die Tafel, und als die Stunde
herangekommen war und man noch ein Zitherlied und
ein oder ein paar Tanzliedchen gesungen hatte, setzten
auf der Königin Anordnung alle fröhlich sich zum
Essen.
Während der Tafel walteten Anstand und Munter-
keit; nach Tische aber gedachte man des Herkommens,
zu tanzen, und führte mit Instrumenten und Gesängen
mehrere kleine Tänze auf. Dann beurlaubte die Königin
einen jeden, bis die Schlafenszeit vorüber sein werde.
Auch legten einige sich wirklich schlafen; andere aber
verweilten zu ihrer Lust in dem schönen Garten. Nicht
lange nach der dritten Nachmittagsstunde aber ver-
sammelten sie sich alle bei der Quelle, wie die Königin
ihnen befohlen hatte. Und kaum hatte die letztere als
Vorsitzerin sich niedergelassen, als sie auch schon mit
einem Blick auf Pamfilo diesem den Auftrag gab, die
heiteren Geschichten zu beginnen. Pamfilo gehorchte
willig dem Befehle.
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ERSTE GESCHICHTE
Cimon wird durch Liebe vernünftig und raubt auf dem
Meere Iphigenie, seine Geliebte. In Rhodus verhaftet, be-
freit ihn Lysimachus, und beide entführen gemeinschaftlich
Iphigenie und Kassandra vor ihrem Hochzeitsfest. Sie fliehen
nach Kreta und heiraten dort ihre Geliebten, mit denen
sie endlich in die Heimat zurückgerufen werden.
Mancherlei Geschichten wüßte ich, o holdselige Damen,
deren Mitteilung einen so fröhlichen Abend, wie der
heutige zu werden verspricht, schicklich eröffnen würde.
Eine unter ihnen sagt mir aber am meisten zu, weil
ihr nicht allein in ihr den fröhlichen Ausgang wahr-
nehmen werdet, von dem zu erzählen wir eben an-
fangen wollen, sondern zugleich auch erkennen könnt,
wie heilig, wie gewaltig und wie segensreich die Kräfte
der Liebe sind, die viele, ohne selber zu wissen, was
sie reden, mit großem Unrecht tadeln und verdammen.
Und da ihr, wenn ich mich nicht täusche, sämtlich
verliebt seid, so kann euch diese Einsicht nicht anders
als willkommen sein.
Nach dem, was ich vor Zeiten in den alten Ge-
schichten der Cyprier gelesen habe, lebte auf jener Insel
ein Mann von edlem Geschlechte, der Aristippo hieß
und an Reichtum und zeitlichen Dingen alle seine
Landsleute um vieles übertraf, so daß er, wenn das
Schicksal ihm nicht in einem Punkte feindlich ge-
wesen wäre, sich vorzugsweise glücklich hätte erachten
können.
Er hatte aber unter seinen übrigen Kindern einen
Sohn, der an Größe und körperlicher Schönheit zwar
die übrigen jungen Männer übertraf, doch zugleich
fast albern und blödsinnig zu nennen war. Sein wahrer
Name war Galesus; weil aber weder die Bemühungen
der Lehrer, noch Zureden oder Schläge des Vaters,
noch endlich der Scharfsinn irgendeines anderen im-
stande gewesen waren, ihm von Kenntnissen oder guten
Sitten das mindeste beizubringen, vielmehr seine
Stimme plump und mißtönend, sein Betragen aber
mehr einem Vieh als einem Menschen geziemend ge-
blieben waren, so nannten ihn alle spottweise nur den
Cimon, was in der dortigen Sprache soviel heißen
will als Rindvieh.
Das nichtige Leben des Sohnes ging dem Vater gar
sehr zu Herzen, und als er endlich alle Hoffnung auf-
gegeben hatte, befahl er ihm, um den Anlaß seines
Grames nicht immer vor Augen zu haben, auf das
väterliche Landgut zu gehen und dort mit den Acker-
knechten zu leben. Mit dieser Bestimmung war denn
auch Cimon, dem die Sitten und Gebräuche der ge-
meinen Leute viel besser zusagten als die feineren, aus-
nehmend zufrieden.
Während er nun auf dem Lande sich mit den An-
gelegenheiten des Landbaues ausschließlich beschäftigte,
ging er eines Tages bald nach Mittag, seinen Stock auf
der Schulter, von einem Vorwerk zum anderen und
durchschritt dabei ein Gebüsch, das, weil es eben Mai
war, ein dichtes Laubdach bildete und an jener Stelle
gerade seine volle Schönheit zeigte. Hier führte ihn
dann sein glückliches Schicksal zu einer kleinen, rings
von hohen Bäumen umgebenen Wiese, an deren einem
Ende eine anmutige und kühle Quelle entsprang.
Neben dieser erblickte er auf dem grünen Rasen ein
reizendes junges Mädchen schlafend, deren feines und
durchsichtiges Gewand nur unmerklich die alabasternen
Glieder verhüllte, während eine leichte und schnee-
weiße Decke vom Gürtel niederwärts über sie hin-
6
gebreitet war. Zu ihren Füßen lagen zwei Mädchen
und ein Mann, die in den Diensten der jungen Dame
standen und ebenfalls schliefen. Beim Anblick dieser
Schönen erstaunte Gimon nicht anders, als ob er nie
zuvor ein Frauenbild gesehen hätte, und beschaute sie
sprachlos auf seinen Stab gelehnt, aufmerksam und
mit unsäglichem Entzücken.
Da fühlte er, wie in seiner rohen Brust, welcher
tausendfach wiederholter Unterricht nicht den mindesten
Eindruck edlerer Neigungen hatte mitteilen können,
plötzlich ein Gefühl erwachte, das seinem plumpen und
ungebildeten Geiste dieses Mädchen als den schönsten
Gegenstand darstellte, den jemals das Auge eines
Lebendigen gesehen hätte. Dann betrachtete er die
einzelnen Teile ihres Körpers und bewunderte die
Schönheit ihrer Haare, die ihm golden deuchten, Stirn,
Mund und Nase, Hals und Arme, vor allem aber den
Busen, dessen Hügel sich erst wenig wölbten.
Er, der soeben noch in jeder Hinsicht ein Bauer ge-
wesen war, fällte nun schon ein Urteil über Schönheit
und verlangte sehnlichst, daß sie die Augen aufschlagen
möge, die ein tiefer Schlaf noch verschlossen hielt.
Mehrmals wandelte ihn die Lust an, sie zu wecken,
damit er ihre Augen sähe; dann aber schien sie ihm
so über allen Vergleich schöner als alle Frauen, die
er je zuvor gesehen, daß er sie für eine Göttin zu
halten geneigt war, und so viel richtiges Gefühl hatte
er doch, daß er erkannte, wie göttliche Dinge mehr
Ehrfurcht verdienen als die irdischen. So gewann er
es denn über sich, abzuwarten, bis sie von selber auf-
wachen würde, und so lang ihm auch ihr Schlaf vor-
kam, wußte er sich, in das Vergnügen ihres Anschauens
versunken, doch nicht loszumachen.
Endlich, obwohl nach einer geraumen Zeit, geschah
es, daß die junge Schöne, die Iphigenie hieß, früher
als einer der Ihrigen erwachte. Wie sie nun das Haupt
emporhob, die Augen aufschlug und Cimon auf seinen
Stab gelehnt vor sich stehen sah, erstaunte sie nicht
wenig und sagte: „Cimon, was suchst du zu dieser
Stunde hier im Holze?" Denn sowohl wegen seiner
schönen Gestalt und seiner Blödsinnigkeit als wegen
des Adels und des Reichtums seines Vaters war Cimon
fast einem jeden in der Gegend bekannt.
Er aber antwortete auf Iphigeniens Worte nicht eine
Silbe, sondern blickte unverwandt in ihre Augen und
glaubte bei sich selber eine von ihnen ausgegangene
Süßigkeit zu empfinden, die ihm mit nie gekannter
Wonne durchdringe. Als das Mädchen dieses sein Be-
tragen gewahr wurde, begann sie zu fürchten, daß er
infolge seiner Roheit von diesem starren Anschauen
zu Dingen übergehen möchte, die ihrer Schamhaftig-
keit Gefahr drohten. Deshalb rief sie ihre Dienerinnen,
erhob sich vom Boden und sagte: „Cimon, gehabe
dich wohll"
Cimon aber erwiderte sogleich: „Ich gehe mit dir!"
Und obgleich die junge Dame, weil sie fortwährend
wegen seiner Absichten besorgt war, seine Begleitung
ablehnte, konnte sie ihm doch auf keine Weise eher
von sich entfernen, als bis er sie zu ihrer Wohnung
geleitet hatte.
Von dort ging er sogleich zu seinem Vater und er-
klärte ihm, unter keiner Bedingung auf das Land
zurückkehren zu wollen. Freilich war dies nun dem
Vater und den übrigen Angehörigen gar nicht ge-
legen, doch ließen sie ihn in der Stadt, um abzu-
warten, wodurch Cimon so umgestimmt worden sei.
8
Dieser aber, dessen jeder guten Lehre unzugängliches
Herz, Iphigeniens Schönheit mit dem Pfeil der Liebe
durchdrungen hatte, faßte täglich neue Vorsätze und
erregte binnen kurzem das Erstaunen seines Vaters,
aller seiner Verwandten und überhaupt eines jeden, der
ihn gekannt hatte. Zuerst bat er den Vater, ihn im
Anzüge und in allem anderen ebenso geschmückt wie
seine Brüder einhergehen zu lassen, und der Vater tat
es mit Freuden. Dann suchte er den Umgang wackerer
junger Leute und erforschte von ihnen, was für Sitten
adligen Männern, besonders aber den Verliebten ge-
ziemen, und lernte zu jedermanns größter Verwunde-
rung in gar kurzer Zeit nicht allein die Anfangsgründe
der Wissenschaften, sondern machte sich auch die
Weltweisheit auf das vollkommenste zu eigen.
Wie die Liebe, die er für Iphigenie empfand, ihn
zu dem allen geführt hatte, so verwandelte sie auch
ferner seine rauhe und bäuerische Stimme in eine
wohlklingende und gebildete und ließ ihn des Spieles
und des Gesanges wohl erfahren und im Reiten und
den Waffenübungen zu Wasser und zu Lande geübt
und tapfer werden. Kurz, um nicht alle seine Geschick-
lichkeiten im einzelnen aufzählen zu müssen: noch
war seit dem Tage, an dem er sich zuerst verliebt hatte,
das vierte Jahr nicht verstrichen, als er schon alle
jungen Männer, die auf der Insel Cypern zu finden
waren, an Artigkeit, guter Sitte und vorzüglichen
Eigenschaften übertraf.
Wie sollen wir, holde Damen, uns nun wohl diese
Erscheinung erklären? Gewiß, wir können es nur da-
durch, daß wir voraussetzen, ein neidisches Geschick
habe die hohen Anlagen, mit denen der Himmel
Cimons Seele ausgestattet hatte, in den engsten Raum
9
seines Herzens zusammengedrängt und dort mit den
festesten Banden so lange gefesselt und verschlossen,
bis der gewaltigere Amor alle jene Ketten sprengte und
zerbrach, die schlummernden, von trauriger Betäubung
umnachteten Lebensgeister erweckte und mit seiner
Kraft an das helle Licht zog, um dadurch zu offen-
baren, aus welcher Dunkelheit er die ihm ergebenen
Geisteskräfte durch seine Strahlen zum vollen Glänze
zu führen vermöge.
Obwohl nun Cimon nach der gewöhnlichen Art ver-
liebter Jünglinge bei seiner Liebe für Iphigenie in
einigen Dingen das Maß überschritt, so ertrug Aristippo
dergleichen nicht allein mit Geduld, sondern er-
munterte ihn auch selber, ganz seinem Gefallen nach-
zuleben, da ja die Liebe ihn vom Tiere zum Menschen
verwandelt hatte. Cimon, der im Andenken, daß Iphi-
genie ihn so genannt, diesen Namen behalten und
nicht mehr Galesus genannt sein wollte, hielt indessen,
um seine Wünsche geziemend erfüllt zu sehen, bei
Iphigeniens Vater, Cypseus, wiederholt um die Hand
des Mädchens an. Cypseus aber erwiderte, daß er sie
bereits dem Pasimundas, einem jungen rhodischen
Edelmann, zugesagt habe und gegen diesen sein Wort
nicht brechen wollte.
Als nun die Zeit, da Iphigenie infolge dieses Ver-
sprechens vermählt werden sollte, herangekommen war
und der Bräutigam auch schon nach ihr gesandt hatte,
sagte Cimon bei sich selbst: „Nun, Iphigenie, ist es
an der Zeit, zu beweisen, wie sehr ich dich liebe.
Schon bin ich durch dich zum Menschen geworden;
gelingt es mir, dich zu besitzen, so werde ich dadurch
zweifelsohne ruhmreicher werden, als einer der Götter;
und gewiß, besitzen werde ich dich oder sterben."
io
Als er so bei sich gesprochen, bat er in der Stille
einige junge Edelleute, mit denen er befreundet war,
um ihren Beistand, rüstete heimlich ein Schiff mit
allem aus, was zu einem Seegefecht nötig ist, und ging
dann mit seinen Gefährten in See, um das Fahrzeug
zu erwarten, auf dem Iphigenie zu ihrem Bräutigam
nach Rhodus gebracht werden sollte. Der Vater des
Mädchens hatte inzwischen den Freunden ihres Bräuti-
gams viel Ehre angetan, und nun steuerten diese mit
ausgespannten Segeln auf Rhodus zu. Gimon aber
schlief nicht, sondern erreichte sie am anderen Tage
und rief ihnen von der Spitze seines Schiffes mit
lauter Stimme zu: „Haltet an, streicht die Segel oder
seid gewärtig, besiegt und in den Grund gebohrt zu
werden!"
Cimons Gegner hatten indessen ihre Waffen schon
auf das Verdeck gebracht und rüsteten sich zur Ver-
teidigung. Cimon aber ergriff nach jenen Worten so-
gleich einen großen eisernen Enterhaken, zog damit
das Schiff der Rhodier, die aus allen Kräften weiter-
segelten, gewaltsam an das seine und sprang mit dem
Mute eines Löwen, ohne daß ein anderer ihm gefolgt
wäre, hinüber, als ob er die Rhodier alle für gar
nichts achtete. Die Liebe lieh ihm Kräfte, und so
stürzte er sich, ein Messer in der Hand, mit wunder-
barer Gewalt mitten unter die Feinde und schlachtete
gar viele, bald hierhin, bald dorthin stoßend, gleich
Schafen ab, so daß die Rhodier endlich voller
Schrecken ihre Waffen von sich warfen und mit einer
Stimme sich als Gefangene ergaben.
Cimon dagegen sagte zu ihnen: „Junge Männer,
weder aus Verlangen nach Beute noch aus Haß, den
ich gegen euch hegte, bin ich von Cypern gesegelt, um
ii
euch hier mitten im Meere mit bewaffneter Hand zu
überfallen. Was mich so zu tun bewogen hat, dessen
Eroberung ist für mich das Höchste, ihr aber könnt es
mir gar leicht und friedlich überlassen: das ist näm-
lich Iphigenie, die ich über alles liebe und die, mir
mit den Waffen feindlich von euch zu erkämpfen, die
Liebe mich gezwungen hat, da ihr Vater sie mir nicht
als Freund im Guten überlassen wollte. So will ich
ihr denn sein, was euer Pasimundas ihr werden sollte;
gebt sie mir, und dann ziehet im Namen Gottes!"
Die Jünglinge überließen, mehr von der Not als
von gutem Willen bewogen, die Dame weinend dem
Cimon. Er aber sagte, als er sie weinen sah, zu Iphi-
genie: „Betrübe dich nicht, holde Dame; ich bin dein
Cimon und habe dich durch meine lange Liebe besser
verdient als Pasimundas durch gelobtes Versprechen."
Inzwischen hatte er Iphigenie, ohne von dem Gut
der Rhodier das mindeste zu berühren, schon in sein
Schiff steigen lassen, und nun kehrte er selbst zu
seinen Gefährten wieder zurück und ließ jene weiter-
ziehen. Hocherfreut über den Erwerb einer so teuren
Beute, verwandte Cimon die erste Zeit darauf, die
Weinende, soviel er konnte, zu trösten, und überlegte
dann mit seinen Gefährten, ob es nicht allzu gefähr-
lich sein möchte, für jetzt nach Cypern zurückzu-
kehren. Wirklich beschlossen sie gemeinschaftlich, den
Lauf ihres Schiffes lieber nach Kreta zu lenken, wo
sie sich insgesamt, besonders aber Cimon, wegen alter
und neuer Verbindungen und vieler Freundschaften mit
Iphigenie sicher glaubten.
Das Glück aber, das die Erbeutung der Dame freund-
lich dem Cimon gewährt hatte, verwandelte jetzt in
seiner Unbeständigkeit die überschwängliche Freude
12
des liebenden Jünglings plötzlich in bittere, schmerz-
liche Tränen. Noch waren keine vier Stunden ver-
gangen, seit Gimon die Rhodier verlassen hatte, als
in derselben Nacht, von der Gimon sich die höchste,
nie empfundene Seligkeit versprochen hatte, ein stür-
misches Wetter heraufstieg, das den Himmel mit
Wolken und das Meer mit verheerenden Winden über-
zog. So sehr wütete der Sturm, daß niemand zu er-
kennen vermochte, was man tun und wohin man sich
wenden sollte, ja daß man nicht einmal sich auf-
rechtzuhalten und irgend Hilfe zu leisten imstande war.
Wie sehr Gimon sich darüber betrübte, bedarf keiner
Worte; es dünkte ihm, die Götter hätten ihn an das
Ziel seiner Wünsche nur gelangen lassen, damit er
den Tod, der ihm vorher gar gleichgültig gewesen
wäre, um so schmerzlicher empfinden sollte. Es be-
klagten sich auch die Gefährten; vor allen aber jam-
merte Iphigenie, weinte laut und schreckte bei jedem
Wellenstoße neu zusammen. Mit harten Worten ver-
wünschte sie unter ihren Tränen Gimons Liebe und
schalt auf seine Keckheit; denn nur darum, sagte sie,
sei dieses stürmische Wetter entstanden, weil die Götter,
weit entfernt, zu gestatten, daß Gimon, der sie wider
ihren Willen zur Gattin begehrte, seiner verwegenen
Lüste froh würde, ihn vielmehr, nachdem er sie
zuvor habe sterben gesehen, selber elendiglich um-
kommen lassen wollten.
Unter solchen und noch heftigeren Klagen wurde
das Schiff, das die Seeleute auf keine Weise zu
lenken vermochten, von dem immer heftiger tobenden
Sturme in die Nähe der Insel Rhodus geführt. Da
nun aber die Schiffer nicht wußten, daß es Rhodus
sei, bemühten sie sich, um ihr Leben zu retten, aus
i3
allen Kräften wo möglich dieses Land zu gewinnen.
In der Tat war ihnen das Glück dazu behilflich und
führte sie in einen kleinen Meerbusen, in welchem
kurz vorher auch die Rhodier, die Gimon freige-
lassen hatte, mit ihrem Schiffe eingelaufen waren.
Nicht eher aber erkannten sie, daß sie nach Rhodus
verschlagen worden seien, als bis sie bei dem Dämmer-
licht, das am anderen Tage das aufsteigende Morgen-
rot über den etwas aufgehellten Himmel verbreitete,
etwa in der Entfernung eines Bogenschusses das Schiff
gewahr wurden, auf dem sie tags zuvor gekämpft
hatten.
Cimon, der die Gefahr schon drohen sah, die ihn
nachher wirklich betraf, erschrak darüber unsäglich
und befahl, daß alle Kräfte aufgeboten würden, um
nur von dort wieder zu entkommen und dann sich
treiben zu lassen, wohin es immer dem Schicksal ge-
fallen möchte, da sie ja doch nirgends schlimmer
aufgehoben sein konnten, als eben dort.
Die Schiffer ließen nichts unversucht, um hinaus-
zukommen; aber alles war vergeblich. Der Wind blies
so heftig in der entgegengesetzten Richtung, daß sie,
weit entfernt, sich aus jener kleinen Bucht heraus-
arbeiten zu können, alles Widerstrebens ungeachtet
auf das Land getrieben und kaum dort angelangt,
von den rhodischen Seeleuten, die ihr Schiff in-
zwischen verlassen hatten, erkannt wurden. Sogleich
lief einer von ihnen nach einem nahegelegenen
Landgute, wohin die jungen rhodischen Edelleute
schon vorausgegangen waren, berichtete diesen, wie
Cimon mit Iphigenie gleich ihnen dort mit seinem
Schiffe zu landen, vom Unwetter gezwungen worden
sei. Die Edelleute eilten, hocherfreut über diese Nach-
i4
rieht, mit einer Menge Menschen vom Gute an das
Meer, wo sie Cimon, der mit den Seinigen schon
ausgestiegen war und in einen benachbarten Wald zu
flüchten gedachte, nebst Iphigenie und allen übrigen
gefangen nahmen und sie insgesamt nach jenem Land-
hause führten.
Als aber Pasimundas von dem, was sich zugetragen,
Kunde erhalten hatte, beklagte er sich bei dem Senate
von Rhodus, und auf dessen Beschluß kam Lysimachus,
der in jenem Jahre die höchste Würde bei den Rho-
diern bekleidete, mit einem großen Geleit von Kriegern
aus der Stadt heraus und führte Gimon und seine
Gefährten ins Gefängnis.
Auf solche Weise verlor der arme liebende Cimon
seine Iphigenie, die er kurz zuvor erst gewonnen, ohne
ihr mehr als einen Kuß genommen zu haben. Iphi-
genie dagegen empfingen viele edle rhodische Damen,
sprachen ihr Trost wegen der erlittenen Gefangen-
schaft und der auf dem stürmischen Meer ausge-
standenen Angst zu und behielten sie bis zu dem
Tage, auf den die Hochzeit bestimmt war, bei sich.
Dem Cimon und seinen Gefährten wurde indessen
aus Rücksicht, daß sie tags zuvor die jungen Rhodier
freigelassen, trotz den Bemühungen des Pasimundas,
ihr Todesurteil zu bewirken, das Leben geschenkt;
freilich aber wurden sie zu ewiger Gefangenschaft
verurteilt, und wie traurig, wie ohne Hoffnung, je
wieder eine Freude zu erfahren, sie diese ertrugen,,
ist wohl leicht auszudenken.
Während indessen Pasimundas die Vorbereitungen
zur bevorstehenden Hochzeit so viel als möglich be-
schleunigte, bereitete das Glück, als wäre ihm das
Unrecht wieder leid geworden, das es dem Gimon so*
i5
plötzlich angetan, ein neues Ereignis zu seiner Ret-
tung vor.
Pasimundas hatte einen, zwar an Jahren jüngeren,
doch an Tugenden nicht ärmeren Bruder, namens
Hormisdas, der sich lange Zeit um die Hand eines
schönen und adligen Mädchens jener Stadt, welche
Cassandra hieß und die Lysimachus auf das feurigste
liebte, beworben hatte, doch war die Verbindung wegen
mehrerer Umstände verschiedene Male schon wieder
auseinander gegangen.
Wie nun Pasimundas jetzt das große Fest bedachte,
mit dem er seine Hochzeit würde feiern müssen, hielt
er es für ratsam, um gleichen Kosten und Gastereien
für die Zukunft zu entgehen, den Hormisdas, wo
möglich, zugleich mitheiraten zu lassen. Zu dem Zwecke
knüpfte er die Unterhandlungen mit Gassandras Eltern
wieder an und führte sie so weit zum Ziele, daß an
demselben Tage, an dem Pasimundas mit Iphigenie
sich verbände, auch Hormisdas seine Hochzeit mit
Cassandra feiern sollte.
Dem Lysimachus mißfiel dieser Entschluß, der ihm
alle seine Hoffnungen zu rauben schien, aufs höchste;
denn bisher hatte er fortwährend gedacht, wenn Hor-
misdas sie nicht erhalte, werde sie ihm noch zuteil
werden. Verständig aber, wie er war, hielt er seinen
Unmut innerlich verborgen und dachte vielmehr dar-
über nach, wie er die Ausführung jener Pläne viel-
leicht noch hindern könne; doch wußte er keinen
möglichen Ausweg zu erkennen, als nur den einen,
sie zu rauben. Dies zu tun, schien ihm nun freilich
vermöge seines Amtes besonders leicht ; auf der anderen
Seite dünkte es ihm aber auch gerade wegen seiner
Würde desto unziemlicher. Endlich trug indessen nach
16
langem inneren Kampfe die Liebe über die Schick-
lichkeit den Sieg davon, und er beschloß, Cassandra
zu rauben, was immer daraus entstehen möchte. Und
während er über die Gehilfen, die er sich erwählen
mußte, und über die Art der Ausführung nachdachte,
erinnerte er sich des Gimon, den er mit seinen Ge-
fährten im Gefängnis hielt, und es leuchtete ihm ein,
daß er in dieser Angelegenheit keinen besseren und
treueren Gehilfen als eben den Cimon würde finden
können.
Zu dem Zwecke berief er ihn in der nächsten Nacht
heimlich auf sein Zimmer und begann folgendermaßen
zu ihm zu reden:
„Cimon, wie die Götter ihre Gaben gütig und frei-
gebig an die Menschen verteilen, so wissen sie auch
die Tugenden der Menschen auf das genaueste zu
prüfen und würdigen alsdann diejenigen, die sie
bei allem Wechsel des Schicksals standhaft und un-
erschütterlich finden, ihres höheren Wertes wegen
auch der Gelegenheit, sich noch höhere Verdienste
zu erwerben. Demnach haben sie denn auch von
deinen Tugenden gewichtigere Proben verlangt, als du
innerhalb der Mauern deines väterlichen Hauses, das,
wie ich höre, an Reichtümern Überfluß hat, deren
abzulegen imstande sein würdest. Zu Anfang haben
sie dich, wie man sagt, durch die stechenden Schmerzen
der Liebe vom unvernünftigen Tiere zum Menschen
gemacht; dann aber prüften sie, ob erst die Unglücks-
fälle und nun der harte Kerker deinen Mut gegen
die Zeit, wo du für kurze Stunden deiner gewonnenen
Beute froh warst, herabstimmen könnten.
„Bist du nun aber noch, der du warst, so sind sie
jetzt bereit, dir zu schenken, wogegen alles, was sie
III 2 17
dir bisher gewährten, verschwindet; und was dies sei,
das will ich, damit du deine gewohnte Kraft wieder
gewinnest und guten Muts werdest, jetzt dir sagen:
„Derselbe Pasimundas, dessen höchste Freude dein
Unglück ist und der mit aller Mühe dir den Tod zu
bereiten gesucht hat, beschleunigt jetzt, so sehr er
kann, seine Verbindung mit deiner Iphigenie, um der
Beute froh zu werden, die das Glück dir erst freund-
lich gewährt hatte und dann im schnellen Wechsel
seiner Laune dir wieder entzog. Wie sehr dich das
aber schmerzen muß, wenn anders du so, wie ich es
glaube, liebst, das empfinde ich an mir selber, dem
des Pasimundas Bruder Hormisdas in der Person der
Cassandra, die ich über alles liebe, an demselben Tage
gleiche Kränkung antun will.
„Um nun so hartem Geschick und so schwerem
Unrecht zu entgehen, hat das Glück uns, wie mir
dünkt, nur den einen Weg offen gelassen, den unsere
Tapferkeit und unser Mut uns mit dem Schwerte, dir
zu dem zweiten, mir aber zu dem ersten Raube
unserer beiderseitigen Damen bahnen soll. Ist dir also,
ich sage nicht deine Freiheit, denn ich vermute, daß
dir ohne Iphigeniens Besitz wenig daran gelegen sein
mag, wohl aber deine Dame lieb, so haben die
Götter jetzt dein Schicksal, wenn du dich an mein
Unternehmen anschließen willst, in deine eigenen
Hände gelegt."
Diese Worte gaben dem Gimon seinen verlorenen
Mut vollkommen wieder, und er antwortete, ohne sich
lange zu besinnen: „Lysimachus, wenn ich auf diesem
Wege das erlangen soll, wovon du mir sprichst, so
kannst du zu deinem Unternehmen weder einen
mutigeren noch einen zuverlässigeren Gehilfen finden.
18
Bestimme mir also nur, was du mir zu übertragen für
gut finden wirst, und du sollst sehen, daß ich es mit
mehr als natürlicher Kraft ausführen werde."
Darauf erwiderte Lysimachus: „Übermorgen werden
die neuvermählten Frauen ihren ersten Einzug in das
Haus ihrer Männer halten. Wir aber werden uns
gegen Abend, du mit den Deinigen und ich mit einer
Anzahl völlig zuverlässiger Gefährten, beiderseits be-
waffnet, dort einschleichen, die beiden Bräute mitten
von dem Gastmahl rauben und sie zu dem Schiffe
führen, das ich heimlich schon habe zurüsten lassen;
jeder aber, der sich uns zu widersetzen wagt, sei
des Todes!"
Cimon war mit diesen Anordnungen zufrieden und
kehrte bis zu der bestimmten Zeit ruhig in sein Ge-
fängnis zurück.
Glänzend und kostbar war am Hochzeitstage das Ge-
pränge, und überall im Hause der beiden Brüder
herrschte festliche Heiterkeit. Als die Zeit nun dem
Lysimachus gelegen schien, verteilte er den Cimon und
dessen Gefährten sowie seine eigenen Freunde, die
sämtlich unter den Kleidern Waffen trugen, nachdem
er sie zuvor mit vielen Worten zur Unternehmung an-
gefeuert hatte, in drei Haufen. Den einen hieß er sich
vorsichtig am Hafen aufstellen, damit niemand, wenn
es dazu gekommen wäre, sie hindern könnte, das
Schiff zu beseitigen. Den zweiten ließ er an der Haus-
tür, um sich zu versichern, daß sie nicht etwa ein-
geschlossen würden oder daß ihnen der Ausgang ver-
wehrt würde. Er selbst endlich ging mit Cimon und
den übrigen die Treppe hinauf, gerade in den Speise-
saal, wo sich die beiden Bräute mit noch vielen anderen
Damen schon in geziemender Ordnung zu Tische
19
niedergelassen hatten. Unsere beiden jungen Männer
aber traten dreist heran, stürzten die Tische um,
nahmen ein jeder die seinige und übergaben sie den
Armen ihrer Gefährten, damit diese sie augenblicklich
auf das segelfertige Schiff brächten.
Die beiden Bräute fingen zwar an zu weinen und
zu schreien, und die übrigen Damen und Diener nicht
minder, so daß das ganze Haus alsbald voller Lärmens
und voller Klagen war. Cimon und Lysimachus aber
zogen ihre Schwerter und bahnten sich so, ohne daß
jemand ihnen zu widerstehen gewagt hätte, den Weg
zu der Treppe. Als sie nun diese hinunterstiegen, be-
gegnete ihnen Pasimundas, der, einen großen Stock
in der Hand, auf den Lärm herbeieilte. Cimon traf
ihn indessen mit seinem Schwerte so gewaltig auf den
Kopf, daß er diesen wohl halb herunterhieb und Pa-
simundas ihm tot zu Füßen fiel.
Ebenso tötete ein zweiter Hieb des Cimon den
armen Hormisdas, der seinem Bruder zu Hilfe eilte;
auch noch mehrere andere, die herbeispringen wollten,
wurden von des Lysimachus' und des Cimon Gefährten
siegreich zurückgeschlagen. Diese aber gelangten von
dem Hause, das sie voller Blut, Geschrei, Wehklagen
und Trauer hinter sich ließen, dicht zusammengedrängt
und ohne auf ein Hindernis zu stoßen, mit ihrer Beute
glücklich zu dem Schiffe, hießen ihre Damen schnell
hineinsteigen, folgten ihnen selber mit allen den
Ihrigen nach und ruderten dann aus allen Kräften im
Angesicht zahlreicher Bewaffneter, die sich schon am
Ufer gesammelt hatten, um die Damen wieder zu be-
freien, glücklich ihren Hoffnungen entgegen.
In Kreta, wo sie von ihren vielen Freunden und
Verwandten auf das beste empfangen wurden, feierten
20
sie schnell unter großen Festlichkeiten die Verbindung
mit ihren Damen und genossen dann freudig ihrer
schönen Beute. In Cypern und in Rhodus wurde noch
lange Zeit viel Lärmens über diese kecke Tat ge-
macht, und an beiden Orten hatten sie ernstliche Un-
ruhen zur Folge. Endlich aber legten sich hier so-
wohl als dort die Freunde und Verwandten ins Mittel
und brachten es glücklich dahin, daß nach einigen
Jahren des Exils Cimon mit Iphigenie nach Cypern
und Lysimachus mit Cassandra nach Rhodus zurück-
kehren durften, worauf dann beide Paare lange noch
glücklich miteinander in ihrer Heimat lebten.
21
ZWEITE GESCHICHTE
Constanza liebt Martuccio Gomito und überläßt sich auf
die Nachricht von seinem Tode verzweifelt und allein einem
Kahne, den der Wind nach Susa führt. In Tunis findet sie
ihn lebendig wieder und gibt sich ihm, der durch die dem
König erteilten Ratschläge inzwischen dessen Gunst er-
worben hatte, zu erkerinen. Er heiratet sie und kehrt als
reicher Mann mit ihr nach Lipari zurück.
Als die Königin gewahr wurde, daß die Geschichte
des Pamfilo beendigt sei, sagte sie viel zu ihrem.
Lobe und trug alsdann Emilia auf, mit der Erzählung
einer anderen fortzufahren. Diese aber begann fol-
gendermaßen :
Billiger weise soll ein jeder sich über die Ereignisse
freuen, in denen er den Wünschen ihren entsprechen-
den Lohn folgen sieht. Da nun aber die Liebe auf
die Dauer viel mehr Freude als Betrübnis verdient,
so werde ich durch meine Erzählung über den jetzt
aufgegebenen Gegenstand viel lieber der Königin ge-
horchen, als ich es mit meiner vorigen dem Körnige tat.
Wisset denn, o zärtliche Mädchen, daß nicht weit
von Sicilien eine kleine Insel, Lipari benannt, ge-
legen ist, auf welcher vor noch nicht gar langer Zeit
eine wunderschöne Jungfrau lebte, die Constanza hieß
und angesehener Leute Tochter war. In diese nun
verliebte sich ein junger Mann von derselben Insel,
namens Martuccio Gomito, der mit feinen Sitten und
gefälligem Benehmen große Geschicklichkeit in seinem
Gewerbe verband. Nicht minder war aber auch das
Mädchen für ihn entbrannt, so daß sie keinen glück-
licheren Augenblick hatte, als wenn sie ihn sah. Mar-
tuccio, der sie zur Frau begehrte, ließ bei ihrem Vater
um ihre Hand anhalten; dieser antwortete indessen,
er sei arm, und darum wolle er sie ihm nicht geben.
22
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Tief gekränkt, daß er seiner Armut wegen ver-
schmäht worden war, verschwor Martuccio sich nun
mit einigen Freunden und Verwandten, nie anders
als reich nach Lipari zurückzukehren. So segelte er
denn von seiner Heimat ab und ging an den Küsten
der Berberei gegen einen jeden, der schwächer war als
er, auf Seeräuberei aus. Dabei wäre ihm dann auch
das Glück gar günstig gewesen, hätte er es nur über
sich gewinnen können, seinen Erfolgen ein Ziel zu
setzen. Weil er sich aber, so wenig wie die Seinigen,
mit den erworbenen großen Schätzen begnügen wollte
und übermäßigen Reichtum zu gewinnen begehrte, so
geschah es, daß sie eines Tages von mehreren sara-
zenischen Fahrzeugen überfallen und nach langem
Widerstände sämtlich gefangen wurden. Die Mehr-
zahl wurde von den Sarazenen ins Meer geworfen, das
Schiff versenkt, Martuccio selber aber nach Tunis ge-
führt und dort in langem Elende gefangen gehalten.
Inzwischen kam die Nachricht, daß alle, die sich mit
Martuccio auf jenem Schiffe befunden, ertränkt
worden seien, nicht etwa nur durch eine oder ein
paar Personen, sondern auf vielen verschiedenen
Wegen nach Lipari.
Das Mädchen aber, das schon über die Abreise ihres
Geliebten außerordentlich traurig gewesen war, weinte
nun, als sie vernahm, daß er mit den anderen um-
gekommen sei, lange Zeit und beschloß, nicht länger
zu leben. Da es ihr jedoch an Mut fehlte, sich selber
auf irgendeine Weise gewaltsam umzubringen, er-
dachte sie ein neues Mittel, sich den Tod zu geben.
Eines Nachts schlich sie sich heimlich aus dem
Hause ihres Vaters nach dem Hafen hin, wo sie zu-
fällig in einiger Entfernung von den übrigen einen
23
Fischerkahn fand, der, weil seine Besitzer ihn nur
eben erst verlassen hatten, mit Mast, Segel und Rudern
noch vollständig versehen war. Diesen bestieg sie so-
gleich und spannte, sobald sie sich mit den Rudern
ein wenig in das Meer hinausgearbeitet hatte, ver-
möge ihrer Geschicklichkeit in der Schiffahrt, die sie
mit der Mehrzahl der Bewohnerinnen jener Insel
einigermaßen teilte, die Segel auf, warf Steuer so-
wohl als Ruder fort und überließ sich dann dem
Winde mit der Überzeugung, daß das unbelastete und
lenkungslose Fahrzeug notwendig entweder umschlagen
oder auf einen Felsen geworfen und zerschmettert
werden würde, wo sie dann, selbst wenn sie sich retten
wollte, es nicht zu tun vermöchte, sondern ertrinken
müßte. Darauf hüllte sie den Kopf in ihren Mantel
und legte sich weinend auf den Boden des Nachens
nieder.
Alles dies aber ging anders aus, als sie es sich
vorgestellt hatte. Da nämlich der Wind gerade aus
Norden blies und ziemlich schwach war, auch das
Meer durchaus nicht hoch ging, so blieb das Schiffchen
unversehrt und wurde am nächsten Tage gegen Abend
wohl hundert Meilen über Tunis hinaus nicht weit von
der Stadt Susa ans Land getrieben. Constanza, die
die ganze Zeit ihr Haupt um keinerlei Anlaß er-
hoben hatte und auch ferner so zu tun gedachte, wurde
nicht gewahr, daß sie nun wieder am Lande statt auf
der See sei.
Zufällig war aber, gerade als der Kahn ans Ufer
stieß, dort ein armes Weib am Strande, das die zum
Trocknen ausgebreiteten Netze der Schiffer wieder
auflas. Als diese den Kahn erblickte, wunderte sie
sich, daß man ihn mit aufgezogenem Segel habe ans
24
Land laufen lassen. Da sie jedoch vermutete, die
Fischer darin möchten wohl schlafen, ging sie hin,
sie aufzuwecken. Sie fand aber niemand anders als
das Mädchen, das in festem Schlafe lag und erst nach
vielem Rufen wieder zu sich kam.
Inzwischen hatte das Fischerweib Gonstanza schon
an ihren Kleidern für eine Christin erkannt und fragte
sie deshalb auf italienisch, wie sie so allein in dem
Nachen dort angekommen sei. Als das Mädchen die
italienischen Worte vernahm, fürchtete sie, der Wind
möchte sich gewandt und sie nach Lipari zurück-
geführt haben. Schnell richtete sie sich auf, blickte
umher, und als sie sich nun am Lande sah und
dennoch die Gegend nicht kannte, fragte sie das gute
Weib, wo sie denn sei.
„Meine Tochter, du bist nicht weit von Susa in der
Berberei," entgegnete die Alte.
Das Mädchen betrübte sich bei dieser Nachricht sehr,
daß Gott ihr nicht den Tod habe senden wollen. Zu-
gleich fürchtete sie sich aber auch vor Schande, und
so setzte sie sich in völliger Ratlosigkeit bei ihrem
Kahne nieder und weinte. Dieser Anblick erbarmte
das gute Weib, und sie redete dem Mädchen so-
lange zu, bis diese ihr in ihre kleine Hütte folgte
und ihr dort nach vielem Bitten erzählte, auf
welche Weise sie an dieses Ufer gekommen sei. Da
nun jene durch diese Erzählung erfuhr, daß sie noch
nüchtern war, trug sie ihr hartes Brot und ein wenig
Fisch und Wasser auf und brachte es durch langes
Zureden endlich dahin, daß sie ein wenig davon zu
sich nahm.
Dann fragte Constanza das gute Weib, wer sie sei,
daß sie italienisch rede. Diese antwortete, sie sei von
25
Trapani, heiße Garapresa und bediene hier in Susa
einige christliche Fischer.
So betrübt das Mädchen war und so wenig sie selber
über das Gefühl sich Rechenschaft zu geben vermochte,
nahm sie doch den Namen Carapresa, sobald sie ihn
gehört hatte, für ein gutes Zeichen, fing, ohne zwar
zu wissen worauf, doch wieder zu hoffen an und ließ
in ihrem Todes verlangen ein wenig nach. Dem guten
Weibe entdeckte sie indessen weder wer noch woher
sie sei, sondern bat sie nur auf das herzlichste, um
Gottes willen Erbarmen mit ihrer Jugend zu haben
und ihr zu raten, wie sie den Beschimpfungen, denen
sie ausgesetzt sei, entgehen könne.
Carapresa, die ein wackeres Weib war, ging nach
diesen Worten, während das Mädchen in der Hütte
blieb, schnell die Netze heimzuholen und führte dann
sogleich Gonstanza, die sich in einen Mantel der Alten
ganz einhüllen mußte, nach Susa. Hier angelangt,
sagte sie: „Gonstanza, ich werde dich in das Haus
einer trefflichen Sarazenin bringen, die mir gar oft
allerhand Besorgungen aufträgt. Sie ist alt und mit-
leidigen Gemütes. Ihr werde ich dich empfehlen, so
sehr ich nur weiß und kann, und ich bin gewiß, daß
sie dich mit Freuden aufnehmen und gleich einer
Tochter behandeln wird. Du aber mußt, solange du
bei ihr sein wirst, nach Kräften dich bemühen, ihre
Zueignung durch deine Dienste zu gewinnen, bis Gott
dir einst ein besseres Los bereitet."
Das gute Weib tat, wie sie gesagt hatte. Als die Sara-
zenin, die schon bejahrt war, ihre Worte vernommen
hatte, betrachtete sie die Züge des jungen Mädchens
und fing zu weinen an. Dann küßte sie Constanzas
Stirn, ergriff sie bei der Hand und führte sie in ihr
26
Haus ein, in welchem sie mit einigen anderen Frauen
ohne männliche Gesellschaft wohnte und gemeinschaft-
lich mit ihnen mancherlei Handarbeiten aus Seide,
Palmblättern und Leder verfertigte. In wenigen Tagen
eignete sich das Mädchen diese Fertigkeiten an, so daß
sie an den Arbeiten der übrigen teilnehmen konnte,
und sie gewann sich nicht allein die Zueignung und
die herzliche Liebe der anderen in erstaunlichem
Maße, sondern sie lernte auch, von ihren Ge-
fährtinnen unterwiesen, in kurzer Zeit die Sprache
des Landes.
Während nun das Mädchen, das man inzwischen in
Lipari schon als verloren und gestorben beweint hatte,
noch in Susa verweilte, geschah es, daß ein junger
Fürst von Granada, der nicht nur große eigene Hilfs-
mittel, sondern auch eine angesehene Verwandtschaft
sein eigen nannte, unter dem Vorgeben, daß das König-
reich Tunis ihm zukomme, ein äußerst zahlreiches
Heer rüstete und mit diesem den damals regierenden
König von Tunis, der Mariabdela hieß, mit Krieg
überzog, um ihn aus seinem Reiche zu vertreiben.
Als diese Kunde dem Martuccio Gomito, der die Sprache
der Barbaresken wohl verstand, in seinem Gefängnisse
zu Ohren kam und als er vernahm, wie große Zu-
rüstungen der König von Tunis zu seiner Verteidigung
machte, sagte er zu einem der Leute, die ihn und seine
Leidensgefährten bewachten : „Könnte ich nur mit dem
Könige reden, so getraute ich mich wohl, ihm einen
Rat zu geben, der ihn in diesem Kriege zum Sieger
machen sollte."
Der Kerkerwächter sagte diese Worte seinem Be-
fehlshaber, und dieser berichtete sie alsbald dem Kö-
nige. Der König aber befahl, daß Martuccio vor ihn
27
gebracht werde, und fragte ihn alsdann, was für einen
Rat er zu erteilen habe.
„Herr," erwiderte er, „ habe ich zu anderen Zeiten,
als ich schon hier in Eurem Lande mich umgetan habe,
Eure Art zu kämpfen wohl erfaßt, so wendet Ihr in
Euren Schlachten Bogenschützen mehr als eine andere
Waffe an. Könnte man nun also ein Mittel ausfindig
machen, daß die Schützen Eures Feindes Mangel an
Pfeilen litten, während die Eurigen noch hinreichend
damit versehen wären, so, meine ich, müßte die
Schlacht für Euch gewonnen werden."
„Ohne Zweifel," entgegnete der König, „würde ich,
wenn sich das bewerkstelligen ließe, mich des Sieges
für gewiß halten."
Darauf antwortete Martuccio: „Mein Gebieter, wenn
Ihr wollt, läßt sich das allerdings erreichen, und ver-
nehmt nur, wie: Ihr müßt für Eure Schützen die
Bogensehnen um vieles dünner machen lassen, als sie
sonst allgemein gebräuchlich sind. Dazu laßt Ihr dann
Pfeile anfertigen, deren Kerben sich nur bei so dünnen
Sehnen gebrauchen lassen. Das alles muß aber so ge-
heim geschehen, daß Eurem Feinde nichts davon zu
Ohren kommt und er daher keine Vorkehrungen
treffen kann. Der Zweck aber, den ich durch diese An-
stalten erreichen will, ist folgender : Wenn die Schützen
Eures Feindes ihre Pfeile abgeschossen haben werden,
und ebenso Eure die ihrigen, müssen, wie Ihr wißt, im
ferneren Verlaufe der Schlacht die Feinde die Ge-
schosse aufsammeln, die die Eurigen versandt haben,
und dagegen die Eurigen die Pfeile der Feinde. Dann
aber werden Eure Gegner die Pfeile, die die Euren
abgeschossen haben, nicht gebrauchen können, weil die
dicken Sehnen ihrer Bogen die kleinen Kerben Eurer
28
Pfeile nicht zu fassen imstande sind, während umge-
kehrt den Eurigen bei ihren feinen Sehnen die weit-
gekerbten Pfeile der Feinde treffliche Dienste leisten
werden. So werden dann also Eure Schützen reichlich
Geschosse haben, wenn die anderen schon gänzlichen
Mangel daran leiden."
Dem Könige, der ein verständiger Herr war, leuchtete
der Rat des Martuccio ein, und in der Tat trug er
auch durch dessen Befolgung den Sieg über seine
Feinde davon. Natürlich gelangte Martuccio dadurch
in seine besondere Gunst und gewann Ansehen und
Reichtümer.
Das Gerücht von diesen Ereignissen ging durch das
Land, und auch zu Gonstanzas Ohren kam die Nach-
richt, daß Martuccio, den sie lange für tot gehalten
hatte, noch am Leben sei. Da entzündete sich die
Liebe für ihn, die in ihrem Herzen schon minder
heftig zu brennen angefangen hatte, plötzlich zu neuen
gewaltigen Flammen und erweckte die schon ver-
blichene Hoffnung aus ihrem Todesschlaf. So ent-
schloß sie sich denn, der trefflichen Frau, bei der sie
wohnte, ihr ganzes Schicksal vollständig zu eröffnen,
und sagte ihr, daß sie nach Tunis zu reisen wünsche,
um dort die Augen an dem Anblick zu sättigen, zu
dem durch die vernommenen Kunden die Ohren ihr
Verlangen aufs neue geweckt hätten.
Die wackere Dame billigte vollkommen ihren Ent-
schluß, machte sich mit der Sorgsamkeit einer Mutter
zu Schiffe mit ihr auf den Weg nach Tunis, und
beide wurden dort in dem Hause einer Verwandten
ehrenvoll aufgenommen.
Kaum angelangt, sandte Constanza die Carapresa,
von der sie ebenfalls sich hatte begleiten lassen, aus,
29
um Nachrichten über Martuccio einzuziehen, worauf
diese schnell die Kunde von seinem Leben und dem
großen Ansehen, in dem er stehe, zurückbrachte.
Die edle Sarazenin ließ es sich nicht nehmen, dem
Martuccio die erste Nachricht zu geben, daß seine Con-
stanza nach Tunis gekommen sei, um ihn zu suchen.
So ging sie denn eines Tages in die Wohnung des
jungen Mannes und sagte zu ihm: „Martuccio, einer
von deinen Dienern, der aus Lipari kommt, ist bei
mir eingekehrt und wünscht insgeheim mit dir zu
reden. Und weil ich, seinen Wünschen gemäß, es nie-
mand anderem anvertrauen wollte, bin ich selber ge-
kommen, um dir die Nachricht zu bringen."
Martuccio dankte ihr für ihre Gefälligkeit und suchte
sie bald darauf in ihrer Wohnung auf. Als das Mäd-
chen ihren Geliebten wiedersah, fehlte wenig, daß sie
nicht vor Freuden gestorben wäre. Ihrer selbst nicht
mehr mächtig, fiel sie ihm mit offenen Armen um den
Hals. Das Nachgefühl der vergangenen Leiden und das
gegenwärtige Glück machte sie stumm, und sie brach
in einen Strom von Tränen aus.
Auch der Jüngling schwieg bei dem Anblick des
Mädchens vor Erstaunen eine Weile, dann aber sagte
er mit einem Seufzer: „Ach, meine Gonstanza, so
bist du denn noch am Leben ! Schon lange Zeit ist
es her, seit ich hörte, du seiest verschwunden und
man wisse auch in unserer Heimat nicht, was aus dir
geworden sei."
Und mit diesen Worten umarmte und küßte er sie
unter heißen Tränen. Gonstanza erzählte ihm darauf
alle ihre Schicksale und mit welcher Aufmerksamkeit
sie von der Dame, bei der sie die Zeit über gewohnt
habe, behandelt worden sei.
3o
Sobald Martuccio sich endlich nach langem Ge-
spräche von seiner Geliebten getrennt hatte, ging er
zum König, seinem Herrn, berichtete ihm alles, was
ihm und dem Mädchen begegnet war, und fügte hinzu,
wie er, seine Zustimmung vorausgesetzt, sie nach
christlichem Gebrauch zu heiraten gesonnen sei. Der
König ließ, nicht wenig über die vernommenen Ereig-
nisse erstaunt, das Mädchen zu sich rufen, und als sie
ihm die Erzählung des Martuccio völlig bestätigte,
sagte er: „Nun, so hast du ihn dir denn wohl zum
Manne verdient."
Darauf mußten auf seinen Befehl köstliche und er-
lesene Geschenke herbeigebracht werden, die er unter
Martuccio und Gonstanza verteilte; zugleich gab er
beiden freie Hand, über ihre fernere Bestimmung
nach Wohlgefallen zu verfügen.
Martuccio erwies der trefflichen Dame, die Con-
stanza so lange bei sich beherbergt hatte, noch viel
Ehrerbietung und dankte ihr für alle Freundschaft
und Liebe, die sie dem Mädchen erwiesen hatte, teils
durch Worte und teils durch Geschenke, wie sie sich
für sie ziemten, worauf diese nicht ohne Tränen von
Constanza Abschied nahm. Dann bestiegen sie, mit des
Königs Erlaubnis und von Carapresa begleitet, ein
kleines Schiff und kehrten mit günstigem Winde heim
nach Lipari, wo sie mit größerer Freude aufge-
nommen wurden, als sich in Worten würde beschreiben
lassen. Hier feierte Martuccio bald seine Vermählung
mit großen Feierlichkeiten; dann aber genossen beide
in Frieden und Freude noch lange die Seligkeit ihrer
Liebe.
3i
DRITTE GESCHICHTE
Petro Boccamazza flieht mit Agnolella und stoßt auf Räuber.
Das Mädchen flüchtet in einen Wald und wird von dort
nach einer Burg geführt. Petro fällt gefangen in die Hände
der Räuber, entgeht ihnen aber wieder und gelangt endlich,
nachdem er noch andere Gefahren überstanden, in dieselbe
Burg, wo Agnolella sich schon befindet. Dort vermählt er
sich mit ihr, und beide kehren nach Rom zurück.
Keiner war in der ganzen Gesellschaft, der nicht
über Emilias Geschichte seinen Beifall ausgesprochen
hätte; die Königin aber wandte sich, als sie jene am
Ziele sah, zu Elisa und gebot ihr fortzufahren. Elisa
gehorchte willig und begann also:
Holde Damen, ich entsinne mich einer traurigen
Nacht, die ein junges Paar durch seinen Leichtsinn
durchzumachen hatte; weil ihr aber dann viele frohe
Tage nachfolgten, will ich Euch die Geschichte, unserer
Aufgabe entsprechend, kurz erzählen.
Vor kurzem lebte in Rom, das, wie es einst das
oberste Haupt der Welt war, so jetzt ihr niedrigstes
Ende ist, ein junger Mann, namens Pietro Boccamazza,
der zu einer der angeseheneren römischen Familien ge-
hörte. Dieser verliebte sich in ein wunderschönes und
reizendes Mädchen, das Agnolella hieß und die Tochter
eines gewissen Gigliuozzo Saullo war, der, wenngleich
von geringer Herkunft, doch bei den Römern äußerst
beliebt war. Auch wußte der Verliebte sich auf so ge-
fällige Weise um ihre Gunst zu bewerben, daß das
Mädchen ihn nicht weniger zu lieben begann, als sie
von ihm geliebt wurde. Endlich fühlte sich Pietro von
seiner glühenden Liebe so überwältigt, daß er sich un-
fähig glaubte, den Qualen des Verlangens nach dem
Gegenstande seiner Leidenschaft ferner zu wider-
stehen, und um die Hand des Mädchens anhielt.
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Als aber seine Verwandten Nachricht von diesem
Schritt erhalten hatten, bestürmten sie ihn alle und
tadelten ihn laut wegen seines Entschlusses. Auf der
anderen Seite aber ließen sie auch dem Gigliuozzo
Saullo sagen, er solle den Worten des Pietro auf keine
Weise Gehör geben, und wenn er es dennoch tue,
würden sie ihn niemals als ihren Freund oder Ver-
wandten anerkennen.
Als Pietro sich auf solche Weise den Weg ver-
schlossen sah, auf dem er allein an das Ziel seiner
Wünsche kommen zu können geglaubt hatte, wünschte
er sich vor Gram den Tod. Gerne würde er, wenn nur
Gigliuozzo eingewilligt hätte, dessen Tochter auch gegen
den Wunsch aller seiner Anverwandten geheiratet
haben. Aber, selbst ohne das, nahm er sich vor, wenn
nur das Mädchen wollte, zu erreichen, was er begehrte;
und als er durch einen dritten erforscht hatte, daß das
Mädchen einwilligte, verabredete er sich mit ihr, aus
Rom zu entfliehen.
Nachdem alles zu dem Zwecke vorbereitet war, ver-
ließ Pietro eines Morgens lange noch vor Tagesanbruch
seine Wohnung und schlug mit seiner Geliebten, als
beide zu Pferde gestiegen waren, den Weg nachAnagni
ein, wo Pietro Freunde hatte, auf die er sich gänzlich
verlassen zu können glaubte. Unterwegs ließ ihnen
die Furcht, daß man sie verfolgen möchte, keine Zeit,
ihre Hochzeit zu vollziehen, und so konnten sie denn
unter fortwährenden Gesprächen über ihre Liebe nichts
tun, als zuweilen einander küssen.
Weil aber Pietro mit dem Wege nicht allzu bekannt
war, schlugen sie, nachdem sie vielleicht acht Meilen
von Rom aus zurückgelegt hatten, einen Weg nach
links ein, während sie sich rechts hätten halten sollen.
III 3 33
Und kaum waren sie auf diesem weiter als zwei
Meilen geritten, so befanden sie sich in der Nähe eines
befestigten Gebäudes, von welchem aus man sie nicht
sobald gesehen hatte, als auch schon ein Dutzend Be-
waffneter herauskam, um ihnen den Weg zu ver-
sperren.
Das Mädchen, dessen sie zuerst, aber doch nicht eher
gewahr wurden, als bis beide ihnen schon ganz nahe
waren, rief laut: „Pietro, retten wir uns, wir werden
überfallen," und mit diesen Worten trieb sie ihr
Pferd, so schnell sie nur konnte, nach einem benach-
barten großen Wald zu und drückte dabei, während
sie mit beiden Händen sich fest an dem Sattelknopf
hielt, dem Rosse die Sporen so tief in den Leib, daß
dieses sie, von Schmerz beflügelt, im schnellsten Laufe
durch den Wald dahintrug. Da indessen Pietro seine
Augen mehr auf die Züge der Geliebten als auf den
Weg gerichtet hatte, so hatte er den bewaffneten
Haufen, der auf sie zukam, nicht sobald erblickt als
jene und wurde daher, während er sich noch umsah,
von welcher Seite die Räuber denn kämen, von ihnen
überfallen, gefangen und seines Pferdes beraubt.
Als er nun auf ihre Frage sich ihnen genannt hatte,
hielten sie untereinander Rat über ihn, und der eine
sagte zum anderen: „Der gehört zu den Freunden
unserer Feinde; was können wir besseres mit ihm an-
fangen, als daß wir seine Kleider und das Pferd be-
halten und ihn dann den Orsini zum Verdruß an eine
dieser Eichen hängen?"
Alle stimmten diesem Vorschlag zu und befahlen
daher dem Pietro, sich zu entkleiden. Während aber
dieser in der Todesangst sich anschickte, ihren Befehlen
zu gehorchen, geschah es, daß ein Hinterhalt von wohl
34
einem Viertelhundert Bewaffneter plötzlich mit dem
Rufe: „Ihr seid des Todes!" über jene ersten herfiel.
Diese nun ließen im Schrecken wegen des Überfalls
den Pietro los und wandten sich gegen die Angreifen-
den, vor deren offenbarer Überzahl sie jedoch bald
die Flucht ergriffen, auf der jene sie verfolgten.
Als Pietro sich auf diese Weise frei sah, suchte er
sich seine Sachen wieder zusammen, bestieg sein Pferd
und jagte, so schnell er konnte, nach der Seite hin,
wo er das Mädchen hatte verschwinden sehen. Da er
aber in dem Walde weder Weg noch Pfad, noch auch
Huftritte eines Pferdes entdecken konnte, fing er,
sobald er sich sowohl den Händen derer, die ihn ge-
fangen hatten, als der anderen, die jene überfallen
hatten, erst sicher entronnen glaubte, über alle Maßen
traurig zu weinen an.
In allen Richtungen durch den Wald hin rief er
nach seinem Mädchen, doch niemand gab ihm Ant-
wort. Zurückzukehren getraute er sich nicht, und doch
wußte er auch nicht, wohin er geraten könnte, wenn er
vorwärts ginge. Zugleich aber erschreckten ihn die
wilden Tiere, die in den Wäldern zu weilen pflegen,
um seiner selbst und um seines Mädchens willen, das
er in Gedanken jeden Augenblick von einem Bären
oder Wolfe erwürgt werden sah. So trieb der un-
glückliche Pietro sich den ganzen Tag unter Rufen und
Wehklagen in dem Walde umher, wobei es denn oft ge-
schah, daß er in die Richtung, woher er gekommen war,
zurückkehrte, während er vorwärts zu reiten glaubte.
Endlich fühlte er sich von dem lauten Rufen, von
dem Weinen, der ausgestandenen Angst und dem
langen Fasten so angegriffen, daß er nicht mehr von
der Stelle konnte. Als nun auch die Nacht anbrach,
35
stieg Pietro, der sich auf keinerlei Weise anders zu
raten und zu helfen wußte, von dem Pferde, band
dieses an eine hohle Eiche und kletterte dann, um
nur nicht von den wilden Tieren zerrissen zu werden,
auf die Äste. Bald darauf ging der Mond auf, und
der Himmel war schön und hell; Pietro aber enthielt
sich aus Furcht, herunterzustürzen, des Schlafes, ob-
gleich ihn auch in der sichersten und bequemsten
Stellung sein Gram und seine Sorgen um das Mädchen
kaum hätten schlafen lassen, und so verbrachte er
unter Seufzen, Tränen und Verwünschungen seines
Mißgeschickes wachend die ganze Nacht.
Inzwischen war das Mädchen, wie wir schon oben
erzählt haben, ohne einer anderen Richtung zu folgen,
als der, in welcher sie das Pferd nach eigener Lust
davontrug, so weit in den Wald geflohen, daß sie die
Stelle, wo sie hineingekommen war, nicht mehr er-
kennen konnte. Und so verbrachte denn auch sie, bald
verweilend und bald umherirrend, bald rufend und
bald ihr Unglück mit tausend Tränen beweinend, den
ganzen Tag in dieser waldigen Wildnis. Wie sie nun,
als es schon Abend wurde, Pietro immer noch nicht
kommen sah, schlug sie einen kleinen Pfad ein, den
sie gewahr geworden war. Das Pferd verfolgte die
Spur, und als sie etwas über zwei Meilen weit ge-
ritten war, erblickte sie von ferne ein kleines Häus-
chen. Sie eilte, dies so schnell als möglich zu er-
reichen, und fand es von einem wackeren alten Manne
und von seiner ebenfalls betagten Frau bewohnt.
Als diese sahen, daß sie allein sei, sagten sie: „Ach,
Tochter, was tust du um diese späte Stunde so allein
hier im Freien?"
Das Mädchen erwiderte weinend, daß sie ihren Ge-
36
fährten im Walde verloren habe, und fragte dann, wie
weit es noch bis Anagni sei.
„Meine Tochter," antwortete der gute Mann, „hier
geht der Weg nach Anagni nicht vorüber, und es
sind mehr als ein Dutzend Meilen bis dorthin."
Darauf sagte das Mädchen: „Sind denn nicht wenig-
stens Häuser hier in der Nähe, wo man beherbergt
werden kann?"
Der gute Mann aber entgegnete: „Keines so nahe,
daß du es noch vor Nacht erreichen könntest."
„Wenn ich denn nirgends anders unterkommen
kann," erwiderte das Mädchen, „würdet also Ihr wohl
so freundlich sein, mich diese Nacht aus Barmherzig-
keit bei Euch zu behalten?"
Darauf antwortete der gute Mann: „Mein Kind, es
soll uns lieb sein, wenn du diese Nacht bei uns bleibst;
doch wollen wir dir im voraus bemerken, daß übel-
gesinnte Heerhaufen der einen wie der anderen Partei
bei Tage und bei Nacht diese Gegenden zu durch-
streifen pflegen und uns gar häufig großen Schaden
und Verdruß antun. Würden wir nun zum Unglück,
während du hier bist, von einer solchen Bande heim-
gesucht, so würden sie dir um deiner Schönheit und
Jugend willen gewiß Schaden und Schande antun,
ohne daß wir dich im mindesten zu schützen ver-
möchten. Das haben wir dir im voraus sagen wollen,
damit du, wenn es wirklich geschehen sollte, dich
nachher nicht über uns beschweren könntest."
So sehr die Worte des alten Mannes das Mädchen
erschreckten, so sagte sie dennoch in Anbetracht der
späten Stunde: „Gott wird, wenn es ihm gefällt, Euch
und mich vor solchem Unglück schützen. Ist es aber
über uns verhängt, so ist es immer noch besser, von
37
den Menschen mißhandelt, als im Walde von den
wilden Tieren zerrissen zu werden."
Mit diesen Worten stieg sie vom Pferde, trat in
das Haus des armen Mannes ein und teilte das spär-
liche Abendessen der guten Leute. Dann legte sie sich,
angekleidet wie sie war, mit ihnen auf ihre kleine
Lagerstätte und fand die ganze Nacht über kein Ende,
zu seufzen und neben ihrem eigenen Unglück das des
Pietro zu beweinen, für den sie sich ja auch nichts
anderes als das schlimmste denken konnte.
Als es schon gegen Morgen war, hörte sie die Tritte
von einer Menge Leute immer näher kommen. Besorgt
vor der drohenden Gefahr, erhob sie sich still von
ihrem Lager, ging in den weiten Hofraum, der hinter
dem Häuschen gelegen war, und verbarg sich dort in
einem großen Heuhaufen, den sie in dem einen Winkel
liegen sah, um, wenn die Leute auch dorthin kommen
sollten, doch nicht sobald von ihnen gefunden zu
werden. Kaum hatte sie sich indessen versteckt, als
jene, die einen großen Heerhaufen bösen Raubgesindels
bildeten, auch schon bei dem Häuschen angelangt
waren und sich die Tür öffnen ließen. Als sie nun
eintraten und das Pferd des Mädchens noch völlig
gesattelt und gezäumt sahen, fragten sie, wer denn
da sei.
Da der gute Mann das Mädchen nicht mehr sah,
antwortete er: „Niemand, als wir selber. Jenes Pferd
aber, das der Himmel weiß wem entlaufen sein mag,
hat sich gestern abend hier eingefunden, und da haben
wir es denn ins Haus geführt, damit die Wölfe es
nicht fressen sollten."
„Wenn es denn keinen Herrn hat," sagte der älteste
von jenem Gesindel, „so wird es gut für uns sein."
38
Nach diesen Worten verteilten sie sich, das ganze
kleine Haus zu durchsuchen; einige besichtigten auch
den Hof und legten der größeren Bequemlichkeit
wegen Lanzen und Schilde ab. Dabei geschah es aber,
daß einer, ohne zu wissen, was er tat, seine Lanze
in jenen Heuhaufen warf und dadurch auf ein Haar
den Tod des verborgenen Mädchens oder doch wenig-
stens ihre Entdeckung herbeigeführt hätte, denn die
Lanze drang noch mit solcher Kraft bis in die Gegend
ihrer linken Brust, daß die eiserne Spitze ihr die
Kleidungsstücke zerriß und das arme Mädchen, aus
Furcht, verwundet zu werden, schon im Begriff war,
einen lauten Schrei auszustoßen, als sie noch zur
rechten Zeit bedachte, wo sie sei, und sich hinläng-
lich zusammennahm, um still zu schweigen.
Als nun das Gesindel, der eine hier, der andere da,
ihre Zicklein und allerlei anderes Fleisch gebraten
und dann gegessen und getrunken hatten, gingen sie
ihren ferneren Unternehmungen nach und führten das
Pferd des Mädchens mit sich hinweg. Erst nachdem
sie schon eine gute Strecke entfernt waren, fragte der
gute Mann seine Frau: „Was ist denn aber nur aus
dem Mädchen geworden, das gestern abend bei uns
einkehrte? Ich habe es doch heute morgen, seit wir
aufgestanden sind, nicht mehr gesehen?"
Die Frau erwiderte, sie wisse es nicht und ging,
sich nach ihr umzusehen; das Mädchen aber, das sich
inzwischen überzeugt hatte, daß jene abgezogen seien,
machte sich aus dem Heu wieder hervor.
Der gute Mann freute sich sehr, daß sie dem Ge-
sindel nicht in die Hände gefallen war, und sagte, als
es schon zu dämmern begann: „Nun der Tag anbricht,
wollen wir, wenn es dir recht ist, dich zu einer Burg
39
geleiten, die nicht weiter als fünf Miglien von hier
gelegen ist und dir völlige Sicherheit gewähren wird.
Du wirst den Weg aber schon zu Fuß machen müssen,
da das böse Volk, das eben hier war, dein Pferd mit-
genommen hat."
Das Mädchen beruhigte sich leicht über diesen Ver-
lust und bat die guten Leute um Gottes willen, sie
nach jener Burg zu führen, und so machten sie sich
denn auf den Weg und langten noch vor der zweiten
Tagesstunde dort an. Die Burg gehörte aber einem
Verwandten der Orsini, namens Liello von Campo
di Fiore, und es traf sich, daß seine Frau, eine vor-
treffliche und fromme Dame, eben um jene Zeit dort
war. Als diese das Mädchen erblickte, erkannte sie
sie sogleich, empfing sie auf das freundlichste und
verlangte den ganzen Zusammenhang der Ereignisse
zu hören, die sie dorthin geführt hätten.
Das Mädchen erzählte ihr alles, und die Dame, der
auch Pietro als ein Freund ihres Mannes bekannt war,
betrübte sich über diesen Unfall, da sie aus der Be-
schreibung des Ortes, wo er gefangen worden war, mit
Gewißheit schließen zu müssen glaubte, daß man ihn
umgebracht haben werde. Deshalb sagte sie denn zu
dem Mädchen: „Da du nun doch nicht weißt, was
aus Pietro geworden ist, so bleibe hier bei mir, bis
ich Gelegenheit finde, dich auf sichere Weise nach
Rom zu schicken."
Während indessen Pietro in grenzenloser Betrübnis
noch auf seiner Eiche saß, sah er um die Zeit, da
andere Leute kaum eingeschlafen zu sein pflegen, wohl
zwanzig Wölfe durch den Wald herankommen, welche
sich sämtlich an sein Pferd machten, sobald sie es
gewahr geworden waren. Als das Pferd sie witterte,
4o
zerriß es gewaltsam die Zügel, mit denen es an-
gebunden war und suchte zu entfliehen. Da die Wölfe
es aber von allen Seiten umringten und die Flucht
ihm abschnitten, verteidigte es sich eine lange Weile
mit Hufen und Zähnen, bis es endlich dennoch von
ihnen zu Boden geworfen, erwürgt und sogleich in
Stücke zerrissen wurde. Die Wölfe verschlangen das
Fleisch, ohne etwas anderes als die Knochen zurück-
zulassen, und liefen dann wieder weiter. Pietro, der
das Pferd als seinen Leidensgefährten betrachtet hatte,
der ihm seine Mühseligkeiten erleichtern half, ent-
setzte sich nicht wenig über diesen Anblick und gab
nachgerade alle Hoffnung auf, aus diesem Walde
wieder herauszukommen. Wie er sich nun immer
forschend nach allen Seiten umsah, erblickte er schon
in der Morgendämmerung in einer Entfernung von
etwa einer Miglie ein großes Feuer. Kaum erwartete
er nach dieser Entdeckung den hellen Tag, um, nicht
ohne große Angst, von seiner Eiche herabzusteigen
und die Richtung des Feuers zu verfolgen.
Als er es endlich erreicht hatte, fand er Hirten
ringsumher gelagert, die ihr Frühstück fröhlich ver-
zehrten und ihn mitleidig aufnahmen. Sie hießen ihn
mit essen und sich wärmen, worauf er ihnen sein
Mißgeschick erzählte und wie er allein dorthin ge-
raten sei, und sie fragte, ob denn kein Landgut oder
keine Burg in der Nähe sei, wohin er sich wenden
könne. Die Hirten sagten ihm, daß etwa drei Miglien
von dort entfernt eine Burg des Liello von Campo
di Fiore sei, auf der die Frau des Besitzers sich eben
befinde. Erfreut über diese Nachricht, bat Pietro, daß
jemand von ihnen ihn bis zu der Burg begleiten möge,
und sogleich fanden zwei sich gern dazu bereit.
4i
Während nun Pietro, sobald er auf der Burg an-
gelangt war, durch ein paar Bekannte, die er dort an-
traf, noch zu bewirken suchte, daß das Mädchen in
dem Walde gesucht würde, ließ die Frau des Hauses
ihn zu sich rufen. Er verfehlte nicht sogleich zu ge-
horchen, und unbeschreiblich groß war seine Freude,
als er Agnolella bei ihr fand. Kaum wußte er sich zu
bezwingen, daß er ihr nicht gleich um den Hals fiel,
und nur die Srfieu vor der Dame vermochte ihn daran
zu hindern. War er aber voller Freude, so fühlte sich
das Mädchen nicht weniger glücklich.
Als nun die Dame ihn mit vieler Höflichkeit bei
sich aufgenommen und alles, was sich zugetragen, von
ihm gehört hatte, tadelte sie ihn sehr, daß er sich
gegen den Willen seiner Angehörigen vermählen wolle.
Als sie jedoch gewahr wurde, daß er durch das alles
in seinem Entschlüsse durchaus nicht wankend war
und daß auch das Mädchen gleiche Wünsche hegte,
sagte sie: „Was gebe ich mir viel Mühe? Sie lieben
sich, sie kennen sich, beide sind gleichmäßig mit
meinem Manne befreundet, ihre Wünsche sind der
Sittsamkeit nicht zuwider, und ich muß wohl glauben,
daß Gott seinen Willen dazu gegeben hat, da er den
einen vom Galgen, die andere vom Lanzenstich und
beide vor den wilden Tieren gerettet hat. So möge es
denn in Gottes Namen geschehen."
Darauf fügte sie, zu jenen beiden gewandt, hinzu:
„Ist es denn noch immer euer Wille, Mann und Frau
zu werden, so gebe ich auch den meinigen darein,
und die Hochzeit soll hier auf Liellos Kosten gefeiert
werden. Dann werde ich euch auch mit euren An-
gehörigen schon wieder versöhnen."
Pietro war entzückt über diesen Entschluß, und
Agnolella war es womöglich noch mehr. Die Hochzeit,
zu der die edle Dame die Festlichkeiten so gut ver-
anstaltet hatte, als es sich dort im Gebirge nur irgend
machen ließ, wurde auf der Burg gefeiert, wo denn
die beiden Liebenden mit unbeschreiblicher Lust die
ersten Freuden der Liebe kosteten. Einige Tage darauf
stieg die Dame mit den beiden zu Pferde, und sie
ritten unter guter Bedeckung zusammen nach Rom
zurück, wo sie die Angehörigen Pietros zwar über alles,
was er getan hatte, sehr erzürnt fand, dennoch aber
bald darauf dazu gelangte, den Frieden wiederherzu-
stellen. Und von der Zeit an lebte Pietro mit seiner
Agnolella in Ruhe und in Freuden bis zu ihrem
weiteren Alter.
43
VIERTE GESCHICHTE
Ricciardo Manardi wird von Messer Lizio da Valbona bei
der Tochter des letzteren betroffen. Er heiratet indessen
das Mädchen und söhnt sich mit ihrem Vater wieder aus.
Als Elisa schwieg und den Lobsprüchen zuhörte,
welche die Gefährtinnen ihrer Geschichte erteilten,
hieß die Königin den Filostrato mit einer anderen
fortfahren. Dieser aber begann mit lachendem Munde:
Ihr habt mich fast alle so oft gescholten, daß meine
Aufgabe, Geschichten traurigen Inhalts, über den ihr
weinen mußtet, herbeigeführt habe, daß ich nun, um
e^uch einigermaßen für jene Schmerzen zu entschädi-
gen, mir selber auferlegen will, euch mit etwas zu
unterhalten, das euer Zwerchfell ein wenig erschüttere.
Zu dem Zwecke denke ich denn in einem kurzen Ge-
schichtchen euch von einer Liebe zu erzählen, die
ohne anderes Ungemach als vorübergehende Seufzer
und ein wenig mit Scham verbundene Angst erfahren
zu haben, zu fröhlichem Ende gediehen ist.
Es ist noch nicht gar lange her, ihr edlen Damen,
daß in der Romagna ein gar wackerer und wohl-
gesitteter Ritter, Messer Lizio da Valbona, lebte, den
Madonna Giacomina, seine Ehefrau, als er schon ziem-
lich bejahrt war, noch mit einer Tochter beschenkte,
welche, als sie heranwuchs, schöner und anmutiger
wurde als alle anderen Mädchen in der ganzen Um-
gegend. Auch hatten Vater und Mutter, weil ihnen
nur dieses einzige Kind geblieben war, sie über die
Maßen lieb und wert und bewachten sie in der Meinung,
dereinst durch sie noch gar einen vornehmen Schwieger-
sohn zu bekommen, mit unglaublicher Sorgfalt.
Nun besuchte ein junger Mann von schönem und
frischem Aussehen, der zu der Familie Manardi in
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ßrettinoro gehörte und Ricciardo hieß, häufig das
Haus des Herrn Lizio und verweilte oft längere Zeit
daselbst. Vor diesem aber hüteten weder Messer Lizio
noch seine Frau das Mädchen mit größerer Vorsicht,
als sie es vor ihrem eigenen Sohne getan haben würden.
Der junge Mann wurde indessen, nachdem er das
nun reif gewordene Mädchen einige Male beobachtet
hatte, gewahr, wie schön, wie anmutig, wie gesittet
und wohlerzogen sie sei, und verliebte sich auf das
feurigste in sie, hielt jedoch seine Liebe mit der
größten Sorgfalt verborgen. Dennoch erriet das
Mädchen schnell seine Gefühle und entsprach den-
selben, weit entfernt, sie von sich abzulehnen, zu
Ricciardos größter Freude durch gleiche Gegenliebe.
Oftmals hatte er schon von seiner Liebe zu ihr
sprechen wollen, und immer hatte er aus Scheu doch
wieder geschwiegen. Endlich nahm er eines Tages seine
Zeit wahr, faßte sich ein Herz und sagte zu ihr:
„Caterina, ich bitte dich, laß mich nicht vor Liebe
sterben !"
Das Mädchen antwortete sogleich: „Wollte Gott, du
tätest es mir nicht noch ärger an!"
Diese Antwort freute und ermutigte den Ricciardo
so sehr, daß er erwiderte: „An mir soll es gewiß nie
liegen, alles zu tun, was dir willkommen ist. Du aber
vermagst die Mittel auszufinden, die uns beiden das
Leben wiedergeben können."
„Ricciardo," entgegnete das Mädchen, „du siehst
wohl, wie sehr ich bewacht werde. Ich weiß nicht,
wie es anzustellen wäre, daß du zu mir kommen
kannst; weißt du aber ein Mittel, wie es ohne meine
Schande geschehen könnte, so will ich gern tun, was
du verlangst."
45
Ricciardo hatte zu dem Zwecke schon allerhand
überdacht und antwortete nun sogleich: „Meine süße
Caterina, auch ich weiß kein Mittel, als wenn du
auf dem Erker, der nach dem Garten deines Vaters
hinausgeht, schlafen oder wenigstens nachts dorthin
kommen könntest. Wüßte ich dann, daß du da wärest,
so würde ich, so hoch es auch ist, doch auf jeden
Fall schon sehen, daß ich hinaufkommen könnte."
Darauf erwiderte Caterina: „Wenn du dich denn
getraust hinaufzukommen, so denke ich, es soll mir
schon gelingen, daß ich dort schlafen darf."
Nachdem Ricciardo das noch einmal bejaht hatte,
küßten sie sich ein einziges Mal gar flüchtig und
trennten sich alsdann.
Nun war der Mai schon nahe und am anderen Tage
fing das Mädchen an, sich gegen ihre Mutter gewaltig
zu beklagen, daß sie die vergangene Nacht vor über-
mäßiger Hitze nicht habe schlafen können.
„Wie, meine Tochter," erwiderte die Mutter, „warm
wäre es gewesen? Im Gegenteil, es war ja eher kühl."
Caterina aber antwortete: „Mutter, Ihr solltet lieber
reden wie ich, dann würdet Ihr wohl die Wahrheit
sagen; auf jeden Fall aber solltet Ihr bedenken, daß
junge Mädchen mehr innere Wärme haben als bejahrte
Frauen."
Darauf sagte die Mutter: „Darin hast du freilich
recht, mein Kind, ich kann nun aber doch einmal
warm und kalt nicht nach Belieben machen, wie es
dir vielleicht passen möchte. Das Wetter muß man
schon ertragen, wie die Jahreszeit es eben mit sich
bringt. Möglich, daß es in der nächsten Nacht kühler
wird, und dann wirst du ja besser schlafen."
„Wollte Gott," entgegnete Caterina, „aber es pflegt
46
nicht gerade zu geschehen, daß die Nächte gegen den
Sommer kühler werden."
„Was verlangst du denn aber, das man tun soll?"
sagte die Mutter.
Caterina erwiderte: „Wenn es meinem Vater und
Euch nicht unlieb wäre, ließe ich mir gern auf dem
Erker, der an Eure Stube stößt und nach dem Garten
hinausgeht, ein Bettchen machen und schliefe da.
Gewiß hätte ich es da, beim Gesänge der Nachtigall
und bei größerer Kühle, viel besser als in Eurem
Schlafzimmer."
Darauf sagte die Mutter: „So beruhige dich denn,
meine Tochter, ich werde es deinem Vater sagen,
und was der beschließen wird, das werden wir tun."
Als indessen Messer Lizio, der vielleicht wegen seines
Alters etwas eigensinnig war, diese Dinge vernahm,
sagte er: „Was ist das für eine Nachtigall, bei deren
Gesänge sie schlafen will? Ich will sie lehren, beim
Gesänge der Heuschrecken einschlafen."
Die nächste Nacht schlief Caterina, weniger vor
Hitze als vor Ärger über die abschlägige Antwort ihres
Vaters nicht allein selber nicht, sondern ließ auch,
unter beständigem Klagen über die Wärme, ihre Mutter
zu keinem Schlafe kommen. Am Morgen nach dieser
übel verbrachten Nacht suchte die Mutter Messer Lizio
auf und sagte zu ihm: „In der Tat, mein Gemahl,
Ihr scheint unsere Tochter nicht besonders lieb zu
haben. Was kann es Euch denn verschlagen, wenn
sie die Nacht auf dem Erker schläft? Sie hat sich
diese ganze Nacht vor Hitze nicht zu lassen gewußt.
Und wie könnt Ihr Euch nur wundern, daß sie Ge-
fallen daran findet, die Nachtigall singen zu hören?
Ist sie doch noch ein halbes Kind, und junge Leute
47
ergötzen sich nun einmal an den Dingen, die ihnen
gleichen."
Als Messer Lizio diese Vorwürfe mit angehört hatte,
sagte er: „Nun, meinetwegen, so laß ihr denn ein
Bett zurecht machen, das klein genug ist, um auf
dem Erker Platz zu finden; sorge auch dafür, daß
Vorhänge herum sind, und dann mag sie in Gottes
Namen dort schlafen und die Nachtigall singen hören,
soviel es ihr beliebt."
Sobald das Mädchen die Einwilligung ihres Vaters
vernommen hatte, ließ sie sich sogleich ihr Bett auf
dem Erker aufschlagen, um schon die nächste
Nacht dort schlafen zu können, und lauschte dann
solange, bis sie den Ricciardo zu sehen bekommen und
ihm das unter ihnen beiden verabredete Zeichen, das
er auch sogleich verstand, gemacht hatte.
Als Messer Lizio nun am Abend hörte, das Mäd-
chen sei zu Bett gegangen, verschloß er die Tür, die
von seinem Zimmer aus auf jenen Erker führte, und
legte sich dann gleichfalls schlafen.
Ricciardo aber erkletterte, sobald alles im ganzen
Hause still geworden war, mittels einer Leiter zuerst
eine Mauer; dann arbeitete er sich an den einzelnen
vorstehenden Steinen einer anderen anstoßenden Mauer
mit unsäglicher Mühe und mit großer Gefahr, her-
unterzustürzen, bis zu dem Erker, wo sein Mädchen
ihn in aller Stille, aber voller Entzücken empfing.
Dann legten beide sich nach tausend ausgetauschten
Küssen nieder und genossen fast die ganze Nacht
hindurch alle Lust, die Liebende einander gewähren
können, wobei sie denn natürlich die Nachtigall gar
vielmals schlagen ließen. Da indessen ihre Freuden
groß, die Nächte aber kurz waren, geschah es, daß
48
sie, als der Tag, von ihnen unvermutet, schon nahe
war, beide, von der warmen Luft sowohl als von den
miteinander getriebenen Liebesspielen erhitzt, ohne alle
Bedeckung einschliefen, und daß Caterina, die den
rechten Arm unter Ricciardos Arm gelegt hatte, mit
der linken Hand das Ding festhielt, das ihr Mädchen
euch vor Männern zu nennen besonders zu scheuen
pflegt.
Während sie so noch fortschliefen, überfiel sie der
Tag, ohne sie zu wecken. Inzwischen war Messer
Lizio aufgestanden, und da ihm eben einfiel, daß
seine Tochter auf dem Erker schlafe, sagte er bei
sich selber: „Wir müssen doch einmal zusehen, ob
die Nachtigall diese Nacht Caterina besser schlafen
gemacht hat."
Damit ging er sachte auf den Erker zu, hob den
Vorhang auf, der um das Bett gehangen war, und
erblickte sie nackt und bloß mit Ricciardo umarmt
in der beschriebenen Weise schlafen. Sobald Messer
Lizio sich vollkommen überzeugt hatte, daß es Ric-
ciardo sei, schlich er sich wieder fort, ging in das
Schlafgemach seiner Frau und weckte diese mit folgen-
den Worten: „Hurtig, Frau, steh' auf und komm
geschwind, dir mit anzusehen, wie deine Tochter an
der Nachtigall so viel Wohlgefallen gefunden, daß
sie sie gefangen hat und noch in Händen hält."
„Wie wäre denn das aber zugegangen?" sagte die
Frau.
„Komm nur schnell," erwiderte Messer Lizio, „und
du wirst schon selber sehen."
Madonna Giacomina zog sich in aller Eile an und
folgte dann stillschweigend ihrem Gemahle zu dem
Bette ihrer Tochter, wo sie dann allerdings, als dieser
III 4 ' 49
die Vorhänge auseinander schlug, deutlich genug sah,
wie Caterina die Nachtigall, die sie so gern singen
hörte, gefangen hatte und noch festhielt.
Hoch erzürnt, daß Ricciardo sie so hintergangen
habe, wollte Madonna Giacomina schon Lärm machen
und den jungen Mann schelten; Messer Lizio aber
hielt sie zurück und sagte: „Frau, sofern du Liebe
zu mir hegst, so hüte dich, den Mund auf zutun;
denn wahrlich, da sie ihn nun einmal eingefangen hat,
so soll sie ihn auch behalten. Ricciardo ist von gutem
Hause und dabei ein wohlhabender junger Mann, die
Verwandtschaft mit ihm kann uns nur Ehre bringen.
Und will er in Gutem aus meinem Hause entlassen
werden, so muß er sich zuvor mit ihr versprechen,
damit er dann die Nachtigall in seinen eigenen und
nicht in einen fremden Bauer getan habe."
Madonna Giacomina beruhigte sich, als sie ihren
Mann so wenig über das Geschehene erzürnt sah, und
war am Ende ganz zufrieden, daß ihre Tochter eine
schöne Nacht gehabt, gut geschlafen und obendrein
die Nachtigall gefangen habe. Auch dauerte es nach
diesem Gespräch nicht mehr lange, so erwachte Ricciardo
und hielt sich, als er sah, daß der helle Tag schon
angebrochen war, für verloren, rief Caterina und
sagte: „Was soll nun aus uns werden, mein Leben?
Der Tag ist schon angebrochen und hat mich hier
betroffen?"
Bei diesen Worten trat Messer Lizio hinzu, hob den
Vorhang auf und sagte: „Wir werden's schon machen."
Als Ricciardo ihn erblickte, war es ihm nicht anders,
als würde ihm das Herz aus dem Leibe gerissen. So-
gleich setzte er sich im Bette auf und sagte: „Ach,
Herr, um Gottes willen, ich bitte Euch um Gnade.
5o
Ich erkenne, daß ich als ein nichtswürdiger, böser
Mensch den Tod verdient habe, macht also mit mir,
was Euch immer beliebt. Dennoch aber bitte ich Euch,
wenn es sein kann, mir das Leben aus Gnade zu
schenken und mich nicht umzubringen."
Darauf antwortete Messer Lizio: „Ricciardo, das
habe ich mit der Liebe und dem Vertrauen, die ich
zu dir hegte, nicht um dich verdient. Da es aber nun
einmal so ist und deine Jugend dich zu einem solchen
Vergehen verleitet hat, so nimm nun, um dich vom
Tode, mich aber von der Schande zu retten, die Cate-
rina zu deiner gesetzmäßigen Frau, und dann mag sie,
wie sie diese Nacht über die deine gewesen ist, so ihr
ganzes Leben über es bleiben. Auf diese Weise allein
kannst du mich wieder versöhnen und dir selbst dein
Leben retten; bist du aber nicht gesonnen, also zu tun,
so eile, deine Seele Gott zu befehlen."
Während dieses Gespräches hatte Caterina die Nachti-
gall fahrengelassen und sich zugedeckt; nun aber
weinte sie bitterlich und bat einesteils ihren Vater, er
solle dem Ricciardo vergeben, und anderenteils bat
sie auch den letzteren, er möchte tun, was Messer
Lizio verlangte, damit sie dann noch lange dergleichen
Nächte in allem Frieden genießen könnten.
Indessen bedurfte es dazu nicht erst vieler Bitten;
denn teils die Scham wegen des begangenen Fehl-
trittes und der Wunsch, ihn wieder gutzumachen, teils
die Furcht vor dem Tode und das Verlangen der Ret-
tung, teils endlich die glühende Liebe und die sehn-
liche Lust, den geliebten Gegenstand zu besitzen, be-
wogen ihn insgesamt, sich aus freien Stücken und ohne
Besinnen zu allem, was Messer Lizio begehrte, bereit
zu erklären.
5i
Darauf ließ der letztere sich von Madonna Giaco-
mina einen Ring leihen, mit dem Ricciardo in beider
Gegenwart gleich am Orte sich der Caterina ehelich
verloben mußte. Erst nachdem dies geschehen war,
ließen Messer Lizio und seine Gemahlin die Neuver-
lobten mit den Worten allein: „Ruht euch nun aus,
denn das möchte euch vielleicht wohler tun, als auf-
zustehen."
Kaum waren jene beiden fortgegangen, so umarmten
die jungen Leute sich aufs neue und fügten zum Be-
schluß der ersten Tagereise den sechs Posten, die sie
während der Nacht zurückgelegt hatten, bevor sie auf-
standen, noch zwei andere hinzu. Nachdem darauf
Ricciardo sich mit Messer Lizio noch ausführlicher
besprochen hatte, vermählte er sich wenige Tage später
in herkömmlicher Weise und in Gegenwart der
Freunde und Anverwandten abermals mit Caterina,
führte sie mit vielen Festlichkeiten in seine Heimat,
wo er eine prächtige, ehrenvolle Hochzeit ausgerichtet
hatte, und ging dann in Ruhe und in Freuden bei
Tag und bei Nacht, soviel es ihm nur beliebte, lange
noch mit ihr auf den Nachtigallenfang.
52
/.,• Min- e Q
FÜNFTE GESCHICHTE
Guidotto von Cremona vertraut dem Giacomino von Pavia
sterbend seine Pflegetochter an. Giannole di Severino und
Minghino de Mingole verlieben sich zu Faenza beide in
sie und werden darüber miteinander handgemein. Endlich
wird entdeckt, daß das Mädchen eine Schwester des Giannole
ist, und Minghino erhält sie zur Frau.
Über die Geschichte von der Nachtigall hatten die
Mädchen, während Filostrato erzählte, so sehr gelacht,
daß sie auch, nun er aufgehört hatte zu reden, des
Lachens kein Ende finden konnten. Nachdem sie aber
ihrer Lachlust eine Weile freien Lauf gelassen hatten,
sagte endlich die Königin:
„Wahrlich, betrübtest du uns gestern, so hast du heute
unser Zwerchfell so gekitzelt, daß sich keine mit gutem
Grunde mehr über dich beschweren kann."
Darauf richtete sie ihre Worte an Neifile und gebot
ihr fortzufahren. Diese aber begann mit freundlichem
Munde also zu reden :
Da Filostrato uns in seiner Geschichte nach der
Romagna geführt hat, so beliebt es auch mir, in
meiner Erzählung jene Landschaft lustwandelnd ein
wenig zu durchstreifen.
Vor Zeiten wohnten in der Stadt Fano zwei Lom-
barden, Guidotto von Cremona und Giacomino von
Pavia genannt, die zwar beide schon bejahrt waren,
in ihrer Jugend aber fast beständig das Waffenhand-
werk als rüstige Krieger betrieben hatten. Als nun
Guidotto seinen Tod ahnte und weder einen Sohn noch
sonst einen Freund oder Verwandten besaß, dem er
mehr getraut hätte als dem Giacomino, so hinterließ
er diesem, nachdem er ihm noch mancherlei über seine
Angelegenheit gesagt hatte, nebst allem, was er be-
53
saß, seine etwa zehnjährige Tochter und starb als-
dann.
Um dieselbe Zeit geschah es aber, daß die Stadt
Faenza, die lange Zeit von Krieg und Mißgeschick
heimgesucht worden war, sich einigermaßen wieder
erholte und daß allen denen, die wieder dorthin zu-
rückkehren wollten, freie Befugnis dazu erteilt wurde.
Deswegen zog denn auch Giacomino, der früher dort
gewohnt hatte und dem der Aufenthalt gefiel, mit
allem, was ihm gehörte, wieder nach Faenza und
nahm dabei das Mädchen, das Guidotto ihm hinter-
lassen und das er gleich seiner eigenen Tochter liebte
und pflegte, mit hinüber.
Als das Mädchen allmählich heranwuchs, wurde sie
ausnehmend schön, wie damals kaum eine andere in
jener Stadt zu finden war, und mit ihrer Schönheit
hielten ihre Sittsamkeit und ihr Anstand gleichen
Schritt. Da fanden sich denn natürlich manche Lieb-
haber ein, unter denen jedoch vorzüglich zwei Jüng-
linge, die beide wohlerzogen und gut geartet waren,
ihr gleichmäßig die innigste Liebe zuwandten und
darüber aus Eifersucht gegeneinander den bittersten
Haß faßten.
Von diesen jungen Leuten hieß der eine Giannole
di Severino und der andere Minghino di Mingole,
und keiner von ihnen beiden würde, als das Mädchen
fünfzehn Jahr alt war, einen Augenblick angestanden
haben, sie zur Frau zu nehmen, wenn anders ihre
Angehörigen es zugelassen hätten. Da sie aber sahen,
daß man ihren Wünschen Gründe entgegensetzte, die
sie nicht zu beseitigen vermochten, beschloß ein jeder
von ihnen, sich auf jede nur mögliche Weise in ihren
Besitz zu setzen.
54
Nun hatte Giacomino eine alte Magd und einen Diener
im Hause, der Crivello hieß und ein lustiger und
gar umgänglicher Kauz war. Mit diesem freundete
sich Giannole an und entdeckte ihm, als er glaubte,
daß es an der Zeit sei, seine Liebe mit der Bitte, ihm
dazu zu verhelfen, daß er seine Wünsche erreiche,
wofür er ihm auf den Fall seiner Willfährigkeit
große Belohnungen versprach.
Darauf erwiderte ihm Crivello: „Ich sehe nicht,
wie ich dir in dieser Angelegenheit anders behilflich
sein könnte, als dadurch, daß ich dich selber, sobald
Giacomino einmal zum Abendessen ausgehen sollte,
in ihr Zimmer führe; denn wollte ich ihr nur das
mindeste von dir sagen, so würde sie mir gewiß kein
Gehör geben. Ist dir nun damit gedient, so verspreche
ich es dir und werde mein Wort halten; dann sieh
du aber selber zu, wie du tun willst, um zu deinem
Ziele zu gelangen."
Giannole versicherte, weiter nichts zu verlangen, und
mit dieser Verabredung gingen sie voneinander.
Auf der anderen Seite hatte Mingole die alte Magd
gewonnen und so sehr sich geneigt gemacht, daß sie
schon mehrmals Bestellungen an das Mädchen besorgt
und dieses beinahe für Mingole entflammt hatte. Über-
dies aber hatte sie ihm auch versprochen, daß sie ihn
zu seiner Geliebten führen wolle, sobald Giacomino
einmal einen Abend außerhalb des Hauses zubringen
würde*
Nun geschah es aber nicht gar lange nachdem die
verschiedenen Parteien auf solche Weise sich ver-
abredet hatten, daß Giacomino auf Veranlassung des
Crivello einmal bei einem seiner Freunde zu Abend
aß. Der Diener ermangelte nicht, es den Giannole
55
wissen zu lassen, und verabredete mit ihm, daß er auf
ein gewisses Zeichen kommen und die Haustür offen
finden solle. Zugleich unterrichtete aber auch die
Magd, die von dem allen nichts wußte, den Minghino,
daß Giacomino nicht zu Hause esse, und sagte ihm,
er möge sich nur in der Nähe des Hauses bereithalten,
um, sobald er ein verabredetes Zeichen erblicken
werde, sogleich kommen zu können und zu seiner Ge-
liebten zu gehen.
Als der Abend herankam, zogen die Verliebten, ohne
voneinander zu wissen, obgleich ein jeder den anderen
wegen seiner Absichten in Verdacht hatte, beide mit
bewaffneter Begleitung aus, um von dem Gegenstande
ihrer Wünsche Besitz zu ergreifen. Minghino versteckte
sich mit den Seinigen in das nahegelegene Haus eines
seiner Freunde, um dort das Zeichen der Magd ab-
zuwarten. Giannole dagegen hielt sich mit seinen Ge-
fährten in einiger Entfernung von dem Hause.
Inzwischen suchten Crivello und die Magd, sobald
Giacomino fortgegangen war, einer den anderen auf
alle Weise zu entfernen.
Crivello sagte zu der Magd: „Warum gehst du denn
noch nicht schlafen? Was in aller Welt hast du nur
dich noch im Hause herumzutreiben?"
„Ich möchte nur wissen," entgegnete die Magd,
„warum du deinen Herrn nicht holen gehst? Warum
wartest du denn, nun du gegessen hast?"
Und so gelang es keinem, den anderen von der Stelle
zu bringen. Als aber endlich die Stunde herangekommen
war, die Giannole mit Crivello verabredet hatte, sagte
dieser bei sich selbst: „Was habe ich mich um die
Alte zu kümmern? Will sie nicht still sein, so kann
sie auch noch ihr Teil abkriegen." Damit machte er
56
das verabredete Zeichen und ging, die Tür zu
öffnen.
Sogleich traten Giannole, der schon herbeigekommen
war, und zwei seiner Begleiter in das Haus ein und
ergriffen das Mädchen, das sie im Saale fanden, um es
fortzuschleppen. Das Mädchen wehrte sich und schrie,
was sie nur konnte, und die Magd nicht minder. Min-
ghino vernahm das Geschrei und eilte mit den Seinigen
gleich dahin, von wo er es kommen hörte. Als diese
nun das Mädchen schon zur Tür hinausschleppen sahen,
zogen sie sämtlich ihre Schwerter und riefen: „Ihr
Verräter, ihr seid des Todes ! Das soll euch nicht ge-
lingen! Was ist das für ein Unfug!"
Mit diesen Worten schlugen sie auf jene los, und
über dem Lärm kamen denn auch die Nachbarn mit
Lichtern und mit Waffen herbeigelaufen und tadelten
nicht allein den versuchten Frevel, sondern standen
auch dem Minghino tätig bei. So gelang es dem letz-
teren nach langem Kampfe, das Mädchen dem Gian-
nole wieder abzunehmen und es in die Wohnung des
Giacomino zurückzubringen. Das Handgemenge hatte
aber nicht eher ein Ende, als bis die Lanzenknechte
des Stadthauptmanns dazu gekommen waren und viele
der Anwesenden und unter diesen namentlich den Min-
ghino, den Giannole und den Crivello festnahmen und
ins Gefängnis brachten.
Erst nachdem der ganze Lärm vorüber war, kam
Giacomino nach Haus und war im Anfang äußerst
ungehalten über das Geschehene. Als er aber bei ge-
nauerer Untersuchung, wie sich alles zugetragen, sich
überzeugte, daß das Mädchen dabei ohne jede Schuld
sei, beruhigte er sich ein wenig und nahm sich im
Stillen vor, damit dergleichen sich nie mehr wieder-
57
holen könne, sie sobald wie möglich zu ver-
heiraten.
Als die Angehörigen des einen und des anderen Teiles
am anderen Morgen der Wahrheit gemäß gehört hatten,
was geschehen war, sahen sie wohl ein, wie üble Folgen
die Sache für die beiden jungen Leute haben konnte,
wenn Giacomino diejenigen Schritte tat, zu denen er
völlig berechtigt war. Deshalb gingen sie zu ihm und
baten ihn mit gar guten Worten, daß er weniger auf
die Beleidigung sehen möchte, welche die jungen
Männer in ihrer Unbesonnenheit ihm zugefügt hätten,
als auf die Liebe und das Wohlwollen, das er, wie sie
glaubten, für sie, die Bittenden, hege, wobei sie denn
noch überdies sowohl sich selbst als jene beiden An-
stifter des Unfugs zu jeder Buße erböten, die es ihm
belieben würde, zu fordern.
Giacomino, der in seinen Tagen gar mancherlei erlebt
hatte und ein Mann von wohlmeinender Gesinnung
war, erwiderte mit wenig Worten: „Werte Herren,
wäre ich hier in meiner Heimat, wie ich in der eurigen
bin, so würde ich doch viel zu viel Freundschaft für
euch hegen, um in dieser Sache anders, als nach
euren Wünschen zu verfahren. Umsomehr aber muß
ich mich eurem Verlangen fügen, da ihr durch das
Geschehene niemand als euch selbst zu nahe getreten
seid. Wisset nämlich, daß das Mädchen, um das es sich
handelt, nicht, wie die meisten glauben mögen, aus
Cremona oder aus Pavia gebürtig, sondern daß sie eine
Faentinerin ist, wenn auch weder ich noch sie selbst
noch der, von dem ich sie erhalten habe, anzugeben
wissen, wessen Tochter sie sei. Darum soll denn in der
Angelegenheit, um derenwillen ihr mich bittet, alles
so geschehen, wie ihr selbst bestimmen werdet."
58
Als die guten Männer vernahmen, daß das Mädchen
aus Faenza sei, wunderten sie sich nicht wenig und
baten deshalb den Giacomino, nachdem sie ihm zuvor
für seine wohlwollende Antwort gedankt hatten, daß
er ihnen doch sagen möge, wie das Mädchen in seine
Hände gekommen sei und wie er erfahren habe, daß sie
aus Faenza stamme.
Giacomino erwiderte ihnen: „Guidotto von Cremona,
der mein Freund und Waffengefährte gewesen ist,
sagte mir auf seinem Totenbette, daß er, als die Stadt
Faenza von Kaiser Friedrich eingenommen und dabei
geplündert wurde, mit einigen seiner Gefährten in ein
Haus gedrungen sei, das sie zwar voller Sachen, aber
von den Einwohnern verlassen gefunden hätten. Nur
ein Kind von etwa zwei Jahren sei zurückgeblieben und
habe, wie er die Treppe hinaufgekommen sei, ihm
,Vater' entgegengerufen. Dadurch zum Mitleid be-
wogen, habe er das kleine Mädchen nebst vielen Sachen,
die er dort im Hause vorgefunden, mit sich nach Fano
genommen. Dasselbe Mädchen nun hinterließ er mir
bei seinem Tode mit allem, was er hatte, und trug mir
auf, sie, wenn es an der Zeit sein würde, zu verheiraten
und ihr alsdann alles, was sein gewesen wäre, als Mit-
gift zu geben. Alt genug wäre sie zwar wohl, um zu
heiraten; noch aber habe ich niemand gefunden, der
mir genehm gewesen wäre; doch täte ich es gerne bald,
damit Vorfälle, wie die von gestern abend, sich nicht
mehr wiederholen können."
Unter den Anwesenden war ein gewisser Guglielmo
aus Medicina, der sich genau erinnerte, was für ein
Haus in Faenza es gewesen sei, das Guidotto aus-
geplündert hatte. Und da er den Eigentümer desselben
ebenfalls unter den Anwesenden sah, trat er zu ihm
59
und sagte: „Bernabuccio, hörst du wohl, was Gia-
comino da sagt?"
„Freilich," erwiderte Bernabuccio, „und eben be-
denke ich mir die Sache genauer; denn ich erinnere
mich sehr wohl, daß ich in der damaligen Verwirrung
eine Tochter, gerade von dem Alter, das Giacomino
angab, verlor."
„Gewiß, das muß sie sein," entgegnete Guglielmo,
„denn ich habe selber einmal den Guidotto be-
schreiben gehört, wo er zu jener Zeit geplündert habe,
und daraus ganz deutlich entnommen, daß es dein
Haus gewesen ist. Besinne dich also, ob du sie an
keinem Zeichen wiederzuerkennen weißt, und dann
schicke nach ihr, und du wirst ohne Zweifel finden,
daß sie deine Tochter ist."
Bernabuccio sann eine Weile nach und entsann sich
am Ende wirklich, daß sie über dem linken Ohr eine
kreuzförmige Narbe haben müsse, die davon ent-
standen war, daß er ihr kurz vor jenem Ereignis
dort ein kleines Gewächs hatte ausschneiden lassen.
So zögerte er denn nicht weiter, sondern ging auf
Giacomino zu, der noch gegenwärtig war, und bat
ihn, daß er ihn mit sich nach Hause nehmen und ihm
das Mädchen zeigen möge.
Giacomino war gern bereit dazu und ließ das
Mädchen rufen, sobald sie nach Hause gekommen
waren. Als Bernabuccio sie aber zu sehen bekam, war
es ihm, als sähe er die Züge der Mutter, die noch eine
schöne Frau zu nennen war, leibhaftig vor sich. Ohne
sich indessen dabei zu beruhigen, bat er Giacomino
um die Erlaubnis, ihr die Haare über dem linken Ohr
ein wenig aufheben zu dürfen, was dieser auch be-
willigte. So trat denn Bernabuccio zu dem Mädchen,
60
das verlegen und beschämt dastand, und hatte ihr
kaum mit der rechten Hand die Haare ein wenig ge-
lüftet, als er auch schon das Kreuz erblickte und
sich durch das Zeichen völlig überzeugte, daß sie
wirklich seine Tochter sei.
Sogleich umarmte er sie unter vielen Tränen, so
sehr sie sich auch sträuben mochte, und sagte, zu
Giacomino gewandt: „Teuerster Freund, das Mädchen
ist meine Tochter; das Haus, das Guidotto geplündert
hat, war das meinige, indem meine Frau bei dem
plötzlichen Schrecken das Kind vergessen hatte, und
bis heute haben wir alle geglaubt, es sei an jenem
Tage, wo mein Haus verbrannte, ebenfalls ein Raub
der Flammen geworden.
Als das Mädchen diese Worte vernahm, maß sie
teils, da sie ihn schon bei Jahren sah, seinen Worten
Glauben bei, teils regte sich auch in ihrem Herzen
eine verborgene Stimme, und sie fing, von nicht
minderer Rührung ergriffen, gleichfalls zu weinen
an. Bernabuccio schickte sogleich nach ihrer Mutter
und nach den anderen Verwandten sowie nach den
Schwestern und Brüdern, zeigte sie ihnen allen, er-
zählte ihnen, Avas geschehen war, und führte sie dann
nach tausend Umarmungen unter großen Festlich-
keiten und mit voller Zustimmung des Giacomino in
sein Haus.
Als diese Neuigkeiten dem Stadthauptmann, einem
wohlwollenden Manne, bekannt wurden, beschloß er,
weil Giannole, Bernabuccios Sohn, den er noch ge-
fangen hielt, des Mädchens leibhaftiger Bruder war,
sein Vergehen für diesmal ungestraft hingehen zu
lassen.
Zu dem Zwecke redete er dem Giacomino zu und
61
brachte es glücklich dahin, daß dem Giannole wie
dem Minghino verziehen und dem letzteren zur großen
Freude der Anverwandten das Mädchen, das Agnesa
hieß, verlobt wurde, worauf er dann auch den Crivello
und die anderen, die um der gleichen Angelegenheiten
willen eingesperrt worden waren, mit ihnen zugleich
freiließ.
Minghino aber feierte bald darauf mit vielem Auf-
wand fröhliche Hochzeit, führte seine Braut heim
und lebte noch viele Jahre mit ihr glücklich und in
Frieden.
62
Gwtki aw , r.ni.K.s
SECHSTE GESCHICHTE
Gian von Procida wird bei seiner Geliebten, die inzwischen
dem König Friedrich geschenkt worden war, überrascht und
mit ihr an einen Pfahl gebunden, um verbrannt zu werden.
Ruggieri dell'Oria erkennt und rettet ihn und er heiratet sie.
Als die Geschichte der Neifila, die den Damen sehr
wohl gefallen hatte, beendigt war, befahl die Königin
der Pampinea sich zu rüsten, eine neue zu erzählen.
Pampinea erhob ihr klares Antlitz und begann sofort
also :
„Gewaltig, ihr munteren Mädchen, sind die Kräfte
der Liebe, und zu den kühnsten Unternehmungen, zu
übermäßigen und unglaublichen Gefahren leihen sie
den Liebenden Mut, wie das aus mehreren der Beispiele
entnommen werden kann, die heute und an den vo-
rigen Tagen bereits erzählt worden sind. Dennoch aber
bin ich gesonnen, euch durch die Geschichte eines ver-
liebten jungen Mannes einen neuen Beweis davon zu
geben.
Ischia ist eine Insel nahe bei Neapel, auf der vor
einiger Zeit unter anderen ein gar schönes und mun-
teres Mädchen lebte, das Restituta hieß und die Tochter
eines Edelmannes von jener Insel, namens Marin Bol-
garo, war. Diese nun liebte ein junger Mensch von der
benachbarten kleinen Insel Procida, der Gianni ge-
nannt wurde, mehr als sein Leben und sie ihn nicht
minder. Nicht allein, daß er bei Tage nach Ischia zu
kommen und, um sie zu sehen, dort zu verweilen
pflegte, war er schon oftmals auch bei Nacht, wenn er
eben keinen Kahn gefunden hatte, von Procida bis
Ischia hinübergeschwommen, um, wenn auch nichts
weiter, doch wenigstens die Mauern ihrer Wohnung zu
erblicken.
63
Während aber diese glühende Liebe noch bestand,
geschah es, daß das Mädchen, als es eines Tages zur
Sommerszeit ganz allein am Meeresufer lustwandelte und
mit einem Messer Seemuscheln von den Steinen los-
brach, sich von Fels zu Fels bis zu einer zwischen
Klippen verborgenen Bucht verstieg, wo sich eben eine
Anzahl junger Sicilianer, die von Neapel kamen, an-
gelockt von dem kühlen Schatten und von der An-
nehmlichkeit einer eiskalten Quelle, mit ihrem Ruder-
schiffchen ausruhte. Als sie die Schönheit des Mädchens
sahen und zugleich gewahr wurden, daß sie allein sei
und sie noch nicht bemerkt habe, beschlossen sie, sie
festzuhalten und mit sich fortzuführen. Dem Ent-
schlüsse folgte die Ausführung auf dem Fuße; soviel
das Mädchen auch schreien mochte, schleppten sie es
doch in ihr Fahrzeug und fuhren mit ihm davon.
Als sie indessen in Galabrien landeten und mit-
einander zu verhandeln anfingen, wem sie zufallen
solle, begehrte jeder einzelne sie für sich allein. Als sie
sich nun gar nicht einigen konnten und wohl sahen,
daß sie um des Mädchens willen noch miteinander in
üble Händel kommen und ihre übrigen Angelegen-
heiten zugrunde richten könnten, kamen sie endlich
dahin überein, daß sie sie dem König Friedrich von Si-
cilien, der um jene Zeit noch jung war und an schönen
Frauen großes Gefallen fand, zum Geschenk machen
wollten. Und so taten sie auch wirklich, sobald sie
nach Palermo gekommen waren.
Der König fand die Geraubte schön und nahm das
Geschenk mit Freuden an. Da er aber eben ein wenig
kränkelte, befahl er, daß sie, bis er sich wieder kräf-
tiger fühlen würde, ein gar schönes Gebäude in einem
königlichen Garten, der Cuba genannt wird, beziehen
64
und dort gehörig gepflegt werden solle. Und so wurde
denn auch getan.
Inzwischen war ganz Ischia wegen des geraubten
Mädchens in der größten Bewegung, und was dessen
Angehörigen dabei am meisten schmerzte, war, daß
sie nicht erforschen konnten, wer die Räuber gewesen
seien.
Gianni indessen, dem mehr als einem anderen daran
gelegen war, genügende Auskunft zu erlangen, wollte
nicht abwarten, bis der Zufall ihm in Ischia Nach-
richten zuführen würde, sondern rüstete, sobald er
erfahren, nach welcher Seite das Fahrzeug sich ge-
wandt hatte, selber ein Schiff aus und befuhr auf
diesem, so schnell er konnte, die ganze Küste vom
Minerva-Vorgebirge bis nach Scalea in Calabrien.
Überall forschte er nach Kunde von seiner Geliebten,
und wirklich wurde ihm in Scalea berichtet, daß
sicilianische Schiffer sie nach Palermo geführt hätten.
Sogleich schiffte Gianni nach Palermo und suchte
lange Zeit nach seiner Geliebten.
Als er aber endlich erfuhr, daß sie dem Könige
geschenkt worden sei und für diesen in der Cuba
bewacht werde, betrübte er sich gar sehr und gab fast
alle Hoffnung auf, sie nur noch einmal wiederzusehen,
geschweige denn, sie jemals zu besitzen. Dennoch aber
von der Liebe festgehalten, schickte er sein Schiffchen
heim und ging, da er sicher war, von niemandem
gekannt zu sein, bei seinem längeren Verweilen häufig
an der Cuba vorüber.
Da traf es sich denn eines Tages so glücklich, daß
er seine Restituta an einem Fenster erblickte und sie
ihn ebenfalls gewahr wurde, worüber beide sich un-
säglich freuten. Da Gianni aber sah, wie einsam und
III 5 65
abgelegen die Gegend war, näherte er sich dem Fenster, so
viel er konnte, redete seine Geliebte an und ging nicht
eher wieder von dannen, als bis sie ihm gesagt hatte, wie
er es anzustellen habe, um mehr in der Nähe mit ihr zu
sprechen, und bis er selber sich die Gelegenheit des Ortes
auf das genaueste betrachtet hatte.
Als nun die Nacht gekommen und schon ein Teil
derselben verstrichen war, kehrte er zurück und
kletterte über eine Mauer, die so glatt war, daß kein
Specht sich daran hätte festhalten können, glücklich
in den Garten hinüber. Hier fand er eine Stange,
stützte sie bei dem Fenster, das das Mädchen ihm
bezeichnet hatte, an die Mauer und gelangte auf
diese Weise ziemlich leicht hinauf. Das Mädchen aber
meinte bei sich selbst, ihre Ehre, um derenwillen sie
bis dahin gegen ihren Geliebten ein wenig streng ge-
wesen war, sei nun doch verloren und sie könne sich
wenigstens niemandem ergeben, der ihrer würdiger
sei, als eben er. Auch hoffte sie ihn zu bewegen, daß
er sie mit sich fortführe, und aus allen diesen Gründen
hatte sie, entschlossen, ihm alles zu gewähren, was
er von ihr wünschen könnte, das Fenster offen ge-
lassen, damit er gleich ohne weiteres in das Zimmer
gelangen könne.
So schlüpfte denn Gianni durch das offene Fenster
in das Zimmer und legte sich sofort zu dem Mäd-
chen, das noch wachte. Bevor sie jedoch etwas weiteres
vornahmen, offenbarte ihm Restituta alle ihre Wünsche
und bat ihn auf das inständigste, daß er sie von dort
befreien und sie mit sich nehmen möge.
Gianni erwiderte ihr darauf, daß ihm selber nichts
erwünschter sein könne und daß er in keinem Falle
ermangeln werde, sobald er sie jetzt verlassen habe,
66
alles auf solche Weise vorzubereiten, daß er sie mit
sich führen könne, wenn er das nächstemal wieder
zu ihr komme. Nachdem sie diese Verabredungen mit-
einander getroffen hatten, umarmten sie sich voller
Entzücken und genossen das Vergnügen, das Amor
selbst durch kein größeres zu überbieten vermag.
Einige Male wiederholten sie diese Genüsse und schliefen
endlich, ohne es selber gewahr zu werden, einer in
des anderen Armen ein.
Inzwischen erinnerte sich der König an das Mädchen,
das ihm gleich beim ersten Anblick besonders Wohl-
gefallen hatte, und beschloß, da er sich wieder voll-
kommen wohl fühlte, sich eine Weile mit ihr zu er-
götzen, obgleich es schon gegen Morgen war. So machte
er sich denn, von einigen seiner Diener begleitet, in
aller Stille nach der Cuba auf den Weg, ging in
das Wohngebäude und trat, nachdem er die Tür leise
sich hatte öffnen lassen, mit einer brennenden großen
Wachsfackel in das Zimmer, in dem das Mädchen
schlief. Gleich beim ersten Blick auf das Bett aber
sah er sie, wie sie nackt und schlafend in Giannis
Armen lag.
Im ersten Augenblick waren sein Unmut und sein
Zorn über diese Entdeckung so groß, daß wenig
daran fehlte, so hätte er, ohne ein Wort zu sagen,
beide mit seinem Messer auf der Stelle erstochen.
Dann aber überlegte er wieder, daß es jedermann, ge-
schweige denn einen König, schänden würde, zwei
Nackende im Schlafe umzubringen, und bezwang sich
deshalb in der Absicht, sie öffentlich, und zwar durch
Feuer, hinrichten zu lassen. „Was dünkt dir," sagte
er darauf zu dem einzigen Begleiter, der bei ihm
war, „was dünkt dir von diesem verworfenen Ge-
67
schöpf, auf das ich bisher meine Hoffnung gerichtet
hatte?" Dann fragte er ihn weiter, ob er den jungen
Menschen kenne, der keck genug gewesen sei, ihm,
dem König, in seinem eigenen Hause Schimpf und
Kränkung zuzufügen.
Der Gefragte erwiderte indessen, daß er sich nicht
erinnere, ihn jemals gesehen zu haben. Darauf verließ
der König in großer Erbitterung das Zimmer und be-
fahl, daß die beiden Liebenden, nackend, wie sie
wären, gefangen und gebunden und, sobald es heller
Tag wäre, nach Palermo geführt würden. Dort solle
man sie dann auf dem großen Platze, die Rücken
gegeneinander gekehrt, an einen Pfahl binden und,
nachdem sie bis zur dritten Stunde den Augen aller
in diesem Zustande bloßgestellt worden wären, wie
sie es verdient hätten, verbrennen.
Nachdem er dies alles angeordnet hatte, kehrte er,
noch immer sehr zornig, nach Palermo in seine Ge-
mächer zurück. Kaum aber war der König fort-
gegangen, so fielen die Diener des Königs in Menge
über die beiden Liebenden her und erweckten sie
nicht allein aus dem Schlafe, sondern fingen und
banden sie auch alsbald ohne alles Mitleiden.
Wie erschrocken und traurig die Liebenden bei
alle dem waren, was sie mit sich geschehen sahen,
und wie sehr sie unter Tränen und Wehklagen für
ihr Leben zitterten, das erkennt wohl jeder, ohne daß
ich davon spreche. Wie der König befohlen hatte,
wurden sie nach Palermo geführt und auf dem Platze
an einen Pfahl gebunden. Dann ward vor ihren Augen
Scheiterhaufen und Feuer gerüstet, um sie zu der
vom Könige angeordneten Stunde zu verbrennen.
Binnen kurzem zog die Neugier, die beiden Lieben-
68
den zu sehen, alle Männer und Weiber von Palermo
auf jenen Platz. Die Männer strömten herbei, um
den Anblick des Mädchens zu genießen, und ebenso,
wie sie ihre vollkommene und in allen Teilen gleiche
Schönheit priesen, versicherten die Frauen, die alle
herbeikamen, um den jungen Mann zu sehen, ein-
stimmig, daß auch er durchaus schön und wohlgebaut sei.
Die unglücklichen Liebenden aber standen, beide voller
Scham, in steter Erwartung des grausamen Feuertodes
mit gesenktem Haupte und beweinten ihr Mißgeschick.
Während sie aber noch also bis zur bestimmten
Stunde ausgestellt dastanden und ihr Vergehen von
Mund zu Mund ging, gelangte die Nachricht auch zu
Ruggieri dell'Oria, einem Manne von unschätzbarer
Tapferkeit, der damals Admiral des Königs war. Gleich
den übrigen ging auch er auf den Platz, wo sie ge-
bunden standen, und beschaute, als er dort angelangt
war, zuerst das Mädchen und lobte ihre Schönheit
gar sehr. Als er aber darauf den jungen Mann be-
trachtete, erkannte er ihn mit leichter Mühe und
trat deshalb näher zu ihm heran und fragte ihn, ob
er Gianni von Procida sei.
Als Gianni das Gesicht erhob und den Admiral er-
kannte, erwiderte er: „Mein guter Herr, wohl war ich
der, um den Ihr mich befragt, bald aber werde ich
aufgehört haben, es zu sein."
Darauf fragte ihn der Admiral, was ihn denn in solche
Lage gebracht habe und Gianni antwortete ihm: „Die
Liebe und des Königs Zorn."
Der Admiral ließ sich die ganze Geschichte ausführ-
licher erzählen und wollte, als er alles gehört hatte,
von dannen gehen; Gianni aber rief ihn zurück und
sagte ihm : „Ach, mein werter Herr, wenn es Euch mög-
69
lieh ist, so erwirkt mir eine Gnade von dem, auf dessen
Gebot ich also hier stehen muß!"
Ruggieri fragte: „Was für eine?"
Gianni aber antwortete: „Ich sehe wohl, daß ich hier
und binnen kurzem sterben muß. Nun erbitte ich mir
aber als Gnade, daß, während ich jetzt mit dem Rücken
gegen das Mädchen gewandt bin, die ich mehr als mein
Leben geliebt habe, wie sie mich nicht minder, wir mit
den Gesichtern gegeneinander gekehrt werden mögen,
auf daß ich noch im Tode in dem Anblick ihrer Züge
Trost und Frieden finden möge."
Ruggieri erwiderte lächelnd: „Das will ich gern tun
und will es schon dahin bringen, daß du sie noch bis
zum Überdrusse sehen sollst."
Damit verließ er ihn und gebot denen, die beauftragt
waren, jene Hinrichtung ins Werk zu setzen, daß sie
nichts weiteres tun sollten, bevor sie nicht neue Be-
fehle vom König erhalten haben würden.
Dann aber ging er gerades Weges zum Könige und
scheute sich trotz dessen Zorn nicht, ihm über das, was
er soeben erfahren hatte, unverhohlen seine Meinung
zu sagen.
„Mein König," begann er, „wodurch hat das junge
Paar, das auf deinen Befehl dort unten auf dem Platze
verbrannt werden soll, dich beleidigt?"
Der König gab ihm Auskunft, und Ruggieri fuhr
darauf also fort : „Das Vergehen, dessen sie sich schuldig
gemacht haben, verdient allerdings solche Ahndung,
nicht aber von dir; denn wie den Missetaten Strafen
gebühren, so auch den Wohltaten Belohnungen; von
Gnade und von Erbarmen gar nicht einmal zu reden.
Weißt du denn auch, wer die beiden sind, die du ver-
brennen lassen willst?"
70
„Nein," erwiderte der König.
„So sollst du es denn erfahren/' sagte Ruggieri dar-
auf, „damit du erkennen mögest, wie wenig wohlgetan
es war, von den Aufwallungen deines Zornes solcher-
gestalt dich hinreißen zu lassen. Der junge Mann ist
der Sohn des Landolfo von Procida, der selber ein leib-
licher Bruder eben des Messer Gian von Procida ist,
durch dessen Hilfe du König dieser Insel bist. Das junge
Mädchen aber ist eine Tochter des Marin Bolgaro, dessen
Ansehen du es allein zu danken hast, wenn deine Herr-
schaft über Ischia noch anerkannt wird. Überdies sind
das ein paar junge Leute, die sich schon seit lange unter-
einander lieben und nur von der Gewalt der Liebe be-
zwungen, keineswegs aber, um deine Majestät zu
kränken, sich jenes Vergehens schuldig gemacht haben
(wenn anders ein Vergehen genannt werden kann, wozu
die Liebe junge Leute führt). Warum also schickst du
die zum Tode, die du mit erlesenen Aufmerksamkeiten
und Geschenken ehren solltest?"
Als der König diese Rede vernahm, erkannte er deut-
lich, daß Ruggieri die Wahrheit sagte, und stellte nicht
allein sein grausames Verfahren ein, sondern bereute
auch, was er bis dahin getan hatte. Alsbald befahl er,
daß die beiden jungen Leute vom Pfahle losgebunden
und vor ihn gebracht werden sollten; und so geschah
es. Dann aber dachte er darauf, wie er, da ihm nun
alle ihre Umstände bekannt geworden waren, durch
Ehrenbezeigungen und Geschenke das ihnen angetane
Unrecht wieder gut machen könnte. Zu dem Zwecke
ließ er sie zunächst auf das anständigste wieder be-
kleiden und feierte dann, da er hörte, daß beide in
ihren Wünschen übereinstimmten, die Verlobung zwi-
schen Gianni und dem jungen Mädchen. Doch erst als
er ihnen prachtvolle Geschenke gegeben hatte, schickte
er sie zu ihrer großen Zufriedenheit in ihre Heimat
zurück, in der sie mit lautem Jubel empfangen wurden
und dann noch lange in Lust und Freuden miteinander
lebten.
I" itmptrUir £e.'
72
Co dun inv. T.lll.N.jg
Le Jbre <fcu/f ,
SIEBENTE GESCHICHTE
Theodor verliebt sich in Violante, die Tochter seines Herrn,
des Messer Amerigo, schwängert sie und wird deshalb zum
Strang verurteilt. Während er aber mit Geißelhieben zur
Hinrichtung geführt, erkennt und befreit ihn sein Vater,
und er heiratet Violante.
Als die Damen, die mit Bangigkeit erwartet hatten,
ob die beiden Liebenden verbrannt werden würden oder
nicht, vernahmen, wie sie gerettet worden seien, dankten
sie Gott dafür und freuten sich alle. Die Königin aber
übertrug, als die Geschichte beendet war, Lauretta die
Pflicht, weiter zu erzählen, und diese begann fröhlichen
Mutes also:
Schöne Damen, zu der Zeit, als der gute König Wil-
helm Sicilien beherrschte, wohnte auf jener Insel ein
Edelmann, namens Amerigo Abate von Trapani, der
unter anderen zeitlichen Gütern auch mit Kindern reich-
lich gesegnet war. Weil er nun deshalb einer zahlreichen
Dienerschaft bedurfte, kaufte er, als eines Tages genue-
sische Corsaren auf ihren Galeren aus der Levante zu-
rückkamen, wo sie, an den Küsten Armeniens kreuzend,
viele Kinder gefangen hatten, einige von diesen, indem
er sie für Türken hielt.
Unter diesen befand sich aber ein Knabe, namens
Theodor, der, während die übrigen alle Hirtenkinder
zu sein schienen, sich durch ein ausgezeichneteres und
adliges Aussehen von ihnen unterschied. Als dieser mit
der Zeit älter wurde, wuchs er, obgleich er für einen
Knecht galt, dennoch im Hause mit des Messer Amerigo
Kindern auf und nahm dabei, mehr von seiner inneren
Natur als von der Lage, in welche der Zufall ihn ver-
setzt hatte, geleitet, ein so gefälliges Betragen und so
gute Sitten an, daß Messer Amerigo ihn wegen des
73
Wohlgefallens, das er an ihm fand, aus der Knecht-
schaft freiließ. Dann ließ er ihn auch, in der Voraus-
setzung, daß er ein Türke sei, auf den Namen Pietro
taufen, machte ihn zu seinem Haushofmeister und ver-
ließ sich vollkommen auf ihn.
Während aber die übrigen Kinder des Messer Amerigo
heranwuchsen, kam auch eine seiner Töchter, die Vio-
lante genannt wurde und ein gar schönes und zier-
liches Mädchen war, zur Reife, und da der Vater eine
Weile anstand, sie zu verheiraten, wollte der Zufall,
daß sie sich in Pietro verliebte. So sehr sie ihn aber
auch liebte und so hohe Meinung sie von seinen Sitten
und seiner Tapferkeit hegte, so scheute sie sich dennoch,
ihre Neigung ihm zu offenbaren.
Binnen kurzem indessen tat Amor es an ihrer Stelle.
Denn nachdem auch Pietro sie einige Male aufmerk-
samer betrachtet, hatte er sich ebenfalls solchergestalt
in sie verliebt, daß er sich unglücklich fühlte, solange
er nicht mit ihr zusammen war; doch fürchtete auch
er sich, daß irgend jemand diese Liebe, die er selber
für eine unerlaubte hielt, gewahr werde. Das Mädchen
aber erriet, weil sie ihm wohl wollte, bald seine Ge-
sinnung und zeigte sich ihm daher, um ihm Mut zu
machen, über seine Aufmerksamkeiten ausnehmend er-
freut, wie sie es auch wirklich war.
So währte es denn lange Zeit, daß sie beide, so
großes Verlangen sie auch danach trugen, dennoch sich
nicht getrauten, das mindeste über ihre Neigung zu-
einander zu sagen. Endlich wußte das Ungefähr, ge-
rade wie wenn es alle Umstände absichtlich zu dem
Zwecke herbeigeführt hätte, Mittel und Wege zu finden,
durch welche sie über die scheue Furcht, die sie be-
fangen machte, hinwegkamen.
74
Messer Amerigo hatte, kaum eine Miglie von der Stadt
entfernt, eine gar schöne Besitzung, welche seine Frau
mit ihrer Tochter und mit anderen Damen und Frauen
oft zu ihrer Erholung zu besuchen pflegte. Als sie nun
eines Tages mit Pietro, den sie mit sich genommen
hatten, hier verweilten, traf es sich, wie wir es häufig im
Sommer geschehen sehen, daß der Himmel sich plötz-
lich mit finsteren Wolken umzog. Um von dem Un-
wetter nicht dort draußen überfallen zu werden, machte
die Dame sich mit ihrer Gesellschaft sogleich und so
eilig, als sie nur konnten, auf den Rückweg nach Tra-
pani. Pietro aber und das Mädchen überholten, weil sie
beide jung waren, die Mutter und die anderen Ge-
fährtinnen, die bei ihr blieben, um vieles, und viel-
leicht war es ebensowohl die Furcht vor dem Gewitter
als auch die Liebe, die ihre Schritte beflügelte.
Schon mochten die beiden jungen Leute vor der
übrigen Gesellschaft so weit voraus sein, daß sie kaum
mehr gesehen werden konnten, als es so heftig zu
donnern und so dichter und schwerer Hagel zu fallen
begann, daß die Dame mit ihrer Begleitung nur eben
noch imstande war, sich in das Haus eines Landmannes
zu flüchten. Pietro und das Mädchen aber suchten, weil
sie in der Eile keine andere Zuflucht finden konnten,
Schutz in einem alten und fast ganz verfallenen Hause,
das von niemandem mehr bewohnt wurde. Das Dach
dieses Hauses war so beschädigt, daß nur ein kleiner
Teil davon noch vorhanden war und die beiden jungen
Leute, die sich unter diesen Rest flüchteten, durch die
Enge dieses geschützten Raumes einander zu berühren
genötigt wurden.
So nahe Berührung ermutigte die Liebenden, sich ihre
liebevollen Wünsche zu gestehen, und Pietro begann
75
zuerst: „Wollte nur Gott, daß dieser Hagel nie ein
Ende nähme, wenn ich so, wie jetzt, bleiben dürfte,
solange er dauert."
„Ach, das wäre ich wohl auch zufrieden," sagte darauf
das Mädchen; und von solchen Reden gingen sie dazu
über, einander bei der Hand zu nehmen und zu drücken,
dann umarmten, dann küßten sie sich, und derweilen
hagelte es noch immer fort. Um aber nicht alles einzeln
zu erzählen, sage ich nur, daß das Wetter sich noch
nicht aufgeheitert hatte, als sie sich bereits gegenseitig
die höchsten Freuden der Liebe kennen gelehrt und
auch schon verabredet hatten, wie sie in Zukunft heim-
lich miteinander sich erfreuen wollten.
Inzwischen verzog sich das schlechte Wetter; die
beiden jungen Leute aber warteten am Eingange der
Stadt, bis wohin sie nicht mehr weit hatten, die Mutter
ab und gingen dann mit ihr nach Hause. Hier kamen
sie später unter wohlgetroffenen Vorsichtsmaßregeln
und zu ihrer großen Lust mehr als einmal ganz im
Verborgenen zusammen, und so geschah es am Ende,
daß das Mädchen schwanger wurde. Freilich war das
beiden Teilen nichts weniger als lieb, weshalb sie es
denn auch nicht an allerhand Mitteln fehlen ließ, um
gegen die Ordnung der Natur ihrer Leibesfrucht ledig
zu werden; doch alles blieb umsonst.
Da glaubte sich nun Pietro seines Lebens auch nicht
mehr sicher und sagte seiner Geliebten, daß er zu fliehen
gedächte.
Sie aber antwortete ihm: „Wenn du mich verläßt,
so tue ich mir wahrhaftig ein Leid an."
Pietro war dem Mädchen von ganzer Seele gut und
sagte : „Liebes Herz, wie kannst du nur wollen, daß ich
bleiben soll ? Deine Schwangerschaft wird unseren Fehl-
76
tritt ans Licht bringen. Du erhältst dann wohl leicht
Vergebung, ich Armer aber werde dann gewißlich zu-
gleich für deine und für meine Schuld die Buße tragen
müssen."
Das Mädchen erwiderte : „Pietro, mein Vergehen wird
freilich an den Tag kommen; das deinige aber, ver-
lasse dich darauf, das soll gewiß niemand erfahren,
dem du es nicht selber sagst."
„Wohlan denn," entgegnete Pietro, „weil du mir das
gelobst, so will ich bleiben; denke mir aber an dein
Versprechen."
Obgleich nun das arme Mädchen ihren Zustand, so-
lange es nur immer möglich gewesen war, verborgen
gehalten hatte, so fühlte sie doch am Ende selbst, wie
das Anschwellen ihres Leibes fernere Heimlichkeit un-
möglich machte, und gestand eines Tages unter tausend
Tränen und Bitten, Erbarmen mit ihr zu haben, ihrer
Mutter den Zustand, in dem sie sich befand. Die Mutter
kannte sich kaum vor Zorn und verlangte mit den
härtesten Worten, daß sie ihr gestehen solle, wie alles
sich zugetragen. Um indessen ihrem Pietro keine Un-
annehmlichkeiten zu bereiten, erfand sich das Mädchen
eine Fabel, die es der guten Dame statt der Wahrheit
aufband. Diese glaubte denn auch wirklich, was ihr
erzählt wurde, und schickte die Tochter, um ihren Fehl-
tritt geheim zu halten, auf eines ihrer Güter.
Als nun aber die Zeit der Niederkunft heran-
gekommen war und die Wöchnerin eben in den Wehen
schrie, traf es sich, daß, wo die Mutter es sich am
wenigsten versah, Messer Amerigo, der dies Landhaus
bis dahin fast noch niemals besucht hatte, auf der Heim-
kehr vom Vogelstellen an dem Zimmer vorüberritt, wo
seine Tochter kreißend lag und voll Erstaunen über
77
ihr Geschrei, plötzlich eintrat, um nach der Ursache
davon zu fragen.
Als die Mutter sich nun so von ihrem Manne über-
rascht sah, erhob sie sich betroffen und erzählte ihm,
was sich mit ihrer Tochter zugetragen. Messer Amerigo
aber antwortete, minder leichtgläubig als seine Frau
gewesen war, das könne unmöglich sein, daß das
Mädchen nicht wissen sollte, von wem sie schwanger
sei. Er verlange durchaus die Wahrheit zu wissen, auf-
richtiges Bekenntnis sei das einzige Mittel zur Ver-
zeihung; sonst könne sie sicher sein, daß sie ohne
Barmherzigkeit sterben müsse. Zwar gab die Mutter sich
alle Mühe, ihrem Manne die Fabel, die sie ihm erzählt
hatte, einzureden, doch half ihr das zu nichts. Viel-
mehr stürzte er im höchsten Zorne mit bloßem Degen
über das Mädchen her, das, während die Mutter ihn
noch mit Worten hingehalten, von einem Knaben ent-
bunden worden war, und rief : „Gestehe, wer des Kindes
Vater ist oder stirb auf der Stelle!"
Da machte die Todesfurcht Violante wortbrüchig
gegen ihren Pietro, und sie bekannte alles, was unter
ihnen beiden vorgefallen war.
Der Ritter geriet über diesen Bericht in so unmäßige
Wut, daß er sich kaum enthalten konnte, die Tochter
umzubringen. Als er ihr aber alles gesagt hatte, was
der Zorn ihm eingab, ritt er eilig nach Trapani wieder
zurück und verklagte den Pietro bei Messer Currado,
dem königlichen Hauptmann, wegen des Schimpfes, den
jener ihm angetan.
Der Hauptmann ließ Pietro, der sich nichts der-
gleichen versah, alsbald gefangen nehmen und brachte
ihn auf der Folter schnell zum völligen Geständnis,
worauf er denn nach wenigen Tagen verurteilt wurde,
78
erst durch die ganze Stadt gepeitscht und dann gehängt
zu werden. Damit nun dieselbe Stunde dem Leben der
beiden Liebenden und dem ihres Kindes ein Ende mache,
mischte Messer Amerigo, dessen Zorn durch das Todes-
urteil, das er dem Pietro bereitet, noch nicht abgekühlt
war, Gift und Wein in einem Becher zusammen. Dann
gab er diesen nebst einem Messer und mit folgenden
Worten einem seiner Diener: „Geh' mit diesen Dingen
zur Violante und sage ihr von mir, sie solle sich schnell
zu einer von den beiden Todesarten, Dolch oder Gift,
entschließen, widrigenfalls würde ich sie, wie sie es
verdient hat, angesichts aller Einwohner unserer Stadt
verbrennen lassen. Wenn du das besorgt hast, nimm
den Jungen, den sie vor wenig Tagen zur Welt gebracht
hat, schleudere ihn mit dem Hirnschädel an die Wand
und wirf ihn dann den Hunden zum Fräße vor."
Diesen grausamen Befehl des lieblosen Vaters nahm
der Diener nicht eben mit milderen Gesinnungen ent-
gegen und machte sich auf den Weg.
Als nun inzwischen der zum Tode verurteilte Pietro
zum Galgen gepeitscht wurde, kam er, weil die Henkers-
knechte, die an der Spitze des Zuges standen, ihn zu-
fällig so führten, an einem Gasthause vorüber, in dem
drei Edelleute aus Armenien wohnten. Es waren näm-
lich diese drei von dem Könige von Armenien als Ge-
sandte nach Rom geschickt, um mit dem Papste wichtige
Angelegenheiten wegen eines neu zu unternehmenden
Kreuzzuges zu verhandeln. Jetzt aber hatten sie einige
Tage lang in Trapani verweilt, um sich auszuruhen
und zu stärken, und waren von den vornehmeren Ein-
wohnern der Stadt, besonders aber von Messer Amerigo,
auf das ehrenvollste aufgenommen und bewirtet worden.
Als nun die drei Edelleute den Zug vorübergehen
79
hörten, in dem Pietro gebracht wurde, traten sie ans
Fenster, um zuzusehen. Pietro war oberhalb des Gürtels
völlig entkleidet und man hatte ihm die Hände auf den
Rücken gebunden, und so konnte denn einer dieser drei
Abgesandten, der Phineus hieß und ein bejahrter Mann
von großem Ansehen war, deutlich auf des jungen
Mannes Brust einen großen brennend roten Fleck wahr-
nehmen, der nicht von vorübergehender Färbung her-
rührte, sondern von Natur der Haut selber innewohnte,
der mit anderen Worten ein Muttermal war, wie wir
es zu nennen pflegen.
Beim ersten Anblick dieses Males gedachte Phineus
aber sogleich seines Sohnes, der ihm nun bereits vor
fünfzehn Jahren an dem Strande von Lajazzo von Cor-
saren geraubt worden war, ohne daß er je weitere Nach-
richt von ihm erhalten hätte; und wenn er das Alter
des Unglücklichen, der da gepeitscht wurde, überdachte,
so deuchte es ihm, daß sein Sohn, wenn er noch am
Leben wäre, jetzt in denselben Jahren sein müßte. Dies
alles bestärkte ihn in der Vermutung, die jenes Mal
zuerst in ihm erregt hatte; weil er dafür hielt, daß
sein Sohn, wenn er es wirklich sei, sich gewiß seines
eigenen sowohl als des väterlichen Namens und der
armenischen Sprache erinnern werde, so rief er,
als der Verurteilte ihm ganz nahe gekommen war:
„Theodor !"
Kaum hatte Pietro diesen Namen vernommen, so
blickte er auf ; Phineus aber fragte ihn auf armenisch :
„Woher stammst du und von welchem Vater?"
Die Gerichtsdiener hielten aus Rücksicht für den
angesehenen Frager inne, so daß Pietro antworten
konnte: „Ich stamme aus Armenien, mein Vater hieß
mit Namen Phineus, und als kleines Kind wurde ich,
80
von was für einem Volke weiß ich nicht, hierher ge-
schleppt."
Als Phineus diese Antwort vernahm, erkannte er in
dem jungen Manne mit Sicherheit den einst geraubten
Sohn. So eilte er denn weinend mit seinen Gefährten
die Treppe hinab und umarmte sein Kind mitten unter
den Henkersknechten. Dann aber hüllte er ihn in den
Mantel von kostbarem Stoffe, mit dem er selber be-
kleidet war, und bat den Schergen, der ihn zum Tode
führen sollte, daß er ihm zuliebe solange verziehen
möge, bis ihm befohlen würde, den Verurteilten weiter-
zuführen.
Der Gerichtsdiener war gern bereit, zu warten, und
weil Phineus durch das Gerücht, das sich über die ganze
Stadt verbreitet, schon vorher erfahren hatte, um welcher
Ursache willen der junge Mann zum Tode geführt werde,
begab er sich nun mit seinen Gefährten und mit ihrer
ganzen Dienerschaft alsbald zu Messer Currado und
sprach zu ihm also: „Herr, der Mensch, den Ihr da
als einen Knecht zum Tode schickt, ist ein freier Mann
und mein Sohn. Auch ist er gern bereit das Mädchen,
das er, wie man sagt, der Jungfrauschaft beraubt hat,
zu seiner Frau zu nehmen. Wollet denn also die Hin-
richtung solange verschieben lassen, bis man Erkundi-
gungen eingezogen haben wird, ob das Mädchen ihn zum
Manne haben will. Denn weigertet Ihr Euch dieser Zöge-
rung und sie erklärte sich nachher bereit, so hättet Ihr
den Gesetzen zuwider gehandelt."
Die Nachricht, daß der Verurteilte ein Sohn des
Phineus sei, überraschte Messer Currado nicht wenig,
und er schämte sich, daß der Zufall ihn einen so harten
Spruch hatte tun lassen. Da er aber gestehen mußte, daß
Phineus mit dem, was er behauptete, recht habe, hieß
III 6 8l
er ihn sogleich nach Hause gehen, und berichtete dann
dem Messer Amerigo, den er inzwischen zu sich be-
rufen, was er soeben erfahren hatte. Messer Amerigo,
der nicht anders glaubte, als Tochter und Enkel seien
schon umgebracht, bereute seine Grausamkeit über alle
Maßen, denn es leuchtete ihm wohl ein, daß ohne jenen
Mord alles Geschehene wieder hätte gut gemacht werden
können. Nichtsdestoweniger sandte er aber in der
größten Eile hinaus zu der Tochter, damit seine Befehle,
wenn es nicht schon zu spät wäre, nicht mehr vollzogen
werden sollten.
Der Bote fand den Diener, den Messer Amerigo zuvor
hinausgesandt hatte, wie er Violanten, die sich nicht so
schnell hatte entschließen können, zwischen dem vor sie
hingestellten Gift und Dolch zu wählen, die härtesten
Dinge sagte und mit Gewalt sie nötigen wollte, mit
einem von beiden ihrem Leben ein Ende zu machen.
Kaum aber hatte er nun den Willen seines Herrn ver-
nommen, so ließ er das Mädchen in Ruhe und kehrte
zu jenem zurück, um ihm über den Hergang der Sache
Bericht zu erstatten.
Voller Freude über diese Kunde suchte Messer Ame-
rigo alsbald den Phineus auf, entschuldigte sich fast
unter Tränen, so gut er es nur wußte und konnte, wegen
des Geschehenen und versicherte, daß er gern bereit
sei, dem Theodor seine Tochter zur Frau zu geben.
Phineus nahm jene Entschuldigungen bereitwillig an
und erwiderte dann: „Meine Meinung ist, daß mein
Sohn Eure Tochter zur Frau nehmen soll, daß aber das
über ihm gefällte Urteil vollstreckt werden muß, im
Falle er es nicht tun wollte."
Als nun auf solche Weise Phineus und Messer Ame-
rigo übereingekommen waren, suchten sie zusammen
82
den Theodor am Orte seiner einstweiligen Verwahrung
auf, wo er noch vor Todesfurcht zitterte und zugleich
sich freute, den Vater wiedergefunden zu haben. Als sie
ihn darauf fragten, was er in jener Angelegenheit zu tun
gedenke, war seine Freude, daß Violante nun seine Frau
werden würde, so groß, daß es ihm nicht anders dünkte,
als sei er aus der Hölle ins Paradies gesprungen, und
ihnen beiden versicherte, daß es für ihn das größte
Glück sein werde, wenn sie es nur zufrieden seien.
So schickte man denn auch zu Violante, um ihren
Willen zu erfahren, und als diese vernahm, was sich mit
Thodor zugetragen und was ferner noch in Erfüllung
gehen sollte, während sie in beispielloser Traurigkeit
nichts als den Tod vor Augen sah, maß sie den Worten
erst nach geraumer Zeit einigen Glauben bei und konnte
sich doch nur halb freuen. Dann aber sagte sie, wenn
ihre Wünsche wahr werden sollten, dann könne sie frei-
lich nichts glücklicher machen, als Theodors Frau zu
sein. In jedem Falle aber werde sie tun, was ihr Vater
befehle.
So wurde denn des Mädchens Verlobung mit allge-
meiner Zustimmung gefeiert und dabei zur großen
Freude der Einwohner von Trapani eine glänzende Fest-
lichkeit angerichtet. Violante ward ihres Lebens wieder
froh und ließ ihren Knaben von einer Amme stillen,
und so dauerte es auch nicht lange, daß sie wieder
schöner wurde, als je zuvor.
Als die Zeit ihrer Wochen vorüber und Phineus auch
von Rom wieder zurückgekehrt war, bezeigte sie ihm
alle Ehrfurcht, die einem Vater gebührt. Er aber feierte,
hocherfreut über eine so schöne Schwiegertochter, unter
Jubel und Festlichkeiten ihre Hochzeit und nahm sie
damals und fernerhin gleich einer eigenen Tochter an.
83
Wenige Tage darauf bestieg er mit dem Sohne, ihr und
dem kleinen Enkel eine Galere, auf der sie glücklich
insgesamt in Lajazzo anlangten, wo die beiden Lieben-
den, solange sie am Leben blieben, ruhig und friedlich
sich aneinander erfreuten.
84
ùravefol in»
ACHTE GESCHICHTE
Nastagio degli Onesti bewirbt sich um die Liebe einer
Dame aus dem Hause Traversari und bringt, ohne Gegen-
liebe zu finden, dabei sein ganzes Vermögen durch. Auf
die Bitten der Seinigen geht er eines Tages nach Chiassi
und sieht daselbst, wie ein junges Mädchen von einem
Ritter gejagt, getötet und dann von zwei Hunden gefressen
wird. Darauf ladet er seine Familie sowohl als die der
Dame zu einem Mittagessen dorthin, und der Anblick des
zerfleischten Mädchens und die Furcht vor ähnlichem
Schicksal erschrecken die Spröde so sehr, daß sie den
Nastagio zum Manne nimmt.
Als Lauretta schwieg, fing Filomela auf der Königin
Geheiß also zu reden an:
Nicht minder, ihr holden Damen, als mitleidige Ge-
sinnung an uns gelobt wird, ahndet die göttliche Ge-
rechtigkeit die grausame auf das strengste, wo sie der-
gleichen unter uns antrifft. Um euch davon ein Bei-
spiel zu geben und euch dadurch zu bewegen, daß ihr
der Hartherzigkeit völlig entsagt, bin ich gesonnen, euch
eine Geschichte zu erzählen, die nicht weniger euer Mit-
gefühl erwecken als euch ergötzen wird.
In Ravenna, einer uralten Stadt der Romagna, lebten
einst adlige und vornehme Leute in Menge, unter denen
ein junger Mann, namens Nastagio degli Onesti, durch
den Tod seines Vaters und eines Oheims über allen
Glauben vermögend geworden war. Dieser nun verliebte
sich, wie den unverheirateten jungen Leuten zu ge-
schehen pflegt, in die Tochter des Messer Paolo Traver-
sari und hoffte deren Gunst, obgleich ihre Familie von
viel älterem und besseren Geschlecht war, als die seinige,
durch seine Bemühungen, ihr zu dienen, dennoch all-
mählich zu gewinnen.
So herrlich, lobenswert und großartig aber auch
85
diese letzteren waren, nutzten sie ihm dessenungeachtet
nicht allein nichts, sondern es schien vielmehr, als ob
sie ihm Schaden brächten, so hart, so unfreundlich und
so widerwillig bewies sich ihm das geliebte Mädchen,
die vielleicht um ihrer vorzüglichen Schönheit oder um
ihres Adels willen so hochmütig und ungefüge geworden
war, daß sie weder ihn noch was ihm irgend lieb war
leiden konnte. Diese Gesinnung der Geliebten wußte
Nastagio so wenig zu ertragen, daß er nach vielen Klagen
mehr als einmal im Begriff war, vor Schmerz sich das
Leben zu nehmen. Wenn er sich aber dennoch solch
einer Tat enthielt, so nahm er dann sich oftmals vor,
sie völlig aufzugeben oder womöglich sie ebenso zu
hassen, wie er von ihr gehaßt wurde. Alle diese Vor-
sätze indessen blieben eitel, denn es war nicht anders,
als ob seine Liebe um so mehr wüchse, je mehr die
Hoffnung schwand.
Als nun der junge Mann auf solche Weise beharrlich
seine Liebe verfolgte und in seinen übermäßigen Aus-
gaben fortfuhr, dünkte es einigen seiner Angehörigen
und Freunde, daß er dabei sich selbst und sein Ver-
mögen bald verzehrt haben werde. Deshalb rieten sie
ihm denn mehrmals, daß er Ravenna verlassen und auf
einige Zeit an irgendeinem anderen Ort sich aufhalten
möge, weil, wie sie meinten, auf solche Weise seine
Liebe sowohl als seine Ausgaben abnehmen würden.
Nastagio spottete zwar öfters über diesen Rat; da er
aber auf ihre vielen Ermahnungen doch nicht füglich
immer mit nein antworten konnte, sagte er es ihnen
endlich zu und ließ auch in der Tat nicht geringe Reise-
vorkehrungen treffen, als ob er nach Frankreich,
Spanien oder sonst einem entfernten Lande hätte ziehen
wollen. Als er aber endlich zu Pferde gestiegen war
86
und, von seinen zahlreichen Freunden begleitet, Ra-
venna verlassen hatte, ritt er nach Chiassi, einem viel-
leicht drei Miglien von der Stadt entfernten Orte, ließ
Zelte mancher Art herbeibringen und aufschlagen und
erklärte denen, die ihm das Geleit gegeben hatten, daß
sie, weil er hier zu weilen gesonnen sei, nach Ravenna
heimkehren möchten.
Unter diesen Zelten nun führte Nastagio wieder ein
ebenso glänzendes und herrliches Leben wie je zuvor
und lud nach alter Gewohnheit bald diese und bald jene
zum Mittag- oder Abendessen. Eines Tages aber, ziem-
lich zu Anfang des Maimonats und bei wunderschönem
Wetter, geschah es, daß Nastagio, ganz in Gedanken
an die grausame Geliebte versunken, allen seinen Leuten
ihn allein zu lassen befahl, um ungestörter seinem Trüb-
sinn nachhängen zu können, und daß er, in solcher
Weise ohne Zweck und Ziel umherirrend, bis zum
großen Pinien wald e gelangte.
Schon war die Mittagsstunde ziemlich herangekommen
und Nastagio hatte sich, unbekümmert um Speise, Trank
und andere Dinge, wohl eine halbe Miglie in den Wald
vertieft, als er das laute Weinen und verzweifelte Weh-
klagen eines Weibes zu vernehmen glaubte, die ihn
plötzlich aus seinen süßen Träumereien schreckten. Als
er nun aufblickte, ward er nicht allein zu seinem Er-
staunen gewahr, daß er mitten im Pinienhaine sei, son-
dern er sah nach wenigen Augenblicken auch wie ge-
rade vor ihm aus einem dicht verwachsenen Gebüsch
von Strauchwerk und Dornen hervor ein wunderschönes
nacktes Mädchen mit fliegenden Haaren und von
Stacheln und Ästen zerkratztem Leibe im vollen Lauf
unter lautem Weinen und Rufen um Gnade der Stelle
zueilte, an der er sich befand. Zu beiden Seiten folgten
87
ihr zwei riesenmäßige und wütende Jagdhunde auf den
Fersen und packten sie oft und unbarmherzig, wo sie
konnten; hinterher aber jagte auf schwarzem Pferde
und in dunkler Rüstung ein Ritter, dessen Gesicht vor
Zorn glühte, den Degen in der Hand, und drohte mit
entsetzlichen, schmähenden Worten, sie zu morden.
Nastagio wurde bei diesem Anblick zugleich von
Staunen und Abscheu ergriffen; dann aber erregte das
Mitleid mit dem unglücklichen Weibe den Wunsch in
ihm, wenn er es irgend vermöchte, ihre Qualen zu
endigen und sie dem Tode zu entreißen. So griff er
denn in Ermangelung der Waffen zu einem Baumast,
mit dem er statt eines Stockes den Hunden und dem
Ritter entgegenging. Der Ritter aber rief ihm, sobald
er dies gewahr wurde, von weitem zu : „Laß ab, Nastagio,
und überlasse mir und meinen Hunden, daß wir voll-
bringen, was dies ruchlose Weib verdient hat."
Und als er so gesprochen, packten die Hunde das
Mädchen aus aller Kraft in die Weichen und hielten
sie fest; während aber der Ritter hinzukam und vom
Pferde sprang, trat auch Nastagio heran und sagte:
„Wenngleich ich nicht weiß, wer du bist, der du mich
so gut zu kennen scheinst, so kann ich dir doch so viel
sagen, daß es eine höchst schmähliche Tat ist, wenn ein
bewaffneter Ritter ein nackendes Weib ermorden will
und es von den Hunden packen läßt, als wäre es ein
wildes Tier; darum werde ich es denn verteidigen, so-
lange ich irgend kann."
Darauf erwiderte der Ritter : „Nastagio, ich stammte
mit dir aus einer Stadt, und du warst noch ein kleines
Kind, als ich, den man Messer Guido degli Anastagi
nannte, in dies Mädchen hier wahrlich noch viel ver-
liebter war, als du jetzt in die Traversari bist. Ihr Hoch-
88
mut aber und ihre Härte stürzten mich in solches Un-
glück, daß ich endlich mit dem Degen, den du hier in
meiner Hand siehst, mich als ein Verzweifelter ent-
leibte und deshalb zu den ewigen Qualen verdammt bin.
Nicht lange Zeit verging darauf, so starb auch sie, die
sich unmäßig über meinen Tod gefreut hatte, und ward
wegen der Sünde ihrer Hartherzigkeit und der Lust
an meinen Martern, die sie nie bereute, gleichfalls zu
den Strafen der Hölle verurteilt. Als sie nun dorthin
gelangte, wurde ihr und mir die Strafe auferlegt, daß
sie vor mir fliehen, ich aber sie, die sonst so heiß ge-
liebte, nicht wie den Gegenstand meiner Liebe, sondern
wie meine Todfeindin verfolgen muß. So oft ich sie
alsdann erreiche, so oft durchbohre ich sie mit diesem
selben Degen, mit dem ich mich einst umgebracht habe,
öffne, wie du sogleich gewahren wirst, mit dem Messer
ihr die Seite, reiße das harte, kalte Herz, in das weder
Liebe noch Mitleid den Eingang zu finden wußten, samt
den übrigen Eingeweiden aus ihrem Leibe und werfe es
den Hunden hier zum Fräße vor. Dann vergehen nur
wenige Augenblicke, und sie ersteht, nach Gottes ge-
rechtem Ratschluß, durch seine Allmacht nicht anders
vom Boden, als ob sie nie getötet wäre, und alsdann
beginnen die klägliche Flucht, der Hunde und meine
eigene Verfolgung von neuem. Da geschieht es denn,
daß ich sie jeden Freitag um die jetzige Stunde an
diesem Platz einhole und, wie du sehen wirst, sie miß-
handle ; doch wähne ja nicht, daß wir die anderen Tage
ruhen, sondern wisse, daß ich sie dann auf anderen
Punkten, an denen sie Grausamkeiten gegen mich er-
sann oder vollführte, verfolge und erreiche. Weil ich
nun aus einem zärtlich Liebenden ihr Feind geworden
bin, muß ich ebenso viele Jahre sie in dieser Weise
89
verfolgen, als sie Monate lang hartherzig gegen mich
gewesen ist. Laß mich also den Befehl der göttlichen
Gerechtigkeit vollziehen und versuche keinen Wider-
stand gegen das, was du nicht hindern kannst."
Von diesen Worten ganz verschüchtert, trat Nastagio,
dem sich jedes Haar am Leibe sträubte, die Augen auf
das unglückliche Mädchen gewendet, zurück und harrte
angstvoll, was der Ritter vornehmen werde. Dieser aber
stürzte beim Ende seiner Rede gleich einem wütenden
Hunde auf das Mädchen los, das, von den zwei Rüden
festgehalten, auf ihren Knien um Gnade rief, und stieß
ihr mit aller Macht den Degen, den er in der Hand
hielt, mitten durch die Brust, daß er zum Rücken wieder
herausfuhr. Weinend und winselnd fiel die Ärmste von
diesem Stoß zu Boden; der Ritter aber griff zu einem
Messer, klappte es auf und öffnete ihr damit die Seite.
Dann weidete er ihr das Herz und was um dieses her
lag, aus und warf es den Hunden vor, die es heiß-
hungrig verschlangen. Wieder aber dauerte es nicht
lange, so erhob sich das Mädchen, als sei nichts von
dem allen geschehen, und begann nach der Richtung
des Meeres ihre Flucht aufs neue. Hinter ihr her
stürmten abermals die Hunde, die nicht abließen, sie
zu zerfleischen. Auch der Ritter saß, den Degen in
der Faust, wieder zu Pferde, und so schnell stürmten
Flucht und Verfolgung dahin, daß nach wenigen Augen-
blicken Nastagio nichts mehr von allem gewahr wurde.
Noch lange, nachdem dies Schauspiel an ihm vor-
übergezogen war, weilte er zwischen Mitleid und Furcht
geteilt; dann aber gedachte er plötzlich, wie dies Er-
eignis, da es alle Freitage sich wiederhole, geeignet sei,
ihn in seinen Wünschen wesentlich zu fördern. So
merkte er sich denn die Stelle und ließ, zu seinem ge-
9°
wohnlichen Aufenthalte heimgekehrt, mehrere seiner
Angehörigen und Freunde aus Ravenna zu sich ent-
bieten.
„Wohlan," sagte er zu ihnen, als sie gekommen waren,
„schon lange seid ihr in mich gedrungen, daß ich von
der Liebe zu jener meiner Feindin ablassen und in
meinen übermäßigen Ausgaben einhalten möge. Jetzt
bin ich bereit, es zu tun; jedoch unter der Bedingung,
daß ihr zuvor noch Messer Paolo Traversari dazu be-
wegt, in Begleitung seiner Frau und Tochter und aller
ihrer Verwandten am nächsten Freitag mit euch und
den anderen Damen, die ihr wählen möget, das Mittag-
essen hier bei mir einzunehmen. Warum ich dies ver-
lange, werdet ihr alsdann erfahren."
Jene achteten dieses Begehren für kein großes, und
so luden sie denn, nach Ravenna zurückgekehrt, als es
ihnen an der Zeit schien, die im voraus verabredeten Per-
sonen ein. War es nun auch nichts Leichtes, das von
Nastagio geliebte Mädchen zur Einwilligung und Teil-
nahme zu bestimmen, so kam sie doch mit den übrigen
zum Feste.
Nastagio ließ verschwenderisch ein Mittagsmahl her-
richten und die Tafeln unter den Pinienbäumen rings
um die Stelle ordnen, wo er die Strafe des hartherzigen
Weibes mit angesehen hatte. Dann wies er Männern
und Frauen ihre Plätze an, wobei er den Sitz seiner
Geliebten so gewählt hatte, daß der Fleck, an dem er
die Wiederholung jenes Schauspieles erwartete, ihr ge-
rade gegenüber war.
Schon war man bis zum letzten Gerichte gediehen, als
das Geschrei des gejagten Mädchens zu aller Ohren zu
dringen begann. Alle befremdeten jene angstvollen
Laute, jeder fragte, woher sie rührten, aber keiner ver-
91
mochte Auskunft zu geben. Aufgeschreckt erhoben sich
alle und schauten unverwandt nach der Seite, von der
das Geräusch kam; da gewahrten sie das jammernde
Mädchen, den Ritter und die Hunde, und alsbald waren
diese alle mitten unter den Gästen. Mit heftigen Schelt-
worten wehrten diese sowohl dem Ritter als den Hunden,
und viele traten vor, um dem Mädchen beizustehen. Die
Erzählung des Ritters, die er ihnen fast mit denselben
Worten wiederholte, mit denen er früher zu Nastagio
gesprochen hatte, machte sie indessen nicht nur von
ihrem Vorhaben abstehen, sondern erfüllte sie mit
Staunen und Entsetzen. Unter den anwesenden Damen
waren viele dem wehklagenden Mädchen, andere dem
Ritter verwandt und erinnerten sich seiner Liebe und
seines Todes ; alle aber weinten, als dieser sein grausames
Beginnen, so wie neulich, vollführte, ebenso bitterlich,
als wäre das Gleiche ihnen selber geschehen.
Als nun alles zu Ende gebracht und der Ritter ver-
schwunden war, sprachen diejenigen, die dem Schauspiel
zugesehen hatten, noch viel und mancherlei darüber. Am
meisten aber von den anderen hatte Nastagios spröde
Geliebte sich entsetzt; denn im Andenken an die Grau-
samkeit, die sie stets gegen ihn geübt hatte, fühlte sie
wohl, daß, was sie mit Auge und Ohr deutlich wahr-
genommen hatte, keinen der Anwesenden näher angehe,
als eben sie, und es war ihr nicht anders, als jage jener
sie schon ergrimmt durch den Wald und die Rüden
packten sie in die Weichen. Und so groß war die Furcht
vor diesem Schicksal, welche sich ihrer bemächtigt hatte,
daß sie in schnellem Wechsel von Haß zu Liebe die
Zeit nicht erwarten konnte (und noch am selben Abend
bot sich Gelegenheit), eine vertraute Dienerin heimlich
an Nastagio zu senden und ihn um seinen Besuch bitten
zu lassen, da sie alles, was ihm gefallen werde, zu tun
bereit sei. Darauf ließ ihr Nastagio erwidern, diese Bot-
schaft sei ihm hochwillkommen ; er gedenke aber, wenn
es ihr gefalle, nur in Ehren an das Ziel seiner Wünsche
zu gelangen, indem er sich ehelich mit ihr vermähle.
Die junge Dame wußte wohl, daß es nur an ihr ge-
legen habe, daß sie nicht schon Nastagios Frau ge-
worden, und so antwortete sie denn, sie sei dessen wohl
zufrieden. Dann meldete sie als ihre eigene Botin ihrem
Vater und ihrer Mutter, daß sie jetzt den Nastagio zu
heiraten bereit sei. Beide waren darüber hocherfreut,
und schon am nächsten Sonntag wurde das junge Paar
feierlich verlobt. Dann hielten sie Hochzeit und lebten
miteinander noch lange Jahre glücklich.
Es hatte aber jenes Ereignis nicht nur diese eine
glückliche Folge, sondern alle Ravennatinnen wurden
dadurch so eingeschüchtert, daß sie gegen die Wünsche
der Männer seitdem um vieles fügsamer geworden sind
als zuvor.
93
NEUNTE GESCHICHTE
Federigo degli Alberighi liebt, ohne Gegenliebe zu finden.
Er verzehrt in ritterlichem Aufwände sein ganzes Vermögen,
sodaß ihm nur ein einziger Falke bleibt. Diesen setzt er,
da er nichts anderes hat, seiner Dame, die zu ihm auf
Besuch kommt, zum Essen vor. Sie aber ändert, als sie
dies vernommen, ihre Gesinnung, nimmt ihn zum Manne
und macht ihn reich.
Schon hatte Filomela zu reden aufgehört und, da die
Königin vernahm, daß außer dem Dioneo niemand mehr
zu reden hatte, begann sie heiter :
So ist denn nun an mir, zu erzählen, und ich genüge
gern meiner Pflicht, indem ich euch, ihr lieben Mädchen,
eine Geschichte mitteile, die der vorigen einigermaßen
ähnlich ist. Ich tue dies nicht allein, damit ihr erkennt,
welche Macht eure Anmut über edle Herzen üben könne,
sondern damit ihr abnehmt, wie ihr eure Gunstbezeu-
gungen, da wo es sich geziemt, von selbst gewähren,
nicht aber euch vom Glücke leiten lassen solltet, welches
nicht nach verständiger Wahl, sondern, wie es sich eben
trifft, in den meisten Fällen ohne rechtes Maß seine
Gaben zu verteilen pflegt.
So sollt ihr denn wissen, daß in jüngst verflossener
Zeit ein Mann, namens Coppo di Borghese Domenichi,
in unserer Stadt lebte und vielleicht heute noch lebt,
der bei allen ein großes und ehrenvolles Ansehen genoß,
und weit mehr noch als wegen des Adels seines Blutes
um seiner Tugenden und erlesenen Sitten willen ge-
feiert und allgemeinen Ruhmes würdig war. Dieser fand
nun in seinen späten Jahren Gefallen daran, sowohl
seinen Nachbarn als auch Fremden von vergangenen
Ereignissen oftmals zu erzählen, wie er denn solches
mit größerem Redeschmuck und treuerem Gedächtnis
als irgendein anderer zu tun verstand.
94
örü a- ./,-/. r ut. ir? xl .
J.J.£üfjrl Seidp .
Unter anderen schönen Geschichten pflegte er nament-
lich auch zu erzählen, daß einst in Florenz ein junger
Edelmann, Federigo di Messer Filippo Alberti genannt,
gewesen sei, den man in ritterlichen Übungen und
adligen Sitten höher gehalten habe als irgendeinen seiner
Standesgenossen in Toskana. Wie es nun edlen Jüng-
lingen zu widerfahren pflegt, so verliebte sich auch
Federigo in eine adlige Frau, namens Monna Giovanna,
welche zu jener Zeit für eine der holdseligsten und
schönsten in Florenz gehalten wurde, und um ihre Liebe
zu gewinnen, scheute er in Turnieren und Kampfspielen
keinerlei Aufwand, richtete Feste her und teilte Ge-
schenke aus, ohne seines Vermögens irgend zu achten.
Die Dame aber, die ebenso sittsam war als schön, küm-
merte sich so wenig um dies alles, das ihr zu Ehren
geschah, als um diejenigen, von denen es ausging.
Da Federigo jedoch über seine Kräfte hinaus große
Summen vertat und nichts erwarb, verfiel er binnen
kurzem in solche Armut, daß er von allen seinen Be-
sitztümern nichts behielt als ein kleines Bauerngut,
dessen Einkünfte ihm kümmerlichen Unterhalt ge-
währten, und einen Falken, wie es kaum einen edleren
auf der Welt geben mochte. Inzwischen war seine Liebe
zwar nur noch glühender geworden als zuvor; da er
jedoch als Städter nicht mehr so, wie er es gewünscht
hätte, leben zu können glaubte, zog er sich auf das
Land zurück und ertrug dort auf seinem Gütchen, ohne
jemandes Hilfe anzusprechen, unter Vogelstellen ge-
duldig seine Armut.
Während nun Federigos Vermögensumstände sich so
sehr verschlechtert hatten, geschah es, daß der Gemahl
der Monna Giovanna schwer erkrankte; und als er ge-
wahr wurde, daß es mit ihm zu Ende gehe, machte er
95
ein Testament, in dem er sein schon ziemlich heran-
gewachsenes Söhnlein zum Erben aller seiner großen
Reichtümer ernannte und für den Fall, daß der Knabe
unbeerbt versterben sollte, die Monna Giovanna, die er
zärtlich geliebt hatte, zur Nachfolge bestellte.
Bald darauf starb er, und die hinterbliebene Witwe
zog, wie es unter den hiesigen Witwen üblich ist, für
den Sommer des Jahres auf das Land nach einer ihrer
Besitzungen, die dem Gütchen Federigos ziemlich nahe
gelegen war. So trug es sich denn zu, daß jener Knabe,
der an Hunden und Vögeln seine Freude hatte, mit
Federigo vertraut wurde. Als er nun dessen Falken öfter
hatte fliegen sehen, fand er an ihm so überschwäng-
liches Gefallen, daß er ihn zu besitzen höchlichst be-
gehrte; doch traute er sich nicht, darum zu bitten, da
er wohl sah, wie wert er dem Federigo sei.
Um diese Zeit ereignete es sich, daß der Knabe er-
krankte. Die Mutter, die nur dies eine Kind hatte und
es von ganzer Seele liebte, betrübte sich unsäglich und
wie sie den ganzen Tag um den Kranken geschäftig war,
sprach sie ihm guten Mut zu und fragte ihn unter
dringenden Bitten, es ihr zu sagen, ob er denn nicht
vielleicht nach irgend etwas Verlangen hege; sie wolle
ja, wenn es nur möglich sei, sicher Sorge tragen, daß
sie es ihm verschaffe. Schon mehrmals hatte der kranke
Knabe diese Anerbietungen vernommen, als er endlich
antwortete: „Mutter, könnt Ihr machen, daß ich Fede-
rigos Falken erhalte, so glaube ich in kurzem wieder
gesund zu werden."
Eine Zeitlang, nachdem sie diese Worte vernommen,
blieb die Edeldame in sich gekehrt und erwog, was sie
tun sollte. Sie wußte wohl, daß Federigo sie lange ge-
liebt hatte, ohne von ihr jemals auch nur einen Blick
96
zu erlangen; daher sagte sie bei sich selber: „Wie darf
ich zu Federigo wegen dieses Falken senden oder gar
selbst deshalb zu ihm gehen, da, wie ich höre, dieser
Falke der edelste ist, der je einem Jäger diente, und
da er noch überdies seinem Herrn in solcher Weise den
Lebensunterhalt gewährt? Und wie könnte ich so rück-
sichtslos sein, einem Edelmann, dem sonst keine Freude
mehr geblieben ist, diese seine einzige rauben zu
wollen?"
Obgleich sie nun sicher war, den Falken zu erhalten,
sobald sie darum bäte, antwortete sie doch, von jenen
Gedanken bestrickt, nichts auf das Verlangen ihres Söhn-
leins und schwieg. Endlich aber trug die Liebe zu dem
Knaben doch den Sieg davon, und, um ihn zufrieden
zu stellen, entschloß sie sich, was auch immer die Folge
davon sein würde, nicht zu Federigo zu senden, sondern
selber zu ihm zu gehen, um den Falken zu holen. Des-
halb sagte sie: „Mein Kind, gib dich zufrieden und
sorge nur, daß du gesund wirst; denn ich verspreche
dir, daß morgen früh mein erster Gang wegen des
Falken sein wird, und gewiß, ich werde ihn dir
bringen."
Schon diese Antwort erfreute den Knaben so sehr,
daß noch an demselben Abend einige Besserung an ihm
zu bemerken war.
Am nächsten Morgen nahm Monna Giovanna eine
andere Dame zum Geleit und lustwandelte mit dieser
bis zu Federigos kleinem Häuschen. Zum Vogelstellen
war es nicht die Zeit, und schon seit mehreren Tagen
war er nicht deshalb ausgegangen ; so verweilte er denn,
als sie nach ihm fragte, m seinem Garten und ließ
dort gewisse kleine Arbeiten besorgen. Als er vernahm,
daß sie an seiner Tür sei und nach ihm verlange, er-
III
97
staunte er höchlichst und eilte ihr mit ehrfurchtsvollem
Gruße freudig entgegen; sie aber begrüßte ihn mit
freundlicher Anmut und sagte: „Guten Morgen, Fede-
rigo! Ich bin gekommen, dir für all das Ungemach
Ersatz zu leisten, das du seither um meinetwillen er-
duldet hast, weil du mich leidenschaftlicher liebtest, als
dir dienlich gewesen wäre ; der Ersatz aber besteht darin,
daß ich mit dieser meiner Begleiterin heute vertraulich
bei dir zu Mittag zu essen gedenke."
Hierauf antwortete Federigo in Demut: „Madonna,
ich weiß von keinem Ungemach, das mir je durch Euch
zuteil geworden wäre, wohl aber von so vielem Heile,
daß, wenn jemals an mir irgend etwas Lob verdiente,
ich dies nur Eurer Trefflichkeit und meiner Liebe zu
Euch verdanke. Und wahrlich, dieser Euer Besuch, den
Ihr aus freier Güte mir gewährt, ist mir, wenngleich
Ihr zu einem dürftigen Wirte gekommen seid, unend-
lich viel lieber, als wenn mir die Mittel zurückgegeben
wären, die ich zu der Zeit besaß, wo ich einst den
größten Aufwand machte."
Nach diesen Worten führte er sie schüchtern in sein
Haus und von diesem in den Garten. Weil er aber sonst
niemanden hatte, der ihr hier Gesellschaft hätte leisten
können, sagte er: „Madonna, da kein anderer hier ist,
so wird dieses gute Weib, die Frau des Mannes, der
hier meinen Acker bestellt, während ich den Tisch be-
sorgen lasse, Euch zur Gesellschaft bleiben."
Wie groß nun auch seine Armut war, so war er bis
dahin eigentlich noch nicht gewahr geworden, wie sein
ungeordnetes Verschwenden der früheren Reichtümer
ihn Mangel leiden ließ. Diesen Morgen aber, als es ihm
an allem gebrach, um die Dame zu ehren, der zuliebe
er einst so Unzählige bewirtet und geehrt hatte, er-
98
kannte er zuerst seine Dürftigkeit. In der peinlichsten
Herzensangst lief er wie außer sich hin und her und
verwünschte sein Schicksal, als er weder Geld noch
irgend etwas, das er hätte versetzen können, vorfand.
Inzwischen war die Zeit schon vorgerückt, und so groß
auch sein Verlangen war, die edle Dame einigermaßen
wenigstens zu ehren, so konnte er sich doch nicht ent-
schließen, irgend jemand, nicht einmal seinen Garten-
arbeiter, um etwas anzusprechen.
Da fiel ihm sein guter Falke in die Augen, der im
Speisezimmer auf seiner Stange saß, und wie er sonst
nirgends einen Ausweg zu entdecken vermochte, faßte
er ihn und erachtete das edle Tier, da es fett war, als
eine würdige Speise für solch edle Dame. Und ohne
sich weiter zu besinnen, drehte er ihm den Hals um
und ließ ihn dann eilig, von seiner Magd gerupft und
hexgerichtet, an den Spieß stecken und sorgsam braten.
Dann breitete er schneeweiße Tücher, deren ihm noch
einige geblieben waren, über den Tisch und ging mit
frohem Gesicht wieder hinaus zu seiner Dame, um ihr
zu sagen, daß das Mittagessen, so gut er es zu bieten
vermöge, bereit sei. So erhoben sich denn die Dame
und ihre Begleiterin, gingen zu Tische und verzehrten,
ohne zu wissen, was sie aßen, mit Federigo, der sie
mit größter Sorgfalt bediente, den guten Falken.
Als sie darauf von Tische aufgestanden waren und
noch einige Zeit in freundschaftlichen Gesprächen mit
ihm verbracht hatten, schien es der Dame an der Zeit,
das zu sagen, um dessen willen sie gekommen war, und
freundlichen Blickes zu Federigo gewandt, begann sie
also:
„Federigo, gedenkst du deiner früheren Schicksale
und meiner Sittenstrenge, die du vermutlich für Härte
99
und Grausamkeit erachtet hast, so zweifle ich nicht,
daß du über meine Dreistigkeit erstaunen wirst, wenn
du vernimmst, warum ich eigentlich hierher gekommen
bin. Hättest du aber Kinder oder hättest du welche be-
sessen, so daß du die Liebe, die man für sie hegt,
zu kennen vermöchtest, so glaube ich mit Zuversicht,
daß ich dir wenigstens zum Teil entschuldigt erscheinen
würde. Du besitzest deren nicht; ich aber, die ich einen
Sohn habe, vermag mich dem Gesetze, dem alle Mütter
unterliegen, nicht zu entziehen und sehe mich zufolge
seines Gebotes genötigt, gegen meine Neigung, ja, gegen
Anstand und Pflicht, dich um ein Geschenk zu bitten,
von dem ich weiß, wie teuer es dir ist. Auch hast du
allen Grund, es so wert zu halten, da die Ungunst des
Schicksals dir keine andere Freude, keine Zerstreuung,
keinen Trost als diesen einen gelassen hat. Dieses Ge-
schenk aber ist dein Falke, nach dem mein Knabe so
unmäßiges Verlangen trägt, daß ich fürchten muß, die
Krankheit, an welcher er darnieder liegt, werde sich,
wenn er ihn nicht erhält, um vieles verschlimmern und
eine Wendung nehmen, infolge deren ich ihn verliere.
So beschwöre ich dich denn, nicht bei der Liebe, die
du für mich hegst (denn um derenwillen hast du gegen
mich keinerlei Verpflichtung), sondern bei deiner adli-
gen Gesinnung, welche du in Hofsitte und Freigebigkeit
mehr als irgendein anderer bewährt hast, daß es dir
gefallen möge, mir deinen Falken zu schenken, damit
ich sagen könne, du habest mir durch diese Gabe das
Leben meines Sohnes erhalten, und damit er dir immer-
währenden Dank schuldig bleibe."
Als Federigo vernahm, was die Dame begehre, und
sich dabei bewußt war, ihr nicht genügen zu können,
da er ihr den Falken zur Mahlzeit vorgesetzt hatte, fing
ioo
er in ihrer Gegenwart, bevor er noch eine Silbe der
Antwort vorbringen konnte, bitterlich zu weinen an.
Anfangs glaubte die Dame, diese Tränen gölten dem
Schmerze, sich von dem guten Falken trennen zu sollen,
und schon war sie im Begriff, zu sagen, daß sie ihn
lieber nicht haben wolle; doch bezwang sie sich und
erwartete Federigos Antwort, der, nachdem er seine
Tränen bemeistert, also sprach:
„Madonna, seit es Gott gefallen hat, daß ich Euch
meine Liebe zuwendete, habe ich bei vielen Gelegen-
heiten das Schicksal mir feindlich gefunden und über
seine Ungunst mich zu beschweren gehabt; dies alles
aber war nur gering im Vergleich mit dem, was mir
jetzt widerfährt. Denn wie sollte ich wohl mit meinem
Geschicke je mich wieder aussöhnen, wenn ich bedenke,
daß ich durch seine Tücke außerstande gesetzt bin, Euch
das kleine Geschenk zu geben, das Ihr begehrt, nun Ihr
zu meinem verarmten Hause gekommen seid, das Ihr,
solange es ein reiches war, nie Eures Besuches gewürdigt
habt. Warum ich dies aber nicht vermag, will ich Euch
kurz berichten: Als ich vernahm, Ihr wolltet, Dank sei
es Eurer Güte, bei mir zu Mittag essen, glaubte ich,
im Gedanken an Euren Adel und Eure Trefflichkeit,
es sei würdig und angemessen, soweit meine Kräfte
reichten, Euch durch eine wertvollere Speise zu ehren,
als diejenigen sind, mit denen man andere Menschen
zu bewirten pflegt. Da gedachte ich des Falken, den Ihr
jetzt von mir begehrt, und wie vorzüglich er sei, und
hielt ihn für eine Euer würdige Speise; so habt Ihr ihn
denn heute mittag gebraten auf der Schüssel gehabt,
und ich glaubte, ihm die beste Stätte bereitet zu haben.
Nun ich aber sehe, daß Ihr in anderer Weise seiner
begehrtet, ist mein Schmerz, Euren Wunsch nicht er-
IOI
füllen zu können, so heftig, daß ich nicht glaube, mich
je wieder darüber beruhigen zu können."
Nach diesen Worten ließ er zum Beweise des Ge-
sagten ihr Federn, Fänge und Schnabel des Falken vor-
zeigen.
Als die Dame dies alles hörte und sah, tadelte sie
ihn anfangs, daß er zur Bewirtung eines Weibes einen
so edlen Falken getötet habe; dann aber bewunderte
sie im Stillen die Größe seiner Gesinnung, die die
bittere Armut weder abzustumpfen vermocht hatte, noch
gegenwärtig vermochte. Da ihr jedoch alle Hoffnung
geraubt war, den Falken zu besitzen, und die Be-
fürchtungen wegen der Genesung des Knaben nun in
ihr aufstiegen, schied sie voller Betrübnis und kehrte
zu ihrem Sohne zurück.
War es nun die Wirkung des Verdrusses, daß ihm
der Falke nicht gewährt werden konnte, oder war die
Krankheit von der Art, daß sie auch ohne das zu solchem
Ende führen mußte — genug, nur wenige Tage waren
verstrichen, als der Knabe zum größten Leidwesen seiner
Mutter aus diesem Leben schied. Infolge dieses Verlustes
blieb sie zwar geraume Zeit in Tränen und Traurigkeit ;
da sie jedoch noch jung und in den Besitz eines glänzen-
den Vermögens gelangt war, drängten ihre Brüder sie
vielfach, zu einer zweiten Ehe zu schreiten. Obwohl
sie sich nun dessen am liebsten enthalten hätte, so ge-
dachte sie doch bei solchem Andringen* Federigos Treff-
lichkeit und des letzten Beweises seiner hochherzigen
Gesinnung, den er ihr gegeben, indem er einen solchen
Falken getötet hatte, allein um sie zu ehren. Darum sagte
sie zu ihren Brüdern: „Am liebsten ließe ich, wolltet
ihr es gestatten, meinen Witwenstuhl unverrückt; ist es
aber euer Begehren, daß ich zu einer zweiten Ehe schreite,
102
so werde ich wahrlich keinem anderen mich vermählen,
wenn ich Federigo degli Alberi ghi nicht erhalte."
Auf diese Rede verhöhnten ihre Brüder sie und sagten :
„Törichte, was schwatzest du da? Wie kannst du ihn
nehmen wollen, der nichts auf der Welt hat?"
Sie aber antwortete: „Meine Brüder, wohl weiß ich,
daß es sich also verhält, wie ihr sagt ; ich aber ziehe den
Mann, der des Vermögens entbehrt, dem Vermögen vor,
das eines Mannes entbehrt."
Als die Brüder diese ihre Gesinnung vernahmen und
sich überzeugten, daß Federigo trotz seiner Armut ein
höchst ehrenhafter Mann sei, gewährten sie ihm nach
Giovannas Wünschen samt allen ihren Reichtümern. Er
aber beschloß, im Besitz einer so trefflichen und so über-
schwänglich von ihm geliebten Gattin, und noch über-
dies eines außerordentlichen Vermögens, nach langen
Jahren freudig seine Tage.
io3
ZEHNTE GESCHICHTE
Pietro da Vinciolo geht aus, um anderwärts zur Nacht zu
essen. Seine Frau läßt ihren Buhlen kommen; Pietro kehrt
aber heim, und die Frau versteckt den Liebhaber unter
einem Hühnerkorbe. Pietro erzählt, daß in dem Hause des
Ercolano, bei dem er zu Nacht gegessen, ein junger Mensch,
den die Frau verborgen hatte, gefunden sei, worüber Pietros
Frau die des Ercolano heftig tadelt. Zum Unglück tritt ein
Esel dem Burschen unter dem Korbe auf die Finger, so daß
er schreien muß. Pietro läuft hinzu, sieht ihn und erkennt
die Falschheit seiner Frau, ist aber niederträchtig genug,
sich am Ende doch wieder mit ihr auszusöhnen.
Die Erzählung der Königin war zu ihrem Ende ge-
diehen und alle hatten Gott gepriesen, daß er dem Fede-
rigo würdigen Lohn verliehen hatte, als Dioneo, der
einen Befehl nicht erst zu erwarten pflegte, also begann :
Ich weiß nicht, ob ich es einen fremdartigen Fehler
nennen soll, der erst infolge späterer Sittenverderbnis die
Sterblichen befallen hat oder ob es in der ursprüng-
lichen Natur des Menschen liegt, daß wir lieber schlechte
Streiche belachen als über gute Werke uns freuen, und
ersteres vorzugsweise so lange, als wir nicht selbst davon
betroffen werden. Weil nun aber einmal die Bemühung,
der ich mich schon früher unterzogen habe und der ich
jetzt mich aufs neue zu unterziehen im Begriff stehe,
keinen anderen Zweck hat, als eure üble Laune zu zer-
streuen und euch zu Lachen und Freude zu bewegen, so
will ich die nachfolgende Geschichte, die euch, ihr liebe-
vollen Mädchen, Ergötzen zu bereiten geeignet ist, immer-
hin erzählen, obwohl sie mitunter nicht eben anständig
genannt werden kann.
Ihr aber mögt, indem ihr dieselbe mit anhört, ver-
fahren, wie ihr in den Gärten zu tun pflegt, die ihr
besucht, in denen ihr die Rosen brecht und die Dornen
io4
Flip lift <
unberührt laßt. So überlaßt denn auch hier den ehren-
losen Ehemann seiner eigenen Schmach und seinem Un-
heil, belacht in Heiterkeit den verliebten Trug seiner
Frau und hegt, wo sich der Anlaß dazu bietet, Mitleid
mit fremdem Unglück.
In Perugia lebte vor nicht gar langer Zeit ein reicher
Mann, namens Pietro da Vinciolo, der, weit mehr wohl
um andere zu täuschen und den üblen Ruf zu mindern,
in dem er bei allen Peruginern stand, als aus innerem
Verlangen danach, ein Weib nahm. Dabei gab ihm das
Schicksal eine Ehegenossin, die seinen Neigungen nicht
sonderlich entsprach. Das Weibchen, das er freite, war
ein untersetztes junges Ding mit rotem Haar und
warmem Blut, die am liebsten zwei Männer auf einmal
genommen hätte, während sie nun einem Menschen in
die Hände geriet, der zu ganz anderen Dingen Lust hatte,
als sie zu umarmen.
Daß es sich so verhielt, wurde sie nur allzubald
gewahr und, wenn sie dann daran dachte, wie jung und
frisch sie sei und sich dabei voller Kraft und Lebens-
lust fühlte, so übermannte sie anfangs nicht selten der
Zorn, und es gab häufig anzügliche Reden gegen ihren
Mann, immer aber schlechtes Vernehmen. Als sie sich
indessen überzeugte, daß sie auf diesem Wege eher sich
selbst verzehren, als der Abscheulichkeit ihres Mannes
irgend steuern werde, sagte sie bei sich selber:
„Dieser Elende kümmert sich nicht um mich, weil
er in seiner Ruchlosigkeit nur säen will, wo sich nicht
ackern läßt; so will ich denn sorgen, daß ein anderer
das Erdreich bestelle, wo es locker ist. Ich habe ihn
zum Manne genommen und ihm gute Mitgift zuge-
bracht, weil ich voraussetzte, daß er ein Mann sei, und
daß er begehre, wonach Verlangen zu tragen die Männer
io5
von Natur angewiesen sind. Hätte ich ihn nicht für
einen Mann gehalten, wahrlich, so hätte ich ihn nicht
geheiratet. Warum aber, wenn ihm die Weiber zuwider
waren, nahm er mich zur Frau, da er doch wußte, daß
ich ein Weib sei ? Wahrhaftig, das ist nicht zu ertragen !
Hätte ich mich von der Welt zurückziehen wollen, so
wäre ich ins Kloster gegangen. Nun wollte ich aber
in der Welt leben und lebe darin ; soll ich jedoch warten,
bis dieser Mensch mir Lust und Vergnügen gewährt, so
werde ich über das furchtlose Warten wohl alt und
grau werden. Will ich meine Reue bis dahin verschieben,
so werde ich umsonst bejammern, daß ich meine Jugend
ungenutzt gelassen habe. Ist er mir doch selbst der beste
Lehrmeister, von dem ich annehmen kann, womit ich
mich zu trösten habe. Er sucht seine Vergnügungen
eben da, wo auch ich sie zu finden habe und wo sie
für mich löblich, für ihn aber die ärgste Schmach sind.
Folge ich meinem Verlangen, so handle ich nur den
Gesetzen zuwider, während er die Ordnung der Natur
und die Gesetze zugleich übertritt."
Als das gute Weibchen diese Betrachtungen bei sich
angestellt und vielleicht mehr als einmal wiederholt
hatte, zog sie, um insgeheim zur Verwirklichung ihrer
Wünsche zu gelangen, eine ältere Frau ins Vertrauen,
die so fromm schien wie die heilige Verdiana, welche
die Schlangen fütterte; denn zu jedem Ablaß ging sie,
den Rosenkranz in der Hand, und redete nie von etwas
anderem, als von dem Leben der heiligen Kirchenväter
oder von den Wundermalen des heiligen Franziskus.
So galt sie denn fast allgemein für eine halbe Heilige.
Dieser nun eröffnete unser Weibchen, als es ihr an der
Zeit schien, ihr Verlangen ohne allen Rückhalt.
Die Alte aber antwortete : „Gott, der alle Dinge kennt,
106
weiß, daß du sehr wohl daran tun wirst. Und wäre e9
aus keinem anderen Grunde, so müßtest du, und gleich
dir müßten alle anderen jungen Weiber also verfahren,
damit ihr die Zeit eurer Jugend nicht ungenutzt ver-
streichen laßt. Wahrlich, für jeden Einsichtigen gibt
es keinen größeren Schmerz als den, seine Zeit ver-
loren zu haben und, zum Teufel, wenn wir einmal alt
sind, zu was sind wir dann noch auf der Welt zu ge-
brauchen, als etwa die Asche in der Kohlenpfanne zu
hüten? Ich weiß davon mitzureden, wenn keine andere
es wollte oder könnte; denn, nun ich alt bin, erkenne
ich mit schwerer und bitterer, leider aber vergeblicher
Reue, wie schlecht ich meine Zeit genutzt habe.
„Zwar habe ich die Zeit meiner Jugend nicht so
ganz und gar verloren (denn ich wünschte nicht, daß
du glaubtest, ich sei eine Gans gewesen) ; doch tat ich
bei weitem nicht, was ich hätte tun können. Sehe ich
mich nun an, wie ich gegenwärtig aussehe, daß kein
Mensch mehr zu bewegen wäre, mir Feuer zu schlagen,
und erinnere ich mich, was ich versäumt habe, so weiß
Gott am besten, wie sehr ich mich gräme.
„Mit den Männern ist das anders. Die Männer sind
zu tausenderlei Dingen bestimmt, nicht bloß zu diesem
einen, und die Mehrzahl taugt im Alter viel mehr, als
in der Jugend. Wir Weiber aber kommen nur zu diesem
Zwecke, und um Kinder zu gebären, auf die Welt;
nur um dessenwillen hält man uns wert. Vermöchtest
du dies aus nichts anderem zu erkennen, so müßte es
dir schon dadurch klar werden, daß wir Weiber jeden
Augenblick zu jener Sache bereit sind, während das
bei den Männern keineswegs der Fall ist. Überdies kann
ein Weib zehn Männer von Kräften bringen; noch so
viele Männer aber vermögen nicht, ein Weib zu er-
107
müden. Du siehst also, wir sind dazu geboren, und so
wiederhole ich dir denn, daß du ganz recht tust, wenn
du mit dem Maße, mit dem dein Mann dir gemessen,
ihm wieder mißt; enthältst du dich dessen, so mußt
du fürchten, daß einst im Alter deine Seele dem Fleische
über das Versäumte Vorwürfe mache. Von dieser Welt
hat ein jeder gerade so viel, als er sich davon zunutze
macht. Das gilt mehr noch als von den anderen von
uns Weibern, und so müssen wir denn die Gelegenheit,
solange sie sich uns bietet, weit sorglicher wahrnehmen
als die Männer.
„Sieh doch nur selber, wie es geht: sind wir erst
alt geworden, so mag weder Ehemann noch sonst jemand
uns vor Augen haben. In die Küche jagen sie uns,
damit wir die Katze unterhalten oder uns mit dem
Zählen von Töpfen und Schüsseln die Zeit vertreiben.
Ja, was noch schlimmer ist, sogar zum Spotte werden
wir ; da heißt es : ,Den Jungen Konfekt und Wein,
den Alten das Zipperlein', und was solcher schlechten
Reden noch mehr sind. Doch, was soll ich dich jetzt
mit Worten länger hinhalten ! Soviel kann ich dir sagen :
Du konntest niemandem deine Gesinnung offenbaren,
der besser als ich dir zum Ziele zu helfen vermocht
hätte; denn kein Mann ist so eitel und geschmiegelt,
daß ich mich nicht getraute, ihm das Nötige zu sagen,
und keiner so ungehobelt und tölpelhaft, daß ich ihn
nicht kirre zu machen und dahin zu bringen wüßte,
wo ich ihn haben will.
„So bezeichne mir nur, wen du willst, und über-
lasse dann mir das weitere ! Um eins aber muß ich
dich noch bitten, meine Tochter: Vergiß mich nicht
und bedenke, daß ich eine arme Frau bin; dafür sollst
du aber auch von heute an teilhaben an jedem Ab-
108
lasse, den ich bekomme, und an jedem Paternoster, das
ich sage, damit der liebe Gott sie als Kerzen und Lampen
für deine verstorbenen Angehörigen aufnehme."
Mit diesen Worten schloß die Alte; das junge Weib-
chen aber einigte sich mit ihr dahin, daß sie das Ihrige
tun werde, wenn sie einen jungen Menschen zu sehen
kriegte, der öfter durch jene Straße käme und den sie
ihr nach vielen Merkmalen genau bezeichnete. Dann
gab sie ihr ein Stück Pökelfleisch und entließ sie mit
Gott.
Erst wenige Tage waren seitdem vergangen, als die
Alte ihr auch schon den jungen Menschen, den sie ihr
bezeichnet hatte, heimlich in die Kammer brachte, und
bald darauf einen zweiten und so fort, je nachdem der
jungen Frau ein neues Gelüste ankam. Diese aber ließ,
wiewohl sie sich fortwährend vor ihrem Manne fürchtete,
keine Gelegenheit ungenutzt, die sich in solcher Be-
ziehung ihr darbot.
So geschah es denn, daß eines Tages das Weibchen,
als ihr Mann bei einem seiner Freunde, mit Namen Er-
colano, zu Abend essen sollte, der Alten auftrug, einen
jungen Burschen zu ihr zu bestellen, der zu den
schönsten und muntersten von Perugia gehörte. Diese
tat alsbald, was ihr geheißen war.
Kaum aber hatten das Weibchen und der junge
Bursche sich zu Tische gesetzt, um das Abendessen zu
verzehren, als Pietro an der Haustür rief, daß ihm
aufgemacht werde. Das Weibchen hielt sich für ver-
loren, als es seine Stimme hörte; doch wollte sie, wenn
immer möglich, gern ihren Buhlen verbergen. Indessen
hatte sie nicht Besinnung genug, ihn fortzuschaffen oder
besser zu verstecken ; so hieß sie ihn also, sich auf dem
Hausflur, der an das Speisezimmer anstieß, unter einen
109
Hühnerkorb ducken. Dann warf sie die Leinwand von
einer Matratze darüber, die sie an demselben Tage hatte
ausleeren lassen, und als auch dies geschehen war, ließ
sie dem Manne eiligst die Tür aufmachen.
„Nun," sagte sie, als er in das Haus getreten war,
„Ihr habt ja das Abendessen gewaltig schnell herunter-
geschluckt."
„Wir haben es gar nicht einmal gekostet", antwortete
Pietro.
„Wie ist denn das zugegangen?" sagte die Frau.
Darauf erwiderte Pietro: „Das will ich dir sagen:
Ercolano, seine Frau und ich, wir saßen schon bei
Tische, da hörten wir plötzlich ganz in unserer Nähe
niesen. Das erste und das zweitemal bekümmerten wir
uns nicht darum ; als aber jener Unsichtbare ein drittes,
ein viertes und noch viele andere Male zu niesen fort-
fuhr, wunderten wir uns alle. Ercolano war ohnehin
auf seine Frau nicht gut zu sprechen, weil sie uns,
ohne aufzumachen, eine lange Zeit vor der Tür hatte
stehen lassen. So sagte er denn in größter Heftigkeit:
,Was will das heißen? Wer ist das, der hier so niest?'
und damit sprang er vom Tische auf und ging auf eine
Treppe zu, die dort in der Nähe war.
„Unter dem ersten Absatz dieser Treppe war ein
Bretterverschlag, um dort vorkommendenfalls etwas aus
der Hand zu legen, wie man dergleichen zur Bequemlich-
keit der Bewohner alle Tage in den Häusern herrichten
sieht. In diesem Bretterverschläge nun war ein Türchen,
und kaum hatte Ercolano, der das Niesen in dieser Rich-
tung vernommen zu haben glaubte, dasselbe aufgerissen,
als auch der unleidlichste Schwefelqualm daraus hervor-
drang. Schon früher hatten wir diesen Schwefelgeruch
empfunden und uns darüber beschwert, worauf die Frau
no
uns gesagt hatte, sie habe ihre Schleier vorhin mit
Schwefel gebleicht und die Kohlenpfanne, auf die sie
ihn zum Rauchen gestellt habe, unter jene Treppe ge-
stellt, so daß der Geruch sich noch von dorther verbreite.
Als Ercolano nun das Türchen geöffnet und, nachdem
der Qualm sich ein wenig verzogen hatte, hineinsah,
sah er denjenigen, der geniest hatte und, weil der
Schwefeldampf ihn in die Nase biß, noch immerfort
nieste. Noch nieste er zwar, doch hatte ihm der Schwefel
die Luftröhre schon so zusammengezogen, daß es, nur
ein paar Augenblicke später, mit dem Niesen und mit
allem anderen auf immer für ihn vorbei gewesen wäre.
„Als Ercolano ihn gewahr wurde, rief er : ,Weib, nun
sehe ich wohl, warum du eben zuvor, als wir kamen,
uns so lange, ohne aufzutun, vor der Türe hast stehen
lassen ; aber ich will doch nie wieder froh werden, wenn
ich dich nicht gründlich dafür bezahle.' Bei diesen
Worten entfloh die Frau, die ihr Vergehen entdeckt sah,
ohne zu einer Entschuldigung ein Wort zu sagen, von
der Mahlzeit, und was aus ihr geworden ist, weiß ich
nicht. Ercolano aber, der die Flucht seiner Frau gar
nicht bemerkt hatte, befahl dem Niesenden wiederholt
herauszukommen; der aber war in solchem Zustande,
daß, soviel Ercolano auch redete, er sich nicht zu regen
vermochte.
„Da faßte dieser ihn bei einem Beine, zog ihn heraus
und lief dann nach einem Messer, um ihn totzustechen.
Weil ich aber infolge dieser Geschichte am Ende selber
in Untersuchung zu kommen fürchtete, sprang ich auf
und litt nicht, daß er ihn tötete oder ihm sonst ein
Leid zufügte; vielmehr verteidigte ich ihn und schrie
solange, bis Nachbarn herbeikamen und den jungen
Menschen, der sich schon ganz verloren gab, aus dem
in
Hause fortbrachten, wohin, weiß ich nicht. So war denn
unser Abendessen gestört, und ich habe es, wie ich dir
sagte, nicht einmal gekostet, geschweige denn, wie meine
Absicht war, zu mir genommen. "
Als das Weibchen diese Geschichte vernahm, erkannte
sie wohl, daß auch andere Frauen nicht minder ver-*
ständig seien als sie, daß aber auch hin und wieder
einmal ein Unglück dazwischen komme. So hätte sie
denn die Frau des Ercolano wohl gerne mit deutlichen
Worten verteidigt ; da sie indessen durch den Tadel eines
fremden Fehltrittes von dem ihrigen den Verdacht besser
abzulenken gedachte, begann sie folgendermaßen zu reden :
„Nun, das sind mir schöne Geschichten ! Eine rechte
Tugendheldin und saubere Heldin muß ja das sein!
So kann man sich auf den Schein der Ehrbarkeit ver-
lassen ! Wäre ich doch selber bei ihr zur Beichte ge-
gangen, so fromm und sittsam konnte sie tun. Und
was noch schlimmer ist, nachgerade ist sie schon bei
Jahren und gibt den Jüngeren solch ein Beispiel ! So
soll doch die Stunde vermaledeit sein, wo sie zur Welt
kam, und sie selbst nicht minder, daß sie in ihr fort-
lebt, als solch ein ehrvergessenes, verworfenes Geschöpf,
als eine gemeinsame Schmach und Schande für alle
Frauen in dieser ganzen Stadt! Den Anstand tritt sie
mit Füßen und alle Ehre vor der Welt und bricht die
Treue, die sie ihrem Manne gelobt hat, einem wackeren
Mann, wie sie sich keinen besseren wünschen konnte,
und scheut sich nicht, wegen solch eines Kerles sich
selbst zu brandmarken und zugleich auch noch ihren
Mann. So wahr mir Gott helfe, mit solchen Weibsbildern
sollte man gar kein Mitleid haben! Totmachen sollte
man sie und ganz lebendig mitten ins Feuer stecken,
bis sie zu Asche verbrannt wären."
112
Inzwischen gedachte sie aber wieder ihres Liebhabers,
den sie dort ganz nahe unter dem Hühnerkorbe versteckt
hatte, und darum fing sie an, dem Pietro zuzureden,
daß er doch zu Bett gehen möge, da es schon Schlafens-
zeit sei. Pietro jedoch hatte mehr Lust zum Essen als
zum Schlafen und fragte sie deshalb, ob nichts zum
Abendbrot da sei.
Die Frau aber antwortete: „Abendbrot! Da hat sich
was von Abendbrot ! Als ob wir gewohnt wären, Abend-
essen zu besorgen, wenn du nicht daheim bist ! Ja, wenn
ich Ercolanos Frau wäre! Geh nur, geh, und sieh für
heute abend, daß du einschläfst ; da wirst du besser daran
tun!"
Nun traf es sich, daß an eben jenem Abend einige
Arbeitsleute des Pietro mit Sachen für ihn vom Lande
gekommen waren und ihre Esel, ohne ihnen zu saufen
zu geben, in einen Stall neben jenem Hausflur einge-
stellt hatten. Einer dieser Esel, der an unmäßigem
Durste litt, hatte inzwischen den Hals aus der Schlinge
gezogen und den Weg aus dem Stall nach dem Flur
gefunden, wo er jetzt alles beroch, ob er nicht vielleicht
Wasser fände. Bei dieser Gelegenheit stieß er auch auf
den Korb, unter dem der junge Bursche steckte. Dieser
mußte auf allen Vieren kauern, so daß die Finger seiner
einen Hand ein wenig unter dem Korb hervorkamen.
Zu seinem Glück oder Unglück, wie wir es nehmen
wollen, geschah es nun, daß der Esel ihm auf die Finger
trat, weshalb er über den heftigen Schmerz, den er
empfand, laut aufschrie.
Als Pietro das hörte, wunderte er sich und erkannte
wohl, daß dies im Hause gewesen sei. Während indessen
jener nicht aufhörte zu wehklagen, da der Esel ihm
den Fuß noch immer nicht von den Fingern weg-
"I 8 u3
genommen hatte, sondern sie fortwährend heftig
quetschte, ging Pietro mit dem Rufe: „Wer ist da?"
aus dem Zimmer gerade auf den Hühnerkorb los. Als
er diesen emporhob, sah er den jungen Burschen, der
jetzt außer vor Schmerz seiner Finger, welche der Esel
ihm zerquetscht hatte, auch vor Furcht zitterte, daß
Pietro ihm ein Leid antun möchte. Pietro hatte ihn
indessen als einen von denen erkannt, denen er vermöge
seiner ruchlosen Neigungen lange Zeit nachgegangen
war, und so fragte er bloß: „Was machst du hier?"
worauf der junge Mensch nichts antwortete, sondern
nur um Gottes willen bat, daß er ihm nichts tun möge.
Pietro erwiderte: „Steh' auf und fürchte nicht, daß
ich dir irgend etwas zuleide tue; sage mir aber, wie
und zu welchem Zwecke bist du hierher gekommen?"
Der junge Mensch sagte ihm alles; Pietro war aber
so freudig, ihn angetroffen zu haben, als die Frau be-
trübt war. So führte er ihn denn bei der Hand in das
Zimmer, in dem die Frau ihn mit der größten Angst
von der Welt erwartete; dann setzte er sich ihr gegen-
über und sagte: „Erst eben verwünschtest du die Frau
des Ercolano und meintest, man müsse sie als eine
Schande für euch alle verbrennen. Warum sagtest du
denn nicht das Gleiche von dir selber? Oder, wenn
du dazu nicht geneigt warst, wie konntest du dich er-i
frechen, auf sie zu schelten, wenn du dir bewußt warst,
das Gleiche wie sie getan zu haben? Wahrlich, nichts
anderes bewog dich dazu, als daß von euch die eine so
schlecht ist wie die andere, und daß jede ihren Fehler
mit fremder Schuld zu verdecken strebt. So möchte
doch Feuer vom Himmel fallen, um euch alle zu ver-
zehren, ihr ruchlose Brut, die ihr seid!"
Als das Weibchen gewahr wurde, daß der Mann ihr
ix4
auf den ersten Anlauf weiter nichts zuleide getan hatte,
als daß er schimpfte, und zu bemerken glaubte, daß er
sich vor Kitzel, einen so hübschen Burschen bei der
Hand zu haben, nicht zu lassen wußte, faßte sie Mut
und sagte:
„Freilich glaube ich, du wünschtest, daß ein Feuer
vom Himmel fiele und uns alle verzehrte; denn ich
weiß wohl, du hast uns Weiber so lieb, wie der Hund
den Knüppel. Aber beim Kreuze Gottes, so gut soll
dir 's nicht werden. Willst du aber einmal Rechnung
machen, so möchte ich doch wissen, über was du dich
beschweren kannst. Willst du mich mit Ercolanos Frau
vergleichen, so kann ich mir das wohl gefallen lassen.
Das ist eine alte Betschwester und Heuchlerin, und ihr
Mann gewährt ihr, was sie haben will, und hält sie,
wie eine Frau zu halten ist. Mit mir aber verhält es
sich anders. Gesetzt auch, ich wäre gut gekleidet und
beschuht, so weißt du selbst am besten, wie es um das
andere steht und wie lange es her ist, daß du nicht
bei mir gelegen hast. Lieber wollte ich doch in Lumpen
gehen und barfuß, wenn ich nur im Bette gut von dir
behandelt würde, als das alles haben und von dir be-
handelt werden, wie du es tust. Vernimm aber, was
ich dir sage, Pietro: Ich bin dein Weib, so gut wie die
anderen, und habe die gleiche Lust wie diese. Sorge
ich also, ihr Genüge zu schaffen, wenn du es nicht
tust, so trifft mich darum kein Vorwurf. Wenigstens
halte ich noch insoweit auf deine Ehre, daß ich mich
nicht mit Straßenbuben und Grindköpfen einlasse."
Pietro sah wohl ein, daß es mit solchen Reden die
ganze Nacht kein Ende nehmen würde, und überdies
war es ihm gar wenig um sie zu tun; darum sagte er:
„Frau, nun schweige still davon. Ich sage dir, daß ich
u5
dich in dieser Sache schon zufrieden stellen will. Von
dir aber würde es recht gefällig sein, wenn du sorgen
wolltest, daß wir was zum Nachtessen bekämen, da ich
vermute, daß dieser junge Mensch so wenig wie ich
zu Abend gegessen hat."
„Freilich nicht," sagte die Frau, „freilich hat er noch
kein Abendessen erhalten; denn als du zu ungelegener
Stunde nach Hause kamst, hatten wir uns eben zu
Tisch gesetzt, um zu essen."
„Nun, so geh' denn," erwiderte der Mann, „und sorge
für unser Nachtessen. Nachher will ich in dieser Sache
schon Einrichtungen treffen, daß du keinen Grund
haben sollst, dich zu beschweren."
Als das Weibchen ihren Mann begütigt sah, stand sie
auf und ließ den Tisch gar schnell wieder herrichten
und das Essen auftragen, das sie vorher bereitet hatte.
Dann speiste sie mit ihrem sündhaften Manne und dem
jungen Menschen heiter zur Nacht.
Was Pietro nach dem Abendessen ersonnen hat, um
alle drei Teile zufrieden zu stellen, das habe ich ver-
gessen. Nur so viel weiß ich, daß am anderen Morgen
auf seinem Heimwege der junge Bursche bis zum Markt
noch nicht mit sich einig geworden war, ob die Frau
oder der Mann ihm eifriger Gesellschaft geleistet hatte.
Darum, werte Damen, sage ich euch zum Schlüsse:
Was dir einer tut, das tu' ihm wieder, und geht's nicht
gleich, so merke es dir, bis es einmal geht, damit es
dabei bleibe: Wie man in den Wald schreit, so schallt
es wieder heraus!
Als nun die Geschichte des Dioneo beendet und von
den Damen nicht aus Mangel an Vergnügen, sondern
allein aus Schamhaftigkeit weniger belacht worden war,
erkannte die Königin, daß das Ziel ihres Regiments
116
gekommen sei. Darum erhob sie sich von ihrem Sitze,
nahm die Lorbeerkrone ab und setzte sie mit Anmut
auf Elisas Haupt, indem sie dabei sagte: „Madonna,
nun ist es an Euch, zu befehlen."
Elisa tat, nachdem die Würde an sie gelangt war,
wie ihre Vorgängerinnen getan hatten. Sie erteilte also
dem Seneschall zunächst alle Aufträge, die für die Zeit
ihrer Herrschaft erforderlich waren; dann aber sagte
sie unter Zustimmung der ganzen Gesellschaft:
„Wir haben bisher schon vielfach vernommen, wie
es durch gute Einfälle, treffende Antworten und
schleunige Entschlüsse gar manchem gelungen ist, frem-
den Zähnen eine Gandare anzulegen und sie stumpf zu
machen, oder drohende Gefahren zu verscheuchen. Da
dies nun ein schöner Gegenstand ist und auch zum
Nutzen gereichen kann, so will ich, daß morgen unsere
Geschichten mit Gottes Hilfe auf diesem Gebiete sich
bewegen, das heißt, daß von denen erzählt werde, die
durch ein geschicktes Wort fremde Neckereien abge-
lehnt oder durch sofortige Erwiderung und schnellen
Entschluß einem Verluste, einer Gefahr oder Kränkung
entgangen sind."
Diese Aufgabe wurde von allen sehr gelobt; die
Königin aber erhob sich und entließ sie sämtlich bis
zur Stunde des Abendessens. Als die ehrenwerte Gesell-
schaft ihre Königin aufgestanden sah, erhob sich ein
jeder und unternahm nach der bisher gebräuchlichen
Weise das, wovon er sich am meisten Vergnügen ver-
sprach. Nachdem aber die Cicaden aufgehört hatten zu
zirpen, wurden alle zusammengerufen, und man ging
zu Tische. Am Schlüsse der Mahlzeit, bei der festliche
Heiterkeit geherrscht hatte, begannen alle zu singen und
zu spielen. Emilia führte auf den Wunsch der Königin
117
einen Tanz auf, und dem Dioneo wurde befohlen, ein
Lied dazu zu singen.
Sofort hub er an : „Frau Trude, Frau Trude, schließt
zu jetzt Eure Bude; was Großes hab' ich zu berichten."
Die Damen lachten alle, am meisten aber die Köni-
gin, die ihm befahl, ein anderes Lied zu singen.
Dioneo sagte: „Hätt' ich nur ein Tamburin, so sang'
ich: ,Hebt auf die Röcke, Monna Lappa', oder: ,Unterm
Ölbaum ist ein Rasen* ; oder sollte ich vielleicht singen :
,Ach wie macht des Meeres Welle, mich so übel und
so weh'?' Ich habe nun aber einmal kein Tamburin;
darum müßt ihr schon sehen, was euch sonst für eins
gefällt. Möchtet ihr etwa: ,Kommst du raus, ich hau'
dich um, wie den Maibaum in dem Busche'?"
„Nein doch," sagte die Königin, „sing' uns ein anderes
Lied."
„So werde ich denn singen: ,Monna Simona füllt
ein, füllt ein, noch ist es nicht Kelterzeit'," sagte
Dioneo.
Die Königin antwortete lachend : „Ei, zum Geier, sing'
uns ein ordentliches Lied; denn das mögen wir auch
nicht."
„Dineo sprach: „Gut, Madonna, werdet nur nicht
böse und wählt nach Eurem Belieben; denn ich weiß
mehr als tausend. Wollt Ihr : ,Mein Schneckchen ist wohl
klein, doch will's gekitzelt sein' oder : ,Mach's nur sachte,
liebes Männchen' oder: ,Für hundert Lire kauft' ich
einen Hahn'?"
Obwohl die anderen alle lachten, wurde die Königin
jetzt doch etwas ungehalten und sagte: „Dioneo, laß
deine Spaße und singe uns ein hübsches Lied, sonst
möchtest du erfahren, daß ich ernstlich böse werden
kann."
n8
Als Dioneo dies vernahm, hörte er auf mit jenen
Dummheiten und fing also zu singen an:
Amor, das holde Licht,
Das mir aus ihrem schönen Auge lacht,
Hat mich zum Knecht von dir und ihr gemacht.
Aus ihrem Auge leuchtete der Strahl,
Der deine Flamm' in mir zuerst entzündet,
Als ihn die meinen sah'n. —
Wie du so reich an Preisen ohne Zahl,
Ihr holdes Angesicht hat's mir verkündet. —
Wohl ist's um mich getan;
Denn ihr nur Untertan
Ist jede Kraft, wenn ich an sie gedacht,
Die neue Seufzer in mir angefacht.
So bin ich denn von deiner Macht gefangen,
0 teurer Herr, erwarte nur von dir,
Daß Lohn mich einst erfreue. —
Ist aber wohl mein glühendes Verlangen,
Das du entzündet hast, gekannt von ihr,
Und jene feste Treue,
Die einzig ihr ich weihe?
Verschmäh' ich doch, weil ganz in ihrer Macht,
Sogar den Frieden, den nicht sie gebracht.
Kennt sie es nicht, o süßer Herr, so bitt' ich,
Daß du's ihr schilderst und ein Fünkchen Glut
Ihr leihst, mit mir im Bunde.
Du weißt es ja, mich selbst verzehrend litt ich
Schon lange herbe Qual; es rinnt mein Blut
Aus immer offner Wunde.
"9
Und dann zu guter Stunde
Sei ihr mich zu empfehlen dir bedacht! —
Wie gern hätt' ich den Weg mit dir gemacht!
Als das Schweigen des Dioneo anzeigte, daß sein Lied
beendet sei, ließ die Königin zwar noch viele andere
singen, erteilte aber dem des Dioneo großes Lob. In-
zwischen war schon ein Teil der Nacht verstrichen, und
weil die Königin wahrnahm, daß über die Wärme des
Tages nunmehr die Nachtfrische den Sieg davongetragen
hatte, befahl sie, daß bis zum anderen Tage ein jeder
nach Gefallen zur Ruhe gehe.
120
ES SCHLIESST
DES DECAMERON
FÜNFTER TAG, UND ES BEGINNT
DER SECHSTE,
AN DEM UNTER ELISAS REGIMENT
VON DENEN ERZÄHLT WIRD,
DIE DURCH EIN GESCHICKTES WORT
FREMDE NECKEREIEN ABGELEHNT
ODER DURCH SOFORTIGE ERWIDERUNG
UND SCHNELLEN ENTSCHLUSS
EINEM VERLUSTE,
EINER GEFAHR ODER
KRÄNKUNG ENTGANGEN
SIND
HIER BEGINNT
DER SECHSTE TAO DES
DECAMERON
Der Mond, der an des Himmels Mitte stand, hatte
seine Strahlen vorloren, und schon erhellte der be-
ginnende neue Tag unsere Welt, als die Königin, die sich
von ihrem Lager erhoben und ihre Gesellschaft hatte
zusammenrufen lassen, mit ihnen allen auf dem tauigen
Grase lustwandelnd, sich unter verschiedenen Gesprächen
von dem schönen Hügel langsamen Schrittes ein wenig
entfernte. Bald stritten sie über den größeren oder ge-
ringeren Wert der erzählten Geschichten, bald belachten
sie aufs neue die verschiedenen Zufälle, die in jenen
berichtet worden waren. Weil aber inzwischen die
Sonne schon hoch gestiegen war und die Wärme
beschwerlich zu werden anfing, schien es ihnen rat-
sam, wieder heimzukehren, und die rückwärts ge-
wandten Schritte führten sie bald nach ihrem Aufent-
haltsorte zurück.
Hier fanden sie die Tische bereits gedeckt und den
Fußboden mit wohlriechenden Kräutern und schönen
Blumen ganz übersät, worauf sie nach dem Geheiß der
Königin sich alsbald zum Essen setzten, bevor die Hitze
noch weiter zunahm. Als dies unter Heiterkeit beendet
war und die Gesellschaft noch ein paar schöne und
ergötzliche Liedlein gesungen hatte, legte der eine sich
schlafen, der andere vertrieb sich mit Schach- oder Brett-
123
spiel die Zeit, Dioneo aber und Lauretta fingen mit-
einander von Troiolo und Criseida zu singen an.
Zu der Stunde, um die man sich wieder zu ver-
sammeln pflegte, ließ dann die Königin einen jeden
herbeirufen, und alle setzten sich in der gewohnten
Weise rings um die Quelle. Eben wollte die Königin
den Befehl zum Beginn der ersten Geschichte erteilen,
als geschah, was noch niemals sich zugetragen hatte:
von der Küche her drang nämlich zu aller Ohren ein
gewaltiger Lärm, den die Mägde und Diener miteinander
vollführten. Der Seneschall, der herbeigerufen und über
die Ursache jenes Lärmes befragt wurde, sagte, es sei
ein Zank zwischen Lycisca und Tyndarus; doch wisse
er den Grund selber nicht anzugeben, da er, um Ruhe
zu gebieten, eben erst hinzugekommen sei, als er den
Befehl erhalten habe, vor der Gesellschaft zu erscheinen.
Die Königin hieß ihn die Lycisca und den Tyndarus
herbeikommen zu lassen, und fragte beide, nachdem sie
erschienen waren, nach der Ursache ihres Zankes. Tyn-
darus wollte antworten; Lycisca aber, die nicht mehr
jung und ziemlich unverträglich war, auch über dem
Streite sich etwas erhitzt hatte, fiel ihm mit einem ver-
ächtlichen Blicke also in die Rede: „Seht mir doch den
unverschämten Gesellen, der sich untersteht, vor mir
sprechen zu wollen. Schweig und laß mich reden!"
Dann aber sagte sie zur Königin gewandt : „Madonna,
dieser Mensch will mich die Frau des Sykophantes
kennen lehren, und gerade, als ob ich nie mit ihr ver-
kehrt hätte, mir weismachen, in jener Nacht, wo Syko-
phantes das erstemal bei ihr geschlafen, sei Herr
Mauernbrecher nur mit Gewalt und Blutvergießen in
Schwarzburg eingedrungen; ich aber sage, daß das ge-
logen ist und daß er seinen Einzug ganz friedlich und
124
mit vollem Einverständnis der Besatzung gehalten hat.
Solch ein Einfaltspinsel ist Tyndarus, daß er sich ein-
bildet, die Mädchen seien dumm genug, ihre Zeit zu
verlieren und auf die Erlaubnis ihrer Väter und Brüder
zu warten, die unter sieben Malen sechsmal ihre Ver-
heiratung drei oder vier Jahre länger verschieben, als sie
sollten. Mein Schatz, da wäre schön für sie gesorgt,
wenn sie solange zögern wollten. Nein, wahrlich, beim
wahrhaftigen Glauben, und wenn ich schwöre, dann weiß
ich, was ich rede, von allen meinen Bekannten ist auch
nicht eine, die als Jungfrau ins Ehebett gestiegen wäre,
und wie oft und wie arg die Verheirateten ihren Män-
nern Hörner aufsetzen, davon weiß auch ich ein Lied
zu singen. Dieses Erzschaf aber will mich Weiber kennen
lehren, als ob ich erst gestern auf die Welt gekommen
wäre."
Während Lycisca noch also redete, erhoben die Damen
solch ein lautes Gelächter, daß man ihnen bequem
sämtliche Zähne hätte ausziehen können. Wohl sechs-
mal gebot die Königin den Schwatzenden Stillschweigen ;
doch war es umsonst, und sie ruhte nicht eher, als bis
sie alles, was sie sagen wollte, gesagt hatte. Nachdem
sie aber von selber zu reden aufgehört hatte, sagte die
Königin, lächelnd zu Dioneo gewandt: „Dioneo, das ist
deine Sache; sorge denn also, wenn unsere Geschichten
für heute beendet sein werden, dafür, daß du unter
den Streitenden eine Entscheidung fällst."
Hierauf antwortete Dioneo sofort: „Madonna, der
Urteilsspruch ist gefällt, ohne daß ich weiteres zu hören
brauche; denn ich erkläre, daß Lycisca recht hat, und
halte dafür, daß Tyndarus, ganz so, wie sie gesagt hat,
ein Einfaltspinsel ist."
Sobald Lycisca diese Entscheidung vernahm, begann
125
sie zu lachen und sagte, zu Tyndarus gewandt: „Geh',
geh' mit Gott, mein Freund; du dünkst dich klüger,
als ich bin, und bist noch nicht hinter den Ohren
trocken? Nun, Gott sei Dank, umsonst habe ich nicht
gelebt ..." Und hätte die Königin ihr nicht zürnenden
Blickes Stillschweigen auferlegt und weiteres Lärmen
und Gerede bei Strafe des Staupbesens verboten, so
hätten sie den ganzen Tag nichts anderes tun können,
als ihr Geschwätz anhören. So aber hieß sie beide sich
entfernen, und als sie gegangen waren, gebot sie Filo-
mela mit Erzählen zu beginnen, und diese fing fröh-
lich also zu reden an.
126
r ni .\ >.j.
/.,„,:
ERSTE GESCHICHTE
Ein Edelmann sagt zu Madonna Oretta, er wolle ihr eine
Geschichte erzählen, daß sie glauben solle, sie sitze zu
Pferde. Als er sie darauf ungeschickt vorträgt, bittet sie
ihn, daß er sie wieder absteigen lasse.
Wie in hellen Nächten die Sterne der Schmuck des
Himmels und im Frühjahr die Blumen die Zierde der
grünen Wiesen und die neubelaubten Gebüsche der
Schmuck der Hügel sind, so, ihr jungen Mädchen, ge-
reichen glückliche Einfälle den lobenswerten Sitten und
verständigen Reden zu besonderer Zier. Weil aber ein
Witzwort seiner Natur nach kurz ist, so kleidet es uns
Frauen besser als die Männer, während viel zu sprechen
den Frauen weniger als den Männern ziemt. Wahr ist
es freilich, daß zur gemeinsamen Schande für uns alle
(möge nun die Schuld in der Dürftigkeit unseres Ver-
standes oder in einer besonderen Ungunst der Gestirne
zu suchen sein, die über unser Jahrhundert verhängt ist)
jetzt nur selten eine Frau, ja vielleicht keine zu finden
ist, die zur rechten Zeit einen guten Einfall zu sagen,
oder wenn ein anderer dergleichen gehabt hat, ihn ge-
hörig aufzufassen vermöchte. Weil indessen Pampinea
diesen Gegenstand schon früher hinlänglich besprochen
hat, so denke ich nichts weiter darüber zu sagen; wohl
aber will ich, um euch zu zeigen, wieviel Hübsches in
einem guten Einfall zur rechten Stunde liegt, euch be-
richten, wie eine Dame geschickt einem Edelmanne
Stillschweigen zu gebieten wußte.
Noch ist es nicht lange Zeit her, daß, wie manche von
euch aus eigener Erfahrung wissen oder doch von
anderen vernommen haben können, in unserer Stadt
eine Edeldame weilte, die von erlesenen Sitten und der
Rede kundig war. Da ihre rühmlichen Eigenschaften
127
nicht verdienen, daß ihr Name verschwiegen werde, will
ich euch berichten, daß sie Madonna Oretta hieß und
des Messer Geri Spina Gemahlin war. Nun geschah es
zufällig, als sie einmal, so wie wir eben auch tun, auf
dem Lande verweilte, daß sie mit mehreren anderen
Damen und Edelleuten, welche sie an jenem Tage be-
wirtet hatte, zu ihrem Vergnügen von einem Orte zum
anderen lustwandelte.
Da indessen die Entfernung von dem Platze, von dem
sie ausgegangen waren, zu dem Ziele, das sie sämtlich
zu Fuß zu erreichen beabsichtigten, vielleicht etwas
groß war, so sagte ein Edelmann aus der Gesellschaft:
„Madonna Oretta, beliebt es Euch, so will ich Euch einen
großen Teil des Weges, den wir noch vor uns haben, durch
eine wunderschöne Geschichte so sehr verkürzen, daß
Ihr glauben sollt, Ihr säßet zu Pferde."
Darauf antwortete die Dame: „Nicht nur beliebt es
mir, sondern ich bitte Euch gar sehr darum, und es
soll mir höchst willkommen sein."
Der Herr Ritter, der seinen Degen vielleicht auch
nicht besser zu führen wußte als seine Zunge, fing nach
dieser Erlaubnis eine Geschichte an, die an sich in der
Tat gar schön war, die er aber auf das jämmerlichste
verdarb, indem er bald das gleiche Wort vier- oder sechs-
mal wiederholte, bald auf das schon Gesagte zurück-
kam, bald sich mit dem Ausruf: „Nein, das habe ich
falsch erzählt," unterbrach, bald endlich die Namen
falsch sagte oder untereinander verwechselte; zu ge-
schweigen, daß seine Worte weder dem Charakter der
Personen noch den erzählten Ereignissen irgend ent-
sprachen.
Der Madonna Oretta brach über dieses Erzählen der
Angstschweiß aus, und es wurde ihr beklommen ums
128
Herz, als ob sie krank wäre. Endlich aber konnte sie
es nicht mehr aushalten, und da sie gewahr wurde,
daß der Edelmann in die Tinte geraten war und sich
nicht wieder herausfand, sagte sie scherzhaft: „Messer,
Euer Pferd ist ein schlimmer Harttraber; darum bitte
ich Euch, laßt mich wieder absteigen."
Der Edelmann, der zum Glück geschickter im Ver-
stehen als im Erzählen war, fühlte den Stachel und
kehrte ihn zu Scherz und Heiterkeit; dann aber wandte
er sich zu anderen Geschichten und ließ die eine, die
er begonnen und schlecht ausgeführt hatte, unbeendigt.
III 9
1^9
ZWEITE GESCHICHTE
Cisti, der Bäcker, bringt durch eine beißende Antwort Herrn
Geri zur Einsicht wegen eines unbescheidenen Begehrens.
Großes Lob erteilte jedes der Mädchen und jeder der
jungen Männer dem Einfall der Madonna Oretta; die
Königin aber gebot der Pampinea, in gleicher Weise
fortzufahren, worauf diese also begann:
Ich für mein Teil wüßte nicht zu entscheiden, ihr
schönen Mädchen, welche von beiden größerer Tadel
trifft, ob die Natur, wenn sie einer edlen Seele einen
mißgestaltenen Körper bereitet, oder Fortuna, wenn sie
einem Körper, in dem eine edle Seele wohnt, ein
niedriges Gewerbe überweist, wie wir das letztere an
unserem Mitbürger Cisti und an manchen anderen sich
haben zutragen sehen. Obgleich nämlich Cisti mit einem
hohen Sinne begabt war, hatte Fortuna ihn doch nur
zum Bäcker gemacht.
In der Tat, ich würde deshalb die Natur und Fortuna
gleichmäßig verwünschen, wüßte ich nicht sonst, daß
die Natur in allen Dingen verständig ist und daß For-
tuna, wenngleich die Törichten sie blind vorzustellen
pflegen, dennoch tausend Augen hat. So glaube ich
denn, daß beide in jenem Falle sehr weise nicht anders
zu Werke gehen, als auch die Sterblichen oftmals tun,
indem sie nämlich wegen der Ungewißheit der zu-
künftigen Ereignisse zu besserer Sicherheit ihre wert-
vollsten Sachen an den unscheinbarsten Orten ihres
Hauses als den unverdächtigsten vergraben, um sie als-
dann bei dringenden Bedürfnissen hervorzuholen, wo
dann jener verachtete Ort besser zur Verwahrung diente,
als das schönste Gemach getan haben würde. Ebenso
verbergen auch die beiden Dienerinnen der Welt häufig
ihre wertvollsten Gegenstände unter den Schatten der
i3o
am niedrigsten geachteten Gewerbe, damit ihr Glanz,
wenn jene sie, wo es not tut, zutage bringen, um so
leuchtender erscheine.
Wie Cisti, der Bäcker, dies in einer geringfügigen
Sache bewährt und Herrn Geri Spina die Augen zu
vernünftiger Einsicht geöffnet hat, gedenke ich euch
in einem kleinen Geschichtchen zu erzählen, das mir
bei der eben von Madonna Oretta mitgeteilten in den
Sinn kam, weil diese die Gemahlin jenes Geri war.
Als Papst Bonifaz wegen gewisser Angelegenheiten
von großer Bedeutung einige Edelleute als seine Ge-
sandten nach Florenz geschickt hatte und diese im
Hause des Messer Geri Spina, der bei dem Papste in
vorzüglich großem Ansehen stand, abgestiegen waren
und mit ihm über die Geschäfte ihres Machtgebers ver-
handelten, gingen, aus was immer für einem Grunde,
Messer Geri mit diesen Abgesandten des Papstes, sämt-
lich zu Fuß, fast jeden Morgen vor der Kirche Santa
Maria Ughi vorüber, neben der Gisti, der Bäcker, seine
Backstube hatte und in eigener Person seinem Hand-
werk oblag.
Obgleich nun Fortuna diesem Manne ein gar be-
scheidenes Gewerbe beschieden hatte, so war sie doch
insofern ihm günstig gewesen, daß er überreich ge-
worden war und deshalb, ohne sein Geschäft gegen
irgend ein anderes vertauschen zu wollen, mit erheb-
lichem Aufwände lebte. Insbesondere aber führte er
neben anderen guten Dingen stets die besten weißen
und roten Weine, die in Florenz oder in der Umgegend
nur irgend zu finden waren. Da nun Gisti jeden Morgen
Messer Geri und die Gesandten des Papstes vor seiner
Tür vorübergehen sah, meinte er, daß es bei der da-
maligen großen Hitze eine willkommene Aufmerksam-
i3i
keit wäre, wenn er ihnen von seinem guten Weißweine
zu trinken gäbe; zugleich aber gedachte er des Unter-
schiedes zwischen seinem Stande und dem des Messer
Geri, und so schien es ihm wieder nicht ziemlich, daß
er sich herausnehme, ihnen zu trinken anzubieten.
Daher ersah er sich ein Mittel, das Messer Geri be-
wegen sollte, sich selber einzuladen.
Zu dem Zwecke setzte er sich jeden Morgen gegen
die Stunde, zu welcher er Messer Geri mit den Ge-
sandten erwarten zu können glaubte, mit einer schnee-
weißen Jacke und einer frisch gewaschenen Schürze be-
kleidet, so daß er eher einem Müller als einem Bäcker
ähnlich sah, vor seine Haustür und ließ einen neuen
verzinnten Eimer voll frischen Wassers und ein kleines,
gleichfalls neues Krüglein seines guten weißen Weines
nebst zwei Bechern, so blank, daß sie von Silber schienen,
vor sich hinstellen. Wenn er sie dann kommen sah,
begann er, nachdem er ein- oder zweimal den Mund
sich ausgespült hatte, mit solchem Ausdruck des Be-
hagens von diesem seinen Weine zu trinken, daß er
wohl selbst einem Toten Appetit gemacht hätte. Nach-
dem Messer Geri dies den ersten und zweiten Morgen
mit angesehen hatte, sagte er am dritten: „Nun, Cisti,
wie ist er? Ist er gut?"
Cisti erhob sich sogleich und antwortete: „Herr, gut
ist er; wie gut aber, kann ich Euch nicht deutlich
machen, wenn Ihr ihn nicht versuchen wollt."
Sei es nun, daß die Beschaffenheit des Wetters in
Messer Geri Durst erweckt hatte oder daß eine mehr
als gewöhnliche Anstrengung oder auch das behagliche
Trinken des Cisti die Ursache sein mochte, genug, er
sagte, zu den Botschaftern gewandt, mit Lächeln: „Ihr
Herren, es wird gut sein, daß wir den Wein dieses
l32
wackeren Mannes versuchen; vielleicht finden wir ihn
von solcher Beschaffenheit, daß wir es nicht zu be-
reuen haben."
Und somit gingen sie gemeinsam zum Cisti. Dieser
aber ließ aus der Backstube eine saubere Bank her-
beibringen und lud sie zum Sitzen ein. Zu ihren
Dienern indessen, die sich schon darüber hermachen
wollten, die Becher zu waschen, sagte er: „Kameraden,
bleibt mir davon weg und überlaßt es mir, diesen Dienst
zu besorgen. Ich verstehe mich ebensogut darauf, Wein
in die Becher zu schenken, als Brot in den Ofen zu
schieben; euch aber hat niemand Hoffnung gemacht,
einen Tropfen zu kosten."
Während er so sprach, schwenkte er selbst vier schöne
und neue Becher aus, ließ ein kleines Krüglein seines
guten Weines bringen und schenkte Herrn Geri und
seinen Gefährten fleißig zu trinken ein.
Alle erkannten den Wein für den besten, den sie seit
langer Zeit getrunken, und lobten ihn höchlich, weshalb
denn auch Messer Geri, solange die Gesandten verweilten,
fast jeden Morgen dorthin zum Trinken ging.
Als aber diese ihre Geschäfte beendet hatten und
wieder abreisen sollten, richtete Messer Geri noch ein
glänzendes Festmahl her, zu dem er viele der ange-
sehendsten Bürger zu kommen bat. Auch den Gisti hatte
er laden lassen; doch wollte dieser auf keine Weise
der Einladung folgen. Da hieß Messer Geri einen seiner
Diener, um eine Flasche jenes Weines (so daß auf jeden
Gast ein halbes Glas voll käme, das beim ersten Gericht
gereicht werden sollte) zum Gisti gehen. Der Diener,
den es vielleicht verdrießen mochte, daß er noch nie
von dem Weine zu trinken bekommen hatte, nahm eine
große Flasche auf den Weg.
i33
Als Cisti dies gewahr wurde, sagte er : „Mein Sohn,
Messer Geri schickt dich nicht zu mir."
Zwar versicherte der Diener wiederholt, daß es sich
wirklich so verhalte; da er indessen von Gisti keine
andere Antwort erlangen konnte, kehrte er zu Messer
Geri zurück und berichtete ihm Gistis Worte.
Messer Geri erwiderte: „Gehe nur noch einmal hin
und sage, daß ich allerdings dich schicke, und wenn
er dir dann wieder so antwortet, so frage ihn, wohin
er denn sonst glaubt, daß ich dich schicke."
Zu Cisti zurückgekommen, sagte der Diener: „Ge-
wiß, Cisti, Messer Geri schickt mich doch zu dir."
Darauf antwortete Cisti: „Gewiß, mein Sohn, er tut
es nicht."
„Nun," sagte der Diener, „wohin schickt er mich
denn sonst?"
„Zum Arno," entgegnete Cisti.
Der Diener berichtete diese Antwort dem Messer
Geri, und sobald dieser sie vernahm, gingen ihm die
geistigen Augen auf, und er sagte zum Diener: „Laß
mich doch die Flasche sehen, die du hingetragen hast."
Als er sie gesehen hatte, fügte er hinzu: „Cisti spricht
die Wahrheit." Dann schalt er den Diener und hieß
ihn eine angemessenere Flasche nehmen.
Kaum erblickte Cisti diese, so sagte er: „Nun sehe
ich wohl, daß er dich zu mir schickt," und füllte sie
ihm bereitwillig. Noch an demselben Tage aber ließ
er ein Fäßlein voll ähnlichen Weines füllen und dies
in der Stille dem Messer Geri ins Haus tragen. Bald
darauf ging er dann selber zu ihm und sagte: „Herr,
ich wünschte nicht, daß Ihr glaubtet, die große Flasche
von heute morgen habe mich erschreckt. Es schien mir
nur, als ob Ihr vergessen hättet, was ich Euch durch
i34
meine kleinen Krüglein früher angedeutet hatte, näm-
lich, daß dies kein Wein für Bediente sei, und darum
wollte ich Euch heute früh daran erinnern. Weil ich
aber nicht mehr der Wächter meines Weines zu sein
gedenke, habe ich meinen ganzen Vorrat Euch zuge-
schickt; nun tut damit in Zukunft, was Euch beliebt."
Messer Geri hielt das Geschenk des Cisti äußerst wert ;
er dankte ihm so angelegentlich, wie es solcher Gabe
geziemte, und achtete ihn von da an stets als Ehren-
mann und Freund.
i35
DRITTE GESCHICHTE
Monna Nanna de' Pulci gebietet durch eine treffende Ant-
wort den unziemlichen Reden des Bischofs von Florenz
Stillschweigen.
Als Pampinea ihre Geschichte beendet hatte und so-
wohl die Antwort wie die Freigebigkeit des Cisti von
allen höchlichst gelobt worden waren, beliebte es der
Königin, daß Lauretta in der Reihenfolge des Er-
zählens fortfahre; diese aber begann freudigen Mutes
also zu reden:
Ihr holdseligen Mädchen, so wie früher Filomela, so
hat jetzt eben Pampinea sehr wahr gesprochen, wenn
sie beide unseren Mangel an Fähigkeit und das Ver-
dienst glücklicher Einfälle hervorhoben. Wenn deshalb
hierauf zurückzukehren nicht mehr nötig erscheint, so
will ich zu dem, was über die Witzworte bereits ge-
sagt ist, nur noch das eine euch in Erinnerung bringen,
daß sie für den Hörer zwar beißend sein müssen, aber
nur in der Art, wie ein Lamm, nicht wie ein Hund
beißt; denn bissen sie gleich einem Hunde, so wären
sie nicht mehr ein Witzwort, sondern eine Grobheit.
Diesem Erfordernis genügten vollkommen sowohl die
Worte der Madonna Oretta als die Entgegnung des Cisti.
Wird indessen ein solcher Einfall als Antwort gesagt,
so scheint der Antwortende, der gleich einem Hunde
beißt, alsdann nicht zu tadeln, wenn er zuvor selber
von solch einem Hunde gebissen war, obwohl ihn Tadel
getroffen haben würde, wenn er ohne solchen Anlaß
in gleicher Weise geredet hätte. Darum soll man wohl
acht haben, wie, wann und mit wem, nicht minder aber
auch, wo man sich auf Scherzreden einläßt. Diese Rück-
sichten beachtete einst ein Prälat unserer Stadt so wenig,
daß er keinen geringeren Stich empfing, als er aus-
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teilte, wie ich euch dies in einer kleinen Geschichte
erzählen will.
Um die Zeit, als Messer Antonio d'Orso, ein weiser
und ehrenwerter Kirchenfürst, Bischof von Florenz war,
kam ein catalonischer Edelmann, Messer Diego della
Ratta genannt, als Marschall des Königs Robert nach
Florenz. Schön von Gestalt, wie er war, und dabei ein
arger Weiberjäger, fand er unter anderen Florentiner
Frauen besonders an einer Behagen, die ein schönes
Weib und die Enkelin des Bruders jenes Bischofs war.
Als er nun vernahm, daß ihr Mann, obwohl aus gutem
Hause, von schmutzigem Geize und niedriger Ge-
sinnung sei, einigte er sich mit ihm, daß er ihm fünf-
hundert Goldgulden gab und dieser ihn dafür eine Nacht
bei seiner Frau schlafen lassen solle.
Obwohl es nun wider den Willen der Frau geschah,
so schlief er doch bei ihr ; dann aber gab er dem Manne
fünfhundert Silbergroschen, wie sie damals im Umlauf
waren, die er inzwischen hatte vergolden lassen. Binnen
kurzem kam dies zu aller Ohren, und jener elende
Wicht hatte Schaden und Spott zugleich zu tragen; der
Bischof aber als ein verständiger Mann stellte sich, als
ob er nichts von der Geschichte wisse.
Inzwischen verkehrten der Bischof und der Marschall
viel miteinander, und so geschah es, daß an einem Jo-
hannistage, als beide auf der Straße, wo das Wettrennen
abgehalten wird, nebeneinander herritten und die Damen
beschauten, der Bischof eine junge Frau gewahr wurde,
welche die gegenwärtige Pest erst vor kurzem uns ge-
raubt hat. Ihr Name war Monna Nanna de' Pulci, eine
Base des Messer Alesso Rinucci, und ihr alle solltet sie
wohl gekannt haben. Zu jener Zeit nun war sie eine
jugendfrische und schöne Frau, die den Mund auf dem
i37
rechten Flecke hatte und dreisten Sinnes war, auch erst
seit kurzem sich in der Nähe von Porta San Piero ver-
heiratet hatte.
Schon von Ferne zeigte der Bischof sie dem Mar-
schall; als sie aber näher gekommen waren, legte er
diesem die Hand auf die Schulter und sagte: „Nanna,
was dünkt dir von dem hier? Traust du dich wohl, mit
ihm fertig zu werden?"
Nanna glaubte, daß diese Worte ihre Sittsamkeit
einigermaßen antasteten und geeignet seien, sie in der
Meinung der Zuhörer, und es waren deren viele, zu
beflecken. Indessen hielt sie es für geratener, nicht so-
wohl jene Makel von sich abzuwaschen, als Stich auf
Stich wiederzugeben, und antwortete deshalb sogleich:
„Herr, vielleicht möchte er nicht mit mir fertig werden ;
jedenfalls aber müßte er mir gutes Geld geben !"
Als der Marschall und der Bischof diese Antwort ver-
nahmen, fühlten sie sich beide betroffen : der eine wegen
der Unsittlichkeit, deren er sich gegen die Enkelin des
Bruders des Bischofs schuldig gemacht, der andere, weil
ihm diese Schmach in der Enkelin des eigenen Bruders
angetan war. Und so ritten sie denn beide, ohne einander
anzuschauen, schweigsam und beschämt ihres Weges,
ohne während jenes Tages weiter etwas zu reden.
Der jungen Dame aber gereichte es nicht zum Vor-
wurf, daß sie, nachdem sie angegriffen war, durch einen
beißenden Einfall den Angriff von sich abwehrte.
i38
VIERTE GESCHICHTE
Chichibio, der Koch des Currado Gianfigliazzi, verwandelt
zu seinem Heile durch einen schnellen Einfall den Zorn
des Currado in Gelächter und rettet sich von dem Unheil,
mit dem Currado ihn schon bedroht hatte.
Schon schwieg Lauretta, und die Nanna war von allen
auf das höchste belobt worden, als die Königin der Nei-
file fortzufahren gebot; diese aber begann also zu
sprechen :
Ihr liebevollen Mädchen, obwohl ein schneller Ver-
stand oft dem Redenden je nach den Umständen
treffende und kluge Einfälle an die Hand gibt, so
kommt doch auch das Glück zu Zeiten den Furchtsamen
zu Hilfe und legt ihnen plötzlich Worte auf die Zunge,
wie sie der Sprechende in ruhigen Augenblicken nie
zu ersinnen vermocht hätte. Davon denke ich euch
durch meine Geschichte ein Beispiel zu geben.
Currado Gianfigliazzi war, wie jede von euch gesehen
und gehört haben kann, stets ein gar freigebiger und
gastfreier Edelbürger unserer Stadt, der, seiner nich-
tigeren Leistungen für jetzt zu geschweigen, ein ritter-
liches Leben führte und fortwährend sich mit Hunden
und Jagdvögeln vergnügte. Als dieser nun eines Tages
unfern von Peretola mit einem seiner Falken einen
Kranich getötet und diesen jung und fett gefunden hatte,
schickte er ihn seinem guten Koche, der Chichibio hieß
und ein Venetianer war, und ließ ihm sagen, daß er
den Kranich zum Abendessen braten und wohl zu-
bereiten solle. Chichibio, der aussah wie ein leichtsinniger
Geselle und ein solcher auch wirklich war, rupfte den
Kranich, steckte ihn an den Spieß und begann ihn
sorgsam zu braten. Fast war er schon gar und ver-
breitete einen starken Duft, als eine Dirne aus der Um-
i3q
gegend, die Brunetta genannt ward und in die Chichibio
gewaltig verliebt war, in die Küche trat.
Kaum roch sie den Duft des Bratens und sah den
Kranich am Spieß, so gab sie dem Chichibio die besten
Worte, daß er ihr einen Schenkel davon abschneiden
möchte.
Chichibio antwortete singend: „Ihr kriegt ihn nicht,
Donna Brunetta, Ihr kriegt ihn nicht von mir."
Darüber wurde denn die Dirne ganz zornig und sagte :
„Nun, so wahr wie Gott lebt, gibst du mir nicht einen
Schenkel, so kriegst du von mir nie das kleinste, wozu
du Lust hast."
Schließlich löste Chichibio, um sein Mädchen nicht
böse zu machen, wirklich einen Schenkel ab und gab
ihn ihr.
Als indessen dem Currado und seinen paar Gästen
der Kranich mit nur einem Schenkel vorgesetzt wurde,
ließ jener voll Erstaunens den Chichibio rufen und
fragte ihn, was mit dem anderen Schenkel geworden sei.
Der lügenhafte Venetianer antwortete sogleich : „Herr,
die Kraniche haben nur einen Schenkel und ein Bein."
Zornig erwiderte Currado: „Was zum Teufel, sie
hätten nur einen Schenkel und ein Bein ? Als ob das der
erste Kranich wäre, den ich zu sehen bekomme!"
Chichibio aber blieb dabei und sagte: „Herr, es ist
so, wie ich Euch sage, und beliebt es Euch, so werde ich
es Euch an den Lebendigen zeigen."
Currado wollte aus Rücksicht auf die Fremden, die er
bei sich hatte, den Wortwechsel nicht weiter fortsetzen;
darum antwortete er : „Weil du denn sagst, daß du mir
an den Lebendigen zeigen willst, was ich allerdings noch
nie gesehen noch von anderen gehört habe, so will ich
morgen früh die Sache mir ansehen; aber beim Leibe
i4o
Christi schwöre ich dir, wenn es sich nachher anders
findet, so lasse ich dich in einer Weise zurichten, daß
du, solange du lebst, meines Namens zu deinem Unheil
gedenken sollst."
So endete der Streit für diesen Abend; am anderen
Morgen aber erhob sich Currado, den der Ärger nicht
hatte schlafen lassen, mit Tagesanbruch noch gar zornig
und gebot, daß die Pferde vorgeführt würden. Dann
ließ er den Chichibio auf ein Rößlein aufsitzen und ritt
mit ihm nach einer Niederung, wo man am Flußufer
in der Morgenfrühe Kraniche anzutreffen pflegte ; beim
Reiten aber sagte er: „Nun werden wir ja sehen, wer
gestern gelogen hat: ich oder du."
Als Chichibio gewahr wurde, daß Currados Zorn noch
fortdauerte und daß er seiner Lüge überführt werden
sollte, ohne daß er sich zu rechtfertigen gewußt hätte,
ritt er in der größten Angst von der Welt hinter Currado
her und wäre, wenn es sich hätte tun lassen, gern ge-
flohen. Da sich aber dazu keine Gelegenheit bot, blickte
er bald vor- und bald rückwärts und bald zu den Seiten,
und alles, was ihm vor die Augen kam, sah ihm aus,
wie Kraniche, die auf zwei Beinen ständen. Endlich,
als sie schon in die Nähe des Flusses gelangt waren, er-
blickte er früher als einer der übrigen am Ufer wohl
ein Dutzend Kraniche, die sämtlich, wie diese Vögel
schlafend zu tun pflegen, auf einem Beine standen. Da
zeigte er sie schleunigst dem Messer Currado und rief:
„Herr, nun könnt Ihr deutlich erkennen, daß ich Euch
gestern abend die Wahrheit sagte, wenn ich behauptete,
die Kraniche hätten nur einen Schenkel und ein Bein.
Seht nur die alle, die dort stehen."
Als sie Currado gewahr wurde, sagte er : „Warte nur ;
ich will dir schon zeigen, daß sie ihrer zwei haben."
i4i
Und indem er ein wenig näher herantritt, rief er:
„Oh, oh!"
Aufgeschreckt durch diesen Ruf, ließen die Kraniche
alsbald den anderen Fuß nieder und flogen nach wenigen
Schritten alle davon. Da wandte Currado sich zu Chichi-
bio und sagte : „Nun, du Näscher, was dünkt dir, glaubst
du nun, daß sie zwei Beine haben?"
Cichibio war ganz bestürzt und, ohne selbst zu wissen,
woher die Antwort ihm komme, entgegnete er: „Frei-
lich, Herr, freilich ; aber dem Kranich von gestern habt
Ihr nicht „Oh, oh!" zugerufen; hättet Ihr es getan,
so würde er sicher das andere Bein ebenso ausgestreckt
haben, wie vorhin diese hier taten."
Den Currado ergötzte diese Antwort so sehr, daß all
sein Zorn sich in Scherz und Lachen verkehrte und er
antwortete : „Chichibio, du hast recht, das hätte ich frei-
lich tun sollen."
So also entging Chichibio durch eine schnelle und
scherzhafte Erwiderung seinem Unheil und wandte den
Zorn seines Herrn von sich ab.
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2 111 JY . iS ■ fiemme L&Hptrttt? ^f.
FÜNFTE GESCHICHTE
Messer Forese da Rabatta und Meister Giotto, der Maler,
die beide von Mugello zurückkommen, machen sich gegen-
seitig über ihr unscheinbares Äußere lustig.
Als Neifile schwieg und die Damen an der Antwort
des Chichibio noch vieles Gefallen geäußert hatten, be-
gann Pamfilo nach dem Gebot der Königin also zu
reden :
Oft geschieht es, daß, wie Fortuna nach dem, was
Pampinea eben erst uns gezeigt hat, zuzeiten die
größten Schätze der Fähigkeit und des Verstandes unter
schlechten Gewerben verbirgt, so auch die Natur die er-
staunlichsten Geistesgaben mit den abschreckendsten
Körperformen paart. Deutlich erhellt dies an zweien
unsere Mitbürger, von denen ich euch in Kürze zu
erzählen gedenke.
Der eine von ihnen, der Messer Forese Rabatta ge-
nannt wurde, war von so kleinem und mißgestaltetem
Körperwuchse und hatte ein so plattgedrücktes Gesicht
mit aufgeworfener Nase, daß der häßlichste unter den
Baronci es für eine Schmach gehalten haben würde,
mit ihm zu tauschen ; dennoch aber war er von so tiefer
Einsicht in wesentlichen Dingen, daß er von vielen kun-
digen Männern eine Fundgrube des bürgerlichen Rechts
genannt wurde.
Der Name des anderen war Giotto, und mit so vor-
züglichen Anlagen war er begabt, daß die Natur, die
die Mutter aller Dinge ist, deren fortwährendes Ge-
deihen der Himmel durch sein unablässiges Kreisen ver-
mittelt, nichts hervorbringt, daß er nicht mit Griffel,
Feder oder Pinsel dem Urbilde so ähnlich darzustellen
gewußt hätte, daß es nicht als ein Abbild, sondern als
die Sache selbst erschienen wäre; weshalb denn der Ge-
i43
sichtssinn der Menschen nicht selten irregeleitet wurde
und für wahr hielt, was nur gemalt war. Mit Recht
kann man ihn als einen der ersten Sterne des floren-
tiner Ruhmes bezeichnen; denn er ist es gewesen, der
die Kunst, die jahrhundertelang unter den Irrtümern
derer wie begraben lag, die durch ihr Malen mehr die
Augen der Unwissenden zu kitzeln, als der Einsicht der
Verständigen zu genügen bestrebt waren, wieder zu
neuem Lichte erhoben hat; und um so mehr kann man
es, da er mit der größten Bescheidenheit jenen Ruhm
sich erwarb, indem er, obwohl ein Meister aller derer,
die in dieser Beschäftigung lebten, es dennoch stand-
haft ablehnte, Meister genannt zu werden. Mit um so
hellerem Glänze schmückte ihn aber diese Bezeichnung,
mit je größerer Gier diejenigen sie sich anmaßten, die
viel weniger von der Kunst verstanden als er oder seine
Schüler. So groß nun aber auch seine Kunst war, so
war er dennoch der Gestalt und den Gesichtszügen nach
um nichts schöner als Messer Forese.
Um nun zu meiner Geschichte zu kommen, so
sage ich :
Messer Forese sowohl wie Giotto hatte seine Be-
sitzungen im Mugello. Nun war jener um die Zeit, da
die Gerichte Sommerferien haben, dorthin gereist, um
die seinigen in Augenschein zu nehmen, und als er zu-
fällig auf einem unscheinbaren Rößlein heimwärtsritt,
traf er auf den schon gedachten Giotto, der gleichfalls
seine Güter besichtigt hatte und nun nach Florenz heim-
kehrte. Giotto aber war in keinem Stücke besser beritten
oder bekleidet als jener, und so setzten sie denn, wie es
zwei bejahrten Leuten geziemt, langsamen Schrittes mit-
einander ihre Reise fort. Da geschah es, wie wir dies im
Sommer oftmals gesehen haben, daß ein plötzlicher
Regen sie überfiel, so daß sie, so schnell sie vermochten,
sich in das Haus eines Landmannes flüchteten, der mit
ihnen beiden bekannt und befreundet war. Inzwischen
gewährte der Regen keine Hoffnung nachzulassen, und
da beide noch denselben Tag nach Florenz wollten, liehen
sie sich von dem Bauer zwei alte Mäntel, wie man sie in
der Romagna trägt, und da keine besseren zu haben
waren, auch noch zwei Hüte, die vor Alter ganz ab-
getragen waren, und mit diesen machten sie sich auf
den Weg.
Nachdem sie eine Weile geritten waren, hatte der
Regen sie völlig durchnäßt, auch waren durch das
Spritzen, das bei nassem Wetter die Pferde durch ihre
Fußtritte vollführen, ihre Anzüge ganz beschmutzt und
sowohl dieses als jenes trug nicht dazu bei, ihren Aufzug
anständiger erscheinen zu lassen. Inzwischen aber hatte
das Wetter sich ein wenig aufgehellt, und so begannen
sie, nachdem sie lange Zeit schweigsam nebeneinander
hergeritten waren, miteinander Gespräche zu führen.
Als nun Messer Forese des Weges ritt und dem Giotto
zuhörte, der trefflich zu reden wußte, betrachtete er
ihn seitwärts von Haupt bis zu den Füßen und um und
um, und wie er ihn in allen Stücken so unscheinbar und
übelaussehend fand, begann er, ohne zu bedenken,
welche Figur er selber machte, zu lachen und sagte:
„Giotto, wenn jetzt ein Fremder, der dich nie gesehen
hätte, uns hier entgegenkäme, kannst du dir wohl
denken, daß der dich für den ersten Maler der Welt, wie
du es doch bist, erkennen würde?"
Sofort antwortete Giotto: „Messer, wohl glaube ich,
daß er mich dafür erkennen würde, sobald er, nach-
dem er Euch angesehen, es für möglich hielte, daß Ihr
das Abc könntet."
Ili 10 i45
Messer Forese erkannte aus dieser Antwort sein Un-
recht und sah sich mit einer Münze bezahlt, die der
von ihm verkauften Ware völlig entsprach.
i46
T.UI. JV. tj>.
Tardieu \.fc
SECHSTE GESCHICHTE
Michele Scalza beweist einigen jungen Leuten, daß die
Baronci das adligste Geschlecht in der Welt und in der
Maremma sind, und gewinnt damit eine Mahlzeit.
Laut lachten die Damen über Giottos treffende Ant-
wort, als die Königin der Fiammetta fortzufahren ge-
bot, und diese folgendermaßen zu reden begann:
Daß Pamfilo vorhin die Baronci erwähnte, welche
ihr, liebe Mädchen, vielleicht nicht kennt, hat mir eine
Geschichte in Erinnerung gebracht, die, ohne von unserer
Aufgabe abzugehen, dartut, wie alt ihr Adel sei, und
die ich euch zu erzählen gedenke.
Noch ist es nicht gar lange her, daß in unserer Stadt
ein junger Mann, namens Michele Scalza, lebte, der der
spaßhafteste und ergötzlichste Geselle von der Welt war
und immer die neuesten Geschichten bei der Hand hatte.
Deshalb sahen denn die jungen Florentiner, so oft sie
eine muntere Gesellschaft veranstalteten, es besonders
gern, wenn sie ihn dafür gewinnen konnten. Als er nun
eines Tages mit einigen anderen zu Mont' Ughi war,
geschah es, daß sich unter ihnen ein Streit entspann,
welches unter den Florentiner Geschlechtern wohl das
edelste und älteste sei. Einige sagten, die Uberti, andere
die Lamberti; dieser nannte die eine Familie und jener
eine andere, ein jeder nach seinem Verständnis.
Während Scalza ihnen zuhörte, hub er zu lächeln
an und sagte: „Geht doch, geht, ihr Tröpfe, die ihr
seid; ihr wißt alle nicht, was Ihr redet. Das edelste Ge-
schlecht und das älteste, nicht nur in Florenz, sondern
auf der ganzen Welt und auch noch in der Maremma
sind die Baronci, und darüber sind die Philosophen und
jeder andere, der sie kennt, so wie ich sie kenne, schon
lange einig. Damit ihr aber nicht etwa denkt, ich rede
i47
von jemand anderem, so sage ich euch, daß ich die
Baronci von Santa Maria Maggiore meine, die eure
Nachbarn sind."
Die jungen Leute hatten wirklich geglaubt, daß er
etwas anderes sagen wollte; bei diesen letzten Worten
aber lachten sie ihm alle ins Gesicht und sprachen:
„Du willst uns zum Narren haben; als ob wir die Ba-
ronci nicht so gut kennten wie du."
„Nein"; sagte Scalza, „bei den heiligen Affenkehlien,
das will ich nicht. Ich sage die Wahrheit, und wenn
einer unter euch Lust hat und will eine Mahlzeit wetten
für sechs Mann, die der Gewinner sich nach Belieben
aussuchen kann, so setze ich gern dagegen. Und noch
mehr will ich tun: ich will mich dem Ausspruch von
jedwedem unterwerfen, den Ihr haben wollt."
Da sagte einer von den anderen, der Neri Mannini
hieß: „Nun, ich bin's zufrieden, die Mahlzeit zu ge-
winnen."
Hierauf einigten sich beide, daß Piero di Fiorentino,
in dessen Hause sie sich eben befanden, Schiedsrichter
sein solle, und gingen sofort zu ihm hin; die anderen
aber folgten ihnen alle, um zu sehen, wie Scalza die
Wette verlieren würde und ihn dann zum besten zu
haben.
Nachdem sie dem Piero ihre Wette erzählt hatten,
hörte dieser, der ein verständiger junger Mann war,
zuerst, was Neri vorzubringen hatte, und wandte sich
sodann mit den Worten zum Scalza: „Nun, wie willst
du jetzt beweisen, was du behauptest?" Scalza ant-
wortete: „Wie? Mit solchen Gründen will ich es be-
weisen, daß nicht nur du, sondern jeder, der es jetzt
leugnet, selber zugestehen soll, daß ich die Wahrheit
sage. Ihr wißt, daß die Geschlechter um so adliger sind,
i48
je älter sie sind, und das war ja auch vorher eurer
aller Meinung. Sind nun die Baronci älter als irgendein
anderes Geschlecht, so sind sie auch am adligsten. Wenn
ich euch also beweise, daß sie die älteste Familie sind,
so habe ich ohne Zweifel die Wette gewonnen.
„Ihr müßt wissen, daß unser Herrgott die Baronci
zu einer Zeit gemacht hat, wo er erst angefangen hatte,
malen zu lernen; alle anderen Menschen sind aber erst
geschaffen, als unser Herrgott das Malen schon konnte.
Um zu sehen, daß ich die Wahrheit sage, so gebt nur
einmal auf die Baronci und auf andere Leute acht.
Während ihr alle anderen mit wohlgebildeten Gesichtern
und richtigem Verhältnis der Teile seht, könnt ihr
wahrnehmen, daß von den Baronci der eine ein über-
mäßig langes und schmales Gesicht hat und dafür die
gewaltig lange Nase, jener eine kurze; das Kinn eines
dritten steht weit vor und ist nach oben gekrümmt, die
großen Kinnbacken aber gleichen denen eines Esels.
Ja, es gibt deren, die ein großes und ein kleines Auge
haben, und bei denen das eine höher steht als das andere,
kurz, ihre Gesichter sehen ganz so aus, wie die, welche die
Kinder machen, wenn sie erst eben anfangen, zeichnen
zu lernen. So ergibt sich denn, wie ich euch sagte,
gar deutlich, daß unser Herrgott sie gemacht hat, als
er erst malen lernte. Daraus folgt aber, daß sie älter
sind als die anderen Geschlechter, also auch adliger."
Daß die Baronci wirklich so aussehen, war sowohl
dem Piero, der Schiedsrichter sein sollte, als dem Neri,
der um die Mahlzeit gewettet hatte, und jedem der
anderen erinnerlich. Daher fingen sie denn bei dem
spaßhaften Grunde, den Scalza vorbrachte, sämtlich zu
lachen an und versicherten, wie aus einem Munde, Scalza
habe recht, die Mahlzeit gebühre ihm und die Baronci
i49
seien zweifellos das adligste und älteste Geschlecht, das
man nicht nur in Florenz, sondern in der ganzen Welt
oder in der Maremma finden könne.
Mit gutem Grunde sagte also Pamfilo vorhin, als er
die Mißgestaltung von Messer Foreses Gesicht bezeich-
nen wollte, daß er selbst im Vergleich mit einem der
Baronci noch für häßlich gegolten haben würde.
i5o
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SIEBENTE GESCHICHTE
Madonna Filippa wird vor Gericht gefordert, weil ihr Mann
sie mit ihrem Geliebten betroffen; durch ihre geschickte
und scherzhafte Antwort kommt sie aber frei und veranlaßt
eine Abänderung des Stadtrechts.
Fiammetta schwieg bereits, und noch lachte ein jeder
über den wunderlichen Grund, durch den Scalza den
Adel der Baronci über alle anderen erhoben hatte, als
die Königin dem Filostrato zu erzählen gebot. Dieser
aber begann also zu reden:
Gut reden zu können, ihr ehrenwerten Damen, ist
bei jeder Gelegenheit ein schönes Ding, am schönsten
aber dünkt mich diese Redegabe, wenn sie sich da be-
währt, wo die Notwendigkeit sie dringend erfordert.
Diese Geschicklichkeit besaß eine Edelfrau, von der ich
euch zu erzählen denke, in solchem Maße, daß sie nicht
nur bei ihren Zuhörern Lachen und Heiterkeit er-
weckte, sondern, wie ihr vernehmen werdet, sich selber
aus den Schlingen eines schimpflichen Todes erlöste.
In der Stadt Prato bestand einst das in Wahrheit
ebenso grausame wie tadelnswerte Gesetz, daß eine Ehe-
frau, die ihr Mann beim Ehebruch mit einem Geliebten
betroffen hätte, ohne den geringsten Unterschied ganz
ebenso verbrannt werden sollte, wie diejenige, die dabei
ertappt wäre, daß sie sich dem ersten Besten für Geld
preisgegeben hätte. Während dieses Gesetz noch in Kraft
war, geschah es, daß eine adlige und schöne Frau, die
Madonna Filippa hieß und verliebter war als irgendeine
andere, eines Nachts in ihrer Kammer von ihrem Manne
Rinaldo dei Pugliesi in den Armen des Lazzarino de
Guazzagliotri, eines jungen und schönen Edelmannes
aus derselben Stadt, betroffen wurde, den sie liebte wie
ihr eigenes Leben. Bei diesem Anblick geriet Rinaldo so
i5i
außer sich, daß er sich kaum bezwingen konnte, nicht
über sie herzufallen und sie zu töten ; und wäre er nicht
wegen der Folgen besorgt gewesen, so hätte er dem Un-
gestüm seines Zornes gehorcht und also getan. So aber
enthielt er sich zwar dieses Verlangens, nicht aber davon,
daß er, was ihm selbst zu vollstrecken verboten war,
von dem grausamen pratenser Gesetze begehrte, nämlich
den Tod seiner Frau.
Da er nun ziemlich ausreichendes Zeugnis hatte, um
den Fehltritt der Frau zu beweisen, verklagte er sie,
ohne besseren Rat anzunehmen, sobald es Tag geworden
war, und ließ sie vor das Gericht fordern. Die Frau,
die gar kühnen Mutes war, wie man dies bei allen
zu finden pflegt, die in wahrhafter Liebe entbrannt
sind, beharrte, so nachdrücklich ihr auch von vielen
Freunden und Verwandten abgeredet wurde, bei dem
Vorsatz, zu erscheinen und lieber mit dem Geständnis
der Wahrheit starken Geistes zu sterben, als auf feiger
Flucht wegen ihres Ausbleibens in der Verbannung
zu leben und sich dadurch eines so edlen Geliebten un-
wert zu bekennen, wie derjenige war, in dessen Armen
sie die vorige Nacht verbracht hatte.
So erschien sie denn in stattlicher Begleitung von
Frauen und Männern, die sämtlich ihr zu leugnen rieten,
vor dem Podestà und fragte diesen mit furchtlosem
Blick und fester Stimme, was er von ihr begehre.
Als der Podestà sie ins Auge faßte und gewahr wurde,
wie schön sie sei und von wie edlem Anstände, als er
zugleich aus ihren Worten entnahm, welch hohen Sinn
sie hege, fing er an, Mitleiden für sie zu empfinden
und zu besorgen, daß sie Dinge bekennen möchte, um
derenwillen er, wenn er die Ehre nicht einbüßen wollte,
genötigt wäre, sie zum Tode zu verurteilen. Deshalb
IÖ2
sagte er zu ihr, da er doch nicht umhin konnte, sie
um dasjenige zu befragen, was ihr schuld gegeben war :
„Madonna, wie Ihr seht, ist Rinaldo, Euer Mann, hier
gegenwärtig und beklagt sich über Euch, die er mit
einem anderen Manne im Ehebruch betroffen zu haben
behauptet. Er begehrt nun, daß ich Euch einem be-
stehenden Gesetze zufolge dafür mit dem Tode be-
strafe ; ich kann dies aber nur dann tun, wenn Ihr selbst
Euch schuldig bekennt. Habt denn also wohl acht, wie
Ihr antwortet und sagt mir, ob das wahr ist, dessen Euer
Mann Euch beschuldigt."
Hierauf antwortete die Dame, ohne die Fassung irgend
zu verlieren, mit heiterer Stimme: „Messer, es beruht
vollkommen auf Wahrheit, daß Rinaldo mein Ehemann
ist und daß er diese vergangene Nacht mich in Lazza-
rinos Armen gefunden hat, in denen ich, wie ich nie-
mals leugnen werde, aus wahrer und inniger Liebe,
die ich für ihn hege, oftmals geweilt habe. Unzweifel-
haft aber wißt Ihr, daß die Gesetze gemeinsam sein
und unter Zustimmung derer beschlossen werden müssen,
die sie betreffen. So verhält es sich aber nicht mit diesem
Gesetze, das allein den armen Weibern Zwang anlegt,
obwohl sie doch weit besser als die Männer mehreren
zugleich zu genügen imstande sind. Außerdem hat, als
dieses Gesetz erlassen wurde, nicht nur keine Frau ihre
Einwilligung dazu gegeben, sondern ebensowenig ist
irgendeine darum befragt worden ; mit Recht also kann
man es aus diesen Gründen ein arges Gesetz nennen.
Wollt Ihr indessen, meinem Leben und Eurem Gewissen
zum Schaden, Euch dazu hergeben, dessen Vollstrecker
zu sein, so steht dies in Eurem Belieben; bevor Ihr
jedoch weiter vorschreitet und irgendein Urteil fällt,
ersuche ich Euch, daß Ihr mir die kleine Gunst er-
i53
zeigt, meinen Mann zu fragen, ob ich jedesmal und
so oft es ihm beliebte, ohne einmal nein zu sagen,
ihm seine volle Lust an mir gewährt habe oder nicht."
Ohne die Frage des Podestà abzuwarten, antwortete
Rinaldo hierauf alsbald, daß die Frau ihm allerdings
auf jedes Begehren volle Befriedigung seiner Wünsche
gestattet habe.
„Wohlan denn," fuhr sogleich die Dame fort, „so
frage ich Euch, Herr Podestà, was ich, wenn er zu
jeder Zeit sich genommen hat, wessen er bedurfte und
wonach ihn gelüstete, mit dem machen sollte oder noch
machen soll, das er übrig läßt. Soll ich es vielleicht den
Hunden vorwerfen? Oder ist es nicht besser, es einem
Edelmann zu gewähren, der mich mehr lieht als sich
selber, statt es verloren gehen und umkommen zu
lassen?"
Es waren zu diesem Verhör einer so ausgezeichneten
und namhaften Dame fast sämtliche Bewohner von Prato
herbeigekommen; alle aber riefen, als sie diese ergötz-
liche Frage vernahmen, nach vielem Gelächter, wie aus
einem Munde, daß die Dame recht habe und wohl
spreche. Bevor sie also noch von dort sich entfernten,
veränderten sie auf Anraten des Podestà jenes unbillige
Gesetz und bestimmten, daß es in Zukunft nur von
den Frauen verstanden werden solle, welche für Geld
sich gegen ihre Männer vergingen.
So verließ denn Rinaldo, beschämt über sein törichtes
Unternehmen, das Gericht; die Dame aber kehrte fröh-
lich und frei, als wäre sie vom Scheiterhaufen er-
standen, siegreich in ihr elterliches Haus zurück.
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ACHTE GESCHICHTE
Fresco rät seiner Nichte, niemals in den Spiegel zu sehen,
wenn unausstehliche Leute zu sehen ihr so widerwärtig sei,
wie sie sage.
Die Geschichte, die Filostrato erzählt hatte, regte in
den Herzen der zuhörenden Mädchen anfangs ein wenig
Scham, wovon die sittsame Röte, mit der ihre Wangen
sich färbten, Zeugnis gab; allmählich aber schielte eine
nach der anderen, und sie hörten dem Verlauf der Ge-
schichte lächelnd zu, des lauten Lachens nur mit Mühe
sich enthaltend. Als endlich der Erzähler zum Schlüsse
gediehen war, wendete die Königin sich zu Emilia und
gebot ihr, fortzufahren. Diese aber begann, tief auf-
atmend, nicht anders, als ob sie erst vom Schlafe er-
wachte :
Ihr holden Mädchen, da eine Reihe von Gedanken,
die gar vieles in sich begreifen, mich eine lange Weile
fern von hier entführt hat, so werde ich, unserer Königin
gehorchend, mit einer viel kürzeren Geschichte mich
meiner Schuld entledigen, als ich vielleicht getan haben
würde, wenn mein Geist hier gegenwärtig gewesen wäre.
In dieser Geschichte aber will ich euch die törichte Ver-
kehrtheit eines Mädchens berichten, die durch einen
beißenden Einfall ihres Onkels gehörig wäre gestraft
worden, wenn sie nur hinlängliche Einsicht gehabt hätte,
um ihn zu verstehen.
Ein Mann, welcher Fresco da Celatico hieß, hatte eine
Nichte, die man mit Abkürzung nur Cesca zu nennen
pflegte. Obwohl nun diese recht hübsch von Gestalt und
von Gesichtszügen war, so konnte man sie doch nicht
zu jenen Engelsbildern zählen, denen wir nicht selten
begegnen; sie aber hielt sich für so hoch und so er-
lesen, daß es ihr zur Gewohnheit geworden war, Männer
i55
und Frauen, und was immer ihr vor die Augen kam,
zu tadeln, ohne daß sie dabei sich selber nach rechtem
Maße gewürdigt hätte. Dadurch wurde sie denn mehr
als irgendeine andere unbequem, widrig und überlästig,
da es unmöglich war, ihr irgend etwas recht zu machen.
Bei dem allen war sie so hochmütig, daß, selbst wenn
sie zum Stamme Karls des Großen gehört hätte, es
dennoch zu viel gewesen wäre. Und wenn sie über die
Straße ging, war ihr jeden Augenblick irgend etwas
nicht gelegen, so daß sie nicht aufhörte, die Nase zu
rümpfen, als ob von jedem, den sie sah oder der ihr
begegnete, unleidlicher Gestank sie anwehte.
So manche ihrer mißliebigen und widerwärtigen Ma-
nieren zu geschweigen, geschah es indessen eines Tages,
daß sie, voll von ihren Unleidlichkeiten, nach Hause
zurückkehrte und, während sie sich dort neben Fresco
niedersetzte, in einemfort vor Ärger schnaufte.
Darum sagte Fresco : „Was hat das zu bedeuten, Cesca,
daß du schon so früh nach Hause zurückgekehrt bist,
während doch heute Festtag ist?"
Sie aber antwortete mit der albernsten Ziererei: „Ja,
freilich bin ich früh gekommen ; denn ich glaube sicher-
lich, daß in dieser Stadt noch niemals so viele wider-
wärtige und unausstehliche Männer und Frauen bei-
sammen gewesen sind, als ich deren heute getroffen
habe. Da geht doch auch nicht einer über die Straße,
der mir nicht zuwider wäre wie das böse Wesen. Weil ich
aber fest überzeugt bin, daß in der ganzen Stadt keine
Frau ist, der es so verhaßt wäre, unausstehliche Leute
zu sehen, als mir, bin ich, um diesem Anblick zu ent-
gehen, so früh nach Hause gekommen."
Fresco, dem das hochfahrige Betragen seiner Nichte
auf das äußerste verhaßt war, antwortete: „Mein Kind,
i56
wenn die unausstehlichen Leute dir so widerwärtig sind,
als du sagst, so besieh dich, wenn du deines Lebens
froh werden willst, ja niemals im Spiegel."
Sie aber, die hohler war als ein Schilfrohr und an
Weisheit dem Salomo zu gleichen vermeinte, begriff
den Stich des Fresco nicht besser, als ein Widder getan
haben würde, und erwiderte, sie gedenke sich ebensogut
im Spiegel zu besehen als die anderen.
So verharrte sie denn ferner in ihrer Einfalt und
tut es heute noch.
i57
NEUNTE GESCHICHTE
Guido Cavalcanti sagt einigen florentiner Edelleuten, die
ihn überrascht hatten, in versteckter Weise die Wahrheit.
Als die Königin gewahr wurde, daß Emilia sich ihrer
Pflicht bereits entledigt hatte und daß mit Ausnahme
dessen, der das Vorrecht genoß, seine Geschichten bis
zuletzt zu versparen, nur ihr noch zu erzählen oblag,
begann sie also zu reden:
Obgleich mir von euch, ihr anmutigen Mädchen, heute
schon zwei oder mehr Geschichten weggenommen sind,
von denen ich die eine oder andere zu erzählen ge-
dachte, so ist mir doch eine noch übrig geblieben, deren
Schluß ein bitteres Wort enthält, wie bis jetzt vielleicht
noch keins von so tiefem Sinn mitgeteilt wurde.
Ihr müßt wissen, daß vor Zeiten in unserer Stadt
gar manche schöne und lobenswerte Gebräuche bestan-
den, von denen uns leider kein einziger geblieben ist,
weil sie von dem Geize, der sich bei uns mit den Reich-
tümern fortwährend gemehrt hat, einer nach dem
anderen vertrieben sind. So war es unter anderem ge-
bräuchlich, daß an verschiedenen Orten von Florenz
die angeseheneren Bürger der umliegenden Straßen sich
versammelten und untereinander eine Gesellschaft von
bestimmter Anzahl bildeten. Dabei hatte man acht, nur
solche aufzunehmen, die die Kosten füglich bestreiten
konnten, und heute richtete der eine für die ganze Ge-
sellschaft eine Mahlzeit aus, morgen der andere, und
so der Reihe nach weiter, daß jeden sein Tag traf.
Häufig erwiesen sie bei diesen Zusammenkünften auch
ausgezeichneten Fremden eine Ehre, wenn solche nach
Florenz kamen, oder sie luden auch Einheimische dazu.
Auch hielten sie wenigstens einmal im Jahre gleich-
förmig gekleidet einen Umzug und ritten an den vor-
i58
6r.u-cht M
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züglichsten Tagen gemeinsam durch die Stadt. Zuzeiten
veranstalteten sie Waffenspiele; so namentlich an den
Hauptfesten oder wenn die Nachricht von einem Siege
oder einem sonstigen frohen Ereignis eingetroffen war.
Unter diesen Gesellschaften war auch die des Messer
Betto Brunelleschi, in welche sowohl Messer Betto als
seine Gefährten Guido, den Sohn des Messer Cavalcante
de' Cavalcanti zu ziehen, vielfach und nicht ohne Grund
sich bemüht hatten. Abgesehen nämlich, daß Guido einer
der besten Denker auf der Welt war und ein vorzüglicher
Kenner der natürlichen Philosophie, Eigenschaften, um
welche die Gesellschaft sich wenig kümmerte, war er
ein ergötzlicher Gesellschafter von den besten Sitten und
vorzüglicher Redegabe, und was sich immer für einen
Edelmann zu tun geziemte, das wußte er auch, wenn
er es unternahm, besser zu machen als irgendein anderer.
Dabei war er äußerst reich, und wenn er sich überzeugt
hatte, daß einer es wert sei, so wußte er diesen zu
ehren, mehr als sich mit Worten sagen läßt.
Dem Messer Betto hatte es indessen nie gelingen
wollen, ihn für ihre Gesellschaften zu gewinnen, und
Betto wie seine Gefährten suchten den Grund davon
darin, daß Guido, nicht selten ganz in seine Gedanken
vertieft, den Umgang mit den Menschen mied. Und
weil er sich ein wenig zu der Meinung der Epikuräer
hinneigte, sagten die gemeinen Leute, all sein Nach-
denken habe bloß zum Ziel, auszumitteln,« ob sich nicht
finden lasse, daß kein Gott sei.
Eines Tages war nun Guido von Orto San Michele
ausgegangen, hatte den Corso degli Adimari, wie dies
öfter sein Weg zu sein pflegte, bis San Giovanni ver-
folgt und weilte nun zwischen einigen großen Marmor-
grabmälern (deren einige jetzt in Santa Reparata sind,
i5q
viele andere aber noch um San Giovanni stehen),
zwischen den dort befindlichen Porphyrsäulen und
zwischen der Pforte von San Giovanni, die damals
verschlossen war. Da kam von ungefähr Messer Betto
mit seiner Gesellschaft zu Pferde über den Platz der
Santa Reparata, und wie sie den Guido unter jenen
Grabmälern gewahr wurden, sagten sie zueinander:
„Gehen wir, ihm ein wenig zuzusetzen!"
Mit diesen Worten gaben sie ihren Pferden die Sporen,
und nach Art eines scherzhaften Überfalls waren sie,
fast ehe er sie bemerkt hatte, um ihn her und begannen
zu ihm zu sagen : „Guido, du verschmähst es, an unserer
Gesellschaft teilzunehmen; wenn du nun aber heraus-
gebracht hast, daß kein Gott sei, was willst du dann
davon haben?"
Sofort antwortete Guido, der sich ganz von ihnen
eingeschlossen sah: „Ihr Herren, in eurem Hause muß
ich mir gefallen lassen, daß ihr mir sagt, was euch
gut dünkt." Und mit diesen Worten stützte er die Hand
auf eines jener Grabmäler von beträchtlicher Größe,
und leicht wie er war, schwang er sich mit einem Satze
auf die andere Seite und eilte, einmal ihnen entschlüpft,
schnell von dannen.
Jene Zurückgebliebenen sahen sich eine Weile einer
den anderen an und sagten, Guido müsse wohl nicht
recht bei sich gewesen sein; denn was er ihnen da ge-
antwortet habe, komme auf nichts heraus. Wo sie jetzt
eben seien, hätten sie ja kein Haar mehr zu sagen, als
alle anderen Bürger, und Guido nicht weniger als
irgendeiner von ihnen.
Messer Betto aber wandte sich zu ihnen und sagte:
„Ihr seid es, die nicht recht bei sich sind, wenn ihr
ihn nicht verstanden habt; denn in wenig Worten, und
160
ohne den Anstand zu verletzen, hat er uns die größte
Grobheit von der Welt gesagt. Diese Grabmäler sind
ja, wenn ihr wohl aufmerken wollt, die Häuser der
Toten; denn in sie legt man die Toten, und in ihnen
weilen sie. Diese nun nennt er unsere Wohnung, um
anzudeuten, daß wir und alle anderen ungelehrten und
kenntnislosen Leute im Vergleich mit ihm und den
übrigen als Tote zu achten sind. Darum sagte er, wenn
wir uns hier befänden, seien wir zu Hause."
Nun erst verstand ein jeder, was Guido hatte sagen
wollen, und beschämt dadurch, fielen sie ihm nie wieder
zur Last; den Messer Betto aber hielten sie in Zukunft
für einen einsichtigen und klugen Edelmann.
III 11
161
ZEHNTE GESCHICHTE
Bruder Cipolla verspricht den Bewohnern einer Landstadt,
ihnen eine Feder des Engel Gabriel zu zeigen; da er aber
an deren Stelle Kohlen findet, sagt er, sie seien von denen,
mit welchen der heilige Laurentius geröstet wurde.
Als ein jeder von der Gesellschaft sich seiner Ge-
schichte entledigt hatte, erachtete Dioneo, daß es nun
an ihm sei, zu erzählen. Ohne daher eine feierliche
Aufforderung lange zu erwarten, gebot er denen Still-
schweigen, die die tiefsinnige Antwort des Guido noch
zu loben fortfuhren und begann mit folgenden Worten :
Obgleich, ihr reizenden Damen, mir das Vorrecht ge-
währt ist, von dem, was mir gefällt, zu erzählen, so
gedenke ich mich doch heute nicht von dem Gegen-
stande zu entfernen, den ihr sämtlich in euren Ge-
schichten gar angemessen besprochen habt; vielmehr
will ich, in eure Fußstapfen tretend, erzählen, wie ge-
schickt einer der Mönche des heiligen Antonius durch
eine schnell ersonnene Auskunft der Verhöhnung ent-
ging, die zwei junge Leute ihm zu bereiten gedachten.
Laßt es euch dabei nicht verdrießen, wenn ich, um
die Geschichte gehörig zu erzählen, mich im Reden etwas
ausführlicher ergehe; denn, wollt ihr nach der Sonne
sehen, so werdet ihr bemerken, daß sie noch auf halber
Höhe steht.
Wie ihr vielleicht gehört haben werdet, ist Certaldo
ein Burgflecken der florentiner Landschaft, im Elsatal
belegen, und obwohl es an Umfang nur klein ist, war
es doch einst von adligen und bemittelten Leuten be-
wohnt. Weil er nun hier vorzügliche Weide traf, pflegte
ein Mönch des heiligen Antonius, welcher Bruder Cipolla
hieß, lange Zeit hindurch jährlich einmal hier vorzu-
sprechen, um die Almosen einzusammeln, die die Kurz-
162
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sichtigen jenen Mönchen gewähren; und vielleicht war
er nicht weniger um seines Namens willen als wegen
sonstiger Frömmigkeit willkommen, da die Umgegend
jenes Städtchens Zwiebeln hervorbringt, die durch ganz
Toskana berühmt sind.
Bruder Cipolla war untersetzter Gestalt, rötlichen
Haares und munteren Gesichtes ; dabei der abgefeimteste
Spitzbube der Welt, und obwohl er keinerlei Unter-
richt genossen hatte, wußte er doch trefflich und ohne
langes Besinnen zu sprechen, so daß jeder, der ihn
kannte, ihn nicht allein für einen großen Redekünstler
gehalten, sondern ihn dem Tullius selber oder dem
Quintilian an die Seite gesetzt haben würde. Auch war
er von allen in der Umgegend Gevatter oder Freund
oder guter Bekannter.
Eines Tages nun, als er im Augustmonat seiner Ge-
wohnheit zufolge nach Certaldo gekommen und alle
guten Männer und Weiber der umliegenden Dörfer zur
Messe in der Hauptkirche versammelt waren, trat er,
als es ihm an der Zeit schien, hervor und sagte :
Ihr Herren und ihr Frauen, wie ihr wißt, ist es euer
Brauch, alljährlich den armen Dienern des hochadligen
Heiligen Herrn Antonius von eurem Korn und eurem
Weizen, der eine wenig, der andere viel, je nach dem
Vermögen und der Frömmigkeit eines jeden, zu spen-
den, damit dieser gebenedeite Heilige eure Ochsen und
Esel, eure Schweine und Schafe in seinen Schutz nehme.
Außerdem pflegt ihr, insbesondere aber diejenigen unter
euch, die in unserer Brüderschaft eingeschrieben sind,
den kleinen Beitrag zu entrichten, den man einmal im
Jahre zu bezahlen hat. Um nun das eine und das andere
einzufordern, bin ich von meinem Oberen, nämlich dem
Herrn Abt, hierher gesandt.
i63
So mögt ihr denn zu diesem Ende unter dem Segen
Gottes heute nachmittag nach drei Uhr, wenn ihr die
Glöcklein läuten hört, hier außerhalb der Kirche euch
versammeln, woselbst ich euch die gewohnte Predigt
halten und euch das Kreuz zum Küssen reichen werde.
Außerdem aber will ich, da mir bekannt ist, wie in-
brünstige Verehrer des hochadligen Heiligen Herrn An-
tonius ihr alle seid, euch zu besonderer Gunst eine schöne
und hochheilige Reliquie zeigen, die ich vor Zeiten selber
aus dem heiligen Lande jenseits des Meeres hergebracht
habe. Dieses ist nämlich eine der Federn des Erzengels
Gabriel, welche derselbe in der Stube der Jungfrau Maria
verloren hat, als er nach Nazareth zu ihr kam, um ihr zu
verkündigen." Mit diesen Worten schwieg er und las
seine Messe weiter.
Unter den vielen anderen, die sich, während Bruder
Cipolla diese Sachen vorbrachte, in der Kirche befanden,
waren auch ein paar junge Leute, von denen der eine
Giovanni del Bragoniera, der andere aber Biagio Pizzini
genannt wurde: beides durchtriebene Käuze. Als diese
nun über die Reliquie des Bruders Cipolla eine Weile
miteinander gelacht hatten, nahmen sie sich vor, dem
Mönch, obwohl sie gut mit ihm befreundet waren und
viel mit ihm verkehrten, in betreff dieser Feder einen
Streich zu spielen. Sie hatten erfahren, daß Bruder
Cipolla an jenem Morgen auf der Burg bei einem seiner
Freunde speiste; sobald sie ihn also bei Tische wußten,
gingen sie hinunter nach der Landstraße, wo das Wirts-
haus lag, in dem jener abgestiegen war. Hier sollte
nach ihrer Abrede Biagio sich mit dem Diener des
Bruders Cipolla in ein Gespräch einlassen, während
Giovanni unter den Sachen des Mönches nach der Feder
suchen und sie, was immer für ein Ding es auch sein
i64
möchte, mitnehmen wollte, damit sie sähen, wie er sich
nachher vor dem Volke herausreden würde.
Bruder Cipolla hatte einen Diener, den einige Guccio
Trampeltier, andere Guccio Schmutzfink, noch andere
aber Guccio Sauigel nannten. Dieser war nun ein so
jämmerlicher Wicht, daß es nicht wahr ist, wenn man
sagt, Lippo Topo habe jemals ebenso einfältige Streiche
gemacht. Bruder Cipolla spaßte oft über ihn gegen seine
Bekannten, und dann pflegte er wohl zu sagen: „Mein
Diener hat neun Eigenschaften solcher Art, daß, wenn
eine von ihnen, gleichgültig welche, sich an Salomo,
Aristoteles oder Seneca fände, sie hinreichen würde, um
deren Tugenden, Weisheit und heiligen Wandel völlig
wertlos zu machen. Denkt euch also, welch ein Mensch
der sein muß, in welchem sich, obwohl er weder Tugend
noch Weisheit noch heiligen Wandel besitzt, jene Eigen-
schaften alle neun beieinander befinden."
Da man ihn nun nicht selten fragte, was für neun
Eigenschaften das denn seien, so hatte er einen Vers
daraus gemacht, der also lautete:
Ein Lügenmaul
Sehr fett und faul
Verboßt in Trutz
Und reich an Schmutz;
Stets voll Verdacht
Und unbedacht;
Ein Feind der Pflicht,
Ein grober Wicht,
Und was er soll, das tut er nicht.
„Außerdem," pflegte Bruder Cipolla zu sagen, „hat
er noch einige andere Fehlerchen; doch die wollen wir
mit dem Mantel der christlichen Liebe zudecken. Was
indessen an seinen seltsamen Manieren das Spaßhafteste
i65
ist: in jedem Dorfe, wohin er gerät, will er ein Weib
nehmen und ein Haus mieten, und, so lang und schwarz
und schmutzig auch sein Bart ist, bildet er sich dennoch
ein, so schön und so anmutig zu sein, daß seiner Meinung
nach alle Frauenzimmer, die ihn zu Gesicht bekommen,
sich in ihn verlieben, und ließe man ihn gewähren, so
liefe er allen nach und verlöre Gürtel und Kragen.
Einräumen muß ich indessen, daß er mir vielfach
sehr behilflich ist; denn, so geheim auch jemand mit
mir zu reden hat, so ist er immer auf dem Platze, um sich
sein Teil davon abzuhorchen ; und wenn ich vorkommen-
den Falles um etwas gefragt werde, so ist er so besorgt,
ob ich auch auf die Antwort gerüstet sei, daß er jedes-
mal sich vordrängt und alsbald ja oder nein für mich
antwortet, wie es ihm eben gut dünkt."
Diesen Diener hatte Bruder Cipolla im Wirtshaus zu-
rückgelassen und ihm angelegentlich anbefohlen, dar-
auf zu wachen, daß niemand seine Sachen, besonders
aber seinen Quersack anrühre, weil sich darin heilige
Gegenstände befänden. Guccio Schmutzfink indessen
weilte überhaupt in der Küche noch lieber als die
Nachtigall auf grünem Zweige; am liebsten aber, wenn
er dort irgendeine Magd witterte. Nun hatte er in der
Wirtsküche solch ein Frauenzimmer zu sehen be-
kommen, die dick und fett, klein und mißgestaltet war,
ein Paar Brüste hatte wie zwei Mistkörbe, ein Gesicht,
als gehörte sie zur Familie der Baronci, und dabei
schmutzig war, schmierig und eingeräuchert.
An diese nun machte er sich heran, nicht anders wie
der Geier an das Aas, und ließ die Stube des Bruders
Cipolla und dessen sämtliche Sachen in Stich.
Obwohl es August war, setzte er sich zu ihr, die Nuta
hieß, ans Feuer, fing ein Gespräch mit ihr an und sagte
166
ihr, daß er ein Edelmann sei und daß er Gulden hätte
mehr als lügenmal tausend, die noch nicht einmal ge-
rechnet, die er anderen schuldig sei, und daß er Gott
weiß was könne und verstehe. Obwohl nun seine Kapuze
so schmierig und eingesalbt war, daß sie für den großen
Suppenkessel von Altopascio zur Würze gelangt hätte,
obwohl sein Wams zerrissen und geflickt war und um
den Hals und unter den Achseln so glänzend vor
Schmutz, mit Flecken von so vielerlei Farben übersät,
daß tartarische und indische Stoffe nie buntere Farben
zeigten, obwohl endlich seine Schuhe völlig zerrissen
und seine Strümpfe vielfach durchlöchert waren, so be-
kümmerte ihn dies alles nicht im mindesten; vielmehr
versicherte er der Magd, nicht anders, als wäre er der
gnädige Herr von Castiglione, daß er sie neu bekleiden
und ausstatten und jener Knechtschaft, wo sie fremden
Leuten dienen müsse, ohne sich groß etwas erwerben
zu können, entheben und ihr Aussichten auf glückliche
Umstände eröffnen wolle.
Mit so vielem Nachdruck er aber auch dies alles und
noch viel anderes vorbrachte, so war es doch, wie es
immer mit seinen Unternehmungen zu geschehen
pflegte, nicht anders, als hätte er in den Wind ge-
sprochen, und seine Beredsamkeit blieb ohne Erfolg.
Die zwei jungen Leute fanden sonach den Guccio
Sauigel mit der Nuta beschäftigt. Höchlichst zufrieden
darüber, da sie nun halbe Mühe zu haben glaubten,
gingen sie, ohne von jemand angehalten zu werden,
nach Bruder Cipollas Zimmer, das offenstand, und das
erste, worüber sie sich hermachten, um es zu durch-
suchen, war der Quersack des Mönches, in dem die
Feder stecken mußte. Wirklich fanden sie denn auch
hier in einem großen, vielfach mit Zindeltaffett um-
167
wickelten Bündel ein kleines Kästchen und in diesem,
nachdem sie es geöffnet hatten, eine der Schwanzfedern
eines Papageien, von der sie mit Recht vermuteten,
daß es dieselbe sein werde, die er den Certaldesen zu
zeigen versprochen hatte.
In der Tat konnte er zu jener Zeit dergleichen dem
Volke wohl weismachen; denn noch waren die glän-
zenden Spielereien aus Ägypten nur zu einem kleinen
Teil nach Toskana herübergebracht, während sie später
zum größten Unheil von ganz Italien in unzähliger
Menge bei uns eingeführt wurden. Waren sie aber da-
mals überhaupt noch wenig bekannt, so wußten die
Bewohner jenes Landstädtchens so gut als nichts von
ihrem Dasein, und solange die anspruchslose Einfalt
unserer Altvordern bestand, hatte doch wohl die große
Mehrzahl nie den Namen eines Papageien nennen ge-
hört, geschweige denn einen solchen gesehen.
Zufrieden, die Feder gefunden zu haben, nehmen die
zwei jungen Leute sie zu sich und füllten das Kästchen,
um es nicht leer zu lassen, mit einigen Kohlen an,
die sie in einer Ecke des Zimmers liegen sahen. Dann
verschlossen sie es, brachten alles wieder in denselben
Zustand, wie sie es gefunden hatten und kehrten, ohne
von jemand bemerkt zu sein, mit ihrer Feder vergnügt
nach Hause zurück, wo sie voller Neugier erwarteten,
was Bruder Cipolla sagen werde, wenn er Kohlen statt
der Feder fände.
Inzwischen gingen die Männer und die einfältigen
Weiblein, die in der Kirche gewesen waren und ver-
nommen hatten, daß sie nachmittags drei Uhr eine Feder
des Engels Gabriel zu sehen bekommen sollten, nach
beendeter Messe wieder heim, und ein Nachbar teilte
seinem Nachbarn, eine Gevatterin der anderen die Nach-
168
rieht mit. So strömten denn, nachdem alle zu Mittag
gegessen hatten, im sehnsüchtigen Verlangen, die Feder
zu sehen, so viele Männer und Weiber in dem Burg-
flecken zusammen, daß sie kaum darin Platz fanden.
Bruder Cipolla erhob sich indessen, nachdem er gut
zu Mittag gegessen und demnächst ein wenig ge-
schlafen hatte, bald nach drei Uhr von seinem Lager
und ließ auf die Nachricht, daß schon eine große Menge
von Landleuten herbeigeströmt sei, um die Feder zu
sehen, dem Guccio Schmutzfink sagen, er möge mit
den Glöcklein hinaufkommen und den Quersack mit-
bringen.
Nur mit Mühe vermochte dieser sich von der Küche
und der Nuta loszureißen; doch tat er es und langte
keuchend und außer Atem mit den begehrten Gegen-
ständen oben an, weil das viele Wassertrinken ihm den
Leib so aufgetrieben hatte. Dann stellte er sich auf das
Geheiß des Bruders Cipolla an die Kirchtür und läutete
seine Glöcklein nach Kräften.
Bruder Cipolla aber begann, als er alles Volk bei-
sammen sah, ohne irgend zu bemerken, daß jemand
über seinen Sachen gewesen war, die Predigt und sagte
gar vielerlei, das ihm für seine Absichten dienlich schien.
Als es nun endlich so weit war, daß er die Feder des
Engels Gabriel zeigen sollte, sprach er zuerst mit großer
Feierlichkeit das Confiteor, dann ließ er zwei Wachs-
fackeln anzünden, nahm sich die Kapuze ab, wickelte
langsam den Taffet auf und zog das Kästchen hervor.
Hierauf sagte er noch einige Worte zum Lob und Preis
des Engels Gabriel und seiner Reliquie und öffnete
alsdann das Kästchen.
Als er dies mit Kohlen gefüllt sah, fiel sein Verdacht
nicht etwa auf Guccio Trampeltier; denn er wußte zu
169
wohl, daß der zu so etwas nicht den Witz hatte. Auch
verwünschte er ihn nicht, daß er das Kästchen nicht
besser vor den Händen anderer, von denen dieser Streich
ausgegangen war, verwahrt hatte; auf sich selbst aber
fluchte er im stillen, daß er die Obhut seiner Sachen
dem Guccio anvertraut hatte, von dem er doch selber
wußte, wie er war: „Unbedacht, ein Feind der Pflicht,
ein fauler Wicht, und was er soll, das tut er nicht." —
Ohne indessen die Farbe zu wechseln, erhob Bruder
Cipolla Augen und Hände gen Himmel und sagte, so daß
alle ihn vernahmen: „0 Gott, gepriesen sei immerdar
deine Allmacht!" Dann machte er das Kästchen wieder
zu und sagte, zum Volke gewandt :
„Ihr Herren und ihr Frauen, ihr müßt wissen, daß
ich zu einer Zeit, wo ich noch sehr jung war, von meinem
Oberen in jene Länder geschickt wurde, wo die Sonne
aufgeht. Dabei war mir der ausdrückliche Auftrag er-
teilt, den Porzellanprivilegien nachzuforschen, welche
stempeln zu lassen zwar nichts kostet, die aber dennoch
anderen Leuten von weit größerem Nutzen sind als uns.
Zu diesem Zwecke machte ich mich von Venedig aus
auf den Weg, passierte die Vorstadt Griechenland und
ritt dann durch das Königreich Algarbien über Bagdad
nach Parione, von wo ich nicht ohne beträchtlichen
Durst nach Sardellien gelangte. Doch zu was soll ich
euch die Länder, die ich durchreist habe, einzeln auf-
zählen? Genug, ich setzte über den Arm des heiligen
Georg und kam nach Lügeland und Trügeland, welche
Gegenden von zahlreichen Völkern dicht bewohnt sind.
Von hier aus erreichte ich Täuschenhausen, woselbst
ich viele von unseren Klostergeistlichen und eine Menge
von Mönchen anderer Orden antraf, die sämtlich die
Beschwerden um Gottes willen mieden und, solange sie
170
nur ihren Vorteil dabei fanden, sich um fremde Müh-
seligkeiten wenig kümmerten, auch in jenen Ländern
nie anderes Geld ausgaben als ungeprägtes.
Demnächst gelangte ich in das Land der Abruzzen,
wo Männer und Frauen in Holzschuhen auf die Berge
klettern und die Schweine mit ihren eigenen Kaidaunen
bekleiden. Nur wenig weiterhin traf ich Leute, welche
das Brot an Stöcken und den Wein in Säcken trugen.
Von diesen kam ich dann in das Wurmgebirge, wo
alles Wasser abwärtsfließt, und in kurzem drang ich
dort so weit vor, daß ich nach Pastinakisch Indien
kam, wo, wie ich euch bei dem Gewände zu-
schwöre, daß ich trage, ich das Federvieh in der Luft
fliegen sah, was allerdings für jeden, der es nicht selbst
gesehen hat, kaum glaublich ist. Daß ich euch indessen
darin keine Unwahrheit sage, das kann mir Maso del
Saggio bezeugen, der ein großer Kaufmann ist und den
ich dort antraf, wie er Nüsse knackte und die Schalen
nach der Elle verkaufte.
„Da ich indessen nicht finden konnte, was ich eigent-
lich suchte, indem man von dort aus zu Wasser Weiter-
reisen muß, so kehrte ich wieder um und kam in jenes
heilige Land, wo das alte Brot in einem Sommer jähre
vier Heller gilt, das frische aber umsonst gegeben wird.
Hier fand ich den ehrwürdigen Pater Messer Tumir-
nichts Wennsbeliebtius, den verdienstvollen Patriarchen
von Jerusalem. Dieser wollte aus Ehrerbietung für das
Gewand des hochachtigen Heiligen Messer Antonius, das
ich von jeher getragen habe, mich alle die heiligen
Reliquien sehen lassen, die er bei sich führte. Deren
war nun so viel, daß, wenn ich sie euch alle herzählen
wollte, ich auf mehrere Miglien weit nicht fertig würde.
Um euch indessen durch mein Schweigen nicht zu sehr
171
zu betrüben, will ich euch wenigstens von einigen be-
richten.
Zuvörderst zeigte er mir den Finger des Heiligen
Geistes, der noch so frisch und unverwest war als je
zuvor. Sodann die Locken des Seraphs, der dem heiligen
Franziskus erschien, den Fingernagel eines Cherubs und
eine der Rippen des heiligen Hoc est porcus. Ferner
einige Kleidungsstücke des heiligen Katholistenglaubens,
ein paar Strahlen des Sternes, der den drei Weisen im
Morgenlande erschien, ein Fläschchen von dem Schweiß,
den der heilige Michael vergossen, als er mit dem Teufel
kämpfte, eine Kinnbacke des Todes, an dem der heilige
Lazarus gestorben ist, und noch viele andere.
„Weil ich mich nun gefällig gegen ihn bewies und
ihm einen der Abhänge des Monte Morello in italie-
nischer Übersetzung und einige Kapitel des Capretium,
die er schon lange zu haben gewünscht hatte, abließ,
so teilte er auch mir von seinen heiligen Reliquien mit.
Er schenkte mir einen der Zähne des heiligen Kreuzes,
ferner in einem zierlichen Fläschchen ein wenig
Glockenklang vom Salomonischen Tempel, sodann die
Feder des Engels Gabriel, von der ich euch schon ge-
sagt habe, einen der Holzschuhe des heiligen Gherardo
von Villamagna, den ich erst ganz vor kurzem in Florenz
dem Gherardo von Bonsi gegeben habe, der eine große
Ehrfurcht dafür hegt. Endlich aber schenkte er mir
einige von den Kohlen, mit denen der hochheilige Mär-
tyrer Sankt Laurentius geröstet wurde.
Alle diese heiligen Gegenstände führe ich nun an-
dächtig bei mir und habe sie auch sämtlich hier am
Orte. Indessen hat mein Oberer bis jetzt und bis ihre
Echtheit nicht dargetan wäre, mir bisher niemals ge-
stattet, sie vorzuweisen. Jetzt aber hat er sich teils durch
172
einige Wunder, die sie bewirkt haben, und teils durch
Briefe, die er von dem Patriarchen empfangen hat,
überzeugt, daß sie sind, wofür sie ausgegeben wurden,
und mir deshalb die Erlaubnis erteilt, sie zu zeigen.
Und so sehr bin ich besorgt, sie einem anderen anzu-
vertrauen, daß ich sie überall mithinnehme; nament-
lich verwahre ich die Feder des Engels Gabriel, damit
sie keinen Schaden nehme, in einem Kästchen und die
Kohlen, mit denen der heilige Laurentius gebraten
wurde, in einem anderen. Nun sind diese beiden Käst-
chen einander so ähnlich, daß ich schon öfter das eine
mit dem anderen verwechselt habe, und so ist es mir
denn auch heute geschehen. Während ich glaubte, das
Kästchen mitgebracht zu haben, in dem sich die Feder
befindet, habe ich das andere mit den Kohlen des
heiligen Laurentius ergriffen.
Aber ich halte dafür, daß dies keineswegs ein zu-
fälliger Irrtum, sondern daß es vielmehr sicherlich eine
Fügung Gottes gewesen ist, welcher meine Hände das
Kästchen mit den Kohlen ergreifen ließ, um mich da-
durch zu erinnern, daß in zwei Tagen das Fest des
heiligen Laurentius falle. Darum nämlich ließ Gott mich
statt der Feder, die ich mit mir nehmen wollte, die
gebenedeiten Kohlen ergreifen, die durch den Saft aus-
gelöscht wurden, der von jenem hochheiligen Leibe
niedertroff, weil es seine Absicht war, daß, indem ich
euch die Kohlen vorzeige, mit denen er einst geröstet
wurde, ich in euren Herzen die fromme Verehrung neu
entzünde, die ihr diesem Märtyrer schuldig seid.
„Darum, meine Kinder, die Gott segnen möge, nehmet
Eure Mützen ab und tretet in Ehrfurcht und Andacht
alle heran, diese Kohlen zu schauen. Vorher aber sollt
ihr wissen, daß, wer mit diesen Kohlen in dem Zeichen
i73
des Kreuzes berührt ist, während des ganzen folgenden
Jahres sicher ist, daß kein Feuer ihm auch nur so
viel anhaben kann, daß er es fühle."
Nachdem er also gesprochen und einen Lobgesang
auf den heiligen Laurentius gesungen hatte, öffnete er
das Kästchen und zeigte die Kohlen. Einige Zeitlang
beschaute die einfältige Menge sie mit ehrfurchtsvollem
Erstaunen; bald aber drängten sie sich ungestüm um
den Bruder Cipolla und verlangten unter viel größeren
Opfern, als sie sonst zu geben gewohnt waren, inständig,
daß er einen jeden mit den heiligen Kohlen berühre.
Infolge dieser Bitten nahm Bruder Cipolla eine jener
Kohlen nach der anderen zur Hand und malte ihnen
auf ihre Jacken und weißen Kamisole und den Weibern
auf ihre Kopftücher so große Kreuze, als nur irgend
darauf Platz hatten. Dabei versicherte er ihnen, daß,
wie er schon oftmals erfahren, ebensoviel als von diesen
Kohlen durch das Aufmalen der Kreuze abgerieben
werde, in dem Kästchen von selbst wieder nachwachse.
So machte Bruder Cipolla nicht ohne seinen erheb-
lichen Nutzen die Einwohner von Certaldo zu Kreuz-
rittern ; denjenigen aber, die ihm einen Possen zu spielen
gedachten, indem sie ihm seine Feder fortnahmen,
spielte er durch seine Geistesgegenwart einen ebenso
großen. Beide waren bei der Predigt anwesend, und
als sie hörten, wie geschickt er sich aus der Verlegenheit
zu ziehen wußte und wie weit er dazu ausholte und mit
was für Redensarten, gerieten sie in ein solches Lachen,
daß sie die Maulsperre bekommen zu müssen glaubten.
Nachdem aber die Volksmenge sich verlaufen hatte,
gingen sie zu ihm, entdeckten ihm unter dem größten
Jubel von der Welt, was sie getan hatten, und er-
statteten ihm seine Feder zurück. Diese trug ihm im
174
darauffolgenden Jahre nicht weniger ein, als in diesem
Jahre die Kohlen.
Diese Geschichte hatte der ganzen Gesellschaft ausneh-
mendes Vergnügen und Ergötzen gewährt, und allgemein
hatte man über den Bruder Cipolla und besonders über
seine Pilgerreise und über die Reliquien gelacht, die er
teils gesehen und teils mitgebracht hatte. Als aber die
Königin wahrnahm, daß die Geschichte und mit dieser
ihr Regiment ein Ende genommen habe, erhob sie sich
von ihrem Sitze, nahm sich die Krone vom Haupte
und setzte sie auf das des Dioneo, indem sie lächelnd
sprach :
„Zeit ist es, Dioneo, daß du auf eine Weile erfahrest,
was es heißen will, Weiber lenken und regieren zu
müssen. Sei denn nun König und führe dein Regiment
also, daß wir auch bei seiner Endschaft es loben können."
Lachend empfing Dioneo die Krone und antwortete:
„Wertere Könige, als ich bin, werdet ihr freilich schon
manchmal gesehen haben, auch die Schachkönige mit
eingerechnet. Wahrlich aber, wolltet ihr mir gehorchen,
wie es einem wahren Könige zu gehorchen Pflicht ist,
so wollte ich euch Freuden genießen lassen, ohne welche
jeder Lustbarkeit etwas zum vollen Ergötzen fehlt.
Besser indessen, ich schweige davon ; genug, ich will re-
gieren, so gut ich vermag."
Hierauf ließ er dem bisherigen Gebrauch zufolge den
Seneschall herbeikommen und gebot ihm in der ge-
hörigen Reihenfolge, was er zu tun habe, solange dieses
Regiment dauern würde; dann aber sagte er:
„Schon in verschiedenen Weisen, ihr verehrten
Damen, ist von dem menschlichen Scharfsinn und von
den mannigfachen Geschicken gesprochen worden, so
i75
daß ich fürchten muß, wäre nicht Frau Lycisca vor
kurzem hierher gekommen, und hätte sie mir nicht
durch ihr Gerede einen für die morgigen Erzählungen
zu bestimmenden Gegenstand an die Hand gegeben, so
würde ich lange Zeit gebraucht haben, um eine solche
Aufgabe zu finden. Wie ihr vernommen habt, behauptete
sie, daß keine ihrer Bekannten als Jungfrau zu ihrem
Manne gekommen sei, und ferner fügte sie hinzu, daß
sie wohl wisse, wie zahlreich und wie arg die Streiche
seien, die auch die Eheweiber ihren Männern spielen.
Wenn wir nun auch die erste Hälfte dieser Behauptung
auf sich beruhen lassen, denn das sind nur Kindereien,
so halte ich doch dafür, daß über die zweite ergötzlich
zu sprechen sei. Aus diesem Grunde ist es denn mein
Wille, daß, weil Frau Lycisca uns einmal darauf ge-
bracht hat, morgen von den Streichen erzählt werde,
welche die Frauen aus Liebe oder um sich aus einer
Verlegenheit zu ziehen, ihren Männern gespielt haben,
mögen nun diese es gewahr geworden sein oder nicht."
Einige von den Damen meinten, es passe sich schlecht
für sie, solch einen Gegenstand in ihren Erzählungen
zu besprechen, und baten daher den König, daß er die
bereits gestellte Aufgabe wieder abändere.
Er aber antwortete ihnen: „Damen, wie meine Auf-
gabe beschaffen sei, weiß ich nicht minder als ihr, und
die Gründe, die ihr gegen sie anführt, können mich
nicht bewegen, davon wieder abzugehen; denn ich bin
der Überzeugung, daß unter den jetzigen Zeitumständen
den Männern wie den Frauen, wenn sie nur acht geben,
in ihren Handlungen sich ehrbar zu erweisen, gestattet
ist, zu reden, was ihnen beliebt. Wißt ihr etwa nicht,
daß infolge der bösen Geißel, die uns heimsucht, die
richterlichen Beamten ihre Gerichtsstätten verlassen
176
haben; daß die göttlichen sowohl wie die menschlichen
Gesetze schweigen und jedem die Befugnis, sein Leben
selbst zu schützen, im weitesten Umfange gewährt ist?
Wenn also eure Sittsamkeit jetzt in den Gesprächen
ein wenig von ihrer Strenge nachläßt, keineswegs um
daraufhin in Handlungen die kleinste Unziemlichkeit
zu gestatten, sondern allein, um euch selber und anderen
Unterhaltung zu gewähren, so sehe ich nicht ein, mit
welchem irgend zuzugestehenden Grunde euch deshalb
in Zukunft jemand tadeln könnte. Überdies hat diese
eure Gesellschaft vom ersten Tage bis zur gegenwärtigen
Stunde die strengste Ehrbarkeit gewahrt und sich, was
immer auch der Inhalt der Erzählungen gewesen sein
möge, nicht durch die kleinste Unziemlichkeit befleckt,
wie sie dies auch in Zukunft mit Gottes Hilfe nicht tun
wird. Und wem wäre denn eure Sittsamkeit nicht zur
Genüge bekannt, die weder die heiteren Gespräche noch,
wie ich überzeugt bin, die Schrecken des Todes auf Ab-
wege zu leiten vermöchten? Die Wahrheit zu sagen,
glaube ich vielmehr umgekehrt, daß, wolltet ihr euch
weigern, an solchen Scherzreden gelegentlich teilzu-
nehmen, ein Böswilliger eher den Verdacht äußern
könnte, daß ihr euch in solchen Dingen schuldig fühltet
und um deswillen da zu reden euch scheutet. Endlich
würde es mir, der ich jedem meiner Vorgänger ge-
horsam gewesen bin, zu schlechter Ehre gereichen, wenn
ihr mich zwar zum Könige machen und mir dadurch die
Befugnis, euch Gesetze zu geben, erteilen, dann aber
dennoch euch weigern wolltet, so zu erzählen, wie ich
es verordnet habe. Lasset also jene Besorgnis fahren,
die schuldbewußten Gemütern besser geziemt als den
euren und sorgt vielmehr eine jede, wenn das Glück
gut ist, uns eine recht schöne Geschichte zu erzählen."
III 12 177
Als die Damen dies vernommen, sagten sie, so möge
es denn bleiben, wie es ihm beliebte. Der König aber ge-
stattete jedem, bis zur Stunde des Abendessens seinem
Vergnügen nach Gutdünken nachzugehen. Da indessen
die Erzählungen des heutigen Tages besonders kurz ge-
wesen, stand die Sonne noch hoch am Himmel; als
daher Dioneo mit den zwei anderen jungen Männern
sich zum Brettspiel niedergesetzt hatte, rief Elisa die
übrigen Damen beiseite und sagte zu ihnen:
„Schon so lange wie wir hier sind, habe ich ge-
wünscht, euch nach einem gar nicht weit von hier ent-
legenen Platze zu führen, an dem, soviel ich vermute,
noch keine von euch jemals gewesen ist und der das
Frauental heißt. Bis jetzt konnte ich noch keine ge-
eignete Zeit dazu finden; heute aber steht die Sonne
noch hoch. Beliebt es euch also, mit mir zu kommen,
so zweifle ich nicht, daß es euch keineswegs gereuen
wird, wenn ihr erst dort gewesen seid."
Die Damen erwiderten, sie seien bereit, und so
machten sie sich, ohne den Männern das geringste zu
sagen, nur von einer Dienerin begleitet, auf den Weg.
Nach einem Wege von wenig mehr als einer Miglie
gelangten sie zu dem Frauental, zu dem ein ziemlich
enger Fußpfad, auf dessen einer Seite ein kristallheller
Bach ihnen entgegenrieselte, den Eintritt gewährte.
Dies Tal erschien ihnen an sich schön und besonders
zu jener Tageszeit, wo die Hitze noch sehr groß war,
so ergötzlich und schön, wie man zu erdenken nur
immer vermag. Wie eine jener Damen später mir be-
richtet hat, war die Ebene, die den Boden des Tales aus-
machte, so rund, als wäre sie mit dem Zirkel abge-
messen, obwohl man leicht erkannte, daß sie ein Kunst-
werk der Natur, nicht aber menschlicher Hände sei;
178
der Umkreis jener Ebene aber betrug wenig mehr als
eine halbe Miglie, und rings umher erhoben sich sechs
Hügel von mäßiger Höhe, deren jeder auf dem Gipfel
ein Landhaus trug, dessen Gestalt der einer schönen
Burg fast zu vergleichen war. Die Abhänge dieser Hügel
stiegen in solchen Abstufungen zu der Ebene nieder,
wie wir in den Theatern die Sitzreihen von der höchsten
Umkränzung bis zu der niedrigsten angeordnet sehen,
so nämlich, daß ihre Weite nach unten sich vermindert.
Soweit diese Gesenke nach der Mittagsseite abfielen,
waren sie von Weinreben, Oliven-, Mandel- und Kirsch-
bäumen, Feigen- und vielen anderen fruchtbringenden
Bäumen ganz überdeckt, ohne daß auch nur eine Spanne
unbebaut geblieben wäre. Die Abhänge aber, welche den
mitternächtigen Wagen anschauten, strotzten oder
grünten so dicht, als es der Raum nur zuließ, von
Eichen-, Eschen- und allerlei anderem Gebüsch. Die
Talebene dagegen, die, außer dem einen, durch den die
Damen gekommen waren, keinen anderen Eingang hatte,
war von Edeltannen, Cypressen, Lorbeerbäumen und
einigen dazwischen verteilten Pinien in so wohl ge-
ordneten Gruppen bewachsen, als hätte der erste
Künstler für solche Anlagen sie gepflanzt. Durch dieses
Laubdach vermochten die Strahlen der Sonne, auch
wenn sie hoch stand, entweder gar nicht oder doch nur
sehr sparsam auf den Boden zu dringen, der eine einzige
Wiese des kürzesten grünen Grases bildete, zwischen dem
unzählige purpurfarbene und andere Blumen sprossen.
Was aber außerdem nicht minder erfreute, als alles
übrige, war ein Bächlein, das aus einem Tale zwischen
zweien jener Hügel über mehrere Felsenabsätze nieder-
floß, im Fallen ein dem Ohre angenehmes Rauschen
hervorrief und in so glänzenden Wasserstaub sich zer-
*79
schlug, daß man von ferne Quecksilber zu sehen glaubte,
das infolge eines Druckes in kleinen Tröpfchen aus
einem Behältnis hervorspritzt. Auf dem Boden des
kleinen Tales angelangt, vereinigte sich das Wasser in
einem schmalen Bette, durch das es eilig bis zur Mitte
der Ebene dahinfloß, um dort ein kleines Teichlein zu
bilden, nicht größer als die Wasserbehälter sind, die die
Städter, wo die Gelegenheit dazu sich bietet, in ihren
Gärten einzurichten pflegen. Dieser kleine Teich war
nicht tiefer, als um einem Manne bis an die Brust zu
reichen, und da das Wasser von der leisesten Trübung
frei war, gestattete es in seiner Klarheit, genau zu er-
kennen, daß der Grund aus dem feinsten Kies bestand,
dessen einzelne Steinchen man hätte zählen können,
wenn man die Muße dazu gehabt hätte. Aber nicht nur
den Boden sah, wer auf das Wasser blickte, sondern zu-
gleich so unzählige hin- und herschlüpfende Fische, daß
es Vergnügen und Staunen erregte. Kein anderes Ufer
umschloß dieses Wasserbecken, als allein der Rand jener
Wiese, die um so schöner grünte, je näher sie sich zu
dem Teiche niedersenkte und je mehr sie von dessen
Feuchtigkeit erfrischt war. Alles Wasser, das in dem
Umfange dieses Beckens keinen Raum fand, wurde von
einem zweiten Kanal aufgenommen, durch den es, aus
dem Tale geleitet, in das tiefer gelegene Land abfloß.
Als die jungen Damen nun hier angelangt waren und
nach allen Richtungen sich umgeschaut hatten, lobten
sie zuerst auf das lebhafteste die Schönheit des Ortes;
dann aber weckte die große Hitze und der Anblick des
kleinen Sees, der vor ihnen lag, da sie sicher waren,
von niemand belauscht zu werden, in ihnen die Lust,
sich zu baden. So befahlen sie denn ihrer Dienerin, auf
dem Wege, durch den man in das Tal gelangt, Wache
180
zu halten und, falls jemand sich nähern sollte, ihnen
ein Zeichen zu geben, und entkleideten sich dann alle
sieben.
Das Wasser, in das sie nun niederstiegen, verbarg
ihre schneeweißen Körper nieht mehr als ein durch-
sichtiges Glas eine Rose verbergen würde. Auch wurde
das klare Wasser nicht im mindesten getrübt, so daß
sie Gefallen daran fanden, den Fischen, die sich nirgends
zu verstecken wußten, nachzujagen, so gut es gelang,
und zu versuchen, ob sie deren mit den Händen zu
fangen vermöchten. Wirklich erhaschten sie unter all-
gemeinem Jubel ein paar; als sie aber eine Zeitlang
im Wasser geweilt hatten, stiegen sie wieder heraus und
kleideten sich an.
Zu dem Lobe, das sie diesem schönen Orte bereits
erteilt hatten, noch größeres hinzuzufügen, vermochten
sie nicht; da es ihnen indessen an der Zeit schien, nach
Hause zu gehen, machten sie sich langsamen Schrittes
unter Gesprächen über die Schönheit dieses Spazier-
ganges auf den Weg. Ziemlich früh bei dem Palast
wieder angelangt, fanden sie die jungen Männer noch,
wie sie sie verlassen hatten, bei dem Spiele beschäftigt.
Pampinea sagte lächelnd zu ihnen : „Heute haben auch
wir euch angeführt."
„Wie," antwortete Dioneo, „fangt ihr damit an zu
tun, wovon ihr nachher erzählen sollt?"
„Allerdings, Herr König," entgegnete Pampinea und
erzählte ihm ausführlich, woher sie kämen, wie jener
Ort beschaffen, wie wenig entfernt er sei und was sie
dort vorgenommen hätten.
Die Erzählung von der Schönheit jenes Platzes er-
regte in dem König das Verlangen, ihn zu sehen; er
ließ daher schnell das Abendessen auftragen, und nach-
181
dem dies in gemeinsamer Heiterkeit beendet war, ver-
ließen die drei jungen Männer die Damen und gingen
mit ihren Dienern nach dem Tal, das auch von ihnen
noch keiner zuvor betreten hatte. Aufmerksam betrach-
teten sie alle seine Schönheiten und erklärten es für
eine der anmutigsten Stellen auf der Welt. Dann badeten
sie sich, kleideten sich aber bald wieder an und kehrten,
weil es schon spät war, nach Hause zurück, wo sie die
Damen fanden, wie sie zu einem Liede, das Fiammetta
sang, einen Ringelreigen tanzten.
Nach dem Ende des Tanzes unterhielten sie sich von
der Schönheit des Frauentals und sagten viel zu dessen
Lob. Daher ließ denn der König den Seneschall herbei-
rufen und befahl ihm, Sorge zu tragen, daß am näch-
sten Morgen einige Betten hergerichtet und dort auf-
gestellt würden, falls vielleicht jemand Gefallen fände,
dort während der Mittagsstunden zu schlafen oder aus-
zuruhen. Dann aber ließ er Lichter, Wein und Zucker-
werk herbeibringen und gebot der Gesellschaft, nach-
dem sie sich ein wenig erquickt hatte, sich zum Tanz
zu rüsten.
Pamfilo leitete auf sein Verlangen den Tanz; der
König aber sagte, zu Elisa gewandt, freundlich:
„Schönes Mädchen, du übertrugst mir heute die Ehre
der Krone; so will ich dir denn für heute abend die
des Liedes übertragen. Singe uns also eines, wie es dir
am besten gefällt."
Elisa erwiderte lächelnd, daß sie gern dazu bereit sei,
und begann mit süßer Stimme in folgender Weise:
Kann, Amor, ich mich deiner Klau' entwinden,
So hoff ich sicherlich,
Kein andrer Namen soll mich fürder binden.
182
Als Kind schon ward ich dein mit Leib und Blut,
Denn Frieden, dacht' ich, solltest du hiir spenden,
Und, wie bei völligstem Vertraun man tut,
Warf alle Waffen selbst ich aus den Händen.
Doch, du Tyrann, wie eiltest du, zu wenden
Die Waffen gegen mich,
Und mich mit schwerer Kette zu umwinden !
Kaum aber, daß sie mich gefesselt hat,
Gibst du mich auch, an Tränen fast erstickend,
Dem Mann, der mir zum Tod ins Leben trat,
Und der mir noch gebeut, den Sinn berückend. —
So schwer ist keine Tyrannei, so drückend,
Daß sie kein Haar breit wich
Den Seufzern, die mein Leid verzehrend künden.
Mein Flehen all, die Winde streun's umher,
Er hört's nicht ; horcht' ihm nicht, wenn sie's im böten.
Drum wächst mein Leiden auch je mehr und mehr;
Das Leben hass' ich, weiß mich nicht zu töten.
Erbarm dich meiner, Herr, in diesen Nöten;
Du kannst es ja, nicht ich.
Laß mich, von dir für mich besiegt, ihn finden.
Verweigerst du mir das, so wolle nun
Das Band, das Hoffnung einst geknüpft, zerhauen,
Inständig bitt' ich, Herr, dich, das zu tun !
Tust du's, so heg' ich sicheres Vertrauen,
So schön mich wieder, als ich war, zu schauen,
Und froh zu sehn, wie sich
Die Rosen meiner Wangen neu entzünden.
Als Elisa ihr Lied mit einem gar kläglichen Seufzer
beendet hatte, wunderten sich zwar alle über diese Worte;
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keiner aber unter ihnen vermochte zu entdecken, was
für einen Anlaß sie habe, also zu singen.
Inzwischen ließ der König, der in der besten Laune
war, den Tyndarus herbeirufen und befahl ihm, seine
Sackpfeife zu bringen, bei deren Klange nach seiner
Anordnung noch zahlreiche Tänze aufgeführt wurden.
Erst als ein beträchtlicher Teil der Nacht bereits ver-
strichen war, hieß er einen jeden schlafen gehen.
i84
INHALT
FÜNFTER TAG i
Erste Geschichte 5
Cimon wird durch Liebe vernünftig und raubt auf
dem Meere Iphigenie, seine Geliebte. In Rhodus ver-
haftet, befreit ihn Lysimachus, und beide entführen
gemeinschaftlich Iphigenie und Kassandra vor ihrem
Hochzeitsfest. Sie fliehen nach Kreta und heiraten
dort ihre Geliebten, mit denen sie endlich in die
Heimat zurückgerufen werden.
Zweite Geschichte 22
Constanza liebt Martuccio Gomito und überläßt sich
auf die Nachricht von seinem Tode verzweifelt und
allein einem Kahne, den der Wind nach Susa führt.
In Tunis findet sie ihn lebendig wieder und gibt sich
ihm, der durch die dem König erteilten Ratschläge
inzwischen dessen Gunst erworben hatte, zu erkennen.
Er heiratet sie und kehrt als reicher Mann mit ihr
nach Lipari zurück.
Dritte Geschichte 32
Pietro Boccamazza flieht mit Agnolella und stößt auf
Räuber. Das Mädchen flüchtet in einen Wald und
wird von dort nach einer Burg geführt. Pietro fällt
gefangen in die Hände der Räuber, entgeht ihnen
aber wieder und gelangt endlich, nachdem er noch
andere Gefahren überstanden, in dieselbe Burg, wo
Agnolella sich schon befindet. Dort vermählt er sich
mit ihr, uud beide kehren nach Rom zurück.
Vierte Geschichte 44
Ricciardo Manardi wird von Messer Lizio da Val-
bonabei der Tochter des letzteren betroffen. Erheiratet
indessen das Mädchen und söhnt sich mit ihrem Vater
wieder aus.
Fünfte Geschichte 53
Guidotto von Cremona vertraut dem Giacomino von
Pavia sterbend seine Pflegetochter an. Giannole di
Severino und Minghino di Mingole verlieben sich zu
Faenza beide in sie und werden darüber miteinander
185
handgemein. Endlich wird entdeckt, daß das Mädchen
eine Schwester des Giannole ist, und Minghino er-
hält sie zur Frau.
Sechste Geschichte 63
Gian von Procida wird bei seiner Geliebten, die in-
zwischen dem König Friedrich geschenkt worden war,
überrascht und mit ihr an einen Pfahl gebunden, um
verbrannt zu werden. Ruggieri dell'Oria erkennt und
rettet ihn und er heiratet sie.
Siebente Geschichte 73
Theodor verliebt sich in Violante, die Tochter seines
Herrn, des Messer Amerigo, schwängert sie und wird
deshalb zum Strang verurteilt. Während er aber mit
Geißelhieben zur Hinrichtung geführt wird, erkennt
und befreit ihn sein Vater, und er heiratet Violante.
Achte Geschichte 85
Nastagio degli Onesti bewirbt sich um die Liebe
einer Dame aus dem Hause Traversari und bringt,
ohne Gegenliebe zu finden, dabei sein ganzes Ver-
mögen durch. Auf die Bitten der Seinigen geht er
eines Tages nach Chiassi und sieht daselbst, wie ein
junges Mädchen von einem Ritter gejagt, getötet
und dann von zwei Hunden gefressen wird. Darauf
ladet er seine Familie sowohl als die der Dame zu
einem Mittagessen dorthin, und der Anblick des zer-
fleischten Mädchens und die Furcht vor ähnlichem
Schicksal erschrecken die Spröde so sehr, daß sie den
Nastagio zum Manne nimmt.
Neunte Geschichte 94
Federigo degli Alberighi liebt, ohne Gegenliebe zu
finden. Er verzehrt in ritterlichem Aufwände sein
ganzes Vermögen, sodaß ihm nur ein einziger Falke
bleibt. Diesen setzt er, da er nichts anderes hat, seiner
Dame, die zu ihm auf Besuch kommt, zum Essen
vor. Sie aber ändert, als sie dies vernommen, ihre
Gesinnung, nimmt ihn zum Manne undmacht ihn reich.
Zehnte Geschichte 104
Pietro da Vinciolo geht aus, um anderwärts zur Nacht
zu essen. Seine Frau läßt ihren Buhlen kommen; Pietro
186
kehrt aber heim und die Frau versteckt den Lieb-
haber unter einem Hühnerkorbe. Pietro erzählt, daß
in dem Hause des Ercolano, bei dem er zur Nacht
gegessen, ein junger Mensch, den die Frau verborgen
hatte, gefunden sei, worüber Pietros Frau die des
Ercolano heftig tadelt. Zum Unglück tritt ein Esel
dem Burschen unter dem Korbe auf die Finger, so-
daß er schreien muß. Pietro läuft hinzu, sieht ihn und
erkennt die Falschheit seiner Frau, ist aber nieder-
trächtig genug, sich am Ende doch wieder mit ihr
auszusöhnen.
SECHSTER TAG 121
Erste Geschichte 127
Ein Edelmann sagt zu Madonna Oretta, er wolle ihr
eine Geschichte erzählen, daß sie glauben solle, sie
sitze zu Pferde. Als er sie darauf ungeschickt vor-
trägt, bittet sie ihn, daß er sie wieder absteigen lasse.
Zweite Geschichte 130
Cisti, der Bäcker, bringt durch eine beißende Ant-
wort Herrn Geri zur Einsicht wegen eines unbe-
scheidenen Begehrens.
Dritte Geschichte 136
Monna Nanna de' Pulci gebietet durch eine treffende
Antwort den unziemlichen Reden des Bischofs von
Florenz Stillschweigen.
Vierte Geschichte 139
Chichibio, der Koch des Currado Gianfigliazzi, ver-
wandelt zu seinem Heile durch einen schnellen
Einfall den Zorn des Currado in Gelächter und
rettet sich von dem Unheil, mit dem Currado ihn
schon bedroht hatte.
Fünfte Geschichte 143
Messer Forese da Rabatta und Meister Giotto, der
Maler, die beide von Mugello zurückkommen, machen
sich gegenseitig über ihr unscheinbares Äußere lustig.
Sechste Geschichte 147
Michele Scalza beweist einigen jungen Leuten, daß
die Baronci das adligste Geschlecht in der Welt und in
der Maremma sind, und gewinnt damit eine Mahlzeit.
187
Siebente Geschichte 151
Madonna Filippa wird vor Gericht gefordert, weil
ihr Mann sie mit ihrem Geliebten betroffen ; durch
ihre geschickte und scherzhafte Antwort kommt sie
aber frei und veranlaßt eine Abänderung des Stadt-
rechts.
Achte Geschichte 155
Fresco rät seiner Nichte, niemals in den Spiegel zu
sehen, wenn unausstehliche Leute zu sehen ihr so
widerwärtig sei, wie sie sage.
Neunte Geschichte ' . . 158
Guido Cavalcanti sagt einigen florentiner Edelleuten,
die ihn überrascht hatten, in versteckter Weise die
Wahrheit.
Zehnte Geschichte 162
Bruder Cipolla verspricht den Bewohnern einer Land-
stadt, ihnen eine Feder des Engel Gabriel zu zeigen;
da er aber an deren Stelle Kohlen findet, sagt er,
sie seien von denen, mit welchen der heilige Lau-
rentius geröstet wurde.
188
Die Übersetzung von Boccaccios Decamerone
besorgte Heinrich Conrad, den Druck Poeschel
dt Trepte, Leipzig, die Gravüre-Kupferdrucke
nach den Originalkupfern der Ausgabe von 1757
J. B. Obernetter, München. Von dieser Aus-
gabe wurden 100 Exemplare für die Mitglieder
der Vereinigung „Die Hundert" auf Velin von
Van Gelder mit dem Hundertzeichen, weitere
100 Exemplare auf gleichem Velin mit dem
Wasserzeichen „Boccaccio" für die Luxusaus-
gabe abgezogen
>5
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