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I
HARVARD LAW LIBRARY
R=cdv.d Ißtta, /^SÄ
1
^f*-^r^^y
»
i
Der ^Humor
im deutschen Recht
von
f. ^
0. jierke,
a. 0. Professor an der Berliner Universitöt
Berlin.
Weidmannscbe Buchhandlung.
1871.
f«r^'^
0^.(sicJb.^,i^xiS
BK2004
Dem
Altmeister deutscher ßechtswissenschaft
Karl Gustav Homeyer
widmet
ZU seinem ffinfzigjährigen Doktor-Jubiläum
am 28. Juli 1871
an Daxbringung ernsterer wissenschaftlicher Arbeit durch
lange kriegerische Unterbrechung friedlicher Thätigkeit
gehindert, und doch schönem Brauch entgegen mit leeren
Händen zu erscheinen gerade diesmal am wenigsten ge-
sonnen, die folgenden anspruchslosen Blätter
verehrungsvoll
der Verfasser.
§• 1. Jakob Grimm schrieb vor langer Zeit über die
Poesie im Recht/) So mag es auch vergönnt sein, ttber
eine einzelne dahin gehörige Erscheinung heute etwas zu sagen :
über den Humor im deutschen Recht. Doch scheint es
gerathen, hierfür etwas weiter auszuholen, da der schon gegen
Grimm erhobene Widerspruch^) die Vermuthung nahe legt, es
werde auch hier Manchem Sache und Wort als unrichtig,
Mehreren noch die Zusammenstellung dessen, was ihnen zu-
fälliges und unwesentliches Beiwerk dünkt, als unnütze Spielerei
erscheinen.
In unserm heutigen Recht sind nicht nur fast alle Spuren
einstiger Verbindung von Recht und Poesie getilgt: unsere
ganze Rechtsauflfassung vielmehr steht jedem Gedanken daran
so fem, dass wir auch im alten Recht nur eine äussere
Berührung, nicht ein inneres Ineinandergreifen beider anzu-
nehmen geneigt sind. Aber wir dürfen das Recht einer an-
dern Zeit nicht mit unserem Bewusstsein messen ; wir müssen,
wollen wir anders sein Werden verstehen, in die Anschauungs-
weise der Zeit zurückkehren. ^ Und da zeigt es sich, dass, ob
auch im letzten Grunde das Recht überall als Recht derselbe
Begriflf ist, doch mit seinem Wesen und seiner Gestalt auch
^) J. Grimm, von der Poesie im Recht. lo Savigny's Zeitschrift
für geschichtliche Rechtswissenschaft. Bd. II. (1816) S. 25-99.
2) Z. B. von Reyscher, über die Symbolik des germanischen
Rechts. Tübingen 1833. S. 2. Er meint, es seien „Recht und Poesie,
jenes als auf negativ Sittliches, diese als auf positiv Sittliches sich be-
ziehend, auf immer von einander geschieden.'^ Poetisches sei höchstens
am Recht, nicht im Recht zu suchen.
1
_ 2
die Rechtsidee genügend sich wandelt, um dieselbe Sache hier
mit ihr vereinbar und dort mit ihr im Widerspruch erscheinen
zu machen.
§• 2. In der That kann es nicht auflFallen, wenn das
Recht, das eine Funktion des Volkslebens ist, sich auf den
verschiedenen Lebensstufen des Volkes ebenso verschieden
gestaltet wie der Volksgeist selbst. Den Wandlungen des
Rechtes aber laufen hierbei Wandlungen der übrigen Funktio-
nen des Volkslebens parallel, Wandlungen der Sprache und
der Poesie, des Glaubens und der Sitte, der Wirthschaft und
des Staats'). Am schärfsten treten hier die Unterschiede
hervor, wenn wir Jugend und reifes Alter des Volkes gegen-
einanderstellen, — um so schärfer, je entfernter von einander
wir die verglichenen Zeitabschnitte greifen.
Vor Allem zunächst wird die Epoche der Jugend durch
die unmittelbare und ungetheilte Volksschöpfung
und Volksthätigkeit auf allen Gebieten bezeichnet. Das
alte Recht ist das gleichmässige Besitzthum des noch unge-
spaltenen Volkes: es strömt aus seiner Seele wie der Volks-
gesang; es lebt in ihm allgegenwärtig wie der Volksglaube;
es wird von ihm stetig überliefert und unaufhörlich angewandt
wie die Volkssitte; es wird und wächst durch die fast noch
nach Art einer Naturkraft zeugende Volkskraft wie der kunst-
volle Bau der Sprache. Anders bei reifen Völkern. Sie
gewinnen in einzelnen Klassen und Ständen besondere Organe
für die einzelnen Seiten ihres geistigen Lebens. Ein eigner
rechtskundiger Stand nimmt dem Volke die feinere Durchbil-
dung und schärfere Ausprägung des Rechts bewusstseins, die
Fassung uud Gestaltung der Satzungen, die logische Anwen-
dung der Norm auf das Leben ab. Auch er wird freilich nur
bei krankhaften Zuständen, wie leider so lange bei uns, das
Volk ganz abdrängen von seinem Recht, während bei gesun-
der Entwicklung das Volksrechtsbewusstsein die breite Basis
aller Rechtsideen, volksthümliche Mitwirkung aber bei der
3) In Bezug auf das Verhältniss des Rechts zu den übrigen Fun-
ktionen des Volkslebens vgl. Arnold, Kultur- und Rechtsleben. Ber-
lin 1865.
Recht serzeugung wie im Gericht erhalten bleibt^ Immer in-
dess ist die alte Unmittelbarkeit des Volksrechts zerstört und
der zwischen dem Volk und dem Recht vermittelnde Stand
prägt dem letzteren den Stempel eines neuen Wesens auf.
Ganz Aehnliches zeigt sich bei Sprache und Dichtung, bei Glau-
ben und Sitte; es zeigt sich auch auf dem Gebiete des staat-
lichen Handelns und des wirthschaftlichen Lehens, in welchem
letzteren die steigende Arbeitstheilung an die Stelle der alten
Naturalwirthschaft die wirth schaftliche Gliederung und Orga-
nisation und die bewussten Tendenzen setzt.
Das jugendliche Volk prägt ferner der Bewegung wie
ihren Resultaten auf allen diesen Gebieten die eigenthüm-
liehen Merkmale einer jugendlichen Seele auf. So
auch seinem Recht. Noch ist das unbewusste oder halb be-
wusste SchaflFen mächtiger als die bewusste und überlegte
That. Noch wird und wächst, was die spätere Zeit macht
und bessert. Noch umgiebt die durch das Herkommen gehei-
ligte Ordnung der Schein des Wunderbaren und Göttlichen,
woran der Einzelwille sich nicht wagt. Noch kleidet sich
alles Geistige in eine Jeibliche Hülle und selbst das schlecht-
hin Unsinnliche wird durch das Sinnbild mit der Sinnenwelt
verknüpft. Mit unermüdlicher und unerschöpflicher, von spä-
teren Geschlechtern kaum noch verstandener Gestaltungskraft
weiss das Volk sich jeden Gedanken durch leibliche Vorstel-
lung, Bild oder Sinnbild zu nähern. Ueberall und bis ins
Einzelne ist die Satzung lebendig und konkret, nirgend sucht
sie die Verallgemeinerung um ihrer selbst willen auf. Dass
solche Züge dem alten Recht mit den andern Lebensfunktio-
nen jugendlicher Völker gemein sind, lässt sich leicht durch-
führen. In allen diesen Beziehungen nun aber tritt eine völ-
lige Wandlung ein, wenn der Volksgeist, darin genau dem
Geist des EinzeJmenschen analog, heranreift. Mehr und mehr
übernimmt das abstrakte Denken die Führerschaft der geisti-
gen Kräfte; bewusster Wille, überlegtes SchaflFen gewinnen
breiteren und breiteren Raum; über der Welt der Vorstellun-
gen erhebt sich die Welt der reinen BegriflFe; das Geistige
4) Vgl. Beseler, Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig 1843.
ringt sich vom Leiblichen los; die farbigen Bilder verblassen;
das konkrete Leben des Einzelnen verflüchtigt sich in For-
meln und Regeln. Abstrakt, ja abstrakt oft bis an die Grenze
dee Todten, werden Recht und Sprache, Glaube und Sitte,
wird selbst der Staat.
Im Zusammenhang mit allem Gesagten steht es nun end-
lich auch, dass die verschiedenen Lebensfunktionen
jugendlicher Völker durch keine scharfe Scheide-
wand getrennt werden. Noch liegen sie ungesondert neigen
einander in derselben Volksseele. Noch ist es auch äusserlich
dieselbe Versammlung, auf welcher die Gottheit verehrt und
das Recht gewiesen, der Acker verloost und ein Kriegszug
beschlossen, die gesellige Sitte gepflegt und des Sängers Lied
gehört wird, ünabgeschlossen noch und offnen für fremdes
Hineinwirken ist jedes Gebiet. So greift denn in lebendigster
Weise jede Funktion in die andere hinüber, ist zugleich im
andern Gebiet heimisch, gestaltet in ihm auf das Unmittel-
barste mit. Es steckt in der That Poesie im alten Recht,
wie sie im alten Glauben, in der alten Sprache, in der alten
Sitte steckt. Denn zahlreiche Satzungen würden nach Form
und Inhalt nicht so, sondern anders lauten, wenn nicht die
dichterische Kraft der Volksseele sie unmittelbar hätte schafien
helfen. Ebenso ist beispielsweise auch Brauch und Sitte noch
im Recht, ja sie trennt kaum eine feste Grenze. . Nicht anders
ist die sittliche üeberzeugung im Recht nicht blos als fernes
Motiv, sondern als unmittelbarer Gestaltungsfaktor wirksam.
Auch der Glaube mischt sich in das Reeht und schafll Ein-
richtungen wie die Gottesurtheile in ihrer weiten Verzweigung.
Und wenigstens im Kreis der Gemeinde ist auch das wirth-
schaftliche Leben in das Mark-, Hof- oder Dorfrecht in leben-
digster Unmittelbarkeit hineingeflochten. — Später wird dies
Alles anders. Die Gegensätze treten schärfer und zahlreicher
hervor. Das Systematische entwickelt sich. Das einst Ver-
bundene wird getrennt, scheint überhaupt jetzt unvereinbar.
Innerlich und äusserlich sondern sich die grossen Zweige des
Volkslebens, um fort und* fort in sich selbst sich weiter abzu-
theilen, Gegensatz auf Gegensatz zu erzeugen, reicher und
reicher sich zu gliedern. Niemals freilich hört jene ewig rege
Wechselwirkung auf, welche die verschiedenen Funktionen
des Volksorganismus von einander abhängig macht. Aber
der Unterschied gegen die alte Zeit liegt darin, dass jede
Funktion sich gegen die andern als selbständiger Organismus
abschliesst, ihr nächstes Lebensgesetz allein in sich selbst
trägt, nur aus sich selbst wächst und immer erst mittelbar
die anderen Funktionen auf sicli wirken lässt. So bleiben
z. B. für das Recht Sitte und Sittlichkeit innerster Kern, die
wirthschaftlichen Verhältnisse zwingende äussere Basis: aber
das Recht wird ihnen gegenüber selbständig, erhält die Kraft,
ihnen auch einmal zu widersprechen, und gestaltet sich nur
durch sich selbst weiter, — freilich oft, weil die Sitte, die
sittlichen Anschauungen oder die wirthschaftlichen Zustände
gewandelt sind, aber nicht schon unmittelbar durch diese
Wandlung und gewissermassen erst nach einer Uebersetzung
des Fremdartigen in Recht. Inniger noch bleiben Recht und
Staat verbunden: vollendet aber sind auch sie erst, wenn sie
gegeneinander geschlossen sind. Und ähnlich ist es überall.
Man kann daher nun in der That nicht mehr von dem Vor-
handensein einer Funktion in der andern sprechen.
§. 3« Diese typischen Unterschiede der Lebensstufen
linden sich bei allen Völkern wieder. Im Einzelnen aber ge-
stalten aie sich wiederum bei den verschiedenen Völkern
ebenso ungleich, wie die Volksgeister selbst einander un-
gleich sind.
Ungleich schon ist Gang, Zeitdauer und Inhalt der
Entwicklung. So springt es beispielsweise in die Augen,
dass die Entwicklung bei den Kulturvölkern des Alterthums
schneller, einfacher, glänzender verlief, als bei den germani-
schen und durch das Germanenthum verjüngten Völkern.
Uebergänge, die wir bei Römern und Griechen kaum bemer-
ken, füllten bei uns nahezu ein Jahrtausend aus. Langsam,
schwerfällig, ungleichmässig war bei uns der Fortschritt zu
festerer Organisation, zum abstrakten Denken, zum System,
zur Erkenntniss und Trennung der Gegensätze. Ungleich
länger erhielten sich bei uns die Unvollkommenheiten der äl-
teren Lebensstufen. Unklar und flüssig blieben viele Begriffe.
Aber es galt auch, eine von vornherein tiefer, vielseitiger und
inhaltreicher angelegte Kulur zu entfalten, eine höhere Blüthe
am Baum der Menschheit zu zeitigen.
Grösser noch ist die Ungleichheit^ wenn wir im Einzelneu
die Wirksamkeit der verschiedenen Lebensfunktionen und
ihre gegenseitigen Beziehungen zu einander bei den
einzelnen Völkern vergleichen. Hier ist die eine, dort die
andere Funktion herrschend oder abhängig, reich oder arm,
frtlh oder spät vollendet, tiberwuchernd oder verkümmert.
Und in dem positiven Ausbau eines jeden Gebiets spiegelt
sich so klar die Volksseele wieder, dass durch die niemals
fehlende Beziehung auf das Ganze auch die kleinsten Züge
Interesse gewinnen.
§. 4. Ein Beispiel liefert uns der ethische Faktor
im deutschen Recht ^). Dass überhaupt Sitte und Sittli-
ches in das Recht verwoben werden, ist dem älteren deutschen
Recht mit andern jugendlichen Rechten gemein. Die beson-
dere Färbung aber dieser Erscheinung ist im deutschen Recht
so eigenthtimlich, dass sie nur aus der deutschen Volksseele
fliessen konnte. Schon das ist bezeichnend,' dass in keinem
andern Recht der ethische Faktor mit solcher Mächtigkeit,
Zähigkeit und Innerlichkeit wirkt. Bezeichnender aber noch
ist, wie sich das Tiefe, Zarte, GemüthvoUe und Gemtithliche
deutscher Sittlichkeit und Sitte in zahlreichen Rechtssatzungen
ausspricht. Welches andere Volk hätte es wohl vermocht, in
die wichtigsten Rechtsinstitute den schönen sittlichen Begriff
der Treue so kunstvoll zu verweben, wie er bei uns in das
gesammte Lehnswesen, in die höchsten und niedersten Herr-
schafts- und Dienstverhältnisse, in das Genossenschaftsrecht,
in das Recht der Ehe, in das Vertragsrecht und in das Recht
der bürgerlichen Ehre verwebt war? Welche sittliche Tiefe
femer spricht sich im Strafrecht in der schärferen Behandlung
der „unehrlichen" Verbrechen aus, die allein um der Heim-
lichkeit willen dem wahrhaftigen, die lichtscheue Lüge am
tiefsten verachtenden deutschen Geist schuldvoller als die
5) Vgl. auch Osenbrtiggen, Studien zur deutschen und schwei-
zerischen Rechtsgeschichte. SchaflFhausen 1868. Abh. Nr. 1: „Der
ethische Faktor im altdeutschen Recht." S. 1—18.
oflFene noch so rauhe Gewaltthat erschienen*)! Nicht minder
eigenthümlich deutsch ist die Sorge des alten Rechts, den
durch Glauben und Herkommen geheiligten Personen, Stätten
und Geräthen erhöhten Frieden zu gewähren, dem Wehr-
und Schutzlosen einen besonderen königlichen oder gericht-
lichen Schutz zu verschaffen, ja dem Verbrecher selbst noch
eine Freistätte und die Möglichkeit der Flucht zu bieten.
Das Recht der Gäste und der Gastgerichte ^), die zarte Rück-
sicht auf Witwen und Waisen, auf Frauen, denen ihr
Recht vor den Männern werden soll®), schliessen sich hier an.
Je näher der Verwandte mit dem Verwandten, der Nachbar
mit dem Nachbarn, der Herr mit dem Mann, der Genosse mit
dem Genossen verbunden ist, desto stärker wird die Pflicht
hervorgehoben, einander zu helfen und sich zu unterstützen,
Rücksichten auf des Andern Vortheil zu nehmen, „Liebe und
Leid mit einander zu tragen", ja noch über den Tod hinaus
die letzte Ehre einander zu erweisen und für das Seelenheil
zu sorgen^). Für das deutsche Gemüth vielleicht noch be-
zeichnender sind viele Bestimmungen der Hofweisthümer,
welche genau vorschreiben, wie die schweren Lasten der zin-
senden und frohnenden Leute durch freundliche Bewirthung
und mancherlei kleine Gegenleistungen gemildert werden sol-
len ^^). Allgemein heisst es in der Abtei Prüm, der Vogt solle
6) Vgl Osenbrüggen a. a. 0. S. 10-15.
7) Vgl. Osenbrüggen a. a. 0. S. 19—68.
8) So richtet man zu Kilchberg nach dem W. v. 1515 b. Grimm
I. 203 zuerst Witwen und Waisen, dann den Gästen, dann erst den
Hausgenossen, „und allweg den frowen vor den mannen.''
9) Vgl. meine Rechtsgesch. der deutschen Gehoss., Berlin 1868.
S. 21—23. 33. 72. 92. 187. 229. 238. 240. 341. 347 Note 12. 351. 387.
494. 623—624. Vgl. auch die Bestimmung der Berner Handfeste §. 45,
wonach der verheirathete Sohn seiner alten verwitweten Mutter am
Herde und am Tisch den besten Platz lassen soll. Auch Grimm,
W. I. 378 über die Pflicht des Gotteshauses, die arme Tochter eines
Bauern mit einem Bette auszusteuern.
10) Grimm, R. A. 394 f. Maurer, Fronh. IH. 307-309. Auch
Grimm, Weisth. II. 412, wonach der Schultheiss bei Rückkehr der
Pfltiger an der Hofpforte stehen soll und „unter jeglichem arm haben ein
brodt einer daumspannen weit, u. ob einem armen mann ein radt zer-
breche, demselbigen damit zu hülfe kommen, dass er heim kommen
den Vogtpfennig „also gütlich heben, dass er das kindt in
der wiegen nit weck und das hoen uf der hört nit erschreck" ").
Nimmt der Gerichtsherr beim bäuerlichen Lehnmann Herberge,
so soll er Schwert und Sporen vor der Thtire abthun, dass
er die Frau nicht erschrecke ^^). Besondere Rücksicht wird
auf Ereignisse und Feste in der Familie genommen. Weis-
thümer aller Gegenden bestimmen, dass der Sammler der
Zinshühner, wenn er eine Wöchnerin im Hause findet, nur
den Kopf des Huhnes abbrechen und mitnehmen, das Huhn
aber rückwärts ins Haus werfen solle, damit die Wöchnerin
sich daran labe"). Bei der Geburt eines Knaben oder Mäd-
chens werden kleine, nach dem Geschlecht verschiedene Ga-
ben aus der Mark verabreicht") und mancherlei Befreiungen
von der strengen Pflicht gewährt*^). Auch jungen Ehepaaren
werden oft Hochzeitsgaben gereicht, Zins- und Dienstfreiheiten
zugestanden*^). Altherkömmliche Geschenke , Bewirthungen
und Vorrechte werden fllr gewisse Festtage sorgfältig ange-
inöge^" und wonach ferner beim Heuen auf der Wiese das junge Volk
einen Haufen Heu nehmen soll, nicht den grössten und nicht den
kleinsten, „soll darumb dantzen, u. solcher hausten hewss soll ihr lohn
sein/' Vgl. ib. II. 693. 697; IV. 577 §.5 und bes. auch Grimm,
R. A. S. 388 über das Recht des hessischen Walpertsmännchen.
") Grimm, W. IIL 835. Genau dasselbe schreiben bei Abholung
der Rauchhühner die Weisth. v. Gondebret u. Seirich ib. II. 539 u. 546
vor. Vgl. auch ib. 191.
»2) W. V. Hottenbach b. Grimm II. 132. Vgl. ib. 528.
«) Grimm, R. A. 443; Weisth. I. 129. 239. 257. 282. 351 a, 25.
376. 535. II. 119. 129. 154. 210. 534. 544.
1*) Grimm, W. I. 101. 107. 307. 815. IV. 334 §.7. In der Regel
bei der Geburt eines Knaben zwei, bei der eines Mädchens ein Fuder
Holz, z. B. ib. I. 78 §. 43. 96. 137. 141 §. 21. 374. III. 429. IV. 430
§. 40. Der Mann soll daraus „Wein und schön Brot" för die Kind-
betterin kaufen.
' *6) Befreiungen des Mannes von zwei resp. einem Frohntag b.
Grimm, W. II. 408; Erleichterungen der Frau ib. I. 800. IV. 211;
Befreiungen vom Bannwein ib. 1. 425. II. 411. Auf die Nachricht von
der Entbindung soll der Mann sofort vom Dienst nach Haus eilen, ib.
III. 311 §. 33. 359. Vgl. auch ib. I. 243.
*6) So das erste Jahr hindurch in Hachberg (vor 1341) b. Grimm
I. 366. Vgl. ib. IL 657 Note 1. Und die Gabe von „brautholz" ib.
III. 78.
9_
ordnet"), und weder der Kinder noch des Gesindes wird da-
bei vergessen ^^). Nicht minder bezeichnend ist die Freigiebig-
keit, mit welcher das sonst iso genaue Recht dem wegfertigen
Mann gestattet, drei Trauben oder andres Obst zum sofortigen
Genuss zu brechen, Fische zu fangen, das Pferd vom Feld
neben dem Wege zu füttern, das zerbrochene Geräth aus der
Mark zu bessern ; mit welcher es ferner Aehnliches den schwan-
geren Frauen und den Siechen zugesteht*®). Gemüthliche und
liebensvrürdige Züge zugleich entwickelt das Recht, wenn es
mit sorgfältiger Genauigkeit über die Trinkgelage und Mahl-
zeiten, welche sich an alle wichtigeren Rechtshandlungen zu
schliessen pflegen, über Beschaffenheit und Art der Getränke
und Speisen, über die Tischordnung und den Anstand, ja
über Spiel und Tanz dabei Bestimmungen triflft^^). Das Ge-
biet solcher charakteristischen Satzungen ist unerschöpflich!
Ich führe nur noch, zumal sie an Humor zu streifen scheint,
eine schöne Bestimmung an, durch welche mehrere Weisthtt-
mer einen Konflikt sittlicher Pflichten sinnlich lebendig lösen.
") Z. B. Weihnaohtsholz b. Grimm I. 101. 823. IV. 212.
*8) Vgl. z. B. Grimm, W, I, 441 (der Hofmann muss den Kindern
zum Gedächtniss mutscheleibelin bereiten). II. 168. 411 (den Kindern
ein Konigsfewr). 413 (Brod für sie). 509 f. (Recht des Gesindes, seine
Feste, sein König). U. s. w.
*9) L. Rotar. 301. Saohs.sp. U. 68. Grimm, R. A. 400-402.
523. 554; Weisth. I. 183. UI. 457. 460 §. 9. 426. 631. V. 302 §. 9.
305 §. 11 u. 12. Rechtssprftchw. : „Drei sind frei.** — Aehnliche Rechte
haben Kranke und Sieche, z. B. Grimm, W. 1. 357. 641 §. 3. II. 85.
539. V. 227 §."'24, und insbesondere schwangere Frauen zur Befriedi-
gung ihres Gelüstes auf Trauben, Obst, Fische, Wildpret, Grimm,
R. A. 408 f.; W. I. 233 §. 90. 394. 463. 641 §. 3. II. 85. 454. 817.
III. 834. 887. IV. 430 §. 36. 528 §. 5. 621 §. 12. V. 227 §. 24.
Kaltenbäck, oesterr. Pant. I. 508 §. 19.
20) Vgl. Grimm, R. A. 395. 529. 869-871; meine R. G. der
Genoss. 33, 229. 336 Note 25. 340. 347 Note 11. 386. 494. 624 und die
dortigen Citate; Manrer, Stadtv. II. 388, 439 f. 459. ÜI. 93-103.
Bezeichnend für die „Geselligkeit i m Recht** ist hier z. B., dass die ge-
selligen Pflichten als Rechtspflichten erscheinen; dass von ihrer Er-
füllung so wichtige Privatrechte abhängen, wie in Köln von der Aus-
richtung des sogen. ,,Dienste8** das volle Gewerberecht; dass die auf
Grund der strengen Rechtsordnung erfallenden Bussen zum Vertrinken
bestimmt sind u. s. w. — lieber Einzelnes s. unten Note 186—197.
10
Kommt ein fliehender Missethätcr an den FIuss und ruft dem
Fährmann zu: „Wardmann, fahr tiberhin", so soll dieser ihn
überfahren. Kommt der Verfolger hinter ihm und thut den-
selben Ruf, so soll der Fährmann, wenn er bereits vom Lande
gestossen hat, den Ersten tiberfuhren, und dann den Zweiten.
Hat er aber noch nicht vom Ufer gestossen, so soll er den
Ersten vorn ins Schifl" setzen, den Verfolger hinten ins SchiiBF,
sich aber mitten zwischen beide stellen. Und kommt er dann
zu Lande, so soll er den Missethäter zuerst herauslassen,
darauf den Kahn wenden und den Verfolger ans Land setzen.
Damit frevelt er nicht").
§. 5. Wie Sittliches und Sittiges, so ist auch das Dich-
terische im alten deutschen Recht eigenthtimlich
deutsch. Auch hier überrascht zunächst im Vergleich mit
fremdem, z. B. römischem Recht die Mächtigkeit, Fülle und
Lebensdauer des poetischen Elements im Recht. Auch hier
aber ist zugleich in der besonderen Färbung der Erscheinung
das Wesen deutscher Dichtung hundertfach kenntlich. Be-
zeichend schon ist bei den mannichfachen dichterischen Aus-
drucksformen der Rechtssprache das lauge und treue Fest-
halten von Formen ältester Herkunft, wie der Alliteration^^),
neben welcher der Reim erst spät und spärlich in das Recht
dringt^), der Tautologie und des Parallelismus^O? der den
bejahenden Vordersatz verstärkenden verneinenden Schluss-
**) So im Oberelsass in Grosskems am Rhein pach W. v. 1384 b.
Grimm I. 656. Ebenso in Kuessenberg am Rhein ib. V. 221 §. 24
(wo das Umkehren des Nachens). — Vgl. auch die höchst eigenthüm-
lichen Vorschriften darüber, wie der Abt zu Limburg seinen wegen
Todtschlags flüchtigen Huber oder Gotteshausmann beschützen und im
Nothfall bis auf das Meer führen, dort mit zwei siiberweissen Schilden
und etwas Geld ausrüsten, mit seinen Dienern, bis er ihn nicht mehr
sehen kann, am Strande warten und dann ihn dem heiligen Kreuz be-
fehlen soll; W. V. Dürkheim ib. I. 784. — Entkommt in Alflen ib. 11
410 ein Missethäter und begegnet Jemandem auf dem Felde, so soll er
sprechen, „sein glück were besser als sein recht/* — offenbar eine
Wendung der häufigen Formel „ihm wäre Gnade besser denn Recht"
(z.B. Grimm I. 565}.
22) Grimm, R. A. S. 6—13.
23) Grimm, R. A. S. 13.
2*) Grimm, R. A. S. 13-17; von der Poesie im Recht S. 38 f.
11
sätze^*), des Sprtichwortes und des Sinnspruchs'®). Sodann
tritt in der Fülle der feierlichen, Sich regelmässig wieder-
holenden Ausdrücke, Redensarten und Formeln'^), besonders
in den Formeln für die Grundherrschaft und das Grundeigen-
thum, für die Weisung des Rechts, für die Hegung der Ge-
richte, für den Eid, für Aechtung, Strafe und Sühne nicht
nur das Sinnliche und Bildliche, sondern namentlich die Ver-
tiefung in das Naturleben und seine geheimnissvoll walten-
den Kräfte*^), die Belebung des Leblosen'^), die Versenkung
in das Innere des häuslichen Lebens'^) charakteristisch her-
25) Grimm, R. A. S. 27-31.
^)Graf u. Dietherr, deutsche Rechtsspruch Wörter, Nördlingen
1864. Enthält 3698 Nummern! üeber das Poetische darin Grimm,
von der Poesie im Recht S. 50 f.
27) Grimm, R. A. S. 32-54.
**) So in der Hinzufügung dichterischer A^ctiva, z. B. bei schei-
nender Sonne, lichtem Sonnenschein, hellem Sternenschein, schwarzer
Nacht, auf rother Erde, die wilde, salzige See, der graue, düstere Wald,
das neunspeichige Rad u. s. w. ; so Bestimmungen , wonach etwas ge-
schehen oder nicht geschehen soll, ehe die Sonne zu Gnaden geht, nach
der Zeit, da die Sonne in Gold geht, „bis zu sant Walpurge tag, dar
der gauch gukte;*' oder wenn das, was die Egge bestrichen und die
Hacke bedeckt hat, erworben sein soll; oder wenn es für eignen Haus-
stand heisst, was Rauch zu Berge kehrt, wo Feuer und Flamme auf-
geht; so ferner in den Formeln für das ünermessliche der Zeit und des
Raumes, wonach z. B. die friesische Freiheit dauern, eine Sühne gelten,
die Friedlosigkeit reichen soll, so lange der Wind von den Wolken
weht und die Welt steht, so lange der Wind weht und der Hahn kräht
und also weit als die Sonne auf und unter geht, so weit der Himmel
blau Ist und der Regen fällt, „was der wind bew^t und der regen ge-
spr^t" (Grimm, W. I. 162) u. s. w. Vgl. bes. noch die Sühnformel
aus der Gragäs b. Grimm, RA. 39, die Formel der Verfemung ib. 41.
29) So z.B. in der angelsächs. Formel: „die Axt ist ein Melder,
kein Dieb,'* Ges. K. Ina's c. 43, und den entsprechenden Formeln der
deutschen Weisth., z B. Grimm I. 414 (mit der Axt ruft er dem För-
ster). 422. m. 542. 591. V. 306 §. 25.
^°) So z. B., wenn als geringster Grundbesitz so viel gefordert wird,
dass ein dreibeiniger Stuhl darauf stehen und ein Mädchen neben einer
Kinderwiege darauf sitzen kann. W. v. Hausen u. Lämmerspiel b.
Grimm, W. IV. 554. Vgl. ib. III. 460. 478. 514. IV. 683 §. 6 u.
R. A. S. 80—81, namentlich auch Nr. 4 über Bemessung nach einer
Badewanne.
12
vor. Dieselben Züge finden wir in dem tiberreichen Schatz
der alten Rechtssymbole^*). Wir finden sie aber auch, wo
das dichterische Element nicht blos die Form, sondern den
Inhalt des Rechtes selbst bestimmt'^). Hier gehört zu den
besonders volksthümlichen Zügen die poetische Neigung, bei
der Feststellung von Recht und Pflicht das unabänderliche
Mass und die mechanische Zahl zu vermeiden. Statt
dessen wählt man einen lebendigen, sinnlichen Ausdruck, der
im Ganzen, so genau das Einzelne geordnet ist, etwas Indivi-
duelles, Oflfenes, Unbestimmtes übrig lässt. So wird nach
vielen Volksrechten die Verwundung besonders gebtisst, wenn
ein Knochen von solcher Grösse herausgehauen ist, dass man
ihn, über einen bestimmten Raum (z. B. einen öflfentlichen
Weg von 12' Breite) in einen Schild geworfen, erklingen
hört^^); oder die Wunde wird danach bemessen, ob Blut zur
Erde tröpfelt, der verletzte Augendeckel noch eine Thräne
hält, der gelähmte Fuss den Thau vom Grase streift^*). So
wird ferner ein rechtlich erheblicher Raum danach bestimmt,
wie weit man einen rothen Schild, ein weisses Pferd oder
einen Thürriegel schimmern sieht, den Menschenruf, den
Glockenklang oder das Hundegebell schallen hört^O- ^^ werden
auch die Breite des Weges'®), das Mass des zu liefernden
3«) Grimm, R. A. S. 109—207 und von der Poesie im Recht
S. 74-81. Rey scher a. a. 0.
38) Grimm, von der Poesie im Recht S. 57 f.
33) L. Rip. 68, 1. L. Alam. 59, 4. L. Rotar. 47. L. Fris. 22, 71
u. 74; add. aap. 3, 24. Skandinav. Ges b. Grimm, R. A. 78.
3*) L. Sal. 20, 3. L. Rip. 2. L. Bajuv. 3, 1. 22 u. 4, 10.
3») Grimm, R. A. S. 74-77; W. I. 799. III. 563: der Zinserheber
muss am Gatter so lange auf den Zins warten, als er den Thürriegel
sehen kann.
3«) Z. B. durch einen Reiter mit quer über den Sattel gelegtem
Speer; durch die Möglichkeit, dass eine Frau neben einem Wagen oder
einer Leichenbahre auf beiden Seiten gehen kann, ohne ihr weisses
Gewand zu beschmutzen; durch einen Esel mit einem Sack und einen
Mann mit einer Ruthe u. s. w. Grimm, R. A. S. 69. 104 u. Weisth.
IL 696. 724. IIL 28. 47 §. 56-58. 133 §. 4-6. 847. 857. IV. 311;
Maurer, Dorfv. L 286—287.
13
Futters"), die Grösse des dem Huber geschuldeten Brodes^),
der umfang des Grundbesitzes und vieles Andere auf poetisch-
sinnliche Weise gemessen. Häufiger noch wird die Ent-
scheidung gar nicht unmittelbar durch das Recht gegeben,
sondern auf die körperliche Kraft und eine leibliche
Handlung des Berechtigten gestellt. Dieser soll z. B. durch
einen Wurf mit Hammer, Beil, Speer, Sichel, Pflugeisen oder
dergl, durch einen Bogenschuss, durch gewappneten Ritt in
den Strom, durch die Schnelligkeit seines Laufes die Grenze
seiner Befugniss ausmessen^^). Oder er soll von einer Pflicht
befreit werden, wenn der Versuch ihrer ErffLllung an einem
ganz konkret bestimmten Punkte scheitert"^). Oder er muss
überhaupt seine für die bestimmte Rechtshandlung nöthige
Rüstigkeit durch altherkömmliche, nach Stand und Zweck
unterschiedene Kraftproben darthun^^j. Oder er verliert um-
gekehrt sein Recht, wenn er aus Begehrlichkeit das Mass
seiner Kraft überschätzt haf*^). Endlich aber kommt es auch
vor, dass die nähere Bestimmung eines Rechts dem Walten
3'^) Das Pferd soU bis zum Gurt in Hafer stehen; oder bis zum
Bug im Stroh und bis an die Augen (oder über die Naslöcher) im Hafer.
Bodmann, rheingau. Alterth. 856. Grimm, W. 1.426. II. 692: „und
schoden den perden so vill haveren vur, dat si litzdeif legen bliven."
^^ Es soll z. B. so gross sein, dass es vom Fusse eines Mannes
bis über dessen Knie reicht, Grimm, W. IV. 135. 156. 210—211.
••'«) Grimm, R. A. S. 55-68. 84 f.; Weisth. I. 157. 462. 499. 837.
II. 587, 657 — 658. 414 (wo .die Bannmeile bemessen wird durch je
30 Würfe von 30 aus der Kirche kommenden Männern mit ellenlangen
Knitteln).
^®) Der Schöffe wird durch Wassersnoth wegen Dingsäumniss ent-
schuldigt, wenn er bis an die Knie ins Wasser gieng, dann eine halbe
Meile oberhalb und eine halbe Meile unterhalb wieder bis an die Knie
hineingieng und doch nicht hinüberkam. Grimm, W. IIL 891.
^^) So nach Sachs.sp. I. 52 §. 2 u. den bekannten Zusätzen der
Glosse. Vgl. Grimm, R. A. S. 95-97 u. Weisth. III. 191. IV. 273.
Verwandt sind die Proben für Lebensfähigkeit der Kinder, das Be-
schreien der Wände u. s. w.
^2) So kann der Schnitter, nach Grimm, W. 1. 10, eine Bürde Heu
forttragen, verliert sie aber, wenn er mit ihr fällt 5 die Schnitterin kann
ihrem Ehemann so viel Korn (oder Heu) mitbringen , als sie in ihrem
Kopftuch (stauch) tragen kann, wird aber bussfällig, wenn sie dabei so
begehrlich (goüttig) war, dass das Kopftuch bricht; ib. IV. 160. 211. 212.
14
unbewusster Naturkraft tiberlassen wird. Eine Grenze
wird durch das Wälzen eines Schlegels, das Rollen eines Ei's
bestimmt*^). Eine zufällige Berührung soll ttber die Wahl
des Besthaupts entscheiden^). Oder es kann überhaupt durch
das unbestimmbare Dazwischentreten eines fremden, zufälligen,
geheimnissvollen Umstandes eine Pflicht oder Busse gelöst,
ein Becht gegründet werden, womit offenbar die Gottesurtel
und verwandte Erscheinungen*^), sowie die Häufigkeit des
Looses*^) zusammenhängen. — Weitere eigenthtimliche Züge
des deutschen Rechts ergeben sich aus dem dramatischen
Element, welches viele Rechtshandlungen, besonders aber das
gerichtliche Verfahren einschliesslich dessen, was ihm voraus
geht und folgt, belebt und gestaltet*'). — Sodann entstehen
^3) Grimm, R. A. 84 u. über das Rollen des Ei's Weisth. III. 679.
Sagenhafter ist die Entscheidung durch Federflug, Lauf eines Esels,
blinden Pferdes, Krüppels R. A. S. 83-84 u. 86-89.
"»O So soll nach dem W. v. Werne u. Seperade b. Grimm III.
161 §. 3 der Diener des Abts die Churmoede dergestalt nehmen, dass
er mit einem weissen Stock hinterrücks zu Pferden und Kühen des
Verstorbenen geht; welches Stück er berührt, das gehört dem Herrn.
'*^) Z. B. die dem Verurtheilten gewährte Möglichkeit, noch durch
einen Zufall oder fremde Handlung gerettet zu werden. Vgl. Grimm,
R. A. S. 701; Weisth. III. 671; Osenbrüggen a. a. 0. 350. 352 f.
367-382.
*^) Homeyer, das germanische Loosen, Berlin 1853; die Loos-
stäbchen, in den Symholae Bethmanno Hoütoegio obUUae, Berlin 1868,
S. 69-81.
^') Dahin gehört die Einkleidung vieler Weisthtimer in Frage und
Antwort; die Einführung redender Personen (z.B. bei Grimm, W. V.
579 §. 15: der Bauer soll in der Frohnmühle dreimal sprechen „lieber
müller, mahle mir"; weigert sich dieser dann, so kann er anderswo
mahlen lassen; vgl. ib. I. 659 §. 13. 725—726. 777. HI. 640 §. 6.
IV. 336 §. 22. V. 669 §. 13 und oben Note «»); die Anordnung feier-
licher Rede und Gegenrede, bestimmter Stellungen und Geberden u. s. w.
Am lebendigsten aber tritt das dramatische Element im gerichtlichen
Verfahren und vorher bei Gerüfte, Nacheile, Ergreifung, nachher bei der
ürtelsvoUstreckung hervor. Man denke z. B. nur an die alten Bestim-
mungen darüber, wie die Jungfrau, der Gewalt angethan ist, mit zer-
rissenem Gewand und flatterndem Haar sofort Klaggeschrei erheben, wie
dann Jeder Pflug, Herde oder Geräth lassen und hinzulaufen, wie end-
lich die Jungfrau selbst drei Schläge auf den spitzen Pfahl thun soll,
der durch das Herz des lebendig ins Grab gelegten Verbrechers gebohrt
15
mancherlei Besonderheiten von unverkennbar poetischem Ge-
halt durch die deutsche Neigung, dem Leblosen ein gewisses
Leben, dem Gegenständlichen eine selbständige Wesenheit
anzudichten. Hier wurzelt vor Allem das Recht der Grund-
besitzungen, denen durch eine Fülle der wichtigsten Institute
eine eigene rechtliche Individualität und damit die Möglichkeit
verliehen wird, auf die gesammte Stellung der Personen ent-
scheidend zurückzuwirken^®). Hier wurzeln die besonderen
Freiheiten und der besondere Friede, welche von uralter Zeit
an gewissen Stätten haften^*), aber auch mancherlei Geräth
und Fahrniss auszeichnen'^^). Hier wurzelt nicht minder die
hohe Bedeutung des Hauses, gewissermassen des „künstlich
erweiterten Leibes des Menschen""), so dass die reich und
tief durchgeführte Idee des Hausfriedens einen Grundpfeiler
des alten Rechts bilden konnte**). Hier wurzelt die uralte
Satzung, dass, um die geheiligte Schwelle des Hauses nicht
zu entweihen, der Leib des darin erschlagenen Missethäters
oder des Selbstmörders durch ein Loch unter der Schwelle
herausgezogen werden soU*^). Hier endlich wurzeln die Vor-
schriften, nach denen das durch ein schweres Verbrechen ent-
wird. Grimm, R. A. 633—634. 691. Osenbrüggen a. a. 0. S. 270
u. 271 u. 296 f. Grimm, Z. f. D. R. V. S. 21 W. des Cröver Reichs
b. Grimm, W. II. 381. Oder an die Worte der L. Ripuar. 58, 18,
wonach der König oder Graf der Freien, die wider den Willen der
Eitern einen Unfreien geheirathet hat, ein Schwert und eine Kunkel
bietet; wählt sie jenes, so tödte sie damit den Knecht; wählt sie die-
ses, so wird sie unfrei. Vieles andere hierher Gehörige b. Grimm,
R. A. 253 f. 637 f. 839 f. 882 f.; Weisth. IL 380 f. III. 556. IßO.
IV. 575. 655; Osenbrüggen a. a. 0. S. 311 f. 327 f.
*^) Daher, um nur Eins hervorzuheben, Hofmarke und Hofname
sich nicht nur wie bei Personen finden, sondern oft über Marke und
Namen des Besitzers mächtig werden. Homeyer, die Haus- u. Hof-
marken, Berlin 1870, S. 195-203.
^«) Grimm, R. A. S. 886-892.
^^) Rechtliche Individualität einzelner Stücke der Fahrniss zeigt sich
auch in der Bedeutung von Schwert und Kunkel, bei Heergewäte und
Gerade u. s. w.
s») Bluntschli, Staatsr. IL 521.
^2) Osenbrüggen, der Hausfriede, Erlangen 1857. Graf und
Dietherr a. a. 0. S. 381 f.
") Grimm, W. I. 351 a. 23. 425—426. III. 42 §. 15. 308 §. 9.
16
heiligte oder sonst entehrte Haus, als wäre es selbst strafbar,
zerstört werden soll**). — Nicht minder eigenthtimlich sind die
Vorschriften, welche den Thieren eine rechtliche Individua-
lität, ja geradezu Persönlichkeit beizulegen**). Wer würde
dabei nicht an die Stellung der Thiersage in der deutschen
Dichtung, in welcher wiederum das Recht eine hervorragende
Rolle spielt, erinnert? Die Thiere haben ihre bestimmten
Rechte, die einzelnen Arten der Hausthiere ihre besonderen
Gerechtigkeiten und Freiheiten '^). Das Wuchervieh, der Hengst,
Stier oder Eber des Dorfs, hat das Vorrecht, ungestraft Scha-
den zu.thun^^); man darf es nur in schqnender Weise, z. B.
mit einem des Jahres gewachsenen Haselschössling oder dem
rechten Rockschoss*®), austreiben, während andere Thiere
Busse zahlen oder gepfändet werden**), Geflügel oft Todes-
strafe erleiden muss^). Auch Thiere von besonderer Farbe
^*) So das Haus, in dem an einer Frau Grewalt geübt ist, nach
Sachs.sp. III. 1; Schwabap. 209; Rechtsb. Rupr. v. Freis. I. 167;
Kulm. R. V. 40; Dist. IV. 10, 6 bei Ortloff S. 202; Sachs. Weichb.
(Mühler) 55; Gaupp, Magd. R. 276 §. 17; Grimm, Zeitschr. f. D. R.
V. S. 17—18; Osenbrtiggen a. a. 0. 271. Nach dem Recht von
Mühlhausen soll der Acker oder Garten, wo es verübt, ferner keine
Frucht tragen. — Vgl. auch Grimm, R. A. 723 f.
") Osenbrüggen a. a. 0. Nr. 7. S. 139—149: „Die Personifici-
ning der Thiere." Die Abhandlung erschöpfte jedoch das Thema nicht.
•>«) Grimm, R. A. 594—596. Weisth. I 695. IL 64. UI. 41 §. 12,
42 §. 21-24. 259 §. 6. 308 §, 12-15. 683 §. 12—13. 714. 719. 720.
840. 889. Hier ist überall von der Gerechtigkeit, Freiheit u. s. w. der
Schweine, Schafe, Ziegen, Gänse, Enten, Hühner, Tauben die Rede.
^^') Grimm, W. I. 100-101. 321. 758. 821. IV. 24. 153 148.
210. 237. 279. V. 190 §. 26. 220 §. 14. 310 §. 3. Graf u. Dietherr
S. 116 Nr. 299 u. S. 120 Note b— e.
") Grimm , W. IV. 401 §. 16. Dabei der merkwürdige Ausdruck
in §. 14 : ein vich, das sechs wuchen u. dry tag umbgieng unansprechig,
das sölt dann heiszen u. sin ein mulefe; wozu in §. 16 die Bemerkung,
.Wuchervieh werde nie mulgfe. — Im Salzburgischen sollte sogar der
Stier, wenn er zum dritten Mal wiederkam, noch zu trinken erhalten,
ehe er zum dritten Mal fortgetrieben werden durfte, ib. III. 683 §. 12.
s9) Grimm, W. IV. 161. 296. 511 §.4. Graf ü. Dietherr a.a.O.
S. 116. Nr. 300 f. u. S. 120—122.
60) Graf u. Dietherr S. 116 Nr. 302: Gänse haben kein Recht;
Nr. 303: Gänse bezahlen mit dem Kopf; Nr. 304: Gänse, Enten, Hühner
17
haben mitunter grössere Freiheiten'^). Zum Entgelt ftir ihr
Weidereeht scheinen die Thiere selbst Abgaben zu zahlen *^^).
Der Ersatz für ein getödtetes Thier wird als ein Wergeid
aufgefasst, und wie einst in vorgeschichtlicher Zeit beim Manne,
so soll noch bis über das Mittelalter hinaus nach uralter Tra-
dition beim Thiere das Wergeid durch Beschütten des todten
Körpers mit rothem Weizen ermittelt werden'^). Wird einer
Frau Gewalt angethan, so soll zugleich mit der Zerstörung
des Hauses, worin es geschehen, alles Lebendige darin ent-
hauptet werden'*); Leute und Vieh, Boss und Rinder, Hunde
und Katzen, Gänse und Hühner, die zur Zeit der That im
Hause gewesen, müssen, weil sie der Vergewaltigten nicht
beigestanden oder durch Geschrei Hülfe gebracht haben, gleich
Allen , die auf den Hülferuf nicht herbeigeeilt sind , mit dem
Tode büssen'^). Auch sonst findet sich ein förmliches Straf-
verfahren gegen Thiere^). Und endlich treten Thiere auch
auf Jemandes Gras haben keinen Frieden; Nr. 307: Die Ente hat ihr
Recht auf dem Buckel. — üeber die eigenthümliche Bestrafung der
Gänse vgl. unten Note »«o) u. lei).
®*) Recht der Benkerheide b. Grimm, W. IIL 41 §. 14: ene
schneewitte faselsugge mit ihren seven schneewitten jungen beerfecken
»wisen sie, dat sie recht hebben war sie kombt. Ib. I. 440: ein bhit-
rother Stier geht mit seinem Rufe ,,much! much!^' überall frei hin.
0») Grimm, W. II. 123. 355. 437. HL 558. V. 310 §. 3.
«3) Grimm, R. A. S. 668-674, wo auch der Nachweis, wie bei
Menschen das Ueberschütten mit rothem Gold, auch wol das Aufwiegen
des Leichnams mit Silber oder Gold, in ältester Zeit das Wergeid be-
stimmte. Osenbrüggen, R. A. aus Österreich. Pant. S. 48, Studien
S. 140—142. Grimm, W. m. 222. 308 §. 9. 712. 715. 720; über das
„Katzenrecht'* ib. 222 Note 2. — Im Hollerrecht ib. 221 v. J. 1604 ist
die Sache umgedreht: ein bissiger Hund soll am Schwänze aufgehängt
und mit Weizen begossen werden, so dass man nichts mehr von ihm
sehen kann; Hund und Weizen gehören dann dem Gebissenen.
«^) Sachs.sp. III. 1 und die anderen in Note »<) angeführten Stellen
mit Ausnahme des Rechtsb. nach Distinctionen.
<^s) Schwab.sp. c. 254 (Lassb.) und die Auslegung b. Grimm, Z.
f. D. R. V. 18, Osenbrtiggen a. a. 0. 144, Homeyer, Stell, des
Sachs.sp. 81. — Grimm findet überdies Anklänge an heidnische Stthn-
opfer.
««) Osenbrüggen a.a.O. S. 144—149. Ausweisung einer schäd-
lichen Kuh aus der Mark b. Piper 208, Maurer, Markv. 312.
2
_ J8
als Zeugen auf, indem der einsam in seinem Hause Über-
fallene Mann drei Halme vom Dache als Symbol des Hauses,
dessen Friede gebrochen ist, seinen Hund aber, seine Katze
oder seinen Hahn als Zeugen der That beim Anklagebeweis
vor Gericht bringen soU®^). — Zu den eigenthümlich deutschen
Zügen des poetischen Elements im Recht zähle ich nun
schliesslich auch das nicht seltene Walten des Humors
im Recht.
§. 6. Der Humor im Recht ist eine dem deutschen
und dem aus deutscher oder doch germanischer Wurzel er-
wachsenen verwandten Rechte eigenthümliche Erscheinung.
Zwar findet sich einzelnes Aehnliehe auch in andern Rechten,
ja manches hierher Gehörige hat seine Wurzel im gemein-
samen ürrecht der arischen Völker, Dann aber hat es doch
im deutschen Recht stets eine besondere volksthümliche
Wendung und Färbung erhalten. Ich glaube dies am besten
dadurch auszudrücken, dass ich es eben als „Humor" im
Recht bezeichne, da ja der Begriflf des Humors selbst ein
eigenthümlicher und nationaler ist. Das Schalkhafte, Launige,
gemtithvoll ins Kleine gehende, dabei oft Derl)e überwiegt;
doch findet sich auch Witziges und Spöttisches, bisweilen
Bizarres und Seltsames.
Fundorte sind, da die Erscheinung eine volksthümliche
ist, fast nur volksthümliche Rechtsquellen. In ältester Zeit
also die Volksrechte, bei denen jedoch theils die lateinische
Sprache, theils der strengere und einfachere Charakter des
alten Rechts grösserer Entfaltung des Humoristischen entgegen-
stehen. In späterer Zeit treten dann vor Allem die ländlichen
Weisthümer, die überhaupt bis an die Grenze unserer Tage
eine in andern Volkskreisen längst verschollene Rechtsan-
schauung spiegelten, als Quelle hervor. Aber auch die älteren
Stadtrechte und dann wieder die Gilde- und Zunftsatzungen
enthalten manches hierher Gehörige. Nicht minder die älteren,
aus der unmittelbaren Volksüberlieferung und dem frischen
Rechtsleben schöpfenden Rechtsbücher, wie namentlich der
Sachsenspiegel. Endlich wird Vieles, was aus dem ge-
6') R. v. Liestal v. 1411 §. 27 b. Grimm, W. IV. 470; Grimm,
R. A. 588; Osenbrüggen S. 143.
19
schri ebenen Recht verschwand, lange noch im ungeschriebenen
fortbestanden haben, wofür ein Beleg in der Fassung mancher
Rechtssprüchwörter gefunden werden mag.
Wie das poetische Element überhaupt, so tritt auch das
humoristische theils nur in der Form, theils auch im Inhalt
der Rechtsbestimmungen hervor.
Ein weiterer Unterschied ergiebt sich aus der verschiedenen
ürsprünglichkeit der Erscheinung. Oft nämlich ht der
Volkshumor von vornherein die Quelle einer Satzung oder
ihrer eigenthtimlichen Fassung. Oft aber erhalten Satzungen,
die ursprüuglich ernst gemeint waren, in späterer Zeit eine
humoristische Wendung, Färbung oder Auslegung. In vielen
Weisthümern und Reehtsbüchern begegnen uns Bestimmungen,
die das als geltendes Recht vortragen, was in irgend einer
grauen Vorzeit sicher einmal gegolten hatte, ebenso gewiss
aber zur Zeit der Abfassung der Rechtsquelle längst ganz
oder doch in dieser Form aus der wirklichen üebung ge-
schwunden war. Wie einen heiligen Schatz brachte man die
uralte üeberlieferung von Geschlecht auf Geschlecht und ver-
nahm mit ehrwürdiger Scheu in der Gemeindeversammlung
ihren wunderbaren Inhalt. Mancherlei Derartiges ist schon
vorgekommen; die Traditionen vom klingenden Knochen, vom
rollenden Ei, vom Hinausziehen unter der Schwelle, von der
Tödtung alles Lebendigen im Hause der Gewaltthat, von
Wergeid und Zeugenschaft der Thiere, sind aus Zeiten auf
uns gekommen, in denen sie schwerlich noch ernsthaft ge-
nommen wurden. Anderes wird sich unten ergeben. Häufig
ist besonders die Androhung nicht ernst gemeinter grausamer
Strafen. In allen solchen Fällen nun erschien dem späteren
Geschlecht leicht das, was den Vorvätern bitterer Ernst ge-
wesen war, als halb oder ganz sagenhafter Scherz. War
schon das die Fortpflanzung solcher Bestimmungen fördernde
volksthümliche Vergnügen am Seltsamen , Alterthümlichen
Fremdartigen, Unwahrscheinlichen dem Humor verwandt, so
entwickelte sich oft eine geradezu humoristische Auffassung
des Ganzen, bis ihm zuletzt auch äusserlich eine launige
Fassung und launige Zuthaten gegeben wurden. Wo freilich
diese äusseren Kennzeichen fehlen, ist es für uns schwer, die
2*
20
Meinung der Quelle festzustellen. Auch mögen z. B. Ijei ihrer
Weisung im Märkerding manche grausame Strafandrohungen,
deren Vollstreckung Niemand gesehen hatte und die leicht
abzulösen waren, gleichzeitig ein Lächeln und ein geheimes
Grauen vor der letzten Strenge des äussersten Rechtes ge-
weckt haben. Ich komme darauf noch bei einigen der bezüg-
lichen Einzelnheiten, zu denen sonach auch manches schon
in anderem Zusammenhang Erwähnte vielleicht gestellt wcf-
den mtisste, zurück und bemerke vorläufig nur, dass ich zu
den eigentlichen Fällen des Humors im Recht zwar noch das
halb sagenhafte Recht, in dem zur andern Hälfte wirklich
geltendes Recht steckt, rechne, nicht aber die zu reiner
Sage gewordene, wenn auch aus einem gewissen humoristi-
schen Antriebe festgehaltene und humoristisch ausgeschmückte
Rechtsüberlieferung. Denn diese ist eben kein lebendiges
Recht mehr.
§. 7. Fragen wir nun nach den Einzelfällen des
Humors im Recht, so begegnen uns zuvörderst mancherlei
einzelne humoristisch gefärbte Ausdrücke der Rechtssprache.
Dahin gehören z. B. die umschreibenden Formeln für die
Strafen des Stranges und der Enthauptung, wie: in der Luft
reiten; den dürren Baum reiten; die Luft über sich zusammen-
schlagen lassen; des Kopfes kürzer machen; zwei Stücke aus
Einem machen, dass der Leib das grösste und der Kopf das
kleinste Theil bleibe; und Aehnliches*®). Ferner die alter-
thümliche Bezeichnung des Knaben als halben Menschen, des
Maulesels als halben Pferdes in den Bestimmungen, wonach
«8) Grimm, R. A 42. 682. 689. Aechtungsformel in den Weisth.
IV. 755: ich weisen dir hut zu tag zu ein eichen weit umb dinen halts,
einen handornen knebel darin zu setzen, einen dorren bome zu reiden,
koninks Karins geboet zu leiden, ein werbe, ander werbe, dri stont
mit rechtem ortel. Andre Formel R. A. 42: da soll er ihn anknüpfen
mit seinem besten hals, dasz der wind under und über ihn zusammen-
schlägt. Kaltenbäck, österr. Pant. II. 62 §.8: der Nothzüchter wird
so gerichtet, dass die Frau oder Dirne zwischen Haupt und Rumpf
durchgehen kann. — Auch gehört hierher Sachs.sp. II. a. 16, wonach
der pflichtsäumige Fronbote „weddet ...des koninges mal der,
dat sin tvene und drittich siege mit euer gronen ekenen gart, die tvier
dumelne lang si."
\
_21
der Gerichtsherr oder sein Vertreter zur Landbesitznahme,
zum Gericht oder zur Jagd mit anderthalb, dritthalb, siebent-
halb, neunthalb, zwölfthalb Mann, Pferden oder Munden ein-
reiten soir®). Auch gehören hierher manche einzelne Rechts-
wörter, wie Rutscherzins ^^), walzende oder fliegende Güter,
Sonnenlehn, eisern Vieh, die Namen Wolf, Wolfshaupträger
und vogelfrei für den Friedlosen ^0; sodann das „Königreich"
der fahrenden Leute, die Pfeifferkönige, Seilerkönige, Bauern-
könige^^), die „Königinnen" oder „Aebtissinnen" der öffent-
lichen Frauenhäuser ^^); auch die Bezeichnung des Heimaths-
dorfs, in welches Jemand zurückkehrt, als Nest, von dem er
ausgeflogen ^0> ^^^ Redensarten wie Theilung eines Nachlasses
„wie ein schweinsfuess", womit die Theilung in zwei gleiche
Hälften ausgedrückt wird^').
§. 8. Besonders kräftig äussert sich die Neigung, eine
Rechtsregel in humoristischer Form auszudrücken, in manchen
Rechtssprüchwörtern. Wenn z. B. der Satz, dass Ver-
heirathung mit einer Unfreien unfrei macht, die Form erhält:
„trittst du mein Huhn, so wirst du mein Hahn"; oder der
Satz, dass in den Städten „die Luft frei macht" auch die
Fassung bekömmt: „keine Henne fliegt über die Mauer" ^^):
69) Grimm, R. A. 255. 258. ürk. v. 1291 b. Bodmann 480
servitium quatuor et dimidii hommum, Griimm, W. 1.426* 510. 700. 709.
713: mit nundehalben ros, dasz ist mit acht rossen und mit einem mule.
735. 763 §. 37. II. 188: mit dritthalben mann, dritthalben pferdt und
dritthalben hund. Letzteres bedeutet nach Maurer, Fronh. UI. 438
zwei ganze Hunde und einen verschnittenen Hund.
'«) Dazu Grimm, W. I. 740: und uberkompt der mit dem meygere
nit darumb (um die Busse wegen Dingsäumniss) by der sonnen schin,
so ist es über nacht noch also vil, und rutschte fürt biss an den
dritten tag u. solle damit stille ston.
'>) Grimm, R. A. 733 f. Maurer, Fronh. U. 93 f. IV. 245.
^2) Maurer, Fronh. II. 406. III. 17. Grimm, W. I. 533: König
der Seiler. Meine R. G. der Genoss. 445 Note 19 u. 21; auch S. 495
Note 59. — Käskönig b. Maurer, Markenv. 301 f.
") Hüllmann, Städtewesen IV. 267. Maurer, Städteverfass.
II. 471. m. 110.
'0 Grimm, W. V. 669 §. 10.
'*) In dem Weisth. b. Grimm II. 578.
'«) Graf u. Dietherr S. 62 Nr. 247 und ähnliche Fassungen in
Nr. 248 u. 249.
22
SO ist in beiden Fällen der für Unfreiheit übliche bildliche
Ausdruck der Henne in launiger Weise wörtlich aufgefasst
und das Bild danach weiter durchgeführt. Ebenso ist es ein
humoristisches Gleichniss, wenn es in Bezug auf den Anfall
des ehelichen Gesammtguts an den tiberlebenden Ehegatten
(nach dem Konsolidationsprincip) heisst: „Der Letzte macht
die Thür zu"^. Oder wenn wegen des Anschwellens des
versäumten Zinses, wodurch das Gut selbst verloren gehen
kann, gesagt wird: „Die Tochter frisst die Mutter" ^^). Andere
Rechtssprüchwörter gefallen sich in einer scheinbaren Para-
'doxie, wie z. B. „eisern Vieh stirbt nie", „der Bauer hat nur
Ein Kind" (wegen der bäuerlichen Erbfolge) und „Ein Mal
ist kein Mal", wenn dem letzteren überhaupt eine (etwa auf
die Begnadigung zu beziehende) juristische Bedeutung bei-
wohnt^^). Wieder andere Paroemien sagen etwas scheinbar
Selbstverständliches in bestimmter Anwendung aus. So wenn
es zur Beschränkung der Strafbarkeit auf Handlungen heisst
„Gedanken sind zollfrei" und „Worte schlagen Einem kein
Loch in den Kopf"®^). Und ebenso bei dem nach verschiede-
nen Richtungen hin verwendbaren Sprüchwort „Wo nichts ist
hat der Kaiser sein Recht verloren" ^0» womit verglichen wer-
den mag, dass der Abt von Schwarzach 14 Tage lang gang-
bare Münze zu prägen das Recht hat, „obe er anders das
Silber dar zue hatt"®^). Diese Beispiele, die sich leicht ver-
mehren lassen®'), werden zum Beweise des Vorkommens
") Graf u. Dietherr 153 Nr. 78. Vgl. ib. Sr.82: „wer den Kopf
hat, schiert den Bart.** Nr. 77: „Hut bei Schleier, Schleier bei Hut."
'») Graf u. Dietherr 83 Nr. 93.
'9) Graf u. Dietherr 268 Nr. 281, 215 Nr. 218, 397 Nr. 615.
80) Graf u. Dietherr 292 Nr. 65 u. 77; ähnliche Paroemien Nr.
66-70. 74-76. 78.
«1) Bei Graf u. Dietherr 222 Nr. 273 wird es auf die Beschrän-
kung der Schuldenhaftung bis zum Belauf des Nachlasses bezogen. Diese
Deutung ist schwerlich richtig. Es sagt wol nur in Anwendung auf
das Civilrechty namentlich unter Bezugnahme auf die fruchtlose Zwangs-
vollstreckung , dasselbe, was im Strafrecht die Regel ausdrückt, nach
der man Diebe nicht hängt, wenn man sie nicht hat.
") Grimm, W. I. 425 u. 426.
•2) Vgl. Graf u. Dietherr 528 Nr. 356: „Haust du meinen Juden,
hau ich deinen Juden", — hier auf die völkerrechtliche Retorsion be-
23
verschiedener Formen des Humors im Rechtssprüchwort
gentigen.
§• 9. Während hier überall das Humoristische nur im
Ausdruck liegt, ist bei anderen Bestimmungen zwar nicht der
Inhalt an sich, wohl aber die Fassung des Inhalts humo-
ristisch. Dies ist namentlich der Fall bei zwei verwandten
und sehr verbreiteten Erscheinungen, die ich als Rechts-
Übertreibung und als Scheinrecht bezeichnen möchte.
Eine Rechtsübertreibung zunächst liegt vor, wenn,
um die Stärke eines Rechts oder einer Pflicht auszudrücken,
übertriebene und in ihrer Uebertreibung lächerliche Konse-
quenzen daraus gezogen werden. Die Bestimmung erhält hier
durch die drastische Fassung ihres Gehalts eine sinnliche
Lebendigkeit, welche sie sogleich nach ihrer ganzen Trag-
weite klar stellt, ohne dass doch an die wirkliche Benutzung
der äussersten Rechtsmöglichkeit jemals gedacht würde.
So wird in der Oeflfnung von Wigolfingen im Thurgau
V. 1403 die vollkommene Freiheit des Hofjüngers, über seine
fahrende Habe bei gesundem Leibe zu verfügen, ' ausge-
drückt: „oder mag die einem wilden rosz anhengken und
mags dann von im schlahen und es laufen lassen nach syner
zogen. S. 543 Nr. 47: „Kirchengut hat eiserne Zähne*', und andere
auf das Eirchengut bezügliche Paroemien Nr. 45 u. 46, 48, 50—52.
S. 276 Nr. 295: „Wer Einem die Neige getrunken hat, muas von fri-
schem anheben" (bezüglich des Schadenersatzes). S. 287 Nr. 32: „wer
sich nicht bessern will, den soll der Henker in die Schule nehmen."
S. 298 Nr. 89: „selbst eingebrockt, selbst aufegegessen." S. 128 Nr. 395:
„die Eule trägt ihr Recht auf dem Buckel" (ist ungeschützt). S. 268
Nr. 279: „Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg." S. 502 f. Nr. 142—145:
„Gilden müssen so rein sein, als hätten sie die Tauben gelesen." Auch
die bekannten Paroemien: „wer die Augen nicht aufthut, thue den
Beutel auf', „wo man seinen Glauben gelassen bat, da muss man ihn
suchen", „das Kind fällt in der Mutter Schoss", „das Erbe klimmt
nicht", „wer den bösen Tropfen geniesst, geniesst auch den guten",
gehören in gewissem Sinne wegen der darin enthaltenen Gleichnisse
hierher. Rechnet man zu den Rechtssprüchwörtern auch allgemeine
Sprüchwörter von kaum irgend welcher juristischen Beziehung, wie z. B.
Graf u. Dietherr 388 Nr. 535 „Noth bricht Eisen" oder Eisenhart
„einen Kuss in Ehren kann ein deutsches Mädchen nicht verwehren",
— so lassen die Beispiele sich noch sehr zahlreich anführen.
24
wilden natur." Und ähnlich heisst es im Hofrodel von
Reichenberg in Schwyz v. 1536 vom Gotteshausmann: „daz
sin mag er einem hund an den schwantz hencken oder in
ein bach werfFen, so fer daz eir müge gan on stab und
Stangen an daz grichtt"^*).
Im Weisth. v. Erlenbach am Ztirichersee v. 1510 heisst
es, die Hofgüter seien so frei, dass sie keinen Anries geben:
„und were sach, das einer ein bös tach hette und ein nuss-
bom bi dem hus stuend und die nussen zuo dem für durch
dz tach fielind, so sol einer in dz hus gan zuo dem für und sol
die nussen uf lesen, und sol im dz nieman weren" ^). Hier gilt
also ausnahmsweise das deutsche Ueberfallsrecht nicht. Man
kann vielmehr das Nachbargrundstück betreten und die vom
eigenen Baum auf dasselbe fallenden Früchte auflesen. Dieses
Recht nun wird in seiner Stärke sinnlich ausgemalt. Hat
man nämlich einen Nussbaum, der das Nachbarhaus über-
schattet, das Dach dieses Hauses hat ein Loch und durch
dieses Loch fallen Nüsse an das Herdfeuer, so kann man in
das Hdus gehen und am Herd selbst die Nüsse auflesen.
Der Fall wird wohl nicht sehr praktisch gewesen sein.
Drastischer aber Hess sich die Stärke des Rechts nicht aus-
drücken, als indem man durch dasselbe sogar eins der
stärksten und heiligsten Rechte überwinden liess, den Haus-
frieden und insbesondere die Heiligkeit des Herdfeuers. Konnte
doch sonst der Hausherr nicht nur den Eindringling, sondern
sogar den blossen Lauscher unter der Dachrinne busselos
erschlagen !
Die besondere Heiligkeit und der hohe Friede der Nacht®^)
wird in der Oeflfnung von Wattwil ausgedrückt: „dann die
nacht sol so fri sin, das ainer sin türli ab der landstrasz ze
nacht nemen mag und an sin wand hencken und mornent das
widerumb hintuon®^)." Natürlich wird im Ernst Niemand die
^*) Bei Schauberg, Zeitschr. II. 68 f.; Kothing, Schwyzer
Rechtsq. 338 f.; Grimm, W. IV. 414 §. 16 u. 351 §. 3.
85) Schauberg, Beitr. VIII. 283 f. Grimm IV. 336 §. 26.
8«) Vgl. dazu Osenbrüggen, Studien, Abh. Nr. 10 S. 241-251:
„Der Nachtschach".
«7) Grimm, W. V. 198 §. 1.
25
Hausthtire Nachts ausgehängt haben: aber es konnte nicht
leicht schöner und sinnlicher die erhöhte rechtliche Sicher-
heit des Friedens in der Nacht (denn thatsächlich ist die
Sicherheit gerade geringer) ausgemalt werden.
Nach dem Weisth. v, KöUerthal an der Saar®®) soll ein
Forst so frei sein, dass Niemand ohne Erlaubniss Holz hauen
darf: „und fare eyn arm man dadurch und breche yme eyn
tischenagel, so sol er eynen finger in das loch stossen und
keyne holcz darzu da ynne hauwen noch snyden in dem
forsten." Die Stärke der Waldfreiheit wird hier dadurch
bezeichnet, dass selbst das sonst regelmässig dem wegfertigen
Mann verstattete Becht, den zerbrochenen Wagen mit Holz
aus dem Walde auszubessern (s. oben Note 19), fortfällt;
drastischer aber noch wird dies durch den Zusatz, dass der
Bauer statt des zerbrochenen Nagels den Finger in das Loch
stossen soll (vergl. dazu die Strafen unten Note 176 und 177).
Zu Hofstetten in Franken soll, wenn der Schultheiss eine
der Gemeinde verfallene Busse nicht einzutreiben vermöchte,
der Prior als Gerichtsherr ihr dazu verhelfen: „thet das der
prior nit, so sollen sie sich ime an die kutten henken alsslange,
biss inn geholifen wurde®®)."
In mehreren Weisthümern wird die Pflicht der Wach-
samkeit mit malerischer Uebertreibung eingeschärft. So
sollen nach dem Bebenweisthum von Twann am Bielersee
V. 1426 die drei Bannwarte (Weinbergshüter) nicht nur bei
ihrem Eide nie unter einem Dach (in deheiner husröche) im
Gerichtsbezirk schlafen, sondern „wa sy der schlaf an gat,
da sollent sy ir spiess zwischent ir arm und ein kisling
(Kieselstein) under ir höpt legen und ir schlaf also tun"^).
Häufiger noch wird den •Hirten geboten, ihr Hirtenstab solle
an beiden Enden ein spitziges Eisen haben, und der Hirt,
wenn er stille steht, solle stets die eine Spitze auf den Fuss
und die andere unter das Kinn thun, damit ihn das Eisen
steche, wenn er einschlafe ®0*
88) Grimm, W. IL 19.
8ö) Grimm, W. HI. 548.
90) Vgl. das Weisth. b. Osenbrüggen, Studien 99f. Bei Grimm,
W. I. 182 ein Auszug in moderner Sprache.
«•) Z. B. Grimm, W. I. 360. IV. 155. 160. 164 (v. 1343). 263.
26
Damit mag man vergleichen, dass nach der Soester Ge-
richtsordnung ein Richter die zweifelhafte Sache 123 Mal
überlegen soll: „es soll der richter auf seinem richterstul
sitzen als ein grisgrimmender löwe, den rechten fuss über den
linken schlagen, und wenn er aus der sache nicht recht
könne urtheilen, soll er dieselbe hundert drei und zwanzig
mal tiberlegen"®*).
Nach der OefFnung von Brütten in Zürich empfängt der
Abt von Einsiedeln von Hubem und Schupposern als Zins
KSchweine von bestimmter Güte. Die Güte dieser Schweine
sollen Huber und Schupposer gegenseitig schätzen, der Herr
an diese Schätzung gebunden sein. Deshalb heisst es, der
Herr dürfe ein Schwein nicht verwerfen, es sei klein oder
gross, feist oder mager, wenn es nur ein Schwein ist, „vier
Beine, einen Mund und einen Schwanz hat"®'*).
Das Recht des Herrn auf das Besthaupt vom Nacblass
des Hörigen kommt in verschiedener Stärke vor. Wo es in
ganzer Strenge gilt, „soll der Fall der Leichenbahre zur
andern Thüre nachfolgen," und, wenn im Nachlass kein
lebendes Haupt vorhanden ist, das beste Stück der todten
Fahrniss an den Herrn fallen. Um dies plastisch darzustellen,
wird nicht selten das Recht bis auf ganz werthlose Dinge
herabgefllhrt; es soll z. B., wenn nichts Anderes da ist, das
zur Ausbesserung beim Schneider befindliche Kleid, und wäre
es auch „ gehouptlocht," es soll vom Bettler Stab oder Bettel-
sack, es soll von der armen Wittwe ein dreibeiniger Stuhl,
der dann sofort auf ihrem Hofe verbrannt wird, genommen
werden®*).
") Aus Ludolf, Obs. for. Upp. 11. 35 b. Grimm, R. A 763.
ö^) Grimm, W. 1.148. Die eventuelle Ersatzpflicht des Mehr oder
Minder seitens des Herrn oder Bauern wird ausgedrückt: dann soll des
armen Mannes oder des Herrn (des Empfängers) „seckel offen stan"
und dem Andern „gelt ussher gen".
9*) Vgl. Grimm, W. I. 681 a. 25. 424. (das gehauptlochte Kleid).
IL 536. 545. IV. 74: wer öch des lebenden valles nit da, so neme man
dz bette undcr dem arse; vindet man dz nit, so nimt man ein bette
löches in dem garten; vindet man des Idches nit, so soll man nemmen
den stanpf in dem huse. IV. 683 §. 15. 684 §. 7. Grimm, R. A. 369.
Maurer, Fronh. IV. 369.
27
Wie hier eine Abgabe zuletzt in eine, blos symbolische
Anerkennung des Herrenrechts tibergeht, so haben auch manche
selten oder nie geforderte, mitunter halb sagenhaft gewandte,
aber traditionell in den Weisthttmern festgehaltene Frohn-
dienste nur symbolische Bedeutung ^'^).
§. 10. In diesem Sinne gehört zu den Eechtsüber-
treibungen auch das berüchtigte Recht auf die erste Nacht,
welches von deutschen Quellen zwei schweizerische Weis-
thümer des 16. Jahrhunderts dem Herjrn oder vielmehr seinem
Beamten zuerkennen, sofort aber selbst durch die dem hörigen
Bräutigam verstattete Wahl, durch eine ganz unbedeutende
Abgabe die erste Nacht für sich zu erkaufen, wieder auf-
heben. Es ist dies nur ein symbolischer, plastischer Ausdruck
des Herrenrechts und seiner ehemaligen strengen Rechtsfolgen
bezüglich der Ehen von Unfreien. Zur Zeit der erwähnten
Weisthümer überhaupt nur noch als Ueberlieferung fortlebend,
ist jenes Recht auch in der alten Zeit der strengsten Unfrei-
heit nicht etwa wörtlich gemeint gewesen. Eigentlicher Inhalt
der Bestimmung ist vielmehr nur die Anordnung einer Ab-
gabe, deren Bedeutung als einer symbolischen Anerkennung
der Leibherrschaft durch die scherzhafte Voranstellung und
Ausmalung der äussersten Rechtskonsequenz, die durch die
Abgabe abgewandt wird, in helles Licht gesetzt werden solP).
^^) Z. B. das bekannte in Frankreich und Lothringen vorkommende,
aber auch im Trier'schen und in der Wetterau aus einzelnen Spuren
nachweisbare Fröschestillen, Grimm, R. A. 355— 356. Vgl. über Frohn-
tänze Maurer, Frohnh. IV. 306.
9^) Oeffn. V. Muri v. 1543 und von Hirslanden und Stadelhofen v.
1538 b. Grimm, W. I. 4.3 u. IV. 321. Dazu Grimm, R. A. 384.
Bluntschli, R. G. I. 189. Walter, R. G. §. 455. Maurer, Fronh.
III. 169. Besonders aber Osenbrüggen, Studien, Abh. Nr. 4. S. 84—98;
„das jus primae noctis^ Die Deutung dieses vielberufenen, besonders
auch aus Frankreich und Schottland berichteten Rechtes ist sehr be-
stritten. Während Einige es ganz ernsthaft nehmen, sehen Andere es
als einen aus reinem Missverständniss hervorgegangenen Scherz an.
Das Richtige hat Osenbrüggen S. 91: es ist „eine äusserste juristi-
sche Konsequenz, ein plastischer Ausdruck eines Princips." Damit ist
aber das scherzhafte Moment nicht ausgeschlossen ; es ist nicht noth-
wendig, dass, wie dies Osenbrüggen anzunehmen scheint, das Recht in
alter Zeit bei der ersten Formulirung des Satzes ernst gemeint ge-
28
Unter ähnlichen Gesichtspunkten lassen sich hierher
manche Strafandrohungen rechnen, welche gar nicht ernst
gemeint sind oder durch die dem Schuldigen verstattete leichte
Ablösung sich selbst aufheben, welche aber andererseits doch
einen nachdrücklich verstärkenden Hinweis auf die letzten
Möglichkeiten des strengen Bechts enthalten. Dafür werden
sich unten einige Beispiele ergeben ^0.
Endlich zähle ich zu den scherzhaften Rechtsübertrei-
bungen noch die charakteristische, sehr verschieden gewandte
Bestimmung der Schnelligkeit, mit der eine Rechtshandlung
vorgenommen werden soll. So soll der zum Beispruch oder
zur Losung bezüglich eines Gutes berechtigte Blutserbe, so-
bald er dessen Veräusserung erfährt, schleunigst sein Recht
wahren. Erhält er die erste Kunde, während er bei Tisch
sitzt, so soll er nach den Hofrechten von Barmen und Schwelm
sein Messer unabgewischt in die Scheide stecken, aufspringen
und das Näherrecht üben^). War der Berechtigte im Aus-
lande und kommt zu Pferde heim, so soll er nach dem Berk-
hofer Hofrecht zum Herrn reiten und in Stiefeln und Sporen
sein Gut zurückfordern ^^). Oder er soll nach dem Hofstetter
Weisthum, wenn er bereits einen Schuh ausgethan, den andern
nicht ausziehen, sondern schnell den ersten wieder anthun^*^).
wesen sei, vielmehr kann gleich von Anfang an die Ablösung durch
den Bräutigam als das wirklich Gemeinte hinzugefügt worden sein.
Osenbrüggen vergleicht (S. 91) die Paroemie: „er ist mein eigen, ich
mag ihn sieden und braten^' und (S. 97) die oft dem Verurtheilten ge-
lassene Wahl zwischen schwerer Leibesstrafe und relativ unbedeutender
Busse. £r fügt tre£fend hinzu: ,,in der Uinstellung des summum jus als
eines Möglichen lag ein starker Zwang zur Leistung des Genügenden.*^
Man kann aber auch die oben angeffthrten Fälle der „Rechtsübertrei-
bung", die zum Theü offenbar nicht sehr alten Ursprungs sind, heran-
ziehen,^ bei denen es klar ist, dass die Bestimmung und ihre scherzhafte
Fassung gleich alt sind. Passend lässt sich besonders auch die gewiss
nicht ernsthaft gemeinte Bestimmung vergleichen, welche eine Abschrift
dem Ehaftrecht zu Wilzfaut im Salzburgischen hinzufügt und welche
Grimm, W. III. 680 in Note 1 mittheilt, wo man sie nachlesen mag.
9*0 Vgl. unten Noten »««), «•'), »«»), "») bis i^»).
9«^ Grimm, W. IlL 13 und 31.
99) Grimm, R. A. S. 99 Nr. 4.
100) Grimm, W. IIL 551.
29
Viel weiter geht die Rastetter Dorfgerichtsordnung, nach
welcher man sogar mit Einer Hose am Bein und der andern
in der Hand die Losung thun soll: „so einer ein hose ange-
than und die ander nit, so soll er die, so noch nit angethan^
an die hand nemmen und die losung thun ongeferlich" *"^).
Und ähnlich heisst es in Lossburg: „hette er ainen schuch
an, so soll er den andern an die hannd nemmen ^^ und hin-
laufen, um sein Recht zu wahren*^). — Auch wer über Tisch
die gerichtliche Beschlagnahme seines Gutes erfahrt, soll nach
dem Bochumer Landrecht sein Messer nicht in die Scheide
stecken, er habe denn erst sein Gut entsetzt ^°^), und nach
Schöplenberger Hofrecht, wenn er über Land und See ist,
sein Messer nicht abwischen, sondern aufspringen und keine
Nacht weilen, wo er die vorige weilte, bis er zu seinem Gut
kommt*^*)- — Wer eine Rechtssache an das oberste Gericht
zu Keuchen ziehen will, der soll „isz tun unvertogenlich, un-
beraden und stendes fuszes, ee er hinder sich trede"^^*^). — Ins-
besondere endlich wird die eilige Hülfe, welche vermöge
seiner Schirmpflicht der Herr oder sein Vogt dem gefangenen
oder in seinem Recht gefährdeten Grundholden schuldet, von
elsässischen Weisthümern dahin ausgemalt, dass derselbe auf
die erste Nachricht hin im Nothfall barfuss oder mit Einem
Stiefel auf ungesatteltem Pferde hinzureiten, und dabei, wenn
er erst einen Stiefel angezogen hat, den andern in die Hand
nehmen solP*^). Es ist nicht glaublich^ dass jemals ein Vogt
*«0 Grimm, R. A. S. 99 Nr. 6.
102) Grimm, W. L 391.
*03) Bochumer Landr. §. 20 Grimm, R. A. 98.
*o*) Grimm, W. HI. 37.
*«6) Grimm, W. IIL 458.
106) Yf y Obermichelbach im Oberelsass b. Grimm I. 658 §. 9:
wenn das geschäch, dass ein vogt durch einen huber von des dinghofes
wegen angeruffc wurde, ihm hclflich ze sinde, hette er denn ein Stiefel
angeleit, so sollte er den andern in der hand führen und den hubern
von des dinghofs gut beholfen sin. W. v. Haselach im UnterelsJASS ib.
701: wenne ein man von der vogetigen gevangen wurt, so sol er (der
Herr von Ochsenstein) one sume ufsitzen barvussig, obe das pfert nit
gesattelt ist, und wo er oueh an eime fusse barfus, er sol sich nit sn-
men untze er den andern schuch angelege u. sol noch ilen den mann
30
barfuss oder mit einem Stiefel in der Hand auf ungesatteltem
Pferde zur Leistung der Rechtshtilfe geritten sein sollte: aber
hier wie überall giebt die scherzhafte Uebertreibung ein
plastisches, sinnlich lebendiges Bild, wo*wir etwa das farb-
lose „sofort" an die Stelle setzen würden.
§. !!• Verbreiteter noch als die Erscheinung der Rechts-
übertreibung ist die entgegengesetzte Erscheinung des Schein-
rechts» Dahin zähle ich sowohl die Fälle der Scheinberechti-
gung als die der Scheinverpflichtung. Grundzug dieser Fälle
ist, dass das Recht es vermeidet, geradezu ein sonst begrün-
detes Recht oder eine sonst begründete Pflicht im einzelnen
Fall zu verneinen, und statt dessen lieber eine scheinbare Be-
rechtigung zuerkennt oder eine scheinbare Verbindlichkeit auf-
erlegt. Der Schein bleibt gewahrt: im Ernste ist es nicht
oder nicht viel anders, als wenn gar nichts gewährt oder gar
nichts verlangt würde. Diese Form des Humors mildert
wenigstens in der Fassung die Strenge des Rechts, sie ist
euphemistisch, sie scheut das schroffe Nein; aber sie schlägt
auch oft in bittere Ironie und beissenden Spott um.
Hierher gehört zunächst die Scheinberechtigung der
Fürsten und Herren in den zu freien Marken gehörigen
oder doch von bestimmter Herrschaft freien Wäldern.
Die Markgenossen erkennen kein herrschaftliches Nutzungs-
recht an Holz 9der Aeckern an: aber sie verneinen das mit
Ausdehnung der Grundherrschaft schon zur Regel gewordene
Herrenrecht nicht geradezu, sondern gewähren in poetisch
scherzhafter Ausschmückung etwas, das so gut ist wie nichts.
So heisst es in der ältesten Fassung des Weisthums der Car-
ber Mark in der Wetterau: wollte ein Herr oder Edelmann,
der nicht Markgenosse ist, sein Recht an Eckern erfahren,
„so wiesen wir als uns altern uf uns pracht han, das ein
herr oder etelmann soll durch den wald riden und soll ihm
sein knaben nach lassen traben, und der soll sein Schild auf
sein haubt führen; wasz dan von eckem da uf dem Schilde
zu errettende. Vgl. ib. V. 422 §. 6. W. v. Kircheim v. 1329 ib. V.
435 §. 12. Auch W. v. Breitenbach I. 818. - Vgl. auch die Vorschrift
über die Ausübung der Schirmgewalt zu Tholey ib. III. 759.
31
bleibt, dasz ist seine" *^0- In einer späteren Fassung des-
selben Markweisthuras wird dieselbe Bestimmung in etwas
anderer Form gegeben, aber durch den erklärenden Zusatz
„und sonst nichts mere, sonder dasz ander alles der mark
zuestendig" abgeschwächt *®®). Das Holting auf dem Vorholz
weist den Herrn des Hauses Steuerwald und anderen Herr-
schaften im Walde auf die Frage des Richters, welche Ge-
rechtigkeit dieselben am Walde haben, folgendes Recht zu:
„wan die — dadurch reiten, mögen sie einen reis brechen
im holze, dem pferd die mucken abzutreiben; und wan sie
dadurch sind geritten, sollen sie das reis zurück in das grosse
Vorholz werfen, sonst sind sie pfandbar" *^^). Und im Hol-
ting des Truwaldes heisst es: „wan der hertzog von Lüne-
burg durch den Truwaldt thut, mögen s. f. gn. ein strick
windt darin lösen und brecken einen kränz (um den Hut als
Symbol der Fürstenwtirde, als welches der Kranz Vorläufer
der Krone ist) up der einen siden des woldes; wann s. f. gn.
up der andern siden wedder ut dem wolde thuet, schal he
den kränz wedder in den wolde werpen und dancken den
wold"**°). Also selbst dieses Recht des Fürsten auf den Kranz
ist nur eine Vergünstigung; er darf ihn nicht mitnehmen, son-
dern muss ihn zurückwerfen und sich beim Walde be-
danken "*).
»o') Grimm, W. V. 304 §. 4. Aus dem 15. Jahrh.
108) Grimm, W. V. 302 §. 4. Vgl. ib. III. 462 §. 4.
1««) Grimm, W. III. 259 §. 7. Ebenso §. 8 u. 9, sowie Note 1 zu
§. 11. Auch Holzgericht zu Mordmühlen v. 1703, S. 260 §. 3. Vgl.
Weisth. V. St. Goar ib. 1. 585 §. 4 und Nachtrag zu Bd. V. S. 740 §. 12,
worin dem Abt von Prüm im Walde die Gerechtigkeit zuerkannt wird,
dass, wenn er durchreitet, sein Saumthierknecht eine Ruthe, die weder
eichen noch buchen sein soll, abhauen darf, um das Saumthier damit
anzutreiben. Das Zurückwerfen wird hier nicht erwähnt.
**«) Grimm, W. IV. 701 §. 3.
*") Die ausführliche Schilderung und Begränzung des Scheinrechts
enthält zugleich eine sinnlich starke Verneinung jedes wirklichen Rechts.
— In andern Fällen findet sich blos die plastisch ausgedrückte Ver-
neinung des Herrenrechts, ohne Milderung durch hinzugefügtes Schein-
recht; so z. B. die Freiheit von herrschaftlicher Jagdgerechtigkeit im
W. V. Nanstuhl b. Grimm V. 668 §. 5: weissent das reich als edel, so
ein herr mit seinen weidhunden oder vögeln durch das ampt NanstuU
32
In der Oeffnung von Tägerwylen im Thurgau v. 1447
heisst es nach einem Auszüge*"): „item es haben die Gott-
lieber nicht weiter zu richten, denn wenn sie einen hahn auf
die brugg stellen und ihm das ein aug ausstechen, und so
weit er mit dem ausgestochenen aug heraus sehen mag."
Die ursprüngliche und volle Fassung wird wohl etwas anders
gelautet haben. Gemeint ist jedenfalls : es soll ein Hahn quer
auf die Brücke gestellt und ihm das nach der Seite der
Tägerwyler Mark schauende Auge ausgestochen werden; so
weit er nun sieht, reicht die Gottlieber Gerichtsbarkeit, d. h.
sie reicht nicht über den Bach, da Hühner nur seitwärts
sehen, der einäugige Hahn also nur noch nach der Gott-
lieber Mark hinübersieht. Der Bach ist m. a. W. die Ge-
richtsgrenze.
Nach dem Weisth. zu Beriskorn in der Abtei Prüm soll
der vom Gehöfer nicht der gehörigen Umlage gemäss ge-
trunkene Bann wein ausgeschüttet werden; „laufft der wein
zu dahl, so soll der gehoffher ihn bezalen, laufft er aber zu
bergh, so soll der gehoffher ihn nit bezahlen"*"). Er muss
also, da Wein nie bergauf läuft, immer zahlen; aber wenig-
stens zum Schein wird die Entscheidung in ähnlicher Weise
der unbewussten Natur überlassen, wie sie sonst ernsthaft auf
das Rinnen des Wassers oder das Rollen eines Ei's ge-
stellt wird.
Seltsamer noch klingt folgende Bestimmung desselben
Weisthums: „weist der schefi^en — dem vogt den dritten
bäum; und obs sach wurde, dass der vogt den dritten bäum
nit wil stehen lassen, soll er den bäum an einen seiden faden
geknüpft an den himmel hencken undt die andern beura nit
schrecken" "*)• Der Sinn ist wohl, dass der Vogt den dritten
ritte, soll er sein hund ufkoppeln, den vogel ufbrechen, das eisen
seins spiesz binden, den schaft vornen keren. Die Umkehr
des Jagdspeers mindestens ist hier nur symbolisch gemeint.
1«) B. Grimm, W. IV. 423, mitgetheilt aus Pupikofer, Gesch.
d. Thurgaus I. ürk. Nr. 85, wo aber auch nur der Auszug gegeben wird.
*") Grimm, W. Tl. 528. — Verwandt ist die Bestimmung des
Weisth. V. Grosskems I. 656 §. 9.
***) Grimm, W. II. 527-628.
33
Baum nur erhält, wenn überhaupt Holz gefällt wird, fir kann
freilich auch für sich allein je den dritten Baum aus dem
Walde holen, aber, damit die andern ihm nicht gehörig-en
Bäume nicht erschreckt werden, nur so, dass er einen seideneu
Faden an den Himmel hängt, den Baum daran knüpft und
ihn so herauszieht. Ein Recht, dessen Ausübung der Vogt
wohl kaum versucht haben wird.
Hierher gehört es auch, wenn auf die Frage des Richters,
wo der Thäter, dem das Landrecht genommen, Friede haben
solle, die SchöflFen das Urtel finden: „wo man ihn weder
hört noch sieht""'). Die Friedlosigkeit wird durch diese Um-
schreibung nur eindringlicher dargestellt.
An einem in die Mühle gebrachten 8a ck voll guten Korns
soll man, wenn man ihn zurückempfängt, nicht mehr „Mangel
spüren," „als wann man mit einer ruthen ins wasser
schlägt" "®). So viel Spur also ein solcher Schlag im Wasser
zurücklässt, so viel, aber nicht mehr Spur eines Mangels soll
man hier finden.
Auch das Recht auf blos symbolische, zur Anerkennung
der Herrschaft entrichtete Abgaben kann sich als eine Schein-
berechtigung in scherzhafter Form darstellen, wie z. B., wenn
ein österreichischer Adliger seinem Lehnsherrn jährlich zwei
Mass Fliegen bringen, ein fränkischer Edelmann jährlich auf
Martini einen Zaunkönig liefern sollte "0-
§. 12. Der häufigste Fall des Scheinrechts ist die
Scheinbusse. Eine Scheinbusse wird zunächst rechtlosen
Leuten, denen weder Wergeid noch wahre Busse zustehen,
von den mittelalterlichen Rechtsbüchern gewährt ^^®). Bei zwei
Klassen solcher Leute ist diese Busse im wörtlichen Sinne
nur ein Schein. Gedungene Kämpen nämlich und ihre Kinder
erhalten als Busse das Blinken eines Schildes gegen die
^^s) Grimm, R. A. 731.
1'«) Recht der 7 freien Hagen b. Grimm, W. UI. 311 §. 34.
i'"^) Grimm, K A. S. 378 Note * Auch ib. 377. Hierher gehört
auch der Kopf des Huhns, welchen der Zinssamraler aus dem Hause
der Kindbetterin mitnehmen muss, manche Jagdabgabe und vieles
Andere.
*^») Sachsensp. HI. a. 45 §. 8-10. Schwabensp. (L.) c. 310.
3
34
Sonne (den l)lik von eme kampscilde jegen die sunne); Spiel-
leuten aber und Allen, die sich selbst zu eigen gegeben haben,
giebt man als Busse den Schatten eines Mannes. Letzteres
erklärt der Schwabenspiegel, indem er übrigens noch „Alle
die, die Gut für Ehre nehmen", hinzuzählt, näher dahin, dass
derjenige, welcher solchen Leuten Leides gethan, sich an eine
von der Sonne beschienene Wand stellen, der Verletzte aber
seinen Schatten an den Hals schlagen (oder nach einer andern
Handschrift dem Schatten das, was ihm selbst gethan ist, an-
thun) soll; „mit der räche sol im gebuezzet sin". Andere
Klassen rechtloser Leute erhalten eine wirkliche, aber spöttisch
gemeinte Busse; Leute nämlich, die ihr Recht mit Diebstahl,
Raub oder andern Dingen verwirkt haben, erhalten als Busse
zwei Besen und eine Scheere, d. h, die Werkzeuge, mit wel-
chen Strafen „zu Haut nnd Haar" vollzogen werden. Wieder
andere rechtlose Leute endlich erhalten eine geringe, aber
nicht geradezu spöttische Busse. Es sind dies Pfaffenkinder
und uneheliche Kinder, denen man ein Fuder Heu, das zwei
jährige Ochsen ziehen können, sowie unfreie Tagelöhner, de-
nen mau zwei wollene Handschuh und eine Mistgabel als
Busse giebt. — Zur Erklärung dieser Bussen fügt der Sachsen-
spiegel hinzu, dass unechter Leute Busse wenig fromme, je-
doch deshalb gesetzt sei, damit der Busse Wette an den
Richter folgen könne. Sicher ist dies nur ein späterer Erklä-
rungsversuch ; Wette kommt auch ohne Busse vor, und jeden-
falls bleibt die eigenthümliche Form der einzelnen Bussen
damit unerklärt. Gemeinsamer Grund dieser Bussbestimmun-
gen vielmehr ist die Neigung des alten Rechts, statt des kah-
len Nichts doch Etwas, und sei es auch ein blosser Schein,
zu gewähren. An sich sind rechtlose Leute ohne Recht, also
busselos; aber die Anschauung, dass durch willkürliche Ver-
letzung doch auch an ihnen eigentlich das Recht gebrochen
werde, lässt sich nicht so ganz abweisen: deshalb giebt man
ihnen lieber eine Busse, die in Wahrheit keine oder fast keine
ist, als dass man ihnen einfach die Busse abspräche. In der
weiteren Gestaltung macht sich dann der Volkshumor geltend.
Dabei aber zeigt sich ein bemerkenswerther Unterschied.
Leuten, die ohne eigne Schuld rechtlos sind, giebt man eine
35
Scheinbusse, die immerhin etwas ist und jedenfalls — abge-
sehen vielleicht von der auf den niedern Stand des unfreien
Tagelöhners anspielenden Mistgabel — keine spöttische Nebenbe-
deutung hat. Leuten dagegen, die wegen unehrenhafter Lebens-
weise oder weil sie Gewinn der Ehre vorÄiehcu, rechtlos sind, ge-
währt man einen blossen Schein, in dem zugleich missachten-
der Spott liegt; nicht mehr als ein Schildesblinken erhält der
gedungene Kämpe, der um Lohn sein Leben einsetzt; nicht
mehr als einen Mannesschatten, an dem er Rache nehmen
mag, der Spielmann oder wer selbst das höchste Gut, die
Freiheit, dahin gegeben, weil die Persönlichkeit ohne Ehre
nicht mehr als der Schatten vollberechtigter an der Ehre voll-
kommener Persönlichkeit ist. Und Leuten endlich, die ihr
Recht durch schimpfliche Vergehung verwirkt haben, giebt
man eine Busse, die im Grunde schlimmer als keine ist, in-
dem sie mit beschimpfendem Hohn an die entehrenden Strafen
körperlicher Züchtigung und des Haarscheerens mahnt"**). —
Aehnliche Seheinbussen, bei denen zum Theil das Huraoristi-
sche noch mehr hervortritt, finden sich übrigens auch im
skandinavischen Recht*^).
Ein anderer Fall der Scheinbusse beruht auf ganz vcr-
schiedeöem Grunde, aber auf durchaus verwandter und das
Gesagte bestätigender Erwägung. Es ist die Scheinbusse, mit
welcher man einen berechtigten Todtschlag sühnt. So
darf insbesondere der Hausherr den in sein Haus eindringen-
den Frevler straflos erschlagen; dann soll er den Leichnam
durch ein Loch unter der Schwelle aus dem Hause ziehen
und als Besserung den Kopf des Haushahns (als des symbo-
lischen Hüters des Hausfriedens) oder eine ganz geringe
Münze auf seine Brust legen; damit hat er Genugthuung ge-
leistet^^*)« Aehnlich der Blutsfreund, der den vogelfreien
*^^) Es wäre sogar möglich, dass die Bestimmung ein Wortspiel
mit dem doppelsinnigen Worte ,,Busse" enthält. Ihre Busse ist Besen
und »Schere, das heisst: die ihnen gebührende Züchtigung.
120^ Vgl. Grimm, K. A. 678, wonach der Spielmann eine junge,
ungezähmte, den Hügel herabgepeitschte Kuli erhalt, wenn er sie mit
frischgeiUtera Handschuh am glattgeschornen Schweif festhält.
*2») Benker Heiderecht b. Grimm, W. HI. 42 §. 15. Recht der
sieben freien Hagen ib, 308 §. 9. — Ebenso soll man nach ('>sterreichi-
3*
36
Mörder des Blutsfreundes tödtet^^^. Die Idee ist hier offeii-
!)ar die, dass der Todtscliiag zwar gerechtfertigt und straflos
ist, aber immerhin ein Todtschlag bleibt, welcher der äusse-
ren Erscheinung nach Rechts- und Friedensbruch enthält; so
verordnet man denn eine Sühne, aber nur eine Sühne zum
Schein; eine Sühne, die das, was nur der Form nach verletzt
ist, auch nur durch eine leere Form wiederherstellt.
Aehnlich ist ein dritter Fall der Scheinbusse, der sich
in österreichischen Pantaidingen findet. Wer Nothzucht geübt
hat, wird gerichtet, dass die Frau zwischen Haupt und Rumpf
durchgehen mag. Schweigt sie aber von Ostern bis zur Ernte
und. klagt dann, so büsse er es mit einem Beutel im Werthe
eines Pfennigs, in den er zwei Pfennige hineinlegen solP*^).
Zu den Scheinberechtigungen gehört es ferner, wenn
einem Herrn irgendwo das sehr verbreitete Recht auf Herberge
und Verpflegung nicht zusteht, ihm aber nun wenigstens ein
Stecken, um sein Pferd anzubinden, ein Stuhl zum Sitzen, ein
gedeckter Tisch mit leerem Geschirr und etwas Salz geliefert
werden soll*^*). Umgekehrt haben die Huber des Dinghofes
Kuenheim im Elsass Anspruch auf Bewirthung mit Brod und
Wein gegen den Besitzer des Seelguts. „Woltens aber nit
dormit vergut haben, so solte er ihnen geben mett uBd bier;
hette er dz nit, so soll er wasz in ein beinenkorb schütten,
sehen Pantaidingeti den getödteten Lauscher, den man zu tödten be-
rechtigt ist, aus der Dachtraufe herausziehen und ihm drei Pfennige auf
die Brust legen, z. B. Kalten back I. 499 §. 2Ö. 501 §. 13. 510 §. 31.
521 §. 7-8.
i«2) B Odra an n, Rheingau. Alterth. 627. 628. Grimm, W. I. 543
a. 71 u. 72.
»2^) So Kaltenbäck IL 62 §. 8.
'^') Z. B. W. V. Kappeln v. 1353 b. Grimm V. 649 §. 2: Kommt
der Wildgraf zum Gericht, so schlägt man ihm einen Stecken ein, sein
Pferd daran zu binden, giebt ein Bund Stroh, dass es esse, einen Sessel,
dass er darauf sitze, einen Tisch und einen weissen Becher darauf, und
dazu so viel Salz, als mau braucht, um zwei Eier zu salzen. W. von
Schwanheim b. Grimm, R. A. 256: man ist den Dienern des Herrn,
die Hafer holen, „schuldig einen guten willen, eine warme stube und
einen tisch weisz gedeckt und nichts darauf, drei weisze krausen und
nichts darin, eine leere kandte und nichts darin, zwei spiesz am feuer
und nichts daran.*' Vgl. W. L 523 u. V. 718.
37
da desz jhars ein im inen ist gewesen, u. soll di under ein
ander emphachen: dz soll der mett sein. Und wasser schüt-
ten durch ein häherin garb : dz soll der hier sein. Und damit
soll sy bentigen"*^^. Also eine Scheinbewirthung, die zugleich
Strafe dafür ist, dass sie sich mit dem Ghebotnen (Bier war
damals im Elsass kostbarer als Wein) nicht hegntigen.
§• 13« Eine sehr verbreitete Form des Scheinrechts ist
ferner die Scheinerfttllung einer Verbindlichkeit, de-
ren wirkliche Erfüllung an der Säumigkeit des Berechtigten
scheitert. Die Verbindlichkeit ist hier an -sich erloschen; weil
sie aber nicht auf regelmässige Weise gelöst ist, stellt man
dem Schein der Ungehörigkeit einen andern Schein entgegen.
Als vorzugsweise charakteristisch für diesen Fall können
die Vorschriften über Auslieferung von Verbrechern dienen.
Gemeinden und niedere Gerichtsherrschaften müssen den ver-
hafteten Missethäter an den kompetenten Richter in feierlicher
Weise an bestimmter Stätte, gewöhnlich auf der Grenze des
Gerichtsbezirks, und zur festgesetzten Zeit überliefern. Sie
haben aber, wenn der Richter trotz gehörig erfolgter Ansage
nicht anwesend ist, das Ihrige gethan und können dann ohne
weitere Verantwortung den Missethäter laufen lassen. Bis-
weilen nun wird dies direkt gesagt'**). Oft aber ist angeord-
net, dass der Missethäter an der Grenze zum Schein, so dass
er leicht entrinnen kann, festgebunden werde'"). Der Ge-
danke ist dabei offenbar der, die Auslieferung als scheinbar
vollzogen darzustellen, so dass der Missethäter erst durch
eigne Handlung, nachdem die Gerichtseingesessenen fortge-
gangen sind, entrinnt, nicht aber von diesen geradezu in
Freiheit gesetzt wird. Gewöhnlich ist es ein seidener oder
zwimer Faden, mit dem der Verbrecher angebunden wird'*^).
>") Grimm, W. IV. 212.
'26) Z. B. Selterser W. b. Grimm, R. A. 874.
'•'') Auf einem anderen Gedanken beruht es, wenn man am Chiem-
see den Dieb „gepunden an ein ledigs schif setzen und in an alle rüder
rinnen laszen soll/* Grimm, W. III. 671. Denn hier wird das Ent-
kommen erschwert und noch in eine Art Gottesgericht gestellt.
"^») Oeflfn. V. Altregenspcrg v. 1456 b. Grimm, W. I. 81—82.
Bair. Hofmarkweisth. v. 1554 ib. 604 §. 6 (hier wird er mit einem
Strohband an eine Fallthorsäule gebunden}, u. v. Roth ib, 670, Oeffn.
38
Der seidene oder zwirne Faden bedeutet hier einfach das lo-
seste, nur dem Schein nach bindende Band. Er kommt auch
sonst oft in ähnlicher Bedeutung vor, z. B. in der Redensart,
ein Gut oder Haus solle so hohen Frieden haben, als sei es
mit seidenem Faden umfangen oder umhangen; oder auch
wohl blos, es sei mit einem Faden umhangen und deshalb
geschützt. Denn auch hier soll der Faden nicht etwa eine
besonders starke, heilige, sei es nun wirkliche oder vorgestellte
Hegung ausdrücken: es ist vielmehr gemeint, der Friede des
Grundstücks solle so stark und heilig sein, dass die loseste,
geringste Umhegung, ja die blosse Vorstellung einer solchen
ihn gegen jeden Eingriff schützen solle, als wäre sie die
stärkste Mauer ^^).
V. Wimburg ib. 691. Viele österr. Pant. b. KalteDbäck I. 449 §.5.
469 §. 12. 481 §. 23. 492 §. 15. 495 §. 9-10. 497 §. 4-6. 15. 505
§. 8. 507 §. 9 -.13. 523 §. 11. 533 §. 9- 10. 544 §. 26-27. 554 §. 20.
578 §. 10. 588 §. 6. II. 14 §. 4. 17 §. 5. 65 §. 2. 91 §. 28. 95 §. 20.
97 §. 3-4. — Nach dem W. v. Mekiohstädt b. Grimm UI. 893 wird
der Missethäter am Thor des Gefängnissthurras abgeliefert und, wenn
Niemand da ist, an die dritte Sprosse der Leiter gebunden. — Vgl.
auch Grimm, R. A. 182.
*29) Nach den bei Grimm, R. A. S. 183— 184 gegebenen Beispielen
könnte diese Bedeutung zweifelhaft und vielmehr, wie Grimm dies
annimmt, eine wirkliche symbolische Hegung gebannter Grundstücke
durch einen darum gezogenen Faden gemeint sein. Vgl. auch Kalten-
bäck I. 522 §. 11, wo ein Zwirnsfaden den Burgfrieden begrenzt. —
Ich vermag aber zwei andere Stellen anzufahren, welche die Sache
ausser Zweifel stellen. Zunächst soll das Haus nach österr. Pant. b.
Kaltenbäck I. 469 §. 14 so hohen Frieden haben, „als wer es mit
einem faden umbfangen oder umbhangen." Das Haus aber bedarf kei-
ner Abhegung. Sodann heisst es im W. zu Meudt b. Grimm I. 837
ausfuhrlich: „were es sach, dass die herren der grafschaft von Dietz
einen misstedigen menschen jagenden zu dem dorff M. u. dass ein sey-
den faden umb das dorff gingh, u. das gejagte mensch ander dem faden
in das dorff kem, sollent die vorgedachte herren der graffschaft Dietz
wenden und den faden nit schedigen.^' So heilig also soll ihnen die
Freistatt sein, dass sie selbst einen blossen seidenen, die Grenze be-
zeichnenden Faden nicht anrühren, sondern vor ihm wie vor einer
Mauer umkehren sollen. Es ist mithin im Resultat dasselbe, als wenn
anderwärts gesagt wird, ein Gut soll (rechtlich) so befriedet sein, als
wäre es (thatsächlich) von neun Zäunen umfriedigt (so b. Grimm 1. 139:
rlie wynreben zu Wülfflingen sollend also in gutem frid sein u. liegen,
39
Wie die Lieferungspflicht eines Verbrechers, so wird bis-
weilen auch die Lieferungspflicht des Besthaupts, wenn
der Berechtigte es nicht abnimmt, damit gelöst, dass man das
Boss oder Rind an einen Brunnenpfahl bindet; hier aber wird
hinzugefügt, dass man dem Thier Wasser in einem durch-
löcherten Korb zum Trunk und Steine in einem Kübel zum
Frass vorsetzen soll, damit es davon lebe so lange es kann*^).
Also neben der Scheinablieferung noch eine scherzhafte Scheiu-
sorge für den Unterhalt des Thiers! Ebenso aber kommen
mancherlei andere Scheinhandlungen vor, um z. B. dem
Markgenossen, der vom Förster die Erlaubniss s&um Holz-
schlag unrechter und säumiger Weise nicht erhält und nun
doch Holz schlägt *^0) ^^m Reisenden, der den Fährmann
dreimal vergebens gerufen und nun sich selbst überfährt ^'^^),
dem Zinser, um dessen Zins zwei Herren streiten und der
doch nur Einem zahlen kann^^^), jede Verantwortlichkeit ab-
zunehmen*^*).
alBS ein guth Jn nun ettern.) Nur ist in diesem Fall die sinnlich stärkste
Umfriedigung, in unserm Fal] umgekehrt die sinnlich schwächste Um-
friedigung Gleichniss des Rechtsfriedens, weil dort der Friede selbst,
hier der leichteste, unscheinbarste und dennoch strafbare Friedensbruch
bildlich dargestellt werden soll. Man mag damit die oben erwähnte
Ausmalung der Freiheit der Nacht vergleichen [Note *')].
130) Freiheiten von Utznach in St. Gallen u. v. Liechtensteig in
Toggenburg b. Grimm, R. A. 370-371. Vgl. auch Feldheimer Dorf-
öflfn. ib. 371 Note *.
»3*) Vgl. z.B. W. des Möhringer Walds b. Grimm H. 581: Der
Landmann fährt trotz versagter Erlaubniss in den Wald, haut, lädt und
ruft dreimal: ,,Komm Förster und hole dein Recht.*' „Kommt er, wol
gut!" Kommt er nicht, so legt er 3 Pf auf jeden Stock und fährt
heim. Vgl. ib. I. 174. 651. II. 271. 475. 616. IV. 558 §. 6 u. 74 (wo
der Huber drei Schläge in den Baum thut, die sollen seine Zeugen sein,
dass Niemand da war).
»«) Grimm, W. I. 427. IL 581. HL 627. IV. 221 §. 23 (hier
kann man sogar während des Wartens auf des Fährs Kosten zechen).
»33) Er setzt einen Tisch halb in den Flur und halb vor das Haus,
legt das Geld darauf und wartet, wer es holt. Grimm, W. III. 888.
>3f) Hierher gehört auch die Scheinzahlung des nicht geholten oder
zurückgewiesenen Zinses durch Niederlegen auf einen Thürpfosten, einen
dreibeinigen Stuhl, einen Stein, einen Baumstamm u. s. w., Grimm,
R. A. 389—391; die Scheinladung durch Umkehren eines Steins vor
dem Hause, Grimm, W. I. 305 u. s.w.
40
Verwandt ist ferner die Schein helehnung, welche der
bäuerliche Gutsempfänger, den der Hofschulz aus Frevelmuth
nicht belehnen will, selbst vornehmen soll. Er nimmt einen
dreibeinigen Stuhl, setzt ihn in das Gericht, legt auf jeden
Stiel drei Albus und tastet den Stuhl an: so ist er belehnt *^')«
Auch gehören offenbar in das Scheinrecht die Sonnen-
lehn, bei denen Gott oder die Sonne als Lehnsherr gedacht
wurde und ein förmlicher feierlicher Empfang des Lehens
von der aufgehenden Sonne üblich war'^^), — Alles nur, um
unter dem Scheine des Lehens freies Allod in einer Zeit zu
wahren, in welcher die Idee des Lehnswesens den gesammten
ritterlichen Grundbesitz durchdrang.
In gewissem Sinne, wenn auch nur zur Hälfte, gehört
schliesslich das Verfahren hierher, welches einem Grundherrn
vorgeschi leben war, der einem zum freien Zug berechtigten
und mit Wagen und Hausgeräth abziehenden Unterthanen be-
gegnete. Er sollte ihn nicht nur frei ziehen lassen, sondern,
wenn der Wagen stecken blieb, sollte er seine Knechte an-
fassen heissen und im Nothfall sogar selbst helfen, dabei je-
doch mit Einem Fuss im Bügel bleiben; dann sollte er dem
Seheidenden zurufen: „fahr hin! und dass es dir so wohl
gehe, dass du zu fahren wieder kommst'' ^^"). Hier ist die
Unterstützung und freundwillige Entlassung des Abziehenden
ernsthaft gemeint. Dagegen ist die persönliche Hülfe des
Herrn beim Fortschieljen des Wagens nur symbolisch als Aus-
druck des guten Willens zu verstehen, weshalb der Herr, dem
mehr nicht wohl anstehen würde, dabei mit einem Fuss im
Bügel bleiben solP'').
*^^) Schöplenberger Hofr. b. Grimm UI. 38. Vgl. die W. von
Schwelm, Hagen u. Eilpe ib. 31. 36 §. 17. 40.
^36) Grimm, R. A. 278-280.
'^') Vgl. d. Weisth. v. Fischbach und Nanstuhl b. Grimm I. 777.
V. 669 §. 13, sowie von Nennig u. Heifant II. 254 u. 259. - Dagegen
soll in Rotzenhain u. Fellerich ib. I. 637 u III. 792 der Herr völlig ab-
steigen und helfen.
^38) Aehnlich auch Grimm, R. A. 100 u. 348, der darin „halbe,
vornehme Hülfe** ausgedrückt findet. ~ Ebenso bedeutet es z. B. nur hal-
bes, unwirkliches Verweilen, wenn in österreichischen Hofmarken wegen
ihrer Immunität der Landrichter nur mit einem Fuss aus dem Bügel
4t
Endlich muss erwähnt werden, dass eine Scheinberechti-
giing auch manchmal dadurch ausgedrückt wird, dass etwas
Unmögliches oder übertrieben Grosses geleistet werden
soll. Das Erstere z. B. wenn eine Busse in schwarzen Schwä-
nen und weissen Raben angesetzt wird*^^). Das Zweite, wenn
der Sachsenspiegel den unfreien Tagelöhnern trotz ihrer Recht-
losigkeit und äusserst geringen Busse als Wergeid einen
alterthümlich aufgefüllten Weizenberg zwischen 12 Ruthen mit
je 12 Nägeln an jeder Ruthe, je 12 Beuteln an jedem Nagel
und je 12 Schillingen in jedem Beutel, also offenbar einen
übertriebenen und nur spöttisch gebotenen Betrag gewährt ^*^).
Auch sonst wird dies oft, wenn Unerschwingliches gefordert
wird, der Sinn sein**^).
§. 14. Ausser den Fällen der Rechtsllbertreibung und
des Scheinrechts giebt es nun aber noch manche andere
Satzungen, denen der Volkshumor — oft ohne sichtbaren
Zweck und scheinbar spielend — eine humoristische Fas-
sung giebt.
Dies kommt besonders bei manchen Massbestimmun-
gen vor. So lautet im Vestgericht zu Hemmendorf auf die
Frage: „wie die wunden sollen gethan sein, darüber gevhe-
stet werden soll?" die Antwort: „im leibe gliedes lang und
tief, u. im Kopfe als einem priester, der alle tage messe hält,
das schwarze uf dem nagel " *"). Das ist offenbar nur scherz-
treten und 80 ein Kännchen Wein trinken darf, sonst von Jung und
Alt mit Stöcken oder Scheitern aus der Mark vertrieben werden soll.
So b. Kaltenbäck I. 167 §. 37. 180 §. 42. 189 §. 46. 204 §. 26. 221
§ 6. 330 §. 34 u. 36. 337 §. 36. 359 §. 22. IL 18 §. 22.
*3») Urk. aus Carpentier I. 930 b. Grimm, R. A. 377 Note: y,si
quis contradicere conaverit^ centum cygnos nigros et totidem corvos alhos regi
persolvat.*^
»40) Sacbs.sp. III. 45 §. 8. Dazu Grimm, R. A. 675—676. Es
kommen 20736 Schillingo, vom Weizen ganz abgesehen, heraus! Und
dies neben einer Scheinbusse von 2 Handschuhen und einer Mistgabel.
Und neben Sachs.sp. III. a. 44 §. 3, wo es heisst: von den laten, die
sik verwarchten an irem rechte, sint komen dagewerchten.
»'») Vgl. z. B. Niedermendiger W. v. 1536 b. Grimm II. 492 und
darüber Grimm, Z. f. D. R. V. S. 19; ferner Grimm, R. A. 667.
»»2) Grimm, W. IV. 655 §. 3.
42
hafter Ausdruck flir eine ganz kleine Kopfwunde. Ebenso
zähle ich hierher die Bestimmung des Wetterauer Wasser-
gerichtsweisthums, wonach der Müller das Wasser nicht höher
stauen darf, als dass eine Biene auf den Kopf des Nagels in
dem eingeschlagnen Merkpfahl fliegen, sich darauf erhalten
und, ohne FUsse und Fitigel zu benetzen oder zu verletzen,
vom Wasser trinken und geniessen kann**^). Denn eine wirk-
liche Probe mit der Biene Hess sich doch nicht anstellen"*).
In Franken wurde ein Hauseigenthttmer baupolizeilich gestraft,
wenn in seinem Dach ein Loch gefunden wurde so gross und
so weit, dass man ein Gespann Esel möchte hineinwerfen"^).
Eine vom Herrn oder von den Hubem zu liefernde Wagen-
ladung Holz wird in mehreren Weisthtimem der Mark Schwan-
heim näher dahin bezeichnet, sie solle so lose und weitläufig
geladen sein, dass eine Atzel aufrecht oder „mit ufgereckten
obren" hindurch fliegen könne "0; und im Birgeier Weisthum
von 1419 heisst es mit noch weniger verkennbarem Humor:
„item sol yedie hübe führen zwene wagen rechholzes; da sol-
len in dem wagen nit me sin dau vier pferde; iz sal sin suer
unde fule unde Übel geladen, daz sieben houde eynen hasen
dar durch mögen gejagen" "^).' Am seltsamsten endlich lautet
eine Bestimmung des Benker Heiderechts. Danach soll der
Mann, der von seiner Frau geschlagen wurde, aus dem Hause
weichen, eine Leiter ansetzen, das Dach höhlen"®) und das
**^) Grimm, W. III. 467. Nicht ganz richtig scheint Grimm,
R. A. 79, die Stelle zu verstehen, wenn er sie als „Bestimmung der
Höhe des einzuschlagenden Wasserpfahls^' bezeichnet.
^**) A. M. scheint Grimm, R. A 109, wenn er hier wie bei
Schildesblick und Knochenklang an einstige wirkliche Uebung und nach-
hallende Erinnerung derselben denkt Aber diese Messung war nie wie
das Werfen des Knochens wirklich ausführbar.
»») Grimm, W. III. 549. — Vgl dazu ib. 480.
liG) \Y^ V. Schwanheim b Grimm, W. I. 523: dan sol man finden
uff des apts hoffe eynen wagin ful holtzes, suer u. ful u. ubelgeladen,
das eyn atzel uffrecht dar durch gefliegen mag. Andere Fassungen b.
Grimm, R. A. 93.
»'T) Grimm, W. I. 516.
'") „so sali he en ledder an dat huiss setten u. maken en hohl
durch den dack." Dachabdeckung als eine von den Gemeindegenossen
an einem Nachbarn, „der so weibisch wäre, dass er sich von seinem
43
Haus zupfählen; dann soll er ein Pfand im Werthe eines
Goldguldens mitnehmen und dies mit zwei Nachbarn vertrin-
ken; „und sollen sick so gelick doin im uitdrincken, dat
eine luiss unter dem pegel mit upgestreckten ohren krupen
könnte"**^). Sie sollen also beim Vertrinken des Pfandes, das
als eine Art Busse erscheint, so gleichmässig trinken, dass
beim Einschenken aus der Kanne unter dem zum Messen an
dieser angebrachten Ringe (pegel) jedesmal gerade so viel
Raum bleibt, als eine mit aufgerichteten Ohren kriechende
Laus braucht. Weder diese Laus, noch jene Elstern oder
sieben Hunde nebst Hasen sind je wirklich beim Messen zu-
gezogen : indem man sie aber als Massstab denkt, schafft sich
der Volkshumor ein zugleich plastisches und belustigendes Bild.
An sich ernsthaft gemeint, aber durch humoristische Zu-
that ausgeschmückt sind die Bestimmungen über Ermittlung
des Raums, bis zu welchem Hühner ohne Gefahr der Pfän-
dung in die Mark oder auf das Nachbargrundstück gehen
dürfen. Uralter Sitte gemäss wird in den verschiedensten
Gegenden diese Entfernung durch den Wurf mit einer Sichel
oder einem Pflugeisen bestimmt. Damit aber der Raum, den
man möglichst beschränken will, nur sehr gering ausfalle,
werden allerlei humoristisch gefärbte Erschwerungen hinzuge-
fügt. So hat nach dem Benker Heiderecht ein Huhn nicht
weiter Recht, „als ein guet man mit bair voiten over ein offt
twen thunstacken stünde u. worfe zwischen den benen hin" ^^).
Ebenso soll man nach Bochumer Landrecht (§. 44) barfuss
auf zwei spitze Zaunstacken klimmen und zwischen den Bei-
nen herwerfen, in Schwelm auf dem Zaune stehend ein Pflug-
eisen zwischen den Beinen auf des Nachbarn Feld werfen,
um das Hühnerrecht zu ermitteln*"). In Niederbaiern und
Oesterreich soll die Bäuerin auf den Dachfirst steigen und ein
in ihren Schleier oder ihr Kopftuch gewickeltes Ei rückwärts
Weibe raufen, schlagen oder schelten Hesse," als an einem Entehrten
vollzogene Strafe kommt öfter vor, Grimm, R. A. 723—725.
>»«) Grimm, W. UI. 42 §. 26.
»^«) Grimm, W. III. 42 §. 23,
»6») Grimm, W. HI. 30.
44
durch die Beine hinauswerfen'^^). Die Hühner des MtillerH
zu Uzwil dürfen so weit gehen, als er vom First der Mühle
mit einer Sichel wirft, wenn er ein Ohr in die Hand nimmt,
den andern Arm hinter dem Haupte her hindurchsteckt and
die Sichel in dieselbe Hand nimmt '*^), — eine Art des Wer
fens, die so oder ähnlich auch zu andern Kechtsausmessungrn
vorkommt*^*). In Fellanden soll der ausserhalb des Dorf-
etters Hausende auf dem Dachfirst stehen, mit dem rechten
Arm unter den linken greifen, das Haar unter dem linken
Arm in die rechte Hand nehmen, mit der linken eine Sichel
an der Spitze fassen und werfen; so weit er wirft, so weit
dürfen seine Hühner in die Mark gehen; gehen sie weiter, so
bessert er den Schaden mit 4 Schill, von jedem Tritt**^). In
Schwarzenbach endlich soll in dem gleich Falle die Hausfrau
auf dem Dachfirst stehen, mit der linken Hand die Sichel bei
der Spitze fassen und sie unter dem rechten Bein fortwerfen*'^).
In dem letzten Beispiel tritt der Humor als gestaltgebend am
unverkennbarsten hervor, weil hier absichtlich Alles verkehrt
wird: statt des Mannes wirft die Frau, die Sichel wird am
verkehrten Ende gefasst, die linke Hand wirft unter dem
rechten Bein, statt dass nach uraltem Recht sonst die rechte
Hand unter dem linken Bein wirft*"). Einiges von solchen
»*2) Ehaftreoht für Niederbaiern a. 18 uod von Wilzhut §. 13 bei
Grimm, W. UI. 683.
»") Grimm, W. V. 196 §. 33.
***) So nach dem Recht der sieben freien Hagen b. Grimm III.
309 §.19 beim Anpflanzen von Hagen in der Mark; so nach dem Bisch-
weiler W. b. Grimm, R. A. 62 Nr. 53 bei neuen Mühlenanlagen (so-
weit der Müller vom Wendelbaum rücklings eine Kugel mit der linken
Hand wirft, wenn er das linke Ohr mit der rechten Hand fasst und den
linken Arm nicht über den Ellenbogen hinaus hindurchsteckt); so bei
Anlegung neuer Bienenstellen, ib. 61. Nr. 50 u 51 u. s. w.
»") Grimm, W. I. 29. -- Vgl. ib. 206.
»^6) Grimm, W. 1. 217-218.
**') So namentlich beim Hammer wurf zur Ermittlung der Ausdeh-
nung des Rechts auf Ohrtland und Plaggemaht in der Mark, Low,
Markgenoss. 174—179, Grimm, R. A. 56- 57 n. W. III. 134 §. 8. u. 193;
Maurer, Dorfv. I. 294-298. Denn, wie dies Grimm zuerst bemerkt
und nachgewiesen hat (Poesie im Recht 70, R. A. 65 u. 705—706), der
rechte Arm ist als Schwertschwinger, der linke Fuss als Rossbesteiger
vornehmer.
45
absichtlichen Verkehrungen findet sich ja aber auch in den
andern erwähnten Bestimmungen.
§. 15. In den zuletzt erwähnten Satzungen ist nicht
blos die Fassung humoristisch : die Rechtshandlung selbst
vielmehr wird ins Belustigende gewandt. Aehnliches findet
sich auch sonst, wie denn z, B. der bekannte alte Brauch, die
bei einem Rechtsakt als Zeugen zugezogenen Knaben zu ohr-
feigen, in die Ohren zu kneipen oder auf den Boden zu
stauchen, damit sie sich lange des Vorgangs erinnern *^^), nicht
ohne Mitwirkung des Humors entstanden sein wird. Ebenso
i erhält oft bei den Rechtsparodien und bei lächerlichen
; Strafen die Rechtshandlung selbst eine humoristische
' • Färbung.
I Eine Rechtsparodie glaube ich da zu finden, wo eine
ernste und ehrwürdige, auf wichtige Fälle bezügliche Satzung
in veränderter und scherzhaft verkehrter Form auf etwas
Kleines, Unwichtiges angewandt oder durch irgend einen Zu-
satz in ihr Gegentheil verändert wird. In diesem Sinne ist
' schon manches hierher Gehörige vorgekommen, wie z. B. die
Parodirung der Entscheidung durch blinde Naturkraft in der
Bestimmung nach dem zu Berg oder zu Thal laufenden Wein,
die Parodirung des alten Wergeidsgerüstes zu Ungunsten der
Tagelöhner, die Parodirung der alten Wundenmessung durch
die Bemessung nach dem Schwarzen auf dem Nagel, die Paro-
dirung des Hammerwurfs durch die Bestimmungen über die
Ermittelung des Hühnerrechts. Ebendahin gehören in ge-
wissem Sinne alle Schein bussen, die Schein belehnungen und
Anderes.
Insbesondere musste sich, der späteren Zeit wenigstens,
das Recht der Thiere zum grossen Theil als Parodie des
Rechtes der Menschen darstellen. So ihr Wergeid, ihre Be-
strafung, ihre Zeugenscbaft. So ferner die Bestimmung, wo-
nach das zu liefernde Zinshuhn gleich dem Menschen eine
*^^) Ueber die testes per aurem tracti und Aehnliches vgl. Grimm,
I R. A. 143 146, 545 u. W. 1. 602 - Vgl. auch über den Verzicht-
pfennig, welcher der Frau in den Busen gesteckt wird, damit auch
1 etwaige künftige Kinder als verzichtet gelten, W. v. Niederprüm ib.
II. 533.
46
Kraftprobe ablegen, nämlich auf einen dreibeinigen Stuhl oder
einen Wassereimer springen soU'^^). So noch deutlicher die
Anordnung des Schwelpacr Hofrechts, wonach man die auf
dem Kornfeld gepfändeten fremden Gänse an einem auf diesem
selben Felde errichteten Galgen aufhängen darf*^). So die
sehr häufig wiederkehrende Vorschrift, wonach man die ge-
pfändete Gans nicht geradezu tödten, sondern ihren Schnabel
durch den Zaun, die Hecke oder einen gespaltenen Stock
stecken, ihren Hintern aber oben über Zaun, Hecke oder Stock
hinüberwerfen und sie in dieser Lage hängen lassen soll;
rettet sie sich, so ist es gut*^*). So endlich die den meist
glimpflicher behandelten vierfttssigen Thieren angedrohte ge-
linde Züchtigung'"').
Ein charakteristischer Fall der Rechtsparodie scheint mir
schliesslich noch folgender zu sein. In der Abtei Prüm wer-
den von jedem Viertel Landes 2^ oder auch 7|- Ostereier
geschuldet. Trifi't es sich nun, dass ein zinspflichtiger Gehö-
fer ein halbes Ei entrichten müsste, und er will nicht statt
dessen ein ganzes geben, so soll er das fragliche Ei auf seine
Schwelle legen und mit einem Messer entzwei hauen; gleitet
das Dotter nach innen, so ist er los; gleitet es vor die ThUr,
so ist er dem Herrn bnssfällig*^^). Diese Besitimmung beruht
^59) ürk. V. Monre v. 12G0 b. Grimm, W. III. S. 621 Note. Sim-
merner u. Gillenfelder W. ib. IL 148 u. 414.
»«0) Grimm, W. UI. 30.
»«^) Grimm, R. A. 595. Benker Heider. b. Grimm, W. III. 42
§. 21; Recht der sieben freien Hagen ib. 308 §. 12 (so sie sich dann
kan lösen, so hat sie ihr leben errettet); W. v. Vehlen ib. 318; W. v.
Oberwinthur ib. I. 127; v. Magdenau in Toggenburg ib. V. 188 §. 7.
Also in der Schweiz genau wie in Westfalen, Niedersachsen, Friesland.
Erinnert wird man besonders an die dem Verbrecher oft noch gelassene
Möglichkeit, mit dem Leben davon zu kommen.
1C2) Yf V. Düppigheim im ünterelsass b. Grimm V. 42l §. 10:
ein Thier, das 4 Beine hat, soll der Meier, wenn er es Schaden thuend
findet, „nemen bi dem linken ore und es schlahen mit dem handschiiwe.**
^6^) So nach dem W. v. Berisborn b. Grimm IL 525. Hier wird
zwar dio Sache umgekehrt, indem es heisst: „feit das meist stuck bin-
nen die schwel, so ist er dem herrn nmb eine boesz erfallen, feit aber
das meiste stuck vor die thur, so ist der gehofifner los/* Ich halte dies
aber für ein Missverständniss und finde dies bestätigt durch das W. v.
47
nicht, wie Maurer sagt, darauf, dass man „die Gerechtig-
keitsliebe bei der Zinserhebung bis zum Lächerlichen trieb" ^^*).
Vielmehr ist ihr Sinn wohl folgender. Es ist unrecht, das
Recht auf die Spitze zu treiben und um ein halbes Ei zu
markten. Da aber Zinsherr und Zinspflichtiger hierbei in
gleicher Lage sind, so wird die Entscheidung durch eine Art
Gottesurtheil getroflfen. Fällt das Ei beim Zerschlagen binnen
die Schwelle, so zeigt es sich, dass es ins Haus gehört, und
der Herr verliert seinen ganzen Anspruch. Fällt aber das Ei
vor die Thür, so zeigt es sich, dass es hätte aus dem Haus
gegeben werden müssen, und der Zinspflichtige muss nun
wegen seiner Weigerung, ein ganzes Ei zu geben, Busse zah-
len. Und hierbei schweben off^enbar andere Satzungen vor-
bildlich vor; insbesondere die altehrwürdige Bestimmung, dass
die Straflosigkeit des Todtschlags zur Wahrung des Haus-
Walmersheim in derselben Abtei ib. 538: , jeder viertel landes gibt dem
gruutberrn 7^ ey, u. das achte ey soll die fraw uff die schwell legen,
welches der schoHess mit einem kolter von einanderhawen, u. was bin-
nent die schwell feilt, soll der gehöffer, und wass darbaussent
feilt der grundherr haben." In diesem Weistlium ist die Entschei-
dung nach draussen und drinnen richtig getroffen; dagegen fehlt die
Busse. Es könnte sogar scheinen, dass hier Theilung vorgeschrieben
ist, was ein anderes Missverständniss voraussetzte; doch glaube ich,
dass, da das Eidotter zusammenbleibt und nur nach einer Seite gleitet,
Entscheidung für den Einen oder Andern gemeint ist. Völlig endlich
wird unsere Auslegung bestätigt durch das Hofrecht von Barmen, wel-
ches nur die Schwelle fallen lässt, die Entscheidung aber nach dem
Gleiten des Dotters richtig fällt. Es soll nämlich, wenn ein Hof ein
halbes Ei schuldet, die Frau das Ei auf dem Rande des Korbes, in
welchem der Schultheiss die Eier sammelt, zerschlagen ; fallt das Dotter
in den Korb, so behält es der Herr; behält die Frau das Dotter in der
Schale, so ist es ihrs und sie soU damit bezahlt haben; ib. III. 16.
Alle drei Weisthümer also, so scheint es, mischen etwas Ungehöriges
in eine von ihnen nicht mehr in ihrem vollen Sinn verstandene üeber-
lieferung, als deren ursprüngliche Form aus einer Kombination der drei
Stellen sich der im Text aufgestellte Satz mit Sicherheit ergiebt.
^6») Maurer, Fronh. III. 348 Ihn leitet offenbar das von ihm
vorangestellte Weisthum von Walraersheim irre, indem er darin eine
wirkliche Tljcihmg des Ei's in zwei Hälften sieht. Ihn widerlegt aber
schon der einzige Umstand, dass nach dem W. von Berisborn der Ge-
höfer, wenn das Ei binnen die Schwelle fällt, ausser dem Ei noch Busse
geben soll.
48
friedens danach bemessen wird, ob der Kopf des Erschlagenen
innerhalb oder ausserhalb der Schwelle zu liegen kommt *^').
§• 16« Humoristische Strafen kommen seit alter
Zeit in verschiedener Weise vor, indem sie theils auf Ablö-
sung , theils auf wirkliche Vollziehung berechnet sind. Im
ersteren Falle ist oft ein doppeltes humoristisches Moment
vorhanden, indem theils die Art der Strafandrohung von einem
freilich oft sehr grausamen Humor diktirt ist, theils in der
Hinzufügung einer sehr leichten Ablösbarkeit das Zugeständ-
niss gemacht wird, dass die Sache doch nicht so ernst ge-
meint sei, wie sie aussieht. Im zweiten Falle liegt das Lä-
cherliche nur in der Art der Bestrafung.
Hierher gehört schon aus den Volksrechten die Bestim-
mung des burgundischen Rechts, der Habichtdieb solle ent-
weder sich 6 Unzen Fleisch auf die blosse Brust legen und
den Habicht diese von da wegfressen lassen, oder, wenn er
es vorzieht, 6 Schillinge zahlen*^). Wer irgend konnte, wird
sich natürlich nicht der Gefahr, dass der Habicht ihm seine
Brust zerhacke, ausgesetzt haben. Ebenso die Bestimmung
desselben Rechts, wonach der tiberführte Hundedieb entweder
vor allem Volk dem Hund den Hintern küssen, oder aber
5 Schillinge zahlen mlV').
Humor waltet ferner in der Vorschrift des alamannischen
Volksfechts, wonach der Erbe des von einem Hunde Getödte-
ten von dem Herrn des Hundes das halbe Wergeid erhalteu
soll. Fordert er aber das ganze, so erhält er den Hund
ausgeliefert, muss sich jedoch folgender sehr lästigen Bedin-
gung unterwerfen. Alle Thtiren seines Hauses werden ver-
schlossen bis auf eine, durch die er stets ein- und ausgehen
»6^) Grimm, Ji. A. 628 und dazu einerseits Weistli. 1. 414 u. 422,
andrerseits R. A. G27, Weistb. I. 463. II. 658] III. 375. IV. 528 §. 8.
V. 241 §. 20, u. Zeitschr. l Rechtsgesch. V. 45.
^^^) L. Burg add. I. tit. 11: si quis acceptorem alienum involare prae-
sumpserit, aut sex uncias' camis accepUrr ipsi super testones comedatj aut
cei^te si noluerit sex solidos Uli cujus acceptor est cogatur exsolvere.
^^'') Ib. tit. 10: si gms canem veltraum aut sejutium aut petrunciUum
praesumerit involare, juhemus ut amvictus coram onmi populo posteriora canis
osculetur aut quinque solidos . . . cogatur exsolvere.
49
muss. üeber dieser Thtir wird in einer Höhe von 9 Fuss
der Hund aufgehängt, bis er gänzlich verfault ist, verfault
herunterfällt und die Knochen dort liegen. Nimmt er den
Hund fort oder geht er durch eine andere Thtir , so muss er
auch das halbe Wergeid zurückzahlen^^®). Die Unannehm-
lichkeit dieses Verfahrens ist hier (wie öfter) Strafe der Be-
gehrlichkeit, welche ein an sich vielleicht nicht abzustreitendes
Recht auf die Spitze treibt; ihre Androhung soll den Berech-
tigten vermögen, sich mit dem billigen Ausgleich des Gesetzes
zu begnügen.
Scherzhafter Art ist auch die Drohung eines Kapitulars,
wer im Heere betrunken befunden würde, solle so gebannt
werden, dass er, bis er sein Unrecht eingesehen, nichts als
Wasser trinken solle ^^®).
Die grausamen Strafen der Grenz- und Markfrevel
sind auch ohne Znsatz der Ablösbarkeit nicht oder doch nicht
mehr ernsthaft gemeint, sondern malen nur aus, was gesche-
hen würde, wenn das Recht in ganzer Strenge ergienge*"^).
^^8) L. Alam. tit. 102. — Vgl. aber, was Grimm, R. A. 665, über
altnordisches Recht mittheilt, wonach umgekehrt der Herr eines tödten-
den Knechts, wenn er das Wergeid nicht zahlt, den Knecht sich au
die Hausthtire hängen lassen muss, bis dieser fault und abfällt. Hängt
die Bestimmung der 1. Alam. hiermit zusammen^ so beruht sie vieUeicht
nicht, wie Grimm meint^ auf Verwirrung der Tradition, sondern auf ab-
sichtlicher Verkehrung derselben, die bei der Herabsetzung des Wer-
geides auf die Hälfte im Sinne der oben angeführten Rechtsparodien
erfolgte.
*^^) Capit. Bonon. 811 c. 6 p. 173: ut in hoste nerno paretn suwn vel
queinlibet alterum hmninein bibere roget. Et quictimque in exerdtu hehrius
iiwentus fueriij ita excornmicelur ^ ut in hihendo sola aqua utatur^ quousque
male fecisse cognoscat.
'''<^) Deutlich geht dies z. B. aus dem Eichelberger Markweisth. b.
Grimm I. 565 hervor: „Further weist der merker . . . der ein stehen-
baum schelett, dem were gnade nutzer denn recht. Und wan man dem
solle recht thun, solle man ine by seinem nabel sein bauch uflfschneiden
und ein darm darauss thun, denselben nageln an dem stamme und mit
der person herumb gehen, so lange er ein darm in seinem leibe hat.
Darumb were ime gnade besser den recht." Hier ist das Ganze hypo
thetisch gehalten. Befolgte man das strenge Recht, so würde er so be-
straft werden; man befolgt es aber nicht, sondern übt Gnade. — Vgl.
auch ib. IV. 712 u. Grimm, R. A. 520. 682.
4
50
Sie sind aber auch abgesehen hiervon offenbar von einem
gewisBen grausamen Humor gestaltet, indem dabei zwei straf-
rechtliche Gedanken, der Gedanke der Talion'"') und öfter
auch der Gedanke der Schadensbesserung, durch die
Gleichstellung der Steine oder der Bäume uud ihrer Thcile
mit dem menschlichen Körper und seinen Gliedern in das
Bizarre und Höhnische verkehrt werden. Wer einen Grenz-
stein auspflUgt, wird selbst an dessen Statt bis zom Gürtel
eingegraben und ihm der Kopf abgepflUgt; oder er wird mit
dem Kopf nach unten eingegraben und der Markstein zwiselien
seine Beine gesetzt, „das man secb, dass ain gutes gemerk
sei""*). Wer einem Baum die Rinde abschält, dem wird da-
für der Darm herausgeschält und um den Baum geschlungen,
damit dem Baum so die Rinde erseizt werde, bis sie wiederum
wächst'"). Wer einen Baum köpft, der wird wiederum ge-
köpft und sein Kopf zum Ersatz auf den Stamm gesetzt, bis
diesem ein neuer Kopf wächst"*). Waldbrenner werden drei
Mal gebunden in ein Feuer geworfen oder in dessen Nähe
gesetzt, bis ihnen „die Sohlen von den Füssen, nicht von den
Schuhen, fallen"'"). Ueherall werden hier die Frevler ebenso
behandelt, wie Steine oder Bäume von ihnen behandelt wor-
den sind. Und als ein Zweites kommt femer mitanter die
* Idee hinzu, der ausgepflUgte Stein solle durch den eingegra-
1") OsenbrÜggcD, Studien, Abh.Nr.8 „Die Talion" 8.150-180.
'^*) Grimm, B. A. 547; W. II. 132. 138. 139. 494. Zeitschr. f.
tteehtagesch. I, 391. Oaenbrttggen, K. A. aua österr. Pant. §. 16.
"^ Grimm, W. I. 565. III. 41C §. 7. 4«9. 309 §. 18 mit dem höh-
nenden Zusatz: „kann er das verwinden, so kann die weide es auch
verwinden." IV. 666 §. 15 ; „den schall man de darmen utb den liewe
theen und darumb herscblaen, bet he wedder waszet." 6<i9 §. 13. V.
320 §. 10.
'■") Grimm, W. III. 277. 230. IV. 651 §. 44: waa ist die Strafe
f^r Abhauen einer Kopfweide? „man soll ihm den Kopf wiederum ab-
hanen." Ebenso 660 §. 16 u, 712. Besonders aber Bebecsohe IIolz-
art.lkel ib. 666 §. 14: den Eichenköpfer „schall man bringen by den
stemmen und liawen Ohme synen kop ap und selten darub sau lauge,
bet he wedder waszet." Vgl. auch 651 g. 45 (wer ton einem Zaun eine
Ahrte abhuLil:, dem wird „wiederum" die Hand abgehauen).
>'-■■■) Grimm, W. I. 466. 499. III. 416 §. 8. 489. V. 320 §. 12.
51
benen Frevler selbst, die Rinde durch seinen Dann, der Kopf
des Baumes durch seinen Kopf ersetzt werden.
Bei andern Strafen wird zwar nicht die Idee der Talion,
wohl aber die Idee der Schadensbesserung in das Scherz-
hafte gewandt. So soll nach westphälischen Weisthümern der
Fuhrherr, welcher den Dieb einer Wagenlünse auf frischer
That ergreift, statt des Nagels den Finger des Thäters oder
gar ein anderes Glied, das als „eilfter Finger" bezeichnet
wird, in das Loch vor das Rad zwicken und mit ihm fort-
fahren, bis er zu einem Schmied kommt, der einen andern
Nagel herstellt"^). Und bei ähnlichen Entwendungen werden
entsprechende Strafen angedroht*").
Wieder andere Strafen kehren den Gebrauch, die Strafe
vorzugsweise an dem Gliede zu vollziehen, mit dem die That
begangen, in das Lächerliche"®). Dahin gehört z. B. die
Vorschrift, dass der Lügner beim gerichtlichen Widerruf der
Schmähungen sich selbst auf das Maul schlagen solP"^).
Andere Strafandrohungen enthalten einen harmlosen
Scherz*®').
^"^^ Benker Heiderecht §. 5 u. Bochamer Landr. §. 50 b. Grimm
W. III. 41 u. R. A. 638. Auch Osenbrüggen a. a. 0. 162.
*'') Z. B. Bochumer Landr. §. 48: ein dieb, der einem manne sein
herstells nagel abstielet und er in darüber bekäme, so soU er über das
herstell mit seinem leibe gehen ligen u. stecken seinen eilften daumen
vor das stell, bis so lange er bei einen schmid kommt und stellet einen
andern nagel davor, ohne des fuhrmanns schaden. Benker Heiderecht
§.4: so der theter betreten, de den wagenrep von dem wagen ent-
frömbden thöte, sali derjenige, dem de rep gehörig, deme, so ihme den
zu entfrömbden Vorhabens, umb den hals binden und mit dem wagen
fortfahren; strukelt hei dann, so sali glikwohl herover keine frake gähn.
Garbendiebe sollen nach §. 3 quer über die Garben (gewissermassen
selbst als Garbe) gelegt werden.
"8) Vgl. Osenbrüggen, R. A. 52 u. Studien 162 (z. B. soll man
den Lauscher mit den Ohren ans Fensterbrett zwicken); die Bestrafunj^
des Juden b. Grimm, W. L 533; dazu ib. lU. 274 §. 36.
17«) Stadtr. V. Iglau §. 44, v. Ofen §. 254, Grimm, R. A. 143 u. 711,
Osenbrüggen, Studien 162.
»80) Z. B. W. V. Mtilbach im Elsass b. Grimm L 697: so die för-
ster kommen zu Rottaue an den bach, so sol unser forster die andern
zweu förster tragen über den bach u. sullen dieselben förster dem un-
sern schenken ein halb viertel weins; tunt sie das nit, so soll unser
4*
52
Endlich giebt es eine ganze Reihe von Strafen, deren
eigentliches Wesen gerade in der Zufligung eines lächer-
lichen Schimpfes beruht, die also von vornherein darauf
ausgehen, das Gelächter der Zuschauer zu erregen und da-
durch den Bestraften zu demtithigen und zu höhnen.. So die
in demtithigem und schimpflichem Aufzuge durch Stadt oder
Land zu unternehmenden Gänge, bei welchen Zeichen der
verwirkten Strafe, blosse Schwerter, Stricke, Ruthen und Be-
sen, Steine, aber auch Hunde, Sättel und Pflugräder getragen
werden mussten***). So ferner die sehr verbreitete Strafe des
Schnellens (Schupfens, Korbspringens, Wippens etc.), wobei
der Missethäter in einen Korb (Schandkorb, Wippe etc.), der
über einer Pfütze schwebte, gesetzt und an manchen Orten in
die Pfütze hinabgeschnellt, an andern aber sich selbst tiber-
lassen wurde, bis er zur Belustigung der Zuschauer hinein-
sprang und beschmutzt davonlief^^^). So nicht minder das
rücklings Reiten und der Eselritt; letzterer besonders in der
in Hessen als Strafe für Frauen, die ihren Mann geschlagen
hatten, üblichen Form, bei welcher die tyrannische Frau rück-
lings auf dem Esel mit dem Schwanz desselben in der Hand
durch den ganzen Ort reiten, der schmachbedeckte Mann aber,
sofern er nicht hinterrücks und also ohne Möglichkeit der Ab-
förster den andern förstern eim den rechten schuch u. dem andern den
linken schuch abziehen u. soll sie versetzen für ein halb viertel weins.
»8») Grimm, R. A. 713-^721.
*82) Stadtr. V. Augsburg v. 1276 b. Freyberg, Samml. deutscher
R. A. I. 121—122, b. Walch IV. 354; Berlepsch, Chronik vom
Bäckergewerb 102-111; Grimm, R. A. 726; Maurer, Fronh. IV. 270;
ausführlich Osenbrüggen, Studien 361—366, wo insbesondere die
Erzählung aus einer ungedr. Chronik über den Brand v. Zürich v. 1286
das Lächerliche der Strafe beweist. Ein gewisser Wackerbold nämlich,
der geschnellt und unter dem Lachen alles Volks herabgesprungen war
soll aus Verdruss über das „lachen des volks" die Stadt zur Rache
angezündet und hinterher gesagt haben: er habe das Feuer angezündet,
um sich daran wieder zu trocknen, das sei ihm auch wohl gelungen
und jetzt lache er; jetzt möchten die in der Stadt bei ihrem Feuer
^Jachen ndor grynen, weders sie wellind." — Bemerkenswerth ist auch,
(1;iss (iie Strafe vorzugsweise Betrüger trifft, die ,,niit beschisz umb-
g;nigen" und dafür wieder „nass und beschissen" aus der Pfütze kom-
nion ;ib. 362 u. Note 4).
53
wehr geschlagen war, den Esel selber flihren sollte ^^). Und
so endlich manche andere Strafe*^*).
§. 17. Dass die geselligen Zusammenkünfte, die
Trinkgelage, Schmausereien, Spiele und Tänze, welche jede
noch so feierliche Rechtshandlung, jedes Gericht und jeden
Zinstag beschlossen und dabei keineswegs ganz aus der
Sphäre des Rechts herausschritten, den sie betreffenden
Satzungen*®*) manchen Anlass zur Entfaltung von Humor bie-
ten, ist leicht begreiflich. Zwar ist es dem Recht durchaus
Ernst, wenn es diese Dinge überhaupt in seinen Kreis zieht
und unter Androhung von Bussen und Nachtheilen sorgfältig
und mit der Meinung der Erzwingbarkeit bis ins Kleinste re-
gelt*^); wenn es genau Grösse und Mass der zu liefernden
Gegenstände, Art und Zubereitung der Gerichte, ja die Farbe
*«3) Wenek, Hess. Landesgesch. I. 519—521. Grimm, R. A.
722—723. Schmeller, Wörterb. I. 118. Maurer, Fronh. III. 381.
Die Stellung des Esels zu diesem Zweck war sogar Gegenstand eines
eignen Eselslehens, das die Familie von Frankenstein inne hatte. —
Vgl. Grimm, W. I. 700: dem säumigen Schöffen wird das Haus zer-
stört, er wird unter der Schwelle herausgezogen, bäuchlings auf ei^
Pferd gelegt und so zu Gericht gefuhrt.
^^^) So zum Theil Pranger, Schandsäulen und Schandgemälde; die
entehrenden Strafen für Ritter (die z. B.- ohne Sporen, Hufeisen, Sattel,
mit bastenem Zaum reiten sollen, Grimm, R. A. 712); das mit Pech
Bestreichen und in Federn Wälzen, ib. 725; die westenglisohe Strafe,
ib. 453 Note; die Art der Gefangensetzung des säumigen Dingpflich-
tigen nach Frankf. Fronhofsr., ib. 842; die Strafe b. Grimm, W. III.
782; die Züchtigung unter Gesang, ib. 254; die Strafe der Steuer-
restanten in Nürnberg, welche in einen Nasendrücker, d. h. in einen
Sarg mit plattem Deckel, gelegt wurden, Maurer, Stadtv, II. 857;
vielleicht auch das Mithängen von Hunden und Wölfen, Grimm, R. A.
685-686.
«85) Vgl. oben Note ^o).
*86) Erscheinen doch solche Mahlzeiten so wichtig, dass es bei
Grimm, W. II. 583 heisst, lieber solle einmal die Pacht ausfallen als
diese Mahlzeit; dass für die Bestreitung der Markergelage , wenn die
Bussen nicht reichen, Markholz verkauft werden soll (ib. lU. 500); dass
nach einem W. ib. III. 889, wer kein Geld zur Zeche hat, gar nicht
am Gericht Theil nehmen, sondern während dessen „unter einem zune
ligen" soll.
^4
der Geräthe und der zu schlachtenden Thiere festsetzt*®^);
wenn es nicht blos Bezahlung und Lieferung, sondern selbst
das Abgeben des Dritten beim Kartenspiel, die freundliche
Miene, das Kochen der Suppe, die Helligkeit des Feuers, den
Tanz und die Stellung der Musik dafür zu Rechtsverbindlich-
keiten stempelt *®®); wenn es die Zeitdauer der Feste nach
alterthümlicher Weise bemisst*^®); wenn es die Betheiligung
von Frauen und Gästen ordnet*^); wenn es die Tischordnung
macht und selbst dem Hunde seinen Platz anweist *^^); wenn
es die genauesten Regeln in Bezug auf die gute Sitte, den
Anstand und den geselligen Ton aufstellt *^^). Allein es fehlt
>") Vgl. z. B. Grimm, W. I. 127. 168. 619. 745 f. 786 f. IL 466.
470. 694 f. 697 f. 732. 824., III. 369. 370. 548. 594. 833. IV. 42. 60.
625 §. 2. V. 369. 415 §. 2. 394 §. 9 (hier ist sogar die Farbe des
Widders, den der Weibel den Hubern bereiten soll, angegeben, indem
er einen weissen Fuss und einen weissen Fleck an der Stirn haben
soll). — Ebenso genau sind die Gilde-, Zunft- Bruderschaftsstatute etc.
*®®) Z. B. Grimm, W. V. 460 §. 10: spricht man auch zu recht,
das der meier den hubern bis umb mitternacht feur u. liecht solle ver-
gebens geben, und wo zwei mit einander spielen, so soll der meier ein
drittman geben. Ib. 327 §.8; wan das essen sein soll, so soll der holz-
graf finden ein feuer sonder rauch, das weib oder koch sonder zorn,
weisz u. grob brod, roten u. weiszen wein, gepraten u. gesotten. 11.
494: der jüngste Schöffe soll die Suppe kochen. IV. 576 §. 5: Pfeiffer
für die Schnitter. III. 369. Und insbes. ib. 593—594 Note * über das
„Kitzgericht", die „Kitzjungfer" und den „Kitztanz".
^^^) Z.B. Grimm, W. II. 697: die Zinser essen und trinken so
lange auf Kosten des Herrn, bis ein grünes Rad, das 3 Tage im Wasser
gelegen hat, im Feuer zu Asche verbrennt; ib. 693. IV. 576 §. 5: die
Schnitter tanzen von der Zeit, wo die Sonne noch Baumes hoch steht,
bis es Nacht wird.
*9o) Grimm, W. I. 625: jeder Schöffe kann seine Frau, hat er aber
keine, eine andre gute Person mitbringen. III. 189. V. 394 §.18: komt
ouch ein ander biderman darzuo, der nit ein huober ist, man sol in nit
vertriben. Maurer, Stadt v. II. 459.
»9») Z. B. über den Antrunk Grimm, W. I. 580 § 5. 583. 589.
590; nach dem W. ib. V. 607 §. 1 aber soll des Sen therm Hund beim
Essen unter dem Tisch sein.
*^*) Dies ist ein Hauptinhalt in den Satzungen der Gilden, Zünfte,
Gesellenbruderschaften u. s. w.; aber auch die Weisthümer enthalten
viel darüber, z.B. Grimm, W. I. 759. U. 466. 693 f. III. 604-608.
IV. 135-136. 153. V. 327.
55
auch nicht an lustigen Bestimmungen, wie sie dem Anlass
entsprechen. Soll doch schon nach den ländlichen Weisthii-
mern die Mahlzeit eine fröhliche sein*^^), und wenn man da-
bei auch im Trunk züchtig sein soll und durch Unmässigkeit
Bezahlung der ganzen Zeche riskirt^^*), so wird doch die
Grenze nicht ängstlich gesteckt; denn man schenkt den Schöf-
fen so lange ein, bis sie eine Taube von einer Krähe auf dem
Dach nicht mehr unterscheiden können ^^^), und wenn den Rau-
grafen und seine Knechte der Wein tibernimmt, dass sie
Schwert oder Sporen verlieren, so soll der Heimburg ihnen
neue Sporen von Hagedorn und ein neues Schwert von Hasel-
stock machen und sie damit Gott befehlen *^^). Die Satzungen
aber der Gilden, Kaufmannsinnungen, Studentengesammtheiten,
Bruderschaften, Zünfte, Gesellen verbände und vieler anderen
Genossenschaften haben eine grosse Fülle wiederkehrender
lustiger Gebräuche ausgebildet, die ursprünglich in einem sehr
viel engeren Zusammenhange mit der rechtlichen Bedeutung
solcher Genossenschaften standen, als dies später der Fall
war^^'). Doch hierauf kann ich hier, da das Meiste auf der
Grenzscheide von Recht und Sitte liegt, nicht näher eingehen.
§. 18, So hat uns eine Wanderung durch die älteren
deutschen Rechtsquellen, die nichts weniger als erschöpfend
*'-*3) Grimm, W. III. 189: nach gehaltenem gerichte die männer
mit ihren hausfrauen aldahe im Northoife znsahmen rücken und in fröh-
licher gesellschaft eine, mahlzeit halten.
^^*) Grimm, W. II. 466: wer sich übergiebt oder die Treppe her-
unterfällt, bezahlt Alles; denn sie suUen drynken und essen myt ver-
noifft. 693. 697 (der Grundherr selbst soll sich hinstellen u. aufpassen,
ob einer fällt, sich übergiebt u. s. w.) IV. 770 §. 4: wer „sich unfletig
im drunck hielte,'* bezahlt Alles. — Bei den Handwerkern darf man
nicht mehr Bier oder Wein straflos verschütten, als man mit Hand oder
Fuss bedecken kann.
»95) W. V. Schwarzenheindorf b. Grimm IV. 770 §.3; deshalb gilt
er noch immer nach §. 4 als „zuchtlich ... im drunck."
'^^) Jahrspruch im Uffried b. Grimm I. 759.
*^^) Man denke nur an die Gebräuche bei der Aufnahme in die
Hansen, wovon noch „hänseln*'; an die Fuchstaufe und den Pennalis-
mus auf den Universitäten; an das Herbergsrecht und die Feierlichkei-
ten der Gesellenbruderschaften u. s. w. Vgl. auch Maurer, Städtev.
II. 281. 311 f. 438 f.
56
sein will, eine Fülle von Erscheinungen gezeigt, bei welchen
volksthümlicher Humor im Rechte lebt und wirkt. Ehe ich
aber abschliesse, will ich noch einige heranstreifende Er-
scheinungen erwähnen, die theils durch den Gegensatz das
Wesen des Humors im Hechte klarer machen, theils durch
die Lebhaftigkeit andersgearteter Berührungen von Humor und
Recht ergänzend und bestätigend hinzutreten.
Zunächst ist, wie ich schon oben bemerkt habe, -das
ganz sagenhafte Recht, welchem nicht wie dem halb
sagenhaften Recht etwas darin Verhülltes, sondern überhaupt
Nichts im Leben entspricht, nicht mehr zum wirklichen Recht
zu rechnen. Wohl aber zeigt sich auch bei solchem Sagen-
recht der Volkshumor wirksam, indem er theils bei seiner
Ausschmückung thätig ist, theils neben dem Gefallen am
Wunderbaren und Mährchenhaften den Grund der Darstellung
des Veralteten als geltender Satzung bildet. Hierher gehört
z. B. die in unbestimmbare Vorzeit und scheinbar schon in
das gemeinsame arische Zeitalter hinaufreichende Tradition,
dass der zur Erzeugung eines echten Erben unfähige Ehemann
sich einen Stellvertreter zu diesem Behufe wählen kann-^®).
Diese Tradition tragen noch späte westfälische Weisthümer
als geltendes Recht in bäurischer Einkleidung und mit Hinzu-
ftigung seltsamer Nebenumstände vor. Darnach soll der Ehe-
mann, der ein eheliches Weib hat und ihr nicht zu ihrem
fraulichen Recht verhelfen kann, sie seinem Nachbarn bringen ;
kann dieser ihr nicht helfen, so soll er sie sacht und sanft
und ohne ihr wehe zu thun aufnehmen, sie auf dem Rücken
über neun Erbzäune tragen und sie sanft und sacht und ohne
ihr wehe zu thun niedersetzen; dann soll er sie fünf Stunden
dort halten und „Wapen!" rufen, dass ihm die ^Dorfgenossen
zu Hülfe kommen; und kann man ihr auch so nicht helfen,
so soll er sie wieder sacht und sanft und ohne ihr wehe zu
thun aufnehmen und niedersetzen, ihr ein neues Kleid und
einen Beutel mit Zehrgeld geben und sie auf einen Jahrmarkt
senden; und kann man ihr alsdann noch nicht helfen, so hei-
198) Grimm, R. A. 443-445. Maurer, Dorfv. I. 338-339.
57
fen ihr tausend Teufel !^^^) — In dieselbe Kategorie gehört
Manches in den Bestimmungen der Weisthümer über den Auf-
zug, in welchem der Herr oder sein Vertreter zur Landbesitz-
nahme, zum Gericht oder zur Jagd einreiten soll; zwar nicht
dass er mit dritthalb Mann und dritthalb Rossen auf schnee-
weissem Pferd mit weissem Stab und weissem Hunde kommen,
bestimmtes Kostüm und Geräth tragen, ein Feuer ohne Bauch,
ein krachendes Bett und einen weissen Becher finden, genau
beschriebenes Futter für seine Thiere erhalten soll: wohl aber
z. B., dass er ein einäugiges Pferd, einen einäugigen Büttel
und einen einäugigen Hund bei sich führen und dass er höl-
zernes Sattelzeug, hagedorne Sporen und einen Zaum von
Lindenbast haben soll^°°). — Ebenso gehört es hierher, wenn
der Hirt beim Zielvieh einäugig sein und eine grüne und eine
gelbe Hose nebst einem Rock mit drei Schössen, einem gelben.
199) So das Bochumer Landr. §. 52 b. Grimm, W. III. 70 Note
Aehülich das W. v. Hattnegge ib. 48 §. 77 u. R. A. 444; der Schluss
lautet hier : und of sine naebur dat niet doen weiden oder künden, so
sali hie sie senden up die neiste kermisse daerbi gelegen, und dat sie
sik süverlik toe make u. verzere, und hangen ör einen buidel wail mit
golde bestickt up die side, dat sie seift wat gewerven künde; kumpt
sie dannoch wieder ungeholpen, so help ör dar der duifel. Das Benker
Heiderecht §. 27 ib. lU. 42 erwähnt nur das Tragen über sieben Erb-
zäune; fügt aber hinzu, der Mann solle die Frau hinterher wieder auf-
nehmen, nach Hause tragen, sacht niederlegen und ihr ein gebraten
Huhn und eine Kanne Wein vorsetzen. Das Recht der sieben freien
Hagen ib. IH. 311 §. 32 schreibt nur ein Tragen über einen neunahri-
gen Zaun vor. — Nicht viel ernsthafter sind wohl die Bestimmungen
desselben Hagenrechts in §. 30 u. 31 darüber zu nehmen, wie sich ein
Fuhrmann und ein Schweinehirt verhalten sollen, die auf dem Felde
einen Ehemann treffen, der mit seiner Frau der Liebe pflegen will. Der
Fuhrmann soll stillhalten oder so weit, als man ein weisses Pferd ab-
sehen kann, hinten herumfahren; der Schweinehirt aber soll so weit,
als ein Reiter in vollem Trab eine halbe Stunde reiten könnte, hinten
herumtreiben und, wenn ihm ein Schwein entläuft, sich nicht darnach
umsehen.
200) Grimm, R. A. 254—262. Maurer, Fronh. HI. 436-440.
Grimm, W. I. 465. 502. 11. 376. 581. 730. 775. III. 426. 548. IV.
773 §. 1. 3 (v. J. 1260).
58
jthen und einem grUnen, tragen soll™*); oder wenn
rmUller einen Hahn haben suU, der einäugig ist^).
schieden vom sagenhaften Recht sind die Rechts
d. h. sagenhafte Erzählungen oder Mährehen über
itehung irgend eines Bechtsinstituts oder eines Rechts-
isses. An Hervorbringungen solcher Art war die alte
sserst fruchtbar, und es kann dabei nicht Wunder
dass, wie überhaupt in den dentschen Volksmährcben,
■sondere anch in den Rechtsniährchen der Volkshnmor
laglich ergeht. Ich verweise hier des Beispiels halber
die von Grimm gesammelten Mäbrchen über den
;en Erwerb von Grundbesitz durch Umgehen oder Urn-
en Land: es wird so viel Grundbesitz versprochen,
rend des Mittagsscblafes oder des Bades des Königs
;n oder umpflügt werden kann; aber es ist oft ein
1 neuntägiges Füllen, ein blindes Pferd, ein Krüppel,
:heleibter, die dies bewirken sollen; da helfen dann
seltsame Umstände oder fördernde Listen aller Art,
; wird verkleinert im Schoss getragen, die umspannen-
irhäute werden in schmale Htreifen geschnitten u. s. w.;
■; sehr ausgezackte Grenze wird dadurch erklärt, dass
18 sie bestimmt hat*"').
wenigsten darf man mit dem Humor im Recht das
im Humor verwechseln. Zu allen Zeiten, wie dies
Ute sehr gewöhnhch ist, war es eine gebräuchliche
von Volks- und Gesellsehaftsbclustigungen, mit dem
ind seinen Satzungen zu spielen, Verfassungs- und
'rhältnisse ins Komische zu übertragen, die Formen
ihtshandlungen und zwar mit besonderer Vorliebe die
des gerichtlichen Vertahrens zu travestiren. Doch
rUher solche Rechtskarrikaturen öffentlicher, stehender,
>rimm, W. It. 619.
Jrimm, W, III. 635. Vgl. U. 618; ein heogatpferdt mit drei
QsstMi und zwei gläsBcren äugen.
Grimm, R. A. 86-91. Grimm, W. lU. 851. — Vgl. mich
asagen im Sachsensp. I. a. 3 §. 1 vgl. mit §. 2; 17 §. 2 mit
e; 11. 63 g. I; III. 42 §. 3. 44; dio des Seh Wabenspiegel (W)
<er die Juden u. b. w.
59
fester organisirt als heute; ja sie wurden nicht selten vom
Recht selbst, gleich als erfreute sich dieses seines komischen
Widerspiels, begünstigt und anerkannt. Man denke nur an
die zahlreichen Gecken- und Narrengesellschaften, die scherz-
haften Orden und Kapitel des Mittelalters; an das bairische
Haberfeldtreiben; an die Wahlen und das hohe Recht der
Hamburger Brauknechte im Högehause während der Höge-
zeit^^O; besonders aber an die von Osenbrüggen zusammen-
gestellten schweizer Gebräuche ^^0> welche wegen der dortigen
freien Verfassung sich länger als ähnliche Gebräuche in
andern deutschen Landschaften erhalten konnten, wie der in
Appenzell am Tage nach der Landsgemeinde im Freien ge-
haltene, den Landrath parodirende Narrenrath; wie der in
Zug bis 1798 bestehende, sich selbst ergänzende „gross-
mächtige Rath," welcher mit den Formen einer munteren Ge-
nossenschaft und humoristischen Gerichtssitzungen ernsthafte
sittenrichterliche Funktionen verband; wie das Saugericht der
Knabenzunft in Rapperswil, von dessen sittengerichtlichen Er-
kenntnissen sogar an den kleinen Rath appellirt werden konnte;
wie der „äussere Stand" oder Aflfenrath in Bern, der gleich-
falls bei aller humoristischen Form nicht ohne ernstere Be-
deutung war; wie die über die Sitten von Knaben und Mäd-
chen wachende Bündener Knabenschaft mit dem förmlich
organisirten Knabengericht, und manches Andere ^^^). Dies
Alles reichte in der einen oder andern Beziehung in das wirk-
liche Recht hinüber. Ja manchmal, wie bei dem berühmten
Kohlenberger Gericht in Basel ^^0» lässt es sich kaum be-
20^) Maurer, Städtev. II. 380 f. 438-442 nach Schlüter, von
denen Erben in Hamburg S. 341—368. Ernstes und Lustiges sind hier
untrennbar vermischt.
205) Osenbrüggen, Studien 407—412.
206) z. B. die humoristische Bestellung eines Spotfcammanns in Lu-
zern, Osenbrüggen 409; die Feier des Hirsmontags im Entlebuch ib.
411—412.
207) Rechtsquellen von Basel Stadt u. Land Nr. 154. 160. 287.
Grimm, W. I. 818—820. Ochs, Basel V. 69-80. Osenbrüggen
391—407. Maurer, Städtev, H. 472. Als ein Gericht über alle fah-
renden Leute war dieses Gericht durchau?^ eine ernsthafte Einrichtung;
aber der ernste Hintergrund wurde durch sonderbare humoristische
Formen zuletzt fast ganz verdeckt. ^
60
stimmen, ob und wie weit humoristisch gefärbtes wirkliches
Recht, ob und wie weit umgekehrt nur humoristisches Kechts-
spiel waltet. Wie tiberall so waren auch hier bei der Leben-
digkeit des alten Volkslebens und seiner in unübersehbarer
Fülle schöpferischen Gestaltungskraft die Grenzen der für
uns begrifflich wie thatsächlich scharf geschiedenen Ge-
biete flüssig.
Endlich ist es natürlich ein vom Humor im Recht völlig
verschiedener Fall, wenn, wie ja noch heute täglich, das
Recht Anlass zu einer selbständigen Aeusserung des Hu-
mors, einem guten oder schlechten Witz u. s. w., giebt. Auch
dergleichen findet sich schon in den alten Weisthümern und
ist hier in naiver Weise mit aufgezeichnet worden^®). Also
etwa als wenn heute der Witz eines Kammerredners in ein
Gesetz, oder der eines Anwalts in die Processakten aufge-
nommen würde. —
§• 19. Die Erscheinung des Humors im Recht ver-
schwand allmälig, seitdem das Recht sich vom Volksleben
ablöste und in den Alleinbesitz gelehrter Juristen, gelehrter
Gerichte, gelehrter Beamten überging. Sie verschwand, wie
überhaupt alles Poetische, alles Sinnliche und Individuelle,
alles Jugendliche aus dem Recht verschwand. Die neue
Richtung war derartigen Dingen nicht etwa blos innerlich
entgegen, sie zerstörte sie absichtlich und behandelte sie in
jeder Beziehung feindlich. Am zähesten hielt das Landvolk
20«) So motivirt das Weisth, v. Alken b. Grimm III. 813 die Be-
stimmungen über das Vorreden eines der beiden Richter, des Kölnischen
Bürgermeisters oder des Trierschen Vogts, am Schlüsse damit: dann
es müste einer vorreden u. könnten nit zween sammen reden, mögten
wohl sammen singen. Also die Gerichtshegung müsste dann als
Duett gesungen werden. Man vgl. auch die humoristischen Wendungen
in der Ansprache bei Eröffnung des Gerichts der sieben freien Hagen
ib. 307. Oder die Bemerkung des Schreibers im W. v. Limburg ib. I.
828, wonach die zwei Fürsten nebst Grafen, Herrn, Ritteru und Knech-
ten, als ein Schöffe auf die Suggestivfrage, was er über eine Gewalt-
that gegen die Herren dächte, vorsichtig antwortete : „wir, die Schöffen
von Limburg, wir weisen nocjj sprechen kein Urtheil auf Gedenken*', —
verwundert aufstanden und einander ansahen, als ob sie sollten spra-
chen: „Der Haas ist uns entgangen, den wir wollten han gefangen."
61
au der alten Denkweise fest. Aber mehr und mehr wurde
ihm die Autonomie verkümmert; die Weisthtimer wurden fixirt
und jährlich verlesen, statt aus der Gemeinde heraus lebendig
weiter zu wachsen ; oft wurde so dem Volk sein eigenes Recht
entfremdet, ja sogar unverständlich ^^^); und endlich änderte
man von oben her oder verordnete geradezu. Dabei sah man
es dann als sehr wesentlich an, dasjenige «auszumerzen, was
man für thöi:ichte Possen und kindisches Zeug hielt. So
heisst es in der Ehafte von Trostberg, sie sei geändert wor-
den, denn man habe bisher „bisweilen darunter solch lächer-
lich und abenteuerlich Schimpfpossen mitlaufen lassen dürfen,
dass nun die ehaftsrechten ganz verächtlich, ja schier für
chinderwerch wollen angehört worden sein"^*^). Und ebenso
opponirte in der Carber Mark i. J. 1658 die Obrigkeit „viel
ungereimten Sachen,** welche die Märkermeister unter dem
Vorwande, sie seien vgn Alters so hergekommen, prononirten^").
Auch verwirft schon die Glosse zum Sachsenspiegel das,
was sie vom Wergeid des Hundes berichtet, mit den Worten :
„du solt aber wissen, dasz das narretheidinge sint." Und
im 17. und 18, Jahrhundert wurden namentlich die Hand-
werkerordnungen, voran der Reichsschluss von 1731, nicht
müde, gegen die „läppischen Ceremonien und Komplimente,"
die „theils abgeschmackten, theils unehrbaren Gebräuche und
Possen," die „unnützen Grillen und Schmausereien" der Zünfte
und Gesellenverbände zu eifern ^^^).
Die an die Stelle des volksthümlichen Rechtes tretenden
209) So erregte im 18. Jahrb. bei Verlesung des Weisth. zu Eichen
die nicht mehr verstandene Stelle, „ist aber der (zum Besthaupt be-
stimmten Dinge) keins fürhanden, so weisens die hofgenossen uf die
bockshaut'S nach Mittheilung von Ohrenzeugen allezeit Heiterkeit,
Grimm V. 257 §.9 u. Note 1. — Man vgl auch den Unsinn, der ib.
I. 796—797 schon im J. 1594 über das Hungericht berichtet wird, wo-
bei z. B. die Nachricht, der „hun** müsse bei der Hinrichtung eines
armen Sünders von einer Hecke her dreimal wie ein Hund bellen, le-
diglich auf willkürlicher Deutung jenes unverstandenen, nicht seltenen
Richtemamens beruht.
210) Grimm, W. HI. '666.
21») Grimm, R. A. XL Note ***.
212) Meine R. G. der Genoss. S 943 Note 108.
62
Gesetze und Ordnungen sind sogleich bis ins Uebertriebene
abstrakt; pedantisch, trocken. Wie irgend Poetisches, so
würde man auch Humor vergebens in ihnen suchen: höchstens
unwillkürlich erscheinen sie uns lächerlich mit ihrer klein-
liehen Bevormundungssucht, ihren Hochzeits-, Leichen und
Kleiderordnungen, ihrem Eifer gegen den Müssiggang. Alles
was von Poesie uriQ insbesondere von Humor im Recht blieb,
flüchtete sich in die engen Kreise des halb im Verborgenen
fortlebenden Volksrechts, in das ungeschriebene Bauemrecht,
das Handwerkerrecht und ähnliche Gebiete. Aber bei ihrer
Abdrängung vom öflFentlichen Rechtsleben versiegte auch diesen
Kreisen allmälig die schöpferische Kraft; vieles Poetische
wurde zu leerem Schnörkelwerk, vieles Altehrwürdige zu er-
starrtem Zopf, vieles Sinnbildliche zur äusserlichen Formel,
vieles Humoristische zu wüstem oder pedantischem Spass"^).
Anderes und immer Mehreres, was Anfangs mit dem Recht
in lebendigem Zusammenhang gestanden hatte oder selbst
Recht gewesen war, wurde in das Gebiet der blossen Sitte
oder doch nahe an die Grenze verwiesen. Vielfach auch
wandte sich der Volkshumor, da er für das Recht nicht
mehr wirken konnte, geradezu gegen das neue unvolks-
thümliche Recht, wie so manche jüngeren Sprüchwörter be-
weisen^"). Und immer tiefer und tiefer drang von oben her
das Gesetzesrecht ein und zog auch den kümmerlichen Resten
des alten Volksrechts immer engere und engere Schranken.
§. 20. So findet sich denn in unserm heutigen Recht
kaum noch hier und da ein letzter Schatten aller jener eigen-
thümlich jugendlichen Züge unseres alten Rechts; der zur All-
macht in Gesetzgebung, Rechtspflege und Verwaltung empor-
gestiegene Juristenstand hat sie ihm abgestreift, wie er selbst
dem fremden Recht das Wenige abgestreift hat, was es davon
2»3) Meine R. G. der Genoss. S. 867. 921.
**^) So z. B.: „das Recht hat eine wächserne Nase" b. Graf und
Diethcrr 441 f. Nr. 421; „ein Schultheiss und ein Strohwisch sind
.bald gemacht," ib. 516 Nr. 224; „die Aemter sind Gottes und die Amt-
leute des Teufels," ib. Nr. 227; Amt giebt Verstand; Gewalt geht vor
Recht; kleine Diebe hängt man, grosse lässt man laufen; was nicht
nimmt Christus, das nimmt Fiskus, ib. 544 Nr. 71 u. s. w.
63
trotz seiner Umformung durch das Greisenalter der Römer-
welt bei seiner Hertibemahme noch an sich hatte. Ganz und
durchaus herrscht in unserm heutigen Recht der nüchterne
und trockene Ernst; kaum ein oder das andere Sinnbild noch
belebt die farblosen Geschäftsformen; eintönige, abstrakte
Regeln nach der Art mathematischer Formeln füllen unsere
Gesetzbücher; nichts ist dem Persönlichen, Individuellen, Un-
bestimmbaren oflfen gelassen; mit unbeugsamer Strenge voll-
zieht sich in unabänderlicher Gleichmässigkeit überall und bei
Allen das Recht. Wer kennt nicht die tiefempfundene Klage
Jakob Grimmas um das Verlorene ^^^)? Eine Klage, die inso-
weit, als sie sich gegen das ewige Gesetz menschlicher Ent-
wickelung richtet, nur als Ausdruck lyrischer Stimmung be-
rechtigt ist, wie die Klage Schiller's um die Götter Griechen-
lands, wie die Sehnsucht der Romantiker nach dem, was sie
doch nimmer würden zurückhaben wollen, wenn es ihnen mit
dem davon unzertrennlichen unvollkommeneren Kulturzustande
geboten würde, oder wie die Klage des einzelnen Mannes um
die entschwundene Jugendzeit. Eine Klage jedoch, die inso-
fern eine gewisse objektive Berechtigung hat, als sie sich
gegen die schwere und langwierige Krankheit unseres Rechts-
lebens, den klaffenden Zwiespalt zwischen Volk und Recht,
wendet. Denn wohl ist Reife vereinbar mit der Erhaltung
jugendlicher Fülle und Kraft! Und so würde auch unser
Recht, wäre es volksthümlich geblieben, sinnlicher, lebendiger,
individueller, ja auch noch poetischer gestaltet sein, ohne
darum unserer Alters- und Kulturepoche weniger zu ent-
sprechen^^®); gleichwie andererseits die entgegengesetzte Be-
schaffenheit unseres Rechts entschieden dessen Zurückverle-
gung in das Volk erschwert. Aber die Geschichte lässt sich
nicht modeln. Und was von solchen Dingen einmal verloren
ist, das ist unwiederbringlich verloren ^*^). Die Heilmittel
2^^) Grimm, R. A. XV— XVI in der Note und sonst.
2*ß) Dies beweist das öffentliche und private Recht derjenigen ger-
manischen Länder, welche sich freier vom römischen Recht als wir er-
halten haben und bei denen die Kontinuität der Entwicklung nicht
unterbrochen ist (England, die Schweiz, Skandinavien).
2'^) Es zurückbringen wollen, wäre dasselbe, als wenn man etwa
64
gegen die Krankheit, welche uns um so Manches in unserm
Recht gebracht hat, sind anderer, vorwärts weisender Art.
Und sie sind nicht mehr unversucht. Sie liegen in der mehr
und mehr sich Bahn brechenden Wiederbetheiligung des Volks
an Gesetzgebung, Rechtspflege und Rechtsleben in weiteren
und engeren Kreisen; sie liegen andererseits in der Vertiefung
des gelehrten Rechts durch das Hinabsteigen zu den im Volks-
bewusstsein unzerstörbar lebenden, wenn auch oft schwer und
lange schlummernden nationalen Rechtsgedanken.
unserer Sprache die reicheren und volleren Beugungen zurückbringen
wollte. Gewiss wäre es gut, wir hätten sie noch statt der eintönigen
und unterschiedlosen stummen Endsilben u. s. w.; gewiss würde darum
unsere Sprache nicht weniger brauchbar zum Ausdruck des abstrakten
Gedankens sein, als sie es ist und als es die griechische trotz beibe-
haltener Formenfülle war. Aber mit der Jugend des Volks geht eben
die unbewusst schaffende Sprachkraft verloren und keine Kunst vermag
dergleichen neu zu erzeugen. — Man braucht dies Gleichniss der
Sprache nur weiter ausgeführt zu denken, um das sonst im Text An-
gedeutete richtig zu verstehen.
l. T /■.
Verlag der Weidmann sehen Bachhandlang
(J. Reimer) in Berlin.
Druck Ton Trovi tisch und Sohn in Berlin.