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Full text of "Der Humor im Deutschen recht: 2te Aufl."

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HARVARD LAW LIBRARY 



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Der ^Humor 



im deutschen Recht 



von 



f. ^ 

0. jierke, 

a. 0. Professor an der Berliner Universitöt 



Berlin. 

Weidmannscbe Buchhandlung. 

1871. 






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0^.(sicJb.^,i^xiS 



BK2004 



Dem 



Altmeister deutscher ßechtswissenschaft 



Karl Gustav Homeyer 



widmet 



ZU seinem ffinfzigjährigen Doktor-Jubiläum 



am 28. Juli 1871 



an Daxbringung ernsterer wissenschaftlicher Arbeit durch 
lange kriegerische Unterbrechung friedlicher Thätigkeit 
gehindert, und doch schönem Brauch entgegen mit leeren 
Händen zu erscheinen gerade diesmal am wenigsten ge- 
sonnen, die folgenden anspruchslosen Blätter 

verehrungsvoll 



der Verfasser. 



§• 1. Jakob Grimm schrieb vor langer Zeit über die 
Poesie im Recht/) So mag es auch vergönnt sein, ttber 
eine einzelne dahin gehörige Erscheinung heute etwas zu sagen : 
über den Humor im deutschen Recht. Doch scheint es 
gerathen, hierfür etwas weiter auszuholen, da der schon gegen 
Grimm erhobene Widerspruch^) die Vermuthung nahe legt, es 
werde auch hier Manchem Sache und Wort als unrichtig, 
Mehreren noch die Zusammenstellung dessen, was ihnen zu- 
fälliges und unwesentliches Beiwerk dünkt, als unnütze Spielerei 
erscheinen. 

In unserm heutigen Recht sind nicht nur fast alle Spuren 
einstiger Verbindung von Recht und Poesie getilgt: unsere 
ganze Rechtsauflfassung vielmehr steht jedem Gedanken daran 
so fem, dass wir auch im alten Recht nur eine äussere 
Berührung, nicht ein inneres Ineinandergreifen beider anzu- 
nehmen geneigt sind. Aber wir dürfen das Recht einer an- 
dern Zeit nicht mit unserem Bewusstsein messen ; wir müssen, 
wollen wir anders sein Werden verstehen, in die Anschauungs- 
weise der Zeit zurückkehren. ^ Und da zeigt es sich, dass, ob 
auch im letzten Grunde das Recht überall als Recht derselbe 
Begriflf ist, doch mit seinem Wesen und seiner Gestalt auch 



^) J. Grimm, von der Poesie im Recht. lo Savigny's Zeitschrift 
für geschichtliche Rechtswissenschaft. Bd. II. (1816) S. 25-99. 

2) Z. B. von Reyscher, über die Symbolik des germanischen 
Rechts. Tübingen 1833. S. 2. Er meint, es seien „Recht und Poesie, 
jenes als auf negativ Sittliches, diese als auf positiv Sittliches sich be- 
ziehend, auf immer von einander geschieden.'^ Poetisches sei höchstens 
am Recht, nicht im Recht zu suchen. 

1 



_ 2 

die Rechtsidee genügend sich wandelt, um dieselbe Sache hier 
mit ihr vereinbar und dort mit ihr im Widerspruch erscheinen 
zu machen. 

§• 2. In der That kann es nicht auflFallen, wenn das 
Recht, das eine Funktion des Volkslebens ist, sich auf den 
verschiedenen Lebensstufen des Volkes ebenso verschieden 
gestaltet wie der Volksgeist selbst. Den Wandlungen des 
Rechtes aber laufen hierbei Wandlungen der übrigen Funktio- 
nen des Volkslebens parallel, Wandlungen der Sprache und 
der Poesie, des Glaubens und der Sitte, der Wirthschaft und 
des Staats'). Am schärfsten treten hier die Unterschiede 
hervor, wenn wir Jugend und reifes Alter des Volkes gegen- 
einanderstellen, — um so schärfer, je entfernter von einander 
wir die verglichenen Zeitabschnitte greifen. 

Vor Allem zunächst wird die Epoche der Jugend durch 
die unmittelbare und ungetheilte Volksschöpfung 
und Volksthätigkeit auf allen Gebieten bezeichnet. Das 
alte Recht ist das gleichmässige Besitzthum des noch unge- 
spaltenen Volkes: es strömt aus seiner Seele wie der Volks- 
gesang; es lebt in ihm allgegenwärtig wie der Volksglaube; 
es wird von ihm stetig überliefert und unaufhörlich angewandt 
wie die Volkssitte; es wird und wächst durch die fast noch 
nach Art einer Naturkraft zeugende Volkskraft wie der kunst- 
volle Bau der Sprache. Anders bei reifen Völkern. Sie 
gewinnen in einzelnen Klassen und Ständen besondere Organe 
für die einzelnen Seiten ihres geistigen Lebens. Ein eigner 
rechtskundiger Stand nimmt dem Volke die feinere Durchbil- 
dung und schärfere Ausprägung des Rechts bewusstseins, die 
Fassung uud Gestaltung der Satzungen, die logische Anwen- 
dung der Norm auf das Leben ab. Auch er wird freilich nur 
bei krankhaften Zuständen, wie leider so lange bei uns, das 
Volk ganz abdrängen von seinem Recht, während bei gesun- 
der Entwicklung das Volksrechtsbewusstsein die breite Basis 
aller Rechtsideen, volksthümliche Mitwirkung aber bei der 



3) In Bezug auf das Verhältniss des Rechts zu den übrigen Fun- 
ktionen des Volkslebens vgl. Arnold, Kultur- und Rechtsleben. Ber- 
lin 1865. 



Recht serzeugung wie im Gericht erhalten bleibt^ Immer in- 
dess ist die alte Unmittelbarkeit des Volksrechts zerstört und 
der zwischen dem Volk und dem Recht vermittelnde Stand 
prägt dem letzteren den Stempel eines neuen Wesens auf. 
Ganz Aehnliches zeigt sich bei Sprache und Dichtung, bei Glau- 
ben und Sitte; es zeigt sich auch auf dem Gebiete des staat- 
lichen Handelns und des wirthschaftlichen Lehens, in welchem 
letzteren die steigende Arbeitstheilung an die Stelle der alten 
Naturalwirthschaft die wirth schaftliche Gliederung und Orga- 
nisation und die bewussten Tendenzen setzt. 

Das jugendliche Volk prägt ferner der Bewegung wie 
ihren Resultaten auf allen diesen Gebieten die eigenthüm- 
liehen Merkmale einer jugendlichen Seele auf. So 
auch seinem Recht. Noch ist das unbewusste oder halb be- 
wusste SchaflFen mächtiger als die bewusste und überlegte 
That. Noch wird und wächst, was die spätere Zeit macht 
und bessert. Noch umgiebt die durch das Herkommen gehei- 
ligte Ordnung der Schein des Wunderbaren und Göttlichen, 
woran der Einzelwille sich nicht wagt. Noch kleidet sich 
alles Geistige in eine Jeibliche Hülle und selbst das schlecht- 
hin Unsinnliche wird durch das Sinnbild mit der Sinnenwelt 
verknüpft. Mit unermüdlicher und unerschöpflicher, von spä- 
teren Geschlechtern kaum noch verstandener Gestaltungskraft 
weiss das Volk sich jeden Gedanken durch leibliche Vorstel- 
lung, Bild oder Sinnbild zu nähern. Ueberall und bis ins 
Einzelne ist die Satzung lebendig und konkret, nirgend sucht 
sie die Verallgemeinerung um ihrer selbst willen auf. Dass 
solche Züge dem alten Recht mit den andern Lebensfunktio- 
nen jugendlicher Völker gemein sind, lässt sich leicht durch- 
führen. In allen diesen Beziehungen nun aber tritt eine völ- 
lige Wandlung ein, wenn der Volksgeist, darin genau dem 
Geist des EinzeJmenschen analog, heranreift. Mehr und mehr 
übernimmt das abstrakte Denken die Führerschaft der geisti- 
gen Kräfte; bewusster Wille, überlegtes SchaflFen gewinnen 
breiteren und breiteren Raum; über der Welt der Vorstellun- 
gen erhebt sich die Welt der reinen BegriflFe; das Geistige 



4) Vgl. Beseler, Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig 1843. 



ringt sich vom Leiblichen los; die farbigen Bilder verblassen; 
das konkrete Leben des Einzelnen verflüchtigt sich in For- 
meln und Regeln. Abstrakt, ja abstrakt oft bis an die Grenze 
dee Todten, werden Recht und Sprache, Glaube und Sitte, 
wird selbst der Staat. 

Im Zusammenhang mit allem Gesagten steht es nun end- 
lich auch, dass die verschiedenen Lebensfunktionen 
jugendlicher Völker durch keine scharfe Scheide- 
wand getrennt werden. Noch liegen sie ungesondert neigen 
einander in derselben Volksseele. Noch ist es auch äusserlich 
dieselbe Versammlung, auf welcher die Gottheit verehrt und 
das Recht gewiesen, der Acker verloost und ein Kriegszug 
beschlossen, die gesellige Sitte gepflegt und des Sängers Lied 
gehört wird, ünabgeschlossen noch und offnen für fremdes 
Hineinwirken ist jedes Gebiet. So greift denn in lebendigster 
Weise jede Funktion in die andere hinüber, ist zugleich im 
andern Gebiet heimisch, gestaltet in ihm auf das Unmittel- 
barste mit. Es steckt in der That Poesie im alten Recht, 
wie sie im alten Glauben, in der alten Sprache, in der alten 
Sitte steckt. Denn zahlreiche Satzungen würden nach Form 
und Inhalt nicht so, sondern anders lauten, wenn nicht die 
dichterische Kraft der Volksseele sie unmittelbar hätte schafien 
helfen. Ebenso ist beispielsweise auch Brauch und Sitte noch 
im Recht, ja sie trennt kaum eine feste Grenze. . Nicht anders 
ist die sittliche üeberzeugung im Recht nicht blos als fernes 
Motiv, sondern als unmittelbarer Gestaltungsfaktor wirksam. 
Auch der Glaube mischt sich in das Reeht und schafll Ein- 
richtungen wie die Gottesurtheile in ihrer weiten Verzweigung. 
Und wenigstens im Kreis der Gemeinde ist auch das wirth- 
schaftliche Leben in das Mark-, Hof- oder Dorfrecht in leben- 
digster Unmittelbarkeit hineingeflochten. — Später wird dies 
Alles anders. Die Gegensätze treten schärfer und zahlreicher 
hervor. Das Systematische entwickelt sich. Das einst Ver- 
bundene wird getrennt, scheint überhaupt jetzt unvereinbar. 
Innerlich und äusserlich sondern sich die grossen Zweige des 
Volkslebens, um fort und* fort in sich selbst sich weiter abzu- 
theilen, Gegensatz auf Gegensatz zu erzeugen, reicher und 
reicher sich zu gliedern. Niemals freilich hört jene ewig rege 



Wechselwirkung auf, welche die verschiedenen Funktionen 
des Volksorganismus von einander abhängig macht. Aber 
der Unterschied gegen die alte Zeit liegt darin, dass jede 
Funktion sich gegen die andern als selbständiger Organismus 
abschliesst, ihr nächstes Lebensgesetz allein in sich selbst 
trägt, nur aus sich selbst wächst und immer erst mittelbar 
die anderen Funktionen auf sicli wirken lässt. So bleiben 
z. B. für das Recht Sitte und Sittlichkeit innerster Kern, die 
wirthschaftlichen Verhältnisse zwingende äussere Basis: aber 
das Recht wird ihnen gegenüber selbständig, erhält die Kraft, 
ihnen auch einmal zu widersprechen, und gestaltet sich nur 
durch sich selbst weiter, — freilich oft, weil die Sitte, die 
sittlichen Anschauungen oder die wirthschaftlichen Zustände 
gewandelt sind, aber nicht schon unmittelbar durch diese 
Wandlung und gewissermassen erst nach einer Uebersetzung 
des Fremdartigen in Recht. Inniger noch bleiben Recht und 
Staat verbunden: vollendet aber sind auch sie erst, wenn sie 
gegeneinander geschlossen sind. Und ähnlich ist es überall. 
Man kann daher nun in der That nicht mehr von dem Vor- 
handensein einer Funktion in der andern sprechen. 

§. 3« Diese typischen Unterschiede der Lebensstufen 
linden sich bei allen Völkern wieder. Im Einzelnen aber ge- 
stalten aie sich wiederum bei den verschiedenen Völkern 
ebenso ungleich, wie die Volksgeister selbst einander un- 
gleich sind. 

Ungleich schon ist Gang, Zeitdauer und Inhalt der 
Entwicklung. So springt es beispielsweise in die Augen, 
dass die Entwicklung bei den Kulturvölkern des Alterthums 
schneller, einfacher, glänzender verlief, als bei den germani- 
schen und durch das Germanenthum verjüngten Völkern. 
Uebergänge, die wir bei Römern und Griechen kaum bemer- 
ken, füllten bei uns nahezu ein Jahrtausend aus. Langsam, 
schwerfällig, ungleichmässig war bei uns der Fortschritt zu 
festerer Organisation, zum abstrakten Denken, zum System, 
zur Erkenntniss und Trennung der Gegensätze. Ungleich 
länger erhielten sich bei uns die Unvollkommenheiten der äl- 
teren Lebensstufen. Unklar und flüssig blieben viele Begriffe. 
Aber es galt auch, eine von vornherein tiefer, vielseitiger und 



inhaltreicher angelegte Kulur zu entfalten, eine höhere Blüthe 
am Baum der Menschheit zu zeitigen. 

Grösser noch ist die Ungleichheit^ wenn wir im Einzelneu 
die Wirksamkeit der verschiedenen Lebensfunktionen und 
ihre gegenseitigen Beziehungen zu einander bei den 
einzelnen Völkern vergleichen. Hier ist die eine, dort die 
andere Funktion herrschend oder abhängig, reich oder arm, 
frtlh oder spät vollendet, tiberwuchernd oder verkümmert. 
Und in dem positiven Ausbau eines jeden Gebiets spiegelt 
sich so klar die Volksseele wieder, dass durch die niemals 
fehlende Beziehung auf das Ganze auch die kleinsten Züge 
Interesse gewinnen. 

§. 4. Ein Beispiel liefert uns der ethische Faktor 
im deutschen Recht ^). Dass überhaupt Sitte und Sittli- 
ches in das Recht verwoben werden, ist dem älteren deutschen 
Recht mit andern jugendlichen Rechten gemein. Die beson- 
dere Färbung aber dieser Erscheinung ist im deutschen Recht 
so eigenthtimlich, dass sie nur aus der deutschen Volksseele 
fliessen konnte. Schon das ist bezeichnend,' dass in keinem 
andern Recht der ethische Faktor mit solcher Mächtigkeit, 
Zähigkeit und Innerlichkeit wirkt. Bezeichnender aber noch 
ist, wie sich das Tiefe, Zarte, GemüthvoUe und Gemtithliche 
deutscher Sittlichkeit und Sitte in zahlreichen Rechtssatzungen 
ausspricht. Welches andere Volk hätte es wohl vermocht, in 
die wichtigsten Rechtsinstitute den schönen sittlichen Begriff 
der Treue so kunstvoll zu verweben, wie er bei uns in das 
gesammte Lehnswesen, in die höchsten und niedersten Herr- 
schafts- und Dienstverhältnisse, in das Genossenschaftsrecht, 
in das Recht der Ehe, in das Vertragsrecht und in das Recht 
der bürgerlichen Ehre verwebt war? Welche sittliche Tiefe 
femer spricht sich im Strafrecht in der schärferen Behandlung 
der „unehrlichen" Verbrechen aus, die allein um der Heim- 
lichkeit willen dem wahrhaftigen, die lichtscheue Lüge am 
tiefsten verachtenden deutschen Geist schuldvoller als die 



5) Vgl. auch Osenbrtiggen, Studien zur deutschen und schwei- 
zerischen Rechtsgeschichte. SchaflFhausen 1868. Abh. Nr. 1: „Der 
ethische Faktor im altdeutschen Recht." S. 1—18. 



oflFene noch so rauhe Gewaltthat erschienen*)! Nicht minder 
eigenthümlich deutsch ist die Sorge des alten Rechts, den 
durch Glauben und Herkommen geheiligten Personen, Stätten 
und Geräthen erhöhten Frieden zu gewähren, dem Wehr- 
und Schutzlosen einen besonderen königlichen oder gericht- 
lichen Schutz zu verschaffen, ja dem Verbrecher selbst noch 
eine Freistätte und die Möglichkeit der Flucht zu bieten. 
Das Recht der Gäste und der Gastgerichte ^), die zarte Rück- 
sicht auf Witwen und Waisen, auf Frauen, denen ihr 
Recht vor den Männern werden soll®), schliessen sich hier an. 
Je näher der Verwandte mit dem Verwandten, der Nachbar 
mit dem Nachbarn, der Herr mit dem Mann, der Genosse mit 
dem Genossen verbunden ist, desto stärker wird die Pflicht 
hervorgehoben, einander zu helfen und sich zu unterstützen, 
Rücksichten auf des Andern Vortheil zu nehmen, „Liebe und 
Leid mit einander zu tragen", ja noch über den Tod hinaus 
die letzte Ehre einander zu erweisen und für das Seelenheil 
zu sorgen^). Für das deutsche Gemüth vielleicht noch be- 
zeichnender sind viele Bestimmungen der Hofweisthümer, 
welche genau vorschreiben, wie die schweren Lasten der zin- 
senden und frohnenden Leute durch freundliche Bewirthung 
und mancherlei kleine Gegenleistungen gemildert werden sol- 
len ^^). Allgemein heisst es in der Abtei Prüm, der Vogt solle 



6) Vgl Osenbrüggen a. a. 0. S. 10-15. 

7) Vgl. Osenbrüggen a. a. 0. S. 19—68. 

8) So richtet man zu Kilchberg nach dem W. v. 1515 b. Grimm 
I. 203 zuerst Witwen und Waisen, dann den Gästen, dann erst den 
Hausgenossen, „und allweg den frowen vor den mannen.'' 

9) Vgl. meine Rechtsgesch. der deutschen Gehoss., Berlin 1868. 
S. 21—23. 33. 72. 92. 187. 229. 238. 240. 341. 347 Note 12. 351. 387. 
494. 623—624. Vgl. auch die Bestimmung der Berner Handfeste §. 45, 
wonach der verheirathete Sohn seiner alten verwitweten Mutter am 
Herde und am Tisch den besten Platz lassen soll. Auch Grimm, 
W. I. 378 über die Pflicht des Gotteshauses, die arme Tochter eines 
Bauern mit einem Bette auszusteuern. 

10) Grimm, R. A. 394 f. Maurer, Fronh. IH. 307-309. Auch 
Grimm, Weisth. II. 412, wonach der Schultheiss bei Rückkehr der 
Pfltiger an der Hofpforte stehen soll und „unter jeglichem arm haben ein 
brodt einer daumspannen weit, u. ob einem armen mann ein radt zer- 
breche, demselbigen damit zu hülfe kommen, dass er heim kommen 



den Vogtpfennig „also gütlich heben, dass er das kindt in 
der wiegen nit weck und das hoen uf der hört nit erschreck" "). 
Nimmt der Gerichtsherr beim bäuerlichen Lehnmann Herberge, 
so soll er Schwert und Sporen vor der Thtire abthun, dass 
er die Frau nicht erschrecke ^^). Besondere Rücksicht wird 
auf Ereignisse und Feste in der Familie genommen. Weis- 
thümer aller Gegenden bestimmen, dass der Sammler der 
Zinshühner, wenn er eine Wöchnerin im Hause findet, nur 
den Kopf des Huhnes abbrechen und mitnehmen, das Huhn 
aber rückwärts ins Haus werfen solle, damit die Wöchnerin 
sich daran labe"). Bei der Geburt eines Knaben oder Mäd- 
chens werden kleine, nach dem Geschlecht verschiedene Ga- 
ben aus der Mark verabreicht") und mancherlei Befreiungen 
von der strengen Pflicht gewährt*^). Auch jungen Ehepaaren 
werden oft Hochzeitsgaben gereicht, Zins- und Dienstfreiheiten 
zugestanden*^). Altherkömmliche Geschenke , Bewirthungen 
und Vorrechte werden fllr gewisse Festtage sorgfältig ange- 



inöge^" und wonach ferner beim Heuen auf der Wiese das junge Volk 
einen Haufen Heu nehmen soll, nicht den grössten und nicht den 
kleinsten, „soll darumb dantzen, u. solcher hausten hewss soll ihr lohn 
sein/' Vgl. ib. II. 693. 697; IV. 577 §.5 und bes. auch Grimm, 
R. A. S. 388 über das Recht des hessischen Walpertsmännchen. 

") Grimm, W. IIL 835. Genau dasselbe schreiben bei Abholung 
der Rauchhühner die Weisth. v. Gondebret u. Seirich ib. II. 539 u. 546 
vor. Vgl. auch ib. 191. 

»2) W. V. Hottenbach b. Grimm II. 132. Vgl. ib. 528. 

«) Grimm, R. A. 443; Weisth. I. 129. 239. 257. 282. 351 a, 25. 
376. 535. II. 119. 129. 154. 210. 534. 544. 

1*) Grimm, W. I. 101. 107. 307. 815. IV. 334 §.7. In der Regel 
bei der Geburt eines Knaben zwei, bei der eines Mädchens ein Fuder 
Holz, z. B. ib. I. 78 §. 43. 96. 137. 141 §. 21. 374. III. 429. IV. 430 
§. 40. Der Mann soll daraus „Wein und schön Brot" för die Kind- 
betterin kaufen. 

' *6) Befreiungen des Mannes von zwei resp. einem Frohntag b. 
Grimm, W. II. 408; Erleichterungen der Frau ib. I. 800. IV. 211; 
Befreiungen vom Bannwein ib. 1. 425. II. 411. Auf die Nachricht von 
der Entbindung soll der Mann sofort vom Dienst nach Haus eilen, ib. 
III. 311 §. 33. 359. Vgl. auch ib. I. 243. 

*6) So das erste Jahr hindurch in Hachberg (vor 1341) b. Grimm 
I. 366. Vgl. ib. IL 657 Note 1. Und die Gabe von „brautholz" ib. 
III. 78. 



9_ 

ordnet"), und weder der Kinder noch des Gesindes wird da- 
bei vergessen ^^). Nicht minder bezeichnend ist die Freigiebig- 
keit, mit welcher das sonst iso genaue Recht dem wegfertigen 
Mann gestattet, drei Trauben oder andres Obst zum sofortigen 
Genuss zu brechen, Fische zu fangen, das Pferd vom Feld 
neben dem Wege zu füttern, das zerbrochene Geräth aus der 
Mark zu bessern ; mit welcher es ferner Aehnliches den schwan- 
geren Frauen und den Siechen zugesteht*®). Gemüthliche und 
liebensvrürdige Züge zugleich entwickelt das Recht, wenn es 
mit sorgfältiger Genauigkeit über die Trinkgelage und Mahl- 
zeiten, welche sich an alle wichtigeren Rechtshandlungen zu 
schliessen pflegen, über Beschaffenheit und Art der Getränke 
und Speisen, über die Tischordnung und den Anstand, ja 
über Spiel und Tanz dabei Bestimmungen triflft^^). Das Ge- 
biet solcher charakteristischen Satzungen ist unerschöpflich! 
Ich führe nur noch, zumal sie an Humor zu streifen scheint, 
eine schöne Bestimmung an, durch welche mehrere Weisthtt- 
mer einen Konflikt sittlicher Pflichten sinnlich lebendig lösen. 



") Z. B. Weihnaohtsholz b. Grimm I. 101. 823. IV. 212. 

*8) Vgl. z. B. Grimm, W, I, 441 (der Hofmann muss den Kindern 
zum Gedächtniss mutscheleibelin bereiten). II. 168. 411 (den Kindern 
ein Konigsfewr). 413 (Brod für sie). 509 f. (Recht des Gesindes, seine 
Feste, sein König). U. s. w. 

*9) L. Rotar. 301. Saohs.sp. U. 68. Grimm, R. A. 400-402. 
523. 554; Weisth. I. 183. UI. 457. 460 §. 9. 426. 631. V. 302 §. 9. 
305 §. 11 u. 12. Rechtssprftchw. : „Drei sind frei.** — Aehnliche Rechte 
haben Kranke und Sieche, z. B. Grimm, W. 1. 357. 641 §. 3. II. 85. 
539. V. 227 §."'24, und insbesondere schwangere Frauen zur Befriedi- 
gung ihres Gelüstes auf Trauben, Obst, Fische, Wildpret, Grimm, 
R. A. 408 f.; W. I. 233 §. 90. 394. 463. 641 §. 3. II. 85. 454. 817. 
III. 834. 887. IV. 430 §. 36. 528 §. 5. 621 §. 12. V. 227 §. 24. 
Kaltenbäck, oesterr. Pant. I. 508 §. 19. 

20) Vgl. Grimm, R. A. 395. 529. 869-871; meine R. G. der 
Genoss. 33, 229. 336 Note 25. 340. 347 Note 11. 386. 494. 624 und die 
dortigen Citate; Manrer, Stadtv. II. 388, 439 f. 459. ÜI. 93-103. 
Bezeichnend für die „Geselligkeit i m Recht** ist hier z. B., dass die ge- 
selligen Pflichten als Rechtspflichten erscheinen; dass von ihrer Er- 
füllung so wichtige Privatrechte abhängen, wie in Köln von der Aus- 
richtung des sogen. ,,Dienste8** das volle Gewerberecht; dass die auf 
Grund der strengen Rechtsordnung erfallenden Bussen zum Vertrinken 
bestimmt sind u. s. w. — lieber Einzelnes s. unten Note 186—197. 



10 

Kommt ein fliehender Missethätcr an den FIuss und ruft dem 
Fährmann zu: „Wardmann, fahr tiberhin", so soll dieser ihn 
überfahren. Kommt der Verfolger hinter ihm und thut den- 
selben Ruf, so soll der Fährmann, wenn er bereits vom Lande 
gestossen hat, den Ersten tiberfuhren, und dann den Zweiten. 
Hat er aber noch nicht vom Ufer gestossen, so soll er den 
Ersten vorn ins Schifl" setzen, den Verfolger hinten ins SchiiBF, 
sich aber mitten zwischen beide stellen. Und kommt er dann 
zu Lande, so soll er den Missethäter zuerst herauslassen, 
darauf den Kahn wenden und den Verfolger ans Land setzen. 
Damit frevelt er nicht"). 

§. 5. Wie Sittliches und Sittiges, so ist auch das Dich- 
terische im alten deutschen Recht eigenthtimlich 
deutsch. Auch hier überrascht zunächst im Vergleich mit 
fremdem, z. B. römischem Recht die Mächtigkeit, Fülle und 
Lebensdauer des poetischen Elements im Recht. Auch hier 
aber ist zugleich in der besonderen Färbung der Erscheinung 
das Wesen deutscher Dichtung hundertfach kenntlich. Be- 
zeichend schon ist bei den mannichfachen dichterischen Aus- 
drucksformen der Rechtssprache das lauge und treue Fest- 
halten von Formen ältester Herkunft, wie der Alliteration^^), 
neben welcher der Reim erst spät und spärlich in das Recht 
dringt^), der Tautologie und des Parallelismus^O? der den 
bejahenden Vordersatz verstärkenden verneinenden Schluss- 



**) So im Oberelsass in Grosskems am Rhein pach W. v. 1384 b. 
Grimm I. 656. Ebenso in Kuessenberg am Rhein ib. V. 221 §. 24 
(wo das Umkehren des Nachens). — Vgl. auch die höchst eigenthüm- 
lichen Vorschriften darüber, wie der Abt zu Limburg seinen wegen 
Todtschlags flüchtigen Huber oder Gotteshausmann beschützen und im 
Nothfall bis auf das Meer führen, dort mit zwei siiberweissen Schilden 
und etwas Geld ausrüsten, mit seinen Dienern, bis er ihn nicht mehr 
sehen kann, am Strande warten und dann ihn dem heiligen Kreuz be- 
fehlen soll; W. V. Dürkheim ib. I. 784. — Entkommt in Alflen ib. 11 
410 ein Missethäter und begegnet Jemandem auf dem Felde, so soll er 
sprechen, „sein glück were besser als sein recht/* — offenbar eine 
Wendung der häufigen Formel „ihm wäre Gnade besser denn Recht" 
(z.B. Grimm I. 565}. 

22) Grimm, R. A. S. 6—13. 

23) Grimm, R. A. S. 13. 

2*) Grimm, R. A. S. 13-17; von der Poesie im Recht S. 38 f. 



11 

sätze^*), des Sprtichwortes und des Sinnspruchs'®). Sodann 
tritt in der Fülle der feierlichen, Sich regelmässig wieder- 
holenden Ausdrücke, Redensarten und Formeln'^), besonders 
in den Formeln für die Grundherrschaft und das Grundeigen- 
thum, für die Weisung des Rechts, für die Hegung der Ge- 
richte, für den Eid, für Aechtung, Strafe und Sühne nicht 
nur das Sinnliche und Bildliche, sondern namentlich die Ver- 
tiefung in das Naturleben und seine geheimnissvoll walten- 
den Kräfte*^), die Belebung des Leblosen'^), die Versenkung 
in das Innere des häuslichen Lebens'^) charakteristisch her- 



25) Grimm, R. A. S. 27-31. 

^)Graf u. Dietherr, deutsche Rechtsspruch Wörter, Nördlingen 
1864. Enthält 3698 Nummern! üeber das Poetische darin Grimm, 
von der Poesie im Recht S. 50 f. 

27) Grimm, R. A. S. 32-54. 

**) So in der Hinzufügung dichterischer A^ctiva, z. B. bei schei- 
nender Sonne, lichtem Sonnenschein, hellem Sternenschein, schwarzer 
Nacht, auf rother Erde, die wilde, salzige See, der graue, düstere Wald, 
das neunspeichige Rad u. s. w. ; so Bestimmungen , wonach etwas ge- 
schehen oder nicht geschehen soll, ehe die Sonne zu Gnaden geht, nach 
der Zeit, da die Sonne in Gold geht, „bis zu sant Walpurge tag, dar 
der gauch gukte;*' oder wenn das, was die Egge bestrichen und die 
Hacke bedeckt hat, erworben sein soll; oder wenn es für eignen Haus- 
stand heisst, was Rauch zu Berge kehrt, wo Feuer und Flamme auf- 
geht; so ferner in den Formeln für das ünermessliche der Zeit und des 
Raumes, wonach z. B. die friesische Freiheit dauern, eine Sühne gelten, 
die Friedlosigkeit reichen soll, so lange der Wind von den Wolken 
weht und die Welt steht, so lange der Wind weht und der Hahn kräht 
und also weit als die Sonne auf und unter geht, so weit der Himmel 
blau Ist und der Regen fällt, „was der wind bew^t und der regen ge- 
spr^t" (Grimm, W. I. 162) u. s. w. Vgl. bes. noch die Sühnformel 
aus der Gragäs b. Grimm, RA. 39, die Formel der Verfemung ib. 41. 

29) So z.B. in der angelsächs. Formel: „die Axt ist ein Melder, 
kein Dieb,'* Ges. K. Ina's c. 43, und den entsprechenden Formeln der 
deutschen Weisth., z B. Grimm I. 414 (mit der Axt ruft er dem För- 
ster). 422. m. 542. 591. V. 306 §. 25. 

^°) So z. B., wenn als geringster Grundbesitz so viel gefordert wird, 
dass ein dreibeiniger Stuhl darauf stehen und ein Mädchen neben einer 
Kinderwiege darauf sitzen kann. W. v. Hausen u. Lämmerspiel b. 
Grimm, W. IV. 554. Vgl. ib. III. 460. 478. 514. IV. 683 §. 6 u. 
R. A. S. 80—81, namentlich auch Nr. 4 über Bemessung nach einer 
Badewanne. 



12 

vor. Dieselben Züge finden wir in dem tiberreichen Schatz 
der alten Rechtssymbole^*). Wir finden sie aber auch, wo 
das dichterische Element nicht blos die Form, sondern den 
Inhalt des Rechtes selbst bestimmt'^). Hier gehört zu den 
besonders volksthümlichen Zügen die poetische Neigung, bei 
der Feststellung von Recht und Pflicht das unabänderliche 
Mass und die mechanische Zahl zu vermeiden. Statt 
dessen wählt man einen lebendigen, sinnlichen Ausdruck, der 
im Ganzen, so genau das Einzelne geordnet ist, etwas Indivi- 
duelles, Oflfenes, Unbestimmtes übrig lässt. So wird nach 
vielen Volksrechten die Verwundung besonders gebtisst, wenn 
ein Knochen von solcher Grösse herausgehauen ist, dass man 
ihn, über einen bestimmten Raum (z. B. einen öflfentlichen 
Weg von 12' Breite) in einen Schild geworfen, erklingen 
hört^^); oder die Wunde wird danach bemessen, ob Blut zur 
Erde tröpfelt, der verletzte Augendeckel noch eine Thräne 
hält, der gelähmte Fuss den Thau vom Grase streift^*). So 
wird ferner ein rechtlich erheblicher Raum danach bestimmt, 
wie weit man einen rothen Schild, ein weisses Pferd oder 
einen Thürriegel schimmern sieht, den Menschenruf, den 
Glockenklang oder das Hundegebell schallen hört^O- ^^ werden 
auch die Breite des Weges'®), das Mass des zu liefernden 

3«) Grimm, R. A. S. 109—207 und von der Poesie im Recht 
S. 74-81. Rey scher a. a. 0. 

38) Grimm, von der Poesie im Recht S. 57 f. 

33) L. Rip. 68, 1. L. Alam. 59, 4. L. Rotar. 47. L. Fris. 22, 71 
u. 74; add. aap. 3, 24. Skandinav. Ges b. Grimm, R. A. 78. 

3*) L. Sal. 20, 3. L. Rip. 2. L. Bajuv. 3, 1. 22 u. 4, 10. 

3») Grimm, R. A. S. 74-77; W. I. 799. III. 563: der Zinserheber 
muss am Gatter so lange auf den Zins warten, als er den Thürriegel 
sehen kann. 

3«) Z. B. durch einen Reiter mit quer über den Sattel gelegtem 
Speer; durch die Möglichkeit, dass eine Frau neben einem Wagen oder 
einer Leichenbahre auf beiden Seiten gehen kann, ohne ihr weisses 
Gewand zu beschmutzen; durch einen Esel mit einem Sack und einen 
Mann mit einer Ruthe u. s. w. Grimm, R. A. S. 69. 104 u. Weisth. 
IL 696. 724. IIL 28. 47 §. 56-58. 133 §. 4-6. 847. 857. IV. 311; 
Maurer, Dorfv. L 286—287. 



13 

Futters"), die Grösse des dem Huber geschuldeten Brodes^), 
der umfang des Grundbesitzes und vieles Andere auf poetisch- 
sinnliche Weise gemessen. Häufiger noch wird die Ent- 
scheidung gar nicht unmittelbar durch das Recht gegeben, 
sondern auf die körperliche Kraft und eine leibliche 
Handlung des Berechtigten gestellt. Dieser soll z. B. durch 
einen Wurf mit Hammer, Beil, Speer, Sichel, Pflugeisen oder 
dergl, durch einen Bogenschuss, durch gewappneten Ritt in 
den Strom, durch die Schnelligkeit seines Laufes die Grenze 
seiner Befugniss ausmessen^^). Oder er soll von einer Pflicht 
befreit werden, wenn der Versuch ihrer ErffLllung an einem 
ganz konkret bestimmten Punkte scheitert"^). Oder er muss 
überhaupt seine für die bestimmte Rechtshandlung nöthige 
Rüstigkeit durch altherkömmliche, nach Stand und Zweck 
unterschiedene Kraftproben darthun^^j. Oder er verliert um- 
gekehrt sein Recht, wenn er aus Begehrlichkeit das Mass 
seiner Kraft überschätzt haf*^). Endlich aber kommt es auch 
vor, dass die nähere Bestimmung eines Rechts dem Walten 



3'^) Das Pferd soU bis zum Gurt in Hafer stehen; oder bis zum 
Bug im Stroh und bis an die Augen (oder über die Naslöcher) im Hafer. 
Bodmann, rheingau. Alterth. 856. Grimm, W. 1.426. II. 692: „und 
schoden den perden so vill haveren vur, dat si litzdeif legen bliven." 

^^ Es soll z. B. so gross sein, dass es vom Fusse eines Mannes 
bis über dessen Knie reicht, Grimm, W. IV. 135. 156. 210—211. 

••'«) Grimm, R. A. S. 55-68. 84 f.; Weisth. I. 157. 462. 499. 837. 
II. 587, 657 — 658. 414 (wo .die Bannmeile bemessen wird durch je 
30 Würfe von 30 aus der Kirche kommenden Männern mit ellenlangen 
Knitteln). 

^®) Der Schöffe wird durch Wassersnoth wegen Dingsäumniss ent- 
schuldigt, wenn er bis an die Knie ins Wasser gieng, dann eine halbe 
Meile oberhalb und eine halbe Meile unterhalb wieder bis an die Knie 
hineingieng und doch nicht hinüberkam. Grimm, W. IIL 891. 

^^) So nach Sachs.sp. I. 52 §. 2 u. den bekannten Zusätzen der 
Glosse. Vgl. Grimm, R. A. S. 95-97 u. Weisth. III. 191. IV. 273. 
Verwandt sind die Proben für Lebensfähigkeit der Kinder, das Be- 
schreien der Wände u. s. w. 

^2) So kann der Schnitter, nach Grimm, W. 1. 10, eine Bürde Heu 
forttragen, verliert sie aber, wenn er mit ihr fällt 5 die Schnitterin kann 
ihrem Ehemann so viel Korn (oder Heu) mitbringen , als sie in ihrem 
Kopftuch (stauch) tragen kann, wird aber bussfällig, wenn sie dabei so 
begehrlich (goüttig) war, dass das Kopftuch bricht; ib. IV. 160. 211. 212. 



14 

unbewusster Naturkraft tiberlassen wird. Eine Grenze 
wird durch das Wälzen eines Schlegels, das Rollen eines Ei's 
bestimmt*^). Eine zufällige Berührung soll ttber die Wahl 
des Besthaupts entscheiden^). Oder es kann überhaupt durch 
das unbestimmbare Dazwischentreten eines fremden, zufälligen, 
geheimnissvollen Umstandes eine Pflicht oder Busse gelöst, 
ein Becht gegründet werden, womit offenbar die Gottesurtel 
und verwandte Erscheinungen*^), sowie die Häufigkeit des 
Looses*^) zusammenhängen. — Weitere eigenthtimliche Züge 
des deutschen Rechts ergeben sich aus dem dramatischen 
Element, welches viele Rechtshandlungen, besonders aber das 
gerichtliche Verfahren einschliesslich dessen, was ihm voraus 
geht und folgt, belebt und gestaltet*'). — Sodann entstehen 



^3) Grimm, R. A. 84 u. über das Rollen des Ei's Weisth. III. 679. 
Sagenhafter ist die Entscheidung durch Federflug, Lauf eines Esels, 
blinden Pferdes, Krüppels R. A. S. 83-84 u. 86-89. 

"»O So soll nach dem W. v. Werne u. Seperade b. Grimm III. 
161 §. 3 der Diener des Abts die Churmoede dergestalt nehmen, dass 
er mit einem weissen Stock hinterrücks zu Pferden und Kühen des 
Verstorbenen geht; welches Stück er berührt, das gehört dem Herrn. 

'*^) Z. B. die dem Verurtheilten gewährte Möglichkeit, noch durch 
einen Zufall oder fremde Handlung gerettet zu werden. Vgl. Grimm, 
R. A. S. 701; Weisth. III. 671; Osenbrüggen a. a. 0. 350. 352 f. 
367-382. 

*^) Homeyer, das germanische Loosen, Berlin 1853; die Loos- 
stäbchen, in den Symholae Bethmanno Hoütoegio obUUae, Berlin 1868, 
S. 69-81. 

^') Dahin gehört die Einkleidung vieler Weisthtimer in Frage und 
Antwort; die Einführung redender Personen (z.B. bei Grimm, W. V. 
579 §. 15: der Bauer soll in der Frohnmühle dreimal sprechen „lieber 
müller, mahle mir"; weigert sich dieser dann, so kann er anderswo 
mahlen lassen; vgl. ib. I. 659 §. 13. 725—726. 777. HI. 640 §. 6. 
IV. 336 §. 22. V. 669 §. 13 und oben Note «»); die Anordnung feier- 
licher Rede und Gegenrede, bestimmter Stellungen und Geberden u. s. w. 
Am lebendigsten aber tritt das dramatische Element im gerichtlichen 
Verfahren und vorher bei Gerüfte, Nacheile, Ergreifung, nachher bei der 
ürtelsvoUstreckung hervor. Man denke z. B. nur an die alten Bestim- 
mungen darüber, wie die Jungfrau, der Gewalt angethan ist, mit zer- 
rissenem Gewand und flatterndem Haar sofort Klaggeschrei erheben, wie 
dann Jeder Pflug, Herde oder Geräth lassen und hinzulaufen, wie end- 
lich die Jungfrau selbst drei Schläge auf den spitzen Pfahl thun soll, 
der durch das Herz des lebendig ins Grab gelegten Verbrechers gebohrt 



15 

mancherlei Besonderheiten von unverkennbar poetischem Ge- 
halt durch die deutsche Neigung, dem Leblosen ein gewisses 
Leben, dem Gegenständlichen eine selbständige Wesenheit 
anzudichten. Hier wurzelt vor Allem das Recht der Grund- 
besitzungen, denen durch eine Fülle der wichtigsten Institute 
eine eigene rechtliche Individualität und damit die Möglichkeit 
verliehen wird, auf die gesammte Stellung der Personen ent- 
scheidend zurückzuwirken^®). Hier wurzeln die besonderen 
Freiheiten und der besondere Friede, welche von uralter Zeit 
an gewissen Stätten haften^*), aber auch mancherlei Geräth 
und Fahrniss auszeichnen'^^). Hier wurzelt nicht minder die 
hohe Bedeutung des Hauses, gewissermassen des „künstlich 
erweiterten Leibes des Menschen""), so dass die reich und 
tief durchgeführte Idee des Hausfriedens einen Grundpfeiler 
des alten Rechts bilden konnte**). Hier wurzelt die uralte 
Satzung, dass, um die geheiligte Schwelle des Hauses nicht 
zu entweihen, der Leib des darin erschlagenen Missethäters 
oder des Selbstmörders durch ein Loch unter der Schwelle 
herausgezogen werden soU*^). Hier endlich wurzeln die Vor- 
schriften, nach denen das durch ein schweres Verbrechen ent- 
wird. Grimm, R. A. 633—634. 691. Osenbrüggen a. a. 0. S. 270 
u. 271 u. 296 f. Grimm, Z. f. D. R. V. S. 21 W. des Cröver Reichs 
b. Grimm, W. II. 381. Oder an die Worte der L. Ripuar. 58, 18, 
wonach der König oder Graf der Freien, die wider den Willen der 
Eitern einen Unfreien geheirathet hat, ein Schwert und eine Kunkel 
bietet; wählt sie jenes, so tödte sie damit den Knecht; wählt sie die- 
ses, so wird sie unfrei. Vieles andere hierher Gehörige b. Grimm, 
R. A. 253 f. 637 f. 839 f. 882 f.; Weisth. IL 380 f. III. 556. IßO. 
IV. 575. 655; Osenbrüggen a. a. 0. S. 311 f. 327 f. 

*^) Daher, um nur Eins hervorzuheben, Hofmarke und Hofname 
sich nicht nur wie bei Personen finden, sondern oft über Marke und 
Namen des Besitzers mächtig werden. Homeyer, die Haus- u. Hof- 
marken, Berlin 1870, S. 195-203. 

^«) Grimm, R. A. S. 886-892. 

^^) Rechtliche Individualität einzelner Stücke der Fahrniss zeigt sich 
auch in der Bedeutung von Schwert und Kunkel, bei Heergewäte und 
Gerade u. s. w. 

s») Bluntschli, Staatsr. IL 521. 

^2) Osenbrüggen, der Hausfriede, Erlangen 1857. Graf und 
Dietherr a. a. 0. S. 381 f. 

") Grimm, W. I. 351 a. 23. 425—426. III. 42 §. 15. 308 §. 9. 



16 

heiligte oder sonst entehrte Haus, als wäre es selbst strafbar, 
zerstört werden soll**). — Nicht minder eigenthtimlich sind die 
Vorschriften, welche den Thieren eine rechtliche Individua- 
lität, ja geradezu Persönlichkeit beizulegen**). Wer würde 
dabei nicht an die Stellung der Thiersage in der deutschen 
Dichtung, in welcher wiederum das Recht eine hervorragende 
Rolle spielt, erinnert? Die Thiere haben ihre bestimmten 
Rechte, die einzelnen Arten der Hausthiere ihre besonderen 
Gerechtigkeiten und Freiheiten '^). Das Wuchervieh, der Hengst, 
Stier oder Eber des Dorfs, hat das Vorrecht, ungestraft Scha- 
den zu.thun^^); man darf es nur in schqnender Weise, z. B. 
mit einem des Jahres gewachsenen Haselschössling oder dem 
rechten Rockschoss*®), austreiben, während andere Thiere 
Busse zahlen oder gepfändet werden**), Geflügel oft Todes- 
strafe erleiden muss^). Auch Thiere von besonderer Farbe 



^*) So das Haus, in dem an einer Frau Grewalt geübt ist, nach 
Sachs.sp. III. 1; Schwabap. 209; Rechtsb. Rupr. v. Freis. I. 167; 
Kulm. R. V. 40; Dist. IV. 10, 6 bei Ortloff S. 202; Sachs. Weichb. 
(Mühler) 55; Gaupp, Magd. R. 276 §. 17; Grimm, Zeitschr. f. D. R. 
V. S. 17—18; Osenbrtiggen a. a. 0. 271. Nach dem Recht von 
Mühlhausen soll der Acker oder Garten, wo es verübt, ferner keine 
Frucht tragen. — Vgl. auch Grimm, R. A. 723 f. 

") Osenbrüggen a. a. 0. Nr. 7. S. 139—149: „Die Personifici- 
ning der Thiere." Die Abhandlung erschöpfte jedoch das Thema nicht. 

•>«) Grimm, R. A. 594—596. Weisth. I 695. IL 64. UI. 41 §. 12, 
42 §. 21-24. 259 §. 6. 308 §, 12-15. 683 §. 12—13. 714. 719. 720. 
840. 889. Hier ist überall von der Gerechtigkeit, Freiheit u. s. w. der 
Schweine, Schafe, Ziegen, Gänse, Enten, Hühner, Tauben die Rede. 

^^') Grimm, W. I. 100-101. 321. 758. 821. IV. 24. 153 148. 
210. 237. 279. V. 190 §. 26. 220 §. 14. 310 §. 3. Graf u. Dietherr 
S. 116 Nr. 299 u. S. 120 Note b— e. 

") Grimm , W. IV. 401 §. 16. Dabei der merkwürdige Ausdruck 
in §. 14 : ein vich, das sechs wuchen u. dry tag umbgieng unansprechig, 
das sölt dann heiszen u. sin ein mulefe; wozu in §. 16 die Bemerkung, 
.Wuchervieh werde nie mulgfe. — Im Salzburgischen sollte sogar der 
Stier, wenn er zum dritten Mal wiederkam, noch zu trinken erhalten, 
ehe er zum dritten Mal fortgetrieben werden durfte, ib. III. 683 §. 12. 

s9) Grimm, W. IV. 161. 296. 511 §.4. Graf ü. Dietherr a.a.O. 
S. 116. Nr. 300 f. u. S. 120—122. 

60) Graf u. Dietherr S. 116 Nr. 302: Gänse haben kein Recht; 
Nr. 303: Gänse bezahlen mit dem Kopf; Nr. 304: Gänse, Enten, Hühner 



17 

haben mitunter grössere Freiheiten'^). Zum Entgelt ftir ihr 
Weidereeht scheinen die Thiere selbst Abgaben zu zahlen *^^). 
Der Ersatz für ein getödtetes Thier wird als ein Wergeid 
aufgefasst, und wie einst in vorgeschichtlicher Zeit beim Manne, 
so soll noch bis über das Mittelalter hinaus nach uralter Tra- 
dition beim Thiere das Wergeid durch Beschütten des todten 
Körpers mit rothem Weizen ermittelt werden'^). Wird einer 
Frau Gewalt angethan, so soll zugleich mit der Zerstörung 
des Hauses, worin es geschehen, alles Lebendige darin ent- 
hauptet werden'*); Leute und Vieh, Boss und Rinder, Hunde 
und Katzen, Gänse und Hühner, die zur Zeit der That im 
Hause gewesen, müssen, weil sie der Vergewaltigten nicht 
beigestanden oder durch Geschrei Hülfe gebracht haben, gleich 
Allen , die auf den Hülferuf nicht herbeigeeilt sind , mit dem 
Tode büssen'^). Auch sonst findet sich ein förmliches Straf- 
verfahren gegen Thiere^). Und endlich treten Thiere auch 



auf Jemandes Gras haben keinen Frieden; Nr. 307: Die Ente hat ihr 
Recht auf dem Buckel. — üeber die eigenthümliche Bestrafung der 
Gänse vgl. unten Note »«o) u. lei). 

®*) Recht der Benkerheide b. Grimm, W. IIL 41 §. 14: ene 
schneewitte faselsugge mit ihren seven schneewitten jungen beerfecken 
»wisen sie, dat sie recht hebben war sie kombt. Ib. I. 440: ein bhit- 
rother Stier geht mit seinem Rufe ,,much! much!^' überall frei hin. 

0») Grimm, W. II. 123. 355. 437. HL 558. V. 310 §. 3. 

«3) Grimm, R. A. S. 668-674, wo auch der Nachweis, wie bei 
Menschen das Ueberschütten mit rothem Gold, auch wol das Aufwiegen 
des Leichnams mit Silber oder Gold, in ältester Zeit das Wergeid be- 
stimmte. Osenbrüggen, R. A. aus Österreich. Pant. S. 48, Studien 
S. 140—142. Grimm, W. m. 222. 308 §. 9. 712. 715. 720; über das 
„Katzenrecht'* ib. 222 Note 2. — Im Hollerrecht ib. 221 v. J. 1604 ist 
die Sache umgedreht: ein bissiger Hund soll am Schwänze aufgehängt 
und mit Weizen begossen werden, so dass man nichts mehr von ihm 
sehen kann; Hund und Weizen gehören dann dem Gebissenen. 

«^) Sachs.sp. III. 1 und die anderen in Note »<) angeführten Stellen 
mit Ausnahme des Rechtsb. nach Distinctionen. 

<^s) Schwab.sp. c. 254 (Lassb.) und die Auslegung b. Grimm, Z. 
f. D. R. V. 18, Osenbrtiggen a. a. 0. 144, Homeyer, Stell, des 
Sachs.sp. 81. — Grimm findet überdies Anklänge an heidnische Stthn- 
opfer. 

««) Osenbrüggen a.a.O. S. 144—149. Ausweisung einer schäd- 
lichen Kuh aus der Mark b. Piper 208, Maurer, Markv. 312. 

2 



_ J8 

als Zeugen auf, indem der einsam in seinem Hause Über- 
fallene Mann drei Halme vom Dache als Symbol des Hauses, 
dessen Friede gebrochen ist, seinen Hund aber, seine Katze 
oder seinen Hahn als Zeugen der That beim Anklagebeweis 
vor Gericht bringen soU®^). — Zu den eigenthümlich deutschen 
Zügen des poetischen Elements im Recht zähle ich nun 
schliesslich auch das nicht seltene Walten des Humors 
im Recht. 

§. 6. Der Humor im Recht ist eine dem deutschen 
und dem aus deutscher oder doch germanischer Wurzel er- 
wachsenen verwandten Rechte eigenthümliche Erscheinung. 
Zwar findet sich einzelnes Aehnliehe auch in andern Rechten, 
ja manches hierher Gehörige hat seine Wurzel im gemein- 
samen ürrecht der arischen Völker, Dann aber hat es doch 
im deutschen Recht stets eine besondere volksthümliche 
Wendung und Färbung erhalten. Ich glaube dies am besten 
dadurch auszudrücken, dass ich es eben als „Humor" im 
Recht bezeichne, da ja der Begriflf des Humors selbst ein 
eigenthümlicher und nationaler ist. Das Schalkhafte, Launige, 
gemtithvoll ins Kleine gehende, dabei oft Derl)e überwiegt; 
doch findet sich auch Witziges und Spöttisches, bisweilen 
Bizarres und Seltsames. 

Fundorte sind, da die Erscheinung eine volksthümliche 
ist, fast nur volksthümliche Rechtsquellen. In ältester Zeit 
also die Volksrechte, bei denen jedoch theils die lateinische 
Sprache, theils der strengere und einfachere Charakter des 
alten Rechts grösserer Entfaltung des Humoristischen entgegen- 
stehen. In späterer Zeit treten dann vor Allem die ländlichen 
Weisthümer, die überhaupt bis an die Grenze unserer Tage 
eine in andern Volkskreisen längst verschollene Rechtsan- 
schauung spiegelten, als Quelle hervor. Aber auch die älteren 
Stadtrechte und dann wieder die Gilde- und Zunftsatzungen 
enthalten manches hierher Gehörige. Nicht minder die älteren, 
aus der unmittelbaren Volksüberlieferung und dem frischen 
Rechtsleben schöpfenden Rechtsbücher, wie namentlich der 
Sachsenspiegel. Endlich wird Vieles, was aus dem ge- 

6') R. v. Liestal v. 1411 §. 27 b. Grimm, W. IV. 470; Grimm, 
R. A. 588; Osenbrüggen S. 143. 



19 

schri ebenen Recht verschwand, lange noch im ungeschriebenen 
fortbestanden haben, wofür ein Beleg in der Fassung mancher 
Rechtssprüchwörter gefunden werden mag. 

Wie das poetische Element überhaupt, so tritt auch das 
humoristische theils nur in der Form, theils auch im Inhalt 
der Rechtsbestimmungen hervor. 

Ein weiterer Unterschied ergiebt sich aus der verschiedenen 
ürsprünglichkeit der Erscheinung. Oft nämlich ht der 
Volkshumor von vornherein die Quelle einer Satzung oder 
ihrer eigenthtimlichen Fassung. Oft aber erhalten Satzungen, 
die ursprüuglich ernst gemeint waren, in späterer Zeit eine 
humoristische Wendung, Färbung oder Auslegung. In vielen 
Weisthümern und Reehtsbüchern begegnen uns Bestimmungen, 
die das als geltendes Recht vortragen, was in irgend einer 
grauen Vorzeit sicher einmal gegolten hatte, ebenso gewiss 
aber zur Zeit der Abfassung der Rechtsquelle längst ganz 
oder doch in dieser Form aus der wirklichen üebung ge- 
schwunden war. Wie einen heiligen Schatz brachte man die 
uralte üeberlieferung von Geschlecht auf Geschlecht und ver- 
nahm mit ehrwürdiger Scheu in der Gemeindeversammlung 
ihren wunderbaren Inhalt. Mancherlei Derartiges ist schon 
vorgekommen; die Traditionen vom klingenden Knochen, vom 
rollenden Ei, vom Hinausziehen unter der Schwelle, von der 
Tödtung alles Lebendigen im Hause der Gewaltthat, von 
Wergeid und Zeugenschaft der Thiere, sind aus Zeiten auf 
uns gekommen, in denen sie schwerlich noch ernsthaft ge- 
nommen wurden. Anderes wird sich unten ergeben. Häufig 
ist besonders die Androhung nicht ernst gemeinter grausamer 
Strafen. In allen solchen Fällen nun erschien dem späteren 
Geschlecht leicht das, was den Vorvätern bitterer Ernst ge- 
wesen war, als halb oder ganz sagenhafter Scherz. War 
schon das die Fortpflanzung solcher Bestimmungen fördernde 
volksthümliche Vergnügen am Seltsamen , Alterthümlichen 
Fremdartigen, Unwahrscheinlichen dem Humor verwandt, so 
entwickelte sich oft eine geradezu humoristische Auffassung 
des Ganzen, bis ihm zuletzt auch äusserlich eine launige 
Fassung und launige Zuthaten gegeben wurden. Wo freilich 

diese äusseren Kennzeichen fehlen, ist es für uns schwer, die 

2* 



20 

Meinung der Quelle festzustellen. Auch mögen z. B. Ijei ihrer 
Weisung im Märkerding manche grausame Strafandrohungen, 
deren Vollstreckung Niemand gesehen hatte und die leicht 
abzulösen waren, gleichzeitig ein Lächeln und ein geheimes 
Grauen vor der letzten Strenge des äussersten Rechtes ge- 
weckt haben. Ich komme darauf noch bei einigen der bezüg- 
lichen Einzelnheiten, zu denen sonach auch manches schon 
in anderem Zusammenhang Erwähnte vielleicht gestellt wcf- 
den mtisste, zurück und bemerke vorläufig nur, dass ich zu 
den eigentlichen Fällen des Humors im Recht zwar noch das 
halb sagenhafte Recht, in dem zur andern Hälfte wirklich 
geltendes Recht steckt, rechne, nicht aber die zu reiner 
Sage gewordene, wenn auch aus einem gewissen humoristi- 
schen Antriebe festgehaltene und humoristisch ausgeschmückte 
Rechtsüberlieferung. Denn diese ist eben kein lebendiges 
Recht mehr. 

§. 7. Fragen wir nun nach den Einzelfällen des 
Humors im Recht, so begegnen uns zuvörderst mancherlei 
einzelne humoristisch gefärbte Ausdrücke der Rechtssprache. 
Dahin gehören z. B. die umschreibenden Formeln für die 
Strafen des Stranges und der Enthauptung, wie: in der Luft 
reiten; den dürren Baum reiten; die Luft über sich zusammen- 
schlagen lassen; des Kopfes kürzer machen; zwei Stücke aus 
Einem machen, dass der Leib das grösste und der Kopf das 
kleinste Theil bleibe; und Aehnliches*®). Ferner die alter- 
thümliche Bezeichnung des Knaben als halben Menschen, des 
Maulesels als halben Pferdes in den Bestimmungen, wonach 



«8) Grimm, R. A 42. 682. 689. Aechtungsformel in den Weisth. 
IV. 755: ich weisen dir hut zu tag zu ein eichen weit umb dinen halts, 
einen handornen knebel darin zu setzen, einen dorren bome zu reiden, 
koninks Karins geboet zu leiden, ein werbe, ander werbe, dri stont 
mit rechtem ortel. Andre Formel R. A. 42: da soll er ihn anknüpfen 
mit seinem besten hals, dasz der wind under und über ihn zusammen- 
schlägt. Kaltenbäck, österr. Pant. II. 62 §.8: der Nothzüchter wird 
so gerichtet, dass die Frau oder Dirne zwischen Haupt und Rumpf 
durchgehen kann. — Auch gehört hierher Sachs.sp. II. a. 16, wonach 
der pflichtsäumige Fronbote „weddet ...des koninges mal der, 
dat sin tvene und drittich siege mit euer gronen ekenen gart, die tvier 
dumelne lang si." 



\ 



_21 

der Gerichtsherr oder sein Vertreter zur Landbesitznahme, 
zum Gericht oder zur Jagd mit anderthalb, dritthalb, siebent- 
halb, neunthalb, zwölfthalb Mann, Pferden oder Munden ein- 
reiten soir®). Auch gehören hierher manche einzelne Rechts- 
wörter, wie Rutscherzins ^^), walzende oder fliegende Güter, 
Sonnenlehn, eisern Vieh, die Namen Wolf, Wolfshaupträger 
und vogelfrei für den Friedlosen ^0; sodann das „Königreich" 
der fahrenden Leute, die Pfeifferkönige, Seilerkönige, Bauern- 
könige^^), die „Königinnen" oder „Aebtissinnen" der öffent- 
lichen Frauenhäuser ^^); auch die Bezeichnung des Heimaths- 
dorfs, in welches Jemand zurückkehrt, als Nest, von dem er 
ausgeflogen ^0> ^^^ Redensarten wie Theilung eines Nachlasses 
„wie ein schweinsfuess", womit die Theilung in zwei gleiche 
Hälften ausgedrückt wird^'). 

§. 8. Besonders kräftig äussert sich die Neigung, eine 
Rechtsregel in humoristischer Form auszudrücken, in manchen 
Rechtssprüchwörtern. Wenn z. B. der Satz, dass Ver- 
heirathung mit einer Unfreien unfrei macht, die Form erhält: 
„trittst du mein Huhn, so wirst du mein Hahn"; oder der 
Satz, dass in den Städten „die Luft frei macht" auch die 
Fassung bekömmt: „keine Henne fliegt über die Mauer" ^^): 

69) Grimm, R. A. 255. 258. ürk. v. 1291 b. Bodmann 480 
servitium quatuor et dimidii hommum, Griimm, W. 1.426* 510. 700. 709. 
713: mit nundehalben ros, dasz ist mit acht rossen und mit einem mule. 
735. 763 §. 37. II. 188: mit dritthalben mann, dritthalben pferdt und 
dritthalben hund. Letzteres bedeutet nach Maurer, Fronh. UI. 438 
zwei ganze Hunde und einen verschnittenen Hund. 

'«) Dazu Grimm, W. I. 740: und uberkompt der mit dem meygere 
nit darumb (um die Busse wegen Dingsäumniss) by der sonnen schin, 
so ist es über nacht noch also vil, und rutschte fürt biss an den 
dritten tag u. solle damit stille ston. 

'>) Grimm, R. A. 733 f. Maurer, Fronh. U. 93 f. IV. 245. 

^2) Maurer, Fronh. II. 406. III. 17. Grimm, W. I. 533: König 
der Seiler. Meine R. G. der Genoss. 445 Note 19 u. 21; auch S. 495 
Note 59. — Käskönig b. Maurer, Markenv. 301 f. 

") Hüllmann, Städtewesen IV. 267. Maurer, Städteverfass. 
II. 471. m. 110. 

'0 Grimm, W. V. 669 §. 10. 

'*) In dem Weisth. b. Grimm II. 578. 

'«) Graf u. Dietherr S. 62 Nr. 247 und ähnliche Fassungen in 
Nr. 248 u. 249. 



22 

SO ist in beiden Fällen der für Unfreiheit übliche bildliche 
Ausdruck der Henne in launiger Weise wörtlich aufgefasst 
und das Bild danach weiter durchgeführt. Ebenso ist es ein 
humoristisches Gleichniss, wenn es in Bezug auf den Anfall 
des ehelichen Gesammtguts an den tiberlebenden Ehegatten 
(nach dem Konsolidationsprincip) heisst: „Der Letzte macht 
die Thür zu"^. Oder wenn wegen des Anschwellens des 
versäumten Zinses, wodurch das Gut selbst verloren gehen 
kann, gesagt wird: „Die Tochter frisst die Mutter" ^^). Andere 
Rechtssprüchwörter gefallen sich in einer scheinbaren Para- 
'doxie, wie z. B. „eisern Vieh stirbt nie", „der Bauer hat nur 
Ein Kind" (wegen der bäuerlichen Erbfolge) und „Ein Mal 
ist kein Mal", wenn dem letzteren überhaupt eine (etwa auf 
die Begnadigung zu beziehende) juristische Bedeutung bei- 
wohnt^^). Wieder andere Paroemien sagen etwas scheinbar 
Selbstverständliches in bestimmter Anwendung aus. So wenn 
es zur Beschränkung der Strafbarkeit auf Handlungen heisst 
„Gedanken sind zollfrei" und „Worte schlagen Einem kein 
Loch in den Kopf"®^). Und ebenso bei dem nach verschiede- 
nen Richtungen hin verwendbaren Sprüchwort „Wo nichts ist 
hat der Kaiser sein Recht verloren" ^0» womit verglichen wer- 
den mag, dass der Abt von Schwarzach 14 Tage lang gang- 
bare Münze zu prägen das Recht hat, „obe er anders das 
Silber dar zue hatt"®^). Diese Beispiele, die sich leicht ver- 
mehren lassen®'), werden zum Beweise des Vorkommens 

") Graf u. Dietherr 153 Nr. 78. Vgl. ib. Sr.82: „wer den Kopf 
hat, schiert den Bart.** Nr. 77: „Hut bei Schleier, Schleier bei Hut." 

'») Graf u. Dietherr 83 Nr. 93. 

'9) Graf u. Dietherr 268 Nr. 281, 215 Nr. 218, 397 Nr. 615. 

80) Graf u. Dietherr 292 Nr. 65 u. 77; ähnliche Paroemien Nr. 
66-70. 74-76. 78. 

«1) Bei Graf u. Dietherr 222 Nr. 273 wird es auf die Beschrän- 
kung der Schuldenhaftung bis zum Belauf des Nachlasses bezogen. Diese 
Deutung ist schwerlich richtig. Es sagt wol nur in Anwendung auf 
das Civilrechty namentlich unter Bezugnahme auf die fruchtlose Zwangs- 
vollstreckung , dasselbe, was im Strafrecht die Regel ausdrückt, nach 
der man Diebe nicht hängt, wenn man sie nicht hat. 

") Grimm, W. I. 425 u. 426. 

•2) Vgl. Graf u. Dietherr 528 Nr. 356: „Haust du meinen Juden, 
hau ich deinen Juden", — hier auf die völkerrechtliche Retorsion be- 



23 

verschiedener Formen des Humors im Rechtssprüchwort 
gentigen. 

§• 9. Während hier überall das Humoristische nur im 
Ausdruck liegt, ist bei anderen Bestimmungen zwar nicht der 
Inhalt an sich, wohl aber die Fassung des Inhalts humo- 
ristisch. Dies ist namentlich der Fall bei zwei verwandten 
und sehr verbreiteten Erscheinungen, die ich als Rechts- 
Übertreibung und als Scheinrecht bezeichnen möchte. 

Eine Rechtsübertreibung zunächst liegt vor, wenn, 
um die Stärke eines Rechts oder einer Pflicht auszudrücken, 
übertriebene und in ihrer Uebertreibung lächerliche Konse- 
quenzen daraus gezogen werden. Die Bestimmung erhält hier 
durch die drastische Fassung ihres Gehalts eine sinnliche 
Lebendigkeit, welche sie sogleich nach ihrer ganzen Trag- 
weite klar stellt, ohne dass doch an die wirkliche Benutzung 
der äussersten Rechtsmöglichkeit jemals gedacht würde. 

So wird in der Oeflfnung von Wigolfingen im Thurgau 
V. 1403 die vollkommene Freiheit des Hofjüngers, über seine 
fahrende Habe bei gesundem Leibe zu verfügen, ' ausge- 
drückt: „oder mag die einem wilden rosz anhengken und 
mags dann von im schlahen und es laufen lassen nach syner 



zogen. S. 543 Nr. 47: „Kirchengut hat eiserne Zähne*', und andere 
auf das Eirchengut bezügliche Paroemien Nr. 45 u. 46, 48, 50—52. 
S. 276 Nr. 295: „Wer Einem die Neige getrunken hat, muas von fri- 
schem anheben" (bezüglich des Schadenersatzes). S. 287 Nr. 32: „wer 
sich nicht bessern will, den soll der Henker in die Schule nehmen." 
S. 298 Nr. 89: „selbst eingebrockt, selbst aufegegessen." S. 128 Nr. 395: 
„die Eule trägt ihr Recht auf dem Buckel" (ist ungeschützt). S. 268 
Nr. 279: „Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg." S. 502 f. Nr. 142—145: 
„Gilden müssen so rein sein, als hätten sie die Tauben gelesen." Auch 
die bekannten Paroemien: „wer die Augen nicht aufthut, thue den 
Beutel auf', „wo man seinen Glauben gelassen bat, da muss man ihn 
suchen", „das Kind fällt in der Mutter Schoss", „das Erbe klimmt 
nicht", „wer den bösen Tropfen geniesst, geniesst auch den guten", 
gehören in gewissem Sinne wegen der darin enthaltenen Gleichnisse 
hierher. Rechnet man zu den Rechtssprüchwörtern auch allgemeine 
Sprüchwörter von kaum irgend welcher juristischen Beziehung, wie z. B. 
Graf u. Dietherr 388 Nr. 535 „Noth bricht Eisen" oder Eisenhart 
„einen Kuss in Ehren kann ein deutsches Mädchen nicht verwehren", 
— so lassen die Beispiele sich noch sehr zahlreich anführen. 



24 

wilden natur." Und ähnlich heisst es im Hofrodel von 
Reichenberg in Schwyz v. 1536 vom Gotteshausmann: „daz 
sin mag er einem hund an den schwantz hencken oder in 
ein bach werfFen, so fer daz eir müge gan on stab und 
Stangen an daz grichtt"^*). 

Im Weisth. v. Erlenbach am Ztirichersee v. 1510 heisst 
es, die Hofgüter seien so frei, dass sie keinen Anries geben: 
„und were sach, das einer ein bös tach hette und ein nuss- 
bom bi dem hus stuend und die nussen zuo dem für durch 
dz tach fielind, so sol einer in dz hus gan zuo dem für und sol 
die nussen uf lesen, und sol im dz nieman weren" ^). Hier gilt 
also ausnahmsweise das deutsche Ueberfallsrecht nicht. Man 
kann vielmehr das Nachbargrundstück betreten und die vom 
eigenen Baum auf dasselbe fallenden Früchte auflesen. Dieses 
Recht nun wird in seiner Stärke sinnlich ausgemalt. Hat 
man nämlich einen Nussbaum, der das Nachbarhaus über- 
schattet, das Dach dieses Hauses hat ein Loch und durch 
dieses Loch fallen Nüsse an das Herdfeuer, so kann man in 
das Hdus gehen und am Herd selbst die Nüsse auflesen. 
Der Fall wird wohl nicht sehr praktisch gewesen sein. 
Drastischer aber Hess sich die Stärke des Rechts nicht aus- 
drücken, als indem man durch dasselbe sogar eins der 
stärksten und heiligsten Rechte überwinden liess, den Haus- 
frieden und insbesondere die Heiligkeit des Herdfeuers. Konnte 
doch sonst der Hausherr nicht nur den Eindringling, sondern 
sogar den blossen Lauscher unter der Dachrinne busselos 
erschlagen ! 

Die besondere Heiligkeit und der hohe Friede der Nacht®^) 
wird in der Oeflfnung von Wattwil ausgedrückt: „dann die 
nacht sol so fri sin, das ainer sin türli ab der landstrasz ze 
nacht nemen mag und an sin wand hencken und mornent das 
widerumb hintuon®^)." Natürlich wird im Ernst Niemand die 



^*) Bei Schauberg, Zeitschr. II. 68 f.; Kothing, Schwyzer 
Rechtsq. 338 f.; Grimm, W. IV. 414 §. 16 u. 351 §. 3. 

85) Schauberg, Beitr. VIII. 283 f. Grimm IV. 336 §. 26. 

8«) Vgl. dazu Osenbrüggen, Studien, Abh. Nr. 10 S. 241-251: 
„Der Nachtschach". 

«7) Grimm, W. V. 198 §. 1. 



25 

Hausthtire Nachts ausgehängt haben: aber es konnte nicht 
leicht schöner und sinnlicher die erhöhte rechtliche Sicher- 
heit des Friedens in der Nacht (denn thatsächlich ist die 
Sicherheit gerade geringer) ausgemalt werden. 

Nach dem Weisth. v, KöUerthal an der Saar®®) soll ein 
Forst so frei sein, dass Niemand ohne Erlaubniss Holz hauen 
darf: „und fare eyn arm man dadurch und breche yme eyn 
tischenagel, so sol er eynen finger in das loch stossen und 
keyne holcz darzu da ynne hauwen noch snyden in dem 
forsten." Die Stärke der Waldfreiheit wird hier dadurch 
bezeichnet, dass selbst das sonst regelmässig dem wegfertigen 
Mann verstattete Becht, den zerbrochenen Wagen mit Holz 
aus dem Walde auszubessern (s. oben Note 19), fortfällt; 
drastischer aber noch wird dies durch den Zusatz, dass der 
Bauer statt des zerbrochenen Nagels den Finger in das Loch 
stossen soll (vergl. dazu die Strafen unten Note 176 und 177). 

Zu Hofstetten in Franken soll, wenn der Schultheiss eine 
der Gemeinde verfallene Busse nicht einzutreiben vermöchte, 
der Prior als Gerichtsherr ihr dazu verhelfen: „thet das der 
prior nit, so sollen sie sich ime an die kutten henken alsslange, 
biss inn geholifen wurde®®)." 

In mehreren Weisthümern wird die Pflicht der Wach- 
samkeit mit malerischer Uebertreibung eingeschärft. So 
sollen nach dem Bebenweisthum von Twann am Bielersee 
V. 1426 die drei Bannwarte (Weinbergshüter) nicht nur bei 
ihrem Eide nie unter einem Dach (in deheiner husröche) im 
Gerichtsbezirk schlafen, sondern „wa sy der schlaf an gat, 
da sollent sy ir spiess zwischent ir arm und ein kisling 
(Kieselstein) under ir höpt legen und ir schlaf also tun"^). 
Häufiger noch wird den •Hirten geboten, ihr Hirtenstab solle 
an beiden Enden ein spitziges Eisen haben, und der Hirt, 
wenn er stille steht, solle stets die eine Spitze auf den Fuss 
und die andere unter das Kinn thun, damit ihn das Eisen 
steche, wenn er einschlafe ®0* 

88) Grimm, W. IL 19. 
8ö) Grimm, W. HI. 548. 

90) Vgl. das Weisth. b. Osenbrüggen, Studien 99f. Bei Grimm, 
W. I. 182 ein Auszug in moderner Sprache. 

«•) Z. B. Grimm, W. I. 360. IV. 155. 160. 164 (v. 1343). 263. 



26 

Damit mag man vergleichen, dass nach der Soester Ge- 
richtsordnung ein Richter die zweifelhafte Sache 123 Mal 
überlegen soll: „es soll der richter auf seinem richterstul 
sitzen als ein grisgrimmender löwe, den rechten fuss über den 
linken schlagen, und wenn er aus der sache nicht recht 
könne urtheilen, soll er dieselbe hundert drei und zwanzig 
mal tiberlegen"®*). 

Nach der OefFnung von Brütten in Zürich empfängt der 
Abt von Einsiedeln von Hubem und Schupposern als Zins 
KSchweine von bestimmter Güte. Die Güte dieser Schweine 
sollen Huber und Schupposer gegenseitig schätzen, der Herr 
an diese Schätzung gebunden sein. Deshalb heisst es, der 
Herr dürfe ein Schwein nicht verwerfen, es sei klein oder 
gross, feist oder mager, wenn es nur ein Schwein ist, „vier 
Beine, einen Mund und einen Schwanz hat"®'*). 

Das Recht des Herrn auf das Besthaupt vom Nacblass 
des Hörigen kommt in verschiedener Stärke vor. Wo es in 
ganzer Strenge gilt, „soll der Fall der Leichenbahre zur 
andern Thüre nachfolgen," und, wenn im Nachlass kein 
lebendes Haupt vorhanden ist, das beste Stück der todten 
Fahrniss an den Herrn fallen. Um dies plastisch darzustellen, 
wird nicht selten das Recht bis auf ganz werthlose Dinge 
herabgefllhrt; es soll z. B., wenn nichts Anderes da ist, das 
zur Ausbesserung beim Schneider befindliche Kleid, und wäre 
es auch „ gehouptlocht," es soll vom Bettler Stab oder Bettel- 
sack, es soll von der armen Wittwe ein dreibeiniger Stuhl, 
der dann sofort auf ihrem Hofe verbrannt wird, genommen 
werden®*). 



") Aus Ludolf, Obs. for. Upp. 11. 35 b. Grimm, R. A 763. 

ö^) Grimm, W. 1.148. Die eventuelle Ersatzpflicht des Mehr oder 
Minder seitens des Herrn oder Bauern wird ausgedrückt: dann soll des 
armen Mannes oder des Herrn (des Empfängers) „seckel offen stan" 
und dem Andern „gelt ussher gen". 

9*) Vgl. Grimm, W. I. 681 a. 25. 424. (das gehauptlochte Kleid). 
IL 536. 545. IV. 74: wer öch des lebenden valles nit da, so neme man 
dz bette undcr dem arse; vindet man dz nit, so nimt man ein bette 
löches in dem garten; vindet man des Idches nit, so soll man nemmen 
den stanpf in dem huse. IV. 683 §. 15. 684 §. 7. Grimm, R. A. 369. 
Maurer, Fronh. IV. 369. 



27 

Wie hier eine Abgabe zuletzt in eine, blos symbolische 
Anerkennung des Herrenrechts tibergeht, so haben auch manche 
selten oder nie geforderte, mitunter halb sagenhaft gewandte, 
aber traditionell in den Weisthttmern festgehaltene Frohn- 
dienste nur symbolische Bedeutung ^'^). 

§. 10. In diesem Sinne gehört zu den Eechtsüber- 
treibungen auch das berüchtigte Recht auf die erste Nacht, 
welches von deutschen Quellen zwei schweizerische Weis- 
thümer des 16. Jahrhunderts dem Herjrn oder vielmehr seinem 
Beamten zuerkennen, sofort aber selbst durch die dem hörigen 
Bräutigam verstattete Wahl, durch eine ganz unbedeutende 
Abgabe die erste Nacht für sich zu erkaufen, wieder auf- 
heben. Es ist dies nur ein symbolischer, plastischer Ausdruck 
des Herrenrechts und seiner ehemaligen strengen Rechtsfolgen 
bezüglich der Ehen von Unfreien. Zur Zeit der erwähnten 
Weisthümer überhaupt nur noch als Ueberlieferung fortlebend, 
ist jenes Recht auch in der alten Zeit der strengsten Unfrei- 
heit nicht etwa wörtlich gemeint gewesen. Eigentlicher Inhalt 
der Bestimmung ist vielmehr nur die Anordnung einer Ab- 
gabe, deren Bedeutung als einer symbolischen Anerkennung 
der Leibherrschaft durch die scherzhafte Voranstellung und 
Ausmalung der äussersten Rechtskonsequenz, die durch die 
Abgabe abgewandt wird, in helles Licht gesetzt werden solP). 

^^) Z. B. das bekannte in Frankreich und Lothringen vorkommende, 
aber auch im Trier'schen und in der Wetterau aus einzelnen Spuren 
nachweisbare Fröschestillen, Grimm, R. A. 355— 356. Vgl. über Frohn- 
tänze Maurer, Frohnh. IV. 306. 

9^) Oeffn. V. Muri v. 1543 und von Hirslanden und Stadelhofen v. 
1538 b. Grimm, W. I. 4.3 u. IV. 321. Dazu Grimm, R. A. 384. 
Bluntschli, R. G. I. 189. Walter, R. G. §. 455. Maurer, Fronh. 
III. 169. Besonders aber Osenbrüggen, Studien, Abh. Nr. 4. S. 84—98; 
„das jus primae noctis^ Die Deutung dieses vielberufenen, besonders 
auch aus Frankreich und Schottland berichteten Rechtes ist sehr be- 
stritten. Während Einige es ganz ernsthaft nehmen, sehen Andere es 
als einen aus reinem Missverständniss hervorgegangenen Scherz an. 
Das Richtige hat Osenbrüggen S. 91: es ist „eine äusserste juristi- 
sche Konsequenz, ein plastischer Ausdruck eines Princips." Damit ist 
aber das scherzhafte Moment nicht ausgeschlossen ; es ist nicht noth- 
wendig, dass, wie dies Osenbrüggen anzunehmen scheint, das Recht in 
alter Zeit bei der ersten Formulirung des Satzes ernst gemeint ge- 



28 

Unter ähnlichen Gesichtspunkten lassen sich hierher 
manche Strafandrohungen rechnen, welche gar nicht ernst 
gemeint sind oder durch die dem Schuldigen verstattete leichte 
Ablösung sich selbst aufheben, welche aber andererseits doch 
einen nachdrücklich verstärkenden Hinweis auf die letzten 
Möglichkeiten des strengen Bechts enthalten. Dafür werden 
sich unten einige Beispiele ergeben ^0. 

Endlich zähle ich zu den scherzhaften Rechtsübertrei- 
bungen noch die charakteristische, sehr verschieden gewandte 
Bestimmung der Schnelligkeit, mit der eine Rechtshandlung 
vorgenommen werden soll. So soll der zum Beispruch oder 
zur Losung bezüglich eines Gutes berechtigte Blutserbe, so- 
bald er dessen Veräusserung erfährt, schleunigst sein Recht 
wahren. Erhält er die erste Kunde, während er bei Tisch 
sitzt, so soll er nach den Hofrechten von Barmen und Schwelm 
sein Messer unabgewischt in die Scheide stecken, aufspringen 
und das Näherrecht üben^). War der Berechtigte im Aus- 
lande und kommt zu Pferde heim, so soll er nach dem Berk- 
hofer Hofrecht zum Herrn reiten und in Stiefeln und Sporen 
sein Gut zurückfordern ^^). Oder er soll nach dem Hofstetter 
Weisthum, wenn er bereits einen Schuh ausgethan, den andern 
nicht ausziehen, sondern schnell den ersten wieder anthun^*^). 



wesen sei, vielmehr kann gleich von Anfang an die Ablösung durch 
den Bräutigam als das wirklich Gemeinte hinzugefügt worden sein. 
Osenbrüggen vergleicht (S. 91) die Paroemie: „er ist mein eigen, ich 
mag ihn sieden und braten^' und (S. 97) die oft dem Verurtheilten ge- 
lassene Wahl zwischen schwerer Leibesstrafe und relativ unbedeutender 
Busse. £r fügt tre£fend hinzu: ,,in der Uinstellung des summum jus als 
eines Möglichen lag ein starker Zwang zur Leistung des Genügenden.*^ 
Man kann aber auch die oben angeffthrten Fälle der „Rechtsübertrei- 
bung", die zum Theü offenbar nicht sehr alten Ursprungs sind, heran- 
ziehen,^ bei denen es klar ist, dass die Bestimmung und ihre scherzhafte 
Fassung gleich alt sind. Passend lässt sich besonders auch die gewiss 
nicht ernsthaft gemeinte Bestimmung vergleichen, welche eine Abschrift 
dem Ehaftrecht zu Wilzfaut im Salzburgischen hinzufügt und welche 
Grimm, W. III. 680 in Note 1 mittheilt, wo man sie nachlesen mag. 

9*0 Vgl. unten Noten »««), «•'), »«»), "») bis i^»). 

9«^ Grimm, W. IlL 13 und 31. 

99) Grimm, R. A. S. 99 Nr. 4. 

100) Grimm, W. IIL 551. 



29 

Viel weiter geht die Rastetter Dorfgerichtsordnung, nach 
welcher man sogar mit Einer Hose am Bein und der andern 
in der Hand die Losung thun soll: „so einer ein hose ange- 
than und die ander nit, so soll er die, so noch nit angethan^ 
an die hand nemmen und die losung thun ongeferlich" *"^). 
Und ähnlich heisst es in Lossburg: „hette er ainen schuch 
an, so soll er den andern an die hannd nemmen ^^ und hin- 
laufen, um sein Recht zu wahren*^). — Auch wer über Tisch 
die gerichtliche Beschlagnahme seines Gutes erfahrt, soll nach 
dem Bochumer Landrecht sein Messer nicht in die Scheide 
stecken, er habe denn erst sein Gut entsetzt ^°^), und nach 
Schöplenberger Hofrecht, wenn er über Land und See ist, 
sein Messer nicht abwischen, sondern aufspringen und keine 
Nacht weilen, wo er die vorige weilte, bis er zu seinem Gut 
kommt*^*)- — Wer eine Rechtssache an das oberste Gericht 
zu Keuchen ziehen will, der soll „isz tun unvertogenlich, un- 
beraden und stendes fuszes, ee er hinder sich trede"^^*^). — Ins- 
besondere endlich wird die eilige Hülfe, welche vermöge 
seiner Schirmpflicht der Herr oder sein Vogt dem gefangenen 
oder in seinem Recht gefährdeten Grundholden schuldet, von 
elsässischen Weisthümern dahin ausgemalt, dass derselbe auf 
die erste Nachricht hin im Nothfall barfuss oder mit Einem 
Stiefel auf ungesatteltem Pferde hinzureiten, und dabei, wenn 
er erst einen Stiefel angezogen hat, den andern in die Hand 
nehmen solP*^). Es ist nicht glaublich^ dass jemals ein Vogt 



*«0 Grimm, R. A. S. 99 Nr. 6. 

102) Grimm, W. L 391. 

*03) Bochumer Landr. §. 20 Grimm, R. A. 98. 

*o*) Grimm, W. HI. 37. 

*«6) Grimm, W. IIL 458. 

106) Yf y Obermichelbach im Oberelsass b. Grimm I. 658 §. 9: 
wenn das geschäch, dass ein vogt durch einen huber von des dinghofes 
wegen angeruffc wurde, ihm hclflich ze sinde, hette er denn ein Stiefel 
angeleit, so sollte er den andern in der hand führen und den hubern 
von des dinghofs gut beholfen sin. W. v. Haselach im UnterelsJASS ib. 
701: wenne ein man von der vogetigen gevangen wurt, so sol er (der 
Herr von Ochsenstein) one sume ufsitzen barvussig, obe das pfert nit 
gesattelt ist, und wo er oueh an eime fusse barfus, er sol sich nit sn- 
men untze er den andern schuch angelege u. sol noch ilen den mann 



30 

barfuss oder mit einem Stiefel in der Hand auf ungesatteltem 
Pferde zur Leistung der Rechtshtilfe geritten sein sollte: aber 
hier wie überall giebt die scherzhafte Uebertreibung ein 
plastisches, sinnlich lebendiges Bild, wo*wir etwa das farb- 
lose „sofort" an die Stelle setzen würden. 

§. !!• Verbreiteter noch als die Erscheinung der Rechts- 
übertreibung ist die entgegengesetzte Erscheinung des Schein- 
rechts» Dahin zähle ich sowohl die Fälle der Scheinberechti- 
gung als die der Scheinverpflichtung. Grundzug dieser Fälle 
ist, dass das Recht es vermeidet, geradezu ein sonst begrün- 
detes Recht oder eine sonst begründete Pflicht im einzelnen 
Fall zu verneinen, und statt dessen lieber eine scheinbare Be- 
rechtigung zuerkennt oder eine scheinbare Verbindlichkeit auf- 
erlegt. Der Schein bleibt gewahrt: im Ernste ist es nicht 
oder nicht viel anders, als wenn gar nichts gewährt oder gar 
nichts verlangt würde. Diese Form des Humors mildert 
wenigstens in der Fassung die Strenge des Rechts, sie ist 
euphemistisch, sie scheut das schroffe Nein; aber sie schlägt 
auch oft in bittere Ironie und beissenden Spott um. 

Hierher gehört zunächst die Scheinberechtigung der 
Fürsten und Herren in den zu freien Marken gehörigen 
oder doch von bestimmter Herrschaft freien Wäldern. 
Die Markgenossen erkennen kein herrschaftliches Nutzungs- 
recht an Holz 9der Aeckern an: aber sie verneinen das mit 
Ausdehnung der Grundherrschaft schon zur Regel gewordene 
Herrenrecht nicht geradezu, sondern gewähren in poetisch 
scherzhafter Ausschmückung etwas, das so gut ist wie nichts. 
So heisst es in der ältesten Fassung des Weisthums der Car- 
ber Mark in der Wetterau: wollte ein Herr oder Edelmann, 
der nicht Markgenosse ist, sein Recht an Eckern erfahren, 
„so wiesen wir als uns altern uf uns pracht han, das ein 
herr oder etelmann soll durch den wald riden und soll ihm 
sein knaben nach lassen traben, und der soll sein Schild auf 
sein haubt führen; wasz dan von eckem da uf dem Schilde 



zu errettende. Vgl. ib. V. 422 §. 6. W. v. Kircheim v. 1329 ib. V. 
435 §. 12. Auch W. v. Breitenbach I. 818. - Vgl. auch die Vorschrift 
über die Ausübung der Schirmgewalt zu Tholey ib. III. 759. 



31 

bleibt, dasz ist seine" *^0- In einer späteren Fassung des- 
selben Markweisthuras wird dieselbe Bestimmung in etwas 
anderer Form gegeben, aber durch den erklärenden Zusatz 
„und sonst nichts mere, sonder dasz ander alles der mark 
zuestendig" abgeschwächt *®®). Das Holting auf dem Vorholz 
weist den Herrn des Hauses Steuerwald und anderen Herr- 
schaften im Walde auf die Frage des Richters, welche Ge- 
rechtigkeit dieselben am Walde haben, folgendes Recht zu: 
„wan die — dadurch reiten, mögen sie einen reis brechen 
im holze, dem pferd die mucken abzutreiben; und wan sie 
dadurch sind geritten, sollen sie das reis zurück in das grosse 
Vorholz werfen, sonst sind sie pfandbar" *^^). Und im Hol- 
ting des Truwaldes heisst es: „wan der hertzog von Lüne- 
burg durch den Truwaldt thut, mögen s. f. gn. ein strick 
windt darin lösen und brecken einen kränz (um den Hut als 
Symbol der Fürstenwtirde, als welches der Kranz Vorläufer 
der Krone ist) up der einen siden des woldes; wann s. f. gn. 
up der andern siden wedder ut dem wolde thuet, schal he 
den kränz wedder in den wolde werpen und dancken den 
wold"**°). Also selbst dieses Recht des Fürsten auf den Kranz 
ist nur eine Vergünstigung; er darf ihn nicht mitnehmen, son- 
dern muss ihn zurückwerfen und sich beim Walde be- 
danken "*). 



»o') Grimm, W. V. 304 §. 4. Aus dem 15. Jahrh. 

108) Grimm, W. V. 302 §. 4. Vgl. ib. III. 462 §. 4. 

1««) Grimm, W. III. 259 §. 7. Ebenso §. 8 u. 9, sowie Note 1 zu 
§. 11. Auch Holzgericht zu Mordmühlen v. 1703, S. 260 §. 3. Vgl. 
Weisth. V. St. Goar ib. 1. 585 §. 4 und Nachtrag zu Bd. V. S. 740 §. 12, 
worin dem Abt von Prüm im Walde die Gerechtigkeit zuerkannt wird, 
dass, wenn er durchreitet, sein Saumthierknecht eine Ruthe, die weder 
eichen noch buchen sein soll, abhauen darf, um das Saumthier damit 
anzutreiben. Das Zurückwerfen wird hier nicht erwähnt. 

**«) Grimm, W. IV. 701 §. 3. 

*") Die ausführliche Schilderung und Begränzung des Scheinrechts 
enthält zugleich eine sinnlich starke Verneinung jedes wirklichen Rechts. 
— In andern Fällen findet sich blos die plastisch ausgedrückte Ver- 
neinung des Herrenrechts, ohne Milderung durch hinzugefügtes Schein- 
recht; so z. B. die Freiheit von herrschaftlicher Jagdgerechtigkeit im 
W. V. Nanstuhl b. Grimm V. 668 §. 5: weissent das reich als edel, so 
ein herr mit seinen weidhunden oder vögeln durch das ampt NanstuU 



32 

In der Oeffnung von Tägerwylen im Thurgau v. 1447 
heisst es nach einem Auszüge*"): „item es haben die Gott- 
lieber nicht weiter zu richten, denn wenn sie einen hahn auf 
die brugg stellen und ihm das ein aug ausstechen, und so 
weit er mit dem ausgestochenen aug heraus sehen mag." 
Die ursprüngliche und volle Fassung wird wohl etwas anders 
gelautet haben. Gemeint ist jedenfalls : es soll ein Hahn quer 
auf die Brücke gestellt und ihm das nach der Seite der 
Tägerwyler Mark schauende Auge ausgestochen werden; so 
weit er nun sieht, reicht die Gottlieber Gerichtsbarkeit, d. h. 
sie reicht nicht über den Bach, da Hühner nur seitwärts 
sehen, der einäugige Hahn also nur noch nach der Gott- 
lieber Mark hinübersieht. Der Bach ist m. a. W. die Ge- 
richtsgrenze. 

Nach dem Weisth. zu Beriskorn in der Abtei Prüm soll 
der vom Gehöfer nicht der gehörigen Umlage gemäss ge- 
trunkene Bann wein ausgeschüttet werden; „laufft der wein 
zu dahl, so soll der gehoffher ihn bezalen, laufft er aber zu 
bergh, so soll der gehoffher ihn nit bezahlen"*"). Er muss 
also, da Wein nie bergauf läuft, immer zahlen; aber wenig- 
stens zum Schein wird die Entscheidung in ähnlicher Weise 
der unbewussten Natur überlassen, wie sie sonst ernsthaft auf 
das Rinnen des Wassers oder das Rollen eines Ei's ge- 
stellt wird. 

Seltsamer noch klingt folgende Bestimmung desselben 
Weisthums: „weist der schefi^en — dem vogt den dritten 
bäum; und obs sach wurde, dass der vogt den dritten bäum 
nit wil stehen lassen, soll er den bäum an einen seiden faden 
geknüpft an den himmel hencken undt die andern beura nit 
schrecken" "*)• Der Sinn ist wohl, dass der Vogt den dritten 



ritte, soll er sein hund ufkoppeln, den vogel ufbrechen, das eisen 
seins spiesz binden, den schaft vornen keren. Die Umkehr 
des Jagdspeers mindestens ist hier nur symbolisch gemeint. 

1«) B. Grimm, W. IV. 423, mitgetheilt aus Pupikofer, Gesch. 
d. Thurgaus I. ürk. Nr. 85, wo aber auch nur der Auszug gegeben wird. 

*") Grimm, W. Tl. 528. — Verwandt ist die Bestimmung des 
Weisth. V. Grosskems I. 656 §. 9. 

***) Grimm, W. II. 527-628. 



33 

Baum nur erhält, wenn überhaupt Holz gefällt wird, fir kann 
freilich auch für sich allein je den dritten Baum aus dem 
Walde holen, aber, damit die andern ihm nicht gehörig-en 
Bäume nicht erschreckt werden, nur so, dass er einen seideneu 
Faden an den Himmel hängt, den Baum daran knüpft und 
ihn so herauszieht. Ein Recht, dessen Ausübung der Vogt 
wohl kaum versucht haben wird. 

Hierher gehört es auch, wenn auf die Frage des Richters, 
wo der Thäter, dem das Landrecht genommen, Friede haben 
solle, die SchöflFen das Urtel finden: „wo man ihn weder 
hört noch sieht""'). Die Friedlosigkeit wird durch diese Um- 
schreibung nur eindringlicher dargestellt. 

An einem in die Mühle gebrachten 8a ck voll guten Korns 
soll man, wenn man ihn zurückempfängt, nicht mehr „Mangel 
spüren," „als wann man mit einer ruthen ins wasser 
schlägt" "®). So viel Spur also ein solcher Schlag im Wasser 
zurücklässt, so viel, aber nicht mehr Spur eines Mangels soll 
man hier finden. 

Auch das Recht auf blos symbolische, zur Anerkennung 
der Herrschaft entrichtete Abgaben kann sich als eine Schein- 
berechtigung in scherzhafter Form darstellen, wie z. B., wenn 
ein österreichischer Adliger seinem Lehnsherrn jährlich zwei 
Mass Fliegen bringen, ein fränkischer Edelmann jährlich auf 
Martini einen Zaunkönig liefern sollte "0- 

§. 12. Der häufigste Fall des Scheinrechts ist die 
Scheinbusse. Eine Scheinbusse wird zunächst rechtlosen 
Leuten, denen weder Wergeid noch wahre Busse zustehen, 
von den mittelalterlichen Rechtsbüchern gewährt ^^®). Bei zwei 
Klassen solcher Leute ist diese Busse im wörtlichen Sinne 
nur ein Schein. Gedungene Kämpen nämlich und ihre Kinder 
erhalten als Busse das Blinken eines Schildes gegen die 



^^s) Grimm, R. A. 731. 

1'«) Recht der 7 freien Hagen b. Grimm, W. UI. 311 §. 34. 

i'"^) Grimm, K A. S. 378 Note * Auch ib. 377. Hierher gehört 
auch der Kopf des Huhns, welchen der Zinssamraler aus dem Hause 
der Kindbetterin mitnehmen muss, manche Jagdabgabe und vieles 
Andere. 

*^») Sachsensp. HI. a. 45 §. 8-10. Schwabensp. (L.) c. 310. 

3 



34 

Sonne (den l)lik von eme kampscilde jegen die sunne); Spiel- 
leuten aber und Allen, die sich selbst zu eigen gegeben haben, 
giebt man als Busse den Schatten eines Mannes. Letzteres 
erklärt der Schwabenspiegel, indem er übrigens noch „Alle 
die, die Gut für Ehre nehmen", hinzuzählt, näher dahin, dass 
derjenige, welcher solchen Leuten Leides gethan, sich an eine 
von der Sonne beschienene Wand stellen, der Verletzte aber 
seinen Schatten an den Hals schlagen (oder nach einer andern 
Handschrift dem Schatten das, was ihm selbst gethan ist, an- 
thun) soll; „mit der räche sol im gebuezzet sin". Andere 
Klassen rechtloser Leute erhalten eine wirkliche, aber spöttisch 
gemeinte Busse; Leute nämlich, die ihr Recht mit Diebstahl, 
Raub oder andern Dingen verwirkt haben, erhalten als Busse 
zwei Besen und eine Scheere, d. h, die Werkzeuge, mit wel- 
chen Strafen „zu Haut nnd Haar" vollzogen werden. Wieder 
andere rechtlose Leute endlich erhalten eine geringe, aber 
nicht geradezu spöttische Busse. Es sind dies Pfaffenkinder 
und uneheliche Kinder, denen man ein Fuder Heu, das zwei 
jährige Ochsen ziehen können, sowie unfreie Tagelöhner, de- 
nen mau zwei wollene Handschuh und eine Mistgabel als 
Busse giebt. — Zur Erklärung dieser Bussen fügt der Sachsen- 
spiegel hinzu, dass unechter Leute Busse wenig fromme, je- 
doch deshalb gesetzt sei, damit der Busse Wette an den 
Richter folgen könne. Sicher ist dies nur ein späterer Erklä- 
rungsversuch ; Wette kommt auch ohne Busse vor, und jeden- 
falls bleibt die eigenthümliche Form der einzelnen Bussen 
damit unerklärt. Gemeinsamer Grund dieser Bussbestimmun- 
gen vielmehr ist die Neigung des alten Rechts, statt des kah- 
len Nichts doch Etwas, und sei es auch ein blosser Schein, 
zu gewähren. An sich sind rechtlose Leute ohne Recht, also 
busselos; aber die Anschauung, dass durch willkürliche Ver- 
letzung doch auch an ihnen eigentlich das Recht gebrochen 
werde, lässt sich nicht so ganz abweisen: deshalb giebt man 
ihnen lieber eine Busse, die in Wahrheit keine oder fast keine 
ist, als dass man ihnen einfach die Busse abspräche. In der 
weiteren Gestaltung macht sich dann der Volkshumor geltend. 
Dabei aber zeigt sich ein bemerkenswerther Unterschied. 
Leuten, die ohne eigne Schuld rechtlos sind, giebt man eine 



35 

Scheinbusse, die immerhin etwas ist und jedenfalls — abge- 
sehen vielleicht von der auf den niedern Stand des unfreien 
Tagelöhners anspielenden Mistgabel — keine spöttische Nebenbe- 
deutung hat. Leuten dagegen, die wegen unehrenhafter Lebens- 
weise oder weil sie Gewinn der Ehre vorÄiehcu, rechtlos sind, ge- 
währt man einen blossen Schein, in dem zugleich missachten- 
der Spott liegt; nicht mehr als ein Schildesblinken erhält der 
gedungene Kämpe, der um Lohn sein Leben einsetzt; nicht 
mehr als einen Mannesschatten, an dem er Rache nehmen 
mag, der Spielmann oder wer selbst das höchste Gut, die 
Freiheit, dahin gegeben, weil die Persönlichkeit ohne Ehre 
nicht mehr als der Schatten vollberechtigter an der Ehre voll- 
kommener Persönlichkeit ist. Und Leuten endlich, die ihr 
Recht durch schimpfliche Vergehung verwirkt haben, giebt 
man eine Busse, die im Grunde schlimmer als keine ist, in- 
dem sie mit beschimpfendem Hohn an die entehrenden Strafen 
körperlicher Züchtigung und des Haarscheerens mahnt"**). — 
Aehnliche Seheinbussen, bei denen zum Theil das Huraoristi- 
sche noch mehr hervortritt, finden sich übrigens auch im 
skandinavischen Recht*^). 

Ein anderer Fall der Scheinbusse beruht auf ganz vcr- 
schiedeöem Grunde, aber auf durchaus verwandter und das 
Gesagte bestätigender Erwägung. Es ist die Scheinbusse, mit 
welcher man einen berechtigten Todtschlag sühnt. So 
darf insbesondere der Hausherr den in sein Haus eindringen- 
den Frevler straflos erschlagen; dann soll er den Leichnam 
durch ein Loch unter der Schwelle aus dem Hause ziehen 
und als Besserung den Kopf des Haushahns (als des symbo- 
lischen Hüters des Hausfriedens) oder eine ganz geringe 
Münze auf seine Brust legen; damit hat er Genugthuung ge- 
leistet^^*)« Aehnlich der Blutsfreund, der den vogelfreien 

*^^) Es wäre sogar möglich, dass die Bestimmung ein Wortspiel 
mit dem doppelsinnigen Worte ,,Busse" enthält. Ihre Busse ist Besen 
und »Schere, das heisst: die ihnen gebührende Züchtigung. 

120^ Vgl. Grimm, K. A. 678, wonach der Spielmann eine junge, 
ungezähmte, den Hügel herabgepeitschte Kuli erhalt, wenn er sie mit 
frischgeiUtera Handschuh am glattgeschornen Schweif festhält. 

*2») Benker Heiderecht b. Grimm, W. HI. 42 §. 15. Recht der 
sieben freien Hagen ib, 308 §. 9. — Ebenso soll man nach ('>sterreichi- 

3* 



36 

Mörder des Blutsfreundes tödtet^^^. Die Idee ist hier offeii- 
!)ar die, dass der Todtscliiag zwar gerechtfertigt und straflos 
ist, aber immerhin ein Todtschlag bleibt, welcher der äusse- 
ren Erscheinung nach Rechts- und Friedensbruch enthält; so 
verordnet man denn eine Sühne, aber nur eine Sühne zum 
Schein; eine Sühne, die das, was nur der Form nach verletzt 
ist, auch nur durch eine leere Form wiederherstellt. 

Aehnlich ist ein dritter Fall der Scheinbusse, der sich 
in österreichischen Pantaidingen findet. Wer Nothzucht geübt 
hat, wird gerichtet, dass die Frau zwischen Haupt und Rumpf 
durchgehen mag. Schweigt sie aber von Ostern bis zur Ernte 
und. klagt dann, so büsse er es mit einem Beutel im Werthe 
eines Pfennigs, in den er zwei Pfennige hineinlegen solP*^). 

Zu den Scheinberechtigungen gehört es ferner, wenn 
einem Herrn irgendwo das sehr verbreitete Recht auf Herberge 
und Verpflegung nicht zusteht, ihm aber nun wenigstens ein 
Stecken, um sein Pferd anzubinden, ein Stuhl zum Sitzen, ein 
gedeckter Tisch mit leerem Geschirr und etwas Salz geliefert 
werden soll*^*). Umgekehrt haben die Huber des Dinghofes 
Kuenheim im Elsass Anspruch auf Bewirthung mit Brod und 
Wein gegen den Besitzer des Seelguts. „Woltens aber nit 
dormit vergut haben, so solte er ihnen geben mett uBd bier; 
hette er dz nit, so soll er wasz in ein beinenkorb schütten, 



sehen Pantaidingeti den getödteten Lauscher, den man zu tödten be- 
rechtigt ist, aus der Dachtraufe herausziehen und ihm drei Pfennige auf 
die Brust legen, z. B. Kalten back I. 499 §. 2Ö. 501 §. 13. 510 §. 31. 
521 §. 7-8. 

i«2) B Odra an n, Rheingau. Alterth. 627. 628. Grimm, W. I. 543 
a. 71 u. 72. 

»2^) So Kaltenbäck IL 62 §. 8. 

'^') Z. B. W. V. Kappeln v. 1353 b. Grimm V. 649 §. 2: Kommt 
der Wildgraf zum Gericht, so schlägt man ihm einen Stecken ein, sein 
Pferd daran zu binden, giebt ein Bund Stroh, dass es esse, einen Sessel, 
dass er darauf sitze, einen Tisch und einen weissen Becher darauf, und 
dazu so viel Salz, als mau braucht, um zwei Eier zu salzen. W. von 
Schwanheim b. Grimm, R. A. 256: man ist den Dienern des Herrn, 
die Hafer holen, „schuldig einen guten willen, eine warme stube und 
einen tisch weisz gedeckt und nichts darauf, drei weisze krausen und 
nichts darin, eine leere kandte und nichts darin, zwei spiesz am feuer 
und nichts daran.*' Vgl. W. L 523 u. V. 718. 



37 

da desz jhars ein im inen ist gewesen, u. soll di under ein 
ander emphachen: dz soll der mett sein. Und wasser schüt- 
ten durch ein häherin garb : dz soll der hier sein. Und damit 
soll sy bentigen"*^^. Also eine Scheinbewirthung, die zugleich 
Strafe dafür ist, dass sie sich mit dem Ghebotnen (Bier war 
damals im Elsass kostbarer als Wein) nicht hegntigen. 

§• 13« Eine sehr verbreitete Form des Scheinrechts ist 
ferner die Scheinerfttllung einer Verbindlichkeit, de- 
ren wirkliche Erfüllung an der Säumigkeit des Berechtigten 
scheitert. Die Verbindlichkeit ist hier an -sich erloschen; weil 
sie aber nicht auf regelmässige Weise gelöst ist, stellt man 
dem Schein der Ungehörigkeit einen andern Schein entgegen. 

Als vorzugsweise charakteristisch für diesen Fall können 
die Vorschriften über Auslieferung von Verbrechern dienen. 
Gemeinden und niedere Gerichtsherrschaften müssen den ver- 
hafteten Missethäter an den kompetenten Richter in feierlicher 
Weise an bestimmter Stätte, gewöhnlich auf der Grenze des 
Gerichtsbezirks, und zur festgesetzten Zeit überliefern. Sie 
haben aber, wenn der Richter trotz gehörig erfolgter Ansage 
nicht anwesend ist, das Ihrige gethan und können dann ohne 
weitere Verantwortung den Missethäter laufen lassen. Bis- 
weilen nun wird dies direkt gesagt'**). Oft aber ist angeord- 
net, dass der Missethäter an der Grenze zum Schein, so dass 
er leicht entrinnen kann, festgebunden werde'"). Der Ge- 
danke ist dabei offenbar der, die Auslieferung als scheinbar 
vollzogen darzustellen, so dass der Missethäter erst durch 
eigne Handlung, nachdem die Gerichtseingesessenen fortge- 
gangen sind, entrinnt, nicht aber von diesen geradezu in 
Freiheit gesetzt wird. Gewöhnlich ist es ein seidener oder 
zwimer Faden, mit dem der Verbrecher angebunden wird'*^). 

>") Grimm, W. IV. 212. 

'26) Z. B. Selterser W. b. Grimm, R. A. 874. 

'•'') Auf einem anderen Gedanken beruht es, wenn man am Chiem- 
see den Dieb „gepunden an ein ledigs schif setzen und in an alle rüder 
rinnen laszen soll/* Grimm, W. III. 671. Denn hier wird das Ent- 
kommen erschwert und noch in eine Art Gottesgericht gestellt. 

"^») Oeflfn. V. Altregenspcrg v. 1456 b. Grimm, W. I. 81—82. 
Bair. Hofmarkweisth. v. 1554 ib. 604 §. 6 (hier wird er mit einem 
Strohband an eine Fallthorsäule gebunden}, u. v. Roth ib, 670, Oeffn. 



38 

Der seidene oder zwirne Faden bedeutet hier einfach das lo- 
seste, nur dem Schein nach bindende Band. Er kommt auch 
sonst oft in ähnlicher Bedeutung vor, z. B. in der Redensart, 
ein Gut oder Haus solle so hohen Frieden haben, als sei es 
mit seidenem Faden umfangen oder umhangen; oder auch 
wohl blos, es sei mit einem Faden umhangen und deshalb 
geschützt. Denn auch hier soll der Faden nicht etwa eine 
besonders starke, heilige, sei es nun wirkliche oder vorgestellte 
Hegung ausdrücken: es ist vielmehr gemeint, der Friede des 
Grundstücks solle so stark und heilig sein, dass die loseste, 
geringste Umhegung, ja die blosse Vorstellung einer solchen 
ihn gegen jeden Eingriff schützen solle, als wäre sie die 
stärkste Mauer ^^). 



V. Wimburg ib. 691. Viele österr. Pant. b. KalteDbäck I. 449 §.5. 
469 §. 12. 481 §. 23. 492 §. 15. 495 §. 9-10. 497 §. 4-6. 15. 505 
§. 8. 507 §. 9 -.13. 523 §. 11. 533 §. 9- 10. 544 §. 26-27. 554 §. 20. 
578 §. 10. 588 §. 6. II. 14 §. 4. 17 §. 5. 65 §. 2. 91 §. 28. 95 §. 20. 
97 §. 3-4. — Nach dem W. v. Mekiohstädt b. Grimm UI. 893 wird 
der Missethäter am Thor des Gefängnissthurras abgeliefert und, wenn 
Niemand da ist, an die dritte Sprosse der Leiter gebunden. — Vgl. 
auch Grimm, R. A. 182. 

*29) Nach den bei Grimm, R. A. S. 183— 184 gegebenen Beispielen 
könnte diese Bedeutung zweifelhaft und vielmehr, wie Grimm dies 
annimmt, eine wirkliche symbolische Hegung gebannter Grundstücke 
durch einen darum gezogenen Faden gemeint sein. Vgl. auch Kalten- 
bäck I. 522 §. 11, wo ein Zwirnsfaden den Burgfrieden begrenzt. — 
Ich vermag aber zwei andere Stellen anzufahren, welche die Sache 
ausser Zweifel stellen. Zunächst soll das Haus nach österr. Pant. b. 
Kaltenbäck I. 469 §. 14 so hohen Frieden haben, „als wer es mit 
einem faden umbfangen oder umbhangen." Das Haus aber bedarf kei- 
ner Abhegung. Sodann heisst es im W. zu Meudt b. Grimm I. 837 
ausfuhrlich: „were es sach, dass die herren der grafschaft von Dietz 
einen misstedigen menschen jagenden zu dem dorff M. u. dass ein sey- 
den faden umb das dorff gingh, u. das gejagte mensch ander dem faden 
in das dorff kem, sollent die vorgedachte herren der graffschaft Dietz 
wenden und den faden nit schedigen.^' So heilig also soll ihnen die 
Freistatt sein, dass sie selbst einen blossen seidenen, die Grenze be- 
zeichnenden Faden nicht anrühren, sondern vor ihm wie vor einer 
Mauer umkehren sollen. Es ist mithin im Resultat dasselbe, als wenn 
anderwärts gesagt wird, ein Gut soll (rechtlich) so befriedet sein, als 
wäre es (thatsächlich) von neun Zäunen umfriedigt (so b. Grimm 1. 139: 
rlie wynreben zu Wülfflingen sollend also in gutem frid sein u. liegen, 



39 

Wie die Lieferungspflicht eines Verbrechers, so wird bis- 
weilen auch die Lieferungspflicht des Besthaupts, wenn 
der Berechtigte es nicht abnimmt, damit gelöst, dass man das 
Boss oder Rind an einen Brunnenpfahl bindet; hier aber wird 
hinzugefügt, dass man dem Thier Wasser in einem durch- 
löcherten Korb zum Trunk und Steine in einem Kübel zum 
Frass vorsetzen soll, damit es davon lebe so lange es kann*^). 
Also neben der Scheinablieferung noch eine scherzhafte Scheiu- 
sorge für den Unterhalt des Thiers! Ebenso aber kommen 
mancherlei andere Scheinhandlungen vor, um z. B. dem 
Markgenossen, der vom Förster die Erlaubniss s&um Holz- 
schlag unrechter und säumiger Weise nicht erhält und nun 
doch Holz schlägt *^0) ^^m Reisenden, der den Fährmann 
dreimal vergebens gerufen und nun sich selbst überfährt ^'^^), 
dem Zinser, um dessen Zins zwei Herren streiten und der 
doch nur Einem zahlen kann^^^), jede Verantwortlichkeit ab- 
zunehmen*^*). 



alBS ein guth Jn nun ettern.) Nur ist in diesem Fall die sinnlich stärkste 
Umfriedigung, in unserm Fal] umgekehrt die sinnlich schwächste Um- 
friedigung Gleichniss des Rechtsfriedens, weil dort der Friede selbst, 
hier der leichteste, unscheinbarste und dennoch strafbare Friedensbruch 
bildlich dargestellt werden soll. Man mag damit die oben erwähnte 
Ausmalung der Freiheit der Nacht vergleichen [Note *')]. 

130) Freiheiten von Utznach in St. Gallen u. v. Liechtensteig in 
Toggenburg b. Grimm, R. A. 370-371. Vgl. auch Feldheimer Dorf- 
öflfn. ib. 371 Note *. 

»3*) Vgl. z.B. W. des Möhringer Walds b. Grimm H. 581: Der 
Landmann fährt trotz versagter Erlaubniss in den Wald, haut, lädt und 
ruft dreimal: ,,Komm Förster und hole dein Recht.*' „Kommt er, wol 
gut!" Kommt er nicht, so legt er 3 Pf auf jeden Stock und fährt 
heim. Vgl. ib. I. 174. 651. II. 271. 475. 616. IV. 558 §. 6 u. 74 (wo 
der Huber drei Schläge in den Baum thut, die sollen seine Zeugen sein, 
dass Niemand da war). 

»«) Grimm, W. I. 427. IL 581. HL 627. IV. 221 §. 23 (hier 
kann man sogar während des Wartens auf des Fährs Kosten zechen). 

»33) Er setzt einen Tisch halb in den Flur und halb vor das Haus, 
legt das Geld darauf und wartet, wer es holt. Grimm, W. III. 888. 

>3f) Hierher gehört auch die Scheinzahlung des nicht geholten oder 
zurückgewiesenen Zinses durch Niederlegen auf einen Thürpfosten, einen 
dreibeinigen Stuhl, einen Stein, einen Baumstamm u. s. w., Grimm, 
R. A. 389—391; die Scheinladung durch Umkehren eines Steins vor 
dem Hause, Grimm, W. I. 305 u. s.w. 



40 

Verwandt ist ferner die Schein helehnung, welche der 
bäuerliche Gutsempfänger, den der Hofschulz aus Frevelmuth 
nicht belehnen will, selbst vornehmen soll. Er nimmt einen 
dreibeinigen Stuhl, setzt ihn in das Gericht, legt auf jeden 
Stiel drei Albus und tastet den Stuhl an: so ist er belehnt *^')« 

Auch gehören offenbar in das Scheinrecht die Sonnen- 
lehn, bei denen Gott oder die Sonne als Lehnsherr gedacht 
wurde und ein förmlicher feierlicher Empfang des Lehens 
von der aufgehenden Sonne üblich war'^^), — Alles nur, um 
unter dem Scheine des Lehens freies Allod in einer Zeit zu 
wahren, in welcher die Idee des Lehnswesens den gesammten 
ritterlichen Grundbesitz durchdrang. 

In gewissem Sinne, wenn auch nur zur Hälfte, gehört 
schliesslich das Verfahren hierher, welches einem Grundherrn 
vorgeschi leben war, der einem zum freien Zug berechtigten 
und mit Wagen und Hausgeräth abziehenden Unterthanen be- 
gegnete. Er sollte ihn nicht nur frei ziehen lassen, sondern, 
wenn der Wagen stecken blieb, sollte er seine Knechte an- 
fassen heissen und im Nothfall sogar selbst helfen, dabei je- 
doch mit Einem Fuss im Bügel bleiben; dann sollte er dem 
Seheidenden zurufen: „fahr hin! und dass es dir so wohl 
gehe, dass du zu fahren wieder kommst'' ^^"). Hier ist die 
Unterstützung und freundwillige Entlassung des Abziehenden 
ernsthaft gemeint. Dagegen ist die persönliche Hülfe des 
Herrn beim Fortschieljen des Wagens nur symbolisch als Aus- 
druck des guten Willens zu verstehen, weshalb der Herr, dem 
mehr nicht wohl anstehen würde, dabei mit einem Fuss im 
Bügel bleiben solP''). 

*^^) Schöplenberger Hofr. b. Grimm UI. 38. Vgl. die W. von 
Schwelm, Hagen u. Eilpe ib. 31. 36 §. 17. 40. 

^36) Grimm, R. A. 278-280. 

'^') Vgl. d. Weisth. v. Fischbach und Nanstuhl b. Grimm I. 777. 
V. 669 §. 13, sowie von Nennig u. Heifant II. 254 u. 259. - Dagegen 
soll in Rotzenhain u. Fellerich ib. I. 637 u III. 792 der Herr völlig ab- 
steigen und helfen. 

^38) Aehnlich auch Grimm, R. A. 100 u. 348, der darin „halbe, 
vornehme Hülfe** ausgedrückt findet. ~ Ebenso bedeutet es z. B. nur hal- 
bes, unwirkliches Verweilen, wenn in österreichischen Hofmarken wegen 
ihrer Immunität der Landrichter nur mit einem Fuss aus dem Bügel 



4t 

Endlich muss erwähnt werden, dass eine Scheinberechti- 
giing auch manchmal dadurch ausgedrückt wird, dass etwas 
Unmögliches oder übertrieben Grosses geleistet werden 
soll. Das Erstere z. B. wenn eine Busse in schwarzen Schwä- 
nen und weissen Raben angesetzt wird*^^). Das Zweite, wenn 
der Sachsenspiegel den unfreien Tagelöhnern trotz ihrer Recht- 
losigkeit und äusserst geringen Busse als Wergeid einen 
alterthümlich aufgefüllten Weizenberg zwischen 12 Ruthen mit 
je 12 Nägeln an jeder Ruthe, je 12 Beuteln an jedem Nagel 
und je 12 Schillingen in jedem Beutel, also offenbar einen 
übertriebenen und nur spöttisch gebotenen Betrag gewährt ^*^). 
Auch sonst wird dies oft, wenn Unerschwingliches gefordert 
wird, der Sinn sein**^). 

§. 14. Ausser den Fällen der Rechtsllbertreibung und 
des Scheinrechts giebt es nun aber noch manche andere 
Satzungen, denen der Volkshumor — oft ohne sichtbaren 
Zweck und scheinbar spielend — eine humoristische Fas- 
sung giebt. 

Dies kommt besonders bei manchen Massbestimmun- 
gen vor. So lautet im Vestgericht zu Hemmendorf auf die 
Frage: „wie die wunden sollen gethan sein, darüber gevhe- 
stet werden soll?" die Antwort: „im leibe gliedes lang und 
tief, u. im Kopfe als einem priester, der alle tage messe hält, 
das schwarze uf dem nagel " *"). Das ist offenbar nur scherz- 



treten und 80 ein Kännchen Wein trinken darf, sonst von Jung und 
Alt mit Stöcken oder Scheitern aus der Mark vertrieben werden soll. 
So b. Kaltenbäck I. 167 §. 37. 180 §. 42. 189 §. 46. 204 §. 26. 221 
§ 6. 330 §. 34 u. 36. 337 §. 36. 359 §. 22. IL 18 §. 22. 

*3») Urk. aus Carpentier I. 930 b. Grimm, R. A. 377 Note: y,si 
quis contradicere conaverit^ centum cygnos nigros et totidem corvos alhos regi 
persolvat.*^ 

»40) Sacbs.sp. III. 45 §. 8. Dazu Grimm, R. A. 675—676. Es 
kommen 20736 Schillingo, vom Weizen ganz abgesehen, heraus! Und 
dies neben einer Scheinbusse von 2 Handschuhen und einer Mistgabel. 
Und neben Sachs.sp. III. a. 44 §. 3, wo es heisst: von den laten, die 
sik verwarchten an irem rechte, sint komen dagewerchten. 

»'») Vgl. z. B. Niedermendiger W. v. 1536 b. Grimm II. 492 und 
darüber Grimm, Z. f. D. R. V. S. 19; ferner Grimm, R. A. 667. 

»»2) Grimm, W. IV. 655 §. 3. 



42 

hafter Ausdruck flir eine ganz kleine Kopfwunde. Ebenso 
zähle ich hierher die Bestimmung des Wetterauer Wasser- 
gerichtsweisthums, wonach der Müller das Wasser nicht höher 
stauen darf, als dass eine Biene auf den Kopf des Nagels in 
dem eingeschlagnen Merkpfahl fliegen, sich darauf erhalten 
und, ohne FUsse und Fitigel zu benetzen oder zu verletzen, 
vom Wasser trinken und geniessen kann**^). Denn eine wirk- 
liche Probe mit der Biene Hess sich doch nicht anstellen"*). 
In Franken wurde ein Hauseigenthttmer baupolizeilich gestraft, 
wenn in seinem Dach ein Loch gefunden wurde so gross und 
so weit, dass man ein Gespann Esel möchte hineinwerfen"^). 
Eine vom Herrn oder von den Hubem zu liefernde Wagen- 
ladung Holz wird in mehreren Weisthtimem der Mark Schwan- 
heim näher dahin bezeichnet, sie solle so lose und weitläufig 
geladen sein, dass eine Atzel aufrecht oder „mit ufgereckten 
obren" hindurch fliegen könne "0; und im Birgeier Weisthum 
von 1419 heisst es mit noch weniger verkennbarem Humor: 
„item sol yedie hübe führen zwene wagen rechholzes; da sol- 
len in dem wagen nit me sin dau vier pferde; iz sal sin suer 
unde fule unde Übel geladen, daz sieben houde eynen hasen 
dar durch mögen gejagen" "^).' Am seltsamsten endlich lautet 
eine Bestimmung des Benker Heiderechts. Danach soll der 
Mann, der von seiner Frau geschlagen wurde, aus dem Hause 
weichen, eine Leiter ansetzen, das Dach höhlen"®) und das 



**^) Grimm, W. III. 467. Nicht ganz richtig scheint Grimm, 
R. A. 79, die Stelle zu verstehen, wenn er sie als „Bestimmung der 
Höhe des einzuschlagenden Wasserpfahls^' bezeichnet. 

^**) A. M. scheint Grimm, R. A 109, wenn er hier wie bei 
Schildesblick und Knochenklang an einstige wirkliche Uebung und nach- 
hallende Erinnerung derselben denkt Aber diese Messung war nie wie 
das Werfen des Knochens wirklich ausführbar. 

»») Grimm, W. III. 549. — Vgl dazu ib. 480. 

liG) \Y^ V. Schwanheim b Grimm, W. I. 523: dan sol man finden 
uff des apts hoffe eynen wagin ful holtzes, suer u. ful u. ubelgeladen, 
das eyn atzel uffrecht dar durch gefliegen mag. Andere Fassungen b. 
Grimm, R. A. 93. 

»'T) Grimm, W. I. 516. 

'") „so sali he en ledder an dat huiss setten u. maken en hohl 
durch den dack." Dachabdeckung als eine von den Gemeindegenossen 
an einem Nachbarn, „der so weibisch wäre, dass er sich von seinem 



43 

Haus zupfählen; dann soll er ein Pfand im Werthe eines 
Goldguldens mitnehmen und dies mit zwei Nachbarn vertrin- 
ken; „und sollen sick so gelick doin im uitdrincken, dat 
eine luiss unter dem pegel mit upgestreckten ohren krupen 
könnte"**^). Sie sollen also beim Vertrinken des Pfandes, das 
als eine Art Busse erscheint, so gleichmässig trinken, dass 
beim Einschenken aus der Kanne unter dem zum Messen an 
dieser angebrachten Ringe (pegel) jedesmal gerade so viel 
Raum bleibt, als eine mit aufgerichteten Ohren kriechende 
Laus braucht. Weder diese Laus, noch jene Elstern oder 
sieben Hunde nebst Hasen sind je wirklich beim Messen zu- 
gezogen : indem man sie aber als Massstab denkt, schafft sich 
der Volkshumor ein zugleich plastisches und belustigendes Bild. 
An sich ernsthaft gemeint, aber durch humoristische Zu- 
that ausgeschmückt sind die Bestimmungen über Ermittlung 
des Raums, bis zu welchem Hühner ohne Gefahr der Pfän- 
dung in die Mark oder auf das Nachbargrundstück gehen 
dürfen. Uralter Sitte gemäss wird in den verschiedensten 
Gegenden diese Entfernung durch den Wurf mit einer Sichel 
oder einem Pflugeisen bestimmt. Damit aber der Raum, den 
man möglichst beschränken will, nur sehr gering ausfalle, 
werden allerlei humoristisch gefärbte Erschwerungen hinzuge- 
fügt. So hat nach dem Benker Heiderecht ein Huhn nicht 
weiter Recht, „als ein guet man mit bair voiten over ein offt 
twen thunstacken stünde u. worfe zwischen den benen hin" ^^). 
Ebenso soll man nach Bochumer Landrecht (§. 44) barfuss 
auf zwei spitze Zaunstacken klimmen und zwischen den Bei- 
nen herwerfen, in Schwelm auf dem Zaune stehend ein Pflug- 
eisen zwischen den Beinen auf des Nachbarn Feld werfen, 
um das Hühnerrecht zu ermitteln*"). In Niederbaiern und 
Oesterreich soll die Bäuerin auf den Dachfirst steigen und ein 
in ihren Schleier oder ihr Kopftuch gewickeltes Ei rückwärts 



Weibe raufen, schlagen oder schelten Hesse," als an einem Entehrten 
vollzogene Strafe kommt öfter vor, Grimm, R. A. 723—725. 

>»«) Grimm, W. UI. 42 §. 26. 

»^«) Grimm, W. III. 42 §. 23, 

»6») Grimm, W. HI. 30. 



44 

durch die Beine hinauswerfen'^^). Die Hühner des MtillerH 
zu Uzwil dürfen so weit gehen, als er vom First der Mühle 
mit einer Sichel wirft, wenn er ein Ohr in die Hand nimmt, 
den andern Arm hinter dem Haupte her hindurchsteckt and 
die Sichel in dieselbe Hand nimmt '*^), — eine Art des Wer 
fens, die so oder ähnlich auch zu andern Kechtsausmessungrn 
vorkommt*^*). In Fellanden soll der ausserhalb des Dorf- 
etters Hausende auf dem Dachfirst stehen, mit dem rechten 
Arm unter den linken greifen, das Haar unter dem linken 
Arm in die rechte Hand nehmen, mit der linken eine Sichel 
an der Spitze fassen und werfen; so weit er wirft, so weit 
dürfen seine Hühner in die Mark gehen; gehen sie weiter, so 
bessert er den Schaden mit 4 Schill, von jedem Tritt**^). In 
Schwarzenbach endlich soll in dem gleich Falle die Hausfrau 
auf dem Dachfirst stehen, mit der linken Hand die Sichel bei 
der Spitze fassen und sie unter dem rechten Bein fortwerfen*'^). 
In dem letzten Beispiel tritt der Humor als gestaltgebend am 
unverkennbarsten hervor, weil hier absichtlich Alles verkehrt 
wird: statt des Mannes wirft die Frau, die Sichel wird am 
verkehrten Ende gefasst, die linke Hand wirft unter dem 
rechten Bein, statt dass nach uraltem Recht sonst die rechte 
Hand unter dem linken Bein wirft*"). Einiges von solchen 

»*2) Ehaftreoht für Niederbaiern a. 18 uod von Wilzhut §. 13 bei 
Grimm, W. UI. 683. 

»") Grimm, W. V. 196 §. 33. 

***) So nach dem Recht der sieben freien Hagen b. Grimm III. 
309 §.19 beim Anpflanzen von Hagen in der Mark; so nach dem Bisch- 
weiler W. b. Grimm, R. A. 62 Nr. 53 bei neuen Mühlenanlagen (so- 
weit der Müller vom Wendelbaum rücklings eine Kugel mit der linken 
Hand wirft, wenn er das linke Ohr mit der rechten Hand fasst und den 
linken Arm nicht über den Ellenbogen hinaus hindurchsteckt); so bei 
Anlegung neuer Bienenstellen, ib. 61. Nr. 50 u 51 u. s. w. 

»") Grimm, W. I. 29. -- Vgl. ib. 206. 

»^6) Grimm, W. 1. 217-218. 

**') So namentlich beim Hammer wurf zur Ermittlung der Ausdeh- 
nung des Rechts auf Ohrtland und Plaggemaht in der Mark, Low, 
Markgenoss. 174—179, Grimm, R. A. 56- 57 n. W. III. 134 §. 8. u. 193; 
Maurer, Dorfv. I. 294-298. Denn, wie dies Grimm zuerst bemerkt 
und nachgewiesen hat (Poesie im Recht 70, R. A. 65 u. 705—706), der 
rechte Arm ist als Schwertschwinger, der linke Fuss als Rossbesteiger 
vornehmer. 



45 

absichtlichen Verkehrungen findet sich ja aber auch in den 
andern erwähnten Bestimmungen. 

§. 15. In den zuletzt erwähnten Satzungen ist nicht 
blos die Fassung humoristisch : die Rechtshandlung selbst 
vielmehr wird ins Belustigende gewandt. Aehnliches findet 
sich auch sonst, wie denn z, B. der bekannte alte Brauch, die 
bei einem Rechtsakt als Zeugen zugezogenen Knaben zu ohr- 
feigen, in die Ohren zu kneipen oder auf den Boden zu 
stauchen, damit sie sich lange des Vorgangs erinnern *^^), nicht 
ohne Mitwirkung des Humors entstanden sein wird. Ebenso 

i erhält oft bei den Rechtsparodien und bei lächerlichen 

; Strafen die Rechtshandlung selbst eine humoristische 

' • Färbung. 

I Eine Rechtsparodie glaube ich da zu finden, wo eine 

ernste und ehrwürdige, auf wichtige Fälle bezügliche Satzung 
in veränderter und scherzhaft verkehrter Form auf etwas 
Kleines, Unwichtiges angewandt oder durch irgend einen Zu- 
satz in ihr Gegentheil verändert wird. In diesem Sinne ist 
' schon manches hierher Gehörige vorgekommen, wie z. B. die 
Parodirung der Entscheidung durch blinde Naturkraft in der 
Bestimmung nach dem zu Berg oder zu Thal laufenden Wein, 
die Parodirung des alten Wergeidsgerüstes zu Ungunsten der 
Tagelöhner, die Parodirung der alten Wundenmessung durch 
die Bemessung nach dem Schwarzen auf dem Nagel, die Paro- 
dirung des Hammerwurfs durch die Bestimmungen über die 
Ermittelung des Hühnerrechts. Ebendahin gehören in ge- 
wissem Sinne alle Schein bussen, die Schein belehnungen und 
Anderes. 

Insbesondere musste sich, der späteren Zeit wenigstens, 
das Recht der Thiere zum grossen Theil als Parodie des 
Rechtes der Menschen darstellen. So ihr Wergeid, ihre Be- 
strafung, ihre Zeugenscbaft. So ferner die Bestimmung, wo- 
nach das zu liefernde Zinshuhn gleich dem Menschen eine 

*^^) Ueber die testes per aurem tracti und Aehnliches vgl. Grimm, 
I R. A. 143 146, 545 u. W. 1. 602 - Vgl. auch über den Verzicht- 

pfennig, welcher der Frau in den Busen gesteckt wird, damit auch 
1 etwaige künftige Kinder als verzichtet gelten, W. v. Niederprüm ib. 

II. 533. 



46 

Kraftprobe ablegen, nämlich auf einen dreibeinigen Stuhl oder 
einen Wassereimer springen soU'^^). So noch deutlicher die 
Anordnung des Schwelpacr Hofrechts, wonach man die auf 
dem Kornfeld gepfändeten fremden Gänse an einem auf diesem 
selben Felde errichteten Galgen aufhängen darf*^). So die 
sehr häufig wiederkehrende Vorschrift, wonach man die ge- 
pfändete Gans nicht geradezu tödten, sondern ihren Schnabel 
durch den Zaun, die Hecke oder einen gespaltenen Stock 
stecken, ihren Hintern aber oben über Zaun, Hecke oder Stock 
hinüberwerfen und sie in dieser Lage hängen lassen soll; 
rettet sie sich, so ist es gut*^*). So endlich die den meist 
glimpflicher behandelten vierfttssigen Thieren angedrohte ge- 
linde Züchtigung'"'). 

Ein charakteristischer Fall der Rechtsparodie scheint mir 
schliesslich noch folgender zu sein. In der Abtei Prüm wer- 
den von jedem Viertel Landes 2^ oder auch 7|- Ostereier 
geschuldet. Trifi't es sich nun, dass ein zinspflichtiger Gehö- 
fer ein halbes Ei entrichten müsste, und er will nicht statt 
dessen ein ganzes geben, so soll er das fragliche Ei auf seine 
Schwelle legen und mit einem Messer entzwei hauen; gleitet 
das Dotter nach innen, so ist er los; gleitet es vor die ThUr, 
so ist er dem Herrn bnssfällig*^^). Diese Besitimmung beruht 



^59) ürk. V. Monre v. 12G0 b. Grimm, W. III. S. 621 Note. Sim- 
merner u. Gillenfelder W. ib. IL 148 u. 414. 

»«0) Grimm, W. UI. 30. 

»«^) Grimm, R. A. 595. Benker Heider. b. Grimm, W. III. 42 
§. 21; Recht der sieben freien Hagen ib. 308 §. 12 (so sie sich dann 
kan lösen, so hat sie ihr leben errettet); W. v. Vehlen ib. 318; W. v. 
Oberwinthur ib. I. 127; v. Magdenau in Toggenburg ib. V. 188 §. 7. 
Also in der Schweiz genau wie in Westfalen, Niedersachsen, Friesland. 
Erinnert wird man besonders an die dem Verbrecher oft noch gelassene 
Möglichkeit, mit dem Leben davon zu kommen. 

1C2) Yf V. Düppigheim im ünterelsass b. Grimm V. 42l §. 10: 
ein Thier, das 4 Beine hat, soll der Meier, wenn er es Schaden thuend 
findet, „nemen bi dem linken ore und es schlahen mit dem handschiiwe.** 

^6^) So nach dem W. v. Berisborn b. Grimm IL 525. Hier wird 
zwar dio Sache umgekehrt, indem es heisst: „feit das meist stuck bin- 
nen die schwel, so ist er dem herrn nmb eine boesz erfallen, feit aber 
das meiste stuck vor die thur, so ist der gehofifner los/* Ich halte dies 
aber für ein Missverständniss und finde dies bestätigt durch das W. v. 



47 

nicht, wie Maurer sagt, darauf, dass man „die Gerechtig- 
keitsliebe bei der Zinserhebung bis zum Lächerlichen trieb" ^^*). 
Vielmehr ist ihr Sinn wohl folgender. Es ist unrecht, das 
Recht auf die Spitze zu treiben und um ein halbes Ei zu 
markten. Da aber Zinsherr und Zinspflichtiger hierbei in 
gleicher Lage sind, so wird die Entscheidung durch eine Art 
Gottesurtheil getroflfen. Fällt das Ei beim Zerschlagen binnen 
die Schwelle, so zeigt es sich, dass es ins Haus gehört, und 
der Herr verliert seinen ganzen Anspruch. Fällt aber das Ei 
vor die Thür, so zeigt es sich, dass es hätte aus dem Haus 
gegeben werden müssen, und der Zinspflichtige muss nun 
wegen seiner Weigerung, ein ganzes Ei zu geben, Busse zah- 
len. Und hierbei schweben off^enbar andere Satzungen vor- 
bildlich vor; insbesondere die altehrwürdige Bestimmung, dass 
die Straflosigkeit des Todtschlags zur Wahrung des Haus- 



Walmersheim in derselben Abtei ib. 538: , jeder viertel landes gibt dem 
gruutberrn 7^ ey, u. das achte ey soll die fraw uff die schwell legen, 
welches der schoHess mit einem kolter von einanderhawen, u. was bin- 
nent die schwell feilt, soll der gehöffer, und wass darbaussent 
feilt der grundherr haben." In diesem Weistlium ist die Entschei- 
dung nach draussen und drinnen richtig getroffen; dagegen fehlt die 
Busse. Es könnte sogar scheinen, dass hier Theilung vorgeschrieben 
ist, was ein anderes Missverständniss voraussetzte; doch glaube ich, 
dass, da das Eidotter zusammenbleibt und nur nach einer Seite gleitet, 
Entscheidung für den Einen oder Andern gemeint ist. Völlig endlich 
wird unsere Auslegung bestätigt durch das Hofrecht von Barmen, wel- 
ches nur die Schwelle fallen lässt, die Entscheidung aber nach dem 
Gleiten des Dotters richtig fällt. Es soll nämlich, wenn ein Hof ein 
halbes Ei schuldet, die Frau das Ei auf dem Rande des Korbes, in 
welchem der Schultheiss die Eier sammelt, zerschlagen ; fallt das Dotter 
in den Korb, so behält es der Herr; behält die Frau das Dotter in der 
Schale, so ist es ihrs und sie soU damit bezahlt haben; ib. III. 16. 
Alle drei Weisthümer also, so scheint es, mischen etwas Ungehöriges 
in eine von ihnen nicht mehr in ihrem vollen Sinn verstandene üeber- 
lieferung, als deren ursprüngliche Form aus einer Kombination der drei 
Stellen sich der im Text aufgestellte Satz mit Sicherheit ergiebt. 

^6») Maurer, Fronh. III. 348 Ihn leitet offenbar das von ihm 
vorangestellte Weisthum von Walraersheim irre, indem er darin eine 
wirkliche Tljcihmg des Ei's in zwei Hälften sieht. Ihn widerlegt aber 
schon der einzige Umstand, dass nach dem W. von Berisborn der Ge- 
höfer, wenn das Ei binnen die Schwelle fällt, ausser dem Ei noch Busse 
geben soll. 



48 

friedens danach bemessen wird, ob der Kopf des Erschlagenen 
innerhalb oder ausserhalb der Schwelle zu liegen kommt *^'). 

§• 16« Humoristische Strafen kommen seit alter 
Zeit in verschiedener Weise vor, indem sie theils auf Ablö- 
sung , theils auf wirkliche Vollziehung berechnet sind. Im 
ersteren Falle ist oft ein doppeltes humoristisches Moment 
vorhanden, indem theils die Art der Strafandrohung von einem 
freilich oft sehr grausamen Humor diktirt ist, theils in der 
Hinzufügung einer sehr leichten Ablösbarkeit das Zugeständ- 
niss gemacht wird, dass die Sache doch nicht so ernst ge- 
meint sei, wie sie aussieht. Im zweiten Falle liegt das Lä- 
cherliche nur in der Art der Bestrafung. 

Hierher gehört schon aus den Volksrechten die Bestim- 
mung des burgundischen Rechts, der Habichtdieb solle ent- 
weder sich 6 Unzen Fleisch auf die blosse Brust legen und 
den Habicht diese von da wegfressen lassen, oder, wenn er 
es vorzieht, 6 Schillinge zahlen*^). Wer irgend konnte, wird 
sich natürlich nicht der Gefahr, dass der Habicht ihm seine 
Brust zerhacke, ausgesetzt haben. Ebenso die Bestimmung 
desselben Rechts, wonach der tiberführte Hundedieb entweder 
vor allem Volk dem Hund den Hintern küssen, oder aber 
5 Schillinge zahlen mlV'). 

Humor waltet ferner in der Vorschrift des alamannischen 
Volksfechts, wonach der Erbe des von einem Hunde Getödte- 
ten von dem Herrn des Hundes das halbe Wergeid erhalteu 
soll. Fordert er aber das ganze, so erhält er den Hund 
ausgeliefert, muss sich jedoch folgender sehr lästigen Bedin- 
gung unterwerfen. Alle Thtiren seines Hauses werden ver- 
schlossen bis auf eine, durch die er stets ein- und ausgehen 



»6^) Grimm, Ji. A. 628 und dazu einerseits Weistli. 1. 414 u. 422, 
andrerseits R. A. G27, Weistb. I. 463. II. 658] III. 375. IV. 528 §. 8. 
V. 241 §. 20, u. Zeitschr. l Rechtsgesch. V. 45. 

^^^) L. Burg add. I. tit. 11: si quis acceptorem alienum involare prae- 
sumpserit, aut sex uncias' camis accepUrr ipsi super testones comedatj aut 
cei^te si noluerit sex solidos Uli cujus acceptor est cogatur exsolvere. 

^^'') Ib. tit. 10: si gms canem veltraum aut sejutium aut petrunciUum 
praesumerit involare, juhemus ut amvictus coram onmi populo posteriora canis 
osculetur aut quinque solidos . . . cogatur exsolvere. 



49 

muss. üeber dieser Thtir wird in einer Höhe von 9 Fuss 
der Hund aufgehängt, bis er gänzlich verfault ist, verfault 
herunterfällt und die Knochen dort liegen. Nimmt er den 
Hund fort oder geht er durch eine andere Thtir , so muss er 
auch das halbe Wergeid zurückzahlen^^®). Die Unannehm- 
lichkeit dieses Verfahrens ist hier (wie öfter) Strafe der Be- 
gehrlichkeit, welche ein an sich vielleicht nicht abzustreitendes 
Recht auf die Spitze treibt; ihre Androhung soll den Berech- 
tigten vermögen, sich mit dem billigen Ausgleich des Gesetzes 
zu begnügen. 

Scherzhafter Art ist auch die Drohung eines Kapitulars, 
wer im Heere betrunken befunden würde, solle so gebannt 
werden, dass er, bis er sein Unrecht eingesehen, nichts als 
Wasser trinken solle ^^®). 

Die grausamen Strafen der Grenz- und Markfrevel 
sind auch ohne Znsatz der Ablösbarkeit nicht oder doch nicht 
mehr ernsthaft gemeint, sondern malen nur aus, was gesche- 
hen würde, wenn das Recht in ganzer Strenge ergienge*"^). 



^^8) L. Alam. tit. 102. — Vgl. aber, was Grimm, R. A. 665, über 
altnordisches Recht mittheilt, wonach umgekehrt der Herr eines tödten- 
den Knechts, wenn er das Wergeid nicht zahlt, den Knecht sich au 
die Hausthtire hängen lassen muss, bis dieser fault und abfällt. Hängt 
die Bestimmung der 1. Alam. hiermit zusammen^ so beruht sie vieUeicht 
nicht, wie Grimm meint^ auf Verwirrung der Tradition, sondern auf ab- 
sichtlicher Verkehrung derselben, die bei der Herabsetzung des Wer- 
geides auf die Hälfte im Sinne der oben angeführten Rechtsparodien 
erfolgte. 

*^^) Capit. Bonon. 811 c. 6 p. 173: ut in hoste nerno paretn suwn vel 
queinlibet alterum hmninein bibere roget. Et quictimque in exerdtu hehrius 
iiwentus fueriij ita excornmicelur ^ ut in hihendo sola aqua utatur^ quousque 
male fecisse cognoscat. 

'''<^) Deutlich geht dies z. B. aus dem Eichelberger Markweisth. b. 
Grimm I. 565 hervor: „Further weist der merker . . . der ein stehen- 
baum schelett, dem were gnade nutzer denn recht. Und wan man dem 
solle recht thun, solle man ine by seinem nabel sein bauch uflfschneiden 
und ein darm darauss thun, denselben nageln an dem stamme und mit 
der person herumb gehen, so lange er ein darm in seinem leibe hat. 
Darumb were ime gnade besser den recht." Hier ist das Ganze hypo 
thetisch gehalten. Befolgte man das strenge Recht, so würde er so be- 
straft werden; man befolgt es aber nicht, sondern übt Gnade. — Vgl. 
auch ib. IV. 712 u. Grimm, R. A. 520. 682. 

4 



50 

Sie sind aber auch abgesehen hiervon offenbar von einem 
gewisBen grausamen Humor gestaltet, indem dabei zwei straf- 
rechtliche Gedanken, der Gedanke der Talion'"') und öfter 
auch der Gedanke der Schadensbesserung, durch die 
Gleichstellung der Steine oder der Bäume uud ihrer Thcile 
mit dem menschlichen Körper und seinen Gliedern in das 
Bizarre und Höhnische verkehrt werden. Wer einen Grenz- 
stein auspflUgt, wird selbst an dessen Statt bis zom Gürtel 
eingegraben und ihm der Kopf abgepflUgt; oder er wird mit 
dem Kopf nach unten eingegraben und der Markstein zwiselien 
seine Beine gesetzt, „das man secb, dass ain gutes gemerk 
sei""*). Wer einem Baum die Rinde abschält, dem wird da- 
für der Darm herausgeschält und um den Baum geschlungen, 
damit dem Baum so die Rinde erseizt werde, bis sie wiederum 
wächst'"). Wer einen Baum köpft, der wird wiederum ge- 
köpft und sein Kopf zum Ersatz auf den Stamm gesetzt, bis 
diesem ein neuer Kopf wächst"*). Waldbrenner werden drei 
Mal gebunden in ein Feuer geworfen oder in dessen Nähe 
gesetzt, bis ihnen „die Sohlen von den Füssen, nicht von den 
Schuhen, fallen"'"). Ueherall werden hier die Frevler ebenso 
behandelt, wie Steine oder Bäume von ihnen behandelt wor- 
den sind. Und als ein Zweites kommt femer mitanter die 
* Idee hinzu, der ausgepflUgte Stein solle durch den eingegra- 

1") OsenbrÜggcD, Studien, Abh.Nr.8 „Die Talion" 8.150-180. 

'^*) Grimm, B. A. 547; W. II. 132. 138. 139. 494. Zeitschr. f. 
tteehtagesch. I, 391. Oaenbrttggen, K. A. aua österr. Pant. §. 16. 

"^ Grimm, W. I. 565. III. 41C §. 7. 4«9. 309 §. 18 mit dem höh- 
nenden Zusatz: „kann er das verwinden, so kann die weide es auch 
verwinden." IV. 666 §. 15 ; „den schall man de darmen utb den liewe 
theen und darumb herscblaen, bet he wedder waszet." 6<i9 §. 13. V. 
320 §. 10. 

'■") Grimm, W. III. 277. 230. IV. 651 §. 44: waa ist die Strafe 
f^r Abhauen einer Kopfweide? „man soll ihm den Kopf wiederum ab- 
hanen." Ebenso 660 §. 16 u, 712. Besonders aber Bebecsohe IIolz- 
art.lkel ib. 666 §. 14: den Eichenköpfer „schall man bringen by den 
stemmen und liawen Ohme synen kop ap und selten darub sau lauge, 
bet he wedder waszet." Vgl. auch 651 g. 45 (wer ton einem Zaun eine 
Ahrte abhuLil:, dem wird „wiederum" die Hand abgehauen). 

>'-■■■) Grimm, W. I. 466. 499. III. 416 §. 8. 489. V. 320 §. 12. 



51 

benen Frevler selbst, die Rinde durch seinen Dann, der Kopf 
des Baumes durch seinen Kopf ersetzt werden. 

Bei andern Strafen wird zwar nicht die Idee der Talion, 
wohl aber die Idee der Schadensbesserung in das Scherz- 
hafte gewandt. So soll nach westphälischen Weisthümern der 
Fuhrherr, welcher den Dieb einer Wagenlünse auf frischer 
That ergreift, statt des Nagels den Finger des Thäters oder 
gar ein anderes Glied, das als „eilfter Finger" bezeichnet 
wird, in das Loch vor das Rad zwicken und mit ihm fort- 
fahren, bis er zu einem Schmied kommt, der einen andern 
Nagel herstellt"^). Und bei ähnlichen Entwendungen werden 
entsprechende Strafen angedroht*"). 

Wieder andere Strafen kehren den Gebrauch, die Strafe 
vorzugsweise an dem Gliede zu vollziehen, mit dem die That 
begangen, in das Lächerliche"®). Dahin gehört z. B. die 
Vorschrift, dass der Lügner beim gerichtlichen Widerruf der 
Schmähungen sich selbst auf das Maul schlagen solP"^). 

Andere Strafandrohungen enthalten einen harmlosen 
Scherz*®'). 

^"^^ Benker Heiderecht §. 5 u. Bochamer Landr. §. 50 b. Grimm 
W. III. 41 u. R. A. 638. Auch Osenbrüggen a. a. 0. 162. 

*'') Z. B. Bochumer Landr. §. 48: ein dieb, der einem manne sein 
herstells nagel abstielet und er in darüber bekäme, so soU er über das 
herstell mit seinem leibe gehen ligen u. stecken seinen eilften daumen 
vor das stell, bis so lange er bei einen schmid kommt und stellet einen 
andern nagel davor, ohne des fuhrmanns schaden. Benker Heiderecht 
§.4: so der theter betreten, de den wagenrep von dem wagen ent- 
frömbden thöte, sali derjenige, dem de rep gehörig, deme, so ihme den 
zu entfrömbden Vorhabens, umb den hals binden und mit dem wagen 
fortfahren; strukelt hei dann, so sali glikwohl herover keine frake gähn. 
Garbendiebe sollen nach §. 3 quer über die Garben (gewissermassen 
selbst als Garbe) gelegt werden. 

"8) Vgl. Osenbrüggen, R. A. 52 u. Studien 162 (z. B. soll man 
den Lauscher mit den Ohren ans Fensterbrett zwicken); die Bestrafunj^ 
des Juden b. Grimm, W. L 533; dazu ib. lU. 274 §. 36. 

17«) Stadtr. V. Iglau §. 44, v. Ofen §. 254, Grimm, R. A. 143 u. 711, 
Osenbrüggen, Studien 162. 

»80) Z. B. W. V. Mtilbach im Elsass b. Grimm L 697: so die för- 
ster kommen zu Rottaue an den bach, so sol unser forster die andern 
zweu förster tragen über den bach u. sullen dieselben förster dem un- 
sern schenken ein halb viertel weins; tunt sie das nit, so soll unser 

4* 



52 

Endlich giebt es eine ganze Reihe von Strafen, deren 
eigentliches Wesen gerade in der Zufligung eines lächer- 
lichen Schimpfes beruht, die also von vornherein darauf 
ausgehen, das Gelächter der Zuschauer zu erregen und da- 
durch den Bestraften zu demtithigen und zu höhnen.. So die 
in demtithigem und schimpflichem Aufzuge durch Stadt oder 
Land zu unternehmenden Gänge, bei welchen Zeichen der 
verwirkten Strafe, blosse Schwerter, Stricke, Ruthen und Be- 
sen, Steine, aber auch Hunde, Sättel und Pflugräder getragen 
werden mussten***). So ferner die sehr verbreitete Strafe des 
Schnellens (Schupfens, Korbspringens, Wippens etc.), wobei 
der Missethäter in einen Korb (Schandkorb, Wippe etc.), der 
über einer Pfütze schwebte, gesetzt und an manchen Orten in 
die Pfütze hinabgeschnellt, an andern aber sich selbst tiber- 
lassen wurde, bis er zur Belustigung der Zuschauer hinein- 
sprang und beschmutzt davonlief^^^). So nicht minder das 
rücklings Reiten und der Eselritt; letzterer besonders in der 
in Hessen als Strafe für Frauen, die ihren Mann geschlagen 
hatten, üblichen Form, bei welcher die tyrannische Frau rück- 
lings auf dem Esel mit dem Schwanz desselben in der Hand 
durch den ganzen Ort reiten, der schmachbedeckte Mann aber, 
sofern er nicht hinterrücks und also ohne Möglichkeit der Ab- 

förster den andern förstern eim den rechten schuch u. dem andern den 
linken schuch abziehen u. soll sie versetzen für ein halb viertel weins. 

»8») Grimm, R. A. 713-^721. 

*82) Stadtr. V. Augsburg v. 1276 b. Freyberg, Samml. deutscher 
R. A. I. 121—122, b. Walch IV. 354; Berlepsch, Chronik vom 
Bäckergewerb 102-111; Grimm, R. A. 726; Maurer, Fronh. IV. 270; 
ausführlich Osenbrüggen, Studien 361—366, wo insbesondere die 
Erzählung aus einer ungedr. Chronik über den Brand v. Zürich v. 1286 
das Lächerliche der Strafe beweist. Ein gewisser Wackerbold nämlich, 
der geschnellt und unter dem Lachen alles Volks herabgesprungen war 
soll aus Verdruss über das „lachen des volks" die Stadt zur Rache 
angezündet und hinterher gesagt haben: er habe das Feuer angezündet, 
um sich daran wieder zu trocknen, das sei ihm auch wohl gelungen 
und jetzt lache er; jetzt möchten die in der Stadt bei ihrem Feuer 
^Jachen ndor grynen, weders sie wellind." — Bemerkenswerth ist auch, 
(1;iss (iie Strafe vorzugsweise Betrüger trifft, die ,,niit beschisz umb- 
g;nigen" und dafür wieder „nass und beschissen" aus der Pfütze kom- 
nion ;ib. 362 u. Note 4). 



53 

wehr geschlagen war, den Esel selber flihren sollte ^^). Und 
so endlich manche andere Strafe*^*). 

§. 17. Dass die geselligen Zusammenkünfte, die 
Trinkgelage, Schmausereien, Spiele und Tänze, welche jede 
noch so feierliche Rechtshandlung, jedes Gericht und jeden 
Zinstag beschlossen und dabei keineswegs ganz aus der 
Sphäre des Rechts herausschritten, den sie betreffenden 
Satzungen*®*) manchen Anlass zur Entfaltung von Humor bie- 
ten, ist leicht begreiflich. Zwar ist es dem Recht durchaus 
Ernst, wenn es diese Dinge überhaupt in seinen Kreis zieht 
und unter Androhung von Bussen und Nachtheilen sorgfältig 
und mit der Meinung der Erzwingbarkeit bis ins Kleinste re- 
gelt*^); wenn es genau Grösse und Mass der zu liefernden 
Gegenstände, Art und Zubereitung der Gerichte, ja die Farbe 



*«3) Wenek, Hess. Landesgesch. I. 519—521. Grimm, R. A. 
722—723. Schmeller, Wörterb. I. 118. Maurer, Fronh. III. 381. 
Die Stellung des Esels zu diesem Zweck war sogar Gegenstand eines 
eignen Eselslehens, das die Familie von Frankenstein inne hatte. — 
Vgl. Grimm, W. I. 700: dem säumigen Schöffen wird das Haus zer- 
stört, er wird unter der Schwelle herausgezogen, bäuchlings auf ei^ 
Pferd gelegt und so zu Gericht gefuhrt. 

^^^) So zum Theil Pranger, Schandsäulen und Schandgemälde; die 
entehrenden Strafen für Ritter (die z. B.- ohne Sporen, Hufeisen, Sattel, 
mit bastenem Zaum reiten sollen, Grimm, R. A. 712); das mit Pech 
Bestreichen und in Federn Wälzen, ib. 725; die westenglisohe Strafe, 
ib. 453 Note; die Art der Gefangensetzung des säumigen Dingpflich- 
tigen nach Frankf. Fronhofsr., ib. 842; die Strafe b. Grimm, W. III. 
782; die Züchtigung unter Gesang, ib. 254; die Strafe der Steuer- 
restanten in Nürnberg, welche in einen Nasendrücker, d. h. in einen 
Sarg mit plattem Deckel, gelegt wurden, Maurer, Stadtv, II. 857; 
vielleicht auch das Mithängen von Hunden und Wölfen, Grimm, R. A. 
685-686. 

«85) Vgl. oben Note ^o). 

*86) Erscheinen doch solche Mahlzeiten so wichtig, dass es bei 
Grimm, W. II. 583 heisst, lieber solle einmal die Pacht ausfallen als 
diese Mahlzeit; dass für die Bestreitung der Markergelage , wenn die 
Bussen nicht reichen, Markholz verkauft werden soll (ib. lU. 500); dass 
nach einem W. ib. III. 889, wer kein Geld zur Zeche hat, gar nicht 
am Gericht Theil nehmen, sondern während dessen „unter einem zune 
ligen" soll. 



^4 

der Geräthe und der zu schlachtenden Thiere festsetzt*®^); 
wenn es nicht blos Bezahlung und Lieferung, sondern selbst 
das Abgeben des Dritten beim Kartenspiel, die freundliche 
Miene, das Kochen der Suppe, die Helligkeit des Feuers, den 
Tanz und die Stellung der Musik dafür zu Rechtsverbindlich- 
keiten stempelt *®®); wenn es die Zeitdauer der Feste nach 
alterthümlicher Weise bemisst*^®); wenn es die Betheiligung 
von Frauen und Gästen ordnet*^); wenn es die Tischordnung 
macht und selbst dem Hunde seinen Platz anweist *^^); wenn 
es die genauesten Regeln in Bezug auf die gute Sitte, den 
Anstand und den geselligen Ton aufstellt *^^). Allein es fehlt 



>") Vgl. z. B. Grimm, W. I. 127. 168. 619. 745 f. 786 f. IL 466. 
470. 694 f. 697 f. 732. 824., III. 369. 370. 548. 594. 833. IV. 42. 60. 
625 §. 2. V. 369. 415 §. 2. 394 §. 9 (hier ist sogar die Farbe des 
Widders, den der Weibel den Hubern bereiten soll, angegeben, indem 
er einen weissen Fuss und einen weissen Fleck an der Stirn haben 
soll). — Ebenso genau sind die Gilde-, Zunft- Bruderschaftsstatute etc. 

*®®) Z. B. Grimm, W. V. 460 §. 10: spricht man auch zu recht, 
das der meier den hubern bis umb mitternacht feur u. liecht solle ver- 
gebens geben, und wo zwei mit einander spielen, so soll der meier ein 
drittman geben. Ib. 327 §.8; wan das essen sein soll, so soll der holz- 
graf finden ein feuer sonder rauch, das weib oder koch sonder zorn, 
weisz u. grob brod, roten u. weiszen wein, gepraten u. gesotten. 11. 
494: der jüngste Schöffe soll die Suppe kochen. IV. 576 §. 5: Pfeiffer 
für die Schnitter. III. 369. Und insbes. ib. 593—594 Note * über das 
„Kitzgericht", die „Kitzjungfer" und den „Kitztanz". 

^^^) Z.B. Grimm, W. II. 697: die Zinser essen und trinken so 
lange auf Kosten des Herrn, bis ein grünes Rad, das 3 Tage im Wasser 
gelegen hat, im Feuer zu Asche verbrennt; ib. 693. IV. 576 §. 5: die 
Schnitter tanzen von der Zeit, wo die Sonne noch Baumes hoch steht, 
bis es Nacht wird. 

*9o) Grimm, W. I. 625: jeder Schöffe kann seine Frau, hat er aber 
keine, eine andre gute Person mitbringen. III. 189. V. 394 §.18: komt 
ouch ein ander biderman darzuo, der nit ein huober ist, man sol in nit 
vertriben. Maurer, Stadt v. II. 459. 

»9») Z. B. über den Antrunk Grimm, W. I. 580 § 5. 583. 589. 
590; nach dem W. ib. V. 607 §. 1 aber soll des Sen therm Hund beim 
Essen unter dem Tisch sein. 

*^*) Dies ist ein Hauptinhalt in den Satzungen der Gilden, Zünfte, 
Gesellenbruderschaften u. s. w.; aber auch die Weisthümer enthalten 
viel darüber, z.B. Grimm, W. I. 759. U. 466. 693 f. III. 604-608. 
IV. 135-136. 153. V. 327. 



55 

auch nicht an lustigen Bestimmungen, wie sie dem Anlass 
entsprechen. Soll doch schon nach den ländlichen Weisthii- 
mern die Mahlzeit eine fröhliche sein*^^), und wenn man da- 
bei auch im Trunk züchtig sein soll und durch Unmässigkeit 
Bezahlung der ganzen Zeche riskirt^^*), so wird doch die 
Grenze nicht ängstlich gesteckt; denn man schenkt den Schöf- 
fen so lange ein, bis sie eine Taube von einer Krähe auf dem 
Dach nicht mehr unterscheiden können ^^^), und wenn den Rau- 
grafen und seine Knechte der Wein tibernimmt, dass sie 
Schwert oder Sporen verlieren, so soll der Heimburg ihnen 
neue Sporen von Hagedorn und ein neues Schwert von Hasel- 
stock machen und sie damit Gott befehlen *^^). Die Satzungen 
aber der Gilden, Kaufmannsinnungen, Studentengesammtheiten, 
Bruderschaften, Zünfte, Gesellen verbände und vieler anderen 
Genossenschaften haben eine grosse Fülle wiederkehrender 
lustiger Gebräuche ausgebildet, die ursprünglich in einem sehr 
viel engeren Zusammenhange mit der rechtlichen Bedeutung 
solcher Genossenschaften standen, als dies später der Fall 
war^^'). Doch hierauf kann ich hier, da das Meiste auf der 
Grenzscheide von Recht und Sitte liegt, nicht näher eingehen. 
§. 18, So hat uns eine Wanderung durch die älteren 
deutschen Rechtsquellen, die nichts weniger als erschöpfend 



*'-*3) Grimm, W. III. 189: nach gehaltenem gerichte die männer 
mit ihren hausfrauen aldahe im Northoife znsahmen rücken und in fröh- 
licher gesellschaft eine, mahlzeit halten. 

^^*) Grimm, W. II. 466: wer sich übergiebt oder die Treppe her- 
unterfällt, bezahlt Alles; denn sie suUen drynken und essen myt ver- 
noifft. 693. 697 (der Grundherr selbst soll sich hinstellen u. aufpassen, 
ob einer fällt, sich übergiebt u. s. w.) IV. 770 §. 4: wer „sich unfletig 
im drunck hielte,'* bezahlt Alles. — Bei den Handwerkern darf man 
nicht mehr Bier oder Wein straflos verschütten, als man mit Hand oder 
Fuss bedecken kann. 

»95) W. V. Schwarzenheindorf b. Grimm IV. 770 §.3; deshalb gilt 
er noch immer nach §. 4 als „zuchtlich ... im drunck." 

'^^) Jahrspruch im Uffried b. Grimm I. 759. 

*^^) Man denke nur an die Gebräuche bei der Aufnahme in die 
Hansen, wovon noch „hänseln*'; an die Fuchstaufe und den Pennalis- 
mus auf den Universitäten; an das Herbergsrecht und die Feierlichkei- 
ten der Gesellenbruderschaften u. s. w. Vgl. auch Maurer, Städtev. 
II. 281. 311 f. 438 f. 



56 

sein will, eine Fülle von Erscheinungen gezeigt, bei welchen 
volksthümlicher Humor im Rechte lebt und wirkt. Ehe ich 
aber abschliesse, will ich noch einige heranstreifende Er- 
scheinungen erwähnen, die theils durch den Gegensatz das 
Wesen des Humors im Hechte klarer machen, theils durch 
die Lebhaftigkeit andersgearteter Berührungen von Humor und 
Recht ergänzend und bestätigend hinzutreten. 

Zunächst ist, wie ich schon oben bemerkt habe, -das 
ganz sagenhafte Recht, welchem nicht wie dem halb 
sagenhaften Recht etwas darin Verhülltes, sondern überhaupt 
Nichts im Leben entspricht, nicht mehr zum wirklichen Recht 
zu rechnen. Wohl aber zeigt sich auch bei solchem Sagen- 
recht der Volkshumor wirksam, indem er theils bei seiner 
Ausschmückung thätig ist, theils neben dem Gefallen am 
Wunderbaren und Mährchenhaften den Grund der Darstellung 
des Veralteten als geltender Satzung bildet. Hierher gehört 
z. B. die in unbestimmbare Vorzeit und scheinbar schon in 
das gemeinsame arische Zeitalter hinaufreichende Tradition, 
dass der zur Erzeugung eines echten Erben unfähige Ehemann 
sich einen Stellvertreter zu diesem Behufe wählen kann-^®). 
Diese Tradition tragen noch späte westfälische Weisthümer 
als geltendes Recht in bäurischer Einkleidung und mit Hinzu- 
ftigung seltsamer Nebenumstände vor. Darnach soll der Ehe- 
mann, der ein eheliches Weib hat und ihr nicht zu ihrem 
fraulichen Recht verhelfen kann, sie seinem Nachbarn bringen ; 
kann dieser ihr nicht helfen, so soll er sie sacht und sanft 
und ohne ihr wehe zu thun aufnehmen, sie auf dem Rücken 
über neun Erbzäune tragen und sie sanft und sacht und ohne 
ihr wehe zu thun niedersetzen; dann soll er sie fünf Stunden 
dort halten und „Wapen!" rufen, dass ihm die ^Dorfgenossen 
zu Hülfe kommen; und kann man ihr auch so nicht helfen, 
so soll er sie wieder sacht und sanft und ohne ihr wehe zu 
thun aufnehmen und niedersetzen, ihr ein neues Kleid und 
einen Beutel mit Zehrgeld geben und sie auf einen Jahrmarkt 
senden; und kann man ihr alsdann noch nicht helfen, so hei- 

198) Grimm, R. A. 443-445. Maurer, Dorfv. I. 338-339. 



57 

fen ihr tausend Teufel !^^^) — In dieselbe Kategorie gehört 
Manches in den Bestimmungen der Weisthümer über den Auf- 
zug, in welchem der Herr oder sein Vertreter zur Landbesitz- 
nahme, zum Gericht oder zur Jagd einreiten soll; zwar nicht 
dass er mit dritthalb Mann und dritthalb Rossen auf schnee- 
weissem Pferd mit weissem Stab und weissem Hunde kommen, 
bestimmtes Kostüm und Geräth tragen, ein Feuer ohne Bauch, 
ein krachendes Bett und einen weissen Becher finden, genau 
beschriebenes Futter für seine Thiere erhalten soll: wohl aber 
z. B., dass er ein einäugiges Pferd, einen einäugigen Büttel 
und einen einäugigen Hund bei sich führen und dass er höl- 
zernes Sattelzeug, hagedorne Sporen und einen Zaum von 
Lindenbast haben soll^°°). — Ebenso gehört es hierher, wenn 
der Hirt beim Zielvieh einäugig sein und eine grüne und eine 
gelbe Hose nebst einem Rock mit drei Schössen, einem gelben. 



199) So das Bochumer Landr. §. 52 b. Grimm, W. III. 70 Note 
Aehülich das W. v. Hattnegge ib. 48 §. 77 u. R. A. 444; der Schluss 
lautet hier : und of sine naebur dat niet doen weiden oder künden, so 
sali hie sie senden up die neiste kermisse daerbi gelegen, und dat sie 
sik süverlik toe make u. verzere, und hangen ör einen buidel wail mit 
golde bestickt up die side, dat sie seift wat gewerven künde; kumpt 
sie dannoch wieder ungeholpen, so help ör dar der duifel. Das Benker 
Heiderecht §. 27 ib. lU. 42 erwähnt nur das Tragen über sieben Erb- 
zäune; fügt aber hinzu, der Mann solle die Frau hinterher wieder auf- 
nehmen, nach Hause tragen, sacht niederlegen und ihr ein gebraten 
Huhn und eine Kanne Wein vorsetzen. Das Recht der sieben freien 
Hagen ib. IH. 311 §. 32 schreibt nur ein Tragen über einen neunahri- 
gen Zaun vor. — Nicht viel ernsthafter sind wohl die Bestimmungen 
desselben Hagenrechts in §. 30 u. 31 darüber zu nehmen, wie sich ein 
Fuhrmann und ein Schweinehirt verhalten sollen, die auf dem Felde 
einen Ehemann treffen, der mit seiner Frau der Liebe pflegen will. Der 
Fuhrmann soll stillhalten oder so weit, als man ein weisses Pferd ab- 
sehen kann, hinten herumfahren; der Schweinehirt aber soll so weit, 
als ein Reiter in vollem Trab eine halbe Stunde reiten könnte, hinten 
herumtreiben und, wenn ihm ein Schwein entläuft, sich nicht darnach 
umsehen. 

200) Grimm, R. A. 254—262. Maurer, Fronh. HI. 436-440. 
Grimm, W. I. 465. 502. 11. 376. 581. 730. 775. III. 426. 548. IV. 
773 §. 1. 3 (v. J. 1260). 



58 

jthen und einem grUnen, tragen soll™*); oder wenn 
rmUller einen Hahn haben suU, der einäugig ist^). 
schieden vom sagenhaften Recht sind die Rechts 

d. h. sagenhafte Erzählungen oder Mährehen über 
itehung irgend eines Bechtsinstituts oder eines Rechts- 
isses. An Hervorbringungen solcher Art war die alte 
sserst fruchtbar, und es kann dabei nicht Wunder 

dass, wie überhaupt in den dentschen Volksmährcben, 
■sondere anch in den Rechtsniährchen der Volkshnmor 
laglich ergeht. Ich verweise hier des Beispiels halber 
die von Grimm gesammelten Mäbrchen über den 
;en Erwerb von Grundbesitz durch Umgehen oder Urn- 
en Land: es wird so viel Grundbesitz versprochen, 
rend des Mittagsscblafes oder des Bades des Königs 
;n oder umpflügt werden kann; aber es ist oft ein 
1 neuntägiges Füllen, ein blindes Pferd, ein Krüppel, 
:heleibter, die dies bewirken sollen; da helfen dann 
seltsame Umstände oder fördernde Listen aller Art, 
; wird verkleinert im Schoss getragen, die umspannen- 
irhäute werden in schmale Htreifen geschnitten u. s. w.; 
■; sehr ausgezackte Grenze wird dadurch erklärt, dass 
18 sie bestimmt hat*"'). 

wenigsten darf man mit dem Humor im Recht das 
im Humor verwechseln. Zu allen Zeiten, wie dies 
Ute sehr gewöhnhch ist, war es eine gebräuchliche 
von Volks- und Gesellsehaftsbclustigungen, mit dem 
ind seinen Satzungen zu spielen, Verfassungs- und 
'rhältnisse ins Komische zu übertragen, die Formen 
ihtshandlungen und zwar mit besonderer Vorliebe die 

des gerichtlichen Vertahrens zu travestiren. Doch 
rUher solche Rechtskarrikaturen öffentlicher, stehender, 

>rimm, W. It. 619. 

Jrimm, W, III. 635. Vgl. U. 618; ein heogatpferdt mit drei 

QsstMi und zwei gläsBcren äugen. 

Grimm, R. A. 86-91. Grimm, W. lU. 851. — Vgl. mich 

asagen im Sachsensp. I. a. 3 §. 1 vgl. mit §. 2; 17 §. 2 mit 

e; 11. 63 g. I; III. 42 §. 3. 44; dio des Seh Wabenspiegel (W) 

<er die Juden u. b. w. 



59 

fester organisirt als heute; ja sie wurden nicht selten vom 
Recht selbst, gleich als erfreute sich dieses seines komischen 
Widerspiels, begünstigt und anerkannt. Man denke nur an 
die zahlreichen Gecken- und Narrengesellschaften, die scherz- 
haften Orden und Kapitel des Mittelalters; an das bairische 
Haberfeldtreiben; an die Wahlen und das hohe Recht der 
Hamburger Brauknechte im Högehause während der Höge- 
zeit^^O; besonders aber an die von Osenbrüggen zusammen- 
gestellten schweizer Gebräuche ^^0> welche wegen der dortigen 
freien Verfassung sich länger als ähnliche Gebräuche in 
andern deutschen Landschaften erhalten konnten, wie der in 
Appenzell am Tage nach der Landsgemeinde im Freien ge- 
haltene, den Landrath parodirende Narrenrath; wie der in 
Zug bis 1798 bestehende, sich selbst ergänzende „gross- 
mächtige Rath," welcher mit den Formen einer munteren Ge- 
nossenschaft und humoristischen Gerichtssitzungen ernsthafte 
sittenrichterliche Funktionen verband; wie das Saugericht der 
Knabenzunft in Rapperswil, von dessen sittengerichtlichen Er- 
kenntnissen sogar an den kleinen Rath appellirt werden konnte; 
wie der „äussere Stand" oder Aflfenrath in Bern, der gleich- 
falls bei aller humoristischen Form nicht ohne ernstere Be- 
deutung war; wie die über die Sitten von Knaben und Mäd- 
chen wachende Bündener Knabenschaft mit dem förmlich 
organisirten Knabengericht, und manches Andere ^^^). Dies 
Alles reichte in der einen oder andern Beziehung in das wirk- 
liche Recht hinüber. Ja manchmal, wie bei dem berühmten 
Kohlenberger Gericht in Basel ^^0» lässt es sich kaum be- 

20^) Maurer, Städtev. II. 380 f. 438-442 nach Schlüter, von 
denen Erben in Hamburg S. 341—368. Ernstes und Lustiges sind hier 
untrennbar vermischt. 

205) Osenbrüggen, Studien 407—412. 

206) z. B. die humoristische Bestellung eines Spotfcammanns in Lu- 
zern, Osenbrüggen 409; die Feier des Hirsmontags im Entlebuch ib. 
411—412. 

207) Rechtsquellen von Basel Stadt u. Land Nr. 154. 160. 287. 
Grimm, W. I. 818—820. Ochs, Basel V. 69-80. Osenbrüggen 
391—407. Maurer, Städtev, H. 472. Als ein Gericht über alle fah- 
renden Leute war dieses Gericht durchau?^ eine ernsthafte Einrichtung; 
aber der ernste Hintergrund wurde durch sonderbare humoristische 
Formen zuletzt fast ganz verdeckt. ^ 



60 

stimmen, ob und wie weit humoristisch gefärbtes wirkliches 
Recht, ob und wie weit umgekehrt nur humoristisches Kechts- 
spiel waltet. Wie tiberall so waren auch hier bei der Leben- 
digkeit des alten Volkslebens und seiner in unübersehbarer 
Fülle schöpferischen Gestaltungskraft die Grenzen der für 
uns begrifflich wie thatsächlich scharf geschiedenen Ge- 
biete flüssig. 

Endlich ist es natürlich ein vom Humor im Recht völlig 
verschiedener Fall, wenn, wie ja noch heute täglich, das 
Recht Anlass zu einer selbständigen Aeusserung des Hu- 
mors, einem guten oder schlechten Witz u. s. w., giebt. Auch 
dergleichen findet sich schon in den alten Weisthümern und 
ist hier in naiver Weise mit aufgezeichnet worden^®). Also 
etwa als wenn heute der Witz eines Kammerredners in ein 
Gesetz, oder der eines Anwalts in die Processakten aufge- 
nommen würde. — 

§• 19. Die Erscheinung des Humors im Recht ver- 
schwand allmälig, seitdem das Recht sich vom Volksleben 
ablöste und in den Alleinbesitz gelehrter Juristen, gelehrter 
Gerichte, gelehrter Beamten überging. Sie verschwand, wie 
überhaupt alles Poetische, alles Sinnliche und Individuelle, 
alles Jugendliche aus dem Recht verschwand. Die neue 
Richtung war derartigen Dingen nicht etwa blos innerlich 
entgegen, sie zerstörte sie absichtlich und behandelte sie in 
jeder Beziehung feindlich. Am zähesten hielt das Landvolk 



20«) So motivirt das Weisth, v. Alken b. Grimm III. 813 die Be- 
stimmungen über das Vorreden eines der beiden Richter, des Kölnischen 
Bürgermeisters oder des Trierschen Vogts, am Schlüsse damit: dann 
es müste einer vorreden u. könnten nit zween sammen reden, mögten 
wohl sammen singen. Also die Gerichtshegung müsste dann als 
Duett gesungen werden. Man vgl. auch die humoristischen Wendungen 
in der Ansprache bei Eröffnung des Gerichts der sieben freien Hagen 
ib. 307. Oder die Bemerkung des Schreibers im W. v. Limburg ib. I. 
828, wonach die zwei Fürsten nebst Grafen, Herrn, Ritteru und Knech- 
ten, als ein Schöffe auf die Suggestivfrage, was er über eine Gewalt- 
that gegen die Herren dächte, vorsichtig antwortete : „wir, die Schöffen 
von Limburg, wir weisen nocjj sprechen kein Urtheil auf Gedenken*', — 
verwundert aufstanden und einander ansahen, als ob sie sollten spra- 
chen: „Der Haas ist uns entgangen, den wir wollten han gefangen." 



61 

au der alten Denkweise fest. Aber mehr und mehr wurde 
ihm die Autonomie verkümmert; die Weisthtimer wurden fixirt 
und jährlich verlesen, statt aus der Gemeinde heraus lebendig 
weiter zu wachsen ; oft wurde so dem Volk sein eigenes Recht 
entfremdet, ja sogar unverständlich ^^^); und endlich änderte 
man von oben her oder verordnete geradezu. Dabei sah man 
es dann als sehr wesentlich an, dasjenige «auszumerzen, was 
man für thöi:ichte Possen und kindisches Zeug hielt. So 
heisst es in der Ehafte von Trostberg, sie sei geändert wor- 
den, denn man habe bisher „bisweilen darunter solch lächer- 
lich und abenteuerlich Schimpfpossen mitlaufen lassen dürfen, 
dass nun die ehaftsrechten ganz verächtlich, ja schier für 
chinderwerch wollen angehört worden sein"^*^). Und ebenso 
opponirte in der Carber Mark i. J. 1658 die Obrigkeit „viel 
ungereimten Sachen,** welche die Märkermeister unter dem 
Vorwande, sie seien vgn Alters so hergekommen, prononirten^"). 
Auch verwirft schon die Glosse zum Sachsenspiegel das, 
was sie vom Wergeid des Hundes berichtet, mit den Worten : 
„du solt aber wissen, dasz das narretheidinge sint." Und 
im 17. und 18, Jahrhundert wurden namentlich die Hand- 
werkerordnungen, voran der Reichsschluss von 1731, nicht 
müde, gegen die „läppischen Ceremonien und Komplimente," 
die „theils abgeschmackten, theils unehrbaren Gebräuche und 
Possen," die „unnützen Grillen und Schmausereien" der Zünfte 
und Gesellenverbände zu eifern ^^^). 

Die an die Stelle des volksthümlichen Rechtes tretenden 



209) So erregte im 18. Jahrb. bei Verlesung des Weisth. zu Eichen 
die nicht mehr verstandene Stelle, „ist aber der (zum Besthaupt be- 
stimmten Dinge) keins fürhanden, so weisens die hofgenossen uf die 
bockshaut'S nach Mittheilung von Ohrenzeugen allezeit Heiterkeit, 
Grimm V. 257 §.9 u. Note 1. — Man vgl auch den Unsinn, der ib. 
I. 796—797 schon im J. 1594 über das Hungericht berichtet wird, wo- 
bei z. B. die Nachricht, der „hun** müsse bei der Hinrichtung eines 
armen Sünders von einer Hecke her dreimal wie ein Hund bellen, le- 
diglich auf willkürlicher Deutung jenes unverstandenen, nicht seltenen 
Richtemamens beruht. 

210) Grimm, W. HI. '666. 

21») Grimm, R. A. XL Note ***. 

212) Meine R. G. der Genoss. S 943 Note 108. 




62 

Gesetze und Ordnungen sind sogleich bis ins Uebertriebene 
abstrakt; pedantisch, trocken. Wie irgend Poetisches, so 
würde man auch Humor vergebens in ihnen suchen: höchstens 
unwillkürlich erscheinen sie uns lächerlich mit ihrer klein- 
liehen Bevormundungssucht, ihren Hochzeits-, Leichen und 
Kleiderordnungen, ihrem Eifer gegen den Müssiggang. Alles 
was von Poesie uriQ insbesondere von Humor im Recht blieb, 
flüchtete sich in die engen Kreise des halb im Verborgenen 
fortlebenden Volksrechts, in das ungeschriebene Bauemrecht, 
das Handwerkerrecht und ähnliche Gebiete. Aber bei ihrer 
Abdrängung vom öflFentlichen Rechtsleben versiegte auch diesen 
Kreisen allmälig die schöpferische Kraft; vieles Poetische 
wurde zu leerem Schnörkelwerk, vieles Altehrwürdige zu er- 
starrtem Zopf, vieles Sinnbildliche zur äusserlichen Formel, 
vieles Humoristische zu wüstem oder pedantischem Spass"^). 
Anderes und immer Mehreres, was Anfangs mit dem Recht 
in lebendigem Zusammenhang gestanden hatte oder selbst 
Recht gewesen war, wurde in das Gebiet der blossen Sitte 
oder doch nahe an die Grenze verwiesen. Vielfach auch 
wandte sich der Volkshumor, da er für das Recht nicht 
mehr wirken konnte, geradezu gegen das neue unvolks- 
thümliche Recht, wie so manche jüngeren Sprüchwörter be- 
weisen^"). Und immer tiefer und tiefer drang von oben her 
das Gesetzesrecht ein und zog auch den kümmerlichen Resten 
des alten Volksrechts immer engere und engere Schranken. 

§. 20. So findet sich denn in unserm heutigen Recht 
kaum noch hier und da ein letzter Schatten aller jener eigen- 
thümlich jugendlichen Züge unseres alten Rechts; der zur All- 
macht in Gesetzgebung, Rechtspflege und Verwaltung empor- 
gestiegene Juristenstand hat sie ihm abgestreift, wie er selbst 
dem fremden Recht das Wenige abgestreift hat, was es davon 



2»3) Meine R. G. der Genoss. S. 867. 921. 

**^) So z. B.: „das Recht hat eine wächserne Nase" b. Graf und 
Diethcrr 441 f. Nr. 421; „ein Schultheiss und ein Strohwisch sind 
.bald gemacht," ib. 516 Nr. 224; „die Aemter sind Gottes und die Amt- 
leute des Teufels," ib. Nr. 227; Amt giebt Verstand; Gewalt geht vor 
Recht; kleine Diebe hängt man, grosse lässt man laufen; was nicht 
nimmt Christus, das nimmt Fiskus, ib. 544 Nr. 71 u. s. w. 



63 

trotz seiner Umformung durch das Greisenalter der Römer- 
welt bei seiner Hertibemahme noch an sich hatte. Ganz und 
durchaus herrscht in unserm heutigen Recht der nüchterne 
und trockene Ernst; kaum ein oder das andere Sinnbild noch 
belebt die farblosen Geschäftsformen; eintönige, abstrakte 
Regeln nach der Art mathematischer Formeln füllen unsere 
Gesetzbücher; nichts ist dem Persönlichen, Individuellen, Un- 
bestimmbaren oflfen gelassen; mit unbeugsamer Strenge voll- 
zieht sich in unabänderlicher Gleichmässigkeit überall und bei 
Allen das Recht. Wer kennt nicht die tiefempfundene Klage 
Jakob Grimmas um das Verlorene ^^^)? Eine Klage, die inso- 
weit, als sie sich gegen das ewige Gesetz menschlicher Ent- 
wickelung richtet, nur als Ausdruck lyrischer Stimmung be- 
rechtigt ist, wie die Klage Schiller's um die Götter Griechen- 
lands, wie die Sehnsucht der Romantiker nach dem, was sie 
doch nimmer würden zurückhaben wollen, wenn es ihnen mit 
dem davon unzertrennlichen unvollkommeneren Kulturzustande 
geboten würde, oder wie die Klage des einzelnen Mannes um 
die entschwundene Jugendzeit. Eine Klage jedoch, die inso- 
fern eine gewisse objektive Berechtigung hat, als sie sich 
gegen die schwere und langwierige Krankheit unseres Rechts- 
lebens, den klaffenden Zwiespalt zwischen Volk und Recht, 
wendet. Denn wohl ist Reife vereinbar mit der Erhaltung 
jugendlicher Fülle und Kraft! Und so würde auch unser 
Recht, wäre es volksthümlich geblieben, sinnlicher, lebendiger, 
individueller, ja auch noch poetischer gestaltet sein, ohne 
darum unserer Alters- und Kulturepoche weniger zu ent- 
sprechen^^®); gleichwie andererseits die entgegengesetzte Be- 
schaffenheit unseres Rechts entschieden dessen Zurückverle- 
gung in das Volk erschwert. Aber die Geschichte lässt sich 
nicht modeln. Und was von solchen Dingen einmal verloren 
ist, das ist unwiederbringlich verloren ^*^). Die Heilmittel 

2^^) Grimm, R. A. XV— XVI in der Note und sonst. 

2*ß) Dies beweist das öffentliche und private Recht derjenigen ger- 
manischen Länder, welche sich freier vom römischen Recht als wir er- 
halten haben und bei denen die Kontinuität der Entwicklung nicht 
unterbrochen ist (England, die Schweiz, Skandinavien). 

2'^) Es zurückbringen wollen, wäre dasselbe, als wenn man etwa 



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gegen die Krankheit, welche uns um so Manches in unserm 
Recht gebracht hat, sind anderer, vorwärts weisender Art. 
Und sie sind nicht mehr unversucht. Sie liegen in der mehr 
und mehr sich Bahn brechenden Wiederbetheiligung des Volks 
an Gesetzgebung, Rechtspflege und Rechtsleben in weiteren 
und engeren Kreisen; sie liegen andererseits in der Vertiefung 
des gelehrten Rechts durch das Hinabsteigen zu den im Volks- 
bewusstsein unzerstörbar lebenden, wenn auch oft schwer und 
lange schlummernden nationalen Rechtsgedanken. 



unserer Sprache die reicheren und volleren Beugungen zurückbringen 
wollte. Gewiss wäre es gut, wir hätten sie noch statt der eintönigen 
und unterschiedlosen stummen Endsilben u. s. w.; gewiss würde darum 
unsere Sprache nicht weniger brauchbar zum Ausdruck des abstrakten 
Gedankens sein, als sie es ist und als es die griechische trotz beibe- 
haltener Formenfülle war. Aber mit der Jugend des Volks geht eben 
die unbewusst schaffende Sprachkraft verloren und keine Kunst vermag 
dergleichen neu zu erzeugen. — Man braucht dies Gleichniss der 
Sprache nur weiter ausgeführt zu denken, um das sonst im Text An- 
gedeutete richtig zu verstehen. 



l. T /■. 



Verlag der Weidmann sehen Bachhandlang 

(J. Reimer) in Berlin. 



Druck Ton Trovi tisch und Sohn in Berlin.