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1896
SAL
De
Internationale Kongress
Frauenwerke uiid Frauenbestrebun^^en
V.'K hir -Jf^. Sr^ptomber 1306.
f^inp Saniiiilung der nul dem Kongress gehaltenen
Vorträge und Ansprachen.
Hwaiiegep»bon
Redaklioiis- Kommission:
RosaDe SchoenHies, Ltna Morgenstern, Minna Oauer.
Jeannetit Schwerin. Matie Raschke.
\
UERID* 1897
. .j !i H <-■ r in a n u "W a 1 1 h
(Friedrfoii Bethlj').
viertel-
jährlich.
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mit bunleir FäGhorvIguBttei
Verlag: Jolm Henry Sclmfriii^ Berlin W.^'°.
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oni-n (In flienen AteHati ^otertl^).
Jährlich:
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nnil ilen Vcrlug- tob John Henry Schwerin!
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=^ Gratiaprobenaniminiern bei allen BuchhandJungani ^
4
Der
Internationale Kongress
für
Frauenwerke und Frauei>bestrebungen
19. bis S6. September 1S96.
Eine Sammlung der auf dem Kongress gehaltenen
Vorträge und Ansprachen.
Redaktions- Kommission:
' Rosalle Schoenflles, Lina Morgenstern, Minna Cauer,
Jeannette Schwerin, Marie Rascbke.
BERLCf 1897
Verlag von Hermann Walther
(Friedriob Becbl^).
Alle Eeohte vorbehalten.
Vorwort.
Die Kommission, welcher die Herausgabe dieses Buches oblag,
sah es als ihre erste Aufgabe an, den vorliegenden reichen Stoff
zu sichten.
Die in den Hauptversammlungen gehaltenen Vorträge sind im
allgemeinen unverkürzt wiedergegeben worden. Aus den Berichten
über die Thätigkeit von Vereinen und Wohlfahrtseinrichtungen
sind solche Einzelheiten fortgeblieben, die nur für den engeren
Kreis der Beteiligten Interesse haben. In zwei Fällen, in denen
die Vorträge zurückgezogen und von den Rednerinnen daher nicht
über das angemeldete Thema gesprochen wurde, beschränkte man
sich auf eine kurze Anführung der Motivierung der Zurücknahme^
Mehrfach hatten Vorträge wegen mangelnder Zeit nicht in der dem^be-
treffenden Stoffgebiet gewidmeten Versammlung, sondern erst an einem
späteren Tage gehalten werden können. Dieselben sind hier jedesmal
an der richtigen SteUe eingereiht worden.
Nach gleichen Grundsätzen verfuhr man bei den Sektions-
verhandlungen. Nur einzelne längere Vorträge sind gekürzt worden,
soweit dies ohne Schädigung der darin vertretenen Sache möglich
war, während die Diskussion eingehend referiert, oder wie die
der dritten Sitzung, genau nach dem Stenogramm wiedergegeben ist.
Eine grössere Anzahl von Vorträgen und Berichten, die dem
Kongress eingesandt waren, aber nicht zur Verlesung gebracht
werden konnten, sind auch hier nur angeführt worden.
Entsprechend dem internationalen Charakter des Kongresses
wurden die Reden in der Sprache der Vortragenden in das Buch
aufgenommen. Eine Ausnahme bilden diejenigen der italienischen
Delegierten Dottoressa med. Montessori, die auch in den Versamm-
lungen teils in gedruckter deutscher Uebersetzung verteilt, teils
sofort mündlich übertragen wurden.
Viele unserer ausländischen Gäste sprachen deutsch, und man
hat an Ausdruck und Stil möglichst • wenig geändert, um ihren
Reden den individuellen Stempel zu wahren.
Ueber die Beteiligung am Kongress sind die folgenden Mit-
teilungen zu machen. Es wurden im ganzen ca. 1700 Teilnehmer-
karten ausgegeben. An den Sektionssitzungen, zu welchen der
Zutritt jedem frei stand, haben ausserdem noch mehr als 200 Männer
und Frauen teilgenommen.
Ausser Deutschland waren fast alle europäischen Länder und
Amerika vertreten. Durch Abordnung von Delegierten hatten sich
zahlreiche Vereine aus vielen grösseren und kleineren deutschen
Städten beteiligt, sowie Vereine der folgenden ausserdeutschen
Länder: Belgiens, Dänemarks, Englands, Finnlands, Frankreichs,
Hollands, Italiens, Oesterreichs, Russlands, der russisch-armenischen,
russisch-baltischen und russisch-polnischen Provinzen, Schwedens, der
Schweiz, Ungarns und mehrerer amerikanischer Staaten und Städte
Durch diese grosse und vielseitige Teilnahme konnten die
Zwecke des Kongresses: Orientierung über die Ziele und
den Stand der Frauenbewegung in den zivilisierten
Ländern und Austausch der Ansichten über einzelne
wichtige Punkte derselben in genügender und erfreulicher
Weise erreicht werden.
Berlin, im Januar 1897.
Bosalie Schoenflies,
Vorsitzende der Redaktions-Kommission.
Inhaltsverzeichnis.
Die Vorarbeiten zum Kongress
(Seite 1).
Der Begrüssungsabend
(Seite 4).
Die HauptrersammlungeD.
I. Sonntag^ den 20. September. gelte
Begrüssungsrede von Fr. Lina Morgenstern 5
Thema der Vorträge: Der Stand der Franenbewegrnng
in yerschiedenen Ländern.
Deutschland, Fr. Marie Stritt 7
Amerika, Miss Frances Graham French 17
Armenien, Dr. med. Margareth von Melik-Beglarjanz . . 23
Dänemark, Dr. med. Eli Moeller 25
England, Mrs. Millicent Garrett Fawcett 27
„ Mrs. Ormiston Chant 34
„ Mrs. Warner Snoad 34
Finnland, Baronesse Alexandra Gripenberg .... 36
Frankreich, Madame Eugenie Potonie-Pierre .... 39
Holland, Fr. Haighton .42
Italien, Dr. phil. Paolina Schiff 45
„ Dr. med. Maria Montessori 47
C) est erreich. Fr. Therese Schlesinger- Eckstein .... 48
Portugal, Frl. Luise Ey 55
Kussland, Dr. med. Anna von Schabanow 60
Schweden, Frl. Lotten Dahlgren 61
Eingesandte Vorträge 69
II. Montag, den 21. September, Vormittag.
Gruss von Fr. Gräfin Victorine Butlar-Haimhausen ... 70
Thema: Kindergärten, Jngendhorte, Berichte.
Die internationale Bedeutung Friedrich Fröbels für Familien- und
Volkserziehung, Fr. Dr. Henriette Goldschmidt (Leipzig) 78
Saite
Day Nurseries, Miss Mary M. Park 82
Entstehung und Entwickelung der Jugendhorte in Deutschland,
Fr. Anna Plothow 84
Frauenthätigkeit für Knabenhorte, Hr. Dr. jur. Aurelias Schmid 90
Volksunterhaltungsabende, Frl. Klara Strich 92
The Civic Club of Philadelphia, Dr. med. Bertha Lewis . . 93
Womens Clubs in the United States, Mrs. Eliza B. Kirkbride 96
Gruss und Bericht des Schweizerischen Gemeinnützigen Frauen-
Vereins, Fr. Prof. Emil Vogt 99
Eingesandter Bericht 100
III. Montag, den 21. September, Nachmittag.
Thema: Mädchenerziehnng, Lehrerinnenbildnng, Berafs-
schalen.
Die deutsche Frau an der Volksschule, Frl. Elisabeth Miessner 101
La femme russe dans Tenseignement primaire, Mlle. Eugenie de
Tchebychew-Dmitriew 108
Ueber Fortbildungsschulen, Frl. Margarethe Hager . . .115
Höhere Mädchenschulen und Seminare für Lehrerinnen, Frl.
Laura Herrmann 120
Expeiience Pedagogique, Mlle. Pauline Dupont .... 125
Die Stellung der Lehrerin in England, Miss C. I. Dodd . .131
Das Mädchenschul wesen in Ungarn, Fr. Rosa Marsits . . 134
Bericht über Thätigkeit und Bestrebungen des Vereins deut-
scher Lehrerinnen in Frankreich, Frl. E. Schlieniann . 137
Errungenschaften und Bestrebungen ungarischer Lehrerinnen,
Fr. Helene Radnai 139
Obst- und Gartenbau, eine Erwerbsquelle für gebildete Frauen,
Dr. Elvira Castner 141
Ausbildung und Stellung der Oberlehrerinnen in Italien, Signorina
Rea Silvia Petrini, Signorina Emma Castelbolognesi . 145
Eingesandte Vorträge 147
IV. Dienstag, den 22. September.
Thema: Ennststndinm, Mädchengymuasinm^ Uniyersität.
Ueber das künstlerische Studium der Frau, Fr. Hermine
V. Preuschen-Telmann 148
Das erste Mädchengymnasium zu Karlsruhe, Baronesse Ottilie
von Bistram . , 151
Frauenbildung und gymnasiale Mädchenschule in Wien, Fr. Dora
Rösler 155
Das Universitätsstudium der Frauen, Dr. phil. Käthe Schirmacher 158
Prauenstudium in Amerika, Miss Rickert in Vertr. v. Mrs.
Martha Foote Crow 160
Ansprache von F'r. Barbe von Tarnofsky 162
Universitätskurse für Frauen in St. Petersburg, Frl. E. Schaffe 163
Das Mädchengymnasium in Ungarn, Prof. Dr. Bernhard Alexander,
Frauenbildung in Ungarn sonst und jetzt, Fr. Constantia
von Rudnay 169
l^otes on Queen Margaret College, Janet M. Gallo way . .174
Seite
La femme polonaise dans renseignement et dans les oeuvres
d'utilite publique, Madame Isabelle Moszczenska . .175
Das Studium der Medizin in verschiedenen Ländern, Dr. phil.
Lydia Rabino witsch 180
Experiences d'une Femme-Medicin ä Dolnja Tuzla (Bosnie),
Dr. med. Theodore Krajewska 185
Eingesandte Vorträge 190
V. Mittwoch den 28. September.
Thema: Die Fran in Handel, Industrie und Gewerbe;
Fachschulen.
Die Arbeiterinnen-Enquete in Wien, Fr. Therese Schlesinger-
Eckstein 191
Ueber Trade-Unions, Miss Florence Routledge .... 195
Die Arbeiterinnenfrage, Fr. Lily Braun 202
lieber den Lohn der Arbeiterinnen, Dr. med. Maria Montessori 202
Rapport presente au congres de Berlin, Madame Vincent . 212
Die Lage der Handlungsgehilfinnen, Frl. Agnes Herrmann . 217
Die Frage der weiblichen Ueber völkerung, Dr. phil. ZofiaDaszynska 222
Berufsbildung der Mädchen in Riga, Fr. Rosalie Schoenflies . 227
Die Mädchen-Gewerbeschule in Hamburg, Frl. Bertha Delbanco 229
Eingesandte Vorträge 233
VL Donnerstag, den 24. September.
Thema: Gesnndheits- und Krankenpflege; Wohlfahrt»-
etnrichtnngen; Mässigkeitsbestrebnngen ; Sittlichkeitsfrage.
Frauen wirken in häuslicher und öffentlicher Gesundheitspflege,
Fr. Lina Morgenstern 234
Bericht über das Viktoriahaus für Krankenpflege in Berlin,
Frl. Anna Stock 240
Bericht über die Thätigkeit des deutschen Frauen-Vereins für
Krankenpflege in den Kolonien, Prl. Klara Müseler . 243
Ueber Ferien-Kolonien, b'r. Luise Jessen 248
Die Beteiligung der Frau im Kampfe gegen den Alkoholismus,
Hr. Geh. Sanitätsrat Dr. A. Baer 253
Oa Public Atnusements, Mrs. Laura Ormiston Chant . . 256
Die Sittlichkeitsfrage eine Gesundheitsfrage, Fr. Hanna
Bieber-Böhm 259
Die Mässigkeits- Vereine für die Jugend, Miss Annie B. S.
Salmon 262
VIL Freitag^ den 25. September.
Thema: Soziale Hilfsarbeit; die Rechtsstellung der Fran.
Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit, Fr.
Auguste Friedemann 266
De la condition et du vote politique des femmes en France,
Madame Vincent 267
Women's Work as Guardians of the Poor, Miss Georgina Hill 273
Oeffentliche Armen- und Waisenpflege, Fr. Jeannette Schwerin 276
Seite
Der gegenwärtige Stand des Frauenstimmrechts in England,
Miss Helen Blackburn 277
What the Women's Franchise League of Great Brttain and
Ireland is trying to accomplish, Mrs. Ursula M. Bright 281
Report of the Columbia women suffrage Association, Mrs. B.
S. Brinton 283
Deutsches Familienrecht, Fr. Sera Prölss 285
Das norwegische und dänische Familienrecht, Frl. Marie Raschke 290
Rapport, Dr. jur. Marie Popelin 301
Ansprache, Dr. med. Maria Montessori 305
Wahlrecht der Frauen in Holland, Fr. Haighton .... 305
La Solidarite des femmes, Mme. Stromer-Henni-Pichard . . 306
Political Rights of Women in the United States, Mrs. Belva
A. Lockwood 308
Frauenrecht in Oesterreich, Fr. Fanny Meissner-Diemer . .312
Das Recht der Frau, Frl. Anita Augspurg 327
Eingesandte Vorträge 331
VIII. Sonnabend^ den 26. September.
Thema: Beteiligrnng der Frauen an der Litteratur;
Friedensfrage; Schlnsswort.
Was haben die Frauen von der modernen Litteratur zu er-
warten? Dr. phil. Ella Mensch 332
Die deutsche Frau in Dichtung und Kunst, Fr. Jean-Christ-Guthier 335
Frauenliebe und Leben in der Litteratur, Frl. Natalie v. Milde 335
Gruss der deutschen PYiedensgesellschaft, Hr. Prediger Seydel 342
Zur Friedensbewegung, Fr. Melitz 343
Ansprache in der Friedens frage, Fr. Lina Morgenstern . . 344
Grüsse aus Frankreich, Dr. phil. Käthe Schirmacher . . 346
Friedensgruss aus Palermo, Fr. Rosalie Schoenflies . . . 346
Schlusswort, Fr. Minna Cauer 348
Eingesandte Vorträge 352
Die Sektions-SitzungeiK
I. Dienstag, den 22. September*
Reform der Kleidung.
Noch ein bedeutsames Hindernis für die Bewegung der Frau
in der Frauenbewegung, Hr. Dr. med. Spener . . . 355
Korreferat, Fr. Sera Prölss 359
Diskussion 363
Die Sittlichkeitsfrage.
Referat, Fr. Bieber-Böhm 364
Korreferat, Fr. Minna Cauer 367
Diskussion 368
Foreign Girls in London, Miss Hogg 369
Rescue Work, Mrs. Stugenberger-Campbell . . • . . 370
Die Vorarbeiten zum Kongress.
Der Gedanke, während der Berliner Gewerbeausstellung einen
Internationalen Frauenkongress nach der deutschen Reichshauptstadt
einzuberufen, wurde von Frau Lina Morgenstern zuerst am 8. Januar
in einer Versammlung des Hausfrauenvereins ausgesprochen. Um
diesen Gedanken seiner Verwirklichung entgegen zu führen, lud sie
die bekanntesten Leiterinnen von Frauenvereinen und Führerinnen
der Frauenbewegung zum 13. Januar in ihre Wohnung zu einer vor-
läufigen Besprechung ein.
Nachdem Frau Morgenstern den Plan zu einem Internationalen
Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen und ein proviso-
risches Programm vorgelegt und die Anwesenden gebeten hatte, sich
mit ihr zu diesem Zwecke zu verbinden, erklärten dieselben ihre
Zustimmung und Mitarbeit. Hierauf fand eine öffentliche Versamm-
lung statt, deren Resultat die Bildung eines Agitationskomitee's und
einer Finanzkommission war. Frau Morgenstern wurde zur Vor-
sitzenden, Frau Eliza Ichenhäuser zur Schriftführerin, Frau Lydia
Schlesinger zur Kassenverwalterin ernannt.
Nach einigen die Sachlage immer mehr klärenden und fördern-
den Sitzungen wurde ein Programm mit begleitendem Einladungs-
schreiben angenommen und von dem gesamten Berliner Lokalkomitee,
dass sich inzwischen vervollständigt und in Kommissionen getheilt
hatte, unterzeichnet.
Dasselbe bestand aus: Frau Lina Morgenstern, Potsdamerstr. 92,
1. Vorsitzende. Frau Minna Cauer, Nettelbeckstr. 21, 2. Vorsitzende.
Frau Hanna Bieber-Böhm, Kaiser- Wilhelmstr. 39, Frau Eliza Ichen-
häuser, Flensburgerstr. 30, Frau Rosalie Schoenflies, Winterfeld-
strasse 7, Fräul. Katharina Strahl, Nürnbergerstr. 29, Frau Stromer,
Grossbeerenstr. 93. Schriftführerinnen. Frau Lydia Schlesinger, Pots-
damerstr. 35, Schatzmeisterin. Fräul. Agnes Bluhm, Dr. med.,
Lützowstr. 55. Frl. Elvira Castner, D. S. Eichhornstr. 6. Frau
Jean Christ-Gutbier, Schriftst., Albrechtstr. 11. Frau Hedwig Dohm,'
Matthäikirchstr. ^13. Frau Maria Gubitz, Linkstr. 6. Fräul. Laura
Hermann, Oberlehr., Neuenburgerstr. 42. Frau Margarethe Kürschner,
Alt-Moabit 90. Frau Maybaum, Hinter d. Kath. Kirche 1. Fräul.
2 —
Marie Raschke, Lehrerin, Königgrätzerstr. 88. Frau Rosenlieim,
Kommandantenstr. 89. Frau J^annette Schwerin, Schmidtstr. 29.
Frau von Witt, Courbierestr. 14.
Ein Kreis von Helferinnen schloss sich den genannten Frauen
als erweitertes Komitee an: Frau Olga Arendt-Morgenstern, Frau
Lina Bamberger, P'rau Basch, PYau Dora Bauer, Frau Boas, Frau
Eloesser, Frau M. Fiedler, Frau Clara Fränkel, Frau Gu«<serow,
Frau Luise Havemann, Krau Ida Hoffmann, Frau Bertha Holzapfel,
Frau Lucie Jacobi, Frau Dr. Julie Kühn, Frau J. Lewenstein,
Frl. Anna Morsch, Frl. Münchhausen, Frau Dr. Nixdorf, Krau
Johanna Perls, P'rau Anna Plothow, PYau Dr. S. Prölss, Frl. Emma
Reiche!, Frau Marianne Rosenberger, Frau Clara Rudioff, Frau
J. Saulmann, Frau Cläre S'hubert- Feder, Dr. phiU, Frau Wertheim-
Gotthelf, Frau Malwina Wolki>:er, Frau Levysohn.
Das Einladungsschreiben nebst Programm wurde in 10,000 Exem-
plaren nach allen Weltteilen versandt. Von vorn herein stellten wir
den Grundsatz auf, alle Parteien einzuladen und Niemanden
zuszuschliessen, da die Frauenbewegung keine Parteisache ist, son-
dern das ganze Geschlecht angeht. Sollte doch Hauptzweck
des Kongresses sein, Fühlung mit allen Rifhtungen zu gewinnen, um
zu erkennen, auf welchen Gebieten eine gemeinsame Arbeit zum
Besten des Allwohls zu erzieh -n sei. Namentlich wurden auch Ein-
ladungen versandt an Mitglieder der evangelisch-sozialen Frauen-
gruppe, an die sozialdemokratischen Führerinnen, an die vaterlän-
dischen Frauenvereine u. a.
Glückwünsche und ermunternde Kundgebungen zu unserem
Unterehmen liefen aus fast allen europäischen Ländern, aus Amerika,
Syrien, Indien und Australien ein.
Am 16. März ernannte unser Komitee Frl. Dr. phil. Käthe
Schirmacher in Paris zur Delegierten für den Congres Intern, des
Societes feministes in Paris, der vom 8.— 11; April tagte und Ein-
ladungen an uns hatte ergehen lassen. Frl. Schirmacher über-
brachte den Frauen Frankreichs unsere Grüsse und die Einladung
zum Berliner Konsrress.
In einer Sitzung vom 15. Mai \vurde Frau Lina Morgenstern
zur Delegierten erwählt, um dem Hunde deutscher Frauenvereine zu
deren vom 25. — '28. Mai starr findenden Generalversammlung in
Kassel eine offizielle Einladung zur Beteiligung an dem Int. Kongress
ür Frauenwerke und Frau« iibestrebun^^^n zu überbringen. Der Bund ,
war gleich bei der ersten konsrituierenden Versammlung in Berlin |
zur Bereiligung aufgefordert worden, hatre jedoch durch seine ge- :
schäftsführende Vorsirzende Frau Anna Simson in Breslau antworten
lassen, „dass der Bund, seiner Verfassung nach, nicht in der Lage
sei, bei Organisaticm eines Int. Frauen kongresses mitzuwirken; der
Vorstand würde jedoch nicht verfehlen, in der General- Versammlung
des Bundes den Antrag zu stellen, eine oder mehrere Delegierte zu
dem Int. Kongress im Herbst zu entsenden."
Auf die von Frau Morgenstern persönlich überbrachte Einladung
erwiderte die Vorsitzende des Bundes Frl. Auguste Schmidt, dass
der Bund sich nicht durch Senilung von Delegierten beteiligen
könne, da der Kongress nicht von ihm ausgehe und er mit dem
i
^m
Es handelte sich eben nur darum, Vergleiche anzustellen, was von
den Frauen der verschiedenen Nationen geleistet worden ist, in
welcher Weise sie für das Wohl ihres Geschlechtes und der
Gesamtheit gearbeitet und welche Fortschritte die Stellung der
Frau und die Bewegung bei ihnen gemacht haben. Diese öflfentlichen
Versammlungen wurden täglich von anderen Tagespräsidentinnen
geleitet. Drei Sektionssitzungen, unter dem Vorsitz der Frau Jeannette
Schwerin, waren dazu bestimmt, über diejenigen Fragen zu diskutieren,
deren Erörterung besonders wünschenswert erschien.
Wir können diese Einleitung nicht schliessen, ohne der Presse
aller Parteirichtungen unsem Dank auszusprechen. Sie hat dem
Unternehmen von Beginn an wohlwollend gegenüber gestanden.
Während der Kongresstage waren ihre Vertreter beständig in den
Sitzungen anwesend, und in den Spalten der Tagesblätter erschienen
ausführliche, ernst gehaltene Berichte, welche den auf dem Kongresse
vertretenen Ideen die weiteste Verbreitung verschafiften.
Der Begrüssungsabend.
Die Teilnahme am Kongress hatte in den letzten Tagen derartig
zugenommen, dass die Räume des Englischen Hauses die am Be-
grüssungsabend, dem 19. September, versammelten Frauen nicht
fassen konnten. Statt der erwarteten 600 Teilnehmerinnen hatten
sich deren ca. 1300 eingefunden, so dass es kaum möglich war, den
Delegierten Platz in den ersten Reihen vor dem Podium zu ver-
schaffen. Freudig bewegt begrüsste Frau Morgenstern die zahlreiche
Versammlung, in der hervorragende Vertreterinnen und Vor-
kämpferinnen der Frauenbewegung aus allen Ländern Europas und
vielen Orten Amerikas sich befanden.
Zwei Grüsse in poetischer Form von Frau Braun aus Altena,
und Frl. Henriette Goldschmidt aus Berlin wurden von Frau Olga
Arendt- Morgenstern und von Frau Marie Stritt vorgetragen.
Dann ergriff Frau Meissner-Diemer aus Wien das Wort, um
den Einberufern ihren Dank für den gastlichen Empfang auszu-
sprechen. Frau Elise A. Haighton aus Amsterdam brachte einen
Gruss aus ihrer Heimat und eine Armenierin in Nationaltracht,
Frau Elisabeth Saksjan, hielt die letzte Ajisprache.
Zwangloses Beisammensein und gastliche Bewirtung von selten
des Lokalkomitees bildeten den Schluss des Abends.
Die HanptversammliingeiL
L
Sonntage den 20. September, Tormittag 11 Uhr.*)
A^'orsitz: Frau Lina Morgenstern, Fräulein Marie Raschke.
Nach einer von einem Frauenchor vorgetragenen Hjrmne ergriff
die Vorsitzende, Frau Lina Morgenstern, das Wort zu ihrer
Begrüssungsrede :
Hochansehnliche Versammlung!
Hiermit eröffne ich den Internationalen Kongress für Frauen-
werke und Frauenhestrebungen.
Wir heissen Sie von Herzen willkommen und danken vor allem
denjenigen, welche die Schwierigkeiten, die Beschwerden und Opfer
einer weiten Beise nicht scheuten, um sich mit uns zu einem hohen,
herrlichen Zwecke zu vereinigen, nämlich dem, eine Harmonie in der
Frauenbewegung aller Länder herzustellen, um das gesamte Menschen-
geschlecht einer besseren Zukunft entgegenzuführen, durch Gerechtig-
keit für Alle, durch Hebung und Befreiung der Frauen von Eng-
herzigkeit, Vorurteilen, Unwissenheit und Zurücksetzung! Nur
durch die gesetzliche Gleichstellung beider Geschlechter, durch
friedliches und gleichberechtigtes Arbeiten in der Gemeinsamkeit,
durch freie Selbstbestimmung im Rechte auf Arbeit, auf Berufswahl
und Bildung, nur durch Anerkennung einer Moral, einer Sittlichkeit
für Alle wird dereinst eine beglückende Menschenverbrüderung
ermöglicht werden.
Diesem hohen, wenn auch noch fernen Ziel zuzustreben, möge
alle Diejenigen vereinigen, welche bereits ihre Kraft dem Allwohl
gewidmet haben und zu widmen bereit sind. Wir fragen nicht
nach Meinungsverschiedenheit, noch nach Stellung der Person oder
nach politischem und religiösem Glaubensbekenntnis, nicht nach
*) Bedigiert v, Frau Minna Cauer.
Nationalität und Rasse, uns gilt' das rein Menschliche, Menschen-
würdige und darum Göttliche, uns gilt Ueberzeugungstreue und
Selbstlosigkeit.
. Und wenn ich nun die, alle Erwartungen übertreffende grosse
Schar der Teilnehmenden überschaue, wird es mir warm ums Herz
und meine Seele erfüllt eine freudige Hoffnung.
Ich gedenke in diesem weihevollen Augenblick der Entwicklung"
unseres Kongresses.
Nur klein war die Zahl derer, welche sich anfangs an unserem
Unternehmen beteiligten, und von diesen traten noch einige ängstlich
zurück.
Wir bildeten ein engeres und er weiteres Lokalkomitee und
begannen die Vorarbeiten mit dem Entwurf des Programmes, welches
ausführlich mitteilt, was wir wollen.
Nächst den Berichten über den Stand der Frauenbewegung aus
allen Ländern, sind die ersten Vorträge für die Pflege und Erziehung
der zarten Menschenknospe, des Kindes, angesetzt. Hat doch die
Frauenbewegung dieses Jahrhunderts (1848) mit Friedrich Fröbels
Reform der Kinder- und Jugenderziehung begonnen, mit seiner
Mahnung an die Mütter, als verantwortliche Menschenerzieherinnen
eingedenk zu sein: „Kommt, lasst uns den Kindern leben". Mit'
diesem Beginn unseres Programms zeigen wir, dass wir auf dem
Boden eines gesitteten gesunden Familienlebens stehen, in welchem
in gleichberechtigter Stellung vor dem Gesetze beide Ehegatten
gleich verantwortlich für die Erziehung ihres Kindes sind.
In aufsteigender Linie beschäftigt sich das Programm weiter
mit allen elementaren und Unterrichtsfragen, mit Fach- und Berufs-
bildung, mit Wohlfahrt und sozialer Hilfe, mit öffentlicher und
häuslicher Gesundheitspflege im engen Zusammenhang mit Massigkeit
und Sittlichkeit, mit den brennenden Fragen der Rechtsstellung der
Frauen vor dem bürgerlichen Gesetz und der ebenso brennenden
Arbeiterinnen- und Lohn (rage, bis wir am letzten Tage zur Stellung
der Frau in Kunst, Wissenschaft und Litteratur gelangen und
mit ihrer Beteiligung an der weltumfassenden Friedensbewegung
schliessen.
Viele tausende dieser Programme wurden in alle Weltteile ge-
sandt und aus allen Weltteilen erhielten wir Kundgebungen der
Sympathie, der Zustimmung und Anmeldungen.
Die immer mächtiger anschwellende Korrespondenz mit dem
Ausland wurde von beiden Vorsitzenden und den 4 Schriftführerinnen
Fr. Ichenhäuser, Frau Schönflicss, Frl. Sti*ahl und Frau Stromer
geführt. So schritt die Agitation frisch und freudig vorwärts. Es
wui'den die Frauen aller Parteien eingeladen sich zu beteiligen.
Heute freuen wir uns, eine so hochansehnliche Veisammlung
von Delegierten und persönlichen Teilnehmern aus allen Lfindern
hier zu sehen. Besonders freut uns auch die Teilnahme der Männer,
denn wünschen wir Gerechtigkeit, so müssen sie sich mit unserem
Wollen und Thun vertraut machen! Es erstanden uns ja zuerst
unter den Männern die edelsten Führer und MitkJtmpfer.
Unsere Hauptgegner waren und sind nicht nur die Männer,
sondern die gleichgiltigen und engherzigen Frauen, welche weder
- 7 —
Verständnis noch Sympathie fdr den grossen Kampf hahen, den
wir zum Wohle und zur Hebung des weiblichen Geschlechtes führen
und dem «auch ich seit 1848 mich gewidmet habe, damals, als das
Wort Emanzipation den Vertretern hergebrachter Anschauungen,
Vorurteile und Gewohnheiten noch ein Gespenst war.
Heut ist es kein Wahnbild mehr. Und wenn es einer kleinen
Anzahl von Frauen gelungen ist, die ganze Welt für diesen Kongress
zu interessieren, und eine so hochansehnliche Teilnehmerschar zu-
sammen zu rufen, die vielen Nationen angehört, habe ich die frohe
Hoffnung, dass eine Zeit kommen werde, wo ein friedliches Zu-
sammenwirken der Nationen und Geschlechter ermöglicht werden
wird.
Lassen Sie mich zum Schlüsse, als Kinberuferin, noch denen danken,
die durch ihre thätige Theilnahme uns kräftige Gehilfinnen wurden
den so tüchtigen, opferfähigen, treuen IVUtarbeiterinnen. Sie zeigten
wieder, was das schwache Geschlecht mit Energie, Ausdauer, Sach-
verständnis und Liebe zu leisten vermag.
Ein herzlicher Dank gebührt der gesamten Presse, die mit
Wohlwollen und Unparteilichkeit über unseren Kongress Von Beginn
an berichtete und ihm in den Tagen vor demselben sogar Leit-
artikel widmete. Das ist ein kolossaler Fortschritt, dessen sich die
Frauenbewegung erfreut und den sie zu würdigen weiss.
Einen ganz besonderen Dank verdienen aber auch unsere Stadt-
behörden, unter deren Schutz unsern Kongress zu stellen, unser
erstes Bemühen war. Mit der Bewilligung, im Rathause tagen zu
dürfen, hat derselbe die legale Weihe erhalten. Hier in diesem
Hause, wo nur für das Wohl der gesamten Berliner Bevölkerung
gearbeitet wird, an der Stätte, wo schon so manches gute Werk
begründet woirde und die nur sol<-hen Vereinigungen dient,
deren Zwecke gut, edel und nutzbringend sind, hoffen auch wir,
dass unsere Arbeit eine Segens volle sein werde.
Die Uebereinstimmung, für gemeinsame hohe Ziele wirken zu
wollen, hat uns zusammen.ijefiihrt. Möge unser Kongrev«;s dazu bei-
tragen, ein B;tnd edler, dauernder Beziehungen um die Frauen der
ganzen Welt zu schlingen, damit sie der Solidarität ihrer Interessen
bewusst werden! So nur können sich die grossen Ideen verwirk-
lichen, die uns beseelen, uns«T Geschlecht zu heben, ihm eine ge-.
rechte, würdige Stellung in der menschlichen Gesellschaft zu geben!"
Thema der Vorträge:
Der stand der Frauenbewegung in verschiedenen
Ländern.
Deutschland.
Frau Marie Stritt, Dresden.
Mir ist vom Coinite die Aufgabe zuerteilt worden, Ihnen ein
Bild von dem gegenwärtigen Stand der deutschen Frauenbewegung
zu entwerfen. So gern ich mich dieser Aufgabe unterziehe, so bin
ich mir doch der Schwierigkeit derselben in zwiefacher Beziehung bewusst^
Einmal kann bei einem so umfangreichen, unser ganzes soziales Leben
umfassenden Gebiet, und bei der Kürze der Zeit, die mir dafür zu Gebote
steht, von einer erschöpfenden, oder nur halbwegs gründlichen Behandlung
meines Themas natürlich keine Rede sein, ich vermag also beim besten
Willen nur einen ganz flüchtigen Ueberblick zu geben — und dann
würde es mir wohl auch unter anderen Verhältnissen kaum möglich
sein, in diesem Kreise, und zumal den lieben Genossinnen deutscher
Zunge etwas Anderes als längst Bekanntes über unsere Bewegung
zu sagen. Es ist aber unter allen Umständen eine missliche, undank-
bare Sache, Eulen nach Athen zu tragen — so bitte ich denn, meine
bescheidenen Ausführungen lediglich als das zu betrachten, was sie
sein sollen, nämlich als das leidige unvermeidliche Vorwort zu den
vielen interessanten K<apiteln, die Ihnen im Laufe dieser Woche zu
Gehör gebracht werden. Ausgangspunkt und Ziele der modernen
Frauenbewegung waren und sind wohl bei allen Völkern die gleichen,
ebenso wie der Weg, den sie einschlägt, mit ganz geringen Ab-
weichungen der gleiche ist und sein muss, da ihn die Natur selbst
und die unwandelbaren Gesetze der menschlichen Entwickelung genau
vorgezeichnet haben. Wir können demnach in allen modernen Kultur-
staaten die gleichen Erscheinungen, den gleichen Werdeprozess sich
wiederholen sehen. Je nach dem Kulturzustand im allgemeinen, nach
lokalen Verhältnissen und nationalen Eigenthümlichkeiten pflegt sich
jedodi dieser Werdeprozess bald schneller, bald langsamer zu
vollziehen. In keinem anderen zivilisierten Lande wurde und wird
so viel über Frauen frage und Frauenbestrebungen diskutiert, polemisiert
und theoretisirt, in keinem hat sich daher des Altmeisters Wort, dass
„alle Theorie grau ist", so glänzend bewahrheiten können, wie in
Deutschland. Denn nirgends ist die praktische Ausgestaltung unserer
Bestrebungen so weit zurückgeblieben, ja herrscht auch wohl kaum
irgendwo eine so allgemeine Unkenntniss und so bedauerliche Miss-
verstSndnisse selbst in den Kreisen der sog. Intelligenz und merk-
würdigerweise in diesen ganz besonders — über ihre Bedeutung und
ihre Ziele, wie in unserem Vaterlande. Es lässt sich nicht kon-
statieren, wie weit die letztere bedauerliche Thatsache durch die
erstere bedingt wurde, doch ist gewiss, dass sie beide in einem
inneren Zusammenhang stehend, eine verhängnissvolle Wechselwirkung
auf einander ausüben, und dass die vorwiegend theoretische, akademisch
— doktrinäre Behandlung der Materie, die — wie oft! — den Wald
vor lauter Bäumen nicht sehen kann, wenig zur Klärung, umsomehr
aber zur Verwirrung der Begriffe beigetragen, die natürliche, gesunde
Entwicklung der Bewegung gehemmt und die an sich schon so mühe-
volle Arbeit unserer weiblichen Fortschrittspioniere unendlich
erschwert hat.
Diese Arbeit hat naturgeniäss, wie überall so auch bei uns,
zunächst auf dem Gebiet der weiblichen Erwerbsthätigkeit eingesetzt.
Der grosse Gedanke der Frauenbefreiung, der Gleichberechtigung
der Geschlechter, der als Forderung der Humanität, als höchstes
ethisches Prinzip zu allen Zeiten in einzelnen erleuchteten Köpfen,
in den edelsten Herzen, die je für die Menschheit geschlagen, lebendig
war, dieser Gedanke hat schon Ende des vorigen und Anfang dieses
Jahrhunderts auch bei uns manche begeisterten männlichen und
— 9 —
weiblichen Verfechter gefundeo, die logisch und zielbewusst auch vor
seinen äussersten Konsequenzen nicht zurückschreckten. Auch uns
ist ein John Stuart Mill erstanden in Theodor von Hippel, dessen
bedeutsame Schriften „Ueber die bürgerliche Verbesserung der
Weiber" und „Ueber die Ehe", trotzdem sie bereits ihr hundertjähriges
Jubiläum hinter sich haben, auch heute noch manchem braven
Philister eine Gänsehaut verursachen würden — vorausgesetzt
natürlich, dass er sie kannte. —
Aber diese einzelnen Männer und Frauen blieben Prediger in
der Wüste, ihre Stimmen verhallten ungehört, mindestens unbeachtet
im Strom der Zeit. Erst durch die völlige Umgestaltung unserer
wirthschaftlichen und Produktionsverhältnisse, die ihrerseits durch
den ungeahnten Aufschwung der Naturwissenschaften, durch die
zahllosen Entdeckungen und Erfindungen auf dem Gebiet der Technik
und Industrie, die erleichterten Verkehrsmittel etc. hervorgerufen
waren, gewann die schöpferische Idee Gestalt und Leben. Unser
modernes Maschinenalter, welches die Frau aus dem sicheren Schutz
des Hauses, in dem sie reichlich Arbeit und ausreichend Brot
gefunden hatte, verdrängte, bot, indem es der Einzelnen die bisherige
wirtschaftliche Existenzbedingung, den sicheren Grund unter den
Füssen entzog, dagegen der Frauenbewegung die notwendige wirt-
schaftliche Basis, deren sie zu ihrer Entwicklung bedurfte.
So war es denn, wie gesagt, auch bei uns in erster Linie die
Not- und Brotfrage, die Forderung nach selbständiger, erweiterter
Erwerbsthätigkeit, später in logischer Konsequenz auch nach Er-
schliessung der höheren und einträglicheren Berufszweige für das
weibliche Geschlecht, die den Ausgangspunkt für die Bestrebungen
jener mutigen und zielbewussten Frauen bildete, die zum Wohl ihrer
noch ungeborenen Geschlechtsgenossinnen, den Kampf gegen eine
Welt von Vorurteilen, von Unwissenheit und Egoismus aufnahmen,
und unter schweren Mühen und Opfern, verfolgt von Hohn und Spott
der Menge, dem Fluche der Lächerlichkeit preisgegeben. Schritt für
Schritt, langsam aber unermüdlich, tausendmal zurückgedrängt und
tausendmal wieder vordringend, die Bahn für die Nachstrebenden
eröffneten.
Zunächst drängte sich den mutigen Frauen, die auch bald die
Unterstützung einzelner gleichgesinnter Männer fanden, natürlich die
Unzulänglichkeit der bisherigen weiblichen Erziehung und die Not-
wendigkeit einer besseren Allgemeinbildung, vor allem aber einer
bestimmten beruflichen Ausbildung auf. Zwei grossen Vereinen,
dem nach seinem Gründer benannten, 1865 ins Leben gerufenen
Lette- Verein in Berlin, und dem im gleichen Jahre von Luise Otto
und Auguste Schmidt gegründeten Allgemeinen Deutschen Frauen-
verein gebührt das hohe Verdienst, die Erschliessung neuer Berufs-
zweige und Eröffnung von Fortbildungs- und Fachschulen für das
weibliche Geschlecht durch Gründung zahlreicher Frauenerwerbs-
und Frauenbildungs vereine in allen grösseren Städten wirksam und
thatkräftig gefördert zu haben. In gleichem Sinne und in durchaus
modernem Geiste wirkt auch seit Ende der 80er Jahre der Verein
„Frauenwohl" in Berlin. Alle diese von den drei genannten ins
Leben gerufenen Zweigvereine entwickelten sich selbständig und in
— 10 —
erfreulichster Weise. Zahlreiche von ihnen begründete gewerbliche
und kaufmännische Lehranstalten, Handarbeits-, Haushaltungs-, kunst-
gewerbliche und Handelsschulen bereiten jährlich tausende von jungen
Mädchen zu selbständigem Erwerb vor. So zielbewusst, unermüdlich
und aufopfernd aber auch die vielen tapferen Frauen für ihr Ge-
schlecht gearbeitet haben — ihre grosse Mitarbeiterin, die Zeit, ist
indessen auch nicht müssig gewesen, sie hat sie in vielen Stücken
überholt. — Trotz aller Bemühungen, den herrschenden Bedürf-
nissen Rechnung zu tragen, erweisen sich diese Anstalten der rapiden
wirtschaftlichen Entwickelung unserer Zeit und den ebenso rapide
sich steigernden kulturellen Ansprüchen und Forderungen gegenüber
als nicht mehr ausreichend. — Angesichts der allgemeinen Pröleta-
risierung, einschliesslich des bisherigen Mittelstandes, angesichts der
Massen von Frauen, die für sich und die Ihren um des Lebens Not-
durft einen Kampf kämpfen müssen, der täglich schwerer wird, sind
ganz andere, umfassendere Massregeln für unser Geschlecht notwendig
geworden.
In dem für die Entwickelung unserer wirtschaftlichen Zustände
und für beide Geschlechter gleich verhängnisvollen Konkurrenzkampf
zwischen Mann und Weib, der hauptsächlich durch die geringere Be-
wertung und demzufolge durch die Unterbietung seitens der weib-
lichen Arbeitskräfte heraufbeschworen wurde, kann ein Wandel zum
Besseren nur durch gleichen Lohn bei gleicher Leistung er-
reicht werden. Um nun der Frau diese gleichwertige Leistung, die
gegenwärtig nur von ausnahmsweise Begabten geboten werden kann,
zu ermöglichen, genügt nicht eine notdürftige, minderwertige, sondern
nur eine gleichwertige, eine vollwertige Vorbildung. Unsere Re-
gierungen und Kommunen aber, die nach dieser Richtung so mütterlich
für ihre Söhne sorgen, sind hierin ihren Töchtern gegenüber noch
gänzlich im Rückstande geblieben.
Vor einigen Jahren machte eine statistische Uebersicht in den
Blättern die Runde, wonach von den Summen, die alljährlich in den
deutschen Staaten für die Berufsbildung unserer Jugend verausgabt
werden, 97^/4 % für das männliche und 2V4 °o für das weibliche
Geschlecht entfallen. Dies Verhältnis hat sich auch seither wohl
kaum geändert. Obgleich längst auch massgebenden Ortes mit der
Notwendigkeit selbständiger Erwerbsthätigkeit für das weibliche Ge-
schlecht gerechnet wird, so geschieht doch blutwenig, dieselbe zu
föi'dern, umsomehr aber, sie zu erschweren oder gar zu verhindern.
Wir haben staatliche Lehrerinnensera inare, die Frauen für den
Unterricht in Volks- und Töchterschulen vorbereiten, Hebammen-
kurse, Koch- und Haushaltungsunterricht, der hie und da, beispiels-
weise in Sachsen, in letzter Zeit den Oberklassen der Volksschulen
angegliedert wird; Frauen werden im Telegraphen- und Telephon-
dienste angestellt — auch erhalten einzelne, gutangeschriebene
Frauenerwerb vereine von den Kommunen bescheidene jährliche Zu-
schüsse — das ist aber auch so ziemlich alles, was von Staats -
oder Gemeindewegen für unser Fortkommen geschieht. Nicht
nur sind Frauen bei uns noch von allen anderen öffentlichen
Aemtern und Bildungsstätten, von den höchsten bis zu den primi-
tivsten, ausgeschlossen, sie werden auch in keiner Weise durch be-
— 11 —
sondere, dem Geist der Zeit und ihren Bedürfnissen Rechnung
tragende Lehranstalten dafür entschädigt.
Ein typischer Fall, der sich vor einiger Zeit in einer grossen
Residenzstadt zutrug, ist in hohem Masse geeignet, die Stellung
unserer Behörden zur Frauen frage zu kennzeichnen. Vom Kollegium
der — notabene einzigen — städtischen „höheren Töchterschule war ein
Gesuch um einen Zuschuss von jährlich 360 Mk. behufs Einführung
des fakultativen stenographischen Unterrichtes in der ersten Klasse
eingereicht worden. Dasselbe wurde in der betreflfenden Stadt-
verordnetensitzung abschlägig beschieden, u. z. mit folgenden Be-
gründungen: Es würde durch diese unnötige Ausgabe nur eine neue
Konkurrenz für das männliche Geschlecht geschaffen, — es gäbe
anderwärts sc^on genügend Gelegenheit für das junge Mädchen,
Stenographie zu lernen — und — last not least — , die brave
Hausfrau, das treusorgende Weib, die Erzieherin der Kinder brauche
keine Stenographie! -- Kurze Zeit nach dieser denkwürdigen Ver-
handlung, bewilligten dieselben Väter der Stadt ohne Widerspruch
45000 Mk. zur Ausschmückung der Strassen bei Gelegenheit einer
in keiner Weise wichtigen oder bedeutungsvollen Einzugsfeierlichkeit.
Das ist ungefähr der Standpunkt, der, wenn er auch nicht überall
so brutal deutlich zu Tage tritt, bei uns noch offiziell der Frauen-
frage im allgemeinen gegenüber eingenommen wird. Bezüglich der
Studienfrage im besonderen hat sich in letzter Zeit auch bei uns ein
kleiner Wandel zum Besseren bemerkbar gemacht. Seit Jahren
schon entwickelten der Allg. Deutsche Frauenverein, die Vereine
„Frauen wohl"* und „Frauenbildungsreform" eine rührige und ener-
gische Thätigkeit im Interesse des akademischen Frauenstudiums,
theils durch Massen- und Vereinspetitionen an den Reichstag und
die einzelnen Landes Verwaltungen, teils durch eine allgemeine um-
fassende Propaganda in Wort und Schrift, teils, was den Allg.
Deutschen Frauenverein anlangt, auch durch Stipendien an im Aus-
lande studierende Frauen. Vor drei Jahren wurde vom Verein
„Frauenbildungsreform" das erste deutsche Mädchengymnasium in
Karlsruhe ins Leben gerufen, kurze Zeit darauf von einer Ver-
einigung fortschrittlicher Älänner und Frauen, die unter Leitung von
Frl. Helene Lange stehenden dreijährigen Gymnasialkurse für Frauen
in Berlin, und vom Allg. Deutschen Frauen verein eben solche unter
Leitung von Frl. Dr. Windscheid stehende Kurse in Leipzig. Nach-
dem Reichs- und Landtage mit der Kompetenzfrage wegen Zulassung
der Frauen zum Hochschulstudium lange Zeit hindurch ein ergötz-
liches Fangballspiel gespielt haben, ist es jetzt den Universitäten
selbst anheimgegeben worden, Stellung zu der Frage zu nehmen.
Verschiedene, wie die von Berlin, Leipzig, München, Heidelberg,
Göttingen, kürzlich auch Bonn, tragen denn auch dem Zeitgeist in
bescheidenem Masse Rechnung, indem sie einzelne Frauen als ausser-
ordentliche Hörerinnen unter allen möglichen Beschränkungen zu-
lassen, d. h. es in das Belieben der einzelneu Professoren und Do-
zenten stellen, ob sie sich diese Eindringlinge gefallen lassen wollen
oder nicht. Als Kuriosum muss erwähnt werden, dass hierbei auf
Ausländerinnen in der Regel mehr Rücksicht genommen wird,
wie auf die eigenen Volksgenossinnen, doch haben die Herren immer-
— 12 —
hin auch diesen gegenüber bewiesen, dass sie „über dem Gesetz"
stehen, und mit wenigen, unrühmlichen Ausnahmen, freundliche
Duldung gezeigt. Im letzten Semester studierten allein in Berlin
etwa 80 Frauen, in Göttingen 72 u. s. w.
Seit Ostern dieses Jahres ist die Angelegenheit insoweit in ein
neues Stadium getreten, als die ersten 6 Abiturientinnen der Berliner
Gyranasialkurse ihre regelrechte Maturitätsprüfung an einem städti-
schen Gymnasium mit bestem Erfolg' abgelegt haben, der bisherige
Hauptweigerungsgrund, dass die Frauen wegen mangelnder
Qualifikation durch das Reifezeugnis nicht als regelrecht in-
scribierte Studentinnen zugelassen werden könnten, mithin in Wegfall
gekommen ist. Gerechter- und konsequenter Weise müste hierauf
nun die Eröffnung der Universitäten — wenigstens der beiden
Fakultäten, die momentan in Frage kommen, der medizinischen und
philosophischen — die unmittelbare Folge sein.
Angesichts so wenig erfreulicher Verhältnisse mag sich mancher
unserer ausländischen Gesinnungsgenossinnen die Frage aufdrängen:
Warum habt ihr da nicht längst energischere, umfassendere Mass-
regeln getroflfen, eigene Hochschulen für Frauen gegründet, zur
wirtschaftlichen Hebung eures Geschlechtes weibliche Berufsgenossea-
schaften ins Leben gerufen etc.? Die Antwort darauf lautet kurz
und bündig: Weil es uns bisher am Nötigsten dazu gefehlt hat —
einmal an den pecuniären Mitteln, und dann an einer planmässigen,
ja überhaupt an jeder Organisation. Die oberen Zehntausend, die
Frauen, die den Kampf ums Dasein nur vom Hörensagen kennen,
standen bis jetzt, einzelne aufgeklärte, hochherzige Persönlichkeiten
abgerechnet, unserer Bewegung ferne und waren in der Erkenntnis
ihrer sozialen Pflichten höchstens bis zu „des WohUhuns christlicher
Tugend" vorgedrungen; einer richtigen Organisation der weiblichen
Arbeitskräfte aber setzte die bisherige wirtschaftliche, soziale und
gesetzliche Hörigkeit der deutschen Frau fast unüberwindliche
Schwierigkeiten in den Weg.
Die erwerbende, verheiratete Frau hat bisher nicht für sich,
sondern für ihren Mann erworben, ihr Mann, nicht sie selbst, hatte
über sie zu verfügen. Da war es denn nur natürlich, dass zunächst
die Unverheirateten, „Eigenberechtigten", wie es in Oesterreich sehr
bezeichnend heisst, auch in Bezug auf berufsgenossenschaftlichen
Zusammenschluss vorangingen — so 1889 die Berliner kaufmännisch
Angestellten mit dem von Frau Minna Gauer und Herrn Julius
Meyer ins Leben gerufenen „Hilfs verein", der in den wenigen Jahren
zu einer blühenden Organisation angewachsen, gegenwärtig Über
9000 Mitglieder zählt und in vielen anderen Städten Nachahmung
gefunden hat. Ein Jahr später folgten die deutschen Lehrerinnen
mit dem von Frl. Helene Lange und Frau Loeper-Housselle gegründeten
Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein, der in segensreicher Weise
für alle Interessen ihres Standes eintritt.
Am schwierigsten — und am nötigsten ist natürlich die Or-
ganisation der Frauen des vierten Standes, der Fabrik- und Heim-
arbeiterinnen, durchzuführen, u. z. doppelt schwer, weil bei uns die
Verhältnisse doppelt ungünstig liegen. In keinem Lande haben sich
wohl so scharfe Gegensätze zwischen der bürgerlichen Frauenbewegung
— 13 —
nod der proletarischen, die sich im Rahmen der sozialdemokratischen
Partei vollzieht, herausgehildet, nirgends ist die durch die Politik
geschaffene, durch Fanatismus und Rlassenhass auch wohl noch künstlich
erweiterte Spaltung eine so tiefgehende, wie bei uns. Die engli<«chen
Frauen, die uns, wie in allem anderen, so auch an sozialpolitischer
Einsicht und Reife weit überlegen und in der Frauenfrage in jeder
Beziehung ein leuchtendes Vorbild sind, gehen in der Arbeiterinnen-
frage, die sie nicht als eine politische, sondern als eine rein wirt-
schaftliche betrachten, stets einmütig und geschlossen vor, und
die hohe Ekitwicklung des englischen Gewerkschaftswesens, das wie
ein kunstvolles Räderwerk ineinandergreifend, die englische Arbeiter-
schaft- zu der bestorganisierten der Welt machte, spricht am besten
für ihren Erfolg.
Die Notwendigkeit der Organisation der arbeitenden Frauen
ist auch bei uns nicht nur von den Führerinnen der proletarischen,
sondern auch der bürgerlichen Frauenbewegung längst erkannt.
Viele unter ihnen, darunter unsere fähigsten, begabtesten Köpfe,
haben sich gegenwärtig ernsten, sozialpolitischen Studien gewidmet,
wertvolle statistische Arbeiten geliefert und ihre Kräfte ausschliesslich
an die Lösung dieses schwierigsten aller Probleme gesetzt. Zweifellos
wird schon die nächste Zukunft manchen Fortschritt in dieser
Richtung zeitigen — doch dürfte die Hoffnung, dass nach und nach
auch bei uns dies Gebiet die Brücke zu gegenseitiger freundlicher
Verständigung, zu gemeinsamem Vorgehen und Arbeiten bilden
wird, eine trügerische, mindestens eine verfrühte sein. Vorläufig
müssen wir es, wie die Dinge liegen, schon als eine erfreuliche
Thatsache konstatieren, dass wir uns wenigstens in einigen wichtigen
Einzelfragen, wie bezüglich des neuen Familienrechtes, der weiblichen
Fabrikinspektoren etc. an den Wahlspruch halten können: „Getrennt
marschieren, vereint schlagen!"
Mit der Erkenntnis ihrer materiellen und geistigen Not, die
in der Forderung nach Erwerbs- und Bildungsfreiheit zum Ausdruck
gelangte, käme den deutschen Frauen auch die Erkenntnis von dem
schweren sittlichen Notstand ihres Geschlechtes, welchen die
falsche doppelte Moral und vor allem das schändende Brandmal
unserer Zeit, die staatlich anerkannte und geschützte Prostitution, über
sie verhängte. Sehr langsam, sehr allmälig, sind bei uns, in der
Heimath Dornröschens, die Frauen zum Bewusstsein ihrer selbst und
ihrer Menschenwürde erwacht, und lange, unbegreiflich lange
haben sich selbst die Einsichtigen unter ihnen, die Wachen und
Sehenden, in einem falschen Schamgefühl gesträubt, ihre Augen
der tiefsten Schmach und Erniedrigung ihrer Mitschwestern zu öffnen,
oder gar ihre Stimmen dagegen zu erheben. Erst in der allerletzten
Zeit ist hierin ein erfreulicher und dabei ziemlich rascher Umschwung
eingetreten, ist es den strebenden Frauen klar geworden, dass die
Sittlichkeitsfrage nächst der wirtschaftlichen den Kernpunkt der
Frauenfrage bildet, dass ein Nichtbeachten des Schandfleckes unserer
modernen Kultur so viel wie Billigung, wie Sanktion desselben
bedeutet, dass, wenn irgendwo, so in dieser Sache, die Frauen reden
müssen, nachdem sie so unverantwortlich lange geschwiegen haben.
Das Hauptverdienst der deutschen Frauenwelt, dieses Verständnis
— 14 —
— anfänglich gegen ihren Willen — erschlossen zu haben, gebllhrt
Frau Hanna Bieber-Böhm, der Begründerin und Vorsitzenden des
Vereins „Jugendschutz" in Berlin, die in selbstloser und aufopfernder
Weise durch eine reiche, unausgesetzte Propaganda gegen den tief-
eingewurzelten Wahn von dem „notwendigen üebel", gegen unsere
landläufige, heuchlerische Doppelmoral und vor allem für eine ethisch
und hygienisch aufklärende Jugenderziehung eintritt.
Auch in der Rechtsfrage, die gegenwärtig im Vordergrande des
allgemeinen Interesses steht, war es der Allg. Deutsche Prauen-
verein, der schon im Jahre 1876 mit einer von Louise Otto ver-
fassten Denkschrift über die zivilrechtliche Stellung der Frau bahn-
brechend voranschritt und auch später unentwegt für eine würdigere
Stellung unseres Geschlechtes vor dem Gesetz eintrat. In gleicher
Weise, nur noch nachdrücklicher und energischer, ging der Verein
„Frauenwohl" in Berlin vor, sowie seit etwa 3 Jahren der Rechts-
schutzverein für Frauen in Dresden, der in einer ausgebreiteten
praktischen Vereinsthätigkeit, Frauen aller Stände unentgeltlich Rat
und Hilfe in Rechtsfällen an der Hand der bestehenden Gesetze zu
erteilen, auch vielen anderen Vereinen vorbildlich gewesen ist, und
ausserdem ebenfalls eine rege Propaganda für eine zeitgemässe Aen-
derung dieser unzeitgemässen, harten und unwürdigen Gesetze in
Wort und Schrift entwickelt.
Als in gänzlicher Nichtbeachtung aller dieser Bemühungen der
Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzbuches, der dem neuen
deutschen Reich ein neues, einheitliches Recht bringen sollte, nur
wenige, und meist nur scheinbare Verbesserungen und in manchen
Punkten sogar Rückschritte bezüglich der rechtlichen Stellung der
Frau als Gattin und Mutter aufwies und die Entscheidung über die
endgültige Annahme des Gesetzbuches immer näher rückte, nahm
auch die Bewegung immer mehr an Umfang und Intensität zu.
Immer weitere Kreise wurden mithineingezogen, und nachdem auch
der inzwischen in's Leben gerufene Bund deutscher Frauenvereine
diese Sache ebenso wie die Sittlichkeitsfrage zu der seinen gemacht
hatte, dem Reichstag gemeinsame Petitionen eingereicht, Resolutionen
unterbreitet, Versammlungen abgehalten, Flugschriften in Masse ver-
breitet. Da jedoch, abgesehen von einigen geringen Zugeständnissen
im ehelichen Güterrecht und der Gewährung des Vormundschafts-
rechtes an die Frau, auch die Kommissionsbeschlüsse keine nennens-
werte Aenderung brachten, so raflPten sich die deutschen Frauen
noch in letzter Stunde zu einer letzten energischen Agitation und zu
Massenkundgebungen in Protestversammlungen auf, wie wir sie von
unserem Geschlecht bis jetzt in Deutschland noch nicht erlebt; wie
wir sie bis vor kurzem gar nicht für möglich gehalten hätten. Der
Erfolg war, wie bekannt, trotz alledem, und trotz der energischen
Unterstützung, die wir auch im Reichstag, nicht nur von Seiten der
sozialdemokratischen Partei, sondern durch Mitglieder aller Fraktionen
gefunden haben, vorläufig ein negativer.
Von positiven, greifbaren Resultaten der deutschen Frauen-
bewegung ist überhaupt zumal für den Uneingeweihten, und im Ver-
gleich zu anderen Ländern, noch nicht viel zu bemerken, und die
Anerkennung der Frau als selbständige Persönlichkeit in Staat und
— 15 —
Gesellschaft Iftsst noch ziemlich alles zu wünschen übrig. Wie von
allen öffentlichen Aemtern, so sind die Mütter der Nation natürlich
auch noch von jeder anderen Beteiligung am öffentlichen Leben aus-
geschlossen. Sie haben weder Sitz und Stimme bei der Armen- nnd
Waisenpflege, noch im Schulrat, noch in der Kommunalverwaltuug,
noch irgendwo sonst, wo über ihre eigensten Angelegenheiten und
über die der Ihren entschieden wird. Die Frage des Frauen Stimm-
rechtes, die in anderen Ländern bereits seit Jahrzehnten den Kern-
punkt aller Bestrebungen bildet, in anderen bereits die glücklichste
Lösung gefunden hat, stand bis jetzt noch nicht offiziell auf <lem
Programm der deutschen Frauenbewegung, wenn sie auch schon
von einzelnen leitenden Persönlichkeiten nachdrücklich und energisch
genug betont worden ist. Dass auch wir deutschen Frauen unser
volles Recht nur mit unseren Bürgerrechten erlangen können und
werden, wissen wir aber alle, und es dürfte dies offene Geheimnis,
vielleicht nur denjenigen zweifelhaften Freunden unserer Sache un-
bekannt sein, die in dieser Beziehung den Wunsch zum Vater des
Gedankens machen. Unsere ehrlichen Freunde — und unsere
ehrlichen Feinde kennen uns besser. Sie wissen, dass wir nicht
in der Mitte des Weges, sondern erst am Ziele Halt machen
werden.
Wenn auch noch wenig positive äussere Erfolge, so haben wir
umso erfreulichere innere zu verzeichnen. Vor allem muss da ein
ganz gewaltiger, bedeutsamer Umschwung zu gunsten der Frauen-
bestrebungen in der öffentlichen Meinung und im Organ derselben
in der Presse, konstatiert werden. Wohl macht sich auch hier noch
Verständnislosigkeit und Unkenntnis auf Schritt und Tritt bemerkbar.
Bald warnen pflichtgetreue Wächter der hergebrachten Ordnung vor
den Gefahren zweifelhafter „Experimente", ohne zu ahnen, dass
diese Experimente anderwärts bereits längst gemacht und glänzend
gelungen sind; dann beruhigen uns andere über den immerhin
„berechtigten Kern" der Frauenfrage, deren Verständnis noch
kaum durch die äusserste Schale gedrungen ist; wieder andere, die
nicht die entfernteste Ahnung von unseren Zielen haben, beklagen
es im Interesse der Bewegung aufs tiefste, dass dieselbe „so weit
über das Ziel hinausschiesst". Am ergötzlichsten aber sind die
subtilen und tiefsinnigen Unterscheidungen zwischen der „wahren
und der falschen Emanzipation" von seiten solcher, die von der
einzig wahren, richtigen Emanzipation ganz verwirrte, verwässerte
Begriffe haben, und in der „falschen" einen unmöglichen, lächerlichen
Popanz eigenster Erfindung mit sittlicher Entrüstung und komischen
Ernst bekämpfen.
Trotz derartiger willkürlicher — und unwillkürlicher Entstellungen
und Verzerrungen bricht sich das Verständnis für die wichtigste
Menschheitsfrage doch immer mehr und immer siegreicher Bahn —
und mit dem Verständnis natürlich auch die allgemeine Sympathie
nicht nur der Frauen, sondern auch der Männer, von denen — wir
dürfen es wohl getrost aussprechen — alle wahrhaft freisinnigen
und aufgeklärten, alle, die die Gegenwart verstehen und die
Zukunft vorbereiten helfen, schon heute auf unserer Seite stehen.
Zum Schlüsse möchte ich noch zweier bedeutender Errungen-
— 16 —
Schäften gedenken, durch welche unsere Bewegung einen hocherfreu-
lichen Aufschwung genommen und eine wirksame und dauernde
Förderung erhalten hat. — Die eine dieser Errungenschaften ist die
vor etwa 2V2 Jahren erfolgte Gründung des Bundes deutscher Frauen-
vereine, zu dem uns der Chikagoer Frauenkongress und der National
Council of Women der vereinigten Staaten von Nordamerika das
Vorhild gegeben hat. Durch den Bund ist die deutsche Frauen-
bewegung endlich zu einem einheitlichen nationalen ganzen geeint,
das, imponierend nach aussen, nach innen durch die gegenseitige
Fühlung und Meinungsaustausch tausendfache neue Anregung und
Aufmunterung gebracht, und unendlich viel zur Klärung der Be-
griffe, zum Bewusstsein der Zusammengehörigkeit und Solidarität
beigetragen hat. Wie die deutsche Frauenbewegung durch den Bund
inbezug auf soziale Einsicht und soziales Pflichtgefühl in kurzer
Zeit gereift ist, hat sich bei der letzten Generalversammlung in
Kassel deutlich gezeigt.
Gegenwärtig etwa 75 Einzelvereine mit über 50,000 Mitgliedern
umfassend, sieht der Bund von jeder Beeinflussung derselben in ihren
Sonderinteressen und Zielen ab und beschränkt seine Wirksamkeit
lediglich auf diejenigen Gebiete und Ziele, zu denen, wie es im Statut
des National Council der Ver. Staaten so einfach und bezeichnend
heisst, „Alle von Herzen ihre Zustimmung geben". Die verschie-
denen Kommissionen zugeteilte Arbeit besteht bis jetzt in einer all-
gemeinen Propaganda, Petitionen und Eingaben an die zuständigen
Behörden: für Errichtung von Kinderhorten, Anstellung weiblicher
Fabrikinspektoren, Beeinflussung der Knabenerziehung im Sinne der
Mässigkeitsbestrebungen, Abschaffung der gewerblichen Prostitution
und in einer verstärkten Agitation gegen das neue Familienrecht —
ein unendlich weites Gebiet, das noch durch Bildung zweier neuen
Kommissionen, für weibliche Organisation der kaufmännisch und ge-
werblich Angestellten eine Erweiterung erfahren hat.
Durch den „Bund" sind die deutschen Frauen auch formell der
grossen internationalen Organisation, dem im Jahre 1888 in Washington
gegründeten „International Council of Women" einverleibt, der, aus
einzelnen National- Verbänden bestehend, sich über die ganze Erde
erstreckt, und so den Gedanken unserer Zeit, die im Zeichen der
Internationalität steht, den Gedanken der Solidarität und Interessen-
gemeinschaft aller Völker auch von seite der Frauen in imposanter
Weise zum Ausdruck bringt.
Eine andere Errungenschaft von weittragendster Bedeutung, die
unsere Bewegung einen Riesenschritt vorwärts gebracht, und ihr
Scharen neuer Anhänger zugeführt hat, ist — so paradox es auch
klingen mag — unsere letzte glänzende Niederlage in der Familien-
rechtsfrage. Die Ablehnung unserer gerechten Forderungen in-
bezug auf persönliche und vermögensrechtliche Gleichstellung der
Ehegatten, auf Ausübung der uneingeschränkten mütterlichen Ge-
walt, auf erleichterte Ehescheidung und auf eine humanere und ge-
rechtere Behandlung der unehelichen Mütter und Kinder, diese Ab-
lehnung hat gerade im gegenwärtigen Moment, wo die Geister nur
des erlösenden Weckrufes harren, als beste Propaganda für unsere
Sache gewirkt. Allen denkenden Frauen, die bis jetzt abseits von
— 17 —
unserer Bewegung standen, musste es klar werden, wie es in
Wahrheit um die Verehrung und Hochhaltung, deren man sie so oft
versichert, bestellt ist, und die Lauen und Zaghaften in der Be-
wegung müssten es einsehen, dass ein energischeres Vorwärtsgehen,
ein volles Eintreten für unser gutes Recht jetzt Pflicht und dringendste
Notwendigkeit geworden ist. Aber auch den einsichtsvollen zielbe-
wussten Führerinnen dürfte diese Niederlage den Weg gezeigt haben,
den sie jetzt betreten müssen. John Stuart MilPs Ausspruch, dass
jedes Volk, jede Klasse, jedes Geschlecht, das von einem anderen
seine Gesetze empfängt, sich eigentlich im Zustande der Sklaverei
befindet, hat sich auch aufs Neue bewahrheitet — und so werden
denn auch wir deutschen Frauen, wenn wir endlich aus diesem Zu-
stand herauskommen wollen, mit der Forderung unseres Bürger-
rechtes an unser Volk, das uns noch unser volles Menschen recht
vorenthält, herantreten müssen. Dieser Kampf wird ohne Zweifel
der schwerste und langwierigste werden, und darum ist es aller-
höchste Zeit ihn zu beginnen.
Unsere verehrte Frau Schulrat Cauer hat in ihrer warmen
Begrüssung der Kongressteilnehmer in ihrer Zeitschrift „Die Frauen-
bewegung" das schöne Wort von Charles Kingsley gebraucht: „O
traurige Vergangenheit! selige Zukunft!" — So trostvoll das
auch für die Allgemeinheit klingt, für uns persönlich enthält es einen
schmerzlichen Verzicht. Denn wir, die des Lebens Mittagshöhe
überschritten haben, und die Vielen, die schon in seinem Abend-
schatten wandeln, werden die Befreiung des Weibes nicht mehr er-
leben, das Land der Verheissung nicht selbst betreten. Aber auch
füi' uns gibt es ein Mittel, dieser höheren Daseinsfreude schon jetzt
teilhaftig zu werden — lassen Sie uns, liebe Schwestern, dem Rate
folgen, den uns der russische Dichter Tschernitschewsky in seinem
berühmten Roman „Was thun?", diesem wundervollen „ Standard- work",
der Frauenfrage gegeben hat*. „Die Zukunft ist voll Licht und
Herrlichkeit. Liebt sie, strebt ihr entgegen, arbeitet für sie, bringt
sie euch näher, übertragt sie, soweit es euch möglich ist,
in die Gegenwart. Euer Leben wird umso viel heller und
glücklicher sein, um so viel reicher an Freuden und Genüssen, je
besser ihr versteht, die Zukunft in dasselbe zu übertragen!"
Amerika.
Miss Frances Graham French, Washington, Delegierte von the
Woman's National Press Association.
Hochgeehrte Anwesende!
Ich habe die Ehre, Ihnen einen herzlichen Gruss aus Amerika
darzubringen. Als eine von den Delegierten des National- Verbandes
der Schriftstellerinnen, Mitarbeiterinnen der Presse (Woman's National
Press Association) danke ich dem Berliner Komitee für die erhaltene
Einladung zu dem „Internationalen Kongress für Frauenwerke und
Frauenbestrebungen. "
Ich bin von dem Komitee gebeten worden, Ihnen einen flüchtigen
Ueberblick über die Lage der Frauen in den Vereinigten Staaten
zu geben. In unserem Lande steht zur Zeit die Frau auf dem
— 18 —
Höhepunkt, und wenn ich die Paiiserin Paul Bourget und Mme.
Bentzon (Jheo Blanc) zitiren darf, müsste man zugestehen, dass im
Allgemeinen die Frauen der Vereinigten Staaten hinsichtlich hervor-
ragender Kenntnisse die Männer weit übertreffen, namentlich in den
gebildeten Ständen.
Ich muss hier sogleich hinzufügen, dass alles, was ich über die
Thätigkeit der amerikanischen Frauen vorbringen werde, aus zu-
verlässigen Quellen geschöpft ist, da ich zur Zeit beauftragt bin,
eine offizielle Monographie über die Lage der Frau in allen Welt-
teilen dem Druck zu übergeben.
Diese hochgeschätzte Versammlung wird gewiss erlauben, dass
ich als Berichterstatterin einige in jener Monographie enthaltene
Statistiken berühre. Die amtliche Volkszählung (Census) der Ver-
einigten Staaten ergab im Jahre 1890 62,622,250 Einwohner und
beinahe die Hälfte davon (30,554,370) waren weiblichen Geschlechtes.
Im Jahre 1880 waren 2,647,157 der Frauen in den verschiedenen
Berufsarten thätig; im Jahre 1890 zählte man 3,914,711 Frauen in
Berufsthätigkeit, oder eine Zunahme von 47 Prozent in zehn .Jahren.
In den höheren Berufszweigen (Professional Service) waren im
Jahre 1880 177,255 weibliche Personen thätig; im Jahre 1890 waren
es 311,682 — das heisst eine Zunahme von 75 Prozent. — In der
Gewerbsthätigkeit, Fabrikgeschäften und anderen Industrien befanden
sich 1,027.525 Frauen im Jahre 1890; als Dienstleute (Domestic and
Personal Service) waren in demselben Jahre 1,667,686 thätig.
Im weiteren Verfolg unserer Untersuchung finden wir im Jahre
1890 nicht weniger als 1235 Frauen im Predigtamt; Frauenbericht-
erstatter (Reporters) 888; Advokaten 208 ; Professorinnen in Kolleges
und Universitäten 735; als Aerzte und Chirurgen 4555 weibliche
Personen; als Zahnärzte 337; Verlagsbuchhändlerinnen 219; im Handel
25,000 als Erfinderinnen und Musterzeichnerinnen 306; als Musik-
lehrerinnen und Virtuoso 34,519; im offiziellen Regierungsdienst
4875 und so weiter.
Es wird diese verehrte Versammlung nicht besonders interessieren,
so viel Statistik hören zu müssen, aber leider kann man keine
Auskunft über die Frauenfrage geben, wenn es nicht gestattet ist,
etwas Statistik vorzubringen. Lassen Sie uns noch einige Angaben
über diese Frage machen: in den Kolleges für beide Geschlechter
gab es im Jahre 1892 mehr als 140,053 Studenten, und 23,5 Prozent
waren Frauen; in den Frauen-Colleges im Jahre 1893 waren 22,949
Studentinnen. Die Meisten davon suchen den Baccalaureatsgrad der
freien Künste; im Jahre 1894 — 95 erhielten in allen Colleges 1609
Frauen diesen Grad (234 in philosophischen Studien) ; 678 den Baccalau-
reatsgrad der Literatur; 454 denselben Grad für Wissenschaften;
161 den Magistergrad der freien Künste; 166 den Baccalaureatsgrad der
Musik und 207 Frauen andere akademische Ehrentitel. Es gab in
den öffentlichen Schulen im Jahre 1894 etwa 260,954 Lehrerinnen,
eine Zunahme von 3 Prozent gegenüber dem vorigen Jahr. Die
Besoldung oder der Jahresgehalt der Frauen ist so verschieden, dass
ich mir nicht erlaube, irgend welche Auskunft darüber zu geben. Durch-
schnittlich bekommen die Lehrerinnen Dollars 37.^ monatlich (etwa
150 Mark), jedoch giebt es andere Lehrerinnen, welche Dollars 1 300
— 19 -
jährlich (5200 Mark) erhalten; als Professorin bekommen sie zuweilen
Dollai*s 1800 (7200 Mark). In manchen Stellen, zum Beispiel als
Redakteure und Schriftstellerinnen werden denselben höhere Summen
bezahlt. Eine wohlbekannte Dame bekommt eine Besoldung" von
Dollars 3000 jährlich'— das heisst 12000 Mark; — eine Andere
erhält als ihren Ertrag von Novellen und dramatischen Werken
Dollars 60,000 jährlich (240,000 Mark); es giebt auch wohl noch
Andere, welche Bedeutendes verdienen.
In den Regierungsämtern erhalten die meisten Frauen etwa
Dollars 900 (3600 Mark), aber es giebt auch einige, die sogar
Dollars 1600 (6400 Mark) und noch mehr erhalten.
Manche von den gebildeten Frauen beabsichtigen ihr Studium
in fremden Universitäten fortzusetzen. Wird es ihnen erlaubt, so
reisen sie nach Deutschland, um sich irgend einem Fache zu widmen,
da es für sie von grossem Werte ist, ihre Berufsbildung bei einem
weltbekannten Fachmanne erhalten zu haben.
Andere Frauen reisen nach England oder nach der Schweiz,
wo sie Gelegenheit finden, Spezialkursen beizuwohnen. Wenn sie
dann nach Amerika zurückkehren, erhalten sie oftmals Stellen als
Aerzte, als Advokaten, als Professorinnen in einer heimischen Uni-
versität. Sollten sie sich verheiraten, so finden sie in dem Familien-
kreise immer Gelegenheit ihre wissenschaftlichen Kenntnisse zu
pflegen und zu verwenden. Es gibt ferner in unserem Lande viele
Frauen vereine, welche besonderes Interesse für begabte und intelli-
gente Frauen besitzen. Zum Beispiel ist es erst sechs Jahre her,
seitdem einige von diesen Vereinen sich bemüht haben, eine Ver-
bindung herzustellen, um das Ziel und die Arbeitsweise verschiedener
Organisationen vergleichen zu können. Heute zählt dieser Bund*)
478 Vereine, und 20 Staaten der Union haben Staatsbünde mit
947 Vereinen, die eine gesamte Mitgliederzahl von 100,000 Teil-
nehmern zählen.
In der Sparkasse befand sich am Anfang des Jahres 1896 nach
Bezahlung aller Kosten der Vereine Dollars 2366 (9464 Mark). Die
Programme der Vereine zeigen, dass man in denselben Allerlei
studiert: in dem Staat Michigan studieren die Vereine Volkswirt-
schaft; in dem Staat Ohio Volksbibliotheken; in Colorado Bürger-
und Staatswesen; in New- York die Erziehungslehre und das Er-
ziehungswesen, im Staat Maine die Kindergärten; anderswo die
sozialen Verhältnisse und National-Oekonomie.
In dem Bundes- Verein selbst giebt es Sektionen für Litteratur,
für Haushaltungskunst, Erziehung, Philanthropie, Heimatskunde, für
National-Oekonomie, u. s. w.
Alle zwei Jahre wird ein Kongress abgehalten, um die Ange-
legenheiten sämtlicher Vereine zu erörtern und zu beraten. Zeit-
weise versammeln sich die hervorragendsten Frauen der verschiedenen
Vereine um Vorträge zu halten und zu beraten. Die Fragen werden
immer parlamentarisch diskutiert; es giebt gemeinschaftlichen
Meinungsaustausch über alle Frauen verbände und Frauen vereine. Es
folgen dann soziale Vergnügungen und Ausflüge in die Nachbarschaft.
Noch möchte ich weitere Auskunft über unsere amerikanischen
*) The Grand Föderation of Woman's Clnbs.
2*
— 20 -
Frauen erteilen, es fällt mir jedoch ein, dass ich eine Beschreibung
der „Woman's National Press Association" vorhabe. Unser Verein
ist der älteste Bund von Frauen der Presse, der mir bekannt ist.
Im Jahre 1882 organisiert, wurde derselbe 1888 als nationaler
Verein inkorporiert. Seine Sitzungen hält derselbe immer in unserer
Hauptstadt Washington ab. Im Jahre 1896 zählten wir als Mit-
glieder etliche hundert Frauen, die als Journalistinnen, Schrift-
stellerinnen und Litt^rateure wohl bekannt sind.
In fünf Staaten bestehen Vereine, welche der nationalen Organi-
sation angehörig sind. Alle zwei Wochen während des Winters
werden Versammlungen abgehalten, und monatlich findet eine soge-
nannte öffentliche Abend Versammlung statt, zu der bekannte Schrift-
steller oder hervorragende Gelehrte eingeladen werden, Vorträge zu
halten. Diese werden dann diskutiert. Es werden von einigen
unserer begabtesten Mitgliedern Abhandlungen gegeben. Zur Zeit
der Welt- Ausstellung in Chicago wurde uns in dem Frauengebäude
Raum angewiesen, und wir nahmen Teil an den verschiedenen Kon-
ferenzen, die während der Dauer der Exposition stattfanden.
Letztes Jahr war man während der Ausstellung in Atlanta
unserem Verein gegenüber sehr liberal, so dass wir zwei Tage zur
Verfügung erhielten, somit unsere Mitglieder genügende Zeit hatten,
ihre Vorträge über die Frauenbewegungen verschiedener Länder
zu halten.
In allen Staaten fangen die Frauen an, sich für politische Sachen
zu interessieren ; in 36 Staaten haben sie das gesetzliche Recht, sich
an den Erziehungsangelegenheiten zu beteiligen, entweder als Schul-
räte, im Schulkomitee, oder hinsichtlich der Schulfinanzen ihre Stimme
hören zu lassen.
Ich bitte um Verzeihung, dass ich Sie so lange aufgehalten
habe; es wäre mir lieber gewesen, nur Zuhörerin hier zu sein, denn
wir Amerikanerinnen wollen gern Auskunft über die Deutschen, um
uns zu unterrichten. Während meines Aufenthalts in Oesterreich und
Deutschland — um das Jahr 1870 — habe ich die deutsche Frau
sehr lieb gewonnen; ihr war jedoch damals nur das häusliche Wohl
der Familie anvertraut. Wir haben sie auch kennen gelernt, im
Hofzirkel, in der Gesellschaft, als liebenswürdige Freundin, als Mutter
und Gattin. Heute steht sie nicht nur ihren Schwestern in anderen
Ländern gleich, sondern ragt auch vielfach als Persönlichkeit hervor.
Sie hat nun auch einen ferneren Beruf ins Auge gefasst und
verlangt danach, sich für denselben vorbereiten zu können. Haus-
wirtschaftliche Tätigkeit allein wird der Frau der Gegenwart nicht
genügen; sie verlangt das Recht auf höhere Bildung; sie beansprucht
den Eintritt in die höheren Schulen überhaupt, und besonders in die
Universitäten; Gleichstellung mit den Männern, denen sie in Fähig-
keiten gleich steht; freie Betätigung ihrer Gaben will die Frau haben.
In diesem Moment besonders, da ich diese hochverehrte Versammlung
vor mir sehe, wird mir die Ueberzeugung recht klar, dass die
deutsche Frau mit ausserordentlichen Talenten begabt ist, und dass
ich als Amerikanerin stolz darauf sein kann, als Delegierte zum
ersten internationalen Kongress für Frauenwerke und Frauenbe-
strebungen Deutschlands ernannt worden zu sein.
— 21 —
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— 23 —
Armenien.
Fräulein Margareth von Melik-Beglarjanz, Dr. med., Graratschinar
bei Gantzak.
Hochgeehrte Frau Präsidentin
und hochansehnliche Versammlung!
Indem ich das Wort ergreife, fühle ich mich veranlasst, der
Frau Präsidentin und der Vortragskomniission meinen I>ank auszu-
drücken für die gütige Gewährung der Zeit, die mir zur Verfügung
gestellt wurde, und die ich benutze, um einiges über die armenische
Frau zu sagen. Da ich nur über 10 Minuten verfüge, so will ich
nur das Charakteristische hervorheben.
Eine Frauenfrage, wie man sie in Europa versteht, existiert in
Armenien nicht, weil die armenische Frau nicht gezwungen ist, ihr
tägliches Brod zu verdienen. Sie ist für das Familienleben bestimmt,
und alle haben Gelegenheit zu heiraten, da dort die Männer in der
Ueberzahl sind. In den ungebildeten Klassen heiraten die Mädchen
sogar sehi^ früh, schon mit 13 Jahren. Wir haben also nicht nötig,
dass unsere Frauen in Fabriken, in Post-, Telegraphen- und Telephon-
büreaux und in Geschäften arbeiten. Man findet bei uns keine
armenische Magd, keine Köchin, keine Amme und, Gott sei Dank,
nicht diesen besonderen Stand der Frauen, die man hier gefallene
Frauen nennt. Die ärmste Bäuerin bleibt von der schweren
physischen Arbeit verschont und »nimmt nicht Teil an den Feld-
arbeiten. Ihre ganze Aufmerksamkeit ist ihrer Familie und ihrem
Haushalte gewidmet. Daneben beschäftigt sie sich noch mit vielen
kostbaren Handarbeiten. Die berühmten orientalischen Teppiche,
Seidenstoffe, golddurchwebte Posamenterien und andere Sachen
werden bei uns in den Bauernhäusern verfertigt. In dieser Sphäre
ist die armenische Frau ganz zufrieden und glücklich, sie ist die
Herrin ihres Hauses, wird geehrt und wünscht nichts- anderes.
Ich kann aber nicht dasselbe von der Frau der bessergestellten
Stände sagen. Da herrscht schon Unzufriedenheit, sowohl in der
Frauen- als auch in der Männerwelt.
Früher, zur Zeit unserer Grossmütter, brauchte die Frau in
der patriarchalischen Familie keine grossen Kenntnisse zur Aus-
übung ihrer häuslichen Pflichten, sie konnte weder lesen noch
schreiben, doch hatte sie den Trieb, ihren Söhnen eine möglichst
gute Bildung geben zu lassen. Sie fühlte instinktiv, dass dies nötig
sei und verkaufte oft ihre letzte Habe, um die Söhne auf das
Gymnasium und die Universität schicken zu können. Sie verstand
es ausgezeichnet eine grosse Haushaltung selbständig zu leiten, sie
verstand es, ihre Kinder in Gottesfurcht, Fleiss und Gehorsam zu
erziehen, sie wusste in einer Familie, die oft mehr als 30 Mitglieder
zählte, den Frieden aufrechtzuerhalten. Weder vom Manne noch
von den erwachsenen Söhnen wurde etwas unternommen ohne der
Mutter Einwilligung.
Speciell was die moralische Seite der armenischen Frau betrifft,
kann ich mit Bestimmtheit sagen, . dass dieser alte Typus der ar-
menischen Frau ein wahrer Schutzengel der Familie war. Zum
Glück existieren noch heute solche Frauen, die so viel G-üte, Geduld
— 24: —
Verständnis und Reinheit der Seele besitzen, wie man sie nur in
Frauen jener Epoche beobachten kann.
Als unsere Männer noch selber keine grosse Bilcking hatten,
genügten diese Eigenschaften für ein glückliches Familienleben.
Nun ist das Alles verändert. Seit etwa 40 Jahren g-ehen die
Armenier aut Gymnasien und Universitäten Russlands und West-
europas. Sie kehren mit anderen Begriffen heim, sie interessieren
sich für das kulturelle Leben Europas. Wissenschaft, Kunst,
Litteratur, Politik beschäftigen ihre Gedanken. Die jungen Leute
kommen beladen mit diesen Herrlichkeiten heim, sie wollen natürlich
in ihren Frauen verständnisvolle Freundinnen und vernünftig-e Elr-
zieherinnen ihrer Kinder sehen, und wenn sie das nicht finden, so
sind sie selbstverständlich damit unzufrieden.
Da fängt unsere Frauenfrage an. Zu ihrem Lob muss ich
sagen, dass die Armenier die Eigenschaften einer guten Gattin,
Mutter und Hausfrau nicht in einer Unwissenden zu finden glauben.
Die TJeberzeugung, dass, je gründlichere Kenntnisse sie besitzt, umso
besser sie ihre Pflichten als Gattin und Mutter erfüllen kann, herrscht
sogar in ungebildeten Ständen. Ich betone dies deshalb, weil ich in
Europa oft höre: „Was braucht ein Mädchen zu studieren? Sie muss
heiraten und Haus und Kinder besorgen!"
Es hat jemand gesagt: „Die Hand, die die Wiege schaukelt,
regiert die Welt." Nun soll diese weltregierende Hand Einer
gehören, die bei jeder einigermassen wichtigen wissenschaftlichen
oder praktischen Frage hilflos dasteht!
Seit 25 Jahren versuchen die Armenier, ihren Töchtern eine
gute Bildung zu geben. FranzÖsicche Pensionate, russische Mädchen-
gymnasien, Privatunterricht bis auf die Hochschulen der Schweiz
und Russlands sollen dazu dienen. Die Zeit ist zu kurz, um die
Frage zu erörtern, welche von diesen Lehranstalten ihren Zweck
am besten erfüllen. Eines kann ich nur sagen, dass die Armenierin
strebt, gründliche Kenntnisse zu erwerben. Es studieren hunderte
von armenischen Mädchen auf Mädchengymnasien und etwa 20
auf Universitäten. Die Frauenbildung wird bei uns verlangt, aber
nicht zu Erwerbszwecken. Die Armenierinnen streben, akademisch
gebildete Mütter zu sein. Seit 20 Jahren nimmt die Armenierin
Teil auch am öffentlichen Leben. Wir haben Lehrerinnen, Kinder-
gärtnerinnen, Schauspielerinnen, Sängerinnen und Schriftstellerinnen,
aber in sehr geringer Zahl. Wir haben auch Schulen und Kinder-
gärten, die \on Frauen ganz allein geleitet werden.
Was die persische Armenierin betrifft, so befindet sie sich noch
heute in demselben Zustande, wie ich ihn geschildert habe, als ich
von der Armenierin der patriarchalischen Zeiten sprach.
Von der türkischen Armenierin habe ich nicht viel zu sagen.
Was kann man über die Stellung und das Streben einer Frau
sprechen, die ihres Lebens nicht sicher ist? Deren Mann, Bruder,
Sohn vor ihren Augen niedergemetzelt werden? Wonach kann sie
streben? Sie bittet um Sicherheit ihres Lebens und um Brod für
ihre hungrigen und verwaisten Kinder. Nicht einmal das hat sie!
Als Aerztin habe ich das Bedürfnis, ein Wort über die Stellung
eines weiblichen Arztes unter der armenischen Bevölkerung zu
— 26 —
sagen. Ich hatte schon mehrmals Gelegenheit, in meiner Heimat
zu praktizieren, und war sehr glücklich dabei. Eine Aerztin wird
in Armenien sehr hoch geschätzt. Es kamen Patienten zu mir, die
2 Tage lang fahren mussten, trotzdem sie einen männlichen Arzt
viel näher haben konnten. Frauen wie Männer haben die tiefste
Ueberzeugung, dass eine Frau in der Medizin mehr versteht als
ein Mann. Die Frauen kann man überhaupt nicht leicht zwingen,
zu einem Arzt zu gehen, aber auch die Männer kamen lieber zu
mir. Sie thaten alles so unbefangen und ernsthaft, und ich habe
nie etwas anderes erfahren, als Achtung, Dankbarkeit und Ver-
trauen. Auch in der gebildeten Welt wird die Aerztin gut an-
gesehen und vor allem als eine natürliche Erscheinung betrachtet.
Es ist eben für uns selbstverständlich, dass eine Frau dies leisten
kann, wenn man ihr Gelegenheit dazu giebt. Und zwar ist es
nicht so, weil es vielleicht viele Aerztinnen bei uns giebt, wir haben
deren sehr wenige und nur in grossen Städten. Einfach, eine
Leistung von selten der Frau erweckt kein Erstaunen ; man hofft
und erwartet noch vieles von der armenischen Frau.
Dänemark.
Fräulein Eli Meiler, Dr. med., Kopenhagen, Delegierte des
Dänischen Frauenvereins.
Die Frauenbewegung in Dänemark entstand in Verbindung mit
der nationalen und revolutionären Strömung, die im Jahre 1848
ganz Europa durchdrang. Es war eine zwanzigjährige Frau, Mathilde
Fibiger, die, in der Form einer Novelle, Klara Raphaels Briefe,
zuerst die Sache debattierte, und dies auf eine solche Weise, dass die
ganze litterarische Welt in unserem Lande mit hineingezogen wurde.
Eine andere Frau, Pauline Worm, schrieb kurz danach einen Roman,
„Die Vernünftigen", welche das Problem auf eine so dringende
Weise darstellte, dass es in noch weitere Kreise hinausdrang.
In den Siebziger Jahren ging eine kosmopolitischere Strömung
durch das dänische Geistesleben und setzte auch in die Frauenfrage
ihre Spuren. Von Friedrich Bajer und dessen Frau angeregt,
stiftete man eine Filiale des schweizerischen Frauen Vereins, „Asso-
ciation Internationale des Femmes". Doch wurde hauptsächlich
unter Einwirkung der beiden erwähnten Balmbrecherinnen die Be-
wegung in nationaler Richtung umgebildet, die Verbindung mit dem
Auslande gebrochen, und man stiftete den Dänischen Frauenverein
(Dansk Kvindesamfund), welcher dieses Jahr sein fünfundzwanzig-
jähriges Jubiläum begeht.
In der ersten Zeit arbeitete der Verein wesentlich darauf hin, die
Frauen des mittleren Standes zu selbständigem Erwerb zu erziehen.
Man unterstützte die weiblichen Studenten, die gerade während
dieser Jahre Erlaubnis erhielten, die Universität zu besuchen, man
stiftete eine Handelsschule und eine Zeichenschule für Frauen ; beide
sind nun selbständige, vom Staate unterstützte Institutionen. In den
Neunziger Jahren hat man auf ähnliche Weise gearbeitet, und zwar
für einen anderen Kreis von Frauen. Man hat nämlich Frauen,
die sich zu Gärtnern und Handwerkern ausbildeten, Unterstützung
— 26 -
gegeben — von den letzteren haben nur zwei Tischler und ein Buch-
binder eigene Werkstätten — und man hat die Verhältnisse der
arbeitenden Frau untersucht. Mit den Näherinnen hat man ange-
fangen; die Verhältnisse von 800 Näherinnen sind genau untersucht
worden: ihr Gesundheitszustand, die Länge ihrer Arbeitszeit und
ihr Gehalt; was sie lesen, ihre Vergnügungen, ihr ganzes Milieu.
Da es sich durch diese Forschungen unter anderem zeigte, dass der
wesentliche Grund zur schlechten Stellung der Näherinnen eine
mangelhafte Ausbildung ist, hat man eine Fachschule für Näherinnen
gestiftet.
Besonders bezeichnend für die dänische Frauenfrage ist doch
vielleicht die Bewegung, die in den Achtziger Jahren stattfand.
Die Aufklärungsarbeit, die von der Mitte der Sechsziger Jahre neue
Wege suchte, hat, besonders unter den Bauern, einen grossen Drang
erweckt, Vorträge zu hören, und in jedem kleinen Dorfe ist ein
Vortragshaus gebaut w^orden. Diesen geistigen Drang haben die
Vorkämpfer der Frauenfrage benutzt; von der Hauptstadt sind
Männer und Frauen — unter den letzteren namentlich Lehrerinnen,
besonders von der Volksschule — ausgezogen, und haben durch Vor-
träge und Diskussionen im ganzen Lande Interesse für die Frauen-
frage erregt, sowohl was die Teilnahme der Frau im kom-
munalen und politischen Leben, ihre Stellung in der Ehe und den
Kindern gegenüber betrifft, als auch ihren Erwerb, ihren Anzug, die
Dienstmädchenfrage, die Sittlichkeitsfrage, die Krankenpflegerinnen-
frage, die Schulfrage u. s. w. Nicht nur mündlich hat man diese
Fragen diskutiert, sondern auch schriftlich, durch Flugschriften und
durch eine Frauenzeitung: „Die Frau und die Gesellschaft ^S welche
zw^ölf Jahre bestanden hat.
Das Resultat dieser Agitation ist, dass im ganzen Lande Filialen
vom dänischen Frauenverein entstanden sind, w^elche alle ganz frei
und selbständig arbeiten, doch auch in gewissen Fällen zusammen
auftreten unter einem gemeinsamen Vorstand. So hat man z. B.
im Jahre 1888 eine Adresse zum Reichstag eingesandt um einen
Gesetzvorschlag, welcher den Frauen kommunales Stimmrecht
verschaffen sollte, zu unterstützen. Diese war aber ohne Erfolg.
Die erste Kammer (Folketinget) ist für die Sache, die zweite
(Landstinget) ist dagegen. In Jahre 1880 half eine kleinere Adresse ein
Gesetz durchzuführen, welches der verheirateten Frau Bestimmungs-
recht giebt über dasjenige, welches sie durch eigene Arbeit ver-
dient. Uebrigens hat jeder besondere Kreis seine praktische Thätig-
keit, einige in philantropischer Richtung, andere in pädagogischer,
und wieder andere arbeiten für die grösseren sozialen Reformen.
Die Vorsteher des dänischen Frauenvereins nahmen Teil an der
Organisation der Ausstellung der Frauen des vorigen Jahres, und haben
bei verschiedenen Gelegenheiten den Verein im Auslande repräsentiert,
namentlich in Amerika und in Paris. — Der dänische Verein steht
in enger Verbindung mit ähnlichen Vereinen in Schw^eden, Nor-
wegen und Finland.
Obgleich die Bestrebungen des Vereins bei den Bauern eine
Sympathie gefunden haben, die gewiss einzig ist, hat der Verein
doch noch nicht Frauen aller Stände zu einer Einheit sammeln
— 27 —
können. Die Arbeiterinnen haben ihre eigenen Fachvereine. Das
Verhältnis zwischen diesen und unserem Verein ist zwar nicht
unfreundlich, doch hat ein Zusammenschliessen nicht stattfinden
können, und ebensowenig hat man die Frauen der Aristokratie
gewinnen können, welche der Frauenfrage noch ziemlich verständniss-
los gegenüber stehen.
Was die allgemeine Stellung der Frauen in Dänemark betrifft,
ist folgendes mitzuteilen:
Unverheiratete Frauen sind, wie die Männer, mit dem
achtzehnten Jahre persönlich mündig und mit dem fünfundzwan-
zigsten Jahre vermögensrechtlich mündig. Witwen sind in beiden
Hinsichten mündig ohne Rücksicht auf ihr Alter. — Frauen
haben keine Wahlrechte und keine Wählbarkeit weder bei poli-
tischen noch kommunalen Wahlen.
Frauen haben Eintritt zur Universität; alle ihre Fakultäten,
ausgenommen der theologischen, sind von Frauen besucht gewesen.
Eine Frau hat den philosophischen Doktorgrad erworben, zwei
Frauen haben die Preismedaille der Universität erhalten. Frauen-
ärzte können jus practicandi bekommen, Anwälte und Prediger
können die Frauen aber nicht werden.
In einzelnen Kontoren des Staates und der Kommune sind
Fi-auen angestellt, wie auch viele beim Post- und Telegraphenwesen
Arbeit haben. In der Volksschule, sowohl in den Städten als auf
dem Lande, arbeiten viele Frauen — es sind mehr Lehrerinnen
als Lehrer angestellt — mit grossem Erfolg. Nur Frauen sind
Vorsteher der höheren ]Mädchenschulen, Frauen arbeiten als Lehre-
rinnen in Privatgj^mnasien sowohl für Knaben als auch für Mädchen ;
eine Frau hat ein Gj^mnasium für Knaben und Mädchen zusammen
gestiftet, und zwei Frauen sind Vorsteherinnen in einem Knaben-
gymna&ium.
Sie sehen also, ^\iv haben doch in Dänemark ein wenig er-
reicht, sind aber weit vom Ziel. Doch haben wir gute Hoffnung
für die Zukunft. Mit diesem Bericht bringe ich Ihnen einen Gruss
von dem dänischen Frauen verein.
England.
a) Bericht von Mps. Millicent Garrett Fawcett, London.
Vorbemerk, d. Red.: Mrs. Fawcett, eine der hervorragendsten
Frauen Englands in der Führung für die Stiramrechtsfrage, sandte einen
längeren historischen Bericht über die Entwickelung der Frauenfrage in
England. Derselbe konnte nicht zur Verlesung kommen; es erscheint von
ihm wegen der Wichtigkeit seines Inhalts hier derjenige, der das moderne
Interesse in Anspruch nimmt. Die historische Einleitung, welche
ihm vorausgeschickt ist, ist kurz folgende: Die englischen Frauen
sind stets hervorragend politisch thätig gewesen. Mrs. Fawcett
glaubt den Grund darin zusehen, dass das salische Gesetz in England
die weibliche Thronfolge erlaubt; infolgedessen hat man die politische
Begabung der Frauen an hervorragenden Persönlichkeiten, wie
Königin Elisabeth und Königin Viktoria, anerkennen müssen. Ein
zweiter Grund, dass die englische Frauenwelt ein bedeutender Faktor
— 28 —
im öffentlichen Leben von jeher gewesen ist, ist ihre Teilnahme an
der religiösen Entwickelung des Volkes. So hat z. B. die bedeutende
Sekte der Quaker, welche eine so wichtige Rolle gespielt hat, der
Frau von Anfang an gleiche Rechte auf allen Gebieten gegeben.
Mrs. Fawcett spricht den Satz aus, dass an jeder politischen Er-
regung die englischen Frauen den grössten Anteil genommen haben.
— Durch Schriften haben, nach Mrs. Fawcett, im früheren Jahr-
hundert besonders gewirkt: Mary Astell (gest. 1731) „A serious
proposal to the ladies for the advancement of their time and greatest
interest" und dann als. bahnbrechend: Mary WoUstoncraft „A Vindi-
cation of the Rights of Women" (1792).
Great assistance has been derived from the very beginning of
the movement in England from the religious Community known as
Quakers or Friends. This sect never excluded women from the
benefits of the democratic »doctrine of equality. The}'^ have no
priesthood; they meet for devotional purposes, and are either silent,
or are addressed by any one of their number, man or woman, who
is „moved by the spirit", to prayer or exhortation. The Quakers
have for many generations provided the best and soundest education
for the girls of their communit3^ Long before the recent improve-
ment in girls' education became general, the Quaker schools stood
alone as Standards of excellence and thoroughness in all departements
of knowledge. The result has been of a kind that is very con-
vincing to the practical English mind; for Quaker women have long
been a bye-word for activity in nearly all departements of useful
social regeneration and' also for gentleness, dignity and refinement.
As an instance of the way in which the women' s movement in
England can trace its descent from the devotion and piety of women
whose lives have been given to good works, it may be mentioned
that the opening of the medical profession to women in this country
can be traced step by step to the Quaker philanthropist, Mrs. Fry.
Her long life — 1780 — 1845 — was given first to prison reform,
and then to the rescue and reformation of prisoners. She obtained
a European reputation and among those who came to England to
study her methods was the German, Pastor Fliedner; he in his turn
became the founder of the hospital and nursing Institute at Kaisers-
werth on the Rhine. It was at Kaiserswerth that Florence
Nightingale received the training which enabled her at the time
of the Crimean war to take Charge of the nursing and sanitary
Organisation of the military hospitals at Scutari; a work that has
converted nursing from an unskilled and unorganised calling into a
trained and skilled profession. And it was the skill and devotion
of Florence Nightingale in showing what highly trained women
could do to alleviate human suffering as sick nurses that convinced
many people that women were also capable of doing good work in
the medical profession.
We cannot too much insist on this, that the women's movement
in England has not been one of rebellion against the womanly duties
of women, but has been actuated by a desire to fulfil those duties
more worthily and to give to them a somewhat wider Interpretation.
For instance, it has never been doubted that most conspicuous among
- 29 -
womanly duties is the care of chiliiren, the sick, tlie a^ed, and the
poor. It is to fiilfil these dnties more thoroughly that woinen have
denianded and have obtained not only the ri^ht to vote in the
election of school T)oards and boards of guardians. but also the right
to Sit as members of these boards. As Poor Law Giiardians the
werk of women in En^^land has ])een eniinently useful. To tbeir
eflforts may be traced a iavat part of the improvenient in the nursing
and or^nisation of workliouse infirmaries and also the niore in-
tellig'ent niethods of eduoating and bringinp: up pauper's children;
while as membei's of School Boards tbeir very presence has been
sufficient to secure that the educational interests of girls shall not
be overlooked. So firmly has the enfranchisement of women in
regard to all local and niunicipal matters been established in England
that tbeir inclusion in the list of voters for all local purposes is
taken by Parliament and country as a matter of course, and public
men of all parties cordially acknowledge the usefulness of tbeir
work and the suitability of tbeir being allowed and encouraged to
do it. Up to the present year, women who in England have been
eligible for many years to act as Poor Law Guardians have not
occupied a similar position in Ireland. The first Act passed by a
private member in this new Parliament*) was one to remedy this
defect.
It was introduced by an Trish Unionist member and passed
through all its stages in both Houses of Pai'liament, practically
unopposed.
The Chief local representative bodies in England are:
School Boards For which women may vote and on
which they may sit.
Boards of Guardians.
Parish Councils.
Town Councils. For which women may vote, but on
which they are not eligible to sit.
County Councils. „ „ .
The first woman Poor Law Guardian was elected in South
Kensington in 1875. There are now nearly 1000 in England and
Wales alone **)
Tt will be understood that in none of the local or parliaraentary
elections in England has the principle of universal suffrage been
adopted. The various registers are so complicated and divergent as
to be the despair of election agents and returning officers whose
business it is to master them. Ko two registers are alike, but the
r> r>
*) Almost the last Act passed by the last Parliament (1895) was
the Sammary Jurisdiction (Married Women*s) Act, the effect of wich
was to give magistrates additional powers to give judical Separation
to a wiie who had been ill-treated by her husband, to give her legal
control over her children, and to Charge the husband a weekly sum
jor her maintenance. In the press of Parliamentary busines which
preceded the General election, this Act was accepted by both sides
as non-controversial and passed without Opposition.
**) „Handbook for Women," by Miss Helen Blackbum.
— 30 —
basis of each of them is the enfranchisement of the resident rate
payer. The only register from which wonien, as such, are now
e.Kcluded is that for the election of members of Parliament.
Our strongest argument for the enfranchisement of women in
Parliamentary elections, is to point to the fact that they have exercised
the various local franchises for a period of time extending to more
than a quarter of a Century and the result has been beneficial in
every respect, and has been attended by no härm whatever. Year
by year since the subject of women's suffrage has been before the
country, it has gradually obtained an increased amonnt of support
especially on this ground. When Mr. J. S. Mill first raised the
question of women's suffrage in Parliament in 1867 he could not
appeal, as we now can, to the lessons of experience; but since that
date the fact that women rate payers go quietly to the polling place
and record their votes in all local elections has become perfectly
familiär, and the Suggestion that the world is to be turned upside
down by it only calls forth a smile.
Moreover the conviction is gaining ground that the process of
turning the world upside down will be hindered rather than promoted
by extending the Parliamentarj' franchise to women householders.
Women are generally speaking an anti-revolutionary force. "Their
strength is to sit still." They rally to the cause of law and order;
their chief interest is in the home and in the development of character
which has such an important bearing on the well being of home
life. When men are in a destructive mood the preservative instincts
of w^omen are called into activity; and the possession of the franchise
by them may give the nation, as a w^hole, time to think before it
sanctions any cutting away of the old framework of English social
and political life.
A little boy, on being asked what he understood by the words
"liberal" and "radical", said that "a liberal was a man who wanted
to destroy most things and a radical was a man who wanted to
destroy everything." There is a grain of truth in the definition,
and with a Constitution like ours, entirely without formal checks
and safeguards against sweeping changes, it may be additionally
necessary to give voting power to that element in the population
which is physiologically preservative rather than combative and
destructive.
A large amount of the Opposition to women^s suffrage was
formerly based on the objection w^hich many people feit to bringing
women into personal contact with the rough w^ork of politics. Before
the extension of the franchise and the introduction of the ballot,
English elections were frequently scenes of the w^ildest riot and
disorder. Men who were allowed no constitutional method of giving
effect to their political opinions, expressed themselves by howling
down Speakers, by rioting in the streets and by throwing about
dead cats and rotten eggs. These demonstrations have entirely ceased,
and the polling day in an English borough or county election passes
with very rare exceptions with unbroken tranquillity. With the
civilising of elections the objection to ladies taking an active part
in them has passed away, and at present each of the great political
- 31 ~
parties in the state encourages and promotes the organised political
activity of women. The Conservatives were the first of the great
parties to introduce this new weapon into their political armoury.
A few leading members of that party founded the Primrose
League*) in 1883 shortly after the death of Benjamin Disraeli,
Earl of Beaconsfield. Its members are pledged to support the Con-
stitution, religion and the empire. Ladies were invited to join and
the Organisation spread all over England with remarkable rapidity.
]ts importance may be judged from the fact that it has over
1,000,000 membres and has "habitations" in almost every English
count}'- and borough, and that the leader of the Conservative party,
the present Prime Minister, the Marquis of Salisbury, chooses its
annual meeting as a suitable occasion for making his mo3t serious
political Speeches.
The election of 1885 was the first in which the Dames of the
Primrose League took an active part. The rage and mortification
of Liberais at their activity was forcibly expressed. Many very hard
things were said against the Primrose Dames. But although many
election petitions have been heard since they took an active part in
political contests, no transgression of the Corrupt Practices Act has
ever been brought home to them. The conclusion is irresistible that
they have gained their influence by legitimate and not by illegitim-
ate means. A very large part of it has arisen from the fact
that, quite apart from politics, many of them have taken a koen
and kindly interest in promoting the social and material well being
of their poorer neighbours. They have striven to promote friendly
social intercourse among all classes, and though they have been
laughed at abundantly for mixing up political adresses with merry-
go-rounds and comic songs, anything which caused different classes
to mix and make friends, whether it is for politics games or sports,
or all combined, is a gain to the body politic! It is fatal to
class hatred. With very rare exceptions, it is impossible to hate
people when you know them. The highest compliments to the po-
litical usefnlness of the Primrose League have been expressed by the
leaders of the Conservative party, Lord Salisbury and Mr. A. J.
Balfour. Much of the immense ünionist majority of the election of
1895 was attributed to the untiring efforts of the women's organi-
sations; they worked not only at election time, but steadily and
persistently in the years of comparative quiet that preceded the
election. It has been said by their opponents that **they are succes-
ful because they are always at it." I have referred to their skill
in organising open air fetes in which politics and amusements are
combined, but it must not be understood that they confine their
efforts to these rather showy social functions; they by no means
shii'k the drudgery inseparable from effective political Organisation.
A ünionist candidate has thus described their activity in his own
borough at the last election. —
„Dear Sir — I feel it my duty to take the earliest opportunitj'-
*) So named in remembrance of Lord Beaconsfild, who is said to
have adopted the primrose as his f avourite flower.
— 32 —
of acknowledging my indebtedness to those dames of the Priiiirose
Lea^ue who, under the kind direction of Lady Gwendolin Cecil,
Miss Balfour, and the Dowager Lady Westbury, have taken so ac-
tive a part in my campaign in South-West Bethnal Green. The
enormous reduction elfected in the Radical majority in that strong-
hold of Socialism is mainly, if not entirely, due to their eiforts.
Theirs was solid, substantial work, devoid of all sensationalisra or
glitter. For hours and hours they trudged up and down tho steep
stairs of model dwellings, delivering literature, Converting donbtfuls.
hunting up reniovals, pursuing inquiries to check the regist er, and
going into mirnite details as to the best means of securing the votes
of absentees. Toiling daily from street to street and alley to alley,
penetrating the recesses of the most forbidden quarters, thej' laboured
patiently and quietly, but their efforts were not altogether confined
to canv assin g. Some of them addressed open air and turbulent
meetings in the day tinie and mass meetings at night, at one of
which 3000 men were present, who lent a willing ear to their
Speeches, which, being well worthy of reproduction, were printed
and circulated in my constituency, for they were free from all senti-
mentality, lofty in tone, an founded on fact. Indeed, the unaflected,
unassuming and convincing eloquence of these ladies afforded a marked
contrast to the perfervid and unconvincing oratory of the habitual
stump orator. Last, but not least, of all, when I was assaulted and
my carriage pelted with stones, and when I and my agent had to
seek the protection of the police, these ladies continued to canvass
fearlessly, and, instead of relinquishing their attendance, as I regret
to say did a few of my men supporters, they seemed to work all
the h arder and all the more courageously. When I bear in mind
that all this help was volunteered, and that these ladies were im-
pelled by no other motive than zeal for the ünionist cause, I think
I may assert that those who came to the rescue of the Unionist
party in Bethnal G-reen have set an example of patriotism which
cannot fall to make a deep and enduring Impression upon political
effort in the future. With a deep sense of my indebtedness, I have
the honour to remain your obedient servant, Arnold Statham."
Lord Salisbury and Mr. A. J. Balfour have both in public
Speeches pointed to the political work of women and its bearing on
the Claim of women to political enfranchisement. Even for our
illogical English minds, it is impossible permanently to maintain
the Position of unstable equilibrium involved in admitting that women
are fit to advise, persuade and instruct voters how to vote, but are
unfit to vote themselves.
The greatest flattery that the Primrose Dames have received
has been from their political opponents — the flattery of Imitation.
The Liberais started a Women's Organisation under the Presidency
of Mrs. Gladstone in 1886, and the Liberal Unionists followed suit
in 1888. The Liberal women have already inscribed Women 's
Suflfrage upon their programrae; and the Liberal Unionists have
this year taken the step of recommending the subject to their
branches for „discussion and possible action" if supported by a three
foui'ths majority of the executive committee.
— 33 —
Of all the political parties the conservative leaders give most
encouragement to women's work in politics and to women's political
enfranchisement. The Liberal Unionists come next, and the Liberais
are the worst of all. If, however, we look not at the leaders, but
at the rank and file of the women themselves who are working in
political organisations, this Order is exactly reversed; for the Liberal
women take the boldest line in demanding the suffrage; the Liberal
TJnionist women come next, and the Conservative women so far as
their Organisation is concemed, are absolutely silent on the subject.
This curious complication of the leaders going forward while their
followers hang back in one party, while in the other the foUowers
press ahead and the leaders discourage and dissuade even when they
do not ban the whole movement by bell, book and candle is one of
the difficulties and hindrances of the present Situation. If the Liberal
rank and file could combine with the Conservative leaders we shotild
have all the Clements of a victorious army. In the chapter of
accidents which the fnture may bring, it is possible that there may
be a re-distribution of party allegiance that would bring together
those who wish to lead with those who are eager to foUow to the
goal of women's suffrage. In 1885 Mr. Gladstone's sudden conversion
to Home Rule, threw a great many Liberais, men and women, into
the Conservative camp. Any further changeof the same character
— say. for instance, the adoption by the Liberal leaders of advanced
Socialism — would probably throw another section of their followers
over to Conservatism, and would strengthen that section of Lord
Salisbury's supporters who believe him to be never more wise and
statesmanlike than when he is advocating the political enfranchisement
of women.
The last time women's suffrage was discussed in the House
of Commons was in 1892. The bill of that year proposed to extend
the Parliamentary franchise to those women who had already been
entrusted by Parliament with the various local franchises. Mr.
Asquith and Mr. Bryce (Liberal leaders, afterwards members of
Mr. Gladstone's Government) speaking against the bill appealed to
the unprecedented character of the demand for women 's suffrage.
Mr. Asquith said there was no civilized country in the world,
living under conditions similar to those prevailing in Great Britain,
which had ever made the experiment of giving women the vote;
and Mr. Bryce adopting a similar line of argument said: — "Our
colonies are in the highest degree democratic; why do they not try
women 's suffrage?" It was the last time such an argument could
be used. In 1893 the great self-governing colony of New Zealand
adopted women's suffrage, and in 1894 its example was foUowed
in South Australia. The women have voted but once in each of
these colonies, and at present we have only received short telegraphic
accounts of the election in South Australia; but in New Zealand
all accounts concur in saying that the election was one of the most
orderly on record. The women voted in large numbers and were
uniformly treated with courtesy and respect by the crowds about
the polling booths. Many persons long resident in the colony have
assured me that the influence of the women electors was beneficial
8
— 34 -
on both parties in inducing them to select as their candidates men
of good character and reputation.
These changes in the electoral System in our colonies must
have an effect upon opinion in the Mother Country. The colonials
are no strangers; they are our sisters and brothers; there is hardlj^
a family in Great Britain that has not relatives living in the
Australasian colonies. It is no good telling an Englishman that
voting unsexes women and makes them desire to cast off the ties
of domestic duty and revolt against "the bürden of their sex",
when the man has a sister or a daughter in Xew Zealand who has
been a voter for several years and in whom none of these terrible
consequences are apparent.
The forward movement of women towards political enfran-
chisement derives great strength from the three causes I have
reterred to: —
1) Experience gained during 25 years, of the good results ot
women's suffrage in local elections.
2) The Wide spread and increasing activity of women in poli-
tical work.
3) The adoption of women's suffrage in the colonies.
Against these is to be set the inherent conservatism of the
Enghsh mind, in no body of persons more vigorously developed
than in those who call themselves Liberais. But there can be
little doubt that the hour of victory of the women 's suffrage cause
is not very far distant and that the country will become convinced
that in the words of Lord Salisbury "Women have not the voice
they ought to have in the selection of the representatives of the
English people."
b) Mps. Ormiston Chant, London, Delegierte von „Worlds
Womans Christian Temperance Union" und Vertreterin von Lady
Henry Somerset und Miss Frances Willard brachte dem Kongress
die Grösse dieser beiden grossen Führerinnen der* Frauen in Eng-
land und Amerika.
c) Mrs. Warner Snoad, London: The International Women's Union,
verlesen von Miss Snoad.
As a cosmopolitan worker for the advancement of w^omen and the
preservation of peace, I have for many years been brought into contact
with people of almost every nationality; and the more I have seen
of them the more I feel strongly how much progress is hindered,
how much we are retarded in our work for want of international
sympathy, more especially where women's ihterests are concerned.
I belle ve with our famous Charles Kingsley that — „one principal
cause of the failure of so many magnificent schemes — social,
political, religious — w^hich have foUowed each other age after age
has been this: that in almost every case they have ignored the
rights and powers of one half the human race, viz., women. I
believe that politics will not go right, that religion will not go
right, that nothing human will ever go right except in so far as
— 36 —
woman ^oes right; and to make woman go right she must be put
in her place, and she must have her rights." But to attain to this
fuUy we need a general understanding among and united action
between the whole world of workers for women. Isolated efforts
are but drops in the ocean — we must swell these efforts to one
resistless tidal wave; for the example of one country stimulates
another.
The objects of the International Women's Union are: to help
the enfranchisement of women in every country, to preserve peace
and promote good feeling between workers of all nationalities. —
Despite all difficulties, and they have been many and arduous, the
Union has grown and prospered esceedingly until it includes among
its members leading men and women all over the world, until it
has branches or affiliated societies in almost every civilized country
and its success is an established fact. The movement has ever
penetrated into India and Persia, and stirred a faint ripple upon
the „Dead Sea" of Oriental life. Of the value of the work done
there remains no possibility of doubt, as enthusiastic letters prove
almost daily.
Women of all nationalities are beginning to realise more and
more that they should cultivate interest in each other, and make
esprit de corps a question of right and justice, not of country only.
Patriotism is a high and noble quality; but the love of
humanity is higher, for the one sentiment is human and the
other divine.
Much has been written and said about the consolidation and Co-
operation of women 's societies in each country. I do not think
this would always be possible, nor even desirable; but active sympathy
and active help, and so far as practicable, co-operation, are not only
possible, but are the need of the age. We want solid phalanx, not of
women only, but of men and women, of wich each separate movement
is but a component part, entirely free as to detail, but united in
purpose. Think what such a force might effect in raising the status
of women and improving their economic position! Think how evil
after evil must fall before the united effort of the thought
and will of a world! Think what, v^th Grod's blessing, would
be the power of such a force to avert war! It is a disgrace
of our boasted 19. Century civilisation that war can still exist,
ay, not only exist, but be rendered tenfold more terrible by every
devilry human minds can invent. All women — and most men —
are really advocates of peace! Dare any one call themselves
patriotic who would not sacrifice everything to avert the horror
of war from their country? Of what use would it be for statesmen
to foment a national quarrel, or, by a stroke of the pen, sign away
the lives of thousands of their fellow country men, if the heart of
the nation rose en masse and declared that such things should not
be, but that arbitration should take the place of war. "Women, as
home-makers, think of it! The power is ours, — Shall we not
use it? But to use it fully, we must use it together. and we must
work with the men — not apart.
We must work as nature intended the sexes to work, side by
3*
— 36 —
side. Large bodies of women only are as one sided as large bodies
of men. The chariot of progress has two wheels. I have spoken
at some length of the broad advantages of international co-operation,
but advantages to the individual are not slight. Every member
who joins has a friend in any country, no matter how distant; and
an interest in every cause. Every subscriber of 2/6 and upwards,
and every affiliated society receives a copy of our quarterly report,
and is thus kept informed of women's movements all over the world,
Any Information desired upon any subject in any country can be
obtained in due course by writing to headquarters. In short, the
Union is what it professes to be, a very real, vital bond between
workers of all nationalities, is in touch with every movement of
the day, and unitedly working for women and peace all over the
World without fanaticism or fuss.
It does not mix up every species of reform in its programme
believing, however exellent such measures may be in themselves, to
attempt too much is to overload the boat, and prevent many
joining. Neither has the Union party or party bias. It confines
ils efforts entirely to work wide work for the enfranchisement of
women and the preservation of peace, resting its Claims on the
broad basis of human nature, so that all who are in sympathy, may
be able to co-operate, irrespective of politics, creed or nationaüty.
Neither does the Union seek to glorify one sex at the expense of
the other, but takes as its ruling tenet the principal that men and
women should work together.
„The woman's cause is man^s — they stand or fall together —
dwarfed or Godlike."
Nor is this all — no other Organisation in the World attempts
to work for its member s in the minute personal way which is
carried out by the International Women^s Union — a member
who joins us is not a mere unit to be lost in Organisation, a drop
in the ocean drowned in vastness, but a distinct personal element
able to use the machinery of the Union for its own purposes as well
as for the larger and broader efforts on behalf of women.
The International Women's Union has no cumbersome machinery,
it is not burdened by fetters of red tape, nor is its usefulness
wasted in elaborate Organisation, but its rules are simple and its
aims practical ; and before long, when there has been time to ripen
and extend its work, to belong to it will be to have a foretaste
of that universal peace and goodwill of which sages have preached
and poets sang, but which was never so near realisation as at the
present time.
Finland.
Baronesse Alexandra Gripenberg, Helsingfors, Delegierte de»
Vereins KvinnofÖrening, (The Finnish Womens Association), des.
Maria- Vereins und des Vereins „Ladys Gymnastic Drill Association"..
Let me take you to a little far away country, Finland, high
up in the North, where the snow lies deep in the solitary forests
during the long winter, and where in the short, but lovely summer
— 37 —
the gloriuos raj's of the midnightsiin shine on lonelj' lakes and
the white stems of the birches. There lives a people, whose
country for eenturies has been the battleground between two larger
nations, which has starved and suffered unto deatb, which still
has to mix bark väth rye, when there is a famine, but which not-
withstanding all difficulties lias succeeded in maintaining a natio-
nality of its own.
This struggle for their own nationality has prepared the ground
in Finland for the consideration of social questions. Among those,
which in later times have aroused special interest, is the woman
question, and one result of that interest is that body, which I have
the honour to represent: the Finnish Women's Association.
(In Swedish „Finsk Kvinnoförening'S in Finnish „Suomen Naisyh-
distys." I give the double title, because both these languages are
spoken in Finland).
Our association was founded in 1884. It has eleven branch-
unions in the country and a central union in the capital, Helsingfors.
As we have not the political Privileges to the same extend as in
many other countries, we can not concentrate our work especially
on the question of woraen's suffrage. . We must deal with all kinds
of work for the welfare of women.
The Finnish Diet meets every third year and we try to get
petitions brought before it on the amelioration of laws concerning
women.
In our country unmarried women attain their majority at
25 years of age, but thej^ can by special application to the govern-
ment attain it at the same age as men, or at 21. We have had
petitions brought to the diet, asking that unmarried women should
attain their majority at 21 j^ears of age, without special applications.
Women may enter the university by special application to the
government. We have asked the Diet to give them the right
without any such previons applications. Women are likewise by
special application allowed to occup}' positions as teachers in
highschools and teacher\s Colleges. We have asked for the right
for them to obtain these places without this application to the
government. Taxpaying women, unmarried and widows, have muni-
cipal suffrage. We have petitioned that they may also be eligible
for municipal Offices. The legal age of marriage for women is
fifteen. We have asked to have it raised. The law of our country
strictlv forbids legalised vice, but the local authorities have some-
times been able to introduce it by the contagious diseases-acts. We
have petitioned that strict obedience to the law of the country in
that point may be enforced. On one occasion we prepared a petition
to the diet on this question, with more than 8,000 names.
Only a few of these petitions have been discussed in the diet.
You will understand. that our law-makers, meeting so seldom, have
au accumulation of questions crowdinsr in upon them, and of course
we women ore often told ..that more important things must be
discussed first."" And as we alwavs must ask some member of the
diet to bring forward the petition. we depend entirely on the
interest and good-will of these gentlemen. among whom J am glad
— 38 —
to say we have some staunch friends. The only hitherto successfcd
Petition brought forward on our initiative is that eonceming women
as poor Law Guardians, and we have now about 125 women acting
as guardians of the poor.
The Finnish Women's Association likewise organises lectures
upon different subjects connected with the woman question, lectures
and classes for working women, cookery and dressmaking classes for
those in country villages, sanitary drill classes and summer holiday
horaes for workingwomen. We print and publish pamphlets and
tracts upon the woman question, practical and social subjects
eonceming women^s work, and we arranged two years ago the first
thorough, Statistical inquiry about women 's work in all branches.
To this undertaking the government gave us a grant of 4000 inarks
(rrrfrancs). We also liave a registry office for female servant and
arrange meetings to discuss the servant question.
In aid of social purity the association has several times issued
Pamphlets and newspaper articles and arranged lectures. We have
also Started a library with choice books for young people, and try
to increase the quantity of morally good juvenile literature, as we
think that one of the most dangerous evils in one time, especially
for young people, is the abundance of books morally bad.
But the Chief feature of our work is the sti'ong interest taken
in it by the women of the people. The majority of the members
in our country brauch unions are peasant women, you will under-
stand of what condition in life, when I teil you that the member's
aunual subscription in many of these unions are abont 80 Pfennige.
Of course they can have only the most elementary kinds of dis-
cussions at their meetings and undertake but a few and the simplest
kinds of work. Still, I wish you could see these our members, as
they Sit listening to a lecture, to which they perhaps have had to
go several miles kiloraeter through the snow. I believe the very
sight of these poorly dressed, hardfeatured, carewom sisters of youi's
would create in your miuds new enthusiasm for your work. This
summer we have had large meetings in three of these unions in the
country. We called them „the days of the home", as we wanted
to give women, who are its chief creaters and the most active
workers in it, an opportunity to assemble and discuss questions
concerning the home. About 200 men and women came to these
meetings, the meeting places were prettily decorated with flowers
and wreaths, the clergy were present, and the lectures listened to
with the utmost interest. The subjects dealt with were the histo-
rical development of the home, the woman question as an out-
growth of christianity, education, household economy, the hygiene
of the home, and social pui'ity. These meetings lasted two days
and ended with little out door festivals, where peasant women
made the closing speeches.
Also the workingwomen in the towns have begun to join
US. Last year the dressmakers and seamstresses in the capital
dissolved their own trade-union and joined our association, in connection
with which they started a club with the same aim as the former
trade union. J need not teil you that we feel strongly what a
- 39 —
responsibility rests upon us, because of this addition to our work,
but at the same time what a sweet feeling of mutual confidence
encourages us. Inasmuch the peasantwomen and the workingwomen
join US, we feel that we are a truly representative body of the
women in our country. The only way by which we can show the
workingwomen that the woman question is- not and must never be
made a question only for the upper classes, is to throw the doors of our
associations wide open and in vite the workingwomen to come in. Then, when
they can follow and participate in our work, with the sauie rights as
members as we ourselves, they will find how false it is to say that the
woman question is an aristocratic one, whicih does not apply to the
working classes. They shall see, that this is not true, and never
has been, but that as human beings, as women, our most important,
our holiest interests are deeply woven together whether we are high
or lowborn. It is so, because the ethical interests in life are
those, which most deeply affect us as human beings. These alone
can make us happy or unhappy in the highes t sense of these
words. And the woman question is chiefly an ethical question: the
question of women's equality with men as human beings.
For this reason our association thankfully accepts the Co-
operation with our hardwosking sisters. For this reason J feel happy
in assuring you, that J greet you as a representative not only of
the ediicated women of my country, but also of the morkingvvomen
from the humble homes, the fields, the factories and the Workshops.
Frankreich.
Bericht von Madame Eugenie Potonie-Pierre, Paris.
L'etat actuel de la question feministe en France est assez
difficile, en presence des reformes legales incidentes et incompletes.
Droit pour les femmes d'etre temoins dans les actes de l'etat civil
(projet gisant depuis longtemps dans les cartons de la Chambre
et inopineraent retire au moment oü Ton s'y attendait le moins);
droit exclusif de la femme au produit de ton travail (projet Goirand);
droit pour la femme de faire partie des conseils de l'Assistance
publique; droit pour les femmes de faire partie du Conseil superieur
des societes de secours mutuels etc.; en presence des inegalites fla-
grantes qui encombrcDt le Code civil et meme le Code penal il est
difficile, nous le repetons, de presenter le mouvement feministe
fran^ais comme gravissant une pente ascensionnelle rapide. Et pourtant
cela est!
Le Congres feministe de 1892 d'abord (lequel etait le quatrieme)
celui de cette annee, avril 96, (dont tous les voeux ont ete empreints
d'une grande ampleur d'idees, d'une tendance progressiste et huma-
nitaire) ensuite, ont dompte la plus grande partie des resistances, en
mettant a neant les objections specieuses qu'opposent en meme temps
l'orgueil masculin, ou plutot la crainte masculine de la concurrence,
et la passivite feminine.
La presse, la presse quotidienne surtout, a, depuis 92, multipliö
en Proportion geometrique, ses articles feministes. Cette grosse
raillerie depourvue de sei, dont eile etait coutumiere, est rest^e sur
— 40 —
le marbre, et les journalistes se sont mis ä discuter serieuseinent,
et ä faire vibrer la note genereuse, craignant que revenement ne
leur otät la priraeur de leur merite revendicateur et justicier. Tous
demandent quelque chose pour la femme; ils fönt un tri qu'ils
jugent la part du feu; mais soiis la cendre, celui-ci couve, et il
jaillira bientot en belle flamme humaine egalitaire.
La presse a mis a la mode ce mot feminisme, qui a fait un
chemin plus prompt que nous n'avions ose Tesperer nous-meme
en rinventant et en le langant dans la circulation.
L'opinion s'emeut vite de ce que la mode a pris sous sa protec-
tion, de Sorte que la polemique sur les droits civils, sur les droits
politiques, sur Facces des femmes aux fonctions liberales et publiques
est actuellement monnaie courante.
Examiner cette cause, c'est la gagner!
Un point jusqu'ici tres discute a ete etabli point fort important
de Teconomie sociale, a savoir: que la base de Temancipation femi-
nine c'est Findependance pecuniaire de la femme, independance qui a
pour corollaire Fapplication de cette formule: A travail egal,
salaire egal.
Autre preuve de la marche progressiste. Tous les partis s'y
mettent. — L'aristocratie, sournoisement, subventionne pour mener
la propagande douce, dite pratique et raisonnable, parce que, tout
en flattant les prejuges de jadis, eile demande un peu, le tout petit
peu necessaire pour ne pas effaroucher la routine. La bourgeoisie,
qui s'aperQoit enfin ä quel degre les femmes, serves dans la patrie,
dans le mariage, dans la maternite, sont victimes de denis de justice
humaine.
Le socialisme qui, depuis toujoui'S, avait inscrit dans ses
desiderata le droit des femmes, en y inscrivant le droit humain, mais
qui, demeurant dans le vague quant ä la pratique et ä la propagation
de l'admission des femmes aux fonctions pubiques a ete, au Congres
de Londres, pousse dans ses derniers retranchements et y a vote:
„Le suffrage universel de tous les adultes; le droit de vote pour
chaque adulte, et, de plus: Que Femancipation de la femme est
inseparable de celle des travailleurs et qu'il fait appel aux femmes
de tous les pays, ä Feffet de s'organiser politiquement ayec les
travailleurs."
Les femmes ehretiennes enfin, qui ont pris part au deruier
Congres d'avril, en y envoyant des deleguees du Feminisme Chretien
et en adoptant une grande partie des revendications feministes.
II est un parti cependant, parti plutot masculin, quin'admet
guere de mouvement feministe proprement dit et qui proclame que
Femancipation depend surtout de Fassociation des ouvrieres avec les
ouvriers, c'est a dire de la multiplication des syndicats mixtes.
On peut faire ä cette theorie une grave objection. Les hommes,
accoutumes ä voir la femme moins forte, moins payee, moins hardie
de par son education, Interesses, gräce ä la concurrence, ä la lutte
pour la vie, a maintenir le servage feminin, s'abstiendront de mettre
dans les rapports qu'ils pourront avoir avec leurs collegues femmes
ee sentiment fratemel de vraie camaraderie, absolument indispensable
pour Faction commune.
— 41 -
La femme doit agir avec rhomme, mais il faut avant tout,
qu'en agissant seule, eile prouve qu'elle peut se suffire a eile
meme.
En France, un element desormais considerable, et qui a beaucoup
contribue ä Velaboration des lois reformatrices votees, c'est le Groupe
parlementaire des Droits des Femmes obtenu et reuni par T initiative
et les demarches du Groupe: La Solidarite des Femmes.
En eflfet, dans le Parlement, la cause feministe a raaintenant
une representation coraposee de plus de quarante defenseurs convaincus
et animes des intentions les meilleures.
La Solidarite des femmes, eile meme qui, depuis sa creation, en
91, a exerce une grande influence au point de vue du progres
feministe, qui a mis en avant la plupart des reformes, qui s'est
engagee dans des entreprises de propagande qui ont avance la question
des femmes qui a fait fructifier des idees originales: principe du livre
ouvert; code d'education pour Tenfance; projet de loi de droit commun
pour le travail; creation d'une ligue pour la reforme du costume
feminin et la libertä du costume; la Solidarite ne peut etre passee
sous silence en cette revue tres succincte du Mouvement feministe
actuel, Mouvement ä la tete duquel, jusqu' a present les 6v6nements
Tont placee. Ge Groupe tend a constituer en son sein un petit
parlement feministe, dont l'ambition est que la bonne foi en soit
parfaite, les aspirations progressistes, les idees larges et humani-
taires.
Les autres groupes egalerVient, tres zeles, sont TEgalite, laSociete
pour TAmelioration du sgrt des femmes et la revendication de ses
droits, la Ligue Frangaise pour le droit des femmes, TEmancipation
hnmaine, le Feminisme chretien, et ä cote de ces associations essen-
tiellement feininistes, de nombreuses societes philanthropiques, comme
la Maison Maternelle, ou artistiques, comme FAdelphie.
Les femmes enfin, ou du moins une partie des femmes, ont pris
en mains, en France, la cause de la paix internationale et du
desarmement universel.
C'est en une reunion feministe, ä la Mairie du sixieme arron-
dissement que s'est formee T Union Internationale des femmes pour
la paix, qui compte ä present des comites dans tous les pays. C'est
la aussi qu'a ete resolue la campagne contre Talcoolisme.
La feminisation des Postes et Telegraphes a pris en France
une extension enorme, malgre, d'une part, les attaques du public
Interesse, nous entendons des employes masculins et, d'autre part,
Tappui que la presse en general prete ä ceux-ci.
Dans les Chemins de fer, les femmes, chaque jour sont revetues
de fonctions nouvelles. Tl y a meme aujourd'hui des chefesses de
gares et des chefesses de stations, pour lesquelles nous demandons un
costume special analogue ä celui des bicyclistes — vu le peril en ces
fonctions, qui obligent a courir, ä monter sur les trains, etc., des
robes feminines.
Plusieurs jeunes femmes sont actuellement en France etudiantes
es-lettres, es-sciences, agregees es-lettres etc. etudiantes en pharmacie,
etudiantes en droit. Deux doctoresses en Droit ont ete regues en
France; Mll es. Jeanne Chauvin et Bilcesco. Le nombre des etudiantes
— 42 —
en medecine s'accroit tous les jour% et diverses doctoresses se sont
distinguees par des theses remarquables et par d^niportants travaiix
en Pathologie et en thera[)eutiqiie. Deux femmes ont ete internes
des hopitaux.
A l'observatoire de Paris une femme se montre Teniule de ses
confreres mascnlins; astronome savante et intelligente, eile instruit
de plus un certain nonibre de jeunes femmes qui Taident, et
travaillent sons son inspiration.
II se cree de nouveaux lycees de filles. Nons prefererions,
quant a nous, que füt (avec la reforme des prograrames classiques),
appliquee dans tous les lycees en general, la co-education, dont en
France le principe cominence a gagner du terrain, en presence des
resultats obtenus en Amerique, en Suisse, en Nouvelle-Ze lande, etc.
Dans certaines petites villes ou bourgs de province, 11 y a des
femmes secretaires de mairies a titre officieux; d'autres employees
supplementaires pour le depouillement du recensement, pour Tetablisse-
ment des listes electorales.
11 y a ä Paris des femmes employees dans les administrations
de TAssistance Publique.
Des frangaises ont, dans un biit de propagande vulgarisatrice,
pose leur candidature municipale et legislative, et tous les maires
de France ont ete saisis de demandes d'inscriptions electorales
feminines.
Kous terminerons ce bref resume par les paroles d'une jeune russe
etudiante es-lettres a Paris: „Soyez süres, Mesdames, que si la femme ne
„s'eveille pas elle-meme, si eile ne reclame ])as elle-meme ses droits
„humains, ses „freres aines** ne lui tendront pas la main pour lui
„aider ä sortir de cette position humble oü eile se trouve maintenant.
„C'est pourquoi, de tout mon coeur, je salue ce mouvemant bien-
„faisant que je remarque maintenant en France. Courage! Tavenir
„est a vous."
Holland.
Frau Haighton, Amsterdam, Delegierte der Yereenijing voor
Vrouwens Kiesrecht.
Dass ökonomische Freiheit und gesetzliche Grleichheit mit dem
Manne Rechte sind, welche die Frauen fordern, nicht nur in ihrem
eigenen Interesse, sondern auch in dem unserer Gesellschaft, die
sich während der letzten 40 Jahre so schnell umwandelte, sehen
viele ein, d. h. eine Anzahl, gross genug, um auch in den Nieder-
landen die Frauenfrage auf die Tagesordnung zu bringen.
In welcher Weise die Frau aber versuchen soll, ihre ökonomische
Freiheit zu erwerben: darüber herrscht grosse Meinungsver-
schiedenheit, hauptsächlich inbezug auf die verheiratete Frau der
Arbeiterklassen. Manche — darunter sehr fortgeschrittene Männer
und Frauen — versuchen sie zu überzeugen, dass das erste Be-
dürfnis Schutzgesetze seien. Wenn sie erst aus Fabriken und
Werkstätten entfernt ^und vollständig von dem Manne, der oft zu
wenig verdient, um seine Familie zu ernähren, abhängig gemacht
sein würden, dann sollten sie sich der Arbeiterpartei anschliessen
— 43 -
und innerhalb derselben so energisch als möglich für die Besserung
des Loses der Arbeiter kämpfen; denn die Arbeiterpartei habe ja
versprochen nach Erreichung ihrer Forderungen sofort ernsthaft für
die Interessen der Frau einzAitreten.
Andere meinen, die Frauen sollten sich von den Männern un-
abhängig machen und von deren Interessen fernhalten, sich also
keiner Arbeiterpartei anschliessen. Zui* Begründung ihrer Meinung
weisen sie auf die Geschichte der Völker hin, aus welcher hervor-
gehe, dass die Frauen wiederholt, durch schöne Versprechen ge-
täuscht, alle ihre körperlichen, intellektuellen und finanziellen Kräfte
dem Kampfe für die Förderung der Interessen des Mannes geopfert
haben, dieser aber niemals etwas für sie gethan, ja, manchmal ihnen
sogar schmählich entgegengetreten sei, nachdem seine Wünsche er-
füllt waren. Man warnt daher die Frauen davor, etwa an eine
wesentliche Besserung der menschlichen Natur im Laufe der Zeit
zu glauben: die Männer von heute, wie die Männer von damals
^ — so sagte man — denken im allgemeinen nur an sich selbst und
sorgen nur für sich.
Das niederländische Gesetzbuch — in mancher Beziehung Code
Napoleon — sichert den Frauen gar keine Rechte. Von allen
Seiten entsteht Opposition dagegen. Unter den Mitgliedern der
ersten und zweiten Kammer giebt es sogar einige, welche durch
Wort und Schrift erklären, dass der gegenwärtige Zustand nicht
länger fortbestehen darf. Aber auch in dieser Sache herrscht eine
grosse Meinungsverschiedenheit hinsichtlich des zu wählenden Weges.
Die eine Gruppe sagt: Niemals wird die Lage der Frauen hin-
reichend gebessert und die Willkür beseitigt werden, so lange die
Frau keinen direkten Einfluss auf die Regierung von Staat und
Gemeinde ausübt. Deshalb ist ihr Rat : Frauen, erkämpft euch das
Wahlrecht, obschon dies keine Sache ist, welche von heute aut
morgen erreicht werden kann, da eine Revision der Grundlage
unserer Gesetze die notwendige Vorbedingung ist. —
Die andere Partei, von Idealismus geleitet, legt den höchsten
Massstab an die Beurteilung der Aufgaben der Frauen an und
wünscht, dass sie niemals die fortwährend von den männlichen
Wählern und Abgeordneten begangenen Fehler begehen möchten.
Sie schreckt vor dem Frauenwahlrecht zurück, in der richtigen
Erkenntnis, dass die Frauen jetzt im allgemeinen noch nicht ge-
nügend vorbereitet sind, um als politische Perönlichkeiten immer
eine glänzende Rolle spielen zu können. Auch auf die Grundlage
unserer Gesetze nehmen sie Rücksicht. Sie wollen praktisch sein
und streben deshalb nur nach denjenigen Verbesserungen des Ge-
setzes, welche ohne zu grosse Schwierigkeiten zu erreichen sind.
Die eine, wie die andere Partei erkennt aber die grosse Un-
gerechtigkeit der Thatsache, dass dem Mädchen, ungeachtet der
Wahrscheinlichkeit, dass es sich selbst den Weg durch das Leben
zu suchen haben wird, keine ausreichende Gelegenheit geboten wird,
sich eine höhere, intellektuelle Bildung zu erwerben, und sich in
Fachschulen auszubilden. Zwar sind die staatlichen Universitäten,
Gymnasien, Zeichenakademien, höheren Bürgerschulen etc. auch den
— 44 —
Mädchen zugänglich; werden jedoch derartige Anstalten von den
Gremeinden eingerichtet, so ist es vollständig der Willkür des G-emeinde*
Vorstandes anheimgestellt, die Mädchen auszuschliessen. Deshalb
verlangen die Frauen, dass in letzterem Falle der Staat den Gre*
meindeschulen keine Subsidien bewilligt, da diese aus Steuern be-
zahlt werden, welche ebenso von Frauen, wie von Männern auf-
gebracht sind.
Sämtliche Feministen fordern auch, dass der Staat für eine
tüchtige Fachausbildung der Mädchen Sorge trage, und nicht länger
glaube, durch sporadische und stets sehr karge Unterstützung von
Koch- und Haushaltungsschulen genug gethan zu haben.
Seit 25 Jahren studieren Frauen in den Reichs-Üniversitäten;
während den Studien einiger durch die Verheiratung ein vorzeitiges
Ende gesetzt wurde, erwarben manche Andere den höchsten aka-
demischen Grrad in der Medizin, Pharmazie und Philosophie. An
die Rechtsgelehrsamkeit hat, soweit mir bekannt, noch keine sich
gewagt, wahrscheinlich, weil es sehr ungewiss ist, ob eine Juristin
beim Gericht angestellt werden würde. Meiner Ansicht nach sollte
dieses Bedenken keinen Ausschlag geben; denn, wenngleich der Frau
diese Schwierigkeit im Wege stände, oder besser gesagt, dies Un-
recht angethan würde, so wäre doch gewiss für Advokatinnen die
consultative Praxis ein reichlicher Broterwerb.
Unter den vielen ungerechten Gesetzbestimmungen in Bezug
auf die Frau, giebt es augenblicklich keine einzige, welche so viel
Anstoss erregt, wie das Verbot der Untersuchung der Vaterschaft,
Um die Streichung dieses grausamen Gesetzparagraphen zu bewirken,
ist von einem Komitee, welches aus vier angesehenen Frauen und
vier Juristen besteht, von denen einer viele Jahre Mitglied der
ersten Kammer war, und zwei Andere Professoren sind, eine Volks-
petition veranstaltet worden.
Ferner kämpfen die Feministen mit grosser Anstrengung für
die Forderung: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, einerlei, ob sie von
einer Frau oder von einem Manne verrichtet wird. Viele Arbeiter
unterstützen die Frauen in diesem Kampfe, jedoch gewöhnlich nur
weil die Erfahrung sie gelehrt hat, dass die geringe Bezahlung der
weiblichen Arbeit die Löhne der männlichen Arbeiter herabdrückt.
Was die Frauenfrage des Weiteren betrifft, so stehen die Nieder-
lande allen übrigen Kulturstaaten gleich. Eine bedeutende Anzahl
Frauen machen durch periodische Schriften und durch die Tage-
blätter, welche ihnen gern ihre Spalten öffnen, für ihre Meinungen
Propaganda; andere widmen ihre Kräfte der sittlichen Hebung des
Volkes, entweder durch direkten Kampf gegen die Prostitution, oder
durch Einrichtung billiger und gesunder Arbeiter Wohnungen. Sie
eröffnen auch Kurse jeder Art für die Jugend des Volkes und ver-
suchen, dem vierten Stand einen höheren Begriff von Vergnügen
und Wohlbefinden beizubringen.
Noch vor 30 Jahren würden die vornehmeren Frauen im all-
gemeinen durch Arbeit — es sei denn Hausarbeit oder Armen-
besuch — sich entehrt gefühlt haben; heutzutage glauben die meisten
sich schämen zu müssen, wenn sie in keinerlei Hinsicht zu der Lösung
irgend eines sozialen Problems beigetragen haben.
- 46 —
Italien.
a) Bericht von Signora Paolina Schiff, Dr. phil., Mailand, erste
Sekretärin der Federazione delle Leghe per la Tutela degli Int<Tessi
femminili di Müano,
erstattet von der Delegierten Frau Rosalie Schoen flies.
Das Unternehmen der deutschen Frauen, einen internationalen
Kongress einzuberufen, um die stets fortschreitenden Frauen-
bestrebungen in allen ihren Gebieten und Wirkungen einer un-
parteiischen Besprechung zu unterziehen, ist von weittragender Be-
deutung.
Italien, das politisch und sozial noch junge Land, hat trotzdem
schon wirklich Durchgreifendes aufzuweisen. Doch herrscht der
Zwiespalt zwischen dem neuen Zeitgeist und den vom römischen
Recht und feudaler Auffassung durchdrungenen Gesetzen auf das
Widerstreitendste vor. Das Bestreben der italienischen Frauen,
sich diesem Znstande zu entziehen, zeigt sich hie und da auf
kräftige und umsichtige Weise, im allgemeinen muss aber noch viel
Anregung von aussen dazu komnimen, um die reichen, aber fast
unterdrückten Anlagen und die Bildsamkeit der diesländischen Frauen
zur Geltung zu bringen.
Unser Bund hat bereits in Mailand und Turin eine gesicherte
Stellung; Rom und andere Städte des Festlandes folgen nach; auch
Sizilien beginnt sich zu regen und besonders entwickelt das weib-
liche Friedens-Konütee in Palermo eine rege und warmherzige
Thätigkeit. Unter den Airbeiterinnen in Mailand zeigt sich, stetig
fortschreitend, eine entschieden von Intelligenz zeugende Bewegung.
Die Anregung geht hier, wie anderwärts, grösstenteils vom
weiblichen Lehrerstand aus, und dies aus folgerichtigen Gründen.
In folgendem werden kurz die einzelnen Materien zusammen-
gestellt, mit welchen der Bund der Frauen- Vereine sich beschäftigt
hat und ferner beschäftigen wird:
I. Jugendhorte: Mitwirkung bei der trefflichen Anstalt „Scuola
e famiglia".
IT. Erziehung armer schulentlassener Mädchen: Scuola pro-
fessionale educativa preparatoria. In Italien erstreckt sich die
Schulpflicht für beide Geschlechter nur bis zum zehnten Jahre. Mit
der Gründung dieser Schulen beabsichtigt der Bund die Fortbildung
der jungen Zöglinge und einen vorbereitenden professionellen
Unterricht.
in. Veranstaltung von Vorträgen über Gesundheitspflege. Diese
Vorträge werden im Laufe des Jahres im Druck erscheinen und
nach Provinzstädten und Dörfern verschickt werden.
IV. Wöchnerinnenasyle: Cassa di Assicurazione mutua per la
Maternita.
Die Gründung dieser Versicherungs-Anstalt ist von grosser
Tragweite. Die ganze Presse sowie bedeutende Persönlichkeiten
haben sich sehr günstig über diese bald ins Leben tretende Ein-
richtung ausgesprochen.
V. Organisation von Berufsgenossenschaften: speziell für Tele-
graphistinnen und Lehrerinnen. Eingaben zur Verbesserung der
— 46 —
Lage beider Stände sind bei dem Ministerium anhängig. Doch ist
hier zu bemerken, dass nur die Elementar- Lehrerinnen, welche in
Italien von dem Gemeinderat abhängen, hinsichtlich der Besoldung
und mitunter auch der Behandlung den Lehrern nachstehen, während
die Oberlehrerinnen, die den Titel Professorinnen tragen, vom Staate
abhängen und gleiche Berechtigung mit den Lehrern derselben
Kategorie haben. Das Gesetz spricht sich unparteiisch aus; doch
walten vielfach frauenfeindliche Strömungen vor.
VI. Arbeit- und Lohnfrage: Auf allen neueren Arbeiter-Kon-
gressen in Mailand, Venedig, Turin, Florenz etc., und wo sonst der
Bund der Frauenvereine Anträge auf Gleichberechtigung der Löhne
stellte, wurden dieselben unbedingt angenommen. Unablässig wird
diese Frage von unseren Frauenvereinen in jeder Richtung behandelt.
VII. Eechtstellung der Frauen im bürgerlichen, Gemeinde-
und Handelsgesetz: Hier hat der Bund der Frauenvereine nur
Studien vorbereitet. Zu bemerken ist aber, dass die Handelskammer
zu Mailand den Antrag auf Handels-Stimmrecht der Frauen sehr
günstig aufgenommen, und die Beistimmung von weiteren 16 Handels-
kammern provozirt hat. Die schwankenden politischen Zustände
Hessen keine parlamentarische Verhandlung zu, wiewohl der Minister
Lacava sich in seiner Vorlage vom Jahre 1894 vollkommen günstig
darüber ausgesprochen hatte.
VIII. Friedensgesellschaften: Die grosse Bewegung der weib-
lichen Bevölkerung Italiens, um dem afrikanischen Kriege ein Ende
zu machen, wurde durch den Bund der Frauenvereine in An-
regung gebracht.
Ebenso hat der Bund mehrfach für die Gründung internationaler
Handels-Schiedsgerichte mit Beteiligung einer weiblichen Vertretung
zu wirken gesucht. Dem Pariser Frauen-Kongress wurde folgender
Antrag eingesandt: „La question dela Paix etant si etroitement liee
avec Tethique de Telement feministe, ceux qui veulent revendiquer
leurs droits ne peuvent pas se desinteresser de cette grande question
humanitaire. Ainsi la Federation de Milan propose chaleureusement
au Gongres Tinstitution de tribunaux commerciaux pour regier les
differends juridiques et financiers commerciaux entre une nation et
Tautre et entre les individus commerQants. La Federation propose
en suite que la femme ait siege et voeu, dans ces tribunaux d'arbitrage."
Auch dem in Budapest gehaltenen Friedenskongress (Sept.
1896) übersandte der Bund den Vorschlag zur Feststellung eines
internationalen Handelsrechtes und bezüglicher Schiedsgerichte, auf
Grundlage der Berner Konvention 14. Okt. 1890.
IX. Ein weiterer Vorschlag der Federation ist die Bildung von
Parlaments- Komitees, um die Frauenbewegung leichter zu organisieren.
Durch das freiwillige Zusammentreten verständnisvoller Abgeordneter,
ohne Parteiunterschied, zu einem permanenten Komitee, können die
Anträge und Vorschläge der Frauen, mit klarer Umsicht zur Be-
fürwortung aufgenommen werden, und dadurch rascher und bestimmter
ins Leben treten. Die dadurch entstehende internationale Wirkung
und Gegenwirkung ist selbstverständlich von positiver Tragweite,
deshalb empfiehlt der Mailänder Bund dem geehrten Kongress obige
Anregung aufs angelegentlichste.
— 47 -
Mit der festen lieber zeugiinor, dass der isrropse Frauentag, der
die besten weiblichen Elemente nach Berlin ruft, eine reichliche
Ernte in Aussicht stellt, bietet der Bund allen anwesenden Frauen
und den verständnisvollen Männern, die sich diesem hohen Zivili-
sationsprinzip anschliessen, den Gruss einer Verbündeten, die sich
zu ihrer Devise erwählt: „Nur im Recht wohnt die Kraft; dem
guten Rechte gelte unser Streben und Ringen."
b) Dottoressa med. Maria Montessori, Rom, Delegierte des Vereins
,. A ssociazione femminile. "
Ich bringe Ihnen einen Gruss aus der uralten Stadt der Denk-
mäler, welche in ihren ehrwürdigen Mauern die Kulturgeschichte
sich entrollen sah: ich bringe Ihnen den Gruss Roms, der Stadt der
grossen Kaiser des Altertums und der^Päpste. — Die Frauenbewegung
fängt in dieser Stadt nur eben an, ^ich zu zeigen! Diese Bewegung
hat in Italien ihren Ursprung in der lombardischen Ebene und nur
langsam übersteigt sie das Gebirge im Innern des Landes. Sowie
die Fi-auenfrage zwischen den Trümmern der römischen Denkmäler,
den aufgehäuften katholischen Vorurteilen einen Spalt gefunden
hatte, drängte sie, ein freundlicher, moderner Lichtstrahl, sich hindurch
und führte zur Gründung eines Vereins, der „Associazione femminile
di Roma", in welchem die weibliche Aristokratie des Geistes und
der Geburt, sowie die besitzenden Frauen reichlich vertreten sind.
Als während des Krieges in Afrika so viele Mutterherzen bluteten,
setzten fünf Frauen des römischen Vereins eine nationale Petition
ins Werk, in welcher die Gattinnen, Schwestern und Bräute das
Ende des Krieges und die Rückkehr der Truppen nach Italien
forderten. Mit den Unterschriften von vielen Tausenden wurde
diese Petition dem Abgeoi'dnetenhause eingereicht. — Ausserdem
richtete die „Associazione femminile" populäre Unterrichtskurse für
die Arbeiterinnen und Vorträge über öffentliche Gesundheitspflege
ein. — Unser junger Verein trug auch wesentlich zur Gründung
einer Kolonie für genesende Kinder im Apennin bei. — Als die Ein-
ladung zum Frauenkongress in Berlin eintraf, waren die Frauen
Roms die ersten in Italien, welche daran dachten, eine Delegierte
zu schicken und sie wandten sich an alle Frauen des Landes, um
ihre Beistimmung und Unterstützung zu erlangen. Aus allen Teilen
des Reiches liefen zahlreiche, oft enthusiastische Beistimmungs-Er-
klärungen ein, hauptsächlich von Arbeiterinnenvereinen. In einem
Dorfe in den Marken war es die Kommunalversammlung der Männer,
welche die Zustimmung des Ortes zur Sendung einer Delegierten
nach Berlin in feierlicher Weise aussprach. — Es gab viele vor-
nehme Damen, viele tüchtige Hausfrauen, viele eifrige Katholikinnen,
welche der Sendung einer Delegierten nicht entgegen waren, und
die, wenn sie sich auch nicht thätig an dieser Sache beteiligten, doch mit
ihrem Herzen und fast zitternd für den Erfolg, dabei waren. Dies
giebt uns berechtigte HoffnuDg für die Zukunft und gereicht zugleich
den Gründerinnen des Vereins und Leiterinnen seiner Arbeiten, den
Damen Mauro, De Vincentis und Amadori zu grosser Ehre. Die
letztgenannte dieser Damen ist auch die Herausgeberin unserer
— 48 —
Vereinszeitnng „Yita Femnünile", welche die Frauenfrage nach
allen Richtungen behandelt. — Noch ein Wort über diejenigen
PYauen, welche der Emanzipation unseres Geschlechts durch Thaten
dienen, indem sie sich durch Universitätsstudien eine unabhängige
Stellung schaffen. Vielleicht in keiner Stadt machten Vorurteile
das Studium der Frauen an Universitäten so schwierig, wie in Kom.
Vor fünfzehn Jahren schied die, welche es wagte, über die Schwelle
der Universität zu treten, damit fast aus der G-esellschaft! Heute wird
das Mädchen, welches mit seinem Doktordiplom die Universität
verlässt, von den Müttern als Beispiel' gezeigt. Denn es stellte sich
heraus, dass das ernste Studium und die soziale Stellung, die diese
Frauen erlangen, ihnen nicht nur die Tugenden und Vorzüge, die
das junge Mädchen so liebenswürdig machen, nicht rauben, sondern
dieselben sogar erhöhen.
Eine nicht unbeträchtliche Zahl junger Doktorinnen arbeitet
als Lehrerinnen an Mädchengymnasien und anderen Schulen; als
Medizinerinnen an Hospitälern oder in freier Praxis; andere haben
sich der Mathematik und den Naturwissenschaften gewidmet und
auch eine Advokatin haben wir in Rom.
Von ihnen Allen habe ich dem Kongress Grüsse zu überbringen.
Oesterreieh.
Frau Therese Schlesinger-Eckstein, Wien, Delegierte des AUgem.
Österreich. Frauen Vereins.
Wenn man über die moderne Frauenbewegung gewissenhaft
berichten will, so muss man in Oesterreieh wie überall zwei Strö-
mungen unterscheiden, die leider zum Nachteil beider noch immer
getrennt ihren Lauf nehmen, nämlich die Arbeiterinnenbewegung
und die bürgerliche Frauenbewegung. Es ist sehr bedauerlich, dass
die österreichischen Arbeiterinnen-Organisationen der Einladung zu
diesem Kongresse nicht gefolgt sind. Ich kann über die Arbeite-
rinnen Oesterreichs hier nur soviel sagen, dass ihre Organisationen
sehr im Aufblühen begriffen sind und dass sie von ihren männlichen
Genossen kräftig unterstützt werden, wie ja überhaupt die sozial-
demokratische die einzige politische Partei ist, die die Gleich-
berechtigung der Frauen nicht nui' als Programmpunkt aufgestellt
hat, sondern in ihren Organisationen auch praktisch gelten lässt.
Sogar in die politischen Vereine, in die einzutreten bei uns Frauen
gesetzlich verwehrt ist, haben die Sozialdemokraten den Genossinnen
Eingang verschafft, indem sie sie als Gäste heranzuziehen wussten.
Die Arbeiterinnen Wiens haben auch ein eigenes Blatt, die „Ar-
beiterinnenzeitung ", das thatsächlich nur von Arbeiterinnen ge-
schrieben wird und eine ziemlich starke Verbreitung hat. Aus-
führlicher über die Arbeiterinnen-Organisationen zu berichten, bin
ich leider nicht in der Lage, vielmehr obliegt es mir hauptsächlich,
über die bürgerliche Frauenbewegung zu sprechen, aber ich würde
es lebhaft wünschen, dass eine Vertreterin der organisierten Arbeite-
rinnen in Oesterreieh meinen Bericht vervollständigen kOnnte. Wenn
ich bürgerliche Frauenbewegung sage, so nenne ich sie so, weil ihre
Anhängerinnen aus bürgerlichen Kreisen hervorgegangen sind, nicht
— 49 —
aber etwa, dass sie Anhängerinnen der bürgerlichen Gesellschafts-
ordnung wären.
Die ersten Frauenvereine entstanden in Wien während des
2. Decenniums dieses Jahrhunderts, aber es waren entweder Wohl-
thätigkeitsvereine oder solche mit sehr enggesteckten praktischen
Zielen, wie der Hausfraaenverein, der mit dem Wirkungskreis eines
Konsumvereines noch den eines Dienstboten-Vermittelungsbüreaus
verbindet, ein Lehrerinnenverein, der die Fachinteressen der Lehre-
rinnen wahrnahm, ein Frauenerwerbverein, dessen Schulen aber mit
Ausnahme einiger Freiplätze, nur Bemittelten zugänglich sind u. s. w.
Keiner dieser Vereine, wie nützlich sie auch in ihrer Weise sein
mögen, übt Kritik an den bestehenden Verhältnissen oder entfaltet
sonst eine Thätigkeit, die mit der Frauenbewegung in anderem als
sehr losem Zusammenhange stünde.
Erst der Verein füi* erweiterte Frauenbildung, der im Jahre
1888 gegründet wurde, ging daran, eine solche Bewegung vorzu-
bereiten. Der Ausdauer und Opferwilligkeit der Mitglieder dieses
Vereines gelang auch, was man kurz vorher für wenig wahrschein-
lich gehalten hätte: sie gründeten im Jahi-e 1892 die erste Klasse
eines Mädchengymnasiums, der seither alljährlich eine neue Klasse
beigefügt wurde. Damit aber sieht sich dieser Verein auch am
Ziel seiner Wünsche, ein Auflehnen gegen das waltende Unrecht,
ein Eintreten für Frauenrechte war und ist von ihm nicht zu er-
warten, im Gegenteil sucht er auch den leisesten Anschein einer
radikalen Gesinnung ängstlich zu vermeiden, sowie überhaupt bis
vor wenigen Jahren von einer eigentlichen Frauenbewegung in
Oesterreich nichts zu verspüren war. Weit früher aber, als der
ideale Drang ein altes Joch abzuschütteln und eingewurzelte Vorui'teile
zu zerstören sich unter den Frauen fühlbar machte, waren es öko-
nomische Verhältnisse, die eine Art von Frauenemanzipation anbahnten.
Im Jahre 1868, als das neue Volksschulgesetz ins Leben trat
und auf einmal viele neue Schulen gegründet wurden, erwies sich
plötzlich die Zahl der Volksschullehrer als zu gering und man
ging daran Lehrerinnen auszubilden und anzustellen, natürlich mit
geringeren Bezügen, als sie die Lehrer genossen. Das Beispiel,
das hier der Staat gab, indem er an den Gehalten der Frauen
Ersparnisse machte, blieb nicht ohne Nachahmung, und als einige
Jahre später die Lokal -Telegraphen -Gesellschaft in Wien sich
bildete, stellte sie ebenfalls Frauen an, was wieder den iiamaligen
Handelsminister veranlasste, den Vorschlag zu machen, man möge
aus Ersparungsrücksichten Frauen bei der Post und den Staats-
Telegraphenämtern anstellen, was auch seit dem Jahre 1874 geschieht.
Als ein eigentliches Erwachen wenigstens einer Gruppe von
Frauen konnte es bezeichnet werden, als im Jahre 1889 eine
von Frauen unterzeichnete Petition an den niederösterreichischen
Landtag gerichtet wurde, in der Beibehaltung des Gemeindewahl-
rechtes und Wiedererlangung des Landtagswahlrechtes für die
steuerzahlenden Frauen gefordert ^vurde. Die Frauen Nieder-
Oesterreichs mit Ausschluss der Frauen Wiens ' hatten nämlich
durch viele Jahre das indirekte Wahlrecht in diesen beiden Körper-
— 50 —
Schäften ausgeübt, ohne Murren hatten sie sich im Jahre 1888 das
Wahlrecht in den Landtag entreissen lassen und erst als man ihnen
um ein Jahr später auch das Wahlrecht in den Gemeinderath rauben
wollte, bildete sich ein Frauenwahlrechtskomitee, an dessen Spitze
städtische Lehrerinnen standen, entwarf jene Petition und sammelte
zahlreiche Unterschriften für dieselbe, eine Aktion, die nicht nur
den Erfolg hatte, den Frauen Nieder-Oesterreichs das Gemeinde-
wahlrecht zu erhalten, sondern auch als Anfang und erste Eegung
politischen Lebens bei den Frauen zu begrüssen war. Zwei Jahre
lang aber währte es, bis das Frauenwahlrechtskomitee wieder eine
Lebensregung zeigte. Im Mai 1891 berief es eine allgemeine Frauen-
versammlung ein, welcher eine Petition vorgelegt wurde, in der die
Frauen Zulassung der Frauen zu den Mittel- und Hochschulen und
unentgeltlichen Unterricht daselbst, ferner Zulassung der Frauen zu
dem politischen Vereinswesen und endlich das gleiche, allgemeine
und direkte Wahlrecht für alle grossjährigen und eigenberechtigten
österreichischen Staatsbürger ohne Unterschied der Steuerleistung,
des Standes und Geschlechtes forderten.
Die Referentin begründete den 1. Punkt und bewies durch
ausführliche Zahlendarlegung, dass für Unterricht in Cisleithanien
per Jahr 13 Millionen Gulden verausgabt werden, wovon nicht
einmal eine halbe Million auf den Unterricht der Mädchen entfällt.
Weiter wurde dieser Versammlung eine Petition an den Landtag
vorgelegt, des Inhalts, der Landtag wolle
1. a) den § 8 des Neuen Wiener G^meindestatuts ! abändern,
nach welchem „Frauenspersonen" selbständig das Bürgerrecht nicht
erwerben können, ebenso
b) den § 1 der Gemeindewahlordnung, nach welchem nur
Staatsbürger männlichen Geschlechtes wahlberechtigt erscheinen;
2. Den Frauen Nieder-Oesterreichs mit Einschluss der Frauen
der Kommune Wien das aktive direkte Wahlrecht für den Landtag
wieder zuerkennen und ihnen
3. auch das passive Wahlrecht für die Schulaufsichtsbehörden
und für die der Armenverwaltung gewidmeten Körperschaften
gewähren.
Dann drang in dieser Versammlung noch der Antrag
durch, das Frauenwahlrechtskomitee möge für Pfingsten 1892 einen
allgemeinen Frauentag einberufen, der über alle Seiten der Frauen-
frage zu verhandeln habe und zum Schluss wurde noch eine Resolution
gefasst, in welcher die Frauen beschlossen, sich dem Antrag des
Abgeordneten Pemerstoefer auf Aufhebung des damals über Wien
verhängten Ausnahmezustandes anzuschliessen.
Nun begannen die Frauen, die jene Versammlung einberufen
hatten, und die an der Spitze der Bewegung standen, aus besten
Kräften den Frauentag vorzubereiten, aber das Resultat ihrer
mutigen Arbeit war ein trauriges. 10 Tage vor der festgesetzten
Frist zogen sich fast alle Frauen, denen ein Referat übertragen
worden war, plötzlich zurück. Es erfasste sie auf einmal Angst,
sich mit den herrschenden Erlassen in Widerspruch zu setzen. Das
Unternehmen war eben ein verfrühtes. Viele von den Frauen Wiens
fühlten zwar schon die Notwendigkeit für die Sache der Frauen
— 51 —
emzutreten, aber der Mut, öffentlich das Wort zu ergreifen, ihre
üeberzeugung geltend zu machen, fehlte ihnen noch ganz. Unsere
Vorkämpferinnen aber liessen sich nicht entmutigen. Sie sahen ein,
dass der Boden für eine radikale Frauenbewegung in Oesterreich
erst vorbereitet werden müsse, und sie glaubten die Aufgabe am
besten dadurch in Angriff zu nehmen, dass sie einen Verein ins
Leben riefen, der die Frauen für wichtige soziale Eßformen heran-
ziehen und vorbereiten soll, und so kam es am 28. Januar 1893 zur
Gründung des Allgemeinen österreichischen Frauenvereines, der das
hohe Wort auf seine Fahne schrieb : „Durch Erkenntnis zu Freiheit
und Glück". Der hervorragendste Führer der demokratischen Partei,
Dr. Kronawetter, stellte das Parteiorgan „Volksstimme" für alle
den neuen Verein interessierenden Angelegenheiten zur Verfügung,
wodurch sich dann bald das Beiblatt der Volksstimme, das „Recht
der Frau" entwickelte, das noch heute den Verein nach aussen hin
vertritt und über alle ihn und die Frauen frage berührenden Ange-
legenheiten berichtet.
Die Einberuferin, Frl. Fickert, legte die Grundsätze des zu
gründenden Vereines dar, indem sie hervorhob, dass die Frauenfrage
mit der sozialen Frage auf das Innigste verwachsen sei und nicht
von dieser gelöst werden könne. „Die Frauenfrage", sagte sie,
„und mit ihr all das Elend, wodurch dieselbe aufgeworfen wurde,
findet ihre Lösung in der ökonomischen Unabhängigkeit der Frau,
diese ökonomische Unabhängigkeit kann aber ihre segensreiche
Wirkung auf die menschliche Gesellschaft erst dann vollziehen, wenn
die Arbeit von dem Joche befreit sein wird, das durch die privat-
kapitalistische Gesellschaftsfonn ihr aufgedrückt wird."
Das entschiedene und radikale Vorgehen des neuen Vereines,
das mutige Aussprechen seiner antikapitalistischen Tendenzen konnte
natürlich nur die Allermutigsten anziehen. So begann der Allg.
österr. Frauenverein seine Wirksamkeit unter sehr schwierigen
Verhältnissen und auch heute noch sind seine Mitgliederzahl sowie
seine Geldmittel gering.
Der Vorstand musste die bittere Erfahrung machen, wie wenig
Solidaritätsgefühl die Frauwi besitzen, wie disziplinlos sie im all-
gemeinen sind, wie jeder Dummkopf ihnen zu imponieren und sie in
ihrem Urteil schwankend zu machen vermag und wie wenig die
meisten von ihnen geneigt sind, das geistige Uebergewicht einzelner
Frauen anzuerkennen; den schwersten Kampf aber hatte und hat
der Verein noch immer gegen die verkehrten und heuchlerischen
Anstajttdsbegriffe der bürgerlichen Frauen zu kämpfen, die es noch
immer nicht fassen können, dass man über das tiefe Elend unseres
Geschlechtes offen sprechen dürfe.
Der Allg. österr. Frauenverein veranstaltete Vortragsabende,
an denen hervorragende Männer und Frauen über soziale und
litterarische Themen referierten und Diskussionen über dieselben
eröffiieten; femer sanatologische, juridische, pädagogische und psycho-
logische Unterrichtskurse.
Das ehemalige Frauen wahlrechtskomitee,^ das nun zum grössten
Teil den Vorstand des Allg. österr. Frauenvereins ausmachte, ver-
4*
— 52 —
außtaltete am 9. Dezember 1893 eine allgemeine Frauenversammlung,
die wieder das Wahlrecht der Frauen zum Gegenstand hatte.
In der Petition an den Reichsrat, die dieser Versammlung vor-
gelegt wurde, waren die Forderungen der vorigen Petition wieder
aufgestellt und hervorgehoben worden, dass in Oesterreich, wo so •
viele Frauen zu Steuerleistungen herangezogen seien, es ein um so
greifbareres Unrecht wäre, sie von den politischen Rechten auszu-
Bcbliessen. Eine Rednerin erinnerte, dass bei Aufzählung der Frauen
eine Kategorie vergessen worden sei, die der Unglücklichsten und
Gedrücktesten, nämlich die der Prostituierten. Wenn wir gleiches
Recht für alle fordern, so dürfen auch ihre Rechte nicht ver-
gessen werden.
Nun forderte eine andere Rednerin die Anwesenden auf, gegen
die vom Gemeinderat geplante Kasernierung der Prostituierten
Stellung zu nehmen. Sie stellte den Antrag, die Versammlung
möge den Allg. österreichischen Frauenverein beauftragen, diese
Frage in Erwägung zu ziehen und geeignete Schritte gegen die ge-
plante Massregel zu unternehmen. Der Antrag wurde einstimmig
angenommen, was die Optimisten unserer Partei zu dem Glauben
verführte, dass man endlich mit unseren bürgerlichen Frauen über
ernste Dinge offen sprechen dürfe. Doch sollten sie bald erfahren,
wie die mutige Art, mit der der Allg. österr. Frauenverein jetzt diese
Frage in Angriff nahm, ihm alle unklaren und lauen Elemente ab-
wendig machte.
Im April 1894 wurde einer massenhaft besuchten Frauen-
versammlung eine Petition an das Abgeordnetenhaus gegen Errichtung
öffentlicher Häuser vorgelegt. Dieser hatte sich noch der Pensions-
verein für provis. angestellte und private Lehrerinnen und der Verein
zur Errichtung von Dienstbotenasylen angeschlossen, während alle
anderen Frauenvereine ein gemeinsames Vorgehen mit dem Allg.
österr. Frauenverein mit Entrüstung zurückgewiesen hatten. In
der Petition wurde, gestützt auf ^vissenschaftliche Belege, nach-
gewiesen, dass die polizeiliche Ueberwachung der Prostituierten
überhaupt und dass insbesondere deren Kasernierung kein wirksames
Schutzmittel gegen die Uebertragung von Infektionskrankheiten sei,
und dass die Kontrolle nur dann eine erhebliche Einschränkung
herbeiführen könne, wenn die ärztliche Untersuchung auch auf das
männliche Geschlecht ausgedehnt würde. „Da aber", heisst es weiter,
„eine Verallgemeinerung der Kontrolle über die geheime Prostitution,
so wie namentlich über das männliche Geschlecht nicht in der Macht-
sphäre der Polizei gelegen ist, und da ohne diese Verallgemeinerung
von einem wirklichen Erfolg der Kontrolle in dem Kampfe gegen die
geschlechtlichen Krankheiten nicht die Rede sein kann, so darf die-
selbe wohl als eine ebenso unwürdige wie nutzlose Einrichtung be-
zeichnet werden, die in ihrer Einseitigkeit nur eine die Behörde
kompromittierende Vergewaltigung der Rechtlosen und Ausgestossenen
ist. Der Vorwurf aber, aus kurzsichtigen und engherzigen Motiven
eine angeblich im öffentlichen Interesse gelegene Institution zu be-
kämpfen, kann gerechterweise nicht gegen diejenigen erhoben werden,
welche erkennen, dass die unheilvolle Macht der Prostitution nicht
durch Polizeivorkehrungen, sondern einzig auf dem Wege sozialer
— 53 —
Reformen zu brechen sein wird. Der Allg. österr. Frauenverein
erlaubt sich daher, dem hohen Hause folgende Bitte zu unterbreiten :
1. Es möge a) in Ansehung der voranstehenden Grründe durch
Beschluss des hohen Hauses, die beabsichtigte Einführung von Bor-
dellen seitens der Polizei hintangehalten werden, und
b) den etwa schon bewilligten die Erlaubnis zur Weiterfiihrung
entzogen werden.
2. Es möge die bestehende sanitätspolizeiliche Kontrolle der
Prostituierten aufgehoben werden und
3. die Thätigkeit der Polizei ihrer Aufgabe gemäss darauf be-
schränkt werden, die Ausschreitungen und öffentlichen Skandale, die
mit der Prostitution verbunden sind, zu unterdrücken."
Diese Petition kam im Dezember 1894 im Abgeordnetenhauso
zur Beratung und gab zu einer lebhaften Debatte Anlass. Leider
wurde die Sitzung trotz der von Dr. Kronawetter erhobenen
Forderung, so wichtige Angelegenheiten öffentlich zu behandeln, für
eine vertrauliche erklärt, so dass über das Ergebnis der Beratung
nichts bekannt wurde. Gesetzlich sanktioniert wurden öffentliche
Häuser wohl seither nicht, aber einige werden schweigend geduldet.
Zu den grossen Aufgaben, die der Allg. österr. Frauenverein
noch in Angriff nahm, gehört in erster Reihe die im vorigen Jahr
stattgehabte Gründung einer Frauenrechtsschutzinstution, die sich gar
bald als Notwendigkeit herausstellte, denn schon im ersten Jahr
ihres Bestehens hatte die Institution und die Anwälte, die sich ihr
in grossmütiger Weise zur Verfügung gestellt hatten, in 216 Fällen
zu intervenieren und zwar gelang es in sehr vielen dieser Fälle, den
Benachteiligten zu ihrem Recht zu verhelfen, wenigstens insoweit,
als es die heutigen Gesetze zulassen. Aber auch bei diesem Unter-
nehmen, das doch gewiss auf die Sympathie aller Rechtlichdenkenden
Anspruch hat, stellten sich dem Verein grosse Schwierigkeiten
entgegen. Ein volles Jahr hindurch gelang es uns nicht, ein Amts-
lokal in einem öffentlichen Gebäude zu erhalten, so dass in einer
Privatwohnung amtiert werden musste. Die verschiedenen Bezirks-
vorsteher, die um die Ueberlassung eines Lokals in den Gemeinde-
häusern angegangen wurden, gaben vor, „die Streitsucht der Weiber"
nicht unterstützen zu wollen und es gelang lange nicht, ihnen
begreiflich zu machen, dass es ja nur die Aermsten und Gedrücktesten
seien, denen der Verein zu ihrem kärglichen Recht verhelfen wolle.
Nach einem Jahr endlich erhielten wir ein Lokal im Gemeindehaus
des X. Bezirkes.
Sodann beschäftigte sich der Verein eingehend mit der Dienst-
botenfrage. Es wurden zu diesem Zweck drei Versammlungen ab-
gehalten, bei denen Vorträge gehalten, eine Resolution gegen die
veraltete Dienstboteoordnung aus dem Jahre 1810 gefasst und zwei
Petitionen unterzeichnet wnirden, die eine an die Statthalterei um
Schaffung einer neuen Dienstbotenordnung, die andere an den Wiener
G^meinderat um Verstaatlichung der Dienstbotenvermittlung und
um Schaffung einer Altersversorgung für Dienstboten. Es scheint
kaum glaublich, dass auch diese Aktion zu Gunsten der Dienstboten
dem Allg. österr. Frauenvereine viele Anhängerinnen abwendig
gemacht hat. Die grosse Zahlder Hausfrauen ist leider unfähig,
— 54 —
in dieser Frage einen unbefangenen Standpunkt einzunehmen. Sie
fühlen sich sds Partei und empfinden alles, das zu Gunsten der
Dienstmädchen geschieht, als gegen sich selbst gerichtet.
Anlässlich des Erscheinens einer Brochüre von Hofrath Professor
Albert, die gegen weibliche Aerzte und das Studium der Medizin
weiblicher Studenten gerichtet war, hielt der Verein eineVersammlungab,
welche in eifriger Diskussion die Albert^schen Angriffe widerlegte
und in welcher der Beschluss gefasst wurde, eine Petition um Zu-
lassung der Frauen zum ärztlichen Beruf an das Abegordnetenhaus
zu richten und für diese Petition Massenunterschriften zu sammeln.
Einige Tage vor den letzten Gemeinderatswahlen, die die öffent-
liche Meinung so sehr beschäftigten, berief der Allg. öster. Frauen-
verein eine allgemeine Frauenversammlung ein, in der über die Auf-
gaben eines künftigen Gemeinderats referiert und die Frauen auf-
gefordert wurden zu den Wahlen selbständig Stellung zu nehmen.
In diesem Winter fand auch wieder eine grosse Wahlrechts-
versammlung statt, die aber von Frauen gemässigter Richtung aus-
ging und von deren Einberuferinnen nur das active Wahlrecht für
die Frauen gefordert wurde. Dem gegenüber trat eine Minorität
wieder für das allg. gl. und dir. aktive und passive Wahlrecht für
beide Geschlechter ein.
Eine bedeutsame Aktion, die von der ethischen Gesellschaft in
Wien angeregt wurde, an der sich aber auch der Allg. öster. Frauen-
verein beteiligte, war die Enquete über Frauenarbeit, die im März
und April dieses Jahres in Wien tagte.
Die Kommission dieser Enquete, auf die zurückzukommen ich
noch Gelegenheit haben werde, war aus Männern und Frauen aller
Parteirichtungen und Lebensstellungen zusammengesetzt, so dass ihre
Unparteilichkeit ausser Zweifel steht. Das Ergebnis dieser aus-
dauernden und gewissenhaften Arbeit war ein sehr trauriges, um so
trauriger, als sie uns ähnliche, wenn nicht die gleichen Verhältnisse
in allen Industrieländern vermuten lässt. Es waren fast nur Bilder
tiefen Elends, die sich den Augen der Kommission darboten. Wenn
trotzdem ein tröstlicher Gedanke in uns aufsteigen konnte, so war
es der, dass ein Klreis von angesehenen und verdienstvollen Männern
die Notwendigkeit erkannt hat, dem speziellen Frauenleid Aufmerk-
samkeit zu widmen, und dass endlich der tiefgewurzelte Glaube zu
leiden und immer nur zu leiden, sei des Weibes natürlicher Beruf,
zu wanken beginnt. Wir begrüssen dieses erwachende Verstehen
und Mitempfinden der Männer für Frauenleid als eine erste Er-
rungenschaft der noch in den Klinderschuhen wandelnden Frauen-
bewegung, aber wir glauben darum nicht, dass diese Bewegung
schon irgend Grosses erreicht hat im Verhältnis zu dem Uebermass
dessen, was ihre Aufgabe ist.
Dem Allgem. österr. Frauenverein ist es aber wenigstens ge-
lungen, eine verlässliche, wenn auch kleine Kerntruppe zu sammeln,
die bis jetzt die politischen Rechte der Frau wiederholt und nach-
drücklich reklamierte, die für höhere Studien der Frauen eingetreten
ist und die sich durch eine Rechtsschutz - Institution der durch
Einzelne Benachteiligten, sowie durch Agitation der durch die
gesamte Gesellschaft Ausgebeuteten, der Dienstboten, der Arbeite-
rinnen und auch der Prostituierten angenommen hat.
— 66 —
Aber noch schmachtet in Oesterreich, so wie in ganz Europa
das Weib unter dem alten Unrecht geschriebener und ungeschriebener
Gesetze, noch ist es in den seltensten Fällen überhaupt zum Be-
wusstsein seiner bedrängten und unwürdigen Lage gekommen.
Darum ist es heute die wichtigste Aufgabe der Frauenbewegung,
ihm dieses Bewusstsein zu erschliessen, der falschen Scham und
sittlichen Heuchelei in offenem Kampfe zu begegnen und die Frauen
aller Stände und Länder in einem grossen Streben zu vereinen.
Portugal.
Fräulein Luise Ey, Porto.
Hochgeehrte Anwesende!
Es kann nicht meine Absieht sein, Sie über eine ,, Frauen-
bewegung", einen Kampf der Frau um soziale Rechte zu unter-
halten, denn eine solche existiert in Portugal nicht. Die Frau hat
von jeher die Stellung acceptiert, welche ihr vom Manne, also durch
Geburt oder 'Heirat angewiesen wurde, und es ist stillschweigendes
Uebereinkommen, dass die Frau auch derjenigen Kreise, von denen
eine Frauenbewegung ausgehen könnte, dem männlichen Familien-
haupte völlig die Sorge um ihr Wohl überlässt.
Die Portugiesin fühlt sich hierbei durchaus zufrieden und ver-
langt nicht nach Selbständigkeit; ja sie steckt die dort ansässigen
Fremden mit dieser Zufriedenheit an; nur Vereinzelte unter den
Ausländem folgen der Frauenbewegung mit Interesse.
Der weibliche Teil der besseren Stände arbeitet in der Regel
nicht; selbst die Sorge um Hausstand, sowie Pflege und Erziehung
der Kinder pflegt man bezahlten Kräften zu überlassen. Die Portu-
giesin der arbeitenden Klasse ist wie die Spanierin eine unvoll-
kommene Handarbeiterin, sodass ihre Arbeit wenig geschätzt und
schlecht bezahlt wird.
Wie ich indes unter ersteren auch vorzügliche Hausfrauen
kennen gelernt, so habe ich unter letzteren stets der Leinen- und
Groldstickerei die grösste Bewunderung gezollt. In Stickereien kann
man nicht leicht etwas Vollkommeneres sehen, als was die Portu-
giesin aller Klassen leistet.
Die Frau aus dem Volke arbeitet verhältnismässig mehr als
der Mann, und unterzieht sich niederer Arbeit, wie dem Wasser-
und anderem Lasttragen, das der männliche Portugiese gern dem
verachteten „Galego" (Galizier) oder — der Frau überlässt. Da
ihr die industrielle Erziehung fehlt, ist sie genötigt, zu grober
schwerer Arbeit zu greifen, wo ihr der Mann überlegen ist; aber
selbst da, wo sie dasselbe oder mehr leistet, als der Mann, wie bei
der Weinlese, in Fabrik-, Feld- und Grubenarbeit, bei Handlanger-
diensten etc., rangiert ihre Arbeit im Preise mit der eines halbwüchsigen
Knaben.
Die Schneiderinnen sind unter den Frauen ohne Zweifel die-
jenigen, welche am besten bezahlt werden und am meisten zu thun
haben, obgleich sie viel weniger vollkommen arbeiten, als z. B. die
Wäscherinnen, die dabei äusserst billig sind.
Die Portugiesin der besseren Stände liebt es, sich gut und
— B6 —
nach der neuesten Mode zu kleiden ; und da, wo die Pariser Mode
zum Glück noch nicht die originellen Nationaltrachten verdrängt
hat, giebt es erst recht zu thun für die Nähterinnen, denn die
Frauen aus dem Volke tragen 12, 15 und mehr Unter- und Kleider-
röcke, die z. T. mit gehäkelten Spitzen verziert, so weit sind, dass
sie, ausgebreitet, einen vollkommenen Kreis bilden.
Eine andere Klasse der arbeitenden Frauen sind die Elementar-
lehrerinnen; höhere portugiesische Lehrerinnen gehören zu den Aus-
nahmen. Dieselben verdienen jedoch kaum genug, sich zu ernähren,
und sind zudem einer grossen Unptinktlichkeit in der Gehaltszahlung
ausgesetzt, wenn sie staatlich angestellt sind. Man kann sich des-
halb nicht wundern, wenn auch ihre Leistungen unvollkommen sind.
Am Webstuhl, beim Rohrtiechten etc. finden wir ebenfalls weibliche
Arbeiter ; auch werden diese Industrien neuerdings in philantropischen
Instituten methodisch gelehrt, wie z. B. in dem Convento da
Regeneragäo in Braga.
Eine andere der wenigen Industrieen, welche methodisch gelehrt
werden, ist die Anfertigung geklöppelter Spitzen, in Vianna do
Castello, Villa do Gonde und Peniche. Um diese Industrie hat sich
D*. Augusta Bordallo Pinheiro, die Schwester des durch seine
originellen Modellier-Kompositionen berühmten Künstlers, besondere
Verdienste erworben und sie zur Kunst erhoben. Auf einer unlängst
stattgehabten Ausstellung in Porto sah man Spitzen, wie Kragen,
Fächer, Taschentücher, Decken von hervorragender Schönheit und
hohem Wert. Aber auch diese Arbeit wird schlecht bezahlt; eine
Anfängerin verdient pro Tag 5 reis, d. i. etwa 2 Pf.; allerdings
fangen sie schon als ganz kleine Mädchen an.
Wenn ich nun zu der Frage übergehe, ob die Portugiesin
religiös ist, so möchte ich mit „Ja" und „Nein" antworten, je
nachdem, was man unter Religion versteht. Der Klerus hält das
Publikum in unverzeihlicher Unwissenheit, unterrichtet wohl über
Ritus und Form der Religion, aber nicht über Innerlichkeit und
Tiefe derselben, ja nicht einmal über Unterschied und Gleichheit
der Konfessionen. So ist es Sitte, dass wenn das Sakrament zu
einem Kranken durch die Strassen getragen wird, die Vorüber-
gehenden und selbst die Bewohner auf die Knie fallen, bis es vorüber
ist. Bei einer solchen Gelegenheit befand ich mich einmal bei einer
jungen Frau, meiner Schülerin. Sie kniete in der Fensternische
nieder, als das Messglöckchen ertönte, und ich neben ihr, da ich
meine, man soll überall, besonders im fremden Lande ehren, was
anderen heilig ist. Als sie sich wieder aufrichtete, fragte sie: „Sind
denn die Protestanten auch Christen?"
Der Marienkultus wird sehr gepflegt und es berührt sympathisch
trotz unserer protestantischen Ansichten, wenn man hört, wie ich
von einem früh verwaisten Mädchen hörte: „Es ist mir ein solcher
Trost, zur Jungfrau zu beten; mir ist, als wenn ich zu meiner
Mutter spreche, ich fühle mich dann so geborgen."
Unterricht und Kinder-Erziehung sind auf der ganzen iberischen
Halbinsel noch sehr zurück, aber in Portugal doch verhältnismässig
vorgeschrittener, als in Spanien.
Vor 40 — 50 Jahren wurde es als gefährlich erachtet, ein Mädchen
— 67 —
leisen und schreiben zu lehren, da es ja dadurch in den Stand ge-
setzt wurde, Liebesbriefe zu wechseln. Der Unterricht beschränkte
sich fast ausschliesslich auf Handarbeiten, auf welche auch heute
noch ein ungerechtfertigtes Gewicht gelegt wird.
Im Laufe der Zeit ist ein bemerkenswerter Fortschritt zu kon-
statieren : Der Elementar-Unterricht beginnt mit dem 6. oder 7. Lebens-
jahre und ist fttr Knaben und Mädchen derselbe. Die in der Schule
angewandte Methode ist jedoch mechanisch und gleichförmig und
richtet sich nicht nach den Fähigkeiten des Schülers, hat auch nicht
den Zweck, die Intelligenz desselben zu wecken uod zu eotwickeln,
«ondem beschränkt sich zumeist auf Gredächtnisiibung. Es ist sehr
^u beklagen, dass bei den sehr guten intellektuellen und manuellen
Anlagen der Portugiesin der Unterricht in den Mädchenschulen nicht
ein weiteres Feld umfasst und nicht mehr vertieft wird. Die Por-
tugiesin besitzt z. B. ein ausgesprochenes Sprachtalent und ein feines
Ohr für die Sprachnüancen. Und zwar habe ich dies nicht allein
bei den, fremde Sprachen methodisch erlernenden Klassen beobachtet,
sondern auch unter den Frauen aus dem Volke. Ein Mädchen z. B.,
das einige Jahre in einer deutschen Familie als Dienstbote fungiert
hatte, sprach durchaus fertig Deutsch und verstand Englisch infolge
seiner Sprachverwandtschaft mit dem Deutschen. Ich war geradezu
verblüfft von so schneller Aneignung einer fremden Sprache bei einer
Person, die ihre Muttersprache weder lesen noch schreiben konnte.
Bei sorgfältigem Unterricht lernt die Portugiesin die fremden
Laute schnell und rein nachsprechen und in kurzer Zeit in der
fremden Sprache zu konversieren; das bezeichnet aber auch neben
leidlichem Klavierspiel event. Gresang, und den erwähnten kunstvollen
Handarbeiten gewöhnlich Ziel und Ende des Unterrichts.
Geschichts- und Geographie-Unterricht ist höchst oberflächlich
und geht kaum über Portugal hinaus; Literatur wird in den
Mädchenschulen selten gelehrt.
Eine Schülerin, der ich für ihre Markensammlung einige deutsche
Marken gab, fragte mich naiv: „Wo liegt eigentlich Deutschland?"
Ich gegenfragte verblüfft, ob man ihr in der Schule nie von Deutsch-
land gesprochen? Und auf ihre verneinende Antwort, in Avelchem
Erdteil sie es wohl vermute? „Da Sie zu Lande hinreisen können,"
erwiderte sie, „glaube ich, dass es in Europa liegt; aber wir haben
jschon Europa in der Schule besprochen, und da haben wir gehabt:
Bussland, Frankreich, Italien, Preussen, Bayern, Sachsen etc., aber
von Deutschland habe ich nichts gehört."
Welch beissende Satyre wären diese naiven Worte gewesen
vor dem 18. Januar 1871 und wie geisselte das sonst intelligente
Mädchen in ihrer Unkenntnis den an ihr verbrochenen Unterricht.
Auch darüber, dass das Betlehem der heil. Geschichte nicht identisch
ist mit dem durch seine Hieronymus-Kirche berühmten Betlehem bei
Lissabon, werden die Kinder gewönlich in Unkenntniss gehalten. —
Von dieser Nonchalance werden leider oftmals auch die ausländischen
Lehrer angesteckt. So bemerkte mir einmal eine deutsche Kollegin
nach einer recht mittelmässigen Geographiestunde, der ich beigewohnt :
„Sie müssen nicht glauben, dass ich in Deutschland solch eine
Stande geben würde, aber hier genügt das völlig."
- 68 —
Fast schmerzhaft berührt von einer solchen Versündigung an
den Schülerinnen und dem deutschen Lehrerstand, suchte ich diesen
Fehler durch verschärften Eifer gut zu machen. Durch die in der
Folge überraschenden Leistungen und das beinahe leidenschaftliche
Interesse der jungen Mädchen am Geographie-Unterricht wurde meine
Mühe überreich belohnt. Ueberhaupt kann ich mich über die zahl-
reichen und oft langjährigen Schülerinnen, welche ich während
meines dreizehnjährigen Wirkens in Portugal in Schulen und privatim
unterrichtete, nur anerkennend und dankbar äussern. Ich habe mit
wahrer Freude und oft über Erwarten grossem Erfolg gearbeitet.
Sobald die ihnen innewohnende Indolenz überwunden war, brauchte
ich sie nicht mehr anzufeuern. Ja, es ist vorgekommen, dass ich
allzueifrige, die ich zu später Nacht- oder allzufrüher Morgenstunde
über den Büchern fand, zurückhalten musste.
Ihre Unwissenheit ist also nicht der Portugiesin, sondern ihren
Lehrern zuzuschreiben.
„Gute Lehrerinnen", sagt Rodriguez deFreitas in seinem Essay
über die Frauenfrage in Portugal, „sind ganz selten, und die Schul-
häuser, mit Ausnahme solcher in grossen Städten, sehr schlecht.** —
Portugal besitzt 2 Lehrerinnen-Seminare, eins in Lissabon, und seit
1882 ein anderes in Porto. Ende der 80 er Jahre gab es 320 öflfent-
liche Elementar-Mädchen-Schulen, die von den Azoren und Madeira
mit eingerechnet. Von den 820 Lehrerinnen waren nur 43 auf dem
Seminar in Lissabon, dem damals einzigen, vorbereitet. Die Volks-
zählung von 1878 offenbarte die beklagenswerte Unwissenheit der
portugiesischen Frauenbevölkerung, die sich auf 2,374,870 Köpfe
belief, von denen nur 254,369 lesen und schreiben konnten, während
2,120,501 weder das eine, noch das andere verstanden.
Wiederholt ist in der Kammer die Errichtung von Mädchen-
Mittelschulen beantragt und diskutiert worden; vor wenigen Jahren
wurde ein Mädchen-Lyceum in bestimmte Aussicht gestellt. In
offiziösen Kreisen bezeichnete man schon die Vorsteherin in der
Person der Frau 0. Michaelis de VasconceUos, Dr. phil., unter deren
Leitung der weibliche Unterricht ohne Zweifel einen bedeutenden
Aufschwung genommen hätte. Man wusste schon die Höhe der
Dotation der verschiedenen Aemter, und damit — verlief die Sache
im Sande.
Es existieren jedoch eine Anzahl Privatschulßn, welche besser
situierte Eltern von ihren Töchtern besuchen lassen, und wo die-
selben befähigt werden, sich den öffentlichen Examina für Knaben-
lyceen zu unterziehen und dieselben gut, nicht selten mit Aus-
zeichnung bestehen. Da nach dem Art. 72 des Gesetzes vom
14. Juni 1880 über höheren Unterricht, weibl. Studierende, welche
die Staatsschulen besuchen oder das Examen dieser Schulen be-
stehen, in die Verordnungen dieses Gesetzes treten, d. h. derselben
Privilegien teilhaftig werden, wie männliche Studierende, so benutzen
viele junge Mädchen die Gelegenheit, sich dem Lyceumsexamen zu
unterziehen.
Auf dem Konservatorium in Lissabon werden natürlich auch
weibliche Studierende zugelassen, wie auch auf den Kunstaikademien
und den Medizinschulen Lissabons und Portos.
— 69 -
Während in Spanien das Studium der Skulptur den Frauen
verschlossen ist, liess z. B. die Akademie in Porto mich als erste
Studierende ohne weiteres zu.
Lange Zeit war ich die einzige, seitdem aber haben schon
mehrere Interesse gefunden an einer Kunst, in der hohe Damen,
wie die Herzogin von Palmella, ja die Königin selbst bemerkens-
wertes leisten.
Auch zum medizinischen Studium werden die Frauen seit etwa
einem Jahrzehnt zugelassen, und das Land hat neben vielen studierten
Geburtshelferinnen eine Anzahl weiblicher Aerzte (in Porto u. a.
4 Schwestern). Im Postwesen verzeichnet man ausser verschiedenen
subalternen Beamtinnen bereits einen Postchef.
Wie indess Hypolite Carnot sagt: „Le plus bei eloge que Ton
ait pu faire quelquefois des etablissements oü nos fils sont eleves,
est celui-ci: ils forment des hommes. J^espere qu^un jour, quand
nos lycees de jeunes filles viendront completer Teducation de la
famille, on pourra dire egalement qu'ils forment des femmes."
Der Notschrei, nicht nach gelehrten Frauen, sondern nach denk-
ßlhigen Gattinnen und erziehungsfähigen Müttern wird immer
dringender in Portugal.
„Uns für das Leben vorbereiten, das ist Ziel und Zweck der
Erziehung", sagt Spencer, und die einzige rationelle Manier, ein Er-
ziehungssystem zu beurteilen, ist zu wissen, in wie weit es diesen
Zweck erfüllt.
Bei der auf der Halbinsel herrschenden Sitte, das kaum der
Schule entwachsene Mädchen zu verheiraten, entstehen die schlimmsten
Folgen für das junge Geschlecht, dessen Eltern, selbst noch so sehr
der Erziehung bedürftig, auf die grössten Schwierigkeiten stossen.
Da rufen nun vermögende Familien deutsche Erzieherinnen, weil dort
jeder Deutsche für einen geborenen Pädagogen gilt. Und da muss
ich nun leider hinzusetzen, dass manche dortige Kollegin sich recht
wenig bemüht, dies unbedingte Vertrauen um ihrer selbst, um der
Klasse unti um der Nation willen, der sie angehört, geschweige aus
Pflicht und Dankbarkeit, zu verdienen. Ich habe zu meinem Be-
dauern unter ihnen viel Taktlosigkeit, viel Undankbarkeit gegen das
gastfreie Land gefunden, viel „finding fault" mit den Sitten und
Gebräuchen, den staatlichen Institutionen, mit den Speisen, den
Betten, der häuslichen Einrichtung, der Lebensweise, viel Unnach-
sichtigkeit gegen die unverschuldete Unwissenheit der Zöglinge und
ihrer Mütter, und ein ungescheutes Aussprechen über alles dies;
ein unkluges Verachten der öfifentlichen Meinung, ein stetes Vergleichen
der portugiesischen Zustände zu gunsten der deutschen, und ein
völliges Uebersehen oder selbstverständliches Hinnehmen der entgegen-
gebrachten Freundlichkeit und Rücksicht, durch welche die Portu-
giesen sich auszeichnen.
Und ich möchte an dieser Stelle meinen Kolleginnen im deutschen
Lande die Warnung zurufen: „Geht nicht nach Portugal, wenn Ihr
glaubt, Ihr findet dieselben geregelten Zustände, dasselbe Unter-
richtetsein, denselben Speisezettel, denselben wohlgeheizten Ofen!
Geht nicht nach Portugal, wenn Ihr nicht gerecht werden wollt
dem fremden Naturell, den fremden Sitten und Gewohnheiten! Wenn
- 60 —
Ihr aber geht, respektiert die öffentliche Meinung, schont die
Empfindlichkeit derjenigen, welche Euch gerufen, ihre Kinder zu er-
ziehen und nicht, dieselben ihr Land und ihre Landsleute verachten
zu lehren.
Wenn auch der Portugiese still und liebenswürdig anhört, was
ein Deutscher mit Protest zurückweisen würde, so geschieht das
nicht, weil es weniger empfunden wird, sondern weil es den Portu-
giesen aller Stände schwer wird, rücksichtslos und unartig zu
werden. Wenn man seine Sinne nicht willentlich verschliesst, wird
man viel Schönes in der Natur, viel Liebenswürdiges in den
Menschen, viel Interessantes in de^n Gebräuchen, viel Ansprechendes
in der Litteratur und vorzugsweise in der Volkspoesie finden, sowie
auch viel Wohlschmeckendes auf den Speisezetteln.
Noch viel bittere Wahrheiten, aber auch viel Gutes noch
könnte ich sagen, erstere mit Bedauern, letzteres mit aufrichtiger
Freude, beides mit dem Freimut, welchen mir die Pflicht und die
Freundschaft diktiert für das liebenswürdige Lusitanien, den „am
Meeresgestade gepflanzten Garten Europas."
Russland.
Frl. Anna von Schabanow, Dr. med., Petersburg, Vorsitzende des
von ihr vertretenen Vereins: Societe des Femmes russes.
Hochverehrte Versammlung! Ich bedaure lebhaft, dass ich mit
der deutschen Sprache zu Avenig vertraut bin, um allen den Gefühlen
Ausdruck zu geben, welche in mir die Idee eines internationalen
Frauenkongresses erregt, der sämtliche Vorkämpferinnen der Frauen-
bewegung zu gegenseitiger Annäherung und zum allgemeinen Wohl
vereinigt. Auf den Ruf der deutschen Frauen antworteten die
Frauen aller Kultur-Länder, denen wir die Förderung der Frauen-
emaneipation verdanken. Das leuchtende Beispiel dieser unermüdlichen
und kühnen Vorkämpferinnen diente als Leitstern auf dem domigen
Pfade des Ringens um Freiheit und Bildung.
Die durch die soziale Reform in Russland vor einigen
Jahrzehnten hervorgerufene Frauenbewegung Avächst und gedeiht
und ebnet neue Bahnen für die Entwickelung und Thätigkeit
der Frau. Diese Bewegung bestand hauptsächlich in dem Streben,
eine höhere Bildung, weitere Rechte und eine grössere Selbst-
ständigkeit zu erlangen. Das Ergebnis dieses Strebens äusserte
sich in der Entstehung medizinischer Kurse, denen Russland
die Aerztinnen verdankt, in der Eröflfhunfir akademischer und pä-
dagogischer Frauenkurse, der Entwicklung professioneller Frauen-
arbeit, der Zulassung zum Staatsdienst und in der allgemeinen Er-
höhung der Frau als selbständiges Individuum. Ebenfalls durch
die Initiative der Frauen AAiirden verschiedene Wohlthätigkeitsvereine
organisiert, wie der Verein für arme Frauen, für Verschaffung billiger
Wohnungen, der Schutzverein für arme, schwache und chronisch
kranke Kinder, die Kinderbe wahranstalten, der Unterstützungsverein
für Lehrerinnen und Erzieherinnen, der Fröbel-Verein, der Unter-
stützungsverein für Frauen, welche die akademischen Kurse absolviert
haben und noch andere Vereinigungen. Aber bis jetzt wirkten die
— 61 —
auf verschiedenen Gebieten einem Ziele zustrebenden Frauen ver-
einzelt. Das Bedürfnis, die Kräfte zu vereinigen, einen Mittelpunkt
für ihre Entwickelung und vereinigte Thätigkeit zu schaffen, erweckte
den G^edanken, den Frauenverein ins Leben zu rufen.
In Petersburg wurde vor einem Jahre, dank der rastlosen An-
strengung einiger Frauen, die Erlaubnis zur Eröffnung eines
Frauen Vereins erlangt. Der auf diese Weise ins Leben gerufene
Verein hat den Zweck, die geistige und sittliche Entwickelung der
Frau zu fördern. Ich kann von der Thätigkeit unseres Vereins
noch nicht viel sagen, seine Existenz ist von kurzer Dauer und
äussert sich in gegenseitiger materieller und geistiger Unterstützung.
Zu diesem Zwecke veranstaltet der Verein, der bereits eine ziemlich
reiche Bibliothek besitzt, in seinem wohleingerichteten Heim
musikalische und litterarische Gresellschaftsabende, Vorlesungen über
Gresundheitspflege und selbständige Vorträge, welche verschiedene
Themata zum Gegenstand haben. Auch wird daselbst in fremden
Sprachen, Buchhaltung und Handarbeit unterrichtet. Der Verein
besitzt überdies ein Bureau, welches für entsprechende Anstellung
seiner Mitglieder zu sorgen hat. Alles das sind nur die bescheidenen
Anfänge eines jungen Vereins, dessen weitere Entwickelung hoffentlich
Gelegenheit geben wird, über seine Erfolge zu berichten. Aber zur
Beleuchtung der Frauenbewegung in Russland kann ich nicht ver-
schweigen, dass der von 30 Frauen eröffnete Verein zu Ende des
Jahres 1000 Mitglieder aus verschiedenen Schichten der Gesellschaft
zählt; und nach dem Beispiele der Hauptstadt besteht das Bestreben,
in anderen Städten eben solche Vereine zu gründen.
Wir russischen Frauen freuen uns, an der allgemeinen Frauen-
bewegung zur Erreichung der höheren Ziele der Menschheit teil-
zunehmen. Wie verschieden auch die Gesetze, Sitten und Gebräuche
der Staaten, denen wir angehören, sein mögen, so ist der gegen-
wärtige Kongress ein glänzender Beweis dafür, dass nur ein Gedanke
Alle begeistert, der Gedanke der Einigung der Frauen, der uns zu
Mitgliedern einer Gemeinschaft, zu Schwestern einer grossen
Familie macht.
Schweden.
Fräulein Lotten Dahigren, Stockholm, Delegierte des Fredrika
Bremer Bundes.
Von der Direktion des Fredrika-Bremer-Bundes in Stockholm
bin ich ausersehen worden, hier bei diesem Kongress als Abgesandte
zu erscheinen. Ich bitte hiermit, das warme Interesse des Bundes
ftr diesen Kongress und seine Bestrebungen aussprechen und seiner
Freude darüber Ausdruck geben zu dürfen, dass er durch mich, als der
Delegierten, Gelegenheit hat, in unmittelbare Verbindung mit den-
jeijigen zu treten, welche für den Fortschritt der Frauenfrage in
Deutschland arbeiten.
Schweden wird seit urdenklichen Zeiten von Germanen skandi-
navischen Stammes bewohnt. Seine Geschichte hat eine gleich-
massige und sichere Entwickelung aufzuweisen. Neue Verordnungen
und Gesetze haben im allgemeinen keine Umwälzungen herbei-
i!
r
•1
1
— 62 —
geführt. Manchmal haben sie nur die Oberfläche berührt, und an
Sitten und Gebräuchen hat sich nur langsam und spät eine Ver-
änderung vollzogen. Infolge der abgesonderten geographischen Lage
des Landes hat es oft lange gedauert, ehe Europas Kulturströmungen
das schwedische Volk erreichten, und erst ums Jahr 1000 reiht
dieses sich den christlichen Nationen Europas an.
Diese Verhältnisse bestimmen auch durch alle Jahrhunderte
hindurch die soziale und rechtliche Stellung der Frau in Schweden.
Der Charakter und die soziale Stellung der nordischen Frau
in den ältesten Zeiten lassen sich ganz gut nach den alten nordischen
Sagen bestimmen.
Der Frau fiel die Versorgung von Haus und Hof zu. In ihrem
hausmütterlichen Amte erfreute sie sich grosser Selbständigkeit.
Kinder und Diener sollten ihren Befehlen gehorchen. Das Sinnbild
ihrer hausmütterlichen Mündigkeit waren die Schlüssel, welche
der Braut überliefert wurden und der Hausfrau oft ins G-rab
mitfolgten.
Die rechtliche Stellung der schwedischen Frau in der spät-
heidnischen Zeit und während des Mittelalters war in vielen Punkten
mit der anderer germanischer Frauen gleich.
Die Unterschiede, welche bestanden, beruhten darauf, dass sich
in Schweden christliche und römische Rechtsbegriffe später geltend
machten, als es anderwärts der Fall war. Die Rechtsentwickelung
hat sich in Schweden, wie vorhin schon angedeutet wurde, haupt-
sächlich in der Weise vollzogen, dass man auf altem Grunde auf-
baute und einen vollständigen Wechsel im Rechtssystem nicht ein-
treten liess. Jedoch weist das eine Jahrhundert nach dem anderen
sowohl in Gesetz wie Sitte Veränderungen zu Gunsten der
Frauen auf.
Vom Jahre 1300 an hat sich ein Frauenname durch die Jahr-
hunderte erhalten — der Name Birgitta Birgersdotter. Diese her-
vorragende Frau, welche von der katholischen Kirche unter dem
Namen der heiligen Birgitta heilig gesprochen wurde, griff tief in
das kirchliche und soziale Leben des Mittelalters ein. Sie legte
Erlöster an, stiftete einen neuen bemerkenswerten Orden, den Bir-
gittinerorden, und trug in hohem Grade zur Entwickelung der Kirche
in Schweden bei.
Im 14 Jahrhundert wurden Gesetze aufgestellt, dass der ver-
heirateten Frau die Hälfte des den Eheleuten gemeinsamen Eigen-
tumes zukommen sollte, und dass Schwester und Bruder zu gleichen
Teilen erben sollten. Im 16. Jahrhundert vm'kte die Reformation
stark auf die Anschauungsweise des schwedischen Volkes ein, und
die Frauen Schwedens folgten der allgemeinen Bewegung.
Luther und seine Anhänger in Schweden traten kräftig gegen
die asketische Richtung innerhalb der katholischen Kirche, welche
in der Frau ein Hindernis für das sittliche Leben sah, auf, und
betonten anstatt dessen, dass die Frau dem Manne eine notwendige
Hülfe sei
Der Bildungsgrad der schwedischen Adelsdamen war im all-
— 63 —
gemeinen keineswegs hoch. Doch muss man festhalten, dass er nie-
mals so tief sank, wie die Frauenbildung in katholischen Ländern,
als in diesen die Strömungen der Renaissance nachgelassen hatten
— und dies Dank der lutherischen Priesterschaft, welche sich
eifrig um die religiöse Bildung beider Geschlechter und aller Ge-
sellschaftsklassen bemühte. Nach und nach wurden im 17. Jahr-
hundert für das gemeine Volk Massregeln getroffen zur Beförderung
der Kunst des Lesens, und diese kamen der weiblichen wie der männ-
lichen Bevölkerung zu gute.
Doch mussten in dieser Zeit die aus Büchern zu schöpfenden
Kenntnisse und die Ausbildung der Talente hinter den praktischen
Anforderungen zurückstehen.
Viele schwedische Frauen widmeten sich zu dieser Zeit, weil
die Männer unaufhörlich mit den zahlreichen Kriegen zu thun
hatten, in die Schweden verwickelt war, mit Eifer und Geschick-
lichkeit dem Landbau, wie geschäftlichen Betrieben. Sie handelten,
verkauften, kauften, bauten, begründeten neue Industriezweige und
so weiter.
Das politische Leben aber, an welchem im 18. Jahrhundert die
Frauen vielerorts teilnahmen, blieb ihnen in Schweden gewöhnlich
fremd. Dagegen nahmen einen bedeutenden Platz in der schwedischen
Litteratur ein: die beiden Dichterinnen Hedvig Charlotta Norden-
flycht (f 1763) und Anna Maria Lenngren (f 1817), von welchen
die letztgenannte zu Schwedens besten und gelesensten Schrift-
steilem gehört.
Die Beschränkung der Arbeitsphäre und des Einflusses der
Frau, welche bei den höchsten Klassen schon im 18. Jahrhundert
eintritt, dringt in anderen Jahrhunderten immer weiter nach unten
vor. Die bedeutende Entwicklung von Industrie und Handel haben
der Frau in Schweden wie überall sonst einen grossen Teil ihrer
Arbeit innerhalb des Hauses geraubt und sie auf Arbeitsgebiete ge-
drängt, welche ihr sonst fremd waren. Damit sie unter diesen ver-
änderten Verhältnissen im Kampfe ums Dasein nicht unterliegen
möge, hat man in ihrem Interesse Ansprüche erhoben auf eine
höhere Ausbildung, grössere persönliche Freiheit und Aenderung
der Gesetze, und damit stehen wir vor der Frauenemancipation
unserer Tage.
Unter den ersten Vorkämpfern für diese Ideen in xmserem
Jahrhunderte steht in Schweden der Philosoph und Geschichts-
schreiber Erik Gustav Geijer (f 1847), dessen Aussprüche noch bis
auf den heutigen Tag als leitende Grundgedanken der Frauenfrage
gelten können, zum Beispiel der, „dass die Entwicklung desBechts-
wesens Hand in Hand gehen sollte mit der Anerkennung der Frau,
dass es ungereimt sei, gerade diejenigen in einem Zustande bürger-
licher Unmündigkeit zu erhalten, welche die Bürger zur Mündigkeit
erziehen sollen, dass der Frau politische Rechte nicht abgesprochen
werden können, wenn sie auch aus eigenem freien Willen von dem
Gebrauche derselben abstehen kann, um sich höheren Aufgaben zu-
zuwenden" u. a. m.
Aber als erste unter denen, welche für die Freimachung der
Frau in Schweden gearbeitet haben, steht doch die durch ihre
— 64 —
Romane in allen Ländern bekannte Schriftstellerin Fredrika Bremer
da. Ihr sittlicher Ernst und das sie auszeichnende tiefe Gefühl für
die Bedeutung der Persönlichkeit und der Familie, haben auch
späteren Bestrebungen die Stellung der schwedischen Frau zu ver-
bessern, ihren Charakter verliehen.
Fredrika Bremer hatte durch Umgang mit hervorragenden Per-
sönlichkeiten und durch Reisen in der neuen Welt ihre Lebens-
anschauung erweitert. Besonders hatte sie tieferen Einblick ge-
wonnen in die Stellung der Frau, so wie sie war und so wie sie
sein sollte. Obwohl Fredrika Bremer dieses Thema schon in ihren
jfrüheren Schriften berührt hatte, spricht sie ihre Ansichten darüber
doch erst vollständig in „Hertha" aus (1856), einer Novelle, in
welcher das ästhetische Gefühl vor den reformatorischen Tendenzen
in den Hintergrund tritt. Diese Arbeit rief von Seiten der Presse
eine scharfe Kritik hervor.
und als sie zehn Jahre später starb, war das meiste von dem,
was sie in „Hertha" als Bedingung für die zukünftige Freimachung
der Frau aufgestellt hatte, erfüllt.
Ein paar Jahre nach der Herausgabe „Herthas" begann die
Baronin Sophie Adlersparre die „Zeitschrift fürs Heim" heraus-
zugeben, die ersten Jahre zusammen mit Frau Rosalie von Olive-
crona, und wenn wir in Schweden anerkennen müssen, dass die in
der Frauenfrage gewonnenen Fortschritte ohne erheblichen Streit
errungen wurden, und dass der Streit, welcher besonders in den
siebziger bis achtziger Jahren stattfand, reiche Frucht getragen hat,
so dürfen wir dies hauptsächlich dem Umstände zuschreiben,
dass die Frauenfrage in Schweden so frühzeitig ein eigenes Organ
besass.
Von glücklicher Bedeutung für den Fortschritt der Frauen-
frage in Schweden ist es, dass eine Verbesserung der Stellung der
Frauen bei allen Parteien lebhafte Unterstützung fand. Sie hat
Anhänger sowohl in der konservativen, wie liberalen Partei gehabt,
und hat sie noch. Vielleicht bewirkt gerade der Umstand, dass die
Frauenfrage niemals von einer bestimmten politischen Partei ge-
tragen wurde und also niemals eine Parteifrage ausmachte, dass die
Arbeit bei uns so ruhig und stetig vorangeschritten ist.
Die Frauenfrage gewann auf dem Gebiete der Gesetzgebung
ihre grössten Zugeständnisse in den achtzehnhundertsechziger bis
siebziger Jahren, und die letzten Jahrzehnte sind hauptsächlich dazu
angewandt worden, das Interesse der Frauen für Nutzanwendung
der Rechte, welche sie besitzen, zu wecken; denn in Schweden
wurden die Gesetze zu Gunsten der Frauen früher gestiftet, als
die Frau zum Bewusstsein der Notwendigkeit und des Wertes der-
selben erwacht war. Das Gesetz ging hier also der Sitte voraus.
Wir wollen im folgenden einen kurzen Umblick halten, welche
Rechte die Frau in Schweden schon erhalten hat, und was noch zu .
gewinnen für sie von Wichtigkeit ist.
So erhielt die schwedische Frau im Jahre 1869 die Berech-
tigung das Abiturienten-Examen, das sogenannte „Studentexamen",
abzulegen, und im Jahre 1871 gewährte man ihr die Zulassung zu
allen Universitätsexamina, ausser dem theologischen.
— 66 —
Die Frauen studieren an den Universitäten mit den Männern
zusammen und mit ganz gleichen Rechten. Sie hören die Vor-
lesungen zusammen an, sezieren zusammen, arbeiten zusammen im
Laboratorium für die medizinischen Studien; und in den Vereinen,
welche innerhalb des Studentenkorps gebildet werden, hört man
weibliche Studierende historische oder andere Vorträge halten und
an den Diskussionen in gleicher Weise teilnehmen wie die männ-
lichen. Sie werden auch zu Vertrauensämtern innerhalb der stu-
dentischen Vereine gewählt, und alles deutet auf das beste Ver-
hältnis, zwischen männlichen und weiblichen Studenten an unseren
Universitäten hin. Die Lehrer stellen auch die besten Zeugnisse
darüber aus. Man zählt gegenwärtig mehrere hundert Frauen,
welche das „Studentexamen** abgelegt haben. Eine Frau hat den
Grad eines Doktors der Philosophie erworben (Fräulein Ellen Fries),
wozu an der Universität Upsala ein Studium von wenigstens fünf
bis sechs Jahren nötig ist. Drei Frauen haben das med. licent.
Examen abgelegt, welches sieben bis acht Studienjahre erfordert.
Eine Frau hat das Juriskandidat-Examen abgelegt (Fräulein Elsa
Eschelson). Sie kann Advokat werden, darf aber nicht das Richter-
amt ausüben.
Was den Schulunterricht anbetrifft, so sind die höheren Lehr-
anstalten für Mädchen — bis auf eine Ausnahme — nicht staatlich,
sondern privat und werden nur durch Staatszuschuss unterstützt.
Die vom Staate errichteten und unterhaltenen höheren Lehranstalten
aber sind nur Knaben zugänglich. Mehrere gemeinsame oder ge-
mischte Schulen (für Knaben und Mädchen zusammen), welche aus
privatem Antriebe hervorgegangen sind, haben sehr glückliche Er-
folge aufzuweisen. Die gemeinsame Schule ist für Schweden keine
eigentliche Neuheit, da das Qemeinsamkeitssystem überall in den
Volksschulen angewandt wird.
Die Mehrzahl der Lehrerinnen für höhere Töchterschulen sind an
dem in Stockholm vom Staate errichteten höheren Lehrerinnen-Seminar
ausgebildet worden; die Lehrerinnen für die Volksschulen werden
an zu diesem Zwecke besonders errichteten Seminarien ausgebildet.
Die Kunstakademie (seit 1866), das Musikkonservatorium (seit
1856) und die meisten ünterrichtsanstalten sind den Frauen ge-
öffnet; so auch das Gymnastische Centralinstitut in Stockholm (seit
1864), welches „Gymnasten** d. h.: Turnlehrer und Heil- oder
Krankengymnasten ausbildet. 33 % der Schüler sind dort Frauen.
Die Frau in Schweden hat das Recht, in derselben Weise wie
der Mann eine geschäftliche Thätigkeit auszuüben, und ein Teil der
Arbeit bei den Behörden, auf der Post und dem Telegraphenwerke
und in anderen Aemtern sind seit den sechziger Jahren für sie zu-
gänglich. Viele Frauen haben sich der Krankenpflege gewidmet,
welche Dank dem Interesse, welches Ihre Majestät die Königin
Sophie derselben zuwandte, eine recht hohe Entwickelung erfahren
hat, und nicht genug kann die umfassende Wirksamkeit der
schwedischen Frau im Dienste der Philantropie gepriesen werden.
Zahlreich finden wir die Frauen in Banken, Versicherungs-Gesell-
schatten und Kontoren beschäftigt, so auch auf dem Telephonanite,
— 66 —
^vo die ganze Expedition in den Händen von Frauen liegt. Die
schwedische Gesetzgebung ist für die Frauen gegenwärtig günstiger,
als die mancher anderen Länder.
Wir wollen hier nicht auf Einzelheiten eingehen, welche für
die Mehrzahl Fremder schwer zu verstehen sind. Wir wollen uns
darauf beschränken, einige allgemeine Thatsachen anzuführen.
Innerhalb der letzten fünfzig Jahre hat die Frau das Recht
erhalten, unter denselben Bedingungen wie der Mann zu erben,
Zeuge zu sein und Vormundschaft auszuüben.
Die Frau ist in demselben Alter mündig wie der' Mann, nämlich
mit einundzwanzig Jahren. Witwen sind immer mündig gewesen.
Verheiratete Frauen sind dagegen der Bevormundung ihres Mannes
unterstellt.
Diese Frage ist sehr eng mit der Frage betreffend das Recht
des Ehemannes über den Besitz der Ehefrau verbunden, in welcher
Sache in den letzten Jahren wenig erreicht wurde. Doch erhielt
die Frau durch Gesetz vom Jahre 1874 Verfügungsrecht über ihren
eigenen Arbeitsverdienst; und durch einen Ehe vertrag, welcher vor
der Trauung eingegangen wird, kann die Frau sich das Recht zu-
sichern, ihr Eigentum selbst zu verwalten.
Die Frage betreffs der politischen Rechte der Frau ist seit
mehreren Jahren in Schweden erörtert worden, aber bis jetzt hat
man weniger Kraft darauf verwandt, der Frau diese neuen Rechte
verschaffen zu helfen, als vielmehr darauf, Interesse und Kenntnis
bezüglich der Rechte zu verbreiten, welche sie schon besitzt. Den
schwedischen Frauen steht in politischer Hinsicht schon viel mehr zu
Gebote, als den meisten anderen Frauen Europas. Sie haben, wenn
sie mündig sind, das Recht, die Stadtverordneten zu wählen, und
da die Stadtverordneten die Reichstagsabgeordneten der ersten
Kammer wählen, so haben die Frauen indirekten Einfluss auf diese
Wahlen. Die Frauen sind seit 1885 wählbar als Mitglieder der
Aufsichtsbehörden über Schulen und Armenpflege.
Zwei Vereine haben sich in Schweden die Verbesserang der
Stellung der Frau zur Aufgabe gemacht, der „Verein zur
Förderung des Eigentumsrechtes verheirateter Frauen" und der
„Fredrika-Bremer- Verband". Der älteste, 1873 begründete, ist der
„Verein zur Förderung des Eigentumsrechtes verheirateter Frauen".
Zweck des Vereines ist, in erster Linie in solcher Weise für
Aenderungen des schwedischen Reichs-Gesetzes zu arbeiten, dass
der verheirateten Frau das Recht zuerkannt werde, über das
Eigentum zu verfügen, welches sie vor oder nach dem Eintritt in
die Ehe geerbt oder erworben hat. Sodann will der Verein auch
solche gesetzliche, oder andere von öffentlichen Behörden abhängige
Einrichtungen befördern, welche dazu beitragen können, die Stellung
der Frau in der bürgerlichenlGesellschaft im allgemeinen zu verbessern."
Der Verein hat durch Diskussionen in Versammlungen und
durch Streitschriften für sein Ziel zu wirken gesucht, während gleich-
zeitig Mitglieder aus der Direktion oder andere vom Verein beauf-
tragte Personen Eingaben an den Reichstag bewerkstelligt haben.
Der Verein hat auch eine Menge anderer Bewegungen kräftig unter-
stützt, die man als zum Gebiet seiner Wirksamkeit gehörig be-
— 67 -
trachten konnte. Unter den Fragen, für welcha der Verein, ausser
denen, welche unmittelbar zu seinem Programm gehörten, gewirkt
hat, mögen genannt werden:
Dass die Frauen mehr als bisher sich ihres kommunalen Stimm-
rechtes bedienen;
Bass die Frauen in den Aufsichtsrat für Schulen und Armenpflege
gewählt werden mögen;
Dass Knaben und Mädchen gemeinsamer Unterricht erteilt werde.
Dieser Verein ist übrigens im vorigen Jahre in den Fredrika-
Bremer-Bund eingetreten, der ein Komitee für Rechtsfragen ein-
gesetzt hat, welches für dasselbe Ziel arbeitet, wie vorher der
„Verein zur Förderung des Eigentumsrechtes verheirateter Frauen".
Der Fredrika-Bremer-Bund wurde 1884 auf Veranlassung
der vorher schon genannten Baronin Adlersparre gegründet, welche
mit nie erlahmendem Interesse der Entwickelung der Frauenfrage in
Schweden folgte und erkannte, dass diese Bewegung, falls sie be-
stehen bleiben und sich als wirksam erweisen sollte, von einem
Verein in die Hand genommen werden müsse.
Der leitende Grundgedanke des Bundes ist, durch kräftiges Zu-
sammenwirken erfahrener Frauen und Männer und in so weiten
Kreisen unseres Landes wie möglich für eine gesunde und ruhige
Entwickelung der Arbeit zu wirken, welche die Hebung der Frau
in moralischer und intellektueller Beziehung sowohl wie in sozialer
und ökonomischer Hinsicht erstrebt. Der Verein hat jetzt ungefähr
1600 Mitglieder und seine Arbeit wird von sechzehn verschiedenen
Direktionen und Komitees geleitet. Siebenundvierzig Bevollmächtigte
suchen in den verschiedenen Teilen des Landes Kenntnis über die
Wirksamkeit des Vereins zu verbreiten.
Für seine wichtigste Sorge hat es der Bund von Anfang an
gehalten, gebildeten Frauen, welche von ihrer eigenen Arbeit leben,
in der Weise beizustehen, dass sie auch während Krankheitsfällen
sich selber versorgen können, und hat darum eine Krankenkasse
eingerichtet, welche mit grossem Erfolg gearbeitet hat.
Einen anderen Schritt vorwärts that der Bund durch Ein-
setzung eines Komitees zum Einsammeln von Geldern für Stipendien-
fonds, welche nicht nur zur Austeilung von Studienstipendien vor-
gesehen sind, sondern auch von Stipendien für Ausbildung auf ge-
werblichem Gebiete.
Stipendien für »Frauen sind in Schweden besonders gut am
Platze, weil das Schulhonorar für die Mädchenschulen ziemlich hoch
ist, und ausser den Volksschulen keine von Schulgeld befreiten
Schulen bestehen.
Kaum hat es bisher Stipendien für weibliche Studenten ge-
geben. Die Mittel, welche bis jetzt zusammengeflossen sind, be-
laufen sich auf ungefähr 200 000 Mark, und man hat schon an-
gefangen, Stipendien sowohl für Studienzwecke wie für gewerbliche
Ausbildung auszuteilen.
Da die Erfahrung gelehrt hat, dass eine grosse Menge Ge-
schichtenbücher für Kinder und die reifere Jugend durchaus nicht
für diese geeignet sind, sondern oft mehr Schaden als Nutzen
5*
— 68 —
t
bringen, hat der Bund ein Komitee eingesetzt, das eine Auswahl
solcher Bücher zu treffen beauftragt ist, welche den Eltern und
Lehrern als gute und nützliche Lektüre für ihre Kinder und
Schüler empfohlen werden können.
Das Komitee, welchem es obliegt, die in Frage stehenden Bücher
zu lesen, giebt Kataloge heraus und ordnet Ausstellungen derjenigen
Bücher an, welche der Empfehlung wert gehalten werden.
Bin Redaktionskomitee und eine Redaktrice besorgen die Heraus-
gabe der Zeitschrift Dagny, einer Zeitschrift fiir soziale und
litteräre Interessen.
Diese Zeitschrift kann als Nachfolgerin der „Zeitschrift fürs
fleim** angesehen werden, nach welcher sie unmittelbar erschien;
sie sucht den Zielen, welche der Predrika-Bremer-Bund verfolgt,
das Brdreich zu bereiten und ihnen vorzuarbeiten.
Ausser den obengenannten Ausschüssen giebt es noch andere,
wie das „Komitee für die Reform der Kleidung", das „Komitee für
Selbststudien", das „Komitee für Einrichtung von Gartenbaukursen
für Frauen" und das „Komitee für Krankenpflege".
Da es notwendig war, für alle die verschiedenen Abteilungen
des Bundes einen Versammlungspunkt zu besitzen, wurde schon in
den ersten Tagen seines Bestehens ein Bureau errichtet. Diesem
steht eine Vorsteherin vor.
Es dient gleichzeitig als Vereinigungsband zwischen Publikum
lind Verein. Unter den Aufgaben des Bureaus mögen genannt
werden :
a) Den Frauen in rechtlichen upd wirtschaftlichen Fragen mit
Rat beizustehen, zu welchem Zwecke dem Bureau massgebende
Berufspersonen zur Seite treten.
b) Mitteilung zu machen über alle Schulen und andere Unterrichts-
anstalten, sowohl private als öffentliche, welche den Frauen
zugänglich sind, und so für die Möglichkeit einer guten Aus-
bildung zu sorgen.
c) Aufklärung in kommunalen Angelegenheiten zu geben, wie
z. B. über die Rechte und Pflichten, welche mit dem kom-
munalen Stimmrecht in Verbindung stehen, und über Wahlrecht
und Wählbarkeit für Wahlen in den Aufsichtsrat über Schulen
und Armenpflege u. a. m.
d) Gebildeten Frauen, die danach verlangen, Arljeit und Stellen
zu verschaffen, und den Frauen auch neue Bahnen auf dem
Arbeitsmarkte zu eröffnen.
e) Ein Verzeichniss über Krankenpflegerinnen aufzustellen, welche
für Privat-Krankenpflege und für die allgemeinen Kranken-
häuser geeignet sind. Die Krankenpflegerinnen müssen gut
ausgebildet sein.
f) Berichte über alle Fragen, welche weibliche Arbeit und weib-
liche Interessen betreffen, zu sammeln und zu ordnen, und auf
die Weise ein wertvolles Material zu schaffen, das einen klaren
Einblick in die Wünsche der Frauen, die Mängel ihrer Er-
ziehung und die Mittel zur Selbstversorgung gewährt.
Der Fredrika-Bremer-Bund arbeitet mit ganz erheblichem Er-
— 69 ~
folge, und immer mehr wächst das Vertrauen der weiteren Kreise
und nehmen die Forderungen, welche man an ihn stellt, zu.
Während des verflossenen Jahres verschied Baronin Adlersparre,
die eifrige und warmherzige Vorkämpferin der Rechte der Frauen
in Schweden. Mögen wir diesen kurzen Bericht über die Stellung
der Frau in Schweden abschliessen mit den Worten, welche Sophie
Adlersparre sprach, als der Fredrika-Bremer-Bund gegründet wurde:
„Nunmehr ist es wohl eine ziemlich allgemein anerkannte That-
sache, dass unter den neuen Mächten, welche in unserer modernen
Gesellschaft auftreten, die Frau eine derselben ist. Man fängt an
zu begreifen, dass keine der grossen bVagen, welche unsere Gene-
ration bewegen, in Zukunft ohne sie gelöst werden kann — weder
die Schulfrage, noch die Arbeiterfrage, weder die religiösen Fragen,
noch die moralischen. Das ist es auch, was bewusst oder unbe-
wusst aller Arbeit zum Besten der Hebung der Frauen zu Grunde
liegt.«
Eingesandte Vorträge:
1) My Persian Gountrywomen, by Hannah Gevaigis Joseph,
Dr. med., New-York.
2) The Condition of Women in Sweden, by Rosalie von Olivecrona,
Stockholm.
8) Women's Progress in 1894, by Mrs. Warner Snoad, London,
President of the Intern. Women's Union.
IL
Montag, den 21. September, Yormittag 10 Uhr/)
Vorsitz: Frau Hanna Bieber-Böhm, Frau Eliza Ichenhäuser.
Oruss an den Kongress von Frau Gräfin Viktorine Butiar-Haimhausenr
verlesen von Fräulein Anita Augspurg, München.
Hochverehrte Frauen!
Eure Bitte, zu diesem Kongress zu erscheinen, hat ein ver-
ständnisinnig freudiges Echo gefunden in dem Herzen der ältesten
lebenden Vertreterin unserer deutschen Frauenbewegung, aber
meinen 85 Jahren müsst Ihr es verzeihen, dass ich nicht persönlich,
sondern nur schriftlich in Eure Mitte trete. Seit 1854 bin ich —
wenn auch . nur im engen Kreise meioer bayrischen Heimat —
handelnd eingetreten für die Ueberzeugungen, die ich seit 1829, dem
Jahre meiner Verheirathung, beobachtend und lernend gewonnen
habe. — Mein eigenes Auge überblickt nur vier Generationen, —
aber an der Hand der Geschichte, der Sittengeschichte, gehe ich
zurück bis in vieltausendjahte alte Zeiten. Und je mehr ich ein-
dringe in die Geschichte der Menschheit und in meine eigenen Er-
innerungen, je mehr ich den Blick richte auf die beiden Geschlechter
und ihre Stellungen zu einander, desto tiefer empört stehe ich vor
den Bildern, die an mir vorüberziehen.
Ein wenig besser, ein wenig minder grausam soll die Lage der
Frau ja heute sein.
Ein wenig besser? am Ende des 19. Jahrhunderts, das so
stolz ist auf seine wunderbaren Fortschritte auf allen anderen
Gebieten?!
Es ist, als stünde ein furchtbarer Rachegeist, ein seit Urzeiten
wachsender Groll zwischen beiden Menschheitshälften. Unbewusst war
dieser Hass, diese unedle Sucht des Stärkeren, die Schwächere
zu unterdrücken und sie all ihrer natürlichen Rechte zu berauben,
ja immer da — aber erst unserer Zeit ist es vorbehalten, dass diese
Schwächere sich des Unrechtes bewusst wird, das man ihr anthut,
und dass sie anfängt, sich dagegen aufzulehnen.
Es ist zwar weder edel noch klug, aber doch natürlich, dass
der Stärkere, also der Mann, mit allen ihm zu Gebote stehenden
*; Redigiert y. Rosalie Schoenflies.
— 71 —
Mitteln, mit Gewalt und List, mit offenem Hohn und verstecktem
Spott diese Auflehnungsversucbe seiner — wie er meint — unter-
gebenen Lebensgefährtin zu ersticken strebt. Aber so viel man auch
Asche auf das Feuer wirft, es erlischt nicht, und wo die Flamme
der BegeisteroDg für das vorenthaltene Recht nicht emporschlagen
kann, da erfüllt der beissende Rauch der Unzufriedenheit die Luft.
Die aus der Erkenntniss der Ungerechtigkeit geborene Unzufriedenheit
kann nichts mehr aus der Welt schaffen, und keine noch so sciiein-
bar wohlwollende Versicherung der Gesetzgeber — es geschehe alles
nur zum Besten der schutzbedürftigen Frauen — vermag diese mehr
zu täuschen.
Es wäre gut, wenn maQ in beiden, leider muss ich sagen „feind-
lichen" Heerlagern sich des weisen Moltke's Ausspruch zu Herzen
nehmen wollte: „Es ist endlich Zeit, gegen die Methode der Ueber-
tünchung Front zu machen. Die Wahrheit zu erkennen liegt uns
ob, sie sei angenehm oder peinlich. Nur an sie können wahre Fort-
schritte anknüpfen." Aber wie verstehen die Männer den Fortschritt
in der Ausgestaltung des Loses der Frauen?
Alle Proteste der grossen verbündeten Frauenvereine gegen das
neue Familienrecht, alle, auch die bescheidensten Forderungen der
Führerinnen wurden überhört, und wo das nicht möglich war, mit
ironischem Lächeln als „zu unbescheiden" abgethan. Der weitaus
grösste Teil des deutschen Volkes (d. h. des deutschen Männervolkes)
hat sich in diesen Tagen als Feinde der Gerechtigkeit und der
Freiheit gezeigt. Das müssen wir Frauen einsehen und an dieser
bitteren Wahrheit ändert auch das kleine Fähnlein der zweifelhaften
und das noch kleinere der unzweifelhaften Freunde unserer
Sache nichts.
Das neue Gesetz ist zur Ehre (?) und zum Ruhme (?) unseres
Vaterlandes unter Dach gebracht, und wir deutschen Frauen, wir
Mütter, Schwestern, Gattinnen und Töchter stehen mit Thränen in
den Augen vor der zugeschlagenen Thür des Reichstagsgebäudes
— dieses Hauses, in dem wir weder Sitz noch Stimme haben, und
in dem doch über unsere K öpfe hinweg über unser Wohl und Wehe
entschieden wird.
Mit Thränen in den Augen stehen wir da, und die ganze
Bitterkeit unserer Rechtlosigkeit kommt uns zum Bewusstsein, denn
„das ist kein Recht, was anzunehmen eine Klasse die andere, ein
Geschlecht das andere zwingt."
Deutsche Frauen! Ihr habt einen Schlag ins Gesicht erhalten!!
Habt Ihr Selbstbewusstsein genug um diesen Schlag — ich
will nicht sagen — zurückzugeben — habt Ihr nur so viel Stola
und Ehrgefühl, nicht mehr in dumpfer Ergebung die Hand zu
küssen, die Euch schlug? — Ich alte Frau, deren Tage gezählt
sind, ich Greisin, die auf ein langes Leben der Rechtlosigkeit und
der nicht immer freiwilligen Selbstentäusserung zurückblicke, ich
rufe Euch ermutigend und warnend zu: „Helft Euch selber, sc-
hüft Euch Gott! Wenn Ihr Euch aber nicht selbst helft, wenn Ihr
die rechte Erkenntnis dessen, was Euch noth thut, nicht gewinnen
könnt, so wird Euch auch Gott nicht helfen, und noch viel weniger
Euer Beschützer, der Mann!"
— 72 —
Aber wie soll es jetzt noch möglich sein, dass wir uns helfen,
jetzt, wo alles vorüber, wo das Gesetz für das 20ste Jahrhundert
geschrieben, und vom ganzen Volke angenommen ist? fragt Ihr
zweifelnd und ängstlich. Meine Lieben, als Athen einmal in einer
sehr bedrängten Lage war, eröffnete Demosthenes eine seiner be-
rühmten Reden mit folgenden Worten: „Zum Verzagen ist es nicht,
Ihr Athener, obwohl es sehr schlimm zu stehen scheint, denn was
das Schlimmste ist in Ansicht der Vergangenheit, das ist in Hinsicht
der Zukunft das Beste. Hättet Ihr nämlich bisher Eure Pflicht
gethan, und es stünde dessenungeachtet schlecht, dann wäre aller-
dings keine Hoffnung auf Besserung vorhanden, jetzt aber steht es
schlecht, weil Ihr nicht gethan habt, was Ihr schuldig seid."
Hiermit rief jener griechische Redner seine Volksgenossen zu
hoffhungsfreudigem Wirken auf, die Notlage des Staates und der
Gesellschaft zu überwinden, und auch ich kann Euch heute in
unserer Notlage nichts anderes zurufen.
Hättet Ihr die rechte Einsicht in Eure Pflichten als Erzieherinnen
Eurer Töchter und Söhne, vielleicht auch Eurer Gatten gehabt, so
würden nicht die meisten Frauen und Mädchen aller Alters- und
G^ellschaftsklassen heute noch ganz apathisch und verständnislos,
ja gehässig und spöttisch ablehnend der grossen freiheitlichen Be-
wegung unseres Geschlechts gegenüberstehen. Hättet Ihr Eure
Pflicht gethan, so würde die Mehrzahl der Männer — also Eure
Gatten, Brüder und die Söhne — Euch gegenüber nicht dem Grund-
satz huldigen: „Gewalt geht vor Recht".
Nein, Ihr habt durchaus nicht gethan, was Ihr schuldig seid,
und deshalb trifft Euch der Schlag ins Gesicht, von dem ich vorhin
sprach, nicht unverdient.
Wie sollen die Männer Achtung vor Euch haben, wenn Ihr
Euch selbst nicht achtet? Wie sollen sie im Ausbau des Familien-
rechtes die Wünsche und Forderungen einer „Bewegung" berück-
aichtigen, von der die grosse Mehrzahl der Frauen von selbst sich zurück
hält, — zurückhält aus Unverstand und kurzsichtigem Egoismus.
Das ist doch wahrlich zu viel verlangt von dem im Besitz
seiner Vorrechte geborenen und alt gewordenen anderen Geschlecht.
Nun, meine Lieben, ich wiederhole es: der Schlag traf Euch
nicht unverdient, aber — zum Verzagen ist es nicht, vorausgesetzt,
dass diese böse Erfahrung Euch lehrt und treibt — jetzt Eure
Schuldigkeit zu thun!
Wacht endlich auf aus Eurer hochmütigen gedankenlosen
Selbstzufriedenheit, die Ihr für vornehme „Weiblichkeit" haltet, die
aber in Wahrheit nichts ist, als der Ausdruck pflichtvergessener
Selbstsucht. Wachet auf und bedenkt, was Ihr Euren Kindern,
der Menschheit, den nach Euch Kommenden schuldig seid. Ziehet
ein neues Geschlecht von Männern auf, das seine Mütter und seine
Töchter achtet, und das seine Frauen nicht für Untergebene, sondern
für Seinesgleichen erkennt. Bildet erst Euch selbst, und dann die
neuen Frauen, das Weib der Zukunft — das sich selber achtet und
entschlossen ist, zu erreichen — was Ihr in Eurer Schwäche und
Verblendung zu erreichen eben jetzt verfehlt habt.
Wenn Ihr auf diese Weise an Euch selbst, an Eurer eigenen
— 73 —
Generation aufklärend arbeitet, wenn Ihr trachtet, Eure Kinder
höherer Erkenntnis entgegenzuführen, dann kann Euch und den
Euren der Sieg nicht fehlen, und die Tage de^ „neuen deutschen
Pamilienrechts" werden sehr bald gezählt sein.
Und Ihr Hoffnungslosen, Ihr Mühseligen und Beladenen, Ihr
Zerbrochenen und mit Schmach und Schande Behafteten — richtet
Eure Augen auf, fasst wieder Mut! Es gibt auch für Euch eine
Hoffnung, ein Ziel, nach dem Ihr streben dürft!
Ergreift die rettenden Hände, die sich Euch entgegenstrecken,
hört, was die Führerinnen Euch sagen ! lernt von ihnen ! folgt ihnen !
Vereinigt Euch, Ihr Frauen Deutschlands, und steht gemeinsam
auf für Euer Recht, für das Recht der Mütter an ihren ehelichen
Kindern, für das Recht der ausserehelichen Kinder an ihren natür-
lichen Vätern, und für das Recht der „ledigen Mütter'' an diesen
ihren armen Kindern! Lasst nicht nach, die Güter-Trennung in der Ehe
und die freie Verfügung über Euren Besitz und Erwerb zu verlangen !
Begreift es endlich, dass die Machtlosigkeit über Eure Kinder,
und die Machtlosigkeit über Euer Vermögen die Ketten sind, die
Bure Hände fesseln und Euren Willen brechen.
Ihr Satten, werft Eure Zufriedenheit, Ihr Hungernden, werft
Eure dumpfe Hoffnungslosigkeit über Bord. Das sind die Gewichte,
die Euch und Eure Kinder in den Grund ziehen. Werdet unzufrieden
mit Euch selbst und mit dem Bestehenden ! Fasset Mut und arbeitet
an der Vorbereitung des Kommenden! Die Unzufriedenheit ist die
Mutter alles Fortschrittes.
Ein schöner Anfang ist schon gemacht, Dank der ünermüd-
lichkeit der von Euch so oft im Stich gelassenen unerschrockenen
Führerinnen. Hunderttausend Stimmen haben gegen das neue
Pamilienrecht protestiert! Aber was bedeuten hunderttausend
Stimmen gegeu die weit über vierzig Millionen Einwohner des
deutschen Reiches?
Sehet, was für eine Riesenarbeit noch vor Euch liegt. Ihr
müsst nicht nur Euch selbst — Ihr müsst sie alle — alle über-
zeugen von der Gerechtigkeit Eurer Forderungen, Ihr müsst sie
alle gewinnen für die Einsicht von der Gleichberechtigung und
Gleichwertigkeit von Mann und Weib.
Strebet vor allem nach geistiger Aufklärung und nach rechtlich-
bürgerlicher Selbständigkeit. Das sind die Füsse, die Euch in das
Land der Freiheit tragen werden.
Meine alten Augen sehen seinen Strand von Feme leuchten.
Die internationale Bedeutung Friedrich Fröbels
für Familien- und Yolkserziehung.
Von Frau Dr. Henriette Goldschmidt Leipzig.
Hochansehnliche Versammlung !
Teure Schwestern und Gesinnungsgenossen!
Mit einem Gefühl ganz besonderer Befriedigung, mit inniger
Freude erfüllt es mich, dass es mir vergönnt ist, vor dieser Ver-
— 74 —
Sammlung von Frauen der verschiedensten Kulturländer, von dem
Manne zu sprechen, der, wie kaum ein Anderer, uns den Weg ge-
zeichnet hat, den wir zu gehen haben ^s Frauen, den wir zu be-
schreiten haben als Measchen.
Friedrich Fröbel gehört in die Reihe der grossen, humanen
Denker und Dichter unseres Volkes, deren Geist und Herz sich
nicht beengen Hess von den Schranken der Nationalität. Einem
Lessing, einem Schiller dünkte es zu gering und dürftig, nur für
eine Nation zu dichten und zu denken, ein Göthe sprach es während
der Kriege zwischen Frankreich und Deutschland aus: „Ich
bin nicht imstande eine Nation zu hassen, der ich einen Teil
meiner Bildung verdanke". Der grösste Denker Deutschlands,
Immanuel Kant, träumte von einem „ewigen Frieden". — Wohl
darf es uns mit Freude und Dankbarkeit erfüllen, dass diese
humanen, kosmopolitischen Denker deutsche Männer waren — und
Gesinnungsgenossen jener grossen Geister Frankreichs und Englands,
die dem vorigien Jahrhundert ihr Gepräge gegeben.
Wir können uns aber auch nicht der Wahnehmuag ver-
schliessen, dass der unerbittliche und wohl notwendige Gang der
Völkergeschichte uns in der Gegenwart ein anderes Bild zeigt.
Mehr als je stehen die Völker in Waffen einander gegenüber —
ein jedes pocht auf seine besonderen Vorzüge und auf seine Be-
rechtigung eine bevorzugte Stellung einzunehmen. Zu diesem un-
erquicklichen Chauvinismus gesellt sich die Erbitterung und die
Entzweiung der Bekenner der verschiedenen Eeligionen, ja der ver-
schiedenen Kirchen innerhalb einer Religion.
Wie freudig müssen wii* es daher begrüssen, dass diesem Zeit-
geiste gegenüber Bestrebungen vorhanden sind, die auf eine bessere
Zukunft hinarbeiten, die mitten in di«» streitenden Parteien das Wort
„Frieden" rufen, die das Religere, die Vereinigung herbeiführen
wollen. Alle internationalen Versammlungen sind Zeichen einer neu
sich bahnbrechenden Zeit — und schon in diesem Sinne müssen wir
es den Berliner Frauen Dank wissen, dass sie diese internationale
Versammlung berufen haben — müssen es aber auch all den Frauen
danken, von ganzem Herzen danken, dass sie dem Rufe gefolgt sind.
Wo aber giebt es ein Gebiet, das mehr den Charakter des all-
gemein Menschlichen trüge, als das Gebiet der Erziehung? Und
welches Alter entspricht mehr und anschaulicher dem allgemein
Menschlichen, dem über die Vorteile und die Zwietracht der Nationen
Erhabenen als das Kindesalter? Tiefer als es vor ihm geschehen, hat
unser Friedrich Fröbel es erkannt, dass das Kindesalter frei ist und
so lange als möglich frei bleiben soll von all dem Trennenden, Zwie-
spältigen, von demjenigen, was die Menschen von einander unter-
scheidet und scheidet
In seinen Mutter- und Koseliedem hebst es: „Stört das Kindlein
nicht in seinem süssen Traume, sich mit Allen Eins zu fühlen in
dem Weltenraume" — und im Zusammenhange damit will er, dass
das Kind zunächst betrachtet und erzogen werde als ein Kind der
Natur, als ein Kind der Menschheit und als ein Kind Gottes.
Natur, Menschheit, Gott: in diese heilige Dreieinigkeit ist jeder
Mensch hineingeboren und in dieser soll er so festwurzeln, dass die
— 76 —
späteren, die unaosbleiblichen und notwendigen Unterschiede keinen
Zwiespalt, keine Zerklüftung hervorzubringen vermögen.
In Einheit mit der Natur-, Menschen- und Gotteswelt soll das
Kind erzogen werden, weil dies seinem inneren Wesen und den
Bedingungen einer naturgeroässen Ent Wickelung entspricht. Das
Kind ist nicht nur ein Objekt der Erziehung, dem wir mit unserem
Wissen und Können zu Hilfe kommen sollen — das Kind ist ein
Subjekt, eine Persönlichkeit, dessen urprüngliche Natur, dessen
einheitliches Wesen uns zurückführen soll in das oft in den
Widersprüchen des Lebens verloren gegangene Ideal der Har-
monie des Daseins. Das Kind hat keinen Rang, keinen
Stand, keine Besonderheiten der Nationalität und der Religion — es
kennt keine Menschenmäkelei — und soll uns in Gottes erste
Schöpfung, wie sie Pestalozzi nennt, zurückfuhren.
Fröbels tiefsinnige, herrliche Auffassung vom Wesen des Kindes
finden wir in Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung des
Menschengeschlechts: „Das Kind" heisst es dort, „ist uns die Ver-
körperung des uns verloren gegangenen Ideals; es ist der Anblick
seiner reinen ungebrochenen Kraft, die uns rührt". •
Mögen kluge Leute darüber lächeln, ihren Witz daran üben,
dass Fröbel nicht müde wird, den Gedanken der Einheit zu betonen,
dass er nicht müde wurde eine Form zu suchen, die dem Prinzipe
der Einheit — des Einheitlichen entspricht — dem tiefer Denkenden
erschliesst sich dadurch eine ganze Gedankenwelt. Wenn wir er-
kennen, dass in dem uns unbewussten Gefühl der Einheit mit dem
unser Dasein beginnt, zugleich das Ideal gegeben, dem wir zu-
streben sollen: dann erkennen wir, was Friedrich Fröbel gewollt —
was er von uns verlangt hat.
Der Einheitsgedanke ist ihm keine philosophische, abstrakte
Theorie, er ist ihm nicht nur das Ergebnis eines Gedankenpro-
zesses, der Einheitsgedanke hatte, wie alles Triebkräftige in seinem
reichen Gemütsleben seine Wurzeln — als Humanität, als „Liebe"
hatte er sich ihm geoffenbart.
Die Liebe zur Kinder weit — die Menschenliebe war die 2ientral-
sonne, welche die abstrakten Gedanken, die oft in schwieriger, oft
in schematischer Weise dargestellten Ideen durchleuchtete.
Er sieht den Einheitsgedanken verkörpert in der Natur, alles
ist aus Einem hervorgegangen; der Einheitsgedanke bestimmt seine
religiöse Anschauung: „Von allen Punkten geht ein Weg zu Gott,
halte nur den Punkt fest und unverlierbar." Die Menschheit ist
ihm eine Einheit: „In der Ent Wickelung des einzelnen Menschen
spricht sich der Entwickelungsgang der Menschheit aus, so dass die
gesamte Menschheit als ein Mensch aufgefasst werden kanu.^^
Und wie er eine Urform suchte und fand, um aus ihr sein
System: das Spiel- und Beschäftigungsganze zu entwickeln, wie er
diese Form, die, wie keine andere ihm das Einheitliche in der Viel-
heit der uns umgebenden Formenwelt repräsentiert, wie er die runde
Form des Balles, der Kugel als Ausgangspunkt für die An-
schauungen des Kindes verlangt, als Vermittlung, um es in die
vielgestaltige Welt der Naturformen einzuführen, so suchte er —
nein! .hier suchte er nicht, hier fand er ohne zu suchen und
— 76 —
zu gröbein, dass das einheitlichste Verhältnis zwischen Mensch
und Mensch in dem Verhältnis des Kindes zu seiner Mutter vor-
handen ist.
Wie und wo wir uns umsehen in unserer vielgestaltigen Menschen-
welt, wie mannigfach die Beziehungen uns entgegentreten im späteren
Leben, wie schon innerhalb der Familie der Vater, die Geschwister,
Verwandte und Freunde die Liebe des Kindes mit der Mutter
teilen, der Ausgangspunkt für diese reiche Empfindungswelt ist
doch die Liebe der Mutter zu dem Kinde: durch sie ist der Keim
für die Entfaltung des Gemütslebens gegeben.
Schon Fröbels grosser Vorgänger Pestalozzi schildert in wahr-
haft dichterischer Weise, wie alle unsere Beziehungen zu Gott und
Menschheit in dem Verhältnis des Kindes zu seiner Mutter wurzeln :
er zeigt, wie die Empfindungen der Dankbarkeit, der Liebe, des
Vertrauens schon bei der Befriedigung der siünlichen Bedürfnisse
durch die Mütter entstehen. Ungleich tiefer fasst Fröbel das Ver-
hältnis auf: „Die seelischen Bedürfnisse, wie sie sich im Spiel-
trieb des Kindes zeigen, sollen und müssen von der Mutter beachtet
und befriedigt -werden. Jede körperliche Aeusserung dient zur
Entwickelung der Glieder, der Sinne, des Gemüts- und Geisteslebens."
„Wenn die , Spiellust im Kinde sich regt, wenn es zur Lust
Arme und Beine bewegt — so ist uns dies zur Weisung gegeben,
schon früh im Kinde, gewandt, gelinde, durch Aeusseres zu pflegen
sein inneres Leben — durch Scherze und Spiel und sinniges Necken,
Gefühl, Empfindung und Ahnen zu wecken." Gewiss: es ist eine
uns mit Andacht erfüllende Wahrnehmung, dass ein Mann, der
mutterlos und kinderlos gelebt, die höchste Auffassung von dem Ver-
hältnisse zwischen Mutter und Kind gehabt hat.
Wenn wir es ganz würdigen wollen, welche Anschauung er
von unserm, dem weiblichen Geschlecht hatte, von unserer Mission
für die PJrziehangsaufgabe, dann müssen wir uns vergegenwärtigen,
dass er, lange ehe von einer Emanzipation der Frau, von dem Rechte
auf ihre Selbständigkeit die Rede war, folgenden Ausspruch that:
„Es ist das Charakteristische der Zeit, das weibliche Geschlecht
seiner nur instinktiven, passiven Bedeutung zu entheben und es von
Seiten seines Wesens und seiner Menschheit pflegenden Bestimmung
zu ganz gleicher Höhe wie das männliche zu erheben."
In diesen Worten ist ausgesprochen, dass der „Erziehungsberuf"
der Mutter nicht länger dem instinktiven Gefühl, dem instinktiven
Thun überlassen bleiben solle, sondern ebenso wie der Beruf des
Mannes eine wissenschaftliche Erkenntnis verlangt. Wir, die wir
in der Arbeit an dem Fröbelschen Erziehungswerk stehen, wir wissen,
dass seine Erziehungslehre, sein Erziehungssystem und seine Er-
ziehungsmethode zu kennen und auszuüben ein Studium bedeutet,
das keinem Studium eines Mannes nachzustehen brauchte. Heutzu-
tage, wo die Frage nach der Berechtigung der Frauen zum Studium
so gut wie beantwortet ist, dürften selbst Gegner desselben die
grosse Bedeutung anerkennen, die in der Forderung Fröbels liegt,
„das Weib von seinem Wesen aus und um seiner Menschheit pflegen-
den Bestimmung willen zu gleicher Höhe wie das männliche Ge-
schlecht zu erheben."
— 77 —
Ich kann hente und hier nur andeuten, dass eine wahrhafte
Befreiung des Menschen nur darin liegt, dass die ursprünglichen
Kräfte, die Eigenart seines Wesens frei wird, — nur wenn ich das
mir eigentümlich Verliehene zur Entfaltung bringen darf — dann
bin ich in meiner Persönlichkeit frei geworden.
Friedrich Fröbel will, dass wir von unserem Wesen aus, von
dem Keim- und Herzpunkte unseres Seins dem Ziele der Vervoll-
kommnung zustreben. Ja, dass es ihm Ernst damit war, erfahren
wir aus einem andern, sehr beachtenswerten Ausspruche. Er sagt:
„I)ie heutige Art der Erziehung des Kindesalters und demgemäss
des weiblichen Geschlechts entspricht nicht der hohen Stufe, zu der
unsere Kultur im Allgemeinen gelangt ist, und das Zurückbleiben
eines Teiles ist um so verderblicher für die Gesamtheit, je höher
die erreichte Stufe der Kultur ist.^
Fragen wir uns, worauf zielen alle Bestrebungen der Frauen
seit 3 Jahrzehnten hin, als darauf, uns, die Zurückgebliebenen, ein-
zufahren in unsere, in die wirkliche Kulturwelt? Das Programm,
das die erste öffentliche Konferenz deutscher Frauen im Jahre 1865
in Leipzig aufgestellt, lautet: „Die Arbeit, welche die Grundlage
unserer modernen Kultur bildet, ist die Pflicht und die Ehre des
■weiblichen Geschlechts.'' Was bedeutet dies anderes, als das Ver-
langen einzutreten in unsere Kulturwelt? Der Kulturstandpunkt
eines Volkes zeigt sich in der von ihm geleisteten Arbeit. Das Volk
und der Einzelne erhebt sich in der Arbeit aus seinem instinktiven,
passiven Sein. Eine Bedeutung als Kulturvolk, als Volkspersönlich-
keit gewinnt es nur, wenn es seine, ihm eigentümliche schöpferische
Kraft bewährt; so lange es sich nur nachahmend verhält, hat es
keine Bedeutung.
In diesem Sinne haben wir in Friedrich Fröbel den eigentlichen
Befreier unseres Geschlechtes zu begrüssen:'Er zeigt uns den Weg
eigenartiger Entwickelung für unsere eigenartige Befähigung.
Wie wenig die Fröbelschen Bildungsanstalten „die Seminare
für Kindergärtnerinnen" ihrer hohen Bedeutung entsprechen — ein
„Neues" liegt doch in ihnen» Während alle bisherigen Bildungs-
anstalten für die weibliche Jugend nur Nachahmungen, oft schwäch-
liche Kopieen der männlichen Lehranstalten sind, sehen wir in den
Seminaren für Kindergärtnerinnen eigenartige Schöpfungen, dazu
bestimmt, „das weibliche Geschlecht von seinem Wesen aus und um
seiner Menschheit pflegenden Bestimmung willen, zu gleicher Höhe,
wie das männliche zu erheben.
Und auch hier, wie bei der Erziehung des Kindes, ist seine
Lehre allgemeingiltig, eignet sie sich für die Frauen aller Völker,
ist sie kosmopolitisch, international.
Trotz der Yerschi(;denheit, die eine Bedingung jeder höheren
Kultur ist — trotz der Difl^erenzierung, die unser vielgestaltiges
Staats- und Wirtschaftsleben erfordert und die selbstverständlich auch
in der Frauenwelt vorhanden, giebt es für uns, für das weibliche
Geschlecht aller Völker, aller Stände ein Gemeinschaftliches nicht
nur als Menschen, sondern als Frauen; zwischen der Frau des Ar-
beiters und der Frau auf dem Throne giebt es ein Gemeinsames,
das in dem Worte „Mutter" vorhanden: kein Mann fühlt sich dem
— 78 —
andern als „Vater" in gleichem Sinne, ich möchte lieber sagen, in
dem gleichen Herzschlag verbunden.
Die Frau innerhalb der Familie als „Mutter", als Erzieherin
ihrer Kinder ist den Naturbediiigungen unseres Daseins, ist Gottes
„erster Schöpfung" treu geblieben, so verschieden die Bildungsphäre
auch ist, in der die Einzelne sich bewegt. Die Kluft zwischen dem
erziehlichen Berufe der Mutter in den höheren und niederen Ständen
ist nicht so gross, wie die Kluft zwischen dem Berufe des Staats-
mannes, des G-elehrten, des Künstlers und dem Berufe des Hand-
arbeiters.
Aber der mütterlich -erziehliche Beruf beschränkt sich nicht
auf die eigene Familie. Ich kann hier wiederum die Auffassung
Pröbels in Rücksicht auf den „Erziehungsberuf der Frau" mit seinen
eigenen Worten bestätigen. Er sagt: „Vor allem muss der Mutter
und dem ganzen weiblichen Geschlechte das, von höherem Lebens-
triebe bestimmte, menschlich erziehliche Handeln zu klarem Be-
wusstsein erhoben werden."
Ja! auch das Muttergefühl ist in dem Menschen seelischer Natur
— die Empfindungen, die jede weibliche Kreatur für ihre eigene
Brut hat und nur so lange hat, als diese zu der leiblichen Existenz
ihrer Jungen nötig ist, diese Empfindungen sind es nicht, auf die
die Frau als „Mutter" des Menschen, als Trägerin des Geschlechtes
der Zukunft beschränkt ist. Als Ausgangspunkt für die Vergeisti-
gung der mütterlichen Empfindungen müssen wir sie betrachten.
Das ist wahrlich . keine Utopie, keine blasse Theorie. Wer von uns
hat die Erfahrung nicht in sich und um sich gemacht, dass man
Kinder, die man nicht geboren hat, mütterlich lieben kann — wer
hat es nicht den Lehrerinnen, den Erzieherinnen nachgefühlt, dass
es in ihrem oft so dornenvollen Leben das Schwerste und sie am
Tiefsten verwundende war, wenn sie die Kinder doch als Fremde
verlassen mussten, die sie auch mit ihrem Herzblut erzogen?
'Und wie die Lehrerin und die Erzieherin im Hause 2eigt uns
jede echte Kindergärtnerin, welch' einen Schatz von Lieb und Treue
für die Kinderwelt ein Frauenherz hegen kann, und was für den
Menschen die Vergeistigung der natürlichen Instinkte bedeutet.
Frage man doch die Mütter, die oft die Geduld mit ihren eigenen
Kündern verlieren, deren Zahl sich meist auf 3—6 beschränkt, was
dazu gehört, einer Schar von 30, oft bis 50 und 60 Kindern
mütterliche Geduld und Liebe zu beweisen? Dieser kurze, prak-
tische Hinweis genügt wohl, um zu zeigen, was unsere nächste und
wichtigste Aufgabe im Dienste des Fröbelschen Erziehungswerkes
ist: Unsere weibliche Jugend zu ihrem mütterlich erziehlichen Be-
rufe vorzubereiten, für ihre Mission innerhalb der Familie, der Volks-
familie, innerhalb der Menschheit.
Auch hier ist diese Forderung durch Thatsachen bereits auf
dem Wege erfüllt zu werden: Gemäss dem grossen Gedanken ihres
Schöpfers ist die Fröbelsche Erziehungslehre auch zunächst von einer
„Frau" erfasst worden. Die Meisten von Ihnen wissen es und alle
Frauen müssten es wissen, dass ich niemand anders als die Frau
von Marenholtz-Bülow meinen kann, sie, die es aussprach: „Die
Frau soll aus ihrem Erziehungsberuf ein Priesteramt machen". „Das
— 79 —
Geschick eines Volkes liegt weit mehr in den Händen der Frauen^
der Mütter, als in den Händen der Machthaber*^.
Gewiss war Fr. v. Marenholtz die erste Frau, die einen Verein
für Familien- und Volkserziehung gründete. Es widerstrebte ihr mit
Recht dem Verein die Signatur: „für Kindergärten und Seminare
für Kindergärtnerinnen'* zu geben — obgleich diese Anstalten die
notwendigen Grundsteine des Fröbelschen Erziehungswerkes bilden
und stets bilden werden. Aber sie fühlte, dass die Wichtigkeit, die
Bedeutung selbst dieser Anstalten in dem vorhanden ist, was sie für
die „Familien", für das „Volk" leisten und sie wusste, dass sie
nur den Keim tragen, nicht etwa den ganzen früchtereichen Baum.
Treten wir den Anstalten näher, so werden wirr unschwer die
innige Verbindung erkennen, in der sie als Erziehungsstätten für
die Familie stehen. In bedeutsamerer Weise als die Volksschule
wirkt der Volkskindergarten zurück auf die Familien. Pünktlichkeit,
Sauberkeit, Ordnung, der Sinn für das Schöne, Edle wird durch
die Kleinen unbewusst in die Familie übertragen. Die Liedchen aus
dem Kindergarten verdrängen die rohen Gassenhauer, die das Kind
sonst hört. Die zierlichen Arbeiten der Kleinen schmücken das be-
scheidene Heim des Hauses und lenken auch den Sinn der Mutter
auf das Formschöne, das so billig sich herstellen lässt. Der Volks-
kindergarten, der an Stelle der Bewahranstalten tritt, wirkt weiter
auf die Kinderhorte, die neben den Schularbeiten die Bewegungs-
spiele, die Handfertigkeitsübungen als notwendige Ergänzung haben.
Der Volkskindergarten ist aber auch die Quelle der Er-
frischung und Belebung für die Kinder vermögender Familien, er
ist die Voraussetzung, die unumgänglich notwendige Voraussetzung
des Seminars. Die Kindergärtnerin für die Familie hat die schwierige
aber lohnende Aufgabe, die Kinder reicher Familien vor einem
Krebsschaden zu bewahren, der hier schlimmeren Schaden anrichtet,
als es die Armut vermag. Ich meine den Krebsschaden „Lange-
weile". Welch ein Tummelplatz für die Launen, die Einfälle, den
Trotz, den Eigensinn, die Ueberhebung ist hier vorhanden. „Das
giebt sich", sagen schwache Eltern — „nein, das entwickelt sich",
sagt Frau Ebner- Eschenbach.
In welch' anderer und umfassenderer Weise könnte der Volks-
kindergarten wirken, wenn die Frauen, wenn die Töchter wohl-
habender Familien ihm ihre Aufmerksamkeit schenkten — welche
Gelegenheit ist hier geboten, dem Klassenhass nach oben und unten
entgegenzuwirken ?
Es gereicht mir zu grosser Befriedigung, dass der Gedanke,
den ich vor mehr als 25 Jahren ausgesprochen und der mir vor-
schwebte, als ich in Leipzig im Jahre 1871 den „Verein für Familien-
und Volkserziehung" gründete, dass dieser Gedanke seit einigen
Jahren hier in der Reichshauptstadt feste Gestalt gewonnen: „Jedes
Mädchen müsse, wie der junge Mann ein Freiwilligenjahr im Dienste
für unser Volkstum leisten; wie der junge Mann wehrhaft sein soll,
um das Vaterland nach aussen zu verteidigen, so soll die Jungfrau
gegen die inneren Feinde den Kampf aufnehmen und zunächst ein
Jahr im Volkskindergarten dienen lernen nach ihrer Bestimmung,
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damit sie ebenso gut wie der junge Mann sagen kann: „Ich habe
meinem Volke gedient".
Ein solches Dienstjahr der weiblichen Jugend aller Stände in
jedem Volke — welch eine Friedensliga würde sie bilden; wie würde
sie das Wort des Antigene bewahrheiten: „Nicht mitzubassen, mit-
zulieben sind wir da'^
Wir sind trotz des Beispiels, das Sie, meine verehrten Frauen,
hier in Berlin gegeben, noch weit davon entfernt in diesem Sinne
für das Fröbelsche Erziehungswerk zu arbeiten. Wir müssen vor-
läufig zufrieden sein, dass wir durch die Kindergärtnerinnen Ein-
fluss auf die Kinder vermögender Familien gewinnen. Die Kinder-
gärtnerin sollte nur die Gehilfin der Mutter, der eigentlichen Er-
zieherin, sein, 'aber die Hand aufs Herz: Wie gross ist die Anzahl
der Mütter, die ein besseres Verständnis füi' die Erziehung haben,
als die Kindergärtnerin? Aus meinen mehr als ein Vierteljahr-
hundert umfassenden Erfahrungen muss ich leider sagen: Man ist
froh, wenn die Mutter so verständig ist, die Kindergärtnerin ge-
währen zu lassen und ihr eine Gehilfin wird. — Doch nicht um die
Mängel zu zeigen, die noch vorhanden — eine Aufgabe unerquicklicher,
Negativer Natur — sondern auf die Mission Fröbels hinzuweisen
auf seine Bedeutung für alle Familien, für jedes Volk, das ist die
lohnende, die positive Seite meines Vortrags.
Das Verständnis für diese umfassende, koämopolitische Bedeutung
der Fröbelschen Erziehungslehre war ebenso, wie die für die Familien-
und Volkserziehung der von mir genannten Frau v. Marenholtz-
Bülow aufgegangen.
Ist es nicht wunderbar, dass schon im Jahre 1854, wo kaum
die ersten schüchternen Versuche zur Einrichtung von Kindergärten
und Seminaren in Deutschland gemacht werden konnten, der Ge-
danke an die Gründung eines Internationalen Erziehungsvereins sie
beschäftigte? Sie sagt: „Ich denke, künftighin muss es möglich
werden, einen internationalen Erziehungsverein zu gründen, welcher
in der Vertretung der Fröbelschen Erziehungslehre alle zivilisierten
Völker eint. Noch, meint sie, herrscht Hass und Neid überall in
der Welt; nur in den Herzen, die noch nicht hassen lernten, den
Kinderherzen, kann eine neue Saat der Liebe aufgehen."
Fr. V. Marenholtz-Bülow ging nach England, Frankreich, der
Schweiz, nach Holland und Belgien, nach Italien: ein Apostel für
die Lehre Friedrich Fröbels; sie gewann Einfluss nach Russland
und in Amerika. Hatte doch Fröbel selbst in dem Ansprüche, den
ich an der Spitze meines Flugblattes nach Chicago gesandt, die
Beziehungen Deutschlands zu Amerika mit folgenden Worten ge-
zeichnet: „Die freie grossartige Umatur Amerika's sucht den be-
wussten, freien Geist Europa's und Deutschlands, damit sich beide
zu reinem Menschenleben die Hand reichen."
Fragen wir uns nun: Ist es eine Utopie gewesen, der sich
Fröbel und seine Jünger hingegeben, als sie die noch jetzt von
Gebildeten und Gelehrten unterschätzte Lehre so hoch hielten und
sich von ihrem Einflüsse so viel versprachen? Ich hoffe: Sie ver-
neinen mit mir diese Frage. Schon sehen wir, wenn auch noch
nicht die Lehre, doch die Methode in allen Kulturländern und selbst
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solchen, die nur eine Kultur anstreben, verbreitet. Und das allein spricht
für ihren Werth und ilire Bedeutung : Denn alles Gute ist Gemeingut.
Die Religion, jede wahre Kunst, die Wissenschaft hat eine Geburts-
stätte, hat ein Vaterland — bleibt aber nicht auf den Boden beschränkt,
von dem sie ausgegangen, und obgleich diese Kultui'elemente das
Erzeugnis unserer tiefsten Geister sind, so werden sie von Jedermann
seiner Beanlagung und seiner Nutur gemäss verstanden. Tn diesem
Sinne ist es auch nicht schlimm, dass die Fröbelsche Erziehungs-
weise bisher nur eingeführt werden konnte, weil sie die Prauen-
erwerbsfrage lösen hilft; es ist dies im Gegenteil ein Beweis mehr
für ihre grosse Bedeutung: Die schöpferischen Ideen bekunden
sich auch darin, dass sie unerwartete Hilfsquellen für die Volks-
wohlfahrt bieten. Nur betrachte man sie nicht einseitig von diesem
Standpunkte aus: Wenn wir ein wogendes Getreidefeld erblicken,
dann gewährt sein Anblick uns einen hohen Genuss, ohne dass wir
daran denken, dass es das Korn zu unserer Nahrung enthält.
Aber auch in Rücksicht auf die Erwerbsfähigkeit unseres Ge-
schlechtes ist in der nüchternen, dürftigen Auffassung der Bedeutung
FröbePs eine grosse Schädigung vorhanden. Denn auch für die
Armen an Geist und Geld, auch für die Kinder der Armen ist die
Fröbersche Lehre von Bedeutung, aber nicht allein für diese. Wir
bedürfen der Lehi'er innen, der Erzieherinnen nicht nur um Kinder-
gärtnerinnen zu bilden, sondern um unsere weibliche Jugend zu
ihrem Berufe vorzubereiten. Man betont fortwährend das ethische
Element, das bei der Bildung der weibl. Jugend grade durch die
Lehrerinnen vertreten werden soll, und wo haben wir mehr Ge-
legenheit, diejenigen Gegenstände vorzugsweise zu lehren, die den
meisten Zusammenhang mit der Ethik, mit unserm sittlich-ästhetischen
Vermögen haben? Alle Disziplinen, die folgerichtig aus der Fröbel-
lehre hervorgehen und mit ihr in Verbindung stehen, wenden sich
an unsere intimsten, innersten Beziehungen: Erziehungslehre,
Geschichte der Erziehung, Psychologie, Anthropologie und Gesundheits-
lehre, Mathematik und Naturwissenschaften, Geschichte der Künste,
der Religionen — das wären die Lehrgegenstände für eine weibliche
Hochschule, die unsere gebildete weibliche Jugend zu dein wich-
tigsten, verantwortlichsten und idealsten Berufe vorbereiten müsste.
Den Grundstein zu einer solchen Hochschule zu legen, das,
meine Verehrten, war es, was mir vorschwebte, als ich das Lyceum
in Leipzig gründete. Ist auch der Gedanke trotz einer 25jährigen
treuen Arbeit noch nicht verstanden, so gereicht es mir doch zur
Befriedigung, dass es mir gelungen, ein Lyceum, eine höhere Lehr-
anstalt mit dem Volkskindergarten in Verbindung zu bringen, wo
auch die höheren Töchter „dienen lernen nach ihrer Bestimmung."
Solche Lyceen, solche Hochschulen brächten unsere Frauenwelt
zu der „bestimmten Gewalt", die ihr in der Familie, in der Schule,
im Volke gebührt — sie würden aber auch dazu dienen, sie auf
die gleiche Höhe des erreichten, männlichen Bildungsniveaus zu er-
heben. — Auf die gleiche Höhe? Auf die gleiche Höhe in in-
tellektueller Beziehung, aber hoffentlich auf ein höheres Niveau
in sittlicher Beziehung.
Von allen Seiten ertönt die Klage, dass unsere sittliche Ent-
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Wickelung nicht Schritt gehalten mit der geistigen, der intellektuellen.
Unser Ideal, meine Verehrten, muss ein höheres sein, als das, welches
unserm Fröbel vorschwebte, der seitab von der grossen Heerstrasse
des Lebens sich befand, der die tiefen Schatten nicht sah, die das
strahlende Licht unserer Kultur verdunkeln, — er kannte nicht die
Gespenster in uns und um uns, die alle Fortschritte, die wir ge-
macht, in Frage stellen.
Aber auch hier gilt sein Wort und die Frauen haben es
bewährt: Wir sind nicht mehr instinktive, passive Greschöpfe, die
unbewusst die Segnungen der Kultur geniessen, und die G-espenster
nicht sehen, die sie bedrohen.
Aus eigener Kraft haben sich die Frauen aller Kulturländer
emporgerafft, um die Grespenster verscheuchen zu helfen, und sie
scheuen sich nicht, sie anzurufen, sie bei ihrem rechten Namen zu
nennen: Hoflfen wir, dass das schon ein Mittel ist, sie zu bannen.
Aus jedem Volke sind Namen von Frauen zu nennen, die den
Kampf nicht nur für sich und fiir ihre bessere Stellung aufge-
nommen, sondern die an der sittlichen Hebung der Gresellschaft
arbeiten. Denn, meine Verehrten! so hochwichtig mir die Ver-
wirklichung der Fröbelschen Ideen für unser Familien- und Volks-
leben erscheint, so verschliesse ich mich nicht gegen die Notwendig-
keit der Arbeit auf allen andern Gebieten. Wir können nicht auf
einmal für alle Menschen von Anfang anfangen, wir müssen mit
der Gegenwart rechnen. Ein Blick auf unser Programm zeigt, wie
die Bestrebungen der Frauen auf die Krankenpflege gerichtet sind,
— wie sie die Krankheiten zu bekämpfen streben, die ebensowohl
moralischer als physischer Natur sind, ich nenne nur die Trunksucht,
die Prostitution, diese Geissei unseres Geschlechtes, die den Un-
schuldigen mit den Schuldigen trifft. Ist es ein Kleines, dass einer
in Waffen strotzenden Welt eine. Frau mit dem Rufe entgegentritt:
,.Die Waffen nieder."?
Aber auch diese Bestrebungen wie die Uebel sind international.
Deshalb sind wir Frauen auch in dieser Beziehung solidarisch ver-
bunden, und wir haben, jede in ihrer Familie, in ihrem Volke, den
Kampf aufzunehmen gegen die Uebel, die Schäden, die Leiden, die
uns bedrohen und vernichten. Aber wir haben auch die schöne
und die lohnendere Aufgabe an dem „Aufbau" des Lebens zu ar-
beiten. Mit jedem Kinde wird die Welt neu geboren — sorgen
wir dafür, dass sie mit dem jungen Geschlechte auch erneuert
werde. Wir aber, wir deutsche Frauen, wollen es als unsere ganz
besondere Pflicht erachten, dem Genius gerecht zu werden, der die
„Kindergärten" als Friedensgrüsse an alle Völker rings herum ge-
sandt, an alle Frauen die Botschaft gebracht — ihren Erziehungs-
beruf als ein Priesteramt zu betrachten.
Day Nurseries,
By Miss Mary M. Park, Glasgow.
Allow me, in introducing this subject, to say we ought to see
that no children grow up to be paupers and make this one of the
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cardinal points of charity. The protection of children is becoming
one of the first in importance among Philanthropie enterprises.
The Day Nursery is an Institution, well known with in the last
few years, -vve need not enlarge npon its mints, but it is a well
authenticated fact that the Day Nurseries have filled up a jap in
our charities.
The first successfolly established Day Nursery in Scotland was
opened in Anderston, one of the busy districts of Glasgow. This
pioneer Nursery was so successful, that deputations visited it from
the Chief towns in Scotland, where Nurseries have been opened with
success. The good effected by the Anderston Nursery, led to their
increase, and there are now five in Glasgow, carried on under the
auspices of the ^'Ladies Association for the extension of Day Nurseries
in Glasgow.'^
These Nurseries are economically worked and are very homelike
in their surroundings. People who give a helping band to those
who cannot help themselves know it is a great blessing to keep up
the famil}^ life in tbe struggle for existence, and if possible not to
separate the Mothers from the children.
This was not lost sight of in the establishment of these Day
Nurseries. They are not meant to encourage Mothers leaving their
children, without a just cause for doing so. The children who attend
the Nurseries, show an improvement in a very short time, both
physically and mentally.
On her way to work the Mother leaves the child calling for the
little one, on her return from work. The fee is three pence a day,
thousrh a reduction is made in special instances, hence they are
partly self-supporting.
Two important Clements in the social life of the poor in a city
are touched by the Operations of Day Nurseries. First, — there is
Mother-life. However much it may require to be regretted in an
enorinous number of instances, Mother-life means not food-giving
merely, but food and home-getting, so far as children of tender years
are concerned. Even where there is Motherhood where it should
not be. every one must recognise how essential it is to afford the
often deserted Mother, every facility for gaining her own and her
Childs livelihood in a virtuous way. But there is much virtuous Mother-
hood, of a struggling kind. The death rate among male heads of families
in poor districts is not only high, but there is a constant stream of families
of which the fathers are dead, Coming in from the country, in order that
employment may be got for the older children. Often to get
employment for two, a family of six come, the Mother soon finding,
if the wolf is tö be kept from the door, she too must go out and
work. Let it be noted that Day Nurseries seek to leave the
Mother\s hands free to work.
They aim thus at the prevention of poverty, and as such are
entitled to the support of all thougtful and humane people. —
The other dement of social life among the poor, touched by the
work of the Day Nursery, is child-life. Through them not only
are the hands of the Mothers freed for work, but the children are
comfortably housed and fed, and so far as may be, trained, as well
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as interested and amused. Now it may be safely said, that few
people know the actual State of affairs with reference to child-life
in the districts in which the Nurseries are, and especially where
they are not. — Of course I speak of Glasgow. —
Let me give a figure or two. In one district the death rate
among children under one year of age is 24 per cent ; over the
whole city it is 13 per cent. These figures require no emphasizing,
but surely it must go to ones heart like a dart, to think that over
evey fourth child, and at least over every sixth child under a year
old, the shadows already are beginning to gather of the GreatDarkness.
Were it only death, then possibly we might be able to think of
Nature as thus the Minister of Grace, but these children suffer,
and in many instances suffer terribly ere they die through neglect
and ignorance and want.
We do not know what the slums of Jerusalem were like, but
if they in any way reseinbled the slums of some of our great cities
in this nineteenth Century, than better than ever can we understand,
why Christ said to the Mothers „Suffer the little children to come
unto me.'^
The Day Nurseries seek to be soft arms, and warm bosoms
to the little ones; good, kind, capable women are in the Nurseries,
willing to do all they can to rescue even from the grip of death,
as well as train for worthy citizenship. May not then the Day
Nursery claim that it offers an opportunity to the benevolent, and
he thoughtful free from every reproach.
Entstehung und Entwickelung der Jugendhorte
in Deutschland.
Von Frau Anna Plothow, Berlin.
Die Entstehung der Jugendhorte in Deutschland reicht in ihren
ersten Anfängen bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts
zurück, aber ihre Entwickelung und volkserzieherische Bedeutung
haben diese Anstalten erst in den beiden letzten Jahrzehnten erlangt.
Die Einrichtungen, welche früher dem Versuche gedient hatten,
aufsichtslose Kinder zu sammeln und zu beschäftigen, hatten die
Erwerbsfrage in den Vordergrund gestellt und die Kinder mit be-
stimmten gewerblichen Arbeiten wie Wergzupfen, Mattenfiechteu,
Gartenbau und dergl. beschäftigt und sie dafür entlohnt.
Nun trat die erzieherische Idee in den Vordergrund. Jugend-
horte auf solcher Basis entstanden zuerst in den siebziger Jahren in
Süddeutschland und breiteten sich bald von dort nach dem Norden
und Westen und etwas später auch nach dem Osten des Reiches aus.
Die Entwickelung der Jugendhorte ist eng verknüpft mit der
sozialen Frage. Seitdem die Sozialdemokratie unserer Zeit die Augen
geöffnet hatte über die Not des vierten Standes, begann für die
wohlmeinenden Bessergestellten der Nebelschleier zu reissen, der die
Dinge da unten bisher in sanfte Dämmerung gehüllt hatte, und klar
sehend erkannten sie eine Fülle von Elend, Not und Verkommenheit,
die sie zuerst zurückbeben und dann ihr Herz in heissem Mitgefühl
— 85 —
erglühen machte. Hunderttausende rangen den bittern, aussichtslosen
Kampt um ihre Existenz und unbeachtet, ungeleitet, wuchsen ihre
Kinder empor wie das wilde Unkraut auf dem Felde. Mit tiefer
Bektlmmernis vernahm der Menschenfreund, dass die Zahl der jugend-
lichen Verbrecher stetig im Wachsen sei, dass in Deutschland
10 Prozent aller Verurteilten Jugendliche unter 18 Jahren seien.
Aber das feinere Gerechtigkeitsgefühl Hess ihn nicht ohne weiteres
diese Kinder verdammen, sondern diejenigen, die sie erzogen oder
vielmehr nicht erzogen hatten. Und man durfte als diese Schuldigen
auch nicht immer die Väter und Mütter der unglücklichen Geschöpfe
ansehen, die oft so hart um die Existenz ringen mussten, dass ihnen
keine Zeit für Erziehung ihrer Kinder blieb — denn wie sollen
z. B. eine Witwe oder auch ein Witwer, die ausserhalb des
Hauses ihrem Erwerb nachgehen müssen, ihre Kinder beaufsichtigen ?
Ein aufsichtsloses Kind aber, auch wenn es gut veranlagt ist,
kommt schon aus Langeweile, aus ungeleitetem Thätigkeitstrieb
auf dumme Streiche, ja es führt unbewusst Schlechtigkeiten aus.
Kinder, die aufsichtslos auf dem Pflaster einer Grossstadt heran-
wachsen, können keine Unschuld bewahren: ihren scharf beobach-
tenden Augen und Ohren bieten sich so viel schlimme Beispiele, dass
sie unwillkürlich dieselben nachahmen und dadurch den Geschmack
am Guten verlieren. Das einzige moralische Gegen wicht, die Schule,
erweist sich in ihrem Einfluss zu schwach gegen die Wirkungen
der Strasse und versumpfter Häuslichkeiten. Bei der grossen Schüler-
zahl unserer heutigen Klassen kann der Lehrer nicht auf das
Gemütsleben des einzelnen Kindes näher eingehen, ja es bleibt ihm
meist dunkel und verhüllt. Wer ist also verantwortlich zu machen ?
Es beginnt jetzt in der menschlichen Gesellschaft die Erkenntnis
aufzugehen, dass sie selbst, die Gemeinsamkeit, das Volk, die Pflicht
hat, sich ihrer jüngsten, unbeschützten Glieder anzunehmen, die
ohne ihren Willen in diese Gemeinschaft eingetreten, aber nun auf
dieselbe angewiesen sind, und denen die Natur alle Eigenschaften
mitgab, um bei richtiger Leitung zu guten, nützlichen Gliedern
der Gesellschaft heranzuwachsen, aus denen aber ebensogut ein Heer
von Quälgeistern hervorgehen kann, das, ohne Erziehung aufge-
wachsen, nur seinen blinden Trieben folgend, zur Geissei der Mensch-
heit wird. Weniger einsperren, mehr erziehen muss künftig unsere
Losung sein!
Aus solchen Gesichtspunkten heraus ging man an die Errichtung
der Kjiaben- und Mädchenhorte, in denen die aufsichtslose Jugend
gesammelt und erzogen wird. Die erste derartige Ajistalt war die
durch Herrn Professor Schmid - Schwarzenberg 1872 in Erlangen
gegründete, der er den verheissungsvollen Namen „Sonnenblume"
gab. Nach ihrem Vorbild vmrden weitere Horte errichtet:
1877 in Augsburg,
1879 in Hannover,
1880 in Altona,
1881 in Braunschweig und Heilbronn,
1882 in München,
1883 in Berlin und Leipzig,
1884 in Halle und Potsdam und so fort;
— 86 —
gegenwärtig haben etwa 60 deutsche Städte, ausserdem auch einige
Landgemeinden, Jugendhorte. Man gab diesen Anstalten den Namen
„Hort", denn sie sollten die aufsichtslosen Kinder nicht ganz von
ihren Eltern trennen, also keine Heimstätte für sie sein, wohl aber
ein Zufluchtsort.
Die Horte sammeln in geeigneten Räumen die schulpflichtigen
Kinder in der schulfreien Zeit — die Sorge für die ganz Kleinen
überlässt man den Kleinkinderbewahr-Anstalten und Volkskinder-
gärten. Notorisch sind es auch gerade die Schulkinder, die von
ihren Eltern am meisten sich selbst tiberlassen werden. In den
meisten Städten wurden zuerst Knabenhorte gegründet. Durch
die systematische Vorarbeit des erwähnten Professors Schmid in
Erlangen, der in Wort und Schrift für diese Art der Jugend-
el'ziehung eintrat und durch Teilnahme an Kongressen, sowie durch
Vorträge für Verbreitung seiner Ideen sorgte, sowie durch die
beiden eigens für diesen Zweck gegründeten Organe : Karl Märkers
„Volkserzieher" und die Zeitung des Rat Jung in München „Knaben-
hort" wurde die öfl^entliche Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit
solcher Anstalten gelenkt. Auch Erlasse der preussischen und
württembergischen Ministerien befürworteten die Gründung von
Knabenhorten.
Es ist nicht recht ersichtlich, warum man nur an die Knaben
dachte, wenn man nicht annehmen will, dass eine Schar aufsichts-
loser, unnützer Jungen sich der Gemeinsamkeit zuerst als Last und
Aergemis fühlbar machte. Die Verwilderung der Mädchen, ob-
gleich mehr in der Stille sich vollziehend, zeigt sich als noch tiefere
moralische Schädigung, da die Frau, als Hüterin des Familien-
lebens, zugleich die Trägerin der Sittlichkeit sein muss. So er-
kannten denn wieder andere die Notwendigkeit, hier fürsorgend zu
helfen und man richtete, meist unabhängig von den Knabenhorten,
auch Mädchenhorte ein ; immerhin befinden sie sich noch in der Minder-
zahl. Das liegt teils in den angeführten Gründen, teils darin, dass
die heranwachsenden Mädchen leichter Unterschlupf bei Nachbarn
finden, weü sie zu allerlei kleinen Dienstleistungen brauchbar sind.
In diesen losen, aller Autorität entbehrenden Beziehungen zu oft
nicht einwandsfreien Nachbarfamilien liegt freilich auch die grösste
sittliche Gefahr für die Mädchen.
Berlin besitzt die meisten Mädchenhorte, 23 neben 9 Knaben-
horten; allerdings ist hier wohl das Bedürfnis am dringendsten.
Hamburg hat 10 Mädchenhorte neben 5 Knabenhorten, also un-
gefähr dasselbe Verhältnis, Kiel ebenso 4 zu 2, Leipzig 3 zu 3,
Strassburg 2 zu 2, Köln 2 zu 5, München 2 zu 9, Dresden 1 zu
5 Knabenhorten. Von anderen grösseren Städten haben Stuttgart,
Nürnberg, Mannheim und Weimar nur Knabenhorte.
Es giebt das ein Bild von der Verschiedenartigkeit der lokalen
Auffassung.
Die äussere Einrichtung der Horte ist überall ziemlich die
gleiche. Gewöhnlich von Wohlthätigkeitsvereinen gegründet und
unterhalten, werden sie meist von den städtischen Behörden durch
einen jährlichen Zuschuss und Gewährung von Freüokalen unter-
stützt. Naturgemäss liegen die letzteren immer in Schulähuseru,
- 87 —
das hat Vorteile und Nachteile für sich. Die Nachteile bestehen
darin, dass diese Räume nicht so recht den Eindruck eines „Heims*'
machen, das sie doch zu ersetzen bestimmt sind, und manche Ein-
richtungen des Schulhauses die Bewegungsfreiheit hindern. Letzteres
ist besonders der Fall, wenn der überwiesene Raum eine vormittags be-
nutzte 8chulklasse mit feststehenden Tischen und Bänken ist. Die
Vorteile bestehen in der Unentgeltlichkeit und Unkündbarkeit des
Lokals, in der Benutzung der anschliessenden Schulhöfe, der Turn-
halle u. 8. w. Da jetzt häufig in neuen Schulhäusern besondere
Lokale für Jugendhorte gebaut werden, so fällt die vorerwähnte
TJngemütlichkeit dort fort. Einige Bilder und Blumen, eine Wand-
uhr, ein heller Vorhang geben auch einem kahlen, hohen Raum
etwas Trauliches.
37 Anstalten haben eigene Räume, 32 sind in Mietswohnungen
untergebracht, 122 in Schulhäusern. — Auch die innere Einrichtung
ist tiberall eine ähnliche, denn die Leiter der einzelnen Horte
tauschten vielfach ihre Jahresberichte aus und lernten von einander
aus den gesammelten Erfahrungen. Allerdings bleiben noch genug
Verschiedenheiten in Beschäftigung und Verpflegung der Kinder, in
der Art der konfessionellen oder konfessionslosen Erziehung be-
stehen.
Die Kinder verbringen die schulfreie Zeit in den Horten, wo
sie von einem Erzieher oder einer Erzieherin beaufsichtigt werden.
Da es für eine einzelne Kraft schwer ist 40 — 60 Kinder richtig
pädagogisch zu leiten und zu gleicher Zeit verschiedenartig zu be-
schäftigen, so hat man sich überall nach freiwilligen Hilfskräften
umgesehen.
In Berlin haben die Frauen- und Mädchengruppen für soziale
Hilfsarbeit eine Anzahl wackerer Arbeitskräfte gestellt, in den
Provinzen und anderen deutschen Ländern haben Frauen wenigstens
an einigen Mädchenhorten geholfen — freilich ist überall noch eine
weit regere Beteiligung wünschenswert. Auch ist Mithilfe der
Frauen bei der Knabenerziehung dringend nötig, denn die Knaben
sind im Hort, weil sie die mütterliche Aufsicht entbehren müssen,
und die kann ihnen auch der beste Lehrer nicht ganz ersetzen. Für
das Gemüt der Knaben würde es von grossem Vorteil sein, wenn
sie mehr unter dem Einflüsse gebildeter Frauen stünden. Ich möchte
die freiwillige Hilfsthätigkeit in den Jugendhorten namentlich den
unverheirateten Frauen ans Herz legen, die so oft reiche Schätze
von Erziehungskraft und mütterlicher Güte in sich bergen, die
ungenutzt vergraben bleiben, und durch deren Verwertung sie un-
endlich viel Segen stiften könnten! Und diese Arbeit ist zugleich
eine sozial ausgleichende, die Kulturgüter durch die oberen Schichten
den unteren vermittelnde. Eine kinderlose Frau, die ein armes,
aufsichtsloses Kind erzogen hat, kann sich sagen, dass sie auch
ihren natürlichen Beruf erfüllt hat. Pekuniäre Opfer legt diese
Art Liebesthätigkeit nicht auf, sie beansprucht auch nicht viel Zeit,
nur allwöchentlich ein- bis zweimal, allerdings regelmässig, einige
Stunden.
Die Beschäftigung der Kinder in den Horten ist verschieden.
Nach Anfertigung der Schularbeiten werden die Knaben mit
- 88 —
Handfertigkeits-* oder gewerblichen Arbeiten, die Mädchen mit Hand-
und Hausarbeit beschäftigt. Die fdr die körperliche und gemütliche
Entwickelung der Kinder so wohlthätige Gartenarbeit ist an 25 Orten,
meist kleineren Städten, eingeführt. Die Grossstädte mit ihrem
teuren Bauland haben keinen Raum für Schulgärten. Die gewerb-
liche Arbeit der Knaben: Mattenflechten, Holzspalten, Wergzupfen,
Dütenkleben u. s. w. ist aus den eingangs erwähnten früheren
Arbeitsschulen herübergenommen. Zum grossen Vorteil der Erziehunsr
ist sie fast tiberall von der Knabenhandarbeit verdrängt. Dieses
von Herrn von Schenkendorf in Deutschland eingeführte erziehliche
Beschättigungsmittel strebt Ausbildung der körperlichen Fähigkeiten,
der Handgeschicklichkeit, aber auch des Ordnungs-, Farben- und
Schönheitssinnes an.
Da nur auf der Oberstufe wirkliche Gebrauchsgegenstände und
zwar der verschiedensten Art gefertigt werden, so ist hier der ge-
werblichen Ausnützung der Kinder durch einseitige Arbeit vor-
gebeugt, während der Reiz, der in der Arbeit selbst liegt, die
Arbeitslust der Kinder weckt.
Die Jugend ist die Zeit des Lernens, des Werdens, und alle
Erwerbsarbeit sollte deshalb aus diesen Jahren verbannt bleiben,
denn sie wird von den Kindern immer nur auf Kosten emes späteren
Kräftemangels geleistet werden.
Die Beschäftigung der Mädchen besteht in Handarbeiten und
in Anleitung zu häuslichen Arbeiten. Die letzte erfolgt allerdino-s
nur in 24 Anstalten, von denen 10 auf Berlin entfallen. Die übrigen
Mädchenhorte begnügen sich mit Unterweisung in Handarbeiten. Die
im Süden Deutschlands von Nonnen geleiteten Anstalten weisen sehr
feine, mühsame Handarbeiten auf; in München und Mitteldeutsch-
land hält man sich mehr an Luxusarbeiten: Häkeln, Sticken, Blumen-
machen; in Berlin, Charlottenburg, Kassel und Halle ^v^rd besondere^
Gewicht auf einfache, praktische Arbeiten wie Nähen, i^licken,
Stopfen gelegt. In Verbindung damit wird in diesen Städten Haus-
haltungsunterricht erteilt: die Mädchen müssen putzen, scheuern.
waschen, bügeln und werden in die Grundbegriffe des Kochens ein-
geweiht. Man geht dabei von dem richtigen Grundsatz aus, den
Mädchen alle die Kenntnisse und Fertigkeiten beizubringen, die sie
in einem ordentlich geleiteten Hausstand erwerben würden, und die
für die Ausbildung ihrer weiblichen Eigenart und ihren künftigen
Beruf unerlässlich sind.
Wie der Knabenhandarbeit wohnt auch dieser verschiedenartigen
Hausarbeit ein hoher erzieherischer Wert inne, denn sie bildet die
Tugenden der Ordnung, Pünktlichkeit, Reinlichkeit, Sparsamkeit,
den Fleiss und die Selbstverantwortlichkeit aus. Es wäre daher
sehr wünschenswert, dass alle Mädchenhorte diese Art der Aus-
bildung adoptieren möchten. Vorbildlich in seiner Einrichtung ist
das von Frau K. R. Heyl in Charlottenburg 1882 für die Kinder
ihrer Arbeiter gegründete Jugendheim, das nun in erweiterter Form
von einem Verein verwaltet wird.
Auch der auf Anregung von Frau Elisabeth Vogeler 1884
in Berlin gegründete Verein „Mädchenhort**, dessen jetzige Vor-
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sitzende Frau Emilie Mosse ist, erstrebt in seinen 10 Anstalten eine
möglichst gründliche Durchbildung seiner Zöglinge.
Natürlich darf bei einer rechten Erziehung auch das Spiel, die Er-
holung, die Körperpflege nicht vergessen werden. In allen Horten
wechseln Spielpausen mit der Arbeit ab, sucht man durch Bewegungs-
spiele im Freien, durch längere Spaziergänge und Turnübungen die
Gesundheit der Kinder zu pflegen. Im Sommer treten dazu Bäder,
Ausflüge aufs Land, Verschickung der kränklichen Kinder in
Ferienkolonien. Für die Zurückbleibenden werden in Berlin, München,
Bremen u. s. w, Halbkolonien während der Ferien eingerichtet.
Heitere Feste wie Weihnachtsbescherungen, ICaiser Geburtstags-
feiern und Landpartien sorgen für frohe Abwechselung im Hort.
Teilweise Verpflegung erhalten die Kinder mit ganz geringen Aus-
nahmen in allen Anstalten und zwar regelmässig <las Vesperbrod,
bestehend in Suppe oder Milch, resp. Kaffee und Brot. In vielen
Anstalten erhalten die Dürftigsten auch Mittagessen, entweder gegen
geringe Bezahlung oder auch ganz unentgeltlich. Der Wochenbeitrag
der von den Eltern erhoben wird, variirt zwischen 58 — 80 Pf. doch
wird auch dieser Beitrag im Notfall erlassen.
Als besonders interessant ist noch der Versuch zu erwähnen,
den Frau Rechtsanwalt Bieber-Böhm, in dem von ihr vor zwei
Jahren in Berlin gegründeten Jugendhort, mit gemeinsamer Erziehung
von Knaben und Mädchen gemacht hat. Die Kinder vertragen sich
gut und teilen Arbeit, Spiel und Unterricht. Im Hinweis auf ihre
künftige Militärzeit machen sich die kleinen Knaben mit Begeisterung
an^s Stopfen und Flicken. Dankenswert ist die Bemühung vieler
Anstalten, für ihre Zöglinge auch noch nach der Schulentlassung zu
sorgen, durch Unterbringung in geeignete Lehrstellen und Dienste
Besonders bemühen sich in dieser Richtung für die Knaben: Herr
Rat Jung in München, Herr Stadtschulrat Dr. Zwick, Vor-
sitzender des Vereins „Kinderhort** in Berlin, sowie die Vorstände
der Knabenhorte in Bamberg, Hamburg, Heilbronn, Kaufbeuren,
^Mannheim und Stuttgart.
Auch der Verein „Mädchenhort" in Berlin bemüht sich seit
Jahren hierfür. Leider musste man die Erfahrung machen, dass die
14jährigen Berliner Mädchen meist noch zu schwächlich für einen
Dienst sind. Es wird deshalb im Anschluss an diesen Verein jetzt
eine Haushaltungsschule in Gross-Lichterfelde erbaut, die Platz für
30 Zöglinge hat und in der die schulentlassenen Mädchen in
1 — lV2Jälii'igem Kursus zu tüchtigen Dienstboten ausgebildet werden
sollen. Die Jugendhortsache thut damit einen bedeutenden Schritt
vorwärts, da es nun möglich ist den Zöglingen eine abgeschlossene
Bildung zu geben und sie erwerbsfähig in 's Leben zu entlassen.
Freilich hat das freundliche Bild, das ich von den Jugend-
horten vor ihnen entrollen durfte, auch starke Schatten. 60 Städte
mit Jugendhorten nennt O. Reddersens statistische Uebersicht und
wir haben 2528 Städte in Deutschland; davon sind eine grosse An-
zahl Fabrikstädte, die Jugendhorte bitter nötig haben. Auch in
den Grossstädten ist dem Bedürfnis noch lange nicht genügt. Berlin
hat 28 Mädchenhorte und 9 Knabenhorte bei 183 000 Gemeinde-
schulkindem , ein Zehntel dieser Kinder — also mindestens 18 000
— 90 —
— ist aufsichtslos, weil alle erwachsenen Angehörigen ausser dem
Hause arbeiten; dieser Zahl gegenüber sind die in Horten geborgenen
1500 verschwindend wenig. Die von der ärmsten Bevölkerung
bewohnten Vororte Eixdorf, Weissensee, Friedrichsberg ermangeln
gänzlich solcher Anstalten. Vielleicht liesse sich mehr erreichen,
wenn nicht auch hier, wie auf so vielen Gebieten öifentlicher Wohl-
fahrtspflege, grosse Zersplitterung der Kräfte herrschte. Es giebt
evangelische, katholische und konfessionslose Jugendhorte; solche
von der inneren Mission wie von einzelnen Gemeinden, von Stiften
und Privatpersonen gegründete.
Ein Versuch der Vereinigung und Erweiterung der »higend-
hortarbeit wurde angestrebt durch eine Petition, die auf A'eran-
lassung von Frau Bieber-Böhm der Bund deutscher Frauenvereine
an die Magistrate der deutschen Städte richtete und in der man um
obligatorische Einrichtung und Subventionierung von Jugendhorten
bei allen Volksschulen bat. Diese Petition wurde von einzelnen
Behörden in freundliche Erwägung genommen, von anderen ab-
gelehnt.
Den entgegengesetzten Standpunkt vertritt 0. Redderseii in
Bremen, der die Jugendhorte als Notanstalten betrachtet und nur
dort gegründet wissen will, wo dringendstes Bedürfnis vorliegt, da
er von der Entlastung der Eltern von ihren Erziehungspüichten
eine Lockerung des Familienlebens türchtet. Er übersieht dabei,
dass oft ein moralischer Notstand vorliegt, der es den Eltern un-
möglich macht, ihre Kinder gut zu erziehen. Das beste Mittel, die
Jugendhorte in späterer Zeit weniger notwendig zu machen, scheint
mir dies: jetzt recht viel solcher Anstalten zu gründen, damit ein
besser erzogenes, tüchtigeres Geschlecht heranwächst, das fähiger
ist, seine Elternpflichten auch bei den einfachsten Lebens verhätnissen
zu erfüllen. Da die Vorsehung die Anlagen ohne Ansehen der
Person verteilt, so ist es unsere Pflicht, durch eine gewissenhafte
Erziehung diese Gaben auszubilden und so jedem Menschenkinde,
auch dem ärmsten, den reichen Schatz einer harmonisch gebildeten,
den Aufgaben des Lebens gewachsenen Persönlichkeit mitzugeben.
So lange wir noch kindliche Verbrecher unter uns haben, müssen
wir sagen: „Nostra culpa", unsere Schuld ist es, die Schuld der
Gemeinsamkeit, die ihre Erzieherpflichten versäumt hat. Deshalb
ist die Aufgabe der Jugendhorte eine ernste und hohe; sie erheischt
unermüdliche, hingebende Arbeit, eine Arbeit, zu der ich jede und
jeden aufrufen möchte, der ein warmes Herz für die Jugend hat.
Frauenthätigkeit für Knabenhorte.
Von Herrn Dr. jur. Aurelius Schmid, Grunewald-Berlin.
Meine Damen, meine Herren ! Erlauben Sie dem Sohne Schmid-
Schwarzenbergs Frau Plothow zu danken für die ganz im Geiste
des Begründers der Knabenhorte gehaltenen Darlegungen. Ei-lauben
Sie, meine Damen, einem männlichen Gaste, Sie einzuladen zu ge-
meinsamer Arbeit mit den Männern auf dem hierfür besonders
geeigneten Gebiete der Knaben- und Mädchenhorte.
— 91 —
.,Der ^lensch kinn nur ^Mensch werden durch Erziehniijar.'
Dieser Kantsche Lehrsatz steht in Stein gegraben über der
Eingangsthüre des Erlanger Knabenhortes. Er hat zur (iründung
der Knabenhorte und dadurch auch der Mädchenhorte geführt. Kr
veranlasste meinen Vater in einer Ergänzung der Erziehungsmittel
ein Haaptmittel zur Lösung der sozialen Frage zu erblicken. .Mein
Vater war zur Ueberzeugung gelangt, dass die Erziehung der
Minderbemittelten so lange eine lückenhafte bleiben müsse, bis sich
zu Schale und Haus ein weiterer Erziehungsfaktor geselle, ein Mittel-
glied zwischen Schule und Haus: die Knaben- und Mädchenhorte.
In denselben finden ärmere schulpflichtige Kinder während eines
Teiles der schulfreien Zeit Obdach, Aufsicht, Anleitung, Ermutigung
und Freudebereitung, welche ihnen die Anstalt an Stelle der be-
hinderten Eltern gewährt. Knaben- und Mädchenhorte sollen ärmere
Kinder in Bezug auf die wesenhaften Bestandteile kindlichen (ilückes
den reichen thunlichst gleichstellen.
Als Mitarbeiter meines Vaters und Fortsetzer seines Werkes
sind in erster Linie zu nennen : -J- Dr. Reinsch-Erlangen, 7 Maximilian
Drossbach-Bäumenheim bei Donauwörth, "l- Karl Märker-Augsburg,
Herr Rat Jung - München, Herr Schulinspektor Dr. Zwick - Berlin,
Herr Fabrikbesitzer Bücking-Erlangen und Herr K^ddersen Bremen.
Die Knaben- und Mädchenhorte zählen heute zu den unbe-
strittenen Wohlfahrtseinrichtungen der grösseren deutschen Stüdte.
Sie haben allen neuzeitlichen volkspädagogischen Bestrebungen Auf-
nahme gewährt, dem Handfertigkeitsunterricht, soweit er erziehend
wirkt, den Bewegungs- und Turnspielen, der Pflanzenpflege. Endlich
sind die Knaben- und Mädchenhorte naturgemäss verbunden mit einer
der lichtesten Schöpfungen unserer Zeit, mit den Ferienkolonieen.
Der Begründer derselben, Herr Pfarrer Bion in Zürich, betonte
mir gegenüber, es müsse der kurzen Beschäftigung mit den Pfleg-
lingen der Ferienkolonieen eine dauernde Berücksichtigung durch
die Knaben- und Mädchenhorte entsprechen.
Fräulein Hoflfmann-Bremen hat sich zu Gunsten der Mässigkeits-
bestrebungen erfolgreich an die Vorstände der Knabenhorte gewandt,
ähnlich Thierschutzvereine. Die weibliche Dienstbotenfrage und die
Lehrlingsfra^e stehen in innigem Zusammenhange mit den Kinder-
horten.
Zur Frauenthätigkeit für Knabenhorte nenne ich zunächst meine
Matter, die ihrem Gatten eine treue Helferin gewesen ist, dann die
Schwester Karl Märkers, sowie Frau Lina Morgenstern und Frau
von Marenholtz-Bülow. Mailand und dadurch Italien verdankt seine
Knaben- und Mädchenhorte dem Genie von Frau Cavalli-Porro in
Mailand. An den römischen Knabenhorten wirken ausschliesslich
Frauen als Erzieherinnen. Frau Salis - Schwabe, -J- 1896, die sich
in der Geschichte des Fröbeltums und der Stadt Neapel ein Denk-
mal gesetzt hat, beschäftigte sich auf meine und meiner Frau An-
regxLDg noch in ihren letzten Lebenstagen mit der Frage der Er-
richtung von Knabenhorten in Neapel, wo sie gewiss besonders am
Platze sind.
Eine Bitte an die ausländischen Damen : Studieren Sie die Knaben-
nud Mädchenhorte und tragen Sie zur Verbreitung derselben in Ihrem
— 92 —
Vaterlande bei! Eine Bitte an die deutschen Frauen: Wirken Sie
für die Knaben- und Mädchenhorte in lokaler Arbeit und in eifriger
Agitation. Die Dame, unter deren Vorsitz Sie heute tagen, Frau
Hanna Bieber-Böhra, ist Ihnen mit glänzendem Beispiel voran-
gegangen durch Veranlassung einer Frauenpetition an die deutschen
Kommunen. Und wirken Sie auch durch die Presse! Frau von
Marenholtz-Bülow und ihre Gesinnungsgenossinnen haben der Sache
Fröbels zum Siege im Inlande und Auslande verhelfen. Tragen
Sie dazu bei, einer nicht minder bedeutungsvollen Sache zum Siege
zu verhelfen zum Heile der armen Kinder und der armen Eltern !
Yolksiinterhaltungsabende.
Von Fräulein Klara Strich, Weimar.
Greehrte Anwesende! Ich will mich sehr kurz fassen. Ich will
nur etwas erzählen von unseren Volksunterhaltungsabenden. Je nach
den verschiedenen Orten werden sich die Einrichtungen derselben
von einander etwas abweichend gestalten müssen. Das Publikum,
das solche Abende besucht, rekrutiert sich bei uns in Weimar aus
dem mittleren und kleineren Bürgerstande. Um die Kosten zu
decken, zahlt jede Frau für den Abend 5 Pf. Eintrittsgeld ; es bleibt
uns auf diese Weise immer noch etwas Geld zu gemeinnützigen
Zwecken übrig. Sie werden nun fragen, wie wir es machen, um
die Unterhaltungsabende zu gedeihlichen zu gestalten? Was bringen
wir diesen Frauen? In welcher Weise bringen wir es? Abhand-
lungen können wir nicht gebrauchen. Kleine Erzählungen, kleine
Novellen, wie wir sie in guten Zeitungen, die der Frauensache
dienen, finden, werden gelesen; sie dürfen aber die Zeit einer Stunde
beim Lesen nicht überschreiten.
Eine wichtige, unerlässliche Forderung ist es, die Sachen, die
gelesen werden, vorher eingehend zu erörtern und zu erläutern.
Wir geben die Inhaltsangabe, besprechen die Charaktere der Helden.
machen auf die sittliche Idee, die in der Erzählung liegt, aufmerksam,
weisen auf Schönheit der Sprache, der Naturschilderung u. a. m.
hin. Hinsichtlich des Vorlesens ist nur gutes, wenn es sein kann,
von künstlerisch geschulten Kräften, erwünscht. Ein besonders gutes
Bildungsmittel ist es auch, auf die lokalen Verhältnisse Rücksicht
zu nehmen, alles in Betrachtung zu ziehen, was mit den Frauen-
interessen in Verbindung steht. Diese Frauenabende sind aber auch
sehr geeignet, den Geist der Solidarität zu pflegen; die Frauen sind
noch zu wenig daran gewöhnt zu glauben, dass auch ihre Stimme
ins Gewicht falle in Sachen des Gemeinwohles. Wir haben aber
gefunden, dass sie sich leicht dafür interessieren lassen. Wir unter-
lassen es nicht, Petitionen vorzulegen z. B. die für das ärztliche
Studium der Frauen. Diese einfachen Frauen waren leicht für die-
selbe zu gewinnen. Auch die Petition gegen das bürgerliche Gesetz-
buch haben wir vorgelegt, sie wurde mit grosser Bereitwilligkeit
unterzeichnet. „Ich unterschreibe lieber dreimal, als einmal",
erklärte eine Frau, die ihr ganzes Vermögen in der Ehe ver-
loren hatte. Ein Mittel, die Abende den Frauen angenehm
- 93 —
zu machen, finden wir darin, sie zur Selbstthätigkeit anzu-
regen, sie aufzufordern, etwas vorzutragen, sei es in Musik,
Gesang oder Deklamation. Wir haben die Freude, dass es
geschieht; so hat z. B. eine 77jährinre einfache Frau im vorigen
Winter öfter Gedichte zum Vorti'ag gebracht. ]klan muss alles
willkommen heissen, um nicht einschüchternd zu wirken. Diese For-
derung ist für die Leiterrinnen solcher Abende nicht immer an-
genehm, da es z. B. vorkommt, dass mitunter im hohlen Pathos
Ideen verherrlicht werden, die man kurz zuvor nachdrücklich be-
kämpft hat. Da steigen wohl einmal Zweifel in den Erfolg unserer
Arbeit in uns auf. Dann drängt sich einem vielleicht gar das
hässliche Wort von der weiblichen Inferiorität auf die Lippen.
Aber man lasse den !Mut nicht sinken! Wir würden mit demselben
Rechte auch von einer männlichen Inferiorität sprechen können, bei
gleichen Lebensbedingungen. Und will es uns nicht manchmal
scheinen, als seien die Älänner inferior nach einer Richtung hin,
hinsichtlich der Beurteilung der Bestrebungen des weiblichen Ge-
schlechtes? — Alle Jahre einmal gibt es einen sogenannten grossen
Unterhaltungsabend, an dem auch die Männer Zutritt haben. Sie
sind stets sehr besucht von 3(X) — 400 Pereonen. Es werden an
diesem Abende Gasangsstücke, grössere oder kleinere Theaterstücke
aufgefühi't oder lebende Bilder gestellt. Einige Stunden sind dem
Tanz gewidmet. Sowohl an diesem Abend, sowie auch an den ge-
wöhnlichen Unterhaltungsabenden herrscht eine gemütliche Un-
gezwungenheit. Es sind uns bis jetzt auch die geringsten Unan-
nehmlichkeiten erspart geblieben. — Ich weiss, dass fast alle die
Frauen, die zum Kongress gekommen sind, in einem oft grossen
Wirkungskreise stehen, dass sie für Unterhaltungsabende zu arbeiten
kaum noch Zeit haben. Aber sie gehen heim, nach den verschiedensten
Richtungen hin, sie können versuchen anregend zu wirken auf
Frauen, die Zeit und Kraft dazu haben, nach dieser Richtung hin
zu arbeiten. Wer nicht Lust hat, die Oeflfentlichkeit dabei
in Anpruch zu nehmen, hat es nicht nöthig; wir in Weimar
haben z. B. nie die Presse beansprucht. Diese Arbeit würde mancher
Frau Befriedigung geben, eine Arbeit, die sich in den Dienst des
Evangeliums der Freude stellt. Ist es nicht glück- und freude-
spendend, wenn wir dazu beitragen, dass Frauen, und sei es auch
nui* für wenige Stunden wöchentlich, aus der Werktagsstimmung
herausgerissen werden und ihnen Gelegenheit gegeben wird, an-
regende, Gemüt veredelnde, Geselligkeit zu pflegen?
The CiYio Club of Philadelphia.
B}^ Miss Bertha Lewis, Dr. med., Delegate of Civic Club of Philadelphia.
The Civic Club of Philadelphia sends you greetings from the
New World, hoping that by the exchange of ideas and Methods of
work we may advance, and place upon strenger foundations the social
Problems in \yhich we are mutually interested.
The Civic Club was tounded in Jan. 1894, by Miss Cornelia
Frothingham and Miss Mary Channing AVinter, two young women
- 94 —
whose farsigthedness into the needs of our Community has been the
main spring in the Organization of the Club.
They called in Council about 30 older women, among
them, Mrs. Cornelius Stevenson, a woman of rare judgement. Mrs.
Stevenson is wrell known by many in this audience, as an eminent
archaeologist.
Then this nucleus of 30 women has grown in less than 3 years
a Club whose numbership now numbers nearly six hundred active
wromen — vv^hile in Organization we are only women, yet our work
has been largely associated with men in all its details.
Our Constitution says, ^'The object of this association shall be
to promote by Education and active Cooperation a higher public
spirit and a better social order".
"For the better execution of its object the club shall be divided
in Departments representing its different lines of work", namely:
Municipal Government, Education, Social Science and Art.
The management of the Club is vested in a Board of fifteen
directors, who are elected annually.
A brief report of some of the work done in each Department
will probably give the best idea of its scope and value, and I feel
that I cannot do better than to give you extracts from the annual
addresses of our honoured President: „We aim to promote by
education and active Cooperation a higher public spirit and a better
social Order". In so doing we array ourselves, not against any
one class of men or any one Order of shortcomings, but against the
general deficiency which at e\ ery tum is feit by those who critically
examine into the municipal and intellectual facilities which seem
to satisy the average Philadelphia Citizen. In other words we
pledge oui'selves to higher Standards.
Our broad and flexible Organization, divided in the four Departments
of Municipal Governement, Education, Social Science and Art, clearly
deflnes the scope of our work and at the same time gives ample
freedom to individual ability and personal preference, whilst the
composition of the Board of Directors, founded of the executive offlcers
of each department, secures the homogeneous and closely combined
action of the Club as a whole.
As individuals we may place our personal accomplishments and
experiences as specialists at the Service of the public.
As a Club we are bound to lend our countenance and support
to all who are working for some practical good to the Community
and seeking to promote civilization in the higher sense of the word.
The task the Club has set before it, is to show the way to higher
Standards, to help those about us, to see, to know and to aim at the
intangible something that, to those who possess it, is worth more than
money, patronage and preferment, the seif respect that brings with
it the respect of others and the unselfish devotion to ever broadening
Ideals that leads man to take a disinterested interest in the
advancement of his city, his country and finally his kind.
The first step in our movement is Education to this, and several
important movements were started last Winter (1895). Of these two
have proved absolutely successful, the opening of out door play grounds.
— 96 —
and sunimer Kindergartens and the decoration of the public school.
It maj^ not be out of place to State here, that Philadelphia has since 1889
had as part of her public school System a large number of free
Kindergartens, many of thera located in the most crowded neighbour-
hoods of the City.
The opening of the large school buildings during the great
heat of oui* summers, has been of value to the hundreds of children
who had to remain in the city, and who could not be reached by
the societies which send children to the country or seaside.
Four Kindergartens were opened, and six schoolyards as play
grounds — under proper surveillance.
In Sept. the Com. of the Board of Education whose Cooperation we
secured in doing this — reported that the work had been a success
— and that a great benetit to the Community would be done by
increasing the summer play grounds.
This line of work must prove of immense value to the juve-
nile Population in any city, wrhich, like ours, is filled with narrow
crowded allays, or tenament houses, with still less light and air, from
which emerge into the hot streets a large number of little children
whose life and limbs are endangered by the trolly cars and other
vehicles. This past summer a much larger number have been opened.
Tbe work of a Joint Com. of Art and Education upon the de-
coration (f the public schools, resulted in a large Exhibition of
Photographs and Carts, which aroused great interest and was visited
by 10000 school children, many ofwhom wentlong distances to see
them.
The importance of this movement is obvious, not only from the
artistic standpoint, but that of the ordinary educator, and the future
influence, upon the municipal life of a self-governed people is in-
calculable.
One of the most important elforts of the winter of 1895, was
made in a Single ward or district of the city, to place women on
the local school boards.
We were defeated, but we knew we should be, as it was one
of the worst wards of our city.
This year the eflfort was repeated, women were placed in nomi-
nation in 16 wards, and 3 were elected. Last year the work from
the beginning was absolutely hopeless, and known to be so. This
year the edge of the wedge has penetrated, and in the near future
we hope for a revision of present school System.
These are but brief outlines of the work done by the Com.
onEducation strengthened by the Cooperation of Municipal government.
Next in importance to Education, in our Constitution is active
Cooperation. In order to do this, we must have a knowledge of
existing Societies and Institutions. Philadelphia had no complete
tabcdated record of her Institutions.
On the Social Science Dept. "The Octavia Hill Association", a
Joint stock Co. founded for the purpose of purchasing, managing,
and improving real estate in the poorer districts, and with intent
to bring the owners of property and their tenants into dose and
qmipathetic relation with one another.
— 96 —
Another valuable work for our Community, has beeu the esta-
blishment of free circulating libraries and picture libraries. On Te-
legraph Stations, for the use of the boys during their leisui-e time.
we have placed 25 or 30 vols. in each Station, and two or three
pictures. These are changed every 3. month and passed on to the
next Station; 16 stations are thus far supplied, and 400 vol. are in
circulation this summer. These are supplied, by the Cooperation of
the Three Public libraries of Philadelphia. In addition to the practical
work done in our city, the club has been invited by the Na-
tional Civil Service Reform Convention to send delegates to the
General Conventions; our Constitution has been honoured and used
entire in some instances, or served as a basis for the foundation of
new organizations with purposes similar to our own. The demand
for our literature is constant. We began our work along lines.
which, if not absolutely new, were as yet untried in the manner in
which we have prepared ourselves to travel. We had to organize,
to build up from the foundation, and to formulate our Policy independ-
ently of all former moveraents in the direction of reform, that had
preceeded us.
We did not believe in the efficacy of fault-finding or of protest.
because we feel that men's acts are according to their internal lights
and to their external conditions, and that in Order to work perma-
nent reform. Those conditions must be changed and a new at-
mosphere created.
It is the belief of those who founded and organized the Civic
Club that women are the ones to create and promote this atmosphere.
Just as women are to a large extent responsible for the general
tone ot Society, and by the sarae means as they resort in their own
homes persuasion, Suggestion, practical help, and above all, personal
dignity and seif respect can they quietly accomplish the desired end.
There is one thing which the Civic Club wishes to illustrate:
that woman will at least not be a carping, ''nagger'^ neither will
she be an empty critic
Womens Clubs in the United States, a signiiicant
sign of our time.
By Mrs. Eliza B. Kirkbride, Delegate of Civic Club of Philadelphia.
Mrs. President and members of the International Congress!
The corporate Organisation of women on varied lines of work and
thought will probably be spoken of, in the future, as the most im-
portant social movement of our time, possibly of all time; for it tends
towards the solidarity of half the race.
I have been asked to speak of one phase of this movement in
the United States. The Report of the Civic Club of Philadelphia
has already been presented by Dr. Bertha Lewis. I am there fore
at liberty, although a delegate from the Civic Club only, to say
something in general of "Women's Clubs in the United States as a
significant sign of our time."
97
Fii'st 011 the list are fclie litecaiy or what may hebetter calied,
tlie semi-literary and the semi-social Clubs. Their large and in-
creasing membership is due to the aame impolae among older woinen,
which aroong the youDger fllls our Women'a Colleges with eameat
ätudenta, Women, youiig and old are betomiug' conscious of the
need not oiily of a higher, but of an unending education.
Tbeae clubs afford a common raeetlng-ground where they can
find Instruction and enjoyiuent in the study and the discussion of
carrent events, qnestions of sociology and general literature. For
the "Woman's elub among us, thongh with its social aspect. is no
place for idleness or loanging, It often providea entertainment,
Amateur theatricals and concerts may he on its program, but it
esists, hecanse it givea oppoi'tunity at once foi' intellectual growth
and intellectual eoniradeahip.
The New Century Club of Pliiladelphia is one of the oldeat of
these organiaations. Founded about eighteen yeara ago by a few
wome.ii of decided views and wide aspirations it has long had a
memberahip of six hundred. It meeta in a cluh house of ita own,
planned hy a woman architect and huilt under her auperviaion.
Previons to its erection a large nuniber of tbe members formed n
Joint Stock Co. and aubscribing for the sharea of stock, advanced
money for the purchaae of a lot and the coat of bnilding. The
beautiful audience room and adjoining reception rooma are i'ented
for private balla, lectures, or concerts when not needed tor club use.
The auras thas secured added to a certain part of the duea of mem-
bers, handed over by the elnb to ttie Company-suffice to pay the
stock holding membera five per cent annually on their original out-
lay. The value of the propei'ty aituated in a central part of the
citj' fully inaiirea the aafety of the principal invested. The reading
room and the drawing-rooma are always at the Service of club
members. At a amall coat a pleasant bed-roora can be engaged,
should any meraber froni the auburba wish to apend a night in
hei' club home. Although very numeroua, few of these clubs as
yet own tjieii' own honaes; they meet usualjy in rented hooses or
apart menta.
tjo Hü'ong has the sympathy among women become tliat a ge-
neral or National Föderation üf these aasociations haa been formed,
including 1750 separate organisations. This National Feder ation
meets onee in two years and haa already had two meetings. State
Federations with annoal meatings are now forming. In October
last a Pederation in the State of lUinow had a repraaentafion of
ninety Clubs. These Federations are, in one view, tbe more remar-
kable becauae the clabs represent directly no Impulse towards phi-
lanthropy. and appeal tu no altraiatic emotiona. It in a signiflcant
sign of our time that the leaven of a true fellow-feeling is spread-
ing through theae organisations not on the emotional but on the in-
tellectual and social sides of woman's nature.
It has been said that no Woman's Club was ever founded which
did not eventually add to ita other seotlons some work for the be-
nefit of women lesa fortunate than its members. This is preemi-
nently true of the New Century Club of PliUadelphia. A Legal
— 98 —
Protection Committee meeting weekly offers skilled counsel and prac-
tica! help to women needing redress for any wrong.
The Clubs already referred to are for women of education and
coraparative leisure. The Working Woman's clubs are one of the
most noteworthy philantropic efforts of the day. The working women
belonging to them have, as members, an important share in their
control and by the payment of small dues contribute a little toward
the current expenses. But because they lack time, money and often
knowledge, the bürden of direction falls on the charitable and en-
lightened women who form the Boards of Managers. These orga-
nisations offer to shop-girls and other small wage-earners the same
advantages of intellectual growth, comradeship and enjoyment which
the woman of greater leisure finds in her own club. Only evening
meetings can be held among the working-women, but lessons in
German and in French, lectures on social and scientific subjects and
Instruction in cookery and dressmaking &c. are among the advant-
ages provided, together with circulating libraries and reading rooms.
The New Century Working Womens' Guild is a child of the New
Century Club of Philadelphia. It has its own rented house where
its members, in addition to all other Privileges, can buy a good and
cheap noonday meal and enjoy their hour of rest in the reading
room. It publishes a monthly Journal to which the members often
contribute well-written papers.
In small manufacturing towns these clubs are the greatest boon
to factory writers. One gifted woman in a town near New York
City has devoted twenty years of her life to such a club. A fine
building has been put up, and the Institute for self-supporting women
is one of the best-known associations of the place.
The two classes of Clubs referred to are already factors in
American life. The Civic Clubs are destined, one must believe, to
exercise a still wider and more important influence and to include
all conditions of women. These Clubs or leagues for Civic study
and Civic work are a new and rapidly growing movement. Many of
the literary clubs are adding a Civic Department to their other sections.
The people of the United States have long looked with envy
upon the successful management of municipal affairs oy Continental
nations and by Great ßritain. Too often it has been said "Demo-
cracy though a success nationally is a failure in our eitles."
There is now streng ground for hope that gradually through the
work of these Civic Clubs the women, and not only the women but
the children of our eitles will help to wipe out this reproach; for
these clubs hold up before the women of our country a new ideal.
We have not hitherto been accustomed to think of ourselves as
Citizens responsible for civic duty. When women fully gain this
higher conception of life for themselves and for their children the
United States, it is believed, will have well-govemed eitles. Do not
call this mere idealizing; work and study in civic matters are the
most practical of tasks and minister to no illusions. The Civic club
of Philadelphia though not yet three years old has already entered
on the broad field of hard and eamest laboor outlined in Dp. Lewis's
Report.
— 99 —
Home life is not threatened by any of these organisations, least
of all by the Civic Clubs ; the spirit of tbe time has forced its way
into the home, not to steal but to guard its treasures. The more
knowledge gained of municipal needs, the stronger grows the con-
viction that the chiet value of the work of women in civic affairs
lies in their deep interest in the family and tbe home. One danger
from the influence of the clubs is imminent. There will soon be no
old women in the United States, only innumerable elderly women
kept young by growing zest in life and power of continaed usefiilness.
The higher education illustrated in all these organisations, more-
over, throws light on woman as woman. More than eighteen cen-
turies ago, the lesson was taught that to form a perfect character
in man infinite tenderness, patience and self-sacrifice must be added
to all the strengest manly traits. Only in this Century is it dis-
covered that the golden shield of humanity has a reverse, and that
woman 's essential nature is glorified by knowledge and independent
strength.
The womens' clubs are most of all a significant sign of our
time, because they seem but stepping-stones to those better clubs of
the future in which men and women will work together for the
highest ends. The interests of all classes of women are indivisible,
the interests of men and women are also inseparable. What is truly
good for the development of man cannot conflict with the interests
of woman. What is really good for the development of women
cannot war with the interests of men. In the United States the
Womens' clubs are working toward the füll discovery and the ap-
plication of the great law of social unity.
A sure prophecy of this Coming unity of all mankind is mani-
fest in this first meeting of a woman's Congress upon German seil.
What diversities of nationality, race, language, occupation, opinion
are here represented! Yet wherever our homes may be, whether
in the United States of the American Republic or the Imperial
States of United Germany — we are conscious of one intense desire
to hasten on by Woman's work and Woman's efforts the Coming of
purity and peace in every human soul.
Gruss und Bericht des Schweizerischen Gremein-
nützigen Frauen-Yereins.
Ueberreicht von der Delegierten Frau Professor Emil Vogt aus Bern.
(Gekürzt)
Geehrte Frauen!
Die kleine und doch auf jedem Gebiet intellektuellen Fortschritts
in den vordersten Reihen stehende Schweiz entbietet Ihnen ihre
sympatischen Grüsse; insbesondere den Veranstalterinnen dieses
Int. Frauen-Kongresses, welche uns hierher geladen haben, um unsere
Ansichten über alle die denkenden Frauen unserer Zeit be-
wegenden Fragen auszutauschen. Viele dieser Fragen sind in der
Schweiz bereits gelöst und Thatsachen geworden.
— 100 —
So haben z. B. bei uns die Mädchen jetzt auch Zutritt zu den
G-ymnasien der Knaben, und es wird bereits, wenn auch noch in
bescheidenem Maasse, davon G-ebrauch gemacht. Wir halten in der
Schweiz in allen Punkten der Frauenbildung und der Frauen-
bestrebungen fast gleichen Schritt mit Amerika, und so ist auch die
Schweiz das erste Land in Europa gewesen, das seine Universitäten
den Frauen geöffnet hat. Es gereicht uns zu besonderer Freude
hier auf dem Kongresse eine ganze Reihe von Frauen begrüssen zu
dürfen, welche ihre Studien an unseren Hochschulen gemacht haben.
Auch die G-elegenheit zur Erlangung erweiterter Kenntnisse
für anderweitigen Frauen-Erwerb wird auf alle Weise angebahnt;
nur G-artenbauschulen für Mädchen giebt es bei uns noch nicht.
Was sich in Berlin so vielfach und zahlreich auf einem Punkte
vereinigt findet, erstreckt sich bei uns über alle Kantone, und ist
es erfreulich sagen zu können, dass auf dem G-ebiete der Wohlfahrts-
Bestrebungen alle Klassen der Gesellschaft mit einander wetteifern.
Die Beteiligung der Frau an Kunst, Wissenschaft und Litte-
ratur ist in der Schweiz noch ziemlich bescheiden und blüht fast
im Verborgenen; aber es werden ihr von keiner Seite Grenzen
gesteckt.
Die Rechtsstellung der Frau, diese in Deutschland so brennende
Frage, kommt wohl auch bei uns sehr in Betracht, hat aber bisher
zu einer eigentlichen Bewegung noch nicht geführt, indessen auch
die Schweizer Frau steht lebhaft ein zu dem Satze : Gleiche Pflichten —
gleiche Rechte; gleiche Arbeit — gleicher Lohn; gleiches Recht
vor dem Gesetze, und gleiche Moral für den Mann wie für die Frau.
Eingesandter Bericht:
Report of the Nineteenth Century Club, Memphis,. Tennessee
U. St. A. by Laura B. G-ravet, President and lila Hepner-
Slater, Secretary.
Montag, 21. September Naehmittag 4 Uhr.*)
Vorsitz: Frau Rosalie Schoenflies, Fräul. Katharine Strahl.
Die deutsche Frau an der Yolkschule.
Von Elisabeth Miessner, städtische Lehrerin, Berlin.
Es ist mir hei der kurzen Zeit, die jedem einzelnen hier nur
gewährt werden kann, nicht möglich, das Thema, das ich zu er-
erörtern hahe, auch nur einigermassen erschöpfend zu behandeln.
Ich bitte daher zu entschuldigen, dass ich nur karg sein kann, und
die Thatsachen oft nackt an einander reihen muss. Ich kann Ihnen
in so raschen Zügen kein Bild, sondern nur eine flüchtige Skizze
entwerfen von der Frau an der deutschen Volksschule.
Als die Gesamtheit der bürgerlichen Frauen in unserm
deutschen Vaterlande noch längst im Dornröschenschlummer lag
und höchstens träumend mit der Spindel spielte, gab es schon im
grauen Mittelalter, eine kleine wache Frauentruppe, welche den
Zauberbann der bösen Fee in rüstigem Hantieren durchbrach, um
etwas weiter um sich zu schauen — über die Rosen-Dornen-
hecke hinweg, — um mit ihren Gaben der Allgemeinheit zu dienen.
Das nüchterne Muss war wahrscheinlich auch hier die stärkere
Kraft, welche die Hexe Gewohnheit bezwang. Diese Frauen waren
deutsche Lehrerinnen.
Schon im 15. Jahrhundert finden wir sie an öffentlichen Schulen,
an den sogenannten „deutschen (tewtschen) Schulen" thätig. Schulen
für Kinder des Volks, welche in vielen Städten des Reichs errichtet
waren. So wird u. a. berichtet, dass im Jahre 1481 zu Ehren der
Anwesenheit Kaiser Friedrichs III. in Nürnberg auch die „Lehr-
frowen" mit ihren „raaidlein und kneblein in der purg sungen" und
dass der Kaiser sich daran sehr ergötzet habe.**) — Wir sehen, das
deutsche Volk empfand es längst als natürlich und notwendig, dass
*) Redigiert von Rosalie Schoenflies.
**) Siehe d. Vortrag v. F. Rommel „Der Anteil der Lehrerin n.
d. Volksschule" gehalten in Darmstadt im Jhr. 1895.
— 102 —
die Erziehung seiner weiblichen Jugend von Frauenhänden geleitet
werde, ja dass der veredelnde Einfluss der gebildeten Frau auch
auf seine männliche Jugend einwirke, denn die „lerfrowen" hatten
auch „ kneblein ** unter sich.
Im 16. Jahrhundert wurden sodann durch den Geist der Re-
formation immer mehr neue derartige Schulen und zwar in ver-
bessertem Zustande ins Leben gerufen, neben Knabenschulen auch
besondere Schulen für „maidlein" errichtet — und lerfrowen an ihre
Spitze gestellt, — die ersten Vorsteherinnen von öffentlichen Schulen,
die ersten Rektorinnen, wie wir heute sagen würden, eine Errungen-
schaft von damals, um welche wir Volksschullehrerinnen der
Neuzeit unsere Kolleginnen aus dem Mittelalter leider beneiden
müssen.
Die Lehrerin war also, abgesehen von den wenigen einzelnen
Künstlerinnen und weiblichen Gelehrten, welche das Mittelalter auf-
wies, die erste gebildete deutsche Frau, die sich emanzipierte, die
hinaustrat aus den engen Mauern des Hauses und der Familie, um
wie Männer in einem weiteren Kreise zu mrken, dem Allgemein-
wohl zu dienen und um sich wie Männer ihren Lebensunterhalt
selbst zu erwerben. — Und die Sonne des Mittelalters schien
freundlich auf diese Pioniere unseres G eschlechts, auf diese Erziehe-
rinnnen und Bildnerinnen des deutschen Volks und ihre Thätigkeit.
Die „maidlein" durften in der Erlangung von Kenntnissen ungestört
mit den „kneblein" wetteifern, und es geschah mit Erfolg. Die
Lehrfrowen standen in hohem Ansehen, und das erzieherische und
Lehrtalent der Frauen, ja sogar ihre Befähigung zur Leitung von
öffentlichen Schulen war vollkommen anerkannt.
Da kam der dreissigjährige Krieg, nach ihm noch viele andere,
— und zerstampften nicht nur Saat und Ernte auf den Feldern, sie
zertraten auch viele Blüten, welche eine gewisse feinere Kultur
hier und da schon in den Herzen und in der Sittlichkeit unseres
deutschen Volkes zur Entfaltung gebracht hatte. Das Recht des
Stärkeren kam wieder rücksichtslos zur Geltung und machte sich
natürlich mehr denn je dem schwächeren Geschlecht, den Frauen,
gegenüber fühlbar. Die fröhliche Entwickelung ihrer freieren Be-
wegung auf den Gebieten der Kunst, der Wissenschaft und des
Erziehungswesens und — gar in weiterem — wurde nicht nur für die
Dauer der Kriegeszeiten gehemmt, sondern auf Jahrhunderte hinaus,
ja bis tief in unser Jahrhundert hinein, aufgehalten und zurück-
gedrängt. Daher finden wir auch in den folgenden Jahi'hunderten
immer weniger und schliesslich kaum noch Volksschullehrerinnen.
— Ich erinnere hier an die bekannte Thatsache, dass ein Friedrich
der Grosse die Lehrstellen an den Volksschulen dazu benutzte, seine
ausgedienten Korporale und Unteroffiziere damit zu versorgen. Wie
er handelten schon sein Vater und andere Fürsten deutscher Länder.
— Die fernere Entwickelung kann ich nur kurz auseinandersetzen.
Der Staat hatte mit der Zeit überall die Pflicht und Not-
wendigkeit anerkannt, für ein Mindestmaass der Schulbildung aller
seiner ünterthanen zu sorgen. Er führte eine Schulpflicht von bestimmter
Dauer ein und übertrug meistens den Gemeinden die Unterhaltung
und Verwaltung der Schulen, indem er sich das Aufsichtsrecht
— 103 —
sicherte, aber auch die Gemeinden mit bestimmten Geldzuschüssen in
der Erhaltung der Schulen unterstützte. — Wohlverstanden, sind die
Schulen in Deutsehland jedoch nicht Reichsangelegenheit, sondern
sie unterstehen der Gesetzgebung der einzelnen Länder. Daher be-
steht auch eine mehr oder weniger grosse Verschiedenheit in ihren
Einrichtungen und Leistungen, wie in den Verhältnissen der Lehr-
kräfte.
Der Staat forderte nun überall — und endlich — eine be-
stimmte Vorbildung von den Unterrichtenden. Diese Vorbildung
wurde den Lehrern vom Staate gewährt, aber die Lehrerinnen, die
Frauen, gingen leer aus! Sie konnten folglich nicht mehr mit den
Lehrern konkurrieren und wurden auf diese Weise am sichersten
nach und nach aus den öffentlichen Schulen verdrängt.
Obgleich es jetzt in den meisten deutschen Ländern längst
Prüfungsordnungen für Lehrerinnen giebt, blieb die Ausbildung der-
selben bis auf den heutigen Tag in erster Linie Privatanstalten
tiberlassen. Zwar befinden sich gegenwärtig in den grösseren
deutschen Ländern auch staatliche Lehrerinnenseminare, aber sie
stehen zu der Zahl der Staatsseminare für Lehrer in keinem Ver-
hältnis. So besitzt z. B. Preussen neben 112 Staatsseminaren für
Lehrer nur 10 für Lehrerinnen.
Erst in den letzten Jahrzehnten haben sich die Lehrerinnen die
Volksschule mehr und mehr wiedererobert. So gab es in Preussen
im Jahre 1825 nur 704 Volksschullehrerinnen, die Zahl war im
Jahre 1861 nur auf 1755 gestiegen. Erst in den siebziger Jahren
fand eine schnellere Zunahme der Zahl der Lehrerinnen statt; sie
betrug im Jahre 1879: 5089, war im vorigen Jahre, also 1895, auf
9309 gestiegen und ist gegenwärtig in beständiger Zunahme be-
griffen. Auf Berlin kommen von diesen 9309 Volksschullehrerinnen
allein 1200.
Ausser in Preussen haben die Lehrerinnen einen nennenswerten
Anteil an der Volksschule in den Ländern Elsass-Lothringen, Bayern,
Mecklenburg und Hamburg. Auch in den anderen Staaten wächst
derselbe beständig. Freilich giebt es noch einige deutsche Ländchen,
wie Sachsen-Altenburg und Schaumburg-Lippe, in denen die Pforten
der Volksschule den Lehrerinnen konsequent verschlossen bleiben.
In den katholischen Ländern besteht übrigens nur ein Teil der
Volksschullehrerinnen aus unabhängigen Frauen, ungefähr die Hälfte
sind Xonnen.
Zu Schulleiterinnen, d. h. zu Leiterinnen von öffentlichen Schulen
macht man bei uns die Lehrerinnen nicht. — Eine Ausnahme in
dieser Beziehung bilden einige katholische Volksschulen in Köln und
die Länder Baden und Elsass-Lothringen; Elsass-Lothringen, das ge-
lobte Land der Volksschullehrerinnen, denn hier erreicht die Zahl
der Lehrerinnen fast die der Lehrer, sie beträgt 2251 gegen 2777
Lehrer; auch für die Ausbildung der Lehrerinnen ist hier ausreichend
durch 3 Staatsseminare gesorgt.
Die Lehrzeit auf den Seminaren umfasst 2 bis 5 Jahre. In
Preussen ist sie nach den neuen Bestimmungen auf 3 Jahre fest-
gesetzt. Die Ausbildung der Lehrerinnen ist im allgemeinen nicht
dieselbe, wie die der Lehrer, sie läuft meistens auf die Ablegung
— 104 —
des Examens für mittlere und höhere Mädchenschulen hinaus. Bei
uns in den östlichen deutschen Ländern, namentlich in grösseren
Städten, hat die überwiegende Mehrzahl der Volksschullehrerinnen
dieses Examen für höhere Mädchenschulen gemacht, welches sie aber
weniger für den praktischen Dienst an der Volksschule befähigt, als
die Vorbildung der Lehrer. Auch das praktische zweite Examen, welches
die Lehrer überall ablegen müssen, wird von den Lehrerinnen leider
nicht überall gefordert, auch in Preussen nicht, dagegen in Bayern,
Sachsen, Hessen, Hamburg und natürlich auch in Elsass-Lothringen.
Viele Kommunen, wie auch Berlin, verlangen von ihren Volksschul-
lehrerinnen aber ausser dem wissenschaftlichen Examen die Ab-
legung besondererer Prüfungen in weiblichen Handarbeiten und im
Turnen. — In grösseren Städten werden für diese Fächer ausserdem
noch besondere Lehrkräfte angestellt, die sogenannten technischen
Lehrerinnen, welche aber trotz der von ihnen verlangten Prüfungen
leider nicht überall die feste Anstellung erlangen, auch in Berlin
nicht, wo neben den 1200 wissenschaftlichen Volk«schullehrerinnen
ungefähr 600 technische wirken.
Die feste Anstellung der wissenschaftlichen Volksschullehrerinnen
erfolgt durchgängig erst nach einer Reihe von Probejahren. —
Württemberg gewährt übrigens seinen Lehrerinnen eine feste An-
stellung überhaupt nicht. — Die feste Anstellung verleiht der
Volksschullehrerin mit einer Ausnahme alle Pflichten und Rechte
eines Beamten, also auch den Anspruch auf gesetzliche Pension.
Die eine Ausnahme bezieht sich auf die Verheiratung. Bei Ver-
heiratung gehen die Lehrerinnen ihres Amtes verlustig, und selbst,
wo sie weiter beschäftigt werden können, wie in Baden, verlieren
sie die .definitive Anstellung.
Das niedrigste Gehalt, welches eine Volksschullehrerin bezieht,
beträgt 600 M., d. i. irgendwo auf dem Lande, zwar blutwenig,
aber immerhin noch mehr, als die schlechtest bezahlten Lehrer er-
halten ; freilich beziehen die Lehrer meist noch Nebeneinnahmen aus
dem Kirchen- und Gemeindedienst. In kleinen Gemeinden wird
einer Lehrerin oft die letzte Lehrerstelle mit allen Bezügen, aber
auch mit allen Pflichten übertragen, z. B. 32 Stunden wöchentlich
in Klassen von 80, ja 100 und mehr Kindern verschiedener Jahr-
gänge. — Im allgemeinen aber bleiben die Gehälter der Lehrerinnen
wesentlich hinter denen der Lehrer zurück, und zwar um so mehr, je
höher sie steigen. So beträgt z. B. das Höchstgehalt der Lehrer an den
Berliner Gemeindeschulen 3800 M., das der Lehrerinnen nur 2200 M.
Durch das Gesetz vom 31. März 1889 sind den an preussischen
Gemeindeschulen wirkenden Lehrerinnen staatliche Zulagen von je
50 M. bis zur Höhe von 350 M. nach dreissigj ähriger Dienstzeit ge-
sichert. In anderen Staaten bestehen gesetzliche Bestimmungen über
das Mindestgehalt. Die grösseren Gemeinden gehen jedoch überall
über diese Bestimmungen hinaus und gewähren ihren Lehrerinnen
zum grössten Teil wenigstens ein auskömmliches Höchstgehalt. An
der Spitze steht Frankfurt a. M., das seinen Volksschullehrerinnen
ein Höchstgehalt von 2600 M. gewährt, dann folgen Dresden und
Leipzig mit 2400 M., dann Charlottenburg und Berlin mit 2200 M.,
dann Breslau, München, Hamburg, Metz und Strassburg.
— 106 —
Die Volksschullehrerinnen unterrichten natürlich hauptsächlich
an Mädchenschulen, zum Teil an gemischten, aber auch an Knaben-
schulen. An den gemischten Schulen und an den Knabenschulen
haben sie gewöhnlich das Ordinariat der Unterklassen inne, in den
Mädchenschulen das der Unter- und Mittelklassen. Für die einzelnen
Unterrichtsfächer stehen ihnen überall alle Stufen offen. Sie sind
auch nicht grundsätzlich von dem Ordinariat der Oberklassen aus-
geschlossen, und hier und da setzt eine energische Lehrerin bei
einem wohlwollenden Rektor auch die Erlangung des Ordinariats
einer Mädchen-Oberklasse durch, gewöhnlich aber nimmt der Herr
Schulleiter dasselbe für sich in Anspnich und begünstigt bei der
Verteilung der Klassen sein Geschlecht.
Sie haben aus diesen thatsctchlichen Angaben ersehen, meine
Damen, dass die deutschen Frauen in den letzten Jahrzehnten auf
dem Gebiete der Volkschule wohl ziemlich bedeutende Erfolge zu
verzeichnen haben, dass sie aber immer noch in krasser Weise hinter
ihren männlichen Kollegen zurückgesetzt werden, — dass
ihnen also noch viel zu erkämpfen übrig bleibt. — Und Gott
sei Dank, zur Lust zu solcbem Kampf und Streben ist die Volks-
schullehrerin erwacht! Die Volksschullehrerinnen haben sich zuerst
in Berlin — das war vor 7V2 Jahren, — dann in Schlesien und
nun in ganz Preussen — und in anderen Ländern will man es ihnen
nachmachen — zu besonderen Volksschullehrerinnenvereinen zu-
sammengeschlossen, deren ernstes zielbewnsstes Vorgehen sich Achtung
bei dem Publikum und den Behörden erwirbt und das öffentliche
Interesse allmählich auf sie lenkt. Auf diese Weise ist ihnen
schon manche kleine Eroberung gelungen, wie z. B. den Berliner
Volksschullehrerinnen die Erlangung eines günstigeren Einkommens
als früher — und mehr. —
Diejenigen der vielen verschiedenartigen Bestrebungen der
Volksschullehrerinnenvereine, welche sich auf eine grössere Geltend-
machung des weiblichen Einflusses und Ansehns beziehen, gipfeln in
folgenden Hauptpunkten, wie sie sich von selbst aus den eben dar-
gelegten Verhältnissen (»rgeben.
Die Volksschullehrerinnen verlangen:
1. Dieselbe staatliche Fürsorge für die Ausbildung der Lehrerinnen
wie für die der Lehrer und Zulassung zu allen Prüfungen,
auch zu dem Tiektoratsexaiiien.
2. Mehranstellung von Lehrerinnen, so dass die Mädchenschulen zum
grössten Teil und die gemischten Klassen zur Hälfte unter der
Leitung von Lehrerinnen stehen.*)
3. Dass die Leitung von Mädchenschulen in die Hände von Lehre-
rinnen gelegt werde.
4. Gleiche Rechte für gleiche Pflichten, vor allen Dingen gleiche
Besoldung für gleiche Arbeit.
5. Sitz und Stimme in den Schul vorständen -Kommissionen und
Deputationen.
*) Um einer Entstellung dieser Forderung vorzubeugen, weise
ich nachdrücklich darauf hin, dass dies Bestreben, ein natürlicheres
Verhältnis herzustellen, noch lange nicht die Mitarbeit des Mannes
ausschliessen heisst.
— 106 —
6. Weibliche Schulinspektoren zunächst für den Unterricht in weib-
lichen Handarbeiten, der gegenwärtig von männlichen Schul-
inspektoren beaufsichtigt wird! — *)
Die YolksschuUehrerinnen sind sich der Schwierigkeiten eines
Ringens um diese Ziele voll bewusst, sie rechnen auch gar nicht
darauf, alles auf einmal und in nächster Zeit zu erlangen, — sie
wissen, dass sich ihnen die scheinbar uneinnehmbaren Festungen
dereinst dennoch, aber nur langsam, nach und nach ergeben, wenn
sie unermüdlich weiter kämpfen und ihre Ziele niemals aus den
Augen verlieren.
Sie wissen auch, dass das Streben nach den genannten Zielen
nicht ein gewöhnlicher Konkurrenzkampf ist, sondern, dass es sich
hier zugleich um die Gerechtigkeit handelt und — um das Wohl
des Volkes. Die Yolksschullehrerin ist nämlich zum Bewusstsein
ihrer Bedeutung erwacht! Sie ist davon durchdrungen, dass sie
einen wichtigen Faktor in der Yolkserziehung ausmacht! Sie erkennt
mit Stolz die hohe Aufgabe, welche in der Hand der Volksschul-
lehrerschaft überhaupt liegt. Dieselbe besteht nicht nur darin, die
ihnen anvertrauten Kinder mit einem bestimmten Maass von Kennt-
nissen auszurüsten, was übrigens bei den meist übervollen Klassen
und anderen widrigen Verhältnissen durchaus nicht einfach ist, —
ihr vornehmster Beruf liegt in der Erziehung, in der Erziehung des
künftigen Volkes, — mehr als bei den Lehrern höherer Schulen,
denen die erzieherische Thätigkeit zum grössten Teil von den Eltern
ihrer Schüler, von dem Hause abgenommen wird. Der Volksschul-
lehrerschaft gilt auch der Zuruf unseres Dichters RUckert: „Die
Zukunft habet ihr, ihr habt das Vaterland, ihr habt des Volkes
Herz, Erzieher, in der Hand!" — und auch das Wort des alten
Cicero, der da sagt: „welch grösseres und besseres Geschenk kann
man dem Staate darbringen, als wenn man ihm die Jugend des
Volkes unterrichtet und erzieht".
Nun aber ist es nachgerade allgemein anerkannt, vor allem durch
unsern grossen Meister Pestalozzi, das Frauen durchschnittlich für
die Erziehung befähigter sind als Männer, — ich glaube nicht den
natürlichen Anlagen nach, die wohl ursprünglich gleich verteilt
sind, — sondern weil sie sich die zarteren Empfindungen bewahren
konnten, welche den Männern in dem leider immer noch beliebten
rauheren, egoistischen A^erkehr unter sich und mit der Welt leichter
verloren gehen. Jetzt sind die maassgebenden Persönlichkeiten all-
mählig wieder wie im Mittelalter zu der Ueberzeugung gelangt,
dass der Staat den mütterlichen Einfluss der Lehrerinnen auf die
Kinder des Volkes nicht mehr entbehren kann. Ueberall wo Volks-
schullehrerinnen unterrichten, bestehen sie in Ehren. Einer der
Ersten, welcher die Unentbehrlichkeit der Lehrerinnen für die
Volkserziehung mit Freuden anerkannte und energisch für ihre
Mehreinstellung sorgte, war der viel zu früh verstorbene Berliner
Stadtschulrat Cauer. Wie er urteilen und handeln jetzt viele Pä-
*) Seitdem hat, wie ich erfahre, der Berliner Magistrat beschlossen der
Stadtverordnetenvers, eine Vorlage behufs Anstellung einer Inspicientin
für den Unterricht in weiblichen Handarbeiten vorzulegen.
— 107 —
dagogen und Vorgesetzte, so z. B. der Münohener Stadtschulrat
Romeder, der Kasseler Stadt«<cbiilrat u. a. in. Auch m der Denk-
Hchrift des Berliner St4idtschulinspekt«)rs Dr. Zwick über die ersten
25 Jahre des Br^rliner CTeuieindes<-hulwesens wird das segensreiche,
unentbehrliche, weil eigenartige Wirken der Volksschullehrerinnen
xmd ihre Gewissenhaftigkeit im Dienst besonders hervorgehoben.
Und noch eine andere soziale Bedeutung der VolkssclmUehre-
rinnen sei hier hervorgehoben. Die Volksschullehrerinnen stammen
grösstenteils aus den gebildeteren Familien. Ihre Pflicht und Auf-
gabe ist.es daher vornehmlich, die Kluft allmählich Jiusfilllen zu
helfen, welche ntn^h immer zwischen d'*n prebildeten Stünden und dem
Volke klafft. Die Volksschullehrerinnen ireben den künftijren Müttern
des Volks von den Vorteilen ihrer eijrenen Erziehun«? ab, wie einst
im Mittelalter die ,, maidlein •* schon ^f»ine, höffliche und zUchtigliche
geberde" von den „lerfrouwen"* ffeb'hrt b«»kamen, und sie trauen
die Sympathie für die Kinder des Volkes, für ihre Zöglinge, die sie
lieben, in ihre Iu*eise hinein und rutVn dort durch einfache
Schilderung aus ihren Erfahrungen das Verlangen hervor, zu helfen,
den Einzelnen und der ganz(»n Klasse, das natürliche menschliche
Verlangen nach Milderung so empfindlicher Unterschiede.
Als ich diese Idee vor 2 Jahren bei der Erölinung der kon-
stituierenden Veraannnlung des Preussischen Volksschullchrerinnen-
vereins zuerst aussprach, gelangt»» sie alsbald in die pädagoirische
Presse und rief hier wie an den rinzelnt*n Schulen bei den Herren
Kollegen einen wahren Sturm der Entrüstung hervor. Auf der dies-
jährigen Generalversammlung des Preussischen VolksschuUehrerinnen-
vereins zu Pfingsten gab der Berliner Stadtschulinspektor Dr. Stier
diesem selben Gedanken beredten und ]>estimmten Ausdruck.
Die Frau an der Volksschule ist also erstens von besonderer
nicht zu unterschätzender Wichtigkeit, ja sie ist ein unentbehrlicher
Faktor für die Erziehung des Volkes.
In der Erteilung von Kenntnissen an die Kinder des Volkes
hält sie wacker gleichen Schritt mit den mJinnlichen Ivollegen. trotz
deren besserer praktischer Ausbildung. Sie muss den Vorteil,
welchen jene darin voraus haben, durch einen Mehraufwand von
Kraft und Mühe ersetzen, und die Resultate, sowie das Zeugnis
ihrer Vorgesetzten zeigen deutlich überall, dass ihr das vollkommen
gelingt, dass ihre Gewissenhaftigkeit solchen Ausgleich herbeiführt.
Die Volksschullehrerin ist zweitens eine berufene Vermittlerin und
Versöhnerin zwischen den beider noch immer krass getrennten Ständen.
Die Erkenntnis ihrer Bedeutung erfüllt die Volksschullehreriunen
mit freudigem, gesundem Selbstgettihl — aber auch mit der Einsicht
ihrer Verantwortung.
Dieser Verantwortung mehr und mehr gerecht zu werden sind
die Volksschull ehrerinnen auch in ihren Vereinen unablässig bemülit,
indem sie sich durch Beschiiftigung mit pädagogischen und metho-
dischen Fragen für ihren Beruf zu vervollkommnen suchen, aber
sich auch durch eingehende Beschäftigung mit den Fragen der Zeit
zu grösserem Gemeinsinn erziehen, sich den Gesichtskreis erweitern,
den Blick schärfen und sich das Wohl der Schule und das Wohl
des Volkes angelegen sein lassen.
— 108 —
Diese gegenseitige erzieherische Anregung der Kolleginnen in
den Vereinen ergänzt glücklich die Bildung, welche dem Charakter
der Volksschullehrerin durch ihr Amt ermöglicht wird. Die
Thätigkeit an der Volksschule ist, wie kaum eine andere, dazu an-
gethan Geduld und Nachsicht, Ausdauer und Gewissenhaftigkeit zu
üben. In dem steten Verkehr nach oben und unten, mit den Be-
hörden und dem Publikum, gewöhnt sich die Volksschullehrerin an
Festigkeit und an Sicherheit im öffentlichen Auftreten. Der Ver-
kehr in dem Kollegium, besonders mit den männlichen Kollegen,
denen gegenüber sie sich zu behaupten hat, bietet ihr Gelegenheit
zur Entwickelung ihrer Gewandtheit und ihres Taktes. Diesem
Takte, sowie der menschlichen, also auch männlichen Gutartigkeit
im Allgemeinen, welche durch Vorurteile nicht erstickt werden
kann, diesem Takte ist es wohl hauptsächlich zu danken, dass in
den gemischten Kollegien zwischen den Lehrern und Lehrerinnen,
trotz der allgemein herrschenden Ueberhebung des Männlichen im
Grossen Ganzen, ein gutes Einvernehmen herrscht. — Die amtliche
Stellung der Volksschullehrerin verleiht der einzelnen Frau
auch bei allen Fremden einen bestimmten Kredit im sozialen und
wirtschaftlichen Verkehr, und solch Vertrauen von aussen stärkt
natürlich auch ihr Selbstvertrauen. — Schliesslich können die
Frauen im Volksschuldienste ganz andere, der Wirklichkeit ent-
sprechendere Anschauungen über die Verhältnisse der verschiedenen
Stände untereinander gewinnen, als die meisten anderen Frauen
ihrer Kreise; sie gelangen daher leichter zum Bewusstsein der
sozialen Lage ihres Geschlechtes. Daher finden wir die Volksschul-
lehrerin auch überall unter denjenigen Frauen, die sich zu gemein-
nützigen Zwecken zusammengeschlossen haben.
Ich hoffe, meine Damen, Ihnen durch meine kurzen Darlegungen
wenigstens den Eindruck gegeben zu haben, dass die Frau an der
deutschen Volksschule unser Geschlecht stets mit zu Ehren gebracht
hat, und dass sie ferner an ihrem Teile dazu beitragen wird, das Zu-
trauen zu den Fähigkeiten der Frauen und zu ihrer Bedeutung für
das gesamte Volksleben zu stärken — , dass die deutsche Frau an
der Volksschule also in unserer grossen gemeinsamen Bewegung eine
gute Kampfgenossin ist.
La femme russe dans Tenseignement primaire.
Rapport de Mlle. Eug6nie de Tchebychew-Dmitriew, St. Petersbourg
Mesdames, Messieurs!
Les origines de Tinstruction publique en Russie remontent au
X siecle de Fere chretienne. Ce fut Saint- Wladimir (980—1015)
qui, tout en implantant le christianisme en Russie, y jeta les fon-
deinen ts de r Instruction populaire. Les premieres ecoles, institutees
par ce prince-apotre, eurent pour destination de former des serviteurs
eclaires du Dieu chretien, elles furent, pour ainsi dire, les pepinieres
de l'Eglise recemment etablie sur les bords du Dnieper. Mais, ces
premieres ecoles chretiennes furent pendant bien longtemps abhorrees
de la masse du peuple adonn^ au paganisme.
— 109 —
Sans le regne de Jaroslaw (1015 — 1054), dit le Sage, fils et
successenr de Wladimir, le noinbre des ecoles chretiennes augmenta
consid^rablement sans toujours gagner les sympathies d^un peuple
fidele aux dieax paüens. Cependant, inalgre rhostilite du pouple, Tira-
pulsioD donnee au developpement de Tinstruction populaire par le
personnage önergique de Jaroslaw la fit inarcher ä pas acceleres
durant les deux siecles suivants.
Aux XI et XII siecles la Russie fut divisee en de nombreux
apanages, ayant chacun son centre de luiuieres avec un prince plein
d^int6ret pour les progres intellectuels de ses sujets. Malheureuse-
ment cette p^iode propice au developpement de l'instruction populaire
ne fat pas de longue duree.
Au commencement du XTTT siede Tinvasion des hordes tartares
coupa court les tendances civilisatrices des princes russes, tourna
ailieors leurs preoccupations administratives et tint en suspens pen-
dant pres de trois cents ans le developpement du peuple russe, deve-
loppement qui jusque-la avait suivi une voie normale.
Durant les tristes siecles du joug tartare Tunique gardien des
lumieres fut le clerge, qui, du reste, ne possedait qu'un nombre re-
streint de membres eclaires et dont la masse croupissait dans une
ignorance d^plorable.
En 1480 la Rassie fut delivree du jong tartare. Mais le peuple
n'y gagna rien. Abruti et miserable, gräce a la domination mongole,
11 n'eut ni la force, ui la volonte de renaitre k une vie nouvelle, ä
reprendre son developpement si brusquement interrompu et tomba
sans lutter, lächement, a Tetat de servage.
Vers la fin du XVII siecle, grace aux relations reiterees dela
Moscovie avec TEurope occidentale, on vit s'operer, quoique lente-
ment et difficilement, un certain progres en fait de Textension de
rinstruction publique. Le nombre des ^lus possedant le grand art
de lire et d'ecrire augmenta considerablement, surtout dans la classe
sup6rieure, qui jusque-la s'etait distinguee par une ignorance fabuleuse.
Pierre le Grand (1682 — 1725) ne trouva parmi les russes que
fort peu de gens capables de Taider dans la realisation de ses vastes
et grandioses projet^ de reformes. II se vit oblige de creer toute
une s^rie d'^tablissements d'instruction destines a recevoir les jeunes
gens appartenant a la classe privilegiee, afin de les rendre utiles ä
TEtat. Quant ä rinstruction de la masse du peuple, eile continua,
ä marcher cahin-caha dans depietres ecoles dirigees par le clerge et
toujours fort peu nombreuses.
Catherine U (1762 — 1796), sous Tinfluence des idees genereuses
des grands phüosophes, ses contemporains, temoigna un interet vif et
sincere pour la question de rinstruction populaire, eile institua les
premieres ecoles primaires municipales et decreta des lois scolaires
fort-raisonnables. Elle alla meme jusqu'ä projeter serieusement
rabolition du servage. Le spectre sanglant de la revolution frangaise
arreta court ses tendances humanitaires.
. Sous les trois regues suivants, ceux de Paul I, d' Alexandre I et
de Nicolas I (1796 — 1855) on se mefia du peuple et de tous ceux
qui lui voulaient du bien, et la marche de rinstruction populaire
contüiTia ä etre penible et chancelante.
— 110 —
Du reste en pouvait-il etre autrement avec des serfs?!
La seconde moitie du XIX siecle arriva. La Russie ä cette
epoque offrait un tableau tout-ä-fait singulier : le plus vaste Etat du
monde, gouverne par un monarque eclaire, eile presentait un des-
accord frappant entre la classe dirigeante des maitres, — classe
tres-instruite, comptant parmi ses membres des ecrivains illustres,
des savants remarquables, — et une population de pres de 60 mil-
lions de §erh plonges dans toutes les miseres de Tignorance.
Cet etat de choses injuste et monstrueux temoignait hautement
de la faiblesse Interieure de la Russie et reclamait des reformes im-
mediates. La guerre desastreuse de Crimee fut le coup de foudre
qui detruisit Fancien regime, depuis bien longtemps dejä condamne
par les gens d'elite.
Les reformes d'Alexandre 11 (1855 — 3881) commencerent par
la plus importante de toutes, par Tabolition du servage. Le
19 fevrier 1761 en est la date memorable.
Avec Temancipation des serfs Tinstruction populaire entra dans
une phase nouvelle, phase que nous traversons encore aujourd'hui.
Les huit siecles precedents n'avaient legue en heritage a la
Russie nouvelle rien (ni traditions pedagogiques, ni locaux, ni
maitres, ni budjets), rien que la conviction profonde et sincere, ge-
n^ralement repandue parmi les gens d'elite, que la propagation, la
diffusion de T Instruction primaire est une dette de justice envers le
peuple et une necessite pour le developpement de la prosperite de
la nation.
Cette idee genereuse, autant que juste, et qui ne pouvait etre
que purement theorique avant Temancipation des serfs, devint reali-
sable et produisit de vrais miracles apres 1861, quand eile eut ä sa
disposition un peuple libre et le droit precieux que le gouvernement
avait octroye aux etats provinciaux (zemstwos), aux municipautes,
aux communes rurales et meme aux personnes privees d'etablir a
leurs propres frais des ecoles primaires.
En la courte periode de 35 ans qui nous separe de la Russie
antereformienne, periode d^une marche acceler^e et dune activite
fievreuse, on vit naitre un monde nouveau. Ce monde nouveau sont
les 71,500 ecoles primaires, que notre pays possede aujourd'hui,
avec une population scolaire de 3,355,140 eleves. Pour un terri-
toire de 19,709,290 verstes carrees avec 120 millions d'habitants, ce
chiflfre de 71,500 ecoles est plus que modeste; comparee aux autres
pays, la Russie est encore bien, bien loin de pretendre a Tun des
Premiers rangs dans le developpement de Tinstruction populaire, mais
comparee a elle-meme, en ce qu'elle fnt et ce qu'elle est aujourd'hui,
eile peut se feliciter avec droit de ses progres immenses. Aujourd'hui
la societe russe reconnait sans contestations Timportance de Teduca-
tion populaire et a pris serieusement goüt ä tous les interets qu'elle
embrasse. Le cercle des lecteurs de nos joumaux p^agogiques
s'accroit de jour en jour. Notre litterature classique devient de
plus an plus riebe. Le personnel enseignant qui raonte ä 100,000
ä peu pres, presente toute une armee toujours en guerre contre les
tenebres et les miseres de Tignorance. Le nombre des lettres est
dejä assez considerable pour que la question de la necessite urgente
— 111 —
de fonder des bibliotheques populaires jusque dans les villages, soit
ä l'ordre du jour. Les budjets scolaires vont toujours grossissant.
Enfin nous pouvons constater avec une joie sinc^re que dans plu-
sieurs districts Tenseignement obligatoire vient d'etre inaugnre et
que nous sommes ä la veille de son expansion generale.
La Russie est redevable de ses progres d'abord aux grands
pays de TEurope occidentale (rAllemagne, la France, TAngleterre),
car ce fut lä qu^elle emprunta Torganisation de son enseignement
primaire et qu'elle puisa a pleines mains, idees, metbodes, jusqu'aux
programmes, afin de les adapter ä un milieu oü les saines traditions
pedagogiques manquaient absoluraent. Modelee a la faQon des ecoles
europeennes Tecole primaire en Russie a cependant sa physionomie
prononcee, originale, dont le trait saillant est Tabsence complete de
ces vastes et populeuses maisons scolaires, comme on en voit partout
en Europe, ayant un directeur k la tete d'un personnel enseignant
nombreux; chez-nous le type habituel d'une ecole primaire, meme
dans les plus grandes villes, est une classe de 50 — 60 enfants dont
la direction est confiee soit a un seul maitre, soit a une seule
maitresse; Tenseignement y est contröle par les foctionnaires de
TEtat, le cote economique est regle par le curateur de Pecole; une
Organisation pareille donne a nos ecoles primaires un caractere de
famille tout-ä-fait sympathique et que nous envisageons, ainsi que
la permission aux institutrices d'etre mariees, comme les principaux
attraits d'une carriere assez penible.
En second lieu notre pays est redevable de ses progres a la
femme russe; car dans la phase nouvelle que Tenseignement primaire
traverse, la femme joue et y a joue depuis les premiers jours un
röle important et surtout bienfaisant.
Dans la Russie antereformienne on n'avait vu la femme ni sur
les bancs des classes, ni dans les fonctions de maitresse d 'ecole.
L*enseignement primaire etait entierement aux mains des maitres, ce
qui lui valut son caractere rebutant et vil; car le plus grand nombre
des pedagogues d'autrefois etaient ä demi-ignorants, brutaux, adonnes
au vin, meprisables et meprises; ils se recrutaient le plus souvent
dans les bas-fonds de la societe; car tous ceux, qui avaient sombre
dans une carriere meilleure, venaient s'abattre dans Tenseignement
primaire.
Avec Tarrivee de la femme dans ce champ inculte, tout y changea
pour le mieux.
Mais qu'est ce qui avait pousse la femme dans la penible voie
de Tenseignement primaire?
L'elan d'un noble cceur. L'abolition du servage avait fait naitre
la necessite pressante d'instruire un peuple nombreux, appele ä user
de ses droits, circonstance qui trouva la Russie completement au
depourvu, surtout par rapport au personnel enseignant. Les maitres
d'ecole n'existaient pas en nombre süffisant. Ce fut alors que la
femme instruite et eclairee de la classe privilegiee, penetree des idees
genereuses du temps, vint offrir son savoir et ses forces ä. la noble
täche de Tinstruction du peuple. Cet entrainement, profond et sincere
dure des annees. Bien grand fut le nombre des jeunes femmes qui,
brülant du desir de s'immoler au bien public, allaient s'enterrer dans
— 112 —
Ifts pitoyables ecoles de village ou bien qui donnerent leurs forces
et leur fortune aux ecoles du dimanche. Les premiers pas de ces
nobles volontaires ne furent guere faciles. 'Ni le genre de vie qu'elles
avaient mene jusque-lä, ni Teducation raffinee qu'elles avaient re^ue,
ne les avaient guere preparees ä une existence obscure au jour le jour
faite de privations et d'un travail intense, soutenu, regulier et d'autant
plus difficile que Taptitude pedagogique manquait absolument. II est
donc bien naturel, que les unes finirent par deserter, les autres par
succomber ä une täche qui etait au-dessus de leurs forces. Les plus
fortes de corps et d'äme, seules, i*esterent vaillamment a leur poste
jusqu'au bout et frayerent avec des peines inouies la voie nouvelle,
dans laquelle la generation suivante avanga plus aisenjent, d'un pied
plus sür, mais avec un peu moins d'enthousiasme. De nos jours
Tenseignement primaire a cesse d'etre une sainte mission avec une
couronne du martyre ä la fin, il a perdu son aureole de poesie, il
est devenu une profession. Tout le monde a gagne ä ce changement,
la femme sui*tout; car aujourd'hui celles qui se vouent ä Tecole
primaire ne s'y jettent pas ä tete perdue, elles sont plus aptes
au travail et beaucoup mieux preparees au genre de vie qui les
attend.
Mais avant de parier de Tinstitutrice, il nous semble opportun
de consacrer quelques mots aux petites ecolieres russes, dont le
norabre est beaucoup moins grand que nous ne Taurions souhaite.
J'ai dejä dit que la necessite de Tinstruction primaire est generale-
ment reconnue en Russie; ce n'est justeque parrapport auxgargons,
il n'en est pas de meme pour la partie feminine de la nation, dont
le droit d'apprendre ä lire et a ecrire est encore fort conteste. Le
nombre des ecoles de filles est inferieur de beaucoup ä celui des
Ecoles de gargons. C'est la population rurale, qui proteste contre
Tinstruction du sexe faible. Tl y a deux a trois ans de cela le Co mite
de rinstruction primaire a Moscou adressa une serie de
questions aux habitants des petites villes et des villages afin d'en
connaitre las opinions et les voeux en ce qui coucerne rinstruction
populaire. On ramassa force reponses curieuses. Entre autres, la
question: „rinstruction primaire est-elle de necessite pour la femme?"
eut 24% de reponses negatives dans les villes, quant aux villages,
le Chiffre y fut de 77%. Donc, nos bons villageois trouvent rin-
struction superflue pour la femme qui, confinee dans le cercle etroit
des devoirs domestiques, ne sera appelee ni au Service militaire, ni
ä aucune fonction publique, sans quoi il serait fort peu raisonnable
de perdre son temps et d'user sa chaussure ä frequenter Tecole.
Heureusement Topinion contraire gagne tous les jours du terrain,
Tidee de Tegalite des« droits de la femme et de Thomme ä recevoir
une Instruction elementaire penetre de plus en plus dans la consci-
ence des masses, le nombre des petites filles sur les bancs des classes
s'accroit sensiblement. Nous pouvons signaler des districts oü le
nombre en a double en une periode de cinq ans, il a monte de
10% a 20 ^'o« II fallt s'en rejouir d'autant plus que nos petites
filles, heureuses et fieres d'etudier, surpassent bien souvent les gargons
par leur application et par leurs progres.
La Position de Tinstitutrice primaire n'oflre rien de strictement
— 113 —
regulier, d'unifornie, mais eile varie selon le lieu et radministration,
dont Tecole depend.
Isos institutrices primaires se recrutent dans toutes les classes
de la societe; la majorite appartient ä la classe moyenne etauclerge,
mais on peut aussi voir dans leurs rangs les filles des plus hauts
fonctionnaires de TEtat ä cote de Celles du plus humble paysan.
Ce qui est de rigueur pour toutes, c'est d^appartenir ä Teglise
orthodoxe; pour les catholiques et les lutheriennes les portes des
ecoles sont fermees.
Leur degre d'instruction ne presente non plus rien de determin^,
rien d^uniforme. Les unes joignent ä une solide Instruction secon-
daire, regue dans les gymnases et dans les Instituts, des diplomes
obtenus aux cours pedagogiques (ä St. P6tersbourg), aux cours su-
perieurs (St. Petersbourg, Moscou), enfin dans les Seminaires. Les
autres, — et cette seconde categorie est la plus nombreuse, — ne
possedent qu'une Instruction secondaire. II y en a enfin qui se sont
bornees a une Instruction primaire. Ces dernieres, dont le nombre
est plus iuiportant qu'il ne serait a souhaiter, se rencontrent ex-
clusiveraent dans les recoins perdus de notre vaste pays, oü, gräce
k Teloignement de tout centre de lumieres, le recrutement du per-
sonnel enseignant presente de grandes difficultes, ce qui rend les
exigences modestes.
La remuneration de nos institutrices primaires ne presente rien
de strictement determine. Dans les grandes villes, dans les ecoles
municipales, le chiffre des appointements est ordinairement de 600
roubles par an, logement et service compris. Dans les ecoles de
village le chiffre parcourt tous les degres entre 80 et 300 roubles
par an. La majeure partie des membres du corps enseignant de nos
ecoles primaires est remuneree bien pauvrement. Ces appointements
mediocres ne permettent guere de faire des epargnes, ce qui est
d'autant plus triste que lespensions n'existent que comme exeptions;
dans les villes et les zemstwos elles sont institutees, elles ne d^-
passent jamais le chiffre de 360 roubles pour 25 ans de service.
Quant ä la majeure partie du personnel enseignant, eile travaille
Sans rien attendre de l'avenir. L'absence de solidarit^ entre les
membres du corps enseignant, Tinsouciance, qui, parait-il, est le trait
dominant du caractere russe, sont cause de ce que nous soyons ab-
solument depourvus de cette bienfaisante Organisation du secours
mutuel silargement repandue en Europe et qui eut pu rendre chez-
nous aussi d'inestimables Services a ceux et ä Celles que la misere
attend au seuil de la vieillesse.
Notre presse quotidienne, nos revues pedagogiques sont pleines
de lamentations sur le triste sort des maitres et des maitresses de
nos ecoles primaires. On les y plaint sincerement, ils se plaignent
aussi bien haut, mais les ameliorations se fönt attendre; il se peut
qae bien des generations se succederont avant que des changements
considerables se produisent dans la position du personnel enseignant,
ä qui la Russie est redevable de ses immenses progres, mais qu'elle
payo d'une ingratitude inexcusable.
Nous devons constater avec un vif serrement de coeur que le
nombre des ecoles mauvaises a tous les points de vue est de beaucoup
8
— 114 —
superieur ä celui des ecoles convenables, sans parier des ecoles
excellentes qui sont dans une minorite regrettable. Elles sont bien
peu nombreuses, les ecoles primaires organisees conformement aux
prescriptions de Thygiene, richement fournies de tout ce qui sert a
l'enseigQement, dont le controle soit confie ä des personnages eclaires,
ce qui rend impossible, ou tout au plus exeptionnel, des effractions
ä la justice, des demissions arbitraires, enfin des collisions tragiques
avec les superieurs ou bien avec les representants du clerge. Pour la
majorite des ecoles c'est le contraire qui est de regle, et dans les
coins perdus de notre vaste pays la position d'un maitre ou d'une
maitresse d'ecole est bien loin d'avoir ä un degre desirable de la
stabilite et meme de la securite. Avec cela, les ecoles y sont
miserables, manquant de tout, meme de lumiere et d'air, les eleves
y sont entasses dans des locaux impossibles oü, pendant les froids
de rhiver. Feuere vient ä geler dans les encriers.
Les plaies saignantes de notre Organisation scolaire, les couleurs
sombres sous lesquelles nous apparait la position de Tinstitutri
primaire russe, nous les rapportons toutes entieres au defaut d'une
large culture intellectuelle dont la Russie a si longtemps souffert et
dont eile continue a souffrir. C'est une circonstance attenuante sans
laquelle nous trouverions sans excuses qu'on fit si peu en Russie
au profit de Celles qui ont cree Tecole primaire russe. Elles sont
bien dignes d'une destinee meilleure nos institutrices primaires, car
non seulement elles travaillent avec courage dans des conditions
souvent impossibles et obtiennent malgre tout des resultats satis-
faisants, mais encore dans les annees de calamites publiques (souvenons-
nous des trois annees terribles pendant lesquelles la Russie fut
ravagee par la famine!), on les a vues faire des prodiges d'abnegation,
des efforts surhumains, donner jusqu au dernier sou, afin de secourir
Tenfance malheureuse. Si Tecole primaire n'a pas sombre alors
dans des üots de misere et de desespoir, c'est aux vaillantes
institutrices primaires que notre pays est en grande partie redevable !
Pour completer le tableau que nous venons de faire, ajoutons-
y quelques traits endisant, que noncontentes detravailler en classe,
nos institutrices primaires prennent un vif interet et tres-souvent
une part active ä l 'Organisation des bibliotheques populaires, des
lectures publiques pour le peuple, des ecoles du dimanche, enfin ä
tout ce qui tend au noble but de häter l'instruction et le developpe-
ment intellectuel du peuple. Les societes Philanthrop iques, les co-
mites de Tinstruction primaire comptent parmi leurs merabres actifs
un beau nornbre de raaitresses d*ecole. Quelques-unes d^entre elles
ont SU se faire un nom en ecrivant dans les revues pedagogiques et
litteraires, en publiant des livres pour la jeunesse et des manuels
classiques.
Ajoutons enfin que Tenseignement primaire en Russie est Funique
brauche de Factivite publique, ou lafemmeest non seulement Fegale
de Fhomme, mais qu'elle lui est souvent superieure de beaucoup:
car un nombre considerable de nos institutrices primaires sont munies
de diplomes superieurs, tandis que, par la volonte du gouvernement,
11 est interdit d'etre maitre d'ecole primaire aux hommes ayant fini
leurs etudes dans les universites.
— 115 —
üeber Fortbildungsschulen.
Yon Fräulein Margarethe Hager, städtische Lehrerin, Berlin.
Verehrte Anwesende!
Wenn man versucht, in das Wesen, das sich hinter der Er-
scheinung birgt, tiefer einzudringen, so muss man sich auf Ent-
täuschungen gefasst machen. Diese sind auch mir nicht erspart
geblieben, während ich mich eingehender um das Wesen unserer
Fortbildungs-Schulen kümmerte. Fortbildung, das ist ein Wort von
echtem Klang! Der Begriff der „abgeschlossenen Bildung", hinter
dem einige so wohl zu ruhen verstehen, ist darin aufgehoben. Es
erinnert an tiefes befreites Atmen in reiner stärkender Luft.
Aber eines ist mir sehr bald klar gewerden: allzu kräftig und
lustfreudig darf die .Lunge nicht sein, die ihren Bedarf an Lebens-
stoff aus den Fortbildungsschulen nehmen will.
Herr Geheimrat Bertram, der Herr Stadtschulrat von Berlin,
betonte in einem im Chemiegebäude gehaltenen Vortrag, dass der
Gedanke der Fortbildungsschulen erst in den letzten 25 Jahren bei
uns Wurzel geschlagen habe. Deswegen böten die auf diesem Ge-
biete gesammelten Erfahrungen noch kein sicheres Fundament für
einen auch nur im Plane fertigen Ausbau dieser Anstalten.
Wenn man das festhält, sich auch zugleich daran erinnert, dass
hart im Räume sich stossen die Sachen, ob leicht auch beieinander
wohnen die Gedanken und dass alles, was ein Gewordenes doch auch
ein Werdendes ist, so hat man einige der Trostgründe, deren man
bedarf, wenn man unser Schulwesen ins Auge fast.
Unsere Schule ist festgewurzelt in einer Zeit, durch deren
Lebensanschauungen das soziale Gewissen noch nicht so laut pochte,
und sie schreitet nicht weiter. Was nutzen uns die Psychologen-
kongresse, was nutzen uns die auf psycho-physiologischem Gebiete
gewonnenen Erkenntnisse, wenn sie nicht einmal da mitbestimmend
wirken dürfen, wo sie führend sein müssten: auf dem Gebiete der
Jugenderziehung! Die Naturwissenschaften, die uns lehren, für
jede geistige Lebensäusserung eine physische Basis zu suchen, sind in
den letzten Jahrzehnten mit Sturmeseile vorgeschritten. Und jeder
wird es begreiflich und jeder wird es verzeihlich finden, wenn man
in der Nutzbarmachung des von ihnen neu erschlossenen Terrains
nicht gleichen Schritt mit ihnen gehalten hat.
Aber die es ernst nehmen mit dem Wachsen in der Erkenntnis
fragen doch jetzt schon mehr und mehr: „Leben die Bücher bald?"
Wird nicht die Schule den Versuch wenigstens machen, die
verloren gegangenen Beziehungen zum Kultur- und Geisteisleben der
Gegenwart wieder aufzunehmen?
Dazu — das wissen freilich alle, die ein auf Gründe gestütztes
Urteil abgeben können — dazu bedarf es einer Reformation der
Schule an Haupt und Gliedern. Und die Reformrufe erschallen
nicht nur aus dem Lager der studiosi rerum novarum, denen man
vorwerfen könnte, sie träten ihrer Natur gemäss mit Neuforderungen
auf; nein auch diejenigen lassen sie hören, die gern der Urväter
Hausrat konservieren.
8*
— 116 -
Reformbestrebungen wird man zu allen Zeiten auf der Tages-
ordnung geistig lebhafter Völker finden; aber wenn sie so laut und
dringlich werden wie jetzt und hier, so muss doch etwas faul sein
— und diesmal ganz und gar nicht im Staate Dänemark. Ver-
trauen wir uns der Führung namhafter und weitblickender Päda-
gogen an, so zeigen sie uns als Ziel die Einheitschule.
Ein stufenmässiger Aufbau aller Jugendbildungsanstalten von
der Elementarschule bis zur Universität, der auf keiner Stufe den
Zusammenhang mit der voraufgehenden und der nächstfolgenden
verliert, wird im Interesse des Gemeinwohls und der G-erechtigkeit
gefordert.
Es giebt einige, die da meinen bei diesem Aufbau die Elementar-
schule entbehren zu können. Sie halten die Welt um ein Erhebliches
weiter gebracht, seitdem man dahinter gekommen, dass — die alten
Sprachen nicht mehr gesprochen d. h. nicht mehr dem Augenblicks-
bedürfnis dienstbar gemacht werden können. Sie nehmen ernsthaft
Teil an dem Lokalkampf, der um diesen ehrwürdigen Bestandteil
der Bildung unserer Väter entbrannt ist; aber sie sehen nicht —
vom Ich befangen — dass es für jeden — er sei auch, wer er mag
— von weit einschneidender Bedeutung sein muss, den Stand der
Volksbildung auf der Höhe halten zu helfen.
Den Volksbüdungsanstalten fällt doch die Aufgabe zu, den
weitaus grössten Teil der zukünftigen Staatsbürger heranzubilden;
diese Jugend zu lehren, ihre Zeit zu begreifen, und ihr zu dienen,
indem sie sie auf der unendlichen Wellenlinie der Entwickelung als
Etappe zum Fortschritt tiberwindet. So nur kann sie den Pflichten
gegen die Vergangenheit und Zukunft gerecht werden.
Lösen unsere Volksschulen, zu denen ich auch die Fortbildungs-
schule rechne, diese Aufgabe?
Ich glaube der jafroheste Optimist wird hier nicht mit einem
Ja antworten.
Sie können sie nicht lösen.
Die Elementarschule, die ihre Zöglinge in der Unreife des
14. Lebensjahres entlässt, kann diese Kinder doch höchstens mit
Lernwerkzeugen versehen: sie schreiben, lesen, rechnen und den
Gebrauch der Muttersprache lehren, was sie übrigens — dank dem
starren Schema, das sie beherrscht — auch nicht gut fertig bringt.
Diese Kinder auf Horizont erweiternde, Bildung vermittelnde
Wissensgebiete hinüberleiten, kann sie nicht.
Und die Erkenntnis ist auch ziemlich allgemein geworden, dass
der junge nur mit der Bildung der Elementarschule ausgerüstete
Mensch schlecht gewappnet ist für den Kampf ums Dasein.
Die Besten unseres Volkes haben deswegen auf Abhilfe ge-
sonnen. Sie glauben, sie in der Fortbildungsschule gefunden
zu haben.
Ja, wenn der Fortbildungsschule keine der wichtigsten Dis-
ziplinen auf ihrem Lehrplan fehlte, wenn nicht fast alle mit zu
knappem Zeitmaass bedacht wären; ja, wenn die Fortbildungsschule
frischen, beweglichen Geist und unermüdete Körperkräfte bei ihren
Schülern vorfände, dann dürfte sie die Hoflnung derer erfüllen, die
eine Erweiterung der Volksbildung von ihr erwarten.
- 117 —
Aber so?
Die Ueberbürdungsfrage, die in Bezug auf die Zöglinge höherer
Lehranstalten so lebhaft und ernst diskutiert wird, scheint für die
Fortbildungsschüler einfach dahin gelöst, dass diese nicht überbürdet
werden können.
Man muss sie sich ansehen, die schwächlichen Knaben und
Mädchen, die jetzt bei Semesterschluss freudig die Schule verlassen,
die ihnen ja auch manche Unbill zufügte ; man muss sie sich an-
sehen diese Beweiskräfte einer Decadenzprophetie, um sich vor-
stellen zu können, mit welcher Lust und Frische sie nach ermüdendem
Tagewerk daran gehen werden, ihre bescheidenen Bildungsprobleme
zu lösen, zu einer Zeit, wo Kinder ins Bett gehören.
Sicher giebt es auch Schüler, die älter geworden, den Mangel
ihrer Bildung erkannt haben, und die unter ihm seufzend, ihn aus-
zugleichen streben. Aber auch sie sind den G-esetzen des Zusammen-
hanges von Körper und Geist unterworfen, und wenn sie not-
dürftig den klaffenden Riss ausgeflickt haben, der ihnen beim Fort-
kommen hinderlich war, sagen auch sie der Fortbildungsschule Valet!
froh, nach dem Frohndienst des Tages den Abend frei zu haben.
Stärkendes Wissen von allgemeinem Werth in sich aufzunehmen,
dazu gönnt die hastige Zeit ihren jungen Kindern keine Zeit.
Wir haben fakultative Fortbildungsschulen, nicht, wie Sachsen,
Württemberg, Baden und einige preussische Provinzen obli-
gatorische.
Dass die Fortbildungsschule nur ein Notbehelf, geht aus der
Bestimmung hervor, dass sie durch Ortsstatut den Bedürfnissen des
Ortes angepasst werden könne. Sie kann danach also auch fakultativ
oder obligatorisch gestaltet werden. Herr Geheimrat Bertram, der
rühmlich bekannte Freund und Förderer der Fortbildungsschulen,
wies in seinem Vortrag mit der schlagenden Beweiskraft von vielen
Millionen Mark nach, dass die fakultative Fortbildungsschule vor-
zuziehen sei, weil die vielen Unterrichtsstunden derselben nicht mehr
kosteten, als wenige Stunden der obligatorischen kosten würden.
Auch glaubt der Herr Geheimrat, dass die fakultative Fortbildungs-
schule, die dem Schüler die Entscheidung über ihren Besuch über-
lässt, sittliche Motive anregen und wirksam machen werde. Aber
ich meine, hier muss man sich wieder klar werden darüber, wer
denn diejenigen sind, die entscheiden sollen. Unreife Kinder, in
denen die Elementarschulen mit dem allerbesten Willen noch keine
ethischen Ueberzeugungen reifen, keine prüfende Urteilsfähigkeit
heranbilden konnte.
Was die Kinder in die Fortbildungsschule treibt, das ist
— meine ich — die Konsequenz des Kampfes ums Dasein, die Not,
die beten lehrt, die aber auch lehrt, die Kräfte bis zur äussersten
Erschöpfung anzuspannen.
Ich wünschte, unsere Mittel erlaubten uns, auf die Sittlichkeit
dieser Motive zu verzichten und dem jungen Menschen den ver-
sittlichenden Schutz der Schule bis etwa zum 16. Lebensjahre an-
gedeihen zu lassen. Die Einheitsschule würde uns solchem Ziele
näher bringen. Noch — ich weiss es wohl — sind wir weit davon entfernt.
So müssen wir sehen, wie wir unter den gegebenen Bedingungen
— 118 —
weiter kommen, also wie wir die Fortbildungsschule ausnutzen.
Ich muss mir versagen, hier auf — wenn auch allerwichtigste
— Einzelheiten, namentlich Methodik und Lehrplan betreffend, ein-
zugehen. Aber bedauernd will ich doch darauf hinweisen, dass der
Muttersprache, wieder eine so knappe Zeit zugemessen ist: oft nur
2 Stunden in der Woche. In diesen engen Rahmen soll hinein-
gepresst werden: Grammatik und Orthographie, mündliche und
schriftliche Stüiibung aller Art, womöglich auch Litteratur.
Dass Geschichte, Naturkunde und Gesundheitslehre auf den
Lehrplan der Fortbildungsschule gehören, geben alle zu, die hier
urteilen können. Befähigt doch das Wissen in diesen Fächern erst,
die Beziehungen des Einzelnen zur Allgemeinheit zu verstehen, ge-
gebene Werte richtig gegeneinander abzuwägen, und so den Pflicht-
teil an der Kulturarbeit zu leisten.
Aber was thun? Es mangelt an Zeit.
So lange man sich nicht entschliesst, von den Lehrherren für
die Lehrlinge beiderlei Geschlechts gesetzlich Tagesstunden zu-
fordern, um die dem Gemeinwohl nützliche, ja nötige Fortbildung
dieser Lehrlinge zu ermöglichen, so lange werden die Fortbildungs-
schulen nichts Erhebliches leisten.
Etwas günstiger als für die Knaben gestalten sich die Um-
stände für die Mädchen. Da sie nicht so ausnahmslos gleich nach
der Konfirmation eine Berufsarbeit um den Brotervverb aufnehmen,
so ist es möglich gewesen, die Stunden für sie früher, oft in den
Nachmittag zu verlegen.
Vier von den zwölf Bei'liner Fortbildungsschulen für Mädchen
verdanken der Energie und dem Interesse von Privatleuten ihr
Ent- und Bestehen. Alle Fortbildungsschulen tragen einen mehr
oder minder stark ausgeprJigten gewerblichen Charakter. Auf ihrem
Lvhrplan findet man ausser Französisch, Englisch, Deutsch, Rechnen,
Bachführung, neuerdings auch Stenographie und Schreibmaschine,
auch Nähen, Flicken, Schneidern, Putz, Handarbeit und Kunsthand-
arbeit, F^lätten und manchmal, leider selten, auch Kochen.
Eine der vorzüglichsten F'ortbildungsschulen ist die durch das
Protektorat der Frau Kaiserin Friedrich ausgezeichnete Viktoria-
fortbildungsschule. Sie wurde im Jahre 1878 von Frau Senats-
präsident Henschke ins Leben gerufen. Frau Henschke, die Vor-
sitzende des Kuratoriums, ist noch die Seele dieser Anstalt. Ihre
zieltreffende Energie, ihr tiefdringendes Verständnis für das, was
den schulentlassenen Mädchen not thut, und namentlich ihre warme,
opferbereite Liebe für die Jugend haben sie mit bahnbrechend
werden lassen auf dem Gebiete des Mädchenfortbildungsschulwesens.
Die Viktoriafortbildungsschule arbeitet aber unter abnorm günstigen
Umständen. Ihr ist es z. B. möglich geworden, Tageskurse ein-
zurichten, da die Stadt so freundlich war, der Schule im Rektoren-
haus, Tempelhofer Ufer 2, Räume zur alleinigen Benutzung zu
überlassen.
Die Stunden werden ausser G esang, Schreiben, zum Teil Zeichnen,
von Lehrerinnen erteilt, weil Frau Henschke davon überzeugt ist,
dass für diese Entwickelungsjahre der weibliche Einfluss bei den
jungen Mädchen überwiegen müsse.
- 119 -
Deutsch ist in der Anstalt obligatorisch, was betont werden
soll; sonst hat sie, der Not gehorchend, ebenso ein gewerbliches
Gepräge, wie alle anderen Fortbildungsschulen.
Dieses Gepräge ist es wohl auch, das diese ebenfalls fakultative
Fortbildungsschule füllt, wenigstens bei Semesterbeginn. Bei Semester-
schluss ist die Zahl der Schüler oft auf die Hälfte reduziert; denn
es ist nicht jedermanns, namentlich nicht jedes Kindes Sache, das
einmal Begonnene trotz aller Unbequemlichkeiten zu Ende zu führen.
Ich habe gehört — aber das halte ich für Wahnrede Unein-
geweihter — man messe dafür den Lehrkräften gern die Schuld bei.
Die allgemeine Fortbildungsschule in ihrer jetzigen Gestalt als
Abend- und Ergänzungsschule für die Elementarschule kann keine
Zukunft haben. Deshalb muss die Elementarschule in ihren Lehr-
jahren erweitert und in ihren Lehrzielen umgebildet werden.
„Es muss geschehen, Darum wirds geschehen."
Die Fortbildungsschule als Fach- oder Gewerbeschule an die
reformierte Elementarschule angegliedert — das ist es, was die
kommende Zeit fordert.
Auch Fachschulen existieren schon, aber — wie ja verständlich
— fast ausschliesslich für Knaben. Für Mädchen sind namentlich
Handelsschulen ein Produkt der Neuzeit. Sie wurden vielfach ge-
gründet auf Anregung des vortrefflich organisierten Hilfs Vereins für
weibliche Angestellte, für welchen Herr Julius Meyer die Mühen
und Beschwerden eines Vorsitzenden übernommen hat.
Die Berliner Handelsschule für Mädchen arbeitet unter Leitung
des, um die Interessen unserer Stadt hochverdienten Herrn Professor
Dr. Schwalbe und des Herrn Julius Meyer.
Beide Herren dürfen wir als warme Freunde der Frauen-
bestrebungen ansehen. Auch sie haben an ihrer Anstalt dem weib-
lichen Einflüsse die Bahn frei gemacht, und ich bin überzeugt, dass
bei Wertmessung der Geschlechter die Frau bei ihnen nicht zu kurz
kommt. Beide Geschlechter werden für ihre Leistungen gleich-
massig bezahlt; auch ein Unikum in der Weltgeschichte, wenigstens
in der Berliner.
Was die Anstalt weit hinaushebt über das gewöhnliche Niveau
das ist ihr stetiges, sehr merkbares inneres Werden und Wachsen.
Immer wird von den Massgebenden der Zweck im Auge
behalten, den jungen Mädchen, die die kauftnännische Laufbahn ein-
schlagen wollen, eine wirklich tüchtige Fachbildung zu vermitteln
und so Angebot und Nachfrage auf diesem Gebiet dahin regulieren zu
helfen, dass unqualifizierte Bewerberinnen ausgeschieden werden.
Niemals, wenn es gilt Neuforderungen der Zeit gerecht zu
werden — mag ihre Erfüllung auch noch sonst nirgends versucht
sein — niemals wird an der Handelsschule ihnen ausgewichen
werden, weil etwa ihre Erfüllung „die Kosten nicht decken" könnte.
Die Schule hat aber darum auch in erstaunlich kurzer Zeit eine
eminente Ausdehnung gewonnen. Es wäre der Anstalt zu wünschen
und wird in absehbarer Zeit wohl notwendig werden, dass sie
sich 7M einer Tagesschule mit noch erweitertem Lehrplane um-
gestaltet. Dazu fehlt es vorläufig an Raum.
Jetzt liegen die Stunden zwischen 5 und 8 Uhr abends, die
— 120 —
Sprachstunden von 8 bis 10 Uhr, damit an ihnen auch die Schülerinnen
der kaufmännischen Fortbildungsschule teilnehmen können. Auch
hier wäre im Interesse der Handelsschule eine Trennung beider In-
stitute sehr zu wünschen; denn die fakultative Fortbildungsschule
gestattet nach meiner, aus der Praxis gewonnenen Ansicht nicht
eine Einordnung der Schüler nach gleichen Vorkenntnissen. Dies
ist auch einer der vielen Gründe, die dem nutzbringenden Lehren
und Lernen in unseren Fortbildungschulen hinderlich sind.
Noch eins ist sehr wichtig für solche Schulen, die Erfahrungen
machen und sie verwerthen wollen, und das will ich zu erwähnen
nicht vergessen, nämlich dass die Lehrkräfte mit Lust und warmer
Liebe bei der Sache sind. In der Handelsschule ist dies in seltenem
Maasse der Fall; hier arbeitet auch der Lehrer nicht unter den
Leitenden, sondern er darf als Urteüsberechtigter mit ihnen arbeiten.
Jeder Wunsch aus den Klreisen der Lehrerschaft wird einsichtsvoll
geprüft; jeder gestaltungs werte Q-edanke findet eingehende Beachtung.
Und dadurch sind die Lehrenden sonst nicht gerade verwöhnt; meist
haben sie sich einfach den automatisierenden Verordnungen zu
fügen, die die freie Persönlichkeit, die doch allein eindringlich wirken
kann, aufheben. —
Aus dem, meine verehrten Damen und Herrn, was ich Ihnen hier in
gedrängter Kürze angedeutet, werden sie erkennen, dass wir — was
Schul- und Erziehungsfragen angeht — die Zeit, um auf unseren
Lorbeeren auszuruhen, für noch nicht gekommen erachten.
Wir Deutsche sind etwas schwer und langsam; dabei stecken
uns Kopf und Herz voller Ideale, denen wir nacheifern. Wir
kennen schon unsere Schwäche, und wer mit aufmerksamem Blicke
in unser öffentliches Leben hineinschaut, der sieht auch, wie unser
Volk sich redlich müht, die hinderliche Nationalanlage besser und
besser zu überwinden. Die Thatsachen, die uns das Leben schwer
machen, die uns betrüben, entmutigen uns doch nicht. Unser Banner
flattert hoch und frei und weithin sichtbar, und es trägt „trotz
alledem und alledem" die flammende Devise: Vorwärts!
Höhere Mädchenschulen und Seminare für
Lehrerinnen.
Von Fräulein Laura Herrmann, königl. Oberlehrerin, Berlin.
Hochverehrte Versammlung.
Unter allen Frauen der Kulturstaaten nimmt die deutsche,
gebunden durch die IJeberlieferungen einer zweitausendjährigen Ge-
schichte, die schwierigste Stellung den neuen Bahnen gegenüber
ein. Sie ist zu einem hohen Grade von Selbstlosigkeit erzogen
worden; doch durch die Gewohnheit, diese Tugend auszuüben, erwarb
sie die fehlerhafte Neigung, Verzicht zu leisten auf die edelsten
Güter des Menschen: auf geistige Unabhängigkeit, auf die Bildung
einer Persönlichkeit.
So hat sie bisher keinen ungetrübten . Einblick in die Be-
strebungen der Frauenbewegung, sondern erblickt in jedem Wollen,
sich ebenbürtig an die Seite des Mannes zu stellen, eine Unweiblich-
— 121 —
kdt. Das deutsche Vaterland aber mit seinen grossen Erfolgen ist
ans seinem mehr kleinstaatlichen und kleinstädtischen Wesen in den
Weltverkehr hineingetrieben worden. Die grosse Kulturpüegerin,
„die Sorge für die Zukunft **, hat einen Teil der Frauen gezwungen,
den Pfad der Traditionen, auf tiefere Geistesausbildung zu verzichten,
aufzugeben.
Diesem Geeist der Neuzeit bietet keine Gegnerschaft die Spitze,
denn: Er sitzet am sausenden Wt^bstuhl der Zeit und wirket der
Gottheit lebendiges Kleid. Nach dem Gesagten kann es uns freilich
nicht wunder nehmen, dass Deutschland, hochberühmt durch seine
Knabenschulen und seine Volksunterrichtsstätten, für Mädchenbildung
nur Elementarschulen hat. Eine eigentliche höhere Lehranstalt, die
annähernd den Zielen der Knabenbildung entspräche, haben wir nicht.
850 Gj'mnasien, Realgymnasien und Realschulen besitzt unser Vater-
land; die 580 Mädchenschulen, die höhere genannt werden, sind nur
gehobene Elementarschulen und sind im Etat den Volksschulen
zugerechnet.
Einige ausserpreassische Staaten, wie Sachsen, Anhalt, Braun-
schweig, Baden, Oldenburg setzten seit kurzem einzelne Töchter-
schulen auf den Etat der höheren Lehranstalten, erkannten sie also
&ktisch als solche an. Deutschland legt sehr grosses Gewicht auf
die klassische Bildung seiner männlichen Jugend, auch aus dem
Mittelstande; das Niveau des Wissens ist in unserem Vaterlande
bei dem Durchschnitt der Ausbildung der Männer höher als in den
anderen Kulturstaaten. Ein Erreichen ihrer Ziele deshalb für uns
schwerer als sonst irgendwo. — Was man im Auslande schon zur höheren
Bildung rechnet, verweist man in Deutschland noch in das Gebiet
des Elementaren. Die Knaben lernen im allgemeinen bei uns zu viel
— die Mädchen zu wenig.
Infolge dessen können die Mütter ihre Söhne geistig nicht mehr
leiten, wenn diese das zehnte Jahr erreichen und so entwachsen sie
ihrer Autorität, die in unseren Tagen doch von der grössten, sitt-
lichen Bedeutung wäre. Die Ziele einer Anzahl Mädchenschulen
müssen darum höher gesteckt und den zunehmenden An-
forderungen an die geistige Reife und Einsicht mehr angepasst
werden.
Eine grössere Gliederung des Mädchenschulwesens ist dringend
notwendig; denn die Wege des Lebens führen auch das Weib in die
verschiedensten Bahnen, zu den verschiedensten Aufgaben. Unsere
Mädchenschulen sind, obgleich ihre Stellung nach wie vor die unter-
geordnete blieb, in ihrem inneren Ausbau in letzter Zeit einer
langsamen Reform zugeführt worden. Deutschland ist das Land
der Reformen und nicht der Revolutionen, und so ist dieser Wandel
ein günstiges Zeichen von ihrem allmählichen Emporwachsen.
Vom Jahre 1872 an ist eine Bewegung hervorgetreten — und
zieht ihre Kreise bis 1894, — zu der Entstehung eines einheitlichen
Lehrplanes für den Mädchenunterricht. Durch die Versammlung
in Weimar vor nunmehr vierundzwanzig Jahren, trat auch die
Lehrerinnenfrage in eine neue Bedeutung ein. Bis dahin waren
die weiblichen Kräfte wenig beachtet worden. Lehrerinnen ver-
traten meist technische Fächer und den Fremdsprachenunterricht.
— 122 —
Dadurch behielten die Mädchenschulen den Charakter geringerer
Nachbildungen der Knabenschalen, da Männer fast ansschliesslich
den Unterricht gaben, die Erziehung leiteten und ihren Einfluss un-
umschränkt zur Geltung brachten. Vielleicht war das eine ge-
wollte Fügung dessen, von dem wir wissen, dass seine Gedanken
höher sind als unsere Gedanken. Das deutsche Mädchen gewann,
so angeregt, an Thatkraft. Jene Männer bildeten die weiblichen
Geister, die selbständiger und zielbewusster den Kampf im Leben
aufzunehmen vermochten. Die Lehrerin der früheren Zeit war
geistig nicht durchgebildet genug, um, auf der Oberstufe zumal, von
nachhaltig bildendem Einfluss auf die heranwachsende Jugend sein
zu können. Wer könnte es leugnen, dass der Einfluss des Mannes
auf den weiblichen Geist, besonders beim deutschen Mädchen, der
entscheidende ist! Wie des Weibes Blüte und Schönheit sich nur
an der Seite des Mannes voll und ganz entfaltet, so ist sein innerstes
Geistes- und Herzensleben an den Mann gebunden. Ausschlieslich Lehre-
rinnen — wie manche Führerinnen der Zeitfragen wünschen, an der zu-
künftigen Mädchenschule beschäftigt zu sehen — wäre ein ebenso
arger Missgrifl — wie nur Männer zum Bilden der jungen weib-
lichen Seelen zu berufen. Zwei Geschlechter schuf die Natur und
natürlich ist es, sie beide an der Bildung des zukünftigen Weibes
arbeiten und wirken zu lassen. Die Lehrerin muss dazu an Wissen
dem Lehrer gleich werden.
Als die Ansicht der Berechtigung der Lehrerinnen an den
Mädchenschulen von Kippenberg-Bremen im Jahre 1878 zum ersten
mal ausgesprochen wurde, erhob sich ein gewaltiger Sturm dagegen.
Nicht „notwendig", vielleicht „wünschenswert" — oder nur „zu-
lässig", so hiess es damals. Den Strebenden unter den Lehrerinnen
war shfY damit ein schönes Ziel gegeben, dass sie ihre Brauch-
barkeit beweisen konnten. Wenn Sie, meine Damen, hören, dass
die Lehrerin heute an der Schule berechtigt ist, da^s man sie be-
grüssen will in den Reihen der Männer, um auch auf den oberen
Stufen, bei der Arbeit an ihrem Geschlecht mitzuhelfen, so können
Sie nicht ermessen, wieviel Kampf und Entäuschung, wieviel Fleiss
und oft so vergebliche Mühe diesem Siege vorhergegangen ist. Ich
kann nicht umhin, hier einer Dame zu gedenken, die hier in Berlin
die erste war, welche dem Selbststudium und der Selbstbildung der
Lehrerinnen freundlich die Hand zum Weiterkommen bot, da sonst
in Hörsälen und Bildungsstätten der Männer für uns nur ver-
schlossene Thüren waren. Miss Archer, die Gouvernante der Kinder
des damaligen kronprinzlichen Paares, eine Engländerin, begründete
1869 das unter das Protektorat der Kronprinzessin gtstellte
Viktoria-Lyceum.
Miss Archer gehörte zu jenen idealen Wesen, die ihre Mission
erfüllen, ob im Sonnenschein des Glückes — oder auf dornenvollem
Pfade. Sie vertrat die Kunst der Menschenbildung und brachte
dazu das reichste Herz, jene bezaubernde Liebenswürdigkeit des
Wesens mit, die jenen eignet, die Geist und Gemüt gleichzeitig
harmonisch entwickelten — eine schwere Aufgabe, die nicht oft
gelingt. Sie richtete Ausbildungskurse für Lehrerinnen ein und
wfihlte zum Gegenstand derselben Deutsch und Geschichte. Der
— 123 —
Ausfall der ersten Prüfang, 1881, in Gegenwart des Herrn Scbul-
rates Cauer, zeigte, wie treu deutsche Lehrerinnen zu arbeiten ver-
ständen, wenn freundliche Anleitung ihnen die Wege bahnt.
Die' SchöpfuDg der Miss Archer, der sie zu früh durch den
Tod entrissen wurde (im Nov. 1882), gedeiht weiter in prächtigem
Hause; sie war zu zeitgemäss, um unterzugehen — doch alle, die
die Begründerin gekannt haben, werden ihrer und des armseligen,
grauen Hauses gedenken, wo ihre hoheitsvolle Erscheinung so sinnig
waltete. Die Kurse, die dort jetzt eingerichtet wTirden zur Vor-
bereitung der Lehrerinnen, um diese für den Unterricht in den Ober-
klassen auszubilden, ähnliche Einrichtungen, wie sie G-reifswald und
Göttingen getroffen haben, sind dankenswerte Beihilfen für das er-
weiterte und gefestigte Wissen der sogenannten Oberlehrerinnen;
aber es sind doch nur Uebergangsstufen. Eine \\Tirkliche akademische
Durchbildung, wie die Männer sie sich aneignen dürfen, geben sie
nicht. Unsere Vorbildung ist die der Volksschule und von dieser
ist der Sprung zur Universität, wenn auch eine Presse für das
Abiturium vorhergeht, ein zu grosser.
In der Hast lässt sich nicht bilden. Wissen lässt sich an-
lernen — aber nicht verarbeiten, dass es Fleisch und Blut in uns
werde, ohne die naturgemässe Entwickelung, die die Zeit giebt.
Leib und Seele leiden dabei, und es kommt mehr Verschrobenes
daraus hervor, als Veredlung der ganzen Persönlichkeit. Das Kenn-
zeichen dieser gewaltsamen Ausbildung ist die Ueberhebung, ist der
kühne Gedanke, nun auch völlig den Lehrer ersetzen zu können,
den eine Vorbereitung von vielen Jahren geistig geschult hat. Soll
die Lehrerin gleichwertig dem Lehrer werden, so muss eine Schule
sie gebildet haben, die dem Aufbau des höheren Wissens entspricht.
Oberrealschulen mit Latein und Mathematik sind uns zunächst nötig,
an die sich dann wenigstens eine weibliche Universität anschliessen
muss. Der Bildungsgang des Mädchens muss für die, welche an der
Lösung der Frauenfrage auf diesem Gebiete wirken sollen, derselbe
wie der des Knaben werden. In Deutschland geht das nicht anders.
Hier sind zu feste, gesetzliche Bestimmungen über die Vorbildung
eingeführt, dass selbst hochgebildete Männer des Auslandes die
staatlichen Prüfungen nochmals hier ablegen müssen, um zu einem
Amte zu kommen.
Wir dürfen darum die Wege unserer F'rauenbewegung nicht
immer mit Amerika, England oder dem so rasch vorgeschrittenen
Finnland vergleichen. Wir sind Deutsche und im deutschen Volke
vollzieht sich der Fortschritt langsamer, doch planmässig durchdachter.
Deutschland erhielt im Kreise der Nachbarstaaten einst zuletzt seine
Hochschulen für die Männer; die deutschen Bauern haben von ihren
12 Artikeln aus dem Jahre 1524 bis zum Freiherrn von Stein (1807)
auf die Anerkennung ihrer gleichen Menschenrechte warten müssen.
— Deutsche Frauen werden ausharren, bis auch ihnen die Freiheit
kommt, sich in ihrer Eigenart ausleben zu dürfen, wenn wir auch
alle den Tag unserer Mündigkeitserklärung nicht schauen sollten.
Ist unser Streben von Gott — so wird es bestehen ! Der Wider-
stand gegen die Gleichstellung beider Geschlechter entspringt der-
- X24 ~
selben Quelle, aus welcher alle Hemmungen kommen. Der Vor-
stellung nämlich, dass damit unerträgliche Zustände geschaffen
würden. Sah man doch den Untergang des Christentums in dem
kühnen Vorgehen Luthers gegen Papst und Kirche — sollte doch
die Gesellschaft aus den Fugen gehen, wenn Bürgerliche die Privi-
legien des Adels teilten; und doch kamen hierbei nur menschliche
Einrichtungen in Frage — Mann und Weib unterscheiden sich nach
unwandelbaren, natürlichen Gesetzen; den Unterschied hat keine
Unkultur vernichtet und wird keine Kultur aufheben. Die Ver-
edlung unseres Geschlechtes wird niemals uns zu Männern um-
bilden; das ächte Weib bleibt sich selbst getreu und gerade das
deutsche Frauengemüt ist in seinem Grundton nimmer umzustimmen.
Die deutsche Frau ist hingebender, aufopfernder und geduldiger
als viele ihrer Schwestern in fernen Ländern. Sie hat das immer
bewahrheitet. Der deutsche Mann weiss, dass sie Not und Kummer
mit ihm teilt, wenn sie seiner Liebe nur gewiss ist. Sie hat ihm
immer helfend zur Seite gestanden in den Zeiten, wo das Vaterland
des Mannesarmes bedurfte; soll sie nur in der Not seine richtige
Gefährtin sein? Soll Rückerts Versprechen von den Fesseln ver-
gessen sein:
Frauen Preussens, nehmt als Opfergaben
Die Gabe meines Lied's, das ich Euch bringe, —
Ihr, die ihr gabt vom Finger Eure Ringe,
So wie ihr gabt vom Busen Eure Knaben
Dem Vaterland; in Erzschrift sei gegraben
Euer Preis, dass ihn kein Mund der Zeit bezwinge.
Des Ruhms, den Eurer Männer blut'ge Klinge
Erfechten wird — sollt Ihr die Hälfte haben: —
Nur die Hälfte in dem Leid — nicht auch die Hälfte im Frieden
— in der schönen geistigen That?
Die deutsche Frau gab keinen Grund, sie für geringwertiger
zu halten, als die Männer es sind. Und doch ist allem ihrem Thun
dieser Stempel aufgedrückt. Die Männer, die sich der Bildung der
Mädchen unterziehen, leiden mit unter diesem Vorurteil. Vorgebildet
wie die an den Gymnasien und Universitäten Lehrenden, stehen sie
als Mädchenlehrer in ehrenrechtlicher und gesellschaftlicher Beziehung,
sowie hinsichtlich des Gehaltes, der Wohnungsgelder, der Pensionen
und der Versorgung ihrer Hinterbliebenen hinter den anderen stu-
dierten Lehrern und hinter allen Arten studierter Beamten zurück.
Wenn von den vielen Gedanken, die hier angeregt werden, für uns
in Deutschland nur die eine Frucht reifen wollte, dass einem Teil
der Mädchenschulen im Vaterlande das Recht höherer Lehranstalten
zugebilligt würde, so wäre damit ein segensreicher Schritt auf der
Bahn der Weiterentwickelung unseres Geschlechtes geschehen —
und wir könnten uns freuen, Anteil gehabt zu haben an der acht
deutschen Arbeit:
Die Sandkorn nur an Sandkorn reicht —
Doch von der grossen Schuld der Zeiten
Minuten — Tage — Jahre streicht.
— 125 —
Expörlence Pödagoglque
Appliquee k TKcole professionnelle des T(>rnes.
Par MUe. Pauline Dupont Directrice de TEcole, Officier d'Academie,
Paris.
Mesdames, Messieurs!
Je suis heureuse et fiere de venir dans ce pays d'intellectuels,
de savants, de profonds penseurs, moi, Franraise, me recommander a
la bienveillance allemande dans ce Congres.
•Pai 6te victime de Teducation fausse de ma jeunesse. Apres
maintes donleurs vecues, j'ai eprouve la for^e conviction d'elever les
jeunes filles en dehors de nos idees precon^ues. J'ai pu mettre cos
preceptes en {)ratique, k TEcole professionelle des Ternes 22 bis,
roe Bayen, ä Paris, pendant seize ans. Je vais en tracer les grands
traits :
En 1880, j'ai ete choisie pour diriger cette oeuvre. Je ne saurais
trop remercier ceux qui ont apporte leur conoours ä l'Ecole d'avoir
eu confiance en moi; car je crois avoir ete digne de ma liberte,
puisque j'ai la satisfaction de ne m'etre jamais entendu dire qu'une
de mes eleves ait tourne mal.
Dans les lycees ou institutions, le directeur ne doit pas etre
autoritaire ; mais donner un esprit d'ensemble, base sur certains prin-
cipes, tels que cette vieille maxime universellement humanitaire:
Faite» ce que vous voudriez qu'on vous fit!
Le directeur responsable est Tincarnation de la justice; posse-
dant relativement toutes les qualites, il ne doit pas affecter une vaine
sup6riorit6. Bannissant la malveillante critique de son personnel,
facilitant les rapports les plus loyaux, il doit detruire toutes les
mesqnineries universitaires, par un esprit de liberte, un souffle de
haute justice, et par un sentiment de bienveillance mutuelle. II doit
laisser a tous leur initiative personnello et se servir de leur superio-
rit^ intelleetuelle, du concours de leurs observations, pour le bien
general. Mais je ne reconnais k qui que ce soit, le droit d'imposer
un Programme. Cependant, si Tenseignant se trouve indigne de
sa liberte ou inferieur, le dir»»cteur et les professeurs peuvent inter-
venir avec bienveillance. Aussi, serait-il utile de reunir souvent son
personnel, oü, sans parade, dans une causerie mutuelle, chacun pour-
rait 6mettre ses observations, faire profiter de son experience acquise.
Par ce moyen, on degage Tenseignement de toute routine; il peut
se transformer par de nouvelles methodes, de meme que concourrait
ä la prosperite de sa compagnie, un ingenieur qui apporterait ses
creations, ses idees neuves.
Le directeur, a Touverture de Tecole, devrait assembler tous
les eleves, leur faire, sous form(? de causerie, une legon de pensees,
d^observations, prise sur les incidents, les abus, qui necessairement
se glissent journellement dans sa maison; leur faire connaitre le
monde dans ses lüttes, dans ses prejuges, dans ses Conventions; les
pr6venir des difficultes qui les attendent, malgre toute leur science;
leur fonmir les preuves d'une experience acquise; faire appel a leur
jngement, et ainsi leur accorder la saine liberte de discussion.
— 126 —
Pour determiner les actes et les difficultes qui surgissent, il
peut fonder ses appreciations sur Tavis prealable des professeurs, et
la conscience d'un jury d'eleves moralement elas par leurs condis-
ciples; et gräce ä toutes ces consultations loyalement expliquees, ap-
prendre ä tous de juger juste. II est plus facile d'obeir inconsciem-
ment, que de savoir juger consciemment ses actes.
Le directeur doit elever les pens^es, le coeur de Tenfant vers
un ideal d'oü decoulera le beau, le bien, le jaste, et cela sans porter
atteinte au desir et aux croyances des farailles.
Le but de Feducation morale est la foi en la justice qui donne
la notion du vrai! . . .
Notre societe actuelle, avec ses dures necessites, ses Privileges,
ses iniques personnalites, n'est que le resultat du Systeme pedagogique
a Tegal de la doctrine dans les religions, c'est-ä-dire a Tegal de
Fadministration en quelque sorte materielle de la morale, ne peut
etre que fertile es Reines, puisque par Fesclavage des sectaires, il
provoque plus etroitement les hostilites d^Dteret, qui naissent dans
toute Organisation de societe humaine. Une large vision des conve-
nances respectives de caractere ä caractere, parmi tous les etres d'une
humanite constamment individuelle dissemblable, peut enfanter des
heroismes, purifier et r^generer les societes, dont le Systeme religieux
n'a produit que Fenvie, Finterßt personnel et la plus hideuse in-
tolerance.
Abolition des punitions et des recompenses.
Le mot punition ne devrait jamais etre prononce dans une ecole;
Fenfant doit s'habituer ä la reparation de ses torts. C'est par le
respect de sa liberte, la persuasion et Famour de la justice que nous
devons Fy conduire. N'exigez pas de Fenfant cette obeissance pas-
sive, irresponsable, qui est aussi un h^ritage du passe; Fenfant doit
prendre conscience de sa liberte, d'oü lui viendra Finitiative ou self-
government.
La condition essentielle de responsabilite, c'est la liberte; sans
eile, pas d'energie! En un mot, developpez ces hautes conceptions
dans un langage simple, vrai, et que vos actes soient en rapport ä
vos theories.
J'ai souvent remarque, ä raa propre confusion, que Fenfant a
le sentiment de justice plus developpe que nous, qui le perdons dans
la bataille des interets discordants et des Conventions sociales. Laissez-
lui la liberte de juger dans le respect qu'il doit ä tous, dirigez-le
dans la voie de la responsabilite, et ne le traitez pas comme un etre
inconscient, lui qui pourrait vous en remontrer, au point de vue des
principes naturels de justice et de liberte. Ah! Redoutez de donner
aux enfants des defauts qu'ils n'avaient pas lorsqu'on vous les a
confies.
Les recompenses, les classements, les punitions doivent etre abolis
de Fecole. II faut demontrer a Fenfant que chaque individu doit ä
la societe sa part d'eflforts, de travail; au mieux doue, il appartient
de donner davantage. Chaque eleve doit avaut tout dependre de sa
conscience, et trouver en eile pleine satisfaction. Naturellement, le
travail bien fait porte en lui-meme son salaire; mais Festime des
— 127 —
autres et le payement ne doivent etre consideres que comme resul-
tats superflus, et pourtant necessaires dans la societe actuelle, mais
moralement negligeables, puisqii'ils ne sont que des eflFets et point
des causes.
Organisation de l'Ecole des Ternes depuis 1880.
II y a seize ans, en prenant la direction de Toeuvre, j'ai voulu
etre Tamie des eleves, et la premiere etudiante de FEcole, en montrant
chaque jour le perfectionnement moral.
J'ai eu la coutume de rendre compte publiquement de mes actes,
de les faire juger, sanctionner, par les professeurs, les eleves, dans
le respect qu'ils me devaient.
J 'inaugurai un cours de morale, oü toutes reunies, chaque matin,
les abus, tout ce que ce nous avions sur le coeur devrait etre dit,
evitant ainsi tout malentendu. Chacune avait le droit de discuter,
de se defendre loyalement. Cet ordre du jour, forme par les
necessites, me fournissait Timprovisation.
Je trouvais dans mon experience, mes souffrances passees ou
actuelles, toutes les refutations, toutes les bienveillances et la lumiere
necessaire pour elever Fenfant au plus haut degre de justice et de
honte, lui apprenant ainsi ä observer, a penser et ä juger. Jamals
je ne me servais de livres quelconques, que le bulletin du jour.
Suivant nos programmes en vigueur en 1880, c'etait une heure
perdue pour Tinstruction , mais Televe, sortant de ce cours
plus reflechie, moins orgueilleuse, comprenait le travail pour lui-
meme, faisait des efforts plus consciencieux, et se debarrassait de
toutes ses mesquineries interieures. Avec peu de temps et pas de
surmenage scolaire, nous arrivions tout tranquillement au but, c'est-
ä-dire aux resultats dans les examens, ou Tobtention d'emplois pour
nos jeunes filles dans le commerce ou Findustrie.
L' Union des femmes de France, la maison Hiekel, rue Tronchet,
TAssistance par le travail, la maison Morin Blossier, le Credit
Lyonnais, le Credit Industriel, les Postes et Telegraphes, pourraient
vuus renseigner sur nos eleves employees dans ces maisons.
Je donnais donc un souffle, une vie a Tecole; Tesprit d'ensemble,
le gouvernement de soi-meme par le controle de soi-meme, un grand
amour de la justice, eleve au-dessus de nos personnalites, de nos
int^rets. A chacun de nos actes, nous devions nous dire: est-ce juste,
est-ce injuste? est-ce utile, est-ce nuisible?
Voici les trois questions pedagogiques que je m'adressai ä
Touverture de TEcole, et que j'ai täche de resoudre:
1. Comment debarrasser Tenfant de sa presomption, de sa Ja-
lousie naturelle, et du desequilibrement de son temperament?
2. Comment laisser a chaque eleve son individualite, son ori-
ginalite, et vivre socialement dans Fharmonie et la plus cordiale
fraternite?
3. En donnant l'hygiene physique, comment donner Fhygiene
morale ?
1. Comment attenuer la presomption, la Jalousie et les inegalites
de Tenfant?
J'ai demontre ä l'enfant que chaque individu doit sa part de
— 128 —
travail et dintelligence a la societe: au mieux doue, il appartient
de donner davantage, mais saos vanite; car Teffort de l'atome et
Teffort des masses aident a conconrir ä Fensemble universel, ils ne
peuvent se mettre en parallele et se separer. Fera-t-on un i-eproche
ä un homme d'etre laid, court de taille? un autre aura-t-il concouru
des pa naissance ä sa beaute, ä son intelligence et ä son tempera-
ment? donc, il est vraiment injuste, insense, de faire des paralleles.
Si 1 'homme eüt penetre Tabsolu, ce serait different; mais la
nature entiere n'a produit et ne produira partout que le relatif.
Faire bien comprendre ä Tenfant que chaque etre a des apti-
tudes qui le determinent vers une chose plutot que vers une autre.
Ces aptitudes, developpees par le travail, seront utiles ä ses semblables.
Chacun doit apporter un travail individuel, different par la variete,
dans Fharraonie, concourant au bien de rhumanite; mais duI n'a le
droit d'eriger les hierarchies.
Quelle derision s'il fallait etiqueter tout Tunivers qui constamment
evolue et se transforme! 11 faut tenir compte chez Tenfant de
Teffort, de Tenergie constante vers le but qu'il se propose, sans le
stimulant de sa vanite ou des recompenses. De la, suppression de
haine, de Jalousie, de dissentimeots.
Le niaitre doit proportionner le travail et Teffort au bon sens,
ä la raison, afin qu'aucun mobile secret de vile ambition ne fasse
produire a aucun ce qu'il ne peut faire.
Aux enfaots victimes paratavisme ou victimes de Torganisation
sociale, Tinstituteur doit inculquer ces deux sentiments:
1. A ceux en etat d'inferiorite, un sentiment d'affection pour
leurs camarades naturellement privilegies;
2. Aux mieux dou^s, le sentiment d'etre un tuteur pour les
autres, les aider a supporter leurs souffrances, sous peine de com-
mettre une lache indignit^, qui pourrait atteindre en soi ou dans
les siens.
Ne pas faire le bien qu'on croit devoir faire, ce n'est pas un
mal, c'est un crime.
2. Comment laisser ä chaque eleve son originalit6 et lui per-
mettre de vi vre en harmonie?
Partant de ce principe que Tabsolu n'existe pas, mais qu'il n'y
a que des relatifs, ü n'est pas permis au maitre de modeler sa classe
sur un type qui serait par exemple, lui, professeur. 11 doit diriger
Tenfant sans lui imposer son temperament, sa maniere absolue de
voir; il doit etudier le caractere de chaque ^leve. 11 doit laisser a
Tenfant la liberte de penser, de se former un jugement, de pouvoir
exprimer ses appreciations, evitant ainsi de produire une s^lection de
moutons de Panurge, en contemplation devant son infaillibilite!
Dans cette joute oratoire de jeunes gladiateurs intellectuels, il
doit rappeler les eleves au respect des idees de chacun.
Le professeur, ayant su faire naitre des divergences, apres les
recitations, refute en dernier ressort les id^es qu'il croit erron6es,
par le criterium experimental de sa science, tout en laissant ä T^leve
la liberte de Facceptation. 11 faut qu'il s'exprime, non en pedagogue,
mais en simple etudiant qui, apres un laps de temps, peut revenir
lui-meme sur ses idees pour en accepter d' autres, h^las ! plus vraies
— 129 —
encore. Tel est ce qua Ton a appele improprement le progres
humain.
Le professeur, et par suite T^leve, doivent aimer la science au
point de se d^barrasser de la personnalite et du pedantisme. La
science ne vaut-elle pas assez par elle-meme?
Revision des etudes.
Pour se rendre compte des progres reels de FEcole, la Directrice
fera une inspection mensuelle, familiale, revisionnant les eflForts
particullers en regard du mois ecoule. Elle priera chaque eleve de
donner son appreciation sur ses compagnes, en mettant la justice
au-dessus de ses amities pour ses camarades, et de ses sympathies
pour ses professeurs.
La maitresse de classe rectifiera les appreciations erron^es,
puisqu'elle produit ä Tappui la liste des IcQons et devoirs faits, sus
ou non faits.
Par ce moyen, les Kleves peseront les efforts de chacune, en
ayant soin de distinguer Teffort de Tintelligence de Teffort du travail.
Ainsi, elles pourront etablir un classement moral, sans Jalousie, et
s'inclineront devant la valeur personnelle de leur compagne. La
directrice aura soin de terminer son inspection par une exhortation
a Tactivite vers le mieux.
A la legen morale, fin du mois, les maitresses et les eleves
feront la revision des qualites acquises, des defauts combattus, et
pas ä pas, Tecole s'elevera vers un perfectionnement scientifique,
psychique et humanitaire. Par ce moyen, la directrice se rendra
compte de l'esprit des eleves et des professeurs de Tecole.
Pour former les caracteres, il est necessaire que la directrice
ne se rende pas indispensable; eile doit s'ingenier ä creer une foule
de responsabilites, en laissant a toutes Tinitiative de la seconder,
voir meme de la remplacer. Elle ^ourra juger du self-government
et du self-controle de tous, du sentiment du devoir consciencieusement
desinteresse de chacun. Combien sera-t-elle etonnee, en pratiquant
cette liberte, de la simplicite des choses! . . . Par ce nouveau Pro-
gramme, la directrice sera forcee de se perfectionner constamment,
de compter avec toutes, pour rester le premier eclaireur de sa
petite cite.
3. En donnant Thygiene physique, comment donner Thygiene
morale?
De toutes parts on a fait d'immenses progres d'hygiene physique
scolaire, qui ont ete heureusement appliques, je *ne traiterai donc
pas ce sujet; mai j'adresserai quelques questions au sujet de Thy-
giene morale.
Au developpement materiel de Tenfant, a-t-on Joint egalement
de ses facultes sensitives et nerveuses?
A-t-on compte avec ces souffrances secretes d'enfants internes
ou externes sur nos bancs d'ecole?
Interrogez les enfants, et demandez-leur la demoralisation que
procurent les classements dans une ecole.
9
— 130 —
Helas! il semble que daus ce steeple-chase de vanite, de clas-
sement, de concours, de hierarchies, Fenfant se trouve dans une
surexcitation nerveuse qui developpe ses defauts au lieu de les
attenuer. Ne se preoccupe-t-il pas plus de sa personnalite que du
travail pour lui-meme. de Thistoire pour Thistoire, des sciences pour
les sciences. etc.? N'evSt-il pas en butte ä ces silencieuses, honteuses
blessures d'amour-propre cauvsees par la Jalousie, la haine, Thypocrisie
les rivalites de oeux qu'il ne peut egaler? N'est-ce pas developper
cet egoisme feroce qui nuit ;i lafraternite et ä la justice? N'est-ce
pas la source des hontes ou se debattent nos societes actuelles, et
qu'aucune religion, malgre ses efforts, ne parait pouvoir enrayer?
Oh! que les paralleles sont demoralisants, qu'ils etouflfent les nobles
et genereux sentiinents que tonte mere a reve de donner des le
berceau ä son enfant! Comme on est interieurement devoye sous
cette discipline passive et ce Systeme de concours, de classements!
Comme hygiene morale, la directrice doit harmoniser les senti-
nients, veiller aux rapports intimes des professeurs et des eleves entre
eux, au respect, ;i la deference des uns envers les autres, a la to-
l^rance naturelle de leurs caracteres ; enfin eile doit inspirer un grand
souffle de droiture et de paix a tout ce qui Tentoure. C'est par la
ponderation, le vrai bon sens, la justice, la raison, qu'elle y par-
viendra.
Des visiteurs, appartenant ä toutes les opinions politiques, ont
remarque Faspect de calme, de simplicite, de droiture et de paix qui
caracterise la fraternelle famille de nos enfants, et ont ete fort emus
de Fharmonie sereine qui regne a notre ecole professionelle des
Ternes.
Je peux donner la longue liste des parents qui nous ont donne
leur approbation, en voyant les resultats produits par cette education
liberale.
Voici ce qu'un effort libre, personnel, depourvu de sectarismC;
d'intolerance, a produit par cette education morale.
11 a pu rallier la jeunesse des familles appartenant aux opinions
politiques, dogmatiques, les plus variees et les plus intenses.
Peut-il m'etre plus profonde satisfaction que de tels resultats
acquis et que ma conscience accepte en toute simplicite!
Mesdames, Messieurs!
— ■"•
Je vous prie de m^excuser de mon long rapport en face des
questions sociales si pressantes; mais Tamour sincere que j'eprouve
pour la jeunesse ja^a ote Tapprehension que j'avais de vous faire
connaitre mon experience pedagogique.
Nous avons voulu rendre nos enfants plus heureuses en evitant de
fabriquer des ames apparemment pareilles et forgees du passe par le
meme moule.
Xous leur avons donne des habitudes de proprete morale comme
des habitudes de proprete physique, les preparant aux idees saines,
aux activites moins conventionnelles que nous promettent les libertes
futures! . . .
— 131 ~
Die Stellung der Lehrerin in England.
A^on Miss C. J. Dodd, Manchester, Delegierte von: The Teachers
Guild of Grreat Britain and Irland.
Zu Anfang dieses Jahrhunderts war die Stellung der Lehrerin
in England nicht beneidenswert. Thackery, Dickens und Charlotte
Brönte haben die Leiden der verachteten G-ouvernanten geschildert.
Sie nahmen in der Gesellschaft keine Stellung ein, ihre Pflichten
waren grosse, und ihr Gehalt war gering.
Es ist wahr, dass sie oft keine genügende Ausbildung für ihre
Arbeit hatten. Sie ergriffen den Lehrerinnen-Beruf, weil nichts
anderes für sie übrig blieb, wenn sie genötigt waren, ihren Lebens-
unterhalt zu verdienen. Wenn es einer Lehrerin glückte, sich zu
.verheiraten, nahmen alle ihre Freunde den wärmsten Anteil, und viele
Schriftsteller bebandelten das Thema der Leiden einer hübschen
Gouvernante und ihre Belohnung in Gestalt eines reichen Gatten.
Dieser Zustand war natürlich, wenn wir bedenken, dass das Unter-
richten nicht als ein ernster Beruf betrachtet wurde, und die Frauen
für das Lehramt nicht besonders ausgebildet waren. Alle bezahlte
Arbeit wurde als entwürdigend betrachtet, und daher kam es, dass
hauptsächlich Frauen, welche mittellos geworden, es unternahmen.
Schule zu halten oder in einer Familie zu unterrichten. Die ganze
Ansicht über Lehrerinnen hat sich seit den letzten 30 Jahren sehr
«geändert, und wir haben jetzt viele ausgebildete, sehr fähige,
fernste Frauen, welche das Lehramt als Beruf ergriflFen haben,
und deren Arbeit gut bezahlt wird. Diese Frauen hatten Gelegen-
heit zu einer gründlichen Ausbildung; sie haben eine höhere Auf-
fassung von dem Lehramt und widmen sich demselben mit voller
Hingabe. Es ist nicht möglich, eine eingehende Schilderung von
den Verhältnissen der englischen Lehrerinnen zu geben, aber eine
kleine Skizze wird zeigen, wie weit wir vorgeschritten sind» Die
Zulassung der Frauen zur Universität hat viel dazu beigetragen,
die Stellung der Lehrerinnen zu verbessern. Es giebt in England
4 Universitäten: Oxford, Cambridge, London und Victoria, aus-
•schliesslich der Universitäten in Schottland, Jrrland und Wales.
Die Universitäten London und Victoria räumen den Frauen gleiche
Hechte mit den Männern ein, sie dürfen studieren, können das
Schl'^ss-Examen machen, und bleiben stets in Verbindung mit ihrer
Universität. In Oxford und Cambridge können Frauen studieren
und die höchsten Examen ablegen, jedoch ohne Titel zu erhalten.
Ernste Frauen indessen geben nicht viel auf äussere Titel, sie halten
die Ausbildung auf einer Universität für die Hauptsache
In Oxford sind es zwei Universitätsgebäude: Lady Margarets'
Hall und Somerville Hall, und in Cambridge ebenfalls zwei: Newnham
College und Girton College, welche den Frauen zur Verfügung
stehen.
Die Anfänge dieser Einrichtungen waren sehr bescheiden. Die
schöne Universität Newnham College verdankt ihre Gründung- dem
grossen Vertrauen, welches Miss Clough in diese Sache setzte, und
zählte zu Anfang nur 5 Studentinnen, im Vergleich zu 400, welche
jetzt 'dort ihre Ausbildung finden. Mrs. Henry Sidgwick ist Präsi-
- 132 —
dentin, und Miss Helen Gladstone Vice-Präsidentin, und viele Vor-
lesungen werden von Frauen gehalten. Auch Oxford und Cambridge
bieten ausgezeichnete Gelegenheit für wissenschaftliche Ausbildung,
und viele Frauen, welche hier studiert haben, üben auf die Schulen
einen grossen Einfluss aus.
Allerdings gehören zu solchem Studium bedeutende Mittel,
und daher ist es nicht jedem jungen Mädchen möglich diese
alten Universitäten zu besuchen. Aber sie können entweder
an der Londoner oder an der Victoria Universität ihre Examen
machen, womit Titel verbunden sind. Um ihre Examen in London
abzulegen, können sie auch an anderen üniversitäts-CoUeges z. B.
Mason College in Birmingham, Firth College in Sheffield und
University College in Bristol studieren.
Zur Victoria Universität gehören Owens College in Manchester;
YorkshiriB College in Leeds una University College in Liverpool.
So ist es für kein Mädchen in irgend welchem Teile Englands
schwer, eine Universitätsausbildung zu erhalten, weil sie von ihrem
Wohnort aus beinahe immer ein College erreichen kann. Da die
Frauen, welche studiert haben, einen grossen Einfluss auf die Schulen
gewannen, verfügen wir zur Zeit über sehr gute Girls High Schools.
Einige der besten sind: The North London CoUegiate School,
the High School in Manchester, und the High School in Birmingham.
Diese High Schools sind nicht staatlich, denn in England sind
nur die für die Kinder der Arbeiter und Handwerker bestimmten
Schulen vom Staat eingerichtet. Die High Schools sind für die
Töchter der wohlhabenden Stände bestimmt. Die Mädchen welche
sie besuchen, sind ungefähr 8 bis 18 Jahr alt.
Sie werden auf das Universitätsstudium vorbereitet, und er-
halten Unterricht in Griechisch, Latein, Mathematik und Natur-
wissenschaften. Alle Lehrkräfte sind Frauen — ein Mann an der
Spitze einer solchen Schule ist absolut undenkbar. Alle Lehrerinnen
dieser Schulen haben eine gute gesellschaftliche Stellung und be-
ziehen gute Gehälter. Das Gehalt einer Vorsteherin beläuft sich
auf 250 bis 500 Lstr. und das einer Lehrerin auf 80 bis 150 Lstr.,
je nach ihrer Thätigkeit und Erfahrung. Diese Schulen werden
nicht von dem Staate beaufsichtigt, sondern von einem Komitee, das
auch die Vorsteherin ernennt und die Geldangelegenheiten ordnet.
Es giebt auch viele sehr gute Privatschulen in England, an welchen
tüchtige, ausgebildete Lehrerinnen unterrichten.
Eine Betrachtung der englischen Gemeindeschule ist interessant
im Vergleich zu der deutschen. Ein viel grösserer Teil Frauen
als Männer unterrichten bei uns in diesen Schulen, weil man in
England die Frau als die natürliche Lehrerin von Kindern ansieht.
Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass mehr als % aller Kräfte,
welche an der Gemeindesehule arbeiten, Frauen sind. Diese Frauen
sind ernste und denkende Charaktere, deren Einfluss auf die Kinder
der armen Klassen unschätzbar ist. Die Vorbereitung für diese
Arbeit ist eine lange und schwierige. Mit 14 oder 15 Jahren werden
sie, was man „Pupil Teachers" nennt, d. h. sie helfen täglich
während einiger Stunden in der Schule, und eignen sich so das
— 133 —
Unterrichten praktisch an. Zugleich empfangen sie dort ihren
eigenen Unterricht in der Vorbereitungsschule für das Seminar.
Der grössere Teil dieser Pupil Teachers sind junge Mädchen,
und die Vorsteher und Lehrer dieser Schulen sind ebenfalls oft
Frauen. Mit dem Alter von 18 Jahren machen sie an diesen Schulen
ein Examen, um in ein Seminar eintreten zu können, wo sie 2 — 3
Jahre verbleiben. Schon in der Vorbereitungs-Schule empfangen sie ein
kleines Gehalt, von 10 bis 20 Lstr. jährlich, ohne etwas für ihre
Ausbildung zu bezahlen, und auch der weitere Unterricht auf dem
Seminar ist ein unentgeltlicher. Nach amtlichen Berichten betrug
die Anzahl der im Jahre 1895 zum Examen zugelassenen Männer
1519, der zugelassenen Frauen 5142.
Daher ist es nicht erstaunlich, dass es mehr Seminare für
Frauen als für Männer giebt.
Zwei unserer besten sind Stockwell-College, London, und Edgehill-
CoUege, Liverpool.
Stockwell-College zählt ungeföhr 155 Seminaristinnen, Edgehill-
College deren 126. Die Vorsteherinnen und alle Lehrkräfte sind
Frauen.
Einige von den Lehrerinnen, welche an den Gremeindeschulen
unterrichten, haben ihre Ausbildung auf der Universität ge-
nossen. Es ist ein zunehmendes Bestreben der Lehrerinnen der Ge-
meinde-Schulen eine höhere Ausbildung zu erlangen als die semina-
ristische. Im Jahre 1890 wurde von der BiCgierung vorgeschlagen,
Seminare in Verbindung mit Universitäten zu errichten, damit es
den Schülern ermöglicht würde, die Vorlesungen zu hören, während
sie ihre pädagogische Ausbildung erhalten.
Zuerst stiess dies auf viele Schwierigkeiten; man meinte, dass
die Mädchen nicht genügend vorbereitet seien, oder dass Seminar-
und Universitäts- Studium zu gleicher Zeit zu viel wäre. Indessen
wurden Versuche gemacht; jetzt giebt es schon 12 solcher Seminare
und in allen finden wir Frauen, die ihr Examen vorzüglich be-
standen haben. Ich will im folgenden von dem Manchester Frauen-
Seminar sprechen, welches in Verbindung mit dem Owens-Gollege
steht. Im Jahre 1892 wurde es gegründet und zählte damals acht
Studentinnen. Sie waren 18 und 19 Jahre alt, hatten die Gemeinde-
schule besucht und ihre Examen daselbst abgelegt. Das Studium
war für sie sehr schwer, da die meisten nicht genügend Latein und
Mathematik wussten. Nach Verlauf von 3 Jahren machten 5 von
8 ihr Examen und bekamen den Titel Bachelor of Arts oder Bachelor
of Science, und alle empfingen ihr Unterrichtsdiplom. Alle diese
Mädchen haben gute Anstellungen gefunden. Sie waren ungefähr
20 oder 21 Jahre alt, und man hatte nicht erwartet, dass sie so
schnell gute verantwortliche Stellungen mit hohen Gehältern
bekommen würden. Eine hielt Vorlesungen über Mathematik an
einem Seminar, eine andere wurde Lehrerin an einer Pupils Teachers
School. eine dritte an einer technischen Lehranstalt, wo sie Vor-
lesungen über Physik und Mathematik für junge Leute beiderlei
Geschlechts zu halten hat. DieGehälteraller dieser jungen Mädchen
beliefen sich auf 90 bis 130 Lstr. jährlich.
amma^i^ät
— 134 --
Die Gemeinde-Schulen in England kann man klassifizieren in
Infants Schools (Schulen für kleine Kinder), Mädchen-Schulen,
Knaben-Schulen und Schulen für Knaben und Mädchen.
Die Infants schools bereiten Kinder von 3 bis 6 Jahren für die
Gemeindeschule vor. Lesen, Schreiben, Rechnen, Singen, Zeichnen,
Spiele und Kindergartenarbeiten werden hier gelehrt. Alle Lehr-
kräfte sind Frauen. Die Vorsteherin bezieht ein Gehalt von 80 bis
180 und die Lehrerinnen ein Gehalt von 50 bis 80 oder 90 Lstr.
Mit 5 Jahren tritt der Schul zwang ein. In den Mädchen-Schulen
wird Unterricht erteilt im Lesen, Schreiben, Rechnen, Geographie,
Geschichte, Grammatik, Gesang, Zeichnen, Hygiene, den Arbeiten
für das Hauswesen und Handarbeiten; in den höheren Klassen auch
im Kochen und Waschen. Und in den besten Schulen dieser Art
wird auch Französisch oder Deutsch, Latein, Mathematik oder
Elementar-Natur Wissenschaft gelehrt. Die Schülerinnen sind 7 bis
14 Jahre alt, und die Anzahl derselben beläuft sich auf 100 bis 800.
Diese Mädchen-Schulen werden nur von Frauen beaufsichtigt. Die
Vorsteherin bezieht gewöhnlich 100 bis 300 Lstr. und eine Lehrerin
60 bis 150 Lstr. Gehalt. Die Knaben-Schulen stehen unter Auf-
sicht von Männern, jedoch ist es nicht selten, dass Frauen in den
niederen Klassen unterrichten, weil man ihnen mehr Geduld und G-e-
schicklichkeit im Umgange mit den kleinen Kindern zuschreibt. In den
Schulen für Knaben und Mädchen sind beide Geschlechter zusammen
in einer Klasse und erhalten gemeinsamen Unterricht. An diesen
Schulen unterrichten sowohl Frauen wie Männer, und der Vorstand ist
ebenso verteilt. Ich kenne eine grosse Schule für Knaben und
Mädchen unter Leitung eines Mannes, an welcher sonst nur Frauen
unterrichten. Ebenso weiss ich von einer solchen Schule unter
Leitung einer Frau, an welcher mehrere Männer unterrichten.
Im grossen und ganzen ist die Stellung einer Lehrerin in England
eine gute. Denn als gebildete und intelligente Frau in verantwort-
licher Stellung arbeitet sie unabhängig von Männern und bezieht ein
gutes Gehalt.
Ich muss noch hinzufügen, dass Frauen auch in die Schul-
Komitees gewählt werden können, deren es in jeder grösseren Stadt
giebt und denen die Beaufsichtigung der Gemeinde-Schulen obliegt;
auch in den Komitees für High-schools finden sich Frauen.
Das Mädchenschulwesen in Ungarn.
Von Frau Rosa Marsits, Direktorin der höheren städtischen Mädchen-
schule in Temesvar, Delegierte des Maria Dorothea-Vereins.
Ungarns kulturelle Entwickelung hatte in der Vergangenheit
gewaltige Hindernisse zu überwinden; teils waren es des Landes
politische Verhältnisse und die Jahrhunderte langen Kämpfe um die
Möglichkeit des Fortbestandes gegen die von Osten kommenden Tar-
taren und Osmanen, teils die erbitterten Kämpfe, die es auszufechten
galt, um Ungarns selbständige Existenz in der Reihe europäischer
Staaten aufrecht zu erhalten.
Seit 1526 folgen sich diese Bewegungen mit verschiedenen
~ 135 —
Mitteln unter verschiedenen Namen, doch der Zweck war immer
derselbe. Erst die um die Mitte des gegenwärtigen Jahrhunderts
geschehenen grossen Ereignisse schufen Ruhe und der daraus ent-
sprungene Friede und Segen konnte den Samen zur Frucht reifen,
den die Intelligenz des ungarischen Stammes, den ungünstigen Ver-
hältnissen zum Trotz, schon in der Vergangenheit ausgesät hatte.
Dieser Friede schuf den 1867 er 38. Gesetzesparagraphen, der
das Fundament unserer heutigen Volksbildung ist und der zugleich
diese Volksbildung unter den Schutz des ungarischen Staates stellt.
Zwar stand unsere Volkserziehung schon seit dem 18. Jahrhundert
auf Grund der „Ratio educationis" benannten Verordnung unter
staatlicher Aufsicht, doch zerfiel ehedem diese Aufsicht nur nach
Konfessionen und zwar bis zur Reformation war sie ganz den Katho-
liken anheim gestellt, nach der Reformation jedoch sowohl den
Katholiken wie Protestanten ermöglicht. Der Wettstreit zwischen
den beiden Konfessionen war ein gewaltiger Förderer sowohl des
niederen wie des höheren Unterrichts.
Mit dem Frauenunterricht und der Frauenerziehung beschäftigt
sich jedoch erst der 68 er Gesetzesparagraph. Vorher gab es nur
Klöster, und ausserdem befassten sich besser oder schlechter geleitete
Privatschulen mit der Frauenerziehung. Um diese letzteren Schulen
zu charakterisieren genügt es wohl, wenn wir sagen, dass deren
Leiter grösstenteils diplomlose Dilettanten waren, dass ihre Schulen
von Niemandem kontrolliert wurden und dass sie in ihren Anstalten
das lehrten, was ihnen gerade beliebte.
Von einem gemeinschaftlichen Prinzipe ausgehend, waren die
Klosterschulen ganz gleich mit den Klosterschulen anderer Länder or-
ganisiert. Der erwähnte Gesetzesparagraph schuf in allererster Linie
die Lehrerbildung, die Elementarschule und die Mädchenbürgerschule.
Der Erhalter dieser Schulen ist hauptsächlich der Staat. Die Ge-
meinde, die Religionsgenossenschaft, der Einzelne können ebenfalls
solche Schalen errichten, aber nur unter den vom Staate festgesetzten
Bedingungen und unter staatlicher Aufsicht. Diese Massregel hat
in einigen wenigen Jahrzehnten schon Früchte getragen. Heute
wirken 4115 staatlich diplomierte weibliche Lehrkräfte in den Volks-
schulen, in 137 Mädchen bürgerschulen wirken ca. 548 Frauen. —
Im Schuljahre 1893/94 hat der Staat zur Aufrechterhaltung seiner
Schulen 26V2 Millionen Mark ausgegeben, ^/s der Summe entfallen auf
Mädchenschulen.
Die eigentliche höhere Frauenerziehui5g beginnt in unserem
Vaterlande mit der Bürgerschule. Nach erfolgreichem Besuch der
vier Elementarklassen kann der Zögling im Alter von 10 Jahren in
die Bürgerschule eintreten; nach erfolgreich zurückgelegten vier
Schuljahren in letzterer hat der Zögling die Berechtigung, in die
Elementarpräparandie einzutreten, oder den Post- und Telegraph isten-
kursus, oder den niederen Handelskursus zu besuchen oder schliesslich
in die fünfte Klasse der höheren Töchterschule aufgenommen zu
werden.
Das Hauptgewicht wird in den Bürgerschulen auf die Realien
gelegt; ihr Zweck ist, den Töchtern der Mittelklassen eine allgemeine
Bildung zu geben und auf die erwähnten Laufbahnen vorzubereiten.
- 136 —
Jede grössere Stadt Ungarns besitzt schon neben Elementarschulen
Mädchenbürgerschulen, in Budapest selbst giebt es deren 16, davon
sind 10 städtisch, 3 römisch-katholische Klosterschulen, 1 protestantisch-
konfessionell und 2 Schulen werden vom Frauenverein erhalten.
In den 70 er Jahren hat die Sache unserer Mädchenerziehung
einen gewaltigen Schritt vorwärts gethan. 1875 wurde die erste
höhere Töchterschule eröffnet. Der Zweck dieser Schulen ist, den
Töchtern intelligenter Stände eine den heutigen Anforderungen ent-
sprechende allgemeine Bildung zu gewähren. Jetzt haben wir in
Ungarn 22 höhere Töchterschulen, 12 staatliche, 3 römisch-katholische,
3 städtische, 3 evangelische und eine Privattöchterschule. Sie sind
den Knabenmittelschulen ähnlich; das Hauptgewicht wird auf
Humaniora gelegt. Ausser der ungarischen Sprache sind deutsch
und französisch obligatorisch, englisch ist fakultativ, ebenso in der
höchsten, der 6. Klasse, Erziehungslehre und Methodik.
Der Zögling, der die 6. Klasse beendet hat, kann in den zweiten
Jahrgang der auf 4 Jahrgänge berechneten Elementarpräparandie
eintreten. Der Lehrkörper der höheren Töchterschulen besteht aus
männlichen und weiblichen Lehrkräften. Von den Lehrern wird das
Mittelschullehrerdiplom gefordert, von den weiblichen Lehrkräften
das Bürgerschullehrerdiplom. Die derartig befähigten Frauen können
aber nur in den vier unteren Klassen der höheren Töchterschulen
unterrichten, in den zwei letzten Klassen können die Lehrerinnen
nur laut speziell vom Kultusminister erteilter Erlaubnis Verwendung"
finden. Zur Zeit der Gründung der Schulen waren die Direktoren-
stellungen sämtlich Männern anvertraut; in den letzten Jahren
hat man aber an leitender Stelle eingesehen, dass es im Interesse des
Zweckes der Schule und der einheitlichen Erziehung liegt, weibliche
Direktoren anzustellen. Demgemäss sind jetzt von den zwölf staat-
lichen höheren Töchterschulen fünf weiblichen Direktoren anvertraut,
die übrigen sieben sind mit dem MittelschuUehrerdiplora versehene
Männer. — Von den 22 höheren Töchterschulen sind 16 mit Internaten
verbunden, in welchen die Zöglinge ausser gänzlicher Verpflegung auch
einer sorgsamen Erziehung teilhaftig werden. Die Leitung der Internate
liegt überall in weiblichen Händen ; die Internatserzieherinnen wirken
auch als Lehrerinnen an der betreffenden Anstalt.
Die Budapester höhere Töchterschule hat seit drei Jahren nach
dem absolvierten sechsten Jahrgang einen Fortbildungskurses, an
welchem hervorragende Fachgelehrte Vorträge halten. Der Un-
terricht ist universitätsmässig. Die Gegenstände des Kurses sind:
ungarische, deutsche, französische und klassische Litteratur, Aesthetik
und Kunstgeschichte, Geschichte, Physik, vergleichende Greographie,
Chemie, Pflanzen- und Tierphysiologie, Astronomie und juridische Kennt-
nisse (G-esetzeskunde); englisch und Freihandzeichen können geübt
werden. Die Absolvierung des Kurses befähigt zu keinem Beruf,
sondern gewährt nur höhere Bildung. — Die höheren Töchterschulen
sind den Komitatsschulinspektoren untergeordnet; was jedoch die
Aufsicht und Kontrolle des Lehi-pensums anbelangt, stehen diese
Schulen direkt unter den Ministerialkoramissären. Die Bestrebungen
der bisher genannten weiblichen Lehranstalten gehen alle dahin,
den Mädchen eine, den verschiedenen Lebenslagen entsprechende all-
— 137 —
gemeine Bildung mitzugeben, damit sie als Mütter und Mitglieder
der Q^ellschaft an der kulturellen Entwickelung unseres Vaterlandes
teilnehmen können.
Eine berufliche Ausbildung bietet bis jetzt nur die Präparandie.
Deren giebt es zweierlei: Die Elementarpädagogie mit 4 Klassen^
welche zum Unterricht in den Volksschulen beföhigt, und nach deren
Absolvierung der Eintritt in die Bürgerlehrerinnen-Bildungsanstalt
mit weiteren 3 Jahrgängen möglich ist. Wir haben im ganzen 16
Elementarlehrerinnen-Bildungsschulen und 3 Bürgerschullehrerinnen-
Bildungsanstalten. In den letzteren giebt es eine historische und
Sprachengruppe, sowie die physikalisch-mathematische Gnippe, zwischen
denen man wählen kann.
Heutzutage können die Lehrerinnen-Bildungsanstalten noch nicht
das ganze Material liefern, dessen wir benötigen. Noch ist viel
Platz in dieser Richtung bei uns. Aber an den Erfahrungen anderer
Nationen haben wir auch gelernt und bei Zeiten dafür gesorgt,
dass den Frauen Gelegenheit zur Erweiterung ihres Arbeitsfeldes
gegeben werde.
Gerade der durch mich vertretene Maria Dorothea-Verein war
es, dem die Ehre gebührt, die gewaltige Bewegung verursacht zu
haben, jene in Ungarns Geschichte epochemachende Agitation um
das Recht der Frau, sich geistig weiterbilden zu dürfen. Unser
thatkräftiger und begeisterter Minister studierte die Bewegung und
in unglaublich kurzer Zeit waren den Frauen die Pforten der Uni-
versität geöffnet. Die Frauen haben das Recht, Maturitätsprüfungen
abzulegen und die ärztliche, Apotheker- und Professorenlaulbahn ein-
zuschlagen. Die Universitätszulassung geht natürlich Hand in Hand
mit der Errichtung von Mädchengymnasien.
Stolz können wir es sagen, dass, obwohl die Frauenerziehung
lange Zeit ein brachliegender Zweig der ungarischen Kultur war,
Avir in den kurzen 30 Jahren ihres Bestehens den hohen Standpunkt
erreicht haben, auf dem Europas Kulturstaaten in dieser Beziehung
stehen. Der ungarischen Rasse hohe Intelligenz und Lebensfähigkeit
kennend, versichere ich Sie, dass wir auch in der Zukunft
stets dort zu finden sein werden, wo alle zivilisierten Staaten kämpfen
um ihr gutes Frauenrecht.
Bericht über Thatigkeit und Bestrebungen
des Vereins deutscher Lehrerinnen in Frankreich.
Von Fräulein E. Schliemann, Paris, Vorsitzende d. Y.
Der Verein über dessen Wirksamkeit hier zu berichten mir
freundlichst gestattet worden, ist ein Verein deutscher Lehrerinnen
im Auslande. Als solcher ist seine Thätigkeit ein ijationales und
ein internationales Werk zugleich. Dass dies Ausland Frankreich
heisst, weisst ihm besondere Aufgaben zu, die ihn von ähnlichen
deutschen Vereinen unterscheiden. Als nationales deutsches Werk
verfolgen wir dieselben Ziele, wie der allgemeine deutsche Lehre-
rinnen-Verein, dem wir als Zweig verein angehören. Wir suchen
die in Frankreich zerstreut und vereinzelt arbeitenden deutschen
— 138 —
Lehrerinnen zu gemeinsamem Thun zu sammeln und unter uns den
Zusammenhang mit den Berufsgenossinnen im Vaterlande und deren
Bestrebungen lebendig za erhalten. Als international kennzeichnet
sich unser Werk durch die Wechselbeziehungen zwischen uns und
den französischen Familien, welche wir mit deutschen Lehrkräften
versehen. Neben der gewissenhaften Erfüllung ihrer Berufspflichten
tritt an die in Frankreich wirkende deutsche Lehrerin und Erzieherin
die schwere Aufgabe heran sich inmitten einer ihrem Yaterlande
abgeneigten, oft feindselig gesonnenen Bevölkerung eine geachtete
Stellung, ja die Sympathien ihrer Umgebung zu erringen. Wir
suchen daher jene Grossherzigkeit der Gesinnung zu pflegen, welche
nicht nur die Fehler und Schwächen der fremden Nation sieht,
sondern auch deren Vorzüge anerkannt, unbeschadet des nationalen
Selbstgefühls, welches dem Deutschen in der Fremde not thut.
Unser Häuflein deutscher Lehrerinnen in Frankreich dürfte daher
eine wirksame Hilfstruppe werden für jene Friedensbestrebuncren,
welche auch dieser Kongress auf seine Fahne geschrieben hat.
Das sind die ideellen Grundlagen unseres Vereins. Seine prak-
tische Thätigkeit erstreckt sich ebenfalls nach verschiedenen Rich-
tungen hin. Im Jahre 1890 gegründet, beläuft die Zahl unserer
Mitglieder sich jetzt auf etwa 250. In diesen sechs Jahren hat un-
sere gleich anfangs eingerichtete Stellenvermittelung mit gutem Er-
folge gearbeitet und ihre Thätigkeit ist in stetem Wachsen begriffen.
Doch muss hier hervorgehoben werden, dass wirklich gute Stellen
mit einem Gehalte, wie eine durchgebildete und erfahrene Erzieherin
es beanspruchen kann, hier selten vorkommen und unter der Menge
der Suchenden nur Einzelnen zu teil werden können. Auch werden
dabei grosse Anforderungen an die Leistungen der Lehrerin gestellt,
besonders in Sprachen und Musik. Die meisten der nach Frank-
reich kommenden deutschen Lehrerinnen haben den Zweck sich in
der französischen Sprache zu vervollkommnen und sind zufrieden,
wenn ihnen durch „au pair^' Stellen oder kleine Tagesbeschäftigunaen
der mit grossen Kosten verbundene Aufenthalt in Paris erleichtert
wird. Aus dem Gesagten geht hervor, dass von deutschen Jjehre-
rinnen Frankreich nicht eigentlich als Erwerbsfeld angesehen werden
darf, in dem Sinne wie es England ist. Der Aufenthalt in diesem
Lande muss ihnen vielmehr als Studienzeit gelten, die mit bedeutenden
Geldopfern verbunden ist. Er dient ihnen dazu durch Aneignung
sprachlicher Fertigkeit sich schärfere Waffen zu schmieden für den
Kampf ums Dasein, der sie in Deutschland und England erwartet.
Und darin liegt eben der Nutzen desselben. Auch sehen wir mit
jedem Jahr die Zahl derer sich vermehren, welche nur der Studien
wegen nach Frankreich kommen. Diese finden im Verein Nachweis
von französischen Familienpensionen und französischen Lehrkräften.
Auch haben wir in den Vereinsräumen für unsere Mitglieder fran-
zösische Kurse eingerichtet, die schon manchen von grossem Nutzen
geworden, da sie für besondere Bedürfnisse der deutschen Lehre-
rinnen berechnet sind. Wir haben die Absicht diese Kurse zu er-
weitern und sie einer grossen Anzahl Lehrerinnen zugänglich zu
machen, so bald wir in der Lage sind aus den Vereinsmitteln einen
Zuschuss zu denselben gewähren zu können.
— 139 —
In den ersten fünf Jahren unserer Vereinsthätigkeit haben die
Vorsteherinnen und Gründerinnen desselben ihre eignen Wohnräume
zu den verschiedenen Vereinszwecken hergegeben, and alle mit
Leitung desselben verbundene Arbeit unentgeltlich übernommen, wie
sie es grösstenteils auch jetzt thun.
Auf diese Weise war es möglich, aus den regelmässigen jähr-
lichen Beiträgen der Mitglieder, sowie den Gaben von Freunden
und Gönnern unseres Werkes und den von verschiedenen grossen
deutschen Städten gewährten Unterstützungen ein Grundkapital zu
schaffen, das jetzt die Höhe von 20000 Frks. erreicht hat. Bei
der stets zun^?hmenden Ausdehnung der Vereinsgeschäfte war die
Erwerbung eines eigenen Lokals nicht länger zu verschieben. Seit
dem April d. Js. besitzen wir einige bescheidene Räume, die teil-
weise als Geschäftsstelle dienen, teilweise zu unseren sonntäglichen
und monatlichen Vereinigungen benutzt werden. So bietet unser
Verein den deutschen Lehrerinnen in der fremden Weltstadt eine
freundliche Heimstätte, wo sie Schutz und Anhalt, Rat und Aus-
kunft finden und nach Kräften in ihren Zwecken gefördert werden.
Als Sammelplatz zahlreicher Lehrerinnen, welche aus allen Teilen
Deutschlands nach Paris kommen, um Verdienst, Kenntnisse oder
Welterfahrung zu suchen, wird unser Verein zum Ausgangspunkt
für die Erweckung und Verbreitung jener heilsamen Ideen und
Wahrheiten, welche die heutige Frauenbewegung tragen, zur Werbe-
stelle für die thatkräftige Verwirklichung unserer gemeinsamen
Bestrebungen.
Errungenschaften und Bestrebungen ungarischer
Lehrerinnen.
Von Frau Helene Radnai, Budapest, Sekretärin und Delegierte des
Maria-Dorothea- Vereins.
Der Maria-Dorothea-Verein zählt nun zehn Jahre seines Be-
standes; er steht unter dem Protektorate der Tochter des Erzherzogs
Joseph und trägt ihren Namen. Es giebt wenige ungarische Vereine,
welche in so kurzer Zeit solche ICrfolge aufzuweisen haben. Nach
dem jüngsten Ausweise beträgt der von Schulden und Steuern freie
verzinste Besitzstand des Vereins 91,348 Gulden; er zählt 1153 ord.
Mitglieder und 4 Provinzfilialen: in Kolozsvär, Ujvidek, Fiume
und Györ.
Es ist vor allem das eigene Verdienst der Lehrerinnen — wenn-
gleich sie von unserem Publikum jederzeit hochherzig unterstützt
wurden — dass bisher ein so erfreuliches Resultat erzielt wurde,
und dies ist umsomehr anzuerkennen, als ihr Gehalt durchschnittlich
nur 4—500 Gulden (600—800 Mark) beträgt.
Obzwar keinerlei Verpflichtung obliegt, gehört bereits der vierte
Teil sämtlicher in Ungarn wirkenden weltlichen Lehrerinnen zu
unserem Verbände. Es giebt aber auch kaum einen zweiten Fach-
verein, der ähnliche Vergünstigungen böte. Für die Mitgliedtaxe
von 2 Gulden (3 Mark 30 Pf.) jährlich, wovon die Hälfte für die
besonderen Bedürfnisse der Provinzkreise verwendet wird, gewährt
— 140 -
der Verein ausser den üblichen Rechten einen Anspruch auf eventuelle
Verpflegung in seinem eigenen Heim in der Hauptstadt gegen massige
Vergütung, freien Aufenthalt in seinem Kurhause Czemete, kosten-
freie Stellenvermittelung und zahlreiche Badevergünstigungen in fast
sämtlichen Kurorten des Landes; in entsprechenden Fällen Darlehen
oder Geldhilfe aus den Hilfsfonds. Unsere Zweig vereine veranstalten
eifrig Vorlesungen und öffentliche Beratungen. Die Fachsektion der
Hauptstadt thut sich besonders durch ihre populär gewordenen Vor-
träge hervor, und ebenso erfreuen sich ihre pädagogischen Sitzungen
grossen Zuspruches.
Die Bestrebungen des Vereins richten sich besonders auf zwei
grosse Endziele. Erstlich die Befestigung und Fortentwickelung der
nationalen Frauenerziehung.
Zu diesem Zwecke veranstaltete der Verein im Jahre 1889 eine
vielfach bemerkte Ausstellung für Kleinkindererziehung mit ein-
schlägigen Vorträgen hervorragender Aerzte ; auch dienen demselben
die Besprechungen einschlägiger Themen in der Sektion, z. B. über
Industrie- und Haushaltungsschulen, ungarischen Sprachunterricht,
zweckmässige Erziehung grösserer Mädchen u. a. m.
Ferner wird die Organisation eines Verbandes für Erzieherinnen
und Musiklehrerinnen, und die Eröffnung neuer Berufszweige, be-
sonders derjenigen der Apothekerin und der Aerztin, erstrebt.
Diesen letzteren schwierigen und noch ungeebneten Weg zu be-
treten, wurde der Verein von dem gegenwärtigen Unterrichts min ister
in ehrenvoller Weise geradezu ermuntert, da die Maria-Dorothea-
Gesellschaft die Aufforderung erhielt, ihre Meinung in dieser
wichtigen Sache zu äussern.
Ein praktisch wichtiges Unternehmen ist unser Bureau für
Stellenvermittelung, das in kurzer Zeit fast 250 ungarische Erziehe-
rinnen plaziert hat, zum unberechenbaren Vorteile unserer nationalen
Frauenbildung.
Die zweite Gruppe unserer Bestrebungen zielt auf die Ver-
besserung der materiellen und gesellschaftlichen Stellung unserer
Lehrerinnen und hier sind noch grössere Erfolge aufzuweisen. Im
Jahre 1889 wurde das unter dem Namen Lehrerinnenheim bekannte
Haus eröffnet. Das Institut wurde vielen der alleinstehenden oder
arbeitsunfähigen Lehrerinnen, aber auch solchen in Wirksamkeit be-
findlichen zum Segen, die — einsam lebend — hier ein angenehmes
und ruhiges Heim oder zeitweiligen Aufenthalt finden. Auch fremd-
ländischen Colleginnen Asyl und Förderung zu bieten war uns
häufig vergönnt und sind wir auch fernerhin nach Maassgabe unserer
Kräfte dazu bereit.
Ausser der Haupt- und Residenzstadt, welche für das Lehre-
rinnenheim namhafte Opfer gebracht, und dem Staate, der allerdings
zum erstenmale, aber auch bereits 5000 fl. (9000 Mk.) zum Aufbau
unseres Hauses in Aussicht stellt, haben das nahezu hunderttausend
Gulden (150,000 Mk.) betragende Vermögen und die jährlich veraus-
gabten Summen (seit einigen Jahren ständig über 10,000 fl.) allein
die treuen Anhängerinnen der Vereinigung zusammengebracht. Auch
findet sich immer eine Schar von Damen, welche freiwillig und
ohne Entgelt neben der Sekretariatskanzlei arbeitet; ein besonders
— 141 —
beherzigenswertes Beispiel bietet hierin Johanna Zirzen, die weit-
berühmte Directrice der oberen Lehrerinnenpräparandie, deren
klangvoller Name, und die Bereitwilligkeit, mit der sie seit Gründung
des Vereins die ausgebreitete Kassagebahrung leitet, vielleicht die
vorzüglichste moralische Stütze dieser pädag. Gesellschaft bilden.
Als der Verein vor sieben Jahren sozusagen vermögenslos den
Bau seines Heimhauses begann, liefen in ein und einem halben Jahre
20,000 fl. ein, und jetzt da das Gebäude sich als weitaus ungenügend
erwiesen und der Ausbau 70—80,000 fl. erfordert, sind bereits
8,000 fl. eingeflossen und rüstet man auch zugleich zu einem zweiten
„Heimbau" in Klausenburg.
Alles dies bestätigt die Wunderwirkung werkthätiger Menschen-
liebe. Jene gebildeten Frauen, welche durch Jahrzehnte der ung.
Gesellschaft und der Humanität so grosse Dienste geleistet, sind nun
grosser erhabener Empfindungen fähig geworden; das Gefühl ihrer
Zusammengehörigkeit ist in stetem Wachstum begriflFen; sie wissen,
dass sie fähig sind ihr Los selbst zu verbessern.
Aber es wäre nicht möglich gewesen so viel zu erreichen, wenn
nicht unsere Frauenbewegung allseitige Unterstützung gefunden hätte.
Die ungarische Lehrerin geniesst jetzt eine Anerkennung sonder-
gleichen und selbe ergiebt sich nicht nur aus der Achtung der
Eltern, sondern beispielsweise auch durch jene Verordnung der
Haupt- und Residenzstadt Budapest, wonach die hauptstädtische
Behörde in ihren Volksschulen für Mädchen ausschliesslich Lehre-
rinnen anstellt; sogar manchen unteren Knabenklassen sind Lehre-
rinnen zugeteilt worden; und in den bürgerlichen Schulen unter-
richten zur Hälfte Frauen. Die Behörde bezeugt aber ihre An-
erkennung der Leistungen der Frauen hauptsächlich in pekuniärer
Hinsicht. Die weiblichen und männlichen Lehrkräfte stehen in der
Schule in ihren Rechten und Pflichten gleich. Die Volksschullehrerin
unterrichtet während 26 Stunden wöchentlich und bekommt ein
Maximalgehalt von jährlich 1430 fl. (2383 Mk.) nebst Quinquenalien;
die Bürgerschullehrerin aber bei wöchentlich 20 Stunden 1950 fl.
(3250 Mk.) nebst Quinquenalien.
Dieser Umstand veranlasst uns Lehrerinnen unsere Kenntnisse
auf jedem Gebiete zu erweitern und unseren Pflichten allerwärts
Genüge zu leisten. Wir sind in der glücklichen Lage mit unserer
Frauenbewegung weniger Kämpfe bestanden zu haben als Frauen
anderer Nationen; die Männer haben uns zu tüchtigen Mitarbeitern
gewonnen und wir wollen unserer Nation nach besten Kräften
dienen.
Obst- und Gartenbau, ein Erwerbsfeld für gebildete
Frauen.
Von Fräulein Dr. Elvira Castner, Friedenau-Berlin.
Der Gedanke, Frauenkräfte der besseren Stände zur Garten-
arbeit heranzuziehen und auszunutzen ist, verehrte Anwesende, bei
uns verhätnismässig neu. Darum schenkt man der Idee in den Kreisen
der beteiligten Frauen selber noch nicht die Aufmerksamkeit, die
— 142 —
einem so wichtigen und weiten Arbeitsfelde eigentlich gebührt, und
darum befinden wir uns mit der Ausführung noch im Anfangsstadium.
Von welcher Seite man diese praktische Arbeit auch betrachten mag,
in ethischer und physischer Beziehung ist sie von höchster Wichtigkeit,
für Gesundheit und Wohlbefinden von unberechenbarem Wert, innig
verknüpft mit den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen unseres
Volkes, man möchte sagen, ein Teil der sozialen Frage selbst. Viel-
leicht würden manche Wohlthätigkeitsbestrebungen schneller gefördert
werden, wollte man sich ihrer als Mittel zum Zweck bedienen.
Man predigt zu gunsten der Massigkeit und gegen die verderb-
lichen Folgen des Alkoholgenusses. Geben Sie dem Arbeiter die
Möglichkeit, gutes Obst zu seinem Brot zu essen und seinen Durst
an gutem Obstwein zu löschen, und der Schnapsgebrauch wird von
selber eingeschränkt werden. Man klagt ebenso über die in er-
schreckender Weise zunehmende Blutarmut und Nervosität unserer
Jugend. Körperliche Beschäftigung in frischer, freier Luft ist das
beste Mittel dagegen ; warum wählt man zu ihrer Bekämpfung nicht
die geregelte Gartenarbeit, die hier Wunder zu wirken vermag, statt
der sportmässig betriebenen, kostspieligen Vergnügungen, die das
Uebel nicht heben und Niemandem etwas nützen. Die Frau wirt-
schaftlich selbständig zu machen, sie geistig und sittlich zu heben
und dadurch dem materiellen Elend und der geistigen Not abzuhelfen,
sucht man neue Berufszweige, neue Arbeitsgebiete für die gebildete
Frau. Im Gartenbau haben wir eins, so gross, so schön und viel-
gestaltig, wie wir es nur wünschen können, und viele fleissige Hände
können reichlich Beschäftigung darin finden. Wir brauchen nur mit
festen Händen zuzugreifen, denn alle Vorbedingungen sind gegeben;
zahlreiche Gärten, ganze Strecken Landes, die der rationellen Be-
arbeitung bedürfen, öde Feldwege, kahle Mauern, die mit Obst-
bäumen bepflanzt und eine grosse Zahl Frauen, die zur Arbeit heran-
gezogen werden könnten.
Selbstverständlich muss auch die Gartenarbeit, wenn sie von
Erfolg begleitet werden soll, gründlich erlernt und nicht als Spielerei
betrieben werden. Nur die auf eingehender Fachkenntnis beruhende
Arbeit gewährt Freude und sichert dauernden Erfolg. Zum Lernen
gehört eine bestimmte Lehrzeit, und gebildeten Frauen, die sich dem
Gartenbau widmen wollen, muss die Möglichkeit geboten werden,
solche in einer Gartenbauschule durchzumachen, wo Theorie und
Praxis ineinandergreifen, damit sich das Können zu dem Wissen
gesellt.
Die erste Gartenbauschule wurde von Frau Kommerzienrat
Heyl in Charlottenburg, die vorwiegend die erziehliche und ästhetische
Seite ins Auge fasste, eingerichtet.
Mich leitete bei Gründung meiner Schule der Gedanke, zur
Hebung des vaterländischen Obstbaues durch Frauenarbeit beizu-
tragen. Ich muss als bekannt voraussetzen, dass Deutschland nicht
so viel produziert, wie wir konsumieren; somit auf das Ausland an-
gewiesen ist, dem wir jährlich mehr denn 30 Millionen Mark für *
Produkte, die wir im eigenen Lande ziehen können, hingeben und
folglich um so viel das Volksvermögen vermindern. Und doch
wären wir im Stande, dieses Geld dem Vaterlande zu erhalten, denn
— 143 —
Fachleute lehren unS| dass es in Deutschland von den Alpen bis
zum Nord- und Ostseestrand, keine G('<;end giebt, wo nicht mit
Erfolg irgend eme Si>rte Frucht-Bäume oder -Sträucher angebaut
'werden könnte. Was hilft es. wenn der Pomolopen-Verein genau
festgestellt hat, welche Obstsorten für di«> bestimmten Gegenden an-
gepflanzt werden sollen, wenn Niemand sich danach richtet? Was
nützt es, wenn man weiss, woran der deutsche Obstbau krankt, und
nicht mit allen Mitteln daran arbeitet, dem llel»el zu steuern? That-
sache ist, dass in den Jahi-en 1892—1804 die Einfuhr sich wiederum
um 8 Millionen erhöht hat. Das sollte auch die deutsche Frau ver-
anlassen, ihre Kräfte einzusetzen, die mit Arbeit überlasteten Männer
zu unterstützen in ihrem Bestreben, dem deutschen Obst- und
Gartenbau aufzuhelfen und ihn zu fordern. Obst in genügender
Menge und guter (Qualität zu ziehen ist dringendste Notwendigkeit,
denn es soll nicht, wie jetzt noch, Leckerbissen für die Wohl-
habenden sein, es muss Volksnaiu-ungsmittel werden.
Ich habe darum meine Sciiule „Obst- und CiarteDbauschule" ge-
nannt, und dem Obstbau im Leiirplan die erste Stelle eingeräumt.
Theoretischer Unterricht ergänzt die praktische Arbeit, die unter
Aufsicht und nach Anweisung «»ines wisst^nschaftlich gebildeten Ober-
gärtners von den Schülerinnen selber ausgeführt wird.
Praktische Arbeit selber thun, ist unumgänglich notwendig,
damit die Fähigkeit erworben werde, s]>äter andere darin unterweisen
und die Arbeit anderer richtig beurteilen zu könnnen. Theorie ist
notwendig, die gebildete Frau auch zu einer wissenschaftlich ge-
hildeten Gärtnerin, nicht zur mechanischen Arbeiterin heranzubilden.
3>adurch wird den Schülerinnen eine feste Grundlage gegeben, auf
welcher jede mit Erfolg weiter zu arbeiten vermag. Der Prospekt,
der jedem gern zur Verfügung steht, giebt weiteren Aufschi uss über
die ünterrichtsgegenstände und den Lehrgang. Xur das möchte ich
noch mitteilen, dass die ersten 7 Schülerinnen die Feuerprobe be-
standen haben. Sie haben am 18. d. M. ihn^ Reifei)rüfung abgelegt
und so wieder den Beweis geliefert, was Frauen vermögen, wenn
sie mit festem Willen und ernstem Streben an eine Arbeit heran
treten. In Gegenwart der Herren Prof. Dr. Wittmack, Privatdoc.
und Üniversitäts-Garren- Inspektor Lindemoth, Prof. Dr. Sorauer,
königl. G^rteninspektor Vogeler und Haupt-Garten-Direktor Matthieu
haben die Damen ihre Prüfung bestanden, die in folgenden Gegen-
ständen abgenommen wurde: Obst- und Gemüsebau, Blumenzucht,
Dendrologie und Gai'tenanlage, Chemie und Botanik, Zoologie, Buch-
führung und Düngerlehre. vSi«» bestanden die Prüfung zur voll-
ständigsten Zufriedenheit der An\vesend(m und treten nun voll-
berechtigt und ihren männlieh<*n Kollogen gleichwertig ins Leben
hinaus.
Welcher Wirkungskreis eröffnet sich nun den Frauen? Ebenso
vielgestaltig, wie das (Jebiet selber, ebenso vielgestaltig und viel-
seitig ist der Auteil, den Frauen daran nehmtin können. Entschieden
irrig ist die Meinung, dass den Miinnern Konkurrenz gemacht werden
soll, wir beabsichtigen nur, die Arbeit der Männer zu unterstützen
und zu ergänzen. Di(j Stellung, welche die Frau in diesem Beruf
einnehmen soll, ^ ist eine neue, noch nicht existierende und darum
- 144 —
kann auch niemand in seiner Arbeit dadurch beeinträchtigt oder-
daraus verdrängt werden. Zunächst kommen die Frauen vom Lande
in Betracht. Selbst wenn sie in der glücklichen Lage sich befinden,
einen wirklichen Gärtner halten zu können, sollten sie soviel ver-
stehen, um die Leistungen ihres Gärtners beurteilen resp. ihn selber
kontrollieren zu können.
Denen, die als Mitarbeiterinnen ihrer Männer, Brüder und Väter
für die rationelle Bearbeitung ihrer Gärten und die Verwertung der
Erzeugnisse Sorge zu tragen haben, ist ihr Wirkungskreis vor-
geschrieben. Der Landmann von heute, an dessen Kraft und Zeit
die denkbar möglichsten Anforderungen gestellt werden, hat wohl
die Mitarbeit der Frau dringend nötig und ist der Obst- und Garten-
bau, wo sie mit ihrer Kraft eintreten kann, für die Frau am nahe-
liegendsten als Erweiterung ihrer hauswirtschaftlichen Thätigkeit.
Diejenigen, welche den Beruf des Erwerbes wegen erwählen,
haben zwei Wege; erstens sich selbständig zu machen und das aus
dem weiten Gebiete zu wählen, wozu sie am meisten Neigung und
Geschick haben. Zweitens Stellungen anzunehmen. Auch da richten
wir unser Augenmerk zuerst wieder auf das Land, dorthin, wo
Gartenarbeiter in der Nebenstellung eines Gärtners fungieren. Die
vielfachen Anfragen beweisen, dass man anfängt, sich mit dem Ge-
danken vertraut zu machen, einer gebildeten Gärtnerin seinen
Garten anzuvertrauen. Die Thätigkeit einer Gärtnerin würde sich
dahin zu erweitern haben, die ländliche Bevölkerung zu besserer
Pflege und Ausnutzung ihrer Wiesen und Kunstgärten zu veranlassen
und die Leute zu lehren, wie die geernteten Früchte zu verwerten
sind, namentlich durch Heranziehen und Anleiten der Schulkinder.
Das ist für das Land, meinen vielleicht die geehrten Zuhörerinnen.
die Städterinnen geht das nichts an. Nun es soll manchmal vor-
kommen, dass aus den Städterinnen Landwirtinnen werden. Wie
sieht es dann mit ihrem Wissen und Können aus? Die Zahl derer,
welche eine Berufsthätigkeit erstreben wollen oder müssen, rekrutiert
sich zum grössten Teil aus Städterinnen und allen denen, die Liebe
zur Natur und Freude an körperlicher praktischer Arbeit haben,
sei der Beruf einer Gärtnerin warm empfohlen. An Stellungen für
wissenschaftlich ausgebildete Gärtnerinnen wird es nicht fehlen.
Ausser auf dem Lande ist ihr Platz an allen Wohlfahrtsanstalten
für Erziehung und Unterweisung des weiblichen Geschlechts; als
da sind Waisen- und Magdalenenhäuser, Dienstboten- und ländliche
Haushaltungsschulen. Auch an Kindergärten und Lehrerinnen-
seminaren sollten Unterrichtskurse für Gartenbau eingerichtet und
der Leitung einer gebildeten Gärtnerin unterstellt werden. Wie
segensreich würde eine solche Lehrerin auf dem Lande wirken
können! Auch in Nervenheüanstalten sollten die Patientinnen mit
Gartenarbeiten unter Aufsicht einer gelernten Gärtnerin beschäftigt
werden, auch da würde man hierdurch segensreich einwirken
können. Schliesslich ist die Aufgabe gebildeter Gärtnerinnen als
Leiterinnen von Gartenbauschulen, deren wir hoffentlich bald recht
viele bedürfen werden, das Gelernte zu verwerten und anderen zu
gute kommen zu lassen. In meiner Schule verbleibt eine Schülerin
als Hilfslehrerin.
i
— 145 —
Der Anfang ist gemacht. Ob die deutschen Frauen den be-
schrittenen Weg weiter gehen wollen, muss die Zukunft lehren.
Um das Interesse für die Gartenbausache in weitere Kreise zu
tragen und anzuregen, hat sich anfangs dieses Jahres ein Verein
gebildet, dem sich 6 grosse Vereine bereits angeschlossen haben und
zwar: der „Lehrerinnen-Verein" in Frankfurt a. 0., Verein „Frauen-
wohl" in Frankfurt a. 0., der „Lehrerinnen- Verein" in Nassau, „All-
gemeiaer deutscher Frauen- Verein" in Leipzig, der „Lehrerinnen-
Verein" in Leipzig, der „Lehrerinnen- Verein" in Spandau.
Zweck dieses Vereins ist, dem Frauenerwerb ein neues Gebiet
zu erschliessen durch Förderung der Obstkultur, Vermittlung des
Absatzes, Anbahnung geeigneter Massnahmen zur Steigerung des
Frauenerwerbs durch Obst- und Gartenbau.
Vor kurzer Zeit hat ein Mann, der seit 25 Jahren seine ganze
Kraft für die Hebung des deutschen Obstbaues einsetzt, das Wort
ausgesprochen: „Der deutsche Obstbau ist gerettet, wenn die Frau
sich seiner annimmt!" Möchte dieses Wort von dieser Stelle aus
hinaustönen, aber nicht nur an die Ohren deutscher Frauen schlagen
sondern auch ihre Herzen bewegen, dass die Hände sich regen und
eingreifen auf einem Gebiet, wo ihre Arbeit .notwendig ist, wo sie
sich und anderen viel Gutes schaffen können, zu ihrem eigenen und
des Vaterlandes Besten!
Ausbildung und Stellung der Oberlehrerinnen
In Italien.
1. Von Signorina Rea Silvia Petrini, Oberlehrerin, Rom.
2. Von Signorin Emma Castelbolognesi, Oberlehrerin, Modena (z. Z.
(Kurzer Auszug). Berün). *)
Der lebhafte Wunsch, dass in diesem auserwählten Kongress,
in dieser Stadt, der die Sympathieen so vieler Italiener angehören,
eine Stimme sich erhebe zur Erwähnung zweier Frauen-Institute,
die unsern Stolz und unsere Hoffnung bilden, veranlasst diese kurzen
Notizen über dieselben.
Während in früheren Zeiten die von Nonnen geleiteten Mädchen-
schulen höchst ungenügende Bildungsstätten waren, hat die weibliche
Bildung schnellste Fortschritte gemacht, seit Italien Einheit und
Unabhängigkeit erlangte.
Einige der ^länner, die gegen die politische Tyrannei gekämpft
hatten, wurden auch Vorkämpfer dafür, dass die Bildung der Frau
verbessert und ihr neue Berufsarbeiten eröffnet würden.
Jetzt sorgen zahlreiche Elementar-, Mittel-, höhere und Berufs-
schulen für den Unterricht der Mädchen und die Seminare für
Elementarlehrerinnen (Scuole Normali), ebenfalls eine Schöpfung des
geeinten Italien, vermehrten sich schnell und waren schon im Jahre
*) Signorina Castelbolognesi war in der Versammlung anwesend,
konnte jedoch wegen Mangel an Zeit nicht zum Wort kommen.
10
— 146 —
1882 doppelt so zahlreich als die für Lehrer (50 zu 25). Der
Wunsch für die höheren Mädchenschulen geeignete Lehrerinnen zu
bilden, hatte auch schon im Januar 1873 zur Einrichtung von be-
sonderen höheren Kursen im Anschluss an die Seminare von Rom
und Florenz geführt. Da dieselben aber nicht genügten, wurde
nach harten Kämpfen im Parlament, durch Gesetz vom Juni 1882
die Errichtung zweier besonderer Bildungsanstalten für Oberlehre-
rinnen (Istituti di Magistero) in Eom und Florenz verfügt. Für
die Aufnahme in dieselben ist das Elementarlehrerinnen-Diplom, die
Absolvierung eines fün^ährigen Gymnasialkursus oder ein ent-
sprechender Bildungsgrad erforderlich; doch muss immer ein Auf-
nahme-Examen abgelegt werden.
Die Lehrfächer sind ausser Sprache und Litteratur Italiens,
Frankreichs, Deutschlands, Englands und den üblichen Schulwissen-
schaften noch Mathematik, Gesundheitslehre, Logik, Psychologie,
Pädagogik, Methodik und Morallehre, sowie auch weibliche Hand-
arbeiten. Der Kursus dauert 4 Jahre, und zerfällt in 2 Kurse
von je 2 Jahren. In den ersten 2 Jahren nehmen alle Schüle-
rinnen an sämtlichen obligatorischen Lehrfächern teil, dann tritt
mit dem XJebergang zu. dem 2 Jahre dauernden Studium von Spezial-
fächern, für die jede Schülerin sich zu entscheiden hat, eine Trennung
für einen Teil der Fächer ein.
Dieser Spezialfakultäten giebt es bisher vier, nämlich : Italienische
Sprache und Litteratur, Geschichte und Geographie, Pädagogik und
Moral und fremde Sprachen.
Im vierten Studienjahr finden praktische Uebungen statt, sowohl
als Vorträge in den Seminarklassen, wie als Probelektionen in einer
mit denselben in Verbindung stehenden Schule. Ebenso hat jede
Schülerin während dieses vierten Studienjahres eine wissenschaftliche
Arbeit über ein ihrem Spezialfach angehöriges, von ihr selbst ge-
wähltes Thema abzufassen, welche den wichtigsten Teü des Schluss-
examens bildet. Dies Examen zerfällt in ein allgemeines Entlassungs-
examen und in das Diplomexamen. Letzteres umfasst:
1. Die oben genannte wissenschaftliche Arbeit.
2. Ein 30 Minuten währendes Colloquium über die Haupt-
disziplin und die Arbeit.
3. Eine schriftliche Uebersetzung aus einer fremden, von der
Schülerin gewählten Sprache.
4. Eine Probelektion.
Der ganze Kursus ist für die Schülerinnen unentgeltlich mit
Ausnahme von 20 Lire Examengebühren jährlich.
Die Zahl der Schülerinnen beträgt in Rom durchschnittlich 100
in Florenz 90—95.
Die an diesen beiden Oberlehrerinnen-Bildungsanstalten diplo-
mierten Frauen sind berechtigt an aUen höheren Mädchenschulen
Italiens, sowie an den Seminaren für Elementarlehrerinnen zu unter-
richten. Sie führen den Titel Professorin, sind den Lehrern gleich-
gestellt und haben gleiche Pensionsberechtigung mit allen Beamten
des staatlichen Zivildienstes.
— 147 —
Ihr Grehalt bewegt sich zwischen einem Minimum von 800 bis
zum Maximum von 3000 Lire.
Obgleich die beiden Oberlehrerinnen-Bildungsanstalten in Rom
und Florenz nicht den Namen „Universität** führen, zählt man sie nach
manchen Kämpfen jetzt doch zu denselben; und dem entspricht sowohl
die äussere Organsiation, wie die Anordnung des Studienganges.
Eingesandte Vorträge:
1. Obst- und Gartenbauschulen in Russland. Von Frau Baronin
Alexandrine Budberg, Schloss Poniemom, Russland.
2. The Ladies Gymnastic-Drill Association in Helsingfors.
10*
IV.
Dienstag, den 23. September, Naefamittag 3 Ubr*).
Vorsitz: Fräulein Laura Herrmann, Frau Sera Pröllss.
Ueber das künstlerische Studium der Frau.
Von Hermine v. Preuschen-Telmann^ Deutschland-Rom.
Geehrte Versammlung!
Es heisst zwar „mulier taceat in ecclesia", und ich habe dies
Lieblingszitat der Männer bisher immer beherzigt, d. h. ich habe
lieber gemalt und geschrieben als gesprochen. Ich glaube auch die
Frau zieht bei öffentlichen Reden stets den Kürzeren und wird in
den Augen des emanzipationshassenden starken Geschlechts, (das eben
so viel schwache Seelen birgt, wie das weibliche) immer eine
lächerliche Persönlichkeit sein, die sich nach dessen Ansicht grenzenlos
damit blamiert. Ich fürchte, dass alle Frauen Versammlungen ebenso
wenig nützen wie Versammlungen der Männer und genau ebenso
viele Spaltungen und Uneinigkeiten erzeugen wie diese. Und dass
eben doch immer wieder alles beim Alten bleibt und im Sande er-
stickt — dem äusseren Auge. Trotzdem aber glaube ich an die
Berechtigung der Frauenemanzipation — wie ich an die Sonne glaube.
Sie liegt in der Luft, sie ist zeitgemäss, unaufhaltsam.
Und die Herren Männer mögen sich vorsehen, dass wir in Jahr-
hunderten und Jahrtausenden nicht wieder bei der „Barbarei des
Mutter rechtes" anlangen.
Ernst gesprochen: eine kolossale Wandlung hat sich trotzdem
vollzogen in den letzten zehn und zwanzig Jahren.
Das wird uns an einem einfachen Beispiele klar. Wenn wir
alle bei unseren Vätern die Abneigung gegen die sogenannte Eman-
zipation, (das Wort ist für das, was die vernünftige Frau will, völlig
falsch) noch vollkommen verständlich finden, bei unseren Männern
und Geliebten würde uns diese Abneigung veraltet und unbegreiflich
sein, wir würden sie, darob lächelnd, über die Achsel anschauen.
*) Redigiert von Rosalie Schoenflies.
— 149 -
Ebenso wie über das von den Gegnern der Prauenemanzipation stets
im Munde geführte goldene Wort von der besten Frau, von der
man nicht spricht, das uns heut' ja, Gottlob, schon vollkommen ante-
diluvianisch dünkt.
In früher Jugend glaubte ich, Emanzipationsbestrebungen in
corpore seien immer nur gut und nützlich für den Durchschnitt, und
für das geniale Weib sei die grössere Freiheit seines Geschlechts
im allgemeinen völlig überflüssig. Es bräche sich auch gewaltsam
Bahn — durch bergehohe Hindemisse. Und ich hatte noch
den naiven Glauben, die Männer seien unparteiisch, und wenn
eine Frau wirklich einmal etwas wahrhaft Grosses leiste, erkennten
sie es bereitwillig an, trotz der ihnen von Generationen über-
kommenen Phrase : „Eine Frau hat in der bildenden Kunst noch nie
etwas geleistet, höchstens als Schauspielerin und Sängerin, wo-
bei sie nichts Eigenes zu geben hat**.
Im Laufe der Jahre und Erfahrungen bin ich leider von dieser
Ansicht zurückgekommen. Der talentvollen, hübschen Anfängerin
schaut der Mann gutmütig duldsam von oben herab auf die Finger,
wehe aber der Frau, die ernst genommen werden muss und die es
wagt, ebenso Gutes oder gar Besseres zu leisten, als der Durch-
schnittsmann. Da bilden plötzlich alte Feinde selbst eine brüderlich
geschlossene Phalanx gegen den Eindringling, den sie boykottieren
möchten durch alle Länder der Erde.
„Die Person macht sich mausig — geben wir ihr eins auf
den Kopf. Frauen sollen kochen und nähen und den Mann be-
glücken."
Ja, verehrte Herren, eine bedeutende Frau wird den Mann
stets mehr beglücken als eine unbedeutende, und eine bedeutende
Frau kann noch nebenbei alles das thun, womit eine Haushalts-
spielgans ihre Jugend, ihr Leben vertrödelt, — Und mit gütiger
Erlaubnis ist das Genie so frei, sich nicht ans Geschlecht zu kehren,
es fliegt in die Seelen wem und wie es will.
Da hat es dann aber ein Mann viel leichter, sein Leben damit
zu modeln. Er ist körperlich von Natur stärker, ein Frauengehirn
ist so viel subtiler. Es geht darüber manchmal aus den Fugen.
Und doch hat die Frau, die sich zur Künstlerin berufen glaubt,
mit viel grösseren Schwierigkeiten zu kämpfen, als der Mann. Und
wenn auch das Genie wenig Rücksichten kennt — meist ist es
ja nur ein kleines Talentchen, das sich eine Erwerbsquelle schaflfen
will, genau wie die ebenso vielen kleinen Männertalentchen, die sich
aber leichter und unverkümmerter entfalten können.
Etwas besser ist es ja auch hierin schon geworden. In meiner
Kindheit z. B. gab es noch wenige berühmte Malerinnen.
Man hörte Wunderdinge über Rosa Bonheur und die alte
Baumann-Jerichau, und dann kannte man die Reproduktion der
neuen Gouvernante von der Volkmar und die Blumen der Anna Peters.
Im üebrigen aber sah man achselzuckend über den talentlosen
Kram, der „Damen maierei-Handarbeit" hinweg. Und jetzt? Hundert
Kamen würden kaum genügen, alle wirklich bedeutenden, jungen
europäischen Malerinnen zu nennen. Das aber ist den Männern
sehr fatal.
— 160 —
Und geht's in der Litteratur nicht ebenso?
Aus der Marlittiade heraus hat sich ein junges Schriftstelle-
rinnenkorps gemausert, kühner und begabter, als viele männliche
Kollegen. Freilich, Johanna Ambrosius' Erfolg ist ein starker Rück-
schlag ins Gartenlaubengenre. Den haben aber wieder allein die
Herren Männer auf dem Q-ewissen.
Wenn aber jetzt schon in der Kunst ein so starkes Spriessen
und Wachstum des weiblichen Talents zu bemerken ist, da noch so
viele Schwierigkeiten uns hemmen, wie wird es erst heut über
hundert Jahren bei uns ausschauen?
Ja, des Weibes Lebenslauf ist gegenwärtig in aufsteigender
Linie. Bis jetzt freilich ist so ein armes junges Ding, das sich die
Malerei zum Beruf erwählt, mit seinen, den Eltern mühsam ab-
gerungenen paar Groschen oft nur die melkende Kuh für den Herrn
Professor, der sich von deä Honoraren seiner stets überfüllten
Damenateliers eine fürstliche Villa baut, die er sich mit seinen
Bildern niemals hätte ermalen können.
Denn meines Wissens ist nur in Rom der Besuch der Kunst-
akademie den Frauen gestattet. Dort können sie auch unentgeltlich
mit den Männern zusammen Akt zeichnen, was in München, Berlin,
Karlsruhe und anderen deutschen Kunstzentren unmöglich wäre.
Freilich hat man in den letzten Jahren in den verschiedensten
deutschen Städten spezielle Malerinnenschulen gegründet, die aber
meiner Ansicht nach eigentlich unnötig wären und mehr oder
weniger doch nur den Dilettantismus der höheren Töchter kultivieren.
Warum eröffnet man den Frauen nicht lieber die Akademien?
„Weil dies der Weiblichkeit ins Gesicht schlüge und doch nur
Allotria entständen", sagen die Herren mit dem Zopf. Aber man
soll es nur probieren, wie in den Züricher Hörsälen. Die Frauen,
die es ernst mit der Kunst nehmen (das Weib ist ja bekanntlich
beim Studieren viel fleissiger als der Mann), die werden nur an-
gespornt durch die Konkurrenz mit den männlichen Kollegen und
erleichtert durch die geringen Geldopfer, die die Akademie — ver-
glichen mit dem oft auf 60 — 75 Mark pro Monat normierten Honorar
des Professors — von ihnen fordert. Sie können sich infolge dessen
während der Studienzeit besser ernähren und ihren Körper dadurch
gegen alle Anstrengungen widerstandsfähiger machen. Ihr Gehirn
geht dann, falls wirklich ein Geniefunke in ihnen steckt, wenig^er
leicht aus den Fugen. „Das Kunstproletariat soll also noch staatlich
vergrössert werden, wenn man den Weibern das Malstudium auch
noch erleichtert", sagen wieder die Männer mit dem Zopf. Es heisst
aber doch wohl für Mann und Weib ganz gleich: Viele sind be-
rufen, wenige aber ausgewählt. Und ein gesundes Fundament
schadet den Frauen in keinem Fall. Man wirft ihnen ja den Mangel
desselben von männlicher Seite immer wieder so bitterlich vor.
Wessen Talent aber nicht ausreicht zu selbstschöpferischen Gemälden,
den wird es nur leichter befähigen zu gediegenen kunstgewerblichen
Arbeiten. Adererseits hat, beim Mangel einer festen Schulbasis,
auch das genialste Weib, und sollt' es noch so viel erreichen, sein
Leben lang wie an einer heimlichen Kette zu schleppen, die seine
— 151 —
kühnsten Flüge immer wieder begrenzt, an der sich seine Phantasie
stets aufs Neue wund reibt und zu Boden zerren lässt.
Auch das Selbstvertrauen, der künstlerische Mut der Frauen
wird sich durch die leichtere Ermöglichung gründlichsten Vorstudiums
festigen, und die fatale Unselbständigkeit so mancher Malerin wird
aufhören, die jetzt ihr Leben lang, noch wenn sie alt und grau ist,
am Schürzenbändel eines „Professors" hängt, der seines pekuniären
Vorteils willen auch bei Leibe nicht versucht, sie auf ihre eigenen
Füsse zu stellen.
„Das Fahrrad unserer Tage radelt die Kunst tot", sagte mir
neulich einer von den Alten. Ich möchte lieber sagen: „Das
Fahrrad radelt die Vorurteile tot", und so wollen wii' hoffen, dass
unsere Töchter es einmal leichter, billiger und kämpfeloser haben
werden, ihr Talent auszubilden, ihre Kräfte zu entfalten, ihre Indi-
vidualität auszuleben; und dass man im kommenden Geschlecht
nicht mehr frage: ist der Künstler Mann oder Weib, sondern
nur: ist es ein wirklicher Künstler?
Dann werden unter den vielen Berufenen die wenigen Aus-
erwählten, die den steilen Dornenpfad hinaufkeuchen, der zum
schimmernden Tempel führt, wo die Göttin thront, die ihnen den
Lorbeer reicht, — dann ^verden auch Frauen den unvergänglichen
Kranz um ihre Stirnen winden dürfen, ohne dass die Männer ihn
wieder in den Staub zu treten suchen. Und dann, erst dann hat
Alfred Meissners Wort seine tragische Wahrheit verloren:
„Viel Kronen giebt es, dunkle, dornenvolle,
Die Gott den Kindern dieser Erde lieh.
Die schwerste doch, womit der Herr im Grolle
Ein Weiberhaupt umkränzt, ist das Genie!*'
Das erste Mädohengymnasium zu Karlsruhe.
Von Ottilie von Bistram, Wiesbaden.
Die grosse umfassende Bedeutung, die für die deutschen Frauen
die Gründung unseres ersten Mädchengymnasiums in Deutschland
hat, kann in ihrer ganzen Tragweite nur gewürdigt werden, wenn
wir einen Blick werfen auf die Entstehung jenes Vereins von
Frauen, der im Jahre 1888 unter dem Vorsitze von Frau Kettler
zusammentrat und unter dem Namen ,,Frauenbüdungs-Reform" sich
rasch über ganz Deutschland verbreitete und dessen unermüdlicher,
rastloser Arbeit endlich die Gründung des ersten deutschen Mädchen-
gymnasiums gelungen ist. Es wird einmal ein gar sonder-
bares Kapitel in der Kulturgeschichte Deutschlands geben, wenn
der wahrheitsgetreue Kulturhistoriker wird berichten müssen, dass
in Deutschland bis zum Jahre 1893 für die Töchter der Nation
der Dichter und Denker, mochten sie auch noch so sehr befähigt
dazu sein, jede Möglichkeit verschlossen war, sich eine wissen-
schaftliche Bildung anzueignen, die dem noch so mittelmässig be-
gabten Knaben jederzeit offen stand; wenn weiter berichtet werden
muss, dass, als einsichtsvolle deutsche Frauen die dringende Not-
wendigkeit erkannt hatten, den Frauen gebildeter Stände neue
— 162 —
Berufe zu erschliessen und die fürs Studium begabten Mädchen für
ein solches auf Gymnasien geeignet vorzubereiten, ihnen nicht nur
der Staat seine Hülfti versagte, sondern auch die Petitionen, die an
den deutschen Reichstag und sämtliche deutsche Landesvertretungen
gingen, um Zulassung des weiblichen Gresohlechts zum Studium zu
erlangen, jahrelang einfach unter nichtigen Gründen abgelehnt und
darüber zur Tagesordnung übergegangen wurde! Wenn ferner wird
berichtet werden müssen dass: als endlich die schier unüberwindlich
scheinenden Schwierigkeiten, die Mauern von Vorurteilen, die Furcht
vor dem Neuen, bisher noch nicht Dagewesenen — durch die zäheste,
heisseste Arbeit jener Frauen in Wort und Schrift in soweit über-
wunden war, dass endlich eine deutsche Landesvertretung, die des
Badener Landes (und wir wissen ihr ewig Dank dafür) die Petition
befürwortete und die Gründung eines Mädchengyranasiums in seinen
Grenzen gestattete, diese Gründung aus Privatmitteln jener Frauen
geschehen und die Erhaltung des ersten deutschen Mädchengymnasiums
fort und fort aus freiwillig gespendeten Beiträgen eben jener Vereins-
mitglieder durchgesetzt werden musste. Aber vielleicht war und
ist der den Frauen in ihren Bestrebungen um erweiterte Bildung
und Berufskreise staatlich und privatim entgegengesetzte Widerstand
nur gerechtfertigt und jene Frauen verlangten, gleich unmündigen
Kjndern, die nicht wissen was zu ihrem Heile dient, ganz Verkehrtes
und Ungerechtfertigtes? Ist es doch eine seit Menschengedenken
anerkannte Thatsache: „Die Frau gehört ins Haus! sie hat sich
ihrer Familie zu widmen". Wir stehen keinen Augenblick an den
Beruf als Gattin und Mutter, wenn er richtig aufgefasst wird, als
den schönsten Beruf des Weibes gelten zu lassen. Aber, wenn die
Not so laut wie bei uns in Deutschland an die Thüren klopft, handelt
sich's eben nicht darum, was das Schönste, sondern was das Mög-
liche und vor allem das Notwendigste ist! In einem Staate wie in
Deutschland, wo es §ine Million überzähliger Frauen giebt, für die
keine Ehemänner vorhanden sind, darf man die Frau doch erst
recht nicht ausschliesslich und allein für diesen einen Beruf erziehen !
Rekrutieren sich doch gerade diese nicht zur Ehe gelangenden
Mädchen besonders aus den gebildeten Mittelklassen, wo die wenigsten
Eltern in der Lage sind, ihre Töchter standesgemäss versorgt zurück-
zulassen, sondern diese werden entweder schon vor — oder bestimmt
nach dem Ableben der Eltern hinausgestossen ins feindliche Leben —
gerade so wie die Söhne und sind darauf angewiesen ihr Brot zu verdienen,
nur nüt dem schwer ins Gewicht fallenden Unterschiede, dass der
Sohn Kjndheit und Jugend über strengstens für einen Beruf vorbereitet,
die Tochter, die etwa eine höhere Töchterschule genossen, für den
harten Kampf ura's Dasein in keiner Weise ausgerüstet wurde!
Was hat sie gelernt, wofür sie jemand bezahlen würde? Alle un-
verehelicht bleibenden Mädchen der gebildeten Mittelklassen können
aber nicht „Lehrerin", „Gesellschafterin" oder „Stützen der Haus-
frau" werden, es sind derer eben schon viel zu viele ! Zur Kranken-
pflegerin gehört ausser gutem Willen aber noch angeborne Befähigung.
Es ist also Thatsache: wir brauchen mehr Berufsarten, in denen
sich Frauen gebildeter Stände gewinnbringend nützlich machen
können. Der zweite Einwand der Gegner des Frauenstudiums ist
— 163 —
die allbekannte Behauptung, dass die Frau, ihrer natürlichen Ver-
anlagung nach, geistig zu sehr unter dem Manne stehe um gleichen
geistigen Studien obzuliegen, „sie ist eben zu beschränkt und unlogisch
zu furchtbringender Geistesarbeit **. Beschränkt sind aber nur die-
jenigen, die das so ohne weiteres behaupten. Nachdem seit Jahr-
tausenden dem weiblichen Geschlechte nie die Möglichkeit gegeben
wurde, seine Anlagen genügend zu entfalten und seine Kräfte zu
bethätigen, während das männliche Geschlecht von Generation zu
Generation seine Geisteskräfte übte und damit steigerte, nachdem
alle höheren Lehranstalten nur dem Manne erschlossen, nachdem
für die Frauen Jahrhunderte lang nur eine ganz einseitige, ober-
flächliche Bildung für vollständig genügend angesehen wurde, sollte
man es lieber nicht wagen ein abgeschlossenes Urteil zu fällen, genau
so als habe sie alle jene Bildungsvorteile schon genossen — man
kann da nur zu Trugschlüssen kommen. Zahlen sprechen heisst es:
nun gut, setzen wir z. B. nebeneinander, was an dieser Stelle schon
erwähnt wurde, dass sämtliche deutsche Staaten für die männliche
Ausbildung 97^/4% verausgaben und fügen wir beschämt hinzu, dass
dieselben Staaten für uns Frauen pur 2V4% zur Ausbildung übrig
haben, so werden wir wissen, warum die Frauen bisher scheinbar zurück-
gestanden haben. Da aber dem Verein „Frauenbildungs-Reform"
daran liegt thatsächlich den Beweis zu erbringen, dass begabte
Mädchen begabten Knaben geistig ebenbürtig sind und sich erfolg-
reich wissenschaftliche Bildung anzueignen vermögen, so verlangt
er von den Töchtern, die studieren wollen, denselben Studiengang
wie von den Söhnen. Nicht gemildert und für's Mädchenhirn zurecht
gestutzt, auch nicht nach bereits vollendeter Schulzeit in dafür zu-
recht geschnittenen Vorbereitungsschulen sollen unsere Schülerinnen
zur Universität vorbereitet werden — wir wollen sozusagen keine
Ausnahmegesetze, die man uns immerhin als Benutzung von Aus-
nahmswegen vorhalten könnte, sondern wir erkennen uneingeschränkt
an, dass dieselben Rechte vor allem dieselben Pflichten erheischen!
Aber man fragt uns: „Ist das Experiment denn nicht zu gewagt,
werden die psychisch und physisch schwachen Frauen es auch aus-
halten?" Nun, die Schwachen brauchen und sollen es ja auch nicht
— aber den Tüchtigen soll die Gelegenheit geboten werden. Praktisch
aber ist es überhaupt kein Experiment mehr, sondern eine Thatsache,
dass die Frau zu wissenschaftlichem Studium und für höhere Geistes-
bildung ausserordentlich geeignet ist. Wohin ich auch kam auf
langen Reisen durch 4 Weltteile, wo ich auch immer auf europäischem
Boden in Spanien, Italien, der Schweiz, England, Frankreich, Griechen-
land oder Russland, Frauenleben und Frauenbildung zu studieren
Gelegenheit hatte, überall drängte sich mir die Beobachtung auf,
dass der Standpunkt der Frauenbildung entscheidend ist für die
Bildung der ganzen Nation. Wollen wir in Deutschland daher nicht
stehen bleiben, d. h. hinter anderen Kulturvölkern zurückbleiben,
so muss uns vor allem der Fortschritt der Frauenbildung am Herzen
liegen. Alle Kulturstaaten Europas (von Amerika ganz zu schweigen)
haben bereits ihre Hochschulen den Frauen, ohne irgend welchen
Nachtheil, geöffnet — nur Deutschland zögert noch immer. Oder
soll etwa die Japanesin der Deutschen, der Tochter der grössten
— 154 —
Philosophen, geistig soweit überlegen sein, dass sogar sie die Er-
laubnis zum Universitätsstudium erhielt und benutzt und zwar so
üeissig, dass gegenwärtig in Tokio 1000 Frauen studieren und
30 Studentinnen dort in den letzten Jahren alle ärztlichen Prüfungen
mit Erfolg bestanden. Nein, auch deutsche Frauen haben, allen
Zweiflern und Vorurteilen zum Trotz, auf fremden Universitäten
glänzende Diplome und Befähigungszeugnisse erhalten — und wir
schauen mit Stolz auf diese unsere Pioniere! Aber nicht in der
Fremde sollen Deutschlands Töchter ihre wissenschaftliche Aus-
bildung suchen müssen, im eigenen Vaterlande sollen sie sich die-
selbe erwerben können — und dazu thaten deutsche Frauen bisher
den ersten Schritt mit der Gründung des ersten deutschen Mädchen-
gymnasiums zu Karlsruhe. Damit die Eltern nicht zu früh vor die
Entscheidung gestellt werden, ob ihre Tochter die Befähigung zu
späterem Studium auch habe (was sich bei einem eben schulpflichtigen
Kinde noch nicht feststellen lässt), nimmt das Karlsruher Mädchen-
Gymnasium die Töchter erst mit 12 Jahren in Untertertia an,
nachdem sie bereits 6 Jahre Töchterschulbildung genossen. Während
bei den Knaben in dieser Klasse|neben Mathematik als zweites neues
Fach Griechisch hinzutritt, müssen die Mädchen erst mit Latein und
Mathematik anfangen. Griechisch kommt dann in Obertertia hinzu,
ebenso wird erst in dieser Klasse Cäsarlektöre möglich. Es folgt
in Untersekunda Livius, Odyssee und Algebra, dazu Physik als
neues Fach. Da mit jedem Jahre zunächst eine neue Klasse er-
richtet wird, so besteht die Anstalt, seit ihrer Gründung 1893, gegen-
wärtig aus diesen 3 Klassen. Das Knabengymnasium soll mit Schluss
der Obersekunda eingeholt werden.
Die 22 Schülerinnen unseres Gymnasiums lernen mit dem
grössten Eifer und bestem Erfolge; besonders überrascht haben sie
den Professor der Mathematik durch die Schnelligkeit des Verständ-
nisses für dies Fach; er weiss die grosse Lebendigkeit der mathematischen
Anschauung seiner weiblichen Gymnasiasten nicht genug zu rühmen.
Die bisherigen guten Erfolge im Latein berechtigen ebenfalls zu den
freudigsten Hofliiungen. Durch körperliche Bewegung in den Zwischen-
stunden, sowie durch viermal wöchentlich statthabende Turnstunden
wird das physische Wohlbefinden der Schülerinnen unterstützt; der
Gesundheitszustand derselben ist durchweg ein sehr befriedigender. Es
handelt sich beim Gymnasialstudium eben viel weniger um die Menge
des Wissens, als um die Gründlichkeit, um die Anleitung zu eigenem
selbständigen Deaken, um die logische Geistesschulung und um den
systematisch gesrliederten Aufbau des Gelernten — und damit muss
eben schon beim Kinde begonnen werden, noch ehe es zuviel nötigen
und unnötigen Wissenskram in sich aufgenommen hat. Ebenso wie
die badische Regierung es war, die in hochherziger Weise dem
ersten deutschen Mädchengymnasium gastlich die Thore geößnet. so
war sie es auch, die unseren Schülerinnen in Aussicht stellte, auf
einer ihrer Universitäten nach erlangter Reife, studieren zu dürfen.
Von den 22 Schülerinnen des Karlsruher Gymnasiums stammen
12 aus Karlsruhe, 1 aus der Pfalz, 1 aus Mecklenburg, 4 aus Pforz-
heim, 2 aus der Rheinprovinz, 1 aus Holstein und 1 aus der Schweiz.
16 sind Protestantinnen, 5 Katholikinnen, 1 Israelitin.
— 166 —
Der erste entscheidende Schritt zu vertiefter und erweiterter
Frauenbildung ist durch die Gründung des ersten deutschen Mädchen-
gymnasiums geschehen, aber* es bedarf zur Erhaltung dieser Errungen-
schaft fortgesetzt der opferwilligen Mithilfe vieler Gesinnungs-
genossen. Darum ihr deutschen Frauen und Männer helfet uns —
auch hier in Berlin ist ein Zweigverein unseres Reformvereines —
zeiget, dass auch Ihr, bisher Fernstehende, mit Eurer Zeit fort-
schreitet, dass auch Ihr Verständnis habt tür die grosse Kultur-
arbeit unserer Zeit. Denn die Bildung der Frau haben heisst nichts
Geringeres als die Bildung der ganzen zukünftigen Generation haben,
denn die Frau ist aller kommenden Geschlechter eigentlichste Er-
zieherin, den Frauen vor Allem müssen wir das Dichterwort zu-
rufen :
. „Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben,
Bewahret sie, sie sinkt mit Euch,
Mit Euch wird sie sich heben!"
Frauenbildung und gymnasiale Mädchenschule
in Wien,
Von Frau Dora Rösler, Wien, Delegierte des Vereins für er-
weiterte Frauenbildung.
Innerhalb der allgemeinen Frauenbewegung, welche jetzt so fest
und sicher zum allgemeinen Frauen-Kongress geleitet wurde, machen
sich zwei spezielle Bewegungen d. h. Gemütsbewegungen bemerkbar:
Freude an den schon errungenen Erfolgen und Bedauern über die
Unvollkommenheit derselben.
Wir in Oesterreich hätten alle Ursache uns dem Bedauern an-
zuschliessen, bei uns ist die Vollkommenheit noch lange nicht er-
reicht und wir ermangeln allzumal des Ruhms, an der Spitze der
Frauenbewegung zu stehen. Dennoch möchte ich die Ziele, die wir
bisher erreicht haben, nicht zu gering finden, in Anbetracht des
weiten Weges, den wir zu geben hatten, und würde mir gern ein
wohlwollendes: „Immer langsam voran" zurufen lassen, und ein
gütiges „Der lange Weg entschuldigteuer Säumen" mit Dank quittieren.
In der That ist der Weg weit, der von dem ersten Verein in
Wien, von der „Gesellschaft adeliger Frauen zur Beförderung des
Guten und Nützlichen" (begründet 1810) zu unserer jüngsten Er-
rungenschaft, zur Frauenenquete, führt. Die Aufgabe, alle Fort-
schritte während dieser Zeit zu schildern, war mir zu Teil ge-
worden, konnte aber nicht ausgeführt werden in der kurzen Zeit
einer Viertelstunde, und ich muss mich mit Uebergehung aller
Vereinsgruppen, welche der Wohlthätigkeit, der Arbeit, dem Rechts-
schutz und der Rechtsbewegang dienen, zu denen wenden, die der
wissenschaftlichen Ausbildung der Frauen ihre Bemühungen widmen.
Wenn wir die Bestrebungen zur wissenschaftlichen Gleichberechtigung
als die höchsten und wertvollsten ansehen, so liegt das in der Ueber-
zeugung, dass die Wissenschaft die letzte Instanz der Kultur, die
eigentliche Besitzerin der Macht ist, und von ihr und ihren Ver-
tretern die Ausgestaltung der Gesellschaft kommt.
- 166 —
Der Gedanke, ein Mädchen-Gymnasium zu gründen, war bereits '
im Jahre 1866 ausgesprochen worden. Indessen begegnete dieses
kühn ausgesprochene Wort einer sehr lebhaften Opposition. Die
alte Tradition wurde aufrecht jf halten, und der „Wiener Frauen-
er werbverein" führt seine Schule als höhere Töchterschule fort. Das
gleiche Ziel hat auch der „Beamtentöchterverein".
Die kürzlich gegründete „Damen- Akademie" schliesst sich an
den Unterricht derartiger Mädchenschulen an und giebt Gelegenheit
für die Aneignung einer höheren Bildungsstufe. Ein solcher Studien-
gang kommt den Wünschen derjenigen entgegen, welche eine all-
gemeine Bildung der Frau gutheissen, ohne auf eine exakte Durch-
büdung derselben zu dringen. Die Ansicht, dass die Bildung der
Männer und Frauen nebeneinander in gewissen Abständen fortbe-
stehen könnte, kommt in dieser Akademie zum Ausdruck. Männ-
liche und weibliche Professoren halten Vorträge über Geschichte,
Archäologie, Naturwissenschaften u. s. w., immer in Öinsicht auf
eine allgemeine Kenntnis dieser Gegenstände.
Ob Männer und Frauen nicht miteinander gehen, denselben
Studiengang verfolgen und die Resultate praktisch verwerten könnten,
diese Frage einer Lösung zuzuführen gelang erst dem Verein für
„Erweiterte Frauenbildung".
Am 22. April 1888 fand eine Vor Versammlung des „Vereins
für erweiterte Frauenbildung" statt, ein provisorischer Ausschuss
bildete sich, und die Errichtung einer gymnasialen Mädchenschule
wurde als Hauptziel des Vereins hingestellt. Dieses Ziel konnte
aber erst im Jahre 1892 erreicht werden, nachdem viele Hinder-
nisse beseitigt und durch mehrfache Vorträge den Vorurteilen
gegen eine männliche Erziehung der Frauen entgegengearbeitet
worden war. Ein weiblicher Arzt, Frau Dr. Kerschbaumer, be-
gründete in einem geistvollen Vortrag das Recht der Frau für den
medizinischen Beruf durch historische Belege ihrer Tauglichkeit für
denselben.
Ganz vorzüglich geeignet, das Vorurteil in Bezug auf das
mögliche Zusammenwirken männlicher und weiblicher Studenten zu
entkräften, war der Vortrag von Frl. Dr. Agnes Bluhm. Andere
Vorträge bezogen sich auf das Recht und die Fähigkeit der Frau
zum allgemeinen Studium, und endlich wurde im Jahre 1891 in der
Generalversammlung des Vereins der Antrag: „Es sei die vom
Verein zu gründende, in ihren Unterrichtszielen den bestehenden
Gymnasien entsprechende Schule mit Beginn des Schuljahres 1892 zu
eröffnen", einhellig zum Beschluss erhoben. Ein Vortrag von Frau
Mariane Hainisch, die schon damals im Frauenerwerbverein die
gymnasiale Mädchenschule beantragt hatte, war von grosser Wirk-
samkeit auf das Publikum und die kompetenten Behörden.
Die Bitte um unentgeltliche Ueberlassung eines Lokals wurde
gewährt, das städtische Pädagogium nahm das Mädchengymnasium
auf, der Leiter des Pädagogiums übernahm die Direktion desselben,
und die unterste Klasse wurde mit 30 Schülerinnen eröffnet. Jetzt
zählt das Gymnasium deren hundert. Der Stadiengang ist auf sechs
Jahre berechnet, jedes Jahr wird eine neue Klasse hinzugefügt, und
in zwei Jahren werden die ersten Abiturientinnen für die Hochschule
— 167 —
reif sein. Wir hoflfen zuversichtlich, dass die ünterrichtsverwaltung
in Oesterreich ihnen so gerecht sein wird, wie dies in Ungarn he-
reits der Fall ist. Die Petitionen an den Reichstag wurden günstig
aufgenommen, durch mehrere Parlamentsredner genügend unterstützt,
und der gegenwärtige Unterrichtsrainister gah die Erklärung ab,
dass die jetzt geltende Ordnung des weiblichen Unterrichtswesens
an massgebender Stelle als der Verbesserung bedürftig angesehen
wird. Erleichterung der Nostrifikationsbedingungen, so lange das
Studium in der Heimat nicht gestattet ist, wäre die dringendste
Frage.
Zwar hat die Regierung in den Okkupationsländem Bosnien
und der Herzegowina in Berücksichtigung der mohamedanischen Be-
völkerung an den Spitälern weibliche Aerzte mit ausländischen
Diplomen angestellt und kürzlich einer praktisch ausgebildeten
Zahnärztin die Ausübung der Zahnheilkunde in Mostar gestattet.
Auch in Oesterreich sind zwei Fälle zu konstatieren, bei welchen
durch einen kaiserlichen Gnadenakt die Ausübung der ärztlichen
Praxis auf Grund eines ausländischen Diploms gestattet wurde. Frau
Dr. Kerschbaumer erhielt die Bewilligung, die Augenheilkunde in
Salzburg auszuüben. Fräulein Dr. von Roth wurde als Assistenz-
ärztin an dem Offizierstöchter-Institut in Hern als angestellt. Diese
Ausnahmefälle abgerechnet, ist die Erlaubnis in Oesterreich prakti-
zieren zu dürfen, von der Nostrification der im Ausland abgelegten
Prüfungen abhängig. Fräulein Dr. Gabriele Possaner hatte die
Matura in Wien gemacht, eine zweite Reifeprüfung in Zürich ab-
legen müssen, um dort zur Hochschule zugelassen zu werden. Nach-
dem sie sämtliche Rigorosa dort mit Auszeichnung bestanden, musste
sie sich bereit erklären, dieselben an der Universität Wien zu wieder-
holen, worauf ihr die Erlaubnis zur ärztlichen Praxis erteilt werden
wird. Da bisher der Besuch der hiesigen Hochschule nur von Fall
zu Fall gestattet war, und keine Dame sich als ordentliche Hörerin
einschreiben lassen durfte, so ist der Studiengang, den ich soeben
durch das Beispiel des Fräulein Dr. Possaner erläutert habe, der
einzig mögliche, aber auch so schwierige, dass er ganz ungewöhn-
liche Energie fordert. Fast zuviel Energie und Mut — selbst für
eine Frau.
Der „Verein für erweiterte Frauenbild iing" bat es sich lebhaft
angelegen sein lassen, Propaganda für die Erleichterung des Hoch-
schulstudiums zu machen, wie dies ja auch im Interesse seines
Gymnasiums selbstverständlich ist. Die sonstige Thätigkeit des
Vereins will ich nur kurz anfuhren. Er agitiert unermüdlich, um
die Vorurteile, welche gegen die Berufsbildung und Berufsausübung
des weiblichen Geschlechts bestehen, zu überwinden. Sanfte Kon-
sequenz, die niemals zudringlich wird, niemals aber einen errungenen
Vorteil aufgiebt, ist die Signatur dieses Vereins, dem man den langen
Titel verzeihen möge, um der vielen Bestrebungen willen, die er
in sich schliesst. Denn auch die Pflege des Guten und Schönen
lässt er sich angelegen sein. Zwei Frauenkonzerte, die Auflführung
der ApoUohymne und ähnliche Veranstaltungen waren schön inszeniert
und hatten grossen Erfolg. Wir haben wohl auf allen Gebieten
grössere oder kleinere Errungenschaften zu verzeichnen, welche zwar
— 168 —
in der Jetztzeit nicht ohne K^mpf behauptet werden können. Dennoch
wird dieser Kampf ohne Erbitterung, wenn auch mit Entschieden-
heit geführt, und wenn die Vertreterin der Wiener Frauen sich
eine Spezialmission anraassen dürfte, so wäre dies die Aeusserung
des Wunsches, der Kongress möge auf Grund der Erfg,hrung, im
Bewusstsein der Stärke seiner Sache und im Hinblick auf den
täglich zunehmenden Anschluss aufgeklärter Männer suaviter in
modo, fortiter in re verfahren.
Die Abstraktion, die Vermehrung des theoretischen und prak-
tischen Katechismus der Emanzipation sollte nicht in erster Linie
in Betracht kommen, wean es sich um den Erfolg handelt. Frauen-
recht ist wesentlich Frauenmacht, und die Macht liegt mehr in der
That als im Wort! Wir sollen uns jedoch bestreben, in der Be-
tonung dieses Wunsches niemals eine Verirrung des Geschmacks zu
dulden, welcher in der aufblühenden Renaissance des Frauenlebens
vielleicht eine ebenso grosse Rolle spielen dürfte, als einst im
Cinquecento. Aus diesen Gesichtspunkten mögen auch die Be-
mühungen und Leistungen der Wiener Frauen beurteilt werden,
wie sie in kleinem Umriss dem Kongress vorgeführt wurden.
Das Universitätsstudium der Frauen.
Von FpI. Käthe Schirmacher, Dp. phil., Deutschland — Paris.
Lassen Sie mich, geehrte Anwesende, mit einer familiären Rede-
wendung beginnen:
Wir brauchen das Universitätsstudium für die Frauen, wie das
liebe Brot. In erster Linie, weil uns für die Frauenbewegung
Menschen Not thun, die ruhig und sachlich denken gelernt haben.
Wir alle stehen heute noch auf Vorposten, und es ist unerlässlich,
dass unsere Soldaten Ruhe und Kaltblütigkeit besitzen. Die Ruhe
und Kaltblütigkeit bei der Betrachtung der grossen Fragen aber,
die wir heute angreifen, ja angreifen müssen, erwarte ich vom Hoch-
schulstudium der Frauen, von ihrer wissenschaftlichen Schulung.
Ebenso wie diese allgemeine Denkschulung brauchen wir auch
gründliches Wissen. Das soll uns Frauen das Universitätsstudium
gleichfalls geben, dieses umfassende, gründliche, dieses beste Wissen
der Zeit. Denn wer die Hand an die so unendlich verwickelten Auf-
gaben der Frauenbewegung legen will, der muss wissen, wissen und
wieder wissen; weil alles, was er vernachlässigt oder nicht berück-
sichtigt, sich als schiefe Auffassung oder als Unterlassungssünde
rächt. Nicht guter Wille allein genügt heute; ein wirkliches Be-
herrschen der Thatsachen des Lebens ist uns nötig; dieses Be-
herrschen werden wir durch das Studium, hauptsächlich der Medicin,
der Naturwissenschaften, der Rechts- und Staats Wissenschaften, der
Statistik und Sozialökonomie, an die wir uns in erster Linie zu halten
haben, erlangen.
Auf diese Art allein kann auch der tiefe Bildungsunterschied
ausgeglichen werden, der heute für gewöhnlich sogar zwischen der
begabten Frau und dem Durchschnittmanne besteht und beide
trennt; seien wir noch so intelligent, wir können das Höchste nicht
— 159 —
erreichen, wenn wir die Geister nicht vorher in die strenge Schule
geschickt und der neuesten Wahrheit der Zeit erkennend ins Antlitz
geblickt haben. — Müssen Führerinnen und Pioniere denn nicht
wissen, wo sie hinwollen? Die moderne Wissenschaft soll uns
moderne Frauen geben, die in die Entwickelung der Zeiten voraus-
schauend, von der Höhe aus die grosse Bewegung leiten.
Durch das Hochschulstudium kommt die Frau auch in Berührung
mit Männern: eine weitere Notwendigkeit für die gedeihliche Ent-
wickelung der Frauenbewegung. Lernt die Frau den Mann kennen,
d. h. erweitert sie ihr Wissen von der Welt und von einem der
wichtigsten Faktoren der Frauenbewegung, vom Manne, so wird sie
eben weiser, reifer; denn, geehrte Anwesende, wer die Frauenfrage
ohne Berücksichtigung der Beziehungen von Mann zu Weib lösen
will, der ist vielleicht sehr wohlmeinend, aber auch sehr blind.
Der Mann dann seinerseits lernt im täglichen, sachlichen Ver-
kehr mit der Frau, diese Frau als Kollegen, als Berufs- und Kultur-
arbeiter neben sich achten und anerkennen. Ein grosser Gewinn,
den wir dadurch erringen; denn so geschieht es, dass man uns ernst
nimmt und zur Diskussion zulässt, zulassen muss. Andererseits lernt
die Frau aber an den bedeutenden Persönlichkeiten, mit denen sie
verkehrt, ermessen, was sie zu leisten unternimmt, und das ist viel.
Von der Hochschule geht es dann ins Leben. Der Kampf ist
dort schwer für die akademisch gebildete Frau; aber auch für
den Mann ist er nicht leicht. Wenn unsere Aerztinnen sich heute
im bürgerlichen Leben ihre Stellung erwerben, wenn Ober-
lehrerinnen ausgebildet werden, denen, ich hoffe es zuversichtlich,
weibliche Advokaten bald folgen werden, wenn in den gelehrten
und liberalen Berufen die Frau auftritt und ihre Praxis ausübt, ge-
winnen wir aber das eine : direkte Vertretung der weiblichen Inter-
essen, der weiblichen Anschauungen auf den wichtigsten Gebieten
des bürgerlichen Lebens.
Ihnen, die Sie so wacker gegen das bürgerliche Gesetzbuch ge-
kämpft haben, brauche ich nicht auseinanderzusetzen, wie notwendig
es ist, dass wir Frauen unsere Interessen auf jedem Gebiet mensch-
licher Thätigkeit direkt vertreten. Ihnen allen ist es noch gegen-
wärtig, wie wenig unsere heutige Volksvertretung auch eine
Frauenvertretung ist. Wenn wir weibliche Advokaten, weibliche
Richter in Funktion gehabt, der Entwurf wäre anders ausgefallen.
Und das gleiche gilt von allen Gebieten des Lebens: an die
Seite des bisherigen, ausschliesslich männlichen Gesichtspunktes und
des ausschliesslich männlichen Rats wird durch akademisch gebildete
Frauen auch die direkte Vertretung der weiblichen Interessen, die
direkte Aeusserung weiblicher Thätigkeit treten und im Staats- wie
öffentlichen Leben wird die weibliche Arbeit gebührend zur Geltung
kommen.
Neben diesen praktischen Berufsarbeitern erhoffe ich von dem
Hochschulstudium der Frauen aber noch etwas: das Auftreten von
wissenschaftlich schaffenden Naturen, von Forscherinnen, Erfinderinnen,
und Entdeckerinnen, die das Erbe der Zeit auf selbständigen
Schultern in die Zukunft tragen, von solchen, die man zu den
Grossen und Grössten ihres Jahrhunderts rechnen wird.
I
1
-- 160 -
Damit, geehrte Anwesende, lassen sie mich für heute schliessen;
es ist nichts Geringes, was ich von dem Universitätsstudium der
Frauen erhoffe:
1. Wissenschaftliche Schulung jeder einzelnen.
2. Schöpfen aus dem Quell des besten Wissens der Zieit.
3. Geachtete Stellung und praktische, nützliche Thätigkeit.
4. Direkte Vertretung unserer Interessen, zum Nutzen des
ganzen Geschlechts.
5. Und endlich Schaffen, eignes Schaffen an der grossen Kultur
der Menschheit.
Wenn wir's erreichen — glänzend ist die Zukunft. Und
glänzend wie sie, ist auch des Schweisses der Edlen wert: den Blick
auf die Vision am Ende, bereit zu steter Arbeit, mit Hingabe an
unsre Sache, wollen wir unentwegt vorwärts und immer vorwärts
schreiten.
Frauenstudium in Amerika.
Von Miss Rickert in Vertretung von Mrs. Martha Foote Cpow,
Dr. phil. und „Ghairman of the Committee on Educational Progress
of the University of Chicago", and Miss Maud W. Straigbt, A. B.
Chicago.
(Auszug aus dem eingesandten Vortrage).
Die Verfasserinnen des Artikels bedauern, dass die Aufforderung
dazu nicht früh genug kam, demselben einen mehr offiziellen
Charakter zu geben. Gewiss würde die Association of Collegiate
alumnae als Vertreterin der studierenden Frauen Amerikas es als
angenehmste Pflicht empfunden haben, ihren hier versammelten
Schwestern, welche die Frage des Universitäts-Studiums für Frauen
besprechen, die wärmsten und herzlichsten Grüsse zu senden.
Die Zulassung der Frauen zu den deutschen Universitäten ist
seit vielen Jahren eine Frage von höchstem Interesse für uns, nicht
nur, weil wir den deutschen Frauen dieses Vorrecht von Herzen
gönnen, sondern auch weil wir für uns selbst Zulassung wünschen
zu diesen Quellen ernster Wissenschaft.
Mit lebhaftem Vergnügen haben wir von den überaus zweck-
mässigen Schritten gehört, die schon gethan worden sind, um die
Thore der Universitäten auch uns Frauen weit zu öffnen ; und wir er-
warten mit freudiger Zuversicht die Beiträge zur Wissenschaft und all-
gemeinen Bildung, welche sicher kommen werden, wenn deutsche Frauen
mit gründlicher deutscher Schulung ihre geistigen Fähigkeiten den wissen-
schaftlichen Forschungen widmen. Dürfen wir dann nicht die Freude
des Triumphes teilen, wie wir jetzt gern mit Ihnen kämpfen und
ringen?
In diesem Vortrag wollen wir versuchen, einen kurzen Bericht
über die Geschichte des akademischen Studiums der Frauen in
Amerika und einiger der wichtigsten damit in Verbindung stehender
Probleme zu geben.
Schon im Jahre 1778 bestand ein junges, 13 jähriges Mädchen
das Zulassungs-Examen für Yale-College, durfte aber nicht studieren,
— 161 --
weil sie kein Mann war. Erst 1836 öffnete eine Universität den Frauen
wirklich ihreThür, das war Aberlin-College; und 75 Jahre später wurde
die erste grosse Frauen-Universität Vassar-College gegründet. Dann
folgten schnell andere und im Jahre 1870 gewährte die Universität
von Michigan den Frauen gleiche Rechte wie den Männern. Fast
alle staatlichen Universitäten folgten diesem Beispiel und vor
4 Jahren gestatteten 3 unserer besten Männer-Universitäten den Frauen
die Erwerbung akademischer Grade, einschliesslich der Doktor-Würde.
Als vor 4 Jahren die Stanford- und die Chicago-Universität ins
Leben traten, wurde in den Statuten den Frauen ausdrücklich das
Recht der Teilnahme gewährt, nicht nur als Studentinnen, sondern
auch auf den Lehrstühlen als Professorinnen.
Im ganzen studieren jetzt in Amerika an 60,000 Frauen in
Colleges und Universitäten, unter welchen 190 Colleges für Frauen
allein bestimmt sind, die bei weitem grössere Anzahl jedoch für
Frauen und Männer zusammen.
In der That, es erscheint bei uns als geradezu selbstverständlich,
dass eine Frau das akademische Studium durchmache, und es ist
alles gethan, dies auch weniger Bemittelten zu ermöglichen.
Die Verbindung der Collegiate Alumnae ist aus diesem Univer-
sitäts-Studium hervorgegangen. Die Mitglieder derselben müssen
wenigstens einen akademischen Grad erlangt haben und zwar an
einem der 15 Colleges, die zu dieser Korporation gehören.
Zweck dieser Verbindung ist: jungen Mädchen besseren vor-
bereitenden Unterricht zu geben, ihnen ihre Studien an den Uni-
versitäten selbst fruchtbarer zu machen, die Würdigsten von
ihnen auch pekuniär zu unterstützen, sowohl in der Heimat als im
Auslande, und die ganze gebildete Welt überhaupt anzuregen,
solchen mit Rat und That zu helfen, denen eine regelmässige Schul-
bildung unmöglich ist.
Die Verbindung begann mit nur 66 Mitgliedern im Jahre 1882
und zählt jetzt beinahe 2000. Es sind 20 Unterabteilungen vor-
handen, jede für einen bestimmten Bezirk, die gewöhnlich sieben-
mal im Jahre zusammen kommen, um allerlei allgemeine und be-
sondere Fragen zu besprechen, zum Beispiel : Kenntnisse zur Führung
eines Haushaltes, die Dienstbotenfrage, Erziehung in den öffentlichen
Schulen zum Staatsbürgertum durch Belehrung über die Konstitution,
politische Parteien u. s. w; (ich erlaube mir für Deutsche hier ein-
zuschalten, dass der Besuch der öffentlichen Schulen in Amerika ein
unentgeltlicher ist und dass dieselben vielmehr als hier von Hoch
und Niedrig besucht werden); die sanitären Verhältnisse der Schulen,
die physischen Bedürfnisse der Kinder, Pensions Verhältnisse alter
Lehrerinnen u. s. w.
Die Verbindung als Ganzes erstreckt ihre Thätigkeit nach fol-
genden Richtungen : erstens, allgemeine Belehrung über Unterrichts-
und Erziehungs -Fragen, zweitens Gewährung von ausreichenden
Stipendien auch zum Studium im Auslande (sogenannte „fellowsships"),
drittens moralische Unterstützung nur solcher Colleges, die wirklich
lebensfähig sind ; viertens Gehaltsfragen, fünftens Stellenvermittelung
für Lehrerinnen aller Grade und andere.
Besondere Sorgfalt wird auf körperliche Ausbildung der
11
— 162 -
Studentinnen durch Turnen und allerlei Leibesübungen verwendet,
um der Furcht zu begegnen, dass wissenschaftliches Studium der
Gesundheit schade. Zu unserer Freude ergeben die statistischen Ta-
bellen einen grösseren Prozentsatz gesunder Frauen unter Studentinnen
als unter Arbeiterinnen und Frauen im Privatleben.
So weit die Thätigkeit der CoUegiate Alumnae. lieber das
spätere Leben studierender Frauen ergaben statistische Untersuchungen
Folgendes : 38 pCt. waren verheiratet, 20 pCt. lebten zu Hause ohne
besondere Erwerbsthätigkeit, 36 pCt. waren Lehrerinnen und 5 pCt.
in anderen Erwt^rbszweigen thätig.
Die Frau in Amerika hat jetzt praktisch vollkommene Freiheit,
ihren Lebensberuf zu wählen; und dieses gute E/Csultat verdanken
wir dem Üniversitäts-Studiiim. Mit jedem Jahre vermehrt sich die
Zahl derer, die Medizin, Chemie, Jura, selbst Landwirtschaft stu-
dieren, letzteres besonders in den westlichen Staaten. Und auf all
diesen Gebieten zeigt die Frau ihre Fähigkeit zu gründlicher
Forschung und zu freier Auffassung des Gegenstandes.
Um noch einmal auf das Heiraten oder Nicht-Heiraten unserer
akademisch gebildeten Frauen zurückzukommen, möchten wir folgende
Ergebnisse mitteilen, die allerdings noch nicht entscheidend sein
können. Wir wir gesehen haben, ist der Prozentsatz verheirateter
Frauen unter Universitätstudierenden ziemlich günstig, nur scheinen
sie etwas später in den Stand der heiligen Ehe zu treten. Dafür
sind aber Ehescheidungen bei ihnen fast unerhört und — was das
Beste ist — die Kinder solcher studierter Frauen ertragen notorisch
ihre Krankheiten viel besser und leichter als andere.
Aus diesem Bericht über das Leben und Treiben unserer
amerikanischen studierenden Frauen ergiebt sich wohl, wie sehr
wir die Wichtigkeit der Studienfrage für Frauen in anderen Län-
dern fühlen. Wir verfolgen mit Freude den Fortschritt unserer
Schwestern hier in Europa und hoffen auf immer engere Beziehungen
zu ihnen.
Schon früher ist der Versuch gemacht worden zu einer inter-
nationalen Verbindung, und besonders auf dem Kongress in Chicago,
im Jahre 1893, wo Vertreterinnen aller gebildeten Nationen sich
mit dem Versprechen trennten, in ihren eigenen Ländern Ver-
bindungen zu organisieren, die sich später zu einem Ganzen zu-
sammenschliessen würden. Noch sind solche nationale Verbindungen
nicht ins Leben getreten, aber bis dies geschieht — und geschehen
wird es — wollen wir bei allen internationalen Zusammenkünften
einander helfen und ennutigen, indem wir Schwierigkeiten und Er-
folge, Zweifel und Hoffnungen mit einander teilen.
Und so enden wir, wie wir begannen, mit warmem Gruss an
unsere europäischen Schwestern.
Ansprache von Frau Barbe von Tarnofsky, St. Petersburg,
Delegierte der „Societe pourvoyant aux besoins des cours superieurs
des femmes."
Vorbemerkung d. Red.: Dem Bericht des Fräulein Schaffe
gingen ein paar Worte von Frau Tarnofsky in französischer Sprache
voraus, die auf Wunsch der Rednerin deutsch wiedergegeben werden :
— 163 —
Seit dem Anfang der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam
die russische Regierung einem allgemeinen Verlangen nach Wissen
von Seiten der russischen Frauen zuvor, indem sie einen neuen Typus
einer Schule schuf, nämlich das Gymnasium, dessen Programm sich
dem der Gymnasien für Männer sehr nähert, ohne es indess voll-
ständig zu erreichen. Nachdem die jungen Mädchen ihre Studien
an diesen Mittelschulen he^^ndigt hatten, begnügten sie sich nicht
mit den erworbenen Kenntnissen, sondern strebten nach höherer
Bildung. Trotzdem die Anstrengungen, die sie machten, um sich
die Thore der Universitäten zu öffnen, ohne Erfolg blieben, ver-
loren die Frauen den Mut nicht, und nach Bekämpfung vieler
Hindernisse gelang es ihnen, in mehreren Städten Russlands besondere
TJniversitätskurse für Frauen ins Leben zu rufen. Damals war es,
als in St. Petersburg der Gedanke sich regte, einen Verein zu
gründen, und diese Gründung erfolgte im Jahre 1878 unter dem
Namen: „Gesellschaft zur Fürsorge für die Bedürfnisse der Universitäts-
kurse für Frauen."
Dieser Verein hat das Glück gehabt, die Sympathie der auf-
geklärten Kreise Russlands zu gewinnen, und die Zahl seiner Mit-
glieder, Frauen und Männer, steigt von Jahr zu Jahr. Ein ge-
schichtlicher Ueberblick, vom Komite des Vereins herausgegeben,
ist von Fräulein Schaffe, der Direktrice eines der ältesten Mädchen-
Gymnasien in St. Petersburg, verkürzt ins Deutsche übertragen worden
und wird der freundlichen Aufmerksamkeit des Kongresses unterbreitet.
Indem Frau Tarnofsky Fräulein Schaffe das Wort überlässt,
macht sie es sich zur angenehmen Pflicht, dem Kongresse die leb-
haften Sympathien der russischen Frauen auszudrücken und in ihrem
Namen den deutschen Frauen zu danken für ihre Initiative, die von
dem glänzendsten Erfolg gekrönt ist.
Univ^arsitätskursa für Frauen in St. Petersburg.
Von Fräulein E. Schaffe, Gymnasialvorsteherin, Petersburg,
Delegierte der obengenannten G-esellschaft.
Das rege Leben auf dem Gebiete geistigen Fortschrittes in den
60 er Jahren erweckte in einem Kreise russischer Frauen, die sich
mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigten und an deren Spitze
Frau M. Troubnikoff und Frl. Stassoff standen, den Gedanken, eine
Hochschule für Frauen zu begründen.
1867 überreichte Frau Conradi, Redakteurin eines Journals,
dem damals in St. Petersburg tagenden Kongress von Natur-
historikern ein gediegenes Schreiben, in dem sie die Notwendigkeit
darstellte, den Frauen eine höhere Bildung zu ermöglichen.
Der Kongress sprach zwar seine Sympathie aus, lehnte aber
jede Beteiligung an dem geplanten Werke ab. — 1868 wurde dieses
Schreiben, von 400 Frauen unterzeichnet, dem Rektor der Universität
vorgelegt. — Er sowohl wie viele andere Professoren billigten nicht
nur das Streben der Frauen, sondern erklärten sich bereit, den Ent-
wurf weiter auszuarbeiten und erwählten aus ihrer Mitte eine Kom-
mission zu diesem Zweck.
11*
^t^täm
- 164 —
Das Gerücht, es würde möglicherweise eine weibliche Hoch-
schule begründet werden, verbreitete sich bald im ganzen Reiche
und warmen Dank ernteten alle, die sich an dem entstehenden
Werke beteiligten. Selbst das Ausland wurde aufmerksam und
J. St. Mill sprach dem Kreise obengenannter Frauen seine Sympathie
aus; und dies hob und stützte ihre Energie bedeutend.
Bald erfolgte auch die Antwort der von der Universität er-
wählten Kommission und lautete dahin, dass die Universität das Streben
der Frauen nach Zulassung zu einer historisch-philologischen und
einer naturwissenschaftlichen Fakultät billige, aber die Forderung",
ihnen ihre Hörsäle zur Verfügung zu stellen, ablehne; ferner sehe
sie sich gezwungen, den Frauen selbst die Beschaffung der nötigen
Geldmittel wie auch die ganze Organisation solcher Kurse zu über-
lassen. Indessen erklärten sich die meisten Professoren bereit. Vor-
lesungen an solchen Kursen zu halten, sobald die Erlaubnis des
Kultusministers zur Eröffnung derselben erfolgt und dieselben
organisiert sein würden.
Nun wandten sich die Frauen an den Kultusminister und 1869
erfolgte die Erlaubnis historisch-philologische und physikalisch-mathe-
mathische Vorlesungen für gemischte Zuhörer (Männer und Frauen)
zu eröffnen, weil dies geschehen konnte, ohne dass es nötig gewesen
wäre, irgend welche neuen Gesetze oder Verordnungen zu erlassen.
Solche populären Vorträge waren aber nicht das, wonach die Frauen
strebten; sie wünschten geregelte und streng wissenschaftliche
Kurse.
Da die Geldmittel zur Gründung einer Hochschule fehlten, so
begnügte man sich mit einzelnen Vorlesungen, die einen streng
wissenschaftlichen Charakter trugen.
Obschon viele Professoren ihre Vorlesungen unentgeltlich hielten,
so reichten die von Privatpersonen beschafften Geldmittel nicht aus,
um eigene Räume zu mieten. So mussten diese Vorlesungen lange
Zeit aus einem Auditorium ins andere wandern, und sämtlich abends
gehalten werden, was übrigens sowohl den Professoren wie auch
den Studierenden, die zum grössten Teile dem Lehrstande angehörten,
genehm war.
1870 schon wurden diese Kurse von 900 Studierenden besucht.
An der Spitze der Verwaltung stand schon damals und noch lange
Frl. Stassow, deren Bildniss für immer einen der Säle der jetzigen
Hochschule ziert.
Da die Hörerinnen aber mit sehr verschiedenen Vorkenntnissen ein-
traten, so wurde es den Professoren schwer, ihre Vorlesungen so zu
gestalten, dass allen gleicher Nutzen daraus erwachse; auch konnte
daher kein bestimmtes Programm eingehalten werden; denn während
der Jahre von 1870 — 1875 kamen und gingen die Zuhörerinnen, wie
es ihren Zwecken dienlich schien.
Nun hielt es die Verwaltung für an der Zeit ein geordnetes
Programm festzustellen.
Die bisherigen Vorlesungen hatten ihren Nutzen gebracht und
vielen Frauen, die später Medizin studierten, die hierzu nötige Vor-
bildung gegeben, so Mancher auch ermöglicht ihre Studienzeit im
Auslande abzukürzen.
— 166 —
Auch hatten die Frauen bei der Organisation sowohl als bei
den Kämpfen mit ziemlich spärlichen Gel(iaiitteln grosses administra-
tives Talent an den Tag gelegt.
Auch andererseits entsprach die Gründung dieser Kurse den
Wünschen der Regierung. Schon längst hatte die stete Aus-
wanderung unserer Frauen nach ausländischen Universitäten die
Aufmerksamkeit der Regierung erregt und es war auf Befehl
S. K. M. Alexander II eine Kommission ernannt worden, die Mass-
regeln treffen sollte der russischen weiblichen Bevölkerung, die das
Streben nach höherer Bildung in so bestimmter Weise an den Tag
legte, dies Studium in Russland selbst zu ermöglichen.
Die Kommission erstattete ihren Bericht und S. K. M. erliess
am 9. April 1876 ein Reskript, kraft dessen geboten wurde im
russischen Reich überall, wo die Notwendigkeit an den Tag trete,
üniversitätskurse für Frauen zu begründen.
Infolge dieses Befehls wurden die Kurse reorganisiert und
dem Professor Bestujeff-Rümen vom H. Kultusminister der Auftrag,
denselben vorzustehen. — Damit wurde 1878 die jetzige Hochschule
für Frauen begründet.
Die Studentinnen mussten beim Eintritt das Lehrerinnen-Diplom
aufweisen könnnen, sie hatten 50 R. (gegen 108 Mk.) jährlich zu
zahlen, sich zu verpflichten, die Vorlesungen regelmässig zu be-
suchen und sich an den praktischen Arbeiten im physikalischen und
chemischen Laboratorium zu beteiligen, sowie bestimmte Prüfungen
zu bestehen. Trotzdem gab das nach beendigten Studien erteilte
Diplom keine akademischen Rechte.
Die Kurse zerfielen in drei Fakultäten: a. eine historisch-
philologische, b. eine naturwissenschaftliche, c. eine mathematische.
Die Vorlesungen wurden von Professoren gehalten, die sich
eines europäischen Rufes erfreuten wie Bekettoff, Mendeleeff,
Butleroff, Setchinoff, Petruchevsky, Bauer, Wagner. Famintzin,
Müller u. a.
Ueber 800 Studentinnen besuchten die Hochschule. — Mit Ernst
und Eifer wurde gearbeitet, daher waren denn auch die Resultate
durchaus glänzende.
Vor dem Abgange hatte jede Studierende eine Dissertation ein-
zureichen und mehrere dieser Arbeiten zeugten von gediegenen
Kenntnissen, so dass viele Professoren sich Assistentinnen aus der
Zahl der die Entlassungsprüfung absolviert habenden Frauen
wählten. — Andere frühere Studentinnen der Hochschule erhielten
sofort Anstellungen als Lehrerinnen u«d Vorsteherinnen von Gym-
nasien und Seminarien, obschon das Diplom keinerlei akademische
Rechte gewährte. — Auch die späteren litterarischen Arbeiten der
früheren Studentinnen zeugten von hohem Ernst, den die Frauen
dem Studium entgegengebracht hatten.
Bei Eröffnung dieser Hochschule existierte kein Kapital und
die Geldmittel gestatteten immer noch nicht ein eigenes Heim
zu gründen.
Um die nötigen Geldmittel zu beschaffen, wurde 1878 ein Verein
gegründet, der Mitglieder beider Geschlechter aufnahm.
Schon am Schluss desselben Jahres fand man nötig, über eine
Ml^
— 166 —
eigene Wohnung zu verfügen und es wurde ein geeignetes Haus
gemietet. Die früher auf 6 Semester bestimmte Studienzeit wurde
jetzt auf 4 Jahre — 8 Semester — verlängert.
Dank den Bestrebungen des Komites, an dessen Spitze Frau
Philosofoflf stand und dessen Mitglieder, Frl. Stassoff, Fr. Tarnofsky,
Fr. Kovalevsky, nachmaliger Professor der Mathematik in Schweden,
Prf. Beketoff und Frl. Annentky waren, wuchsen die Geldmittel
bedeutend. Die Resultate der Arbeiten vieler Studierenden ver-
anlassten den Kultusminister der Hochschule einen jährlichen Zu-
schuss von 3000 Rubeln (gegen 6200 Mark) zu sichern. — Nun
schritt man zur Gründung einer Bibliothek und legte den Grund
zu physikalischen, chemischen und naturhistorischen Kabinetten.
Obschon nun aber die jährlichen Einkünfte bis zur bedeutenden
Summe von 60000 Rubel anwuchsen, so reichten sie doch nicht hin,
um alle Ausgaben zu decken und mehrere Professoren beliessen das
ihnen zukommende Honorar der Hochschule. Trotzdem gelang es
dem Komitee zu dem Bau eines eigenen Hauses zu schreiten.
Die Unkosten desselben beliefen sich auf 230000 Rubel. Seine
innere Einrichtung ist vortrefflich: die Auditorien sind gross und
luftig, mit bester Heizung und Ventilation versehen, in mehreren die
Bänke amphitheatralisch aufgestellt.
Im Gebäude selbst fanden die Kanzlei, die Bibliothek und die
Kabinette für Physik, Botanik, Zoologie und Mineralogie Platz. Zu
einem grossen chemischen Laboratorium mit den neuesten Ein-
richtungen für praktische Arbeiten gab Fräul. Rukovischnikoff
die Mittel.
Grosse Säle und breite Korridore nehmen die Studierenden nach
beendeten Vorlesungen auf. Eine Küche, ein Speisesaal und alle
übrigen Wirtschaftsgebäude schliessen sich dem Hauptbau an.
Das Komitee konnte in den 7 Jahren von 1878 — 1885 so be-
deutende Resultate nur erzielen, weil die Gründung der Hochschule
die Sympathie der ganzen russischen Bevölkerung erweckt hatte.
— Von den kleinsten Gaben aus weiter Ferne bis zu Tausenden
von Rubeln strömten die Beiträge herbei. Besonders grosse Summen
opferten Hr. und Frl. Sibiriakoff und Fr. Worontzoff-Wiljerminoff,
die sich auch jetzt stets bereit zeigen, die Hochschule mit Geld-
mitteln zu unterstützen. Nicht weniger dienten derselben die vielen
Personen, die ihre Arbeit und Zeit unentgeltlich boten ; der Stadtrat
hatte einen jährlichen Beitrag von 3000 Rubeln bewilligt.
So blühte unter den warmen Strahlen der Sympathie der
ganzen russischen Gesellschaft die Hochschule auf und reges Leben
und Schaffen machte sich bis zum Schlüsse des Jahres 1885 in
ihren Kursen kund.
Laut Forderung des Kultusministers wurde zu Anfang des
Jahres 1886 die Aufnahme neuer Studieienden bis auf weiteres
untersagt. — Es sollte eine Kommission vom Ministerium zur Durch-
sicht der Programme und der sich auf das Studium der Frauen be-
ziehenden Fragen gebildet werden.
Um die Hochschule nach Kräften zu stützen, reichte das
Komitee des Vereins im November desselben Jahres dieser Kommission
einen Bericht ein, in dem es auf Grund einer achtjährigen Erfahrung
1 :
-. 167 ~
die kulturhistorische Bedeutung und den moralischen Wert der-
selben besonders hervorhob. Die Hochschule habe stets gestrebt,
den Frauen eine allgemeine höhere Bildung zu ermöglichen; sie
habe und wolle keine speziellen oder professionellen Ziele verfolgen;
es bliebe also zu wünschen, dass die Vorlesungen von den be-
deutendsten Professoren gehalten würden und im Umfange und Ge-
halt denen der Universitäten gleich blieben; zum Studium dürften
nur geprüfte Lehrerinnen zugelassen und am Schlüsse der Studien-
jahre ein Universitätsexamen absolviert werden, damit man gebildete
Lehrerinnen für alle Gymnasialklassen erhielte.
Während die Kommission ihrer Aufgabe oblag, durchlebte die
Hochschule eine schwere Zeit. Die ersten Kurse, in denen die
Studierenden gewöhnlich am zahlreichsten waren, blieben geschlossen
und das dadurch entstandene Defizit machte sich auf die peinlichste
Weise fühlbar; denn in diesen Jahren stiegen die Kosten für jede
Studentin auf 226 R. und diese Mittel, sowie die Zinsen der auf
dem Hause lastenden Schuld hatte der Verein zu beschaffen.
Im Januar 1889, einige Monate vor den Entlassungsprüfungen,
die auch die letzten gewesen wären, reichte das Komitee S. K. M.
Alexander III. eine Bittschrift ein, in der es bat, die Aufnahme
neuer Studierender zu gestatten. Die Kommission hatte indes
folgende Bedingungen aufgestellt:
1. An der Spitze der Verwaltung solle ein vom Kultusminister
erwählter und verantwortlicher Direktor stehen und eine
ebenso vom M. eingesetzte Inspektrice die Aufsicht haben.
2. Dem Komitee des Vereins liege nur die Verwaltung des wirt-
schaftlichen Teiles ob, es habe die Geldmittel zu beschaffen
und sich einer Kontrolle des Staates zu unterwerfen.
3. Die Zahl der Studierenden müsse festgestellt und dürfe nicht
überschritten werden.
4. An den Kursen sollen nur zwei Fakultäten bestehen, eine
historisch- philologische und eine physikalisch-mathematische.
Die naturwissenschaftliche solle auf die neu zu eröffnenden
medizinischen Frauenkurse verlegt werden.
5. Für Studierende aus der Provinz, deren Familien nicht in
St. Petersburg weilen, müsse ein Pensionat eingerichtet werden
und ihnen nicht gestattet sein, bei ihnen unbekannten Privat-
personen zu wohnen.
Unter dieses Projekt schrieb S. K. M. eigenhändig: „Hiermit
bin auch ich einverstanden."
Die Generalversammlung des Vereins beschloss sofort, sich
diesen Bedingungen zu unterwerfen und es wurden Schritte zur
Herrichtung eines Pensionats gethan. Obschon dies nicht zu den
Pflichten des Vereins zählte, so that er es, um den Frauen aus der
Provinz den Eintritt in die Hochschule zu ermöglichen.
1894 wurde auf einem der Hochschule gehörenden Stücke Land
zum Zwecke dieses Pensionats ein eigenes Haus gebaut, das in
53 Zimmern 86 Studierende aufnimmt; es enthält ausserdem 2 grosse
Säle, Empfangszimmer und die Wohnung der Inspektrice. Medi-
zinische Hülfe erteilt ein Frauenarzt.
Ausser den Pensionärinnen ist es den in grösserer Entfernung
- 168 -
wohnenden Studentinnen gestattet, ihr Mittagessen für den geringen
Preis von 50 bis 60 Pfennig in der Pension zu erhalten.
Gegenwärtig hat der Verein 170 Pensionärinnen zu versorgen
und ist gezwangen gewesen, noch 4 Privatwohnungen zu mieten.
Er geht mit dem Plane um, ein zweites Haus zu bauen.
Seit 1889 ist der Zutritt zu der Hochschule für Frauen wieder
eröffnet und die Kurse zerfallen in 2 Fakultäten; eine historisch-
philologische, auf der folgende Gegenstände vorgetragen werden :
1. Theologie, 2. Physiologie, 3. Logik, 4. Geschichte der Philosophie,
5. Russische Sprache, 6. Altslavonisch, 7. Ueberblick der slavonischen
Dialekte und der Litteratur, 8. Geschichte der russischen Litteratur,
9. Litteratur der europäischen Völker, 10. Geschichte der slavischen
Völker, des Altertums, des Mittelalters und der Neuzeit, 11. Kunst-
geschichte, 12. Römische Litteratur und Latein.
Die physikalisch -mathematische Fakultät zerfällt in 2 Ab-
teilungen a und b.
In Fakultät a, der rein mathematischen, werden gelehrt: 1. The-
ologie, 2. Astronomie, 3. Mathematik, 4. Analytische Geometrie,
5. AJgebraische, Analyse, 6. Differenzial- und Integralrechnungen,
7. Physik, 8. Analytische Mathematik, 9. Anorganische Chemie.
In Abteilung b, der physikalisch-chemischen: 1. Botanik,
2. Physik, 3. Organische Chemie, 4. Kristallographie, 5. Differenzial-
und Integralrechnung.
Die Arbeiten in den Laboratorien sind obligatorisch und jede
Studentin hat noch gründliche Studien der deutschen oder franzö-
sischen Sprache zu machen und kann nach Belieben dem Sängerchor
der Kurse beitreten.
Die Zahl der Bittschriften um Zulass zum Studium wächst mit
jedem Jahr; Tausende von Werst weit kommen Lernbegierige herbei
und der Kultusminister sah sich veranlasst die Zahl der Zulassenden
von 400 auf 600 zu erhöhen. — 1895 stieg diese Zahl auf 695, trotz-
dem musste man 212 Bittschriften zurückweisen. Die 95 hatte
unser Kurator aus eigener Machtvollkommenheit als tiberkoniplett
zugelassen und davon S. K. Majestät in einer Audienz Mitteilung
gemacht, worauf unser junger warmherziger Kaiser gesagt haben
soll: Jedem, der lernen wolle, solle gestattet werden sein Wissen
zu erweitern, und der russischen Frau solle es ermöglicht werden,
in Russland selbst zu studieren.
Mit dem wachsenden Andränge von Studierenden hält auch der
Zuwachs an Geldmitteln Schritt; denn die Zahl der Mitglieder des
Vereins steigt mit jedem Jahre. Im Komitee, das die Hochschule
nach Kräften stützt, sind gegenwärtig: Fr. Lichatscheff Vorsitzende,
H. Pissetsky zweiter Vorsitzender, Fr. Tarnofsky Kassenführerin,
Fr. Waronin Schriftführerin, Fr. Netschaeif Verwalterin des
Internats. Ferner Mitglieder: Fr. Baronin Uxkyll v. Gildenband,
Fr. Kalmükoff, Fr. Filosofoff, Frl. Sibiujaikoff, Professor Grevs,
Professor Oldenburg, Fr. Sultanoff, H. und Fr. Korsakoff und
Fr. Koreyeff.
Als Schlusswort kann ich nur sagen: Schon längst sind die
früheren Studentinnen bei uns gesuchte Lehrerinnen in Schulen und
Gymnasien; in mancher Privatschule sind sie mit der Leitung des
— 169 —
Unterrichts bis in die oberen Klassen betraut. In manchem Hause
arbeiten Mann und Frau wie zwei gute Kameraden nebeneinander
an der Bildung der künftigen Generationen, und die Frau, welche
durch die Erziehung ihrer eigenen Kinder an ihr Haus gefesselt ist,
bringt ihremManne das volle Verständnis für seine geistige Thätigkeit
entgegen. Ausserdem ist es den Müttern ermöglicht ihre Kinder
nicht nur zur Schule vorzubereiten, sondern ihr Studium mit auf-
geklärtem Sinn und Rat bis in die Hochschule hinauf zu stützen.
Und dieses Zusammensein von Mutter und Sohn kann der Sittlichkeit
doch nur förderlich sein.
Tabelle der Zahl der Studierenden an der Hoohsohule fflr Frauen
naoh Jahrgänge Q.
1878 79
814
1884-85
851
1890-91
186
1879 - 80
789
1885 -86
779»)
ia91-92
278
1880-81
840
1886-87
527
1892-93
385
1881-82
980
1887-88
291
1893-94
467
1882-83
974
1888-89
140
1894 - 95
557
1883-84
905
1889-90
144 ♦*)
1895-96
695
Das Mädchengymnasium in Ungarn.
Von Herrn Dp. Bernhard Alexander, Universitäts-Professor, Buda-
pest, Delegierter des Landes-Prauenbildiings- Vereins.
Frauen-Bildung in Ungarn sonst und jetzt
1867 bis 1896.
Von Frau Constantia von Rudnay, geb. v. Veres, Vizeprftsidentin
desselben Vereins, Budapest, vorgelesen von Hrn. Professor
Dr. Alexander.
Verehrte Damen und Herren ! Nicht ohne Befangenheit ergreife
ich das Wort. Denn ich glaube, dass ich der erste oder der einzige
bin von dem anderen Geschlecht, der hier zum Worte gekommen
ist. Aber als Herr Universitäts-Professor Dr. Zoltan von Beöthy,
der hier anwesend ist, und ich, die Mission annahmen, in Gemein-
schaft mit der Frau Vizepräsidentin von Rudnay den Landes-Frauen-
bildungs-Verein in Budapest zu vertreten, leitete uns die Ueber-
zeugung, dass die Frauenfrage wohl eine Frage der Frauen, aber
nicht blos eine Frage ftir Frauen sei, dass wir ja alle daran in
höchstem Masse beteiligt sind und dass sonach jeder, der die Ge-
legenheit oder die Aufgabe hat, an der Lösung dieser Frage mit-
zuarbeiten, nicht nur das Recht besitzt, bei einer solchen Gelegen-
heit das Wort zu erheben, sondern wohl auch die Verpflichtung,
dasselbe zu ergreifen.
Uebrigens will ich nur ganz kurz zuerst einen Vortrag von
Frau von Rudnay verlesen, da sie durch die Krankheit ihres Sohnes
*) Die Aufnahme neuer Studirenden ist unterbrochen.
**) Die Aufnahme neuer Studirenden beginnt wieder.
_ 170 —
verhindert ist, ihrem heissen Wunsche nachzukommen und hierher
zu eilen. Sodann will ich in eigenem Namen Ihnen eine Mitteilung
tiher das Frauengymnasium in Ungarn machen, welches wohl ge-
eignet ist, Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Frau
von Rudnay, die Tochter von Frau v. .Veres, welche den Landes-
Frauenhildungs verein, ein hlühendes Unternehmen, gegründet hat^
wirft hier einen ganz allgemeinen Rückhlick auf die Bestrebungen
und Werke des Frauen Vereins. Ein Heftchen, das wir zu diesem
Zweck haben drucken lassen: „Der Landes-Frauenbildungsverein in
Budapest und das erste ungarische öffentliche Mädchengj^mnasium".
das in einigen hundert Exemplaren Ihnen zur Verfügung steht,
wird Ihnen über unsere Bestrebungen, unsere Werke und Thaten
eingehenderen Bericht erstatten, als dies in einem kurzen Vortrage
möglich wäre.
Frau von Rudnay schreibt über die Frauenbildung in Ungarn
sonst und jetzt — 1867 bis 1896 — folgendes:
Ich gedenke einen flüchtigen Blick auf die Zustände der
Mädchenerziehung in Ungarn, wie sie im Jahre 1867 waren, zu
werfen und sie mit den heutigen zu vergleichen.
Damals verursachte es einer ungarischen Dame grosse Mühe,
unter ihren weiblichen Gefährtinnen 22 solcher zu gewinnen, welche
es wagten, den Vorurteilen der Zeit mutig gegenüber zu treten und
die Absicht aussprachen, einen Verein zu gründen, dessen Ziel es
sei, einerseits den Frauen eine allgemeine höhere Bildung zu geben,
andererseits aber der weniger bemittelten weiblichen Jugend die
Gelegenheit zu solchen Berufsthätigkeiten zu verschaffen, die ihr
die Selbsterhaltung sichern.
Jetzt ist die Zahl der Freunde einer höheren Mädchen erziehung
Legion, nicht nur im Kreise der Frauen, sondern a'ach in dem der
Männer.
Später, als die ungarischen Frauen durch die Vermittelung- des
grossen Staatsmannes Franz Deäk mit der Unterschrift von neun-
tausend Damen ein Gesuch an das Abgeordnetenhaus einreichten,
dass das Land eine solche „Musterschule für höhere Mädchen-
erziehung" errichten möge, welche im ganzen Lande als Richtschnur
für den Unterricht der weiblichen Jugend diene, war der damalige
Unterrichtsminister der Ansicht, dass es wichtiger sei, wenn die
Frau aus dem Volke stricken könne, als wenn die den gebildeten
Kreisen angehörige Frau einer höheren Ausbildung teilhaftig werde.
Jetzt eröffnete die Gemahlin des Unterrichtsministers bei Ge-
legenheit des Landes-Kongresses für Unterrichtswesen die Sitzungen,
welche die Mädchenerziehung betrafen, und trat mit warmen, be-
geisterten Worten für die Sache der höheren Frauenbildung ein.
Damals bestanden für Mädchen keine öffentlichen Schulen, welche
eine Bildung höheren Grades verliehen; solche konnte höchstens-
durch Hauserziehung gewonnen werden und war gewöhnlich sehr
mangelhaft; nur in einigen Privat-Erziehungsanstalten, die zumeist
dem Zwecke der Erhaltung ihrer Eigentümer dienten, genossen die
Mädchen Unterricht in den Elementen der Wissenschaften und einigen
technischen Fertigkeiten. Aber man hielt es im allgemeinen auch
i
— 171 —
^arnicht für notwendig, — alle Achtung vor den Ausnahmen! —
dass die Mädchen lernten, indem man sagte: „Es genügt, wenn die
Frauen so viel wissen, dass sie sich, wenn es regnet, nicht unter
die Traufe stellen!"
Jetzt giebt es überall in unserem Vaterlande, neben systema-
tischen Elementarschulen, vorzügliche Mittel- und höhere Mädchen-
schulen; ausserdem bestehen Lehrerinnenbildungs - Anstalten für
Elementar- und höhere Mädchenschulen.
Schon vor 28 Jahren sagte eben jene Dame, die Gründerin des
Landes- F'raüenbildungsvereines, in einer Flugschrift: „Es ist über
jeden Zweifel erhaben, dass es solche Berufskreise giebt, welchen
sich das Wesen der Frau nicht anpassen kann 5 aber die Lehrthätig-
keit. der kaufmännische Beruf, das Post- und Telegraphenwesen,
die Pharmazeutik, die ärztliche Behandlung von Frauen und Kindern
gehören gewiss auch in jenes Gebiet der Frau, worin diese mit
dem ihr von der Natur vorgezeichneten Berufe nicht in Konflikt
gerät und neben der Sicherung der eigenen Existenz auch der
^Menschheit nützliche Dienste leisten kann."
Siehe da! jetzt steht die Verwirklichung jenes Traumes in
allen seinen Zügen vor uns, da der gegenwärtige, zielbewusste
Leiter des Unterrichtswesens, Dr. Julius Vlassics, mit Bestätigung
Seiner Majestät auch den Frauen die Universität eröffnet.
Ich glaube nicht, dass unter uns auch nur eine Person ist,
die nicht der Ansicht wäre, dass wir den eigentlichsten Wirkungs-
kreis der ?^rau in dem Familienleben suchen müssen. Ich kann
mich jedoch der Thatsache nicht verschliessen, welche die Statistik
in nackten Ziffern bekundet, dass die Zahl jener Frauen, welche
zu einem Familienleben nicht gelangen, in unseren Tagen wahrhaft
erschreckend gross ist, und folglich ist es die Pflicht der Gesellschaft,
auch für jene Sorge zu tragen.
Der Landes - Frauenbildungsverein, welcher mit der Devise:
„Lasst uns vorwärts schreiten!" auf seiner Fahne überall als Bahn-
brecher vorangegangen ist, verstand auch jetzt die Forderung der
fortschreitenden Zeit, „dass man der Frau Gelegenheit bieten müsse,
ihre hervorragenderen Fähigkeiten und Kenntnisse auch in den
leitenden Gesellschaftsklassen zu verwerten", und der Verein will
der sich gestellten zweifachen Aufgabe auch jetzt gerecht werden
und eröffnet in diesen Tagen sein Mädchengj^mnasium, welches schon
das Recht zur Abhaltung staatsgiltiger Prüfungen besitzt. Ausser-
dem will er dafür sorgen, dass die Frauen als gründlich gebildete
Wesen auch am Familienherde ihren Platz würdig ausfüllen, und
hat demgemäss neuerdings einen mit dem praktischen Erlernen der
Kochkunst verbundenen Haushaitun gs- Kursus errichtet. Der Verein
unterhält gegenwärtig in Budapest eine Elementar- und eine Bürger-
schule (Mädchen -Mittelschule), eine Lehrerinnen - Bildungs - Anstalt,
einen zweiklassigen Fortbildungs- und einen Haushaltungs-Kursus
und endlich zwei Klassen des aufzubauenden, a(fhtklassigen Mädchen-
gyninasiums; zusammen also 15 Klassen mit ungefähr 400 Schü-
lerinnen«
Ueber den Stand des gesamten ungarischen Mädchenschulwesens
vom Jahre 1895 geben folgende Daten einen U eberblick:
— 172 -
1. In 1381 Mädchen- und 14,224 Simultan -Volksschulen waren
826,291 Schülerinnen;
2. in 33 höheren Volksschulen 1467 Schülerinnen;
3. in 137 Bürgerschulen (Mädchen-Mittelschulen) 17,774 Schüle-
rinnen ;
4. in 23 höheren Mädchenschulen 4165 Schülerinnen;
5. in 19 Elementarlehrerinnen- Bild ungsanstalten in 1 Erzieherinnen-
Bildungsanstalt und 2 Bürgerschullehrerinnen- (Mädchen -Mittel-
schullehrerinnen-) Bildungsanstalt zusammen 1735 Zöglinge.
Ich möchte mir nun erlauben, jene Mitteilungen anzuschliessen,
welche ich in Bezug auf das Mädchengymnasium zu machen habe.
Es verdankt seine Entstehung einer grossen Wandlung, welche
in den offiziellen Kreisen über die Zulassung der Frauen zum Uni-
versitätsstudium eingetreten ist. Im Dezember vorigen Jahres ge-
schah es, dass eine königliche Resolution durch den Unterrichts-
minister erwirkt wurde, welche den Frauen gestattet, sich als
ordentliche Hörer an der Universität immatrikulieren zu lassen und
zwar in Philosophie und in der Medizin, — in der juristischen
Fakultät nicht — vorausgesetzt, dass die Frauen an einem Knaben-
gymnasium eine ganz den Regeln entsprechende Abiturientenprüfung
abgelegt haben, so dass von irgend einer Begünstigung, welche ja
auch die Frauen gar nicht verlangten, in diesem Falle nicht die
Rede sein kann. Es ist nur gleiches Recht für Alle, dass die Frau
immatrikuliert werden kann, wenn sie imstande ist, das Abiturienten-
examen abzulegen, ein strenges Abiturientenexamen zusammen mit
den Schülern, so dass der gleiche Massstab an die Leistungen
beider Geschlechter angelegt wird. Freilich giebt es oder gab es
sehr wenige Mädchen, welche von dieser Erlaubnis sofort hätten
Gebrauch machen können. Nichtsdestoweniger fand sich sofort eine
Dame, welche schon vor zwei Jahren das Abiturientenexamen ab-
gelegt und sich dann dem Lehrerberuf gewidmet hatte, die sofort
die Gelegenheit ergriff, ihre wohldotierte Stellung aufgab und nach
Pest eilte, um sich an der Universität immatrikulieren zu lassen.
Ich kann mitteilen, dass ich selber Gelegenheit hatte, die Kenntnisse
der jungen Dame zu prüfen, da dieselbe auch meine Vorlesungen be-
suchte, und ich kann hinzufügen, dass ich sehr froh wäre, wenn die
Hälfte der männlichen Zuhörer einen solchen staunenswerten Fleiss,
eine solche Hingebung für das Studium zeigen würden, wie diese
junge Dame. Damit aber war die Frage bei weitem noch nicht
gelöst. Denn die grösste Schwierigkeit liegt ja darin, wie die
jungen Damen das Abiturientenexamen ablegen sollen.
Wie es in Berlin Aushilfskurse giebt, so tauchte auch in
Budapest der Gedanke auf, solche Kurse zu errichten; und eine
der University-extension in England nachgebildete Anstalt, an
welcher sich mehrere Universitätsprofessoren beteiligten, eröffnete
lateinische, mathemathische und physikalische Kurse, um den jungen
Damen Gelegenheit zu geben, die Prüfung bestehen zu können.
Wir konnten uns aber der Ueberzeugung nicht verschliessen, dass
solche Veranstaltungen doch nur Stückwerk bleiben und den eigent-
lichen Bedürfnissen nicht vollständig entsprechen.
— 173 —
Es wird doch immer zu viel verlangt, wenn den jungen Damen
zugemutet wird, allen Vorurteilen, die sich ihnen entgegenstellen,
zu trotzen und ausserdem nicht einmal den regelrechten, ruhig fort-
schreitenden Unterricht zu geniessen, welcher die Knaben so ruhig
und sicher zum Ziele führt. In dieser Erkenotnis nahm der
Landes-Frauenbildungsverein die Sache in die Hand und setzte ein
Komitee ein, welches die Aufgabe hatte, die Angelegenheit eines
Mädchengymnasiums eingehend zu erörtern, und über Lehrpläne,
Organisation und Errichtung die nötigen Vorschläge zu machen.
Dieses Komitee tagte unter dem Vorsitz des hier anwesenden Prof.
Dr. Zoltan von Beöthy.
An diesem Komitee nahm auch ich teil, und wir arbeiteten einige
Monate, um das nötige Regulativ und den Lehrplan aufzustellen, die
sie auch in dem oben genannten Büchlein auseinandergesetzt finden.
Nun ist die Sache vollständig geordnet und es steht der EröflPhung
des ersten öffentlichen Mädchengymnasiums nichts mehr im Wege.
Der Landesfrauenbildungs verein wird in diesem Jahre die erste und
fünfte Klasse — bei uns ist 1 die unterste Klasse, 8 die höchste
— errichten. Für die fünfte KJasse wird es allerdingss nötig
werden, einen üebergangslehrplan in Kraft zu setzen, damit die-
jenigen, welche aus anderen Anstalten kommen, um in die fünfte
aufgenommen zu werden. Schritt halten können und der ganze
Lehrplan nach und nach durchgeführt werden kann. Der Frauen-
verein wird im nächsten Jahre die 2. und 6., im dritten die 3. und
7. und schliesslich die 4. und 8. Klasse ins Leben treten lassen,
denn bei uns hat das G-ymnasium 8 Jahrgänge. Das Mädchen-
gymnasium unterscheidet sich in gar nichts von einem Knaben-
gymnasium, was Organisation, Lehrplan und Ziele anbelangt. Es
hat dieselben Aufnahme-Bedingungen in Bezug auf Kenntnisse und
schulpflichtiges Alter und die gleiche Anzahl von Lehrjahren;
ebenso besteht auch hier die Bedingung, dass nur akademisch ge-
bildete Lehrkräfte unterrichten dürfen. Es steht also in keiner
Weise hinter einem Knabengymnasium zurück und in Erkenntnis
dieser Umstände, auf Grrund des Verzeichnisses derjenigen Lehrkräfte,
die sofort unterrichten werden, und des Lehrplanes konnte sich das
Ministerium der Ueberzeugung nicht verschliessen, dass es sich hier
um eine höchst ernsthafte Veranstaltung handelt und fand sich daher
bewogen, der ersten und fünften Klasse sofort das Eröffnungsrecht zu
verleihen. Es ist also kein Winkelgymnasium, kein geduldetes, das
von diesen oder jenen Faktoren abhängt, sondern ein öffentliches
Gymnasium, das gleiche Rechte für sich beansprucht, aber auch
die gleichen Pflichten zu erfüllen übernimmt, welche einem Knaben-
g\'mnasium obliegen. Es ist nicht an der Zeit, Ihnen über Lehr-
plan u. a. eingehendere Mitteilungen zu machen. Es möge genügen,
die Frage, die Sie ja am meisten interessiert, zu streifen, nämlich
wie es mit den klassischen Sprachen bestellt ist. Das Lateinische
wird an unserem Mädchengymnasium nur in 4 Klassen unterrichtet,
nämlich von der fünften bis zur achten. Wir bleiben damit natürlich
weit zurück hinter den Anforderungen, welche man an die Schüler
eines Realgymnasiums stellt, geschweige denn hinter den An-
forderungen, die an einem humanistischen Gymnasium gestellt werden.
— 174 —
Aber darüber sind schliesslich die Meinungen verschieden. Wir
halten dafür, dass ein so ungeheurer philologischer Unterricht nicht
von allgemeinem Nutzen ist, wir halten dafür, dass die Zwecke,
welche das Mädchengymnasium sich zu setzen hat, auch ohne so un-
geheuer belastende Unterrichtsweisheit im Lateinischen el*zielt werden
können. Das ist unsere Ueberzeugung. Das G-riechische wird an
diesem Gymnasium zum Unterschiede von Karlsruhe nicht vorge-
tragen. Wir können uns das gestatten, nachdem an unseren Knaben-
gymnasien das Griechische auch nicht für alle Schüler obligatorisch
ist; sondern von der 5. Klasse angefangen — was hier der Sekunda
entsprechen würde — können die Schüler das Griechische wählen
oder etwas Anderes. Das Frauengymnasium, das eine modern-
humanistische Schule sein will, hat natürlich nicht unterlassen, eine
andere Unterrichts weise zu wählen : es sollen, von der ersten Klasse
angefangen, lateinische und griechische Autoren in Uebersetzungen
gelesen werden, sodass dasjenige, was man von Gymnasiasten ver-
langt, gründliche historische und klassisch-litterarische Kenntnisse,
diese Hauptlehrziele, wie ich hoffe, auch an unserem Mädchengym-
nasium erreicht werden. Ich will nur noch bemerken, dass der
Erfolg im Publikum, wo ja sehr viele Vorurteile zu überwinden
sind, selbst bei den Frauen, wie Sie wohl auch erfahren haben
werden, ein glänzender genannt werden kann, da sich sofort achtzig
Schülerinnen gemeldet haben.
Das ist diejenige Mitteilung, die ich Ihnen zu machen hatte.
Ich glaube, dass dieselbe nicht jedes Interesses entbehrt, da ja in
solchen Fragen, so sehr jeder von uns seinen nationalen Standpunkt
betont und die allgemein menschlichen Aufgaben durch die Mittel
seiner Nationalität zu erreichen sucht, dennoch eine grosse
Solidarität des Menschengeschlechts vorhanden ist, jeder Fortschritt,
der in irgend einem Winkel der Welt erreicht wird, doch
dazu dient, die allgemeine Sache vorwärts zu bringen. Jede
Isolation auf demselben Gebiete ist von grösster Schädlichkeit. Des-
halb danken wir es den deutschen Frauen, dass sie einen inter-
nationalen Kongress zusammenberufen haben, und haben uns be-
müht, auch unser Scherflein zu demselben beizutragen.
Notes on Queen Margaret College.
The Women's Department of the University of Glasgow. *)
{Auszug aus einem eingesandten Vortrage von Janet M. Galloway,
Honorary Secretary of Q. M. College, Glasgow.)
The Position which the higher education of women has attained
since 1892 in Glasgow and the rest of Scotland has been the result
of many years of work and of slow but sure advance towards the
Chief object proposed to themselves by the workers, viz: the ad-
mission of women to advantages for education and culture such as
are offered to men by the Universities, and the recognition of syste-
matic study, carried out by women, by their admission, on the same
*) Miss C. J. Dodd hatte der Versammlung freundlichst einen
Auszug vorgelesen.
— 176 —
terms and conditions as men, to the Degrees and Certificates con-
ferred on male students.
The first step towards University Instruction for women in
Glasgow was made about thirty years ago, by the request of a
lady three Professors giving courses of lectures to women on the
subjects they taught in the University, which were very well at-
tended and much appreciated.
About ten years later, in 1876, an Association for the Higher
Education of Women was formed in order to provide more advanced
study with more System and completeness. Courses of lectures on
Logic, Moral Philosophy, Natural History, Physiology and Astronomy
were given by the Professors of these subjects in the University.
A Petition sent up by the Association to the Senate asking
iidmission for women to University degrees on condition of adequate
study and examination, was refused, the University having no power
to grant this request. Later on petitions were presented to Parlia-
ment by the Association asking to alter the laws so as to authorise
the Universities to provide education and gradation for women as
for men, — but it was notuntil 1892 that the Ordinance admitting
women to füll University Privileges became law. Meanwhile the
olasses under the auspices of the Association had been continued
with ^reat success and in order to ensure greater stability for work
aud a nearer approach to a füll Organisation on University lines it
was decided to incorporate the Association as a College and this
was done in summer 1883. In 1894 a lady bought for the College
a handsome building in extensive grounds and when in 1892 the
Ordinance was passed which authorised Scottish Universities to
provide instruction and gradation for women, the Council of Queen
Margaret College offered to band over to the University the College,
its buildings and endowments, on condition that these should be de-
voted to the maintenance of classes for women. The University
accepted the oflfer and the College is now part of the University of
Glasgow governed by the University Court and Senate, and its
students have all the Privileges of the male students, and are quali-
fied for the University Degrees in Arts, Science and Medicine. Under
the University government the College has prospered. Tt had last
Session 242 students, 72 studying Medicine, the rest Arts or Science.
Ten women have taken the Degree of M.B.Ch.M. (Bachelor of Me-
dicine and Master in Surgery), one of them gaining honours and
Standing second among the whole of the candidates.
The shortest time for the study for a Degree of M.B.Ch.M. is
üve years, the total cost of this study, including Hospital fees and
examinations may be reckoned at £ 128,7 or 2567 Mark.
La femme polonaise dans renseignement et dans
les OBuvres d'utilitö publique.
Par Madame Isabelle Moszczenska, deleguee de Varsovie.
II faut avouer que la litterature a et^ de tout temps pour les
femmes le terrain qu'on leur a le moins dispute. Aussi peut-on dire
que les femmes auteurs ont form^ dans tous les pays Tavant-garde
~ 176 —
de ridee d'ömancipation et eil es ont rendu de grands Services ä leurs
soeurs en profitant de leur liberte de s'adresser au public pour lui
faire entendre les besoins et les tendances du monde feminin.
Nous avons eu en Pologne depuis plus de deux siecles des
femmes poötes, romanciers, auteurs de trait^ pedagogiques, mais la
premiere qui a fait appel ä ses compatriotes pour leur faire prendre
une plus large part dans la vie publique c'^tait Narcise Zmichowska,
auteur et poete, qui s'est fait connaitre par ses oeuvres en 1840 a
peu pres. C'etait non seulement une femme d'un genie superieur^
mais encore un coeur noble et une äme sublime.
Zmichowska et ses amies, appelees g^neralement les Enthousi-
astes, etaient les precurseurs du moavement feministe. Ce n'etaient
pas des droits mais surtout des devoirs qu'elles r^clamaient. II n*est
peut-etre pas un seul point de notre Programme actuel qui ne fut
soulev^ et discute dans le petit cercle des Enthousiastes. EUes ont
fait resonner les premieres le raot d*independance et elles etaient in-
dependantes en effet, car, ni les moqueries, ni les persecutions, ni
les calomnies meme ne les detournaient jamais d'une action qu'elles
consideraient comme salutaire pour la soci^te.
Ces premieres lüttes de nos femmes ont eu un caractere d6mo-
cratique et humanitaire fort marque. C'est grace aux Enthousiastes
et ä Zmichowska surtout, que Fidee de Tabolition du servage est
devenue populaire, et quand la societe agronomique dans les ann^es
qui pr^cederent Tinsurrection de 1863 s'est mise ä discuter cette
grave question, les femmes polonaises se livrerent avec ardeur a
Tinstruction du peuple.
La catastrophe de 1863 coupa court a leurs nobles tentatives.
Les ecoles primaires fond^es par les femmes, ainsi que la soci^t^
agronomique furent abolies. On etablit des ecoles gouvernementale
et pour y enseigner il fallait obtenir un diplome et etre nomme pai'
le gouvernement. Les femmes ne tarderent pas a reprendre leur
täche dans de nouvelles conditions bien plus difficiles. Parmi ces
maitresses d^^cole de la nouvelle epoque la plupart ont mis un de-
vouement et un zele apostolique ä accomplir leurs devoirs. Sans se
contenter de Tinfluence qu'elles exergaient sur leure eleves elles ont
täche de gagner la confiance des parents, elles sont parvenues peu
ä peu ä reformer leurs mceurs et leurs idees et elles sont devenues
les genies protecteurs des villages.
Maintenant le nombre des femmes qui dirigent des ecoles pri-
maires dans la Pologne russe diminue de jour en jour car on ne
confie ces emplois qu'aux Kleves des seminaires pedagogiques et il
n'y a point de seminaires pareils pour les femmes.
Neanmoins celles-ci ne cessent point de s'interesser ä Tinstruction
du peuple. — En Galicie, oü elles ont plus de liberte, elles pren-
nent part aux travaux de la soci6t6 deTecole primaire et c'est sur-
tout gräce ä leur devouement et ä leur activite, que cette societe
parvient a augmenter le nombre des ecoles, dont le manque se fait
ressentir peniblement dans ce pays. Apres Vannee 1863 le mouvement
feministe est entre dans une nouvelle phase. Comme le pays etait
ruine, c'etaient surtout les questions ^conomiques qui ont acquis une
— 177 —
importance inconnue jiisque lä. La lutte pour Texistence, difficile
pour les hommes, a 6te doublement penible pour les femmes.
C'est alors que l'emancipation des femmes est devenne un point
important du program me d'un parti jeune encore, mais dont Tin-
fluence augmentait visiblement. On a tenu des Conferences, on a
publik des traitös dont un surtout „Le droit de la femme" par Mr.
Pradzynski a et^ fort applaudi. Mais ce sont surtout les femmes
memes qui ont le plus contribue k la r^forme, car elles Tont traitöe
d'une maniere sage et opportunee surtout. üne d'entre elles, celle
que nous ne saurons jamais glorifier suffisamment, Mme. Elise Orzeszka
a rendu des Services immenses ä Tid^e de T^mancipation de la femme,
eile Ta non seulement rendue populaire par ses romans — eile a
encore tenu des Conferences et public des traites sur la position et
les besoins de la femme. Ses idees ont ete bien accueillies par la
jeune generation des femmes et elles se sont livr^es avec ardeur ä
Tetude et au travail.
Les universites de Varsovie et de la Galicie n'ont pas et6
jusqu'a present accessibles aux femmes, aussi pour se vouer aux
etudes universitaires il leur a fallu frequenter les universites etran-
geres, surtout Celles de la Suisse et de la France. Les 6coles pr6-
paratoires manquent completement chez nous, donc afin d'acqu^rir
uDe Instruction necessaire pour suivre les cours, les jeunes etudiantes
etaient obligees de prendre des legons particulieres. II en resulte
que r Instruction superieure n'a ete accessible que pour Celles d^ antra
elles qui possedaient des revenus considerables, oü qui etaient d6-
cidees d'acquerir la science au prix d'un travail excessif, d'une vie
de gene et meme de misere.
En 1879, la preraiere femme docteur en medecine est venue
s'etablir ä Varsovie. Maintenant le nombre des femmes docteurs
est assez grand, mais comme le gouvernement russe les a privees du
droit de subir les examens officiels il y en a une grande quantit6
qui ne sont pas autorisees ä pratiquer. Celles qui obtiennent des
diplomes etrangers sont donc obligees de s'expatrier pour exercer
leur profession. Nous avons des femmes m^decins ä Paris, en
Suisse, en Egypte meme, — nous n'en avons que fort peu dans les
pays polonais.
II parait pourtant que cet etat de choses va changer
grace aux demarches faites par les Polonaises de la Galicie
pour rendre accessibles aux femmes les universites de Lemberg et
de Cracovie et pour obtenir du gouvernement autrichien le privilege
de la nostrification des diplomes etrangers. Le resultat de ces de-
marches n'a ete qu'un demi-succes. — Les universites de la Galicie
n'admetteht les femmes qu'en qualite d'hospitantes et la nostrification
des diplomes peut avoir lieu ä condition de subir des examens de ma-
turite dans un des gymnases de TAutriche sans compter les trois
examens obligatoires, dit: rigorosa.
Pour profiter de ce privilege les femmes de la Galicie viennent
d*etablir a Cracovie un gymnase pour les jeunes filles avec un plan
d'etude equivalant ä ceux des gymnases desgarQons. L'inauguration
a eu lieu le 4 septembre, c. a. Les dames de Tassociation de Kra-
12
szuski dont le but est de proteger les etudiantes polonaises, Mme.
Bujrid ä leur tete, y ont une large part de m^rite.
Nous possedons aussi un certain nombre d'ecoles professionelles
pour les jeunes filles. — A Varsovie les ecoles d'arts et metiers
sont tres nombreuses, mais, on leur reproche non sans cause de ne
faire que proteger le dillettantisme. II y en a pourtant plusieurs qui
fönt exception. II j a quelques annees la comtessePlater a fonde
une ecole pour les menageres dans son village de Chyliczki non
loin de Varsovie; lacomtesseZamoyska en dirige une autre ä Za-
kopane. On parle d'ouvrir ä Varsovie deux ecoles de commerce
pour les femmes et il parait que ce projet va se realiser cet hiver.
Bien que le travail professionel des femmes ne seit plus une
nouveaut^ chez nous, ce n^est que dans les dernieres annees qu'elles
ont fait des tentatives pour profiter des Privileges des corporations.
Depuis deux ans ä Varsovie la Societe pour proteger le com-
merce et rindustrie a accepte les femmes comme membres. Elles y
ont forme une section ä part et elles y deploient beaucoup d'activit^.
Cette section a engag6 les femmes d'adherer aux corps de metiers
et il faut avouer que ces corporations ne s'y sont point opposees.
Une grande quantite de couturieres se sont affiliees au corps des
tailleurs, et les fleuristes one ete autorisees par le magistrat de
former un corps ä part. Depuis plusieurs annees, les femmes de
Varsovie ont ete admises ä Tassociation des employ^s de commerce.
Elles n'y sont pas nombreuses encore, pas plus de 70, et elles pro-
fitent de tous les Privileges des membres ä Texception du droit
de voter.
Sans connaitre les difficultes que rencontre chez nous chaque
tentative d'exercer une influence quelconque sur les classes inf6-
rieures , on serait etonne que nous n'ay ons fait presque rien pour les
ouvrieres. — Ce n'etait pourtant pas la bonne volonte qui manquait.
Comme dans cette classe de femmes les conturieres sont les
plus nombreuses, et par consequent selon les dures lois de Toffre et
de la demande les plus exploitees, il a bien fallu s'occuper surtout
de leur sort. On a fonde des ecoles de couture pour les jeunes
filles pauvres et un asile pour les conturieres que la maladie ou le
chomage pousseraient ä la misere.
Mais c'est surtout en pedagogie que nos femmes travaillent
avec le plus de succes. Si je parle de succes, cela ne veut pas dire
que leur travail leur procure de grands revenus, de hauts eraplois,
on tout au moins une existence süre. Loin de lä, toutes les vic-
toires qu'elles remportent sont purement morales. C'est ä elles sur-
tout que nous devons de participer ä la grande reforme pedagogique
operee par Froebel. II y a vingt ans on ne se rendait pas compte
chez nous du besoin d'^ducation m^thodique pour les petits enfants
qui n^ont pas encore atteint leur sixieme annee. Puis, quand
Topinion s'est faite aux nouvelles idees, on faisait venir des specia-
listes de TAllemagne et de la Suisse; mais ces 6trangeres qui ne
connaissaient pas la langue natale de leurs Kleves ne pouvaient point
obtenir des rösultats qui auraient prouv^ la snp^riorit^ de leur
m^thode.
En 1887 on a ouvert a Varsovie le premier jardin d'enfants
— 179 —
du Systeme de PVoebel et actuellement, nous en avons 20 ä Var-
sovie et au moins un dans chaque ville de province. Outre cela
nous possedons des salles d'asiles pour les enfants pauvres. Leur
nombre a Varsovie monte jusquä 39 et elles sont frequent^es par
6000 enfants. Pour les enfants de 2—4 ans nous avons des ecoles
maternelles et des creches pour ceux qui n'ont pas encore atteint
cet ä^e.
L'education secondaire des jeunes filles s^accomplit dans les
gymnases entretenus par le gouvernenrent et dans des pensionnats
particuliers. Les gymnases n'ont rien de commun avec ces ecoles
qui servent de cours preparatoires pour les etudiantes futures. Ce
ne sont que des ecoles secondaires. Les institutrices n'y donnent
des legons que dans les classes inferieures et les Polonaises ne sont
tolerees que pour enseigner leur langue natale. Meme alors elles
ne sont payees qu'ä Theure et n'ont point de droit ä une pension
viagere.
Pourtant comme le nombre des ecoles n'est point süffisant et
que le gouvernement s'oppose äl'augmenter, les parents sont souvent
obliges de renoncer ä Teducation publique de leurs filles et de leur
faire donner des legons particulieres. Ainsi une grande quantit^ de
femmes trouvent moyen de vivre donnant des leQons et dans aucun
pays peut-etre les institutrices ne sont aussi nombreuses que dont la
Pologne russe. En general on peut dire qu'elles tiennent beaucoup
ä perfectionner leur methode et tout en donnant des legons elles ne
cessent jamais de s'instruire elles-memes. La plupart ne traitent
pas leur profession comme simple gagne-pain, elles Tembrassent comme
une vocation et c'est surtout gräce ä elles, que la femme polonaise
a du goüt pour Tetude et de Tamour pour la science.
Comme institutrices privees leur sort ne peut etre nullement
digne d'envie; elles n'ont meme pas la Chance de s'assurer une
existence tranquille pour leur vieillesse. Pour leur venir en aide,
on a fonde ä Varsovie un asile pour les institutrices qui ne sont
plus en etat de travailler et un pensionnat pour Celles que les cir-
constances obligent de chomer.
II y a quelques annees, les Varsoviennes ont fonde une caisse
d'epargne et de credit pour les institutrices et les gouvernantes.
Elle est administree par les femmes et les affaires vont tres bien.
Pour me resuraer je passe sous silence une quantite de bonnes
Oeuvres auxquelles nos femmes prennent part ou qu'elles entrepren-
nent elles-memes. Je puis vous assurer qu^elles ne manquent ni
d'energie ni de devouement et pourtant elles n'aboutissent qu'ä des
resultats infiniment petits. Mais ce n'est peut-etre pas leur faute.
Elles trouvent de la part du gouvernement nul appui et nulconcours.
Les difficultes sont si grandes, que, sans les connaitre, on ne
saurait les imaginer, mais loin de se decourager, elles persistent ä
leur besogne quelque rüde qu'elle soit.
Mesdames, je crois que notre presence en ce lieu est une mani-
festation süffisante de l'interet que nous portons ä vos lüttes. Sans
pouvoir vous preter main-forte, nous serons toujours la pour deplorer
vos defaites, pour applaudir ä vos victoires et nous ne doutons point,
qu'au terrae de votre route c'est le triomphe qui vous attend.
12*
Das Studium der Medizin In verschiedenen
Ländern.
Von Frl. Lydia Rabinowitsch, Dr. phil., Philadelphia, Delegierte
von Woman's Medical College of Pennsylvania.
Hochgeehrte Anwesende.
Im Namen des Woman's Medical College of Pennsylvania, d»
ältesten Frauen-Universität in Amerika, möchte ich den intemationak
Frauen-Kongress begrüssen.
Es bereitet mir ein besonderes Vergnügen hier in der grossea
Versammlung der Besten unseres Geschlechtes über das medizinische
Studium der Frauen in den verschiedenen Ländern sprechen m
dürfen.
Mein eigenes Studium in Russland, in der Sch-weiz und in
Deutschland, sowie meine Lehrthätigkeit in Amerika an einer Frauen-
Universität gaben mir Grelegenheit, einen tieferen Einblick in diese
uns so interessierende Frage za gewinnen.
Bei der Diskussion über das Studium der Frauen überhaupt
beruft man sich mit Vorliebe auf Amerika als demjenig-en Liande,
welches dem weiblichen Studium die Wege geebnet hat. — Ich
möchte deswegen auch vor allem über das medizinische Studium der
Frauen in Amerika sprechen, um dann einige Vergleiche mit Europa
anzustellen.
Es sind gegenwärtig 3 — 4000 Frauen in den Vereinigten Staaten
von Nord -Amerika als Aerztinnen thätig. Dieselben studierten
meistens an Frauen - Universitäten, den sogen. Woman's Medical
Colleges, da viele Universitäten für Männer, besonders im Osten
Amerikas, den Frauen nicht zugänglich sind.
Wenn wir gegenwärtig auch Hunderten von Aerztinnen in den
grösseren Städten Amerikas begegnen, so ist es doch auch dort erst
50 Jahre her, seit Frauen zum Studium zugelassen wurden. Es
fiel auch den amerikanischen Frauen nicht leicht, sich diejenig'e
Unabhängigkeit und Achtung zu erwerben, deren sie gegenwärtig-
allgemein sich erfreuen. Schwer und mit Dornen bedeckt war der
Weg, den sie zurückzulegen hatten, schwerer fürwahr als das
Studium an denjenigen Universitäten Europas, die gegenwärtig den
Frauen zugänglich sind.
Ich denke, es wird von Interesse sein, wenn ich in grossen
Zügen die Geschichte der ältesten Frauen- Universität, des Woman's
Medical College in Philadelphia, vortrage, als deren Vertreterin hier
zu erscheinen ich die Ehre habe.
Das Woman's Medical College of Pennsylvania oder die medi-
zinische Frauen-Universität zu Philadelphia wurde am 11. März
1850 gegründet. Es ist, wie die meisten Universitäten Amerikas,
keine Staats-, sondern Stiftungsanstalt. An der Spitze desselben
steht ein aus mehreren Mitgliedern bestehendes Komitee, welches
den geschäftlichen Teil leitet. Dieses bestand anfangs nur aus
Herren, später wurden auch Frauen zu Mitgliedern und sogar zu
Vorsteherinnen gewählt.
— 181 —
Die ZaM der immatrikulierten Frauen wechselt beständig; von
8 im ersten Jahre stieg sie allmählich bis auf 200.
Anfangs besass das College kein eigenes G-ebäude, der Unter-
richt wurde in zwei kleinen unansehnlichen Räumen erteilt. Die
Gesellschaft war grösstenteils so sehr gegen dieses Unternehmen,
dass kein einziger Prediger wagen wollte, beim Jabresakt das Gebet
zu halten. Keine medizinische Zeitschrift wollte die Ankündigung
der Kurse aufnehmen und kein Krankenhans konnte den Stu-
dentinnen den Besuch gestatten, da die Professoren und die Studenten
den Frauen die Anwesenheit ganz unmöglich machten.
Der Ausbruch des Krieges im Jahre 1860 hat im wesentlichen
die Lage der studierenden Frauen verbessert, indem er eine liberale
Strömung mit sich brachte.
Es gelang zu dieser Zeit dem Woman's Med. College auch
genug Mittel aufzutreiben, um ein Krankenhaus zu bauen und somit
ein eigenes Institut zu haben, wo die Frauen dem Studium und der
praktischen Thätigkeit obliegen konnten. — Die öffentliche Meinung
war aber auch dann noch g^^g^n das Studium der F'rauen und die
Zeitungen waren mit Schmähartikeln überfüllt. Die offizielle Er-
laubnis, die städtischen Krankenhäuser zu besuchen, hat Wut und
Spott bei den Studenten hervorgerufen. Doch konnte nichts die
Energie dieser Frauen brechen, sie hielten sich voll Würde und
Selbstbewusstsein , gingen ruhig ihren Weg, verschluckten dabei
zwar manche bittere Pille, gaben aber ihr Streben nach Wissen
nicht auf. Allmählich erhielt-n sie die Erlaubnis, die verschiedenen
Krankenhäuser der Stadt zu besuchen, wurden dann auch als
Assistenten und sogar als konsultierende Aerzte an denselben zu-
gelassen.
Im Jahre 1871 erlaubte die medizinische Gesellschaft des Staates
Pennsylvania Konsultationen mit weiblichen Aerzten, nach und nach
nahmen verschiedene gelehrte Gesellschaften sie als Mitglieder auf.
Der Zutritt zu den grossen Gesellschaften County Society, New-
York Academy, Pathological Society, Neurological Society wurde
allmählich gestattet.
In den Polikliniken haben sich die Aerztinnen als sehr tüchtig
erwiesen; und die Krankenhäuser, die ausschliesslich von Frauen-
ärzten geleitet werden, halten den Vergleich mit den anderen
Krankenhäusern ganz gut aus. Es giebt jetzt sogar in New-York
und Philadelphia ein Gesetz, nach welchem für die weiblichen Insassen
der Irrenhäuser weibliche Assistenzärzte angestellt werden müssen.
Die materielle Lage der Frauenärzte ist im allgemeinen gut;
es giebt viele, die ein Jahres-Einkommen von 10 bis 20 Tausend
Dollars haben. Auch die gesellschaftliche Stellung der weiblichen
Aerzte ist gegenwärtig eine sehr gute und nicht selten werden die
Aerztinnen auch zu öffentlichen Aemtern zugezogen.
Die meisten Aerztinnen in Amerika haben ihre Bildung an
Frauencolleges genossen. Aber an 35 bis 40 Universitäten studieren
Frauen auch mit Männern zusammen.
Es lag den Frauen sehr viel daran, auch die Pforten der Uni-
versitäten für Männer für sich geöffnet zu sehen, und sie thaten
ihr Bestes, um das zu erreichen.
— i«a —
Als die medizinische Fakultät der besten UniversitSt a
Amerika „John Hopkin's üniversity" in Baltimore eröffiiet wnrüe,
erkauften sich die Frauen das Eecht an derselben zu stadiereiL
Dies erklärt sich aus dem Umstände, dass die Universitäten n
Amerika Stiftungsanstalten sind.
John Hopkins, ein reicher Kaufmann in Baltimore, hatte seu
Vermögen zur Einrichtung der Universität hinterlassen; als man
bereits mit einem Teil der grossartigen Gebäude fertig* war, stellte
sich heraus, dass das vorhandene Geld nicht genügte, um das Unter-
nehmen zu Ende zu führen. Da kam eine reiche Dame zur Hilfe
Sie schlug vor, selbst 180000 Dollars zu geben, ebensoviel Geld
von den Frauen Amerikas zu sammeln und diese Summen der Uni-
versität mit der Bedingung zu übergeben, dass dieselbe dafür dai
Frauen zugänglich gemacht werde. Die 180000 DoUars worden
von den amerikanischen Frauen zusammengebracht und somit das
Recht zum Studium an der besten Universität erkauft.
Die Frauen meinen es also ernst mit dem Studium der Medizin
in Amerika. Auch die Bevölkerung hat sich bereits gewöhnt, die
Aerztin und überhaupt die studierende Frau als gleichberechtigtes
Mitglied anzusehen. Tst die Rede von Ueberfüllung des Standes,
so spricht man darüber im allgemeinen ohne zu betonen, dass die
Aerztinnen daran schuld seien.
Die kurze Zeit erlaubt mir leider nicht auf das Studium der
Medizin seitens der Frauen in Amerika weiter einzugehen. Ich
wende mich daher zu den Verhcältnissen in den anderen Ländern.
In England fing die Bewegung ganz klein an, erreichte aber
bald einen bedeutenden Aufschwung. An den Universitäten ist den
Frauen der Zutritt gestattet und ausserdem existieren besondere
Kurse für Frauen in Oxford und Cambridge.
An den französischen und italienischen Universitäten ist den
Frauen das Studium ebenfalls gestattet. In Schweden und N'or-
wegen studieren Frauen schon seit 1870. Auch in den Niederlanden
und Dänemark sind die Universitäten den Frauen geöffnet. In
Russland existierten früher die höheren Frauenkurse, welche auch
weibliche Aerzte ausbüdeten, wurden jedoch späterhin geschlossen;
doch wird im Jahre 1897 ein medizinisches Institut für Frauen in
Petersburg eröffnet werden, welches der medizinischen Fakultät der
Universitäten gleichkommt. Hunderte von Russinnen haben aber
bereits in Russland selbst und in anderen Ländern studiert.
Viele weibliche Aerzte besitzen in Russland eine grosse Praxis;
selbstverständlich hängt dies b^i den Frauen wie bei den Männern
von den persönlichen Eigenschaften ab. Wo die Frauen amtlich
als Aerzte angestellt sind, werden sie nicht selten vom Publikum
den Männern vorgezogen. Im offiziellen Bericht des Petersburger
Magistrats finden wir in Bezug auf die Frequenz der städtischen
Ambulatorien folgende Zahlen: auf einen männlichen Arzt kommen
im Jahre 5400—8000, auf einen weiblichen 7000 bis 11,600 Patienten.
— In der »Schweiz sind, wie bekannt, die Universitäten den F>auen
geöffnet. Beide Geschlechter studieren dort zusammen. Doch sind
die Studentinnen meistens Ausländerinnen: Russinnen, Polinnen,
Deutsche und Amerikanerinnen machen die Mehrzahl aus; Schwei-
— 183 —
zerinnen studieren selten. Ganz unberechtigter Weise wird zuweilen
die Meinung geäussert, es wären dort unerfreuliche Fälle vorge-
kommen. Ich habe 5 Jahre in der Schweiz studiert, habe das Leben
vieler dortiger Studentinnen zu beobachten Gelegenheit gehabt und
kann diese Meinung entschieden nicht teilen.
Aus dem Mitgeteilten sehen wir, dass das medizinische Studium
den Frauen bereits in vielen Ländern gestattet ist und hoffentlich
wird in der Zukunft das Studium der Frau nicht mehr als etwas
Ausserordentliches oder gar Widernatürliches betrachtet werden,
sondern als eine normale und durchaus berechtigte Erscheinung
unseres öffentlichen Lebens.
Und warum sollten die Frauen auch nicht Medizin studieren?
Freilich haben wir alle oft die Argumente dagegen gehört. — Es
heisst: die Frauen sind zu schwach, um wie Männer arbeiten zu
können, ihnen fehlt die Ausdauer, ihr Gehirn ist kleiner als das
des Mannes; sie heiraten und verlassen somit ihr Fach; sie sind
nervös und können deswegen ihren Beruf nicht gut ausfüllen. Das
Familienleben würde durch das verbreitete Studium der Frauen auf-
gehoben werden, denn die Frauen würden dann keine Zeit mehr
haben, ihre Kinder zu erziehen u. s. f. Mit einigen wenigen Worten
möchte ich diese Einwendungen berühren. Reicht die physische
Kraft der Frauen zum Beruf des Arztes aus? Ich denke, ich
wiederhole hier am besten die Antwort, die Prof. Erismann auf
dieselbe Frage vor einigen Jahren gegeben hat: „Den Beweis ad
hominem," sagt Prof. E., „dass die weiblichen Aerzte schwerer Arbeit
gewachsen sind, liefern diejenigen Frauen, welche die Stellen von
Landschaftsärzten einnehmen und deren Tagesarbeit sich folgender-
massen gestaltet: des Morgens Besorgung der Kranken im Kranken-
hause, sodann Ambulatorium; abends meistens Besuch von Kranken
in den Dörfern (grosse Entfernungen, schlechte Wege, Unbüden der
Witterung u. dergl.) Das ist eigentliche Herkulesarbeit; trotzdem
wird dieselbe von den russischen weiblichen Aerzten sehr gewissen-
haft und mit grosser Hingebung gethan. Wir kennen weibliche
Aerzte, die solcher Arbeit schon 5, 8 bis 10 Jahre obliegen und
sich dabei ganz wohl fühlen, obgleich zeitweise Ermüdung, wie
auch bei Männern unter diesen Umständen eintritt. Die russischen
Frauen halten diese Arbeit im allgemeinen ebenso gut aus wie die
Männer."
Die Aerztinnen, welche ich in verschiedenen Ländern kennen
gelernt habe, bezeugten mir meistens, dass ihre Thätigkeit trotz
mancher Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, einen günstigen
Einfluss auf ihre Gesundheit ausübt.
Dass das Studium der Frauen einen schädlichen Einfluss auf
das Familienleben ausübt, möchten wir auch sehr bezweifeln. Ein
Teil der Aerztinnen ist freilich verheiratet und setzt trotzdem seine
Praxis fort. Wir brauchen uns gewiss darüber nicht zu empören.
Der Ueberschuss der unverheirateten Frauen ist immer noch grösser
als die Anzahl der vorhandenen Aerztinnen, ausserdem giebt es
doch auch in anderen Ständen zahlreiche verheiratete Frauen, die
so gestellt sind, dass sie den Tag über arbeiten müssen um die
Familie ernähren zu helfen. Warum sollen es also nur die ver-
hältnismässig wenigen Aerztinnen sein, die das Familiea leben auf-
heben? Uebrigens geben sehr viele Ehefrauen ihre Praxis auf,
wenn der Mann wohlhabend ist; in diesem Falle sind aber die er-
worbenen Kenntnisse von segensreicher Wirkung auf das Familien-
leben und die Erziehung der Kinder.
Sehen wir noch einmal auf das G-esagte hin, so kooimen wir
zu dem Schlüsse, dass man in den meisten zivilisierten liändern be-
reits einsieht, dass es ein grosses Unrecht ist, den Frauen nur ihres
Geschlechtes wegen das Studium der Medizin zu verbieten.
Schweden, Norwegen, Dänemark, Belgien, die Schweiz, Frank-
reich, Russland, Italien, England und die Vereinigten Staaten Nord-
Amerikas geben den Frauen die Möglichkeit die medizinische Bildung
zu erwerben, warum bleibt gerade das Land, welches wissenschaftlich
am höchsten steht, darin zurück? Warum ist es immer noch eine
grosse Ausnahme, wenn eine Frau an einer deutschen Universität
zugelassen wird?
Ich gebe zu, dass es in Deutschland gegenwärtig einen grossen
Ueberfluss an studierten Leuten, besonders an Medizinern giebt und
dass es daher oft schwer ist, genügende Thätigkeit zu finden, aber
der ärztliche Beruf ist nicht der einzige, der solche Ueberfüllung'
aufweist. Vielmehr ist dieselbe in den meisten Berufsarten vor-
handen, und vielleicht gerade deswegen wird der Drang der Frauen
nach Selbständigkeit immer stärker. Müssen doch unwillkürlich
immer mehr Töchter einsehen, dass es den Eltern schwer fällt, die
Familie zu versorgen und müssen doch immer mehr Eltern voll
Angst und Ungewissheit auf das zukünftige Schicksal ihrer Töchter
hinblicken.
Viele deutsche Frauen studieren gegenwärtig an Universitäten
des Auslandes und immer klarer wird die Einsicht, dass auch in
Deutschland selbst die Wege sich bald ebnen müssen.
In Deutschland spezielle Frauenkurse einzurichten, wie in
Russland oder Amerika, scheint unratsam. Es w^ürden gewisser-
massen Universitäten zweiten Ranges werden; ausserdem würde der
Staat solche Ausgabe schwerlich übernehmen, so lange er praktisch
von den Leistungen der Frauen nicht überzeugt ist. Auf Stiftangs-
anstalten ist in Deutschland auch nicht zu hoffen. Es muss daher
so viel wie möglich danach gestrebt werden, dass den Frauen das
Studium an den bestehenden Universitäten gestattet werde, wenn
auch zuerst nur in Ausnahmefällen.
Solche Ausnahmefälle werden ihnen Gelegenheit geben, ihre
Fähigkeiten und ihre Liebe zum Studium zu beweisen. Auf diesem,
wenn auch langsamen Wege werden sich die deutschen Frauen ihre
Rechte wohl erwerben können.
In dem Lande, wo die Wissenschaft am höchsten steht, wird es
sich auch lohnen, den schwersten Kampf zu führen, um das Er-
sehnte zu erreichen. Mögen also die Leistungen der Studierenden
allmählich für ihre Berechtigung Beweis ablegen!
— 185 —
Expöriences d'une Femme-Mödecin ä Dolnja Tuzla
(Bosnie.)
Par Madame Theodore Krajewska, Dr. med., Medecin officiel ä
Dolnja Tuzla.
Mesdames et Messieurs!
J'arrive de Dolnja Tuzla, ville de la Bosnie, province occupee
par TAutriehe des 1878.
La distance qui separe Dolnja Tuzla de Berlin est grande, et
ce n'est pas seulement d'une distance geographique que je parle; je
constate et je souligne la distance, qui separe egalement ces deux
villes dans la marche de la civilisation et du progres.
D'un cote, nous avons Berlin, une ville d* IV2 million d'habi-
tants, centre de culture, oü les classes et les sexes s'emancipent, ou
la Population, sait vouloir et formuler ses desirs, ou la femme pense
et veut avoir le droit au travail et le libre clioix de son genre
d'occupation.
D'un autre cote Dolnja Tuzla, une ville de 10 mille habitants,
dont le nom ne vous est peut-etre pasencore connu, oü lapopulation
ne presente qu'un degre inferieur de developpement intellectuel, oü
les formes sociales, venues en partie d' Orient ecrasent la pensee, oü
les prejuges religieux entravent la vie meme.
A Berlin, la femme convoque un Congres international; a
Dolnja Tuzla il y a des femmes mahometanes qui sont esclaves de
leurs maris et de leur religion.
Pourtant la civilisation du XIX. siede ne connait pas les di-
stances: on parcourt le trajet entre Dolnja Tuzla et Berlin en 48
heures; on trouve cependant entre ces deux villes si diflf^rentes a
tant d'egards des ressemblances et des points communs.
A Dolnja Tuzla, comme ailleurs, il y a les gens qui travaillent
pour la civilisation et qui a leur grande satisfaction peuvent con-
stater les resultats de leur travail et la marche rapide du progres.
La Population bosniaque ne peut pas tracer le Programme des
innovations ä faire; eile ne peut pas formuler elle-meme ses desirs.
La civilisation y doit etre iraportee d'ailleurs, d'en haut; c'est
le gouvernement autrichien qui s'empare des reformes ä accomplir.
II trace les routes, creuse les canaux, il bätit des ecoles et des ho-
pitaux; les formes sociales anciennes et vermoulues tombent et fönt
place aux acquisitions modernes.
II arrive quelquefois qu'un homme de genie suffise pour frayer
la route au progres et pour eloigner d'un geste les difficultes, que
les esprits mesquins accumulent devant les idees nouvelles.
Dans plusieurs pays on discute encore la question de la femme-
m^decin.
En Bosnie, Mr. le ministre Kallay a introduit des femmes-me-
decins, payees par TEtat pour permettre aux femmes mahometanes
de se faire soigner, car leur religion ne leur permet pas de se confier
aux soins d'un homme.
C'etait ä Geneve, il y a 4 ans, qu'en sortant de la maternite
mon regard fut frappe par une affiche. Je m'en approchai et je la
— löö —
parcoarus. Elle annongait la mise au concoors par le ministere des
places de femmes-m^decins en Bosnle.
L'esprit large et humanitaire de cette institation tonte nouTdie
m'a charmee de prime abord. Apres unsdjonr desix mois äVio»
je fus nommee medecin officiel de DolDJa Tuzla au mois de mars 1898.
Je suis employee de TEtat et jo possede tous les droits d^iia
fonctionnaire. Mon devoir est de soigner la popnlation panvre de
Dolnja Tuzla, les mohametans, surtout; je suis egalement chargee
de faire des voyages dans les petites villes du distriet Dolnja Tiwli
et d'y visiter les familles mohametanes, oü je trouve parfois des
malades, negliges et ahandonnes sans secours m^dical }>endant des
annees. — On me convoque egalement comme expert pour des rap-
ports medicaux legaux, concernants les femmes mahometanes.
Je crois etre sous ce rapport un cas unique en Europe; nulk
part ailleurs les femmes medecins n^ont ete appelees jusquMci ä fone-
tionner comme experts medicaux devant les tribunaux.
J'ai donc occupe mon poste a Dolnja Tuzla pendant 3 annees
et demie et c'est avec mes observations et les r^ultats g^neranx de
mon activite pendant ce laps de temps que je me presente devant
vous.
Non seulement en Suisse mais meme a Vienne je me suis fre-
quemment trouvee en face d'opinions tout a fait erronees snr la
Bosnie.
Ce pays ^tait peut etre unecontree sauvage avant TOccupation.
A present il subit une transformation rapide et complete au
point de vue economique et social. C'est un pays pittoresque, mon-
tagneux, demi-oriental, qui fournit un terrain digne d^etre explore
par les touristes et par les hommes de sciences.
La Population indigene de la Bosnie est presque entierement de
race slave. La religion Ta divisee en 3 categories distinctes meme
au point de vue social: Nous y trouvons des mahometans, des catho-
liques et des orthodoxes.
Cette difference de religion a amene la difference du geore de
vie, des moeurs, des habitudes et des regles d'hygiene dans ces trois
classes de la population.
Les catholiques forment dans les environs de la ville Dolnja
Tuzla i)resque la moitie de la population rurale; ils se distinguent
par leur indolence et la resignation ä leur sort.
hes orthodoxes, qui forment surtout la bourgeoisie urbaine
commergante, presentent un type plus energique et plus severe, mais
sec et mefiant.
Les mahometans qui appartiennent soit ä la classe bourgeoise,
soit ä la classe rurale sont principalement de grands proprietaires
fonciers et representent Fancienne aristocratie du pays, qui vivait du
produit du travail de leurs serfs. Actu(41ement, rich^'s ou pauvres,
ils ont conserve leur dignite muette et melancolique et tiennent fort
a leurs traditions.
Le milieu, dans lequel je travaille est donc tres caracteristique
et les conditions de mon activite professionnelle sont toutes speciales.
Presque la moiti^ de mes clients sont des mahometans et c'est
d'eux que je me propose de vous parier.
— 187 —
La religion mahometane veut, que la femme ne se montre qu'ä
son mari et ä ses plus proches parents. Dans les familles conser-
vatrices, et teile est la majorite des familles mahometanes, on ne
fait pas d'exception meme pour un medecin. La maniere de vivre,
le mariage. la naissance, l'^ducation des enfants, les soins donnes
anx malades subissent du chef de famille une influenae considerable.
Les femmes sont Isoldes du monde exterieur. Elles ne re^olvent
point d Instruction, ne savent ni lire, ni ecrire. Les differentes
regles et preeeptes pour chaque circonstance de la vie, les choses,
les idees et les remedes passent en h^ritage de mere en Alle.
Les jeunes gens ä marier, et on se marie ä 13 ans quelquefois,
se connaissent ä peine, sevoient ä lad^robee, a travers les planches
d'une cloture. — Apres toute une serie de ceremonies la jeune
mariee est livree a son mari et eile commence la vie inerte d^un
sujet fälble, passif et nerveux, tout en possedant un developpement
physiologique precoce. La jeune mariee reste des heures entieres ä
fumer des cigarettes, a boire du cafe noir.
Une fois enceinte, la femme mahometane bouge encore moins;
eile reste des heures et des journees entieres dans une inactivit^
complete en attendant la delivrance.
Pendant les deux dernieres semaines avant raccouchement les
vieilles femmes de son entourage lui donnent a boire, meme pendant les
chaleurs de 37® de Thuile de foie de morue pour preparer raccouchement.
La parturiante accouche seiile sans sage-femme. Si raccouche-
ment ne suit pas le mecanisme physiologique tant pis pour la femme:
laissee sans secours medical eile meurt souvent avec Tenfant dans
son sein, ou, si eile survit aux suites des couches, eile est souvent
atteinte des affections uteiines chroniques.
La mere allaite son enfant pendant 2 ou 3 ans; eile tient le
nourrisson presque continuellement au sein. Si eile devient de nouveau
enceinte, c'est la grand' mere qui se Charge quelquefois des fonctions
de nourrice et eile präsente de temps en temps sa poitrine ä son
petit Als ou a sa petite Alle äg6e de 3 ans.
A la suite de cet allaiteraent prolonge la vie physiologique de
la mere et le developpement de Tenfant souflfrent.
La mere devient anemique ou osteomalacique; Tenfant apres
avoir subi tonte une serie de deform ations raehitiques du squelette
succombe souvent.
Apres avoir fini d'allaiter son enfant, la femme mahometane
s'occupe de son education. CV^st ä dire, eile lui teint les cheveux
et les ongles en rouge, le coiffe et lui nettoie la tete une fois par
semaine, le lave avec le bout des doigts, lui ehange la chemise,
quand la couleur de celle-ci est meconnaissable, mais eile n*oublie
Jamals d^orner sa fillette d'^cus vrais ou faux.
La vie sedentaire, la Ventilation insuffisante des chambres, Tabus
du cafe et du tabac amenent Tanemie et la nervosite des femmes
mahometanes. En passant des heures entieres a decrire aux autres
leurs differentes indispositions, elles exagerent et finissent par s'i-
maginer qu'elles ont toutes la meme maladie.
Une fois tombee serieusement malade, la femme deperit lentement.
Le mari conservateur laisse mourir sa femme plutot que d'ap-
— 188 —
peler un medecin. C'estvrai, qu^ apres la mort de sa femmc, meme
un mari tendre se console vite; il se remarie quelquefois 10 jours
apres la mort de sa femme.
Le divorce est tr^s facile chez les bosniaqaes mahometans. II
arrive qu'un homme äge de 70 ans, divorce pour la cinquieme fois,
prend une femme, ägee de 17 ans.
La polygamie n'est qu'exceptionelle. Si le mari possede denx
femmes, elles ont des attributions distinctes: une, la vieille, s'occupe
du menage; la jeune ne fait que cultiver sa beaut6.
Parmi toute une serie d'habitudes nuisibles ä la sante j'en ai
trouve chez les turques deux bonnes.
Les femmes mahometanes ne portent jamais de corset et ne
restent presque jamais debout; assises elles etendent les jambes. Les
formes du curps restent normales et esthetiques, la circulation de la
cavite abdominale n^etant pas genee, je n'ai observe presque jamais
des congestions du foie chez les femmes turques et je n'ai pas eu
un cas de varices des pieds ni des jambes. Les varices ne s'obser-
vent que rarement chez les femmes bosniaques orthodoxes, lesquelles
ne portent non plus de corsets mais travaillent durement.
Une fois etablie a Tuzla j'ai eu comme femme toute la facilite
possible de penetrer dans les harems, ces lieux fermes ä toute in-
fluence du monde civilise.
Je me suis fait le programme suivant:
1. m'approcher des femmes mahometanes;
2. par le contact continuel, visites repetees et prolong^es, exercer
une influence sur la maniere de vivre des femmes mahometanes,
et sur Teducation de leurs enfants;
3. combattre les prejuges et les usages nuisibles ä la sante;
4. faire comprendre la possibilite de la contamination par le con-
tact mediat ou immediat;
5. donner des secours m^dicaux ä la population mahometane;
6. faire pendant mes voyages dans les villes de province de la
propagande pour engager les femmes a se faire soigner.
Avec un peu de p^rseverance j'ai obtenu des resultats tres
satisfaisants sous plusieurs rapports.
Les femmes mahometanes m'appellent si elles sont malad^^s ; une
fois gueries elles me demandent de continuer mes visites en qualite
d'une bonne connaissance.
Pendant la premiere annee en 1893 sur 553 personnes soignees
par moi il y avait 202 mahometans:
En 1894 sur 613 malades 224 mahom.
„ 1895 „ 685 „ 377 „
Premier sem. „ 1896 „ 393 „ 191 „
2244 994
En ce qui concerne Tage et le sexe de mesclients mahometans,
j,ai dress^ le tableau suivant:
en 1893 18 hommes 125 femmes 59 enf.
en 1894 17 „ 151 „ 56 „
en 1895 21 „ 227 „ 129 „
Premier sem. de 1896 6 „ 134 „ 51 „
en somme 62 iT 637 „ 295 „
— 189 —
Les hommes me montrent beaucoup de confiance.
Daus la plupart des cas ce sont les maris qui viennent me
prier d' aller chez eux voir leurs femmes malades. Les femmes elles
memes ne viennent chez moi que rarement.
Je suis appelee pour toutes sortes de maladies: les maladies
internes, les cas chirurgicaux, gynecologicaux, obstetricanx, les ma-
ladies cutanees, nerveuses, — forment tour ä tour le materiel de
ma clientele.
Sous certains rapports je suis privil^giee vis-a-vis des autres
medecins: en faisant des voyages dans les petites villes de province,
il m'arrive souvent de pouvoir visiter pendant 2 — 4 ou 10 jours un
grand nombre de malades de 30 ä 100 par exemple.
En examinant a la fois une serie de malades, je peux constater
les analogies entre les maladies examinees, etudier le terrain, sur
lequel elles se sont d^veloppees, et tirer les conclusions n^cessaires
sur leur Ätiologie.
Tl m'est arrive de constater que la population mahom^tane
feminine vivant dans les conditions hygieniques semblables ou iden-
tiques presentent des entites morbides communes.
Dans une ville sur 64 cas examines j'ai constate 14 cas de
maladies du Systeme osseux (osteomalacie, rachitisme, mal de Pott).
Dans une autre ville sur 36 cas examines 11 cas apparte-
naient aux maladies nerveuses, neurasthenie, hysterie etc.
Dans une troisieme ville c'etait le rhumatisme qui etait pre-
dominant.
En ce qui concerne les cas obstetricanx j'ai ete appelee pendant
3 annees et demie en tout pour 99 cas d'accouchement et de suites
de couches. Le tiers de ces cas se rapporte ä la population maho-
metane. En g^neral les femmes mahometanes me montrent beancoup
de confiance.
Les femmes mahometanes en Bosnie se rossemblent ^normement,
car ni Tinstruction, ni la division du travail n'agissent pour les
differencier.
Pourtant meme dans ce milieu qui parait etre homogene ä force
d'etre obscur penetrent de temps en temps des rayons lumineux.
Les femmes mahometanes subissent Tinfluence de leurs maris et ac-
quierent par-ci par-lä quelques opinions, quelques debris de la pensee;
elles peuvent etre divisees en progressistes et conservatrices.
Les conservatrices ayant accepte mon secours, critiquent le
traitement, cherchent en meme temps les conseilsdVn hodja (pretre)
et attribuent la guerison plutot a celui-ci qu'a mon ministere.
Les progressistes, et leur nombre augmente actuellement d*un
jour ä Tautre, se fönt soigner tres volontiers et suivent strictement
mes conseils medicaux et prophylactiques.
Pendant T^pidemie de cholera, une jeune fille de 16 ans sur-
veillait elle-meme la cuisson de Teau potable, eile ne touchait ni
fruits, ni concombres et me demandait des explications sur le genre
de contagion du cholera.
Quelquefois mes clientes mahometanes parties de Dolnja Tuzla
fönt ailleurs de la propagande pour moi, elles pr^parent le terrain
en decrivant aux autres Tefifet d'un traitement rationnel et reussi.
Quand je trouve un moment libre, je vaia chez mes ancienne
elientes mahometanes et je leur preehe la propret^ dti corps, 1:
Teutilation dea chambres, le grand air, uoe nourriture tortiäaute e
saine. Je conibats avec toute l'energie poasible Tallaitement pro
longe, les mariages precoces, Tabus du cafe et du tabac et la paresse
Tout ce que je viens de dire aur lea usages et les pr^juges dei
mahomötanes en BosDie, moatre dans quel 6tat de dögönöresceno
phyaique, dans quelle apathie et dans queUe atrophie int«llectuelli
peut &e trouver uoeclasse iaol^e del'iDfluence de la culture pendam
des siecles.
D'un autre cöte j'ai montre les r^sultata qne j'ai obtenaa pen
dant 3 antikes et demie de ma pratique mödieale en Bosoie.
De cette maDiere, je vous ai fourni deux argumenta, qui par
lest en faveur de la n^cessile de l'instruction de la femme en g6
neral, et de rimportance extraordinaire de son Instruction eap^riean
en plusieurs cas.
Eingesandte Vorträge:
1) Aerztinoen In Bulgarien, von FrHulein E. Leventon, Dr. med.
Stadtärztin in Gabrovo (Bulgarien).
2) The Relation of Women to the University of Oxford, by Anni
H. Rogers, Hon. Seeretary to the Association for th
Edaeation of Woraen in Oxford.
Mittwoch, den 23. September, Yormittag 10 Uhr.'*')
Vorsitz: Frau Jeannette Schwerin, Frau v. Witt.
Die Arbelterinnen-Enquöte in Wien.
Von Frau Therese Schiesinger-Eckstein , Wien, Delegierte des
Allgemeinen Oesterreichischen Frauenvereins.
Meine Damen und Herren! Manche von Ihnen werden sich
vielleicht erinnern, dass ich über die Frauenbewegung in Oesterreich
nur einen unvollständigen Bericht geben konnte. Ich konnte unsere
politische Agitation nur streifen und über die Dienstbotenfrage, sowie
den Frauenrechtsschutz war es mir nicht vergönnt zu sprechen. Ich
konnte Ihnen auch damals nicht zeigen, in welchem Zusammenhange
die Frauenbewegung mit meinem heutigen Thema, der Arbeiterinnen-
Enquete steht.*) Fürchten Sie jedoch nicht, dass ich vielleicht heute
den Versuch machen werde, dies nachzuholen. Ich werde mich der
grössten Kürze befleissigen, einer Kürze, die zwar der Wichtigkeit
meines Gegenstandes nicht entspricht, aber Ihre Geduld nicht er-
müden wird.
Die Kommission der Arbeiterinnen-Enquete, die im März und
April dieses Jahres in Wien tagte, war aus Männern und Frauen
aller Parteistellungen und aller Lebensstellungen zusammengesetzt.
Die Anregung ging von der ethischen Gesellschaft in Wien aus,
bald aber beteiligten sich alle Kjreise, die an dem Loos der arbeiten-
den Bevölkerung thätigen Anteil nehmen. In 35 Sitzungen, ins-
gesamt 119 Stunden, durch Vernehmung von 300 Arbeiterinnen
und 14 Unternehmer-Experten aus 37 Branchen wurde ein reiches
Material zu Tage gefördert. Die Aussagen der Arbeiterinnen-
Experten machten schon dadurch den Eindruck vollster Glaub-
würdigkeit, weil bei allen eine seltene Gleichgiltigkeit gegen ihr
eigenes Schicksal zu Tage trat. Aufgewachsen im Elend, nichts
Anderes kennend, halten die Armen ihr Elend für etwas Selbst-
verständliches, es war keine Spur von einer Tendenz, nichts als
*) Redigiert von Jeannette Schwerin.
*♦) Der hier erwähnte Vortrag wurde wegen mangelnder Zeit nicht
ganz gehalten, aber in ganzem Umfange gedruckt; (S. 48 ft).
— lV2i
eine dumpfe Resignation, die erschütternder wirkte, als es Elaga
gethan hätten.
Die Leiden der Arbeiterin beginnen, um von ihrer vo^
nachlässigten Kindheit nicht zu reden, mit der Hiehrzeit. Von d»
Lehrmeister oder der Lehrmeisterin bis zur f^rschöpfnng ihnr
Kräfte ausgebeutet, besonders da, wo sie Kost und Quartier hat»
elend ernährt, fast gar nicht bezahlt, nur zu oft auch misshandiilt,
findet sie nicht einmal Gelegenheit, ihr Gewerbe zu erlernen. Man
überträgt ihr während der Lehrzeit immer ein und dieselbe Han-
tierung, die Fertigstellung eines Artikels wird als Geheimnis be-
wahrt. So vermag die ausgelernte Arbeiterin nichts zu machen
als eine einfache Hantierung, um so mehr, als die vielfach so ver-
breitete Akkordarbeit sie zwingt, mit ihrer Zeit furchtbar zu
geizen. Die Akkordarbeit hat sich überall als grosses Uebel ge-
zeigt, sie zwingt die Arbeiterin zu einer üeberhastung, die an sidi
nervenzerstörend ist. Sie lässt sie die Mittagsstunden durcharbeiten,
die Arbeitszeit bis an die Grenzen des Möglichen ausdehnen, wo es
irgend angeht, die Arbeit mit nach Hause nehmen, bei der sie dann
die halbe Nacht durchwacht. Besonders in dem wenig kontrollierten
Kleingewerbe ist die Ausnützung der menschlichen Kraft nichts
Ungewöhnliches, bei Damenschneidern wird oft die ganze Nacht
hindurch gearbeitet, gegen Morgen schlafen die Arbeiterinnen im
Arbeitslokal auf dem Fussboden oder einem Stuhl einige Stunden.
Wenn eine solche überlange Arbeitszeit eine brutale Ausbeutung
ist, wie erst dann, wenn die Arbeit mit der menschlichen und
speziell mit der Kraft des Weibes in gar keinem Verhältnis steht,
wie z. B. bei den Ziegel arbeit erinnen und Dachdeckerinnen, deren
Arbeit bei grauendem Morgen beginnt und bis zum späten Abend
währt. Die Ziegelarbeiterin muss schwere Karren mit Lehm oft
über hügeliges Land sehr weit schieben; die Dachdeckerin wird
vor einen Wagen gespannt, der mit 6 — 800 Kg. beladen ist, den
sie vom Werkplatz bis zum Bau oft zwei Stunden fahren muss,
während 2 Männer den Wagen begleiten. Auf die Frage, welche die
Kommission an einen männlichen Experten richtete, ob es denn niemals
einem Mann einfallen würde, der Arbeiterin die Last abzunehmen
und sich selbst vorzuspannen, antwortete er: „Das fällt wohl Nie-
mandem ein, denn ein Mann würde sich doch schämen, die Arbeit
einer Frau zu verrichten." Auf dem Bauplatz angekommen, muss
die Arbeiterin das Material auf das Dach schaffen über Leitern
und Treppen in jeder Hand ein Gewicht von 10 — 15 Kg.; es kommt
vor, dass sie an einem Tage 40 mal auf das Dach steigen muss.
In vielen Branchen giebt es Berufskrankheiten, die zwar durch
geeignete Vorsichtsmassregeln sehr eingeschränkt werden könnten,
die aber meist durch Knauserei der Arbeitgeber uneingeschränkt
wüten, wie in der Metallbranche, bei den Bürstenbinderinnen, Tabak-
arbeiterinnen und vielen anderen. In vielen Branchen ist Bleich-
sucht und Tuberkulose nichts Ungewöhnliches, in manchen sind
Fehlgeburten zur Regel geworden.
lieber die Sittlichkeitszustände wurde von den Arbeiterinnen
vieler Branchen geklagt. Es wurde behauptet, dass die Lehr-
mädchen das Freisprechen sehr oft mit ihrer Ehre bezahlen
— 193 —
müssen. Ganz Authentisches darüber zu erfahren, ist uns in der
Kommission leider nicht gelungen. Jede Expertin wollte es nur
vom Hörensagen wissen, keine gab zu, dass ihr selbst Gleiches be-
gegnet ist, was ja begreiflich ist, wenn man bedenkt, unter welchem
moralischen Druck derlei Aussagen gemacht werden. Leider ist ja
heute noch immer die Anschauung verbreitet, dass, wenn der Frau
durch physische Uebermacht Gewalt angethan wird, das vielmehr
der Ehre des Opfers als der des Gewaltthäters schadet.
Das, was man in bürgerlichen Kreisen sich unter Arbeiterelend
vorstellt, das müsste wohl als behagliches Leben erscheinen, gegen
die Art der Ernährung, von der wir bei der Enquete hörten.
Die Arbeiterinnen schämten sich einzugestehen, dass ein wenig
Kaffee, in dem keine Spuren von wirklichem Bohnenkaffee vorhanden
sind, der auch nur zum geringen Teil aus Milch besteht, meist
Wasser und Feigenkaffee, dass solcher Kaffee und Brot sie fast aus-
schliesslich ernährt, nur hie und da an Sonntagen können sie sich
etwas Fleisch, gewöhnlich Pferdefleisch gönnen. Die verheirateten
Arbeiterinnen sind etwas besser daran, am schlimmsten Wittwen
mit Kindern oder solche mit unehelichen Kindern. Die Arbeitslokale
entsprechen sehr selten den Anforderungen der Sanität; sehr oft
werden sie zu gleicher Zeit als Schlafräume benutzt, dazu kommt fast
immer ungenügende Reinlichkeit, ungenügende Heizung und Lüftung,
denn der Unternehmer spart an Heizmaterial und die frierenden, nur zu
oft schwächlichen Arbeiterinnen widersetzen sich dann selbst dem
Oeffnen der Fenster.
Wenn solche üebelstände seltener sind in der Fabrik, 30 leiden
doch die Arbeiterinnen weit mehr unter der Fabrikdisziplin. In
vielen Fabriken ist es bei Geldstrafe verboten, ein Wort zu sprechen,
empfindliche Geldstrafen für jede Minute Zuspätkommen sind das
Gewöhnliche. Li manchen Betrieben werden mittags die Lokale
gesperrt, so dass die Arbeiterinnen eine Stunde im Freien bei jedem
Wetter zubringen müssen, da sie meist zu entfernt wohnen.
Die Wohnungszustände der Arbeiterinnen sind äusserst traurig;
ganze Familien bewohnen eine elende Kammer, denn die Wohnungs-
preise sind in Wien sehr hoch. Die schlimmsten Zustände treten
in Ziegel werken zu Tage, wo drei und mehr Familien einen einzigen
elenden Raum bewohnen, dessen Fussboden aus Ziegeln besteht, wo
der Regen durch das Dach dringt, wo keine Kanalisierung, wo eine
Viertelstunde weit kein Trinkwasser zu flnden ist. Welche Pflege
da den Kindern zu teil werden kann, lässt sich leicht denken, nur
die wenigsten können leider in Kinderbewahranstalten tagsüber
untergebracht werden; die meisten bleiben der Obhut älterer Ge-
schwister überlassen, auf deren Schulbesuch das natürlich wieder
einwirken muss. Nicht selten habe ich hören müssen, dass die
Mutter allwöchentlich gezwungen sei, eine Nacht durchzuarbeiten,
um die Wäsche zu waschen und Kleider auszubessern.
Der Wochenlohn einer Arbeiterin beträgt 3—4 Gulden, sehr
oft weniger, selten mehr. Der Durchschnittslohn ist furchtbar gering,
wenn man die hohen Preise der Lebensmittel in Wien kennt, er ist
viel geringer, als ihn Männer in Wien für gleiche Arbeitsleistung
erhalten. Es ist aber auch ganz unzureichend, wenn man bedenkt,
13
n
- 194 -
dasa sehr viele Arbeiterinnen Monate lang Arbeitsloaigkeit zu «
tragen haben, die durch die Saisonarbeit entateht. Von dem TJi
fang diesea regelmässigen Arbeitsmangels macht man sich wohl keii
richtige Vorstellung. Sehr viele Unternehmungen haben nur wenif
Monate des Jahres ihren vollen Arbeitsstand. Sehr oft müssen d
Arbeiterinnen pünktlich des Morgens erscheinen und dann stunde]
lang, oft den ganzen Tag hindurch vergebens auf Arbeit warte:
ohne für ihre Zeit im Geringsten entschädigt zu werden. ^dli(
kommt aber die tote Saigon, wo unendlich viele Arbeiterinnen gai
entlassen werden. Es gelang der Kommission nicht, auch nur m
einiger Bestimmtheit zu ermitteln, wovon die Familien während d»
toten Saiaon leben. Einige haben Verwandte auf dem Lande, bei dent
sie Unterkunft finden, einige ernähren sich kümmerlich durch Wascht
und Nähen. Wenn ea bei den Theaterchoristinnen, welche dieKommissu
ebenfalla in den Kreis ihrer Erhebungen zog, mit entsetzlich)
Klarheit zu Tage trat, dasa dieae PVauen, die fast gar nicht bezah
werden und die noch ihre Garderobe sich selbst anschaffen müsse
auf die Prostitution als ihren Haupterwerb angewiesen sind, so liej
auch der Gedanke nahe, dass zahlreiche Arbeiterinnen, sowie sie d
Arbeit verlieren, durch die bitterste Not, durch den Hunger ihri
hilflosen Kleinen gezwungen sind, sich zu verkaufen — wieder ein Belf
dafür, wie leichtfertig und gedankenlos e.s ist, zu glauben, dass d
Prostituierten ihrem schändlichen Gewerbe durch ihre lasterhaf
K^igung zum Opfer fallen. Wer ea noch nicht gewusat hat, de
konnte es klar werden, dass die Pestbeule, die am Körper der G
Seilschaft frisst, dass die Prostitution eine Folgekrankheit des Druck
Ist, der auf der Arbeit lastet.
Wenn die Arbeiterin zu altem beginnt, wird es ihr imm
schwerer, sich auf ihrem Arbeitsposten zu erhalten oder gar :
einem neuen zu gelangen. Es giebt viele Branchen, in denen nie
eine Arbeiterin zu finden ist, die das 30. Lebensjahr Uberschritti
hat. Auch die alternde Arbeiterin ernährt sich kümmerlich s
Dienerin, Wäscherin, wohl auch als Bettlerin, und die ist noch a
besten daran, die ihre Kinder oder ihre Enkel pflegen darf.
Die Enqnete über Frauenarbeit hat die Notwendigkeit v(
vielen Reformen bewiesen, Reformen im Lehrlingswesen, die Nc
wendigkeit einer schärferen und weit verbreitete ren Fabrik- ui
Gewerbeinspektion, sowie deren Ausdehnung auf die Heimarbeit, d
Notwendigkeit weiblicher Fabrik Inspektoren, der Errichtung vi
Wöchnerinnenheimen, einer staatlichen Altersversorgung für A
beiterinnen und -solcher Gesetze, die die jugendlichen Arbeiterlnm
und die Schwangeven und Wöchnerinnen schützen, vor Allem d
Notwendigkeit der Ausbreitung und Kräftigung der Arbeiterinne
Organisationen, Die Enqu§te über Frauenarbeit hat reichlich
Material angesammelt, auf Grund dessen man hoffentlich noch vit
ähnliche Arbeiten ausführen wird. Ob unsere legislativen Körperschaft
entsprechend reagieren und dem Loos der Arbeiterinnen ihre Ai
merksamkeit zuwenden werden, dem sehen wir jetzt mit Spannu]
entgegen. Die Berichte in den Tagesblättern und die ErgebniE
der Enquete haben das Gewissen der bürgerlichen GesellBchaft vii
leicht ein Weniges im Schlummer gestört; es kräftig aufeurüttt
— 195 —
ist ihnen nicht gelungen. Unsere Aufgabe wird es sein, die Kunde
von dem entsetzlichen Elend, das uns durch die Enquete geworden
ist, immer und immer auf ^s Neue und so lange zu wiederholen, bis
es auch in die taubsten Ohren dringt.
Ueber Trade-Unions.
Von Miss Fiorence Routledge, London. Delegierte der Women's
Trades' Union League.
Es ist jedem, welcher der Lage unserer englischen Arbeiterinnen
irgendwelche Aufmerksamkeit geschenkt hat, nur zu klar, dass sie
sich in schrecklicher Hülfsbediiiftigkeit befinden. Eine grosse Anzahl
von ihnen leidet entsetzlich; Tausende leben geradezu am Rande des
Verhungerns. Arbeiten sie ausserhalb des Schutzes der Fabrik-
gesetze, so wird die Arbeitszeit bis zur äussersten Anspannung ihrer
Kräfte in die Länge gezogen.
Nach wenigen Stunden eines unerquickten Schlafes erheben sie
sich Tag für Tag, jahraus, jahrein, zu demselben Tagewerk einer
abtötenden, physischen Kräfteanspannung, und dies für einen Lohn,
der kaum hinreicht, um sie am Leben zu erhalten. Ersparnisse zu
machen, welche ihnen über Krankheitsfälle hinweghelfen oder ihnen
jene Gemütsruhe verschaffen könnten, die das tröstliche Bewusstsein
des Besitzes eines kleinen Reservefonds verleiht, ist eine Unmöglich-
keit für sie. Dies gilt in Bezug auf die Arbeiterinnen, die nur für
sich selbst zu sorgen haben; die Lage derjenigen indessen, welche
für andere sowohl als auch für sich selbst auf Broderwerb gehen
müssen, übersteigt jedes Mass des Erträglichen.
Ich weiss jedoch sehr wohl, dass in Bezug auf die harten Be-
dingungen, unter welchen so viele Frauen, ihr kärgliches Brod
erwerben, England nicht allein dasteht. Ich würde nach den
Informationen, die ich aus andern Ländern erhalten, allen denjenigen,
die für die Arbeiterinnenfrage in ihrem eigenen Lande ein Interesse
g(iwonnen, eine nur zu bekannte Geschichte wiederholen, wollte ich
einen ins Einzelne gehenden Bericht über die harten Entbehrungen
liefern, denen viele englische Arbeiterinnen unterworfen sind.
Die Thatsache, dass die grössere Anzahl der Arbeiterinnen Hülfe
dringend nötig hat, erfährt nirgend Widerspruch; es handelt sich
nur darum, wie diese Hülfe zu leisten ist, oder, wie wir Frauen
von grösserer Erfahrung, besserer Erziehung und mit mehr Muse
Methoden ausfindig machen können, durch welche die Arbeiterinnen
sich selbst zu helfen vermögen.
Ein kurzer Bericht über die Thätigkeit des „Verbandes der
Prauen-Gewerkvereine" ist eine teilweise Antwort auf diese Frage.
So entmutigend die Berichte über jeden Versuch, mit so tief einge-
wurzelter Not den Kampf aufzunehmen, auch sind, so haben nichts-
destoweniger die Mitglieder dieses Verbandes seit den 22 Jahren
seines Bestehens doch manch nützliches Werk vollbracht und sich
eine bedeutende Kenntnis über das Ijeben der Arbeiterinnen er-
worben; sie haben ferner ihr Möglichstes gethan, diese gewonnene
Kenntnis unter allen Klassen ihrer eigenen Gemeinden zu verbreiten.
18*
_ 196 —
Seit die sogenannte industrielle Umwälzung in der Baumwollen-
Industrie in Lancashire am Ende des letzten Jahrhunderts die Arbeit
aus dem Hause des Handwebers hinwegnahm und in die Fabriken
verlegte, haben Frauen ebenso gut wie Männer in diesen letzteren
gearbeitet; sowie die Männer begannen, durch Organisation ihre
Interessen zu verteidigen, scheinen die Frauen nicht ausgelassen
worden zu sein.
Aber Lancashire war eine Ausnahme; das stolze Wort des
Lancaster Arbeiters jedoch: „Was wir heute thun, thut das übrige
England morgen," ist in Bezug auf das Gewerkvereinswesen der
Frauen in gewisser Weise bewahrheitet worden.
Im Jahre 1874 fasste Mrs. Emma Paterson den Entschluss,
eine Gesellschaft ins Leben zu rufen, deren Zweck es sein sollte,
den Arbeiterinnen aus allen Industriebetrieben zu helfen, Gewerk-
vereine zu gründen. Mrs. Paterson war selbst, streng genommen,
keine Arbeiterin, obwohl sie als zu der Arbeiterklasse gehörig ge-
rechnet werden muss. Sie ist eine Zeit lang Sekretärin des „Ar-
beiter-Klubs und Instituts" gewesen, und ihr Mann, ein Buchdrucker,
hatte mit unermüdlicher Energie und Begabung für die Sache der
Arbeiter gewirkt. Mrs. Paterson verfügte daher über gründliche
Einsicht in die Sache.
Sie ging von der Thatsache aus, dass Frauen vielleicht mehr
als Männer unter dem Einfluss der Ansichten des Mittelbürgertums
stehen; dieses aber stand zu der Zeit der Sache des Ge werk Vereins wesens
völlig gleichgiltig gegenüber; der erste wichtige Schritt musste daher
sein, die Ansichten der Mittelklassen zu erziehen. Ausserdem
brauchte sie Geld, um ihre Propaganda weiterzuführen; sie brachte
daher zu ihren Arbeit er freunden noch ein Komitee von Gönnern
beider Geschlechter aus den Mittelklassen zusammen. Ihre Gesell-
schaft nannte sich „der Verband zum Schutz und zur Fürsorge für
Frauen"; der Titel „Gewerkverein" würde damals, wie man von
allen Seiten erkannte, der Sache verhängnisvollen Schaden gethan
haben. Als später in den ersten achtziger Jahren viele in der
Arbeiterbewegung hervorragende Männer den Bestrebungen des
„Verbandes" Aufmerksamkeit zu schenken begannen, wagten sie es,
sich „ Frau en-Gewerk verein und Fürsorge verband" zu nennen, denn
für Förderer von jener Seite her, hätte der frühere Titel „Verband
zum Schutz und zur Fürsorge für Frauen" eine Wohlthätigkeits-
gesellschaft bedeutet, deren Vorstände, trotz aller guten Absichten,
wahrscheinlich keine Kenntnis von Gewerbefragen vom Arbeiter-
standpunkt aus haben konnten.
Erst 1890 wagte es das Komitee, besonders um den Sparsam-
keitssinn anzuspornen, das Wort „Fürsorge" wegzulassen; dieses
war bis dahin noch behalten worden, um einigen Gönnern der Sache
Vertrauen einzuflössen, die auf die Thatsache besonderes Gewicht
legten, dass die gegründeten Vereine in Fällen von Krankheit und
Arbeitslosigkeit Unterstützung zahlten.
Kühn stellten wir uns nun hin als „Verband der Frauen-Ge-
werkvereine", indem wir es als Grundsatz feststellten, dass ein Ge-
werkverein je nach den Erfordernissen jedes besonderen Falles
Unterstützungen bewüligen kann oder nicht.
— 197 —
Mrs. Paterson begann nun in London verschiedene Vereine ins
Leben zu rufen. Einer derselben, der Verein der Buchbinderinnen,
besteht noch; doch kann derselbe als warnendes Beispiel dienen, in
Bezug auf den Erfolg der in gleicher Richtung sich bewegenden
Arbeit nicht zu sanguinisch zu sein. Der Verein bewilligt seinen
Mitgliedern in Fällen von Krankheit und Arbeitslosigkeit Unter-
stützung und hat in dieser Beziehung gute Dienste geleistet; er ist
jedoch unbedeutend geblieben, zählt nur ungefähr 200 Mitglieder
und hat nach gewerblicher Richtung hin gar keine Leistungen zu
verzeichnen, trotz der hingehendsten und unermüdlichsten Thätigkeit
der Sekretärin, einer Arbeiterin von ebensoviel Fähigkeiten und
Kraft selbständigen Handelns, als man vernünftigerweise zu finden
hoffen kann.
Eine grosse Anzahl anderer Vei*eine mit gleichen Statuten sind
in Frauen-Gewerben und für Frauen allein gegründet worden, haben
aber meistens dasselbe Schicksal geteilt.
Wenige haben ein so graues Alter erreicht; viele sind nach
kurzen Monaten eines kümmerlichen Daseins hingesiecht. Dennoch
haben sie dem einen oder anderen Zweck gedient und ihre Arbeit
ist nicht ganz und gar umsonst gewesen ; sie haben die Arbeiterinnen
zusammengebracht, sie zum Ueberlegen gezwungen und sie gelehrt,
dass sie wegen der Bedingungen, unter welchen sie gemeinschaftlich
arbeiten müssen, einander eine Pflicht schulden. Ausserdem dienten
sie als Kernpunkt, von welchem Mitteilungen erlangt werden
konnten, wenn der „Haupt- Verband" Spezialgesetze zu befürworten
hatte, oder wenn parlamentarische Kommissionen Untersuchungen
anstellten. Daneben haben sie die Inspektoren mit nützlichen Mit-
teilungen versehen können, wodurch dieselben befähigt wurden,
Ueberschreitungen der Fabrikgesetze ans Licht zu ziehen. Nichts-
destoweniger haben die Förderer des Gewerkvereinswesens für
Frauen doch mit Bitterkeit das Fehlschlagen ihres Hauptzieles
empfunden, nämlich: die Gründung von Ge werk vereinen nur aus
Frauen allein zusammengesetzt, die einen wirklichen Druck auf die
Arbeitgeber ausüben könnten und imstande wären, die Arbeits- und
besonders die Lohnbedingungen zu verbessern.
Einige Ausnahmen existieren allerdings. Dank den energischen
und ausdauernden Bemühungen seitens der Miss Marion Tuckwell,
Sekretärin des „Verbandes der Frauen-Gewerks vereine", wurde vor
einigen Jahren unter den Buchdruckerinnen und Falzerinnen ein
Verein gegründet, der viel Gutes erreicht hat. Er zählt etwa
300 Mitglieder und hat eine bestimmte Lohntaxe festgesetzt, welche
durch seinen Einfluss in mehreren Werkstätten angenommen worden
ist. Ob dieser Verein sich als föhig erweisen wird, das Feld zu
behaupten, kann man freilich jetzt noch nicht sagen Eine Mit-
gliederzahl von 300 Arbeiterinnen ist zwar ein guter Anfang, wenn
man aber die grosse Anzahl der Druckerinnen und Falzerinnen be-
denkt, die ausserhalb des Verbandes stehen, so kann die Mitglieder-
zahl für die Dauer nicht zufriedenstellend genannt werden.
Vor 8 Jahren gelang es Mrs. Annie Besant und Mr. Burrows,
infolge eines erfolgreichen Strikes, der grosses öffentliches Aufsehen
und viel Sympathie erweckte, einen Verein der Streichholzarbeite-
— 198 —
rinnen zu gründen, der noch besteht. Beide, Mrs. Besant und Mr.
Burrows sind indessen Persönlichkeiten von starker Individualität,
grossen Fähigkeiten und unermüdlicher Thatkraft; es ist sehr
zweifelhaft, ob die Arbeiterinnen, wenn nicht durch solche Persön-
lichkeiten begeistert, aus ihren eigenen Reihen jene Pührerinnen
hervorgebracht hätten, die die Fähigkeit besassen, den Verein bis
jetzt zusammen zu halten.
In Lancashire besteht, Denton als Zentralpunkt genommen, ein
blühender Frauenverein in der Filzhut-Industrie, der 1400 Mitglieder
zählt, und zu welchem alle Arbeiterinnen derselben Branche in den
kleineren Orten in der Nähe von Denton gehören. Dieser Verein
wurde, wie ich glaube, von den Arbeiterinnen ganz allein gegründet
und seheint eine wirklich erfolgreiche Sache zu sein. Man muss
aber bedenken, dass dies Grewerkvereinswesen aus dem Schoss der
Lancaster Frauen hervorgegangen ist, und vergebens wird man ander-
weitig in Grossbritannien nach solch vortreflPlichem Material suchen
können.*)
Es giebt ein Hauptgesetz, welches alle, die es unternehmen,
Gewerkvereine ins Leben zu rufen, nicht ausser acht lassen dürfen^
wie hartherzig auch die Ausübung desselben erscheinen mag. In
demselben Maasse, wie die Notwendigkeit, Arbeiterinnenvereine zu
gründen, hervortritt, in demselben Masse zeigen sich auch die
Schwierigkeiten, sie zu einer Vereinigung zu bewegen ; und wo das
Herz am meisten dazu treibt, die helfende Hand auszustrecken,
gebietet die Vernunft Zurückhaltung. Es ist nicht gerade die
Thatsache, dass die Veranstalter der mit vielen Kosten und grosser
Mühe zusammengebrachten Versammlungen schliesslich, besonders
wenn die erste Aufregung verraucht ist, doch nur ein halbes Dutzend
Frauen als Zuhörer haben und vor meistens leeren Bänken reden;
aber es ist eine schmerzliche Aufgabe, sich hinzustellen und die
*) Die wahre Schwierigkeit, Frauen zu organisieren, liegt nicht
in dem Mangel an intelligentem Interesse an der Sache des Gewerk-
vereios Wesens, sondern in den lesonderen Verhältnissen des Ar-
beiterinnenlebens. Sehr selten beginnt dieselbe ihre Arbeit in einem
Betriebe mit dem bestimmten Vorsatze, bis zu ihrem Lebensende bei
demselben zu bleiben. Eine gute eheliche Versorgung, die Hülfe
männlicher Angehörigen, alles dies trägt dazu bei, ihr Interesse an
der Wohlfahrt eines Gewerbes zu verringern, in welchem sie nur
eine Zeit lang arbeitet und dasselbe dann wie ein Zugvogel wieder
verlassen kann. Es erfordert ihrerseits keine geringe Selbstverleug-
nung, von ihrem Lohn von 6 oder 7 Sh. einen wöchentlichen Beitrag
von 2 d. zu bezahlen, und ebenso grosse Selbstaufopferung, nach
langer, harter Tagesarbeit noch einer Versammlung beizuwohnen.
Zudem haben eine grosse Anzahl unserer Arbeiterfrauen häusliche
Pflichten, die sie nicht bei Seite schieben können noch wollen und
welche Theilnahme an Versammlungen zur Unmöglichkeit machen.
Dazu kommt, dass ein grosser Teil der Arbeit als Hausindustrie von
den Frauen betrieben wird, sie wissen daher wenig oder gar nichts
von anderen Arbeiterinnen desselben Gewerbes. Es lässt sich also
erklären, dass es nahezu unmöglich ist, diese Einzelarbeiterinnen zu-
sammenzubringen und sie mit einem gewissen Esprit de corps zu
erfüllen.
— 199 —
Frauen zu tiberreden, von ihrem hart verdienten Lohn einen,
wenn auch noch so kleinen wöchentlichen Beitrag zu geben; noch
dazu für die Bildung eines Vereins, welcher nach allen gemachten
Erfahrungen niemals imstande ist, für sie irgend einen wirklich
greifbaren Vorteil zu erreichen. Wenn man völlig aufrichtig ist,
so kann man zu diesen Arbeiterinnen nur schwer in jenem Tone
sprechen, der sie mit genügendem Enthusiasmus erfüllen könnte,
zu Hunderten in den Schutzbann eines Grewerkvereines zu ziehen.
Nach solchen Erfahrungen über die fast unübersteiglichen
Schwierigkeiten, Gewerk vereine für Frauen allein zu gründen, widmet
der „Verband der Frauen-G-ewerk vereine" jetzt seine grösste Kraft
denjenigen Arbeiter- Gewerk vereinen, welche Frauen als Mitglieder
aufnehmen. Die Frauen werden durch den Einfluss der Männer,
mit denen sie in denselben Fabriken zusammenarbeiten, zu regel-
mässigeren Zahlungen veranlasst, auch haben sie mehr Vertrauen,
sich einer Sache anzuschliessen, die hinreichend stark ist, um wirk-
liche Vorteile für sie erzwingen zu können.
Jedes Jahr nehmen Delegierte des „Frauen- Verbandes" an der
Generalversammlung der Gewerkvereine teil, zu welcher die Führer
derselben aus allen Teilen Grossbritanniens zusammenkommen.
Dieser Kongress wird jedesmal in einem anderen Industrie-Zentrum
abgehalten; dadurch ist der „Verband" imstande, wegen Arbeits-
gelegenheit mit denjenigen zu unterhandeln, deren gründliche
Kenntnis der Arbeiterbewegung den schätzbarsten Rat geben kann.
Jedes Jahr wird nach dem Kongress eine Rundreise veranstaltet,
und in alle verschiedenen Ortschaften werden Redner gesandt, welche
die Arbeiterinnen ermutigen sollen, als Mitglieder den Vereinen bei-
zutreten. Ein bezahlter Organisator ist ausserdem angestellt, der
in allen Orten, wo Aussicht auf guten Erfolg vorhanden ist, einen
längeren Aufenthalt nimmt.
Es hängt natürlich viel von der Hingabe, Energie und Be-
gabung eines solchen Wanderorganisators ab; und die Sache des
Frauen-Gewerkvereinswesens ist durch die gegenwärtige Organisatorin
des Verbandes, die unermüdliche Mrs. Marland Brodie, ganz be-
trächtlich gefördert worden.
Im Anfang Hand Wirkerin in einer der grössten Lancashire
Baumwollenfabriken, Autodidaktin und mit viel gesundem Menschen-
verstand begabt, hat sie sich von allen Seiten die grösste Zu-
stimmung erworben.
Eine kurze Zeit lang war sie Lady Dilke's Privat-Sekretärin,
und erwarb sich durch diese erfahrene und hochbegabte Förderin des
Frauen-Gewerkvereinswesens eine höhereAnschauung der Arbeiterfrage.
Neben ihrer Begabung für praktische Thätigkeit besitzt Mrs.
Marland Brodie einen scharfen humoristischen Sinn, der ihr als
Rednerin von grossem Werte ist« Ganz und gar ohne Ziererei,
einfach und ohne irgend welches Bestreben, aus ihrer Klasse heraus-
zutreten, hat ihre gerade, aufrichtige und offene Katur ihr die
Freundschaft von Personen der verschiedensten Stellungen aus allen
gesellschaftlichen Klassen erworben. Der Erfolg der Frauen-
Gewerk Vereinsbewegung in England hängt zum grossen Teil von
der Entdeckung noch anderer Mrs. Marland Brodies ab.
— 200 —
Da die Erfahrung uns gelehrt, dass die am schwersten be-
drückten Frauen sich selbst durch freiwillige Verbindungen nicht
helfen können, so scheint es, dass für sie die einzige Aussicht auf
Verbesserung ihrer Lage nur durch einsichtsvolle Gresetzgebnng
erreicht werden kann.
Von allen Ländern Europas ist England die Schutzburg per-
sönlicher Selbstbestimmung, und die Lehre der alten Schule der
National Ökonomen übt noch immer eine grosse Gewalt über viele aus.
Es ist vielen noch kaum zum Bewusstsein gekommen, dass die
freie Konkurrenz, für den Arbeiter thatsächlich nur dem Namen
nach frei, kein Grundsatz i^t, dem man in der Industrie mit Sicher-
heit folgen kann; eingedenk mancher veralteten Bestimmungen, die
als Vermächtnis des Mittelalters schwer auf die Gewerbe drückten,
als mehrere unserer früheren Nationalökonomen ihre Werke schrieben,
betrachten sie jede neue durchgehende Bestimmung nur mit Furcht.
Diese den Schutzgesetzen für Frauen feindliche Richtung ündet
am meisten unter j(^nen Damen der Mittelklassen Anhang, die ohne
besondere Kenntnis der Arbeiterfragen mit schätzbarem Erfolg für
gleiche politische und Bildungsrechte der Männer und Frauen ge-
arbeitet haben. Sie sehen in allen nur für Frauen und nicht auch
für Männer erlassenen Gesetzen eine Verleugnung jener theore-
tischen Gleichheit, zu deren Verteidigung sie alle ihre Kräfte und
Pähigkeit«^n aufgewendet haben.
Die Frage, wie weit es sicher ist, gesetzliche Beschränkungen
nur auf Frauenarbeit und nicht auch auf Männerarbeit zu legen,
ist unzweifelhaft sehr schwer zu lösen. Jeder Fall muss nach seiner
eigenen Beschaffenheit entschieden werden; es ist deshalb unmög-
lich, Fabrikgesetze nach streng abstrakten oder allgemeinen Vernunft-
grundsätzen zu erlassen.
Alle diejenigen, welche mit den wirklichen Thatsachen des
Arbeiterlebens bekannt sind, wissen sehr wohl, dass die Beschrän-
kungen, welche Frauen auferlegt w^erden, diese fast in keinem Falle
an dem Wettkampf derart hindern, dass sie zu Gunsten der Männer
unterliegen. „Die Frau ist noch immer ein billioferes Arbeitstier''
von des Arbeitgebers Standpunkt aus, trotz aller Gresetze, die schon
gemacht sind oder noch gemacht weraen. Männer werden niemals
einwilligen, lange Arbeitsstunden für den niedrigen Lohn zu arbeiten,
welchen die schlimmste Klasse der Arbeitgeber den nachgiebigeren
Frauen aufzwingt.
Die sorgfältige Beobachtung der Gesetze wird von allen den-
jenigen, welche sich für die Arbeiterinnen- Bewegung in England
interessieren, als eine Sache betrachtet, welche ebenso viel gute
Früchte bringt, wie die Bildung von Gew^erk vereinen.
In allen denjenigen Betrieben, welche durch die Konkurrenz
der Frauen bedroht wurden, haben die Männer natürlicherweise sich
allgemein bemüht, dieselbe von Anfang an zu beseitigen. Sobald
die Frauen in die Konkurrenz treten, zeigen die Löhne eine Tendenz,
hinunterzugehen. Zuerst giebt es zwei Taxen, eine für Männer und
eine niedrigei-e für Frauen, die, froh darüber, dass sich ihnen ein
neuer Betriebszweig eröffnet, unglücklicherweise niedrigeren Lohn
annehmen. Zuerst wird die beste Arbeit den Männern gegeben;
— 201 —
aber in dem Grade, wie Frauen ihre Befähigung beweisen, fällt
die erstere nach und nach in ihre Hand, falls die Männer nicht ein-
willigen, für niedrigeren Lohn zu arbeiten. Es ist natürlich eine
der wichtigsten Angelegenheiten der Gewerkvereinsführer, dieses
Unterbieten des einen Geschlechts durch das andere zu verhindern;
zu gleicher 2ieit muss aber eine grosse Schwierigkeit ins Auge ge-
fasst werden, wenn es zu der Frage „gleicher Lohn für gleiche
Arbeit" kommt.
Es ist zunächst nicht immer leicht zu entscheiden, was von des
Arbeitgebers Standpunkt aus „gleiche Arbeit" ist. Die Beschäfti-
gungen von Frauen und Männern in derselben Fabrik macht oft
Veränderungen in baulichen Einrichtungen nötig, und die Arbeit-
geber rechnen aus mancherlei Gründen mit grösseren Unregelmässig-
keiten in der Arbeit seitens der Frauen.
Ein Arbeitgeber, welcher Schreiber beiderlei Geschlechts be-
schäftigte, sagte mir einst: „Ein Mann, der sich verheiratet, arbeitet
nm so fleissiger, während bei einem Mädchen in gleichem Falle alle
Regelmässigkeit in der Arbeit aufhört".
Die Furcht vor der Konkurrenz der Frauen hat die Arbeiter
zuweilen ganz unvernünftigerweise dazu verleitet, sich der Bildung
von Frauengewerkveinen zu widersetzen; haben sie aber einmal das
Eindringen der Frauen in die Fabrikarbeit als feststehende That-
sache erkannt, so sind sie meistens zu der Ueberzeugung gekommen,
dass durch die Bildung von Frauen-Gewerkvereinen die schlimmsten
Folgen der Konkurrenz in gewissem Maasse abgewendet werden
können.
Mit Freuden kann ich konstatieren, dass die Arbeiter selbst
uns oft Hilfe geleistet haben und zwar ohne irgend welche selbst-
süchtigen Gründe; verschiedene Ge werk Vereins vorstände haben unserer
Sache aus keinem anderen Grunde Zeit und Geld gewidmet, als
dass sie es als eine Ungerechtigkeit ansehen, dass die Frauen für
harte Tagesarbeit keinen besseren Lohn finden sollten. Das Gewerk-
vereinswesen der Frauen in England ist am erfolgreichsten in den
nördlichen Distrikten, teils wegen der geistigen Eigenschaften der
Bevölkerung, teils wegen der günstigeren industriellen Zustände.
Wie im Norden die Arbeitervereine am stärksten sind, so ist
dort auch die Anzahl der Frauen als Vereinsmitglieder am grössten.
Nach allgemeiner Schätzung giebt es in Grossbritannien etwa
100000 organisierte Frauen, von diesen sind 95% in der Textil-
industrie beschäftigt. Von den Baumwollenweberinnen in den nörd-
lichen Distrikten gehören etwa 60% einem „Verband" an.
In den Distrikten, aus denen sich der Gewerkverein der
schottischen Spinnereien und Fabriken rekrutiert, sind etwa 50%
der Frauen Vereinsmitglieder, und von den Nottingham und Lei-
cestershire Strumpf wirker-Aj:*beiterinnen etwa 25%.
Es besteht kein Zweifel, dass die Frage der Organisation unter
den Frauen mehr und mehr Anh«än gerinnen findet, ebenso zeigt sich
die wachsende Tendenz unter den Arbeitern, Frauen als Mitglieder
ihrer Vereine aufzunehmen.
Dass man jedoch durch freiwillige Verbindungen allein es er-
reichen könnte, die Lage der Arbeiterinnen zu heben, ist ein Traum,
— 202 —
welchen alle diejenigen, die einige Erfahrung vom Grewerkvereins-
wesen besitzen, längst aufgegeben haben. Aber die Hilfe einer
organisierten Arbeiterkörperschaft in einem Betriebe ist äusserst
nützlich, um die Durchführung guter Gesetze zu sichern und die
Aufmerksamkeit der staatlichen Fabrikinspektoren auf Ueber-
schreitungen der bestehenden Fabrikgesetze zu lenken.
Das industrielle Getriebe geht nicht ohne beträchtliche Reibungen
voran, und die Gewerkvereinsführer urteilen nicht immer mit Ueber-
legung und Nachsicht. Die Aufmerksamkeit der grossen Menge
wird unglücklicherweise nur in unruhigen Zeiten auf die Sache gelenkt^
wenn furchtbare Leiden seitens der Striker oder ein ernstlicher
Stillstand der Industrie zum Gegenstand des Staatsinteresses werden
und die Zeitungen mit Sensationsberichten erfüllen.
Die Bevölkerung verliert jedoch die Sache aus dem Auge, so-
lange die Bewegung in friedlicheren Grenzen bleibt; sie vergisst,
dass es, mit oder ohne Gewerkvereine, stets Unzufriedenheit in der
Arbeiterklasse geben wird, so lange wie die Natur der Arbeitgeber
als Klasse unverändert bleibt. Diese Unzufriedenheit würde sich
sicherlich stets äussern, und in einer Weise, die wahrscheinlich
viel unheilvoller für die öffentliche Ruhe wäre, als es jetzt geschieht»
Die Ärbeiterinnenfrage.
Von Frau Uly Braun, Berlin.
Frau Lily Braun erklärte den unter obigem Thema ange-
kündigten Vortrag wegen der Kürze der ihr bewilligten Sprechzeit
nicht halten zu können.
Ueber den Lohn der Arbeiterinnen.
Von Dottoressa med. Maria Montessori, Eom.
Meine Damen!
Wenn ich jetzt die Frauen des ganzen Erdkreises das behandeln
sehe, was man „Frauenfrage und Emanzipation" nennt — und
wie oft sehe ich mehrmals wiederholte Versuche scheitern und
höre Rechte anerkannt und bestritten werden und unbegrenzten
Fragen Grenzen setzen, — und der Natur sowohl wie der Ent-
wicklung Gesetze vorschreiben, trotzdem diese auf eigene Rechnung*
frei und majestätisch schneller schreiten, als die Phantasie, — dann
scheint es mir, als sähe ich auf ein faulendes Wasser die ver-
schiedensten wohlriechenden Essenzen giessen. Man bemüht sich den
Duft einzuziehen, doch der Gestank ertötet sie.
Dieser Gestank weist uns hin auf den Ursprung und die Quelle
unseres Werkes.
Stets pflegen wir, aus alter liebenswürdiger Gewohnheit, bei
jeder schönen Sache einen Gedanken der Anerkennung auf ihren Ur-
sprung hinzuwenden. Wir entziehen uns dieser edlen Pflicht, wenn
wir, bei einem U eberblick über sämtliche Nationen nicht derer ge-
denken, die durch ihrer Hände Arbeit all unseren Wohlstand bereiten
— 203 —
halfen und uns die Mittel gaben, uns hier zu vereinigen, um unsere
Interessen zu besprechen. Unter den Millionen Arbeitern sind die
Frauen, und keine vertritt sie auf dem Kongresse?
Auch sie sind dem Manne unterworfen, und zwar nicht nur dem
Ehemanne, sondern auch dem Brotherrn; dieselben Gesetze, welche
uns, die Gebildeten, wenig drücken, lasten auf ihnen, noch drücken-
der gemacht durch die Armut. Wir sind blind, wenn wir glauben,
dass dieselben Neuerungen ihnen wie uns nützen können, wenn wir
meinen, sie hätten, wie wir, so viel Zeit zu warten.
Es ist eine ganz verschiedene Frauenfrage, die sich mit der
unsrigen vereinigt, es ist das Herz, das sich mit dem Kopfe ver-
einigt, es ist ein Lebenszentrum, das mit einem Zentrum der Thätig-
keit in Verbindung tritt.
Ich trete damit nicht aus dem Gebiete der Frauenbewegung
heraus, um in das sozialistische Gebiet einzutretei\, denn ich beab-
sichtige nicht von der Frau des Arbeiters zu sprechen, sondern von
der Arbeiterin.
Vielleicht kommt Manchem der Gedanke: die Arbeiterin sollte
überhaupt nicht existieren, sie möge sich um die Familie bekümmern.
Aber das Gesetzbuch, das vom Manne zu seinen Gunsten gemacht
ist, hat die Familie so gestellt, dass er der einzige Geniessende ist,
dass die Frau sich zu fügen hat; hat die Erziehung und Lebens-
stellung der Frau so gestaltet, dass sie nichts versteht ausser Unter-
würfigkeit, dass sie nicht leben kann, wenn er sie nicht ernährt, und
doch hat dasselbe Gesetzbuch den Fall vorhergesehen, dass er einmal
nicht im Stande sein könnte, sich und die Familie zu ernähren.
Dann sollen nicht andere Brüder dem notleidenden Bruder helfen,
sondern dann soll er sich an die Frau wenden, der das Gesetz sagt:
Die Frau hat die Pflicht, dem Ehemann zu helfen und zu seiner
Erhaltung beizutragen." Meinen Freuden sollst du dienen, wenn
ich Brot habe, für mich arbeiten, wenn ich keins habe. Die
Arbeiterin ist also ein Produkt des Gesetzes selbst, und gegebenen
Falls „zur Arbeit verpflichtet;" die Arbeiterin muss in der be-
stehenden Gesellschaft existieren. Und bisweilen ist ihren Händen
die Erhaltung der ganzen Familie anvertraut. Die Opferfreudigkeit
in ihr muss anwachsen; sie sucht Arbeit und findet sie, mühselig
wie die des Mannes — aber der Lohn ist geringer. Warum? Sie
produziert doch wie ein Mann, ihr Geist ist nicht vom Wein (hier
Branntwein) getrübt, ihre Hand ist sicher, ihre Geduld, ihr Fleiss
sind erprobt. Das ist es, dass man in ihr nicht das menschliche
Wesen sieht, das arbeitet und durch seine Arbeit das Recht hat zu
leben, sondern die von dem beschäftigungslosen Mann Geschickte,
die Hülfe der Familie, die der Mann nicht mehr ernähren kann.
Man denkt, dass er nicht einen so grossen Zahlungszuschlag bean-
spruchen kann, wenn er seine Frau zur Arbeit absendet.
Und was thut das schwache Geschöpf? Wie ein Mann arbeitet
sie, und deshalb hören doch ihre häuslichen Pflichten nicht auf.
Statt Ruhe, die der Mann nach der Arbeit beansprucht, warten ihrer
die häuslichen Obliegenheiten, oft noch mit einem Kind unter dem
Herzen oder an der Brust. Wenn der Mann im Alkohol eine
Zerstreuung von seinen Leiden sucht, so fällt auf die Frau die Bru-
- 204 —
talität der Trunkenheit. Oft auch theilt er lieher mit einem anderen
weniger bedrückten weiblichen Wesen sein Brot, als mit der von
Kindern umringten eigenen; um ein Lächeln entzieht er den Seinen
den Bissen Brot; wenn ihn dann die Gewissensbisse peinigen, so
entladet seine Wut sich noch über der, die mit gebeugtem Haupt
für ihn arbeitet. Das ist der Wahnsinn der erbitterten Seele, das
ist die Schwäche eines schlecht ernährten Körpers — eine Rache
der Eingeweide, die sich im Hunger krümmten.
Auch sie fühlte das Verlangen nach einem Lächeln und fand es
auf den Lippen eines allmächtigen Mannes, für den sie eine unbe-
stimmte Dankbarkeit empfand, weil sie ihm — dem Brotherrn —
den geringen Verdienst verdankte, mit dem sie ihr kümmerliches
Leben fristete. Das aber diente nur dazu, ihr das eigene Elend
noch fühlbarer zu machen — die Rohheit des Mannes noch roher
erscheinen zu lassen. Um sich herum fühlt sie die kalte Bedrückung,
und aussen, in der Ferne, hat sie die Vision einer schönen, licht-
vollen Welt. Das Echo neuer Entdeckungen, grossartiger Em-
pfindungen dringt bis zu ihr. Diese werden die Arbeit erleichtern,
und die Geschicklichkeit ihrer Finger unnütz machen. Sie wird eine
Maschine statt der Nadel in Bewegung setzen, doch die Maschine
vervieltältigt die Arbeit, die dadurch an Wert verliert. So bedrücken
die neuen Erfindungen die schon Bedrückte und verbreiten dort Licht,
wo es schon hell ist.
In Italien könnte die Frau das Recht haben, ihre Ersparnisse
für sich zu behalten, ohne dass der Ehemann seine Hand darauf legt.
Aber auch dies klingt ihr wie Ironie ; ihr Verdienst reicht nicht für
die primitivsten Bedürfnisse, und dieses vielen andern günstige Ge-
setz ist fast immer unnütz für sie.
Oft, noch dazu, quält eine Furcht sie : wird der Mann, der durch
Not auf Abwege geraten ist, zu ihr zurückkehren und sie unter-
stützen — oder wird er mit einer anderen entfliehen, — oder wird
das Gefängnis sie zur Witwe machen? Das Gesetz hat bestimmt,
dass der Mann niemals der Frau beraubt werde, die er sich wählte,
und in der Annahme, dass die Liebe ihrerseits erlöschen könnte, liess es
gesetzlich die Gewalt zu: „die Frau muss dem Manne folgen". Doch
nicht im mindesten wurde daran gedacht, die jahrelang verlassene
Frau zu versorgen: „Sie möge arbeiten und ihre Kinder erhalten!"
Sie bekommt jedoch ihre Arbeit so schlecht bezahlt, dass das un-
möglich ist. Also kann nur ein Mann sie ernähren; und so seid
Ihr es, Ihr Männer, die Ihr der Frau eine vermeintliche Tugend an-
erzogt; Ihr seid es, die Ihr sie jetzt zur Schuld zwingt. Wo sind
die Gesetze, welche diesen Zustand, diese Lage der Frau beschützen?
Wo ist das Gesetz, welches denjenigen, der seine Familie verliess
und jahrelang fern blieb, sei es in den Netzen eines verführerischen
Weibes, sei es im Kerker, seiner Rechte verlustig erklärt? Das
Gesetz existiert nicht. — Kehrt der Mann zurück, so ist er der
Herr: als strenger Richter fordert er von der Frau Rechenschaft
über ihr Handeln und findet er sie untreu, so ist er der Richter
und tötet sie. Erst nach diesem Verbrechen kommt das Gesetz und
richtet den Mann und findet im Leichnam der Frau die mildernden
— 205 —
Umstände. Jedoch schliesst es ihm nicht die Thür des verlassenen
Hauses, sondern giebt seiner Willktlr andere Opfer preis.
Und doch, wie sehr mögen jene unglücklichen Opfer gekämpft
haben, ehe sie begriffen, dass sie ohne den Mann nicht leben konnten!
Vergebens haben sie ihre Kräfte in der unmenschlichen Arbeit ver-
braucht, ihren Kindern Brot zu verschaffen. Sie werden ihre noch
zarten Kinder zu einem grausamen Herrn geschickt haben, wo ihrem
so geliebten schwachen Körperchen der Kinderkraft nicht angepasste
Arbeit auferlegt wurde. Und wenn eine dieser Mütter eine ihrer
Töchter trotz der Leiden schön aufblühen sieht, so wird sie zittern
und diese Schönheit als grösstes Unglück ihrer Tochter ansehen
müssen. Was kümmern den Kuppler ihre mütterlichen Aengste?
Sie sind dem schönen Mädchen auf den Fersen, das keine Ideale
kennt und im Leben der Mutter nur das sieht, was ihrer Tugend-
haftigkeit aufbewahrt würde. Und eines Tages wird sie die Tochter
mit zu bitterem Lächeln verzogenen Lippen auf der Schwelle einer
Schenke sehen, als wolle sie sagen, „wolltest Du etwa, Mutter, dass
ich so leben sollte wie Du?"
In einer Sache allein verfügte das Gesetz in gleicher Weise über
Mann und Frau; es giebt gewisse Gewahrsame für beide, Ketten,
Guillotine, Todesstrafe. Wenn die Frau schaden kann, dann be-
trachtet der Mann in der Strafe sie als seines Gleichen; die zarten
Glieder können Ketten tragen; die kleine, schwache, niedrige Seele
wird verantwortlich, wie die seine; und die Guillotine macht keinen
Unterschied zwischen dem Kopf des Mannes und ihrem kleinen, mit
dem kleinen Hirn, das unfähig ist zu grossen Ideen, ernsten Studien,
gesetzlicher Selbstverteidigung; es schneidet ihn ab und giebt ihm so
den einzigen Beweis der Achtung in seinem vollkommenen intellektuellen
Gleichgewicht — in seiner vollkommenen Urteilsfähigkeit, in seiner
menschlichen Verantwortlichkeit.
Meine Damen!
Unter allen hier vertretenen Nationen zählt Italien verhältnis-
mässig die meisten Arbeiterinnen — denn auf 15500000 Arbeiter
kommen 9600000 Männer und 5900000 Frauen ungefähr; während
bei allen anderen zivilisierten Völkern, ausser Japan, auf eine weib-
liche Arbeiterin wenigstens zwei männliche kommen. Die Frauen
sind in Italien in fast allen Industrieen als Arbeiterinnen beschäftigt
— ausser in den Bergwerken; der Zahl nach verschieden verteilt im
nördlichen Italien — wo die Sitte die Frauen leicht bei der Arbeit
sehen lässt — und in Süditalien — wo das Vorurteil die weibliche
Arbeit seltener macht zum schweren Verlust der Industrie, des Acker-
baues und Handels. Der Arbeitstag ist so lang wie der des Mannes
und variiert von 9 bis 12, ja 18 Stunden — ; selten sind die Fabriken,
die der Natur ihrer Industrie wegen lange Ruhepausen gestatten;
meistens giebt es in einem tlahre 300 Arbeitstage. Wenn wir auf
die Arbeits Verteilung und die Produktion bei Mann und Frau sehen,
so finden wir sie gleich; aber die Frau wird fast nur halb so gut
bezahlt wie der Mann. Ich erzähle eine Anekdote und gebe' somit
ein Beispiel allgemeiner Thatsachen:
Ein Herr, der von einem seiner Güter die Steine absuchen liess,
— 206 —
hiess MäDner und Frauen gleiche Lasten tragen, und beide mossto
denselben Weg zurücklegen. Den Männern gab er je L. 0,80 pro
Tag, den Frauen L. 0,40. Da ihm jedoch plötzlich der Opanke kam,
die Frau möchte wegen der Last, die sie trug, den Schritt unterwegs
verlangsamen, so zählte er die Minuten jedes Weges.
Wenn die Männer mit beträchtlichen Löhnen wie mit L. 3,50
bis L. 4 täglich bezahlt werden, dann verändert sich das Verhältnis,
weil man oft den höchsten Gewinn, nach dem die weibliche Arbdt
trachten kann, auf L. 1 normiert. Allein die Energie einiger Rassen,
wie die romagnolische, und die Möglichkeit, sich zu koalisieren, wie
es in den grossen Ebenen vorkommt, verändert« in einigen Fäll^
diese Bedingungen. So hielten die Arbeiterinnen in den Reisfeldern
im bolognesischen Gebiet viele Jahre hintereinander fest an Auf-
ständen und Striken, bis sie einen Lohn erhielten, wie er denen
gebührt, die L:^ben und Gesundheit den schädlichen Ausdünstungen
der Reisfelder aussetzen, d. h. eine Maximaleinnahme von L. 3,50
bis zum Minimallohn von L. 1,50 pro Tag.
Ein Beispiel gerechter Auflehnung haben kürzlich die toska-
nischen Strohflechterinnen gegeben, aus deren Händen jene unver-
gleichlichen Florentiner Strohhüte hervorgehen, die in der ganzen
Welt gesucht sind. Es sind 60 bis 80 Tausend Arbeiterinnen; und
nicht klug gemacht durch die Zahl, drückte der Mann sie so weit
herunter, dass er ihnen für 12 stündige Arbeit L. 0,20 und schliess-
lich L. 0,10 bot!
Ich brauche hier nicht die Eintracht und Energie zu wieder-
holen, welche so viele Tausende von Frauen beseelte, welche fest
vereint im Strike, der öff'entlichen Gewalt und den demütigenden
Anerbieten spottend, laut nach Gerechtigkeit riefen, gestützt und
getragen von der ganzen Bevölkerung.
In zwei Industriezweigen wird die italienische Arbeiterin ge-
bührend bezahlt — : in den Tabaksmanufakturen und in der Korallen-
bearbeitung: dort überschreitet der Tageslohn 2 Lire, hier geht er
bis zu L. 5, — aber ihre Arbeit ist auch ein Kunstwerk.
Im Uebrigen gebe ich hier einige Ziffern über einige der Haupt-
industrieen, aus denen leicht ersichtlich ist, wie die Frau im Allge-
meinen bei gleicher Arbeit die Hälfte des männlichen Lohnes erhält,
und noch weniger.
In den Schmelz- und Ziegelöfen von Udine erhalten Männer,
die mit dem Sortieren beschäftigt sind, L. 2,40, Frauen L. 0,80.
In den Stearinkerzen- und Schwefelsäure -Fabriken zu Pisa:
Handlanger L. 1,90, Frauen L. 1,10.
In der Seifenfabrik zu Ferrara: Arbeiter etwa L. 3, geübte
Arbeiterinnen L. 1,50 (wie die Lehrlinge).
In der Mandelkuchenfabrik zu Cremona : Männer L. 2,40, Frauen
L. 0,80.
In den Konfitürenfabriken in Bologna: Männer L. 2,23, Frauen
L. 0,47.
Nudelfabrikation in Rom: Männer L. 3,20, Frauen L. 1,50.
Seidenindustrie zu Cuneo (ganz von Frauen unterhalten): von
L. 1,30 bis L. 0,35. Dasselbe in Novara: von L. 0,80 bis L. 0,50.
^ 207 —
Dasselbe in Udine: Männer L. 2,75, Frauen L. 0,90 bis L. 0,50.
Dasselbe zu Teorti.
Feuerwerksarbeiter L. 4. Seidenarbeiter L. 1,65. Spinnerinnen
«rster Klasse L. 1,10, Reinigerin der Kokons L. 0,35. Dasselbe
in Teano.
Handlanger L. 1,25, Spinnerinnen ersten Ranges L. 1, Kokon-
Reinigerin L. 0,30. Dasselbe in Caserta.
Für Herausziehen und Drehen der Seide: Männer L. 2,50 bis
Li. 1,20; Frauen L. 1 bis L. 0,30.
Weberei: geübte Arbeiter L. 5,40; Lehrlinge L. 2,15; geübte
Arbeiterin L. 1,55.
Wollenspinnerei zu Novara: Männer L. 2, Frauen 1,60. Das-
selbe zu Arezzo: Männer L. 3,50 bis L. 1,49, Frauen L. 2 bis
li. 0,60.
Baurawollenspinnerei zu Mailand: erwachsene Arbeiter L. 2,40;
-erwachsene Arbeiterin L. 1,50. Dasselbe in Genua: Männer L. 3,50,
Frauen L. 1,20.
Baumwollen - Industrie zu Salerno: Männer L. 2,25, Frauen
Li. 0,80. Dasselbe zu Bari: geübte Spinnerin L. 1,35 bis L. 0,70;
Appretierer L. 4,66 bis L. 1,50; Handlanger des Färbers L. 1,50
bis L. 1.
Hanfindustrie zu Bologna: Frauen L. 1 bis L. 0,54, Männer
Xi. 4 bis L. 1,75. Dasselbe in Salerno: Frauen L. 0,80 bis L. 0,60,
Männer L. 4 bis L. 2,25.
Bearbeitung des Steinflachses : Männer L. 2 bis L. 1,60, Frauen
X. 1,38 bis L. 0,60.
Häute- und Leder-Industrie zu Porto Maurizio: Männer L. 3,75
bis L. 2,50, Frauen L. 1,25 bis L. 0,80.
Schuhwaarenfabrikation zu Parma: Zuschneider L. 5, Hülfs-
Arbeiter L. 3,75; Lehrlinge (12 Jahre) L. 1,39; Frauen, Hand-
stickerinnen und Maschinennäherinnen L. 2 bis L. 1,50; weibliche
Lehrlinge (12 Jahre) L. 0,80 bis L. 0,40.
Glasfabrik zu Corino : männliche Aussonderer L. 2,50, weibliche
Aussonderer L. 1,50.
Papierfabrikation zu Navara: Männer L. 2,28, Frauen L. 1,50.
Dasselbe zu Mantua; Arbeiter L. 1,60, Arbeiterinnen L. 1. etc.
Fast die ganze Arbeit der Seidenfabrikation ist in Händen der
Frauen. Die Webeindustrieen werden schon nach altem Brauch in
weibliche Hände gelegt.
Von weit her kommen sie in die Fabrik, wo sie offiziell vom
12. Lebensjahre an zugelassen werden. Sie arbeiten dort 12 — 18
-Stunden. Die Kokonreinigerin, gewöhnlich noch ein Kind, reibt den
Oeifer von den Kokons ab und wirft diese der Spinnerin zu, welche
flie in einer Schüssel mit angewärmtem Wasser einweicht. Diese
Arbeit scheint sehr einfach! nur steht das Kind 12 Stunden, und
alle atmen die übelriechenden, Ekel erregenden Dünste ein, welche
von den eingeweichten Kokons herrühren. Um den Schaden auszu-
gleichen, den in diesem Falle der menschliche Organismus erleidet,
wäre eine reichliche und gesunde Kost notwendig, das ist aber nicht
der Fall, wie es auch der Anblick jener Erwachsenen sagt, die seit
Jahren den Wirkungen solcher Luft ausgesetzt sind — sie sehen
— 208 —
blutarm aus, haben tiefe Ränder unter den Augen, weisse Pleisch-
farbe am Gesicht und den halbnackten Armen, die man marmorn
nennen könnte, wenn diesem Adjektiv nicht die Welkheit des Fleisches
widerspräche. Die Kinder, welche rachitisch und bleichstichtig bleiben,
deren Knochen missgestaltet werden, deren Adern erschlaffen, deren
Lungen vom Staub verletzt und von der mangelhaften Ernährung
geschwächt werden, sind leicht eine Beute der Tuberkelbazillen. Die
Wöchnerin, welche sich in dieser traurigen Luft umherschleppt,
nachdem sie ihr Neugeborenes in das Findelhaus gebracht hat, und
ihre Nahrung versiegen lässt, weil die Säugezeit, welche ihr ein Jahr
lang Brot verschaffen würde, es ihr für die übrige Lebenszeit nähme,
indem sie ihren Posten in der Spinnerei verlöre; und die Puerperal-
Tnfektion, die unter diesen Bedingungen so leicht erworben wird —
und die Verwüstungen des ganzen Organismus, die daraus entstehen,
— endlich der Tod so vieler unschuldiger Kinder im Findelhaus —
Alles dies bildet einen so tiefen menschlichen und sozialen Schmerz,
dass er sogar das Herz der Reichen und der Gesetzgeber rührte.
Sie fingen an, der Frauenarbeit ihre Protektion zuzuwenden. Ich
gebe ein Beispiel davon:
Die weiblichen Kinder von 12 — 15 Jahren sollen weniger Arbeits-
stunden haben, z.B. die Hälfte: so teilte man die Arbeit eines Tages
bei halber Bezahlung für jede Einzelne unter 2 Mädchen. Aber
dann verlieren diese ja die Hälfte des geringen Brotes, das sie zuerst
hatten, und ihr Körper ist nun in gleicher Weise vom Hunger ver-
zehrt, wie er es früher von der Arbeit war. — Die Wöchnerinnen
sollen während der Wochen zu Hause bleiben, weil das von der
eigenen Mutter 30 Tage lang ernährte Kind dann dem Brei und der
künstlichen Ernährung besser widerstehen kann ; und so hat man eine
Verminderung der Sterblichkeit um 5 Prozent.
Das ist wahr: Nur hat die Frau während dieser 30 Tage, in
denen sie der Nahrung, der Ruhe und Sauberkeit bedürfte, nicht
einen Sou um zu essen. Und angstvoll klopft sie an die ThUr der
Fabrik, weil der Hunger an ihr zehrt, während sie ihr Kind stillt.
Die Männer sind noch stolz darauf, dass sie zu dem kleinen Mädchen
sagten: Ruhe Dich aus! und zur Wöchnerin: Ruhe Dich aus! Aber
es sagte ihnen schon jemand vorher, und mit viel vernehmbarerer
Stimme. Die Natur sagte es zu ihnen und wiederholte es ihnen
täglich. — Und wenn jene, trotz so stechender Warnung, zur Thür
des Arbeitshauses zurückeilen, so heisst das, dass sie Hunger haben!
Und nur hier kann Eure Protektion nützen!
Vom Arzte kam das barmherzige Wort. Der ausgezeichnete
Pariser Geburtshelfer, Professor Pajot, schlug in der Sitzung vom
3. April 1891 der Gesellschaft für Geburtskunde dort — im Lande
der grossen humanitären Bestrebungen — eine Entschädigung von
Seiten des Staates für die Wöchnerinnen unter den Arbeiterinnen
vor. Aber die Ausgabe hätte sich auf jährlich sechs Millionen be-
laufen; und die Republik, die früher zwanzig Millionen jährlich für
einen einzigen Capet aufbrachte, entschloss sich nicht zu der unge-
heuren Summe. Die anderen Nationen erörterten die Sache nicht
einmal. Und so bleibt hier wie dort als einzige Konzession, als
einziger Schutz für jene Frauen: das Fernbleiben von der Arbeit.
— 209 -
Und doch entstammt ihrem Schosse das Volk, und aus ihren
Brüsten qaillt seine erste Nahrung.
Auch sie handhaben die Arsenik-, Blei-, Zink-, Quecksilber- und
Phosphorpräparate, und — beweinenswerte Ironie — sie vergiften
ihren Körper, um ihn zu erhalten, und den Hunger stillen sie mit
einem Brote, das ihren Eingeweiden die Bleikolik geben wird.
Hier finden sich viele Züge der Gleichheit zwischen dem weib-
lichen und männlichen Arbeiter; gleiche Stundenzahl für die Arbeit,
gleiche Produktion. Zuerst beide gleich stark und gesund, dann in
gleicher Weise von grässlichen Schmerzen gequält und gleich auf-
gedunsen und gelähmt durch die giftige Aktion der Substanzen, die
sie bearbeiten, und schliesslich beide unfähig zur Arbeit, bis sie, in
den Geistesfunktionen getroffen, stumpfsinnig und wahnsinnig werden.
Aber in anderen Zügen sind sie wesentlich verschieden. Die
Natur wies jedem von ihnen ihre Aufgabe an, die ihren Kräften
angemessen war. „Mit Schmerzen sollst du Kinder gebären", und
im Seh weisse deines Angesichtes sollst du dein Brot essen." Man
möchte meinen, dass ein Wesen, auf dem beide Sentenzen lasten,
doppelten Lohn seiner Arbeit finden müsste. Statt dessen — ist es
Verbrechen oder Dummheit? — erhält die Frau bei gleicher Produktion
so viel niedrigere Löhne als der Mann. Für den Augenblick ist
ihr Einsatz an Gesundheit gleich, aber betrachten wir die Folgen!
Beim Manne Schwindsucht, Lähmungen, bei der Frau Schwindsucht,
Lähmung und Fehlgeburten. Cardieu hat herausgefunden, dass bei
den Bleiarbeiterinnen 60 Prozent Fehlgeburten vorkommen, und
Kussmaul, Colsan, Hirt kamen zu denselben herzzerreissenden Re-
sultaten bei den Quecksilber-, Anilin- und Arsenikarbeiterinnen.
Und während gewöhnlich das Verhältnis der Totgeborenen zu den
Lebendgeborenen 3 Prozent beträgt, kommt es zu 17 Prozent bei
den Kindern der Arbeiterinnen, selbst wenn sie nur wenige Monate
mit Blei, Arsenik oder Phosphor zu thun gehabt haben. — Was
die Lebendgeborenen betriflFt, so erreicht die Sterblichkeit, die bei
den ärmeren Klassen zwischen 25 und 30 Prozent schwankt, bei
den Kindern der Bleiarbeiterinnen 45 Prozent und bei den Queck-
silberarbeiterinnen 65 Prozent.
So, ruft Hirt aus, können von 100 Kindern dieser Arbeiterinnen
nur 35 das 2. Jahr erreichen.
Wenn wir nun die Folgen der Arbeit mit denen des Lasters
vergleichen wollen, so finden wir mit Forbera, dass bei den von
Syphilis angesteckten Frauen die Fehlgeburten 28 Prozent betragen.
Die Arbeit ergiebt also mehr als den doppelten Prozentsatz für
Fehlgeburten, als das Laster.
Und doch, wie viele Gesetze über die Prostitution, und zu gleicher
Zeit, wie viele Beleidigungen der menschlichen Würde, wie viele
grausame Bedrückungen des entarteten Elends — weil die Prosti-
tution nach oben hindringt und die Reichen treffen kann. Aber
kein energisches Gesetz tritt den Verheerungen entgegen, welche
die Arbeit verursacht, weil diese niemals zu den Klassen hinauf-
steigt, welche von oben herab Gesetze diktieren.
Der in Arbeit und Elend Aufgewachsene, der Phosphorarbeiter,
dessen Knochen verkrüppelt sind, geht frei durch bei der Aus-
U
— 210 —
-bebnng, bat also eine Tyrannei weniger. Die aus denselben Gründen
entstellte Frau kann nicht, wenn sie Mutter wird, auf natarlichem
Wege entbanden werden. Und dann kommen die Heilmittel der
Gesellschaft: die Hospitale, Orte der Schani, die vom Manne er-
richtet werden, um seine ungeheuerliche Schuld zu verbergen. Nie-
mand soll die Hand des Chirurgen sehen, der der Frau den Leib
aufschlitzt, welcher Gott hiess zu gebären. Niemand soll das Kind
durch Aufschlitzen des Leibes der Mutter herausziehen sehen, nnd
die Stiche, welche der Arzt machen rausste, um jene Wunde wieder
zuzunähen, welche Hunger und Blend geöffnet haben, sollen ver-
borgen bleiben. Die Wissenschaft bleibe ein Geheimais, und Nie-"
mand soll wissen, dass die Tuberkulose oft durch Hunger entsteht,
seltener durch Laster, und dass die Infektionen da einen guten
Boden linden, wo die Ernährung nicht genügend ist, und man baut
grosse Häuser, die dem Publikum nicht zugänglich sind; da schneidet
man jene tuberkulösen Knochen und giebt den Fiebernden den
Bissen Brot, der ihnen vorher mangelte — wie dem Hunde. Wehe,
wenn auf der öffentlichen Strasse die Kranken aufgereiht würden
und die Wissenschaft eine öffentliche Religion wäre!
Wenn nun an erster Stelle in einem Kongress weiblicher Ge-
müter eine Ausgleichung Erfordernis ist, so ist es die, welche die
Arbeiterin betrifft. Die menschliche Würde, die Gerechtigkeit, das
Mitleid, das sind die Grandforderungen. An erster Stelle ist es
würdig, human, gerecht und mitleidig, den Lohn der Frauen dem
der Männer gleichzustellen. Für den Augenblick können wir nichts
weiter verlangen. In kunwm werde ich einen dieses Ziel erstre-
benden Vorschlag zur Tagesordnung machen. Wenn wir vom öffent-
lichen Mitleid etwas erhofften, so würden wir nicht weit kommen,
abgesehen davon, dass wir die Arbeiterin, welche Achtung und B&-
lobnung verdient, herabziehen würden. Die grosse Congregazione
di Caritä zu Rom, die doch reich und nur auf den Schutz treuer
Katholiken beschränkt ist, lässt eine arme Mutter, die in Noth ist,
mehrmal die Treppen hinanf- und bin untersteigen, ehe sie ihr die
monatliche Pension von L. 3,50 bewilligt. Pas römische Komitee
Soccorso e Lavoro, aus Damen der Hofgesellschaft bestt^hend,
giebt im Verhältnis zum Bedürfnis nur recht wenigen Frauen
Arbeit; auch geben sie nicht mehr als täglich eine Lira; sie
verteilen auch Bons für die zu ihrem Institut gehörigen
Volksküchen, die, trotzdem sie ausgezeichnet sind, nach den Be-
rechnungen des Doktor Memmo, nicht über die Voitsche Durch-
Bcbnittsernährung von L. 0,60 pro Tag ergeben. — Wenn wir nun
annehmen, dass eine Mutter von zwei Kindern bei den römischen
Damen arbeitet, wenn wir bedenken, dass sie die Miete bezahlen
und den kleinen Haushalt bestreiten muss, so sehen wir doch reiit
Schmerz, wie die mangelhafte Ernährung selbst bei diesen durch
die Protektion liebenswürdiger Damen bevorzugten Frauen andauert.
Es ist sicher schon ein grosser Schritt vorwärts, lieber Arbeit
als Almosen zu geben, aber ein vollkommener Fortschritt wäre es
erst, die Arbeit besser zu verteilen. Ein Prinzip der Lohngleichheit
aufzustellen, hiesse den dürftigen Familien viel Geld in den Schoss
werfen und zwar nicht einmal mit dem beschämenden Schatten der
— 211 —
Barmherzigkeit — sondern nur mit dem würdevollen Heiligenschein
des Rechtes. Es ist leichter, dort eine angemessene Hülfe zu leisten
durch Proklamation eines Anfangs von oben herab als durch ein
weitgehendes universelles Almosen; denn um ein Recht zu be-
willigen, genügen wenige Herzen, — zur öffentlichen Wohlthätigkeit
tragen die Herzen einer ganzen Kaste bei, die das Elend nicht
versteht.
Es könnte hier der Einwurf gemacht werden: Der geringere
Lohn, mit dem die weibliche Arbeit bezahlt wird, stellt eine Kon-
kurrenz zu Gunsten der Frau her. An erster Stelle verstehe ich
diese Massen-Konkurrenz nicht. Ich stelle mir eine Familie vor, aus
Mann und Frau bestehend und sehe in dieser Konkurrenz, dass der
Mann nichts thut, und die Frau arbeitet; und zwar um die Hälfte
des Lohnes. Diese Konkurrenz ist niedrig, schmachvoll für den
Mann, der aus der weiblichen Sanftmut und G^eduld Nutzen zieht,
schmerzlich für den Mann, der seine starken Arme zur ünthätigkeit
gezwungen fühlt. Niemals ist der geringe Lohn der Arbeiterin
human, nie ist er Nutzen bringend. Er ist ein Staub, der in die
geblendeten Augen gestreut wird, ein Vor wand, die Reichen zu be-
reichern. Schmachvoll, vorteilhaft ist es für einen Besitzer, der
Frau die Konkurrenz mit dem Manne zu eröffnen, indem er ihi'
weniger Lohn giebt und dieselbe Arbeit dafür erhält. Und in
letzter Hinsicht ist die Hälfte des Geldes, das für die Auszahlungen
bestimmt war, und das in seiner Tasche bleibt, die Hälfte weniger
für die hungernden Klassen.
Der Handel, der mit weiblicher Geduld spekuliert, ist einer der
verbrecherischsten Züge, welche in der modernen Gesellschaft existieren.
Und Euch, Ihr Frauen des ganzen Erdkreises, die Ihr Euch hier
vereinigt habt, um unsere Interessen zu besprechen, Euren Herzen
stelle ich dieses Problem anheim, dieses Problem menschlicher Ge-
rechtigkeit; Euch, die Ihr wisst, wie vielen Leiden unser Körper
nnterworten ist, Euch, die Ihr wisst, wie auf uns allen die drückende
Ungleichheit mit dem Manne lastet. Euch, die Ihr sicher in die
Wohnungen der Armen eintratet und sähet, wie viel schwerer noch
derartige Bedingungen dort lasten, wo die Schatten des Elends die
rohen Gemüter der Männer noch mehr verdunkelten, die nie auch
nur die geringste Ritterlichkeit lernten, — an Euch stelle ich die
Forderung, jene unterdrückten Frauen zu befreien! denn sobald der
Mann weiss, dass sie so viel verdienten, wie er, wird er sie auch
höher achten; ihr moralisches Gefühl wird sich heben und ihr Leben
wird erleichtert sein, denn sie werden besser für ihre Erährung und
sonstigen Bedürfnisse sorgen können; und vielleicht retten wir so
manches kleine Mädchen aus dem Findelhause, das später sich schlechtem
Lebenswandel ergeben hätte.
Wenn es den Arbeitern, welche in der Kammer ihren Vertreter
haben und ihre Stimme bei der Gesetzgebung vernehmbar machen
können, gelingt, ihre Lage zu bessern, und das — auf Grund des
von mir verteidigten Prinzips, so wird das mit gleicher Wohlthat
auch auf die Arbeiterin zurückfallen.
Euch überlasse ich es, zu beurteilen, ob es möglich ist, sofort
solche Gleichheit auf die weiblichen Angestellten der verschiedenen
14*
~ 212 —
Administrationen anazudebnen — und ob es noch in besonderen
FftUen nOtig ist, den Mädchen die Konkurrenz mit dem Manne za
belassen. Jedoch mit allen meinen Kräften bestehe ich darauf, dass
das Gerech tigkeit^prinzip allgemein unterstützt werde:
„bei gleicher Arbeit gleicher Lohn." —
Ich bitte daher den Kongress, der Forderung zuzustimmen :
„man solle in jedem Lande darch die vertretenen Qenossen-
schaften eine praktische und wirksame Arbeit ins Werk setzen,
darauf ausgebend, dass die Löhne der Arbeiterinnen in den
staatlichen und unter staatlicher Eontrolle stehenden Fabrik-
stfitten (und femer auch das Gehalt der weiblichen Beamten)
denen der Arbeiter (und der männlichen Beamten) gleich-
gestellt werde." —
Dabei überlasse ich es dem Urteile der Komitees, die im Not-
ta-Ue eingesetzt werden, zu entscheiden, ob, in welchem Maasse und
wie diese Arbeit bei privaten industriellen Firmen zu machen sei,
ohne der Konkurrenz zu schaden, die in gewissen Fällen die Frauen
den Männern in nützlicher Weise machen könnten.
Rom, September 1896.
Rapport prösentö au congrös de Berlin.
Par Madame Vincent, Asnieres (Seine), Secretaire ai^jointe du CoroitÄ
d'action pour l'extension de la Prud'hommie, Paris; Pr6sidente du
Groupe Feministe: L'Egalite; dälegnee des sociales fäministes,
d^l6gu6e des associations coopßratives de Production de Paris.*)
Messieurs, Mesdames,
Lorsque nons avons regu des dames organiaatriees du congres
de Berlin une invitation ä participer aux travaux du congrea, nous
avons repondu immediatemeot que notre sociöt^ enveirait une del6-
gu6e afin de manifester Tinteret que les fransaises apportent dans
toutes les questioos feministes sans diatinction de national! t^s.
Je vous apporte les saluts fraternels de nos soeurs de France,
des soeietes feministes qui m'ont fait l'honneur de me donner mandat
de les representer au congrea de Berlin.
Je suis profondement emne et touchee de l'accueil si sympathique
qui m'cät fait ici; au nom des soeietes que je repr^sente, en mon
nom personnel merci.
Partout oü les ferames peuvent se faire entendre nous devons
Clever nos voix, car dans presque tous les pays les souffrances des
femmes sont les memes, et les revendications sont mores pour
aboutir.
Je traiterEd aujourd'hui une question dont je m'occupe depuis
dix ans dans les congres ouvriers frangais: „de l'admission des
femmes dans les conseils des Prud'hommes comme ^lecteurs et
eligibles."
*) Madame Tincent a representä 103 Societöa et Associations.
— 213 —
Rapport ä la Prnd^hommie«
Nons poss^ons en France une Juridiction, qui n^a pas, je crois,
d^eqnivalent en AUemagne. Je veux parier des conseils de Pnid-
hommeSy tribonaux ])articn1iers, appeles ä regier les differents qui
peuvent s'61eyer entre les patrons et patronnes d^ane part et les
ouvriers et oavrieres de Uautre. Ces tribnnaux exceptionnels, dont
les membres sont nommes par les patrons et par les ouvriers, n'ont
rien de bien nouveau; nous trouvons des traces de leur existence
au meyen-äge, leur composition seule a ^t^ modifi^. Ils ont rem-
plac^ dans les differents qui s'elevent parfois entre les employeurs
et les employesy les Jur^s ou gardes, qui, dans les corporations
d^autrefoiSi tranchaient les contestations qui se produisaient entre
les patrons et ouvriers des deux sexes.
Nons allons rapidement donner un apergu de la Situation que
les femmes oecnpaient dans les corporations et qui peut servir ä
une etude sur la Prudhommie.
Le plus ancien document que nous ayons pu retrouver rela-
tivement aux prudhommes, date de la fin du X Ille siecle. En 1285,
le conseil de la ville de Paris nomma vingt-quatre prudhommes
charges d^assister le prt^vot des marchands et ^chevins, afin de juger
en dernier ressort toutes les contestations qui pourraient s'^lever
entre patrons et ouvriers.
Pendant longtemps, Paris fut seul en France ä poss^der pa-
reille Institution. Les prud'hommes pecheurs ne furent institues ä
Marseille et dans d'autres ports que deux siecles plus tard, en 1452.
Quelques ann^s apres, le 20 avril 1464, un edit de Louis IX
octroyait „pouvoir aux manants, bourgeois et babitants de la ville
de Lyon de commettre des prud^hommes süffisant ä regier les con-
testations qui pourraient se produire entre les fabricants de soie et
lenrs employ^.**
Les prud'hommes et les prud 'femmes ou jures et jurees, visi-
taient quatre fois par an tous les ateliers, magasins etc., afin de se
convaincre que les patrons respectaient leurs engagements vis-ä-vis
des ouvriers et n'exerQaient pas d'autre metier que celui qu'auto-
risait le r^Iement. Dans le bureau de cbaque Corporation lesnoms
de ces prud^hommes ^taient inscrits, afin qu'on put les appeler en
cas de contestation.
Sous Tancien regime, les corporations feminines etaient nom-
breuses et elles ^ient arriv^es a proteger assez efficaceraent Tou-
vriere contre un travail excessif.
A Lyon, par exemple, les fileuses de soie, qui formaient deux
corporations distinctes: celles ä grands ou ä petits fuseaux, ne pou-
vaient travailler ni les dimanches, ni les jours de foire, ni les jours
färi^. Le travail de nuit etait egalement interdit sous pretexte
que le travail ainsi fait etait inferieur a celui fait de jour.
Les Gontrats d'apprentissage se passaient devant les prud 'femmes
ou, ea leur absence, devant trois ouvrieres qui pouvaient, en cas
de contestation, certifier de sa legalite. 11s etaient generalement
pa8s69 poor une p^riode de sept ans.
Dans certains cas, les corporations allaient jusqu'ä fixer l'origine
— 214 -^
de la matiere prämiere employee. Ainsi pour certaines especes de
soieries, les tisseuses, maitresses ou ouvrieres, ne pouvaient acheter
leur soie qu'ä des marchands parce que, venant de l'^tranger, eile
etait tres coüteuse. Cette Corporation ^tait repr^ent^e au Chatelet
par trois prud'femmes ou jur^es, düment asserment^.
La Corporation des tisseuses de soie, d^or et d'argent, avait des
reglements analogues et egalement trois prud'femmes pour la re-
pr^enter.
La Corporation des ouvrieres en tissu de soie (rubannerie, etc.)
n'acceptait que des femmes ayant travaille dejä un an apres leur
apprentissage. Elle etait representee par trois maitres et trois
maitresses jures et assermentes. Elle interdisait egalement le travail
de nuit, des dimanches et jours feries.
A Lyon, les maitresses ouvrieres tisseuses de soie, devaient
payer un droit d'admission de 200 livres. La Corporation ne per-
mettait d'engager des jeunes filles que pour un an au moins, le
logement restant a la Charge du patron. Elle etait devenue assez
influente pour obtenir du pouvoir l'insaisissabilite, par les collecteurs
d'impot, de leurs metiers et matieres premieres.
Certains corps de metiers avaient un hopital ä eux. D'autres,
comme la corporation des orfevres, accordaient aux veuves de leurs
membres un secours qui variait de 7 sous ä 15 livres ou en nature.
Dans la corporation des tapissiers existait egalement un regle-
ment protecteur de la femme qui allait meme jusqu'ä interdire le
travail aux femmes enceintes.
Jusqu'a la fin du XVlTe siecle, les hommes et les femmes tra-
vaillaient indistinctement pour la confection pour dames. En 1675,
les couturieres adresserent une supplique au roi ayant pour objet
l'institution d'une „communaute de couturieres en tous ouvragespour
femmes et enfants et Tinterdiction de ce metier aur tailleurs".*) A
cette date elles etaient au nombre de 4000 ouvrieres et 1500
maitresses-ouvrieres reparties en quatre catögories. Louis XIV
s^occupa personnellement de Tafifaire, parait-il, et rendit la meme
annee un edit instituant la communaute des couturieres de Paris
„avec tous Privileges requis pour la conservation et la prosperite du
metier."**) Les tailleurs s'emurent et protesterent devant le Par-
lement. Mais neuf ans plus tard en 1685, un arret notable de la
Cour du Parlement deboutait absolument les maitres tailleurs de
leurs reclamations.
Cette corporation etait administree exclusivement par des femmes,
trois „syndiquees"ou „deputees" et trois adjointes; c'etait aux prud'-
femmes du mutier de regier toute contestation y sur venant. L'in-
spection obligatoire des ateliers etait faite par des visiteuses elues
par Mesdames les deputees de la communaute.
Des Tedit de 1675, ä limitation de Paris, de nombreuses com-
munautes de couturieres sefonderent enprovince: ä Ronen, Chartres,
♦) G. Levasnier. Papiers de famille professionelle. L'ancienne
communaute des couturieres de Paris et le syndicat actuel de Paiguille
1675-1896 1 broch.l ;Oudin, 10, rue de Möziöres, Paris 1896.
**) Levasnier p. 4.
— 215 —
Alen^OD, Blois, Orleans, Poitiers, Nancy, Tours, Limoges, Bordeaux,
üijon, Lyon, Besan^on etc. etc.
Une autre Corporation de femmes etait aussi tres puissante,
Celle des lingeres. Toute Tadministration et la responsabilite ä en-
courir regardaient des femmes seulement. Ainsi, nous avons trouv^
un acte notari^ pass6 le 19 juillet 1745, concernant cinq femmes
lingeres de Paris et des faubourgs, jurees prud'femmes de la com-
munaute. Elles avaient procuration de ladite Corporation pour em-
prunter devant Mr. Dubois, notaire, 40000 livres. Et il est dit
express^ment que les biens personnels de ces lingeres garantissent la
restitution de la somme pret^.
Apres la suppression, en fevrier et mars 1776, de toutes les
corporations, Tavis du mois d'aoüt de la meme annee qui les r^ta-
blissait, introduisait aussi quelques modifications dans leurs r^gle-
ments Interieurs.
Ainsi nous trouvons dans les Statuts datant de 1782 de cette
meme corporation des lingeres, les articles suivants: „Les femmes
qui doivent representer la communaute aux termes des articles 18,
19 et 20 de Tedit du mois d'aoüt 1776, seront choisies dans TAs-
semblee generale."
„Lorsque dans les contestations relatives au commerce ou ä la
profession il sera question de nommer des arbitres, soit par les
parties, soit d'office, lesdites arbitres ne pourront etre prises que
parmi Celles qui auront ete deputees de la communaute."
„Tl sera distribue pour honoraires d'assistance aux assemblees
ordinaires k chaque syndiquee et adjointe, deux jetons de presence
de la valeur de 40 sols et a chaque deput^e un jeton de meme
valeur. Un quart doit etre preleve sur le droit de reception, de
maitrise et d'oeuvres, sur les quetes et les dons pour le soulagement
des femmes pauvres du metier."
Seules, les marchandes lingeres et les jurees maitresses, lingeres,
toilieres, avaient le droit d'acheter a la halle aux toiles de Paris.
11 leur etait inttrdit d'acheter des toiles ou autres marchandises
Sans qu^elles aient passe par le bureau ou la halle, et ce, sous peine
de 100 livres d'amende.
Nous ne voulons pas nous etendre plus longuement sur ce sujet,
croyant avoir suffisamment montre qu'avant la Revolution, les femmes
avaient, dans leurs corporations, tres exactement les memes droits
que les hommes. De meme que ces demiers, elles elisaient des de-
leguees chargees de les representer aux assembleas communales,
provinciales et aux etats generaux.
Mais, en 1789, elles disparurent. Comme premiere att einte aux
droits corporatifs, les ^tats generaux ne furent pas convoques suivant
la forme habituelle. „Au lieu d'appeler les corporations ä se reunir
Selon Tantique tradition, par groupements, pour la redaction de ca-
hiers speciaux, on leur prescrit de prendre part aux assemblees de
district, C etait les disqualifier et couper court a des revendications
redoutees, en les absorbant dans la masse du Tiers-Etat." *)
♦) G. Levasnier, p. 40.
— 216 -TT
Des commnnautes d'hommes et de femmes protesterent, mais
vainement.
Deux ans plus tard, en 1791, les corporations etaient sapprimees.
En 1806, lorsqae Napoleon organisa les conseils de pnid'hommes,
les femmes furent oubliees et depuis lors jusqu'a nos jours, elles
sont soumises ä la juridiction des ouvriers et des patrons seuls eins.
Cependant, les protestations s'eleverent nombfeuses et un peu
dans tous les milieux. On peut en tronVer quelques traces dans un
ouvrage de Mme. Juliette Lambert:
„Si nous desirons la partieipation des femmes ä la pratique de
la justice quand il s^agit des hommes, ä plus forte raison la desi-
rons-nous quand il s^agit desinterets feminins, par exemple dans les
tribunaux de prud'hommes.
Quand il s'agit d'etats exerces par des femmes, ne conviendrait-
il pas que parmi les juges qui ont ä prononcer un jugement sur
les rapports des entrepreneurs ou entrepreneuses avec leurs ouvrieres,
les femmes soient representees? C'est au point de vue de la com-
petence aussi bien qu^au point de vue de Tequite."
En 1890 la question de la prud^homie fut serieusement reprise
au point de vue feminin. Cette annee fut discutee aux Chambres
la reorganisation des conseils de prud'hommes. M. de Gast^, depute
de Brest, deposa un amendement ainsi con(ju au projet du gouver-
nement: „Les hommes et les femmes sont electeurs et eligibles aux
conseils de prud'hommes. " Apres une longue discussion, Tamende-
ment de M. de Gaste, legerement modifie, fut enfin adopte par la
Chambre.
Lorsque 3a discussion de la loi vint au Senat, Mr. Deraole qui
fut nomme rapporteur, s'eleva contre Tadmission des femmes comme
electeurs et eligibles : „Les femmes, „dit-il dans son rapport," doivent
etre etrangeres a toute partieipation aux affaires publiques, l'har-
monie et la poesie de la famille seraient troublees si les femmes
prenaient part aux elections des Prud'hommes."
Malheureusement le senat adopta les conclusions du rapporteur,
actuellement nous attendons que la loi soit presentee de nouveau
devant la chambre et le senat.
Depuis nous avons constamment reclame pres des pouvoirs pu-
blics. Ainsi que nous venons de le demontrer, les femmes autrefois
jugeaient toutes les contestations qui s'^levaient entre les patronnes
et les ouvrieres dans les corporations de femme.
L'admission des femmes comme Electeurs et eligibles dans les
conseils des Prud 'hommes serait simplement la restitution du droit
dont elles jouissaient avant 1789.
En 1894 le comite pour l'extension de la Prud'homie a ete
fonde par les syndicats ouvriers et diverses societes, nous avons
rhonneur d'etre Tun des secreteires de ce comite.
Bien que fonde depuis peu le comite a cependant mene une
campagne tres active et a vu ses resolutions adoptees par le congres
des chambres syndicales de France.
Aujourd'hui tous les conseillers Prud'hommes sont unanimes a
reconnaitre la legitimite de nos revendications et tous les congres
ouvriers tenus en France se sont prononces dans le meme sens.
— 217 —
Kons donnons le projet de loi presente par le comite d^extension
de la Prod^hommie, adopte an congres des chambres syndicales tenn
ä Nantes en septembre 1894.
Proposltions.
1. Abolition du serment.
2. Mandat imp^ratif.
d. Extension de la jaridiction de la Prud'hommie ä tous les sa-
lari^s quels qu^ils soient, que le droit de vote soit accorde ä tous
les travaillears salari6s sans destination de sexe.
4. Eligibilit^ de la femme.
5. Fixation de Tage poiir T^lectorat ä 21 ans, ponr r^Ugibilite
ä 25 ans.
6. Que la comp^tence des Prud'homraes soit etendue a Tinspec-
tion des ateliers, pour Thygiene et les accidents.
7. Que la presidence pour le Conseil des Prud'hommes soit alter-
native pour le Pr^ident et le Viee-President.
8. Fixation du mandat des Conseillers a une duree de quatre
anS| renouvellement du Conseil par moiti^ tous les deux ans.
9. Que les Conseillers, Prud'hommes et Prud'femmes, ouvriers
et ouvrieres, soient de droit inspecteurs et inspectrices du travail
des femmes et des enfants, qu^ils soient retribues par Tetat.
10. Gratuit^ absolue de la juridiction de la Prud'hommie.
11. Cr^tion d'un Conseil de Prud'homme dans chaque canton.
12. Suppression de Tappel devant les tribunaux de commerce.
Les jugements des Conseils des Prud'hommes soient definitits
et sans appel.
13. Le vote pour les elections des Conseils de la Prud'hommie
aura lieu dans les mairies de chaque ville et village. Nous prions
le Congres d'emettre un vote sur ces propositions.
Pour le Croupe, la Deleguee.
Ouvrages consult^s par Tauteur.
1. Ren6 de Lespinasses: Les Metiers et la Corporation de la
Vüle de, Paris. 1892.
2. Etienne Boileau: Le Li vre des Metiers.
3. C Levasnier: Les Syndicats de l'Aiguille.
4. Le meme: Les Metiers et Corporations de la Yille de Paris.
Die Lage der Handlungsgehllfinnen.
Von Fräulein Agnes Herrmann, Berlin, Delegierte des kauf-
männischen und gewerblichen Hilfsvereins für weibliche Angestellte.
Die Frauenarbeit im Handelsgewerbe existiert in nennenswertem
Umfange erst seit etwa 20 Jahren und heute zählt man im Deut-
schen Reich schon 100000 weibliche Handels- und Grewerbegehilfinnen,
von denen 15000 allein auf Berlin entfallen. Sie üben kaufmän-
nische Funktionen aus als Buchhalterin, Stenographin, Expedientin,
Verkäuferin, Kassiererin oder gewerbliche als Zuschneiderin und
Direktrice. Die Wege zu diesen verschiedenen Berufsarten sind ver-
schieden. — Stenographinnen und ^4 aller Buchhalterinnen geniessen
— 218 —
erst eine theoretische Ausbildung und treten dann ohne eigentliche
Lehrzeit mit Anfangsgehältern von 15—60 Mk. und darüber in
das Geschäftsleben ein, während für alle anderen Berufsarten eine
praktische 3 — 12 monatliche Lehrzeit mit 3 — 20 Mk. monatlicher
Vergütung üblich ist.
Die Gehälter differieren später weniger nach der speziellen
Berufsart, als nach der persönlichen Tüchtigkeit und Leistungs-
fähigkeit. Brauchbare Kräfte erhalten 100^ — 150 Mk. monatlich,
doch steigen einzelne besonders tüchtige auch weit höher. Es giebt
Buchhalterinnen, die 200 Mk. und Verkäuferinnen, die 250 Mk.
Gehalt beziehen. Dies sind aber Ausnahmen; durchschnittlich besser
bezahlt werden nur Direktricen, welche gewöhnlich 120 — 180 Mk.,
in besseren Konfektionsgeschäften auch 300 — 350 Mk. beziehen
und mehr.
Immer mehr erobern sich die Frauen auch leitende Stellungen,
man findet sie als Prokuristinnen, Vorsteherinnen von Bureaus,
manchmal sogar Männern übergeordnet, auch als Leiterinnen von
Filial-G eschäften. — Für Kassenverwaltung werden sie den jungen
Leuten direkt vorgezogen wegen ihrer grossen Zuverlässigkeit und
Treue. Selbst preussische Staatsverwaltungen beginnen ihre Ab-
neigung gegen die Frauenarbeit zu überwinden, denn der Magistrat
zu Charlottenburg und Guben beschäftigt bereits Damen für Steno-
graphie und Schreibmaschine. — Trotz alledem muss zugegeben
werden, dass auch heute noch die Frau im Handelsgewerbe im
Durchschnitt schlechter bezahlt wird als der Mann. — Der Haupt-
grund ist wohl in der grösseren Bedürfnislosigkeit der Frau zu
suchen, viel aber trägt auch die thatsächlich zu kurze Lehrzeit
dazu bei. — Einmal schon, weil man leicht Erworbenes nicht zu
schätzen weiss, so dass viele Frauen, die nicht ausschliesslich von
ihrer Arbeit zu leben gezwungen sind, dieselbe unter ihrem Wert
fortgeben, andererseits aber genügt eine theoretische Vorbildung
oder eine Lehrzeit von 3 — 6 Monaten wirklich nur für die Intelli-
gentesten, die Durchschnittsbegabung wird dabei nur Minderwertiges
leisten und kann dann natürlich auch nur geringe Gehälter er-
werben.
Es wäre indes falsch, wenn man nun die dreijährige Lehrzeit
der Knaben ohne weiteres auf die Mädchen übertragen wollte, da
die Verhältnisse bei uns ganz anders liegen.
Der rechte Ausweg scheint mir der, welcher in der Brochüre:
„Die Frau im Handel und Gewerbe" von Jul. Meyer und J. Silber-
mann vorgeschlagen wird. — „Zweijährige Lehrzeit tür alle die,
welche nicht mindestens 1 — 2 Jahre auf eine theoretische Vorbildung
verwandt haben".
Eine eigentümliche Erscheinung im Berliner Geschäftsleben,
welche sich immer mehr herausbildet, ist das Saison-Engagement.
Die Geschäfte, namentlich Detail-Geschäfte, Bazare etc. können oder
wollen alle die Kräfte, welche die gesteigerte Geschäftsthätigkeit im
Herbst und Frühjahr nötig macht, in den stilleren Monaten nicht
bezahlen, zumal die Chefs wissen, dass sie bei dem grossen Andrang
von Arbeitsuchenden jeden Augenblick Ersatz finden. Nur die
Tüchtigsten werden behalten, die übrigen nach beendeter Saison er-
— 219 —
barmnngslos auf die Strasse gesetzt und Niemand fragt danachi
wovon sie leben sollen. Zum Ansammeln eines Notgroschens ist
natürlich das Gehalt zn klein gewesen, und so sieht sich nach
Weihnachten oder Pfingsten ein ganzes Heer minderwertiger Ver-
käuferinnen der Not und dem Elend preisgegeben. Kaum die nächste
Saison kann all^ diese ELräfte wieder absorbieren. Wie so oft wird
auch hier wieder die schwerste Last auf die schwächsten Schultern
abgewälzt.
Auch unter der immer weitergreifenden Arbeitsteilung haben
die Handlungsgehilfinnen zu leiden, ganz speziell das Personal der
Engros- und Fabrikgeschäfte, Expedientinnen, Lageristinnen etc. —
Um die Leistungsfähigkeit der Einzelnen zu steigern, hat jede dort
ihr fest beschränktes Feld der Thätigkeit, das sie jahraus, jahr-
ein versieht, über das hinaus der Blick nicht reicht. Schon die
Lehrmädchen werden oft genug ganz einseitig für die Thätigkeit
ausgebildet, die sie später ausüben sollen und entwickeln sich so
vollständig zu Maschinen, dass sie bei einem Stellenwechsel nur
wieder in einem Geschäft zu brauchen sind, in welchem die Arbeits-
teilung in ganz derselben Weise durchgeführt ist, wie in dem früheren.
Es giebt z. B. Wäsche-Geschäfte, in denen ein junges Mädchen den
ganzen Tag nur Wäsche bindet und etiquettiert, selbst das Legen
besorgt schon wieder eine andere, und dass eine Expedientin, welche
die Waren für die Ordres zusammenstellt, keine Ahnung davon hat,
wie eine Eechnung über eben diese Waren geschrieben wird oder
ein Frachtbrief aussieht, ist eine ganz gewöhnliche Erscheinung. —
Man kann sich denken, in welcher wirtschaftliehen Abhängigkeit
vom Chef solche Kräfte stehen, sie bleiben lieber jahrelang in den
schlechtest bezahlten Stellungen, ehe sie einen Wechsel riskieren.
Vor einigen Tagen war ein junges Mädchen bei mir, die seit fünf-
zehn Jahren als Lageristin im Tapisserie fach thätig ist und ein
Monatsgelialt von 55 Mark bezieht.
Noch manches hätte ich zu sagen über Kündigungsfristen,
Arbeitszeit, G^sundheits Verhältnisse etc., will mich aber infolge der
knapp bemessenen Zeit darauf beschränken, nur noch die Sittlich-
keitsverhältnisse zu berühren, denn gerade in diese hat mich mein
Amt als Leiterin der Stellenvermittelung des H. f. w. A. tiefen
Einblick gewinnen lassen.
Neben sehr achtbaren Geschäftshäusern giebt es hier und wahr-
scheinlich auch in anderen Grossstädten eine ganze Anzahl solcher,
die direkt darauf ausgehen, das vorhandene Abhängigkeitsverhältnis
auf unsittliche Weise aaszunützen. — Empörende Zumutungen werden
zuweilen den jungen Mädchen gestellt, und nicht nur denen, die
etwa durch ihr Betragen dazu Anlass gegeben haben könnten! —
So ist mir neulich der Fall vorgekommen, dass ein Baumeister,
ein älterer Mann mit Frau und erwachsenen Töchtern, seine Steno-
graphin, ein Mädchen von bester Erziehung, aufforderte, „ihm
einige Abendstunden zu schenken."
Die Dame war so harmlos und so garnicht darauf vorbereitet,
dass sie den Sinn dieser Worte erst nicht begriff und glaubte, es
handle sich um eine stenographische Arbeit. — Erst als der Herr
Baumeister seinen Wunsch mehrmals wiederholte und meinte, er
:]
i
— 220 —
könne das doch nicht noch deutlicher ausdrücken, sie könnten ja
später das Nähere hesprechen und sich an einem dritten Ort treffen,
da dämmerte eine Ahnung in ihr auf.
Ihre Antwort war die Kündigung! Cnd diese Dame stand in
ihrem Privatleben gesellschaftlich sogar über dem Baumeister.
Es ist gerade, als nehmen diese Leute von vornherein an, die
Frauen, welche sich ihr Brot selbst erwerben, seien vogelfrei und
gerade gut genug für solche Dinge.
Nun vogelfrei sind wir in gewissem Sinne thatsächlich und nur
auf unsere eigene moralische Kraft der Abwehr gestellt, denn das
Gresetz schützt uns gegen solche schamlose Ausbeutung bis heute
noch nicht. Die Benutzung der Notlage anderer durch Wucher wird
mit Gefängnis bestraft, der Chef aber, der die Abhängigkeit seiner
weiblichen Angestellten dazu benutzt, sie sittlich zu vernichten,
zahlt schlimmsten Falls nach einer langwierigen Beleidigungsklage
einige Mark Geldbusse.
Die heutige Gesellschaft weiss eben noch gamicht, welche
Stellung sie der arbeitenden Frau schuldig ist. — Unter den weib-
lichen Kaufleuten finden sich hervorragend tüchtige Elemente, die
teilweise aus den gebildetsten Familien unseres höheren Mittelstandes
kommen, Charaktere zu Stahl gehärtet im Kampf um die Existenz.
— Und doch wird die Berufsklasse als solche nicht eher die ihr
gebührende gesellschaftliche Stellung einnehmen, bis nicht das ganze
Geschlecht die Anerkennung seiner Bürgerrechte durchgesetzt hat.
— Die Handlungsgehilfinnen zum Verständnis dieses Kampfes und
zur Teilnahme daran allmählich zu erziehen, ist Aufgabe der Fach-
vereine.
Sie haben sie zunächst Q^meinsinn zu lehren, indem sie ihnen
zeigen, dass sie als Standesgenossen zusammengehören, dass sie für
einander überall einzutreten verpflichtet sind, dass sie sich ihrer
ehrlichen Arbeit nicht nur nicht zu schämen haben, sondern dass
diese sie hinaushebt über alle Jene, welche ihr Leben mit Nichts-
thun vertändeln, dass ihr Beruf nicht als Spielerei, sondern als
Lebensberuf aufzufassen, mit dem ganzen Sein zu erfüllen ist, dass
sie aber andererseits von ihm auch eine volle Existenz fordern
müssen und darüber hinaus noch die Mittel, an der geistigen Kultur
ihrer Zeit teilzunehmen, dass ihr Platz nicht unter, sondern neben
dem Manne ist, und dass gleichen Leistungen auch gleicher Lohn
gebührt, — ohne Rücksicht auf das Geschlecht. — Und sind sie
erst zu dem Bewusstsein erwacht, dass auch sie, ebenso wie der
Mann, eine freie eigene Persönlichkeit von Gott empfangen haben,
für deren Entfaltung sie ihm verantwortlich sind, dann werden sie
ofl'ene Bahn für ihr Geschlecht fordern und heisse Mitstreiterinnen
werden im grossen Kampf der deutschen Frau!
• Dieser innige Zusammenhang mit der Frauenfrage ist von den
f bis jetzt bestehenden Fachorganisationen der Handlungsgehilfinnen
^ auch durchaus begriffen worden. — Sie sind stets mit den Vereinen
i zur Vertretung der Frauenrechte Hand in Hand gegangen und der
Hilfsverein für weibliche Angestellte zu Berlin, dessen Stellen-
vermittelung zu leiten ich die Ehre habe, ist sogar auf sehr glück-
liche Weise durch Personal-Union in seiner zweiten Vorsitzenden,
— 221 -
Frau Sdiulrat Gaaer, mit dem Verein Franenwohl verbunden.
Unser Hilftverein, als die erste und grösste Fachorganisation
der Handlungsgehilfinnen besteht erst seit dem 1. Oktober 188Q
und sShlt heate bereits mehr als 9000 Mitglieder, ziemlich ^U aller
in Berliner Geschäften arbeitenden Frauen.
Sein schnelles Wachstum verdankt er neben dem sehr glück-
lichen Zeitpunkt seiner Gründung, hauptsächlich der überaus ge-
schickten Leitung seiner beiden Vorsitzenden, Herrn Jul. Meyer
und Frau Schulrat Gauer. — Liegt sonach der Vorsitz auch nicht
in den Händen der weiblichen Angestellten selbst, so sind dieselben
doch vom ersten Schritt zur Gründung an, stets in hervorragender
Weise an der Leitung beteiligt gewesen. — Zu Vs setzt sich der
Vorstand aus Handlungsgehilfinnen zusammen und ausserdem be-
steht noch ein ans der Mitte der Mitglieder gewählter freier Beirat
von etwa« 60 weiblichen Angestellten, der sich regelmässig einmal
im Monat versammelt und in allen wichtigen Angelegenheiten ge-
hört wird.
Finanziell gründet sich der Verein selbst fast ausschliesslich auf
die Beiträge seiner ordentlichen Mitglieder, während seine Kranken-
kasse, ähnlich wie die Ortskrankenkassen von den Chefs der bei ihr
versicherten jungen Mädchen einen regelmässigen Zuschuss einfordert.
Für 3 Mark Jahresbeitrag bietet der Verein freie Stellen-
vermittlung, welche im Jährt», li895 1500 jungen Mädchen Stellung
verschaffte, Unterstützungsrecht, Nachweis von billigen und gesunden
Wohnungen und Sommerfrischen, Ferienkolonien für Erholungs-
bedürftige, Rechtsschutz durch seine beiden Rechtsanwälte, billige
Vorstellungen in selbstgemietett*n guten Theatern, Vorträge, eine
bereits ziemlich umfangreiche Bibliothek und gesellige Zusammen-
künfte. — Auch eine Vereinszeitung existiert seit dem 1. Juli d. J.,
welche die Mitglieder zu immer grösserem Verständnis ihrer eigensten
Interessen führen will.
Ausser diesem allen leistet der Verein resp. seine Krankenkasse
gegen einen Extra-Beitrag in 3 verschiedenen Klassen Krankenhilfe
von verschiedenem Umfange.
Für 5 Mark jährlich freie Behandlung durch einen der Ver-
einsärzte, wobei das Mitglied unter 42 angestellten Aerzten frei
wählen kann, freie Medikamente und event. freie Aufnahme in ein
Krankenhaus.
Bei 12 Mark jährlichem Extra-Beitrag ausserdem noch täglich
1 Mark, bei 18 Mark Jahresbeitrag täglich 1,50 Mark Krankengeld
bis auf 26 Krankheitswochen.
Endlich besitzt der Verein kaufmännische und gewerbliche Fach-
schulen, welche den jungen Mädchen Gelegenheit geben, sich für
den Beruf vorzubereiten oder etwa vorhandene Lücken auszugleichen.
Die Mitglieder geniessen in denselben Vorzugspreise. — Nach dem
Urteil von Fachleuten sind die Schulen vorzüglich geleitet und
weisen bedeutende Leistungen auf. — Speziell im gewerblichen
Fachzeichnen wirkt der Verein sogar bahnbrechend.
Aehnliche Organisationen bestehen bereis in Elberfeld, Frank-
fürt a. M., Hamburg und München. Speziell der Münchener Verein ver-
dient volle Anerkennung, er ist ganz allein aus der Initiative der
weiblichen Angestellten hervorgegangen und wird vollkommen
selbständig von ihnen geleitet, —
Aber nicht überall ist der Boden so günstig, ^ meistens wird die
Anregung von aussen in die E reise der weiblichen Angestellten hinein-
getragen werden müssen, von denen, die mehr Erfahrungen auf dem
Grebiet der Vereins thätigkeit besitzen und mehr Zeit dazu erübrigen
können. — Und diese Aufgabe fiQlt den hier versammelten Frauen
fcu. Rufen Sie jede in ihrer Heimat ähnliche Organisationen hervor,
soweit die örtlichen Verhältnisse dies irgend zulassen, und helfen
Sie dadurch einen grossen Stand arbeitender Frauen zum Selbst-
bewusstsein und zur inneren Selbständigkeit zu erziehen. — Das
muss aber auch stets der leitende Gedanke dabei sein. — Nur keine
Patronage, nur nicht einen Verein fertig vor die jungen Mädchen
hinstellen und sagen „nun kommt, nehmt und bedankt Euch!" —
Das hiesse den Zweck vollständig verfehlen. — Von vornherein
müssen die Handlungsgehilflnnen doch wenigstens mitarbeiten an
ihrer Organisation, sie ganz den Bedürfnissen ihrer Berufegenossinnen
anpassen, auch Opfer bringen für die gemeinsame Sache, damit sie
ihnen etwas wert sei. Ist die zur Leitung des Ganzen geeignete
Persönlichkeit unter den weiblichen Angestellten nicht zn finden, so
beteilige man die Mitglieder wenigstens an zweiter Stelle und bilde
sie allmählich fdr die Selbstverwaltung heran. "Wo die Organi-
sation nicht so gross ist, wie hier in Berlin, wird das gewiss
möglich sein.
Trauen Sie uns weiblichen Kaufleuten nur etwas zu, wir können
etwas leisten!
Die Frage der weiblichen Uebervölkerung.
1 der
Eine lieber völkerung wird dadurch charakterisiert, dass ein
Teil der menschlichen Gruppe zur Ausübung ihrer natnrgemässeii
oder gesellschaftlichen Funktionen nicht gelangt wegen zn grossen
Angebots an Menschen. Deswegen können wir nie von einer
Uebervölkerung im Sinne einer bestimmten Menschenmenge reden,
sondern im Verhältnis entweder zu den vorhandenen Nahrungs-
mitteln oder zu der Nachfrage nach Arbeitern in einem Aj-beits-
zweige, endlich wie in unserem Falle zur Versorgnngsmöglichkeit
in der Ehe oder in einem wirtschaftlichen Beruf, welcher den
Menschen ernähren und seine Kräfte voUständig benutzen kann.
Wir reden von einer weiblichen Uebervölkerung, obgleich unter
dem auf der ganzen Erde gezählten Einwohnerteil die Zahl der
Männer diejenige der Frauen übertrifEt, auf 1000 Männer nämlich
entfallen 988 Frauen.
Auf den ersten Blick scheint letztere Thatsache befremdend.
Die Statistik steht hier im Widerspruche mit den Erscheinungen des
täglichen Lebens. Wir wissen ja, dass eine Anzahl von Frauen zur
Ehe nicht gelangen, nicht weil sie es nicht wollen, sondern weil sie
es nicht können, dass in allen Arbeitszweigen, wo Frauenarbeit
verwendet wird das Angebot grösser ist, als in männlichen Erwerbs-
— 223 —
zweigen. Volkszählungen in einzelnen Ländern nnd besonders in
Städten beweisen einen numerischen Ueberschuss des weiblichen
G^ehlechts. Der Widersprruch löst sich, sobald wir in die Einzel-
heiten der Frage eindringen.
Die in der ganzen Welt berechnete Bevölkerung beträgt
1480 Millionen, wobei ein Fehler von ein paar Zehntel Millionen
nicht unmöglich ist. Von dieser Bevölkerung sind 793V2 Millionen
gezählt, und unter dieser allerdings imposanten Zahl besteht das
schon erwähnte günstige Verhältnis. Die Statistik ist aber keine
kosmische Wissenschaft, sie kann sich nicht damit vertrösten, dass-
auf der ganzen Erdkugel eine Tendenz zum Uebergewicht des männ-
lichen Geschlechts über das weibliche herrscht, wobei auch Zählungs-
fehler nicht ausgeschlossen wären, sie ist auch keine naturwissen-
schaftliche Disziplin und die Thatsache, dass überall und immer eine
grössere Anzahl von Knaben als von Mädchen geboren werden
(nämlich auf 100 Mädchen 104 — 106 Knaben) hat eine geringe Be-
deutung für ihre Schlüsse.
Die Hauptursache des numerischen Verhältnisses unter den
Geschlechtern ist in den sozialen Bedingungen zu suchen. Mit den
Verschiebungen, welche unter ihrem Einflüsse eintreten, müssen
Wissenschaft und Leben rechnen. Die Bevölkerungsstatistik bietet
uns den Ausdruck dieser sozialen Bedingungen. Hinter den
Zahlenreihen, welche sie uns vorführt, falls diese überhaupt einen
tieferen Sinn haben sollen, steht die Gesellschaft und an dieser, an
ihrem Wohl und Wehe müssen numerische Thatsachen gemessen
werden.
Vor allem blicken wir letzteren ins Gesicht: Die Verteilung
der Geschlechter hat für die Frauenfrage besondere Bedeutung in den
Ländern des heutigen Kulturkreises, also in Europa und den Ver-
einigten Staaten von Nordamerika.
In Europa überwiegt im ganzen das weibliche Geschlecht,
nämlich fallen auf 1000 Männer 1024 Frauen, wenn wir aber die
besonderen Staaten betrachten, ergiebt sich blos in sieben Staaten
des Südens (Italien, Griechenland, Rumänien, Bulgarien, Serbien,
Bosnien und Herzegowina, und Lichtenstein mit zusammen 45V2 Mil-
lionen Bevölkerung ein ueberschuss von V2 Million Männern, der
das vollständige Gleichgewicht stört. In allen übrigen ist die Zahl
der Frauen grösser, wobei sich auch unter den einzelnen Landes-
teilen bedeutende Unterschiede ergeben. Da die allgemeinen Volks-
zählungen erst in unserem Jahrhundert eingeführt worden sind,
können wir nicht beurteilen, ob dieses eine nationale Eigentümlich-
keit oder das Ergebnis der gegenwärtigen Kulturentwickelung sei.
Wir müssen aber konstatieren, dass unsere Wirtschaftsform von
einem Ueberschuss des weiblichen über das männliche Geschlecht
begleitet ist. Dieser Schluss wird durch die Entwickelung der Ver-
einigten Staaten von Nordamerika bekräftigt. Während im ganzen
Lande auf 1000 Männer blos 953 Frauen kommen, haben die Nord-
und südatlantischen Staaten, also die der ältesten Kultur einen
Ueberschuss an Frauen, welcher im Kreise Columbia bis auf 110,
Massachusetts und Rhode Island bis auf 106 zu 100 Männern steigt.
Eine weitere Bestätigung dieser Tendenz unserer Wirtschaftsperiode
— 224 —
bietet die Entwickelung ihrer Schöpfung, der modernen Grossstädte.
In den meisten Grossstädten ist das numerische Verhältnis der
Geschlechter noch ungünstiger als im Landesdurchschnitt. Auf
1000 Männer entfallen z.B. in Paris 1050 Frauen, während in Frankreich
überhaupt 1007, in Brüssel 1144, in ganz Belgien 1007, in London
1123, in Grossbritannien 1060, in Wien 1124, in Oesterreich 1047,
in Berlin 1091, in Deutschland 1039 u. s. w.
Man war vielfach bemüht nachzuweisen, dass das Zahlen-
verhältnis für die Beziehungen der beiden Geschlechter ohne Be-
deutung sei, da der Ueberschuss blos auf die höchsten Altersklassen
falle, während im produktiven und Heiratsalter sich ein numerisches
Gleichgewicht einstelle. Leider bestehen für die meisten Länder
ungünstige Zahlenergebnisse, gerade für die Altersklassen von 15
bis 45 Jahren.
Auf je 100 Einwohner dieses Alters waren z. B. in Deutsch-
land (1890) 49 Männer und 51 Frauen, in Oesterreich (1880)
48,6 Männer und 51,4 Frauen, in England (1880) 48,3 und 51,7,
in Schottland (1880) 48 und 52.
In den Städten sind die Verhältnisse nicht besser. So entfielen
auf 100 Einwohner im Alter von 15 bis 45 Jahren in Wien
53 Frauen und 47 Männer, in Prag 53,6 Frauen und 47,2 Männer,
in Berlin 51,3 Frauen und 48,7 Männer.
Ich will meine verehrten Zuhörerinnen mit Zahlenangaben nicht
weiter quälen, die bisherigen genügen, um zu beweisen, dass gerade
in demjenigen Alter, in welchem Männer und Frauen gemeinsame
Aufgaben zu erfüllen haben, von einem Gleichgewicht der Geschlechter
keine Rede sein kann, und dass diese Erscheinung, sowohl im
Landesdurchschnitte, wie in Grossstädten zu bemerken ist.
Die Ursachen dieser, wie gesagt, ziemlich allgemeinen Erschei-
nung der Ueberzahl des weiblichen Geschlechtes sind bis jetzt nicht
vollständig aufgeklärt. Unsere Kultur scheint für die Männer mehr
aufreibende Bedingungen geschaffen zu haben, als für die Frauen.
Abgesehen von Kriegen, welche auf dem Zahlenverhältnisse der Ge-
schlechter deutliche Spuren für eine gewisse Zeit hinterlassen, stellt
die mehr expansive Existenz des Mannes, sowohl in Arbeit wie im
Genuss grössere Ansprüche an seine Lebenskräfte, die sich auch
rascher erschöpfen. Im Durchschnitte lebt der Mann eine kürzere
Anzahl von Jahren als die Frau. In den wenigen Fällen jedoch,
wo Männer und Frauen in gleichen Bedingungen beobachtet wurden,
erwies sich die weibliche Lebensdauer kürzer als die männliche,
was auch leicht zu erklären ist, wenn man die Pflichten der Mutter-
schaft, welche für die Frau hinzukommen, bedenkt.
So hat z. B. Dr. Swiatlowski aus Russland bei bevölkerungs-
statistischen Beobachtungen im Gouvernement Charkow, wo Frauen
gleich den Männern zu Feldarbeiten angezogen werden, eine Sterb-
lichkeitsziffer von 120 Frauen auf 91 Männer gefunden.
Der ungarische Statistiker Körösi berechnet die durchschnitt-
liche Lebensdauer der Einwohner von Kellerwohnungen auf lO^/s Jahre
für Frauen und auf 12 Jahre für Männer. Derselbe Statistiker
hat die Lebenslänge der weiblichen Bedienten auf 29 V2 imd diejenige
der männlichen auf 40 Jahre berechnet.
— 225 —
Da die heutige Wiitschaftsentwickelang immer mehr weibliche
Kräfte zur Erwerbsarbeit heranzieht und sie in gleiche Bedingungen
mit den Männern stellt, wäre zu erwarten, dass das Privileg der
Langlebigkeit dem weiblichen Geschlechte nicht für immer verbleibt.
Für heute steht es ihm doch zu, und erzeugt fast in allen
Ländern und Altersklassen einen numerischen Ueberschuss der
weiblichen Bevölkerung über die männliche.
Es verbleibt also die Frage inwiefern dieser Ueberschuss sich
zur weiblichen Ueberbevölkerung gestaltet in dem zu Anfang meines
Referats angedeuteten, für das Individuum und die Gesellschaft
ungünstigen Sinne?
Vor allem muss unter dem bestehenden Zahlenverhältnisse ein
Teil der heiratsfähigen weiblichen Bevölkerung unverheiratet
bleiben.
Dieser Teil vdrd noch durch die Thatsache vergrössert, dass
die Heiratsfrequenz, also das Verhältnis der geschlossenen Ehen zur
Bevölkerung überall in Abnalime begriffen ist. Der Vergleich der
vom Jahre 1885 bis auf das .Jahr 1891 geschlossenen Ehen ergiebt
in allen europäischen Ländern, filr welche solche Berechnungen
möglich zu machen waren, ausser Italien, wo wir auch ein günstiges
numerisches Geschlecht««verh«*iltniä gefunden haben, eine Abnahme der
Heiratsfrequenz. Ja sogar in manchen Staaten Nord-Amerikas wie
Massachusetts, Connecticut, Rhode Island wiederholt sich diese Ab-
nahme, wenn auch die Ziffer der Ehefre(iuenz eine höhere als in
Europa geblieben ist. Diese unversorgte Frauenwelt, die zur Aus-
übung der Hausfrauen- und Mutterpflichten nicht gelangen kann,
ist jedoch nicht als Uebervölkerung zu betrachten, insofern sie erwerben
und einen Beruf ausüben kann. Dieser kann eine Existenz ausfüllen
und wenn nicht immer zu einer glücklichen, allerdings zu einer
nützlichen gestalten. Die Berufslosen sind aber xxnUyr den Frauen
fast immer doppelt so zahlreich wie unter den Männern. Ich greife
einige Beispiele heraus. Es entfielen auf je 100 der über 15 Jahre
alten Bevölkerung auf Berufslose in Deutschland 65 unter den
Frauen und 37 unter den Männern, in Italien 49 unter den Frauen
29 unter den Männern, in England und Wales 63 und 35, in
Norwegen 69 und 49, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika
84 und 46. Ueberall also auf einen berufslosen Mann finden wir
zwei bis drei berufslose Frauen. Da aber der Mangel von Beruf
den Erwerb nicht ausschliesst und die wirtschaftlichen Verhältnisse
immer neue Prauenschichten zum Erwerb drängen, ergiebt sich als
Folge davon, dass die mt^sten erwerbenden Frauen in Industrie und
Handel Handlangerdienste leisten. Dabei stehen sie in Bedingungen,
welche sie jederzeit zu den Ueberzähligen, zur Reserveannee der
Industrie, verurteilen, ihnen eine abhängige und untergeordnete
Stellung anweisen.
Dieses war zu jeder Zeit das Loos der Frau und besonders der
erwerbenden Frau. Der Unterschied zwischen früher und jetzt ist,
dass sie dieser ihrer Lage abzuhelfen sucht, dass sie mit gutem oder
schlrchten Erfolg dieselben Bahnen einschlägt, welche früher blos
dem männlichen Geschlechte eigen waren. Die weibliche Welt
ergreift also neue Berufe, und beteiligt sich am Ortswechsel.
15
— 226 —
Tn früheren Zeiten haben die Frauen den sesshaften Bevölkerungs-
teil gebildet. Heutzutage bilden sie ein wichtiges Element sowohl
unter der überseeischen Auswanderung, wie in den inneren
Wanderungen.
Unter den aus verschiedenen europäischen Staaten nach Amerika
Einjjewanderten waren im Jahre 1861 37 000 Frauen, im Jahre 1880,
wo der Auswandererstrom am breitesten floss, 227 000, im Jahre 1892
203 000 Frauen.
Da die männlichen Auswanderer in ähnlicher Weise zugenommen
haben, bleibt das Verhältnis der Männer zu den Frauen unter den
überseeischen Auswanderern beinahe gleich. Auf 100 Erwachsene
kommen über 60 Männer und unter 40 Frauen. Einen noch regeren
Teil nehmen die Frauen an inneren Wanderungen, d. h. beim Orts-
wechsel im eigenen Lande.
Tn den früheren Zeiten war für die Frau die Heirat die häufigste
Ursache des Ortswechsels; heute kommen als zweite und mächtigste
die Erwerbsverhältnisse. Unter den Zugezogenen der deutschen
Grossstädte waren 50 000 mehr Frauen als Männer. In England,
bei der hohen Entwickelung der Industrie, sind unter den industriellen
Orten She-Städte, also solche, wo die Industrie hauptsächlich Frauen-
kräfte verbraucht und diese massenhaft heranzieht, entstanden.
Diese Gährung unter dem weiblichen Elemente ist durch die
Erwerbsverhältnisse hervorgerufen. Die Industrie verbraucht immer
mehr Frauenhände, neue Berufe werden vom weiblichen Geschlechte
ergriffen, es entstehen früher unbekannte Typen von weiblichen
Existenzen, welche ebenso selbständig sein müssen und dieselben
wirtschaftlichen und sozialen Kämpfe bestehen, wie die männ-
liche Welt.
Es soll keineswegs über diesen Umschwung ein Urteil abgegeben
werden, es würde mich auch zu weit führen, seine Schatten- und
Lichtseiten nachzuweisen: er besteht aber als Thatsache, lässt sich
weder leugnen noch bei bestehenden Verhältnissen abschwächen.
Und dieser Thatsache gegenüber muss die Frauenbewegung als
organisierter und bewusster Vorposten der heutigen Frauenwelt
Stellung nehmen. Sie muss diese Ueberzähligen, Gährenden und häufig
Irrenden mit dem Nutze ihrer Zwecke und Bestrebungen umfassen.
Wenn ich von den allzu theoretischen Betrachtungen auf das
für diesen Moment aktuelle, also zu unserer Versammlung über-
gehe, darf ich wohl tragen, ob diese Massenkundgebung der Frauen
aller Länder auch als Folge der weiblichen Uebervölkerung zu be-
trachten ist?
Zum Teile ja, die Frauenbewegung, die internationale weibliche
Solidarität, die Notwendigkeit gemeinsamer Besprechung der Inter-
essen des ganzen weiblichen Geschlechts ist nicht ein Werk der Ge-
nügsamen, Zufriedenen und Glücklichen. Diese Beneidenswerten
aber, sowohl unter den Männern wie unter den Frauen, waren nie-
mals ein Faktor des Fortschrittes. Um weiter schreiten zu wollen
muss man vor allem in der eigenen Meinung mit dem Bestehenden
abgerechnet haben, man muss unter den Verhältnissen der bisherigen
Weltordnung gelitten haben, um ein Besseres herbeizuwünschen.
Die Kritik, der Wunsch und der ihm folgende kräftige Wille
^^ 227 —
schaffen die That. Uns Frauen aller Länder, welche trotz der
bestehenden politischen und kulturellen Unterschiede gemeinsam
arbeiten wollen, fehlt es an einer solchen That nicht. Die über
ztthligen, unglücklichen Existenzen müssen in solche verwandelt
werden, denen die Zukunft gehört!
Berufsbildung der Mädchen in Riga.
Von Frau Rosalie Schoenflies, Berlin, Dele^rierte des Jungfrauen-
Vereins zu Riga.
Hochgeehrte Versammlung !
Ich habe Ihnen Grüsse aus der alten Baltenstadt Riga zu
bringen, Grüsse des Jungfrauen- Vereins, der dort seit länger als
30 «Jahren für das Wohl des weiblichen Geschlechtes thätig ist.
Leider war es keinem Mitgliede des Vereins möglich, nach Berlin
zu kommen und persönlich an dem Kongresse teilzunehmen. Da
ich aber Mitbegründerin und mehrjährige Mitarbeit»^rin an demjenigen
Werke war, über welches der Verein Ihnen einige kurae Mit-
teilungen zu machen wünscht, so hat man mich mit der Vertretung
betraut. Ich werde daher die Ehre haben, Ihnen in gedrängten Zügen
ein Bild der Thätigkeit des Vereins für die Berufsbildung der
Mädchen zu geben.
Der Jungfrauen -Verein wurde ursprünglich von vier jungen
Mädchen gegründet, um dem Lebensabend einer arbeitsunfähigen
Klavierspielerin die Not fernzuhalten; und auf Unterstützung alter,
nicht mehr arbeitstilchtiger Mädchen beschränkte sich jahrelang seine
Thätigkeit. Die hierbei gewonnenen Erfahrungen mussten aber folge
richtig zu der Einsicht füiiren, dass dieXot der auf Arbeit angewiesenen
Frauen nicht erst beginne, wenn ihre Kraft verbraucht ist. Dass
vielmehr ein tlbergrosses Angebot von Arbeitskräften auf beschränkten
Arbeitsgebieten und ungenügende Vorbildung für Erwerbsarbeit die
schlimmsten Feinde der erwerbsuchenden Frau seien. Man begriff,
dass man nicht nur die alten Mädchen untei-sfützen, sondern dass
man den jungen neue Arbeitsgebiete und die erforderliche Vorbildung
schaffen müsse. Und die Umsetzung dieser Erkenntnis in die That
war die Gründung der ersten Gewerbe- und Fachschule für
Mädchen in den baltischen Provinzen, die meines Wissens zugleich
die erste derartige Anstalt im ganzen russischen Reich war. Das Ziel
der neuen Schule wurde dahin bestimmt, dass durch sie den Töchtern
des Mittelstandes die fachmässige Vorbildung zu einer ihren besonderen
Lebensverhältnissen entsprechenden praktischen Erwerbsthätigkeit er-
möglicht werden solle.
Schon im Jahre 1876 hatte die verdiente Begründerin und Leiterin
des Arbeitsvermittelungs-Büreaus, Frl. Emma Brauser, infolge der
in demselben gemachten Erfahrungen einen bescheidenen Nähkursus
eingerichtet, der zuerst von nur 8, im 2. Jahre von 25 Schülerinnen
besucht worden war.
Im Herbst 1878 konnte die Gewerbeschule nach dem von der
Regierung bestätigten Plane mit 65 Schülerinnen eröffnet werden.
Die Fachbildung umfasste alle weiblichen Handarbeiten, die zum
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— 228 —
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Erwerb dienen können und für das Haus wichtig sind, einschliesslich
der Schneiderei und des Waschens feiner Wäsche; ausserdem Buch-
führung und Lithographie, zwei in Riga neue Erwerbszweige fiir
Frauen. Daneben wurde die Fortbildung in den Elementarfächem und
im Zeichnen in den Lehrplan aufgenommen. Die Mittel zur Erhaltung
der Schule wurden und werden teils vom Jungfrauen- Verein, teils
durch Beiträge der Stadtverwaltung, einzelner Korporationen und
Privater aufgebracht, da die Schulgelder, dem Zwecke der Anstalt
entsprechend, nicht hoch genug angesetzt werden können, um die
Ausgaben zu decken.
Die Leitung der Schule untersteht einem Komitee, zu dessen
thätigsten Mitgliedern seit der Gründung die jetzige Vorsitzende,
Frl. Elise von Jung-Stilling, gehört.
Schnell gewann die Mädchen -Gewerbeschule des Jungfrauen-
Vereins Boden im Lande. Von Jahr zu Jahr stieg die Zahl der
Schülerinnen, und seit den 18 Jahren des Bestehens der Anstalt
haben ca. 2794 Mädchen derselben ihre Ausbildung zu verdanken.
Auch der Lehrplan erfuhr in diesen Jahren eine stetige, von
den Bedürfnissen bestimmte Ausgestaltung. Die tiefgreifendste im
Jahre 1893 durch die Umwandlung in eine Reihe neben einander
bestehender Fachkurse, während vorher die Schule einen zusammen-
hängenden Organismus mit aufsteigenden Klassen gebildet hatte, und
jede Schülerin daher zur Teilnahme an dem gesamten Unterricht
verpflichtet worden war.
Die zur Zeit bestehenden Fachkurse sind folgende:
1. Zuschneiden und Nähen von Wäsche.
2. Flicken.
3. Einfaches Stopfen und alle Arten von Kunststopferei.
4. Zeichnen und Sticken von Namen.
5. Diverse Kunstarbeiten als: Gold-, Silber-, Buntstickerei, Filet-
Guipüre, Klöppeln etc.
6. Schneiderei.
7. Waschen und Plätten.
8. Zeichnen mit Anschluss des kunstgewerblichen Zeichnens.
9. Einfache und doppelte Buchführung.
10. Koch- und Wirtschaftskursus, nebst Führung von Haus-
haltungsbüchern.
11. Kursus zur Ausbildung von Hand arbeitlehr erinnen.
12. Kursus zur Ausbildung Fröberscher Bonnen und
13. von Kindergärtnerinnen.
Ein sehr wichtiger Faktor für die Erfolge der Gewerbeschule
ist die seit dem Jahre 1882 mit derselben verbundene Vorschule.
Obgleich diese nicht selbst den Charakter einer Fachanstalt trägt,
sondern eine abgeschlossene Elementarbildung giebt, so ist der
Unterricht in den weiblichen Handarbeiten und im Zeichnen doch so
eingerichtet, dass er in den entsprechenden Kursen der Fachschule
seine unmittelbare Weiterführung nach gleicher Methode findet.
Des weiteren ist hervorzuheben, welch^ hoher Wert von Anfang
an der erziehlichen Einwirkung beigelegt wurde und wie sehr dies
Moment bei der Wahl der Lehrkräfte stets mitbestimmend war.
Der grösste Teil der Lehrenden sind Frauen aus den Kreisen der
— 229 —
YAhar Gebildeten, die ihr Amt nicht nur als einen Bemf^ sondern
EO^eich als eine Mission ansehen.
Skidlich sei noch bemerkt, dass die Rigaer Mädchen-Gewerbe-
schule Ausgang und Vorbild für ftholiche Anstalten in verschiedenen
Teilen des grossen rassischen Reiches geworden ist.
Die Mädchen-Gewerbeschxile in Hamburg.
Von Frl. Berthe Delbanco, Delegierte der Schule.
Ich komme der Aufforderang nach, vor dieser hochverehrten
Versammlung über die Hamburger Gewerbeschule für Mädchen
einen Beridit zu erstatten, und beginne mit den Worten derjenigen
Frau, die dieses so segensreiche Institut ins Leben gerufen, auf
deren Anregung der „Verein zur Forderung weiblicher Erwerbs-
thäügkeit'^ die Gewerbeschule für Mädchen gründete, mit den
Worten der Frau Emilie Wüstenfeld. Als im Dezember 1873 das
neue Schalgebäude in der Brennerstrasse in St. Georg den festlichen
Tag seiner Einweihung beging und diese um die Förderung weih-
lidier Bildung so hochverdiente Frau den Bestrebungen Ausdruck
gab, deren Mittelpunkt sie war, sprach sie: „Der gewaltige Fort-
schritt unserer modernen Kultur duldet keinen Stillstand, weder bei
dem Einzelnen, noch bei der Gesamtheit. AVer auch immer sieh ihm
entgegenzustellen sucht, ja, wer auch nur seitab von seinem unauf-
haltsamen Strome sich nicht von ihm berühren lässt, bei dem rächt
es sich schwer. Allmählicher Rückschritt in den geistigen, sittlichen
und materiellen Zuständen ist die Folge. Dies bewahrheitet sich
leider nur zu traurig auch im Grossen und Ganzen bei unserem,
dem weiblichen Geschlecht. Die trübe Ueberzeugung davon ist aber
manchem Nachdenkenden schon zum Bewusstsein gekommen, und
die richtige Eirkenntnis des Mangels ist schon der Anfang des Besser-
werdens**. —
Seit jener Zeit bis heute ist die Erkenntnis des Mangels grösser
geworden, und diese gesteigerte Erkenntnis hat in allen Teilen
Deutschlands zur Errichtung von Instituten geführt, welche gleiche
Zwecke verfolgen, die bestrebt sind, unsere Mädchen als thätige
Glieder des Hauses und der Familie, sowie als selbständig Erwerbende
tüchtig und leistungsfähig zu machen und ihnen zu helfen, durch
gründliche Vorbereitung auf einen Beruf, auf ihre eigene Kraft
vertrauend, den Kampf mit dem Leben aufeunehmen. Unter den
Instituten, welche diese Ziele anstrebten, ist die Hamburger Ge-
werbeschule die erste in Deutschland gewesen und hat mancher
anderswo begründeten als Vorbild gedient. Ihre Ziele im allgemeinen
sind die oben genannten : sie will jungen Mädchen, welche die Schule
verlassen, die allgemeinen, wie namentlich die speziell technischen
Kenntnisse und Fertigkeiten verschaffen, welche für einen speziellen
Beruf notwendig, für jede häusliche und gewerbliche Beschäftigung
wünschenswert sind. Die Schule wird demnach nicht nur von
Mädchen besucht, die auf einen Erwerb angewiesen sind, sondern
viele suchen in ihr nach vollendeter Schulzeit eine weitere allge-
meine Ausbildung in Sprachen und Wissenschaften, sowie in den
praktischen FScheni. Im Besonderen aber wurde stets von der
Anstatt der fonnale Zweck, die sittlich bildende Einwirkung der
Schule betont, Zam Fleiss, zur Ordnung und zur Arbeit sollen die
Schillerinnen erzogen werden; strenge wird auf regelmässigen Schul-
besuch, auf reire Anteilnahme in den Unterrichtsstunden, auf Pleiss
in der Anfertigung der häuslichen Arbeiten, auf Befolgung des
Schulreglements gesehen.
Wie die Erkenntnis dessen, was not war, wuchs und von denen,
welche an dem Werke arbeiteten, nach Kräften in Thaten umgesetzt
wurde, wachs auch im Publikum die Erkenntnis der Anforderungen,
die das Leben stellt und die Anerkennung dessen, was die Schule
leistet«, tn der konstituierenden Generalversammlung des „Vereins
zur Förderung weiblicher Erwerbsthätigkeit" hielt der Vorsitzende,
Hr. Dr. Ad. Meyer, es für geboten, die Mitglieder auf die Not-
wendigkeit hinzuweisen, auch dahin zu wirken, dass die Eltern ein-
sehen lernten, wie nötig es sei, ihren Töchtern eine gute, praktische
Erziehung zu geben, und sie zu überzeugen, dass die Töchter so gut
wie die Söhne ein Anrecht darauf haben, etwas für das Leben zu
lernen. Eine Einsicht in die Statistik über die Frequenz der Schule
beweist, dass diese Ueberzeugung den derzeit gehegten Hoffnungen
entsprechend sich Bahn gebrochen hat. Die Schule begann ihre
Thätigkeit mit 36 Schülerinnen; nach wenigen Jahren schon war
der Zuspruch ein so grosser, dass die von der Gewerbeschule be-
nutzten Schulräume des Paulsenstifts und die auf der Gr. Burstah 19
eingenommenen die SchülerKahl nicht mehr ku fassen vermochten. Mit
dem Bau des neuen Schulhanses wuchs die Teilnahme. 1874 sind
167 Schülerinnen verzeichnet, die Zahl stieg bis 81/82 auf 464, bis
94/95 auf 615, und Ostern 1896 erfolgten so viele Anmeldungen,
wie nie zuvor.
Sowie die Hamburger Gewerbeschule die erste in Deutsehland,
so ist auch das Gebäude eines der ersten gewesen, das eigens dazu
erbaut Lst, der Heranbildung des weiblichen Geschlechts zu grösserer
Selbständigkeit zu dienen.
Die Organisation des Schul Instituts hat sich von seiner Gründung
bis jetzt stetig entwickelt, und rastlos wurden immer weiter ge-
steckte Ziele verfolgt, bei deren Inaussichtnahme die Schule vor
alli'm und immer versuchte, sieh dem praktischen Lehen anzupassen
und wirklichen dringenden Bedllrfnissen zu entsprechen.
Es wurden nach einander eingeschaltet: der Kursus für Kinder-
gärtnerinnen und der Kindergarten, die Kurse für Waschen und
Plätten, für Kunststickerei und Putzmachen, die Handel sknr,'*e und
der im Jahre 1894 eingerichtete Kochkursui.
Den Zielen der Schule entsprechend, sind die verschiedenen
Anstalten, welche sie vereinigt, teils wissenschaftlich - theoretischer,
t«ils technisch- praktischer Art.
Die Grundlage des Ganzen bilden die Fortbildungsklassen, als
Fortbildungsschule, 1868 neben der Gewerbeschule eingerichtet.
Die mangelhafte Vorbildung der Schülerinnen veranlasste den
Vorstand, unter diesem Namen Abendkurse einzurichten, die an vier
Abenden in der Woche Mädchen über 13 Jahren Unterricht ge-
währten. Zu den drei zuerst gelehrten Fächern: Deutsche Sprache,
— 231 —
Rechnen und Zeichnen traten nach einem Jahre englische Sprache und
Buchführung und später Französisch. Diese Unterrichtszweige wurden
dann in den Stundenplan der Gewerbeschule selbst eingeschlossen.
Da aber die Bildungsanstalten, welche die in der Gewerbeschule
eintretenden Schülerinnen verlassen, so sehr verschieden und die
Bildungsresultate, die sie mitbringen, oft mangelhaft sind, hat man
die deutschen Kurse der Fortbildungsanstalt in drei Klassen geteilt.
Während man in der 3. Klasse im Anschluss an das Lesebuch haupt-
sächlich Grammatik treibt und nur Reproduktionen als Aufsätze
verlangt werden, wird in der 2. Klasse neben Grammatik und Auf-
satz auch etwas Litteratur getrieben; in der 1. Klasse wird in den
Aufsätzen grössere Selbständigkeit gefordert, auch sind für Litteratur
2 Stunden wöchentlich angesetzt. Die Stundenzahl für Deutsch be-
trägt in der 1. Klasse 4, 5, 6 Stunden. — Die neusprachlichen
Kurse umfassen 2 Klassen mit je 3 Stunden wöchentlich. — Die Be-
herrschung der Muttersprache ist maassgebend für die Beurteilung
des Bildungsgrades der Schülerin. Auch der Unterricht in der ein-
fachen Buchführung ist in die Fortbildungsklassen eingeführt, weil
in keiner Lebens- oder Berufsst^llung die Frau die Kenntnis der-
selben entbehren soll. Für Rechnen, auf das bedeutendes Gewicht
gelegt wird, und Buchführung sind 6 Stunden eingeräumt. Die
Kurse sind einjährig. Dieselben können in Verbindung mit den
praktischen und kunstgewerblichen Kursen besucht werden; über-
haupt steht es jeder Schülerin frei, die ihrer Neigung und ihren
Zwecken entsprechenden Fächer zu wählen, so dass sowohl 3, als
auch mehr, bis 36 Stunden wöchentlich genommen werden können.
Die Fortbildungsschtilerinnen haben das Recht, an den Geographie-
stunden der Handelsklasse teilzunehmen.
Die Handelskurse umfassen den Unterricht im kaufmännischen
Rechnen, in der Korrespondenz, Buchführung, Wechsellehre und
Stenographie, im Schönschreiben und der Schreibmaschine.
Die Beteiligung am Unterrichte im Deutschen, in der Geographie,
sowie in einer fremden Sprache steht jeder Handelsschülerin frei.
Die Kurse sind 1-, IV2- und 2 jährig, je nach dem Fleiss und den
Leistungen der einzelnen Schülerin. Der Kursus teilt sich in zwei
Klassen. Der Erfolg dieser Kurse zeigt sich in der festen Nach-
frage nach ausgebildeten Buchhalterinnen von Seiten kaufmännischer
Geschäfte.
Der Kursus für Kindergärtnerinnen giebt den Unterricht in der
Fröbelschen Methode und den Fröbelschen Beschäftigungsmitteln,
das Nötige aus der allgemeinen Erziehungslehre, Anschauungs-
unterricht, Zeichnen, Singen, Deutsch und Französisch und Englisch.
Nur Schülerinnen mit guter Vorbildung werden zu diesem Kursus
zugelassen.
Alle sind daher verpflichtet, das Wäschenähen auf der Maschine
zu erlernen; auch wird die Beteiligung an anderen praktischen
Kursen gefordert. — Zur Uebung der Kindergärtnerinnen ist ein
Kindergarten eingerichtet, der gut besucht ist. — Die beiden Zeichen-
kurse sind für die zur staatlichen Zeichenlehrerinnen - Prüfung
auszubildenden Mädchen 2jährig und für die Kunststickerinnen obliga-
torisch, insofern sie einen Teil ihrer Zeit dem Zeichnen widmen müssen.
— 232 —
Die zu Zeichenlehrerinnen auszubildenden Mädchen werden unter-
richtet in der Kunstgeschichte und der Stillehre, in der Methodik
des 2ieichenunterrichts und in der Pädagogik, ia Geometrie, Zirkel-
zeichnen, Projektionslehre und Perspektive.
Fünf Lehrkräfte sind für diesen Kursus angestellt. — In dem
Kursus für Kunststickerei soll die Uebung in allen Zweigen der
Stickerei, die Wiederbelebung älterer und die Einführung ausländischer
Stickerei-Techniken angestrebt, und durch Austührung stilvoller,
mustergiltiger Objekte, sowie durch die Erkenntnis des Zusammen-
hanges der Stickerei mit der Entwicklung der Kunst eine geläuterte
Geschmacksrichtung erzielt werden.
Dieser Kursus bezweckt die Ausbildung von Fachlehrerinnen
und kunstgeübten Stickerinnen und bietet ausserdem Damen Gelegen-
heit, einzelne Techniken zu erlernen.
Die zu Handarbeitslehrerinnen auszubildenden Schülerinnen ge-
messen, ausser den in den technischen Fächern, den Unterricht im
Deutschen, in der Pädagogik, speziell in der Methodik des Hand-
arbeitsunterrichts und in der Schulpraxis.
Es werden auch ganze Aussteuern übernommen; ebenso wird
für das Publikum gewaschen und geplättet. Echte Spitzen werden
mit besonderer Vortrefüichkeit gereinigt. Die Weissstickerinnen
werden soweit gefördert, dass sie in der Thätigkeit einen Broterwerb
finden können. Die praktischen Kurse von IV2 jähriger Dauer
dienen hauptsächlich dazu, Volksschülerinnen zu feinen Nähklin-
mädchen auszubilden; diese lernen zu gleicher Zeit in der Koch-
schule das Servieren. Es ist stets grosse Nachfrage nach so aus-
gebildeten Mädchen.
Die Kochschule soll jungen Mädchen Gelegenheit geben, sich
im Kochen für den Bedarf des bürgerlichen Lebens praktisch aus-
zubilden. Unter Leitung von erfahrenen Lehrerinnen wird gelehrt:
die Bereitung der einfachen Hausmannskost sowie die feinere Küche,
der Einkauf, das Abwiegen und Abmessen und die Beurteilung der
Speisen u. s. w. (siehe Prospekt). — Ein theoretischer Unterricht
in den Grundlagen der Küchenchemie und der Nahrungsmittellehre
ist mit den praktischen Hebungen verbunden. — Damit einerseits
jede Schülerin genügend berücksichtigt wird und jede die Verant-
wortung für das Gelingen der Speisen zu tragen hat, andererseits
dabei lerilt, das richtige Maass für einen kleineren Haushalt zu
treffen, wird nicht in grossen Töpfen gekocht, sondern in kleinen
für 4 Portionen berechneten, und je 2 Schülerinnen haben diese zu
bereiten. Die grossen Braten werden ebenfalls von 2 Schülerinnen
zur Zeit zugerichtet, abwechselnd werden alle dazu herangelassen.
16 — 18 Schülerinnen werden zu gleicher Zeit unterrichtet. — Um
die von den Schülerinnen zubereiteten Speisen zu verwenden, ist in
dem Speisesaal ein Mittagstisch für Damen eingerichtet. Derselbe
findet grossen Beifall und wird täglich von durchschnittlich 40 bis
50 Personen besucht; auch treffen vielfach Bestellungen auf Gebäck,
kleine Soupers, einzelne Gerichte ein, ebenso auf Einmachen von
Früchten u. s. w.
Die Verwaltung der Schule liegt in den Händen eines vom
„Verein z. Förder. wbl. Erw." eingesetzten Vorstandes. Derselbe
— 233 —
boteht augenblicklich ans dem Herrn Dr. Justus Brinckmann,
Direktor des Museams für Kunst und Gewerbe als Vorsitzendeni
dem Herrn Dr. Stohlmann, Direktor der allgemeinen Gewerbeschule,
ab stellvertretenden Vorsitzenden u. s. w.
Das erfreuliche Gedeihen der Anstalt ist in erster Linie der
Umsicht und Energie einer Dame zu verdanken, deren Namen ich
nicht unerwühnt lassen will, der Frau Dr. A. Ree, die als ver-
waltende Vorsteherin die Anstalt \on 1878—92 leitete. Herr
Dr. R^ war bis zu seinem 1801 erfolgen Tode der pädagogische
Berater derselben. Eine Inspektorin ist zur Beaufsichtigung der
Sdnile vom Vorstande eingesetzt.
Gut Yorbereitete Lehrkrilfte wirken an der Anstalt; eine grosse
Zahl derselben' sind in der Schule selbst ausgebildet worden, auch
hierin gebtthrt besondere Anerkennung Frau Dr. Ree, welche durch
ihr Beispiel nnd ihre Einwirkung dazu hingetragen hat, diese Kräfte
der Anstalt zu erziehen.
Da die Schule ihre Ausgaben aus eigenen Mitteln bestreitet,
kOnnen die Preise für den UntiTricht nicht so niedrig sein, wie in
einer staatlichen Anstalt. Durch Geschenke und Legate ist aber
das Institat in den Stand gesetzt. Freistellen zu vergeben; auch ist
im Jahre 1891 ein ünterstützungsfond für die Lehrer und An-
gestellte gegründet worden. — Eine öffentliche Ausstellung der
Schfllerarbeiten findet alle zwei Jahre in der Osterwoche im Schul-
hanse statt.
Aber diejenigen, welchen die Leitung dieser segensreichen An-
stalt anvertraut ist, ruhen nicht im Anschauen dessen, was gethan
ist, sondern wirken weiter in unermüdlicher Sorge um ihr ferneres
Gedeihen, und der Geeist jener Frau, die sie ins Leben rief, waltet
über ihr als Genius der Arbeitsamkeit, der Geistesfreiheit und des
Fortschritts.
Eingesandte Vorträge:
1) Evening-Glnbs for Working Girls, by Marion Blackie, Glasgow.
2) Bericht über die Entstehung und Wirksamkeit des Maria- Vereins
für sittliche und intellektuelle Hebung junger Frauen aus dem
Arbeiterstande in Helsingfors.
VI.
Donnerstag, den 24. September, Tormittag 10 Ubr*).
Vorsitz: Frau Minna Cauer, Fräulein Anita Augspurg.
Frauenwirken In häuslicher und öffentlicher
Gesundheitspflege.
Von Frau Lina Morgenstern, Berlin.
Die Hygiene, d. h. die Lehre von der häuslichen und öffent-
lichen Gesundheitspflege ist in der Gegenwart als soziale Wissen-
schaft anerkannt, welche als Bindeglied der menschlichen Gesellschaft
überall die gleiche Bedeutung hat, sowohl für das Einzelwesen wie
für die Gesamtheit. Die Lehre von der Erhaltung und Verbesse-
rung der Gesundheit geht noch der Heil Wissenschaft und Kranken-
pflege voran. Die letztere tritt erst dann ein, wenn das Wohlsein
bedroht ist, wenn Leiden entstanden sind, während die Gesundheits-
pflege Krankheiten vorzubeugen, Kräfte zu erhalten, Gebrechen zu
mildern sucht. — Körperliche, geistige und wirtschaftliche Ge-
sundheit des Einzelnen, wie der Gesamtheit, d. h. einer grösseren
Gemeinschaft sind die höchsten Güter des Lebens, von deren
Wechselwirkung, Wohlergehen, Glücksbewusstsein und Wohlstand
abhäng« n.
Die Hygiene ist der Inbegriff alles dessen, was die Erhaltung
und Förderung menschlichen Wohlbefindens zum Gegenstand hat,
nicht nur das leibliche und geistige, sondern auch das sittliche.
Sie hat sich mit dem zu beschäftigen, was dem Leben dienlich ist
und mit all den Gefahren, die es bedrohen. Soll die häusliche und
öffentliche Gesundheitspflege Nutzen bringen, so müssen ihre Lehren
Allgemeingut werden.
Die häusliche Gesundheitspflege übt ihren Schutz auf die
Einzelnen in der Familie aus, die öffentliche, welche sich auf ganze
Ortschaften erstreckt, fördert das Wohl der Massen, verhütet die
Verbreitung der Epidemien und trifft Versuchsmaassregeln gegen
allgemeine Uebelstände.
*) Redigiert von Lina Morgenstern.
— 236 —
Bei jener, wie bei dieser mtissen sich Ratschläge der Vernunft
mit Gesetzen der Moral verbinden, um die Menschen sittlicher, ge-
sünder — und darum glücklicher und besser zu machen.
Gesundheitslehre und Gesundheitspflege sind Wissenschaften,
die von jnder Frau gründlich studiert und praktisch bethätigt
werden sollten. Hat doch die Natur seihst die Frau, als Mutter,
zur Hüterin des Lebens und der Gesundheit eingesetzt, indem sie
das werdende Kind mit ihrem Blute nUhrt, bis es in die Erscheinung
tritt und dessen Pflege schon vor der Geburt von ihrem Verhalten
abhängig macht; das Neugeboi-enc nfihrt sie mit den besten Säften
ihi'es Körpers und wähn»nd der Säugling in ihren Armen ruht,
sangt- er mit der erst<'n Nahrung zugleich aus ihren Augen die
ersten Strahlen der Mutterliebe, die für das Hilflose inniges Ver-
ständnis hat.
Der Pflegesinn wird in dem Weibe wach, sobald die junge
Menschenknospe seiner Verantwortung anvertraut ist. Die Älutter
weiss, dass mit der ersten Gewühnung die Pflege und Erziehung
beginnt.
Jedes neugeborene Kind biingt schon in Beziehung auf Er-
nährung, Sauberkeit und fortdauernde Pflege eine Revolution in
der Familie hervor. Es beginnt für die Mutter eine Zeit praktischer
Studien und aufreibender Wachsamkeit, um die kleine Lebens-
maschine im Zustand guter Ernährung und Widerstandsfähigkeit
zu erhalten.
Wie wenig aber werden die Töchter gerade für den mütter-
lichen Beruf vorbereitet. Die grosse Sterblichkeit der Säuglinge und
Kinder in den ersten Lebensjahren und die vielen schwächlichen, ge-
brechlichen und verkrüi)pelt^^n .Menschen sind das beredte Zeugnis
dessen, was in der ersten Kindesi)fl(*ge gesündigt wird, wenn auch
noch viele andere Verhältnisse mitsprechen, wie erbliche und er-
worbene Krankheiten der Eltern: die Sünden der Väter in aus-
schweifender Lebensweise, Mangel des St Ibstnährens der Mutter, un-
taugliche Wohnungen, Armut und Vernaehlässigung.
Der Mutt<?r oder ihrer Vertreterin, die zur Pflege berufen wird,
ist die Aufgabe gestallt, die Pflegerin und Erzieherin des Kindes
nicht nur in den ersten wichtigsten Jahren zu bleiben, sondern die
heranwachsenden IMädchtn und Knaben zu ki-äftigen, tüchtigen
Menschen heranzubilden und von ihnen jede leibliche, geistige und
sittliche Gefahr fern zu halten. ]S'ehmen wir dazu, dass die Frau
für die Gesundheit ihres Ehemannc^s und für die ihrer Hausgenossen
und Untergebenen ebenso zu sorgen hat, wie für die eigene, so
werden wir zugestehen müssen, dass bei der Kompliziertheit des
häuslichen Berufes die Gesundheitspflege allein der Frau eine Fülle
von Pflichten auferlegt, d(Ten Bedeutung im Allgemeinen zu sehr
unterschätzt wird.
Was durch Unwissenheit in ]3ezug auf Gesundheitspfliege ge-
sündigt wird, lässt sich durch Zifl*ern nicht nachweisen, es zeigt
sich nur in den Folgen. Ganze Generationen verkrüppeln, grosse
Summen des National- und Privat Vermögens gehen zu Grunde aus
der einfachen Ursache einer gruben Vernachlässigung in der Er-
ziehung der Frau, indem man dem erwachsenen Mädchen die Kennt-
— 236 —
nisse vorenthält, die sich auf den menschlichen Körper, seine Organe,
seine Entwickelung, seine Forderungen beziehen. In der Oberklasse
jeder Schule miisste der Unterricht in Gesundheitslehre gegeben
werden und den Mädchen und Knaben besonders nahe gelegt, dass
nichts so vergiftend auf das Leben wirkt, als IJnmässigkeit und
Unsittlichkeit.
Der gi^össte Fehler in der weiblichen Erziehung ist, dass man
die Jungfrau blind erhalten will in allem, was das Geschlechtsleben
betrifft und dass sie daher hilflos und unwissend allen Gefahren
preisgegeben ist. Man verlangt aber von ihr die ganze Verant-
wortlichkeit ihrer Handlungen als kaum herangereifte Jungfrau, als
junge Hausfrau und Mutter. — Familienüberlieferungen, Erfahrungen
und Gewohnheit waren bisher ihre unzuverlässigen Lehrmeisterinnen.
Auch das Ueberhandnehmen der Frauenkrankheiten ist zum Teil
darauf zurückzuführen, dass die Jungfrau über ihre eigene Natur,
ihren Körper und seine Pflege, besonders aber über die ernste Be-
deutung der Ehe im Unklaren erhalten wird. Wie wäre es sonst
möglich, dass bei der Wahl des Ehegatten in Bezug auf seine Ge-
sundheit und sein Vorleben so leichtsinnig von Seiten der Braut
und deren Eltern gehandelt werden könnte. Es wird nach Ver-
mögensverhältnissen und Stellung, vielleicht noch nach Charakter
gefragt, den man jedoch meist erst im Verlauf der Ehe kennen
lernt; aber nach Gesundheit und sittlichem Vorleben fragen nur
wenige. Erkundigen sich aber gewissenhafte Väter bei dem Arzte
des Verlobten ihrer Tochter nach seinem Gesundheitszustand, so er-
halten sie keine Auskunft, weil das Berufsgeheimnis des Arztes es
verbietet.
Aber ach, in wie unzähligen Fällen wird das junge, blühende,
unschuldige und unwissende Mädchen in den Flitterwochen der Ehe
ein Opfer, dem qualvollsten Siechtum fürs Leben verfallen oder dem
frühen Tode geweiht.
Solche Anschauungen veranlassten uns schon im Jahre 1859 in
dem von mir mitbegründeten „Frauen verein zur Beförderung der
Fröbelschen Kindergärten", sowohl in dessen Seminar für Kinder-
gärtnerinnen, als im Kinderpflegerinnen-Institut die Gesundheits-
pflege als obligatorischen Lehrgegenstand einzuführen.
Sie veranlassten mich ferner, in der von mir 1869 begründeten
ersten Akademie zur wissenschaftlichen Fortbildung für junge
Mädchen Gesundheitslehre und Kinderpflege als Vorbildung zum
Mutterberufe erteilen zu lassen. Auch in der von mir im Rahmen
des Hausfrauenvereins 1878 begründeten Kochschule wird der Unter-
richt in Emährungs- und Gesundheitslehre erteilt.
Der Berliner Hausfrauen verein beschäftigte sich von jeher mit
häuslicher und öfi'entlicher Gesundheitspflege. So richtete er 1877
ein Laboratorium zur Untersuchung der Lebensmittel ein, in welchem
ein Chemiker angestellt war, der zum ersten Mal den Frauen und
Mädchen Unterricht in Untersuchung des Fleisches auf Trichinen
und Finnen gab und die Anwendung des Mikroskops im Haushalte
lehrte, um Verfälschungen zu erkennen.
Dies Laboratorium war mit einer permanenten Ausstellung von
Lebensmitteln verbunden, um neben dem Guten und Echten das
— 237 —
Minderwertige und Gefälschte zu zeigen. Zu gleicher Zeit wurden
Vorträge über den Bau, die Entwickelung und Behandlung des
menschlichen Körpers von einem Arzt gehalten. Damals existierte
noch kein Gesundheitsamt der Behörde und noch keine obligatorische
Pleischschau. Erst als diese eingerichtet waren, schloss der Verein
Laboratorium und Ausstellung, weil es kein Bedürfois mehr war.
Im Jahre 1887 veranstalteten die Aerzte Dr. Tiburtius und
Flatau mit mir Kurse für häusliche Krankenpflege und Gesund-
heitslehre, die noch immer während der Wintermonate stattfinden.
Die grosse Sterblichkeit der Säuglinge in notleidenden Familien,
wenn die Mutter bald nach der Geburt stirbt oder die Sterblichkeit
jener unglücklichen Neugeborenen verlassener, armer Mädchen, die
auf Erwerb gehen müssen, während die Kinder massenhaft den so-
genannten Engelmacherinnen verfallen, veranlasste mich im Jahre
1868, vereint mit Männern und Frauen, einen Kinderschutzverein
zu gründen, der seit 26 Jahren eine segensvolle Wirksamkeit in
unserer Stadt ausübt.
Solcher Kinderschutz sollte in jeder Stadt geübt werden. Ein
Zweig desselben sind die Krippen, welche die Kinder der ausser
dem Hanse Arbeitenden tagsüber in Pflege nehmen; doch gedeihen
dieselben in allen anderen Städten, namentlich in Oesterreich, besser
als bei uns.
Die Hauptsorge für die Gesundheitspflege ist jedoch die für eine
angemessene Ernährung.
Die Naturwissenschaft und Erfahrung lenken unsere Aufmerk-
samkeit auf den innigen Zusammenhang von Geist und Körper, die
beide so untrennbar sind, dass die stoffliche Ernährung dengrössten
Einfluss übt nicht nur auf Gesundheit und Lebenserhaltung, sondern
auf Gemütsstimmung und Leistungsfähigkeit. So ist Friedrich des
Grossen Wort zu verstehen: „Alle Kultur geht vom Magen aus".
Der Magen ist ein Tyrann, von dessen Befriedigung Arbeitskraft
und Behagen abhängt, sowohl bei dem Einzelnen, wie bei der grossen
Masse des Volkes.
Die Ernährungsfrage ruft den Kampf ums Da-ein wach, der
sich zu allen Zeiten kund gab. Um sich zu erhalten kämpft und
arbeitet der Mensch. Zugleich ist der Selbsterhaltungstrieb der
mächtigste Hebel zu allen Kraftanstrengungen, zu aller Kraftent-
faltung, der Impuls unseres Schafl'ens.
So steht die Ernährungsfrage im Zusanimenhange mit der Volks-
wirtschaft, Gesundheitspflege und Sittlichkeit.
Bei dem besten Willen, sich gut nähren zu wollen, stossen Un-
zählige auf das Hindernis, es nicht zu können, da die Beschaffenheit
der Nahrung meist von den Geldmitteln abhängt. Nur wer sich
und seine Familie selbst zu erhalten vermag, kann für angemessene
Ernährung: sorgen. Unsere sämtlichen sozialen Zustände hängen
mit der Broterwerbs frage zusammen.
In diesem Jahre ist durch eine Enquete in Wien über die Lohn-
verhältnisse der Fabrikarbeiterinnen in der Hausindustrie zur öffent-
lichen Kenntnis gekommen, welchem Elend das sogenannte schwache
Geschlecht ausgesetzt ist; wie Mädchen und Frauen bei 10- und
12 stündiger Arbeit kaum so viel verdienen, um im kleinsten Baume
— 238 —
zu wohnen, ja oft nur eine Schlafstelle bezahlen können, sich
schlecht und kümmerlich nähren, und dann dem Siechtume und der
Arbeitslosigkeit verfallen.
Dieser im allgemeinen unvernönftigen, ungenügenden Ernährung,
der Zersplitterung der Kräfte und Stoffe in den Einzelwirtschaften
der unbemittelten und den alleinstehenden Erwerbenden abzuhelfen,
giebt es nur eine wirtschaftliche Erleichterung und hygienische
Fürsorge: Es ist die Einrichtung von Anstalten für Massen-
speisung.
Solche Anstalten sollen ermöglichen, eine gute, nahrhafte, ge-
nügende und wohlschmeckende Kost zum niedrigsten Herstellungs-
preise für die verschiedenen Kategorien der Konsumenten zu schaffen,
bei der für jeden derselben Ersparnisse erzielt werden, die den
übrigen Lebensbedürfnissen zu gute kommen.
Wenn die Hausfrau des Tagelöhners sich nicht mehr bei karg
zugemessenen Mitteln mit Einkauf, Berechnung, Zubereitung der
Speisen und Transport des Essens zu beschäftigen haben wird, kann
sie mehr Zeit und Sorgfalt auf Sauberkeit der Wohnung, Pflege und
Beaufsichtigung der Kinder, auf das Ausbessern der Wäsche etc.
verwenden.
Kommt der Mann heim und das sorgfältig zubereitete Essen
der Volksküche steht auf dem reinlich gedeckten Tische, so wird
die Frau nicht abgearbeitet daran teilnehmen, der Mann wird sein
Heim behaglich finden und die Kinder werden ein besseres Familien-
leben kennen lernen.
Die Trunksucht nimmt meist nur da überhand, wo der Magen
eine regelmässige gute Nahrung entbehrt. Es wird die augen-
blickliche Befriedigung gesucht, die nur zu bald zur Gewohnheit wird.
Anstalten für Massenspeisung, welche alle Vorzüge des kon-
zentrierten G-rossbetriebes zu Gunsten der Konsumenten hergeben
ohne jeden Gewinn für die Unternehmer, können nicht nur billigere,
sondern auch bessere Speisen liefern, als der Einzelne oder kleine
Gastwirte, die aufs Verdienen angewiesen sind. Da es nun aber
eine bekannte Thatsache ist, dass sich überhaupt bei guter, billiger
Küche nichts gewinnen lässt, sind kleine Gastwirtschaften darauf
angewiesen, alkoholische Getränke zu verkaufen und die Kon-
sumenten unterliegen dem Branntwein- oder Bierzwang, der zu
Mehrausgaben veranlasst und zum Gewohnheitstrinken führt.
Ohne eine gewissenhafte Kontrolle und Beaufsichtigung, die in
keiner besoldeten Hand liegen darf, können aber Anstalten für
Massenspeisung nicht die möglichst beste Kost erzielen.
Solche Motive waren es, die mich im Kriegsjahre 1866 zur
Begründung der Berliner Volksküchen führten. Sie beruhen auf
dem Prinzip der Selbsterhaltung durch den Konsum. Sie sollen
wirtschaftliche Hilfsanstalten sein für Jeden, der ihrer bedarf.
Aus diesem Grunde nehmen jene Betriebe keine Wohlthätig-
keitsbeiträge. Die einzige Wohlthat, die geübt wird, ist die per-
sönliche freiwillige Thätigkeit der Vorsteherinnen und Aufsichts-
damen, welche durch beständige Kontrolle für die Güte der Speisen
sorgen, deren sorgfältige Zubereitung und den statutengemässen
Betrieb. Durch die Beteiligung der Frauen an der freiwilligen Arbeit
— 239 —
in den Volksküchen traten dieselben zum ersten Mal in direkten
Verkehr mit den Arbeitern und dem Proletariat.
Damit aber auch den Notleidenden geholfen werde, welche
überhaupt keine Mittel zum Einkauf von Speisen haben, stifteten die
Vorsteherinnen eine von der Verwaltung der Volksküchen getrennte
Untersttitzungskasse zur Speisung Notleidender in den Volksküchen;
die Berliner Volksküchen haben Nachahmung in allen Ländern ge-
funden und gaben Anregung zu den Volkskaffeehallen und den
Fabrikküchen.
Sie sind das wirksamste Mittel gegen das Branntweintrinken,
welches die armen Leute über den Hunger hinwegtäuschen soll.
Die Trunksucht nimmt in unsrem Deutschland in erschreckender
Weise in allen Ständen zu, sie schadet aber am meisten, wo der
arme Mann nur im Schnaps sich derselben hingiebt. Ein anderer
B;edner und bewährter Kämpfer gegen den Missbrauch geistiger
Getränke wird Ihnen über die schrecklichen Folgen desselben be-
:cichten. Ich mö'ehte nur aussprechen, dass es die Aufgabe der
Frauen, als Hüterinnen der Gesundheit und Sittlichkeit ist, sich
dem Kampf gegen die Trunksucht anzuschliessen.
Dazu gehört auch für alle alleinstehenden Menschen der ver-
schiedenen Stände Speiseanstalten zu errichten, in denen kein Trink-
zwang herrscht, aber nahrhaftes gut zubereitetes, den Gesundheitsregeln
entsprechendes Essen bereitet wird. Dann wird auch der Wirts-
hausbesuch nachlassen.
Man sorge nun auch zugleich in solchen Speisehallen für gute
geistige Kost. Es bleibrn noch unendlich viele Veranstaltungen zur
häuslichen und öffentlichen Gesundheitspflege zu erwähnen. Allein
ich muss mich kurz in den mir gegebenen 20 Minuten fassen. Wie
viel ist für die Reform der weiblichen Kleidung zu thun, um
den alberneu Modethorheiten entgegenzuarbeiten, die so viele
Opfer körperlichen Wohlbefindens fordern. Wie viel um gesunde
Wohnungen für Bedürftige zu schaffen, wie musste gegen das
Schlafstellenwesen vorgegangen werden, welches Unsittlichkeit und
Verbrechen fördert, wogegen nur billige Asyle und Massenwohn-
stätten helfen. Wie durchaus notwendig wäre die allgemeine Ein-
führung weiblicher Fabrikinspektoren.
Zwei grosse Vereine für häusliche und öffentliche Gesundheits-
pflege erfüllen die Fürsorge für Ferienkolonien. Ueberall regt sich
der gute Wille, die Gesundheit der Schwachen zu stärken. Volks-
badeanstalten, Spiel- und Turnplätze, Entbindungsasyle für not-
leidende Ehefrauen, Kinder- und Mädchenhorte erstehen.
Lasst uns, Ihr lieben Schwestern aller Nationen, mit Energie
für die häusliche und öffentliche Gesundheitspflege eintreten, lasst
uns allen Schädigungen derselben entgegenarbeiten! Schützet die
hilflosen Kinder, erziehet Eure Töchter und Söhne durch Abhärtung
zur Selbstbeherrschung, Keuschheit und Massigkeit! Beseitiget den
Schmutz wo Ihr ihn findet, sorget für Licht, Luft und Sonnenschein
in Euren Wohnungen und in den Wohnungen der Armen, sorget,
dass niemand in Eurer Nähe Hunger leide oder der schützenden
Ruhestätte nach der Arbeit entbehre, dann werdet Ihr beitragen
— 240 —
Glück UDd Zufriedenheit zu schaffen, denn das höchste Glück, das
der Einzelne wie ein ganzes Volk erringen kann, ist leih liehe,
geistige und sittliche Kraft — durch Gesundheit!
Bericht über das Yiktoriahaus für Krankenpflege
in Berlin.
Von der Oberschwester Fräuiein Anna Stock.
Hochgeehrte Versammlung!
Es ist mir der Auftrag geworden, heute, an dieser Stelle, eine
kurze Darlegung der Bestrebungen und Prinzipien zu geben, denen
das Viktoriahaus für Krankenpflege, diese Schöpfung Ihrer Majestät
der Kaiserin Friedrich, seine Entstehung verdankt.
Geleitet von dem doppelten Gesichtspunkt, die Krankenpflege
als Beruf zu heben und für gebildete Frauen ein Feld der Thätigkeit
zu schaffen, das ihren geistigen Bedürfnissen Befriedigung, und ihrer
materiellen Existenz die nötige Sicherung gewähren sollte, entschloss
sich die damalige Kronprinzessin eine Stätte für freie Krankenpflege
in Berlin zu gründen, d. h. einen Verein gebildeter Frauen zu orga-
nisieren, die, ohne einer religiösen Gemeinschaft anzugehören, aus
Interesse an der Sache, sich dem Berufe der Krankenpflege ver-
pflichten würden.
Das grosse Beispiel der Miss Mghtingale hatte in England ge-
wirkt, und zur Errichtung von Schwesternschaften geführt, die,
durch keinerlei religiöse Gelübde gebunden, eine segensreiche Wirk-
samkeit entfalteten. Es ward ein Lieblingsgedanke der Frau Kron-
prinzessin, eine ähnliche Schwesternschaft in Berlin zu gründen.
Darüber war kein Zweifel, dass für gebildete und gut geschulte
Krankenpflegerinnen ein weites Feld noch offen stand, neben den
Häusern der evangelischen Diakonissen und denen der katholischen
Ordensschwestern, deren segensreiches Wirken sich ja nicht überall
hin erstrecken, und deren Schwesternzahl niemals ausreichen kann
für alle Not, die zu bekämpfen ist.
In Deutschland lebt aber eine grosse Zahl von unverheirateten,
unbemittelten Frauen, von guter Bildung und Herkunft, die sich
nach befriedigender Thätigkeit und auskömmlichem Erwerb sehnen.
Diese Frauen können nicht deshalb, weil sie einem auf Nächsten-
liebe gegründetem Berufe folgen, sofort aus der Welt flüchten und
den Ihrigen ihre Unterstützung entziehen; sie müssen die Früchte
ihrer Arbeit nach Gutdünken verwenden können, gegebenen Falles,
zum Wohle ihrer Familie. Dies ist aber nur möglich, wenn die
Krankenpflege als freier Beruf geübt wird, ohne andere bindende
Gelübde, als solche, die der Beruf mit sich bringt. Gev^ss wird
jede Frau, die sich dem Dienste der Kranken widmet, zu diesem
Werke hohe religiöse und sittliche Anschauungen in sich tragen.
Ohne Glauben, ohne den Auf blick nach Oben, wie sollte sie den im
Leiden Verzagten und Mutlosen Trost und Hilfe bringen? Wie
sollte sie ausharren unter den hohen Anforderungen, die in Zeiten
des Krieges, der Epidemien, und den oft hoffnungslosen Zuständen
in der häuslichen Armenkrankenpflege an sie herantreten? Es ist
— 241 —
aber keineswegs nötig, dass sie, um Kranke gut zu pflegen, in ihren
freien Stunden auf alles Schöne und Frohe im Leben, auf den Ver-
kehr mit ihrer Familie und ihren Freunden verzichte, dass sie jedem
Grenuss von Kunst und Natur entsage.
Im Gegenteil, je mehr Nahrung ihrem Gemüt, neben ihrem
Beruf, zuteil wird, desto mehr Frische und Freudigkeit wird sie
in denselben hineintragen, desto mehr wird sie darin leisten.
Diesen Gründen, dem edlen Willen, den Leidenden bestge-
schulteste Pflegerinnen den nach Arbeit verlangenden Frauen neue
Wege zu eröffnen, zugleich Schulung des Wollens und Könnens und
eine heimatliche Stätte für die freien Stunden, die der Beruf ihnen
lässt, zu schaffen, verdankt das „Viktoriahaus für Krankenpflege"
seine Entstehung und der Erfolg zeigte, dass es einem bestehenden
Bedürfnis entsprach. — Der Anfang war klein und bescheiden.
AJs Zweig, und im Anschluss an den Berliner Verein für häusliche
Gesundheitspflege wurde das Viktoriahaus ins Leben gerufen. Dieser
Verein hatte die Ausbildung von Pflegerinnen und deren Be-
schäftigung in der Armen-Krankenpflege in seinen Statuten vorgesehen.
Die Frau Kronprinzessin, unter deren Protektorat der Verein
stand, hatte selbst eine Oberin, Fräulein Luise Fuhrmann, erwählt
und diese in den besten Anstalten Englands in allen Zweigen der
Krankenpflege ausbilden lassen. Eine glücklichere Wahl konnte
nicht getroffen werden.
In Fräulein Luise Fuhrmann vereinten sich seltene Geistes-
und Herzensgaben mit Energie und rastloser Thätigkeit. Ein
weiter Blick und ungewöhnliche Organisationskraft mit dem höchsten
Enthusiasmus für den Beruf, mit der leitenden Idee, was die Klranken-
pflege bedeutet und was sie sein muss.
Dieser Oberin schlössen sich sechs Pflegerinnen an, die in
deutschen Anstalten teils in Kiel, teils in Berlin ihre Ausbildung
erhalten hatten und die kleine Schar bezog eine für sie gemietete
Wohnung und begann, unter dem Namen „ Viktoriasch w es tem", ihre
Thätigkeit zunächst in der Armen-Krankenpflege. Für die Geschäfts-
leitung der jungen Organisation wurde ein Spezial-Komitee gebildet.
Der damalige Kronprinz und seine hohe Gemahlin gewährten dem
Verein ein Stiftungskapital von 120000 Mark aus einer, dem hohen
Paare bei Gelegenheit seiner silbernen Hochzeit, zur Disposition
gestellten Summe.
Durch diese Zuwendung und durch die steigende Teilnahme
des Publikums wurde zu einer erfreulichen Entwicklung des Viktoria-
hauses der Grund gelegt; je weiter dieselbe aber fortschritt, desto
mehr wurde es aus seinem engen Rahmen herausgedrängt. Das
Viktoriahaus war bis jetzt für die Ausbildung seiner Pflegerinnen
auf fremde Anstalten angewiesen. Es begegnete dabei grossen
Schwierigkeiten, welche bei englischen Anstalten in der Höhe der
Kosten, bei deutschen Anstalten in dem Mangel eines einheitlichen
Unterrichtes bestanden. Mit Freuden ergriff daher das Viktoriahaus
die im Jahre 1884 sich darbietende Gelegenheit mit dem grossen
städtischen Allgemeinen Krankenhause in Friedrichshain, in der
Weise in Verbindung zu treten, dass letzteres die unentgeltliche
Ausbildung der Pflegerinnen übernahm, das Viktoriahaus aber sich
16
— 242 —
verpflichtete, sofort einen Pavillon der Anstalt mit Schwestern zu
besetzen und von jetzt ab die Hälfte der in der Anstalt auszu-
bildenden Schwestern dem Hospital zu überlassen, um dadurch all-
mählich die gesamte Pflege in demselben zu übernehmen. Ein
ähnliches Verhältnis konnte zu der chirurgischen und gynäkologischen
Klinik der Universität Berlin hergestellt werden, und so wurde nach und
nach die Hospitalpflege zur Hauptthätigkeit desViktoriahausps.
Die Hospitalpflege war, abgesehen von ihrem Werte für die
Ausbildung der Schwestern, dem öffentlichen Interesse in hervor-
ragender Weise entsprechend, denn in einem Hospital, möge dies
auch sonst den höchsten Anforderungen genügen, ist die Pflege der
Kranken besser aufgehoben in den Händen gebildeter Frauen, welche
in der Ausübung ihres Berufes sittliche Befriedigung finden, als
in den Händen ungebildeter Wärterinnen, welche den Beruf nur
als Erwerbsquelle betrachten. In dieser Weise entfernte sich indessen
der Verein von seinem ersten statutarischen Zweck: der Armen-
Krankenpflege. Das Viktoriahaus wurde durch das Eintreten in
die Hospitalpflege und durch die stetige Vermehrung der Pflege-
rinnen zu einer selbständigen Organisation hingedrängt. 1 885 fasste
der Verein für häusliche Gesundheitspfl»*ge den Beschluss, das
Viktoriahaus selbständig zu machen, nur durch gleichartige Be-
strebungen noch mit ihm verbunden zu bleiben und die Pflegerinnen
für häusliche Armen-Krankenpflege auch ferner von ihm zu übernehmen.
Es wurde die Ueberweisung des erwähnten Stiftungskapitals
an das Viktoriahaus, als dessen Eigentum, beschlossen und von den
hohen Gebern genehmigt. Mit der Wahl eines neuen Vorstandes
konstituierte sich das „Viktoriahaus für Krankenpflege" zu einem
selbständigen Verein, und die Frau Kronprinzessin hatte die G-nade,
das Protektorat desselben zu übernehmen. Bald darnach wurden
ihm die Rechte einer juristischen Person verliehen. Es verlegte
seinen Wohnsitz nach dem zum städtischen Krankenhaus im Friedrichs-
hain gehörigen Pflegerinnenhaus, veröffentlichte 1886 seinen ersten
Jahresbericht und konnte seitdem von Jahr zu Jahr ein stetes
Wachstum verzeichnen. Die Direktoren des Städtischen Allgemeinen
Krankenhauses im Friedrichshain übernahmen den theoretischen
Unterricht der Schülerinnen, und durch ihre Mühe und Sorgfalt,
verbunden mit der praktischen Anleitung, welche die Oberin den
Schülerinnen angedeihen Hess, wurde eine möglichst vollkommene
Ausbildung erreicht. Bald wurden dem Viktoriahaus Schülerinnen
und Schwestern anderer Vereine zur Ausbildung anvertraut, und
wenn es solche auch nur in beschränkter Zahl aufnehmen konnte,
so zeigt doch diese Thatsache, welche Anerkennung die Methode
des Unterrichtes fand. Mit der Zeit wurden zahlreiche andere
Klrankenanstalten mit Viktoriaschwestern besetzt und mancher aus-
wärtige Verein erwählte sich eine Oberin aus ihrer Mitte.
Diese Erfolge sind der guten, strengen Schule des Hauses, dem
vorzüglichen Unterricht, welchen die Schwestern geniessen, zu ver-
danken. Das Viktoriahaus, welches im Jahre 1882 mit der Oberin
und sechs Schwestern seine Thätigkeit begann, umfasst jetzt 250
Schwestern, welche in verschiedenen städtischen Krankenhäusem,
in den Universitätskliniken von Berlin und Breslau, im Waisen-
— 243 -
haus zu Rummelsburg, in dem Kaiser und Kaisenn Friedrich-
Kinder-Krankenbaus, in mehreren Heimstätten für Erholungsbedürftige
bei Berlin und Frankfuii: a. M., in Privat-Krankenpflege und in
der Armen-Krankenpflege beschäftigt sind. Im vorigen Jahre ent-
sandte es eine Schwester nach Tanga in Ostafrika an das dortige deutsche
Krankenhaus. Während des Bulgarischen Krieges waren mehrere
Schwestern auf dem Kriegsschauplatz thätig, und in der schweren
Zeit der Cholera in Hamburg beteiligten sich drei Viktoriaschwestem
an der Pflege der dort Erkrankten.
Dem Vaterländischen Prauenverein zum roten Kreuz hat sich
das Viktoriahaus angeschlossen, indem es die Verpflichtung übernahm,
im Kriegsfall und in Zeiten der Epidemien eine bestimmte Zahl
Schwestern zur Verfügung zu stellen. Trotz der grossen Zahl der
250 Schwestern mussten die Wünsche vieler Krankenhäuser und
Privat- Kliniken, ihnen Schwestern zu überlassen, abgelehnt werden,
weil dazu die Zahl doch noch unzureichend war. Dank dem ftlr- *
sorgenden Bestreben seiner hohen Protektorin, Ihrer Majestät der
Kaiserin Friedrich, dem hochverdienten Vorstand, der grossartigen
Hilfe der Stadt Berlin und dem rastlos thätigen Geist seiner, dem
Viktoriahaus leider zu früh entrissenen Oberin, besitzt der Verein
seit dem Jahr 1892 ein eigenes, schönes Haus, das den Schwestern
ein gemüthliches Heim bietet, und in welchem die Schülerinnen,
während der Zeit ihrer Ausbildung, die in der Privatpflege beschäf-
tigten, sowie die der Erholung bedürftigen Schwestern ihren Auf-
enthalt haben. So kann das „Viktoriahaus für Krankenpflege" nach
kaum vierzehnjährigem Bestehen auf eine schöne Ent Wickelung und
segensreiches Wirken zurückblicken.
Der Umsicht und der Thatkraft der verstorbenen Oberin ist das rasche
Wachsen und Blühen des Viktoriahauses zumeist zu danken und ist ihr
früher Tod der schwerste Verlust, der unsere junge Anstalt treffen konnte.
Mit der Grründung des Viktoriahauses ist vielen Frauen ein be-
glückender Beruf, eine sichere Existenz eröffnet worden. Die
Schwestern beziehen einen ausreichenden G-ehalt, neben freier Station
und Dienstkleidung. Für deren Arbeitsunfähigkeit durch Alter
oder Krankheit ist nach Möglichkeit gute Fürsorge getroffen.
Der Beruf der Krankenpflege ist zum Segen geworden für
alle, die sich ihm mit ganzer Seele hingeben, er hält sie fest, auch
ohne bindende Gelübde, durch seine beglückende Macht.
Möchten doch recht viele unbefriedigte, nach Selbständigkeit
ringende Frauen sich diesem Wege zuwenden, der, wenn auch
anfangs schwer, mit jeder zurückgelegten Strecke beglückender wird
und dem Herzen Frieden und Ruhe bringt.
Bericht über die Thätigkeit des deutschen Frauen-
Vereins für Krankenpflege in den Kolonien.
Von Fräulein Clara Müseler, Berlin, Schriftführerin und Delegierte
des Vereins.
Hochansehnliche Versammlung!
Als vor etwas mehr denn einem Jahrzehnt auch die deutsche
Nation in den Wettstreit um den Besitz überseeischer Kolonieen ein-
16*
— 244 —
trat, regte sich in den Frauenherzen der Wunsch, Teil zu haben an
dem neuen Arbeitsfeld.
Unter dem Vorsitz des Grafen Pfeil und des Frl. v. Bülow bildete
sich ein Frauenverein, der es sich zur Aufgabe stellte, die Wunden,
die geschlagen werden würden, zu heilen, den Fieberkranken und
Leidenden in den Kolonieen der deutschen Heimat Trost durch
sachgemässe weibliche Pflege an ihr Lager zu tragen.
Ostafrika bot sich als erste Arbeitsstätte!
Jedoch noch waren die allseitigen Verhältnisse zu wenig ge-
festigt.
Noch gab es zu viel des Ungewohnten, Unverständlichen, zu viel
noch der hin- und herwankenden Beschlüsse, die später verworfen
wurden. — Auch der Frauenverein musste erst durch begangene
Irrtümer lernen.
Zielbewusster und energischer wurden die Bestrebungen, als
wir im April 1888 eigentlich ganz von neuem anfingen!
Als Hilfs verein dem Vaterländischen Frauen verein angeschlossen,
errichteten wir als ersten Markstein in Ost- Afrika eine kleine Sama-
riterstation zu Dar-es-Salam, mit den Schwestern Auguste Hertzer
und Hertha Wilke.
Leider sollte die friedvolle Thätigkeit der Schwestern nicht
lange währen. Der Araberaufstand bereitete ihr ein schnelles Ende.
Das Haus ward demoliert, und die Schwestern entkamen mit genauer
Not nach Zanzibar.
Jetzt gründeten wir während der Dauer des Aufstandes unter
dem nunmehrigen Vorsitz der Q-räfin von Monts, Q-emahlin des da-
maligen kommandierenden Admirals, in G-emeinschaft mit der evan-
gelischen Missionsgesellschaft das grosse Kriegslazaret zu Zanzibar.
Daneben berief der Gouverneur von Wissmann den Verein im
Mai 1889 zu segensvoller Arbeit nach dem deutschen Festlande
Ost- Afrikas zurück und zwar nach Bagamoyo, damaliger fester
Militärstation.
Im Lauf der Jahre ist es uns mit G-ottes Hilfe vergönnt ge-
wesen, in Ost- Afrika eine Station nach der anderen und zwar in
Bagamoyo, Pangani, Kilwa, Lindi und Tanga einzurichten und je
nach Bedarf weiterzuführen, ja endlich auch zu Anfang dieses Jahres
nach Dar-es-Salam, von dem aus wir klein und bescheiden ausge-
gangen waren, zurückzukehren, um demnächst einzuziehen in das
wundervoll grosse und geräumige Regierungslazaret, zu dessen
tropen-hygienischem Bau der deutsche Reichstag ungeschmälert die
nötigen Mittel bewilligte.
Ehe der Frauenverein gerade diesen ihm besonders am Herzen
liegenden Erfolg dankbar und zukunftsfreudig zu verzeichnen hatte,
war ihm vergönnt worden, im Laufe der Jahre neben Ost-ALfrika
seine Thätigkeit auf alle deutschen Kolonieen ausdehnen zu dürfen.
Zuerst begehrte Neu-Guinea seine Hilfeleistung, und nach dem
mit dem Direktorium der Kompanie abgeschlossenen Vertrage,
konnten wir 1891 Auguste Hertzer, unsere erste und älteste Pionier in,
die s. Z. den schwer verwundeten Emin Pascha in Bagamoyo gesund
gepflegt hatte, als mutige Bahnbrecherin nach Stephansort in Neu-
Guinea senden.
— 246 —
Gerade am heutigen Tage trägt sie der Dampfer von Neapel
aus, nach kurzem Heimatsurlaub zum drittenmal in das ihr lieb-
gewordene Arbeitsfeld in der Südsee, in dem sie jetzt ihre zweite
Heimat sieht, zurück.
Nach Neu-Guinea stellte Kamerun sich in die Reihe unserer
Pflegbefohlenschaft. Das auswärtige Amt, das in der Person seines
Direktors Dr. Kayser in gar nicht hoch genug zu schätzender Be-
reitwilligkeit unsere Bestrebungen gefördert und kräftig unterstützt
hat, rief im September 1892 den Frauen- Verein nach West-Afrika,
ebenso wie es ihn s. Z. nach Ost-Afrika gerufen und ihm die Wege
auch dort, wie überall in thatkräftiger Anteilnahme geebnet hatte.
In Kamerun durfte der Verein zum ersten male in einem für
seine Zwecke direkt erbauten Hospital pflegen, während bis dahin
die Samariterstationen immerhin gewissermaassen den Charakter
fliegender Lazarete getragen hatten, da sie bisher in restaurirten
Kasernen oder in irgend welchen dazu geeignet scheinenden Räum-
lichkeiten der verschiedenen Forts hatten untergebracht werden
müssen.
Kaum war das Lazaret in Kamerun eröffnet, so stellte die
Nachtigallgesellschaft hierselbst dem Ausw. Amt eine grössere
Summe zum Anfang des Baues eines Hospitals auch in Togoland
zur Verfügung, und im Jahre 1894 durften die Schwestern des
Frauenvereins auch hier ihren Einzug halten.
Während der kurzen Zeit seines Bestehens hat dieses nach
dem berühmten Forscher und Erwerber des Togolandes seinen
Namen tragende Nachtigall-Krankenhaus sich solchen Ruf erworben,
dass z. B. das Hospital in dem benachbarten Wydah einfach ge-
schlossen werden musste, weil alle kranken Franzosen in das Nachtigall-
Krankenhaus gehen, wie die Engländer in das deutsche Lazarett
zu Kamerun.
Im Jahre 1895 sah mit der Berufung nach Windhoek in Süd-
westafrika der Frauenverein sein Ziel, die Segnungen des roten
Kreuzes in sämtliche deutsche Kolonien tragen zu dürfen, erreicht.
Dankbar gegen Gott, dankbar gegen alle, die sein Thun ge-
fördet haben, sieht der Frauenverein auf eine nun 8jährige Thätigkeit
zurück. Von Herzen dankbar, denn welchen Segen zu verbreiten
ist ihm vergönnt gewesen durch die kräftige, opferbereite Unter-
stützung, die ihm von allen Seiten geworden.
Zuerst gab es wohl manchesmal nicht nur Kopfschütteln,
sondern auch Widerstand an maassgebenden Stellen, man wollte
keine Frauenhilfe in Afrika! Aber, in diesen Widerstand kleidete
sich doch nur ein gut Teil Ritterlichkeit, — man meinte, Frauen
eben nicht Gefahren und Entbehrungen aussetzen zu sollen, die zu
überwinden, wie man damals dachte, sie durchaus nicht geeignet
wären. Aber das war nur im Anfang! — Als man sah, wieviel
Pflichttreue, Widerstandsfähigkeit und Energie in diesen zarten
Schwestern sich verkörperte, da hatte der Frauenverein auf der
ganzen Linie gewonnen.
Und zu solchem Siege verhalf uns im Beginn, dankbar wollen
wir es aussprechen, neben Auguste Hertzer das Klementinenhaus in
Hannover mit seinen vortrefflich geschulten Schwestern, die ein
— 246 —
Kontrakt während der Kriegsdauer in Ost- Afrika an uns band. —
Trefflich geschulte und bewährte Pflegerinnen folgten ihnen dann
aus den Hospitälern des Roten Kreuzes zu Hamburg und München,
dem Marienheim in Teltow, dem Schwestern verband der Gräfin
Rittberg, dem Viktoriahaus zu Berlin, dem Martha-Mariahaus zu
Nürnberg und anderen mehr.
Und neben unseren Pflegeschwestern müssen wir auch unserer
treuen Wirtschaftsschwestern anerkennend gedenken.
Als es galt die Erzeugni-^se der Kolonien der Krankenküche
drüben zu erschliesscH und nutzbar zu machen, der Einförmigkeit
des Gebotenen immer wieder neue kulinarische Seiten abzuge-
winnen,, die nervösen Kranken über Fehlendes oder zu oft
Gebotenes hinweg zu täuschen, da versagte doch manches mal
die Kochkunst unserer Pflegeschwestern, und so sah sich der Vor-
stand vor die Notwendigkeit gesetzt, Wandel zu schaffen. Dass
ihm sein Vorhaben gelang, und er tüchtige Wirtschaftskräfte hinaus-
zusenden vermochte, das dankt er der thätigen Anteilnahme, die
ihm von dem Vorstande der badischen Frauenvereine entgegengebracht
wurde. Aus den Grossherzoglichen Haushaltungschulen zu Karls-
ruhe erhielt er umsichtige, zweckentsprechend vorgebildete Wirt-
schaftskräfte, deren z. Z. noch drei, zwei davon in Ost- Afrika, eine
in Windhoek, beschäftigt sind.
Um die Thätigkeit des Frauenvereins in den Kolonien zusammen-
zufassen, so ist sie durch Kontrakt mit dem Ausw. Amt dahin ge-
regelt, dass die Kaiserliche Regierung das Haus, den Arzt, Apotheke
und Instrumente, sowie die Möbel stellt, ebenso die Verpflegungsmittel
für Kranke und Schwestern, während der Frauenverein die Schwestern
sendet, ihre Reisekosten, Gehalt und Kleidung übernimmt, und die
Einrichtung der Krankenzimmer, der Küche und Wirtschaftsräume,
die ganze Wäsche und das Geschirr liefert.
Daneben sendet der Frauenverein nach Bedarf sogenannte
Liebesgabentransporte, *d. h. Stärkungsmittel, Konserven, Wein,
Fruchtsäfte u. s. w. für die Kranken, und zu jedem Weihnachts feste
zündet er den Patienten und den Schwestern einen deutschen Tannen-
baum an, und deckt den Gabentisch mit mancherlei Nützlichem und
Erfreulichem aus der lieben Heimat, was die Vereinsmitglieder das
Jahr über zu diesem Zwecke mit liebevollem Interesse gearbeitet
und zusammengetragen haben.
Augenblicklich beschäftigt der Verein 15 Schwestern in den
Kolonien; davon entfallen auf Ost- Afrika 6; 3 in Dar-es-Salam, Sin
Tanga, während eine siebente Schwester, die den geburtshilflichen
Kursus in der Grossherzoglichen Landesanstalt zu Jena soeben
absolviert hat, auf der Hinreise nach Ost- Afrika sich befindet. Man
harrt ihrer Ankunft sehnlich entgegen, denn besonders Tanga ist
nachgerade der Sitz so manches jungen deutschen Ehepaares geworden.
In Neu-Guinea waltet Auguste Hertzer vorläufig allein in dem
schönen Krankenhause auf der Insel Beiiao, das die Neu-Guinea-
Gesellschaft für ihre Beamten erbaute, und in dem sie auch den
fieberkranken, kühnen Forscher Otto Ehlers, ihren alten Freund
aus Ost-Afrika wieder gesund gepflegt hatte; — leider ja nur für
eine Erforschungsexpedition, die ihm den Tod bringen sollte.
— 247 —
In Kamerun sind im neuen Krankenhause zur Zeit 3 Schwestern
thäti^, in Togo und Windhoek je 2.
Während seiner bisherigen Thätigkeit hat der Frauenverein
42 Schwestern in die Kolonien entsjindt; verschiedene wie Auguste
Hertzer, Schwester Lilly Gräfin Pückler, Anna Bässler mit wieder-
holt erneutem Kontrakt.
Der an sich schon ernste Beruf einer Krankenpflegerin wird
unseren Sendbotinnen durch das ungewohnte Tropenklima noch wesent-
lich erschwert, trotzdem haben nur eine geringe Anzahl von Schwestern,
etwa 7 im Laufe der Jahre vorzeitig zurückkehren müssen und nur
1 Schwester, und zwar erst in diesem Jahre, ist dem Klima erlegen.
Umsomehr wollen wir es dankbar anerkennen, dass trotz aller vor-
liegenden Schwierigkeiten und Gefährdungen die Zahl derer, die
sich zu der opferwilligen Liebesarbeit in den Kolonien meldet, nicht
ab, sondern in erfreulicher Weise von Jahr zu Jahr zunimmt.
Die dem Frauenverein sich zur Verfügung stellenden Schwestern
werden auf ihre gesundheitliche Tropentüchtigkeit durch den Tropen-
arzt, Herrn Stabsarzt Dr. Kohlstock in Berlin persönlich, ausserhalb
nach einem von ihm ausgearbeiteten Fragebogen sorgfältigst untersucht.
Haupterfordernisse sind: kräftig arbeitendes Herz und Lunge,
Freisein von Bleichsucht und Rheumatismus oder erblicher An-
lage dazu. —
Tn der Heimat hat der Frauenverein, nachdem er im April 1888
mit einer Zahl von kaum 200 Mitgliedern und 4 Abteilungen an-
gefangen, seine Abteilungen auf 19 und zwar in Bremen, Chemnitz,
Danzig, Dar-es-Salam, Dessau, Düren, Düsseldorf, Glasgow, Hamburg-
Altona, Kamerun. Kiel, Köln, Nürnberg, Tanga, Togo, Weimar,
Wilhelmshaven, Windhoek, Zanzibar (als zwanzigste jetzt Apia-
Samoa), stine Mitgliederzahl auf 1700 anwachsen sehen.
Eine Vereinszeitung „Unter dem roten Kreuz" erscheint all-
monatlich, von Damen des Vorstandes redigiert, und geht den Mit-
gliedern unentgeltlich zu. Die Zeitschrift, die fortlaufende Berichte
aus den Aufzeichnungen der Schwestern in den Kolonien, Rück-
blicke auf die allgemeine Vereinsthätigkeit aus der Feder der Vor-
sitzenden, daneben Beiträge von bekannten Afrikakennern bringt,
beweist sich als ein vortreffliches Bindemittel, nicht allein zwischen
Vorstand und Mitgliedern, sondern auch von der Heimat nach den
Kolonien und umgekehrt.
Weitere Vereinsverbände sind ein Näh- und ein Gesangverein.
Seine Einnahmen bezieht der Frauen verein ausser von den
regelmässigen Mitgliedergeldern, aus Erträgen von Bazaren, Gesangs-
Aufführungen, Vorträgen und sonstigen Veranstaltungen. Diese
Einnahmen betrugen im letzten Jahre 27190 Mark (spezialisiert:
Bazar-Üeberschuss 11300 Mark, eine Abendunterhaltung Abt. Köln
2500 Mark, an Spenden und Geschenken gingen 2375 Mark, das
Uebrige durch Mitgliederbeiträge und Zinsen ein). Dem standen
als Ausgaben gegenüber 17276 Mark (davon für Schwesternsendungen
rund 6600 Mark, für Gehalt 3200 Mark, für Weihnachtsausgaben
etwa 800 Mark, für Ergänzung- und Liebesgaben-Transporte rund
5000 Mark, für Erholungszwecke der Schwestern ungefähr 700 Mark).
— Das Vereinsvermögen besteht ausser den vorhandenen Aus*
— 248 —
rüstungsgegenständen der verschiedenen Lazarette zur Zeit in 40000
Mark.
Wenn ich nun noch anführe, dass Ihre Majestät die Kaiserin
Allerhuldvollst das Protektorat über unseren Verein ausübt, dass
Ihre Hoheit die Frau Herzogin Johann Albrecht von Mecklenburg,
die warme, thatkräftige Freundin der Kolonien, unsere Ehren-
Präsidentin ist und Gräfin Monts noch immer mit zielbevvusster
Energie den Vorsitz leitet, wenn ich auch noch berichte, dass wir
seit Ende vorigen Jahres die Rechte einer juristischen Person er-
worben haben, — dann, denke ich, habe ich alles mitgeteilt, was
sich von unserer stillen Arbeit sagen lässt.
Haben wir vermocht, in etwas Ihr Interesse für unser Frauen-
werk wachzurufen und zu erwärmen, so soll es uns ein neuer
Sporn sein, fortzufahren auf dem einmal betretenen Wege, zu Nutz
und Frommen der Leidenden draussen, zum Ruhme unseres grossen,
deutschen Vaterlandes und zur Ehre seiner Frauenarbeit.
Ueber Ferien-Kolonien.
Von Frau Luise Jessen, Berlin, stellv. Vorsitzende des Komitees für
Ferien-Kolonien des Berliner Vereins für häusliche Gresundheitspflege»
Die Ferien-Kolonien oder Sommerpflege, wie man jetzt vielfach
sagt, sind eine Einrichtung der Neuzeit, deren schnelle Ausbreitung
aufs engste zusammenhängt mit dem Anwachsen der grossen Städte,
mit der Entwickelung unserer Kulturzustände, die immer erhöhte
Anforderungen an das einzelne Individuum stellt.
Mcht zum mindesten auch mit der wachsenden Erkenntnis, dass
die Wohlfahrt eines Gemeinwesens auf der Zahl seiner gesunden
Glieder beruht.
Heute können wir uns sowohl in Deutschland wie in einer
grossen Zahl auswärtiger Staaten kaum eine volkreiche Stadt denken,
die nicht ihre Ferien- Kolonie hätte, und doch sind erst zwei Jahr-
zehnte verflossen, seit die erste Anregung zu dieser gemeinnützigen
Bewegung stattfand, die ihren Ausgangspunkt zu gleicher Zeit von
zwei entfernten Plätzen nahm, von der Schweiz und von Hamburg.
Während hier der Wohlth. Schulverein, der bis dahin für
Kleidung und Speisung der ärmsten Schulkinder gesorgt hatte, im
Jahre 1876 zuerst 7 schwächliche Kinder in Bauernfamilien aufs
Land sandte, führte Herr Pfarrer Bion in Zürich, der unermüdliche
Vorkämpfer für die Sache der Ferien-Kolonien, 68 arme Züricher
Schulkinder in die Wald- und Bergluft des Appenzeller Landes
hinaus.
Wenn wir uns nun vergegenwärtigen, dass allein in Deutsch-
land, auf das ich mich in meinen Ausführungen beschränke, aus den
im Jahre 1876 verpflegten 7 Kindern im vorigen Jahre schon
23 174 geworden, dass insgesamt in den 20 Jahren an 300 000
deutsehe Kinder dieser Wohlthat teilhaftig geworden sind, so muss
doch wohl ein wirkliches Bedürfnis vorliegen.
Durch die höchst dankenswerte Arbeit der Zentralstelle der
Vereinigungen für Sommerpflege in Deutschland, Vorort Berlin,
- 249 H
liegen uns 126 Berichte von Vereinep, Korporationen und grösseren
Privatveranstaltungen aus fast 100 Städten des deutschen Reiches
vom Jahre 1895 vor.
Nicht nur dass dadurch ein Ueberhlick über die Gesamt-
leistungen ermöglicht wird, die Zentralstelle vermittelt auch den
Austausch der Erfahrungen zwischen ihren Mitgliedern und ver-
anstaltet von Zeit zu Zeit, zuletzt im August d. J., Konferenzen
zur Besprechung wichtiger Fragen.
Da kamen die verschiedenen Systeme zur Erörterung, die wie
im Beginn, wo man von Hamburg die Kinder in Familienpflege, von
Zürich in geschlossene Kolonien sandte, noch heute nebeneinander
hergehen, zum grössten Teil sich aus den lokalen Verhältnissen
heraus entwickeln.
Wort und Schrift hat dazu beigetragen, in den grundlegenden
Prinzipien mehr und mehr Uebereinstimmung herbeizuführen, die
realen und idealen Gresichtspunkte, welche für Ferien-Kolonien maass-
gebend sein sollen, festzustellen.
Es gehört schon ein tieferes Eingehen auf unsere allgemeinen
sozialen Verhältnisse, Herz und Verständnis für das Familienleben
unserer ärmeren Bevölkerungsklassen dazu, um deren Kindern den
Aufenthalt in einer Ferien-Kolonie nutz- und segenbringend zu
machen. Der abseits Stehende denkt im allgemeinen: ein krankes
Kind wird zur körperlichen Genesung irgendwo hingeschickt, und
damit ist die Sache gethan.
Indes Fürsorge für kranke Kinder hat es zu allen Zeiten ge-
geben, damit deckt sich die Idee der Ferien-Kolonie durchaus nicht.
Die Beweggründe, aus denen diese Einrichtung hervorgegangen,
waren ähnliche, wie in neuerer Zeit Reich und Gesellschaften sie
für noch nicht fortgeschrittene Lungenkranke "haben, man wollte
prophylaktisch wirken, vorbeugende Gesundheitspflege üben; das
Gesamtbefinden eines in seiner Entwickelung zurückgebliebenen oder
nach überstandent-r Krankheit geschwächten Kindes sollte gehoben
werden. Es ist notwendig, sich diese Grundsätze immer wieder vor-
zuhalten, wenn es an die verantwortungsvolle Arbeit, die Auswahl
der Kinder, geht. Man sollte nur solche auswählen, denen voraus-
sichtlich noch zu helfen ist, deren häusliche Verhältnisse noch nicht
so verkommen sind, dass das Kind nach der Rückkehr vernach-
lässigt wird und somit gleich in den alten Zustand zurückfällt.
Hier hätte vor allem die Mithilfe der Frauen noch viel
energischer einzugreifen. Je weniger wir allen helfen können, um
so intensiver sollte man sich mit einer gewissen Auslese beschäftigen.
Allerdings kommt es dann darauf hinaus, dass nicht die Aermsten,
nicht die Kränkesten ausgewählt werden, und mir ist wohl
bewusst, dass diese Ansicht vielfachen Missdeutungen ausgesetzt ist,
aber meine verehrten Anwesenden, keine Wohlfahrts-Einrichtung wird
alle gleichzeitig befriedigen; mit unzulänglichen Mitteln, mit schwie-
rigen Verhältnissen kämpfen wir in der Armenpflege überall. Da
gut es aber doppelt ein festes Ziel im Auge zu behalten, nach
bestem Gewissen und bester Ueberzeugung zu handeln.
Die idealen Gesichtspunkte, welche für die Ferien-Kolonien maass-
— 260 —
gebend sein sollen, sind nach Ansicht aller derer, die sich mit der
Sache ernst beschäftigen, ebenso wichtig wie die realen.
Schon von Beginn an, gleich auf der ersten Konferenz von
Vereinen und Komitees fllr Ferien-Kolonien, welche in Berlin im
Jahre 1881 unter reger Beteiligung Ihrer Kaiserlichen Königlichen
Hoheiten, dem damaligen Kronprinzen und der Kronprinzessin des
Deutschen Reiches abgehalten wurde, ward die ethische Mission der
Ferien-Kolonien mit in den Vordergrund gestellt. Ihr gerecht zu
werden ist noch heute das Streben aller Vereine, die es ernst mit
der Sache meinen.
Je schwieriger die Verhältnisse sind, unter denen die Kinder auf-
wachsen, um so grösser ist die Aufgabe. Die Art der Einrichtung
der Kolonien, die Anwendung der verschiedenen Systeme sind nicht
ohne Einfluss auf die erziehliche Seite.
Ob geschlossene Kolonien, Familienpflege, Anstaltspflege, Halb-
oder Stadtkolonien, auch Milchpflege genannt, richtiger sind, hängt
zum Teil auch von lokalen Verhältnissen ab.
Für kleinere Städte mit verhältnismässig reiner Luft und
freier Bewegung, wo die Gegensätze meist weniger schroff sind,
mögen Halbkolonien mehr am Platze sein, mit etwaiger Verbindung
von Anstaltspflege für die kränkeren Kinder.
Wo ein gesunder, wohlhabender Bauernstand in nächster Um-
gebung, passt vielleicht die Fanülienpflege. Ueberall wird es aber
gut sein, der Ansicht hervorragender Aerzte, die da sagen, dem
kindlichen Organismus thut eine möglichst grosse Luftveränderung
gut, Rechnung zu tragen. Durch das Entgegenkommen unserer
Eisenbahn-Verwaltungen, die überall die Kinder zu Militärpreisen,
die anter 10 Jahren für die Hälfte befördern, ist es ermöglicht ohne
allzugrosse Rücksichtnahme auf die Entfernung passende Orte aus-
zuwählen. In eine Erörterung der maassgebenden Unterschiede der
verschiedenen Systeme, kann ich mich bei der Kürze der zugemessenen
Zeit leider nicht einlassen.
Lieber möchte ich Ihnen zur Veranschaulichung ein flüchtiges
Bild entwerfen von dem, was in Berlin geschieht und erstrebt wird,
hier, wo durch die schweren Lebensverhältnisse, die traurigen Woh-
nungen eine Fürsorge für die Kinder unserer armen Bevölkerung
doppelt geboten ist.
X'icle einzelne Privat- Veranstaltungen seitens Logen u. s. w.
entziehen sich der Kenntnis. Unsere Zentralstelle berichtet von 8
verschiedenen grösseren Vereinigungen, die im vorigen Jahre zu-
sammen für 4088 Kinder sorgten.
Der Frauen-Hilfs verein an den Seeküsten sandte 330 Berliner
Kinder in seine Hospize, der Evangelische Prauenverein Edelweiss
227, vorzugsweise in unentgeltliche Familienpflege auf dem Lande,
der Verein Lenzheim in seine Anstalt 127, eine besondere Ferien-
Kolonie der Luther- Gemeinde 76, der Magistrat 50, das Johannis»
Stift 20 und endlich das Komitee für F^erien-Kolonien des Vereins
für häusliche Gesundheitspflege 3144 Kinder.
Dieser letztere ist der einzige Verein hier, der die verschiedenen
Systeme neben einander durchführt, nach Bedürfnis gliedert.
Es wurden von den 3144 den ärztlichen Wünschen entsprechend:
— 261 —
735 Kinder in Soolbäder, 634 Kinder in Seebäder, 626 Kinder in
Ferienkolonien oder Freistellen auf dem Lande und endlich 1149 in
Halbkolonien gesandt, mit einem Kostenaufwand von fast 102,000 M.,
die alljährlich in kleinen und kleinsten Beträgen gesammelt werden
müssen.
Seit dem Jahre 1880 bis heute ist von dem Komitee für
Ferien-Kolonien die Gesamt-Summe von 950,000 Mark aufgebracht
und rund 29,000 Kindern die Wohlthat einer Ferien-Koloniepflege
zuteü geworden.
Es scheint zusamm^ngefasst recht viel, aber den lokalen Be-
dürfnissen entsprechen diese Ziffern nicht im entferntesten, kaum Vs
der in diesem Jahre gemeldeten, von den Aerzten als einer Erholung
bedürftig bezeichneten Kinder, konnte berücksichtigt werden.
Indes dürfen wir uns nicht beklagen, ist doch von Jahr zu
Jahr das Interesse und die Sympathie für diese Sache, die für sich
selbst spricht, gewachsen.
Wer nur einmal auf den Bahnhöfen zugegen war bei der Abreise
und Ankunft, wer die Kinder gesehen, die Dankesäusserungen
der Eltern gehört, ganz besonders, wer Gelegenheit hatte, das
Leben in den Kolonien zu beobachten, der kann sich unmöglich
der Wahrnehmung verschliessen, dass hier ein kleines Stück
sozialer Arbeit geleistet wird.
Wie ein Netz sind 250 kleine Lokal-Komitees über Berlin ver-
teilt, deren jedes sich wieder seine Hilfskräfte für die Geld-
sammlungen, für die Recherchen heranzieht. 200 Aerzte haben sich
unentgeltlich in den Dienst der guten Sache gestellt, so dass in
unserm einen Verein fast 2000 unserer Mitbürger für einen ge-
meinsamen Zweck arbeiten.
Gewiss an sich schon ein erhebender Gredanke. . Im allgemeinen
sind wir — ich spreche jetzt aus einer 14jährigen Erfahrung her-
aus — dahin gelangt, das System der geschlossenen Kolonien, wo
30 Kinder im Alter von 8 — 14 Jahren familienartig unter einem
Führer resp. Führerin vereinigt werden, vor allen anderen zu be-
vorzugen. Die Ferien-Kolonien auf dem Lande, die Seebad-Kolonie
an der Ost-See, ein grosser Teil der Soolbad-Kolonien sind so ein-
gericht*?t.
Vorzugsweise aus erziehlichen Gründen. Ich brauche nicht
auszuführen, wie unsere ärmeren Grossstadt-Kinder zu beklagen sind,
wie sie heranwachsen in trauriger, verkümmerter Umgebung, wie
sie bei der schweren Sorge der Eltern ums tägliche Brot, wenig
oder gar keine Erziehung haben, wie sie vor der Zeit überanstrengt
werden, und nur selten freudige, erhebende Eindrücke aus der
Kindheit mit ins Leben nehmen.
Xeben den Kindergärten, den Kinderhorten u. s. w. ist es auch
Sache der gut organisierten Ferien-Kolonien hier einzusetzen, das
Augenmerk darauf zu richten, im Sinne Pestalozzi-Fröbels erziehliche
Resultate durch das Zusammenleben in der Kolonie zu erreichen.
Es ist das gar nicht so schwer, kommt uns doch so unendlich
Vieles zu Hilfe, wenn wir es nur richtig zu benutzen wissen.
Losgelöst von allem, was das Kindesgemüth bewusst oder un-
bewusst bedrückt hat, umgeben von Liebe und Fürsorge, ist die
Seele des Kindes besonders empfänglich für neue Eindrücke.
— 252 —
Verständnisvolle Führer, die wir in den Kreisen der Volks-
schallehrer und Lehrerinnen, auch Kindergärtnerinnen uns suchen,
führen das Kind ein in die Natur, ihr Lehen und Werden. Spazier-
gänge und Spiele werden nutzbar gemacht, gemeinsame Gesangs-
übungen erhöhen das Gefühl der Freude und Zusammengehörigkeit.
Eine neue Welt geht dem Kinde auf, nie geahnte Freuden
bietet ihm das Landleben nach den verschiedensten Richtungen.
Zu den Orts-Einwohnern, deren Sympathien wir uns vorher
sichern, zu den Wirten, die Vater und Mutter repräsentieren,
untereinander _und namentlich zu den Führern bildet sich ein
Freundschafts- Verhältnis, das oft noch nach Jahren in Briefwechsel
und Einladungen sich bethätigt.
Ich bedauere, Ihnen aus dem reichen Material, das die dies-
jährigen Berichte der Führer wieder bieten, nicht die Beweise einer
Bestätigung meiner Worte vorlegen zu können.
Wenn das, was ich eben angeführt, sich vorzugsweise auf die
sogenannten geschlossenen Kolonien bezog, so haben auch die Familien-
pflege, die Anstaltspflege und die Halbkolonie, diese namentlich
ihrer geringeren Kosten wegen, ihre Berechtigung.
Für einen grossen Verein ist es gut, wenn er nach seinen Be-
dürfnissen gliedern kann. Für skrophulöse kränkliche Kinder, wo
die Pflege des Körpers in erster Linie stehen muss, sind gut ein-
gerichtete eigene Häuser am Platz. Auch sie können, wie
es in dem neuen schönen Heim unseres Vereins in Kolberg geschieht,
wo an 400 Kinder Genesung oder doch Besserung gefunden, nach
pädagogischen Grundsätzen eingerichtet werden. Es ist wohl die
erste grössere derartige Kinderheilanstalt, wo neben der pflegenden
Schwester die erziehliche Leitung der Kinder, nach einem Gruppen-
System von 30 Kindern, von Lehrern resp. Lehrerinnen gehandhabt
wird.
Immerhin hat aber eine Anstaltspflege nach anderen Gesichts-
punkten zu verfahren.
Und darum erscheint mir das augenblickliche Streben der Vereine,
eigene Häuser zu erwerben, nicht überall richtig. Kleinere Vereine
sollten solche Kinder, welche in eigentliche Ferien-Kolonien nicht
passen, den bestehenden Kinderheilstätten, als einem besonderen
Zweige, überweisen. Wir besitzen deren in Deutschland so viele,
dass sie immer noch Platz bieten.
Eine Menge wichtiger Fragen wie die richtige Auswahl der
Orte, die häuslichen Recherchen, die ärztlishen Untersuchungen, die
Diät, die Erziehung zur gesundheitlichen Pflege des Körpers durch
Sauberkeit, die Fürsorge nach der Rückkehr, die Feststellung von
Wägungen, Messungen und dauernder Erfolge und anderes, kann
ich aus Mangel an Zeit nicht berühren.
Möchte es mir aber gelungen sein, auch in diesem Kreise, wo so
viele höhere und weitgreifende Fragen besprochen werden, wo ich nur
zaghaft an die mir gestellte bescheidene Aufgabe herangegangen bin,
einen Wiederhall zu finden auch für diese Kulturarbeit im Kleinen.
Ich wünsche mir ihn nicht lediglich aus Mitleid mit kranken
Kindern^ sondern vom höheren Gesichtspunkt vorbeugender Gesund-
heitspflege, vom Standpunkt sittlicher Hebung und Erziehung.
— 263 —
Liebe erweckt Liebe, die Erinnerung an einige glückliche Wochen
in dem oft so schweren Kindesleben kann ein Samenkorn werden,
das erstaunliche Früchte trägt. Dieses zu pflegen ist die ethische
Mission der Ferien-Kolonien. Und diese giebt mir wieder den Mut,
selbst von dieser Stelle Sie alle zur hilfreichen Mitarbeit aufzu-
fordern.
Die Beteiligung der Frau im Kampfe gegen den
Alkoholismus.
Von Herrn Geh. Sanitätsrat Dr. A. Baer, Berlin.
Hochansehnliche Versammlung!
Der Missbrauch der alkoholischen Getränke äussert sich in
schweren Schädigungen des körperlichen, geistigen und sittlichen
Lebens, des individuellen wie des sozialen Organismus. Je grösser
der Verbrauch der berauschenden Getränke, insbesondere in ihren
am meisten konzentrierten und darum auch am giftigsten wirkenden
Arten ist, je mehr der Konsum derselben in einzelnen Klassen
der Gesellschaft sich verbreitet, desto grösser sind auch unter diesen
die infolge der Trunksucht auftretenden Erkrankungs- und Sterbe-
zahlen, desto grösser sind die infolge der Trunksucht bedingten
Zahlen von Geistesstörungen, desto sichtbarer sind auch unter diesen
die Zeichen der Verschlechterung der Gesamtkonstitution und der
sittlichen Entartung. Aus dem Auftreten dieser Erscheinungen in
einem gewissen Lebensberuf, Lebensalter oder Geschlecht kann man
mit Sicherheit schliessen, wie stark oder wie gering diese an dem
Alkoholmissbrauch beteiligt sind.
Bei der Entscheidung der Frage, ob die Beteiligung der Frau
im Kampfe gegen den Alkoholismus notwendig oder wünschenswert
ist, hat es ein vielfaches Interesse, festzustellen, in welchem Grade die
Frau selbst zu der Verbreitung des Alkoholismus beiträgt und wie
sie von den Folgen desselben betroffen wird.
Nach den Ergebnissen zuverlässiger Ermittelungen darf man
behaupten, dass das weibliche Geschlecht in den modernen Kultur-
ländern nur zu einem relativ sehr geringen Teile an dem herrschenden
Alkoholismus beteiligt ist, dass es sicher wenigstens 10 — 20 mal mehr
münnliche Alkoholisten als weibliche giebt.
Gestatten Sie mir, hochansehnliche Versammlung, dieses Ver-
hältnis an der Hand nachstehender Thatsachen, wie es sich im
preussischen Staat und zum Teil auch in dessen Hauptstadt, in
Berlin gestaltet, soweit statistische Ermittelungen es zulassen, dar-
zulegen.
Im preussischen Staat betrug die Zahl der in den allgemeinen
Heilanstalten an chronischem Alkoholismus und Säuferwahnsinn be-
handelten Personen in den 4 Jahren 1883—1886 im jährlichen
Durchschnitt 8042 und zwar 7494 M. und 584 W. d. h. von je
100 dieser Kranken waren 93 Männner und 7 Weiber.
In den 5 Jahren 1887 — 1891 waren im preussischen Staat im
jährlichen Durchschnitt in allen Irrenanstalten untergebracht 40888
Personen, 21832 Männer und 19056 Weiber d. i. 53,39 M. und
— 264 —
46,61 W. Unter diesen Geisteskranken waren wegen Säuferwahn-
sinns 1103 und zwar 1048 M. und 55 W.; es entfallen somit von
dieser schwersten Form der Alkoholkrankheit auf 95,05% M.
4,95% W.
In den 5 Jahren von 1888 — 1892 sind im preussischen Staac
jährlich 5885 Personen an Selbstmord verstorben, 4660 M. und
1225 W. d. i. 79,17% M. und 20,83% W. Unter diesen Selbst-
morden war die Ursache Säuferwahnsinn 117 mal, bei 113 Männern
und 4 Weibern d. i. 96,58% M. und 3,42% W. Dasselbe ist auch
der Fall dort, wo Trunkenheit und Trunksucht das Motiv zum
Selbstmord war, und zwar bei 422 Personen, 406 M. und 16 W.
Auch hier waren es wiederum 96,28% M. und nur 3,72% W.
Bei einer vor vielen Jahren von uns in 120 Gefangenen- und
Strafanstalten des deutschen Reiches angestellten Untersuchung, wie
sich die Trunksucht zum Verbrechen verhält, hat sich herausgestellt,
dass unter 30041 männlichen Gefangenen sich 13199 Trinker be-
fanden d. i. 43,9%, unter 2796 weiblichen Gefangenen 507 d. i.
18,1%. Es ist also bei der tief bis zum Verbrechen gesunkenen
Frau der Einfluss des Alkohols ein zweifellos grösserer als er sich
sonst zeigt. — Unter den 43,9% männlichen Trinkern waren
23,5% Gelegenheits- und 20,4® o Gewohnheitstrinker, — bei den
18,1% weiblichen Trinkern hingegen waren 7,1% Gelegenheits- und
11,0% Gewohnheitstrinker.
In dem grössten öffentlichen Krankenhause Berlin's, in der
Gharite sind 1889/90—1893/94 alljährlich im Durchschnitt 694 M.
und 73 W. an chronischem Alkoholismus behandelt d. i. 90,84%
M., und 9,52% W., von diesen waren 525 M. und 25 W. an
Delirium tremens erkrankt; d. i. 95,34% M. und 4,66T W.
Wegen Trunkenheit sind in Berlin in Polizei-Gewahrsam ge-
bracht resp. a:if den Strassen aufgegriflfen in den 5 Jahren 1889 — 1893
alljährlich durchschnittlich 5867 M. und 604 W. d. i. unter 100 P.
90,67 M. und 9,33% W.
Unter den in Berlin 1887—1893 eingetretenen 5807 Ehe-
scheidungen waren 58 (0,90%) wegen Trunkenheit und unordent-
licher Lebensart erfolgt und zwar 46 mal von Seiten des Mannes
gleich 79,31% und 12 mal von selten der Frau gleich 20,69%.
Diese Thatsachen werden Ihnen genügsam den Beweis erbracht
haben, dass die Frau in Preussen und in Deutschland nur zu einem
sehr geringen Grade an dem herrschenden Alkoholismus beteiligt
ist. Und wie bei uns ist es auch unter gewissen Modifikationen in
den anderen Kulturstaaten der Fall.
So gering die unmittelbare Beteiligung der Frau an dem vor-
handenen Alkoholismus ist, so gross und so schwer ist jedoch die
Summe der Leiden, welche sie in dem derzeitigen Gesellschafts-
körper durch die Trunksucht des männlichen Teils der Bevölkerung
erduldet.
An die Seite eines Trunkenboldes gefesselt, erleidet die Frau
die brutalsten Zumutungen und Unbilden schwerster Art. Mit
der Trunksucht des Familienvaters ziehen Armut und Sorgen in
das Haus ein, der Rückgang des gewerblichen Einkommens, der
Verfall des geordneten Haushaltes. Bekannt ist, dass der Trinker
— 266 —
schon im Beginn seiner Greisteszerrüttung die Frau mit Misstrauen
verfolgt, sie der ehelichen Untreue bezichtigt, in rohester Weise
beschimpft und misshandelt. — Unfriede und Streit sind die Be-
gleiter des Elendes, das der Trinker über sein Haus, seine Fa-
milie bereitet. —
Und was wird aus den Kindern in solchen unglücklichen
Familien? Die Nachkommenschaft der Trinker leidet, wie er-
wiesen ist, häufig an angeborener Schwäche der Organisation, an
körperlichen und geistigen Gebrechen. Sie tragen nicht selten den
Charakter einer angeerbten Minderwertigkeit durch das ganze
Leben hindurch und werden durch diese Belastung unfähig, den
Anforderungen des sozialen Lebens zu genügen. Unter dem Einlluss
des zerrütteten Familienlebens wachsen die Kinder der Trinker
freudenlos und ohne die Wohlthaten einer gesitteten elterlichen Er-
ziehung auf; sich selbst und ihren Neigungen überlassen, verfallen
sie einem ungeordneten, verwahrlosten Lebenswandel und geraten
schon früh auf die Bahn des Verbrechens und der Prostitution.
Angesichts dieser Thatsacben werden Sie, wie ich hoffe, mit
mir der Ansicht sein, dass sich die Beteiligung der Frau im Kampf
gegen die Trunksucht als dringend notwendig erweist, sowohl in
ihrem eigenen, als auch im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt.
Auf welche Weise, fragt es sich, kann die Frau sich in diesem
Kampfe wohlthätig und nützlich erweisen? Dies kann am wirk-
samsten dadurch geschehen, dass sie in der eigenen Familie, in ihrer
näheren und weiteren Umgebung das Beispiel von Nüchternheit und
Massigkeit aufrecht erhält, dass sie bemüht ist, die richtigen An-
schauungen über die Entbehrlichkeit des Alkohols, über seine
schädliche Wirkung zu verbreiten, seine Anwendung insbesondere
im kindlichen und jugendlichen Alter zu verhindern. Einzeln und
in Vereinigungen inuss sie bestrebt sein, in weiten Volkskreisen im
Sinne der Massigkeit zu wirken, die hergebrachten und herrschenden
Trinksitten zu beseitigen.
Der Kampf gegen den Alkoholismus kann nur einen Erfolg
haben, wenn Staat und Gesellschaft gleich ernst und gleich aus-
dauernd gemeinschaftlich diesen Kampf führen. Die Erfahrung aus
alter und neuer Zeit hat gelehrt, dass selbst harte und strenge
Gesetze gegen die Trunksucht ganz wirkungslos bleiben, wenn die
Ursachen, welche zur Unmässigkeit führen, nicht, so weit es möglich
ist, beseitigt werden, und ganz besonders, wenn tiefeingewurzelte
Gewohnheiten im Volke, alte hergebrachte Anschauungen, den Ab-
sichten des Gesetzes widersprechen. Erst wenn durch Belehrung
und Erziehung das Verständnis für die beabsichtigte Wohlthat des
Gesetzes im Volke geschaffen ist, erweist sich dieses als der Aus-
druck der Volksmeinung segensreich und heilsam. Als der hol-
ländische Justizminister Modderman das bekannte Gesetz gegen die
Trunksucht durchgebracht hatte, sagte er zu den Volksvertretern:
„Nun haben sie ein Gesetz, nun verschaffen Sie ihm ein Verständnis
im Volke." Und erst jüngst hat der bekannte Sir Benj. Ward
Richardson in London den Anhängern der Temperenzbewegung als
das beste Mittel zur Ausbreitung dieser Lehi*e zugerufen „educate,
educate, educate."
— 266 —
In der Erziehung des Volkes zur Massigkeit liegt die beste
Gewähr für die Einkehr und Andauer derselben in weitesten Ge-
sellschaftsklassen. Und die beste Vermittelung zu dieser Erziehung,
zu der Umwandlung und Beseitigung der bisherigen Trinkgewohn-
heiten bildet die Frau in ihrer eigenartigen Stellung in dem Ge-
sellschaftsorganismus. Wir finden uns hier in voller Uebereiustimmung
mit den Anschauungen von Ottilie Hoffmann (Bremen), welche über
diesen Gegenstand sich dahin äussert: „Wir Frauen können in
organisiertem Zusammenwirken 1) die Trinksitten zu heben suchen
und 2) dahin wirken, dass die Jugend über die leiblichen, geistigen
und wirtschaftlichen Schäden der berauschenden Getränke aufgeklärt
und mehr zur Massigkeit erzogen wird. . . . Wir müssen 3) das
Unsrige thun, die herrschende Unwissenheit und Unkenntnis der
grossen Gefahren, welche unserer Volkswohlfahrt und Volks-
gesundheit durch die vorwiegende Alkoholherrschaft drohen, durch
Verbreitung belehrender Schriften zu beseitigen suchen Wir
können 4) Wohlfahrtseinrichtungen, Volksküchen und Volksheime,
Lesehallen fördern . . . (Sind die Mässigkeitsbestrebungen deutscher
Frauen patriotische Pflicht? Bremen 1896. S. 5.)
Ueberall, wo die Trunksucht im Volke sehr verbreitet und der
Kampf gegen dieselbe mit Nachdruck und wirksam geführt wird,
finden Sie grosse Vereinigungen von Frauen in dem Dienste dieser
schweren werkthätigen Arbeit anstrengend thätig. So ist es in
Amerika, in England, in Finnland, in Schweden und Norwegen. So
hat die „Nationale Vereinigung christlicher Frauen zur Förderung
der Massigkeit" (National Womens Christian Temperance Union) in
Amerika, 1873 gegründet, zur Zeit in 7864 Vereinigungen an
400 000 Mitglieder, mit 171 000 zahlenden Teilnehmern. So hat
die National British Womens Temp. Union in England 110000 Mit-
glieder und in dem kleinen Norwegen, das nur 2 Millionen Ein-
wohner besitzt, sind es .57 000 Frauen, welche in lebhaftem Eifer
mit grossen Vereinigungen von Männern zusammen an der Regene-
ration ihres Volksstammes arbeiten.
Wollen auch Sie Ihre Kraft und Ihre Neigung diesem grossen
Kampfe weihen. Es handelt sich um die Förderung einer grossen,
heiligen Aufgabe, um die Bekämpfung eines der bösesten Feinde
menschlichen Wohlseins und menschlicher Wohlfahrt.
On Public Amüsements.
Adress by Mrs. Laura Ormiston Chant, London, delegate of World*ß
Woman's Christian Temperance Union.*)
Madam-President, Ladies, and Gentlemen,
I confess my tenderest regret at not being able to speak to you
in the language of thebeautiful city inwhich we are met together.
I only began to learn G-erman two months ago, and as you know
even better than I do, it takes a life-time to complete the task!
*) Die Abweichungen von dem gehaltenen Vortrag sind nicht der
ßedaktion zuzuschreiben. Das von Mrs. Chant für den Druck ein-
gesandte Manuskript wurde ohne jede Veränderung aufgenommen.
— 267 —
Before I speak to you on the subject of this morning's address,
let me once again congratulate the noble women of Grermany on the
great victory they have gained over world-worn prejudices and
ancient chartred monopolies of men, in having won for the first
European International Council of Women that its inaugural cere-
monies have been held in no less a place than the Rathhaus of
Berlin — this splendid palace of the head-quarters of municipal go-
vemraent. Your triumph marks an important milestone in the pro-
gress of men; for when women achieve such a triumph it does not
mean that it is the result of a feud between sex interests, but an
approach to a fusion of them.
I cannot help feeling that there is a larger gap between men
and women in Germany than in either America, France, or England:
that here in Berlin the idea of comradeship with itssense of patemal
kindness, its mutual helpfulness, and its magic Stimulus in the di-
rection of charm and resourcefulness-comradeship between men and
women as human beings apart from sex, is only in the earliest years
of recognition here in Germany. I see it in a thousand things, and
you dear, brave women that you are, must have feit it in a million
hard and discouraging ways, or you would not have so gallantly
fought for, and so grandly won a coign of vantage like this great
Rathaus from which your voices must be heard all over the land
on behalf of Freedom, Truth, and Justice.
If as an Englishwoman I feel a deep patriotic regret that this
the first European International Council of Women is held in your
country instead of mine — that in the Eathaus, Berlin, and not
the Mansion-House, London is this historical conclave assembled,
while I accept the reproach it hurls against Englishwomen whose
larger opportunities have rendered them somewhat careless in
making the best use of them, I take the Chance it gives me of
congratulating you loyally and lovingly on behalf of our splendid
Englishwomen, on the progress you have made,* in being able to
summon us, your sisters, from all parts of the earth to partake
with you in this happy feast of the intellectual and spiritual pro-
duce of your progress. God speed you, God bless you, and give
all your labours His everlasting benediction.
One Word also concerning the men without whose sympathy
and CO- Operation this great event had not been possible.
Remember that it is a truth too long over-looked that the
achievements of women are a high-water-mark of the progress of
men. No man can rise to a height greater than his mother was
capable of reaching. The mother it at once the mould and the
limitation of her son. A great man must have a great mother.
To cramp and stunt the bodies of women, to feed or rather starve
their minds on trivialities, platitudes, and superstitions, to narrow
the outlook of their souls by barring all the Windows that look out
on the Elysian Fields, to make their horizon consist of a house,
with its cooking, cleaning and caretaking as the be-all, and end-all
of "Woman's Sphere," is to ensure a stunted, sceptical, sordid, and
prejudiced race of men, and in the hands of such the righteousness
that exalteth a nation dwindles, art becomes sensual, literature
17
— 268 —
puerile, and true honour, true patriotism, and tnie prosperity are
subordinated tosupposed "commercial interests" and "self-protection.'^
No! In God's name take off the heap of ragged theories, and cramp-
ing prejudices that have hidden the true ^proportions, and divine
beauty of this Woman in whom is inshrined the Mother ; clothe her
in garments that she shall choose for herseif as expressing and con-
cealing her divine purpose as the life-bringer to the race, and not
in the foolish trappings that are relics but of barbarism and savagery.
And whenever a woman attains excellence, or becomes famous for
what is noble, let every man take comfort and his share in her
triumph, for she is the high-water-mark of his progress toward
perfection.
To America belongs the high honour of having incarnated
these truths in the International , Council of Women held in Wash-
ington D, C. in 1888. And when, as the outcome of that first
world-gathering of women, three of us were invited to stand up in
the highest legislative assembly in the United States, and plead for
the Women's Suffrage Bill before the Senate in the Capitol, T, as
one of those three, reminded that august assembly that behind our
voices so happy, cultured and respectfuUy listened-to were the clam-
ouring shrieks of dispairing ones, the faint long crying of the op-
pressed and down-trodden, and the fateful silence of those who had
died before the light of the larger hope could reach them, or the
sound of the falling chains could come to them telling them that
freedom had begun.
Yet if to America belongs the honour of the birth of the Inter-
national Council of Women, and to Germany the holding of the first
in Europe, Britain can show many a fadeless laurel won by such
women as Mrs. Fry, Mary Carpenter, Florence Nightingale, Mrs.
Josephine Butler, Miss Becker, Mrs. Fawcett, Lady Henry Somerset,
Mrs. Priscilla Mc'Laren and a host of women in their train who
have helped Greät Britain to get away from the Dark Ages.
The subject on which it was desired I should speak is that of
Public Amüsements, and as the way in which that subject has been
brought before the world so much of late is almost entirely due to
some women, it is in perfect harmony with what has preceded it
in this lecture.
The amusements of a nation are as vitally important, as its
trade, labour, education, and religious worship. For all the best
teachings of religion can be undone by impure amusement, and brutal
Sport; while all that is most uplifting in religion can be helped and
stimulated by pure and delightful recreation. To the thoughtfol
man or woman some of our great Music-halls in England have long
üffered a very painful problem; for while it goes without saying
unless one is too narrow or too slow to speak with any authority
on the matter, that people must have places of amusement to go to,
and must have the kind they like best, it is simply heartbreaking
to see a place of amusement used as a market for vice, and to hear
songs sung that are deeply degrading both to singer and listener.
Foul amusements are as much the business of law as the sale of
adulterated or putrid food.
— 269 —
It was with this in mind that a sraall body of people in London
whose hearts had been sorely wrung by the perversion of amuse-
ment, and the scandalons abuse of its joyous function,that they had
witnessed, appealed to the London County Council in 1894 to deal
with the place which they believed to be the riebest, and the worst
of the lot. In other and technical words they "opposed the licence
of the "Empire" Theatre." A dividend of seventyfive per cent was
being flaunted before the public as proving the successftil attractions
of the great, costly place; and when its defenders pleaded that that
would be lost, nay the place be ruined and have to shut up if the
sale of intoxicating liquor in the auditorium was forbidden, and
the nightly "promenade'' of fast and vicious xjharacters stopped by
turning the "promenade' '-place into a part of the auditorium, they
gave their whole case away, and furnished even strenger proof than
did their opponents of the ghastly fact that the astonishing gains
were made mostly out of the drinking temptations and the provision
for vice carried on by the aid of a dazzling and gorgeous show.
It was nothing new that some music hall should have its licence
opposed at the annual renewal of licences. Sometimes the police
had done it, sometimes clergymen and magistrates in the name of law
and Order, and in the interests of the public, and with varying success.
But what was new was that the apparently riebest and most
influentially patronised of these places should be attacked, and the
attack led to success by a woman. That Portia should be alive and
alert in the end of the nineteenth Century seemed to create a furore
of surprise, anger, and thanksgiving, and at any rate the lecturer
before you has the deep satisfaction that in doing the duty that
had to be done, she escaped one at least of the Woes mentioned in
the Bible — "Woe into you when all men shall speak well of you!"
The victory gained on behalf of right was a very great one,
although the verdict thatmarked its triumph sounds a very humble
one. The London County Council in spite of all oflfered-tribes and
threats, nobly stood by the decision of its Licensing Committee, and
endorsed the decree that no intoxicating liquor should be sold in
the auditorium, and the "promenade" filled up with seats and its
partitions pulled down. A newly elected County Council of men
whose Ideals of what is best for the good government of London
seera to be lower than those of their predecessors, have since reversed
their policy, and conceded the dangerous rights to all the music-halls
deprived of them, and for the moment it would appear as if Greed
and Vice had triumphed. Bat it is only for the moment. Evil can-
not always reign. God is not asleep. But He is teaching through
our temporary defeats that the righteousness of all has to be se-
cured, before righteous law and righteous administration of law are
to be permanent.
Die Sittlichkeitsfrage eine Qesundheitsfrage.
Von Frau Hanna Bieber-Böhm, Berlin.
Mir geht es wie dem Arzte, der einmal mit dem grossen Messer
gekommen ist; das nächste Mal laufen die Kinder davon. — So bin
17»
— 260 —
auch ich gewöhnt, dass man in Scharen den Saal verlässt, wenn
ich zu sprechen anfange. Ich freue mich, dass Sie heute so
zahlreich geblieben sind. Glauben Sie mir, dass es mich schmerzt
Wunden schlagen zu müssen, wenn ich heilen will, aber ich muss
auch diesmal den heiteren Tönen der verehrten Vorrednerin
Mrs. Ormiston Chant ernste und traurige Worte folgen lassen.
Halten Sie es für ein Verbrechen, Jemandem das Leben zu
nehmen? — Ich sage Ihnen: es kann ein noch grösseres Verbrechen
sein, Leben zu geben!
Die heiligen Verpflichtungen gegen die Nachkommen werden
leider von vielen noch ganz und gamicht begriffen, so dass eine
gründliche Aufklärung über die hygienische Seite der Sittlichkeits
frage, von der grössten Bedeutung ist.
Auf Schritt und Tritt begegnet man einer anmassenden Ueber-
hebung von Frauen, welche Kinder in die Welt gesetzt haben,
gegenüber Mädchen und kinderlosen Frauen. Wenn sich dieser
Ueberhebung noch die absolute Unfähigkeit gesellt, diese Kinder zu
ethischen Menschen zu erziehen, könnte man sie fast komisch finden,
wenn einem die Kinder nicht so leid thun würden.
Aber wer hat sie denn gelehrt, was sie für Pflichten als Mütter
haben? Wer belehrt denn unsere heranwachsenden Jünglinge über
ihre Pflichten als einstige Väter ? Wer macht es ihnen mit heiligem
Ernst begreiflich, dass zur Gründung einer Familie, der junge, ge-
sunde, kräftige Triebe entspriessen sollen, vor allem gesunde Männer,
gesunde Frauen gehören?
Nichts von alledem geschieht in der Regel. Die unwissenden
Mütter aller Stände, die nach Schwiegersöhnen angeln, fragen viel-
leicht nach der Mitgift an Geld oder nach der Lebensstellung, aber
selten nach der Mitgift an Gesundheit, wenn sie die Tochter ver-
mählen. Wie soll die noch unwissendere Tochter darnach fragen,
die mit verbundenen Augen bis zum Altar bugsirt ist? Sie heiratet
und wird nur zu oft zur Mitschuldigen an dem Verbrechen, elende
Kinder in die Welt zu setzen, nachdem sie selbst elend für
ihr Leben geworden ist. — Wie erschreckend oft dies geschieht,
bestätigen die Erfahrungen vieler gewissenhafter Aerzte.
Die Thatsachen, dass 90% der jungen Leute vor der Ehe
unsittlich leben, und dass 80% davon mit den furchtbaren Krank-
heiten angesteckt werden, welche ohne Gnade der Unsittlichkeit und
besonders der Prostitution folgen, entspricht die weitere entsetzliche
Thatsache, dass die Geschlechtskrankheiten noch nach 10, 20 und
mehr Jahren in Gestalt von Erblindung, Rückenmarkschwindsucht,
Blödsinn, Wahnsinn u. s. w. zu Tage treten können, dass sie selbst
in latentem Zustande sofort die Frauen anstecken können. Wie
oft sehen Frauenärzte, wie das der verstorbene Prof. Schröder aus
Berlin betonte, junge Frauen, die sie als blühende, kräftige Mädchen
kannten, nach den ersten Wochen der Ehe siech und verfallen
wieder. Dr. Körnig sagt in seinem vorzüglichen Buch, Hygiene
der Keuschheit: „Das Heer der Frauenleiden und nervösen Er-
krankungen stammt zum grössten Teil von scheinbar geheilten
Geschlechtsleiden des Mannes her und unzählige Frauen werden
durch den leichtsinnigen Verkehr ihres Gatten vor oder auch in der
— 261 —
Ehe durch Prostitution und freie Liebe unglücklich, um ihre Hoff-
nungen und um ihre Lebensfreude betrogen und in ihrer Gresundheit
zerrüttet".
„Wie furchtbar!" werden sie sagen. „Kann uns denn niemand
schützen?" ja! die Aufklärung könnte Sie schützen! ernste
Bücher könnten Sie schützen, wie sie unser Verein Jugendschutz,
dem ich Sie bitte beizutreten, im Vorzimmer ausgelegt hat, weil er
„Aufklärung und Kampf gegen die Unsittlichkeit, die Feindin des
Familienglücks" auf seine Fahne geschrieben hat. Vorträge über
diese Dinge könnten Ihre Töchter schützen, weil sie warnen; wenn
Sie nicht vor solch wichtigen und notwendigen Vorträgen Ihren
Töchtern befehlen würden, den Saal zu verlassen. —
Ihre Hausärzte können Sie schützen, wenn unsere wunder-
schönen bis jetzt von Männern gemachten Gesetze, nicht den Aerzten
das Berufsgeheimnis auferlegt hätten. So kann man alle Tage dasselbe
Schauspiel erleben, dass der Arzt sich zum Komplizen des Ehe-
mannes hergiebt, um die Ehefrau über den wahren Charakter der
Krankheit täuschen zu helfen. Diesem Vorgehen wird denn noch
das rosige Mäntelchen umgehängt: dass der Frieden der Ehe gestört
werden würde, wenn die Frau erfahren würde, was ihm oder was
ihr fehlt! —
Nun ich denke, wenn die Aerzte trotz ihres Amtsgeheimnisses
jetzt schon bei Cholera, Scharlach u. s. w. die Anzeigenpflicht haben,
so müssten wir diese Forderung bei Geschlechtskrankheiten auch
durchsetzen können! In den „Vorschlägen zur Bekämpfung der
Prostitution" ist dazu ein Versuch gemacht. —
Ein Grlück ist es noch, wenn der Ehe solcher Ehemänner keine
Kinder entstammen.
Denn nach Dr. Rozsaffy, Polizeiarzt in Budapest z. B. hören
erst mit der 3. — 4. Generation die Folgen einer einzigen Infektion
auf, wenn die Nachkommen der Ersterkrankten in Folge von Epi-
lepsie, Rückenmarkschwindsucht oder als Irrsinnige u. s. w. zu
Grunde gegangen sind. —
In dem Stück „Das 4. Gebot" wird uns in ergreifender Weise
vorgeführt, wie die Sünden der Väter an den Kindern heimgesucht
werden. Als solch ein unglücklicher Sohn, der schliesslich im Ge-
fängnis verkommt, an das „du sollst Vater und Mutter ehren" ge-
mahnt wird, sagt er verzweifelt zum Pfarrer: „dann sagts den
Eltern, dass sie darnach sein sollen".
Angesichts dieses Martyriums der Frauen, der unschuldigen,
erblich schwer belasteten Kinder verdient man wirklich „utopisch"
genannt zu werden, wenn man die Forderung zahlreicher bedeutender
Aerzte: „Keuschheit vor der Ehe und Treue in der Ehe!" zu
predigen nicht aufhört? Verdiene ich deshalb „fanatisch" genannt
zu werden?
Ich glaube es nicht. Jedenfalls müssen wir Alle den ethischen
Elementen unter den Aerzten, die sich täglich mehreUj zu heissem
Dank verpflichtet sein, dass sie immer lauter und häufiger ihre
Stimmen für Keuschheit und Einehe erheben, als dem einzigen
Weg, der die kommenden Generationen vor Degeneration be-
wahren kann.
— 262 —
Sie aber, Frauen von nah und fem, bitte ich dringend und
herzlich, sprechen Sie früh mit ihren jungen Söhnen über die Pflicht
der Keuschheit und die schädlichen Folgen der Unkeuschheit für die
Gesundheit, damit sie stark werden und den Versuchungen schlechter
Kameraden widerstehen können; damit sie nicht zu Verbrechern an
unseren Schwestern werden, nicht zu Verbrechern an ihren späteren
Kindern.
Und ich widerhole, was ich schon oft gesagt habe: Wenn
Ihnen Ihre Söhne ins Gesicht lachen werden und sich auf unsere
schönen Gesetze berufen, die Ihnen die Unsittlichkeit gestatten, ja
dieselbe protegieren, dann werden Sie begreifen, warum wir eine
Reform der Gesetze betreffs der Sittlichkeit erflehen.
Wenn heute auch nur die eine Seite der Sittlichkeitsfrage, die
Gesundheitsfrage flüchtig berührt werden konnte, so bitte ich Sie
nicht zu vergessen, dass sie sowohl noch eine ökonomische, eine
Rechtsfrage und eine Erziehungsfrage ist und dass es ganz falsch
und verfehlt ist, zu glauben, nur von einer dieser Seiten könne man
anfangen sie zu bekämpfen, die Losung heisst eben: „Reform auf
der ganzen Linie und Aufklärung!**
Die Mässigkeits- Vereine für die Jugend.
Von Miss Annie B. S. Salmon, London, Ehrenmitglied des Mässig-
keits- Vereins junger Leute.*)
(Uebersetzt und gekürzt).
„Die Kinder einer Nation sind der teuerste, beste, unschätz-
barste Reichtum derselben."
Was ist nicht alles in dem Leben und Wesen eines Kindes ent-
halten! Die Kinder sind göttliche Probleme genannt worden, den
Menschen zur Lösung anvertraut, und in der That giebt es kein
Problem, von Menschen erdacht, dessen Lösung so viel Takt und
Weisheit, solche wohlüberlegte Vorsicht in der Führung, solche
sorgfältige zarte Behandlung erfordert, wie der biegsame, empfäng-
liche, vertrauensselige Geist des jungen Kindes.
Die Aureole der Hoffnung und Erwartung umgiebt das kleine
Wesen von seiner frühesten Jugend an, und wie wir in den Kindern
der Gegenwart die Männer und Frauen der Zukunft sehen, so wird
ihre spätere Lebensführung nur die nachträgliche Konsequenz unserer
jetzigen Behandlung sein. Ein Kind zum Rechten anhalten ist viel
leichter, als die Gewohnheiten eines ganzen Lebens zu ändern, und
die gegenwärtige Generation beeinflussen, heisst für die Zukunft der
Nation wirken.
Gegenstand dieser Auseinandersetzungen ist zu zeigen, welch
wichtigen Faktor die Mässigkeits-Bewegung der Jugend ist für die
Begründung einer massigen wirtschaftlichen und erwerbsamen Ge-
meinschaft. Dass der Gebrauch von alkoholhaltigen Getränken die
unmittelbare Ursache vieler sozialen üebelstände der Gegenwart ist
*) Miss Salmon war in der Versammlung anwesend, konnte jedoch
wegen Mangel an Zeit nicht zum Wort kommen.
— 263 —
und dass die Trunksucht verdammenswert, wird heutzutage allgemein
zugegeben. Aber einen nationalen Brauch ändern, (so verderblich er
auch sein mag), der von jeder achtbaren Gesellschaft angenommen
und von Generation auf Generation verpflanzt wurde, ist keine
leichte Aufgabe.
Man kann die Stadt Boston in den Vereinigten Staaten als die
Geburtsstätte der Mässigkeits-Reform im Jahre 1826 bezeichnen.
Von dort aus verbreitete sich die Bewegung bald nach England und
über andere Länder des Kontinents. Das Hauptbestreben der ersten
Arbeiten war gegen die Truiiksucht gerichtet. Da aber die meisten
Reformierten wieder in ihren Fehler zurückfielen, so kamen die
Reformatoren zur Ueberzeugung, dass nicht von der Heilung,
sondern von der Verhinderung des Uebels Erfolge zu erhoffen seien
Dies aber war nur dann möglich, wenn die Jugend der Nation von'
ihrer frühesten Kindheit an zur strengsten Enthaltsamkeit erzogen
würde.
Und so kam es im Jahre 1840 zur Gründung eines Mässigkeits-
Vereius für junge Leute. Sieben Jahre später war jedoch erst ein
merklicher Fortschritt, im Oktober des Jahres 1847, wahrnehmbar.
In diesem Jahre besuchte eine Irländerin, Mrs. Carlisle den Norden
Englands und veranstaltete grosse Versammlungen. Noch ehe sie
die Stadt Leeds verlassen hatte, war hier ein „Mässigkeits- Verein
junger Leute'' mit 200 Mitgliedern gegründet und einem glücklichen
Einfall zufolge „Schar der Hoffnung" benannt worden. Noch vor
Ende des Jahres hatte der Verein 1000 Mitglieder.
Welch ein merkwürdiges Zusammentreffen, dass eben um die-
selbe Zeit eine „Schar der Hoffnung" in der Stadt Berlin gegründet
wurde, eine Thatsache, von der ein, in der „Nationalen Mässigkeits-
Chronik" gedruckter Brief aus Berlin vom Juli oder August 1847
handelte. Er lautet: „Ein merkwtiriges Schauspiel spielte sich
gestern ab. Zufolge einer Einladung der Mässigkeits -Vereine
fand eine Versammlung von 3000 Kindern vom 4. bis zum 16.
Lebensjahre statt. Es ist die „Schar der Hoffnung", deren Tendenz
die vollständige Entsagung von Spirituosen G-etränken und die Pflege
gymnastischer Uebungen sein soll."
Während die Mässigkeits-Bewegung in Deutschland bald nach
ihrem Erscheinen erlosch und erst in jüngster Zeit wieder auf-
erstand, waren die „Scharen der Hoffnung" in G-rossbritannien und
Irland mit grossen Schritten vorgedrungen und haben sich stets als
die hoffnungsvollste Abteilung der Mässigkeits- Armee bewährt. Ihre .
Zahl hat von Jahr zu Jahr zugenommen und giebt es bis jetzt über
21,454 jugendlicher G-esellschaften mit der ansehnlichen Mitglieder-
zahl von nahezu 3 Millionen.
Die „Jugendzweige" des Britischen Frauen-Mässigkeits-Vereins
und des Vereins „Vollständige Enthaltsamkeit" sind hauptsäch-
lich für junge Mädchen gegründet, die, zu alt um sich Kinder-
Meetings beizugesellen, ihre besonderen jugendlichen Versammlungen
abhalten. Auch des „Mässigkeits- Vereins für die Jugend" muss Er-
wähnung gethan werden, einer Organisation, die im Jahre 1849
eigens zu dem Zwecke gebildet wurde, auf die Kinder wohlhabender
Klassen zu wirken, die ihrer gesellschaftlichen Stellung halber nicht
— 264 —
die Erlaubnis bekommen, einem gewöhnlichen Meeting beizuwohnen.
Mittels geselliger Zusammenkünfte in Privathäusern, sowie mittels
eines offiziellen Organs, einer unter dem Titel: „Der junge Abstinenzler"
erscheinenden Monatszeitung, ist in der konventionell eingeschränkten
Gesellschaft, zu welcher eben nicht anders zu gelangen war, viel
Gutes gethan worden.
Alle diese Vereine lehren vollständige Abstinenz.
Jenseits des Atlantischen Ozeans arbeiten unsere amerikanischen
Brüder in ähnlicher Weise in einem blühenden Vereine, genannt
„die loyale Mässigkeits-Legion ". Auch die Mässigkeits- Vereine
Norwegens, Schwedens und Finlands haben ganz Vorzügliches ge-
leistet. Im deutschsprechenden Schweizerlande wurde im Jahre
1892 der „Unabhängige Orden der guten Templer" eingeführt und
bald danach ein „Jugend-Tempel" gegründet. Auch eine Anzahl
von Jugend-Tempel-Gesellschaften giebt es daselbst, die unter dem
Namen der „Hoffnung" dem offiziellen Organ des „Mässigkeits-
Bülletins für Kinder" arbeiten. Der erste „Jugend-Tempel" in
Deutschland entstand zu Flensburg im Jahre 1891 mit 19 Kindern
und 6 jungen Leuten und wurde „Senfkorn" benannt. Andere
Tempel sind seitdem in Schleswig-Holstein, in Berlin und in Rotterdam
errichtet worden. In Belgien sorgt die Regierung dafür, dass an
allen öffentlichen Schulen und Seminaren die physiologischen
Wirkungen des Alkohols gelehrt werden. Eine ähnliche Bewegung
beginnt in Frankreich, wo der Minister für Erziehung und Unter-
richt an sämtliche Lehrer ein Zirkular richtete, worin er ihre
besondere Aufmerksamkeit auf den Mässigkeits -Unterricht lenkt.
Auch sind zur Verbreitung dieser Anti-Alkohol-Lehren mehrere
Mässigkeits-Schutz- Vereine in Paris errichtet worden.
Aus dem Vorangegangenen ist zu ersehen, wie allgemein ver-
breitet der Wunsch ist, die jungen Leute über Natur und Wirkung
der Alkohol-Getränke aufzuklären.
Einer unserer englischen Dichter, Tennyson, hat gesagt: „Selbst-
achtung, Selbstkenntnis und Selbstkontrolle, diese drei allein erheben
das Leben zu souveräner Macht. Doch nicht der Macht halber, die
auch ungerufen käme, befleissigen wir uns jener Tugenden, sondern
um nach dem Gesetze zu leben, dessen Befolgung uns furchtlos
macht".
Zur Erreichung dieses Ideals mache es sich der Mässigkeits-
Lehrer zur Hauptaufgabe das Kind Schritt für Schritt vorwärts
zu führen.
Durch die Physiologie wird die Wirkung des Alkohols auf den
Körper erklärt und so wird allmählich sich die Ueberzeugung Bahn
brechen, dass der Gebrauch des Alkohols kein natürlicher, sondern
ein künstlich angeeigneter Genuss ist, dass derartige Getränke,
keine Notwendigkeit, sondern ein Luxus sind, dass sie kein Nahrungs-
mittel bilden, vielmehr ein Gift werden können und dass ihr Ge-
brauch vom ökonomischen Standpunkt als verderbliche, verschwen-
derische Gewohnheit angesehen werden muss.
Nach Einprägung dieser Wahrheiten zeige der Lehrer, wie der
Wille geübt werden müsse, um die Lehren der Wissenschaft in
praktischen Gebrauch umzusetzen.
— 266 —
Der Hauptgrandsatz der Mässigkeits-Bewegang ist Enthaltsam-
keit aus Liebe zu GU)tt, Heimat und Vaterland. So wird der Geist
der Selbstentäusserung zum Wohle Anderer eingeflösst, eine liebe-
volle Sympathie geweckt und eine unzerreissbare Kette begabter,
begeisterter, junger Patrioten geschmiedet.
Die Geschichte zeigt uns, dass der Genuss des Alkohols eine
ganze Nation demoralisiert und vernichtet. Er zerstört das
häusliche Leben, untergräbt den Charakter und die nationale
Wohlfahrt. Arm und reich lockt er in gleicher Weise ins Ver-
derben.
Gesegnet seien Alle, die durch Lehre und Beispiel alle Mittel
anwenden, um die Jugend vor dem Bösen zu bewahren und ihr als
Schutzengel Enthaltsamkeit zuzufahren.
Freitag, den 25. September, Nachmittag 3 ühr.*)
Vorsitz: Frau Marie Stritt, Frl.Dr. phil. KätheSchirmacher.
Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfs-
arbeit.
Von Frau Auguste Friedemann, Berlin, Delegierte dieser Gruppen.
Die Mädchen- und Frauengruppen wurden im Herbst 1893 auf
Anregung von Frau Schulrat Cauer ins Leben gerufen und haben
den Zweck, angesichts des wirtschaftlichen und sittlichen Notstandes
grosser Bevölkerungsklassen, auch die Frauen und Mädchen,
namentlich der besitzenden Stände, zu freiwilliger Thätigkeit aut
sozialem Gebiete heranzuziehen. Das Komitee, welches aus 5 Damen
und 6 Herren, unter dem Vorsitz von Frau Bürgermeister
Kirschner, besteht, ging bei der Gründung der Gruppen von der
Erwägung aus, dass nur durch den persönlichen Verkehr die
grossen Gegensätze zwischen den besitzenden und besitzlosen
Klassen der Gesellschaft überbrückt und ein besseres Verständnis
für die Empfindungen und Bedürfnisse der unteren Klassen ge-
wonnen werden könne.
Das Komitee erliess einen Aufruf in diesem Sinne, und es fand
sich allerdings vorerst nur eine geringe Anzahl von Frauen und
Mädchen, die ihre Hilfe anboten, denn man hatte mit dem Vor-
urteil der Mütter zu kämpfen, welche durch die Berührung mit
dem Volke die Weiblichkeit ihrer Töchter gefährdet wähnten.
Die Begeisterung aber, mit welcher gearbeitet wurde, führte der
Sache bald neue Freunde zu, so dass jetzt bereits circa 200 Frauen
und Mädchen bei den verschiedenen Wohlfahrtseinrichtungen
thätig sind.
Das Arbeitsgebiet hat sich in 3 Gruppen gegliedert:
Gruppe A, unter dem Vorsitz von Frau Sanitätsrat Schwerin,
umfasst Armenpflege und Wohlfahrtseinrichtungen und entsendet
ihre Hilfskräfte in die Auskunftsstelle für ethische Kultur, in
Krankenhäuser, Volksküchen u. s. w.
*) Redigiert von Marie Raschke.
— 267 —
Gruppe B., unter dem Vorsitz von Frau Samoscb, hat haupt-
sächlich die Fürsorge für Blinde zum Ausgangspunkt ihrer Thätig-
keit gemacht. Das traurige Loos der Unglücklichen durch Musik,
Vorlesen und bescheidene gesellige Unterhaltungen etwas freundlicher
zu gestalten, ist das eifrige Bestreben der jungen Helferinnen ; doch
fördern sie die Blinden auch mit air ihren Kräften in dem Be-
streben, ihre Erwerbsthätigkeit zu erhöhen. Einzelne junge Mädchen
erteilen Privatunterricht an Unbemittelte und suchen arme Familien
in ihren Wohnungen auf.
Gruppe C, deren Leitung in den Händen von Frau Rechts-
anwalt Friedemann liegt, umfasst das Erziehungswesen im weitesten
Sinne und unterstützt Krippen, Volkskindergärten, Jugendhorte und
Haushaltschulen mit Lehr- und Hilfskräften.
Um die praktische Thätigkeit der Frauen zu vertiefen und sie
dadurch fruchtbarer zu machen, hat sich das Komitee mit bedeuten-
den wii^senscbaftlichen Kräften in Verbindung gesetzt, welche in
leicht fasslicher Darstellung die Damen in die Elemente der National-
ökonomie, der öffentlichen Armenpflege, der Volksgesundheitslehre,
der Erziehungswissenschaften und einschlägige Gebiete einführen.
So weit es thunlich, schliessen sich diesen Vorträgen Ex-
kursionen in MusterstätteiT von Arbeit er- Wohlfahrtseinrichtungen,
Kranken- und Waisenhäusern, Krippen, Horten etc. an.
Das mit dem 1. Oktober beginnende Arbeit«\jahr verspricht ein ganz
besonders reiches und interessantes zu werden. Es ist dem Komitee
gelungen, Herrn Dr. Münsterberg, den bisherigen Leiter der Ham-
burgischen Armen Verwaltung, für eine Reihe von Vorträgen über
Armenpflege und Wohlthätigkeit unter Berücksichtigung der an-
grenzenden Gebiete der Wohlfahrtspflege nnd mit besonderer Be-
ziehung auf die weibliche Hilfsthätigkeit zu gewinnen. Paralell
damit sollen für Vorgeschrittenere seminaristische Uebungen über
Fragen des Armen wesens, der Wohlthätigkeit und der Wohlfahrts-
pflege gehen. Noch reicht die Zahl der Mitarbeiterinnen keines-
wegs aus für das grosse Arbeitsfeld, das zu bebauen ist. Hoffen
wir jedoch, dass dieser Kongress, der überall Schaffenslust und
Freudigkeit erweckt, auch unserem Unternehmen neue Freunde zu-
führen wird, damit das Doppelziel erreicht wird, einmal den Müh-
seligen und Beladenen zu helfen, dann aber auch, unsere weibliche
Jugend auf die ernsten Pflichten vorzubereiten, welche der Zukunfts-
staat gebieterisch von der Frau fordern wird.
De la condition et du vote politique des femmes
en France.
Par Madame Vincent, Asnieres (Seine), Presidente du Groupe
TEgalit^, D^leguee etc.
Nous avons traite ici Mercredi la question de Telectorat
et de Teligibilite des femmes aux Conseils des Prud'hommes en
France, nous traiterons aujourd'hui de la condition politique et du
vote politique des femmes, avant la Eyevolution de 1789.
Pour bien faire comprendre la condition politique des femmes,
— 268 —
il nous faut remonter ä Torigine des fiefs, nom sous lequel on desig-
Dait les Concessions de terre donnees en partage.
Les Francs ayant conquis les Gaules, leurs chefs, nos premiers
rois, partageaient entre leurs compagnons d'armes, le territoire conquis.
Les concessions de fiefs ne se faisaient d'abord que jour en jour,
pendant la vie de celui qui en etait gratifie; mais sur la fin de la
seconde race de nos rois, les biens commencerent ä devenir heredi-
taires, ils passerent d'abord aux enfants mäles, puis aux collat^raux,
ensuite aux Alles, et insensiblement les Seigneurs permirent ä leurs
vassaux de les vendre moyennant un certain droit qu'on leur payait.
Lorque la societ^ fut mieux aflfermie, le service militaire moins
rigoureux, Tusage de Ther^dite finit par pr^valoir, alors les ferames
ne furent plus exclues de la succession au patrimoine.
Nous trouvons ä cette ^poque 47 fiefs feminins et seulement 9
fiefs masculins.
L'admission des femmes au pouvoir politique, n'est venue que
lorsque le fief confondant le pouvoir et la propriet^, incorporant au
sol la souverainete, a laisse la puissance politique ä la femme heri-
tiere du fief, parce que cette puissance etait un d^membrement et
comme un fait de la propri^te.
Ainsi c'est le respect de Fh^redite et de la propri^te qui a
fait reconnaitre aux femmes des droits, que, jusqu'ä Theure, on leur
avait refuses.
La fille heritiere d'un fief ne pouvait etre mariee sans le con-
sentement du Seigneur suzerain, qui pouvait Tobliger ä prendre mari
des rage de douze ans acconiplis. Le Seigneur suzerain, tuteur du
droit d'une mineure, lui pr^sentait trois candidats, parmi lesquels
eile devait choisir.
En cas de refus de sa part, la jeune heritiere perdait pendant
un an la possession de son fief, dont le Seigneur Suzerain pouvait
conserver la garde, jusqu'a ce qu'elle eut consenti ä prendre pour
epoux un de ceux qui lui ^taient present^s.
Nous citons un de nos grands ecrivains; Guizot dit:
„Quand le possesseur du fief sortait de son chäteau pour
aller chercher la guerre et les aventures, sa femme y restait
dans une Situation toute diff^rente de celle que jusque la les
femmes avaient toujours eue. Elle y restait maitresse chäte-
laine, repr^sentant son mari, charg^e en son absence de la
defense et de Thonneur du fief. Cette Situation elevee et
presque souveraine, au sein meme de la vie domestique, a sou-
vent donne aux femmes de Tepoque f^odale, une dignite, un
courage, des vertus, un eclat, quelles n'avaient point deployes
ailleurs, et eile a sans nul doute puissamment contribu^ ä leur
d^veloppement moral et au progres general de leur cundition."
üne des femmes les plus remarquables de cette epoque, fut
cette Jeanne de Flandre, comtesse de Montfort, qui pendant vingt
ans, soutint la lutte contre Jeanne de Penthievre, comtesse de Blois,
et contre le roi de France, pour defendre Th^ritage de son mari,
Jean de Montfort, duc de Bretagne.
Citer toutes les femmes illustres de la France f^odale est im-
possible ici, cela nous entrainerait trop loin.
— 269 —
Rappeions cependant Jeanne d'Arc, la plus celebre d'entre elles.
Piusieurs de nos princesses qui exercerent la regence de France,
furent, si Ton peut s'exprimer ainsi, de veritables hommes d'Etat,
teile Blanche de Castille, Anne de Beaujeu, etc.
Les femmes h^ritieres de tous les droits et prerogatives attach^s
aux fiefs, etaient, en cette qualite, investies de la dignite de Pair
de France.
L'origine de la pairie remonte a Louis le Jeune, qui avait ^e
le nombre despairs ä 12 : 6 pairs laiques et 6 pairs eccl^iastiques ;
non seulement les femmes possedaient alors les pairies, mais elles
exergaient les fonctions qui y sout attachees, meme Celles qui semb-
lent les plus viriles; par leur mariage, elles pouvaient transmettre
la dignite de Pair dans les familles etrangeres.
C'est comme Pair de France que la comtesse Jeanne de Flandre
si^ge dans le proces, ä la suite duquel le Comte de Clermont fut
adjuge ä St. Louis en 1258.
C'est encore comme Pair de France que Mahaut, comtesse
d'Artois, assista le 13. Janvier 1317 au sacre de Philippe V ä
Reims et soutint la couronne sur la tete du roi, avec les autres
Pairs du royaume. Nous la voyons encore sieger, comme Pair de
France?, dans le proces intente ä Robert d'Artois.
Nous devons dire encore quelques mots de la Coutume sur la-
quelle on s'est appuye pour ecarter les femmes du trone de France.
Cette Coutume prit sa naissance dans Torganisation et les moeurs
de la feodalit^. La Coutume Salique qui exigeait un defenseur pour
la terre, en tant qu'heritage, fut appliquee au trone de France en
1316, ä la mort de Louis X, le Hutin, son frere Philippe le Long,
regent du royaume, provoqua une assemblee des Paii*s et des hauts-
barons, laquelle decida que:
„Les Lys ne filent pas, et que le Royaume de France etait
de si haute lignee, quMl ne pouvait tomber en quenouüle."
Cette decision ne fut pas accept^e sans aucune protestation.
Agnes de France, fille de St. Louis, interjeta appel en faveur de sa
petite fille, Jeanne de Navarre.
Cet appel fut rejete et pour la premiere fois dans notre histoire,
la loi dite salique fut mentionnee et appliquee.
En 1328, apres la mort de Charles le Bei, la reine ayant mis
au monde une fille, le regent Philippe de Valois, par une deuxieme
application de cette loi salique, fut eleve au trone de France, au
detriment des heritiers directs de Charles le Bei. Grave decision,
qui devait pendant un siecle, causer ruines sur ruines en France, et
conduire notre pays ä deux doigts de sa perte; l'avenement de
Philippe de Valois fut une des principales causes de la guerre de
Cent ans, entre la France et l'Angleterre.
J'ai dit deja que les pairies etaient partagees entre 6 laiques
et 6 ecclesiastiques, ces anciennes Pairies furent par la suite rem-
placees par de nouvelles. Frangois I commenga ä 6riger certaines
Seigneuries en Pairies, au profit de personnes choisies par lui, et ä
la condition que le titre ne subsisterait que dans la ligne directe et
masculine seulement. Les femmes en etaient exclues. Les rois qui
suivirent creerent egalement de nouvelles Pairies, avec cette diflfe-
— 270 —
rence, que les lettres d'erection indiquaieut la reversibilite de male
en femelle. Nous citerons parmi ces nouvelles Pairies:
Le Dache Pairie d'Halvoln, Seigrneurie de Piennes, cree par
lettres patentes de Henri TU, le 29. F^vrier 1588.
Le Dache Pairie de Mercoeur, Lorraine et Vaudemont cree en
1569 avec reversibilite de mäles en temelles.
Le Corate d' Albret fut ^rige en Dache Pairie en 1556 par
lettres patentes, en faveur d'Antoine de Bourbon et de Jeanne
d' Albret son epouse et en 1652, de nouvelles lettres patentes trans-
mirent cette Pairie ä Frederic Maurice de la Tour du Pin, duc de
Bouillon et a ses enfants et h^ritiers successeurs et descendants, tant
mäles que femelies.
Le Duch^ Pairie de Beaufort cree par Henri IV en faveur de
Gabrielle d'Estr^es.
Parmi les femmes qui ont ete investies de la dignite de Pair
de Trance, une des plus en vue et des plus remarquables fut Marie
de Vignerot, veuve d'Antoine de Beauvoir, Seigneur de Combalet.
La terre et Seigneurie d'Aquillon, fut erigee en Duche Pairie,
par lettres patentes du 1er Janvier 1638, en taveur de la dite dame,
avec titres, noms et dignit^s, preeminence de Duche-Pairie de France
pour eile et les heritiers tant mäles que femelles, tels qu'elle le
voudra choisir.
En vertu de cette clause, Madame de Combalet fit heritiere de
sa Pairie sa niece Marie Therese qui luisucceda etmourut en 1704.
Ce fait est relat^ par un de nos grands toivains, Saint-Simon,
qui se montre fort scandalis^ qu'une femme puisse choisir ä son
gre ses heritiers pour la dignite de Duc et Pair de France.
La premiere Duchesse d'Aiguillon joignait ä la Pairie le titre
de Gouverneur du Hävre. Chargee en Mai 1658, d'organiser la
defense des cotes, chaque jour eile faisait ex^cuter sous ses yeux,
les ouvrages qui pouvaient etre necessaires pour fortifier la ville;
eile aida par son activite ä la prise de Dunkerque, dont les Espag-
nols etaient en possession. Cette ville fut reprise par Turenne, le
14 Juin 1658. II nous serait facile de citer les femmes qui ont
rempli des fonctions politiques sous la monarchie, comme gouverneurs
de provinces, ambassadrices pres des puissances ^trangeres. Nous
devons nous liraiter. Ce que nous tenons ä etablir, c'est que toutes
les femmes nobles, filles, veuves et meme mineures, toutes les com-
munautes religieuses de femmas, ont ete, des Torigine des Etats Ge-
neraux en 1303, appel^es ä elire des deputes, elles ont figure sur
toutes les convocations des Etats qui se sont succedes jusqu'en 1789.
Les Etats Generaux ne furent convoqu^s que dans les moments
ciitiques de la monarchie, nos rois ayant toujours eu la crainte de
ces assemblees qu'ils n'appelaient que lorsque de nouveaux impöts
et subsides etaient necessaires. Souvent les Etats se refusaient ä
voter les impöts et les subsides demandes par le roi; ils etaient
^galement appeles ä deliberer sur les affaires du royaume.
Les femmes siegent egalement dans les Etats Provinciaux, c'est
en cette qualite que Madame de Sevigne siegea aux Etats de
Bretagne.
Dans les assemblees communales des villages, les veuves ou
— 271 —
fiUes, imposees comme chefs de faraille, etaient admises au meme
titre que les hommes; elles signaient comme eux, sur le registre des
deliberations redige ainsi que cela etait la coutume par le tabellion.
Le dernier d^cret de convocations pour les elections des Etats-
Gen^raux de France est du 24 Jan vier 1789, nous le reproduisons
textuellement:
„Les femmes poss^dant divisement, les Alles, veuves, ainsi
que les mineurs jouissant de la noblesse, pourront se faire
representer par des procureurs, pris dans Tordre de la no-
blesse."
Nous avons montre les femmes siegeant comme Pairs de France
dans les cours de justice des parlements, nous les voyons depuis le
commencement jusqu^a la fin, appelees a nommer des procureurs
charges de deposer leur vote, pour Telection des deputes aux Etats-
Generaux de France. Elles figurent dans les Etats des Provinces,
dans les assemblees communales.
Toutes les femmes investies de ces diverses fonctions et attri-
butions, ne prenaient-elles pas part ä la Cbose publique, au Gouverne-
ment du pays?
A la r6volution, tous les Privileges furent abolis; on proclama
les droits de Thomme, seules les femmes furent oubliees; des pro-
testations se firent entendre, des femmes courageuses reclamerent,
mais que pouvaient leurs voix dans la tourraente revolutionnaire.
Les femmes de la noblesse, les religieuses, qui etaient en pos-
session du vote politique, etaient dispersees, emigrees pour la plu-
part; les corporations d'ouvrieres etaient abolies, rien ne resta du
droit feminin.
Le projet de Constitution de 1793 proclamait Tegalite des droits
des hommes et des femmes; malheureusement il ne fnt jamais mis
en vigueur.
Lors de Telaboration du Code Civil, dit Code Napoleon (dont
nous subissons encore les lois) Targument de Bonaparte pour re-
streindre la liberte des femmes fut celui-ci:
„Un mari doit avoir un empire absolu sur les actions de
sa femme, il a le droit de lui dire: Madame vous ne sortirez
pas, Madame vous nUrez pas ä la comedie, Madame vous ne
verrez pas teile personne."
Les Chartes de 1815 et de 1830, ont reconnu aux femmes
veuves un droit tres minime, dernier vestige du droit politique, ce-
lui de deleguer leurs impots ä leurs fils, ou gendres pour parfaire
le Cens 61ectoral qui a existe jnsqu^en 1848.
La Revolution de 1848 etend le suffrage dit universel a tous
les citoyens, sans doute parce quHl ne comprend qu'une partie de
la nation!
Les femmes se trouvent de par la loi nouvelle depouillees du
droit de dele^er leurs impots; il ne reste plus alors aucune trace
du droit consacre par les Chartes de 1819 et 1848.
Victor Considerant fut le seul des neuf cents membres de la
Constituante, qui, dans le Comite de la Constitution reclama le droit
politique de la femme; voici ses paroles:
— 272 —
„La Loi est tiD Contrat inttr^enant entre tous lea membres
de la SouieW, eile ne saurait, saus instituer une inique aer-
vitude, etre obligatoire pour ceux qui anraient m repousaes
de la formation de ce contrat; en consequence, tous lea Fran-
Cais majeura des deux sexes, tont de plein droit partie des
sectiona de vote oü est leor domicile." j j ■,
Pierre Leroux d^veioppa im amenderaent en faveur du droit
communal et ce (ut le Pasteur Athanate Coquerel qui proposa la
loi d'eiclusion contre lea femmes, qui fnt votee.
Des femmea energiqnes s'^murent, elles i-elamerent; nous devons
citer: Jeanne Dervin, Adele Esquirot, Eugenie Niboyet, Paulme
Roland, Henriette Sönöchal et bien d'autres.
I>a plus remarquable fut Jeanne Dervin qui se porta a la
representaüon nationale, par devouement pour la consecration d'un
grand principe, l'egalit^ civUe et poliüque des femmes. _
NoiK devons toutes honorer cette femme courageuse, morte a
Londres en 1893.
Eq 1889, Monsieur de Gaate, döput*'. de Brest, notre dövoue
defenseur, demandait que les femmes fiissent electeurs et öligiblea;
cette proposition fut ^cart«e par la Chambre,
En 1893, Madame Vincent, prösidente du groape femmiate:
l'Egalite, avait ite inacrite sur la liste electorale de la commune de
St. Onm; cette inscription a 6te annulee par le juge de paix de
St. Denis. ,
Madame Vincent a plaid..^ juaqu'a la com- de Cassation, eile a
perdu son proces, et depuis, la question est rest^ie au merae pomt
Ifoua reclamoas le vote municipal et politique pour toutes, par-
ce que, autant que les hommes, lea femmes sont interesseea ^au gou-
vemement de letat, comme eus, dies paient les memes impots, sont
soumises aux memes charges; parce qu'ü est Inique _ de subir des
lois, loraquo Ton est etranger ä l'elaboration de oes lois.
La raison donnee par les hommes, pour nous priver de i
est maiivaise; notre education politique, disent-ila, n'est pas faite.
Lorsqu'en 1848, tous les hommes ont ete mis en possesaion du
droit de vote, est-ce que leur education politique etait faite? _
Nous sommes venues exposer nos desirs au Congres femmiate
de Berün, afiu de nous aasocier, Mesdames, au grand mouvement
qui se produit dana le monde entier.
Nos soeurs d'Angleterre et d'Ameriqne nous montrent la route
a suivre, ellea ont conqaia toutes les libertös, aauf le vote politique
uo'elles reelament et dont elles seront en posseasion d'ici peu.
Nous croyons fermement que la fin du sieele marquera pour
les femmes la reconnaissanee entiere des droit«; qn'elles doivent les
exercer comme les horames. Comme eux elles sont nees librea, elles
doivent penser et agir librement, en tenant compte d" '" ^■"'
des sexea.
Ouvragea consultes;
1. Histoire de Prance par le President Henaiilt 1780.
2. Collection Denisart 1770.
3. Histoire de France par Henri Martin.
s droits
i difference
— 273 —
4. Memoires sur l'hiatoire de France par Grille 1823.
5. Lea Etats Geoeraux par Henri Hervieu 1879.
6. La Duchesse d'Aig^uillon par Bonneau-Ävenaut 1879.
7. Lea Aaaemblees et Communaut«s d'habitanls par M, L. Merlet
1885.
8. JoQrneaux de 1848 a 1890.
Women'3 Work as Guardians of the Poor.
By Miss Georgina Hill, London, Delegate of the Society for pro-
inoting the returo of women as Poor-Law- Guardians.
The importance of the movement for promoting the election oi
qiialified women as poor-law guardians has seldoin, we think, been
eatimated by the world at its proper value. Äs a measure how-
ever of practical pliilanthropy in opening to benevolent women the
career in which perhapa of all others they posaess most opportunity
and power of ministering to the wants of the most helpless and
wretched of their fellow-CTeaturea, it caTi hardly he over estimated.
Tt is sometimes the cuatora to consider the poor-law as a hard un-
bending System, more of the nature of a vast machine, working by
line and rnle, than as a charitable Institution, but when we re-
meicber that, thoogh to some extent this is troe, the comfort and
well-being of the inmates of a workhonse depends most largely oa
the niemhers of the Boarda of Guardians in their individual and
collective eapacity, we sball perceive at once that in this office lie
immense possibilities for good. And aa two-thii-da at leaat of those
who have to be cared for are woraen aud children, without reckon-
ing the sick and aged of hoth sexes, it would seem at first aight
that herein lies a primal neeesaity for the tbongtful consideration
of women. Moreover the daily life of the workhouse, reaembling a
honsehold on a large scale, with the bousing, the feeding, and cloth-
ing of the inmataa involves questiona at every tum of domestie ma-
nagement, that can only be adequately dealt with by ladies accu-stomed
to the daily ordering of such mattera in their own homes. It may
aeera surprising that it ia only within the last twenty years that
their active co-operation in the government of workhouses has been
enliated at all. at least in any eapacity above tbat of a matron, or
a mere servant of the Board. It is now more than forty yeara
since workhonse viaiting by ladies was initiated by Misa Twining
and some other ladies. They helped to make known a atate of
thinga in varJous workhouses that owing to the careleasneaa or ig-
norance of Boards of Guardians had been allowed to flourish un-
euspected. The sick and aged were attended by untrained pauper
nuraes; the doraestic arrangements were frequently a disgrace tn
civüiaation, whilst the children were broiight up and educated within
the workhouse itself. Thia brmging-up had the verj- worst resulta,
aa the children when men and women looked upon the workhouse
as their home. Mias Twining's Aaaociation for providing trained
nursea in Workhouse Inflrmaries, the formation of regulär visiring
committces of ladies, the creation of cottage homes for orphana and
— 274 —
deserted children, the establishment of certified Training Homes,
were schemes devised by women to combat the evils mentioned above.
It was very uphill work, and there was much difficulty in getting
these schemes recognised and accepted either by the officials of the
Local Government Board or by the Boards of Guardians.
The impetus wbich was wanting to these movements, and the
earliest practical proof of the good results from a woman^s work in
an official capacity was afforded by the appointment by the then
President of the Local Government Board, the Right Honourable
James Stansfeld, of a lady, Mrs. Nassau Senior, to be Inspector of
Workhouse Schools, only in 1873. This appointment Mr. Stansfeld
was led to make, desiring as he said, to have on some subjects con-
nected with girls and women in workhouses the opinion of a woman,
who could estimate these as no man could hope to do. The result
of Mrs. Nassau Senior 's enquiries and report, showing the immense
percentage of girls discharged when 16 from workhouse schools,
who went wrong afterwards, for lack of the particular care and
supervision on their first entrance into service, which only women
could give, resulted on one band in the formation of the Metropo-
litan Association for Befriending Young Servants and the Work-
house Departement of the Girls' Friendly Society ; and on the other
in more completely demonstrating the absolute need of women being
membres of the active governing bodies of poor-law Unions. From
the early seventies it may therefore be said that the necessity began
to be recognised among women workers, and the movement for se-
curing women as Poor-Law Guardians actually commenced.
The first case we have of a lady being nominated as Guardian
was that of the Baroness, then Miss Burdett-Coutts in 1869, who
was proposed and actually elected by a plurality of votes in a Lon-
don parishi As however a doubt was then raised as to whether a
woman was legally qualified to act as Guardian, and as Miss Burdett-
Coutts had moreover been nominated without her own consent, the
subject was suffered to drop för the time being. In 1875 it was
however revived, and this time successfully, as from the outset the
Local Government Board pronounced that there was no legal impe-
diment to a woman being elected or acting as Guardian. Several
ladies were nominated in that year, but only one Miss Martha
Merington, was elected, in Kensington. The following year (1876)
Miss CoUet was elected in St. Pancras, and another lady for Wolver-
hampton. Two years later there were 4 lady-guardians in the Me-
tropolis, and the number continued slowly to increase both in London
and in the provinces; the Services of the ladies, if at first looked
upon somewhat askance by their male colleagues, were soon appre-
ciated at their füll value, and the verdict "we don't know what we
should do without the ladies now" became more and more frequent,
wherever they came into office.
Some better Organisation, in the view of the comparatively slow
increase of the numbers of lady-Guardians, was feit however to be
necessary, in order to give greater effect to the isolated efforts
made by ladies to secure their election in different parts of the
country, and to induce capable and qualified women to ofier their
— 276 —
Services. By the indefatigable efforts of the late Miss C. A. Biggs,
Miss Eva Muller (Mrs. Walter McLaren) and other ladies, tiie
Society for Promoting the Return ofWomen as Poor-Law Guardians
was formed in the early part of 1881. The work at once began
to produce its due effects, but for a long time the number of women
Guardians remained very restricted, both because the idea was still
new, and also because it was^not easy to find women at once able
and willing to come forward, and possessed of the proper qualifica-
tion as rate-payers to enable them to do so. For it was then need-
ful that a Guardian should be a rate-payer, to a certain amount,
not uniform, but varying in each district, in some places as high
as Lstr. 40, in others Lstr. 15. It was also necessary that this
qualification should be well established, as a technical error not un-
frequently destroyed the chancea of a promising candidate at the
last moment. In 1887 the number of Women Guardians did not
consequently exceed 50 in London and the provinces together. The
Local Government Act of 1889, establishing an easier and uniform
qualification of being rated at Lstr. 5 a year annual rental, had its
effect in increasing the numbers directly. Finally the Local Govern-
ment Act of 1894 removed all practical difficulties by laying down
that any person, being either a ratepayer, or a resident of twelve
months in any parish was eligible to stand a Guardian therein.
Neither sex nor marriage, it was finally and expressly laid down,
was to be any disqualification for the office. The result more than
justified the füllest expectations of the Society, for at the next
elections held after the passing of the Act the number of women
Guardians rose all at once from 200 to 883, of whom 90 sat on
Boards in the Metropolis. In Scotland, which received a similar
Local Government Act of its own at the same time the number
rose from 4 to 40.
The latest news that reaches us is that at last by a special Act
of Parliament the disabilities of women to be Guardians in Ireland
have been removed, and that a Central Committee for promoting
their return has been formed in Dublin, with Mrs. Haslam as se-
cretary. Other committees have been formed in Tralee, County
Tyrone, and in Mallow, County Cork. It is significant and hopeful
that on one of these committees the chief Offices are equally divided
between Roman Catholics and Protestants. Some time must un-
fortunately elapse, before the benefits of the Act can be realised, as
no general poor-law election in Ireland will take place before next
year, but in the meantime no efforts will be spared to induce ladies
to become candidates, and advantage will be taken of every bye-
election and chance appointment that may present itself.
But while we rejoice in the amount of work that has been
done, we cannot but realise that this after all bears a very small
Proportion to that which still remains to do. The number of Unions
in England and Wales is 648; of these 341, or rather more than
half now have women on their Boards. But this also means that
in 307 other Unions the pauper inmates are still without the help
and comfort which the presence of women on the Board having the
management of them, would afford. And though the present number
18*
— 276 —
(890 by the most recent returns) of women on Boards so largely
exceeds all that it has esrer been in previous years, we must not
forget what a small proportion this is among the 29000 Guardians
of all the United Kingdom. And on many of the Boards where
women sit they are only in the proportion of one or two among an
overwhelming number of men, though on some the number is as
high as ten and four counties are still without any Women Guar-
dians. We shall scarcely consider our work done, tili every Board
in the country is equally composed of men und women. The late
President of the Local Government Board expressed it as bis opinion
that there should be at least three women on every Board. The
task now imposed on the women Guardians of superintending the
needs and welfare of all the sick, and all the aged, all the women,
and all the children under the care of the poor-law is obviously too
great, however energetic and willing each one may individually be.
Our very successes must therefore be the most powerful incentive
to renewed work in the future, the more so as the pioneer stage is
long past, and the ready response to the need, shown by so many
women Coming forward as soon as all legal obstacles were removed,
proves how many willing workers we have, and their election, how
thoroughly the need for their Services is recognised among rate-payers.
Oeffentliche Armen- und Waisenpflege.
Von Jeannette Schwerin, Berlin.
Wohl keine Tugend hat in der Wertschätzung der Menschen
so viel Wandlungen erfahren als die Tugend der Barmherzig-
keit. Man hat ihr Bildsäulen errichtet, und man hat sie zerstört.
Man hat sie verstaatlicht, und man hat sie in unseren Tagen als das
Ventil bezeichnet, aus dem die Erbitterung entweichen soll, welche
die Besitzlosen gegen die Besitzenden hegen. Und doch datiert von
dem Tage an, an dem der Mensch dem Menschen zum erstenmale sich
hilfreich erwies, die moralische Entwickelung des Menschengeschlechts.
Alle Kulturvölker haben daher je nach der Höhe ihrer sitt-
lichen Anschauungen und nach der eigentümlichen Gestaltung ihres
Staatenlebens eine öffentliche Armen- und Waisenpflege geübt. Auch
Deutschland hat nach jahrhundertlangem Ringen endlich eine ge-
meinsame Form der öffentlichen Armenpflege gefunden. Wenn die
Zwangsarmenpflege nach dem preussischen Ausführungsgesetz von
J871 jedem, der für seinen Unterhalt nicht zu sorgen vermag, unter-
schiedslos eine bestimmte Art der Unterstützung gewährt, so ist man
in den betreffenden Städteverwaltungen stets bestrebt gewesen, die
Begrenztheit des Gesetzes durch ein System zu mildern, welches dem
ersten Grundsatz einer rationellen Armenpflege entspricht: Indivi-
dualisierung der Gabe einem jeden einzelnen Empfänger gegenüber.
Seine idealste Form findet dieser Gedanke in dem sogenannten
Elberfelder System, welches einem Armenpfleger durchschnittlich nur
3—4 Familien im Jahre zuweist, und es ihm dadurch möglich macht,
mit voller Elraft und Hingabe für seine Schutzbefohlenen zu sorgen.
— Zur Durchführung dieses Systems sind aber viele Kräfte er-
forderlich, und so kam man auf ganz natürlichem Wege dazu, auch
— 277 —
die Frauen für den Dienst in der Armenpflege nutzbar zu machen.
In Kassel ernannte man sie bereits im Jahre 1881 zu Armen-
pflegerinnen, ganz mit denselben Rechten und Pflichten, wie die
Armenpfleger. In anderen Städten, wie Dresden, Leipzig, Elberfeld,
Breslau u. a., im Grossherzogtum Baden gliederte man die be-
stehenden Frauenvereine eng an die Verwaltungen der öffentlichen
Armenpflege an. In Königsberg sitzen 35 Frauen in diesem Zweige
der Verwaltung. Nur Berlin verhält sich noch ganz ablehnend zu
der Einstellung der Frauen in den Gemeindedienst. Hier gilt noch
das Wort: „Wir haben schlechte Erfahrungen mit den Frauen ge-
macht", eine jener platten, runden Redensarten, die sich als ein
Nichts erweisen, wenn man sie näher betrachtet. Denn da noch nie
Frauen angestellt worden sind, so konnte man auch keine Erfahrungen
in dieser Richtung machen, weder gute noch schlechte. — Freilich
müsste man wünschen, dass der Frau für dieses Amt eine gewisse
Vorbildung gewährt werde. Jeder Beruf erfordert eine solche,
nicht zum geringsten der schwere und verantwortliche einer Armen-
pflegerin. Bis zu einem gewissen Grade bringen die Frauen durch ihre
natürliche Veranlagung sehr viel dazu mit. Aber das genügt nicht allein.
Die Kenntnis der einschlägigen, gesetzlichen Bestimmungen, die
der bestehenden Wohlfahrts-Einrichtungen, Verständnis der sozialen
Lage der arbeitenden Bevölkerung und ein ganz bestimmtes Mass
hygienischen Wissens — sie alle müssen von einer guten Armen-
pflegerin gefordert werden können. Wenn man uns erwidert, dass
ja auch Männer, die in der Aj^menpflege thätig sind, diese Gebiete
nicht beherrschen, so ist das kein Grund für uns Frauen, nicht gut
vorbereitet in ein Amt hineinzugehen, dessen Rechte wir vollauf für
uns beanspruchen. Schon das junge Mädchen sollte einen Unterricht
geniessen, der sie befähigte, diesen Pflichten des Gemeindelebens ge-
recht zu werden. Die bis jetzt rein ästhetische Geistesbildung des-
selben würde durch Hinzufügen dieser ethischen Momente eine
harmonische Gestaltung erhalten. Sehr geeignet zum Amte von
Armenpflegerinnen sind Volksschullehrerinnen, denn durch ihre stete
Fühlung mit dem armen Kinde wird ihnen auch Verständnis für
die häuslichen Verhältnisse desselben.
Gerade jetzt tagt in Strassburg die Generalversammlung des
Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit. Sie hat
diesmal auf ihre Tagesordnung die Zuziehung der Frauen zur
öff^entlichen Armenpflege gesetzt. Hoffen wir, dass die massgebenden
Stimmen unsere Wünsche kräftig unterstützen werden. Sie zielen
ja nur dahin, der Frau ein Arbeitsgebiet sozialer Thätigkeit zu er-
öffnen, auf dem sie zum Nutzen der Gemeinde schaffen und wirken kann.
Der gegenwärtige Stand des Frauenstimmreohts
in England.
Von Miss Helen Blackburn, London.
Vorgetragen von Frau Eliza Ichenhäuser.
Will man über den gegenwärtigen Stand des Frauenstimmrechts
in England eine üebersicht geben, so müss man sich vor Augen
— 278 —
halten, dass die Signatur der letzten sechszig Jahre eine bedeutend
gesteigerte politische Thätigkeit der Männer war, und dass mithin
die vermehrte politische Thätigkeit der Frauen eine Teilerscheinung
des Ganzen bildet.
Die hervorragendsten Errungenschaften der Engländer des acht-
zehnten Jahrhunderts sind: die Gründung ihrer Kolonien durch
ihre Entdeckungsreisen zur See und ferner ihre zahlreichen Erfin-
dungen und Entdeckungen, herbeigeführt durch wissenschaftliche
Untersuchungen. Durch dieselben wurde eine gründliche Um-
gestaltung des gewerblichen sozialen Lebens erzielt.
An allen diesen Errungenschaften hatten die Frauen keinen
Anteil. Ihre Erziehung, an und für sich schon auf häusliche Be-
schäftigungen beschränkt, musste durch den Mangel an wissenschaft-
lichem Unterricht verhältnissmässig noch mehr eingeengt werden,
da gleichzeitig viele Industrien die ehemals zu Hause und mit der
Hand betrieben, nunmehr in Fabriken verlegt und daselbst durch
Maschinen bewerkstelligt wurden.
Während aber das Sich -Ausbreiten der Wissenschaft im Ganzen
auf die Ausbildung der Frau einen einengenden Einfluss ausübte,
hatte die Verbreitung der politischen Thätigkeit eine entgegengesetzte
Wirkung.
Waren ihnen die höheren Studien verschlossen, so durften sie
doch die Begeisterung ihrer Väter, Gatten und Brüder für die
Eliminierung politischer Leiden und für die Ausdehnung der Freiheit
teilen.
Die Frauen nahmen eifrig Teil an den drei politischen Bestrebungen,
welche die Brittische Geschichte der ersten Hälfte des neunzehnten
Jahrhunderts kennzeichnen, nämlich an der Abschaffung der Sklaverei.
der Reform des Parlaments und der Aufhebung der Getreidezölle.
An den Interessen und Anstrengungen, die diese Bestrebungen
hervorriefen, beteiligten sieh die P'rauen leidenschaftlich und die
Aelteren unter den frühesten Freunden der Frauenfrage können ihr
Interesse von der Zeit herleiten als das ganze Land in der Keforni-
bewegung gährte; die Jüngeren unter ihnen können sich daran er-
innern wie sie als Kinder zu den Versammlungen gegen die Getreide-
zölle mitgenommen wurden und dadurch früh schon in ihnen die
Erkenntnis aufstieg wie innig die Wohlrechtwirkung zwischen Gesetz
und den Erscheinungen des täglichen Lebens ist.
Trotzdem die Erziehung der Frauen so elend geword^^n war,
so gab es im Lande doch noch denkende Eltern, die ihre Töchter
mit derselben Sorgfalt als ihre Söhne, nicht selten gemeinschaftlich
mit diesen erzogen und es war ein Glück für die Frauenbewegung
in England, dass ihre ersten Pioniere Frauen waren, die hohe Bildung.
unabhängiges Vermögen und ein selbstloses Streben besassi^n, die
bereit waren ihre Kräfte dem allgemeinen Wohl zu widmen.
Solche Frauen waren Barbara Leigh Smith (s])iiter ]\Irs. Bodichon ),
der gute Genius der ersten Arbeiter auf diesem Gebiete, Emily
Davies, die ihr Leben der Eröffnung des Universitätsunterrichtes der
Frauen gewidmet hat und die ständig an der Bewegung für das
Frauenstimmrecht Anteil nimmt, Jessie Boncherett die Begründerin
der Gesellschaft fiir Anstellung der Frauen, und allen voran Lydia
— 279 —
Becker, die sich um Frauenbewegang dadurch unberechenbare Ver-
dienste erwarb, dass sie durch ihren ruhigen, weitsichtigen politischen
Scharfsinn von Anfang an in sichere, ausführbare Wege leitete.
Ihr Tod im Jahre 1890 war ein unersetzlicher Verlust. Diesen
Pionieren folgten nach und nach so viele, dass ihre Zahl bald viel
zu gross wurde, um sie hier alle namhaft zu machen.
Ein anderer bedeutsamer Umstand war die Thatsache, dass ein
Mann von so hohem philosophischen Ruf wie John Stuart Mill es
war, der die Bewegung, als sie zum erstenmale im Parlament zur
Sprache kam, verteidigte und sie dadurch sofort über allen Partei-
hader erhob.
Eine Stelle aus seinem berühmten Amendement im Mai 1867
zeigt den Ton, den dieser erste Champion anschlug. Alle fol-
genden haben sich bemüht, diesen Ton fest — und die Frage vom
Partei^eist freizuhalten.
„Es ist wahr", sagte Mill, „dass die Frauen grosse Macht haben,
und gerade darauf lege ich grosses G-ewicht, dass sie so viel Macht
haben. Aber sie haben sie unter den schlechtesten Bedingungen,
weil sie eine indirekte und daher eine unverantwortliche Macht ist.
Ich wünsche, dass diese grosse Macht eine verantwortliche Macht
werde. Ich wünsche, dass die Frauen an der rechtschaftenen Aus-
übung dieser Macht ihr Gewissen beteiligen. Ich wünsche, dass die
Frau es nicht blos als Mittel zu persönlicher Macht betrachtet, ich
wünsche, dass ihr Einfluss sich durch einen offenen G-edankenaustausch
bemerkbar macht, und nicht durch Schmeichelei. Ich wünsche in
ihr das politische Ehrgefühl zu erwecken".
Etwa zehn Jahre später sagte Fawcett im Parlament : „Frauen,
die von keinem Wunsch ihr Heim zu verlassen beseelt sind, Frauen,
welche in Bezug auf Interesse und Hingabe an ihre Kinder keinem
nachstehen, solche Frauen fordern diesen Gesetzentwurf, nicht aus
selbstsüchtigen, unpassenden Beweggründen, nicht aus Prunksucht,
sondern weil sie glauben, dass es im Interesse der Klasse ist, der
sie angehören, weil sie glauben, dass es im Interesse der Wohlfahrt
des Landes wäre".
Jakob Bright sagte ganz richtig im Brittischen Unterhaus:
„Die Frauen wollen fühlen, dass alle sie interessierenden Fragen
im Parlament, in derselben ernsten und gewissenhaften Weise be-
handelt werden, in der wir derzeit alle Arbeiterfragen besprechen."
Die Bewegung hat die Unterstützung aller derjenigen leitenden
Personen, welche die höhere Br/.iehung des Weibes in die Hand ge-
nommen haben. So haben alle Vorstände höherer Mädchenschulen
und Lyceen diesbezügliche Petitionen unterzeichnet; viele Führer
der Philantropie haben sich in gleicher Weise ausgesprochen, und
erst kürzlich haben sich die führenden Prediger der Hochkirche so-
wohl, als auch anderer Sekten ebenfalls zu Gunsten der Ausdehnung
des weiblichen Wahlrechts ausgedrückt.
Diesen Gutachten schliessen sich der Erzbischof von Ganterbury,
der Bischof von London und der römisch-katholische Erzbischof von
Westminster, Kardinal Vaugham, an.
Dr. James Martineau, der ehrwürdige Philosoph, schreibt in
seinem 90. Lebensjahre wie folgt: „Da nur aus einer grossen Summe
— 280 —
sozialer Erfahrung heraus gesetzgeberisch gewirkt werden kann, so
darf aof nichts verzichtet werden, das sich zur Sache äussern kann.
Wir müssen deshalb eine Anzahl höchst entbehrlicher Uebelstande
und die Fortdauer eines niedrigen «Standards- nationaler Ethik er-
warten, so lange wir nicht das den Frauen Eigentümliche und Be-
sondere ebeDÜälls richtig verwerten."
Der Dean von Manchester, früher Direktor des Cliftx)n-College,
schreibt wie folgt: „Wir haben derzeit in England eine solche An-
zahl gebildeter Frauen, wie sie in gleicher Stärke niemals vorher
existierte. Wir haben Frauen, welche die umfassendste geistige, mo-
ralische, philantropische und soziale Arbeit leisten, eine Arbeit, die
im höchsten Grade politisch genannt werden muss. Das Weib hat
heutzutage nachgewiesen, dass die Forderung ihres Geschlechts auf
Anerkennung ihrer Individualität und ihrer politischen Gleich-
berechtigung vollauf berechtigt ist.*"
Den besten Beweis jedoch für das erhöhte Pflichtgefühl der
Frau für Dinge, die ausserhalb des Hauses liegen, sehen wir in
ihrer vermehrten Thätigkeit hinsichtlich Gemeindeangelegeoheiten.
Das Gemeindewahlrecht, das ihnen 1835 genommen wurde,
wurde ihnen 1869 wiedergegeben. Dann, als das Schulgesetz von
1870 Schulverbände einführte, wurden Frauen den Männern gleich-
gestellt, in aktiver und passiver Hinsicht.
Das in Vergessenheit geratene Recht im Armenrat aktiv und
passiv zu wählen, wurde ihnen wieder zugesprochen; nach und
nach beteiligten sie sich hier stärker und stärker und mit solch
guten Resultaten, dass das Gesetz von 1889 und 1894, das Stadt-
und Landgemeinderäte schuf, die P'rauen hierin den ^lännem
vollständig gleichstellte, und die Frau übt hierin derzeit mit ebenso
viel Interesse wie Intelligenz ihr Recht aus wie ihre Brüder.
Ausser diesen Gelegenheiten für den öffentlichen Dienst, den
die Gesetzgebung ihnen erschlossen hat, haben die Frauen freiwillig
gleiche Arbeitsleistungen in politischen Organisationen auf sich ge-
nommen, so bei der Primrose League und bei den verschiedenen
liberalen Frauenvereinigungen. Die erste Vereinigung A\Tirde im
Jahre 1883 gegründet, zur Aufrecbterhaltung der Konstitution und
der Kirche, und der Frauen Anteil daran ist ebenso intensiv als
der des Mannes. Der Verein zählt über eine Million Mitglieder,
wovon die Hälfte Frauen sind.
Die Women's Liberal Association, 1885 errichtet zur Ver-
breitung liberaler Grundsätze, erstreckt sich über jede halbwegs
bedeutende Stadt in England. All das beweist, dass das Verhältnis
der Frauen zu den öffentlichen Pflichten sich seit den 29 Jahren,
seit die Forderung des Wahlrechts für Frauen zum ersten mal auf-
trat, bedeutend geändert hat.
Innerhalb dieser Periode sind im Unterhaus Frauenwahlrechts-
(iesetzentwürfe nicht weniger als 13 mal behandelt worden. In
den letzten Jahren freilich hat dieser Gegenstand durch die Ueber-
fttlle parlamentarischen Stoffes zu leiden gehabt, und keine neue
Debatte ist seit 1892 zu verzeichnen. Kommt die Frage aber dem-
nächst wieder vor das Unterhaus, so liegt die Wahrscheinlichkeit
vor, dass sie siegreich sein wird; denn nicht allein versäumt der
— 281 -
gei?enwärtige Premierminister Lord Salisbury keine Gelegenheit,
sich zu Gunsten des Frauenwahlrechts zu äussern, sondern auch
die Hälfte der im Juli 1895 erwählten Unterhausmitglieder sind
für die Ausdehnung des Stimmrechtes auf diejenigen Frauen, die
das kommunale Wahlrecht haben, d. h. auf alle steuerzahlenden
Frauen.
What the Women's Franchise League of Sreat
Britain and Ireland is trying to aooomplish.
Ey Mrs. Ursula M. Bright, London.
Carried by the Delegate Miss Emily Hill, London.
As Hon. Secretary of this League I have great pleasure in
acceding to the request of the Executive Committee of the Womens
Congress in Berlin to fumish you with some details about our
•'objects" and the means by which we seek to obtain them.
Strictly speaking we have only one object and that may be
thus defined —
''To obtain for all women equal civil and political rights with
men. "
This includes 1) The right of Educational Opportunities such
as men enjoy, whether as a means of culture, or as aids to secure
the means of living. 2) Equal wages for women for work of equal
quality with that done by theother sex. We claim also 3) equality
in the marriage laws, as regards divorce, the custody and guardian
ship of children and personal freedom. In all these matters. the
lefiral and social and economic position of men, is incomparably better
than that of women. In order to secure these reforms we ask that
women shall be placed on an exact footing with men as regards the
right to return menibers to Parliament and also themselves to sit
in the House of Comraons.
Already women may vote in all Municipal, Local and other
elections — they may sit upon School Boards and Boards of Guar-
dians of the Poor, and in our Colony of S. Australia they may not
only vote for the House of Representation, but are themselves
eligible as members, and there in no office under the crown includ-
ing that of Prime Minister to which they may not be appointed.
This need not excite surprise in the colony of a country which has
for 60 years had a career of unexampled prosperity under the do-
minion of a woman. So that we may safely predict that the great
object of our League the right of Parliamentary Representation, can-
not now be far distant in England also.
Although we are seeking absolute equality for women to
compete with men for any post, or position of power, influence, or
emolument now reserved for men it must not be supposed that we
are trying to force our sex into Offices unsiutable for women. All
that we ask is that the sphere of womans work and the power to
interfere with it, the judgment concerning what she can, or ought
to do, shall no longer subserve the prejudices, or interests, or con-
venience of men but that women themselves shall be allowed to
-- 282 —
decide what work they are fitted to perform and what Offices they
/can with advantage to themselves and the Community occupy. Every
right entails a duty and it is that we may have liberty to perform
what we hold to be our duties that we claim our freedom. In this
country the work of women wherever they have been admitted into
the public service for example as members of Educational Boards
or Boards of Guardians or as telegraph and postal Clerks has been
highly appreciated. We remark in fact a general willingness to
allow them to occupy positions where as compared with men they
are poorly paid, or not paid at all. Our League seeks not only to
open all public Offices to women able to fill them but, also asks that
they shall receive the same payments as men receive.
As to the means by which wework: The particular Organisation
of this League has only been in existence since 1889. but the chief-
officers and members of our Executive are men and women who for
the last 30 years have given devoted work to the Cause of Woman.
To them and those whom they have been able to influence we owe
almost every reform that has been accomplished during the last
quarter of a Century. They have procured the municipal and local
votes for women, and the change in the Status of married women
whereby they now enjoy füll property rights, and rights of contract,
and also the power to vote under the late Local Government Act, as
well as the amelioration in the law concerning mothers^ authority
over their children ; and the generally improved feeling with regard
to the Position of married women is almost entirely due to their
steady and persistent representations in Parliament and outside it.
The difficulties they have had to contend with have been great
owing to the extreme timidity of some women who honestly believed
that it was impossible to obtain any concession to married women
unless spinsters and widows were first enfranchised. We have, on
the contrary, always maintained that it would be a most dangerous
precedent in any Scheme of reform not to include married women,
who form the large majority in the country. The result has fully
justified the course we have taken.
As to the means by which we work: —
We have in the House of Commons, and also in the Lords,
men sincerely devoted to the interests of our sex who give us the
benefit of their great experience and take Charge of the Bills we
wish introduced. The pressure of Parliamentary business is how-
ever, so great that until we get votes there is little chance of our
Bills becoming law. We have therefore bent all our energies during
the last few years to the education of the people. We have held
in 1890 an important International Congress. In 1892 we had a
most interesting Conference lasting 3 days on every aspect of the
Enfranchisement of women. We have held innumerable public and
drawing room meetings. We have sent up large numbers of petitions
to Parliament and circulated about a million leaflets, pamphlets and
Reports. At the present time we are bending all our energies to
secure the return of men to the House of Commons who will vote
for Women's Suffrage. Our League acts independently of Party.
There are, however, in the country, about 500 Women's Liberal As-
— 283 —
sociation, and we have lately issued a strong appeal to theni not to
aid in the return of men to Parliament opposed to our claim. These
associations send annually delegates to a great Conference held in
London. They are composed of the most energetic and intelligent
of the social workers in the country and at theirannual Conference
in 1893 they adopted almost unanimously the whole of our Pro-
gramme of Equality, so that we may he said to have nearly all
the advanced thought of the women in the country hehind us. These
Women's Liberal Associations are a great power on account of the
Valuable Work they do at elections and we look to them to aid us
in sending to Parliament only those men who can he trusted to
Support our claim for enfranchisement. G-radually our male friend
are heginning to find that they cannot secure the enthusiastic help
of women at elections unless their candidates show some considera-
tion for the question in which women are most interested. With
the Women's Conservative Associations we make little progress.
They are not accustomed to think or act independently, but siraply
obey their leaders. This, however, a hopeful sign for our cause
that Lord Salisbury and Mr. Balfour and other distinguished Con-
servative statesmen are even in advance of the Liberal leaders in
hearty sympathy with the cause we represent. Both Liberais and
Tories eagerly welcome the assistance of women in canvassing and
other political work and they cannot long refuse political Privileges
to their comrades in political work.
In conclusion I may say, that although I am writing this short
Sketch which cannot be submitted to any colleagues in time for
your congress, I am sure T may express on their behalf the very
cordial and hearty sympathy we all feel for the efforts you are
making, perhaps on somewhat different lines from those on which we
work, for the woman^s cause. The influence of women, the heart
of the mother, will do more toprotect the little children, to reform
the criminal, to help the weary and heavy laden and to teach men
peace and human Brotherhood than any other means whatever. May
you be directed to choose the means which will best secure this
fifreat enfranchisement!
Report of the Columbia women suf frage Association.
By Mrs. E. S. Brinton, Delegate, Washington.
During fifty years or more, women have been working in
America to secure the right of suffrage as a means of bettering
their condition in certain respects where men, through lack of know-
ledge or lack of attention, have allowed the laws to militate against
them. Women understand the needs of women and the necessities
of the home and family better than men do. Therefore it is neces-
sary that women should have a band in making the laws which
either directly or indirectly affect these interests. And as in the
solidarity of human interests, there is no injury to a part which
does not affect every other part, so in the State there can be no
law which does not affect woman.
— 284 —
During this time, a great deal of progress has been made,
though the end at which we have been aiming — an amendement
to the National Constitution prohibiting discrimination on account
of sex — has not yet been reached. There are now three states
of the Union — Wyoming, Colorado and Utah — where women
have the right to vote at all elections.
They may vote for the President of our Nation, and they may
be voted for as members of the legislatures of their own states, as
well as for all better positions of public Service. And there is no
lawful reason why they may not be elected to represent the re-
spective districts of their states in the National Congress which
meets in Washington.
In Kansas, women have municipal suffrage, and in the majority
of the states they vote on school matters and may be elected to
serve on school boards or as superintendents of schools. Several
states have now before them the question of amending their con-
stitutions so as to allow women to vote.
California, the magnificent, fruitful State of our southern Pacific
coast, is one of these. The great advocates of our cause, Miss
Susan B. Anthony and the other officers and orators of the Natio-
nal American Woman Suffrage Association, are working there dur-
ing these hot summer months, with a very encouraging prospect
that California will soon be the fourth State where women have
the power to help in making good laws to govern theraselves and
their children. With her will probably come Idaho, since in both
states three political parties have endorsed the measure in their
platforms. Other states will not long remain behind in this great
reform; for as it grows, the advantages become every day more
apparent.
Wyoming was the first State to give the ballot to women. One
of its fornier governors, John W. Hoyt, says: **ünder this honor-
able Statute, we have better laws, better officers, better institutions,
better morals, and higher social conditions in general than could
otherwise exist. None of the predicted evils, such as loss of native
delicacy and disturbance of home relations has foUowed in its train.
The great body of our women, and the best of them, have accepted
the election franchise as a precious boon and exercise it as a pa-
triotic duty. After twelve years of happy experience, woman suf-
frage is so thoroughly rooted and established in the minds and hearts
of the people that, among them all, no voice is ever uplifted in
Protest against or in question of it."
That was fourteen years ago. Wyoming has had twenty-six
years experience of woman suffrage and the result has been entirely
satisfactory. The testimony of other distinguished men of the State
is as streng as that of Governor Hoyt (there is far too much of it
to give here), and statistics show a decrease in the proportion of
crime and divorce over other states, and the proportion of idiots and
insane persons is less than in any other State.
Colorado and Utah have so recently made the change that little
can be proved from their experience. But in Colorado three women
served in the State legislature with great credit to themselves and
— 285 —
satisfaction to their coDstituents ; and in the elections women have
voted in even larger proportion than the men. Moreover, they are
engaged very earnestly in the study of civil government and po-
litical economy and in the work of organizations where they gain
practice in the Performance of public duties. They have served on
juries, with the result that some criminals have been convicted who
might otherwise have been set at liberty.
The Govemor of Colorado says: "The objections made toequal
suffrage during the campaign preceding the election at which the
ballot was given to women, have not been sustained by the facts.
The women take an interest, enter into the discussions, and take
the trouble to vote."
The editor of a leading paper says: "Nothing could induce
the intelligent people of this State to revoke that act if they had
the power. Women appear to show as rauch intelligence and to
take as deep an interest in political affairs, especially those that
affect the general welfare, as men, and their irifluence is almost
entirely cast for right and decency and good government. . . . Every
body admits that their presence in politics and at the polls has a
purifying effect on our political methods, and has compelled the no-
mination and election of a better class of officials than male suffrage
ever gave us. No evil effects, either to the women themselves or
to our public affairs, are discernible, while the benefits of the equal
suffrage law are innumerable."
The men of Utah add their testimony in the same strain.
But aside from the work which has produced these results
which are so apparent, a great deal has been done which has not
yet received its reward. Educational work has been going on in all
the states, and in some, the fields are white for harvest. In all,
the seed sown by persistent effort is silently swelling and germinat-
ing through the winter of waiting, and the springtime, when it will
burst into leaf and blossem, is near at band. The next few years
will bring great changes. No woman, in America or Europe, was
ever willing to let another woman register her opinion while she
stood silently by. The women of the other states will not long be
behind those of Wyoming, Colorado and Utah.
Deutsches Familienrecht.
Von Frau Sera Prölss, Berlin.
In Deutschland sind wir Frauen in neuester Zeit besonders aut
die Rechtsstellung der Frau aufmerksam geworden, weil für unser
Reich endlich ein einiges nationales Gesetzbuch geschaffen ist, während
heutigen Tages ein jedes Ländchen, ja oft jede Provinz ein anderes
Recht hat. — Leider kann sich aber das weibliche Geschlecht beim
besten Willen nicht dieses Ergebnisses nationaler Einheit freuen;
denn die Gesetze des Familienrechts sind wieder auf dem veralteten
Rechtsprinzip des ehemännlichen Mundiums aufgebaut, wenn auch
das Wort „Mundium" als nicht mehr zeitgemäss vermieden worden ist.
— 286 —
Der Mann ist und bleibt der Gebieter, und nur seiner Gnade hat
die Frau es zu danken, wenn er sie das nicht weiter fühlen lässt.
Wenn man behauptet, dass es nirgends, auch in der Ehe nicht,
nach zwei Köpfen gehen könne, so verkennt man die eheliche Lebens-
gemeinschaft vollkommen. Die Ehe ist eine Zweieinigkeit, die einen
Doppelwülen repräsentieren soll und muss, und wer zur Ehe schreitet,
soll und muss sich das klar machen, dass der eine Teil keine Macht für
sich, sondern eine Ergänzung des andern sein soll. In Wirklichkeit, im
normalen Leben, findet sich auch der Ausgleich ganz von selbst. —
Nur alte Vorurteile verhindern die Gesetzgeber, diese Thatsache
gesetzlich anzuerkennen und lassen ferner den Ehemann im Streit-
falle Partei und Richter in einer Person sein.
Der springende Punkt aller Rechtsungerechtigkeiten gegen die
Frau in allen Rechtstaaten der Erde ist der Grundsatz: „Der Ehe-
mann ist das Haupt der Familie". Mögen die einzelnen Gesetze der
verschiedenen Rechte die Frau freier oder unfreier stellen, mag sie
die gesetzlich anerkannte Verwalterin ihrer Güter, ihr die Vor-
mundschaft völlig freigegeben sein oder nicht, wenn unser sogenannter
Herren-Paragraph lautet: „Dem Mann steht die Entscheidung in
allen das gemeinsame eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten
zu", so stellt doch auch das die Frau in seinen einzelnen Be-
stimmungen mit am selbständigsten stellende, englische Recht den
Rechtssatz auf, dass die feme (die Frau) in der coverture (der Be-
deckung) des baron (ihres Eheherrn) gleichsam aufgeht, und es
ist das der Beweis, dass die eheliche Lebensgemeinschaft überall
nach dem Prinzip des ehemännlichen Vorrechts gesetzlich ge-
regelt ist.
Die verheiratete Frau darf nach unserm neuen Rechte ohne die
direkte Zustimmung ihres Ehemannes keinen Erwerb anfangen, kein
Geschäft thätigen, keinen Arbeitsvertrag eingehen. — Wir haben es
unseren unermüdlichen Petitionen zu danken, dass zu dieser letzteren
Bestimmung die Genehmigung nicht mehr eigenmächtig vom Ehemann,
sondern nur auf seinen Antrag hin durch gerichtliche Ermächtigung:
geweigert werden darf. — Leider drang der gleiche Antrag beim Para-
graphen, betreuend die Schlüsselgewalt der Frau, auf Grund dessen die
Rechtsgeschäfte, welche die Frau im Hause vornimmt, als im
Namen des Mannes vorgenommen gelten, nicht durch, und der Ehe-
mann darf auch ferner nach eignem Ermessen dieses Recht der
Frau beschränken und ausschliessen.
Man begründete das wörtlich damit: „es sei zu ungerecht gegen
den Mann, die Entziehung der Schlüsselgewalt von der Zustimmung
des Gerichts abhängig zu machen, die Schlüsselgewalt also bis zur
Entscheidung durch das Gericht, beziehungsweise bei abweisendem
Beschlüsse fortdauern zu lassen," während man das Gleiche nicht
zu ungerecht gegen die Frau im gesetzlichen Güterrecht ge-
funden hat. —
Als gesetzliches Güterrecht hat man die Gütertrennung nicht
angenommen. Der Mann hat die Verwaltung und Nutzniessung
über das Frauenvermögen. Der Mann hat allein die volle Ver-
fügung über die Zinsen und Erträgnisse aus demselben; er darf
— 287 ~
verbrauchbare Sachen daraus sogar veräussern, während die Frau
nicht selbständig über ihr Eigentum verfugen darf und "Rechts-
geschäfte, die sie im Interesse ihres Eigentums vornimmt, unwirksam
sind. — Kann sie den Beweis der schlechten Verwaltung des Ehe-
manns bringen, so steht ihr die Klage zu. Aber ehe sie, die von
der Mitverwaltung ausgeschlossen ist, überhaupt einen Missbrauch
in der männlichen Verwaltung merkt, ehe sie den Beweis davon
erbringen kann, wird sicherlich schon ein grosser Teil, wenn nicht
ihr ganzes Vermögen, verloren sein. — Man findet also die Ver-
zögerungsgefahr, die in Anrufung gerichtlicher Entscheidung liegt,
der Frau gegenüber nicht zu ungerecht. — Hier zeigt sich klar, dass
der männliche Gesetzgeber nur das Rechtsinteresse des Mannes be-
dacht und geschützt hat.
Eine Verbesserung ist, dass der Erlös aus dem Erwerbe der
Frau als „Vorbehaltsgut" in die eigene Verwaltung der Frau ge-
stellt ist. In fast allen jetzt bestehenden deutschen Rechten gilt
nämlich noch der Rechtssatz: das, was die Frau erwirbt, erwirbt
sie dem Manne. — Ferner ist noch eine Verbesserung, dass zu
den der Frau schon vorher als einziges unantastbares Eigentum zu-
gesicherten Sachen, ihren Kleidern und Schmucksachen, auch noch
ihre Arbeitsgeräte hinzugekommen sind.
Die Gütergemeinschaft des deutschen Rechts, die zum kon-
traktlichen Güterrecht gehört, ist, wie sogar ein Abgeordneter der
uns sonst nicht allzu günstig gesinnten nationalliberalen Partei be-
merkte, ein geradezu grausamer Güter rechtsstand für die Frau;
denn weit entfernt von einer Rechtsgemeinschaft, hat hier der
Mann allein das Verfügungsrecht über das ganze gemeinsame Ver-
mögen; das Gemeinsame der Frau besteht blos im nominellen Mitbesitz
am Gesamtgute ohne jede Rechte darauf. Das Wort Gemeinschaft
ist eine blosse Vortäuschung eines in den Gesetzesbestimmungen
absolut nicht begründeten Begriffes. —
Als ein Fortschritt ist zu verzeichnen, dass die Tochter nach
dem neuen Gesetz ebenso wie der Sohn, mit dem Mündigkeitsalter
(21 Jahr) aus der elterlichen Gewalt tritt. Nach heutigem Gesetz
erlangt die Tochter niemals ihre volle Selbständigkeit, während
sie dem Sohne mit Vollendung des 25. Lebensjahres zugesprochen wird.
Im Vormundschaftsrecht haben wir erreicht, dass wenigstens
die unverheiratete Frau jederzeit Vormünderin werden kann. Bis
jetzt durfte die Frau nur Vormünderin über ihre Kinder und
Enkel sein, auch testamentarisch von Dritten zur Vormünderin be-
stellt werden, aber nicht vom Gericht. Jetzt kann sie auch vom
Gericht berufen werden. Die verheiratete Frau aber bedarf zur
Annahme einer Vormundschaft der direkten Erlaubnis ihres Mannes,
und selbst zur Vormundschaftsführung über ihre eigenen Kinder
erster Ehe mtiss sie die Genehmigung ihres zweiten Mannes
haben. —
Die Ehescheidung ist gegen das jetzt bestehende preussische
Recht erschwert. Der Scheidungsgrund, bei kinderlosen Ehen, wegen
unüberwindlicher Abneigung ist fortgefallen. Die erschwerte Scheidung
trifft zwar nicht nur die Frau, sondern auch den Mann; aber der
Mann ist auch hier der bessergestellte; denn bei unseren heutigen
ei g-en tum liehen Leben sanscbauun gen und Gewohnheiten wird es dem
Manne leider nachgesehen, wenn er Ersatz und VergnägTingen
ausserhalb des Hanaes sudit, während man von der Fraa selbst-
verständlich unveränderte Treue und Entsalzung verlangt.
Es ist gar kein Zweifel, dass es dem Wesen der monogamischen
Ehe, auf die uns die Natur hinweisst, entspricht, dass der Mann
und die Frau, die sich zur Ehe zusammengethan haben, bis an ihr
Lebensende zusammen bleiben sollten. Da aber bei unseren mensch-
lichen Einrichtungen eine völlig freie Wahl nicht leicht möglich ist,
überall soziale und Zufalls- Verhältnisse Ehen zusammenbringet, die
Eheleute sich erst nach der Bheachliessung in ihrer wahren Natur
kennen lernen, so ist es unbedingt wünschenswerth, dass Menschen, die
nicht zu einander passen, auf bürgerlich anständige Weise aus-
einander gehen können, widrigenfalls Laster aller Art gezeitigt
werden, und die Kinder nicht am wenigsten darunter zu leiden
haben. — Frivole Trennungen sind selbst bei den rigorosesten Be-
stimmungen erfahrnngsgemäss nicht xu vermeiden, so sollte man,
wenn man überhaupt die Scheidung zugiebt, den anständigsten
Scheidungsgrund, den „auf gegenseitige Uebereinkunft" zulassen.
Die unnatärlichst* Ungerechtigkeit unserer Gesetze ist die
Stellung der Frau als Mutter. Na<ih unserem heutigen Recht hat
— entgegen dem Rechtsbewnsstsein des Volkes — die Mutter keine
elterliche Gewalt über ihre Kinder; es giebt blos eine „väterliche
elterliche Gewalt". Durch das hier unmotivierte Zusetzen des
„elterlich" bekundet aber der Gesetzgeber, daas es eine „elterliche
Gewalt" geben müsste. Der Laie wird versucht zu glauben, wenn
er Gesetzbuch und Hichter von „elterlicher Gewalt" reden hört,
daas wirklich eine elterliche Gewalt in den Gesetzen vorgesehen ist.
— Man hat es aber hlos mit der Vorspiegelung eines inhaltslosen
Wortes zu thun.
Im neuen Gesetzbuch ist es nicht anders. Es ist zwar darin
wirklich auch von einer „miltteHich elterlichen Gewalt" die Rede;
dieselbe tritt aber erst nach dem Tode des Vaters ein und ist auch
dann keineswegs immer eine so uneingeschränkte, wie die vorher-
gehende des Vaters, der sie der Mutter sogar testamentarisch zu
entziehen berechtigt ist.
Bei Lebzeiten des Vaters steht diesem allein die elterliche Ge-
walt zu, die Mutter hat blos die Pflicht, für die Person des Kindes
zu sorgen; also blosse Pflicht der Frau gegenüber den Rechten des
Mannes. Der Mutter steht kein Einspruchsrecht bei der Wahl eines
Schwiegerkindes zu, und bei Meinung.s Verschiedenheit in betreff der
Kinder soll der Wille des Vaters stets vorgehen, und somit ist
die Mutter eo ipso rechtlos.
Die Mutter hat gesetzlich neben dem Vater nicht mehr Rechte über
das Kind, als ein entmündigter Vater. Ja dieser behält sogar den Niess-
brauch vom Vermögen, des Kindes und ein bei einer Ehescheidung
als schuldiger Theil verurteilter Vater, dem die Sorge für die
Person des Kindes entzogen ist, behält die Vertretung des Kindes.
Die Mutter soll bei Wieder Verheiratung die elterliche Gewalt ver-
lieren. Wenn man annimmt, dass bei einer Wiederverheiratung das
aittUche Verhältnis von Eltern und Kindern sich ändert, so müsste
— 289 —
die elterliche Gewalt alsdann auch dem Vater in gleichem Falle ent-
zogen werden.
Die uneheliche Mutter und ihr unschuldiges Kind sind ganz im
Sinne doppelter Moral hehandelt. Das Kind erhält den Namen der
unehelichen Mutter; dieselhe hat aher keine elterliche Gewalt über
ihr Kind. Es gehört in ihre Familie, während es als nicht mit
seinem eigenem Vater verwandt gilt. Der Vater hat das Kind nur
bis zum 16. Lebensjahr der Lebensstellung der Mutter entsprechend
zu alimentieren, bei Gebrechlichkeit auch noch länger, und die Mutter
hat nur die Kosten der Fmtbindung, sowie sechswöchentliche Ali-
mentation zu verlangen.
Die exeptio plurium ist mit geringer Mehrheit in den ersten
Kommissionsberatungen durchgegangen, und ist dann in den späteren
Lesungen auch im Reichsta^: leider unverändert angenommen worden.
Hier hat mit der untreuen Mutter (von der meist gar keine Treue ver-
langt und der auch keine Treue gehalten wird) auch das unschuldige
Kind zu leiden; denn die Gesetze verweigern nicht nur der un-
treuen Mutter, sondern auch dem unschuldigen Kinde jedwede
Alimentation.
Dass die Heiligkeit der Ehe eine Hintenansetzung der unehe-
lichen Kinder verlangt, ist ein moralischer Irrtum.
Durch das Vorhandensein unehelicher Kinder und nicht durch
rechtlich bessere Stellung derselben wird die Ehe angetastet ! Wenn
der Mann wissen wird, dass er nicht mehr nur das verführte Weib
und deren Kind schädigt, sondern auch seine legitime Frau und
seine legitimen Kinder, so wird er vor dieser sträflichen That ebenso
zurückschrecken, wie vor jeder anderen Strafthat, die er aus Rück-
sicht gegen diese auch unterlassen würde.
Die Zeugung unehelicher Kinder ist ein strafbares Verbrechen
wie manches andere, vom Gesetz hart geahndete; die Strafe sollte
auch hier ein Zwangsmittel zum Guten sein. Die Folgen der
beiderseitigen Unsittlichkeit müssten auf beide Geschlechter gleich-
massig verteilt werden; es müsste das körperlich schwächere
Geschlecht das Schwere derselben nicht ganz allein zu tragen
haben.
Dass alsdann vielleicht eine legitime Frau und deren Kinder
als Unschuldige leiden könnten, darf auf dem Wege des Rechts
nicht zum Unrecht führen.
Die doppelte Moral ist eine Folge der in allen Ländern ge-
setzlich festgelegten Minderwertigkeit der Frau. Es ist leider auch
ein Ergebnis unserer sozialen Anschauungen und Verhältnisse, dass
die gegenseitige Achtung von der gleichen rechtlichen und gesetz-
lichen Stellung abhängt. Darum lasst uns alle gemeinsam für unsere
Menschenrechte kämpfen — für unsere soziale und sittliche Gleich-
berechtigung! Man wird uns aber nicht eher eine gleichwertige
Rechtsstellung und die vor allen Dingen nötige gleichwertige Schul-
bildung geben, als bis wir unsere Forderungen offiziell aufstellen
können.
Die vornehmste Forderung der Frau sei also: Erlangung des
Stimmrechts.
19
— 290 —
Das norwegische und dänische Familienrecht.
Von Fräulein Marie Raschl(e, Berlin.
1. Das norwegische Familienrecht.*)
Die über 400jährige Union Norwegens und Dänemarks schaf
für beide Reiche eine fast gemeinsame Gesetzgebung. Christian V.
(1670—1699) führte im Jahre 1683 ein einheitliches dänisches Recht
ein, und nach dem Muster dieses wurde im Jahre 1687 das nor-
wegische umgestaltet.
Nach der Trennung der Reiche im Jahre 1814 wurde das nor-
wegische Gesetzbuch mehrmals einer Revision unterworfen, und das
norwegische Familienrecht weicht seit den 50 und 60er und den
folgenden Jahren in mehreren Punkten zu Gunsten der Frauen von
dem dänischen ab.
Die erste Errungenschaft der norwegischen Frauen war gleiches
Erbrecht mit dem Manne und die Mündigkeitserklärung der unver-
heirateten Frauen. Durch diese ersten fortschrittlichen Reformen
wurde der Frauen Menschenrecht anerkannt, und die norwegische
familienrechtliche Gesetzgebung ist von da ab den meisten euro-
päischen Gesetzgebungen vorangegangen und, soviel ich weiss, auch
vorangeblieben.
Die nächsten epochemachenden Reformen brachten die 80 und
90 er Jahre, in denen die Mündigkeitserklärung der verheirateten
Frauen sich vollzog.
Im Gesetz vom 11. April 1863 wurde die unverheiratete Frau
gleich dem Manne mit vollendetem 25. Lebensjahre und in dem Gesetz
vom 27. März 1869 mit dem vollendeten 21. Lebensjahre für mündig
und handlungsfähig erklärt.
Witwen, getrennte und geschiedene Frauen wurden infolge
dieses Gesetzes mündig ohne Rücksicht auf ihr Alter, und sind
auch nicht verpflichtet, wohl aber berechtigt, sich einen Beistand
zu wählen.
Die verheiratete Frau wurde mit vollendetem 21. Lebensjahre
mündig durch das Gesetz vom 29. Juni 1888.
Die Mündigkeit der verheirateten Frau erstreckt sich aber nur
auf ihre Handlungsfähigkeit. Sie darf ein Amt bekleiden oder ein
Gewerbe betreiben, und das Erworbene untersteht ihrer eigenen
selbständigen Verfügung. Sie ist aber zugleich unmündig infolge des
gesetzlichen Güterrechts.
Im alten norwegifschen Recht war das geltende Güterrechts-
System: Gütertrennung mit Verwaltung des Mannes.
Nach jenem wurde gleich dem in Schweden und Dänemark
geltenden Recht Gütergemeinschaft unter Eheleuten zur Regel. Aber
diese Gütergemeinschaft umfasste nur das bewegliche Eigentum und
den erkauften Grundbesitz, während der ererbte Grundbesitz ganz
*) Nach: „Norske Kvinders soziale og retlige Stilling of Gina
Krog." „Lov cm Formuesforholdet mellem Aegtefaeller.** Lov om
Ünderholdningsbidrag til Böm, hvis Foraeldre ikke har indgaaet
Aegteskab med hinanden.
— 291 —
ausserhalb des Gemeingutes stand und nach Auflösung der Ehe an
dasjenige Geschlecht zurückfiel, von dem es gekommen war.
Nach der Vereinigung mit Dänemark näherte sich das Güter-
recht mehr und mehr dem System der allgemeinen Gütergemeinschaft
nach dem Gesetz Christian V.
Es war zwar nicht ausdrücklich im geschriebenen Recht aus-
gesprochen, dass vollständige Vermögensgemeinschaft die loyale
Ordnung der Vermögensverhältnisse unter Eheleuten sein sollte; aber
viele Gesetzesbestimmungen gingen von dieser Voraussetzung aus,
und sie waren begründet in einer über 200jährigen Gewohnheits-
und Rechtspraxis.
Von da ab wurde zur Hauptregel, dass mit der Ehe allgemeine
Gütergemeinschaft unter den Ehegatten eintrat. Das gemeinsame
Vermögen wurde vom Manne mit uneingeschränktem Rechte ver-
waltet; die Hausfrau war ausgeschlossen von jedem Einfluss auf die
Verwaltung und hatte kein Recht, die Gütergemeinschaft aufzuheben.
Diese vollständige Abhängigkeit der Frau war die Folge ihrer da-
maligen Unmündigkeit; sie konnte nicht einmal durch Kontrakt nach
irgend einer Richtung hin sich selbst verpflichten.
Durch Ehe vertrag konnte die Frau zwar ein Vorbehaltsgut
gewinnen; aber die Bestimmungen darüber waren höchst unsicher und
mangelhaft.
Diese Güterordnung führte zum öfteren Missbrauch der Rechte
von Seiten des Mannes, und nachdem die unverheirateten Frauen eine
selbständige Ökonomische Stellung erlangt hatten, forderten die
Freunde der Frauensache eine Revision des geltenden Güterrechtes.
Die Beratungen über die Neuordnung dauerten von 1871 — 1888,
und es ist interessant, dass sich während derselben eine Fraktion
bildete, die Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht forderte.
Zugleich mit der Mündigkeitserklärung der Ehefrauen wurden
am 29. Juni 1888 folgende Hauptbestimmungen rechtskräftig:
„Eheleute können durch Ehe vertrag sowohl vor als nach Ein-
gehung der Ehe ihr beiderseitiges Vermögensverhältnis so ordnen,
wie sie es am zweckmässigsten finden."
„Wenn kein Ehevertrag geschlossen ist, besteht Gütergemein-
schaft unter Eheleuten."
„Das Gesamtgut wird von dem Manne allein verwaltet. Doch
darf er nicht ohne Erlaubnis der Frau mehr als ein Zehntel des
Ganzen fortschenken. Ohne Erlaubnis der Frau hat der Mann kein
Recht, festes Grundeigentum fortzugeben, zu veräussern, zu ver-
pfänden oder zu verleihen, wenn es eingebrachtes Gut der Frau ist."
„Die Erfüllung der Verpflichtungen, welche die Frau zum Vor-
teil des Gasamtgutes oder aus Notwendigkeit eingegangen ist, kann
aus dem Gesamtgut gefordert werden."
„Die Ehefrau ist allein berechtigt, selbst iib^r das, was sie bei
Ausübung ihrer selbständigen Wirksamkeit erwirbt und was auf
Grund des gesetzlichen Güterrechts gemeinsames Eigentum wird, zu
verfügen, ebenso über das, was sie aus solchen Mitteln beweislich
angeschafft hat. Dieses Gut haftet zu Lebzeiten der Frau für
keine Schuld, welche der Mann ohne ausdrückliche Erlaubnis der
Frau eingegangen ist."
19*
- 292 —
„Wenn der Mann bei Verwaltung des Gesamtgutes unver-
ständig oder leichtsinnig verfährt, oder wenn er Grund zu der
Befürchtung giebt, dass er das Gesanitgut durchbringt, kann die
Frau Trennung der Güter verlangen und ihr Teil als Sondergnt
erhalten."
Früher konnte die Frau erst die Trennung der Güter bean-
tragen, wenn der Mann für unmündig erklärt worden war.
„Das Sondergut verwaltet jeder der Ehegatten selbständig und
unabhängig von dem Vermögen des anderen."
Die gegenseitigen Pflichten der Eheleute werden in Norwegen
mehr als moralische denn als juridische betrachtet. Die Gesetz*
gebung enthält sich deshalb aller Vorschriften in dieser Beziehung-^
Aber als charakteristisch, als ein hervorragender Zug im alten
norwegischen Recht muss hervorgehoben werden, dass der Mann nie-
mals, wie im alten schwedischen und dänischen Gesetz, das Züchtigungs-
recht über seine Frau gehabt hat. In dem Gesetz Christian V^
wurde es, trotz der alten Bestimmungen in den dänischen Gesetzes-
quellen, aufgehoben, und somit besteht es seit dem Jahre 1687 auch,
nicht mehr in Dänemark.
Es wird zwar angenommen, die Hausfrau habe die Pflicht, dena
Manne zu gehorchen; aber in den Bestimmungen über die Haus-
zucht wird dem Manne keine Macht gegeben, sie zum Gehorsam zu
zwingen. Der Mann hat nur juridisch das Uebergewicht durch
das geltende Güterrecht, welches die Abhängigkeit der Frau ver-
ursacht.
Kraft seines Hausherrenrechtes bestimmt der Mann den Aufent-
haltsort der Familie, und die Hausfrau ist verpflichtet, ihm zu
folgen, doch nicht ausserhalb des Landes Grenze. Wenn aber die
Frau ihren Mann auch im Lande selbst verlässt oder ihm zu folgen
sich weigert, kann er sie weder durch die Hilfe der Polizei noch
des Richters dazu zwingen ; ihre Weigerung ist nur ein Scheidungs-
grund.
In ähnlicher Weise verhält es sich umgekehrt mit der Ver-
sorgungspflicht des Mannes. Es wird vorausgesetzt, dass diese Pflicht
dem Manne obliegt; aber sie kann der Hausfrau gegenüber erst ge-
richtlich geltend gemacht werden, wenn diese ihre Zuflucht zur
Armenunterstützung nehmen muss, oder wenn der Mann sich des
Zusammenlebens mit ihr entzieht.
Die elterliche Gewalt über die Kinder haben sowohl Vater wie
Mutter nur bis zum vollendeten 18. Lebensjahre des Kindes. Von
diesem Zeitpunkt an ist das Kind mündig unter Kurator. Während
der Ehe tritt aber zunächst das Recht und die Pflicht des Vaters
hervor. Er hat die Hauptentscheidung sowohl bei der Erziehung^
wie bei der Berufswahl des Kindes und ihm zunächst liegt die Ver-
tretung desselben ob.
Nach dem Gesetz vom 15. Juni 1881 können die Eltern aber
kein Kind ohne seine Zustimmung zu einem von ihnen bestimmten
Beruf zwingen; denn sie dürfen keinen Lehrkontrakt abschliessen
ohne des Lehrlings Zustimmung.
Werden die Eltern getrennt, so können sieselbst über die Verteilung
der Kinder entscheiden; nur wenn sie untereinander nicht einige
— 293 —
werden können, entscheidet infolge eines neuen Gesetzes von 1892
•das oberste Gericht, wer die Kinder behalten darf, oder wie sie
verteilt werden sollen.
Die Scheidung der Ehe kann durch Prozess und Urteil oder
durch Bewilligung stattfinden. Der Richterspruch kann von einem
Ehegatten aus folgenden Gründen gefordert werden:
1. Bigamie und Ehebruch. Doch kann die Scheidung nicht er-
folgen, wenn der gekränkte Ehegatte den Ehebruch zugegeben hat.
2. Flucht; d. h. wenn ein Ehegatte den anderen ohne dessen
Willen verlSsst. Auch Fernsein ohne Flucht kann die Aufhebung
"der Ehe bewirken, wenn der Betreffende in 7 Jahren keine Nach-
richt von sich gegeben hat, oder wenn vermutet wird, dass der
Fortgereiste bei einer bestimmten Gelegenheit umgekommen ist und
S Jahre verlaufen sind, seitdem dieselbe stattgefunden hat.
3. Verurteilung zu Gefängnis auf Lebenszeit.
4. Lebensgefährliche Verletzung durch den einen Ehegatten,
oder wenn der eine dem andern nach dem Leben trachtet.
Hierzu kommen noch die Scheidungsgründe, welche vor Ein-
gehung der Ehe liegen und sich auf verheimlichte und unheilbare
Krankheiten beziehen.
Die Rechtswirkung des Scheidungsurteiles tritt augenblicklich
«in, und der Geschiedene kann eine neue Ehe eingehen; doch können
Einschränkungen gegenüber demjenigen eintreten, der sich des Ehe-
bruchs schuldig gemacht hat.
Die Scheidung durch Bewilligung kann allezeit erreicht werden,
wenn beide Ehegatten einig darüber sind, dass sie getrennt sein
wollen; sie haben nicht nötig, irgend einen bestimmten Scheidungs-
fi^rund anzugeben. Nachdem geistliche und weltliche Vermittelung
versucht, das Vermögens Verhältnis und das Verhältnis zu den Kindern
gegenseitig nach Uebereinkunft geordnet worden ist, erhalten sie
die vorläufige Trennungsbewilligung von der Obrigkeit, dem Ma-
gistrat oder Amtmann. Die Getrennten dürfen keine neue Ehe
eingehen.
Haben aber die Ehegatten infolge der Trennungsbewilligung
mindestens 3 Jahre getrennt gelebt und hat die abermalige geist-
liche und weltliche Vermittelung keinen Erfolg gehabt, so ver-
kündet die Regierung die endliche Bewilligung zu der Auflösung
der Ehe. Zur Eingehung einer neuen Ehe ist in diesem Falle die
besondere Erlaubnis der Regierung erforderlich.
In den letzten Jahren ist auf administrativem Wege die Reform
«ingeführt, dass endgültige Scheidung durch Bewilligung auch auf
Ansuchen nur eines Teiles und ohne vorausgegangene Trennungs-
bewilligung erreicht werden kann. S^eit 1892 hat diese Bestimmung
Rechtskraft; sie ist sehr wichtig, besonders bei eingetretenem un-
heilbarem Wahnsinn des einen Ehegatten.
Die Frau behält auch nach der Scheidung den Namen des Mannes.
Bei Trennung und Scheidung fällt das gegenseitige Erbrecht
der Ehegatten fort.
Die Frau, verheiratet oder unverheiratet, ist von der Vor-
mundschaft ausgeschlossen; ausgenommen ist die Witwe; denn diese
ist kraft ihrer elterlichen Gewalt Vormund ihrer Kinder.
— 294 —
Die bürgerliche Ehe ohne kirchliche Verpflichtung ist noch
nicht voll eingeführt, trotzdem diese Reform schon lange auf den>
Programm steht. Aber seit dem 27. Juni 1891 kann die bürger-
liche Trauung stattfinden, wenn einer der Verlobten nicht der
Staatskirche angehört.
Das Gesetz bestimmt keine Altersgrenze zur Eingehung der
Ehe. Es enthält zwar die Vorschrift, dass eine Verlobung un-
giltig ist, wenn die Braut noch nicht das 16. und der Bräutigam-
das 20. Lebensjahr erreicht hat; die Prediger nehmen aber an, dass-
diese Altersgrenze auf die Trauung nicht bezüglich ist, und es sind
mehrere Paare in Norwegen unbeanstandet getraut worden, welche
jünger als 16 und 20 Jahre waren.
Dem Manne vollständig gleichgestellt sind die verheirateten
Norwegerinnen ausser im Scheidungsrecht auch nur im Strafrecht^
Der norwegische Gesetzgeber versucht aber, den unehelicheD
Müttern und ihren Kindern möglichst gerecht zu werden, wenn-
gleich auch inbezug auf die Rechte der unehelichen Kinder noch
der Name des A'^aters von der G erechtigkeit zu fordern übrigbleibt.
Inbezug auf die Versorgungspflicht des unehelichen Vater»
gegenüber seinem Kinde bestimmt das Gesetz vom 6. Juli 1892 in
§ 1: „dass der Vater verpflichtet ist, bis zu des Kindes vollendetem
15. Lebensjahre alle Kosten seiner Erziehung und seines Unter-
haltes entweder teilweise oder je nach den Umständen ganz zu
tragen. Diese richten sich nach seinen und der Mutter ökonomischen
Verhältnissen. Wieviel der Vater jährlich zu zahlen hat, be-
stimmt das oberste Gericht (Overövrigheden)."
^ 2. „Auch nach des Kindes vollendetem 15. Lebensjahre kann
der Vater vom obersten Gericht (Overövrigheden) verpflichtet
werden, zu dessen Versorgung Beitrag zu leisten, soweit er dazu
imstande ist und das Kind infolge geistiger oder körperlicher
Schwachheit nicht tür sich selbst sorgen kann. Dasselbe kann auch
geschehen, wenn ein besonderer Grund dazu vorliegt, dem Kinde
eine fortgesetzte Ausbüdung zu verschaöen, und der Vater nach
seinen ökonomischen Verhältnissen dazu beitragen kann."
§ 4. „Weiter ist der Vater verpflichtet, nach seinen Geld-
mitteln beizutragen zu den Ausgaben der Niederkunft und der
guten Verpflegung der Mutter während der Kindbettzeit. Die
Höhe des Beitrages bestimmt das oberste Gericht (Overövrigheden).'''
Weigert sich der Vater, den ihm auferlegten Beitrag für
Mutter oder Kind zu zahlen, oder hat er innerhalb eines halben
Jahres denselben nicht gezahlt, so kann das oberste Gericht (Over-
övrigheden) ihn in eine Zwangsarbeitsanstalt bringen lassen, wenn
auf andere Weise der Beitrag nicht zu erhalten ist.
Mehrere Paragraphen des genannten Gesetzes zeugen von der
Vorsorge des Gesetzgebers zur pünktlichen Erlangung des Bei-
trages. Ist der Vater z. B. Arbeiter, so kann Beschlag auf
sein Tage- oder Wochengeld gelegt werden, und unter Umstanden
haftet sogar der Arbeitgeber für die Einbehaltung desselben. Will
z. B. der Vater auswandern, so hat er entweder den Betrag für
des Kindes Erziehung und Unterhalt nach seinen Vermögens-
Verhältnissen zu hinterlegen oder genügende Sicherheit für dessen
— 296 —
fernere Erlegung zu leisten, andernfalls wird ihm die Abreise ver-
boten und Beschlag auf sein Gut gelegt. Für ein Kind über
15 Jahre hat der Betreffende im besonderen Falle den Betrag für
2 Jahre sicher zu stellen.
Wenn des Kindes Geburt beim Prediger, dem Gemeindevorstand
oder der Obrigkeit angemeldet wird, ist sofort der angegebene
Vater desselben davon in Kenntnis zu setzen. Bestreitet derselbe
die Vaterschaft, so hat er den Gegenbeweis zu erbringen, nötigen-
falls unter Eidesleistung.
Mit der grössten Sorgfalt wird des Kindes Erziehung über-
wacht, falls es in Pflege gegeben werden muss. Auch alle weiteren
Bestimmungen für den Fall des frühzeitigen Todes der unehelichen
Eltern gereichen dem norwegischen Lande und seinem Gesetzgeber
zur Ehre. Alle Vorschriften weichen weit ab von der Tendenz des
berüchtigten Paragraphen im französischen code civil: „Es ist ver-
boten, nach dem Vater des Kindes zu forschen."
2. Das dänische Familienrecht.*)
Die bürgerliche Eheschliessung ist in Dänemark mit dem Gesetz
vom 13. April 1851, also 40 Jahre früher als in Norwegen ein-
geführt worden. Sie ist aber auch nicht obligatorisch, sondern nur
ein Notbehelf für diejenigen Brautleute, welche eine kirchliche
Trauung infolge ihrer religiösen Anschauungen nicht erhalten können.
Die verheiratete Frau ist nach dem dänischen Recht unmündig,
dem Manne untergeordnet und Gehorsam schuldig, gleich den Kindern
und Dienstboten. Der Mann hat zwar nicht das Recht, die Frau,
wie vor Christian V. Zeit, xdurch Züchtigung zum Gehorsam zu
zwingen; aber er kann sie strafen durch Entziehung aller Mittel,
die sie zur Ausübung der verbotenen Handlung befähigen. Er ist
berechtigt, jederzeit ihre häusliche Wirksamkeit auszuschliessen oder
einzuschränken, und darf ihr jeden eigenen Erwerb verbieten.
Infolge dieser ihrer Abhängigkeit darf auch nach dem Gewerbe-
gesetz vom 29. Dezember 1857 (§ 7) einer verheirateten Frau kein
Gewerbeschein ausgestellt werden, es sei denn, der Mann habe sie
verlassen. Der Gesetzgeber hat diese Bestimmung auf Grund des
gesetzlichen Güterrechts (Gütergemeinschaft) getroffen, nach welchem
das Gewerbe der Frau für Rechnung des Mannes betrieben wird.
Diese Bestimmung wird auch angewendet, wenn der Grund fort-
fällt, z. B. wenn nicht Gütergemeinschaft unter den Ehegatten
besteht.
Die Frau erhält den Namen des Mannes. Es ist jedoch erst in
neuerer Zeit gebräuchlich geworden, dass sie des Mannes Namen
trägt. Im Bauernstande ist dieser GTebrauch aber noch nicht all-
gemein geworden.
Die Hausfrau teilt Rang und Stand mit dem Manne. Doch
behält die Tochter eines Lehnsgrafen oder Lehnsfreiherrn ihren
früheren Rang, wenn sie einen Bürgerlichen heiratet. Ebenso behält
die Frau den Rang, den ein von ihr ausgeübtes Amt im Gefolge hat.
*) Nach: ,.den danske Familieret'* von J. H. Deuntzer, Köben-
bavD 1892.
— 296 —
Der Mann ist verpflichtet, die Frau zu ernähren, selbst wenn
sie nicht zusammen leben, und ohne Rücksicht darauf, ob Güter-
gemeinschaft unter ihnen besteht oder nicht. Aber er braucht ihr
nur insoweit Unterhalt zu gewähren, dass sie keine Not leidet. Sie
kann ihn nicht zwingen, ihr einen besseren Unterhalt zu gewähren,
als er ihr geben will, wenn er auch weit geringer ist, als er für
seinen Rang und Stand passt.
Die Hausfrau ist nicht rechtlich verpflichtet, den Mann zu
unterhalten; nur wenn der Mann dem Armenwesen zur Last fällt
und die Frau eigene Mittel oder Einnahmen hat, so kann ihr eine
bestimmte Beitragsleistung zum Unterhalt des Mannes auferlegt
werden.
Das gesetzliche G-üterrecht ist die weitgehendste Güter-
gemeinschaft. Alles Geschenkte, Erstattete, Ererbte (ausgenommen,
wenn im Testament bestimmt ist, dass es Sondergut sein soll) wird
gemeinsames Eigentum, das vom Manne allein verwaltet wird. Stirbt
einer der Ehegatten, so wird das hinterlassene bewegliche und un-
bewegliche Eigentum gleich geteilt zwischen dem überlebenden Ehe-
gatten und den ehelichen Kindern.
Zur Illustrierung der völligen Gütergemeinschaft diene die
Ausführung der Bestimmung, dass der Mann, wenn er von seiner
Frau misshandelt und diese zu einer Geldbusse verurteilt worden ist,
die Strafsurame aus dem Gesamtgut zu entrichten hat.
Besitzt die Frau ein Lehnsgut, so gehen mit der Verheiratung
alle Rechte des Besitzes auf den Mann über, und alle Einnahmen
aus dem Gute werden Gemeingut. Aber nach dem Tode der Frau
fällt das Lehnsgut an die nächst erbberechtigte Person; es gehört
also nicht zur Erbschaftsmasse, die gleichmässig unter Vater und
ehelichen Kindern verteilt wird.
Der Erwerb der Frau wird auch Gemeingut; doch hat das
Gesetz vom 7. Mai 1880 der Frau ein Recht auf dieses Gut und
das aus demselben beweislich Angeschaffte insoweit gegeben, als es
zu ihren Lebzeiten für keine Schuld des Mannes haftet, es sei denn,
die Frau habe in die Eingehung der Schuld ausdrücklich oder still-
schweigend gewilligt. Auch hat sie seit der Einführung dieses
Gesetzes ein gewisses Mündigkeitsrecht auf das von ihr Erworbene,
indem sie darüber selbst verfügen darf. Nach Auflösung der Ehe
durch Scheidung, Trennung oder Tod des Mannes erhält die Frau
die Hälfte des von ihr Erworbenen; stirbt aber die Frau vor dem
Manne, so fällt es in die Erbschaftsmasse und gehört zu gleichen
i Teüen dem Manne und den gemeinsamen Kindern.
Der Mann ist „Boets Vaerge", d. h. des Vermögens Vormund,
selbst wenn es Sondergut der Frau ist; denn sie darf ihr Sondergat
nicht auf eigene Hand veräussern. Verkauft sie dessenungeachtet
i ein zu ihrem Sondergut gehörendes bewegliches oder unbewegliches
i Eigentum, so ist der Verkauf rechtswidrig und darf vom Manne
i umgestossen werden.
Die Unmündigkeit der Frau in vermögensrechtlicher Beziehung
j bleibt auch bestehen, wenn der Mann minderjährig oder entmündigt
; worden ist, oder wenn er aus irgend einem andern Grunde nicht
kann oder will des Vermögens Vormund sein. An seine Stelle tritt
— 297 —
dann sein Kurator oder der für die Frau bestellte Vormund mit
gleicher Vollmacht.
Eine geringe Einschränkung erleidet des Mannes Verfügung
über das Gesamtgut dadurch, dass er dasselbe einem Dritten nicht
ohne Erlaubnis der Frau übergeben darf, und eine weitere Be-
grenzung seiner Rechte ist die Bestimmung, dass er über das selbst-
ervvorbene G-ut der Frau und über das aus demselben beweislich
Angeschaffte nicht selbständig verfügen darf. Jede von dem Manne
vorgenommene Veräusserung oder Verpfändung eines solchen Gutes
ist ungültig. Er darf auch keine Schuld der Frau, geschweige
denn eine eigene, mit ihrer Zustimmung eingegangene, aus diesem
Vermögen entrichten; wohl aber können die Kreditoren Bezahlung
derselben aus dem Selbsterwerb der Frau fordern.
Vor Eingehung der Ehe kann die Frau selbständig einen Ehe-
vertrag schliessen, wenn sie das mündige Alter erreicht hat. Wird
der Vertrag aber erst nach der Eheschliessung vereinbart, so muf^s
die unmündig gewordene Frau einen Vertreter haben, der als Vor-
mund für sie eintritt.
Rechtlich vollgültig ist nur ein Vertrag mit königlicher Be-
stätigung.
Bai einem Ehe vertrage ohne königliche Konfirmation ist es
unzweifelhaft, dass die Frau über ihr Sondergut, weder auf eigene
Hand noch in eigenem Namen verfügen darf. Mit des Mannes Er-
laubnis kann sie aber ihr Sondergut einem anderen Vormunde zur
Verwaltung übergeben.
Wenn der Mann Vormund über das Sondergut der Frau ist,
so muss er Ersatz leisten für den Verlust, den er durch Betrug
oder Unachtsamkeit verursacht hat. Aber die Frau hat erst das
Recht, Rechenschaft von ihm zu fordern, wenn die Ehe aufgelöst
oder getrennt ist.
Mit königlicher Konfirmation kann die Bestimmung getroffen
werden, dass die Frau entweder in Verbindung mit einem andern
Vormund als dem Manne oder auf eigene Hand ihr Vermögen ver-
walten darf. Im letzteren Falle wird die Frau mündig d. h. sie
kann giltige Rechtshandlungen eingehen, die ihrem Sondergut allein
zur Last fallen.
Einen geschlossenen Ehevertrag kann die Frau nicht aufheben,
da sie unmündig ist; nur in dem besonderen Falle, der ihr eine
gewisse Mündigkeit verleiht, hat sie dieses Recht mit königlicher
Bewilligung.
Die weitgehenden Rechte des Mannes im Güterrecht können
verhängnisvoll für die Frau werden, wenn die Scheidung der Ehe
von einem Ehegatten beantragt worden ist. Denn bis zu dem
Scheidungsurteil bleiben die Wirkungen der Ehe ungestört, mithin
auch des Mannes Verfügungsrecht über das Gesamtgut.
Die Scheidung der Ehe kann auf dieselbe Weise und aus den-
selben Gründen stattfinden, wie im norwegischen Recht.
Nach der Scheidung wird die Frau mündig gleich einer Witwe;
sie behält Namen und Rang des Mannes, kann aber nach seinem
Tode weder Witwenpension erhalten, noch sein Gewerbe weiter-
betreiben, was einer Witwe erlaubt ist.
I
I
t
l
— 298 —
Die gegenseitige Unterhaltspflicht hört mit der Scheidung
auf, es sei denn, dass eine besondere Uehereinkunft besteht, die
einem der Gatten Verpflichtungen auferlegt.
Lebten die Ehegatten in Gütergemeinschaft, so kann jeder von
ihnen nach der Scheidung die Aufhebung der Gütergemeinschaft
fordern. Da beide Teile nun mündig sind, kann die Teilung nach
Uehereinkunft geschehen; es muss aber öffentliche Teilung statt-
finden, wenn auch nur einer der geschiedenen Ehegatten es verlangt.
Notwendig ist die letztere, wenn ein Teil abwesend ist oder unmündig'
gemacht worden ist.
Nach der öffentlichen Teilung wird das Vermögen registriert
und taxiert. Der Mann behält die Verwaltung desselben, muss aber
dem Teilungsgericht Rechenschaft von derselben ablegen. Bei un-
ordentlicher oder schlechter Verwaltung kann das Teilungsgericht
(Skifteretten) entweder auf eigene Hand oder auf Antrag der Frau
ihm die Verwaltung entziehen und sie einem dazu bestellten Ver-
mögensvormund übertragen.
Der schuldige Teil hat dasselbe Recht, inbezug auf das Ver-
mögen und die Wiederverheiratung, als der unschuldige. Nur bei
Ehebruch bedarf der Schuldige zur Wiederverheiratung der beson-
deren königlichen Bewilligung, auch darf er nicht in demselben
Kirchspiel sich verheiraten oder wohnen bleiben, in dem der Un-
schuldige wohnt.
Bei Scheidung durch Bewilligung bleibt die Gütergemeinschaft
und die Unterhaltspflicht des Mannes bestehen, wenn die Trennung
unter diesen Bedingungen vereinbart worden ist.
Die elterliche Gewalt üben beide Eltern gemeinsam und mit
gleichem Recht bis zum vollendeten 18. Lebensjahre des Kindes aus.
Sie bestimmen Erziehung und Beruf des Kindes; nur bei Meinungs-
verschiedenheit ist der Wille des Vaters ausschlaggebend. Nach
dem 18. Lebensjahre des Kindes hören Unterhaltspflicht und
elterliche Gewalt auf. Seit dem Gesetz vom 10. Mai 1854 ist diese
Vorschrift auch auf die Töchter ausgedehnt.
Von diesem Zeitpunkt an sind die unverheirateten Frauen in
Dänemark selbständig und handlungsfähig.
Werden die Eltern durch Bewilligung getrennt, so können sie
sich vorher über die Verteilung der Kinder einigen. Jeder hat
über die Kinder, welche er behält, volle elterliche Gewalt.
Ist keine Vereinbarung getroffen, bevor die Scheidung durch
Urteil in Kraft tritt, so ist es nach dänischem Gebrauch natürlich,
dass derjenige, welcher den Scheidungsgrund verursacht hat, kein
Recht besitzt, die Kinder zu fordern. In der positiven Gesetz-
gebung sind keine sicheren Bestimmungen über die Verteilung der
Kinder bei Scheidungen, Können sich die Eltern nicht einigen, so
übernimmt das Gericht dieselbe. Auch hier wird angenommen, dass
jeder volle elterliche Gewalt über die ihm zuerkannten Kinder er-
hält. Es . wird auch vermutet, dass kein Unterhaltsbeitrag von dem
andern gefordert werden kann, falls vorher nicht Uehereinkunft
über diesen Punkt getroffen worden ist. Vor dem öffentlichen
Recht aber bleibt beider Eltern Unterhaltspflicht bestehen.
Das uneheliche Kind gehört zur Familie der Matter. Den
— 299 —
Adel erwirbt das Kind aber nicht durch die Mutter. Es darf ohne
des Vaters Erlaubnis weder seinen Namen noch einen aus seinem
Vornamen gebildeten Zunamen tragen, erhält aber je nach der
Wahl der Mutter entweder deren oder einen aus ihrem Vornamen
oder nach des Kindes Geburtsort gebildeten Namen.
Die Mutter hat allein die elterliche Gewalt über das Kind und
hat die Hälfte der Kosten seiner Erziehung und Ausbildung bis
zum vollendeten 14. Lebensjahre zu tragen. Die andere Hälfte
fällt dem Vater zur Last. Die Höhe des Beitrages bestimmt das
oberste Gericht (Overövrigheden). Mehr als die Hälfte des not-
dürftigen Unterhaltes kann dem A'^ater nicht auferlegt werden. Tn^
Weigerungsfalle kann die Einnahme des Vaters in Höhe des Bei-
trages mit Beschlag belegt, der A^ater auch zur Abbüssung mit
entsprechender Gefängnisstrafe bei Wasser und Brot belegt werden ;
aber die Bestimmungen im dänischen Recht zei<?en lange nicht die
Vorsorge wie diejenigen im norwegischen Recht. Dänemark
schliesst sich in diesem Punkte der Mehrzahl der kultivierten
Staaten an, welche für Recht das Unrecht erklären, dass das un-
schuldige Kind die Strafe für die Sünden seiner Eltern zu tragen
habe.
Die exceptio plurium concumbentium findet im dänischen und
norwegischen Recht keine Anwendung wie im deutschen Recht.
3. Uebersicht und Aufforderung.
Ich habe hiermit das norwegische und dänische Familienrecht in
kurzen Strichen zu zeichnen gesucht. In diesen beiden Rechten wie
in den Rechten aller civilisierten Staaten ist der Ehefrau die Pflicht
des Gehorsams* ihrem Manne gegenüber auferlegt.
Die juristische Theorie rechtfertigt das Gehorsamsrecht des
Mannes in Deutschland damit, dass dem Ehemanne die eheliche
Vogtei, das Mundium zustehe.
Das gleiche Recht spricht der code civil dem Ehemann zu mit
den Worten: „la femme doit obeissance ä son mari", und mit dem
code civil ist es in die übrigen romanischen Länder übergegangen,
namentlich auch nach Italien und Spanien.
Nicht anders ist es in England. Was schon namentlich Baco
über das Verhältnis der Eheleute aussprach: „The law allows of
but one will between them, which is placed in the husband", gilt
noch jetzt. Wenn auch in der letzten Zeit dem Ehemanne das
Recht auf Züchtigung bestritten worden ist, so besteht doch das
Recht auf Gehorsam unverändert fort, auch nach dem Gesetze vom
10. August 1882, welches der Frau die Verwaltung ihres Ver-
mögens überlässt. (Gütertrennung).
Auch in Russland, abgesehen von den ehemaligen Kongress-
polen und den Ostseeprovinzen, ist der Frau die Verwaltung ihres
Vermögens gesetzlich zugesprochen; daneben bestimmt aber das Ge-
setz: „Die Ehefrau ist verbunden, dem Manne zu gehorchen als dem
Haupte der Familie."
In den Vereinigten Staaten von Nordamerika sind die Vermögens-
rechte der Eheleute in den verschiedenen Staaten verschieden be-
stimmt. Auf Grund des auch dort geltenden englischen common
— 300 —
law besteht aber daneben die Gehorsamspflicht der Frau. In den
grossen commentaries on american law von Kent wird dies klar
gelegt. Es heisst daselbst: „The woman is considered as being „sub
potestate viri". Das Gesetz habe dem Manne gegeben „a superiority
and control over her person and he may even put gentle restraints
upon her liberty".
Vor 10 Jahren war nur in dem Staate Massachusetts durch ein
Gesetz von 1875 die Gewalt des Mannes über die Frau formell auf-
gehoben. In Mississippi hat ein Gesetz von 1880 der verheirateten
Frau alle Kechte einer unverheirateten gegeben, ohne indessen die
Gewalt des Mannes zu erwähnen.
Nach dieser grossen Verbreitung des Gehorsamsrechtes des
Ehemannes könnte man glauben, dasselbe sei im Wesen der Ehe be-
gründet. Das wäre aber eine ganz falsche Ansicht. Dieses Recht
hat sich infolge der körperlichen Ueberlegenheit des Mannes über
die Frau gebildet.
In den Zeiten, da es noch keinen Rechtsschutz gab, wurde die
Ehefrau von ihrem Manne, die unverheiratete Frau von ihrem Vater,
einem Verwandten oder Freunde gegen unehrenhafte Angriffe ge-
schützt. Aus dieser Schutzbedürftigkeit entwickelte sich in der
barbarischen Zeit die Hörigkeit der Frau.
Man sollte nun annehmen, dass mit der Entstehung eines Rechts-
schutzes die Hörigkeit der Frau sich allmählich hätte vermindern
und schliesslich ganz hätte aufhören müssen. Man behielt aber
nach der Weise, wie sich das Recht einer Krankheit gleich vererbt,
die Vormundschaft bei, und so standen jahrhundertlang die Frauen
unter Vormundschaft (der sogenannten Geschlechts Vormundschaft),
bis sich herausstellte, dass sie beschwerlich und nutzlos sei. Man
hob sie nach dieser Erkenntnis auf, aber nur über unverheiratete
Frauen. lieber die verheirateten Frauen blieb sie bestehen ; denn die
Vormundschaft gab dem Manne auch die Verwaltung des Vermögens
und damit die alleinige Entscheidung, auf welche Weise es zum
Besten der Ehe zu verwenden sei.
In dem Wesen der Ehe liegt nicht der Grund für die noch
heute bestehende Hörigkeit der Frau. Die ungerechtfertigte, alle
Frauen tief schädigende Bevormundung der Frau in Staat und
Familie ist allein ein Ueberrest des mittelalterlichen Faustrechts.
Die Unterthänigkeit der Frau hat auch keine christlich-religiöse
Berechtigung, wie noch von vielen als Beweis des Mannesrechts be-
hauptet wird. Dies ist von Frau Elisabeth Malo mit anerkannt
gründlicher wissenschaftlicher Beweisführung in Nr. 50 des evan-
gelisch-lutherischen Gemeindeblattes: „Die christliche Welt" klar
gelegt worden. Christus anerkannte der Frauen Menschenrecht, und
kein Anspruch von ihm weist ihnen dem Manne gegenüber eine
untergeordnete Stellung, eine Stellung zweiten Grades an.
Es ist ein verhängnisvoller Irrtum vieler Frauen, anzunehmen,
die Fragen des Bherechts wären nicht von so einschneidender
Bedeutung. Sie beachten nicht, dass die freie Pflichterfüllung den
Menschen adelt, erst die frei und voll entwickelten Kräfte das wahre
Menschentum ausmachen. Die Ejäfte der Frauen können sich aber
erst frei entfalten, wenn das Gehorsamsrecht des Mannes, die Bevor-
— 301 —
mundnng der Frau im Staate tresKzlich aufgeholn-D. weoD die Frau
dem Manne gesetzlich gleiciur^stellt ist.
Unser juristischer Mit«in-iter. dtr Gfh. Justizrat Karl Bulliner,
hat dies so vortrefflich in seinem Wt^rke: «Die dfut>che Frau
und das hürgerliche Gesetzbuch- au>frefiihrt, das« ich di»-ses Werk
auch den ausländischen Schwestern warci empfrlilen möchte.
Bei der Schnffunir des neuen deutschen Rechtes haben wir
Frauen tapfer gestritten fi^r unser Mens(htnrecht. Wir haben
nicht viel erreicht; immerhin aber soviel, dass wir n-chtlich den
Schwestern der andern europäischen Kulturstaaten fast gleichwertig
geworden sind.
Wir sind hier zusammeccrekontmen. um uns klar zu wt-rden
über das, was die Schwestern der einzelnen Staat*-n schon im Re<.*ht
erreicht haben, und wa«s noch £rethan w*^rd*n muss. um den Rest
der Barbarei aus den Kulturstaaten zu beseitie^n. In allen hier
vertretenen Staaten herrscht ncK-h das Mundium: es ist aber schon
durchlöchert durch die allseitisr anerkannte Geschäft sfähierkeit der
Frau. Hier gilt es einzusetzen mit ganzer Kraft: dt-nn hier lit-gt
der Keim der Aufklärung für beide Cies^hlechter, der früher oder
später die Rechtsgemeinschaft herbeiführen wird.
Es gilt auch, den Frauen zum Bewusst<ein zu bringen, dass
nach heutigem Recht die Ehe eine Degradation fiir sie ist; denn
mit derselben sinkt die Frau aus einem höheren Rechtsstande in
einen tieferen, in den der Abhängigkeit und Unmündigkeit zurück.
Darum, wer für Beseitigung des Mundiums kämpft, kämpft ftir das
Ansehen des heiligsten Institutes — die Ehe.
Wir haben uns zu einem internationalen Bunde zusammen-
geschlossen, um das internationale Menschenrecht für uns zu er-
ringen. Wir fühlen, dass wir durch die einseitige Gesetzgebung
nur Schutzverwandte des Staates geblieben sind und als solche
nicht Teil haben an allen Gütern der Nation. Im internationalen
Kampfe wollen wir die Teilnahme erringen.
Reichen wir uns heute die Hände und geloben wir uns zu-
nächst Kampf auf ganzer Linie gegen das Mundium des Mannes.
Das Wort: „Was bringt zu Ehren? Sich wehren!** gilt auch ftir
Tins. Unser Wahlspruch sei: ^Ich will und ich werde!" dann ist
der Sieg unser!
Rapport
presente par Mlle. Marie Popelin, docteur en droit de Bruxelles,
del^ee de la Ligue Beige du Droit des Femmes.
La Ligue beige du droit des femmes, dont j'ai Thonneur d'^tre
Ja Secr^taire Generale, a repondu avec empressement a l'invitation
des dames organisatrices de ce Congres, parce qu'elle tient ä affirmer,
en toutes circonstances, sa Sympathie envers toutes les nations comme
envers toutes les fractions du mouvement föministe.
En acceptant la mission d'etre ici sa d^legu^ je ne me doutais
guere du magnifique spectacle qu'il me serait donnö d'admirer. —
Jusqu'ici, en effet, nulle part, en Europe, nous n'avons vu un
groupement aussi considerable de femmes distingu^ r^unies dans
— 302 —
une pensee commune, ramelioration du sort de la femme; nulle part,
non plus, nous n'avons assiste, en Europe, ä un Congres de femmes
organise avec autant de vraie methode et de sage discipline.
Les dames organisatrices ont le droit d'etre fieres du succes de
ces belles et memorables journees et, en mon propre nom comme
au nom de la Ligue beige des femmes, je les felicite et les remercie:
elles occuperont desormais une place d'honneur dans Thistoire du
feminisme.
Notre Ligue organise pour Tannee prochaine, a Toccasion de
TExposition universelle, un Congres international auquel je vous
invite toutes, Mesdames. Nous nous exercerons de faire aussi bien
que les femmes allemandes, nous ne pourrons pas faire mieux.
Ma täche dans ce Congres est de vous parier de la condition
civile de la femme sous le Code frangais de 1804 qui nous regit
encore en Belgique. Mon rapport tres court d'ailleurs, interesse
donc non-seulement la Belgique et la France, mais en outre tous
les pays oü le Code napoleonien tut impose ou adopte, ou seulement
imit^.
Sans doute, la place actuelle des femmes dans la famille et
dans la societe est tres superieure ä leur condition passee, Tadou-
cissement des moeurs a peu ä peu releve la condition sociale de la
femme, quelques lois sont venues completant Toeuvre des moeurs.
Le temps n'est plus oü les fiUes etaient desheritees par leurs peres,
les soeurs depouillees par leurs freres, les femmes achetees et posse-
dees comme une chose par leurs maris, les meres subordonnees
ä leurs fils. Les lois de la Revolution ont pose le principe
de l'egalite, mais le legislateur n'a pas su ou n'a pas voulu
en tirer toutes les consequences , et ,* aujourd'hui encore , la
femme est tenue en suspicion et traitee en paria, Tinstruction lui
est mesuree avec parcimonie et accordee, non comme un droit, mais
comme un privilege, sa- parole est sans valeur et son temoignage
meconnu; eile est ^loignee de la tuteile et des conseils de famille,
eile est repoussee des emplois publics, eile n'a point le droit de cite,
eile est accablee de toutes les charges de la maternite naturelle sans
aucun recours contre le pere de son enfant. — Femme mariee, on
ne lui reeonnait ni intelligence, ni volonte, eile perd son nom et sa
nationalite, eile doit obeir ä son mari qu'elle doitsuivre partout oü
it lui plait de resider, eile ne peut agir valablement sans son auto-
risation : eile ne peut pas donner, eile ne peut pas recevoir, eile est
sous le coup d'un interdit eternel. C'est le mari seul qui a Fad-
ministration pleine et entiere non-seulement de la communaute, ce
qui est dejä consid^rable, mais encore de la fortune personnelle de
sa co-associee, il en touche le revenu, il le depense a son caprice,
et il n'a pas a rendre compte, si ce n'est a lui-meme; la loi lui
delivre, dans tous les cas, et sans examen, un brevet d'infaillibilite.
S'il en use largement, nous aurions mauvaise grace a nous en
plaindre, il a poar lui Texcuse de la loi. Mere, eile ne partage pas
l'autorit^ paternelle, si eile dirige l'education de ses enfants, c'est
pure tolerance, eile n'a pas meme a consentir a leur marriage: eile
ne peut ni les marier, ni les empecher de se marier. Epouse sur-
vivante, on la surveille, son amour sans bomes de mere estsuspect.
— 303 —
eile ne sera tutrice de ses enfants qua sous la surveillance d'un
conseil special sans Tavis duquel eile n'est habile a poser aucun acte
concernant la tuteile. Oui, Mesdames, Tamour maternel fait tout
entier de devouement et d'abnegation est insuffisant pour inspirer
confiance! L'epouse, enfin, n'est Jamals heritiere, eile n'arrive ä la
succession de son mari qu'en ordre irregulier et apres les collateraux
a rinfini.
Combien sont lentes les conquetes du sexe feminin dans sa
marche vers Pegalite, et que les etapes sont laborieuses. Si, au-
jourd'hui, la femme n'est plus une marchandise que Ton puisse mettre
a Tencan, si les docteurs ont bien voulu lui decouvrir une äme
semblable ä celle del'homme, si sa vie n'est plus tarifee au dessous
de Celle d'une bete de somme, son temoignage en justice au quart
de celui de Thomme, si, sous certaines restfictions, eile peut, ä la fin
du XTX siede disposer de sa personne et acquerir des biens, rap-
pelons-nous qu'il lui a fallu des milliers d'annees pour atteindre ce
resultat. Et ainsi se verifie cette pensee d'un grand historien, qu'a
de certains abus, il faut un jour pour naitre, plusieurs siecles pour
mourir !
L'egalite civile des deux sexes est un principe de notre loi
moderne, mais ce principe qui nous semble, aujourd'hui, un axiome
incontestable de justice et de verite, n'est cependant qu'une conquete
recente du progres social. Les diverses legislations europeennes re-
putees les plus liberales contiennent encore de choquantes inegalites
entre les deux sexes. Au Nord, dans les iles Scandinaves, la tu-
teile perpetuelle des femmes, reste de la barbarie germaine, au Midi,
en Espagne et en Italic, l'incapacite pour la femme de s'obliger
pour autrui, reste du paganisme romain; dans la protestante Angle-
terre, la fiUe exclue des successions par le fils, la sceur par le frere;
sa part reduite ä la moitie par la loi turque et par les Codes scan-
dinaves; ä un huitieme des meubles et ä un quart des immeubles
par la loi russe.
Notre Code civil ne contient plus de trace des droits d'ainesse
et de masculinite abolis par les lois de la Revolution, mais il n'a
pas promulgue ouvertement, ni applique completement le principe
nouveau de l'egalite de la femme devant la loi. Tant s'en faut!
C'est toujours le meme Systeme, reconnaitre en principe, refuser en
fait. Le droit frangais laisse la femme dans une Situation införieure
au point de vue de la personne comme au point de vue des biens.
Si l'egoisme a ete vaincu, le prejuge subsiste dans l'esprit du legis-
lateur et c'est le prejuge qui doit nous garder dans Tinterpretation
d'une loi faite toute de contradictions.
Pourquoi ne peut eile etre temoin dans un acte authentique
et attester valablement les volonte d'un mourant, cette femme dont
le seul temoignage va suffire pour envoyer un homme ä la mort?
Naissance, deces, mariage, oes actes de la vie communs ä Thomme
et ä la femme, l'homme peut seul par son attestation en conserver
la preuve. La loi reconnait le developpement physique de la femme
plus precoce que celui de l'homme et, cependant, celle-ci doit attendre
jusqu'ä vingt oinq ans pour pouvoir s'engager dans le mariage avec
cette libre disposition de sa personne dont Thomme jouit des vingt
— 304 —
et un ans. Et c'est cette meme femme qui, des Tage de treize ans,
est reputee, par la meme loi, pouvoir avec une volonte süffisante
pour innocenter Fhomme qui en jouit disposer d'elle-meme au profit
de son seducteur. Elle est reconnue capable d'administrer ses propres
biens, mais sauf pour ses enfants et encore sous les restrictions que
j^ai Signal ees, restrictions qui ne peuvent avoir ete inspirees que
par la mefiance, eile ne peut remplir les fonctions de la tutelle.
Ces contradictions choquantes se maintiennent depuis un siecle,
en depit des eritiques et des protestations. Ne semble-t-il pas, Mes-
dames, qu'il aurait du suffire de les signaler a Tattention du legis-
lateur contemporain pour les voir disparaitre? Helas! il n'en est
rien! Tous les projets de loi — et ils sont nombreux — tendant
ä relever la femme dei? incapacites qui Taccablent, deposes a la
Chambre frangaise et a la Chambre beige sont restes sans resultat.
S^ils ont obtenu quelquefois la prise en consideration, ils n'ont guere
ete discutes et aucun n'est arrive ä consecration.
Nous chercherions en vain le principe juridique sur lequel s'ap-
puient ces incapacites, il n'en existe nulle trace. II n'est discute, ni
formule nulle part; il y a une simple opinion, qui n'est plus qu'un
pretexte aujourd'hui, que restreindre la capacite de la femme, c'est
faire ceuvre de protection a son egard! — Protection interessee!
— Les femmes ne s'y trompent plus guere. Elles savent ce que
vaut tant de stfllicitude. Elles ont compris que toutes les mesures
protectrices de la loi la plus vigilante ne valent pas l'independance,
qne tous les Privileges les plus precieux ne valent pas Tegalite.
Demandons-nous aussi pourquoi cette infirmite de notre intelli-
gence, reelle ou pretendue, ce vice de notre volonte si habilement
exploitds par le legislateur civil a ^t^ si manifestement m^connu par
le legislateur penal sanctionnant Toeuvre du premier. En eflfet, la loi
penale mesure la peine au degr6 de responsabilite et de libro arbitre,
eile reconnait Texcuse de la d6mence, ellereconnait Texcuse de Tage,
eile a oubli^ Texcuse du sexe. Si, par hasard, eile s'est souvenue
de la difference des sexes, c'est pour jeter T^goYsme masculin dans
le plateau qu'allegerait trop la faiblesse de la femme. Vous savez
les peines exceptionelles qui atteignent Tepouse infidele et la mere
infanticide; elles sont excessives et odieuses meme aux tribunaux
charg^ de les appliquer, aussi existe-t-il une jurisprudence nouvelle
plus ^uitable, plushumaine quesera la loi de cet avenir de justice
et d'egalite que nous entrevoyons.
Quelles conclosions pouvons-nous tirer de ce d^saccord mani-
feste entre les principes, de ces contradictioDS entre les lois? C'est
que faites par les hommes seals, les lois ne semblent faites qu'a
leur profit et que ces contradictions meme r^velent leur imperfection.
N'est ce point votre avis, Mesdames, n'est ce point votre
avis, Messieurs, qu'il Importe 3e mettre fin ä une Situation
ou Tabsurdite Temporte encore sur Tinju^tice? Pour y reussir,
je demande que tous Iqs groupes f^minlstes des diff^rents pays,
r^s encore aujourd'hui par le Code napol^n, par cette l^gislation
si just^ment dite, de cape et d'^pee, travaillent d'un commun
accord pour arriver k sa suppression ou ä sa transformation.
~ 305 —
Ansprache der Delegierten der italienischen Frauen
Dottoressa med. Signorina Maria Montessori aus Rom.
Meine Damen, ich spreche heute zu Ihnen im Namen der
besitzenden Frauen Italiens, welche mich gebeten haben, diesem
Kongresse von einer Ungerechtigkeit zu berichten, welche man
gegen sie als Besitzende begeht.
In Italien, und besonders in jenen Provinzen, die früher zu
Oesterreich gehörten, hatten die Frauen vor der Einigung des
Landes das Recht, ihr eingebrachtes Vermögen selbst zu verwalten.
Heute nach der Einigung ist ihnen dieses Recht genommen worden,
selbst für den Fall, dass die Frau rechtlich von ihrem Manne ge-
trennt lebt. Dies ist die Ursache schlimmster Sklaverei für die
besitzende Frau; denn es giebt dem Manne die Möglichkeit, auch
aus der Ferne die von ihm getrennte Frau zu knechten. Nun
haben mich die besitzenden Frauen Italiens aufgefordert, einen
Massenprotest gegen diese empörende Ungerechtigkeit zu ver-
anlassen.
Anmerkung d. Red. Die weitere Ansprache behandelte nicht
das Thema des Tages. Die Rf^dnerin sprach von den freundlichen
Gesinnungen der italienischen Frauen- Vereine für den Kongress und
von der allgemeinen Beteiligung derselben an ihrer Abordnung.
Wahlrecht der Frauen in Holland.
Von Frau Haighton, Amsterdam.
Es war im Jahre 1883, als der Amsterdamer Gemeinderat in
seiner Arbeit gestört wurde durch das Einkommen eines Gesuches
der Frau Dr. Aletta H. Jacobs behufs Aufnahme ihres Namens auf
die Wählerliste, da ihr Steuerzettel bei weitem die Summe, welche
den Bürgern das Wahlrecht sichert, übertraf.
Diese That war der Erfolg eines Rates desselben Rechtsgelehrten,
der jetzt Minister des Innern ist. Der Frauenfrage ist sie jedoch
nicht zu Gute gekommen; denn vielen ging dadurch betreffs der Dinge,
welche sich vorbereiteten, ein Licht auf, und es fiel den Abgeordneten
im Parlament nicht schwer, sich dagegen zu waffnen, da eine Revision
des Grundbesitzes bevorstand. — Hatte das Grundgesetz bis dahin
die Frau vollständig negiert und es hinreichend erachtet, von Nieder-
ländern zu reden, so nahmen im Jahre 1887 die Repräsentanten des
Volkes ohne Diskussion einen Antrag an, welcher bezweckte, jedes-
mal vor das Wort Niederländer „männlich" zu setzen, wodurch
die Frauen unbedingt ausgeschlossen wurden. Diese Einfügung
öflFhete a^er vielen Frauen die Augen. Sie fingen an über das
ihnen angethane Unrecht zu schreiben, und auch in mancher anderen
Weise wirkend, brachten sie Anfang 1894 einen Frauenwahlrechts-
verein zu Stande. Die Statuten erhielten nach diesbezüglicher An-
frage die königliche Bestätigung.
Als die Vereinigung, in Amsterdam gegründet, bald darauf in
anderen Gemeinden Abteilungen bekam, reichten die Statuten nicht
20
— 306 —
aus. Sie wurden revidiert uad auch in dieser neuen Form von der
Königin-Regentin als gesetzlich gut geheissen.
Die Mitgliederzahl des Frauenwahlrechtsvereins ist noch nicht
gross; sie beträgt keine Tausende, sondern nur Hunderte. Dies
kommt daher, dass die Frauen, welche es selbst gut haben, gewöhn-
lich die Blicke zu wenig über den eigenen Kreis hinaus werfen, dass
diejenigen, welche unter den gesetzlichen Missverhältnissen schwer
gebeugt gehen, in der Regel nicht entwickelt genug sind, um die
gi'osse, ja unwiderstehliche Kraft der Anschliessung und des Zu-
sammenwirkens einzusehen, und dass unter denjenigen, welche
zwischen diesen beiden Kategorien stehen, es leider noch zu viele
giebt, welche nicht den Mut ihrer Ueberzeugung besitzen oder zu
gleichgiltig sind, um ein Interesse an Dingen allgemeinen Belangs
zu nehmen.
Vor Kurzem ist von der Zweiten Kammer ein Wahlgesetz an-
genommen worden, das auch am 5. Septt^mber d. J. die Genehmiganc:
der Ersten Kammer erworben hat. Die Wähleranzahl wird bedeutend
vergrössert, aber nicht durch Zugehörigkeit von Frauen. Bald wird
sich nun zeigen müssen, was das neue Wählerkorps, darunter viele,
welche behaupten, das Frauen Wahlrecht auf ihrer Fahne zu führen,
für die Frauen thun wird. Vom gegenwärtigen Minister des Innern
werden sie gewiss keinen Widerstand erfahren, da er noch in seinen
Auseinandersetzungen gelegentlich des jetzt angenommenen Gesetzes
unumwunden erklärt hat, noch immer d(T Meinung zu sein, dass
die Frauen Rechte fordern können, dass er aber diesen Punkt bei
dem neuen Gesetze nur deshalb nicht berührt habe, weil er über-
zeugt sei, dass mit der gegenwärtigen Zweiten Kammer in dieser Hin-
sicht nichts zu erreichen ^sei.
Die niederländischen Frauen leben in der Hoffnung, dass ihnen
die Zukunft das AVahlrecht nichti vorenthalten werde.
La Solidaritö des femmes, Croupe föministe (Paris.)
Par Mme. Stromer-Henni-Pichard, Berlin, deleguee du groupe.
Mesdames, Messieurs!
Madame Potonie-Pierre, Tinfatigable champion de la cause des
femmes en France, regrette vivement d'etre empechee de venir a
Berlin et me Charge de presenter a Tassemblee tous ses voeux pour
le reussite du congres.
Le temps qui a pu etre accorde est si court, que je devrai nie
restreindre ä mentionner les points principaux du travail de son
groupe.
La Solidarite des femmes a ete fondee a Paris en 1891. L'or-
ganisation en est extremement simple; car il n'y a ni presidente, ni
membres honoraires, mais seulement une presidente de seance, une
secretaire et une tresoriere. La cotisation est de 25 Centimes
par mois.
Le but de cette societe est de grouper les femmes dans un
esprit de solidarite, d'union et d'aide mutuelle et de revendiquer
les droits de la femrae. 8on action s'exerce pai* des publications.
— 307 —
des reuQions, des Conferences etc. En 1892 la Solidarite des femmes
a cree la Federation frangaise des societes feministes, laquelle a or-
ganise, cette meme annee, un congres qui a 6t^ brillant. Jugeant
qu'une oeusrre de premiere utilite serait d'unir les femmes en une
pensee de paix universelle, la Solidarite a fondö en 1896, F Union
Internationale des femmes pour la paix, union qui compte maintenant
des comites dans toutes les parties du monde: en Angleterre, en
France, en Allemagne, en Italic, en Belgique, en Suisse, en Rou-
manie, en Portugal etc. Chaque comite public alternativement un
^rticle de propagande, reproduit dans chaque pays, par un grand
nombre de journaux.
L'union a dejä fait oeuvre collective en un appel ä TAngle-
terre et aux Etats-Unis pour l'etablissement d'une cour permanente
d'arbitrage.
Je rappelle a cette occasion Pappel que les femmes de France
ont adresse aux femmes d' Allemagne, en Avril 1896; appel qui a
■ete chaleureusement accaeilli ä Berlin et qui a eu pour consequence,
la formation d'un groupe feminin, se rattachant ä Tune des societes
4e la paix de cette ville.
On a souvent demande ce que les femmes peuvent faire pour la
paix. iSi les femmes ne peuvent pas, (pas encore), elever leur voix
•dans les parlements et les negociations diplomatiques, elles ont pour
elles la propagande des pensees, la refutation des faux prejnges. Ces
idees nouvelles rechauflferont les coeurs et formeront la voix publique,
qui montrera sa force au moment propice.
Pais elles ont encore un moteur puissant: Feducation de la
jeunesse. En inculquant aux enfants des idees de paix et d'amour
de rhumanite, elles prepareront le terrain futur, ou les fruits de la
paix et de la concorde müriront en abondance.
Je m'arrete ä ces details, les questions speciales du sujet ap-
partenant a Tordre du jour de demain, oü Mme. Morgenstern traitera
le sujet de la paix.
La Solidarite est le seul groupe feministe en France, qui entre-
prenne une campagne contre Talcoolisme. 11 a encore vote Tabolition
<lu duel et de lapeine de mort.
Dans la seance du 29 Juillet 1896, il a ete decide de reclamer,
par rintermediaire de la Societe protectrice des animaux, la suppres-
sion des courses aux canards, jeu barbare, tres usite dans les pro-
vinces. Le groupe a fait aussi beaucoup pour Textension de la fe-
in inisation despostes et telegraphes et a tente dans Tordre economique,
toutes sortes de demarches pour ameliorer le sort des ouvrieres de
toutes categories. II s'est declare contre le travail salarie pour les
enfants, lesquels doivent avoir pour leur seul labeur, leur developpe-
ment physique et intellectuel ; mais il a demande qu'il n'y ait pas
Ale loi speciale de reglementation de trayail pour les femmes (la loi
de 1892 en a mis des milliers sur le pave); il reclame pour tous la
journee de 8 heures et pour tous egalement, hommes et femmes, ä
travail egal, salaire egal. II reclame encore que Thygiene des ateliers
.soit surveille, qu'une etude soit falte des profesions insalubres, afins
de les rendre moins malsaines, etc.
En resume: la Solidarite des femmes s'occupe de toutes les
20*
- 308 —
questions en economie sociale, en droit civil et politique. La societe
a form6 un groupe parlementaire qui est generalement ecoute da
parlement. Par des petitions et des demarches'incessantes, il reclaire
Teligibilite de la femme chez les prudhomraes, pour les conseils
municipaux et les chambres legislatives.
Political Rights of Women in the United States.
By Mrs. Belva A. Lockwood, Barrister, A.M. and BL. Washington^
Delegate of the "Womans National Press- Association" and "Womaa
Suffrage Association" of the District of Columbia.
It is only within the last twenty-five years that any politicaii
rights, such as the right to vote or hold office, have been accorded
to. the women of the United States. Within that time however^
women have gradually acquired rights not formerly possessed by
them. The first change came, when in New England, New York and
Nebraska, women were allowed to vote for school trustees. This
privilege soon extended to all of the Middle and Western States,
and was enlarged so as to include county superintendants of publie
schools; to which office many women were elected, and later, in
the Western states to State superintendants of schools. In several
States, as in Massachusetts, New York and Kansas, women have
been appointed by the governor as State superintendants of charities,.
and in some instances they have been appointed as police matrons^
and wardens of prisons by the municipal officers.
Pennsylvania allows women to become school trustees and school
superintendants, but does not allow them to vote for these Offices^
In uearly all of the states where school suffrage prevails, women
may beadmitted to the bar, practice law or medicine, become justices^
of the peace, examiners in Chancery or Notaries Public.
The Constitution of the State of Wyoming allows women to-
vote upon all political questions, including that of presidential elec-
tors, and they may be elected to any office within the gift of the
State, and may represent the State in the House of Representatives^
of the United States, or the Senate. Women voted in Wyoming
while it was only a Territory and have so continued since her ad-
niission as a state, about six years ago.
Colorado admitted women to füll suflfrage in 1893, by a change
to that effect in her state Constitution, after submitting the question
to a vote of her male population, and has now three women sitting
in her state legislature.
The women of Utah, by the Constitution of the state, were
given the ballot in November 1895 when that territory was admitted
as a State, and now enjoy all of the electoral Privileges granted to
the men of the state, and go with them into the primaries and as-
sist in the nominations for state Offices, can vote for presidental
electors, and are themselves elected and sent as delegates to the
presidential nominating Conventions. The women of Utah however voted
for 14 years while that country was a territory.
The women of Kansas have a municipal ballot, and vote on all
- 309 —
matters pertaining to the State, bat cannot vote- for presidential
^lectors. Nevertheless, they make themselves very largely feit at
every state election, and in fact all of the time. They sit on juries,
act as notaries public and as examiners in Chancery; act as justices
of the peace, school superintendants, com missioners of public charities,
mayors of towns and eitles, may act as attorneys for the Common-
wealth, and if elected, fill a judgeship. It not unfrequently happens
in that state, that an entire city or town is officered by women,
with a woman mayor, and common Council.
All four of the states named, have sent women to the presi-
dential nominating Conventions during the present year.
The attempt in 1894-95 to change the Constitution of the State
of New York so as to give a füll, instead of only a school ballot
to women, was lost in the legislature. A similar eflfort is now
pending in Idaho and in California with some prospect of success
The question of a füll ballot for women in all of the forty-five
States of the Union is now only a matter of time, as women are
being educated in nearly all of the Colleges and universlties in the
^ame studles and to the same professions as men, and most of the
higher institutions of learniag are willing to confer the same degrees
upon their women graduates. Nearly all of these schools contain
also a Corps of women professors. Gradually the rights of women
have been enlarged until now, every considerable city and town in
the Northern, Middle and Western states, have their women lawers,
doctors, ministers and journalists. There are still some restrictions
in the older Colleges about admitting women to their classes, and
Conferring upon them degrees.
The National Women Suffrage Association, an Organization of
women who believe in the ballot for women, are now canvassing
the State of California in the interest of Woman SuflPrage, hoping
to secure an amendöment to the state Constitution allowing women
to vote on the same terms as men.
In the District of Columbia, with a population of 275,000 per-
sons, neither men nor women vote, but the people are governed by
three Commissioners (District Commissioners) appointed by the Pre-
sident and confirmed by the Senate. But in the District, women
are admitted to the bar, can practice law or medicine, act as police
matrons, or school trustees, as notaries public, or examiners in
Chancery; may act as matrons at the jail, or become heads ot De-
partments under the Government, or even act as delegates for the
Government, as in the case of Mrs. Belva A. Lockwood and Miss
French. One woman conducts a re^l estate office.
I have practiced law in the District of Columbia since May
1873, when I took the degree of Bachelor of Laws from the Na-
tional University law school, and have been admitted, not only to
all of the Courts of the District of Columbia, but to the Court of
Claims, and the United States Supreme Court, and in the latter in-
stance, drafted the bill that admitted me to the court in February
1889. Since that time twelve other women have heen admitted to
the Bai- of the United States Supreme Court. I also appear, as
any other woman may, to make arguments in important cases be-
— 310 —
fore the Departments of the Government, and the various commit-
tees of the United States Congress.
Döring the fifty-fourth Congress in the present year, a conait-
tee of women, of whom I was a memher, drafted a bill and secured
its passage, giving to women in the District of Columbia, equal
property rights with men. It revolutionizes all the tenets of the-
Old English Common Law, under which women have been enslaved
so long.
I attach to this paper a copy of the above mentioned Bill. No-
Nation in its dignity can ever rise above the condition of the Mother^
The mother — the foundation of the home and the home the foun-
dation of the state. It is impossible for a slave mother to give birth
to the highest order of manhood.
In the Congress of the United States.
Memorial in behalf of Senate Bill !No. 1659 to amend the
laws of the District of Columbia as to married women,.
and to make parents the natural guardians of their
children, and for other purposes.
Your Memorialists respectfully represent that they are resident s-
of the District of Columbia, and represent twenty-tive hundred in-
telligent Citizens, many of whom are married women and mothers
with large property and other interests which are injuriously affected
by the laws in force in this District, and which it is sought to
remedy.
1. The conditions complained of are as follows : While the con-
ditions of society and business have forced many women, both mar-
ried and unmarried, to become wage earners, and the partial or
entire support of families, yet the laws of the District do not give
married women the right to their own earnings, bat make such
earnings the property of their husbands, and so liable for the hus-
bands^ debts.
2. A married woman cannot do business in the District of Co-
lumbia or obtain credit, or collect moneys owing her, the present laws^
only giving her the power to seil and convey her separate estate, which
is defined as "any property, personal or real, belonging to her at the
time of marriage, or acquired during marriage in any other way than
by gift or conveyance from her husband.'' And as her earnings are
her husband's he cannot give her the property which comes to him as
the result of her own industry, exempt from his control or from lia-
bilitiesfor his debts.
3. The widow in the District takes one-third of the personalty
absolutely and has a dower right only in unencumbered real estate.
The widow takes all the personalty absolutely, and if there be children
of tlie marriage, has a curtesy in all the real estate of the wife.
4. The husband is now liable for the ante-nuptial debts of his wife.
5. We further represent that under the present laws the father
alone it recognized as the natural guardian of the children, and he
has the power by will to give even anunborn child to an entire strangei-.
in utter disregard of the Divine right of Motherhood, and of the right
— 311 —
that every child has to enjoy the love and devotion of the one being
in the world who lays down her life for it, who nourishes it with
her own life, and whose love for her ofifspring constitutes the highest
type of affection and devotion of which the human heart is capable.
We unite in respectfully asking the early and favorable consi-
deration of the accompanying bill, which will, we believe, give a.
married woman the right to do business without legal restrictions
and make her a responsible factor in business : to w^idow and widow^er
the equal rights in each other's property; relieve husbands of liability
for the wife's ante-nuptial debts, and give either the father or mother
surviving the same rights in their children.
Respectfully submitted.
Ellen Spencer Mussey, Chairman, Emma M. Gillett, Lucia E. Blount,
Belva A. Lockwood, Mary Emily Coues, Comraittee on Legislation
from District Federation Women's Clubs, Ella M. S. Marble, Pres.
District Federation Women's Clubs, Edwin Willitts, Chairman Com-
mittee on Municipal Legislation of "The Civic Center", Hannah B.
Sperry, Pres. Woman's National Press Association, Mary Emily
Coues, Pres. Pro Re-Nata, Ellen Powell Thompson, Pres. D. of C.
Woman's Sufifrage Society, Fanny Pomeroy, Pres. Legion of Loyal
Women, Anna M. Hamilton, Pres. Woman 's Relief Corps, Margaret
B. Platt, Pres. Woman's Christian Temp. Union, Jennette
M. Bradley, Pres. Wimodaughsis.
(Public No. 168.)
An Act To amend the laws of the District of Columbia as to married
women, to make parents the natural guardians of their minor children,
and for other purposes.
Be it enacted by the Senate and House of Representatives of
the United States of America in Congress assembled, That the
property, real and personal, which any woman in the District of
Columbia may own at the time of her marriage, and the rents^
issues, Profits, or proceeds thereof, and real, personal, or mixed
property which shall come to her by descent, devise, purchase, or
bequest, or the gift of any person, shall be and remain her sole
and separate property, notwithstanding her marriage, and shall not
be subject to the disposal of her husband or liable for his debts,
except that such property as shall come to her by gift of her hus-
band shall be subject to, and be liable for, the debts of the husband
existing at the time of the gift.
See. 2. That a married woman, while the marriage relation
subsists, may bargain, seil, and convey her real and personal prop-
erty, and enter into any contract in reference to the same in the
same manner, to the same extent, and with like eflfect as a married
man may in relation to his real and personal property, and she may,
by a promise in writing, expressly make her separate estate liable
for necessaries purchased by her or fumished at her request for
the family.
See. 3. That any married woman may carry on any trade or
business, occupation or profession by herseif, or jointly with others,
— 312 ~
and perform any labor or Services on her sole and separate acconnt,
and the earnings of any married woman froin her trade, busioess,
profession, occnpation, labor, or Services shall be her sole and sep-
arate property, and may be used and invested by her in her o\^ti name.
See. 4, A married woman may contract, and sue and be sued
in her own name in all matters having relation to her sole and
separate property, in the same manner as if she were unraarried; and
her husband shall be joined with hör, when the cause of acti^n is
in favor of or against both her and her husband.
See. 5. Neither the husband nor his property shall be bound
by any such contract, made by a married woman, nor liable for
any recovery against her in any such suit, but judgment may bc
enforced by execution against her sole and separate estate in the
same manner as if she were unmarried, but she shall be entitled to
all the benefits of all exemptions to the heads of families or householders.
See. 6. That nothing in this Act contained shall invalidate anv
marriage settlement or contract.
See. 7. That the husband shall not be liable for the payment
of the wife's antinuptial debts, but she shall be liable to all remedies
for the recovery of such debts, to be enforced against her and her
separate property as if she were unmarried.
See. 8. That the father and mother shall be the natural guar-
dians of the person of th^ir minor children. If either dies or is in-
capable of acting, the natural guardianship of the person shall de-
volve upon theother: Provided, however, That in caseof the death
of either parent from whom the said children may inherit, or take
by devise or bequest, the said parent may, by deed or last will and
testament, appoint a guardian of the property of the children, sub-
ject to the approval of the proper court of the District of Columbia,
See. 9. That the survivor may by last will appoint a guardian
of the person and property of any of the children, whether born at
the time of making the will or afterwards, to continue during the
rainority of the child, or for a less time, subject at all times to
removal for cause and appointment of another by the proper court.
See. 10. That dower shall hereafter be assigned to a widow
«ntitled to the same in the equitable as well as the legal estate of
her deceased husband.
See. 11. That sections seven hundred and twenty-seven, sevea
hundred and twenty-nine, and seven hundred and thirty of the
Revised Statutes of the United States for the District of Columbia,
be and the same are hereby repealed.
Approved, June 1, 1896.
Frauenrecht In Oesterreich. *)
Von Fpeü Fanny Meissner-Diemer, Wien.
An der Hand der in Oesterreich dermalen geltenden Gesetze
will ich nur in dürftigen Umrissen zeigen, wie die Frau noch heute
*) Unter Hinweglassung der Einleitung und des Schi uss wertes.
(D. Rdk.)
— 313 —
in mancher Beziehung unfrei und wie ihre Rechtsstellung mit ihrer
geistigen Entwicklung nicht mehr vereinbar ist.
Beginnen wir dort, wo im römischen Rechte die Gleichstellung
heider Geschlechter aufhört und das Alleinrecht des Mannes seinen
Anfang liimmt: hei den politischen Angelegenheiten des Volkes!
Viele sind bis heute noch das „noli me tangere** der Herren der
Welt. Ich will auch nicht daran rühren, sondern nur berichten,
in wie weit den Frauen Oesterreichs die Teilnahme am öfifentlichen
Leben gestattet ist. Leider genügen hierzu wenige, aber desto mehr
sagende Worte: Nach dem Vereinsgesetze vom 15. November 1867
v^ 30 dürfen „Ausländer, Frauenspersonen und Minderjährige als
Mitglieder politischer Vereine nicht aufgenommen werden.
Die Frau wird als „Frauensperson" und ob zwar schon majorenn,
doch noch mit Minderjährigen in eine Reihe gestellt. Auf Grund
dieser Bestimmung wurde es dem allgemeinen Frauenverein in
Wien im Jahre 1893 nicht gestattet, die Wahrung der staats-
bürgerlichen Rechte der Frauen als anzustrebenden Zweck in seine
Statuten aufzunehmen.
Zum Wahlrecht übergehend bleibt mir nur die Bemerkung, dass
das derzeit bestehende Wahlrecht für das weibliche Geschlecht ein
einziges grosses Wahlunrecht ist. Denn die steuerzahlenden Frauen
haben nach § 9 der Reichsrats wähl Ordnung vom 2. April 1873
weder das aktive, noch das passive Wahlrecht für den Reichsrat.
Eine Ausnahme hiervon bildet die Wählerklasse des Gross-
grundbesitzes. Hier scheint die Frau den zur Ausübung des Wahl-
rechtes nötigen Verstand zugleich mit dem Gutsbesitze von einem
freundlichen Geschicke erhalten zu haben. Dagegen ist die steuer-
'/ahlende Lehrerin und die Handelsfrau, oder die Gewerbetreibende
von jeder Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen.
Aber auch die Grossgrundbesitzerin kann dieses Recht nur
durch einen Bevollmächtigten, ist sie verehelicht, durch ihren Gatten
ausüben. Für die Vertretungskörper der einzelnen Kronländer der
Landtage gilt dasselbe, auch hier gibt der Grossgrundbesitz der
Frau das aktive Wahlrecht für den Landtag, welches sie im Be-
vollmächtigungswege, in manchen Provinzen, wie z. B. in Schlesien,
persönlich ausüben kann.
Die anderen Kategorien steuerzahlender Frauen besitzen das
Wahlrecht für den Landtag dann, wenn sie dasselbe nach der Ge-
meindewahlordnung, oder nach dem Statut des Ortes, oder der
Stadt, in welcher sie ihren Wohnsitz haben, auszuüben berechtigt
sind. Die meisten dieser Wahlordnungen gewähren der steuer-
zahlenden Frau das aktive Wahlrecht für die Gemeindevertretung
und somit auch für den Landtag.
Eine Ausnahme bilden nur wenige dergleichen Statute. Aber
unter diesen Wenigen befinden sich die zweier Kultur-Mittelpunkte,
das sind die Wahlordnungen der Städte Wien und Triest. In Wien
können nach § 8 der Gemeindeordnung Frauen nicht das Bürger-
recht erwerben, ja das aktive Wahlrecht, welches ihnen im Ge-
meindegesetze vom Jahre 1849 und in der Gemeindewahlordnung
vom Jahre 1864 zuerkannt wurde, ist ihnen durch einen Beschluss
des Landtage« vom 2. Oktober 1888 wieder entzogen worden. Da
— 314 —
es denn doch kaum anzunehmen ist, dass die 19 000 steuerzahlenden
Frauen Wiens seit den Jahren 1849 und 1864 geistig so zurück-
gegangen sind, dass man ihnen die Wahlberechtigung absprechen
musste, und da es ferner schwer glaublich ist, dass die Damen aus
der Wählerklasse des Grossgrundbesitzes von diesem Verstandes-
■ . niedergange der weiblichen Welt Wiens verschont blieben, so muss
! man zur Folgerung gelangen, dass diese ungleiche und ungerechte
j Verteilung des Wahlrechtes nur im kapitalistischen und hoch-
j torystischen Interesse ihren Ursprung hat, wenn sie auch die Ge-
setzgeber durch die ideale Stellung des Weibes, welches nicht den
mancherlei Unzukömmlichkeiten bei einer Wahl ausgesetzt werden
soll, zu erklären suchen.
So ist es nun wahrlich kein erfreuliches Bild, das ich Ihnen
I von den Rechten der Frauen in Oesterreich zu bieten hatte, so
weit sie die Teilnahme am öffentlichen Leben deß Volkes betreffen.
Anders ist es beim Handelsrechte. Dieses ist aus den Be-
dürfnissen der Kaufmannschaft hervorgewachsen, ihnen angepasst
und da es den modernen Zuständen Rechnung trägt, so ist es auch
im günstigen Sinne für die Frauen abgefasst. Artikel 6 sagt kurz
und bündig: „Eine Frau, welche gewerbemässig Handelsgeschäfte
betreibt, hat in dem Handelsbetriebe alle Rechte und Pflichten eines
Kaufmannes."
Nach Artikel 7 kann wohl eine Ehefrau ohne Einwilligung
ihres Ehegatten nicht Handelsfrau sein, ebenso sind nach der Börse-
ordnung vom Jahre 1875 weibliche Personen vom Besuche der
Börse ausgeschlossen. Die erstere Bestimmung erklärt sich durch
das Abhängigkeits-Verhältnis, in welchem die Frau durch das
bürgerliche Gesetz zu dem Manne gebracht worden ist.
Ein Wunsch nach der Aenderung der zweiten ist bis jetzt auch
nicht von Frauen ausgesprochen worden.
Auch die Gewerbeordnung vom Jahre 1859, welche 1883 und
1885 geändert und ergänzt wurde, ist im modernen Geiste inso-
fern gedacht, als die Frau den gleichen Anspruch wie der Mann,
aut «Zulassung zur Ausübung von geeigneten Gewerben hat. Es
würde zu weit führen, alle jene ziemlich einschneidenden Schut^-
massregeln, welche sowohl die Gewerbeordnung, als auch das
Kranken- und Unfallversicherungsgesetz für die weibliche Arbeiter-
schaft in sanitärer und sittlicher Hinsicht vorschreiben, einzeln zu
^_ , besprechen. Sie sind im wohlwollendsten Sinne gedacht, um jenen
Fraut'U Hilfe zu bringen, die ihrer am meisten bedürfen, den Fabrik-
arbeiterinnen.
( Leider lässt die Durchführung jener Bestimmungen viel zu
wünschen übrig, wie dies nur zu deutlich gelegentlich der im März
-und April dieses Jahres in Wien stattgehabten Enquete für Frauen-
arbeit an den Tag getreten ist. Die Anstellung von weiblichen
Fabriksinspektoren für die mit weiblichen Arbeitskräften betriebenen
Industrien wäre gewiss von grösstem Vorteile, um Uebelstände zu
beseitigen, die vom männlichen Aufsichtsorgane der Natur der Dinge
nach nicht so leicht bemerkt werden können. Doch der Angel-
punkt, von welchem aus eine gründliche Verbesserung der Stellung
und der Lage der Frauen möglich ist, liegt in einer systematischen
'^
— 315 —
•
Aenderung jener Bestimmaugen des bürgerlichen Gesetzbuches,
welche das Weib zum minderwertigen Geschöpfe stempeln und in
manchen Punkten dem Manne gegenüber in offenkundigen Nachteil
bringen und seiner Entwicklung zur Selbständigkeit hemmende
Schranken ziehen.
Das bürgerliche Gesetzbuch, welches die Rechtsverhältnisse
der österreichischen Staatsangehörigen regelt, ist im Jahre 1812
eingeführt worden und daher in mancher Richtung veraltet.
Beginnen wir mit dem Eherechte, so sind nach § 90 die Ver-
bindlichkeiten beider Gatten gleiche. Dagegen ist nach § 91 der
Mann das Haupt der Familie, ihm steht das Recht zu, das Haus-
wesen zu leiten, es liegt ihm auch die Verbindlichkeit ob, der Ehe-
gattin nach seinem Vermögen den anständigen Unterhalt zu ver-
schaffen und sie in allen Fällen zu vertreten. Die Gattin (§ 92)
erhält dagegen den Namen des Mannes, geniesst die Rechte seines
Standes.
Sie ist verbunden, dem Manne in seinen Wohnsitz zu folgen,
in der Haushaltung und Erwerbung nach Kräften beizustehen und
soweit es die häusliche Ordnung erfordert, die von ihm getroffenen
Maassregeln selbst zu befolgen, als befolgen zu machen.
Diese Bestimmungen sind ans dem alttestamentarischen An-
schauungskreise, welche in dem Satze: „Er soll Dein Herr sein**
gipfelt, in das kanonische Recht übergegangen, und von diesem in
unser bürgerliches Gesetzbuch aufgenommen worden.
Nicht, dass eine vernünftige, gute Frau dem vernünftigen und
guten Manne sich nicht gerne unterordnen würde, da er sie ja er-
hält und für sie zu sorgen verpflichtet i&t. Ein Wille soll und
muss in einer Häuslichkeit herrschen. Wo das Verhältnis zwischen
Ehegatten untereinander und zwischen Kindern und Eltern die Form
einer Familienrepublik angenommen, da geht in den meisten. Fällen
Liebe und Friede verloren, ja sogar das wirtschaftliche Gedeihen
eines Hauses kommt in Frage. Leider sind aber nicht alle Männer
so gut und vernünftig, wie es das Gesetz bedingt, nicht alle er-
halten ihre Frauen und sorgen für dieselben, nicht alle sind gute
Hausväter und doch ist die verheiratete Frau dem Eheherrn grund-
sätzlich untergeordnet.
Uebt ein eigenwilliger bornierter Mann die Obliegenheiten des
Familienoberhauptes im Sinne des Gesetzes aus, so kann dies viel
Schaden bringen. Ist der Hausvater schlecht, etwa arbeitsscheu,
verschwenderisch oder gar ein Säufer, so gereicht diese im Gesetze
begründete Oberherrschaft der Frau und den Kindern zum Ver-
derben.
Auch der notorische Lump ist gesetzlich der Herr im Hause,
er ist sich dessen wohl bewusst und zeigts dem Weibe durch ge-
legentliche Misshandlungen. Er lässt die Frau für sich und die
Kinder arbeiten, trägt ihr auch wohl ein Stück schwer erworbenen
Hausrates um das andere ins Leihhaus oder zum Trödler, utii ein
paar Kreuzer für Branntwein zu ergattern. Die Frau ist machtlos
und muss schweigen; sie ist ja verheiratet und er Herr in seinem
Hause. Ein weiterer Nachteil, den die Frau oft bei Eingehung der
Ehe erleidet, ist der Verlust ihrer Staatsbürgerschaft, ihrer
— 316 —
ständigkeit, des bisherigen Gerichtsstandes und der Freizügigkeit,
indem der Gatte erzwingen kann, dass sie ihm in seinem jeweiligen
Aufenthalte folge, wenn es ihr auch zum Schaden gereicht. Ins-
besondere der Verlust der Zuständigkeit ist für die Frauen aus den
besitzlosen Klassen Wiens oft verhängnisvoll, weil das Heimats-
reqht vom Jahre 1863 sie im Verheiratung« falle mit einem Fremden
vom Rechte auf Versorgung durch ihre Heimatsgemeinde ausschliesst.
Ich will nur ein oft vorkommendes Beispiel geben. Ein in Wien
geborenes dort zuständiges Mädchen verheiratet sich mit einem in
einem böhmischen Dorfe heimatberechtigten Mann. Er stirbt, ohne
Vermögen zu hinterlas'^en. — Die Witwe arbeitet, so lange sie es
vermag. Endlich erlahmen die fleissigen Hände, sie wird erwerblos,
vom Hausbesitzer delogiert, meldet sie sich unterstandslos. In Wien
ist sie nicht heimatberechtigt, sondern in jenem böhmischen Dorfe,
wo ihr Mann es war. Statt der ruhigen, wenn auch dürftigen
Verpflegung im Armenhause der Grossstadt wird sie mittels Schub
nach jenem fernen Dorfe gebracht, in welchem ihr Gatte zuständig
gewesen, wo sich niemand mehr seiner erinnert, niemand ihre Sprache
versteht und sie als lästiger Aufdringling von Haus zu Haus ge-
stossen wird, und wo der Einlegerin die kargen Bissen nur mit
Widerwillen gereicht werden.
Ein noch grösseres Unrecht wird aber der Frau des 19. Jahr-
hunderts in Oesterreich durch die gänzliche Ausschliessung der-
selben von den eigentlichen elterlichen Rechten angethan.
Weder bei der Berufswahl, noch bei der Verwaltung des Ver-
mögens ihrer Kinder, noch bei der Einwilligung zur Eheschliessung,
auch nicht bei der Adoption steht der Mutter ein bestimmtes Wort
zu. Immer ist es der Vater, welcher über Wohl und Wehe des
Kindes entscheidet, wenn die Meinungen über dasselbe zwischen den
Ehegatten verschieden sind.
Aus der besonderen, von Dichtern ideal genannten Stellnug
des Weibes in der Gesellschaft erwächst ihm ebenfalls ein empfind-
licher Nachteil . durch den Mangel einer Bestimmung über eine
Schadlosbaltung von selten des Bräutigams bei unverschuldetem Auf-
heben eines Eheversprechens. Nach § 46 bleibt dem Teile, welcher
keine gegründete Ursache zur Auflösung gegeben hat, nur der An-
spruch auf den wirklichen Schaden, den er beweisen kann, wenn
z. B. Anschaö^ungen für den künftigen Hausstand gemacht worden
sind. Wenn die Braut zurücktritt, verliert der Mann weder an
Achtung, noch an Wertschätzung der weiblichen Welt etwas.
Die entlobte Braut dagegen erleidet einen Schaden, der nur
durch den idealen Wert des Weibes erklärt werden kann, sich aber
nicht rechnungsmässig nachweisen lässt. Sie steht nicht mehr so
hoch, wie vor der Verlobung, sie ist oftmals das Objekt von Ver-
leumdungen männlicher oder weiblicher Klatschbasen — manchmal
ist auch das ganze Leben eines anständigen, braven Mädchens damit
zerstört. . AU' das ist kein Schaden im Sinne des Gesetzes, aber eine
bittere Kränkung, die Genugthuung fordert.
Ihre Einbusse an sozialem Wert ist nach der Ansicht der Ge-
setzgeber nicht ein wirklicher berechenbarer Schade, daher entfällt jede
Vergütung. Das österreichische Gesetz stellt sich in dieser Be-
^. _ . ..
— 317 —
Stimmung ganz auf den Standpunkt des verknöcherten römischen
Rechtes, dessen Grundlage und einzig maassgebender Gesichtspunkt
stets nur der Geldsack ist, und welcher ausser dem finanziellen
Interesse keinem anderen Ansprüche Berechtigung zugesteht.
Auf das eheliche Güterrecht übergehend, ist bei diesem die
Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau durchgeführt. Doch
auch liier finden wir einige „rechtliche Vermutungen", die der Frau
empfindlichen Schaden bringen können. So wird nach § 1237 in
zweifelhaften Fällen bei Trennung der Ehe, Feststellung des Eigen-
tumsrechtes zwischen den Ehegatten oder auch nach Ableben des
Gatten vermutet, dass der Erwerb vom Manne herrühre.
Ferner wird nach § 1238, so lange die Gattin nicht wider-
sprochen hat, vermutet, dass sie dem Manne die Verwaltung ihres
freien Vermögens anvertraut hat. Wenn also im ersten Falle bei
Trennung der Ehe oder bei der Verlassabhandlung nach dem Tode
des Gatten die Frau oder Witwe ihr Eigentumsrecht an einer Sache
behauptet aber nicht beweisen kann, so tritt die gesetzliche Ver-
mutung ein, dass der Gatte sie erworben habe, weil er die wirt-
schaftlichen Lasten der Familie zu tragen habe. Oder es tritt der
Fall ein, dass der Mann gepfändet wird, die Frau kann die Auf-
hebung der Exekution als Eigentümerin unter Nachweis ihres Eigen-
tumsrechtes verlangen. Die Vermuthung des § 1237 bringt aber
für sie die unangenehme Konsequenz den strikten Beweis ihres
Eigentumsrechtes durchführen zu müssen, somit auch derjenigen
Pfandobjekte, welche sie selbst erworben hat.
Wie schwer kann nun eine Frau beweisen, dass sie ein be-
stimmtes Stück Hausrat vom selbsterworbenen Gelde gekauft hatl
Ist sie nun nicht imstande den Beweis zu führen, so tritt die recht-
liche Vermutung ein, dass das Pfandobjekt Eigentum des Mannes
sei. Auch die zweite gesetzliche Vermutung ist der Ehegattin von
Nachteil. Wie oft und nicht allein in den unteren Ständen kommt
es vor, dass der Ehemann, ohne viel zu fragen — der gesetzliche
Ausdruck hierfür ist: „Im gegenseitigen Einverständnisse" — das
Vermögen seiner Frau an sich nimmt und damit nach seinem Be-
lieben schaltet und waltet. Will nun die Gattin einen Teil ihres
Einkommens zu einem bestimmten Zwecke in Anspruch nehmen,
vielleicht nur um dem Gemahl ein Geburtstagsgeschenk zu machen,
so ist sie gezwungen, den Ersteren um Geld zu ersuchen und ihm
Rechenschaft über die zu machenden Auslagen zu geben. Ist der
Mann unbillig, so kommt es vor, dass er der Frau aus ihrem
eigenen Einkommen nicht genug Mittel zur Führung des Hauswesens
giebt; sie schweigt des lieben Friedens willen, so lange als es
möglich ist. G^ht einmal eine Ehefrau zum oifenen Widerspruche
vor dem zuständigen Richter über, dann ist das eheliche Leben schon
ein zerstörtes.
§ 1239 bestimmt, dass der Ehegatte, im Falle er das Vermögen
seiner Frau verwaltet, nur für das Stammgut oder Kapital haftet;
über die Nutzungen, die er während der Verwaltung bezogen, hat
er keine Rechnung zu legen.
Wie aber erhält die Frau ihr Vermögen zurück, wenn der
Mann mit dem Kapital unglücklich arbeitet, Börsenspekulationen
}
1
i — 318 —
I
;j
j oder Handelsgeschäfte treibt, Häuser baut oder verkauft und aut
! diese Weise es verliert? Freilich kann in dringenden Fällen nach
j § 1241 dem Ehemanne die Verwaltung des Vermögens abgenommen
werden, wenn die G-efahr eines Nachteiles eintritt.
Aber wer nimmt diese Gefahr wahr, wenn der Mann allein
mit dem G-elde manipuliert und der Frau jede Einsicht in die Ver-
j waltung verwehrt? Das sind Fälle, wie sie alltäglich vorkommen
und nur darin ihren Ursprung haben, dass das Gesetz nicht klar
1 und bündig sagt: „Der Ehegatte kann nur in stetem Einvernehmen
mit seiner Gattin deren freies Vermögen verwalten, er darf nicht
ein Geldgeschäft damit machen, ohne dass nicht die Frau ihre
,1 schriftliche Einwilligang dazu gegeben hat'*.
ii Diese selbständige Vermögensverwaltung des Mannes hört auf^
i wenn derselbe Konkurs eröffnet oder stirbt. Dann muss nach
j § 1260 die Frau plötzlich ein Verständnis für die Geschäfte be-
sitzen. Im ersteren Falle hat sie um ihr Heiratsgut zu reklamieren,
ihr anderweitiges Vermögen zu exzindieren, d. h. aus der Masse
^auszuscheiden; ist kein Heirat'^gut mehr vorhanden, so muss sie
I eine Sicherstellung verlangen und bei all' dem noch beweisen, dass
I nicht ihre Verschwendungssucht, ihr Putz an dem Verfalle der
il Vermögensumstände ihres Mannes Schuld trägt. Viel verlangt von
* «iner Frau, die in allem und jedem bis zu dieser Zeit auf die
!; höhere Einsicht des pater familias, ihres Gatten, angewiesen war
1 und im Glauben an dieselbe, im Befolgen des Grundsatzes: „Er soll
!■ dein Herr sein" bitter getäuscht und arg geschädigt worden ist.
:i Eine der unvernünftigsten und für die Frauen härtesten Be-
■ Stimmungen im derzeitig bestehenden Eherechte betrifft die Auf-
I lösung oder Trennung der Ehe. § 142 lautet: „Wenn die Ehe-
!; gatten geschieden oder gänzlich getrennt werden und nicht einig-
!' sind, von welchem Teile die Erziehung besorgt werden soll, hat das
i Gericht ohne Gestattung eines Rechtsstreites dafür zu sorgen, dass
die Kinder des männlichen Geschlechtes bis zum zurückgelegten
vierten, die des weiblichen bis zum zurückgelegten siebenten Jahre
von der Mutter gepflegt und erzogen werden, wenn nicht erhebliche,
vorzüglich aus der Ursache der Scheidung oder Trennung her-
vorleuchtende Gründe eine andere Anordnung fordern. Die Kosten
der Erziehung müssen von dem Vater getragen werden." Das
leitende Prinzip, bei Aufstellung dieser Bestimmung ist, dass die
Kinder dem Vater gehören, nicht der Mutter, welch' letzterer sie
nur bis zu den genannten Altersgrenzen zum Aufziehen belassen
werden.
Wenn wir in Erwägung ziehen, welch' schweres Loos eine
Frau zu tragen hat, welche katholisch verheiratet und von ihrem
Manne geschieden worden ist, deren ganzes Lebensglück damit ver-
nichtet ist, da sie keine gültige Ehe mehr eingehen kann und
welcher endlich ihr Kind nach Jahren liebevollster Pflege vom
Herzen gerissen wird, so müssen wir gestehen, dass diese Gesetzes-
bestimmung ein grosses Unrecht gegen die Frau bildet, welches
oft unheilvolle Konsequenzen mit sich bringt.
Ich kenne geschiedene Frauen, die mit ihrem Kinde heimatlos
von Ort zu Ort flüchten, weil sie dem Arme des Gesetzes zu ent-
■
r ;
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■
— 319 —
gehen suchen, welcher nach ihrem Liebling langt, um ihn dem
Vater zu übergeben.
Wohl nimmt das Gesetz den Fall aus, dass erhebliche, aus
Grund der Scheidung hervorleuchtende Gründe eine andere An-
ordnung fordern. Doch wie mannigfialtig vielgestaltig sind die
Ehescheidungsgründe und wie schwer ist es, einem Vater nach-
zuweisen, dass er nicht geeignet sei, sein Kind zu erziehen. Welche
Verantwortung bürdet sich der Richter auf, wenn er gegen den
Buchstaben des Gesetzes nach einfachem Gebote der Menschlichkeit
der Mutter das Kind zuspricht und auf den Vater dadurch einen
Makel wirft.
So wird in zweifelhaften Fällen nach § 142 entschieden, der
Mutter da^ Kind abgenommen, dem Vater zugeführt und der ge-
schiedenen Gattin bleibt keine Lebensfreude, kein Lebensziel, ihre
Thränen gelten nichts gegenüber dem einseitigen unbegründeten Vor-
rechte des Mannes, welcher, nachdem sein Wille erfüllt ist, sich oft
wenig mehr um das arme Kind kümmert, seine Einziehung fremden
Leuten überlässt.
Die geschiedene eheliche Frau ist hierdurch in Nachteil gegen
die uneheliche Mutter gebracht, welche ihr Kind immer bei sich
behalten darf.
Vollständig im Geiste des römischen Hechtes, das heisst ohne
Berücksichtigung der Fortschritte, welche die geistige Entwickelung
der Frau seit Beginn unserer Zeitrechnung gemacht hat, sind die
Bestimmungen über die Führung von Vormundschaften. Die ünter-
schätzung der Intelligenz der Frau tritt nur zu deutlich hervor,
am deutlichsten dort, wo bestimmt wird, da*<s der väterliche Gross-
vater vor der Mutter auf das Recht der Vormundschaft Anspruch
hat und die Mutter allein eine solche nicht zu führen imstande
sei. Dennoch wird ihr die Person des Kindes zur Erziehung und
(Jbsorge überlassen. Hier zeigt sich aber die Ohnmacht des ge-
schriebenen Rechtes gegenüber dem wirklichen Leben. Denn was
leistet der Mitvormund? Da er mit der verwaisten Familie meist
nicht im gemeinschaftlichen Haushalte lebt, muss er sich in allem
und jedem nach den Auskünften richten, welche ihm die VormUnderin
giebt. Seine Thätigkeit beschränkt sich in den meisten Fällen auf
die Unterzeichnung amtlicher Eingaben. Die Mutter aber leitet die
Erziehung ihrer Kinder.
Wir Frauenspersonen können ruhig behaupten, dass es heute
eine Ausnahme und nicht Regel ist, wenn ein weibliches Geschöpf
nicht die nötigen Kenntnisse zur Führung einer Vormundschaft be-
sitzt, und für solche Ausnahmen allein wäre gesetzliche Vorsorge
zu treffen. Viel vernünftiger und praktischer wäre es, Frauen die
Vormundschaft über Kinder weiblichen Geschlechtes auch dann zu-
gänglich zu machen, wenn sie zu den Kindern nicht im mütterlichen
Verhältnis stehen. Es ist ohnehin sehr oft schwer, Vormünder zu
finden und zur Uebernahme des ihnen lästigen Amtes zu bewegen.
Dem römischen Rechte verdanken die Frauen auch die Aus-
schliessung von der Zeugenschaft bei letztwilligen Erklärungen.
Hören wir § 591. „Die Mitglieder eines geistlichen Ordens, Jüng-
linge unter 18 Jahren, Frauenspersonen, Sinnlose, Blinde, Taube
— 320 —
und Stumme, dann diejenigen, welche die Sprache des Erblassers
nicht verstehen, können hei letzten Anordnungen nicht Zeuge sein".
Hier ist die Keheneinanderstellung von Frauenspersonen mit
Sinnlosen und Jünglingen unter 18 Jahren nahezu entwürdigend.
Doch ich will nicht hierbei verweilen, auch nicht darlegen, wie
schwer es manchmal möglich ist, männliche Testamentszeugen in
den letzten Lebensstunden eines Kranken herbei zu holen.
Das grösste Unrecht im österreichischen Erbrecht, gänzlich
fussend auf dem römischen Recht, ist das sogenannte Erbrecht des
überlebenden Ehegatten.
Nach § 757 gebührt dem überlebenden Ehegatten des Erblassers
ohne Unterschied, ob er ein eigenes Vermögen besitze oder nicht,
wofern drei oder mehrere Kinder vorhanden sind, mit jedem Kinde
ein gleicher Erbteil; wenn aber weniger als drei Kinder vorhanden
sind, der vierte Teil der Verlassenschaft zum lebenslangen Genüsse,
das Eigentum daran bleibt den Kindern.
§ 758 bestimmt: „Ist kein Kind, aber ein anderer gesetzlicher
Erbe vorhanden, so erhält der überlebende Ehegatte das unbe-
schränkte Eigentum auf den vierten Teil der Verlassenschaft, aber
erst, wenn kein berufener Erbe da ist, fällt dem Ehegatten die
ganze Erbschaft zu."
Unter diesem Gesetze haben am meisten die Frauen zu leiden,
denn der Mann, welcher in der Regel wirtschaftlich selbständig ist,
wird von dieser unvernünftigen Bestimmung nicht mit voller Härte
getroffen.
Nachdem das österreichische Erbrecht sechs Erbklassen aufstellt,
somit das gesetzliche Erbrecht sogar auf Verwandte übergeht,
welche ihren Zusammenhang mit dem Erblasser bis auf das vorige
Jahrhundert zurückführen, wird der Fall sehr selten vorkommen,
dass nennenswerte Erbschaften ganz der Witwe zufallen.
Durch dieselbe gestaltet sich das Schicksal mancher Witwe zu
einer wahren Tragödie, wenn der Gatte plötzlich gestorben und
nicht m^hr Gelegenheit gefunden hat, ein Testament zu ihren Gunsten
zu machen.
Sie muss in solchen Fällen in ihren alten Tagen die Stätte
langjährigen Wirkens verlassen oder das Gnadenbrot bei ihren
Kindern essen, denn selten reicht der der Witwe überlassene Ver-
mögensanteil hin, ihr ein sorgenfreies Dasein zu sichern. Nur ein
Gebot der Billigkeit wäre es, der Frau aus dem durch Fleiss mit-
erworbenen, durch Sparsamkeit erhaltenen Erb-Kapitale eine aus-
reichende Rente gesetzlich . zu sichern. Eine Milderung dieser Härte
finden wir im § 796, nach welchem dem Ehegatten der mangelnde
anständige Unterhalt aus der Nachlassenschaft gebührt. Das setzt
aber schon eine wirkliche Notlage voraus.
Gehen wir nun zum Prozessrechte über, so finden wir eine
wohlthuende Gleichstellung der beiden Geschlechter, sobald es sich
um eigene Sachen handelt. Die Frau kann z. B. einen Zivilprozess
führen, doch kann sie Niemanden vertreten mit Ausnahme ihres
Ehegatten, und auch da nur, wenn es sich um eine Bagatellsache
bandelt, einen Streit, dessen Gegenstand den Wert von 50 Gulden
nicht übersteigt. Ausgeschlossen ist sie ferner von der Funktion
— 321 —
als Sachverständige, was manchmal die Amtshandlung für den
Richter sehr schwierig gestaltet. Denn es giebt Brwerbszweige,
welche ausschliesslich von Frauen geführt werden, und die nur
Frauen verstehen. Ich nenne hier nur die Feinputzerei oder das
Modistenge werbe. Kann ein Mann als Sachverständiger den Wunder-
bau eines modernen Damenhutes beurteilen und würdigen? Auch
die Gewerbeordnung setzt sich hier mit dem bürgerlichen Gesetz-
buche in Widerspruch, denn nach ihr können eine grosse Anzahl
von Gewerben von einer Frau selbständig betrieben werden, ohne
vom Gerichte als Sachverständige in ihrem Fache berufen werden
zu dürfen.
Also zur Führung und Leitung eines Gewerbebetriebes ist die
Frau nach dem Gewerbegesetze befähigt, im selben Gewerbe aber
ein Gutachten als Sachverständige abzugeben, ist sie uach dem Ge-
setze nicht befähigt. Dergleichen Widersprüche sind nur dann
möglich, wenn die rechtliche Entwickelung eines Volkes mit der
kulturellen nicht Schritt hält.
Ich habe nun versucht, die Rechtstellung der Frauen in Oester-
reich bei verschiedenen Wechselfällen des Lebens zu schildern und
darzuthun, wie das dermalen geltende Gesetz den offenkundigen
Verhältnissen insbesondere mit Rücksicht auf die Frau minder
entspricht.
Zum Schlüsse müssen wir aber auch unser Augenmerk auf die
judizielle Behandlung derjenigen weiblichen Wesen richten, welche
vom normalen Wege abgewichen, und von Kindersegen begleitete
uneheliche Verbindungen eingegangen sind. Nirgends tritt das
Ungenügende des formellen Rechtes, die wenige Rücksicht auf die
Lebensführung der besitzlosen Klassen und die einseitige Anwendung
des toten Buchstabens in der richterlichen Praxis so schadenbringend
hervor wie hier.
Das bürgerliche Gesetzbuch, welches in so vielen Fällen, dem
Manne schwer wiegende Vorrechte einräumt, stellt eben hier, wo
dies nicht am Platze und für die Frau nicht günstig ist. Mann und
Weib vollständig gleich.
Haben sich der Bub und die Dirn miteinander vergangen, so
tragen beide die gleiche Schuld und das Rechtsverhältnis zwischen
beiden vrird, wenn ein Kind dem Geschehnisse entsprungen ist, im
Sinne dieser Anschauung geregelt.
Wenn aber dem nicht behüteten Mädchen gleiche Schuld und
Verantwortung von Gesetzeswegen wie dem Manne aufgebürdet wird,
dann muss auch dessen Ehre unter ausreichendem strafgesetzlichen
Schutze stehen. Dies ist nun nicht der Fall.
Nach § 128 des Strafgesetzes wird die Entehrung eines jungen
Mädchens unter 14 Jahren mit 5 bis lOjährigem schweren Kerker
bestraft.
Hier ist die Altersgrenze zu niedrig gesteckt, denn ein Mädchen
unserer Volksrasse, das in unserem Klima lebt, ist bei vollendetem
14. Lebensjahre in dei- Regel weder physisch reif, noch ist es im-
stande die Tragweite seines Thuns zu ermessen.
Dennoch wird dem kaum den Kinderschuhen entwachsenen
Mädchen, begeht es einen Fehltritt, die gleiche Verantwo
2;
— 322 —
dem Manne auf<?ebiirdet, und es muss alle Folgen einer Handlnng'
tragen, die es im Unverstände, verlockt durch noch nie g'ehörte
Liebesworte, begangen hat. Diese Konsequenzen sind aber für das-
selbe schwerwiegende. Dennoch werden sie vom Gesetze in keiner
Weise berücksichtigt. Das G-esetz ignorirt, dass die Gefallene während
der Zeit der Kindeserwartung eine bedeutende Herabminderung, oft
sogar eine vollständige Aufhebung ihrer Erwerbsfähigkeit erleidet,
und dass eine Entbindung immer mit der Gefahr des Todes, lang
andauernder oder chronischer Folgekrankheiten verbunden ist.
Während der Zeit vor der Entbindung ist der an dem Ereignisse
ebenso schuldtragende Mann nicht verpflichtet, das wenn auch mit-
schuldige Opfer seiner sträflichen Handlung zu unterstützen,
nicht verpflichtet, seine Ehre durch Heirat wieder herzustellen, oder
ihm eine Entschädigung für dieselbe zu leisten. Das mittellose ge-
fallene Mädchen verbringt die Zeit der Erwartung eines Kindes im
niederdrückenden Gefühle der Scham über ihr Vergehen und ist zu
alledem den bitteren Vorwürfen oder gar dem Spotte ihrer Um-
gebung ausgesetzt. In was besteht nun die Pflicht des Mannes
gegenüber der Schuldgenossin? Was hat er in dieser Angelegenheit
zu füi'chten, was zu ertragen? Thränenreiche Szenen oder heftige
Vorwürfe der Verführten, weiter nichts. Nach dem Strafgesetze ist
seine Handlung nur dann mit 3 Monaten Arrest strafbar, wenn er
das Mädchen unter Zusage der Ehe verführt hat, und nur dann
hat es auf Entschädigung Anspruch bei der Entbindung.
Aufgabe des Gesetzes wäre es, hier ausgleichend zu wirken
und dem Manne die Pflicht aufzuerlegen, die Verführte während
der Zeit der Kindeserwartung zu unterstützen. Vergebens suchen
wir aber nach einer dahinzielenden gesetzlichen Bestimmung. Erst
vom Tage der Geburt eines Kindes an beginnt die Pflicht des un-
ehelichen Vaters, dasselbe zu erhalten. § 167 des bürgerlichen
Gesetzbuches bestimmt: „Zur Verpflegung ist vorzüglich der Vater
verbunden, wenn aber dieser nicht imstande ist, das Kind zu ver-
pflegen, so fällt diese Verbindlichkeit auf die Mutter".
Dem Kinde wird ein Vormund von Gerichtswegen bestellt; die
uneheliche Mutter ist von der Vormundschaft ausgeschlossen. Die
Person des Kindes bleibt aber nach § 168 vorzüglich der Mutter
zur Erziehung überlassen und darf ihr dasselbe vom Vater nur
dann entzogen werden, wenn nach § 169 das Wohl des Kindes
durch die mütterliche Erziehung Gefahr läuft. Diese Bestimmungen
des bürgerlichen Gesetzbuches sind nur auf den Schutz des Kindes
bedacht, nicht auf den der armen Mutter.
In erster Reihe hat der Vater die Verpflegungskosten desselben
zu tragen, dann die Mutter, so bestimmt das geschriebene Recht.
Im wirklichen Leben aber sorgt in erster Linie die Mutter für ihr
Kind, getrieben von dem mächtigen Gefühle der Mutterliebe, mit
dem das Gesetz nicht gerechnet hat. Denn das nur einigermaassen
gut geartete Weib wird den Sprössling des auch nicht mehr ge-
liebten , vielmehr gehassten Verführers doch mit aufopfernder
Zärtlichkeit umfangen, ihn warten, pflegen, nicht von sich lassen
wollen, und alles um seinetwillen dahingehen. Eine Liebe des
Vaters zum Kinde wird überhaupt nur dann vorhanden sein, wenn
— 323 —
die beiden Eltern zusammen leben und eine Zuneigung des Vaters
durch die Wahrnehmung der geistigen und körperlichen Entwickelung
-entsteht.
Ist dies nicht der Fall und soll der Vater fiir ein Kind, dem
'Cr kaum einen Blick gegönnt hat, Verpflegskosten zahlen, so wird
ihm ein solches Geldopfer unbequem, er trachtet, sich seiner Pflicht
zu entziehen. Auf diese Weise fällt nun auch die Last der Ver-
pflegskosten auf das vielgeplagte Weib. Es muss nach den ersten
Erholungstagen seinem Erwerbe nachgehen, sei es als Dienstmädchen
oder Arbeiterin. Im ersten Falle giebt es das Kind in Pflege. Um
die Kosten zu bestreiten, darbt es sich Brod und Nachtmahlgeld vom
Munde ab, im anderen Falle aber wird es keine Mehrarbeit scheuen
und durch Anstrengungen und Entbehrungen aller Art seinen ge-
schwächten Körper noch mehr herabbringen — nur um das Kind
versorgen zu können.
Wie gross steht hier das Mädchen aus dem Volke der Ge-
fallenen aus den sogenannten höheren Ständen gegenüber, welche die
Frucht einer verbotenen Liebe verleugnete, sich nicht mehr um sie
kümmerte, und genug zu thun wähnt, wenn sie die Kosten für den
Lebensunterhalt desselben trägt.
So ist denn in den meist vorkommenden Fällen die uneheliche
Mutter diejenige, welche alle Lasten aus dem durch die Schuld
beider Teile hervorgerufenen Kinde zu tragen hat. Freilich bietet
das Gesetz der Mutter des Kindes durch die Bestimmung, dass der
Vater die Verpflegskosten zu zahlen habe, eine Handhabe ihn zur
Leistung zu zwingen.
Ist der Vater in gesicherter Stellung, ist sein Vermögen offen-
kundig, dann wird allerdings die Situation der unehelichen Mutter
^ine sehr günstige sein. Diese Fälle gehören aber zu den Aus-
nahmen. Bleiben wir beim Normalfall. Betrachten wir, wie sich
das Verhältnis in der breiten Schichte der Bevölkerung gestaltet, so
sehen wir, dass meist die Stellung und das Einkommen des unehe-
lichen Vaters labile sind. Der Geschäftsdiener, der Fabrikarbeiter,
der Bauernknecht, der Handwerker, sie leben in unserer Zeit von
heute auf morgen. Dass es bei unseren prozessualen Einrichtungen
nicht möglich ist, zwischen diesem heut und morgen mit der Zwangs-
vollstreckung einzugreifen, dass heutzutage eine Exekution gegen die
besitzlosen Klassen überhaupt zu jenen Dingen gehört, von welchen
wir nur aus der Theorie wissen, ist eine Thatsache, welche jeder
praktische Jurist ohne Weiteres bestätigen wird.
Bei den labilen wirtschaftlichen Verhältnissen jener Bevölkerungs-
klassen, in welchen der Fall der unehelichen Vaterschaft sich zu-
meist ereignet, wird daher die Zwangsvollstreckung immer nach-
hinken und der uneheliche Vater stets- Zeit genug haben, durch
Veränderung seines Postens, Verlassen seines Wohnortes und der-
gleichen jeden Versuch einer zwangsweisen Abnahme seines Geldes
illusorisch zu machen. Viel trägt dazu auch das Verhalten der
Dienstgeber bei, welche mit dem Gerichte keine Schererei haben
wollen und es vorziehen einen Arbeiter oder Bedienten zu entlassen,
bezüglich dessen ihnen ein gerichtlicher Auftrag wegen Lohnsperre
zukommt.
21*
— 324 —
Da unser gegenwärtiges Gesetz eine Sicherstellung zukünftiger
Alimente nicht gewährt, kann der böswillige oder leichtfertige
Vater, wenn er ein Vermögen besitzt, dasselbe vergeuden und ver-
jubeln, ohne dass es der abgehärmten Mutter seines Kindes möglich
wäre, die ünterhaltskosten auch nur für den nächsten Monat sicher
zu stellen.
In dieseiA Gefühle der Unangreifbarkeit kommt nun der un-
eheliche Vater zu Gericht. Mit frechem Cynismus und hohnvoller
Ruhe erklärt er dem ihn zur Erfüllung seiner menschlichen
Pflichten mahnenden Richter, dass er nicht geneigt sei, auch den
unbedeutendsten Betrag herzugeben, da er alles für sich selbst
brauche. Die Drohung mit den bevorstehenden Exekutionsschritten
lässt ihn vollständig kalt, denn er weiss, dass sie nichts bedeutet»
Mit leerer Hand und un verrichteter Dinge muss die arme Mutter
das Haus verlassen, von welchem sie glaubte, dass sie darin ihr
Recht finden müsse und sie geht mit dem Bewasstsein fort, dass^
der Wille des Staates nicht mächtig genug ist, dem Gesetze
Geltung zu verschaffen gegenüber dem bösen Eigenwillen des
Einzelnen.
Wenn nun die verlassene Mutter, die nirgends Recht und
Schutz findet, mit ihrem Kinde ins Wasser geht oder dasselbe vor
fremde Hausthüren legt, dann werden wir sehen, wie der Herr
Staatsanwalt mit bitter ernster Miene sich vor den Geschwornen
erhebt und die volle Strenge des Gesetzes über die Unglückliche
herabruft, welche das von Gott gegebene Leben freventlich ver-
nichtet, oder der Gefährdung ausgesetzt hat. Und die zwölf
Richter aus dem Volke werden ihr „Schuldig" sprechen und das arme
zitternde Weib hinabstossen in die verächtliche Menge der Ehr-
losen. Derjenige aber, der das arme Kind gemordet hat, der e»
hungern und darben Hess und es mit seiner Mutter verkommen
liess bis zur grässlichsten Verzweiflung — er bat nur ein Zivil-
Unrecht begangen. Hat er was, so nimmt man ihm was, hat er
nichts, oder will er nichts geben, nun dann ist's auch gut. Schau
wie du d'raus kommst, leichtsinnige Dirne! —
Schreit dies nicht nach dem Staatsanwalt? Sind also wirklichi
beide Geschlechter gleichgestellt, ist Licht und Schatten in
finanzieller Richtung gleich verteilt?!
Ebenso unzureichend wie die finanziellen Interessen der Mutter
thatsächlich geschützt sind, ebenso unzureichend ist der Schutz der
Mädchenehre bei der besitzlosen Bevölkerungsklasse.
Ein Beispiel hierfür ist § 504 des Strafgesetzes. Er lautet:
„Ein Hausgenosse, welcher eine minderjährige Tochter oder eine
zur Haushaltung gehörige Anverwandte des Hausvaters oder der
Hausfrau entehrt, soll für diese Uebertretung nach Unterschied
seines Verhältnisses zu der Familie mit strengem Arrest von
1 — 3 Monaten bestraft werden. Also nur die Verführung der
Tochter und der Anverwandten des Hausherrn und der Hausfrau
ist strafbar, der im Hause dienende weibliche Dienstbote ist den
verliebten Launen des Hausvaters, des Haussohnes oder Knechte»
vollständig preisgegeben. Dagegen lautet § 505. „Gleiche Be-
strafung ist zu verhängen, wenn eine in einer Familie dienende
— 326 —
Frauensperson einen minderjährigen Sohn der Anverwandten verführt. "
Durch diese einseitige nur im Geiste der besitzenden Klasse getroffene
Bestimmung ist dem Hausvater das Mittel an die Hand gegeben, eine
unbequeme Geliebte des Haussohnes aus dem Dienste zu jagen, ja
sie als Verführerin strafen zu lassen, wenn der Sohn so nieder-
trächtig ist, sich als das Opfer derselben zu bezeichnen. Wo bleibt
hier nun der Schutz der armen dienenden Magd? Man kann aus
iUesen Bestimmungen nicht das Streben erkennen, die Sittlichkeit in
der Familie zu wahren, sondern einzig und allein die Tendenz, die
herrschende Klasse in jeder Weise zu schützen.
Auch im § 506: Entehrung unter Zusage der Ehe steht die
Klassifikation dieses Straffalles als XJebertretung mit dem Strafsatze
von drei Monaten nicht im Verhältnis zur Schuld des Verführers,
welcher ein unbescholtenes Mädchen unter der Zusage der Ehe
moralisch entwertet und ihr ganzes Leben dadurch verwüstet hat.
Wer aber diesem selben Mädchen eine Geldbörse mit 26 Gulden
stiehlt, der wird mit Kerker von sechs Monaten bis zu einem Jahre
bestraft. Man sollte glauben, dass die Unschuld und das ganze
Icünftige Leben eines jungen Mädchens mehr wert sei als 26 Gulden,
und doch wird der Diebstahl einer solch^ unbedeutenden Geldsumme
schwerer bestraft, als der Raub der Ehre. Solche Zustände schreien
nach Verbesserung der einschlägigen Gesetze. Sie müssen vor allem
darin bestehen, dass:
1. Der Schutz, welchen das Strafgesetz einem jungen Mädchen
bis zum 14. Lebensjahre angedeihen lässt, bis zur Vollendung
des 16. Jahres desselben verlängert werde. Erst von dieser
Zeit an kann angenommen werden, dass ein weibliches Ge-
schöpf sich der Tragweite seiner Handlungen bewusst werde.
Das deutsche Reichsstrafgesetz hält zwar auch an der Alters-
grenze von 14 Jahren fest, doch ist im § 182 ein weiterer
Schutz dadurch geboten, dass eine Bestimmung Aufnahme ge-
funden hat, welche die Verführung eiaes unbescholtenen jungen
Mädchens mit Gefängnis bis zu einem Jahre straft. Wenn
wir bedenken, dass der Richter in den meisten Fällen die
Erwerbsfähigkeit eines weiblichen Geschöpfes ebenfalls mit
dem vollendeten 14. Lebensjahre voraussetzt, so kommen wir
zur Frage: „Wie ist diese Annahme mit dem Reichsvolks-
.schulgesetze in üebereinstimmung zu bringen, welches die
Schulpflicht, sowohl des weiblichen als männlichen Kindes bis
zum vollendeten 14. Lebensjahre festsetzt. Also das eben
aus der Schule entlassene Mädchen soll schon erwerbsfähig und
für die Folgen einer an ihr verübten straf baren Handlung verr
antwortlich sein? Hier bitten wir Frauen im Interesse der
Menschlichkeit dringend um eine Remedur.
2. Wäre eine Strafgesetzbestimmung zum Schutze der weiblichen
Dienstboten zu treffen, damit auch deren Ehre nicht den ver-
liebten Launen eines männlichen Hausgenossen preisgegeben ist.
3. Wäre weiters eine Gesetzesbestimmung anzustreben, welche
dem gefallenen Mädchen, welches nicht unter «ZusajEe ^
Ehe" verfuhrt wurde, einen Anspruch auf
beiträg vom 5. Monate der Kindeserwartti]
- 326 —
unbedingten Anspruch auf teilweise Vergütung der Wochen-
bett- und Entbindungskosten einräumen sollte. Ebenso müsste
eine Entschädigung für den infolge der Entbindung eingetretenen
Fall eines langandauernden Leidens festgesetzt werden.
4. Wäre eine weitere Gesetzesbestimmung folgenden Inhaltes zu
erwirken: „Wer einer ihm gesetzlich obliegenden Alimentations-
verpflichtung aas seinem Verschulden nicht nachkommt, wird
mit Gefängnis bis zu 6 Monaten bestraft. Hiermit worden
getroffen :
1. Uneheliche Väter, die ihre Verpflichtung nicht erfüllen
wollen. Hierher gehören auch die Haussöhne, welche bei
den Eltern in voller Behaglichkeit manchmal in Saus und
Braus leben, aber „nichts" besitzen, angeblich als Gehilfen
im Gewerbe ihrer Eltern angestellt sind, wenn Geldan-
sprüche für einen nicht willkommenen unehelichen Sprossen
an sie gestellt werden.
2. Würden hiemit auch eheliche Väter getroffen, welche sich
von dem Ertrage der Arbeit des Weibes erhalten lassen»
3. Auch solche, welche ihre Familie verlassen, um mit einer
Maitresse zu leben, und Frau und Kinder auf die Strasse
stossen.
Mit diesen Bestimmungen müsste aber auch eine behördliche
Einschränkung des Beisammenlebens insbesondere sehr junger Lieute
erfolgen. Denn das Hinwegsehen über diese ungeregelten, jetzt
überhandnehmenden Verhältnisse rächt sich empfindlich an der Frau
und am Volke selbst. An ersterer, weil mit der minderen Hoch-
haltung der Frauenehre auch die Wertschätzung des Weibes schwindet,
und am Volke, weil dergleichen lockere leichtsinnige eingegangene
Verbindungen zwischen oft körperlich nicht einmal reifen jungen
Leuten, ihre Gesundheit und die ihrer Nachkommenschaft untergräbt,
und die Rasse zur Degeneration bringt. Aber auch die wirtschaft-
liche Lage der Frau als Arbeiterin wird durch solche sogenannte
„wilde Ehen" in erheblichem Maasse verschlechtert.
Denn die Unternehmer, welche sich bei Heranziehung ihrer
Arbeiter leider nicht von ethischen, sondern meist von finanziellen
Motiven leiten lassen und daher nach billigen Arbeitskräften suchen,,
wählen mit Vorliebe Arbeiterinnen, die im Konkubinate leben.
Solchen bieten sie wahre Hungerlöhne, im Hinblick darauf, dass
nicht der Tagelohn allein ihr Einkommen bildet. Dadurch werden
die Arbeitslöhne für die Frauen im allgemeinen herabgedrückt und
dem Mädchen aus den besitzlosen Volksklassen die anständige Lebens-
führung immer mehr erschwert.
Je mehr aber die Frauen aus den Bahnen eines geordneten
Familienlebens getrieben werden, desto mehr schwindet bei ihnen
die Freude an der Arbeit und am Erwerbe. Haust einmal ein Paar
nicht mehr in eigener Wohnung, sondern ist mit mehreren seiner
Unglticksgenossen irgendwo zu Bett, so ist es vorbei mit häuslichen
Tugenden, mit Reinlichkeit, Fleiss und Sparsamkeit. Man geniert
sich nicht mehr, wo niemand was hat, wo niemand erspart, wo
jeglicher den Wochenlohu vergeudet, statt verwendet, braucht nie-
mand seiner schlechten Wirtschaft sich zu schämen. Bei selch'
— 827 —
lüderlichem Leben wachsen Kinder auf, die schon in zarter Jugend
keine Kinder mehr sind.
Schlecht genährt, in schlechter Luft, in schlechter Gesellschaft
hören und sehen diese verkümmerten Wesen von den ersten Tagen
ihres Lebens an nur Elend und Laster.
Wer, der in einer Grossstadt lebt, kennt sie nicht die hohl-
wangigen, blutleeren Geschöpfe mit den altklugen Gesichtern, denen
die Begriffe von Religion oder Moral fern bleiben, die im Cynismus
aufgewachsen, keine Autorität kennen, als die brutale Faust des
Stärkeren. Sie werden binnen kurzem die Geisel bilden für jene
Gesellschaft, welche durch ihre Einrichtungen sie hat entarten
lassen.
Darum muss vor allem das Weib in seinem selbständigem Er-
werbe durch den Staat in so weit geschützt werden, dass es, wenn
auch notdürftig von ehrlicher Arbeit allein leben kann und nicht
auf Beihilfe durch den Schandlohn angewiesen ist. Denn nur, wenn
die Arbeiterin ihren Lebensunterhalt zu verdienen imstande ist,
kann man „Sitte" von ihr verlangen. Auch für die Arbeiterin
soll das Wort Goethe's gelten: „Nach Freiheit strebt der Mann, das
Weib nach Sitte."
Der grosse Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi sagte einst:
„Ich will die Erziehung des Volkes in die Hand der Mutter legen."
Damit hat er ein gutes Wort gesprochen. Allein, bevor es
zur allgemeinen Geltung gelangen kann, muss das „mulier taceat
in ecclesia" des Apostels Paulus aus den Köpfen unserer Gesetz-
geber und aus dem Volksbewusstsein schwinden. Solange die Frau
unter der gesetzlichen Herrschaft des pater familias steht, solange
sie nicht in der Schule über die Gesetze unterrichtet wird, solange
sie sich mit ihrem Gatten nicht in die elterlichen Rechte teilt, so-
lange sie nicht einmal als Testamentszeugin, nicht als Sach-
verständige zugelassen wird, so lange sie von der Teilnahme an
fk'eien Vereinen ausgeschlossen ist, so lange endlich die Frauenehre
als hohes Gut des Volkes nicht ausreichend geschützt ist, so lange
kann von einer Erziehung des Volkes durch die Mütter nicht die
Rede sein, noch weniger von einer wirksamen Teilnahme am
öffentlichen Leben der Nation.
Erst muss die Frauensperson aus dem Gesetzbuche heraus-
geworfen sein und die Staatsbürgerin darin ihr volles Recht finden.
Das Recht der Frau.
Von Fräulein Anita Augspurg, cand. jur., München.
Das Recht der Frau soll den Gegenstand meiner Besprechung
bilden! — Wo herrscht es? Wo ist es zu finden? — Wo kann
man es kennen lernen? — Das Recht der Frau ist heute noch fast
überall ein theoretischer Begriff, praktisch vorhanden ist es in den
Ländern der alten Welt nur in elementaren Ansätzen. Wollen
wir es voll durchgeführt sehen, so müssen wir in den fernen
Westen der Vereinigten Staaten wandern, oder auf einsame Inseln
im Grossen Ozean, in junge Kolonialstaaten Australiens. Was yer-
— 328 —
stehen wir unter dem Rechte der Frau? — Nichts anderes, als das
Recht des Menschen überhaupt, welches zwar je nach Zeit, Kultur,
Rasse verschieden normiert war und ist, aber nach unseren heutigen
Anschauungen ziemlich allgemein bedeutet: etwa, — das Recht,
seine Persönlichkeit zu entwickeln, soweit eigene Kraft, eigener
Wille und gesellschaftliche Hülfsmittel dazu vorhanden sind. Das
Recht, seine Persönlichkeit durchzusetzen, soweit man dadurch
nicht die Willens- und Interessensphäre eines anderen Individuums,
oder der Allgemeinheit aggressiv beeinträchtigt. Das Recht, Ein-
sicht zu nehmen in die Organisation des Gemeinwesens, welchem
man als Glied angehört und sich dazu der öffentlichen Hülfsmittel
zu bedienen. — Das Recht, teilzunehmen an der Gestaltung und
Umgestaltung solcher Organisation in demselben Grade, wie jedes
private Glied des betr. Gemeinwesens durchschnittlich daran be-
teiligt ist.
Diese Definition des Rechtes der Frau, wie des Rechtes über-
haupt ist summarisch lückenhaft, das weiss ich, sie kann aber in
den wenigen Worten hier nicht erschöpft werden. —
Ich habe behauptet, dass das Recht der Frau heute noch an
den meisten Orten fast nur in der Theorie besteht. —
Die Rechte der Glieder sind in den verschiedenen Gemein-
wesen verschieden normiert, die Gesetze eines Staates umschreiben
die Rechtssphäre seiner Bürger; die Linien, welche diese Gesetze
bilden, sollen zugleich mit den Grenzen der herrschenden An-
schauung vom Rechte zusammenfallen: wo für die Frauen innerhalb
der Gesetzeslinien noch besondere Kreise und Kurven gezogen sind,
da kann vom Rechte der Frau nur in sehr bedingter Form ge-
sprochen werden.
In unseren alten Kulturländern herrscht noch eine merkwürdige
Sucht nach Schnörkel- und Kringelbildungen innerhalb der geome-
trischen Figuren der Gesetzgebungen. Jedoch wäre es ein allzu
schwarzer Pessimismus und Verkennen der sich vollziehenden Ent-
wickelung, wenn man nicht auch hier die entschiedenste Tendenz
konstatieren wollte, nach Ausmerzung und Vereinfachung dieses
überflüssigen und schädlichen Zierats.
In Deutschland haben wir bereits ganz klare, einheitliche
Linienführung für beide Geschlechter auf dem Gebiete des Straf-
rechtes, in Zukunft auch auf dem Gebiete des Zivilrechtes mit Ausnahme
eines einzigen allerdings wichtigen Abschnittes. Eine um so krausere
Ornamentik, welche keineswegs für unser Recht einen Schmuck
bedeutet, haben wir jedoch in jenem einen Abschnitte, dem Familien-
rechte und im öffentlichen Rechte.
Das Strafrecht kennt merkwürdigerweise schon seit Jahr-
hunderten keinen Unterschied zwischen den Rechten von Mann und
Frau. Von Alt^s gilt für die Frau dieselbe Rechtsschranke wie für
den Mann. Man traut ihr nicht nur die gleiche Unterscheidung
von Verbotenem und Erlaubten zu, man hält sie sogar für voll-
kommen zurechnungsfähig und verantwortlich für ihre Handlungen.
Sie ist imstande unter Rechtskonsequenzen Diebstahl, Betrug,
Mord zu begehen und die lukrativen Erwerbungen aus diesen De-
likten: Geföngnis, Zuchthaus, Schaffet, fallen merkwtirdigerweise
— 829 —
auch bei den Verheirateten nicht an den Mann, sondern verbleiben
ihr selbst zu Fruchtgenuss und Nutzniessung. Selbst die „weib-
lichen Rechtswohlthaten", welche man früherhin nach der P. G. O.
Karls V. etwa erblicken könnte in der Reservierung gewisser
Todesarten für die ausschliessliche Anwendung auf Frauen, wie
Pfählen, lebendig begraben. Ertränken, sind später der Anerkennug
der vollen „Rechte der Frau", auch auf Hängen, Rädern und andere
Wege der Beförderung vom Leben zum Tode gewichen.
Das Fortschreiten der vom Strafrechte befolgten Tendenz hat
langsam, aber doch im Prinzipe gänzlich durchschlagend zur vollen
Anerkennung des Rechtes der Frau auch auf dem Boden des Zivil-
gesetzes geführt, sofern sie ausserhalb der Ehe steht, wenn wir
das künftige bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich zum
Maasstabe unserer Betrachtung machen. Und zwar, das möchte ich
besonders hervorheben, ist diese prinzipielle Gleichrechtigkeit von
Mann und Frau ausserhalb der Ehe von den Gesetzgebern selbst
und freivifillig schon im Entwürfe aufgestellt, sie muss also not-
gedrungen von ihnen mit aller Konspqu(^nz anerkannt und durch-
geführt werden. Das ist aber, wie Sie aus den anderen Referaten
bereits wissen, durchaus nicht der Fall, sondern die Schnörkellinien
und Schlangenwindungen, welche die Rechtsstellung der deutschen
Frau bezeichnen, laufen im Familienrechte noch wirr genug abseits
von den geraden Strichen, welche für den Mann gelten, nicht ohne
die herrschenden Rechtsgedanken des ganzen Gesetzgebungswerkes
erheblich zu verwirren.
Das Grundprinzip des ganzen Gesetzes ist der Schutz des
Eigentums, — durch das Eherecht ist aber für die Frau Preisgabe
ihres Eigentums dekretiert. Die Wirkung der Ehe ist für den
Mann in der Hauptsache Auflage gewisser Leistungen, — für die
Frau ausserdem Verlust einer Anzahl der wichtigsten Rechte.
Man frage einen Mann, ob er sich einem Gesetze unterwerfen würde,
welches ihm vorschreibt, mit Ein<fehung der Ehe seinen Namen auf-
zugeben, sein Eigentum aus der Hand zu geben, seine Handlungen
von der Autorität eines andern abhängig gemacht zu sehen!
Die Elternschaft bringt für den Vater ausser der Verpflichtung
zu gewissen Lasten die Rechte der Vertretung und Verfügung:
für die Mutter nur die Lasten, nicht aber die entsprechenden Rechte.
Diese und andere Schnörkel unseres künftigen Gesetzes sind
der Beweis, dass das Recht der Frau bei uns noch nicht praktisch
existiert, theoretisch aber ist es formuliert und den energischen
Forderungen nach seiner vollen Realisierung stehen die besten
Bundesgenossen zur Seite: Logik und immer festeres Wurzeln in
den allgemeinen üeberzeugungen.
Die Rechtssphäre der Ehefrauen ist eingeengt durch in sie
hinübergreifende Vorteile der Ehemänner: die Billigkeit und Ge-
rechtigkeit unserer Kultur ist abgewandten Auges an diesen Aus-
wüchsen vorübergegangen. — Woher kommt das?
Bei der Formulierung jedes Paragraphen des Gesetzbuches konnten
sich die Autoren in die Lage sowohl der Berechtigten wie des
Verpflichteten hineinversetzen, bei der Abfassung der Paragraphen
über die Ehe immer nur in diejenige des Berechtigten. Es ist um
— 330 —
so weniger zu verwundern, dass unter dieser Beurteilung die Bhe-
paragraphen einseitig ausgefallen sind zu Gunsten der Männer, als
bis dahin die Beteiligten selbst, die Frauen, kaum ein Bewusstsein
von einem ihnen angethanenen Unrechte geäussert hatten.
Nun sie aber zum Bewusstsein dieses Unrechtes gekommen sind
und sich mit grossem Aufgebote von Kraft und Energie gegen das-
selbe verwahrt haben;
Nun sie unter der regen Teilnahme der öffentlichen Stimmen
noch in letzter Stunde mehrere der ihnen zugedachten Zurück-
setzungen von dem Gesetze abgewehrt und die wertvollsten Zu-
geständnisse errungen, ja ertrotzt haben, welche alles ihnen noch
Verweigerte im Prinzipe erschüttern;
Nun sollten sie bei dem bevorstehenden Sturmlaufe gegen die
letzten Reste der zivilrechtlichen Ungleichheiten nicht stehen bleiben.
Nun sollten sie eingedenk sein, dass, so lange es sich um gewähren
und verweigern handelt, nur von Gnaden, nie aber von Rechten die
Rede sein kann, nun sollten sie auch auf dem Gebiete des öffent-
lichen Rechtes ihre vollen Ansprüche geltend machen.
Die deutschen Frauen haben im vergangenen Jahre und in der
ersten Hälfte des jetzigen wahrhaftig einen tapferen Kampf ge-
kämpft: zusehends sind ihre Kräfte und ihr Mut gleichsam in der
Aktion gewachsen, in der letzten grossen Demonstration, am 29. Juni,
am Vorabende der erwarteten Niederlage, haben sie die Blicke und
die Sympathie von ganz Deutschland auf sich gerichtet und eine
tapfere Vorkämpferin, Frau Stritt, konnte ihnen das stolze Wort
zurufen: „Noch eine solche Niederlage und wir haben gesiegt!**
Vielleicht können wir es noch überflügeln und hoffen, auch ohne
eine neue solche Niederlage den Sieg!
Nun gilt es, dass sich in der jetzt neu beginnenden Kampfeszeit
die deutschen Frauen nachhaltig als die scharfen, mutigen Streite-
rinnen bewähren, als die sie sich im heissen Sturmlaufe der letzten
Monate gezeigt haben. — Ihnen liegt vor allem die Aufgabe ob,
wennschon selbst noch nicht wahlberechtigt, Einfluss auf die bevor-
stehenden Wahlen zu gewinnen, Stimmung zu machen für Kandidaten,
von denen festes Eintreten für die Sache der Frauen sicher zu er-
warten steht, nicht allein der Partei, sondern auch der Person nach.
Wie sie das am besten machen können, das möchten sie von ihren
englischen Schwestern lernen, welche schon lange in solcher Taktik
Meister smd! Ein planvolles stetiges Arbeiten nach dieser Richtung
wird den Befähigungsnachweis zu erbringen haben für die politische
Reife der deutschen Frauen überhaupt, für ihren Willen und ihre
Einsicht, an der nationalen Arbeit mitzuwirken auf den weiten Ge-
bieten des öffentlichen Rechtes, von welchem sie heute noch so
gut wie ausgeschlossen sind und welches nicht nur in der Berech-
tigung auf die öffentlichen Unterrichtsanstalten und die Wahlurne
besteht, sondern in der Lösung der schweren Aufgaben der gesamten
öffentlichen Wohlfahrt.
Ein Generalstab tüchtiger und erfahrener Führerinnen ist in
dem ganzen Reiche, Nord und Süd, Ost und West, in Fühlung zu
einander getreten; es wird sich zeigen, ob die oft gerühmte lang-
jährige, stille Vereinsthätigkeit ihre Aufgabe erfüllt hat, ob sie der
— 331 —
ihr obgelegenen Pionierarbeit gerecht geworden ist, ob sie die weiten
Kreise vorbereitet und zur Höhe des Verständnisses der grossen,
jetzt vorliegenden Ziele geführt hat! Möchten die organisatorischen
Maassregeln der Führerinnen sich in den bevorstehenden Jahren
stützen können auf die treue Beihilfe nicht von Tausenden, nein von
Millionen und Millionen deutscher Frauen, denen es heiliger Ernst
ist um ihr Recht!
Eingesandte Vorträge:
1) Zur Armen- und Waisenpflege. Von Frau Nellie van Kol,
Lüttich.
2) Local Government in England and Wales by HarrietMc.
Hynham, 15 years Poor Law Guardian of the Tewksbury
Union and late Chairman of Staveston Parish Council.
3) Bericht über das Frauenrecht in den Vereinigten Staaten. Von
Miss Clara Bewick-Colby, Washington.
4) Bericht des Vereins für Frauenrechte „Union" in Finnland.
Von Lucina Hagmann, Helsingfors, Präsidentin d. V.
5) Die rechtliche Stellung des weiblichen Geschlechts in Finnland.
Von einem Juristen, Helsingsfors.
6) Adresse de la Societe pour TAmelioration du sort de la femme
et la Revendication de ses droits. Par Madame Ter esse
Deraismes, Paris, Presidente d. 1. S.
7) Rapport de la „Vrye Vrouwenvereeniging" (Societe libre des
femmes) d'Amsterdam. Par W. Drucker, Presidente et
Th. P. B. Schook-Havu, Secretaire d. 1. S.
vm.
Sonnabend^ den 26. September^ Vormittag 10 Uhr.*)
Vorsitz: Frau Minna Cauer, Frau Rosalie Schoenflies.
Was haben die Frauen von der modernen Litte-
ratur zu erwarten?
Von Fräulein Ella Mensch, Dr. phil., Darmstadt.
Erwarten Sie, verehrte Anwesende, in diesem kurzen Ausblick
in das Reich modernen Geistes keine propagandistischen Ideen, kein
PJaidoyer zu Gunsten irgend eines Programms. In der Kunst, in
der schönen Litteratur giebt es nur eine Frage des Könnens. Hier
ist das Reich der Freiheit, hier waltet nicht der Rechtsstandpunkt,
sondern der KIraftstandpunkt, und wenn irgendwo, so gilt auf
diesem Gebiet das Recht des Stärkeren.
Dieses Recht hat bis jetzt in der Litteraturgeschichte ziemlich
unverkürzt auf Seiten des Mannes gestanden. Das ist eine That-
sache, die wir hinnehmen müssen, und es scheint mir schliesslich
müssig, den Gründen nachzuspüren, weshalb es so gekommen ist.
Das künstlich Gemachte hat sich mit dem physiologisch Gegebenen
zu dem bekannten Resultat verbunden, dass die Weltlitteratur in
ihren Haupt- und Grandzügen eine Männerlitteratur ist.
Es wäre thöricht, sich gegen diese Thatsache verblenden zu
wollen. Gleich der Aehrenleserin Ruth geht die dichtende, schrift-
stellernde Frau bescheiden hinter den männlichen Schnittern her.
Die Frage, die mein Thema enthält, kann sich nun sowohl be-
ziehen auf die Frau, sofern sie Gegenstand der Litteratur ist, und
sodann zweitens auf die Frau als litterarische Persönlichkeit selbst.
Vor Shakespeare und vor den deutschen Klassikern sind die
Frauen in der Poesie meist Abstraktionen von Tugenden und
Lastern, Wesen ohne Fleisch und Blut, deren Scheindasein den
psychologischen Massstab kaum verträgt. Bei Lessing und Schiller
spürt man zuweilen auch noch das Buchideal. Erst Goethe ist der
wahre Frauenkenner, bei welchem alle weiblichen Gefühlskräfte zu
poetischem Leben aufblühen, der alle Saiten zum Erklingen bringt.
*) Redigiert von Rosalie Schoenflies.
— 333 —
Nach ihm hat Franz Grillparzer die reichste Galerie weib-
licher Charaktere aufgestellt. Unter Herbeiziehung des Mythus und
der Sage, die schon durch die zeitliche Ferne einen verklärenden
Schimmer auf die Gegenstände werfen, hat dann Richard Wagner
zur Reihe hehrer Frauenideale das letzte Glied gefügt, ja, in seiner
„Brünhilde" bis zu einer nicht mehr zu überbietenden Höhe ge-
steigert, was Klassiker und Romantiker vor ihm begonnen hatten.
Nun aber tritt die grosse Pause ein. lieber die Welt des
Schönheitskultus sinkt ein dichter Vorhang. Verschwunden ist
Faust's Gretchen mit dem lieblichen Blumenorakel, verödet liegen
die Gärten von Belriguardo, in welchen die beiden Leonoren ihre
sinnigen Zwiegespräche führen, kein Pfad geleitet uns zu dem
heiligen Hain, wo Fphigenie mit priesterlichen Händen ihrer
Gottheit opfert, und vergebens sucht der Blick den feuerumloderten
Fels, wo die Walküre dem Liebeserwachen in den Armen Siegfrieds
entgegen träumt!
Die harte Wirklichkeit tritt ihre Herrschaft auch in der Poesie
an. Man muss die Entwickelung moderner Frauencharaktere von
einem ganz anderen Ende aus beginnen. Die moderne Dichtung
weiss nichts mehr von der Anschauung des Jjessing'schen Odoardo:
dass Gott in der Frau das Meisterstück schaffen wollte, sich nur
im Stoff vergriffen und ihn zu fein genommen habe; sie sucht das
Weib als Staubgeborene. Und zwar sind es nun zunächst die Fehler,
die niederen Geistes- und Gemütskräfte, die jetzt zur Schilderung
gelangen. Als ich einmal mein Erstaunen darüber äusserte, ent-
gegnete mir ein junger Kollege in einer Zeitschrift: dass heute die
decadente Frau auf den Mann und damit auf das Gesellschaftsbild
einen grösseren Einfluss übe und ihr deshalb auch in der Litteratur
der Vorzug gebühre. Indem nun die moderne Litteratur das Weib
als wesensgleich mit dem Manne, im niederen Sinne fasst, giebt sie in-
direkt aber auch die Parallele im höheren Sinne zu, neben der Ent-
artungs- die Entwicklungsmögli^hkeit. Das ist ganz entgegen der
früheren Auffassung. Sobald das Weib sich stärker in seiner In-
dividualität erfassen lernt, kann es nicht ausbleiben, dass dieses er-
wachende Persönlichkeitsbewusstsein eine Umwandlung des Ge-
sellschaftsbildes nach sich zieht. Welchen Gebrauch hat nun die
Litteratur bisher von diesem Umbildungsprozess gemacht? Sie ver-
hält sich ihm gegenüber meist abwartend, ohne doch gerade Typen
oder einen Typus aufgestellt zu haben, in welchem sich das Fühlen
und Wollen der Grenzperiode, in welcher wir stehen, mächtig kon-
zentrierte, bei welchem wir ausrufen könnten : das ist nun wirklich das
neue Prauenideal im Spiegel der Dichtung! Ansätze, Anläufe sind
ja wohl da. Für moderne Frauenschilderung kommen nächst Ibsen,
Björnson, Bourget, Daudet bei uns in Deutschland hauptsächlich in
Betracht: Friedrich Spielhagen, Paul Heyse, Hermann Sudermann,
Gerhart Hauptmann, Konrad Telmann, Max Halbe; von Frauen:
Ossip Schubin, Marie v. Ebner-Eschenbach, Emil Marriot und Ernst
Rosmer.
Es liegt offenbar in der Zeit, in dem ganzen Milieu, dass bei
der Auffassung der weiblichen Typen die grossen Züge im allgemeinen
fehlen. Von den w^enigsten kann der peinliche Erdenrest losgelöst
— 334 —
werden. Von keinem gilt der Zuruf, der an Goethes Margarethe
im 2. Teil des „Faust" ergeht: „Komm, hebe Dich zu hohem
Sphären, wenn er Dich ahnet, folgt er nach!" Die Mission der
Frau als Erlöserin, Befreierin im ethischen Sinne scheint abgethan;
sie ist es vielmehr, welche Erlösung braucht. In der Belletristik
dominiert jener Bruchteil des Geschlechts, den Conrad Alberti in
einem seiner Romane als „fahrende Frau" bezeichnet. Die unregel-
mässigen Existenzen sind die interessanten, und bei vielen Schrift-
stellern läuft es auf den Ausspruch Maupassants hinaus: „Die an-
ständige Frau ist mir ein Greud". Die arbeitende Frau ist erst
sehr sporadisch Gegenstand der schönen Litteratur. Die Tragödie
des ringenden Arbeiters („Die Weber") hätten wir, aber die der
kämpfenden Arbeiterin lässt noch auf sich warten.
Auch die Frau, soweit sie selbst als Schriftstellerin in Betracht
kommt, fühlt sich zu diesem Thema zunächst nicht hingezogen. Die
Tendenz, sich aus dem Leben in eine Welt zu flüchten, in welcher
des Jammers trüber Born schwächer rauscht, haftet all den Schrift-
stellerinnen der klassisch-romantischen Periode an. Sie bemühen
sich um Objekte, um ein Weltbild, das möglichst entfernt von ihrem
persönlichen Erfahrungskreise liegt, sie beschäftigen sich weit lieber
mit den Empfindungen der Hohenstaufen als mit ihren eigenen. Das
wird in der modernen Litteratur anders. Die Geburtsstunde des
Realismus bringt der schriftstellernden Frau die Befreiung von der
Buchweisheit und erteilt ihr das heilige Recht auf das persönliche
Bekenntnis, auf die dichterische Konfession, denn jede echte Poesie
ist in ihrer letzten psychologischen Ursache innere Befreiung. Die
weibliche Stimmungspoesie einer Hermine von Preuschen, Marie
Janitschek etc. erscheint und stellt sich in der Litteratur als gleich-
berechtigter Faktor neben die Bilder, welche das Hirn des Mannes
künstlerisch verarbeitet. Es ist zwar auch noch Reflex-, aber zur Hälfte
doch schon Ergänzungspoesie. Das halte ich für einen grossen Fortschritt.
Die junge Generation schriftstellernder Frauen, welche aus dem Born
eigenen Empfindungslebens schöpft, ist jener früheren, die vom ge-
borgten G^isteskapital lebte, ästhetisch überlegen. Es war not-
wendig, dass die dichtenden Frauen sich erst selbst entdeckten und
begrifiFen, bevor sie sich daran begaben, die Umwelt zu begreifen.
Aber Halt machen dürfen sie auf dieser Stufe nicht, denn die
höchsten Höhen des Parnass erklimmt nur der, dessen Wollen und
Können in dem reinen hellen Glanz einer sittlichen Weltanschauung
strahlt. Ich spreche nicht von der Philistermoral wie sie gestern
war und morgen wieder sein wird, sondern von den ewigen geheimnis-
vollen Kräften, die in den Tiefen des Gemütes wohnen, die uns den
festen Pol in der Erscheinungen Flucht zeigen, die uns aufrecht
halten im Wirbel der Affekte und die uns stärken im letzten
DunkeL
Das erste Erfordernis aber für diese Höhenrichtung ist die
Fähigkeit, von sich loszukommen, sich zu vergessen im Anderen,
im Allgemeinen. Denn ist Poesie einerseits Selbstbekenntnis, so ist
sie andrerseits auch Selbstbefreiung, und das ist der Weg, den nun-
mehr die dichtende Frau, nachdem sie festen Wirklichkeitsboden
unter den Füssen gewonnen hat, in der Bahn fortschrittlicher Ent-
— 335 —
Wickelung einzuschlagen haben wird. Das ist keine abstrakte For-
derung, die wir hier in die dichterischen Lebensprozesse hineintragen
wollen. Das ist ein Gesetz, das sich mit innerer Notwendigkeit
vollziehen muss. Es wäre auch ganz vergebliche Arbeit, Programme
aufzustellen, den Poetea zuzurufen: wählt diese Themen, erfüllt
euch mit diesen Oedanken! Das bewiese eine gänzliche Unkenntnis
der Bedingungen, die ein Kunstwerk ins Leben rufen.
Nein, was wir wollen von der Dichtung, der der Frauen
ebenso wie von der der Männer, das ist das Leben, das volle ganze
Leben, das immer stärker, immer poetischer sein wird als alle phan-
tastischen Träume.
Die deutsche Frau in Dichtung und Kunst.
Von Frau Jean-Chrlst-Gutbier, Berlin.
Frau J-Oh-Gutbier zog den über obiges Thema angemeldeten
Vortrag zurück, weil sie irrthümlicherweise annahm, dass es auf
dem Kongress nicht gestattet sei, Religiöses zu berühren, wie sie in
ihrem Vortrag thue.
Indessen war nur die Behandlung direkt religiöser Themen
ausgesK^hlossen, während es selbstverständlich Jedem frei stand.
Religiöses zu berühren, was in früheren Vorträgen auch geschehen war.
Ausserdem machte Frau J-Ch-Gutbier einige Mitteilungen über
einen Pressprozess, den sie zwei Jahre lang gegen das Verbot der
Aufiführung ihres Dramas Eleazar geführt und schliesslich ge-
wonnen habe. D. Red.
Frauenliebe und -Leben in der Litteratur.
Von Fräulein Natalie v. Milde, Weimar.
Die Zaubergewalt des Namens Liebe weckt alles, was an
Empfindung in der Menschheit lebt. Aber so verschieden Menschen
empfinden und verstehen, so verschieden lieben sie auch. „Wie
Einer ist, so ist sem Gott" sagt Goethe, und wie Einer ist, so ist gewiss
auch seine Liebe. Der liebevollste Mensch weiss von dem Gottes-
element das All durchdrungen, für ihn stehen Dinge im innigsten
Zusammenhang, die der Engherzige als Gegensätze erblickt. Der
liebereidiste Mensch erkennt überall göttliche Absichten, die zu ver-
stehen und zu beherzigen er berufen ist. Er will die Liebe auf
jedes grösste und kleinste Gebiet hingeleitet wissen, um Wachstum
und Entwickelung überall zu fördern.
Wenn man nun seit jeher betont, die Frau sei ganz besonders
für die Liebe geschaffen, so ehrt man sie mit dieser Charakterisierung,
wie man sie gar nicht höher ehren kann. Und wenn sich die Frau
seit Dezennien in immer zunehmender Zahl, immer energischer gegen
die ihr angewiesene Lebensstellung auflehnt, so ist es nicht, weil sie
der Liebe entraten will, weil sie diese engste Verbindung zwischen
sich und der Liebe nicht immer fester hergestellt sehen möchte,
— 336 —
sondern weil sie inne geworden, dass die Liebe noch nicht zu ihrem
Vollbegriflf gelangt ist.
Wie sieht die Liebe aus, mit der man Bände gefüllt hat?
Die Litteratur ist der Spiegel, der die Zustände des Herzens
zurückstrahlt. Allerdings ist das Bild des Prauenherzens, das wir
darin erblicken, vom Manne geschaut, denn die Litteratur ist mit
wenigen Ausnahmen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt Männer-
werk. Der Spiegel ist also ein Reflexspiegel, und er strahlt die
Liebe des Weibes zum Manne zurück, die Auffassung des Mannes,
wie das liebenswerte Weib beschaffen sein müsse, und seine Ge-
sinnung, dass diese seine Liebe der einzige Lebensinhalt der Frau
war, der einzige Preis,, den zu gewinnen sie hoffen durfte. Es ist
daher von Chamisso noch sehr wenig behauptet, wenn er Frauenleben
mit den Worten beginnt: „Seit ich ihn gesehen, glaub' ich blind zu
sein". Diese Blindheit bestand, bevor sie ihn gesehen, denn die Frau
hatte ja ihre Augen geflissentlich geschlossen. Ihre ganze Jugend
war ein Warten auf das Hereintreten dessen, der ihr Leben zum
Leben machte.
„Lied des Mädchens" von Geibel beginnt:
Lass schlafen mich und träumen.
Was hab' ich zu versäumen
In dieser Einsamkeit!
Der Reif bedeckt den Garten,
Mein Dasein ist ein Warten
Auf Liebe nur und Lenzeszeit.
Und Paul Heyse lässt das Mädchen singen:
Ich wollt', ich läge schlafen
In Rosen über Jahr und Tag,
Bis dass der Eine gegangen kam'.
Der mich gewinnen mag.
Mit diesen beiden schildern ungezählte Lyriker das Mädchen
als ein traumseliges Ding. Einer unglaublichen Vergeudung von
Kraft und Zeit wird unser armes Geschlecht von der Litteratur an-
geklagt. Giebt es eine Entschuldigung für all das Nichtsthun? Die
Macht der Gewöhnung, welche Begriffe oktroyiert und eigenes
Denken knebelt, muss dafür gelten. Die Litteratur mit ihrem
Kultus für weibliche Schönheit und negative Tugend zeigt, dass
man die Frau gelehrt hat, zu gefallen und sich unterzuordnen, sich
selbst zu vergessen. Jede Verantwortung für das eigene Selbst war
somit der Frau entwunden, gleichzeitig aber auch die Möglichkeit,
einem harten unverschuldeten Schicksal, wenn ein solches herein-
brach. Trotz zu bieten. Das Schicksal wurde aus der Urne blind-
lings für die Frau gegriffen; um die Nieten bekümmerte sich
Niemand.
Wo verdienstloses Glück, das der Zufall schenkte, das Leben
bestimmen durfte, musste notwendigerweise eigenes Verdienst glücklos
bleiben. Man wollte selbständig denkende und handelnde Frauen
nicht dulden. Die Litteratur zeigt uns deutlich, wie man die
Konflikte, die nicht ausbleiben konnten, aufgefasst wissen wollte.
Symbolisch für die Leiden der weiblichen Psyche ist die Tra-
— 337 —
gödie Sappho. Dem reifen, sprühenden Geiste der Dichterin stellt
Grillparzer die ganze Armut und Stumpfheit der Anderen drastisch
entgegen. Er verfuhrt hart mit seinem eigenen Geschlecht. Phaon
ist gar unbedeutend, so ganz Sapphos Liebe unwert. Wie lebens-
wahr ist diese Furcht des Phaon, Höchstes vom Weibe zu empfangen.
Sapphos verklärendes Auge sieht einen der „Besten" in ihm, und
dieser Irrtum eben führt die Tragik herbei. Ihr geistiges Feuer
vermag nicht eine gleiche Flamme in dem Geliebten zu nähren.
Was dem Zuschauer vom ersten Augenblick an deutlich wird, dass
Phaons Liebesfähigkeit nur für ein gewöhnliches Alltagsleben aus-
reicht, entzieht sich Sapphos Dichterauge. Wie lebenswahr ist der
unerschütterliche Glaube Sapphos, des höheren Weibes, das Beste
müsse erwünscht, müsse verstanden sein! Die Erfüllung dieses
Glaubens ist Ideal der Zukunft; ist erst zu verwirklichen mit einem
Männergeschlecht, dessen Gesinnungen wie die eines Rhamnes weib-
lichen Wert zu würdigen lehren.
„Dünkt sie Dir w^ertlos, weil ohne Maassstab Du für ihren
Wert?** fragt er und weiter: „Wagst Du's, an ihrem Herzen wohl
zu zweifeln?"
Damit trifft Rhamnes den dunklen Punkt. Alle Demütigung
und Erniedrigung, welche Frauengeist in den Jahrhunderten erlitten,
entsprang dem Zweifel an der Liebesfähigkeit der denkfähigen Frau.
— Die Königin von Saba ist eine der würdigsten Bibelfiguren. Man
wallfahrtete zu ihr, um sich Weisheit von ihr zu holen. Wenn
Paul Heyse sie jedo(ih in seiner „Weisheit Salomonis" dem lieblichen,
mit allen dichterischen Vorzügen parteiisch überschütteten Hirten-
kinde als Gegensatz ausliefert, muss er sie für diesen Zweck grausam
entstellen, zum Zerrbild erniedrigen.
Amor geberdet sich bis auf unsere Tage unversöhnlich verletzt,
sobald ein Tröpfchen des Psyche-Oels ihn gebrannt hat! Das
Amörchen, als ewiges Kind aufgefasst und ins Dunkel der Urteils-
losigkeit gebettet, hat denn nun gar in den Köpfen der kleineren,
der sogenannten, der Nichtdichter und gar der schreibenden Tage-
löhner die wunderlichsten Begriffe darüber verschuldet, vne eine
annehmbare, liebenswerte Frau zu sein hat! Jede ernstere und tiefer
Denkende findet es unendlich viel wünschenswerter, mit der
Psyche in's Exil zu gehen, als sich in die Gallerie alberner, flacher,
heiratssüchtiger Lustspiel- und Possenfiguren einrangiert zu sehen.
Wenn ein Begriff im höchsten Falle zur Tragik, im niedrigsten
Falle dahin führt, ünbedeutendheit auf den Thron zu erheben, so ist
es Zeit, ihn durch einen anderen zu ersetzen. Und die Psyche un-
serer Tage, mit der leuchtenden Lampe in der Hand, fragt, ob es
wirklich die volle Liebe sei, w^as man so nannte; und sie sagt:
es war mindestens eine einseitige sehr ent wickelungsbedürftige Liebe.
Die echte Liebe, da göttlicher Natur, ist im höchsten Maasse ent-
wickelungsfähig.
Wie wird nun der Mann dabei fahren, wenn sich die Liebe der
Frau entwickelt? Man klagt, den geistig Ueberlegenen so vielfach
des Egoismus an, dass er die Liebe des Weibes einfach in Empfang
nimmt, ohne sein Geisteskapital dagegen auszulösen.
Weit erspriesslicher ist es jodoch für uns, zu untersuchen, ob der
22
r
I
— 338 —
Mann wirklich seinen Vorteil, seinen höchsten Vorteil bei Besitz-
ergreifung eines Herzens finden kann, das geschlafen, geträumt, gewartet
hat, anstatt zu wachen und zu arbeiten. Denn ist nicht Liebe die Grund-
bedingung zu gegenseitigem Empfangen und Geben, zu gegenseitiger
Erziehung, Entwickelung und Befreiung? Hörbar aller Welt, stellt sich
die Frau heute diese Prägen, und die Wandlung, die durch derartige
Selbstprüfung, Selbsterkenntnis, Selbständigkeit mit ihr vorgeht,
zeigt sich bereits in der Litteratur.
Eine sehr jugendliche Schriftstellerin, die englische Olive
Schreiner, schildert das Verhältnis zwischen Mann und Weib sehr
gut in dreien ihrer „Träume". Im ersten dieser Träume liegt die
Frau, mit einer Last auf dem Rücken, im Wüstensande, der sich
hoch um sie angehäuft hat. Die schreckliche Geduld von Jahr-
hunderten lag in ihren Augen. Der Mann war durch ein breites
Band an das Weib geknüpft, ohne zu wissen, dass deswegen auch
er sich nicht bewegen konnte. Als nun das Zeitalter die Last von ihrem
Rücken gewälzt, erfüllte der Gedanke ihre Augen mit Glanz:
könnte ich nicht aufstehen? Aber der neben ihr steht, hilft ihr
nicht, er hindert sie sogar, weil er es nicht besser versteht. Sie
muss sich selber helfen. — Im dritten Traume wandeln wackere
Männer und Frauen Hand in Hand. Das ist der Himmel auf Erden.
Wann wird das so sein? In Zukunft.
Der Anspruch Olive Schreiner's an die Frau, sich selbst zu
helfen, ist gerecht. Je höbere Ansprüche die Frau an sich selbst
stellt, desto wertvoller muss ihr Ich notwendigerweise auch für den
Mann werden. Die Herrin dieses Ich hat für den Auserwählten
ihres Herzens ein kostbareres Geschenk in Bereitschaft, als das ver-
schlafene Mädchen, das so elendiglich jammert: „Darfst mich niedre
Magd nicht kennen". „Der hohe Stern der Herrlichkeit" wird sich
von seinem künstlichen Himmel soweit herabbegeben, als die niedere
Magd sich erhebt. Denn Gefährten, die gemeinschaftlich dasselbe
erreichen wollen, brauchen ein gleiches Niveau, um neben einander
wandeln zu können. Das Bewusstsein, Schritt mit einander halten
zu müssen und beiderseitige Mängel und Vorzüge, Nachteile und
Vorteile gemeinschaftlich zu tragen, schliesst unnatürlich gesteigerte
Illusionen, die der Liebe oft so schädlich werden, von vornherein
aus. Aber wo ein vergebliches Warten auf Unmögliches Enttäuschung
bewirkte, wird das Mögliche geschaffen, um zu beglücken. Auf
dem Gleichheitsboden, wo Arbeit die Gatten fest miteinander verbindet,
vermag aber auch die einzelne Frau mit ihren gekräftigten Füssen
selbständig vorzuschreiten. Und die Arbeit, die gemeinschaftliche,
wird sie in Freundschaft mit dem ganzen anderen Geschlecht ver-
binden, auch wenn sie kein persönliches Liebesband an den Mann
knüpft.
Diese Zukunft vertiefter Freundschaft, erweiterter Glücks-
begriffe bahnt die heutige Frau an. Sie betritt Gebiete, wo bisher
der Mann allein geschaltet hat, und wo die Entbehrung ihrer An-
wesenheit furchtbare Vernachlässigungen und Zerstörungen ver-
schuldete. Und um reinigend, erziehlich, versittlichend hier ein-
greifen zu können, findet sie sich auch vor allem dort ein, wo man
Kenntnisse erwirbt.
— 339 —
Eine ganz neue, grossartige Bedingung wird ihrer Liebe not-
wendig: Die Arbeit an der Kultur. Und da diese Arbeit eine
eigene Anschauung der Dinge, eigene Gedanken, eigenen Willen fordert,
vollbringt sie auch das Natürlichste, den Uebergang vom unselbst-
ständigen Weibe zum selbständigen, vollberechtigten, vollverpflichteten
Menschen.
Die Verständnislosigkeit, mit der alle innere Entwickelung
zu kämpfen hat, greift nun gerade diese Arbeit als unberechtigt,
als Unnatur an und belehrt uns darüber, was Natur, was Liebe,
was weiblich sei.
Lange vor heute, als es noch Schande oder doch ein viel ge-
fährlicheres Wagnis war, sich Frauenrechtlerin zu nennen, hat die
bahnbrechende Luise Otto Peters fein und würdevoll die Anmassungen
zurückgewiesen, die sich gegen unser heiliges Recht auf Arbeit
auflehnten. Ihr Gedicht „Geständnis" kennzeichnet sich als Mark-
stein in der Litteratur. Es heisst:
Und weil ich schwieg, und weil in keuscher Scheue
Ich nimmer auf dem ofi'nen Markt gesungen
Von meiner Seele ew'ger Liebestreue,
Von meines Herzens süssen Huldigungen:
Meint Ihr, ich sei kein fühlend Weib geblieben.
Indes der Freiheit Fahne ich getragen?
Ich hab' verlernt zu dulden und zu lieben,
Weil meine Lieder keine Liebesklagen?
arme Thoren, die Ihr noch könnt wähnen,
Dass stille Lieb' und lautes Wort sich einen,
Dass wir die Heiligsten von unseren Thränen
Vor aller Welt vermögen auszuweinen.
Hört Ihr die Nachtigall am Tage schlagen
In lauter Menschen emsigem Gewimmel?
Sie wird zur Nacht, im stillen Haine, klagen;
Den Menschen nicht, sie singt ihr Lied dem Himmel.
Die Lerche aber singt im Sonnenscheine,
Sie ruft die Menschen wach zu neuen Thaten.
Wo sie der Arbeit pflegen im Vereine,
Schwebt sie am liebsten, ob den grünen Saaten.
So hab' ich Euch als Lerche aufgewecket,
Das Morgenlied der Freiheit vorgesungen.
Als Nachtigall hab' ich mich tief verstecket,
Das Lied der Liebe ist in Nacht verklungen.
Welche unermessliche Wohlthat: die Frauen, deren Liebeslied
verklingen musste in Nacht und für immer, hat das Freiheits-
morgenlied wieder erweckt zum Leben, zu einem nie endenden
Arbeitstage!
■ Denn wie unabweislich, wie unermesslich drängt sich uns Arbeit
auf. Sie will nicht nur eine Erlösung für den Unglücklichen sein,
sie will auch Pflicht für jeden Glücklichen werden. Jedem Einzelnen
ruft unsere grosse Zeit zu: arbeite! Ueberall hin dringt dieser Ruf
22*
— 340 —
und hat sich seitdem auf dem Gebiete der Litteratur hörbar ge-
macht. Wo man nur Schönheit geniessen wollte, werden uns alle
Nöte, auch in hässlichster Gestalt vor Augen geführt; wo wir den
Frieden zu suchen gewöhnt waren, greift der soziale Kampf Platz.
Ob das statthaft sei, darüber wird vielfach gestritten.
Es ist immer Sache des Talentes, derartiges richtig zu stellen.
Und jedes Talent erfüllt uns deshalb hauf)tsächlich mit Staunen,
weil es zu einigen versteht, was sich als scheinbar gegensätzlich be-
fehdete. Es erfüllt uns mit einem besonderen Glücksgefühl, dass es
der Frau gelang, nachdem sie sich zur Kulturarbeit bekannt hatte,
aach diese Arbeit mit dem ganzen Material von sozialen Schäden
der Poesie einzuverleiben. Wer wagt wohl Ada Negri den Namen
einer echten Poetin streitig zu machen? Sie zeisrt das Hässliehe,
aber mit welch' verklärender Liebe ! Sie wird der höchsten Forderung,
die man an den Poeten stellen kann, gerecht, sie entzündet im Leser
die edelsten Empfindungen.
Als Beispiel für ihr volles, reifes Zeit Verständnis möchte ich
ihr Gedicht „L'asilo nottumo" herausheben. Es zeigt uns bittere
Armut auf der einen, Wohlthätigkeitssinn auf der anderen Seite,
Armut in ihrer ganzen ünermesslichkeit und Wohlthun, wie es
heute noch geübt wird, in seiner ganzen Unzulänglichkeit. Wenn
die heimatlos Herumirrende das für eine Nacht vergünstigte Lager
wieder verlassen muss, so empfinden wir die ganze Grausamkeit
solcher Wohlthat.
„Sie denkt im Traum, dass jetzt und immerdar
Dies warme Bett sie hat!
Und lächelnd hold ein Bild vor ihr erwacht
Vom Stübchen, wo sie näht.
Und dabei singt, indes ihr Kindchen lacht.
Von Wärm' und Licht umweht.
— Ein Klingeln schallt, die Morgenröte dringt
Im düstern Schlafsaal ein.
Die Arme auf vom fremden Bette springt
Beim matten Dämmerschein;
Mit Lumpen sie die Blosse wieder deckt
Und kehrt mit ihrem Kind
Ins Elend, das mit altem Grau'n sie schreckt.
Zurück in Frost und Wind.
Zur .Jagd nach Brot!
Begierig lauernd zieht sie feindlich hin.
Denn Arbeit hat sie nicht.
Ada Negri versteht, dass es sich heute in erster Linie darum
handelt, die Systeme zu finden, welche allein einen Ausgleich zwischen
Not und gutem Willen schaffen können. Diese höchste Zieit-
anforderung versteht sie vermöge der ihr innewohnenden Schwester-
liebe.
Liebe ist international. Es ist eine Genugthuung, auf diesem
Kongress dankend unserer anders redenden, aber gleich empfindenden
Schwestern zu erwähnen. Es wäre aber ebenso gewiss undankbar,
wollten wir, wo Liebe das Wort hat, nicht unserer deutschen
— 341 —
Schriftstellerin den breitesten Raum gewähren, die lan^e vor Ada
Negri mit Liebe die Welt für uns gesehen, mit ihrem Herzen unser
Herz für die Welt erwärmt hat.
Nicht in Poesie der Form nach, sondern in poesievoUer Prosa
waltet Marie von Ebner -Escbenbach ihres Liebesamtes in der
Litteratur. Männliche Verehrer zeichnen sie mit dem Lobe aus:
sie schreibt wie ein Mann. Weibliche Verehrer sagen: sie schreibt
wie kein Mann schreibt, denn ihr ist das weiblichste eigen, was in
dem oft so unerquicklichen Vergleich zwischen männlich und weib-
lich freudig hervorgehoben werden darf: das mütterliche Element.
Wer stünde ihrer Liebe fern? Der letzte unter den vom Glück
Vergessenen, von der Welt Verlassenen ist ihrem grossen Herzen
der Nächste. Und wie sie selbst durch ihre allumfassende Liebe
die wahre Weiblichkeit verkörpert, wirkt ihre Dichtererziehung
dahin, dem Weibe zum Bewusstsein zu bringen, dass es dann das
weiblichste heissen darf, wenn es an den Menschen seine Schuldig-
keit thut.
Laura Marholm nennt einmal mit komischer Herablassung
unsere Marie von Ebner: „Die Gute." Wir thun es im Tone der
tiefsten Ehrfurcht, die uns der Mensch abzwingt, in dem sich der
ganze Inhalt des Gutseins verkörpert, der uns durch Wort und
Leben belehrt. „Wie weise muss man sein, um gut zu sein." So
heisst das Glaubensbekenntnis unserer Dichterin und Philosophin.
Es kennzeichnet den Gehalt des Ijcbens, und die Dichtungen Marie
von Ebneres geben die Grundbedingungen, die zum Gutsein und
Gutwerden not thun. Ihr genügt zum Gutsein durchaus nicht die
Liebe zum Guten, der Genuss des Guten. Den Ursachen von gut
und böse nachzugehen, ohne Scheu an das Böse heranzutreten, darin
besteht ein Teil ihrer Weisheit. Wie nachhaltig versteht unsere
Dichterin uns dahin zu überzeugen, dass Liebe nur wirkungsfähig
wird, wenn sie einen unlöslichen Bund mit der Erkenntnis schliesst,
wenn sie all die verschiedenen Kräfte in Dienst nimmt, die man der
Frau fälschlich als einander entgegenwirkende hinstellt, die aber in
Wahrheit einandtT ergänzen sollen. Wie geschärft bis zum Hell-
seherischen ist ihre Erkenntnis, wo es ihr gilt, uns die Schrecknisse
zu verdeutlichen, welche der Wille zum Guten zu überwinden hat.
Nichts ist so rührend, wie diese Selbstüberwindung, geübt von einer
reinen Seele, um einzudringen in die Beschaftenheit abgefeimter
Schlechtigkeit. Wo das geschieht, wie bei der Umgebung des welt-
verlassenen Gemeindekindes oder bei den beiden Männern in der
Totenwacht, von denen der eine die Kindheit, der andere die Jugend
eines Mädchens ruiniert hat, immer dient es nur dem Zweck, auf
diesem dunkeln Hintergrunde die Lichthöhe des Guten zu zeigen, der
Kraft des Guten zum Siege zu verhelfen.
Wo das in den vom Leben Beraubten vor sich geht, wie im
G-emeindekind und der Toten wächterin, die trotz alles Jammers diesem
Leben seinen Tribut zahlen: Die Arbeit, die es von uns
fordert, werden wir auf die Knie gezogen.
Solches leisten die Aermsten, die Angefochtensten, die Be-
lastesten. Und wir, an welche die härteste Not nicht herantritt,
wir, denen geistige Mittel zu Gebote stehen, wir sollen unseren
— 342 —
Lebenszweck nicht darin zu suchen haben, fiir die heimgesuchte
Menschheit, der unsere Liebe so nötig ist, alles einzusetzen, was wir
voraus haben?
Mit der ihr charakteristischen Wärme erreicht sie, was der
Welt heute so nötig ist und was uns Frauen befähigt, die Not der
Welt zu lindern: sie erweitert und vertieft den Begriff Liebe.
Sie zeigt uns Liebe als den Quell, der alle Durstigen laben kann.
So hoch über persönlichem. Öliick allgemeiner Menschenzweck
steht, so hoch steht über der Liebe zwischen den Geschlechtern die
Menschenliebe. Sie umfasst alle göttlichen Gedanken, die sich immer
lebendiger entzünden sollen und alle Menschenkraft, die hierzu
erforderlich ist.
Die Menschenliebe gleicht den neuentdeckten Lichtstrahlen,
welche kürzlich mit ungeahnter Kraft und von ungeahnter Stelle
aus die Welt überraschten. Strahlen der Menschenseele haben sich
abgesondert und sich ihren ganz selbständigen Weg in's Dunkel
gesucht. Von dort aus durchbrechen sie plötzlich, was man für
undurchdringlich hielt.
Welche Errungenschaften wird es ergeben, wenn diese, man
darf wohl sagen, kraftvollsten Strahlen, erst einmal überall dort
hinein geleitet worden sein werden, wo unerkanntes Schicksal der
Beleuchtung, unverschuldete Schuld der Sühne harrt?
Können wir die Grösse der Aufgabe ermessen, für welche wir
Alle berufen sind? Die Aufgabe, ein gesunderes, leistungsfähigeres,
befriedigteres Geschlecht mit heranbilden zu helfen, die Frau von
der Knechtschaft des Zufalls zu erlösen, sie zu einem selbstbewussten
Weltbürger zu machen, damit sie, nach langem vergeblichen Suchen,
nach erlittenen Verlusten, gleich Sappho sagen kann: „Ich suchte
Dich und habe mich gefunden."
Gruss der deutschen Friedensgesellschaft.
Von Herrn Prediger Seydel, Berlin.
Meine Damen und Herren! Wenn ich es wage, hier vor Ihnen
zu reden, so ist der erste Grund, dass ich amtlich dazu aufgefordert
bin von dem Verein, den ich die Ehre habe hier vertreten zu dürfen,
und zweitens, weil ich meine, ich habe auch ein Recht, zn Ihnen zu
sprechen. Denn wir haben in der Friedensbewegung deutsche
Frauen, welche uns grosse Dienste leisten.
Ich habe Ihnen den Gruss der deutschen Friedensgesellschaft
zu bringen.
Meine Damen, ich kenne das deutsche Frauengemüt aus aller-
bester Erfahrung und zwar erstens, weil ich verheiratet bin, und
dann habe ich ein deutsches Frauenherz von grösster Liebe, Güte
und Wärme in meiner Mutter kennen gelernt. Die deutsche Frau
ist aufgewachsen in dem Gedanken der Vaterlandsliebe. Und dieser
Gedanke gerade ist es, der Deutschland gross gemacht hat.
Aber zugleich lebt in jeder deutschen Frau ein anderer Ge-
danke, der heisst Friede. Wir Deutsche empfinden mit unserem
Frauen, dass es kein grösseres Glück giebt, als wenn der Friede
— 343 —
UDS bewahrt bleibt. Deshalb hat auch die Friedensgesellschaft unter
den Frauen so viele Mitglieder.
Wer möchte wohl wünschen, dass die Kriegsfurie entfesselt
werde? Es ist die Welt so geteilt, dass alle Nationen zufrieden
sein könnten. Auf eins kommt es an, dass die deutschen Frauen
nicht wieder weinen und die deutschen Bräute nicht wieder trauern
müssen. Wenn dieser Kongress international heissen kann, so ist
dies eine Folge des Friedens. Die männermordende Feldschlacht
kann uns keinen Vorteil bringen, sie bringt nur Wehe, und Wehe
sollen wir von den Völkern fern halten. Ich freue mich, dass ich
hier habe hören können, dass Sie, verehrte Frauen, bestrebt sind,
auch von den Einzelnen das Wehe nach Kräften fernzuhalten.
Man kann den Menschen nicht immer vor Weh bewahren, das
liegt in der Vorsehung beschlossen, aber wir wollen die Hände aus-
breiten, um so viel Leid zu beseitigen, wie uns irgend möglich ist.
Dazu gehört der Kri<»de. Darum begrüsse ich Sie zum Schluss mit
den Worten: Friede sei in unseren 2ieiten uns beschieden.
Zur Friedensbewegung.
Von Frau Melitz, Berlin, Delegierte des deutschen Vereins für
Friedenspropaganda.
Geehrte Genossinnen!
Unter den Zielen, welche die moderne Frauenbewegung verfolgt,
begegnet bekanntlich das der politischen Gleichberechtigung der >
Frauen dem grössten Widerstand. Gerade deshalb dürfte es politisch
sein, hier die Hebel der Frauen- Agitation in erster Linie anzusetzen.
Das Gebiet der Politik ist es, auf dem die Herrschaft des
Rechtes und der Humanität noch am wenigsten Wurzel geschlagen
hat, obgleich dasselbe bis jetzt fast ausschliesslich in den Händen
der Männer lag.
Gerade hier bietet sich daher für die Frauen die günstige Ge-
legenheit das Uebergewicht der Männer durch einen entsprechenden
Wettbewerb in Frage zu stellen.
In der Politik befindet sich die sogenannte zivilisierte Welt
noch auf dem sehr unzivilisierten Standpunkte, dass kein Staat
einen Richter über sich anerkennen, noch auf eigenmächtige Selbst-
hilfe in seinen Streitigkeiten verzichten will, sobald es sich um
wichtige Fragen handelt, während jeder Staat diesen Verzicht von
seinen Angehörigen verlangt.
Es sind leider nur wenige Minuten, welche mir vom Präsidium
des Kongresses vergönnt werden konnten, und ich zwinge mich
deshalb, meinen Vortrag in den allerbescheidensten Grenzen zu
halten und mich so kurz wie möglich zu fassen.
Ich bin vom deutschen Verein für internationale Friedens-
propaganda, dessen Vorstand ich angehöre, beauftragt, die Mitglieder
des heute hier tagenden F'rauenkongresses darauf aufmerksam zu
machen, dass sie der Friedenspropaganda, wie der genannte Verein
sie betreibt, ihre Aufmerksamkeit schenken möchten.
Unser Gedanke, den allgemeinen Völkerfrieden herbeizuführen,
— 344 —
gipfelt in dem einen Punkt, eine obligatorische internationale Frieden«-
justiz ins Leben zu rufen, deren Anordnungen die Regierungen sich
unbedingt unterwerfen sollen. Die Mittel und Wege dazu lassen
sich finden, wenn der ehrliche Wille des Staates da ist, einen dau-
ernden Frieden zu erhalten und die Greuel des Krieges für immer
von der Erde zu verbannen. Und gerade die Frauen sind dazu be-
rechtigt, den Frieden zu verlangen und zu fördern. Ich frage:
Giebt es etwas Edleres und Schöneres als für den Frieden zu
plaidieren ?
Die Völker selbst wollen auch keine Kriege. Was sie ver-
langen, ist die Weiterentwickelung aller Kultn raufgaben unter dem
Schutze des Friedens.
Die Kriege, die jetzt geführt werden, sind durch die Fort-
schritte der modernen Technik auf dem Gebiete der Schusswaffen
nur noch ein Hinschlachten ganzer Massen zu nennen, wobei die
persönliche Tapferkeit des einzelnen Individuums nichts mehr be-
deutet. Es kommt daher sehr darauf an eine möglichst grosse Zahl
von Mannschaften ins Feld stellen zu können, die weittragendsten
Flinten und die durchschlagendsten Kanonen herzustellen. Deshalb
auch die dahingehenden Anstrengungen der Regierungen. Wenn
jedoch der Wille der Völker /um Rechte käme, würde die Welt
einen dauernden Frieden haben. Wird erst einmal das Kriegsrecht,
das Recht des Stärkeren beseitigt, dann wird auch uns b>auen
unser volles Recht werden. Wenn wir die Entwickelung unserer
Rechte auf sozialem und politischem Gebiete betrachten, so bekommen
wir allerdings herzlich w^nig zu sehen. Aber ich erblicke in der
Zukunft die dunklen Wolken sich lichten und das Morgenrot einer
neuen Aera am Horizont anbrechen. Die Sonne unseres Rechtes
wird aufgehen und mit ihren Strahlen die Erde erwärmen. Wie
wir heute lächeln über die Sitten vergangener Zeiten, in denen die
Frauen viel mehr eingeschränkt waren, als sie es jetzt sind, so
wird man in dem anrückenden neuen Jahrtausend lächeln über die
Ansichten der heutigen Generation, sich den Rechten der Frauen
gegenüber in die Speichen der Räder geworfen zu haben.
Ansprache in der Friedensfrage.
Von Frau Lina Morgenstern, Berlin.
Als Delegierte der Ligue internatiorale pour le desarmement
general, deren Vorsitzende Fürstin Wisniawska in Paris, der
Ligue fran(;aise pour la paix, deren Vorsitzende Frau Potonie Pierre
in Paris ist und als Delegierte der Dt'utschen Friedensgesellschaft,
deren Vorsitzender Herr Pastor Sej^del Sie bereits begriisste,
möchte ich den anwesenden Teilnehmerinnen am Kongress die drei-
fache Bitte dieser Gesellschaften aus H»'rz legen, sich der Friedens-
bewegung anzuschliessen, wenn dies bisher noch nicht geschehen ist,
und namentlich Frauengruppen in allen Ländern zu bilden. Leidet doch
niemand mehr unter den Grausamkeiten des Krieges als die Frauen,
welche alsdann ihre Gatten, Brüder, Verlobte oder Söhne dahingebcm
müssen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um das Leben Anderer zu ver-
nichten, welche sie nicht kennen, welche ihnen nie ein Leid thaten.
- 346 —
Wir haben in unserer Jugend das Gebot gelernt: Du sollst
nicht töten! Wir lehren dieses Gebot unseren Kindern — und
dennoch muss jeder militärpflichtige Jüngling und Mann gehorchen,
Tvenn es heisst: „Der Krieg ist da, — nun folgt dem Ruf zum
Massenmord." In dem bewaffneten Frieden, in dem sich die europäischen
Staaten seit 25 Jahren befinden, — was ja zur Vertheidigung des Vater-
landes notwendig ist, wenn ein Krieg nicht vermieden werden kann, —
werden immer neue mörderische Waffen und Maschinen erfunden,
um einen kommenden Krieg nur noch entsetzlicher zu gestalten.
Uns Frauen erwächst eine ganz besondere Aufgabe in der Erziehung
der Söhne, nämlich wir sollen ihnen nicht schon in frühester Kind-
heit als erstes Spielzeug Waffen in die Hand geben, — ein Schiess-
gewehr, Säbel, Flinte, um in ihnen die Vorliebe für das „Darauf-
losschlagen" zu pflegen. Nicht die rohe Gewalt sollen wir als Mut
und Tapferkeit preisen, sondern die Selbstbeherrschung, die Energie
und Ausdauer des Wollens und Thuns. —
Auch die Schule sollte im Geschichtsunterricht den Nationalitäts-
hass zu nähren vermeiden. Bei der Be/ieisterung und glühenden
Liebe zum eigenen Vaterlande und zur Heimat, sollten wir doch
nie vergessen, dass die Erde unserer Aller Heimat ist und dass wir
Menschen einen Ursprung und eine Erde haben und nicht der Hass,
sondern die Menschenverbriiderung aller Völker sei das letzte ideale
Ziel der IMenschheit.
Vor unserem Kongress tagte der grosse Weltfriedenskongress
in Budapest vom 17- 22. September. Dort waren die Bevoll-
mächtigten von mehr als 300 Fried(^n«gesellschaften vereinigt, die
aus allen Teilen Europas und Nordamerikas zusammengekommen
waren, unter ihnen viele Frauen, welche unermüdlich lür die
Friedensideen eintraten, wie Hertha v. Suttner, Frau Evans-Ormsby,
Frau Vincent. Sie alle hegen die Hoffnung, dass mit der immer
mehr zunehmenden Gesittung und den bestandigen Fortschritten der
Menschheit, die blutigen Kriege immer mehr beseitigt werden können.
Viele Fälle sind schon dagewesen, wo Völker, die in Streitigkeiten
verwickelt waren, Schiedsgerichte angerufen haben, um die trennenden
und feindseligen Zwistigkeiten auf friedlichem Wege zu schlichten.
Die Thiitigkeit der Friedensgesellschaften ist darauf gerichtet,
dass Mittel und Wege gefunden werden, um die Zerwürfnisse unter
den verschiedenen Nationen nicht durch rohe Gewalt und Blut-
vergiessen, wie in früheren barbarischen Zeiten, zum Austrag zu
bringen, sondern durch internationale Schiedsgerichte, denen sich die
Machthaber alsdann unterwerfen. Drängt sich nicht jedem Menschen-
freunde unwillkürlich die Betrachtung auf, dass durch ein solches
Schiedsgericht der europäischen Mächte die furchtbaren Gräuel
zwischen Türken und Armeniern langst hätten aufhören müssen?
Wir Frauen aber wollen und sollen dazu beitragen, die Ideen
der Friedensgesellschaften zu verbreiten. Wir sollen überhaupt das
versöhnende Prinzip vertreten, sowohl in der Erziehung, wie im
sozialen Leben. Nicht Klassen- und Rassenhass, nicht Intoleranz
religiösen und politischen Gesinnungen gegenüber — werden der
Menschheit eine glückliche und würdige Zukunft bringen, sondern
~ 346 —
die Gerechtigkeit und die nie ermüdende Nächstenliebe. Für den
Frieden innerhalb des Vaterlandes und für den Frieden unter den
Völkern wollen auch wir Frauen mit Mut und Freudigkeit eintreten.
; GcrüS89 aus Frankreich.
j
i Mitgeteilt von Frl. Dr. Schirmacher.
I Wir erhalten soeben durch MUe. Dupont noch ein Schreiben
von Mme. Flammarion, der Vizepräsidentin der Ligue internationale
des femmes pour le desarmement general. Das Schreiben und die
folgende Statistik können wir hier nicht verlesen. Ich denke aber,
' wir wollen nicht vergessen, dass gerade in der Friedenssache von
Frankreich aus ein direkter Appell an uns gerichtet worden ist.
Friedensgruss aus Palermo.
Von Frau Rosalie Schoenflies, Berlin, Ehrenmitglied und Delegierte
des „Comitato delle Signore per la Pace e T Arbitrato di Palermo."
In keinem Lande hat die Bewegung für den Frieden in den
letzten Jahren eine solche Ausdehnung gewonnen wie in Italien,
wo der afrikanische Krieg unmittelbare Veranlassung war.
Die Frauen-Petition um Beendigung des afrikanischen Krieges,
welche dem italienischen Parlament überreicht wurde, zählte nicht
weniger als 150 000 Unterschriften. Ausgegangen von dem Bund
der Frauen-Vereine in Mailand, war diese Petition von allen Frauen-
Vereinen des Landes eifrig verbreitet worden; und man kann sagen,
dass es in Italien keinen einzigen Frauen- Verein giebt, der nicht die
Propaganda für den Friedensgedanken zu seinen Aufgaben zählt.
Ausschliesslich diesem Zwecke dient das „Frauen- Komitee für
Frieden und Schiedsgerichte in Palermo", das zu vertreten ich die
Ehre habe und das mich beauftragt hat, hier einige Mitteüungen
über seine Geschichte und seine Thätigkeit zu machen. Wegen der
kurz bemessenen Zeit beschränke ich mich auf das Wichtigste und
das Eigenartige.
Das Frauen-Komitee für Frieden und Schiedsgerichte in Palermo
konstituierte sich am 5. Juli 1891 in einer hierzu berufenen Ver-
sammlung, in welcher Signorina Marietta Campo, eine der hervor-
ragendsten Vertreterinnen der Friedensidee in Italien, einen Vortrag
über die Mission der Frau in der Friedenspropaganda hielt.
Im Januar 1892 wurden die Statuten angenommen. Danach ist
Zweck des Vereins, dass er überall und mit allen ihm zu Gebote
stehenden Mitteln für die Prinzipien der Humanität und Gerechtigkeit
eintrete, nach denen Streitigkeiten zwischen verschiedenen Staaten
nicht mehr durch die Waffen, sondern durch internationale Schieds-
gerichte beizulegen seien. Den Mitgliedern des Vereins wird zur
Pflicht gemacht, sowohl in der eigenen Familie wie in allen ihnen
zugänglichen Kreisen das Gefühl der Brüderlichkeit für alle
Völker und die Idee des Weltfriedens in die Herzen zu pflanzen.
— 347 —
Aus der umfassenden Thätigkeit des Vereins nenne ich: Ver-
anstaltung öffentlicher Frauen-Versammlungen zur Erörterung der
Friedensfrage, Mitarbeit in der Tagespresse, Veröffentlichung be-
sonderer Flugblätter, Teilnahme an internationalen Friedenskongressen,
auch darch Stellung besonderer Anträge und endlich regen Austausch
mit anderen, vorzugsweise englischen Friedens vereinen.
Besonders aber liegt meinen Auftraggebern am Herzen, dass
ich Ihnen von einer Einrichtung spreche, für welche sie die Initiative
ergriffen haben, und die meines Wissens sonst nirgends besteht.
Es ist dies eine Sonntagsschule für Mädchen, in welcher die-
selben füi' den Friedensgedanken und zam Gefühle allgemeiner
Brüderlichkeit erzogen werden sollen. Diese Anstalt, die im Jahre
1894 eröffnet wurde, nimmt Mädchen von 8 — 18 Jahren auf und
hat einjährigen Kursus. Die Zahl der Schülerinnen war zuerst
gering, stieg aber im 2. Jahr auf einig«? 30.
Aus dem Lehrplan der Schule hebe ich einzelnes zur Charakteri-
sierung hervor. Der Unterricht l)eginnt mit einer Besprechung der
Pflichten, die jeder Mensch gegen Gott, gegen sich selbst, gegen
die Familie und gegen den Nächsten zu erfüllen hat. Die Pflichten
gegen den Nächsten umfassen auch die Pflichten gegen die An-
gehörigen anderer Völker: und neben der Pflicht des Patriotismus
steht die Pflicht gegen die Menschheit. Der Friede ist eine
religiöse und sittliche Pflicht und liegt zugleich im Interesse jedes
Volkes. Die Uebel des Krieges sind moralischer, kulturfeindlicher
und materieller Art. Der Gedanke des allgemeinen Weltfriedens
und die Mission der Frau für die Friedenspropaganda bilden den
Schluss der Besprechungen.
Der Lehrerin wird zur Pflicht gemacht, ihren Stoff nicht abstrakt
zu behandeln, wie es nach dieser kurzen Uebersicht scheinen könnte,
sondern in anschaulicher Weise und dem Verständnis der Kinder
angepasst; durch Beispiele, passende Erzählungen und Gedichte er-
läutert und belebt.
Soll der Gedanke des allgemeinen Weltfriedens in immer wei-
teren Kreisen sich verbreiten und so anwachsen, dass er einst in
der Zukunft eine Macht von unwiderstehlicher Gewalt werden kann,
so muss er in die empfanglichen Herzen der Jugend gepflanzt, in
die Familien getragen und von Generation zu Generation befestigt
werden. Aus dieser Erkenntnis ist die Schule in Palermo hervor-
gegangen, und in diesem Sinne spricht das Frauen-Komitee durch
mich den Wunsch aus, dass auch anderswo ähnliche Anstalten
entstehen möchten.
Wir Frauen der verschiedenen Nationalitäten und Staaten, die
wir hier versammelt sind, um unsere Ansichten über unsere gemein-
samen Angelegenheiten auszutauschen, sind einander auch menschlich
und persönlich nahgetreten. Wir haben uns hier Schwestern ge-
nannt und als Schwestt^n für einander empfunden. Lassen Sie uns,
meine Schwestern aus Nord und Süd, aus Ost und West, von Fern
und Nah, dies Gefühl der Schwesterlichkeit festhalten, wenn die
hochgehenden Wogen der Festesstimmung verrauscht sind, und jede
von uns wieder im Alltagsleben ihrer Heimat steht. Dann werden
wir in immer höherem Masse unsere Frauenmission erfüllen können.
— 348 —
die niemals schöner ausgesprochen worden ist, als in den Worten
des alten giiechischen Dichters:
„Nicht mitzuhassen, mitzulieben leb' ich nur".
Schlusswort.
Von Frau Minna Cauer.
Es ist mir die ehrenvolle Aufgabe zu teil geworden, das letzte
Wort zu dieser Versammlung zu sprechen. Tiefbewegt stehe ich
vor Ihnen, und ich bin überzeugt, dass viele unter Ihnen in ähnlicher
Weise empfinden. Ungeahntes ist es, was wir in dieser Woche er-
leben durften, ungeahnt ist der Erfolg, den wir heute mit Freudigkeit
verzeichnen können.
Ich schaue um mich auf diesen herrlichen Saal, auf diese tausend-
köpfige Menge, welche eine Woche lang mit immer wachsendem
Interesse unermüdlich ausgeharrt hat. Dieser Festsaal, der sonst
nur zu Festlichkeiten des Magistrats der Haupt- und Residenzstadt
des Deutschen Reiches hergegeben wird, hat zum ersten Male Frauen
aufgenommen und zwar diejenigen Frauen, welche in ernster Arbeit
und in hartem Kampfe um diese Arbeit und um ihr Bürgerrecht
stehen.
Dem Magistrat der Stadt Berlin sei darum der erste Dank von
mir gebracht, den Vätern der Stadt, die ihre Mütter, ihre Töchter,
ihre Schwestern in dieser herrlichen Halle haben tagen lassen. Man
hat uns so gewisserniassen ein Bürgerrecht erteilt. Wir Frauen
besitzen ein dankbares und treues Gemüt. W^ir werden daher nie-
mals mehr die A^äter unserer Stadt allein und einsam walten und
arbeiten lassen. Das ist doch wahrlich ein edles G-elöbnis und ein
edler Dank!
Aber wenn ich der Väter gedenke, welche uns diesen Raum
gewährten, so kann ich nicht umhin, des Mannes zu gedenken, der
rastlos für die Ordnung in diesem Saale sorgte. Ihm, dem freund-
lichen Hausinspektor, mit seiner Schar von Dienern, die einzogen,
um Sauberkeit und Ordnung wiederherzustellen, wenn wir, erfüllt
von dem Gehörten, unbekümmert um die Herstellung der Aeusser-
lichkeittn, den Raum verliessen: ihm sei unser herzlicher Dank
hiermit gesagt. Vergessen wir auch nie, der Kleinsten und Geringsten
unter uns zu gedenken; gerade die Heinzelmännchendienste müssen
das Schaffen für das Grosse erinöglichen, und so sei auch dankbar
der Arbeiter und Arbeiterinnen in diesem Saal gedacht, welche in
den ersten Tagen des Kongresses staunend die Frauen hier einziehen
sahen. Wir haben so viele wichtige Worte über die Pflichten gegen
unsere Schwestern, die Arbeiterinnen, gehört, so dürfen wir an
dieser Stätte am wenigsten vergessen, was hier während der Tagung
des Internationalen Kongresses von ihnen aus geleistet worden ist.
— Der Frau sei nun von mir dankbar gedacht, welche die Idee
dieses Internationalen Kongresses zuerst ausgesprochen hat, Frau
Lina Morgenstern. Möchte sie noch lange leben, um die Früchte
von dem zu sehen, was, wie ich glaube ohne Ueberhebung aussprechen
zu dürfen, von uns allen hier gesät worden ist!
— 349 —
Dem Komiti'e des Int4M*national(*n Kon<rress«'.s, die^t^n ener^isoheii
Frauen, welche in rastloser. anire*«trenj:tr.ster. mfihevollster Arbeit in
80 kurzer Zeit ein so jjrosses Wrrk frestalt»'t tiaben und treu zu-
sammenhielten! ^iin die Ide*' /.u vtTwirkliclien: di(*st'ni Komitee aber
brauche ich kt*inen Dank sair«'n. I»li k'-nne si«», «liese Krauen, sie
sind belohnt für ihre treue, hini:ebt»nde Arbeit durch den uner-
warteten und j^ssartijren Krf«)l<r des Konirressrs.
Wenn ich dennoch eine Kominission nenne, die Saalkommission,
um ihr mühevolles Walten l>eson<ler.s an^rkeniund hervorzuheben.
80 wird jeder, der diese Tiure init«'rlel>t hat, wissen, welch' eine
schwierige Aufeabe di^'ser Kommission und dem Geschfiftsbüreau
bei dem ungeheuren Andranir oblaj;. Xiemals i**t di»' liuhe gestört.
worden, und nur, wer tiefer in das inn»*re (ietriebe des Ganzen
hinein^blickt hat, kann beurteilen, was das sairen will. —
(Es folgten dann in fran/ösi«'h»'r und en^liscb«T Sprache herz-
liehe Dankesworte an die au»*liindis<'luM) D'lei:it*rten.j
Und nun, verehrte AnwestMide, bitte i<'h Si»- — last not least
— , dass ich mich einen Aujrenblick mit. dem miinnlichen Geschlecht
beschüftigen darf. Vor mir sitzt eine ^la^-ht, eine gewaltige Macht.
Wir kennen sie alb», die^* Macht di«* uns. wenn sie will, grosse
Schwierigkeiten in den Wr«: h^^^en kann, welche aber auch - und
das hat sie dieses mal fa^-t durchwt»g mit mehr oder weniger Wohl-
wollen und mit mehr oder weniirer Sachkenntnis ausgeführt —
diejenige Stellung, welche die Frau«*nbewegung in der Entwickelung
unseres Kulturlebens einnehmen kann, ja einnehmen mu^is, durch An-
erkennung und durch verständnisvolle Würdiüfung zu stützen und
zu befestigen vermair. Ich meine <lie Presse. die<e Vertreterin der öffent-
lichen Meinung. Wir hab»'n hier* vor der R«'dnerbühne eine Woche
lang Männer und Frauen zu<amm»'nsitzen sehen, welche in fast
aufreibender Thätigkeit tairtiiglich nahezu alle bedeutt»nden Zeitungen
und Zeitschriften mit dem Inhalt der hier irehaltenen Vorträge und
Verhandinngen bekannt gemacht haben. Keine ])olitische Richtung
hat hier gefehlt, von <ler ultrakonservativsten bis zur radikalsten
und revolutionärsten. Friedlich sausen hier alle zusammen, friedlich
auch Männlein und Weiblein. Kaum ein bedeutendes Blatt des In-
und Auslandes war unvertret»'n, imd zum ersten Mal ist die Frauen-
sacbe mit jenem Ernst und mit jener Wichtigkeit behandelt worden,
welche eine so mächtige Kulturheweirung erheischt. Wir haben
diesen Frauen und Männern den wärmsten Dank für ihre nie
ermüdende Thätigkeit auszusprechen; es ist ihnen viel, sehr viel in
dieser Woche zugemutet worden. Wenn ich zu diesem Danke eine
Bitte hinzufügen darf, so ist es die : möchte die l^resse doch die guten
Beziehungen zu unserer Bewegung aufrechthalteu! Wir haben
uns kennen gelernt, und ich glaubt» ohne Ueberhebung sagen zu
dürfen: man hat uns auch achten gelernt. Arbeiten wir in ernster
Weise weiter, und man wird uns vielleicht auch noch einmal ganz
verstehen lernen. —
Und nun des Dank(\s genug! Ich wende mich zum Kongress
selbst. Man hat oft während des Kongresses an uns die Aufforderung
gerichtet, dass M'ir Resolutiont^n fassen lassen sollten; es gingen
auch dahin gerichtete Anträge ein. Wir haben sie grundsätzlich
— 360 —
zurückgewiesen. Wir haben jedoch einige wichtige Fragen zur
Diskussion kommen lassen. Wir waren im Komitee von Anfang an
völlig einig darüber, dass der erste Frauenkongress in Deutschland
nichts mehr und nichts weniger sein könnte, als eine Aussprache
über die Kulturarbeiten der Frauen zivilisierter Länder. Wenn 'man
uns das „Zuviel" v ■ geworfen und es als ein Zeichen von Ober-
flächlichkeit angesehen hat, so konnten das nur Uneingeweihte oder
Misswollende sagen. Der Grundsatz des Yoneinanderlernens leitete
uns, und gelernt haben wir viel, haben wohl auch Erfahrungen
gemacht, infolge deren wir einen später etwa stattfindenden Kongress
noch zweckmässiger zu gestalten vermögen- —
Es war — das muss nachdrücklich betont werden — gar nicht
unsere Absicht, etwa nur einige grosse Prinzipienfragen zu behandeln
und irgendwie entscheidende Beschlüsse zu fassen. Dennoch haben
wir über zwei Fragen uns in prinzipieller Weise ausgesprochen,
Fragen, welche nach meiner Ansicht, brennende geworden sind:
die Sittlichkeitsfrage und unsere Stellung zur sozialdemokratischen
Bewegung. Die letztere Frage zu erörtern, hatten wir nicht
beabsichtigt, wir danken aber den sozialdemokratischen Ver-
treterinnen der Frauenbewegung dafür, dass sie uns zu dieser Aus-
einandersetzung gewissermassen gezwungen haben. — Ich möchte
an dieser Stelle noch einmal betonen, dass wir alle Frauen
eingeladen hatten, von der konservativsten bis zur radikalsten; und
keine Richtung brauchte sich veranlasst sehen, fernzubleiben.
Die Aussprache mit den Sozialdemokratinnen hat uns bewiesen,
das solche Auseinandersetzungen von Nutzen sind. Trotzdem der
prinzipielle gegnerische, auch wohl feindselige Standpunkt der Partei
hie und da scharf zum Ausdruck kam, hat dennoch die Diskussion zur
Klärung beigetragen. Wir haben einerseits unsem Standpunkt fest-
gehalten, dass wir die Feindschaft nicht erwidern dürfen, andrerseits
versucht, die sachlichen Unterschiede erkennen zu lernen und die Wes^e
zu finden, auf denen wir gemeinsam arbeiten können. Ich bleibe bei
meiner Ueberzeugung und spreche sie hier von neuem aus, dass die
Frauen allein diejenigen sind, welche noch eine Brücke von einem Ufer
zum andern bauen können. Wann und wie dieselbe zu schlagen ist,
können wir heute noch nicht wissen.
Wir haben mit allem Ernst uns über die Arbeiterinnen frage
unterrichten wollen, und zum Teil sind uns auf diesem Kongress
wertvolle Mitteilungen über sie gemacht worden. Wir sind hier
nicht mit der Prätension aufgetreten, diese schwerste Seite der
sozialen Frage irgendwie ihrer Lösung näher bringen zu wollen.
Auch hier wollten wir lernen, nur lernen, prüfen, um zu neuer
Arbeit Wege und Ziele zu finden.
Wir haben ferner die dunkelste und traurigste Seite der so-
zialen Frage mit strenger Objektivität rückhaltlos und mit feinem
Takt vor der Oeflfentlichkeit zu erörtern gesucht: die Sittlichkeits-
frage. Auch hier konnten wir uns nur freuen, dass die Sozial-
demokratie ihre Ansichten kundgab. Der Austausch der Gedanken
hierüber war für beide Teile von Bedeutung und hat nur bewiesen,
dass auch auf diesem Gebiete manche gleichen Wege eingeschlagen
werden können. Dass die wirtschaftliche Lage der Arbeiterinnen,
— 351 —
die Iiohnverhältnisso u. s. w. von den bürporlicht'n Frauen mehr
erkannt und gekannt werden mfissen, ist uns während des Kon-
gresses nicht zum ersti-n Male klar irewonh-n; aber es ist uns von
neuem in aller Schärfe vor die Au^en ir^'fiihrt worden, dass es not-
wendig ist, sozial zu arbeitrn und sWh nicht immer in kleiner Ver-
einsthätigkeit zu zersplittern. Si«% vcn-hrte Anwesende, haben
täglich unerniildlich und mit fixst h«-r<Mscher Ausdauer diesen Yer-
sanomlungen und VortrJiiren bripewobnt. \\'rrden Sie jetzt mit der
gleichen ünermildlichkeit. mit drrsrlbfn Ausdauer ui diese grosse
soziale Arbeit mit uns fintn-tcn? \Vrrd«n Sie aus diesem herrlichen
Raom hinausziehen, um dann mit dvv ganzen Kraft der Persönlichkeit
an der grossen KulturbeweLOinir teilzunelunen? Werden Sie nicht
nur enthusiastisch anirereüft diesen Konjrress verlassen, sondern auch
thatkräftig handeln? Dürfen wir nun endlich hoffen, dass die
deutschen Frauen mit tief* m ausdauerndem Ernst diejenigen unter-
stützen, welche rastlos ihre Kraft und un(?rmiidlich ihre Arbeit in
den Dienst der Allg«Mneinheit stellen? Wenn in Ihren Herzen ein
zustimmendes Ja aut diese Fragen antwortet, dann ist dieser Kongress
in der That von gri)sst»'r kulturhistnrischer Hedeutung. —
Und nun noch mein letztes Abschieds wort für Sie und für
uns alle!
Jede von uns hat ihre eigene, ihn* persönliche Frauenfrage, und
wer diese zu lösen versteht, bat ein grosses Werk vollbracht, das
der Selbster/iehung; liat vielleicht einen stilb*n Kampf gekämpft,
der härter und schwerer war, als alle andern Kämpfe, weicht^ für
uns Frauen das Leben in der Oetfentlichki'it immer mit sioh bringen
wird.
Jedes Land hat seine eigene nati(niale Frauenfrage und jedes
Land hat diese auf seine eigene Weise anzugreifen, zu entwickeln,
zu lösen. Wohl können wir von unsirn mutigen und vorwärts-
strebenden Schwestern in den andern Liindern lernen, doch Xach-
ahmen wäre falsch. Nichts wird dem deutschen A'olke, an seiner
inneren Entwickelung, leicht gemacht, und es erschwert sie sich
selbst noch durch seine Zei-splitteningssucht; arbeiten wir Frauen
daran, dass in der deutschen Frauenbewegung dieses traurige Erb-
teil niemals in die Erscheinung trete I Seien wir streng mit uns und
streng mit den andern, damit die nationale Wohlfahrt gefördert
-werde, und nie Person* nkultus dem grossen idealen Streben der
Frauenwelt einen Niedergang beri'itel
Aber es giebt auch ein Internationales, was ewig war, heute
ist und ewig sein wird, das, was alle ^Menschen verbinden kann,
verbinden sollte: das sind die edlen, ewigen Gedanken der Menschen-
liebe und Gerechtigkeit. Wer dieses Internationale am ersten und
am höchstt^n zu verwirklichen w«'iss, ob ^lann, ob Frau, ob Germane,
Romane oder Slave, wer im Kampf um die sittlichen Güter den
ersten Preis zu erreichen v(Tsucht, der hat zum Fortschritt der
Menschheit beigetragen.
Der Grundgedanke des Kongresses war, diese höchsten Güter
der Gerechtigkeit und [Menschenliebe durch Frauenarbeit und Frauen-
bestrebungen zum Ausdruck zu bringen.
Trotz des Kampfes, der unausbleiblich zur Erreichung von
— 352 —
Idealen und notwendig zur Durchsetzung neuer Ideen ist, wird die
Arbeit der Frauen auf den Frieden hinführen; denn sie ist Kultur-
arbeit. Das hat auch dieser Kongress bewiesen. Die ewigen Ge-
danken des Friedens, der Gerechtigkeit, der Menschenliebe haben
uns geführt; und die Verwirklichung dieser Ideale ist das Ziel der
Frauenbewegung !
Hiermit schliesse ich den ersten Internationalen Frauenkongress,
den deutsche Frauen in Berlin einberufen haben.
Eingesandte Vorträge.
1) Woman's part in the Peace Movement in America by Mrs.
Mary Frost Ormsby-Evans, East Providence, Rhode Island,
President of Womans Peace League of America.
2) Bericht der Internationalen Liga Lutherischer Frauen (Lutheran.
Women's International League), gegründet zu Chicago im
Jahre 1893, Präsidentin Mrs. A. V. Hamma, Washington D. C.
Zum 1. Tage gehörig:
Le mouvement feministe en Belgique par M. L. Kuhlen, Secretaire
de r Union Internationale de la Branche beige.
Die Sektions - Sitzungen,
23
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1 1
I ■
Die Sektions-Sitzangeii.
Leiterin: Frau Jeannette Schwerin.*)
I.
Dienstag, den 22. September, Yormittag 10 Uhr.
1, Reform der Kleidnng.
Nooh ein bedeutsames Hindernis für die Bewegung
der Frau in der „Frauenbewegung**!
Von Dp. Spener, Arzt in Berlin**).
Neben den grossen, hohen Zielen, welchen die Frau mit dem
besten Erfolge — wie dieser Kongress zeigt — zustrebt, haben
auch einzelne andere Gegenstände Anspruch, hier erörtert zu werden,
weil sie zu denjenigen Angelegenheiten gehören , deren Ver-
besserung so recht ins Arbeitsfeld der F'rauen gehört und weil ferner
die Arbeit an ihnen sozusagen eine Vorstufe zu dem Hochplateau
der „Neuen Bahnen" bildet, ein Punkt, der auf dem Wege noch mit-
genommen werden muss, ehe wir weiter wandern!
Aus diesen Rücksichten heraus bitte ich Sie, meine hochgeehrten
Zuhörerinnen, mit mir einmal einen Blick auf die äusserlichste der
Aeusserlichkeiten zu werfen, auf Ihre Kleidung, von der ich wohl
behaupten darf, dass sie noch ein bedeutsames Hindernis für die Be-
wegung der Frau darstellt und damit auch geeignet erscheint, Ihren
weiteren Bestrebungen einen Hemmschuh anzulegen.
Aus praktischen fast noch mehr, als aus gesundheitlichen
Gründen erscheint die heutige Frauenkleidung unzweckmässig,
schädlich und verbesserungsbedürftig. Der Grundsatz der praktischen
*) Redaktion: dieselbe.
**) Nach dem in der Sektionssitzung am 22. Sept. gehaltenen
Vortrag verkürzt wiedergegeben. Der Vortrag erscheint in erweiterter
Form ira Verlage von Hermann Walther unter dem Titel: Die jetzige
Frauenkleidung und Vorschläge zu ihrer Verbesserung.
23*
— 356 —
Unbrauchbarkeit verdient deswegen hier an erster Stelle genannt
zu werden, weil vielleicht mit der Betonung dieses Mangels der
w^eiblichen Kleidung auf unsere in diesen Dingen so schwer 7a\ über-
zeugende FrauenAvelt der grösste Eindruck geniacht wird, ein Ein-
druck, den Schriftsteller aller Orten und Zeiten mit bem schwersten
Geschütz ärztlich-hygienischer Gründe zu erreichen vergeblich sich
bemüht haben.
Die heutige Zeit verlangt auch von der Frau eine weit regere
Mitarbeit anf vielen G-ebieten des öffentlichen Lebens: das beschauliche
Ruhedasein der Hüterin des häuslichen Herdes hat sich unter den
Anforderungen des Kampfes ums Dasein in ein Leben vollster
Thätigkeit, in ein „Wirken und Streben" verwandelt, das als
wichtigste Bedingung für den Erfolg volle Freiheit der Bewegung
in körperlicher Beziehung erfordert.
Besonders und am augenfälligsten ist es der lange Kleiderrock,
der die Bewegung der Frauen hindert. Er legt sich wie ein Band,
wie ein bewegliches Brett vor Unterschenkel und Knie und ver-
hindert den freien Schritt der Beine; nur dem stets zurückgezogenen
Leben der meisten Frauen ist es zuzuschreiben, dass diese Er-
kenntnis sich nicht schon weit mehr Bahn gebrochen hat, als es
sich in den fussfreien Kleidern der Alpenbesteigerinnen, dem ge-
teilten Rock der Radfahrerinnen, den Hosen der Sennerinnen aus-
spricht. Er hemmt weiterhin den freien Gebrauch aller Gliedmaassen
dadurch, dass er den Händen zur Last fällt, wenn er, wie es jetzt
so Brauch, aufgehoben werden muss! Beispiele für diese Sclaverei
der Frauen sieht der Sehende täglich auf den Strassen! Und weiter,
wenn er nicht aufgehoben wird oder die Hände durch andere Lasten
schon in Anspruch genommen sind, was dann? Entweder eine Wolke
von dem sogenannten Staub, einem Gemisch von harmlosem Stein-
staub, unappetitlichem Unrath und lebensfeindlichen Bakterien er-
hebt sich gegen den ungeschützten Unterkörper und in die freie
Luft, zum Schaden der übrigen Fussgänger! Oder: sorgfältig,
me eine Strassenkehrmaschine nimmt der ,, Verstoss" allen weichen
Schmutz der nassen Strasse in sich auf, schleppt ihn als neue Last
für die ohnehin schon schwer bedrückte ,, Taille** mit sich, um ihn
später auf den Dielen und Teppichen der Wohnung als angenehmes
„Mitbringsel" wieder niederzulegen! Ferner wird der Rock so be-
ständiger Erneuerung bedürftig, wenn er nicht schadhaft weiter ge-
tragen wird, eine Eigenschaft, die die Lebenshaltung der Frauen
mehr belastet, als die in diesem Punkte unerschöpflichen Witzblätter
glauben lassen könnten.
Ist er denn aber auch nötig, der lange Kleiderrock? Er kann
ja die Figuren wirksam verschönen, wenn er in seiner Länge die
gedrungenen Körper länger erscheinen lässt, oder wenn er bei
grossen, schlanken Gestalten mit dem zweckentsprechenden Falten-
wurf eine proportioniertere Rundung des Körpers bewirkt. Aber
hierin thut die G-ewöhnung viel, und ich kann nicht anerkennen, dass
diesem einen Vorteil gegenüber nicht die Nachteile mehr in die
Wagschale fallen und doch erzwingen sollen, dass man ihn fussfrei,
mindestens 10 cm. vom Boden abstehend anfertigt.
Ein weiterer Einwurf gegen den kurzen Rock, die mögliche
— 357 —
Erkältung, wird dadurch hinfällig, dass ich schon aus anderen
Gründen die Unterröcke verdamme und durch ein weites, faltiges
Beinkleid ersetzt zu sehen wünsche. Jene sind doch wohl nächst
dem Korset die unzweckmässigsten Kleidungsstücke: Der Wärme
dienen sie sicherlich nur soweit die äussere Seite der Beine hedeckt
ist, der ganze Unterkörper ist frei der kalten Luft ausgesetzt; das
Abstehen des Kleiderrockes — ein zweiter mir angeführter Nutzen
der Unterröcke — ist auch auf anderem Wege zu erzielen — also,
die Vorzüge sind abgethan; die Nachteile, die denen des Ober-
rockes gleichen und diese gewissermaassen potenzieren, sind so augen-
fällig und erheblich, dass die vermeintlichen Vorzüge auch dadurch
völlig aufgehoben werden — also habe ich kein Mitleid mehr mit
diesen unnützen üeberbleibseln einer Mode, die nur zur Vortäuschung
grösster Hüftbreite erfunden wurden. Das faltige Beinkleid, in
England unter dem Kamen „Knickerbocker'' sich immer mehr ein-
bürgernd, ist viel zweckmässiger: es ^värmt und hält den Staub vom
Unterkörper fern, da es geschlossen ist, es wird auch durch seinen
weiten Umfang das Abstehen des Kleiderrockes in genügender Weise
bewirken, damit die Gliedmaassen nicht unschön sich andeuten. Es
kann der Jahreszeit entsprechend, aus verschiedenem Stoffe (Leinen —
Tuch) gefertigt werden, ja es wird vielleicht am elegantesten sein,
es aus demselben Stoff wie den Oberrock herzustellen. Dabei
möchte ich aber — abgesehen von weiteren Einzelheiten in Form
und Schnitt, die ich berufeneren Kräften überlasse — betonen, dass
es vom Standpunkt der Gesundheit dringend geboten ist, dass der
Bund aller Unterkleider genau nach der Figur des Leibes und der
Hüften geschnitten, d. h. von einer Schneiderin genau dem Körper
der Trägerin angepasst werde. Diese Forderung müssten über-
haupt alle auf dem Leib getragenen Klleidungsstücke erfüllen, besonders
w^enn sie, wie die Gesundheit ebenfalls fordert, an Achselbändern
getragen werden.
Ich komme damit schon zu demjenigen Kleidungsstück, das
hauptsächlich diese Funktion, die Unterkleider zu tragen erfüllen
soll, zu dem vielgeschmähten, aber immer widerstandsfähigen Korset.
Es ist widei'sinnig behaupten zu wollen, dass das Korset die Funktion,
die Unterkleider zu tragen, gut erfüllt, denn es ist immer der Leib,
an dem diese über der Taille geschnürten Röcke hängen: das
lässt sich beweisen, wenn man bei einer Frau die Entfernung der
beiden Korsetstängen misst, welche das Korset im Rücken abschliessen ;
di(3 über dem Korset bewirkte Schnürung der Unterkleider verkürzt
diese Entfernung regelmässig, d. h. es Avird die Taille stets noch
durch die Röcke ausser dem Korset zusammengeschnürt, so dass
nicht nur der Panzer, fast noch mehr die Röcke an den Schäden
schuld sind, die bisher dem Korset allein vorgeworfen werden. Ich
hätte daher allen Grund, die völlige Verwerfung, dieses Marter-
instruments zu verlangen, wenn — das ist Hauptbedingung — die
Unterkleider an Taillen angeheftet werden, die die ganze Last tragen.
Ich bin aber der Ueberzeugung, dass sich zu völliger Verwerfung
des Korsets die wenigsten Frauen der Jetztzeit verstehen werden,
weil die durch Generationen hindurch schon fortgesetzte Schädigung
der Rückenmuskulatur der Frauen einen künstlichen Halt gebieterisch
— 368 —
verlangt. Ich schlage deshalb vor, dass an das Korset breite Achsel-
bänder befestigt werden, dass ferner vom oberen Rand des Korsets
aus bewegliche, in der Taille durch eine Schlinge laufende Bänder
ausgehen, an welchen in Htifthöhe die Unterkleider durch Knöpfe
befestigt sind. Ihr Mütter aber, gewöhnt Euren Kindern kein
Korset an, sondern stärkt durch möglichste Gymnastik die Rticken-
muskeln derselben, dann wird Euren Enkelinnen das Korset als ein
fluchwürdiges Folterinstrument dereinst erscheinen. („Träger- Korsets",
wie das oben beschriebene, fertigt Heinrich Hoflfmann, Berlin S.W.
Kommandantenstrasse 77 — 79.)
Als Ersatz dieses Kleidungsstücks für die späteren „korsetlosen"
Generationen hätte die Einrichtung zu gelten, dass alle den Unter-
körper bedeckenden Kleidungsstücke mit einem leibchenartig den
Rumpf umschliessenden Oberteil fest verbunden, beide gleichsam aus
einem Schnitt gefertigt sind, so wie die schon jetzt sich sehr ein-
bürgernden Hemdhosen eingerichtet sind. Diese würden, mit ge-
wissen Verbesserungen — u. a. langen Aermeln versehen um die
direkte Berührung der Haut mit den Stoffen der Taille zu ver-
meiden — einen äusserst empfehlenswerten Ersatz für die beiden
intimsten Hüllen des Körpers darstellen. Von ihnen erscheint
namentlich das Hemd in seinem die obere Brust und die Arme ganz
frei lassenden, die Hüften mit überflüssigem Stoff umhüllenden Schnitt
sehr wenig zweckentsprechend. Die Hemdhose ist jetzt bereits in
allen besseren Wäschegeschäften zu haben, sollte aber doch eigentlich
auch nach Maass gefertigt w^erden.
An der Fussbekleidung hätte die Frau neben der Verbannung
der Strumpfbänder auch die hohen Hacken möglichst zu beseitigen,
ohne in das äusserst hässliche Gegenteil der breitesten Fersen der
Engländerinnen zu verfallen. Ich glaube sogar daran erinnern zu
müssen, dass eine Kürzung des Oberrockes eine möglichste Hervor-
hebung des Schuhzeugs bedingt, auf dessen schöne, elegante Aus-
gestaltung daher ein grosser Wart gelegt werden könnte und müsste.
Dass die in der Betrachtung noch fehlenden Kleidungsstücke
am meisten von allen der Mode unterworfen sind, macht ihre Be-
handlung ebenso schwierig wie notwendig der Kosten wegen, die
sie gerade durch diese Abhängigkeit veranlassen. Doch glaube ich,
dass, während die sonstigen Kleiderteile eher eine gewisse Ein-
förmigkeit vertragen, gerade in diesen dem Schönheitssinn der Frauen,
dem Geschmack der Welt und den Geboten der Mode am meisten
Rechnung getragen werden muss und getragen werden wird. Zu
warnen ist nur vor der unseligen Fischbein Überladung der Kleidertaille,
welche ähnlichen Nachteilen wie das Korset Vorschub leistet, und
vor dem dadurch wohl immer bedingten, inneren Hakengurt der
Taille. Natürlich Modeauswüchse, wie Keulenärmel und weite
Unterärmel, sind zu vermeiden.
Auch von Hut und Haartracht lässt sich mancherlei sagen,
namentlich ist hier im Sinne der freien Frauenbewegung Einfachheit
anzuraten. Möglichst leichtes Frisieren, bei grösster Festigkeit ist
zweckmässig, damit der Hut aus weichem Stoff auf dem glatten
Haar fest aufsitzt und nicht erst durch die gefährlichen und
widersinnigen Hutnadeln durchstochen und befestigt werden muss.
— 359 —
lieber den Mantel, den Ursprung von Leid und Freude in einer
ganzen grossen Industrie, will ich zunächst schweigen, seine Eigen-
art muss sich der übrigen Tracht anpassen!
Wenn sich die geehrten Zuhörerinnen nach meinen doch in be-
scheidenen Forderungen sich ergehenden Ausführungen ein Bild der
„verbesserten" Frauenkleidung vorstellen wollen, so werden Sie sagen
dass eine anmutige, nette Erscheinung der Frau das Ergebnis ist,
an der man anerkennen muss, dass sie es versteht Geschmack und
Schönheit mit Zweckmässigkeit und gesundheitlich richtigem Ver-
halten zu vereinen. So wird die Frau auch der neuesten Frauen-
bewegung nichts von dem verlieren, was Dichter aller Orten und
Zeiten an ihr preisen und was die Menschen immerdar an den
Frauen gerühmt haben und lieben werden, den
Zauber holder Weiblichkeit!
(Anm. bei d. Korrekt. An diesen Vortrag und den folgenden der
Frau Dr. Proelss hat sich ein weiteres Eingehen auf die Kleiderfrage
in der Folgezeit geschlossen und zur Gründung eines ».Vereins zur
Verbesserung der Frauenkleidung" geführt, der auf dem angedeuteten
Wege weiter zu streben sich bemüht. Vors. Frau Oberstlieutenant
Marg. Pochhammer, Berlin W., Lützow-Ufer 13).
Korreferentin Frau Sera Proelss.
Wenn die vornehmste Pflicht der nach Vervollkommnung stre-
benden Frau die Bildung des Geistes betrifft, um das Vorurteil un-
serer Inferiorität zu besiegen, so dürfen wir dabei aber gewiss nicht
unser Aeusseres ausser Acht lassen. Wir müssen in der Kleidung
und in unseren Manieren unsere geistige Voll Wertigkeit bethätigen,
ohne unserer Weiblichkeit Eintrag zu thun. Auf diesem Gebiete
ist viel gesiLndigt worden und nicht nur von der eitlen putzsüchtigen
Modedame, sondern ebensoviel von der emanzipierten Frau, ja, ich
möchte fast behaupten von letzterer noch viel mehr, denn sie hat die
strebende Frau der Lächerlichkeit preisgegeben. Sie hat sozusagen
über das Ziel hinausgeschossen, wenn sie sich, ihr eigenes Geschlecht
verleugnend, in Nachahmung von Männertracht, Männer-Manier und
-Unmanier gefiel. Der Mann konnte dabei noch in seiner Ansicht
bestärkt werden, dass unser Geschlecht uns an geistiger Gleich-
wertigkeit hindert. Wir Frauen von heute, die nach geistiger
Gleichberechtigung streben, haben noch immer unter dem Odium
der früheren Emanzipierten zu leiden, und wir woUen alles daran
setzen, damit das Vorurteil schwindet. In der Kleidung ist eine
Differenzierung der Geschlechter dringend geboten. Wir sind an-
deren Geschlechtes und wollen dasselbe nicht verleugnen. Nur das
Unpraktische und meist Unschöne unserer weiblichen Tracht, wie es
sich in den letzten Dezennien entwickelt hat, erklärt den Fehler der
früheren Emanzipierten und lässt ihn verzeihlich finden. Unsere
Kleidung bedarf in der That der vollständigsten Umänderung von
der untersten Unter- bis zur obersten Obergarderobe; denn sie ist
weder praktisch noch gesund noch schön, welches die drei Haupt-
erfordernisse der Kleidung sind.
— 360 —
Dass die weibliche Kleidung praktisch ist, hat wohl noch keiner
ernstlich behauptet, selbst der Mann nicht, der sie zwar bespöttelt,
aber im eigenen Interesse an uns für passend erachtet, als sicht-
bares Zeichen unserer Abhängigkeit von ihm. Der Ausspruch
eines mir bekannten Herrn kommt mir wieder in den Sinn, nämlich:
„er habe keine Furcht vor der Frauenemanzipation solange die
Frauen immer „herumkrabbeln" müssten um ihre Tasche zu finden".
Es liegt ein tiefer Sinn in dieser harmlosen Bemerkung. Ist es wohl
eines denkenden Menschen würdig, dass ein so nötiges Requisit, wie
die Tasche, derartig unpraktisch angebracht ist, dass die wichtigsten
Sachen oft durch Danebenstecken verloren werden, ausserdem so-
viel Zeit mit dem „Herumkrabbeln" verbraucht wird und Be-
wegungen veranlasst, die selbst bei der graziösesten jungen Dame
niemals schön aussehen — ebenso das moderne einseitige Kleider-
auf heben, was ja leider bei unseren langen Röcken zur Notwendigkeit
geworden ist. Ja unsere langen Röcke! Das non plus ultra alles
Unpraktischen und Ungesupden. Welche Unsauberkeit, welche
Mühe, welche Unbequemlichkeit bürdet uns diese Tracht auf? Wie
viel Fälle , Kontusionen , Knochenbrüche sind schon durch mit
und in der Schleppehängenbleiben verursacht worden? Wieviel
Schmutz und Bakterien schleppen wir oft mit uns herum und in
unsere Wohnungen; es ist ja garnicht zu vermeiden, dass der lange
Rock des öfteren die Strasse berührt — und welche Mühe, Arbeits-
last und unnütze Geldausgaben stecken in der ewigen Stossabnutzung
— überhaupt verliert jedes lange Kleid viel schneller sein tadel-
loses Ansehen; und wenn die Schleppe auch im Zimmer auf Teppichen
schön gefunden werden kann, so ist die Figur einer modernen, das
Kleid einseitig hebenden Dame direkt unschön. Und welche Unbe-
quemlichkeit ist das permanente Kleiderautheben ! Wie ermüdend ist
es immerwährend an das Kleid denken zu müssen, neben der in der That
nicht zu unterschätzenden körperlichen Abspannung durch die ge-
zwungene Armhaltung. Es sollte mich wirklich garnicht wundern,
wenn nach Darwin'scher Theorie schliesslich einmal uusre Frauen
Kinder mit steifen Armen zur Welt brächten. Scherz bei Seite
— ich habe schon oft ein tief schmerzliches Gefühl gehabt, wenn
ich die Tausende von Frauen auf der Strasse allerorten ansehe, die
alle, alle — und ich muss mich selbst dazu rechnen — sich diesem
Zwange unterwerfen, — wie die Puppen dahinschreiten, der Welt
zeigend, wie unselbständig das weibliche Geschlecht im Denken ist,
dass es sich vom Konfektionär, dem Geschäftsmanne, der die Mode
nur aus Geschäftsinteresse macht, zur Karrikatur zwingen lässt
und nicht imstande ist, sich selbst eine vernünftige, gesunde Kleidung
zu schaffen.
Das Ungesunde der Schleppe besprach ich soeben, aber das ist
nicht das einzige Ungesunde an unserer Kleidung. Unsere Untergarde-
robe ist das allerungesundeste. Erstlich schleppen wir meist viel zu viel
Stoff dabei mit uns herum und die Hauptlast lassen wir ungesunder-
weise um die Hüften herum ruhen. Bei den vielen weiten schweren
Röcken ist das Korsett direkt zur Notwendigkeit geworden, um die
Last tragen zu helfen. Es durch Träger zu ersetzen ist für unseren
Frauenkörper entschieden zu verdammen, da diese die Brust, die wir
— 361 —
in jeder Weise zu schützen haben, L'i'nierrn — in der Brust starke
Damen könuen sie überhaupt nirht trair«'n. (Jesundheitssreinäss muss
die Last der Kleidung- auf den Sfhnlt«'rn rulien, aber nicht durch
Trägergurte. Der gesamte Anzup nius.s als (5anz«'s darauf ruhen, er
muss, wie wir sagen „in «in»* erearb«Mtrf* sfin. Auch jede B^^k leidung
des Unterkörpers inuss vollstiindiir mit d«'r Oberkleidunir verbunden
sein. Auf diesem Prinzip hätte dir niodrni'* Frau sich eine prak-
tische, gesunde und sehöne Kh'idunir zu «'rrtndcn; denn last not
least: das Schöne wollen wir in unsm-r Kleidunir nicht vergessen.
Wir wären ja sehr thörielit, wenn wir uns des Vor/Uirs, das schöne
Geschlecht zu sein, begebi'ii würden, l'n^ere lielHrmkleidung soll
geschmackvoll sein, ich betraebte es «lin'kT als Pllieht eines jeden
Menschen, auch sein Aeus^eres zu pllegen und sieh si> wohli^etälUir aus-
sehend, wie möglich zu machen. In d'-in dabei entwickelten (lescbmack
liegt sicherlich ein 'i'eil «les inneren Menschen. Natürlich soll der
Mensch nicht in stratliebe Kit«lkeir und Putzsu«'bt verfallen und
zuviel Zeit damit verg«'udeu. l);i^s sieh aber das l*tlei2:en und
Schmücken des äusseren Menschen mit iieistiirer Höbe verträgt, ja,
L'in Erfordernis der höch.^ten gei^tiL-^en Höbe zu sein scheint, wird
uns im alten Hellas, cl-r Wieire :\\\v< (! rossen und Schönen, vor
Augen geführt, wo die geh'brte^ten und weitesten Männer nicht nur
ihre Körper auf das sorirtältiu'T'' plb'L''teii und saU^ten, sondern sich
auch zu ihren Kesten scbmüeUten und bekränzten. Der nicht zu
unterschätzenden Macht d«*<Seb«in»'n wolb-n ;iu<'li wir un-i williir beuizen.
Alle Kultur wurzelt in dem Instinkt d.s Menseben nach Vei'scbönerung.
Sowie Menschenhilnde Dinire ircsebatVen bal)en. sn hat der Dranir
dieselben zu versclu'inern zur Vervollkommnung gefübrt. Wir sehen
an den autgefundenen Sacben aus l'rzeiten, <las-; sobald ein Gegen-
stand erfunden war, man ibn zu verzieren suehte. und durch diesen
instinktiven Hang nach Versclu"»nerunir entstanden dun-li das Nach-
denken darüber Verbesseruniren. Die Art der Form und Ver-
zierungen der Sachen und fies Ge<cbmacks der Kleidung geben ein
Bild von dem tranzen Kulturzustand eines Volkes.
Das Volk, das schon im Altertum «-inen so holien ir'istigen
Kulturgrad erreicht hatte, dass wir nncb heutigentags seine Krrungen-
schaften in d<'n Wissenschaften dii unseni zu (irundt* legen, hatte
auch den entwickeltsten Schönheitssinn, dem wir noch heute nach-
streben, ihn als Höchstes in seiner Art bewundei'nd. Neben den in
jeder Hinsicht hervorragenden AtluMiern stehen die Spartaner, die
uns durch ihren Mut und ihre S(dbstverbMiü:uung imponieren, aber
die kulturelle Höh«» der Athener konnten si«* nicht erreichen, wt'il
sie die Gebote der Schönheit üfänzlicb i:rn«»rierten. Auch unser
früherer sprichwörtlich gewordener, sich in seinem Aeussern ver-
nachlässigender deutscher Professor bat sich entschieden in seiner
Hintansetzung des Schönen an der Kultur veriranuren. Wenn ich gerade
beim masculinum bin, so kaiui ich mir nicht vcrsairen, auch einen Ver-
gleich zwischen derbeutigen Männer- und unserer Frauentracht zu ziehen.
Als praktische Kleidung ist sie ja cntsebieden der weiblichen vor-
zuzieheUi obgleich ich mir vieles diihn noch praktischer denken
könnte, z. B. die steife Stärkwäsch«'. lu manchem erscheint sie mir
wieder zu praktisch. Sie mair auch gesunder sein als die weibliche,
— 364 —
obachten und muss dies daher nur als eine Folge des Korsets be-
zeichnet werden.
Staatsrat Schadischial aus Tiflls: Er beleuchtet die Kleider-
frage von der klimatologischen Seite und schlägt die Bildung eines
internationalen Frauen Vereins vor, zum Zwecke einfacher, geschmack-
voller Kleidung.
Fräulein P eiser warnt vor allen sogenannten Verbesserungen
des Korsets, wie Büstenhalter u. s. w.; sie verlangt vollständige Auf-
gabe desselben und empfiehlt die Radfahrhose an Stelle von Unter-
röcken.
Frau Pochhammer beklagt, dass kein Unterschied mehr
gemacht werde zwischen der Kleidung der Grossmutter und der
Enkelinnen.
Fräulein Honig aus Hannover tadelt den Gebrauch des Korsets
beim Turnen und macht den Vorschlag, bei den Schulbehörden eine
Eingabe zu machen, dass Mädchen zur Turnstunde im Turnanzuge
ohne Korset erscheinen müssten.
Frau Schwerin erwidert, dass sie den Vorschlag von Fräulein
Honig würdigt und diejenigen Damen, die sich für denselben in-
teressieren, bittet, nachher an den Vorstandstisch zu treten, ob nicht
am Mittwoch in der pädagogischen Sitzung ein diesbezüglicher Be-
schluss gefasst w(Tde.
Frau Günther-Brauer fordert die weiblichen Bühnengrössen
auf, durch die That kleidungsreformatorisch vorzugehen.
Fräulein Karsten beklagt, dass die Frau doch allzusehr Sklavin
der Schneiderin sei.
2. Die Sittlichkeitsfrage.
Referentin Frau Hanna Bieber-Böhm.
Seit ich vor Jahren mit Grauen erfuhr, dass wir in einem
Staate leben, in dem die Vielweiberei geduldet mrd, seit ich all
den Jammer erblickte, der damit zusammenhängt, tönte vor meinen
Ohren unablässig der alte Bibelspruch: „Thue deinen Mund auf
für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind".
Kein Spott und kein Hohn, keine Verleumdungen und Unter-
stellungen sind im Stande gewesen und werden im Stande sein, mich
von dieser Mission ab/.uschrecken.
Jahre lang habe .ich die Sittlichkeitsfrage ernst studiert, und
wenn die verschiedensten Blätter trotzdem so von oben herab mich
abzuthun versuchen, so glaube ich nicht za unbescheiden zu sein,
wenn ich diese schreibenden Herren und Damen bitte, diese Frage
ebenfalls gründlich jahrelang zu studieren und mit ihrem Urteil
noch so lange zu warten. Denn bisher war eigentlich — wie die
Juristen sagen — ihr Urteil durch Sachkenntnis nicht getrübt.
Die Sittlichkeits frage ist sowohl eine ökonomische als noch
vielmehr eine Frage der Hygiene, eine Frage des Rechts und eine
Frage der Erziehung. Die Losung muss also heissen: „Reform auf
der ganzen Linie! Aufklärung!"
— 3»ir) —
Di»' kurzen Minuten omni::! :«•!.• tj i'« :iilir. .i :i* a"- -l,--- -ii-
zeln^n Sr.*itfn eiiizu::'h»n. l'li l.iiVi- ^:- .i'« :• i'.i _::■•.::■::'■:* -r :::-:-.
nnd wenn ich nur •■in/.'lii'-> Mi ;• i :\!.i':. k:ir::.. >■• v- iai:,:- :■ ir.
mkh ai:sdriioklii:li iiu'l • iit-r-jis li ::•,'• n «li-- :...".:I-. h- A:.r, :.*:.. •!-
hfitt»' i<h ein»- »»ilti- mnifri' \vic-l:ri-- S ii- •! :• F:m,''- iii- Lr '■ i- :.•- r.
Wenn ieh an ili«' Fimui'Ii aui-li '!:•■ l':.»» :!- 1 ••■•• :
-Warum iluM^n ili«- Fraui-ii ;i': ':. -!■ :■ -_•■:.. i:::.r»:. /i\i'i-: r-r-:.
Läml'T die Viehveüifp i ihr- r M:i:ir.-:*. H:*:.-;- :■. V;i:- :■ ::."! >--i.:i- r-
Si^ antwortet»-n mir ili»- Ali!nirii:-ii'* :. : I»;i^ v. i-^-!j v.::- j; _.i:':.i ■!.*•.
da< kann doch nielit s»iii! - ■ Niti!::!:"!;! w;:-.: - .: . h . -.vi^-- ^■►:.;:--
vrrsuchr, uns dii* Aulvii zu v» :' iii-l- :.. <
Di^* Denktrii::»'!!. ili- nur r.f Ii|-1 rj-; • ::i k«-:.:.' :i. '■!.!■.• -iL -^^ -*
zu orientieren. nifiiiT.n: M»';ii M ti:! -a,r. -l.i- !..:>* -in, -Li- i»r
imuh-r si» ire\v«stn. >\i> wi-pU-:: \\::- :.:■ !j a:- i- :■ \\'\i > ■I.aü- :..
Di»- l'nwi^S' ::«l'ii u:i«! ili 'i%:-i:.kl. ii- li- la-:- ^ :. arifw. .:■:-•■■:::
Wir wiillen es il"!iN.i ina'-ii- ii. l:-;;./ r";:- .iV- !
Di'* il'-nk»nil'ii. liic l'ii.fiilii i..l- :. !•':.::■:. .i:/ui:t- :r:. 'inr- :•
Thränt-n: Wir iluM n il.t X'i-iwi! -■:■ i • * /;:.:.■ Iv!.::— !.-:.. ::ii:
JaiiiTn. r uuii H»rzelfiil. K^ :-: ■ ::. .Mi!T\.-.i.. : ..■ ■.:.- ::; •;::■: ■. r-
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erliiirt*.' .s«-hwciL:»-iiil 'i'iM- :.. -'■:.;■■: i: !..:: ■;:.■::. >:..•■. li- :■ K:..i- :-::.j
sich die Hand piclifn w-i! :. -i.:: ■:■ -i <i . <!■ ; !•:- ^ ü -.:.■; üji^*
anders werden.
Wir i>ri)tfsti-:-»!i ::'■.;■■:. «;:• d'- !/._•. lia- «:: i':-iiNtiiutinii riu
notwendig'S V*'\ir\ -. i!
Wir hestreiffU. 'l.i-s !:..i:. • ;..i:> •■:-:.-:K';i V'-r^uriit li.ii. die
Unsittlichkeit zu 1" kiiiMprt'i.. M =r. i.ir :.':.• \ ■■!>.; hr, die Aud vn\ .u
beschränken, si'l!»sr w«illi. h. .:. '■-}.: M'-iii auf di<' rnsmih iik.-ii
verzichten.
Wie aber liei* WA'.»- <!• r ' i- - in.ia'i.'ir di«- .MniM-lhMi .ur V.\u
schränkunj? andt-n-r -Ti.yk» :■ li.-:::.ki'- l.-zw ni.u' n nnd .-.nr Si'll".i
beherrschung erzmri ;.• i.ir. >■■ \-:liii::r .-^ da> ( i« .sainiwnhi. d.iss
dieser Zwang sir'li ;i-. i, .iiit" •:• n FMi-t|)il.iri/nnL'>i!-ii'li ri-sirirkr,
dessen zügei- und >'.h;.i:ik- iii"-i- A'isiilini.L' nn- mir .slirln-s l-ilrnd
und Krankhfiten \\)*rv <: •■ .M- ri-iil.- ii !,• rauri- i-Iiwhi-.'h h.ii,
Zahh'eiche !•■ d» üt. ...j.- A-:/'«- nii'! II\L'i»n.krr iM-.i.itiiM-n a>i-.
ihren Erfahrung'-n. »la.-- :.-:::..l Unr,'iiiiiii-ii.- .Mrn.s«iii-u .ml »In-
Befriedigung des F'-rrpilaii/'.:.i-r: .•■!••■. x» ivichd n ivtinui-n. \A\i\r da
dnrch Schaden an ihr- r (i- -!.;.<Ji.- .? /n ni-i n. Si,- lirinnm don
grossen Einflas.S, dt* Ii ":!if r-i'-hiJL-- i-.;/i'-liniiL' i \ •■! m.idnn.; \nn MIvmIh»!
— 364 —
obachten und muss dies daher nur als eine Folge des Korsets be-
zeichnet werden.
Staatsrat Schadischial aus Tiflis: Er beleuchtet die Kleider-
frage von der klimatologischen Seite und schlägt die Bildung eines
internationalen Frauen Vereins vor, zum Zwecke einfacher, geschmack-
voller Kleidung.
Fräulein Peiser warnt vor allen sogenannten Verbesserungen
des Korsets, wie Büstenhalter u. s. w.; sie verlangt vollständige Auf-
gabe desselben und empfiehlt die Radfahrhose an Stelle von Unter-
röcken.
Frau Pochhammer beklagt, dass kein Unterschied mehr
gemacht werde zwischen der Kleidung der Grossmutter und der
Enkelinnen.
PVäulein Honig aus Hannover tadelt den Gebrauch des Korsets
beim Turnen und macht den Vorschlag, bei den Schulbehörden eine
Eingabe zu machen, dass Mädchen zur Turnstunde im Turnanzuge
ohne Korset erscheinen müssten.
Frau Schwerin erwidert, dass sie den Vorschlag von Fräulein
Honig würdigt und diejenigen Damen, die sich für denselben in-
teressieren, bittet, nachher an den Vorstandstisch zu treten, ob nicht
am Mittwoch in der pädagogischen Sitzung ein diesbezüglicher Be-
schluss gefasst werde.
Frau Günther-Brauer fordert die weiblichen Bühnengrössen
auf, durch die That kleidungsreformatorisch vorzugehen.
Fräulein Karsten beklagt, dass die Frau doch allzusehr Sklavin
der Schneiderin sei.
2. Die Sittlichkeitsfrage.
Referentin Frau Hanna Bleber-Böhm.
Seit ich vor Jahren mit Grauen erfuhr, dass wir in einem
Staate leben, in dem die Vielweiberei geduldet wird, seit ich all
den Jammer erblickte, der damit zusammenhängt, tönte vor meinen
Ohren unablässig der alte Bibelspruch: „Thue deinen Mund auf
für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind".
Kein Spott und kein Hohn, keine Verleumdungen und Unter-
stellungen sind im Stande gewesen und werden im Stande sein, mich
von dieser Mission ab /'.uschr ecken.
Jahre lang habe .ich die Sittlichkeitsfrage ernst studiert, und
wenn die verschiedensten Blätter trotzdem so von oben herab mich
abzuthun versuchen, so glaube ich nicht zu unbescheiden zu sein,
wenn ich diese schreibenden Herren und Damen bitte, diese Frage
ebenfalls gründlich jahrelang zu studieren und mit ihrem Urteil
noch so lange zu warten. Denn bisher war eigentlich — wie die
Juristen sagen — ihr Urteil durch Sachkenntnis nicht getrübt.
Die Sittlichkeits frage ist sowohl eine ökonomische als noch
vielmehr eine Frage der Hygiene, eine Frage des Rechts und eine
Frage der Erziehung. Die Losung muss also heissen: „Reform auf
der ganzen Linie! Aufklärung!"
— 365 —
Die kurzen Minuten ermöglichen es nicht, auf alle diese ein-
zelnen Seiten einzugehen. Ich habe sie aber alle gründlich studiert,
und wenn ich nur einzelnes hier berühren kann, so verwahre ich
mich ausdrücklich und energisch gegen die mögliche Annahme, als
hätte ich eine oder andere wichtige Seite der Frage nicht beachtet.
Wenn ich an die Frauen auch die Frage richtete:
„Warum dulden die Frauen auch der sogenannten zivilisierten
Länder die Vielweiberei ihrer Männer, Brüder, Väter und Söhne?"
so antworteten mir die Ahnungslosen: Das wissen wir ja garnicht,
das kann doch nicht sein! — (Natürlich! wird es doch lange genug
versucht, uns die Augen zu verbinden.)
Die Denkträgen, die nur nachplappern können, ohne sich selbst
zu orientieren, meinten: Mein Mann sagt, das muss sein, das ist
immer so gewesen, das werden wir nicht aus der Welt schaffen.
Die Unwissenden und die krankhaft Belasteten antworteten:
Wir wollen es ebenso machen. Freiheit für alle!
Die denkenden, die feinfühlenden Frauen antworteten unter
Thränen: Wir dulden die Vielweiberei mit Zähneknirschen, mit
Jammer und Herzeleid. Es ist ein Martyrium für uns in einer ver-
logenen Welt zu leben, in der unter äusserem Schein innerlich alles
verfault ist. Aber wir sind ohnmächtig.
Wenn aber nun die Aufklärung kommt und die Erfahrungen
zahlreicher ärztlicher und hygienischer Autoritäten den Frauen be-
kannt macht; wenn sie hören, dass bisher mindestens 99% jtinger
Männer vor der Ehe ein unsittliches Leben führen; wenn sie er-
fahren, dass 80% davon mit den gefährlichsten Krankheiten an-
gesteckt werden, welche ohne Gnade im Gefolge der Prostitution,
also der Vielweiberei auftreten; wenn sie hören, dass diese Krank-
heiten selbst im latenten Zustande sofort bei der Heirat die Frau
und später die Kinder krank und elend machen können, ja meistens
machen, weiss ich sicher, dass die Frauen nicht länger dies Un-
erhörte schweigend dulden, sondern mit einem Schrei der Empörung
sich die Hand reichen werden mit dem Gelübde: Das soll und muss
anders werden.
Wir protestieren gegen die alte Lüge, das die Prostitution ein
notwendiges Uebel sei!
Wir bestreiten, dass man jemals ernstlich versucht hat, die
Unsittlichkeit zu bekämpfen. Man hat nur versucht, die Anderen zu
beschränken, selbst wollte man bisher nicht auf die Unsittlichkeit
verzichten.
Wie aber der Wille der Gesammtheit die Menschen zur Ein-
schränkung anderer starker Instinkte gezwungen und zur Selbst-
beherrschung erzogen hat, so verlangt es das Gesamtwohl, dass
dieser Zwang sich auch auf den Fortpflanzungstrieb erstrecke,
dessen zügel- und schrankenlose Ausübung uner messliches Elend
und Krankheiten über die Menschheit heraufbeschworen hat.
Zahlreiche bedeutende Aerzte und Hygieniker bestätigen aus
ihren Erfahrungen, dass normal konstituierte Menschen auf die
Befriedigung des Fortpflanzungstriebes verzichten können, ohne da-
durch Schaden an ihrer Gesundheit zu nehmen. Sie betonen den
grossen Einfluss, den eine richtige Erziehung (Vermeidung von Alkohol-
— 366 —
genuss aller Art, Vermeidung überreicher anreizender Nahrung,
Vermeidung schlechter Lektüre, zweideutiger Schaustellungen und
Balllokale, Kellnerinnenkneipen, Nachtcaffees u. s. w.) auf die Er-
haltung der Keuschheit und damit auf die Gesundheit üben kann !
So stimmen die langjährigen Erfahrungen ernster Vertreter der
Wissenschaft vollkommen mit der Forderung aller ethisch denkenden
Frauen und Männer überein, welche Keuschheit der Mädchen und
Jünglinge bis zur Ehe aus Liebe — und strengste Treue in der Ehe
verlangen, dass dies der einzige Weg sei, Kinder und Kindeskinder
vor der Degeneration und dem namenlosen Elende, welches der An-
steckung folgt, zu bewahren.
Ich bitte Sie, das Rathaus nicht zu verlassen, ohne die ver-
schiedenen aufklärenden Schriften des Vereins „Jugendschutz" mit-
zunehmen, die in der Bibliothek ausgelegt sind. In den Vorschlägen
zur Bekämpfung der Prostitution finden Sie die Werke der ein-
zelnen Autoritäten angeführt, welche voll und ganz auf Seiten der
Frauen stehen und für Keuschheit und Einehe eintreten. Sie finden
das vorzügliche Buch von Dr. med. Kornig dort: „Die Hygiene
der Keuschheit", ebenfalls „Monogamie und Polygamie" von
Björnson, sowie „die Sittlichkeits frage, eine Gesundheitsfrage" von
Dr. Hoff mann.
Wenn sie so gewarnt und orientiert sind, dann werden sie in
Zukunft, wie ich hoffe, mit Löwenmut Ihre Töchter verteidigen,
d. h. Sie werden jedem jungen Mann. Ihr Haus verbieten, der sich
nicht als tadelloser Ehrenmann erweisen kann. Sie werden Ihre
Töchter hundertmal lieber für einen selbständigen, menschen-
beglückenden Beruf erziehen, als sie einem polygamisch gewöhnten,
vielleicht heimlich kranken Mann antrauen lassen, der sie zeitlebens
krank und elend macht.
Wenn Sie so gewarnt sind, werden sie aber auch Ihre eigenen
männlichen Angehörigen erziehen und nicht dulden, dass sie die
Gärten Ihrer Mitschwestern plündern.
Die schmachvolle Redensart, dass die jungen Leute sich austoben
müssen, muss aufhören, nachgeplappert zu werden.
Und dann, wenn diese Söhne Ihnen in's Gesicht lachen und
Sie damit höhnisch abweisen werden, dass unser Gesetz ja ihre
Unsittlichkeit gestattet, ja protegiert — dann werden Sie wohl be-
greifen lernen, dass der flehende Ruf nach Gesetzesreform höchst
notwendig ist und Sie werden in diesen Ruf einstimmen.
Bedenken Sie: alle edelsten höchsten Berufe werden bis jetzt
bei uns von den Behörden den Frauen versagt, unter dem Vorwand,
ihre Weiblichkeit könnte darunter leiden.
Nur das Gewerbe der Schande selbst, das aller Weiblichkeit
ins Gesicht schlägt, der Verkauf der eigenen Person zur Unsitt-
lichkeit wird frei und unter der sogenannten Aufsicht der Staats-
behörde jedem Kinde von 14 Jahren bereits gestattet.
Bedenken Sie, noch wird kein Arbeitgeber bestraft, der durch
Hungerlöhne, an den Arbeiterinnen im vollsten Sinne des Wortes
zum Kuppler wird.
Die traurigen Resultate, die von kirchlicher Seite bei der
Rettung Gefallener erzielt werden, haben mit ihren Hauptgrund
— 367 —
in den schmachvollen Gesetzen unter denen die meisten Länder noch
leiden.
Deshalb bitte ich alle deutschen Anwesenden: veranlassen Sie
die Vereine, denen iSie angehören, dass diese Vereine dem „Bund
deutscher Frauen vereine^ beitreten, der durch den ^ Verein Jugend-
schutz** für die Reform der Sittlichkeit gewonnen i.*«t. Die Petition,
welche dem Reichstag eingereicht ist, und im Herbst noch zur
Sprache kommen wird, muss erneuten Nachdruck erhalten, wenn
alle Ihre Vereine als Bundesvereine sie unterzeichnen. Ich bitte
Sie darum!
Und die Ausländerinnen bitte ich, ihre Vereine ebenfalls zum
Anschlu!5s an den Xationalbund ihres Lande< zu bewegen, mit der
ausdrücklichen Bitte, in allen Ländern Petitionen in den Parlamenten
für die Reform der Gresetze in Sittlichkeitsfragen zu vertreten.
Es giebt eine Novelle: «Wessen Tochter- von Helene Gardener
ans Xew-York, welche das Schutzalter vor dem Forum des Parla-
mentes behandelt und den-n Ueben^etzune sich vorzüsrlich zum Ver-
«MI
schenken eignet*) und zur Autklärung fiolcher, die lieber Romane
und Novellen lesen, als ernste Abhandlungen. Sie werden sehen,
was die Verfasserin von einem Parlament von Männern erwartet
und werden hoffentlich zu denselben Schlüssen kommen wie sie.
Xach Kenntnissnahme von den vorzüglichen Sittlichkeitszuständen in
Wyoming, wo Frauen seit 25 Jahren die Gt^setze beeinflussen,
schliesse ich mich Helene Gardener voll und ganz an und sehne
den Tag herbei, an dem wir Frauen in*s Parlament wählen können,
die ,.ihren Mund aufthun für die Stummen und für die Sache aller,
die verlassen sind-.
Correferentin: Frau Schulrat Cauer.
Als die Hauptursache der Prostitution bezeichnet sie die schlechten
liOhnverhältnü's*' der weiblichen Arbeitskräfte. Not und Elend treibt
die meisten von ihnen d^r Schande in die Arme. Als eine düstere
Illustration zu der Behauptung. da<s die Xot der Frau in den heu-
tigen sozialen Zuständen besrründet ist, liesst die Vortragende die
^otiz aus drm heutisren Morgenblatte des «Berliner Lokal- Anzeigers"
vor, die 37jähriffe Stickerin betreffend, welche vor ihrem Tode an
die R^^laktion dieses Blattes ein Schreiben gesandt hat, in dem sie
die Ursache ihres .S^-lbstmordes andeutet.
Nicht allein. s«> erklärt Rednerin. dass die Mädchen s^hr geringe
Löhne erhallen. >ie sollen auch n»:>ch möglichst elegante Toiletten
tragen und sind überdies häutig unsittlichen Xachstellungen seit^^ns
ihrer ArlK-itgrber ausgesetzt. Ihr Mrlbst. ^> »^rklÄrt Rednerin, liege
fine ganze Anzahl ^oleh-r Fäil«r vor. und wenn man davon hü«
jetzt nichts in die Oeffentlichkeit dringen li-tr^s. so geschah es nur,
um den Mädchen ni«:ht zu schad-ro. Das würde aber in Zukunft
anders werden. Erst die materiell«* Selbständigkeit der Frau bis
ins pnterste Volksleben hinein, so s«:hliesst Frau Caue-r ihren mit
♦> Verlag des ..Jugendschmz.*
— 368 —
lebhaftem Beifall aufgenommenen Vortrag, sichern eine Besserung
der sittlichen Verhältnisse.
An der Diskussion beteiligen sich:
Fräulein Ottilie Hoffmann -Bremen: Sie meint, dass der Boden
zur Entwickelung einer höheren Sittlichkeit durch die Abschaffung
oder doch möglichste Einschränkung des Alkohol genusses bereitet
werden müsse. Die Rednerin bezieht sich dabei auf eine grosse
Anzahl medizinischer Autoritäten, deren Experimente unwiderlegbar
bewiesen haben, dass die sogenannten Hemmungs Vorrichtungen, welche
dem Menschen im Normalzustande eine gewisse Herrschaft über
sich sichern, durch den Alkoholgenuss zuerst gelähmt werden. Gute
Volksktichen, gutes Trinkwasser, Hallen, in welchen im Winter
warme alkoholfreie Getränke verabreicht werden, würden den Ar-
beiter für den Ausfall an alkoholischen Getränken entschädigen.
Frau Ginsberg - Berlin verlangt Abschaffung der doppelten
Moral, gleiche Sittlichkeit für Alle.
Frau Schlesinger-Eckstein erblickt die Wurzel der Prostitution
in der heutigen kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Mit ihr steht
und fällt die Prostitution.
Frau Clara Zetkin: Den Stummen ist ein Kämpfer entstanden
im Proletariat. Wir müssen an die Wurzel des Uebels. Die Prosti-
tution ist mit der heutigen Gesellschaftsordnung verknüpft. Xicht
die S3miptome muss man aus der Welt schaffen wollen, sondern die
wirtschaftlichen Ursachen.
Herr v. Egidy: Nicht ohne Versöhnung wollen wir von hier
scheiden. So schlimm, wie Frau Bieber-Böhm es schildert, ist es
nicht. Das Wesen des Mannes ist nicht so zerrüttet, die Verachtung
für den ]Mann darf nicht Platz greifen. Wohl geht die Nachfrage
in der Prostitution von den Männern aus, aber durch frühes
Heiraten, Vermeidung von Alkohol könne man die Nachfragen
unterdrücken.
Das Schlusswort, gesprochen von P>au Bieber-Böhm, war ein
Dank an diejenigen, die bisher in der Sittlichkeitsfrage für die
Frauen eingetreten sind. — Das sind ausser den verschiedenen
Frauen-Vereinen, welche die Rettung der Gefallenen versuchen, in
Deutschland die Männervereine zur Hebung der Sittlichkeit. Der
deutsche Verband dieser A'^ereine hat durch die Herren Pastoren
Philipps, Weber und durch Herrn Hennings kürzlich Forderungen
formuliert, welche sich im Wesentlichen mit den „Vorschlägen" des
„Bundes deutscher Frauen- Vereine" decken.
Nur der Unterschied ist vorhanden, dass die Herren die
Keuschheit und Einehe als etwas spezifisch christliches fordern,
wähi'end wir auch für alle anderen Menschen dieselbe Forderung
aufstellen.
Einen ebensolchen Dank schulden wir dem internationalen Kon-
gress der Gesellschaften für Ethische Kultur, der jetzt in Zürich
tagte, und welcher nicht das Trennende sondern das sittlich Verbin-
dende in den Menschen aufsucht und fördert. In seinen Kund-
gebungen lesen wir folgendes:
„Unter Anerkennung der unschätzbaren Bedeutung der reinen
monogamischen Ehe für die Menschheit ist für das Weib die Möir-
— 369 —
lichkeit vollster Entwickelung einer geistigen und moralischen Per-
sönlichkeit zu fordern, ebenso die Anerkennung der G-leichwertigkeit
von Mann und Frau auf allen Lebensgebieten''.
Miss Hogg (London, Roch. Dioc. Ass^ for the care of friendless
girls) überbringt folgenden Bericht des Secretary Nat. Vigilance
Association.
Foreign Girls in London.
"The return of foreigners to their own country under certain
conditions is . a question in which my ass». is deeply interested, and
one at which we have been at work for many years.
Much of the infamy carried on in the district of Piccadilly
is the result of the large number of foreigners, men and women, who
in many instances having been outlawed from their own country,
come over here and without let or hindrance get their living on the
proceeds ot the vicious lives of foreign women. Half the social
evil Problem would be solved if we had, as we ought to have, the
power to send back to their own countries both the foreign men
and women, whose only means of living could be shown to be either
"Walking the streets'' or blackmailing. Tt ought to he so, both in
the interest of the nation and the Citizens. Another question which
will probably come up and at which we have been at work for years
is what is called the "White Slave Traffic". We know that many
girls are beguiled abroad to what they imagine will be a good
Situation but which very often leads them into great moral trouble
and danger. We feel that this would be largely prevented if we had
an International agreement. My Committee have drawn up one of
which enclosed is a copy, and which we feel would be of great use
if we could get the German, French, Belgian, Dutch and English
Governments to act upon it^'.
(Agreement as printed paragraph enclosed in letter.)
Mrs. Ruspini. "Mayfair Union" reports of out door Eves-
Mission Work in Regent Street and Piccadilly.
"There are almost as many G-erman and French Girls in Regent
Street as there are English, they are very hardened and much more
inclined to be abusive than English girls. They are principally
to be found near the "Monico" and the "Criterion'' and the Piccadilly
side of Shaftesbury Avenue. As you go up Regent St. from Picca-
dilly to Oxford Gircus at night, the girls on the right band side
are almost all foreigners: if they are allowed by the English girls
to walk on the other side they have to hag "double footing" that
is, treating a double number of girls to drink before they are ad-
mitted into the inner circle.
Mrs. Ruspini. "We had a mission last November and flocks
of foreigners crowded in to supper. We tried to induce them to go
back to their own country and offered to free them, but they
would not consent to go: they give two reasons — one is, they
cannot get employment and wages are so small — the other that
24
— 870 —
their country women are harder than we are and will not give a
girl a Chance of regaining her character.
We have tried to make it compulsory for them to go back to
their own country and I went on a Deputation to that effect and
1 believe a bill was drawn up, but has not yet been brought
forward. My work would lose half its difficulty if some thing
of the kind were done. The foreign girls are more excitable than
ours, drink harder, dress niore extravagantly and descend to still
greater depths of degradation. Some are used as decoys "to get
hold of girls here and send thera out to bad houses abroad."
Resoue Work.
By Mrs. R. E. Stugenberger-Campbell, Glasgow.
As I do not know how you think about this special aspect
of women's work, nor yet how you deal with it in Germany, 1
naturally feel somewhat at a loss what to select to say to you.
There is one main feature we shall all agree upon that this
work is an arduous one and presents grave difficulties and we dare
not shirk these facts however painful to face.
It seems only by so doing can we effect much or any good.
To lift these women out of their sad environments and Surround
them with good influences for a longer or shorter period in order
to fortify them against the special temptations that assail them is
the object of Rescue Work.
In undertaking to accomplish this task we must remember our
great contending phases and shape our plans thereto. I shall take
up the work from an Institution point of view.
The majority of these women are born to an inheritance of
sin and misery aud brought up in it until their very being has ab-
sorbed the poison, and it comes out in each rüde coarse action, and
yet God has left in their hearts, as if to atone for the hardness,
often deep down and difficult to fiithom — a love — a reverence
for the better — the higher. — This is the secret of our power
over them, if our discipline has its own important place, but that
is the true influence which must and does work like „the little
leaven which leaveneth the whole".
In work among these women there is need of a high tone, and
we are rapidly realising that it is the culture, the highest who are
best fitted to help them.
Passing on to some aspects of the work, let us glance at one
or two features in their character, and at some of the methods best
calculated to help them.
Impulsiveness, we might say untrained feelings in them, let
loose on every fresh occasion, passionately — hatred — love — restless
desire for change, all in turn and nothing long — will move them
at a moments notice to run off from their homes and situations.
Query: how to combat with this?
It absolut ely requires firm control both for the mass and the
individual. Here individual dealing comes in usef ully to know each one
— 371 —
sufficiently, and to find out the soft place is to gain a separate influence.
— Impulsiveness (though it must not be fostered to any sentimental
extent) may be made a means to an end — to attach them to those
over them, so that they are willing to be guided by them. To get
this, one must possess insight into all their needs, sympathy with their
sins, and an earnest desire to help them, which they will understand
and appreciate. — Another streng opposing force is Unsteadiness
of Character „unstable as water thou sbalt not excel". After getting
them to prefer tbe Grood to the Evil, there is a want of will power,
and the will is diseased.
Many of them would be good, and while under care and often
exeraplary — given their liberty, lo! they are down in the depth
again. — So many live their lives, repenting and sinning and sinning
and repenting.
But granting that some only are saved for a time, at least
temporary relief is gained for themselves and others through our
Homes. This is all that doctors can do for some form of disease.
The Spiritual, moral and physical laws all work on the same great
lines. But there is ami)le proof that far more than temporary is
accomplished, souls are snatched as brands from the burning to be-
come shining lights — and again who is to calcalate when the good
influence has begun where it may end?
What general line of treatment can we pursue? Some
believe in isolated treatment rather than in the mass, even
that does not always succeed. Others advocate small Homes, gene-
rally Company cases. It is doubtful if these are more successful
though easier to manage. Work must be provided, and Laundry-
work seems the best suited. It is useful, and fits them for useful
occupation afterwards, also enabling an Institution to be largely
self-supporting, which our Home in Glasgow is. It can accommodate
120 girls and realize over Lstr. 3000 annually.
Other schemes have been suggested viz : gardening, fruitgrowing,
Poultry keeping, but unless as adjuncts to some larger work such
as Laundry, they do not seem practicable. A Sewing Department
to which the older and weaker ones can be put, is part of our
Scottish Homes. — To enable them to earn their bread, is a great
help in restoring them. — We would lay great stress upon con-
tinued care after they leave the Homes. This is most important.
We ought to be ready to help, to show kindly interest, to give
the encouraging word, even the rebuking word (they will take it
from those they respect). They understand this so well, that I
have known girls determine to go wrong, who would not face us
on any account. With our large numbers we find it rather difficult
to carry out, but we are enabled to help many in this way.
Pi'rmanent Homes for the morally Wealth. It attended a
Conference in England where this subject was under conside-
ration, and we were told of several homes that exist there on
the Cottage principle, girls being sent to these after leaving our
larger Homes, to be kept there for a time to better fit them for
the battle of life.
I would imply the Suggestion by making them really permanent,
24*
— 372 —
as some of these women can never stand alone. — For the morally
depraved it almost seems as if le^slation should help. Putting the
matter thus — if a woman is continually convicted of improprieties
of any kind, does it not seem right to society and herseif to restrain
her? Under certain conditions, to be granted freedom, with power
to restrain her if she cannot controU herseif? — This it seems to
me ought to be the law in every land. And would this not save
much sin and the pertetuation of it in its most awfal side.
It is a sad perplexing problem how to save this class — if
they are passing from home to home they may become older and
sadder and alas! even not wiser women? — But we must not
forget the hopeful will, the many who are useful and happy, because
sayed by the Providence of God through the efforts put forth
for them.
n.
Mittwoch, den 23. September^ Nachmittag 4 Uhr.
Pädagogische Fragen.
Ein Bliok auf den sohulmässigen Unterricht in den
weiblichen Handarbeiten in Preussen.
Von Frau Ulrike Stobbe, Königsberg i. Pr., Delegierte des Vereins
Preuss. technischer Lehrerinnen.
Schon in den Ritterzeiten sind Handarbeiten gemacht, und darin
unterrichtet worden, denn die aus jener Zeit erhaltenen Arbeiten
zeigen von einer grossen Kunstfertigkeit.
Es steht auch historisch fest, dass die Ursulinerinnen kurz vor
und in der Reformationszeit es sich zur Aufgabe machten, die
Kinder des Volkes in die Kunst der Frauenarbeit einzuweihen.
Tn den Frankeschen Stiftungen hat man von jeher den Hand-
arbeitsunterricht gepflegt, und die Industrieschulen, die am Ende des
vorigen Jahrhunderts erblühten und bis über die Hälfte dieses Jahr-
hunderts gepflegt wurden, sind ein Beweis dafür, dass der Hand-
arbeitsunterricht in der Mädchv^nerziehung von den einsichtsvollsten
Pädagogen als durchaus notwendig erkannt wurde.
Dass auch die Staatsbehörden sich dieser Einsicht schon in
früherer Zeit nicht verschlossen, davon giebt jene Reformations-
ordnung der Homburger Synode vom Jahre 1526 Zeugnis, indem
sie bestimmt: „Ausserdem sollen in den grossen und kleinen Städten,
womöglich auch in den Dörfern, Mädchenschulen eingerichtet werden
unter der Leitung gebildeter, in ihren Jahren vorgerückter und
frommer Frauen, welche die Mädchen nicht bloss in den Haupt-
stücken der Religionslehre, sondern auch im Lesen, Nähen und sonst
mit der Nadel zu arbeiten hinlänglich unterrichten und zur Pünkt-
lichkeit und Geschäftigkeit anhalten sollen, damit diese später
tüchtige Hausfrauen werden".
Für die Mädchen-Handarbeit spricht sich Friedrich Wilhelm T.,
der Vater der preussischen Volksschulen in seinem Reglement vom
— 374 -
16. Oktbr. 1738 aus. Bekannt ist auch das Interesse, welches
Friedrich "Wilhelm TU, für die weiblichen Handarbeiten, gewiss nicht
ohne Einfluss der hehren Königin Luise" zeigte.
Von besonderer Wichtigkeit aber ist die Zirkularvertügung der
Regierung zu Köln vom 9. Januar 1830, in welcher nicht nur die
Notwendigkeit und Bedeutung unseres Lehrgegenstandes für alle
Schulen, sondern auch die allgemeine Durchführbarkeit desselben
aufs klarste nachgewiesen wird.
Minister von Altenstein und Minister Dr. Falk haben sich um
die Sache des Handarbeitsunterrichts besonders verdient gemacht.
Bis dahin fehlte aber das Notwendigste, nämlich die Kenntnis
einer richtigen methodischen Behandlung, oder was dasselb'3 ist:
Methodisch vorbereitete Lehrkräfte für den Unterricht in den weib-
lichen Handarbeiten.
Aber auch hierfür war die Zeit gekommen. Nicht nui' in Preussen,
in ganz Deutschland, Oesterreich und der Schweiz traten Bahnbrecher
einer neuen Methode auf, die in der Hauptsache dasselbe Ziel ver-
folgten.
Von allen wird die Unzulänglichkeit der bisherigen Unterrichts-
weise erkannt und verworfen. Statt des bisherigen unverständigen
hastigen Vorthuns und gedankenlosen mechanischen Nachthuns wird
verständige Belehrung von Seiten der Lehrkraft und geistige Auf-
fassung von Seiten der Schülerin gefordert.
Der geisttötende Einzelunterricht wird durch den geistbildenden
Klassenunterricht ersetzt. Die Planlosigkeit weicht dem mit Um-
sicht aufgestellten Lehrplan. Der störende Einfluss der mütter-
lichen Eitelkeit wird beseitigt, dagegen dieselbe Arbeit und dieselbe
Weise der Arbeit gemeinschaftlich durchgeführt. Das Gehen und
Kommen der Schülerin unterliegt nicht mehr der W^illkür der
Eltern oder Kinder, sondern jedes Kind ist an die Lehrstunden und
so an die Durchführung des Planes gebunden.
Die Namen Rosalie Schallenfeld, Johannes Buhl, Martin Godei
und Kettin ger werden daher in Preussen, Würtemberg, Oesterreich
und in der Schweiz stets einen guten Klang behalten, denn sie sind
eben diese Bahnbrecher, die der neuen Aera auf dem Gebiete des
Handarbeitsunterrichts den festen Boden verliehen, sie allein haben
die Ehre, Erfinder und Verteidiger der neuen Methode des schul-
mässigen Handarbeits-Unterrichts genannt zu werden.
Und wir preussischen Handarbeitslehrerinnen haben einen ganz
besonderen Grund, stolz darauf zu sein, dass die neue Methode bei
uns nicht nur zuerst, nämlich bereits im Jahre 1857 an die Oeffent-
lichkeit trat, sondern auch deshalb, weil eine Frau den hellen
Blick und den Mut hatte, ihre Ueberzeugung öfientlich zu ver-
teidigen.
Ich will das Verdienst der drei genannten Männer, die ihre
Gedanken in den Jahren 1870, 72 und 74 veröffentlichten, keines-
wegs schmälern, aber ich bin stolz auf Rosalie Schallenfeld, die
ihren ersten Aufsatz im Brandenburger Schulblatt 1857 „Ueber die
UnZweckmässigkeit des jetzigenHandarbeitsunterrichts" veröffentlichte.
Schon im Jahre 1861 schrieb sie: „Alle Schülerinnen auf derselben
Stufe müssen ein und dieselbe Art der Arbeit und ein und dieselbe
— 375 —
Uebung an solcher Arbeit haben. Die Lehrerin muss die Belehrung
an die Gesamtheit der Schülerinnen richten. Sie muss zugleich für
alle sein, indem sie für jeden ist, und für jeden, indem sie für alle
ist. Sie gehört der Klasse, nicht dem Einzelnen".
Rosalie Schallenfeld ist es, deren sachgemässe Erörterungen erst
den wahren Wert des Handarbeitsunterrichts in den Schulen vom
pädagogischen Standpunkte bewiesen. Ihr können wir es auch, wenn
nicht direkt, so doch indirekt verdanken, dass die allgemeine Be-
stimmung vom 15. Oktober 1872 die Handarbeit als integrierenden
und also gleichberechtigten Teil des Schulunterrichts in Mädchen-
schulen bestätigte.
So ist denn nun der Unterricht in den weiblichen Handarbeiten
bei uns bald ein Viertel-Jahrhundert obligatorischer Lehrgegenstand.
Er hat sich in dieser Zeit methodisch entwickelt und hat auch eine
nicht unbedeutende Litteratur aufzuweisen. Die allgemein pädago-
gische, wie auch die speziell methodische Seite sind vielseitig er-
örtert und in vielen mehr oder weniger bedeutenden Schriften
dargelegt worden. Fassen wir kurz zusammen, was bis dahin
erreicht ist.
1. Der Handarbeitsunterricht ist nicht mehr Einzel- sondern
Klassenunterricht.
2. Er wird nach einem bestimmt vorgeschriebenen Lehrplan er-
teilt, bei dem die notwendigen d. h. den Bedürfnissen des
Lebens entsprechenden Arbeiten massgebend sind.
3. Material und Werkzeuge zeigen nicht mehr ein so buntes
Durcheinander, wie in früheren Jahren; es herrscht in dieser
Hinsicht Gleichmässigkeit.
4. Ueberall soll mit der praktischen Arbeit die theoretische Be-
lehrung verbanden werden.
5. Die Handarbeitslehrerinnen, wenigstens in den Städten, sind
für ihr Amt speziell vorgebildet.
6. Die staatliche Prüfung bezweckt gleichmässige Vorbildung,
wenigstens ist ein Mindestmass der praktischen Befähigung
durch ministerielle Bestimmungen festgelegt.
7. Für die praktische Arbeit sind Anschauungsmittel vorhanden,
die den Fortschritt der Schülerinnen zu erleichtern im-
stande sind
8. In den Städten wenigstens sind statt der vorgeschriebenen
2 Stunden an vielen Orten 4 Stunden wöchentlich für den
Handarbeitsunterricht festgesetzt.
9. Lag früher der Wert des Handarbeitsunterrichtes in der Aus-
bildung der Fähigkeit einzelner Schülerinnen bis zur Kunst-
fertigkeit, so liegt er jetzt in der Ausbildung der Gesamtheit
der weiblichen Jugend durch den Klassenunterricht, und in
allen für den Hausbedarf notwendigen Arbeiten durch die
methodische Anordnung des Lehrstoffes.
W^ollten wir nun aber glauben, dass damit und dass tiberall
in Preussen und Deutschland der rechte Standpunkt und das zu er-
strebende Ziel unseres Lehrfaches erreicht sei, so wären wir in
einem gefährlichen Irrtum. Betrachten wir diese aufgeführten
— 376 —
9 Punkte näher, so finden sich tiberall noch recht schwerwiegende
Mängel, an deren Beseitigung zu arbeiten unsere Pflicht ist.
Der Handarbeitsunterricht ist Klassenunterricht. Dies ist
Prinzip — aber auch überall durchgeführt? In den Städten viel-
leicht, aber auch in den Landschulen? Nehmen wir an, dass der
Handarbeitsunterricht mit dem 3. Schuljahre eingeführt ist, denn
das entspricht den allgemeinen Bestimmungen vom 15. Oktober 1872.
Nun hat die Handarbeitslehrerin es aber mit 5 Jahrgängen zu thun,
die mit Stricken, Häkeln, Zeichnen, Nähen und Stopfen beschäftigt
werden sollen. Ob da noch von einem Klassenunterricht die Rede
sein kann? Ich glaube bestimmt: nein.
Und fragen wir, was unter solchen Umständen in den vor-
geschriebenen 2 wöchentlichen Stunden geleistet werden kann, so
muss jeder sich selbst sagen, dass solcher Unterricht nur geringen
Wert haben kann.
Hier kann nur dadurch Besserung eintreten, dass eine solche ein-
klassige Schule in drei Gruppen geteilt wird. Die eine strickt, die
andere häkelt und zeichnet, die dritte näht, flickt und stopft. Jede
Gruppe hat gesondert 4 Stunden wöchentlich. Dann können die
Mädchen in Bezug auf Handarbeit für ihren spätem Hausfrauen-
beruf vorbereitet werden. Eine Handarbeitslehrerin würde an einer
solchen Schule wöchentlich 12 Stunden beschäftigt sein. Thäten
sich nun zwei benachbarte Schulen zusammen, so dass die Lehrkraft
für Handarbeit an 3 Wochentagen in der einen, an drei in der an-
dern Schule beschäftigt wurde, so wären 24 Lehrstunden pro Woche
für eine Lehrkraft vorhanden, und sie könnte definitiv und mit
Pensionsberechtigung angestellt werden.
Was die Gleichheit des Materials und der Werkzeuge betrifft,
so ist dieselbe bei allen Kindern derselben Abteilung von grösster
Wichtigkeit für Schüler und Lehrerin.
Aber diese Gleichheit wird überall da vergebens gesucht werden,
wo die Eltern ihre Kinder mit beidem selbst versorgen. Nur da
ist sie vorhanden, wo den Kindern gegen ein billiges Entgelt Material
und Werkzeuge geliefert werden. Diese Einrichtung dürfte daher
die allein empfehlenswert" sein.
Nach dem 4. Grundsatz soll überall mit der praktischen Arbeit
die theoretische Besprechung derselben verbunden werden. Dies
geschieht wohl auch überall da, wo eine fachlich vorgebildete L(3hrerin
vor der Klasse steht, also in grösseren und mittleren Städten; ob
aber auch in allen kleinen Städten und in den Landschulen, das
muss sehr bezweifelt werden, denn dort findet man entweder selten
oder gar keine Handarbeitslehrerin, die eine fachliche Vorbildung
nachweisen kann, und die weitaus grössere Mehrzahl dürfte selbst
über ihren Unter richtsgegenstaud im Unklarc^n sein, denn auch die
vier- bis sechs wöchentlichen Wand<'rkurse zur Ausbildung der länd-
lichen Handarbeitslehrerinnen sind doch nur als jämmerliche Not-
behelfe anzusehen. Wandel geschaffen wird hier erst dann sein,
wenn die staatliche Prüfung von allen Handarbeitslehrerinnen ge-
fordert wird.
Was auch in mittleren und grösseren Städten die Arbeit in
den Klassen anbetrifft, so finde ich besonders drei Uebelstände, die
— 377 —
zum Gedeihen des Ganzen beseitigt werden müssen. Dieses sind:
1. Die übergrosse Zahl von Schülerinnen, welche von einer Lehrerin
in noch vielen Orten unterrichtet werden sollen. 2. Der vielfache
Mangel an Veranschaulichungsmitteln. 3. Die mangelhafte Aufsicht.
Nicht selten kommt es noch vor, dass eine Handarbeitslehrerin
40 — 50 und mehr Kinder in einer Abteilung zu unterrichten hat.
Das ist entschieden zu viel, denn die Natur der Handarbeit erfordert
ein stetes gleichmässiges Beobachten sämtlicher Schülerinnen von
Seiten der Lehrerin. Das ist nun zwar bei einer Zahl von 20 — 30
noch allenfalls möglich, nicht aber bei einer grösseren Anzahl.
Manche Behörden, so beispielsweise auch die meiner Heimatstadt,
haben das eingesehen, und es giebt daher bei uns keine städtische
Mädchenklasse, an der nicht gleichzeitig 2 Lehrkräfte thätig sind.
Das ist eine Abhilfe, obgleich nicht die beste, denn wenn 2 Lehre-
rinnen in einem Räume gleichzeitig unterrichten, so können leicht
Uebelstände erwachsen, die in anderer Beziehung um so verderb-
licher einwirken. Sind die Lehrkräfte ^ber vollständig einig, so
schaffen sie doppelten Segen. Am besten aber sind kleine Abteilungen
in gesonderten Räumen.
Den Mangel an Veranschaulichungsmitteln verschulden nicht
selten die Kolleginnen selbst. Vieles, wie vergrössertes Material
und vergrösserte Werkzeuge können sie sich selbst anschaffen.
Manches andere würde von der Schulleitung beschafft werden, wenn
die Handarbeitslehrerin ernst fordern würde. Leider soll es aber
auch vorkommen, dass die besten vorhandenen Mittel nicht genügend
ausgenutzt werden; und in diesen Fällen kann nur die Mahnung
nützen: „Lasst uns besser werden, bald wird's besser sein!"
Der dritte berührte Uebelstand ist der Mangel an sachkundiger
Aufsicht über den Unterricht in den weiblichen Handarbeiten. Nur
in den Städten Breslau, Köln, München ist ein solcher mit bestem
Erfolg eingeführt worden.
Bei uns hat früher etwas derartiges bestanden, indem von Zeit
zu Zeit pine erfahrene Handarbeitslehrerin in (Gemeinschaft mit einem
Lokal-Schulinspektor, der sich gleichfalls speziell für die Sache
interessierte, eine Revision der Handarbeit aller städtischen Schulen
vornahm.
Das war etwas; aber mit der Zeit sind auch diese Revisionen
eingeschlafen, und somit ist jede Handarbeitslehrerin auf ihr eigenes
Gewissen angewiesen.
DabS nun aber ferner noch ein sehr schwerwiegender Mangel
in der Anstellung und Besoldung der Handarbeitslehrerinnen be-
steht, habe ich früher bereits an anderer Stelle genügend beleuchtet.
Ich will nur noch hinzufügen, dass dieser Uebelstand zu den alier-
schlimmsten gehört und daher der Abstellung am dringendsten bedarf.
Um nun noch kurz den gegenwärtigen Standpunkt des Unter-
richts in den weiblichen Handarbeiten zu kennzeichnen, will ich
das Gesagte also kurz zusammenfassen:
Die Methode ist zwar nicht abgeschlossen, aber unterstützt
durch eine reiche Litteratur, auf erfreulicher Höhe angelangt. In
den mittleren und grösseren Städten wird sie von fachlich vor-
gebildeten Lehrerinnen sorgfältig gepflegt. Die Lehrerinnen sind
— 378 —
grösstenteils ihrer Aufgabe gewachsen und zeigen durchweg ein
Streben nach Vervollkommnung in ihrem Beruf. Aber es ist noch
sehr viel zu thun. Die Landschulen und viele Schulen in kleinen
Städten sind in unserem Sinne noch unversorgt. Die pekuniäre
Stellung und die Art der Anstellung der Lehrerinnen ist auch in
den grösseren und grössten Städten noch keine angemessene. Eine
sachgemässe Aufsicht fehlt noch gänzlich.
Hoffen wir, dass die nächste Zukunft hierin Besserung bringen
werde.
Wie sollen die Kinder beim Arbeiten sitzen?
Von Augenarzt Dp. Wurm (Berlin).
Diese hochwichtige Frage der Gesundheitspflege findet leider
wenig Beachtung bei Müttern, Lehrerinnen und Erzieherinnen und
doch befördert das Schiefsitzen bei längerer Dauer und öfterer
Wiederholung in hohem ö-rade die Entwicklung von Kurzsichtig-
keit und Rückgratsverkrümmungen und zwar letztere besonders
bei Mädchen. Denn das Geradesitzen erfordert stets Muskel-
anstrengungen, um den Oberkörper aufrecht im Gleichgewicht zu
erhalten, so dass um so früher Ermüdung und schiefes Sitzen er-
folgt, je unzweckmässiger die Arbeitsplätze sind. Zuerst sinkt
hierbei der Kopf des Schreibenden nach vorn und links, dann nach
unten, wodurch die Augen zu einer übermässigen Annäherung ge-
zwungen werden, später fällt auch der Oberkörper schief nach vorn.
Was lässt sich nun thun, um der häufigen Entstehung von Kurz-
sichtigkeit und Schiefheit im kindlichen Alter vorzubeugen?
Vor allem ist eine möglichste Einschränkung des Sitzens wün-
schenswert, sowohl in der Schule, als im Hause, also kurze Unter-
richtsstunden (^4 Stunden), nicht zu viel häusliche Aufgaben, Erholung
durch Bewegungsspiele, Turnen, Spaziergänge etc. Ferner müssen
die Arbeitsplätze so beschaffen sein, dass sie eine bequeme aufrechte
Sitzhaltung ermöglichen ; man sorge daher für helle Beleuchtung und
passende Tische, Bänke oder Stühle. Bei Tageslicht wähle man für
die Kinder einen hellen Platz zum Arbeiten nahe dem Fenster, so
dass dieses sich an ihrer linken Seite befindet; streng zu verbieten
ist das Lesen, Sticken, Nähen etc. in der Dämmerung; die künst-
liche Beleuchtung sei hell, ohne zu blenden. Was die Beschaffenheit
der Arbeitsplätze betrifft, so sollen Tisch und Bank oder Stuhl in
richtigem Verhältnis zu einander stehen und der Körpergrösse ent-
sprechen, denn unpassende Schulbänke und Arbeitstische zwingen
die Kinder schief zu sitzen. Ein näheres Eingehen auf die zweck-
mässige Form der Schulbänke und Hauspulte*) würde zu weit
führen und heben wir nur als Hauptbedingungen das Ueberragen
der Tischplatte über den Sitz, — die sogenannte negative Distanz
— , eine entsprechende Tischhöhe, sowie passende Lehne und P'uss-
*) Das vom V. konstruirte verstellbare Arbeitspult für Kinder,
Deutsches und engl. Reich s-Patent, ist käuflich bei Maquet, Berlin,
Charlottenstr. C3. Die Redaktion.
^ 379 -
brett hervor. In den Schulen hat man zwar in neuester Zeit den
hygienischen Anforderungen mehr Rechnung getragen, aber noch
sind vielfach ungeeignete Schulbänke in Gebrauch, noch giebt es
viele dunkle Klassenzimmer, wo wenig Tageslicht eindringen kann
und die Analen geschädigt werden! Viel schlimmer ist es leider in
dieser Beziehung zu Hause, in der Familie. Meist fehlt den Eltern
das Verständnis für die Notwendigkeit einer Entlastung der Kinder
nach den Anstrengungen in der Schule und sie vermehren noch die
Zahl der Sitzstunden durch Unterricht in der Musik, im Malen etc.
Selten sorgt man für gute Arbeitsplätze und wenn dann die Kinder
trotz aller Ermahnungen mit herabgebeugtem Kopf in krummer
Haltung sitzen und schief oder kurzsichtig werden, so tragen Un-
kenntnis und Sorglosigkeit der Eltern, vor allem der Mütter, die
beim Arbeiten meist zugegen sind, die Schuld daran.
Bericht über die Nürnberger Frauen - Arbeits- und
Koohschule.
Frau Dp. phil. Schubept-Feder-Berlin berichtet über die Frauen-
arbeitsschule zu Nürnberg, welche durch die Art, wie sie auf ihre
jetzige Höhe gebracht wurde, die Auszeichnung, auf dem Kongress
hervorgehoben zu werden, wohl verdient.
Im Jahre 1874 wusste eine Frau Dr. Beeg in Nürnberg die
dortigen gebildeten Kreise für die Idee einer Frauenarbeitsschule
zu erwärmen, indem sie in einem beredten Schriftchen ausführte,
dass dieselbe von weitgehendem Nutzen für die Gesamtbevölkerung
sein würde.
Es bildete sich zum Zweck der Gründung ein Komitee, an
dessen Spitze der hochherzige Reichsrat Freiherr v. Cramer-Klett
gerufen wurde, der mit seinen reichen Mitteln das Institut ins Leben
rief und alljährlich aufs grossherzigste unterstützte. Aber auch
andere Männer, wie Dr. Essenwein, Direktor des G-ermanischen
Museums, Dr. Stegmann, Direktor des Gewerbemuseums, die Kom-
merzienräte Heusalt und Stief gönnten dem Unternehmen ihre that-
kräftige Förderung. Mit 30 Schülerinnen wurde 1875 die Arbeits-
schule eröffnet und blühte 9 Jahre lang — bis zum Ableben des
Freiherrn von Gramer - Klett und dem damit zusammenhängenden
Ausbleiben der erheblichen, von ihm gewährten Unterstützung.
Ziemlich zur gleichen Zeit sah sich die technische Leiterin,
Frau Dr. Beeg, Verhältnisse halber genötigt, Nürnberg zu ver-
lassen und überliess die Schule mit ihren 98 Schülerinnen den drei,
an derselben angestellten Lehrerinnen, welche, obwohl dazu aufge-
fordert, sich zu einem Kaut' nicht verstehen wollten. Vielmehr
erstand die Anstalt für den Preis von 6000 Mk. ein Frl. Henriette
Rötter, die jetzige Besitzerin, eine in Nürnberg völlig fremde und
mit dortigen Verhältnissen ganz und gar nicht vertraute Dame.
Schwer genug ward ihr der Anfang, so schwer, dass er, bei dem
nachmaligen vortrefflichen Erfolge, als Trost und Sporn für manche
dienen mag, die unter schwierigen Verhältnissen etwas Neues be-
ginnen will. Die drei Lehrerinnen, deren eine Frau Dr. Beeg als
— 380 —
ihre Stellvertreterin eingesetzt hatte, missbrauchten nämlich ihren
Einfluss dazu, die Schülerinnen zu sich hinüber zu ziehen und ohne
Kaufeumme und G-ründungskapital auf diese wenig ehrenhafte Weise
eine neue Anstalt ins Leben zu rufen. Und es gelang fürs erste.
Doch Frl. Rötter, die mit offener Stirn allen unlauteren Misshellig-
keiten und allen Intriguen mutig entgegentrat und unermüdlich, mit
schlichter, täglich neuer Hingabe ihre Arbeit that, zweckentsprechende
Reformen des Lehrprogramms vornahm, neue, nützliche Lehrfächer
einführte und nur auf gediegene Erfolge hinarbeitete, gewann in
kurzem das Vertrauen der Bevölkerung, ja durfte, nachdem sie
mit einer Schülerin begonnen hatte, schon nach reichlich einem Jahre
sich einer Schülerinnenzahl von 191 erfreuen.
Während nun in den folgenden Jahren der Fortgang der Schule
Fortschritte jeder Art bezeichnete, hegte Frl. Rötter einen neuen,
äusserst glücklichen Plan. Sie wünschte eine Kochschule mit ihrer
Anstalt zu verbinden — die erste Kochschule in Bayern — und
zwar für Bemittelte sowohl als für Unbemittelte. Aber wie das
Letztere ermöglichen, da sie selbst über Mittel nicht verfugt? Ihr
Eifer rief den Nürnberger Frauenerwerbs- Verein ins Leben, und
aus dessen Vereinsbeiträgen nun wird alljährlich für eine Anzahl
armer Mädchen des Ortes das Schulgeld für die Kochschule be-
stritten; von den 184 Kochschülerinnen der ersten zwei Jahre wurden
18 auf Vereinskosten ausgebildet.
800 — 900 Frauen und Mädchen aus dem In- und Auslande
werden alljährlich in der Nürnberger Frauenarbeitsschule in fast
allen Zweigen der Handarbeit, im häuslichen Beruf, im G-ewerbe-
und Handelsfach unterwiesen. 1894 erhielt die Anstalt die süberne
Medaille aus der König Ludwig-Preisstiftung; im Schullokal, Burg-
strasse 15, wird die alljährliche Original-Hand- und Kunstarbeits-
ausstellung zu einer dauernden gemacht; unbemittelten Schülerinnen
ist gestattet, durch Arbeiten auf Bestellung schon selbständig etwas
zu verdienen; es haben im letztvergangenen Jahre 28 Schülerinnen
weit über 900 Mk. für sich erworben. — Die Bibliothek der An-
stalt umfasst bereits über 350 Bände, der Belehrung und Unter-
haltung der Schülerinnen gewidmet.
So ruht ersichtlicher Segen auf dem ganzen Beginnen und wir
können nur, wie wir allen Anstalten dieser Art gedeihliche Ent-
faltung wünschen, auch dieser in Nürnberg, der emporzukommen
aus inneren und äusseren Gründen so sauer wurde, für die Zukunft
ein herzliches „G-lück auf" zurufen.
Der Unterricht in der Frauen-Handarbelt und
Richtung desselben in den verschiedenen Lehr-
anstalten Ungarns.
Von Frau G. Nendtwich, Direktorin der Gewerbeschule zu
Budapest, Delegierte des Maria Dorothea -Vereins.
Bei uns in Ungarn beginnen die Mädchen schon im frühen
Kindesalter sich die Fertigkeit zur P'rauen-Handarbeit anzueignen.
In den Elementar-Schulen ist der Zweck des Unterrichts in
— 381 —
der Handarbeit der, den Arbeitstrieb zu wecken und zu pflegen,
die Arbeitslust zu steigern und an Ausdauer in der Arbeit zu ge-
wöhnen, zu einer gewissen Geschicklichkeit der Hand zu führen,
die Neigung zur gewerblichen Beschäftigung anzuregen und über-
haupt die Vorbereitung für das praktische Leben.
Deshalb wird das Hauptgewicht auf jene Handarbeiten gelegt,
deren Aneignung in Anbetracht der örtlichen Verhältnisse den
Zögling zum Broterwerb vorbereitet, und welche geeignet sind, den
Sinn für diese Arbeiten zu fördern und gewissermassen auch den
Geschmack zu veredeln.
Deshalb giebt man sich hier nur mit solchen Arbeiten ab,
welche durch die Kinder selbständig ausgeführt werden können und
sowohl in der Schule, als auch zu Hause ohne Schwierigkeit zu
verrichten sind.
Die höheren Volksschulen streben schon dem praktischen Ziele zu.
In diesen Schulen gilt es, die Zöglinge, je nach ihren persön-
lichen Fähigkeiten, mit den im Haushalte verwertbaren und als
Erwerbsquelle dienenden Frauen-Handarbeiten vertraut zu machen
und die Aneignung der notwendigen Fertigkeit in diesen zu er-
möglichen. Hier gehen dem Einüben Erläuterungen voraus, damit
die Zöglinge im Verrichten der Arbeiten eine gewisse Selbständigkeit
gewinnen, die Art und Weise der zweckmässigen und billigen Be-
schaffung des Materials kennen lernen und auch auf stylmässige
Zeichnungen und auf die Harmonie der Farben Sorgfalt verwenden.
In den Elementar-Lehrerinnen-Seminarien bewegt sich mit Rück-
sicht darauf, dass die aus diesen Anstalten hervorgehenden Lehr-
kräfte berufen sind, die kleinen Mädchen in den Elementen der
Frauenarbeit zu unterrichten, v der Lehrplan in einem weiteren
Rahmen, was insbesondere dadurch motiviert erscheint, dass das
Elementarschul-Lehrerdiplom zugleich die Grundlage für die in den
höheren Volksschulen und Lehrerinnen -Sem inarien systematisierte
Befähigungsprüfung für Frauen-Handarbeit bildet.
Die Befähigungsprüfung zum Unterricht der Handarbeit in
höheren Volksschulen und in den Lehrerinnen-Seminarien kann nur
in dem Lehrerinnen-Seminar für höhere Volks- und Bürgerschulen des
Budapester VI. Bezirkes und in einigen Klöstern abgelegt werden. Vor-
bedingung dieser Prüfung ist das Elementar-Lehrerdiplom, Gegen-
stand derselben das Ornamental- und Kleiderschnitt - Zeichnen und
die verschiedenen Arten von Frauen-Hand- und Maschinenarbeit.
Die Modalitäten der Prüfung werden von Fall zu Fall fest-
gestellt. Jene Zöglinge aber, die die Fachgruppe für Frauen-Industrie
regelrecht absolviert haben, können vom Herstellen der Hand- und
Maschinenarbeiten ganz oder teilweise enthoben werden, denn es
können als Grundlage der Klassifizierung die in der zweiten Hälfte
des letzten Jahrganges fertigg(?stellten, doch auf jeden Fall vorzu-
legenden Gegenstände acceptiert werden.
Zu dieser Befähigungsprüfung werden bei besonderer ministerieller
Bewilligung auch solche Damen zugelassen, die kein Elementar-
Lehrerdiplom besitzen, jedoch eine höhere Frauengewerbeschule regel-
recht absolviert haben und mit dem Zeugnisse einer öffentlichen
Schule wenigstens so viel Vorbildung nachweisen können, w^"
— 382 -
Aufnahme in ein Elementarlehrerinnen - Seminar erforderlich ist.
Solche Kandidaten aher sind verpflichtet, diese ihre Vorbildung
durch eine vorhergehende Prüfung nachzuweisen und blos, wenn sie
diese erfolgreich bestanden, können sie zur Befähigungsprtifung zu-
gelassen werden.
Diese verschiedenen Modalitäten der Aneignung der Frauen-
Handarbeiten habe ich hauptsächlich deshalb angeführt, damit man
ein klares Bild gewinnen könne, auf welcher Grundlage die Aus-
bildung beruht und welchen Bildungsgrad jenes Element besitzt,
welches die Fachschulen für Frauengewerbe erhalten, um es weiter
auszubilden.
Die Frauengewerbeschulen sind in Ungarn entweder Staats-
schulen, oder staatlich subventionierte Vereinsschulen, und solche,
die mit irgend einer Lehranstalt in Verbindung stehen. Eine staat-
liche Frauengewerbeschule giebt es bloss in Budapest; diese Anstalt
befindet sich am linken, eine Filiale derselben am rechten Ufer der
Donau. Unter die staatlich subventionierten gehören die in Ko-
lozsvar, Sepsi-Szentgyörgy, Györ, Marcs väsärhely, Debreczen und in
die dem Elisabeth-Mädchen-Waisenhause zu Kezdi-Väsarhely systemi-
sierten Frauengewerbeschulen. Vereinsschulen sind die von Iglo,
Nyiregyhaza und Miskolcz; mit einer Lehranstalt stehen in Ver-
bindung die neben der höheren Volksschule für den Budapester
III. Bezirk, sowie die neben der höheren Volksschule zu Nagyenyed
systemisierten. Die erstere steht unter der Oberaufsicht der Haupt-
stadt, die letztere unter der des Kultus- und Unterrichts-Ministeriums.
Organisationsgemäss ist es Zweck und Aufgabe dieser Lehr-
anstalten, junge Mädchen durch Unterricht in den Frauenarbeiten
und in den, zur Leitung von kleineren Frauenarbeitsgeschäften
nötigen Fachkenntnissen zu nützlichen Hilfsarbeitern zu erziehen,
damit dieselben Frauenarbeitsgeschäfte leiten und im Familienkreise
vorkommende Arbeiten selbständig verrichten können.
Die Aufsicht und die Verwaltung wird in verschiedenen Formen
geübt. So z. B. wird die Budapester Frauengewerbeschule von
einer Direktion geleitet, welcher der ganze Lehrkörper und der
im Ungarn bei allen höheren Schulen, also auch bei uns angestellte
Schularzt untergeordnet ist, während die Aufsicht von einem Auf-
sichtskomitee, aus dem Präsidenten und zwölf Mitgliedern bestehend,
ausgeübt wird. Dabei bildet der Landes-Gewerbe-Unterrichts-Ober-
direktor die Kontroibehörde und ist derselbe zugleich Fachreferent
im Handelsministerium. Die Beaufsichtigung des theoretischen Unter-
richtes aber obliegt jenem Fachorgan des Kultus- und Unteriichts-
ministeriums, welches mit der Aufsicht über die Gewerbeschulen im
ganzen Lande betraut ist.
Die Frauengewerbeschulen bei uns haben meistens drei Abtei-
lungen, und zwar die für Weissnähen, die für Kleidermachen, und
die für Strickerei. Hierzu kommt noch in Budapest die Modisten-
Abteilung.
In der Budapester Anstalt wurden diese vier Abteilungen organi-
siert, weil diese Zergliederung unseren heimischen Verhältnissen
am besten entspricht. Eines grösseren Zuspruchs erfreut sich das
Weissnähen und die Kunststickerei. Kunststickerei üben wir nur
— 383 —
seit kurzer Zeit, denn die Bedürfnisse dieser Art wurden bisher
beinahe ausschliesslich vom Auslande gedeckt.
Eine der Hauptbestrebungen der meiner Leitung anvertrauten
Anstalt ist also die, die Ansprüche des für feinere Stickereien sich
interessierenden Publikums durch die vaterländische Industrie zu
decken.
Unterziehen wir nun Zweck und Richtung des blos in allge-
meinen Zügen dargelegten, verschiedenen Unterrichtes in den Ele-
mentar- und höheren Mädchenschulen einer Prüfung mit Rücksicht
auf die Befriedigung der Ansprüche des praktischen Lebens, so er-
giebt sich, dass nicht nur in den Abstufungen der Schulen die
strenge Folgerichtigkeit gewahrt, sondern auch der Tjehrstoflf derart
angeordnet ist, dass der Lehrer unwillkürlich dazu bewogen wird,
vor allem die häuslichen Bedürfnisse und die Ziele der Hausindustrie
vor Augen zu halten.
Wohl wird in den Elementar- und den höheren Volksschulen
der einfache, sozusagen ländliche Haushalt als Grundlage angenommen,
während die höheren Mädchenschulen den Ansprüchen des wohl-
habenderen städtischen Publikums und der Mittelklasse zu genügen
suchen, die Lehrerin-Semin arien aber beides in sich vereinen, doch
ist bei jeder dieser Arten von Anstalten ein anderer Gesichtspunkt
massgebend.
Nehmen wir nun aber Methode und Zweck, sei es des Lernens,
sei es des Unterrichts, in Augenschein, so wird sich jedem klar und
deutlich das Eine ergeben, dass der Unterricht in der Frauenhand-
arbeit die Alltagsbedürfnisse zu erfüllen sucht, indem derselbe nebst
der Sicherung der Familienansprüche auch noch den Zwtck verfolgt,
auf die in den einzelnea G-egenden verbreitete, in ihren Produkten
mehr oder minder geschmackvolle Hausindustrie eine veredelnde
Wirkung auszuüben.
Die .Erreichung dieses letzteren Zieles lässt es jedenfalls als
notwendig erscheinen, dass man je eher zur fachlichen Ausbildung
schreite.
Eine Fachausbildung ist bei uns in Ungarn unter den heutigen
Verhältnissen in den Frauen-G-ewerbeschulen zu erlangen; unter
diesen verdient hauptsächlich die Budapester staatliche Frauengewerbe-
schule hervorgehoben zu werden, welche jeden Zögling, welcher
irgend eine der vier Abteilungen absolviert, in die Lage versetzt
wissen will, nicht nur höheren Ansprüchen zu genügen, sondern im
Stande zu sein, eine Arbeit zu liefern, welche auch als feineres
Industrie-Produkt gelten könne, und die auch mit der Präzisität der
Ausführung, der Schönheit der Komposition und dem edlen Ge-
schmacke, von dem sie zeugt, die Aufmerksamkeit fesseln soll. Denn
nur auf diese Weise ist es zu erreichen, dass unsere absolvierten
Zöglinge nicht nur als Gewerbearbeiter, sondern auch als selbständige
Hausfrauen und Geschäftsleiter auf eine, ihre Existenz sicherstellende
Erwerbsquelle rechnen können.
Es geschieht bei uns alles, was überhaupt möglich ist, um dieses
Ziel zu erlangen. So hat es in der G-ewerbeschulen-Abteilung des
jüngst abgehaltenen zweiten Landes -Universalunterrichtskongresses
den Gegenstand eingehender Erörterung gebildet, wie die Lehrkräfte
— 384 —
für die Frauen gewerbeschulen heranzubilden seien, und die Antwort
auf diese Frage war die, dass die Ausbildung für jeden Gewerbe-
zweig in besonderen Fachlehrkursen zu erfolgen habe.
Nicht minder wichtig ist auch jener Beschluss dieses Kongresses,
dass die absolvierten Zöglinge der Frauengewerbeschulen womöglich
in den betreffenden Schulen selbst als Hilfsarbeiter angestellt werden,
und für ein bestimmtes, massiges Honorar an den in der Anstalt
bestellten Arbeiten teilnehmen.
Aus air diesem mögen Sie ersehen, dass in Ungarn alles auf-
geboten wird, um das Frauengewerbe zum Aufschwung zu bringen.
Wir, die wir berufen sind, die Verwirklichung dieses Zieles herbei-
zuführen, steuern mit voller Kraft demselben zu und in diesem
unseren Streben erfüllt uns mit Begeisterung das Bewnisstsein, dass
wir, indem wir die schönen und formvollendeten Produkte der, auf
einem so hohen Niveau stehenden, Frauen-Tndustrie des Auslandes
auch in unserem eigenen Handgewerbe einbürgern wollen, nicht nur
unserem Berufe als Lehrer dienen, sondern auch unserer patriotischen
Gesinnung den gebührenden Tribut zollen.
Leitsätze über Frauenarbeit im Obst- und
Gartenbau.
Von Fräulein Dr. Elvira Castner, Friedenau-Berlin.
Leitsätze, welche als Auszug aus meinem in der 3. Haupt-
versammlung gehaltenen Vortrage zur Besprechung gestellt wurden.
Leider wurde dieselbe aus Mangel an Zeit abgebrochen.
1. Die Beschäftigung gebildeter Frauen mit Obst- und Garten-
bau ist in Deutschland notwendig aus erziehlichen, hygienischen,
erwerblichen, volkswirtschaftlichen und sozialen Gründen.
2. Das vor wenig Tagen nach beendeter Lehrzeit abgelegte
Examen der ersten Schülerinnen der Gartenbauschule in Friedenau
hat den vollgiltigen Beweis geliefert, dass Frauen die physischen
und geistigen Kräfte besitzen, sich die fachwissenschaftl ich - theore-
tischen Kenntnisse anzueignen, die von einem wissenschaftlich ge-
bildeten Gärtner gefordert werden und auch im Stande sind die prak-
tischen Arbeiten zu lernen und selber auszuführen.
3. Die Ausbildung muss in Gartenbauschulen, nur für gebildete
Frauen eingerichtet, geschehen, wo theoretischer Unterricht und
praktische Unterweisung Hand in Hand gehen.
4. Es muss der Ansicht entgegengetreten werden, dass die
Frauen ihren männlichen Kollegen Konkurrenz machen wollen.
5. Der Wirkungskreis einer Gärtnerin kann ungemein viel-
seitig sein und ist nicht nur auf das Land beschränkt.
6. Um ein besseres Verständnis über Beruf und Stellung der
Gärtnerinnen in weitesten Kreisen anzubahnen, muss die Vereins-
thätigkeit in Anspruch genommen werden; zu dem Zweck ist der
Verein ,,zur Förderung des Frauenerwerbes durch Obst- and Garten-
bau" gegründet worden.
— 386 —
Lasset uns eine Grundlage schaffen.
Von Fräulein Anna Bauer, Cochem a. M.
Bevor ich die Einladung erhielt, hier zu erscheinen, hatte ich
in meiner entlegenen Heimat wenig Gelegenheit und Anregung,
mich über den Stand der Frauenfrage zu unterrichten, aber ich
glaube nicht zu irren, wenn ich das bis jetzt Geschehene dahin zu-
sammenfasse, dass die Pläne und Vorarbeiten zu einem grossen
Werke geschaffen wurden — dass aber die Ausführung des Werkes,
der Bau selbst, der Zukunft überlassen bleiben müsse. Ich möchte
daher heute eine Mahnung an Sie richten — eine Mahnung, deren
Befolgung sich eigentlich von selbst versteht, die aber doch viel-
leicht noch nicht in meinem Sinne erörtert worden ist, und diese
Mahnung lautet: lasset uns eine Grundlage schaffen!
Wir alle, die wir hier versammelt sind, arbeiten an dem Wohl
der Frauen, nicht an unserm persönlichen Wohl, nicht an dem ein-
zelner Individuen, einzelner Klassen, sondern an dem Wohle des
ganzen weiblichen Geschlechts. Wir alle wissen, dass wir eines
ganz aussergewöhnlichen Kraftaufwandes bedürfen, um nur die Vor-
urteile, die unseren Bestrebungen im Wege stehen, zu beseitigen, und
dass wir zur Vollendung unseres Werkes die Zustimmung und
Hilfe aller Frauen haben müssen, dass aber auch gerade den ner-
vösen, sorgenvollen und willensschwachen Frauen der Gegenwart
selbst die Kraft fehlt, deren sie zu ihrer jetzigen Stellung bedürfen.
Wenn ich daher von einer Grundlage spreche, so meine ich, dass
wir vor allen Dingen durch die häusliche Erziehung und Charakter-
bildung der Mädchen für ein an Körper und Geist gesundes weib-
liches Geschlecht zu sorgen hätten, welches krättig genug wäre, die
verstärkten und erweiterten Lasten zu tragen, die ihm aufgebürdet
werden sollen.
Es wird der Gegenwart oft der Vorwurf gemacht, sie sei nur
auf die Verstandes-, nicht auf die Gefühlserziehung bedacht. Das ist
wie man's nimmt: Soviel ist ja richtig, dass der wissenschaftliche
Unterricht rein verstandesmässig und daher mit so geringem Erfolg
für das praktische Leben betrieben wird. Dagegen wird in der
häuslichen Erziehung das Gefühl bevorzugt und dem Verstand
die Stelle des Aschenbrödels angewiesen.
Legen wir nur die Hand aufs Herz: wir alle, Frauen wie
Männer, sind viel zu sehr unsern Gemütsstimmungen jinterworfen.
Wir gleichen alle mehr oder weniger schlechten Musikinstrumenten,
welche den Ton nicht halten. Verstand und Gefühl werden zwar
beide genug geschult, aber jedes tür sich und in besonderer Weise,
und wenn sie zusammen musizieren, dann stimmt es nicht. Da
klingt der Diskant des Gefühls falsch neben den Grundtönen des
Verstandes, das verhätschelte und verzogene Gefühl gefällt sich darin,
bald dem Verstand vorauszueilen, bald hinter ihm zurückzubleiben;
und wenn es garnicht mehr gehen will, wird der arme Verstand
gescholten. Kurz — es fehlt der Takt, es fehlt die Harmonie.
Auf Schritt und Tritt dringt uns heute diese falsche Herzens-
musik in die Ohren, so dass das Empfinden für die Reinheit derselben
völlig abzusterben droht. Wie falsch ist z. B. das Ehrgefühl dessen,
25
— 386 —
der sich schämt, ein unmodernes Kleid zu tragen und sich deshalb
mit einem geborgten schmückt ! Wie falsch ist das Ehrgefühl allein-
stehender Frauen und Mädchen aus guter Familie, welche lieber
müssig gehen und sich ihren Lebensunterhalt schenken lassen, als
dass sie ihn durch ehrliche Arbeit zu verdienen suchen! — Wie
falsch ist die Liebe einer Mutter, welche die Zukunft ihres Kindes
einer angenehmen G-egenwart opfert, — die das liebe Ich des Kindes
in den Mittelpunkt stellt, ihm schmeichelt und huldi«?t und darüber
seine Persönlichkeit, seine Eigenart, sein besseres Selbst zu Grunde
gehen lässt! — Wie falsch ist die Liebe einer Mutter, welche ihre
kaum erwachsenen Töchter um jeden Preis an den Mann zu bringea
sucht und jedes Zartgefühl in ihnen ertötet dadurch, dass sie sie
wie eine Ware feübietet, oder einer andern, die das Verlangen nach,
den kostspieligsten Genüssen in ihren Kindern erweckt, aber kein
Auge hat für die Schönheit einer blumigen Wiese oder eines nächt-
lichen Sternenhimmels — weil das kein Geld kostet! Und wie falsch,
ist die Liebe einer Mutter, die dem Kinde jede Mühe und Arbeit,
jede Entbehrung und Entsagung fern zu halten sucht, anstatt es zu
lehren, das kein Glück auf Erden demjenigen gleichkommt, welches
uns eine überwundene Schwierigkeit, ein über uns selbst errungener
Sieg gewährt.
Ich gehöre nicht zu denen, welche die gute alte Zeit immer
im Munde führen und Glück und Heil nur darin sehen, dass man
zu der froheren Einfachheit und Anspruchslosigkeit zurückkehre.
Nein, ich liebe den Fortschritt und freue mich unserer Errungen-
schaften; aber ich meine, dass die wahre Kunst des Lebens darin
bestehe, dass man sich an allem Schönen erfreuen könne, ohne es
auch besitzen zu wollen. „Ich liebe was fein ist, und wenn's
auch nicht mein ist,'* heisst es in einem alten Kinderliedchen.
Für jeden Menschen giebt es eine Schranke, hinter welcher das
für ihn Unerreichbare liegt. Der Herrscher, den es gelüstet, die
Welt zu erobern, muss mehr entbehren als der Bettler, dessen ein-
ziger Wunsch darin besteht, sich satt zu essen. Die heutigen
Mütter aber sehen das Glück ihrer Kinder einzig darin, dass ihnen
jjßder Wunsch erfüllt werde, und zwar darum erfüllt werde, damit
sie nicht hinter andern zurückstehen. Dafür setzen sie Wohlstand,
Gesundheit, Glück und Schönheit ihrer Kinder aufs Spiel, und wenn
sie endlich doch an der Grenze des Möglichen angekommen sind, so
betrachten Mutter und Kind das als ein Unglück. Unzufriedenheit,
Reizbarkeit, Nervosität, Krankheit und Armut sind das Ende, aber
auch Neid, Hass, Unfrieden, Feindschaft, mit einem Worte : Verfall.
Darum sage ich noch einmal: Bauen wir nicht in den Sand,
sondern lasset uns eine Grundlage schaffen! Lasset uns alles auf-
bieten, die Mütter zur Mitarbeit heranzuziehen; lasset uns durch
Wort, Schrift und Beispiel auf sie zu wirken suchen, dass sie die
falschen Gefühle in sich selbst bekämpfen, oder mit andern Worten:
dass sie die Harmonie in ihrem Denken und Fühlen herstellen und
fähig seien, Töchter zu erziehen, die den Mut und die Kraft ge-
winnen, dasjenige zu thun und zu fordern, was ihren körperlichen
und geistigen Anlagen und Fähigkeiten entspricht.
Da ich selbst bereit bin, zu thun, was in meinen schwachen
- 387 —
Kräften steht, habe ich mich entschlossen, einen Frauenkalender her-
auszugeben; aber ich kann das, was ich unternommen habe, nicht
allein zur Ausführung bringen, denn ich bedarf eines umfangreichen
Materials, um täglich Fühlung mit den Frauen zu behalten und
ihnen Gelegeoheit zu geben, sich gegenseitig aufzumuntern. Die
Prospekte, welche ich ausgegeben habe, machen Sie mit dem Näheren
bekannt. Ich richte daher die dringende Bitte an Sie alle: „Helfen
Sie mir!"
Qrundzüge der pädagogisch-sozialen Umgestaltung.
Von Herrn Curt Geisler, Friedenau.
Wegen Erkrankung des Autors im Auszuge vorgetragen
von Frl. Münchhausen.
1. Die Uebel der menschlichen Gesellschaft entstehen zum
grossen Teil aus der allgemein mangelhaften oder gar fehlenden
häuslichen Erziehung.
2. Jeder Mensch, ganz besonders aber jeder weibliche Mensch
muss das Erziehen lernen, solange er selbst noch jung und bildsam
ist. Könnte man dies erreichen, so wäre ein ungeheuerer, fast un-
übersehbarer Nutzen für die Menschheit geschaffen.
3. Kein Kind darf die Schule verlassen, ohne die wichtigsten
Grundsätze der Erziehungskunst gelernt und an den jüngeren Kindern
geübt zu haben. Das letzte Schaljahr soll jedem Kinde einen zu-
sammenhängenden Unterricht im Erziehen bringen; aber schon weit
früher, vor dem letzten Schuljahre, sollen alle Kinder gelegentlich
mit diesen und jenen Gesetzen vertraut werden.
4. Der Erziehung? Unterricht auf der Schule kostet Zeit, es
muss dafür anderes gestrichen werden. Bei der ungeheueren Wichtig-
keit der richtigen Erziehung für das Wohl der gesamten Menschheit
muss dies Opfer indessen unbedingt gebracht werden. Man bedenke
dabei, dass nach neueren Ansichten es beim Schulunterrichte über-
haupt weniger auf die Einprägung einer grossen Summe historischer
Kenntnisse ankommt, als auf die Bildung des Denkens und Ge-
mütes. Kein Gegenstand ist aber geeigneter, zum Nachdenken
anzuregen und zugleich das Mitgefühl für andere in richtiger Weise
zu erwecken, als der — natürlich in richtiger Art erteilte — Er-
ziehungsunterricht. Der Unterzeichnete ist sogar der Ansicht, dass
bei der Begründung von höheren Mädchenschulen nach den neueren
Anforderungen der Frauenwelt auf Ausbildung des Verstandes, den
Mädchen im Alter vom dreizehnten bis sechszehnten Jahre eine
Ruhepause zu gönnen ist, in der sie vor allem die Gesundheit
pflegen und daneben die Erziehung lernen sollen, die Erwerbung
von sonstigen exakten Kenntnissen aber ruhen lassen. (Natürlich
muss der vorhergehende Schulunterricht anders sein, als er bis
heute ist, und es muss sich nach jener Pause ein wissenschaftlicher
Unterricht bieten für diejenigen, welche höheres Wissen erwerben
wollen.)
25*
ni
Freitag, den 25. September, Vormittag 10 Uhr.
Volkserziehnng und Arbeiterinnenfrage.
Familiengenossensohaften.
Von Jane Hume Clapperton, verlesen von Miss Margaret
Clapperton, Edinburg.
Hochansehnliche Versammlung!
Es ist unmöglich, in der kurzen Zeit, welche mir gütigst von dem
Vorstand dieses Kongresses eingeräumt worden ist, die vielen Punkte
auch nur eben zu berühren, welche darlegen sollen, dass unser soziales
Leben gegenwärtig mangelhaft ist, und welche, wie ich meine, in
vieler Hinsicht einer gründlichen Aenderung bedürfen. Diese Punkte
habe ich an anderer Stelle ausführlich behandelt und ich kann nur
hoffen, dass die kurze Skizze, welche ich hier geben kann, das In-
teresse meiner Zuhörer so erwecken wird, dass sie mein Werk,
„Scientific Meliorism** ausführlicher lesen werden.
Anstatt viele dieser Punkte nur leichthin zu berühren, wobei
ich den einzelnen keine Gerechtigkeit widerfahren lassen könnte,
habe ich es vorgezogen, mich auf einen ein/igen zu beschränken
und diesen ausführlicher zu behandeln, welcher, wie ich sicher bin,
allen Frauen nahe liegt, ich meine: das Familienleben.
Ich glaube, es giebt keinen Gegenstand, über welchen die An-
sichten bei Deutschen und Engländern mehr übereinkommen, als
über den Wert des häuslichen Lebens. Wir Germanen sind ja
ganz besonders stolz auf die Liebe zu unserm Heim, ja diese bildet
geradezu eine Racetugend.
Ich bin nun der Ansicht, dass unser heutiges Durchschnitts-
Familienleben nicht ganz zufriedenstellend ist. Es zeigt Defekte und
Schattenseiten, welche für die Wohlfahrt der Gesellschaft reichliche
Hindernisse bilden. Und doch könnte es meiner Ansicht nach so
abgeändert werden, dass es die Entwickelung eines wertvollen Lebens
unter uns förderte. Lassen sie mich versuchen, meine Ansichteu zu
entwickeln und zu begründen.
— 389 —
Dieses Familienleben ist also unbefriedigend! Selbst das ideale
Familienleben, wenn von einem solchen noch die Rede sein kann —
und einige von uns können wenigstens auf ein solches, mit den
wärmsten G-efuhlen der Anhänglichkeit an ein Heim in ihrer Kinder-
zeit, zuriicitblicken — selbst ein solches hat einen ernstlichen Mangel.
Es bietet doch keine Garantie für ein ungetrübtes Alter. In den
meisten Fällen vereinsamen, da die Kinder wachsen, heiraten und
den Familienkreis nach und nach verlassen, die Eltern mehr und
mehr. Sie sind gar zu oft auf eine Umgebung angewiesen, welche
das G-efühl der Verlassenheit verstärkt und geeignet ist, die körper-
lichen und geistigen Kräfte eher zu vermindern, als sie zu stärken.
Die G-esellschaffc erleidet einen ausserordentlichen Verlust durch Ver-
nichtung einer Existenz, welche — ich darf mich wohl so aus-
drücken — oft viele Kenntnisse und tiefe Lebenserfahrung in
sich birgt.
Aber wir müssen nicht das ideale, sondern das wirkliche
Familienleben in allen gesellschaftlichen Kreisen betrachten. Was
finden wir da?
Bei der ärmeren Klasse in grossen Städten sind in den meisten
Fällen nicht einmal die allernötigsten Grundbedingungen eines ge-
nügenden Familienlebens vorhanden. Wie ist es für einen Vater,
eine Mutter und eine Anzahl Kinder, wenn sie eine Wohnung von
1 oder 2 in Ausdehnung und gesunder Luft beschränkten Zimmern
innehaben, möglich, ein Leben zu führen, welches der Familien-
anhänglichkeit förderlich wäre?
Auch sind die Bedingungen des modernen industriellen Lebens
dem alten Ideal des Familienlebens ungünstig. Die Kinder der ar-
beitenden Klasse begeben sich früh in Fabriken und Werkstätten
und betrachten sich deshalb der elterlichen Aufsicht entwachsen.
Sobald sie von den Eltern nicht mehr abhängig sind, ziehen sie
häufig vor, sich von ihnen zu trennen.
Wir können uns nicht wundern, dass innige Familienliebe und
Hingebung an Familieninteressen nicht sehr ausgeprägt sind bei
solchen unbeständigen, oft wechselnden Gruppen.
Unter der Mittelklasse findet man durchschnittlich, wenn nicht
Armut, so doch beschränkte Mittel, verbunden mit grösseren An-
sprüchen. Die Fähigkeit zu geniessen, ist vorhanden, aber nicht
die Mittel, die begehrenswerten Dinge des Lebens zu erlangen, welche
überall in Läden und in den Wohnungen der glücklichen Reichen zu
sehen sind. Die Wohnungen sind nicht so klein wie bei der ar-
beitend«^n Klasse, aber sie sind oft dennoch ebenso ungeeignet für
die Ent Wickelung und Pflege der Tugenden, welche das Wesen des
idealen Familienlebens ausmachen sollen. Es ist dies bei weitem
am meisten das Resultat des Erziehungssystems, welches die Mittel-
klassen gezwungen sind anzunehmen. Wo die Mittel knapp sind,
besteht der einzige Weg, die Kinder fähig zu machen, sich mit
ihren Genossen im Kampfe um die Existenz zu messen, darin, dass
sie in grossen Schulen zusammengeführt werden, wo ein Lehrer eine
grosse Anzahl gleichzeitig unterrichten kann. Aber selbst wenn
wir zugeben, dass diese Methode wohlgeeignet ist für die Bildung
des Verstandes — ein Punkt, über den sich streiten lässt — so
— 390 —
glaube ich doch, dass alle darin übereinkommen werden, dass sie
sehr ungeeignet ist für die Bildung des Gemütes und des Willens.
Und diese spielen doch eine weit grössere Rolle im Leben als die
andern, und von ihrer harmonischen Entwickelung hängt viel von
unserm Glücke ab. Die Kinder sind notwendig vielen Einflüssen
unterworfen, welche die Eltern nicht kennen und die oft geradezu
sehr unerwünscht sind. Sie schliessen Bündnisse und Freundschaften,
welche sie verleiten, viel Zeit ausser der Familie zuzubringen, deren
beschränkte Mittel es oft nicht zulassen, den Kindern das Mitbringen
ihrer Freunde nach Hause zu erlauben. In den Schulen selbst ist
die Schwierigkeit einer moralischen Erziehung in Anbetracht der
zahlreichen Schüler sehr gross.
Ein noch wichtigerer Grundzug unserer Erziehungsweise ist
die Trennung der Geschlechter, welche gerade in der Zeit statt-
findet, wo der Charakter, die Neigungen und Fähigkeiten sich aus-
bilden. Wir hüten unsere Töchter ängstlich, wir beschränken sie
mit allen möglichen Regeln der Etiquette, wir erhalten sie also in
grosser Unwissenheit des wirklichen Lebens, und gestatten es, dass
sie durch Lesen von Romanen sich eine eingebildete Welt schaffen.
Unterdessen wachsen unsere Knaben heran in einer ganz verschiedenen
Schule, einer Schule, welche in eben dem Masse zu weit ist, wie
diejenige der Töchter zu eng, und in welcher der verfeinernde Ein-
fluss von Mutter und Schwestern oft gänzlich fehlt.
Die Knaben und Jünglinge in solchen Familien, je älter desto
häufiger, suchen ausserhalb Genüsse und Vergnügungen, welche ihnen
beschränkte Mittel zu Hause nicht gestatten. Sie machen ihre Er-
fahrungen an allen möglichen Orten, Musikhallen, Tanzlokalen,
Billard Salons etc. etc. Die Gefahren und Schattenseiten solch eines
sozialen Lebens können kaum zu arg geschildert werden, und ver-
ursachen allen zärtlichen Eltern tiefen und fortgesetzten Kummer.
Das Resultat ist, dass unsere Jünglinge voll Weltklugheit und
Egoismus sind; sie sind frühreif und manchmal unzart, duldsam
gegen jede männliche Schwäche, aber streng, unerbittlich streng
gegen das weibliche Geschlecht ihrer eigenen Klasse. Bedauerns-
werte Folgen entspringen aus einem solchen Zustande, denn alle
diese jungen Leute treten in Beziehungen zu einander und bilden
zusammen Glieder in der Kette der menschlichen Gesellschaft, welche
im 20. Jahrhundert für unser Land eine Zierde oder einen Haken
bilden. Und wenn wir bedenken, dass reines und unschuldiges
Glück durchaus auf gegenseitiger Würdigung beruhen muss, so
müssen wir uns nur wundern, dass wir ein Erziehungssystem ferner
beibehalten, welches geeignet ist, nicht Würdigung, sondern Mangel
an Würdigung hervorzubringen.
Kurz es scheint, dass die ganze Tendenz des modernen in-
dustriellen Lebens, der modernen Gesellschaft, der modernen Philo-
sophie darauf gerichtet ist, die Familienbeziehungen zu lockern. Als
eine Entwickelungsstufe einer weiteren und mehr spontanen Sympathie
ist die alte Familieneinrichtung nützlich und notwendig gewesen.
Aber die Familie hat jetzt aufgehört, die Grundlage des gesellschaft-
lichen Lebens zu bilden.
Das getrennte Familienleben war nie ein vollkommenes oder
— 391 —
ideales Leben; es ist ehrwürdig und hat, wie alle Einrichtungen
der Vergangenheit, seine KoUe in der Entwickelung gespielt, aber
es passt sich nicht länger seiner gegenwärtigen Umgebung an. In
der Jagd nach dem Grlück bemüht sich das gegenwärtige Geschlecht,
sich einem verfehlten System des Familienlebens und einem mangel-
haften System des sozialen Lebens anzupassen und in dem Kampfe
verdirbt es. "Was muss der nächste Schritt sein?
Sollen wir das Familienleben ganz aufgeben und ein gänzlich
verschiedenes System einführen? Sicherlich nicht! Wenn etwas
durch das Studium der Entwickelung völlig klar gelegt ist, so ist
es dieses, dass es in der Natur, wie in der menschlichen Geschichte
keinen plötzlichen Sprung giebt. So ist es mit dem Familienleben
auch. Ich glaube, dass häusliche Beziehungen und häusliches in-
dividuelles Leben die Hauptquelle für die Kraft der Menschheit
bilden. Was notthut, ist also die Bildung eines vollkommeneren
Familien- und Gesellschaftssystems durch Anwendung von Vernunft
und erhöhtem moralischem G-efühl in der bewussten Entwickelung.
Lassen Sie mich ganz kurz die wichtigsten Grundzüge eines
künftigen, befriedigenden Familienlebens angeben, von dem ich
sagen kann, dass es bedeutende Vorteile vor dem alten Familien^
leben besitzt.
Das neue Familienleben, welches, wie ich glaube, bestimmt ist,
das gegenwärtige System zu verdrängen, besteht in der Vereinigung
mehrerer Familien, welche zusammenleben und ihre Ausgaben und
gemeinschaftlichen Vorteile teilen.
Unter dem gegenwärtigen System haben 20 bessere Familien
jede ein kleines Wohn- oder Esszimmer und ein kleines Besuch-
zimmer, im Ganzen 40 Wohnräume. Aber von diesen aus ver-
schiedenen Elementen zusammengesetzten Familien ist jede auf einen
dieser zwei Wohnräume angewiesen, wo die langen Winterabende
einförmig dahinfliessen. Wo gespielt wird, muss Ruhe herrschen,
wo musiziert wird, müssen die A eiteren ihren Whist aufgeben, und
wer von den Jüngeren lieber liest, muss sein Buch bei Seite legen.
Wenn nicht alle Glieder der Familie ähnlichen Geschmack haben,
so wird notwendigerweise die freie Bewegung des Einzelnen ein-
geschränkt, und wenn sie in einer Stadt leben, suchen die jungen
Männer draussen ihre Vergnügungen, wo und wie, das wissen die
Eltern nicht und wagen kaum danach zu fragen, wälirend den
Schwestern das Haus überlassen ist, dessen Monotonie sie ver-
anlasst, sich, wie oben gesagt, Aufregung in Romanen und Träume-
reien zu suchen, welche die geistige Kraft in trauriger Weise
schwächt.
Aber lasst die zwanzig Familien sich vereinigen und alsbald wird es
möglich sein, die 40 kleinen Zimmer in etwa 2 grosse Speisezimmer,
ein Musikzimmer, ein Atelier, ein Rauchzimmer, einen Tanzsaal, ein
Spielzimmer, ein Lesezimmer, eine Werkstätte, einige Schulzimmer
und Kinderstuben, im Ganzen ungefähr 15 schöne Räume zu ver-
wandeln, behaglich, wenn auch nicht üppig, möbliert. Jedes Glied
hat eine weite Wahl, wo und wie und mit wem es die wertvollen
Freistunden zubringen will. Jeder Raum ist einem besonderen
Zweck gewidmet; in jedem beschäftigt sich eine kleine Gruppe von
— 392 —
zufriedenen Individuen auf angenehme und harmonische Weise, weil
sie sich nach Wahlverwandtschaft zusammenfindet. Das Heim selber
giebt Gelegenheit, unschuldigen Liebhabereien zu folgen, und diese
Ungezwungenheit, seine Freistunden nach Belieben zuzubringen, bildet
den grössten Teil der wahren Freiheit im Leben. Aber es giebt
auch, wie ich weiss, Gemüter, denen Gesellschaft häufig lästig ist
und welche öfters das Bedürfhiss des Alleinseins fühlen. Wenn
nicht Einsamkeit und alle die dem ruhigen Nachdenken notwendigen
Bedingungen einem jeden Mitgliede zugesichert werden können, so
würde die „erweiterte Familie" nicht das sein, was, wie ich be-
haupte, sie sein wird — eine soziale Einrichtung, die dem alten
Familienleben überlegen ist, weil sie die Macht hat, das menschliche
Glück zu erhöhen.
In diesem grossen Heim kann die Erziehung der Kinder un-
endlich sorgfältiger ausgeführt werden, als in grossen, öffent-
lichen Schulen, wo sie notwendigerweise, in Bezug auf geistige
Ausbildung, einförmig behandelt werden, während an die Charakter-
ausbildung kaum zu denken ist. In der Heim-Schule werden Eltern
von bescheidenem Einkommen ira Stande sein, ihren Kindern eine
glückliche Kindheit, systematische IJeberwachung und Erziehung zu
verschaffen, die sie für eine verantwortliche Existenz vorbereitet,
und ihnen ferner eine vielseitige Geselligkeit, die durchaus dem ge-
sunden Leben nötig ist, zuzusichern. Einer zärtlichen Mutter wird
es möglich sein, die Beschäftigungen ihrer Kinder stündlich zu
beobachten, ihre Geist- und Gemütsentwickelung zu überwachen,
ihren Charakter zu bilden und die ihr gehörige Stellung in den
Herzen der Kinder aufrecht zu erhalten. Der systematische Unter-
richt in verschiedenen wissenschaftlichen Fächern kann von Mit-
gliedern des Heims erteilt werden, welche sich durch Wahl der
Ausübung jener sozialen Pflicht gewidmet und sich zu diesem Berufe
ausgebildet haben. Es wird dann unser Streben sein, unsere Kinder
zu lehren, nicht nur was sie wissen, sondern auch, was sie fühlen
sollen. Wenn die Kinder zu Jünglingen und Jungfrauen heran-
wachsen, werden sie nicht mehr, wie jj4zt, durch die künstlich auf-
gerichteten Schranken der Etikette getrennt sein. Da sie so viel ihrer
Zeit, vor allen Dingen ihrer freien Zeit im Heim selbst verbringen,
das ihnen jeden Genuss bietet, und es unnötig macht, ihre Ver-
gnügungen ausserhalb zu suchen, und ausserdem die Eltern selbst
dabei sind, um sie vor etwaigen Ausschreitungen zu hüten, darf
ihnen völlige Freiheit des Verkehrs gewährt werden. Die Wichtig-
keit eines solchen Systems kann kaum übertrieben werden, denn es
wird Männer und F'rauen in nahe Beziehungen bringen; innige,
herzliche und treue Freundschaften werden sich bilden zum Segen
aller und denen, welche zu heiraten wünschen, wird Gelegenheit
gegeben, würdige Ehen zu schliessen auf Grund näherer persönlicher
Bekanntschaft.
Ein greifbarer Vorteil der Familiengenossenschaften, welcher sie
praktischen Menschen empfehlen wird, ist ihre Wohlfeilheit im Ver-
gleich zu dem alten isolierten Familienleben. Es ist augenscheinlich,
dass 20 Familien, welche gemeinsam Haushalt führen, für die näm-
lichen Kosten grössere Vorteile haben, als dieselbe Anzahl getrennt
— 893 -
lebender Familien. Ich möchte diesen Vorteil nicht zu sehr hervor-
heben, weil ich diesen Punkt für weniger wichtig halte, als die
anderen, und es ist Gefahr vorhanden, dass er bei etlichen Ge-
mütern die Oberhand gewinnen würde. Ein gemeinschaftliches
Lieben, welches hauptsächlich auf ökonomischen Spekulationen be-
ruhte, würde sicherlich verfehlen, die Wirkungen auf das soziale
Leben hervorzubringen, welche ich von ihm voraussetze. Die Be-
strebung des künftigen idealen Lebens sollte dahin zielen, dass jeder
Einzelne zu dem Glücke Aller beiträgt, in der wohlbegründeten
Hoffnung, dass durch die Beglückung Anderer das eigene Glück
vergrössert wird, wie es durch keine andere Handlungsweise möglich
ist. Aus solch' einem Heim ist die Verlassenheit verbannt.
Dieses Heim wird seine ruhigen, -behaglichen Winkel für das
Alter haben, wo bis zum letzten Atemzug die Liebe und Pflege
vieler Freunde ihm zu Teil wird.
Drei wichtige soziale Veränderungen werden aus der Gründung
von Familiengenossenschaften hervorgehen:
1. wird die Erfahrung des Alters nicht länger unfruchtbar
bleiben,
2. werden Tugendmut und Tugendkraft ausgenutzt werden, sie
werden den beständigen Faktor des allgemeinen Glückes bilden,
3. wird edle Menschenwürde der Gesellschaft die Bahnen weisen
und die Grundlage für Ordnung und Frieden bilden.
Unter dem Vorsitz von Frau Gau er sprach dann Frau Jeannette
Schwerin über die von ihr aufgestellte These:
„Auf welchen Arbeitsgebieten kann sich die gesamte
Frauenwelt zu gemeinsamer Arbeit vereinigen?'*
Diese Frage geht von der Voraussetzung aus, dass sie eine
positive Beantwortung zulässt. Das Bedürfnis der Frauen nach
grossen, gemeinsamen Arbeitszielen hat bereits in Amerika durch
den internationalen Frauenbund Ausdruck gefunden, dessen Aufgaben
darin bestehen, die Gleichstellung der Frau vor dem Gesetz, Sitt-
lichkeits- und Mässigkeitsfragen als Arbeitsziele aufzustellen. Solche
gemeinsamen Aufgaben bietet z. B. noch die Reform der Volks-
schule, die erst als Einheitsschule ihren Namen mit Recht
tragen wird, die Einführung weiblicher Fabrikinspektoren, die Zu-
lassung der Frau zur Kommunalverwaltung und die gewerk-
schaftliche Organisation der Frauen. Auch Frauen, die auf dem
Boden einer politischen Partei oder eines streng religiösen Bekennt-
nisses stehen, ist es möglich, über individualistische und sozialistische
Theorien hinweg, zusammen zu arbeiten. So haben in Zürich so-
zialistische, bürgerliche, konfessionelle und sozialpolitische Frauen-
vereine an die K ommission für die Rechtspflege eine Eingabe gemacht,
in der sie beantragten:
1. keinen Unterschied des Geschlechts betreffs der Vertretung
von dritten Personen vor Gericht zu machen.
— 394 —
2. Frauen als Mitglieder von Schiedsgerichten und als Sach-
verständige einzustellen,
3. bei Beurteilungen, besonders weiblicher Verbrecher durch das
Schwurgericht, einen Teil der Geschworenen von Frauen be-
setzt zu sehen.
4. für Behandlung von weiblichen Untersuchungsgefangenen weib-
liche Angestellte zu bestellen.
Im Oktober 1894 erging an den Kantonsrat von Zürich eine
Eingabe, das Wirtschaftsgesetz betreffend, unterschrieben von zwei
Arbeiterinnen-, zwei konfessionellen, einem sozialpolitischen und zwei
bürgerlichen Frauen vereinen. Könnten nicht auch bei uns aus allen
Frauen vereinen Vertrauenspersonen ernannt werden, deren Aufgabe
es sein müsste, Fragen nach ihrer allgemeinen Bedeutung für das
Gesamtwohl zu prüfen und sie dann den von ihnen vertretenen
Vereinen zur Unterstützung vorzulegen? Das wäre auch eine Art
von Einigungsamt. Wenn eine Führerin der sozialdemokratischen
Partei im Hinblick auf die ausserhalb der Partei stehenden Frauen
gesagt hat: Ihr hemmt uns wohl, doch ihr bezwingt uns nicht, so
muss man ihr für den letzten Teil des Zitats vollständig Recht
geben. Wir bezwingen sie nicht, denn wir wollen sie garnicht be-
zwingen. Wir wollen in steter, unermüdlicher Arbeit zu einem
vollen Verständnis der Lage der Arbeiterin gelangen und, ob man
uns will oder ablehnt, unentwegt daran arbeiten, ihnen, wie aUen
Frauen, die Bedingungen zu einem menschenwürdigen Dasein zu
erringen.
Diskussion. Frau Clara Zetkin:
Verehrte Anwesende! Ich muss die Ausführungen, die ich
hier vorbringe, nicht als Teilnehmerin des Kongresses, sondern als
Zuhörerin, als Gegnerin, mit einer Richtigstellung einleiten. Frau
Schwerin hat gesagt, es hätte jüngst eine Führerin der sozialdemo-
kratischen Frauenbewegung gegenüber den bürgerlichen Frauen er-
klärt: „Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht!" Ich habe
mich Ihnen vorzustellen als jene sogenannte Führerin, die das Wort
ausgesprochen hat, als eine derjenigen Frauen, die mit ganzem
Herzen im Lager der Sozialdemokratie stehen und ihre Kräfte aus-
schliesslich der sozialististischen Arbeiterinnenbewegung widmen.
Ich habe dieses Wort nicht gebraucht gegenüber der bürgerlichen
Frauenbewegung, denn — ich muss Sie bitttn, es nicht als ver-
letzend für Sie ansehen zu wollen, sondern nur als Konstatierung einer
Thatsache — ich habe bis jetzt die bürgerliche Frauenbewegung als
soziale Macht gar nicht so hoch eingeschätzt, um ihr gegenüber
ein solches Wort zu gebrauchen.
Werte Anwesende! Ich habe diesen Ausdruck gebraucht gegen-
über den Nucken und Tücken, welche der kapitalistische Staat an-
wendet, um die Arbeiterinnenbewegung zu unterdrücken, weil sie
auf dem Boden der sozialistischen Anschaung, des Klassenkampfes
steht. Die Referentin hat Recht: zwisjchen bürgerlicher und prole-
tarischer Frauenbewegung sind Berührungspunkte vorhanden. Alle
jene Reformforderungen, welche aufgestelltwerden, um der G eschlechts-
— 896 —
Sklaverei des Weibes ein Ende zu machen, das sind Forderungen,
für die auch wir eintreten, und für die wir seit Jahren mit einer
Klarheit und einem Zielbewusstsein eingetreten sind, welche bis jetzt
die bürgerliche Frauenbewegung noch nicht an den Tag gelegt hat.
Wir kämpfen seit Jahren für die politische Gleichberechtigung des
weiblichen Greschlechts , für das Vereins- und Stimmrecht, und wo
ist der bürgerliche deutsche Frauenkongress. welcher ein einziges Mal
diese Forderung offiziell zu formulieren gewagt hat? Es ist hier
neulich ganz richtig das Wort gefallen: Getrennt marschieren und
vereint schlagen. Wir können nicht mit den bürgerlichen Frauen
Hand in Hand gehen, weil unser Kampf in erster Linie ein Klassen-
kampf ist gegen das Unternehmertum und gegen die kapitalistische
Gesellschaft. Auch in taktischer Beziehung können wir nicht die
Wege wandeln, welche die bürgerliche Frauenbewegung geht.
Ich erinnere daran: Sie wenden sicli mit Petitionen um Reformen
nicht nur an die gesetzgebenden Behörden, sondern auch an Se.
Majestät den Kaiser und an die Regierung. Wer kann von uns,
die wir Republikaner sind, verlangen, dass wir uns der Person eines
Herrschers bittend nahen? Wer kann von uns Sozialdemokraten ver-
langen, dass wir bittend uns einer Regierung nahen, die ein Ausnahme-
gesetz gegen uns erlassen hat, unter dem wir 12 Jahre lang ge-
knechtet und verfolgt worden sind, wie überhaupt nur politische
Gegner geknechtet und verfolgt werden können. Wie könnten wir
an eine Regierung petitionieren, welche die Weisheit der Gerichte
gegen die Arbeiterinnen-Organisationen in Bewegung gesetzt hat,
eine Weisheit, gegen die Salomos Weisheit der reine Waihcnknabe ist.
Und, werte Anwesende, wenn die Vorrednerin betont hat, dass sie
die Fjauenfrage als Teil einer kulturellen Aufgabe betrachte, dass
sich in diesen Forderungen alle Volkskreise, alle Parteien begegnen
könnten, so muss ich ihr eines entgegnen: Es handelt sich nicht
darum, schöne Wünsche, nützliche Forderungen zu formulieren; es
handelt sich darum, eine soziale Macht vorzustellen, welche diese
Forderungen durchzudrücken vermag. Was bedeutet die Macht
der Gutgesinnten gegen die eines Stumm, der ausschlaggebend ist in
sozialpolitischer Hinsicht? Die gesamte Gesellschaft ist heutzutage
nur noch bestrebt, die Arbeiterklasse in weiterer Unterdrückung
zu erhalten, sie widersteht jeder ernsten Sozialreform. Die Kreise
der Gutgesinnten besitzen nicht die Macht, gegenüber der organi-
sierten Macht des Klassenstaates die erstrebten Reformen durch-
drücken zu können. Seit Jah zehnten schreit die geistige und
sittliche Degeneration der arbeitenden Klassen zum Himmel, und
wenn wir Sozialisten auch die Auffassung haben, dass nur eine
soziale Umwälzung diesem Elend ein Ende machen kann, so er-
kennen wir doch die Notwendigkeit von Reformen an. Wir weisen
keine Reform zurück. Umgekehrt, wir sagen: Nur her mit
diesen Reformen, immer mehr Reformen! Aber die Arbeiterklasse
dankt Euch für diese Reformen nicht, denn alles, was die bürger-
liche Gesellschaft an solchen Reformen zu schaffen vermag, das ist
nur ein Quentchen gegenüber der Schuld der kapitalistischen Ge-
sellschaft. Und mehr noch. Wir sagen: all diese Reformen sind
für uns nur ein Linsengericht und für dieses Linsengericht geben
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wir unser Erstgeburtsrecht, das Recht, eine revolutionäre Klasse
zu sein, nicht her. Verehrte Anwesende, erschrecken Sie nicht vor
dem Wort „revolutionäre Klasse", es hat eine geschichtliche Be-
deutung, und ich gebrauche es in dieser, nicht im Kapitalisten- oder
Wachtstubenjargon. Frau Schwerin hat unter anderem gesagt, dass
bürgerliche und proletarische Frauen zusammenarbeiten könnten
auf dem Grebiete der Volksschule.
Aber, frage ich sie, woher soll die Frau des Proletariats die
Zeit nehmen, um sich in genügender Weise aufzuklären, um an einer
solchen Aufgabe mitarbeiten zu können? Die Frau, die tagsüber
in der Arbeit frohndet, hat nicht die Zeit, zu Vorträgen zu laufen
und in Kommissionen mitzuarbeiten. Sie kann ihre Zeit weit nütz-
licher anwenden, indem sie im Lager der Sozialdemokratie mit-
kämpft. Wenn die bürgerliche Frauenbewegung etwas thun will,
was auch den sogenannten ärmeren Schwestern zu Gute kommt,
dann .soll sie in erster Linie für die volle politische Gleichberechtigung
der Geschlechter eintreten, weil dadurch die Arbeiterin das Recht
bekommt, wirtschaftlich und politisch mit ihrem Manne gegen das
Unternehmertum kämpfen zu können. Die bürgerliche Frauen-
bewegung sollte ferner eintreten für eine Reform des Steuer wesens,
damit der arme Mann nicht so schwer belastet ist, für die Abschaffung
der Gesindeordnung und für den Achtstundentag ohne Unterschied
des Geschlechts. Von der Bereitwilligkeit der bürgerlichen Frauen,
die Organisationen der Arbeiterinnen zu fördern, haben die prole-
tarischen Frauen nur Nutzen, wenn man diese Organisationen zu
Kampforganisationen gegen das Kapital gestaltet, und nicht etwa
zu Harmonie -Kaffeekränzchen. Wenn die bürgerliche Frauen-
bewegung für diese Reformen eintritt, wird sie parallel mit uns
arbeiten. Wir werden es anerkennen, falls sie auf diesem Gebiete
etwas erreicht, was den Arbeiterinnen zu Gute kommt. Aber wenn
eine parallele Aktion möglich ist, so ist damit nicht gesagt, dass sie
eine gemeinsame ist. Was wir auch für Berührungspunkte haben,
wir stehen im anderen Lager. Für uns steht in erster Linie der
Grundsatz: Die proletarische Frau kämpft gemeinsam mit ihrem
männlichen Schicksalsgenossen einen Klassenkampf und nicht einen
Kampf gegen die Vorrechte des männlichen Geschlechts, den die
bürgerliche Frauenbewegung ihrer ganzen Entwickelung nach zu
führen die historische Aufgabe hat.
Die Ausführungen, die Baronesse Gripenberg (Finnland) in
englischer Sprache giebt, werden von Herrn Boos-Jegher (Zürich)
verdeutscht.
Herr Boos-Jegher:
Ich will Ihnen die Angaben, die Ihnen aus Finnland gemacht
worden sind, deutsch wiedergeben, bitte Sie aber, die Mitteilungen
nur als Notizen betrachten zu wollen, nicht als eine wörtliche
Wiedergabe. Die Dame führte aus, dass sie seit 8 Jahren Präsi-
dentin eines Frauenvereins sei und dass derselbe gegen 600 Ar-
beiterinnen und Bauersfrauen, Leute vom Lande, in sich schliesst.
— 397 —
Die Arbeiterinnen finden es selbstverständlich, dass die besser
gebildeten Frauen mit ihnen Hand in Hajid gehen, für sie sorgen
und ihnen helfen. Der erste Appell zur Verkürzung der Arbeits-
zeit der Näherinnen wurde von einer Dame des Vereins auf Wunsch
der Arbeiterinnenkreise verfasst. Die Arbeiterinnen beschlossen,
eine Gewerkschaft zu gründen und holten sich dabei den Rat der
Damen ein, die ihnen hierbei organisatorisch hilfreich zur Hand
gingen. Nach 4 Jahren besohl oss die Gewerkschaft der Arbeiterinnen,
die Gewerkschaft aufzulösen und nahm folgende Resolution an : Wir
betrachten es als eine Abschwächung an Kraft, dass noch eine
spezielle Vereinigung getrennt existiert, und sind der Ansicht, dass
sich der Prauenverein hinreichend um die ökonomischen und anderen
Interessen der Arbeiterinnen bekümmere. Als diese Resolution ein-
stimmig angenommen war, wurden die Gewerkschaftsmitglieder in
den Frauenverein aufgenommen und gründeten in diesem auf An-
raten der Mitglieder des Frauenvereins eine besondere Sektion.
Dieser Beschluss erfolgte aus eigener Initiative. Als in der Ver-
sammlung, in der es sich darum handelte, den Anschluss an den
Frauenverein und die Auflösung der Gewerkschaft zu beschliessen,
die Frage aufgeworfen wurde: „Werden sie uns überhaupt aufnehmen
wollen?" da wurde gesagt, „es ist ihre Pflicht, uns zu helfen und
sie werden uns aufnehmen."
Die Dame fügte hinzu, dass diese Arbeiterinnen gewiss den
richtigen Blick für die Förderung der Fraueninteressen im Allge-
meinen und ihre eigenen Interessen gehabt hätten. Bei Besprechung
des Arrangements von Klubabenden mit Vorträgen wurde im Schosse
dieser Sektion von Arbeiterinnen der Antrag gestellt, dass jeweilen
ein Klubabend mit einer Darlegung des Standes der Frauenbewegung
überhaupt eingeleitet werden sollte. Dieser Klub — d. h. der
Frauenverein in Finnland — veranstaltete letzten Winter eine grosse
Zahl von Vorträgen im Lande über die Arbeiterinnen frage und zwar
auf Wunsch der Arbeiterinnen. Diese Arbeiterinnen helfen auch
bei Petitionen und bei Bestrebungen mit, welche sich auf die Besser-
stellung des Rechts der Frauen beziehen. Sie schreiben auch in
dem Vereinsblatt. Ihre Artikel sind sachlich, wenn auch formell
nicht tüchtig. Sie besprccb'n die Lage der Landarbeiterinnen, die
Dienstbotenfrage, die Stellung der verheirateten Frauen, die Sittlich-
keitsfrage, die Alkoholfrage und Achnliches mehr. Man hatte sich
an den Geistliehen gewandt, er solle dafür eintreten, dass Frauen
sich diesem Verein anschliessen, aber selbst die Arbeiterinnen pro-
testierten gegen diese Maassnahme. Die Arbeiterinnen in Finnland
sind arm und die Zahlung des Jahresbeitrages fällt ihnen schwer.
Baronesse Gripenberg schloss, man möchte ihr verzeihen,
wenn sie stolz auf die Zugehörigkeit zu diesem Verein sei.
Herr Boos-Jegher fährt dann fort:
Ich kann das, was Frau Schwerin aus der Schweiz mitteilte,
nur in vollem Umfang bestätigen. Wir sind allerdings nicht im
ganzen Lande mit den Arbeitei'innenvereinen durchaus in Ver-
bindung, aber es wird bei uns viel gemeinsam gearbeitet. Ich will
damit nicht sagen, dass das eine Gemeinsamkeit der Geschlechter
ist, sondern die verschiedensten Gesellschaftskreise, auch Männer
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un.d Mänuervereine, sind mit den Frauen einverstanden. Wir würden
es lebhaft bedauern, wenn es nicht so wäre, weil wir nur etwas
erreichen, wenn eine allseitige Beteiligung stattfindet. Wir legen
grossen Wert darauf, dass eben verschiedene Gesellschaften sich
zusammenfinden und unter ihnen ein Meinungsaustausch stattfindet,
der gewiss sehr vielen von Nutzen s<^in kann. Wir haben es be-
merkt bei der Beratung des Wirtschaftsgesetzes im Kanton Zürich,
wo 7 Frauen vereine auf die sozialen Krebsschäden aufmerksam
machten, die im Wirtschafts wesen bestehen, und es war interessant
zu sehen, wie ein Abgeordneter den anderen noch übertrumpfen
wollte, um den Frauen entgegen zu kommen. Wir haben es dazu
gebracht, dass in der Stadt Zürich nunmehr seit einigen Monaten
keine Kellnerin und kein Kellner mehr nach 12 Uhr Nachts be-
schäftigt werden darf und dass die Arbeitszeit normiert ist. Wir
haben es dahin gebracht, dass zu Gunsten der Arbeiterinnen, die
nicht den G-esetzen der Fabrik unterstehen, in der die Normal-
arbeitszeit festgelegt ist, ähnliche Bestimmungen auch auf den Klein-
betrieb ausgedehnt wurden. Es ist auch hier eine Kormalarbeitszeit
dekretiert. Das hätten wir nicht erreicht, wenn wir nicht zusammen-
gegangen wären. Wir sind der vollständigen Ueberzeugung, dass
eine Krhöhung der weiblichen Bestrebungen auf die Allgemeinheit
unbedingt wirksam sein mü'^se und das Los der Arbeiterin wesent-
lich bessern wird. Einiges Zusammengehen ist absolut notwendig,
nur Einigkeit macht stark. Was nützt es, wenn wir getrennt
marschieren und nicht einig genug sind, wenn wir vereint schlagen
wollen. Wir denken, es sind der Feinde genug, die uns entgegen-
stehen, und wir haben selbst beim geschlossenen Vorgehen noch
Mühe genug.
Vor einigen Wochen hatten wir einen nationalen Kongress in
Genf für die Interessen der Frauen, der wiederum durchaus von
Männern und Frauen aller Gesellschaftskreise besucht war. Zu den
Berichten waren die Referentinnen aus den verschiedensten Kreisen
gewählt worden. Auch hier haben berufene Vertreterinnen der
Sozialdemokratie gesprochen, und eine derselben hat ein ausgezeich-
netes Referat über Unfall- und Krankenversicherung und Arbeits-
losenversicherung gehalten. Wir haben uns auch bei diesem Kon-
gress durchaus der Sympathien unserer Regierung erfreut. Verschiedene
Kantonsregierungen sandten offizielle Delegierte, der Kongress wurde
durch einen Genfer Staatsrat eröfi'net und der Bericht über den
Kongress wird auf Staatskosten gedruckt.
Dies, geehrte Versammlung, sind einige Bemerkungen, die ich
mit Rücksicht auf unsere schweizerischen Verhältnisse zu machen
hatte. Wenn hierdurch weitere Schlüsse auf andere Regierungen
gemacht werden sollten, würde ich mich freuen.
Ich möchte noch ganz kurz auf amerikanische Verhältnisse ein-
gehen. Ich hatte Gelegenheit, vor einigen Jahren speziell im Auf-
trage der schweizerischen Behörde, die Frage der Frauenthätigkeit
dort zu studieren. Ich möchte Ihnen aus dem Bericht, den. ich damals
erstattete, nur eine Stelle vorlesen. Ich schrieb: „Eines fällt bei
den amerikanischen gemeinnützigen Bestrebungen gegenüber den
unsrigen sofort auf, nämlich, dass dort viel mehr zentralisiert wird
.H-
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und, wo es sich um gemeinnützige Aufgaben handelt, keinerlei
kleinliche Bedenken sich geltend machen. . Da wirken die verschie-
densten Elemente aller Bevölkerungsschichten mit, wie sie auch oft
einem grossen Verein angehören. Es ist einleuchtend, dass die vielen
Bildungsgelegenheiten, die verschiedenen Errungenschaften in der ge-
sellschaftlichen Stellung der Frau und in den gesetzlichen Besserungen
nicht ohne vereintes Wirken erreicht werden konnten".
Frau Lily Braun:
Verehrte Anwesende. Im Anschluss an die These, die Frau
Schwerin aufgestellt hat, möchte ich mir einige Bemerkungen er-
lauben. Zunächst muss ich zur Orientierung der Ausländerinnen
hervorheben, dass die Verhältnisse in Deutschland infolge der
allgemeinen sozialen, wirtschaftlichen und geschichtlichen Entwicke-
lung von denen Englands, Amerikas und der Schweiz so voll-
ständig verschiedene sind, dass man sie unmöglich miteinander
vergleichen kann. Ich möchte als Beispiel nur erwähnen, dass in
England schon Mitte dieses Jahrhunderts sich die bürgerliche
Oesellschaft mit der Lage der Arbeiterinnen beschäftigte, dass
Strikes von Bürgerlichen nicht nur mit hervorgerufen, sondern
auch eifrigst unterstützt worden sind. Im Gegensatz dazu erwähne
ich, dass der grosse Konfektionsstreik von 1896 der erste gewesen
ist, der von den bürgerlichen Kreisen infolge der zu Tage getretenen
entsetzlichen Zustände mit unterstützt worden ist. In der Ent-
wickelung Deutsfhlands ist alles so anders, dass ich dringend davor
warnen möchte, die Entwickelung im Auslande damit zu vergleichen.
Was das Ausland selber betrifft, so habe ich in England eigene
Erfahrungen gemacht. Ich habe gesehen, dass die Damen der
Bourgeoisie sich allerdings eingehend mit der Lage der Arbeiterinnen
befassten. Es gehört dort zum guten Ton, Arbeiterinnen zu
organisieren, sich mit ihnen zu beschäftigen, ihnen Klubräume
y.ur Verfügung zu stellen und dergl. mehr. Andererseits wird der
Einfluss dazu ausgenutzt, um nachher politische Progaganda zu
machen. Die konservativen Frauen haben es sich angelegen sein
lassen, von Haus zu Haus zu gehen, mit den Wählern sich zu
unterhalten, um ihre Stimmen für den Kandidaten der konservativen
Partei zu gewinnen. In England sehen wir auch, dass die Ent-
wickelung der sozialdemokratischen Bewegung eine ganz andere
ist wie die in Deutschland. Es giebt dort nur einzelne sozial-
demokratische Gruppen, und bei uns besteht eine grosse, gewaltige
Partei, die grösste politische Partei Deutschlands.
Es ist hier vorhin von der Baronin Gripenberg gesagt worden,
dass sie einem Verein von 600 Frauen und Mädchen angehöre, der
sich hauptsächlich aus Arbeiterinnen zusammensetzt. Ich muss sagen,
dass mir diese Erwähnung von 600 Mitgliedern gegenüber der That-
sache dieses furchtbaren, nach Millionen zählenden Elends äusserst
geringfügig erschien. Ebensogut könnte man einen Sturm im Glase
Wasser mit einem Sturme auf dem Weltmeere vergleichen!
Ich möchte noch an eines anknüpfen, das, wenn auch nicht
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heute, so doch zu einer anderen Zeit hier gesagt worden ist, dass
nämlich wir, die wir uns zur sozialdemokratischen Richtung rechnen,
gegenüber dem Kongress ausser uns geraten wären, weil wir sehen,
dass eine grosse Bewegung hinter ihm stehe, die bisher nicht ver-
muthet worden sei. Allerdings macht dieser Kongress einen für
deutsche Verhältnisse imposanten Eindruck. Ich frage aber alle
Teilnehmerinnen, wie wohl ihre Begeisterung und ihre Freudigkeit
zusammenschrumpfen werden, wenn sie wieder zurückgehen in ihre
Vereinsthätigkeit, in welcher sie doch so sehr wenig erreichen.
Ich habe oft gehört, wie gerade diejenigen, die sich am inten-
sivsten mit den untersten Schichten der Bevölkerung beschäftigen,
sagen: Hier stehen wir vor einem so ungeheueren Elend, dass wir
mit Vereins- und Wohlthätigkeitsbestrebungen nicht dagegen an-
kämpfen können.
Es ist zweifellos, wie schon Frau Zetkin bemerkte, dass ver-
schiedene Bestrebungen der bürgerlichen Frauenbewegung sich
mit unseren Bestrebungen decken, und wenn Frau Schwerin die
Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren, die Forderung nach
Erweiterung der Arbeiterschutzgesetzgebung erwähnte und alle
Frauen aufforderte, Hand in Hand mit den bürgerlichen Frauen zu
gehen, so kann ich nur erwidern, dass das thatsächlich der Fall
ist. Wir arbeiten seit vielen Jahren auf unsere Weise auch für
dieselben Ziele, für Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren, für
Erweiterung der Arbeiterschutzgesetzgebung u. s.w. Die Abgeordneten
unserer Partei sind bekanntlich diejenigen, die immer und immer
wieder alle Forderungen der Frauen einmütig im Reichstage unter-
stützen. Die Aufforderung von Frau Schwerin zu einem engeren
Zusammengehen ist eine überflüssige, um so mehr, als man von
einer vollständig anderen Weltanschauung ausgeht.
Es bleibt mir nur noch etwas zu erwähnen übrig. Ich möchte
nämlich in Anbetracht dessen, dass von vielen Seiten gesagt wird, die
Vertreter der Arbeiter hätten niemals Anerkennung für das, was
von den Bürgerlichen gethan wird, mich lediglich darauf berufen, dass
uns bisher noch nicht viel Förderung zu teil geworden ist. Wenn
es geschieht, werden wir ganz sicher diejenigen sein, die es an-
erkennen. Frau Schwerin hat in der Aufstellung ihrer These
an uns eine Aufforderung zur Diskussion gerichtet. Wir haben
diese Auffforderung auch ergehen lassen bei Gelegenheit unserer
Versammlungen. Es hat sich keine einzige der Führerinnen der
deutschen Frauenbewegung zum Wort gemeldet. Ich kann dies nur
ausserordentlich bedauern und hoffe, dass es noch nachgeholt werden
wird. Denn ebenso gut, wie wir hier in der Diskussion sprechen
und unsere Meinung kund thun, so könnte es auch dort geschehen
und nicht bloss den Ausländerinnen überlassen werden.
Frau Schulrat Cauer:
Baronesse Gripenberg bittet mich, der Versammlung mit-
zuteilen, dass Finnland, das ganze Land, eine Bevölkerung hat ent-
sprechend der Hälfte von London.