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Full text of "Der internationale Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen in Berlin, 19. Bis 26 ..."

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1896 

SAL 



De 



Internationale Kongress 

Frauenwerke uiid Frauenbestrebun^^en 

V.'K hir -Jf^. Sr^ptomber 1306. 



f^inp Saniiiilung der nul dem Kongress gehaltenen 
Vorträge und Ansprachen. 



Hwaiiegep»bon 

Redaklioiis- Kommission: 

RosaDe SchoenHies, Ltna Morgenstern, Minna Oauer. 
Jeannetit Schwerin. Matie Raschke. 




\ 



UERID* 1897 

. .j !i H <-■ r in a n u "W a 1 1 h 

(Friedrfoii Bethlj'). 




viertel- 
jährlich. 



viertel- 
jährlich. 



mit bunleir FäGhorvIguBttei 

Verlag: Jolm Henry Sclmfriii^ Berlin W.^'°. 

Gesammt-Auflage ca. 200,000 

(in melireren Sprachen erscheinend). 

Modenblatt allergrüssten Stiles, 

enthaltend ToilcUe», (auch Rrfuriii-Hleiiler), 

■ilndergarilerolie, 

Wasche, Putz, llaiidarbeileii ele. 

Grosse Modenwelt 



alle 14 Tage: 

Tste, kÜDSlIciUrli« llJuat 



bringt 

In jedem Qnartal: 

6 ilapp«laulil)rii r 



und Londoner KwIijIIc, r*inrn dopp 
Boltl^tnScIuiiltmnilBrhoKiin, tllnstrlrl 
UnCeFhaltnn^thplIi BauarrinEniDltni 
Orlglnal-ll 



iltjcilMNun 

X stOMB Kiln • Buiil. 

(naturer. Ürinir -"- 
S fWrbBjipiüihtlfro 



ringe q) 



lUuBtrlite l'ntDThiltuB^abellm^B, 
oni-n (In flienen AteHati ^otertl^). 



Jährlich: 

Mau achte gen an nnf üeu TUel, ilie lionte Fftehervigwette 



nnil ilen Vcrlug- tob John Henry Schwerin! 

Aboiiueiueuts zu 1 jVIk. vierteljährlich. 

=^ Gratiaprobenaniminiern bei allen BuchhandJungani ^ 



4 



Der 

Internationale Kongress 

für 

Frauenwerke und Frauei>bestrebungen 

19. bis S6. September 1S96. 



Eine Sammlung der auf dem Kongress gehaltenen 
Vorträge und Ansprachen. 



Redaktions- Kommission: 

' Rosalle Schoenflles, Lina Morgenstern, Minna Cauer, 
Jeannette Schwerin, Marie Rascbke. 




BERLCf 1897 

Verlag von Hermann Walther 
(Friedriob Becbl^). 



Alle Eeohte vorbehalten. 



Vorwort. 



Die Kommission, welcher die Herausgabe dieses Buches oblag, 
sah es als ihre erste Aufgabe an, den vorliegenden reichen Stoff 
zu sichten. 

Die in den Hauptversammlungen gehaltenen Vorträge sind im 
allgemeinen unverkürzt wiedergegeben worden. Aus den Berichten 
über die Thätigkeit von Vereinen und Wohlfahrtseinrichtungen 
sind solche Einzelheiten fortgeblieben, die nur für den engeren 
Kreis der Beteiligten Interesse haben. In zwei Fällen, in denen 
die Vorträge zurückgezogen und von den Rednerinnen daher nicht 
über das angemeldete Thema gesprochen wurde, beschränkte man 
sich auf eine kurze Anführung der Motivierung der Zurücknahme^ 
Mehrfach hatten Vorträge wegen mangelnder Zeit nicht in der dem^be- 
treffenden Stoffgebiet gewidmeten Versammlung, sondern erst an einem 
späteren Tage gehalten werden können. Dieselben sind hier jedesmal 
an der richtigen SteUe eingereiht worden. 

Nach gleichen Grundsätzen verfuhr man bei den Sektions- 
verhandlungen. Nur einzelne längere Vorträge sind gekürzt worden, 
soweit dies ohne Schädigung der darin vertretenen Sache möglich 
war, während die Diskussion eingehend referiert, oder wie die 
der dritten Sitzung, genau nach dem Stenogramm wiedergegeben ist. 

Eine grössere Anzahl von Vorträgen und Berichten, die dem 
Kongress eingesandt waren, aber nicht zur Verlesung gebracht 
werden konnten, sind auch hier nur angeführt worden. 

Entsprechend dem internationalen Charakter des Kongresses 
wurden die Reden in der Sprache der Vortragenden in das Buch 
aufgenommen. Eine Ausnahme bilden diejenigen der italienischen 
Delegierten Dottoressa med. Montessori, die auch in den Versamm- 



lungen teils in gedruckter deutscher Uebersetzung verteilt, teils 
sofort mündlich übertragen wurden. 

Viele unserer ausländischen Gäste sprachen deutsch, und man 
hat an Ausdruck und Stil möglichst • wenig geändert, um ihren 
Reden den individuellen Stempel zu wahren. 

Ueber die Beteiligung am Kongress sind die folgenden Mit- 
teilungen zu machen. Es wurden im ganzen ca. 1700 Teilnehmer- 
karten ausgegeben. An den Sektionssitzungen, zu welchen der 
Zutritt jedem frei stand, haben ausserdem noch mehr als 200 Männer 
und Frauen teilgenommen. 

Ausser Deutschland waren fast alle europäischen Länder und 
Amerika vertreten. Durch Abordnung von Delegierten hatten sich 
zahlreiche Vereine aus vielen grösseren und kleineren deutschen 
Städten beteiligt, sowie Vereine der folgenden ausserdeutschen 
Länder: Belgiens, Dänemarks, Englands, Finnlands, Frankreichs, 
Hollands, Italiens, Oesterreichs, Russlands, der russisch-armenischen, 
russisch-baltischen und russisch-polnischen Provinzen, Schwedens, der 
Schweiz, Ungarns und mehrerer amerikanischer Staaten und Städte 

Durch diese grosse und vielseitige Teilnahme konnten die 
Zwecke des Kongresses: Orientierung über die Ziele und 
den Stand der Frauenbewegung in den zivilisierten 
Ländern und Austausch der Ansichten über einzelne 
wichtige Punkte derselben in genügender und erfreulicher 
Weise erreicht werden. 

Berlin, im Januar 1897. 

Bosalie Schoenflies, 

Vorsitzende der Redaktions-Kommission. 



Inhaltsverzeichnis. 



Die Vorarbeiten zum Kongress 

(Seite 1). 

Der Begrüssungsabend 

(Seite 4). 

Die HauptrersammlungeD. 

I. Sonntag^ den 20. September. gelte 

Begrüssungsrede von Fr. Lina Morgenstern 5 

Thema der Vorträge: Der Stand der Franenbewegrnng 

in yerschiedenen Ländern. 

Deutschland, Fr. Marie Stritt 7 

Amerika, Miss Frances Graham French 17 

Armenien, Dr. med. Margareth von Melik-Beglarjanz . . 23 

Dänemark, Dr. med. Eli Moeller 25 

England, Mrs. Millicent Garrett Fawcett 27 

„ Mrs. Ormiston Chant 34 

„ Mrs. Warner Snoad 34 

Finnland, Baronesse Alexandra Gripenberg .... 36 

Frankreich, Madame Eugenie Potonie-Pierre .... 39 

Holland, Fr. Haighton .42 

Italien, Dr. phil. Paolina Schiff 45 

„ Dr. med. Maria Montessori 47 

C) est erreich. Fr. Therese Schlesinger- Eckstein .... 48 

Portugal, Frl. Luise Ey 55 

Kussland, Dr. med. Anna von Schabanow 60 

Schweden, Frl. Lotten Dahlgren 61 

Eingesandte Vorträge 69 

II. Montag, den 21. September, Vormittag. 

Gruss von Fr. Gräfin Victorine Butlar-Haimhausen ... 70 

Thema: Kindergärten, Jngendhorte, Berichte. 

Die internationale Bedeutung Friedrich Fröbels für Familien- und 

Volkserziehung, Fr. Dr. Henriette Goldschmidt (Leipzig) 78 



Saite 

Day Nurseries, Miss Mary M. Park 82 

Entstehung und Entwickelung der Jugendhorte in Deutschland, 

Fr. Anna Plothow 84 

Frauenthätigkeit für Knabenhorte, Hr. Dr. jur. Aurelias Schmid 90 

Volksunterhaltungsabende, Frl. Klara Strich 92 

The Civic Club of Philadelphia, Dr. med. Bertha Lewis . . 93 
Womens Clubs in the United States, Mrs. Eliza B. Kirkbride 96 
Gruss und Bericht des Schweizerischen Gemeinnützigen Frauen- 
Vereins, Fr. Prof. Emil Vogt 99 

Eingesandter Bericht 100 

III. Montag, den 21. September, Nachmittag. 

Thema: Mädchenerziehnng, Lehrerinnenbildnng, Berafs- 

schalen. 

Die deutsche Frau an der Volksschule, Frl. Elisabeth Miessner 101 
La femme russe dans Tenseignement primaire, Mlle. Eugenie de 

Tchebychew-Dmitriew 108 

Ueber Fortbildungsschulen, Frl. Margarethe Hager . . .115 
Höhere Mädchenschulen und Seminare für Lehrerinnen, Frl. 

Laura Herrmann 120 

Expeiience Pedagogique, Mlle. Pauline Dupont .... 125 
Die Stellung der Lehrerin in England, Miss C. I. Dodd . .131 
Das Mädchenschul wesen in Ungarn, Fr. Rosa Marsits . . 134 
Bericht über Thätigkeit und Bestrebungen des Vereins deut- 
scher Lehrerinnen in Frankreich, Frl. E. Schlieniann . 137 
Errungenschaften und Bestrebungen ungarischer Lehrerinnen, 

Fr. Helene Radnai 139 

Obst- und Gartenbau, eine Erwerbsquelle für gebildete Frauen, 

Dr. Elvira Castner 141 

Ausbildung und Stellung der Oberlehrerinnen in Italien, Signorina 

Rea Silvia Petrini, Signorina Emma Castelbolognesi . 145 

Eingesandte Vorträge 147 

IV. Dienstag, den 22. September. 

Thema: Ennststndinm, Mädchengymuasinm^ Uniyersität. 

Ueber das künstlerische Studium der Frau, Fr. Hermine 

V. Preuschen-Telmann 148 

Das erste Mädchengymnasium zu Karlsruhe, Baronesse Ottilie 

von Bistram . , 151 

Frauenbildung und gymnasiale Mädchenschule in Wien, Fr. Dora 

Rösler 155 

Das Universitätsstudium der Frauen, Dr. phil. Käthe Schirmacher 158 
Prauenstudium in Amerika, Miss Rickert in Vertr. v. Mrs. 

Martha Foote Crow 160 

Ansprache von F'r. Barbe von Tarnofsky 162 

Universitätskurse für Frauen in St. Petersburg, Frl. E. Schaffe 163 
Das Mädchengymnasium in Ungarn, Prof. Dr. Bernhard Alexander, 
Frauenbildung in Ungarn sonst und jetzt, Fr. Constantia 

von Rudnay 169 

l^otes on Queen Margaret College, Janet M. Gallo way . .174 



Seite 

La femme polonaise dans renseignement et dans les oeuvres 

d'utilite publique, Madame Isabelle Moszczenska . .175 

Das Studium der Medizin in verschiedenen Ländern, Dr. phil. 

Lydia Rabino witsch 180 

Experiences d'une Femme-Medicin ä Dolnja Tuzla (Bosnie), 

Dr. med. Theodore Krajewska 185 

Eingesandte Vorträge 190 

V. Mittwoch den 28. September. 

Thema: Die Fran in Handel, Industrie und Gewerbe; 

Fachschulen. 

Die Arbeiterinnen-Enquete in Wien, Fr. Therese Schlesinger- 

Eckstein 191 

Ueber Trade-Unions, Miss Florence Routledge .... 195 

Die Arbeiterinnenfrage, Fr. Lily Braun 202 

lieber den Lohn der Arbeiterinnen, Dr. med. Maria Montessori 202 

Rapport presente au congres de Berlin, Madame Vincent . 212 

Die Lage der Handlungsgehilfinnen, Frl. Agnes Herrmann . 217 

Die Frage der weiblichen Ueber völkerung, Dr. phil. ZofiaDaszynska 222 

Berufsbildung der Mädchen in Riga, Fr. Rosalie Schoenflies . 227 

Die Mädchen-Gewerbeschule in Hamburg, Frl. Bertha Delbanco 229 

Eingesandte Vorträge 233 

VL Donnerstag, den 24. September. 

Thema: Gesnndheits- und Krankenpflege; Wohlfahrt»- 
etnrichtnngen; Mässigkeitsbestrebnngen ; Sittlichkeitsfrage. 

Frauen wirken in häuslicher und öffentlicher Gesundheitspflege, 

Fr. Lina Morgenstern 234 

Bericht über das Viktoriahaus für Krankenpflege in Berlin, 

Frl. Anna Stock 240 

Bericht über die Thätigkeit des deutschen Frauen-Vereins für 

Krankenpflege in den Kolonien, Prl. Klara Müseler . 243 

Ueber Ferien-Kolonien, b'r. Luise Jessen 248 

Die Beteiligung der Frau im Kampfe gegen den Alkoholismus, 

Hr. Geh. Sanitätsrat Dr. A. Baer 253 

Oa Public Atnusements, Mrs. Laura Ormiston Chant . . 256 
Die Sittlichkeitsfrage eine Gesundheitsfrage, Fr. Hanna 

Bieber-Böhm 259 

Die Mässigkeits- Vereine für die Jugend, Miss Annie B. S. 

Salmon 262 

VIL Freitag^ den 25. September. 
Thema: Soziale Hilfsarbeit; die Rechtsstellung der Fran. 

Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit, Fr. 

Auguste Friedemann 266 

De la condition et du vote politique des femmes en France, 

Madame Vincent 267 

Women's Work as Guardians of the Poor, Miss Georgina Hill 273 

Oeffentliche Armen- und Waisenpflege, Fr. Jeannette Schwerin 276 



Seite 

Der gegenwärtige Stand des Frauenstimmrechts in England, 

Miss Helen Blackburn 277 

What the Women's Franchise League of Great Brttain and 

Ireland is trying to accomplish, Mrs. Ursula M. Bright 281 
Report of the Columbia women suffrage Association, Mrs. B. 

S. Brinton 283 

Deutsches Familienrecht, Fr. Sera Prölss 285 

Das norwegische und dänische Familienrecht, Frl. Marie Raschke 290 

Rapport, Dr. jur. Marie Popelin 301 

Ansprache, Dr. med. Maria Montessori 305 

Wahlrecht der Frauen in Holland, Fr. Haighton .... 305 

La Solidarite des femmes, Mme. Stromer-Henni-Pichard . . 306 
Political Rights of Women in the United States, Mrs. Belva 

A. Lockwood 308 

Frauenrecht in Oesterreich, Fr. Fanny Meissner-Diemer . .312 

Das Recht der Frau, Frl. Anita Augspurg 327 

Eingesandte Vorträge 331 

VIII. Sonnabend^ den 26. September. 

Thema: Beteiligrnng der Frauen an der Litteratur; 
Friedensfrage; Schlnsswort. 

Was haben die Frauen von der modernen Litteratur zu er- 
warten? Dr. phil. Ella Mensch 332 

Die deutsche Frau in Dichtung und Kunst, Fr. Jean-Christ-Guthier 335 

Frauenliebe und Leben in der Litteratur, Frl. Natalie v. Milde 335 

Gruss der deutschen PYiedensgesellschaft, Hr. Prediger Seydel 342 

Zur Friedensbewegung, Fr. Melitz 343 

Ansprache in der Friedens frage, Fr. Lina Morgenstern . . 344 

Grüsse aus Frankreich, Dr. phil. Käthe Schirmacher . . 346 

Friedensgruss aus Palermo, Fr. Rosalie Schoenflies . . . 346 

Schlusswort, Fr. Minna Cauer 348 

Eingesandte Vorträge 352 



Die Sektions-SitzungeiK 

I. Dienstag, den 22. September* 
Reform der Kleidung. 

Noch ein bedeutsames Hindernis für die Bewegung der Frau 

in der Frauenbewegung, Hr. Dr. med. Spener . . . 355 

Korreferat, Fr. Sera Prölss 359 

Diskussion 363 

Die Sittlichkeitsfrage. 

Referat, Fr. Bieber-Böhm 364 

Korreferat, Fr. Minna Cauer 367 

Diskussion 368 

Foreign Girls in London, Miss Hogg 369 

Rescue Work, Mrs. Stugenberger-Campbell . . • . . 370 



Die Vorarbeiten zum Kongress. 



Der Gedanke, während der Berliner Gewerbeausstellung einen 
Internationalen Frauenkongress nach der deutschen Reichshauptstadt 
einzuberufen, wurde von Frau Lina Morgenstern zuerst am 8. Januar 
in einer Versammlung des Hausfrauenvereins ausgesprochen. Um 
diesen Gedanken seiner Verwirklichung entgegen zu führen, lud sie 
die bekanntesten Leiterinnen von Frauenvereinen und Führerinnen 
der Frauenbewegung zum 13. Januar in ihre Wohnung zu einer vor- 
läufigen Besprechung ein. 

Nachdem Frau Morgenstern den Plan zu einem Internationalen 
Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen und ein proviso- 
risches Programm vorgelegt und die Anwesenden gebeten hatte, sich 
mit ihr zu diesem Zwecke zu verbinden, erklärten dieselben ihre 
Zustimmung und Mitarbeit. Hierauf fand eine öffentliche Versamm- 
lung statt, deren Resultat die Bildung eines Agitationskomitee's und 
einer Finanzkommission war. Frau Morgenstern wurde zur Vor- 
sitzenden, Frau Eliza Ichenhäuser zur Schriftführerin, Frau Lydia 
Schlesinger zur Kassenverwalterin ernannt. 

Nach einigen die Sachlage immer mehr klärenden und fördern- 
den Sitzungen wurde ein Programm mit begleitendem Einladungs- 
schreiben angenommen und von dem gesamten Berliner Lokalkomitee, 
dass sich inzwischen vervollständigt und in Kommissionen getheilt 
hatte, unterzeichnet. 

Dasselbe bestand aus: Frau Lina Morgenstern, Potsdamerstr. 92, 
1. Vorsitzende. Frau Minna Cauer, Nettelbeckstr. 21, 2. Vorsitzende. 
Frau Hanna Bieber-Böhm, Kaiser- Wilhelmstr. 39, Frau Eliza Ichen- 
häuser, Flensburgerstr. 30, Frau Rosalie Schoenflies, Winterfeld- 
strasse 7, Fräul. Katharina Strahl, Nürnbergerstr. 29, Frau Stromer, 
Grossbeerenstr. 93. Schriftführerinnen. Frau Lydia Schlesinger, Pots- 
damerstr. 35, Schatzmeisterin. Fräul. Agnes Bluhm, Dr. med., 
Lützowstr. 55. Frl. Elvira Castner, D. S. Eichhornstr. 6. Frau 
Jean Christ-Gutbier, Schriftst., Albrechtstr. 11. Frau Hedwig Dohm,' 
Matthäikirchstr. ^13. Frau Maria Gubitz, Linkstr. 6. Fräul. Laura 
Hermann, Oberlehr., Neuenburgerstr. 42. Frau Margarethe Kürschner, 
Alt-Moabit 90. Frau Maybaum, Hinter d. Kath. Kirche 1. Fräul. 



2 — 



Marie Raschke, Lehrerin, Königgrätzerstr. 88. Frau Rosenlieim, 
Kommandantenstr. 89. Frau J^annette Schwerin, Schmidtstr. 29. 
Frau von Witt, Courbierestr. 14. 

Ein Kreis von Helferinnen schloss sich den genannten Frauen 
als erweitertes Komitee an: Frau Olga Arendt-Morgenstern, Frau 
Lina Bamberger, P'rau Basch, PYau Dora Bauer, Frau Boas, Frau 
Eloesser, Frau M. Fiedler, Frau Clara Fränkel, Frau Gu«<serow, 
Frau Luise Havemann, Krau Ida Hoffmann, Frau Bertha Holzapfel, 
Frau Lucie Jacobi, Frau Dr. Julie Kühn, Frau J. Lewenstein, 
Frl. Anna Morsch, Frl. Münchhausen, Frau Dr. Nixdorf, Krau 
Johanna Perls, P'rau Anna Plothow, PYau Dr. S. Prölss, Frl. Emma 
Reiche!, Frau Marianne Rosenberger, Frau Clara Rudioff, Frau 
J. Saulmann, Frau Cläre S'hubert- Feder, Dr. phiU, Frau Wertheim- 
Gotthelf, Frau Malwina Wolki>:er, Frau Levysohn. 

Das Einladungsschreiben nebst Programm wurde in 10,000 Exem- 
plaren nach allen Weltteilen versandt. Von vorn herein stellten wir 
den Grundsatz auf, alle Parteien einzuladen und Niemanden 
zuszuschliessen, da die Frauenbewegung keine Parteisache ist, son- 
dern das ganze Geschlecht angeht. Sollte doch Hauptzweck 
des Kongresses sein, Fühlung mit allen Rifhtungen zu gewinnen, um 
zu erkennen, auf welchen Gebieten eine gemeinsame Arbeit zum 
Besten des Allwohls zu erzieh -n sei. Namentlich wurden auch Ein- 
ladungen versandt an Mitglieder der evangelisch-sozialen Frauen- 
gruppe, an die sozialdemokratischen Führerinnen, an die vaterlän- 
dischen Frauenvereine u. a. 

Glückwünsche und ermunternde Kundgebungen zu unserem 
Unterehmen liefen aus fast allen europäischen Ländern, aus Amerika, 
Syrien, Indien und Australien ein. 

Am 16. März ernannte unser Komitee Frl. Dr. phil. Käthe 
Schirmacher in Paris zur Delegierten für den Congres Intern, des 
Societes feministes in Paris, der vom 8.— 11; April tagte und Ein- 
ladungen an uns hatte ergehen lassen. Frl. Schirmacher über- 
brachte den Frauen Frankreichs unsere Grüsse und die Einladung 
zum Berliner Konsrress. 

In einer Sitzung vom 15. Mai \vurde Frau Lina Morgenstern 
zur Delegierten erwählt, um dem Hunde deutscher Frauenvereine zu 
deren vom 25. — '28. Mai starr findenden Generalversammlung in 
Kassel eine offizielle Einladung zur Beteiligung an dem Int. Kongress 
ür Frauenwerke und Frau« iibestrebun^^^n zu überbringen. Der Bund , 

war gleich bei der ersten konsrituierenden Versammlung in Berlin | 

zur Bereiligung aufgefordert worden, hatre jedoch durch seine ge- : 

schäftsführende Vorsirzende Frau Anna Simson in Breslau antworten 
lassen, „dass der Bund, seiner Verfassung nach, nicht in der Lage 
sei, bei Organisaticm eines Int. Frauen kongresses mitzuwirken; der 
Vorstand würde jedoch nicht verfehlen, in der General- Versammlung 
des Bundes den Antrag zu stellen, eine oder mehrere Delegierte zu 
dem Int. Kongress im Herbst zu entsenden." 

Auf die von Frau Morgenstern persönlich überbrachte Einladung 
erwiderte die Vorsitzende des Bundes Frl. Auguste Schmidt, dass 
der Bund sich nicht durch Senilung von Delegierten beteiligen 
könne, da der Kongress nicht von ihm ausgehe und er mit dem 



i 



^m 



Es handelte sich eben nur darum, Vergleiche anzustellen, was von 
den Frauen der verschiedenen Nationen geleistet worden ist, in 
welcher Weise sie für das Wohl ihres Geschlechtes und der 
Gesamtheit gearbeitet und welche Fortschritte die Stellung der 
Frau und die Bewegung bei ihnen gemacht haben. Diese öflfentlichen 
Versammlungen wurden täglich von anderen Tagespräsidentinnen 
geleitet. Drei Sektionssitzungen, unter dem Vorsitz der Frau Jeannette 
Schwerin, waren dazu bestimmt, über diejenigen Fragen zu diskutieren, 
deren Erörterung besonders wünschenswert erschien. 

Wir können diese Einleitung nicht schliessen, ohne der Presse 
aller Parteirichtungen unsem Dank auszusprechen. Sie hat dem 
Unternehmen von Beginn an wohlwollend gegenüber gestanden. 
Während der Kongresstage waren ihre Vertreter beständig in den 
Sitzungen anwesend, und in den Spalten der Tagesblätter erschienen 
ausführliche, ernst gehaltene Berichte, welche den auf dem Kongresse 
vertretenen Ideen die weiteste Verbreitung verschafiften. 

Der Begrüssungsabend. 

Die Teilnahme am Kongress hatte in den letzten Tagen derartig 
zugenommen, dass die Räume des Englischen Hauses die am Be- 
grüssungsabend, dem 19. September, versammelten Frauen nicht 
fassen konnten. Statt der erwarteten 600 Teilnehmerinnen hatten 
sich deren ca. 1300 eingefunden, so dass es kaum möglich war, den 
Delegierten Platz in den ersten Reihen vor dem Podium zu ver- 
schaffen. Freudig bewegt begrüsste Frau Morgenstern die zahlreiche 
Versammlung, in der hervorragende Vertreterinnen und Vor- 
kämpferinnen der Frauenbewegung aus allen Ländern Europas und 
vielen Orten Amerikas sich befanden. 

Zwei Grüsse in poetischer Form von Frau Braun aus Altena, 
und Frl. Henriette Goldschmidt aus Berlin wurden von Frau Olga 
Arendt- Morgenstern und von Frau Marie Stritt vorgetragen. 

Dann ergriff Frau Meissner-Diemer aus Wien das Wort, um 
den Einberufern ihren Dank für den gastlichen Empfang auszu- 
sprechen. Frau Elise A. Haighton aus Amsterdam brachte einen 
Gruss aus ihrer Heimat und eine Armenierin in Nationaltracht, 
Frau Elisabeth Saksjan, hielt die letzte Ajisprache. 

Zwangloses Beisammensein und gastliche Bewirtung von selten 
des Lokalkomitees bildeten den Schluss des Abends. 



Die HanptversammliingeiL 



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Sonntage den 20. September, Tormittag 11 Uhr.*) 

A^'orsitz: Frau Lina Morgenstern, Fräulein Marie Raschke. 

Nach einer von einem Frauenchor vorgetragenen Hjrmne ergriff 
die Vorsitzende, Frau Lina Morgenstern, das Wort zu ihrer 
Begrüssungsrede : 

Hochansehnliche Versammlung! 

Hiermit eröffne ich den Internationalen Kongress für Frauen- 
werke und Frauenhestrebungen. 

Wir heissen Sie von Herzen willkommen und danken vor allem 
denjenigen, welche die Schwierigkeiten, die Beschwerden und Opfer 
einer weiten Beise nicht scheuten, um sich mit uns zu einem hohen, 
herrlichen Zwecke zu vereinigen, nämlich dem, eine Harmonie in der 
Frauenbewegung aller Länder herzustellen, um das gesamte Menschen- 
geschlecht einer besseren Zukunft entgegenzuführen, durch Gerechtig- 
keit für Alle, durch Hebung und Befreiung der Frauen von Eng- 
herzigkeit, Vorurteilen, Unwissenheit und Zurücksetzung! Nur 
durch die gesetzliche Gleichstellung beider Geschlechter, durch 
friedliches und gleichberechtigtes Arbeiten in der Gemeinsamkeit, 
durch freie Selbstbestimmung im Rechte auf Arbeit, auf Berufswahl 
und Bildung, nur durch Anerkennung einer Moral, einer Sittlichkeit 
für Alle wird dereinst eine beglückende Menschenverbrüderung 
ermöglicht werden. 

Diesem hohen, wenn auch noch fernen Ziel zuzustreben, möge 
alle Diejenigen vereinigen, welche bereits ihre Kraft dem Allwohl 
gewidmet haben und zu widmen bereit sind. Wir fragen nicht 
nach Meinungsverschiedenheit, noch nach Stellung der Person oder 
nach politischem und religiösem Glaubensbekenntnis, nicht nach 



*) Bedigiert v, Frau Minna Cauer. 



Nationalität und Rasse, uns gilt' das rein Menschliche, Menschen- 
würdige und darum Göttliche, uns gilt Ueberzeugungstreue und 
Selbstlosigkeit. 

. Und wenn ich nun die, alle Erwartungen übertreffende grosse 
Schar der Teilnehmenden überschaue, wird es mir warm ums Herz 
und meine Seele erfüllt eine freudige Hoffnung. 

Ich gedenke in diesem weihevollen Augenblick der Entwicklung" 
unseres Kongresses. 

Nur klein war die Zahl derer, welche sich anfangs an unserem 
Unternehmen beteiligten, und von diesen traten noch einige ängstlich 
zurück. 

Wir bildeten ein engeres und er weiteres Lokalkomitee und 
begannen die Vorarbeiten mit dem Entwurf des Programmes, welches 
ausführlich mitteilt, was wir wollen. 

Nächst den Berichten über den Stand der Frauenbewegung aus 
allen Ländern, sind die ersten Vorträge für die Pflege und Erziehung 
der zarten Menschenknospe, des Kindes, angesetzt. Hat doch die 
Frauenbewegung dieses Jahrhunderts (1848) mit Friedrich Fröbels 
Reform der Kinder- und Jugenderziehung begonnen, mit seiner 
Mahnung an die Mütter, als verantwortliche Menschenerzieherinnen 
eingedenk zu sein: „Kommt, lasst uns den Kindern leben". Mit' 
diesem Beginn unseres Programms zeigen wir, dass wir auf dem 
Boden eines gesitteten gesunden Familienlebens stehen, in welchem 
in gleichberechtigter Stellung vor dem Gesetze beide Ehegatten 
gleich verantwortlich für die Erziehung ihres Kindes sind. 

In aufsteigender Linie beschäftigt sich das Programm weiter 
mit allen elementaren und Unterrichtsfragen, mit Fach- und Berufs- 
bildung, mit Wohlfahrt und sozialer Hilfe, mit öffentlicher und 
häuslicher Gesundheitspflege im engen Zusammenhang mit Massigkeit 
und Sittlichkeit, mit den brennenden Fragen der Rechtsstellung der 
Frauen vor dem bürgerlichen Gesetz und der ebenso brennenden 
Arbeiterinnen- und Lohn (rage, bis wir am letzten Tage zur Stellung 
der Frau in Kunst, Wissenschaft und Litteratur gelangen und 
mit ihrer Beteiligung an der weltumfassenden Friedensbewegung 
schliessen. 

Viele tausende dieser Programme wurden in alle Weltteile ge- 
sandt und aus allen Weltteilen erhielten wir Kundgebungen der 
Sympathie, der Zustimmung und Anmeldungen. 

Die immer mächtiger anschwellende Korrespondenz mit dem 
Ausland wurde von beiden Vorsitzenden und den 4 Schriftführerinnen 
Fr. Ichenhäuser, Frau Schönflicss, Frl. Sti*ahl und Frau Stromer 
geführt. So schritt die Agitation frisch und freudig vorwärts. Es 
wui'den die Frauen aller Parteien eingeladen sich zu beteiligen. 

Heute freuen wir uns, eine so hochansehnliche Veisammlung 
von Delegierten und persönlichen Teilnehmern aus allen Lfindern 
hier zu sehen. Besonders freut uns auch die Teilnahme der Männer, 
denn wünschen wir Gerechtigkeit, so müssen sie sich mit unserem 
Wollen und Thun vertraut machen! Es erstanden uns ja zuerst 
unter den Männern die edelsten Führer und MitkJtmpfer. 

Unsere Hauptgegner waren und sind nicht nur die Männer, 
sondern die gleichgiltigen und engherzigen Frauen, welche weder 



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Verständnis noch Sympathie fdr den grossen Kampf hahen, den 
wir zum Wohle und zur Hebung des weiblichen Geschlechtes führen 
und dem «auch ich seit 1848 mich gewidmet habe, damals, als das 
Wort Emanzipation den Vertretern hergebrachter Anschauungen, 
Vorurteile und Gewohnheiten noch ein Gespenst war. 

Heut ist es kein Wahnbild mehr. Und wenn es einer kleinen 
Anzahl von Frauen gelungen ist, die ganze Welt für diesen Kongress 
zu interessieren, und eine so hochansehnliche Teilnehmerschar zu- 
sammen zu rufen, die vielen Nationen angehört, habe ich die frohe 
Hoffnung, dass eine Zeit kommen werde, wo ein friedliches Zu- 
sammenwirken der Nationen und Geschlechter ermöglicht werden 
wird. 

Lassen Sie mich zum Schlüsse, als Kinberuferin, noch denen danken, 
die durch ihre thätige Theilnahme uns kräftige Gehilfinnen wurden 
den so tüchtigen, opferfähigen, treuen IVUtarbeiterinnen. Sie zeigten 
wieder, was das schwache Geschlecht mit Energie, Ausdauer, Sach- 
verständnis und Liebe zu leisten vermag. 

Ein herzlicher Dank gebührt der gesamten Presse, die mit 
Wohlwollen und Unparteilichkeit über unseren Kongress Von Beginn 
an berichtete und ihm in den Tagen vor demselben sogar Leit- 
artikel widmete. Das ist ein kolossaler Fortschritt, dessen sich die 
Frauenbewegung erfreut und den sie zu würdigen weiss. 

Einen ganz besonderen Dank verdienen aber auch unsere Stadt- 
behörden, unter deren Schutz unsern Kongress zu stellen, unser 
erstes Bemühen war. Mit der Bewilligung, im Rathause tagen zu 
dürfen, hat derselbe die legale Weihe erhalten. Hier in diesem 
Hause, wo nur für das Wohl der gesamten Berliner Bevölkerung 
gearbeitet wird, an der Stätte, wo schon so manches gute Werk 
begründet woirde und die nur sol<-hen Vereinigungen dient, 
deren Zwecke gut, edel und nutzbringend sind, hoffen auch wir, 
dass unsere Arbeit eine Segens volle sein werde. 

Die Uebereinstimmung, für gemeinsame hohe Ziele wirken zu 
wollen, hat uns zusammen.ijefiihrt. Möge unser Kongrev«;s dazu bei- 
tragen, ein B;tnd edler, dauernder Beziehungen um die Frauen der 
ganzen Welt zu schlingen, damit sie der Solidarität ihrer Interessen 
bewusst werden! So nur können sich die grossen Ideen verwirk- 
lichen, die uns beseelen, uns«T Geschlecht zu heben, ihm eine ge-. 
rechte, würdige Stellung in der menschlichen Gesellschaft zu geben!" 

Thema der Vorträge: 

Der stand der Frauenbewegung in verschiedenen 

Ländern. 

Deutschland. 

Frau Marie Stritt, Dresden. 

Mir ist vom Coinite die Aufgabe zuerteilt worden, Ihnen ein 
Bild von dem gegenwärtigen Stand der deutschen Frauenbewegung 
zu entwerfen. So gern ich mich dieser Aufgabe unterziehe, so bin 
ich mir doch der Schwierigkeit derselben in zwiefacher Beziehung bewusst^ 



Einmal kann bei einem so umfangreichen, unser ganzes soziales Leben 
umfassenden Gebiet, und bei der Kürze der Zeit, die mir dafür zu Gebote 
steht, von einer erschöpfenden, oder nur halbwegs gründlichen Behandlung 
meines Themas natürlich keine Rede sein, ich vermag also beim besten 
Willen nur einen ganz flüchtigen Ueberblick zu geben — und dann 
würde es mir wohl auch unter anderen Verhältnissen kaum möglich 
sein, in diesem Kreise, und zumal den lieben Genossinnen deutscher 
Zunge etwas Anderes als längst Bekanntes über unsere Bewegung 
zu sagen. Es ist aber unter allen Umständen eine missliche, undank- 
bare Sache, Eulen nach Athen zu tragen — so bitte ich denn, meine 
bescheidenen Ausführungen lediglich als das zu betrachten, was sie 
sein sollen, nämlich als das leidige unvermeidliche Vorwort zu den 
vielen interessanten K<apiteln, die Ihnen im Laufe dieser Woche zu 
Gehör gebracht werden. Ausgangspunkt und Ziele der modernen 
Frauenbewegung waren und sind wohl bei allen Völkern die gleichen, 
ebenso wie der Weg, den sie einschlägt, mit ganz geringen Ab- 
weichungen der gleiche ist und sein muss, da ihn die Natur selbst 
und die unwandelbaren Gesetze der menschlichen Entwickelung genau 
vorgezeichnet haben. Wir können demnach in allen modernen Kultur- 
staaten die gleichen Erscheinungen, den gleichen Werdeprozess sich 
wiederholen sehen. Je nach dem Kulturzustand im allgemeinen, nach 
lokalen Verhältnissen und nationalen Eigenthümlichkeiten pflegt sich 
jedodi dieser Werdeprozess bald schneller, bald langsamer zu 
vollziehen. In keinem anderen zivilisierten Lande wurde und wird 
so viel über Frauen frage und Frauenbestrebungen diskutiert, polemisiert 
und theoretisirt, in keinem hat sich daher des Altmeisters Wort, dass 
„alle Theorie grau ist", so glänzend bewahrheiten können, wie in 
Deutschland. Denn nirgends ist die praktische Ausgestaltung unserer 
Bestrebungen so weit zurückgeblieben, ja herrscht auch wohl kaum 
irgendwo eine so allgemeine Unkenntniss und so bedauerliche Miss- 
verstSndnisse selbst in den Kreisen der sog. Intelligenz und merk- 
würdigerweise in diesen ganz besonders — über ihre Bedeutung und 
ihre Ziele, wie in unserem Vaterlande. Es lässt sich nicht kon- 
statieren, wie weit die letztere bedauerliche Thatsache durch die 
erstere bedingt wurde, doch ist gewiss, dass sie beide in einem 
inneren Zusammenhang stehend, eine verhängnissvolle Wechselwirkung 
auf einander ausüben, und dass die vorwiegend theoretische, akademisch 
— doktrinäre Behandlung der Materie, die — wie oft! — den Wald 
vor lauter Bäumen nicht sehen kann, wenig zur Klärung, umsomehr 
aber zur Verwirrung der Begriffe beigetragen, die natürliche, gesunde 
Entwicklung der Bewegung gehemmt und die an sich schon so mühe- 
volle Arbeit unserer weiblichen Fortschrittspioniere unendlich 
erschwert hat. 

Diese Arbeit hat naturgeniäss, wie überall so auch bei uns, 
zunächst auf dem Gebiet der weiblichen Erwerbsthätigkeit eingesetzt. 
Der grosse Gedanke der Frauenbefreiung, der Gleichberechtigung 
der Geschlechter, der als Forderung der Humanität, als höchstes 
ethisches Prinzip zu allen Zeiten in einzelnen erleuchteten Köpfen, 
in den edelsten Herzen, die je für die Menschheit geschlagen, lebendig 
war, dieser Gedanke hat schon Ende des vorigen und Anfang dieses 
Jahrhunderts auch bei uns manche begeisterten männlichen und 



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weiblichen Verfechter gefundeo, die logisch und zielbewusst auch vor 
seinen äussersten Konsequenzen nicht zurückschreckten. Auch uns 
ist ein John Stuart Mill erstanden in Theodor von Hippel, dessen 
bedeutsame Schriften „Ueber die bürgerliche Verbesserung der 
Weiber" und „Ueber die Ehe", trotzdem sie bereits ihr hundertjähriges 
Jubiläum hinter sich haben, auch heute noch manchem braven 
Philister eine Gänsehaut verursachen würden — vorausgesetzt 
natürlich, dass er sie kannte. — 

Aber diese einzelnen Männer und Frauen blieben Prediger in 
der Wüste, ihre Stimmen verhallten ungehört, mindestens unbeachtet 
im Strom der Zeit. Erst durch die völlige Umgestaltung unserer 
wirthschaftlichen und Produktionsverhältnisse, die ihrerseits durch 
den ungeahnten Aufschwung der Naturwissenschaften, durch die 
zahllosen Entdeckungen und Erfindungen auf dem Gebiet der Technik 
und Industrie, die erleichterten Verkehrsmittel etc. hervorgerufen 
waren, gewann die schöpferische Idee Gestalt und Leben. Unser 
modernes Maschinenalter, welches die Frau aus dem sicheren Schutz 
des Hauses, in dem sie reichlich Arbeit und ausreichend Brot 
gefunden hatte, verdrängte, bot, indem es der Einzelnen die bisherige 
wirtschaftliche Existenzbedingung, den sicheren Grund unter den 
Füssen entzog, dagegen der Frauenbewegung die notwendige wirt- 
schaftliche Basis, deren sie zu ihrer Entwicklung bedurfte. 

So war es denn, wie gesagt, auch bei uns in erster Linie die 
Not- und Brotfrage, die Forderung nach selbständiger, erweiterter 
Erwerbsthätigkeit, später in logischer Konsequenz auch nach Er- 
schliessung der höheren und einträglicheren Berufszweige für das 
weibliche Geschlecht, die den Ausgangspunkt für die Bestrebungen 
jener mutigen und zielbewussten Frauen bildete, die zum Wohl ihrer 
noch ungeborenen Geschlechtsgenossinnen, den Kampf gegen eine 
Welt von Vorurteilen, von Unwissenheit und Egoismus aufnahmen, 
und unter schweren Mühen und Opfern, verfolgt von Hohn und Spott 
der Menge, dem Fluche der Lächerlichkeit preisgegeben. Schritt für 
Schritt, langsam aber unermüdlich, tausendmal zurückgedrängt und 
tausendmal wieder vordringend, die Bahn für die Nachstrebenden 
eröffneten. 

Zunächst drängte sich den mutigen Frauen, die auch bald die 
Unterstützung einzelner gleichgesinnter Männer fanden, natürlich die 
Unzulänglichkeit der bisherigen weiblichen Erziehung und die Not- 
wendigkeit einer besseren Allgemeinbildung, vor allem aber einer 
bestimmten beruflichen Ausbildung auf. Zwei grossen Vereinen, 
dem nach seinem Gründer benannten, 1865 ins Leben gerufenen 
Lette- Verein in Berlin, und dem im gleichen Jahre von Luise Otto 
und Auguste Schmidt gegründeten Allgemeinen Deutschen Frauen- 
verein gebührt das hohe Verdienst, die Erschliessung neuer Berufs- 
zweige und Eröffnung von Fortbildungs- und Fachschulen für das 
weibliche Geschlecht durch Gründung zahlreicher Frauenerwerbs- 
und Frauenbildungs vereine in allen grösseren Städten wirksam und 
thatkräftig gefördert zu haben. In gleichem Sinne und in durchaus 
modernem Geiste wirkt auch seit Ende der 80er Jahre der Verein 
„Frauenwohl" in Berlin. Alle diese von den drei genannten ins 
Leben gerufenen Zweigvereine entwickelten sich selbständig und in 



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erfreulichster Weise. Zahlreiche von ihnen begründete gewerbliche 
und kaufmännische Lehranstalten, Handarbeits-, Haushaltungs-, kunst- 
gewerbliche und Handelsschulen bereiten jährlich tausende von jungen 
Mädchen zu selbständigem Erwerb vor. So zielbewusst, unermüdlich 
und aufopfernd aber auch die vielen tapferen Frauen für ihr Ge- 
schlecht gearbeitet haben — ihre grosse Mitarbeiterin, die Zeit, ist 
indessen auch nicht müssig gewesen, sie hat sie in vielen Stücken 
überholt. — Trotz aller Bemühungen, den herrschenden Bedürf- 
nissen Rechnung zu tragen, erweisen sich diese Anstalten der rapiden 
wirtschaftlichen Entwickelung unserer Zeit und den ebenso rapide 
sich steigernden kulturellen Ansprüchen und Forderungen gegenüber 
als nicht mehr ausreichend. — Angesichts der allgemeinen Pröleta- 
risierung, einschliesslich des bisherigen Mittelstandes, angesichts der 
Massen von Frauen, die für sich und die Ihren um des Lebens Not- 
durft einen Kampf kämpfen müssen, der täglich schwerer wird, sind 
ganz andere, umfassendere Massregeln für unser Geschlecht notwendig 
geworden. 

In dem für die Entwickelung unserer wirtschaftlichen Zustände 
und für beide Geschlechter gleich verhängnisvollen Konkurrenzkampf 
zwischen Mann und Weib, der hauptsächlich durch die geringere Be- 
wertung und demzufolge durch die Unterbietung seitens der weib- 
lichen Arbeitskräfte heraufbeschworen wurde, kann ein Wandel zum 
Besseren nur durch gleichen Lohn bei gleicher Leistung er- 
reicht werden. Um nun der Frau diese gleichwertige Leistung, die 
gegenwärtig nur von ausnahmsweise Begabten geboten werden kann, 
zu ermöglichen, genügt nicht eine notdürftige, minderwertige, sondern 
nur eine gleichwertige, eine vollwertige Vorbildung. Unsere Re- 
gierungen und Kommunen aber, die nach dieser Richtung so mütterlich 
für ihre Söhne sorgen, sind hierin ihren Töchtern gegenüber noch 
gänzlich im Rückstande geblieben. 

Vor einigen Jahren machte eine statistische Uebersicht in den 
Blättern die Runde, wonach von den Summen, die alljährlich in den 
deutschen Staaten für die Berufsbildung unserer Jugend verausgabt 
werden, 97^/4 % für das männliche und 2V4 °o für das weibliche 
Geschlecht entfallen. Dies Verhältnis hat sich auch seither wohl 
kaum geändert. Obgleich längst auch massgebenden Ortes mit der 
Notwendigkeit selbständiger Erwerbsthätigkeit für das weibliche Ge- 
schlecht gerechnet wird, so geschieht doch blutwenig, dieselbe zu 
föi'dern, umsomehr aber, sie zu erschweren oder gar zu verhindern. 

Wir haben staatliche Lehrerinnensera inare, die Frauen für den 
Unterricht in Volks- und Töchterschulen vorbereiten, Hebammen- 
kurse, Koch- und Haushaltungsunterricht, der hie und da, beispiels- 
weise in Sachsen, in letzter Zeit den Oberklassen der Volksschulen 
angegliedert wird; Frauen werden im Telegraphen- und Telephon- 
dienste angestellt — auch erhalten einzelne, gutangeschriebene 
Frauenerwerb vereine von den Kommunen bescheidene jährliche Zu- 
schüsse — das ist aber auch so ziemlich alles, was von Staats - 
oder Gemeindewegen für unser Fortkommen geschieht. Nicht 
nur sind Frauen bei uns noch von allen anderen öffentlichen 
Aemtern und Bildungsstätten, von den höchsten bis zu den primi- 
tivsten, ausgeschlossen, sie werden auch in keiner Weise durch be- 



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sondere, dem Geist der Zeit und ihren Bedürfnissen Rechnung 
tragende Lehranstalten dafür entschädigt. 

Ein typischer Fall, der sich vor einiger Zeit in einer grossen 
Residenzstadt zutrug, ist in hohem Masse geeignet, die Stellung 
unserer Behörden zur Frauen frage zu kennzeichnen. Vom Kollegium 
der — notabene einzigen — städtischen „höheren Töchterschule war ein 
Gesuch um einen Zuschuss von jährlich 360 Mk. behufs Einführung 
des fakultativen stenographischen Unterrichtes in der ersten Klasse 
eingereicht worden. Dasselbe wurde in der betreflfenden Stadt- 
verordnetensitzung abschlägig beschieden, u. z. mit folgenden Be- 
gründungen: Es würde durch diese unnötige Ausgabe nur eine neue 
Konkurrenz für das männliche Geschlecht geschaffen, — es gäbe 
anderwärts sc^on genügend Gelegenheit für das junge Mädchen, 
Stenographie zu lernen — und — last not least — , die brave 
Hausfrau, das treusorgende Weib, die Erzieherin der Kinder brauche 
keine Stenographie! -- Kurze Zeit nach dieser denkwürdigen Ver- 
handlung, bewilligten dieselben Väter der Stadt ohne Widerspruch 
45000 Mk. zur Ausschmückung der Strassen bei Gelegenheit einer 
in keiner Weise wichtigen oder bedeutungsvollen Einzugsfeierlichkeit. 

Das ist ungefähr der Standpunkt, der, wenn er auch nicht überall 
so brutal deutlich zu Tage tritt, bei uns noch offiziell der Frauen- 
frage im allgemeinen gegenüber eingenommen wird. Bezüglich der 
Studienfrage im besonderen hat sich in letzter Zeit auch bei uns ein 
kleiner Wandel zum Besseren bemerkbar gemacht. Seit Jahren 
schon entwickelten der Allg. Deutsche Frauenverein, die Vereine 
„Frauen wohl"* und „Frauenbildungsreform" eine rührige und ener- 
gische Thätigkeit im Interesse des akademischen Frauenstudiums, 
theils durch Massen- und Vereinspetitionen an den Reichstag und 
die einzelnen Landes Verwaltungen, teils durch eine allgemeine um- 
fassende Propaganda in Wort und Schrift, teils, was den Allg. 
Deutschen Frauenverein anlangt, auch durch Stipendien an im Aus- 
lande studierende Frauen. Vor drei Jahren wurde vom Verein 
„Frauenbildungsreform" das erste deutsche Mädchengymnasium in 
Karlsruhe ins Leben gerufen, kurze Zeit darauf von einer Ver- 
einigung fortschrittlicher Älänner und Frauen, die unter Leitung von 
Frl. Helene Lange stehenden dreijährigen Gymnasialkurse für Frauen 
in Berlin, und vom Allg. Deutschen Frauen verein eben solche unter 
Leitung von Frl. Dr. Windscheid stehende Kurse in Leipzig. Nach- 
dem Reichs- und Landtage mit der Kompetenzfrage wegen Zulassung 
der Frauen zum Hochschulstudium lange Zeit hindurch ein ergötz- 
liches Fangballspiel gespielt haben, ist es jetzt den Universitäten 
selbst anheimgegeben worden, Stellung zu der Frage zu nehmen. 
Verschiedene, wie die von Berlin, Leipzig, München, Heidelberg, 
Göttingen, kürzlich auch Bonn, tragen denn auch dem Zeitgeist in 
bescheidenem Masse Rechnung, indem sie einzelne Frauen als ausser- 
ordentliche Hörerinnen unter allen möglichen Beschränkungen zu- 
lassen, d. h. es in das Belieben der einzelneu Professoren und Do- 
zenten stellen, ob sie sich diese Eindringlinge gefallen lassen wollen 
oder nicht. Als Kuriosum muss erwähnt werden, dass hierbei auf 
Ausländerinnen in der Regel mehr Rücksicht genommen wird, 
wie auf die eigenen Volksgenossinnen, doch haben die Herren immer- 



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hin auch diesen gegenüber bewiesen, dass sie „über dem Gesetz" 
stehen, und mit wenigen, unrühmlichen Ausnahmen, freundliche 
Duldung gezeigt. Im letzten Semester studierten allein in Berlin 
etwa 80 Frauen, in Göttingen 72 u. s. w. 

Seit Ostern dieses Jahres ist die Angelegenheit insoweit in ein 
neues Stadium getreten, als die ersten 6 Abiturientinnen der Berliner 
Gyranasialkurse ihre regelrechte Maturitätsprüfung an einem städti- 
schen Gymnasium mit bestem Erfolg' abgelegt haben, der bisherige 
Hauptweigerungsgrund, dass die Frauen wegen mangelnder 
Qualifikation durch das Reifezeugnis nicht als regelrecht in- 
scribierte Studentinnen zugelassen werden könnten, mithin in Wegfall 
gekommen ist. Gerechter- und konsequenter Weise müste hierauf 
nun die Eröffnung der Universitäten — wenigstens der beiden 
Fakultäten, die momentan in Frage kommen, der medizinischen und 
philosophischen — die unmittelbare Folge sein. 

Angesichts so wenig erfreulicher Verhältnisse mag sich mancher 
unserer ausländischen Gesinnungsgenossinnen die Frage aufdrängen: 
Warum habt ihr da nicht längst energischere, umfassendere Mass- 
regeln getroflfen, eigene Hochschulen für Frauen gegründet, zur 
wirtschaftlichen Hebung eures Geschlechtes weibliche Berufsgenossea- 
schaften ins Leben gerufen etc.? Die Antwort darauf lautet kurz 
und bündig: Weil es uns bisher am Nötigsten dazu gefehlt hat — 
einmal an den pecuniären Mitteln, und dann an einer planmässigen, 
ja überhaupt an jeder Organisation. Die oberen Zehntausend, die 
Frauen, die den Kampf ums Dasein nur vom Hörensagen kennen, 
standen bis jetzt, einzelne aufgeklärte, hochherzige Persönlichkeiten 
abgerechnet, unserer Bewegung ferne und waren in der Erkenntnis 
ihrer sozialen Pflichten höchstens bis zu „des WohUhuns christlicher 
Tugend" vorgedrungen; einer richtigen Organisation der weiblichen 
Arbeitskräfte aber setzte die bisherige wirtschaftliche, soziale und 
gesetzliche Hörigkeit der deutschen Frau fast unüberwindliche 
Schwierigkeiten in den Weg. 

Die erwerbende, verheiratete Frau hat bisher nicht für sich, 
sondern für ihren Mann erworben, ihr Mann, nicht sie selbst, hatte 
über sie zu verfügen. Da war es denn nur natürlich, dass zunächst 
die Unverheirateten, „Eigenberechtigten", wie es in Oesterreich sehr 
bezeichnend heisst, auch in Bezug auf berufsgenossenschaftlichen 
Zusammenschluss vorangingen — so 1889 die Berliner kaufmännisch 
Angestellten mit dem von Frau Minna Gauer und Herrn Julius 
Meyer ins Leben gerufenen „Hilfs verein", der in den wenigen Jahren 
zu einer blühenden Organisation angewachsen, gegenwärtig Über 
9000 Mitglieder zählt und in vielen anderen Städten Nachahmung 
gefunden hat. Ein Jahr später folgten die deutschen Lehrerinnen 
mit dem von Frl. Helene Lange und Frau Loeper-Housselle gegründeten 
Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein, der in segensreicher Weise 
für alle Interessen ihres Standes eintritt. 

Am schwierigsten — und am nötigsten ist natürlich die Or- 
ganisation der Frauen des vierten Standes, der Fabrik- und Heim- 
arbeiterinnen, durchzuführen, u. z. doppelt schwer, weil bei uns die 
Verhältnisse doppelt ungünstig liegen. In keinem Lande haben sich 
wohl so scharfe Gegensätze zwischen der bürgerlichen Frauenbewegung 



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nod der proletarischen, die sich im Rahmen der sozialdemokratischen 
Partei vollzieht, herausgehildet, nirgends ist die durch die Politik 
geschaffene, durch Fanatismus und Rlassenhass auch wohl noch künstlich 
erweiterte Spaltung eine so tiefgehende, wie bei uns. Die engli<«chen 
Frauen, die uns, wie in allem anderen, so auch an sozialpolitischer 
Einsicht und Reife weit überlegen und in der Frauenfrage in jeder 
Beziehung ein leuchtendes Vorbild sind, gehen in der Arbeiterinnen- 
frage, die sie nicht als eine politische, sondern als eine rein wirt- 
schaftliche betrachten, stets einmütig und geschlossen vor, und 
die hohe Ekitwicklung des englischen Gewerkschaftswesens, das wie 
ein kunstvolles Räderwerk ineinandergreifend, die englische Arbeiter- 
schaft- zu der bestorganisierten der Welt machte, spricht am besten 
für ihren Erfolg. 

Die Notwendigkeit der Organisation der arbeitenden Frauen 
ist auch bei uns nicht nur von den Führerinnen der proletarischen, 
sondern auch der bürgerlichen Frauenbewegung längst erkannt. 
Viele unter ihnen, darunter unsere fähigsten, begabtesten Köpfe, 
haben sich gegenwärtig ernsten, sozialpolitischen Studien gewidmet, 
wertvolle statistische Arbeiten geliefert und ihre Kräfte ausschliesslich 
an die Lösung dieses schwierigsten aller Probleme gesetzt. Zweifellos 
wird schon die nächste Zukunft manchen Fortschritt in dieser 
Richtung zeitigen — doch dürfte die Hoffnung, dass nach und nach 
auch bei uns dies Gebiet die Brücke zu gegenseitiger freundlicher 
Verständigung, zu gemeinsamem Vorgehen und Arbeiten bilden 
wird, eine trügerische, mindestens eine verfrühte sein. Vorläufig 
müssen wir es, wie die Dinge liegen, schon als eine erfreuliche 
Thatsache konstatieren, dass wir uns wenigstens in einigen wichtigen 
Einzelfragen, wie bezüglich des neuen Familienrechtes, der weiblichen 
Fabrikinspektoren etc. an den Wahlspruch halten können: „Getrennt 
marschieren, vereint schlagen!" 

Mit der Erkenntnis ihrer materiellen und geistigen Not, die 
in der Forderung nach Erwerbs- und Bildungsfreiheit zum Ausdruck 
gelangte, käme den deutschen Frauen auch die Erkenntnis von dem 
schweren sittlichen Notstand ihres Geschlechtes, welchen die 
falsche doppelte Moral und vor allem das schändende Brandmal 
unserer Zeit, die staatlich anerkannte und geschützte Prostitution, über 
sie verhängte. Sehr langsam, sehr allmälig, sind bei uns, in der 
Heimath Dornröschens, die Frauen zum Bewusstsein ihrer selbst und 
ihrer Menschenwürde erwacht, und lange, unbegreiflich lange 
haben sich selbst die Einsichtigen unter ihnen, die Wachen und 
Sehenden, in einem falschen Schamgefühl gesträubt, ihre Augen 
der tiefsten Schmach und Erniedrigung ihrer Mitschwestern zu öffnen, 
oder gar ihre Stimmen dagegen zu erheben. Erst in der allerletzten 
Zeit ist hierin ein erfreulicher und dabei ziemlich rascher Umschwung 
eingetreten, ist es den strebenden Frauen klar geworden, dass die 
Sittlichkeitsfrage nächst der wirtschaftlichen den Kernpunkt der 
Frauenfrage bildet, dass ein Nichtbeachten des Schandfleckes unserer 
modernen Kultur so viel wie Billigung, wie Sanktion desselben 
bedeutet, dass, wenn irgendwo, so in dieser Sache, die Frauen reden 
müssen, nachdem sie so unverantwortlich lange geschwiegen haben. 

Das Hauptverdienst der deutschen Frauenwelt, dieses Verständnis 



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— anfänglich gegen ihren Willen — erschlossen zu haben, gebllhrt 
Frau Hanna Bieber-Böhm, der Begründerin und Vorsitzenden des 
Vereins „Jugendschutz" in Berlin, die in selbstloser und aufopfernder 
Weise durch eine reiche, unausgesetzte Propaganda gegen den tief- 
eingewurzelten Wahn von dem „notwendigen üebel", gegen unsere 
landläufige, heuchlerische Doppelmoral und vor allem für eine ethisch 
und hygienisch aufklärende Jugenderziehung eintritt. 

Auch in der Rechtsfrage, die gegenwärtig im Vordergrande des 
allgemeinen Interesses steht, war es der Allg. Deutsche Prauen- 
verein, der schon im Jahre 1876 mit einer von Louise Otto ver- 
fassten Denkschrift über die zivilrechtliche Stellung der Frau bahn- 
brechend voranschritt und auch später unentwegt für eine würdigere 
Stellung unseres Geschlechtes vor dem Gesetz eintrat. In gleicher 
Weise, nur noch nachdrücklicher und energischer, ging der Verein 
„Frauenwohl" in Berlin vor, sowie seit etwa 3 Jahren der Rechts- 
schutzverein für Frauen in Dresden, der in einer ausgebreiteten 
praktischen Vereinsthätigkeit, Frauen aller Stände unentgeltlich Rat 
und Hilfe in Rechtsfällen an der Hand der bestehenden Gesetze zu 
erteilen, auch vielen anderen Vereinen vorbildlich gewesen ist, und 
ausserdem ebenfalls eine rege Propaganda für eine zeitgemässe Aen- 
derung dieser unzeitgemässen, harten und unwürdigen Gesetze in 
Wort und Schrift entwickelt. 

Als in gänzlicher Nichtbeachtung aller dieser Bemühungen der 
Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzbuches, der dem neuen 
deutschen Reich ein neues, einheitliches Recht bringen sollte, nur 
wenige, und meist nur scheinbare Verbesserungen und in manchen 
Punkten sogar Rückschritte bezüglich der rechtlichen Stellung der 
Frau als Gattin und Mutter aufwies und die Entscheidung über die 
endgültige Annahme des Gesetzbuches immer näher rückte, nahm 
auch die Bewegung immer mehr an Umfang und Intensität zu. 
Immer weitere Kreise wurden mithineingezogen, und nachdem auch 
der inzwischen in's Leben gerufene Bund deutscher Frauenvereine 
diese Sache ebenso wie die Sittlichkeitsfrage zu der seinen gemacht 
hatte, dem Reichstag gemeinsame Petitionen eingereicht, Resolutionen 
unterbreitet, Versammlungen abgehalten, Flugschriften in Masse ver- 
breitet. Da jedoch, abgesehen von einigen geringen Zugeständnissen 
im ehelichen Güterrecht und der Gewährung des Vormundschafts- 
rechtes an die Frau, auch die Kommissionsbeschlüsse keine nennens- 
werte Aenderung brachten, so raflPten sich die deutschen Frauen 
noch in letzter Stunde zu einer letzten energischen Agitation und zu 
Massenkundgebungen in Protestversammlungen auf, wie wir sie von 
unserem Geschlecht bis jetzt in Deutschland noch nicht erlebt; wie 
wir sie bis vor kurzem gar nicht für möglich gehalten hätten. Der 
Erfolg war, wie bekannt, trotz alledem, und trotz der energischen 
Unterstützung, die wir auch im Reichstag, nicht nur von Seiten der 
sozialdemokratischen Partei, sondern durch Mitglieder aller Fraktionen 
gefunden haben, vorläufig ein negativer. 

Von positiven, greifbaren Resultaten der deutschen Frauen- 
bewegung ist überhaupt zumal für den Uneingeweihten, und im Ver- 
gleich zu anderen Ländern, noch nicht viel zu bemerken, und die 
Anerkennung der Frau als selbständige Persönlichkeit in Staat und 



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Gesellschaft Iftsst noch ziemlich alles zu wünschen übrig. Wie von 
allen öffentlichen Aemtern, so sind die Mütter der Nation natürlich 
auch noch von jeder anderen Beteiligung am öffentlichen Leben aus- 
geschlossen. Sie haben weder Sitz und Stimme bei der Armen- nnd 
Waisenpflege, noch im Schulrat, noch in der Kommunalverwaltuug, 
noch irgendwo sonst, wo über ihre eigensten Angelegenheiten und 
über die der Ihren entschieden wird. Die Frage des Frauen Stimm- 
rechtes, die in anderen Ländern bereits seit Jahrzehnten den Kern- 
punkt aller Bestrebungen bildet, in anderen bereits die glücklichste 
Lösung gefunden hat, stand bis jetzt noch nicht offiziell auf <lem 
Programm der deutschen Frauenbewegung, wenn sie auch schon 
von einzelnen leitenden Persönlichkeiten nachdrücklich und energisch 
genug betont worden ist. Dass auch wir deutschen Frauen unser 
volles Recht nur mit unseren Bürgerrechten erlangen können und 
werden, wissen wir aber alle, und es dürfte dies offene Geheimnis, 
vielleicht nur denjenigen zweifelhaften Freunden unserer Sache un- 
bekannt sein, die in dieser Beziehung den Wunsch zum Vater des 
Gedankens machen. Unsere ehrlichen Freunde — und unsere 
ehrlichen Feinde kennen uns besser. Sie wissen, dass wir nicht 
in der Mitte des Weges, sondern erst am Ziele Halt machen 
werden. 

Wenn auch noch wenig positive äussere Erfolge, so haben wir 
umso erfreulichere innere zu verzeichnen. Vor allem muss da ein 
ganz gewaltiger, bedeutsamer Umschwung zu gunsten der Frauen- 
bestrebungen in der öffentlichen Meinung und im Organ derselben 
in der Presse, konstatiert werden. Wohl macht sich auch hier noch 
Verständnislosigkeit und Unkenntnis auf Schritt und Tritt bemerkbar. 
Bald warnen pflichtgetreue Wächter der hergebrachten Ordnung vor 
den Gefahren zweifelhafter „Experimente", ohne zu ahnen, dass 
diese Experimente anderwärts bereits längst gemacht und glänzend 
gelungen sind; dann beruhigen uns andere über den immerhin 
„berechtigten Kern" der Frauenfrage, deren Verständnis noch 
kaum durch die äusserste Schale gedrungen ist; wieder andere, die 
nicht die entfernteste Ahnung von unseren Zielen haben, beklagen 
es im Interesse der Bewegung aufs tiefste, dass dieselbe „so weit 
über das Ziel hinausschiesst". Am ergötzlichsten aber sind die 
subtilen und tiefsinnigen Unterscheidungen zwischen der „wahren 
und der falschen Emanzipation" von seiten solcher, die von der 
einzig wahren, richtigen Emanzipation ganz verwirrte, verwässerte 
Begriffe haben, und in der „falschen" einen unmöglichen, lächerlichen 
Popanz eigenster Erfindung mit sittlicher Entrüstung und komischen 
Ernst bekämpfen. 

Trotz derartiger willkürlicher — und unwillkürlicher Entstellungen 
und Verzerrungen bricht sich das Verständnis für die wichtigste 
Menschheitsfrage doch immer mehr und immer siegreicher Bahn — 
und mit dem Verständnis natürlich auch die allgemeine Sympathie 
nicht nur der Frauen, sondern auch der Männer, von denen — wir 
dürfen es wohl getrost aussprechen — alle wahrhaft freisinnigen 
und aufgeklärten, alle, die die Gegenwart verstehen und die 
Zukunft vorbereiten helfen, schon heute auf unserer Seite stehen. 

Zum Schlüsse möchte ich noch zweier bedeutender Errungen- 



— 16 — 

Schäften gedenken, durch welche unsere Bewegung einen hocherfreu- 
lichen Aufschwung genommen und eine wirksame und dauernde 
Förderung erhalten hat. — Die eine dieser Errungenschaften ist die 
vor etwa 2V2 Jahren erfolgte Gründung des Bundes deutscher Frauen- 
vereine, zu dem uns der Chikagoer Frauenkongress und der National 
Council of Women der vereinigten Staaten von Nordamerika das 
Vorhild gegeben hat. Durch den Bund ist die deutsche Frauen- 
bewegung endlich zu einem einheitlichen nationalen ganzen geeint, 
das, imponierend nach aussen, nach innen durch die gegenseitige 
Fühlung und Meinungsaustausch tausendfache neue Anregung und 
Aufmunterung gebracht, und unendlich viel zur Klärung der Be- 
griffe, zum Bewusstsein der Zusammengehörigkeit und Solidarität 
beigetragen hat. Wie die deutsche Frauenbewegung durch den Bund 
inbezug auf soziale Einsicht und soziales Pflichtgefühl in kurzer 
Zeit gereift ist, hat sich bei der letzten Generalversammlung in 
Kassel deutlich gezeigt. 

Gegenwärtig etwa 75 Einzelvereine mit über 50,000 Mitgliedern 
umfassend, sieht der Bund von jeder Beeinflussung derselben in ihren 
Sonderinteressen und Zielen ab und beschränkt seine Wirksamkeit 
lediglich auf diejenigen Gebiete und Ziele, zu denen, wie es im Statut 
des National Council der Ver. Staaten so einfach und bezeichnend 
heisst, „Alle von Herzen ihre Zustimmung geben". Die verschie- 
denen Kommissionen zugeteilte Arbeit besteht bis jetzt in einer all- 
gemeinen Propaganda, Petitionen und Eingaben an die zuständigen 
Behörden: für Errichtung von Kinderhorten, Anstellung weiblicher 
Fabrikinspektoren, Beeinflussung der Knabenerziehung im Sinne der 
Mässigkeitsbestrebungen, Abschaffung der gewerblichen Prostitution 
und in einer verstärkten Agitation gegen das neue Familienrecht — 
ein unendlich weites Gebiet, das noch durch Bildung zweier neuen 
Kommissionen, für weibliche Organisation der kaufmännisch und ge- 
werblich Angestellten eine Erweiterung erfahren hat. 

Durch den „Bund" sind die deutschen Frauen auch formell der 
grossen internationalen Organisation, dem im Jahre 1888 in Washington 
gegründeten „International Council of Women" einverleibt, der, aus 
einzelnen National- Verbänden bestehend, sich über die ganze Erde 
erstreckt, und so den Gedanken unserer Zeit, die im Zeichen der 
Internationalität steht, den Gedanken der Solidarität und Interessen- 
gemeinschaft aller Völker auch von seite der Frauen in imposanter 
Weise zum Ausdruck bringt. 

Eine andere Errungenschaft von weittragendster Bedeutung, die 
unsere Bewegung einen Riesenschritt vorwärts gebracht, und ihr 
Scharen neuer Anhänger zugeführt hat, ist — so paradox es auch 
klingen mag — unsere letzte glänzende Niederlage in der Familien- 
rechtsfrage. Die Ablehnung unserer gerechten Forderungen in- 
bezug auf persönliche und vermögensrechtliche Gleichstellung der 
Ehegatten, auf Ausübung der uneingeschränkten mütterlichen Ge- 
walt, auf erleichterte Ehescheidung und auf eine humanere und ge- 
rechtere Behandlung der unehelichen Mütter und Kinder, diese Ab- 
lehnung hat gerade im gegenwärtigen Moment, wo die Geister nur 
des erlösenden Weckrufes harren, als beste Propaganda für unsere 
Sache gewirkt. Allen denkenden Frauen, die bis jetzt abseits von 



— 17 — 

unserer Bewegung standen, musste es klar werden, wie es in 
Wahrheit um die Verehrung und Hochhaltung, deren man sie so oft 
versichert, bestellt ist, und die Lauen und Zaghaften in der Be- 
wegung müssten es einsehen, dass ein energischeres Vorwärtsgehen, 
ein volles Eintreten für unser gutes Recht jetzt Pflicht und dringendste 
Notwendigkeit geworden ist. Aber auch den einsichtsvollen zielbe- 
wussten Führerinnen dürfte diese Niederlage den Weg gezeigt haben, 
den sie jetzt betreten müssen. John Stuart MilPs Ausspruch, dass 
jedes Volk, jede Klasse, jedes Geschlecht, das von einem anderen 
seine Gesetze empfängt, sich eigentlich im Zustande der Sklaverei 
befindet, hat sich auch aufs Neue bewahrheitet — und so werden 
denn auch wir deutschen Frauen, wenn wir endlich aus diesem Zu- 
stand herauskommen wollen, mit der Forderung unseres Bürger- 
rechtes an unser Volk, das uns noch unser volles Menschen recht 
vorenthält, herantreten müssen. Dieser Kampf wird ohne Zweifel 
der schwerste und langwierigste werden, und darum ist es aller- 
höchste Zeit ihn zu beginnen. 

Unsere verehrte Frau Schulrat Cauer hat in ihrer warmen 
Begrüssung der Kongressteilnehmer in ihrer Zeitschrift „Die Frauen- 
bewegung" das schöne Wort von Charles Kingsley gebraucht: „O 
traurige Vergangenheit! selige Zukunft!" — So trostvoll das 
auch für die Allgemeinheit klingt, für uns persönlich enthält es einen 
schmerzlichen Verzicht. Denn wir, die des Lebens Mittagshöhe 
überschritten haben, und die Vielen, die schon in seinem Abend- 
schatten wandeln, werden die Befreiung des Weibes nicht mehr er- 
leben, das Land der Verheissung nicht selbst betreten. Aber auch 
füi' uns gibt es ein Mittel, dieser höheren Daseinsfreude schon jetzt 
teilhaftig zu werden — lassen Sie uns, liebe Schwestern, dem Rate 
folgen, den uns der russische Dichter Tschernitschewsky in seinem 
berühmten Roman „Was thun?", diesem wundervollen „ Standard- work", 
der Frauenfrage gegeben hat*. „Die Zukunft ist voll Licht und 
Herrlichkeit. Liebt sie, strebt ihr entgegen, arbeitet für sie, bringt 
sie euch näher, übertragt sie, soweit es euch möglich ist, 
in die Gegenwart. Euer Leben wird umso viel heller und 
glücklicher sein, um so viel reicher an Freuden und Genüssen, je 
besser ihr versteht, die Zukunft in dasselbe zu übertragen!" 

Amerika. 

Miss Frances Graham French, Washington, Delegierte von the 

Woman's National Press Association. 

Hochgeehrte Anwesende! 

Ich habe die Ehre, Ihnen einen herzlichen Gruss aus Amerika 
darzubringen. Als eine von den Delegierten des National- Verbandes 
der Schriftstellerinnen, Mitarbeiterinnen der Presse (Woman's National 
Press Association) danke ich dem Berliner Komitee für die erhaltene 
Einladung zu dem „Internationalen Kongress für Frauenwerke und 
Frauenbestrebungen. " 

Ich bin von dem Komitee gebeten worden, Ihnen einen flüchtigen 
Ueberblick über die Lage der Frauen in den Vereinigten Staaten 
zu geben. In unserem Lande steht zur Zeit die Frau auf dem 



— 18 — 

Höhepunkt, und wenn ich die Paiiserin Paul Bourget und Mme. 
Bentzon (Jheo Blanc) zitiren darf, müsste man zugestehen, dass im 
Allgemeinen die Frauen der Vereinigten Staaten hinsichtlich hervor- 
ragender Kenntnisse die Männer weit übertreffen, namentlich in den 
gebildeten Ständen. 

Ich muss hier sogleich hinzufügen, dass alles, was ich über die 
Thätigkeit der amerikanischen Frauen vorbringen werde, aus zu- 
verlässigen Quellen geschöpft ist, da ich zur Zeit beauftragt bin, 
eine offizielle Monographie über die Lage der Frau in allen Welt- 
teilen dem Druck zu übergeben. 

Diese hochgeschätzte Versammlung wird gewiss erlauben, dass 
ich als Berichterstatterin einige in jener Monographie enthaltene 
Statistiken berühre. Die amtliche Volkszählung (Census) der Ver- 
einigten Staaten ergab im Jahre 1890 62,622,250 Einwohner und 
beinahe die Hälfte davon (30,554,370) waren weiblichen Geschlechtes. 
Im Jahre 1880 waren 2,647,157 der Frauen in den verschiedenen 
Berufsarten thätig; im Jahre 1890 zählte man 3,914,711 Frauen in 
Berufsthätigkeit, oder eine Zunahme von 47 Prozent in zehn .Jahren. 

In den höheren Berufszweigen (Professional Service) waren im 
Jahre 1880 177,255 weibliche Personen thätig; im Jahre 1890 waren 
es 311,682 — das heisst eine Zunahme von 75 Prozent. — In der 
Gewerbsthätigkeit, Fabrikgeschäften und anderen Industrien befanden 
sich 1,027.525 Frauen im Jahre 1890; als Dienstleute (Domestic and 
Personal Service) waren in demselben Jahre 1,667,686 thätig. 

Im weiteren Verfolg unserer Untersuchung finden wir im Jahre 
1890 nicht weniger als 1235 Frauen im Predigtamt; Frauenbericht- 
erstatter (Reporters) 888; Advokaten 208 ; Professorinnen in Kolleges 
und Universitäten 735; als Aerzte und Chirurgen 4555 weibliche 
Personen; als Zahnärzte 337; Verlagsbuchhändlerinnen 219; im Handel 
25,000 als Erfinderinnen und Musterzeichnerinnen 306; als Musik- 
lehrerinnen und Virtuoso 34,519; im offiziellen Regierungsdienst 
4875 und so weiter. 

Es wird diese verehrte Versammlung nicht besonders interessieren, 
so viel Statistik hören zu müssen, aber leider kann man keine 
Auskunft über die Frauenfrage geben, wenn es nicht gestattet ist, 
etwas Statistik vorzubringen. Lassen Sie uns noch einige Angaben 
über diese Frage machen: in den Kolleges für beide Geschlechter 
gab es im Jahre 1892 mehr als 140,053 Studenten, und 23,5 Prozent 
waren Frauen; in den Frauen-Colleges im Jahre 1893 waren 22,949 
Studentinnen. Die Meisten davon suchen den Baccalaureatsgrad der 
freien Künste; im Jahre 1894 — 95 erhielten in allen Colleges 1609 
Frauen diesen Grad (234 in philosophischen Studien) ; 678 den Baccalau- 
reatsgrad der Literatur; 454 denselben Grad für Wissenschaften; 
161 den Magistergrad der freien Künste; 166 den Baccalaureatsgrad der 
Musik und 207 Frauen andere akademische Ehrentitel. Es gab in 
den öffentlichen Schulen im Jahre 1894 etwa 260,954 Lehrerinnen, 
eine Zunahme von 3 Prozent gegenüber dem vorigen Jahr. Die 
Besoldung oder der Jahresgehalt der Frauen ist so verschieden, dass 
ich mir nicht erlaube, irgend welche Auskunft darüber zu geben. Durch- 
schnittlich bekommen die Lehrerinnen Dollars 37.^ monatlich (etwa 
150 Mark), jedoch giebt es andere Lehrerinnen, welche Dollars 1 300 



— 19 - 

jährlich (5200 Mark) erhalten; als Professorin bekommen sie zuweilen 
Dollai*s 1800 (7200 Mark). In manchen Stellen, zum Beispiel als 
Redakteure und Schriftstellerinnen werden denselben höhere Summen 
bezahlt. Eine wohlbekannte Dame bekommt eine Besoldung" von 
Dollars 3000 jährlich'— das heisst 12000 Mark; — eine Andere 
erhält als ihren Ertrag von Novellen und dramatischen Werken 
Dollars 60,000 jährlich (240,000 Mark); es giebt auch wohl noch 
Andere, welche Bedeutendes verdienen. 

In den Regierungsämtern erhalten die meisten Frauen etwa 
Dollars 900 (3600 Mark), aber es giebt auch einige, die sogar 
Dollars 1600 (6400 Mark) und noch mehr erhalten. 

Manche von den gebildeten Frauen beabsichtigen ihr Studium 
in fremden Universitäten fortzusetzen. Wird es ihnen erlaubt, so 
reisen sie nach Deutschland, um sich irgend einem Fache zu widmen, 
da es für sie von grossem Werte ist, ihre Berufsbildung bei einem 
weltbekannten Fachmanne erhalten zu haben. 

Andere Frauen reisen nach England oder nach der Schweiz, 
wo sie Gelegenheit finden, Spezialkursen beizuwohnen. Wenn sie 
dann nach Amerika zurückkehren, erhalten sie oftmals Stellen als 
Aerzte, als Advokaten, als Professorinnen in einer heimischen Uni- 
versität. Sollten sie sich verheiraten, so finden sie in dem Familien- 
kreise immer Gelegenheit ihre wissenschaftlichen Kenntnisse zu 
pflegen und zu verwenden. Es gibt ferner in unserem Lande viele 
Frauen vereine, welche besonderes Interesse für begabte und intelli- 
gente Frauen besitzen. Zum Beispiel ist es erst sechs Jahre her, 
seitdem einige von diesen Vereinen sich bemüht haben, eine Ver- 
bindung herzustellen, um das Ziel und die Arbeitsweise verschiedener 
Organisationen vergleichen zu können. Heute zählt dieser Bund*) 
478 Vereine, und 20 Staaten der Union haben Staatsbünde mit 
947 Vereinen, die eine gesamte Mitgliederzahl von 100,000 Teil- 
nehmern zählen. 

In der Sparkasse befand sich am Anfang des Jahres 1896 nach 
Bezahlung aller Kosten der Vereine Dollars 2366 (9464 Mark). Die 
Programme der Vereine zeigen, dass man in denselben Allerlei 
studiert: in dem Staat Michigan studieren die Vereine Volkswirt- 
schaft; in dem Staat Ohio Volksbibliotheken; in Colorado Bürger- 
und Staatswesen; in New- York die Erziehungslehre und das Er- 
ziehungswesen, im Staat Maine die Kindergärten; anderswo die 
sozialen Verhältnisse und National-Oekonomie. 

In dem Bundes- Verein selbst giebt es Sektionen für Litteratur, 
für Haushaltungskunst, Erziehung, Philanthropie, Heimatskunde, für 
National-Oekonomie, u. s. w. 

Alle zwei Jahre wird ein Kongress abgehalten, um die Ange- 
legenheiten sämtlicher Vereine zu erörtern und zu beraten. Zeit- 
weise versammeln sich die hervorragendsten Frauen der verschiedenen 
Vereine um Vorträge zu halten und zu beraten. Die Fragen werden 
immer parlamentarisch diskutiert; es giebt gemeinschaftlichen 
Meinungsaustausch über alle Frauen verbände und Frauen vereine. Es 
folgen dann soziale Vergnügungen und Ausflüge in die Nachbarschaft. 

Noch möchte ich weitere Auskunft über unsere amerikanischen 



*) The Grand Föderation of Woman's Clnbs. 

2* 



— 20 - 

Frauen erteilen, es fällt mir jedoch ein, dass ich eine Beschreibung 
der „Woman's National Press Association" vorhabe. Unser Verein 
ist der älteste Bund von Frauen der Presse, der mir bekannt ist. 
Im Jahre 1882 organisiert, wurde derselbe 1888 als nationaler 
Verein inkorporiert. Seine Sitzungen hält derselbe immer in unserer 
Hauptstadt Washington ab. Im Jahre 1896 zählten wir als Mit- 
glieder etliche hundert Frauen, die als Journalistinnen, Schrift- 
stellerinnen und Litt^rateure wohl bekannt sind. 

In fünf Staaten bestehen Vereine, welche der nationalen Organi- 
sation angehörig sind. Alle zwei Wochen während des Winters 
werden Versammlungen abgehalten, und monatlich findet eine soge- 
nannte öffentliche Abend Versammlung statt, zu der bekannte Schrift- 
steller oder hervorragende Gelehrte eingeladen werden, Vorträge zu 
halten. Diese werden dann diskutiert. Es werden von einigen 
unserer begabtesten Mitgliedern Abhandlungen gegeben. Zur Zeit 
der Welt- Ausstellung in Chicago wurde uns in dem Frauengebäude 
Raum angewiesen, und wir nahmen Teil an den verschiedenen Kon- 
ferenzen, die während der Dauer der Exposition stattfanden. 

Letztes Jahr war man während der Ausstellung in Atlanta 
unserem Verein gegenüber sehr liberal, so dass wir zwei Tage zur 
Verfügung erhielten, somit unsere Mitglieder genügende Zeit hatten, 
ihre Vorträge über die Frauenbewegungen verschiedener Länder 
zu halten. 

In allen Staaten fangen die Frauen an, sich für politische Sachen 
zu interessieren ; in 36 Staaten haben sie das gesetzliche Recht, sich 
an den Erziehungsangelegenheiten zu beteiligen, entweder als Schul- 
räte, im Schulkomitee, oder hinsichtlich der Schulfinanzen ihre Stimme 
hören zu lassen. 

Ich bitte um Verzeihung, dass ich Sie so lange aufgehalten 
habe; es wäre mir lieber gewesen, nur Zuhörerin hier zu sein, denn 
wir Amerikanerinnen wollen gern Auskunft über die Deutschen, um 
uns zu unterrichten. Während meines Aufenthalts in Oesterreich und 
Deutschland — um das Jahr 1870 — habe ich die deutsche Frau 
sehr lieb gewonnen; ihr war jedoch damals nur das häusliche Wohl 
der Familie anvertraut. Wir haben sie auch kennen gelernt, im 
Hofzirkel, in der Gesellschaft, als liebenswürdige Freundin, als Mutter 
und Gattin. Heute steht sie nicht nur ihren Schwestern in anderen 
Ländern gleich, sondern ragt auch vielfach als Persönlichkeit hervor. 

Sie hat nun auch einen ferneren Beruf ins Auge gefasst und 
verlangt danach, sich für denselben vorbereiten zu können. Haus- 
wirtschaftliche Tätigkeit allein wird der Frau der Gegenwart nicht 
genügen; sie verlangt das Recht auf höhere Bildung; sie beansprucht 
den Eintritt in die höheren Schulen überhaupt, und besonders in die 
Universitäten; Gleichstellung mit den Männern, denen sie in Fähig- 
keiten gleich steht; freie Betätigung ihrer Gaben will die Frau haben. 
In diesem Moment besonders, da ich diese hochverehrte Versammlung 
vor mir sehe, wird mir die Ueberzeugung recht klar, dass die 
deutsche Frau mit ausserordentlichen Talenten begabt ist, und dass 
ich als Amerikanerin stolz darauf sein kann, als Delegierte zum 
ersten internationalen Kongress für Frauenwerke und Frauenbe- 
strebungen Deutschlands ernannt worden zu sein. 



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— 23 — 

Armenien. 

Fräulein Margareth von Melik-Beglarjanz, Dr. med., Graratschinar 

bei Gantzak. 

Hochgeehrte Frau Präsidentin 
und hochansehnliche Versammlung! 

Indem ich das Wort ergreife, fühle ich mich veranlasst, der 
Frau Präsidentin und der Vortragskomniission meinen I>ank auszu- 
drücken für die gütige Gewährung der Zeit, die mir zur Verfügung 
gestellt wurde, und die ich benutze, um einiges über die armenische 
Frau zu sagen. Da ich nur über 10 Minuten verfüge, so will ich 
nur das Charakteristische hervorheben. 

Eine Frauenfrage, wie man sie in Europa versteht, existiert in 
Armenien nicht, weil die armenische Frau nicht gezwungen ist, ihr 
tägliches Brod zu verdienen. Sie ist für das Familienleben bestimmt, 
und alle haben Gelegenheit zu heiraten, da dort die Männer in der 
Ueberzahl sind. In den ungebildeten Klassen heiraten die Mädchen 
sogar sehi^ früh, schon mit 13 Jahren. Wir haben also nicht nötig, 
dass unsere Frauen in Fabriken, in Post-, Telegraphen- und Telephon- 
büreaux und in Geschäften arbeiten. Man findet bei uns keine 
armenische Magd, keine Köchin, keine Amme und, Gott sei Dank, 
nicht diesen besonderen Stand der Frauen, die man hier gefallene 
Frauen nennt. Die ärmste Bäuerin bleibt von der schweren 
physischen Arbeit verschont und »nimmt nicht Teil an den Feld- 
arbeiten. Ihre ganze Aufmerksamkeit ist ihrer Familie und ihrem 
Haushalte gewidmet. Daneben beschäftigt sie sich noch mit vielen 
kostbaren Handarbeiten. Die berühmten orientalischen Teppiche, 
Seidenstoffe, golddurchwebte Posamenterien und andere Sachen 
werden bei uns in den Bauernhäusern verfertigt. In dieser Sphäre 
ist die armenische Frau ganz zufrieden und glücklich, sie ist die 
Herrin ihres Hauses, wird geehrt und wünscht nichts- anderes. 

Ich kann aber nicht dasselbe von der Frau der bessergestellten 
Stände sagen. Da herrscht schon Unzufriedenheit, sowohl in der 
Frauen- als auch in der Männerwelt. 

Früher, zur Zeit unserer Grossmütter, brauchte die Frau in 
der patriarchalischen Familie keine grossen Kenntnisse zur Aus- 
übung ihrer häuslichen Pflichten, sie konnte weder lesen noch 
schreiben, doch hatte sie den Trieb, ihren Söhnen eine möglichst 
gute Bildung geben zu lassen. Sie fühlte instinktiv, dass dies nötig 
sei und verkaufte oft ihre letzte Habe, um die Söhne auf das 
Gymnasium und die Universität schicken zu können. Sie verstand 
es ausgezeichnet eine grosse Haushaltung selbständig zu leiten, sie 
verstand es, ihre Kinder in Gottesfurcht, Fleiss und Gehorsam zu 
erziehen, sie wusste in einer Familie, die oft mehr als 30 Mitglieder 
zählte, den Frieden aufrechtzuerhalten. Weder vom Manne noch 
von den erwachsenen Söhnen wurde etwas unternommen ohne der 
Mutter Einwilligung. 

Speciell was die moralische Seite der armenischen Frau betrifft, 
kann ich mit Bestimmtheit sagen, . dass dieser alte Typus der ar- 
menischen Frau ein wahrer Schutzengel der Familie war. Zum 
Glück existieren noch heute solche Frauen, die so viel G-üte, Geduld 



— 24: — 

Verständnis und Reinheit der Seele besitzen, wie man sie nur in 
Frauen jener Epoche beobachten kann. 

Als unsere Männer noch selber keine grosse Bilcking hatten, 
genügten diese Eigenschaften für ein glückliches Familienleben. 
Nun ist das Alles verändert. Seit etwa 40 Jahren g-ehen die 
Armenier aut Gymnasien und Universitäten Russlands und West- 
europas. Sie kehren mit anderen Begriffen heim, sie interessieren 
sich für das kulturelle Leben Europas. Wissenschaft, Kunst, 
Litteratur, Politik beschäftigen ihre Gedanken. Die jungen Leute 
kommen beladen mit diesen Herrlichkeiten heim, sie wollen natürlich 
in ihren Frauen verständnisvolle Freundinnen und vernünftig-e Elr- 
zieherinnen ihrer Kinder sehen, und wenn sie das nicht finden, so 
sind sie selbstverständlich damit unzufrieden. 

Da fängt unsere Frauenfrage an. Zu ihrem Lob muss ich 
sagen, dass die Armenier die Eigenschaften einer guten Gattin, 
Mutter und Hausfrau nicht in einer Unwissenden zu finden glauben. 
Die TJeberzeugung, dass, je gründlichere Kenntnisse sie besitzt, umso 
besser sie ihre Pflichten als Gattin und Mutter erfüllen kann, herrscht 
sogar in ungebildeten Ständen. Ich betone dies deshalb, weil ich in 
Europa oft höre: „Was braucht ein Mädchen zu studieren? Sie muss 
heiraten und Haus und Kinder besorgen!" 

Es hat jemand gesagt: „Die Hand, die die Wiege schaukelt, 
regiert die Welt." Nun soll diese weltregierende Hand Einer 
gehören, die bei jeder einigermassen wichtigen wissenschaftlichen 
oder praktischen Frage hilflos dasteht! 

Seit 25 Jahren versuchen die Armenier, ihren Töchtern eine 
gute Bildung zu geben. FranzÖsicche Pensionate, russische Mädchen- 
gymnasien, Privatunterricht bis auf die Hochschulen der Schweiz 
und Russlands sollen dazu dienen. Die Zeit ist zu kurz, um die 
Frage zu erörtern, welche von diesen Lehranstalten ihren Zweck 
am besten erfüllen. Eines kann ich nur sagen, dass die Armenierin 
strebt, gründliche Kenntnisse zu erwerben. Es studieren hunderte 
von armenischen Mädchen auf Mädchengymnasien und etwa 20 
auf Universitäten. Die Frauenbildung wird bei uns verlangt, aber 
nicht zu Erwerbszwecken. Die Armenierinnen streben, akademisch 
gebildete Mütter zu sein. Seit 20 Jahren nimmt die Armenierin 
Teil auch am öffentlichen Leben. Wir haben Lehrerinnen, Kinder- 
gärtnerinnen, Schauspielerinnen, Sängerinnen und Schriftstellerinnen, 
aber in sehr geringer Zahl. Wir haben auch Schulen und Kinder- 
gärten, die \on Frauen ganz allein geleitet werden. 

Was die persische Armenierin betrifft, so befindet sie sich noch 
heute in demselben Zustande, wie ich ihn geschildert habe, als ich 
von der Armenierin der patriarchalischen Zeiten sprach. 

Von der türkischen Armenierin habe ich nicht viel zu sagen. 
Was kann man über die Stellung und das Streben einer Frau 
sprechen, die ihres Lebens nicht sicher ist? Deren Mann, Bruder, 
Sohn vor ihren Augen niedergemetzelt werden? Wonach kann sie 
streben? Sie bittet um Sicherheit ihres Lebens und um Brod für 
ihre hungrigen und verwaisten Kinder. Nicht einmal das hat sie! 

Als Aerztin habe ich das Bedürfnis, ein Wort über die Stellung 
eines weiblichen Arztes unter der armenischen Bevölkerung zu 



— 26 — 

sagen. Ich hatte schon mehrmals Gelegenheit, in meiner Heimat 
zu praktizieren, und war sehr glücklich dabei. Eine Aerztin wird 
in Armenien sehr hoch geschätzt. Es kamen Patienten zu mir, die 
2 Tage lang fahren mussten, trotzdem sie einen männlichen Arzt 
viel näher haben konnten. Frauen wie Männer haben die tiefste 
Ueberzeugung, dass eine Frau in der Medizin mehr versteht als 
ein Mann. Die Frauen kann man überhaupt nicht leicht zwingen, 
zu einem Arzt zu gehen, aber auch die Männer kamen lieber zu 
mir. Sie thaten alles so unbefangen und ernsthaft, und ich habe 
nie etwas anderes erfahren, als Achtung, Dankbarkeit und Ver- 
trauen. Auch in der gebildeten Welt wird die Aerztin gut an- 
gesehen und vor allem als eine natürliche Erscheinung betrachtet. 
Es ist eben für uns selbstverständlich, dass eine Frau dies leisten 
kann, wenn man ihr Gelegenheit dazu giebt. Und zwar ist es 
nicht so, weil es vielleicht viele Aerztinnen bei uns giebt, wir haben 
deren sehr wenige und nur in grossen Städten. Einfach, eine 
Leistung von selten der Frau erweckt kein Erstaunen ; man hofft 
und erwartet noch vieles von der armenischen Frau. 

Dänemark. 

Fräulein Eli Meiler, Dr. med., Kopenhagen, Delegierte des 

Dänischen Frauenvereins. 

Die Frauenbewegung in Dänemark entstand in Verbindung mit 
der nationalen und revolutionären Strömung, die im Jahre 1848 
ganz Europa durchdrang. Es war eine zwanzigjährige Frau, Mathilde 
Fibiger, die, in der Form einer Novelle, Klara Raphaels Briefe, 
zuerst die Sache debattierte, und dies auf eine solche Weise, dass die 
ganze litterarische Welt in unserem Lande mit hineingezogen wurde. 
Eine andere Frau, Pauline Worm, schrieb kurz danach einen Roman, 
„Die Vernünftigen", welche das Problem auf eine so dringende 
Weise darstellte, dass es in noch weitere Kreise hinausdrang. 

In den Siebziger Jahren ging eine kosmopolitischere Strömung 
durch das dänische Geistesleben und setzte auch in die Frauenfrage 
ihre Spuren. Von Friedrich Bajer und dessen Frau angeregt, 
stiftete man eine Filiale des schweizerischen Frauen Vereins, „Asso- 
ciation Internationale des Femmes". Doch wurde hauptsächlich 
unter Einwirkung der beiden erwähnten Balmbrecherinnen die Be- 
wegung in nationaler Richtung umgebildet, die Verbindung mit dem 
Auslande gebrochen, und man stiftete den Dänischen Frauenverein 
(Dansk Kvindesamfund), welcher dieses Jahr sein fünfundzwanzig- 
jähriges Jubiläum begeht. 

In der ersten Zeit arbeitete der Verein wesentlich darauf hin, die 
Frauen des mittleren Standes zu selbständigem Erwerb zu erziehen. 
Man unterstützte die weiblichen Studenten, die gerade während 
dieser Jahre Erlaubnis erhielten, die Universität zu besuchen, man 
stiftete eine Handelsschule und eine Zeichenschule für Frauen ; beide 
sind nun selbständige, vom Staate unterstützte Institutionen. In den 
Neunziger Jahren hat man auf ähnliche Weise gearbeitet, und zwar 
für einen anderen Kreis von Frauen. Man hat nämlich Frauen, 
die sich zu Gärtnern und Handwerkern ausbildeten, Unterstützung 



— 26 - 

gegeben — von den letzteren haben nur zwei Tischler und ein Buch- 
binder eigene Werkstätten — und man hat die Verhältnisse der 
arbeitenden Frau untersucht. Mit den Näherinnen hat man ange- 
fangen; die Verhältnisse von 800 Näherinnen sind genau untersucht 
worden: ihr Gesundheitszustand, die Länge ihrer Arbeitszeit und 
ihr Gehalt; was sie lesen, ihre Vergnügungen, ihr ganzes Milieu. 
Da es sich durch diese Forschungen unter anderem zeigte, dass der 
wesentliche Grund zur schlechten Stellung der Näherinnen eine 
mangelhafte Ausbildung ist, hat man eine Fachschule für Näherinnen 
gestiftet. 

Besonders bezeichnend für die dänische Frauenfrage ist doch 
vielleicht die Bewegung, die in den Achtziger Jahren stattfand. 
Die Aufklärungsarbeit, die von der Mitte der Sechsziger Jahre neue 
Wege suchte, hat, besonders unter den Bauern, einen grossen Drang 
erweckt, Vorträge zu hören, und in jedem kleinen Dorfe ist ein 
Vortragshaus gebaut w^orden. Diesen geistigen Drang haben die 
Vorkämpfer der Frauenfrage benutzt; von der Hauptstadt sind 
Männer und Frauen — unter den letzteren namentlich Lehrerinnen, 
besonders von der Volksschule — ausgezogen, und haben durch Vor- 
träge und Diskussionen im ganzen Lande Interesse für die Frauen- 
frage erregt, sowohl was die Teilnahme der Frau im kom- 
munalen und politischen Leben, ihre Stellung in der Ehe und den 
Kindern gegenüber betrifft, als auch ihren Erwerb, ihren Anzug, die 
Dienstmädchenfrage, die Sittlichkeitsfrage, die Krankenpflegerinnen- 
frage, die Schulfrage u. s. w. Nicht nur mündlich hat man diese 
Fragen diskutiert, sondern auch schriftlich, durch Flugschriften und 
durch eine Frauenzeitung: „Die Frau und die Gesellschaft ^S welche 
zw^ölf Jahre bestanden hat. 

Das Resultat dieser Agitation ist, dass im ganzen Lande Filialen 
vom dänischen Frauenverein entstanden sind, w^elche alle ganz frei 
und selbständig arbeiten, doch auch in gewissen Fällen zusammen 
auftreten unter einem gemeinsamen Vorstand. So hat man z. B. 
im Jahre 1888 eine Adresse zum Reichstag eingesandt um einen 
Gesetzvorschlag, welcher den Frauen kommunales Stimmrecht 
verschaffen sollte, zu unterstützen. Diese war aber ohne Erfolg. 
Die erste Kammer (Folketinget) ist für die Sache, die zweite 
(Landstinget) ist dagegen. In Jahre 1880 half eine kleinere Adresse ein 
Gesetz durchzuführen, welches der verheirateten Frau Bestimmungs- 
recht giebt über dasjenige, welches sie durch eigene Arbeit ver- 
dient. Uebrigens hat jeder besondere Kreis seine praktische Thätig- 
keit, einige in philantropischer Richtung, andere in pädagogischer, 
und wieder andere arbeiten für die grösseren sozialen Reformen. 
Die Vorsteher des dänischen Frauenvereins nahmen Teil an der 
Organisation der Ausstellung der Frauen des vorigen Jahres, und haben 
bei verschiedenen Gelegenheiten den Verein im Auslande repräsentiert, 
namentlich in Amerika und in Paris. — Der dänische Verein steht 
in enger Verbindung mit ähnlichen Vereinen in Schw^eden, Nor- 
wegen und Finland. 

Obgleich die Bestrebungen des Vereins bei den Bauern eine 
Sympathie gefunden haben, die gewiss einzig ist, hat der Verein 
doch noch nicht Frauen aller Stände zu einer Einheit sammeln 



— 27 — 

können. Die Arbeiterinnen haben ihre eigenen Fachvereine. Das 
Verhältnis zwischen diesen und unserem Verein ist zwar nicht 
unfreundlich, doch hat ein Zusammenschliessen nicht stattfinden 
können, und ebensowenig hat man die Frauen der Aristokratie 
gewinnen können, welche der Frauenfrage noch ziemlich verständniss- 
los gegenüber stehen. 

Was die allgemeine Stellung der Frauen in Dänemark betrifft, 
ist folgendes mitzuteilen: 

Unverheiratete Frauen sind, wie die Männer, mit dem 
achtzehnten Jahre persönlich mündig und mit dem fünfundzwan- 
zigsten Jahre vermögensrechtlich mündig. Witwen sind in beiden 
Hinsichten mündig ohne Rücksicht auf ihr Alter. — Frauen 
haben keine Wahlrechte und keine Wählbarkeit weder bei poli- 
tischen noch kommunalen Wahlen. 
Frauen haben Eintritt zur Universität; alle ihre Fakultäten, 
ausgenommen der theologischen, sind von Frauen besucht gewesen. 
Eine Frau hat den philosophischen Doktorgrad erworben, zwei 
Frauen haben die Preismedaille der Universität erhalten. Frauen- 
ärzte können jus practicandi bekommen, Anwälte und Prediger 
können die Frauen aber nicht werden. 

In einzelnen Kontoren des Staates und der Kommune sind 
Fi-auen angestellt, wie auch viele beim Post- und Telegraphenwesen 
Arbeit haben. In der Volksschule, sowohl in den Städten als auf 
dem Lande, arbeiten viele Frauen — es sind mehr Lehrerinnen 
als Lehrer angestellt — mit grossem Erfolg. Nur Frauen sind 
Vorsteher der höheren ]Mädchenschulen, Frauen arbeiten als Lehre- 
rinnen in Privatgj^mnasien sowohl für Knaben als auch für Mädchen ; 
eine Frau hat ein Gj^mnasium für Knaben und Mädchen zusammen 
gestiftet, und zwei Frauen sind Vorsteherinnen in einem Knaben- 
gymna&ium. 

Sie sehen also, ^\iv haben doch in Dänemark ein wenig er- 
reicht, sind aber weit vom Ziel. Doch haben wir gute Hoffnung 
für die Zukunft. Mit diesem Bericht bringe ich Ihnen einen Gruss 
von dem dänischen Frauen verein. 

England. 

a) Bericht von Mps. Millicent Garrett Fawcett, London. 

Vorbemerk, d. Red.: Mrs. Fawcett, eine der hervorragendsten 
Frauen Englands in der Führung für die Stiramrechtsfrage, sandte einen 
längeren historischen Bericht über die Entwickelung der Frauenfrage in 
England. Derselbe konnte nicht zur Verlesung kommen; es erscheint von 
ihm wegen der Wichtigkeit seines Inhalts hier derjenige, der das moderne 
Interesse in Anspruch nimmt. Die historische Einleitung, welche 
ihm vorausgeschickt ist, ist kurz folgende: Die englischen Frauen 
sind stets hervorragend politisch thätig gewesen. Mrs. Fawcett 
glaubt den Grund darin zusehen, dass das salische Gesetz in England 
die weibliche Thronfolge erlaubt; infolgedessen hat man die politische 
Begabung der Frauen an hervorragenden Persönlichkeiten, wie 
Königin Elisabeth und Königin Viktoria, anerkennen müssen. Ein 
zweiter Grund, dass die englische Frauenwelt ein bedeutender Faktor 



— 28 — 

im öffentlichen Leben von jeher gewesen ist, ist ihre Teilnahme an 
der religiösen Entwickelung des Volkes. So hat z. B. die bedeutende 
Sekte der Quaker, welche eine so wichtige Rolle gespielt hat, der 
Frau von Anfang an gleiche Rechte auf allen Gebieten gegeben. 
Mrs. Fawcett spricht den Satz aus, dass an jeder politischen Er- 
regung die englischen Frauen den grössten Anteil genommen haben. 
— Durch Schriften haben, nach Mrs. Fawcett, im früheren Jahr- 
hundert besonders gewirkt: Mary Astell (gest. 1731) „A serious 
proposal to the ladies for the advancement of their time and greatest 
interest" und dann als. bahnbrechend: Mary WoUstoncraft „A Vindi- 
cation of the Rights of Women" (1792). 

Great assistance has been derived from the very beginning of 
the movement in England from the religious Community known as 
Quakers or Friends. This sect never excluded women from the 
benefits of the democratic »doctrine of equality. The}'^ have no 
priesthood; they meet for devotional purposes, and are either silent, 
or are addressed by any one of their number, man or woman, who 
is „moved by the spirit", to prayer or exhortation. The Quakers 
have for many generations provided the best and soundest education 
for the girls of their communit3^ Long before the recent improve- 
ment in girls' education became general, the Quaker schools stood 
alone as Standards of excellence and thoroughness in all departements 
of knowledge. The result has been of a kind that is very con- 
vincing to the practical English mind; for Quaker women have long 
been a bye-word for activity in nearly all departements of useful 
social regeneration and' also for gentleness, dignity and refinement. 

As an instance of the way in which the women' s movement in 
England can trace its descent from the devotion and piety of women 
whose lives have been given to good works, it may be mentioned 
that the opening of the medical profession to women in this country 
can be traced step by step to the Quaker philanthropist, Mrs. Fry. 
Her long life — 1780 — 1845 — was given first to prison reform, 
and then to the rescue and reformation of prisoners. She obtained 
a European reputation and among those who came to England to 
study her methods was the German, Pastor Fliedner; he in his turn 
became the founder of the hospital and nursing Institute at Kaisers- 
werth on the Rhine. It was at Kaiserswerth that Florence 
Nightingale received the training which enabled her at the time 
of the Crimean war to take Charge of the nursing and sanitary 
Organisation of the military hospitals at Scutari; a work that has 
converted nursing from an unskilled and unorganised calling into a 
trained and skilled profession. And it was the skill and devotion 
of Florence Nightingale in showing what highly trained women 
could do to alleviate human suffering as sick nurses that convinced 
many people that women were also capable of doing good work in 
the medical profession. 

We cannot too much insist on this, that the women's movement 
in England has not been one of rebellion against the womanly duties 
of women, but has been actuated by a desire to fulfil those duties 
more worthily and to give to them a somewhat wider Interpretation. 
For instance, it has never been doubted that most conspicuous among 



- 29 - 

womanly duties is the care of chiliiren, the sick, tlie a^ed, and the 
poor. It is to fiilfil these dnties more thoroughly that woinen have 
denianded and have obtained not only the ri^ht to vote in the 
election of school T)oards and boards of guardians. but also the right 
to Sit as members of these boards. As Poor Law Giiardians the 
werk of women in En^^land has ])een eniinently useful. To tbeir 
eflforts may be traced a iavat part of the improvenient in the nursing 
and or^nisation of workliouse infirmaries and also the niore in- 
tellig'ent niethods of eduoating and bringinp: up pauper's children; 
while as membei's of School Boards tbeir very presence has been 
sufficient to secure that the educational interests of girls shall not 
be overlooked. So firmly has the enfranchisement of women in 
regard to all local and niunicipal matters been established in England 
that tbeir inclusion in the list of voters for all local purposes is 
taken by Parliament and country as a matter of course, and public 
men of all parties cordially acknowledge the usefulness of tbeir 
work and the suitability of tbeir being allowed and encouraged to 
do it. Up to the present year, women who in England have been 
eligible for many years to act as Poor Law Guardians have not 
occupied a similar position in Ireland. The first Act passed by a 
private member in this new Parliament*) was one to remedy this 
defect. 

It was introduced by an Trish Unionist member and passed 
through all its stages in both Houses of Pai'liament, practically 
unopposed. 

The Chief local representative bodies in England are: 

School Boards For which women may vote and on 

which they may sit. 
Boards of Guardians. 
Parish Councils. 
Town Councils. For which women may vote, but on 

which they are not eligible to sit. 
County Councils. „ „ . 

The first woman Poor Law Guardian was elected in South 
Kensington in 1875. There are now nearly 1000 in England and 
Wales alone **) 

Tt will be understood that in none of the local or parliaraentary 
elections in England has the principle of universal suffrage been 
adopted. The various registers are so complicated and divergent as 
to be the despair of election agents and returning officers whose 
business it is to master them. Ko two registers are alike, but the 



r> r> 



*) Almost the last Act passed by the last Parliament (1895) was 
the Sammary Jurisdiction (Married Women*s) Act, the effect of wich 
was to give magistrates additional powers to give judical Separation 
to a wiie who had been ill-treated by her husband, to give her legal 
control over her children, and to Charge the husband a weekly sum 
jor her maintenance. In the press of Parliamentary busines which 
preceded the General election, this Act was accepted by both sides 
as non-controversial and passed without Opposition. 

**) „Handbook for Women," by Miss Helen Blackbum. 



— 30 — 

basis of each of them is the enfranchisement of the resident rate 
payer. The only register from which wonien, as such, are now 
e.Kcluded is that for the election of members of Parliament. 

Our strongest argument for the enfranchisement of women in 
Parliamentary elections, is to point to the fact that they have exercised 
the various local franchises for a period of time extending to more 
than a quarter of a Century and the result has been beneficial in 
every respect, and has been attended by no härm whatever. Year 
by year since the subject of women's suffrage has been before the 
country, it has gradually obtained an increased amonnt of support 
especially on this ground. When Mr. J. S. Mill first raised the 
question of women's suffrage in Parliament in 1867 he could not 
appeal, as we now can, to the lessons of experience; but since that 
date the fact that women rate payers go quietly to the polling place 
and record their votes in all local elections has become perfectly 
familiär, and the Suggestion that the world is to be turned upside 
down by it only calls forth a smile. 

Moreover the conviction is gaining ground that the process of 
turning the world upside down will be hindered rather than promoted 
by extending the Parliamentarj' franchise to women householders. 
Women are generally speaking an anti-revolutionary force. "Their 
strength is to sit still." They rally to the cause of law and order; 
their chief interest is in the home and in the development of character 
which has such an important bearing on the well being of home 
life. When men are in a destructive mood the preservative instincts 
of w^omen are called into activity; and the possession of the franchise 
by them may give the nation, as a w^hole, time to think before it 
sanctions any cutting away of the old framework of English social 
and political life. 

A little boy, on being asked what he understood by the words 
"liberal" and "radical", said that "a liberal was a man who wanted 
to destroy most things and a radical was a man who wanted to 
destroy everything." There is a grain of truth in the definition, 
and with a Constitution like ours, entirely without formal checks 
and safeguards against sweeping changes, it may be additionally 
necessary to give voting power to that element in the population 
which is physiologically preservative rather than combative and 
destructive. 

A large amount of the Opposition to women^s suffrage was 
formerly based on the objection w^hich many people feit to bringing 
women into personal contact with the rough w^ork of politics. Before 
the extension of the franchise and the introduction of the ballot, 
English elections were frequently scenes of the w^ildest riot and 
disorder. Men who were allowed no constitutional method of giving 
effect to their political opinions, expressed themselves by howling 
down Speakers, by rioting in the streets and by throwing about 
dead cats and rotten eggs. These demonstrations have entirely ceased, 
and the polling day in an English borough or county election passes 
with very rare exceptions with unbroken tranquillity. With the 
civilising of elections the objection to ladies taking an active part 
in them has passed away, and at present each of the great political 



- 31 ~ 

parties in the state encourages and promotes the organised political 
activity of women. The Conservatives were the first of the great 
parties to introduce this new weapon into their political armoury. 
A few leading members of that party founded the Primrose 
League*) in 1883 shortly after the death of Benjamin Disraeli, 
Earl of Beaconsfield. Its members are pledged to support the Con- 
stitution, religion and the empire. Ladies were invited to join and 
the Organisation spread all over England with remarkable rapidity. 
]ts importance may be judged from the fact that it has over 
1,000,000 membres and has "habitations" in almost every English 
count}'- and borough, and that the leader of the Conservative party, 
the present Prime Minister, the Marquis of Salisbury, chooses its 
annual meeting as a suitable occasion for making his mo3t serious 
political Speeches. 

The election of 1885 was the first in which the Dames of the 
Primrose League took an active part. The rage and mortification 
of Liberais at their activity was forcibly expressed. Many very hard 
things were said against the Primrose Dames. But although many 
election petitions have been heard since they took an active part in 
political contests, no transgression of the Corrupt Practices Act has 
ever been brought home to them. The conclusion is irresistible that 
they have gained their influence by legitimate and not by illegitim- 
ate means. A very large part of it has arisen from the fact 
that, quite apart from politics, many of them have taken a koen 
and kindly interest in promoting the social and material well being 
of their poorer neighbours. They have striven to promote friendly 
social intercourse among all classes, and though they have been 
laughed at abundantly for mixing up political adresses with merry- 
go-rounds and comic songs, anything which caused different classes 
to mix and make friends, whether it is for politics games or sports, 
or all combined, is a gain to the body politic! It is fatal to 
class hatred. With very rare exceptions, it is impossible to hate 
people when you know them. The highest compliments to the po- 
litical usefnlness of the Primrose League have been expressed by the 
leaders of the Conservative party, Lord Salisbury and Mr. A. J. 
Balfour. Much of the immense ünionist majority of the election of 
1895 was attributed to the untiring efforts of the women's organi- 
sations; they worked not only at election time, but steadily and 
persistently in the years of comparative quiet that preceded the 
election. It has been said by their opponents that **they are succes- 
ful because they are always at it." I have referred to their skill 
in organising open air fetes in which politics and amusements are 
combined, but it must not be understood that they confine their 
efforts to these rather showy social functions; they by no means 
shii'k the drudgery inseparable from effective political Organisation. 
A ünionist candidate has thus described their activity in his own 
borough at the last election. — 

„Dear Sir — I feel it my duty to take the earliest opportunitj'- 



*) So named in remembrance of Lord Beaconsfild, who is said to 
have adopted the primrose as his f avourite flower. 



— 32 — 

of acknowledging my indebtedness to those dames of the Priiiirose 
Lea^ue who, under the kind direction of Lady Gwendolin Cecil, 
Miss Balfour, and the Dowager Lady Westbury, have taken so ac- 
tive a part in my campaign in South-West Bethnal Green. The 
enormous reduction elfected in the Radical majority in that strong- 
hold of Socialism is mainly, if not entirely, due to their eiforts. 
Theirs was solid, substantial work, devoid of all sensationalisra or 
glitter. For hours and hours they trudged up and down tho steep 
stairs of model dwellings, delivering literature, Converting donbtfuls. 
hunting up reniovals, pursuing inquiries to check the regist er, and 
going into mirnite details as to the best means of securing the votes 
of absentees. Toiling daily from street to street and alley to alley, 
penetrating the recesses of the most forbidden quarters, thej' laboured 
patiently and quietly, but their efforts were not altogether confined 
to canv assin g. Some of them addressed open air and turbulent 
meetings in the day tinie and mass meetings at night, at one of 
which 3000 men were present, who lent a willing ear to their 
Speeches, which, being well worthy of reproduction, were printed 
and circulated in my constituency, for they were free from all senti- 
mentality, lofty in tone, an founded on fact. Indeed, the unaflected, 
unassuming and convincing eloquence of these ladies afforded a marked 
contrast to the perfervid and unconvincing oratory of the habitual 
stump orator. Last, but not least, of all, when I was assaulted and 
my carriage pelted with stones, and when I and my agent had to 
seek the protection of the police, these ladies continued to canvass 
fearlessly, and, instead of relinquishing their attendance, as I regret 
to say did a few of my men supporters, they seemed to work all 
the h arder and all the more courageously. When I bear in mind 
that all this help was volunteered, and that these ladies were im- 
pelled by no other motive than zeal for the ünionist cause, I think 
I may assert that those who came to the rescue of the Unionist 
party in Bethnal G-reen have set an example of patriotism which 
cannot fall to make a deep and enduring Impression upon political 
effort in the future. With a deep sense of my indebtedness, I have 
the honour to remain your obedient servant, Arnold Statham." 

Lord Salisbury and Mr. A. J. Balfour have both in public 
Speeches pointed to the political work of women and its bearing on 
the Claim of women to political enfranchisement. Even for our 
illogical English minds, it is impossible permanently to maintain 
the Position of unstable equilibrium involved in admitting that women 
are fit to advise, persuade and instruct voters how to vote, but are 
unfit to vote themselves. 

The greatest flattery that the Primrose Dames have received 
has been from their political opponents — the flattery of Imitation. 
The Liberais started a Women's Organisation under the Presidency 
of Mrs. Gladstone in 1886, and the Liberal Unionists followed suit 
in 1888. The Liberal women have already inscribed Women 's 
Suflfrage upon their programrae; and the Liberal Unionists have 
this year taken the step of recommending the subject to their 
branches for „discussion and possible action" if supported by a three 
foui'ths majority of the executive committee. 



— 33 — 

Of all the political parties the conservative leaders give most 
encouragement to women's work in politics and to women's political 
enfranchisement. The Liberal Unionists come next, and the Liberais 
are the worst of all. If, however, we look not at the leaders, but 
at the rank and file of the women themselves who are working in 
political organisations, this Order is exactly reversed; for the Liberal 
women take the boldest line in demanding the suffrage; the Liberal 
TJnionist women come next, and the Conservative women so far as 
their Organisation is concemed, are absolutely silent on the subject. 
This curious complication of the leaders going forward while their 
followers hang back in one party, while in the other the foUowers 
press ahead and the leaders discourage and dissuade even when they 
do not ban the whole movement by bell, book and candle is one of 
the difficulties and hindrances of the present Situation. If the Liberal 
rank and file could combine with the Conservative leaders we shotild 
have all the Clements of a victorious army. In the chapter of 
accidents which the fnture may bring, it is possible that there may 
be a re-distribution of party allegiance that would bring together 
those who wish to lead with those who are eager to foUow to the 
goal of women's suffrage. In 1885 Mr. Gladstone's sudden conversion 
to Home Rule, threw a great many Liberais, men and women, into 
the Conservative camp. Any further changeof the same character 
— say. for instance, the adoption by the Liberal leaders of advanced 
Socialism — would probably throw another section of their followers 
over to Conservatism, and would strengthen that section of Lord 
Salisbury's supporters who believe him to be never more wise and 
statesmanlike than when he is advocating the political enfranchisement 
of women. 

The last time women's suffrage was discussed in the House 
of Commons was in 1892. The bill of that year proposed to extend 
the Parliamentary franchise to those women who had already been 
entrusted by Parliament with the various local franchises. Mr. 
Asquith and Mr. Bryce (Liberal leaders, afterwards members of 
Mr. Gladstone's Government) speaking against the bill appealed to 
the unprecedented character of the demand for women 's suffrage. 
Mr. Asquith said there was no civilized country in the world, 
living under conditions similar to those prevailing in Great Britain, 
which had ever made the experiment of giving women the vote; 
and Mr. Bryce adopting a similar line of argument said: — "Our 
colonies are in the highest degree democratic; why do they not try 
women 's suffrage?" It was the last time such an argument could 
be used. In 1893 the great self-governing colony of New Zealand 
adopted women's suffrage, and in 1894 its example was foUowed 
in South Australia. The women have voted but once in each of 
these colonies, and at present we have only received short telegraphic 
accounts of the election in South Australia; but in New Zealand 
all accounts concur in saying that the election was one of the most 
orderly on record. The women voted in large numbers and were 
uniformly treated with courtesy and respect by the crowds about 
the polling booths. Many persons long resident in the colony have 
assured me that the influence of the women electors was beneficial 

8 



— 34 - 

on both parties in inducing them to select as their candidates men 
of good character and reputation. 

These changes in the electoral System in our colonies must 
have an effect upon opinion in the Mother Country. The colonials 
are no strangers; they are our sisters and brothers; there is hardlj^ 
a family in Great Britain that has not relatives living in the 
Australasian colonies. It is no good telling an Englishman that 
voting unsexes women and makes them desire to cast off the ties 
of domestic duty and revolt against "the bürden of their sex", 
when the man has a sister or a daughter in Xew Zealand who has 
been a voter for several years and in whom none of these terrible 
consequences are apparent. 

The forward movement of women towards political enfran- 
chisement derives great strength from the three causes I have 
reterred to: — 

1) Experience gained during 25 years, of the good results ot 
women's suffrage in local elections. 

2) The Wide spread and increasing activity of women in poli- 
tical work. 

3) The adoption of women's suffrage in the colonies. 

Against these is to be set the inherent conservatism of the 
Enghsh mind, in no body of persons more vigorously developed 
than in those who call themselves Liberais. But there can be 
little doubt that the hour of victory of the women 's suffrage cause 
is not very far distant and that the country will become convinced 
that in the words of Lord Salisbury "Women have not the voice 
they ought to have in the selection of the representatives of the 
English people." 

b) Mps. Ormiston Chant, London, Delegierte von „Worlds 
Womans Christian Temperance Union" und Vertreterin von Lady 
Henry Somerset und Miss Frances Willard brachte dem Kongress 
die Grösse dieser beiden grossen Führerinnen der* Frauen in Eng- 
land und Amerika. 

c) Mrs. Warner Snoad, London: The International Women's Union, 

verlesen von Miss Snoad. 

As a cosmopolitan worker for the advancement of w^omen and the 
preservation of peace, I have for many years been brought into contact 
with people of almost every nationality; and the more I have seen 
of them the more I feel strongly how much progress is hindered, 
how much we are retarded in our work for want of international 
sympathy, more especially where women's ihterests are concerned. 
I belle ve with our famous Charles Kingsley that — „one principal 
cause of the failure of so many magnificent schemes — social, 
political, religious — w^hich have foUowed each other age after age 
has been this: that in almost every case they have ignored the 
rights and powers of one half the human race, viz., women. I 
believe that politics will not go right, that religion will not go 
right, that nothing human will ever go right except in so far as 



— 36 — 

woman ^oes right; and to make woman go right she must be put 
in her place, and she must have her rights." But to attain to this 
fuUy we need a general understanding among and united action 
between the whole world of workers for women. Isolated efforts 
are but drops in the ocean — we must swell these efforts to one 
resistless tidal wave; for the example of one country stimulates 
another. 

The objects of the International Women's Union are: to help 
the enfranchisement of women in every country, to preserve peace 
and promote good feeling between workers of all nationalities. — 
Despite all difficulties, and they have been many and arduous, the 
Union has grown and prospered esceedingly until it includes among 
its members leading men and women all over the world, until it 
has branches or affiliated societies in almost every civilized country 
and its success is an established fact. The movement has ever 
penetrated into India and Persia, and stirred a faint ripple upon 
the „Dead Sea" of Oriental life. Of the value of the work done 
there remains no possibility of doubt, as enthusiastic letters prove 
almost daily. 

Women of all nationalities are beginning to realise more and 
more that they should cultivate interest in each other, and make 
esprit de corps a question of right and justice, not of country only. 

Patriotism is a high and noble quality; but the love of 
humanity is higher, for the one sentiment is human and the 
other divine. 

Much has been written and said about the consolidation and Co- 
operation of women 's societies in each country. I do not think 
this would always be possible, nor even desirable; but active sympathy 
and active help, and so far as practicable, co-operation, are not only 
possible, but are the need of the age. We want solid phalanx, not of 
women only, but of men and women, of wich each separate movement 
is but a component part, entirely free as to detail, but united in 
purpose. Think what such a force might effect in raising the status 
of women and improving their economic position! Think how evil 
after evil must fall before the united effort of the thought 
and will of a world! Think what, v^th Grod's blessing, would 
be the power of such a force to avert war! It is a disgrace 
of our boasted 19. Century civilisation that war can still exist, 
ay, not only exist, but be rendered tenfold more terrible by every 
devilry human minds can invent. All women — and most men — 
are really advocates of peace! Dare any one call themselves 
patriotic who would not sacrifice everything to avert the horror 
of war from their country? Of what use would it be for statesmen 
to foment a national quarrel, or, by a stroke of the pen, sign away 
the lives of thousands of their fellow country men, if the heart of 
the nation rose en masse and declared that such things should not 
be, but that arbitration should take the place of war. "Women, as 
home-makers, think of it! The power is ours, — Shall we not 
use it? But to use it fully, we must use it together. and we must 
work with the men — not apart. 

We must work as nature intended the sexes to work, side by 

3* 



— 36 — 

side. Large bodies of women only are as one sided as large bodies 
of men. The chariot of progress has two wheels. I have spoken 
at some length of the broad advantages of international co-operation, 
but advantages to the individual are not slight. Every member 
who joins has a friend in any country, no matter how distant; and 
an interest in every cause. Every subscriber of 2/6 and upwards, 
and every affiliated society receives a copy of our quarterly report, 
and is thus kept informed of women's movements all over the world, 
Any Information desired upon any subject in any country can be 
obtained in due course by writing to headquarters. In short, the 
Union is what it professes to be, a very real, vital bond between 
workers of all nationalities, is in touch with every movement of 
the day, and unitedly working for women and peace all over the 
World without fanaticism or fuss. 

It does not mix up every species of reform in its programme 
believing, however exellent such measures may be in themselves, to 
attempt too much is to overload the boat, and prevent many 
joining. Neither has the Union party or party bias. It confines 
ils efforts entirely to work wide work for the enfranchisement of 
women and the preservation of peace, resting its Claims on the 
broad basis of human nature, so that all who are in sympathy, may 
be able to co-operate, irrespective of politics, creed or nationaüty. 
Neither does the Union seek to glorify one sex at the expense of 
the other, but takes as its ruling tenet the principal that men and 
women should work together. 

„The woman's cause is man^s — they stand or fall together — 
dwarfed or Godlike." 

Nor is this all — no other Organisation in the World attempts 
to work for its member s in the minute personal way which is 
carried out by the International Women^s Union — a member 
who joins us is not a mere unit to be lost in Organisation, a drop 
in the ocean drowned in vastness, but a distinct personal element 
able to use the machinery of the Union for its own purposes as well 
as for the larger and broader efforts on behalf of women. 

The International Women's Union has no cumbersome machinery, 
it is not burdened by fetters of red tape, nor is its usefulness 
wasted in elaborate Organisation, but its rules are simple and its 
aims practical ; and before long, when there has been time to ripen 
and extend its work, to belong to it will be to have a foretaste 
of that universal peace and goodwill of which sages have preached 
and poets sang, but which was never so near realisation as at the 
present time. 

Finland. 

Baronesse Alexandra Gripenberg, Helsingfors, Delegierte de» 
Vereins KvinnofÖrening, (The Finnish Womens Association), des. 
Maria- Vereins und des Vereins „Ladys Gymnastic Drill Association".. 

Let me take you to a little far away country, Finland, high 
up in the North, where the snow lies deep in the solitary forests 
during the long winter, and where in the short, but lovely summer 



— 37 — 

the gloriuos raj's of the midnightsiin shine on lonelj' lakes and 
the white stems of the birches. There lives a people, whose 
country for eenturies has been the battleground between two larger 
nations, which has starved and suffered unto deatb, which still 
has to mix bark väth rye, when there is a famine, but which not- 
withstanding all difficulties lias succeeded in maintaining a natio- 
nality of its own. 

This struggle for their own nationality has prepared the ground 
in Finland for the consideration of social questions. Among those, 
which in later times have aroused special interest, is the woman 
question, and one result of that interest is that body, which I have 
the honour to represent: the Finnish Women's Association. 
(In Swedish „Finsk Kvinnoförening'S in Finnish „Suomen Naisyh- 
distys." I give the double title, because both these languages are 
spoken in Finland). 

Our association was founded in 1884. It has eleven branch- 
unions in the country and a central union in the capital, Helsingfors. 
As we have not the political Privileges to the same extend as in 
many other countries, we can not concentrate our work especially 
on the question of woraen's suffrage. . We must deal with all kinds 
of work for the welfare of women. 

The Finnish Diet meets every third year and we try to get 
petitions brought before it on the amelioration of laws concerning 
women. 

In our country unmarried women attain their majority at 
25 years of age, but thej^ can by special application to the govern- 
ment attain it at the same age as men, or at 21. We have had 
petitions brought to the diet, asking that unmarried women should 
attain their majority at 21 j^ears of age, without special applications. 
Women may enter the university by special application to the 
government. We have asked the Diet to give them the right 
without any such previons applications. Women are likewise by 
special application allowed to occup}' positions as teachers in 
highschools and teacher\s Colleges. We have asked for the right 
for them to obtain these places without this application to the 
government. Taxpaying women, unmarried and widows, have muni- 
cipal suffrage. We have petitioned that they may also be eligible 
for municipal Offices. The legal age of marriage for women is 
fifteen. We have asked to have it raised. The law of our country 
strictlv forbids legalised vice, but the local authorities have some- 
times been able to introduce it by the contagious diseases-acts. We 
have petitioned that strict obedience to the law of the country in 
that point may be enforced. On one occasion we prepared a petition 
to the diet on this question, with more than 8,000 names. 

Only a few of these petitions have been discussed in the diet. 
You will understand. that our law-makers, meeting so seldom, have 
au accumulation of questions crowdinsr in upon them, and of course 
we women ore often told ..that more important things must be 
discussed first."" And as we alwavs must ask some member of the 
diet to bring forward the petition. we depend entirely on the 
interest and good-will of these gentlemen. among whom J am glad 



— 38 — 

to say we have some staunch friends. The only hitherto successfcd 
Petition brought forward on our initiative is that eonceming women 
as poor Law Guardians, and we have now about 125 women acting 
as guardians of the poor. 

The Finnish Women's Association likewise organises lectures 
upon different subjects connected with the woman question, lectures 
and classes for working women, cookery and dressmaking classes for 
those in country villages, sanitary drill classes and summer holiday 
horaes for workingwomen. We print and publish pamphlets and 
tracts upon the woman question, practical and social subjects 
eonceming women^s work, and we arranged two years ago the first 
thorough, Statistical inquiry about women 's work in all branches. 
To this undertaking the government gave us a grant of 4000 inarks 
(rrrfrancs). We also liave a registry office for female servant and 
arrange meetings to discuss the servant question. 

In aid of social purity the association has several times issued 
Pamphlets and newspaper articles and arranged lectures. We have 
also Started a library with choice books for young people, and try 
to increase the quantity of morally good juvenile literature, as we 
think that one of the most dangerous evils in one time, especially 
for young people, is the abundance of books morally bad. 

But the Chief feature of our work is the sti'ong interest taken 
in it by the women of the people. The majority of the members 
in our country brauch unions are peasant women, you will under- 
stand of what condition in life, when I teil you that the member's 
aunual subscription in many of these unions are abont 80 Pfennige. 
Of course they can have only the most elementary kinds of dis- 
cussions at their meetings and undertake but a few and the simplest 
kinds of work. Still, I wish you could see these our members, as 
they Sit listening to a lecture, to which they perhaps have had to 
go several miles kiloraeter through the snow. I believe the very 
sight of these poorly dressed, hardfeatured, carewom sisters of youi's 
would create in your miuds new enthusiasm for your work. This 
summer we have had large meetings in three of these unions in the 
country. We called them „the days of the home", as we wanted 
to give women, who are its chief creaters and the most active 
workers in it, an opportunity to assemble and discuss questions 
concerning the home. About 200 men and women came to these 
meetings, the meeting places were prettily decorated with flowers 
and wreaths, the clergy were present, and the lectures listened to 
with the utmost interest. The subjects dealt with were the histo- 
rical development of the home, the woman question as an out- 
growth of christianity, education, household economy, the hygiene 
of the home, and social pui'ity. These meetings lasted two days 
and ended with little out door festivals, where peasant women 
made the closing speeches. 

Also the workingwomen in the towns have begun to join 
US. Last year the dressmakers and seamstresses in the capital 
dissolved their own trade-union and joined our association, in connection 
with which they started a club with the same aim as the former 
trade union. J need not teil you that we feel strongly what a 



- 39 — 

responsibility rests upon us, because of this addition to our work, 
but at the same time what a sweet feeling of mutual confidence 
encourages us. Inasmuch the peasantwomen and the workingwomen 
join US, we feel that we are a truly representative body of the 
women in our country. The only way by which we can show the 
workingwomen that the woman question is- not and must never be 
made a question only for the upper classes, is to throw the doors of our 
associations wide open and in vite the workingwomen to come in. Then, when 
they can follow and participate in our work, with the sauie rights as 
members as we ourselves, they will find how false it is to say that the 
woman question is an aristocratic one, whicih does not apply to the 
working classes. They shall see, that this is not true, and never 
has been, but that as human beings, as women, our most important, 
our holiest interests are deeply woven together whether we are high 
or lowborn. It is so, because the ethical interests in life are 
those, which most deeply affect us as human beings. These alone 
can make us happy or unhappy in the highes t sense of these 
words. And the woman question is chiefly an ethical question: the 
question of women's equality with men as human beings. 

For this reason our association thankfully accepts the Co- 
operation with our hardwosking sisters. For this reason J feel happy 
in assuring you, that J greet you as a representative not only of 
the ediicated women of my country, but also of the morkingvvomen 
from the humble homes, the fields, the factories and the Workshops. 

Frankreich. 

Bericht von Madame Eugenie Potonie-Pierre, Paris. 

L'etat actuel de la question feministe en France est assez 
difficile, en presence des reformes legales incidentes et incompletes. 
Droit pour les femmes d'etre temoins dans les actes de l'etat civil 
(projet gisant depuis longtemps dans les cartons de la Chambre 
et inopineraent retire au moment oü Ton s'y attendait le moins); 
droit exclusif de la femme au produit de ton travail (projet Goirand); 
droit pour la femme de faire partie des conseils de l'Assistance 
publique; droit pour les femmes de faire partie du Conseil superieur 
des societes de secours mutuels etc.; en presence des inegalites fla- 
grantes qui encombrcDt le Code civil et meme le Code penal il est 
difficile, nous le repetons, de presenter le mouvement feministe 
fran^ais comme gravissant une pente ascensionnelle rapide. Et pourtant 
cela est! 

Le Congres feministe de 1892 d'abord (lequel etait le quatrieme) 
celui de cette annee, avril 96, (dont tous les voeux ont ete empreints 
d'une grande ampleur d'idees, d'une tendance progressiste et huma- 
nitaire) ensuite, ont dompte la plus grande partie des resistances, en 
mettant a neant les objections specieuses qu'opposent en meme temps 
l'orgueil masculin, ou plutot la crainte masculine de la concurrence, 
et la passivite feminine. 

La presse, la presse quotidienne surtout, a, depuis 92, multipliö 
en Proportion geometrique, ses articles feministes. Cette grosse 
raillerie depourvue de sei, dont eile etait coutumiere, est rest^e sur 



— 40 — 

le marbre, et les journalistes se sont mis ä discuter serieuseinent, 
et ä faire vibrer la note genereuse, craignant que revenement ne 
leur otät la priraeur de leur merite revendicateur et justicier. Tous 
demandent quelque chose pour la femme; ils fönt un tri qu'ils 
jugent la part du feu; mais soiis la cendre, celui-ci couve, et il 
jaillira bientot en belle flamme humaine egalitaire. 

La presse a mis a la mode ce mot feminisme, qui a fait un 
chemin plus prompt que nous n'avions ose Tesperer nous-meme 
en rinventant et en le langant dans la circulation. 

L'opinion s'emeut vite de ce que la mode a pris sous sa protec- 
tion, de Sorte que la polemique sur les droits civils, sur les droits 
politiques, sur Facces des femmes aux fonctions liberales et publiques 
est actuellement monnaie courante. 

Examiner cette cause, c'est la gagner! 

Un point jusqu'ici tres discute a ete etabli point fort important 
de Teconomie sociale, a savoir: que la base de Temancipation femi- 
nine c'est Findependance pecuniaire de la femme, independance qui a 
pour corollaire Fapplication de cette formule: A travail egal, 
salaire egal. 

Autre preuve de la marche progressiste. Tous les partis s'y 
mettent. — L'aristocratie, sournoisement, subventionne pour mener 
la propagande douce, dite pratique et raisonnable, parce que, tout 
en flattant les prejuges de jadis, eile demande un peu, le tout petit 
peu necessaire pour ne pas effaroucher la routine. La bourgeoisie, 
qui s'aperQoit enfin ä quel degre les femmes, serves dans la patrie, 
dans le mariage, dans la maternite, sont victimes de denis de justice 
humaine. 

Le socialisme qui, depuis toujoui'S, avait inscrit dans ses 
desiderata le droit des femmes, en y inscrivant le droit humain, mais 
qui, demeurant dans le vague quant ä la pratique et ä la propagation 
de l'admission des femmes aux fonctions pubiques a ete, au Congres 
de Londres, pousse dans ses derniers retranchements et y a vote: 
„Le suffrage universel de tous les adultes; le droit de vote pour 
chaque adulte, et, de plus: Que Femancipation de la femme est 
inseparable de celle des travailleurs et qu'il fait appel aux femmes 
de tous les pays, ä Feffet de s'organiser politiquement ayec les 
travailleurs." 

Les femmes ehretiennes enfin, qui ont pris part au deruier 
Congres d'avril, en y envoyant des deleguees du Feminisme Chretien 
et en adoptant une grande partie des revendications feministes. 

II est un parti cependant, parti plutot masculin, quin'admet 
guere de mouvement feministe proprement dit et qui proclame que 
Femancipation depend surtout de Fassociation des ouvrieres avec les 
ouvriers, c'est a dire de la multiplication des syndicats mixtes. 

On peut faire ä cette theorie une grave objection. Les hommes, 
accoutumes ä voir la femme moins forte, moins payee, moins hardie 
de par son education, Interesses, gräce ä la concurrence, ä la lutte 
pour la vie, a maintenir le servage feminin, s'abstiendront de mettre 
dans les rapports qu'ils pourront avoir avec leurs collegues femmes 
ee sentiment fratemel de vraie camaraderie, absolument indispensable 
pour Faction commune. 



— 41 - 

La femme doit agir avec rhomme, mais il faut avant tout, 
qu'en agissant seule, eile prouve qu'elle peut se suffire a eile 
meme. 

En France, un element desormais considerable, et qui a beaucoup 
contribue ä Velaboration des lois reformatrices votees, c'est le Groupe 
parlementaire des Droits des Femmes obtenu et reuni par T initiative 
et les demarches du Groupe: La Solidarite des Femmes. 

En eflfet, dans le Parlement, la cause feministe a raaintenant 
une representation coraposee de plus de quarante defenseurs convaincus 
et animes des intentions les meilleures. 

La Solidarite des femmes, eile meme qui, depuis sa creation, en 
91, a exerce une grande influence au point de vue du progres 
feministe, qui a mis en avant la plupart des reformes, qui s'est 
engagee dans des entreprises de propagande qui ont avance la question 
des femmes qui a fait fructifier des idees originales: principe du livre 
ouvert; code d'education pour Tenfance; projet de loi de droit commun 
pour le travail; creation d'une ligue pour la reforme du costume 
feminin et la libertä du costume; la Solidarite ne peut etre passee 
sous silence en cette revue tres succincte du Mouvement feministe 
actuel, Mouvement ä la tete duquel, jusqu' a present les 6v6nements 
Tont placee. Ge Groupe tend a constituer en son sein un petit 
parlement feministe, dont l'ambition est que la bonne foi en soit 
parfaite, les aspirations progressistes, les idees larges et humani- 
taires. 

Les autres groupes egalerVient, tres zeles, sont TEgalite, laSociete 
pour TAmelioration du sgrt des femmes et la revendication de ses 
droits, la Ligue Frangaise pour le droit des femmes, TEmancipation 
hnmaine, le Feminisme chretien, et ä cote de ces associations essen- 
tiellement feininistes, de nombreuses societes philanthropiques, comme 
la Maison Maternelle, ou artistiques, comme FAdelphie. 

Les femmes enfin, ou du moins une partie des femmes, ont pris 
en mains, en France, la cause de la paix internationale et du 
desarmement universel. 

C'est en une reunion feministe, ä la Mairie du sixieme arron- 
dissement que s'est formee T Union Internationale des femmes pour 
la paix, qui compte ä present des comites dans tous les pays. C'est 
la aussi qu'a ete resolue la campagne contre Talcoolisme. 

La feminisation des Postes et Telegraphes a pris en France 
une extension enorme, malgre, d'une part, les attaques du public 
Interesse, nous entendons des employes masculins et, d'autre part, 
Tappui que la presse en general prete ä ceux-ci. 

Dans les Chemins de fer, les femmes, chaque jour sont revetues 
de fonctions nouvelles. Tl y a meme aujourd'hui des chefesses de 
gares et des chefesses de stations, pour lesquelles nous demandons un 
costume special analogue ä celui des bicyclistes — vu le peril en ces 
fonctions, qui obligent a courir, ä monter sur les trains, etc., des 
robes feminines. 

Plusieurs jeunes femmes sont actuellement en France etudiantes 
es-lettres, es-sciences, agregees es-lettres etc. etudiantes en pharmacie, 
etudiantes en droit. Deux doctoresses en Droit ont ete regues en 
France; Mll es. Jeanne Chauvin et Bilcesco. Le nombre des etudiantes 



— 42 — 

en medecine s'accroit tous les jour% et diverses doctoresses se sont 
distinguees par des theses remarquables et par d^niportants travaiix 
en Pathologie et en thera[)eutiqiie. Deux femmes ont ete internes 
des hopitaux. 

A l'observatoire de Paris une femme se montre Teniule de ses 
confreres mascnlins; astronome savante et intelligente, eile instruit 
de plus un certain nonibre de jeunes femmes qui Taident, et 
travaillent sons son inspiration. 

II se cree de nouveaux lycees de filles. Nons prefererions, 
quant a nous, que füt (avec la reforme des prograrames classiques), 
appliquee dans tous les lycees en general, la co-education, dont en 
France le principe cominence a gagner du terrain, en presence des 
resultats obtenus en Amerique, en Suisse, en Nouvelle-Ze lande, etc. 

Dans certaines petites villes ou bourgs de province, 11 y a des 
femmes secretaires de mairies a titre officieux; d'autres employees 
supplementaires pour le depouillement du recensement, pour Tetablisse- 
ment des listes electorales. 

11 y a ä Paris des femmes employees dans les administrations 
de TAssistance Publique. 

Des frangaises ont, dans un biit de propagande vulgarisatrice, 
pose leur candidature municipale et legislative, et tous les maires 
de France ont ete saisis de demandes d'inscriptions electorales 
feminines. 

Kous terminerons ce bref resume par les paroles d'une jeune russe 
etudiante es-lettres a Paris: „Soyez süres, Mesdames, que si la femme ne 
„s'eveille pas elle-meme, si eile ne reclame ])as elle-meme ses droits 
„humains, ses „freres aines** ne lui tendront pas la main pour lui 
„aider ä sortir de cette position humble oü eile se trouve maintenant. 
„C'est pourquoi, de tout mon coeur, je salue ce mouvemant bien- 
„faisant que je remarque maintenant en France. Courage! Tavenir 
„est a vous." 

Holland. 

Frau Haighton, Amsterdam, Delegierte der Yereenijing voor 

Vrouwens Kiesrecht. 

Dass ökonomische Freiheit und gesetzliche Grleichheit mit dem 
Manne Rechte sind, welche die Frauen fordern, nicht nur in ihrem 
eigenen Interesse, sondern auch in dem unserer Gesellschaft, die 
sich während der letzten 40 Jahre so schnell umwandelte, sehen 
viele ein, d. h. eine Anzahl, gross genug, um auch in den Nieder- 
landen die Frauenfrage auf die Tagesordnung zu bringen. 

In welcher Weise die Frau aber versuchen soll, ihre ökonomische 
Freiheit zu erwerben: darüber herrscht grosse Meinungsver- 
schiedenheit, hauptsächlich inbezug auf die verheiratete Frau der 
Arbeiterklassen. Manche — darunter sehr fortgeschrittene Männer 
und Frauen — versuchen sie zu überzeugen, dass das erste Be- 
dürfnis Schutzgesetze seien. Wenn sie erst aus Fabriken und 
Werkstätten entfernt ^und vollständig von dem Manne, der oft zu 
wenig verdient, um seine Familie zu ernähren, abhängig gemacht 
sein würden, dann sollten sie sich der Arbeiterpartei anschliessen 



— 43 - 

und innerhalb derselben so energisch als möglich für die Besserung 
des Loses der Arbeiter kämpfen; denn die Arbeiterpartei habe ja 
versprochen nach Erreichung ihrer Forderungen sofort ernsthaft für 
die Interessen der Frau einzAitreten. 

Andere meinen, die Frauen sollten sich von den Männern un- 
abhängig machen und von deren Interessen fernhalten, sich also 
keiner Arbeiterpartei anschliessen. Zui* Begründung ihrer Meinung 
weisen sie auf die Geschichte der Völker hin, aus welcher hervor- 
gehe, dass die Frauen wiederholt, durch schöne Versprechen ge- 
täuscht, alle ihre körperlichen, intellektuellen und finanziellen Kräfte 
dem Kampfe für die Förderung der Interessen des Mannes geopfert 
haben, dieser aber niemals etwas für sie gethan, ja, manchmal ihnen 
sogar schmählich entgegengetreten sei, nachdem seine Wünsche er- 
füllt waren. Man warnt daher die Frauen davor, etwa an eine 
wesentliche Besserung der menschlichen Natur im Laufe der Zeit 
zu glauben: die Männer von heute, wie die Männer von damals 
^ — so sagte man — denken im allgemeinen nur an sich selbst und 
sorgen nur für sich. 

Das niederländische Gesetzbuch — in mancher Beziehung Code 
Napoleon — sichert den Frauen gar keine Rechte. Von allen 
Seiten entsteht Opposition dagegen. Unter den Mitgliedern der 
ersten und zweiten Kammer giebt es sogar einige, welche durch 
Wort und Schrift erklären, dass der gegenwärtige Zustand nicht 
länger fortbestehen darf. Aber auch in dieser Sache herrscht eine 
grosse Meinungsverschiedenheit hinsichtlich des zu wählenden Weges. 
Die eine Gruppe sagt: Niemals wird die Lage der Frauen hin- 
reichend gebessert und die Willkür beseitigt werden, so lange die 
Frau keinen direkten Einfluss auf die Regierung von Staat und 
Gemeinde ausübt. Deshalb ist ihr Rat : Frauen, erkämpft euch das 
Wahlrecht, obschon dies keine Sache ist, welche von heute aut 
morgen erreicht werden kann, da eine Revision der Grundlage 
unserer Gesetze die notwendige Vorbedingung ist. — 

Die andere Partei, von Idealismus geleitet, legt den höchsten 
Massstab an die Beurteilung der Aufgaben der Frauen an und 
wünscht, dass sie niemals die fortwährend von den männlichen 
Wählern und Abgeordneten begangenen Fehler begehen möchten. 
Sie schreckt vor dem Frauenwahlrecht zurück, in der richtigen 
Erkenntnis, dass die Frauen jetzt im allgemeinen noch nicht ge- 
nügend vorbereitet sind, um als politische Perönlichkeiten immer 
eine glänzende Rolle spielen zu können. Auch auf die Grundlage 
unserer Gesetze nehmen sie Rücksicht. Sie wollen praktisch sein 
und streben deshalb nur nach denjenigen Verbesserungen des Ge- 
setzes, welche ohne zu grosse Schwierigkeiten zu erreichen sind. 

Die eine, wie die andere Partei erkennt aber die grosse Un- 
gerechtigkeit der Thatsache, dass dem Mädchen, ungeachtet der 
Wahrscheinlichkeit, dass es sich selbst den Weg durch das Leben 
zu suchen haben wird, keine ausreichende Gelegenheit geboten wird, 
sich eine höhere, intellektuelle Bildung zu erwerben, und sich in 
Fachschulen auszubilden. Zwar sind die staatlichen Universitäten, 
Gymnasien, Zeichenakademien, höheren Bürgerschulen etc. auch den 



— 44 — 

Mädchen zugänglich; werden jedoch derartige Anstalten von den 
Gremeinden eingerichtet, so ist es vollständig der Willkür des G-emeinde* 
Vorstandes anheimgestellt, die Mädchen auszuschliessen. Deshalb 
verlangen die Frauen, dass in letzterem Falle der Staat den Gre* 
meindeschulen keine Subsidien bewilligt, da diese aus Steuern be- 
zahlt werden, welche ebenso von Frauen, wie von Männern auf- 
gebracht sind. 

Sämtliche Feministen fordern auch, dass der Staat für eine 
tüchtige Fachausbildung der Mädchen Sorge trage, und nicht länger 
glaube, durch sporadische und stets sehr karge Unterstützung von 
Koch- und Haushaltungsschulen genug gethan zu haben. 

Seit 25 Jahren studieren Frauen in den Reichs-Üniversitäten; 
während den Studien einiger durch die Verheiratung ein vorzeitiges 
Ende gesetzt wurde, erwarben manche Andere den höchsten aka- 
demischen Grrad in der Medizin, Pharmazie und Philosophie. An 
die Rechtsgelehrsamkeit hat, soweit mir bekannt, noch keine sich 
gewagt, wahrscheinlich, weil es sehr ungewiss ist, ob eine Juristin 
beim Gericht angestellt werden würde. Meiner Ansicht nach sollte 
dieses Bedenken keinen Ausschlag geben; denn, wenngleich der Frau 
diese Schwierigkeit im Wege stände, oder besser gesagt, dies Un- 
recht angethan würde, so wäre doch gewiss für Advokatinnen die 
consultative Praxis ein reichlicher Broterwerb. 

Unter den vielen ungerechten Gesetzbestimmungen in Bezug 
auf die Frau, giebt es augenblicklich keine einzige, welche so viel 
Anstoss erregt, wie das Verbot der Untersuchung der Vaterschaft, 
Um die Streichung dieses grausamen Gesetzparagraphen zu bewirken, 
ist von einem Komitee, welches aus vier angesehenen Frauen und 
vier Juristen besteht, von denen einer viele Jahre Mitglied der 
ersten Kammer war, und zwei Andere Professoren sind, eine Volks- 
petition veranstaltet worden. 

Ferner kämpfen die Feministen mit grosser Anstrengung für 
die Forderung: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, einerlei, ob sie von 
einer Frau oder von einem Manne verrichtet wird. Viele Arbeiter 
unterstützen die Frauen in diesem Kampfe, jedoch gewöhnlich nur 
weil die Erfahrung sie gelehrt hat, dass die geringe Bezahlung der 
weiblichen Arbeit die Löhne der männlichen Arbeiter herabdrückt. 

Was die Frauenfrage des Weiteren betrifft, so stehen die Nieder- 
lande allen übrigen Kulturstaaten gleich. Eine bedeutende Anzahl 
Frauen machen durch periodische Schriften und durch die Tage- 
blätter, welche ihnen gern ihre Spalten öffnen, für ihre Meinungen 
Propaganda; andere widmen ihre Kräfte der sittlichen Hebung des 
Volkes, entweder durch direkten Kampf gegen die Prostitution, oder 
durch Einrichtung billiger und gesunder Arbeiter Wohnungen. Sie 
eröffnen auch Kurse jeder Art für die Jugend des Volkes und ver- 
suchen, dem vierten Stand einen höheren Begriff von Vergnügen 
und Wohlbefinden beizubringen. 

Noch vor 30 Jahren würden die vornehmeren Frauen im all- 
gemeinen durch Arbeit — es sei denn Hausarbeit oder Armen- 
besuch — sich entehrt gefühlt haben; heutzutage glauben die meisten 
sich schämen zu müssen, wenn sie in keinerlei Hinsicht zu der Lösung 
irgend eines sozialen Problems beigetragen haben. 



- 46 — 

Italien. 

a) Bericht von Signora Paolina Schiff, Dr. phil., Mailand, erste 
Sekretärin der Federazione delle Leghe per la Tutela degli Int<Tessi 

femminili di Müano, 
erstattet von der Delegierten Frau Rosalie Schoen flies. 

Das Unternehmen der deutschen Frauen, einen internationalen 
Kongress einzuberufen, um die stets fortschreitenden Frauen- 
bestrebungen in allen ihren Gebieten und Wirkungen einer un- 
parteiischen Besprechung zu unterziehen, ist von weittragender Be- 
deutung. 

Italien, das politisch und sozial noch junge Land, hat trotzdem 
schon wirklich Durchgreifendes aufzuweisen. Doch herrscht der 
Zwiespalt zwischen dem neuen Zeitgeist und den vom römischen 
Recht und feudaler Auffassung durchdrungenen Gesetzen auf das 
Widerstreitendste vor. Das Bestreben der italienischen Frauen, 
sich diesem Znstande zu entziehen, zeigt sich hie und da auf 
kräftige und umsichtige Weise, im allgemeinen muss aber noch viel 
Anregung von aussen dazu komnimen, um die reichen, aber fast 
unterdrückten Anlagen und die Bildsamkeit der diesländischen Frauen 
zur Geltung zu bringen. 

Unser Bund hat bereits in Mailand und Turin eine gesicherte 
Stellung; Rom und andere Städte des Festlandes folgen nach; auch 
Sizilien beginnt sich zu regen und besonders entwickelt das weib- 
liche Friedens-Konütee in Palermo eine rege und warmherzige 
Thätigkeit. Unter den Airbeiterinnen in Mailand zeigt sich, stetig 
fortschreitend, eine entschieden von Intelligenz zeugende Bewegung. 

Die Anregung geht hier, wie anderwärts, grösstenteils vom 
weiblichen Lehrerstand aus, und dies aus folgerichtigen Gründen. 

In folgendem werden kurz die einzelnen Materien zusammen- 
gestellt, mit welchen der Bund der Frauen- Vereine sich beschäftigt 
hat und ferner beschäftigen wird: 

I. Jugendhorte: Mitwirkung bei der trefflichen Anstalt „Scuola 
e famiglia". 

IT. Erziehung armer schulentlassener Mädchen: Scuola pro- 
fessionale educativa preparatoria. In Italien erstreckt sich die 
Schulpflicht für beide Geschlechter nur bis zum zehnten Jahre. Mit 
der Gründung dieser Schulen beabsichtigt der Bund die Fortbildung 
der jungen Zöglinge und einen vorbereitenden professionellen 
Unterricht. 

in. Veranstaltung von Vorträgen über Gesundheitspflege. Diese 
Vorträge werden im Laufe des Jahres im Druck erscheinen und 
nach Provinzstädten und Dörfern verschickt werden. 

IV. Wöchnerinnenasyle: Cassa di Assicurazione mutua per la 
Maternita. 

Die Gründung dieser Versicherungs-Anstalt ist von grosser 
Tragweite. Die ganze Presse sowie bedeutende Persönlichkeiten 
haben sich sehr günstig über diese bald ins Leben tretende Ein- 
richtung ausgesprochen. 

V. Organisation von Berufsgenossenschaften: speziell für Tele- 
graphistinnen und Lehrerinnen. Eingaben zur Verbesserung der 



— 46 — 

Lage beider Stände sind bei dem Ministerium anhängig. Doch ist 
hier zu bemerken, dass nur die Elementar- Lehrerinnen, welche in 
Italien von dem Gemeinderat abhängen, hinsichtlich der Besoldung 
und mitunter auch der Behandlung den Lehrern nachstehen, während 
die Oberlehrerinnen, die den Titel Professorinnen tragen, vom Staate 
abhängen und gleiche Berechtigung mit den Lehrern derselben 
Kategorie haben. Das Gesetz spricht sich unparteiisch aus; doch 
walten vielfach frauenfeindliche Strömungen vor. 

VI. Arbeit- und Lohnfrage: Auf allen neueren Arbeiter-Kon- 
gressen in Mailand, Venedig, Turin, Florenz etc., und wo sonst der 
Bund der Frauenvereine Anträge auf Gleichberechtigung der Löhne 
stellte, wurden dieselben unbedingt angenommen. Unablässig wird 
diese Frage von unseren Frauenvereinen in jeder Richtung behandelt. 

VII. Eechtstellung der Frauen im bürgerlichen, Gemeinde- 
und Handelsgesetz: Hier hat der Bund der Frauenvereine nur 
Studien vorbereitet. Zu bemerken ist aber, dass die Handelskammer 
zu Mailand den Antrag auf Handels-Stimmrecht der Frauen sehr 
günstig aufgenommen, und die Beistimmung von weiteren 16 Handels- 
kammern provozirt hat. Die schwankenden politischen Zustände 
Hessen keine parlamentarische Verhandlung zu, wiewohl der Minister 
Lacava sich in seiner Vorlage vom Jahre 1894 vollkommen günstig 
darüber ausgesprochen hatte. 

VIII. Friedensgesellschaften: Die grosse Bewegung der weib- 
lichen Bevölkerung Italiens, um dem afrikanischen Kriege ein Ende 
zu machen, wurde durch den Bund der Frauenvereine in An- 
regung gebracht. 

Ebenso hat der Bund mehrfach für die Gründung internationaler 
Handels-Schiedsgerichte mit Beteiligung einer weiblichen Vertretung 
zu wirken gesucht. Dem Pariser Frauen-Kongress wurde folgender 
Antrag eingesandt: „La question dela Paix etant si etroitement liee 
avec Tethique de Telement feministe, ceux qui veulent revendiquer 
leurs droits ne peuvent pas se desinteresser de cette grande question 
humanitaire. Ainsi la Federation de Milan propose chaleureusement 
au Gongres Tinstitution de tribunaux commerciaux pour regier les 
differends juridiques et financiers commerciaux entre une nation et 
Tautre et entre les individus commerQants. La Federation propose 
en suite que la femme ait siege et voeu, dans ces tribunaux d'arbitrage." 

Auch dem in Budapest gehaltenen Friedenskongress (Sept. 
1896) übersandte der Bund den Vorschlag zur Feststellung eines 
internationalen Handelsrechtes und bezüglicher Schiedsgerichte, auf 
Grundlage der Berner Konvention 14. Okt. 1890. 

IX. Ein weiterer Vorschlag der Federation ist die Bildung von 
Parlaments- Komitees, um die Frauenbewegung leichter zu organisieren. 
Durch das freiwillige Zusammentreten verständnisvoller Abgeordneter, 
ohne Parteiunterschied, zu einem permanenten Komitee, können die 
Anträge und Vorschläge der Frauen, mit klarer Umsicht zur Be- 
fürwortung aufgenommen werden, und dadurch rascher und bestimmter 
ins Leben treten. Die dadurch entstehende internationale Wirkung 
und Gegenwirkung ist selbstverständlich von positiver Tragweite, 
deshalb empfiehlt der Mailänder Bund dem geehrten Kongress obige 
Anregung aufs angelegentlichste. 



— 47 - 

Mit der festen lieber zeugiinor, dass der isrropse Frauentag, der 
die besten weiblichen Elemente nach Berlin ruft, eine reichliche 
Ernte in Aussicht stellt, bietet der Bund allen anwesenden Frauen 
und den verständnisvollen Männern, die sich diesem hohen Zivili- 
sationsprinzip anschliessen, den Gruss einer Verbündeten, die sich 
zu ihrer Devise erwählt: „Nur im Recht wohnt die Kraft; dem 
guten Rechte gelte unser Streben und Ringen." 

b) Dottoressa med. Maria Montessori, Rom, Delegierte des Vereins 

,. A ssociazione femminile. " 

Ich bringe Ihnen einen Gruss aus der uralten Stadt der Denk- 
mäler, welche in ihren ehrwürdigen Mauern die Kulturgeschichte 
sich entrollen sah: ich bringe Ihnen den Gruss Roms, der Stadt der 
grossen Kaiser des Altertums und der^Päpste. — Die Frauenbewegung 
fängt in dieser Stadt nur eben an, ^ich zu zeigen! Diese Bewegung 
hat in Italien ihren Ursprung in der lombardischen Ebene und nur 
langsam übersteigt sie das Gebirge im Innern des Landes. Sowie 
die Fi-auenfrage zwischen den Trümmern der römischen Denkmäler, 
den aufgehäuften katholischen Vorurteilen einen Spalt gefunden 
hatte, drängte sie, ein freundlicher, moderner Lichtstrahl, sich hindurch 
und führte zur Gründung eines Vereins, der „Associazione femminile 
di Roma", in welchem die weibliche Aristokratie des Geistes und 
der Geburt, sowie die besitzenden Frauen reichlich vertreten sind. 
Als während des Krieges in Afrika so viele Mutterherzen bluteten, 
setzten fünf Frauen des römischen Vereins eine nationale Petition 
ins Werk, in welcher die Gattinnen, Schwestern und Bräute das 
Ende des Krieges und die Rückkehr der Truppen nach Italien 
forderten. Mit den Unterschriften von vielen Tausenden wurde 
diese Petition dem Abgeoi'dnetenhause eingereicht. — Ausserdem 
richtete die „Associazione femminile" populäre Unterrichtskurse für 
die Arbeiterinnen und Vorträge über öffentliche Gesundheitspflege 
ein. — Unser junger Verein trug auch wesentlich zur Gründung 
einer Kolonie für genesende Kinder im Apennin bei. — Als die Ein- 
ladung zum Frauenkongress in Berlin eintraf, waren die Frauen 
Roms die ersten in Italien, welche daran dachten, eine Delegierte 
zu schicken und sie wandten sich an alle Frauen des Landes, um 
ihre Beistimmung und Unterstützung zu erlangen. Aus allen Teilen 
des Reiches liefen zahlreiche, oft enthusiastische Beistimmungs-Er- 
klärungen ein, hauptsächlich von Arbeiterinnenvereinen. In einem 
Dorfe in den Marken war es die Kommunalversammlung der Männer, 
welche die Zustimmung des Ortes zur Sendung einer Delegierten 
nach Berlin in feierlicher Weise aussprach. — Es gab viele vor- 
nehme Damen, viele tüchtige Hausfrauen, viele eifrige Katholikinnen, 
welche der Sendung einer Delegierten nicht entgegen waren, und 
die, wenn sie sich auch nicht thätig an dieser Sache beteiligten, doch mit 
ihrem Herzen und fast zitternd für den Erfolg, dabei waren. Dies 
giebt uns berechtigte HoffnuDg für die Zukunft und gereicht zugleich 
den Gründerinnen des Vereins und Leiterinnen seiner Arbeiten, den 
Damen Mauro, De Vincentis und Amadori zu grosser Ehre. Die 
letztgenannte dieser Damen ist auch die Herausgeberin unserer 



— 48 — 

Vereinszeitnng „Yita Femnünile", welche die Frauenfrage nach 
allen Richtungen behandelt. — Noch ein Wort über diejenigen 
PYauen, welche der Emanzipation unseres Geschlechts durch Thaten 
dienen, indem sie sich durch Universitätsstudien eine unabhängige 
Stellung schaffen. Vielleicht in keiner Stadt machten Vorurteile 
das Studium der Frauen an Universitäten so schwierig, wie in Kom. 
Vor fünfzehn Jahren schied die, welche es wagte, über die Schwelle 
der Universität zu treten, damit fast aus der G-esellschaft! Heute wird 
das Mädchen, welches mit seinem Doktordiplom die Universität 
verlässt, von den Müttern als Beispiel' gezeigt. Denn es stellte sich 
heraus, dass das ernste Studium und die soziale Stellung, die diese 
Frauen erlangen, ihnen nicht nur die Tugenden und Vorzüge, die 
das junge Mädchen so liebenswürdig machen, nicht rauben, sondern 
dieselben sogar erhöhen. 

Eine nicht unbeträchtliche Zahl junger Doktorinnen arbeitet 
als Lehrerinnen an Mädchengymnasien und anderen Schulen; als 
Medizinerinnen an Hospitälern oder in freier Praxis; andere haben 
sich der Mathematik und den Naturwissenschaften gewidmet und 
auch eine Advokatin haben wir in Rom. 

Von ihnen Allen habe ich dem Kongress Grüsse zu überbringen. 

Oesterreieh. 

Frau Therese Schlesinger-Eckstein, Wien, Delegierte des AUgem. 

Österreich. Frauen Vereins. 

Wenn man über die moderne Frauenbewegung gewissenhaft 
berichten will, so muss man in Oesterreieh wie überall zwei Strö- 
mungen unterscheiden, die leider zum Nachteil beider noch immer 
getrennt ihren Lauf nehmen, nämlich die Arbeiterinnenbewegung 
und die bürgerliche Frauenbewegung. Es ist sehr bedauerlich, dass 
die österreichischen Arbeiterinnen-Organisationen der Einladung zu 
diesem Kongresse nicht gefolgt sind. Ich kann über die Arbeite- 
rinnen Oesterreichs hier nur soviel sagen, dass ihre Organisationen 
sehr im Aufblühen begriffen sind und dass sie von ihren männlichen 
Genossen kräftig unterstützt werden, wie ja überhaupt die sozial- 
demokratische die einzige politische Partei ist, die die Gleich- 
berechtigung der Frauen nicht nui' als Programmpunkt aufgestellt 
hat, sondern in ihren Organisationen auch praktisch gelten lässt. 
Sogar in die politischen Vereine, in die einzutreten bei uns Frauen 
gesetzlich verwehrt ist, haben die Sozialdemokraten den Genossinnen 
Eingang verschafft, indem sie sie als Gäste heranzuziehen wussten. 
Die Arbeiterinnen Wiens haben auch ein eigenes Blatt, die „Ar- 
beiterinnenzeitung ", das thatsächlich nur von Arbeiterinnen ge- 
schrieben wird und eine ziemlich starke Verbreitung hat. Aus- 
führlicher über die Arbeiterinnen-Organisationen zu berichten, bin 
ich leider nicht in der Lage, vielmehr obliegt es mir hauptsächlich, 
über die bürgerliche Frauenbewegung zu sprechen, aber ich würde 
es lebhaft wünschen, dass eine Vertreterin der organisierten Arbeite- 
rinnen in Oesterreieh meinen Bericht vervollständigen kOnnte. Wenn 
ich bürgerliche Frauenbewegung sage, so nenne ich sie so, weil ihre 
Anhängerinnen aus bürgerlichen Kreisen hervorgegangen sind, nicht 



— 49 — 

aber etwa, dass sie Anhängerinnen der bürgerlichen Gesellschafts- 
ordnung wären. 

Die ersten Frauenvereine entstanden in Wien während des 
2. Decenniums dieses Jahrhunderts, aber es waren entweder Wohl- 
thätigkeitsvereine oder solche mit sehr enggesteckten praktischen 
Zielen, wie der Hausfraaenverein, der mit dem Wirkungskreis eines 
Konsumvereines noch den eines Dienstboten-Vermittelungsbüreaus 
verbindet, ein Lehrerinnenverein, der die Fachinteressen der Lehre- 
rinnen wahrnahm, ein Frauenerwerbverein, dessen Schulen aber mit 
Ausnahme einiger Freiplätze, nur Bemittelten zugänglich sind u. s. w. 
Keiner dieser Vereine, wie nützlich sie auch in ihrer Weise sein 
mögen, übt Kritik an den bestehenden Verhältnissen oder entfaltet 
sonst eine Thätigkeit, die mit der Frauenbewegung in anderem als 
sehr losem Zusammenhange stünde. 

Erst der Verein füi* erweiterte Frauenbildung, der im Jahre 
1888 gegründet wurde, ging daran, eine solche Bewegung vorzu- 
bereiten. Der Ausdauer und Opferwilligkeit der Mitglieder dieses 
Vereines gelang auch, was man kurz vorher für wenig wahrschein- 
lich gehalten hätte: sie gründeten im Jahi-e 1892 die erste Klasse 
eines Mädchengymnasiums, der seither alljährlich eine neue Klasse 
beigefügt wurde. Damit aber sieht sich dieser Verein auch am 
Ziel seiner Wünsche, ein Auflehnen gegen das waltende Unrecht, 
ein Eintreten für Frauenrechte war und ist von ihm nicht zu er- 
warten, im Gegenteil sucht er auch den leisesten Anschein einer 
radikalen Gesinnung ängstlich zu vermeiden, sowie überhaupt bis 
vor wenigen Jahren von einer eigentlichen Frauenbewegung in 
Oesterreich nichts zu verspüren war. Weit früher aber, als der 
ideale Drang ein altes Joch abzuschütteln und eingewurzelte Vorui'teile 
zu zerstören sich unter den Frauen fühlbar machte, waren es öko- 
nomische Verhältnisse, die eine Art von Frauenemanzipation anbahnten. 

Im Jahre 1868, als das neue Volksschulgesetz ins Leben trat 
und auf einmal viele neue Schulen gegründet wurden, erwies sich 
plötzlich die Zahl der Volksschullehrer als zu gering und man 
ging daran Lehrerinnen auszubilden und anzustellen, natürlich mit 
geringeren Bezügen, als sie die Lehrer genossen. Das Beispiel, 
das hier der Staat gab, indem er an den Gehalten der Frauen 
Ersparnisse machte, blieb nicht ohne Nachahmung, und als einige 
Jahre später die Lokal -Telegraphen -Gesellschaft in Wien sich 
bildete, stellte sie ebenfalls Frauen an, was wieder den iiamaligen 
Handelsminister veranlasste, den Vorschlag zu machen, man möge 
aus Ersparungsrücksichten Frauen bei der Post und den Staats- 
Telegraphenämtern anstellen, was auch seit dem Jahre 1874 geschieht. 

Als ein eigentliches Erwachen wenigstens einer Gruppe von 
Frauen konnte es bezeichnet werden, als im Jahre 1889 eine 
von Frauen unterzeichnete Petition an den niederösterreichischen 
Landtag gerichtet wurde, in der Beibehaltung des Gemeindewahl- 
rechtes und Wiedererlangung des Landtagswahlrechtes für die 
steuerzahlenden Frauen gefordert ^vurde. Die Frauen Nieder- 
Oesterreichs mit Ausschluss der Frauen Wiens ' hatten nämlich 
durch viele Jahre das indirekte Wahlrecht in diesen beiden Körper- 



— 50 — 

Schäften ausgeübt, ohne Murren hatten sie sich im Jahre 1888 das 
Wahlrecht in den Landtag entreissen lassen und erst als man ihnen 
um ein Jahr später auch das Wahlrecht in den Gemeinderath rauben 
wollte, bildete sich ein Frauenwahlrechtskomitee, an dessen Spitze 
städtische Lehrerinnen standen, entwarf jene Petition und sammelte 
zahlreiche Unterschriften für dieselbe, eine Aktion, die nicht nur 
den Erfolg hatte, den Frauen Nieder-Oesterreichs das Gemeinde- 
wahlrecht zu erhalten, sondern auch als Anfang und erste Eegung 
politischen Lebens bei den Frauen zu begrüssen war. Zwei Jahre 
lang aber währte es, bis das Frauenwahlrechtskomitee wieder eine 
Lebensregung zeigte. Im Mai 1891 berief es eine allgemeine Frauen- 
versammlung ein, welcher eine Petition vorgelegt wurde, in der die 
Frauen Zulassung der Frauen zu den Mittel- und Hochschulen und 
unentgeltlichen Unterricht daselbst, ferner Zulassung der Frauen zu 
dem politischen Vereinswesen und endlich das gleiche, allgemeine 
und direkte Wahlrecht für alle grossjährigen und eigenberechtigten 
österreichischen Staatsbürger ohne Unterschied der Steuerleistung, 
des Standes und Geschlechtes forderten. 

Die Referentin begründete den 1. Punkt und bewies durch 
ausführliche Zahlendarlegung, dass für Unterricht in Cisleithanien 
per Jahr 13 Millionen Gulden verausgabt werden, wovon nicht 
einmal eine halbe Million auf den Unterricht der Mädchen entfällt. 
Weiter wurde dieser Versammlung eine Petition an den Landtag 
vorgelegt, des Inhalts, der Landtag wolle 

1. a) den § 8 des Neuen Wiener G^meindestatuts ! abändern, 
nach welchem „Frauenspersonen" selbständig das Bürgerrecht nicht 
erwerben können, ebenso 

b) den § 1 der Gemeindewahlordnung, nach welchem nur 
Staatsbürger männlichen Geschlechtes wahlberechtigt erscheinen; 

2. Den Frauen Nieder-Oesterreichs mit Einschluss der Frauen 
der Kommune Wien das aktive direkte Wahlrecht für den Landtag 
wieder zuerkennen und ihnen 

3. auch das passive Wahlrecht für die Schulaufsichtsbehörden 
und für die der Armenverwaltung gewidmeten Körperschaften 
gewähren. 

Dann drang in dieser Versammlung noch der Antrag 
durch, das Frauenwahlrechtskomitee möge für Pfingsten 1892 einen 
allgemeinen Frauentag einberufen, der über alle Seiten der Frauen- 
frage zu verhandeln habe und zum Schluss wurde noch eine Resolution 
gefasst, in welcher die Frauen beschlossen, sich dem Antrag des 
Abgeordneten Pemerstoefer auf Aufhebung des damals über Wien 
verhängten Ausnahmezustandes anzuschliessen. 

Nun begannen die Frauen, die jene Versammlung einberufen 
hatten, und die an der Spitze der Bewegung standen, aus besten 
Kräften den Frauentag vorzubereiten, aber das Resultat ihrer 
mutigen Arbeit war ein trauriges. 10 Tage vor der festgesetzten 
Frist zogen sich fast alle Frauen, denen ein Referat übertragen 
worden war, plötzlich zurück. Es erfasste sie auf einmal Angst, 
sich mit den herrschenden Erlassen in Widerspruch zu setzen. Das 
Unternehmen war eben ein verfrühtes. Viele von den Frauen Wiens 
fühlten zwar schon die Notwendigkeit für die Sache der Frauen 



— 51 — 

emzutreten, aber der Mut, öffentlich das Wort zu ergreifen, ihre 
üeberzeugung geltend zu machen, fehlte ihnen noch ganz. Unsere 
Vorkämpferinnen aber liessen sich nicht entmutigen. Sie sahen ein, 
dass der Boden für eine radikale Frauenbewegung in Oesterreich 
erst vorbereitet werden müsse, und sie glaubten die Aufgabe am 
besten dadurch in Angriff zu nehmen, dass sie einen Verein ins 
Leben riefen, der die Frauen für wichtige soziale Eßformen heran- 
ziehen und vorbereiten soll, und so kam es am 28. Januar 1893 zur 
Gründung des Allgemeinen österreichischen Frauenvereines, der das 
hohe Wort auf seine Fahne schrieb : „Durch Erkenntnis zu Freiheit 
und Glück". Der hervorragendste Führer der demokratischen Partei, 
Dr. Kronawetter, stellte das Parteiorgan „Volksstimme" für alle 
den neuen Verein interessierenden Angelegenheiten zur Verfügung, 
wodurch sich dann bald das Beiblatt der Volksstimme, das „Recht 
der Frau" entwickelte, das noch heute den Verein nach aussen hin 
vertritt und über alle ihn und die Frauen frage berührenden Ange- 
legenheiten berichtet. 

Die Einberuferin, Frl. Fickert, legte die Grundsätze des zu 
gründenden Vereines dar, indem sie hervorhob, dass die Frauenfrage 
mit der sozialen Frage auf das Innigste verwachsen sei und nicht 
von dieser gelöst werden könne. „Die Frauenfrage", sagte sie, 
„und mit ihr all das Elend, wodurch dieselbe aufgeworfen wurde, 
findet ihre Lösung in der ökonomischen Unabhängigkeit der Frau, 
diese ökonomische Unabhängigkeit kann aber ihre segensreiche 
Wirkung auf die menschliche Gesellschaft erst dann vollziehen, wenn 
die Arbeit von dem Joche befreit sein wird, das durch die privat- 
kapitalistische Gesellschaftsfonn ihr aufgedrückt wird." 

Das entschiedene und radikale Vorgehen des neuen Vereines, 
das mutige Aussprechen seiner antikapitalistischen Tendenzen konnte 
natürlich nur die Allermutigsten anziehen. So begann der Allg. 
österr. Frauenverein seine Wirksamkeit unter sehr schwierigen 
Verhältnissen und auch heute noch sind seine Mitgliederzahl sowie 
seine Geldmittel gering. 

Der Vorstand musste die bittere Erfahrung machen, wie wenig 
Solidaritätsgefühl die Frauwi besitzen, wie disziplinlos sie im all- 
gemeinen sind, wie jeder Dummkopf ihnen zu imponieren und sie in 
ihrem Urteil schwankend zu machen vermag und wie wenig die 
meisten von ihnen geneigt sind, das geistige Uebergewicht einzelner 
Frauen anzuerkennen; den schwersten Kampf aber hatte und hat 
der Verein noch immer gegen die verkehrten und heuchlerischen 
Anstajttdsbegriffe der bürgerlichen Frauen zu kämpfen, die es noch 
immer nicht fassen können, dass man über das tiefe Elend unseres 
Geschlechtes offen sprechen dürfe. 

Der Allg. österr. Frauenverein veranstaltete Vortragsabende, 
an denen hervorragende Männer und Frauen über soziale und 
litterarische Themen referierten und Diskussionen über dieselben 
eröffiieten; femer sanatologische, juridische, pädagogische und psycho- 
logische Unterrichtskurse. 

Das ehemalige Frauen wahlrechtskomitee,^ das nun zum grössten 
Teil den Vorstand des Allg. österr. Frauenvereins ausmachte, ver- 

4* 



— 52 — 

außtaltete am 9. Dezember 1893 eine allgemeine Frauenversammlung, 
die wieder das Wahlrecht der Frauen zum Gegenstand hatte. 

In der Petition an den Reichsrat, die dieser Versammlung vor- 
gelegt wurde, waren die Forderungen der vorigen Petition wieder 
aufgestellt und hervorgehoben worden, dass in Oesterreich, wo so • 
viele Frauen zu Steuerleistungen herangezogen seien, es ein um so 
greifbareres Unrecht wäre, sie von den politischen Rechten auszu- 
Bcbliessen. Eine Rednerin erinnerte, dass bei Aufzählung der Frauen 
eine Kategorie vergessen worden sei, die der Unglücklichsten und 
Gedrücktesten, nämlich die der Prostituierten. Wenn wir gleiches 
Recht für alle fordern, so dürfen auch ihre Rechte nicht ver- 
gessen werden. 

Nun forderte eine andere Rednerin die Anwesenden auf, gegen 
die vom Gemeinderat geplante Kasernierung der Prostituierten 
Stellung zu nehmen. Sie stellte den Antrag, die Versammlung 
möge den Allg. österreichischen Frauenverein beauftragen, diese 
Frage in Erwägung zu ziehen und geeignete Schritte gegen die ge- 
plante Massregel zu unternehmen. Der Antrag wurde einstimmig 
angenommen, was die Optimisten unserer Partei zu dem Glauben 
verführte, dass man endlich mit unseren bürgerlichen Frauen über 
ernste Dinge offen sprechen dürfe. Doch sollten sie bald erfahren, 
wie die mutige Art, mit der der Allg. österr. Frauenverein jetzt diese 
Frage in Angriff nahm, ihm alle unklaren und lauen Elemente ab- 
wendig machte. 

Im April 1894 wurde einer massenhaft besuchten Frauen- 
versammlung eine Petition an das Abgeordnetenhaus gegen Errichtung 
öffentlicher Häuser vorgelegt. Dieser hatte sich noch der Pensions- 
verein für provis. angestellte und private Lehrerinnen und der Verein 
zur Errichtung von Dienstbotenasylen angeschlossen, während alle 
anderen Frauenvereine ein gemeinsames Vorgehen mit dem Allg. 
österr. Frauenverein mit Entrüstung zurückgewiesen hatten. In 
der Petition wurde, gestützt auf ^vissenschaftliche Belege, nach- 
gewiesen, dass die polizeiliche Ueberwachung der Prostituierten 
überhaupt und dass insbesondere deren Kasernierung kein wirksames 
Schutzmittel gegen die Uebertragung von Infektionskrankheiten sei, 
und dass die Kontrolle nur dann eine erhebliche Einschränkung 
herbeiführen könne, wenn die ärztliche Untersuchung auch auf das 
männliche Geschlecht ausgedehnt würde. „Da aber", heisst es weiter, 
„eine Verallgemeinerung der Kontrolle über die geheime Prostitution, 
so wie namentlich über das männliche Geschlecht nicht in der Macht- 
sphäre der Polizei gelegen ist, und da ohne diese Verallgemeinerung 
von einem wirklichen Erfolg der Kontrolle in dem Kampfe gegen die 
geschlechtlichen Krankheiten nicht die Rede sein kann, so darf die- 
selbe wohl als eine ebenso unwürdige wie nutzlose Einrichtung be- 
zeichnet werden, die in ihrer Einseitigkeit nur eine die Behörde 
kompromittierende Vergewaltigung der Rechtlosen und Ausgestossenen 
ist. Der Vorwurf aber, aus kurzsichtigen und engherzigen Motiven 
eine angeblich im öffentlichen Interesse gelegene Institution zu be- 
kämpfen, kann gerechterweise nicht gegen diejenigen erhoben werden, 
welche erkennen, dass die unheilvolle Macht der Prostitution nicht 
durch Polizeivorkehrungen, sondern einzig auf dem Wege sozialer 



— 53 — 

Reformen zu brechen sein wird. Der Allg. österr. Frauenverein 
erlaubt sich daher, dem hohen Hause folgende Bitte zu unterbreiten : 

1. Es möge a) in Ansehung der voranstehenden Grründe durch 
Beschluss des hohen Hauses, die beabsichtigte Einführung von Bor- 
dellen seitens der Polizei hintangehalten werden, und 

b) den etwa schon bewilligten die Erlaubnis zur Weiterfiihrung 
entzogen werden. 

2. Es möge die bestehende sanitätspolizeiliche Kontrolle der 
Prostituierten aufgehoben werden und 

3. die Thätigkeit der Polizei ihrer Aufgabe gemäss darauf be- 
schränkt werden, die Ausschreitungen und öffentlichen Skandale, die 
mit der Prostitution verbunden sind, zu unterdrücken." 

Diese Petition kam im Dezember 1894 im Abgeordnetenhauso 
zur Beratung und gab zu einer lebhaften Debatte Anlass. Leider 
wurde die Sitzung trotz der von Dr. Kronawetter erhobenen 
Forderung, so wichtige Angelegenheiten öffentlich zu behandeln, für 
eine vertrauliche erklärt, so dass über das Ergebnis der Beratung 
nichts bekannt wurde. Gesetzlich sanktioniert wurden öffentliche 
Häuser wohl seither nicht, aber einige werden schweigend geduldet. 

Zu den grossen Aufgaben, die der Allg. österr. Frauenverein 
noch in Angriff nahm, gehört in erster Reihe die im vorigen Jahr 
stattgehabte Gründung einer Frauenrechtsschutzinstution, die sich gar 
bald als Notwendigkeit herausstellte, denn schon im ersten Jahr 
ihres Bestehens hatte die Institution und die Anwälte, die sich ihr 
in grossmütiger Weise zur Verfügung gestellt hatten, in 216 Fällen 
zu intervenieren und zwar gelang es in sehr vielen dieser Fälle, den 
Benachteiligten zu ihrem Recht zu verhelfen, wenigstens insoweit, 
als es die heutigen Gesetze zulassen. Aber auch bei diesem Unter- 
nehmen, das doch gewiss auf die Sympathie aller Rechtlichdenkenden 
Anspruch hat, stellten sich dem Verein grosse Schwierigkeiten 
entgegen. Ein volles Jahr hindurch gelang es uns nicht, ein Amts- 
lokal in einem öffentlichen Gebäude zu erhalten, so dass in einer 
Privatwohnung amtiert werden musste. Die verschiedenen Bezirks- 
vorsteher, die um die Ueberlassung eines Lokals in den Gemeinde- 
häusern angegangen wurden, gaben vor, „die Streitsucht der Weiber" 
nicht unterstützen zu wollen und es gelang lange nicht, ihnen 
begreiflich zu machen, dass es ja nur die Aermsten und Gedrücktesten 
seien, denen der Verein zu ihrem kärglichen Recht verhelfen wolle. 
Nach einem Jahr endlich erhielten wir ein Lokal im Gemeindehaus 
des X. Bezirkes. 

Sodann beschäftigte sich der Verein eingehend mit der Dienst- 
botenfrage. Es wurden zu diesem Zweck drei Versammlungen ab- 
gehalten, bei denen Vorträge gehalten, eine Resolution gegen die 
veraltete Dienstboteoordnung aus dem Jahre 1810 gefasst und zwei 
Petitionen unterzeichnet wnirden, die eine an die Statthalterei um 
Schaffung einer neuen Dienstbotenordnung, die andere an den Wiener 
G^meinderat um Verstaatlichung der Dienstbotenvermittlung und 
um Schaffung einer Altersversorgung für Dienstboten. Es scheint 
kaum glaublich, dass auch diese Aktion zu Gunsten der Dienstboten 
dem Allg. österr. Frauenvereine viele Anhängerinnen abwendig 
gemacht hat. Die grosse Zahlder Hausfrauen ist leider unfähig, 



— 54 — 

in dieser Frage einen unbefangenen Standpunkt einzunehmen. Sie 
fühlen sich sds Partei und empfinden alles, das zu Gunsten der 
Dienstmädchen geschieht, als gegen sich selbst gerichtet. 

Anlässlich des Erscheinens einer Brochüre von Hofrath Professor 
Albert, die gegen weibliche Aerzte und das Studium der Medizin 
weiblicher Studenten gerichtet war, hielt der Verein eineVersammlungab, 
welche in eifriger Diskussion die Albert^schen Angriffe widerlegte 
und in welcher der Beschluss gefasst wurde, eine Petition um Zu- 
lassung der Frauen zum ärztlichen Beruf an das Abegordnetenhaus 
zu richten und für diese Petition Massenunterschriften zu sammeln. 

Einige Tage vor den letzten Gemeinderatswahlen, die die öffent- 
liche Meinung so sehr beschäftigten, berief der Allg. öster. Frauen- 
verein eine allgemeine Frauenversammlung ein, in der über die Auf- 
gaben eines künftigen Gemeinderats referiert und die Frauen auf- 
gefordert wurden zu den Wahlen selbständig Stellung zu nehmen. 

In diesem Winter fand auch wieder eine grosse Wahlrechts- 
versammlung statt, die aber von Frauen gemässigter Richtung aus- 
ging und von deren Einberuferinnen nur das active Wahlrecht für 
die Frauen gefordert wurde. Dem gegenüber trat eine Minorität 
wieder für das allg. gl. und dir. aktive und passive Wahlrecht für 
beide Geschlechter ein. 

Eine bedeutsame Aktion, die von der ethischen Gesellschaft in 
Wien angeregt wurde, an der sich aber auch der Allg. öster. Frauen- 
verein beteiligte, war die Enquete über Frauenarbeit, die im März 
und April dieses Jahres in Wien tagte. 

Die Kommission dieser Enquete, auf die zurückzukommen ich 
noch Gelegenheit haben werde, war aus Männern und Frauen aller 
Parteirichtungen und Lebensstellungen zusammengesetzt, so dass ihre 
Unparteilichkeit ausser Zweifel steht. Das Ergebnis dieser aus- 
dauernden und gewissenhaften Arbeit war ein sehr trauriges, um so 
trauriger, als sie uns ähnliche, wenn nicht die gleichen Verhältnisse 
in allen Industrieländern vermuten lässt. Es waren fast nur Bilder 
tiefen Elends, die sich den Augen der Kommission darboten. Wenn 
trotzdem ein tröstlicher Gedanke in uns aufsteigen konnte, so war 
es der, dass ein Klreis von angesehenen und verdienstvollen Männern 
die Notwendigkeit erkannt hat, dem speziellen Frauenleid Aufmerk- 
samkeit zu widmen, und dass endlich der tiefgewurzelte Glaube zu 
leiden und immer nur zu leiden, sei des Weibes natürlicher Beruf, 
zu wanken beginnt. Wir begrüssen dieses erwachende Verstehen 
und Mitempfinden der Männer für Frauenleid als eine erste Er- 
rungenschaft der noch in den Klinderschuhen wandelnden Frauen- 
bewegung, aber wir glauben darum nicht, dass diese Bewegung 
schon irgend Grosses erreicht hat im Verhältnis zu dem Uebermass 
dessen, was ihre Aufgabe ist. 

Dem Allgem. österr. Frauenverein ist es aber wenigstens ge- 
lungen, eine verlässliche, wenn auch kleine Kerntruppe zu sammeln, 
die bis jetzt die politischen Rechte der Frau wiederholt und nach- 
drücklich reklamierte, die für höhere Studien der Frauen eingetreten 
ist und die sich durch eine Rechtsschutz - Institution der durch 
Einzelne Benachteiligten, sowie durch Agitation der durch die 
gesamte Gesellschaft Ausgebeuteten, der Dienstboten, der Arbeite- 
rinnen und auch der Prostituierten angenommen hat. 



— 66 — 

Aber noch schmachtet in Oesterreich, so wie in ganz Europa 
das Weib unter dem alten Unrecht geschriebener und ungeschriebener 
Gesetze, noch ist es in den seltensten Fällen überhaupt zum Be- 
wusstsein seiner bedrängten und unwürdigen Lage gekommen. 
Darum ist es heute die wichtigste Aufgabe der Frauenbewegung, 
ihm dieses Bewusstsein zu erschliessen, der falschen Scham und 
sittlichen Heuchelei in offenem Kampfe zu begegnen und die Frauen 
aller Stände und Länder in einem grossen Streben zu vereinen. 

Portugal. 

Fräulein Luise Ey, Porto. 

Hochgeehrte Anwesende! 

Es kann nicht meine Absieht sein, Sie über eine ,, Frauen- 
bewegung", einen Kampf der Frau um soziale Rechte zu unter- 
halten, denn eine solche existiert in Portugal nicht. Die Frau hat 
von jeher die Stellung acceptiert, welche ihr vom Manne, also durch 
Geburt oder 'Heirat angewiesen wurde, und es ist stillschweigendes 
Uebereinkommen, dass die Frau auch derjenigen Kreise, von denen 
eine Frauenbewegung ausgehen könnte, dem männlichen Familien- 
haupte völlig die Sorge um ihr Wohl überlässt. 

Die Portugiesin fühlt sich hierbei durchaus zufrieden und ver- 
langt nicht nach Selbständigkeit; ja sie steckt die dort ansässigen 
Fremden mit dieser Zufriedenheit an; nur Vereinzelte unter den 
Ausländem folgen der Frauenbewegung mit Interesse. 

Der weibliche Teil der besseren Stände arbeitet in der Regel 
nicht; selbst die Sorge um Hausstand, sowie Pflege und Erziehung 
der Kinder pflegt man bezahlten Kräften zu überlassen. Die Portu- 
giesin der arbeitenden Klasse ist wie die Spanierin eine unvoll- 
kommene Handarbeiterin, sodass ihre Arbeit wenig geschätzt und 
schlecht bezahlt wird. 

Wie ich indes unter ersteren auch vorzügliche Hausfrauen 
kennen gelernt, so habe ich unter letzteren stets der Leinen- und 
Groldstickerei die grösste Bewunderung gezollt. In Stickereien kann 
man nicht leicht etwas Vollkommeneres sehen, als was die Portu- 
giesin aller Klassen leistet. 

Die Frau aus dem Volke arbeitet verhältnismässig mehr als 
der Mann, und unterzieht sich niederer Arbeit, wie dem Wasser- 
und anderem Lasttragen, das der männliche Portugiese gern dem 
verachteten „Galego" (Galizier) oder — der Frau überlässt. Da 
ihr die industrielle Erziehung fehlt, ist sie genötigt, zu grober 
schwerer Arbeit zu greifen, wo ihr der Mann überlegen ist; aber 
selbst da, wo sie dasselbe oder mehr leistet, als der Mann, wie bei 
der Weinlese, in Fabrik-, Feld- und Grubenarbeit, bei Handlanger- 
diensten etc., rangiert ihre Arbeit im Preise mit der eines halbwüchsigen 
Knaben. 

Die Schneiderinnen sind unter den Frauen ohne Zweifel die- 
jenigen, welche am besten bezahlt werden und am meisten zu thun 
haben, obgleich sie viel weniger vollkommen arbeiten, als z. B. die 
Wäscherinnen, die dabei äusserst billig sind. 

Die Portugiesin der besseren Stände liebt es, sich gut und 



— B6 — 

nach der neuesten Mode zu kleiden ; und da, wo die Pariser Mode 
zum Glück noch nicht die originellen Nationaltrachten verdrängt 
hat, giebt es erst recht zu thun für die Nähterinnen, denn die 
Frauen aus dem Volke tragen 12, 15 und mehr Unter- und Kleider- 
röcke, die z. T. mit gehäkelten Spitzen verziert, so weit sind, dass 
sie, ausgebreitet, einen vollkommenen Kreis bilden. 

Eine andere Klasse der arbeitenden Frauen sind die Elementar- 
lehrerinnen; höhere portugiesische Lehrerinnen gehören zu den Aus- 
nahmen. Dieselben verdienen jedoch kaum genug, sich zu ernähren, 
und sind zudem einer grossen Unptinktlichkeit in der Gehaltszahlung 
ausgesetzt, wenn sie staatlich angestellt sind. Man kann sich des- 
halb nicht wundern, wenn auch ihre Leistungen unvollkommen sind. 

Am Webstuhl, beim Rohrtiechten etc. finden wir ebenfalls weibliche 
Arbeiter ; auch werden diese Industrien neuerdings in philantropischen 
Instituten methodisch gelehrt, wie z. B. in dem Convento da 
Regeneragäo in Braga. 

Eine andere der wenigen Industrieen, welche methodisch gelehrt 
werden, ist die Anfertigung geklöppelter Spitzen, in Vianna do 
Castello, Villa do Gonde und Peniche. Um diese Industrie hat sich 
D*. Augusta Bordallo Pinheiro, die Schwester des durch seine 
originellen Modellier-Kompositionen berühmten Künstlers, besondere 
Verdienste erworben und sie zur Kunst erhoben. Auf einer unlängst 
stattgehabten Ausstellung in Porto sah man Spitzen, wie Kragen, 
Fächer, Taschentücher, Decken von hervorragender Schönheit und 
hohem Wert. Aber auch diese Arbeit wird schlecht bezahlt; eine 
Anfängerin verdient pro Tag 5 reis, d. i. etwa 2 Pf.; allerdings 
fangen sie schon als ganz kleine Mädchen an. 

Wenn ich nun zu der Frage übergehe, ob die Portugiesin 
religiös ist, so möchte ich mit „Ja" und „Nein" antworten, je 
nachdem, was man unter Religion versteht. Der Klerus hält das 
Publikum in unverzeihlicher Unwissenheit, unterrichtet wohl über 
Ritus und Form der Religion, aber nicht über Innerlichkeit und 
Tiefe derselben, ja nicht einmal über Unterschied und Gleichheit 
der Konfessionen. So ist es Sitte, dass wenn das Sakrament zu 
einem Kranken durch die Strassen getragen wird, die Vorüber- 
gehenden und selbst die Bewohner auf die Knie fallen, bis es vorüber 
ist. Bei einer solchen Gelegenheit befand ich mich einmal bei einer 
jungen Frau, meiner Schülerin. Sie kniete in der Fensternische 
nieder, als das Messglöckchen ertönte, und ich neben ihr, da ich 
meine, man soll überall, besonders im fremden Lande ehren, was 
anderen heilig ist. Als sie sich wieder aufrichtete, fragte sie: „Sind 
denn die Protestanten auch Christen?" 

Der Marienkultus wird sehr gepflegt und es berührt sympathisch 
trotz unserer protestantischen Ansichten, wenn man hört, wie ich 
von einem früh verwaisten Mädchen hörte: „Es ist mir ein solcher 
Trost, zur Jungfrau zu beten; mir ist, als wenn ich zu meiner 
Mutter spreche, ich fühle mich dann so geborgen." 

Unterricht und Kinder-Erziehung sind auf der ganzen iberischen 
Halbinsel noch sehr zurück, aber in Portugal doch verhältnismässig 
vorgeschrittener, als in Spanien. 

Vor 40 — 50 Jahren wurde es als gefährlich erachtet, ein Mädchen 



— 67 — 

leisen und schreiben zu lehren, da es ja dadurch in den Stand ge- 
setzt wurde, Liebesbriefe zu wechseln. Der Unterricht beschränkte 
sich fast ausschliesslich auf Handarbeiten, auf welche auch heute 
noch ein ungerechtfertigtes Gewicht gelegt wird. 

Im Laufe der Zeit ist ein bemerkenswerter Fortschritt zu kon- 
statieren : Der Elementar-Unterricht beginnt mit dem 6. oder 7. Lebens- 
jahre und ist fttr Knaben und Mädchen derselbe. Die in der Schule 
angewandte Methode ist jedoch mechanisch und gleichförmig und 
richtet sich nicht nach den Fähigkeiten des Schülers, hat auch nicht 
den Zweck, die Intelligenz desselben zu wecken uod zu eotwickeln, 
«ondem beschränkt sich zumeist auf Gredächtnisiibung. Es ist sehr 
^u beklagen, dass bei den sehr guten intellektuellen und manuellen 
Anlagen der Portugiesin der Unterricht in den Mädchenschulen nicht 
ein weiteres Feld umfasst und nicht mehr vertieft wird. Die Por- 
tugiesin besitzt z. B. ein ausgesprochenes Sprachtalent und ein feines 
Ohr für die Sprachnüancen. Und zwar habe ich dies nicht allein 
bei den, fremde Sprachen methodisch erlernenden Klassen beobachtet, 
sondern auch unter den Frauen aus dem Volke. Ein Mädchen z. B., 
das einige Jahre in einer deutschen Familie als Dienstbote fungiert 
hatte, sprach durchaus fertig Deutsch und verstand Englisch infolge 
seiner Sprachverwandtschaft mit dem Deutschen. Ich war geradezu 
verblüfft von so schneller Aneignung einer fremden Sprache bei einer 
Person, die ihre Muttersprache weder lesen noch schreiben konnte. 

Bei sorgfältigem Unterricht lernt die Portugiesin die fremden 
Laute schnell und rein nachsprechen und in kurzer Zeit in der 
fremden Sprache zu konversieren; das bezeichnet aber auch neben 
leidlichem Klavierspiel event. Gresang, und den erwähnten kunstvollen 
Handarbeiten gewöhnlich Ziel und Ende des Unterrichts. 

Geschichts- und Geographie-Unterricht ist höchst oberflächlich 
und geht kaum über Portugal hinaus; Literatur wird in den 
Mädchenschulen selten gelehrt. 

Eine Schülerin, der ich für ihre Markensammlung einige deutsche 
Marken gab, fragte mich naiv: „Wo liegt eigentlich Deutschland?" 
Ich gegenfragte verblüfft, ob man ihr in der Schule nie von Deutsch- 
land gesprochen? Und auf ihre verneinende Antwort, in Avelchem 
Erdteil sie es wohl vermute? „Da Sie zu Lande hinreisen können," 
erwiderte sie, „glaube ich, dass es in Europa liegt; aber wir haben 
jschon Europa in der Schule besprochen, und da haben wir gehabt: 
Bussland, Frankreich, Italien, Preussen, Bayern, Sachsen etc., aber 
von Deutschland habe ich nichts gehört." 

Welch beissende Satyre wären diese naiven Worte gewesen 
vor dem 18. Januar 1871 und wie geisselte das sonst intelligente 
Mädchen in ihrer Unkenntnis den an ihr verbrochenen Unterricht. 
Auch darüber, dass das Betlehem der heil. Geschichte nicht identisch 
ist mit dem durch seine Hieronymus-Kirche berühmten Betlehem bei 
Lissabon, werden die Kinder gewönlich in Unkenntniss gehalten. — 
Von dieser Nonchalance werden leider oftmals auch die ausländischen 
Lehrer angesteckt. So bemerkte mir einmal eine deutsche Kollegin 
nach einer recht mittelmässigen Geographiestunde, der ich beigewohnt : 
„Sie müssen nicht glauben, dass ich in Deutschland solch eine 
Stande geben würde, aber hier genügt das völlig." 



- 68 — 

Fast schmerzhaft berührt von einer solchen Versündigung an 
den Schülerinnen und dem deutschen Lehrerstand, suchte ich diesen 
Fehler durch verschärften Eifer gut zu machen. Durch die in der 
Folge überraschenden Leistungen und das beinahe leidenschaftliche 
Interesse der jungen Mädchen am Geographie-Unterricht wurde meine 
Mühe überreich belohnt. Ueberhaupt kann ich mich über die zahl- 
reichen und oft langjährigen Schülerinnen, welche ich während 
meines dreizehnjährigen Wirkens in Portugal in Schulen und privatim 
unterrichtete, nur anerkennend und dankbar äussern. Ich habe mit 
wahrer Freude und oft über Erwarten grossem Erfolg gearbeitet. 
Sobald die ihnen innewohnende Indolenz überwunden war, brauchte 
ich sie nicht mehr anzufeuern. Ja, es ist vorgekommen, dass ich 
allzueifrige, die ich zu später Nacht- oder allzufrüher Morgenstunde 
über den Büchern fand, zurückhalten musste. 

Ihre Unwissenheit ist also nicht der Portugiesin, sondern ihren 
Lehrern zuzuschreiben. 

„Gute Lehrerinnen", sagt Rodriguez deFreitas in seinem Essay 
über die Frauenfrage in Portugal, „sind ganz selten, und die Schul- 
häuser, mit Ausnahme solcher in grossen Städten, sehr schlecht.** — 
Portugal besitzt 2 Lehrerinnen-Seminare, eins in Lissabon, und seit 
1882 ein anderes in Porto. Ende der 80 er Jahre gab es 320 öflfent- 
liche Elementar-Mädchen-Schulen, die von den Azoren und Madeira 
mit eingerechnet. Von den 820 Lehrerinnen waren nur 43 auf dem 
Seminar in Lissabon, dem damals einzigen, vorbereitet. Die Volks- 
zählung von 1878 offenbarte die beklagenswerte Unwissenheit der 
portugiesischen Frauenbevölkerung, die sich auf 2,374,870 Köpfe 
belief, von denen nur 254,369 lesen und schreiben konnten, während 
2,120,501 weder das eine, noch das andere verstanden. 

Wiederholt ist in der Kammer die Errichtung von Mädchen- 
Mittelschulen beantragt und diskutiert worden; vor wenigen Jahren 
wurde ein Mädchen-Lyceum in bestimmte Aussicht gestellt. In 
offiziösen Kreisen bezeichnete man schon die Vorsteherin in der 
Person der Frau 0. Michaelis de VasconceUos, Dr. phil., unter deren 
Leitung der weibliche Unterricht ohne Zweifel einen bedeutenden 
Aufschwung genommen hätte. Man wusste schon die Höhe der 
Dotation der verschiedenen Aemter, und damit — verlief die Sache 
im Sande. 

Es existieren jedoch eine Anzahl Privatschulßn, welche besser 
situierte Eltern von ihren Töchtern besuchen lassen, und wo die- 
selben befähigt werden, sich den öffentlichen Examina für Knaben- 
lyceen zu unterziehen und dieselben gut, nicht selten mit Aus- 
zeichnung bestehen. Da nach dem Art. 72 des Gesetzes vom 
14. Juni 1880 über höheren Unterricht, weibl. Studierende, welche 
die Staatsschulen besuchen oder das Examen dieser Schulen be- 
stehen, in die Verordnungen dieses Gesetzes treten, d. h. derselben 
Privilegien teilhaftig werden, wie männliche Studierende, so benutzen 
viele junge Mädchen die Gelegenheit, sich dem Lyceumsexamen zu 
unterziehen. 

Auf dem Konservatorium in Lissabon werden natürlich auch 
weibliche Studierende zugelassen, wie auch auf den Kunstaikademien 
und den Medizinschulen Lissabons und Portos. 



— 69 - 

Während in Spanien das Studium der Skulptur den Frauen 
verschlossen ist, liess z. B. die Akademie in Porto mich als erste 
Studierende ohne weiteres zu. 

Lange Zeit war ich die einzige, seitdem aber haben schon 
mehrere Interesse gefunden an einer Kunst, in der hohe Damen, 
wie die Herzogin von Palmella, ja die Königin selbst bemerkens- 
wertes leisten. 

Auch zum medizinischen Studium werden die Frauen seit etwa 
einem Jahrzehnt zugelassen, und das Land hat neben vielen studierten 
Geburtshelferinnen eine Anzahl weiblicher Aerzte (in Porto u. a. 
4 Schwestern). Im Postwesen verzeichnet man ausser verschiedenen 
subalternen Beamtinnen bereits einen Postchef. 

Wie indess Hypolite Carnot sagt: „Le plus bei eloge que Ton 
ait pu faire quelquefois des etablissements oü nos fils sont eleves, 
est celui-ci: ils forment des hommes. J^espere qu^un jour, quand 
nos lycees de jeunes filles viendront completer Teducation de la 
famille, on pourra dire egalement qu'ils forment des femmes." 

Der Notschrei, nicht nach gelehrten Frauen, sondern nach denk- 
ßlhigen Gattinnen und erziehungsfähigen Müttern wird immer 
dringender in Portugal. 

„Uns für das Leben vorbereiten, das ist Ziel und Zweck der 
Erziehung", sagt Spencer, und die einzige rationelle Manier, ein Er- 
ziehungssystem zu beurteilen, ist zu wissen, in wie weit es diesen 
Zweck erfüllt. 

Bei der auf der Halbinsel herrschenden Sitte, das kaum der 
Schule entwachsene Mädchen zu verheiraten, entstehen die schlimmsten 
Folgen für das junge Geschlecht, dessen Eltern, selbst noch so sehr 
der Erziehung bedürftig, auf die grössten Schwierigkeiten stossen. 
Da rufen nun vermögende Familien deutsche Erzieherinnen, weil dort 
jeder Deutsche für einen geborenen Pädagogen gilt. Und da muss 
ich nun leider hinzusetzen, dass manche dortige Kollegin sich recht 
wenig bemüht, dies unbedingte Vertrauen um ihrer selbst, um der 
Klasse unti um der Nation willen, der sie angehört, geschweige aus 
Pflicht und Dankbarkeit, zu verdienen. Ich habe zu meinem Be- 
dauern unter ihnen viel Taktlosigkeit, viel Undankbarkeit gegen das 
gastfreie Land gefunden, viel „finding fault" mit den Sitten und 
Gebräuchen, den staatlichen Institutionen, mit den Speisen, den 
Betten, der häuslichen Einrichtung, der Lebensweise, viel Unnach- 
sichtigkeit gegen die unverschuldete Unwissenheit der Zöglinge und 
ihrer Mütter, und ein ungescheutes Aussprechen über alles dies; 
ein unkluges Verachten der öfifentlichen Meinung, ein stetes Vergleichen 
der portugiesischen Zustände zu gunsten der deutschen, und ein 
völliges Uebersehen oder selbstverständliches Hinnehmen der entgegen- 
gebrachten Freundlichkeit und Rücksicht, durch welche die Portu- 
giesen sich auszeichnen. 

Und ich möchte an dieser Stelle meinen Kolleginnen im deutschen 
Lande die Warnung zurufen: „Geht nicht nach Portugal, wenn Ihr 
glaubt, Ihr findet dieselben geregelten Zustände, dasselbe Unter- 
richtetsein, denselben Speisezettel, denselben wohlgeheizten Ofen! 
Geht nicht nach Portugal, wenn Ihr nicht gerecht werden wollt 
dem fremden Naturell, den fremden Sitten und Gewohnheiten! Wenn 



- 60 — 

Ihr aber geht, respektiert die öffentliche Meinung, schont die 
Empfindlichkeit derjenigen, welche Euch gerufen, ihre Kinder zu er- 
ziehen und nicht, dieselben ihr Land und ihre Landsleute verachten 
zu lehren. 

Wenn auch der Portugiese still und liebenswürdig anhört, was 
ein Deutscher mit Protest zurückweisen würde, so geschieht das 
nicht, weil es weniger empfunden wird, sondern weil es den Portu- 
giesen aller Stände schwer wird, rücksichtslos und unartig zu 
werden. Wenn man seine Sinne nicht willentlich verschliesst, wird 
man viel Schönes in der Natur, viel Liebenswürdiges in den 
Menschen, viel Interessantes in de^n Gebräuchen, viel Ansprechendes 
in der Litteratur und vorzugsweise in der Volkspoesie finden, sowie 
auch viel Wohlschmeckendes auf den Speisezetteln. 

Noch viel bittere Wahrheiten, aber auch viel Gutes noch 
könnte ich sagen, erstere mit Bedauern, letzteres mit aufrichtiger 
Freude, beides mit dem Freimut, welchen mir die Pflicht und die 
Freundschaft diktiert für das liebenswürdige Lusitanien, den „am 
Meeresgestade gepflanzten Garten Europas." 

Russland. 

Frl. Anna von Schabanow, Dr. med., Petersburg, Vorsitzende des 
von ihr vertretenen Vereins: Societe des Femmes russes. 

Hochverehrte Versammlung! Ich bedaure lebhaft, dass ich mit 
der deutschen Sprache zu Avenig vertraut bin, um allen den Gefühlen 
Ausdruck zu geben, welche in mir die Idee eines internationalen 
Frauenkongresses erregt, der sämtliche Vorkämpferinnen der Frauen- 
bewegung zu gegenseitiger Annäherung und zum allgemeinen Wohl 
vereinigt. Auf den Ruf der deutschen Frauen antworteten die 
Frauen aller Kultur-Länder, denen wir die Förderung der Frauen- 
emaneipation verdanken. Das leuchtende Beispiel dieser unermüdlichen 
und kühnen Vorkämpferinnen diente als Leitstern auf dem domigen 
Pfade des Ringens um Freiheit und Bildung. 

Die durch die soziale Reform in Russland vor einigen 
Jahrzehnten hervorgerufene Frauenbewegung Avächst und gedeiht 
und ebnet neue Bahnen für die Entwickelung und Thätigkeit 
der Frau. Diese Bewegung bestand hauptsächlich in dem Streben, 
eine höhere Bildung, weitere Rechte und eine grössere Selbst- 
ständigkeit zu erlangen. Das Ergebnis dieses Strebens äusserte 
sich in der Entstehung medizinischer Kurse, denen Russland 
die Aerztinnen verdankt, in der Eröflfhunfir akademischer und pä- 
dagogischer Frauenkurse, der Entwicklung professioneller Frauen- 
arbeit, der Zulassung zum Staatsdienst und in der allgemeinen Er- 
höhung der Frau als selbständiges Individuum. Ebenfalls durch 
die Initiative der Frauen AAiirden verschiedene Wohlthätigkeitsvereine 
organisiert, wie der Verein für arme Frauen, für Verschaffung billiger 
Wohnungen, der Schutzverein für arme, schwache und chronisch 
kranke Kinder, die Kinderbe wahranstalten, der Unterstützungsverein 
für Lehrerinnen und Erzieherinnen, der Fröbel-Verein, der Unter- 
stützungsverein für Frauen, welche die akademischen Kurse absolviert 
haben und noch andere Vereinigungen. Aber bis jetzt wirkten die 



— 61 — 

auf verschiedenen Gebieten einem Ziele zustrebenden Frauen ver- 
einzelt. Das Bedürfnis, die Kräfte zu vereinigen, einen Mittelpunkt 
für ihre Entwickelung und vereinigte Thätigkeit zu schaffen, erweckte 
den G^edanken, den Frauenverein ins Leben zu rufen. 

In Petersburg wurde vor einem Jahre, dank der rastlosen An- 
strengung einiger Frauen, die Erlaubnis zur Eröffnung eines 
Frauen Vereins erlangt. Der auf diese Weise ins Leben gerufene 
Verein hat den Zweck, die geistige und sittliche Entwickelung der 
Frau zu fördern. Ich kann von der Thätigkeit unseres Vereins 
noch nicht viel sagen, seine Existenz ist von kurzer Dauer und 
äussert sich in gegenseitiger materieller und geistiger Unterstützung. 
Zu diesem Zwecke veranstaltet der Verein, der bereits eine ziemlich 
reiche Bibliothek besitzt, in seinem wohleingerichteten Heim 
musikalische und litterarische Gresellschaftsabende, Vorlesungen über 
Gresundheitspflege und selbständige Vorträge, welche verschiedene 
Themata zum Gegenstand haben. Auch wird daselbst in fremden 
Sprachen, Buchhaltung und Handarbeit unterrichtet. Der Verein 
besitzt überdies ein Bureau, welches für entsprechende Anstellung 
seiner Mitglieder zu sorgen hat. Alles das sind nur die bescheidenen 
Anfänge eines jungen Vereins, dessen weitere Entwickelung hoffentlich 
Gelegenheit geben wird, über seine Erfolge zu berichten. Aber zur 
Beleuchtung der Frauenbewegung in Russland kann ich nicht ver- 
schweigen, dass der von 30 Frauen eröffnete Verein zu Ende des 
Jahres 1000 Mitglieder aus verschiedenen Schichten der Gesellschaft 
zählt; und nach dem Beispiele der Hauptstadt besteht das Bestreben, 
in anderen Städten eben solche Vereine zu gründen. 

Wir russischen Frauen freuen uns, an der allgemeinen Frauen- 
bewegung zur Erreichung der höheren Ziele der Menschheit teil- 
zunehmen. Wie verschieden auch die Gesetze, Sitten und Gebräuche 
der Staaten, denen wir angehören, sein mögen, so ist der gegen- 
wärtige Kongress ein glänzender Beweis dafür, dass nur ein Gedanke 
Alle begeistert, der Gedanke der Einigung der Frauen, der uns zu 
Mitgliedern einer Gemeinschaft, zu Schwestern einer grossen 
Familie macht. 

Schweden. 

Fräulein Lotten Dahigren, Stockholm, Delegierte des Fredrika 

Bremer Bundes. 

Von der Direktion des Fredrika-Bremer-Bundes in Stockholm 
bin ich ausersehen worden, hier bei diesem Kongress als Abgesandte 
zu erscheinen. Ich bitte hiermit, das warme Interesse des Bundes 
ftr diesen Kongress und seine Bestrebungen aussprechen und seiner 
Freude darüber Ausdruck geben zu dürfen, dass er durch mich, als der 
Delegierten, Gelegenheit hat, in unmittelbare Verbindung mit den- 
jeijigen zu treten, welche für den Fortschritt der Frauenfrage in 
Deutschland arbeiten. 

Schweden wird seit urdenklichen Zeiten von Germanen skandi- 
navischen Stammes bewohnt. Seine Geschichte hat eine gleich- 
massige und sichere Entwickelung aufzuweisen. Neue Verordnungen 
und Gesetze haben im allgemeinen keine Umwälzungen herbei- 



i! 



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— 62 — 

geführt. Manchmal haben sie nur die Oberfläche berührt, und an 
Sitten und Gebräuchen hat sich nur langsam und spät eine Ver- 
änderung vollzogen. Infolge der abgesonderten geographischen Lage 
des Landes hat es oft lange gedauert, ehe Europas Kulturströmungen 
das schwedische Volk erreichten, und erst ums Jahr 1000 reiht 
dieses sich den christlichen Nationen Europas an. 

Diese Verhältnisse bestimmen auch durch alle Jahrhunderte 
hindurch die soziale und rechtliche Stellung der Frau in Schweden. 



Der Charakter und die soziale Stellung der nordischen Frau 
in den ältesten Zeiten lassen sich ganz gut nach den alten nordischen 
Sagen bestimmen. 

Der Frau fiel die Versorgung von Haus und Hof zu. In ihrem 
hausmütterlichen Amte erfreute sie sich grosser Selbständigkeit. 
Kinder und Diener sollten ihren Befehlen gehorchen. Das Sinnbild 
ihrer hausmütterlichen Mündigkeit waren die Schlüssel, welche 
der Braut überliefert wurden und der Hausfrau oft ins G-rab 
mitfolgten. 

Die rechtliche Stellung der schwedischen Frau in der spät- 
heidnischen Zeit und während des Mittelalters war in vielen Punkten 
mit der anderer germanischer Frauen gleich. 

Die Unterschiede, welche bestanden, beruhten darauf, dass sich 
in Schweden christliche und römische Rechtsbegriffe später geltend 
machten, als es anderwärts der Fall war. Die Rechtsentwickelung 
hat sich in Schweden, wie vorhin schon angedeutet wurde, haupt- 
sächlich in der Weise vollzogen, dass man auf altem Grunde auf- 
baute und einen vollständigen Wechsel im Rechtssystem nicht ein- 
treten liess. Jedoch weist das eine Jahrhundert nach dem anderen 
sowohl in Gesetz wie Sitte Veränderungen zu Gunsten der 
Frauen auf. 

Vom Jahre 1300 an hat sich ein Frauenname durch die Jahr- 
hunderte erhalten — der Name Birgitta Birgersdotter. Diese her- 
vorragende Frau, welche von der katholischen Kirche unter dem 
Namen der heiligen Birgitta heilig gesprochen wurde, griff tief in 
das kirchliche und soziale Leben des Mittelalters ein. Sie legte 
Erlöster an, stiftete einen neuen bemerkenswerten Orden, den Bir- 
gittinerorden, und trug in hohem Grade zur Entwickelung der Kirche 
in Schweden bei. 

Im 14 Jahrhundert wurden Gesetze aufgestellt, dass der ver- 
heirateten Frau die Hälfte des den Eheleuten gemeinsamen Eigen- 
tumes zukommen sollte, und dass Schwester und Bruder zu gleichen 
Teilen erben sollten. Im 16. Jahrhundert vm'kte die Reformation 
stark auf die Anschauungsweise des schwedischen Volkes ein, und 
die Frauen Schwedens folgten der allgemeinen Bewegung. 

Luther und seine Anhänger in Schweden traten kräftig gegen 
die asketische Richtung innerhalb der katholischen Kirche, welche 
in der Frau ein Hindernis für das sittliche Leben sah, auf, und 
betonten anstatt dessen, dass die Frau dem Manne eine notwendige 
Hülfe sei 

Der Bildungsgrad der schwedischen Adelsdamen war im all- 



— 63 — 

gemeinen keineswegs hoch. Doch muss man festhalten, dass er nie- 
mals so tief sank, wie die Frauenbildung in katholischen Ländern, 
als in diesen die Strömungen der Renaissance nachgelassen hatten 
— und dies Dank der lutherischen Priesterschaft, welche sich 
eifrig um die religiöse Bildung beider Geschlechter und aller Ge- 
sellschaftsklassen bemühte. Nach und nach wurden im 17. Jahr- 
hundert für das gemeine Volk Massregeln getroffen zur Beförderung 
der Kunst des Lesens, und diese kamen der weiblichen wie der männ- 
lichen Bevölkerung zu gute. 

Doch mussten in dieser Zeit die aus Büchern zu schöpfenden 
Kenntnisse und die Ausbildung der Talente hinter den praktischen 
Anforderungen zurückstehen. 

Viele schwedische Frauen widmeten sich zu dieser Zeit, weil 
die Männer unaufhörlich mit den zahlreichen Kriegen zu thun 
hatten, in die Schweden verwickelt war, mit Eifer und Geschick- 
lichkeit dem Landbau, wie geschäftlichen Betrieben. Sie handelten, 
verkauften, kauften, bauten, begründeten neue Industriezweige und 
so weiter. 

Das politische Leben aber, an welchem im 18. Jahrhundert die 
Frauen vielerorts teilnahmen, blieb ihnen in Schweden gewöhnlich 
fremd. Dagegen nahmen einen bedeutenden Platz in der schwedischen 
Litteratur ein: die beiden Dichterinnen Hedvig Charlotta Norden- 
flycht (f 1763) und Anna Maria Lenngren (f 1817), von welchen 
die letztgenannte zu Schwedens besten und gelesensten Schrift- 
steilem gehört. 

Die Beschränkung der Arbeitsphäre und des Einflusses der 
Frau, welche bei den höchsten Klassen schon im 18. Jahrhundert 
eintritt, dringt in anderen Jahrhunderten immer weiter nach unten 
vor. Die bedeutende Entwicklung von Industrie und Handel haben 
der Frau in Schweden wie überall sonst einen grossen Teil ihrer 
Arbeit innerhalb des Hauses geraubt und sie auf Arbeitsgebiete ge- 
drängt, welche ihr sonst fremd waren. Damit sie unter diesen ver- 
änderten Verhältnissen im Kampfe ums Dasein nicht unterliegen 
möge, hat man in ihrem Interesse Ansprüche erhoben auf eine 
höhere Ausbildung, grössere persönliche Freiheit und Aenderung 
der Gesetze, und damit stehen wir vor der Frauenemancipation 
unserer Tage. 

Unter den ersten Vorkämpfern für diese Ideen in xmserem 
Jahrhunderte steht in Schweden der Philosoph und Geschichts- 
schreiber Erik Gustav Geijer (f 1847), dessen Aussprüche noch bis 
auf den heutigen Tag als leitende Grundgedanken der Frauenfrage 
gelten können, zum Beispiel der, „dass die Entwicklung desBechts- 
wesens Hand in Hand gehen sollte mit der Anerkennung der Frau, 
dass es ungereimt sei, gerade diejenigen in einem Zustande bürger- 
licher Unmündigkeit zu erhalten, welche die Bürger zur Mündigkeit 
erziehen sollen, dass der Frau politische Rechte nicht abgesprochen 
werden können, wenn sie auch aus eigenem freien Willen von dem 
Gebrauche derselben abstehen kann, um sich höheren Aufgaben zu- 
zuwenden" u. a. m. 

Aber als erste unter denen, welche für die Freimachung der 
Frau in Schweden gearbeitet haben, steht doch die durch ihre 



— 64 — 

Romane in allen Ländern bekannte Schriftstellerin Fredrika Bremer 
da. Ihr sittlicher Ernst und das sie auszeichnende tiefe Gefühl für 
die Bedeutung der Persönlichkeit und der Familie, haben auch 
späteren Bestrebungen die Stellung der schwedischen Frau zu ver- 
bessern, ihren Charakter verliehen. 

Fredrika Bremer hatte durch Umgang mit hervorragenden Per- 
sönlichkeiten und durch Reisen in der neuen Welt ihre Lebens- 
anschauung erweitert. Besonders hatte sie tieferen Einblick ge- 
wonnen in die Stellung der Frau, so wie sie war und so wie sie 
sein sollte. Obwohl Fredrika Bremer dieses Thema schon in ihren 
jfrüheren Schriften berührt hatte, spricht sie ihre Ansichten darüber 
doch erst vollständig in „Hertha" aus (1856), einer Novelle, in 
welcher das ästhetische Gefühl vor den reformatorischen Tendenzen 
in den Hintergrund tritt. Diese Arbeit rief von Seiten der Presse 
eine scharfe Kritik hervor. 

und als sie zehn Jahre später starb, war das meiste von dem, 
was sie in „Hertha" als Bedingung für die zukünftige Freimachung 
der Frau aufgestellt hatte, erfüllt. 

Ein paar Jahre nach der Herausgabe „Herthas" begann die 
Baronin Sophie Adlersparre die „Zeitschrift fürs Heim" heraus- 
zugeben, die ersten Jahre zusammen mit Frau Rosalie von Olive- 
crona, und wenn wir in Schweden anerkennen müssen, dass die in 
der Frauenfrage gewonnenen Fortschritte ohne erheblichen Streit 
errungen wurden, und dass der Streit, welcher besonders in den 
siebziger bis achtziger Jahren stattfand, reiche Frucht getragen hat, 
so dürfen wir dies hauptsächlich dem Umstände zuschreiben, 
dass die Frauenfrage in Schweden so frühzeitig ein eigenes Organ 
besass. 

Von glücklicher Bedeutung für den Fortschritt der Frauen- 
frage in Schweden ist es, dass eine Verbesserung der Stellung der 
Frauen bei allen Parteien lebhafte Unterstützung fand. Sie hat 
Anhänger sowohl in der konservativen, wie liberalen Partei gehabt, 
und hat sie noch. Vielleicht bewirkt gerade der Umstand, dass die 
Frauenfrage niemals von einer bestimmten politischen Partei ge- 
tragen wurde und also niemals eine Parteifrage ausmachte, dass die 
Arbeit bei uns so ruhig und stetig vorangeschritten ist. 

Die Frauenfrage gewann auf dem Gebiete der Gesetzgebung 
ihre grössten Zugeständnisse in den achtzehnhundertsechziger bis 
siebziger Jahren, und die letzten Jahrzehnte sind hauptsächlich dazu 
angewandt worden, das Interesse der Frauen für Nutzanwendung 
der Rechte, welche sie besitzen, zu wecken; denn in Schweden 
wurden die Gesetze zu Gunsten der Frauen früher gestiftet, als 
die Frau zum Bewusstsein der Notwendigkeit und des Wertes der- 
selben erwacht war. Das Gesetz ging hier also der Sitte voraus. 

Wir wollen im folgenden einen kurzen Umblick halten, welche 
Rechte die Frau in Schweden schon erhalten hat, und was noch zu . 
gewinnen für sie von Wichtigkeit ist. 

So erhielt die schwedische Frau im Jahre 1869 die Berech- 
tigung das Abiturienten-Examen, das sogenannte „Studentexamen", 
abzulegen, und im Jahre 1871 gewährte man ihr die Zulassung zu 
allen Universitätsexamina, ausser dem theologischen. 



— 66 — 

Die Frauen studieren an den Universitäten mit den Männern 
zusammen und mit ganz gleichen Rechten. Sie hören die Vor- 
lesungen zusammen an, sezieren zusammen, arbeiten zusammen im 
Laboratorium für die medizinischen Studien; und in den Vereinen, 
welche innerhalb des Studentenkorps gebildet werden, hört man 
weibliche Studierende historische oder andere Vorträge halten und 
an den Diskussionen in gleicher Weise teilnehmen wie die männ- 
lichen. Sie werden auch zu Vertrauensämtern innerhalb der stu- 
dentischen Vereine gewählt, und alles deutet auf das beste Ver- 
hältnis, zwischen männlichen und weiblichen Studenten an unseren 
Universitäten hin. Die Lehrer stellen auch die besten Zeugnisse 
darüber aus. Man zählt gegenwärtig mehrere hundert Frauen, 
welche das „Studentexamen** abgelegt haben. Eine Frau hat den 
Grad eines Doktors der Philosophie erworben (Fräulein Ellen Fries), 
wozu an der Universität Upsala ein Studium von wenigstens fünf 
bis sechs Jahren nötig ist. Drei Frauen haben das med. licent. 
Examen abgelegt, welches sieben bis acht Studienjahre erfordert. 
Eine Frau hat das Juriskandidat-Examen abgelegt (Fräulein Elsa 
Eschelson). Sie kann Advokat werden, darf aber nicht das Richter- 
amt ausüben. 

Was den Schulunterricht anbetrifft, so sind die höheren Lehr- 
anstalten für Mädchen — bis auf eine Ausnahme — nicht staatlich, 
sondern privat und werden nur durch Staatszuschuss unterstützt. 
Die vom Staate errichteten und unterhaltenen höheren Lehranstalten 
aber sind nur Knaben zugänglich. Mehrere gemeinsame oder ge- 
mischte Schulen (für Knaben und Mädchen zusammen), welche aus 
privatem Antriebe hervorgegangen sind, haben sehr glückliche Er- 
folge aufzuweisen. Die gemeinsame Schule ist für Schweden keine 
eigentliche Neuheit, da das Qemeinsamkeitssystem überall in den 
Volksschulen angewandt wird. 

Die Mehrzahl der Lehrerinnen für höhere Töchterschulen sind an 
dem in Stockholm vom Staate errichteten höheren Lehrerinnen-Seminar 
ausgebildet worden; die Lehrerinnen für die Volksschulen werden 
an zu diesem Zwecke besonders errichteten Seminarien ausgebildet. 

Die Kunstakademie (seit 1866), das Musikkonservatorium (seit 
1856) und die meisten ünterrichtsanstalten sind den Frauen ge- 
öffnet; so auch das Gymnastische Centralinstitut in Stockholm (seit 
1864), welches „Gymnasten** d. h.: Turnlehrer und Heil- oder 
Krankengymnasten ausbildet. 33 % der Schüler sind dort Frauen. 

Die Frau in Schweden hat das Recht, in derselben Weise wie 
der Mann eine geschäftliche Thätigkeit auszuüben, und ein Teil der 
Arbeit bei den Behörden, auf der Post und dem Telegraphenwerke 
und in anderen Aemtern sind seit den sechziger Jahren für sie zu- 
gänglich. Viele Frauen haben sich der Krankenpflege gewidmet, 
welche Dank dem Interesse, welches Ihre Majestät die Königin 
Sophie derselben zuwandte, eine recht hohe Entwickelung erfahren 
hat, und nicht genug kann die umfassende Wirksamkeit der 
schwedischen Frau im Dienste der Philantropie gepriesen werden. 
Zahlreich finden wir die Frauen in Banken, Versicherungs-Gesell- 
schatten und Kontoren beschäftigt, so auch auf dem Telephonanite, 



— 66 — 

^vo die ganze Expedition in den Händen von Frauen liegt. Die 
schwedische Gesetzgebung ist für die Frauen gegenwärtig günstiger, 
als die mancher anderen Länder. 

Wir wollen hier nicht auf Einzelheiten eingehen, welche für 
die Mehrzahl Fremder schwer zu verstehen sind. Wir wollen uns 
darauf beschränken, einige allgemeine Thatsachen anzuführen. 

Innerhalb der letzten fünfzig Jahre hat die Frau das Recht 
erhalten, unter denselben Bedingungen wie der Mann zu erben, 
Zeuge zu sein und Vormundschaft auszuüben. 

Die Frau ist in demselben Alter mündig wie der' Mann, nämlich 
mit einundzwanzig Jahren. Witwen sind immer mündig gewesen. 
Verheiratete Frauen sind dagegen der Bevormundung ihres Mannes 
unterstellt. 

Diese Frage ist sehr eng mit der Frage betreffend das Recht 
des Ehemannes über den Besitz der Ehefrau verbunden, in welcher 
Sache in den letzten Jahren wenig erreicht wurde. Doch erhielt 
die Frau durch Gesetz vom Jahre 1874 Verfügungsrecht über ihren 
eigenen Arbeitsverdienst; und durch einen Ehe vertrag, welcher vor 
der Trauung eingegangen wird, kann die Frau sich das Recht zu- 
sichern, ihr Eigentum selbst zu verwalten. 

Die Frage betreffs der politischen Rechte der Frau ist seit 
mehreren Jahren in Schweden erörtert worden, aber bis jetzt hat 
man weniger Kraft darauf verwandt, der Frau diese neuen Rechte 
verschaffen zu helfen, als vielmehr darauf, Interesse und Kenntnis 
bezüglich der Rechte zu verbreiten, welche sie schon besitzt. Den 
schwedischen Frauen steht in politischer Hinsicht schon viel mehr zu 
Gebote, als den meisten anderen Frauen Europas. Sie haben, wenn 
sie mündig sind, das Recht, die Stadtverordneten zu wählen, und 
da die Stadtverordneten die Reichstagsabgeordneten der ersten 
Kammer wählen, so haben die Frauen indirekten Einfluss auf diese 
Wahlen. Die Frauen sind seit 1885 wählbar als Mitglieder der 
Aufsichtsbehörden über Schulen und Armenpflege. 

Zwei Vereine haben sich in Schweden die Verbesserang der 
Stellung der Frau zur Aufgabe gemacht, der „Verein zur 
Förderung des Eigentumsrechtes verheirateter Frauen" und der 
„Fredrika-Bremer- Verband". Der älteste, 1873 begründete, ist der 
„Verein zur Förderung des Eigentumsrechtes verheirateter Frauen". 
Zweck des Vereines ist, in erster Linie in solcher Weise für 
Aenderungen des schwedischen Reichs-Gesetzes zu arbeiten, dass 
der verheirateten Frau das Recht zuerkannt werde, über das 
Eigentum zu verfügen, welches sie vor oder nach dem Eintritt in 
die Ehe geerbt oder erworben hat. Sodann will der Verein auch 
solche gesetzliche, oder andere von öffentlichen Behörden abhängige 
Einrichtungen befördern, welche dazu beitragen können, die Stellung 
der Frau in der bürgerlichenlGesellschaft im allgemeinen zu verbessern." 

Der Verein hat durch Diskussionen in Versammlungen und 
durch Streitschriften für sein Ziel zu wirken gesucht, während gleich- 
zeitig Mitglieder aus der Direktion oder andere vom Verein beauf- 
tragte Personen Eingaben an den Reichstag bewerkstelligt haben. 
Der Verein hat auch eine Menge anderer Bewegungen kräftig unter- 
stützt, die man als zum Gebiet seiner Wirksamkeit gehörig be- 



— 67 - 

trachten konnte. Unter den Fragen, für welcha der Verein, ausser 
denen, welche unmittelbar zu seinem Programm gehörten, gewirkt 
hat, mögen genannt werden: 

Dass die Frauen mehr als bisher sich ihres kommunalen Stimm- 
rechtes bedienen; 
Bass die Frauen in den Aufsichtsrat für Schulen und Armenpflege 

gewählt werden mögen; 
Dass Knaben und Mädchen gemeinsamer Unterricht erteilt werde. 

Dieser Verein ist übrigens im vorigen Jahre in den Fredrika- 
Bremer-Bund eingetreten, der ein Komitee für Rechtsfragen ein- 
gesetzt hat, welches für dasselbe Ziel arbeitet, wie vorher der 
„Verein zur Förderung des Eigentumsrechtes verheirateter Frauen". 

Der Fredrika-Bremer-Bund wurde 1884 auf Veranlassung 
der vorher schon genannten Baronin Adlersparre gegründet, welche 
mit nie erlahmendem Interesse der Entwickelung der Frauenfrage in 
Schweden folgte und erkannte, dass diese Bewegung, falls sie be- 
stehen bleiben und sich als wirksam erweisen sollte, von einem 
Verein in die Hand genommen werden müsse. 

Der leitende Grundgedanke des Bundes ist, durch kräftiges Zu- 
sammenwirken erfahrener Frauen und Männer und in so weiten 
Kreisen unseres Landes wie möglich für eine gesunde und ruhige 
Entwickelung der Arbeit zu wirken, welche die Hebung der Frau 
in moralischer und intellektueller Beziehung sowohl wie in sozialer 
und ökonomischer Hinsicht erstrebt. Der Verein hat jetzt ungefähr 
1600 Mitglieder und seine Arbeit wird von sechzehn verschiedenen 
Direktionen und Komitees geleitet. Siebenundvierzig Bevollmächtigte 
suchen in den verschiedenen Teilen des Landes Kenntnis über die 
Wirksamkeit des Vereins zu verbreiten. 

Für seine wichtigste Sorge hat es der Bund von Anfang an 
gehalten, gebildeten Frauen, welche von ihrer eigenen Arbeit leben, 
in der Weise beizustehen, dass sie auch während Krankheitsfällen 
sich selber versorgen können, und hat darum eine Krankenkasse 
eingerichtet, welche mit grossem Erfolg gearbeitet hat. 

Einen anderen Schritt vorwärts that der Bund durch Ein- 
setzung eines Komitees zum Einsammeln von Geldern für Stipendien- 
fonds, welche nicht nur zur Austeilung von Studienstipendien vor- 
gesehen sind, sondern auch von Stipendien für Ausbildung auf ge- 
werblichem Gebiete. 

Stipendien für »Frauen sind in Schweden besonders gut am 
Platze, weil das Schulhonorar für die Mädchenschulen ziemlich hoch 
ist, und ausser den Volksschulen keine von Schulgeld befreiten 
Schulen bestehen. 

Kaum hat es bisher Stipendien für weibliche Studenten ge- 
geben. Die Mittel, welche bis jetzt zusammengeflossen sind, be- 
laufen sich auf ungefähr 200 000 Mark, und man hat schon an- 
gefangen, Stipendien sowohl für Studienzwecke wie für gewerbliche 
Ausbildung auszuteilen. 

Da die Erfahrung gelehrt hat, dass eine grosse Menge Ge- 
schichtenbücher für Kinder und die reifere Jugend durchaus nicht 
für diese geeignet sind, sondern oft mehr Schaden als Nutzen 

5* 



— 68 — 

t 

bringen, hat der Bund ein Komitee eingesetzt, das eine Auswahl 
solcher Bücher zu treffen beauftragt ist, welche den Eltern und 
Lehrern als gute und nützliche Lektüre für ihre Kinder und 
Schüler empfohlen werden können. 

Das Komitee, welchem es obliegt, die in Frage stehenden Bücher 
zu lesen, giebt Kataloge heraus und ordnet Ausstellungen derjenigen 
Bücher an, welche der Empfehlung wert gehalten werden. 

Bin Redaktionskomitee und eine Redaktrice besorgen die Heraus- 
gabe der Zeitschrift Dagny, einer Zeitschrift fiir soziale und 
litteräre Interessen. 

Diese Zeitschrift kann als Nachfolgerin der „Zeitschrift fürs 
fleim** angesehen werden, nach welcher sie unmittelbar erschien; 
sie sucht den Zielen, welche der Predrika-Bremer-Bund verfolgt, 
das Brdreich zu bereiten und ihnen vorzuarbeiten. 

Ausser den obengenannten Ausschüssen giebt es noch andere, 
wie das „Komitee für die Reform der Kleidung", das „Komitee für 
Selbststudien", das „Komitee für Einrichtung von Gartenbaukursen 
für Frauen" und das „Komitee für Krankenpflege". 

Da es notwendig war, für alle die verschiedenen Abteilungen 
des Bundes einen Versammlungspunkt zu besitzen, wurde schon in 
den ersten Tagen seines Bestehens ein Bureau errichtet. Diesem 
steht eine Vorsteherin vor. 

Es dient gleichzeitig als Vereinigungsband zwischen Publikum 
lind Verein. Unter den Aufgaben des Bureaus mögen genannt 
werden : 

a) Den Frauen in rechtlichen upd wirtschaftlichen Fragen mit 
Rat beizustehen, zu welchem Zwecke dem Bureau massgebende 
Berufspersonen zur Seite treten. 

b) Mitteilung zu machen über alle Schulen und andere Unterrichts- 
anstalten, sowohl private als öffentliche, welche den Frauen 
zugänglich sind, und so für die Möglichkeit einer guten Aus- 
bildung zu sorgen. 

c) Aufklärung in kommunalen Angelegenheiten zu geben, wie 
z. B. über die Rechte und Pflichten, welche mit dem kom- 
munalen Stimmrecht in Verbindung stehen, und über Wahlrecht 
und Wählbarkeit für Wahlen in den Aufsichtsrat über Schulen 
und Armenpflege u. a. m. 

d) Gebildeten Frauen, die danach verlangen, Arljeit und Stellen 
zu verschaffen, und den Frauen auch neue Bahnen auf dem 
Arbeitsmarkte zu eröffnen. 

e) Ein Verzeichniss über Krankenpflegerinnen aufzustellen, welche 
für Privat-Krankenpflege und für die allgemeinen Kranken- 
häuser geeignet sind. Die Krankenpflegerinnen müssen gut 
ausgebildet sein. 

f) Berichte über alle Fragen, welche weibliche Arbeit und weib- 
liche Interessen betreffen, zu sammeln und zu ordnen, und auf 
die Weise ein wertvolles Material zu schaffen, das einen klaren 
Einblick in die Wünsche der Frauen, die Mängel ihrer Er- 
ziehung und die Mittel zur Selbstversorgung gewährt. 

Der Fredrika-Bremer-Bund arbeitet mit ganz erheblichem Er- 



— 69 ~ 

folge, und immer mehr wächst das Vertrauen der weiteren Kreise 
und nehmen die Forderungen, welche man an ihn stellt, zu. 

Während des verflossenen Jahres verschied Baronin Adlersparre, 
die eifrige und warmherzige Vorkämpferin der Rechte der Frauen 
in Schweden. Mögen wir diesen kurzen Bericht über die Stellung 
der Frau in Schweden abschliessen mit den Worten, welche Sophie 
Adlersparre sprach, als der Fredrika-Bremer-Bund gegründet wurde: 

„Nunmehr ist es wohl eine ziemlich allgemein anerkannte That- 
sache, dass unter den neuen Mächten, welche in unserer modernen 
Gesellschaft auftreten, die Frau eine derselben ist. Man fängt an 
zu begreifen, dass keine der grossen bVagen, welche unsere Gene- 
ration bewegen, in Zukunft ohne sie gelöst werden kann — weder 
die Schulfrage, noch die Arbeiterfrage, weder die religiösen Fragen, 
noch die moralischen. Das ist es auch, was bewusst oder unbe- 
wusst aller Arbeit zum Besten der Hebung der Frauen zu Grunde 
liegt.« 



Eingesandte Vorträge: 

1) My Persian Gountrywomen, by Hannah Gevaigis Joseph, 

Dr. med., New-York. 

2) The Condition of Women in Sweden, by Rosalie von Olivecrona, 

Stockholm. 

8) Women's Progress in 1894, by Mrs. Warner Snoad, London, 
President of the Intern. Women's Union. 



IL 
Montag, den 21. September, Yormittag 10 Uhr/) 

Vorsitz: Frau Hanna Bieber-Böhm, Frau Eliza Ichenhäuser. 

Oruss an den Kongress von Frau Gräfin Viktorine Butiar-Haimhausenr 

verlesen von Fräulein Anita Augspurg, München. 

Hochverehrte Frauen! 

Eure Bitte, zu diesem Kongress zu erscheinen, hat ein ver- 
ständnisinnig freudiges Echo gefunden in dem Herzen der ältesten 
lebenden Vertreterin unserer deutschen Frauenbewegung, aber 
meinen 85 Jahren müsst Ihr es verzeihen, dass ich nicht persönlich, 
sondern nur schriftlich in Eure Mitte trete. Seit 1854 bin ich — 
wenn auch . nur im engen Kreise meioer bayrischen Heimat — 
handelnd eingetreten für die Ueberzeugungen, die ich seit 1829, dem 
Jahre meiner Verheirathung, beobachtend und lernend gewonnen 
habe. — Mein eigenes Auge überblickt nur vier Generationen, — 
aber an der Hand der Geschichte, der Sittengeschichte, gehe ich 
zurück bis in vieltausendjahte alte Zeiten. Und je mehr ich ein- 
dringe in die Geschichte der Menschheit und in meine eigenen Er- 
innerungen, je mehr ich den Blick richte auf die beiden Geschlechter 
und ihre Stellungen zu einander, desto tiefer empört stehe ich vor 
den Bildern, die an mir vorüberziehen. 

Ein wenig besser, ein wenig minder grausam soll die Lage der 
Frau ja heute sein. 

Ein wenig besser? am Ende des 19. Jahrhunderts, das so 
stolz ist auf seine wunderbaren Fortschritte auf allen anderen 
Gebieten?! 

Es ist, als stünde ein furchtbarer Rachegeist, ein seit Urzeiten 
wachsender Groll zwischen beiden Menschheitshälften. Unbewusst war 
dieser Hass, diese unedle Sucht des Stärkeren, die Schwächere 
zu unterdrücken und sie all ihrer natürlichen Rechte zu berauben, 
ja immer da — aber erst unserer Zeit ist es vorbehalten, dass diese 
Schwächere sich des Unrechtes bewusst wird, das man ihr anthut, 
und dass sie anfängt, sich dagegen aufzulehnen. 

Es ist zwar weder edel noch klug, aber doch natürlich, dass 
der Stärkere, also der Mann, mit allen ihm zu Gebote stehenden 



*; Redigiert y. Rosalie Schoenflies. 



— 71 — 

Mitteln, mit Gewalt und List, mit offenem Hohn und verstecktem 
Spott diese Auflehnungsversucbe seiner — wie er meint — unter- 
gebenen Lebensgefährtin zu ersticken strebt. Aber so viel man auch 
Asche auf das Feuer wirft, es erlischt nicht, und wo die Flamme 
der BegeisteroDg für das vorenthaltene Recht nicht emporschlagen 
kann, da erfüllt der beissende Rauch der Unzufriedenheit die Luft. 
Die aus der Erkenntniss der Ungerechtigkeit geborene Unzufriedenheit 
kann nichts mehr aus der Welt schaffen, und keine noch so sciiein- 
bar wohlwollende Versicherung der Gesetzgeber — es geschehe alles 
nur zum Besten der schutzbedürftigen Frauen — vermag diese mehr 
zu täuschen. 

Es wäre gut, wenn maQ in beiden, leider muss ich sagen „feind- 
lichen" Heerlagern sich des weisen Moltke's Ausspruch zu Herzen 
nehmen wollte: „Es ist endlich Zeit, gegen die Methode der Ueber- 
tünchung Front zu machen. Die Wahrheit zu erkennen liegt uns 
ob, sie sei angenehm oder peinlich. Nur an sie können wahre Fort- 
schritte anknüpfen." Aber wie verstehen die Männer den Fortschritt 
in der Ausgestaltung des Loses der Frauen? 

Alle Proteste der grossen verbündeten Frauenvereine gegen das 
neue Familienrecht, alle, auch die bescheidensten Forderungen der 
Führerinnen wurden überhört, und wo das nicht möglich war, mit 
ironischem Lächeln als „zu unbescheiden" abgethan. Der weitaus 
grösste Teil des deutschen Volkes (d. h. des deutschen Männervolkes) 
hat sich in diesen Tagen als Feinde der Gerechtigkeit und der 
Freiheit gezeigt. Das müssen wir Frauen einsehen und an dieser 
bitteren Wahrheit ändert auch das kleine Fähnlein der zweifelhaften 
und das noch kleinere der unzweifelhaften Freunde unserer 
Sache nichts. 

Das neue Gesetz ist zur Ehre (?) und zum Ruhme (?) unseres 
Vaterlandes unter Dach gebracht, und wir deutschen Frauen, wir 
Mütter, Schwestern, Gattinnen und Töchter stehen mit Thränen in 
den Augen vor der zugeschlagenen Thür des Reichstagsgebäudes 
— dieses Hauses, in dem wir weder Sitz noch Stimme haben, und 
in dem doch über unsere K öpfe hinweg über unser Wohl und Wehe 
entschieden wird. 

Mit Thränen in den Augen stehen wir da, und die ganze 
Bitterkeit unserer Rechtlosigkeit kommt uns zum Bewusstsein, denn 
„das ist kein Recht, was anzunehmen eine Klasse die andere, ein 
Geschlecht das andere zwingt." 

Deutsche Frauen! Ihr habt einen Schlag ins Gesicht erhalten!! 

Habt Ihr Selbstbewusstsein genug um diesen Schlag — ich 
will nicht sagen — zurückzugeben — habt Ihr nur so viel Stola 
und Ehrgefühl, nicht mehr in dumpfer Ergebung die Hand zu 
küssen, die Euch schlug? — Ich alte Frau, deren Tage gezählt 
sind, ich Greisin, die auf ein langes Leben der Rechtlosigkeit und 
der nicht immer freiwilligen Selbstentäusserung zurückblicke, ich 
rufe Euch ermutigend und warnend zu: „Helft Euch selber, sc- 
hüft Euch Gott! Wenn Ihr Euch aber nicht selbst helft, wenn Ihr 
die rechte Erkenntnis dessen, was Euch noth thut, nicht gewinnen 
könnt, so wird Euch auch Gott nicht helfen, und noch viel weniger 
Euer Beschützer, der Mann!" 



— 72 — 

Aber wie soll es jetzt noch möglich sein, dass wir uns helfen, 
jetzt, wo alles vorüber, wo das Gesetz für das 20ste Jahrhundert 
geschrieben, und vom ganzen Volke angenommen ist? fragt Ihr 
zweifelnd und ängstlich. Meine Lieben, als Athen einmal in einer 
sehr bedrängten Lage war, eröffnete Demosthenes eine seiner be- 
rühmten Reden mit folgenden Worten: „Zum Verzagen ist es nicht, 
Ihr Athener, obwohl es sehr schlimm zu stehen scheint, denn was 
das Schlimmste ist in Ansicht der Vergangenheit, das ist in Hinsicht 
der Zukunft das Beste. Hättet Ihr nämlich bisher Eure Pflicht 
gethan, und es stünde dessenungeachtet schlecht, dann wäre aller- 
dings keine Hoffnung auf Besserung vorhanden, jetzt aber steht es 
schlecht, weil Ihr nicht gethan habt, was Ihr schuldig seid." 

Hiermit rief jener griechische Redner seine Volksgenossen zu 
hoffhungsfreudigem Wirken auf, die Notlage des Staates und der 
Gesellschaft zu überwinden, und auch ich kann Euch heute in 
unserer Notlage nichts anderes zurufen. 

Hättet Ihr die rechte Einsicht in Eure Pflichten als Erzieherinnen 
Eurer Töchter und Söhne, vielleicht auch Eurer Gatten gehabt, so 
würden nicht die meisten Frauen und Mädchen aller Alters- und 
G^ellschaftsklassen heute noch ganz apathisch und verständnislos, 
ja gehässig und spöttisch ablehnend der grossen freiheitlichen Be- 
wegung unseres Geschlechts gegenüberstehen. Hättet Ihr Eure 
Pflicht gethan, so würde die Mehrzahl der Männer — also Eure 
Gatten, Brüder und die Söhne — Euch gegenüber nicht dem Grund- 
satz huldigen: „Gewalt geht vor Recht". 

Nein, Ihr habt durchaus nicht gethan, was Ihr schuldig seid, 
und deshalb trifft Euch der Schlag ins Gesicht, von dem ich vorhin 
sprach, nicht unverdient. 

Wie sollen die Männer Achtung vor Euch haben, wenn Ihr 
Euch selbst nicht achtet? Wie sollen sie im Ausbau des Familien- 
rechtes die Wünsche und Forderungen einer „Bewegung" berück- 
aichtigen, von der die grosse Mehrzahl der Frauen von selbst sich zurück 
hält, — zurückhält aus Unverstand und kurzsichtigem Egoismus. 

Das ist doch wahrlich zu viel verlangt von dem im Besitz 
seiner Vorrechte geborenen und alt gewordenen anderen Geschlecht. 

Nun, meine Lieben, ich wiederhole es: der Schlag traf Euch 
nicht unverdient, aber — zum Verzagen ist es nicht, vorausgesetzt, 
dass diese böse Erfahrung Euch lehrt und treibt — jetzt Eure 
Schuldigkeit zu thun! 

Wacht endlich auf aus Eurer hochmütigen gedankenlosen 
Selbstzufriedenheit, die Ihr für vornehme „Weiblichkeit" haltet, die 
aber in Wahrheit nichts ist, als der Ausdruck pflichtvergessener 
Selbstsucht. Wachet auf und bedenkt, was Ihr Euren Kindern, 
der Menschheit, den nach Euch Kommenden schuldig seid. Ziehet 
ein neues Geschlecht von Männern auf, das seine Mütter und seine 
Töchter achtet, und das seine Frauen nicht für Untergebene, sondern 
für Seinesgleichen erkennt. Bildet erst Euch selbst, und dann die 
neuen Frauen, das Weib der Zukunft — das sich selber achtet und 
entschlossen ist, zu erreichen — was Ihr in Eurer Schwäche und 
Verblendung zu erreichen eben jetzt verfehlt habt. 

Wenn Ihr auf diese Weise an Euch selbst, an Eurer eigenen 



— 73 — 

Generation aufklärend arbeitet, wenn Ihr trachtet, Eure Kinder 
höherer Erkenntnis entgegenzuführen, dann kann Euch und den 
Euren der Sieg nicht fehlen, und die Tage de^ „neuen deutschen 
Pamilienrechts" werden sehr bald gezählt sein. 

Und Ihr Hoffnungslosen, Ihr Mühseligen und Beladenen, Ihr 
Zerbrochenen und mit Schmach und Schande Behafteten — richtet 
Eure Augen auf, fasst wieder Mut! Es gibt auch für Euch eine 
Hoffnung, ein Ziel, nach dem Ihr streben dürft! 

Ergreift die rettenden Hände, die sich Euch entgegenstrecken, 
hört, was die Führerinnen Euch sagen ! lernt von ihnen ! folgt ihnen ! 

Vereinigt Euch, Ihr Frauen Deutschlands, und steht gemeinsam 
auf für Euer Recht, für das Recht der Mütter an ihren ehelichen 
Kindern, für das Recht der ausserehelichen Kinder an ihren natür- 
lichen Vätern, und für das Recht der „ledigen Mütter'' an diesen 
ihren armen Kindern! Lasst nicht nach, die Güter-Trennung in der Ehe 
und die freie Verfügung über Euren Besitz und Erwerb zu verlangen ! 

Begreift es endlich, dass die Machtlosigkeit über Eure Kinder, 
und die Machtlosigkeit über Euer Vermögen die Ketten sind, die 
Bure Hände fesseln und Euren Willen brechen. 

Ihr Satten, werft Eure Zufriedenheit, Ihr Hungernden, werft 
Eure dumpfe Hoffnungslosigkeit über Bord. Das sind die Gewichte, 
die Euch und Eure Kinder in den Grund ziehen. Werdet unzufrieden 
mit Euch selbst und mit dem Bestehenden ! Fasset Mut und arbeitet 
an der Vorbereitung des Kommenden! Die Unzufriedenheit ist die 
Mutter alles Fortschrittes. 

Ein schöner Anfang ist schon gemacht, Dank der ünermüd- 
lichkeit der von Euch so oft im Stich gelassenen unerschrockenen 
Führerinnen. Hunderttausend Stimmen haben gegen das neue 
Pamilienrecht protestiert! Aber was bedeuten hunderttausend 
Stimmen gegeu die weit über vierzig Millionen Einwohner des 
deutschen Reiches? 

Sehet, was für eine Riesenarbeit noch vor Euch liegt. Ihr 
müsst nicht nur Euch selbst — Ihr müsst sie alle — alle über- 
zeugen von der Gerechtigkeit Eurer Forderungen, Ihr müsst sie 
alle gewinnen für die Einsicht von der Gleichberechtigung und 
Gleichwertigkeit von Mann und Weib. 

Strebet vor allem nach geistiger Aufklärung und nach rechtlich- 
bürgerlicher Selbständigkeit. Das sind die Füsse, die Euch in das 
Land der Freiheit tragen werden. 

Meine alten Augen sehen seinen Strand von Feme leuchten. 



Die internationale Bedeutung Friedrich Fröbels 
für Familien- und Yolkserziehung. 

Von Frau Dr. Henriette Goldschmidt Leipzig. 
Hochansehnliche Versammlung ! 
Teure Schwestern und Gesinnungsgenossen! 

Mit einem Gefühl ganz besonderer Befriedigung, mit inniger 
Freude erfüllt es mich, dass es mir vergönnt ist, vor dieser Ver- 



— 74 — 

Sammlung von Frauen der verschiedensten Kulturländer, von dem 
Manne zu sprechen, der, wie kaum ein Anderer, uns den Weg ge- 
zeichnet hat, den wir zu gehen haben ^s Frauen, den wir zu be- 
schreiten haben als Measchen. 

Friedrich Fröbel gehört in die Reihe der grossen, humanen 
Denker und Dichter unseres Volkes, deren Geist und Herz sich 
nicht beengen Hess von den Schranken der Nationalität. Einem 
Lessing, einem Schiller dünkte es zu gering und dürftig, nur für 
eine Nation zu dichten und zu denken, ein Göthe sprach es während 
der Kriege zwischen Frankreich und Deutschland aus: „Ich 
bin nicht imstande eine Nation zu hassen, der ich einen Teil 
meiner Bildung verdanke". Der grösste Denker Deutschlands, 
Immanuel Kant, träumte von einem „ewigen Frieden". — Wohl 
darf es uns mit Freude und Dankbarkeit erfüllen, dass diese 
humanen, kosmopolitischen Denker deutsche Männer waren — und 
Gesinnungsgenossen jener grossen Geister Frankreichs und Englands, 
die dem vorigien Jahrhundert ihr Gepräge gegeben. 

Wir können uns aber auch nicht der Wahnehmuag ver- 
schliessen, dass der unerbittliche und wohl notwendige Gang der 
Völkergeschichte uns in der Gegenwart ein anderes Bild zeigt. 
Mehr als je stehen die Völker in Waffen einander gegenüber — 
ein jedes pocht auf seine besonderen Vorzüge und auf seine Be- 
rechtigung eine bevorzugte Stellung einzunehmen. Zu diesem un- 
erquicklichen Chauvinismus gesellt sich die Erbitterung und die 
Entzweiung der Bekenner der verschiedenen Eeligionen, ja der ver- 
schiedenen Kirchen innerhalb einer Religion. 

Wie freudig müssen wii* es daher begrüssen, dass diesem Zeit- 
geiste gegenüber Bestrebungen vorhanden sind, die auf eine bessere 
Zukunft hinarbeiten, die mitten in di«» streitenden Parteien das Wort 
„Frieden" rufen, die das Religere, die Vereinigung herbeiführen 
wollen. Alle internationalen Versammlungen sind Zeichen einer neu 
sich bahnbrechenden Zeit — und schon in diesem Sinne müssen wir 
es den Berliner Frauen Dank wissen, dass sie diese internationale 
Versammlung berufen haben — müssen es aber auch all den Frauen 
danken, von ganzem Herzen danken, dass sie dem Rufe gefolgt sind. 

Wo aber giebt es ein Gebiet, das mehr den Charakter des all- 
gemein Menschlichen trüge, als das Gebiet der Erziehung? Und 
welches Alter entspricht mehr und anschaulicher dem allgemein 
Menschlichen, dem über die Vorteile und die Zwietracht der Nationen 
Erhabenen als das Kindesalter? Tiefer als es vor ihm geschehen, hat 
unser Friedrich Fröbel es erkannt, dass das Kindesalter frei ist und 
so lange als möglich frei bleiben soll von all dem Trennenden, Zwie- 
spältigen, von demjenigen, was die Menschen von einander unter- 
scheidet und scheidet 

In seinen Mutter- und Koseliedem hebst es: „Stört das Kindlein 
nicht in seinem süssen Traume, sich mit Allen Eins zu fühlen in 
dem Weltenraume" — und im Zusammenhange damit will er, dass 
das Kind zunächst betrachtet und erzogen werde als ein Kind der 
Natur, als ein Kind der Menschheit und als ein Kind Gottes. 
Natur, Menschheit, Gott: in diese heilige Dreieinigkeit ist jeder 
Mensch hineingeboren und in dieser soll er so festwurzeln, dass die 



— 76 — 

späteren, die unaosbleiblichen und notwendigen Unterschiede keinen 
Zwiespalt, keine Zerklüftung hervorzubringen vermögen. 

In Einheit mit der Natur-, Menschen- und Gotteswelt soll das 
Kind erzogen werden, weil dies seinem inneren Wesen und den 
Bedingungen einer naturgeroässen Ent Wickelung entspricht. Das 
Kind ist nicht nur ein Objekt der Erziehung, dem wir mit unserem 
Wissen und Können zu Hilfe kommen sollen — das Kind ist ein 
Subjekt, eine Persönlichkeit, dessen urprüngliche Natur, dessen 
einheitliches Wesen uns zurückführen soll in das oft in den 
Widersprüchen des Lebens verloren gegangene Ideal der Har- 
monie des Daseins. Das Kind hat keinen Rang, keinen 
Stand, keine Besonderheiten der Nationalität und der Religion — es 
kennt keine Menschenmäkelei — und soll uns in Gottes erste 
Schöpfung, wie sie Pestalozzi nennt, zurückfuhren. 

Fröbels tiefsinnige, herrliche Auffassung vom Wesen des Kindes 
finden wir in Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung des 
Menschengeschlechts: „Das Kind" heisst es dort, „ist uns die Ver- 
körperung des uns verloren gegangenen Ideals; es ist der Anblick 
seiner reinen ungebrochenen Kraft, die uns rührt". • 

Mögen kluge Leute darüber lächeln, ihren Witz daran üben, 
dass Fröbel nicht müde wird, den Gedanken der Einheit zu betonen, 
dass er nicht müde wurde eine Form zu suchen, die dem Prinzipe 
der Einheit — des Einheitlichen entspricht — dem tiefer Denkenden 
erschliesst sich dadurch eine ganze Gedankenwelt. Wenn wir er- 
kennen, dass in dem uns unbewussten Gefühl der Einheit mit dem 
unser Dasein beginnt, zugleich das Ideal gegeben, dem wir zu- 
streben sollen: dann erkennen wir, was Friedrich Fröbel gewollt — 
was er von uns verlangt hat. 

Der Einheitsgedanke ist ihm keine philosophische, abstrakte 
Theorie, er ist ihm nicht nur das Ergebnis eines Gedankenpro- 
zesses, der Einheitsgedanke hatte, wie alles Triebkräftige in seinem 
reichen Gemütsleben seine Wurzeln — als Humanität, als „Liebe" 
hatte er sich ihm geoffenbart. 

Die Liebe zur Kinder weit — die Menschenliebe war die 2ientral- 
sonne, welche die abstrakten Gedanken, die oft in schwieriger, oft 
in schematischer Weise dargestellten Ideen durchleuchtete. 

Er sieht den Einheitsgedanken verkörpert in der Natur, alles 
ist aus Einem hervorgegangen; der Einheitsgedanke bestimmt seine 
religiöse Anschauung: „Von allen Punkten geht ein Weg zu Gott, 
halte nur den Punkt fest und unverlierbar." Die Menschheit ist 
ihm eine Einheit: „In der Ent Wickelung des einzelnen Menschen 
spricht sich der Entwickelungsgang der Menschheit aus, so dass die 
gesamte Menschheit als ein Mensch aufgefasst werden kanu.^^ 

Und wie er eine Urform suchte und fand, um aus ihr sein 
System: das Spiel- und Beschäftigungsganze zu entwickeln, wie er 
diese Form, die, wie keine andere ihm das Einheitliche in der Viel- 
heit der uns umgebenden Formenwelt repräsentiert, wie er die runde 
Form des Balles, der Kugel als Ausgangspunkt für die An- 
schauungen des Kindes verlangt, als Vermittlung, um es in die 
vielgestaltige Welt der Naturformen einzuführen, so suchte er — 
nein! .hier suchte er nicht, hier fand er ohne zu suchen und 



— 76 — 

zu gröbein, dass das einheitlichste Verhältnis zwischen Mensch 
und Mensch in dem Verhältnis des Kindes zu seiner Mutter vor- 
handen ist. 

Wie und wo wir uns umsehen in unserer vielgestaltigen Menschen- 
welt, wie mannigfach die Beziehungen uns entgegentreten im späteren 
Leben, wie schon innerhalb der Familie der Vater, die Geschwister, 
Verwandte und Freunde die Liebe des Kindes mit der Mutter 
teilen, der Ausgangspunkt für diese reiche Empfindungswelt ist 
doch die Liebe der Mutter zu dem Kinde: durch sie ist der Keim 
für die Entfaltung des Gemütslebens gegeben. 

Schon Fröbels grosser Vorgänger Pestalozzi schildert in wahr- 
haft dichterischer Weise, wie alle unsere Beziehungen zu Gott und 
Menschheit in dem Verhältnis des Kindes zu seiner Mutter wurzeln : 
er zeigt, wie die Empfindungen der Dankbarkeit, der Liebe, des 
Vertrauens schon bei der Befriedigung der siünlichen Bedürfnisse 
durch die Mütter entstehen. Ungleich tiefer fasst Fröbel das Ver- 
hältnis auf: „Die seelischen Bedürfnisse, wie sie sich im Spiel- 
trieb des Kindes zeigen, sollen und müssen von der Mutter beachtet 
und befriedigt -werden. Jede körperliche Aeusserung dient zur 
Entwickelung der Glieder, der Sinne, des Gemüts- und Geisteslebens." 

„Wenn die , Spiellust im Kinde sich regt, wenn es zur Lust 
Arme und Beine bewegt — so ist uns dies zur Weisung gegeben, 
schon früh im Kinde, gewandt, gelinde, durch Aeusseres zu pflegen 
sein inneres Leben — durch Scherze und Spiel und sinniges Necken, 
Gefühl, Empfindung und Ahnen zu wecken." Gewiss: es ist eine 
uns mit Andacht erfüllende Wahrnehmung, dass ein Mann, der 
mutterlos und kinderlos gelebt, die höchste Auffassung von dem Ver- 
hältnisse zwischen Mutter und Kind gehabt hat. 

Wenn wir es ganz würdigen wollen, welche Anschauung er 
von unserm, dem weiblichen Geschlecht hatte, von unserer Mission 
für die PJrziehangsaufgabe, dann müssen wir uns vergegenwärtigen, 
dass er, lange ehe von einer Emanzipation der Frau, von dem Rechte 
auf ihre Selbständigkeit die Rede war, folgenden Ausspruch that: 

„Es ist das Charakteristische der Zeit, das weibliche Geschlecht 
seiner nur instinktiven, passiven Bedeutung zu entheben und es von 
Seiten seines Wesens und seiner Menschheit pflegenden Bestimmung 
zu ganz gleicher Höhe wie das männliche zu erheben." 

In diesen Worten ist ausgesprochen, dass der „Erziehungsberuf" 
der Mutter nicht länger dem instinktiven Gefühl, dem instinktiven 
Thun überlassen bleiben solle, sondern ebenso wie der Beruf des 
Mannes eine wissenschaftliche Erkenntnis verlangt. Wir, die wir 
in der Arbeit an dem Fröbelschen Erziehungswerk stehen, wir wissen, 
dass seine Erziehungslehre, sein Erziehungssystem und seine Er- 
ziehungsmethode zu kennen und auszuüben ein Studium bedeutet, 
das keinem Studium eines Mannes nachzustehen brauchte. Heutzu- 
tage, wo die Frage nach der Berechtigung der Frauen zum Studium 
so gut wie beantwortet ist, dürften selbst Gegner desselben die 
grosse Bedeutung anerkennen, die in der Forderung Fröbels liegt, 
„das Weib von seinem Wesen aus und um seiner Menschheit pflegen- 
den Bestimmung willen zu gleicher Höhe wie das männliche Ge- 
schlecht zu erheben." 



— 77 — 

Ich kann hente und hier nur andeuten, dass eine wahrhafte 
Befreiung des Menschen nur darin liegt, dass die ursprünglichen 
Kräfte, die Eigenart seines Wesens frei wird, — nur wenn ich das 
mir eigentümlich Verliehene zur Entfaltung bringen darf — dann 
bin ich in meiner Persönlichkeit frei geworden. 

Friedrich Fröbel will, dass wir von unserem Wesen aus, von 
dem Keim- und Herzpunkte unseres Seins dem Ziele der Vervoll- 
kommnung zustreben. Ja, dass es ihm Ernst damit war, erfahren 
wir aus einem andern, sehr beachtenswerten Ausspruche. Er sagt: 
„I)ie heutige Art der Erziehung des Kindesalters und demgemäss 
des weiblichen Geschlechts entspricht nicht der hohen Stufe, zu der 
unsere Kultur im Allgemeinen gelangt ist, und das Zurückbleiben 
eines Teiles ist um so verderblicher für die Gesamtheit, je höher 
die erreichte Stufe der Kultur ist.^ 

Fragen wir uns, worauf zielen alle Bestrebungen der Frauen 
seit 3 Jahrzehnten hin, als darauf, uns, die Zurückgebliebenen, ein- 
zufahren in unsere, in die wirkliche Kulturwelt? Das Programm, 
das die erste öffentliche Konferenz deutscher Frauen im Jahre 1865 
in Leipzig aufgestellt, lautet: „Die Arbeit, welche die Grundlage 
unserer modernen Kultur bildet, ist die Pflicht und die Ehre des 
■weiblichen Geschlechts.'' Was bedeutet dies anderes, als das Ver- 
langen einzutreten in unsere Kulturwelt? Der Kulturstandpunkt 
eines Volkes zeigt sich in der von ihm geleisteten Arbeit. Das Volk 
und der Einzelne erhebt sich in der Arbeit aus seinem instinktiven, 
passiven Sein. Eine Bedeutung als Kulturvolk, als Volkspersönlich- 
keit gewinnt es nur, wenn es seine, ihm eigentümliche schöpferische 
Kraft bewährt; so lange es sich nur nachahmend verhält, hat es 
keine Bedeutung. 

In diesem Sinne haben wir in Friedrich Fröbel den eigentlichen 
Befreier unseres Geschlechtes zu begrüssen:'Er zeigt uns den Weg 
eigenartiger Entwickelung für unsere eigenartige Befähigung. 

Wie wenig die Fröbelschen Bildungsanstalten „die Seminare 
für Kindergärtnerinnen" ihrer hohen Bedeutung entsprechen — ein 
„Neues" liegt doch in ihnen» Während alle bisherigen Bildungs- 
anstalten für die weibliche Jugend nur Nachahmungen, oft schwäch- 
liche Kopieen der männlichen Lehranstalten sind, sehen wir in den 
Seminaren für Kindergärtnerinnen eigenartige Schöpfungen, dazu 
bestimmt, „das weibliche Geschlecht von seinem Wesen aus und um 
seiner Menschheit pflegenden Bestimmung willen, zu gleicher Höhe, 
wie das männliche zu erheben. 

Und auch hier, wie bei der Erziehung des Kindes, ist seine 
Lehre allgemeingiltig, eignet sie sich für die Frauen aller Völker, 
ist sie kosmopolitisch, international. 

Trotz der Yerschi(;denheit, die eine Bedingung jeder höheren 
Kultur ist — trotz der Difl^erenzierung, die unser vielgestaltiges 
Staats- und Wirtschaftsleben erfordert und die selbstverständlich auch 
in der Frauenwelt vorhanden, giebt es für uns, für das weibliche 
Geschlecht aller Völker, aller Stände ein Gemeinschaftliches nicht 
nur als Menschen, sondern als Frauen; zwischen der Frau des Ar- 
beiters und der Frau auf dem Throne giebt es ein Gemeinsames, 
das in dem Worte „Mutter" vorhanden: kein Mann fühlt sich dem 



— 78 — 

andern als „Vater" in gleichem Sinne, ich möchte lieber sagen, in 
dem gleichen Herzschlag verbunden. 

Die Frau innerhalb der Familie als „Mutter", als Erzieherin 
ihrer Kinder ist den Naturbediiigungen unseres Daseins, ist Gottes 
„erster Schöpfung" treu geblieben, so verschieden die Bildungsphäre 
auch ist, in der die Einzelne sich bewegt. Die Kluft zwischen dem 
erziehlichen Berufe der Mutter in den höheren und niederen Ständen 
ist nicht so gross, wie die Kluft zwischen dem Berufe des Staats- 
mannes, des G-elehrten, des Künstlers und dem Berufe des Hand- 
arbeiters. 

Aber der mütterlich -erziehliche Beruf beschränkt sich nicht 
auf die eigene Familie. Ich kann hier wiederum die Auffassung 
Pröbels in Rücksicht auf den „Erziehungsberuf der Frau" mit seinen 
eigenen Worten bestätigen. Er sagt: „Vor allem muss der Mutter 
und dem ganzen weiblichen Geschlechte das, von höherem Lebens- 
triebe bestimmte, menschlich erziehliche Handeln zu klarem Be- 
wusstsein erhoben werden." 

Ja! auch das Muttergefühl ist in dem Menschen seelischer Natur 
— die Empfindungen, die jede weibliche Kreatur für ihre eigene 
Brut hat und nur so lange hat, als diese zu der leiblichen Existenz 
ihrer Jungen nötig ist, diese Empfindungen sind es nicht, auf die 
die Frau als „Mutter" des Menschen, als Trägerin des Geschlechtes 
der Zukunft beschränkt ist. Als Ausgangspunkt für die Vergeisti- 
gung der mütterlichen Empfindungen müssen wir sie betrachten. 
Das ist wahrlich . keine Utopie, keine blasse Theorie. Wer von uns 
hat die Erfahrung nicht in sich und um sich gemacht, dass man 
Kinder, die man nicht geboren hat, mütterlich lieben kann — wer 
hat es nicht den Lehrerinnen, den Erzieherinnen nachgefühlt, dass 
es in ihrem oft so dornenvollen Leben das Schwerste und sie am 
Tiefsten verwundende war, wenn sie die Kinder doch als Fremde 
verlassen mussten, die sie auch mit ihrem Herzblut erzogen? 

'Und wie die Lehrerin und die Erzieherin im Hause 2eigt uns 
jede echte Kindergärtnerin, welch' einen Schatz von Lieb und Treue 
für die Kinderwelt ein Frauenherz hegen kann, und was für den 
Menschen die Vergeistigung der natürlichen Instinkte bedeutet. 
Frage man doch die Mütter, die oft die Geduld mit ihren eigenen 
Kündern verlieren, deren Zahl sich meist auf 3—6 beschränkt, was 
dazu gehört, einer Schar von 30, oft bis 50 und 60 Kindern 
mütterliche Geduld und Liebe zu beweisen? Dieser kurze, prak- 
tische Hinweis genügt wohl, um zu zeigen, was unsere nächste und 
wichtigste Aufgabe im Dienste des Fröbelschen Erziehungswerkes 
ist: Unsere weibliche Jugend zu ihrem mütterlich erziehlichen Be- 
rufe vorzubereiten, für ihre Mission innerhalb der Familie, der Volks- 
familie, innerhalb der Menschheit. 

Auch hier ist diese Forderung durch Thatsachen bereits auf 
dem Wege erfüllt zu werden: Gemäss dem grossen Gedanken ihres 
Schöpfers ist die Fröbelsche Erziehungslehre auch zunächst von einer 
„Frau" erfasst worden. Die Meisten von Ihnen wissen es und alle 
Frauen müssten es wissen, dass ich niemand anders als die Frau 
von Marenholtz-Bülow meinen kann, sie, die es aussprach: „Die 
Frau soll aus ihrem Erziehungsberuf ein Priesteramt machen". „Das 



— 79 — 

Geschick eines Volkes liegt weit mehr in den Händen der Frauen^ 
der Mütter, als in den Händen der Machthaber*^. 

Gewiss war Fr. v. Marenholtz die erste Frau, die einen Verein 
für Familien- und Volkserziehung gründete. Es widerstrebte ihr mit 
Recht dem Verein die Signatur: „für Kindergärten und Seminare 
für Kindergärtnerinnen'* zu geben — obgleich diese Anstalten die 
notwendigen Grundsteine des Fröbelschen Erziehungswerkes bilden 
und stets bilden werden. Aber sie fühlte, dass die Wichtigkeit, die 
Bedeutung selbst dieser Anstalten in dem vorhanden ist, was sie für 
die „Familien", für das „Volk" leisten und sie wusste, dass sie 
nur den Keim tragen, nicht etwa den ganzen früchtereichen Baum. 

Treten wir den Anstalten näher, so werden wirr unschwer die 
innige Verbindung erkennen, in der sie als Erziehungsstätten für 
die Familie stehen. In bedeutsamerer Weise als die Volksschule 
wirkt der Volkskindergarten zurück auf die Familien. Pünktlichkeit, 
Sauberkeit, Ordnung, der Sinn für das Schöne, Edle wird durch 
die Kleinen unbewusst in die Familie übertragen. Die Liedchen aus 
dem Kindergarten verdrängen die rohen Gassenhauer, die das Kind 
sonst hört. Die zierlichen Arbeiten der Kleinen schmücken das be- 
scheidene Heim des Hauses und lenken auch den Sinn der Mutter 
auf das Formschöne, das so billig sich herstellen lässt. Der Volks- 
kindergarten, der an Stelle der Bewahranstalten tritt, wirkt weiter 
auf die Kinderhorte, die neben den Schularbeiten die Bewegungs- 
spiele, die Handfertigkeitsübungen als notwendige Ergänzung haben. 

Der Volkskindergarten ist aber auch die Quelle der Er- 
frischung und Belebung für die Kinder vermögender Familien, er 
ist die Voraussetzung, die unumgänglich notwendige Voraussetzung 
des Seminars. Die Kindergärtnerin für die Familie hat die schwierige 
aber lohnende Aufgabe, die Kinder reicher Familien vor einem 
Krebsschaden zu bewahren, der hier schlimmeren Schaden anrichtet, 
als es die Armut vermag. Ich meine den Krebsschaden „Lange- 
weile". Welch ein Tummelplatz für die Launen, die Einfälle, den 
Trotz, den Eigensinn, die Ueberhebung ist hier vorhanden. „Das 
giebt sich", sagen schwache Eltern — „nein, das entwickelt sich", 
sagt Frau Ebner- Eschenbach. 

In welch' anderer und umfassenderer Weise könnte der Volks- 
kindergarten wirken, wenn die Frauen, wenn die Töchter wohl- 
habender Familien ihm ihre Aufmerksamkeit schenkten — welche 
Gelegenheit ist hier geboten, dem Klassenhass nach oben und unten 
entgegenzuwirken ? 

Es gereicht mir zu grosser Befriedigung, dass der Gedanke, 
den ich vor mehr als 25 Jahren ausgesprochen und der mir vor- 
schwebte, als ich in Leipzig im Jahre 1871 den „Verein für Familien- 
und Volkserziehung" gründete, dass dieser Gedanke seit einigen 
Jahren hier in der Reichshauptstadt feste Gestalt gewonnen: „Jedes 
Mädchen müsse, wie der junge Mann ein Freiwilligenjahr im Dienste 
für unser Volkstum leisten; wie der junge Mann wehrhaft sein soll, 
um das Vaterland nach aussen zu verteidigen, so soll die Jungfrau 
gegen die inneren Feinde den Kampf aufnehmen und zunächst ein 
Jahr im Volkskindergarten dienen lernen nach ihrer Bestimmung, 



— 80 — 

damit sie ebenso gut wie der junge Mann sagen kann: „Ich habe 
meinem Volke gedient". 

Ein solches Dienstjahr der weiblichen Jugend aller Stände in 
jedem Volke — welch eine Friedensliga würde sie bilden; wie würde 
sie das Wort des Antigene bewahrheiten: „Nicht mitzubassen, mit- 
zulieben sind wir da'^ 

Wir sind trotz des Beispiels, das Sie, meine verehrten Frauen, 
hier in Berlin gegeben, noch weit davon entfernt in diesem Sinne 
für das Fröbelsche Erziehungswerk zu arbeiten. Wir müssen vor- 
läufig zufrieden sein, dass wir durch die Kindergärtnerinnen Ein- 
fluss auf die Kinder vermögender Familien gewinnen. Die Kinder- 
gärtnerin sollte nur die Gehilfin der Mutter, der eigentlichen Er- 
zieherin, sein, 'aber die Hand aufs Herz: Wie gross ist die Anzahl 
der Mütter, die ein besseres Verständnis füi' die Erziehung haben, 
als die Kindergärtnerin? Aus meinen mehr als ein Vierteljahr- 
hundert umfassenden Erfahrungen muss ich leider sagen: Man ist 
froh, wenn die Mutter so verständig ist, die Kindergärtnerin ge- 
währen zu lassen und ihr eine Gehilfin wird. — Doch nicht um die 
Mängel zu zeigen, die noch vorhanden — eine Aufgabe unerquicklicher, 
Negativer Natur — sondern auf die Mission Fröbels hinzuweisen 
auf seine Bedeutung für alle Familien, für jedes Volk, das ist die 
lohnende, die positive Seite meines Vortrags. 

Das Verständnis für diese umfassende, koämopolitische Bedeutung 
der Fröbelschen Erziehungslehre war ebenso, wie die für die Familien- 
und Volkserziehung der von mir genannten Frau v. Marenholtz- 
Bülow aufgegangen. 

Ist es nicht wunderbar, dass schon im Jahre 1854, wo kaum 
die ersten schüchternen Versuche zur Einrichtung von Kindergärten 
und Seminaren in Deutschland gemacht werden konnten, der Ge- 
danke an die Gründung eines Internationalen Erziehungsvereins sie 
beschäftigte? Sie sagt: „Ich denke, künftighin muss es möglich 
werden, einen internationalen Erziehungsverein zu gründen, welcher 
in der Vertretung der Fröbelschen Erziehungslehre alle zivilisierten 
Völker eint. Noch, meint sie, herrscht Hass und Neid überall in 
der Welt; nur in den Herzen, die noch nicht hassen lernten, den 
Kinderherzen, kann eine neue Saat der Liebe aufgehen." 

Fr. V. Marenholtz-Bülow ging nach England, Frankreich, der 
Schweiz, nach Holland und Belgien, nach Italien: ein Apostel für 
die Lehre Friedrich Fröbels; sie gewann Einfluss nach Russland 
und in Amerika. Hatte doch Fröbel selbst in dem Ansprüche, den 
ich an der Spitze meines Flugblattes nach Chicago gesandt, die 
Beziehungen Deutschlands zu Amerika mit folgenden Worten ge- 
zeichnet: „Die freie grossartige Umatur Amerika's sucht den be- 
wussten, freien Geist Europa's und Deutschlands, damit sich beide 
zu reinem Menschenleben die Hand reichen." 

Fragen wir uns nun: Ist es eine Utopie gewesen, der sich 
Fröbel und seine Jünger hingegeben, als sie die noch jetzt von 
Gebildeten und Gelehrten unterschätzte Lehre so hoch hielten und 
sich von ihrem Einflüsse so viel versprachen? Ich hoffe: Sie ver- 
neinen mit mir diese Frage. Schon sehen wir, wenn auch noch 
nicht die Lehre, doch die Methode in allen Kulturländern und selbst 



— 81 — 

solchen, die nur eine Kultur anstreben, verbreitet. Und das allein spricht 
für ihren Werth und ilire Bedeutung : Denn alles Gute ist Gemeingut. 
Die Religion, jede wahre Kunst, die Wissenschaft hat eine Geburts- 
stätte, hat ein Vaterland — bleibt aber nicht auf den Boden beschränkt, 
von dem sie ausgegangen, und obgleich diese Kultui'elemente das 
Erzeugnis unserer tiefsten Geister sind, so werden sie von Jedermann 
seiner Beanlagung und seiner Nutur gemäss verstanden. Tn diesem 
Sinne ist es auch nicht schlimm, dass die Fröbelsche Erziehungs- 
weise bisher nur eingeführt werden konnte, weil sie die Prauen- 
erwerbsfrage lösen hilft; es ist dies im Gegenteil ein Beweis mehr 
für ihre grosse Bedeutung: Die schöpferischen Ideen bekunden 
sich auch darin, dass sie unerwartete Hilfsquellen für die Volks- 
wohlfahrt bieten. Nur betrachte man sie nicht einseitig von diesem 
Standpunkte aus: Wenn wir ein wogendes Getreidefeld erblicken, 
dann gewährt sein Anblick uns einen hohen Genuss, ohne dass wir 
daran denken, dass es das Korn zu unserer Nahrung enthält. 

Aber auch in Rücksicht auf die Erwerbsfähigkeit unseres Ge- 
schlechtes ist in der nüchternen, dürftigen Auffassung der Bedeutung 
FröbePs eine grosse Schädigung vorhanden. Denn auch für die 
Armen an Geist und Geld, auch für die Kinder der Armen ist die 
Fröbersche Lehre von Bedeutung, aber nicht allein für diese. Wir 
bedürfen der Lehi'er innen, der Erzieherinnen nicht nur um Kinder- 
gärtnerinnen zu bilden, sondern um unsere weibliche Jugend zu 
ihrem Berufe vorzubereiten. Man betont fortwährend das ethische 
Element, das bei der Bildung der weibl. Jugend grade durch die 
Lehrerinnen vertreten werden soll, und wo haben wir mehr Ge- 
legenheit, diejenigen Gegenstände vorzugsweise zu lehren, die den 
meisten Zusammenhang mit der Ethik, mit unserm sittlich-ästhetischen 
Vermögen haben? Alle Disziplinen, die folgerichtig aus der Fröbel- 
lehre hervorgehen und mit ihr in Verbindung stehen, wenden sich 
an unsere intimsten, innersten Beziehungen: Erziehungslehre, 
Geschichte der Erziehung, Psychologie, Anthropologie und Gesundheits- 
lehre, Mathematik und Naturwissenschaften, Geschichte der Künste, 
der Religionen — das wären die Lehrgegenstände für eine weibliche 
Hochschule, die unsere gebildete weibliche Jugend zu dein wich- 
tigsten, verantwortlichsten und idealsten Berufe vorbereiten müsste. 

Den Grundstein zu einer solchen Hochschule zu legen, das, 
meine Verehrten, war es, was mir vorschwebte, als ich das Lyceum 
in Leipzig gründete. Ist auch der Gedanke trotz einer 25jährigen 
treuen Arbeit noch nicht verstanden, so gereicht es mir doch zur 
Befriedigung, dass es mir gelungen, ein Lyceum, eine höhere Lehr- 
anstalt mit dem Volkskindergarten in Verbindung zu bringen, wo 
auch die höheren Töchter „dienen lernen nach ihrer Bestimmung." 

Solche Lyceen, solche Hochschulen brächten unsere Frauenwelt 
zu der „bestimmten Gewalt", die ihr in der Familie, in der Schule, 
im Volke gebührt — sie würden aber auch dazu dienen, sie auf 
die gleiche Höhe des erreichten, männlichen Bildungsniveaus zu er- 
heben. — Auf die gleiche Höhe? Auf die gleiche Höhe in in- 
tellektueller Beziehung, aber hoffentlich auf ein höheres Niveau 
in sittlicher Beziehung. 

Von allen Seiten ertönt die Klage, dass unsere sittliche Ent- 



— 82 — 

Wickelung nicht Schritt gehalten mit der geistigen, der intellektuellen. 
Unser Ideal, meine Verehrten, muss ein höheres sein, als das, welches 
unserm Fröbel vorschwebte, der seitab von der grossen Heerstrasse 
des Lebens sich befand, der die tiefen Schatten nicht sah, die das 
strahlende Licht unserer Kultur verdunkeln, — er kannte nicht die 
Gespenster in uns und um uns, die alle Fortschritte, die wir ge- 
macht, in Frage stellen. 

Aber auch hier gilt sein Wort und die Frauen haben es 
bewährt: Wir sind nicht mehr instinktive, passive Greschöpfe, die 
unbewusst die Segnungen der Kultur geniessen, und die G-espenster 
nicht sehen, die sie bedrohen. 

Aus eigener Kraft haben sich die Frauen aller Kulturländer 
emporgerafft, um die Grespenster verscheuchen zu helfen, und sie 
scheuen sich nicht, sie anzurufen, sie bei ihrem rechten Namen zu 
nennen: Hoflfen wir, dass das schon ein Mittel ist, sie zu bannen. 
Aus jedem Volke sind Namen von Frauen zu nennen, die den 
Kampf nicht nur für sich und fiir ihre bessere Stellung aufge- 
nommen, sondern die an der sittlichen Hebung der Gresellschaft 
arbeiten. Denn, meine Verehrten! so hochwichtig mir die Ver- 
wirklichung der Fröbelschen Ideen für unser Familien- und Volks- 
leben erscheint, so verschliesse ich mich nicht gegen die Notwendig- 
keit der Arbeit auf allen andern Gebieten. Wir können nicht auf 
einmal für alle Menschen von Anfang anfangen, wir müssen mit 
der Gegenwart rechnen. Ein Blick auf unser Programm zeigt, wie 
die Bestrebungen der Frauen auf die Krankenpflege gerichtet sind, 
— wie sie die Krankheiten zu bekämpfen streben, die ebensowohl 
moralischer als physischer Natur sind, ich nenne nur die Trunksucht, 
die Prostitution, diese Geissei unseres Geschlechtes, die den Un- 
schuldigen mit den Schuldigen trifft. Ist es ein Kleines, dass einer 
in Waffen strotzenden Welt eine. Frau mit dem Rufe entgegentritt: 
,.Die Waffen nieder."? 

Aber auch diese Bestrebungen wie die Uebel sind international. 
Deshalb sind wir Frauen auch in dieser Beziehung solidarisch ver- 
bunden, und wir haben, jede in ihrer Familie, in ihrem Volke, den 
Kampf aufzunehmen gegen die Uebel, die Schäden, die Leiden, die 
uns bedrohen und vernichten. Aber wir haben auch die schöne 
und die lohnendere Aufgabe an dem „Aufbau" des Lebens zu ar- 
beiten. Mit jedem Kinde wird die Welt neu geboren — sorgen 
wir dafür, dass sie mit dem jungen Geschlechte auch erneuert 
werde. Wir aber, wir deutsche Frauen, wollen es als unsere ganz 
besondere Pflicht erachten, dem Genius gerecht zu werden, der die 
„Kindergärten" als Friedensgrüsse an alle Völker rings herum ge- 
sandt, an alle Frauen die Botschaft gebracht — ihren Erziehungs- 
beruf als ein Priesteramt zu betrachten. 



Day Nurseries, 

By Miss Mary M. Park, Glasgow. 

Allow me, in introducing this subject, to say we ought to see 
that no children grow up to be paupers and make this one of the 



- 83 — 

cardinal points of charity. The protection of children is becoming 
one of the first in importance among Philanthropie enterprises. 

The Day Nursery is an Institution, well known with in the last 
few years, -vve need not enlarge npon its mints, but it is a well 
authenticated fact that the Day Nurseries have filled up a jap in 
our charities. 

The first successfolly established Day Nursery in Scotland was 
opened in Anderston, one of the busy districts of Glasgow. This 
pioneer Nursery was so successful, that deputations visited it from 
the Chief towns in Scotland, where Nurseries have been opened with 
success. The good effected by the Anderston Nursery, led to their 
increase, and there are now five in Glasgow, carried on under the 
auspices of the ^'Ladies Association for the extension of Day Nurseries 
in Glasgow.'^ 

These Nurseries are economically worked and are very homelike 
in their surroundings. People who give a helping band to those 
who cannot help themselves know it is a great blessing to keep up 
the famil}^ life in tbe struggle for existence, and if possible not to 
separate the Mothers from the children. 

This was not lost sight of in the establishment of these Day 
Nurseries. They are not meant to encourage Mothers leaving their 
children, without a just cause for doing so. The children who attend 
the Nurseries, show an improvement in a very short time, both 
physically and mentally. 

On her way to work the Mother leaves the child calling for the 
little one, on her return from work. The fee is three pence a day, 
thousrh a reduction is made in special instances, hence they are 
partly self-supporting. 

Two important Clements in the social life of the poor in a city 
are touched by the Operations of Day Nurseries. First, — there is 
Mother-life. However much it may require to be regretted in an 
enorinous number of instances, Mother-life means not food-giving 
merely, but food and home-getting, so far as children of tender years 
are concerned. Even where there is Motherhood where it should 
not be. every one must recognise how essential it is to afford the 
often deserted Mother, every facility for gaining her own and her 
Childs livelihood in a virtuous way. But there is much virtuous Mother- 
hood, of a struggling kind. The death rate among male heads of families 
in poor districts is not only high, but there is a constant stream of families 
of which the fathers are dead, Coming in from the country, in order that 
employment may be got for the older children. Often to get 
employment for two, a family of six come, the Mother soon finding, 
if the wolf is tö be kept from the door, she too must go out and 
work. Let it be noted that Day Nurseries seek to leave the 
Mother\s hands free to work. 

They aim thus at the prevention of poverty, and as such are 
entitled to the support of all thougtful and humane people. — 

The other dement of social life among the poor, touched by the 
work of the Day Nursery, is child-life. Through them not only 
are the hands of the Mothers freed for work, but the children are 
comfortably housed and fed, and so far as may be, trained, as well 



- 84 - 

as interested and amused. Now it may be safely said, that few 
people know the actual State of affairs with reference to child-life 
in the districts in which the Nurseries are, and especially where 
they are not. — Of course I speak of Glasgow. — 

Let me give a figure or two. In one district the death rate 
among children under one year of age is 24 per cent ; over the 
whole city it is 13 per cent. These figures require no emphasizing, 
but surely it must go to ones heart like a dart, to think that over 
evey fourth child, and at least over every sixth child under a year 
old, the shadows already are beginning to gather of the GreatDarkness. 
Were it only death, then possibly we might be able to think of 
Nature as thus the Minister of Grace, but these children suffer, 
and in many instances suffer terribly ere they die through neglect 
and ignorance and want. 

We do not know what the slums of Jerusalem were like, but 
if they in any way reseinbled the slums of some of our great cities 
in this nineteenth Century, than better than ever can we understand, 
why Christ said to the Mothers „Suffer the little children to come 
unto me.'^ 

The Day Nurseries seek to be soft arms, and warm bosoms 
to the little ones; good, kind, capable women are in the Nurseries, 
willing to do all they can to rescue even from the grip of death, 
as well as train for worthy citizenship. May not then the Day 
Nursery claim that it offers an opportunity to the benevolent, and 
he thoughtful free from every reproach. 



Entstehung und Entwickelung der Jugendhorte 

in Deutschland. 

Von Frau Anna Plothow, Berlin. 

Die Entstehung der Jugendhorte in Deutschland reicht in ihren 
ersten Anfängen bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts 
zurück, aber ihre Entwickelung und volkserzieherische Bedeutung 
haben diese Anstalten erst in den beiden letzten Jahrzehnten erlangt. 

Die Einrichtungen, welche früher dem Versuche gedient hatten, 
aufsichtslose Kinder zu sammeln und zu beschäftigen, hatten die 
Erwerbsfrage in den Vordergrund gestellt und die Kinder mit be- 
stimmten gewerblichen Arbeiten wie Wergzupfen, Mattenfiechteu, 
Gartenbau und dergl. beschäftigt und sie dafür entlohnt. 

Nun trat die erzieherische Idee in den Vordergrund. Jugend- 
horte auf solcher Basis entstanden zuerst in den siebziger Jahren in 
Süddeutschland und breiteten sich bald von dort nach dem Norden 
und Westen und etwas später auch nach dem Osten des Reiches aus. 

Die Entwickelung der Jugendhorte ist eng verknüpft mit der 
sozialen Frage. Seitdem die Sozialdemokratie unserer Zeit die Augen 
geöffnet hatte über die Not des vierten Standes, begann für die 
wohlmeinenden Bessergestellten der Nebelschleier zu reissen, der die 
Dinge da unten bisher in sanfte Dämmerung gehüllt hatte, und klar 
sehend erkannten sie eine Fülle von Elend, Not und Verkommenheit, 
die sie zuerst zurückbeben und dann ihr Herz in heissem Mitgefühl 



— 85 — 

erglühen machte. Hunderttausende rangen den bittern, aussichtslosen 
Kampt um ihre Existenz und unbeachtet, ungeleitet, wuchsen ihre 
Kinder empor wie das wilde Unkraut auf dem Felde. Mit tiefer 
Bektlmmernis vernahm der Menschenfreund, dass die Zahl der jugend- 
lichen Verbrecher stetig im Wachsen sei, dass in Deutschland 
10 Prozent aller Verurteilten Jugendliche unter 18 Jahren seien. 
Aber das feinere Gerechtigkeitsgefühl Hess ihn nicht ohne weiteres 
diese Kinder verdammen, sondern diejenigen, die sie erzogen oder 
vielmehr nicht erzogen hatten. Und man durfte als diese Schuldigen 
auch nicht immer die Väter und Mütter der unglücklichen Geschöpfe 
ansehen, die oft so hart um die Existenz ringen mussten, dass ihnen 
keine Zeit für Erziehung ihrer Kinder blieb — denn wie sollen 
z. B. eine Witwe oder auch ein Witwer, die ausserhalb des 
Hauses ihrem Erwerb nachgehen müssen, ihre Kinder beaufsichtigen ? 

Ein aufsichtsloses Kind aber, auch wenn es gut veranlagt ist, 
kommt schon aus Langeweile, aus ungeleitetem Thätigkeitstrieb 
auf dumme Streiche, ja es führt unbewusst Schlechtigkeiten aus. 
Kinder, die aufsichtslos auf dem Pflaster einer Grossstadt heran- 
wachsen, können keine Unschuld bewahren: ihren scharf beobach- 
tenden Augen und Ohren bieten sich so viel schlimme Beispiele, dass 
sie unwillkürlich dieselben nachahmen und dadurch den Geschmack 
am Guten verlieren. Das einzige moralische Gegen wicht, die Schule, 
erweist sich in ihrem Einfluss zu schwach gegen die Wirkungen 
der Strasse und versumpfter Häuslichkeiten. Bei der grossen Schüler- 
zahl unserer heutigen Klassen kann der Lehrer nicht auf das 
Gemütsleben des einzelnen Kindes näher eingehen, ja es bleibt ihm 
meist dunkel und verhüllt. Wer ist also verantwortlich zu machen ? 

Es beginnt jetzt in der menschlichen Gesellschaft die Erkenntnis 
aufzugehen, dass sie selbst, die Gemeinsamkeit, das Volk, die Pflicht 
hat, sich ihrer jüngsten, unbeschützten Glieder anzunehmen, die 
ohne ihren Willen in diese Gemeinschaft eingetreten, aber nun auf 
dieselbe angewiesen sind, und denen die Natur alle Eigenschaften 
mitgab, um bei richtiger Leitung zu guten, nützlichen Gliedern 
der Gesellschaft heranzuwachsen, aus denen aber ebensogut ein Heer 
von Quälgeistern hervorgehen kann, das, ohne Erziehung aufge- 
wachsen, nur seinen blinden Trieben folgend, zur Geissei der Mensch- 
heit wird. Weniger einsperren, mehr erziehen muss künftig unsere 
Losung sein! 

Aus solchen Gesichtspunkten heraus ging man an die Errichtung 
der Kjiaben- und Mädchenhorte, in denen die aufsichtslose Jugend 
gesammelt und erzogen wird. Die erste derartige Ajistalt war die 
durch Herrn Professor Schmid - Schwarzenberg 1872 in Erlangen 
gegründete, der er den verheissungsvollen Namen „Sonnenblume" 
gab. Nach ihrem Vorbild vmrden weitere Horte errichtet: 

1877 in Augsburg, 

1879 in Hannover, 

1880 in Altona, 

1881 in Braunschweig und Heilbronn, 

1882 in München, 

1883 in Berlin und Leipzig, 

1884 in Halle und Potsdam und so fort; 



— 86 — 

gegenwärtig haben etwa 60 deutsche Städte, ausserdem auch einige 
Landgemeinden, Jugendhorte. Man gab diesen Anstalten den Namen 
„Hort", denn sie sollten die aufsichtslosen Kinder nicht ganz von 
ihren Eltern trennen, also keine Heimstätte für sie sein, wohl aber 
ein Zufluchtsort. 

Die Horte sammeln in geeigneten Räumen die schulpflichtigen 
Kinder in der schulfreien Zeit — die Sorge für die ganz Kleinen 
überlässt man den Kleinkinderbewahr-Anstalten und Volkskinder- 
gärten. Notorisch sind es auch gerade die Schulkinder, die von 
ihren Eltern am meisten sich selbst tiberlassen werden. In den 
meisten Städten wurden zuerst Knabenhorte gegründet. Durch 
die systematische Vorarbeit des erwähnten Professors Schmid in 
Erlangen, der in Wort und Schrift für diese Art der Jugend- 
el'ziehung eintrat und durch Teilnahme an Kongressen, sowie durch 
Vorträge für Verbreitung seiner Ideen sorgte, sowie durch die 
beiden eigens für diesen Zweck gegründeten Organe : Karl Märkers 
„Volkserzieher" und die Zeitung des Rat Jung in München „Knaben- 
hort" wurde die öfl^entliche Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit 
solcher Anstalten gelenkt. Auch Erlasse der preussischen und 
württembergischen Ministerien befürworteten die Gründung von 
Knabenhorten. 

Es ist nicht recht ersichtlich, warum man nur an die Knaben 
dachte, wenn man nicht annehmen will, dass eine Schar aufsichts- 
loser, unnützer Jungen sich der Gemeinsamkeit zuerst als Last und 
Aergemis fühlbar machte. Die Verwilderung der Mädchen, ob- 
gleich mehr in der Stille sich vollziehend, zeigt sich als noch tiefere 
moralische Schädigung, da die Frau, als Hüterin des Familien- 
lebens, zugleich die Trägerin der Sittlichkeit sein muss. So er- 
kannten denn wieder andere die Notwendigkeit, hier fürsorgend zu 
helfen und man richtete, meist unabhängig von den Knabenhorten, 
auch Mädchenhorte ein ; immerhin befinden sie sich noch in der Minder- 
zahl. Das liegt teils in den angeführten Gründen, teils darin, dass 
die heranwachsenden Mädchen leichter Unterschlupf bei Nachbarn 
finden, weü sie zu allerlei kleinen Dienstleistungen brauchbar sind. 
In diesen losen, aller Autorität entbehrenden Beziehungen zu oft 
nicht einwandsfreien Nachbarfamilien liegt freilich auch die grösste 
sittliche Gefahr für die Mädchen. 

Berlin besitzt die meisten Mädchenhorte, 23 neben 9 Knaben- 
horten; allerdings ist hier wohl das Bedürfnis am dringendsten. 
Hamburg hat 10 Mädchenhorte neben 5 Knabenhorten, also un- 
gefähr dasselbe Verhältnis, Kiel ebenso 4 zu 2, Leipzig 3 zu 3, 
Strassburg 2 zu 2, Köln 2 zu 5, München 2 zu 9, Dresden 1 zu 
5 Knabenhorten. Von anderen grösseren Städten haben Stuttgart, 
Nürnberg, Mannheim und Weimar nur Knabenhorte. 

Es giebt das ein Bild von der Verschiedenartigkeit der lokalen 
Auffassung. 

Die äussere Einrichtung der Horte ist überall ziemlich die 
gleiche. Gewöhnlich von Wohlthätigkeitsvereinen gegründet und 
unterhalten, werden sie meist von den städtischen Behörden durch 
einen jährlichen Zuschuss und Gewährung von Freüokalen unter- 
stützt. Naturgemäss liegen die letzteren immer in Schulähuseru, 



- 87 — 

das hat Vorteile und Nachteile für sich. Die Nachteile bestehen 
darin, dass diese Räume nicht so recht den Eindruck eines „Heims*' 
machen, das sie doch zu ersetzen bestimmt sind, und manche Ein- 
richtungen des Schulhauses die Bewegungsfreiheit hindern. Letzteres 
ist besonders der Fall, wenn der überwiesene Raum eine vormittags be- 
nutzte 8chulklasse mit feststehenden Tischen und Bänken ist. Die 
Vorteile bestehen in der Unentgeltlichkeit und Unkündbarkeit des 
Lokals, in der Benutzung der anschliessenden Schulhöfe, der Turn- 
halle u. 8. w. Da jetzt häufig in neuen Schulhäusern besondere 
Lokale für Jugendhorte gebaut werden, so fällt die vorerwähnte 
TJngemütlichkeit dort fort. Einige Bilder und Blumen, eine Wand- 
uhr, ein heller Vorhang geben auch einem kahlen, hohen Raum 
etwas Trauliches. 

37 Anstalten haben eigene Räume, 32 sind in Mietswohnungen 
untergebracht, 122 in Schulhäusern. — Auch die innere Einrichtung 
ist tiberall eine ähnliche, denn die Leiter der einzelnen Horte 
tauschten vielfach ihre Jahresberichte aus und lernten von einander 
aus den gesammelten Erfahrungen. Allerdings bleiben noch genug 
Verschiedenheiten in Beschäftigung und Verpflegung der Kinder, in 
der Art der konfessionellen oder konfessionslosen Erziehung be- 
stehen. 

Die Kinder verbringen die schulfreie Zeit in den Horten, wo 
sie von einem Erzieher oder einer Erzieherin beaufsichtigt werden. 
Da es für eine einzelne Kraft schwer ist 40 — 60 Kinder richtig 
pädagogisch zu leiten und zu gleicher Zeit verschiedenartig zu be- 
schäftigen, so hat man sich überall nach freiwilligen Hilfskräften 
umgesehen. 

In Berlin haben die Frauen- und Mädchengruppen für soziale 
Hilfsarbeit eine Anzahl wackerer Arbeitskräfte gestellt, in den 
Provinzen und anderen deutschen Ländern haben Frauen wenigstens 
an einigen Mädchenhorten geholfen — freilich ist überall noch eine 
weit regere Beteiligung wünschenswert. Auch ist Mithilfe der 
Frauen bei der Knabenerziehung dringend nötig, denn die Knaben 
sind im Hort, weil sie die mütterliche Aufsicht entbehren müssen, 
und die kann ihnen auch der beste Lehrer nicht ganz ersetzen. Für 
das Gemüt der Knaben würde es von grossem Vorteil sein, wenn 
sie mehr unter dem Einflüsse gebildeter Frauen stünden. Ich möchte 
die freiwillige Hilfsthätigkeit in den Jugendhorten namentlich den 
unverheirateten Frauen ans Herz legen, die so oft reiche Schätze 
von Erziehungskraft und mütterlicher Güte in sich bergen, die 
ungenutzt vergraben bleiben, und durch deren Verwertung sie un- 
endlich viel Segen stiften könnten! Und diese Arbeit ist zugleich 
eine sozial ausgleichende, die Kulturgüter durch die oberen Schichten 
den unteren vermittelnde. Eine kinderlose Frau, die ein armes, 
aufsichtsloses Kind erzogen hat, kann sich sagen, dass sie auch 
ihren natürlichen Beruf erfüllt hat. Pekuniäre Opfer legt diese 
Art Liebesthätigkeit nicht auf, sie beansprucht auch nicht viel Zeit, 
nur allwöchentlich ein- bis zweimal, allerdings regelmässig, einige 
Stunden. 

Die Beschäftigung der Kinder in den Horten ist verschieden. 
Nach Anfertigung der Schularbeiten werden die Knaben mit 



- 88 — 

Handfertigkeits-* oder gewerblichen Arbeiten, die Mädchen mit Hand- 
und Hausarbeit beschäftigt. Die fdr die körperliche und gemütliche 
Entwickelung der Kinder so wohlthätige Gartenarbeit ist an 25 Orten, 
meist kleineren Städten, eingeführt. Die Grossstädte mit ihrem 
teuren Bauland haben keinen Raum für Schulgärten. Die gewerb- 
liche Arbeit der Knaben: Mattenflechten, Holzspalten, Wergzupfen, 
Dütenkleben u. s. w. ist aus den eingangs erwähnten früheren 
Arbeitsschulen herübergenommen. Zum grossen Vorteil der Erziehunsr 
ist sie fast tiberall von der Knabenhandarbeit verdrängt. Dieses 
von Herrn von Schenkendorf in Deutschland eingeführte erziehliche 
Beschättigungsmittel strebt Ausbildung der körperlichen Fähigkeiten, 
der Handgeschicklichkeit, aber auch des Ordnungs-, Farben- und 
Schönheitssinnes an. 

Da nur auf der Oberstufe wirkliche Gebrauchsgegenstände und 
zwar der verschiedensten Art gefertigt werden, so ist hier der ge- 
werblichen Ausnützung der Kinder durch einseitige Arbeit vor- 
gebeugt, während der Reiz, der in der Arbeit selbst liegt, die 
Arbeitslust der Kinder weckt. 

Die Jugend ist die Zeit des Lernens, des Werdens, und alle 
Erwerbsarbeit sollte deshalb aus diesen Jahren verbannt bleiben, 
denn sie wird von den Kindern immer nur auf Kosten emes späteren 
Kräftemangels geleistet werden. 

Die Beschäftigung der Mädchen besteht in Handarbeiten und 
in Anleitung zu häuslichen Arbeiten. Die letzte erfolgt allerdino-s 
nur in 24 Anstalten, von denen 10 auf Berlin entfallen. Die übrigen 
Mädchenhorte begnügen sich mit Unterweisung in Handarbeiten. Die 
im Süden Deutschlands von Nonnen geleiteten Anstalten weisen sehr 
feine, mühsame Handarbeiten auf; in München und Mitteldeutsch- 
land hält man sich mehr an Luxusarbeiten: Häkeln, Sticken, Blumen- 
machen; in Berlin, Charlottenburg, Kassel und Halle ^v^rd besondere^ 
Gewicht auf einfache, praktische Arbeiten wie Nähen, i^licken, 
Stopfen gelegt. In Verbindung damit wird in diesen Städten Haus- 
haltungsunterricht erteilt: die Mädchen müssen putzen, scheuern. 
waschen, bügeln und werden in die Grundbegriffe des Kochens ein- 
geweiht. Man geht dabei von dem richtigen Grundsatz aus, den 
Mädchen alle die Kenntnisse und Fertigkeiten beizubringen, die sie 
in einem ordentlich geleiteten Hausstand erwerben würden, und die 
für die Ausbildung ihrer weiblichen Eigenart und ihren künftigen 
Beruf unerlässlich sind. 

Wie der Knabenhandarbeit wohnt auch dieser verschiedenartigen 
Hausarbeit ein hoher erzieherischer Wert inne, denn sie bildet die 
Tugenden der Ordnung, Pünktlichkeit, Reinlichkeit, Sparsamkeit, 
den Fleiss und die Selbstverantwortlichkeit aus. Es wäre daher 
sehr wünschenswert, dass alle Mädchenhorte diese Art der Aus- 
bildung adoptieren möchten. Vorbildlich in seiner Einrichtung ist 
das von Frau K. R. Heyl in Charlottenburg 1882 für die Kinder 
ihrer Arbeiter gegründete Jugendheim, das nun in erweiterter Form 
von einem Verein verwaltet wird. 

Auch der auf Anregung von Frau Elisabeth Vogeler 1884 
in Berlin gegründete Verein „Mädchenhort**, dessen jetzige Vor- 



- 89 - 

sitzende Frau Emilie Mosse ist, erstrebt in seinen 10 Anstalten eine 
möglichst gründliche Durchbildung seiner Zöglinge. 

Natürlich darf bei einer rechten Erziehung auch das Spiel, die Er- 
holung, die Körperpflege nicht vergessen werden. In allen Horten 
wechseln Spielpausen mit der Arbeit ab, sucht man durch Bewegungs- 
spiele im Freien, durch längere Spaziergänge und Turnübungen die 
Gesundheit der Kinder zu pflegen. Im Sommer treten dazu Bäder, 
Ausflüge aufs Land, Verschickung der kränklichen Kinder in 
Ferienkolonien. Für die Zurückbleibenden werden in Berlin, München, 
Bremen u. s. w, Halbkolonien während der Ferien eingerichtet. 
Heitere Feste wie Weihnachtsbescherungen, ICaiser Geburtstags- 
feiern und Landpartien sorgen für frohe Abwechselung im Hort. 
Teilweise Verpflegung erhalten die Kinder mit ganz geringen Aus- 
nahmen in allen Anstalten und zwar regelmässig <las Vesperbrod, 
bestehend in Suppe oder Milch, resp. Kaffee und Brot. In vielen 
Anstalten erhalten die Dürftigsten auch Mittagessen, entweder gegen 
geringe Bezahlung oder auch ganz unentgeltlich. Der Wochenbeitrag 
der von den Eltern erhoben wird, variirt zwischen 58 — 80 Pf. doch 
wird auch dieser Beitrag im Notfall erlassen. 

Als besonders interessant ist noch der Versuch zu erwähnen, 
den Frau Rechtsanwalt Bieber-Böhm, in dem von ihr vor zwei 
Jahren in Berlin gegründeten Jugendhort, mit gemeinsamer Erziehung 
von Knaben und Mädchen gemacht hat. Die Kinder vertragen sich 
gut und teilen Arbeit, Spiel und Unterricht. Im Hinweis auf ihre 
künftige Militärzeit machen sich die kleinen Knaben mit Begeisterung 
an^s Stopfen und Flicken. Dankenswert ist die Bemühung vieler 
Anstalten, für ihre Zöglinge auch noch nach der Schulentlassung zu 
sorgen, durch Unterbringung in geeignete Lehrstellen und Dienste 
Besonders bemühen sich in dieser Richtung für die Knaben: Herr 
Rat Jung in München, Herr Stadtschulrat Dr. Zwick, Vor- 
sitzender des Vereins „Kinderhort** in Berlin, sowie die Vorstände 
der Knabenhorte in Bamberg, Hamburg, Heilbronn, Kaufbeuren, 
^Mannheim und Stuttgart. 

Auch der Verein „Mädchenhort" in Berlin bemüht sich seit 
Jahren hierfür. Leider musste man die Erfahrung machen, dass die 
14jährigen Berliner Mädchen meist noch zu schwächlich für einen 
Dienst sind. Es wird deshalb im Anschluss an diesen Verein jetzt 
eine Haushaltungsschule in Gross-Lichterfelde erbaut, die Platz für 
30 Zöglinge hat und in der die schulentlassenen Mädchen in 
1 — lV2Jälii'igem Kursus zu tüchtigen Dienstboten ausgebildet werden 
sollen. Die Jugendhortsache thut damit einen bedeutenden Schritt 
vorwärts, da es nun möglich ist den Zöglingen eine abgeschlossene 
Bildung zu geben und sie erwerbsfähig in 's Leben zu entlassen. 

Freilich hat das freundliche Bild, das ich von den Jugend- 
horten vor ihnen entrollen durfte, auch starke Schatten. 60 Städte 
mit Jugendhorten nennt O. Reddersens statistische Uebersicht und 
wir haben 2528 Städte in Deutschland; davon sind eine grosse An- 
zahl Fabrikstädte, die Jugendhorte bitter nötig haben. Auch in 
den Grossstädten ist dem Bedürfnis noch lange nicht genügt. Berlin 
hat 28 Mädchenhorte und 9 Knabenhorte bei 183 000 Gemeinde- 
schulkindem , ein Zehntel dieser Kinder — also mindestens 18 000 



— 90 — 

— ist aufsichtslos, weil alle erwachsenen Angehörigen ausser dem 
Hause arbeiten; dieser Zahl gegenüber sind die in Horten geborgenen 
1500 verschwindend wenig. Die von der ärmsten Bevölkerung 
bewohnten Vororte Eixdorf, Weissensee, Friedrichsberg ermangeln 
gänzlich solcher Anstalten. Vielleicht liesse sich mehr erreichen, 
wenn nicht auch hier, wie auf so vielen Gebieten öifentlicher Wohl- 
fahrtspflege, grosse Zersplitterung der Kräfte herrschte. Es giebt 
evangelische, katholische und konfessionslose Jugendhorte; solche 
von der inneren Mission wie von einzelnen Gemeinden, von Stiften 
und Privatpersonen gegründete. 

Ein Versuch der Vereinigung und Erweiterung der »higend- 
hortarbeit wurde angestrebt durch eine Petition, die auf A'eran- 
lassung von Frau Bieber-Böhm der Bund deutscher Frauenvereine 
an die Magistrate der deutschen Städte richtete und in der man um 
obligatorische Einrichtung und Subventionierung von Jugendhorten 
bei allen Volksschulen bat. Diese Petition wurde von einzelnen 
Behörden in freundliche Erwägung genommen, von anderen ab- 
gelehnt. 

Den entgegengesetzten Standpunkt vertritt 0. Redderseii in 
Bremen, der die Jugendhorte als Notanstalten betrachtet und nur 
dort gegründet wissen will, wo dringendstes Bedürfnis vorliegt, da 
er von der Entlastung der Eltern von ihren Erziehungspüichten 
eine Lockerung des Familienlebens türchtet. Er übersieht dabei, 
dass oft ein moralischer Notstand vorliegt, der es den Eltern un- 
möglich macht, ihre Kinder gut zu erziehen. Das beste Mittel, die 
Jugendhorte in späterer Zeit weniger notwendig zu machen, scheint 
mir dies: jetzt recht viel solcher Anstalten zu gründen, damit ein 
besser erzogenes, tüchtigeres Geschlecht heranwächst, das fähiger 
ist, seine Elternpflichten auch bei den einfachsten Lebens verhätnissen 
zu erfüllen. Da die Vorsehung die Anlagen ohne Ansehen der 
Person verteilt, so ist es unsere Pflicht, durch eine gewissenhafte 
Erziehung diese Gaben auszubilden und so jedem Menschenkinde, 
auch dem ärmsten, den reichen Schatz einer harmonisch gebildeten, 
den Aufgaben des Lebens gewachsenen Persönlichkeit mitzugeben. 
So lange wir noch kindliche Verbrecher unter uns haben, müssen 
wir sagen: „Nostra culpa", unsere Schuld ist es, die Schuld der 
Gemeinsamkeit, die ihre Erzieherpflichten versäumt hat. Deshalb 
ist die Aufgabe der Jugendhorte eine ernste und hohe; sie erheischt 
unermüdliche, hingebende Arbeit, eine Arbeit, zu der ich jede und 
jeden aufrufen möchte, der ein warmes Herz für die Jugend hat. 

Frauenthätigkeit für Knabenhorte. 

Von Herrn Dr. jur. Aurelius Schmid, Grunewald-Berlin. 

Meine Damen, meine Herren ! Erlauben Sie dem Sohne Schmid- 
Schwarzenbergs Frau Plothow zu danken für die ganz im Geiste 
des Begründers der Knabenhorte gehaltenen Darlegungen. Ei-lauben 
Sie, meine Damen, einem männlichen Gaste, Sie einzuladen zu ge- 
meinsamer Arbeit mit den Männern auf dem hierfür besonders 
geeigneten Gebiete der Knaben- und Mädchenhorte. 



— 91 — 

.,Der ^lensch kinn nur ^Mensch werden durch Erziehniijar.' 

Dieser Kantsche Lehrsatz steht in Stein gegraben über der 
Eingangsthüre des Erlanger Knabenhortes. Er hat zur (iründung 
der Knabenhorte und dadurch auch der Mädchenhorte geführt. Kr 
veranlasste meinen Vater in einer Ergänzung der Erziehungsmittel 
ein Haaptmittel zur Lösung der sozialen Frage zu erblicken. .Mein 
Vater war zur Ueberzeugung gelangt, dass die Erziehung der 
Minderbemittelten so lange eine lückenhafte bleiben müsse, bis sich 
zu Schale und Haus ein weiterer Erziehungsfaktor geselle, ein Mittel- 
glied zwischen Schule und Haus: die Knaben- und Mädchenhorte. 

In denselben finden ärmere schulpflichtige Kinder während eines 
Teiles der schulfreien Zeit Obdach, Aufsicht, Anleitung, Ermutigung 
und Freudebereitung, welche ihnen die Anstalt an Stelle der be- 
hinderten Eltern gewährt. Knaben- und Mädchenhorte sollen ärmere 
Kinder in Bezug auf die wesenhaften Bestandteile kindlichen (ilückes 
den reichen thunlichst gleichstellen. 

Als Mitarbeiter meines Vaters und Fortsetzer seines Werkes 
sind in erster Linie zu nennen : -J- Dr. Reinsch-Erlangen, 7 Maximilian 
Drossbach-Bäumenheim bei Donauwörth, "l- Karl Märker-Augsburg, 
Herr Rat Jung - München, Herr Schulinspektor Dr. Zwick - Berlin, 
Herr Fabrikbesitzer Bücking-Erlangen und Herr K^ddersen Bremen. 

Die Knaben- und Mädchenhorte zählen heute zu den unbe- 
strittenen Wohlfahrtseinrichtungen der grösseren deutschen Stüdte. 
Sie haben allen neuzeitlichen volkspädagogischen Bestrebungen Auf- 
nahme gewährt, dem Handfertigkeitsunterricht, soweit er erziehend 
wirkt, den Bewegungs- und Turnspielen, der Pflanzenpflege. Endlich 
sind die Knaben- und Mädchenhorte naturgemäss verbunden mit einer 
der lichtesten Schöpfungen unserer Zeit, mit den Ferienkolonieen. 
Der Begründer derselben, Herr Pfarrer Bion in Zürich, betonte 
mir gegenüber, es müsse der kurzen Beschäftigung mit den Pfleg- 
lingen der Ferienkolonieen eine dauernde Berücksichtigung durch 
die Knaben- und Mädchenhorte entsprechen. 

Fräulein Hoflfmann-Bremen hat sich zu Gunsten der Mässigkeits- 
bestrebungen erfolgreich an die Vorstände der Knabenhorte gewandt, 
ähnlich Thierschutzvereine. Die weibliche Dienstbotenfrage und die 
Lehrlingsfra^e stehen in innigem Zusammenhange mit den Kinder- 
horten. 

Zur Frauenthätigkeit für Knabenhorte nenne ich zunächst meine 
Matter, die ihrem Gatten eine treue Helferin gewesen ist, dann die 
Schwester Karl Märkers, sowie Frau Lina Morgenstern und Frau 
von Marenholtz-Bülow. Mailand und dadurch Italien verdankt seine 
Knaben- und Mädchenhorte dem Genie von Frau Cavalli-Porro in 
Mailand. An den römischen Knabenhorten wirken ausschliesslich 
Frauen als Erzieherinnen. Frau Salis - Schwabe, -J- 1896, die sich 
in der Geschichte des Fröbeltums und der Stadt Neapel ein Denk- 
mal gesetzt hat, beschäftigte sich auf meine und meiner Frau An- 
regxLDg noch in ihren letzten Lebenstagen mit der Frage der Er- 
richtung von Knabenhorten in Neapel, wo sie gewiss besonders am 
Platze sind. 

Eine Bitte an die ausländischen Damen : Studieren Sie die Knaben- 
nud Mädchenhorte und tragen Sie zur Verbreitung derselben in Ihrem 



— 92 — 

Vaterlande bei! Eine Bitte an die deutschen Frauen: Wirken Sie 
für die Knaben- und Mädchenhorte in lokaler Arbeit und in eifriger 
Agitation. Die Dame, unter deren Vorsitz Sie heute tagen, Frau 
Hanna Bieber-Böhra, ist Ihnen mit glänzendem Beispiel voran- 
gegangen durch Veranlassung einer Frauenpetition an die deutschen 
Kommunen. Und wirken Sie auch durch die Presse! Frau von 
Marenholtz-Bülow und ihre Gesinnungsgenossinnen haben der Sache 
Fröbels zum Siege im Inlande und Auslande verhelfen. Tragen 
Sie dazu bei, einer nicht minder bedeutungsvollen Sache zum Siege 
zu verhelfen zum Heile der armen Kinder und der armen Eltern ! 



Yolksiinterhaltungsabende. 

Von Fräulein Klara Strich, Weimar. 

Greehrte Anwesende! Ich will mich sehr kurz fassen. Ich will 
nur etwas erzählen von unseren Volksunterhaltungsabenden. Je nach 
den verschiedenen Orten werden sich die Einrichtungen derselben 
von einander etwas abweichend gestalten müssen. Das Publikum, 
das solche Abende besucht, rekrutiert sich bei uns in Weimar aus 
dem mittleren und kleineren Bürgerstande. Um die Kosten zu 
decken, zahlt jede Frau für den Abend 5 Pf. Eintrittsgeld ; es bleibt 
uns auf diese Weise immer noch etwas Geld zu gemeinnützigen 
Zwecken übrig. Sie werden nun fragen, wie wir es machen, um 
die Unterhaltungsabende zu gedeihlichen zu gestalten? Was bringen 
wir diesen Frauen? In welcher Weise bringen wir es? Abhand- 
lungen können wir nicht gebrauchen. Kleine Erzählungen, kleine 
Novellen, wie wir sie in guten Zeitungen, die der Frauensache 
dienen, finden, werden gelesen; sie dürfen aber die Zeit einer Stunde 
beim Lesen nicht überschreiten. 

Eine wichtige, unerlässliche Forderung ist es, die Sachen, die 
gelesen werden, vorher eingehend zu erörtern und zu erläutern. 
Wir geben die Inhaltsangabe, besprechen die Charaktere der Helden. 
machen auf die sittliche Idee, die in der Erzählung liegt, aufmerksam, 
weisen auf Schönheit der Sprache, der Naturschilderung u. a. m. 
hin. Hinsichtlich des Vorlesens ist nur gutes, wenn es sein kann, 
von künstlerisch geschulten Kräften, erwünscht. Ein besonders gutes 
Bildungsmittel ist es auch, auf die lokalen Verhältnisse Rücksicht 
zu nehmen, alles in Betrachtung zu ziehen, was mit den Frauen- 
interessen in Verbindung steht. Diese Frauenabende sind aber auch 
sehr geeignet, den Geist der Solidarität zu pflegen; die Frauen sind 
noch zu wenig daran gewöhnt zu glauben, dass auch ihre Stimme 
ins Gewicht falle in Sachen des Gemeinwohles. Wir haben aber 
gefunden, dass sie sich leicht dafür interessieren lassen. Wir unter- 
lassen es nicht, Petitionen vorzulegen z. B. die für das ärztliche 
Studium der Frauen. Diese einfachen Frauen waren leicht für die- 
selbe zu gewinnen. Auch die Petition gegen das bürgerliche Gesetz- 
buch haben wir vorgelegt, sie wurde mit grosser Bereitwilligkeit 
unterzeichnet. „Ich unterschreibe lieber dreimal, als einmal", 
erklärte eine Frau, die ihr ganzes Vermögen in der Ehe ver- 
loren hatte. Ein Mittel, die Abende den Frauen angenehm 



- 93 — 

zu machen, finden wir darin, sie zur Selbstthätigkeit anzu- 
regen, sie aufzufordern, etwas vorzutragen, sei es in Musik, 
Gesang oder Deklamation. Wir haben die Freude, dass es 
geschieht; so hat z. B. eine 77jährinre einfache Frau im vorigen 
Winter öfter Gedichte zum Vorti'ag gebracht. ]klan muss alles 
willkommen heissen, um nicht einschüchternd zu wirken. Diese For- 
derung ist für die Leiterrinnen solcher Abende nicht immer an- 
genehm, da es z. B. vorkommt, dass mitunter im hohlen Pathos 
Ideen verherrlicht werden, die man kurz zuvor nachdrücklich be- 
kämpft hat. Da steigen wohl einmal Zweifel in den Erfolg unserer 
Arbeit in uns auf. Dann drängt sich einem vielleicht gar das 
hässliche Wort von der weiblichen Inferiorität auf die Lippen. 
Aber man lasse den !Mut nicht sinken! Wir würden mit demselben 
Rechte auch von einer männlichen Inferiorität sprechen können, bei 
gleichen Lebensbedingungen. Und will es uns nicht manchmal 
scheinen, als seien die Älänner inferior nach einer Richtung hin, 
hinsichtlich der Beurteilung der Bestrebungen des weiblichen Ge- 
schlechtes? — Alle Jahre einmal gibt es einen sogenannten grossen 
Unterhaltungsabend, an dem auch die Männer Zutritt haben. Sie 
sind stets sehr besucht von 3(X) — 400 Pereonen. Es werden an 
diesem Abende Gasangsstücke, grössere oder kleinere Theaterstücke 
aufgefühi't oder lebende Bilder gestellt. Einige Stunden sind dem 
Tanz gewidmet. Sowohl an diesem Abend, sowie auch an den ge- 
wöhnlichen Unterhaltungsabenden herrscht eine gemütliche Un- 
gezwungenheit. Es sind uns bis jetzt auch die geringsten Unan- 
nehmlichkeiten erspart geblieben. — Ich weiss, dass fast alle die 
Frauen, die zum Kongress gekommen sind, in einem oft grossen 
Wirkungskreise stehen, dass sie für Unterhaltungsabende zu arbeiten 
kaum noch Zeit haben. Aber sie gehen heim, nach den verschiedensten 
Richtungen hin, sie können versuchen anregend zu wirken auf 
Frauen, die Zeit und Kraft dazu haben, nach dieser Richtung hin 
zu arbeiten. Wer nicht Lust hat, die Oeflfentlichkeit dabei 
in Anpruch zu nehmen, hat es nicht nöthig; wir in Weimar 
haben z. B. nie die Presse beansprucht. Diese Arbeit würde mancher 
Frau Befriedigung geben, eine Arbeit, die sich in den Dienst des 
Evangeliums der Freude stellt. Ist es nicht glück- und freude- 
spendend, wenn wir dazu beitragen, dass Frauen, und sei es auch 
nui* für wenige Stunden wöchentlich, aus der Werktagsstimmung 
herausgerissen werden und ihnen Gelegenheit gegeben wird, an- 
regende, Gemüt veredelnde, Geselligkeit zu pflegen? 

The CiYio Club of Philadelphia. 

B}^ Miss Bertha Lewis, Dr. med., Delegate of Civic Club of Philadelphia. 

The Civic Club of Philadelphia sends you greetings from the 
New World, hoping that by the exchange of ideas and Methods of 
work we may advance, and place upon strenger foundations the social 
Problems in \yhich we are mutually interested. 

The Civic Club was tounded in Jan. 1894, by Miss Cornelia 
Frothingham and Miss Mary Channing AVinter, two young women 



- 94 — 

whose farsigthedness into the needs of our Community has been the 
main spring in the Organization of the Club. 

They called in Council about 30 older women, among 
them, Mrs. Cornelius Stevenson, a woman of rare judgement. Mrs. 
Stevenson is wrell known by many in this audience, as an eminent 
archaeologist. 

Then this nucleus of 30 women has grown in less than 3 years 
a Club whose numbership now numbers nearly six hundred active 
wromen — vv^hile in Organization we are only women, yet our work 
has been largely associated with men in all its details. 

Our Constitution says, ^'The object of this association shall be 
to promote by Education and active Cooperation a higher public 
spirit and a better social order". 

"For the better execution of its object the club shall be divided 
in Departments representing its different lines of work", namely: 
Municipal Government, Education, Social Science and Art. 

The management of the Club is vested in a Board of fifteen 
directors, who are elected annually. 

A brief report of some of the work done in each Department 
will probably give the best idea of its scope and value, and I feel 
that I cannot do better than to give you extracts from the annual 
addresses of our honoured President: „We aim to promote by 
education and active Cooperation a higher public spirit and a better 
social Order". In so doing we array ourselves, not against any 
one class of men or any one Order of shortcomings, but against the 
general deficiency which at e\ ery tum is feit by those who critically 
examine into the municipal and intellectual facilities which seem 
to satisy the average Philadelphia Citizen. In other words we 
pledge oui'selves to higher Standards. 

Our broad and flexible Organization, divided in the four Departments 
of Municipal Governement, Education, Social Science and Art, clearly 
deflnes the scope of our work and at the same time gives ample 
freedom to individual ability and personal preference, whilst the 
composition of the Board of Directors, founded of the executive offlcers 
of each department, secures the homogeneous and closely combined 
action of the Club as a whole. 

As individuals we may place our personal accomplishments and 
experiences as specialists at the Service of the public. 

As a Club we are bound to lend our countenance and support 
to all who are working for some practical good to the Community 
and seeking to promote civilization in the higher sense of the word. 

The task the Club has set before it, is to show the way to higher 
Standards, to help those about us, to see, to know and to aim at the 
intangible something that, to those who possess it, is worth more than 
money, patronage and preferment, the seif respect that brings with 
it the respect of others and the unselfish devotion to ever broadening 
Ideals that leads man to take a disinterested interest in the 
advancement of his city, his country and finally his kind. 

The first step in our movement is Education to this, and several 
important movements were started last Winter (1895). Of these two 
have proved absolutely successful, the opening of out door play grounds. 



— 96 — 

and sunimer Kindergartens and the decoration of the public school. 
It maj^ not be out of place to State here, that Philadelphia has since 1889 
had as part of her public school System a large number of free 
Kindergartens, many of thera located in the most crowded neighbour- 
hoods of the City. 

The opening of the large school buildings during the great 
heat of oui* summers, has been of value to the hundreds of children 
who had to remain in the city, and who could not be reached by 
the societies which send children to the country or seaside. 

Four Kindergartens were opened, and six schoolyards as play 
grounds — under proper surveillance. 

In Sept. the Com. of the Board of Education whose Cooperation we 
secured in doing this — reported that the work had been a success 
— and that a great benetit to the Community would be done by 
increasing the summer play grounds. 

This line of work must prove of immense value to the juve- 
nile Population in any city, wrhich, like ours, is filled with narrow 
crowded allays, or tenament houses, with still less light and air, from 
which emerge into the hot streets a large number of little children 
whose life and limbs are endangered by the trolly cars and other 
vehicles. This past summer a much larger number have been opened. 

Tbe work of a Joint Com. of Art and Education upon the de- 
coration (f the public schools, resulted in a large Exhibition of 
Photographs and Carts, which aroused great interest and was visited 
by 10000 school children, many ofwhom wentlong distances to see 
them. 

The importance of this movement is obvious, not only from the 
artistic standpoint, but that of the ordinary educator, and the future 
influence, upon the municipal life of a self-governed people is in- 
calculable. 

One of the most important elforts of the winter of 1895, was 
made in a Single ward or district of the city, to place women on 
the local school boards. 

We were defeated, but we knew we should be, as it was one 
of the worst wards of our city. 

This year the eflfort was repeated, women were placed in nomi- 
nation in 16 wards, and 3 were elected. Last year the work from 
the beginning was absolutely hopeless, and known to be so. This 
year the edge of the wedge has penetrated, and in the near future 
we hope for a revision of present school System. 

These are but brief outlines of the work done by the Com. 
onEducation strengthened by the Cooperation of Municipal government. 

Next in importance to Education, in our Constitution is active 
Cooperation. In order to do this, we must have a knowledge of 
existing Societies and Institutions. Philadelphia had no complete 
tabcdated record of her Institutions. 

On the Social Science Dept. "The Octavia Hill Association", a 
Joint stock Co. founded for the purpose of purchasing, managing, 
and improving real estate in the poorer districts, and with intent 
to bring the owners of property and their tenants into dose and 
qmipathetic relation with one another. 



— 96 — 

Another valuable work for our Community, has beeu the esta- 
blishment of free circulating libraries and picture libraries. On Te- 
legraph Stations, for the use of the boys during their leisui-e time. 
we have placed 25 or 30 vols. in each Station, and two or three 
pictures. These are changed every 3. month and passed on to the 
next Station; 16 stations are thus far supplied, and 400 vol. are in 
circulation this summer. These are supplied, by the Cooperation of 
the Three Public libraries of Philadelphia. In addition to the practical 
work done in our city, the club has been invited by the Na- 
tional Civil Service Reform Convention to send delegates to the 
General Conventions; our Constitution has been honoured and used 
entire in some instances, or served as a basis for the foundation of 
new organizations with purposes similar to our own. The demand 
for our literature is constant. We began our work along lines. 
which, if not absolutely new, were as yet untried in the manner in 
which we have prepared ourselves to travel. We had to organize, 
to build up from the foundation, and to formulate our Policy independ- 
ently of all former moveraents in the direction of reform, that had 
preceeded us. 

We did not believe in the efficacy of fault-finding or of protest. 
because we feel that men's acts are according to their internal lights 
and to their external conditions, and that in Order to work perma- 
nent reform. Those conditions must be changed and a new at- 
mosphere created. 

It is the belief of those who founded and organized the Civic 
Club that women are the ones to create and promote this atmosphere. 
Just as women are to a large extent responsible for the general 
tone ot Society, and by the sarae means as they resort in their own 
homes persuasion, Suggestion, practical help, and above all, personal 
dignity and seif respect can they quietly accomplish the desired end. 

There is one thing which the Civic Club wishes to illustrate: 
that woman will at least not be a carping, ''nagger'^ neither will 
she be an empty critic 



Womens Clubs in the United States, a signiiicant 

sign of our time. 

By Mrs. Eliza B. Kirkbride, Delegate of Civic Club of Philadelphia. 

Mrs. President and members of the International Congress! 
The corporate Organisation of women on varied lines of work and 
thought will probably be spoken of, in the future, as the most im- 
portant social movement of our time, possibly of all time; for it tends 
towards the solidarity of half the race. 

I have been asked to speak of one phase of this movement in 
the United States. The Report of the Civic Club of Philadelphia 
has already been presented by Dr. Bertha Lewis. I am there fore 
at liberty, although a delegate from the Civic Club only, to say 
something in general of "Women's Clubs in the United States as a 
significant sign of our time." 



97 



Fii'st 011 the list are fclie litecaiy or what may hebetter calied, 
tlie semi-literary and the semi-social Clubs. Their large and in- 
creasing membership is due to the aame impolae among older woinen, 
which aroong the youDger fllls our Women'a Colleges with eameat 
ätudenta, Women, youiig and old are betomiug' conscious of the 
need not oiily of a higher, but of an unending education. 

Tbeae clubs afford a common raeetlng-ground where they can 
find Instruction and enjoyiuent in the study and the discussion of 
carrent events, qnestions of sociology and general literature. For 
the "Woman's elub among us, thongh with its social aspect. is no 
place for idleness or loanging, It often providea entertainment, 
Amateur theatricals and concerts may he on its program, but it 
esists, hecanse it givea oppoi'tunity at once foi' intellectual growth 
and intellectual eoniradeahip. 

The New Century Club of Pliiladelphia is one of the oldeat of 
these organiaations. Founded about eighteen yeara ago by a few 
wome.ii of decided views and wide aspirations it has long had a 
memberahip of six hundred. It meeta in a cluh house of ita own, 
planned hy a woman architect and huilt under her auperviaion. 
Previons to its erection a large nuniber of tbe members formed n 
Joint Stock Co. and aubscribing for the sharea of stock, advanced 
money for the purchaae of a lot and the coat of bnilding. The 
beautiful audience room and adjoining reception rooma are i'ented 
for private balla, lectures, or concerts when not needed tor club use. 
The auras thas secured added to a certain part of the duea of mem- 
bers, handed over by the elnb to ttie Company-suffice to pay the 
stock holding membera five per cent annually on their original out- 
lay. The value of the propei'ty aituated in a central part of the 
citj' fully inaiirea the aafety of the principal invested. The reading 
room and the drawing-rooma are always at the Service of club 
members. At a amall coat a pleasant bed-roora can be engaged, 
should any meraber froni the auburba wish to apend a night in 
hei' club home. Although very numeroua, few of these clubs as 
yet own tjieii' own honaes; they meet usualjy in rented hooses or 
apart menta. 

tjo Hü'ong has the sympathy among women become tliat a ge- 
neral or National Föderation üf these aasociations haa been formed, 
including 1750 separate organisations. This National Feder ation 
meets onee in two years and haa already had two meetings. State 
Federations with annoal meatings are now forming. In October 
last a Pederation in the State of lUinow had a repraaentafion of 
ninety Clubs. These Federations are, in one view, tbe more remar- 
kable becauae the clabs represent directly no Impulse towards phi- 
lanthropy. and appeal tu no altraiatic emotiona. It in a signiflcant 
sign of our time that the leaven of a true fellow-feeling is spread- 
ing through theae organisations not on the emotional but on the in- 
tellectual and social sides of woman's nature. 

It has been said that no Woman's Club was ever founded which 
did not eventually add to ita other seotlons some work for the be- 
nefit of women lesa fortunate than its members. This is preemi- 
nently true of the New Century Club of PliUadelphia. A Legal 



— 98 — 

Protection Committee meeting weekly offers skilled counsel and prac- 
tica! help to women needing redress for any wrong. 

The Clubs already referred to are for women of education and 
coraparative leisure. The Working Woman's clubs are one of the 
most noteworthy philantropic efforts of the day. The working women 
belonging to them have, as members, an important share in their 
control and by the payment of small dues contribute a little toward 
the current expenses. But because they lack time, money and often 
knowledge, the bürden of direction falls on the charitable and en- 
lightened women who form the Boards of Managers. These orga- 
nisations offer to shop-girls and other small wage-earners the same 
advantages of intellectual growth, comradeship and enjoyment which 
the woman of greater leisure finds in her own club. Only evening 
meetings can be held among the working-women, but lessons in 
German and in French, lectures on social and scientific subjects and 
Instruction in cookery and dressmaking &c. are among the advant- 
ages provided, together with circulating libraries and reading rooms. 
The New Century Working Womens' Guild is a child of the New 
Century Club of Philadelphia. It has its own rented house where 
its members, in addition to all other Privileges, can buy a good and 
cheap noonday meal and enjoy their hour of rest in the reading 
room. It publishes a monthly Journal to which the members often 
contribute well-written papers. 

In small manufacturing towns these clubs are the greatest boon 
to factory writers. One gifted woman in a town near New York 
City has devoted twenty years of her life to such a club. A fine 
building has been put up, and the Institute for self-supporting women 
is one of the best-known associations of the place. 

The two classes of Clubs referred to are already factors in 
American life. The Civic Clubs are destined, one must believe, to 
exercise a still wider and more important influence and to include 
all conditions of women. These Clubs or leagues for Civic study 
and Civic work are a new and rapidly growing movement. Many of 
the literary clubs are adding a Civic Department to their other sections. 

The people of the United States have long looked with envy 
upon the successful management of municipal affairs oy Continental 
nations and by Great ßritain. Too often it has been said "Demo- 
cracy though a success nationally is a failure in our eitles." 
There is now streng ground for hope that gradually through the 
work of these Civic Clubs the women, and not only the women but 
the children of our eitles will help to wipe out this reproach; for 
these clubs hold up before the women of our country a new ideal. 
We have not hitherto been accustomed to think of ourselves as 
Citizens responsible for civic duty. When women fully gain this 
higher conception of life for themselves and for their children the 
United States, it is believed, will have well-govemed eitles. Do not 
call this mere idealizing; work and study in civic matters are the 
most practical of tasks and minister to no illusions. The Civic club 
of Philadelphia though not yet three years old has already entered 
on the broad field of hard and eamest laboor outlined in Dp. Lewis's 
Report. 



— 99 — 

Home life is not threatened by any of these organisations, least 
of all by the Civic Clubs ; the spirit of tbe time has forced its way 
into the home, not to steal but to guard its treasures. The more 
knowledge gained of municipal needs, the stronger grows the con- 
viction that the chiet value of the work of women in civic affairs 
lies in their deep interest in the family and tbe home. One danger 
from the influence of the clubs is imminent. There will soon be no 
old women in the United States, only innumerable elderly women 
kept young by growing zest in life and power of continaed usefiilness. 

The higher education illustrated in all these organisations, more- 
over, throws light on woman as woman. More than eighteen cen- 
turies ago, the lesson was taught that to form a perfect character 
in man infinite tenderness, patience and self-sacrifice must be added 
to all the strengest manly traits. Only in this Century is it dis- 
covered that the golden shield of humanity has a reverse, and that 
woman 's essential nature is glorified by knowledge and independent 
strength. 

The womens' clubs are most of all a significant sign of our 
time, because they seem but stepping-stones to those better clubs of 
the future in which men and women will work together for the 
highest ends. The interests of all classes of women are indivisible, 
the interests of men and women are also inseparable. What is truly 
good for the development of man cannot conflict with the interests 
of woman. What is really good for the development of women 
cannot war with the interests of men. In the United States the 
Womens' clubs are working toward the füll discovery and the ap- 
plication of the great law of social unity. 

A sure prophecy of this Coming unity of all mankind is mani- 
fest in this first meeting of a woman's Congress upon German seil. 
What diversities of nationality, race, language, occupation, opinion 
are here represented! Yet wherever our homes may be, whether 
in the United States of the American Republic or the Imperial 
States of United Germany — we are conscious of one intense desire 
to hasten on by Woman's work and Woman's efforts the Coming of 
purity and peace in every human soul. 

Gruss und Bericht des Schweizerischen Gremein- 

nützigen Frauen-Yereins. 

Ueberreicht von der Delegierten Frau Professor Emil Vogt aus Bern. 

(Gekürzt) 

Geehrte Frauen! 

Die kleine und doch auf jedem Gebiet intellektuellen Fortschritts 
in den vordersten Reihen stehende Schweiz entbietet Ihnen ihre 
sympatischen Grüsse; insbesondere den Veranstalterinnen dieses 
Int. Frauen-Kongresses, welche uns hierher geladen haben, um unsere 
Ansichten über alle die denkenden Frauen unserer Zeit be- 
wegenden Fragen auszutauschen. Viele dieser Fragen sind in der 
Schweiz bereits gelöst und Thatsachen geworden. 



— 100 — 

So haben z. B. bei uns die Mädchen jetzt auch Zutritt zu den 
G-ymnasien der Knaben, und es wird bereits, wenn auch noch in 
bescheidenem Maasse, davon G-ebrauch gemacht. Wir halten in der 
Schweiz in allen Punkten der Frauenbildung und der Frauen- 
bestrebungen fast gleichen Schritt mit Amerika, und so ist auch die 
Schweiz das erste Land in Europa gewesen, das seine Universitäten 
den Frauen geöffnet hat. Es gereicht uns zu besonderer Freude 
hier auf dem Kongresse eine ganze Reihe von Frauen begrüssen zu 
dürfen, welche ihre Studien an unseren Hochschulen gemacht haben. 

Auch die G-elegenheit zur Erlangung erweiterter Kenntnisse 
für anderweitigen Frauen-Erwerb wird auf alle Weise angebahnt; 
nur G-artenbauschulen für Mädchen giebt es bei uns noch nicht. 

Was sich in Berlin so vielfach und zahlreich auf einem Punkte 
vereinigt findet, erstreckt sich bei uns über alle Kantone, und ist 
es erfreulich sagen zu können, dass auf dem G-ebiete der Wohlfahrts- 
Bestrebungen alle Klassen der Gesellschaft mit einander wetteifern. 

Die Beteiligung der Frau an Kunst, Wissenschaft und Litte- 
ratur ist in der Schweiz noch ziemlich bescheiden und blüht fast 
im Verborgenen; aber es werden ihr von keiner Seite Grenzen 
gesteckt. 

Die Rechtsstellung der Frau, diese in Deutschland so brennende 
Frage, kommt wohl auch bei uns sehr in Betracht, hat aber bisher 
zu einer eigentlichen Bewegung noch nicht geführt, indessen auch 
die Schweizer Frau steht lebhaft ein zu dem Satze : Gleiche Pflichten — 
gleiche Rechte; gleiche Arbeit — gleicher Lohn; gleiches Recht 
vor dem Gesetze, und gleiche Moral für den Mann wie für die Frau. 



Eingesandter Bericht: 

Report of the Nineteenth Century Club, Memphis,. Tennessee 
U. St. A. by Laura B. G-ravet, President and lila Hepner- 
Slater, Secretary. 



Montag, 21. September Naehmittag 4 Uhr.*) 

Vorsitz: Frau Rosalie Schoenflies, Fräul. Katharine Strahl. 

Die deutsche Frau an der Yolkschule. 

Von Elisabeth Miessner, städtische Lehrerin, Berlin. 

Es ist mir hei der kurzen Zeit, die jedem einzelnen hier nur 
gewährt werden kann, nicht möglich, das Thema, das ich zu er- 
erörtern hahe, auch nur einigermassen erschöpfend zu behandeln. 
Ich bitte daher zu entschuldigen, dass ich nur karg sein kann, und 
die Thatsachen oft nackt an einander reihen muss. Ich kann Ihnen 
in so raschen Zügen kein Bild, sondern nur eine flüchtige Skizze 
entwerfen von der Frau an der deutschen Volksschule. 

Als die Gesamtheit der bürgerlichen Frauen in unserm 
deutschen Vaterlande noch längst im Dornröschenschlummer lag 
und höchstens träumend mit der Spindel spielte, gab es schon im 
grauen Mittelalter, eine kleine wache Frauentruppe, welche den 
Zauberbann der bösen Fee in rüstigem Hantieren durchbrach, um 
etwas weiter um sich zu schauen — über die Rosen-Dornen- 
hecke hinweg, — um mit ihren Gaben der Allgemeinheit zu dienen. 
Das nüchterne Muss war wahrscheinlich auch hier die stärkere 
Kraft, welche die Hexe Gewohnheit bezwang. Diese Frauen waren 
deutsche Lehrerinnen. 

Schon im 15. Jahrhundert finden wir sie an öffentlichen Schulen, 
an den sogenannten „deutschen (tewtschen) Schulen" thätig. Schulen 
für Kinder des Volks, welche in vielen Städten des Reichs errichtet 
waren. So wird u. a. berichtet, dass im Jahre 1481 zu Ehren der 
Anwesenheit Kaiser Friedrichs III. in Nürnberg auch die „Lehr- 
frowen" mit ihren „raaidlein und kneblein in der purg sungen" und 
dass der Kaiser sich daran sehr ergötzet habe.**) — Wir sehen, das 
deutsche Volk empfand es längst als natürlich und notwendig, dass 



*) Redigiert von Rosalie Schoenflies. 

**) Siehe d. Vortrag v. F. Rommel „Der Anteil der Lehrerin n. 
d. Volksschule" gehalten in Darmstadt im Jhr. 1895. 



— 102 — 

die Erziehung seiner weiblichen Jugend von Frauenhänden geleitet 
werde, ja dass der veredelnde Einfluss der gebildeten Frau auch 
auf seine männliche Jugend einwirke, denn die „lerfrowen" hatten 
auch „ kneblein ** unter sich. 

Im 16. Jahrhundert wurden sodann durch den Geist der Re- 
formation immer mehr neue derartige Schulen und zwar in ver- 
bessertem Zustande ins Leben gerufen, neben Knabenschulen auch 
besondere Schulen für „maidlein" errichtet — und lerfrowen an ihre 
Spitze gestellt, — die ersten Vorsteherinnen von öffentlichen Schulen, 
die ersten Rektorinnen, wie wir heute sagen würden, eine Errungen- 
schaft von damals, um welche wir Volksschullehrerinnen der 
Neuzeit unsere Kolleginnen aus dem Mittelalter leider beneiden 
müssen. 

Die Lehrerin war also, abgesehen von den wenigen einzelnen 
Künstlerinnen und weiblichen Gelehrten, welche das Mittelalter auf- 
wies, die erste gebildete deutsche Frau, die sich emanzipierte, die 
hinaustrat aus den engen Mauern des Hauses und der Familie, um 
wie Männer in einem weiteren Kreise zu mrken, dem Allgemein- 
wohl zu dienen und um sich wie Männer ihren Lebensunterhalt 
selbst zu erwerben. — Und die Sonne des Mittelalters schien 
freundlich auf diese Pioniere unseres G eschlechts, auf diese Erziehe- 
rinnnen und Bildnerinnen des deutschen Volks und ihre Thätigkeit. 
Die „maidlein" durften in der Erlangung von Kenntnissen ungestört 
mit den „kneblein" wetteifern, und es geschah mit Erfolg. Die 
Lehrfrowen standen in hohem Ansehen, und das erzieherische und 
Lehrtalent der Frauen, ja sogar ihre Befähigung zur Leitung von 
öffentlichen Schulen war vollkommen anerkannt. 

Da kam der dreissigjährige Krieg, nach ihm noch viele andere, 

— und zerstampften nicht nur Saat und Ernte auf den Feldern, sie 
zertraten auch viele Blüten, welche eine gewisse feinere Kultur 
hier und da schon in den Herzen und in der Sittlichkeit unseres 
deutschen Volkes zur Entfaltung gebracht hatte. Das Recht des 
Stärkeren kam wieder rücksichtslos zur Geltung und machte sich 
natürlich mehr denn je dem schwächeren Geschlecht, den Frauen, 
gegenüber fühlbar. Die fröhliche Entwickelung ihrer freieren Be- 
wegung auf den Gebieten der Kunst, der Wissenschaft und des 
Erziehungswesens und — gar in weiterem — wurde nicht nur für die 
Dauer der Kriegeszeiten gehemmt, sondern auf Jahrhunderte hinaus, 
ja bis tief in unser Jahrhundert hinein, aufgehalten und zurück- 
gedrängt. Daher finden wir auch in den folgenden Jahi'hunderten 
immer weniger und schliesslich kaum noch Volksschullehrerinnen. 

— Ich erinnere hier an die bekannte Thatsache, dass ein Friedrich 
der Grosse die Lehrstellen an den Volksschulen dazu benutzte, seine 
ausgedienten Korporale und Unteroffiziere damit zu versorgen. Wie 
er handelten schon sein Vater und andere Fürsten deutscher Länder. 

— Die fernere Entwickelung kann ich nur kurz auseinandersetzen. 

Der Staat hatte mit der Zeit überall die Pflicht und Not- 
wendigkeit anerkannt, für ein Mindestmaass der Schulbildung aller 
seiner ünterthanen zu sorgen. Er führte eine Schulpflicht von bestimmter 
Dauer ein und übertrug meistens den Gemeinden die Unterhaltung 
und Verwaltung der Schulen, indem er sich das Aufsichtsrecht 



— 103 — 

sicherte, aber auch die Gemeinden mit bestimmten Geldzuschüssen in 
der Erhaltung der Schulen unterstützte. — Wohlverstanden, sind die 
Schulen in Deutsehland jedoch nicht Reichsangelegenheit, sondern 
sie unterstehen der Gesetzgebung der einzelnen Länder. Daher be- 
steht auch eine mehr oder weniger grosse Verschiedenheit in ihren 
Einrichtungen und Leistungen, wie in den Verhältnissen der Lehr- 
kräfte. 

Der Staat forderte nun überall — und endlich — eine be- 
stimmte Vorbildung von den Unterrichtenden. Diese Vorbildung 
wurde den Lehrern vom Staate gewährt, aber die Lehrerinnen, die 
Frauen, gingen leer aus! Sie konnten folglich nicht mehr mit den 
Lehrern konkurrieren und wurden auf diese Weise am sichersten 
nach und nach aus den öffentlichen Schulen verdrängt. 

Obgleich es jetzt in den meisten deutschen Ländern längst 
Prüfungsordnungen für Lehrerinnen giebt, blieb die Ausbildung der- 
selben bis auf den heutigen Tag in erster Linie Privatanstalten 
tiberlassen. Zwar befinden sich gegenwärtig in den grösseren 
deutschen Ländern auch staatliche Lehrerinnenseminare, aber sie 
stehen zu der Zahl der Staatsseminare für Lehrer in keinem Ver- 
hältnis. So besitzt z. B. Preussen neben 112 Staatsseminaren für 
Lehrer nur 10 für Lehrerinnen. 

Erst in den letzten Jahrzehnten haben sich die Lehrerinnen die 
Volksschule mehr und mehr wiedererobert. So gab es in Preussen 
im Jahre 1825 nur 704 Volksschullehrerinnen, die Zahl war im 
Jahre 1861 nur auf 1755 gestiegen. Erst in den siebziger Jahren 
fand eine schnellere Zunahme der Zahl der Lehrerinnen statt; sie 
betrug im Jahre 1879: 5089, war im vorigen Jahre, also 1895, auf 
9309 gestiegen und ist gegenwärtig in beständiger Zunahme be- 
griffen. Auf Berlin kommen von diesen 9309 Volksschullehrerinnen 
allein 1200. 

Ausser in Preussen haben die Lehrerinnen einen nennenswerten 
Anteil an der Volksschule in den Ländern Elsass-Lothringen, Bayern, 
Mecklenburg und Hamburg. Auch in den anderen Staaten wächst 
derselbe beständig. Freilich giebt es noch einige deutsche Ländchen, 
wie Sachsen-Altenburg und Schaumburg-Lippe, in denen die Pforten 
der Volksschule den Lehrerinnen konsequent verschlossen bleiben. 
In den katholischen Ländern besteht übrigens nur ein Teil der 
Volksschullehrerinnen aus unabhängigen Frauen, ungefähr die Hälfte 
sind Xonnen. 

Zu Schulleiterinnen, d. h. zu Leiterinnen von öffentlichen Schulen 
macht man bei uns die Lehrerinnen nicht. — Eine Ausnahme in 
dieser Beziehung bilden einige katholische Volksschulen in Köln und 
die Länder Baden und Elsass-Lothringen; Elsass-Lothringen, das ge- 
lobte Land der Volksschullehrerinnen, denn hier erreicht die Zahl 
der Lehrerinnen fast die der Lehrer, sie beträgt 2251 gegen 2777 
Lehrer; auch für die Ausbildung der Lehrerinnen ist hier ausreichend 
durch 3 Staatsseminare gesorgt. 

Die Lehrzeit auf den Seminaren umfasst 2 bis 5 Jahre. In 
Preussen ist sie nach den neuen Bestimmungen auf 3 Jahre fest- 
gesetzt. Die Ausbildung der Lehrerinnen ist im allgemeinen nicht 
dieselbe, wie die der Lehrer, sie läuft meistens auf die Ablegung 



— 104 — 

des Examens für mittlere und höhere Mädchenschulen hinaus. Bei 
uns in den östlichen deutschen Ländern, namentlich in grösseren 
Städten, hat die überwiegende Mehrzahl der Volksschullehrerinnen 
dieses Examen für höhere Mädchenschulen gemacht, welches sie aber 
weniger für den praktischen Dienst an der Volksschule befähigt, als 
die Vorbildung der Lehrer. Auch das praktische zweite Examen, welches 
die Lehrer überall ablegen müssen, wird von den Lehrerinnen leider 
nicht überall gefordert, auch in Preussen nicht, dagegen in Bayern, 
Sachsen, Hessen, Hamburg und natürlich auch in Elsass-Lothringen. 
Viele Kommunen, wie auch Berlin, verlangen von ihren Volksschul- 
lehrerinnen aber ausser dem wissenschaftlichen Examen die Ab- 
legung besondererer Prüfungen in weiblichen Handarbeiten und im 
Turnen. — In grösseren Städten werden für diese Fächer ausserdem 
noch besondere Lehrkräfte angestellt, die sogenannten technischen 
Lehrerinnen, welche aber trotz der von ihnen verlangten Prüfungen 
leider nicht überall die feste Anstellung erlangen, auch in Berlin 
nicht, wo neben den 1200 wissenschaftlichen Volk«schullehrerinnen 
ungefähr 600 technische wirken. 

Die feste Anstellung der wissenschaftlichen Volksschullehrerinnen 
erfolgt durchgängig erst nach einer Reihe von Probejahren. — 
Württemberg gewährt übrigens seinen Lehrerinnen eine feste An- 
stellung überhaupt nicht. — Die feste Anstellung verleiht der 
Volksschullehrerin mit einer Ausnahme alle Pflichten und Rechte 
eines Beamten, also auch den Anspruch auf gesetzliche Pension. 
Die eine Ausnahme bezieht sich auf die Verheiratung. Bei Ver- 
heiratung gehen die Lehrerinnen ihres Amtes verlustig, und selbst, 
wo sie weiter beschäftigt werden können, wie in Baden, verlieren 
sie die .definitive Anstellung. 

Das niedrigste Gehalt, welches eine Volksschullehrerin bezieht, 
beträgt 600 M., d. i. irgendwo auf dem Lande, zwar blutwenig, 
aber immerhin noch mehr, als die schlechtest bezahlten Lehrer er- 
halten ; freilich beziehen die Lehrer meist noch Nebeneinnahmen aus 
dem Kirchen- und Gemeindedienst. In kleinen Gemeinden wird 
einer Lehrerin oft die letzte Lehrerstelle mit allen Bezügen, aber 
auch mit allen Pflichten übertragen, z. B. 32 Stunden wöchentlich 
in Klassen von 80, ja 100 und mehr Kindern verschiedener Jahr- 
gänge. — Im allgemeinen aber bleiben die Gehälter der Lehrerinnen 
wesentlich hinter denen der Lehrer zurück, und zwar um so mehr, je 
höher sie steigen. So beträgt z. B. das Höchstgehalt der Lehrer an den 
Berliner Gemeindeschulen 3800 M., das der Lehrerinnen nur 2200 M. 

Durch das Gesetz vom 31. März 1889 sind den an preussischen 
Gemeindeschulen wirkenden Lehrerinnen staatliche Zulagen von je 
50 M. bis zur Höhe von 350 M. nach dreissigj ähriger Dienstzeit ge- 
sichert. In anderen Staaten bestehen gesetzliche Bestimmungen über 
das Mindestgehalt. Die grösseren Gemeinden gehen jedoch überall 
über diese Bestimmungen hinaus und gewähren ihren Lehrerinnen 
zum grössten Teil wenigstens ein auskömmliches Höchstgehalt. An 
der Spitze steht Frankfurt a. M., das seinen Volksschullehrerinnen 
ein Höchstgehalt von 2600 M. gewährt, dann folgen Dresden und 
Leipzig mit 2400 M., dann Charlottenburg und Berlin mit 2200 M., 
dann Breslau, München, Hamburg, Metz und Strassburg. 



— 106 — 

Die Volksschullehrerinnen unterrichten natürlich hauptsächlich 
an Mädchenschulen, zum Teil an gemischten, aber auch an Knaben- 
schulen. An den gemischten Schulen und an den Knabenschulen 
haben sie gewöhnlich das Ordinariat der Unterklassen inne, in den 
Mädchenschulen das der Unter- und Mittelklassen. Für die einzelnen 
Unterrichtsfächer stehen ihnen überall alle Stufen offen. Sie sind 
auch nicht grundsätzlich von dem Ordinariat der Oberklassen aus- 
geschlossen, und hier und da setzt eine energische Lehrerin bei 
einem wohlwollenden Rektor auch die Erlangung des Ordinariats 
einer Mädchen-Oberklasse durch, gewöhnlich aber nimmt der Herr 
Schulleiter dasselbe für sich in Anspnich und begünstigt bei der 
Verteilung der Klassen sein Geschlecht. 

Sie haben aus diesen thatsctchlichen Angaben ersehen, meine 
Damen, dass die deutschen Frauen in den letzten Jahrzehnten auf 
dem Gebiete der Volkschule wohl ziemlich bedeutende Erfolge zu 
verzeichnen haben, dass sie aber immer noch in krasser Weise hinter 
ihren männlichen Kollegen zurückgesetzt werden, — dass 
ihnen also noch viel zu erkämpfen übrig bleibt. — Und Gott 
sei Dank, zur Lust zu solcbem Kampf und Streben ist die Volks- 
schullehrerin erwacht! Die Volksschullehrerinnen haben sich zuerst 
in Berlin — das war vor 7V2 Jahren, — dann in Schlesien und 
nun in ganz Preussen — und in anderen Ländern will man es ihnen 
nachmachen — zu besonderen Volksschullehrerinnenvereinen zu- 
sammengeschlossen, deren ernstes zielbewnsstes Vorgehen sich Achtung 
bei dem Publikum und den Behörden erwirbt und das öffentliche 
Interesse allmählich auf sie lenkt. Auf diese Weise ist ihnen 
schon manche kleine Eroberung gelungen, wie z. B. den Berliner 
Volksschullehrerinnen die Erlangung eines günstigeren Einkommens 
als früher — und mehr. — 

Diejenigen der vielen verschiedenartigen Bestrebungen der 
Volksschullehrerinnenvereine, welche sich auf eine grössere Geltend- 
machung des weiblichen Einflusses und Ansehns beziehen, gipfeln in 
folgenden Hauptpunkten, wie sie sich von selbst aus den eben dar- 
gelegten Verhältnissen (»rgeben. 

Die Volksschullehrerinnen verlangen: 

1. Dieselbe staatliche Fürsorge für die Ausbildung der Lehrerinnen 

wie für die der Lehrer und Zulassung zu allen Prüfungen, 
auch zu dem Tiektoratsexaiiien. 

2. Mehranstellung von Lehrerinnen, so dass die Mädchenschulen zum 

grössten Teil und die gemischten Klassen zur Hälfte unter der 
Leitung von Lehrerinnen stehen.*) 

3. Dass die Leitung von Mädchenschulen in die Hände von Lehre- 

rinnen gelegt werde. 

4. Gleiche Rechte für gleiche Pflichten, vor allen Dingen gleiche 

Besoldung für gleiche Arbeit. 

5. Sitz und Stimme in den Schul vorständen -Kommissionen und 

Deputationen. 



*) Um einer Entstellung dieser Forderung vorzubeugen, weise 
ich nachdrücklich darauf hin, dass dies Bestreben, ein natürlicheres 
Verhältnis herzustellen, noch lange nicht die Mitarbeit des Mannes 
ausschliessen heisst. 



— 106 — 

6. Weibliche Schulinspektoren zunächst für den Unterricht in weib- 
lichen Handarbeiten, der gegenwärtig von männlichen Schul- 
inspektoren beaufsichtigt wird! — *) 

Die YolksschuUehrerinnen sind sich der Schwierigkeiten eines 
Ringens um diese Ziele voll bewusst, sie rechnen auch gar nicht 
darauf, alles auf einmal und in nächster Zeit zu erlangen, — sie 
wissen, dass sich ihnen die scheinbar uneinnehmbaren Festungen 
dereinst dennoch, aber nur langsam, nach und nach ergeben, wenn 
sie unermüdlich weiter kämpfen und ihre Ziele niemals aus den 
Augen verlieren. 

Sie wissen auch, dass das Streben nach den genannten Zielen 
nicht ein gewöhnlicher Konkurrenzkampf ist, sondern, dass es sich 
hier zugleich um die Gerechtigkeit handelt und — um das Wohl 
des Volkes. Die Yolksschullehrerin ist nämlich zum Bewusstsein 
ihrer Bedeutung erwacht! Sie ist davon durchdrungen, dass sie 
einen wichtigen Faktor in der Yolkserziehung ausmacht! Sie erkennt 
mit Stolz die hohe Aufgabe, welche in der Hand der Volksschul- 
lehrerschaft überhaupt liegt. Dieselbe besteht nicht nur darin, die 
ihnen anvertrauten Kinder mit einem bestimmten Maass von Kennt- 
nissen auszurüsten, was übrigens bei den meist übervollen Klassen 
und anderen widrigen Verhältnissen durchaus nicht einfach ist, — 
ihr vornehmster Beruf liegt in der Erziehung, in der Erziehung des 
künftigen Volkes, — mehr als bei den Lehrern höherer Schulen, 
denen die erzieherische Thätigkeit zum grössten Teil von den Eltern 
ihrer Schüler, von dem Hause abgenommen wird. Der Volksschul- 
lehrerschaft gilt auch der Zuruf unseres Dichters RUckert: „Die 
Zukunft habet ihr, ihr habt das Vaterland, ihr habt des Volkes 
Herz, Erzieher, in der Hand!" — und auch das Wort des alten 
Cicero, der da sagt: „welch grösseres und besseres Geschenk kann 
man dem Staate darbringen, als wenn man ihm die Jugend des 
Volkes unterrichtet und erzieht". 

Nun aber ist es nachgerade allgemein anerkannt, vor allem durch 
unsern grossen Meister Pestalozzi, das Frauen durchschnittlich für 
die Erziehung befähigter sind als Männer, — ich glaube nicht den 
natürlichen Anlagen nach, die wohl ursprünglich gleich verteilt 
sind, — sondern weil sie sich die zarteren Empfindungen bewahren 
konnten, welche den Männern in dem leider immer noch beliebten 
rauheren, egoistischen A^erkehr unter sich und mit der Welt leichter 
verloren gehen. Jetzt sind die maassgebenden Persönlichkeiten all- 
mählig wieder wie im Mittelalter zu der Ueberzeugung gelangt, 
dass der Staat den mütterlichen Einfluss der Lehrerinnen auf die 
Kinder des Volkes nicht mehr entbehren kann. Ueberall wo Volks- 
schullehrerinnen unterrichten, bestehen sie in Ehren. Einer der 
Ersten, welcher die Unentbehrlichkeit der Lehrerinnen für die 
Volkserziehung mit Freuden anerkannte und energisch für ihre 
Mehreinstellung sorgte, war der viel zu früh verstorbene Berliner 
Stadtschulrat Cauer. Wie er urteilen und handeln jetzt viele Pä- 



*) Seitdem hat, wie ich erfahre, der Berliner Magistrat beschlossen der 
Stadtverordnetenvers, eine Vorlage behufs Anstellung einer Inspicientin 
für den Unterricht in weiblichen Handarbeiten vorzulegen. 



— 107 — 

dagogen und Vorgesetzte, so z. B. der Münohener Stadtschulrat 
Romeder, der Kasseler Stadt«<cbiilrat u. a. in. Auch m der Denk- 
Hchrift des Berliner St4idtschulinspekt«)rs Dr. Zwick über die ersten 
25 Jahre des Br^rliner CTeuieindes<-hulwesens wird das segensreiche, 
unentbehrliche, weil eigenartige Wirken der Volksschullehrerinnen 
xmd ihre Gewissenhaftigkeit im Dienst besonders hervorgehoben. 

Und noch eine andere soziale Bedeutung der VolkssclmUehre- 
rinnen sei hier hervorgehoben. Die Volksschullehrerinnen stammen 
grösstenteils aus den gebildeteren Familien. Ihre Pflicht und Auf- 
gabe ist.es daher vornehmlich, die Kluft allmählich Jiusfilllen zu 
helfen, welche ntn^h immer zwischen d'*n prebildeten Stünden und dem 
Volke klafft. Die Volksschullehrerinnen ireben den künftijren Müttern 
des Volks von den Vorteilen ihrer eijrenen Erziehun«? ab, wie einst 
im Mittelalter die ,, maidlein •* schon ^f»ine, höffliche und zUchtigliche 
geberde" von den „lerfrouwen"* ffeb'hrt b«»kamen, und sie trauen 
die Sympathie für die Kinder des Volkes, für ihre Zöglinge, die sie 
lieben, in ihre Iu*eise hinein und rutVn dort durch einfache 
Schilderung aus ihren Erfahrungen das Verlangen hervor, zu helfen, 
den Einzelnen und der ganz(»n Klasse, das natürliche menschliche 
Verlangen nach Milderung so empfindlicher Unterschiede. 

Als ich diese Idee vor 2 Jahren bei der Erölinung der kon- 
stituierenden Veraannnlung des Preussischen Volksschullchrerinnen- 
vereins zuerst aussprach, gelangt»» sie alsbald in die pädagoirische 
Presse und rief hier wie an den rinzelnt*n Schulen bei den Herren 
Kollegen einen wahren Sturm der Entrüstung hervor. Auf der dies- 
jährigen Generalversammlung des Preussischen VolksschuUehrerinnen- 
vereins zu Pfingsten gab der Berliner Stadtschulinspektor Dr. Stier 
diesem selben Gedanken beredten und ]>estimmten Ausdruck. 

Die Frau an der Volksschule ist also erstens von besonderer 
nicht zu unterschätzender Wichtigkeit, ja sie ist ein unentbehrlicher 
Faktor für die Erziehung des Volkes. 

In der Erteilung von Kenntnissen an die Kinder des Volkes 
hält sie wacker gleichen Schritt mit den mJinnlichen Ivollegen. trotz 
deren besserer praktischer Ausbildung. Sie muss den Vorteil, 
welchen jene darin voraus haben, durch einen Mehraufwand von 
Kraft und Mühe ersetzen, und die Resultate, sowie das Zeugnis 
ihrer Vorgesetzten zeigen deutlich überall, dass ihr das vollkommen 
gelingt, dass ihre Gewissenhaftigkeit solchen Ausgleich herbeiführt. 

Die Volksschullehrerin ist zweitens eine berufene Vermittlerin und 
Versöhnerin zwischen den beider noch immer krass getrennten Ständen. 

Die Erkenntnis ihrer Bedeutung erfüllt die Volksschullehreriunen 
mit freudigem, gesundem Selbstgettihl — aber auch mit der Einsicht 
ihrer Verantwortung. 

Dieser Verantwortung mehr und mehr gerecht zu werden sind 
die Volksschull ehrerinnen auch in ihren Vereinen unablässig bemülit, 
indem sie sich durch Beschiiftigung mit pädagogischen und metho- 
dischen Fragen für ihren Beruf zu vervollkommnen suchen, aber 
sich auch durch eingehende Beschäftigung mit den Fragen der Zeit 
zu grösserem Gemeinsinn erziehen, sich den Gesichtskreis erweitern, 
den Blick schärfen und sich das Wohl der Schule und das Wohl 
des Volkes angelegen sein lassen. 



— 108 — 

Diese gegenseitige erzieherische Anregung der Kolleginnen in 
den Vereinen ergänzt glücklich die Bildung, welche dem Charakter 
der Volksschullehrerin durch ihr Amt ermöglicht wird. Die 
Thätigkeit an der Volksschule ist, wie kaum eine andere, dazu an- 
gethan Geduld und Nachsicht, Ausdauer und Gewissenhaftigkeit zu 
üben. In dem steten Verkehr nach oben und unten, mit den Be- 
hörden und dem Publikum, gewöhnt sich die Volksschullehrerin an 
Festigkeit und an Sicherheit im öffentlichen Auftreten. Der Ver- 
kehr in dem Kollegium, besonders mit den männlichen Kollegen, 
denen gegenüber sie sich zu behaupten hat, bietet ihr Gelegenheit 
zur Entwickelung ihrer Gewandtheit und ihres Taktes. Diesem 
Takte, sowie der menschlichen, also auch männlichen Gutartigkeit 
im Allgemeinen, welche durch Vorurteile nicht erstickt werden 
kann, diesem Takte ist es wohl hauptsächlich zu danken, dass in 
den gemischten Kollegien zwischen den Lehrern und Lehrerinnen, 
trotz der allgemein herrschenden Ueberhebung des Männlichen im 
Grossen Ganzen, ein gutes Einvernehmen herrscht. — Die amtliche 
Stellung der Volksschullehrerin verleiht der einzelnen Frau 
auch bei allen Fremden einen bestimmten Kredit im sozialen und 
wirtschaftlichen Verkehr, und solch Vertrauen von aussen stärkt 
natürlich auch ihr Selbstvertrauen. — Schliesslich können die 
Frauen im Volksschuldienste ganz andere, der Wirklichkeit ent- 
sprechendere Anschauungen über die Verhältnisse der verschiedenen 
Stände untereinander gewinnen, als die meisten anderen Frauen 
ihrer Kreise; sie gelangen daher leichter zum Bewusstsein der 
sozialen Lage ihres Geschlechtes. Daher finden wir die Volksschul- 
lehrerin auch überall unter denjenigen Frauen, die sich zu gemein- 
nützigen Zwecken zusammengeschlossen haben. 

Ich hoffe, meine Damen, Ihnen durch meine kurzen Darlegungen 
wenigstens den Eindruck gegeben zu haben, dass die Frau an der 
deutschen Volksschule unser Geschlecht stets mit zu Ehren gebracht 
hat, und dass sie ferner an ihrem Teile dazu beitragen wird, das Zu- 
trauen zu den Fähigkeiten der Frauen und zu ihrer Bedeutung für 
das gesamte Volksleben zu stärken — , dass die deutsche Frau an 
der Volksschule also in unserer grossen gemeinsamen Bewegung eine 
gute Kampfgenossin ist. 

La femme russe dans Tenseignement primaire. 

Rapport de Mlle. Eug6nie de Tchebychew-Dmitriew, St. Petersbourg 

Mesdames, Messieurs! 

Les origines de Tinstruction publique en Russie remontent au 
X siecle de Fere chretienne. Ce fut Saint- Wladimir (980—1015) 
qui, tout en implantant le christianisme en Russie, y jeta les fon- 
deinen ts de r Instruction populaire. Les premieres ecoles, institutees 
par ce prince-apotre, eurent pour destination de former des serviteurs 
eclaires du Dieu chretien, elles furent, pour ainsi dire, les pepinieres 
de l'Eglise recemment etablie sur les bords du Dnieper. Mais, ces 
premieres ecoles chretiennes furent pendant bien longtemps abhorrees 
de la masse du peuple adonn^ au paganisme. 



— 109 — 

Sans le regne de Jaroslaw (1015 — 1054), dit le Sage, fils et 
successenr de Wladimir, le noinbre des ecoles chretiennes augmenta 
consid^rablement sans toujours gagner les sympathies d^un peuple 
fidele aux dieax paüens. Cependant, inalgre rhostilite du pouple, Tira- 
pulsioD donnee au developpement de Tinstruction populaire par le 
personnage önergique de Jaroslaw la fit inarcher ä pas acceleres 
durant les deux siecles suivants. 

Aux XI et XII siecles la Russie fut divisee en de nombreux 
apanages, ayant chacun son centre de luiuieres avec un prince plein 
d^int6ret pour les progres intellectuels de ses sujets. Malheureuse- 
ment cette p^iode propice au developpement de l'instruction populaire 
ne fat pas de longue duree. 

Au commencement du XTTT siede Tinvasion des hordes tartares 
coupa court les tendances civilisatrices des princes russes, tourna 
ailieors leurs preoccupations administratives et tint en suspens pen- 
dant pres de trois cents ans le developpement du peuple russe, deve- 
loppement qui jusque-la avait suivi une voie normale. 

Durant les tristes siecles du joug tartare Tunique gardien des 
lumieres fut le clerge, qui, du reste, ne possedait qu'un nombre re- 
streint de membres eclaires et dont la masse croupissait dans une 
ignorance d^plorable. 

En 1480 la Rassie fut delivree du jong tartare. Mais le peuple 
n'y gagna rien. Abruti et miserable, gräce a la domination mongole, 
11 n'eut ni la force, ui la volonte de renaitre k une vie nouvelle, ä 
reprendre son developpement si brusquement interrompu et tomba 
sans lutter, lächement, a Tetat de servage. 

Vers la fin du XVII siecle, grace aux relations reiterees dela 
Moscovie avec TEurope occidentale, on vit s'operer, quoique lente- 
ment et difficilement, un certain progres en fait de Textension de 
rinstruction publique. Le nombre des ^lus possedant le grand art 
de lire et d'ecrire augmenta considerablement, surtout dans la classe 
sup6rieure, qui jusque-la s'etait distinguee par une ignorance fabuleuse. 

Pierre le Grand (1682 — 1725) ne trouva parmi les russes que 
fort peu de gens capables de Taider dans la realisation de ses vastes 
et grandioses projet^ de reformes. II se vit oblige de creer toute 
une s^rie d'^tablissements d'instruction destines a recevoir les jeunes 
gens appartenant a la classe privilegiee, afin de les rendre utiles ä 
TEtat. Quant ä rinstruction de la masse du peuple, eile continua, 
ä marcher cahin-caha dans depietres ecoles dirigees par le clerge et 
toujours fort peu nombreuses. 

Catherine U (1762 — 1796), sous Tinfluence des idees genereuses 
des grands phüosophes, ses contemporains, temoigna un interet vif et 
sincere pour la question de rinstruction populaire, eile institua les 
premieres ecoles primaires municipales et decreta des lois scolaires 
fort-raisonnables. Elle alla meme jusqu'ä projeter serieusement 
rabolition du servage. Le spectre sanglant de la revolution frangaise 
arreta court ses tendances humanitaires. 

. Sous les trois regues suivants, ceux de Paul I, d' Alexandre I et 
de Nicolas I (1796 — 1855) on se mefia du peuple et de tous ceux 
qui lui voulaient du bien, et la marche de rinstruction populaire 
contüiTia ä etre penible et chancelante. 



— 110 — 

Du reste en pouvait-il etre autrement avec des serfs?! 

La seconde moitie du XIX siecle arriva. La Russie ä cette 
epoque offrait un tableau tout-ä-fait singulier : le plus vaste Etat du 
monde, gouverne par un monarque eclaire, eile presentait un des- 
accord frappant entre la classe dirigeante des maitres, — classe 
tres-instruite, comptant parmi ses membres des ecrivains illustres, 
des savants remarquables, — et une population de pres de 60 mil- 
lions de §erh plonges dans toutes les miseres de Tignorance. 

Cet etat de choses injuste et monstrueux temoignait hautement 
de la faiblesse Interieure de la Russie et reclamait des reformes im- 
mediates. La guerre desastreuse de Crimee fut le coup de foudre 
qui detruisit Fancien regime, depuis bien longtemps dejä condamne 
par les gens d'elite. 

Les reformes d'Alexandre 11 (1855 — 3881) commencerent par 
la plus importante de toutes, par Tabolition du servage. Le 
19 fevrier 1761 en est la date memorable. 

Avec Temancipation des serfs Tinstruction populaire entra dans 
une phase nouvelle, phase que nous traversons encore aujourd'hui. 

Les huit siecles precedents n'avaient legue en heritage a la 
Russie nouvelle rien (ni traditions pedagogiques, ni locaux, ni 
maitres, ni budjets), rien que la conviction profonde et sincere, ge- 
n^ralement repandue parmi les gens d'elite, que la propagation, la 
diffusion de T Instruction primaire est une dette de justice envers le 
peuple et une necessite pour le developpement de la prosperite de 
la nation. 

Cette idee genereuse, autant que juste, et qui ne pouvait etre 
que purement theorique avant Temancipation des serfs, devint reali- 
sable et produisit de vrais miracles apres 1861, quand eile eut ä sa 
disposition un peuple libre et le droit precieux que le gouvernement 
avait octroye aux etats provinciaux (zemstwos), aux municipautes, 
aux communes rurales et meme aux personnes privees d'etablir a 
leurs propres frais des ecoles primaires. 

En la courte periode de 35 ans qui nous separe de la Russie 
antereformienne, periode d^une marche acceler^e et dune activite 
fievreuse, on vit naitre un monde nouveau. Ce monde nouveau sont 
les 71,500 ecoles primaires, que notre pays possede aujourd'hui, 
avec une population scolaire de 3,355,140 eleves. Pour un terri- 
toire de 19,709,290 verstes carrees avec 120 millions d'habitants, ce 
chiflfre de 71,500 ecoles est plus que modeste; comparee aux autres 
pays, la Russie est encore bien, bien loin de pretendre a Tun des 
Premiers rangs dans le developpement de Tinstruction populaire, mais 
comparee a elle-meme, en ce qu'elle fnt et ce qu'elle est aujourd'hui, 
eile peut se feliciter avec droit de ses progres immenses. Aujourd'hui 
la societe russe reconnait sans contestations Timportance de Teduca- 
tion populaire et a pris serieusement goüt ä tous les interets qu'elle 
embrasse. Le cercle des lecteurs de nos joumaux p^agogiques 
s'accroit de jour en jour. Notre litterature classique devient de 
plus an plus riebe. Le personnel enseignant qui raonte ä 100,000 
ä peu pres, presente toute une armee toujours en guerre contre les 
tenebres et les miseres de Tignorance. Le nombre des lettres est 
dejä assez considerable pour que la question de la necessite urgente 



— 111 — 

de fonder des bibliotheques populaires jusque dans les villages, soit 
ä l'ordre du jour. Les budjets scolaires vont toujours grossissant. 
Enfin nous pouvons constater avec une joie sinc^re que dans plu- 
sieurs districts Tenseignement obligatoire vient d'etre inaugnre et 
que nous sommes ä la veille de son expansion generale. 

La Russie est redevable de ses progres d'abord aux grands 
pays de TEurope occidentale (rAllemagne, la France, TAngleterre), 
car ce fut lä qu^elle emprunta Torganisation de son enseignement 
primaire et qu'elle puisa a pleines mains, idees, metbodes, jusqu'aux 
programmes, afin de les adapter ä un milieu oü les saines traditions 
pedagogiques manquaient absoluraent. Modelee a la faQon des ecoles 
europeennes Tecole primaire en Russie a cependant sa physionomie 
prononcee, originale, dont le trait saillant est Tabsence complete de 
ces vastes et populeuses maisons scolaires, comme on en voit partout 
en Europe, ayant un directeur k la tete d'un personnel enseignant 
nombreux; chez-nous le type habituel d'une ecole primaire, meme 
dans les plus grandes villes, est une classe de 50 — 60 enfants dont 
la direction est confiee soit a un seul maitre, soit a une seule 
maitresse; Tenseignement y est contröle par les foctionnaires de 
TEtat, le cote economique est regle par le curateur de Pecole; une 
Organisation pareille donne a nos ecoles primaires un caractere de 
famille tout-ä-fait sympathique et que nous envisageons, ainsi que 
la permission aux institutrices d'etre mariees, comme les principaux 
attraits d'une carriere assez penible. 

En second lieu notre pays est redevable de ses progres a la 
femme russe; car dans la phase nouvelle que Tenseignement primaire 
traverse, la femme joue et y a joue depuis les premiers jours un 
röle important et surtout bienfaisant. 

Dans la Russie antereformienne on n'avait vu la femme ni sur 
les bancs des classes, ni dans les fonctions de maitresse d 'ecole. 
L*enseignement primaire etait entierement aux mains des maitres, ce 
qui lui valut son caractere rebutant et vil; car le plus grand nombre 
des pedagogues d'autrefois etaient ä demi-ignorants, brutaux, adonnes 
au vin, meprisables et meprises; ils se recrutaient le plus souvent 
dans les bas-fonds de la societe; car tous ceux, qui avaient sombre 
dans une carriere meilleure, venaient s'abattre dans Tenseignement 
primaire. 

Avec Tarrivee de la femme dans ce champ inculte, tout y changea 
pour le mieux. 

Mais qu'est ce qui avait pousse la femme dans la penible voie 
de Tenseignement primaire? 

L'elan d'un noble cceur. L'abolition du servage avait fait naitre 
la necessite pressante d'instruire un peuple nombreux, appele ä user 
de ses droits, circonstance qui trouva la Russie completement au 
depourvu, surtout par rapport au personnel enseignant. Les maitres 
d'ecole n'existaient pas en nombre süffisant. Ce fut alors que la 
femme instruite et eclairee de la classe privilegiee, penetree des idees 
genereuses du temps, vint offrir son savoir et ses forces ä. la noble 
täche de Tinstruction du peuple. Cet entrainement, profond et sincere 
dure des annees. Bien grand fut le nombre des jeunes femmes qui, 
brülant du desir de s'immoler au bien public, allaient s'enterrer dans 



— 112 — 

Ifts pitoyables ecoles de village ou bien qui donnerent leurs forces 
et leur fortune aux ecoles du dimanche. Les premiers pas de ces 
nobles volontaires ne furent guere faciles. 'Ni le genre de vie qu'elles 
avaient mene jusque-lä, ni Teducation raffinee qu'elles avaient re^ue, 
ne les avaient guere preparees ä une existence obscure au jour le jour 
faite de privations et d'un travail intense, soutenu, regulier et d'autant 
plus difficile que Taptitude pedagogique manquait absolument. II est 
donc bien naturel, que les unes finirent par deserter, les autres par 
succomber ä une täche qui etait au-dessus de leurs forces. Les plus 
fortes de corps et d'äme, seules, i*esterent vaillamment a leur poste 
jusqu'au bout et frayerent avec des peines inouies la voie nouvelle, 
dans laquelle la generation suivante avanga plus aisenjent, d'un pied 
plus sür, mais avec un peu moins d'enthousiasme. De nos jours 
Tenseignement primaire a cesse d'etre une sainte mission avec une 
couronne du martyre ä la fin, il a perdu son aureole de poesie, il 
est devenu une profession. Tout le monde a gagne ä ce changement, 
la femme sui*tout; car aujourd'hui celles qui se vouent ä Tecole 
primaire ne s'y jettent pas ä tete perdue, elles sont plus aptes 
au travail et beaucoup mieux preparees au genre de vie qui les 
attend. 

Mais avant de parier de Tinstitutrice, il nous semble opportun 
de consacrer quelques mots aux petites ecolieres russes, dont le 
norabre est beaucoup moins grand que nous ne Taurions souhaite. 
J'ai dejä dit que la necessite de Tinstruction primaire est generale- 
ment reconnue en Russie; ce n'est justeque parrapport auxgargons, 
il n'en est pas de meme pour la partie feminine de la nation, dont 
le droit d'apprendre ä lire et a ecrire est encore fort conteste. Le 
nombre des ecoles de filles est inferieur de beaucoup ä celui des 
Ecoles de gargons. C'est la population rurale, qui proteste contre 
Tinstruction du sexe faible. Tl y a deux a trois ans de cela le Co mite 
de rinstruction primaire a Moscou adressa une serie de 
questions aux habitants des petites villes et des villages afin d'en 
connaitre las opinions et les voeux en ce qui coucerne rinstruction 
populaire. On ramassa force reponses curieuses. Entre autres, la 
question: „rinstruction primaire est-elle de necessite pour la femme?" 
eut 24% de reponses negatives dans les villes, quant aux villages, 
le Chiffre y fut de 77%. Donc, nos bons villageois trouvent rin- 
struction superflue pour la femme qui, confinee dans le cercle etroit 
des devoirs domestiques, ne sera appelee ni au Service militaire, ni 
ä aucune fonction publique, sans quoi il serait fort peu raisonnable 
de perdre son temps et d'user sa chaussure ä frequenter Tecole. 
Heureusement Topinion contraire gagne tous les jours du terrain, 
Tidee de Tegalite des« droits de la femme et de Thomme ä recevoir 
une Instruction elementaire penetre de plus en plus dans la consci- 
ence des masses, le nombre des petites filles sur les bancs des classes 
s'accroit sensiblement. Nous pouvons signaler des districts oü le 
nombre en a double en une periode de cinq ans, il a monte de 
10% a 20 ^'o« II fallt s'en rejouir d'autant plus que nos petites 
filles, heureuses et fieres d'etudier, surpassent bien souvent les gargons 
par leur application et par leurs progres. 

La Position de Tinstitutrice primaire n'oflre rien de strictement 



— 113 — 

regulier, d'unifornie, mais eile varie selon le lieu et radministration, 
dont Tecole depend. 

Isos institutrices primaires se recrutent dans toutes les classes 
de la societe; la majorite appartient ä la classe moyenne etauclerge, 
mais on peut aussi voir dans leurs rangs les filles des plus hauts 
fonctionnaires de TEtat ä cote de Celles du plus humble paysan. 

Ce qui est de rigueur pour toutes, c'est d^appartenir ä Teglise 
orthodoxe; pour les catholiques et les lutheriennes les portes des 
ecoles sont fermees. 

Leur degre d'instruction ne presente non plus rien de determin^, 
rien d^uniforme. Les unes joignent ä une solide Instruction secon- 
daire, regue dans les gymnases et dans les Instituts, des diplomes 
obtenus aux cours pedagogiques (ä St. P6tersbourg), aux cours su- 
perieurs (St. Petersbourg, Moscou), enfin dans les Seminaires. Les 
autres, — et cette seconde categorie est la plus nombreuse, — ne 
possedent qu'une Instruction secondaire. II y en a enfin qui se sont 
bornees a une Instruction primaire. Ces dernieres, dont le nombre 
est plus iuiportant qu'il ne serait a souhaiter, se rencontrent ex- 
clusiveraent dans les recoins perdus de notre vaste pays, oü, gräce 
k Teloignement de tout centre de lumieres, le recrutement du per- 
sonnel enseignant presente de grandes difficultes, ce qui rend les 
exigences modestes. 

La remuneration de nos institutrices primaires ne presente rien 
de strictement determine. Dans les grandes villes, dans les ecoles 
municipales, le chiffre des appointements est ordinairement de 600 
roubles par an, logement et service compris. Dans les ecoles de 
village le chiffre parcourt tous les degres entre 80 et 300 roubles 
par an. La majeure partie des membres du corps enseignant de nos 
ecoles primaires est remuneree bien pauvrement. Ces appointements 
mediocres ne permettent guere de faire des epargnes, ce qui est 
d'autant plus triste que lespensions n'existent que comme exeptions; 
dans les villes et les zemstwos elles sont institutees, elles ne d^- 
passent jamais le chiffre de 360 roubles pour 25 ans de service. 
Quant ä la majeure partie du personnel enseignant, eile travaille 
Sans rien attendre de l'avenir. L'absence de solidarit^ entre les 
membres du corps enseignant, Tinsouciance, qui, parait-il, est le trait 
dominant du caractere russe, sont cause de ce que nous soyons ab- 
solument depourvus de cette bienfaisante Organisation du secours 
mutuel silargement repandue en Europe et qui eut pu rendre chez- 
nous aussi d'inestimables Services a ceux et ä Celles que la misere 
attend au seuil de la vieillesse. 

Notre presse quotidienne, nos revues pedagogiques sont pleines 
de lamentations sur le triste sort des maitres et des maitresses de 
nos ecoles primaires. On les y plaint sincerement, ils se plaignent 
aussi bien haut, mais les ameliorations se fönt attendre; il se peut 
qae bien des generations se succederont avant que des changements 
considerables se produisent dans la position du personnel enseignant, 
ä qui la Russie est redevable de ses immenses progres, mais qu'elle 
payo d'une ingratitude inexcusable. 

Nous devons constater avec un vif serrement de coeur que le 
nombre des ecoles mauvaises a tous les points de vue est de beaucoup 

8 



— 114 — 

superieur ä celui des ecoles convenables, sans parier des ecoles 
excellentes qui sont dans une minorite regrettable. Elles sont bien 
peu nombreuses, les ecoles primaires organisees conformement aux 
prescriptions de Thygiene, richement fournies de tout ce qui sert a 
l'enseigQement, dont le controle soit confie ä des personnages eclaires, 
ce qui rend impossible, ou tout au plus exeptionnel, des effractions 
ä la justice, des demissions arbitraires, enfin des collisions tragiques 
avec les superieurs ou bien avec les representants du clerge. Pour la 
majorite des ecoles c'est le contraire qui est de regle, et dans les 
coins perdus de notre vaste pays la position d'un maitre ou d'une 
maitresse d'ecole est bien loin d'avoir ä un degre desirable de la 
stabilite et meme de la securite. Avec cela, les ecoles y sont 
miserables, manquant de tout, meme de lumiere et d'air, les eleves 
y sont entasses dans des locaux impossibles oü, pendant les froids 
de rhiver. Feuere vient ä geler dans les encriers. 

Les plaies saignantes de notre Organisation scolaire, les couleurs 
sombres sous lesquelles nous apparait la position de Tinstitutri 
primaire russe, nous les rapportons toutes entieres au defaut d'une 
large culture intellectuelle dont la Russie a si longtemps souffert et 
dont eile continue a souffrir. C'est une circonstance attenuante sans 
laquelle nous trouverions sans excuses qu'on fit si peu en Russie 
au profit de Celles qui ont cree Tecole primaire russe. Elles sont 
bien dignes d'une destinee meilleure nos institutrices primaires, car 
non seulement elles travaillent avec courage dans des conditions 
souvent impossibles et obtiennent malgre tout des resultats satis- 
faisants, mais encore dans les annees de calamites publiques (souvenons- 
nous des trois annees terribles pendant lesquelles la Russie fut 
ravagee par la famine!), on les a vues faire des prodiges d'abnegation, 
des efforts surhumains, donner jusqu au dernier sou, afin de secourir 
Tenfance malheureuse. Si Tecole primaire n'a pas sombre alors 
dans des üots de misere et de desespoir, c'est aux vaillantes 
institutrices primaires que notre pays est en grande partie redevable ! 

Pour completer le tableau que nous venons de faire, ajoutons- 
y quelques traits endisant, que noncontentes detravailler en classe, 
nos institutrices primaires prennent un vif interet et tres-souvent 
une part active ä l 'Organisation des bibliotheques populaires, des 
lectures publiques pour le peuple, des ecoles du dimanche, enfin ä 
tout ce qui tend au noble but de häter l'instruction et le developpe- 
ment intellectuel du peuple. Les societes Philanthrop iques, les co- 
mites de Tinstruction primaire comptent parmi leurs merabres actifs 
un beau nornbre de raaitresses d*ecole. Quelques-unes d^entre elles 
ont SU se faire un nom en ecrivant dans les revues pedagogiques et 
litteraires, en publiant des livres pour la jeunesse et des manuels 
classiques. 

Ajoutons enfin que Tenseignement primaire en Russie est Funique 
brauche de Factivite publique, ou lafemmeest non seulement Fegale 
de Fhomme, mais qu'elle lui est souvent superieure de beaucoup: 
car un nombre considerable de nos institutrices primaires sont munies 
de diplomes superieurs, tandis que, par la volonte du gouvernement, 
11 est interdit d'etre maitre d'ecole primaire aux hommes ayant fini 
leurs etudes dans les universites. 



— 115 — 

üeber Fortbildungsschulen. 

Yon Fräulein Margarethe Hager, städtische Lehrerin, Berlin. 

Verehrte Anwesende! 

Wenn man versucht, in das Wesen, das sich hinter der Er- 
scheinung birgt, tiefer einzudringen, so muss man sich auf Ent- 
täuschungen gefasst machen. Diese sind auch mir nicht erspart 
geblieben, während ich mich eingehender um das Wesen unserer 
Fortbildungs-Schulen kümmerte. Fortbildung, das ist ein Wort von 
echtem Klang! Der Begriff der „abgeschlossenen Bildung", hinter 
dem einige so wohl zu ruhen verstehen, ist darin aufgehoben. Es 
erinnert an tiefes befreites Atmen in reiner stärkender Luft. 

Aber eines ist mir sehr bald klar gewerden: allzu kräftig und 
lustfreudig darf die .Lunge nicht sein, die ihren Bedarf an Lebens- 
stoff aus den Fortbildungsschulen nehmen will. 

Herr Geheimrat Bertram, der Herr Stadtschulrat von Berlin, 
betonte in einem im Chemiegebäude gehaltenen Vortrag, dass der 
Gedanke der Fortbildungsschulen erst in den letzten 25 Jahren bei 
uns Wurzel geschlagen habe. Deswegen böten die auf diesem Ge- 
biete gesammelten Erfahrungen noch kein sicheres Fundament für 
einen auch nur im Plane fertigen Ausbau dieser Anstalten. 

Wenn man das festhält, sich auch zugleich daran erinnert, dass 
hart im Räume sich stossen die Sachen, ob leicht auch beieinander 
wohnen die Gedanken und dass alles, was ein Gewordenes doch auch 
ein Werdendes ist, so hat man einige der Trostgründe, deren man 
bedarf, wenn man unser Schulwesen ins Auge fast. 

Unsere Schule ist festgewurzelt in einer Zeit, durch deren 
Lebensanschauungen das soziale Gewissen noch nicht so laut pochte, 
und sie schreitet nicht weiter. Was nutzen uns die Psychologen- 
kongresse, was nutzen uns die auf psycho-physiologischem Gebiete 
gewonnenen Erkenntnisse, wenn sie nicht einmal da mitbestimmend 
wirken dürfen, wo sie führend sein müssten: auf dem Gebiete der 
Jugenderziehung! Die Naturwissenschaften, die uns lehren, für 
jede geistige Lebensäusserung eine physische Basis zu suchen, sind in 
den letzten Jahrzehnten mit Sturmeseile vorgeschritten. Und jeder 
wird es begreiflich und jeder wird es verzeihlich finden, wenn man 
in der Nutzbarmachung des von ihnen neu erschlossenen Terrains 
nicht gleichen Schritt mit ihnen gehalten hat. 

Aber die es ernst nehmen mit dem Wachsen in der Erkenntnis 
fragen doch jetzt schon mehr und mehr: „Leben die Bücher bald?" 

Wird nicht die Schule den Versuch wenigstens machen, die 
verloren gegangenen Beziehungen zum Kultur- und Geisteisleben der 
Gegenwart wieder aufzunehmen? 

Dazu — das wissen freilich alle, die ein auf Gründe gestütztes 
Urteil abgeben können — dazu bedarf es einer Reformation der 
Schule an Haupt und Gliedern. Und die Reformrufe erschallen 
nicht nur aus dem Lager der studiosi rerum novarum, denen man 
vorwerfen könnte, sie träten ihrer Natur gemäss mit Neuforderungen 
auf; nein auch diejenigen lassen sie hören, die gern der Urväter 
Hausrat konservieren. 

8* 



— 116 - 

Reformbestrebungen wird man zu allen Zeiten auf der Tages- 
ordnung geistig lebhafter Völker finden; aber wenn sie so laut und 
dringlich werden wie jetzt und hier, so muss doch etwas faul sein 

— und diesmal ganz und gar nicht im Staate Dänemark. Ver- 
trauen wir uns der Führung namhafter und weitblickender Päda- 
gogen an, so zeigen sie uns als Ziel die Einheitschule. 

Ein stufenmässiger Aufbau aller Jugendbildungsanstalten von 
der Elementarschule bis zur Universität, der auf keiner Stufe den 
Zusammenhang mit der voraufgehenden und der nächstfolgenden 
verliert, wird im Interesse des Gemeinwohls und der G-erechtigkeit 
gefordert. 

Es giebt einige, die da meinen bei diesem Aufbau die Elementar- 
schule entbehren zu können. Sie halten die Welt um ein Erhebliches 
weiter gebracht, seitdem man dahinter gekommen, dass — die alten 
Sprachen nicht mehr gesprochen d. h. nicht mehr dem Augenblicks- 
bedürfnis dienstbar gemacht werden können. Sie nehmen ernsthaft 
Teil an dem Lokalkampf, der um diesen ehrwürdigen Bestandteil 
der Bildung unserer Väter entbrannt ist; aber sie sehen nicht — 
vom Ich befangen — dass es für jeden — er sei auch, wer er mag 

— von weit einschneidender Bedeutung sein muss, den Stand der 
Volksbildung auf der Höhe halten zu helfen. 

Den Volksbüdungsanstalten fällt doch die Aufgabe zu, den 
weitaus grössten Teil der zukünftigen Staatsbürger heranzubilden; 
diese Jugend zu lehren, ihre Zeit zu begreifen, und ihr zu dienen, 
indem sie sie auf der unendlichen Wellenlinie der Entwickelung als 
Etappe zum Fortschritt tiberwindet. So nur kann sie den Pflichten 
gegen die Vergangenheit und Zukunft gerecht werden. 

Lösen unsere Volksschulen, zu denen ich auch die Fortbildungs- 
schule rechne, diese Aufgabe? 

Ich glaube der jafroheste Optimist wird hier nicht mit einem 
Ja antworten. 

Sie können sie nicht lösen. 

Die Elementarschule, die ihre Zöglinge in der Unreife des 
14. Lebensjahres entlässt, kann diese Kinder doch höchstens mit 
Lernwerkzeugen versehen: sie schreiben, lesen, rechnen und den 
Gebrauch der Muttersprache lehren, was sie übrigens — dank dem 
starren Schema, das sie beherrscht — auch nicht gut fertig bringt. 
Diese Kinder auf Horizont erweiternde, Bildung vermittelnde 
Wissensgebiete hinüberleiten, kann sie nicht. 

Und die Erkenntnis ist auch ziemlich allgemein geworden, dass 
der junge nur mit der Bildung der Elementarschule ausgerüstete 
Mensch schlecht gewappnet ist für den Kampf ums Dasein. 

Die Besten unseres Volkes haben deswegen auf Abhilfe ge- 
sonnen. Sie glauben, sie in der Fortbildungsschule gefunden 
zu haben. 

Ja, wenn der Fortbildungsschule keine der wichtigsten Dis- 
ziplinen auf ihrem Lehrplan fehlte, wenn nicht fast alle mit zu 
knappem Zeitmaass bedacht wären; ja, wenn die Fortbildungsschule 
frischen, beweglichen Geist und unermüdete Körperkräfte bei ihren 
Schülern vorfände, dann dürfte sie die Hoflnung derer erfüllen, die 
eine Erweiterung der Volksbildung von ihr erwarten. 



- 117 — 

Aber so? 

Die Ueberbürdungsfrage, die in Bezug auf die Zöglinge höherer 
Lehranstalten so lebhaft und ernst diskutiert wird, scheint für die 
Fortbildungsschüler einfach dahin gelöst, dass diese nicht überbürdet 
werden können. 

Man muss sie sich ansehen, die schwächlichen Knaben und 
Mädchen, die jetzt bei Semesterschluss freudig die Schule verlassen, 
die ihnen ja auch manche Unbill zufügte ; man muss sie sich an- 
sehen diese Beweiskräfte einer Decadenzprophetie, um sich vor- 
stellen zu können, mit welcher Lust und Frische sie nach ermüdendem 
Tagewerk daran gehen werden, ihre bescheidenen Bildungsprobleme 
zu lösen, zu einer Zeit, wo Kinder ins Bett gehören. 

Sicher giebt es auch Schüler, die älter geworden, den Mangel 
ihrer Bildung erkannt haben, und die unter ihm seufzend, ihn aus- 
zugleichen streben. Aber auch sie sind den G-esetzen des Zusammen- 
hanges von Körper und Geist unterworfen, und wenn sie not- 
dürftig den klaffenden Riss ausgeflickt haben, der ihnen beim Fort- 
kommen hinderlich war, sagen auch sie der Fortbildungsschule Valet! 
froh, nach dem Frohndienst des Tages den Abend frei zu haben. 

Stärkendes Wissen von allgemeinem Werth in sich aufzunehmen, 
dazu gönnt die hastige Zeit ihren jungen Kindern keine Zeit. 

Wir haben fakultative Fortbildungsschulen, nicht, wie Sachsen, 
Württemberg, Baden und einige preussische Provinzen obli- 
gatorische. 

Dass die Fortbildungsschule nur ein Notbehelf, geht aus der 
Bestimmung hervor, dass sie durch Ortsstatut den Bedürfnissen des 
Ortes angepasst werden könne. Sie kann danach also auch fakultativ 
oder obligatorisch gestaltet werden. Herr Geheimrat Bertram, der 
rühmlich bekannte Freund und Förderer der Fortbildungsschulen, 
wies in seinem Vortrag mit der schlagenden Beweiskraft von vielen 
Millionen Mark nach, dass die fakultative Fortbildungsschule vor- 
zuziehen sei, weil die vielen Unterrichtsstunden derselben nicht mehr 
kosteten, als wenige Stunden der obligatorischen kosten würden. 
Auch glaubt der Herr Geheimrat, dass die fakultative Fortbildungs- 
schule, die dem Schüler die Entscheidung über ihren Besuch über- 
lässt, sittliche Motive anregen und wirksam machen werde. Aber 
ich meine, hier muss man sich wieder klar werden darüber, wer 
denn diejenigen sind, die entscheiden sollen. Unreife Kinder, in 
denen die Elementarschulen mit dem allerbesten Willen noch keine 
ethischen Ueberzeugungen reifen, keine prüfende Urteilsfähigkeit 
heranbilden konnte. 

Was die Kinder in die Fortbildungsschule treibt, das ist 
— meine ich — die Konsequenz des Kampfes ums Dasein, die Not, 
die beten lehrt, die aber auch lehrt, die Kräfte bis zur äussersten 
Erschöpfung anzuspannen. 

Ich wünschte, unsere Mittel erlaubten uns, auf die Sittlichkeit 
dieser Motive zu verzichten und dem jungen Menschen den ver- 
sittlichenden Schutz der Schule bis etwa zum 16. Lebensjahre an- 
gedeihen zu lassen. Die Einheitsschule würde uns solchem Ziele 
näher bringen. Noch — ich weiss es wohl — sind wir weit davon entfernt. 
So müssen wir sehen, wie wir unter den gegebenen Bedingungen 



— 118 — 

weiter kommen, also wie wir die Fortbildungsschule ausnutzen. 

Ich muss mir versagen, hier auf — wenn auch allerwichtigste 
— Einzelheiten, namentlich Methodik und Lehrplan betreffend, ein- 
zugehen. Aber bedauernd will ich doch darauf hinweisen, dass der 
Muttersprache, wieder eine so knappe Zeit zugemessen ist: oft nur 
2 Stunden in der Woche. In diesen engen Rahmen soll hinein- 
gepresst werden: Grammatik und Orthographie, mündliche und 
schriftliche Stüiibung aller Art, womöglich auch Litteratur. 

Dass Geschichte, Naturkunde und Gesundheitslehre auf den 
Lehrplan der Fortbildungsschule gehören, geben alle zu, die hier 
urteilen können. Befähigt doch das Wissen in diesen Fächern erst, 
die Beziehungen des Einzelnen zur Allgemeinheit zu verstehen, ge- 
gebene Werte richtig gegeneinander abzuwägen, und so den Pflicht- 
teil an der Kulturarbeit zu leisten. 

Aber was thun? Es mangelt an Zeit. 

So lange man sich nicht entschliesst, von den Lehrherren für 
die Lehrlinge beiderlei Geschlechts gesetzlich Tagesstunden zu- 
fordern, um die dem Gemeinwohl nützliche, ja nötige Fortbildung 
dieser Lehrlinge zu ermöglichen, so lange werden die Fortbildungs- 
schulen nichts Erhebliches leisten. 

Etwas günstiger als für die Knaben gestalten sich die Um- 
stände für die Mädchen. Da sie nicht so ausnahmslos gleich nach 
der Konfirmation eine Berufsarbeit um den Brotervverb aufnehmen, 
so ist es möglich gewesen, die Stunden für sie früher, oft in den 
Nachmittag zu verlegen. 

Vier von den zwölf Bei'liner Fortbildungsschulen für Mädchen 
verdanken der Energie und dem Interesse von Privatleuten ihr 
Ent- und Bestehen. Alle Fortbildungsschulen tragen einen mehr 
oder minder stark ausgeprJigten gewerblichen Charakter. Auf ihrem 
Lvhrplan findet man ausser Französisch, Englisch, Deutsch, Rechnen, 
Bachführung, neuerdings auch Stenographie und Schreibmaschine, 
auch Nähen, Flicken, Schneidern, Putz, Handarbeit und Kunsthand- 
arbeit, F^lätten und manchmal, leider selten, auch Kochen. 

Eine der vorzüglichsten F'ortbildungsschulen ist die durch das 
Protektorat der Frau Kaiserin Friedrich ausgezeichnete Viktoria- 
fortbildungsschule. Sie wurde im Jahre 1878 von Frau Senats- 
präsident Henschke ins Leben gerufen. Frau Henschke, die Vor- 
sitzende des Kuratoriums, ist noch die Seele dieser Anstalt. Ihre 
zieltreffende Energie, ihr tiefdringendes Verständnis für das, was 
den schulentlassenen Mädchen not thut, und namentlich ihre warme, 
opferbereite Liebe für die Jugend haben sie mit bahnbrechend 
werden lassen auf dem Gebiete des Mädchenfortbildungsschulwesens. 
Die Viktoriafortbildungsschule arbeitet aber unter abnorm günstigen 
Umständen. Ihr ist es z. B. möglich geworden, Tageskurse ein- 
zurichten, da die Stadt so freundlich war, der Schule im Rektoren- 
haus, Tempelhofer Ufer 2, Räume zur alleinigen Benutzung zu 
überlassen. 

Die Stunden werden ausser G esang, Schreiben, zum Teil Zeichnen, 
von Lehrerinnen erteilt, weil Frau Henschke davon überzeugt ist, 
dass für diese Entwickelungsjahre der weibliche Einfluss bei den 
jungen Mädchen überwiegen müsse. 



- 119 - 

Deutsch ist in der Anstalt obligatorisch, was betont werden 
soll; sonst hat sie, der Not gehorchend, ebenso ein gewerbliches 
Gepräge, wie alle anderen Fortbildungsschulen. 

Dieses Gepräge ist es wohl auch, das diese ebenfalls fakultative 
Fortbildungsschule füllt, wenigstens bei Semesterbeginn. Bei Semester- 
schluss ist die Zahl der Schüler oft auf die Hälfte reduziert; denn 
es ist nicht jedermanns, namentlich nicht jedes Kindes Sache, das 
einmal Begonnene trotz aller Unbequemlichkeiten zu Ende zu führen. 

Ich habe gehört — aber das halte ich für Wahnrede Unein- 
geweihter — man messe dafür den Lehrkräften gern die Schuld bei. 

Die allgemeine Fortbildungsschule in ihrer jetzigen Gestalt als 
Abend- und Ergänzungsschule für die Elementarschule kann keine 
Zukunft haben. Deshalb muss die Elementarschule in ihren Lehr- 
jahren erweitert und in ihren Lehrzielen umgebildet werden. 

„Es muss geschehen, Darum wirds geschehen." 

Die Fortbildungsschule als Fach- oder Gewerbeschule an die 
reformierte Elementarschule angegliedert — das ist es, was die 
kommende Zeit fordert. 

Auch Fachschulen existieren schon, aber — wie ja verständlich 
— fast ausschliesslich für Knaben. Für Mädchen sind namentlich 
Handelsschulen ein Produkt der Neuzeit. Sie wurden vielfach ge- 
gründet auf Anregung des vortrefflich organisierten Hilfs Vereins für 
weibliche Angestellte, für welchen Herr Julius Meyer die Mühen 
und Beschwerden eines Vorsitzenden übernommen hat. 

Die Berliner Handelsschule für Mädchen arbeitet unter Leitung 
des, um die Interessen unserer Stadt hochverdienten Herrn Professor 
Dr. Schwalbe und des Herrn Julius Meyer. 

Beide Herren dürfen wir als warme Freunde der Frauen- 
bestrebungen ansehen. Auch sie haben an ihrer Anstalt dem weib- 
lichen Einflüsse die Bahn frei gemacht, und ich bin überzeugt, dass 
bei Wertmessung der Geschlechter die Frau bei ihnen nicht zu kurz 
kommt. Beide Geschlechter werden für ihre Leistungen gleich- 
massig bezahlt; auch ein Unikum in der Weltgeschichte, wenigstens 
in der Berliner. 

Was die Anstalt weit hinaushebt über das gewöhnliche Niveau 
das ist ihr stetiges, sehr merkbares inneres Werden und Wachsen. 

Immer wird von den Massgebenden der Zweck im Auge 
behalten, den jungen Mädchen, die die kauftnännische Laufbahn ein- 
schlagen wollen, eine wirklich tüchtige Fachbildung zu vermitteln 
und so Angebot und Nachfrage auf diesem Gebiet dahin regulieren zu 
helfen, dass unqualifizierte Bewerberinnen ausgeschieden werden. 

Niemals, wenn es gilt Neuforderungen der Zeit gerecht zu 
werden — mag ihre Erfüllung auch noch sonst nirgends versucht 
sein — niemals wird an der Handelsschule ihnen ausgewichen 
werden, weil etwa ihre Erfüllung „die Kosten nicht decken" könnte. 

Die Schule hat aber darum auch in erstaunlich kurzer Zeit eine 
eminente Ausdehnung gewonnen. Es wäre der Anstalt zu wünschen 
und wird in absehbarer Zeit wohl notwendig werden, dass sie 
sich 7M einer Tagesschule mit noch erweitertem Lehrplane um- 
gestaltet. Dazu fehlt es vorläufig an Raum. 

Jetzt liegen die Stunden zwischen 5 und 8 Uhr abends, die 



— 120 — 

Sprachstunden von 8 bis 10 Uhr, damit an ihnen auch die Schülerinnen 
der kaufmännischen Fortbildungsschule teilnehmen können. Auch 
hier wäre im Interesse der Handelsschule eine Trennung beider In- 
stitute sehr zu wünschen; denn die fakultative Fortbildungsschule 
gestattet nach meiner, aus der Praxis gewonnenen Ansicht nicht 
eine Einordnung der Schüler nach gleichen Vorkenntnissen. Dies 
ist auch einer der vielen Gründe, die dem nutzbringenden Lehren 
und Lernen in unseren Fortbildungschulen hinderlich sind. 

Noch eins ist sehr wichtig für solche Schulen, die Erfahrungen 
machen und sie verwerthen wollen, und das will ich zu erwähnen 
nicht vergessen, nämlich dass die Lehrkräfte mit Lust und warmer 
Liebe bei der Sache sind. In der Handelsschule ist dies in seltenem 
Maasse der Fall; hier arbeitet auch der Lehrer nicht unter den 
Leitenden, sondern er darf als Urteüsberechtigter mit ihnen arbeiten. 
Jeder Wunsch aus den Klreisen der Lehrerschaft wird einsichtsvoll 
geprüft; jeder gestaltungs werte Q-edanke findet eingehende Beachtung. 
Und dadurch sind die Lehrenden sonst nicht gerade verwöhnt; meist 
haben sie sich einfach den automatisierenden Verordnungen zu 
fügen, die die freie Persönlichkeit, die doch allein eindringlich wirken 
kann, aufheben. — 

Aus dem, meine verehrten Damen und Herrn, was ich Ihnen hier in 
gedrängter Kürze angedeutet, werden sie erkennen, dass wir — was 
Schul- und Erziehungsfragen angeht — die Zeit, um auf unseren 
Lorbeeren auszuruhen, für noch nicht gekommen erachten. 

Wir Deutsche sind etwas schwer und langsam; dabei stecken 
uns Kopf und Herz voller Ideale, denen wir nacheifern. Wir 
kennen schon unsere Schwäche, und wer mit aufmerksamem Blicke 
in unser öffentliches Leben hineinschaut, der sieht auch, wie unser 
Volk sich redlich müht, die hinderliche Nationalanlage besser und 
besser zu überwinden. Die Thatsachen, die uns das Leben schwer 
machen, die uns betrüben, entmutigen uns doch nicht. Unser Banner 
flattert hoch und frei und weithin sichtbar, und es trägt „trotz 
alledem und alledem" die flammende Devise: Vorwärts! 

Höhere Mädchenschulen und Seminare für 

Lehrerinnen. 

Von Fräulein Laura Herrmann, königl. Oberlehrerin, Berlin. 

Hochverehrte Versammlung. 

Unter allen Frauen der Kulturstaaten nimmt die deutsche, 
gebunden durch die IJeberlieferungen einer zweitausendjährigen Ge- 
schichte, die schwierigste Stellung den neuen Bahnen gegenüber 
ein. Sie ist zu einem hohen Grade von Selbstlosigkeit erzogen 
worden; doch durch die Gewohnheit, diese Tugend auszuüben, erwarb 
sie die fehlerhafte Neigung, Verzicht zu leisten auf die edelsten 
Güter des Menschen: auf geistige Unabhängigkeit, auf die Bildung 
einer Persönlichkeit. 

So hat sie bisher keinen ungetrübten . Einblick in die Be- 
strebungen der Frauenbewegung, sondern erblickt in jedem Wollen, 
sich ebenbürtig an die Seite des Mannes zu stellen, eine Unweiblich- 



— 121 — 

kdt. Das deutsche Vaterland aber mit seinen grossen Erfolgen ist 
ans seinem mehr kleinstaatlichen und kleinstädtischen Wesen in den 
Weltverkehr hineingetrieben worden. Die grosse Kulturpüegerin, 
„die Sorge für die Zukunft **, hat einen Teil der Frauen gezwungen, 
den Pfad der Traditionen, auf tiefere Geistesausbildung zu verzichten, 
aufzugeben. 

Diesem Geeist der Neuzeit bietet keine Gegnerschaft die Spitze, 
denn: Er sitzet am sausenden Wt^bstuhl der Zeit und wirket der 
Gottheit lebendiges Kleid. Nach dem Gesagten kann es uns freilich 
nicht wunder nehmen, dass Deutschland, hochberühmt durch seine 
Knabenschulen und seine Volksunterrichtsstätten, für Mädchenbildung 
nur Elementarschulen hat. Eine eigentliche höhere Lehranstalt, die 
annähernd den Zielen der Knabenbildung entspräche, haben wir nicht. 
850 Gj'mnasien, Realgymnasien und Realschulen besitzt unser Vater- 
land; die 580 Mädchenschulen, die höhere genannt werden, sind nur 
gehobene Elementarschulen und sind im Etat den Volksschulen 
zugerechnet. 

Einige ausserpreassische Staaten, wie Sachsen, Anhalt, Braun- 
schweig, Baden, Oldenburg setzten seit kurzem einzelne Töchter- 
schulen auf den Etat der höheren Lehranstalten, erkannten sie also 
&ktisch als solche an. Deutschland legt sehr grosses Gewicht auf 
die klassische Bildung seiner männlichen Jugend, auch aus dem 
Mittelstande; das Niveau des Wissens ist in unserem Vaterlande 
bei dem Durchschnitt der Ausbildung der Männer höher als in den 
anderen Kulturstaaten. Ein Erreichen ihrer Ziele deshalb für uns 
schwerer als sonst irgendwo. — Was man im Auslande schon zur höheren 
Bildung rechnet, verweist man in Deutschland noch in das Gebiet 
des Elementaren. Die Knaben lernen im allgemeinen bei uns zu viel 
— die Mädchen zu wenig. 

Infolge dessen können die Mütter ihre Söhne geistig nicht mehr 
leiten, wenn diese das zehnte Jahr erreichen und so entwachsen sie 
ihrer Autorität, die in unseren Tagen doch von der grössten, sitt- 
lichen Bedeutung wäre. Die Ziele einer Anzahl Mädchenschulen 
müssen darum höher gesteckt und den zunehmenden An- 
forderungen an die geistige Reife und Einsicht mehr angepasst 
werden. 

Eine grössere Gliederung des Mädchenschulwesens ist dringend 
notwendig; denn die Wege des Lebens führen auch das Weib in die 
verschiedensten Bahnen, zu den verschiedensten Aufgaben. Unsere 
Mädchenschulen sind, obgleich ihre Stellung nach wie vor die unter- 
geordnete blieb, in ihrem inneren Ausbau in letzter Zeit einer 
langsamen Reform zugeführt worden. Deutschland ist das Land 
der Reformen und nicht der Revolutionen, und so ist dieser Wandel 
ein günstiges Zeichen von ihrem allmählichen Emporwachsen. 

Vom Jahre 1872 an ist eine Bewegung hervorgetreten — und 
zieht ihre Kreise bis 1894, — zu der Entstehung eines einheitlichen 
Lehrplanes für den Mädchenunterricht. Durch die Versammlung 
in Weimar vor nunmehr vierundzwanzig Jahren, trat auch die 
Lehrerinnenfrage in eine neue Bedeutung ein. Bis dahin waren 
die weiblichen Kräfte wenig beachtet worden. Lehrerinnen ver- 
traten meist technische Fächer und den Fremdsprachenunterricht. 



— 122 — 

Dadurch behielten die Mädchenschulen den Charakter geringerer 
Nachbildungen der Knabenschalen, da Männer fast ansschliesslich 
den Unterricht gaben, die Erziehung leiteten und ihren Einfluss un- 
umschränkt zur Geltung brachten. Vielleicht war das eine ge- 
wollte Fügung dessen, von dem wir wissen, dass seine Gedanken 
höher sind als unsere Gedanken. Das deutsche Mädchen gewann, 
so angeregt, an Thatkraft. Jene Männer bildeten die weiblichen 
Geister, die selbständiger und zielbewusster den Kampf im Leben 
aufzunehmen vermochten. Die Lehrerin der früheren Zeit war 
geistig nicht durchgebildet genug, um, auf der Oberstufe zumal, von 
nachhaltig bildendem Einfluss auf die heranwachsende Jugend sein 
zu können. Wer könnte es leugnen, dass der Einfluss des Mannes 
auf den weiblichen Geist, besonders beim deutschen Mädchen, der 
entscheidende ist! Wie des Weibes Blüte und Schönheit sich nur 
an der Seite des Mannes voll und ganz entfaltet, so ist sein innerstes 
Geistes- und Herzensleben an den Mann gebunden. Ausschlieslich Lehre- 
rinnen — wie manche Führerinnen der Zeitfragen wünschen, an der zu- 
künftigen Mädchenschule beschäftigt zu sehen — wäre ein ebenso 
arger Missgrifl — wie nur Männer zum Bilden der jungen weib- 
lichen Seelen zu berufen. Zwei Geschlechter schuf die Natur und 
natürlich ist es, sie beide an der Bildung des zukünftigen Weibes 
arbeiten und wirken zu lassen. Die Lehrerin muss dazu an Wissen 
dem Lehrer gleich werden. 

Als die Ansicht der Berechtigung der Lehrerinnen an den 
Mädchenschulen von Kippenberg-Bremen im Jahre 1878 zum ersten 
mal ausgesprochen wurde, erhob sich ein gewaltiger Sturm dagegen. 
Nicht „notwendig", vielleicht „wünschenswert" — oder nur „zu- 
lässig", so hiess es damals. Den Strebenden unter den Lehrerinnen 
war shfY damit ein schönes Ziel gegeben, dass sie ihre Brauch- 
barkeit beweisen konnten. Wenn Sie, meine Damen, hören, dass 
die Lehrerin heute an der Schule berechtigt ist, da^s man sie be- 
grüssen will in den Reihen der Männer, um auch auf den oberen 
Stufen, bei der Arbeit an ihrem Geschlecht mitzuhelfen, so können 
Sie nicht ermessen, wieviel Kampf und Entäuschung, wieviel Fleiss 
und oft so vergebliche Mühe diesem Siege vorhergegangen ist. Ich 
kann nicht umhin, hier einer Dame zu gedenken, die hier in Berlin 
die erste war, welche dem Selbststudium und der Selbstbildung der 
Lehrerinnen freundlich die Hand zum Weiterkommen bot, da sonst 
in Hörsälen und Bildungsstätten der Männer für uns nur ver- 
schlossene Thüren waren. Miss Archer, die Gouvernante der Kinder 
des damaligen kronprinzlichen Paares, eine Engländerin, begründete 
1869 das unter das Protektorat der Kronprinzessin gtstellte 
Viktoria-Lyceum. 

Miss Archer gehörte zu jenen idealen Wesen, die ihre Mission 
erfüllen, ob im Sonnenschein des Glückes — oder auf dornenvollem 
Pfade. Sie vertrat die Kunst der Menschenbildung und brachte 
dazu das reichste Herz, jene bezaubernde Liebenswürdigkeit des 
Wesens mit, die jenen eignet, die Geist und Gemüt gleichzeitig 
harmonisch entwickelten — eine schwere Aufgabe, die nicht oft 
gelingt. Sie richtete Ausbildungskurse für Lehrerinnen ein und 
wfihlte zum Gegenstand derselben Deutsch und Geschichte. Der 



— 123 — 

Ausfall der ersten Prüfang, 1881, in Gegenwart des Herrn Scbul- 
rates Cauer, zeigte, wie treu deutsche Lehrerinnen zu arbeiten ver- 
ständen, wenn freundliche Anleitung ihnen die Wege bahnt. 

Die' SchöpfuDg der Miss Archer, der sie zu früh durch den 
Tod entrissen wurde (im Nov. 1882), gedeiht weiter in prächtigem 
Hause; sie war zu zeitgemäss, um unterzugehen — doch alle, die 
die Begründerin gekannt haben, werden ihrer und des armseligen, 
grauen Hauses gedenken, wo ihre hoheitsvolle Erscheinung so sinnig 
waltete. Die Kurse, die dort jetzt eingerichtet wTirden zur Vor- 
bereitung der Lehrerinnen, um diese für den Unterricht in den Ober- 
klassen auszubilden, ähnliche Einrichtungen, wie sie G-reifswald und 
Göttingen getroffen haben, sind dankenswerte Beihilfen für das er- 
weiterte und gefestigte Wissen der sogenannten Oberlehrerinnen; 
aber es sind doch nur Uebergangsstufen. Eine \\Tirkliche akademische 
Durchbildung, wie die Männer sie sich aneignen dürfen, geben sie 
nicht. Unsere Vorbildung ist die der Volksschule und von dieser 
ist der Sprung zur Universität, wenn auch eine Presse für das 
Abiturium vorhergeht, ein zu grosser. 

In der Hast lässt sich nicht bilden. Wissen lässt sich an- 
lernen — aber nicht verarbeiten, dass es Fleisch und Blut in uns 
werde, ohne die naturgemässe Entwickelung, die die Zeit giebt. 

Leib und Seele leiden dabei, und es kommt mehr Verschrobenes 
daraus hervor, als Veredlung der ganzen Persönlichkeit. Das Kenn- 
zeichen dieser gewaltsamen Ausbildung ist die Ueberhebung, ist der 
kühne Gedanke, nun auch völlig den Lehrer ersetzen zu können, 
den eine Vorbereitung von vielen Jahren geistig geschult hat. Soll 
die Lehrerin gleichwertig dem Lehrer werden, so muss eine Schule 
sie gebildet haben, die dem Aufbau des höheren Wissens entspricht. 
Oberrealschulen mit Latein und Mathematik sind uns zunächst nötig, 
an die sich dann wenigstens eine weibliche Universität anschliessen 
muss. Der Bildungsgang des Mädchens muss für die, welche an der 
Lösung der Frauenfrage auf diesem Gebiete wirken sollen, derselbe 
wie der des Knaben werden. In Deutschland geht das nicht anders. 
Hier sind zu feste, gesetzliche Bestimmungen über die Vorbildung 
eingeführt, dass selbst hochgebildete Männer des Auslandes die 
staatlichen Prüfungen nochmals hier ablegen müssen, um zu einem 
Amte zu kommen. 

Wir dürfen darum die Wege unserer F'rauenbewegung nicht 
immer mit Amerika, England oder dem so rasch vorgeschrittenen 
Finnland vergleichen. Wir sind Deutsche und im deutschen Volke 
vollzieht sich der Fortschritt langsamer, doch planmässig durchdachter. 
Deutschland erhielt im Kreise der Nachbarstaaten einst zuletzt seine 
Hochschulen für die Männer; die deutschen Bauern haben von ihren 
12 Artikeln aus dem Jahre 1524 bis zum Freiherrn von Stein (1807) 
auf die Anerkennung ihrer gleichen Menschenrechte warten müssen. 
— Deutsche Frauen werden ausharren, bis auch ihnen die Freiheit 
kommt, sich in ihrer Eigenart ausleben zu dürfen, wenn wir auch 
alle den Tag unserer Mündigkeitserklärung nicht schauen sollten. 
Ist unser Streben von Gott — so wird es bestehen ! Der Wider- 
stand gegen die Gleichstellung beider Geschlechter entspringt der- 



- X24 ~ 

selben Quelle, aus welcher alle Hemmungen kommen. Der Vor- 
stellung nämlich, dass damit unerträgliche Zustände geschaffen 
würden. Sah man doch den Untergang des Christentums in dem 
kühnen Vorgehen Luthers gegen Papst und Kirche — sollte doch 
die Gesellschaft aus den Fugen gehen, wenn Bürgerliche die Privi- 
legien des Adels teilten; und doch kamen hierbei nur menschliche 
Einrichtungen in Frage — Mann und Weib unterscheiden sich nach 
unwandelbaren, natürlichen Gesetzen; den Unterschied hat keine 
Unkultur vernichtet und wird keine Kultur aufheben. Die Ver- 
edlung unseres Geschlechtes wird niemals uns zu Männern um- 
bilden; das ächte Weib bleibt sich selbst getreu und gerade das 
deutsche Frauengemüt ist in seinem Grundton nimmer umzustimmen. 
Die deutsche Frau ist hingebender, aufopfernder und geduldiger 
als viele ihrer Schwestern in fernen Ländern. Sie hat das immer 
bewahrheitet. Der deutsche Mann weiss, dass sie Not und Kummer 
mit ihm teilt, wenn sie seiner Liebe nur gewiss ist. Sie hat ihm 
immer helfend zur Seite gestanden in den Zeiten, wo das Vaterland 
des Mannesarmes bedurfte; soll sie nur in der Not seine richtige 
Gefährtin sein? Soll Rückerts Versprechen von den Fesseln ver- 
gessen sein: 

Frauen Preussens, nehmt als Opfergaben 

Die Gabe meines Lied's, das ich Euch bringe, — 

Ihr, die ihr gabt vom Finger Eure Ringe, 

So wie ihr gabt vom Busen Eure Knaben 

Dem Vaterland; in Erzschrift sei gegraben 

Euer Preis, dass ihn kein Mund der Zeit bezwinge. 

Des Ruhms, den Eurer Männer blut'ge Klinge 

Erfechten wird — sollt Ihr die Hälfte haben: — 

Nur die Hälfte in dem Leid — nicht auch die Hälfte im Frieden 
— in der schönen geistigen That? 

Die deutsche Frau gab keinen Grund, sie für geringwertiger 
zu halten, als die Männer es sind. Und doch ist allem ihrem Thun 
dieser Stempel aufgedrückt. Die Männer, die sich der Bildung der 
Mädchen unterziehen, leiden mit unter diesem Vorurteil. Vorgebildet 
wie die an den Gymnasien und Universitäten Lehrenden, stehen sie 
als Mädchenlehrer in ehrenrechtlicher und gesellschaftlicher Beziehung, 
sowie hinsichtlich des Gehaltes, der Wohnungsgelder, der Pensionen 
und der Versorgung ihrer Hinterbliebenen hinter den anderen stu- 
dierten Lehrern und hinter allen Arten studierter Beamten zurück. 
Wenn von den vielen Gedanken, die hier angeregt werden, für uns 
in Deutschland nur die eine Frucht reifen wollte, dass einem Teil 
der Mädchenschulen im Vaterlande das Recht höherer Lehranstalten 
zugebilligt würde, so wäre damit ein segensreicher Schritt auf der 
Bahn der Weiterentwickelung unseres Geschlechtes geschehen — 
und wir könnten uns freuen, Anteil gehabt zu haben an der acht 
deutschen Arbeit: 

Die Sandkorn nur an Sandkorn reicht — 
Doch von der grossen Schuld der Zeiten 
Minuten — Tage — Jahre streicht. 



— 125 — 

Expörlence Pödagoglque 

Appliquee k TKcole professionnelle des T(>rnes. 
Par MUe. Pauline Dupont Directrice de TEcole, Officier d'Academie, 

Paris. 

Mesdames, Messieurs! 

Je suis heureuse et fiere de venir dans ce pays d'intellectuels, 
de savants, de profonds penseurs, moi, Franraise, me recommander a 
la bienveillance allemande dans ce Congres. 

•Pai 6te victime de Teducation fausse de ma jeunesse. Apres 
maintes donleurs vecues, j'ai eprouve la for^e conviction d'elever les 
jeunes filles en dehors de nos idees precon^ues. J'ai pu mettre cos 
preceptes en {)ratique, k TEcole professionelle des Ternes 22 bis, 
roe Bayen, ä Paris, pendant seize ans. Je vais en tracer les grands 
traits : 

En 1880, j'ai ete choisie pour diriger cette oeuvre. Je ne saurais 
trop remercier ceux qui ont apporte leur conoours ä l'Ecole d'avoir 
eu confiance en moi; car je crois avoir ete digne de ma liberte, 
puisque j'ai la satisfaction de ne m'etre jamais entendu dire qu'une 
de mes eleves ait tourne mal. 

Dans les lycees ou institutions, le directeur ne doit pas etre 
autoritaire ; mais donner un esprit d'ensemble, base sur certains prin- 
cipes, tels que cette vieille maxime universellement humanitaire: 
Faite» ce que vous voudriez qu'on vous fit! 

Le directeur responsable est Tincarnation de la justice; posse- 
dant relativement toutes les qualites, il ne doit pas affecter une vaine 
sup6riorit6. Bannissant la malveillante critique de son personnel, 
facilitant les rapports les plus loyaux, il doit detruire toutes les 
mesqnineries universitaires, par un esprit de liberte, un souffle de 
haute justice, et par un sentiment de bienveillance mutuelle. II doit 
laisser a tous leur initiative personnello et se servir de leur superio- 
rit^ intelleetuelle, du concours de leurs observations, pour le bien 
general. Mais je ne reconnais k qui que ce soit, le droit d'imposer 
un Programme. Cependant, si Tenseignant se trouve indigne de 
sa liberte ou inferieur, le dir»»cteur et les professeurs peuvent inter- 
venir avec bienveillance. Aussi, serait-il utile de reunir souvent son 
personnel, oü, sans parade, dans une causerie mutuelle, chacun pour- 
rait 6mettre ses observations, faire profiter de son experience acquise. 
Par ce moyen, on degage Tenseignement de toute routine; il peut 
se transformer par de nouvelles methodes, de meme que concourrait 
ä la prosperite de sa compagnie, un ingenieur qui apporterait ses 
creations, ses idees neuves. 

Le directeur, a Touverture de Tecole, devrait assembler tous 
les eleves, leur faire, sous form(? de causerie, une legon de pensees, 
d^observations, prise sur les incidents, les abus, qui necessairement 
se glissent journellement dans sa maison; leur faire connaitre le 
monde dans ses lüttes, dans ses prejuges, dans ses Conventions; les 
pr6venir des difficultes qui les attendent, malgre toute leur science; 
leur fonmir les preuves d'une experience acquise; faire appel a leur 
jngement, et ainsi leur accorder la saine liberte de discussion. 



— 126 — 

Pour determiner les actes et les difficultes qui surgissent, il 
peut fonder ses appreciations sur Tavis prealable des professeurs, et 
la conscience d'un jury d'eleves moralement elas par leurs condis- 
ciples; et gräce ä toutes ces consultations loyalement expliquees, ap- 
prendre ä tous de juger juste. II est plus facile d'obeir inconsciem- 
ment, que de savoir juger consciemment ses actes. 

Le directeur doit elever les pens^es, le coeur de Tenfant vers 
un ideal d'oü decoulera le beau, le bien, le jaste, et cela sans porter 
atteinte au desir et aux croyances des farailles. 

Le but de Feducation morale est la foi en la justice qui donne 
la notion du vrai! . . . 

Notre societe actuelle, avec ses dures necessites, ses Privileges, 
ses iniques personnalites, n'est que le resultat du Systeme pedagogique 
a Tegal de la doctrine dans les religions, c'est-ä-dire a Tegal de 
Fadministration en quelque sorte materielle de la morale, ne peut 
etre que fertile es Reines, puisque par Fesclavage des sectaires, il 
provoque plus etroitement les hostilites d^Dteret, qui naissent dans 
toute Organisation de societe humaine. Une large vision des conve- 
nances respectives de caractere ä caractere, parmi tous les etres d'une 
humanite constamment individuelle dissemblable, peut enfanter des 
heroismes, purifier et r^generer les societes, dont le Systeme religieux 
n'a produit que Fenvie, Finterßt personnel et la plus hideuse in- 
tolerance. 

Abolition des punitions et des recompenses. 

Le mot punition ne devrait jamais etre prononce dans une ecole; 
Fenfant doit s'habituer ä la reparation de ses torts. C'est par le 
respect de sa liberte, la persuasion et Famour de la justice que nous 
devons Fy conduire. N'exigez pas de Fenfant cette obeissance pas- 
sive, irresponsable, qui est aussi un h^ritage du passe; Fenfant doit 
prendre conscience de sa liberte, d'oü lui viendra Finitiative ou self- 
government. 

La condition essentielle de responsabilite, c'est la liberte; sans 
eile, pas d'energie! En un mot, developpez ces hautes conceptions 
dans un langage simple, vrai, et que vos actes soient en rapport ä 
vos theories. 

J'ai souvent remarque, ä raa propre confusion, que Fenfant a 
le sentiment de justice plus developpe que nous, qui le perdons dans 
la bataille des interets discordants et des Conventions sociales. Laissez- 
lui la liberte de juger dans le respect qu'il doit ä tous, dirigez-le 
dans la voie de la responsabilite, et ne le traitez pas comme un etre 
inconscient, lui qui pourrait vous en remontrer, au point de vue des 
principes naturels de justice et de liberte. Ah! Redoutez de donner 
aux enfants des defauts qu'ils n'avaient pas lorsqu'on vous les a 
confies. 

Les recompenses, les classements, les punitions doivent etre abolis 
de Fecole. II faut demontrer a Fenfant que chaque individu doit ä 
la societe sa part d'eflforts, de travail; au mieux doue, il appartient 
de donner davantage. Chaque eleve doit avaut tout dependre de sa 
conscience, et trouver en eile pleine satisfaction. Naturellement, le 
travail bien fait porte en lui-meme son salaire; mais Festime des 



— 127 — 

autres et le payement ne doivent etre consideres que comme resul- 
tats superflus, et pourtant necessaires dans la societe actuelle, mais 
moralement negligeables, puisqii'ils ne sont que des eflFets et point 
des causes. 

Organisation de l'Ecole des Ternes depuis 1880. 

II y a seize ans, en prenant la direction de Toeuvre, j'ai voulu 
etre Tamie des eleves, et la premiere etudiante de FEcole, en montrant 
chaque jour le perfectionnement moral. 

J'ai eu la coutume de rendre compte publiquement de mes actes, 
de les faire juger, sanctionner, par les professeurs, les eleves, dans 
le respect qu'ils me devaient. 

J 'inaugurai un cours de morale, oü toutes reunies, chaque matin, 
les abus, tout ce que ce nous avions sur le coeur devrait etre dit, 
evitant ainsi tout malentendu. Chacune avait le droit de discuter, 
de se defendre loyalement. Cet ordre du jour, forme par les 
necessites, me fournissait Timprovisation. 

Je trouvais dans mon experience, mes souffrances passees ou 
actuelles, toutes les refutations, toutes les bienveillances et la lumiere 
necessaire pour elever Fenfant au plus haut degre de justice et de 
honte, lui apprenant ainsi ä observer, a penser et ä juger. Jamals 
je ne me servais de livres quelconques, que le bulletin du jour. 

Suivant nos programmes en vigueur en 1880, c'etait une heure 

perdue pour Tinstruction , mais Televe, sortant de ce cours 

plus reflechie, moins orgueilleuse, comprenait le travail pour lui- 
meme, faisait des efforts plus consciencieux, et se debarrassait de 
toutes ses mesquineries interieures. Avec peu de temps et pas de 
surmenage scolaire, nous arrivions tout tranquillement au but, c'est- 
ä-dire aux resultats dans les examens, ou Tobtention d'emplois pour 
nos jeunes filles dans le commerce ou Findustrie. 

L' Union des femmes de France, la maison Hiekel, rue Tronchet, 
TAssistance par le travail, la maison Morin Blossier, le Credit 
Lyonnais, le Credit Industriel, les Postes et Telegraphes, pourraient 
vuus renseigner sur nos eleves employees dans ces maisons. 

Je donnais donc un souffle, une vie a Tecole; Tesprit d'ensemble, 
le gouvernement de soi-meme par le controle de soi-meme, un grand 
amour de la justice, eleve au-dessus de nos personnalites, de nos 
int^rets. A chacun de nos actes, nous devions nous dire: est-ce juste, 
est-ce injuste? est-ce utile, est-ce nuisible? 

Voici les trois questions pedagogiques que je m'adressai ä 
Touverture de TEcole, et que j'ai täche de resoudre: 

1. Comment debarrasser Tenfant de sa presomption, de sa Ja- 
lousie naturelle, et du desequilibrement de son temperament? 

2. Comment laisser a chaque eleve son individualite, son ori- 
ginalite, et vivre socialement dans Fharmonie et la plus cordiale 
fraternite? 

3. En donnant l'hygiene physique, comment donner Fhygiene 
morale ? 

1. Comment attenuer la presomption, la Jalousie et les inegalites 
de Tenfant? 

J'ai demontre ä l'enfant que chaque individu doit sa part de 



— 128 — 



travail et dintelligence a la societe: au mieux doue, il appartient 
de donner davantage, mais saos vanite; car Teffort de l'atome et 
Teffort des masses aident a conconrir ä Fensemble universel, ils ne 
peuvent se mettre en parallele et se separer. Fera-t-on un i-eproche 
ä un homme d'etre laid, court de taille? un autre aura-t-il concouru 
des pa naissance ä sa beaute, ä son intelligence et ä son tempera- 
ment? donc, il est vraiment injuste, insense, de faire des paralleles. 

Si 1 'homme eüt penetre Tabsolu, ce serait different; mais la 
nature entiere n'a produit et ne produira partout que le relatif. 

Faire bien comprendre ä Tenfant que chaque etre a des apti- 
tudes qui le determinent vers une chose plutot que vers une autre. 
Ces aptitudes, developpees par le travail, seront utiles ä ses semblables. 
Chacun doit apporter un travail individuel, different par la variete, 
dans Fharraonie, concourant au bien de rhumanite; mais duI n'a le 
droit d'eriger les hierarchies. 

Quelle derision s'il fallait etiqueter tout Tunivers qui constamment 
evolue et se transforme! 11 faut tenir compte chez Tenfant de 
Teffort, de Tenergie constante vers le but qu'il se propose, sans le 
stimulant de sa vanite ou des recompenses. De la, suppression de 
haine, de Jalousie, de dissentimeots. 

Le niaitre doit proportionner le travail et Teffort au bon sens, 
ä la raison, afin qu'aucun mobile secret de vile ambition ne fasse 
produire a aucun ce qu'il ne peut faire. 

Aux enfaots victimes paratavisme ou victimes de Torganisation 
sociale, Tinstituteur doit inculquer ces deux sentiments: 

1. A ceux en etat d'inferiorite, un sentiment d'affection pour 
leurs camarades naturellement privilegies; 

2. Aux mieux dou^s, le sentiment d'etre un tuteur pour les 
autres, les aider a supporter leurs souffrances, sous peine de com- 
mettre une lache indignit^, qui pourrait atteindre en soi ou dans 
les siens. 

Ne pas faire le bien qu'on croit devoir faire, ce n'est pas un 
mal, c'est un crime. 

2. Comment laisser ä chaque eleve son originalit6 et lui per- 
mettre de vi vre en harmonie? 

Partant de ce principe que Tabsolu n'existe pas, mais qu'il n'y 
a que des relatifs, ü n'est pas permis au maitre de modeler sa classe 
sur un type qui serait par exemple, lui, professeur. 11 doit diriger 
Tenfant sans lui imposer son temperament, sa maniere absolue de 
voir; il doit etudier le caractere de chaque ^leve. 11 doit laisser a 
Tenfant la liberte de penser, de se former un jugement, de pouvoir 
exprimer ses appreciations, evitant ainsi de produire une s^lection de 
moutons de Panurge, en contemplation devant son infaillibilite! 

Dans cette joute oratoire de jeunes gladiateurs intellectuels, il 
doit rappeler les eleves au respect des idees de chacun. 

Le professeur, ayant su faire naitre des divergences, apres les 
recitations, refute en dernier ressort les id^es qu'il croit erron6es, 
par le criterium experimental de sa science, tout en laissant ä T^leve 
la liberte de Facceptation. 11 faut qu'il s'exprime, non en pedagogue, 
mais en simple etudiant qui, apres un laps de temps, peut revenir 
lui-meme sur ses idees pour en accepter d' autres, h^las ! plus vraies 



— 129 — 

encore. Tel est ce qua Ton a appele improprement le progres 
humain. 

Le professeur, et par suite T^leve, doivent aimer la science au 
point de se d^barrasser de la personnalite et du pedantisme. La 
science ne vaut-elle pas assez par elle-meme? 

Revision des etudes. 

Pour se rendre compte des progres reels de FEcole, la Directrice 
fera une inspection mensuelle, familiale, revisionnant les eflForts 
particullers en regard du mois ecoule. Elle priera chaque eleve de 
donner son appreciation sur ses compagnes, en mettant la justice 
au-dessus de ses amities pour ses camarades, et de ses sympathies 
pour ses professeurs. 

La maitresse de classe rectifiera les appreciations erron^es, 
puisqu'elle produit ä Tappui la liste des IcQons et devoirs faits, sus 
ou non faits. 

Par ce moyen, les Kleves peseront les efforts de chacune, en 
ayant soin de distinguer Teffort de Tintelligence de Teffort du travail. 
Ainsi, elles pourront etablir un classement moral, sans Jalousie, et 
s'inclineront devant la valeur personnelle de leur compagne. La 
directrice aura soin de terminer son inspection par une exhortation 
a Tactivite vers le mieux. 

A la legen morale, fin du mois, les maitresses et les eleves 
feront la revision des qualites acquises, des defauts combattus, et 
pas ä pas, Tecole s'elevera vers un perfectionnement scientifique, 
psychique et humanitaire. Par ce moyen, la directrice se rendra 
compte de l'esprit des eleves et des professeurs de Tecole. 

Pour former les caracteres, il est necessaire que la directrice 
ne se rende pas indispensable; eile doit s'ingenier ä creer une foule 
de responsabilites, en laissant a toutes Tinitiative de la seconder, 
voir meme de la remplacer. Elle ^ourra juger du self-government 
et du self-controle de tous, du sentiment du devoir consciencieusement 
desinteresse de chacun. Combien sera-t-elle etonnee, en pratiquant 
cette liberte, de la simplicite des choses! . . . Par ce nouveau Pro- 
gramme, la directrice sera forcee de se perfectionner constamment, 
de compter avec toutes, pour rester le premier eclaireur de sa 
petite cite. 

3. En donnant Thygiene physique, comment donner Thygiene 
morale? 

De toutes parts on a fait d'immenses progres d'hygiene physique 
scolaire, qui ont ete heureusement appliques, je *ne traiterai donc 
pas ce sujet; mai j'adresserai quelques questions au sujet de Thy- 
giene morale. 

Au developpement materiel de Tenfant, a-t-on Joint egalement 
de ses facultes sensitives et nerveuses? 

A-t-on compte avec ces souffrances secretes d'enfants internes 
ou externes sur nos bancs d'ecole? 

Interrogez les enfants, et demandez-leur la demoralisation que 
procurent les classements dans une ecole. 

9 



— 130 — 

Helas! il semble que daus ce steeple-chase de vanite, de clas- 
sement, de concours, de hierarchies, Fenfant se trouve dans une 
surexcitation nerveuse qui developpe ses defauts au lieu de les 
attenuer. Ne se preoccupe-t-il pas plus de sa personnalite que du 
travail pour lui-meme. de Thistoire pour Thistoire, des sciences pour 
les sciences. etc.? N'evSt-il pas en butte ä ces silencieuses, honteuses 
blessures d'amour-propre cauvsees par la Jalousie, la haine, Thypocrisie 
les rivalites de oeux qu'il ne peut egaler? N'est-ce pas developper 
cet egoisme feroce qui nuit ;i lafraternite et ä la justice? N'est-ce 
pas la source des hontes ou se debattent nos societes actuelles, et 
qu'aucune religion, malgre ses efforts, ne parait pouvoir enrayer? 
Oh! que les paralleles sont demoralisants, qu'ils etouflfent les nobles 
et genereux sentiinents que tonte mere a reve de donner des le 
berceau ä son enfant! Comme on est interieurement devoye sous 
cette discipline passive et ce Systeme de concours, de classements! 

Comme hygiene morale, la directrice doit harmoniser les senti- 
nients, veiller aux rapports intimes des professeurs et des eleves entre 
eux, au respect, ;i la deference des uns envers les autres, a la to- 
l^rance naturelle de leurs caracteres ; enfin eile doit inspirer un grand 
souffle de droiture et de paix a tout ce qui Tentoure. C'est par la 
ponderation, le vrai bon sens, la justice, la raison, qu'elle y par- 
viendra. 

Des visiteurs, appartenant ä toutes les opinions politiques, ont 
remarque Faspect de calme, de simplicite, de droiture et de paix qui 
caracterise la fraternelle famille de nos enfants, et ont ete fort emus 
de Fharmonie sereine qui regne a notre ecole professionelle des 
Ternes. 

Je peux donner la longue liste des parents qui nous ont donne 
leur approbation, en voyant les resultats produits par cette education 
liberale. 

Voici ce qu'un effort libre, personnel, depourvu de sectarismC; 
d'intolerance, a produit par cette education morale. 

11 a pu rallier la jeunesse des familles appartenant aux opinions 
politiques, dogmatiques, les plus variees et les plus intenses. 

Peut-il m'etre plus profonde satisfaction que de tels resultats 
acquis et que ma conscience accepte en toute simplicite! 

Mesdames, Messieurs! 

— ■"• 

Je vous prie de m^excuser de mon long rapport en face des 
questions sociales si pressantes; mais Tamour sincere que j'eprouve 
pour la jeunesse ja^a ote Tapprehension que j'avais de vous faire 
connaitre mon experience pedagogique. 

Nous avons voulu rendre nos enfants plus heureuses en evitant de 
fabriquer des ames apparemment pareilles et forgees du passe par le 
meme moule. 

Xous leur avons donne des habitudes de proprete morale comme 
des habitudes de proprete physique, les preparant aux idees saines, 
aux activites moins conventionnelles que nous promettent les libertes 
futures! . . . 



— 131 ~ 

Die Stellung der Lehrerin in England. 

A^on Miss C. J. Dodd, Manchester, Delegierte von: The Teachers 

Guild of Grreat Britain and Irland. 

Zu Anfang dieses Jahrhunderts war die Stellung der Lehrerin 
in England nicht beneidenswert. Thackery, Dickens und Charlotte 
Brönte haben die Leiden der verachteten G-ouvernanten geschildert. 
Sie nahmen in der Gesellschaft keine Stellung ein, ihre Pflichten 
waren grosse, und ihr Gehalt war gering. 

Es ist wahr, dass sie oft keine genügende Ausbildung für ihre 
Arbeit hatten. Sie ergriffen den Lehrerinnen-Beruf, weil nichts 
anderes für sie übrig blieb, wenn sie genötigt waren, ihren Lebens- 
unterhalt zu verdienen. Wenn es einer Lehrerin glückte, sich zu 
.verheiraten, nahmen alle ihre Freunde den wärmsten Anteil, und viele 
Schriftsteller bebandelten das Thema der Leiden einer hübschen 
Gouvernante und ihre Belohnung in Gestalt eines reichen Gatten. 
Dieser Zustand war natürlich, wenn wir bedenken, dass das Unter- 
richten nicht als ein ernster Beruf betrachtet wurde, und die Frauen 
für das Lehramt nicht besonders ausgebildet waren. Alle bezahlte 
Arbeit wurde als entwürdigend betrachtet, und daher kam es, dass 
hauptsächlich Frauen, welche mittellos geworden, es unternahmen. 
Schule zu halten oder in einer Familie zu unterrichten. Die ganze 
Ansicht über Lehrerinnen hat sich seit den letzten 30 Jahren sehr 
«geändert, und wir haben jetzt viele ausgebildete, sehr fähige, 
fernste Frauen, welche das Lehramt als Beruf ergriflFen haben, 
und deren Arbeit gut bezahlt wird. Diese Frauen hatten Gelegen- 
heit zu einer gründlichen Ausbildung; sie haben eine höhere Auf- 
fassung von dem Lehramt und widmen sich demselben mit voller 
Hingabe. Es ist nicht möglich, eine eingehende Schilderung von 
den Verhältnissen der englischen Lehrerinnen zu geben, aber eine 
kleine Skizze wird zeigen, wie weit wir vorgeschritten sind» Die 
Zulassung der Frauen zur Universität hat viel dazu beigetragen, 
die Stellung der Lehrerinnen zu verbessern. Es giebt in England 
4 Universitäten: Oxford, Cambridge, London und Victoria, aus- 
•schliesslich der Universitäten in Schottland, Jrrland und Wales. 
Die Universitäten London und Victoria räumen den Frauen gleiche 
Hechte mit den Männern ein, sie dürfen studieren, können das 
Schl'^ss-Examen machen, und bleiben stets in Verbindung mit ihrer 
Universität. In Oxford und Cambridge können Frauen studieren 
und die höchsten Examen ablegen, jedoch ohne Titel zu erhalten. 
Ernste Frauen indessen geben nicht viel auf äussere Titel, sie halten 
die Ausbildung auf einer Universität für die Hauptsache 

In Oxford sind es zwei Universitätsgebäude: Lady Margarets' 
Hall und Somerville Hall, und in Cambridge ebenfalls zwei: Newnham 
College und Girton College, welche den Frauen zur Verfügung 
stehen. 

Die Anfänge dieser Einrichtungen waren sehr bescheiden. Die 
schöne Universität Newnham College verdankt ihre Gründung- dem 
grossen Vertrauen, welches Miss Clough in diese Sache setzte, und 
zählte zu Anfang nur 5 Studentinnen, im Vergleich zu 400, welche 
jetzt 'dort ihre Ausbildung finden. Mrs. Henry Sidgwick ist Präsi- 



- 132 — 

dentin, und Miss Helen Gladstone Vice-Präsidentin, und viele Vor- 
lesungen werden von Frauen gehalten. Auch Oxford und Cambridge 
bieten ausgezeichnete Gelegenheit für wissenschaftliche Ausbildung, 
und viele Frauen, welche hier studiert haben, üben auf die Schulen 
einen grossen Einfluss aus. 

Allerdings gehören zu solchem Studium bedeutende Mittel, 
und daher ist es nicht jedem jungen Mädchen möglich diese 
alten Universitäten zu besuchen. Aber sie können entweder 
an der Londoner oder an der Victoria Universität ihre Examen 
machen, womit Titel verbunden sind. Um ihre Examen in London 
abzulegen, können sie auch an anderen üniversitäts-CoUeges z. B. 
Mason College in Birmingham, Firth College in Sheffield und 
University College in Bristol studieren. 

Zur Victoria Universität gehören Owens College in Manchester; 
YorkshiriB College in Leeds una University College in Liverpool. 

So ist es für kein Mädchen in irgend welchem Teile Englands 
schwer, eine Universitätsausbildung zu erhalten, weil sie von ihrem 
Wohnort aus beinahe immer ein College erreichen kann. Da die 
Frauen, welche studiert haben, einen grossen Einfluss auf die Schulen 
gewannen, verfügen wir zur Zeit über sehr gute Girls High Schools. 

Einige der besten sind: The North London CoUegiate School, 
the High School in Manchester, und the High School in Birmingham. 

Diese High Schools sind nicht staatlich, denn in England sind 
nur die für die Kinder der Arbeiter und Handwerker bestimmten 
Schulen vom Staat eingerichtet. Die High Schools sind für die 
Töchter der wohlhabenden Stände bestimmt. Die Mädchen welche 
sie besuchen, sind ungefähr 8 bis 18 Jahr alt. 

Sie werden auf das Universitätsstudium vorbereitet, und er- 
halten Unterricht in Griechisch, Latein, Mathematik und Natur- 
wissenschaften. Alle Lehrkräfte sind Frauen — ein Mann an der 
Spitze einer solchen Schule ist absolut undenkbar. Alle Lehrerinnen 
dieser Schulen haben eine gute gesellschaftliche Stellung und be- 
ziehen gute Gehälter. Das Gehalt einer Vorsteherin beläuft sich 
auf 250 bis 500 Lstr. und das einer Lehrerin auf 80 bis 150 Lstr., 
je nach ihrer Thätigkeit und Erfahrung. Diese Schulen werden 
nicht von dem Staate beaufsichtigt, sondern von einem Komitee, das 
auch die Vorsteherin ernennt und die Geldangelegenheiten ordnet. 
Es giebt auch viele sehr gute Privatschulen in England, an welchen 
tüchtige, ausgebildete Lehrerinnen unterrichten. 

Eine Betrachtung der englischen Gemeindeschule ist interessant 
im Vergleich zu der deutschen. Ein viel grösserer Teil Frauen 
als Männer unterrichten bei uns in diesen Schulen, weil man in 
England die Frau als die natürliche Lehrerin von Kindern ansieht. 
Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass mehr als % aller Kräfte, 
welche an der Gemeindesehule arbeiten, Frauen sind. Diese Frauen 
sind ernste und denkende Charaktere, deren Einfluss auf die Kinder 
der armen Klassen unschätzbar ist. Die Vorbereitung für diese 
Arbeit ist eine lange und schwierige. Mit 14 oder 15 Jahren werden 
sie, was man „Pupil Teachers" nennt, d. h. sie helfen täglich 
während einiger Stunden in der Schule, und eignen sich so das 



— 133 — 

Unterrichten praktisch an. Zugleich empfangen sie dort ihren 
eigenen Unterricht in der Vorbereitungsschule für das Seminar. 

Der grössere Teil dieser Pupil Teachers sind junge Mädchen, 
und die Vorsteher und Lehrer dieser Schulen sind ebenfalls oft 
Frauen. Mit dem Alter von 18 Jahren machen sie an diesen Schulen 
ein Examen, um in ein Seminar eintreten zu können, wo sie 2 — 3 
Jahre verbleiben. Schon in der Vorbereitungs-Schule empfangen sie ein 
kleines Gehalt, von 10 bis 20 Lstr. jährlich, ohne etwas für ihre 
Ausbildung zu bezahlen, und auch der weitere Unterricht auf dem 
Seminar ist ein unentgeltlicher. Nach amtlichen Berichten betrug 
die Anzahl der im Jahre 1895 zum Examen zugelassenen Männer 
1519, der zugelassenen Frauen 5142. 

Daher ist es nicht erstaunlich, dass es mehr Seminare für 
Frauen als für Männer giebt. 

Zwei unserer besten sind Stockwell-College, London, und Edgehill- 
CoUege, Liverpool. 

Stockwell-College zählt ungeföhr 155 Seminaristinnen, Edgehill- 
College deren 126. Die Vorsteherinnen und alle Lehrkräfte sind 
Frauen. 

Einige von den Lehrerinnen, welche an den Gremeindeschulen 
unterrichten, haben ihre Ausbildung auf der Universität ge- 
nossen. Es ist ein zunehmendes Bestreben der Lehrerinnen der Ge- 
meinde-Schulen eine höhere Ausbildung zu erlangen als die semina- 
ristische. Im Jahre 1890 wurde von der BiCgierung vorgeschlagen, 
Seminare in Verbindung mit Universitäten zu errichten, damit es 
den Schülern ermöglicht würde, die Vorlesungen zu hören, während 
sie ihre pädagogische Ausbildung erhalten. 

Zuerst stiess dies auf viele Schwierigkeiten; man meinte, dass 
die Mädchen nicht genügend vorbereitet seien, oder dass Seminar- 
und Universitäts- Studium zu gleicher Zeit zu viel wäre. Indessen 
wurden Versuche gemacht; jetzt giebt es schon 12 solcher Seminare 
und in allen finden wir Frauen, die ihr Examen vorzüglich be- 
standen haben. Ich will im folgenden von dem Manchester Frauen- 
Seminar sprechen, welches in Verbindung mit dem Owens-Gollege 
steht. Im Jahre 1892 wurde es gegründet und zählte damals acht 
Studentinnen. Sie waren 18 und 19 Jahre alt, hatten die Gemeinde- 
schule besucht und ihre Examen daselbst abgelegt. Das Studium 
war für sie sehr schwer, da die meisten nicht genügend Latein und 
Mathematik wussten. Nach Verlauf von 3 Jahren machten 5 von 
8 ihr Examen und bekamen den Titel Bachelor of Arts oder Bachelor 
of Science, und alle empfingen ihr Unterrichtsdiplom. Alle diese 
Mädchen haben gute Anstellungen gefunden. Sie waren ungefähr 
20 oder 21 Jahre alt, und man hatte nicht erwartet, dass sie so 
schnell gute verantwortliche Stellungen mit hohen Gehältern 
bekommen würden. Eine hielt Vorlesungen über Mathematik an 
einem Seminar, eine andere wurde Lehrerin an einer Pupils Teachers 
School. eine dritte an einer technischen Lehranstalt, wo sie Vor- 
lesungen über Physik und Mathematik für junge Leute beiderlei 
Geschlechts zu halten hat. DieGehälteraller dieser jungen Mädchen 
beliefen sich auf 90 bis 130 Lstr. jährlich. 



amma^i^ät 



— 134 -- 

Die Gemeinde-Schulen in England kann man klassifizieren in 
Infants Schools (Schulen für kleine Kinder), Mädchen-Schulen, 
Knaben-Schulen und Schulen für Knaben und Mädchen. 

Die Infants schools bereiten Kinder von 3 bis 6 Jahren für die 
Gemeindeschule vor. Lesen, Schreiben, Rechnen, Singen, Zeichnen, 
Spiele und Kindergartenarbeiten werden hier gelehrt. Alle Lehr- 
kräfte sind Frauen. Die Vorsteherin bezieht ein Gehalt von 80 bis 
180 und die Lehrerinnen ein Gehalt von 50 bis 80 oder 90 Lstr. 
Mit 5 Jahren tritt der Schul zwang ein. In den Mädchen-Schulen 
wird Unterricht erteilt im Lesen, Schreiben, Rechnen, Geographie, 
Geschichte, Grammatik, Gesang, Zeichnen, Hygiene, den Arbeiten 
für das Hauswesen und Handarbeiten; in den höheren Klassen auch 
im Kochen und Waschen. Und in den besten Schulen dieser Art 
wird auch Französisch oder Deutsch, Latein, Mathematik oder 
Elementar-Natur Wissenschaft gelehrt. Die Schülerinnen sind 7 bis 
14 Jahre alt, und die Anzahl derselben beläuft sich auf 100 bis 800. 
Diese Mädchen-Schulen werden nur von Frauen beaufsichtigt. Die 
Vorsteherin bezieht gewöhnlich 100 bis 300 Lstr. und eine Lehrerin 
60 bis 150 Lstr. Gehalt. Die Knaben-Schulen stehen unter Auf- 
sicht von Männern, jedoch ist es nicht selten, dass Frauen in den 
niederen Klassen unterrichten, weil man ihnen mehr Geduld und G-e- 
schicklichkeit im Umgange mit den kleinen Kindern zuschreibt. In den 
Schulen für Knaben und Mädchen sind beide Geschlechter zusammen 
in einer Klasse und erhalten gemeinsamen Unterricht. An diesen 
Schulen unterrichten sowohl Frauen wie Männer, und der Vorstand ist 
ebenso verteilt. Ich kenne eine grosse Schule für Knaben und 
Mädchen unter Leitung eines Mannes, an welcher sonst nur Frauen 
unterrichten. Ebenso weiss ich von einer solchen Schule unter 
Leitung einer Frau, an welcher mehrere Männer unterrichten. 

Im grossen und ganzen ist die Stellung einer Lehrerin in England 
eine gute. Denn als gebildete und intelligente Frau in verantwort- 
licher Stellung arbeitet sie unabhängig von Männern und bezieht ein 
gutes Gehalt. 

Ich muss noch hinzufügen, dass Frauen auch in die Schul- 
Komitees gewählt werden können, deren es in jeder grösseren Stadt 
giebt und denen die Beaufsichtigung der Gemeinde-Schulen obliegt; 
auch in den Komitees für High-schools finden sich Frauen. 



Das Mädchenschulwesen in Ungarn. 

Von Frau Rosa Marsits, Direktorin der höheren städtischen Mädchen- 
schule in Temesvar, Delegierte des Maria Dorothea-Vereins. 

Ungarns kulturelle Entwickelung hatte in der Vergangenheit 
gewaltige Hindernisse zu überwinden; teils waren es des Landes 
politische Verhältnisse und die Jahrhunderte langen Kämpfe um die 
Möglichkeit des Fortbestandes gegen die von Osten kommenden Tar- 
taren und Osmanen, teils die erbitterten Kämpfe, die es auszufechten 
galt, um Ungarns selbständige Existenz in der Reihe europäischer 
Staaten aufrecht zu erhalten. 

Seit 1526 folgen sich diese Bewegungen mit verschiedenen 



~ 135 — 

Mitteln unter verschiedenen Namen, doch der Zweck war immer 
derselbe. Erst die um die Mitte des gegenwärtigen Jahrhunderts 
geschehenen grossen Ereignisse schufen Ruhe und der daraus ent- 
sprungene Friede und Segen konnte den Samen zur Frucht reifen, 
den die Intelligenz des ungarischen Stammes, den ungünstigen Ver- 
hältnissen zum Trotz, schon in der Vergangenheit ausgesät hatte. 

Dieser Friede schuf den 1867 er 38. Gesetzesparagraphen, der 
das Fundament unserer heutigen Volksbildung ist und der zugleich 
diese Volksbildung unter den Schutz des ungarischen Staates stellt. 
Zwar stand unsere Volkserziehung schon seit dem 18. Jahrhundert 
auf Grund der „Ratio educationis" benannten Verordnung unter 
staatlicher Aufsicht, doch zerfiel ehedem diese Aufsicht nur nach 
Konfessionen und zwar bis zur Reformation war sie ganz den Katho- 
liken anheim gestellt, nach der Reformation jedoch sowohl den 
Katholiken wie Protestanten ermöglicht. Der Wettstreit zwischen 
den beiden Konfessionen war ein gewaltiger Förderer sowohl des 
niederen wie des höheren Unterrichts. 

Mit dem Frauenunterricht und der Frauenerziehung beschäftigt 
sich jedoch erst der 68 er Gesetzesparagraph. Vorher gab es nur 
Klöster, und ausserdem befassten sich besser oder schlechter geleitete 
Privatschulen mit der Frauenerziehung. Um diese letzteren Schulen 
zu charakterisieren genügt es wohl, wenn wir sagen, dass deren 
Leiter grösstenteils diplomlose Dilettanten waren, dass ihre Schulen 
von Niemandem kontrolliert wurden und dass sie in ihren Anstalten 
das lehrten, was ihnen gerade beliebte. 

Von einem gemeinschaftlichen Prinzipe ausgehend, waren die 
Klosterschulen ganz gleich mit den Klosterschulen anderer Länder or- 
ganisiert. Der erwähnte Gesetzesparagraph schuf in allererster Linie 
die Lehrerbildung, die Elementarschule und die Mädchenbürgerschule. 
Der Erhalter dieser Schulen ist hauptsächlich der Staat. Die Ge- 
meinde, die Religionsgenossenschaft, der Einzelne können ebenfalls 
solche Schalen errichten, aber nur unter den vom Staate festgesetzten 
Bedingungen und unter staatlicher Aufsicht. Diese Massregel hat 
in einigen wenigen Jahrzehnten schon Früchte getragen. Heute 
wirken 4115 staatlich diplomierte weibliche Lehrkräfte in den Volks- 
schulen, in 137 Mädchen bürgerschulen wirken ca. 548 Frauen. — 
Im Schuljahre 1893/94 hat der Staat zur Aufrechterhaltung seiner 
Schulen 26V2 Millionen Mark ausgegeben, ^/s der Summe entfallen auf 
Mädchenschulen. 

Die eigentliche höhere Frauenerziehui5g beginnt in unserem 
Vaterlande mit der Bürgerschule. Nach erfolgreichem Besuch der 
vier Elementarklassen kann der Zögling im Alter von 10 Jahren in 
die Bürgerschule eintreten; nach erfolgreich zurückgelegten vier 
Schuljahren in letzterer hat der Zögling die Berechtigung, in die 
Elementarpräparandie einzutreten, oder den Post- und Telegraph isten- 
kursus, oder den niederen Handelskursus zu besuchen oder schliesslich 
in die fünfte Klasse der höheren Töchterschule aufgenommen zu 
werden. 

Das Hauptgewicht wird in den Bürgerschulen auf die Realien 
gelegt; ihr Zweck ist, den Töchtern der Mittelklassen eine allgemeine 
Bildung zu geben und auf die erwähnten Laufbahnen vorzubereiten. 



- 136 — 

Jede grössere Stadt Ungarns besitzt schon neben Elementarschulen 
Mädchenbürgerschulen, in Budapest selbst giebt es deren 16, davon 
sind 10 städtisch, 3 römisch-katholische Klosterschulen, 1 protestantisch- 
konfessionell und 2 Schulen werden vom Frauenverein erhalten. 

In den 70 er Jahren hat die Sache unserer Mädchenerziehung 
einen gewaltigen Schritt vorwärts gethan. 1875 wurde die erste 
höhere Töchterschule eröffnet. Der Zweck dieser Schulen ist, den 
Töchtern intelligenter Stände eine den heutigen Anforderungen ent- 
sprechende allgemeine Bildung zu gewähren. Jetzt haben wir in 
Ungarn 22 höhere Töchterschulen, 12 staatliche, 3 römisch-katholische, 
3 städtische, 3 evangelische und eine Privattöchterschule. Sie sind 
den Knabenmittelschulen ähnlich; das Hauptgewicht wird auf 
Humaniora gelegt. Ausser der ungarischen Sprache sind deutsch 
und französisch obligatorisch, englisch ist fakultativ, ebenso in der 
höchsten, der 6. Klasse, Erziehungslehre und Methodik. 

Der Zögling, der die 6. Klasse beendet hat, kann in den zweiten 
Jahrgang der auf 4 Jahrgänge berechneten Elementarpräparandie 
eintreten. Der Lehrkörper der höheren Töchterschulen besteht aus 
männlichen und weiblichen Lehrkräften. Von den Lehrern wird das 
Mittelschullehrerdiplom gefordert, von den weiblichen Lehrkräften 
das Bürgerschullehrerdiplom. Die derartig befähigten Frauen können 
aber nur in den vier unteren Klassen der höheren Töchterschulen 
unterrichten, in den zwei letzten Klassen können die Lehrerinnen 
nur laut speziell vom Kultusminister erteilter Erlaubnis Verwendung" 
finden. Zur Zeit der Gründung der Schulen waren die Direktoren- 
stellungen sämtlich Männern anvertraut; in den letzten Jahren 
hat man aber an leitender Stelle eingesehen, dass es im Interesse des 
Zweckes der Schule und der einheitlichen Erziehung liegt, weibliche 
Direktoren anzustellen. Demgemäss sind jetzt von den zwölf staat- 
lichen höheren Töchterschulen fünf weiblichen Direktoren anvertraut, 
die übrigen sieben sind mit dem MittelschuUehrerdiplora versehene 
Männer. — Von den 22 höheren Töchterschulen sind 16 mit Internaten 
verbunden, in welchen die Zöglinge ausser gänzlicher Verpflegung auch 
einer sorgsamen Erziehung teilhaftig werden. Die Leitung der Internate 
liegt überall in weiblichen Händen ; die Internatserzieherinnen wirken 
auch als Lehrerinnen an der betreffenden Anstalt. 

Die Budapester höhere Töchterschule hat seit drei Jahren nach 
dem absolvierten sechsten Jahrgang einen Fortbildungskurses, an 
welchem hervorragende Fachgelehrte Vorträge halten. Der Un- 
terricht ist universitätsmässig. Die Gegenstände des Kurses sind: 
ungarische, deutsche, französische und klassische Litteratur, Aesthetik 
und Kunstgeschichte, Geschichte, Physik, vergleichende Greographie, 
Chemie, Pflanzen- und Tierphysiologie, Astronomie und juridische Kennt- 
nisse (G-esetzeskunde); englisch und Freihandzeichen können geübt 
werden. Die Absolvierung des Kurses befähigt zu keinem Beruf, 
sondern gewährt nur höhere Bildung. — Die höheren Töchterschulen 
sind den Komitatsschulinspektoren untergeordnet; was jedoch die 
Aufsicht und Kontrolle des Lehi-pensums anbelangt, stehen diese 
Schulen direkt unter den Ministerialkoramissären. Die Bestrebungen 
der bisher genannten weiblichen Lehranstalten gehen alle dahin, 
den Mädchen eine, den verschiedenen Lebenslagen entsprechende all- 



— 137 — 

gemeine Bildung mitzugeben, damit sie als Mütter und Mitglieder 
der Q^ellschaft an der kulturellen Entwickelung unseres Vaterlandes 
teilnehmen können. 

Eine berufliche Ausbildung bietet bis jetzt nur die Präparandie. 
Deren giebt es zweierlei: Die Elementarpädagogie mit 4 Klassen^ 
welche zum Unterricht in den Volksschulen beföhigt, und nach deren 
Absolvierung der Eintritt in die Bürgerlehrerinnen-Bildungsanstalt 
mit weiteren 3 Jahrgängen möglich ist. Wir haben im ganzen 16 
Elementarlehrerinnen-Bildungsschulen und 3 Bürgerschullehrerinnen- 
Bildungsanstalten. In den letzteren giebt es eine historische und 
Sprachengruppe, sowie die physikalisch-mathematische Gnippe, zwischen 
denen man wählen kann. 

Heutzutage können die Lehrerinnen-Bildungsanstalten noch nicht 
das ganze Material liefern, dessen wir benötigen. Noch ist viel 
Platz in dieser Richtung bei uns. Aber an den Erfahrungen anderer 
Nationen haben wir auch gelernt und bei Zeiten dafür gesorgt, 
dass den Frauen Gelegenheit zur Erweiterung ihres Arbeitsfeldes 
gegeben werde. 

Gerade der durch mich vertretene Maria Dorothea-Verein war 
es, dem die Ehre gebührt, die gewaltige Bewegung verursacht zu 
haben, jene in Ungarns Geschichte epochemachende Agitation um 
das Recht der Frau, sich geistig weiterbilden zu dürfen. Unser 
thatkräftiger und begeisterter Minister studierte die Bewegung und 
in unglaublich kurzer Zeit waren den Frauen die Pforten der Uni- 
versität geöffnet. Die Frauen haben das Recht, Maturitätsprüfungen 
abzulegen und die ärztliche, Apotheker- und Professorenlaulbahn ein- 
zuschlagen. Die Universitätszulassung geht natürlich Hand in Hand 
mit der Errichtung von Mädchengymnasien. 

Stolz können wir es sagen, dass, obwohl die Frauenerziehung 
lange Zeit ein brachliegender Zweig der ungarischen Kultur war, 
Avir in den kurzen 30 Jahren ihres Bestehens den hohen Standpunkt 
erreicht haben, auf dem Europas Kulturstaaten in dieser Beziehung 
stehen. Der ungarischen Rasse hohe Intelligenz und Lebensfähigkeit 
kennend, versichere ich Sie, dass wir auch in der Zukunft 
stets dort zu finden sein werden, wo alle zivilisierten Staaten kämpfen 
um ihr gutes Frauenrecht. 

Bericht über Thatigkeit und Bestrebungen 
des Vereins deutscher Lehrerinnen in Frankreich. 

Von Fräulein E. Schliemann, Paris, Vorsitzende d. Y. 

Der Verein über dessen Wirksamkeit hier zu berichten mir 
freundlichst gestattet worden, ist ein Verein deutscher Lehrerinnen 
im Auslande. Als solcher ist seine Thätigkeit ein ijationales und 
ein internationales Werk zugleich. Dass dies Ausland Frankreich 
heisst, weisst ihm besondere Aufgaben zu, die ihn von ähnlichen 
deutschen Vereinen unterscheiden. Als nationales deutsches Werk 
verfolgen wir dieselben Ziele, wie der allgemeine deutsche Lehre- 
rinnen-Verein, dem wir als Zweig verein angehören. Wir suchen 
die in Frankreich zerstreut und vereinzelt arbeitenden deutschen 



— 138 — 

Lehrerinnen zu gemeinsamem Thun zu sammeln und unter uns den 
Zusammenhang mit den Berufsgenossinnen im Vaterlande und deren 
Bestrebungen lebendig za erhalten. Als international kennzeichnet 
sich unser Werk durch die Wechselbeziehungen zwischen uns und 
den französischen Familien, welche wir mit deutschen Lehrkräften 
versehen. Neben der gewissenhaften Erfüllung ihrer Berufspflichten 
tritt an die in Frankreich wirkende deutsche Lehrerin und Erzieherin 
die schwere Aufgabe heran sich inmitten einer ihrem Yaterlande 
abgeneigten, oft feindselig gesonnenen Bevölkerung eine geachtete 
Stellung, ja die Sympathien ihrer Umgebung zu erringen. Wir 
suchen daher jene Grossherzigkeit der Gesinnung zu pflegen, welche 
nicht nur die Fehler und Schwächen der fremden Nation sieht, 
sondern auch deren Vorzüge anerkannt, unbeschadet des nationalen 
Selbstgefühls, welches dem Deutschen in der Fremde not thut. 
Unser Häuflein deutscher Lehrerinnen in Frankreich dürfte daher 
eine wirksame Hilfstruppe werden für jene Friedensbestrebuncren, 
welche auch dieser Kongress auf seine Fahne geschrieben hat. 

Das sind die ideellen Grundlagen unseres Vereins. Seine prak- 
tische Thätigkeit erstreckt sich ebenfalls nach verschiedenen Rich- 
tungen hin. Im Jahre 1890 gegründet, beläuft die Zahl unserer 
Mitglieder sich jetzt auf etwa 250. In diesen sechs Jahren hat un- 
sere gleich anfangs eingerichtete Stellenvermittelung mit gutem Er- 
folge gearbeitet und ihre Thätigkeit ist in stetem Wachsen begriffen. 
Doch muss hier hervorgehoben werden, dass wirklich gute Stellen 
mit einem Gehalte, wie eine durchgebildete und erfahrene Erzieherin 
es beanspruchen kann, hier selten vorkommen und unter der Menge 
der Suchenden nur Einzelnen zu teil werden können. Auch werden 
dabei grosse Anforderungen an die Leistungen der Lehrerin gestellt, 
besonders in Sprachen und Musik. Die meisten der nach Frank- 
reich kommenden deutschen Lehrerinnen haben den Zweck sich in 
der französischen Sprache zu vervollkommnen und sind zufrieden, 
wenn ihnen durch „au pair^' Stellen oder kleine Tagesbeschäftigunaen 
der mit grossen Kosten verbundene Aufenthalt in Paris erleichtert 
wird. Aus dem Gesagten geht hervor, dass von deutschen Jjehre- 
rinnen Frankreich nicht eigentlich als Erwerbsfeld angesehen werden 
darf, in dem Sinne wie es England ist. Der Aufenthalt in diesem 
Lande muss ihnen vielmehr als Studienzeit gelten, die mit bedeutenden 
Geldopfern verbunden ist. Er dient ihnen dazu durch Aneignung 
sprachlicher Fertigkeit sich schärfere Waffen zu schmieden für den 
Kampf ums Dasein, der sie in Deutschland und England erwartet. 
Und darin liegt eben der Nutzen desselben. Auch sehen wir mit 
jedem Jahr die Zahl derer sich vermehren, welche nur der Studien 
wegen nach Frankreich kommen. Diese finden im Verein Nachweis 
von französischen Familienpensionen und französischen Lehrkräften. 
Auch haben wir in den Vereinsräumen für unsere Mitglieder fran- 
zösische Kurse eingerichtet, die schon manchen von grossem Nutzen 
geworden, da sie für besondere Bedürfnisse der deutschen Lehre- 
rinnen berechnet sind. Wir haben die Absicht diese Kurse zu er- 
weitern und sie einer grossen Anzahl Lehrerinnen zugänglich zu 
machen, so bald wir in der Lage sind aus den Vereinsmitteln einen 
Zuschuss zu denselben gewähren zu können. 



— 139 — 

In den ersten fünf Jahren unserer Vereinsthätigkeit haben die 
Vorsteherinnen und Gründerinnen desselben ihre eignen Wohnräume 
zu den verschiedenen Vereinszwecken hergegeben, and alle mit 
Leitung desselben verbundene Arbeit unentgeltlich übernommen, wie 
sie es grösstenteils auch jetzt thun. 

Auf diese Weise war es möglich, aus den regelmässigen jähr- 
lichen Beiträgen der Mitglieder, sowie den Gaben von Freunden 
und Gönnern unseres Werkes und den von verschiedenen grossen 
deutschen Städten gewährten Unterstützungen ein Grundkapital zu 
schaffen, das jetzt die Höhe von 20000 Frks. erreicht hat. Bei 
der stets zun^?hmenden Ausdehnung der Vereinsgeschäfte war die 
Erwerbung eines eigenen Lokals nicht länger zu verschieben. Seit 
dem April d. Js. besitzen wir einige bescheidene Räume, die teil- 
weise als Geschäftsstelle dienen, teilweise zu unseren sonntäglichen 
und monatlichen Vereinigungen benutzt werden. So bietet unser 
Verein den deutschen Lehrerinnen in der fremden Weltstadt eine 
freundliche Heimstätte, wo sie Schutz und Anhalt, Rat und Aus- 
kunft finden und nach Kräften in ihren Zwecken gefördert werden. 
Als Sammelplatz zahlreicher Lehrerinnen, welche aus allen Teilen 
Deutschlands nach Paris kommen, um Verdienst, Kenntnisse oder 
Welterfahrung zu suchen, wird unser Verein zum Ausgangspunkt 
für die Erweckung und Verbreitung jener heilsamen Ideen und 
Wahrheiten, welche die heutige Frauenbewegung tragen, zur Werbe- 
stelle für die thatkräftige Verwirklichung unserer gemeinsamen 
Bestrebungen. 

Errungenschaften und Bestrebungen ungarischer 

Lehrerinnen. 

Von Frau Helene Radnai, Budapest, Sekretärin und Delegierte des 

Maria-Dorothea- Vereins. 

Der Maria-Dorothea-Verein zählt nun zehn Jahre seines Be- 
standes; er steht unter dem Protektorate der Tochter des Erzherzogs 
Joseph und trägt ihren Namen. Es giebt wenige ungarische Vereine, 
welche in so kurzer Zeit solche ICrfolge aufzuweisen haben. Nach 
dem jüngsten Ausweise beträgt der von Schulden und Steuern freie 
verzinste Besitzstand des Vereins 91,348 Gulden; er zählt 1153 ord. 
Mitglieder und 4 Provinzfilialen: in Kolozsvär, Ujvidek, Fiume 
und Györ. 

Es ist vor allem das eigene Verdienst der Lehrerinnen — wenn- 
gleich sie von unserem Publikum jederzeit hochherzig unterstützt 
wurden — dass bisher ein so erfreuliches Resultat erzielt wurde, 
und dies ist umsomehr anzuerkennen, als ihr Gehalt durchschnittlich 
nur 4—500 Gulden (600—800 Mark) beträgt. 

Obzwar keinerlei Verpflichtung obliegt, gehört bereits der vierte 
Teil sämtlicher in Ungarn wirkenden weltlichen Lehrerinnen zu 
unserem Verbände. Es giebt aber auch kaum einen zweiten Fach- 
verein, der ähnliche Vergünstigungen böte. Für die Mitgliedtaxe 
von 2 Gulden (3 Mark 30 Pf.) jährlich, wovon die Hälfte für die 
besonderen Bedürfnisse der Provinzkreise verwendet wird, gewährt 



— 140 - 

der Verein ausser den üblichen Rechten einen Anspruch auf eventuelle 
Verpflegung in seinem eigenen Heim in der Hauptstadt gegen massige 
Vergütung, freien Aufenthalt in seinem Kurhause Czemete, kosten- 
freie Stellenvermittelung und zahlreiche Badevergünstigungen in fast 
sämtlichen Kurorten des Landes; in entsprechenden Fällen Darlehen 
oder Geldhilfe aus den Hilfsfonds. Unsere Zweig vereine veranstalten 
eifrig Vorlesungen und öffentliche Beratungen. Die Fachsektion der 
Hauptstadt thut sich besonders durch ihre populär gewordenen Vor- 
träge hervor, und ebenso erfreuen sich ihre pädagogischen Sitzungen 
grossen Zuspruches. 

Die Bestrebungen des Vereins richten sich besonders auf zwei 
grosse Endziele. Erstlich die Befestigung und Fortentwickelung der 
nationalen Frauenerziehung. 

Zu diesem Zwecke veranstaltete der Verein im Jahre 1889 eine 
vielfach bemerkte Ausstellung für Kleinkindererziehung mit ein- 
schlägigen Vorträgen hervorragender Aerzte ; auch dienen demselben 
die Besprechungen einschlägiger Themen in der Sektion, z. B. über 
Industrie- und Haushaltungsschulen, ungarischen Sprachunterricht, 
zweckmässige Erziehung grösserer Mädchen u. a. m. 

Ferner wird die Organisation eines Verbandes für Erzieherinnen 
und Musiklehrerinnen, und die Eröffnung neuer Berufszweige, be- 
sonders derjenigen der Apothekerin und der Aerztin, erstrebt. 

Diesen letzteren schwierigen und noch ungeebneten Weg zu be- 
treten, wurde der Verein von dem gegenwärtigen Unterrichts min ister 
in ehrenvoller Weise geradezu ermuntert, da die Maria-Dorothea- 
Gesellschaft die Aufforderung erhielt, ihre Meinung in dieser 
wichtigen Sache zu äussern. 

Ein praktisch wichtiges Unternehmen ist unser Bureau für 
Stellenvermittelung, das in kurzer Zeit fast 250 ungarische Erziehe- 
rinnen plaziert hat, zum unberechenbaren Vorteile unserer nationalen 
Frauenbildung. 

Die zweite Gruppe unserer Bestrebungen zielt auf die Ver- 
besserung der materiellen und gesellschaftlichen Stellung unserer 
Lehrerinnen und hier sind noch grössere Erfolge aufzuweisen. Im 
Jahre 1889 wurde das unter dem Namen Lehrerinnenheim bekannte 
Haus eröffnet. Das Institut wurde vielen der alleinstehenden oder 
arbeitsunfähigen Lehrerinnen, aber auch solchen in Wirksamkeit be- 
findlichen zum Segen, die — einsam lebend — hier ein angenehmes 
und ruhiges Heim oder zeitweiligen Aufenthalt finden. Auch fremd- 
ländischen Colleginnen Asyl und Förderung zu bieten war uns 
häufig vergönnt und sind wir auch fernerhin nach Maassgabe unserer 
Kräfte dazu bereit. 

Ausser der Haupt- und Residenzstadt, welche für das Lehre- 
rinnenheim namhafte Opfer gebracht, und dem Staate, der allerdings 
zum erstenmale, aber auch bereits 5000 fl. (9000 Mk.) zum Aufbau 
unseres Hauses in Aussicht stellt, haben das nahezu hunderttausend 
Gulden (150,000 Mk.) betragende Vermögen und die jährlich veraus- 
gabten Summen (seit einigen Jahren ständig über 10,000 fl.) allein 
die treuen Anhängerinnen der Vereinigung zusammengebracht. Auch 
findet sich immer eine Schar von Damen, welche freiwillig und 
ohne Entgelt neben der Sekretariatskanzlei arbeitet; ein besonders 



— 141 — 

beherzigenswertes Beispiel bietet hierin Johanna Zirzen, die weit- 
berühmte Directrice der oberen Lehrerinnenpräparandie, deren 
klangvoller Name, und die Bereitwilligkeit, mit der sie seit Gründung 
des Vereins die ausgebreitete Kassagebahrung leitet, vielleicht die 
vorzüglichste moralische Stütze dieser pädag. Gesellschaft bilden. 

Als der Verein vor sieben Jahren sozusagen vermögenslos den 
Bau seines Heimhauses begann, liefen in ein und einem halben Jahre 
20,000 fl. ein, und jetzt da das Gebäude sich als weitaus ungenügend 
erwiesen und der Ausbau 70—80,000 fl. erfordert, sind bereits 
8,000 fl. eingeflossen und rüstet man auch zugleich zu einem zweiten 
„Heimbau" in Klausenburg. 

Alles dies bestätigt die Wunderwirkung werkthätiger Menschen- 
liebe. Jene gebildeten Frauen, welche durch Jahrzehnte der ung. 
Gesellschaft und der Humanität so grosse Dienste geleistet, sind nun 
grosser erhabener Empfindungen fähig geworden; das Gefühl ihrer 
Zusammengehörigkeit ist in stetem Wachstum begriflFen; sie wissen, 
dass sie fähig sind ihr Los selbst zu verbessern. 

Aber es wäre nicht möglich gewesen so viel zu erreichen, wenn 
nicht unsere Frauenbewegung allseitige Unterstützung gefunden hätte. 

Die ungarische Lehrerin geniesst jetzt eine Anerkennung sonder- 
gleichen und selbe ergiebt sich nicht nur aus der Achtung der 
Eltern, sondern beispielsweise auch durch jene Verordnung der 
Haupt- und Residenzstadt Budapest, wonach die hauptstädtische 
Behörde in ihren Volksschulen für Mädchen ausschliesslich Lehre- 
rinnen anstellt; sogar manchen unteren Knabenklassen sind Lehre- 
rinnen zugeteilt worden; und in den bürgerlichen Schulen unter- 
richten zur Hälfte Frauen. Die Behörde bezeugt aber ihre An- 
erkennung der Leistungen der Frauen hauptsächlich in pekuniärer 
Hinsicht. Die weiblichen und männlichen Lehrkräfte stehen in der 
Schule in ihren Rechten und Pflichten gleich. Die Volksschullehrerin 
unterrichtet während 26 Stunden wöchentlich und bekommt ein 
Maximalgehalt von jährlich 1430 fl. (2383 Mk.) nebst Quinquenalien; 
die Bürgerschullehrerin aber bei wöchentlich 20 Stunden 1950 fl. 
(3250 Mk.) nebst Quinquenalien. 

Dieser Umstand veranlasst uns Lehrerinnen unsere Kenntnisse 
auf jedem Gebiete zu erweitern und unseren Pflichten allerwärts 
Genüge zu leisten. Wir sind in der glücklichen Lage mit unserer 
Frauenbewegung weniger Kämpfe bestanden zu haben als Frauen 
anderer Nationen; die Männer haben uns zu tüchtigen Mitarbeitern 
gewonnen und wir wollen unserer Nation nach besten Kräften 
dienen. 

Obst- und Gartenbau, ein Erwerbsfeld für gebildete 

Frauen. 

Von Fräulein Dr. Elvira Castner, Friedenau-Berlin. 

Der Gedanke, Frauenkräfte der besseren Stände zur Garten- 
arbeit heranzuziehen und auszunutzen ist, verehrte Anwesende, bei 
uns verhätnismässig neu. Darum schenkt man der Idee in den Kreisen 
der beteiligten Frauen selber noch nicht die Aufmerksamkeit, die 



— 142 — 

einem so wichtigen und weiten Arbeitsfelde eigentlich gebührt, und 
darum befinden wir uns mit der Ausführung noch im Anfangsstadium. 
Von welcher Seite man diese praktische Arbeit auch betrachten mag, 
in ethischer und physischer Beziehung ist sie von höchster Wichtigkeit, 
für Gesundheit und Wohlbefinden von unberechenbarem Wert, innig 
verknüpft mit den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen unseres 
Volkes, man möchte sagen, ein Teil der sozialen Frage selbst. Viel- 
leicht würden manche Wohlthätigkeitsbestrebungen schneller gefördert 
werden, wollte man sich ihrer als Mittel zum Zweck bedienen. 

Man predigt zu gunsten der Massigkeit und gegen die verderb- 
lichen Folgen des Alkoholgenusses. Geben Sie dem Arbeiter die 
Möglichkeit, gutes Obst zu seinem Brot zu essen und seinen Durst 
an gutem Obstwein zu löschen, und der Schnapsgebrauch wird von 
selber eingeschränkt werden. Man klagt ebenso über die in er- 
schreckender Weise zunehmende Blutarmut und Nervosität unserer 
Jugend. Körperliche Beschäftigung in frischer, freier Luft ist das 
beste Mittel dagegen ; warum wählt man zu ihrer Bekämpfung nicht 
die geregelte Gartenarbeit, die hier Wunder zu wirken vermag, statt 
der sportmässig betriebenen, kostspieligen Vergnügungen, die das 
Uebel nicht heben und Niemandem etwas nützen. Die Frau wirt- 
schaftlich selbständig zu machen, sie geistig und sittlich zu heben 
und dadurch dem materiellen Elend und der geistigen Not abzuhelfen, 
sucht man neue Berufszweige, neue Arbeitsgebiete für die gebildete 
Frau. Im Gartenbau haben wir eins, so gross, so schön und viel- 
gestaltig, wie wir es nur wünschen können, und viele fleissige Hände 
können reichlich Beschäftigung darin finden. Wir brauchen nur mit 
festen Händen zuzugreifen, denn alle Vorbedingungen sind gegeben; 
zahlreiche Gärten, ganze Strecken Landes, die der rationellen Be- 
arbeitung bedürfen, öde Feldwege, kahle Mauern, die mit Obst- 
bäumen bepflanzt und eine grosse Zahl Frauen, die zur Arbeit heran- 
gezogen werden könnten. 

Selbstverständlich muss auch die Gartenarbeit, wenn sie von 
Erfolg begleitet werden soll, gründlich erlernt und nicht als Spielerei 
betrieben werden. Nur die auf eingehender Fachkenntnis beruhende 
Arbeit gewährt Freude und sichert dauernden Erfolg. Zum Lernen 
gehört eine bestimmte Lehrzeit, und gebildeten Frauen, die sich dem 
Gartenbau widmen wollen, muss die Möglichkeit geboten werden, 
solche in einer Gartenbauschule durchzumachen, wo Theorie und 
Praxis ineinandergreifen, damit sich das Können zu dem Wissen 
gesellt. 

Die erste Gartenbauschule wurde von Frau Kommerzienrat 
Heyl in Charlottenburg, die vorwiegend die erziehliche und ästhetische 
Seite ins Auge fasste, eingerichtet. 

Mich leitete bei Gründung meiner Schule der Gedanke, zur 
Hebung des vaterländischen Obstbaues durch Frauenarbeit beizu- 
tragen. Ich muss als bekannt voraussetzen, dass Deutschland nicht 
so viel produziert, wie wir konsumieren; somit auf das Ausland an- 
gewiesen ist, dem wir jährlich mehr denn 30 Millionen Mark für * 
Produkte, die wir im eigenen Lande ziehen können, hingeben und 
folglich um so viel das Volksvermögen vermindern. Und doch 
wären wir im Stande, dieses Geld dem Vaterlande zu erhalten, denn 



— 143 — 

Fachleute lehren unS| dass es in Deutschland von den Alpen bis 
zum Nord- und Ostseestrand, keine G('<;end giebt, wo nicht mit 
Erfolg irgend eme Si>rte Frucht-Bäume oder -Sträucher angebaut 
'werden könnte. Was hilft es. wenn der Pomolopen-Verein genau 
festgestellt hat, welche Obstsorten für di«> bestimmten Gegenden an- 
gepflanzt werden sollen, wenn Niemand sich danach richtet? Was 
nützt es, wenn man weiss, woran der deutsche Obstbau krankt, und 
nicht mit allen Mitteln daran arbeitet, dem llel»el zu steuern? That- 
sache ist, dass in den Jahi-en 1892—1804 die Einfuhr sich wiederum 
um 8 Millionen erhöht hat. Das sollte auch die deutsche Frau ver- 
anlassen, ihre Kräfte einzusetzen, die mit Arbeit überlasteten Männer 
zu unterstützen in ihrem Bestreben, dem deutschen Obst- und 
Gartenbau aufzuhelfen und ihn zu fordern. Obst in genügender 
Menge und guter (Qualität zu ziehen ist dringendste Notwendigkeit, 
denn es soll nicht, wie jetzt noch, Leckerbissen für die Wohl- 
habenden sein, es muss Volksnaiu-ungsmittel werden. 

Ich habe darum meine Sciiule „Obst- und CiarteDbauschule" ge- 
nannt, und dem Obstbau im Leiirplan die erste Stelle eingeräumt. 
Theoretischer Unterricht ergänzt die praktische Arbeit, die unter 
Aufsicht und nach Anweisung «»ines wisst^nschaftlich gebildeten Ober- 
gärtners von den Schülerinnen selber ausgeführt wird. 

Praktische Arbeit selber thun, ist unumgänglich notwendig, 
damit die Fähigkeit erworben werde, s]>äter andere darin unterweisen 
und die Arbeit anderer richtig beurteilen zu könnnen. Theorie ist 
notwendig, die gebildete Frau auch zu einer wissenschaftlich ge- 
hildeten Gärtnerin, nicht zur mechanischen Arbeiterin heranzubilden. 
3>adurch wird den Schülerinnen eine feste Grundlage gegeben, auf 
welcher jede mit Erfolg weiter zu arbeiten vermag. Der Prospekt, 
der jedem gern zur Verfügung steht, giebt weiteren Aufschi uss über 
die ünterrichtsgegenstände und den Lehrgang. Xur das möchte ich 
noch mitteilen, dass die ersten 7 Schülerinnen die Feuerprobe be- 
standen haben. Sie haben am 18. d. M. ihn^ Reifei)rüfung abgelegt 
und so wieder den Beweis geliefert, was Frauen vermögen, wenn 
sie mit festem Willen und ernstem Streben an eine Arbeit heran 
treten. In Gegenwart der Herren Prof. Dr. Wittmack, Privatdoc. 
und Üniversitäts-Garren- Inspektor Lindemoth, Prof. Dr. Sorauer, 
königl. G^rteninspektor Vogeler und Haupt-Garten-Direktor Matthieu 
haben die Damen ihre Prüfung bestanden, die in folgenden Gegen- 
ständen abgenommen wurde: Obst- und Gemüsebau, Blumenzucht, 
Dendrologie und Gai'tenanlage, Chemie und Botanik, Zoologie, Buch- 
führung und Düngerlehre. vSi«» bestanden die Prüfung zur voll- 
ständigsten Zufriedenheit der An\vesend(m und treten nun voll- 
berechtigt und ihren männlieh<*n Kollogen gleichwertig ins Leben 
hinaus. 

Welcher Wirkungskreis eröffnet sich nun den Frauen? Ebenso 
vielgestaltig, wie das (Jebiet selber, ebenso vielgestaltig und viel- 
seitig ist der Auteil, den Frauen daran nehmtin können. Entschieden 
irrig ist die Meinung, dass den Miinnern Konkurrenz gemacht werden 
soll, wir beabsichtigen nur, die Arbeit der Männer zu unterstützen 
und zu ergänzen. Di(j Stellung, welche die Frau in diesem Beruf 
einnehmen soll, ^ ist eine neue, noch nicht existierende und darum 



- 144 — 

kann auch niemand in seiner Arbeit dadurch beeinträchtigt oder- 
daraus verdrängt werden. Zunächst kommen die Frauen vom Lande 
in Betracht. Selbst wenn sie in der glücklichen Lage sich befinden, 
einen wirklichen Gärtner halten zu können, sollten sie soviel ver- 
stehen, um die Leistungen ihres Gärtners beurteilen resp. ihn selber 
kontrollieren zu können. 

Denen, die als Mitarbeiterinnen ihrer Männer, Brüder und Väter 
für die rationelle Bearbeitung ihrer Gärten und die Verwertung der 
Erzeugnisse Sorge zu tragen haben, ist ihr Wirkungskreis vor- 
geschrieben. Der Landmann von heute, an dessen Kraft und Zeit 
die denkbar möglichsten Anforderungen gestellt werden, hat wohl 
die Mitarbeit der Frau dringend nötig und ist der Obst- und Garten- 
bau, wo sie mit ihrer Kraft eintreten kann, für die Frau am nahe- 
liegendsten als Erweiterung ihrer hauswirtschaftlichen Thätigkeit. 

Diejenigen, welche den Beruf des Erwerbes wegen erwählen, 
haben zwei Wege; erstens sich selbständig zu machen und das aus 
dem weiten Gebiete zu wählen, wozu sie am meisten Neigung und 
Geschick haben. Zweitens Stellungen anzunehmen. Auch da richten 
wir unser Augenmerk zuerst wieder auf das Land, dorthin, wo 
Gartenarbeiter in der Nebenstellung eines Gärtners fungieren. Die 
vielfachen Anfragen beweisen, dass man anfängt, sich mit dem Ge- 
danken vertraut zu machen, einer gebildeten Gärtnerin seinen 
Garten anzuvertrauen. Die Thätigkeit einer Gärtnerin würde sich 
dahin zu erweitern haben, die ländliche Bevölkerung zu besserer 
Pflege und Ausnutzung ihrer Wiesen und Kunstgärten zu veranlassen 
und die Leute zu lehren, wie die geernteten Früchte zu verwerten 
sind, namentlich durch Heranziehen und Anleiten der Schulkinder. 
Das ist für das Land, meinen vielleicht die geehrten Zuhörerinnen. 
die Städterinnen geht das nichts an. Nun es soll manchmal vor- 
kommen, dass aus den Städterinnen Landwirtinnen werden. Wie 
sieht es dann mit ihrem Wissen und Können aus? Die Zahl derer, 
welche eine Berufsthätigkeit erstreben wollen oder müssen, rekrutiert 
sich zum grössten Teil aus Städterinnen und allen denen, die Liebe 
zur Natur und Freude an körperlicher praktischer Arbeit haben, 
sei der Beruf einer Gärtnerin warm empfohlen. An Stellungen für 
wissenschaftlich ausgebildete Gärtnerinnen wird es nicht fehlen. 
Ausser auf dem Lande ist ihr Platz an allen Wohlfahrtsanstalten 
für Erziehung und Unterweisung des weiblichen Geschlechts; als 
da sind Waisen- und Magdalenenhäuser, Dienstboten- und ländliche 
Haushaltungsschulen. Auch an Kindergärten und Lehrerinnen- 
seminaren sollten Unterrichtskurse für Gartenbau eingerichtet und 
der Leitung einer gebildeten Gärtnerin unterstellt werden. Wie 
segensreich würde eine solche Lehrerin auf dem Lande wirken 
können! Auch in Nervenheüanstalten sollten die Patientinnen mit 
Gartenarbeiten unter Aufsicht einer gelernten Gärtnerin beschäftigt 
werden, auch da würde man hierdurch segensreich einwirken 
können. Schliesslich ist die Aufgabe gebildeter Gärtnerinnen als 
Leiterinnen von Gartenbauschulen, deren wir hoffentlich bald recht 
viele bedürfen werden, das Gelernte zu verwerten und anderen zu 
gute kommen zu lassen. In meiner Schule verbleibt eine Schülerin 
als Hilfslehrerin. 



i 



— 145 — 

Der Anfang ist gemacht. Ob die deutschen Frauen den be- 
schrittenen Weg weiter gehen wollen, muss die Zukunft lehren. 
Um das Interesse für die Gartenbausache in weitere Kreise zu 
tragen und anzuregen, hat sich anfangs dieses Jahres ein Verein 
gebildet, dem sich 6 grosse Vereine bereits angeschlossen haben und 
zwar: der „Lehrerinnen-Verein" in Frankfurt a. 0., Verein „Frauen- 
wohl" in Frankfurt a. 0., der „Lehrerinnen- Verein" in Nassau, „All- 
gemeiaer deutscher Frauen- Verein" in Leipzig, der „Lehrerinnen- 
Verein" in Leipzig, der „Lehrerinnen- Verein" in Spandau. 

Zweck dieses Vereins ist, dem Frauenerwerb ein neues Gebiet 
zu erschliessen durch Förderung der Obstkultur, Vermittlung des 
Absatzes, Anbahnung geeigneter Massnahmen zur Steigerung des 
Frauenerwerbs durch Obst- und Gartenbau. 

Vor kurzer Zeit hat ein Mann, der seit 25 Jahren seine ganze 
Kraft für die Hebung des deutschen Obstbaues einsetzt, das Wort 
ausgesprochen: „Der deutsche Obstbau ist gerettet, wenn die Frau 
sich seiner annimmt!" Möchte dieses Wort von dieser Stelle aus 
hinaustönen, aber nicht nur an die Ohren deutscher Frauen schlagen 
sondern auch ihre Herzen bewegen, dass die Hände sich regen und 
eingreifen auf einem Gebiet, wo ihre Arbeit .notwendig ist, wo sie 
sich und anderen viel Gutes schaffen können, zu ihrem eigenen und 
des Vaterlandes Besten! 



Ausbildung und Stellung der Oberlehrerinnen 

In Italien. 

1. Von Signorina Rea Silvia Petrini, Oberlehrerin, Rom. 
2. Von Signorin Emma Castelbolognesi, Oberlehrerin, Modena (z. Z. 

(Kurzer Auszug). Berün). *) 

Der lebhafte Wunsch, dass in diesem auserwählten Kongress, 
in dieser Stadt, der die Sympathieen so vieler Italiener angehören, 
eine Stimme sich erhebe zur Erwähnung zweier Frauen-Institute, 
die unsern Stolz und unsere Hoffnung bilden, veranlasst diese kurzen 
Notizen über dieselben. 

Während in früheren Zeiten die von Nonnen geleiteten Mädchen- 
schulen höchst ungenügende Bildungsstätten waren, hat die weibliche 
Bildung schnellste Fortschritte gemacht, seit Italien Einheit und 
Unabhängigkeit erlangte. 

Einige der ^länner, die gegen die politische Tyrannei gekämpft 
hatten, wurden auch Vorkämpfer dafür, dass die Bildung der Frau 
verbessert und ihr neue Berufsarbeiten eröffnet würden. 

Jetzt sorgen zahlreiche Elementar-, Mittel-, höhere und Berufs- 
schulen für den Unterricht der Mädchen und die Seminare für 
Elementarlehrerinnen (Scuole Normali), ebenfalls eine Schöpfung des 
geeinten Italien, vermehrten sich schnell und waren schon im Jahre 



*) Signorina Castelbolognesi war in der Versammlung anwesend, 
konnte jedoch wegen Mangel an Zeit nicht zum Wort kommen. 

10 



— 146 — 

1882 doppelt so zahlreich als die für Lehrer (50 zu 25). Der 
Wunsch für die höheren Mädchenschulen geeignete Lehrerinnen zu 
bilden, hatte auch schon im Januar 1873 zur Einrichtung von be- 
sonderen höheren Kursen im Anschluss an die Seminare von Rom 
und Florenz geführt. Da dieselben aber nicht genügten, wurde 
nach harten Kämpfen im Parlament, durch Gesetz vom Juni 1882 
die Errichtung zweier besonderer Bildungsanstalten für Oberlehre- 
rinnen (Istituti di Magistero) in Eom und Florenz verfügt. Für 
die Aufnahme in dieselben ist das Elementarlehrerinnen-Diplom, die 
Absolvierung eines fün^ährigen Gymnasialkursus oder ein ent- 
sprechender Bildungsgrad erforderlich; doch muss immer ein Auf- 
nahme-Examen abgelegt werden. 

Die Lehrfächer sind ausser Sprache und Litteratur Italiens, 
Frankreichs, Deutschlands, Englands und den üblichen Schulwissen- 
schaften noch Mathematik, Gesundheitslehre, Logik, Psychologie, 
Pädagogik, Methodik und Morallehre, sowie auch weibliche Hand- 
arbeiten. Der Kursus dauert 4 Jahre, und zerfällt in 2 Kurse 
von je 2 Jahren. In den ersten 2 Jahren nehmen alle Schüle- 
rinnen an sämtlichen obligatorischen Lehrfächern teil, dann tritt 
mit dem XJebergang zu. dem 2 Jahre dauernden Studium von Spezial- 
fächern, für die jede Schülerin sich zu entscheiden hat, eine Trennung 
für einen Teil der Fächer ein. 

Dieser Spezialfakultäten giebt es bisher vier, nämlich : Italienische 
Sprache und Litteratur, Geschichte und Geographie, Pädagogik und 
Moral und fremde Sprachen. 

Im vierten Studienjahr finden praktische Uebungen statt, sowohl 
als Vorträge in den Seminarklassen, wie als Probelektionen in einer 
mit denselben in Verbindung stehenden Schule. Ebenso hat jede 
Schülerin während dieses vierten Studienjahres eine wissenschaftliche 
Arbeit über ein ihrem Spezialfach angehöriges, von ihr selbst ge- 
wähltes Thema abzufassen, welche den wichtigsten Teü des Schluss- 
examens bildet. Dies Examen zerfällt in ein allgemeines Entlassungs- 
examen und in das Diplomexamen. Letzteres umfasst: 

1. Die oben genannte wissenschaftliche Arbeit. 

2. Ein 30 Minuten währendes Colloquium über die Haupt- 
disziplin und die Arbeit. 

3. Eine schriftliche Uebersetzung aus einer fremden, von der 
Schülerin gewählten Sprache. 

4. Eine Probelektion. 

Der ganze Kursus ist für die Schülerinnen unentgeltlich mit 
Ausnahme von 20 Lire Examengebühren jährlich. 

Die Zahl der Schülerinnen beträgt in Rom durchschnittlich 100 
in Florenz 90—95. 

Die an diesen beiden Oberlehrerinnen-Bildungsanstalten diplo- 
mierten Frauen sind berechtigt an aUen höheren Mädchenschulen 
Italiens, sowie an den Seminaren für Elementarlehrerinnen zu unter- 
richten. Sie führen den Titel Professorin, sind den Lehrern gleich- 
gestellt und haben gleiche Pensionsberechtigung mit allen Beamten 
des staatlichen Zivildienstes. 



— 147 — 

Ihr Grehalt bewegt sich zwischen einem Minimum von 800 bis 
zum Maximum von 3000 Lire. 

Obgleich die beiden Oberlehrerinnen-Bildungsanstalten in Rom 
und Florenz nicht den Namen „Universität** führen, zählt man sie nach 
manchen Kämpfen jetzt doch zu denselben; und dem entspricht sowohl 
die äussere Organsiation, wie die Anordnung des Studienganges. 



Eingesandte Vorträge: 

1. Obst- und Gartenbauschulen in Russland. Von Frau Baronin 

Alexandrine Budberg, Schloss Poniemom, Russland. 

2. The Ladies Gymnastic-Drill Association in Helsingfors. 



10* 



IV. 
Dienstag, den 23. September, Naefamittag 3 Ubr*). 

Vorsitz: Fräulein Laura Herrmann, Frau Sera Pröllss. 

Ueber das künstlerische Studium der Frau. 

Von Hermine v. Preuschen-Telmann^ Deutschland-Rom. 

Geehrte Versammlung! 

Es heisst zwar „mulier taceat in ecclesia", und ich habe dies 
Lieblingszitat der Männer bisher immer beherzigt, d. h. ich habe 
lieber gemalt und geschrieben als gesprochen. Ich glaube auch die 
Frau zieht bei öffentlichen Reden stets den Kürzeren und wird in 
den Augen des emanzipationshassenden starken Geschlechts, (das eben 
so viel schwache Seelen birgt, wie das weibliche) immer eine 
lächerliche Persönlichkeit sein, die sich nach dessen Ansicht grenzenlos 
damit blamiert. Ich fürchte, dass alle Frauen Versammlungen ebenso 
wenig nützen wie Versammlungen der Männer und genau ebenso 
viele Spaltungen und Uneinigkeiten erzeugen wie diese. Und dass 
eben doch immer wieder alles beim Alten bleibt und im Sande er- 
stickt — dem äusseren Auge. Trotzdem aber glaube ich an die 
Berechtigung der Frauenemanzipation — wie ich an die Sonne glaube. 
Sie liegt in der Luft, sie ist zeitgemäss, unaufhaltsam. 

Und die Herren Männer mögen sich vorsehen, dass wir in Jahr- 
hunderten und Jahrtausenden nicht wieder bei der „Barbarei des 
Mutter rechtes" anlangen. 

Ernst gesprochen: eine kolossale Wandlung hat sich trotzdem 
vollzogen in den letzten zehn und zwanzig Jahren. 

Das wird uns an einem einfachen Beispiele klar. Wenn wir 
alle bei unseren Vätern die Abneigung gegen die sogenannte Eman- 
zipation, (das Wort ist für das, was die vernünftige Frau will, völlig 
falsch) noch vollkommen verständlich finden, bei unseren Männern 
und Geliebten würde uns diese Abneigung veraltet und unbegreiflich 
sein, wir würden sie, darob lächelnd, über die Achsel anschauen. 



*) Redigiert von Rosalie Schoenflies. 



— 149 - 

Ebenso wie über das von den Gegnern der Prauenemanzipation stets 
im Munde geführte goldene Wort von der besten Frau, von der 
man nicht spricht, das uns heut' ja, Gottlob, schon vollkommen ante- 
diluvianisch dünkt. 

In früher Jugend glaubte ich, Emanzipationsbestrebungen in 
corpore seien immer nur gut und nützlich für den Durchschnitt, und 
für das geniale Weib sei die grössere Freiheit seines Geschlechts 
im allgemeinen völlig überflüssig. Es bräche sich auch gewaltsam 
Bahn — durch bergehohe Hindemisse. Und ich hatte noch 
den naiven Glauben, die Männer seien unparteiisch, und wenn 
eine Frau wirklich einmal etwas wahrhaft Grosses leiste, erkennten 
sie es bereitwillig an, trotz der ihnen von Generationen über- 
kommenen Phrase : „Eine Frau hat in der bildenden Kunst noch nie 
etwas geleistet, höchstens als Schauspielerin und Sängerin, wo- 
bei sie nichts Eigenes zu geben hat**. 

Im Laufe der Jahre und Erfahrungen bin ich leider von dieser 
Ansicht zurückgekommen. Der talentvollen, hübschen Anfängerin 
schaut der Mann gutmütig duldsam von oben herab auf die Finger, 
wehe aber der Frau, die ernst genommen werden muss und die es 
wagt, ebenso Gutes oder gar Besseres zu leisten, als der Durch- 
schnittsmann. Da bilden plötzlich alte Feinde selbst eine brüderlich 
geschlossene Phalanx gegen den Eindringling, den sie boykottieren 
möchten durch alle Länder der Erde. 

„Die Person macht sich mausig — geben wir ihr eins auf 
den Kopf. Frauen sollen kochen und nähen und den Mann be- 
glücken." 

Ja, verehrte Herren, eine bedeutende Frau wird den Mann 
stets mehr beglücken als eine unbedeutende, und eine bedeutende 
Frau kann noch nebenbei alles das thun, womit eine Haushalts- 
spielgans ihre Jugend, ihr Leben vertrödelt, — Und mit gütiger 
Erlaubnis ist das Genie so frei, sich nicht ans Geschlecht zu kehren, 
es fliegt in die Seelen wem und wie es will. 

Da hat es dann aber ein Mann viel leichter, sein Leben damit 
zu modeln. Er ist körperlich von Natur stärker, ein Frauengehirn 
ist so viel subtiler. Es geht darüber manchmal aus den Fugen. 
Und doch hat die Frau, die sich zur Künstlerin berufen glaubt, 
mit viel grösseren Schwierigkeiten zu kämpfen, als der Mann. Und 
wenn auch das Genie wenig Rücksichten kennt — meist ist es 
ja nur ein kleines Talentchen, das sich eine Erwerbsquelle schaflfen 
will, genau wie die ebenso vielen kleinen Männertalentchen, die sich 
aber leichter und unverkümmerter entfalten können. 

Etwas besser ist es ja auch hierin schon geworden. In meiner 
Kindheit z. B. gab es noch wenige berühmte Malerinnen. 

Man hörte Wunderdinge über Rosa Bonheur und die alte 
Baumann-Jerichau, und dann kannte man die Reproduktion der 
neuen Gouvernante von der Volkmar und die Blumen der Anna Peters. 

Im üebrigen aber sah man achselzuckend über den talentlosen 
Kram, der „Damen maierei-Handarbeit" hinweg. Und jetzt? Hundert 
Kamen würden kaum genügen, alle wirklich bedeutenden, jungen 
europäischen Malerinnen zu nennen. Das aber ist den Männern 
sehr fatal. 



— 160 — 

Und geht's in der Litteratur nicht ebenso? 

Aus der Marlittiade heraus hat sich ein junges Schriftstelle- 
rinnenkorps gemausert, kühner und begabter, als viele männliche 
Kollegen. Freilich, Johanna Ambrosius' Erfolg ist ein starker Rück- 
schlag ins Gartenlaubengenre. Den haben aber wieder allein die 
Herren Männer auf dem Q-ewissen. 

Wenn aber jetzt schon in der Kunst ein so starkes Spriessen 
und Wachstum des weiblichen Talents zu bemerken ist, da noch so 
viele Schwierigkeiten uns hemmen, wie wird es erst heut über 
hundert Jahren bei uns ausschauen? 

Ja, des Weibes Lebenslauf ist gegenwärtig in aufsteigender 
Linie. Bis jetzt freilich ist so ein armes junges Ding, das sich die 
Malerei zum Beruf erwählt, mit seinen, den Eltern mühsam ab- 
gerungenen paar Groschen oft nur die melkende Kuh für den Herrn 
Professor, der sich von deä Honoraren seiner stets überfüllten 
Damenateliers eine fürstliche Villa baut, die er sich mit seinen 
Bildern niemals hätte ermalen können. 

Denn meines Wissens ist nur in Rom der Besuch der Kunst- 
akademie den Frauen gestattet. Dort können sie auch unentgeltlich 
mit den Männern zusammen Akt zeichnen, was in München, Berlin, 
Karlsruhe und anderen deutschen Kunstzentren unmöglich wäre. 
Freilich hat man in den letzten Jahren in den verschiedensten 
deutschen Städten spezielle Malerinnenschulen gegründet, die aber 
meiner Ansicht nach eigentlich unnötig wären und mehr oder 
weniger doch nur den Dilettantismus der höheren Töchter kultivieren. 
Warum eröffnet man den Frauen nicht lieber die Akademien? 

„Weil dies der Weiblichkeit ins Gesicht schlüge und doch nur 
Allotria entständen", sagen die Herren mit dem Zopf. Aber man 
soll es nur probieren, wie in den Züricher Hörsälen. Die Frauen, 
die es ernst mit der Kunst nehmen (das Weib ist ja bekanntlich 
beim Studieren viel fleissiger als der Mann), die werden nur an- 
gespornt durch die Konkurrenz mit den männlichen Kollegen und 
erleichtert durch die geringen Geldopfer, die die Akademie — ver- 
glichen mit dem oft auf 60 — 75 Mark pro Monat normierten Honorar 
des Professors — von ihnen fordert. Sie können sich infolge dessen 
während der Studienzeit besser ernähren und ihren Körper dadurch 
gegen alle Anstrengungen widerstandsfähiger machen. Ihr Gehirn 
geht dann, falls wirklich ein Geniefunke in ihnen steckt, wenig^er 
leicht aus den Fugen. „Das Kunstproletariat soll also noch staatlich 
vergrössert werden, wenn man den Weibern das Malstudium auch 
noch erleichtert", sagen wieder die Männer mit dem Zopf. Es heisst 
aber doch wohl für Mann und Weib ganz gleich: Viele sind be- 
rufen, wenige aber ausgewählt. Und ein gesundes Fundament 
schadet den Frauen in keinem Fall. Man wirft ihnen ja den Mangel 
desselben von männlicher Seite immer wieder so bitterlich vor. 
Wessen Talent aber nicht ausreicht zu selbstschöpferischen Gemälden, 
den wird es nur leichter befähigen zu gediegenen kunstgewerblichen 
Arbeiten. Adererseits hat, beim Mangel einer festen Schulbasis, 
auch das genialste Weib, und sollt' es noch so viel erreichen, sein 
Leben lang wie an einer heimlichen Kette zu schleppen, die seine 



— 151 — 

kühnsten Flüge immer wieder begrenzt, an der sich seine Phantasie 
stets aufs Neue wund reibt und zu Boden zerren lässt. 

Auch das Selbstvertrauen, der künstlerische Mut der Frauen 
wird sich durch die leichtere Ermöglichung gründlichsten Vorstudiums 
festigen, und die fatale Unselbständigkeit so mancher Malerin wird 
aufhören, die jetzt ihr Leben lang, noch wenn sie alt und grau ist, 
am Schürzenbändel eines „Professors" hängt, der seines pekuniären 
Vorteils willen auch bei Leibe nicht versucht, sie auf ihre eigenen 
Füsse zu stellen. 

„Das Fahrrad unserer Tage radelt die Kunst tot", sagte mir 
neulich einer von den Alten. Ich möchte lieber sagen: „Das 
Fahrrad radelt die Vorurteile tot", und so wollen wii' hoffen, dass 
unsere Töchter es einmal leichter, billiger und kämpfeloser haben 
werden, ihr Talent auszubilden, ihre Kräfte zu entfalten, ihre Indi- 
vidualität auszuleben; und dass man im kommenden Geschlecht 
nicht mehr frage: ist der Künstler Mann oder Weib, sondern 
nur: ist es ein wirklicher Künstler? 

Dann werden unter den vielen Berufenen die wenigen Aus- 
erwählten, die den steilen Dornenpfad hinaufkeuchen, der zum 
schimmernden Tempel führt, wo die Göttin thront, die ihnen den 
Lorbeer reicht, — dann ^verden auch Frauen den unvergänglichen 
Kranz um ihre Stirnen winden dürfen, ohne dass die Männer ihn 
wieder in den Staub zu treten suchen. Und dann, erst dann hat 
Alfred Meissners Wort seine tragische Wahrheit verloren: 

„Viel Kronen giebt es, dunkle, dornenvolle, 
Die Gott den Kindern dieser Erde lieh. 
Die schwerste doch, womit der Herr im Grolle 
Ein Weiberhaupt umkränzt, ist das Genie!*' 

Das erste Mädohengymnasium zu Karlsruhe. 

Von Ottilie von Bistram, Wiesbaden. 

Die grosse umfassende Bedeutung, die für die deutschen Frauen 
die Gründung unseres ersten Mädchengymnasiums in Deutschland 
hat, kann in ihrer ganzen Tragweite nur gewürdigt werden, wenn 
wir einen Blick werfen auf die Entstehung jenes Vereins von 
Frauen, der im Jahre 1888 unter dem Vorsitze von Frau Kettler 
zusammentrat und unter dem Namen ,,Frauenbüdungs-Reform" sich 
rasch über ganz Deutschland verbreitete und dessen unermüdlicher, 
rastloser Arbeit endlich die Gründung des ersten deutschen Mädchen- 
gymnasiums gelungen ist. Es wird einmal ein gar sonder- 
bares Kapitel in der Kulturgeschichte Deutschlands geben, wenn 
der wahrheitsgetreue Kulturhistoriker wird berichten müssen, dass 
in Deutschland bis zum Jahre 1893 für die Töchter der Nation 
der Dichter und Denker, mochten sie auch noch so sehr befähigt 
dazu sein, jede Möglichkeit verschlossen war, sich eine wissen- 
schaftliche Bildung anzueignen, die dem noch so mittelmässig be- 
gabten Knaben jederzeit offen stand; wenn weiter berichtet werden 
muss, dass, als einsichtsvolle deutsche Frauen die dringende Not- 
wendigkeit erkannt hatten, den Frauen gebildeter Stände neue 



— 162 — 

Berufe zu erschliessen und die fürs Studium begabten Mädchen für 
ein solches auf Gymnasien geeignet vorzubereiten, ihnen nicht nur 
der Staat seine Hülfti versagte, sondern auch die Petitionen, die an 
den deutschen Reichstag und sämtliche deutsche Landesvertretungen 
gingen, um Zulassung des weiblichen Gresohlechts zum Studium zu 
erlangen, jahrelang einfach unter nichtigen Gründen abgelehnt und 
darüber zur Tagesordnung übergegangen wurde! Wenn ferner wird 
berichtet werden müssen dass: als endlich die schier unüberwindlich 
scheinenden Schwierigkeiten, die Mauern von Vorurteilen, die Furcht 
vor dem Neuen, bisher noch nicht Dagewesenen — durch die zäheste, 
heisseste Arbeit jener Frauen in Wort und Schrift in soweit über- 
wunden war, dass endlich eine deutsche Landesvertretung, die des 
Badener Landes (und wir wissen ihr ewig Dank dafür) die Petition 
befürwortete und die Gründung eines Mädchengyranasiums in seinen 
Grenzen gestattete, diese Gründung aus Privatmitteln jener Frauen 
geschehen und die Erhaltung des ersten deutschen Mädchengymnasiums 
fort und fort aus freiwillig gespendeten Beiträgen eben jener Vereins- 
mitglieder durchgesetzt werden musste. Aber vielleicht war und 
ist der den Frauen in ihren Bestrebungen um erweiterte Bildung 
und Berufskreise staatlich und privatim entgegengesetzte Widerstand 
nur gerechtfertigt und jene Frauen verlangten, gleich unmündigen 
Kjndern, die nicht wissen was zu ihrem Heile dient, ganz Verkehrtes 
und Ungerechtfertigtes? Ist es doch eine seit Menschengedenken 
anerkannte Thatsache: „Die Frau gehört ins Haus! sie hat sich 
ihrer Familie zu widmen". Wir stehen keinen Augenblick an den 
Beruf als Gattin und Mutter, wenn er richtig aufgefasst wird, als 
den schönsten Beruf des Weibes gelten zu lassen. Aber, wenn die 
Not so laut wie bei uns in Deutschland an die Thüren klopft, handelt 
sich's eben nicht darum, was das Schönste, sondern was das Mög- 
liche und vor allem das Notwendigste ist! In einem Staate wie in 
Deutschland, wo es §ine Million überzähliger Frauen giebt, für die 
keine Ehemänner vorhanden sind, darf man die Frau doch erst 
recht nicht ausschliesslich und allein für diesen einen Beruf erziehen ! 
Rekrutieren sich doch gerade diese nicht zur Ehe gelangenden 
Mädchen besonders aus den gebildeten Mittelklassen, wo die wenigsten 
Eltern in der Lage sind, ihre Töchter standesgemäss versorgt zurück- 
zulassen, sondern diese werden entweder schon vor — oder bestimmt 
nach dem Ableben der Eltern hinausgestossen ins feindliche Leben — 
gerade so wie die Söhne und sind darauf angewiesen ihr Brot zu verdienen, 
nur nüt dem schwer ins Gewicht fallenden Unterschiede, dass der 
Sohn Kjndheit und Jugend über strengstens für einen Beruf vorbereitet, 
die Tochter, die etwa eine höhere Töchterschule genossen, für den 
harten Kampf ura's Dasein in keiner Weise ausgerüstet wurde! 
Was hat sie gelernt, wofür sie jemand bezahlen würde? Alle un- 
verehelicht bleibenden Mädchen der gebildeten Mittelklassen können 
aber nicht „Lehrerin", „Gesellschafterin" oder „Stützen der Haus- 
frau" werden, es sind derer eben schon viel zu viele ! Zur Kranken- 
pflegerin gehört ausser gutem Willen aber noch angeborne Befähigung. 
Es ist also Thatsache: wir brauchen mehr Berufsarten, in denen 
sich Frauen gebildeter Stände gewinnbringend nützlich machen 
können. Der zweite Einwand der Gegner des Frauenstudiums ist 



— 163 — 

die allbekannte Behauptung, dass die Frau, ihrer natürlichen Ver- 
anlagung nach, geistig zu sehr unter dem Manne stehe um gleichen 
geistigen Studien obzuliegen, „sie ist eben zu beschränkt und unlogisch 
zu furchtbringender Geistesarbeit **. Beschränkt sind aber nur die- 
jenigen, die das so ohne weiteres behaupten. Nachdem seit Jahr- 
tausenden dem weiblichen Geschlechte nie die Möglichkeit gegeben 
wurde, seine Anlagen genügend zu entfalten und seine Kräfte zu 
bethätigen, während das männliche Geschlecht von Generation zu 
Generation seine Geisteskräfte übte und damit steigerte, nachdem 
alle höheren Lehranstalten nur dem Manne erschlossen, nachdem 
für die Frauen Jahrhunderte lang nur eine ganz einseitige, ober- 
flächliche Bildung für vollständig genügend angesehen wurde, sollte 
man es lieber nicht wagen ein abgeschlossenes Urteil zu fällen, genau 
so als habe sie alle jene Bildungsvorteile schon genossen — man 
kann da nur zu Trugschlüssen kommen. Zahlen sprechen heisst es: 
nun gut, setzen wir z. B. nebeneinander, was an dieser Stelle schon 
erwähnt wurde, dass sämtliche deutsche Staaten für die männliche 
Ausbildung 97^/4% verausgaben und fügen wir beschämt hinzu, dass 
dieselben Staaten für uns Frauen pur 2V4% zur Ausbildung übrig 
haben, so werden wir wissen, warum die Frauen bisher scheinbar zurück- 
gestanden haben. Da aber dem Verein „Frauenbildungs-Reform" 
daran liegt thatsächlich den Beweis zu erbringen, dass begabte 
Mädchen begabten Knaben geistig ebenbürtig sind und sich erfolg- 
reich wissenschaftliche Bildung anzueignen vermögen, so verlangt 
er von den Töchtern, die studieren wollen, denselben Studiengang 
wie von den Söhnen. Nicht gemildert und für's Mädchenhirn zurecht 
gestutzt, auch nicht nach bereits vollendeter Schulzeit in dafür zu- 
recht geschnittenen Vorbereitungsschulen sollen unsere Schülerinnen 
zur Universität vorbereitet werden — wir wollen sozusagen keine 
Ausnahmegesetze, die man uns immerhin als Benutzung von Aus- 
nahmswegen vorhalten könnte, sondern wir erkennen uneingeschränkt 
an, dass dieselben Rechte vor allem dieselben Pflichten erheischen! 
Aber man fragt uns: „Ist das Experiment denn nicht zu gewagt, 
werden die psychisch und physisch schwachen Frauen es auch aus- 
halten?" Nun, die Schwachen brauchen und sollen es ja auch nicht 
— aber den Tüchtigen soll die Gelegenheit geboten werden. Praktisch 
aber ist es überhaupt kein Experiment mehr, sondern eine Thatsache, 
dass die Frau zu wissenschaftlichem Studium und für höhere Geistes- 
bildung ausserordentlich geeignet ist. Wohin ich auch kam auf 
langen Reisen durch 4 Weltteile, wo ich auch immer auf europäischem 
Boden in Spanien, Italien, der Schweiz, England, Frankreich, Griechen- 
land oder Russland, Frauenleben und Frauenbildung zu studieren 
Gelegenheit hatte, überall drängte sich mir die Beobachtung auf, 
dass der Standpunkt der Frauenbildung entscheidend ist für die 
Bildung der ganzen Nation. Wollen wir in Deutschland daher nicht 
stehen bleiben, d. h. hinter anderen Kulturvölkern zurückbleiben, 
so muss uns vor allem der Fortschritt der Frauenbildung am Herzen 
liegen. Alle Kulturstaaten Europas (von Amerika ganz zu schweigen) 
haben bereits ihre Hochschulen den Frauen, ohne irgend welchen 
Nachtheil, geöffnet — nur Deutschland zögert noch immer. Oder 
soll etwa die Japanesin der Deutschen, der Tochter der grössten 



— 154 — 

Philosophen, geistig soweit überlegen sein, dass sogar sie die Er- 
laubnis zum Universitätsstudium erhielt und benutzt und zwar so 
üeissig, dass gegenwärtig in Tokio 1000 Frauen studieren und 
30 Studentinnen dort in den letzten Jahren alle ärztlichen Prüfungen 
mit Erfolg bestanden. Nein, auch deutsche Frauen haben, allen 
Zweiflern und Vorurteilen zum Trotz, auf fremden Universitäten 
glänzende Diplome und Befähigungszeugnisse erhalten — und wir 
schauen mit Stolz auf diese unsere Pioniere! Aber nicht in der 
Fremde sollen Deutschlands Töchter ihre wissenschaftliche Aus- 
bildung suchen müssen, im eigenen Vaterlande sollen sie sich die- 
selbe erwerben können — und dazu thaten deutsche Frauen bisher 
den ersten Schritt mit der Gründung des ersten deutschen Mädchen- 
gymnasiums zu Karlsruhe. Damit die Eltern nicht zu früh vor die 
Entscheidung gestellt werden, ob ihre Tochter die Befähigung zu 
späterem Studium auch habe (was sich bei einem eben schulpflichtigen 
Kinde noch nicht feststellen lässt), nimmt das Karlsruher Mädchen- 
Gymnasium die Töchter erst mit 12 Jahren in Untertertia an, 
nachdem sie bereits 6 Jahre Töchterschulbildung genossen. Während 
bei den Knaben in dieser Klasse|neben Mathematik als zweites neues 
Fach Griechisch hinzutritt, müssen die Mädchen erst mit Latein und 
Mathematik anfangen. Griechisch kommt dann in Obertertia hinzu, 
ebenso wird erst in dieser Klasse Cäsarlektöre möglich. Es folgt 
in Untersekunda Livius, Odyssee und Algebra, dazu Physik als 
neues Fach. Da mit jedem Jahre zunächst eine neue Klasse er- 
richtet wird, so besteht die Anstalt, seit ihrer Gründung 1893, gegen- 
wärtig aus diesen 3 Klassen. Das Knabengymnasium soll mit Schluss 
der Obersekunda eingeholt werden. 

Die 22 Schülerinnen unseres Gymnasiums lernen mit dem 
grössten Eifer und bestem Erfolge; besonders überrascht haben sie 
den Professor der Mathematik durch die Schnelligkeit des Verständ- 
nisses für dies Fach; er weiss die grosse Lebendigkeit der mathematischen 
Anschauung seiner weiblichen Gymnasiasten nicht genug zu rühmen. 
Die bisherigen guten Erfolge im Latein berechtigen ebenfalls zu den 
freudigsten Hofliiungen. Durch körperliche Bewegung in den Zwischen- 
stunden, sowie durch viermal wöchentlich statthabende Turnstunden 
wird das physische Wohlbefinden der Schülerinnen unterstützt; der 
Gesundheitszustand derselben ist durchweg ein sehr befriedigender. Es 
handelt sich beim Gymnasialstudium eben viel weniger um die Menge 
des Wissens, als um die Gründlichkeit, um die Anleitung zu eigenem 
selbständigen Deaken, um die logische Geistesschulung und um den 
systematisch gesrliederten Aufbau des Gelernten — und damit muss 
eben schon beim Kinde begonnen werden, noch ehe es zuviel nötigen 
und unnötigen Wissenskram in sich aufgenommen hat. Ebenso wie 
die badische Regierung es war, die in hochherziger Weise dem 
ersten deutschen Mädchengymnasium gastlich die Thore geößnet. so 
war sie es auch, die unseren Schülerinnen in Aussicht stellte, auf 
einer ihrer Universitäten nach erlangter Reife, studieren zu dürfen. 

Von den 22 Schülerinnen des Karlsruher Gymnasiums stammen 
12 aus Karlsruhe, 1 aus der Pfalz, 1 aus Mecklenburg, 4 aus Pforz- 
heim, 2 aus der Rheinprovinz, 1 aus Holstein und 1 aus der Schweiz. 
16 sind Protestantinnen, 5 Katholikinnen, 1 Israelitin. 



— 166 — 

Der erste entscheidende Schritt zu vertiefter und erweiterter 
Frauenbildung ist durch die Gründung des ersten deutschen Mädchen- 
gymnasiums geschehen, aber* es bedarf zur Erhaltung dieser Errungen- 
schaft fortgesetzt der opferwilligen Mithilfe vieler Gesinnungs- 
genossen. Darum ihr deutschen Frauen und Männer helfet uns — 
auch hier in Berlin ist ein Zweigverein unseres Reformvereines — 
zeiget, dass auch Ihr, bisher Fernstehende, mit Eurer Zeit fort- 
schreitet, dass auch Ihr Verständnis habt tür die grosse Kultur- 
arbeit unserer Zeit. Denn die Bildung der Frau haben heisst nichts 
Geringeres als die Bildung der ganzen zukünftigen Generation haben, 
denn die Frau ist aller kommenden Geschlechter eigentlichste Er- 
zieherin, den Frauen vor Allem müssen wir das Dichterwort zu- 
rufen : 

. „Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben, 
Bewahret sie, sie sinkt mit Euch, 
Mit Euch wird sie sich heben!" 

Frauenbildung und gymnasiale Mädchenschule 

in Wien, 

Von Frau Dora Rösler, Wien, Delegierte des Vereins für er- 
weiterte Frauenbildung. 

Innerhalb der allgemeinen Frauenbewegung, welche jetzt so fest 
und sicher zum allgemeinen Frauen-Kongress geleitet wurde, machen 
sich zwei spezielle Bewegungen d. h. Gemütsbewegungen bemerkbar: 
Freude an den schon errungenen Erfolgen und Bedauern über die 
Unvollkommenheit derselben. 

Wir in Oesterreich hätten alle Ursache uns dem Bedauern an- 
zuschliessen, bei uns ist die Vollkommenheit noch lange nicht er- 
reicht und wir ermangeln allzumal des Ruhms, an der Spitze der 
Frauenbewegung zu stehen. Dennoch möchte ich die Ziele, die wir 
bisher erreicht haben, nicht zu gering finden, in Anbetracht des 
weiten Weges, den wir zu geben hatten, und würde mir gern ein 
wohlwollendes: „Immer langsam voran" zurufen lassen, und ein 
gütiges „Der lange Weg entschuldigteuer Säumen" mit Dank quittieren. 

In der That ist der Weg weit, der von dem ersten Verein in 
Wien, von der „Gesellschaft adeliger Frauen zur Beförderung des 
Guten und Nützlichen" (begründet 1810) zu unserer jüngsten Er- 
rungenschaft, zur Frauenenquete, führt. Die Aufgabe, alle Fort- 
schritte während dieser Zeit zu schildern, war mir zu Teil ge- 
worden, konnte aber nicht ausgeführt werden in der kurzen Zeit 
einer Viertelstunde, und ich muss mich mit Uebergehung aller 
Vereinsgruppen, welche der Wohlthätigkeit, der Arbeit, dem Rechts- 
schutz und der Rechtsbewegang dienen, zu denen wenden, die der 
wissenschaftlichen Ausbildung der Frauen ihre Bemühungen widmen. 
Wenn wir die Bestrebungen zur wissenschaftlichen Gleichberechtigung 
als die höchsten und wertvollsten ansehen, so liegt das in der Ueber- 
zeugung, dass die Wissenschaft die letzte Instanz der Kultur, die 
eigentliche Besitzerin der Macht ist, und von ihr und ihren Ver- 
tretern die Ausgestaltung der Gesellschaft kommt. 



- 166 — 

Der Gedanke, ein Mädchen-Gymnasium zu gründen, war bereits ' 
im Jahre 1866 ausgesprochen worden. Indessen begegnete dieses 
kühn ausgesprochene Wort einer sehr lebhaften Opposition. Die 
alte Tradition wurde aufrecht jf halten, und der „Wiener Frauen- 
er werbverein" führt seine Schule als höhere Töchterschule fort. Das 
gleiche Ziel hat auch der „Beamtentöchterverein". 

Die kürzlich gegründete „Damen- Akademie" schliesst sich an 
den Unterricht derartiger Mädchenschulen an und giebt Gelegenheit 
für die Aneignung einer höheren Bildungsstufe. Ein solcher Studien- 
gang kommt den Wünschen derjenigen entgegen, welche eine all- 
gemeine Bildung der Frau gutheissen, ohne auf eine exakte Durch- 
büdung derselben zu dringen. Die Ansicht, dass die Bildung der 
Männer und Frauen nebeneinander in gewissen Abständen fortbe- 
stehen könnte, kommt in dieser Akademie zum Ausdruck. Männ- 
liche und weibliche Professoren halten Vorträge über Geschichte, 
Archäologie, Naturwissenschaften u. s. w., immer in Öinsicht auf 
eine allgemeine Kenntnis dieser Gegenstände. 

Ob Männer und Frauen nicht miteinander gehen, denselben 
Studiengang verfolgen und die Resultate praktisch verwerten könnten, 
diese Frage einer Lösung zuzuführen gelang erst dem Verein für 
„Erweiterte Frauenbildung". 

Am 22. April 1888 fand eine Vor Versammlung des „Vereins 
für erweiterte Frauenbildung" statt, ein provisorischer Ausschuss 
bildete sich, und die Errichtung einer gymnasialen Mädchenschule 
wurde als Hauptziel des Vereins hingestellt. Dieses Ziel konnte 
aber erst im Jahre 1892 erreicht werden, nachdem viele Hinder- 
nisse beseitigt und durch mehrfache Vorträge den Vorurteilen 
gegen eine männliche Erziehung der Frauen entgegengearbeitet 
worden war. Ein weiblicher Arzt, Frau Dr. Kerschbaumer, be- 
gründete in einem geistvollen Vortrag das Recht der Frau für den 
medizinischen Beruf durch historische Belege ihrer Tauglichkeit für 
denselben. 

Ganz vorzüglich geeignet, das Vorurteil in Bezug auf das 
mögliche Zusammenwirken männlicher und weiblicher Studenten zu 
entkräften, war der Vortrag von Frl. Dr. Agnes Bluhm. Andere 
Vorträge bezogen sich auf das Recht und die Fähigkeit der Frau 
zum allgemeinen Studium, und endlich wurde im Jahre 1891 in der 
Generalversammlung des Vereins der Antrag: „Es sei die vom 
Verein zu gründende, in ihren Unterrichtszielen den bestehenden 
Gymnasien entsprechende Schule mit Beginn des Schuljahres 1892 zu 
eröffnen", einhellig zum Beschluss erhoben. Ein Vortrag von Frau 
Mariane Hainisch, die schon damals im Frauenerwerbverein die 
gymnasiale Mädchenschule beantragt hatte, war von grosser Wirk- 
samkeit auf das Publikum und die kompetenten Behörden. 

Die Bitte um unentgeltliche Ueberlassung eines Lokals wurde 
gewährt, das städtische Pädagogium nahm das Mädchengymnasium 
auf, der Leiter des Pädagogiums übernahm die Direktion desselben, 
und die unterste Klasse wurde mit 30 Schülerinnen eröffnet. Jetzt 
zählt das Gymnasium deren hundert. Der Stadiengang ist auf sechs 
Jahre berechnet, jedes Jahr wird eine neue Klasse hinzugefügt, und 
in zwei Jahren werden die ersten Abiturientinnen für die Hochschule 



— 167 — 

reif sein. Wir hoflfen zuversichtlich, dass die ünterrichtsverwaltung 
in Oesterreich ihnen so gerecht sein wird, wie dies in Ungarn he- 
reits der Fall ist. Die Petitionen an den Reichstag wurden günstig 
aufgenommen, durch mehrere Parlamentsredner genügend unterstützt, 
und der gegenwärtige Unterrichtsrainister gah die Erklärung ab, 
dass die jetzt geltende Ordnung des weiblichen Unterrichtswesens 
an massgebender Stelle als der Verbesserung bedürftig angesehen 
wird. Erleichterung der Nostrifikationsbedingungen, so lange das 
Studium in der Heimat nicht gestattet ist, wäre die dringendste 
Frage. 

Zwar hat die Regierung in den Okkupationsländem Bosnien 
und der Herzegowina in Berücksichtigung der mohamedanischen Be- 
völkerung an den Spitälern weibliche Aerzte mit ausländischen 
Diplomen angestellt und kürzlich einer praktisch ausgebildeten 
Zahnärztin die Ausübung der Zahnheilkunde in Mostar gestattet. 

Auch in Oesterreich sind zwei Fälle zu konstatieren, bei welchen 
durch einen kaiserlichen Gnadenakt die Ausübung der ärztlichen 
Praxis auf Grund eines ausländischen Diploms gestattet wurde. Frau 
Dr. Kerschbaumer erhielt die Bewilligung, die Augenheilkunde in 
Salzburg auszuüben. Fräulein Dr. von Roth wurde als Assistenz- 
ärztin an dem Offizierstöchter-Institut in Hern als angestellt. Diese 
Ausnahmefälle abgerechnet, ist die Erlaubnis in Oesterreich prakti- 
zieren zu dürfen, von der Nostrification der im Ausland abgelegten 
Prüfungen abhängig. Fräulein Dr. Gabriele Possaner hatte die 
Matura in Wien gemacht, eine zweite Reifeprüfung in Zürich ab- 
legen müssen, um dort zur Hochschule zugelassen zu werden. Nach- 
dem sie sämtliche Rigorosa dort mit Auszeichnung bestanden, musste 
sie sich bereit erklären, dieselben an der Universität Wien zu wieder- 
holen, worauf ihr die Erlaubnis zur ärztlichen Praxis erteilt werden 
wird. Da bisher der Besuch der hiesigen Hochschule nur von Fall 
zu Fall gestattet war, und keine Dame sich als ordentliche Hörerin 
einschreiben lassen durfte, so ist der Studiengang, den ich soeben 
durch das Beispiel des Fräulein Dr. Possaner erläutert habe, der 
einzig mögliche, aber auch so schwierige, dass er ganz ungewöhn- 
liche Energie fordert. Fast zuviel Energie und Mut — selbst für 
eine Frau. 

Der „Verein für erweiterte Frauenbild iing" bat es sich lebhaft 
angelegen sein lassen, Propaganda für die Erleichterung des Hoch- 
schulstudiums zu machen, wie dies ja auch im Interesse seines 
Gymnasiums selbstverständlich ist. Die sonstige Thätigkeit des 
Vereins will ich nur kurz anfuhren. Er agitiert unermüdlich, um 
die Vorurteile, welche gegen die Berufsbildung und Berufsausübung 
des weiblichen Geschlechts bestehen, zu überwinden. Sanfte Kon- 
sequenz, die niemals zudringlich wird, niemals aber einen errungenen 
Vorteil aufgiebt, ist die Signatur dieses Vereins, dem man den langen 
Titel verzeihen möge, um der vielen Bestrebungen willen, die er 
in sich schliesst. Denn auch die Pflege des Guten und Schönen 
lässt er sich angelegen sein. Zwei Frauenkonzerte, die Auflführung 
der ApoUohymne und ähnliche Veranstaltungen waren schön inszeniert 
und hatten grossen Erfolg. Wir haben wohl auf allen Gebieten 
grössere oder kleinere Errungenschaften zu verzeichnen, welche zwar 



— 168 — 

in der Jetztzeit nicht ohne K^mpf behauptet werden können. Dennoch 
wird dieser Kampf ohne Erbitterung, wenn auch mit Entschieden- 
heit geführt, und wenn die Vertreterin der Wiener Frauen sich 
eine Spezialmission anraassen dürfte, so wäre dies die Aeusserung 
des Wunsches, der Kongress möge auf Grund der Erfg,hrung, im 
Bewusstsein der Stärke seiner Sache und im Hinblick auf den 
täglich zunehmenden Anschluss aufgeklärter Männer suaviter in 
modo, fortiter in re verfahren. 

Die Abstraktion, die Vermehrung des theoretischen und prak- 
tischen Katechismus der Emanzipation sollte nicht in erster Linie 
in Betracht kommen, wean es sich um den Erfolg handelt. Frauen- 
recht ist wesentlich Frauenmacht, und die Macht liegt mehr in der 
That als im Wort! Wir sollen uns jedoch bestreben, in der Be- 
tonung dieses Wunsches niemals eine Verirrung des Geschmacks zu 
dulden, welcher in der aufblühenden Renaissance des Frauenlebens 
vielleicht eine ebenso grosse Rolle spielen dürfte, als einst im 
Cinquecento. Aus diesen Gesichtspunkten mögen auch die Be- 
mühungen und Leistungen der Wiener Frauen beurteilt werden, 
wie sie in kleinem Umriss dem Kongress vorgeführt wurden. 



Das Universitätsstudium der Frauen. 

Von FpI. Käthe Schirmacher, Dp. phil., Deutschland — Paris. 

Lassen Sie mich, geehrte Anwesende, mit einer familiären Rede- 
wendung beginnen: 

Wir brauchen das Universitätsstudium für die Frauen, wie das 
liebe Brot. In erster Linie, weil uns für die Frauenbewegung 
Menschen Not thun, die ruhig und sachlich denken gelernt haben. 
Wir alle stehen heute noch auf Vorposten, und es ist unerlässlich, 
dass unsere Soldaten Ruhe und Kaltblütigkeit besitzen. Die Ruhe 
und Kaltblütigkeit bei der Betrachtung der grossen Fragen aber, 
die wir heute angreifen, ja angreifen müssen, erwarte ich vom Hoch- 
schulstudium der Frauen, von ihrer wissenschaftlichen Schulung. 

Ebenso wie diese allgemeine Denkschulung brauchen wir auch 
gründliches Wissen. Das soll uns Frauen das Universitätsstudium 
gleichfalls geben, dieses umfassende, gründliche, dieses beste Wissen 
der Zeit. Denn wer die Hand an die so unendlich verwickelten Auf- 
gaben der Frauenbewegung legen will, der muss wissen, wissen und 
wieder wissen; weil alles, was er vernachlässigt oder nicht berück- 
sichtigt, sich als schiefe Auffassung oder als Unterlassungssünde 
rächt. Nicht guter Wille allein genügt heute; ein wirkliches Be- 
herrschen der Thatsachen des Lebens ist uns nötig; dieses Be- 
herrschen werden wir durch das Studium, hauptsächlich der Medicin, 
der Naturwissenschaften, der Rechts- und Staats Wissenschaften, der 
Statistik und Sozialökonomie, an die wir uns in erster Linie zu halten 
haben, erlangen. 

Auf diese Art allein kann auch der tiefe Bildungsunterschied 
ausgeglichen werden, der heute für gewöhnlich sogar zwischen der 
begabten Frau und dem Durchschnittmanne besteht und beide 
trennt; seien wir noch so intelligent, wir können das Höchste nicht 



— 159 — 

erreichen, wenn wir die Geister nicht vorher in die strenge Schule 
geschickt und der neuesten Wahrheit der Zeit erkennend ins Antlitz 
geblickt haben. — Müssen Führerinnen und Pioniere denn nicht 
wissen, wo sie hinwollen? Die moderne Wissenschaft soll uns 
moderne Frauen geben, die in die Entwickelung der Zeiten voraus- 
schauend, von der Höhe aus die grosse Bewegung leiten. 

Durch das Hochschulstudium kommt die Frau auch in Berührung 
mit Männern: eine weitere Notwendigkeit für die gedeihliche Ent- 
wickelung der Frauenbewegung. Lernt die Frau den Mann kennen, 
d. h. erweitert sie ihr Wissen von der Welt und von einem der 
wichtigsten Faktoren der Frauenbewegung, vom Manne, so wird sie 
eben weiser, reifer; denn, geehrte Anwesende, wer die Frauenfrage 
ohne Berücksichtigung der Beziehungen von Mann zu Weib lösen 
will, der ist vielleicht sehr wohlmeinend, aber auch sehr blind. 

Der Mann dann seinerseits lernt im täglichen, sachlichen Ver- 
kehr mit der Frau, diese Frau als Kollegen, als Berufs- und Kultur- 
arbeiter neben sich achten und anerkennen. Ein grosser Gewinn, 
den wir dadurch erringen; denn so geschieht es, dass man uns ernst 
nimmt und zur Diskussion zulässt, zulassen muss. Andererseits lernt 
die Frau aber an den bedeutenden Persönlichkeiten, mit denen sie 
verkehrt, ermessen, was sie zu leisten unternimmt, und das ist viel. 

Von der Hochschule geht es dann ins Leben. Der Kampf ist 
dort schwer für die akademisch gebildete Frau; aber auch für 
den Mann ist er nicht leicht. Wenn unsere Aerztinnen sich heute 
im bürgerlichen Leben ihre Stellung erwerben, wenn Ober- 
lehrerinnen ausgebildet werden, denen, ich hoffe es zuversichtlich, 
weibliche Advokaten bald folgen werden, wenn in den gelehrten 
und liberalen Berufen die Frau auftritt und ihre Praxis ausübt, ge- 
winnen wir aber das eine : direkte Vertretung der weiblichen Inter- 
essen, der weiblichen Anschauungen auf den wichtigsten Gebieten 
des bürgerlichen Lebens. 

Ihnen, die Sie so wacker gegen das bürgerliche Gesetzbuch ge- 
kämpft haben, brauche ich nicht auseinanderzusetzen, wie notwendig 
es ist, dass wir Frauen unsere Interessen auf jedem Gebiet mensch- 
licher Thätigkeit direkt vertreten. Ihnen allen ist es noch gegen- 
wärtig, wie wenig unsere heutige Volksvertretung auch eine 
Frauenvertretung ist. Wenn wir weibliche Advokaten, weibliche 
Richter in Funktion gehabt, der Entwurf wäre anders ausgefallen. 

Und das gleiche gilt von allen Gebieten des Lebens: an die 
Seite des bisherigen, ausschliesslich männlichen Gesichtspunktes und 
des ausschliesslich männlichen Rats wird durch akademisch gebildete 
Frauen auch die direkte Vertretung der weiblichen Interessen, die 
direkte Aeusserung weiblicher Thätigkeit treten und im Staats- wie 
öffentlichen Leben wird die weibliche Arbeit gebührend zur Geltung 
kommen. 

Neben diesen praktischen Berufsarbeitern erhoffe ich von dem 
Hochschulstudium der Frauen aber noch etwas: das Auftreten von 
wissenschaftlich schaffenden Naturen, von Forscherinnen, Erfinderinnen, 
und Entdeckerinnen, die das Erbe der Zeit auf selbständigen 
Schultern in die Zukunft tragen, von solchen, die man zu den 
Grossen und Grössten ihres Jahrhunderts rechnen wird. 



I 

1 



-- 160 - 

Damit, geehrte Anwesende, lassen sie mich für heute schliessen; 
es ist nichts Geringes, was ich von dem Universitätsstudium der 
Frauen erhoffe: 

1. Wissenschaftliche Schulung jeder einzelnen. 

2. Schöpfen aus dem Quell des besten Wissens der Zieit. 

3. Geachtete Stellung und praktische, nützliche Thätigkeit. 

4. Direkte Vertretung unserer Interessen, zum Nutzen des 
ganzen Geschlechts. 

5. Und endlich Schaffen, eignes Schaffen an der grossen Kultur 
der Menschheit. 

Wenn wir's erreichen — glänzend ist die Zukunft. Und 
glänzend wie sie, ist auch des Schweisses der Edlen wert: den Blick 
auf die Vision am Ende, bereit zu steter Arbeit, mit Hingabe an 
unsre Sache, wollen wir unentwegt vorwärts und immer vorwärts 
schreiten. 

Frauenstudium in Amerika. 

Von Miss Rickert in Vertretung von Mrs. Martha Foote Cpow, 

Dr. phil. und „Ghairman of the Committee on Educational Progress 
of the University of Chicago", and Miss Maud W. Straigbt, A. B. 

Chicago. 

(Auszug aus dem eingesandten Vortrage). 

Die Verfasserinnen des Artikels bedauern, dass die Aufforderung 
dazu nicht früh genug kam, demselben einen mehr offiziellen 
Charakter zu geben. Gewiss würde die Association of Collegiate 
alumnae als Vertreterin der studierenden Frauen Amerikas es als 
angenehmste Pflicht empfunden haben, ihren hier versammelten 
Schwestern, welche die Frage des Universitäts-Studiums für Frauen 
besprechen, die wärmsten und herzlichsten Grüsse zu senden. 

Die Zulassung der Frauen zu den deutschen Universitäten ist 
seit vielen Jahren eine Frage von höchstem Interesse für uns, nicht 
nur, weil wir den deutschen Frauen dieses Vorrecht von Herzen 
gönnen, sondern auch weil wir für uns selbst Zulassung wünschen 
zu diesen Quellen ernster Wissenschaft. 

Mit lebhaftem Vergnügen haben wir von den überaus zweck- 
mässigen Schritten gehört, die schon gethan worden sind, um die 
Thore der Universitäten auch uns Frauen weit zu öffnen ; und wir er- 
warten mit freudiger Zuversicht die Beiträge zur Wissenschaft und all- 
gemeinen Bildung, welche sicher kommen werden, wenn deutsche Frauen 
mit gründlicher deutscher Schulung ihre geistigen Fähigkeiten den wissen- 
schaftlichen Forschungen widmen. Dürfen wir dann nicht die Freude 
des Triumphes teilen, wie wir jetzt gern mit Ihnen kämpfen und 
ringen? 

In diesem Vortrag wollen wir versuchen, einen kurzen Bericht 
über die Geschichte des akademischen Studiums der Frauen in 
Amerika und einiger der wichtigsten damit in Verbindung stehender 
Probleme zu geben. 

Schon im Jahre 1778 bestand ein junges, 13 jähriges Mädchen 
das Zulassungs-Examen für Yale-College, durfte aber nicht studieren, 



— 161 -- 

weil sie kein Mann war. Erst 1836 öffnete eine Universität den Frauen 
wirklich ihreThür, das war Aberlin-College; und 75 Jahre später wurde 
die erste grosse Frauen-Universität Vassar-College gegründet. Dann 
folgten schnell andere und im Jahre 1870 gewährte die Universität 
von Michigan den Frauen gleiche Rechte wie den Männern. Fast 
alle staatlichen Universitäten folgten diesem Beispiel und vor 
4 Jahren gestatteten 3 unserer besten Männer-Universitäten den Frauen 
die Erwerbung akademischer Grade, einschliesslich der Doktor-Würde. 

Als vor 4 Jahren die Stanford- und die Chicago-Universität ins 
Leben traten, wurde in den Statuten den Frauen ausdrücklich das 
Recht der Teilnahme gewährt, nicht nur als Studentinnen, sondern 
auch auf den Lehrstühlen als Professorinnen. 

Im ganzen studieren jetzt in Amerika an 60,000 Frauen in 
Colleges und Universitäten, unter welchen 190 Colleges für Frauen 
allein bestimmt sind, die bei weitem grössere Anzahl jedoch für 
Frauen und Männer zusammen. 

In der That, es erscheint bei uns als geradezu selbstverständlich, 
dass eine Frau das akademische Studium durchmache, und es ist 
alles gethan, dies auch weniger Bemittelten zu ermöglichen. 

Die Verbindung der Collegiate Alumnae ist aus diesem Univer- 
sitäts-Studium hervorgegangen. Die Mitglieder derselben müssen 
wenigstens einen akademischen Grad erlangt haben und zwar an 
einem der 15 Colleges, die zu dieser Korporation gehören. 

Zweck dieser Verbindung ist: jungen Mädchen besseren vor- 
bereitenden Unterricht zu geben, ihnen ihre Studien an den Uni- 
versitäten selbst fruchtbarer zu machen, die Würdigsten von 
ihnen auch pekuniär zu unterstützen, sowohl in der Heimat als im 
Auslande, und die ganze gebildete Welt überhaupt anzuregen, 
solchen mit Rat und That zu helfen, denen eine regelmässige Schul- 
bildung unmöglich ist. 

Die Verbindung begann mit nur 66 Mitgliedern im Jahre 1882 
und zählt jetzt beinahe 2000. Es sind 20 Unterabteilungen vor- 
handen, jede für einen bestimmten Bezirk, die gewöhnlich sieben- 
mal im Jahre zusammen kommen, um allerlei allgemeine und be- 
sondere Fragen zu besprechen, zum Beispiel : Kenntnisse zur Führung 
eines Haushaltes, die Dienstbotenfrage, Erziehung in den öffentlichen 
Schulen zum Staatsbürgertum durch Belehrung über die Konstitution, 
politische Parteien u. s. w; (ich erlaube mir für Deutsche hier ein- 
zuschalten, dass der Besuch der öffentlichen Schulen in Amerika ein 
unentgeltlicher ist und dass dieselben vielmehr als hier von Hoch 
und Niedrig besucht werden); die sanitären Verhältnisse der Schulen, 
die physischen Bedürfnisse der Kinder, Pensions Verhältnisse alter 
Lehrerinnen u. s. w. 

Die Verbindung als Ganzes erstreckt ihre Thätigkeit nach fol- 
genden Richtungen : erstens, allgemeine Belehrung über Unterrichts- 
und Erziehungs -Fragen, zweitens Gewährung von ausreichenden 
Stipendien auch zum Studium im Auslande (sogenannte „fellowsships"), 
drittens moralische Unterstützung nur solcher Colleges, die wirklich 
lebensfähig sind ; viertens Gehaltsfragen, fünftens Stellenvermittelung 
für Lehrerinnen aller Grade und andere. 

Besondere Sorgfalt wird auf körperliche Ausbildung der 

11 



— 162 - 

Studentinnen durch Turnen und allerlei Leibesübungen verwendet, 
um der Furcht zu begegnen, dass wissenschaftliches Studium der 
Gesundheit schade. Zu unserer Freude ergeben die statistischen Ta- 
bellen einen grösseren Prozentsatz gesunder Frauen unter Studentinnen 
als unter Arbeiterinnen und Frauen im Privatleben. 

So weit die Thätigkeit der CoUegiate Alumnae. lieber das 
spätere Leben studierender Frauen ergaben statistische Untersuchungen 
Folgendes : 38 pCt. waren verheiratet, 20 pCt. lebten zu Hause ohne 
besondere Erwerbsthätigkeit, 36 pCt. waren Lehrerinnen und 5 pCt. 
in anderen Erwt^rbszweigen thätig. 

Die Frau in Amerika hat jetzt praktisch vollkommene Freiheit, 
ihren Lebensberuf zu wählen; und dieses gute E/Csultat verdanken 
wir dem Üniversitäts-Studiiim. Mit jedem Jahre vermehrt sich die 
Zahl derer, die Medizin, Chemie, Jura, selbst Landwirtschaft stu- 
dieren, letzteres besonders in den westlichen Staaten. Und auf all 
diesen Gebieten zeigt die Frau ihre Fähigkeit zu gründlicher 
Forschung und zu freier Auffassung des Gegenstandes. 

Um noch einmal auf das Heiraten oder Nicht-Heiraten unserer 
akademisch gebildeten Frauen zurückzukommen, möchten wir folgende 
Ergebnisse mitteilen, die allerdings noch nicht entscheidend sein 
können. Wir wir gesehen haben, ist der Prozentsatz verheirateter 
Frauen unter Universitätstudierenden ziemlich günstig, nur scheinen 
sie etwas später in den Stand der heiligen Ehe zu treten. Dafür 
sind aber Ehescheidungen bei ihnen fast unerhört und — was das 
Beste ist — die Kinder solcher studierter Frauen ertragen notorisch 
ihre Krankheiten viel besser und leichter als andere. 

Aus diesem Bericht über das Leben und Treiben unserer 
amerikanischen studierenden Frauen ergiebt sich wohl, wie sehr 
wir die Wichtigkeit der Studienfrage für Frauen in anderen Län- 
dern fühlen. Wir verfolgen mit Freude den Fortschritt unserer 
Schwestern hier in Europa und hoffen auf immer engere Beziehungen 
zu ihnen. 

Schon früher ist der Versuch gemacht worden zu einer inter- 
nationalen Verbindung, und besonders auf dem Kongress in Chicago, 
im Jahre 1893, wo Vertreterinnen aller gebildeten Nationen sich 
mit dem Versprechen trennten, in ihren eigenen Ländern Ver- 
bindungen zu organisieren, die sich später zu einem Ganzen zu- 
sammenschliessen würden. Noch sind solche nationale Verbindungen 
nicht ins Leben getreten, aber bis dies geschieht — und geschehen 
wird es — wollen wir bei allen internationalen Zusammenkünften 
einander helfen und ennutigen, indem wir Schwierigkeiten und Er- 
folge, Zweifel und Hoffnungen mit einander teilen. 

Und so enden wir, wie wir begannen, mit warmem Gruss an 
unsere europäischen Schwestern. 

Ansprache von Frau Barbe von Tarnofsky, St. Petersburg, 
Delegierte der „Societe pourvoyant aux besoins des cours superieurs 

des femmes." 

Vorbemerkung d. Red.: Dem Bericht des Fräulein Schaffe 
gingen ein paar Worte von Frau Tarnofsky in französischer Sprache 
voraus, die auf Wunsch der Rednerin deutsch wiedergegeben werden : 



— 163 — 

Seit dem Anfang der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam 
die russische Regierung einem allgemeinen Verlangen nach Wissen 
von Seiten der russischen Frauen zuvor, indem sie einen neuen Typus 
einer Schule schuf, nämlich das Gymnasium, dessen Programm sich 
dem der Gymnasien für Männer sehr nähert, ohne es indess voll- 
ständig zu erreichen. Nachdem die jungen Mädchen ihre Studien 
an diesen Mittelschulen he^^ndigt hatten, begnügten sie sich nicht 
mit den erworbenen Kenntnissen, sondern strebten nach höherer 
Bildung. Trotzdem die Anstrengungen, die sie machten, um sich 
die Thore der Universitäten zu öffnen, ohne Erfolg blieben, ver- 
loren die Frauen den Mut nicht, und nach Bekämpfung vieler 
Hindernisse gelang es ihnen, in mehreren Städten Russlands besondere 
TJniversitätskurse für Frauen ins Leben zu rufen. Damals war es, 
als in St. Petersburg der Gedanke sich regte, einen Verein zu 
gründen, und diese Gründung erfolgte im Jahre 1878 unter dem 
Namen: „Gesellschaft zur Fürsorge für die Bedürfnisse der Universitäts- 
kurse für Frauen." 

Dieser Verein hat das Glück gehabt, die Sympathie der auf- 
geklärten Kreise Russlands zu gewinnen, und die Zahl seiner Mit- 
glieder, Frauen und Männer, steigt von Jahr zu Jahr. Ein ge- 
schichtlicher Ueberblick, vom Komite des Vereins herausgegeben, 
ist von Fräulein Schaffe, der Direktrice eines der ältesten Mädchen- 
Gymnasien in St. Petersburg, verkürzt ins Deutsche übertragen worden 
und wird der freundlichen Aufmerksamkeit des Kongresses unterbreitet. 

Indem Frau Tarnofsky Fräulein Schaffe das Wort überlässt, 
macht sie es sich zur angenehmen Pflicht, dem Kongresse die leb- 
haften Sympathien der russischen Frauen auszudrücken und in ihrem 
Namen den deutschen Frauen zu danken für ihre Initiative, die von 
dem glänzendsten Erfolg gekrönt ist. 

Univ^arsitätskursa für Frauen in St. Petersburg. 

Von Fräulein E. Schaffe, Gymnasialvorsteherin, Petersburg, 
Delegierte der obengenannten G-esellschaft. 

Das rege Leben auf dem Gebiete geistigen Fortschrittes in den 
60 er Jahren erweckte in einem Kreise russischer Frauen, die sich 
mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigten und an deren Spitze 
Frau M. Troubnikoff und Frl. Stassoff standen, den Gedanken, eine 
Hochschule für Frauen zu begründen. 

1867 überreichte Frau Conradi, Redakteurin eines Journals, 
dem damals in St. Petersburg tagenden Kongress von Natur- 
historikern ein gediegenes Schreiben, in dem sie die Notwendigkeit 
darstellte, den Frauen eine höhere Bildung zu ermöglichen. 

Der Kongress sprach zwar seine Sympathie aus, lehnte aber 
jede Beteiligung an dem geplanten Werke ab. — 1868 wurde dieses 
Schreiben, von 400 Frauen unterzeichnet, dem Rektor der Universität 
vorgelegt. — Er sowohl wie viele andere Professoren billigten nicht 
nur das Streben der Frauen, sondern erklärten sich bereit, den Ent- 
wurf weiter auszuarbeiten und erwählten aus ihrer Mitte eine Kom- 
mission zu diesem Zweck. 

11* 



^t^täm 



- 164 — 

Das Gerücht, es würde möglicherweise eine weibliche Hoch- 
schule begründet werden, verbreitete sich bald im ganzen Reiche 
und warmen Dank ernteten alle, die sich an dem entstehenden 
Werke beteiligten. Selbst das Ausland wurde aufmerksam und 
J. St. Mill sprach dem Kreise obengenannter Frauen seine Sympathie 
aus; und dies hob und stützte ihre Energie bedeutend. 

Bald erfolgte auch die Antwort der von der Universität er- 
wählten Kommission und lautete dahin, dass die Universität das Streben 
der Frauen nach Zulassung zu einer historisch-philologischen und 
einer naturwissenschaftlichen Fakultät billige, aber die Forderung", 
ihnen ihre Hörsäle zur Verfügung zu stellen, ablehne; ferner sehe 
sie sich gezwungen, den Frauen selbst die Beschaffung der nötigen 
Geldmittel wie auch die ganze Organisation solcher Kurse zu über- 
lassen. Indessen erklärten sich die meisten Professoren bereit. Vor- 
lesungen an solchen Kursen zu halten, sobald die Erlaubnis des 
Kultusministers zur Eröffnung derselben erfolgt und dieselben 
organisiert sein würden. 

Nun wandten sich die Frauen an den Kultusminister und 1869 
erfolgte die Erlaubnis historisch-philologische und physikalisch-mathe- 
mathische Vorlesungen für gemischte Zuhörer (Männer und Frauen) 
zu eröffnen, weil dies geschehen konnte, ohne dass es nötig gewesen 
wäre, irgend welche neuen Gesetze oder Verordnungen zu erlassen. 
Solche populären Vorträge waren aber nicht das, wonach die Frauen 
strebten; sie wünschten geregelte und streng wissenschaftliche 
Kurse. 

Da die Geldmittel zur Gründung einer Hochschule fehlten, so 
begnügte man sich mit einzelnen Vorlesungen, die einen streng 
wissenschaftlichen Charakter trugen. 

Obschon viele Professoren ihre Vorlesungen unentgeltlich hielten, 
so reichten die von Privatpersonen beschafften Geldmittel nicht aus, 
um eigene Räume zu mieten. So mussten diese Vorlesungen lange 
Zeit aus einem Auditorium ins andere wandern, und sämtlich abends 
gehalten werden, was übrigens sowohl den Professoren wie auch 
den Studierenden, die zum grössten Teile dem Lehrstande angehörten, 
genehm war. 

1870 schon wurden diese Kurse von 900 Studierenden besucht. 
An der Spitze der Verwaltung stand schon damals und noch lange 
Frl. Stassow, deren Bildniss für immer einen der Säle der jetzigen 
Hochschule ziert. 

Da die Hörerinnen aber mit sehr verschiedenen Vorkenntnissen ein- 
traten, so wurde es den Professoren schwer, ihre Vorlesungen so zu 
gestalten, dass allen gleicher Nutzen daraus erwachse; auch konnte 
daher kein bestimmtes Programm eingehalten werden; denn während 
der Jahre von 1870 — 1875 kamen und gingen die Zuhörerinnen, wie 
es ihren Zwecken dienlich schien. 

Nun hielt es die Verwaltung für an der Zeit ein geordnetes 
Programm festzustellen. 

Die bisherigen Vorlesungen hatten ihren Nutzen gebracht und 
vielen Frauen, die später Medizin studierten, die hierzu nötige Vor- 
bildung gegeben, so Mancher auch ermöglicht ihre Studienzeit im 
Auslande abzukürzen. 



— 166 — 

Auch hatten die Frauen bei der Organisation sowohl als bei 
den Kämpfen mit ziemlich spärlichen Gel(iaiitteln grosses administra- 
tives Talent an den Tag gelegt. 

Auch andererseits entsprach die Gründung dieser Kurse den 
Wünschen der Regierung. Schon längst hatte die stete Aus- 
wanderung unserer Frauen nach ausländischen Universitäten die 
Aufmerksamkeit der Regierung erregt und es war auf Befehl 
S. K. M. Alexander II eine Kommission ernannt worden, die Mass- 
regeln treffen sollte der russischen weiblichen Bevölkerung, die das 
Streben nach höherer Bildung in so bestimmter Weise an den Tag 
legte, dies Studium in Russland selbst zu ermöglichen. 

Die Kommission erstattete ihren Bericht und S. K. M. erliess 
am 9. April 1876 ein Reskript, kraft dessen geboten wurde im 
russischen Reich überall, wo die Notwendigkeit an den Tag trete, 
üniversitätskurse für Frauen zu begründen. 

Infolge dieses Befehls wurden die Kurse reorganisiert und 
dem Professor Bestujeff-Rümen vom H. Kultusminister der Auftrag, 
denselben vorzustehen. — Damit wurde 1878 die jetzige Hochschule 
für Frauen begründet. 

Die Studentinnen mussten beim Eintritt das Lehrerinnen-Diplom 
aufweisen könnnen, sie hatten 50 R. (gegen 108 Mk.) jährlich zu 
zahlen, sich zu verpflichten, die Vorlesungen regelmässig zu be- 
suchen und sich an den praktischen Arbeiten im physikalischen und 
chemischen Laboratorium zu beteiligen, sowie bestimmte Prüfungen 
zu bestehen. Trotzdem gab das nach beendigten Studien erteilte 
Diplom keine akademischen Rechte. 

Die Kurse zerfielen in drei Fakultäten: a. eine historisch- 
philologische, b. eine naturwissenschaftliche, c. eine mathematische. 

Die Vorlesungen wurden von Professoren gehalten, die sich 
eines europäischen Rufes erfreuten wie Bekettoff, Mendeleeff, 
Butleroff, Setchinoff, Petruchevsky, Bauer, Wagner. Famintzin, 
Müller u. a. 

Ueber 800 Studentinnen besuchten die Hochschule. — Mit Ernst 
und Eifer wurde gearbeitet, daher waren denn auch die Resultate 
durchaus glänzende. 

Vor dem Abgange hatte jede Studierende eine Dissertation ein- 
zureichen und mehrere dieser Arbeiten zeugten von gediegenen 
Kenntnissen, so dass viele Professoren sich Assistentinnen aus der 
Zahl der die Entlassungsprüfung absolviert habenden Frauen 
wählten. — Andere frühere Studentinnen der Hochschule erhielten 
sofort Anstellungen als Lehrerinnen u«d Vorsteherinnen von Gym- 
nasien und Seminarien, obschon das Diplom keinerlei akademische 
Rechte gewährte. — Auch die späteren litterarischen Arbeiten der 
früheren Studentinnen zeugten von hohem Ernst, den die Frauen 
dem Studium entgegengebracht hatten. 

Bei Eröffnung dieser Hochschule existierte kein Kapital und 
die Geldmittel gestatteten immer noch nicht ein eigenes Heim 
zu gründen. 

Um die nötigen Geldmittel zu beschaffen, wurde 1878 ein Verein 
gegründet, der Mitglieder beider Geschlechter aufnahm. 

Schon am Schluss desselben Jahres fand man nötig, über eine 



Ml^ 



— 166 — 

eigene Wohnung zu verfügen und es wurde ein geeignetes Haus 
gemietet. Die früher auf 6 Semester bestimmte Studienzeit wurde 
jetzt auf 4 Jahre — 8 Semester — verlängert. 

Dank den Bestrebungen des Komites, an dessen Spitze Frau 
Philosofoflf stand und dessen Mitglieder, Frl. Stassoff, Fr. Tarnofsky, 
Fr. Kovalevsky, nachmaliger Professor der Mathematik in Schweden, 
Prf. Beketoff und Frl. Annentky waren, wuchsen die Geldmittel 
bedeutend. Die Resultate der Arbeiten vieler Studierenden ver- 
anlassten den Kultusminister der Hochschule einen jährlichen Zu- 
schuss von 3000 Rubeln (gegen 6200 Mark) zu sichern. — Nun 
schritt man zur Gründung einer Bibliothek und legte den Grund 
zu physikalischen, chemischen und naturhistorischen Kabinetten. 

Obschon nun aber die jährlichen Einkünfte bis zur bedeutenden 
Summe von 60000 Rubel anwuchsen, so reichten sie doch nicht hin, 
um alle Ausgaben zu decken und mehrere Professoren beliessen das 
ihnen zukommende Honorar der Hochschule. Trotzdem gelang es 
dem Komitee zu dem Bau eines eigenen Hauses zu schreiten. 

Die Unkosten desselben beliefen sich auf 230000 Rubel. Seine 
innere Einrichtung ist vortrefflich: die Auditorien sind gross und 
luftig, mit bester Heizung und Ventilation versehen, in mehreren die 
Bänke amphitheatralisch aufgestellt. 

Im Gebäude selbst fanden die Kanzlei, die Bibliothek und die 
Kabinette für Physik, Botanik, Zoologie und Mineralogie Platz. Zu 
einem grossen chemischen Laboratorium mit den neuesten Ein- 
richtungen für praktische Arbeiten gab Fräul. Rukovischnikoff 
die Mittel. 

Grosse Säle und breite Korridore nehmen die Studierenden nach 
beendeten Vorlesungen auf. Eine Küche, ein Speisesaal und alle 
übrigen Wirtschaftsgebäude schliessen sich dem Hauptbau an. 

Das Komitee konnte in den 7 Jahren von 1878 — 1885 so be- 
deutende Resultate nur erzielen, weil die Gründung der Hochschule 
die Sympathie der ganzen russischen Bevölkerung erweckt hatte. 
— Von den kleinsten Gaben aus weiter Ferne bis zu Tausenden 
von Rubeln strömten die Beiträge herbei. Besonders grosse Summen 
opferten Hr. und Frl. Sibiriakoff und Fr. Worontzoff-Wiljerminoff, 
die sich auch jetzt stets bereit zeigen, die Hochschule mit Geld- 
mitteln zu unterstützen. Nicht weniger dienten derselben die vielen 
Personen, die ihre Arbeit und Zeit unentgeltlich boten ; der Stadtrat 
hatte einen jährlichen Beitrag von 3000 Rubeln bewilligt. 

So blühte unter den warmen Strahlen der Sympathie der 
ganzen russischen Gesellschaft die Hochschule auf und reges Leben 
und Schaffen machte sich bis zum Schlüsse des Jahres 1885 in 
ihren Kursen kund. 

Laut Forderung des Kultusministers wurde zu Anfang des 
Jahres 1886 die Aufnahme neuer Studieienden bis auf weiteres 
untersagt. — Es sollte eine Kommission vom Ministerium zur Durch- 
sicht der Programme und der sich auf das Studium der Frauen be- 
ziehenden Fragen gebildet werden. 

Um die Hochschule nach Kräften zu stützen, reichte das 
Komitee des Vereins im November desselben Jahres dieser Kommission 
einen Bericht ein, in dem es auf Grund einer achtjährigen Erfahrung 



1 : 



-. 167 ~ 

die kulturhistorische Bedeutung und den moralischen Wert der- 
selben besonders hervorhob. Die Hochschule habe stets gestrebt, 
den Frauen eine allgemeine höhere Bildung zu ermöglichen; sie 
habe und wolle keine speziellen oder professionellen Ziele verfolgen; 
es bliebe also zu wünschen, dass die Vorlesungen von den be- 
deutendsten Professoren gehalten würden und im Umfange und Ge- 
halt denen der Universitäten gleich blieben; zum Studium dürften 
nur geprüfte Lehrerinnen zugelassen und am Schlüsse der Studien- 
jahre ein Universitätsexamen absolviert werden, damit man gebildete 
Lehrerinnen für alle Gymnasialklassen erhielte. 

Während die Kommission ihrer Aufgabe oblag, durchlebte die 
Hochschule eine schwere Zeit. Die ersten Kurse, in denen die 
Studierenden gewöhnlich am zahlreichsten waren, blieben geschlossen 
und das dadurch entstandene Defizit machte sich auf die peinlichste 
Weise fühlbar; denn in diesen Jahren stiegen die Kosten für jede 
Studentin auf 226 R. und diese Mittel, sowie die Zinsen der auf 
dem Hause lastenden Schuld hatte der Verein zu beschaffen. 

Im Januar 1889, einige Monate vor den Entlassungsprüfungen, 
die auch die letzten gewesen wären, reichte das Komitee S. K. M. 
Alexander III. eine Bittschrift ein, in der es bat, die Aufnahme 
neuer Studierender zu gestatten. Die Kommission hatte indes 
folgende Bedingungen aufgestellt: 

1. An der Spitze der Verwaltung solle ein vom Kultusminister 
erwählter und verantwortlicher Direktor stehen und eine 
ebenso vom M. eingesetzte Inspektrice die Aufsicht haben. 

2. Dem Komitee des Vereins liege nur die Verwaltung des wirt- 
schaftlichen Teiles ob, es habe die Geldmittel zu beschaffen 
und sich einer Kontrolle des Staates zu unterwerfen. 

3. Die Zahl der Studierenden müsse festgestellt und dürfe nicht 
überschritten werden. 

4. An den Kursen sollen nur zwei Fakultäten bestehen, eine 
historisch- philologische und eine physikalisch-mathematische. 
Die naturwissenschaftliche solle auf die neu zu eröffnenden 
medizinischen Frauenkurse verlegt werden. 

5. Für Studierende aus der Provinz, deren Familien nicht in 
St. Petersburg weilen, müsse ein Pensionat eingerichtet werden 
und ihnen nicht gestattet sein, bei ihnen unbekannten Privat- 
personen zu wohnen. 

Unter dieses Projekt schrieb S. K. M. eigenhändig: „Hiermit 
bin auch ich einverstanden." 

Die Generalversammlung des Vereins beschloss sofort, sich 
diesen Bedingungen zu unterwerfen und es wurden Schritte zur 
Herrichtung eines Pensionats gethan. Obschon dies nicht zu den 
Pflichten des Vereins zählte, so that er es, um den Frauen aus der 
Provinz den Eintritt in die Hochschule zu ermöglichen. 

1894 wurde auf einem der Hochschule gehörenden Stücke Land 
zum Zwecke dieses Pensionats ein eigenes Haus gebaut, das in 
53 Zimmern 86 Studierende aufnimmt; es enthält ausserdem 2 grosse 
Säle, Empfangszimmer und die Wohnung der Inspektrice. Medi- 
zinische Hülfe erteilt ein Frauenarzt. 

Ausser den Pensionärinnen ist es den in grösserer Entfernung 



- 168 - 

wohnenden Studentinnen gestattet, ihr Mittagessen für den geringen 
Preis von 50 bis 60 Pfennig in der Pension zu erhalten. 

Gegenwärtig hat der Verein 170 Pensionärinnen zu versorgen 
und ist gezwangen gewesen, noch 4 Privatwohnungen zu mieten. 
Er geht mit dem Plane um, ein zweites Haus zu bauen. 

Seit 1889 ist der Zutritt zu der Hochschule für Frauen wieder 
eröffnet und die Kurse zerfallen in 2 Fakultäten; eine historisch- 
philologische, auf der folgende Gegenstände vorgetragen werden : 

1. Theologie, 2. Physiologie, 3. Logik, 4. Geschichte der Philosophie, 
5. Russische Sprache, 6. Altslavonisch, 7. Ueberblick der slavonischen 
Dialekte und der Litteratur, 8. Geschichte der russischen Litteratur, 
9. Litteratur der europäischen Völker, 10. Geschichte der slavischen 
Völker, des Altertums, des Mittelalters und der Neuzeit, 11. Kunst- 
geschichte, 12. Römische Litteratur und Latein. 

Die physikalisch -mathematische Fakultät zerfällt in 2 Ab- 
teilungen a und b. 

In Fakultät a, der rein mathematischen, werden gelehrt: 1. The- 
ologie, 2. Astronomie, 3. Mathematik, 4. Analytische Geometrie, 
5. AJgebraische, Analyse, 6. Differenzial- und Integralrechnungen, 
7. Physik, 8. Analytische Mathematik, 9. Anorganische Chemie. 

In Abteilung b, der physikalisch-chemischen: 1. Botanik, 

2. Physik, 3. Organische Chemie, 4. Kristallographie, 5. Differenzial- 
und Integralrechnung. 

Die Arbeiten in den Laboratorien sind obligatorisch und jede 
Studentin hat noch gründliche Studien der deutschen oder franzö- 
sischen Sprache zu machen und kann nach Belieben dem Sängerchor 
der Kurse beitreten. 

Die Zahl der Bittschriften um Zulass zum Studium wächst mit 
jedem Jahr; Tausende von Werst weit kommen Lernbegierige herbei 
und der Kultusminister sah sich veranlasst die Zahl der Zulassenden 
von 400 auf 600 zu erhöhen. — 1895 stieg diese Zahl auf 695, trotz- 
dem musste man 212 Bittschriften zurückweisen. Die 95 hatte 
unser Kurator aus eigener Machtvollkommenheit als tiberkoniplett 
zugelassen und davon S. K. Majestät in einer Audienz Mitteilung 
gemacht, worauf unser junger warmherziger Kaiser gesagt haben 
soll: Jedem, der lernen wolle, solle gestattet werden sein Wissen 
zu erweitern, und der russischen Frau solle es ermöglicht werden, 
in Russland selbst zu studieren. 

Mit dem wachsenden Andränge von Studierenden hält auch der 
Zuwachs an Geldmitteln Schritt; denn die Zahl der Mitglieder des 
Vereins steigt mit jedem Jahre. Im Komitee, das die Hochschule 
nach Kräften stützt, sind gegenwärtig: Fr. Lichatscheff Vorsitzende, 
H. Pissetsky zweiter Vorsitzender, Fr. Tarnofsky Kassenführerin, 
Fr. Waronin Schriftführerin, Fr. Netschaeif Verwalterin des 
Internats. Ferner Mitglieder: Fr. Baronin Uxkyll v. Gildenband, 
Fr. Kalmükoff, Fr. Filosofoff, Frl. Sibiujaikoff, Professor Grevs, 
Professor Oldenburg, Fr. Sultanoff, H. und Fr. Korsakoff und 
Fr. Koreyeff. 

Als Schlusswort kann ich nur sagen: Schon längst sind die 
früheren Studentinnen bei uns gesuchte Lehrerinnen in Schulen und 
Gymnasien; in mancher Privatschule sind sie mit der Leitung des 



— 169 — 

Unterrichts bis in die oberen Klassen betraut. In manchem Hause 
arbeiten Mann und Frau wie zwei gute Kameraden nebeneinander 
an der Bildung der künftigen Generationen, und die Frau, welche 
durch die Erziehung ihrer eigenen Kinder an ihr Haus gefesselt ist, 
bringt ihremManne das volle Verständnis für seine geistige Thätigkeit 
entgegen. Ausserdem ist es den Müttern ermöglicht ihre Kinder 
nicht nur zur Schule vorzubereiten, sondern ihr Studium mit auf- 
geklärtem Sinn und Rat bis in die Hochschule hinauf zu stützen. 
Und dieses Zusammensein von Mutter und Sohn kann der Sittlichkeit 
doch nur förderlich sein. 

Tabelle der Zahl der Studierenden an der Hoohsohule fflr Frauen 

naoh Jahrgänge Q. 



1878 79 


814 


1884-85 


851 


1890-91 


186 


1879 - 80 


789 


1885 -86 


779») 


ia91-92 


278 


1880-81 


840 


1886-87 


527 


1892-93 


385 


1881-82 


980 


1887-88 


291 


1893-94 


467 


1882-83 


974 


1888-89 


140 


1894 - 95 


557 


1883-84 


905 


1889-90 


144 ♦*) 


1895-96 


695 



Das Mädchengymnasium in Ungarn. 

Von Herrn Dp. Bernhard Alexander, Universitäts-Professor, Buda- 
pest, Delegierter des Landes-Prauenbildiings- Vereins. 

Frauen-Bildung in Ungarn sonst und jetzt 

1867 bis 1896. 

Von Frau Constantia von Rudnay, geb. v. Veres, Vizeprftsidentin 
desselben Vereins, Budapest, vorgelesen von Hrn. Professor 

Dr. Alexander. 

Verehrte Damen und Herren ! Nicht ohne Befangenheit ergreife 
ich das Wort. Denn ich glaube, dass ich der erste oder der einzige 
bin von dem anderen Geschlecht, der hier zum Worte gekommen 
ist. Aber als Herr Universitäts-Professor Dr. Zoltan von Beöthy, 
der hier anwesend ist, und ich, die Mission annahmen, in Gemein- 
schaft mit der Frau Vizepräsidentin von Rudnay den Landes-Frauen- 
bildungs-Verein in Budapest zu vertreten, leitete uns die Ueber- 
zeugung, dass die Frauenfrage wohl eine Frage der Frauen, aber 
nicht blos eine Frage ftir Frauen sei, dass wir ja alle daran in 
höchstem Masse beteiligt sind und dass sonach jeder, der die Ge- 
legenheit oder die Aufgabe hat, an der Lösung dieser Frage mit- 
zuarbeiten, nicht nur das Recht besitzt, bei einer solchen Gelegen- 
heit das Wort zu erheben, sondern wohl auch die Verpflichtung, 
dasselbe zu ergreifen. 

Uebrigens will ich nur ganz kurz zuerst einen Vortrag von 
Frau von Rudnay verlesen, da sie durch die Krankheit ihres Sohnes 

*) Die Aufnahme neuer Studirenden ist unterbrochen. 
**) Die Aufnahme neuer Studirenden beginnt wieder. 



_ 170 — 

verhindert ist, ihrem heissen Wunsche nachzukommen und hierher 
zu eilen. Sodann will ich in eigenem Namen Ihnen eine Mitteilung 
tiher das Frauengymnasium in Ungarn machen, welches wohl ge- 
eignet ist, Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Frau 
von Rudnay, die Tochter von Frau v. .Veres, welche den Landes- 
Frauenhildungs verein, ein hlühendes Unternehmen, gegründet hat^ 
wirft hier einen ganz allgemeinen Rückhlick auf die Bestrebungen 
und Werke des Frauen Vereins. Ein Heftchen, das wir zu diesem 
Zweck haben drucken lassen: „Der Landes-Frauenbildungsverein in 
Budapest und das erste ungarische öffentliche Mädchengj^mnasium". 
das in einigen hundert Exemplaren Ihnen zur Verfügung steht, 
wird Ihnen über unsere Bestrebungen, unsere Werke und Thaten 
eingehenderen Bericht erstatten, als dies in einem kurzen Vortrage 
möglich wäre. 

Frau von Rudnay schreibt über die Frauenbildung in Ungarn 
sonst und jetzt — 1867 bis 1896 — folgendes: 

Ich gedenke einen flüchtigen Blick auf die Zustände der 
Mädchenerziehung in Ungarn, wie sie im Jahre 1867 waren, zu 
werfen und sie mit den heutigen zu vergleichen. 

Damals verursachte es einer ungarischen Dame grosse Mühe, 
unter ihren weiblichen Gefährtinnen 22 solcher zu gewinnen, welche 
es wagten, den Vorurteilen der Zeit mutig gegenüber zu treten und 
die Absicht aussprachen, einen Verein zu gründen, dessen Ziel es 
sei, einerseits den Frauen eine allgemeine höhere Bildung zu geben, 
andererseits aber der weniger bemittelten weiblichen Jugend die 
Gelegenheit zu solchen Berufsthätigkeiten zu verschaffen, die ihr 
die Selbsterhaltung sichern. 

Jetzt ist die Zahl der Freunde einer höheren Mädchen erziehung 
Legion, nicht nur im Kreise der Frauen, sondern a'ach in dem der 
Männer. 

Später, als die ungarischen Frauen durch die Vermittelung- des 
grossen Staatsmannes Franz Deäk mit der Unterschrift von neun- 
tausend Damen ein Gesuch an das Abgeordnetenhaus einreichten, 
dass das Land eine solche „Musterschule für höhere Mädchen- 
erziehung" errichten möge, welche im ganzen Lande als Richtschnur 
für den Unterricht der weiblichen Jugend diene, war der damalige 
Unterrichtsminister der Ansicht, dass es wichtiger sei, wenn die 
Frau aus dem Volke stricken könne, als wenn die den gebildeten 
Kreisen angehörige Frau einer höheren Ausbildung teilhaftig werde. 

Jetzt eröffnete die Gemahlin des Unterrichtsministers bei Ge- 
legenheit des Landes-Kongresses für Unterrichtswesen die Sitzungen, 
welche die Mädchenerziehung betrafen, und trat mit warmen, be- 
geisterten Worten für die Sache der höheren Frauenbildung ein. 

Damals bestanden für Mädchen keine öffentlichen Schulen, welche 
eine Bildung höheren Grades verliehen; solche konnte höchstens- 
durch Hauserziehung gewonnen werden und war gewöhnlich sehr 
mangelhaft; nur in einigen Privat-Erziehungsanstalten, die zumeist 
dem Zwecke der Erhaltung ihrer Eigentümer dienten, genossen die 
Mädchen Unterricht in den Elementen der Wissenschaften und einigen 
technischen Fertigkeiten. Aber man hielt es im allgemeinen auch 



i 



— 171 — 

^arnicht für notwendig, — alle Achtung vor den Ausnahmen! — 
dass die Mädchen lernten, indem man sagte: „Es genügt, wenn die 
Frauen so viel wissen, dass sie sich, wenn es regnet, nicht unter 
die Traufe stellen!" 

Jetzt giebt es überall in unserem Vaterlande, neben systema- 
tischen Elementarschulen, vorzügliche Mittel- und höhere Mädchen- 
schulen; ausserdem bestehen Lehrerinnenbildungs - Anstalten für 
Elementar- und höhere Mädchenschulen. 

Schon vor 28 Jahren sagte eben jene Dame, die Gründerin des 
Landes- F'raüenbildungsvereines, in einer Flugschrift: „Es ist über 
jeden Zweifel erhaben, dass es solche Berufskreise giebt, welchen 
sich das Wesen der Frau nicht anpassen kann 5 aber die Lehrthätig- 
keit. der kaufmännische Beruf, das Post- und Telegraphenwesen, 
die Pharmazeutik, die ärztliche Behandlung von Frauen und Kindern 
gehören gewiss auch in jenes Gebiet der Frau, worin diese mit 
dem ihr von der Natur vorgezeichneten Berufe nicht in Konflikt 
gerät und neben der Sicherung der eigenen Existenz auch der 
^Menschheit nützliche Dienste leisten kann." 

Siehe da! jetzt steht die Verwirklichung jenes Traumes in 
allen seinen Zügen vor uns, da der gegenwärtige, zielbewusste 
Leiter des Unterrichtswesens, Dr. Julius Vlassics, mit Bestätigung 
Seiner Majestät auch den Frauen die Universität eröffnet. 

Ich glaube nicht, dass unter uns auch nur eine Person ist, 
die nicht der Ansicht wäre, dass wir den eigentlichsten Wirkungs- 
kreis der ?^rau in dem Familienleben suchen müssen. Ich kann 
mich jedoch der Thatsache nicht verschliessen, welche die Statistik 
in nackten Ziffern bekundet, dass die Zahl jener Frauen, welche 
zu einem Familienleben nicht gelangen, in unseren Tagen wahrhaft 
erschreckend gross ist, und folglich ist es die Pflicht der Gesellschaft, 
auch für jene Sorge zu tragen. 

Der Landes - Frauenbildungsverein, welcher mit der Devise: 
„Lasst uns vorwärts schreiten!" auf seiner Fahne überall als Bahn- 
brecher vorangegangen ist, verstand auch jetzt die Forderung der 
fortschreitenden Zeit, „dass man der Frau Gelegenheit bieten müsse, 
ihre hervorragenderen Fähigkeiten und Kenntnisse auch in den 
leitenden Gesellschaftsklassen zu verwerten", und der Verein will 
der sich gestellten zweifachen Aufgabe auch jetzt gerecht werden 
und eröffnet in diesen Tagen sein Mädchengj^mnasium, welches schon 
das Recht zur Abhaltung staatsgiltiger Prüfungen besitzt. Ausser- 
dem will er dafür sorgen, dass die Frauen als gründlich gebildete 
Wesen auch am Familienherde ihren Platz würdig ausfüllen, und 
hat demgemäss neuerdings einen mit dem praktischen Erlernen der 
Kochkunst verbundenen Haushaitun gs- Kursus errichtet. Der Verein 
unterhält gegenwärtig in Budapest eine Elementar- und eine Bürger- 
schule (Mädchen -Mittelschule), eine Lehrerinnen - Bildungs - Anstalt, 
einen zweiklassigen Fortbildungs- und einen Haushaltungs-Kursus 
und endlich zwei Klassen des aufzubauenden, a(fhtklassigen Mädchen- 
gyninasiums; zusammen also 15 Klassen mit ungefähr 400 Schü- 
lerinnen« 

Ueber den Stand des gesamten ungarischen Mädchenschulwesens 
vom Jahre 1895 geben folgende Daten einen U eberblick: 



— 172 - 

1. In 1381 Mädchen- und 14,224 Simultan -Volksschulen waren 
826,291 Schülerinnen; 

2. in 33 höheren Volksschulen 1467 Schülerinnen; 

3. in 137 Bürgerschulen (Mädchen-Mittelschulen) 17,774 Schüle- 
rinnen ; 

4. in 23 höheren Mädchenschulen 4165 Schülerinnen; 

5. in 19 Elementarlehrerinnen- Bild ungsanstalten in 1 Erzieherinnen- 
Bildungsanstalt und 2 Bürgerschullehrerinnen- (Mädchen -Mittel- 
schullehrerinnen-) Bildungsanstalt zusammen 1735 Zöglinge. 



Ich möchte mir nun erlauben, jene Mitteilungen anzuschliessen, 
welche ich in Bezug auf das Mädchengymnasium zu machen habe. 

Es verdankt seine Entstehung einer grossen Wandlung, welche 
in den offiziellen Kreisen über die Zulassung der Frauen zum Uni- 
versitätsstudium eingetreten ist. Im Dezember vorigen Jahres ge- 
schah es, dass eine königliche Resolution durch den Unterrichts- 
minister erwirkt wurde, welche den Frauen gestattet, sich als 
ordentliche Hörer an der Universität immatrikulieren zu lassen und 
zwar in Philosophie und in der Medizin, — in der juristischen 
Fakultät nicht — vorausgesetzt, dass die Frauen an einem Knaben- 
gymnasium eine ganz den Regeln entsprechende Abiturientenprüfung 
abgelegt haben, so dass von irgend einer Begünstigung, welche ja 
auch die Frauen gar nicht verlangten, in diesem Falle nicht die 
Rede sein kann. Es ist nur gleiches Recht für Alle, dass die Frau 
immatrikuliert werden kann, wenn sie imstande ist, das Abiturienten- 
examen abzulegen, ein strenges Abiturientenexamen zusammen mit 
den Schülern, so dass der gleiche Massstab an die Leistungen 
beider Geschlechter angelegt wird. Freilich giebt es oder gab es 
sehr wenige Mädchen, welche von dieser Erlaubnis sofort hätten 
Gebrauch machen können. Nichtsdestoweniger fand sich sofort eine 
Dame, welche schon vor zwei Jahren das Abiturientenexamen ab- 
gelegt und sich dann dem Lehrerberuf gewidmet hatte, die sofort 
die Gelegenheit ergriff, ihre wohldotierte Stellung aufgab und nach 
Pest eilte, um sich an der Universität immatrikulieren zu lassen. 
Ich kann mitteilen, dass ich selber Gelegenheit hatte, die Kenntnisse 
der jungen Dame zu prüfen, da dieselbe auch meine Vorlesungen be- 
suchte, und ich kann hinzufügen, dass ich sehr froh wäre, wenn die 
Hälfte der männlichen Zuhörer einen solchen staunenswerten Fleiss, 
eine solche Hingebung für das Studium zeigen würden, wie diese 
junge Dame. Damit aber war die Frage bei weitem noch nicht 
gelöst. Denn die grösste Schwierigkeit liegt ja darin, wie die 
jungen Damen das Abiturientenexamen ablegen sollen. 

Wie es in Berlin Aushilfskurse giebt, so tauchte auch in 
Budapest der Gedanke auf, solche Kurse zu errichten; und eine 
der University-extension in England nachgebildete Anstalt, an 
welcher sich mehrere Universitätsprofessoren beteiligten, eröffnete 
lateinische, mathemathische und physikalische Kurse, um den jungen 
Damen Gelegenheit zu geben, die Prüfung bestehen zu können. 
Wir konnten uns aber der Ueberzeugung nicht verschliessen, dass 
solche Veranstaltungen doch nur Stückwerk bleiben und den eigent- 
lichen Bedürfnissen nicht vollständig entsprechen. 



— 173 — 

Es wird doch immer zu viel verlangt, wenn den jungen Damen 
zugemutet wird, allen Vorurteilen, die sich ihnen entgegenstellen, 
zu trotzen und ausserdem nicht einmal den regelrechten, ruhig fort- 
schreitenden Unterricht zu geniessen, welcher die Knaben so ruhig 
und sicher zum Ziele führt. In dieser Erkenotnis nahm der 
Landes-Frauenbildungsverein die Sache in die Hand und setzte ein 
Komitee ein, welches die Aufgabe hatte, die Angelegenheit eines 
Mädchengymnasiums eingehend zu erörtern, und über Lehrpläne, 
Organisation und Errichtung die nötigen Vorschläge zu machen. 
Dieses Komitee tagte unter dem Vorsitz des hier anwesenden Prof. 
Dr. Zoltan von Beöthy. 

An diesem Komitee nahm auch ich teil, und wir arbeiteten einige 
Monate, um das nötige Regulativ und den Lehrplan aufzustellen, die 
sie auch in dem oben genannten Büchlein auseinandergesetzt finden. 
Nun ist die Sache vollständig geordnet und es steht der EröflPhung 
des ersten öffentlichen Mädchengymnasiums nichts mehr im Wege. 
Der Landesfrauenbildungs verein wird in diesem Jahre die erste und 
fünfte Klasse — bei uns ist 1 die unterste Klasse, 8 die höchste 
— errichten. Für die fünfte KJasse wird es allerdingss nötig 
werden, einen üebergangslehrplan in Kraft zu setzen, damit die- 
jenigen, welche aus anderen Anstalten kommen, um in die fünfte 
aufgenommen zu werden. Schritt halten können und der ganze 
Lehrplan nach und nach durchgeführt werden kann. Der Frauen- 
verein wird im nächsten Jahre die 2. und 6., im dritten die 3. und 
7. und schliesslich die 4. und 8. Klasse ins Leben treten lassen, 
denn bei uns hat das G-ymnasium 8 Jahrgänge. Das Mädchen- 
gymnasium unterscheidet sich in gar nichts von einem Knaben- 
gymnasium, was Organisation, Lehrplan und Ziele anbelangt. Es 
hat dieselben Aufnahme-Bedingungen in Bezug auf Kenntnisse und 
schulpflichtiges Alter und die gleiche Anzahl von Lehrjahren; 
ebenso besteht auch hier die Bedingung, dass nur akademisch ge- 
bildete Lehrkräfte unterrichten dürfen. Es steht also in keiner 
Weise hinter einem Knabengymnasium zurück und in Erkenntnis 
dieser Umstände, auf Grrund des Verzeichnisses derjenigen Lehrkräfte, 
die sofort unterrichten werden, und des Lehrplanes konnte sich das 
Ministerium der Ueberzeugung nicht verschliessen, dass es sich hier 
um eine höchst ernsthafte Veranstaltung handelt und fand sich daher 
bewogen, der ersten und fünften Klasse sofort das Eröffnungsrecht zu 
verleihen. Es ist also kein Winkelgymnasium, kein geduldetes, das 
von diesen oder jenen Faktoren abhängt, sondern ein öffentliches 
Gymnasium, das gleiche Rechte für sich beansprucht, aber auch 
die gleichen Pflichten zu erfüllen übernimmt, welche einem Knaben- 
g\'mnasium obliegen. Es ist nicht an der Zeit, Ihnen über Lehr- 
plan u. a. eingehendere Mitteilungen zu machen. Es möge genügen, 
die Frage, die Sie ja am meisten interessiert, zu streifen, nämlich 
wie es mit den klassischen Sprachen bestellt ist. Das Lateinische 
wird an unserem Mädchengymnasium nur in 4 Klassen unterrichtet, 
nämlich von der fünften bis zur achten. Wir bleiben damit natürlich 
weit zurück hinter den Anforderungen, welche man an die Schüler 
eines Realgymnasiums stellt, geschweige denn hinter den An- 
forderungen, die an einem humanistischen Gymnasium gestellt werden. 



— 174 — 

Aber darüber sind schliesslich die Meinungen verschieden. Wir 
halten dafür, dass ein so ungeheurer philologischer Unterricht nicht 
von allgemeinem Nutzen ist, wir halten dafür, dass die Zwecke, 
welche das Mädchengymnasium sich zu setzen hat, auch ohne so un- 
geheuer belastende Unterrichtsweisheit im Lateinischen el*zielt werden 
können. Das ist unsere Ueberzeugung. Das G-riechische wird an 
diesem Gymnasium zum Unterschiede von Karlsruhe nicht vorge- 
tragen. Wir können uns das gestatten, nachdem an unseren Knaben- 
gymnasien das Griechische auch nicht für alle Schüler obligatorisch 
ist; sondern von der 5. Klasse angefangen — was hier der Sekunda 
entsprechen würde — können die Schüler das Griechische wählen 
oder etwas Anderes. Das Frauengymnasium, das eine modern- 
humanistische Schule sein will, hat natürlich nicht unterlassen, eine 
andere Unterrichts weise zu wählen : es sollen, von der ersten Klasse 
angefangen, lateinische und griechische Autoren in Uebersetzungen 
gelesen werden, sodass dasjenige, was man von Gymnasiasten ver- 
langt, gründliche historische und klassisch-litterarische Kenntnisse, 
diese Hauptlehrziele, wie ich hoffe, auch an unserem Mädchengym- 
nasium erreicht werden. Ich will nur noch bemerken, dass der 
Erfolg im Publikum, wo ja sehr viele Vorurteile zu überwinden 
sind, selbst bei den Frauen, wie Sie wohl auch erfahren haben 
werden, ein glänzender genannt werden kann, da sich sofort achtzig 
Schülerinnen gemeldet haben. 

Das ist diejenige Mitteilung, die ich Ihnen zu machen hatte. 
Ich glaube, dass dieselbe nicht jedes Interesses entbehrt, da ja in 
solchen Fragen, so sehr jeder von uns seinen nationalen Standpunkt 
betont und die allgemein menschlichen Aufgaben durch die Mittel 
seiner Nationalität zu erreichen sucht, dennoch eine grosse 
Solidarität des Menschengeschlechts vorhanden ist, jeder Fortschritt, 
der in irgend einem Winkel der Welt erreicht wird, doch 
dazu dient, die allgemeine Sache vorwärts zu bringen. Jede 
Isolation auf demselben Gebiete ist von grösster Schädlichkeit. Des- 
halb danken wir es den deutschen Frauen, dass sie einen inter- 
nationalen Kongress zusammenberufen haben, und haben uns be- 
müht, auch unser Scherflein zu demselben beizutragen. 

Notes on Queen Margaret College. 

The Women's Department of the University of Glasgow. *) 

{Auszug aus einem eingesandten Vortrage von Janet M. Galloway, 

Honorary Secretary of Q. M. College, Glasgow.) 

The Position which the higher education of women has attained 
since 1892 in Glasgow and the rest of Scotland has been the result 
of many years of work and of slow but sure advance towards the 
Chief object proposed to themselves by the workers, viz: the ad- 
mission of women to advantages for education and culture such as 
are offered to men by the Universities, and the recognition of syste- 
matic study, carried out by women, by their admission, on the same 



*) Miss C. J. Dodd hatte der Versammlung freundlichst einen 
Auszug vorgelesen. 



— 176 — 

terms and conditions as men, to the Degrees and Certificates con- 
ferred on male students. 

The first step towards University Instruction for women in 
Glasgow was made about thirty years ago, by the request of a 
lady three Professors giving courses of lectures to women on the 
subjects they taught in the University, which were very well at- 
tended and much appreciated. 

About ten years later, in 1876, an Association for the Higher 
Education of Women was formed in order to provide more advanced 
study with more System and completeness. Courses of lectures on 
Logic, Moral Philosophy, Natural History, Physiology and Astronomy 
were given by the Professors of these subjects in the University. 

A Petition sent up by the Association to the Senate asking 
iidmission for women to University degrees on condition of adequate 
study and examination, was refused, the University having no power 
to grant this request. Later on petitions were presented to Parlia- 
ment by the Association asking to alter the laws so as to authorise 
the Universities to provide education and gradation for women as 
for men, — but it was notuntil 1892 that the Ordinance admitting 
women to füll University Privileges became law. Meanwhile the 
olasses under the auspices of the Association had been continued 
with ^reat success and in order to ensure greater stability for work 
aud a nearer approach to a füll Organisation on University lines it 
was decided to incorporate the Association as a College and this 
was done in summer 1883. In 1894 a lady bought for the College 
a handsome building in extensive grounds and when in 1892 the 
Ordinance was passed which authorised Scottish Universities to 
provide instruction and gradation for women, the Council of Queen 
Margaret College offered to band over to the University the College, 
its buildings and endowments, on condition that these should be de- 
voted to the maintenance of classes for women. The University 
accepted the oflfer and the College is now part of the University of 
Glasgow governed by the University Court and Senate, and its 
students have all the Privileges of the male students, and are quali- 
fied for the University Degrees in Arts, Science and Medicine. Under 
the University government the College has prospered. Tt had last 
Session 242 students, 72 studying Medicine, the rest Arts or Science. 
Ten women have taken the Degree of M.B.Ch.M. (Bachelor of Me- 
dicine and Master in Surgery), one of them gaining honours and 
Standing second among the whole of the candidates. 

The shortest time for the study for a Degree of M.B.Ch.M. is 
üve years, the total cost of this study, including Hospital fees and 
examinations may be reckoned at £ 128,7 or 2567 Mark. 

La femme polonaise dans renseignement et dans 

les OBuvres d'utilitö publique. 

Par Madame Isabelle Moszczenska, deleguee de Varsovie. 

II faut avouer que la litterature a et^ de tout temps pour les 
femmes le terrain qu'on leur a le moins dispute. Aussi peut-on dire 
que les femmes auteurs ont form^ dans tous les pays Tavant-garde 



~ 176 — 

de ridee d'ömancipation et eil es ont rendu de grands Services ä leurs 
soeurs en profitant de leur liberte de s'adresser au public pour lui 
faire entendre les besoins et les tendances du monde feminin. 

Nous avons eu en Pologne depuis plus de deux siecles des 
femmes poötes, romanciers, auteurs de trait^ pedagogiques, mais la 
premiere qui a fait appel ä ses compatriotes pour leur faire prendre 
une plus large part dans la vie publique c'^tait Narcise Zmichowska, 
auteur et poete, qui s'est fait connaitre par ses oeuvres en 1840 a 
peu pres. C'etait non seulement une femme d'un genie superieur^ 
mais encore un coeur noble et une äme sublime. 

Zmichowska et ses amies, appelees g^neralement les Enthousi- 
astes, etaient les precurseurs du moavement feministe. Ce n'etaient 
pas des droits mais surtout des devoirs qu'elles r^clamaient. II n*est 
peut-etre pas un seul point de notre Programme actuel qui ne fut 
soulev^ et discute dans le petit cercle des Enthousiastes. EUes ont 
fait resonner les premieres le raot d*independance et elles etaient in- 
dependantes en effet, car, ni les moqueries, ni les persecutions, ni 
les calomnies meme ne les detournaient jamais d'une action qu'elles 
consideraient comme salutaire pour la soci^te. 

Ces premieres lüttes de nos femmes ont eu un caractere d6mo- 
cratique et humanitaire fort marque. C'est grace aux Enthousiastes 
et ä Zmichowska surtout, que Fidee de Tabolition du servage est 
devenue populaire, et quand la societe agronomique dans les ann^es 
qui pr^cederent Tinsurrection de 1863 s'est mise ä discuter cette 
grave question, les femmes polonaises se livrerent avec ardeur a 
Tinstruction du peuple. 

La catastrophe de 1863 coupa court a leurs nobles tentatives. 
Les ecoles primaires fond^es par les femmes, ainsi que la soci^t^ 
agronomique furent abolies. On etablit des ecoles gouvernementale 
et pour y enseigner il fallait obtenir un diplome et etre nomme pai' 
le gouvernement. Les femmes ne tarderent pas a reprendre leur 
täche dans de nouvelles conditions bien plus difficiles. Parmi ces 
maitresses d^^cole de la nouvelle epoque la plupart ont mis un de- 
vouement et un zele apostolique ä accomplir leurs devoirs. Sans se 
contenter de Tinfluence qu'elles exergaient sur leure eleves elles ont 
täche de gagner la confiance des parents, elles sont parvenues peu 
ä peu ä reformer leurs mceurs et leurs idees et elles sont devenues 
les genies protecteurs des villages. 

Maintenant le nombre des femmes qui dirigent des ecoles pri- 
maires dans la Pologne russe diminue de jour en jour car on ne 
confie ces emplois qu'aux Kleves des seminaires pedagogiques et il 
n'y a point de seminaires pareils pour les femmes. 

Neanmoins celles-ci ne cessent point de s'interesser ä Tinstruction 
du peuple. — En Galicie, oü elles ont plus de liberte, elles pren- 
nent part aux travaux de la soci6t6 deTecole primaire et c'est sur- 
tout gräce ä leur devouement et ä leur activite, que cette societe 
parvient a augmenter le nombre des ecoles, dont le manque se fait 
ressentir peniblement dans ce pays. Apres Vannee 1863 le mouvement 
feministe est entre dans une nouvelle phase. Comme le pays etait 
ruine, c'etaient surtout les questions ^conomiques qui ont acquis une 



— 177 — 

importance inconnue jiisque lä. La lutte pour Texistence, difficile 
pour les hommes, a 6te doublement penible pour les femmes. 

C'est alors que l'emancipation des femmes est devenne un point 
important du program me d'un parti jeune encore, mais dont Tin- 
fluence augmentait visiblement. On a tenu des Conferences, on a 
publik des traitös dont un surtout „Le droit de la femme" par Mr. 
Pradzynski a et^ fort applaudi. Mais ce sont surtout les femmes 
memes qui ont le plus contribue k la r^forme, car elles Tont traitöe 
d'une maniere sage et opportunee surtout. üne d'entre elles, celle 
que nous ne saurons jamais glorifier suffisamment, Mme. Elise Orzeszka 
a rendu des Services immenses ä Tid^e de T^mancipation de la femme, 
eile Ta non seulement rendue populaire par ses romans — eile a 
encore tenu des Conferences et public des traites sur la position et 
les besoins de la femme. Ses idees ont ete bien accueillies par la 
jeune generation des femmes et elles se sont livr^es avec ardeur ä 
Tetude et au travail. 

Les universites de Varsovie et de la Galicie n'ont pas et6 
jusqu'a present accessibles aux femmes, aussi pour se vouer aux 
etudes universitaires il leur a fallu frequenter les universites etran- 
geres, surtout Celles de la Suisse et de la France. Les 6coles pr6- 
paratoires manquent completement chez nous, donc afin d'acqu^rir 
uDe Instruction necessaire pour suivre les cours, les jeunes etudiantes 
etaient obligees de prendre des legons particulieres. II en resulte 
que r Instruction superieure n'a ete accessible que pour Celles d^ antra 
elles qui possedaient des revenus considerables, oü qui etaient d6- 
cidees d'acquerir la science au prix d'un travail excessif, d'une vie 
de gene et meme de misere. 

En 1879, la preraiere femme docteur en medecine est venue 
s'etablir ä Varsovie. Maintenant le nombre des femmes docteurs 
est assez grand, mais comme le gouvernement russe les a privees du 
droit de subir les examens officiels il y en a une grande quantit6 
qui ne sont pas autorisees ä pratiquer. Celles qui obtiennent des 
diplomes etrangers sont donc obligees de s'expatrier pour exercer 
leur profession. Nous avons des femmes m^decins ä Paris, en 
Suisse, en Egypte meme, — nous n'en avons que fort peu dans les 
pays polonais. 

II parait pourtant que cet etat de choses va changer 
grace aux demarches faites par les Polonaises de la Galicie 
pour rendre accessibles aux femmes les universites de Lemberg et 
de Cracovie et pour obtenir du gouvernement autrichien le privilege 
de la nostrification des diplomes etrangers. Le resultat de ces de- 
marches n'a ete qu'un demi-succes. — Les universites de la Galicie 
n'admetteht les femmes qu'en qualite d'hospitantes et la nostrification 
des diplomes peut avoir lieu ä condition de subir des examens de ma- 
turite dans un des gymnases de TAutriche sans compter les trois 
examens obligatoires, dit: rigorosa. 

Pour profiter de ce privilege les femmes de la Galicie viennent 
d*etablir a Cracovie un gymnase pour les jeunes filles avec un plan 
d'etude equivalant ä ceux des gymnases desgarQons. L'inauguration 
a eu lieu le 4 septembre, c. a. Les dames de Tassociation de Kra- 

12 



szuski dont le but est de proteger les etudiantes polonaises, Mme. 
Bujrid ä leur tete, y ont une large part de m^rite. 

Nous possedons aussi un certain nombre d'ecoles professionelles 
pour les jeunes filles. — A Varsovie les ecoles d'arts et metiers 
sont tres nombreuses, mais, on leur reproche non sans cause de ne 
faire que proteger le dillettantisme. II y en a pourtant plusieurs qui 
fönt exception. II j a quelques annees la comtessePlater a fonde 
une ecole pour les menageres dans son village de Chyliczki non 
loin de Varsovie; lacomtesseZamoyska en dirige une autre ä Za- 
kopane. On parle d'ouvrir ä Varsovie deux ecoles de commerce 
pour les femmes et il parait que ce projet va se realiser cet hiver. 

Bien que le travail professionel des femmes ne seit plus une 
nouveaut^ chez nous, ce n^est que dans les dernieres annees qu'elles 
ont fait des tentatives pour profiter des Privileges des corporations. 
Depuis deux ans ä Varsovie la Societe pour proteger le com- 
merce et rindustrie a accepte les femmes comme membres. Elles y 
ont forme une section ä part et elles y deploient beaucoup d'activit^. 
Cette section a engag6 les femmes d'adherer aux corps de metiers 
et il faut avouer que ces corporations ne s'y sont point opposees. 
Une grande quantite de couturieres se sont affiliees au corps des 
tailleurs, et les fleuristes one ete autorisees par le magistrat de 
former un corps ä part. Depuis plusieurs annees, les femmes de 
Varsovie ont ete admises ä Tassociation des employ^s de commerce. 
Elles n'y sont pas nombreuses encore, pas plus de 70, et elles pro- 
fitent de tous les Privileges des membres ä Texception du droit 
de voter. 

Sans connaitre les difficultes que rencontre chez nous chaque 
tentative d'exercer une influence quelconque sur les classes inf6- 
rieures , on serait etonne que nous n'ay ons fait presque rien pour les 
ouvrieres. — Ce n'etait pourtant pas la bonne volonte qui manquait. 

Comme dans cette classe de femmes les conturieres sont les 
plus nombreuses, et par consequent selon les dures lois de Toffre et 
de la demande les plus exploitees, il a bien fallu s'occuper surtout 
de leur sort. On a fonde des ecoles de couture pour les jeunes 
filles pauvres et un asile pour les conturieres que la maladie ou le 
chomage pousseraient ä la misere. 

Mais c'est surtout en pedagogie que nos femmes travaillent 
avec le plus de succes. Si je parle de succes, cela ne veut pas dire 
que leur travail leur procure de grands revenus, de hauts eraplois, 
on tout au moins une existence süre. Loin de lä, toutes les vic- 
toires qu'elles remportent sont purement morales. C'est ä elles sur- 
tout que nous devons de participer ä la grande reforme pedagogique 
operee par Froebel. II y a vingt ans on ne se rendait pas compte 
chez nous du besoin d'^ducation m^thodique pour les petits enfants 
qui n^ont pas encore atteint leur sixieme annee. Puis, quand 
Topinion s'est faite aux nouvelles idees, on faisait venir des specia- 
listes de TAllemagne et de la Suisse; mais ces 6trangeres qui ne 
connaissaient pas la langue natale de leurs Kleves ne pouvaient point 
obtenir des rösultats qui auraient prouv^ la snp^riorit^ de leur 
m^thode. 

En 1887 on a ouvert a Varsovie le premier jardin d'enfants 



— 179 — 

du Systeme de PVoebel et actuellement, nous en avons 20 ä Var- 
sovie et au moins un dans chaque ville de province. Outre cela 
nous possedons des salles d'asiles pour les enfants pauvres. Leur 
nombre a Varsovie monte jusquä 39 et elles sont frequent^es par 
6000 enfants. Pour les enfants de 2—4 ans nous avons des ecoles 
maternelles et des creches pour ceux qui n'ont pas encore atteint 
cet ä^e. 

L'education secondaire des jeunes filles s^accomplit dans les 
gymnases entretenus par le gouvernenrent et dans des pensionnats 
particuliers. Les gymnases n'ont rien de commun avec ces ecoles 
qui servent de cours preparatoires pour les etudiantes futures. Ce 
ne sont que des ecoles secondaires. Les institutrices n'y donnent 
des legons que dans les classes inferieures et les Polonaises ne sont 
tolerees que pour enseigner leur langue natale. Meme alors elles 
ne sont payees qu'ä Theure et n'ont point de droit ä une pension 
viagere. 

Pourtant comme le nombre des ecoles n'est point süffisant et 
que le gouvernement s'oppose äl'augmenter, les parents sont souvent 
obliges de renoncer ä Teducation publique de leurs filles et de leur 
faire donner des legons particulieres. Ainsi une grande quantit^ de 
femmes trouvent moyen de vivre donnant des leQons et dans aucun 
pays peut-etre les institutrices ne sont aussi nombreuses que dont la 
Pologne russe. En general on peut dire qu'elles tiennent beaucoup 
ä perfectionner leur methode et tout en donnant des legons elles ne 
cessent jamais de s'instruire elles-memes. La plupart ne traitent 
pas leur profession comme simple gagne-pain, elles Tembrassent comme 
une vocation et c'est surtout gräce ä elles, que la femme polonaise 
a du goüt pour Tetude et de Tamour pour la science. 

Comme institutrices privees leur sort ne peut etre nullement 
digne d'envie; elles n'ont meme pas la Chance de s'assurer une 
existence tranquille pour leur vieillesse. Pour leur venir en aide, 
on a fonde ä Varsovie un asile pour les institutrices qui ne sont 
plus en etat de travailler et un pensionnat pour Celles que les cir- 
constances obligent de chomer. 

II y a quelques annees, les Varsoviennes ont fonde une caisse 
d'epargne et de credit pour les institutrices et les gouvernantes. 
Elle est administree par les femmes et les affaires vont tres bien. 

Pour me resuraer je passe sous silence une quantite de bonnes 
Oeuvres auxquelles nos femmes prennent part ou qu'elles entrepren- 
nent elles-memes. Je puis vous assurer qu^elles ne manquent ni 
d'energie ni de devouement et pourtant elles n'aboutissent qu'ä des 
resultats infiniment petits. Mais ce n'est peut-etre pas leur faute. 
Elles trouvent de la part du gouvernement nul appui et nulconcours. 

Les difficultes sont si grandes, que, sans les connaitre, on ne 
saurait les imaginer, mais loin de se decourager, elles persistent ä 
leur besogne quelque rüde qu'elle soit. 

Mesdames, je crois que notre presence en ce lieu est une mani- 
festation süffisante de l'interet que nous portons ä vos lüttes. Sans 
pouvoir vous preter main-forte, nous serons toujours la pour deplorer 
vos defaites, pour applaudir ä vos victoires et nous ne doutons point, 
qu'au terrae de votre route c'est le triomphe qui vous attend. 

12* 



Das Studium der Medizin In verschiedenen 

Ländern. 

Von Frl. Lydia Rabinowitsch, Dr. phil., Philadelphia, Delegierte 
von Woman's Medical College of Pennsylvania. 

Hochgeehrte Anwesende. 

Im Namen des Woman's Medical College of Pennsylvania, d» 
ältesten Frauen-Universität in Amerika, möchte ich den intemationak 
Frauen-Kongress begrüssen. 

Es bereitet mir ein besonderes Vergnügen hier in der grossea 
Versammlung der Besten unseres Geschlechtes über das medizinische 
Studium der Frauen in den verschiedenen Ländern sprechen m 
dürfen. 

Mein eigenes Studium in Russland, in der Sch-weiz und in 
Deutschland, sowie meine Lehrthätigkeit in Amerika an einer Frauen- 
Universität gaben mir Grelegenheit, einen tieferen Einblick in diese 
uns so interessierende Frage za gewinnen. 

Bei der Diskussion über das Studium der Frauen überhaupt 
beruft man sich mit Vorliebe auf Amerika als demjenig-en Liande, 
welches dem weiblichen Studium die Wege geebnet hat. — Ich 
möchte deswegen auch vor allem über das medizinische Studium der 
Frauen in Amerika sprechen, um dann einige Vergleiche mit Europa 
anzustellen. 

Es sind gegenwärtig 3 — 4000 Frauen in den Vereinigten Staaten 
von Nord -Amerika als Aerztinnen thätig. Dieselben studierten 
meistens an Frauen - Universitäten, den sogen. Woman's Medical 
Colleges, da viele Universitäten für Männer, besonders im Osten 
Amerikas, den Frauen nicht zugänglich sind. 

Wenn wir gegenwärtig auch Hunderten von Aerztinnen in den 
grösseren Städten Amerikas begegnen, so ist es doch auch dort erst 
50 Jahre her, seit Frauen zum Studium zugelassen wurden. Es 
fiel auch den amerikanischen Frauen nicht leicht, sich diejenig'e 
Unabhängigkeit und Achtung zu erwerben, deren sie gegenwärtig- 
allgemein sich erfreuen. Schwer und mit Dornen bedeckt war der 
Weg, den sie zurückzulegen hatten, schwerer fürwahr als das 
Studium an denjenigen Universitäten Europas, die gegenwärtig den 
Frauen zugänglich sind. 

Ich denke, es wird von Interesse sein, wenn ich in grossen 
Zügen die Geschichte der ältesten Frauen- Universität, des Woman's 
Medical College in Philadelphia, vortrage, als deren Vertreterin hier 
zu erscheinen ich die Ehre habe. 

Das Woman's Medical College of Pennsylvania oder die medi- 
zinische Frauen-Universität zu Philadelphia wurde am 11. März 
1850 gegründet. Es ist, wie die meisten Universitäten Amerikas, 
keine Staats-, sondern Stiftungsanstalt. An der Spitze desselben 
steht ein aus mehreren Mitgliedern bestehendes Komitee, welches 
den geschäftlichen Teil leitet. Dieses bestand anfangs nur aus 
Herren, später wurden auch Frauen zu Mitgliedern und sogar zu 
Vorsteherinnen gewählt. 



— 181 — 

Die ZaM der immatrikulierten Frauen wechselt beständig; von 
8 im ersten Jahre stieg sie allmählich bis auf 200. 

Anfangs besass das College kein eigenes G-ebäude, der Unter- 
richt wurde in zwei kleinen unansehnlichen Räumen erteilt. Die 
Gesellschaft war grösstenteils so sehr gegen dieses Unternehmen, 
dass kein einziger Prediger wagen wollte, beim Jabresakt das Gebet 
zu halten. Keine medizinische Zeitschrift wollte die Ankündigung 
der Kurse aufnehmen und kein Krankenhans konnte den Stu- 
dentinnen den Besuch gestatten, da die Professoren und die Studenten 
den Frauen die Anwesenheit ganz unmöglich machten. 

Der Ausbruch des Krieges im Jahre 1860 hat im wesentlichen 
die Lage der studierenden Frauen verbessert, indem er eine liberale 
Strömung mit sich brachte. 

Es gelang zu dieser Zeit dem Woman's Med. College auch 
genug Mittel aufzutreiben, um ein Krankenhaus zu bauen und somit 
ein eigenes Institut zu haben, wo die Frauen dem Studium und der 
praktischen Thätigkeit obliegen konnten. — Die öffentliche Meinung 
war aber auch dann noch g^^g^n das Studium der F'rauen und die 
Zeitungen waren mit Schmähartikeln überfüllt. Die offizielle Er- 
laubnis, die städtischen Krankenhäuser zu besuchen, hat Wut und 
Spott bei den Studenten hervorgerufen. Doch konnte nichts die 
Energie dieser Frauen brechen, sie hielten sich voll Würde und 
Selbstbewusstsein , gingen ruhig ihren Weg, verschluckten dabei 
zwar manche bittere Pille, gaben aber ihr Streben nach Wissen 
nicht auf. Allmählich erhielt-n sie die Erlaubnis, die verschiedenen 
Krankenhäuser der Stadt zu besuchen, wurden dann auch als 
Assistenten und sogar als konsultierende Aerzte an denselben zu- 
gelassen. 

Im Jahre 1871 erlaubte die medizinische Gesellschaft des Staates 
Pennsylvania Konsultationen mit weiblichen Aerzten, nach und nach 
nahmen verschiedene gelehrte Gesellschaften sie als Mitglieder auf. 
Der Zutritt zu den grossen Gesellschaften County Society, New- 
York Academy, Pathological Society, Neurological Society wurde 
allmählich gestattet. 

In den Polikliniken haben sich die Aerztinnen als sehr tüchtig 
erwiesen; und die Krankenhäuser, die ausschliesslich von Frauen- 
ärzten geleitet werden, halten den Vergleich mit den anderen 
Krankenhäusern ganz gut aus. Es giebt jetzt sogar in New-York 
und Philadelphia ein Gesetz, nach welchem für die weiblichen Insassen 
der Irrenhäuser weibliche Assistenzärzte angestellt werden müssen. 

Die materielle Lage der Frauenärzte ist im allgemeinen gut; 
es giebt viele, die ein Jahres-Einkommen von 10 bis 20 Tausend 
Dollars haben. Auch die gesellschaftliche Stellung der weiblichen 
Aerzte ist gegenwärtig eine sehr gute und nicht selten werden die 
Aerztinnen auch zu öffentlichen Aemtern zugezogen. 

Die meisten Aerztinnen in Amerika haben ihre Bildung an 
Frauencolleges genossen. Aber an 35 bis 40 Universitäten studieren 
Frauen auch mit Männern zusammen. 

Es lag den Frauen sehr viel daran, auch die Pforten der Uni- 
versitäten für Männer für sich geöffnet zu sehen, und sie thaten 
ihr Bestes, um das zu erreichen. 



— i«a — 

Als die medizinische Fakultät der besten UniversitSt a 
Amerika „John Hopkin's üniversity" in Baltimore eröffiiet wnrüe, 
erkauften sich die Frauen das Eecht an derselben zu stadiereiL 
Dies erklärt sich aus dem Umstände, dass die Universitäten n 
Amerika Stiftungsanstalten sind. 

John Hopkins, ein reicher Kaufmann in Baltimore, hatte seu 
Vermögen zur Einrichtung der Universität hinterlassen; als man 
bereits mit einem Teil der grossartigen Gebäude fertig* war, stellte 
sich heraus, dass das vorhandene Geld nicht genügte, um das Unter- 
nehmen zu Ende zu führen. Da kam eine reiche Dame zur Hilfe 
Sie schlug vor, selbst 180000 Dollars zu geben, ebensoviel Geld 
von den Frauen Amerikas zu sammeln und diese Summen der Uni- 
versität mit der Bedingung zu übergeben, dass dieselbe dafür dai 
Frauen zugänglich gemacht werde. Die 180000 DoUars worden 
von den amerikanischen Frauen zusammengebracht und somit das 
Recht zum Studium an der besten Universität erkauft. 

Die Frauen meinen es also ernst mit dem Studium der Medizin 
in Amerika. Auch die Bevölkerung hat sich bereits gewöhnt, die 
Aerztin und überhaupt die studierende Frau als gleichberechtigtes 
Mitglied anzusehen. Tst die Rede von Ueberfüllung des Standes, 
so spricht man darüber im allgemeinen ohne zu betonen, dass die 
Aerztinnen daran schuld seien. 

Die kurze Zeit erlaubt mir leider nicht auf das Studium der 
Medizin seitens der Frauen in Amerika weiter einzugehen. Ich 
wende mich daher zu den Verhcältnissen in den anderen Ländern. 

In England fing die Bewegung ganz klein an, erreichte aber 
bald einen bedeutenden Aufschwung. An den Universitäten ist den 
Frauen der Zutritt gestattet und ausserdem existieren besondere 
Kurse für Frauen in Oxford und Cambridge. 

An den französischen und italienischen Universitäten ist den 
Frauen das Studium ebenfalls gestattet. In Schweden und N'or- 
wegen studieren Frauen schon seit 1870. Auch in den Niederlanden 
und Dänemark sind die Universitäten den Frauen geöffnet. In 
Russland existierten früher die höheren Frauenkurse, welche auch 
weibliche Aerzte ausbüdeten, wurden jedoch späterhin geschlossen; 
doch wird im Jahre 1897 ein medizinisches Institut für Frauen in 
Petersburg eröffnet werden, welches der medizinischen Fakultät der 
Universitäten gleichkommt. Hunderte von Russinnen haben aber 
bereits in Russland selbst und in anderen Ländern studiert. 

Viele weibliche Aerzte besitzen in Russland eine grosse Praxis; 
selbstverständlich hängt dies b^i den Frauen wie bei den Männern 
von den persönlichen Eigenschaften ab. Wo die Frauen amtlich 
als Aerzte angestellt sind, werden sie nicht selten vom Publikum 
den Männern vorgezogen. Im offiziellen Bericht des Petersburger 
Magistrats finden wir in Bezug auf die Frequenz der städtischen 
Ambulatorien folgende Zahlen: auf einen männlichen Arzt kommen 
im Jahre 5400—8000, auf einen weiblichen 7000 bis 11,600 Patienten. 
— In der »Schweiz sind, wie bekannt, die Universitäten den F>auen 
geöffnet. Beide Geschlechter studieren dort zusammen. Doch sind 
die Studentinnen meistens Ausländerinnen: Russinnen, Polinnen, 
Deutsche und Amerikanerinnen machen die Mehrzahl aus; Schwei- 



— 183 — 

zerinnen studieren selten. Ganz unberechtigter Weise wird zuweilen 
die Meinung geäussert, es wären dort unerfreuliche Fälle vorge- 
kommen. Ich habe 5 Jahre in der Schweiz studiert, habe das Leben 
vieler dortiger Studentinnen zu beobachten Gelegenheit gehabt und 
kann diese Meinung entschieden nicht teilen. 

Aus dem Mitgeteilten sehen wir, dass das medizinische Studium 
den Frauen bereits in vielen Ländern gestattet ist und hoffentlich 
wird in der Zukunft das Studium der Frau nicht mehr als etwas 
Ausserordentliches oder gar Widernatürliches betrachtet werden, 
sondern als eine normale und durchaus berechtigte Erscheinung 
unseres öffentlichen Lebens. 

Und warum sollten die Frauen auch nicht Medizin studieren? 
Freilich haben wir alle oft die Argumente dagegen gehört. — Es 
heisst: die Frauen sind zu schwach, um wie Männer arbeiten zu 
können, ihnen fehlt die Ausdauer, ihr Gehirn ist kleiner als das 
des Mannes; sie heiraten und verlassen somit ihr Fach; sie sind 
nervös und können deswegen ihren Beruf nicht gut ausfüllen. Das 
Familienleben würde durch das verbreitete Studium der Frauen auf- 
gehoben werden, denn die Frauen würden dann keine Zeit mehr 
haben, ihre Kinder zu erziehen u. s. f. Mit einigen wenigen Worten 
möchte ich diese Einwendungen berühren. Reicht die physische 
Kraft der Frauen zum Beruf des Arztes aus? Ich denke, ich 
wiederhole hier am besten die Antwort, die Prof. Erismann auf 
dieselbe Frage vor einigen Jahren gegeben hat: „Den Beweis ad 
hominem," sagt Prof. E., „dass die weiblichen Aerzte schwerer Arbeit 
gewachsen sind, liefern diejenigen Frauen, welche die Stellen von 
Landschaftsärzten einnehmen und deren Tagesarbeit sich folgender- 
massen gestaltet: des Morgens Besorgung der Kranken im Kranken- 
hause, sodann Ambulatorium; abends meistens Besuch von Kranken 
in den Dörfern (grosse Entfernungen, schlechte Wege, Unbüden der 
Witterung u. dergl.) Das ist eigentliche Herkulesarbeit; trotzdem 
wird dieselbe von den russischen weiblichen Aerzten sehr gewissen- 
haft und mit grosser Hingebung gethan. Wir kennen weibliche 
Aerzte, die solcher Arbeit schon 5, 8 bis 10 Jahre obliegen und 
sich dabei ganz wohl fühlen, obgleich zeitweise Ermüdung, wie 
auch bei Männern unter diesen Umständen eintritt. Die russischen 
Frauen halten diese Arbeit im allgemeinen ebenso gut aus wie die 
Männer." 

Die Aerztinnen, welche ich in verschiedenen Ländern kennen 
gelernt habe, bezeugten mir meistens, dass ihre Thätigkeit trotz 
mancher Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, einen günstigen 
Einfluss auf ihre Gesundheit ausübt. 

Dass das Studium der Frauen einen schädlichen Einfluss auf 
das Familienleben ausübt, möchten wir auch sehr bezweifeln. Ein 
Teil der Aerztinnen ist freilich verheiratet und setzt trotzdem seine 
Praxis fort. Wir brauchen uns gewiss darüber nicht zu empören. 
Der Ueberschuss der unverheirateten Frauen ist immer noch grösser 
als die Anzahl der vorhandenen Aerztinnen, ausserdem giebt es 
doch auch in anderen Ständen zahlreiche verheiratete Frauen, die 
so gestellt sind, dass sie den Tag über arbeiten müssen um die 



Familie ernähren zu helfen. Warum sollen es also nur die ver- 
hältnismässig wenigen Aerztinnen sein, die das Familiea leben auf- 
heben? Uebrigens geben sehr viele Ehefrauen ihre Praxis auf, 
wenn der Mann wohlhabend ist; in diesem Falle sind aber die er- 
worbenen Kenntnisse von segensreicher Wirkung auf das Familien- 
leben und die Erziehung der Kinder. 

Sehen wir noch einmal auf das G-esagte hin, so kooimen wir 
zu dem Schlüsse, dass man in den meisten zivilisierten liändern be- 
reits einsieht, dass es ein grosses Unrecht ist, den Frauen nur ihres 
Geschlechtes wegen das Studium der Medizin zu verbieten. 

Schweden, Norwegen, Dänemark, Belgien, die Schweiz, Frank- 
reich, Russland, Italien, England und die Vereinigten Staaten Nord- 
Amerikas geben den Frauen die Möglichkeit die medizinische Bildung 
zu erwerben, warum bleibt gerade das Land, welches wissenschaftlich 
am höchsten steht, darin zurück? Warum ist es immer noch eine 
grosse Ausnahme, wenn eine Frau an einer deutschen Universität 
zugelassen wird? 

Ich gebe zu, dass es in Deutschland gegenwärtig einen grossen 
Ueberfluss an studierten Leuten, besonders an Medizinern giebt und 
dass es daher oft schwer ist, genügende Thätigkeit zu finden, aber 
der ärztliche Beruf ist nicht der einzige, der solche Ueberfüllung' 
aufweist. Vielmehr ist dieselbe in den meisten Berufsarten vor- 
handen, und vielleicht gerade deswegen wird der Drang der Frauen 
nach Selbständigkeit immer stärker. Müssen doch unwillkürlich 
immer mehr Töchter einsehen, dass es den Eltern schwer fällt, die 
Familie zu versorgen und müssen doch immer mehr Eltern voll 
Angst und Ungewissheit auf das zukünftige Schicksal ihrer Töchter 
hinblicken. 

Viele deutsche Frauen studieren gegenwärtig an Universitäten 
des Auslandes und immer klarer wird die Einsicht, dass auch in 
Deutschland selbst die Wege sich bald ebnen müssen. 

In Deutschland spezielle Frauenkurse einzurichten, wie in 
Russland oder Amerika, scheint unratsam. Es w^ürden gewisser- 
massen Universitäten zweiten Ranges werden; ausserdem würde der 
Staat solche Ausgabe schwerlich übernehmen, so lange er praktisch 
von den Leistungen der Frauen nicht überzeugt ist. Auf Stiftangs- 
anstalten ist in Deutschland auch nicht zu hoffen. Es muss daher 
so viel wie möglich danach gestrebt werden, dass den Frauen das 
Studium an den bestehenden Universitäten gestattet werde, wenn 
auch zuerst nur in Ausnahmefällen. 

Solche Ausnahmefälle werden ihnen Gelegenheit geben, ihre 
Fähigkeiten und ihre Liebe zum Studium zu beweisen. Auf diesem, 
wenn auch langsamen Wege werden sich die deutschen Frauen ihre 
Rechte wohl erwerben können. 

In dem Lande, wo die Wissenschaft am höchsten steht, wird es 
sich auch lohnen, den schwersten Kampf zu führen, um das Er- 
sehnte zu erreichen. Mögen also die Leistungen der Studierenden 
allmählich für ihre Berechtigung Beweis ablegen! 



— 185 — 

Expöriences d'une Femme-Mödecin ä Dolnja Tuzla 

(Bosnie.) 

Par Madame Theodore Krajewska, Dr. med., Medecin officiel ä 

Dolnja Tuzla. 

Mesdames et Messieurs! 

J'arrive de Dolnja Tuzla, ville de la Bosnie, province occupee 
par TAutriehe des 1878. 

La distance qui separe Dolnja Tuzla de Berlin est grande, et 
ce n'est pas seulement d'une distance geographique que je parle; je 
constate et je souligne la distance, qui separe egalement ces deux 
villes dans la marche de la civilisation et du progres. 

D'un cote, nous avons Berlin, une ville d* IV2 million d'habi- 
tants, centre de culture, oü les classes et les sexes s'emancipent, ou 
la Population, sait vouloir et formuler ses desirs, ou la femme pense 
et veut avoir le droit au travail et le libre clioix de son genre 
d'occupation. 

D'un autre cote Dolnja Tuzla, une ville de 10 mille habitants, 
dont le nom ne vous est peut-etre pasencore connu, oü lapopulation 
ne presente qu'un degre inferieur de developpement intellectuel, oü 
les formes sociales, venues en partie d' Orient ecrasent la pensee, oü 
les prejuges religieux entravent la vie meme. 

A Berlin, la femme convoque un Congres international; a 
Dolnja Tuzla il y a des femmes mahometanes qui sont esclaves de 
leurs maris et de leur religion. 

Pourtant la civilisation du XIX. siede ne connait pas les di- 
stances: on parcourt le trajet entre Dolnja Tuzla et Berlin en 48 
heures; on trouve cependant entre ces deux villes si diflf^rentes a 
tant d'egards des ressemblances et des points communs. 

A Dolnja Tuzla, comme ailleurs, il y a les gens qui travaillent 
pour la civilisation et qui a leur grande satisfaction peuvent con- 
stater les resultats de leur travail et la marche rapide du progres. 

La Population bosniaque ne peut pas tracer le Programme des 
innovations ä faire; eile ne peut pas formuler elle-meme ses desirs. 

La civilisation y doit etre iraportee d'ailleurs, d'en haut; c'est 
le gouvernement autrichien qui s'empare des reformes ä accomplir. 
II trace les routes, creuse les canaux, il bätit des ecoles et des ho- 
pitaux; les formes sociales anciennes et vermoulues tombent et fönt 
place aux acquisitions modernes. 

II arrive quelquefois qu'un homme de genie suffise pour frayer 
la route au progres et pour eloigner d'un geste les difficultes, que 
les esprits mesquins accumulent devant les idees nouvelles. 

Dans plusieurs pays on discute encore la question de la femme- 
m^decin. 

En Bosnie, Mr. le ministre Kallay a introduit des femmes-me- 
decins, payees par TEtat pour permettre aux femmes mahometanes 
de se faire soigner, car leur religion ne leur permet pas de se confier 
aux soins d'un homme. 

C'etait ä Geneve, il y a 4 ans, qu'en sortant de la maternite 
mon regard fut frappe par une affiche. Je m'en approchai et je la 



— löö — 

parcoarus. Elle annongait la mise au concoors par le ministere des 
places de femmes-m^decins en Bosnle. 

L'esprit large et humanitaire de cette institation tonte nouTdie 
m'a charmee de prime abord. Apres unsdjonr desix mois äVio» 
je fus nommee medecin officiel de DolDJa Tuzla au mois de mars 1898. 

Je suis employee de TEtat et jo possede tous les droits d^iia 
fonctionnaire. Mon devoir est de soigner la popnlation panvre de 
Dolnja Tuzla, les mohametans, surtout; je suis egalement chargee 
de faire des voyages dans les petites villes du distriet Dolnja Tiwli 
et d'y visiter les familles mohametanes, oü je trouve parfois des 
malades, negliges et ahandonnes sans secours m^dical }>endant des 
annees. — On me convoque egalement comme expert pour des rap- 
ports medicaux legaux, concernants les femmes mahometanes. 

Je crois etre sous ce rapport un cas unique en Europe; nulk 
part ailleurs les femmes medecins n^ont ete appelees jusquMci ä fone- 
tionner comme experts medicaux devant les tribunaux. 

J'ai donc occupe mon poste a Dolnja Tuzla pendant 3 annees 
et demie et c'est avec mes observations et les r^ultats g^neranx de 
mon activite pendant ce laps de temps que je me presente devant 
vous. 

Non seulement en Suisse mais meme a Vienne je me suis fre- 
quemment trouvee en face d'opinions tout a fait erronees snr la 
Bosnie. 

Ce pays ^tait peut etre unecontree sauvage avant TOccupation. 

A present il subit une transformation rapide et complete au 
point de vue economique et social. C'est un pays pittoresque, mon- 
tagneux, demi-oriental, qui fournit un terrain digne d^etre explore 
par les touristes et par les hommes de sciences. 

La Population indigene de la Bosnie est presque entierement de 
race slave. La religion Ta divisee en 3 categories distinctes meme 
au point de vue social: Nous y trouvons des mahometans, des catho- 
liques et des orthodoxes. 

Cette difference de religion a amene la difference du geore de 
vie, des moeurs, des habitudes et des regles d'hygiene dans ces trois 
classes de la population. 

Les catholiques forment dans les environs de la ville Dolnja 
Tuzla i)resque la moitie de la population rurale; ils se distinguent 
par leur indolence et la resignation ä leur sort. 

hes orthodoxes, qui forment surtout la bourgeoisie urbaine 
commergante, presentent un type plus energique et plus severe, mais 
sec et mefiant. 

Les mahometans qui appartiennent soit ä la classe bourgeoise, 
soit ä la classe rurale sont principalement de grands proprietaires 
fonciers et representent Fancienne aristocratie du pays, qui vivait du 
produit du travail de leurs serfs. Actu(41ement, rich^'s ou pauvres, 
ils ont conserve leur dignite muette et melancolique et tiennent fort 
a leurs traditions. 

Le milieu, dans lequel je travaille est donc tres caracteristique 
et les conditions de mon activite professionnelle sont toutes speciales. 

Presque la moiti^ de mes clients sont des mahometans et c'est 
d'eux que je me propose de vous parier. 



— 187 — 

La religion mahometane veut, que la femme ne se montre qu'ä 
son mari et ä ses plus proches parents. Dans les familles conser- 
vatrices, et teile est la majorite des familles mahometanes, on ne 
fait pas d'exception meme pour un medecin. La maniere de vivre, 
le mariage. la naissance, l'^ducation des enfants, les soins donnes 
anx malades subissent du chef de famille une influenae considerable. 

Les femmes sont Isoldes du monde exterieur. Elles ne re^olvent 
point d Instruction, ne savent ni lire, ni ecrire. Les differentes 
regles et preeeptes pour chaque circonstance de la vie, les choses, 
les idees et les remedes passent en h^ritage de mere en Alle. 

Les jeunes gens ä marier, et on se marie ä 13 ans quelquefois, 
se connaissent ä peine, sevoient ä lad^robee, a travers les planches 
d'une cloture. — Apres toute une serie de ceremonies la jeune 
mariee est livree a son mari et eile commence la vie inerte d^un 
sujet fälble, passif et nerveux, tout en possedant un developpement 
physiologique precoce. La jeune mariee reste des heures entieres ä 
fumer des cigarettes, a boire du cafe noir. 

Une fois enceinte, la femme mahometane bouge encore moins; 
eile reste des heures et des journees entieres dans une inactivit^ 
complete en attendant la delivrance. 

Pendant les deux dernieres semaines avant raccouchement les 
vieilles femmes de son entourage lui donnent a boire, meme pendant les 
chaleurs de 37® de Thuile de foie de morue pour preparer raccouchement. 

La parturiante accouche seiile sans sage-femme. Si raccouche- 
ment ne suit pas le mecanisme physiologique tant pis pour la femme: 
laissee sans secours medical eile meurt souvent avec Tenfant dans 
son sein, ou, si eile survit aux suites des couches, eile est souvent 
atteinte des affections uteiines chroniques. 

La mere allaite son enfant pendant 2 ou 3 ans; eile tient le 
nourrisson presque continuellement au sein. Si eile devient de nouveau 
enceinte, c'est la grand' mere qui se Charge quelquefois des fonctions 
de nourrice et eile präsente de temps en temps sa poitrine ä son 
petit Als ou a sa petite Alle äg6e de 3 ans. 

A la suite de cet allaiteraent prolonge la vie physiologique de 
la mere et le developpement de Tenfant souflfrent. 

La mere devient anemique ou osteomalacique; Tenfant apres 
avoir subi tonte une serie de deform ations raehitiques du squelette 
succombe souvent. 

Apres avoir fini d'allaiter son enfant, la femme mahometane 
s'occupe de son education. CV^st ä dire, eile lui teint les cheveux 
et les ongles en rouge, le coiffe et lui nettoie la tete une fois par 
semaine, le lave avec le bout des doigts, lui ehange la chemise, 
quand la couleur de celle-ci est meconnaissable, mais eile n*oublie 
Jamals d^orner sa fillette d'^cus vrais ou faux. 

La vie sedentaire, la Ventilation insuffisante des chambres, Tabus 
du cafe et du tabac amenent Tanemie et la nervosite des femmes 
mahometanes. En passant des heures entieres a decrire aux autres 
leurs differentes indispositions, elles exagerent et finissent par s'i- 
maginer qu'elles ont toutes la meme maladie. 

Une fois tombee serieusement malade, la femme deperit lentement. 

Le mari conservateur laisse mourir sa femme plutot que d'ap- 



— 188 — 

peler un medecin. C'estvrai, qu^ apres la mort de sa femmc, meme 
un mari tendre se console vite; il se remarie quelquefois 10 jours 
apres la mort de sa femme. 

Le divorce est tr^s facile chez les bosniaqaes mahometans. II 
arrive qu'un homme äge de 70 ans, divorce pour la cinquieme fois, 
prend une femme, ägee de 17 ans. 

La polygamie n'est qu'exceptionelle. Si le mari possede denx 
femmes, elles ont des attributions distinctes: une, la vieille, s'occupe 
du menage; la jeune ne fait que cultiver sa beaut6. 

Parmi toute une serie d'habitudes nuisibles ä la sante j'en ai 
trouve chez les turques deux bonnes. 

Les femmes mahometanes ne portent jamais de corset et ne 
restent presque jamais debout; assises elles etendent les jambes. Les 
formes du curps restent normales et esthetiques, la circulation de la 
cavite abdominale n^etant pas genee, je n'ai observe presque jamais 
des congestions du foie chez les femmes turques et je n'ai pas eu 
un cas de varices des pieds ni des jambes. Les varices ne s'obser- 
vent que rarement chez les femmes bosniaques orthodoxes, lesquelles 
ne portent non plus de corsets mais travaillent durement. 

Une fois etablie a Tuzla j'ai eu comme femme toute la facilite 
possible de penetrer dans les harems, ces lieux fermes ä toute in- 
fluence du monde civilise. 

Je me suis fait le programme suivant: 

1. m'approcher des femmes mahometanes; 

2. par le contact continuel, visites repetees et prolong^es, exercer 
une influence sur la maniere de vivre des femmes mahometanes, 
et sur Teducation de leurs enfants; 

3. combattre les prejuges et les usages nuisibles ä la sante; 

4. faire comprendre la possibilite de la contamination par le con- 
tact mediat ou immediat; 

5. donner des secours m^dicaux ä la population mahometane; 

6. faire pendant mes voyages dans les villes de province de la 
propagande pour engager les femmes a se faire soigner. 

Avec un peu de p^rseverance j'ai obtenu des resultats tres 
satisfaisants sous plusieurs rapports. 

Les femmes mahometanes m'appellent si elles sont malad^^s ; une 
fois gueries elles me demandent de continuer mes visites en qualite 
d'une bonne connaissance. 

Pendant la premiere annee en 1893 sur 553 personnes soignees 
par moi il y avait 202 mahometans: 

En 1894 sur 613 malades 224 mahom. 
„ 1895 „ 685 „ 377 „ 

Premier sem. „ 1896 „ 393 „ 191 „ 

2244 994 

En ce qui concerne Tage et le sexe de mesclients mahometans, 
j,ai dress^ le tableau suivant: 

en 1893 18 hommes 125 femmes 59 enf. 

en 1894 17 „ 151 „ 56 „ 

en 1895 21 „ 227 „ 129 „ 

Premier sem. de 1896 6 „ 134 „ 51 „ 

en somme 62 iT 637 „ 295 „ 



— 189 — 

Les hommes me montrent beaucoup de confiance. 

Daus la plupart des cas ce sont les maris qui viennent me 
prier d' aller chez eux voir leurs femmes malades. Les femmes elles 
memes ne viennent chez moi que rarement. 

Je suis appelee pour toutes sortes de maladies: les maladies 
internes, les cas chirurgicaux, gynecologicaux, obstetricanx, les ma- 
ladies cutanees, nerveuses, — forment tour ä tour le materiel de 
ma clientele. 

Sous certains rapports je suis privil^giee vis-a-vis des autres 
medecins: en faisant des voyages dans les petites villes de province, 
il m'arrive souvent de pouvoir visiter pendant 2 — 4 ou 10 jours un 
grand nombre de malades de 30 ä 100 par exemple. 

En examinant a la fois une serie de malades, je peux constater 
les analogies entre les maladies examinees, etudier le terrain, sur 
lequel elles se sont d^veloppees, et tirer les conclusions n^cessaires 
sur leur Ätiologie. 

Tl m'est arrive de constater que la population mahom^tane 
feminine vivant dans les conditions hygieniques semblables ou iden- 
tiques presentent des entites morbides communes. 

Dans une ville sur 64 cas examines j'ai constate 14 cas de 
maladies du Systeme osseux (osteomalacie, rachitisme, mal de Pott). 

Dans une autre ville sur 36 cas examines 11 cas apparte- 
naient aux maladies nerveuses, neurasthenie, hysterie etc. 

Dans une troisieme ville c'etait le rhumatisme qui etait pre- 
dominant. 

En ce qui concerne les cas obstetricanx j'ai ete appelee pendant 
3 annees et demie en tout pour 99 cas d'accouchement et de suites 
de couches. Le tiers de ces cas se rapporte ä la population maho- 
metane. En g^neral les femmes mahometanes me montrent beancoup 
de confiance. 

Les femmes mahometanes en Bosnie se rossemblent ^normement, 
car ni Tinstruction, ni la division du travail n'agissent pour les 
differencier. 

Pourtant meme dans ce milieu qui parait etre homogene ä force 
d'etre obscur penetrent de temps en temps des rayons lumineux. 
Les femmes mahometanes subissent Tinfluence de leurs maris et ac- 
quierent par-ci par-lä quelques opinions, quelques debris de la pensee; 
elles peuvent etre divisees en progressistes et conservatrices. 

Les conservatrices ayant accepte mon secours, critiquent le 
traitement, cherchent en meme temps les conseilsdVn hodja (pretre) 
et attribuent la guerison plutot a celui-ci qu'a mon ministere. 

Les progressistes, et leur nombre augmente actuellement d*un 
jour ä Tautre, se fönt soigner tres volontiers et suivent strictement 
mes conseils medicaux et prophylactiques. 

Pendant T^pidemie de cholera, une jeune fille de 16 ans sur- 
veillait elle-meme la cuisson de Teau potable, eile ne touchait ni 
fruits, ni concombres et me demandait des explications sur le genre 
de contagion du cholera. 

Quelquefois mes clientes mahometanes parties de Dolnja Tuzla 
fönt ailleurs de la propagande pour moi, elles pr^parent le terrain 
en decrivant aux autres Tefifet d'un traitement rationnel et reussi. 



Quand je trouve un moment libre, je vaia chez mes ancienne 
elientes mahometanes et je leur preehe la propret^ dti corps, 1: 
Teutilation dea chambres, le grand air, uoe nourriture tortiäaute e 
saine. Je conibats avec toute l'energie poasible Tallaitement pro 
longe, les mariages precoces, Tabus du cafe et du tabac et la paresse 

Tout ce que je viens de dire aur lea usages et les pr^juges dei 
mahomötanes en BosDie, moatre dans quel 6tat de dögönöresceno 
phyaique, dans quelle apathie et dans queUe atrophie int«llectuelli 
peut &e trouver uoeclasse iaol^e del'iDfluence de la culture pendam 
des siecles. 

D'un autre cöte j'ai montre les r^sultata qne j'ai obtenaa pen 
dant 3 antikes et demie de ma pratique mödieale en Bosoie. 

De cette maDiere, je vous ai fourni deux argumenta, qui par 
lest en faveur de la n^cessile de l'instruction de la femme en g6 
neral, et de rimportance extraordinaire de son Instruction eap^riean 
en plusieurs cas. 



Eingesandte Vorträge: 

1) Aerztinoen In Bulgarien, von FrHulein E. Leventon, Dr. med. 

Stadtärztin in Gabrovo (Bulgarien). 

2) The Relation of Women to the University of Oxford, by Anni 

H. Rogers, Hon. Seeretary to the Association for th 
Edaeation of Woraen in Oxford. 



Mittwoch, den 23. September, Yormittag 10 Uhr.'*') 

Vorsitz: Frau Jeannette Schwerin, Frau v. Witt. 

Die Arbelterinnen-Enquöte in Wien. 

Von Frau Therese Schiesinger-Eckstein , Wien, Delegierte des 
Allgemeinen Oesterreichischen Frauenvereins. 

Meine Damen und Herren! Manche von Ihnen werden sich 
vielleicht erinnern, dass ich über die Frauenbewegung in Oesterreich 
nur einen unvollständigen Bericht geben konnte. Ich konnte unsere 
politische Agitation nur streifen und über die Dienstbotenfrage, sowie 
den Frauenrechtsschutz war es mir nicht vergönnt zu sprechen. Ich 
konnte Ihnen auch damals nicht zeigen, in welchem Zusammenhange 
die Frauenbewegung mit meinem heutigen Thema, der Arbeiterinnen- 
Enquete steht.*) Fürchten Sie jedoch nicht, dass ich vielleicht heute 
den Versuch machen werde, dies nachzuholen. Ich werde mich der 
grössten Kürze befleissigen, einer Kürze, die zwar der Wichtigkeit 
meines Gegenstandes nicht entspricht, aber Ihre Geduld nicht er- 
müden wird. 

Die Kommission der Arbeiterinnen-Enquete, die im März und 
April dieses Jahres in Wien tagte, war aus Männern und Frauen 
aller Parteistellungen und aller Lebensstellungen zusammengesetzt. 
Die Anregung ging von der ethischen Gesellschaft in Wien aus, 
bald aber beteiligten sich alle Kjreise, die an dem Loos der arbeiten- 
den Bevölkerung thätigen Anteil nehmen. In 35 Sitzungen, ins- 
gesamt 119 Stunden, durch Vernehmung von 300 Arbeiterinnen 
und 14 Unternehmer-Experten aus 37 Branchen wurde ein reiches 
Material zu Tage gefördert. Die Aussagen der Arbeiterinnen- 
Experten machten schon dadurch den Eindruck vollster Glaub- 
würdigkeit, weil bei allen eine seltene Gleichgiltigkeit gegen ihr 
eigenes Schicksal zu Tage trat. Aufgewachsen im Elend, nichts 
Anderes kennend, halten die Armen ihr Elend für etwas Selbst- 
verständliches, es war keine Spur von einer Tendenz, nichts als 



*) Redigiert von Jeannette Schwerin. 

*♦) Der hier erwähnte Vortrag wurde wegen mangelnder Zeit nicht 
ganz gehalten, aber in ganzem Umfange gedruckt; (S. 48 ft). 



— lV2i 

eine dumpfe Resignation, die erschütternder wirkte, als es Elaga 
gethan hätten. 

Die Leiden der Arbeiterin beginnen, um von ihrer vo^ 
nachlässigten Kindheit nicht zu reden, mit der Hiehrzeit. Von d» 
Lehrmeister oder der Lehrmeisterin bis zur f^rschöpfnng ihnr 
Kräfte ausgebeutet, besonders da, wo sie Kost und Quartier hat» 
elend ernährt, fast gar nicht bezahlt, nur zu oft auch misshandiilt, 
findet sie nicht einmal Gelegenheit, ihr Gewerbe zu erlernen. Man 
überträgt ihr während der Lehrzeit immer ein und dieselbe Han- 
tierung, die Fertigstellung eines Artikels wird als Geheimnis be- 
wahrt. So vermag die ausgelernte Arbeiterin nichts zu machen 
als eine einfache Hantierung, um so mehr, als die vielfach so ver- 
breitete Akkordarbeit sie zwingt, mit ihrer Zeit furchtbar zu 
geizen. Die Akkordarbeit hat sich überall als grosses Uebel ge- 
zeigt, sie zwingt die Arbeiterin zu einer üeberhastung, die an sidi 
nervenzerstörend ist. Sie lässt sie die Mittagsstunden durcharbeiten, 
die Arbeitszeit bis an die Grenzen des Möglichen ausdehnen, wo es 
irgend angeht, die Arbeit mit nach Hause nehmen, bei der sie dann 
die halbe Nacht durchwacht. Besonders in dem wenig kontrollierten 
Kleingewerbe ist die Ausnützung der menschlichen Kraft nichts 
Ungewöhnliches, bei Damenschneidern wird oft die ganze Nacht 
hindurch gearbeitet, gegen Morgen schlafen die Arbeiterinnen im 
Arbeitslokal auf dem Fussboden oder einem Stuhl einige Stunden. 
Wenn eine solche überlange Arbeitszeit eine brutale Ausbeutung 
ist, wie erst dann, wenn die Arbeit mit der menschlichen und 
speziell mit der Kraft des Weibes in gar keinem Verhältnis steht, 
wie z. B. bei den Ziegel arbeit erinnen und Dachdeckerinnen, deren 
Arbeit bei grauendem Morgen beginnt und bis zum späten Abend 
währt. Die Ziegelarbeiterin muss schwere Karren mit Lehm oft 
über hügeliges Land sehr weit schieben; die Dachdeckerin wird 
vor einen Wagen gespannt, der mit 6 — 800 Kg. beladen ist, den 
sie vom Werkplatz bis zum Bau oft zwei Stunden fahren muss, 
während 2 Männer den Wagen begleiten. Auf die Frage, welche die 
Kommission an einen männlichen Experten richtete, ob es denn niemals 
einem Mann einfallen würde, der Arbeiterin die Last abzunehmen 
und sich selbst vorzuspannen, antwortete er: „Das fällt wohl Nie- 
mandem ein, denn ein Mann würde sich doch schämen, die Arbeit 
einer Frau zu verrichten." Auf dem Bauplatz angekommen, muss 
die Arbeiterin das Material auf das Dach schaffen über Leitern 
und Treppen in jeder Hand ein Gewicht von 10 — 15 Kg.; es kommt 
vor, dass sie an einem Tage 40 mal auf das Dach steigen muss. 
In vielen Branchen giebt es Berufskrankheiten, die zwar durch 
geeignete Vorsichtsmassregeln sehr eingeschränkt werden könnten, 
die aber meist durch Knauserei der Arbeitgeber uneingeschränkt 
wüten, wie in der Metallbranche, bei den Bürstenbinderinnen, Tabak- 
arbeiterinnen und vielen anderen. In vielen Branchen ist Bleich- 
sucht und Tuberkulose nichts Ungewöhnliches, in manchen sind 
Fehlgeburten zur Regel geworden. 

lieber die Sittlichkeitszustände wurde von den Arbeiterinnen 
vieler Branchen geklagt. Es wurde behauptet, dass die Lehr- 
mädchen das Freisprechen sehr oft mit ihrer Ehre bezahlen 



— 193 — 

müssen. Ganz Authentisches darüber zu erfahren, ist uns in der 
Kommission leider nicht gelungen. Jede Expertin wollte es nur 
vom Hörensagen wissen, keine gab zu, dass ihr selbst Gleiches be- 
gegnet ist, was ja begreiflich ist, wenn man bedenkt, unter welchem 
moralischen Druck derlei Aussagen gemacht werden. Leider ist ja 
heute noch immer die Anschauung verbreitet, dass, wenn der Frau 
durch physische Uebermacht Gewalt angethan wird, das vielmehr 
der Ehre des Opfers als der des Gewaltthäters schadet. 

Das, was man in bürgerlichen Kreisen sich unter Arbeiterelend 
vorstellt, das müsste wohl als behagliches Leben erscheinen, gegen 
die Art der Ernährung, von der wir bei der Enquete hörten. 

Die Arbeiterinnen schämten sich einzugestehen, dass ein wenig 
Kaffee, in dem keine Spuren von wirklichem Bohnenkaffee vorhanden 
sind, der auch nur zum geringen Teil aus Milch besteht, meist 
Wasser und Feigenkaffee, dass solcher Kaffee und Brot sie fast aus- 
schliesslich ernährt, nur hie und da an Sonntagen können sie sich 
etwas Fleisch, gewöhnlich Pferdefleisch gönnen. Die verheirateten 
Arbeiterinnen sind etwas besser daran, am schlimmsten Wittwen 
mit Kindern oder solche mit unehelichen Kindern. Die Arbeitslokale 
entsprechen sehr selten den Anforderungen der Sanität; sehr oft 
werden sie zu gleicher Zeit als Schlafräume benutzt, dazu kommt fast 
immer ungenügende Reinlichkeit, ungenügende Heizung und Lüftung, 
denn der Unternehmer spart an Heizmaterial und die frierenden, nur zu 
oft schwächlichen Arbeiterinnen widersetzen sich dann selbst dem 
Oeffnen der Fenster. 

Wenn solche üebelstände seltener sind in der Fabrik, 30 leiden 
doch die Arbeiterinnen weit mehr unter der Fabrikdisziplin. In 
vielen Fabriken ist es bei Geldstrafe verboten, ein Wort zu sprechen, 
empfindliche Geldstrafen für jede Minute Zuspätkommen sind das 
Gewöhnliche. Li manchen Betrieben werden mittags die Lokale 
gesperrt, so dass die Arbeiterinnen eine Stunde im Freien bei jedem 
Wetter zubringen müssen, da sie meist zu entfernt wohnen. 

Die Wohnungszustände der Arbeiterinnen sind äusserst traurig; 
ganze Familien bewohnen eine elende Kammer, denn die Wohnungs- 
preise sind in Wien sehr hoch. Die schlimmsten Zustände treten 
in Ziegel werken zu Tage, wo drei und mehr Familien einen einzigen 
elenden Raum bewohnen, dessen Fussboden aus Ziegeln besteht, wo 
der Regen durch das Dach dringt, wo keine Kanalisierung, wo eine 
Viertelstunde weit kein Trinkwasser zu flnden ist. Welche Pflege 
da den Kindern zu teil werden kann, lässt sich leicht denken, nur 
die wenigsten können leider in Kinderbewahranstalten tagsüber 
untergebracht werden; die meisten bleiben der Obhut älterer Ge- 
schwister überlassen, auf deren Schulbesuch das natürlich wieder 
einwirken muss. Nicht selten habe ich hören müssen, dass die 
Mutter allwöchentlich gezwungen sei, eine Nacht durchzuarbeiten, 
um die Wäsche zu waschen und Kleider auszubessern. 

Der Wochenlohn einer Arbeiterin beträgt 3—4 Gulden, sehr 
oft weniger, selten mehr. Der Durchschnittslohn ist furchtbar gering, 
wenn man die hohen Preise der Lebensmittel in Wien kennt, er ist 
viel geringer, als ihn Männer in Wien für gleiche Arbeitsleistung 
erhalten. Es ist aber auch ganz unzureichend, wenn man bedenkt, 

13 



n 



- 194 - 

dasa sehr viele Arbeiterinnen Monate lang Arbeitsloaigkeit zu « 
tragen haben, die durch die Saisonarbeit entateht. Von dem TJi 
fang diesea regelmässigen Arbeitsmangels macht man sich wohl keii 
richtige Vorstellung. Sehr viele Unternehmungen haben nur wenif 
Monate des Jahres ihren vollen Arbeitsstand. Sehr oft müssen d 
Arbeiterinnen pünktlich des Morgens erscheinen und dann stunde] 
lang, oft den ganzen Tag hindurch vergebens auf Arbeit warte: 
ohne für ihre Zeit im Geringsten entschädigt zu werden. ^dli( 
kommt aber die tote Saigon, wo unendlich viele Arbeiterinnen gai 
entlassen werden. Es gelang der Kommission nicht, auch nur m 
einiger Bestimmtheit zu ermitteln, wovon die Familien während d» 
toten Saiaon leben. Einige haben Verwandte auf dem Lande, bei dent 
sie Unterkunft finden, einige ernähren sich kümmerlich durch Wascht 
und Nähen. Wenn ea bei den Theaterchoristinnen, welche dieKommissu 
ebenfalla in den Kreis ihrer Erhebungen zog, mit entsetzlich) 
Klarheit zu Tage trat, dasa dieae PVauen, die fast gar nicht bezah 
werden und die noch ihre Garderobe sich selbst anschaffen müsse 
auf die Prostitution als ihren Haupterwerb angewiesen sind, so liej 
auch der Gedanke nahe, dass zahlreiche Arbeiterinnen, sowie sie d 
Arbeit verlieren, durch die bitterste Not, durch den Hunger ihri 
hilflosen Kleinen gezwungen sind, sich zu verkaufen — wieder ein Belf 
dafür, wie leichtfertig und gedankenlos e.s ist, zu glauben, dass d 
Prostituierten ihrem schändlichen Gewerbe durch ihre lasterhaf 
K^igung zum Opfer fallen. Wer ea noch nicht gewusat hat, de 
konnte es klar werden, dass die Pestbeule, die am Körper der G 
Seilschaft frisst, dass die Prostitution eine Folgekrankheit des Druck 
Ist, der auf der Arbeit lastet. 

Wenn die Arbeiterin zu altem beginnt, wird es ihr imm 
schwerer, sich auf ihrem Arbeitsposten zu erhalten oder gar : 
einem neuen zu gelangen. Es giebt viele Branchen, in denen nie 
eine Arbeiterin zu finden ist, die das 30. Lebensjahr Uberschritti 
hat. Auch die alternde Arbeiterin ernährt sich kümmerlich s 
Dienerin, Wäscherin, wohl auch als Bettlerin, und die ist noch a 
besten daran, die ihre Kinder oder ihre Enkel pflegen darf. 

Die Enqnete über Frauenarbeit hat die Notwendigkeit v( 
vielen Reformen bewiesen, Reformen im Lehrlingswesen, die Nc 
wendigkeit einer schärferen und weit verbreitete ren Fabrik- ui 
Gewerbeinspektion, sowie deren Ausdehnung auf die Heimarbeit, d 
Notwendigkeit weiblicher Fabrik Inspektoren, der Errichtung vi 
Wöchnerinnenheimen, einer staatlichen Altersversorgung für A 
beiterinnen und -solcher Gesetze, die die jugendlichen Arbeiterlnm 
und die Schwangeven und Wöchnerinnen schützen, vor Allem d 
Notwendigkeit der Ausbreitung und Kräftigung der Arbeiterinne 
Organisationen, Die Enqu§te über Frauenarbeit hat reichlich 
Material angesammelt, auf Grund dessen man hoffentlich noch vit 
ähnliche Arbeiten ausführen wird. Ob unsere legislativen Körperschaft 
entsprechend reagieren und dem Loos der Arbeiterinnen ihre Ai 
merksamkeit zuwenden werden, dem sehen wir jetzt mit Spannu] 
entgegen. Die Berichte in den Tagesblättern und die ErgebniE 
der Enquete haben das Gewissen der bürgerlichen GesellBchaft vii 
leicht ein Weniges im Schlummer gestört; es kräftig aufeurüttt 



— 195 — 

ist ihnen nicht gelungen. Unsere Aufgabe wird es sein, die Kunde 
von dem entsetzlichen Elend, das uns durch die Enquete geworden 
ist, immer und immer auf ^s Neue und so lange zu wiederholen, bis 
es auch in die taubsten Ohren dringt. 

Ueber Trade-Unions. 

Von Miss Fiorence Routledge, London. Delegierte der Women's 

Trades' Union League. 

Es ist jedem, welcher der Lage unserer englischen Arbeiterinnen 
irgendwelche Aufmerksamkeit geschenkt hat, nur zu klar, dass sie 
sich in schrecklicher Hülfsbediiiftigkeit befinden. Eine grosse Anzahl 
von ihnen leidet entsetzlich; Tausende leben geradezu am Rande des 
Verhungerns. Arbeiten sie ausserhalb des Schutzes der Fabrik- 
gesetze, so wird die Arbeitszeit bis zur äussersten Anspannung ihrer 
Kräfte in die Länge gezogen. 

Nach wenigen Stunden eines unerquickten Schlafes erheben sie 
sich Tag für Tag, jahraus, jahrein, zu demselben Tagewerk einer 
abtötenden, physischen Kräfteanspannung, und dies für einen Lohn, 
der kaum hinreicht, um sie am Leben zu erhalten. Ersparnisse zu 
machen, welche ihnen über Krankheitsfälle hinweghelfen oder ihnen 
jene Gemütsruhe verschaffen könnten, die das tröstliche Bewusstsein 
des Besitzes eines kleinen Reservefonds verleiht, ist eine Unmöglich- 
keit für sie. Dies gilt in Bezug auf die Arbeiterinnen, die nur für 
sich selbst zu sorgen haben; die Lage derjenigen indessen, welche 
für andere sowohl als auch für sich selbst auf Broderwerb gehen 
müssen, übersteigt jedes Mass des Erträglichen. 

Ich weiss jedoch sehr wohl, dass in Bezug auf die harten Be- 
dingungen, unter welchen so viele Frauen, ihr kärgliches Brod 
erwerben, England nicht allein dasteht. Ich würde nach den 
Informationen, die ich aus andern Ländern erhalten, allen denjenigen, 
die für die Arbeiterinnenfrage in ihrem eigenen Lande ein Interesse 
g(iwonnen, eine nur zu bekannte Geschichte wiederholen, wollte ich 
einen ins Einzelne gehenden Bericht über die harten Entbehrungen 
liefern, denen viele englische Arbeiterinnen unterworfen sind. 

Die Thatsache, dass die grössere Anzahl der Arbeiterinnen Hülfe 
dringend nötig hat, erfährt nirgend Widerspruch; es handelt sich 
nur darum, wie diese Hülfe zu leisten ist, oder, wie wir Frauen 
von grösserer Erfahrung, besserer Erziehung und mit mehr Muse 
Methoden ausfindig machen können, durch welche die Arbeiterinnen 
sich selbst zu helfen vermögen. 

Ein kurzer Bericht über die Thätigkeit des „Verbandes der 
Prauen-Gewerkvereine" ist eine teilweise Antwort auf diese Frage. 
So entmutigend die Berichte über jeden Versuch, mit so tief einge- 
wurzelter Not den Kampf aufzunehmen, auch sind, so haben nichts- 
destoweniger die Mitglieder dieses Verbandes seit den 22 Jahren 
seines Bestehens doch manch nützliches Werk vollbracht und sich 
eine bedeutende Kenntnis über das Ijeben der Arbeiterinnen er- 
worben; sie haben ferner ihr Möglichstes gethan, diese gewonnene 
Kenntnis unter allen Klassen ihrer eigenen Gemeinden zu verbreiten. 

18* 



_ 196 — 

Seit die sogenannte industrielle Umwälzung in der Baumwollen- 
Industrie in Lancashire am Ende des letzten Jahrhunderts die Arbeit 
aus dem Hause des Handwebers hinwegnahm und in die Fabriken 
verlegte, haben Frauen ebenso gut wie Männer in diesen letzteren 
gearbeitet; sowie die Männer begannen, durch Organisation ihre 
Interessen zu verteidigen, scheinen die Frauen nicht ausgelassen 
worden zu sein. 

Aber Lancashire war eine Ausnahme; das stolze Wort des 
Lancaster Arbeiters jedoch: „Was wir heute thun, thut das übrige 
England morgen," ist in Bezug auf das Gewerkvereinswesen der 
Frauen in gewisser Weise bewahrheitet worden. 

Im Jahre 1874 fasste Mrs. Emma Paterson den Entschluss, 
eine Gesellschaft ins Leben zu rufen, deren Zweck es sein sollte, 
den Arbeiterinnen aus allen Industriebetrieben zu helfen, Gewerk- 
vereine zu gründen. Mrs. Paterson war selbst, streng genommen, 
keine Arbeiterin, obwohl sie als zu der Arbeiterklasse gehörig ge- 
rechnet werden muss. Sie ist eine Zeit lang Sekretärin des „Ar- 
beiter-Klubs und Instituts" gewesen, und ihr Mann, ein Buchdrucker, 
hatte mit unermüdlicher Energie und Begabung für die Sache der 
Arbeiter gewirkt. Mrs. Paterson verfügte daher über gründliche 
Einsicht in die Sache. 

Sie ging von der Thatsache aus, dass Frauen vielleicht mehr 
als Männer unter dem Einfluss der Ansichten des Mittelbürgertums 
stehen; dieses aber stand zu der Zeit der Sache des Ge werk Vereins wesens 
völlig gleichgiltig gegenüber; der erste wichtige Schritt musste daher 
sein, die Ansichten der Mittelklassen zu erziehen. Ausserdem 
brauchte sie Geld, um ihre Propaganda weiterzuführen; sie brachte 
daher zu ihren Arbeit er freunden noch ein Komitee von Gönnern 
beider Geschlechter aus den Mittelklassen zusammen. Ihre Gesell- 
schaft nannte sich „der Verband zum Schutz und zur Fürsorge für 
Frauen"; der Titel „Gewerkverein" würde damals, wie man von 
allen Seiten erkannte, der Sache verhängnisvollen Schaden gethan 
haben. Als später in den ersten achtziger Jahren viele in der 
Arbeiterbewegung hervorragende Männer den Bestrebungen des 
„Verbandes" Aufmerksamkeit zu schenken begannen, wagten sie es, 
sich „ Frau en-Gewerk verein und Fürsorge verband" zu nennen, denn 
für Förderer von jener Seite her, hätte der frühere Titel „Verband 
zum Schutz und zur Fürsorge für Frauen" eine Wohlthätigkeits- 
gesellschaft bedeutet, deren Vorstände, trotz aller guten Absichten, 
wahrscheinlich keine Kenntnis von Gewerbefragen vom Arbeiter- 
standpunkt aus haben konnten. 

Erst 1890 wagte es das Komitee, besonders um den Sparsam- 
keitssinn anzuspornen, das Wort „Fürsorge" wegzulassen; dieses 
war bis dahin noch behalten worden, um einigen Gönnern der Sache 
Vertrauen einzuflössen, die auf die Thatsache besonderes Gewicht 
legten, dass die gegründeten Vereine in Fällen von Krankheit und 
Arbeitslosigkeit Unterstützung zahlten. 

Kühn stellten wir uns nun hin als „Verband der Frauen-Ge- 
werkvereine", indem wir es als Grundsatz feststellten, dass ein Ge- 
werkverein je nach den Erfordernissen jedes besonderen Falles 
Unterstützungen bewüligen kann oder nicht. 



— 197 — 

Mrs. Paterson begann nun in London verschiedene Vereine ins 
Leben zu rufen. Einer derselben, der Verein der Buchbinderinnen, 
besteht noch; doch kann derselbe als warnendes Beispiel dienen, in 
Bezug auf den Erfolg der in gleicher Richtung sich bewegenden 
Arbeit nicht zu sanguinisch zu sein. Der Verein bewilligt seinen 
Mitgliedern in Fällen von Krankheit und Arbeitslosigkeit Unter- 
stützung und hat in dieser Beziehung gute Dienste geleistet; er ist 
jedoch unbedeutend geblieben, zählt nur ungefähr 200 Mitglieder 
und hat nach gewerblicher Richtung hin gar keine Leistungen zu 
verzeichnen, trotz der hingehendsten und unermüdlichsten Thätigkeit 
der Sekretärin, einer Arbeiterin von ebensoviel Fähigkeiten und 
Kraft selbständigen Handelns, als man vernünftigerweise zu finden 
hoffen kann. 

Eine grosse Anzahl anderer Vei*eine mit gleichen Statuten sind 
in Frauen-Gewerben und für Frauen allein gegründet worden, haben 
aber meistens dasselbe Schicksal geteilt. 

Wenige haben ein so graues Alter erreicht; viele sind nach 
kurzen Monaten eines kümmerlichen Daseins hingesiecht. Dennoch 
haben sie dem einen oder anderen Zweck gedient und ihre Arbeit 
ist nicht ganz und gar umsonst gewesen ; sie haben die Arbeiterinnen 
zusammengebracht, sie zum Ueberlegen gezwungen und sie gelehrt, 
dass sie wegen der Bedingungen, unter welchen sie gemeinschaftlich 
arbeiten müssen, einander eine Pflicht schulden. Ausserdem dienten 
sie als Kernpunkt, von welchem Mitteilungen erlangt werden 
konnten, wenn der „Haupt- Verband" Spezialgesetze zu befürworten 
hatte, oder wenn parlamentarische Kommissionen Untersuchungen 
anstellten. Daneben haben sie die Inspektoren mit nützlichen Mit- 
teilungen versehen können, wodurch dieselben befähigt wurden, 
Ueberschreitungen der Fabrikgesetze ans Licht zu ziehen. Nichts- 
destoweniger haben die Förderer des Gewerkvereinswesens für 
Frauen doch mit Bitterkeit das Fehlschlagen ihres Hauptzieles 
empfunden, nämlich: die Gründung von Ge werk vereinen nur aus 
Frauen allein zusammengesetzt, die einen wirklichen Druck auf die 
Arbeitgeber ausüben könnten und imstande wären, die Arbeits- und 
besonders die Lohnbedingungen zu verbessern. 

Einige Ausnahmen existieren allerdings. Dank den energischen 
und ausdauernden Bemühungen seitens der Miss Marion Tuckwell, 
Sekretärin des „Verbandes der Frauen-Gewerks vereine", wurde vor 
einigen Jahren unter den Buchdruckerinnen und Falzerinnen ein 
Verein gegründet, der viel Gutes erreicht hat. Er zählt etwa 
300 Mitglieder und hat eine bestimmte Lohntaxe festgesetzt, welche 
durch seinen Einfluss in mehreren Werkstätten angenommen worden 
ist. Ob dieser Verein sich als föhig erweisen wird, das Feld zu 
behaupten, kann man freilich jetzt noch nicht sagen Eine Mit- 
gliederzahl von 300 Arbeiterinnen ist zwar ein guter Anfang, wenn 
man aber die grosse Anzahl der Druckerinnen und Falzerinnen be- 
denkt, die ausserhalb des Verbandes stehen, so kann die Mitglieder- 
zahl für die Dauer nicht zufriedenstellend genannt werden. 

Vor 8 Jahren gelang es Mrs. Annie Besant und Mr. Burrows, 
infolge eines erfolgreichen Strikes, der grosses öffentliches Aufsehen 
und viel Sympathie erweckte, einen Verein der Streichholzarbeite- 



— 198 — 

rinnen zu gründen, der noch besteht. Beide, Mrs. Besant und Mr. 
Burrows sind indessen Persönlichkeiten von starker Individualität, 
grossen Fähigkeiten und unermüdlicher Thatkraft; es ist sehr 
zweifelhaft, ob die Arbeiterinnen, wenn nicht durch solche Persön- 
lichkeiten begeistert, aus ihren eigenen Reihen jene Pührerinnen 
hervorgebracht hätten, die die Fähigkeit besassen, den Verein bis 
jetzt zusammen zu halten. 

In Lancashire besteht, Denton als Zentralpunkt genommen, ein 
blühender Frauenverein in der Filzhut-Industrie, der 1400 Mitglieder 
zählt, und zu welchem alle Arbeiterinnen derselben Branche in den 
kleineren Orten in der Nähe von Denton gehören. Dieser Verein 
wurde, wie ich glaube, von den Arbeiterinnen ganz allein gegründet 
und seheint eine wirklich erfolgreiche Sache zu sein. Man muss 
aber bedenken, dass dies Grewerkvereinswesen aus dem Schoss der 
Lancaster Frauen hervorgegangen ist, und vergebens wird man ander- 
weitig in Grossbritannien nach solch vortreflPlichem Material suchen 
können.*) 

Es giebt ein Hauptgesetz, welches alle, die es unternehmen, 
Gewerkvereine ins Leben zu rufen, nicht ausser acht lassen dürfen^ 
wie hartherzig auch die Ausübung desselben erscheinen mag. In 
demselben Maasse, wie die Notwendigkeit, Arbeiterinnenvereine zu 
gründen, hervortritt, in demselben Masse zeigen sich auch die 
Schwierigkeiten, sie zu einer Vereinigung zu bewegen ; und wo das 
Herz am meisten dazu treibt, die helfende Hand auszustrecken, 
gebietet die Vernunft Zurückhaltung. Es ist nicht gerade die 
Thatsache, dass die Veranstalter der mit vielen Kosten und grosser 
Mühe zusammengebrachten Versammlungen schliesslich, besonders 
wenn die erste Aufregung verraucht ist, doch nur ein halbes Dutzend 
Frauen als Zuhörer haben und vor meistens leeren Bänken reden; 
aber es ist eine schmerzliche Aufgabe, sich hinzustellen und die 



*) Die wahre Schwierigkeit, Frauen zu organisieren, liegt nicht 
in dem Mangel an intelligentem Interesse an der Sache des Gewerk- 
vereios Wesens, sondern in den lesonderen Verhältnissen des Ar- 
beiterinnenlebens. Sehr selten beginnt dieselbe ihre Arbeit in einem 
Betriebe mit dem bestimmten Vorsatze, bis zu ihrem Lebensende bei 
demselben zu bleiben. Eine gute eheliche Versorgung, die Hülfe 
männlicher Angehörigen, alles dies trägt dazu bei, ihr Interesse an 
der Wohlfahrt eines Gewerbes zu verringern, in welchem sie nur 
eine Zeit lang arbeitet und dasselbe dann wie ein Zugvogel wieder 
verlassen kann. Es erfordert ihrerseits keine geringe Selbstverleug- 
nung, von ihrem Lohn von 6 oder 7 Sh. einen wöchentlichen Beitrag 
von 2 d. zu bezahlen, und ebenso grosse Selbstaufopferung, nach 
langer, harter Tagesarbeit noch einer Versammlung beizuwohnen. 
Zudem haben eine grosse Anzahl unserer Arbeiterfrauen häusliche 
Pflichten, die sie nicht bei Seite schieben können noch wollen und 
welche Theilnahme an Versammlungen zur Unmöglichkeit machen. 
Dazu kommt, dass ein grosser Teil der Arbeit als Hausindustrie von 
den Frauen betrieben wird, sie wissen daher wenig oder gar nichts 
von anderen Arbeiterinnen desselben Gewerbes. Es lässt sich also 
erklären, dass es nahezu unmöglich ist, diese Einzelarbeiterinnen zu- 
sammenzubringen und sie mit einem gewissen Esprit de corps zu 
erfüllen. 



— 199 — 

Frauen zu tiberreden, von ihrem hart verdienten Lohn einen, 
wenn auch noch so kleinen wöchentlichen Beitrag zu geben; noch 
dazu für die Bildung eines Vereins, welcher nach allen gemachten 
Erfahrungen niemals imstande ist, für sie irgend einen wirklich 
greifbaren Vorteil zu erreichen. Wenn man völlig aufrichtig ist, 
so kann man zu diesen Arbeiterinnen nur schwer in jenem Tone 
sprechen, der sie mit genügendem Enthusiasmus erfüllen könnte, 
zu Hunderten in den Schutzbann eines Grewerkvereines zu ziehen. 

Nach solchen Erfahrungen über die fast unübersteiglichen 
Schwierigkeiten, Gewerk vereine für Frauen allein zu gründen, widmet 
der „Verband der Frauen-G-ewerk vereine" jetzt seine grösste Kraft 
denjenigen Arbeiter- Gewerk vereinen, welche Frauen als Mitglieder 
aufnehmen. Die Frauen werden durch den Einfluss der Männer, 
mit denen sie in denselben Fabriken zusammenarbeiten, zu regel- 
mässigeren Zahlungen veranlasst, auch haben sie mehr Vertrauen, 
sich einer Sache anzuschliessen, die hinreichend stark ist, um wirk- 
liche Vorteile für sie erzwingen zu können. 

Jedes Jahr nehmen Delegierte des „Frauen- Verbandes" an der 
Generalversammlung der Gewerkvereine teil, zu welcher die Führer 
derselben aus allen Teilen Grossbritanniens zusammenkommen. 
Dieser Kongress wird jedesmal in einem anderen Industrie-Zentrum 
abgehalten; dadurch ist der „Verband" imstande, wegen Arbeits- 
gelegenheit mit denjenigen zu unterhandeln, deren gründliche 
Kenntnis der Arbeiterbewegung den schätzbarsten Rat geben kann. 
Jedes Jahr wird nach dem Kongress eine Rundreise veranstaltet, 
und in alle verschiedenen Ortschaften werden Redner gesandt, welche 
die Arbeiterinnen ermutigen sollen, als Mitglieder den Vereinen bei- 
zutreten. Ein bezahlter Organisator ist ausserdem angestellt, der 
in allen Orten, wo Aussicht auf guten Erfolg vorhanden ist, einen 
längeren Aufenthalt nimmt. 

Es hängt natürlich viel von der Hingabe, Energie und Be- 
gabung eines solchen Wanderorganisators ab; und die Sache des 
Frauen-Gewerkvereinswesens ist durch die gegenwärtige Organisatorin 
des Verbandes, die unermüdliche Mrs. Marland Brodie, ganz be- 
trächtlich gefördert worden. 

Im Anfang Hand Wirkerin in einer der grössten Lancashire 
Baumwollenfabriken, Autodidaktin und mit viel gesundem Menschen- 
verstand begabt, hat sie sich von allen Seiten die grösste Zu- 
stimmung erworben. 

Eine kurze Zeit lang war sie Lady Dilke's Privat-Sekretärin, 
und erwarb sich durch diese erfahrene und hochbegabte Förderin des 
Frauen-Gewerkvereinswesens eine höhereAnschauung der Arbeiterfrage. 

Neben ihrer Begabung für praktische Thätigkeit besitzt Mrs. 
Marland Brodie einen scharfen humoristischen Sinn, der ihr als 
Rednerin von grossem Werte ist« Ganz und gar ohne Ziererei, 
einfach und ohne irgend welches Bestreben, aus ihrer Klasse heraus- 
zutreten, hat ihre gerade, aufrichtige und offene Katur ihr die 
Freundschaft von Personen der verschiedensten Stellungen aus allen 
gesellschaftlichen Klassen erworben. Der Erfolg der Frauen- 
Gewerk Vereinsbewegung in England hängt zum grossen Teil von 
der Entdeckung noch anderer Mrs. Marland Brodies ab. 



— 200 — 

Da die Erfahrung uns gelehrt, dass die am schwersten be- 
drückten Frauen sich selbst durch freiwillige Verbindungen nicht 
helfen können, so scheint es, dass für sie die einzige Aussicht auf 
Verbesserung ihrer Lage nur durch einsichtsvolle Gresetzgebnng 
erreicht werden kann. 

Von allen Ländern Europas ist England die Schutzburg per- 
sönlicher Selbstbestimmung, und die Lehre der alten Schule der 
National Ökonomen übt noch immer eine grosse Gewalt über viele aus. 

Es ist vielen noch kaum zum Bewusstsein gekommen, dass die 
freie Konkurrenz, für den Arbeiter thatsächlich nur dem Namen 
nach frei, kein Grundsatz i^t, dem man in der Industrie mit Sicher- 
heit folgen kann; eingedenk mancher veralteten Bestimmungen, die 
als Vermächtnis des Mittelalters schwer auf die Gewerbe drückten, 
als mehrere unserer früheren Nationalökonomen ihre Werke schrieben, 
betrachten sie jede neue durchgehende Bestimmung nur mit Furcht. 

Diese den Schutzgesetzen für Frauen feindliche Richtung ündet 
am meisten unter j(^nen Damen der Mittelklassen Anhang, die ohne 
besondere Kenntnis der Arbeiterfragen mit schätzbarem Erfolg für 
gleiche politische und Bildungsrechte der Männer und Frauen ge- 
arbeitet haben. Sie sehen in allen nur für Frauen und nicht auch 
für Männer erlassenen Gesetzen eine Verleugnung jener theore- 
tischen Gleichheit, zu deren Verteidigung sie alle ihre Kräfte und 
Pähigkeit«^n aufgewendet haben. 

Die Frage, wie weit es sicher ist, gesetzliche Beschränkungen 
nur auf Frauenarbeit und nicht auch auf Männerarbeit zu legen, 
ist unzweifelhaft sehr schwer zu lösen. Jeder Fall muss nach seiner 
eigenen Beschaffenheit entschieden werden; es ist deshalb unmög- 
lich, Fabrikgesetze nach streng abstrakten oder allgemeinen Vernunft- 
grundsätzen zu erlassen. 

Alle diejenigen, welche mit den wirklichen Thatsachen des 
Arbeiterlebens bekannt sind, wissen sehr wohl, dass die Beschrän- 
kungen, welche Frauen auferlegt w^erden, diese fast in keinem Falle 
an dem Wettkampf derart hindern, dass sie zu Gunsten der Männer 
unterliegen. „Die Frau ist noch immer ein billioferes Arbeitstier'' 
von des Arbeitgebers Standpunkt aus, trotz aller Gresetze, die schon 
gemacht sind oder noch gemacht weraen. Männer werden niemals 
einwilligen, lange Arbeitsstunden für den niedrigen Lohn zu arbeiten, 
welchen die schlimmste Klasse der Arbeitgeber den nachgiebigeren 
Frauen aufzwingt. 

Die sorgfältige Beobachtung der Gesetze wird von allen den- 
jenigen, welche sich für die Arbeiterinnen- Bewegung in England 
interessieren, als eine Sache betrachtet, welche ebenso viel gute 
Früchte bringt, wie die Bildung von Gew^erk vereinen. 

In allen denjenigen Betrieben, welche durch die Konkurrenz 
der Frauen bedroht wurden, haben die Männer natürlicherweise sich 
allgemein bemüht, dieselbe von Anfang an zu beseitigen. Sobald 
die Frauen in die Konkurrenz treten, zeigen die Löhne eine Tendenz, 
hinunterzugehen. Zuerst giebt es zwei Taxen, eine für Männer und 
eine niedrigei-e für Frauen, die, froh darüber, dass sich ihnen ein 
neuer Betriebszweig eröffnet, unglücklicherweise niedrigeren Lohn 
annehmen. Zuerst wird die beste Arbeit den Männern gegeben; 



— 201 — 

aber in dem Grade, wie Frauen ihre Befähigung beweisen, fällt 
die erstere nach und nach in ihre Hand, falls die Männer nicht ein- 
willigen, für niedrigeren Lohn zu arbeiten. Es ist natürlich eine 
der wichtigsten Angelegenheiten der Gewerkvereinsführer, dieses 
Unterbieten des einen Geschlechts durch das andere zu verhindern; 
zu gleicher 2ieit muss aber eine grosse Schwierigkeit ins Auge ge- 
fasst werden, wenn es zu der Frage „gleicher Lohn für gleiche 
Arbeit" kommt. 

Es ist zunächst nicht immer leicht zu entscheiden, was von des 
Arbeitgebers Standpunkt aus „gleiche Arbeit" ist. Die Beschäfti- 
gungen von Frauen und Männern in derselben Fabrik macht oft 
Veränderungen in baulichen Einrichtungen nötig, und die Arbeit- 
geber rechnen aus mancherlei Gründen mit grösseren Unregelmässig- 
keiten in der Arbeit seitens der Frauen. 

Ein Arbeitgeber, welcher Schreiber beiderlei Geschlechts be- 
schäftigte, sagte mir einst: „Ein Mann, der sich verheiratet, arbeitet 
nm so fleissiger, während bei einem Mädchen in gleichem Falle alle 
Regelmässigkeit in der Arbeit aufhört". 

Die Furcht vor der Konkurrenz der Frauen hat die Arbeiter 
zuweilen ganz unvernünftigerweise dazu verleitet, sich der Bildung 
von Frauengewerkveinen zu widersetzen; haben sie aber einmal das 
Eindringen der Frauen in die Fabrikarbeit als feststehende That- 
sache erkannt, so sind sie meistens zu der Ueberzeugung gekommen, 
dass durch die Bildung von Frauen-Gewerkvereinen die schlimmsten 
Folgen der Konkurrenz in gewissem Maasse abgewendet werden 
können. 

Mit Freuden kann ich konstatieren, dass die Arbeiter selbst 
uns oft Hilfe geleistet haben und zwar ohne irgend welche selbst- 
süchtigen Gründe; verschiedene Ge werk Vereins vorstände haben unserer 
Sache aus keinem anderen Grunde Zeit und Geld gewidmet, als 
dass sie es als eine Ungerechtigkeit ansehen, dass die Frauen für 
harte Tagesarbeit keinen besseren Lohn finden sollten. Das Gewerk- 
vereinswesen der Frauen in England ist am erfolgreichsten in den 
nördlichen Distrikten, teils wegen der geistigen Eigenschaften der 
Bevölkerung, teils wegen der günstigeren industriellen Zustände. 
Wie im Norden die Arbeitervereine am stärksten sind, so ist 
dort auch die Anzahl der Frauen als Vereinsmitglieder am grössten. 

Nach allgemeiner Schätzung giebt es in Grossbritannien etwa 
100000 organisierte Frauen, von diesen sind 95% in der Textil- 
industrie beschäftigt. Von den Baumwollenweberinnen in den nörd- 
lichen Distrikten gehören etwa 60% einem „Verband" an. 

In den Distrikten, aus denen sich der Gewerkverein der 
schottischen Spinnereien und Fabriken rekrutiert, sind etwa 50% 
der Frauen Vereinsmitglieder, und von den Nottingham und Lei- 
cestershire Strumpf wirker-Aj:*beiterinnen etwa 25%. 

Es besteht kein Zweifel, dass die Frage der Organisation unter 
den Frauen mehr und mehr Anh«än gerinnen findet, ebenso zeigt sich 
die wachsende Tendenz unter den Arbeitern, Frauen als Mitglieder 
ihrer Vereine aufzunehmen. 

Dass man jedoch durch freiwillige Verbindungen allein es er- 
reichen könnte, die Lage der Arbeiterinnen zu heben, ist ein Traum, 



— 202 — 

welchen alle diejenigen, die einige Erfahrung vom Grewerkvereins- 
wesen besitzen, längst aufgegeben haben. Aber die Hilfe einer 
organisierten Arbeiterkörperschaft in einem Betriebe ist äusserst 
nützlich, um die Durchführung guter Gesetze zu sichern und die 
Aufmerksamkeit der staatlichen Fabrikinspektoren auf Ueber- 
schreitungen der bestehenden Fabrikgesetze zu lenken. 

Das industrielle Getriebe geht nicht ohne beträchtliche Reibungen 
voran, und die Gewerkvereinsführer urteilen nicht immer mit Ueber- 
legung und Nachsicht. Die Aufmerksamkeit der grossen Menge 
wird unglücklicherweise nur in unruhigen Zeiten auf die Sache gelenkt^ 
wenn furchtbare Leiden seitens der Striker oder ein ernstlicher 
Stillstand der Industrie zum Gegenstand des Staatsinteresses werden 
und die Zeitungen mit Sensationsberichten erfüllen. 

Die Bevölkerung verliert jedoch die Sache aus dem Auge, so- 
lange die Bewegung in friedlicheren Grenzen bleibt; sie vergisst, 
dass es, mit oder ohne Gewerkvereine, stets Unzufriedenheit in der 
Arbeiterklasse geben wird, so lange wie die Natur der Arbeitgeber 
als Klasse unverändert bleibt. Diese Unzufriedenheit würde sich 
sicherlich stets äussern, und in einer Weise, die wahrscheinlich 
viel unheilvoller für die öffentliche Ruhe wäre, als es jetzt geschieht» 

Die Ärbeiterinnenfrage. 

Von Frau Uly Braun, Berlin. 

Frau Lily Braun erklärte den unter obigem Thema ange- 
kündigten Vortrag wegen der Kürze der ihr bewilligten Sprechzeit 
nicht halten zu können. 

Ueber den Lohn der Arbeiterinnen. 
Von Dottoressa med. Maria Montessori, Eom. 

Meine Damen! 

Wenn ich jetzt die Frauen des ganzen Erdkreises das behandeln 
sehe, was man „Frauenfrage und Emanzipation" nennt — und 
wie oft sehe ich mehrmals wiederholte Versuche scheitern und 
höre Rechte anerkannt und bestritten werden und unbegrenzten 
Fragen Grenzen setzen, — und der Natur sowohl wie der Ent- 
wicklung Gesetze vorschreiben, trotzdem diese auf eigene Rechnung* 
frei und majestätisch schneller schreiten, als die Phantasie, — dann 
scheint es mir, als sähe ich auf ein faulendes Wasser die ver- 
schiedensten wohlriechenden Essenzen giessen. Man bemüht sich den 
Duft einzuziehen, doch der Gestank ertötet sie. 

Dieser Gestank weist uns hin auf den Ursprung und die Quelle 
unseres Werkes. 

Stets pflegen wir, aus alter liebenswürdiger Gewohnheit, bei 
jeder schönen Sache einen Gedanken der Anerkennung auf ihren Ur- 
sprung hinzuwenden. Wir entziehen uns dieser edlen Pflicht, wenn 
wir, bei einem U eberblick über sämtliche Nationen nicht derer ge- 
denken, die durch ihrer Hände Arbeit all unseren Wohlstand bereiten 



— 203 — 

halfen und uns die Mittel gaben, uns hier zu vereinigen, um unsere 
Interessen zu besprechen. Unter den Millionen Arbeitern sind die 
Frauen, und keine vertritt sie auf dem Kongresse? 

Auch sie sind dem Manne unterworfen, und zwar nicht nur dem 
Ehemanne, sondern auch dem Brotherrn; dieselben Gesetze, welche 
uns, die Gebildeten, wenig drücken, lasten auf ihnen, noch drücken- 
der gemacht durch die Armut. Wir sind blind, wenn wir glauben, 
dass dieselben Neuerungen ihnen wie uns nützen können, wenn wir 
meinen, sie hätten, wie wir, so viel Zeit zu warten. 

Es ist eine ganz verschiedene Frauenfrage, die sich mit der 
unsrigen vereinigt, es ist das Herz, das sich mit dem Kopfe ver- 
einigt, es ist ein Lebenszentrum, das mit einem Zentrum der Thätig- 
keit in Verbindung tritt. 

Ich trete damit nicht aus dem Gebiete der Frauenbewegung 
heraus, um in das sozialistische Gebiet einzutretei\, denn ich beab- 
sichtige nicht von der Frau des Arbeiters zu sprechen, sondern von 
der Arbeiterin. 

Vielleicht kommt Manchem der Gedanke: die Arbeiterin sollte 
überhaupt nicht existieren, sie möge sich um die Familie bekümmern. 
Aber das Gesetzbuch, das vom Manne zu seinen Gunsten gemacht 
ist, hat die Familie so gestellt, dass er der einzige Geniessende ist, 
dass die Frau sich zu fügen hat; hat die Erziehung und Lebens- 
stellung der Frau so gestaltet, dass sie nichts versteht ausser Unter- 
würfigkeit, dass sie nicht leben kann, wenn er sie nicht ernährt, und 
doch hat dasselbe Gesetzbuch den Fall vorhergesehen, dass er einmal 
nicht im Stande sein könnte, sich und die Familie zu ernähren. 
Dann sollen nicht andere Brüder dem notleidenden Bruder helfen, 
sondern dann soll er sich an die Frau wenden, der das Gesetz sagt: 
Die Frau hat die Pflicht, dem Ehemann zu helfen und zu seiner 
Erhaltung beizutragen." Meinen Freuden sollst du dienen, wenn 
ich Brot habe, für mich arbeiten, wenn ich keins habe. Die 
Arbeiterin ist also ein Produkt des Gesetzes selbst, und gegebenen 
Falls „zur Arbeit verpflichtet;" die Arbeiterin muss in der be- 
stehenden Gesellschaft existieren. Und bisweilen ist ihren Händen 
die Erhaltung der ganzen Familie anvertraut. Die Opferfreudigkeit 
in ihr muss anwachsen; sie sucht Arbeit und findet sie, mühselig 
wie die des Mannes — aber der Lohn ist geringer. Warum? Sie 
produziert doch wie ein Mann, ihr Geist ist nicht vom Wein (hier 
Branntwein) getrübt, ihre Hand ist sicher, ihre Geduld, ihr Fleiss 
sind erprobt. Das ist es, dass man in ihr nicht das menschliche 
Wesen sieht, das arbeitet und durch seine Arbeit das Recht hat zu 
leben, sondern die von dem beschäftigungslosen Mann Geschickte, 
die Hülfe der Familie, die der Mann nicht mehr ernähren kann. 
Man denkt, dass er nicht einen so grossen Zahlungszuschlag bean- 
spruchen kann, wenn er seine Frau zur Arbeit absendet. 

Und was thut das schwache Geschöpf? Wie ein Mann arbeitet 
sie, und deshalb hören doch ihre häuslichen Pflichten nicht auf. 
Statt Ruhe, die der Mann nach der Arbeit beansprucht, warten ihrer 
die häuslichen Obliegenheiten, oft noch mit einem Kind unter dem 
Herzen oder an der Brust. Wenn der Mann im Alkohol eine 
Zerstreuung von seinen Leiden sucht, so fällt auf die Frau die Bru- 



- 204 — 

talität der Trunkenheit. Oft auch theilt er lieher mit einem anderen 
weniger bedrückten weiblichen Wesen sein Brot, als mit der von 
Kindern umringten eigenen; um ein Lächeln entzieht er den Seinen 
den Bissen Brot; wenn ihn dann die Gewissensbisse peinigen, so 
entladet seine Wut sich noch über der, die mit gebeugtem Haupt 
für ihn arbeitet. Das ist der Wahnsinn der erbitterten Seele, das 
ist die Schwäche eines schlecht ernährten Körpers — eine Rache 
der Eingeweide, die sich im Hunger krümmten. 

Auch sie fühlte das Verlangen nach einem Lächeln und fand es 
auf den Lippen eines allmächtigen Mannes, für den sie eine unbe- 
stimmte Dankbarkeit empfand, weil sie ihm — dem Brotherrn — 
den geringen Verdienst verdankte, mit dem sie ihr kümmerliches 
Leben fristete. Das aber diente nur dazu, ihr das eigene Elend 
noch fühlbarer zu machen — die Rohheit des Mannes noch roher 
erscheinen zu lassen. Um sich herum fühlt sie die kalte Bedrückung, 
und aussen, in der Ferne, hat sie die Vision einer schönen, licht- 
vollen Welt. Das Echo neuer Entdeckungen, grossartiger Em- 
pfindungen dringt bis zu ihr. Diese werden die Arbeit erleichtern, 
und die Geschicklichkeit ihrer Finger unnütz machen. Sie wird eine 
Maschine statt der Nadel in Bewegung setzen, doch die Maschine 
vervieltältigt die Arbeit, die dadurch an Wert verliert. So bedrücken 
die neuen Erfindungen die schon Bedrückte und verbreiten dort Licht, 
wo es schon hell ist. 

In Italien könnte die Frau das Recht haben, ihre Ersparnisse 
für sich zu behalten, ohne dass der Ehemann seine Hand darauf legt. 
Aber auch dies klingt ihr wie Ironie ; ihr Verdienst reicht nicht für 
die primitivsten Bedürfnisse, und dieses vielen andern günstige Ge- 
setz ist fast immer unnütz für sie. 

Oft, noch dazu, quält eine Furcht sie : wird der Mann, der durch 
Not auf Abwege geraten ist, zu ihr zurückkehren und sie unter- 
stützen — oder wird er mit einer anderen entfliehen, — oder wird 
das Gefängnis sie zur Witwe machen? Das Gesetz hat bestimmt, 
dass der Mann niemals der Frau beraubt werde, die er sich wählte, 
und in der Annahme, dass die Liebe ihrerseits erlöschen könnte, liess es 
gesetzlich die Gewalt zu: „die Frau muss dem Manne folgen". Doch 
nicht im mindesten wurde daran gedacht, die jahrelang verlassene 
Frau zu versorgen: „Sie möge arbeiten und ihre Kinder erhalten!" 
Sie bekommt jedoch ihre Arbeit so schlecht bezahlt, dass das un- 
möglich ist. Also kann nur ein Mann sie ernähren; und so seid 
Ihr es, Ihr Männer, die Ihr der Frau eine vermeintliche Tugend an- 
erzogt; Ihr seid es, die Ihr sie jetzt zur Schuld zwingt. Wo sind 
die Gesetze, welche diesen Zustand, diese Lage der Frau beschützen? 
Wo ist das Gesetz, welches denjenigen, der seine Familie verliess 
und jahrelang fern blieb, sei es in den Netzen eines verführerischen 
Weibes, sei es im Kerker, seiner Rechte verlustig erklärt? Das 
Gesetz existiert nicht. — Kehrt der Mann zurück, so ist er der 
Herr: als strenger Richter fordert er von der Frau Rechenschaft 
über ihr Handeln und findet er sie untreu, so ist er der Richter 
und tötet sie. Erst nach diesem Verbrechen kommt das Gesetz und 
richtet den Mann und findet im Leichnam der Frau die mildernden 



— 205 — 

Umstände. Jedoch schliesst es ihm nicht die Thür des verlassenen 
Hauses, sondern giebt seiner Willktlr andere Opfer preis. 

Und doch, wie sehr mögen jene unglücklichen Opfer gekämpft 
haben, ehe sie begriffen, dass sie ohne den Mann nicht leben konnten! 
Vergebens haben sie ihre Kräfte in der unmenschlichen Arbeit ver- 
braucht, ihren Kindern Brot zu verschaffen. Sie werden ihre noch 
zarten Kinder zu einem grausamen Herrn geschickt haben, wo ihrem 
so geliebten schwachen Körperchen der Kinderkraft nicht angepasste 
Arbeit auferlegt wurde. Und wenn eine dieser Mütter eine ihrer 
Töchter trotz der Leiden schön aufblühen sieht, so wird sie zittern 
und diese Schönheit als grösstes Unglück ihrer Tochter ansehen 
müssen. Was kümmern den Kuppler ihre mütterlichen Aengste? 
Sie sind dem schönen Mädchen auf den Fersen, das keine Ideale 
kennt und im Leben der Mutter nur das sieht, was ihrer Tugend- 
haftigkeit aufbewahrt würde. Und eines Tages wird sie die Tochter 
mit zu bitterem Lächeln verzogenen Lippen auf der Schwelle einer 
Schenke sehen, als wolle sie sagen, „wolltest Du etwa, Mutter, dass 
ich so leben sollte wie Du?" 

In einer Sache allein verfügte das Gesetz in gleicher Weise über 
Mann und Frau; es giebt gewisse Gewahrsame für beide, Ketten, 
Guillotine, Todesstrafe. Wenn die Frau schaden kann, dann be- 
trachtet der Mann in der Strafe sie als seines Gleichen; die zarten 
Glieder können Ketten tragen; die kleine, schwache, niedrige Seele 
wird verantwortlich, wie die seine; und die Guillotine macht keinen 
Unterschied zwischen dem Kopf des Mannes und ihrem kleinen, mit 
dem kleinen Hirn, das unfähig ist zu grossen Ideen, ernsten Studien, 
gesetzlicher Selbstverteidigung; es schneidet ihn ab und giebt ihm so 
den einzigen Beweis der Achtung in seinem vollkommenen intellektuellen 
Gleichgewicht — in seiner vollkommenen Urteilsfähigkeit, in seiner 
menschlichen Verantwortlichkeit. 

Meine Damen! 

Unter allen hier vertretenen Nationen zählt Italien verhältnis- 
mässig die meisten Arbeiterinnen — denn auf 15500000 Arbeiter 
kommen 9600000 Männer und 5900000 Frauen ungefähr; während 
bei allen anderen zivilisierten Völkern, ausser Japan, auf eine weib- 
liche Arbeiterin wenigstens zwei männliche kommen. Die Frauen 
sind in Italien in fast allen Industrieen als Arbeiterinnen beschäftigt 
— ausser in den Bergwerken; der Zahl nach verschieden verteilt im 
nördlichen Italien — wo die Sitte die Frauen leicht bei der Arbeit 
sehen lässt — und in Süditalien — wo das Vorurteil die weibliche 
Arbeit seltener macht zum schweren Verlust der Industrie, des Acker- 
baues und Handels. Der Arbeitstag ist so lang wie der des Mannes 
und variiert von 9 bis 12, ja 18 Stunden — ; selten sind die Fabriken, 
die der Natur ihrer Industrie wegen lange Ruhepausen gestatten; 
meistens giebt es in einem tlahre 300 Arbeitstage. Wenn wir auf 
die Arbeits Verteilung und die Produktion bei Mann und Frau sehen, 
so finden wir sie gleich; aber die Frau wird fast nur halb so gut 
bezahlt wie der Mann. Ich erzähle eine Anekdote und gebe' somit 
ein Beispiel allgemeiner Thatsachen: 

Ein Herr, der von einem seiner Güter die Steine absuchen liess, 



— 206 — 

hiess MäDner und Frauen gleiche Lasten tragen, und beide mossto 
denselben Weg zurücklegen. Den Männern gab er je L. 0,80 pro 
Tag, den Frauen L. 0,40. Da ihm jedoch plötzlich der Opanke kam, 
die Frau möchte wegen der Last, die sie trug, den Schritt unterwegs 
verlangsamen, so zählte er die Minuten jedes Weges. 

Wenn die Männer mit beträchtlichen Löhnen wie mit L. 3,50 
bis L. 4 täglich bezahlt werden, dann verändert sich das Verhältnis, 
weil man oft den höchsten Gewinn, nach dem die weibliche Arbdt 
trachten kann, auf L. 1 normiert. Allein die Energie einiger Rassen, 
wie die romagnolische, und die Möglichkeit, sich zu koalisieren, wie 
es in den grossen Ebenen vorkommt, verändert« in einigen Fäll^ 
diese Bedingungen. So hielten die Arbeiterinnen in den Reisfeldern 
im bolognesischen Gebiet viele Jahre hintereinander fest an Auf- 
ständen und Striken, bis sie einen Lohn erhielten, wie er denen 
gebührt, die L:^ben und Gesundheit den schädlichen Ausdünstungen 
der Reisfelder aussetzen, d. h. eine Maximaleinnahme von L. 3,50 
bis zum Minimallohn von L. 1,50 pro Tag. 

Ein Beispiel gerechter Auflehnung haben kürzlich die toska- 
nischen Strohflechterinnen gegeben, aus deren Händen jene unver- 
gleichlichen Florentiner Strohhüte hervorgehen, die in der ganzen 
Welt gesucht sind. Es sind 60 bis 80 Tausend Arbeiterinnen; und 
nicht klug gemacht durch die Zahl, drückte der Mann sie so weit 
herunter, dass er ihnen für 12 stündige Arbeit L. 0,20 und schliess- 
lich L. 0,10 bot! 

Ich brauche hier nicht die Eintracht und Energie zu wieder- 
holen, welche so viele Tausende von Frauen beseelte, welche fest 
vereint im Strike, der öff'entlichen Gewalt und den demütigenden 
Anerbieten spottend, laut nach Gerechtigkeit riefen, gestützt und 
getragen von der ganzen Bevölkerung. 

In zwei Industriezweigen wird die italienische Arbeiterin ge- 
bührend bezahlt — : in den Tabaksmanufakturen und in der Korallen- 
bearbeitung: dort überschreitet der Tageslohn 2 Lire, hier geht er 
bis zu L. 5, — aber ihre Arbeit ist auch ein Kunstwerk. 

Im Uebrigen gebe ich hier einige Ziffern über einige der Haupt- 
industrieen, aus denen leicht ersichtlich ist, wie die Frau im Allge- 
meinen bei gleicher Arbeit die Hälfte des männlichen Lohnes erhält, 
und noch weniger. 

In den Schmelz- und Ziegelöfen von Udine erhalten Männer, 
die mit dem Sortieren beschäftigt sind, L. 2,40, Frauen L. 0,80. 

In den Stearinkerzen- und Schwefelsäure -Fabriken zu Pisa: 
Handlanger L. 1,90, Frauen L. 1,10. 

In der Seifenfabrik zu Ferrara: Arbeiter etwa L. 3, geübte 
Arbeiterinnen L. 1,50 (wie die Lehrlinge). 

In der Mandelkuchenfabrik zu Cremona : Männer L. 2,40, Frauen 
L. 0,80. 

In den Konfitürenfabriken in Bologna: Männer L. 2,23, Frauen 
L. 0,47. 

Nudelfabrikation in Rom: Männer L. 3,20, Frauen L. 1,50. 

Seidenindustrie zu Cuneo (ganz von Frauen unterhalten): von 
L. 1,30 bis L. 0,35. Dasselbe in Novara: von L. 0,80 bis L. 0,50. 



^ 207 — 

Dasselbe in Udine: Männer L. 2,75, Frauen L. 0,90 bis L. 0,50. 
Dasselbe zu Teorti. 

Feuerwerksarbeiter L. 4. Seidenarbeiter L. 1,65. Spinnerinnen 
«rster Klasse L. 1,10, Reinigerin der Kokons L. 0,35. Dasselbe 
in Teano. 

Handlanger L. 1,25, Spinnerinnen ersten Ranges L. 1, Kokon- 
Reinigerin L. 0,30. Dasselbe in Caserta. 

Für Herausziehen und Drehen der Seide: Männer L. 2,50 bis 
Li. 1,20; Frauen L. 1 bis L. 0,30. 

Weberei: geübte Arbeiter L. 5,40; Lehrlinge L. 2,15; geübte 
Arbeiterin L. 1,55. 

Wollenspinnerei zu Novara: Männer L. 2, Frauen 1,60. Das- 
selbe zu Arezzo: Männer L. 3,50 bis L. 1,49, Frauen L. 2 bis 
li. 0,60. 

Baurawollenspinnerei zu Mailand: erwachsene Arbeiter L. 2,40; 
-erwachsene Arbeiterin L. 1,50. Dasselbe in Genua: Männer L. 3,50, 
Frauen L. 1,20. 

Baumwollen - Industrie zu Salerno: Männer L. 2,25, Frauen 
Li. 0,80. Dasselbe zu Bari: geübte Spinnerin L. 1,35 bis L. 0,70; 
Appretierer L. 4,66 bis L. 1,50; Handlanger des Färbers L. 1,50 
bis L. 1. 

Hanfindustrie zu Bologna: Frauen L. 1 bis L. 0,54, Männer 
Xi. 4 bis L. 1,75. Dasselbe in Salerno: Frauen L. 0,80 bis L. 0,60, 
Männer L. 4 bis L. 2,25. 

Bearbeitung des Steinflachses : Männer L. 2 bis L. 1,60, Frauen 
X. 1,38 bis L. 0,60. 

Häute- und Leder-Industrie zu Porto Maurizio: Männer L. 3,75 
bis L. 2,50, Frauen L. 1,25 bis L. 0,80. 

Schuhwaarenfabrikation zu Parma: Zuschneider L. 5, Hülfs- 
Arbeiter L. 3,75; Lehrlinge (12 Jahre) L. 1,39; Frauen, Hand- 
stickerinnen und Maschinennäherinnen L. 2 bis L. 1,50; weibliche 
Lehrlinge (12 Jahre) L. 0,80 bis L. 0,40. 

Glasfabrik zu Corino : männliche Aussonderer L. 2,50, weibliche 
Aussonderer L. 1,50. 

Papierfabrikation zu Navara: Männer L. 2,28, Frauen L. 1,50. 
Dasselbe zu Mantua; Arbeiter L. 1,60, Arbeiterinnen L. 1. etc. 

Fast die ganze Arbeit der Seidenfabrikation ist in Händen der 
Frauen. Die Webeindustrieen werden schon nach altem Brauch in 
weibliche Hände gelegt. 

Von weit her kommen sie in die Fabrik, wo sie offiziell vom 
12. Lebensjahre an zugelassen werden. Sie arbeiten dort 12 — 18 
-Stunden. Die Kokonreinigerin, gewöhnlich noch ein Kind, reibt den 
Oeifer von den Kokons ab und wirft diese der Spinnerin zu, welche 
flie in einer Schüssel mit angewärmtem Wasser einweicht. Diese 
Arbeit scheint sehr einfach! nur steht das Kind 12 Stunden, und 
alle atmen die übelriechenden, Ekel erregenden Dünste ein, welche 
von den eingeweichten Kokons herrühren. Um den Schaden auszu- 
gleichen, den in diesem Falle der menschliche Organismus erleidet, 
wäre eine reichliche und gesunde Kost notwendig, das ist aber nicht 
der Fall, wie es auch der Anblick jener Erwachsenen sagt, die seit 
Jahren den Wirkungen solcher Luft ausgesetzt sind — sie sehen 



— 208 — 

blutarm aus, haben tiefe Ränder unter den Augen, weisse Pleisch- 
farbe am Gesicht und den halbnackten Armen, die man marmorn 
nennen könnte, wenn diesem Adjektiv nicht die Welkheit des Fleisches 
widerspräche. Die Kinder, welche rachitisch und bleichstichtig bleiben, 
deren Knochen missgestaltet werden, deren Adern erschlaffen, deren 
Lungen vom Staub verletzt und von der mangelhaften Ernährung 
geschwächt werden, sind leicht eine Beute der Tuberkelbazillen. Die 
Wöchnerin, welche sich in dieser traurigen Luft umherschleppt, 
nachdem sie ihr Neugeborenes in das Findelhaus gebracht hat, und 
ihre Nahrung versiegen lässt, weil die Säugezeit, welche ihr ein Jahr 
lang Brot verschaffen würde, es ihr für die übrige Lebenszeit nähme, 
indem sie ihren Posten in der Spinnerei verlöre; und die Puerperal- 
Tnfektion, die unter diesen Bedingungen so leicht erworben wird — 
und die Verwüstungen des ganzen Organismus, die daraus entstehen, 
— endlich der Tod so vieler unschuldiger Kinder im Findelhaus — 
Alles dies bildet einen so tiefen menschlichen und sozialen Schmerz, 
dass er sogar das Herz der Reichen und der Gesetzgeber rührte. 
Sie fingen an, der Frauenarbeit ihre Protektion zuzuwenden. Ich 
gebe ein Beispiel davon: 

Die weiblichen Kinder von 12 — 15 Jahren sollen weniger Arbeits- 
stunden haben, z.B. die Hälfte: so teilte man die Arbeit eines Tages 
bei halber Bezahlung für jede Einzelne unter 2 Mädchen. Aber 
dann verlieren diese ja die Hälfte des geringen Brotes, das sie zuerst 
hatten, und ihr Körper ist nun in gleicher Weise vom Hunger ver- 
zehrt, wie er es früher von der Arbeit war. — Die Wöchnerinnen 
sollen während der Wochen zu Hause bleiben, weil das von der 
eigenen Mutter 30 Tage lang ernährte Kind dann dem Brei und der 
künstlichen Ernährung besser widerstehen kann ; und so hat man eine 
Verminderung der Sterblichkeit um 5 Prozent. 

Das ist wahr: Nur hat die Frau während dieser 30 Tage, in 
denen sie der Nahrung, der Ruhe und Sauberkeit bedürfte, nicht 
einen Sou um zu essen. Und angstvoll klopft sie an die ThUr der 
Fabrik, weil der Hunger an ihr zehrt, während sie ihr Kind stillt. 
Die Männer sind noch stolz darauf, dass sie zu dem kleinen Mädchen 
sagten: Ruhe Dich aus! und zur Wöchnerin: Ruhe Dich aus! Aber 
es sagte ihnen schon jemand vorher, und mit viel vernehmbarerer 
Stimme. Die Natur sagte es zu ihnen und wiederholte es ihnen 
täglich. — Und wenn jene, trotz so stechender Warnung, zur Thür 
des Arbeitshauses zurückeilen, so heisst das, dass sie Hunger haben! 
Und nur hier kann Eure Protektion nützen! 

Vom Arzte kam das barmherzige Wort. Der ausgezeichnete 
Pariser Geburtshelfer, Professor Pajot, schlug in der Sitzung vom 
3. April 1891 der Gesellschaft für Geburtskunde dort — im Lande 
der grossen humanitären Bestrebungen — eine Entschädigung von 
Seiten des Staates für die Wöchnerinnen unter den Arbeiterinnen 
vor. Aber die Ausgabe hätte sich auf jährlich sechs Millionen be- 
laufen; und die Republik, die früher zwanzig Millionen jährlich für 
einen einzigen Capet aufbrachte, entschloss sich nicht zu der unge- 
heuren Summe. Die anderen Nationen erörterten die Sache nicht 
einmal. Und so bleibt hier wie dort als einzige Konzession, als 
einziger Schutz für jene Frauen: das Fernbleiben von der Arbeit. 



— 209 - 

Und doch entstammt ihrem Schosse das Volk, und aus ihren 
Brüsten qaillt seine erste Nahrung. 

Auch sie handhaben die Arsenik-, Blei-, Zink-, Quecksilber- und 
Phosphorpräparate, und — beweinenswerte Ironie — sie vergiften 
ihren Körper, um ihn zu erhalten, und den Hunger stillen sie mit 
einem Brote, das ihren Eingeweiden die Bleikolik geben wird. 

Hier finden sich viele Züge der Gleichheit zwischen dem weib- 
lichen und männlichen Arbeiter; gleiche Stundenzahl für die Arbeit, 
gleiche Produktion. Zuerst beide gleich stark und gesund, dann in 
gleicher Weise von grässlichen Schmerzen gequält und gleich auf- 
gedunsen und gelähmt durch die giftige Aktion der Substanzen, die 
sie bearbeiten, und schliesslich beide unfähig zur Arbeit, bis sie, in 
den Geistesfunktionen getroffen, stumpfsinnig und wahnsinnig werden. 

Aber in anderen Zügen sind sie wesentlich verschieden. Die 
Natur wies jedem von ihnen ihre Aufgabe an, die ihren Kräften 
angemessen war. „Mit Schmerzen sollst du Kinder gebären", und 
im Seh weisse deines Angesichtes sollst du dein Brot essen." Man 
möchte meinen, dass ein Wesen, auf dem beide Sentenzen lasten, 
doppelten Lohn seiner Arbeit finden müsste. Statt dessen — ist es 
Verbrechen oder Dummheit? — erhält die Frau bei gleicher Produktion 
so viel niedrigere Löhne als der Mann. Für den Augenblick ist 
ihr Einsatz an Gesundheit gleich, aber betrachten wir die Folgen! 
Beim Manne Schwindsucht, Lähmungen, bei der Frau Schwindsucht, 
Lähmung und Fehlgeburten. Cardieu hat herausgefunden, dass bei 
den Bleiarbeiterinnen 60 Prozent Fehlgeburten vorkommen, und 
Kussmaul, Colsan, Hirt kamen zu denselben herzzerreissenden Re- 
sultaten bei den Quecksilber-, Anilin- und Arsenikarbeiterinnen. 
Und während gewöhnlich das Verhältnis der Totgeborenen zu den 
Lebendgeborenen 3 Prozent beträgt, kommt es zu 17 Prozent bei 
den Kindern der Arbeiterinnen, selbst wenn sie nur wenige Monate 
mit Blei, Arsenik oder Phosphor zu thun gehabt haben. — Was 
die Lebendgeborenen betriflFt, so erreicht die Sterblichkeit, die bei 
den ärmeren Klassen zwischen 25 und 30 Prozent schwankt, bei 
den Kindern der Bleiarbeiterinnen 45 Prozent und bei den Queck- 
silberarbeiterinnen 65 Prozent. 

So, ruft Hirt aus, können von 100 Kindern dieser Arbeiterinnen 
nur 35 das 2. Jahr erreichen. 

Wenn wir nun die Folgen der Arbeit mit denen des Lasters 
vergleichen wollen, so finden wir mit Forbera, dass bei den von 
Syphilis angesteckten Frauen die Fehlgeburten 28 Prozent betragen. 
Die Arbeit ergiebt also mehr als den doppelten Prozentsatz für 
Fehlgeburten, als das Laster. 

Und doch, wie viele Gesetze über die Prostitution, und zu gleicher 
Zeit, wie viele Beleidigungen der menschlichen Würde, wie viele 
grausame Bedrückungen des entarteten Elends — weil die Prosti- 
tution nach oben hindringt und die Reichen treffen kann. Aber 
kein energisches Gesetz tritt den Verheerungen entgegen, welche 
die Arbeit verursacht, weil diese niemals zu den Klassen hinauf- 
steigt, welche von oben herab Gesetze diktieren. 

Der in Arbeit und Elend Aufgewachsene, der Phosphorarbeiter, 
dessen Knochen verkrüppelt sind, geht frei durch bei der Aus- 

U 



— 210 — 



-bebnng, bat also eine Tyrannei weniger. Die aus denselben Gründen 
entstellte Frau kann nicht, wenn sie Mutter wird, auf natarlichem 
Wege entbanden werden. Und dann kommen die Heilmittel der 
Gesellschaft: die Hospitale, Orte der Schani, die vom Manne er- 
richtet werden, um seine ungeheuerliche Schuld zu verbergen. Nie- 
mand soll die Hand des Chirurgen sehen, der der Frau den Leib 
aufschlitzt, welcher Gott hiess zu gebären. Niemand soll das Kind 
durch Aufschlitzen des Leibes der Mutter herausziehen sehen, nnd 
die Stiche, welche der Arzt machen rausste, um jene Wunde wieder 
zuzunähen, welche Hunger und Blend geöffnet haben, sollen ver- 
borgen bleiben. Die Wissenschaft bleibe ein Geheimais, und Nie-" 
mand soll wissen, dass die Tuberkulose oft durch Hunger entsteht, 
seltener durch Laster, und dass die Infektionen da einen guten 
Boden linden, wo die Ernährung nicht genügend ist, und man baut 
grosse Häuser, die dem Publikum nicht zugänglich sind; da schneidet 
man jene tuberkulösen Knochen und giebt den Fiebernden den 
Bissen Brot, der ihnen vorher mangelte — wie dem Hunde. Wehe, 
wenn auf der öffentlichen Strasse die Kranken aufgereiht würden 
und die Wissenschaft eine öffentliche Religion wäre! 

Wenn nun an erster Stelle in einem Kongress weiblicher Ge- 
müter eine Ausgleichung Erfordernis ist, so ist es die, welche die 
Arbeiterin betrifft. Die menschliche Würde, die Gerechtigkeit, das 
Mitleid, das sind die Grandforderungen. An erster Stelle ist es 
würdig, human, gerecht und mitleidig, den Lohn der Frauen dem 
der Männer gleichzustellen. Für den Augenblick können wir nichts 
weiter verlangen. In kunwm werde ich einen dieses Ziel erstre- 
benden Vorschlag zur Tagesordnung machen. Wenn wir vom öffent- 
lichen Mitleid etwas erhofften, so würden wir nicht weit kommen, 
abgesehen davon, dass wir die Arbeiterin, welche Achtung und B&- 
lobnung verdient, herabziehen würden. Die grosse Congregazione 
di Caritä zu Rom, die doch reich und nur auf den Schutz treuer 
Katholiken beschränkt ist, lässt eine arme Mutter, die in Noth ist, 
mehrmal die Treppen hinanf- und bin untersteigen, ehe sie ihr die 
monatliche Pension von L. 3,50 bewilligt. Pas römische Komitee 
Soccorso e Lavoro, aus Damen der Hofgesellschaft bestt^hend, 
giebt im Verhältnis zum Bedürfnis nur recht wenigen Frauen 
Arbeit; auch geben sie nicht mehr als täglich eine Lira; sie 
verteilen auch Bons für die zu ihrem Institut gehörigen 
Volksküchen, die, trotzdem sie ausgezeichnet sind, nach den Be- 
rechnungen des Doktor Memmo, nicht über die Voitsche Durch- 
Bcbnittsernährung von L. 0,60 pro Tag ergeben. — Wenn wir nun 
annehmen, dass eine Mutter von zwei Kindern bei den römischen 
Damen arbeitet, wenn wir bedenken, dass sie die Miete bezahlen 
und den kleinen Haushalt bestreiten muss, so sehen wir doch reiit 
Schmerz, wie die mangelhafte Ernährung selbst bei diesen durch 
die Protektion liebenswürdiger Damen bevorzugten Frauen andauert. 
Es ist sicher schon ein grosser Schritt vorwärts, lieber Arbeit 
als Almosen zu geben, aber ein vollkommener Fortschritt wäre es 
erst, die Arbeit besser zu verteilen. Ein Prinzip der Lohngleichheit 
aufzustellen, hiesse den dürftigen Familien viel Geld in den Schoss 
werfen und zwar nicht einmal mit dem beschämenden Schatten der 



— 211 — 

Barmherzigkeit — sondern nur mit dem würdevollen Heiligenschein 
des Rechtes. Es ist leichter, dort eine angemessene Hülfe zu leisten 
durch Proklamation eines Anfangs von oben herab als durch ein 
weitgehendes universelles Almosen; denn um ein Recht zu be- 
willigen, genügen wenige Herzen, — zur öffentlichen Wohlthätigkeit 
tragen die Herzen einer ganzen Kaste bei, die das Elend nicht 
versteht. 

Es könnte hier der Einwurf gemacht werden: Der geringere 
Lohn, mit dem die weibliche Arbeit bezahlt wird, stellt eine Kon- 
kurrenz zu Gunsten der Frau her. An erster Stelle verstehe ich 
diese Massen-Konkurrenz nicht. Ich stelle mir eine Familie vor, aus 
Mann und Frau bestehend und sehe in dieser Konkurrenz, dass der 
Mann nichts thut, und die Frau arbeitet; und zwar um die Hälfte 
des Lohnes. Diese Konkurrenz ist niedrig, schmachvoll für den 
Mann, der aus der weiblichen Sanftmut und G^eduld Nutzen zieht, 
schmerzlich für den Mann, der seine starken Arme zur ünthätigkeit 
gezwungen fühlt. Niemals ist der geringe Lohn der Arbeiterin 
human, nie ist er Nutzen bringend. Er ist ein Staub, der in die 
geblendeten Augen gestreut wird, ein Vor wand, die Reichen zu be- 
reichern. Schmachvoll, vorteilhaft ist es für einen Besitzer, der 
Frau die Konkurrenz mit dem Manne zu eröffnen, indem er ihi' 
weniger Lohn giebt und dieselbe Arbeit dafür erhält. Und in 
letzter Hinsicht ist die Hälfte des Geldes, das für die Auszahlungen 
bestimmt war, und das in seiner Tasche bleibt, die Hälfte weniger 
für die hungernden Klassen. 

Der Handel, der mit weiblicher Geduld spekuliert, ist einer der 
verbrecherischsten Züge, welche in der modernen Gesellschaft existieren. 
Und Euch, Ihr Frauen des ganzen Erdkreises, die Ihr Euch hier 
vereinigt habt, um unsere Interessen zu besprechen, Euren Herzen 
stelle ich dieses Problem anheim, dieses Problem menschlicher Ge- 
rechtigkeit; Euch, die Ihr wisst, wie vielen Leiden unser Körper 
nnterworten ist, Euch, die Ihr wisst, wie auf uns allen die drückende 
Ungleichheit mit dem Manne lastet. Euch, die Ihr sicher in die 
Wohnungen der Armen eintratet und sähet, wie viel schwerer noch 
derartige Bedingungen dort lasten, wo die Schatten des Elends die 
rohen Gemüter der Männer noch mehr verdunkelten, die nie auch 
nur die geringste Ritterlichkeit lernten, — an Euch stelle ich die 
Forderung, jene unterdrückten Frauen zu befreien! denn sobald der 
Mann weiss, dass sie so viel verdienten, wie er, wird er sie auch 
höher achten; ihr moralisches Gefühl wird sich heben und ihr Leben 
wird erleichtert sein, denn sie werden besser für ihre Erährung und 
sonstigen Bedürfnisse sorgen können; und vielleicht retten wir so 
manches kleine Mädchen aus dem Findelhause, das später sich schlechtem 
Lebenswandel ergeben hätte. 

Wenn es den Arbeitern, welche in der Kammer ihren Vertreter 
haben und ihre Stimme bei der Gesetzgebung vernehmbar machen 
können, gelingt, ihre Lage zu bessern, und das — auf Grund des 
von mir verteidigten Prinzips, so wird das mit gleicher Wohlthat 
auch auf die Arbeiterin zurückfallen. 

Euch überlasse ich es, zu beurteilen, ob es möglich ist, sofort 
solche Gleichheit auf die weiblichen Angestellten der verschiedenen 

14* 



~ 212 — 



Administrationen anazudebnen — und ob es noch in besonderen 
FftUen nOtig ist, den Mädchen die Konkurrenz mit dem Manne za 
belassen. Jedoch mit allen meinen Kräften bestehe ich darauf, dass 
das Gerech tigkeit^prinzip allgemein unterstützt werde: 
„bei gleicher Arbeit gleicher Lohn." — 
Ich bitte daher den Kongress, der Forderung zuzustimmen : 
„man solle in jedem Lande darch die vertretenen Qenossen- 
schaften eine praktische und wirksame Arbeit ins Werk setzen, 
darauf ausgebend, dass die Löhne der Arbeiterinnen in den 
staatlichen und unter staatlicher Eontrolle stehenden Fabrik- 
stfitten (und femer auch das Gehalt der weiblichen Beamten) 
denen der Arbeiter (und der männlichen Beamten) gleich- 
gestellt werde." — 
Dabei überlasse ich es dem Urteile der Komitees, die im Not- 
ta-Ue eingesetzt werden, zu entscheiden, ob, in welchem Maasse und 
wie diese Arbeit bei privaten industriellen Firmen zu machen sei, 
ohne der Konkurrenz zu schaden, die in gewissen Fällen die Frauen 
den Männern in nützlicher Weise machen könnten. 
Rom, September 1896. 



Rapport prösentö au congrös de Berlin. 

Par Madame Vincent, Asnieres (Seine), Secretaire ai^jointe du CoroitÄ 

d'action pour l'extension de la Prud'hommie, Paris; Pr6sidente du 

Groupe Feministe: L'Egalite; dälegnee des sociales fäministes, 

d^l6gu6e des associations coopßratives de Production de Paris.*) 

Messieurs, Mesdames, 

Lorsque nons avons regu des dames organiaatriees du congres 
de Berlin une invitation ä participer aux travaux du congrea, nous 
avons repondu immediatemeot que notre sociöt^ enveirait une del6- 
gu6e afin de manifester Tinteret que les fransaises apportent dans 
toutes les questioos feministes sans diatinction de national! t^s. 

Je vous apporte les saluts fraternels de nos soeurs de France, 
des soeietes feministes qui m'ont fait l'honneur de me donner mandat 
de les representer au congrea de Berlin. 

Je suis profondement emne et touchee de l'accueil si sympathique 
qui m'cät fait ici; au nom des soeietes que je repr^sente, en mon 
nom personnel merci. 

Partout oü les ferames peuvent se faire entendre nous devons 
Clever nos voix, car dans presque tous les pays les souffrances des 
femmes sont les memes, et les revendications sont mores pour 
aboutir. 

Je traiterEd aujourd'hui une question dont je m'occupe depuis 
dix ans dans les congres ouvriers frangais: „de l'admission des 
femmes dans les conseils des Prud'hommes comme ^lecteurs et 
eligibles." 



*) Madame Tincent a representä 103 Societöa et Associations. 



— 213 — 

Rapport ä la Prnd^hommie« 

Nons poss^ons en France une Juridiction, qui n^a pas, je crois, 
d^eqnivalent en AUemagne. Je veux parier des conseils de Pnid- 
hommeSy tribonaux ])articn1iers, appeles ä regier les differents qui 
peuvent s'61eyer entre les patrons et patronnes d^ane part et les 
ouvriers et oavrieres de Uautre. Ces tribnnaux exceptionnels, dont 
les membres sont nommes par les patrons et par les ouvriers, n'ont 
rien de bien nouveau; nous trouvons des traces de leur existence 
au meyen-äge, leur composition seule a ^t^ modifi^. Ils ont rem- 
plac^ dans les differents qui s'elevent parfois entre les employeurs 
et les employesy les Jur^s ou gardes, qui, dans les corporations 
d^autrefoiSi tranchaient les contestations qui se produisaient entre 
les patrons et ouvriers des deux sexes. 

Nons allons rapidement donner un apergu de la Situation que 
les femmes oecnpaient dans les corporations et qui peut servir ä 
une etude sur la Prudhommie. 

Le plus ancien document que nous ayons pu retrouver rela- 
tivement aux prudhommes, date de la fin du X Ille siecle. En 1285, 
le conseil de la ville de Paris nomma vingt-quatre prudhommes 
charges d^assister le prt^vot des marchands et ^chevins, afin de juger 
en dernier ressort toutes les contestations qui pourraient s'^lever 
entre patrons et ouvriers. 

Pendant longtemps, Paris fut seul en France ä poss^der pa- 
reille Institution. Les prud'hommes pecheurs ne furent institues ä 
Marseille et dans d'autres ports que deux siecles plus tard, en 1452. 
Quelques ann^s apres, le 20 avril 1464, un edit de Louis IX 
octroyait „pouvoir aux manants, bourgeois et babitants de la ville 
de Lyon de commettre des prud^hommes süffisant ä regier les con- 
testations qui pourraient se produire entre les fabricants de soie et 
lenrs employ^.** 

Les prud'hommes et les prud 'femmes ou jures et jurees, visi- 
taient quatre fois par an tous les ateliers, magasins etc., afin de se 
convaincre que les patrons respectaient leurs engagements vis-ä-vis 
des ouvriers et n'exerQaient pas d'autre metier que celui qu'auto- 
risait le r^Iement. Dans le bureau de cbaque Corporation lesnoms 
de ces prud^hommes ^taient inscrits, afin qu'on put les appeler en 
cas de contestation. 

Sous Tancien regime, les corporations feminines etaient nom- 
breuses et elles ^ient arriv^es a proteger assez efficaceraent Tou- 
vriere contre un travail excessif. 

A Lyon, par exemple, les fileuses de soie, qui formaient deux 
corporations distinctes: celles ä grands ou ä petits fuseaux, ne pou- 
vaient travailler ni les dimanches, ni les jours de foire, ni les jours 
färi^. Le travail de nuit etait egalement interdit sous pretexte 
que le travail ainsi fait etait inferieur a celui fait de jour. 

Les Gontrats d'apprentissage se passaient devant les prud 'femmes 
ou, ea leur absence, devant trois ouvrieres qui pouvaient, en cas 
de contestation, certifier de sa legalite. 11s etaient generalement 
pa8s69 poor une p^riode de sept ans. 

Dans certains cas, les corporations allaient jusqu'ä fixer l'origine 



— 214 -^ 

de la matiere prämiere employee. Ainsi pour certaines especes de 
soieries, les tisseuses, maitresses ou ouvrieres, ne pouvaient acheter 
leur soie qu'ä des marchands parce que, venant de l'^tranger, eile 
etait tres coüteuse. Cette Corporation ^tait repr^ent^e au Chatelet 
par trois prud'femmes ou jur^es, düment asserment^. 

La Corporation des tisseuses de soie, d^or et d'argent, avait des 
reglements analogues et egalement trois prud'femmes pour la re- 
pr^enter. 

La Corporation des ouvrieres en tissu de soie (rubannerie, etc.) 
n'acceptait que des femmes ayant travaille dejä un an apres leur 
apprentissage. Elle etait representee par trois maitres et trois 
maitresses jures et assermentes. Elle interdisait egalement le travail 
de nuit, des dimanches et jours feries. 

A Lyon, les maitresses ouvrieres tisseuses de soie, devaient 
payer un droit d'admission de 200 livres. La Corporation ne per- 
mettait d'engager des jeunes filles que pour un an au moins, le 
logement restant a la Charge du patron. Elle etait devenue assez 
influente pour obtenir du pouvoir l'insaisissabilite, par les collecteurs 
d'impot, de leurs metiers et matieres premieres. 

Certains corps de metiers avaient un hopital ä eux. D'autres, 
comme la corporation des orfevres, accordaient aux veuves de leurs 
membres un secours qui variait de 7 sous ä 15 livres ou en nature. 

Dans la corporation des tapissiers existait egalement un regle- 
ment protecteur de la femme qui allait meme jusqu'ä interdire le 
travail aux femmes enceintes. 

Jusqu'a la fin du XVlTe siecle, les hommes et les femmes tra- 
vaillaient indistinctement pour la confection pour dames. En 1675, 
les couturieres adresserent une supplique au roi ayant pour objet 
l'institution d'une „communaute de couturieres en tous ouvragespour 
femmes et enfants et Tinterdiction de ce metier aur tailleurs".*) A 
cette date elles etaient au nombre de 4000 ouvrieres et 1500 
maitresses-ouvrieres reparties en quatre catögories. Louis XIV 
s^occupa personnellement de Tafifaire, parait-il, et rendit la meme 
annee un edit instituant la communaute des couturieres de Paris 
„avec tous Privileges requis pour la conservation et la prosperite du 
metier."**) Les tailleurs s'emurent et protesterent devant le Par- 
lement. Mais neuf ans plus tard en 1685, un arret notable de la 
Cour du Parlement deboutait absolument les maitres tailleurs de 
leurs reclamations. 

Cette corporation etait administree exclusivement par des femmes, 
trois „syndiquees"ou „deputees" et trois adjointes; c'etait aux prud'- 
femmes du mutier de regier toute contestation y sur venant. L'in- 
spection obligatoire des ateliers etait faite par des visiteuses elues 
par Mesdames les deputees de la communaute. 

Des Tedit de 1675, ä limitation de Paris, de nombreuses com- 
munautes de couturieres sefonderent enprovince: ä Ronen, Chartres, 



♦) G. Levasnier. Papiers de famille professionelle. L'ancienne 
communaute des couturieres de Paris et le syndicat actuel de Paiguille 
1675-1896 1 broch.l ;Oudin, 10, rue de Möziöres, Paris 1896. 
**) Levasnier p. 4. 



— 215 — 

Alen^OD, Blois, Orleans, Poitiers, Nancy, Tours, Limoges, Bordeaux, 
üijon, Lyon, Besan^on etc. etc. 

Une autre Corporation de femmes etait aussi tres puissante, 
Celle des lingeres. Toute Tadministration et la responsabilite ä en- 
courir regardaient des femmes seulement. Ainsi, nous avons trouv^ 
un acte notari^ pass6 le 19 juillet 1745, concernant cinq femmes 
lingeres de Paris et des faubourgs, jurees prud'femmes de la com- 
munaute. Elles avaient procuration de ladite Corporation pour em- 
prunter devant Mr. Dubois, notaire, 40000 livres. Et il est dit 
express^ment que les biens personnels de ces lingeres garantissent la 
restitution de la somme pret^. 

Apres la suppression, en fevrier et mars 1776, de toutes les 
corporations, Tavis du mois d'aoüt de la meme annee qui les r^ta- 
blissait, introduisait aussi quelques modifications dans leurs r^gle- 
ments Interieurs. 

Ainsi nous trouvons dans les Statuts datant de 1782 de cette 
meme corporation des lingeres, les articles suivants: „Les femmes 
qui doivent representer la communaute aux termes des articles 18, 
19 et 20 de Tedit du mois d'aoüt 1776, seront choisies dans TAs- 
semblee generale." 

„Lorsque dans les contestations relatives au commerce ou ä la 
profession il sera question de nommer des arbitres, soit par les 
parties, soit d'office, lesdites arbitres ne pourront etre prises que 
parmi Celles qui auront ete deputees de la communaute." 

„Tl sera distribue pour honoraires d'assistance aux assemblees 
ordinaires k chaque syndiquee et adjointe, deux jetons de presence 
de la valeur de 40 sols et a chaque deput^e un jeton de meme 
valeur. Un quart doit etre preleve sur le droit de reception, de 
maitrise et d'oeuvres, sur les quetes et les dons pour le soulagement 
des femmes pauvres du metier." 

Seules, les marchandes lingeres et les jurees maitresses, lingeres, 
toilieres, avaient le droit d'acheter a la halle aux toiles de Paris. 
11 leur etait inttrdit d'acheter des toiles ou autres marchandises 
Sans qu^elles aient passe par le bureau ou la halle, et ce, sous peine 
de 100 livres d'amende. 

Nous ne voulons pas nous etendre plus longuement sur ce sujet, 
croyant avoir suffisamment montre qu'avant la Revolution, les femmes 
avaient, dans leurs corporations, tres exactement les memes droits 
que les hommes. De meme que ces demiers, elles elisaient des de- 
leguees chargees de les representer aux assembleas communales, 
provinciales et aux etats generaux. 

Mais, en 1789, elles disparurent. Comme premiere att einte aux 
droits corporatifs, les ^tats generaux ne furent pas convoques suivant 
la forme habituelle. „Au lieu d'appeler les corporations ä se reunir 
Selon Tantique tradition, par groupements, pour la redaction de ca- 
hiers speciaux, on leur prescrit de prendre part aux assemblees de 
district, C etait les disqualifier et couper court a des revendications 
redoutees, en les absorbant dans la masse du Tiers-Etat." *) 



♦) G. Levasnier, p. 40. 



— 216 -TT 

Des commnnautes d'hommes et de femmes protesterent, mais 
vainement. 

Deux ans plus tard, en 1791, les corporations etaient sapprimees. 

En 1806, lorsqae Napoleon organisa les conseils de pnid'hommes, 
les femmes furent oubliees et depuis lors jusqu'a nos jours, elles 
sont soumises ä la juridiction des ouvriers et des patrons seuls eins. 

Cependant, les protestations s'eleverent nombfeuses et un peu 
dans tous les milieux. On peut en tronVer quelques traces dans un 
ouvrage de Mme. Juliette Lambert: 

„Si nous desirons la partieipation des femmes ä la pratique de 
la justice quand il s^agit des hommes, ä plus forte raison la desi- 
rons-nous quand il s^agit desinterets feminins, par exemple dans les 
tribunaux de prud'hommes. 

Quand il s'agit d'etats exerces par des femmes, ne conviendrait- 
il pas que parmi les juges qui ont ä prononcer un jugement sur 
les rapports des entrepreneurs ou entrepreneuses avec leurs ouvrieres, 
les femmes soient representees? C'est au point de vue de la com- 
petence aussi bien qu^au point de vue de Tequite." 

En 1890 la question de la prud^homie fut serieusement reprise 
au point de vue feminin. Cette annee fut discutee aux Chambres 
la reorganisation des conseils de prud'hommes. M. de Gast^, depute 
de Brest, deposa un amendement ainsi con(ju au projet du gouver- 
nement: „Les hommes et les femmes sont electeurs et eligibles aux 
conseils de prud'hommes. " Apres une longue discussion, Tamende- 
ment de M. de Gaste, legerement modifie, fut enfin adopte par la 
Chambre. 

Lorsque 3a discussion de la loi vint au Senat, Mr. Deraole qui 
fut nomme rapporteur, s'eleva contre Tadmission des femmes comme 
electeurs et eligibles : „Les femmes, „dit-il dans son rapport," doivent 
etre etrangeres a toute partieipation aux affaires publiques, l'har- 
monie et la poesie de la famille seraient troublees si les femmes 
prenaient part aux elections des Prud'hommes." 

Malheureusement le senat adopta les conclusions du rapporteur, 
actuellement nous attendons que la loi soit presentee de nouveau 
devant la chambre et le senat. 

Depuis nous avons constamment reclame pres des pouvoirs pu- 
blics. Ainsi que nous venons de le demontrer, les femmes autrefois 
jugeaient toutes les contestations qui s'^levaient entre les patronnes 
et les ouvrieres dans les corporations de femme. 

L'admission des femmes comme Electeurs et eligibles dans les 
conseils des Prud 'hommes serait simplement la restitution du droit 
dont elles jouissaient avant 1789. 

En 1894 le comite pour l'extension de la Prud'homie a ete 
fonde par les syndicats ouvriers et diverses societes, nous avons 
rhonneur d'etre Tun des secreteires de ce comite. 

Bien que fonde depuis peu le comite a cependant mene une 
campagne tres active et a vu ses resolutions adoptees par le congres 
des chambres syndicales de France. 

Aujourd'hui tous les conseillers Prud'hommes sont unanimes a 
reconnaitre la legitimite de nos revendications et tous les congres 
ouvriers tenus en France se sont prononces dans le meme sens. 



— 217 — 

Kons donnons le projet de loi presente par le comite d^extension 
de la Prod^hommie, adopte an congres des chambres syndicales tenn 
ä Nantes en septembre 1894. 

Proposltions. 

1. Abolition du serment. 

2. Mandat imp^ratif. 

d. Extension de la jaridiction de la Prud'hommie ä tous les sa- 
lari^s quels qu^ils soient, que le droit de vote soit accorde ä tous 
les travaillears salari6s sans destination de sexe. 

4. Eligibilit^ de la femme. 

5. Fixation de Tage poiir T^lectorat ä 21 ans, ponr r^Ugibilite 
ä 25 ans. 

6. Que la comp^tence des Prud'homraes soit etendue a Tinspec- 
tion des ateliers, pour Thygiene et les accidents. 

7. Que la presidence pour le Conseil des Prud'hommes soit alter- 
native pour le Pr^ident et le Viee-President. 

8. Fixation du mandat des Conseillers a une duree de quatre 
anS| renouvellement du Conseil par moiti^ tous les deux ans. 

9. Que les Conseillers, Prud'hommes et Prud'femmes, ouvriers 
et ouvrieres, soient de droit inspecteurs et inspectrices du travail 
des femmes et des enfants, qu^ils soient retribues par Tetat. 

10. Gratuit^ absolue de la juridiction de la Prud'hommie. 

11. Cr^tion d'un Conseil de Prud'homme dans chaque canton. 

12. Suppression de Tappel devant les tribunaux de commerce. 
Les jugements des Conseils des Prud'hommes soient definitits 

et sans appel. 

13. Le vote pour les elections des Conseils de la Prud'hommie 
aura lieu dans les mairies de chaque ville et village. Nous prions 
le Congres d'emettre un vote sur ces propositions. 

Pour le Croupe, la Deleguee. 

Ouvrages consult^s par Tauteur. 

1. Ren6 de Lespinasses: Les Metiers et la Corporation de la 
Vüle de, Paris. 1892. 

2. Etienne Boileau: Le Li vre des Metiers. 

3. C Levasnier: Les Syndicats de l'Aiguille. 

4. Le meme: Les Metiers et Corporations de la Yille de Paris. 

Die Lage der Handlungsgehllfinnen. 

Von Fräulein Agnes Herrmann, Berlin, Delegierte des kauf- 
männischen und gewerblichen Hilfsvereins für weibliche Angestellte. 

Die Frauenarbeit im Handelsgewerbe existiert in nennenswertem 
Umfange erst seit etwa 20 Jahren und heute zählt man im Deut- 
schen Reich schon 100000 weibliche Handels- und Grewerbegehilfinnen, 
von denen 15000 allein auf Berlin entfallen. Sie üben kaufmän- 
nische Funktionen aus als Buchhalterin, Stenographin, Expedientin, 
Verkäuferin, Kassiererin oder gewerbliche als Zuschneiderin und 
Direktrice. Die Wege zu diesen verschiedenen Berufsarten sind ver- 
schieden. — Stenographinnen und ^4 aller Buchhalterinnen geniessen 



— 218 — 

erst eine theoretische Ausbildung und treten dann ohne eigentliche 
Lehrzeit mit Anfangsgehältern von 15—60 Mk. und darüber in 
das Geschäftsleben ein, während für alle anderen Berufsarten eine 
praktische 3 — 12 monatliche Lehrzeit mit 3 — 20 Mk. monatlicher 
Vergütung üblich ist. 

Die Gehälter differieren später weniger nach der speziellen 
Berufsart, als nach der persönlichen Tüchtigkeit und Leistungs- 
fähigkeit. Brauchbare Kräfte erhalten 100^ — 150 Mk. monatlich, 
doch steigen einzelne besonders tüchtige auch weit höher. Es giebt 
Buchhalterinnen, die 200 Mk. und Verkäuferinnen, die 250 Mk. 
Gehalt beziehen. Dies sind aber Ausnahmen; durchschnittlich besser 
bezahlt werden nur Direktricen, welche gewöhnlich 120 — 180 Mk., 
in besseren Konfektionsgeschäften auch 300 — 350 Mk. beziehen 
und mehr. 

Immer mehr erobern sich die Frauen auch leitende Stellungen, 
man findet sie als Prokuristinnen, Vorsteherinnen von Bureaus, 
manchmal sogar Männern übergeordnet, auch als Leiterinnen von 
Filial-G eschäften. — Für Kassenverwaltung werden sie den jungen 
Leuten direkt vorgezogen wegen ihrer grossen Zuverlässigkeit und 
Treue. Selbst preussische Staatsverwaltungen beginnen ihre Ab- 
neigung gegen die Frauenarbeit zu überwinden, denn der Magistrat 
zu Charlottenburg und Guben beschäftigt bereits Damen für Steno- 
graphie und Schreibmaschine. — Trotz alledem muss zugegeben 
werden, dass auch heute noch die Frau im Handelsgewerbe im 
Durchschnitt schlechter bezahlt wird als der Mann. — Der Haupt- 
grund ist wohl in der grösseren Bedürfnislosigkeit der Frau zu 
suchen, viel aber trägt auch die thatsächlich zu kurze Lehrzeit 
dazu bei. — Einmal schon, weil man leicht Erworbenes nicht zu 
schätzen weiss, so dass viele Frauen, die nicht ausschliesslich von 
ihrer Arbeit zu leben gezwungen sind, dieselbe unter ihrem Wert 
fortgeben, andererseits aber genügt eine theoretische Vorbildung 
oder eine Lehrzeit von 3 — 6 Monaten wirklich nur für die Intelli- 
gentesten, die Durchschnittsbegabung wird dabei nur Minderwertiges 
leisten und kann dann natürlich auch nur geringe Gehälter er- 
werben. 

Es wäre indes falsch, wenn man nun die dreijährige Lehrzeit 
der Knaben ohne weiteres auf die Mädchen übertragen wollte, da 
die Verhältnisse bei uns ganz anders liegen. 

Der rechte Ausweg scheint mir der, welcher in der Brochüre: 
„Die Frau im Handel und Gewerbe" von Jul. Meyer und J. Silber- 
mann vorgeschlagen wird. — „Zweijährige Lehrzeit tür alle die, 
welche nicht mindestens 1 — 2 Jahre auf eine theoretische Vorbildung 
verwandt haben". 

Eine eigentümliche Erscheinung im Berliner Geschäftsleben, 
welche sich immer mehr herausbildet, ist das Saison-Engagement. 
Die Geschäfte, namentlich Detail-Geschäfte, Bazare etc. können oder 
wollen alle die Kräfte, welche die gesteigerte Geschäftsthätigkeit im 
Herbst und Frühjahr nötig macht, in den stilleren Monaten nicht 
bezahlen, zumal die Chefs wissen, dass sie bei dem grossen Andrang 
von Arbeitsuchenden jeden Augenblick Ersatz finden. Nur die 
Tüchtigsten werden behalten, die übrigen nach beendeter Saison er- 



— 219 — 

barmnngslos auf die Strasse gesetzt und Niemand fragt danachi 
wovon sie leben sollen. Zum Ansammeln eines Notgroschens ist 
natürlich das Gehalt zn klein gewesen, und so sieht sich nach 
Weihnachten oder Pfingsten ein ganzes Heer minderwertiger Ver- 
käuferinnen der Not und dem Elend preisgegeben. Kaum die nächste 
Saison kann all^ diese ELräfte wieder absorbieren. Wie so oft wird 
auch hier wieder die schwerste Last auf die schwächsten Schultern 
abgewälzt. 

Auch unter der immer weitergreifenden Arbeitsteilung haben 
die Handlungsgehilfinnen zu leiden, ganz speziell das Personal der 
Engros- und Fabrikgeschäfte, Expedientinnen, Lageristinnen etc. — 
Um die Leistungsfähigkeit der Einzelnen zu steigern, hat jede dort 
ihr fest beschränktes Feld der Thätigkeit, das sie jahraus, jahr- 
ein versieht, über das hinaus der Blick nicht reicht. Schon die 
Lehrmädchen werden oft genug ganz einseitig für die Thätigkeit 
ausgebildet, die sie später ausüben sollen und entwickeln sich so 
vollständig zu Maschinen, dass sie bei einem Stellenwechsel nur 
wieder in einem Geschäft zu brauchen sind, in welchem die Arbeits- 
teilung in ganz derselben Weise durchgeführt ist, wie in dem früheren. 
Es giebt z. B. Wäsche-Geschäfte, in denen ein junges Mädchen den 
ganzen Tag nur Wäsche bindet und etiquettiert, selbst das Legen 
besorgt schon wieder eine andere, und dass eine Expedientin, welche 
die Waren für die Ordres zusammenstellt, keine Ahnung davon hat, 
wie eine Eechnung über eben diese Waren geschrieben wird oder 
ein Frachtbrief aussieht, ist eine ganz gewöhnliche Erscheinung. — 
Man kann sich denken, in welcher wirtschaftliehen Abhängigkeit 
vom Chef solche Kräfte stehen, sie bleiben lieber jahrelang in den 
schlechtest bezahlten Stellungen, ehe sie einen Wechsel riskieren. 
Vor einigen Tagen war ein junges Mädchen bei mir, die seit fünf- 
zehn Jahren als Lageristin im Tapisserie fach thätig ist und ein 
Monatsgelialt von 55 Mark bezieht. 

Noch manches hätte ich zu sagen über Kündigungsfristen, 
Arbeitszeit, G^sundheits Verhältnisse etc., will mich aber infolge der 
knapp bemessenen Zeit darauf beschränken, nur noch die Sittlich- 
keitsverhältnisse zu berühren, denn gerade in diese hat mich mein 
Amt als Leiterin der Stellenvermittelung des H. f. w. A. tiefen 
Einblick gewinnen lassen. 

Neben sehr achtbaren Geschäftshäusern giebt es hier und wahr- 
scheinlich auch in anderen Grossstädten eine ganze Anzahl solcher, 
die direkt darauf ausgehen, das vorhandene Abhängigkeitsverhältnis 
auf unsittliche Weise aaszunützen. — Empörende Zumutungen werden 
zuweilen den jungen Mädchen gestellt, und nicht nur denen, die 
etwa durch ihr Betragen dazu Anlass gegeben haben könnten! — 
So ist mir neulich der Fall vorgekommen, dass ein Baumeister, 
ein älterer Mann mit Frau und erwachsenen Töchtern, seine Steno- 
graphin, ein Mädchen von bester Erziehung, aufforderte, „ihm 
einige Abendstunden zu schenken." 

Die Dame war so harmlos und so garnicht darauf vorbereitet, 
dass sie den Sinn dieser Worte erst nicht begriff und glaubte, es 
handle sich um eine stenographische Arbeit. — Erst als der Herr 
Baumeister seinen Wunsch mehrmals wiederholte und meinte, er 



:] 



i 



— 220 — 

könne das doch nicht noch deutlicher ausdrücken, sie könnten ja 
später das Nähere hesprechen und sich an einem dritten Ort treffen, 
da dämmerte eine Ahnung in ihr auf. 

Ihre Antwort war die Kündigung! Cnd diese Dame stand in 
ihrem Privatleben gesellschaftlich sogar über dem Baumeister. 

Es ist gerade, als nehmen diese Leute von vornherein an, die 
Frauen, welche sich ihr Brot selbst erwerben, seien vogelfrei und 
gerade gut genug für solche Dinge. 

Nun vogelfrei sind wir in gewissem Sinne thatsächlich und nur 
auf unsere eigene moralische Kraft der Abwehr gestellt, denn das 
Gresetz schützt uns gegen solche schamlose Ausbeutung bis heute 
noch nicht. Die Benutzung der Notlage anderer durch Wucher wird 
mit Gefängnis bestraft, der Chef aber, der die Abhängigkeit seiner 
weiblichen Angestellten dazu benutzt, sie sittlich zu vernichten, 
zahlt schlimmsten Falls nach einer langwierigen Beleidigungsklage 
einige Mark Geldbusse. 

Die heutige Gesellschaft weiss eben noch gamicht, welche 
Stellung sie der arbeitenden Frau schuldig ist. — Unter den weib- 
lichen Kaufleuten finden sich hervorragend tüchtige Elemente, die 
teilweise aus den gebildetsten Familien unseres höheren Mittelstandes 
kommen, Charaktere zu Stahl gehärtet im Kampf um die Existenz. 

— Und doch wird die Berufsklasse als solche nicht eher die ihr 
gebührende gesellschaftliche Stellung einnehmen, bis nicht das ganze 
Geschlecht die Anerkennung seiner Bürgerrechte durchgesetzt hat. 

— Die Handlungsgehilfinnen zum Verständnis dieses Kampfes und 
zur Teilnahme daran allmählich zu erziehen, ist Aufgabe der Fach- 
vereine. 

Sie haben sie zunächst Q^meinsinn zu lehren, indem sie ihnen 
zeigen, dass sie als Standesgenossen zusammengehören, dass sie für 
einander überall einzutreten verpflichtet sind, dass sie sich ihrer 
ehrlichen Arbeit nicht nur nicht zu schämen haben, sondern dass 
diese sie hinaushebt über alle Jene, welche ihr Leben mit Nichts- 
thun vertändeln, dass ihr Beruf nicht als Spielerei, sondern als 
Lebensberuf aufzufassen, mit dem ganzen Sein zu erfüllen ist, dass 
sie aber andererseits von ihm auch eine volle Existenz fordern 
müssen und darüber hinaus noch die Mittel, an der geistigen Kultur 
ihrer Zeit teilzunehmen, dass ihr Platz nicht unter, sondern neben 
dem Manne ist, und dass gleichen Leistungen auch gleicher Lohn 
gebührt, — ohne Rücksicht auf das Geschlecht. — Und sind sie 
erst zu dem Bewusstsein erwacht, dass auch sie, ebenso wie der 
Mann, eine freie eigene Persönlichkeit von Gott empfangen haben, 
für deren Entfaltung sie ihm verantwortlich sind, dann werden sie 
ofl'ene Bahn für ihr Geschlecht fordern und heisse Mitstreiterinnen 
werden im grossen Kampf der deutschen Frau! 
• Dieser innige Zusammenhang mit der Frauenfrage ist von den 

f bis jetzt bestehenden Fachorganisationen der Handlungsgehilfinnen 

^ auch durchaus begriffen worden. — Sie sind stets mit den Vereinen 

i zur Vertretung der Frauenrechte Hand in Hand gegangen und der 

Hilfsverein für weibliche Angestellte zu Berlin, dessen Stellen- 
vermittelung zu leiten ich die Ehre habe, ist sogar auf sehr glück- 
liche Weise durch Personal-Union in seiner zweiten Vorsitzenden, 



— 221 - 

Frau Sdiulrat Gaaer, mit dem Verein Franenwohl verbunden. 

Unser Hilftverein, als die erste und grösste Fachorganisation 
der Handlungsgehilfinnen besteht erst seit dem 1. Oktober 188Q 
und sShlt heate bereits mehr als 9000 Mitglieder, ziemlich ^U aller 
in Berliner Geschäften arbeitenden Frauen. 

Sein schnelles Wachstum verdankt er neben dem sehr glück- 
lichen Zeitpunkt seiner Gründung, hauptsächlich der überaus ge- 
schickten Leitung seiner beiden Vorsitzenden, Herrn Jul. Meyer 
und Frau Schulrat Gauer. — Liegt sonach der Vorsitz auch nicht 
in den Händen der weiblichen Angestellten selbst, so sind dieselben 
doch vom ersten Schritt zur Gründung an, stets in hervorragender 
Weise an der Leitung beteiligt gewesen. — Zu Vs setzt sich der 
Vorstand aus Handlungsgehilfinnen zusammen und ausserdem be- 
steht noch ein ans der Mitte der Mitglieder gewählter freier Beirat 
von etwa« 60 weiblichen Angestellten, der sich regelmässig einmal 
im Monat versammelt und in allen wichtigen Angelegenheiten ge- 
hört wird. 

Finanziell gründet sich der Verein selbst fast ausschliesslich auf 
die Beiträge seiner ordentlichen Mitglieder, während seine Kranken- 
kasse, ähnlich wie die Ortskrankenkassen von den Chefs der bei ihr 
versicherten jungen Mädchen einen regelmässigen Zuschuss einfordert. 

Für 3 Mark Jahresbeitrag bietet der Verein freie Stellen- 
vermittlung, welche im Jährt», li895 1500 jungen Mädchen Stellung 
verschaffte, Unterstützungsrecht, Nachweis von billigen und gesunden 
Wohnungen und Sommerfrischen, Ferienkolonien für Erholungs- 
bedürftige, Rechtsschutz durch seine beiden Rechtsanwälte, billige 
Vorstellungen in selbstgemietett*n guten Theatern, Vorträge, eine 
bereits ziemlich umfangreiche Bibliothek und gesellige Zusammen- 
künfte. — Auch eine Vereinszeitung existiert seit dem 1. Juli d. J., 
welche die Mitglieder zu immer grösserem Verständnis ihrer eigensten 
Interessen führen will. 

Ausser diesem allen leistet der Verein resp. seine Krankenkasse 
gegen einen Extra-Beitrag in 3 verschiedenen Klassen Krankenhilfe 
von verschiedenem Umfange. 

Für 5 Mark jährlich freie Behandlung durch einen der Ver- 
einsärzte, wobei das Mitglied unter 42 angestellten Aerzten frei 
wählen kann, freie Medikamente und event. freie Aufnahme in ein 
Krankenhaus. 

Bei 12 Mark jährlichem Extra-Beitrag ausserdem noch täglich 
1 Mark, bei 18 Mark Jahresbeitrag täglich 1,50 Mark Krankengeld 
bis auf 26 Krankheitswochen. 

Endlich besitzt der Verein kaufmännische und gewerbliche Fach- 
schulen, welche den jungen Mädchen Gelegenheit geben, sich für 
den Beruf vorzubereiten oder etwa vorhandene Lücken auszugleichen. 
Die Mitglieder geniessen in denselben Vorzugspreise. — Nach dem 
Urteil von Fachleuten sind die Schulen vorzüglich geleitet und 
weisen bedeutende Leistungen auf. — Speziell im gewerblichen 
Fachzeichnen wirkt der Verein sogar bahnbrechend. 

Aehnliche Organisationen bestehen bereis in Elberfeld, Frank- 
fürt a. M., Hamburg und München. Speziell der Münchener Verein ver- 
dient volle Anerkennung, er ist ganz allein aus der Initiative der 



weiblichen Angestellten hervorgegangen und wird vollkommen 
selbständig von ihnen geleitet, — 

Aber nicht überall ist der Boden so günstig, ^ meistens wird die 
Anregung von aussen in die E reise der weiblichen Angestellten hinein- 
getragen werden müssen, von denen, die mehr Erfahrungen auf dem 
Grebiet der Vereins thätigkeit besitzen und mehr Zeit dazu erübrigen 
können. — Und diese Aufgabe fiQlt den hier versammelten Frauen 
fcu. Rufen Sie jede in ihrer Heimat ähnliche Organisationen hervor, 
soweit die örtlichen Verhältnisse dies irgend zulassen, und helfen 
Sie dadurch einen grossen Stand arbeitender Frauen zum Selbst- 
bewusstsein und zur inneren Selbständigkeit zu erziehen. — Das 
muss aber auch stets der leitende Gedanke dabei sein. — Nur keine 
Patronage, nur nicht einen Verein fertig vor die jungen Mädchen 
hinstellen und sagen „nun kommt, nehmt und bedankt Euch!" — 
Das hiesse den Zweck vollständig verfehlen. — Von vornherein 
müssen die Handlungsgehilflnnen doch wenigstens mitarbeiten an 
ihrer Organisation, sie ganz den Bedürfnissen ihrer Berufegenossinnen 
anpassen, auch Opfer bringen für die gemeinsame Sache, damit sie 
ihnen etwas wert sei. Ist die zur Leitung des Ganzen geeignete 
Persönlichkeit unter den weiblichen Angestellten nicht zn finden, so 
beteilige man die Mitglieder wenigstens an zweiter Stelle und bilde 
sie allmählich fdr die Selbstverwaltung heran. "Wo die Organi- 
sation nicht so gross ist, wie hier in Berlin, wird das gewiss 
möglich sein. 

Trauen Sie uns weiblichen Kaufleuten nur etwas zu, wir können 
etwas leisten! 



Die Frage der weiblichen Uebervölkerung. 



1 der 



Eine lieber völkerung wird dadurch charakterisiert, dass ein 
Teil der menschlichen Gruppe zur Ausübung ihrer natnrgemässeii 
oder gesellschaftlichen Funktionen nicht gelangt wegen zn grossen 
Angebots an Menschen. Deswegen können wir nie von einer 
Uebervölkerung im Sinne einer bestimmten Menschenmenge reden, 
sondern im Verhältnis entweder zu den vorhandenen Nahrungs- 
mitteln oder zu der Nachfrage nach Arbeitern in einem Aj-beits- 
zweige, endlich wie in unserem Falle zur Versorgnngsmöglichkeit 
in der Ehe oder in einem wirtschaftlichen Beruf, welcher den 
Menschen ernähren und seine Kräfte voUständig benutzen kann. 

Wir reden von einer weiblichen Uebervölkerung, obgleich unter 
dem auf der ganzen Erde gezählten Einwohnerteil die Zahl der 
Männer diejenige der Frauen übertrifEt, auf 1000 Männer nämlich 
entfallen 988 Frauen. 

Auf den ersten Blick scheint letztere Thatsache befremdend. 
Die Statistik steht hier im Widerspruche mit den Erscheinungen des 
täglichen Lebens. Wir wissen ja, dass eine Anzahl von Frauen zur 
Ehe nicht gelangen, nicht weil sie es nicht wollen, sondern weil sie 
es nicht können, dass in allen Arbeitszweigen, wo Frauenarbeit 
verwendet wird das Angebot grösser ist, als in männlichen Erwerbs- 



— 223 — 

zweigen. Volkszählungen in einzelnen Ländern nnd besonders in 
Städten beweisen einen numerischen Ueberschuss des weiblichen 
G^ehlechts. Der Widersprruch löst sich, sobald wir in die Einzel- 
heiten der Frage eindringen. 

Die in der ganzen Welt berechnete Bevölkerung beträgt 
1480 Millionen, wobei ein Fehler von ein paar Zehntel Millionen 
nicht unmöglich ist. Von dieser Bevölkerung sind 793V2 Millionen 
gezählt, und unter dieser allerdings imposanten Zahl besteht das 
schon erwähnte günstige Verhältnis. Die Statistik ist aber keine 
kosmische Wissenschaft, sie kann sich nicht damit vertrösten, dass- 
auf der ganzen Erdkugel eine Tendenz zum Uebergewicht des männ- 
lichen Geschlechts über das weibliche herrscht, wobei auch Zählungs- 
fehler nicht ausgeschlossen wären, sie ist auch keine naturwissen- 
schaftliche Disziplin und die Thatsache, dass überall und immer eine 
grössere Anzahl von Knaben als von Mädchen geboren werden 
(nämlich auf 100 Mädchen 104 — 106 Knaben) hat eine geringe Be- 
deutung für ihre Schlüsse. 

Die Hauptursache des numerischen Verhältnisses unter den 
Geschlechtern ist in den sozialen Bedingungen zu suchen. Mit den 
Verschiebungen, welche unter ihrem Einflüsse eintreten, müssen 
Wissenschaft und Leben rechnen. Die Bevölkerungsstatistik bietet 
uns den Ausdruck dieser sozialen Bedingungen. Hinter den 
Zahlenreihen, welche sie uns vorführt, falls diese überhaupt einen 
tieferen Sinn haben sollen, steht die Gesellschaft und an dieser, an 
ihrem Wohl und Wehe müssen numerische Thatsachen gemessen 
werden. 

Vor allem blicken wir letzteren ins Gesicht: Die Verteilung 
der Geschlechter hat für die Frauenfrage besondere Bedeutung in den 
Ländern des heutigen Kulturkreises, also in Europa und den Ver- 
einigten Staaten von Nordamerika. 

In Europa überwiegt im ganzen das weibliche Geschlecht, 
nämlich fallen auf 1000 Männer 1024 Frauen, wenn wir aber die 
besonderen Staaten betrachten, ergiebt sich blos in sieben Staaten 
des Südens (Italien, Griechenland, Rumänien, Bulgarien, Serbien, 
Bosnien und Herzegowina, und Lichtenstein mit zusammen 45V2 Mil- 
lionen Bevölkerung ein ueberschuss von V2 Million Männern, der 
das vollständige Gleichgewicht stört. In allen übrigen ist die Zahl 
der Frauen grösser, wobei sich auch unter den einzelnen Landes- 
teilen bedeutende Unterschiede ergeben. Da die allgemeinen Volks- 
zählungen erst in unserem Jahrhundert eingeführt worden sind, 
können wir nicht beurteilen, ob dieses eine nationale Eigentümlich- 
keit oder das Ergebnis der gegenwärtigen Kulturentwickelung sei. 
Wir müssen aber konstatieren, dass unsere Wirtschaftsform von 
einem Ueberschuss des weiblichen über das männliche Geschlecht 
begleitet ist. Dieser Schluss wird durch die Entwickelung der Ver- 
einigten Staaten von Nordamerika bekräftigt. Während im ganzen 
Lande auf 1000 Männer blos 953 Frauen kommen, haben die Nord- 
und südatlantischen Staaten, also die der ältesten Kultur einen 
Ueberschuss an Frauen, welcher im Kreise Columbia bis auf 110, 
Massachusetts und Rhode Island bis auf 106 zu 100 Männern steigt. 
Eine weitere Bestätigung dieser Tendenz unserer Wirtschaftsperiode 



— 224 — 

bietet die Entwickelung ihrer Schöpfung, der modernen Grossstädte. 
In den meisten Grossstädten ist das numerische Verhältnis der 
Geschlechter noch ungünstiger als im Landesdurchschnitt. Auf 
1000 Männer entfallen z.B. in Paris 1050 Frauen, während in Frankreich 
überhaupt 1007, in Brüssel 1144, in ganz Belgien 1007, in London 
1123, in Grossbritannien 1060, in Wien 1124, in Oesterreich 1047, 
in Berlin 1091, in Deutschland 1039 u. s. w. 

Man war vielfach bemüht nachzuweisen, dass das Zahlen- 
verhältnis für die Beziehungen der beiden Geschlechter ohne Be- 
deutung sei, da der Ueberschuss blos auf die höchsten Altersklassen 
falle, während im produktiven und Heiratsalter sich ein numerisches 
Gleichgewicht einstelle. Leider bestehen für die meisten Länder 
ungünstige Zahlenergebnisse, gerade für die Altersklassen von 15 
bis 45 Jahren. 

Auf je 100 Einwohner dieses Alters waren z. B. in Deutsch- 
land (1890) 49 Männer und 51 Frauen, in Oesterreich (1880) 
48,6 Männer und 51,4 Frauen, in England (1880) 48,3 und 51,7, 
in Schottland (1880) 48 und 52. 

In den Städten sind die Verhältnisse nicht besser. So entfielen 
auf 100 Einwohner im Alter von 15 bis 45 Jahren in Wien 
53 Frauen und 47 Männer, in Prag 53,6 Frauen und 47,2 Männer, 
in Berlin 51,3 Frauen und 48,7 Männer. 

Ich will meine verehrten Zuhörerinnen mit Zahlenangaben nicht 
weiter quälen, die bisherigen genügen, um zu beweisen, dass gerade 
in demjenigen Alter, in welchem Männer und Frauen gemeinsame 
Aufgaben zu erfüllen haben, von einem Gleichgewicht der Geschlechter 
keine Rede sein kann, und dass diese Erscheinung, sowohl im 
Landesdurchschnitte, wie in Grossstädten zu bemerken ist. 

Die Ursachen dieser, wie gesagt, ziemlich allgemeinen Erschei- 
nung der Ueberzahl des weiblichen Geschlechtes sind bis jetzt nicht 
vollständig aufgeklärt. Unsere Kultur scheint für die Männer mehr 
aufreibende Bedingungen geschaffen zu haben, als für die Frauen. 
Abgesehen von Kriegen, welche auf dem Zahlenverhältnisse der Ge- 
schlechter deutliche Spuren für eine gewisse Zeit hinterlassen, stellt 
die mehr expansive Existenz des Mannes, sowohl in Arbeit wie im 
Genuss grössere Ansprüche an seine Lebenskräfte, die sich auch 
rascher erschöpfen. Im Durchschnitte lebt der Mann eine kürzere 
Anzahl von Jahren als die Frau. In den wenigen Fällen jedoch, 
wo Männer und Frauen in gleichen Bedingungen beobachtet wurden, 
erwies sich die weibliche Lebensdauer kürzer als die männliche, 
was auch leicht zu erklären ist, wenn man die Pflichten der Mutter- 
schaft, welche für die Frau hinzukommen, bedenkt. 

So hat z. B. Dr. Swiatlowski aus Russland bei bevölkerungs- 
statistischen Beobachtungen im Gouvernement Charkow, wo Frauen 
gleich den Männern zu Feldarbeiten angezogen werden, eine Sterb- 
lichkeitsziffer von 120 Frauen auf 91 Männer gefunden. 

Der ungarische Statistiker Körösi berechnet die durchschnitt- 
liche Lebensdauer der Einwohner von Kellerwohnungen auf lO^/s Jahre 
für Frauen und auf 12 Jahre für Männer. Derselbe Statistiker 
hat die Lebenslänge der weiblichen Bedienten auf 29 V2 imd diejenige 
der männlichen auf 40 Jahre berechnet. 



— 225 — 

Da die heutige Wiitschaftsentwickelang immer mehr weibliche 
Kräfte zur Erwerbsarbeit heranzieht und sie in gleiche Bedingungen 
mit den Männern stellt, wäre zu erwarten, dass das Privileg der 
Langlebigkeit dem weiblichen Geschlechte nicht für immer verbleibt. 

Für heute steht es ihm doch zu, und erzeugt fast in allen 
Ländern und Altersklassen einen numerischen Ueberschuss der 
weiblichen Bevölkerung über die männliche. 

Es verbleibt also die Frage inwiefern dieser Ueberschuss sich 
zur weiblichen Ueberbevölkerung gestaltet in dem zu Anfang meines 
Referats angedeuteten, für das Individuum und die Gesellschaft 
ungünstigen Sinne? 

Vor allem muss unter dem bestehenden Zahlenverhältnisse ein 
Teil der heiratsfähigen weiblichen Bevölkerung unverheiratet 
bleiben. 

Dieser Teil vdrd noch durch die Thatsache vergrössert, dass 
die Heiratsfrequenz, also das Verhältnis der geschlossenen Ehen zur 
Bevölkerung überall in Abnalime begriffen ist. Der Vergleich der 
vom Jahre 1885 bis auf das .Jahr 1891 geschlossenen Ehen ergiebt 
in allen europäischen Ländern, filr welche solche Berechnungen 
möglich zu machen waren, ausser Italien, wo wir auch ein günstiges 
numerisches Geschlecht««verh«*iltniä gefunden haben, eine Abnahme der 
Heiratsfrequenz. Ja sogar in manchen Staaten Nord-Amerikas wie 
Massachusetts, Connecticut, Rhode Island wiederholt sich diese Ab- 
nahme, wenn auch die Ziffer der Ehefre(iuenz eine höhere als in 
Europa geblieben ist. Diese unversorgte Frauenwelt, die zur Aus- 
übung der Hausfrauen- und Mutterpflichten nicht gelangen kann, 
ist jedoch nicht als Uebervölkerung zu betrachten, insofern sie erwerben 
und einen Beruf ausüben kann. Dieser kann eine Existenz ausfüllen 
und wenn nicht immer zu einer glücklichen, allerdings zu einer 
nützlichen gestalten. Die Berufslosen sind aber xxnUyr den Frauen 
fast immer doppelt so zahlreich wie unter den Männern. Ich greife 
einige Beispiele heraus. Es entfielen auf je 100 der über 15 Jahre 
alten Bevölkerung auf Berufslose in Deutschland 65 unter den 
Frauen und 37 unter den Männern, in Italien 49 unter den Frauen 
29 unter den Männern, in England und Wales 63 und 35, in 
Norwegen 69 und 49, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika 
84 und 46. Ueberall also auf einen berufslosen Mann finden wir 
zwei bis drei berufslose Frauen. Da aber der Mangel von Beruf 
den Erwerb nicht ausschliesst und die wirtschaftlichen Verhältnisse 
immer neue Prauenschichten zum Erwerb drängen, ergiebt sich als 
Folge davon, dass die mt^sten erwerbenden Frauen in Industrie und 
Handel Handlangerdienste leisten. Dabei stehen sie in Bedingungen, 
welche sie jederzeit zu den Ueberzähligen, zur Reserveannee der 
Industrie, verurteilen, ihnen eine abhängige und untergeordnete 
Stellung anweisen. 

Dieses war zu jeder Zeit das Loos der Frau und besonders der 
erwerbenden Frau. Der Unterschied zwischen früher und jetzt ist, 
dass sie dieser ihrer Lage abzuhelfen sucht, dass sie mit gutem oder 
schlrchten Erfolg dieselben Bahnen einschlägt, welche früher blos 
dem männlichen Geschlechte eigen waren. Die weibliche Welt 
ergreift also neue Berufe, und beteiligt sich am Ortswechsel. 

15 



— 226 — 

Tn früheren Zeiten haben die Frauen den sesshaften Bevölkerungs- 
teil gebildet. Heutzutage bilden sie ein wichtiges Element sowohl 
unter der überseeischen Auswanderung, wie in den inneren 
Wanderungen. 

Unter den aus verschiedenen europäischen Staaten nach Amerika 
Einjjewanderten waren im Jahre 1861 37 000 Frauen, im Jahre 1880, 
wo der Auswandererstrom am breitesten floss, 227 000, im Jahre 1892 
203 000 Frauen. 

Da die männlichen Auswanderer in ähnlicher Weise zugenommen 
haben, bleibt das Verhältnis der Männer zu den Frauen unter den 
überseeischen Auswanderern beinahe gleich. Auf 100 Erwachsene 
kommen über 60 Männer und unter 40 Frauen. Einen noch regeren 
Teil nehmen die Frauen an inneren Wanderungen, d. h. beim Orts- 
wechsel im eigenen Lande. 

Tn den früheren Zeiten war für die Frau die Heirat die häufigste 
Ursache des Ortswechsels; heute kommen als zweite und mächtigste 
die Erwerbsverhältnisse. Unter den Zugezogenen der deutschen 
Grossstädte waren 50 000 mehr Frauen als Männer. In England, 
bei der hohen Entwickelung der Industrie, sind unter den industriellen 
Orten She-Städte, also solche, wo die Industrie hauptsächlich Frauen- 
kräfte verbraucht und diese massenhaft heranzieht, entstanden. 

Diese Gährung unter dem weiblichen Elemente ist durch die 
Erwerbsverhältnisse hervorgerufen. Die Industrie verbraucht immer 
mehr Frauenhände, neue Berufe werden vom weiblichen Geschlechte 
ergriffen, es entstehen früher unbekannte Typen von weiblichen 
Existenzen, welche ebenso selbständig sein müssen und dieselben 
wirtschaftlichen und sozialen Kämpfe bestehen, wie die männ- 
liche Welt. 

Es soll keineswegs über diesen Umschwung ein Urteil abgegeben 
werden, es würde mich auch zu weit führen, seine Schatten- und 
Lichtseiten nachzuweisen: er besteht aber als Thatsache, lässt sich 
weder leugnen noch bei bestehenden Verhältnissen abschwächen. 
Und dieser Thatsache gegenüber muss die Frauenbewegung als 
organisierter und bewusster Vorposten der heutigen Frauenwelt 
Stellung nehmen. Sie muss diese Ueberzähligen, Gährenden und häufig 
Irrenden mit dem Nutze ihrer Zwecke und Bestrebungen umfassen. 

Wenn ich von den allzu theoretischen Betrachtungen auf das 
für diesen Moment aktuelle, also zu unserer Versammlung über- 
gehe, darf ich wohl tragen, ob diese Massenkundgebung der Frauen 
aller Länder auch als Folge der weiblichen Uebervölkerung zu be- 
trachten ist? 

Zum Teile ja, die Frauenbewegung, die internationale weibliche 
Solidarität, die Notwendigkeit gemeinsamer Besprechung der Inter- 
essen des ganzen weiblichen Geschlechts ist nicht ein Werk der Ge- 
nügsamen, Zufriedenen und Glücklichen. Diese Beneidenswerten 
aber, sowohl unter den Männern wie unter den Frauen, waren nie- 
mals ein Faktor des Fortschrittes. Um weiter schreiten zu wollen 
muss man vor allem in der eigenen Meinung mit dem Bestehenden 
abgerechnet haben, man muss unter den Verhältnissen der bisherigen 
Weltordnung gelitten haben, um ein Besseres herbeizuwünschen. 
Die Kritik, der Wunsch und der ihm folgende kräftige Wille 



^^ 227 — 

schaffen die That. Uns Frauen aller Länder, welche trotz der 
bestehenden politischen und kulturellen Unterschiede gemeinsam 
arbeiten wollen, fehlt es an einer solchen That nicht. Die über 
ztthligen, unglücklichen Existenzen müssen in solche verwandelt 
werden, denen die Zukunft gehört! 

Berufsbildung der Mädchen in Riga. 

Von Frau Rosalie Schoenflies, Berlin, Dele^rierte des Jungfrauen- 
Vereins zu Riga. 

Hochgeehrte Versammlung ! 

Ich habe Ihnen Grüsse aus der alten Baltenstadt Riga zu 
bringen, Grüsse des Jungfrauen- Vereins, der dort seit länger als 
30 «Jahren für das Wohl des weiblichen Geschlechtes thätig ist. 
Leider war es keinem Mitgliede des Vereins möglich, nach Berlin 
zu kommen und persönlich an dem Kongresse teilzunehmen. Da 
ich aber Mitbegründerin und mehrjährige Mitarbeit»^rin an demjenigen 
Werke war, über welches der Verein Ihnen einige kurae Mit- 
teilungen zu machen wünscht, so hat man mich mit der Vertretung 
betraut. Ich werde daher die Ehre haben, Ihnen in gedrängten Zügen 
ein Bild der Thätigkeit des Vereins für die Berufsbildung der 
Mädchen zu geben. 

Der Jungfrauen -Verein wurde ursprünglich von vier jungen 
Mädchen gegründet, um dem Lebensabend einer arbeitsunfähigen 
Klavierspielerin die Not fernzuhalten; und auf Unterstützung alter, 
nicht mehr arbeitstilchtiger Mädchen beschränkte sich jahrelang seine 
Thätigkeit. Die hierbei gewonnenen Erfahrungen mussten aber folge 
richtig zu der Einsicht füiiren, dass dieXot der auf Arbeit angewiesenen 
Frauen nicht erst beginne, wenn ihre Kraft verbraucht ist. Dass 
vielmehr ein tlbergrosses Angebot von Arbeitskräften auf beschränkten 
Arbeitsgebieten und ungenügende Vorbildung für Erwerbsarbeit die 
schlimmsten Feinde der erwerbsuchenden Frau seien. Man begriff, 
dass man nicht nur die alten Mädchen untei-sfützen, sondern dass 
man den jungen neue Arbeitsgebiete und die erforderliche Vorbildung 
schaffen müsse. Und die Umsetzung dieser Erkenntnis in die That 
war die Gründung der ersten Gewerbe- und Fachschule für 
Mädchen in den baltischen Provinzen, die meines Wissens zugleich 
die erste derartige Anstalt im ganzen russischen Reich war. Das Ziel 
der neuen Schule wurde dahin bestimmt, dass durch sie den Töchtern 
des Mittelstandes die fachmässige Vorbildung zu einer ihren besonderen 
Lebensverhältnissen entsprechenden praktischen Erwerbsthätigkeit er- 
möglicht werden solle. 

Schon im Jahre 1876 hatte die verdiente Begründerin und Leiterin 
des Arbeitsvermittelungs-Büreaus, Frl. Emma Brauser, infolge der 
in demselben gemachten Erfahrungen einen bescheidenen Nähkursus 
eingerichtet, der zuerst von nur 8, im 2. Jahre von 25 Schülerinnen 
besucht worden war. 

Im Herbst 1878 konnte die Gewerbeschule nach dem von der 
Regierung bestätigten Plane mit 65 Schülerinnen eröffnet werden. 

Die Fachbildung umfasste alle weiblichen Handarbeiten, die zum 

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— 228 — 



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Erwerb dienen können und für das Haus wichtig sind, einschliesslich 
der Schneiderei und des Waschens feiner Wäsche; ausserdem Buch- 
führung und Lithographie, zwei in Riga neue Erwerbszweige fiir 
Frauen. Daneben wurde die Fortbildung in den Elementarfächem und 
im Zeichnen in den Lehrplan aufgenommen. Die Mittel zur Erhaltung 
der Schule wurden und werden teils vom Jungfrauen- Verein, teils 
durch Beiträge der Stadtverwaltung, einzelner Korporationen und 
Privater aufgebracht, da die Schulgelder, dem Zwecke der Anstalt 
entsprechend, nicht hoch genug angesetzt werden können, um die 
Ausgaben zu decken. 

Die Leitung der Schule untersteht einem Komitee, zu dessen 
thätigsten Mitgliedern seit der Gründung die jetzige Vorsitzende, 
Frl. Elise von Jung-Stilling, gehört. 

Schnell gewann die Mädchen -Gewerbeschule des Jungfrauen- 
Vereins Boden im Lande. Von Jahr zu Jahr stieg die Zahl der 
Schülerinnen, und seit den 18 Jahren des Bestehens der Anstalt 
haben ca. 2794 Mädchen derselben ihre Ausbildung zu verdanken. 

Auch der Lehrplan erfuhr in diesen Jahren eine stetige, von 
den Bedürfnissen bestimmte Ausgestaltung. Die tiefgreifendste im 
Jahre 1893 durch die Umwandlung in eine Reihe neben einander 
bestehender Fachkurse, während vorher die Schule einen zusammen- 
hängenden Organismus mit aufsteigenden Klassen gebildet hatte, und 
jede Schülerin daher zur Teilnahme an dem gesamten Unterricht 
verpflichtet worden war. 

Die zur Zeit bestehenden Fachkurse sind folgende: 

1. Zuschneiden und Nähen von Wäsche. 

2. Flicken. 

3. Einfaches Stopfen und alle Arten von Kunststopferei. 

4. Zeichnen und Sticken von Namen. 

5. Diverse Kunstarbeiten als: Gold-, Silber-, Buntstickerei, Filet- 
Guipüre, Klöppeln etc. 

6. Schneiderei. 

7. Waschen und Plätten. 

8. Zeichnen mit Anschluss des kunstgewerblichen Zeichnens. 

9. Einfache und doppelte Buchführung. 

10. Koch- und Wirtschaftskursus, nebst Führung von Haus- 
haltungsbüchern. 

11. Kursus zur Ausbildung von Hand arbeitlehr erinnen. 

12. Kursus zur Ausbildung Fröberscher Bonnen und 

13. von Kindergärtnerinnen. 

Ein sehr wichtiger Faktor für die Erfolge der Gewerbeschule 
ist die seit dem Jahre 1882 mit derselben verbundene Vorschule. 
Obgleich diese nicht selbst den Charakter einer Fachanstalt trägt, 
sondern eine abgeschlossene Elementarbildung giebt, so ist der 
Unterricht in den weiblichen Handarbeiten und im Zeichnen doch so 
eingerichtet, dass er in den entsprechenden Kursen der Fachschule 
seine unmittelbare Weiterführung nach gleicher Methode findet. 

Des weiteren ist hervorzuheben, welch^ hoher Wert von Anfang 
an der erziehlichen Einwirkung beigelegt wurde und wie sehr dies 
Moment bei der Wahl der Lehrkräfte stets mitbestimmend war. 
Der grösste Teil der Lehrenden sind Frauen aus den Kreisen der 



— 229 — 

YAhar Gebildeten, die ihr Amt nicht nur als einen Bemf^ sondern 
EO^eich als eine Mission ansehen. 

Skidlich sei noch bemerkt, dass die Rigaer Mädchen-Gewerbe- 
schule Ausgang und Vorbild für ftholiche Anstalten in verschiedenen 
Teilen des grossen rassischen Reiches geworden ist. 

Die Mädchen-Gewerbeschxile in Hamburg. 

Von Frl. Berthe Delbanco, Delegierte der Schule. 

Ich komme der Aufforderang nach, vor dieser hochverehrten 
Versammlung über die Hamburger Gewerbeschule für Mädchen 
einen Beridit zu erstatten, und beginne mit den Worten derjenigen 
Frau, die dieses so segensreiche Institut ins Leben gerufen, auf 
deren Anregung der „Verein zur Forderung weiblicher Erwerbs- 
thäügkeit'^ die Gewerbeschule für Mädchen gründete, mit den 
Worten der Frau Emilie Wüstenfeld. Als im Dezember 1873 das 
neue Schalgebäude in der Brennerstrasse in St. Georg den festlichen 
Tag seiner Einweihung beging und diese um die Förderung weih- 
lidier Bildung so hochverdiente Frau den Bestrebungen Ausdruck 
gab, deren Mittelpunkt sie war, sprach sie: „Der gewaltige Fort- 
schritt unserer modernen Kultur duldet keinen Stillstand, weder bei 
dem Einzelnen, noch bei der Gesamtheit. AVer auch immer sieh ihm 
entgegenzustellen sucht, ja, wer auch nur seitab von seinem unauf- 
haltsamen Strome sich nicht von ihm berühren lässt, bei dem rächt 
es sich schwer. Allmählicher Rückschritt in den geistigen, sittlichen 
und materiellen Zuständen ist die Folge. Dies bewahrheitet sich 
leider nur zu traurig auch im Grossen und Ganzen bei unserem, 
dem weiblichen Geschlecht. Die trübe Ueberzeugung davon ist aber 
manchem Nachdenkenden schon zum Bewusstsein gekommen, und 
die richtige Eirkenntnis des Mangels ist schon der Anfang des Besser- 
werdens**. — 

Seit jener Zeit bis heute ist die Erkenntnis des Mangels grösser 
geworden, und diese gesteigerte Erkenntnis hat in allen Teilen 
Deutschlands zur Errichtung von Instituten geführt, welche gleiche 
Zwecke verfolgen, die bestrebt sind, unsere Mädchen als thätige 
Glieder des Hauses und der Familie, sowie als selbständig Erwerbende 
tüchtig und leistungsfähig zu machen und ihnen zu helfen, durch 
gründliche Vorbereitung auf einen Beruf, auf ihre eigene Kraft 
vertrauend, den Kampf mit dem Leben aufeunehmen. Unter den 
Instituten, welche diese Ziele anstrebten, ist die Hamburger Ge- 
werbeschule die erste in Deutschland gewesen und hat mancher 
anderswo begründeten als Vorbild gedient. Ihre Ziele im allgemeinen 
sind die oben genannten : sie will jungen Mädchen, welche die Schule 
verlassen, die allgemeinen, wie namentlich die speziell technischen 
Kenntnisse und Fertigkeiten verschaffen, welche für einen speziellen 
Beruf notwendig, für jede häusliche und gewerbliche Beschäftigung 
wünschenswert sind. Die Schule wird demnach nicht nur von 
Mädchen besucht, die auf einen Erwerb angewiesen sind, sondern 
viele suchen in ihr nach vollendeter Schulzeit eine weitere allge- 
meine Ausbildung in Sprachen und Wissenschaften, sowie in den 



praktischen FScheni. Im Besonderen aber wurde stets von der 
Anstatt der fonnale Zweck, die sittlich bildende Einwirkung der 
Schule betont, Zam Fleiss, zur Ordnung und zur Arbeit sollen die 
Schillerinnen erzogen werden; strenge wird auf regelmässigen Schul- 
besuch, auf reire Anteilnahme in den Unterrichtsstunden, auf Pleiss 
in der Anfertigung der häuslichen Arbeiten, auf Befolgung des 
Schulreglements gesehen. 

Wie die Erkenntnis dessen, was not war, wuchs und von denen, 
welche an dem Werke arbeiteten, nach Kräften in Thaten umgesetzt 
wurde, wachs auch im Publikum die Erkenntnis der Anforderungen, 
die das Leben stellt und die Anerkennung dessen, was die Schule 
leistet«, tn der konstituierenden Generalversammlung des „Vereins 
zur Förderung weiblicher Erwerbsthätigkeit" hielt der Vorsitzende, 
Hr. Dr. Ad. Meyer, es für geboten, die Mitglieder auf die Not- 
wendigkeit hinzuweisen, auch dahin zu wirken, dass die Eltern ein- 
sehen lernten, wie nötig es sei, ihren Töchtern eine gute, praktische 
Erziehung zu geben, und sie zu überzeugen, dass die Töchter so gut 
wie die Söhne ein Anrecht darauf haben, etwas für das Leben zu 
lernen. Eine Einsicht in die Statistik über die Frequenz der Schule 
beweist, dass diese Ueberzeugung den derzeit gehegten Hoffnungen 
entsprechend sich Bahn gebrochen hat. Die Schule begann ihre 
Thätigkeit mit 36 Schülerinnen; nach wenigen Jahren schon war 
der Zuspruch ein so grosser, dass die von der Gewerbeschule be- 
nutzten Schulräume des Paulsenstifts und die auf der Gr. Burstah 19 
eingenommenen die SchülerKahl nicht mehr ku fassen vermochten. Mit 
dem Bau des neuen Schulhanses wuchs die Teilnahme. 1874 sind 
167 Schülerinnen verzeichnet, die Zahl stieg bis 81/82 auf 464, bis 
94/95 auf 615, und Ostern 1896 erfolgten so viele Anmeldungen, 
wie nie zuvor. 

Sowie die Hamburger Gewerbeschule die erste in Deutsehland, 
so ist auch das Gebäude eines der ersten gewesen, das eigens dazu 
erbaut Lst, der Heranbildung des weiblichen Geschlechts zu grösserer 
Selbständigkeit zu dienen. 

Die Organisation des Schul Instituts hat sich von seiner Gründung 
bis jetzt stetig entwickelt, und rastlos wurden immer weiter ge- 
steckte Ziele verfolgt, bei deren Inaussichtnahme die Schule vor 
alli'm und immer versuchte, sieh dem praktischen Lehen anzupassen 
und wirklichen dringenden Bedllrfnissen zu entsprechen. 

Es wurden nach einander eingeschaltet: der Kursus für Kinder- 
gärtnerinnen und der Kindergarten, die Kurse für Waschen und 
Plätten, für Kunststickerei und Putzmachen, die Handel sknr,'*e und 
der im Jahre 1894 eingerichtete Kochkursui. 

Den Zielen der Schule entsprechend, sind die verschiedenen 
Anstalten, welche sie vereinigt, teils wissenschaftlich - theoretischer, 
t«ils technisch- praktischer Art. 

Die Grundlage des Ganzen bilden die Fortbildungsklassen, als 
Fortbildungsschule, 1868 neben der Gewerbeschule eingerichtet. 

Die mangelhafte Vorbildung der Schülerinnen veranlasste den 
Vorstand, unter diesem Namen Abendkurse einzurichten, die an vier 
Abenden in der Woche Mädchen über 13 Jahren Unterricht ge- 
währten. Zu den drei zuerst gelehrten Fächern: Deutsche Sprache, 



— 231 — 

Rechnen und Zeichnen traten nach einem Jahre englische Sprache und 
Buchführung und später Französisch. Diese Unterrichtszweige wurden 
dann in den Stundenplan der Gewerbeschule selbst eingeschlossen. 
Da aber die Bildungsanstalten, welche die in der Gewerbeschule 
eintretenden Schülerinnen verlassen, so sehr verschieden und die 
Bildungsresultate, die sie mitbringen, oft mangelhaft sind, hat man 
die deutschen Kurse der Fortbildungsanstalt in drei Klassen geteilt. 
Während man in der 3. Klasse im Anschluss an das Lesebuch haupt- 
sächlich Grammatik treibt und nur Reproduktionen als Aufsätze 
verlangt werden, wird in der 2. Klasse neben Grammatik und Auf- 
satz auch etwas Litteratur getrieben; in der 1. Klasse wird in den 
Aufsätzen grössere Selbständigkeit gefordert, auch sind für Litteratur 
2 Stunden wöchentlich angesetzt. Die Stundenzahl für Deutsch be- 
trägt in der 1. Klasse 4, 5, 6 Stunden. — Die neusprachlichen 
Kurse umfassen 2 Klassen mit je 3 Stunden wöchentlich. — Die Be- 
herrschung der Muttersprache ist maassgebend für die Beurteilung 
des Bildungsgrades der Schülerin. Auch der Unterricht in der ein- 
fachen Buchführung ist in die Fortbildungsklassen eingeführt, weil 
in keiner Lebens- oder Berufsst^llung die Frau die Kenntnis der- 
selben entbehren soll. Für Rechnen, auf das bedeutendes Gewicht 
gelegt wird, und Buchführung sind 6 Stunden eingeräumt. Die 
Kurse sind einjährig. Dieselben können in Verbindung mit den 
praktischen und kunstgewerblichen Kursen besucht werden; über- 
haupt steht es jeder Schülerin frei, die ihrer Neigung und ihren 
Zwecken entsprechenden Fächer zu wählen, so dass sowohl 3, als 
auch mehr, bis 36 Stunden wöchentlich genommen werden können. 
Die Fortbildungsschtilerinnen haben das Recht, an den Geographie- 
stunden der Handelsklasse teilzunehmen. 

Die Handelskurse umfassen den Unterricht im kaufmännischen 
Rechnen, in der Korrespondenz, Buchführung, Wechsellehre und 
Stenographie, im Schönschreiben und der Schreibmaschine. 

Die Beteiligung am Unterrichte im Deutschen, in der Geographie, 
sowie in einer fremden Sprache steht jeder Handelsschülerin frei. 
Die Kurse sind 1-, IV2- und 2 jährig, je nach dem Fleiss und den 
Leistungen der einzelnen Schülerin. Der Kursus teilt sich in zwei 
Klassen. Der Erfolg dieser Kurse zeigt sich in der festen Nach- 
frage nach ausgebildeten Buchhalterinnen von Seiten kaufmännischer 
Geschäfte. 

Der Kursus für Kindergärtnerinnen giebt den Unterricht in der 
Fröbelschen Methode und den Fröbelschen Beschäftigungsmitteln, 
das Nötige aus der allgemeinen Erziehungslehre, Anschauungs- 
unterricht, Zeichnen, Singen, Deutsch und Französisch und Englisch. 
Nur Schülerinnen mit guter Vorbildung werden zu diesem Kursus 
zugelassen. 

Alle sind daher verpflichtet, das Wäschenähen auf der Maschine 
zu erlernen; auch wird die Beteiligung an anderen praktischen 
Kursen gefordert. — Zur Uebung der Kindergärtnerinnen ist ein 
Kindergarten eingerichtet, der gut besucht ist. — Die beiden Zeichen- 
kurse sind für die zur staatlichen Zeichenlehrerinnen - Prüfung 
auszubildenden Mädchen 2jährig und für die Kunststickerinnen obliga- 
torisch, insofern sie einen Teil ihrer Zeit dem Zeichnen widmen müssen. 



— 232 — 

Die zu Zeichenlehrerinnen auszubildenden Mädchen werden unter- 
richtet in der Kunstgeschichte und der Stillehre, in der Methodik 
des 2ieichenunterrichts und in der Pädagogik, ia Geometrie, Zirkel- 
zeichnen, Projektionslehre und Perspektive. 

Fünf Lehrkräfte sind für diesen Kursus angestellt. — In dem 
Kursus für Kunststickerei soll die Uebung in allen Zweigen der 
Stickerei, die Wiederbelebung älterer und die Einführung ausländischer 
Stickerei-Techniken angestrebt, und durch Austührung stilvoller, 
mustergiltiger Objekte, sowie durch die Erkenntnis des Zusammen- 
hanges der Stickerei mit der Entwicklung der Kunst eine geläuterte 
Geschmacksrichtung erzielt werden. 

Dieser Kursus bezweckt die Ausbildung von Fachlehrerinnen 
und kunstgeübten Stickerinnen und bietet ausserdem Damen Gelegen- 
heit, einzelne Techniken zu erlernen. 

Die zu Handarbeitslehrerinnen auszubildenden Schülerinnen ge- 
messen, ausser den in den technischen Fächern, den Unterricht im 
Deutschen, in der Pädagogik, speziell in der Methodik des Hand- 
arbeitsunterrichts und in der Schulpraxis. 

Es werden auch ganze Aussteuern übernommen; ebenso wird 
für das Publikum gewaschen und geplättet. Echte Spitzen werden 
mit besonderer Vortrefüichkeit gereinigt. Die Weissstickerinnen 
werden soweit gefördert, dass sie in der Thätigkeit einen Broterwerb 
finden können. Die praktischen Kurse von IV2 jähriger Dauer 
dienen hauptsächlich dazu, Volksschülerinnen zu feinen Nähklin- 
mädchen auszubilden; diese lernen zu gleicher Zeit in der Koch- 
schule das Servieren. Es ist stets grosse Nachfrage nach so aus- 
gebildeten Mädchen. 

Die Kochschule soll jungen Mädchen Gelegenheit geben, sich 
im Kochen für den Bedarf des bürgerlichen Lebens praktisch aus- 
zubilden. Unter Leitung von erfahrenen Lehrerinnen wird gelehrt: 
die Bereitung der einfachen Hausmannskost sowie die feinere Küche, 
der Einkauf, das Abwiegen und Abmessen und die Beurteilung der 
Speisen u. s. w. (siehe Prospekt). — Ein theoretischer Unterricht 
in den Grundlagen der Küchenchemie und der Nahrungsmittellehre 
ist mit den praktischen Hebungen verbunden. — Damit einerseits 
jede Schülerin genügend berücksichtigt wird und jede die Verant- 
wortung für das Gelingen der Speisen zu tragen hat, andererseits 
dabei lerilt, das richtige Maass für einen kleineren Haushalt zu 
treffen, wird nicht in grossen Töpfen gekocht, sondern in kleinen 
für 4 Portionen berechneten, und je 2 Schülerinnen haben diese zu 
bereiten. Die grossen Braten werden ebenfalls von 2 Schülerinnen 
zur Zeit zugerichtet, abwechselnd werden alle dazu herangelassen. 
16 — 18 Schülerinnen werden zu gleicher Zeit unterrichtet. — Um 
die von den Schülerinnen zubereiteten Speisen zu verwenden, ist in 
dem Speisesaal ein Mittagstisch für Damen eingerichtet. Derselbe 
findet grossen Beifall und wird täglich von durchschnittlich 40 bis 
50 Personen besucht; auch treffen vielfach Bestellungen auf Gebäck, 
kleine Soupers, einzelne Gerichte ein, ebenso auf Einmachen von 
Früchten u. s. w. 

Die Verwaltung der Schule liegt in den Händen eines vom 
„Verein z. Förder. wbl. Erw." eingesetzten Vorstandes. Derselbe 



— 233 — 

boteht augenblicklich ans dem Herrn Dr. Justus Brinckmann, 
Direktor des Museams für Kunst und Gewerbe als Vorsitzendeni 
dem Herrn Dr. Stohlmann, Direktor der allgemeinen Gewerbeschule, 
ab stellvertretenden Vorsitzenden u. s. w. 

Das erfreuliche Gedeihen der Anstalt ist in erster Linie der 
Umsicht und Energie einer Dame zu verdanken, deren Namen ich 
nicht unerwühnt lassen will, der Frau Dr. A. Ree, die als ver- 
waltende Vorsteherin die Anstalt \on 1878—92 leitete. Herr 
Dr. R^ war bis zu seinem 1801 erfolgen Tode der pädagogische 
Berater derselben. Eine Inspektorin ist zur Beaufsichtigung der 
Sdnile vom Vorstande eingesetzt. 

Gut Yorbereitete Lehrkrilfte wirken an der Anstalt; eine grosse 
Zahl derselben' sind in der Schule selbst ausgebildet worden, auch 
hierin gebtthrt besondere Anerkennung Frau Dr. Ree, welche durch 
ihr Beispiel nnd ihre Einwirkung dazu hingetragen hat, diese Kräfte 
der Anstalt zu erziehen. 

Da die Schule ihre Ausgaben aus eigenen Mitteln bestreitet, 
kOnnen die Preise für den UntiTricht nicht so niedrig sein, wie in 
einer staatlichen Anstalt. Durch Geschenke und Legate ist aber 
das Institat in den Stand gesetzt. Freistellen zu vergeben; auch ist 
im Jahre 1891 ein ünterstützungsfond für die Lehrer und An- 
gestellte gegründet worden. — Eine öffentliche Ausstellung der 
Schfllerarbeiten findet alle zwei Jahre in der Osterwoche im Schul- 
hanse statt. 

Aber diejenigen, welchen die Leitung dieser segensreichen An- 
stalt anvertraut ist, ruhen nicht im Anschauen dessen, was gethan 
ist, sondern wirken weiter in unermüdlicher Sorge um ihr ferneres 
Gedeihen, und der Geeist jener Frau, die sie ins Leben rief, waltet 
über ihr als Genius der Arbeitsamkeit, der Geistesfreiheit und des 
Fortschritts. 



Eingesandte Vorträge: 

1) Evening-Glnbs for Working Girls, by Marion Blackie, Glasgow. 

2) Bericht über die Entstehung und Wirksamkeit des Maria- Vereins 

für sittliche und intellektuelle Hebung junger Frauen aus dem 
Arbeiterstande in Helsingfors. 



VI. 
Donnerstag, den 24. September, Tormittag 10 Ubr*). 

Vorsitz: Frau Minna Cauer, Fräulein Anita Augspurg. 

Frauenwirken In häuslicher und öffentlicher 

Gesundheitspflege. 

Von Frau Lina Morgenstern, Berlin. 

Die Hygiene, d. h. die Lehre von der häuslichen und öffent- 
lichen Gesundheitspflege ist in der Gegenwart als soziale Wissen- 
schaft anerkannt, welche als Bindeglied der menschlichen Gesellschaft 
überall die gleiche Bedeutung hat, sowohl für das Einzelwesen wie 
für die Gesamtheit. Die Lehre von der Erhaltung und Verbesse- 
rung der Gesundheit geht noch der Heil Wissenschaft und Kranken- 
pflege voran. Die letztere tritt erst dann ein, wenn das Wohlsein 
bedroht ist, wenn Leiden entstanden sind, während die Gesundheits- 
pflege Krankheiten vorzubeugen, Kräfte zu erhalten, Gebrechen zu 
mildern sucht. — Körperliche, geistige und wirtschaftliche Ge- 
sundheit des Einzelnen, wie der Gesamtheit, d. h. einer grösseren 
Gemeinschaft sind die höchsten Güter des Lebens, von deren 
Wechselwirkung, Wohlergehen, Glücksbewusstsein und Wohlstand 
abhäng« n. 

Die Hygiene ist der Inbegriff alles dessen, was die Erhaltung 
und Förderung menschlichen Wohlbefindens zum Gegenstand hat, 
nicht nur das leibliche und geistige, sondern auch das sittliche. 
Sie hat sich mit dem zu beschäftigen, was dem Leben dienlich ist 
und mit all den Gefahren, die es bedrohen. Soll die häusliche und 
öffentliche Gesundheitspflege Nutzen bringen, so müssen ihre Lehren 
Allgemeingut werden. 

Die häusliche Gesundheitspflege übt ihren Schutz auf die 
Einzelnen in der Familie aus, die öffentliche, welche sich auf ganze 
Ortschaften erstreckt, fördert das Wohl der Massen, verhütet die 
Verbreitung der Epidemien und trifft Versuchsmaassregeln gegen 
allgemeine Uebelstände. 



*) Redigiert von Lina Morgenstern. 



— 236 — 

Bei jener, wie bei dieser mtissen sich Ratschläge der Vernunft 
mit Gesetzen der Moral verbinden, um die Menschen sittlicher, ge- 
sünder — und darum glücklicher und besser zu machen. 

Gesundheitslehre und Gesundheitspflege sind Wissenschaften, 
die von jnder Frau gründlich studiert und praktisch bethätigt 
werden sollten. Hat doch die Natur seihst die Frau, als Mutter, 
zur Hüterin des Lebens und der Gesundheit eingesetzt, indem sie 
das werdende Kind mit ihrem Blute nUhrt, bis es in die Erscheinung 
tritt und dessen Pflege schon vor der Geburt von ihrem Verhalten 
abhängig macht; das Neugeboi-enc nfihrt sie mit den besten Säften 
ihi'es Körpers und wähn»nd der Säugling in ihren Armen ruht, 
sangt- er mit der erst<'n Nahrung zugleich aus ihren Augen die 
ersten Strahlen der Mutterliebe, die für das Hilflose inniges Ver- 
ständnis hat. 

Der Pflegesinn wird in dem Weibe wach, sobald die junge 
Menschenknospe seiner Verantwortung anvertraut ist. Die Älutter 
weiss, dass mit der ersten Gewühnung die Pflege und Erziehung 
beginnt. 

Jedes neugeborene Kind biingt schon in Beziehung auf Er- 
nährung, Sauberkeit und fortdauernde Pflege eine Revolution in 
der Familie hervor. Es beginnt für die Mutter eine Zeit praktischer 
Studien und aufreibender Wachsamkeit, um die kleine Lebens- 
maschine im Zustand guter Ernährung und Widerstandsfähigkeit 
zu erhalten. 

Wie wenig aber werden die Töchter gerade für den mütter- 
lichen Beruf vorbereitet. Die grosse Sterblichkeit der Säuglinge und 
Kinder in den ersten Lebensjahren und die vielen schwächlichen, ge- 
brechlichen und verkrüi)pelt^^n .Menschen sind das beredte Zeugnis 
dessen, was in der ersten Kindesi)fl(*ge gesündigt wird, wenn auch 
noch viele andere Verhältnisse mitsprechen, wie erbliche und er- 
worbene Krankheiten der Eltern: die Sünden der Väter in aus- 
schweifender Lebensweise, Mangel des St Ibstnährens der Mutter, un- 
taugliche Wohnungen, Armut und Vernaehlässigung. 

Der Mutt<?r oder ihrer Vertreterin, die zur Pflege berufen wird, 
ist die Aufgabe gestallt, die Pflegerin und Erzieherin des Kindes 
nicht nur in den ersten wichtigsten Jahren zu bleiben, sondern die 
heranwachsenden IMädchtn und Knaben zu ki-äftigen, tüchtigen 
Menschen heranzubilden und von ihnen jede leibliche, geistige und 
sittliche Gefahr fern zu halten. ]S'ehmen wir dazu, dass die Frau 
für die Gesundheit ihres Ehemannc^s und für die ihrer Hausgenossen 
und Untergebenen ebenso zu sorgen hat, wie für die eigene, so 
werden wir zugestehen müssen, dass bei der Kompliziertheit des 
häuslichen Berufes die Gesundheitspflege allein der Frau eine Fülle 
von Pflichten auferlegt, d(Ten Bedeutung im Allgemeinen zu sehr 
unterschätzt wird. 

Was durch Unwissenheit in ]3ezug auf Gesundheitspfliege ge- 
sündigt wird, lässt sich durch Zifl*ern nicht nachweisen, es zeigt 
sich nur in den Folgen. Ganze Generationen verkrüppeln, grosse 
Summen des National- und Privat Vermögens gehen zu Grunde aus 
der einfachen Ursache einer gruben Vernachlässigung in der Er- 
ziehung der Frau, indem man dem erwachsenen Mädchen die Kennt- 



— 236 — 

nisse vorenthält, die sich auf den menschlichen Körper, seine Organe, 
seine Entwickelung, seine Forderungen beziehen. In der Oberklasse 
jeder Schule miisste der Unterricht in Gesundheitslehre gegeben 
werden und den Mädchen und Knaben besonders nahe gelegt, dass 
nichts so vergiftend auf das Leben wirkt, als IJnmässigkeit und 
Unsittlichkeit. 

Der gi^össte Fehler in der weiblichen Erziehung ist, dass man 
die Jungfrau blind erhalten will in allem, was das Geschlechtsleben 
betrifft und dass sie daher hilflos und unwissend allen Gefahren 
preisgegeben ist. Man verlangt aber von ihr die ganze Verant- 
wortlichkeit ihrer Handlungen als kaum herangereifte Jungfrau, als 
junge Hausfrau und Mutter. — Familienüberlieferungen, Erfahrungen 
und Gewohnheit waren bisher ihre unzuverlässigen Lehrmeisterinnen. 

Auch das Ueberhandnehmen der Frauenkrankheiten ist zum Teil 
darauf zurückzuführen, dass die Jungfrau über ihre eigene Natur, 
ihren Körper und seine Pflege, besonders aber über die ernste Be- 
deutung der Ehe im Unklaren erhalten wird. Wie wäre es sonst 
möglich, dass bei der Wahl des Ehegatten in Bezug auf seine Ge- 
sundheit und sein Vorleben so leichtsinnig von Seiten der Braut 
und deren Eltern gehandelt werden könnte. Es wird nach Ver- 
mögensverhältnissen und Stellung, vielleicht noch nach Charakter 
gefragt, den man jedoch meist erst im Verlauf der Ehe kennen 
lernt; aber nach Gesundheit und sittlichem Vorleben fragen nur 
wenige. Erkundigen sich aber gewissenhafte Väter bei dem Arzte 
des Verlobten ihrer Tochter nach seinem Gesundheitszustand, so er- 
halten sie keine Auskunft, weil das Berufsgeheimnis des Arztes es 
verbietet. 

Aber ach, in wie unzähligen Fällen wird das junge, blühende, 
unschuldige und unwissende Mädchen in den Flitterwochen der Ehe 
ein Opfer, dem qualvollsten Siechtum fürs Leben verfallen oder dem 
frühen Tode geweiht. 

Solche Anschauungen veranlassten uns schon im Jahre 1859 in 
dem von mir mitbegründeten „Frauen verein zur Beförderung der 
Fröbelschen Kindergärten", sowohl in dessen Seminar für Kinder- 
gärtnerinnen, als im Kinderpflegerinnen-Institut die Gesundheits- 
pflege als obligatorischen Lehrgegenstand einzuführen. 

Sie veranlassten mich ferner, in der von mir 1869 begründeten 
ersten Akademie zur wissenschaftlichen Fortbildung für junge 
Mädchen Gesundheitslehre und Kinderpflege als Vorbildung zum 
Mutterberufe erteilen zu lassen. Auch in der von mir im Rahmen 
des Hausfrauenvereins 1878 begründeten Kochschule wird der Unter- 
richt in Emährungs- und Gesundheitslehre erteilt. 

Der Berliner Hausfrauen verein beschäftigte sich von jeher mit 
häuslicher und öfi'entlicher Gesundheitspflege. So richtete er 1877 
ein Laboratorium zur Untersuchung der Lebensmittel ein, in welchem 
ein Chemiker angestellt war, der zum ersten Mal den Frauen und 
Mädchen Unterricht in Untersuchung des Fleisches auf Trichinen 
und Finnen gab und die Anwendung des Mikroskops im Haushalte 
lehrte, um Verfälschungen zu erkennen. 

Dies Laboratorium war mit einer permanenten Ausstellung von 
Lebensmitteln verbunden, um neben dem Guten und Echten das 



— 237 — 

Minderwertige und Gefälschte zu zeigen. Zu gleicher Zeit wurden 
Vorträge über den Bau, die Entwickelung und Behandlung des 
menschlichen Körpers von einem Arzt gehalten. Damals existierte 
noch kein Gesundheitsamt der Behörde und noch keine obligatorische 
Pleischschau. Erst als diese eingerichtet waren, schloss der Verein 
Laboratorium und Ausstellung, weil es kein Bedürfois mehr war. 

Im Jahre 1887 veranstalteten die Aerzte Dr. Tiburtius und 
Flatau mit mir Kurse für häusliche Krankenpflege und Gesund- 
heitslehre, die noch immer während der Wintermonate stattfinden. 

Die grosse Sterblichkeit der Säuglinge in notleidenden Familien, 
wenn die Mutter bald nach der Geburt stirbt oder die Sterblichkeit 
jener unglücklichen Neugeborenen verlassener, armer Mädchen, die 
auf Erwerb gehen müssen, während die Kinder massenhaft den so- 
genannten Engelmacherinnen verfallen, veranlasste mich im Jahre 
1868, vereint mit Männern und Frauen, einen Kinderschutzverein 
zu gründen, der seit 26 Jahren eine segensvolle Wirksamkeit in 
unserer Stadt ausübt. 

Solcher Kinderschutz sollte in jeder Stadt geübt werden. Ein 
Zweig desselben sind die Krippen, welche die Kinder der ausser 
dem Hanse Arbeitenden tagsüber in Pflege nehmen; doch gedeihen 
dieselben in allen anderen Städten, namentlich in Oesterreich, besser 
als bei uns. 

Die Hauptsorge für die Gesundheitspflege ist jedoch die für eine 
angemessene Ernährung. 

Die Naturwissenschaft und Erfahrung lenken unsere Aufmerk- 
samkeit auf den innigen Zusammenhang von Geist und Körper, die 
beide so untrennbar sind, dass die stoffliche Ernährung dengrössten 
Einfluss übt nicht nur auf Gesundheit und Lebenserhaltung, sondern 
auf Gemütsstimmung und Leistungsfähigkeit. So ist Friedrich des 
Grossen Wort zu verstehen: „Alle Kultur geht vom Magen aus". 
Der Magen ist ein Tyrann, von dessen Befriedigung Arbeitskraft 
und Behagen abhängt, sowohl bei dem Einzelnen, wie bei der grossen 
Masse des Volkes. 

Die Ernährungsfrage ruft den Kampf ums Da-ein wach, der 
sich zu allen Zeiten kund gab. Um sich zu erhalten kämpft und 
arbeitet der Mensch. Zugleich ist der Selbsterhaltungstrieb der 
mächtigste Hebel zu allen Kraftanstrengungen, zu aller Kraftent- 
faltung, der Impuls unseres Schafl'ens. 

So steht die Ernährungsfrage im Zusanimenhange mit der Volks- 
wirtschaft, Gesundheitspflege und Sittlichkeit. 

Bei dem besten Willen, sich gut nähren zu wollen, stossen Un- 
zählige auf das Hindernis, es nicht zu können, da die Beschaffenheit 
der Nahrung meist von den Geldmitteln abhängt. Nur wer sich 
und seine Familie selbst zu erhalten vermag, kann für angemessene 
Ernährung: sorgen. Unsere sämtlichen sozialen Zustände hängen 
mit der Broterwerbs frage zusammen. 

In diesem Jahre ist durch eine Enquete in Wien über die Lohn- 
verhältnisse der Fabrikarbeiterinnen in der Hausindustrie zur öffent- 
lichen Kenntnis gekommen, welchem Elend das sogenannte schwache 
Geschlecht ausgesetzt ist; wie Mädchen und Frauen bei 10- und 
12 stündiger Arbeit kaum so viel verdienen, um im kleinsten Baume 



— 238 — 

zu wohnen, ja oft nur eine Schlafstelle bezahlen können, sich 
schlecht und kümmerlich nähren, und dann dem Siechtume und der 
Arbeitslosigkeit verfallen. 

Dieser im allgemeinen unvernönftigen, ungenügenden Ernährung, 
der Zersplitterung der Kräfte und Stoffe in den Einzelwirtschaften 
der unbemittelten und den alleinstehenden Erwerbenden abzuhelfen, 
giebt es nur eine wirtschaftliche Erleichterung und hygienische 
Fürsorge: Es ist die Einrichtung von Anstalten für Massen- 
speisung. 

Solche Anstalten sollen ermöglichen, eine gute, nahrhafte, ge- 
nügende und wohlschmeckende Kost zum niedrigsten Herstellungs- 
preise für die verschiedenen Kategorien der Konsumenten zu schaffen, 
bei der für jeden derselben Ersparnisse erzielt werden, die den 
übrigen Lebensbedürfnissen zu gute kommen. 

Wenn die Hausfrau des Tagelöhners sich nicht mehr bei karg 
zugemessenen Mitteln mit Einkauf, Berechnung, Zubereitung der 
Speisen und Transport des Essens zu beschäftigen haben wird, kann 
sie mehr Zeit und Sorgfalt auf Sauberkeit der Wohnung, Pflege und 
Beaufsichtigung der Kinder, auf das Ausbessern der Wäsche etc. 
verwenden. 

Kommt der Mann heim und das sorgfältig zubereitete Essen 
der Volksküche steht auf dem reinlich gedeckten Tische, so wird 
die Frau nicht abgearbeitet daran teilnehmen, der Mann wird sein 
Heim behaglich finden und die Kinder werden ein besseres Familien- 
leben kennen lernen. 

Die Trunksucht nimmt meist nur da überhand, wo der Magen 
eine regelmässige gute Nahrung entbehrt. Es wird die augen- 
blickliche Befriedigung gesucht, die nur zu bald zur Gewohnheit wird. 

Anstalten für Massenspeisung, welche alle Vorzüge des kon- 
zentrierten G-rossbetriebes zu Gunsten der Konsumenten hergeben 
ohne jeden Gewinn für die Unternehmer, können nicht nur billigere, 
sondern auch bessere Speisen liefern, als der Einzelne oder kleine 
Gastwirte, die aufs Verdienen angewiesen sind. Da es nun aber 
eine bekannte Thatsache ist, dass sich überhaupt bei guter, billiger 
Küche nichts gewinnen lässt, sind kleine Gastwirtschaften darauf 
angewiesen, alkoholische Getränke zu verkaufen und die Kon- 
sumenten unterliegen dem Branntwein- oder Bierzwang, der zu 
Mehrausgaben veranlasst und zum Gewohnheitstrinken führt. 

Ohne eine gewissenhafte Kontrolle und Beaufsichtigung, die in 
keiner besoldeten Hand liegen darf, können aber Anstalten für 
Massenspeisung nicht die möglichst beste Kost erzielen. 

Solche Motive waren es, die mich im Kriegsjahre 1866 zur 
Begründung der Berliner Volksküchen führten. Sie beruhen auf 
dem Prinzip der Selbsterhaltung durch den Konsum. Sie sollen 
wirtschaftliche Hilfsanstalten sein für Jeden, der ihrer bedarf. 

Aus diesem Grunde nehmen jene Betriebe keine Wohlthätig- 
keitsbeiträge. Die einzige Wohlthat, die geübt wird, ist die per- 
sönliche freiwillige Thätigkeit der Vorsteherinnen und Aufsichts- 
damen, welche durch beständige Kontrolle für die Güte der Speisen 
sorgen, deren sorgfältige Zubereitung und den statutengemässen 
Betrieb. Durch die Beteiligung der Frauen an der freiwilligen Arbeit 



— 239 — 

in den Volksküchen traten dieselben zum ersten Mal in direkten 
Verkehr mit den Arbeitern und dem Proletariat. 

Damit aber auch den Notleidenden geholfen werde, welche 
überhaupt keine Mittel zum Einkauf von Speisen haben, stifteten die 
Vorsteherinnen eine von der Verwaltung der Volksküchen getrennte 
Untersttitzungskasse zur Speisung Notleidender in den Volksküchen; 
die Berliner Volksküchen haben Nachahmung in allen Ländern ge- 
funden und gaben Anregung zu den Volkskaffeehallen und den 
Fabrikküchen. 

Sie sind das wirksamste Mittel gegen das Branntweintrinken, 
welches die armen Leute über den Hunger hinwegtäuschen soll. 
Die Trunksucht nimmt in unsrem Deutschland in erschreckender 
Weise in allen Ständen zu, sie schadet aber am meisten, wo der 
arme Mann nur im Schnaps sich derselben hingiebt. Ein anderer 
B;edner und bewährter Kämpfer gegen den Missbrauch geistiger 
Getränke wird Ihnen über die schrecklichen Folgen desselben be- 
:cichten. Ich mö'ehte nur aussprechen, dass es die Aufgabe der 
Frauen, als Hüterinnen der Gesundheit und Sittlichkeit ist, sich 
dem Kampf gegen die Trunksucht anzuschliessen. 

Dazu gehört auch für alle alleinstehenden Menschen der ver- 
schiedenen Stände Speiseanstalten zu errichten, in denen kein Trink- 
zwang herrscht, aber nahrhaftes gut zubereitetes, den Gesundheitsregeln 
entsprechendes Essen bereitet wird. Dann wird auch der Wirts- 
hausbesuch nachlassen. 

Man sorge nun auch zugleich in solchen Speisehallen für gute 
geistige Kost. Es bleibrn noch unendlich viele Veranstaltungen zur 
häuslichen und öffentlichen Gesundheitspflege zu erwähnen. Allein 
ich muss mich kurz in den mir gegebenen 20 Minuten fassen. Wie 
viel ist für die Reform der weiblichen Kleidung zu thun, um 
den alberneu Modethorheiten entgegenzuarbeiten, die so viele 
Opfer körperlichen Wohlbefindens fordern. Wie viel um gesunde 
Wohnungen für Bedürftige zu schaffen, wie musste gegen das 
Schlafstellenwesen vorgegangen werden, welches Unsittlichkeit und 
Verbrechen fördert, wogegen nur billige Asyle und Massenwohn- 
stätten helfen. Wie durchaus notwendig wäre die allgemeine Ein- 
führung weiblicher Fabrikinspektoren. 

Zwei grosse Vereine für häusliche und öffentliche Gesundheits- 
pflege erfüllen die Fürsorge für Ferienkolonien. Ueberall regt sich 
der gute Wille, die Gesundheit der Schwachen zu stärken. Volks- 
badeanstalten, Spiel- und Turnplätze, Entbindungsasyle für not- 
leidende Ehefrauen, Kinder- und Mädchenhorte erstehen. 

Lasst uns, Ihr lieben Schwestern aller Nationen, mit Energie 
für die häusliche und öffentliche Gesundheitspflege eintreten, lasst 
uns allen Schädigungen derselben entgegenarbeiten! Schützet die 
hilflosen Kinder, erziehet Eure Töchter und Söhne durch Abhärtung 
zur Selbstbeherrschung, Keuschheit und Massigkeit! Beseitiget den 
Schmutz wo Ihr ihn findet, sorget für Licht, Luft und Sonnenschein 
in Euren Wohnungen und in den Wohnungen der Armen, sorget, 
dass niemand in Eurer Nähe Hunger leide oder der schützenden 
Ruhestätte nach der Arbeit entbehre, dann werdet Ihr beitragen 



— 240 — 

Glück UDd Zufriedenheit zu schaffen, denn das höchste Glück, das 
der Einzelne wie ein ganzes Volk erringen kann, ist leih liehe, 
geistige und sittliche Kraft — durch Gesundheit! 

Bericht über das Yiktoriahaus für Krankenpflege 

in Berlin. 

Von der Oberschwester Fräuiein Anna Stock. 

Hochgeehrte Versammlung! 

Es ist mir der Auftrag geworden, heute, an dieser Stelle, eine 
kurze Darlegung der Bestrebungen und Prinzipien zu geben, denen 
das Viktoriahaus für Krankenpflege, diese Schöpfung Ihrer Majestät 
der Kaiserin Friedrich, seine Entstehung verdankt. 

Geleitet von dem doppelten Gesichtspunkt, die Krankenpflege 
als Beruf zu heben und für gebildete Frauen ein Feld der Thätigkeit 
zu schaffen, das ihren geistigen Bedürfnissen Befriedigung, und ihrer 
materiellen Existenz die nötige Sicherung gewähren sollte, entschloss 
sich die damalige Kronprinzessin eine Stätte für freie Krankenpflege 
in Berlin zu gründen, d. h. einen Verein gebildeter Frauen zu orga- 
nisieren, die, ohne einer religiösen Gemeinschaft anzugehören, aus 
Interesse an der Sache, sich dem Berufe der Krankenpflege ver- 
pflichten würden. 

Das grosse Beispiel der Miss Mghtingale hatte in England ge- 
wirkt, und zur Errichtung von Schwesternschaften geführt, die, 
durch keinerlei religiöse Gelübde gebunden, eine segensreiche Wirk- 
samkeit entfalteten. Es ward ein Lieblingsgedanke der Frau Kron- 
prinzessin, eine ähnliche Schwesternschaft in Berlin zu gründen. 

Darüber war kein Zweifel, dass für gebildete und gut geschulte 
Krankenpflegerinnen ein weites Feld noch offen stand, neben den 
Häusern der evangelischen Diakonissen und denen der katholischen 
Ordensschwestern, deren segensreiches Wirken sich ja nicht überall 
hin erstrecken, und deren Schwesternzahl niemals ausreichen kann 
für alle Not, die zu bekämpfen ist. 

In Deutschland lebt aber eine grosse Zahl von unverheirateten, 
unbemittelten Frauen, von guter Bildung und Herkunft, die sich 
nach befriedigender Thätigkeit und auskömmlichem Erwerb sehnen. 
Diese Frauen können nicht deshalb, weil sie einem auf Nächsten- 
liebe gegründetem Berufe folgen, sofort aus der Welt flüchten und 
den Ihrigen ihre Unterstützung entziehen; sie müssen die Früchte 
ihrer Arbeit nach Gutdünken verwenden können, gegebenen Falles, 
zum Wohle ihrer Familie. Dies ist aber nur möglich, wenn die 
Krankenpflege als freier Beruf geübt wird, ohne andere bindende 
Gelübde, als solche, die der Beruf mit sich bringt. Gev^ss wird 
jede Frau, die sich dem Dienste der Kranken widmet, zu diesem 
Werke hohe religiöse und sittliche Anschauungen in sich tragen. 
Ohne Glauben, ohne den Auf blick nach Oben, wie sollte sie den im 
Leiden Verzagten und Mutlosen Trost und Hilfe bringen? Wie 
sollte sie ausharren unter den hohen Anforderungen, die in Zeiten 
des Krieges, der Epidemien, und den oft hoffnungslosen Zuständen 
in der häuslichen Armenkrankenpflege an sie herantreten? Es ist 



— 241 — 

aber keineswegs nötig, dass sie, um Kranke gut zu pflegen, in ihren 
freien Stunden auf alles Schöne und Frohe im Leben, auf den Ver- 
kehr mit ihrer Familie und ihren Freunden verzichte, dass sie jedem 
Grenuss von Kunst und Natur entsage. 

Im Gegenteil, je mehr Nahrung ihrem Gemüt, neben ihrem 
Beruf, zuteil wird, desto mehr Frische und Freudigkeit wird sie 
in denselben hineintragen, desto mehr wird sie darin leisten. 

Diesen Gründen, dem edlen Willen, den Leidenden bestge- 
schulteste Pflegerinnen den nach Arbeit verlangenden Frauen neue 
Wege zu eröffnen, zugleich Schulung des Wollens und Könnens und 
eine heimatliche Stätte für die freien Stunden, die der Beruf ihnen 
lässt, zu schaffen, verdankt das „Viktoriahaus für Krankenpflege" 
seine Entstehung und der Erfolg zeigte, dass es einem bestehenden 
Bedürfnis entsprach. — Der Anfang war klein und bescheiden. 
AJs Zweig, und im Anschluss an den Berliner Verein für häusliche 
Gesundheitspflege wurde das Viktoriahaus ins Leben gerufen. Dieser 
Verein hatte die Ausbildung von Pflegerinnen und deren Be- 
schäftigung in der Armen-Krankenpflege in seinen Statuten vorgesehen. 

Die Frau Kronprinzessin, unter deren Protektorat der Verein 
stand, hatte selbst eine Oberin, Fräulein Luise Fuhrmann, erwählt 
und diese in den besten Anstalten Englands in allen Zweigen der 
Krankenpflege ausbilden lassen. Eine glücklichere Wahl konnte 
nicht getroffen werden. 

In Fräulein Luise Fuhrmann vereinten sich seltene Geistes- 
und Herzensgaben mit Energie und rastloser Thätigkeit. Ein 
weiter Blick und ungewöhnliche Organisationskraft mit dem höchsten 
Enthusiasmus für den Beruf, mit der leitenden Idee, was die Klranken- 
pflege bedeutet und was sie sein muss. 

Dieser Oberin schlössen sich sechs Pflegerinnen an, die in 
deutschen Anstalten teils in Kiel, teils in Berlin ihre Ausbildung 
erhalten hatten und die kleine Schar bezog eine für sie gemietete 
Wohnung und begann, unter dem Namen „ Viktoriasch w es tem", ihre 
Thätigkeit zunächst in der Armen-Krankenpflege. Für die Geschäfts- 
leitung der jungen Organisation wurde ein Spezial-Komitee gebildet. 
Der damalige Kronprinz und seine hohe Gemahlin gewährten dem 
Verein ein Stiftungskapital von 120000 Mark aus einer, dem hohen 
Paare bei Gelegenheit seiner silbernen Hochzeit, zur Disposition 
gestellten Summe. 

Durch diese Zuwendung und durch die steigende Teilnahme 
des Publikums wurde zu einer erfreulichen Entwicklung des Viktoria- 
hauses der Grund gelegt; je weiter dieselbe aber fortschritt, desto 
mehr wurde es aus seinem engen Rahmen herausgedrängt. Das 
Viktoriahaus war bis jetzt für die Ausbildung seiner Pflegerinnen 
auf fremde Anstalten angewiesen. Es begegnete dabei grossen 
Schwierigkeiten, welche bei englischen Anstalten in der Höhe der 
Kosten, bei deutschen Anstalten in dem Mangel eines einheitlichen 
Unterrichtes bestanden. Mit Freuden ergriff daher das Viktoriahaus 
die im Jahre 1884 sich darbietende Gelegenheit mit dem grossen 
städtischen Allgemeinen Krankenhause in Friedrichshain, in der 
Weise in Verbindung zu treten, dass letzteres die unentgeltliche 
Ausbildung der Pflegerinnen übernahm, das Viktoriahaus aber sich 

16 



— 242 — 

verpflichtete, sofort einen Pavillon der Anstalt mit Schwestern zu 
besetzen und von jetzt ab die Hälfte der in der Anstalt auszu- 
bildenden Schwestern dem Hospital zu überlassen, um dadurch all- 
mählich die gesamte Pflege in demselben zu übernehmen. Ein 
ähnliches Verhältnis konnte zu der chirurgischen und gynäkologischen 
Klinik der Universität Berlin hergestellt werden, und so wurde nach und 
nach die Hospitalpflege zur Hauptthätigkeit desViktoriahausps. 

Die Hospitalpflege war, abgesehen von ihrem Werte für die 
Ausbildung der Schwestern, dem öffentlichen Interesse in hervor- 
ragender Weise entsprechend, denn in einem Hospital, möge dies 
auch sonst den höchsten Anforderungen genügen, ist die Pflege der 
Kranken besser aufgehoben in den Händen gebildeter Frauen, welche 
in der Ausübung ihres Berufes sittliche Befriedigung finden, als 
in den Händen ungebildeter Wärterinnen, welche den Beruf nur 
als Erwerbsquelle betrachten. In dieser Weise entfernte sich indessen 
der Verein von seinem ersten statutarischen Zweck: der Armen- 
Krankenpflege. Das Viktoriahaus wurde durch das Eintreten in 
die Hospitalpflege und durch die stetige Vermehrung der Pflege- 
rinnen zu einer selbständigen Organisation hingedrängt. 1 885 fasste 
der Verein für häusliche Gesundheitspfl»*ge den Beschluss, das 
Viktoriahaus selbständig zu machen, nur durch gleichartige Be- 
strebungen noch mit ihm verbunden zu bleiben und die Pflegerinnen 
für häusliche Armen-Krankenpflege auch ferner von ihm zu übernehmen. 

Es wurde die Ueberweisung des erwähnten Stiftungskapitals 
an das Viktoriahaus, als dessen Eigentum, beschlossen und von den 
hohen Gebern genehmigt. Mit der Wahl eines neuen Vorstandes 
konstituierte sich das „Viktoriahaus für Krankenpflege" zu einem 
selbständigen Verein, und die Frau Kronprinzessin hatte die G-nade, 
das Protektorat desselben zu übernehmen. Bald darnach wurden 
ihm die Rechte einer juristischen Person verliehen. Es verlegte 
seinen Wohnsitz nach dem zum städtischen Krankenhaus im Friedrichs- 
hain gehörigen Pflegerinnenhaus, veröffentlichte 1886 seinen ersten 
Jahresbericht und konnte seitdem von Jahr zu Jahr ein stetes 
Wachstum verzeichnen. Die Direktoren des Städtischen Allgemeinen 
Krankenhauses im Friedrichshain übernahmen den theoretischen 
Unterricht der Schülerinnen, und durch ihre Mühe und Sorgfalt, 
verbunden mit der praktischen Anleitung, welche die Oberin den 
Schülerinnen angedeihen Hess, wurde eine möglichst vollkommene 
Ausbildung erreicht. Bald wurden dem Viktoriahaus Schülerinnen 
und Schwestern anderer Vereine zur Ausbildung anvertraut, und 
wenn es solche auch nur in beschränkter Zahl aufnehmen konnte, 
so zeigt doch diese Thatsache, welche Anerkennung die Methode 
des Unterrichtes fand. Mit der Zeit wurden zahlreiche andere 
Klrankenanstalten mit Viktoriaschwestern besetzt und mancher aus- 
wärtige Verein erwählte sich eine Oberin aus ihrer Mitte. 

Diese Erfolge sind der guten, strengen Schule des Hauses, dem 
vorzüglichen Unterricht, welchen die Schwestern geniessen, zu ver- 
danken. Das Viktoriahaus, welches im Jahre 1882 mit der Oberin 
und sechs Schwestern seine Thätigkeit begann, umfasst jetzt 250 
Schwestern, welche in verschiedenen städtischen Krankenhäusem, 
in den Universitätskliniken von Berlin und Breslau, im Waisen- 



— 243 - 

haus zu Rummelsburg, in dem Kaiser und Kaisenn Friedrich- 
Kinder-Krankenbaus, in mehreren Heimstätten für Erholungsbedürftige 
bei Berlin und Frankfuii: a. M., in Privat-Krankenpflege und in 
der Armen-Krankenpflege beschäftigt sind. Im vorigen Jahre ent- 
sandte es eine Schwester nach Tanga in Ostafrika an das dortige deutsche 
Krankenhaus. Während des Bulgarischen Krieges waren mehrere 
Schwestern auf dem Kriegsschauplatz thätig, und in der schweren 
Zeit der Cholera in Hamburg beteiligten sich drei Viktoriaschwestem 
an der Pflege der dort Erkrankten. 

Dem Vaterländischen Prauenverein zum roten Kreuz hat sich 
das Viktoriahaus angeschlossen, indem es die Verpflichtung übernahm, 
im Kriegsfall und in Zeiten der Epidemien eine bestimmte Zahl 
Schwestern zur Verfügung zu stellen. Trotz der grossen Zahl der 
250 Schwestern mussten die Wünsche vieler Krankenhäuser und 
Privat- Kliniken, ihnen Schwestern zu überlassen, abgelehnt werden, 
weil dazu die Zahl doch noch unzureichend war. Dank dem ftlr- * 
sorgenden Bestreben seiner hohen Protektorin, Ihrer Majestät der 
Kaiserin Friedrich, dem hochverdienten Vorstand, der grossartigen 
Hilfe der Stadt Berlin und dem rastlos thätigen Geist seiner, dem 
Viktoriahaus leider zu früh entrissenen Oberin, besitzt der Verein 
seit dem Jahr 1892 ein eigenes, schönes Haus, das den Schwestern 
ein gemüthliches Heim bietet, und in welchem die Schülerinnen, 
während der Zeit ihrer Ausbildung, die in der Privatpflege beschäf- 
tigten, sowie die der Erholung bedürftigen Schwestern ihren Auf- 
enthalt haben. So kann das „Viktoriahaus für Krankenpflege" nach 
kaum vierzehnjährigem Bestehen auf eine schöne Ent Wickelung und 
segensreiches Wirken zurückblicken. 

Der Umsicht und der Thatkraft der verstorbenen Oberin ist das rasche 
Wachsen und Blühen des Viktoriahauses zumeist zu danken und ist ihr 
früher Tod der schwerste Verlust, der unsere junge Anstalt treffen konnte. 

Mit der Grründung des Viktoriahauses ist vielen Frauen ein be- 
glückender Beruf, eine sichere Existenz eröffnet worden. Die 
Schwestern beziehen einen ausreichenden G-ehalt, neben freier Station 
und Dienstkleidung. Für deren Arbeitsunfähigkeit durch Alter 
oder Krankheit ist nach Möglichkeit gute Fürsorge getroffen. 

Der Beruf der Krankenpflege ist zum Segen geworden für 
alle, die sich ihm mit ganzer Seele hingeben, er hält sie fest, auch 
ohne bindende Gelübde, durch seine beglückende Macht. 

Möchten doch recht viele unbefriedigte, nach Selbständigkeit 
ringende Frauen sich diesem Wege zuwenden, der, wenn auch 
anfangs schwer, mit jeder zurückgelegten Strecke beglückender wird 
und dem Herzen Frieden und Ruhe bringt. 

Bericht über die Thätigkeit des deutschen Frauen- 
Vereins für Krankenpflege in den Kolonien. 

Von Fräulein Clara Müseler, Berlin, Schriftführerin und Delegierte 

des Vereins. 

Hochansehnliche Versammlung! 
Als vor etwas mehr denn einem Jahrzehnt auch die deutsche 
Nation in den Wettstreit um den Besitz überseeischer Kolonieen ein- 

16* 



— 244 — 

trat, regte sich in den Frauenherzen der Wunsch, Teil zu haben an 
dem neuen Arbeitsfeld. 

Unter dem Vorsitz des Grafen Pfeil und des Frl. v. Bülow bildete 
sich ein Frauenverein, der es sich zur Aufgabe stellte, die Wunden, 
die geschlagen werden würden, zu heilen, den Fieberkranken und 
Leidenden in den Kolonieen der deutschen Heimat Trost durch 
sachgemässe weibliche Pflege an ihr Lager zu tragen. 

Ostafrika bot sich als erste Arbeitsstätte! 

Jedoch noch waren die allseitigen Verhältnisse zu wenig ge- 
festigt. 

Noch gab es zu viel des Ungewohnten, Unverständlichen, zu viel 
noch der hin- und herwankenden Beschlüsse, die später verworfen 
wurden. — Auch der Frauenverein musste erst durch begangene 
Irrtümer lernen. 

Zielbewusster und energischer wurden die Bestrebungen, als 
wir im April 1888 eigentlich ganz von neuem anfingen! 

Als Hilfs verein dem Vaterländischen Frauen verein angeschlossen, 
errichteten wir als ersten Markstein in Ost- Afrika eine kleine Sama- 
riterstation zu Dar-es-Salam, mit den Schwestern Auguste Hertzer 
und Hertha Wilke. 

Leider sollte die friedvolle Thätigkeit der Schwestern nicht 
lange währen. Der Araberaufstand bereitete ihr ein schnelles Ende. 
Das Haus ward demoliert, und die Schwestern entkamen mit genauer 
Not nach Zanzibar. 

Jetzt gründeten wir während der Dauer des Aufstandes unter 
dem nunmehrigen Vorsitz der Q-räfin von Monts, Q-emahlin des da- 
maligen kommandierenden Admirals, in G-emeinschaft mit der evan- 
gelischen Missionsgesellschaft das grosse Kriegslazaret zu Zanzibar. 
Daneben berief der Gouverneur von Wissmann den Verein im 
Mai 1889 zu segensvoller Arbeit nach dem deutschen Festlande 
Ost- Afrikas zurück und zwar nach Bagamoyo, damaliger fester 
Militärstation. 

Im Lauf der Jahre ist es uns mit G-ottes Hilfe vergönnt ge- 
wesen, in Ost- Afrika eine Station nach der anderen und zwar in 
Bagamoyo, Pangani, Kilwa, Lindi und Tanga einzurichten und je 
nach Bedarf weiterzuführen, ja endlich auch zu Anfang dieses Jahres 
nach Dar-es-Salam, von dem aus wir klein und bescheiden ausge- 
gangen waren, zurückzukehren, um demnächst einzuziehen in das 
wundervoll grosse und geräumige Regierungslazaret, zu dessen 
tropen-hygienischem Bau der deutsche Reichstag ungeschmälert die 
nötigen Mittel bewilligte. 

Ehe der Frauenverein gerade diesen ihm besonders am Herzen 
liegenden Erfolg dankbar und zukunftsfreudig zu verzeichnen hatte, 
war ihm vergönnt worden, im Laufe der Jahre neben Ost-ALfrika 
seine Thätigkeit auf alle deutschen Kolonieen ausdehnen zu dürfen. 

Zuerst begehrte Neu-Guinea seine Hilfeleistung, und nach dem 
mit dem Direktorium der Kompanie abgeschlossenen Vertrage, 
konnten wir 1891 Auguste Hertzer, unsere erste und älteste Pionier in, 
die s. Z. den schwer verwundeten Emin Pascha in Bagamoyo gesund 
gepflegt hatte, als mutige Bahnbrecherin nach Stephansort in Neu- 
Guinea senden. 



— 246 — 

Gerade am heutigen Tage trägt sie der Dampfer von Neapel 
aus, nach kurzem Heimatsurlaub zum drittenmal in das ihr lieb- 
gewordene Arbeitsfeld in der Südsee, in dem sie jetzt ihre zweite 
Heimat sieht, zurück. 

Nach Neu-Guinea stellte Kamerun sich in die Reihe unserer 
Pflegbefohlenschaft. Das auswärtige Amt, das in der Person seines 
Direktors Dr. Kayser in gar nicht hoch genug zu schätzender Be- 
reitwilligkeit unsere Bestrebungen gefördert und kräftig unterstützt 
hat, rief im September 1892 den Frauen- Verein nach West-Afrika, 
ebenso wie es ihn s. Z. nach Ost-Afrika gerufen und ihm die Wege 
auch dort, wie überall in thatkräftiger Anteilnahme geebnet hatte. 

In Kamerun durfte der Verein zum ersten male in einem für 
seine Zwecke direkt erbauten Hospital pflegen, während bis dahin 
die Samariterstationen immerhin gewissermaassen den Charakter 
fliegender Lazarete getragen hatten, da sie bisher in restaurirten 
Kasernen oder in irgend welchen dazu geeignet scheinenden Räum- 
lichkeiten der verschiedenen Forts hatten untergebracht werden 
müssen. 

Kaum war das Lazaret in Kamerun eröffnet, so stellte die 
Nachtigallgesellschaft hierselbst dem Ausw. Amt eine grössere 
Summe zum Anfang des Baues eines Hospitals auch in Togoland 
zur Verfügung, und im Jahre 1894 durften die Schwestern des 
Frauenvereins auch hier ihren Einzug halten. 

Während der kurzen Zeit seines Bestehens hat dieses nach 
dem berühmten Forscher und Erwerber des Togolandes seinen 
Namen tragende Nachtigall-Krankenhaus sich solchen Ruf erworben, 
dass z. B. das Hospital in dem benachbarten Wydah einfach ge- 
schlossen werden musste, weil alle kranken Franzosen in das Nachtigall- 
Krankenhaus gehen, wie die Engländer in das deutsche Lazarett 
zu Kamerun. 

Im Jahre 1895 sah mit der Berufung nach Windhoek in Süd- 
westafrika der Frauenverein sein Ziel, die Segnungen des roten 
Kreuzes in sämtliche deutsche Kolonien tragen zu dürfen, erreicht. 

Dankbar gegen Gott, dankbar gegen alle, die sein Thun ge- 
fördet haben, sieht der Frauenverein auf eine nun 8jährige Thätigkeit 
zurück. Von Herzen dankbar, denn welchen Segen zu verbreiten 
ist ihm vergönnt gewesen durch die kräftige, opferbereite Unter- 
stützung, die ihm von allen Seiten geworden. 

Zuerst gab es wohl manchesmal nicht nur Kopfschütteln, 
sondern auch Widerstand an maassgebenden Stellen, man wollte 
keine Frauenhilfe in Afrika! Aber, in diesen Widerstand kleidete 
sich doch nur ein gut Teil Ritterlichkeit, — man meinte, Frauen 
eben nicht Gefahren und Entbehrungen aussetzen zu sollen, die zu 
überwinden, wie man damals dachte, sie durchaus nicht geeignet 
wären. Aber das war nur im Anfang! — Als man sah, wieviel 
Pflichttreue, Widerstandsfähigkeit und Energie in diesen zarten 
Schwestern sich verkörperte, da hatte der Frauenverein auf der 
ganzen Linie gewonnen. 

Und zu solchem Siege verhalf uns im Beginn, dankbar wollen 
wir es aussprechen, neben Auguste Hertzer das Klementinenhaus in 
Hannover mit seinen vortrefflich geschulten Schwestern, die ein 



— 246 — 

Kontrakt während der Kriegsdauer in Ost- Afrika an uns band. — 
Trefflich geschulte und bewährte Pflegerinnen folgten ihnen dann 
aus den Hospitälern des Roten Kreuzes zu Hamburg und München, 
dem Marienheim in Teltow, dem Schwestern verband der Gräfin 
Rittberg, dem Viktoriahaus zu Berlin, dem Martha-Mariahaus zu 
Nürnberg und anderen mehr. 

Und neben unseren Pflegeschwestern müssen wir auch unserer 
treuen Wirtschaftsschwestern anerkennend gedenken. 

Als es galt die Erzeugni-^se der Kolonien der Krankenküche 
drüben zu erschliesscH und nutzbar zu machen, der Einförmigkeit 
des Gebotenen immer wieder neue kulinarische Seiten abzuge- 
winnen,, die nervösen Kranken über Fehlendes oder zu oft 
Gebotenes hinweg zu täuschen, da versagte doch manches mal 
die Kochkunst unserer Pflegeschwestern, und so sah sich der Vor- 
stand vor die Notwendigkeit gesetzt, Wandel zu schaffen. Dass 
ihm sein Vorhaben gelang, und er tüchtige Wirtschaftskräfte hinaus- 
zusenden vermochte, das dankt er der thätigen Anteilnahme, die 
ihm von dem Vorstande der badischen Frauenvereine entgegengebracht 
wurde. Aus den Grossherzoglichen Haushaltungschulen zu Karls- 
ruhe erhielt er umsichtige, zweckentsprechend vorgebildete Wirt- 
schaftskräfte, deren z. Z. noch drei, zwei davon in Ost- Afrika, eine 
in Windhoek, beschäftigt sind. 

Um die Thätigkeit des Frauenvereins in den Kolonien zusammen- 
zufassen, so ist sie durch Kontrakt mit dem Ausw. Amt dahin ge- 
regelt, dass die Kaiserliche Regierung das Haus, den Arzt, Apotheke 
und Instrumente, sowie die Möbel stellt, ebenso die Verpflegungsmittel 
für Kranke und Schwestern, während der Frauenverein die Schwestern 
sendet, ihre Reisekosten, Gehalt und Kleidung übernimmt, und die 
Einrichtung der Krankenzimmer, der Küche und Wirtschaftsräume, 
die ganze Wäsche und das Geschirr liefert. 

Daneben sendet der Frauenverein nach Bedarf sogenannte 
Liebesgabentransporte, *d. h. Stärkungsmittel, Konserven, Wein, 
Fruchtsäfte u. s. w. für die Kranken, und zu jedem Weihnachts feste 
zündet er den Patienten und den Schwestern einen deutschen Tannen- 
baum an, und deckt den Gabentisch mit mancherlei Nützlichem und 
Erfreulichem aus der lieben Heimat, was die Vereinsmitglieder das 
Jahr über zu diesem Zwecke mit liebevollem Interesse gearbeitet 
und zusammengetragen haben. 

Augenblicklich beschäftigt der Verein 15 Schwestern in den 
Kolonien; davon entfallen auf Ost- Afrika 6; 3 in Dar-es-Salam, Sin 
Tanga, während eine siebente Schwester, die den geburtshilflichen 
Kursus in der Grossherzoglichen Landesanstalt zu Jena soeben 
absolviert hat, auf der Hinreise nach Ost- Afrika sich befindet. Man 
harrt ihrer Ankunft sehnlich entgegen, denn besonders Tanga ist 
nachgerade der Sitz so manches jungen deutschen Ehepaares geworden. 

In Neu-Guinea waltet Auguste Hertzer vorläufig allein in dem 
schönen Krankenhause auf der Insel Beiiao, das die Neu-Guinea- 
Gesellschaft für ihre Beamten erbaute, und in dem sie auch den 
fieberkranken, kühnen Forscher Otto Ehlers, ihren alten Freund 
aus Ost-Afrika wieder gesund gepflegt hatte; — leider ja nur für 
eine Erforschungsexpedition, die ihm den Tod bringen sollte. 



— 247 — 

In Kamerun sind im neuen Krankenhause zur Zeit 3 Schwestern 
thäti^, in Togo und Windhoek je 2. 

Während seiner bisherigen Thätigkeit hat der Frauenverein 
42 Schwestern in die Kolonien entsjindt; verschiedene wie Auguste 
Hertzer, Schwester Lilly Gräfin Pückler, Anna Bässler mit wieder- 
holt erneutem Kontrakt. 

Der an sich schon ernste Beruf einer Krankenpflegerin wird 
unseren Sendbotinnen durch das ungewohnte Tropenklima noch wesent- 
lich erschwert, trotzdem haben nur eine geringe Anzahl von Schwestern, 
etwa 7 im Laufe der Jahre vorzeitig zurückkehren müssen und nur 
1 Schwester, und zwar erst in diesem Jahre, ist dem Klima erlegen. 
Umsomehr wollen wir es dankbar anerkennen, dass trotz aller vor- 
liegenden Schwierigkeiten und Gefährdungen die Zahl derer, die 
sich zu der opferwilligen Liebesarbeit in den Kolonien meldet, nicht 
ab, sondern in erfreulicher Weise von Jahr zu Jahr zunimmt. 

Die dem Frauenverein sich zur Verfügung stellenden Schwestern 
werden auf ihre gesundheitliche Tropentüchtigkeit durch den Tropen- 
arzt, Herrn Stabsarzt Dr. Kohlstock in Berlin persönlich, ausserhalb 
nach einem von ihm ausgearbeiteten Fragebogen sorgfältigst untersucht. 
Haupterfordernisse sind: kräftig arbeitendes Herz und Lunge, 
Freisein von Bleichsucht und Rheumatismus oder erblicher An- 
lage dazu. — 

Tn der Heimat hat der Frauenverein, nachdem er im April 1888 
mit einer Zahl von kaum 200 Mitgliedern und 4 Abteilungen an- 
gefangen, seine Abteilungen auf 19 und zwar in Bremen, Chemnitz, 
Danzig, Dar-es-Salam, Dessau, Düren, Düsseldorf, Glasgow, Hamburg- 
Altona, Kamerun. Kiel, Köln, Nürnberg, Tanga, Togo, Weimar, 
Wilhelmshaven, Windhoek, Zanzibar (als zwanzigste jetzt Apia- 
Samoa), stine Mitgliederzahl auf 1700 anwachsen sehen. 

Eine Vereinszeitung „Unter dem roten Kreuz" erscheint all- 
monatlich, von Damen des Vorstandes redigiert, und geht den Mit- 
gliedern unentgeltlich zu. Die Zeitschrift, die fortlaufende Berichte 
aus den Aufzeichnungen der Schwestern in den Kolonien, Rück- 
blicke auf die allgemeine Vereinsthätigkeit aus der Feder der Vor- 
sitzenden, daneben Beiträge von bekannten Afrikakennern bringt, 
beweist sich als ein vortreffliches Bindemittel, nicht allein zwischen 
Vorstand und Mitgliedern, sondern auch von der Heimat nach den 
Kolonien und umgekehrt. 

Weitere Vereinsverbände sind ein Näh- und ein Gesangverein. 

Seine Einnahmen bezieht der Frauen verein ausser von den 
regelmässigen Mitgliedergeldern, aus Erträgen von Bazaren, Gesangs- 
Aufführungen, Vorträgen und sonstigen Veranstaltungen. Diese 
Einnahmen betrugen im letzten Jahre 27190 Mark (spezialisiert: 
Bazar-Üeberschuss 11300 Mark, eine Abendunterhaltung Abt. Köln 
2500 Mark, an Spenden und Geschenken gingen 2375 Mark, das 
Uebrige durch Mitgliederbeiträge und Zinsen ein). Dem standen 
als Ausgaben gegenüber 17276 Mark (davon für Schwesternsendungen 
rund 6600 Mark, für Gehalt 3200 Mark, für Weihnachtsausgaben 
etwa 800 Mark, für Ergänzung- und Liebesgaben-Transporte rund 
5000 Mark, für Erholungszwecke der Schwestern ungefähr 700 Mark). 
— Das Vereinsvermögen besteht ausser den vorhandenen Aus* 



— 248 — 

rüstungsgegenständen der verschiedenen Lazarette zur Zeit in 40000 
Mark. 

Wenn ich nun noch anführe, dass Ihre Majestät die Kaiserin 
Allerhuldvollst das Protektorat über unseren Verein ausübt, dass 
Ihre Hoheit die Frau Herzogin Johann Albrecht von Mecklenburg, 
die warme, thatkräftige Freundin der Kolonien, unsere Ehren- 
Präsidentin ist und Gräfin Monts noch immer mit zielbevvusster 
Energie den Vorsitz leitet, wenn ich auch noch berichte, dass wir 
seit Ende vorigen Jahres die Rechte einer juristischen Person er- 
worben haben, — dann, denke ich, habe ich alles mitgeteilt, was 
sich von unserer stillen Arbeit sagen lässt. 

Haben wir vermocht, in etwas Ihr Interesse für unser Frauen- 
werk wachzurufen und zu erwärmen, so soll es uns ein neuer 
Sporn sein, fortzufahren auf dem einmal betretenen Wege, zu Nutz 
und Frommen der Leidenden draussen, zum Ruhme unseres grossen, 
deutschen Vaterlandes und zur Ehre seiner Frauenarbeit. 



Ueber Ferien-Kolonien. 

Von Frau Luise Jessen, Berlin, stellv. Vorsitzende des Komitees für 
Ferien-Kolonien des Berliner Vereins für häusliche Gresundheitspflege» 

Die Ferien-Kolonien oder Sommerpflege, wie man jetzt vielfach 
sagt, sind eine Einrichtung der Neuzeit, deren schnelle Ausbreitung 
aufs engste zusammenhängt mit dem Anwachsen der grossen Städte, 
mit der Entwickelung unserer Kulturzustände, die immer erhöhte 
Anforderungen an das einzelne Individuum stellt. 

Mcht zum mindesten auch mit der wachsenden Erkenntnis, dass 
die Wohlfahrt eines Gemeinwesens auf der Zahl seiner gesunden 
Glieder beruht. 

Heute können wir uns sowohl in Deutschland wie in einer 
grossen Zahl auswärtiger Staaten kaum eine volkreiche Stadt denken, 
die nicht ihre Ferien- Kolonie hätte, und doch sind erst zwei Jahr- 
zehnte verflossen, seit die erste Anregung zu dieser gemeinnützigen 
Bewegung stattfand, die ihren Ausgangspunkt zu gleicher Zeit von 
zwei entfernten Plätzen nahm, von der Schweiz und von Hamburg. 

Während hier der Wohlth. Schulverein, der bis dahin für 
Kleidung und Speisung der ärmsten Schulkinder gesorgt hatte, im 
Jahre 1876 zuerst 7 schwächliche Kinder in Bauernfamilien aufs 
Land sandte, führte Herr Pfarrer Bion in Zürich, der unermüdliche 
Vorkämpfer für die Sache der Ferien-Kolonien, 68 arme Züricher 
Schulkinder in die Wald- und Bergluft des Appenzeller Landes 
hinaus. 

Wenn wir uns nun vergegenwärtigen, dass allein in Deutsch- 
land, auf das ich mich in meinen Ausführungen beschränke, aus den 
im Jahre 1876 verpflegten 7 Kindern im vorigen Jahre schon 
23 174 geworden, dass insgesamt in den 20 Jahren an 300 000 
deutsehe Kinder dieser Wohlthat teilhaftig geworden sind, so muss 
doch wohl ein wirkliches Bedürfnis vorliegen. 

Durch die höchst dankenswerte Arbeit der Zentralstelle der 
Vereinigungen für Sommerpflege in Deutschland, Vorort Berlin, 



- 249 H 

liegen uns 126 Berichte von Vereinep, Korporationen und grösseren 
Privatveranstaltungen aus fast 100 Städten des deutschen Reiches 
vom Jahre 1895 vor. 

Nicht nur dass dadurch ein Ueberhlick über die Gesamt- 
leistungen ermöglicht wird, die Zentralstelle vermittelt auch den 
Austausch der Erfahrungen zwischen ihren Mitgliedern und ver- 
anstaltet von Zeit zu Zeit, zuletzt im August d. J., Konferenzen 
zur Besprechung wichtiger Fragen. 

Da kamen die verschiedenen Systeme zur Erörterung, die wie 
im Beginn, wo man von Hamburg die Kinder in Familienpflege, von 
Zürich in geschlossene Kolonien sandte, noch heute nebeneinander 
hergehen, zum grössten Teil sich aus den lokalen Verhältnissen 
heraus entwickeln. 

Wort und Schrift hat dazu beigetragen, in den grundlegenden 
Prinzipien mehr und mehr Uebereinstimmung herbeizuführen, die 
realen und idealen Gresichtspunkte, welche für Ferien-Kolonien maass- 
gebend sein sollen, festzustellen. 

Es gehört schon ein tieferes Eingehen auf unsere allgemeinen 
sozialen Verhältnisse, Herz und Verständnis für das Familienleben 
unserer ärmeren Bevölkerungsklassen dazu, um deren Kindern den 
Aufenthalt in einer Ferien-Kolonie nutz- und segenbringend zu 
machen. Der abseits Stehende denkt im allgemeinen: ein krankes 
Kind wird zur körperlichen Genesung irgendwo hingeschickt, und 
damit ist die Sache gethan. 

Indes Fürsorge für kranke Kinder hat es zu allen Zeiten ge- 
geben, damit deckt sich die Idee der Ferien-Kolonie durchaus nicht. 
Die Beweggründe, aus denen diese Einrichtung hervorgegangen, 
waren ähnliche, wie in neuerer Zeit Reich und Gesellschaften sie 
für noch nicht fortgeschrittene Lungenkranke "haben, man wollte 
prophylaktisch wirken, vorbeugende Gesundheitspflege üben; das 
Gesamtbefinden eines in seiner Entwickelung zurückgebliebenen oder 
nach überstandent-r Krankheit geschwächten Kindes sollte gehoben 
werden. Es ist notwendig, sich diese Grundsätze immer wieder vor- 
zuhalten, wenn es an die verantwortungsvolle Arbeit, die Auswahl 
der Kinder, geht. Man sollte nur solche auswählen, denen voraus- 
sichtlich noch zu helfen ist, deren häusliche Verhältnisse noch nicht 
so verkommen sind, dass das Kind nach der Rückkehr vernach- 
lässigt wird und somit gleich in den alten Zustand zurückfällt. 

Hier hätte vor allem die Mithilfe der Frauen noch viel 
energischer einzugreifen. Je weniger wir allen helfen können, um 
so intensiver sollte man sich mit einer gewissen Auslese beschäftigen. 

Allerdings kommt es dann darauf hinaus, dass nicht die Aermsten, 
nicht die Kränkesten ausgewählt werden, und mir ist wohl 
bewusst, dass diese Ansicht vielfachen Missdeutungen ausgesetzt ist, 
aber meine verehrten Anwesenden, keine Wohlfahrts-Einrichtung wird 
alle gleichzeitig befriedigen; mit unzulänglichen Mitteln, mit schwie- 
rigen Verhältnissen kämpfen wir in der Armenpflege überall. Da 
gut es aber doppelt ein festes Ziel im Auge zu behalten, nach 
bestem Gewissen und bester Ueberzeugung zu handeln. 

Die idealen Gesichtspunkte, welche für die Ferien-Kolonien maass- 



— 260 — 

gebend sein sollen, sind nach Ansicht aller derer, die sich mit der 
Sache ernst beschäftigen, ebenso wichtig wie die realen. 

Schon von Beginn an, gleich auf der ersten Konferenz von 
Vereinen und Komitees fllr Ferien-Kolonien, welche in Berlin im 
Jahre 1881 unter reger Beteiligung Ihrer Kaiserlichen Königlichen 
Hoheiten, dem damaligen Kronprinzen und der Kronprinzessin des 
Deutschen Reiches abgehalten wurde, ward die ethische Mission der 
Ferien-Kolonien mit in den Vordergrund gestellt. Ihr gerecht zu 
werden ist noch heute das Streben aller Vereine, die es ernst mit 
der Sache meinen. 

Je schwieriger die Verhältnisse sind, unter denen die Kinder auf- 
wachsen, um so grösser ist die Aufgabe. Die Art der Einrichtung 
der Kolonien, die Anwendung der verschiedenen Systeme sind nicht 
ohne Einfluss auf die erziehliche Seite. 

Ob geschlossene Kolonien, Familienpflege, Anstaltspflege, Halb- 
oder Stadtkolonien, auch Milchpflege genannt, richtiger sind, hängt 
zum Teil auch von lokalen Verhältnissen ab. 

Für kleinere Städte mit verhältnismässig reiner Luft und 
freier Bewegung, wo die Gegensätze meist weniger schroff sind, 
mögen Halbkolonien mehr am Platze sein, mit etwaiger Verbindung 
von Anstaltspflege für die kränkeren Kinder. 

Wo ein gesunder, wohlhabender Bauernstand in nächster Um- 
gebung, passt vielleicht die Fanülienpflege. Ueberall wird es aber 
gut sein, der Ansicht hervorragender Aerzte, die da sagen, dem 
kindlichen Organismus thut eine möglichst grosse Luftveränderung 
gut, Rechnung zu tragen. Durch das Entgegenkommen unserer 
Eisenbahn-Verwaltungen, die überall die Kinder zu Militärpreisen, 
die anter 10 Jahren für die Hälfte befördern, ist es ermöglicht ohne 
allzugrosse Rücksichtnahme auf die Entfernung passende Orte aus- 
zuwählen. In eine Erörterung der maassgebenden Unterschiede der 
verschiedenen Systeme, kann ich mich bei der Kürze der zugemessenen 
Zeit leider nicht einlassen. 

Lieber möchte ich Ihnen zur Veranschaulichung ein flüchtiges 
Bild entwerfen von dem, was in Berlin geschieht und erstrebt wird, 
hier, wo durch die schweren Lebensverhältnisse, die traurigen Woh- 
nungen eine Fürsorge für die Kinder unserer armen Bevölkerung 
doppelt geboten ist. 

X'icle einzelne Privat- Veranstaltungen seitens Logen u. s. w. 
entziehen sich der Kenntnis. Unsere Zentralstelle berichtet von 8 
verschiedenen grösseren Vereinigungen, die im vorigen Jahre zu- 
sammen für 4088 Kinder sorgten. 

Der Frauen-Hilfs verein an den Seeküsten sandte 330 Berliner 
Kinder in seine Hospize, der Evangelische Prauenverein Edelweiss 
227, vorzugsweise in unentgeltliche Familienpflege auf dem Lande, 
der Verein Lenzheim in seine Anstalt 127, eine besondere Ferien- 
Kolonie der Luther- Gemeinde 76, der Magistrat 50, das Johannis» 
Stift 20 und endlich das Komitee für F^erien-Kolonien des Vereins 
für häusliche Gesundheitspflege 3144 Kinder. 

Dieser letztere ist der einzige Verein hier, der die verschiedenen 
Systeme neben einander durchführt, nach Bedürfnis gliedert. 

Es wurden von den 3144 den ärztlichen Wünschen entsprechend: 



— 261 — 

735 Kinder in Soolbäder, 634 Kinder in Seebäder, 626 Kinder in 
Ferienkolonien oder Freistellen auf dem Lande und endlich 1149 in 
Halbkolonien gesandt, mit einem Kostenaufwand von fast 102,000 M., 
die alljährlich in kleinen und kleinsten Beträgen gesammelt werden 
müssen. 

Seit dem Jahre 1880 bis heute ist von dem Komitee für 
Ferien-Kolonien die Gesamt-Summe von 950,000 Mark aufgebracht 
und rund 29,000 Kindern die Wohlthat einer Ferien-Koloniepflege 
zuteü geworden. 

Es scheint zusamm^ngefasst recht viel, aber den lokalen Be- 
dürfnissen entsprechen diese Ziffern nicht im entferntesten, kaum Vs 
der in diesem Jahre gemeldeten, von den Aerzten als einer Erholung 
bedürftig bezeichneten Kinder, konnte berücksichtigt werden. 

Indes dürfen wir uns nicht beklagen, ist doch von Jahr zu 
Jahr das Interesse und die Sympathie für diese Sache, die für sich 
selbst spricht, gewachsen. 

Wer nur einmal auf den Bahnhöfen zugegen war bei der Abreise 
und Ankunft, wer die Kinder gesehen, die Dankesäusserungen 
der Eltern gehört, ganz besonders, wer Gelegenheit hatte, das 
Leben in den Kolonien zu beobachten, der kann sich unmöglich 
der Wahrnehmung verschliessen, dass hier ein kleines Stück 
sozialer Arbeit geleistet wird. 

Wie ein Netz sind 250 kleine Lokal-Komitees über Berlin ver- 
teilt, deren jedes sich wieder seine Hilfskräfte für die Geld- 
sammlungen, für die Recherchen heranzieht. 200 Aerzte haben sich 
unentgeltlich in den Dienst der guten Sache gestellt, so dass in 
unserm einen Verein fast 2000 unserer Mitbürger für einen ge- 
meinsamen Zweck arbeiten. 

Gewiss an sich schon ein erhebender Gredanke. . Im allgemeinen 
sind wir — ich spreche jetzt aus einer 14jährigen Erfahrung her- 
aus — dahin gelangt, das System der geschlossenen Kolonien, wo 
30 Kinder im Alter von 8 — 14 Jahren familienartig unter einem 
Führer resp. Führerin vereinigt werden, vor allen anderen zu be- 
vorzugen. Die Ferien-Kolonien auf dem Lande, die Seebad-Kolonie 
an der Ost-See, ein grosser Teil der Soolbad-Kolonien sind so ein- 
gericht*?t. 

Vorzugsweise aus erziehlichen Gründen. Ich brauche nicht 
auszuführen, wie unsere ärmeren Grossstadt-Kinder zu beklagen sind, 
wie sie heranwachsen in trauriger, verkümmerter Umgebung, wie 
sie bei der schweren Sorge der Eltern ums tägliche Brot, wenig 
oder gar keine Erziehung haben, wie sie vor der Zeit überanstrengt 
werden, und nur selten freudige, erhebende Eindrücke aus der 
Kindheit mit ins Leben nehmen. 

Xeben den Kindergärten, den Kinderhorten u. s. w. ist es auch 
Sache der gut organisierten Ferien-Kolonien hier einzusetzen, das 
Augenmerk darauf zu richten, im Sinne Pestalozzi-Fröbels erziehliche 
Resultate durch das Zusammenleben in der Kolonie zu erreichen. 

Es ist das gar nicht so schwer, kommt uns doch so unendlich 
Vieles zu Hilfe, wenn wir es nur richtig zu benutzen wissen. 

Losgelöst von allem, was das Kindesgemüth bewusst oder un- 
bewusst bedrückt hat, umgeben von Liebe und Fürsorge, ist die 
Seele des Kindes besonders empfänglich für neue Eindrücke. 



— 252 — 

Verständnisvolle Führer, die wir in den Kreisen der Volks- 
schallehrer und Lehrerinnen, auch Kindergärtnerinnen uns suchen, 
führen das Kind ein in die Natur, ihr Lehen und Werden. Spazier- 
gänge und Spiele werden nutzbar gemacht, gemeinsame Gesangs- 
übungen erhöhen das Gefühl der Freude und Zusammengehörigkeit. 

Eine neue Welt geht dem Kinde auf, nie geahnte Freuden 
bietet ihm das Landleben nach den verschiedensten Richtungen. 

Zu den Orts-Einwohnern, deren Sympathien wir uns vorher 
sichern, zu den Wirten, die Vater und Mutter repräsentieren, 
untereinander _und namentlich zu den Führern bildet sich ein 
Freundschafts- Verhältnis, das oft noch nach Jahren in Briefwechsel 
und Einladungen sich bethätigt. 

Ich bedauere, Ihnen aus dem reichen Material, das die dies- 
jährigen Berichte der Führer wieder bieten, nicht die Beweise einer 
Bestätigung meiner Worte vorlegen zu können. 

Wenn das, was ich eben angeführt, sich vorzugsweise auf die 
sogenannten geschlossenen Kolonien bezog, so haben auch die Familien- 
pflege, die Anstaltspflege und die Halbkolonie, diese namentlich 
ihrer geringeren Kosten wegen, ihre Berechtigung. 

Für einen grossen Verein ist es gut, wenn er nach seinen Be- 
dürfnissen gliedern kann. Für skrophulöse kränkliche Kinder, wo 
die Pflege des Körpers in erster Linie stehen muss, sind gut ein- 
gerichtete eigene Häuser am Platz. Auch sie können, wie 
es in dem neuen schönen Heim unseres Vereins in Kolberg geschieht, 
wo an 400 Kinder Genesung oder doch Besserung gefunden, nach 
pädagogischen Grundsätzen eingerichtet werden. Es ist wohl die 
erste grössere derartige Kinderheilanstalt, wo neben der pflegenden 
Schwester die erziehliche Leitung der Kinder, nach einem Gruppen- 
System von 30 Kindern, von Lehrern resp. Lehrerinnen gehandhabt 
wird. 

Immerhin hat aber eine Anstaltspflege nach anderen Gesichts- 
punkten zu verfahren. 

Und darum erscheint mir das augenblickliche Streben der Vereine, 
eigene Häuser zu erwerben, nicht überall richtig. Kleinere Vereine 
sollten solche Kinder, welche in eigentliche Ferien-Kolonien nicht 
passen, den bestehenden Kinderheilstätten, als einem besonderen 
Zweige, überweisen. Wir besitzen deren in Deutschland so viele, 
dass sie immer noch Platz bieten. 

Eine Menge wichtiger Fragen wie die richtige Auswahl der 
Orte, die häuslichen Recherchen, die ärztlishen Untersuchungen, die 
Diät, die Erziehung zur gesundheitlichen Pflege des Körpers durch 
Sauberkeit, die Fürsorge nach der Rückkehr, die Feststellung von 
Wägungen, Messungen und dauernder Erfolge und anderes, kann 
ich aus Mangel an Zeit nicht berühren. 

Möchte es mir aber gelungen sein, auch in diesem Kreise, wo so 
viele höhere und weitgreifende Fragen besprochen werden, wo ich nur 
zaghaft an die mir gestellte bescheidene Aufgabe herangegangen bin, 
einen Wiederhall zu finden auch für diese Kulturarbeit im Kleinen. 

Ich wünsche mir ihn nicht lediglich aus Mitleid mit kranken 
Kindern^ sondern vom höheren Gesichtspunkt vorbeugender Gesund- 
heitspflege, vom Standpunkt sittlicher Hebung und Erziehung. 



— 263 — 

Liebe erweckt Liebe, die Erinnerung an einige glückliche Wochen 
in dem oft so schweren Kindesleben kann ein Samenkorn werden, 
das erstaunliche Früchte trägt. Dieses zu pflegen ist die ethische 
Mission der Ferien-Kolonien. Und diese giebt mir wieder den Mut, 
selbst von dieser Stelle Sie alle zur hilfreichen Mitarbeit aufzu- 
fordern. 

Die Beteiligung der Frau im Kampfe gegen den 

Alkoholismus. 

Von Herrn Geh. Sanitätsrat Dr. A. Baer, Berlin. 

Hochansehnliche Versammlung! 

Der Missbrauch der alkoholischen Getränke äussert sich in 
schweren Schädigungen des körperlichen, geistigen und sittlichen 
Lebens, des individuellen wie des sozialen Organismus. Je grösser 
der Verbrauch der berauschenden Getränke, insbesondere in ihren 
am meisten konzentrierten und darum auch am giftigsten wirkenden 
Arten ist, je mehr der Konsum derselben in einzelnen Klassen 
der Gesellschaft sich verbreitet, desto grösser sind auch unter diesen 
die infolge der Trunksucht auftretenden Erkrankungs- und Sterbe- 
zahlen, desto grösser sind die infolge der Trunksucht bedingten 
Zahlen von Geistesstörungen, desto sichtbarer sind auch unter diesen 
die Zeichen der Verschlechterung der Gesamtkonstitution und der 
sittlichen Entartung. Aus dem Auftreten dieser Erscheinungen in 
einem gewissen Lebensberuf, Lebensalter oder Geschlecht kann man 
mit Sicherheit schliessen, wie stark oder wie gering diese an dem 
Alkoholmissbrauch beteiligt sind. 

Bei der Entscheidung der Frage, ob die Beteiligung der Frau 
im Kampfe gegen den Alkoholismus notwendig oder wünschenswert 
ist, hat es ein vielfaches Interesse, festzustellen, in welchem Grade die 
Frau selbst zu der Verbreitung des Alkoholismus beiträgt und wie 
sie von den Folgen desselben betroffen wird. 

Nach den Ergebnissen zuverlässiger Ermittelungen darf man 
behaupten, dass das weibliche Geschlecht in den modernen Kultur- 
ländern nur zu einem relativ sehr geringen Teile an dem herrschenden 
Alkoholismus beteiligt ist, dass es sicher wenigstens 10 — 20 mal mehr 
münnliche Alkoholisten als weibliche giebt. 

Gestatten Sie mir, hochansehnliche Versammlung, dieses Ver- 
hältnis an der Hand nachstehender Thatsachen, wie es sich im 
preussischen Staat und zum Teil auch in dessen Hauptstadt, in 
Berlin gestaltet, soweit statistische Ermittelungen es zulassen, dar- 
zulegen. 

Im preussischen Staat betrug die Zahl der in den allgemeinen 
Heilanstalten an chronischem Alkoholismus und Säuferwahnsinn be- 
handelten Personen in den 4 Jahren 1883—1886 im jährlichen 
Durchschnitt 8042 und zwar 7494 M. und 584 W. d. h. von je 
100 dieser Kranken waren 93 Männner und 7 Weiber. 

In den 5 Jahren 1887 — 1891 waren im preussischen Staat im 
jährlichen Durchschnitt in allen Irrenanstalten untergebracht 40888 
Personen, 21832 Männer und 19056 Weiber d. i. 53,39 M. und 



— 264 — 

46,61 W. Unter diesen Geisteskranken waren wegen Säuferwahn- 
sinns 1103 und zwar 1048 M. und 55 W.; es entfallen somit von 
dieser schwersten Form der Alkoholkrankheit auf 95,05% M. 
4,95% W. 

In den 5 Jahren von 1888 — 1892 sind im preussischen Staac 
jährlich 5885 Personen an Selbstmord verstorben, 4660 M. und 
1225 W. d. i. 79,17% M. und 20,83% W. Unter diesen Selbst- 
morden war die Ursache Säuferwahnsinn 117 mal, bei 113 Männern 
und 4 Weibern d. i. 96,58% M. und 3,42% W. Dasselbe ist auch 
der Fall dort, wo Trunkenheit und Trunksucht das Motiv zum 
Selbstmord war, und zwar bei 422 Personen, 406 M. und 16 W. 
Auch hier waren es wiederum 96,28% M. und nur 3,72% W. 

Bei einer vor vielen Jahren von uns in 120 Gefangenen- und 
Strafanstalten des deutschen Reiches angestellten Untersuchung, wie 
sich die Trunksucht zum Verbrechen verhält, hat sich herausgestellt, 
dass unter 30041 männlichen Gefangenen sich 13199 Trinker be- 
fanden d. i. 43,9%, unter 2796 weiblichen Gefangenen 507 d. i. 
18,1%. Es ist also bei der tief bis zum Verbrechen gesunkenen 
Frau der Einfluss des Alkohols ein zweifellos grösserer als er sich 
sonst zeigt. — Unter den 43,9% männlichen Trinkern waren 
23,5% Gelegenheits- und 20,4® o Gewohnheitstrinker, — bei den 
18,1% weiblichen Trinkern hingegen waren 7,1% Gelegenheits- und 
11,0% Gewohnheitstrinker. 

In dem grössten öffentlichen Krankenhause Berlin's, in der 
Gharite sind 1889/90—1893/94 alljährlich im Durchschnitt 694 M. 
und 73 W. an chronischem Alkoholismus behandelt d. i. 90,84% 
M., und 9,52% W., von diesen waren 525 M. und 25 W. an 
Delirium tremens erkrankt; d. i. 95,34% M. und 4,66T W. 

Wegen Trunkenheit sind in Berlin in Polizei-Gewahrsam ge- 
bracht resp. a:if den Strassen aufgegriflfen in den 5 Jahren 1889 — 1893 
alljährlich durchschnittlich 5867 M. und 604 W. d. i. unter 100 P. 
90,67 M. und 9,33% W. 

Unter den in Berlin 1887—1893 eingetretenen 5807 Ehe- 
scheidungen waren 58 (0,90%) wegen Trunkenheit und unordent- 
licher Lebensart erfolgt und zwar 46 mal von Seiten des Mannes 
gleich 79,31% und 12 mal von selten der Frau gleich 20,69%. 

Diese Thatsachen werden Ihnen genügsam den Beweis erbracht 
haben, dass die Frau in Preussen und in Deutschland nur zu einem 
sehr geringen Grade an dem herrschenden Alkoholismus beteiligt 
ist. Und wie bei uns ist es auch unter gewissen Modifikationen in 
den anderen Kulturstaaten der Fall. 

So gering die unmittelbare Beteiligung der Frau an dem vor- 
handenen Alkoholismus ist, so gross und so schwer ist jedoch die 
Summe der Leiden, welche sie in dem derzeitigen Gesellschafts- 
körper durch die Trunksucht des männlichen Teils der Bevölkerung 
erduldet. 

An die Seite eines Trunkenboldes gefesselt, erleidet die Frau 
die brutalsten Zumutungen und Unbilden schwerster Art. Mit 
der Trunksucht des Familienvaters ziehen Armut und Sorgen in 
das Haus ein, der Rückgang des gewerblichen Einkommens, der 
Verfall des geordneten Haushaltes. Bekannt ist, dass der Trinker 



— 266 — 

schon im Beginn seiner Greisteszerrüttung die Frau mit Misstrauen 
verfolgt, sie der ehelichen Untreue bezichtigt, in rohester Weise 
beschimpft und misshandelt. — Unfriede und Streit sind die Be- 
gleiter des Elendes, das der Trinker über sein Haus, seine Fa- 
milie bereitet. — 

Und was wird aus den Kindern in solchen unglücklichen 
Familien? Die Nachkommenschaft der Trinker leidet, wie er- 
wiesen ist, häufig an angeborener Schwäche der Organisation, an 
körperlichen und geistigen Gebrechen. Sie tragen nicht selten den 
Charakter einer angeerbten Minderwertigkeit durch das ganze 
Leben hindurch und werden durch diese Belastung unfähig, den 
Anforderungen des sozialen Lebens zu genügen. Unter dem Einlluss 
des zerrütteten Familienlebens wachsen die Kinder der Trinker 
freudenlos und ohne die Wohlthaten einer gesitteten elterlichen Er- 
ziehung auf; sich selbst und ihren Neigungen überlassen, verfallen 
sie einem ungeordneten, verwahrlosten Lebenswandel und geraten 
schon früh auf die Bahn des Verbrechens und der Prostitution. 

Angesichts dieser Thatsacben werden Sie, wie ich hoffe, mit 
mir der Ansicht sein, dass sich die Beteiligung der Frau im Kampf 
gegen die Trunksucht als dringend notwendig erweist, sowohl in 
ihrem eigenen, als auch im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt. 

Auf welche Weise, fragt es sich, kann die Frau sich in diesem 
Kampfe wohlthätig und nützlich erweisen? Dies kann am wirk- 
samsten dadurch geschehen, dass sie in der eigenen Familie, in ihrer 
näheren und weiteren Umgebung das Beispiel von Nüchternheit und 
Massigkeit aufrecht erhält, dass sie bemüht ist, die richtigen An- 
schauungen über die Entbehrlichkeit des Alkohols, über seine 
schädliche Wirkung zu verbreiten, seine Anwendung insbesondere 
im kindlichen und jugendlichen Alter zu verhindern. Einzeln und 
in Vereinigungen inuss sie bestrebt sein, in weiten Volkskreisen im 
Sinne der Massigkeit zu wirken, die hergebrachten und herrschenden 
Trinksitten zu beseitigen. 

Der Kampf gegen den Alkoholismus kann nur einen Erfolg 
haben, wenn Staat und Gesellschaft gleich ernst und gleich aus- 
dauernd gemeinschaftlich diesen Kampf führen. Die Erfahrung aus 
alter und neuer Zeit hat gelehrt, dass selbst harte und strenge 
Gesetze gegen die Trunksucht ganz wirkungslos bleiben, wenn die 
Ursachen, welche zur Unmässigkeit führen, nicht, so weit es möglich 
ist, beseitigt werden, und ganz besonders, wenn tiefeingewurzelte 
Gewohnheiten im Volke, alte hergebrachte Anschauungen, den Ab- 
sichten des Gesetzes widersprechen. Erst wenn durch Belehrung 
und Erziehung das Verständnis für die beabsichtigte Wohlthat des 
Gesetzes im Volke geschaffen ist, erweist sich dieses als der Aus- 
druck der Volksmeinung segensreich und heilsam. Als der hol- 
ländische Justizminister Modderman das bekannte Gesetz gegen die 
Trunksucht durchgebracht hatte, sagte er zu den Volksvertretern: 
„Nun haben sie ein Gesetz, nun verschaffen Sie ihm ein Verständnis 
im Volke." Und erst jüngst hat der bekannte Sir Benj. Ward 
Richardson in London den Anhängern der Temperenzbewegung als 
das beste Mittel zur Ausbreitung dieser Lehi*e zugerufen „educate, 
educate, educate." 



— 266 — 

In der Erziehung des Volkes zur Massigkeit liegt die beste 
Gewähr für die Einkehr und Andauer derselben in weitesten Ge- 
sellschaftsklassen. Und die beste Vermittelung zu dieser Erziehung, 
zu der Umwandlung und Beseitigung der bisherigen Trinkgewohn- 
heiten bildet die Frau in ihrer eigenartigen Stellung in dem Ge- 
sellschaftsorganismus. Wir finden uns hier in voller Uebereiustimmung 
mit den Anschauungen von Ottilie Hoffmann (Bremen), welche über 
diesen Gegenstand sich dahin äussert: „Wir Frauen können in 
organisiertem Zusammenwirken 1) die Trinksitten zu heben suchen 
und 2) dahin wirken, dass die Jugend über die leiblichen, geistigen 
und wirtschaftlichen Schäden der berauschenden Getränke aufgeklärt 
und mehr zur Massigkeit erzogen wird. . . . Wir müssen 3) das 
Unsrige thun, die herrschende Unwissenheit und Unkenntnis der 
grossen Gefahren, welche unserer Volkswohlfahrt und Volks- 
gesundheit durch die vorwiegende Alkoholherrschaft drohen, durch 

Verbreitung belehrender Schriften zu beseitigen suchen Wir 

können 4) Wohlfahrtseinrichtungen, Volksküchen und Volksheime, 
Lesehallen fördern . . . (Sind die Mässigkeitsbestrebungen deutscher 
Frauen patriotische Pflicht? Bremen 1896. S. 5.) 

Ueberall, wo die Trunksucht im Volke sehr verbreitet und der 
Kampf gegen dieselbe mit Nachdruck und wirksam geführt wird, 
finden Sie grosse Vereinigungen von Frauen in dem Dienste dieser 
schweren werkthätigen Arbeit anstrengend thätig. So ist es in 
Amerika, in England, in Finnland, in Schweden und Norwegen. So 
hat die „Nationale Vereinigung christlicher Frauen zur Förderung 
der Massigkeit" (National Womens Christian Temperance Union) in 
Amerika, 1873 gegründet, zur Zeit in 7864 Vereinigungen an 
400 000 Mitglieder, mit 171 000 zahlenden Teilnehmern. So hat 
die National British Womens Temp. Union in England 110000 Mit- 
glieder und in dem kleinen Norwegen, das nur 2 Millionen Ein- 
wohner besitzt, sind es .57 000 Frauen, welche in lebhaftem Eifer 
mit grossen Vereinigungen von Männern zusammen an der Regene- 
ration ihres Volksstammes arbeiten. 

Wollen auch Sie Ihre Kraft und Ihre Neigung diesem grossen 
Kampfe weihen. Es handelt sich um die Förderung einer grossen, 
heiligen Aufgabe, um die Bekämpfung eines der bösesten Feinde 
menschlichen Wohlseins und menschlicher Wohlfahrt. 

On Public Amüsements. 

Adress by Mrs. Laura Ormiston Chant, London, delegate of World*ß 

Woman's Christian Temperance Union.*) 

Madam-President, Ladies, and Gentlemen, 

I confess my tenderest regret at not being able to speak to you 
in the language of thebeautiful city inwhich we are met together. 
I only began to learn G-erman two months ago, and as you know 
even better than I do, it takes a life-time to complete the task! 



*) Die Abweichungen von dem gehaltenen Vortrag sind nicht der 
ßedaktion zuzuschreiben. Das von Mrs. Chant für den Druck ein- 
gesandte Manuskript wurde ohne jede Veränderung aufgenommen. 



— 267 — 

Before I speak to you on the subject of this morning's address, 
let me once again congratulate the noble women of Grermany on the 
great victory they have gained over world-worn prejudices and 
ancient chartred monopolies of men, in having won for the first 
European International Council of Women that its inaugural cere- 
monies have been held in no less a place than the Rathhaus of 
Berlin — this splendid palace of the head-quarters of municipal go- 
vemraent. Your triumph marks an important milestone in the pro- 
gress of men; for when women achieve such a triumph it does not 
mean that it is the result of a feud between sex interests, but an 
approach to a fusion of them. 

I cannot help feeling that there is a larger gap between men 
and women in Germany than in either America, France, or England: 
that here in Berlin the idea of comradeship with itssense of patemal 
kindness, its mutual helpfulness, and its magic Stimulus in the di- 
rection of charm and resourcefulness-comradeship between men and 
women as human beings apart from sex, is only in the earliest years 
of recognition here in Germany. I see it in a thousand things, and 
you dear, brave women that you are, must have feit it in a million 
hard and discouraging ways, or you would not have so gallantly 
fought for, and so grandly won a coign of vantage like this great 
Rathaus from which your voices must be heard all over the land 
on behalf of Freedom, Truth, and Justice. 

If as an Englishwoman I feel a deep patriotic regret that this 
the first European International Council of Women is held in your 
country instead of mine — that in the Eathaus, Berlin, and not 
the Mansion-House, London is this historical conclave assembled, 
while I accept the reproach it hurls against Englishwomen whose 
larger opportunities have rendered them somewhat careless in 
making the best use of them, I take the Chance it gives me of 
congratulating you loyally and lovingly on behalf of our splendid 
Englishwomen, on the progress you have made,* in being able to 
summon us, your sisters, from all parts of the earth to partake 
with you in this happy feast of the intellectual and spiritual pro- 
duce of your progress. God speed you, God bless you, and give 
all your labours His everlasting benediction. 

One Word also concerning the men without whose sympathy 
and CO- Operation this great event had not been possible. 

Remember that it is a truth too long over-looked that the 
achievements of women are a high-water-mark of the progress of 
men. No man can rise to a height greater than his mother was 
capable of reaching. The mother it at once the mould and the 
limitation of her son. A great man must have a great mother. 
To cramp and stunt the bodies of women, to feed or rather starve 
their minds on trivialities, platitudes, and superstitions, to narrow 
the outlook of their souls by barring all the Windows that look out 
on the Elysian Fields, to make their horizon consist of a house, 
with its cooking, cleaning and caretaking as the be-all, and end-all 
of "Woman's Sphere," is to ensure a stunted, sceptical, sordid, and 
prejudiced race of men, and in the hands of such the righteousness 
that exalteth a nation dwindles, art becomes sensual, literature 

17 



— 268 — 

puerile, and true honour, true patriotism, and tnie prosperity are 
subordinated tosupposed "commercial interests" and "self-protection.'^ 
No! In God's name take off the heap of ragged theories, and cramp- 
ing prejudices that have hidden the true ^proportions, and divine 
beauty of this Woman in whom is inshrined the Mother ; clothe her 
in garments that she shall choose for herseif as expressing and con- 
cealing her divine purpose as the life-bringer to the race, and not 
in the foolish trappings that are relics but of barbarism and savagery. 
And whenever a woman attains excellence, or becomes famous for 
what is noble, let every man take comfort and his share in her 
triumph, for she is the high-water-mark of his progress toward 
perfection. 

To America belongs the high honour of having incarnated 
these truths in the International , Council of Women held in Wash- 
ington D, C. in 1888. And when, as the outcome of that first 
world-gathering of women, three of us were invited to stand up in 
the highest legislative assembly in the United States, and plead for 
the Women's Suffrage Bill before the Senate in the Capitol, T, as 
one of those three, reminded that august assembly that behind our 
voices so happy, cultured and respectfuUy listened-to were the clam- 
ouring shrieks of dispairing ones, the faint long crying of the op- 
pressed and down-trodden, and the fateful silence of those who had 
died before the light of the larger hope could reach them, or the 
sound of the falling chains could come to them telling them that 
freedom had begun. 

Yet if to America belongs the honour of the birth of the Inter- 
national Council of Women, and to Germany the holding of the first 
in Europe, Britain can show many a fadeless laurel won by such 
women as Mrs. Fry, Mary Carpenter, Florence Nightingale, Mrs. 
Josephine Butler, Miss Becker, Mrs. Fawcett, Lady Henry Somerset, 
Mrs. Priscilla Mc'Laren and a host of women in their train who 
have helped Greät Britain to get away from the Dark Ages. 

The subject on which it was desired I should speak is that of 
Public Amüsements, and as the way in which that subject has been 
brought before the world so much of late is almost entirely due to 
some women, it is in perfect harmony with what has preceded it 
in this lecture. 

The amusements of a nation are as vitally important, as its 
trade, labour, education, and religious worship. For all the best 
teachings of religion can be undone by impure amusement, and brutal 
Sport; while all that is most uplifting in religion can be helped and 
stimulated by pure and delightful recreation. To the thoughtfol 
man or woman some of our great Music-halls in England have long 
üffered a very painful problem; for while it goes without saying 
unless one is too narrow or too slow to speak with any authority 
on the matter, that people must have places of amusement to go to, 
and must have the kind they like best, it is simply heartbreaking 
to see a place of amusement used as a market for vice, and to hear 
songs sung that are deeply degrading both to singer and listener. 
Foul amusements are as much the business of law as the sale of 
adulterated or putrid food. 



— 269 — 

It was with this in mind that a sraall body of people in London 
whose hearts had been sorely wrung by the perversion of amuse- 
ment, and the scandalons abuse of its joyous function,that they had 
witnessed, appealed to the London County Council in 1894 to deal 
with the place which they believed to be the riebest, and the worst 
of the lot. In other and technical words they "opposed the licence 
of the "Empire" Theatre." A dividend of seventyfive per cent was 
being flaunted before the public as proving the successftil attractions 
of the great, costly place; and when its defenders pleaded that that 
would be lost, nay the place be ruined and have to shut up if the 
sale of intoxicating liquor in the auditorium was forbidden, and 
the nightly "promenade'' of fast and vicious xjharacters stopped by 
turning the "promenade' '-place into a part of the auditorium, they 
gave their whole case away, and furnished even strenger proof than 
did their opponents of the ghastly fact that the astonishing gains 
were made mostly out of the drinking temptations and the provision 
for vice carried on by the aid of a dazzling and gorgeous show. 

It was nothing new that some music hall should have its licence 
opposed at the annual renewal of licences. Sometimes the police 
had done it, sometimes clergymen and magistrates in the name of law 
and Order, and in the interests of the public, and with varying success. 

But what was new was that the apparently riebest and most 
influentially patronised of these places should be attacked, and the 
attack led to success by a woman. That Portia should be alive and 
alert in the end of the nineteenth Century seemed to create a furore 
of surprise, anger, and thanksgiving, and at any rate the lecturer 
before you has the deep satisfaction that in doing the duty that 
had to be done, she escaped one at least of the Woes mentioned in 
the Bible — "Woe into you when all men shall speak well of you!" 

The victory gained on behalf of right was a very great one, 
although the verdict thatmarked its triumph sounds a very humble 
one. The London County Council in spite of all oflfered-tribes and 
threats, nobly stood by the decision of its Licensing Committee, and 
endorsed the decree that no intoxicating liquor should be sold in 
the auditorium, and the "promenade" filled up with seats and its 
partitions pulled down. A newly elected County Council of men 
whose Ideals of what is best for the good government of London 
seera to be lower than those of their predecessors, have since reversed 
their policy, and conceded the dangerous rights to all the music-halls 
deprived of them, and for the moment it would appear as if Greed 
and Vice had triumphed. Bat it is only for the moment. Evil can- 
not always reign. God is not asleep. But He is teaching through 
our temporary defeats that the righteousness of all has to be se- 
cured, before righteous law and righteous administration of law are 
to be permanent. 

Die Sittlichkeitsfrage eine Qesundheitsfrage. 

Von Frau Hanna Bieber-Böhm, Berlin. 

Mir geht es wie dem Arzte, der einmal mit dem grossen Messer 
gekommen ist; das nächste Mal laufen die Kinder davon. — So bin 

17» 



— 260 — 

auch ich gewöhnt, dass man in Scharen den Saal verlässt, wenn 
ich zu sprechen anfange. Ich freue mich, dass Sie heute so 
zahlreich geblieben sind. Glauben Sie mir, dass es mich schmerzt 
Wunden schlagen zu müssen, wenn ich heilen will, aber ich muss 
auch diesmal den heiteren Tönen der verehrten Vorrednerin 
Mrs. Ormiston Chant ernste und traurige Worte folgen lassen. 

Halten Sie es für ein Verbrechen, Jemandem das Leben zu 
nehmen? — Ich sage Ihnen: es kann ein noch grösseres Verbrechen 
sein, Leben zu geben! 

Die heiligen Verpflichtungen gegen die Nachkommen werden 
leider von vielen noch ganz und gamicht begriffen, so dass eine 
gründliche Aufklärung über die hygienische Seite der Sittlichkeits 
frage, von der grössten Bedeutung ist. 

Auf Schritt und Tritt begegnet man einer anmassenden Ueber- 
hebung von Frauen, welche Kinder in die Welt gesetzt haben, 
gegenüber Mädchen und kinderlosen Frauen. Wenn sich dieser 
Ueberhebung noch die absolute Unfähigkeit gesellt, diese Kinder zu 
ethischen Menschen zu erziehen, könnte man sie fast komisch finden, 
wenn einem die Kinder nicht so leid thun würden. 

Aber wer hat sie denn gelehrt, was sie für Pflichten als Mütter 
haben? Wer belehrt denn unsere heranwachsenden Jünglinge über 
ihre Pflichten als einstige Väter ? Wer macht es ihnen mit heiligem 
Ernst begreiflich, dass zur Gründung einer Familie, der junge, ge- 
sunde, kräftige Triebe entspriessen sollen, vor allem gesunde Männer, 
gesunde Frauen gehören? 

Nichts von alledem geschieht in der Regel. Die unwissenden 
Mütter aller Stände, die nach Schwiegersöhnen angeln, fragen viel- 
leicht nach der Mitgift an Geld oder nach der Lebensstellung, aber 
selten nach der Mitgift an Gesundheit, wenn sie die Tochter ver- 
mählen. Wie soll die noch unwissendere Tochter darnach fragen, 
die mit verbundenen Augen bis zum Altar bugsirt ist? Sie heiratet 
und wird nur zu oft zur Mitschuldigen an dem Verbrechen, elende 
Kinder in die Welt zu setzen, nachdem sie selbst elend für 
ihr Leben geworden ist. — Wie erschreckend oft dies geschieht, 
bestätigen die Erfahrungen vieler gewissenhafter Aerzte. 

Die Thatsachen, dass 90% der jungen Leute vor der Ehe 
unsittlich leben, und dass 80% davon mit den furchtbaren Krank- 
heiten angesteckt werden, welche ohne Gnade der Unsittlichkeit und 
besonders der Prostitution folgen, entspricht die weitere entsetzliche 
Thatsache, dass die Geschlechtskrankheiten noch nach 10, 20 und 
mehr Jahren in Gestalt von Erblindung, Rückenmarkschwindsucht, 
Blödsinn, Wahnsinn u. s. w. zu Tage treten können, dass sie selbst 
in latentem Zustande sofort die Frauen anstecken können. Wie 
oft sehen Frauenärzte, wie das der verstorbene Prof. Schröder aus 
Berlin betonte, junge Frauen, die sie als blühende, kräftige Mädchen 
kannten, nach den ersten Wochen der Ehe siech und verfallen 
wieder. Dr. Körnig sagt in seinem vorzüglichen Buch, Hygiene 
der Keuschheit: „Das Heer der Frauenleiden und nervösen Er- 
krankungen stammt zum grössten Teil von scheinbar geheilten 
Geschlechtsleiden des Mannes her und unzählige Frauen werden 
durch den leichtsinnigen Verkehr ihres Gatten vor oder auch in der 



— 261 — 

Ehe durch Prostitution und freie Liebe unglücklich, um ihre Hoff- 
nungen und um ihre Lebensfreude betrogen und in ihrer Gresundheit 
zerrüttet". 

„Wie furchtbar!" werden sie sagen. „Kann uns denn niemand 
schützen?" ja! die Aufklärung könnte Sie schützen! ernste 
Bücher könnten Sie schützen, wie sie unser Verein Jugendschutz, 
dem ich Sie bitte beizutreten, im Vorzimmer ausgelegt hat, weil er 
„Aufklärung und Kampf gegen die Unsittlichkeit, die Feindin des 
Familienglücks" auf seine Fahne geschrieben hat. Vorträge über 
diese Dinge könnten Ihre Töchter schützen, weil sie warnen; wenn 
Sie nicht vor solch wichtigen und notwendigen Vorträgen Ihren 
Töchtern befehlen würden, den Saal zu verlassen. — 

Ihre Hausärzte können Sie schützen, wenn unsere wunder- 
schönen bis jetzt von Männern gemachten Gesetze, nicht den Aerzten 
das Berufsgeheimnis auferlegt hätten. So kann man alle Tage dasselbe 
Schauspiel erleben, dass der Arzt sich zum Komplizen des Ehe- 
mannes hergiebt, um die Ehefrau über den wahren Charakter der 
Krankheit täuschen zu helfen. Diesem Vorgehen wird denn noch 
das rosige Mäntelchen umgehängt: dass der Frieden der Ehe gestört 
werden würde, wenn die Frau erfahren würde, was ihm oder was 
ihr fehlt! — 

Nun ich denke, wenn die Aerzte trotz ihres Amtsgeheimnisses 
jetzt schon bei Cholera, Scharlach u. s. w. die Anzeigenpflicht haben, 
so müssten wir diese Forderung bei Geschlechtskrankheiten auch 
durchsetzen können! In den „Vorschlägen zur Bekämpfung der 
Prostitution" ist dazu ein Versuch gemacht. — 

Ein Grlück ist es noch, wenn der Ehe solcher Ehemänner keine 
Kinder entstammen. 

Denn nach Dr. Rozsaffy, Polizeiarzt in Budapest z. B. hören 
erst mit der 3. — 4. Generation die Folgen einer einzigen Infektion 
auf, wenn die Nachkommen der Ersterkrankten in Folge von Epi- 
lepsie, Rückenmarkschwindsucht oder als Irrsinnige u. s. w. zu 
Grunde gegangen sind. — 

In dem Stück „Das 4. Gebot" wird uns in ergreifender Weise 
vorgeführt, wie die Sünden der Väter an den Kindern heimgesucht 
werden. Als solch ein unglücklicher Sohn, der schliesslich im Ge- 
fängnis verkommt, an das „du sollst Vater und Mutter ehren" ge- 
mahnt wird, sagt er verzweifelt zum Pfarrer: „dann sagts den 
Eltern, dass sie darnach sein sollen". 

Angesichts dieses Martyriums der Frauen, der unschuldigen, 
erblich schwer belasteten Kinder verdient man wirklich „utopisch" 
genannt zu werden, wenn man die Forderung zahlreicher bedeutender 
Aerzte: „Keuschheit vor der Ehe und Treue in der Ehe!" zu 
predigen nicht aufhört? Verdiene ich deshalb „fanatisch" genannt 
zu werden? 

Ich glaube es nicht. Jedenfalls müssen wir Alle den ethischen 
Elementen unter den Aerzten, die sich täglich mehreUj zu heissem 
Dank verpflichtet sein, dass sie immer lauter und häufiger ihre 
Stimmen für Keuschheit und Einehe erheben, als dem einzigen 
Weg, der die kommenden Generationen vor Degeneration be- 
wahren kann. 



— 262 — 

Sie aber, Frauen von nah und fem, bitte ich dringend und 
herzlich, sprechen Sie früh mit ihren jungen Söhnen über die Pflicht 
der Keuschheit und die schädlichen Folgen der Unkeuschheit für die 
Gesundheit, damit sie stark werden und den Versuchungen schlechter 
Kameraden widerstehen können; damit sie nicht zu Verbrechern an 
unseren Schwestern werden, nicht zu Verbrechern an ihren späteren 
Kindern. 

Und ich widerhole, was ich schon oft gesagt habe: Wenn 
Ihnen Ihre Söhne ins Gesicht lachen werden und sich auf unsere 
schönen Gesetze berufen, die Ihnen die Unsittlichkeit gestatten, ja 
dieselbe protegieren, dann werden Sie begreifen, warum wir eine 
Reform der Gesetze betreffs der Sittlichkeit erflehen. 

Wenn heute auch nur die eine Seite der Sittlichkeitsfrage, die 
Gesundheitsfrage flüchtig berührt werden konnte, so bitte ich Sie 
nicht zu vergessen, dass sie sowohl noch eine ökonomische, eine 
Rechtsfrage und eine Erziehungsfrage ist und dass es ganz falsch 
und verfehlt ist, zu glauben, nur von einer dieser Seiten könne man 
anfangen sie zu bekämpfen, die Losung heisst eben: „Reform auf 
der ganzen Linie und Aufklärung!** 

Die Mässigkeits- Vereine für die Jugend. 

Von Miss Annie B. S. Salmon, London, Ehrenmitglied des Mässig- 
keits- Vereins junger Leute.*) 

(Uebersetzt und gekürzt). 

„Die Kinder einer Nation sind der teuerste, beste, unschätz- 
barste Reichtum derselben." 

Was ist nicht alles in dem Leben und Wesen eines Kindes ent- 
halten! Die Kinder sind göttliche Probleme genannt worden, den 
Menschen zur Lösung anvertraut, und in der That giebt es kein 
Problem, von Menschen erdacht, dessen Lösung so viel Takt und 
Weisheit, solche wohlüberlegte Vorsicht in der Führung, solche 
sorgfältige zarte Behandlung erfordert, wie der biegsame, empfäng- 
liche, vertrauensselige Geist des jungen Kindes. 

Die Aureole der Hoffnung und Erwartung umgiebt das kleine 
Wesen von seiner frühesten Jugend an, und wie wir in den Kindern 
der Gegenwart die Männer und Frauen der Zukunft sehen, so wird 
ihre spätere Lebensführung nur die nachträgliche Konsequenz unserer 
jetzigen Behandlung sein. Ein Kind zum Rechten anhalten ist viel 
leichter, als die Gewohnheiten eines ganzen Lebens zu ändern, und 
die gegenwärtige Generation beeinflussen, heisst für die Zukunft der 
Nation wirken. 

Gegenstand dieser Auseinandersetzungen ist zu zeigen, welch 
wichtigen Faktor die Mässigkeits-Bewegung der Jugend ist für die 
Begründung einer massigen wirtschaftlichen und erwerbsamen Ge- 
meinschaft. Dass der Gebrauch von alkoholhaltigen Getränken die 
unmittelbare Ursache vieler sozialen üebelstände der Gegenwart ist 



*) Miss Salmon war in der Versammlung anwesend, konnte jedoch 
wegen Mangel an Zeit nicht zum Wort kommen. 



— 263 — 

und dass die Trunksucht verdammenswert, wird heutzutage allgemein 
zugegeben. Aber einen nationalen Brauch ändern, (so verderblich er 
auch sein mag), der von jeder achtbaren Gesellschaft angenommen 
und von Generation auf Generation verpflanzt wurde, ist keine 
leichte Aufgabe. 

Man kann die Stadt Boston in den Vereinigten Staaten als die 
Geburtsstätte der Mässigkeits-Reform im Jahre 1826 bezeichnen. 
Von dort aus verbreitete sich die Bewegung bald nach England und 
über andere Länder des Kontinents. Das Hauptbestreben der ersten 
Arbeiten war gegen die Truiiksucht gerichtet. Da aber die meisten 
Reformierten wieder in ihren Fehler zurückfielen, so kamen die 
Reformatoren zur Ueberzeugung, dass nicht von der Heilung, 
sondern von der Verhinderung des Uebels Erfolge zu erhoffen seien 
Dies aber war nur dann möglich, wenn die Jugend der Nation von' 
ihrer frühesten Kindheit an zur strengsten Enthaltsamkeit erzogen 
würde. 

Und so kam es im Jahre 1840 zur Gründung eines Mässigkeits- 
Vereius für junge Leute. Sieben Jahre später war jedoch erst ein 
merklicher Fortschritt, im Oktober des Jahres 1847, wahrnehmbar. 
In diesem Jahre besuchte eine Irländerin, Mrs. Carlisle den Norden 
Englands und veranstaltete grosse Versammlungen. Noch ehe sie 
die Stadt Leeds verlassen hatte, war hier ein „Mässigkeits- Verein 
junger Leute'' mit 200 Mitgliedern gegründet und einem glücklichen 
Einfall zufolge „Schar der Hoffnung" benannt worden. Noch vor 
Ende des Jahres hatte der Verein 1000 Mitglieder. 

Welch ein merkwürdiges Zusammentreffen, dass eben um die- 
selbe Zeit eine „Schar der Hoffnung" in der Stadt Berlin gegründet 
wurde, eine Thatsache, von der ein, in der „Nationalen Mässigkeits- 
Chronik" gedruckter Brief aus Berlin vom Juli oder August 1847 
handelte. Er lautet: „Ein merkwtiriges Schauspiel spielte sich 
gestern ab. Zufolge einer Einladung der Mässigkeits -Vereine 
fand eine Versammlung von 3000 Kindern vom 4. bis zum 16. 
Lebensjahre statt. Es ist die „Schar der Hoffnung", deren Tendenz 
die vollständige Entsagung von Spirituosen G-etränken und die Pflege 
gymnastischer Uebungen sein soll." 

Während die Mässigkeits-Bewegung in Deutschland bald nach 
ihrem Erscheinen erlosch und erst in jüngster Zeit wieder auf- 
erstand, waren die „Scharen der Hoffnung" in G-rossbritannien und 
Irland mit grossen Schritten vorgedrungen und haben sich stets als 
die hoffnungsvollste Abteilung der Mässigkeits- Armee bewährt. Ihre . 
Zahl hat von Jahr zu Jahr zugenommen und giebt es bis jetzt über 
21,454 jugendlicher G-esellschaften mit der ansehnlichen Mitglieder- 
zahl von nahezu 3 Millionen. 

Die „Jugendzweige" des Britischen Frauen-Mässigkeits-Vereins 
und des Vereins „Vollständige Enthaltsamkeit" sind hauptsäch- 
lich für junge Mädchen gegründet, die, zu alt um sich Kinder- 
Meetings beizugesellen, ihre besonderen jugendlichen Versammlungen 
abhalten. Auch des „Mässigkeits- Vereins für die Jugend" muss Er- 
wähnung gethan werden, einer Organisation, die im Jahre 1849 
eigens zu dem Zwecke gebildet wurde, auf die Kinder wohlhabender 
Klassen zu wirken, die ihrer gesellschaftlichen Stellung halber nicht 



— 264 — 

die Erlaubnis bekommen, einem gewöhnlichen Meeting beizuwohnen. 
Mittels geselliger Zusammenkünfte in Privathäusern, sowie mittels 
eines offiziellen Organs, einer unter dem Titel: „Der junge Abstinenzler" 
erscheinenden Monatszeitung, ist in der konventionell eingeschränkten 
Gesellschaft, zu welcher eben nicht anders zu gelangen war, viel 
Gutes gethan worden. 

Alle diese Vereine lehren vollständige Abstinenz. 

Jenseits des Atlantischen Ozeans arbeiten unsere amerikanischen 
Brüder in ähnlicher Weise in einem blühenden Vereine, genannt 
„die loyale Mässigkeits-Legion ". Auch die Mässigkeits- Vereine 
Norwegens, Schwedens und Finlands haben ganz Vorzügliches ge- 
leistet. Im deutschsprechenden Schweizerlande wurde im Jahre 
1892 der „Unabhängige Orden der guten Templer" eingeführt und 
bald danach ein „Jugend-Tempel" gegründet. Auch eine Anzahl 
von Jugend-Tempel-Gesellschaften giebt es daselbst, die unter dem 
Namen der „Hoffnung" dem offiziellen Organ des „Mässigkeits- 
Bülletins für Kinder" arbeiten. Der erste „Jugend-Tempel" in 
Deutschland entstand zu Flensburg im Jahre 1891 mit 19 Kindern 
und 6 jungen Leuten und wurde „Senfkorn" benannt. Andere 
Tempel sind seitdem in Schleswig-Holstein, in Berlin und in Rotterdam 
errichtet worden. In Belgien sorgt die Regierung dafür, dass an 
allen öffentlichen Schulen und Seminaren die physiologischen 
Wirkungen des Alkohols gelehrt werden. Eine ähnliche Bewegung 
beginnt in Frankreich, wo der Minister für Erziehung und Unter- 
richt an sämtliche Lehrer ein Zirkular richtete, worin er ihre 
besondere Aufmerksamkeit auf den Mässigkeits -Unterricht lenkt. 
Auch sind zur Verbreitung dieser Anti-Alkohol-Lehren mehrere 
Mässigkeits-Schutz- Vereine in Paris errichtet worden. 

Aus dem Vorangegangenen ist zu ersehen, wie allgemein ver- 
breitet der Wunsch ist, die jungen Leute über Natur und Wirkung 
der Alkohol-Getränke aufzuklären. 

Einer unserer englischen Dichter, Tennyson, hat gesagt: „Selbst- 
achtung, Selbstkenntnis und Selbstkontrolle, diese drei allein erheben 
das Leben zu souveräner Macht. Doch nicht der Macht halber, die 
auch ungerufen käme, befleissigen wir uns jener Tugenden, sondern 
um nach dem Gesetze zu leben, dessen Befolgung uns furchtlos 
macht". 

Zur Erreichung dieses Ideals mache es sich der Mässigkeits- 
Lehrer zur Hauptaufgabe das Kind Schritt für Schritt vorwärts 
zu führen. 

Durch die Physiologie wird die Wirkung des Alkohols auf den 
Körper erklärt und so wird allmählich sich die Ueberzeugung Bahn 
brechen, dass der Gebrauch des Alkohols kein natürlicher, sondern 
ein künstlich angeeigneter Genuss ist, dass derartige Getränke, 
keine Notwendigkeit, sondern ein Luxus sind, dass sie kein Nahrungs- 
mittel bilden, vielmehr ein Gift werden können und dass ihr Ge- 
brauch vom ökonomischen Standpunkt als verderbliche, verschwen- 
derische Gewohnheit angesehen werden muss. 

Nach Einprägung dieser Wahrheiten zeige der Lehrer, wie der 
Wille geübt werden müsse, um die Lehren der Wissenschaft in 
praktischen Gebrauch umzusetzen. 



— 266 — 

Der Hauptgrandsatz der Mässigkeits-Bewegang ist Enthaltsam- 
keit aus Liebe zu GU)tt, Heimat und Vaterland. So wird der Geist 
der Selbstentäusserung zum Wohle Anderer eingeflösst, eine liebe- 
volle Sympathie geweckt und eine unzerreissbare Kette begabter, 
begeisterter, junger Patrioten geschmiedet. 

Die Geschichte zeigt uns, dass der Genuss des Alkohols eine 
ganze Nation demoralisiert und vernichtet. Er zerstört das 
häusliche Leben, untergräbt den Charakter und die nationale 
Wohlfahrt. Arm und reich lockt er in gleicher Weise ins Ver- 
derben. 

Gesegnet seien Alle, die durch Lehre und Beispiel alle Mittel 
anwenden, um die Jugend vor dem Bösen zu bewahren und ihr als 
Schutzengel Enthaltsamkeit zuzufahren. 



Freitag, den 25. September, Nachmittag 3 ühr.*) 

Vorsitz: Frau Marie Stritt, Frl.Dr. phil. KätheSchirmacher. 

Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfs- 
arbeit. 

Von Frau Auguste Friedemann, Berlin, Delegierte dieser Gruppen. 

Die Mädchen- und Frauengruppen wurden im Herbst 1893 auf 
Anregung von Frau Schulrat Cauer ins Leben gerufen und haben 
den Zweck, angesichts des wirtschaftlichen und sittlichen Notstandes 
grosser Bevölkerungsklassen, auch die Frauen und Mädchen, 
namentlich der besitzenden Stände, zu freiwilliger Thätigkeit aut 
sozialem Gebiete heranzuziehen. Das Komitee, welches aus 5 Damen 
und 6 Herren, unter dem Vorsitz von Frau Bürgermeister 
Kirschner, besteht, ging bei der Gründung der Gruppen von der 
Erwägung aus, dass nur durch den persönlichen Verkehr die 
grossen Gegensätze zwischen den besitzenden und besitzlosen 
Klassen der Gesellschaft überbrückt und ein besseres Verständnis 
für die Empfindungen und Bedürfnisse der unteren Klassen ge- 
wonnen werden könne. 

Das Komitee erliess einen Aufruf in diesem Sinne, und es fand 
sich allerdings vorerst nur eine geringe Anzahl von Frauen und 
Mädchen, die ihre Hilfe anboten, denn man hatte mit dem Vor- 
urteil der Mütter zu kämpfen, welche durch die Berührung mit 
dem Volke die Weiblichkeit ihrer Töchter gefährdet wähnten. 
Die Begeisterung aber, mit welcher gearbeitet wurde, führte der 
Sache bald neue Freunde zu, so dass jetzt bereits circa 200 Frauen 
und Mädchen bei den verschiedenen Wohlfahrtseinrichtungen 
thätig sind. 

Das Arbeitsgebiet hat sich in 3 Gruppen gegliedert: 

Gruppe A, unter dem Vorsitz von Frau Sanitätsrat Schwerin, 
umfasst Armenpflege und Wohlfahrtseinrichtungen und entsendet 
ihre Hilfskräfte in die Auskunftsstelle für ethische Kultur, in 
Krankenhäuser, Volksküchen u. s. w. 



*) Redigiert von Marie Raschke. 



— 267 — 

Gruppe B., unter dem Vorsitz von Frau Samoscb, hat haupt- 
sächlich die Fürsorge für Blinde zum Ausgangspunkt ihrer Thätig- 
keit gemacht. Das traurige Loos der Unglücklichen durch Musik, 
Vorlesen und bescheidene gesellige Unterhaltungen etwas freundlicher 
zu gestalten, ist das eifrige Bestreben der jungen Helferinnen ; doch 
fördern sie die Blinden auch mit air ihren Kräften in dem Be- 
streben, ihre Erwerbsthätigkeit zu erhöhen. Einzelne junge Mädchen 
erteilen Privatunterricht an Unbemittelte und suchen arme Familien 
in ihren Wohnungen auf. 

Gruppe C, deren Leitung in den Händen von Frau Rechts- 
anwalt Friedemann liegt, umfasst das Erziehungswesen im weitesten 
Sinne und unterstützt Krippen, Volkskindergärten, Jugendhorte und 
Haushaltschulen mit Lehr- und Hilfskräften. 

Um die praktische Thätigkeit der Frauen zu vertiefen und sie 
dadurch fruchtbarer zu machen, hat sich das Komitee mit bedeuten- 
den wii^senscbaftlichen Kräften in Verbindung gesetzt, welche in 
leicht fasslicher Darstellung die Damen in die Elemente der National- 
ökonomie, der öffentlichen Armenpflege, der Volksgesundheitslehre, 
der Erziehungswissenschaften und einschlägige Gebiete einführen. 

So weit es thunlich, schliessen sich diesen Vorträgen Ex- 
kursionen in MusterstätteiT von Arbeit er- Wohlfahrtseinrichtungen, 
Kranken- und Waisenhäusern, Krippen, Horten etc. an. 

Das mit dem 1. Oktober beginnende Arbeit«\jahr verspricht ein ganz 
besonders reiches und interessantes zu werden. Es ist dem Komitee 
gelungen, Herrn Dr. Münsterberg, den bisherigen Leiter der Ham- 
burgischen Armen Verwaltung, für eine Reihe von Vorträgen über 
Armenpflege und Wohlthätigkeit unter Berücksichtigung der an- 
grenzenden Gebiete der Wohlfahrtspflege nnd mit besonderer Be- 
ziehung auf die weibliche Hilfsthätigkeit zu gewinnen. Paralell 
damit sollen für Vorgeschrittenere seminaristische Uebungen über 
Fragen des Armen wesens, der Wohlthätigkeit und der Wohlfahrts- 
pflege gehen. Noch reicht die Zahl der Mitarbeiterinnen keines- 
wegs aus für das grosse Arbeitsfeld, das zu bebauen ist. Hoffen 
wir jedoch, dass dieser Kongress, der überall Schaffenslust und 
Freudigkeit erweckt, auch unserem Unternehmen neue Freunde zu- 
führen wird, damit das Doppelziel erreicht wird, einmal den Müh- 
seligen und Beladenen zu helfen, dann aber auch, unsere weibliche 
Jugend auf die ernsten Pflichten vorzubereiten, welche der Zukunfts- 
staat gebieterisch von der Frau fordern wird. 

De la condition et du vote politique des femmes 

en France. 

Par Madame Vincent, Asnieres (Seine), Presidente du Groupe 

TEgalit^, D^leguee etc. 

Nous avons traite ici Mercredi la question de Telectorat 
et de Teligibilite des femmes aux Conseils des Prud'hommes en 
France, nous traiterons aujourd'hui de la condition politique et du 
vote politique des femmes, avant la Eyevolution de 1789. 

Pour bien faire comprendre la condition politique des femmes, 



— 268 — 

il nous faut remonter ä Torigine des fiefs, nom sous lequel on desig- 
Dait les Concessions de terre donnees en partage. 

Les Francs ayant conquis les Gaules, leurs chefs, nos premiers 
rois, partageaient entre leurs compagnons d'armes, le territoire conquis. 
Les concessions de fiefs ne se faisaient d'abord que jour en jour, 
pendant la vie de celui qui en etait gratifie; mais sur la fin de la 
seconde race de nos rois, les biens commencerent ä devenir heredi- 
taires, ils passerent d'abord aux enfants mäles, puis aux collat^raux, 
ensuite aux Alles, et insensiblement les Seigneurs permirent ä leurs 
vassaux de les vendre moyennant un certain droit qu'on leur payait. 
Lorque la societ^ fut mieux aflfermie, le service militaire moins 
rigoureux, Tusage de Ther^dite finit par pr^valoir, alors les ferames 
ne furent plus exclues de la succession au patrimoine. 

Nous trouvons ä cette ^poque 47 fiefs feminins et seulement 9 
fiefs masculins. 

L'admission des femmes au pouvoir politique, n'est venue que 
lorsque le fief confondant le pouvoir et la propriet^, incorporant au 
sol la souverainete, a laisse la puissance politique ä la femme heri- 
tiere du fief, parce que cette puissance etait un d^membrement et 
comme un fait de la propri^te. 

Ainsi c'est le respect de Fh^redite et de la propri^te qui a 
fait reconnaitre aux femmes des droits, que, jusqu'ä Theure, on leur 
avait refuses. 

La fille heritiere d'un fief ne pouvait etre mariee sans le con- 
sentement du Seigneur suzerain, qui pouvait Tobliger ä prendre mari 
des rage de douze ans acconiplis. Le Seigneur suzerain, tuteur du 
droit d'une mineure, lui pr^sentait trois candidats, parmi lesquels 
eile devait choisir. 

En cas de refus de sa part, la jeune heritiere perdait pendant 
un an la possession de son fief, dont le Seigneur Suzerain pouvait 
conserver la garde, jusqu'a ce qu'elle eut consenti ä prendre pour 
epoux un de ceux qui lui ^taient present^s. 

Nous citons un de nos grands ecrivains; Guizot dit: 

„Quand le possesseur du fief sortait de son chäteau pour 

aller chercher la guerre et les aventures, sa femme y restait 

dans une Situation toute diff^rente de celle que jusque la les 

femmes avaient toujours eue. Elle y restait maitresse chäte- 

laine, repr^sentant son mari, charg^e en son absence de la 

defense et de Thonneur du fief. Cette Situation elevee et 

presque souveraine, au sein meme de la vie domestique, a sou- 

vent donne aux femmes de Tepoque f^odale, une dignite, un 

courage, des vertus, un eclat, quelles n'avaient point deployes 

ailleurs, et eile a sans nul doute puissamment contribu^ ä leur 

d^veloppement moral et au progres general de leur cundition." 

üne des femmes les plus remarquables de cette epoque, fut 

cette Jeanne de Flandre, comtesse de Montfort, qui pendant vingt 

ans, soutint la lutte contre Jeanne de Penthievre, comtesse de Blois, 

et contre le roi de France, pour defendre Th^ritage de son mari, 

Jean de Montfort, duc de Bretagne. 

Citer toutes les femmes illustres de la France f^odale est im- 
possible ici, cela nous entrainerait trop loin. 



— 269 — 

Rappeions cependant Jeanne d'Arc, la plus celebre d'entre elles. 

Piusieurs de nos princesses qui exercerent la regence de France, 
furent, si Ton peut s'exprimer ainsi, de veritables hommes d'Etat, 
teile Blanche de Castille, Anne de Beaujeu, etc. 

Les femmes h^ritieres de tous les droits et prerogatives attach^s 
aux fiefs, etaient, en cette qualite, investies de la dignite de Pair 
de France. 

L'origine de la pairie remonte a Louis le Jeune, qui avait ^e 
le nombre despairs ä 12 : 6 pairs laiques et 6 pairs eccl^iastiques ; 
non seulement les femmes possedaient alors les pairies, mais elles 
exergaient les fonctions qui y sout attachees, meme Celles qui semb- 
lent les plus viriles; par leur mariage, elles pouvaient transmettre 
la dignite de Pair dans les familles etrangeres. 

C'est comme Pair de France que la comtesse Jeanne de Flandre 
si^ge dans le proces, ä la suite duquel le Comte de Clermont fut 
adjuge ä St. Louis en 1258. 

C'est encore comme Pair de France que Mahaut, comtesse 
d'Artois, assista le 13. Janvier 1317 au sacre de Philippe V ä 
Reims et soutint la couronne sur la tete du roi, avec les autres 
Pairs du royaume. Nous la voyons encore sieger, comme Pair de 
France?, dans le proces intente ä Robert d'Artois. 

Nous devons dire encore quelques mots de la Coutume sur la- 
quelle on s'est appuye pour ecarter les femmes du trone de France. 

Cette Coutume prit sa naissance dans Torganisation et les moeurs 
de la feodalit^. La Coutume Salique qui exigeait un defenseur pour 
la terre, en tant qu'heritage, fut appliquee au trone de France en 
1316, ä la mort de Louis X, le Hutin, son frere Philippe le Long, 
regent du royaume, provoqua une assemblee des Paii*s et des hauts- 
barons, laquelle decida que: 

„Les Lys ne filent pas, et que le Royaume de France etait 
de si haute lignee, quMl ne pouvait tomber en quenouüle." 

Cette decision ne fut pas accept^e sans aucune protestation. 
Agnes de France, fille de St. Louis, interjeta appel en faveur de sa 
petite fille, Jeanne de Navarre. 

Cet appel fut rejete et pour la premiere fois dans notre histoire, 
la loi dite salique fut mentionnee et appliquee. 

En 1328, apres la mort de Charles le Bei, la reine ayant mis 
au monde une fille, le regent Philippe de Valois, par une deuxieme 
application de cette loi salique, fut eleve au trone de France, au 
detriment des heritiers directs de Charles le Bei. Grave decision, 
qui devait pendant un siecle, causer ruines sur ruines en France, et 
conduire notre pays ä deux doigts de sa perte; l'avenement de 
Philippe de Valois fut une des principales causes de la guerre de 
Cent ans, entre la France et l'Angleterre. 

J'ai dit deja que les pairies etaient partagees entre 6 laiques 
et 6 ecclesiastiques, ces anciennes Pairies furent par la suite rem- 
placees par de nouvelles. Frangois I commenga ä 6riger certaines 
Seigneuries en Pairies, au profit de personnes choisies par lui, et ä 
la condition que le titre ne subsisterait que dans la ligne directe et 
masculine seulement. Les femmes en etaient exclues. Les rois qui 
suivirent creerent egalement de nouvelles Pairies, avec cette diflfe- 



— 270 — 

rence, que les lettres d'erection indiquaieut la reversibilite de male 
en femelle. Nous citerons parmi ces nouvelles Pairies: 

Le Dache Pairie d'Halvoln, Seigrneurie de Piennes, cree par 
lettres patentes de Henri TU, le 29. F^vrier 1588. 

Le Dache Pairie de Mercoeur, Lorraine et Vaudemont cree en 
1569 avec reversibilite de mäles en temelles. 

Le Corate d' Albret fut ^rige en Dache Pairie en 1556 par 
lettres patentes, en faveur d'Antoine de Bourbon et de Jeanne 
d' Albret son epouse et en 1652, de nouvelles lettres patentes trans- 
mirent cette Pairie ä Frederic Maurice de la Tour du Pin, duc de 
Bouillon et a ses enfants et h^ritiers successeurs et descendants, tant 
mäles que femelies. 

Le Duch^ Pairie de Beaufort cree par Henri IV en faveur de 
Gabrielle d'Estr^es. 

Parmi les femmes qui ont ete investies de la dignite de Pair 
de Trance, une des plus en vue et des plus remarquables fut Marie 
de Vignerot, veuve d'Antoine de Beauvoir, Seigneur de Combalet. 

La terre et Seigneurie d'Aquillon, fut erigee en Duche Pairie, 
par lettres patentes du 1er Janvier 1638, en taveur de la dite dame, 
avec titres, noms et dignit^s, preeminence de Duche-Pairie de France 
pour eile et les heritiers tant mäles que femelles, tels qu'elle le 
voudra choisir. 

En vertu de cette clause, Madame de Combalet fit heritiere de 

sa Pairie sa niece Marie Therese qui luisucceda etmourut en 1704. 

Ce fait est relat^ par un de nos grands toivains, Saint-Simon, 

qui se montre fort scandalis^ qu'une femme puisse choisir ä son 

gre ses heritiers pour la dignite de Duc et Pair de France. 

La premiere Duchesse d'Aiguillon joignait ä la Pairie le titre 
de Gouverneur du Hävre. Chargee en Mai 1658, d'organiser la 
defense des cotes, chaque jour eile faisait ex^cuter sous ses yeux, 
les ouvrages qui pouvaient etre necessaires pour fortifier la ville; 
eile aida par son activite ä la prise de Dunkerque, dont les Espag- 
nols etaient en possession. Cette ville fut reprise par Turenne, le 
14 Juin 1658. II nous serait facile de citer les femmes qui ont 
rempli des fonctions politiques sous la monarchie, comme gouverneurs 
de provinces, ambassadrices pres des puissances ^trangeres. Nous 
devons nous liraiter. Ce que nous tenons ä etablir, c'est que toutes 
les femmes nobles, filles, veuves et meme mineures, toutes les com- 
munautes religieuses de femmas, ont ete, des Torigine des Etats Ge- 
neraux en 1303, appel^es ä elire des deputes, elles ont figure sur 
toutes les convocations des Etats qui se sont succedes jusqu'en 1789. 
Les Etats Generaux ne furent convoqu^s que dans les moments 
ciitiques de la monarchie, nos rois ayant toujours eu la crainte de 
ces assemblees qu'ils n'appelaient que lorsque de nouveaux impöts 
et subsides etaient necessaires. Souvent les Etats se refusaient ä 
voter les impöts et les subsides demandes par le roi; ils etaient 
^galement appeles ä deliberer sur les affaires du royaume. 

Les femmes siegent egalement dans les Etats Provinciaux, c'est 
en cette qualite que Madame de Sevigne siegea aux Etats de 
Bretagne. 

Dans les assemblees communales des villages, les veuves ou 



— 271 — 

fiUes, imposees comme chefs de faraille, etaient admises au meme 
titre que les hommes; elles signaient comme eux, sur le registre des 
deliberations redige ainsi que cela etait la coutume par le tabellion. 
Le dernier d^cret de convocations pour les elections des Etats- 
Gen^raux de France est du 24 Jan vier 1789, nous le reproduisons 
textuellement: 

„Les femmes poss^dant divisement, les Alles, veuves, ainsi 
que les mineurs jouissant de la noblesse, pourront se faire 
representer par des procureurs, pris dans Tordre de la no- 
blesse." 

Nous avons montre les femmes siegeant comme Pairs de France 
dans les cours de justice des parlements, nous les voyons depuis le 
commencement jusqu^a la fin, appelees a nommer des procureurs 
charges de deposer leur vote, pour Telection des deputes aux Etats- 
Generaux de France. Elles figurent dans les Etats des Provinces, 
dans les assemblees communales. 

Toutes les femmes investies de ces diverses fonctions et attri- 
butions, ne prenaient-elles pas part ä la Cbose publique, au Gouverne- 
ment du pays? 

A la r6volution, tous les Privileges furent abolis; on proclama 
les droits de Thomme, seules les femmes furent oubliees; des pro- 
testations se firent entendre, des femmes courageuses reclamerent, 
mais que pouvaient leurs voix dans la tourraente revolutionnaire. 

Les femmes de la noblesse, les religieuses, qui etaient en pos- 
session du vote politique, etaient dispersees, emigrees pour la plu- 
part; les corporations d'ouvrieres etaient abolies, rien ne resta du 
droit feminin. 

Le projet de Constitution de 1793 proclamait Tegalite des droits 
des hommes et des femmes; malheureusement il ne fnt jamais mis 
en vigueur. 

Lors de Telaboration du Code Civil, dit Code Napoleon (dont 
nous subissons encore les lois) Targument de Bonaparte pour re- 
streindre la liberte des femmes fut celui-ci: 

„Un mari doit avoir un empire absolu sur les actions de 
sa femme, il a le droit de lui dire: Madame vous ne sortirez 
pas, Madame vous nUrez pas ä la comedie, Madame vous ne 
verrez pas teile personne." 

Les Chartes de 1815 et de 1830, ont reconnu aux femmes 
veuves un droit tres minime, dernier vestige du droit politique, ce- 
lui de deleguer leurs impots ä leurs fils, ou gendres pour parfaire 
le Cens 61ectoral qui a existe jnsqu^en 1848. 

La Revolution de 1848 etend le suffrage dit universel a tous 
les citoyens, sans doute parce quHl ne comprend qu'une partie de 
la nation! 

Les femmes se trouvent de par la loi nouvelle depouillees du 
droit de dele^er leurs impots; il ne reste plus alors aucune trace 
du droit consacre par les Chartes de 1819 et 1848. 

Victor Considerant fut le seul des neuf cents membres de la 
Constituante, qui, dans le Comite de la Constitution reclama le droit 
politique de la femme; voici ses paroles: 



— 272 — 

„La Loi est tiD Contrat inttr^enant entre tous lea membres 

de la SouieW, eile ne saurait, saus instituer une inique aer- 

vitude, etre obligatoire pour ceux qui anraient m repousaes 

de la formation de ce contrat; en consequence, tous lea Fran- 

Cais majeura des deux sexes, tont de plein droit partie des 

sectiona de vote oü est leor domicile." j j ■, 

Pierre Leroux d^veioppa im amenderaent en faveur du droit 

communal et ce (ut le Pasteur Athanate Coquerel qui proposa la 

loi d'eiclusion contre lea femmes, qui fnt votee. 

Des femmea energiqnes s'^murent, elles i-elamerent; nous devons 
citer: Jeanne Dervin, Adele Esquirot, Eugenie Niboyet, Paulme 
Roland, Henriette Sönöchal et bien d'autres. 

I>a plus remarquable fut Jeanne Dervin qui se porta a la 

representaüon nationale, par devouement pour la consecration d'un 

grand principe, l'egalit^ civUe et poliüque des femmes. _ 

NoiK devons toutes honorer cette femme courageuse, morte a 

Londres en 1893. 

Eq 1889, Monsieur de Gaate, döput*'. de Brest, notre dövoue 
defenseur, demandait que les femmes fiissent electeurs et öligiblea; 
cette proposition fut ^cart«e par la Chambre, 

En 1893, Madame Vincent, prösidente du groape femmiate: 
l'Egalite, avait ite inacrite sur la liste electorale de la commune de 
St. Onm; cette inscription a 6te annulee par le juge de paix de 
St. Denis. , 

Madame Vincent a plaid..^ juaqu'a la com- de Cassation, eile a 
perdu son proces, et depuis, la question est rest^ie au merae pomt 
Ifoua reclamoas le vote municipal et politique pour toutes, par- 
ce que, autant que les hommes, lea femmes sont interesseea ^au gou- 
vemement de letat, comme eus, dies paient les memes impots, sont 
soumises aux memes charges; parce qu'ü est Inique _ de subir des 
lois, loraquo Ton est etranger ä l'elaboration de oes lois. 

La raison donnee par les hommes, pour nous priver de i 
est maiivaise; notre education politique, disent-ila, n'est pas faite. 

Lorsqu'en 1848, tous les hommes ont ete mis en possesaion du 
droit de vote, est-ce que leur education politique etait faite? _ 

Nous sommes venues exposer nos desirs au Congres femmiate 
de Berün, afiu de nous aasocier, Mesdames, au grand mouvement 
qui se produit dana le monde entier. 

Nos soeurs d'Angleterre et d'Ameriqne nous montrent la route 
a suivre, ellea ont conqaia toutes les libertös, aauf le vote politique 
uo'elles reelament et dont elles seront en posseasion d'ici peu. 

Nous croyons fermement que la fin du sieele marquera pour 
les femmes la reconnaissanee entiere des droit«; qn'elles doivent les 
exercer comme les horames. Comme eux elles sont nees librea, elles 

doivent penser et agir librement, en tenant compte d" '" ^■"' 

des sexea. 

Ouvragea consultes; 

1. Histoire de Prance par le President Henaiilt 1780. 

2. Collection Denisart 1770. 

3. Histoire de France par Henri Martin. 



s droits 



i difference 





— 273 — 



4. Memoires sur l'hiatoire de France par Grille 1823. 

5. Lea Etats Geoeraux par Henri Hervieu 1879. 

6. La Duchesse d'Aig^uillon par Bonneau-Ävenaut 1879. 

7. Lea Aaaemblees et Communaut«s d'habitanls par M, L. Merlet 
1885. 

8. JoQrneaux de 1848 a 1890. 

Women'3 Work as Guardians of the Poor. 

By Miss Georgina Hill, London, Delegate of the Society for pro- 

inoting the returo of women as Poor-Law- Guardians. 

The importance of the movement for promoting the election oi 
qiialified women as poor-law guardians has seldoin, we think, been 
eatimated by the world at its proper value. Äs a measure how- 
ever of practical pliilanthropy in opening to benevolent women the 
career in which perhapa of all others they posaess most opportunity 
and power of ministering to the wants of the most helpless and 
wretched of their fellow-CTeaturea, it caTi hardly he over estimated. 
Tt is sometimes the cuatora to consider the poor-law as a hard un- 
bending System, more of the nature of a vast machine, working by 
line and rnle, than as a charitable Institution, but when we re- 
meicber that, thoogh to some extent this is troe, the comfort and 
well-being of the inmates of a workhonse depends most largely oa 
the niemhers of the Boarda of Guardians in their individual and 
collective eapacity, we sball perceive at once that in this office lie 
immense possibilities for good. And aa two-thii-da at leaat of those 
who have to be cared for are woraen aud children, without reckon- 
ing the sick and aged of hoth sexes, it would seem at first aight 
that herein lies a primal neeesaity for the tbongtful consideration 
of women. Moreover the daily life of the workhouse, reaembling a 
honsehold on a large scale, with the bousing, the feeding, and cloth- 
ing of the inmataa involves questiona at every tum of domestie ma- 
nagement, that can only be adequately dealt with by ladies accu-stomed 
to the daily ordering of such mattera in their own homes. It may 
aeera surprising that it ia only within the last twenty years that 
their active co-operation in the government of workhouses has been 
enliated at all. at least in any eapacity above tbat of a matron, or 
a mere servant of the Board. It is now more than forty yeara 
since workhonse viaiting by ladies was initiated by Misa Twining 
and some other ladies. They helped to make known a atate of 
thinga in varJous workhouses that owing to the careleasneaa or ig- 
norance of Boards of Guardians had been allowed to flourish un- 
euspected. The sick and aged were attended by untrained pauper 
nuraes; the doraestic arrangements were frequently a disgrace tn 
civüiaation, whilst the children were broiight up and educated within 
the workhouse itself. Thia brmging-up had the verj- worst resulta, 
aa the children when men and women looked upon the workhouse 
as their home. Mias Twining's Aaaociation for providing trained 
nursea in Workhouse Inflrmaries, the formation of regulär visiring 
committces of ladies, the creation of cottage homes for orphana and 



— 274 — 

deserted children, the establishment of certified Training Homes, 
were schemes devised by women to combat the evils mentioned above. 
It was very uphill work, and there was much difficulty in getting 
these schemes recognised and accepted either by the officials of the 
Local Government Board or by the Boards of Guardians. 

The impetus wbich was wanting to these movements, and the 
earliest practical proof of the good results from a woman^s work in 
an official capacity was afforded by the appointment by the then 
President of the Local Government Board, the Right Honourable 
James Stansfeld, of a lady, Mrs. Nassau Senior, to be Inspector of 
Workhouse Schools, only in 1873. This appointment Mr. Stansfeld 
was led to make, desiring as he said, to have on some subjects con- 
nected with girls and women in workhouses the opinion of a woman, 
who could estimate these as no man could hope to do. The result 
of Mrs. Nassau Senior 's enquiries and report, showing the immense 
percentage of girls discharged when 16 from workhouse schools, 
who went wrong afterwards, for lack of the particular care and 
supervision on their first entrance into service, which only women 
could give, resulted on one band in the formation of the Metropo- 
litan Association for Befriending Young Servants and the Work- 
house Departement of the Girls' Friendly Society ; and on the other 
in more completely demonstrating the absolute need of women being 
membres of the active governing bodies of poor-law Unions. From 
the early seventies it may therefore be said that the necessity began 
to be recognised among women workers, and the movement for se- 
curing women as Poor-Law Guardians actually commenced. 

The first case we have of a lady being nominated as Guardian 
was that of the Baroness, then Miss Burdett-Coutts in 1869, who 
was proposed and actually elected by a plurality of votes in a Lon- 
don parishi As however a doubt was then raised as to whether a 
woman was legally qualified to act as Guardian, and as Miss Burdett- 
Coutts had moreover been nominated without her own consent, the 
subject was suffered to drop för the time being. In 1875 it was 
however revived, and this time successfully, as from the outset the 
Local Government Board pronounced that there was no legal impe- 
diment to a woman being elected or acting as Guardian. Several 
ladies were nominated in that year, but only one Miss Martha 
Merington, was elected, in Kensington. The following year (1876) 
Miss CoUet was elected in St. Pancras, and another lady for Wolver- 
hampton. Two years later there were 4 lady-guardians in the Me- 
tropolis, and the number continued slowly to increase both in London 
and in the provinces; the Services of the ladies, if at first looked 
upon somewhat askance by their male colleagues, were soon appre- 
ciated at their füll value, and the verdict "we don't know what we 
should do without the ladies now" became more and more frequent, 
wherever they came into office. 

Some better Organisation, in the view of the comparatively slow 
increase of the numbers of lady-Guardians, was feit however to be 
necessary, in order to give greater effect to the isolated efforts 
made by ladies to secure their election in different parts of the 
country, and to induce capable and qualified women to ofier their 



— 276 — 

Services. By the indefatigable efforts of the late Miss C. A. Biggs, 
Miss Eva Muller (Mrs. Walter McLaren) and other ladies, tiie 
Society for Promoting the Return ofWomen as Poor-Law Guardians 
was formed in the early part of 1881. The work at once began 
to produce its due effects, but for a long time the number of women 
Guardians remained very restricted, both because the idea was still 
new, and also because it was^not easy to find women at once able 
and willing to come forward, and possessed of the proper qualifica- 
tion as rate-payers to enable them to do so. For it was then need- 
ful that a Guardian should be a rate-payer, to a certain amount, 
not uniform, but varying in each district, in some places as high 
as Lstr. 40, in others Lstr. 15. It was also necessary that this 
qualification should be well established, as a technical error not un- 
frequently destroyed the chancea of a promising candidate at the 
last moment. In 1887 the number of Women Guardians did not 
consequently exceed 50 in London and the provinces together. The 
Local Government Act of 1889, establishing an easier and uniform 
qualification of being rated at Lstr. 5 a year annual rental, had its 
effect in increasing the numbers directly. Finally the Local Govern- 
ment Act of 1894 removed all practical difficulties by laying down 
that any person, being either a ratepayer, or a resident of twelve 
months in any parish was eligible to stand a Guardian therein. 
Neither sex nor marriage, it was finally and expressly laid down, 
was to be any disqualification for the office. The result more than 
justified the füllest expectations of the Society, for at the next 
elections held after the passing of the Act the number of women 
Guardians rose all at once from 200 to 883, of whom 90 sat on 
Boards in the Metropolis. In Scotland, which received a similar 
Local Government Act of its own at the same time the number 
rose from 4 to 40. 

The latest news that reaches us is that at last by a special Act 
of Parliament the disabilities of women to be Guardians in Ireland 
have been removed, and that a Central Committee for promoting 
their return has been formed in Dublin, with Mrs. Haslam as se- 
cretary. Other committees have been formed in Tralee, County 
Tyrone, and in Mallow, County Cork. It is significant and hopeful 
that on one of these committees the chief Offices are equally divided 
between Roman Catholics and Protestants. Some time must un- 
fortunately elapse, before the benefits of the Act can be realised, as 
no general poor-law election in Ireland will take place before next 
year, but in the meantime no efforts will be spared to induce ladies 
to become candidates, and advantage will be taken of every bye- 
election and chance appointment that may present itself. 

But while we rejoice in the amount of work that has been 
done, we cannot but realise that this after all bears a very small 
Proportion to that which still remains to do. The number of Unions 
in England and Wales is 648; of these 341, or rather more than 
half now have women on their Boards. But this also means that 
in 307 other Unions the pauper inmates are still without the help 
and comfort which the presence of women on the Board having the 
management of them, would afford. And though the present number 

18* 



— 276 — 

(890 by the most recent returns) of women on Boards so largely 
exceeds all that it has esrer been in previous years, we must not 
forget what a small proportion this is among the 29000 Guardians 
of all the United Kingdom. And on many of the Boards where 
women sit they are only in the proportion of one or two among an 
overwhelming number of men, though on some the number is as 
high as ten and four counties are still without any Women Guar- 
dians. We shall scarcely consider our work done, tili every Board 
in the country is equally composed of men und women. The late 
President of the Local Government Board expressed it as bis opinion 
that there should be at least three women on every Board. The 
task now imposed on the women Guardians of superintending the 
needs and welfare of all the sick, and all the aged, all the women, 
and all the children under the care of the poor-law is obviously too 
great, however energetic and willing each one may individually be. 
Our very successes must therefore be the most powerful incentive 
to renewed work in the future, the more so as the pioneer stage is 
long past, and the ready response to the need, shown by so many 
women Coming forward as soon as all legal obstacles were removed, 
proves how many willing workers we have, and their election, how 
thoroughly the need for their Services is recognised among rate-payers. 

Oeffentliche Armen- und Waisenpflege. 

Von Jeannette Schwerin, Berlin. 

Wohl keine Tugend hat in der Wertschätzung der Menschen 
so viel Wandlungen erfahren als die Tugend der Barmherzig- 
keit. Man hat ihr Bildsäulen errichtet, und man hat sie zerstört. 
Man hat sie verstaatlicht, und man hat sie in unseren Tagen als das 
Ventil bezeichnet, aus dem die Erbitterung entweichen soll, welche 
die Besitzlosen gegen die Besitzenden hegen. Und doch datiert von 
dem Tage an, an dem der Mensch dem Menschen zum erstenmale sich 
hilfreich erwies, die moralische Entwickelung des Menschengeschlechts. 

Alle Kulturvölker haben daher je nach der Höhe ihrer sitt- 
lichen Anschauungen und nach der eigentümlichen Gestaltung ihres 
Staatenlebens eine öffentliche Armen- und Waisenpflege geübt. Auch 
Deutschland hat nach jahrhundertlangem Ringen endlich eine ge- 
meinsame Form der öffentlichen Armenpflege gefunden. Wenn die 
Zwangsarmenpflege nach dem preussischen Ausführungsgesetz von 
J871 jedem, der für seinen Unterhalt nicht zu sorgen vermag, unter- 
schiedslos eine bestimmte Art der Unterstützung gewährt, so ist man 
in den betreffenden Städteverwaltungen stets bestrebt gewesen, die 
Begrenztheit des Gesetzes durch ein System zu mildern, welches dem 
ersten Grundsatz einer rationellen Armenpflege entspricht: Indivi- 
dualisierung der Gabe einem jeden einzelnen Empfänger gegenüber. 
Seine idealste Form findet dieser Gedanke in dem sogenannten 
Elberfelder System, welches einem Armenpfleger durchschnittlich nur 
3—4 Familien im Jahre zuweist, und es ihm dadurch möglich macht, 
mit voller Elraft und Hingabe für seine Schutzbefohlenen zu sorgen. 
— Zur Durchführung dieses Systems sind aber viele Kräfte er- 
forderlich, und so kam man auf ganz natürlichem Wege dazu, auch 



— 277 — 

die Frauen für den Dienst in der Armenpflege nutzbar zu machen. 
In Kassel ernannte man sie bereits im Jahre 1881 zu Armen- 
pflegerinnen, ganz mit denselben Rechten und Pflichten, wie die 
Armenpfleger. In anderen Städten, wie Dresden, Leipzig, Elberfeld, 
Breslau u. a., im Grossherzogtum Baden gliederte man die be- 
stehenden Frauenvereine eng an die Verwaltungen der öffentlichen 
Armenpflege an. In Königsberg sitzen 35 Frauen in diesem Zweige 
der Verwaltung. Nur Berlin verhält sich noch ganz ablehnend zu 
der Einstellung der Frauen in den Gemeindedienst. Hier gilt noch 
das Wort: „Wir haben schlechte Erfahrungen mit den Frauen ge- 
macht", eine jener platten, runden Redensarten, die sich als ein 
Nichts erweisen, wenn man sie näher betrachtet. Denn da noch nie 
Frauen angestellt worden sind, so konnte man auch keine Erfahrungen 
in dieser Richtung machen, weder gute noch schlechte. — Freilich 
müsste man wünschen, dass der Frau für dieses Amt eine gewisse 
Vorbildung gewährt werde. Jeder Beruf erfordert eine solche, 
nicht zum geringsten der schwere und verantwortliche einer Armen- 
pflegerin. Bis zu einem gewissen Grade bringen die Frauen durch ihre 
natürliche Veranlagung sehr viel dazu mit. Aber das genügt nicht allein. 

Die Kenntnis der einschlägigen, gesetzlichen Bestimmungen, die 
der bestehenden Wohlfahrts-Einrichtungen, Verständnis der sozialen 
Lage der arbeitenden Bevölkerung und ein ganz bestimmtes Mass 
hygienischen Wissens — sie alle müssen von einer guten Armen- 
pflegerin gefordert werden können. Wenn man uns erwidert, dass 
ja auch Männer, die in der Aj^menpflege thätig sind, diese Gebiete 
nicht beherrschen, so ist das kein Grund für uns Frauen, nicht gut 
vorbereitet in ein Amt hineinzugehen, dessen Rechte wir vollauf für 
uns beanspruchen. Schon das junge Mädchen sollte einen Unterricht 
geniessen, der sie befähigte, diesen Pflichten des Gemeindelebens ge- 
recht zu werden. Die bis jetzt rein ästhetische Geistesbildung des- 
selben würde durch Hinzufügen dieser ethischen Momente eine 
harmonische Gestaltung erhalten. Sehr geeignet zum Amte von 
Armenpflegerinnen sind Volksschullehrerinnen, denn durch ihre stete 
Fühlung mit dem armen Kinde wird ihnen auch Verständnis für 
die häuslichen Verhältnisse desselben. 

Gerade jetzt tagt in Strassburg die Generalversammlung des 
Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit. Sie hat 
diesmal auf ihre Tagesordnung die Zuziehung der Frauen zur 
öff^entlichen Armenpflege gesetzt. Hoffen wir, dass die massgebenden 
Stimmen unsere Wünsche kräftig unterstützen werden. Sie zielen 
ja nur dahin, der Frau ein Arbeitsgebiet sozialer Thätigkeit zu er- 
öffnen, auf dem sie zum Nutzen der Gemeinde schaffen und wirken kann. 

Der gegenwärtige Stand des Frauenstimmreohts 

in England. 

Von Miss Helen Blackburn, London. 
Vorgetragen von Frau Eliza Ichenhäuser. 

Will man über den gegenwärtigen Stand des Frauenstimmrechts 
in England eine üebersicht geben, so müss man sich vor Augen 



— 278 — 

halten, dass die Signatur der letzten sechszig Jahre eine bedeutend 
gesteigerte politische Thätigkeit der Männer war, und dass mithin 
die vermehrte politische Thätigkeit der Frauen eine Teilerscheinung 
des Ganzen bildet. 

Die hervorragendsten Errungenschaften der Engländer des acht- 
zehnten Jahrhunderts sind: die Gründung ihrer Kolonien durch 
ihre Entdeckungsreisen zur See und ferner ihre zahlreichen Erfin- 
dungen und Entdeckungen, herbeigeführt durch wissenschaftliche 
Untersuchungen. Durch dieselben wurde eine gründliche Um- 
gestaltung des gewerblichen sozialen Lebens erzielt. 

An allen diesen Errungenschaften hatten die Frauen keinen 
Anteil. Ihre Erziehung, an und für sich schon auf häusliche Be- 
schäftigungen beschränkt, musste durch den Mangel an wissenschaft- 
lichem Unterricht verhältnissmässig noch mehr eingeengt werden, 
da gleichzeitig viele Industrien die ehemals zu Hause und mit der 
Hand betrieben, nunmehr in Fabriken verlegt und daselbst durch 
Maschinen bewerkstelligt wurden. 

Während aber das Sich -Ausbreiten der Wissenschaft im Ganzen 
auf die Ausbildung der Frau einen einengenden Einfluss ausübte, 
hatte die Verbreitung der politischen Thätigkeit eine entgegengesetzte 
Wirkung. 

Waren ihnen die höheren Studien verschlossen, so durften sie 
doch die Begeisterung ihrer Väter, Gatten und Brüder für die 
Eliminierung politischer Leiden und für die Ausdehnung der Freiheit 
teilen. 

Die Frauen nahmen eifrig Teil an den drei politischen Bestrebungen, 
welche die Brittische Geschichte der ersten Hälfte des neunzehnten 
Jahrhunderts kennzeichnen, nämlich an der Abschaffung der Sklaverei. 
der Reform des Parlaments und der Aufhebung der Getreidezölle. 
An den Interessen und Anstrengungen, die diese Bestrebungen 
hervorriefen, beteiligten sieh die P'rauen leidenschaftlich und die 
Aelteren unter den frühesten Freunden der Frauenfrage können ihr 
Interesse von der Zeit herleiten als das ganze Land in der Keforni- 
bewegung gährte; die Jüngeren unter ihnen können sich daran er- 
innern wie sie als Kinder zu den Versammlungen gegen die Getreide- 
zölle mitgenommen wurden und dadurch früh schon in ihnen die 
Erkenntnis aufstieg wie innig die Wohlrechtwirkung zwischen Gesetz 
und den Erscheinungen des täglichen Lebens ist. 

Trotzdem die Erziehung der Frauen so elend geword^^n war, 
so gab es im Lande doch noch denkende Eltern, die ihre Töchter 
mit derselben Sorgfalt als ihre Söhne, nicht selten gemeinschaftlich 
mit diesen erzogen und es war ein Glück für die Frauenbewegung 
in England, dass ihre ersten Pioniere Frauen waren, die hohe Bildung. 
unabhängiges Vermögen und ein selbstloses Streben besassi^n, die 
bereit waren ihre Kräfte dem allgemeinen Wohl zu widmen. 

Solche Frauen waren Barbara Leigh Smith (s])iiter ]\Irs. Bodichon ), 
der gute Genius der ersten Arbeiter auf diesem Gebiete, Emily 
Davies, die ihr Leben der Eröffnung des Universitätsunterrichtes der 
Frauen gewidmet hat und die ständig an der Bewegung für das 
Frauenstimmrecht Anteil nimmt, Jessie Boncherett die Begründerin 
der Gesellschaft fiir Anstellung der Frauen, und allen voran Lydia 



— 279 — 

Becker, die sich um Frauenbewegang dadurch unberechenbare Ver- 
dienste erwarb, dass sie durch ihren ruhigen, weitsichtigen politischen 
Scharfsinn von Anfang an in sichere, ausführbare Wege leitete. 
Ihr Tod im Jahre 1890 war ein unersetzlicher Verlust. Diesen 
Pionieren folgten nach und nach so viele, dass ihre Zahl bald viel 
zu gross wurde, um sie hier alle namhaft zu machen. 

Ein anderer bedeutsamer Umstand war die Thatsache, dass ein 
Mann von so hohem philosophischen Ruf wie John Stuart Mill es 
war, der die Bewegung, als sie zum erstenmale im Parlament zur 
Sprache kam, verteidigte und sie dadurch sofort über allen Partei- 
hader erhob. 

Eine Stelle aus seinem berühmten Amendement im Mai 1867 
zeigt den Ton, den dieser erste Champion anschlug. Alle fol- 
genden haben sich bemüht, diesen Ton fest — und die Frage vom 
Partei^eist freizuhalten. 

„Es ist wahr", sagte Mill, „dass die Frauen grosse Macht haben, 
und gerade darauf lege ich grosses G-ewicht, dass sie so viel Macht 
haben. Aber sie haben sie unter den schlechtesten Bedingungen, 
weil sie eine indirekte und daher eine unverantwortliche Macht ist. 
Ich wünsche, dass diese grosse Macht eine verantwortliche Macht 
werde. Ich wünsche, dass die Frauen an der rechtschaftenen Aus- 
übung dieser Macht ihr Gewissen beteiligen. Ich wünsche, dass die 
Frau es nicht blos als Mittel zu persönlicher Macht betrachtet, ich 
wünsche, dass ihr Einfluss sich durch einen offenen G-edankenaustausch 
bemerkbar macht, und nicht durch Schmeichelei. Ich wünsche in 
ihr das politische Ehrgefühl zu erwecken". 

Etwa zehn Jahre später sagte Fawcett im Parlament : „Frauen, 
die von keinem Wunsch ihr Heim zu verlassen beseelt sind, Frauen, 
welche in Bezug auf Interesse und Hingabe an ihre Kinder keinem 
nachstehen, solche Frauen fordern diesen Gesetzentwurf, nicht aus 
selbstsüchtigen, unpassenden Beweggründen, nicht aus Prunksucht, 
sondern weil sie glauben, dass es im Interesse der Klasse ist, der 
sie angehören, weil sie glauben, dass es im Interesse der Wohlfahrt 
des Landes wäre". 

Jakob Bright sagte ganz richtig im Brittischen Unterhaus: 
„Die Frauen wollen fühlen, dass alle sie interessierenden Fragen 
im Parlament, in derselben ernsten und gewissenhaften Weise be- 
handelt werden, in der wir derzeit alle Arbeiterfragen besprechen." 

Die Bewegung hat die Unterstützung aller derjenigen leitenden 
Personen, welche die höhere Br/.iehung des Weibes in die Hand ge- 
nommen haben. So haben alle Vorstände höherer Mädchenschulen 
und Lyceen diesbezügliche Petitionen unterzeichnet; viele Führer 
der Philantropie haben sich in gleicher Weise ausgesprochen, und 
erst kürzlich haben sich die führenden Prediger der Hochkirche so- 
wohl, als auch anderer Sekten ebenfalls zu Gunsten der Ausdehnung 
des weiblichen Wahlrechts ausgedrückt. 

Diesen Gutachten schliessen sich der Erzbischof von Ganterbury, 
der Bischof von London und der römisch-katholische Erzbischof von 
Westminster, Kardinal Vaugham, an. 

Dr. James Martineau, der ehrwürdige Philosoph, schreibt in 
seinem 90. Lebensjahre wie folgt: „Da nur aus einer grossen Summe 



— 280 — 

sozialer Erfahrung heraus gesetzgeberisch gewirkt werden kann, so 
darf aof nichts verzichtet werden, das sich zur Sache äussern kann. 
Wir müssen deshalb eine Anzahl höchst entbehrlicher Uebelstande 
und die Fortdauer eines niedrigen «Standards- nationaler Ethik er- 
warten, so lange wir nicht das den Frauen Eigentümliche und Be- 
sondere ebeDÜälls richtig verwerten." 

Der Dean von Manchester, früher Direktor des Cliftx)n-College, 
schreibt wie folgt: „Wir haben derzeit in England eine solche An- 
zahl gebildeter Frauen, wie sie in gleicher Stärke niemals vorher 
existierte. Wir haben Frauen, welche die umfassendste geistige, mo- 
ralische, philantropische und soziale Arbeit leisten, eine Arbeit, die 
im höchsten Grade politisch genannt werden muss. Das Weib hat 
heutzutage nachgewiesen, dass die Forderung ihres Geschlechts auf 
Anerkennung ihrer Individualität und ihrer politischen Gleich- 
berechtigung vollauf berechtigt ist.*" 

Den besten Beweis jedoch für das erhöhte Pflichtgefühl der 
Frau für Dinge, die ausserhalb des Hauses liegen, sehen wir in 
ihrer vermehrten Thätigkeit hinsichtlich Gemeindeangelegeoheiten. 

Das Gemeindewahlrecht, das ihnen 1835 genommen wurde, 
wurde ihnen 1869 wiedergegeben. Dann, als das Schulgesetz von 
1870 Schulverbände einführte, wurden Frauen den Männern gleich- 
gestellt, in aktiver und passiver Hinsicht. 

Das in Vergessenheit geratene Recht im Armenrat aktiv und 
passiv zu wählen, wurde ihnen wieder zugesprochen; nach und 
nach beteiligten sie sich hier stärker und stärker und mit solch 
guten Resultaten, dass das Gesetz von 1889 und 1894, das Stadt- 
und Landgemeinderäte schuf, die P'rauen hierin den ^lännem 
vollständig gleichstellte, und die Frau übt hierin derzeit mit ebenso 
viel Interesse wie Intelligenz ihr Recht aus wie ihre Brüder. 

Ausser diesen Gelegenheiten für den öffentlichen Dienst, den 
die Gesetzgebung ihnen erschlossen hat, haben die Frauen freiwillig 
gleiche Arbeitsleistungen in politischen Organisationen auf sich ge- 
nommen, so bei der Primrose League und bei den verschiedenen 
liberalen Frauenvereinigungen. Die erste Vereinigung A\Tirde im 
Jahre 1883 gegründet, zur Aufrecbterhaltung der Konstitution und 
der Kirche, und der Frauen Anteil daran ist ebenso intensiv als 
der des Mannes. Der Verein zählt über eine Million Mitglieder, 
wovon die Hälfte Frauen sind. 

Die Women's Liberal Association, 1885 errichtet zur Ver- 
breitung liberaler Grundsätze, erstreckt sich über jede halbwegs 
bedeutende Stadt in England. All das beweist, dass das Verhältnis 
der Frauen zu den öffentlichen Pflichten sich seit den 29 Jahren, 
seit die Forderung des Wahlrechts für Frauen zum ersten mal auf- 
trat, bedeutend geändert hat. 

Innerhalb dieser Periode sind im Unterhaus Frauenwahlrechts- 
(iesetzentwürfe nicht weniger als 13 mal behandelt worden. In 
den letzten Jahren freilich hat dieser Gegenstand durch die Ueber- 
fttlle parlamentarischen Stoffes zu leiden gehabt, und keine neue 
Debatte ist seit 1892 zu verzeichnen. Kommt die Frage aber dem- 
nächst wieder vor das Unterhaus, so liegt die Wahrscheinlichkeit 
vor, dass sie siegreich sein wird; denn nicht allein versäumt der 



— 281 - 

gei?enwärtige Premierminister Lord Salisbury keine Gelegenheit, 
sich zu Gunsten des Frauenwahlrechts zu äussern, sondern auch 
die Hälfte der im Juli 1895 erwählten Unterhausmitglieder sind 
für die Ausdehnung des Stimmrechtes auf diejenigen Frauen, die 
das kommunale Wahlrecht haben, d. h. auf alle steuerzahlenden 
Frauen. 



What the Women's Franchise League of Sreat 
Britain and Ireland is trying to aooomplish. 

Ey Mrs. Ursula M. Bright, London. 
Carried by the Delegate Miss Emily Hill, London. 

As Hon. Secretary of this League I have great pleasure in 
acceding to the request of the Executive Committee of the Womens 
Congress in Berlin to fumish you with some details about our 
•'objects" and the means by which we seek to obtain them. 

Strictly speaking we have only one object and that may be 
thus defined — 

''To obtain for all women equal civil and political rights with 
men. " 

This includes 1) The right of Educational Opportunities such 
as men enjoy, whether as a means of culture, or as aids to secure 
the means of living. 2) Equal wages for women for work of equal 
quality with that done by theother sex. We claim also 3) equality 
in the marriage laws, as regards divorce, the custody and guardian 
ship of children and personal freedom. In all these matters. the 
lefiral and social and economic position of men, is incomparably better 
than that of women. In order to secure these reforms we ask that 
women shall be placed on an exact footing with men as regards the 
right to return menibers to Parliament and also themselves to sit 
in the House of Comraons. 

Already women may vote in all Municipal, Local and other 
elections — they may sit upon School Boards and Boards of Guar- 
dians of the Poor, and in our Colony of S. Australia they may not 
only vote for the House of Representation, but are themselves 
eligible as members, and there in no office under the crown includ- 
ing that of Prime Minister to which they may not be appointed. 
This need not excite surprise in the colony of a country which has 
for 60 years had a career of unexampled prosperity under the do- 
minion of a woman. So that we may safely predict that the great 
object of our League the right of Parliamentary Representation, can- 
not now be far distant in England also. 

Although we are seeking absolute equality for women to 
compete with men for any post, or position of power, influence, or 
emolument now reserved for men it must not be supposed that we 
are trying to force our sex into Offices unsiutable for women. All 
that we ask is that the sphere of womans work and the power to 
interfere with it, the judgment concerning what she can, or ought 
to do, shall no longer subserve the prejudices, or interests, or con- 
venience of men but that women themselves shall be allowed to 



-- 282 — 

decide what work they are fitted to perform and what Offices they 
/can with advantage to themselves and the Community occupy. Every 
right entails a duty and it is that we may have liberty to perform 
what we hold to be our duties that we claim our freedom. In this 
country the work of women wherever they have been admitted into 
the public service for example as members of Educational Boards 
or Boards of Guardians or as telegraph and postal Clerks has been 
highly appreciated. We remark in fact a general willingness to 
allow them to occupy positions where as compared with men they 
are poorly paid, or not paid at all. Our League seeks not only to 
open all public Offices to women able to fill them but, also asks that 
they shall receive the same payments as men receive. 

As to the means by which wework: The particular Organisation 
of this League has only been in existence since 1889. but the chief- 
officers and members of our Executive are men and women who for 
the last 30 years have given devoted work to the Cause of Woman. 
To them and those whom they have been able to influence we owe 
almost every reform that has been accomplished during the last 
quarter of a Century. They have procured the municipal and local 
votes for women, and the change in the Status of married women 
whereby they now enjoy füll property rights, and rights of contract, 
and also the power to vote under the late Local Government Act, as 
well as the amelioration in the law concerning mothers^ authority 
over their children ; and the generally improved feeling with regard 
to the Position of married women is almost entirely due to their 
steady and persistent representations in Parliament and outside it. 
The difficulties they have had to contend with have been great 
owing to the extreme timidity of some women who honestly believed 
that it was impossible to obtain any concession to married women 
unless spinsters and widows were first enfranchised. We have, on 
the contrary, always maintained that it would be a most dangerous 
precedent in any Scheme of reform not to include married women, 
who form the large majority in the country. The result has fully 
justified the course we have taken. 

As to the means by which we work: — 

We have in the House of Commons, and also in the Lords, 
men sincerely devoted to the interests of our sex who give us the 
benefit of their great experience and take Charge of the Bills we 
wish introduced. The pressure of Parliamentary business is how- 
ever, so great that until we get votes there is little chance of our 
Bills becoming law. We have therefore bent all our energies during 
the last few years to the education of the people. We have held 
in 1890 an important International Congress. In 1892 we had a 
most interesting Conference lasting 3 days on every aspect of the 
Enfranchisement of women. We have held innumerable public and 
drawing room meetings. We have sent up large numbers of petitions 
to Parliament and circulated about a million leaflets, pamphlets and 
Reports. At the present time we are bending all our energies to 
secure the return of men to the House of Commons who will vote 
for Women's Suffrage. Our League acts independently of Party. 
There are, however, in the country, about 500 Women's Liberal As- 



— 283 — 

sociation, and we have lately issued a strong appeal to theni not to 
aid in the return of men to Parliament opposed to our claim. These 
associations send annually delegates to a great Conference held in 
London. They are composed of the most energetic and intelligent 
of the social workers in the country and at theirannual Conference 
in 1893 they adopted almost unanimously the whole of our Pro- 
gramme of Equality, so that we may he said to have nearly all 
the advanced thought of the women in the country hehind us. These 
Women's Liberal Associations are a great power on account of the 
Valuable Work they do at elections and we look to them to aid us 
in sending to Parliament only those men who can he trusted to 
Support our claim for enfranchisement. G-radually our male friend 
are heginning to find that they cannot secure the enthusiastic help 
of women at elections unless their candidates show some considera- 
tion for the question in which women are most interested. With 
the Women's Conservative Associations we make little progress. 
They are not accustomed to think or act independently, but siraply 
obey their leaders. This, however, a hopeful sign for our cause 
that Lord Salisbury and Mr. Balfour and other distinguished Con- 
servative statesmen are even in advance of the Liberal leaders in 
hearty sympathy with the cause we represent. Both Liberais and 
Tories eagerly welcome the assistance of women in canvassing and 
other political work and they cannot long refuse political Privileges 
to their comrades in political work. 

In conclusion I may say, that although I am writing this short 
Sketch which cannot be submitted to any colleagues in time for 
your congress, I am sure T may express on their behalf the very 
cordial and hearty sympathy we all feel for the efforts you are 
making, perhaps on somewhat different lines from those on which we 
work, for the woman^s cause. The influence of women, the heart 
of the mother, will do more toprotect the little children, to reform 
the criminal, to help the weary and heavy laden and to teach men 
peace and human Brotherhood than any other means whatever. May 
you be directed to choose the means which will best secure this 
fifreat enfranchisement! 



Report of the Columbia women suf frage Association. 

By Mrs. E. S. Brinton, Delegate, Washington. 

During fifty years or more, women have been working in 
America to secure the right of suffrage as a means of bettering 
their condition in certain respects where men, through lack of know- 
ledge or lack of attention, have allowed the laws to militate against 
them. Women understand the needs of women and the necessities 
of the home and family better than men do. Therefore it is neces- 
sary that women should have a band in making the laws which 
either directly or indirectly affect these interests. And as in the 
solidarity of human interests, there is no injury to a part which 
does not affect every other part, so in the State there can be no 
law which does not affect woman. 



— 284 — 

During this time, a great deal of progress has been made, 
though the end at which we have been aiming — an amendement 
to the National Constitution prohibiting discrimination on account 
of sex — has not yet been reached. There are now three states 
of the Union — Wyoming, Colorado and Utah — where women 
have the right to vote at all elections. 

They may vote for the President of our Nation, and they may 
be voted for as members of the legislatures of their own states, as 
well as for all better positions of public Service. And there is no 
lawful reason why they may not be elected to represent the re- 
spective districts of their states in the National Congress which 
meets in Washington. 

In Kansas, women have municipal suffrage, and in the majority 
of the states they vote on school matters and may be elected to 
serve on school boards or as superintendents of schools. Several 
states have now before them the question of amending their con- 
stitutions so as to allow women to vote. 

California, the magnificent, fruitful State of our southern Pacific 
coast, is one of these. The great advocates of our cause, Miss 
Susan B. Anthony and the other officers and orators of the Natio- 
nal American Woman Suffrage Association, are working there dur- 
ing these hot summer months, with a very encouraging prospect 
that California will soon be the fourth State where women have 
the power to help in making good laws to govern theraselves and 
their children. With her will probably come Idaho, since in both 
states three political parties have endorsed the measure in their 
platforms. Other states will not long remain behind in this great 
reform; for as it grows, the advantages become every day more 
apparent. 

Wyoming was the first State to give the ballot to women. One 
of its fornier governors, John W. Hoyt, says: **ünder this honor- 
able Statute, we have better laws, better officers, better institutions, 
better morals, and higher social conditions in general than could 
otherwise exist. None of the predicted evils, such as loss of native 
delicacy and disturbance of home relations has foUowed in its train. 
The great body of our women, and the best of them, have accepted 
the election franchise as a precious boon and exercise it as a pa- 
triotic duty. After twelve years of happy experience, woman suf- 
frage is so thoroughly rooted and established in the minds and hearts 
of the people that, among them all, no voice is ever uplifted in 
Protest against or in question of it." 

That was fourteen years ago. Wyoming has had twenty-six 
years experience of woman suffrage and the result has been entirely 
satisfactory. The testimony of other distinguished men of the State 
is as streng as that of Governor Hoyt (there is far too much of it 
to give here), and statistics show a decrease in the proportion of 
crime and divorce over other states, and the proportion of idiots and 
insane persons is less than in any other State. 

Colorado and Utah have so recently made the change that little 
can be proved from their experience. But in Colorado three women 
served in the State legislature with great credit to themselves and 



— 285 — 

satisfaction to their coDstituents ; and in the elections women have 
voted in even larger proportion than the men. Moreover, they are 
engaged very earnestly in the study of civil government and po- 
litical economy and in the work of organizations where they gain 
practice in the Performance of public duties. They have served on 
juries, with the result that some criminals have been convicted who 
might otherwise have been set at liberty. 

The Govemor of Colorado says: "The objections made toequal 
suffrage during the campaign preceding the election at which the 
ballot was given to women, have not been sustained by the facts. 
The women take an interest, enter into the discussions, and take 
the trouble to vote." 

The editor of a leading paper says: "Nothing could induce 
the intelligent people of this State to revoke that act if they had 
the power. Women appear to show as rauch intelligence and to 
take as deep an interest in political affairs, especially those that 
affect the general welfare, as men, and their irifluence is almost 
entirely cast for right and decency and good government. . . . Every 
body admits that their presence in politics and at the polls has a 
purifying effect on our political methods, and has compelled the no- 
mination and election of a better class of officials than male suffrage 
ever gave us. No evil effects, either to the women themselves or 
to our public affairs, are discernible, while the benefits of the equal 
suffrage law are innumerable." 

The men of Utah add their testimony in the same strain. 

But aside from the work which has produced these results 
which are so apparent, a great deal has been done which has not 
yet received its reward. Educational work has been going on in all 
the states, and in some, the fields are white for harvest. In all, 
the seed sown by persistent effort is silently swelling and germinat- 
ing through the winter of waiting, and the springtime, when it will 
burst into leaf and blossem, is near at band. The next few years 
will bring great changes. No woman, in America or Europe, was 
ever willing to let another woman register her opinion while she 
stood silently by. The women of the other states will not long be 
behind those of Wyoming, Colorado and Utah. 

Deutsches Familienrecht. 

Von Frau Sera Prölss, Berlin. 

In Deutschland sind wir Frauen in neuester Zeit besonders aut 
die Rechtsstellung der Frau aufmerksam geworden, weil für unser 
Reich endlich ein einiges nationales Gesetzbuch geschaffen ist, während 
heutigen Tages ein jedes Ländchen, ja oft jede Provinz ein anderes 
Recht hat. — Leider kann sich aber das weibliche Geschlecht beim 
besten Willen nicht dieses Ergebnisses nationaler Einheit freuen; 
denn die Gesetze des Familienrechts sind wieder auf dem veralteten 
Rechtsprinzip des ehemännlichen Mundiums aufgebaut, wenn auch 
das Wort „Mundium" als nicht mehr zeitgemäss vermieden worden ist. 



— 286 — 

Der Mann ist und bleibt der Gebieter, und nur seiner Gnade hat 
die Frau es zu danken, wenn er sie das nicht weiter fühlen lässt. 

Wenn man behauptet, dass es nirgends, auch in der Ehe nicht, 
nach zwei Köpfen gehen könne, so verkennt man die eheliche Lebens- 
gemeinschaft vollkommen. Die Ehe ist eine Zweieinigkeit, die einen 
Doppelwülen repräsentieren soll und muss, und wer zur Ehe schreitet, 
soll und muss sich das klar machen, dass der eine Teil keine Macht für 
sich, sondern eine Ergänzung des andern sein soll. In Wirklichkeit, im 
normalen Leben, findet sich auch der Ausgleich ganz von selbst. — 
Nur alte Vorurteile verhindern die Gesetzgeber, diese Thatsache 
gesetzlich anzuerkennen und lassen ferner den Ehemann im Streit- 
falle Partei und Richter in einer Person sein. 

Der springende Punkt aller Rechtsungerechtigkeiten gegen die 
Frau in allen Rechtstaaten der Erde ist der Grundsatz: „Der Ehe- 
mann ist das Haupt der Familie". Mögen die einzelnen Gesetze der 
verschiedenen Rechte die Frau freier oder unfreier stellen, mag sie 
die gesetzlich anerkannte Verwalterin ihrer Güter, ihr die Vor- 
mundschaft völlig freigegeben sein oder nicht, wenn unser sogenannter 
Herren-Paragraph lautet: „Dem Mann steht die Entscheidung in 
allen das gemeinsame eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten 
zu", so stellt doch auch das die Frau in seinen einzelnen Be- 
stimmungen mit am selbständigsten stellende, englische Recht den 
Rechtssatz auf, dass die feme (die Frau) in der coverture (der Be- 
deckung) des baron (ihres Eheherrn) gleichsam aufgeht, und es 
ist das der Beweis, dass die eheliche Lebensgemeinschaft überall 
nach dem Prinzip des ehemännlichen Vorrechts gesetzlich ge- 
regelt ist. 

Die verheiratete Frau darf nach unserm neuen Rechte ohne die 
direkte Zustimmung ihres Ehemannes keinen Erwerb anfangen, kein 
Geschäft thätigen, keinen Arbeitsvertrag eingehen. — Wir haben es 
unseren unermüdlichen Petitionen zu danken, dass zu dieser letzteren 
Bestimmung die Genehmigung nicht mehr eigenmächtig vom Ehemann, 
sondern nur auf seinen Antrag hin durch gerichtliche Ermächtigung: 
geweigert werden darf. — Leider drang der gleiche Antrag beim Para- 
graphen, betreuend die Schlüsselgewalt der Frau, auf Grund dessen die 
Rechtsgeschäfte, welche die Frau im Hause vornimmt, als im 
Namen des Mannes vorgenommen gelten, nicht durch, und der Ehe- 
mann darf auch ferner nach eignem Ermessen dieses Recht der 
Frau beschränken und ausschliessen. 

Man begründete das wörtlich damit: „es sei zu ungerecht gegen 
den Mann, die Entziehung der Schlüsselgewalt von der Zustimmung 
des Gerichts abhängig zu machen, die Schlüsselgewalt also bis zur 
Entscheidung durch das Gericht, beziehungsweise bei abweisendem 
Beschlüsse fortdauern zu lassen," während man das Gleiche nicht 
zu ungerecht gegen die Frau im gesetzlichen Güterrecht ge- 
funden hat. — 

Als gesetzliches Güterrecht hat man die Gütertrennung nicht 
angenommen. Der Mann hat die Verwaltung und Nutzniessung 
über das Frauenvermögen. Der Mann hat allein die volle Ver- 
fügung über die Zinsen und Erträgnisse aus demselben; er darf 



— 287 ~ 

verbrauchbare Sachen daraus sogar veräussern, während die Frau 
nicht selbständig über ihr Eigentum verfugen darf und "Rechts- 
geschäfte, die sie im Interesse ihres Eigentums vornimmt, unwirksam 
sind. — Kann sie den Beweis der schlechten Verwaltung des Ehe- 
manns bringen, so steht ihr die Klage zu. Aber ehe sie, die von 
der Mitverwaltung ausgeschlossen ist, überhaupt einen Missbrauch 
in der männlichen Verwaltung merkt, ehe sie den Beweis davon 
erbringen kann, wird sicherlich schon ein grosser Teil, wenn nicht 
ihr ganzes Vermögen, verloren sein. — Man findet also die Ver- 
zögerungsgefahr, die in Anrufung gerichtlicher Entscheidung liegt, 
der Frau gegenüber nicht zu ungerecht. — Hier zeigt sich klar, dass 
der männliche Gesetzgeber nur das Rechtsinteresse des Mannes be- 
dacht und geschützt hat. 

Eine Verbesserung ist, dass der Erlös aus dem Erwerbe der 
Frau als „Vorbehaltsgut" in die eigene Verwaltung der Frau ge- 
stellt ist. In fast allen jetzt bestehenden deutschen Rechten gilt 
nämlich noch der Rechtssatz: das, was die Frau erwirbt, erwirbt 
sie dem Manne. — Ferner ist noch eine Verbesserung, dass zu 
den der Frau schon vorher als einziges unantastbares Eigentum zu- 
gesicherten Sachen, ihren Kleidern und Schmucksachen, auch noch 
ihre Arbeitsgeräte hinzugekommen sind. 

Die Gütergemeinschaft des deutschen Rechts, die zum kon- 
traktlichen Güterrecht gehört, ist, wie sogar ein Abgeordneter der 
uns sonst nicht allzu günstig gesinnten nationalliberalen Partei be- 
merkte, ein geradezu grausamer Güter rechtsstand für die Frau; 
denn weit entfernt von einer Rechtsgemeinschaft, hat hier der 
Mann allein das Verfügungsrecht über das ganze gemeinsame Ver- 
mögen; das Gemeinsame der Frau besteht blos im nominellen Mitbesitz 
am Gesamtgute ohne jede Rechte darauf. Das Wort Gemeinschaft 
ist eine blosse Vortäuschung eines in den Gesetzesbestimmungen 
absolut nicht begründeten Begriffes. — 

Als ein Fortschritt ist zu verzeichnen, dass die Tochter nach 
dem neuen Gesetz ebenso wie der Sohn, mit dem Mündigkeitsalter 
(21 Jahr) aus der elterlichen Gewalt tritt. Nach heutigem Gesetz 
erlangt die Tochter niemals ihre volle Selbständigkeit, während 
sie dem Sohne mit Vollendung des 25. Lebensjahres zugesprochen wird. 

Im Vormundschaftsrecht haben wir erreicht, dass wenigstens 
die unverheiratete Frau jederzeit Vormünderin werden kann. Bis 
jetzt durfte die Frau nur Vormünderin über ihre Kinder und 
Enkel sein, auch testamentarisch von Dritten zur Vormünderin be- 
stellt werden, aber nicht vom Gericht. Jetzt kann sie auch vom 
Gericht berufen werden. Die verheiratete Frau aber bedarf zur 
Annahme einer Vormundschaft der direkten Erlaubnis ihres Mannes, 
und selbst zur Vormundschaftsführung über ihre eigenen Kinder 
erster Ehe mtiss sie die Genehmigung ihres zweiten Mannes 
haben. — 

Die Ehescheidung ist gegen das jetzt bestehende preussische 
Recht erschwert. Der Scheidungsgrund, bei kinderlosen Ehen, wegen 
unüberwindlicher Abneigung ist fortgefallen. Die erschwerte Scheidung 
trifft zwar nicht nur die Frau, sondern auch den Mann; aber der 
Mann ist auch hier der bessergestellte; denn bei unseren heutigen 



ei g-en tum liehen Leben sanscbauun gen und Gewohnheiten wird es dem 
Manne leider nachgesehen, wenn er Ersatz und VergnägTingen 
ausserhalb des Hanaes sudit, während man von der Fraa selbst- 
verständlich unveränderte Treue und Entsalzung verlangt. 

Es ist gar kein Zweifel, dass es dem Wesen der monogamischen 
Ehe, auf die uns die Natur hinweisst, entspricht, dass der Mann 
und die Frau, die sich zur Ehe zusammengethan haben, bis an ihr 
Lebensende zusammen bleiben sollten. Da aber bei unseren mensch- 
lichen Einrichtungen eine völlig freie Wahl nicht leicht möglich ist, 
überall soziale und Zufalls- Verhältnisse Ehen zusammenbringet, die 
Eheleute sich erst nach der Bheachliessung in ihrer wahren Natur 
kennen lernen, so ist es unbedingt wünschenswerth, dass Menschen, die 
nicht zu einander passen, auf bürgerlich anständige Weise aus- 
einander gehen können, widrigenfalls Laster aller Art gezeitigt 
werden, und die Kinder nicht am wenigsten darunter zu leiden 
haben. — Frivole Trennungen sind selbst bei den rigorosesten Be- 
stimmungen erfahrnngsgemäss nicht xu vermeiden, so sollte man, 
wenn man überhaupt die Scheidung zugiebt, den anständigsten 
Scheidungsgrund, den „auf gegenseitige Uebereinkunft" zulassen. 

Die unnatärlichst* Ungerechtigkeit unserer Gesetze ist die 
Stellung der Frau als Mutter. Na<ih unserem heutigen Recht hat 

— entgegen dem Rechtsbewnsstsein des Volkes — die Mutter keine 
elterliche Gewalt über ihre Kinder; es giebt blos eine „väterliche 
elterliche Gewalt". Durch das hier unmotivierte Zusetzen des 
„elterlich" bekundet aber der Gesetzgeber, daas es eine „elterliche 
Gewalt" geben müsste. Der Laie wird versucht zu glauben, wenn 
er Gesetzbuch und Hichter von „elterlicher Gewalt" reden hört, 
daas wirklich eine elterliche Gewalt in den Gesetzen vorgesehen ist. 

— Man hat es aber hlos mit der Vorspiegelung eines inhaltslosen 
Wortes zu thun. 

Im neuen Gesetzbuch ist es nicht anders. Es ist zwar darin 
wirklich auch von einer „miltteHich elterlichen Gewalt" die Rede; 
dieselbe tritt aber erst nach dem Tode des Vaters ein und ist auch 
dann keineswegs immer eine so uneingeschränkte, wie die vorher- 
gehende des Vaters, der sie der Mutter sogar testamentarisch zu 
entziehen berechtigt ist. 

Bei Lebzeiten des Vaters steht diesem allein die elterliche Ge- 
walt zu, die Mutter hat blos die Pflicht, für die Person des Kindes 
zu sorgen; also blosse Pflicht der Frau gegenüber den Rechten des 
Mannes. Der Mutter steht kein Einspruchsrecht bei der Wahl eines 
Schwiegerkindes zu, und bei Meinung.s Verschiedenheit in betreff der 
Kinder soll der Wille des Vaters stets vorgehen, und somit ist 
die Mutter eo ipso rechtlos. 

Die Mutter hat gesetzlich neben dem Vater nicht mehr Rechte über 
das Kind, als ein entmündigter Vater. Ja dieser behält sogar den Niess- 
brauch vom Vermögen, des Kindes und ein bei einer Ehescheidung 
als schuldiger Theil verurteilter Vater, dem die Sorge für die 
Person des Kindes entzogen ist, behält die Vertretung des Kindes. 
Die Mutter soll bei Wieder Verheiratung die elterliche Gewalt ver- 
lieren. Wenn man annimmt, dass bei einer Wiederverheiratung das 
aittUche Verhältnis von Eltern und Kindern sich ändert, so müsste 



— 289 — 

die elterliche Gewalt alsdann auch dem Vater in gleichem Falle ent- 
zogen werden. 

Die uneheliche Mutter und ihr unschuldiges Kind sind ganz im 
Sinne doppelter Moral hehandelt. Das Kind erhält den Namen der 
unehelichen Mutter; dieselhe hat aher keine elterliche Gewalt über 
ihr Kind. Es gehört in ihre Familie, während es als nicht mit 
seinem eigenem Vater verwandt gilt. Der Vater hat das Kind nur 
bis zum 16. Lebensjahr der Lebensstellung der Mutter entsprechend 
zu alimentieren, bei Gebrechlichkeit auch noch länger, und die Mutter 
hat nur die Kosten der Fmtbindung, sowie sechswöchentliche Ali- 
mentation zu verlangen. 

Die exeptio plurium ist mit geringer Mehrheit in den ersten 
Kommissionsberatungen durchgegangen, und ist dann in den späteren 
Lesungen auch im Reichsta^: leider unverändert angenommen worden. 
Hier hat mit der untreuen Mutter (von der meist gar keine Treue ver- 
langt und der auch keine Treue gehalten wird) auch das unschuldige 
Kind zu leiden; denn die Gesetze verweigern nicht nur der un- 
treuen Mutter, sondern auch dem unschuldigen Kinde jedwede 
Alimentation. 

Dass die Heiligkeit der Ehe eine Hintenansetzung der unehe- 
lichen Kinder verlangt, ist ein moralischer Irrtum. 

Durch das Vorhandensein unehelicher Kinder und nicht durch 
rechtlich bessere Stellung derselben wird die Ehe angetastet ! Wenn 
der Mann wissen wird, dass er nicht mehr nur das verführte Weib 
und deren Kind schädigt, sondern auch seine legitime Frau und 
seine legitimen Kinder, so wird er vor dieser sträflichen That ebenso 
zurückschrecken, wie vor jeder anderen Strafthat, die er aus Rück- 
sicht gegen diese auch unterlassen würde. 

Die Zeugung unehelicher Kinder ist ein strafbares Verbrechen 
wie manches andere, vom Gesetz hart geahndete; die Strafe sollte 
auch hier ein Zwangsmittel zum Guten sein. Die Folgen der 
beiderseitigen Unsittlichkeit müssten auf beide Geschlechter gleich- 
massig verteilt werden; es müsste das körperlich schwächere 
Geschlecht das Schwere derselben nicht ganz allein zu tragen 
haben. 

Dass alsdann vielleicht eine legitime Frau und deren Kinder 
als Unschuldige leiden könnten, darf auf dem Wege des Rechts 
nicht zum Unrecht führen. 

Die doppelte Moral ist eine Folge der in allen Ländern ge- 
setzlich festgelegten Minderwertigkeit der Frau. Es ist leider auch 
ein Ergebnis unserer sozialen Anschauungen und Verhältnisse, dass 
die gegenseitige Achtung von der gleichen rechtlichen und gesetz- 
lichen Stellung abhängt. Darum lasst uns alle gemeinsam für unsere 
Menschenrechte kämpfen — für unsere soziale und sittliche Gleich- 
berechtigung! Man wird uns aber nicht eher eine gleichwertige 
Rechtsstellung und die vor allen Dingen nötige gleichwertige Schul- 
bildung geben, als bis wir unsere Forderungen offiziell aufstellen 
können. 

Die vornehmste Forderung der Frau sei also: Erlangung des 
Stimmrechts. 

19 



— 290 — 

Das norwegische und dänische Familienrecht. 
Von Fräulein Marie Raschl(e, Berlin. 

1. Das norwegische Familienrecht.*) 

Die über 400jährige Union Norwegens und Dänemarks schaf 
für beide Reiche eine fast gemeinsame Gesetzgebung. Christian V. 
(1670—1699) führte im Jahre 1683 ein einheitliches dänisches Recht 
ein, und nach dem Muster dieses wurde im Jahre 1687 das nor- 
wegische umgestaltet. 

Nach der Trennung der Reiche im Jahre 1814 wurde das nor- 
wegische Gesetzbuch mehrmals einer Revision unterworfen, und das 
norwegische Familienrecht weicht seit den 50 und 60er und den 
folgenden Jahren in mehreren Punkten zu Gunsten der Frauen von 
dem dänischen ab. 

Die erste Errungenschaft der norwegischen Frauen war gleiches 
Erbrecht mit dem Manne und die Mündigkeitserklärung der unver- 
heirateten Frauen. Durch diese ersten fortschrittlichen Reformen 
wurde der Frauen Menschenrecht anerkannt, und die norwegische 
familienrechtliche Gesetzgebung ist von da ab den meisten euro- 
päischen Gesetzgebungen vorangegangen und, soviel ich weiss, auch 
vorangeblieben. 

Die nächsten epochemachenden Reformen brachten die 80 und 
90 er Jahre, in denen die Mündigkeitserklärung der verheirateten 
Frauen sich vollzog. 

Im Gesetz vom 11. April 1863 wurde die unverheiratete Frau 
gleich dem Manne mit vollendetem 25. Lebensjahre und in dem Gesetz 
vom 27. März 1869 mit dem vollendeten 21. Lebensjahre für mündig 
und handlungsfähig erklärt. 

Witwen, getrennte und geschiedene Frauen wurden infolge 
dieses Gesetzes mündig ohne Rücksicht auf ihr Alter, und sind 
auch nicht verpflichtet, wohl aber berechtigt, sich einen Beistand 
zu wählen. 

Die verheiratete Frau wurde mit vollendetem 21. Lebensjahre 
mündig durch das Gesetz vom 29. Juni 1888. 

Die Mündigkeit der verheirateten Frau erstreckt sich aber nur 
auf ihre Handlungsfähigkeit. Sie darf ein Amt bekleiden oder ein 
Gewerbe betreiben, und das Erworbene untersteht ihrer eigenen 
selbständigen Verfügung. Sie ist aber zugleich unmündig infolge des 
gesetzlichen Güterrechts. 

Im alten norwegifschen Recht war das geltende Güterrechts- 
System: Gütertrennung mit Verwaltung des Mannes. 

Nach jenem wurde gleich dem in Schweden und Dänemark 
geltenden Recht Gütergemeinschaft unter Eheleuten zur Regel. Aber 
diese Gütergemeinschaft umfasste nur das bewegliche Eigentum und 
den erkauften Grundbesitz, während der ererbte Grundbesitz ganz 



*) Nach: „Norske Kvinders soziale og retlige Stilling of Gina 
Krog." „Lov cm Formuesforholdet mellem Aegtefaeller.** Lov om 
Ünderholdningsbidrag til Böm, hvis Foraeldre ikke har indgaaet 
Aegteskab med hinanden. 



— 291 — 

ausserhalb des Gemeingutes stand und nach Auflösung der Ehe an 
dasjenige Geschlecht zurückfiel, von dem es gekommen war. 

Nach der Vereinigung mit Dänemark näherte sich das Güter- 
recht mehr und mehr dem System der allgemeinen Gütergemeinschaft 
nach dem Gesetz Christian V. 

Es war zwar nicht ausdrücklich im geschriebenen Recht aus- 
gesprochen, dass vollständige Vermögensgemeinschaft die loyale 
Ordnung der Vermögensverhältnisse unter Eheleuten sein sollte; aber 
viele Gesetzesbestimmungen gingen von dieser Voraussetzung aus, 
und sie waren begründet in einer über 200jährigen Gewohnheits- 
und Rechtspraxis. 

Von da ab wurde zur Hauptregel, dass mit der Ehe allgemeine 
Gütergemeinschaft unter den Ehegatten eintrat. Das gemeinsame 
Vermögen wurde vom Manne mit uneingeschränktem Rechte ver- 
waltet; die Hausfrau war ausgeschlossen von jedem Einfluss auf die 
Verwaltung und hatte kein Recht, die Gütergemeinschaft aufzuheben. 
Diese vollständige Abhängigkeit der Frau war die Folge ihrer da- 
maligen Unmündigkeit; sie konnte nicht einmal durch Kontrakt nach 
irgend einer Richtung hin sich selbst verpflichten. 

Durch Ehe vertrag konnte die Frau zwar ein Vorbehaltsgut 
gewinnen; aber die Bestimmungen darüber waren höchst unsicher und 
mangelhaft. 

Diese Güterordnung führte zum öfteren Missbrauch der Rechte 
von Seiten des Mannes, und nachdem die unverheirateten Frauen eine 
selbständige Ökonomische Stellung erlangt hatten, forderten die 
Freunde der Frauensache eine Revision des geltenden Güterrechtes. 
Die Beratungen über die Neuordnung dauerten von 1871 — 1888, 
und es ist interessant, dass sich während derselben eine Fraktion 
bildete, die Gütertrennung als gesetzliches Güterrecht forderte. 

Zugleich mit der Mündigkeitserklärung der Ehefrauen wurden 
am 29. Juni 1888 folgende Hauptbestimmungen rechtskräftig: 

„Eheleute können durch Ehe vertrag sowohl vor als nach Ein- 
gehung der Ehe ihr beiderseitiges Vermögensverhältnis so ordnen, 
wie sie es am zweckmässigsten finden." 

„Wenn kein Ehevertrag geschlossen ist, besteht Gütergemein- 
schaft unter Eheleuten." 

„Das Gesamtgut wird von dem Manne allein verwaltet. Doch 
darf er nicht ohne Erlaubnis der Frau mehr als ein Zehntel des 
Ganzen fortschenken. Ohne Erlaubnis der Frau hat der Mann kein 
Recht, festes Grundeigentum fortzugeben, zu veräussern, zu ver- 
pfänden oder zu verleihen, wenn es eingebrachtes Gut der Frau ist." 

„Die Erfüllung der Verpflichtungen, welche die Frau zum Vor- 
teil des Gasamtgutes oder aus Notwendigkeit eingegangen ist, kann 
aus dem Gesamtgut gefordert werden." 

„Die Ehefrau ist allein berechtigt, selbst iib^r das, was sie bei 
Ausübung ihrer selbständigen Wirksamkeit erwirbt und was auf 
Grund des gesetzlichen Güterrechts gemeinsames Eigentum wird, zu 
verfügen, ebenso über das, was sie aus solchen Mitteln beweislich 
angeschafft hat. Dieses Gut haftet zu Lebzeiten der Frau für 
keine Schuld, welche der Mann ohne ausdrückliche Erlaubnis der 
Frau eingegangen ist." 

19* 



- 292 — 

„Wenn der Mann bei Verwaltung des Gesamtgutes unver- 
ständig oder leichtsinnig verfährt, oder wenn er Grund zu der 
Befürchtung giebt, dass er das Gesanitgut durchbringt, kann die 
Frau Trennung der Güter verlangen und ihr Teil als Sondergnt 
erhalten." 

Früher konnte die Frau erst die Trennung der Güter bean- 
tragen, wenn der Mann für unmündig erklärt worden war. 

„Das Sondergut verwaltet jeder der Ehegatten selbständig und 
unabhängig von dem Vermögen des anderen." 

Die gegenseitigen Pflichten der Eheleute werden in Norwegen 
mehr als moralische denn als juridische betrachtet. Die Gesetz* 
gebung enthält sich deshalb aller Vorschriften in dieser Beziehung-^ 

Aber als charakteristisch, als ein hervorragender Zug im alten 
norwegischen Recht muss hervorgehoben werden, dass der Mann nie- 
mals, wie im alten schwedischen und dänischen Gesetz, das Züchtigungs- 
recht über seine Frau gehabt hat. In dem Gesetz Christian V^ 
wurde es, trotz der alten Bestimmungen in den dänischen Gesetzes- 
quellen, aufgehoben, und somit besteht es seit dem Jahre 1687 auch, 
nicht mehr in Dänemark. 

Es wird zwar angenommen, die Hausfrau habe die Pflicht, dena 
Manne zu gehorchen; aber in den Bestimmungen über die Haus- 
zucht wird dem Manne keine Macht gegeben, sie zum Gehorsam zu 
zwingen. Der Mann hat nur juridisch das Uebergewicht durch 
das geltende Güterrecht, welches die Abhängigkeit der Frau ver- 
ursacht. 

Kraft seines Hausherrenrechtes bestimmt der Mann den Aufent- 
haltsort der Familie, und die Hausfrau ist verpflichtet, ihm zu 
folgen, doch nicht ausserhalb des Landes Grenze. Wenn aber die 
Frau ihren Mann auch im Lande selbst verlässt oder ihm zu folgen 
sich weigert, kann er sie weder durch die Hilfe der Polizei noch 
des Richters dazu zwingen ; ihre Weigerung ist nur ein Scheidungs- 
grund. 

In ähnlicher Weise verhält es sich umgekehrt mit der Ver- 
sorgungspflicht des Mannes. Es wird vorausgesetzt, dass diese Pflicht 
dem Manne obliegt; aber sie kann der Hausfrau gegenüber erst ge- 
richtlich geltend gemacht werden, wenn diese ihre Zuflucht zur 
Armenunterstützung nehmen muss, oder wenn der Mann sich des 
Zusammenlebens mit ihr entzieht. 

Die elterliche Gewalt über die Kinder haben sowohl Vater wie 
Mutter nur bis zum vollendeten 18. Lebensjahre des Kindes. Von 
diesem Zeitpunkt an ist das Kind mündig unter Kurator. Während 
der Ehe tritt aber zunächst das Recht und die Pflicht des Vaters 
hervor. Er hat die Hauptentscheidung sowohl bei der Erziehung^ 
wie bei der Berufswahl des Kindes und ihm zunächst liegt die Ver- 
tretung desselben ob. 

Nach dem Gesetz vom 15. Juni 1881 können die Eltern aber 
kein Kind ohne seine Zustimmung zu einem von ihnen bestimmten 
Beruf zwingen; denn sie dürfen keinen Lehrkontrakt abschliessen 
ohne des Lehrlings Zustimmung. 

Werden die Eltern getrennt, so können sieselbst über die Verteilung 
der Kinder entscheiden; nur wenn sie untereinander nicht einige 



— 293 — 

werden können, entscheidet infolge eines neuen Gesetzes von 1892 
•das oberste Gericht, wer die Kinder behalten darf, oder wie sie 
verteilt werden sollen. 

Die Scheidung der Ehe kann durch Prozess und Urteil oder 
durch Bewilligung stattfinden. Der Richterspruch kann von einem 
Ehegatten aus folgenden Gründen gefordert werden: 

1. Bigamie und Ehebruch. Doch kann die Scheidung nicht er- 
folgen, wenn der gekränkte Ehegatte den Ehebruch zugegeben hat. 

2. Flucht; d. h. wenn ein Ehegatte den anderen ohne dessen 
Willen verlSsst. Auch Fernsein ohne Flucht kann die Aufhebung 
"der Ehe bewirken, wenn der Betreffende in 7 Jahren keine Nach- 
richt von sich gegeben hat, oder wenn vermutet wird, dass der 
Fortgereiste bei einer bestimmten Gelegenheit umgekommen ist und 
S Jahre verlaufen sind, seitdem dieselbe stattgefunden hat. 

3. Verurteilung zu Gefängnis auf Lebenszeit. 

4. Lebensgefährliche Verletzung durch den einen Ehegatten, 
oder wenn der eine dem andern nach dem Leben trachtet. 

Hierzu kommen noch die Scheidungsgründe, welche vor Ein- 
gehung der Ehe liegen und sich auf verheimlichte und unheilbare 
Krankheiten beziehen. 

Die Rechtswirkung des Scheidungsurteiles tritt augenblicklich 
«in, und der Geschiedene kann eine neue Ehe eingehen; doch können 
Einschränkungen gegenüber demjenigen eintreten, der sich des Ehe- 
bruchs schuldig gemacht hat. 

Die Scheidung durch Bewilligung kann allezeit erreicht werden, 
wenn beide Ehegatten einig darüber sind, dass sie getrennt sein 
wollen; sie haben nicht nötig, irgend einen bestimmten Scheidungs- 
fi^rund anzugeben. Nachdem geistliche und weltliche Vermittelung 
versucht, das Vermögens Verhältnis und das Verhältnis zu den Kindern 
gegenseitig nach Uebereinkunft geordnet worden ist, erhalten sie 
die vorläufige Trennungsbewilligung von der Obrigkeit, dem Ma- 
gistrat oder Amtmann. Die Getrennten dürfen keine neue Ehe 
eingehen. 

Haben aber die Ehegatten infolge der Trennungsbewilligung 
mindestens 3 Jahre getrennt gelebt und hat die abermalige geist- 
liche und weltliche Vermittelung keinen Erfolg gehabt, so ver- 
kündet die Regierung die endliche Bewilligung zu der Auflösung 
der Ehe. Zur Eingehung einer neuen Ehe ist in diesem Falle die 
besondere Erlaubnis der Regierung erforderlich. 

In den letzten Jahren ist auf administrativem Wege die Reform 
«ingeführt, dass endgültige Scheidung durch Bewilligung auch auf 
Ansuchen nur eines Teiles und ohne vorausgegangene Trennungs- 
bewilligung erreicht werden kann. S^eit 1892 hat diese Bestimmung 
Rechtskraft; sie ist sehr wichtig, besonders bei eingetretenem un- 
heilbarem Wahnsinn des einen Ehegatten. 

Die Frau behält auch nach der Scheidung den Namen des Mannes. 

Bei Trennung und Scheidung fällt das gegenseitige Erbrecht 
der Ehegatten fort. 

Die Frau, verheiratet oder unverheiratet, ist von der Vor- 
mundschaft ausgeschlossen; ausgenommen ist die Witwe; denn diese 
ist kraft ihrer elterlichen Gewalt Vormund ihrer Kinder. 



— 294 — 

Die bürgerliche Ehe ohne kirchliche Verpflichtung ist noch 
nicht voll eingeführt, trotzdem diese Reform schon lange auf den> 
Programm steht. Aber seit dem 27. Juni 1891 kann die bürger- 
liche Trauung stattfinden, wenn einer der Verlobten nicht der 
Staatskirche angehört. 

Das Gesetz bestimmt keine Altersgrenze zur Eingehung der 
Ehe. Es enthält zwar die Vorschrift, dass eine Verlobung un- 
giltig ist, wenn die Braut noch nicht das 16. und der Bräutigam- 
das 20. Lebensjahr erreicht hat; die Prediger nehmen aber an, dass- 
diese Altersgrenze auf die Trauung nicht bezüglich ist, und es sind 
mehrere Paare in Norwegen unbeanstandet getraut worden, welche 
jünger als 16 und 20 Jahre waren. 

Dem Manne vollständig gleichgestellt sind die verheirateten 
Norwegerinnen ausser im Scheidungsrecht auch nur im Strafrecht^ 

Der norwegische Gesetzgeber versucht aber, den unehelicheD 
Müttern und ihren Kindern möglichst gerecht zu werden, wenn- 
gleich auch inbezug auf die Rechte der unehelichen Kinder noch 
der Name des A'^aters von der G erechtigkeit zu fordern übrigbleibt. 

Inbezug auf die Versorgungspflicht des unehelichen Vater» 
gegenüber seinem Kinde bestimmt das Gesetz vom 6. Juli 1892 in 
§ 1: „dass der Vater verpflichtet ist, bis zu des Kindes vollendetem 
15. Lebensjahre alle Kosten seiner Erziehung und seines Unter- 
haltes entweder teilweise oder je nach den Umständen ganz zu 
tragen. Diese richten sich nach seinen und der Mutter ökonomischen 
Verhältnissen. Wieviel der Vater jährlich zu zahlen hat, be- 
stimmt das oberste Gericht (Overövrigheden)." 

^ 2. „Auch nach des Kindes vollendetem 15. Lebensjahre kann 
der Vater vom obersten Gericht (Overövrigheden) verpflichtet 
werden, zu dessen Versorgung Beitrag zu leisten, soweit er dazu 
imstande ist und das Kind infolge geistiger oder körperlicher 
Schwachheit nicht tür sich selbst sorgen kann. Dasselbe kann auch 
geschehen, wenn ein besonderer Grund dazu vorliegt, dem Kinde 
eine fortgesetzte Ausbüdung zu verschaöen, und der Vater nach 
seinen ökonomischen Verhältnissen dazu beitragen kann." 

§ 4. „Weiter ist der Vater verpflichtet, nach seinen Geld- 
mitteln beizutragen zu den Ausgaben der Niederkunft und der 
guten Verpflegung der Mutter während der Kindbettzeit. Die 
Höhe des Beitrages bestimmt das oberste Gericht (Overövrigheden).''' 

Weigert sich der Vater, den ihm auferlegten Beitrag für 
Mutter oder Kind zu zahlen, oder hat er innerhalb eines halben 
Jahres denselben nicht gezahlt, so kann das oberste Gericht (Over- 
övrigheden) ihn in eine Zwangsarbeitsanstalt bringen lassen, wenn 
auf andere Weise der Beitrag nicht zu erhalten ist. 

Mehrere Paragraphen des genannten Gesetzes zeugen von der 
Vorsorge des Gesetzgebers zur pünktlichen Erlangung des Bei- 
trages. Ist der Vater z. B. Arbeiter, so kann Beschlag auf 
sein Tage- oder Wochengeld gelegt werden, und unter Umstanden 
haftet sogar der Arbeitgeber für die Einbehaltung desselben. Will 
z. B. der Vater auswandern, so hat er entweder den Betrag für 
des Kindes Erziehung und Unterhalt nach seinen Vermögens- 
Verhältnissen zu hinterlegen oder genügende Sicherheit für dessen 



— 296 — 

fernere Erlegung zu leisten, andernfalls wird ihm die Abreise ver- 
boten und Beschlag auf sein Gut gelegt. Für ein Kind über 
15 Jahre hat der Betreffende im besonderen Falle den Betrag für 
2 Jahre sicher zu stellen. 

Wenn des Kindes Geburt beim Prediger, dem Gemeindevorstand 
oder der Obrigkeit angemeldet wird, ist sofort der angegebene 
Vater desselben davon in Kenntnis zu setzen. Bestreitet derselbe 
die Vaterschaft, so hat er den Gegenbeweis zu erbringen, nötigen- 
falls unter Eidesleistung. 

Mit der grössten Sorgfalt wird des Kindes Erziehung über- 
wacht, falls es in Pflege gegeben werden muss. Auch alle weiteren 
Bestimmungen für den Fall des frühzeitigen Todes der unehelichen 
Eltern gereichen dem norwegischen Lande und seinem Gesetzgeber 
zur Ehre. Alle Vorschriften weichen weit ab von der Tendenz des 
berüchtigten Paragraphen im französischen code civil: „Es ist ver- 
boten, nach dem Vater des Kindes zu forschen." 

2. Das dänische Familienrecht.*) 

Die bürgerliche Eheschliessung ist in Dänemark mit dem Gesetz 
vom 13. April 1851, also 40 Jahre früher als in Norwegen ein- 
geführt worden. Sie ist aber auch nicht obligatorisch, sondern nur 
ein Notbehelf für diejenigen Brautleute, welche eine kirchliche 
Trauung infolge ihrer religiösen Anschauungen nicht erhalten können. 

Die verheiratete Frau ist nach dem dänischen Recht unmündig, 
dem Manne untergeordnet und Gehorsam schuldig, gleich den Kindern 
und Dienstboten. Der Mann hat zwar nicht das Recht, die Frau, 
wie vor Christian V. Zeit, xdurch Züchtigung zum Gehorsam zu 
zwingen; aber er kann sie strafen durch Entziehung aller Mittel, 
die sie zur Ausübung der verbotenen Handlung befähigen. Er ist 
berechtigt, jederzeit ihre häusliche Wirksamkeit auszuschliessen oder 
einzuschränken, und darf ihr jeden eigenen Erwerb verbieten. 

Infolge dieser ihrer Abhängigkeit darf auch nach dem Gewerbe- 
gesetz vom 29. Dezember 1857 (§ 7) einer verheirateten Frau kein 
Gewerbeschein ausgestellt werden, es sei denn, der Mann habe sie 
verlassen. Der Gesetzgeber hat diese Bestimmung auf Grund des 
gesetzlichen Güterrechts (Gütergemeinschaft) getroffen, nach welchem 
das Gewerbe der Frau für Rechnung des Mannes betrieben wird. 
Diese Bestimmung wird auch angewendet, wenn der Grund fort- 
fällt, z. B. wenn nicht Gütergemeinschaft unter den Ehegatten 
besteht. 

Die Frau erhält den Namen des Mannes. Es ist jedoch erst in 
neuerer Zeit gebräuchlich geworden, dass sie des Mannes Namen 
trägt. Im Bauernstande ist dieser GTebrauch aber noch nicht all- 
gemein geworden. 

Die Hausfrau teilt Rang und Stand mit dem Manne. Doch 
behält die Tochter eines Lehnsgrafen oder Lehnsfreiherrn ihren 
früheren Rang, wenn sie einen Bürgerlichen heiratet. Ebenso behält 
die Frau den Rang, den ein von ihr ausgeübtes Amt im Gefolge hat. 



*) Nach: ,.den danske Familieret'* von J. H. Deuntzer, Köben- 
bavD 1892. 



— 296 — 

Der Mann ist verpflichtet, die Frau zu ernähren, selbst wenn 
sie nicht zusammen leben, und ohne Rücksicht darauf, ob Güter- 
gemeinschaft unter ihnen besteht oder nicht. Aber er braucht ihr 
nur insoweit Unterhalt zu gewähren, dass sie keine Not leidet. Sie 
kann ihn nicht zwingen, ihr einen besseren Unterhalt zu gewähren, 
als er ihr geben will, wenn er auch weit geringer ist, als er für 
seinen Rang und Stand passt. 

Die Hausfrau ist nicht rechtlich verpflichtet, den Mann zu 
unterhalten; nur wenn der Mann dem Armenwesen zur Last fällt 
und die Frau eigene Mittel oder Einnahmen hat, so kann ihr eine 
bestimmte Beitragsleistung zum Unterhalt des Mannes auferlegt 
werden. 

Das gesetzliche G-üterrecht ist die weitgehendste Güter- 
gemeinschaft. Alles Geschenkte, Erstattete, Ererbte (ausgenommen, 
wenn im Testament bestimmt ist, dass es Sondergut sein soll) wird 
gemeinsames Eigentum, das vom Manne allein verwaltet wird. Stirbt 
einer der Ehegatten, so wird das hinterlassene bewegliche und un- 
bewegliche Eigentum gleich geteilt zwischen dem überlebenden Ehe- 
gatten und den ehelichen Kindern. 

Zur Illustrierung der völligen Gütergemeinschaft diene die 
Ausführung der Bestimmung, dass der Mann, wenn er von seiner 
Frau misshandelt und diese zu einer Geldbusse verurteilt worden ist, 
die Strafsurame aus dem Gesamtgut zu entrichten hat. 

Besitzt die Frau ein Lehnsgut, so gehen mit der Verheiratung 
alle Rechte des Besitzes auf den Mann über, und alle Einnahmen 
aus dem Gute werden Gemeingut. Aber nach dem Tode der Frau 
fällt das Lehnsgut an die nächst erbberechtigte Person; es gehört 
also nicht zur Erbschaftsmasse, die gleichmässig unter Vater und 
ehelichen Kindern verteilt wird. 

Der Erwerb der Frau wird auch Gemeingut; doch hat das 
Gesetz vom 7. Mai 1880 der Frau ein Recht auf dieses Gut und 
das aus demselben beweislich Angeschaffte insoweit gegeben, als es 
zu ihren Lebzeiten für keine Schuld des Mannes haftet, es sei denn, 
die Frau habe in die Eingehung der Schuld ausdrücklich oder still- 
schweigend gewilligt. Auch hat sie seit der Einführung dieses 
Gesetzes ein gewisses Mündigkeitsrecht auf das von ihr Erworbene, 
indem sie darüber selbst verfügen darf. Nach Auflösung der Ehe 
durch Scheidung, Trennung oder Tod des Mannes erhält die Frau 
die Hälfte des von ihr Erworbenen; stirbt aber die Frau vor dem 
Manne, so fällt es in die Erbschaftsmasse und gehört zu gleichen 
i Teüen dem Manne und den gemeinsamen Kindern. 

Der Mann ist „Boets Vaerge", d. h. des Vermögens Vormund, 

selbst wenn es Sondergut der Frau ist; denn sie darf ihr Sondergat 

nicht auf eigene Hand veräussern. Verkauft sie dessenungeachtet 

i ein zu ihrem Sondergut gehörendes bewegliches oder unbewegliches 

i Eigentum, so ist der Verkauf rechtswidrig und darf vom Manne 

i umgestossen werden. 

Die Unmündigkeit der Frau in vermögensrechtlicher Beziehung 
j bleibt auch bestehen, wenn der Mann minderjährig oder entmündigt 

; worden ist, oder wenn er aus irgend einem andern Grunde nicht 

kann oder will des Vermögens Vormund sein. An seine Stelle tritt 



— 297 — 

dann sein Kurator oder der für die Frau bestellte Vormund mit 
gleicher Vollmacht. 

Eine geringe Einschränkung erleidet des Mannes Verfügung 
über das Gesamtgut dadurch, dass er dasselbe einem Dritten nicht 
ohne Erlaubnis der Frau übergeben darf, und eine weitere Be- 
grenzung seiner Rechte ist die Bestimmung, dass er über das selbst- 
ervvorbene G-ut der Frau und über das aus demselben beweislich 
Angeschaffte nicht selbständig verfügen darf. Jede von dem Manne 
vorgenommene Veräusserung oder Verpfändung eines solchen Gutes 
ist ungültig. Er darf auch keine Schuld der Frau, geschweige 
denn eine eigene, mit ihrer Zustimmung eingegangene, aus diesem 
Vermögen entrichten; wohl aber können die Kreditoren Bezahlung 
derselben aus dem Selbsterwerb der Frau fordern. 

Vor Eingehung der Ehe kann die Frau selbständig einen Ehe- 
vertrag schliessen, wenn sie das mündige Alter erreicht hat. Wird 
der Vertrag aber erst nach der Eheschliessung vereinbart, so muf^s 
die unmündig gewordene Frau einen Vertreter haben, der als Vor- 
mund für sie eintritt. 

Rechtlich vollgültig ist nur ein Vertrag mit königlicher Be- 
stätigung. 

Bai einem Ehe vertrage ohne königliche Konfirmation ist es 
unzweifelhaft, dass die Frau über ihr Sondergut, weder auf eigene 
Hand noch in eigenem Namen verfügen darf. Mit des Mannes Er- 
laubnis kann sie aber ihr Sondergut einem anderen Vormunde zur 
Verwaltung übergeben. 

Wenn der Mann Vormund über das Sondergut der Frau ist, 
so muss er Ersatz leisten für den Verlust, den er durch Betrug 
oder Unachtsamkeit verursacht hat. Aber die Frau hat erst das 
Recht, Rechenschaft von ihm zu fordern, wenn die Ehe aufgelöst 
oder getrennt ist. 

Mit königlicher Konfirmation kann die Bestimmung getroffen 
werden, dass die Frau entweder in Verbindung mit einem andern 
Vormund als dem Manne oder auf eigene Hand ihr Vermögen ver- 
walten darf. Im letzteren Falle wird die Frau mündig d. h. sie 
kann giltige Rechtshandlungen eingehen, die ihrem Sondergut allein 
zur Last fallen. 

Einen geschlossenen Ehevertrag kann die Frau nicht aufheben, 
da sie unmündig ist; nur in dem besonderen Falle, der ihr eine 
gewisse Mündigkeit verleiht, hat sie dieses Recht mit königlicher 
Bewilligung. 

Die weitgehenden Rechte des Mannes im Güterrecht können 
verhängnisvoll für die Frau werden, wenn die Scheidung der Ehe 
von einem Ehegatten beantragt worden ist. Denn bis zu dem 
Scheidungsurteil bleiben die Wirkungen der Ehe ungestört, mithin 
auch des Mannes Verfügungsrecht über das Gesamtgut. 

Die Scheidung der Ehe kann auf dieselbe Weise und aus den- 
selben Gründen stattfinden, wie im norwegischen Recht. 

Nach der Scheidung wird die Frau mündig gleich einer Witwe; 
sie behält Namen und Rang des Mannes, kann aber nach seinem 
Tode weder Witwenpension erhalten, noch sein Gewerbe weiter- 
betreiben, was einer Witwe erlaubt ist. 



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— 298 — 

Die gegenseitige Unterhaltspflicht hört mit der Scheidung 
auf, es sei denn, dass eine besondere Uehereinkunft besteht, die 
einem der Gatten Verpflichtungen auferlegt. 

Lebten die Ehegatten in Gütergemeinschaft, so kann jeder von 
ihnen nach der Scheidung die Aufhebung der Gütergemeinschaft 
fordern. Da beide Teile nun mündig sind, kann die Teilung nach 
Uehereinkunft geschehen; es muss aber öffentliche Teilung statt- 
finden, wenn auch nur einer der geschiedenen Ehegatten es verlangt. 
Notwendig ist die letztere, wenn ein Teil abwesend ist oder unmündig' 
gemacht worden ist. 

Nach der öffentlichen Teilung wird das Vermögen registriert 
und taxiert. Der Mann behält die Verwaltung desselben, muss aber 
dem Teilungsgericht Rechenschaft von derselben ablegen. Bei un- 
ordentlicher oder schlechter Verwaltung kann das Teilungsgericht 
(Skifteretten) entweder auf eigene Hand oder auf Antrag der Frau 
ihm die Verwaltung entziehen und sie einem dazu bestellten Ver- 
mögensvormund übertragen. 

Der schuldige Teil hat dasselbe Recht, inbezug auf das Ver- 
mögen und die Wiederverheiratung, als der unschuldige. Nur bei 
Ehebruch bedarf der Schuldige zur Wiederverheiratung der beson- 
deren königlichen Bewilligung, auch darf er nicht in demselben 
Kirchspiel sich verheiraten oder wohnen bleiben, in dem der Un- 
schuldige wohnt. 

Bei Scheidung durch Bewilligung bleibt die Gütergemeinschaft 
und die Unterhaltspflicht des Mannes bestehen, wenn die Trennung 
unter diesen Bedingungen vereinbart worden ist. 

Die elterliche Gewalt üben beide Eltern gemeinsam und mit 
gleichem Recht bis zum vollendeten 18. Lebensjahre des Kindes aus. 
Sie bestimmen Erziehung und Beruf des Kindes; nur bei Meinungs- 
verschiedenheit ist der Wille des Vaters ausschlaggebend. Nach 
dem 18. Lebensjahre des Kindes hören Unterhaltspflicht und 
elterliche Gewalt auf. Seit dem Gesetz vom 10. Mai 1854 ist diese 
Vorschrift auch auf die Töchter ausgedehnt. 

Von diesem Zeitpunkt an sind die unverheirateten Frauen in 
Dänemark selbständig und handlungsfähig. 

Werden die Eltern durch Bewilligung getrennt, so können sie 
sich vorher über die Verteilung der Kinder einigen. Jeder hat 
über die Kinder, welche er behält, volle elterliche Gewalt. 

Ist keine Vereinbarung getroffen, bevor die Scheidung durch 
Urteil in Kraft tritt, so ist es nach dänischem Gebrauch natürlich, 
dass derjenige, welcher den Scheidungsgrund verursacht hat, kein 
Recht besitzt, die Kinder zu fordern. In der positiven Gesetz- 
gebung sind keine sicheren Bestimmungen über die Verteilung der 
Kinder bei Scheidungen, Können sich die Eltern nicht einigen, so 
übernimmt das Gericht dieselbe. Auch hier wird angenommen, dass 
jeder volle elterliche Gewalt über die ihm zuerkannten Kinder er- 
hält. Es . wird auch vermutet, dass kein Unterhaltsbeitrag von dem 
andern gefordert werden kann, falls vorher nicht Uehereinkunft 
über diesen Punkt getroffen worden ist. Vor dem öffentlichen 
Recht aber bleibt beider Eltern Unterhaltspflicht bestehen. 

Das uneheliche Kind gehört zur Familie der Matter. Den 



— 299 — 

Adel erwirbt das Kind aber nicht durch die Mutter. Es darf ohne 
des Vaters Erlaubnis weder seinen Namen noch einen aus seinem 
Vornamen gebildeten Zunamen tragen, erhält aber je nach der 
Wahl der Mutter entweder deren oder einen aus ihrem Vornamen 
oder nach des Kindes Geburtsort gebildeten Namen. 

Die Mutter hat allein die elterliche Gewalt über das Kind und 
hat die Hälfte der Kosten seiner Erziehung und Ausbildung bis 
zum vollendeten 14. Lebensjahre zu tragen. Die andere Hälfte 
fällt dem Vater zur Last. Die Höhe des Beitrages bestimmt das 
oberste Gericht (Overövrigheden). Mehr als die Hälfte des not- 
dürftigen Unterhaltes kann dem A'^ater nicht auferlegt werden. Tn^ 
Weigerungsfalle kann die Einnahme des Vaters in Höhe des Bei- 
trages mit Beschlag belegt, der A^ater auch zur Abbüssung mit 
entsprechender Gefängnisstrafe bei Wasser und Brot belegt werden ; 
aber die Bestimmungen im dänischen Recht zei<?en lange nicht die 
Vorsorge wie diejenigen im norwegischen Recht. Dänemark 
schliesst sich in diesem Punkte der Mehrzahl der kultivierten 
Staaten an, welche für Recht das Unrecht erklären, dass das un- 
schuldige Kind die Strafe für die Sünden seiner Eltern zu tragen 
habe. 

Die exceptio plurium concumbentium findet im dänischen und 
norwegischen Recht keine Anwendung wie im deutschen Recht. 

3. Uebersicht und Aufforderung. 

Ich habe hiermit das norwegische und dänische Familienrecht in 
kurzen Strichen zu zeichnen gesucht. In diesen beiden Rechten wie 
in den Rechten aller civilisierten Staaten ist der Ehefrau die Pflicht 
des Gehorsams* ihrem Manne gegenüber auferlegt. 

Die juristische Theorie rechtfertigt das Gehorsamsrecht des 
Mannes in Deutschland damit, dass dem Ehemanne die eheliche 
Vogtei, das Mundium zustehe. 

Das gleiche Recht spricht der code civil dem Ehemann zu mit 
den Worten: „la femme doit obeissance ä son mari", und mit dem 
code civil ist es in die übrigen romanischen Länder übergegangen, 
namentlich auch nach Italien und Spanien. 

Nicht anders ist es in England. Was schon namentlich Baco 
über das Verhältnis der Eheleute aussprach: „The law allows of 
but one will between them, which is placed in the husband", gilt 
noch jetzt. Wenn auch in der letzten Zeit dem Ehemanne das 
Recht auf Züchtigung bestritten worden ist, so besteht doch das 
Recht auf Gehorsam unverändert fort, auch nach dem Gesetze vom 
10. August 1882, welches der Frau die Verwaltung ihres Ver- 
mögens überlässt. (Gütertrennung). 

Auch in Russland, abgesehen von den ehemaligen Kongress- 
polen und den Ostseeprovinzen, ist der Frau die Verwaltung ihres 
Vermögens gesetzlich zugesprochen; daneben bestimmt aber das Ge- 
setz: „Die Ehefrau ist verbunden, dem Manne zu gehorchen als dem 
Haupte der Familie." 

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika sind die Vermögens- 
rechte der Eheleute in den verschiedenen Staaten verschieden be- 
stimmt. Auf Grund des auch dort geltenden englischen common 



— 300 — 

law besteht aber daneben die Gehorsamspflicht der Frau. In den 
grossen commentaries on american law von Kent wird dies klar 
gelegt. Es heisst daselbst: „The woman is considered as being „sub 
potestate viri". Das Gesetz habe dem Manne gegeben „a superiority 
and control over her person and he may even put gentle restraints 
upon her liberty". 

Vor 10 Jahren war nur in dem Staate Massachusetts durch ein 
Gesetz von 1875 die Gewalt des Mannes über die Frau formell auf- 
gehoben. In Mississippi hat ein Gesetz von 1880 der verheirateten 
Frau alle Kechte einer unverheirateten gegeben, ohne indessen die 
Gewalt des Mannes zu erwähnen. 

Nach dieser grossen Verbreitung des Gehorsamsrechtes des 
Ehemannes könnte man glauben, dasselbe sei im Wesen der Ehe be- 
gründet. Das wäre aber eine ganz falsche Ansicht. Dieses Recht 
hat sich infolge der körperlichen Ueberlegenheit des Mannes über 
die Frau gebildet. 

In den Zeiten, da es noch keinen Rechtsschutz gab, wurde die 
Ehefrau von ihrem Manne, die unverheiratete Frau von ihrem Vater, 
einem Verwandten oder Freunde gegen unehrenhafte Angriffe ge- 
schützt. Aus dieser Schutzbedürftigkeit entwickelte sich in der 
barbarischen Zeit die Hörigkeit der Frau. 

Man sollte nun annehmen, dass mit der Entstehung eines Rechts- 
schutzes die Hörigkeit der Frau sich allmählich hätte vermindern 
und schliesslich ganz hätte aufhören müssen. Man behielt aber 
nach der Weise, wie sich das Recht einer Krankheit gleich vererbt, 
die Vormundschaft bei, und so standen jahrhundertlang die Frauen 
unter Vormundschaft (der sogenannten Geschlechts Vormundschaft), 
bis sich herausstellte, dass sie beschwerlich und nutzlos sei. Man 
hob sie nach dieser Erkenntnis auf, aber nur über unverheiratete 
Frauen. lieber die verheirateten Frauen blieb sie bestehen ; denn die 
Vormundschaft gab dem Manne auch die Verwaltung des Vermögens 
und damit die alleinige Entscheidung, auf welche Weise es zum 
Besten der Ehe zu verwenden sei. 

In dem Wesen der Ehe liegt nicht der Grund für die noch 
heute bestehende Hörigkeit der Frau. Die ungerechtfertigte, alle 
Frauen tief schädigende Bevormundung der Frau in Staat und 
Familie ist allein ein Ueberrest des mittelalterlichen Faustrechts. 

Die Unterthänigkeit der Frau hat auch keine christlich-religiöse 
Berechtigung, wie noch von vielen als Beweis des Mannesrechts be- 
hauptet wird. Dies ist von Frau Elisabeth Malo mit anerkannt 
gründlicher wissenschaftlicher Beweisführung in Nr. 50 des evan- 
gelisch-lutherischen Gemeindeblattes: „Die christliche Welt" klar 
gelegt worden. Christus anerkannte der Frauen Menschenrecht, und 
kein Anspruch von ihm weist ihnen dem Manne gegenüber eine 
untergeordnete Stellung, eine Stellung zweiten Grades an. 

Es ist ein verhängnisvoller Irrtum vieler Frauen, anzunehmen, 
die Fragen des Bherechts wären nicht von so einschneidender 
Bedeutung. Sie beachten nicht, dass die freie Pflichterfüllung den 
Menschen adelt, erst die frei und voll entwickelten Kräfte das wahre 
Menschentum ausmachen. Die Ejäfte der Frauen können sich aber 
erst frei entfalten, wenn das Gehorsamsrecht des Mannes, die Bevor- 



— 301 — 

mundnng der Frau im Staate tresKzlich aufgeholn-D. weoD die Frau 
dem Manne gesetzlich gleiciur^stellt ist. 

Unser juristischer Mit«in-iter. dtr Gfh. Justizrat Karl Bulliner, 
hat dies so vortrefflich in seinem Wt^rke: «Die dfut>che Frau 
und das hürgerliche Gesetzbuch- au>frefiihrt, das« ich di»-ses Werk 
auch den ausländischen Schwestern warci empfrlilen möchte. 

Bei der Schnffunir des neuen deutschen Rechtes haben wir 
Frauen tapfer gestritten fi^r unser Mens(htnrecht. Wir haben 
nicht viel erreicht; immerhin aber soviel, dass wir n-chtlich den 
Schwestern der andern europäischen Kulturstaaten fast gleichwertig 
geworden sind. 

Wir sind hier zusammeccrekontmen. um uns klar zu wt-rden 
über das, was die Schwestern der einzelnen Staat*-n schon im Re<.*ht 
erreicht haben, und wa«s noch £rethan w*^rd*n muss. um den Rest 
der Barbarei aus den Kulturstaaten zu beseitie^n. In allen hier 
vertretenen Staaten herrscht ncK-h das Mundium: es ist aber schon 
durchlöchert durch die allseitisr anerkannte Geschäft sfähierkeit der 
Frau. Hier gilt es einzusetzen mit ganzer Kraft: dt-nn hier lit-gt 
der Keim der Aufklärung für beide Cies^hlechter, der früher oder 
später die Rechtsgemeinschaft herbeiführen wird. 

Es gilt auch, den Frauen zum Bewusst<ein zu bringen, dass 
nach heutigem Recht die Ehe eine Degradation fiir sie ist; denn 
mit derselben sinkt die Frau aus einem höheren Rechtsstande in 
einen tieferen, in den der Abhängigkeit und Unmündigkeit zurück. 
Darum, wer für Beseitigung des Mundiums kämpft, kämpft ftir das 
Ansehen des heiligsten Institutes — die Ehe. 

Wir haben uns zu einem internationalen Bunde zusammen- 
geschlossen, um das internationale Menschenrecht für uns zu er- 
ringen. Wir fühlen, dass wir durch die einseitige Gesetzgebung 
nur Schutzverwandte des Staates geblieben sind und als solche 
nicht Teil haben an allen Gütern der Nation. Im internationalen 
Kampfe wollen wir die Teilnahme erringen. 

Reichen wir uns heute die Hände und geloben wir uns zu- 
nächst Kampf auf ganzer Linie gegen das Mundium des Mannes. 
Das Wort: „Was bringt zu Ehren? Sich wehren!** gilt auch ftir 
Tins. Unser Wahlspruch sei: ^Ich will und ich werde!" dann ist 
der Sieg unser! 

Rapport 

presente par Mlle. Marie Popelin, docteur en droit de Bruxelles, 
del^ee de la Ligue Beige du Droit des Femmes. 

La Ligue beige du droit des femmes, dont j'ai Thonneur d'^tre 
Ja Secr^taire Generale, a repondu avec empressement a l'invitation 
des dames organisatrices de ce Congres, parce qu'elle tient ä affirmer, 
en toutes circonstances, sa Sympathie envers toutes les nations comme 
envers toutes les fractions du mouvement föministe. 

En acceptant la mission d'etre ici sa d^legu^ je ne me doutais 
guere du magnifique spectacle qu'il me serait donnö d'admirer. — 
Jusqu'ici, en effet, nulle part, en Europe, nous n'avons vu un 
groupement aussi considerable de femmes distingu^ r^unies dans 



— 302 — 

une pensee commune, ramelioration du sort de la femme; nulle part, 
non plus, nous n'avons assiste, en Europe, ä un Congres de femmes 
organise avec autant de vraie methode et de sage discipline. 

Les dames organisatrices ont le droit d'etre fieres du succes de 
ces belles et memorables journees et, en mon propre nom comme 
au nom de la Ligue beige des femmes, je les felicite et les remercie: 
elles occuperont desormais une place d'honneur dans Thistoire du 
feminisme. 

Notre Ligue organise pour Tannee prochaine, a Toccasion de 
TExposition universelle, un Congres international auquel je vous 
invite toutes, Mesdames. Nous nous exercerons de faire aussi bien 
que les femmes allemandes, nous ne pourrons pas faire mieux. 

Ma täche dans ce Congres est de vous parier de la condition 
civile de la femme sous le Code frangais de 1804 qui nous regit 
encore en Belgique. Mon rapport tres court d'ailleurs, interesse 
donc non-seulement la Belgique et la France, mais en outre tous 
les pays oü le Code napoleonien tut impose ou adopte, ou seulement 
imit^. 

Sans doute, la place actuelle des femmes dans la famille et 
dans la societe est tres superieure ä leur condition passee, Tadou- 
cissement des moeurs a peu ä peu releve la condition sociale de la 
femme, quelques lois sont venues completant Toeuvre des moeurs. 
Le temps n'est plus oü les fiUes etaient desheritees par leurs peres, 
les soeurs depouillees par leurs freres, les femmes achetees et posse- 
dees comme une chose par leurs maris, les meres subordonnees 
ä leurs fils. Les lois de la Revolution ont pose le principe 
de l'egalite, mais le legislateur n'a pas su ou n'a pas voulu 
en tirer toutes les consequences , et ,* aujourd'hui encore , la 
femme est tenue en suspicion et traitee en paria, Tinstruction lui 
est mesuree avec parcimonie et accordee, non comme un droit, mais 
comme un privilege, sa- parole est sans valeur et son temoignage 
meconnu; eile est ^loignee de la tuteile et des conseils de famille, 
eile est repoussee des emplois publics, eile n'a point le droit de cite, 
eile est accablee de toutes les charges de la maternite naturelle sans 
aucun recours contre le pere de son enfant. — Femme mariee, on 
ne lui reeonnait ni intelligence, ni volonte, eile perd son nom et sa 
nationalite, eile doit obeir ä son mari qu'elle doitsuivre partout oü 
it lui plait de resider, eile ne peut agir valablement sans son auto- 
risation : eile ne peut pas donner, eile ne peut pas recevoir, eile est 
sous le coup d'un interdit eternel. C'est le mari seul qui a Fad- 
ministration pleine et entiere non-seulement de la communaute, ce 
qui est dejä consid^rable, mais encore de la fortune personnelle de 
sa co-associee, il en touche le revenu, il le depense a son caprice, 
et il n'a pas a rendre compte, si ce n'est a lui-meme; la loi lui 
delivre, dans tous les cas, et sans examen, un brevet d'infaillibilite. 
S'il en use largement, nous aurions mauvaise grace a nous en 
plaindre, il a poar lui Texcuse de la loi. Mere, eile ne partage pas 
l'autorit^ paternelle, si eile dirige l'education de ses enfants, c'est 
pure tolerance, eile n'a pas meme a consentir a leur marriage: eile 
ne peut ni les marier, ni les empecher de se marier. Epouse sur- 
vivante, on la surveille, son amour sans bomes de mere estsuspect. 



— 303 — 

eile ne sera tutrice de ses enfants qua sous la surveillance d'un 
conseil special sans Tavis duquel eile n'est habile a poser aucun acte 
concernant la tuteile. Oui, Mesdames, Tamour maternel fait tout 
entier de devouement et d'abnegation est insuffisant pour inspirer 
confiance! L'epouse, enfin, n'est Jamals heritiere, eile n'arrive ä la 
succession de son mari qu'en ordre irregulier et apres les collateraux 
a rinfini. 

Combien sont lentes les conquetes du sexe feminin dans sa 
marche vers Pegalite, et que les etapes sont laborieuses. Si, au- 
jourd'hui, la femme n'est plus une marchandise que Ton puisse mettre 
a Tencan, si les docteurs ont bien voulu lui decouvrir une äme 
semblable ä celle del'homme, si sa vie n'est plus tarifee au dessous 
de Celle d'une bete de somme, son temoignage en justice au quart 
de celui de Thomme, si, sous certaines restfictions, eile peut, ä la fin 
du XTX siede disposer de sa personne et acquerir des biens, rap- 
pelons-nous qu'il lui a fallu des milliers d'annees pour atteindre ce 
resultat. Et ainsi se verifie cette pensee d'un grand historien, qu'a 
de certains abus, il faut un jour pour naitre, plusieurs siecles pour 
mourir ! 

L'egalite civile des deux sexes est un principe de notre loi 
moderne, mais ce principe qui nous semble, aujourd'hui, un axiome 
incontestable de justice et de verite, n'est cependant qu'une conquete 
recente du progres social. Les diverses legislations europeennes re- 
putees les plus liberales contiennent encore de choquantes inegalites 
entre les deux sexes. Au Nord, dans les iles Scandinaves, la tu- 
teile perpetuelle des femmes, reste de la barbarie germaine, au Midi, 
en Espagne et en Italic, l'incapacite pour la femme de s'obliger 
pour autrui, reste du paganisme romain; dans la protestante Angle- 
terre, la fiUe exclue des successions par le fils, la sceur par le frere; 
sa part reduite ä la moitie par la loi turque et par les Codes scan- 
dinaves; ä un huitieme des meubles et ä un quart des immeubles 
par la loi russe. 

Notre Code civil ne contient plus de trace des droits d'ainesse 
et de masculinite abolis par les lois de la Revolution, mais il n'a 
pas promulgue ouvertement, ni applique completement le principe 
nouveau de l'egalite de la femme devant la loi. Tant s'en faut! 
C'est toujours le meme Systeme, reconnaitre en principe, refuser en 
fait. Le droit frangais laisse la femme dans une Situation införieure 
au point de vue de la personne comme au point de vue des biens. 
Si l'egoisme a ete vaincu, le prejuge subsiste dans l'esprit du legis- 
lateur et c'est le prejuge qui doit nous garder dans Tinterpretation 
d'une loi faite toute de contradictions. 

Pourquoi ne peut eile etre temoin dans un acte authentique 
et attester valablement les volonte d'un mourant, cette femme dont 
le seul temoignage va suffire pour envoyer un homme ä la mort? 
Naissance, deces, mariage, oes actes de la vie communs ä Thomme 
et ä la femme, l'homme peut seul par son attestation en conserver 
la preuve. La loi reconnait le developpement physique de la femme 
plus precoce que celui de l'homme et, cependant, celle-ci doit attendre 
jusqu'ä vingt oinq ans pour pouvoir s'engager dans le mariage avec 
cette libre disposition de sa personne dont Thomme jouit des vingt 



— 304 — 

et un ans. Et c'est cette meme femme qui, des Tage de treize ans, 
est reputee, par la meme loi, pouvoir avec une volonte süffisante 
pour innocenter Fhomme qui en jouit disposer d'elle-meme au profit 
de son seducteur. Elle est reconnue capable d'administrer ses propres 
biens, mais sauf pour ses enfants et encore sous les restrictions que 
j^ai Signal ees, restrictions qui ne peuvent avoir ete inspirees que 
par la mefiance, eile ne peut remplir les fonctions de la tutelle. 

Ces contradictions choquantes se maintiennent depuis un siecle, 
en depit des eritiques et des protestations. Ne semble-t-il pas, Mes- 
dames, qu'il aurait du suffire de les signaler a Tattention du legis- 
lateur contemporain pour les voir disparaitre? Helas! il n'en est 
rien! Tous les projets de loi — et ils sont nombreux — tendant 
ä relever la femme dei? incapacites qui Taccablent, deposes a la 
Chambre frangaise et a la Chambre beige sont restes sans resultat. 
S^ils ont obtenu quelquefois la prise en consideration, ils n'ont guere 
ete discutes et aucun n'est arrive ä consecration. 

Nous chercherions en vain le principe juridique sur lequel s'ap- 
puient ces incapacites, il n'en existe nulle trace. II n'est discute, ni 
formule nulle part; il y a une simple opinion, qui n'est plus qu'un 
pretexte aujourd'hui, que restreindre la capacite de la femme, c'est 
faire ceuvre de protection a son egard! — Protection interessee! 
— Les femmes ne s'y trompent plus guere. Elles savent ce que 
vaut tant de stfllicitude. Elles ont compris que toutes les mesures 
protectrices de la loi la plus vigilante ne valent pas l'independance, 
qne tous les Privileges les plus precieux ne valent pas Tegalite. 

Demandons-nous aussi pourquoi cette infirmite de notre intelli- 
gence, reelle ou pretendue, ce vice de notre volonte si habilement 
exploitds par le legislateur civil a ^t^ si manifestement m^connu par 
le legislateur penal sanctionnant Toeuvre du premier. En eflfet, la loi 
penale mesure la peine au degr6 de responsabilite et de libro arbitre, 
eile reconnait Texcuse de la d6mence, ellereconnait Texcuse de Tage, 
eile a oubli^ Texcuse du sexe. Si, par hasard, eile s'est souvenue 
de la difference des sexes, c'est pour jeter T^goYsme masculin dans 
le plateau qu'allegerait trop la faiblesse de la femme. Vous savez 
les peines exceptionelles qui atteignent Tepouse infidele et la mere 
infanticide; elles sont excessives et odieuses meme aux tribunaux 
charg^ de les appliquer, aussi existe-t-il une jurisprudence nouvelle 
plus ^uitable, plushumaine quesera la loi de cet avenir de justice 
et d'egalite que nous entrevoyons. 

Quelles conclosions pouvons-nous tirer de ce d^saccord mani- 
feste entre les principes, de ces contradictioDS entre les lois? C'est 
que faites par les hommes seals, les lois ne semblent faites qu'a 
leur profit et que ces contradictions meme r^velent leur imperfection. 

N'est ce point votre avis, Mesdames, n'est ce point votre 
avis, Messieurs, qu'il Importe 3e mettre fin ä une Situation 
ou Tabsurdite Temporte encore sur Tinju^tice? Pour y reussir, 
je demande que tous Iqs groupes f^minlstes des diff^rents pays, 
r^s encore aujourd'hui par le Code napol^n, par cette l^gislation 
si just^ment dite, de cape et d'^pee, travaillent d'un commun 
accord pour arriver k sa suppression ou ä sa transformation. 



~ 305 — 

Ansprache der Delegierten der italienischen Frauen 

Dottoressa med. Signorina Maria Montessori aus Rom. 

Meine Damen, ich spreche heute zu Ihnen im Namen der 
besitzenden Frauen Italiens, welche mich gebeten haben, diesem 
Kongresse von einer Ungerechtigkeit zu berichten, welche man 
gegen sie als Besitzende begeht. 

In Italien, und besonders in jenen Provinzen, die früher zu 
Oesterreich gehörten, hatten die Frauen vor der Einigung des 
Landes das Recht, ihr eingebrachtes Vermögen selbst zu verwalten. 
Heute nach der Einigung ist ihnen dieses Recht genommen worden, 
selbst für den Fall, dass die Frau rechtlich von ihrem Manne ge- 
trennt lebt. Dies ist die Ursache schlimmster Sklaverei für die 
besitzende Frau; denn es giebt dem Manne die Möglichkeit, auch 
aus der Ferne die von ihm getrennte Frau zu knechten. Nun 
haben mich die besitzenden Frauen Italiens aufgefordert, einen 
Massenprotest gegen diese empörende Ungerechtigkeit zu ver- 
anlassen. 

Anmerkung d. Red. Die weitere Ansprache behandelte nicht 
das Thema des Tages. Die Rf^dnerin sprach von den freundlichen 
Gesinnungen der italienischen Frauen- Vereine für den Kongress und 
von der allgemeinen Beteiligung derselben an ihrer Abordnung. 

Wahlrecht der Frauen in Holland. 

Von Frau Haighton, Amsterdam. 

Es war im Jahre 1883, als der Amsterdamer Gemeinderat in 
seiner Arbeit gestört wurde durch das Einkommen eines Gesuches 
der Frau Dr. Aletta H. Jacobs behufs Aufnahme ihres Namens auf 
die Wählerliste, da ihr Steuerzettel bei weitem die Summe, welche 
den Bürgern das Wahlrecht sichert, übertraf. 

Diese That war der Erfolg eines Rates desselben Rechtsgelehrten, 
der jetzt Minister des Innern ist. Der Frauenfrage ist sie jedoch 
nicht zu Gute gekommen; denn vielen ging dadurch betreffs der Dinge, 
welche sich vorbereiteten, ein Licht auf, und es fiel den Abgeordneten 
im Parlament nicht schwer, sich dagegen zu waffnen, da eine Revision 
des Grundbesitzes bevorstand. — Hatte das Grundgesetz bis dahin 
die Frau vollständig negiert und es hinreichend erachtet, von Nieder- 
ländern zu reden, so nahmen im Jahre 1887 die Repräsentanten des 
Volkes ohne Diskussion einen Antrag an, welcher bezweckte, jedes- 
mal vor das Wort Niederländer „männlich" zu setzen, wodurch 
die Frauen unbedingt ausgeschlossen wurden. Diese Einfügung 
öflFhete a^er vielen Frauen die Augen. Sie fingen an über das 
ihnen angethane Unrecht zu schreiben, und auch in mancher anderen 
Weise wirkend, brachten sie Anfang 1894 einen Frauenwahlrechts- 
verein zu Stande. Die Statuten erhielten nach diesbezüglicher An- 
frage die königliche Bestätigung. 

Als die Vereinigung, in Amsterdam gegründet, bald darauf in 
anderen Gemeinden Abteilungen bekam, reichten die Statuten nicht 

20 



— 306 — 

aus. Sie wurden revidiert uad auch in dieser neuen Form von der 
Königin-Regentin als gesetzlich gut geheissen. 

Die Mitgliederzahl des Frauenwahlrechtsvereins ist noch nicht 
gross; sie beträgt keine Tausende, sondern nur Hunderte. Dies 
kommt daher, dass die Frauen, welche es selbst gut haben, gewöhn- 
lich die Blicke zu wenig über den eigenen Kreis hinaus werfen, dass 
diejenigen, welche unter den gesetzlichen Missverhältnissen schwer 
gebeugt gehen, in der Regel nicht entwickelt genug sind, um die 
gi'osse, ja unwiderstehliche Kraft der Anschliessung und des Zu- 
sammenwirkens einzusehen, und dass unter denjenigen, welche 
zwischen diesen beiden Kategorien stehen, es leider noch zu viele 
giebt, welche nicht den Mut ihrer Ueberzeugung besitzen oder zu 
gleichgiltig sind, um ein Interesse an Dingen allgemeinen Belangs 
zu nehmen. 

Vor Kurzem ist von der Zweiten Kammer ein Wahlgesetz an- 
genommen worden, das auch am 5. Septt^mber d. J. die Genehmiganc: 
der Ersten Kammer erworben hat. Die Wähleranzahl wird bedeutend 
vergrössert, aber nicht durch Zugehörigkeit von Frauen. Bald wird 
sich nun zeigen müssen, was das neue Wählerkorps, darunter viele, 
welche behaupten, das Frauen Wahlrecht auf ihrer Fahne zu führen, 
für die Frauen thun wird. Vom gegenwärtigen Minister des Innern 
werden sie gewiss keinen Widerstand erfahren, da er noch in seinen 
Auseinandersetzungen gelegentlich des jetzt angenommenen Gesetzes 
unumwunden erklärt hat, noch immer d(T Meinung zu sein, dass 
die Frauen Rechte fordern können, dass er aber diesen Punkt bei 
dem neuen Gesetze nur deshalb nicht berührt habe, weil er über- 
zeugt sei, dass mit der gegenwärtigen Zweiten Kammer in dieser Hin- 
sicht nichts zu erreichen ^sei. 

Die niederländischen Frauen leben in der Hoffnung, dass ihnen 
die Zukunft das AVahlrecht nichti vorenthalten werde. 

La Solidaritö des femmes, Croupe föministe (Paris.) 
Par Mme. Stromer-Henni-Pichard, Berlin, deleguee du groupe. 

Mesdames, Messieurs! 

Madame Potonie-Pierre, Tinfatigable champion de la cause des 
femmes en France, regrette vivement d'etre empechee de venir a 
Berlin et me Charge de presenter a Tassemblee tous ses voeux pour 
le reussite du congres. 

Le temps qui a pu etre accorde est si court, que je devrai nie 
restreindre ä mentionner les points principaux du travail de son 
groupe. 

La Solidarite des femmes a ete fondee a Paris en 1891. L'or- 
ganisation en est extremement simple; car il n'y a ni presidente, ni 
membres honoraires, mais seulement une presidente de seance, une 
secretaire et une tresoriere. La cotisation est de 25 Centimes 
par mois. 

Le but de cette societe est de grouper les femmes dans un 
esprit de solidarite, d'union et d'aide mutuelle et de revendiquer 
les droits de la femrae. 8on action s'exerce pai* des publications. 



— 307 — 

des reuQions, des Conferences etc. En 1892 la Solidarite des femmes 
a cree la Federation frangaise des societes feministes, laquelle a or- 
ganise, cette meme annee, un congres qui a 6t^ brillant. Jugeant 
qu'une oeusrre de premiere utilite serait d'unir les femmes en une 
pensee de paix universelle, la Solidarite a fondö en 1896, F Union 
Internationale des femmes pour la paix, union qui compte maintenant 
des comites dans toutes les parties du monde: en Angleterre, en 
France, en Allemagne, en Italic, en Belgique, en Suisse, en Rou- 
manie, en Portugal etc. Chaque comite public alternativement un 
^rticle de propagande, reproduit dans chaque pays, par un grand 
nombre de journaux. 

L'union a dejä fait oeuvre collective en un appel ä TAngle- 
terre et aux Etats-Unis pour l'etablissement d'une cour permanente 
d'arbitrage. 

Je rappelle a cette occasion Pappel que les femmes de France 
ont adresse aux femmes d' Allemagne, en Avril 1896; appel qui a 
■ete chaleureusement accaeilli ä Berlin et qui a eu pour consequence, 
la formation d'un groupe feminin, se rattachant ä Tune des societes 
4e la paix de cette ville. 

On a souvent demande ce que les femmes peuvent faire pour la 
paix. iSi les femmes ne peuvent pas, (pas encore), elever leur voix 
•dans les parlements et les negociations diplomatiques, elles ont pour 
elles la propagande des pensees, la refutation des faux prejnges. Ces 
idees nouvelles rechauflferont les coeurs et formeront la voix publique, 
qui montrera sa force au moment propice. 

Pais elles ont encore un moteur puissant: Feducation de la 
jeunesse. En inculquant aux enfants des idees de paix et d'amour 
de rhumanite, elles prepareront le terrain futur, ou les fruits de la 
paix et de la concorde müriront en abondance. 

Je m'arrete ä ces details, les questions speciales du sujet ap- 
partenant a Tordre du jour de demain, oü Mme. Morgenstern traitera 
le sujet de la paix. 

La Solidarite est le seul groupe feministe en France, qui entre- 
prenne une campagne contre Talcoolisme. 11 a encore vote Tabolition 
<lu duel et de lapeine de mort. 

Dans la seance du 29 Juillet 1896, il a ete decide de reclamer, 
par rintermediaire de la Societe protectrice des animaux, la suppres- 
sion des courses aux canards, jeu barbare, tres usite dans les pro- 
vinces. Le groupe a fait aussi beaucoup pour Textension de la fe- 
in inisation despostes et telegraphes et a tente dans Tordre economique, 
toutes sortes de demarches pour ameliorer le sort des ouvrieres de 
toutes categories. II s'est declare contre le travail salarie pour les 
enfants, lesquels doivent avoir pour leur seul labeur, leur developpe- 
ment physique et intellectuel ; mais il a demande qu'il n'y ait pas 
Ale loi speciale de reglementation de trayail pour les femmes (la loi 
de 1892 en a mis des milliers sur le pave); il reclame pour tous la 
journee de 8 heures et pour tous egalement, hommes et femmes, ä 
travail egal, salaire egal. II reclame encore que Thygiene des ateliers 
.soit surveille, qu'une etude soit falte des profesions insalubres, afins 
de les rendre moins malsaines, etc. 

En resume: la Solidarite des femmes s'occupe de toutes les 

20* 



- 308 — 

questions en economie sociale, en droit civil et politique. La societe 
a form6 un groupe parlementaire qui est generalement ecoute da 
parlement. Par des petitions et des demarches'incessantes, il reclaire 
Teligibilite de la femme chez les prudhomraes, pour les conseils 
municipaux et les chambres legislatives. 

Political Rights of Women in the United States. 

By Mrs. Belva A. Lockwood, Barrister, A.M. and BL. Washington^ 

Delegate of the "Womans National Press- Association" and "Womaa 

Suffrage Association" of the District of Columbia. 

It is only within the last twenty-five years that any politicaii 
rights, such as the right to vote or hold office, have been accorded 
to. the women of the United States. Within that time however^ 
women have gradually acquired rights not formerly possessed by 
them. The first change came, when in New England, New York and 
Nebraska, women were allowed to vote for school trustees. This 
privilege soon extended to all of the Middle and Western States, 
and was enlarged so as to include county superintendants of publie 
schools; to which office many women were elected, and later, in 
the Western states to State superintendants of schools. In several 
States, as in Massachusetts, New York and Kansas, women have 
been appointed by the governor as State superintendants of charities,. 
and in some instances they have been appointed as police matrons^ 
and wardens of prisons by the municipal officers. 

Pennsylvania allows women to become school trustees and school 
superintendants, but does not allow them to vote for these Offices^ 
In uearly all of the states where school suffrage prevails, women 
may beadmitted to the bar, practice law or medicine, become justices^ 
of the peace, examiners in Chancery or Notaries Public. 

The Constitution of the State of Wyoming allows women to- 
vote upon all political questions, including that of presidential elec- 
tors, and they may be elected to any office within the gift of the 
State, and may represent the State in the House of Representatives^ 
of the United States, or the Senate. Women voted in Wyoming 
while it was only a Territory and have so continued since her ad- 
niission as a state, about six years ago. 

Colorado admitted women to füll suflfrage in 1893, by a change 
to that effect in her state Constitution, after submitting the question 
to a vote of her male population, and has now three women sitting 
in her state legislature. 

The women of Utah, by the Constitution of the state, were 
given the ballot in November 1895 when that territory was admitted 
as a State, and now enjoy all of the electoral Privileges granted to 
the men of the state, and go with them into the primaries and as- 
sist in the nominations for state Offices, can vote for presidental 
electors, and are themselves elected and sent as delegates to the 
presidential nominating Conventions. The women of Utah however voted 
for 14 years while that country was a territory. 

The women of Kansas have a municipal ballot, and vote on all 



- 309 — 

matters pertaining to the State, bat cannot vote- for presidential 
^lectors. Nevertheless, they make themselves very largely feit at 
every state election, and in fact all of the time. They sit on juries, 
act as notaries public and as examiners in Chancery; act as justices 
of the peace, school superintendants, com missioners of public charities, 
mayors of towns and eitles, may act as attorneys for the Common- 
wealth, and if elected, fill a judgeship. It not unfrequently happens 
in that state, that an entire city or town is officered by women, 
with a woman mayor, and common Council. 

All four of the states named, have sent women to the presi- 
dential nominating Conventions during the present year. 

The attempt in 1894-95 to change the Constitution of the State 
of New York so as to give a füll, instead of only a school ballot 
to women, was lost in the legislature. A similar eflfort is now 
pending in Idaho and in California with some prospect of success 
The question of a füll ballot for women in all of the forty-five 
States of the Union is now only a matter of time, as women are 
being educated in nearly all of the Colleges and universlties in the 
^ame studles and to the same professions as men, and most of the 
higher institutions of learniag are willing to confer the same degrees 
upon their women graduates. Nearly all of these schools contain 
also a Corps of women professors. Gradually the rights of women 
have been enlarged until now, every considerable city and town in 
the Northern, Middle and Western states, have their women lawers, 
doctors, ministers and journalists. There are still some restrictions 
in the older Colleges about admitting women to their classes, and 
Conferring upon them degrees. 

The National Women Suffrage Association, an Organization of 
women who believe in the ballot for women, are now canvassing 
the State of California in the interest of Woman SuflPrage, hoping 
to secure an amendöment to the state Constitution allowing women 
to vote on the same terms as men. 

In the District of Columbia, with a population of 275,000 per- 
sons, neither men nor women vote, but the people are governed by 
three Commissioners (District Commissioners) appointed by the Pre- 
sident and confirmed by the Senate. But in the District, women 
are admitted to the bar, can practice law or medicine, act as police 
matrons, or school trustees, as notaries public, or examiners in 
Chancery; may act as matrons at the jail, or become heads ot De- 
partments under the Government, or even act as delegates for the 
Government, as in the case of Mrs. Belva A. Lockwood and Miss 
French. One woman conducts a re^l estate office. 

I have practiced law in the District of Columbia since May 
1873, when I took the degree of Bachelor of Laws from the Na- 
tional University law school, and have been admitted, not only to 
all of the Courts of the District of Columbia, but to the Court of 
Claims, and the United States Supreme Court, and in the latter in- 
stance, drafted the bill that admitted me to the court in February 
1889. Since that time twelve other women have heen admitted to 
the Bai- of the United States Supreme Court. I also appear, as 
any other woman may, to make arguments in important cases be- 



— 310 — 

fore the Departments of the Government, and the various commit- 
tees of the United States Congress. 

Döring the fifty-fourth Congress in the present year, a conait- 
tee of women, of whom I was a memher, drafted a bill and secured 
its passage, giving to women in the District of Columbia, equal 
property rights with men. It revolutionizes all the tenets of the- 
Old English Common Law, under which women have been enslaved 
so long. 

I attach to this paper a copy of the above mentioned Bill. No- 
Nation in its dignity can ever rise above the condition of the Mother^ 
The mother — the foundation of the home and the home the foun- 
dation of the state. It is impossible for a slave mother to give birth 
to the highest order of manhood. 



In the Congress of the United States. 

Memorial in behalf of Senate Bill !No. 1659 to amend the 
laws of the District of Columbia as to married women,. 
and to make parents the natural guardians of their 

children, and for other purposes. 

Your Memorialists respectfully represent that they are resident s- 
of the District of Columbia, and represent twenty-tive hundred in- 
telligent Citizens, many of whom are married women and mothers 
with large property and other interests which are injuriously affected 
by the laws in force in this District, and which it is sought to 
remedy. 

1. The conditions complained of are as follows : While the con- 
ditions of society and business have forced many women, both mar- 
ried and unmarried, to become wage earners, and the partial or 
entire support of families, yet the laws of the District do not give 
married women the right to their own earnings, bat make such 
earnings the property of their husbands, and so liable for the hus- 
bands^ debts. 

2. A married woman cannot do business in the District of Co- 
lumbia or obtain credit, or collect moneys owing her, the present laws^ 
only giving her the power to seil and convey her separate estate, which 
is defined as "any property, personal or real, belonging to her at the 
time of marriage, or acquired during marriage in any other way than 
by gift or conveyance from her husband.'' And as her earnings are 
her husband's he cannot give her the property which comes to him as 
the result of her own industry, exempt from his control or from lia- 
bilitiesfor his debts. 

3. The widow in the District takes one-third of the personalty 
absolutely and has a dower right only in unencumbered real estate. 
The widow takes all the personalty absolutely, and if there be children 
of tlie marriage, has a curtesy in all the real estate of the wife. 

4. The husband is now liable for the ante-nuptial debts of his wife. 

5. We further represent that under the present laws the father 
alone it recognized as the natural guardian of the children, and he 
has the power by will to give even anunborn child to an entire strangei-. 
in utter disregard of the Divine right of Motherhood, and of the right 



— 311 — 

that every child has to enjoy the love and devotion of the one being 
in the world who lays down her life for it, who nourishes it with 
her own life, and whose love for her ofifspring constitutes the highest 
type of affection and devotion of which the human heart is capable. 

We unite in respectfully asking the early and favorable consi- 
deration of the accompanying bill, which will, we believe, give a. 
married woman the right to do business without legal restrictions 
and make her a responsible factor in business : to w^idow and widow^er 
the equal rights in each other's property; relieve husbands of liability 
for the wife's ante-nuptial debts, and give either the father or mother 
surviving the same rights in their children. 

Respectfully submitted. 
Ellen Spencer Mussey, Chairman, Emma M. Gillett, Lucia E. Blount, 
Belva A. Lockwood, Mary Emily Coues, Comraittee on Legislation 
from District Federation Women's Clubs, Ella M. S. Marble, Pres. 
District Federation Women's Clubs, Edwin Willitts, Chairman Com- 
mittee on Municipal Legislation of "The Civic Center", Hannah B. 
Sperry, Pres. Woman's National Press Association, Mary Emily 
Coues, Pres. Pro Re-Nata, Ellen Powell Thompson, Pres. D. of C. 
Woman's Sufifrage Society, Fanny Pomeroy, Pres. Legion of Loyal 
Women, Anna M. Hamilton, Pres. Woman 's Relief Corps, Margaret 

B. Platt, Pres. Woman's Christian Temp. Union, Jennette 

M. Bradley, Pres. Wimodaughsis. 



(Public No. 168.) 

An Act To amend the laws of the District of Columbia as to married 
women, to make parents the natural guardians of their minor children, 

and for other purposes. 

Be it enacted by the Senate and House of Representatives of 
the United States of America in Congress assembled, That the 
property, real and personal, which any woman in the District of 
Columbia may own at the time of her marriage, and the rents^ 
issues, Profits, or proceeds thereof, and real, personal, or mixed 
property which shall come to her by descent, devise, purchase, or 
bequest, or the gift of any person, shall be and remain her sole 
and separate property, notwithstanding her marriage, and shall not 
be subject to the disposal of her husband or liable for his debts, 
except that such property as shall come to her by gift of her hus- 
band shall be subject to, and be liable for, the debts of the husband 
existing at the time of the gift. 

See. 2. That a married woman, while the marriage relation 
subsists, may bargain, seil, and convey her real and personal prop- 
erty, and enter into any contract in reference to the same in the 
same manner, to the same extent, and with like eflfect as a married 
man may in relation to his real and personal property, and she may, 
by a promise in writing, expressly make her separate estate liable 
for necessaries purchased by her or fumished at her request for 
the family. 

See. 3. That any married woman may carry on any trade or 
business, occupation or profession by herseif, or jointly with others, 



— 312 ~ 

and perform any labor or Services on her sole and separate acconnt, 
and the earnings of any married woman froin her trade, busioess, 
profession, occnpation, labor, or Services shall be her sole and sep- 
arate property, and may be used and invested by her in her o\^ti name. 

See. 4, A married woman may contract, and sue and be sued 
in her own name in all matters having relation to her sole and 
separate property, in the same manner as if she were unraarried; and 
her husband shall be joined with hör, when the cause of acti^n is 
in favor of or against both her and her husband. 

See. 5. Neither the husband nor his property shall be bound 
by any such contract, made by a married woman, nor liable for 
any recovery against her in any such suit, but judgment may bc 
enforced by execution against her sole and separate estate in the 
same manner as if she were unmarried, but she shall be entitled to 
all the benefits of all exemptions to the heads of families or householders. 

See. 6. That nothing in this Act contained shall invalidate anv 
marriage settlement or contract. 

See. 7. That the husband shall not be liable for the payment 
of the wife's antinuptial debts, but she shall be liable to all remedies 
for the recovery of such debts, to be enforced against her and her 
separate property as if she were unmarried. 

See. 8. That the father and mother shall be the natural guar- 
dians of the person of th^ir minor children. If either dies or is in- 
capable of acting, the natural guardianship of the person shall de- 
volve upon theother: Provided, however, That in caseof the death 
of either parent from whom the said children may inherit, or take 
by devise or bequest, the said parent may, by deed or last will and 
testament, appoint a guardian of the property of the children, sub- 
ject to the approval of the proper court of the District of Columbia, 

See. 9. That the survivor may by last will appoint a guardian 
of the person and property of any of the children, whether born at 
the time of making the will or afterwards, to continue during the 
rainority of the child, or for a less time, subject at all times to 
removal for cause and appointment of another by the proper court. 

See. 10. That dower shall hereafter be assigned to a widow 
«ntitled to the same in the equitable as well as the legal estate of 
her deceased husband. 

See. 11. That sections seven hundred and twenty-seven, sevea 
hundred and twenty-nine, and seven hundred and thirty of the 
Revised Statutes of the United States for the District of Columbia, 
be and the same are hereby repealed. 

Approved, June 1, 1896. 

Frauenrecht In Oesterreich. *) 

Von Fpeü Fanny Meissner-Diemer, Wien. 

An der Hand der in Oesterreich dermalen geltenden Gesetze 
will ich nur in dürftigen Umrissen zeigen, wie die Frau noch heute 

*) Unter Hinweglassung der Einleitung und des Schi uss wertes. 
(D. Rdk.) 



— 313 — 

in mancher Beziehung unfrei und wie ihre Rechtsstellung mit ihrer 
geistigen Entwicklung nicht mehr vereinbar ist. 

Beginnen wir dort, wo im römischen Rechte die Gleichstellung 
heider Geschlechter aufhört und das Alleinrecht des Mannes seinen 
Anfang liimmt: hei den politischen Angelegenheiten des Volkes! 
Viele sind bis heute noch das „noli me tangere** der Herren der 
Welt. Ich will auch nicht daran rühren, sondern nur berichten, 
in wie weit den Frauen Oesterreichs die Teilnahme am öfifentlichen 
Leben gestattet ist. Leider genügen hierzu wenige, aber desto mehr 
sagende Worte: Nach dem Vereinsgesetze vom 15. November 1867 
v^ 30 dürfen „Ausländer, Frauenspersonen und Minderjährige als 
Mitglieder politischer Vereine nicht aufgenommen werden. 

Die Frau wird als „Frauensperson" und ob zwar schon majorenn, 
doch noch mit Minderjährigen in eine Reihe gestellt. Auf Grund 
dieser Bestimmung wurde es dem allgemeinen Frauenverein in 
Wien im Jahre 1893 nicht gestattet, die Wahrung der staats- 
bürgerlichen Rechte der Frauen als anzustrebenden Zweck in seine 
Statuten aufzunehmen. 

Zum Wahlrecht übergehend bleibt mir nur die Bemerkung, dass 
das derzeit bestehende Wahlrecht für das weibliche Geschlecht ein 
einziges grosses Wahlunrecht ist. Denn die steuerzahlenden Frauen 
haben nach § 9 der Reichsrats wähl Ordnung vom 2. April 1873 
weder das aktive, noch das passive Wahlrecht für den Reichsrat. 

Eine Ausnahme hiervon bildet die Wählerklasse des Gross- 
grundbesitzes. Hier scheint die Frau den zur Ausübung des Wahl- 
rechtes nötigen Verstand zugleich mit dem Gutsbesitze von einem 
freundlichen Geschicke erhalten zu haben. Dagegen ist die steuer- 
'/ahlende Lehrerin und die Handelsfrau, oder die Gewerbetreibende 
von jeder Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen. 

Aber auch die Grossgrundbesitzerin kann dieses Recht nur 
durch einen Bevollmächtigten, ist sie verehelicht, durch ihren Gatten 
ausüben. Für die Vertretungskörper der einzelnen Kronländer der 
Landtage gilt dasselbe, auch hier gibt der Grossgrundbesitz der 
Frau das aktive Wahlrecht für den Landtag, welches sie im Be- 
vollmächtigungswege, in manchen Provinzen, wie z. B. in Schlesien, 
persönlich ausüben kann. 

Die anderen Kategorien steuerzahlender Frauen besitzen das 
Wahlrecht für den Landtag dann, wenn sie dasselbe nach der Ge- 
meindewahlordnung, oder nach dem Statut des Ortes, oder der 
Stadt, in welcher sie ihren Wohnsitz haben, auszuüben berechtigt 
sind. Die meisten dieser Wahlordnungen gewähren der steuer- 
zahlenden Frau das aktive Wahlrecht für die Gemeindevertretung 
und somit auch für den Landtag. 

Eine Ausnahme bilden nur wenige dergleichen Statute. Aber 
unter diesen Wenigen befinden sich die zweier Kultur-Mittelpunkte, 
das sind die Wahlordnungen der Städte Wien und Triest. In Wien 
können nach § 8 der Gemeindeordnung Frauen nicht das Bürger- 
recht erwerben, ja das aktive Wahlrecht, welches ihnen im Ge- 
meindegesetze vom Jahre 1849 und in der Gemeindewahlordnung 
vom Jahre 1864 zuerkannt wurde, ist ihnen durch einen Beschluss 
des Landtage« vom 2. Oktober 1888 wieder entzogen worden. Da 



— 314 — 



es denn doch kaum anzunehmen ist, dass die 19 000 steuerzahlenden 
Frauen Wiens seit den Jahren 1849 und 1864 geistig so zurück- 
gegangen sind, dass man ihnen die Wahlberechtigung absprechen 
musste, und da es ferner schwer glaublich ist, dass die Damen aus 
der Wählerklasse des Grossgrundbesitzes von diesem Verstandes- 
■ . niedergange der weiblichen Welt Wiens verschont blieben, so muss 

! man zur Folgerung gelangen, dass diese ungleiche und ungerechte 

j Verteilung des Wahlrechtes nur im kapitalistischen und hoch- 

j torystischen Interesse ihren Ursprung hat, wenn sie auch die Ge- 

setzgeber durch die ideale Stellung des Weibes, welches nicht den 
mancherlei Unzukömmlichkeiten bei einer Wahl ausgesetzt werden 
soll, zu erklären suchen. 

So ist es nun wahrlich kein erfreuliches Bild, das ich Ihnen 
I von den Rechten der Frauen in Oesterreich zu bieten hatte, so 

weit sie die Teilnahme am öffentlichen Leben deß Volkes betreffen. 
Anders ist es beim Handelsrechte. Dieses ist aus den Be- 
dürfnissen der Kaufmannschaft hervorgewachsen, ihnen angepasst 
und da es den modernen Zuständen Rechnung trägt, so ist es auch 
im günstigen Sinne für die Frauen abgefasst. Artikel 6 sagt kurz 
und bündig: „Eine Frau, welche gewerbemässig Handelsgeschäfte 
betreibt, hat in dem Handelsbetriebe alle Rechte und Pflichten eines 
Kaufmannes." 

Nach Artikel 7 kann wohl eine Ehefrau ohne Einwilligung 
ihres Ehegatten nicht Handelsfrau sein, ebenso sind nach der Börse- 
ordnung vom Jahre 1875 weibliche Personen vom Besuche der 
Börse ausgeschlossen. Die erstere Bestimmung erklärt sich durch 
das Abhängigkeits-Verhältnis, in welchem die Frau durch das 
bürgerliche Gesetz zu dem Manne gebracht worden ist. 

Ein Wunsch nach der Aenderung der zweiten ist bis jetzt auch 
nicht von Frauen ausgesprochen worden. 

Auch die Gewerbeordnung vom Jahre 1859, welche 1883 und 
1885 geändert und ergänzt wurde, ist im modernen Geiste inso- 
fern gedacht, als die Frau den gleichen Anspruch wie der Mann, 
aut «Zulassung zur Ausübung von geeigneten Gewerben hat. Es 
würde zu weit führen, alle jene ziemlich einschneidenden Schut^- 
massregeln, welche sowohl die Gewerbeordnung, als auch das 
Kranken- und Unfallversicherungsgesetz für die weibliche Arbeiter- 
schaft in sanitärer und sittlicher Hinsicht vorschreiben, einzeln zu 
^_ , besprechen. Sie sind im wohlwollendsten Sinne gedacht, um jenen 

Fraut'U Hilfe zu bringen, die ihrer am meisten bedürfen, den Fabrik- 
arbeiterinnen. 

( Leider lässt die Durchführung jener Bestimmungen viel zu 

wünschen übrig, wie dies nur zu deutlich gelegentlich der im März 
-und April dieses Jahres in Wien stattgehabten Enquete für Frauen- 
arbeit an den Tag getreten ist. Die Anstellung von weiblichen 
Fabriksinspektoren für die mit weiblichen Arbeitskräften betriebenen 
Industrien wäre gewiss von grösstem Vorteile, um Uebelstände zu 
beseitigen, die vom männlichen Aufsichtsorgane der Natur der Dinge 
nach nicht so leicht bemerkt werden können. Doch der Angel- 
punkt, von welchem aus eine gründliche Verbesserung der Stellung 
und der Lage der Frauen möglich ist, liegt in einer systematischen 



'^ 



— 315 — 

• 

Aenderung jener Bestimmaugen des bürgerlichen Gesetzbuches, 
welche das Weib zum minderwertigen Geschöpfe stempeln und in 
manchen Punkten dem Manne gegenüber in offenkundigen Nachteil 
bringen und seiner Entwicklung zur Selbständigkeit hemmende 
Schranken ziehen. 

Das bürgerliche Gesetzbuch, welches die Rechtsverhältnisse 
der österreichischen Staatsangehörigen regelt, ist im Jahre 1812 
eingeführt worden und daher in mancher Richtung veraltet. 

Beginnen wir mit dem Eherechte, so sind nach § 90 die Ver- 
bindlichkeiten beider Gatten gleiche. Dagegen ist nach § 91 der 
Mann das Haupt der Familie, ihm steht das Recht zu, das Haus- 
wesen zu leiten, es liegt ihm auch die Verbindlichkeit ob, der Ehe- 
gattin nach seinem Vermögen den anständigen Unterhalt zu ver- 
schaffen und sie in allen Fällen zu vertreten. Die Gattin (§ 92) 
erhält dagegen den Namen des Mannes, geniesst die Rechte seines 
Standes. 

Sie ist verbunden, dem Manne in seinen Wohnsitz zu folgen, 
in der Haushaltung und Erwerbung nach Kräften beizustehen und 
soweit es die häusliche Ordnung erfordert, die von ihm getroffenen 
Maassregeln selbst zu befolgen, als befolgen zu machen. 

Diese Bestimmungen sind ans dem alttestamentarischen An- 
schauungskreise, welche in dem Satze: „Er soll Dein Herr sein** 
gipfelt, in das kanonische Recht übergegangen, und von diesem in 
unser bürgerliches Gesetzbuch aufgenommen worden. 

Nicht, dass eine vernünftige, gute Frau dem vernünftigen und 
guten Manne sich nicht gerne unterordnen würde, da er sie ja er- 
hält und für sie zu sorgen verpflichtet i&t. Ein Wille soll und 
muss in einer Häuslichkeit herrschen. Wo das Verhältnis zwischen 
Ehegatten untereinander und zwischen Kindern und Eltern die Form 
einer Familienrepublik angenommen, da geht in den meisten. Fällen 
Liebe und Friede verloren, ja sogar das wirtschaftliche Gedeihen 
eines Hauses kommt in Frage. Leider sind aber nicht alle Männer 
so gut und vernünftig, wie es das Gesetz bedingt, nicht alle er- 
halten ihre Frauen und sorgen für dieselben, nicht alle sind gute 
Hausväter und doch ist die verheiratete Frau dem Eheherrn grund- 
sätzlich untergeordnet. 

Uebt ein eigenwilliger bornierter Mann die Obliegenheiten des 
Familienoberhauptes im Sinne des Gesetzes aus, so kann dies viel 
Schaden bringen. Ist der Hausvater schlecht, etwa arbeitsscheu, 
verschwenderisch oder gar ein Säufer, so gereicht diese im Gesetze 
begründete Oberherrschaft der Frau und den Kindern zum Ver- 
derben. 

Auch der notorische Lump ist gesetzlich der Herr im Hause, 
er ist sich dessen wohl bewusst und zeigts dem Weibe durch ge- 
legentliche Misshandlungen. Er lässt die Frau für sich und die 
Kinder arbeiten, trägt ihr auch wohl ein Stück schwer erworbenen 
Hausrates um das andere ins Leihhaus oder zum Trödler, utii ein 
paar Kreuzer für Branntwein zu ergattern. Die Frau ist machtlos 
und muss schweigen; sie ist ja verheiratet und er Herr in seinem 
Hause. Ein weiterer Nachteil, den die Frau oft bei Eingehung der 
Ehe erleidet, ist der Verlust ihrer Staatsbürgerschaft, ihrer 



— 316 — 

ständigkeit, des bisherigen Gerichtsstandes und der Freizügigkeit, 
indem der Gatte erzwingen kann, dass sie ihm in seinem jeweiligen 
Aufenthalte folge, wenn es ihr auch zum Schaden gereicht. Ins- 
besondere der Verlust der Zuständigkeit ist für die Frauen aus den 
besitzlosen Klassen Wiens oft verhängnisvoll, weil das Heimats- 
reqht vom Jahre 1863 sie im Verheiratung« falle mit einem Fremden 
vom Rechte auf Versorgung durch ihre Heimatsgemeinde ausschliesst. 
Ich will nur ein oft vorkommendes Beispiel geben. Ein in Wien 
geborenes dort zuständiges Mädchen verheiratet sich mit einem in 
einem böhmischen Dorfe heimatberechtigten Mann. Er stirbt, ohne 
Vermögen zu hinterlas'^en. — Die Witwe arbeitet, so lange sie es 
vermag. Endlich erlahmen die fleissigen Hände, sie wird erwerblos, 
vom Hausbesitzer delogiert, meldet sie sich unterstandslos. In Wien 
ist sie nicht heimatberechtigt, sondern in jenem böhmischen Dorfe, 
wo ihr Mann es war. Statt der ruhigen, wenn auch dürftigen 
Verpflegung im Armenhause der Grossstadt wird sie mittels Schub 
nach jenem fernen Dorfe gebracht, in welchem ihr Gatte zuständig 
gewesen, wo sich niemand mehr seiner erinnert, niemand ihre Sprache 
versteht und sie als lästiger Aufdringling von Haus zu Haus ge- 
stossen wird, und wo der Einlegerin die kargen Bissen nur mit 
Widerwillen gereicht werden. 

Ein noch grösseres Unrecht wird aber der Frau des 19. Jahr- 
hunderts in Oesterreich durch die gänzliche Ausschliessung der- 
selben von den eigentlichen elterlichen Rechten angethan. 

Weder bei der Berufswahl, noch bei der Verwaltung des Ver- 
mögens ihrer Kinder, noch bei der Einwilligung zur Eheschliessung, 
auch nicht bei der Adoption steht der Mutter ein bestimmtes Wort 
zu. Immer ist es der Vater, welcher über Wohl und Wehe des 
Kindes entscheidet, wenn die Meinungen über dasselbe zwischen den 
Ehegatten verschieden sind. 

Aus der besonderen, von Dichtern ideal genannten Stellnug 
des Weibes in der Gesellschaft erwächst ihm ebenfalls ein empfind- 
licher Nachteil . durch den Mangel einer Bestimmung über eine 
Schadlosbaltung von selten des Bräutigams bei unverschuldetem Auf- 
heben eines Eheversprechens. Nach § 46 bleibt dem Teile, welcher 
keine gegründete Ursache zur Auflösung gegeben hat, nur der An- 
spruch auf den wirklichen Schaden, den er beweisen kann, wenn 
z. B. Anschaö^ungen für den künftigen Hausstand gemacht worden 
sind. Wenn die Braut zurücktritt, verliert der Mann weder an 
Achtung, noch an Wertschätzung der weiblichen Welt etwas. 

Die entlobte Braut dagegen erleidet einen Schaden, der nur 
durch den idealen Wert des Weibes erklärt werden kann, sich aber 
nicht rechnungsmässig nachweisen lässt. Sie steht nicht mehr so 
hoch, wie vor der Verlobung, sie ist oftmals das Objekt von Ver- 
leumdungen männlicher oder weiblicher Klatschbasen — manchmal 
ist auch das ganze Leben eines anständigen, braven Mädchens damit 
zerstört. . AU' das ist kein Schaden im Sinne des Gesetzes, aber eine 
bittere Kränkung, die Genugthuung fordert. 

Ihre Einbusse an sozialem Wert ist nach der Ansicht der Ge- 
setzgeber nicht ein wirklicher berechenbarer Schade, daher entfällt jede 
Vergütung. Das österreichische Gesetz stellt sich in dieser Be- 



^. _ . .. 



— 317 — 

Stimmung ganz auf den Standpunkt des verknöcherten römischen 
Rechtes, dessen Grundlage und einzig maassgebender Gesichtspunkt 
stets nur der Geldsack ist, und welcher ausser dem finanziellen 
Interesse keinem anderen Ansprüche Berechtigung zugesteht. 

Auf das eheliche Güterrecht übergehend, ist bei diesem die 
Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau durchgeführt. Doch 
auch liier finden wir einige „rechtliche Vermutungen", die der Frau 
empfindlichen Schaden bringen können. So wird nach § 1237 in 
zweifelhaften Fällen bei Trennung der Ehe, Feststellung des Eigen- 
tumsrechtes zwischen den Ehegatten oder auch nach Ableben des 
Gatten vermutet, dass der Erwerb vom Manne herrühre. 

Ferner wird nach § 1238, so lange die Gattin nicht wider- 
sprochen hat, vermutet, dass sie dem Manne die Verwaltung ihres 
freien Vermögens anvertraut hat. Wenn also im ersten Falle bei 
Trennung der Ehe oder bei der Verlassabhandlung nach dem Tode 
des Gatten die Frau oder Witwe ihr Eigentumsrecht an einer Sache 
behauptet aber nicht beweisen kann, so tritt die gesetzliche Ver- 
mutung ein, dass der Gatte sie erworben habe, weil er die wirt- 
schaftlichen Lasten der Familie zu tragen habe. Oder es tritt der 
Fall ein, dass der Mann gepfändet wird, die Frau kann die Auf- 
hebung der Exekution als Eigentümerin unter Nachweis ihres Eigen- 
tumsrechtes verlangen. Die Vermuthung des § 1237 bringt aber 
für sie die unangenehme Konsequenz den strikten Beweis ihres 
Eigentumsrechtes durchführen zu müssen, somit auch derjenigen 
Pfandobjekte, welche sie selbst erworben hat. 

Wie schwer kann nun eine Frau beweisen, dass sie ein be- 
stimmtes Stück Hausrat vom selbsterworbenen Gelde gekauft hatl 
Ist sie nun nicht imstande den Beweis zu führen, so tritt die recht- 
liche Vermutung ein, dass das Pfandobjekt Eigentum des Mannes 
sei. Auch die zweite gesetzliche Vermutung ist der Ehegattin von 
Nachteil. Wie oft und nicht allein in den unteren Ständen kommt 
es vor, dass der Ehemann, ohne viel zu fragen — der gesetzliche 
Ausdruck hierfür ist: „Im gegenseitigen Einverständnisse" — das 
Vermögen seiner Frau an sich nimmt und damit nach seinem Be- 
lieben schaltet und waltet. Will nun die Gattin einen Teil ihres 
Einkommens zu einem bestimmten Zwecke in Anspruch nehmen, 
vielleicht nur um dem Gemahl ein Geburtstagsgeschenk zu machen, 
so ist sie gezwungen, den Ersteren um Geld zu ersuchen und ihm 
Rechenschaft über die zu machenden Auslagen zu geben. Ist der 
Mann unbillig, so kommt es vor, dass er der Frau aus ihrem 
eigenen Einkommen nicht genug Mittel zur Führung des Hauswesens 
giebt; sie schweigt des lieben Friedens willen, so lange als es 
möglich ist. G^ht einmal eine Ehefrau zum oifenen Widerspruche 
vor dem zuständigen Richter über, dann ist das eheliche Leben schon 
ein zerstörtes. 

§ 1239 bestimmt, dass der Ehegatte, im Falle er das Vermögen 
seiner Frau verwaltet, nur für das Stammgut oder Kapital haftet; 
über die Nutzungen, die er während der Verwaltung bezogen, hat 
er keine Rechnung zu legen. 

Wie aber erhält die Frau ihr Vermögen zurück, wenn der 
Mann mit dem Kapital unglücklich arbeitet, Börsenspekulationen 



} 



1 

i — 318 — 

I 

;j 

j oder Handelsgeschäfte treibt, Häuser baut oder verkauft und aut 

! diese Weise es verliert? Freilich kann in dringenden Fällen nach 

j § 1241 dem Ehemanne die Verwaltung des Vermögens abgenommen 

werden, wenn die G-efahr eines Nachteiles eintritt. 

Aber wer nimmt diese Gefahr wahr, wenn der Mann allein 

mit dem G-elde manipuliert und der Frau jede Einsicht in die Ver- 

j waltung verwehrt? Das sind Fälle, wie sie alltäglich vorkommen 

und nur darin ihren Ursprung haben, dass das Gesetz nicht klar 
1 und bündig sagt: „Der Ehegatte kann nur in stetem Einvernehmen 

mit seiner Gattin deren freies Vermögen verwalten, er darf nicht 
ein Geldgeschäft damit machen, ohne dass nicht die Frau ihre 
,1 schriftliche Einwilligang dazu gegeben hat'*. 

ii Diese selbständige Vermögensverwaltung des Mannes hört auf^ 

i wenn derselbe Konkurs eröffnet oder stirbt. Dann muss nach 

j § 1260 die Frau plötzlich ein Verständnis für die Geschäfte be- 

sitzen. Im ersteren Falle hat sie um ihr Heiratsgut zu reklamieren, 
ihr anderweitiges Vermögen zu exzindieren, d. h. aus der Masse 
^auszuscheiden; ist kein Heirat'^gut mehr vorhanden, so muss sie 
I eine Sicherstellung verlangen und bei all' dem noch beweisen, dass 

I nicht ihre Verschwendungssucht, ihr Putz an dem Verfalle der 

il Vermögensumstände ihres Mannes Schuld trägt. Viel verlangt von 

* «iner Frau, die in allem und jedem bis zu dieser Zeit auf die 

!; höhere Einsicht des pater familias, ihres Gatten, angewiesen war 

1 und im Glauben an dieselbe, im Befolgen des Grundsatzes: „Er soll 

!■ dein Herr sein" bitter getäuscht und arg geschädigt worden ist. 

:i Eine der unvernünftigsten und für die Frauen härtesten Be- 

■ Stimmungen im derzeitig bestehenden Eherechte betrifft die Auf- 

I lösung oder Trennung der Ehe. § 142 lautet: „Wenn die Ehe- 

!; gatten geschieden oder gänzlich getrennt werden und nicht einig- 

!' sind, von welchem Teile die Erziehung besorgt werden soll, hat das 

i Gericht ohne Gestattung eines Rechtsstreites dafür zu sorgen, dass 

die Kinder des männlichen Geschlechtes bis zum zurückgelegten 
vierten, die des weiblichen bis zum zurückgelegten siebenten Jahre 
von der Mutter gepflegt und erzogen werden, wenn nicht erhebliche, 
vorzüglich aus der Ursache der Scheidung oder Trennung her- 
vorleuchtende Gründe eine andere Anordnung fordern. Die Kosten 
der Erziehung müssen von dem Vater getragen werden." Das 
leitende Prinzip, bei Aufstellung dieser Bestimmung ist, dass die 
Kinder dem Vater gehören, nicht der Mutter, welch' letzterer sie 
nur bis zu den genannten Altersgrenzen zum Aufziehen belassen 
werden. 

Wenn wir in Erwägung ziehen, welch' schweres Loos eine 
Frau zu tragen hat, welche katholisch verheiratet und von ihrem 
Manne geschieden worden ist, deren ganzes Lebensglück damit ver- 
nichtet ist, da sie keine gültige Ehe mehr eingehen kann und 
welcher endlich ihr Kind nach Jahren liebevollster Pflege vom 
Herzen gerissen wird, so müssen wir gestehen, dass diese Gesetzes- 
bestimmung ein grosses Unrecht gegen die Frau bildet, welches 
oft unheilvolle Konsequenzen mit sich bringt. 

Ich kenne geschiedene Frauen, die mit ihrem Kinde heimatlos 
von Ort zu Ort flüchten, weil sie dem Arme des Gesetzes zu ent- 



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— 319 — 

gehen suchen, welcher nach ihrem Liebling langt, um ihn dem 
Vater zu übergeben. 

Wohl nimmt das Gesetz den Fall aus, dass erhebliche, aus 
Grund der Scheidung hervorleuchtende Gründe eine andere An- 
ordnung fordern. Doch wie mannigfialtig vielgestaltig sind die 
Ehescheidungsgründe und wie schwer ist es, einem Vater nach- 
zuweisen, dass er nicht geeignet sei, sein Kind zu erziehen. Welche 
Verantwortung bürdet sich der Richter auf, wenn er gegen den 
Buchstaben des Gesetzes nach einfachem Gebote der Menschlichkeit 
der Mutter das Kind zuspricht und auf den Vater dadurch einen 
Makel wirft. 

So wird in zweifelhaften Fällen nach § 142 entschieden, der 
Mutter da^ Kind abgenommen, dem Vater zugeführt und der ge- 
schiedenen Gattin bleibt keine Lebensfreude, kein Lebensziel, ihre 
Thränen gelten nichts gegenüber dem einseitigen unbegründeten Vor- 
rechte des Mannes, welcher, nachdem sein Wille erfüllt ist, sich oft 
wenig mehr um das arme Kind kümmert, seine Einziehung fremden 
Leuten überlässt. 

Die geschiedene eheliche Frau ist hierdurch in Nachteil gegen 
die uneheliche Mutter gebracht, welche ihr Kind immer bei sich 
behalten darf. 

Vollständig im Geiste des römischen Hechtes, das heisst ohne 
Berücksichtigung der Fortschritte, welche die geistige Entwickelung 
der Frau seit Beginn unserer Zeitrechnung gemacht hat, sind die 
Bestimmungen über die Führung von Vormundschaften. Die ünter- 
schätzung der Intelligenz der Frau tritt nur zu deutlich hervor, 
am deutlichsten dort, wo bestimmt wird, da*<s der väterliche Gross- 
vater vor der Mutter auf das Recht der Vormundschaft Anspruch 
hat und die Mutter allein eine solche nicht zu führen imstande 
sei. Dennoch wird ihr die Person des Kindes zur Erziehung und 
(Jbsorge überlassen. Hier zeigt sich aber die Ohnmacht des ge- 
schriebenen Rechtes gegenüber dem wirklichen Leben. Denn was 
leistet der Mitvormund? Da er mit der verwaisten Familie meist 
nicht im gemeinschaftlichen Haushalte lebt, muss er sich in allem 
und jedem nach den Auskünften richten, welche ihm die VormUnderin 
giebt. Seine Thätigkeit beschränkt sich in den meisten Fällen auf 
die Unterzeichnung amtlicher Eingaben. Die Mutter aber leitet die 
Erziehung ihrer Kinder. 

Wir Frauenspersonen können ruhig behaupten, dass es heute 
eine Ausnahme und nicht Regel ist, wenn ein weibliches Geschöpf 
nicht die nötigen Kenntnisse zur Führung einer Vormundschaft be- 
sitzt, und für solche Ausnahmen allein wäre gesetzliche Vorsorge 
zu treffen. Viel vernünftiger und praktischer wäre es, Frauen die 
Vormundschaft über Kinder weiblichen Geschlechtes auch dann zu- 
gänglich zu machen, wenn sie zu den Kindern nicht im mütterlichen 
Verhältnis stehen. Es ist ohnehin sehr oft schwer, Vormünder zu 
finden und zur Uebernahme des ihnen lästigen Amtes zu bewegen. 

Dem römischen Rechte verdanken die Frauen auch die Aus- 
schliessung von der Zeugenschaft bei letztwilligen Erklärungen. 
Hören wir § 591. „Die Mitglieder eines geistlichen Ordens, Jüng- 
linge unter 18 Jahren, Frauenspersonen, Sinnlose, Blinde, Taube 



— 320 — 

und Stumme, dann diejenigen, welche die Sprache des Erblassers 
nicht verstehen, können hei letzten Anordnungen nicht Zeuge sein". 

Hier ist die Keheneinanderstellung von Frauenspersonen mit 
Sinnlosen und Jünglingen unter 18 Jahren nahezu entwürdigend. 
Doch ich will nicht hierbei verweilen, auch nicht darlegen, wie 
schwer es manchmal möglich ist, männliche Testamentszeugen in 
den letzten Lebensstunden eines Kranken herbei zu holen. 

Das grösste Unrecht im österreichischen Erbrecht, gänzlich 
fussend auf dem römischen Recht, ist das sogenannte Erbrecht des 
überlebenden Ehegatten. 

Nach § 757 gebührt dem überlebenden Ehegatten des Erblassers 
ohne Unterschied, ob er ein eigenes Vermögen besitze oder nicht, 
wofern drei oder mehrere Kinder vorhanden sind, mit jedem Kinde 
ein gleicher Erbteil; wenn aber weniger als drei Kinder vorhanden 
sind, der vierte Teil der Verlassenschaft zum lebenslangen Genüsse, 
das Eigentum daran bleibt den Kindern. 

§ 758 bestimmt: „Ist kein Kind, aber ein anderer gesetzlicher 
Erbe vorhanden, so erhält der überlebende Ehegatte das unbe- 
schränkte Eigentum auf den vierten Teil der Verlassenschaft, aber 
erst, wenn kein berufener Erbe da ist, fällt dem Ehegatten die 
ganze Erbschaft zu." 

Unter diesem Gesetze haben am meisten die Frauen zu leiden, 
denn der Mann, welcher in der Regel wirtschaftlich selbständig ist, 
wird von dieser unvernünftigen Bestimmung nicht mit voller Härte 
getroffen. 

Nachdem das österreichische Erbrecht sechs Erbklassen aufstellt, 
somit das gesetzliche Erbrecht sogar auf Verwandte übergeht, 
welche ihren Zusammenhang mit dem Erblasser bis auf das vorige 
Jahrhundert zurückführen, wird der Fall sehr selten vorkommen, 
dass nennenswerte Erbschaften ganz der Witwe zufallen. 

Durch dieselbe gestaltet sich das Schicksal mancher Witwe zu 
einer wahren Tragödie, wenn der Gatte plötzlich gestorben und 
nicht m^hr Gelegenheit gefunden hat, ein Testament zu ihren Gunsten 
zu machen. 

Sie muss in solchen Fällen in ihren alten Tagen die Stätte 
langjährigen Wirkens verlassen oder das Gnadenbrot bei ihren 
Kindern essen, denn selten reicht der der Witwe überlassene Ver- 
mögensanteil hin, ihr ein sorgenfreies Dasein zu sichern. Nur ein 
Gebot der Billigkeit wäre es, der Frau aus dem durch Fleiss mit- 
erworbenen, durch Sparsamkeit erhaltenen Erb-Kapitale eine aus- 
reichende Rente gesetzlich . zu sichern. Eine Milderung dieser Härte 
finden wir im § 796, nach welchem dem Ehegatten der mangelnde 
anständige Unterhalt aus der Nachlassenschaft gebührt. Das setzt 
aber schon eine wirkliche Notlage voraus. 

Gehen wir nun zum Prozessrechte über, so finden wir eine 
wohlthuende Gleichstellung der beiden Geschlechter, sobald es sich 
um eigene Sachen handelt. Die Frau kann z. B. einen Zivilprozess 
führen, doch kann sie Niemanden vertreten mit Ausnahme ihres 
Ehegatten, und auch da nur, wenn es sich um eine Bagatellsache 
bandelt, einen Streit, dessen Gegenstand den Wert von 50 Gulden 
nicht übersteigt. Ausgeschlossen ist sie ferner von der Funktion 



— 321 — 

als Sachverständige, was manchmal die Amtshandlung für den 
Richter sehr schwierig gestaltet. Denn es giebt Brwerbszweige, 
welche ausschliesslich von Frauen geführt werden, und die nur 
Frauen verstehen. Ich nenne hier nur die Feinputzerei oder das 
Modistenge werbe. Kann ein Mann als Sachverständiger den Wunder- 
bau eines modernen Damenhutes beurteilen und würdigen? Auch 
die Gewerbeordnung setzt sich hier mit dem bürgerlichen Gesetz- 
buche in Widerspruch, denn nach ihr können eine grosse Anzahl 
von Gewerben von einer Frau selbständig betrieben werden, ohne 
vom Gerichte als Sachverständige in ihrem Fache berufen werden 
zu dürfen. 

Also zur Führung und Leitung eines Gewerbebetriebes ist die 
Frau nach dem Gewerbegesetze befähigt, im selben Gewerbe aber 
ein Gutachten als Sachverständige abzugeben, ist sie uach dem Ge- 
setze nicht befähigt. Dergleichen Widersprüche sind nur dann 
möglich, wenn die rechtliche Entwickelung eines Volkes mit der 
kulturellen nicht Schritt hält. 

Ich habe nun versucht, die Rechtstellung der Frauen in Oester- 
reich bei verschiedenen Wechselfällen des Lebens zu schildern und 
darzuthun, wie das dermalen geltende Gesetz den offenkundigen 
Verhältnissen insbesondere mit Rücksicht auf die Frau minder 
entspricht. 

Zum Schlüsse müssen wir aber auch unser Augenmerk auf die 
judizielle Behandlung derjenigen weiblichen Wesen richten, welche 
vom normalen Wege abgewichen, und von Kindersegen begleitete 
uneheliche Verbindungen eingegangen sind. Nirgends tritt das 
Ungenügende des formellen Rechtes, die wenige Rücksicht auf die 
Lebensführung der besitzlosen Klassen und die einseitige Anwendung 
des toten Buchstabens in der richterlichen Praxis so schadenbringend 
hervor wie hier. 

Das bürgerliche Gesetzbuch, welches in so vielen Fällen, dem 
Manne schwer wiegende Vorrechte einräumt, stellt eben hier, wo 
dies nicht am Platze und für die Frau nicht günstig ist. Mann und 
Weib vollständig gleich. 

Haben sich der Bub und die Dirn miteinander vergangen, so 
tragen beide die gleiche Schuld und das Rechtsverhältnis zwischen 
beiden vrird, wenn ein Kind dem Geschehnisse entsprungen ist, im 
Sinne dieser Anschauung geregelt. 

Wenn aber dem nicht behüteten Mädchen gleiche Schuld und 
Verantwortung von Gesetzeswegen wie dem Manne aufgebürdet wird, 
dann muss auch dessen Ehre unter ausreichendem strafgesetzlichen 
Schutze stehen. Dies ist nun nicht der Fall. 

Nach § 128 des Strafgesetzes wird die Entehrung eines jungen 
Mädchens unter 14 Jahren mit 5 bis lOjährigem schweren Kerker 
bestraft. 

Hier ist die Altersgrenze zu niedrig gesteckt, denn ein Mädchen 
unserer Volksrasse, das in unserem Klima lebt, ist bei vollendetem 
14. Lebensjahre in dei- Regel weder physisch reif, noch ist es im- 
stande die Tragweite seines Thuns zu ermessen. 

Dennoch wird dem kaum den Kinderschuhen entwachsenen 
Mädchen, begeht es einen Fehltritt, die gleiche Verantwo 

2; 



— 322 — 

dem Manne auf<?ebiirdet, und es muss alle Folgen einer Handlnng' 
tragen, die es im Unverstände, verlockt durch noch nie g'ehörte 
Liebesworte, begangen hat. Diese Konsequenzen sind aber für das- 
selbe schwerwiegende. Dennoch werden sie vom Gesetze in keiner 
Weise berücksichtigt. Das G-esetz ignorirt, dass die Gefallene während 
der Zeit der Kindeserwartung eine bedeutende Herabminderung, oft 
sogar eine vollständige Aufhebung ihrer Erwerbsfähigkeit erleidet, 
und dass eine Entbindung immer mit der Gefahr des Todes, lang 
andauernder oder chronischer Folgekrankheiten verbunden ist. 
Während der Zeit vor der Entbindung ist der an dem Ereignisse 
ebenso schuldtragende Mann nicht verpflichtet, das wenn auch mit- 
schuldige Opfer seiner sträflichen Handlung zu unterstützen, 
nicht verpflichtet, seine Ehre durch Heirat wieder herzustellen, oder 
ihm eine Entschädigung für dieselbe zu leisten. Das mittellose ge- 
fallene Mädchen verbringt die Zeit der Erwartung eines Kindes im 
niederdrückenden Gefühle der Scham über ihr Vergehen und ist zu 
alledem den bitteren Vorwürfen oder gar dem Spotte ihrer Um- 
gebung ausgesetzt. In was besteht nun die Pflicht des Mannes 
gegenüber der Schuldgenossin? Was hat er in dieser Angelegenheit 
zu füi'chten, was zu ertragen? Thränenreiche Szenen oder heftige 
Vorwürfe der Verführten, weiter nichts. Nach dem Strafgesetze ist 
seine Handlung nur dann mit 3 Monaten Arrest strafbar, wenn er 
das Mädchen unter Zusage der Ehe verführt hat, und nur dann 
hat es auf Entschädigung Anspruch bei der Entbindung. 

Aufgabe des Gesetzes wäre es, hier ausgleichend zu wirken 
und dem Manne die Pflicht aufzuerlegen, die Verführte während 
der Zeit der Kindeserwartung zu unterstützen. Vergebens suchen 
wir aber nach einer dahinzielenden gesetzlichen Bestimmung. Erst 
vom Tage der Geburt eines Kindes an beginnt die Pflicht des un- 
ehelichen Vaters, dasselbe zu erhalten. § 167 des bürgerlichen 
Gesetzbuches bestimmt: „Zur Verpflegung ist vorzüglich der Vater 
verbunden, wenn aber dieser nicht imstande ist, das Kind zu ver- 
pflegen, so fällt diese Verbindlichkeit auf die Mutter". 

Dem Kinde wird ein Vormund von Gerichtswegen bestellt; die 
uneheliche Mutter ist von der Vormundschaft ausgeschlossen. Die 
Person des Kindes bleibt aber nach § 168 vorzüglich der Mutter 
zur Erziehung überlassen und darf ihr dasselbe vom Vater nur 
dann entzogen werden, wenn nach § 169 das Wohl des Kindes 
durch die mütterliche Erziehung Gefahr läuft. Diese Bestimmungen 
des bürgerlichen Gesetzbuches sind nur auf den Schutz des Kindes 
bedacht, nicht auf den der armen Mutter. 

In erster Reihe hat der Vater die Verpflegungskosten desselben 
zu tragen, dann die Mutter, so bestimmt das geschriebene Recht. 
Im wirklichen Leben aber sorgt in erster Linie die Mutter für ihr 
Kind, getrieben von dem mächtigen Gefühle der Mutterliebe, mit 
dem das Gesetz nicht gerechnet hat. Denn das nur einigermaassen 
gut geartete Weib wird den Sprössling des auch nicht mehr ge- 
liebten , vielmehr gehassten Verführers doch mit aufopfernder 
Zärtlichkeit umfangen, ihn warten, pflegen, nicht von sich lassen 
wollen, und alles um seinetwillen dahingehen. Eine Liebe des 
Vaters zum Kinde wird überhaupt nur dann vorhanden sein, wenn 



— 323 — 

die beiden Eltern zusammen leben und eine Zuneigung des Vaters 
durch die Wahrnehmung der geistigen und körperlichen Entwickelung 
-entsteht. 

Ist dies nicht der Fall und soll der Vater fiir ein Kind, dem 
'Cr kaum einen Blick gegönnt hat, Verpflegskosten zahlen, so wird 
ihm ein solches Geldopfer unbequem, er trachtet, sich seiner Pflicht 
zu entziehen. Auf diese Weise fällt nun auch die Last der Ver- 
pflegskosten auf das vielgeplagte Weib. Es muss nach den ersten 
Erholungstagen seinem Erwerbe nachgehen, sei es als Dienstmädchen 
oder Arbeiterin. Im ersten Falle giebt es das Kind in Pflege. Um 
die Kosten zu bestreiten, darbt es sich Brod und Nachtmahlgeld vom 
Munde ab, im anderen Falle aber wird es keine Mehrarbeit scheuen 
und durch Anstrengungen und Entbehrungen aller Art seinen ge- 
schwächten Körper noch mehr herabbringen — nur um das Kind 
versorgen zu können. 

Wie gross steht hier das Mädchen aus dem Volke der Ge- 
fallenen aus den sogenannten höheren Ständen gegenüber, welche die 
Frucht einer verbotenen Liebe verleugnete, sich nicht mehr um sie 
kümmerte, und genug zu thun wähnt, wenn sie die Kosten für den 
Lebensunterhalt desselben trägt. 

So ist denn in den meist vorkommenden Fällen die uneheliche 
Mutter diejenige, welche alle Lasten aus dem durch die Schuld 
beider Teile hervorgerufenen Kinde zu tragen hat. Freilich bietet 
das Gesetz der Mutter des Kindes durch die Bestimmung, dass der 
Vater die Verpflegskosten zu zahlen habe, eine Handhabe ihn zur 
Leistung zu zwingen. 

Ist der Vater in gesicherter Stellung, ist sein Vermögen offen- 
kundig, dann wird allerdings die Situation der unehelichen Mutter 
^ine sehr günstige sein. Diese Fälle gehören aber zu den Aus- 
nahmen. Bleiben wir beim Normalfall. Betrachten wir, wie sich 
das Verhältnis in der breiten Schichte der Bevölkerung gestaltet, so 
sehen wir, dass meist die Stellung und das Einkommen des unehe- 
lichen Vaters labile sind. Der Geschäftsdiener, der Fabrikarbeiter, 
der Bauernknecht, der Handwerker, sie leben in unserer Zeit von 
heute auf morgen. Dass es bei unseren prozessualen Einrichtungen 
nicht möglich ist, zwischen diesem heut und morgen mit der Zwangs- 
vollstreckung einzugreifen, dass heutzutage eine Exekution gegen die 
besitzlosen Klassen überhaupt zu jenen Dingen gehört, von welchen 
wir nur aus der Theorie wissen, ist eine Thatsache, welche jeder 
praktische Jurist ohne Weiteres bestätigen wird. 

Bei den labilen wirtschaftlichen Verhältnissen jener Bevölkerungs- 
klassen, in welchen der Fall der unehelichen Vaterschaft sich zu- 
meist ereignet, wird daher die Zwangsvollstreckung immer nach- 
hinken und der uneheliche Vater stets- Zeit genug haben, durch 
Veränderung seines Postens, Verlassen seines Wohnortes und der- 
gleichen jeden Versuch einer zwangsweisen Abnahme seines Geldes 
illusorisch zu machen. Viel trägt dazu auch das Verhalten der 
Dienstgeber bei, welche mit dem Gerichte keine Schererei haben 
wollen und es vorziehen einen Arbeiter oder Bedienten zu entlassen, 
bezüglich dessen ihnen ein gerichtlicher Auftrag wegen Lohnsperre 
zukommt. 

21* 



— 324 — 

Da unser gegenwärtiges Gesetz eine Sicherstellung zukünftiger 
Alimente nicht gewährt, kann der böswillige oder leichtfertige 
Vater, wenn er ein Vermögen besitzt, dasselbe vergeuden und ver- 
jubeln, ohne dass es der abgehärmten Mutter seines Kindes möglich 
wäre, die ünterhaltskosten auch nur für den nächsten Monat sicher 
zu stellen. 

In dieseiA Gefühle der Unangreifbarkeit kommt nun der un- 
eheliche Vater zu Gericht. Mit frechem Cynismus und hohnvoller 
Ruhe erklärt er dem ihn zur Erfüllung seiner menschlichen 
Pflichten mahnenden Richter, dass er nicht geneigt sei, auch den 
unbedeutendsten Betrag herzugeben, da er alles für sich selbst 
brauche. Die Drohung mit den bevorstehenden Exekutionsschritten 
lässt ihn vollständig kalt, denn er weiss, dass sie nichts bedeutet» 
Mit leerer Hand und un verrichteter Dinge muss die arme Mutter 
das Haus verlassen, von welchem sie glaubte, dass sie darin ihr 
Recht finden müsse und sie geht mit dem Bewasstsein fort, dass^ 
der Wille des Staates nicht mächtig genug ist, dem Gesetze 
Geltung zu verschaffen gegenüber dem bösen Eigenwillen des 
Einzelnen. 

Wenn nun die verlassene Mutter, die nirgends Recht und 
Schutz findet, mit ihrem Kinde ins Wasser geht oder dasselbe vor 
fremde Hausthüren legt, dann werden wir sehen, wie der Herr 
Staatsanwalt mit bitter ernster Miene sich vor den Geschwornen 
erhebt und die volle Strenge des Gesetzes über die Unglückliche 
herabruft, welche das von Gott gegebene Leben freventlich ver- 
nichtet, oder der Gefährdung ausgesetzt hat. Und die zwölf 
Richter aus dem Volke werden ihr „Schuldig" sprechen und das arme 
zitternde Weib hinabstossen in die verächtliche Menge der Ehr- 
losen. Derjenige aber, der das arme Kind gemordet hat, der e» 
hungern und darben Hess und es mit seiner Mutter verkommen 
liess bis zur grässlichsten Verzweiflung — er bat nur ein Zivil- 
Unrecht begangen. Hat er was, so nimmt man ihm was, hat er 
nichts, oder will er nichts geben, nun dann ist's auch gut. Schau 
wie du d'raus kommst, leichtsinnige Dirne! — 

Schreit dies nicht nach dem Staatsanwalt? Sind also wirklichi 
beide Geschlechter gleichgestellt, ist Licht und Schatten in 
finanzieller Richtung gleich verteilt?! 

Ebenso unzureichend wie die finanziellen Interessen der Mutter 
thatsächlich geschützt sind, ebenso unzureichend ist der Schutz der 
Mädchenehre bei der besitzlosen Bevölkerungsklasse. 

Ein Beispiel hierfür ist § 504 des Strafgesetzes. Er lautet: 
„Ein Hausgenosse, welcher eine minderjährige Tochter oder eine 
zur Haushaltung gehörige Anverwandte des Hausvaters oder der 
Hausfrau entehrt, soll für diese Uebertretung nach Unterschied 
seines Verhältnisses zu der Familie mit strengem Arrest von 
1 — 3 Monaten bestraft werden. Also nur die Verführung der 
Tochter und der Anverwandten des Hausherrn und der Hausfrau 
ist strafbar, der im Hause dienende weibliche Dienstbote ist den 
verliebten Launen des Hausvaters, des Haussohnes oder Knechte» 
vollständig preisgegeben. Dagegen lautet § 505. „Gleiche Be- 
strafung ist zu verhängen, wenn eine in einer Familie dienende 



— 326 — 

Frauensperson einen minderjährigen Sohn der Anverwandten verführt. " 
Durch diese einseitige nur im Geiste der besitzenden Klasse getroffene 
Bestimmung ist dem Hausvater das Mittel an die Hand gegeben, eine 
unbequeme Geliebte des Haussohnes aus dem Dienste zu jagen, ja 
sie als Verführerin strafen zu lassen, wenn der Sohn so nieder- 
trächtig ist, sich als das Opfer derselben zu bezeichnen. Wo bleibt 
hier nun der Schutz der armen dienenden Magd? Man kann aus 
iUesen Bestimmungen nicht das Streben erkennen, die Sittlichkeit in 
der Familie zu wahren, sondern einzig und allein die Tendenz, die 
herrschende Klasse in jeder Weise zu schützen. 

Auch im § 506: Entehrung unter Zusage der Ehe steht die 
Klassifikation dieses Straffalles als XJebertretung mit dem Strafsatze 
von drei Monaten nicht im Verhältnis zur Schuld des Verführers, 
welcher ein unbescholtenes Mädchen unter der Zusage der Ehe 
moralisch entwertet und ihr ganzes Leben dadurch verwüstet hat. 
Wer aber diesem selben Mädchen eine Geldbörse mit 26 Gulden 
stiehlt, der wird mit Kerker von sechs Monaten bis zu einem Jahre 
bestraft. Man sollte glauben, dass die Unschuld und das ganze 
Icünftige Leben eines jungen Mädchens mehr wert sei als 26 Gulden, 
und doch wird der Diebstahl einer solch^ unbedeutenden Geldsumme 
schwerer bestraft, als der Raub der Ehre. Solche Zustände schreien 
nach Verbesserung der einschlägigen Gesetze. Sie müssen vor allem 
darin bestehen, dass: 

1. Der Schutz, welchen das Strafgesetz einem jungen Mädchen 
bis zum 14. Lebensjahre angedeihen lässt, bis zur Vollendung 
des 16. Jahres desselben verlängert werde. Erst von dieser 
Zeit an kann angenommen werden, dass ein weibliches Ge- 
schöpf sich der Tragweite seiner Handlungen bewusst werde. 
Das deutsche Reichsstrafgesetz hält zwar auch an der Alters- 
grenze von 14 Jahren fest, doch ist im § 182 ein weiterer 
Schutz dadurch geboten, dass eine Bestimmung Aufnahme ge- 
funden hat, welche die Verführung eiaes unbescholtenen jungen 
Mädchens mit Gefängnis bis zu einem Jahre straft. Wenn 
wir bedenken, dass der Richter in den meisten Fällen die 
Erwerbsfähigkeit eines weiblichen Geschöpfes ebenfalls mit 
dem vollendeten 14. Lebensjahre voraussetzt, so kommen wir 
zur Frage: „Wie ist diese Annahme mit dem Reichsvolks- 
.schulgesetze in üebereinstimmung zu bringen, welches die 
Schulpflicht, sowohl des weiblichen als männlichen Kindes bis 
zum vollendeten 14. Lebensjahre festsetzt. Also das eben 
aus der Schule entlassene Mädchen soll schon erwerbsfähig und 
für die Folgen einer an ihr verübten straf baren Handlung verr 
antwortlich sein? Hier bitten wir Frauen im Interesse der 
Menschlichkeit dringend um eine Remedur. 

2. Wäre eine Strafgesetzbestimmung zum Schutze der weiblichen 
Dienstboten zu treffen, damit auch deren Ehre nicht den ver- 
liebten Launen eines männlichen Hausgenossen preisgegeben ist. 

3. Wäre weiters eine Gesetzesbestimmung anzustreben, welche 
dem gefallenen Mädchen, welches nicht unter «ZusajEe ^ 
Ehe" verfuhrt wurde, einen Anspruch auf 

beiträg vom 5. Monate der Kindeserwartti] 



- 326 — 

unbedingten Anspruch auf teilweise Vergütung der Wochen- 
bett- und Entbindungskosten einräumen sollte. Ebenso müsste 
eine Entschädigung für den infolge der Entbindung eingetretenen 
Fall eines langandauernden Leidens festgesetzt werden. 
4. Wäre eine weitere Gesetzesbestimmung folgenden Inhaltes zu 
erwirken: „Wer einer ihm gesetzlich obliegenden Alimentations- 
verpflichtung aas seinem Verschulden nicht nachkommt, wird 
mit Gefängnis bis zu 6 Monaten bestraft. Hiermit worden 
getroffen : 

1. Uneheliche Väter, die ihre Verpflichtung nicht erfüllen 
wollen. Hierher gehören auch die Haussöhne, welche bei 
den Eltern in voller Behaglichkeit manchmal in Saus und 
Braus leben, aber „nichts" besitzen, angeblich als Gehilfen 
im Gewerbe ihrer Eltern angestellt sind, wenn Geldan- 
sprüche für einen nicht willkommenen unehelichen Sprossen 
an sie gestellt werden. 

2. Würden hiemit auch eheliche Väter getroffen, welche sich 
von dem Ertrage der Arbeit des Weibes erhalten lassen» 

3. Auch solche, welche ihre Familie verlassen, um mit einer 
Maitresse zu leben, und Frau und Kinder auf die Strasse 
stossen. 

Mit diesen Bestimmungen müsste aber auch eine behördliche 
Einschränkung des Beisammenlebens insbesondere sehr junger Lieute 
erfolgen. Denn das Hinwegsehen über diese ungeregelten, jetzt 
überhandnehmenden Verhältnisse rächt sich empfindlich an der Frau 
und am Volke selbst. An ersterer, weil mit der minderen Hoch- 
haltung der Frauenehre auch die Wertschätzung des Weibes schwindet, 
und am Volke, weil dergleichen lockere leichtsinnige eingegangene 
Verbindungen zwischen oft körperlich nicht einmal reifen jungen 
Leuten, ihre Gesundheit und die ihrer Nachkommenschaft untergräbt, 
und die Rasse zur Degeneration bringt. Aber auch die wirtschaft- 
liche Lage der Frau als Arbeiterin wird durch solche sogenannte 
„wilde Ehen" in erheblichem Maasse verschlechtert. 

Denn die Unternehmer, welche sich bei Heranziehung ihrer 
Arbeiter leider nicht von ethischen, sondern meist von finanziellen 
Motiven leiten lassen und daher nach billigen Arbeitskräften suchen,, 
wählen mit Vorliebe Arbeiterinnen, die im Konkubinate leben. 
Solchen bieten sie wahre Hungerlöhne, im Hinblick darauf, dass 
nicht der Tagelohn allein ihr Einkommen bildet. Dadurch werden 
die Arbeitslöhne für die Frauen im allgemeinen herabgedrückt und 
dem Mädchen aus den besitzlosen Volksklassen die anständige Lebens- 
führung immer mehr erschwert. 

Je mehr aber die Frauen aus den Bahnen eines geordneten 
Familienlebens getrieben werden, desto mehr schwindet bei ihnen 
die Freude an der Arbeit und am Erwerbe. Haust einmal ein Paar 
nicht mehr in eigener Wohnung, sondern ist mit mehreren seiner 
Unglticksgenossen irgendwo zu Bett, so ist es vorbei mit häuslichen 
Tugenden, mit Reinlichkeit, Fleiss und Sparsamkeit. Man geniert 
sich nicht mehr, wo niemand was hat, wo niemand erspart, wo 
jeglicher den Wochenlohu vergeudet, statt verwendet, braucht nie- 
mand seiner schlechten Wirtschaft sich zu schämen. Bei selch' 



— 827 — 

lüderlichem Leben wachsen Kinder auf, die schon in zarter Jugend 
keine Kinder mehr sind. 

Schlecht genährt, in schlechter Luft, in schlechter Gesellschaft 
hören und sehen diese verkümmerten Wesen von den ersten Tagen 
ihres Lebens an nur Elend und Laster. 

Wer, der in einer Grossstadt lebt, kennt sie nicht die hohl- 
wangigen, blutleeren Geschöpfe mit den altklugen Gesichtern, denen 
die Begriffe von Religion oder Moral fern bleiben, die im Cynismus 
aufgewachsen, keine Autorität kennen, als die brutale Faust des 
Stärkeren. Sie werden binnen kurzem die Geisel bilden für jene 
Gesellschaft, welche durch ihre Einrichtungen sie hat entarten 
lassen. 

Darum muss vor allem das Weib in seinem selbständigem Er- 
werbe durch den Staat in so weit geschützt werden, dass es, wenn 
auch notdürftig von ehrlicher Arbeit allein leben kann und nicht 
auf Beihilfe durch den Schandlohn angewiesen ist. Denn nur, wenn 
die Arbeiterin ihren Lebensunterhalt zu verdienen imstande ist, 
kann man „Sitte" von ihr verlangen. Auch für die Arbeiterin 
soll das Wort Goethe's gelten: „Nach Freiheit strebt der Mann, das 
Weib nach Sitte." 

Der grosse Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi sagte einst: 
„Ich will die Erziehung des Volkes in die Hand der Mutter legen." 

Damit hat er ein gutes Wort gesprochen. Allein, bevor es 
zur allgemeinen Geltung gelangen kann, muss das „mulier taceat 
in ecclesia" des Apostels Paulus aus den Köpfen unserer Gesetz- 
geber und aus dem Volksbewusstsein schwinden. Solange die Frau 
unter der gesetzlichen Herrschaft des pater familias steht, solange 
sie nicht in der Schule über die Gesetze unterrichtet wird, solange 
sie sich mit ihrem Gatten nicht in die elterlichen Rechte teilt, so- 
lange sie nicht einmal als Testamentszeugin, nicht als Sach- 
verständige zugelassen wird, so lange sie von der Teilnahme an 
fk'eien Vereinen ausgeschlossen ist, so lange endlich die Frauenehre 
als hohes Gut des Volkes nicht ausreichend geschützt ist, so lange 
kann von einer Erziehung des Volkes durch die Mütter nicht die 
Rede sein, noch weniger von einer wirksamen Teilnahme am 
öffentlichen Leben der Nation. 

Erst muss die Frauensperson aus dem Gesetzbuche heraus- 
geworfen sein und die Staatsbürgerin darin ihr volles Recht finden. 

Das Recht der Frau. 

Von Fräulein Anita Augspurg, cand. jur., München. 

Das Recht der Frau soll den Gegenstand meiner Besprechung 
bilden! — Wo herrscht es? Wo ist es zu finden? — Wo kann 
man es kennen lernen? — Das Recht der Frau ist heute noch fast 
überall ein theoretischer Begriff, praktisch vorhanden ist es in den 
Ländern der alten Welt nur in elementaren Ansätzen. Wollen 
wir es voll durchgeführt sehen, so müssen wir in den fernen 
Westen der Vereinigten Staaten wandern, oder auf einsame Inseln 
im Grossen Ozean, in junge Kolonialstaaten Australiens. Was yer- 



— 328 — 

stehen wir unter dem Rechte der Frau? — Nichts anderes, als das 
Recht des Menschen überhaupt, welches zwar je nach Zeit, Kultur, 
Rasse verschieden normiert war und ist, aber nach unseren heutigen 
Anschauungen ziemlich allgemein bedeutet: etwa, — das Recht, 
seine Persönlichkeit zu entwickeln, soweit eigene Kraft, eigener 
Wille und gesellschaftliche Hülfsmittel dazu vorhanden sind. Das 
Recht, seine Persönlichkeit durchzusetzen, soweit man dadurch 
nicht die Willens- und Interessensphäre eines anderen Individuums, 
oder der Allgemeinheit aggressiv beeinträchtigt. Das Recht, Ein- 
sicht zu nehmen in die Organisation des Gemeinwesens, welchem 
man als Glied angehört und sich dazu der öffentlichen Hülfsmittel 
zu bedienen. — Das Recht, teilzunehmen an der Gestaltung und 
Umgestaltung solcher Organisation in demselben Grade, wie jedes 
private Glied des betr. Gemeinwesens durchschnittlich daran be- 
teiligt ist. 

Diese Definition des Rechtes der Frau, wie des Rechtes über- 
haupt ist summarisch lückenhaft, das weiss ich, sie kann aber in 
den wenigen Worten hier nicht erschöpft werden. — 

Ich habe behauptet, dass das Recht der Frau heute noch an 
den meisten Orten fast nur in der Theorie besteht. — 

Die Rechte der Glieder sind in den verschiedenen Gemein- 
wesen verschieden normiert, die Gesetze eines Staates umschreiben 
die Rechtssphäre seiner Bürger; die Linien, welche diese Gesetze 
bilden, sollen zugleich mit den Grenzen der herrschenden An- 
schauung vom Rechte zusammenfallen: wo für die Frauen innerhalb 
der Gesetzeslinien noch besondere Kreise und Kurven gezogen sind, 
da kann vom Rechte der Frau nur in sehr bedingter Form ge- 
sprochen werden. 

In unseren alten Kulturländern herrscht noch eine merkwürdige 
Sucht nach Schnörkel- und Kringelbildungen innerhalb der geome- 
trischen Figuren der Gesetzgebungen. Jedoch wäre es ein allzu 
schwarzer Pessimismus und Verkennen der sich vollziehenden Ent- 
wickelung, wenn man nicht auch hier die entschiedenste Tendenz 
konstatieren wollte, nach Ausmerzung und Vereinfachung dieses 
überflüssigen und schädlichen Zierats. 

In Deutschland haben wir bereits ganz klare, einheitliche 
Linienführung für beide Geschlechter auf dem Gebiete des Straf- 
rechtes, in Zukunft auch auf dem Gebiete des Zivilrechtes mit Ausnahme 
eines einzigen allerdings wichtigen Abschnittes. Eine um so krausere 
Ornamentik, welche keineswegs für unser Recht einen Schmuck 
bedeutet, haben wir jedoch in jenem einen Abschnitte, dem Familien- 
rechte und im öffentlichen Rechte. 

Das Strafrecht kennt merkwürdigerweise schon seit Jahr- 
hunderten keinen Unterschied zwischen den Rechten von Mann und 
Frau. Von Alt^s gilt für die Frau dieselbe Rechtsschranke wie für 
den Mann. Man traut ihr nicht nur die gleiche Unterscheidung 
von Verbotenem und Erlaubten zu, man hält sie sogar für voll- 
kommen zurechnungsfähig und verantwortlich für ihre Handlungen. 
Sie ist imstande unter Rechtskonsequenzen Diebstahl, Betrug, 
Mord zu begehen und die lukrativen Erwerbungen aus diesen De- 
likten: Geföngnis, Zuchthaus, Schaffet, fallen merkwtirdigerweise 



— 829 — 

auch bei den Verheirateten nicht an den Mann, sondern verbleiben 
ihr selbst zu Fruchtgenuss und Nutzniessung. Selbst die „weib- 
lichen Rechtswohlthaten", welche man früherhin nach der P. G. O. 
Karls V. etwa erblicken könnte in der Reservierung gewisser 
Todesarten für die ausschliessliche Anwendung auf Frauen, wie 
Pfählen, lebendig begraben. Ertränken, sind später der Anerkennug 
der vollen „Rechte der Frau", auch auf Hängen, Rädern und andere 
Wege der Beförderung vom Leben zum Tode gewichen. 

Das Fortschreiten der vom Strafrechte befolgten Tendenz hat 
langsam, aber doch im Prinzipe gänzlich durchschlagend zur vollen 
Anerkennung des Rechtes der Frau auch auf dem Boden des Zivil- 
gesetzes geführt, sofern sie ausserhalb der Ehe steht, wenn wir 
das künftige bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich zum 
Maasstabe unserer Betrachtung machen. Und zwar, das möchte ich 
besonders hervorheben, ist diese prinzipielle Gleichrechtigkeit von 
Mann und Frau ausserhalb der Ehe von den Gesetzgebern selbst 
und freivifillig schon im Entwürfe aufgestellt, sie muss also not- 
gedrungen von ihnen mit aller Konspqu(^nz anerkannt und durch- 
geführt werden. Das ist aber, wie Sie aus den anderen Referaten 
bereits wissen, durchaus nicht der Fall, sondern die Schnörkellinien 
und Schlangenwindungen, welche die Rechtsstellung der deutschen 
Frau bezeichnen, laufen im Familienrechte noch wirr genug abseits 
von den geraden Strichen, welche für den Mann gelten, nicht ohne 
die herrschenden Rechtsgedanken des ganzen Gesetzgebungswerkes 
erheblich zu verwirren. 

Das Grundprinzip des ganzen Gesetzes ist der Schutz des 
Eigentums, — durch das Eherecht ist aber für die Frau Preisgabe 
ihres Eigentums dekretiert. Die Wirkung der Ehe ist für den 
Mann in der Hauptsache Auflage gewisser Leistungen, — für die 
Frau ausserdem Verlust einer Anzahl der wichtigsten Rechte. 
Man frage einen Mann, ob er sich einem Gesetze unterwerfen würde, 
welches ihm vorschreibt, mit Ein<fehung der Ehe seinen Namen auf- 
zugeben, sein Eigentum aus der Hand zu geben, seine Handlungen 
von der Autorität eines andern abhängig gemacht zu sehen! 

Die Elternschaft bringt für den Vater ausser der Verpflichtung 
zu gewissen Lasten die Rechte der Vertretung und Verfügung: 
für die Mutter nur die Lasten, nicht aber die entsprechenden Rechte. 

Diese und andere Schnörkel unseres künftigen Gesetzes sind 
der Beweis, dass das Recht der Frau bei uns noch nicht praktisch 
existiert, theoretisch aber ist es formuliert und den energischen 
Forderungen nach seiner vollen Realisierung stehen die besten 
Bundesgenossen zur Seite: Logik und immer festeres Wurzeln in 
den allgemeinen üeberzeugungen. 

Die Rechtssphäre der Ehefrauen ist eingeengt durch in sie 
hinübergreifende Vorteile der Ehemänner: die Billigkeit und Ge- 
rechtigkeit unserer Kultur ist abgewandten Auges an diesen Aus- 
wüchsen vorübergegangen. — Woher kommt das? 

Bei der Formulierung jedes Paragraphen des Gesetzbuches konnten 
sich die Autoren in die Lage sowohl der Berechtigten wie des 
Verpflichteten hineinversetzen, bei der Abfassung der Paragraphen 
über die Ehe immer nur in diejenige des Berechtigten. Es ist um 



— 330 — 

so weniger zu verwundern, dass unter dieser Beurteilung die Bhe- 
paragraphen einseitig ausgefallen sind zu Gunsten der Männer, als 
bis dahin die Beteiligten selbst, die Frauen, kaum ein Bewusstsein 
von einem ihnen angethanenen Unrechte geäussert hatten. 

Nun sie aber zum Bewusstsein dieses Unrechtes gekommen sind 
und sich mit grossem Aufgebote von Kraft und Energie gegen das- 
selbe verwahrt haben; 

Nun sie unter der regen Teilnahme der öffentlichen Stimmen 
noch in letzter Stunde mehrere der ihnen zugedachten Zurück- 
setzungen von dem Gesetze abgewehrt und die wertvollsten Zu- 
geständnisse errungen, ja ertrotzt haben, welche alles ihnen noch 
Verweigerte im Prinzipe erschüttern; 

Nun sollten sie bei dem bevorstehenden Sturmlaufe gegen die 
letzten Reste der zivilrechtlichen Ungleichheiten nicht stehen bleiben. 
Nun sollten sie eingedenk sein, dass, so lange es sich um gewähren 
und verweigern handelt, nur von Gnaden, nie aber von Rechten die 
Rede sein kann, nun sollten sie auch auf dem Gebiete des öffent- 
lichen Rechtes ihre vollen Ansprüche geltend machen. 

Die deutschen Frauen haben im vergangenen Jahre und in der 
ersten Hälfte des jetzigen wahrhaftig einen tapferen Kampf ge- 
kämpft: zusehends sind ihre Kräfte und ihr Mut gleichsam in der 
Aktion gewachsen, in der letzten grossen Demonstration, am 29. Juni, 
am Vorabende der erwarteten Niederlage, haben sie die Blicke und 
die Sympathie von ganz Deutschland auf sich gerichtet und eine 
tapfere Vorkämpferin, Frau Stritt, konnte ihnen das stolze Wort 
zurufen: „Noch eine solche Niederlage und wir haben gesiegt!** 
Vielleicht können wir es noch überflügeln und hoffen, auch ohne 
eine neue solche Niederlage den Sieg! 

Nun gilt es, dass sich in der jetzt neu beginnenden Kampfeszeit 
die deutschen Frauen nachhaltig als die scharfen, mutigen Streite- 
rinnen bewähren, als die sie sich im heissen Sturmlaufe der letzten 
Monate gezeigt haben. — Ihnen liegt vor allem die Aufgabe ob, 
wennschon selbst noch nicht wahlberechtigt, Einfluss auf die bevor- 
stehenden Wahlen zu gewinnen, Stimmung zu machen für Kandidaten, 
von denen festes Eintreten für die Sache der Frauen sicher zu er- 
warten steht, nicht allein der Partei, sondern auch der Person nach. 
Wie sie das am besten machen können, das möchten sie von ihren 
englischen Schwestern lernen, welche schon lange in solcher Taktik 
Meister smd! Ein planvolles stetiges Arbeiten nach dieser Richtung 
wird den Befähigungsnachweis zu erbringen haben für die politische 
Reife der deutschen Frauen überhaupt, für ihren Willen und ihre 
Einsicht, an der nationalen Arbeit mitzuwirken auf den weiten Ge- 
bieten des öffentlichen Rechtes, von welchem sie heute noch so 
gut wie ausgeschlossen sind und welches nicht nur in der Berech- 
tigung auf die öffentlichen Unterrichtsanstalten und die Wahlurne 
besteht, sondern in der Lösung der schweren Aufgaben der gesamten 
öffentlichen Wohlfahrt. 

Ein Generalstab tüchtiger und erfahrener Führerinnen ist in 
dem ganzen Reiche, Nord und Süd, Ost und West, in Fühlung zu 
einander getreten; es wird sich zeigen, ob die oft gerühmte lang- 
jährige, stille Vereinsthätigkeit ihre Aufgabe erfüllt hat, ob sie der 



— 331 — 

ihr obgelegenen Pionierarbeit gerecht geworden ist, ob sie die weiten 
Kreise vorbereitet und zur Höhe des Verständnisses der grossen, 
jetzt vorliegenden Ziele geführt hat! Möchten die organisatorischen 
Maassregeln der Führerinnen sich in den bevorstehenden Jahren 
stützen können auf die treue Beihilfe nicht von Tausenden, nein von 
Millionen und Millionen deutscher Frauen, denen es heiliger Ernst 
ist um ihr Recht! 



Eingesandte Vorträge: 

1) Zur Armen- und Waisenpflege. Von Frau Nellie van Kol, 

Lüttich. 

2) Local Government in England and Wales by HarrietMc. 

Hynham, 15 years Poor Law Guardian of the Tewksbury 
Union and late Chairman of Staveston Parish Council. 

3) Bericht über das Frauenrecht in den Vereinigten Staaten. Von 

Miss Clara Bewick-Colby, Washington. 

4) Bericht des Vereins für Frauenrechte „Union" in Finnland. 

Von Lucina Hagmann, Helsingfors, Präsidentin d. V. 

5) Die rechtliche Stellung des weiblichen Geschlechts in Finnland. 

Von einem Juristen, Helsingsfors. 

6) Adresse de la Societe pour TAmelioration du sort de la femme 

et la Revendication de ses droits. Par Madame Ter esse 
Deraismes, Paris, Presidente d. 1. S. 

7) Rapport de la „Vrye Vrouwenvereeniging" (Societe libre des 

femmes) d'Amsterdam. Par W. Drucker, Presidente et 
Th. P. B. Schook-Havu, Secretaire d. 1. S. 



vm. 

Sonnabend^ den 26. September^ Vormittag 10 Uhr.*) 

Vorsitz: Frau Minna Cauer, Frau Rosalie Schoenflies. 

Was haben die Frauen von der modernen Litte- 

ratur zu erwarten? 

Von Fräulein Ella Mensch, Dr. phil., Darmstadt. 

Erwarten Sie, verehrte Anwesende, in diesem kurzen Ausblick 
in das Reich modernen Geistes keine propagandistischen Ideen, kein 
PJaidoyer zu Gunsten irgend eines Programms. In der Kunst, in 
der schönen Litteratur giebt es nur eine Frage des Könnens. Hier 
ist das Reich der Freiheit, hier waltet nicht der Rechtsstandpunkt, 
sondern der KIraftstandpunkt, und wenn irgendwo, so gilt auf 
diesem Gebiet das Recht des Stärkeren. 

Dieses Recht hat bis jetzt in der Litteraturgeschichte ziemlich 
unverkürzt auf Seiten des Mannes gestanden. Das ist eine That- 
sache, die wir hinnehmen müssen, und es scheint mir schliesslich 
müssig, den Gründen nachzuspüren, weshalb es so gekommen ist. 
Das künstlich Gemachte hat sich mit dem physiologisch Gegebenen 
zu dem bekannten Resultat verbunden, dass die Weltlitteratur in 
ihren Haupt- und Grandzügen eine Männerlitteratur ist. 

Es wäre thöricht, sich gegen diese Thatsache verblenden zu 
wollen. Gleich der Aehrenleserin Ruth geht die dichtende, schrift- 
stellernde Frau bescheiden hinter den männlichen Schnittern her. 

Die Frage, die mein Thema enthält, kann sich nun sowohl be- 
ziehen auf die Frau, sofern sie Gegenstand der Litteratur ist, und 
sodann zweitens auf die Frau als litterarische Persönlichkeit selbst. 

Vor Shakespeare und vor den deutschen Klassikern sind die 
Frauen in der Poesie meist Abstraktionen von Tugenden und 
Lastern, Wesen ohne Fleisch und Blut, deren Scheindasein den 
psychologischen Massstab kaum verträgt. Bei Lessing und Schiller 
spürt man zuweilen auch noch das Buchideal. Erst Goethe ist der 
wahre Frauenkenner, bei welchem alle weiblichen Gefühlskräfte zu 
poetischem Leben aufblühen, der alle Saiten zum Erklingen bringt. 



*) Redigiert von Rosalie Schoenflies. 



— 333 — 

Nach ihm hat Franz Grillparzer die reichste Galerie weib- 
licher Charaktere aufgestellt. Unter Herbeiziehung des Mythus und 
der Sage, die schon durch die zeitliche Ferne einen verklärenden 
Schimmer auf die Gegenstände werfen, hat dann Richard Wagner 
zur Reihe hehrer Frauenideale das letzte Glied gefügt, ja, in seiner 
„Brünhilde" bis zu einer nicht mehr zu überbietenden Höhe ge- 
steigert, was Klassiker und Romantiker vor ihm begonnen hatten. 
Nun aber tritt die grosse Pause ein. lieber die Welt des 
Schönheitskultus sinkt ein dichter Vorhang. Verschwunden ist 
Faust's Gretchen mit dem lieblichen Blumenorakel, verödet liegen 
die Gärten von Belriguardo, in welchen die beiden Leonoren ihre 
sinnigen Zwiegespräche führen, kein Pfad geleitet uns zu dem 
heiligen Hain, wo Fphigenie mit priesterlichen Händen ihrer 
Gottheit opfert, und vergebens sucht der Blick den feuerumloderten 
Fels, wo die Walküre dem Liebeserwachen in den Armen Siegfrieds 
entgegen träumt! 

Die harte Wirklichkeit tritt ihre Herrschaft auch in der Poesie 
an. Man muss die Entwickelung moderner Frauencharaktere von 
einem ganz anderen Ende aus beginnen. Die moderne Dichtung 
weiss nichts mehr von der Anschauung des Jjessing'schen Odoardo: 
dass Gott in der Frau das Meisterstück schaffen wollte, sich nur 
im Stoff vergriffen und ihn zu fein genommen habe; sie sucht das 
Weib als Staubgeborene. Und zwar sind es nun zunächst die Fehler, 
die niederen Geistes- und Gemütskräfte, die jetzt zur Schilderung 
gelangen. Als ich einmal mein Erstaunen darüber äusserte, ent- 
gegnete mir ein junger Kollege in einer Zeitschrift: dass heute die 
decadente Frau auf den Mann und damit auf das Gesellschaftsbild 
einen grösseren Einfluss übe und ihr deshalb auch in der Litteratur 
der Vorzug gebühre. Indem nun die moderne Litteratur das Weib 
als wesensgleich mit dem Manne, im niederen Sinne fasst, giebt sie in- 
direkt aber auch die Parallele im höheren Sinne zu, neben der Ent- 
artungs- die Entwicklungsmögli^hkeit. Das ist ganz entgegen der 
früheren Auffassung. Sobald das Weib sich stärker in seiner In- 
dividualität erfassen lernt, kann es nicht ausbleiben, dass dieses er- 
wachende Persönlichkeitsbewusstsein eine Umwandlung des Ge- 
sellschaftsbildes nach sich zieht. Welchen Gebrauch hat nun die 
Litteratur bisher von diesem Umbildungsprozess gemacht? Sie ver- 
hält sich ihm gegenüber meist abwartend, ohne doch gerade Typen 
oder einen Typus aufgestellt zu haben, in welchem sich das Fühlen 
und Wollen der Grenzperiode, in welcher wir stehen, mächtig kon- 
zentrierte, bei welchem wir ausrufen könnten : das ist nun wirklich das 
neue Prauenideal im Spiegel der Dichtung! Ansätze, Anläufe sind 
ja wohl da. Für moderne Frauenschilderung kommen nächst Ibsen, 
Björnson, Bourget, Daudet bei uns in Deutschland hauptsächlich in 
Betracht: Friedrich Spielhagen, Paul Heyse, Hermann Sudermann, 
Gerhart Hauptmann, Konrad Telmann, Max Halbe; von Frauen: 
Ossip Schubin, Marie v. Ebner-Eschenbach, Emil Marriot und Ernst 
Rosmer. 

Es liegt offenbar in der Zeit, in dem ganzen Milieu, dass bei 
der Auffassung der weiblichen Typen die grossen Züge im allgemeinen 
fehlen. Von den w^enigsten kann der peinliche Erdenrest losgelöst 



— 334 — 

werden. Von keinem gilt der Zuruf, der an Goethes Margarethe 
im 2. Teil des „Faust" ergeht: „Komm, hebe Dich zu hohem 
Sphären, wenn er Dich ahnet, folgt er nach!" Die Mission der 
Frau als Erlöserin, Befreierin im ethischen Sinne scheint abgethan; 
sie ist es vielmehr, welche Erlösung braucht. In der Belletristik 
dominiert jener Bruchteil des Geschlechts, den Conrad Alberti in 
einem seiner Romane als „fahrende Frau" bezeichnet. Die unregel- 
mässigen Existenzen sind die interessanten, und bei vielen Schrift- 
stellern läuft es auf den Ausspruch Maupassants hinaus: „Die an- 
ständige Frau ist mir ein Greud". Die arbeitende Frau ist erst 
sehr sporadisch Gegenstand der schönen Litteratur. Die Tragödie 
des ringenden Arbeiters („Die Weber") hätten wir, aber die der 
kämpfenden Arbeiterin lässt noch auf sich warten. 

Auch die Frau, soweit sie selbst als Schriftstellerin in Betracht 
kommt, fühlt sich zu diesem Thema zunächst nicht hingezogen. Die 
Tendenz, sich aus dem Leben in eine Welt zu flüchten, in welcher 
des Jammers trüber Born schwächer rauscht, haftet all den Schrift- 
stellerinnen der klassisch-romantischen Periode an. Sie bemühen 
sich um Objekte, um ein Weltbild, das möglichst entfernt von ihrem 
persönlichen Erfahrungskreise liegt, sie beschäftigen sich weit lieber 
mit den Empfindungen der Hohenstaufen als mit ihren eigenen. Das 
wird in der modernen Litteratur anders. Die Geburtsstunde des 
Realismus bringt der schriftstellernden Frau die Befreiung von der 
Buchweisheit und erteilt ihr das heilige Recht auf das persönliche 
Bekenntnis, auf die dichterische Konfession, denn jede echte Poesie 
ist in ihrer letzten psychologischen Ursache innere Befreiung. Die 
weibliche Stimmungspoesie einer Hermine von Preuschen, Marie 
Janitschek etc. erscheint und stellt sich in der Litteratur als gleich- 
berechtigter Faktor neben die Bilder, welche das Hirn des Mannes 
künstlerisch verarbeitet. Es ist zwar auch noch Reflex-, aber zur Hälfte 
doch schon Ergänzungspoesie. Das halte ich für einen grossen Fortschritt. 
Die junge Generation schriftstellernder Frauen, welche aus dem Born 
eigenen Empfindungslebens schöpft, ist jener früheren, die vom ge- 
borgten G^isteskapital lebte, ästhetisch überlegen. Es war not- 
wendig, dass die dichtenden Frauen sich erst selbst entdeckten und 
begrifiFen, bevor sie sich daran begaben, die Umwelt zu begreifen. 
Aber Halt machen dürfen sie auf dieser Stufe nicht, denn die 
höchsten Höhen des Parnass erklimmt nur der, dessen Wollen und 
Können in dem reinen hellen Glanz einer sittlichen Weltanschauung 
strahlt. Ich spreche nicht von der Philistermoral wie sie gestern 
war und morgen wieder sein wird, sondern von den ewigen geheimnis- 
vollen Kräften, die in den Tiefen des Gemütes wohnen, die uns den 
festen Pol in der Erscheinungen Flucht zeigen, die uns aufrecht 
halten im Wirbel der Affekte und die uns stärken im letzten 
DunkeL 

Das erste Erfordernis aber für diese Höhenrichtung ist die 
Fähigkeit, von sich loszukommen, sich zu vergessen im Anderen, 
im Allgemeinen. Denn ist Poesie einerseits Selbstbekenntnis, so ist 
sie andrerseits auch Selbstbefreiung, und das ist der Weg, den nun- 
mehr die dichtende Frau, nachdem sie festen Wirklichkeitsboden 
unter den Füssen gewonnen hat, in der Bahn fortschrittlicher Ent- 



— 335 — 

Wickelung einzuschlagen haben wird. Das ist keine abstrakte For- 
derung, die wir hier in die dichterischen Lebensprozesse hineintragen 
wollen. Das ist ein Gesetz, das sich mit innerer Notwendigkeit 
vollziehen muss. Es wäre auch ganz vergebliche Arbeit, Programme 
aufzustellen, den Poetea zuzurufen: wählt diese Themen, erfüllt 
euch mit diesen Oedanken! Das bewiese eine gänzliche Unkenntnis 
der Bedingungen, die ein Kunstwerk ins Leben rufen. 

Nein, was wir wollen von der Dichtung, der der Frauen 
ebenso wie von der der Männer, das ist das Leben, das volle ganze 
Leben, das immer stärker, immer poetischer sein wird als alle phan- 
tastischen Träume. 



Die deutsche Frau in Dichtung und Kunst. 
Von Frau Jean-Chrlst-Gutbier, Berlin. 

Frau J-Oh-Gutbier zog den über obiges Thema angemeldeten 
Vortrag zurück, weil sie irrthümlicherweise annahm, dass es auf 
dem Kongress nicht gestattet sei, Religiöses zu berühren, wie sie in 
ihrem Vortrag thue. 

Indessen war nur die Behandlung direkt religiöser Themen 
ausgesK^hlossen, während es selbstverständlich Jedem frei stand. 
Religiöses zu berühren, was in früheren Vorträgen auch geschehen war. 

Ausserdem machte Frau J-Ch-Gutbier einige Mitteilungen über 
einen Pressprozess, den sie zwei Jahre lang gegen das Verbot der 
Aufiführung ihres Dramas Eleazar geführt und schliesslich ge- 
wonnen habe. D. Red. 



Frauenliebe und -Leben in der Litteratur. 

Von Fräulein Natalie v. Milde, Weimar. 

Die Zaubergewalt des Namens Liebe weckt alles, was an 
Empfindung in der Menschheit lebt. Aber so verschieden Menschen 
empfinden und verstehen, so verschieden lieben sie auch. „Wie 
Einer ist, so ist sem Gott" sagt Goethe, und wie Einer ist, so ist gewiss 
auch seine Liebe. Der liebevollste Mensch weiss von dem Gottes- 
element das All durchdrungen, für ihn stehen Dinge im innigsten 
Zusammenhang, die der Engherzige als Gegensätze erblickt. Der 
liebereidiste Mensch erkennt überall göttliche Absichten, die zu ver- 
stehen und zu beherzigen er berufen ist. Er will die Liebe auf 
jedes grösste und kleinste Gebiet hingeleitet wissen, um Wachstum 
und Entwickelung überall zu fördern. 

Wenn man nun seit jeher betont, die Frau sei ganz besonders 
für die Liebe geschaffen, so ehrt man sie mit dieser Charakterisierung, 
wie man sie gar nicht höher ehren kann. Und wenn sich die Frau 
seit Dezennien in immer zunehmender Zahl, immer energischer gegen 
die ihr angewiesene Lebensstellung auflehnt, so ist es nicht, weil sie 
der Liebe entraten will, weil sie diese engste Verbindung zwischen 
sich und der Liebe nicht immer fester hergestellt sehen möchte, 



— 336 — 

sondern weil sie inne geworden, dass die Liebe noch nicht zu ihrem 
Vollbegriflf gelangt ist. 

Wie sieht die Liebe aus, mit der man Bände gefüllt hat? 

Die Litteratur ist der Spiegel, der die Zustände des Herzens 
zurückstrahlt. Allerdings ist das Bild des Prauenherzens, das wir 
darin erblicken, vom Manne geschaut, denn die Litteratur ist mit 
wenigen Ausnahmen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt Männer- 
werk. Der Spiegel ist also ein Reflexspiegel, und er strahlt die 
Liebe des Weibes zum Manne zurück, die Auffassung des Mannes, 
wie das liebenswerte Weib beschaffen sein müsse, und seine Ge- 
sinnung, dass diese seine Liebe der einzige Lebensinhalt der Frau 
war, der einzige Preis,, den zu gewinnen sie hoffen durfte. Es ist 
daher von Chamisso noch sehr wenig behauptet, wenn er Frauenleben 
mit den Worten beginnt: „Seit ich ihn gesehen, glaub' ich blind zu 
sein". Diese Blindheit bestand, bevor sie ihn gesehen, denn die Frau 
hatte ja ihre Augen geflissentlich geschlossen. Ihre ganze Jugend 
war ein Warten auf das Hereintreten dessen, der ihr Leben zum 
Leben machte. 

„Lied des Mädchens" von Geibel beginnt: 

Lass schlafen mich und träumen. 
Was hab' ich zu versäumen 
In dieser Einsamkeit! 
Der Reif bedeckt den Garten, 
Mein Dasein ist ein Warten 
Auf Liebe nur und Lenzeszeit. 

Und Paul Heyse lässt das Mädchen singen: 

Ich wollt', ich läge schlafen 
In Rosen über Jahr und Tag, 
Bis dass der Eine gegangen kam'. 
Der mich gewinnen mag. 

Mit diesen beiden schildern ungezählte Lyriker das Mädchen 
als ein traumseliges Ding. Einer unglaublichen Vergeudung von 
Kraft und Zeit wird unser armes Geschlecht von der Litteratur an- 
geklagt. Giebt es eine Entschuldigung für all das Nichtsthun? Die 
Macht der Gewöhnung, welche Begriffe oktroyiert und eigenes 
Denken knebelt, muss dafür gelten. Die Litteratur mit ihrem 
Kultus für weibliche Schönheit und negative Tugend zeigt, dass 
man die Frau gelehrt hat, zu gefallen und sich unterzuordnen, sich 
selbst zu vergessen. Jede Verantwortung für das eigene Selbst war 
somit der Frau entwunden, gleichzeitig aber auch die Möglichkeit, 
einem harten unverschuldeten Schicksal, wenn ein solches herein- 
brach. Trotz zu bieten. Das Schicksal wurde aus der Urne blind- 
lings für die Frau gegriffen; um die Nieten bekümmerte sich 
Niemand. 

Wo verdienstloses Glück, das der Zufall schenkte, das Leben 
bestimmen durfte, musste notwendigerweise eigenes Verdienst glücklos 
bleiben. Man wollte selbständig denkende und handelnde Frauen 
nicht dulden. Die Litteratur zeigt uns deutlich, wie man die 
Konflikte, die nicht ausbleiben konnten, aufgefasst wissen wollte. 

Symbolisch für die Leiden der weiblichen Psyche ist die Tra- 



— 337 — 

gödie Sappho. Dem reifen, sprühenden Geiste der Dichterin stellt 
Grillparzer die ganze Armut und Stumpfheit der Anderen drastisch 
entgegen. Er verfuhrt hart mit seinem eigenen Geschlecht. Phaon 
ist gar unbedeutend, so ganz Sapphos Liebe unwert. Wie lebens- 
wahr ist diese Furcht des Phaon, Höchstes vom Weibe zu empfangen. 
Sapphos verklärendes Auge sieht einen der „Besten" in ihm, und 
dieser Irrtum eben führt die Tragik herbei. Ihr geistiges Feuer 
vermag nicht eine gleiche Flamme in dem Geliebten zu nähren. 
Was dem Zuschauer vom ersten Augenblick an deutlich wird, dass 
Phaons Liebesfähigkeit nur für ein gewöhnliches Alltagsleben aus- 
reicht, entzieht sich Sapphos Dichterauge. Wie lebenswahr ist der 
unerschütterliche Glaube Sapphos, des höheren Weibes, das Beste 
müsse erwünscht, müsse verstanden sein! Die Erfüllung dieses 
Glaubens ist Ideal der Zukunft; ist erst zu verwirklichen mit einem 
Männergeschlecht, dessen Gesinnungen wie die eines Rhamnes weib- 
lichen Wert zu würdigen lehren. 

„Dünkt sie Dir w^ertlos, weil ohne Maassstab Du für ihren 
Wert?** fragt er und weiter: „Wagst Du's, an ihrem Herzen wohl 
zu zweifeln?" 

Damit trifft Rhamnes den dunklen Punkt. Alle Demütigung 
und Erniedrigung, welche Frauengeist in den Jahrhunderten erlitten, 
entsprang dem Zweifel an der Liebesfähigkeit der denkfähigen Frau. 
— Die Königin von Saba ist eine der würdigsten Bibelfiguren. Man 
wallfahrtete zu ihr, um sich Weisheit von ihr zu holen. Wenn 
Paul Heyse sie jedo(ih in seiner „Weisheit Salomonis" dem lieblichen, 
mit allen dichterischen Vorzügen parteiisch überschütteten Hirten- 
kinde als Gegensatz ausliefert, muss er sie für diesen Zweck grausam 
entstellen, zum Zerrbild erniedrigen. 

Amor geberdet sich bis auf unsere Tage unversöhnlich verletzt, 
sobald ein Tröpfchen des Psyche-Oels ihn gebrannt hat! Das 
Amörchen, als ewiges Kind aufgefasst und ins Dunkel der Urteils- 
losigkeit gebettet, hat denn nun gar in den Köpfen der kleineren, 
der sogenannten, der Nichtdichter und gar der schreibenden Tage- 
löhner die wunderlichsten Begriffe darüber verschuldet, vne eine 
annehmbare, liebenswerte Frau zu sein hat! Jede ernstere und tiefer 
Denkende findet es unendlich viel wünschenswerter, mit der 
Psyche in's Exil zu gehen, als sich in die Gallerie alberner, flacher, 
heiratssüchtiger Lustspiel- und Possenfiguren einrangiert zu sehen. 

Wenn ein Begriff im höchsten Falle zur Tragik, im niedrigsten 
Falle dahin führt, ünbedeutendheit auf den Thron zu erheben, so ist 
es Zeit, ihn durch einen anderen zu ersetzen. Und die Psyche un- 
serer Tage, mit der leuchtenden Lampe in der Hand, fragt, ob es 
wirklich die volle Liebe sei, w^as man so nannte; und sie sagt: 
es war mindestens eine einseitige sehr ent wickelungsbedürftige Liebe. 
Die echte Liebe, da göttlicher Natur, ist im höchsten Maasse ent- 
wickelungsfähig. 

Wie wird nun der Mann dabei fahren, wenn sich die Liebe der 
Frau entwickelt? Man klagt, den geistig Ueberlegenen so vielfach 
des Egoismus an, dass er die Liebe des Weibes einfach in Empfang 
nimmt, ohne sein Geisteskapital dagegen auszulösen. 

Weit erspriesslicher ist es jodoch für uns, zu untersuchen, ob der 

22 



r 
I 



— 338 — 

Mann wirklich seinen Vorteil, seinen höchsten Vorteil bei Besitz- 
ergreifung eines Herzens finden kann, das geschlafen, geträumt, gewartet 
hat, anstatt zu wachen und zu arbeiten. Denn ist nicht Liebe die Grund- 
bedingung zu gegenseitigem Empfangen und Geben, zu gegenseitiger 
Erziehung, Entwickelung und Befreiung? Hörbar aller Welt, stellt sich 
die Frau heute diese Prägen, und die Wandlung, die durch derartige 
Selbstprüfung, Selbsterkenntnis, Selbständigkeit mit ihr vorgeht, 
zeigt sich bereits in der Litteratur. 

Eine sehr jugendliche Schriftstellerin, die englische Olive 
Schreiner, schildert das Verhältnis zwischen Mann und Weib sehr 
gut in dreien ihrer „Träume". Im ersten dieser Träume liegt die 
Frau, mit einer Last auf dem Rücken, im Wüstensande, der sich 
hoch um sie angehäuft hat. Die schreckliche Geduld von Jahr- 
hunderten lag in ihren Augen. Der Mann war durch ein breites 
Band an das Weib geknüpft, ohne zu wissen, dass deswegen auch 
er sich nicht bewegen konnte. Als nun das Zeitalter die Last von ihrem 
Rücken gewälzt, erfüllte der Gedanke ihre Augen mit Glanz: 
könnte ich nicht aufstehen? Aber der neben ihr steht, hilft ihr 
nicht, er hindert sie sogar, weil er es nicht besser versteht. Sie 
muss sich selber helfen. — Im dritten Traume wandeln wackere 
Männer und Frauen Hand in Hand. Das ist der Himmel auf Erden. 
Wann wird das so sein? In Zukunft. 

Der Anspruch Olive Schreiner's an die Frau, sich selbst zu 
helfen, ist gerecht. Je höbere Ansprüche die Frau an sich selbst 
stellt, desto wertvoller muss ihr Ich notwendigerweise auch für den 
Mann werden. Die Herrin dieses Ich hat für den Auserwählten 
ihres Herzens ein kostbareres Geschenk in Bereitschaft, als das ver- 
schlafene Mädchen, das so elendiglich jammert: „Darfst mich niedre 
Magd nicht kennen". „Der hohe Stern der Herrlichkeit" wird sich 
von seinem künstlichen Himmel soweit herabbegeben, als die niedere 
Magd sich erhebt. Denn Gefährten, die gemeinschaftlich dasselbe 
erreichen wollen, brauchen ein gleiches Niveau, um neben einander 
wandeln zu können. Das Bewusstsein, Schritt mit einander halten 
zu müssen und beiderseitige Mängel und Vorzüge, Nachteile und 
Vorteile gemeinschaftlich zu tragen, schliesst unnatürlich gesteigerte 
Illusionen, die der Liebe oft so schädlich werden, von vornherein 
aus. Aber wo ein vergebliches Warten auf Unmögliches Enttäuschung 
bewirkte, wird das Mögliche geschaffen, um zu beglücken. Auf 
dem Gleichheitsboden, wo Arbeit die Gatten fest miteinander verbindet, 
vermag aber auch die einzelne Frau mit ihren gekräftigten Füssen 
selbständig vorzuschreiten. Und die Arbeit, die gemeinschaftliche, 
wird sie in Freundschaft mit dem ganzen anderen Geschlecht ver- 
binden, auch wenn sie kein persönliches Liebesband an den Mann 
knüpft. 

Diese Zukunft vertiefter Freundschaft, erweiterter Glücks- 
begriffe bahnt die heutige Frau an. Sie betritt Gebiete, wo bisher 
der Mann allein geschaltet hat, und wo die Entbehrung ihrer An- 
wesenheit furchtbare Vernachlässigungen und Zerstörungen ver- 
schuldete. Und um reinigend, erziehlich, versittlichend hier ein- 
greifen zu können, findet sie sich auch vor allem dort ein, wo man 
Kenntnisse erwirbt. 



— 339 — 

Eine ganz neue, grossartige Bedingung wird ihrer Liebe not- 
wendig: Die Arbeit an der Kultur. Und da diese Arbeit eine 
eigene Anschauung der Dinge, eigene Gedanken, eigenen Willen fordert, 
vollbringt sie auch das Natürlichste, den Uebergang vom unselbst- 
ständigen Weibe zum selbständigen, vollberechtigten, vollverpflichteten 
Menschen. 

Die Verständnislosigkeit, mit der alle innere Entwickelung 
zu kämpfen hat, greift nun gerade diese Arbeit als unberechtigt, 
als Unnatur an und belehrt uns darüber, was Natur, was Liebe, 
was weiblich sei. 

Lange vor heute, als es noch Schande oder doch ein viel ge- 
fährlicheres Wagnis war, sich Frauenrechtlerin zu nennen, hat die 
bahnbrechende Luise Otto Peters fein und würdevoll die Anmassungen 
zurückgewiesen, die sich gegen unser heiliges Recht auf Arbeit 
auflehnten. Ihr Gedicht „Geständnis" kennzeichnet sich als Mark- 
stein in der Litteratur. Es heisst: 

Und weil ich schwieg, und weil in keuscher Scheue 
Ich nimmer auf dem ofi'nen Markt gesungen 
Von meiner Seele ew'ger Liebestreue, 
Von meines Herzens süssen Huldigungen: 

Meint Ihr, ich sei kein fühlend Weib geblieben. 
Indes der Freiheit Fahne ich getragen? 
Ich hab' verlernt zu dulden und zu lieben, 
Weil meine Lieder keine Liebesklagen? 

arme Thoren, die Ihr noch könnt wähnen, 
Dass stille Lieb' und lautes Wort sich einen, 
Dass wir die Heiligsten von unseren Thränen 
Vor aller Welt vermögen auszuweinen. 

Hört Ihr die Nachtigall am Tage schlagen 
In lauter Menschen emsigem Gewimmel? 
Sie wird zur Nacht, im stillen Haine, klagen; 
Den Menschen nicht, sie singt ihr Lied dem Himmel. 

Die Lerche aber singt im Sonnenscheine, 
Sie ruft die Menschen wach zu neuen Thaten. 
Wo sie der Arbeit pflegen im Vereine, 
Schwebt sie am liebsten, ob den grünen Saaten. 

So hab' ich Euch als Lerche aufgewecket, 
Das Morgenlied der Freiheit vorgesungen. 
Als Nachtigall hab' ich mich tief verstecket, 
Das Lied der Liebe ist in Nacht verklungen. 

Welche unermessliche Wohlthat: die Frauen, deren Liebeslied 
verklingen musste in Nacht und für immer, hat das Freiheits- 
morgenlied wieder erweckt zum Leben, zu einem nie endenden 
Arbeitstage! 

■ Denn wie unabweislich, wie unermesslich drängt sich uns Arbeit 
auf. Sie will nicht nur eine Erlösung für den Unglücklichen sein, 
sie will auch Pflicht für jeden Glücklichen werden. Jedem Einzelnen 
ruft unsere grosse Zeit zu: arbeite! Ueberall hin dringt dieser Ruf 

22* 



— 340 — 

und hat sich seitdem auf dem Gebiete der Litteratur hörbar ge- 
macht. Wo man nur Schönheit geniessen wollte, werden uns alle 
Nöte, auch in hässlichster Gestalt vor Augen geführt; wo wir den 
Frieden zu suchen gewöhnt waren, greift der soziale Kampf Platz. 
Ob das statthaft sei, darüber wird vielfach gestritten. 

Es ist immer Sache des Talentes, derartiges richtig zu stellen. 
Und jedes Talent erfüllt uns deshalb hauf)tsächlich mit Staunen, 
weil es zu einigen versteht, was sich als scheinbar gegensätzlich be- 
fehdete. Es erfüllt uns mit einem besonderen Glücksgefühl, dass es 
der Frau gelang, nachdem sie sich zur Kulturarbeit bekannt hatte, 
aach diese Arbeit mit dem ganzen Material von sozialen Schäden 
der Poesie einzuverleiben. Wer wagt wohl Ada Negri den Namen 
einer echten Poetin streitig zu machen? Sie zeisrt das Hässliehe, 
aber mit welch' verklärender Liebe ! Sie wird der höchsten Forderung, 
die man an den Poeten stellen kann, gerecht, sie entzündet im Leser 
die edelsten Empfindungen. 

Als Beispiel für ihr volles, reifes Zeit Verständnis möchte ich 
ihr Gedicht „L'asilo nottumo" herausheben. Es zeigt uns bittere 
Armut auf der einen, Wohlthätigkeitssinn auf der anderen Seite, 
Armut in ihrer ganzen ünermesslichkeit und Wohlthun, wie es 
heute noch geübt wird, in seiner ganzen Unzulänglichkeit. Wenn 
die heimatlos Herumirrende das für eine Nacht vergünstigte Lager 
wieder verlassen muss, so empfinden wir die ganze Grausamkeit 
solcher Wohlthat. 

„Sie denkt im Traum, dass jetzt und immerdar 

Dies warme Bett sie hat! 

Und lächelnd hold ein Bild vor ihr erwacht 

Vom Stübchen, wo sie näht. 

Und dabei singt, indes ihr Kindchen lacht. 

Von Wärm' und Licht umweht. 

— Ein Klingeln schallt, die Morgenröte dringt 

Im düstern Schlafsaal ein. 

Die Arme auf vom fremden Bette springt 

Beim matten Dämmerschein; 

Mit Lumpen sie die Blosse wieder deckt 

Und kehrt mit ihrem Kind 

Ins Elend, das mit altem Grau'n sie schreckt. 

Zurück in Frost und Wind. 

Zur .Jagd nach Brot! 

Begierig lauernd zieht sie feindlich hin. 

Denn Arbeit hat sie nicht. 

Ada Negri versteht, dass es sich heute in erster Linie darum 
handelt, die Systeme zu finden, welche allein einen Ausgleich zwischen 
Not und gutem Willen schaffen können. Diese höchste Zieit- 
anforderung versteht sie vermöge der ihr innewohnenden Schwester- 
liebe. 

Liebe ist international. Es ist eine Genugthuung, auf diesem 
Kongress dankend unserer anders redenden, aber gleich empfindenden 
Schwestern zu erwähnen. Es wäre aber ebenso gewiss undankbar, 
wollten wir, wo Liebe das Wort hat, nicht unserer deutschen 



— 341 — 

Schriftstellerin den breitesten Raum gewähren, die lan^e vor Ada 
Negri mit Liebe die Welt für uns gesehen, mit ihrem Herzen unser 
Herz für die Welt erwärmt hat. 

Nicht in Poesie der Form nach, sondern in poesievoUer Prosa 
waltet Marie von Ebner -Escbenbach ihres Liebesamtes in der 
Litteratur. Männliche Verehrer zeichnen sie mit dem Lobe aus: 
sie schreibt wie ein Mann. Weibliche Verehrer sagen: sie schreibt 
wie kein Mann schreibt, denn ihr ist das weiblichste eigen, was in 
dem oft so unerquicklichen Vergleich zwischen männlich und weib- 
lich freudig hervorgehoben werden darf: das mütterliche Element. 
Wer stünde ihrer Liebe fern? Der letzte unter den vom Glück 
Vergessenen, von der Welt Verlassenen ist ihrem grossen Herzen 
der Nächste. Und wie sie selbst durch ihre allumfassende Liebe 
die wahre Weiblichkeit verkörpert, wirkt ihre Dichtererziehung 
dahin, dem Weibe zum Bewusstsein zu bringen, dass es dann das 
weiblichste heissen darf, wenn es an den Menschen seine Schuldig- 
keit thut. 

Laura Marholm nennt einmal mit komischer Herablassung 
unsere Marie von Ebner: „Die Gute." Wir thun es im Tone der 
tiefsten Ehrfurcht, die uns der Mensch abzwingt, in dem sich der 
ganze Inhalt des Gutseins verkörpert, der uns durch Wort und 
Leben belehrt. „Wie weise muss man sein, um gut zu sein." So 
heisst das Glaubensbekenntnis unserer Dichterin und Philosophin. 
Es kennzeichnet den Gehalt des Ijcbens, und die Dichtungen Marie 
von Ebneres geben die Grundbedingungen, die zum Gutsein und 
Gutwerden not thun. Ihr genügt zum Gutsein durchaus nicht die 
Liebe zum Guten, der Genuss des Guten. Den Ursachen von gut 
und böse nachzugehen, ohne Scheu an das Böse heranzutreten, darin 
besteht ein Teil ihrer Weisheit. Wie nachhaltig versteht unsere 
Dichterin uns dahin zu überzeugen, dass Liebe nur wirkungsfähig 
wird, wenn sie einen unlöslichen Bund mit der Erkenntnis schliesst, 
wenn sie all die verschiedenen Kräfte in Dienst nimmt, die man der 
Frau fälschlich als einander entgegenwirkende hinstellt, die aber in 
Wahrheit einandtT ergänzen sollen. Wie geschärft bis zum Hell- 
seherischen ist ihre Erkenntnis, wo es ihr gilt, uns die Schrecknisse 
zu verdeutlichen, welche der Wille zum Guten zu überwinden hat. 
Nichts ist so rührend, wie diese Selbstüberwindung, geübt von einer 
reinen Seele, um einzudringen in die Beschaftenheit abgefeimter 
Schlechtigkeit. Wo das geschieht, wie bei der Umgebung des welt- 
verlassenen Gemeindekindes oder bei den beiden Männern in der 
Totenwacht, von denen der eine die Kindheit, der andere die Jugend 
eines Mädchens ruiniert hat, immer dient es nur dem Zweck, auf 
diesem dunkeln Hintergrunde die Lichthöhe des Guten zu zeigen, der 
Kraft des Guten zum Siege zu verhelfen. 

Wo das in den vom Leben Beraubten vor sich geht, wie im 
G-emeindekind und der Toten wächterin, die trotz alles Jammers diesem 
Leben seinen Tribut zahlen: Die Arbeit, die es von uns 
fordert, werden wir auf die Knie gezogen. 

Solches leisten die Aermsten, die Angefochtensten, die Be- 
lastesten. Und wir, an welche die härteste Not nicht herantritt, 
wir, denen geistige Mittel zu Gebote stehen, wir sollen unseren 



— 342 — 

Lebenszweck nicht darin zu suchen haben, fiir die heimgesuchte 
Menschheit, der unsere Liebe so nötig ist, alles einzusetzen, was wir 
voraus haben? 

Mit der ihr charakteristischen Wärme erreicht sie, was der 
Welt heute so nötig ist und was uns Frauen befähigt, die Not der 
Welt zu lindern: sie erweitert und vertieft den Begriff Liebe. 
Sie zeigt uns Liebe als den Quell, der alle Durstigen laben kann. 

So hoch über persönlichem. Öliick allgemeiner Menschenzweck 
steht, so hoch steht über der Liebe zwischen den Geschlechtern die 
Menschenliebe. Sie umfasst alle göttlichen Gedanken, die sich immer 
lebendiger entzünden sollen und alle Menschenkraft, die hierzu 
erforderlich ist. 

Die Menschenliebe gleicht den neuentdeckten Lichtstrahlen, 
welche kürzlich mit ungeahnter Kraft und von ungeahnter Stelle 
aus die Welt überraschten. Strahlen der Menschenseele haben sich 
abgesondert und sich ihren ganz selbständigen Weg in's Dunkel 
gesucht. Von dort aus durchbrechen sie plötzlich, was man für 
undurchdringlich hielt. 

Welche Errungenschaften wird es ergeben, wenn diese, man 
darf wohl sagen, kraftvollsten Strahlen, erst einmal überall dort 
hinein geleitet worden sein werden, wo unerkanntes Schicksal der 
Beleuchtung, unverschuldete Schuld der Sühne harrt? 

Können wir die Grösse der Aufgabe ermessen, für welche wir 
Alle berufen sind? Die Aufgabe, ein gesunderes, leistungsfähigeres, 
befriedigteres Geschlecht mit heranbilden zu helfen, die Frau von 
der Knechtschaft des Zufalls zu erlösen, sie zu einem selbstbewussten 
Weltbürger zu machen, damit sie, nach langem vergeblichen Suchen, 
nach erlittenen Verlusten, gleich Sappho sagen kann: „Ich suchte 
Dich und habe mich gefunden." 

Gruss der deutschen Friedensgesellschaft. 

Von Herrn Prediger Seydel, Berlin. 

Meine Damen und Herren! Wenn ich es wage, hier vor Ihnen 
zu reden, so ist der erste Grund, dass ich amtlich dazu aufgefordert 
bin von dem Verein, den ich die Ehre habe hier vertreten zu dürfen, 
und zweitens, weil ich meine, ich habe auch ein Recht, zn Ihnen zu 
sprechen. Denn wir haben in der Friedensbewegung deutsche 
Frauen, welche uns grosse Dienste leisten. 

Ich habe Ihnen den Gruss der deutschen Friedensgesellschaft 
zu bringen. 

Meine Damen, ich kenne das deutsche Frauengemüt aus aller- 
bester Erfahrung und zwar erstens, weil ich verheiratet bin, und 
dann habe ich ein deutsches Frauenherz von grösster Liebe, Güte 
und Wärme in meiner Mutter kennen gelernt. Die deutsche Frau 
ist aufgewachsen in dem Gedanken der Vaterlandsliebe. Und dieser 
Gedanke gerade ist es, der Deutschland gross gemacht hat. 

Aber zugleich lebt in jeder deutschen Frau ein anderer Ge- 
danke, der heisst Friede. Wir Deutsche empfinden mit unserem 
Frauen, dass es kein grösseres Glück giebt, als wenn der Friede 



— 343 — 

UDS bewahrt bleibt. Deshalb hat auch die Friedensgesellschaft unter 
den Frauen so viele Mitglieder. 

Wer möchte wohl wünschen, dass die Kriegsfurie entfesselt 
werde? Es ist die Welt so geteilt, dass alle Nationen zufrieden 
sein könnten. Auf eins kommt es an, dass die deutschen Frauen 
nicht wieder weinen und die deutschen Bräute nicht wieder trauern 
müssen. Wenn dieser Kongress international heissen kann, so ist 
dies eine Folge des Friedens. Die männermordende Feldschlacht 
kann uns keinen Vorteil bringen, sie bringt nur Wehe, und Wehe 
sollen wir von den Völkern fern halten. Ich freue mich, dass ich 
hier habe hören können, dass Sie, verehrte Frauen, bestrebt sind, 
auch von den Einzelnen das Wehe nach Kräften fernzuhalten. 

Man kann den Menschen nicht immer vor Weh bewahren, das 
liegt in der Vorsehung beschlossen, aber wir wollen die Hände aus- 
breiten, um so viel Leid zu beseitigen, wie uns irgend möglich ist. 
Dazu gehört der Kri<»de. Darum begrüsse ich Sie zum Schluss mit 
den Worten: Friede sei in unseren 2ieiten uns beschieden. 

Zur Friedensbewegung. 

Von Frau Melitz, Berlin, Delegierte des deutschen Vereins für 

Friedenspropaganda. 

Geehrte Genossinnen! 

Unter den Zielen, welche die moderne Frauenbewegung verfolgt, 
begegnet bekanntlich das der politischen Gleichberechtigung der > 
Frauen dem grössten Widerstand. Gerade deshalb dürfte es politisch 
sein, hier die Hebel der Frauen- Agitation in erster Linie anzusetzen. 

Das Gebiet der Politik ist es, auf dem die Herrschaft des 
Rechtes und der Humanität noch am wenigsten Wurzel geschlagen 
hat, obgleich dasselbe bis jetzt fast ausschliesslich in den Händen 
der Männer lag. 

Gerade hier bietet sich daher für die Frauen die günstige Ge- 
legenheit das Uebergewicht der Männer durch einen entsprechenden 
Wettbewerb in Frage zu stellen. 

In der Politik befindet sich die sogenannte zivilisierte Welt 
noch auf dem sehr unzivilisierten Standpunkte, dass kein Staat 
einen Richter über sich anerkennen, noch auf eigenmächtige Selbst- 
hilfe in seinen Streitigkeiten verzichten will, sobald es sich um 
wichtige Fragen handelt, während jeder Staat diesen Verzicht von 
seinen Angehörigen verlangt. 

Es sind leider nur wenige Minuten, welche mir vom Präsidium 
des Kongresses vergönnt werden konnten, und ich zwinge mich 
deshalb, meinen Vortrag in den allerbescheidensten Grenzen zu 
halten und mich so kurz wie möglich zu fassen. 

Ich bin vom deutschen Verein für internationale Friedens- 
propaganda, dessen Vorstand ich angehöre, beauftragt, die Mitglieder 
des heute hier tagenden F'rauenkongresses darauf aufmerksam zu 
machen, dass sie der Friedenspropaganda, wie der genannte Verein 
sie betreibt, ihre Aufmerksamkeit schenken möchten. 

Unser Gedanke, den allgemeinen Völkerfrieden herbeizuführen, 



— 344 — 

gipfelt in dem einen Punkt, eine obligatorische internationale Frieden«- 
justiz ins Leben zu rufen, deren Anordnungen die Regierungen sich 
unbedingt unterwerfen sollen. Die Mittel und Wege dazu lassen 
sich finden, wenn der ehrliche Wille des Staates da ist, einen dau- 
ernden Frieden zu erhalten und die Greuel des Krieges für immer 
von der Erde zu verbannen. Und gerade die Frauen sind dazu be- 
rechtigt, den Frieden zu verlangen und zu fördern. Ich frage: 
Giebt es etwas Edleres und Schöneres als für den Frieden zu 
plaidieren ? 

Die Völker selbst wollen auch keine Kriege. Was sie ver- 
langen, ist die Weiterentwickelung aller Kultn raufgaben unter dem 
Schutze des Friedens. 

Die Kriege, die jetzt geführt werden, sind durch die Fort- 
schritte der modernen Technik auf dem Gebiete der Schusswaffen 
nur noch ein Hinschlachten ganzer Massen zu nennen, wobei die 
persönliche Tapferkeit des einzelnen Individuums nichts mehr be- 
deutet. Es kommt daher sehr darauf an eine möglichst grosse Zahl 
von Mannschaften ins Feld stellen zu können, die weittragendsten 
Flinten und die durchschlagendsten Kanonen herzustellen. Deshalb 
auch die dahingehenden Anstrengungen der Regierungen. Wenn 
jedoch der Wille der Völker /um Rechte käme, würde die Welt 
einen dauernden Frieden haben. Wird erst einmal das Kriegsrecht, 
das Recht des Stärkeren beseitigt, dann wird auch uns b>auen 
unser volles Recht werden. Wenn wir die Entwickelung unserer 
Rechte auf sozialem und politischem Gebiete betrachten, so bekommen 
wir allerdings herzlich w^nig zu sehen. Aber ich erblicke in der 
Zukunft die dunklen Wolken sich lichten und das Morgenrot einer 
neuen Aera am Horizont anbrechen. Die Sonne unseres Rechtes 
wird aufgehen und mit ihren Strahlen die Erde erwärmen. Wie 
wir heute lächeln über die Sitten vergangener Zeiten, in denen die 
Frauen viel mehr eingeschränkt waren, als sie es jetzt sind, so 
wird man in dem anrückenden neuen Jahrtausend lächeln über die 
Ansichten der heutigen Generation, sich den Rechten der Frauen 
gegenüber in die Speichen der Räder geworfen zu haben. 

Ansprache in der Friedensfrage. 

Von Frau Lina Morgenstern, Berlin. 

Als Delegierte der Ligue internatiorale pour le desarmement 
general, deren Vorsitzende Fürstin Wisniawska in Paris, der 
Ligue fran(;aise pour la paix, deren Vorsitzende Frau Potonie Pierre 
in Paris ist und als Delegierte der Dt'utschen Friedensgesellschaft, 
deren Vorsitzender Herr Pastor Sej^del Sie bereits begriisste, 
möchte ich den anwesenden Teilnehmerinnen am Kongress die drei- 
fache Bitte dieser Gesellschaften aus H»'rz legen, sich der Friedens- 
bewegung anzuschliessen, wenn dies bisher noch nicht geschehen ist, 
und namentlich Frauengruppen in allen Ländern zu bilden. Leidet doch 
niemand mehr unter den Grausamkeiten des Krieges als die Frauen, 
welche alsdann ihre Gatten, Brüder, Verlobte oder Söhne dahingebcm 
müssen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um das Leben Anderer zu ver- 
nichten, welche sie nicht kennen, welche ihnen nie ein Leid thaten. 



- 346 — 

Wir haben in unserer Jugend das Gebot gelernt: Du sollst 
nicht töten! Wir lehren dieses Gebot unseren Kindern — und 
dennoch muss jeder militärpflichtige Jüngling und Mann gehorchen, 
Tvenn es heisst: „Der Krieg ist da, — nun folgt dem Ruf zum 
Massenmord." In dem bewaffneten Frieden, in dem sich die europäischen 
Staaten seit 25 Jahren befinden, — was ja zur Vertheidigung des Vater- 
landes notwendig ist, wenn ein Krieg nicht vermieden werden kann, — 
werden immer neue mörderische Waffen und Maschinen erfunden, 
um einen kommenden Krieg nur noch entsetzlicher zu gestalten. 
Uns Frauen erwächst eine ganz besondere Aufgabe in der Erziehung 
der Söhne, nämlich wir sollen ihnen nicht schon in frühester Kind- 
heit als erstes Spielzeug Waffen in die Hand geben, — ein Schiess- 
gewehr, Säbel, Flinte, um in ihnen die Vorliebe für das „Darauf- 
losschlagen" zu pflegen. Nicht die rohe Gewalt sollen wir als Mut 
und Tapferkeit preisen, sondern die Selbstbeherrschung, die Energie 
und Ausdauer des Wollens und Thuns. — 

Auch die Schule sollte im Geschichtsunterricht den Nationalitäts- 
hass zu nähren vermeiden. Bei der Be/ieisterung und glühenden 
Liebe zum eigenen Vaterlande und zur Heimat, sollten wir doch 
nie vergessen, dass die Erde unserer Aller Heimat ist und dass wir 
Menschen einen Ursprung und eine Erde haben und nicht der Hass, 
sondern die Menschenverbriiderung aller Völker sei das letzte ideale 
Ziel der IMenschheit. 

Vor unserem Kongress tagte der grosse Weltfriedenskongress 
in Budapest vom 17- 22. September. Dort waren die Bevoll- 
mächtigten von mehr als 300 Fried(^n«gesellschaften vereinigt, die 
aus allen Teilen Europas und Nordamerikas zusammengekommen 
waren, unter ihnen viele Frauen, welche unermüdlich lür die 
Friedensideen eintraten, wie Hertha v. Suttner, Frau Evans-Ormsby, 
Frau Vincent. Sie alle hegen die Hoffnung, dass mit der immer 
mehr zunehmenden Gesittung und den bestandigen Fortschritten der 
Menschheit, die blutigen Kriege immer mehr beseitigt werden können. 
Viele Fälle sind schon dagewesen, wo Völker, die in Streitigkeiten 
verwickelt waren, Schiedsgerichte angerufen haben, um die trennenden 
und feindseligen Zwistigkeiten auf friedlichem Wege zu schlichten. 

Die Thiitigkeit der Friedensgesellschaften ist darauf gerichtet, 
dass Mittel und Wege gefunden werden, um die Zerwürfnisse unter 
den verschiedenen Nationen nicht durch rohe Gewalt und Blut- 
vergiessen, wie in früheren barbarischen Zeiten, zum Austrag zu 
bringen, sondern durch internationale Schiedsgerichte, denen sich die 
Machthaber alsdann unterwerfen. Drängt sich nicht jedem Menschen- 
freunde unwillkürlich die Betrachtung auf, dass durch ein solches 
Schiedsgericht der europäischen Mächte die furchtbaren Gräuel 
zwischen Türken und Armeniern langst hätten aufhören müssen? 

Wir Frauen aber wollen und sollen dazu beitragen, die Ideen 
der Friedensgesellschaften zu verbreiten. Wir sollen überhaupt das 
versöhnende Prinzip vertreten, sowohl in der Erziehung, wie im 
sozialen Leben. Nicht Klassen- und Rassenhass, nicht Intoleranz 
religiösen und politischen Gesinnungen gegenüber — werden der 
Menschheit eine glückliche und würdige Zukunft bringen, sondern 



~ 346 — 

die Gerechtigkeit und die nie ermüdende Nächstenliebe. Für den 
Frieden innerhalb des Vaterlandes und für den Frieden unter den 
Völkern wollen auch wir Frauen mit Mut und Freudigkeit eintreten. 



; GcrüS89 aus Frankreich. 

j 

i Mitgeteilt von Frl. Dr. Schirmacher. 

I Wir erhalten soeben durch MUe. Dupont noch ein Schreiben 

von Mme. Flammarion, der Vizepräsidentin der Ligue internationale 
des femmes pour le desarmement general. Das Schreiben und die 
folgende Statistik können wir hier nicht verlesen. Ich denke aber, 

' wir wollen nicht vergessen, dass gerade in der Friedenssache von 

Frankreich aus ein direkter Appell an uns gerichtet worden ist. 



Friedensgruss aus Palermo. 

Von Frau Rosalie Schoenflies, Berlin, Ehrenmitglied und Delegierte 
des „Comitato delle Signore per la Pace e T Arbitrato di Palermo." 



In keinem Lande hat die Bewegung für den Frieden in den 
letzten Jahren eine solche Ausdehnung gewonnen wie in Italien, 
wo der afrikanische Krieg unmittelbare Veranlassung war. 

Die Frauen-Petition um Beendigung des afrikanischen Krieges, 
welche dem italienischen Parlament überreicht wurde, zählte nicht 
weniger als 150 000 Unterschriften. Ausgegangen von dem Bund 
der Frauen-Vereine in Mailand, war diese Petition von allen Frauen- 
Vereinen des Landes eifrig verbreitet worden; und man kann sagen, 
dass es in Italien keinen einzigen Frauen- Verein giebt, der nicht die 
Propaganda für den Friedensgedanken zu seinen Aufgaben zählt. 

Ausschliesslich diesem Zwecke dient das „Frauen- Komitee für 
Frieden und Schiedsgerichte in Palermo", das zu vertreten ich die 
Ehre habe und das mich beauftragt hat, hier einige Mitteüungen 
über seine Geschichte und seine Thätigkeit zu machen. Wegen der 
kurz bemessenen Zeit beschränke ich mich auf das Wichtigste und 
das Eigenartige. 

Das Frauen-Komitee für Frieden und Schiedsgerichte in Palermo 
konstituierte sich am 5. Juli 1891 in einer hierzu berufenen Ver- 
sammlung, in welcher Signorina Marietta Campo, eine der hervor- 
ragendsten Vertreterinnen der Friedensidee in Italien, einen Vortrag 
über die Mission der Frau in der Friedenspropaganda hielt. 

Im Januar 1892 wurden die Statuten angenommen. Danach ist 
Zweck des Vereins, dass er überall und mit allen ihm zu Gebote 
stehenden Mitteln für die Prinzipien der Humanität und Gerechtigkeit 
eintrete, nach denen Streitigkeiten zwischen verschiedenen Staaten 
nicht mehr durch die Waffen, sondern durch internationale Schieds- 
gerichte beizulegen seien. Den Mitgliedern des Vereins wird zur 
Pflicht gemacht, sowohl in der eigenen Familie wie in allen ihnen 
zugänglichen Kreisen das Gefühl der Brüderlichkeit für alle 
Völker und die Idee des Weltfriedens in die Herzen zu pflanzen. 



— 347 — 

Aus der umfassenden Thätigkeit des Vereins nenne ich: Ver- 
anstaltung öffentlicher Frauen-Versammlungen zur Erörterung der 
Friedensfrage, Mitarbeit in der Tagespresse, Veröffentlichung be- 
sonderer Flugblätter, Teilnahme an internationalen Friedenskongressen, 
auch darch Stellung besonderer Anträge und endlich regen Austausch 
mit anderen, vorzugsweise englischen Friedens vereinen. 

Besonders aber liegt meinen Auftraggebern am Herzen, dass 
ich Ihnen von einer Einrichtung spreche, für welche sie die Initiative 
ergriffen haben, und die meines Wissens sonst nirgends besteht. 

Es ist dies eine Sonntagsschule für Mädchen, in welcher die- 
selben füi' den Friedensgedanken und zam Gefühle allgemeiner 
Brüderlichkeit erzogen werden sollen. Diese Anstalt, die im Jahre 
1894 eröffnet wurde, nimmt Mädchen von 8 — 18 Jahren auf und 
hat einjährigen Kursus. Die Zahl der Schülerinnen war zuerst 
gering, stieg aber im 2. Jahr auf einig«? 30. 

Aus dem Lehrplan der Schule hebe ich einzelnes zur Charakteri- 
sierung hervor. Der Unterricht l)eginnt mit einer Besprechung der 
Pflichten, die jeder Mensch gegen Gott, gegen sich selbst, gegen 
die Familie und gegen den Nächsten zu erfüllen hat. Die Pflichten 
gegen den Nächsten umfassen auch die Pflichten gegen die An- 
gehörigen anderer Völker: und neben der Pflicht des Patriotismus 
steht die Pflicht gegen die Menschheit. Der Friede ist eine 
religiöse und sittliche Pflicht und liegt zugleich im Interesse jedes 
Volkes. Die Uebel des Krieges sind moralischer, kulturfeindlicher 
und materieller Art. Der Gedanke des allgemeinen Weltfriedens 
und die Mission der Frau für die Friedenspropaganda bilden den 
Schluss der Besprechungen. 

Der Lehrerin wird zur Pflicht gemacht, ihren Stoff nicht abstrakt 
zu behandeln, wie es nach dieser kurzen Uebersicht scheinen könnte, 
sondern in anschaulicher Weise und dem Verständnis der Kinder 
angepasst; durch Beispiele, passende Erzählungen und Gedichte er- 
läutert und belebt. 

Soll der Gedanke des allgemeinen Weltfriedens in immer wei- 
teren Kreisen sich verbreiten und so anwachsen, dass er einst in 
der Zukunft eine Macht von unwiderstehlicher Gewalt werden kann, 
so muss er in die empfanglichen Herzen der Jugend gepflanzt, in 
die Familien getragen und von Generation zu Generation befestigt 
werden. Aus dieser Erkenntnis ist die Schule in Palermo hervor- 
gegangen, und in diesem Sinne spricht das Frauen-Komitee durch 
mich den Wunsch aus, dass auch anderswo ähnliche Anstalten 
entstehen möchten. 

Wir Frauen der verschiedenen Nationalitäten und Staaten, die 
wir hier versammelt sind, um unsere Ansichten über unsere gemein- 
samen Angelegenheiten auszutauschen, sind einander auch menschlich 
und persönlich nahgetreten. Wir haben uns hier Schwestern ge- 
nannt und als Schwestt^n für einander empfunden. Lassen Sie uns, 
meine Schwestern aus Nord und Süd, aus Ost und West, von Fern 
und Nah, dies Gefühl der Schwesterlichkeit festhalten, wenn die 
hochgehenden Wogen der Festesstimmung verrauscht sind, und jede 
von uns wieder im Alltagsleben ihrer Heimat steht. Dann werden 
wir in immer höherem Masse unsere Frauenmission erfüllen können. 



— 348 — 

die niemals schöner ausgesprochen worden ist, als in den Worten 
des alten giiechischen Dichters: 

„Nicht mitzuhassen, mitzulieben leb' ich nur". 

Schlusswort. 
Von Frau Minna Cauer. 

Es ist mir die ehrenvolle Aufgabe zu teil geworden, das letzte 
Wort zu dieser Versammlung zu sprechen. Tiefbewegt stehe ich 
vor Ihnen, und ich bin überzeugt, dass viele unter Ihnen in ähnlicher 
Weise empfinden. Ungeahntes ist es, was wir in dieser Woche er- 
leben durften, ungeahnt ist der Erfolg, den wir heute mit Freudigkeit 
verzeichnen können. 

Ich schaue um mich auf diesen herrlichen Saal, auf diese tausend- 
köpfige Menge, welche eine Woche lang mit immer wachsendem 
Interesse unermüdlich ausgeharrt hat. Dieser Festsaal, der sonst 
nur zu Festlichkeiten des Magistrats der Haupt- und Residenzstadt 
des Deutschen Reiches hergegeben wird, hat zum ersten Male Frauen 
aufgenommen und zwar diejenigen Frauen, welche in ernster Arbeit 
und in hartem Kampfe um diese Arbeit und um ihr Bürgerrecht 
stehen. 

Dem Magistrat der Stadt Berlin sei darum der erste Dank von 
mir gebracht, den Vätern der Stadt, die ihre Mütter, ihre Töchter, 
ihre Schwestern in dieser herrlichen Halle haben tagen lassen. Man 
hat uns so gewisserniassen ein Bürgerrecht erteilt. Wir Frauen 
besitzen ein dankbares und treues Gemüt. W^ir werden daher nie- 
mals mehr die A^äter unserer Stadt allein und einsam walten und 
arbeiten lassen. Das ist doch wahrlich ein edles G-elöbnis und ein 
edler Dank! 

Aber wenn ich der Väter gedenke, welche uns diesen Raum 
gewährten, so kann ich nicht umhin, des Mannes zu gedenken, der 
rastlos für die Ordnung in diesem Saale sorgte. Ihm, dem freund- 
lichen Hausinspektor, mit seiner Schar von Dienern, die einzogen, 
um Sauberkeit und Ordnung wiederherzustellen, wenn wir, erfüllt 
von dem Gehörten, unbekümmert um die Herstellung der Aeusser- 
lichkeittn, den Raum verliessen: ihm sei unser herzlicher Dank 
hiermit gesagt. Vergessen wir auch nie, der Kleinsten und Geringsten 
unter uns zu gedenken; gerade die Heinzelmännchendienste müssen 
das Schaffen für das Grosse erinöglichen, und so sei auch dankbar 
der Arbeiter und Arbeiterinnen in diesem Saal gedacht, welche in 
den ersten Tagen des Kongresses staunend die Frauen hier einziehen 
sahen. Wir haben so viele wichtige Worte über die Pflichten gegen 
unsere Schwestern, die Arbeiterinnen, gehört, so dürfen wir an 
dieser Stätte am wenigsten vergessen, was hier während der Tagung 
des Internationalen Kongresses von ihnen aus geleistet worden ist. 
— Der Frau sei nun von mir dankbar gedacht, welche die Idee 
dieses Internationalen Kongresses zuerst ausgesprochen hat, Frau 
Lina Morgenstern. Möchte sie noch lange leben, um die Früchte 
von dem zu sehen, was, wie ich glaube ohne Ueberhebung aussprechen 
zu dürfen, von uns allen hier gesät worden ist! 



— 349 — 

Dem Komiti'e des Int4M*national(*n Kon<rress«'.s, die^t^n ener^isoheii 
Frauen, welche in rastloser. anire*«trenj:tr.ster. mfihevollster Arbeit in 
80 kurzer Zeit ein so jjrosses Wrrk frestalt»'t tiaben und treu zu- 
sammenhielten! ^iin die Ide*' /.u vtTwirkliclien: di(*st'ni Komitee aber 
brauche ich kt*inen Dank sair«'n. I»li k'-nne si«», «liese Krauen, sie 
sind belohnt für ihre treue, hini:ebt»nde Arbeit durch den uner- 
warteten und j^ssartijren Krf«)l<r des Konirressrs. 

Wenn ich dennoch eine Kominission nenne, die Saalkommission, 
um ihr mühevolles Walten l>eson<ler.s an^rkeniund hervorzuheben. 
80 wird jeder, der diese Tiure init«'rlel>t hat, wissen, welch' eine 
schwierige Aufeabe di^'ser Kommission und dem Geschfiftsbüreau 
bei dem ungeheuren Andranir oblaj;. Xiemals i**t di»' liuhe gestört. 
worden, und nur, wer tiefer in das inn»*re (ietriebe des Ganzen 
hinein^blickt hat, kann beurteilen, was das sairen will. — 

(Es folgten dann in fran/ösi«'h»'r und en^liscb«T Sprache herz- 
liehe Dankesworte an die au»*liindis<'luM) D'lei:it*rten.j 

Und nun, verehrte AnwestMide, bitte i<'h Si»- — last not least 
— , dass ich mich einen Aujrenblick mit. dem miinnlichen Geschlecht 
beschüftigen darf. Vor mir sitzt eine ^la^-ht, eine gewaltige Macht. 
Wir kennen sie alb», die^* Macht di«* uns. wenn sie will, grosse 
Schwierigkeiten in den Wr«: h^^^en kann, welche aber auch - und 
das hat sie dieses mal fa^-t durchwt»g mit mehr oder weniger Wohl- 
wollen und mit mehr oder weniirer Sachkenntnis ausgeführt — 
diejenige Stellung, welche die Frau«*nbewegung in der Entwickelung 
unseres Kulturlebens einnehmen kann, ja einnehmen mu^is, durch An- 
erkennung und durch verständnisvolle Würdiüfung zu stützen und 
zu befestigen vermair. Ich meine <lie Presse. die<e Vertreterin der öffent- 
lichen Meinung. Wir hab»'n hier* vor der R«'dnerbühne eine Woche 
lang Männer und Frauen zu<amm»'nsitzen sehen, welche in fast 
aufreibender Thätigkeit tairtiiglich nahezu alle bedeutt»nden Zeitungen 
und Zeitschriften mit dem Inhalt der hier irehaltenen Vorträge und 
Verhandinngen bekannt gemacht haben. Keine ])olitische Richtung 
hat hier gefehlt, von <ler ultrakonservativsten bis zur radikalsten 
und revolutionärsten. Friedlich sausen hier alle zusammen, friedlich 
auch Männlein und Weiblein. Kaum ein bedeutendes Blatt des In- 
und Auslandes war unvertret»'n, imd zum ersten Mal ist die Frauen- 
sacbe mit jenem Ernst und mit jener Wichtigkeit behandelt worden, 
welche eine so mächtige Kulturheweirung erheischt. Wir haben 
diesen Frauen und Männern den wärmsten Dank für ihre nie 
ermüdende Thätigkeit auszusprechen; es ist ihnen viel, sehr viel in 
dieser Woche zugemutet worden. Wenn ich zu diesem Danke eine 
Bitte hinzufügen darf, so ist es die : möchte die l^resse doch die guten 
Beziehungen zu unserer Bewegung aufrechthalteu! Wir haben 
uns kennen gelernt, und ich glaubt» ohne Ueberhebung sagen zu 
dürfen: man hat uns auch achten gelernt. Arbeiten wir in ernster 
Weise weiter, und man wird uns vielleicht auch noch einmal ganz 
verstehen lernen. — 

Und nun des Dank(\s genug! Ich wende mich zum Kongress 
selbst. Man hat oft während des Kongresses an uns die Aufforderung 
gerichtet, dass M'ir Resolutiont^n fassen lassen sollten; es gingen 
auch dahin gerichtete Anträge ein. Wir haben sie grundsätzlich 



— 360 — 

zurückgewiesen. Wir haben jedoch einige wichtige Fragen zur 
Diskussion kommen lassen. Wir waren im Komitee von Anfang an 
völlig einig darüber, dass der erste Frauenkongress in Deutschland 
nichts mehr und nichts weniger sein könnte, als eine Aussprache 
über die Kulturarbeiten der Frauen zivilisierter Länder. Wenn 'man 
uns das „Zuviel" v ■ geworfen und es als ein Zeichen von Ober- 
flächlichkeit angesehen hat, so konnten das nur Uneingeweihte oder 
Misswollende sagen. Der Grundsatz des Yoneinanderlernens leitete 
uns, und gelernt haben wir viel, haben wohl auch Erfahrungen 
gemacht, infolge deren wir einen später etwa stattfindenden Kongress 
noch zweckmässiger zu gestalten vermögen- — 

Es war — das muss nachdrücklich betont werden — gar nicht 
unsere Absicht, etwa nur einige grosse Prinzipienfragen zu behandeln 
und irgendwie entscheidende Beschlüsse zu fassen. Dennoch haben 
wir über zwei Fragen uns in prinzipieller Weise ausgesprochen, 
Fragen, welche nach meiner Ansicht, brennende geworden sind: 
die Sittlichkeitsfrage und unsere Stellung zur sozialdemokratischen 
Bewegung. Die letztere Frage zu erörtern, hatten wir nicht 
beabsichtigt, wir danken aber den sozialdemokratischen Ver- 
treterinnen der Frauenbewegung dafür, dass sie uns zu dieser Aus- 
einandersetzung gewissermassen gezwungen haben. — Ich möchte 
an dieser Stelle noch einmal betonen, dass wir alle Frauen 
eingeladen hatten, von der konservativsten bis zur radikalsten; und 
keine Richtung brauchte sich veranlasst sehen, fernzubleiben. 

Die Aussprache mit den Sozialdemokratinnen hat uns bewiesen, 
das solche Auseinandersetzungen von Nutzen sind. Trotzdem der 
prinzipielle gegnerische, auch wohl feindselige Standpunkt der Partei 
hie und da scharf zum Ausdruck kam, hat dennoch die Diskussion zur 
Klärung beigetragen. Wir haben einerseits unsem Standpunkt fest- 
gehalten, dass wir die Feindschaft nicht erwidern dürfen, andrerseits 
versucht, die sachlichen Unterschiede erkennen zu lernen und die Wes^e 
zu finden, auf denen wir gemeinsam arbeiten können. Ich bleibe bei 
meiner Ueberzeugung und spreche sie hier von neuem aus, dass die 
Frauen allein diejenigen sind, welche noch eine Brücke von einem Ufer 
zum andern bauen können. Wann und wie dieselbe zu schlagen ist, 
können wir heute noch nicht wissen. 

Wir haben mit allem Ernst uns über die Arbeiterinnen frage 
unterrichten wollen, und zum Teil sind uns auf diesem Kongress 
wertvolle Mitteilungen über sie gemacht worden. Wir sind hier 
nicht mit der Prätension aufgetreten, diese schwerste Seite der 
sozialen Frage irgendwie ihrer Lösung näher bringen zu wollen. 
Auch hier wollten wir lernen, nur lernen, prüfen, um zu neuer 
Arbeit Wege und Ziele zu finden. 

Wir haben ferner die dunkelste und traurigste Seite der so- 
zialen Frage mit strenger Objektivität rückhaltlos und mit feinem 
Takt vor der Oeflfentlichkeit zu erörtern gesucht: die Sittlichkeits- 
frage. Auch hier konnten wir uns nur freuen, dass die Sozial- 
demokratie ihre Ansichten kundgab. Der Austausch der Gedanken 
hierüber war für beide Teile von Bedeutung und hat nur bewiesen, 
dass auch auf diesem Gebiete manche gleichen Wege eingeschlagen 
werden können. Dass die wirtschaftliche Lage der Arbeiterinnen, 



— 351 — 

die Iiohnverhältnisso u. s. w. von den bürporlicht'n Frauen mehr 
erkannt und gekannt werden mfissen, ist uns während des Kon- 
gresses nicht zum ersti-n Male klar irewonh-n; aber es ist uns von 
neuem in aller Schärfe vor die Au^en ir^'fiihrt worden, dass es not- 
wendig ist, sozial zu arbeitrn und sWh nicht immer in kleiner Ver- 
einsthätigkeit zu zersplittern. Si«% vcn-hrte Anwesende, haben 
täglich unerniildlich und mit fixst h«-r<Mscher Ausdauer diesen Yer- 
sanomlungen und VortrJiiren bripewobnt. \\'rrden Sie jetzt mit der 
gleichen ünermildlichkeit. mit drrsrlbfn Ausdauer ui diese grosse 
soziale Arbeit mit uns fintn-tcn? \Vrrd«n Sie aus diesem herrlichen 
Raom hinausziehen, um dann mit dvv ganzen Kraft der Persönlichkeit 
an der grossen KulturbeweLOinir teilzunelunen? Werden Sie nicht 
nur enthusiastisch anirereüft diesen Konjrress verlassen, sondern auch 
thatkräftig handeln? Dürfen wir nun endlich hoffen, dass die 
deutschen Frauen mit tief* m ausdauerndem Ernst diejenigen unter- 
stützen, welche rastlos ihre Kraft und un(?rmiidlich ihre Arbeit in 
den Dienst der Allg«Mneinheit stellen? Wenn in Ihren Herzen ein 
zustimmendes Ja aut diese Fragen antwortet, dann ist dieser Kongress 
in der That von gri)sst»'r kulturhistnrischer Hedeutung. — 

Und nun noch mein letztes Abschieds wort für Sie und für 
uns alle! 

Jede von uns hat ihre eigene, ihn* persönliche Frauenfrage, und 
wer diese zu lösen versteht, bat ein grosses Werk vollbracht, das 
der Selbster/iehung; liat vielleicht einen stilb*n Kampf gekämpft, 
der härter und schwerer war, als alle andern Kämpfe, weicht^ für 
uns Frauen das Leben in der Oetfentlichki'it immer mit sioh bringen 
wird. 

Jedes Land hat seine eigene nati(niale Frauenfrage und jedes 
Land hat diese auf seine eigene Weise anzugreifen, zu entwickeln, 
zu lösen. Wohl können wir von unsirn mutigen und vorwärts- 
strebenden Schwestern in den andern Liindern lernen, doch Xach- 
ahmen wäre falsch. Nichts wird dem deutschen A'olke, an seiner 
inneren Entwickelung, leicht gemacht, und es erschwert sie sich 
selbst noch durch seine Zei-splitteningssucht; arbeiten wir Frauen 
daran, dass in der deutschen Frauenbewegung dieses traurige Erb- 
teil niemals in die Erscheinung trete I Seien wir streng mit uns und 
streng mit den andern, damit die nationale Wohlfahrt gefördert 
-werde, und nie Person* nkultus dem grossen idealen Streben der 
Frauenwelt einen Niedergang beri'itel 

Aber es giebt auch ein Internationales, was ewig war, heute 
ist und ewig sein wird, das, was alle ^Menschen verbinden kann, 
verbinden sollte: das sind die edlen, ewigen Gedanken der Menschen- 
liebe und Gerechtigkeit. Wer dieses Internationale am ersten und 
am höchstt^n zu verwirklichen w«'iss, ob ^lann, ob Frau, ob Germane, 
Romane oder Slave, wer im Kampf um die sittlichen Güter den 
ersten Preis zu erreichen v(Tsucht, der hat zum Fortschritt der 
Menschheit beigetragen. 

Der Grundgedanke des Kongresses war, diese höchsten Güter 
der Gerechtigkeit und [Menschenliebe durch Frauenarbeit und Frauen- 
bestrebungen zum Ausdruck zu bringen. 

Trotz des Kampfes, der unausbleiblich zur Erreichung von 



— 352 — 

Idealen und notwendig zur Durchsetzung neuer Ideen ist, wird die 
Arbeit der Frauen auf den Frieden hinführen; denn sie ist Kultur- 
arbeit. Das hat auch dieser Kongress bewiesen. Die ewigen Ge- 
danken des Friedens, der Gerechtigkeit, der Menschenliebe haben 
uns geführt; und die Verwirklichung dieser Ideale ist das Ziel der 
Frauenbewegung ! 

Hiermit schliesse ich den ersten Internationalen Frauenkongress, 
den deutsche Frauen in Berlin einberufen haben. 



Eingesandte Vorträge. 

1) Woman's part in the Peace Movement in America by Mrs. 
Mary Frost Ormsby-Evans, East Providence, Rhode Island, 
President of Womans Peace League of America. 

2) Bericht der Internationalen Liga Lutherischer Frauen (Lutheran. 
Women's International League), gegründet zu Chicago im 
Jahre 1893, Präsidentin Mrs. A. V. Hamma, Washington D. C. 

Zum 1. Tage gehörig: 

Le mouvement feministe en Belgique par M. L. Kuhlen, Secretaire 
de r Union Internationale de la Branche beige. 



Die Sektions - Sitzungen, 



23 



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Die Sektions-Sitzangeii. 

Leiterin: Frau Jeannette Schwerin.*) 



I. 
Dienstag, den 22. September, Yormittag 10 Uhr. 

1, Reform der Kleidnng. 

Nooh ein bedeutsames Hindernis für die Bewegung 
der Frau in der „Frauenbewegung**! 

Von Dp. Spener, Arzt in Berlin**). 

Neben den grossen, hohen Zielen, welchen die Frau mit dem 
besten Erfolge — wie dieser Kongress zeigt — zustrebt, haben 
auch einzelne andere Gegenstände Anspruch, hier erörtert zu werden, 
weil sie zu denjenigen Angelegenheiten gehören , deren Ver- 
besserung so recht ins Arbeitsfeld der F'rauen gehört und weil ferner 
die Arbeit an ihnen sozusagen eine Vorstufe zu dem Hochplateau 
der „Neuen Bahnen" bildet, ein Punkt, der auf dem Wege noch mit- 
genommen werden muss, ehe wir weiter wandern! 

Aus diesen Rücksichten heraus bitte ich Sie, meine hochgeehrten 
Zuhörerinnen, mit mir einmal einen Blick auf die äusserlichste der 
Aeusserlichkeiten zu werfen, auf Ihre Kleidung, von der ich wohl 
behaupten darf, dass sie noch ein bedeutsames Hindernis für die Be- 
wegung der Frau darstellt und damit auch geeignet erscheint, Ihren 
weiteren Bestrebungen einen Hemmschuh anzulegen. 

Aus praktischen fast noch mehr, als aus gesundheitlichen 
Gründen erscheint die heutige Frauenkleidung unzweckmässig, 
schädlich und verbesserungsbedürftig. Der Grundsatz der praktischen 



*) Redaktion: dieselbe. 

**) Nach dem in der Sektionssitzung am 22. Sept. gehaltenen 
Vortrag verkürzt wiedergegeben. Der Vortrag erscheint in erweiterter 
Form ira Verlage von Hermann Walther unter dem Titel: Die jetzige 
Frauenkleidung und Vorschläge zu ihrer Verbesserung. 

23* 



— 356 — 

Unbrauchbarkeit verdient deswegen hier an erster Stelle genannt 
zu werden, weil vielleicht mit der Betonung dieses Mangels der 
w^eiblichen Kleidung auf unsere in diesen Dingen so schwer 7a\ über- 
zeugende FrauenAvelt der grösste Eindruck geniacht wird, ein Ein- 
druck, den Schriftsteller aller Orten und Zeiten mit bem schwersten 
Geschütz ärztlich-hygienischer Gründe zu erreichen vergeblich sich 
bemüht haben. 

Die heutige Zeit verlangt auch von der Frau eine weit regere 
Mitarbeit anf vielen G-ebieten des öffentlichen Lebens: das beschauliche 
Ruhedasein der Hüterin des häuslichen Herdes hat sich unter den 
Anforderungen des Kampfes ums Dasein in ein Leben vollster 
Thätigkeit, in ein „Wirken und Streben" verwandelt, das als 
wichtigste Bedingung für den Erfolg volle Freiheit der Bewegung 
in körperlicher Beziehung erfordert. 

Besonders und am augenfälligsten ist es der lange Kleiderrock, 
der die Bewegung der Frauen hindert. Er legt sich wie ein Band, 
wie ein bewegliches Brett vor Unterschenkel und Knie und ver- 
hindert den freien Schritt der Beine; nur dem stets zurückgezogenen 
Leben der meisten Frauen ist es zuzuschreiben, dass diese Er- 
kenntnis sich nicht schon weit mehr Bahn gebrochen hat, als es 
sich in den fussfreien Kleidern der Alpenbesteigerinnen, dem ge- 
teilten Rock der Radfahrerinnen, den Hosen der Sennerinnen aus- 
spricht. Er hemmt weiterhin den freien Gebrauch aller Gliedmaassen 
dadurch, dass er den Händen zur Last fällt, wenn er, wie es jetzt 
so Brauch, aufgehoben werden muss! Beispiele für diese Sclaverei 
der Frauen sieht der Sehende täglich auf den Strassen! Und weiter, 
wenn er nicht aufgehoben wird oder die Hände durch andere Lasten 
schon in Anspruch genommen sind, was dann? Entweder eine Wolke 
von dem sogenannten Staub, einem Gemisch von harmlosem Stein- 
staub, unappetitlichem Unrath und lebensfeindlichen Bakterien er- 
hebt sich gegen den ungeschützten Unterkörper und in die freie 
Luft, zum Schaden der übrigen Fussgänger! Oder: sorgfältig, 
me eine Strassenkehrmaschine nimmt der ,, Verstoss" allen weichen 
Schmutz der nassen Strasse in sich auf, schleppt ihn als neue Last 
für die ohnehin schon schwer bedrückte ,, Taille** mit sich, um ihn 
später auf den Dielen und Teppichen der Wohnung als angenehmes 
„Mitbringsel" wieder niederzulegen! Ferner wird der Rock so be- 
ständiger Erneuerung bedürftig, wenn er nicht schadhaft weiter ge- 
tragen wird, eine Eigenschaft, die die Lebenshaltung der Frauen 
mehr belastet, als die in diesem Punkte unerschöpflichen Witzblätter 
glauben lassen könnten. 

Ist er denn aber auch nötig, der lange Kleiderrock? Er kann 
ja die Figuren wirksam verschönen, wenn er in seiner Länge die 
gedrungenen Körper länger erscheinen lässt, oder wenn er bei 
grossen, schlanken Gestalten mit dem zweckentsprechenden Falten- 
wurf eine proportioniertere Rundung des Körpers bewirkt. Aber 
hierin thut die G-ewöhnung viel, und ich kann nicht anerkennen, dass 
diesem einen Vorteil gegenüber nicht die Nachteile mehr in die 
Wagschale fallen und doch erzwingen sollen, dass man ihn fussfrei, 
mindestens 10 cm. vom Boden abstehend anfertigt. 

Ein weiterer Einwurf gegen den kurzen Rock, die mögliche 



— 357 — 

Erkältung, wird dadurch hinfällig, dass ich schon aus anderen 
Gründen die Unterröcke verdamme und durch ein weites, faltiges 
Beinkleid ersetzt zu sehen wünsche. Jene sind doch wohl nächst 
dem Korset die unzweckmässigsten Kleidungsstücke: Der Wärme 
dienen sie sicherlich nur soweit die äussere Seite der Beine hedeckt 
ist, der ganze Unterkörper ist frei der kalten Luft ausgesetzt; das 
Abstehen des Kleiderrockes — ein zweiter mir angeführter Nutzen 
der Unterröcke — ist auch auf anderem Wege zu erzielen — also, 
die Vorzüge sind abgethan; die Nachteile, die denen des Ober- 
rockes gleichen und diese gewissermaassen potenzieren, sind so augen- 
fällig und erheblich, dass die vermeintlichen Vorzüge auch dadurch 
völlig aufgehoben werden — also habe ich kein Mitleid mehr mit 
diesen unnützen üeberbleibseln einer Mode, die nur zur Vortäuschung 
grösster Hüftbreite erfunden wurden. Das faltige Beinkleid, in 
England unter dem Kamen „Knickerbocker'' sich immer mehr ein- 
bürgernd, ist viel zweckmässiger: es ^värmt und hält den Staub vom 
Unterkörper fern, da es geschlossen ist, es wird auch durch seinen 
weiten Umfang das Abstehen des Kleiderrockes in genügender Weise 
bewirken, damit die Gliedmaassen nicht unschön sich andeuten. Es 
kann der Jahreszeit entsprechend, aus verschiedenem Stoffe (Leinen — 
Tuch) gefertigt werden, ja es wird vielleicht am elegantesten sein, 
es aus demselben Stoff wie den Oberrock herzustellen. Dabei 
möchte ich aber — abgesehen von weiteren Einzelheiten in Form 
und Schnitt, die ich berufeneren Kräften überlasse — betonen, dass 
es vom Standpunkt der Gesundheit dringend geboten ist, dass der 
Bund aller Unterkleider genau nach der Figur des Leibes und der 
Hüften geschnitten, d. h. von einer Schneiderin genau dem Körper 
der Trägerin angepasst werde. Diese Forderung müssten über- 
haupt alle auf dem Leib getragenen Klleidungsstücke erfüllen, besonders 
w^enn sie, wie die Gesundheit ebenfalls fordert, an Achselbändern 
getragen werden. 

Ich komme damit schon zu demjenigen Kleidungsstück, das 
hauptsächlich diese Funktion, die Unterkleider zu tragen erfüllen 
soll, zu dem vielgeschmähten, aber immer widerstandsfähigen Korset. 
Es ist widei'sinnig behaupten zu wollen, dass das Korset die Funktion, 
die Unterkleider zu tragen, gut erfüllt, denn es ist immer der Leib, 
an dem diese über der Taille geschnürten Röcke hängen: das 
lässt sich beweisen, wenn man bei einer Frau die Entfernung der 
beiden Korsetstängen misst, welche das Korset im Rücken abschliessen ; 
di(3 über dem Korset bewirkte Schnürung der Unterkleider verkürzt 
diese Entfernung regelmässig, d. h. es Avird die Taille stets noch 
durch die Röcke ausser dem Korset zusammengeschnürt, so dass 
nicht nur der Panzer, fast noch mehr die Röcke an den Schäden 
schuld sind, die bisher dem Korset allein vorgeworfen werden. Ich 
hätte daher allen Grund, die völlige Verwerfung, dieses Marter- 
instruments zu verlangen, wenn — das ist Hauptbedingung — die 
Unterkleider an Taillen angeheftet werden, die die ganze Last tragen. 
Ich bin aber der Ueberzeugung, dass sich zu völliger Verwerfung 
des Korsets die wenigsten Frauen der Jetztzeit verstehen werden, 
weil die durch Generationen hindurch schon fortgesetzte Schädigung 
der Rückenmuskulatur der Frauen einen künstlichen Halt gebieterisch 



— 368 — 

verlangt. Ich schlage deshalb vor, dass an das Korset breite Achsel- 
bänder befestigt werden, dass ferner vom oberen Rand des Korsets 
aus bewegliche, in der Taille durch eine Schlinge laufende Bänder 
ausgehen, an welchen in Htifthöhe die Unterkleider durch Knöpfe 
befestigt sind. Ihr Mütter aber, gewöhnt Euren Kindern kein 
Korset an, sondern stärkt durch möglichste Gymnastik die Rticken- 
muskeln derselben, dann wird Euren Enkelinnen das Korset als ein 
fluchwürdiges Folterinstrument dereinst erscheinen. („Träger- Korsets", 
wie das oben beschriebene, fertigt Heinrich Hoflfmann, Berlin S.W. 
Kommandantenstrasse 77 — 79.) 

Als Ersatz dieses Kleidungsstücks für die späteren „korsetlosen" 
Generationen hätte die Einrichtung zu gelten, dass alle den Unter- 
körper bedeckenden Kleidungsstücke mit einem leibchenartig den 
Rumpf umschliessenden Oberteil fest verbunden, beide gleichsam aus 
einem Schnitt gefertigt sind, so wie die schon jetzt sich sehr ein- 
bürgernden Hemdhosen eingerichtet sind. Diese würden, mit ge- 
wissen Verbesserungen — u. a. langen Aermeln versehen um die 
direkte Berührung der Haut mit den Stoffen der Taille zu ver- 
meiden — einen äusserst empfehlenswerten Ersatz für die beiden 
intimsten Hüllen des Körpers darstellen. Von ihnen erscheint 
namentlich das Hemd in seinem die obere Brust und die Arme ganz 
frei lassenden, die Hüften mit überflüssigem Stoff umhüllenden Schnitt 
sehr wenig zweckentsprechend. Die Hemdhose ist jetzt bereits in 
allen besseren Wäschegeschäften zu haben, sollte aber doch eigentlich 
auch nach Maass gefertigt w^erden. 

An der Fussbekleidung hätte die Frau neben der Verbannung 
der Strumpfbänder auch die hohen Hacken möglichst zu beseitigen, 
ohne in das äusserst hässliche Gegenteil der breitesten Fersen der 
Engländerinnen zu verfallen. Ich glaube sogar daran erinnern zu 
müssen, dass eine Kürzung des Oberrockes eine möglichste Hervor- 
hebung des Schuhzeugs bedingt, auf dessen schöne, elegante Aus- 
gestaltung daher ein grosser Wart gelegt werden könnte und müsste. 

Dass die in der Betrachtung noch fehlenden Kleidungsstücke 
am meisten von allen der Mode unterworfen sind, macht ihre Be- 
handlung ebenso schwierig wie notwendig der Kosten wegen, die 
sie gerade durch diese Abhängigkeit veranlassen. Doch glaube ich, 
dass, während die sonstigen Kleiderteile eher eine gewisse Ein- 
förmigkeit vertragen, gerade in diesen dem Schönheitssinn der Frauen, 
dem Geschmack der Welt und den Geboten der Mode am meisten 
Rechnung getragen werden muss und getragen werden wird. Zu 
warnen ist nur vor der unseligen Fischbein Überladung der Kleidertaille, 
welche ähnlichen Nachteilen wie das Korset Vorschub leistet, und 
vor dem dadurch wohl immer bedingten, inneren Hakengurt der 
Taille. Natürlich Modeauswüchse, wie Keulenärmel und weite 
Unterärmel, sind zu vermeiden. 

Auch von Hut und Haartracht lässt sich mancherlei sagen, 
namentlich ist hier im Sinne der freien Frauenbewegung Einfachheit 
anzuraten. Möglichst leichtes Frisieren, bei grösster Festigkeit ist 
zweckmässig, damit der Hut aus weichem Stoff auf dem glatten 
Haar fest aufsitzt und nicht erst durch die gefährlichen und 
widersinnigen Hutnadeln durchstochen und befestigt werden muss. 



— 359 — 

lieber den Mantel, den Ursprung von Leid und Freude in einer 
ganzen grossen Industrie, will ich zunächst schweigen, seine Eigen- 
art muss sich der übrigen Tracht anpassen! 

Wenn sich die geehrten Zuhörerinnen nach meinen doch in be- 
scheidenen Forderungen sich ergehenden Ausführungen ein Bild der 
„verbesserten" Frauenkleidung vorstellen wollen, so werden Sie sagen 
dass eine anmutige, nette Erscheinung der Frau das Ergebnis ist, 
an der man anerkennen muss, dass sie es versteht Geschmack und 
Schönheit mit Zweckmässigkeit und gesundheitlich richtigem Ver- 
halten zu vereinen. So wird die Frau auch der neuesten Frauen- 
bewegung nichts von dem verlieren, was Dichter aller Orten und 
Zeiten an ihr preisen und was die Menschen immerdar an den 
Frauen gerühmt haben und lieben werden, den 

Zauber holder Weiblichkeit! 

(Anm. bei d. Korrekt. An diesen Vortrag und den folgenden der 
Frau Dr. Proelss hat sich ein weiteres Eingehen auf die Kleiderfrage 
in der Folgezeit geschlossen und zur Gründung eines ».Vereins zur 
Verbesserung der Frauenkleidung" geführt, der auf dem angedeuteten 
Wege weiter zu streben sich bemüht. Vors. Frau Oberstlieutenant 
Marg. Pochhammer, Berlin W., Lützow-Ufer 13). 



Korreferentin Frau Sera Proelss. 

Wenn die vornehmste Pflicht der nach Vervollkommnung stre- 
benden Frau die Bildung des Geistes betrifft, um das Vorurteil un- 
serer Inferiorität zu besiegen, so dürfen wir dabei aber gewiss nicht 
unser Aeusseres ausser Acht lassen. Wir müssen in der Kleidung 
und in unseren Manieren unsere geistige Voll Wertigkeit bethätigen, 
ohne unserer Weiblichkeit Eintrag zu thun. Auf diesem Gebiete 
ist viel gesiLndigt worden und nicht nur von der eitlen putzsüchtigen 
Modedame, sondern ebensoviel von der emanzipierten Frau, ja, ich 
möchte fast behaupten von letzterer noch viel mehr, denn sie hat die 
strebende Frau der Lächerlichkeit preisgegeben. Sie hat sozusagen 
über das Ziel hinausgeschossen, wenn sie sich, ihr eigenes Geschlecht 
verleugnend, in Nachahmung von Männertracht, Männer-Manier und 
-Unmanier gefiel. Der Mann konnte dabei noch in seiner Ansicht 
bestärkt werden, dass unser Geschlecht uns an geistiger Gleich- 
wertigkeit hindert. Wir Frauen von heute, die nach geistiger 
Gleichberechtigung streben, haben noch immer unter dem Odium 
der früheren Emanzipierten zu leiden, und wir woUen alles daran 
setzen, damit das Vorurteil schwindet. In der Kleidung ist eine 
Differenzierung der Geschlechter dringend geboten. Wir sind an- 
deren Geschlechtes und wollen dasselbe nicht verleugnen. Nur das 
Unpraktische und meist Unschöne unserer weiblichen Tracht, wie es 
sich in den letzten Dezennien entwickelt hat, erklärt den Fehler der 
früheren Emanzipierten und lässt ihn verzeihlich finden. Unsere 
Kleidung bedarf in der That der vollständigsten Umänderung von 
der untersten Unter- bis zur obersten Obergarderobe; denn sie ist 
weder praktisch noch gesund noch schön, welches die drei Haupt- 
erfordernisse der Kleidung sind. 



— 360 — 

Dass die weibliche Kleidung praktisch ist, hat wohl noch keiner 
ernstlich behauptet, selbst der Mann nicht, der sie zwar bespöttelt, 
aber im eigenen Interesse an uns für passend erachtet, als sicht- 
bares Zeichen unserer Abhängigkeit von ihm. Der Ausspruch 
eines mir bekannten Herrn kommt mir wieder in den Sinn, nämlich: 
„er habe keine Furcht vor der Frauenemanzipation solange die 
Frauen immer „herumkrabbeln" müssten um ihre Tasche zu finden". 
Es liegt ein tiefer Sinn in dieser harmlosen Bemerkung. Ist es wohl 
eines denkenden Menschen würdig, dass ein so nötiges Requisit, wie 
die Tasche, derartig unpraktisch angebracht ist, dass die wichtigsten 
Sachen oft durch Danebenstecken verloren werden, ausserdem so- 
viel Zeit mit dem „Herumkrabbeln" verbraucht wird und Be- 
wegungen veranlasst, die selbst bei der graziösesten jungen Dame 
niemals schön aussehen — ebenso das moderne einseitige Kleider- 
auf heben, was ja leider bei unseren langen Röcken zur Notwendigkeit 
geworden ist. Ja unsere langen Röcke! Das non plus ultra alles 
Unpraktischen und Ungesupden. Welche Unsauberkeit, welche 
Mühe, welche Unbequemlichkeit bürdet uns diese Tracht auf? Wie 
viel Fälle , Kontusionen , Knochenbrüche sind schon durch mit 
und in der Schleppehängenbleiben verursacht worden? Wieviel 
Schmutz und Bakterien schleppen wir oft mit uns herum und in 
unsere Wohnungen; es ist ja garnicht zu vermeiden, dass der lange 
Rock des öfteren die Strasse berührt — und welche Mühe, Arbeits- 
last und unnütze Geldausgaben stecken in der ewigen Stossabnutzung 

— überhaupt verliert jedes lange Kleid viel schneller sein tadel- 
loses Ansehen; und wenn die Schleppe auch im Zimmer auf Teppichen 
schön gefunden werden kann, so ist die Figur einer modernen, das 
Kleid einseitig hebenden Dame direkt unschön. Und welche Unbe- 
quemlichkeit ist das permanente Kleiderautheben ! Wie ermüdend ist 
es immerwährend an das Kleid denken zu müssen, neben der in der That 
nicht zu unterschätzenden körperlichen Abspannung durch die ge- 
zwungene Armhaltung. Es sollte mich wirklich garnicht wundern, 
wenn nach Darwin'scher Theorie schliesslich einmal uusre Frauen 
Kinder mit steifen Armen zur Welt brächten. Scherz bei Seite 

— ich habe schon oft ein tief schmerzliches Gefühl gehabt, wenn 
ich die Tausende von Frauen auf der Strasse allerorten ansehe, die 
alle, alle — und ich muss mich selbst dazu rechnen — sich diesem 
Zwange unterwerfen, — wie die Puppen dahinschreiten, der Welt 
zeigend, wie unselbständig das weibliche Geschlecht im Denken ist, 
dass es sich vom Konfektionär, dem Geschäftsmanne, der die Mode 
nur aus Geschäftsinteresse macht, zur Karrikatur zwingen lässt 
und nicht imstande ist, sich selbst eine vernünftige, gesunde Kleidung 
zu schaffen. 

Das Ungesunde der Schleppe besprach ich soeben, aber das ist 
nicht das einzige Ungesunde an unserer Kleidung. Unsere Untergarde- 
robe ist das allerungesundeste. Erstlich schleppen wir meist viel zu viel 
Stoff dabei mit uns herum und die Hauptlast lassen wir ungesunder- 
weise um die Hüften herum ruhen. Bei den vielen weiten schweren 
Röcken ist das Korsett direkt zur Notwendigkeit geworden, um die 
Last tragen zu helfen. Es durch Träger zu ersetzen ist für unseren 
Frauenkörper entschieden zu verdammen, da diese die Brust, die wir 



— 361 — 

in jeder Weise zu schützen haben, L'i'nierrn — in der Brust starke 
Damen könuen sie überhaupt nirht trair«'n. (Jesundheitssreinäss muss 
die Last der Kleidung- auf den Sfhnlt«'rn rulien, aber nicht durch 
Trägergurte. Der gesamte Anzup nius.s als (5anz«'s darauf ruhen, er 
muss, wie wir sagen „in «in»* erearb«Mtrf* sfin. Auch jede B^^k leidung 
des Unterkörpers inuss vollstiindiir mit d«'r Oberkleidunir verbunden 
sein. Auf diesem Prinzip hätte dir niodrni'* Frau sich eine prak- 
tische, gesunde und sehöne Kh'idunir zu «'rrtndcn; denn last not 
least: das Schöne wollen wir in unsm-r Kleidunir nicht vergessen. 
Wir wären ja sehr thörielit, wenn wir uns des Vor/Uirs, das schöne 
Geschlecht zu sein, begebi'ii würden, l'n^ere lielHrmkleidung soll 
geschmackvoll sein, ich betraebte es «lin'kT als Pllieht eines jeden 
Menschen, auch sein Aeus^eres zu pllegen und sieh si> wohli^etälUir aus- 
sehend, wie möglich zu machen. In d'-in dabei entwickelten (lescbmack 
liegt sicherlich ein 'i'eil «les inneren Menschen. Natürlich soll der 
Mensch nicht in stratliebe Kit«lkeir und Putzsu«'bt verfallen und 
zuviel Zeit damit verg«'udeu. l);i^s sieh aber das l*tlei2:en und 
Schmücken des äusseren Menschen mit iieistiirer Höbe verträgt, ja, 
L'in Erfordernis der höch.^ten gei^tiL-^en Höbe zu sein scheint, wird 
uns im alten Hellas, cl-r Wieire :\\\v< (! rossen und Schönen, vor 
Augen geführt, wo die geh'brte^ten und weitesten Männer nicht nur 
ihre Körper auf das sorirtältiu'T'' plb'L''teii und saU^ten, sondern sich 
auch zu ihren Kesten scbmüeUten und bekränzten. Der nicht zu 
unterschätzenden Macht d«*<Seb«in»'n wolb-n ;iu<'li wir un-i williir beuizen. 
Alle Kultur wurzelt in dem Instinkt d.s Menseben nach Vei'scbönerung. 
Sowie Menschenhilnde Dinire ircsebatVen bal)en. sn hat der Dranir 
dieselben zu versclu'inern zur Vervollkommnung gefübrt. Wir sehen 
an den autgefundenen Sacben aus l'rzeiten, <las-; sobald ein Gegen- 
stand erfunden war, man ibn zu verzieren suehte. und durch diesen 
instinktiven Hang nach Versclu"»nerunir entstanden dun-li das Nach- 
denken darüber Verbesseruniren. Die Art der Form und Ver- 
zierungen der Sachen und fies Ge<cbmacks der Kleidung geben ein 
Bild von dem tranzen Kulturzustand eines Volkes. 

Das Volk, das schon im Altertum «-inen so holien ir'istigen 
Kulturgrad erreicht hatte, dass wir nncb heutigentags seine Krrungen- 
schaften in d<'n Wissenschaften dii unseni zu (irundt* legen, hatte 
auch den entwickeltsten Schönheitssinn, dem wir noch heute nach- 
streben, ihn als Höchstes in seiner Art bewundei'nd. Neben den in 
jeder Hinsicht hervorragenden AtluMiern stehen die Spartaner, die 
uns durch ihren Mut und ihre S(dbstverbMiü:uung imponieren, aber 
die kulturelle Höh«» der Athener konnten si«* nicht erreichen, wt'il 
sie die Gebote der Schönheit üfänzlicb i:rn«»rierten. Auch unser 
früherer sprichwörtlich gewordener, sich in seinem Aeussern ver- 
nachlässigender deutscher Professor bat sich entschieden in seiner 
Hintansetzung des Schönen an der Kultur veriranuren. Wenn ich gerade 
beim masculinum bin, so kaiui ich mir nicht vcrsairen, auch einen Ver- 
gleich zwischen derbeutigen Männer- und unserer Frauentracht zu ziehen. 
Als praktische Kleidung ist sie ja cntsebieden der weiblichen vor- 
zuzieheUi obgleich ich mir vieles diihn noch praktischer denken 
könnte, z. B. die steife Stärkwäsch«'. lu manchem erscheint sie mir 
wieder zu praktisch. Sie mair auch gesunder sein als die weibliche, 



— 364 — 

obachten und muss dies daher nur als eine Folge des Korsets be- 
zeichnet werden. 

Staatsrat Schadischial aus Tiflls: Er beleuchtet die Kleider- 
frage von der klimatologischen Seite und schlägt die Bildung eines 
internationalen Frauen Vereins vor, zum Zwecke einfacher, geschmack- 
voller Kleidung. 

Fräulein P eiser warnt vor allen sogenannten Verbesserungen 
des Korsets, wie Büstenhalter u. s. w.; sie verlangt vollständige Auf- 
gabe desselben und empfiehlt die Radfahrhose an Stelle von Unter- 
röcken. 

Frau Pochhammer beklagt, dass kein Unterschied mehr 
gemacht werde zwischen der Kleidung der Grossmutter und der 
Enkelinnen. 

Fräulein Honig aus Hannover tadelt den Gebrauch des Korsets 
beim Turnen und macht den Vorschlag, bei den Schulbehörden eine 
Eingabe zu machen, dass Mädchen zur Turnstunde im Turnanzuge 
ohne Korset erscheinen müssten. 

Frau Schwerin erwidert, dass sie den Vorschlag von Fräulein 
Honig würdigt und diejenigen Damen, die sich für denselben in- 
teressieren, bittet, nachher an den Vorstandstisch zu treten, ob nicht 
am Mittwoch in der pädagogischen Sitzung ein diesbezüglicher Be- 
schluss gefasst w(Tde. 

Frau Günther-Brauer fordert die weiblichen Bühnengrössen 
auf, durch die That kleidungsreformatorisch vorzugehen. 

Fräulein Karsten beklagt, dass die Frau doch allzusehr Sklavin 
der Schneiderin sei. 



2. Die Sittlichkeitsfrage. 

Referentin Frau Hanna Bieber-Böhm. 

Seit ich vor Jahren mit Grauen erfuhr, dass wir in einem 
Staate leben, in dem die Vielweiberei geduldet mrd, seit ich all 
den Jammer erblickte, der damit zusammenhängt, tönte vor meinen 
Ohren unablässig der alte Bibelspruch: „Thue deinen Mund auf 
für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind". 

Kein Spott und kein Hohn, keine Verleumdungen und Unter- 
stellungen sind im Stande gewesen und werden im Stande sein, mich 
von dieser Mission ab/.uschrecken. 

Jahre lang habe .ich die Sittlichkeitsfrage ernst studiert, und 
wenn die verschiedensten Blätter trotzdem so von oben herab mich 
abzuthun versuchen, so glaube ich nicht za unbescheiden zu sein, 
wenn ich diese schreibenden Herren und Damen bitte, diese Frage 
ebenfalls gründlich jahrelang zu studieren und mit ihrem Urteil 
noch so lange zu warten. Denn bisher war eigentlich — wie die 
Juristen sagen — ihr Urteil durch Sachkenntnis nicht getrübt. 

Die Sittlichkeits frage ist sowohl eine ökonomische als noch 
vielmehr eine Frage der Hygiene, eine Frage des Rechts und eine 
Frage der Erziehung. Die Losung muss also heissen: „Reform auf 
der ganzen Linie! Aufklärung!" 



— 3»ir) — 

Di»' kurzen Minuten omni::! :«•!.• tj i'« :iilir. .i :i* a"- -l,--- -ii- 
zeln^n Sr.*itfn eiiizu::'h»n. l'li l.iiVi- ^:- .i'« :• i'.i _::■•.::■::'■:* -r :::-:-. 
nnd wenn ich nur •■in/.'lii'-> Mi ;• i :\!.i':. k:ir::.. >■• v- iai:,:- :■ ir. 
mkh ai:sdriioklii:li iiu'l • iit-r-jis li ::•,'• n «li-- :...".:I-. h- A:.r, :.*:.. •!- 
hfitt»' i<h ein»- »»ilti- mnifri' \vic-l:ri-- S ii- •! :• F:m,''- iii- Lr '■ i- :.•- r. 

Wenn ieh an ili«' Fimui'Ii aui-li '!:•■ l':.»» :!- 1 ••■•• : 

-Warum iluM^n ili«- Fraui-ii ;i': ':. -!■ :■ -_•■:.. i:::.r»:. /i\i'i-: r-r-:. 
Läml'T die Viehveüifp i ihr- r M:i:ir.-:*. H:*:.-;- :■. V;i:- :■ ::."! >--i.:i- r- 
Si^ antwortet»-n mir ili»- Ali!nirii:-ii'* :. : I»;i^ v. i-^-!j v.::- j; _.i:':.i ■!.*•. 
da< kann doch nielit s»iii! - ■ Niti!::!:"!;! w;:-.: - .: . h . -.vi^-- ^■►:.;:-- 
vrrsuchr, uns dii* Aulvii zu v» :' iii-l- :.. < 

Di^* Denktrii::»'!!. ili- nur r.f Ii|-1 rj-; • ::i k«-:.:.' :i. '■!.!■.• -iL -^^ -* 
zu orientieren. nifiiiT.n: M»';ii M ti:! -a,r. -l.i- !..:>* -in, -Li- i»r 
imuh-r si» ire\v«stn. >\i> wi-pU-:: \\::- :.:■ !j a:- i- :■ \\'\i > ■I.aü- :.. 

Di»- l'nwi^S' ::«l'ii u:i«! ili 'i%:-i:.kl. ii- li- la-:- ^ :. arifw. .:■:-•■■::: 
Wir wiillen es il"!iN.i ina'-ii- ii. l:-;;./ r";:- .iV- ! 

Di'* il'-nk»nil'ii. liic l'ii.fiilii i..l- :. !•':.::■:. .i:/ui:t- :r:. 'inr- :• 
Thränt-n: Wir iluM n il.t X'i-iwi! -■:■ i • * /;:.:.■ Iv!.::— !.-:.. ::ii: 
JaiiiTn. r uuii H»rzelfiil. K^ :-: ■ ::. .Mi!T\.-.i.. : ..■ ■.:.- ::; •;::■: ■. r- 
loffrUi-n Wflr zu \vhv:\, i:i «!■ :■ "!.? :■ a'.>- . •. S l ::. in'.- r!. :. . l-.-< 
vt-rfault i>t. AI»* r wir >i!Ml ■ l.v: :.*i-. 

Wrnn aiM-r uwr. AW Arifk [■'. .' - k"V.:i:r u:.«: '!■.•• l!:T'.il.:' ;:._'T. 
zahlp irh^r ärztliri». :• ism-I Ii\ ::i- •: - :■ ■ A::'-: i' It. :. •:• :. ir:i\-:. — 
kannt macht; W'r.u -i ■ l.'-:-»-!!. -: -- ■;-:.:• :...:.■!-'■:.- '.•■■• ■ J"::.-.-:* 
Männ'.r vor il«r Kh* • i:i ■i.-iJ-li'i. - I.'. •:. l:i.:-:.: v.-Mi ^i- ■ :■- 
fahren, dass so"., .l:i\i:i •:,;■ .!•■■. ^- i"ii.: 11 !.-•• ;l l\:'.;::kii- i'-:. .-.:.- 
ffestj'rkt werdfii. w-ii-Ii-- «!■:.■ »i-..i-i- ■:. •;■:"'..•■ <:■ :■ I':-<-titL*:...:-.. 
also d«'r Vif'lwcil"'." i aiiir:-- t- •.: w-::!. *:■■ :■■:■:.. -i.i-- ::'«?■■ l\! i::k- 
heit»n seihst im la-- /■ ii //.-•..: -.t.:-: ■; .;■ :• H-::*/ •:.- Vi-j: 
lind später dii- Ki:..i. r kra:.k :i:.'i • - r.l n. : ■:■ :. j\"!i:. :.. ; l i;. ■:-*-:.> 
mach»*n, Avriss ii-1. ^i'I.- :•. -i.i*- •:.■ K:'.r.':. : . :.r \ .v.^-v ;. - (.":.- 
erliiirt*.' .s«-hwciL:»-iiil 'i'iM- :.. -'■:.;■■: i: !..:: ■;:.■::. >:..•■. li- :■ K:..i- :-::.j 
sich die Hand piclifn w-i! :. -i.:: ■:■ -i <i . <!■ ; !•:- ^ ü -.:.■; üji^* 
anders werden. 

Wir i>ri)tfsti-:-»!i ::'■.;■■:. «;:• d'- !/._•. lia- «:: i':-iiNtiiutinii riu 
notwendig'S V*'\ir\ -. i! 

Wir hestreiffU. 'l.i-s !:..i:. • ;..i:> •■:-:.-:K';i V'-r^uriit li.ii. die 
Unsittlichkeit zu 1" kiiiMprt'i.. M =r. i.ir :.':.• \ ■■!>.; hr, die Aud vn\ .u 
beschränken, si'l!»sr w«illi. h. .:. '■-}.: M'-iii auf di<' rnsmih iik.-ii 
verzichten. 

Wie aber liei* WA'.»- <!• r ' i- - in.ia'i.'ir di«- .MniM-lhMi .ur V.\u 
schränkunj? andt-n-r -Ti.yk» :■ li.-:::.ki'- l.-zw ni.u' n nnd .-.nr Si'll".i 
beherrschung erzmri ;.• i.ir. >■■ \-:liii::r .-^ da> ( i« .sainiwnhi. d.iss 
dieser Zwang sir'li ;i-. i, .iiit" •:• n FMi-t|)il.iri/nnL'>i!-ii'li ri-sirirkr, 
dessen zügei- und >'.h;.i:ik- iii"-i- A'isiilini.L' nn- mir .slirln-s l-ilrnd 
und Krankhfiten \\)*rv <: •■ .M- ri-iil.- ii !,• rauri- i-Iiwhi-.'h h.ii, 

Zahh'eiche !•■ d» üt. ...j.- A-:/'«- nii'! II\L'i»n.krr iM-.i.itiiM-n a>i-. 
ihren Erfahrung'-n. »la.-- :.-:::..l Unr,'iiiiiii-ii.- .Mrn.s«iii-u .ml »In- 
Befriedigung des F'-rrpilaii/'.:.i-r: .•■!••■. x» ivichd n ivtinui-n. \A\i\r da 

dnrch Schaden an ihr- r (i- -!.;.<Ji.- .? /n ni-i n. Si,- lirinnm don 

grossen Einflas.S, dt* Ii ":!if r-i'-hiJL-- i-.;/i'-liniiL' i \ •■! m.idnn.; \nn MIvmIh»! 



— 364 — 

obachten und muss dies daher nur als eine Folge des Korsets be- 
zeichnet werden. 

Staatsrat Schadischial aus Tiflis: Er beleuchtet die Kleider- 
frage von der klimatologischen Seite und schlägt die Bildung eines 
internationalen Frauen Vereins vor, zum Zwecke einfacher, geschmack- 
voller Kleidung. 

Fräulein Peiser warnt vor allen sogenannten Verbesserungen 
des Korsets, wie Büstenhalter u. s. w.; sie verlangt vollständige Auf- 
gabe desselben und empfiehlt die Radfahrhose an Stelle von Unter- 
röcken. 

Frau Pochhammer beklagt, dass kein Unterschied mehr 
gemacht werde zwischen der Kleidung der Grossmutter und der 
Enkelinnen. 

PVäulein Honig aus Hannover tadelt den Gebrauch des Korsets 
beim Turnen und macht den Vorschlag, bei den Schulbehörden eine 
Eingabe zu machen, dass Mädchen zur Turnstunde im Turnanzuge 
ohne Korset erscheinen müssten. 

Frau Schwerin erwidert, dass sie den Vorschlag von Fräulein 
Honig würdigt und diejenigen Damen, die sich für denselben in- 
teressieren, bittet, nachher an den Vorstandstisch zu treten, ob nicht 
am Mittwoch in der pädagogischen Sitzung ein diesbezüglicher Be- 
schluss gefasst werde. 

Frau Günther-Brauer fordert die weiblichen Bühnengrössen 
auf, durch die That kleidungsreformatorisch vorzugehen. 

Fräulein Karsten beklagt, dass die Frau doch allzusehr Sklavin 
der Schneiderin sei. 



2. Die Sittlichkeitsfrage. 

Referentin Frau Hanna Bleber-Böhm. 

Seit ich vor Jahren mit Grauen erfuhr, dass wir in einem 
Staate leben, in dem die Vielweiberei geduldet wird, seit ich all 
den Jammer erblickte, der damit zusammenhängt, tönte vor meinen 
Ohren unablässig der alte Bibelspruch: „Thue deinen Mund auf 
für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind". 

Kein Spott und kein Hohn, keine Verleumdungen und Unter- 
stellungen sind im Stande gewesen und werden im Stande sein, mich 
von dieser Mission ab /'.uschr ecken. 

Jahre lang habe .ich die Sittlichkeitsfrage ernst studiert, und 
wenn die verschiedensten Blätter trotzdem so von oben herab mich 
abzuthun versuchen, so glaube ich nicht zu unbescheiden zu sein, 
wenn ich diese schreibenden Herren und Damen bitte, diese Frage 
ebenfalls gründlich jahrelang zu studieren und mit ihrem Urteil 
noch so lange zu warten. Denn bisher war eigentlich — wie die 
Juristen sagen — ihr Urteil durch Sachkenntnis nicht getrübt. 

Die Sittlichkeits frage ist sowohl eine ökonomische als noch 
vielmehr eine Frage der Hygiene, eine Frage des Rechts und eine 
Frage der Erziehung. Die Losung muss also heissen: „Reform auf 
der ganzen Linie! Aufklärung!" 



— 365 — 

Die kurzen Minuten ermöglichen es nicht, auf alle diese ein- 
zelnen Seiten einzugehen. Ich habe sie aber alle gründlich studiert, 
und wenn ich nur einzelnes hier berühren kann, so verwahre ich 
mich ausdrücklich und energisch gegen die mögliche Annahme, als 
hätte ich eine oder andere wichtige Seite der Frage nicht beachtet. 

Wenn ich an die Frauen auch die Frage richtete: 

„Warum dulden die Frauen auch der sogenannten zivilisierten 
Länder die Vielweiberei ihrer Männer, Brüder, Väter und Söhne?" 
so antworteten mir die Ahnungslosen: Das wissen wir ja garnicht, 
das kann doch nicht sein! — (Natürlich! wird es doch lange genug 
versucht, uns die Augen zu verbinden.) 

Die Denkträgen, die nur nachplappern können, ohne sich selbst 
zu orientieren, meinten: Mein Mann sagt, das muss sein, das ist 
immer so gewesen, das werden wir nicht aus der Welt schaffen. 

Die Unwissenden und die krankhaft Belasteten antworteten: 
Wir wollen es ebenso machen. Freiheit für alle! 

Die denkenden, die feinfühlenden Frauen antworteten unter 
Thränen: Wir dulden die Vielweiberei mit Zähneknirschen, mit 
Jammer und Herzeleid. Es ist ein Martyrium für uns in einer ver- 
logenen Welt zu leben, in der unter äusserem Schein innerlich alles 
verfault ist. Aber wir sind ohnmächtig. 

Wenn aber nun die Aufklärung kommt und die Erfahrungen 
zahlreicher ärztlicher und hygienischer Autoritäten den Frauen be- 
kannt macht; wenn sie hören, dass bisher mindestens 99% jtinger 
Männer vor der Ehe ein unsittliches Leben führen; wenn sie er- 
fahren, dass 80% davon mit den gefährlichsten Krankheiten an- 
gesteckt werden, welche ohne Gnade im Gefolge der Prostitution, 
also der Vielweiberei auftreten; wenn sie hören, dass diese Krank- 
heiten selbst im latenten Zustande sofort bei der Heirat die Frau 
und später die Kinder krank und elend machen können, ja meistens 
machen, weiss ich sicher, dass die Frauen nicht länger dies Un- 
erhörte schweigend dulden, sondern mit einem Schrei der Empörung 
sich die Hand reichen werden mit dem Gelübde: Das soll und muss 
anders werden. 

Wir protestieren gegen die alte Lüge, das die Prostitution ein 
notwendiges Uebel sei! 

Wir bestreiten, dass man jemals ernstlich versucht hat, die 
Unsittlichkeit zu bekämpfen. Man hat nur versucht, die Anderen zu 
beschränken, selbst wollte man bisher nicht auf die Unsittlichkeit 
verzichten. 

Wie aber der Wille der Gesammtheit die Menschen zur Ein- 
schränkung anderer starker Instinkte gezwungen und zur Selbst- 
beherrschung erzogen hat, so verlangt es das Gesamtwohl, dass 
dieser Zwang sich auch auf den Fortpflanzungstrieb erstrecke, 
dessen zügel- und schrankenlose Ausübung uner messliches Elend 
und Krankheiten über die Menschheit heraufbeschworen hat. 

Zahlreiche bedeutende Aerzte und Hygieniker bestätigen aus 
ihren Erfahrungen, dass normal konstituierte Menschen auf die 
Befriedigung des Fortpflanzungstriebes verzichten können, ohne da- 
durch Schaden an ihrer Gesundheit zu nehmen. Sie betonen den 
grossen Einfluss, den eine richtige Erziehung (Vermeidung von Alkohol- 



— 366 — 

genuss aller Art, Vermeidung überreicher anreizender Nahrung, 
Vermeidung schlechter Lektüre, zweideutiger Schaustellungen und 
Balllokale, Kellnerinnenkneipen, Nachtcaffees u. s. w.) auf die Er- 
haltung der Keuschheit und damit auf die Gesundheit üben kann ! 

So stimmen die langjährigen Erfahrungen ernster Vertreter der 
Wissenschaft vollkommen mit der Forderung aller ethisch denkenden 
Frauen und Männer überein, welche Keuschheit der Mädchen und 
Jünglinge bis zur Ehe aus Liebe — und strengste Treue in der Ehe 
verlangen, dass dies der einzige Weg sei, Kinder und Kindeskinder 
vor der Degeneration und dem namenlosen Elende, welches der An- 
steckung folgt, zu bewahren. 

Ich bitte Sie, das Rathaus nicht zu verlassen, ohne die ver- 
schiedenen aufklärenden Schriften des Vereins „Jugendschutz" mit- 
zunehmen, die in der Bibliothek ausgelegt sind. In den Vorschlägen 
zur Bekämpfung der Prostitution finden Sie die Werke der ein- 
zelnen Autoritäten angeführt, welche voll und ganz auf Seiten der 
Frauen stehen und für Keuschheit und Einehe eintreten. Sie finden 
das vorzügliche Buch von Dr. med. Kornig dort: „Die Hygiene 
der Keuschheit", ebenfalls „Monogamie und Polygamie" von 
Björnson, sowie „die Sittlichkeits frage, eine Gesundheitsfrage" von 
Dr. Hoff mann. 

Wenn sie so gewarnt und orientiert sind, dann werden sie in 
Zukunft, wie ich hoffe, mit Löwenmut Ihre Töchter verteidigen, 
d. h. Sie werden jedem jungen Mann. Ihr Haus verbieten, der sich 
nicht als tadelloser Ehrenmann erweisen kann. Sie werden Ihre 
Töchter hundertmal lieber für einen selbständigen, menschen- 
beglückenden Beruf erziehen, als sie einem polygamisch gewöhnten, 
vielleicht heimlich kranken Mann antrauen lassen, der sie zeitlebens 
krank und elend macht. 

Wenn Sie so gewarnt sind, werden sie aber auch Ihre eigenen 
männlichen Angehörigen erziehen und nicht dulden, dass sie die 
Gärten Ihrer Mitschwestern plündern. 

Die schmachvolle Redensart, dass die jungen Leute sich austoben 
müssen, muss aufhören, nachgeplappert zu werden. 

Und dann, wenn diese Söhne Ihnen in's Gesicht lachen und 
Sie damit höhnisch abweisen werden, dass unser Gesetz ja ihre 
Unsittlichkeit gestattet, ja protegiert — dann werden Sie wohl be- 
greifen lernen, dass der flehende Ruf nach Gesetzesreform höchst 
notwendig ist und Sie werden in diesen Ruf einstimmen. 

Bedenken Sie: alle edelsten höchsten Berufe werden bis jetzt 
bei uns von den Behörden den Frauen versagt, unter dem Vorwand, 
ihre Weiblichkeit könnte darunter leiden. 

Nur das Gewerbe der Schande selbst, das aller Weiblichkeit 
ins Gesicht schlägt, der Verkauf der eigenen Person zur Unsitt- 
lichkeit wird frei und unter der sogenannten Aufsicht der Staats- 
behörde jedem Kinde von 14 Jahren bereits gestattet. 

Bedenken Sie, noch wird kein Arbeitgeber bestraft, der durch 
Hungerlöhne, an den Arbeiterinnen im vollsten Sinne des Wortes 
zum Kuppler wird. 

Die traurigen Resultate, die von kirchlicher Seite bei der 
Rettung Gefallener erzielt werden, haben mit ihren Hauptgrund 



— 367 — 

in den schmachvollen Gesetzen unter denen die meisten Länder noch 
leiden. 

Deshalb bitte ich alle deutschen Anwesenden: veranlassen Sie 
die Vereine, denen iSie angehören, dass diese Vereine dem „Bund 
deutscher Frauen vereine^ beitreten, der durch den ^ Verein Jugend- 
schutz** für die Reform der Sittlichkeit gewonnen i.*«t. Die Petition, 
welche dem Reichstag eingereicht ist, und im Herbst noch zur 
Sprache kommen wird, muss erneuten Nachdruck erhalten, wenn 
alle Ihre Vereine als Bundesvereine sie unterzeichnen. Ich bitte 
Sie darum! 

Und die Ausländerinnen bitte ich, ihre Vereine ebenfalls zum 
Anschlu!5s an den Xationalbund ihres Lande< zu bewegen, mit der 
ausdrücklichen Bitte, in allen Ländern Petitionen in den Parlamenten 
für die Reform der Gresetze in Sittlichkeitsfragen zu vertreten. 

Es giebt eine Novelle: «Wessen Tochter- von Helene Gardener 
ans Xew-York, welche das Schutzalter vor dem Forum des Parla- 
mentes behandelt und den-n Ueben^etzune sich vorzüsrlich zum Ver- 

«MI 

schenken eignet*) und zur Autklärung fiolcher, die lieber Romane 
und Novellen lesen, als ernste Abhandlungen. Sie werden sehen, 
was die Verfasserin von einem Parlament von Männern erwartet 
und werden hoffentlich zu denselben Schlüssen kommen wie sie. 
Xach Kenntnissnahme von den vorzüglichen Sittlichkeitszuständen in 
Wyoming, wo Frauen seit 25 Jahren die Gt^setze beeinflussen, 
schliesse ich mich Helene Gardener voll und ganz an und sehne 
den Tag herbei, an dem wir Frauen in*s Parlament wählen können, 
die ,.ihren Mund aufthun für die Stummen und für die Sache aller, 
die verlassen sind-. 



Correferentin: Frau Schulrat Cauer. 

Als die Hauptursache der Prostitution bezeichnet sie die schlechten 
liOhnverhältnü's*' der weiblichen Arbeitskräfte. Not und Elend treibt 
die meisten von ihnen d^r Schande in die Arme. Als eine düstere 
Illustration zu der Behauptung. da<s die Xot der Frau in den heu- 
tigen sozialen Zuständen besrründet ist, liesst die Vortragende die 
^otiz aus drm heutisren Morgenblatte des «Berliner Lokal- Anzeigers" 
vor, die 37jähriffe Stickerin betreffend, welche vor ihrem Tode an 
die R^^laktion dieses Blattes ein Schreiben gesandt hat, in dem sie 
die Ursache ihres .S^-lbstmordes andeutet. 

Nicht allein. s«> erklärt Rednerin. dass die Mädchen s^hr geringe 
Löhne erhallen. >ie sollen auch n»:>ch möglichst elegante Toiletten 
tragen und sind überdies häutig unsittlichen Xachstellungen seit^^ns 
ihrer ArlK-itgrber ausgesetzt. Ihr Mrlbst. ^> »^rklÄrt Rednerin, liege 
fine ganze Anzahl ^oleh-r Fäil«r vor. und wenn man davon hü« 
jetzt nichts in die Oeffentlichkeit dringen li-tr^s. so geschah es nur, 
um den Mädchen ni«:ht zu schad-ro. Das würde aber in Zukunft 
anders werden. Erst die materiell«* Selbständigkeit der Frau bis 
ins pnterste Volksleben hinein, so s«:hliesst Frau Caue-r ihren mit 



♦> Verlag des ..Jugendschmz.* 



— 368 — 

lebhaftem Beifall aufgenommenen Vortrag, sichern eine Besserung 
der sittlichen Verhältnisse. 

An der Diskussion beteiligen sich: 

Fräulein Ottilie Hoffmann -Bremen: Sie meint, dass der Boden 
zur Entwickelung einer höheren Sittlichkeit durch die Abschaffung 
oder doch möglichste Einschränkung des Alkohol genusses bereitet 
werden müsse. Die Rednerin bezieht sich dabei auf eine grosse 
Anzahl medizinischer Autoritäten, deren Experimente unwiderlegbar 
bewiesen haben, dass die sogenannten Hemmungs Vorrichtungen, welche 
dem Menschen im Normalzustande eine gewisse Herrschaft über 
sich sichern, durch den Alkoholgenuss zuerst gelähmt werden. Gute 
Volksktichen, gutes Trinkwasser, Hallen, in welchen im Winter 
warme alkoholfreie Getränke verabreicht werden, würden den Ar- 
beiter für den Ausfall an alkoholischen Getränken entschädigen. 

Frau Ginsberg - Berlin verlangt Abschaffung der doppelten 
Moral, gleiche Sittlichkeit für Alle. 

Frau Schlesinger-Eckstein erblickt die Wurzel der Prostitution 
in der heutigen kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Mit ihr steht 
und fällt die Prostitution. 

Frau Clara Zetkin: Den Stummen ist ein Kämpfer entstanden 
im Proletariat. Wir müssen an die Wurzel des Uebels. Die Prosti- 
tution ist mit der heutigen Gesellschaftsordnung verknüpft. Xicht 
die S3miptome muss man aus der Welt schaffen wollen, sondern die 
wirtschaftlichen Ursachen. 

Herr v. Egidy: Nicht ohne Versöhnung wollen wir von hier 
scheiden. So schlimm, wie Frau Bieber-Böhm es schildert, ist es 
nicht. Das Wesen des Mannes ist nicht so zerrüttet, die Verachtung 
für den ]Mann darf nicht Platz greifen. Wohl geht die Nachfrage 
in der Prostitution von den Männern aus, aber durch frühes 
Heiraten, Vermeidung von Alkohol könne man die Nachfragen 
unterdrücken. 

Das Schlusswort, gesprochen von P>au Bieber-Böhm, war ein 
Dank an diejenigen, die bisher in der Sittlichkeitsfrage für die 
Frauen eingetreten sind. — Das sind ausser den verschiedenen 
Frauen-Vereinen, welche die Rettung der Gefallenen versuchen, in 
Deutschland die Männervereine zur Hebung der Sittlichkeit. Der 
deutsche Verband dieser A'^ereine hat durch die Herren Pastoren 
Philipps, Weber und durch Herrn Hennings kürzlich Forderungen 
formuliert, welche sich im Wesentlichen mit den „Vorschlägen" des 
„Bundes deutscher Frauen- Vereine" decken. 

Nur der Unterschied ist vorhanden, dass die Herren die 
Keuschheit und Einehe als etwas spezifisch christliches fordern, 
wähi'end wir auch für alle anderen Menschen dieselbe Forderung 
aufstellen. 

Einen ebensolchen Dank schulden wir dem internationalen Kon- 
gress der Gesellschaften für Ethische Kultur, der jetzt in Zürich 
tagte, und welcher nicht das Trennende sondern das sittlich Verbin- 
dende in den Menschen aufsucht und fördert. In seinen Kund- 
gebungen lesen wir folgendes: 

„Unter Anerkennung der unschätzbaren Bedeutung der reinen 
monogamischen Ehe für die Menschheit ist für das Weib die Möir- 



— 369 — 

lichkeit vollster Entwickelung einer geistigen und moralischen Per- 
sönlichkeit zu fordern, ebenso die Anerkennung der G-leichwertigkeit 
von Mann und Frau auf allen Lebensgebieten''. 



Miss Hogg (London, Roch. Dioc. Ass^ for the care of friendless 
girls) überbringt folgenden Bericht des Secretary Nat. Vigilance 
Association. 

Foreign Girls in London. 

"The return of foreigners to their own country under certain 
conditions is . a question in which my ass». is deeply interested, and 
one at which we have been at work for many years. 

Much of the infamy carried on in the district of Piccadilly 
is the result of the large number of foreigners, men and women, who 
in many instances having been outlawed from their own country, 
come over here and without let or hindrance get their living on the 
proceeds ot the vicious lives of foreign women. Half the social 
evil Problem would be solved if we had, as we ought to have, the 
power to send back to their own countries both the foreign men 
and women, whose only means of living could be shown to be either 
"Walking the streets'' or blackmailing. Tt ought to he so, both in 
the interest of the nation and the Citizens. Another question which 
will probably come up and at which we have been at work for years 
is what is called the "White Slave Traffic". We know that many 
girls are beguiled abroad to what they imagine will be a good 
Situation but which very often leads them into great moral trouble 
and danger. We feel that this would be largely prevented if we had 
an International agreement. My Committee have drawn up one of 
which enclosed is a copy, and which we feel would be of great use 
if we could get the German, French, Belgian, Dutch and English 
Governments to act upon it^'. 

(Agreement as printed paragraph enclosed in letter.) 

Mrs. Ruspini. "Mayfair Union" reports of out door Eves- 
Mission Work in Regent Street and Piccadilly. 

"There are almost as many G-erman and French Girls in Regent 
Street as there are English, they are very hardened and much more 
inclined to be abusive than English girls. They are principally 
to be found near the "Monico" and the "Criterion'' and the Piccadilly 
side of Shaftesbury Avenue. As you go up Regent St. from Picca- 
dilly to Oxford Gircus at night, the girls on the right band side 
are almost all foreigners: if they are allowed by the English girls 
to walk on the other side they have to hag "double footing" that 
is, treating a double number of girls to drink before they are ad- 
mitted into the inner circle. 

Mrs. Ruspini. "We had a mission last November and flocks 
of foreigners crowded in to supper. We tried to induce them to go 
back to their own country and offered to free them, but they 
would not consent to go: they give two reasons — one is, they 
cannot get employment and wages are so small — the other that 

24 



— 870 — 

their country women are harder than we are and will not give a 
girl a Chance of regaining her character. 

We have tried to make it compulsory for them to go back to 
their own country and I went on a Deputation to that effect and 
1 believe a bill was drawn up, but has not yet been brought 
forward. My work would lose half its difficulty if some thing 
of the kind were done. The foreign girls are more excitable than 
ours, drink harder, dress niore extravagantly and descend to still 
greater depths of degradation. Some are used as decoys "to get 
hold of girls here and send thera out to bad houses abroad." 



Resoue Work. 

By Mrs. R. E. Stugenberger-Campbell, Glasgow. 

As I do not know how you think about this special aspect 
of women's work, nor yet how you deal with it in Germany, 1 
naturally feel somewhat at a loss what to select to say to you. 

There is one main feature we shall all agree upon that this 
work is an arduous one and presents grave difficulties and we dare 
not shirk these facts however painful to face. 

It seems only by so doing can we effect much or any good. 

To lift these women out of their sad environments and Surround 
them with good influences for a longer or shorter period in order 
to fortify them against the special temptations that assail them is 
the object of Rescue Work. 

In undertaking to accomplish this task we must remember our 
great contending phases and shape our plans thereto. I shall take 
up the work from an Institution point of view. 

The majority of these women are born to an inheritance of 
sin and misery aud brought up in it until their very being has ab- 
sorbed the poison, and it comes out in each rüde coarse action, and 
yet God has left in their hearts, as if to atone for the hardness, 
often deep down and difficult to fiithom — a love — a reverence 
for the better — the higher. — This is the secret of our power 
over them, if our discipline has its own important place, but that 
is the true influence which must and does work like „the little 
leaven which leaveneth the whole". 

In work among these women there is need of a high tone, and 
we are rapidly realising that it is the culture, the highest who are 
best fitted to help them. 

Passing on to some aspects of the work, let us glance at one 
or two features in their character, and at some of the methods best 
calculated to help them. 

Impulsiveness, we might say untrained feelings in them, let 
loose on every fresh occasion, passionately — hatred — love — restless 
desire for change, all in turn and nothing long — will move them 
at a moments notice to run off from their homes and situations. 
Query: how to combat with this? 

It absolut ely requires firm control both for the mass and the 
individual. Here individual dealing comes in usef ully to know each one 



— 371 — 

sufficiently, and to find out the soft place is to gain a separate influence. 
— Impulsiveness (though it must not be fostered to any sentimental 
extent) may be made a means to an end — to attach them to those 
over them, so that they are willing to be guided by them. To get 
this, one must possess insight into all their needs, sympathy with their 
sins, and an earnest desire to help them, which they will understand 
and appreciate. — Another streng opposing force is Unsteadiness 
of Character „unstable as water thou sbalt not excel". After getting 
them to prefer tbe Grood to the Evil, there is a want of will power, 
and the will is diseased. 

Many of them would be good, and while under care and often 
exeraplary — given their liberty, lo! they are down in the depth 
again. — So many live their lives, repenting and sinning and sinning 
and repenting. 

But granting that some only are saved for a time, at least 
temporary relief is gained for themselves and others through our 
Homes. This is all that doctors can do for some form of disease. 
The Spiritual, moral and physical laws all work on the same great 
lines. But there is ami)le proof that far more than temporary is 
accomplished, souls are snatched as brands from the burning to be- 
come shining lights — and again who is to calcalate when the good 
influence has begun where it may end? 

What general line of treatment can we pursue? Some 
believe in isolated treatment rather than in the mass, even 
that does not always succeed. Others advocate small Homes, gene- 
rally Company cases. It is doubtful if these are more successful 
though easier to manage. Work must be provided, and Laundry- 
work seems the best suited. It is useful, and fits them for useful 
occupation afterwards, also enabling an Institution to be largely 
self-supporting, which our Home in Glasgow is. It can accommodate 
120 girls and realize over Lstr. 3000 annually. 

Other schemes have been suggested viz : gardening, fruitgrowing, 
Poultry keeping, but unless as adjuncts to some larger work such 
as Laundry, they do not seem practicable. A Sewing Department 
to which the older and weaker ones can be put, is part of our 
Scottish Homes. — To enable them to earn their bread, is a great 
help in restoring them. — We would lay great stress upon con- 
tinued care after they leave the Homes. This is most important. 
We ought to be ready to help, to show kindly interest, to give 
the encouraging word, even the rebuking word (they will take it 
from those they respect). They understand this so well, that I 
have known girls determine to go wrong, who would not face us 
on any account. With our large numbers we find it rather difficult 
to carry out, but we are enabled to help many in this way. 

Pi'rmanent Homes for the morally Wealth. It attended a 
Conference in England where this subject was under conside- 
ration, and we were told of several homes that exist there on 
the Cottage principle, girls being sent to these after leaving our 
larger Homes, to be kept there for a time to better fit them for 
the battle of life. 

I would imply the Suggestion by making them really permanent, 

24* 



— 372 — 

as some of these women can never stand alone. — For the morally 
depraved it almost seems as if le^slation should help. Putting the 
matter thus — if a woman is continually convicted of improprieties 
of any kind, does it not seem right to society and herseif to restrain 
her? Under certain conditions, to be granted freedom, with power 
to restrain her if she cannot controU herseif? — This it seems to 
me ought to be the law in every land. And would this not save 
much sin and the pertetuation of it in its most awfal side. 

It is a sad perplexing problem how to save this class — if 
they are passing from home to home they may become older and 
sadder and alas! even not wiser women? — But we must not 
forget the hopeful will, the many who are useful and happy, because 
sayed by the Providence of God through the efforts put forth 
for them. 



n. 

Mittwoch, den 23. September^ Nachmittag 4 Uhr. 

Pädagogische Fragen. 

Ein Bliok auf den sohulmässigen Unterricht in den 
weiblichen Handarbeiten in Preussen. 

Von Frau Ulrike Stobbe, Königsberg i. Pr., Delegierte des Vereins 

Preuss. technischer Lehrerinnen. 

Schon in den Ritterzeiten sind Handarbeiten gemacht, und darin 
unterrichtet worden, denn die aus jener Zeit erhaltenen Arbeiten 
zeigen von einer grossen Kunstfertigkeit. 

Es steht auch historisch fest, dass die Ursulinerinnen kurz vor 
und in der Reformationszeit es sich zur Aufgabe machten, die 
Kinder des Volkes in die Kunst der Frauenarbeit einzuweihen. 

Tn den Frankeschen Stiftungen hat man von jeher den Hand- 
arbeitsunterricht gepflegt, und die Industrieschulen, die am Ende des 
vorigen Jahrhunderts erblühten und bis über die Hälfte dieses Jahr- 
hunderts gepflegt wurden, sind ein Beweis dafür, dass der Hand- 
arbeitsunterricht in der Mädchv^nerziehung von den einsichtsvollsten 
Pädagogen als durchaus notwendig erkannt wurde. 

Dass auch die Staatsbehörden sich dieser Einsicht schon in 
früherer Zeit nicht verschlossen, davon giebt jene Reformations- 
ordnung der Homburger Synode vom Jahre 1526 Zeugnis, indem 
sie bestimmt: „Ausserdem sollen in den grossen und kleinen Städten, 
womöglich auch in den Dörfern, Mädchenschulen eingerichtet werden 
unter der Leitung gebildeter, in ihren Jahren vorgerückter und 
frommer Frauen, welche die Mädchen nicht bloss in den Haupt- 
stücken der Religionslehre, sondern auch im Lesen, Nähen und sonst 
mit der Nadel zu arbeiten hinlänglich unterrichten und zur Pünkt- 
lichkeit und Geschäftigkeit anhalten sollen, damit diese später 
tüchtige Hausfrauen werden". 

Für die Mädchen-Handarbeit spricht sich Friedrich Wilhelm T., 
der Vater der preussischen Volksschulen in seinem Reglement vom 



— 374 - 

16. Oktbr. 1738 aus. Bekannt ist auch das Interesse, welches 
Friedrich "Wilhelm TU, für die weiblichen Handarbeiten, gewiss nicht 
ohne Einfluss der hehren Königin Luise" zeigte. 

Von besonderer Wichtigkeit aber ist die Zirkularvertügung der 
Regierung zu Köln vom 9. Januar 1830, in welcher nicht nur die 
Notwendigkeit und Bedeutung unseres Lehrgegenstandes für alle 
Schulen, sondern auch die allgemeine Durchführbarkeit desselben 
aufs klarste nachgewiesen wird. 

Minister von Altenstein und Minister Dr. Falk haben sich um 
die Sache des Handarbeitsunterrichts besonders verdient gemacht. 

Bis dahin fehlte aber das Notwendigste, nämlich die Kenntnis 
einer richtigen methodischen Behandlung, oder was dasselb'3 ist: 
Methodisch vorbereitete Lehrkräfte für den Unterricht in den weib- 
lichen Handarbeiten. 

Aber auch hierfür war die Zeit gekommen. Nicht nui' in Preussen, 
in ganz Deutschland, Oesterreich und der Schweiz traten Bahnbrecher 
einer neuen Methode auf, die in der Hauptsache dasselbe Ziel ver- 
folgten. 

Von allen wird die Unzulänglichkeit der bisherigen Unterrichts- 
weise erkannt und verworfen. Statt des bisherigen unverständigen 
hastigen Vorthuns und gedankenlosen mechanischen Nachthuns wird 
verständige Belehrung von Seiten der Lehrkraft und geistige Auf- 
fassung von Seiten der Schülerin gefordert. 

Der geisttötende Einzelunterricht wird durch den geistbildenden 
Klassenunterricht ersetzt. Die Planlosigkeit weicht dem mit Um- 
sicht aufgestellten Lehrplan. Der störende Einfluss der mütter- 
lichen Eitelkeit wird beseitigt, dagegen dieselbe Arbeit und dieselbe 
Weise der Arbeit gemeinschaftlich durchgeführt. Das Gehen und 
Kommen der Schülerin unterliegt nicht mehr der W^illkür der 
Eltern oder Kinder, sondern jedes Kind ist an die Lehrstunden und 
so an die Durchführung des Planes gebunden. 

Die Namen Rosalie Schallenfeld, Johannes Buhl, Martin Godei 
und Kettin ger werden daher in Preussen, Würtemberg, Oesterreich 
und in der Schweiz stets einen guten Klang behalten, denn sie sind 
eben diese Bahnbrecher, die der neuen Aera auf dem Gebiete des 
Handarbeitsunterrichts den festen Boden verliehen, sie allein haben 
die Ehre, Erfinder und Verteidiger der neuen Methode des schul- 
mässigen Handarbeits-Unterrichts genannt zu werden. 

Und wir preussischen Handarbeitslehrerinnen haben einen ganz 
besonderen Grund, stolz darauf zu sein, dass die neue Methode bei 
uns nicht nur zuerst, nämlich bereits im Jahre 1857 an die Oeffent- 
lichkeit trat, sondern auch deshalb, weil eine Frau den hellen 
Blick und den Mut hatte, ihre Ueberzeugung öfientlich zu ver- 
teidigen. 

Ich will das Verdienst der drei genannten Männer, die ihre 
Gedanken in den Jahren 1870, 72 und 74 veröffentlichten, keines- 
wegs schmälern, aber ich bin stolz auf Rosalie Schallenfeld, die 
ihren ersten Aufsatz im Brandenburger Schulblatt 1857 „Ueber die 
UnZweckmässigkeit des jetzigenHandarbeitsunterrichts" veröffentlichte. 
Schon im Jahre 1861 schrieb sie: „Alle Schülerinnen auf derselben 
Stufe müssen ein und dieselbe Art der Arbeit und ein und dieselbe 



— 375 — 

Uebung an solcher Arbeit haben. Die Lehrerin muss die Belehrung 
an die Gesamtheit der Schülerinnen richten. Sie muss zugleich für 
alle sein, indem sie für jeden ist, und für jeden, indem sie für alle 
ist. Sie gehört der Klasse, nicht dem Einzelnen". 

Rosalie Schallenfeld ist es, deren sachgemässe Erörterungen erst 
den wahren Wert des Handarbeitsunterrichts in den Schulen vom 
pädagogischen Standpunkte bewiesen. Ihr können wir es auch, wenn 
nicht direkt, so doch indirekt verdanken, dass die allgemeine Be- 
stimmung vom 15. Oktober 1872 die Handarbeit als integrierenden 
und also gleichberechtigten Teil des Schulunterrichts in Mädchen- 
schulen bestätigte. 

So ist denn nun der Unterricht in den weiblichen Handarbeiten 
bei uns bald ein Viertel-Jahrhundert obligatorischer Lehrgegenstand. 
Er hat sich in dieser Zeit methodisch entwickelt und hat auch eine 
nicht unbedeutende Litteratur aufzuweisen. Die allgemein pädago- 
gische, wie auch die speziell methodische Seite sind vielseitig er- 
örtert und in vielen mehr oder weniger bedeutenden Schriften 
dargelegt worden. Fassen wir kurz zusammen, was bis dahin 
erreicht ist. 

1. Der Handarbeitsunterricht ist nicht mehr Einzel- sondern 
Klassenunterricht. 

2. Er wird nach einem bestimmt vorgeschriebenen Lehrplan er- 
teilt, bei dem die notwendigen d. h. den Bedürfnissen des 
Lebens entsprechenden Arbeiten massgebend sind. 

3. Material und Werkzeuge zeigen nicht mehr ein so buntes 
Durcheinander, wie in früheren Jahren; es herrscht in dieser 
Hinsicht Gleichmässigkeit. 

4. Ueberall soll mit der praktischen Arbeit die theoretische Be- 
lehrung verbanden werden. 

5. Die Handarbeitslehrerinnen, wenigstens in den Städten, sind 
für ihr Amt speziell vorgebildet. 

6. Die staatliche Prüfung bezweckt gleichmässige Vorbildung, 
wenigstens ist ein Mindestmass der praktischen Befähigung 
durch ministerielle Bestimmungen festgelegt. 

7. Für die praktische Arbeit sind Anschauungsmittel vorhanden, 
die den Fortschritt der Schülerinnen zu erleichtern im- 
stande sind 

8. In den Städten wenigstens sind statt der vorgeschriebenen 
2 Stunden an vielen Orten 4 Stunden wöchentlich für den 
Handarbeitsunterricht festgesetzt. 

9. Lag früher der Wert des Handarbeitsunterrichtes in der Aus- 
bildung der Fähigkeit einzelner Schülerinnen bis zur Kunst- 
fertigkeit, so liegt er jetzt in der Ausbildung der Gesamtheit 
der weiblichen Jugend durch den Klassenunterricht, und in 
allen für den Hausbedarf notwendigen Arbeiten durch die 
methodische Anordnung des Lehrstoffes. 

W^ollten wir nun aber glauben, dass damit und dass tiberall 
in Preussen und Deutschland der rechte Standpunkt und das zu er- 
strebende Ziel unseres Lehrfaches erreicht sei, so wären wir in 
einem gefährlichen Irrtum. Betrachten wir diese aufgeführten 



— 376 — 

9 Punkte näher, so finden sich tiberall noch recht schwerwiegende 
Mängel, an deren Beseitigung zu arbeiten unsere Pflicht ist. 

Der Handarbeitsunterricht ist Klassenunterricht. Dies ist 
Prinzip — aber auch überall durchgeführt? In den Städten viel- 
leicht, aber auch in den Landschulen? Nehmen wir an, dass der 
Handarbeitsunterricht mit dem 3. Schuljahre eingeführt ist, denn 
das entspricht den allgemeinen Bestimmungen vom 15. Oktober 1872. 
Nun hat die Handarbeitslehrerin es aber mit 5 Jahrgängen zu thun, 
die mit Stricken, Häkeln, Zeichnen, Nähen und Stopfen beschäftigt 
werden sollen. Ob da noch von einem Klassenunterricht die Rede 
sein kann? Ich glaube bestimmt: nein. 

Und fragen wir, was unter solchen Umständen in den vor- 
geschriebenen 2 wöchentlichen Stunden geleistet werden kann, so 
muss jeder sich selbst sagen, dass solcher Unterricht nur geringen 
Wert haben kann. 

Hier kann nur dadurch Besserung eintreten, dass eine solche ein- 
klassige Schule in drei Gruppen geteilt wird. Die eine strickt, die 
andere häkelt und zeichnet, die dritte näht, flickt und stopft. Jede 
Gruppe hat gesondert 4 Stunden wöchentlich. Dann können die 
Mädchen in Bezug auf Handarbeit für ihren spätem Hausfrauen- 
beruf vorbereitet werden. Eine Handarbeitslehrerin würde an einer 
solchen Schule wöchentlich 12 Stunden beschäftigt sein. Thäten 
sich nun zwei benachbarte Schulen zusammen, so dass die Lehrkraft 
für Handarbeit an 3 Wochentagen in der einen, an drei in der an- 
dern Schule beschäftigt wurde, so wären 24 Lehrstunden pro Woche 
für eine Lehrkraft vorhanden, und sie könnte definitiv und mit 
Pensionsberechtigung angestellt werden. 

Was die Gleichheit des Materials und der Werkzeuge betrifft, 
so ist dieselbe bei allen Kindern derselben Abteilung von grösster 
Wichtigkeit für Schüler und Lehrerin. 

Aber diese Gleichheit wird überall da vergebens gesucht werden, 
wo die Eltern ihre Kinder mit beidem selbst versorgen. Nur da 
ist sie vorhanden, wo den Kindern gegen ein billiges Entgelt Material 
und Werkzeuge geliefert werden. Diese Einrichtung dürfte daher 
die allein empfehlenswert" sein. 

Nach dem 4. Grundsatz soll überall mit der praktischen Arbeit 
die theoretische Besprechung derselben verbunden werden. Dies 
geschieht wohl auch überall da, wo eine fachlich vorgebildete L(3hrerin 
vor der Klasse steht, also in grösseren und mittleren Städten; ob 
aber auch in allen kleinen Städten und in den Landschulen, das 
muss sehr bezweifelt werden, denn dort findet man entweder selten 
oder gar keine Handarbeitslehrerin, die eine fachliche Vorbildung 
nachweisen kann, und die weitaus grössere Mehrzahl dürfte selbst 
über ihren Unter richtsgegenstaud im Unklarc^n sein, denn auch die 
vier- bis sechs wöchentlichen Wand<'rkurse zur Ausbildung der länd- 
lichen Handarbeitslehrerinnen sind doch nur als jämmerliche Not- 
behelfe anzusehen. Wandel geschaffen wird hier erst dann sein, 
wenn die staatliche Prüfung von allen Handarbeitslehrerinnen ge- 
fordert wird. 

Was auch in mittleren und grösseren Städten die Arbeit in 
den Klassen anbetrifft, so finde ich besonders drei Uebelstände, die 



— 377 — 

zum Gedeihen des Ganzen beseitigt werden müssen. Dieses sind: 
1. Die übergrosse Zahl von Schülerinnen, welche von einer Lehrerin 
in noch vielen Orten unterrichtet werden sollen. 2. Der vielfache 
Mangel an Veranschaulichungsmitteln. 3. Die mangelhafte Aufsicht. 

Nicht selten kommt es noch vor, dass eine Handarbeitslehrerin 
40 — 50 und mehr Kinder in einer Abteilung zu unterrichten hat. 
Das ist entschieden zu viel, denn die Natur der Handarbeit erfordert 
ein stetes gleichmässiges Beobachten sämtlicher Schülerinnen von 
Seiten der Lehrerin. Das ist nun zwar bei einer Zahl von 20 — 30 
noch allenfalls möglich, nicht aber bei einer grösseren Anzahl. 
Manche Behörden, so beispielsweise auch die meiner Heimatstadt, 
haben das eingesehen, und es giebt daher bei uns keine städtische 
Mädchenklasse, an der nicht gleichzeitig 2 Lehrkräfte thätig sind. 
Das ist eine Abhilfe, obgleich nicht die beste, denn wenn 2 Lehre- 
rinnen in einem Räume gleichzeitig unterrichten, so können leicht 
Uebelstände erwachsen, die in anderer Beziehung um so verderb- 
licher einwirken. Sind die Lehrkräfte ^ber vollständig einig, so 
schaffen sie doppelten Segen. Am besten aber sind kleine Abteilungen 
in gesonderten Räumen. 

Den Mangel an Veranschaulichungsmitteln verschulden nicht 
selten die Kolleginnen selbst. Vieles, wie vergrössertes Material 
und vergrösserte Werkzeuge können sie sich selbst anschaffen. 
Manches andere würde von der Schulleitung beschafft werden, wenn 
die Handarbeitslehrerin ernst fordern würde. Leider soll es aber 
auch vorkommen, dass die besten vorhandenen Mittel nicht genügend 
ausgenutzt werden; und in diesen Fällen kann nur die Mahnung 
nützen: „Lasst uns besser werden, bald wird's besser sein!" 

Der dritte berührte Uebelstand ist der Mangel an sachkundiger 
Aufsicht über den Unterricht in den weiblichen Handarbeiten. Nur 
in den Städten Breslau, Köln, München ist ein solcher mit bestem 
Erfolg eingeführt worden. 

Bei uns hat früher etwas derartiges bestanden, indem von Zeit 
zu Zeit pine erfahrene Handarbeitslehrerin in (Gemeinschaft mit einem 
Lokal-Schulinspektor, der sich gleichfalls speziell für die Sache 
interessierte, eine Revision der Handarbeit aller städtischen Schulen 
vornahm. 

Das war etwas; aber mit der Zeit sind auch diese Revisionen 
eingeschlafen, und somit ist jede Handarbeitslehrerin auf ihr eigenes 
Gewissen angewiesen. 

DabS nun aber ferner noch ein sehr schwerwiegender Mangel 
in der Anstellung und Besoldung der Handarbeitslehrerinnen be- 
steht, habe ich früher bereits an anderer Stelle genügend beleuchtet. 
Ich will nur noch hinzufügen, dass dieser Uebelstand zu den alier- 
schlimmsten gehört und daher der Abstellung am dringendsten bedarf. 

Um nun noch kurz den gegenwärtigen Standpunkt des Unter- 
richts in den weiblichen Handarbeiten zu kennzeichnen, will ich 
das Gesagte also kurz zusammenfassen: 

Die Methode ist zwar nicht abgeschlossen, aber unterstützt 
durch eine reiche Litteratur, auf erfreulicher Höhe angelangt. In 
den mittleren und grösseren Städten wird sie von fachlich vor- 
gebildeten Lehrerinnen sorgfältig gepflegt. Die Lehrerinnen sind 



— 378 — 

grösstenteils ihrer Aufgabe gewachsen und zeigen durchweg ein 
Streben nach Vervollkommnung in ihrem Beruf. Aber es ist noch 
sehr viel zu thun. Die Landschulen und viele Schulen in kleinen 
Städten sind in unserem Sinne noch unversorgt. Die pekuniäre 
Stellung und die Art der Anstellung der Lehrerinnen ist auch in 
den grösseren und grössten Städten noch keine angemessene. Eine 
sachgemässe Aufsicht fehlt noch gänzlich. 

Hoffen wir, dass die nächste Zukunft hierin Besserung bringen 
werde. 



Wie sollen die Kinder beim Arbeiten sitzen? 

Von Augenarzt Dp. Wurm (Berlin). 

Diese hochwichtige Frage der Gesundheitspflege findet leider 
wenig Beachtung bei Müttern, Lehrerinnen und Erzieherinnen und 
doch befördert das Schiefsitzen bei längerer Dauer und öfterer 
Wiederholung in hohem ö-rade die Entwicklung von Kurzsichtig- 
keit und Rückgratsverkrümmungen und zwar letztere besonders 
bei Mädchen. Denn das Geradesitzen erfordert stets Muskel- 
anstrengungen, um den Oberkörper aufrecht im Gleichgewicht zu 
erhalten, so dass um so früher Ermüdung und schiefes Sitzen er- 
folgt, je unzweckmässiger die Arbeitsplätze sind. Zuerst sinkt 
hierbei der Kopf des Schreibenden nach vorn und links, dann nach 
unten, wodurch die Augen zu einer übermässigen Annäherung ge- 
zwungen werden, später fällt auch der Oberkörper schief nach vorn. 

Was lässt sich nun thun, um der häufigen Entstehung von Kurz- 
sichtigkeit und Schiefheit im kindlichen Alter vorzubeugen? 

Vor allem ist eine möglichste Einschränkung des Sitzens wün- 
schenswert, sowohl in der Schule, als im Hause, also kurze Unter- 
richtsstunden (^4 Stunden), nicht zu viel häusliche Aufgaben, Erholung 
durch Bewegungsspiele, Turnen, Spaziergänge etc. Ferner müssen 
die Arbeitsplätze so beschaffen sein, dass sie eine bequeme aufrechte 
Sitzhaltung ermöglichen ; man sorge daher für helle Beleuchtung und 
passende Tische, Bänke oder Stühle. Bei Tageslicht wähle man für 
die Kinder einen hellen Platz zum Arbeiten nahe dem Fenster, so 
dass dieses sich an ihrer linken Seite befindet; streng zu verbieten 
ist das Lesen, Sticken, Nähen etc. in der Dämmerung; die künst- 
liche Beleuchtung sei hell, ohne zu blenden. Was die Beschaffenheit 
der Arbeitsplätze betrifft, so sollen Tisch und Bank oder Stuhl in 
richtigem Verhältnis zu einander stehen und der Körpergrösse ent- 
sprechen, denn unpassende Schulbänke und Arbeitstische zwingen 
die Kinder schief zu sitzen. Ein näheres Eingehen auf die zweck- 
mässige Form der Schulbänke und Hauspulte*) würde zu weit 
führen und heben wir nur als Hauptbedingungen das Ueberragen 
der Tischplatte über den Sitz, — die sogenannte negative Distanz 
— , eine entsprechende Tischhöhe, sowie passende Lehne und P'uss- 



*) Das vom V. konstruirte verstellbare Arbeitspult für Kinder, 
Deutsches und engl. Reich s-Patent, ist käuflich bei Maquet, Berlin, 
Charlottenstr. C3. Die Redaktion. 



^ 379 - 

brett hervor. In den Schulen hat man zwar in neuester Zeit den 
hygienischen Anforderungen mehr Rechnung getragen, aber noch 
sind vielfach ungeeignete Schulbänke in Gebrauch, noch giebt es 
viele dunkle Klassenzimmer, wo wenig Tageslicht eindringen kann 
und die Analen geschädigt werden! Viel schlimmer ist es leider in 
dieser Beziehung zu Hause, in der Familie. Meist fehlt den Eltern 
das Verständnis für die Notwendigkeit einer Entlastung der Kinder 
nach den Anstrengungen in der Schule und sie vermehren noch die 
Zahl der Sitzstunden durch Unterricht in der Musik, im Malen etc. 
Selten sorgt man für gute Arbeitsplätze und wenn dann die Kinder 
trotz aller Ermahnungen mit herabgebeugtem Kopf in krummer 
Haltung sitzen und schief oder kurzsichtig werden, so tragen Un- 
kenntnis und Sorglosigkeit der Eltern, vor allem der Mütter, die 
beim Arbeiten meist zugegen sind, die Schuld daran. 



Bericht über die Nürnberger Frauen - Arbeits- und 

Koohschule. 

Frau Dp. phil. Schubept-Feder-Berlin berichtet über die Frauen- 
arbeitsschule zu Nürnberg, welche durch die Art, wie sie auf ihre 
jetzige Höhe gebracht wurde, die Auszeichnung, auf dem Kongress 
hervorgehoben zu werden, wohl verdient. 

Im Jahre 1874 wusste eine Frau Dr. Beeg in Nürnberg die 
dortigen gebildeten Kreise für die Idee einer Frauenarbeitsschule 
zu erwärmen, indem sie in einem beredten Schriftchen ausführte, 
dass dieselbe von weitgehendem Nutzen für die Gesamtbevölkerung 
sein würde. 

Es bildete sich zum Zweck der Gründung ein Komitee, an 
dessen Spitze der hochherzige Reichsrat Freiherr v. Cramer-Klett 
gerufen wurde, der mit seinen reichen Mitteln das Institut ins Leben 
rief und alljährlich aufs grossherzigste unterstützte. Aber auch 
andere Männer, wie Dr. Essenwein, Direktor des G-ermanischen 
Museums, Dr. Stegmann, Direktor des Gewerbemuseums, die Kom- 
merzienräte Heusalt und Stief gönnten dem Unternehmen ihre that- 
kräftige Förderung. Mit 30 Schülerinnen wurde 1875 die Arbeits- 
schule eröffnet und blühte 9 Jahre lang — bis zum Ableben des 
Freiherrn von Gramer - Klett und dem damit zusammenhängenden 
Ausbleiben der erheblichen, von ihm gewährten Unterstützung. 

Ziemlich zur gleichen Zeit sah sich die technische Leiterin, 
Frau Dr. Beeg, Verhältnisse halber genötigt, Nürnberg zu ver- 
lassen und überliess die Schule mit ihren 98 Schülerinnen den drei, 
an derselben angestellten Lehrerinnen, welche, obwohl dazu aufge- 
fordert, sich zu einem Kaut' nicht verstehen wollten. Vielmehr 
erstand die Anstalt für den Preis von 6000 Mk. ein Frl. Henriette 
Rötter, die jetzige Besitzerin, eine in Nürnberg völlig fremde und 
mit dortigen Verhältnissen ganz und gar nicht vertraute Dame. 
Schwer genug ward ihr der Anfang, so schwer, dass er, bei dem 
nachmaligen vortrefflichen Erfolge, als Trost und Sporn für manche 
dienen mag, die unter schwierigen Verhältnissen etwas Neues be- 
ginnen will. Die drei Lehrerinnen, deren eine Frau Dr. Beeg als 



— 380 — 

ihre Stellvertreterin eingesetzt hatte, missbrauchten nämlich ihren 
Einfluss dazu, die Schülerinnen zu sich hinüber zu ziehen und ohne 
Kaufeumme und G-ründungskapital auf diese wenig ehrenhafte Weise 
eine neue Anstalt ins Leben zu rufen. Und es gelang fürs erste. 
Doch Frl. Rötter, die mit offener Stirn allen unlauteren Misshellig- 
keiten und allen Intriguen mutig entgegentrat und unermüdlich, mit 
schlichter, täglich neuer Hingabe ihre Arbeit that, zweckentsprechende 
Reformen des Lehrprogramms vornahm, neue, nützliche Lehrfächer 
einführte und nur auf gediegene Erfolge hinarbeitete, gewann in 
kurzem das Vertrauen der Bevölkerung, ja durfte, nachdem sie 
mit einer Schülerin begonnen hatte, schon nach reichlich einem Jahre 
sich einer Schülerinnenzahl von 191 erfreuen. 

Während nun in den folgenden Jahren der Fortgang der Schule 
Fortschritte jeder Art bezeichnete, hegte Frl. Rötter einen neuen, 
äusserst glücklichen Plan. Sie wünschte eine Kochschule mit ihrer 
Anstalt zu verbinden — die erste Kochschule in Bayern — und 
zwar für Bemittelte sowohl als für Unbemittelte. Aber wie das 
Letztere ermöglichen, da sie selbst über Mittel nicht verfugt? Ihr 
Eifer rief den Nürnberger Frauenerwerbs- Verein ins Leben, und 
aus dessen Vereinsbeiträgen nun wird alljährlich für eine Anzahl 
armer Mädchen des Ortes das Schulgeld für die Kochschule be- 
stritten; von den 184 Kochschülerinnen der ersten zwei Jahre wurden 
18 auf Vereinskosten ausgebildet. 

800 — 900 Frauen und Mädchen aus dem In- und Auslande 
werden alljährlich in der Nürnberger Frauenarbeitsschule in fast 
allen Zweigen der Handarbeit, im häuslichen Beruf, im G-ewerbe- 
und Handelsfach unterwiesen. 1894 erhielt die Anstalt die süberne 
Medaille aus der König Ludwig-Preisstiftung; im Schullokal, Burg- 
strasse 15, wird die alljährliche Original-Hand- und Kunstarbeits- 
ausstellung zu einer dauernden gemacht; unbemittelten Schülerinnen 
ist gestattet, durch Arbeiten auf Bestellung schon selbständig etwas 
zu verdienen; es haben im letztvergangenen Jahre 28 Schülerinnen 
weit über 900 Mk. für sich erworben. — Die Bibliothek der An- 
stalt umfasst bereits über 350 Bände, der Belehrung und Unter- 
haltung der Schülerinnen gewidmet. 

So ruht ersichtlicher Segen auf dem ganzen Beginnen und wir 
können nur, wie wir allen Anstalten dieser Art gedeihliche Ent- 
faltung wünschen, auch dieser in Nürnberg, der emporzukommen 
aus inneren und äusseren Gründen so sauer wurde, für die Zukunft 
ein herzliches „G-lück auf" zurufen. 

Der Unterricht in der Frauen-Handarbelt und 
Richtung desselben in den verschiedenen Lehr- 
anstalten Ungarns. 

Von Frau G. Nendtwich, Direktorin der Gewerbeschule zu 
Budapest, Delegierte des Maria Dorothea -Vereins. 

Bei uns in Ungarn beginnen die Mädchen schon im frühen 

Kindesalter sich die Fertigkeit zur P'rauen-Handarbeit anzueignen. 

In den Elementar-Schulen ist der Zweck des Unterrichts in 



— 381 — 

der Handarbeit der, den Arbeitstrieb zu wecken und zu pflegen, 
die Arbeitslust zu steigern und an Ausdauer in der Arbeit zu ge- 
wöhnen, zu einer gewissen Geschicklichkeit der Hand zu führen, 
die Neigung zur gewerblichen Beschäftigung anzuregen und über- 
haupt die Vorbereitung für das praktische Leben. 

Deshalb wird das Hauptgewicht auf jene Handarbeiten gelegt, 
deren Aneignung in Anbetracht der örtlichen Verhältnisse den 
Zögling zum Broterwerb vorbereitet, und welche geeignet sind, den 
Sinn für diese Arbeiten zu fördern und gewissermassen auch den 
Geschmack zu veredeln. 

Deshalb giebt man sich hier nur mit solchen Arbeiten ab, 
welche durch die Kinder selbständig ausgeführt werden können und 
sowohl in der Schule, als auch zu Hause ohne Schwierigkeit zu 
verrichten sind. 

Die höheren Volksschulen streben schon dem praktischen Ziele zu. 

In diesen Schulen gilt es, die Zöglinge, je nach ihren persön- 
lichen Fähigkeiten, mit den im Haushalte verwertbaren und als 
Erwerbsquelle dienenden Frauen-Handarbeiten vertraut zu machen 
und die Aneignung der notwendigen Fertigkeit in diesen zu er- 
möglichen. Hier gehen dem Einüben Erläuterungen voraus, damit 
die Zöglinge im Verrichten der Arbeiten eine gewisse Selbständigkeit 
gewinnen, die Art und Weise der zweckmässigen und billigen Be- 
schaffung des Materials kennen lernen und auch auf stylmässige 
Zeichnungen und auf die Harmonie der Farben Sorgfalt verwenden. 

In den Elementar-Lehrerinnen-Seminarien bewegt sich mit Rück- 
sicht darauf, dass die aus diesen Anstalten hervorgehenden Lehr- 
kräfte berufen sind, die kleinen Mädchen in den Elementen der 
Frauenarbeit zu unterrichten, v der Lehrplan in einem weiteren 
Rahmen, was insbesondere dadurch motiviert erscheint, dass das 
Elementarschul-Lehrerdiplom zugleich die Grundlage für die in den 
höheren Volksschulen und Lehrerinnen -Sem inarien systematisierte 
Befähigungsprüfung für Frauen-Handarbeit bildet. 

Die Befähigungsprüfung zum Unterricht der Handarbeit in 
höheren Volksschulen und in den Lehrerinnen-Seminarien kann nur 
in dem Lehrerinnen-Seminar für höhere Volks- und Bürgerschulen des 
Budapester VI. Bezirkes und in einigen Klöstern abgelegt werden. Vor- 
bedingung dieser Prüfung ist das Elementar-Lehrerdiplom, Gegen- 
stand derselben das Ornamental- und Kleiderschnitt - Zeichnen und 
die verschiedenen Arten von Frauen-Hand- und Maschinenarbeit. 

Die Modalitäten der Prüfung werden von Fall zu Fall fest- 
gestellt. Jene Zöglinge aber, die die Fachgruppe für Frauen-Industrie 
regelrecht absolviert haben, können vom Herstellen der Hand- und 
Maschinenarbeiten ganz oder teilweise enthoben werden, denn es 
können als Grundlage der Klassifizierung die in der zweiten Hälfte 
des letzten Jahrganges fertigg(?stellten, doch auf jeden Fall vorzu- 
legenden Gegenstände acceptiert werden. 

Zu dieser Befähigungsprüfung werden bei besonderer ministerieller 
Bewilligung auch solche Damen zugelassen, die kein Elementar- 
Lehrerdiplom besitzen, jedoch eine höhere Frauengewerbeschule regel- 
recht absolviert haben und mit dem Zeugnisse einer öffentlichen 
Schule wenigstens so viel Vorbildung nachweisen können, w^" 



— 382 - 

Aufnahme in ein Elementarlehrerinnen - Seminar erforderlich ist. 
Solche Kandidaten aher sind verpflichtet, diese ihre Vorbildung 
durch eine vorhergehende Prüfung nachzuweisen und blos, wenn sie 
diese erfolgreich bestanden, können sie zur Befähigungsprtifung zu- 
gelassen werden. 

Diese verschiedenen Modalitäten der Aneignung der Frauen- 
Handarbeiten habe ich hauptsächlich deshalb angeführt, damit man 
ein klares Bild gewinnen könne, auf welcher Grundlage die Aus- 
bildung beruht und welchen Bildungsgrad jenes Element besitzt, 
welches die Fachschulen für Frauengewerbe erhalten, um es weiter 
auszubilden. 

Die Frauengewerbeschulen sind in Ungarn entweder Staats- 
schulen, oder staatlich subventionierte Vereinsschulen, und solche, 
die mit irgend einer Lehranstalt in Verbindung stehen. Eine staat- 
liche Frauengewerbeschule giebt es bloss in Budapest; diese Anstalt 
befindet sich am linken, eine Filiale derselben am rechten Ufer der 
Donau. Unter die staatlich subventionierten gehören die in Ko- 
lozsvar, Sepsi-Szentgyörgy, Györ, Marcs väsärhely, Debreczen und in 
die dem Elisabeth-Mädchen-Waisenhause zu Kezdi-Väsarhely systemi- 
sierten Frauengewerbeschulen. Vereinsschulen sind die von Iglo, 
Nyiregyhaza und Miskolcz; mit einer Lehranstalt stehen in Ver- 
bindung die neben der höheren Volksschule für den Budapester 
III. Bezirk, sowie die neben der höheren Volksschule zu Nagyenyed 
systemisierten. Die erstere steht unter der Oberaufsicht der Haupt- 
stadt, die letztere unter der des Kultus- und Unterrichts-Ministeriums. 

Organisationsgemäss ist es Zweck und Aufgabe dieser Lehr- 
anstalten, junge Mädchen durch Unterricht in den Frauenarbeiten 
und in den, zur Leitung von kleineren Frauenarbeitsgeschäften 
nötigen Fachkenntnissen zu nützlichen Hilfsarbeitern zu erziehen, 
damit dieselben Frauenarbeitsgeschäfte leiten und im Familienkreise 
vorkommende Arbeiten selbständig verrichten können. 

Die Aufsicht und die Verwaltung wird in verschiedenen Formen 
geübt. So z. B. wird die Budapester Frauengewerbeschule von 
einer Direktion geleitet, welcher der ganze Lehrkörper und der 
im Ungarn bei allen höheren Schulen, also auch bei uns angestellte 
Schularzt untergeordnet ist, während die Aufsicht von einem Auf- 
sichtskomitee, aus dem Präsidenten und zwölf Mitgliedern bestehend, 
ausgeübt wird. Dabei bildet der Landes-Gewerbe-Unterrichts-Ober- 
direktor die Kontroibehörde und ist derselbe zugleich Fachreferent 
im Handelsministerium. Die Beaufsichtigung des theoretischen Unter- 
richtes aber obliegt jenem Fachorgan des Kultus- und Unteriichts- 
ministeriums, welches mit der Aufsicht über die Gewerbeschulen im 
ganzen Lande betraut ist. 

Die Frauengewerbeschulen bei uns haben meistens drei Abtei- 
lungen, und zwar die für Weissnähen, die für Kleidermachen, und 
die für Strickerei. Hierzu kommt noch in Budapest die Modisten- 
Abteilung. 

In der Budapester Anstalt wurden diese vier Abteilungen organi- 
siert, weil diese Zergliederung unseren heimischen Verhältnissen 
am besten entspricht. Eines grösseren Zuspruchs erfreut sich das 
Weissnähen und die Kunststickerei. Kunststickerei üben wir nur 



— 383 — 

seit kurzer Zeit, denn die Bedürfnisse dieser Art wurden bisher 
beinahe ausschliesslich vom Auslande gedeckt. 

Eine der Hauptbestrebungen der meiner Leitung anvertrauten 
Anstalt ist also die, die Ansprüche des für feinere Stickereien sich 
interessierenden Publikums durch die vaterländische Industrie zu 
decken. 

Unterziehen wir nun Zweck und Richtung des blos in allge- 
meinen Zügen dargelegten, verschiedenen Unterrichtes in den Ele- 
mentar- und höheren Mädchenschulen einer Prüfung mit Rücksicht 
auf die Befriedigung der Ansprüche des praktischen Lebens, so er- 
giebt sich, dass nicht nur in den Abstufungen der Schulen die 
strenge Folgerichtigkeit gewahrt, sondern auch der Tjehrstoflf derart 
angeordnet ist, dass der Lehrer unwillkürlich dazu bewogen wird, 
vor allem die häuslichen Bedürfnisse und die Ziele der Hausindustrie 
vor Augen zu halten. 

Wohl wird in den Elementar- und den höheren Volksschulen 
der einfache, sozusagen ländliche Haushalt als Grundlage angenommen, 
während die höheren Mädchenschulen den Ansprüchen des wohl- 
habenderen städtischen Publikums und der Mittelklasse zu genügen 
suchen, die Lehrerin-Semin arien aber beides in sich vereinen, doch 
ist bei jeder dieser Arten von Anstalten ein anderer Gesichtspunkt 
massgebend. 

Nehmen wir nun aber Methode und Zweck, sei es des Lernens, 
sei es des Unterrichts, in Augenschein, so wird sich jedem klar und 
deutlich das Eine ergeben, dass der Unterricht in der Frauenhand- 
arbeit die Alltagsbedürfnisse zu erfüllen sucht, indem derselbe nebst 
der Sicherung der Familienansprüche auch noch den Zwtck verfolgt, 
auf die in den einzelnea G-egenden verbreitete, in ihren Produkten 
mehr oder minder geschmackvolle Hausindustrie eine veredelnde 
Wirkung auszuüben. 

Die .Erreichung dieses letzteren Zieles lässt es jedenfalls als 
notwendig erscheinen, dass man je eher zur fachlichen Ausbildung 
schreite. 

Eine Fachausbildung ist bei uns in Ungarn unter den heutigen 
Verhältnissen in den Frauen-G-ewerbeschulen zu erlangen; unter 
diesen verdient hauptsächlich die Budapester staatliche Frauengewerbe- 
schule hervorgehoben zu werden, welche jeden Zögling, welcher 
irgend eine der vier Abteilungen absolviert, in die Lage versetzt 
wissen will, nicht nur höheren Ansprüchen zu genügen, sondern im 
Stande zu sein, eine Arbeit zu liefern, welche auch als feineres 
Industrie-Produkt gelten könne, und die auch mit der Präzisität der 
Ausführung, der Schönheit der Komposition und dem edlen Ge- 
schmacke, von dem sie zeugt, die Aufmerksamkeit fesseln soll. Denn 
nur auf diese Weise ist es zu erreichen, dass unsere absolvierten 
Zöglinge nicht nur als Gewerbearbeiter, sondern auch als selbständige 
Hausfrauen und Geschäftsleiter auf eine, ihre Existenz sicherstellende 
Erwerbsquelle rechnen können. 

Es geschieht bei uns alles, was überhaupt möglich ist, um dieses 
Ziel zu erlangen. So hat es in der G-ewerbeschulen-Abteilung des 
jüngst abgehaltenen zweiten Landes -Universalunterrichtskongresses 
den Gegenstand eingehender Erörterung gebildet, wie die Lehrkräfte 



— 384 — 

für die Frauen gewerbeschulen heranzubilden seien, und die Antwort 
auf diese Frage war die, dass die Ausbildung für jeden Gewerbe- 
zweig in besonderen Fachlehrkursen zu erfolgen habe. 

Nicht minder wichtig ist auch jener Beschluss dieses Kongresses, 
dass die absolvierten Zöglinge der Frauengewerbeschulen womöglich 
in den betreffenden Schulen selbst als Hilfsarbeiter angestellt werden, 
und für ein bestimmtes, massiges Honorar an den in der Anstalt 
bestellten Arbeiten teilnehmen. 

Aus air diesem mögen Sie ersehen, dass in Ungarn alles auf- 
geboten wird, um das Frauengewerbe zum Aufschwung zu bringen. 
Wir, die wir berufen sind, die Verwirklichung dieses Zieles herbei- 
zuführen, steuern mit voller Kraft demselben zu und in diesem 
unseren Streben erfüllt uns mit Begeisterung das Bewnisstsein, dass 
wir, indem wir die schönen und formvollendeten Produkte der, auf 
einem so hohen Niveau stehenden, Frauen-Tndustrie des Auslandes 
auch in unserem eigenen Handgewerbe einbürgern wollen, nicht nur 
unserem Berufe als Lehrer dienen, sondern auch unserer patriotischen 
Gesinnung den gebührenden Tribut zollen. 



Leitsätze über Frauenarbeit im Obst- und 

Gartenbau. 

Von Fräulein Dr. Elvira Castner, Friedenau-Berlin. 

Leitsätze, welche als Auszug aus meinem in der 3. Haupt- 
versammlung gehaltenen Vortrage zur Besprechung gestellt wurden. 
Leider wurde dieselbe aus Mangel an Zeit abgebrochen. 

1. Die Beschäftigung gebildeter Frauen mit Obst- und Garten- 
bau ist in Deutschland notwendig aus erziehlichen, hygienischen, 
erwerblichen, volkswirtschaftlichen und sozialen Gründen. 

2. Das vor wenig Tagen nach beendeter Lehrzeit abgelegte 
Examen der ersten Schülerinnen der Gartenbauschule in Friedenau 
hat den vollgiltigen Beweis geliefert, dass Frauen die physischen 
und geistigen Kräfte besitzen, sich die fachwissenschaftl ich - theore- 
tischen Kenntnisse anzueignen, die von einem wissenschaftlich ge- 
bildeten Gärtner gefordert werden und auch im Stande sind die prak- 
tischen Arbeiten zu lernen und selber auszuführen. 

3. Die Ausbildung muss in Gartenbauschulen, nur für gebildete 
Frauen eingerichtet, geschehen, wo theoretischer Unterricht und 
praktische Unterweisung Hand in Hand gehen. 

4. Es muss der Ansicht entgegengetreten werden, dass die 
Frauen ihren männlichen Kollegen Konkurrenz machen wollen. 

5. Der Wirkungskreis einer Gärtnerin kann ungemein viel- 
seitig sein und ist nicht nur auf das Land beschränkt. 

6. Um ein besseres Verständnis über Beruf und Stellung der 
Gärtnerinnen in weitesten Kreisen anzubahnen, muss die Vereins- 
thätigkeit in Anspruch genommen werden; zu dem Zweck ist der 
Verein ,,zur Förderung des Frauenerwerbes durch Obst- and Garten- 
bau" gegründet worden. 



— 386 — 

Lasset uns eine Grundlage schaffen. 

Von Fräulein Anna Bauer, Cochem a. M. 

Bevor ich die Einladung erhielt, hier zu erscheinen, hatte ich 
in meiner entlegenen Heimat wenig Gelegenheit und Anregung, 
mich über den Stand der Frauenfrage zu unterrichten, aber ich 
glaube nicht zu irren, wenn ich das bis jetzt Geschehene dahin zu- 
sammenfasse, dass die Pläne und Vorarbeiten zu einem grossen 
Werke geschaffen wurden — dass aber die Ausführung des Werkes, 
der Bau selbst, der Zukunft überlassen bleiben müsse. Ich möchte 
daher heute eine Mahnung an Sie richten — eine Mahnung, deren 
Befolgung sich eigentlich von selbst versteht, die aber doch viel- 
leicht noch nicht in meinem Sinne erörtert worden ist, und diese 
Mahnung lautet: lasset uns eine Grundlage schaffen! 

Wir alle, die wir hier versammelt sind, arbeiten an dem Wohl 
der Frauen, nicht an unserm persönlichen Wohl, nicht an dem ein- 
zelner Individuen, einzelner Klassen, sondern an dem Wohle des 
ganzen weiblichen Geschlechts. Wir alle wissen, dass wir eines 
ganz aussergewöhnlichen Kraftaufwandes bedürfen, um nur die Vor- 
urteile, die unseren Bestrebungen im Wege stehen, zu beseitigen, und 
dass wir zur Vollendung unseres Werkes die Zustimmung und 
Hilfe aller Frauen haben müssen, dass aber auch gerade den ner- 
vösen, sorgenvollen und willensschwachen Frauen der Gegenwart 
selbst die Kraft fehlt, deren sie zu ihrer jetzigen Stellung bedürfen. 
Wenn ich daher von einer Grundlage spreche, so meine ich, dass 
wir vor allen Dingen durch die häusliche Erziehung und Charakter- 
bildung der Mädchen für ein an Körper und Geist gesundes weib- 
liches Geschlecht zu sorgen hätten, welches krättig genug wäre, die 
verstärkten und erweiterten Lasten zu tragen, die ihm aufgebürdet 
werden sollen. 

Es wird der Gegenwart oft der Vorwurf gemacht, sie sei nur 
auf die Verstandes-, nicht auf die Gefühlserziehung bedacht. Das ist 
wie man's nimmt: Soviel ist ja richtig, dass der wissenschaftliche 
Unterricht rein verstandesmässig und daher mit so geringem Erfolg 
für das praktische Leben betrieben wird. Dagegen wird in der 
häuslichen Erziehung das Gefühl bevorzugt und dem Verstand 
die Stelle des Aschenbrödels angewiesen. 

Legen wir nur die Hand aufs Herz: wir alle, Frauen wie 
Männer, sind viel zu sehr unsern Gemütsstimmungen jinterworfen. 
Wir gleichen alle mehr oder weniger schlechten Musikinstrumenten, 
welche den Ton nicht halten. Verstand und Gefühl werden zwar 
beide genug geschult, aber jedes tür sich und in besonderer Weise, 
und wenn sie zusammen musizieren, dann stimmt es nicht. Da 
klingt der Diskant des Gefühls falsch neben den Grundtönen des 
Verstandes, das verhätschelte und verzogene Gefühl gefällt sich darin, 
bald dem Verstand vorauszueilen, bald hinter ihm zurückzubleiben; 
und wenn es garnicht mehr gehen will, wird der arme Verstand 
gescholten. Kurz — es fehlt der Takt, es fehlt die Harmonie. 

Auf Schritt und Tritt dringt uns heute diese falsche Herzens- 
musik in die Ohren, so dass das Empfinden für die Reinheit derselben 
völlig abzusterben droht. Wie falsch ist z. B. das Ehrgefühl dessen, 

25 



— 386 — 

der sich schämt, ein unmodernes Kleid zu tragen und sich deshalb 
mit einem geborgten schmückt ! Wie falsch ist das Ehrgefühl allein- 
stehender Frauen und Mädchen aus guter Familie, welche lieber 
müssig gehen und sich ihren Lebensunterhalt schenken lassen, als 
dass sie ihn durch ehrliche Arbeit zu verdienen suchen! — Wie 
falsch ist die Liebe einer Mutter, welche die Zukunft ihres Kindes 
einer angenehmen G-egenwart opfert, — die das liebe Ich des Kindes 
in den Mittelpunkt stellt, ihm schmeichelt und huldi«?t und darüber 
seine Persönlichkeit, seine Eigenart, sein besseres Selbst zu Grunde 
gehen lässt! — Wie falsch ist die Liebe einer Mutter, welche ihre 
kaum erwachsenen Töchter um jeden Preis an den Mann zu bringea 
sucht und jedes Zartgefühl in ihnen ertötet dadurch, dass sie sie 
wie eine Ware feübietet, oder einer andern, die das Verlangen nach, 
den kostspieligsten Genüssen in ihren Kindern erweckt, aber kein 
Auge hat für die Schönheit einer blumigen Wiese oder eines nächt- 
lichen Sternenhimmels — weil das kein Geld kostet! Und wie falsch, 
ist die Liebe einer Mutter, die dem Kinde jede Mühe und Arbeit, 
jede Entbehrung und Entsagung fern zu halten sucht, anstatt es zu 
lehren, das kein Glück auf Erden demjenigen gleichkommt, welches 
uns eine überwundene Schwierigkeit, ein über uns selbst errungener 
Sieg gewährt. 

Ich gehöre nicht zu denen, welche die gute alte Zeit immer 
im Munde führen und Glück und Heil nur darin sehen, dass man 
zu der froheren Einfachheit und Anspruchslosigkeit zurückkehre. 
Nein, ich liebe den Fortschritt und freue mich unserer Errungen- 
schaften; aber ich meine, dass die wahre Kunst des Lebens darin 
bestehe, dass man sich an allem Schönen erfreuen könne, ohne es 
auch besitzen zu wollen. „Ich liebe was fein ist, und wenn's 
auch nicht mein ist,'* heisst es in einem alten Kinderliedchen. 

Für jeden Menschen giebt es eine Schranke, hinter welcher das 
für ihn Unerreichbare liegt. Der Herrscher, den es gelüstet, die 
Welt zu erobern, muss mehr entbehren als der Bettler, dessen ein- 
ziger Wunsch darin besteht, sich satt zu essen. Die heutigen 
Mütter aber sehen das Glück ihrer Kinder einzig darin, dass ihnen 
jjßder Wunsch erfüllt werde, und zwar darum erfüllt werde, damit 
sie nicht hinter andern zurückstehen. Dafür setzen sie Wohlstand, 
Gesundheit, Glück und Schönheit ihrer Kinder aufs Spiel, und wenn 
sie endlich doch an der Grenze des Möglichen angekommen sind, so 
betrachten Mutter und Kind das als ein Unglück. Unzufriedenheit, 
Reizbarkeit, Nervosität, Krankheit und Armut sind das Ende, aber 
auch Neid, Hass, Unfrieden, Feindschaft, mit einem Worte : Verfall. 

Darum sage ich noch einmal: Bauen wir nicht in den Sand, 
sondern lasset uns eine Grundlage schaffen! Lasset uns alles auf- 
bieten, die Mütter zur Mitarbeit heranzuziehen; lasset uns durch 
Wort, Schrift und Beispiel auf sie zu wirken suchen, dass sie die 
falschen Gefühle in sich selbst bekämpfen, oder mit andern Worten: 
dass sie die Harmonie in ihrem Denken und Fühlen herstellen und 
fähig seien, Töchter zu erziehen, die den Mut und die Kraft ge- 
winnen, dasjenige zu thun und zu fordern, was ihren körperlichen 
und geistigen Anlagen und Fähigkeiten entspricht. 

Da ich selbst bereit bin, zu thun, was in meinen schwachen 



- 387 — 

Kräften steht, habe ich mich entschlossen, einen Frauenkalender her- 
auszugeben; aber ich kann das, was ich unternommen habe, nicht 
allein zur Ausführung bringen, denn ich bedarf eines umfangreichen 
Materials, um täglich Fühlung mit den Frauen zu behalten und 
ihnen Gelegeoheit zu geben, sich gegenseitig aufzumuntern. Die 
Prospekte, welche ich ausgegeben habe, machen Sie mit dem Näheren 
bekannt. Ich richte daher die dringende Bitte an Sie alle: „Helfen 
Sie mir!" 



Qrundzüge der pädagogisch-sozialen Umgestaltung. 

Von Herrn Curt Geisler, Friedenau. 

Wegen Erkrankung des Autors im Auszuge vorgetragen 

von Frl. Münchhausen. 

1. Die Uebel der menschlichen Gesellschaft entstehen zum 
grossen Teil aus der allgemein mangelhaften oder gar fehlenden 
häuslichen Erziehung. 

2. Jeder Mensch, ganz besonders aber jeder weibliche Mensch 
muss das Erziehen lernen, solange er selbst noch jung und bildsam 
ist. Könnte man dies erreichen, so wäre ein ungeheuerer, fast un- 
übersehbarer Nutzen für die Menschheit geschaffen. 

3. Kein Kind darf die Schule verlassen, ohne die wichtigsten 
Grundsätze der Erziehungskunst gelernt und an den jüngeren Kindern 
geübt zu haben. Das letzte Schaljahr soll jedem Kinde einen zu- 
sammenhängenden Unterricht im Erziehen bringen; aber schon weit 
früher, vor dem letzten Schuljahre, sollen alle Kinder gelegentlich 
mit diesen und jenen Gesetzen vertraut werden. 

4. Der Erziehung? Unterricht auf der Schule kostet Zeit, es 
muss dafür anderes gestrichen werden. Bei der ungeheueren Wichtig- 
keit der richtigen Erziehung für das Wohl der gesamten Menschheit 
muss dies Opfer indessen unbedingt gebracht werden. Man bedenke 
dabei, dass nach neueren Ansichten es beim Schulunterrichte über- 
haupt weniger auf die Einprägung einer grossen Summe historischer 
Kenntnisse ankommt, als auf die Bildung des Denkens und Ge- 
mütes. Kein Gegenstand ist aber geeigneter, zum Nachdenken 
anzuregen und zugleich das Mitgefühl für andere in richtiger Weise 
zu erwecken, als der — natürlich in richtiger Art erteilte — Er- 
ziehungsunterricht. Der Unterzeichnete ist sogar der Ansicht, dass 
bei der Begründung von höheren Mädchenschulen nach den neueren 
Anforderungen der Frauenwelt auf Ausbildung des Verstandes, den 
Mädchen im Alter vom dreizehnten bis sechszehnten Jahre eine 
Ruhepause zu gönnen ist, in der sie vor allem die Gesundheit 
pflegen und daneben die Erziehung lernen sollen, die Erwerbung 
von sonstigen exakten Kenntnissen aber ruhen lassen. (Natürlich 
muss der vorhergehende Schulunterricht anders sein, als er bis 
heute ist, und es muss sich nach jener Pause ein wissenschaftlicher 
Unterricht bieten für diejenigen, welche höheres Wissen erwerben 
wollen.) 

25* 



ni 

Freitag, den 25. September, Vormittag 10 Uhr. 

Volkserziehnng und Arbeiterinnenfrage. 

Familiengenossensohaften. 

Von Jane Hume Clapperton, verlesen von Miss Margaret 

Clapperton, Edinburg. 

Hochansehnliche Versammlung! 

Es ist unmöglich, in der kurzen Zeit, welche mir gütigst von dem 
Vorstand dieses Kongresses eingeräumt worden ist, die vielen Punkte 
auch nur eben zu berühren, welche darlegen sollen, dass unser soziales 
Leben gegenwärtig mangelhaft ist, und welche, wie ich meine, in 
vieler Hinsicht einer gründlichen Aenderung bedürfen. Diese Punkte 
habe ich an anderer Stelle ausführlich behandelt und ich kann nur 
hoffen, dass die kurze Skizze, welche ich hier geben kann, das In- 
teresse meiner Zuhörer so erwecken wird, dass sie mein Werk, 
„Scientific Meliorism** ausführlicher lesen werden. 

Anstatt viele dieser Punkte nur leichthin zu berühren, wobei 
ich den einzelnen keine Gerechtigkeit widerfahren lassen könnte, 
habe ich es vorgezogen, mich auf einen ein/igen zu beschränken 
und diesen ausführlicher zu behandeln, welcher, wie ich sicher bin, 
allen Frauen nahe liegt, ich meine: das Familienleben. 

Ich glaube, es giebt keinen Gegenstand, über welchen die An- 
sichten bei Deutschen und Engländern mehr übereinkommen, als 
über den Wert des häuslichen Lebens. Wir Germanen sind ja 
ganz besonders stolz auf die Liebe zu unserm Heim, ja diese bildet 
geradezu eine Racetugend. 

Ich bin nun der Ansicht, dass unser heutiges Durchschnitts- 
Familienleben nicht ganz zufriedenstellend ist. Es zeigt Defekte und 
Schattenseiten, welche für die Wohlfahrt der Gesellschaft reichliche 
Hindernisse bilden. Und doch könnte es meiner Ansicht nach so 
abgeändert werden, dass es die Entwickelung eines wertvollen Lebens 
unter uns förderte. Lassen sie mich versuchen, meine Ansichteu zu 
entwickeln und zu begründen. 



— 389 — 

Dieses Familienleben ist also unbefriedigend! Selbst das ideale 
Familienleben, wenn von einem solchen noch die Rede sein kann — 
und einige von uns können wenigstens auf ein solches, mit den 
wärmsten G-efuhlen der Anhänglichkeit an ein Heim in ihrer Kinder- 
zeit, zuriicitblicken — selbst ein solches hat einen ernstlichen Mangel. 
Es bietet doch keine Garantie für ein ungetrübtes Alter. In den 
meisten Fällen vereinsamen, da die Kinder wachsen, heiraten und 
den Familienkreis nach und nach verlassen, die Eltern mehr und 
mehr. Sie sind gar zu oft auf eine Umgebung angewiesen, welche 
das G-efühl der Verlassenheit verstärkt und geeignet ist, die körper- 
lichen und geistigen Kräfte eher zu vermindern, als sie zu stärken. 
Die G-esellschaffc erleidet einen ausserordentlichen Verlust durch Ver- 
nichtung einer Existenz, welche — ich darf mich wohl so aus- 
drücken — oft viele Kenntnisse und tiefe Lebenserfahrung in 
sich birgt. 

Aber wir müssen nicht das ideale, sondern das wirkliche 
Familienleben in allen gesellschaftlichen Kreisen betrachten. Was 
finden wir da? 

Bei der ärmeren Klasse in grossen Städten sind in den meisten 
Fällen nicht einmal die allernötigsten Grundbedingungen eines ge- 
nügenden Familienlebens vorhanden. Wie ist es für einen Vater, 
eine Mutter und eine Anzahl Kinder, wenn sie eine Wohnung von 
1 oder 2 in Ausdehnung und gesunder Luft beschränkten Zimmern 
innehaben, möglich, ein Leben zu führen, welches der Familien- 
anhänglichkeit förderlich wäre? 

Auch sind die Bedingungen des modernen industriellen Lebens 
dem alten Ideal des Familienlebens ungünstig. Die Kinder der ar- 
beitenden Klasse begeben sich früh in Fabriken und Werkstätten 
und betrachten sich deshalb der elterlichen Aufsicht entwachsen. 
Sobald sie von den Eltern nicht mehr abhängig sind, ziehen sie 
häufig vor, sich von ihnen zu trennen. 

Wir können uns nicht wundern, dass innige Familienliebe und 
Hingebung an Familieninteressen nicht sehr ausgeprägt sind bei 
solchen unbeständigen, oft wechselnden Gruppen. 

Unter der Mittelklasse findet man durchschnittlich, wenn nicht 
Armut, so doch beschränkte Mittel, verbunden mit grösseren An- 
sprüchen. Die Fähigkeit zu geniessen, ist vorhanden, aber nicht 
die Mittel, die begehrenswerten Dinge des Lebens zu erlangen, welche 
überall in Läden und in den Wohnungen der glücklichen Reichen zu 
sehen sind. Die Wohnungen sind nicht so klein wie bei der ar- 
beitend«^n Klasse, aber sie sind oft dennoch ebenso ungeeignet für 
die Ent Wickelung und Pflege der Tugenden, welche das Wesen des 
idealen Familienlebens ausmachen sollen. Es ist dies bei weitem 
am meisten das Resultat des Erziehungssystems, welches die Mittel- 
klassen gezwungen sind anzunehmen. Wo die Mittel knapp sind, 
besteht der einzige Weg, die Kinder fähig zu machen, sich mit 
ihren Genossen im Kampfe um die Existenz zu messen, darin, dass 
sie in grossen Schulen zusammengeführt werden, wo ein Lehrer eine 
grosse Anzahl gleichzeitig unterrichten kann. Aber selbst wenn 
wir zugeben, dass diese Methode wohlgeeignet ist für die Bildung 
des Verstandes — ein Punkt, über den sich streiten lässt — so 



— 390 — 

glaube ich doch, dass alle darin übereinkommen werden, dass sie 
sehr ungeeignet ist für die Bildung des Gemütes und des Willens. 
Und diese spielen doch eine weit grössere Rolle im Leben als die 
andern, und von ihrer harmonischen Entwickelung hängt viel von 
unserm Glücke ab. Die Kinder sind notwendig vielen Einflüssen 
unterworfen, welche die Eltern nicht kennen und die oft geradezu 
sehr unerwünscht sind. Sie schliessen Bündnisse und Freundschaften, 
welche sie verleiten, viel Zeit ausser der Familie zuzubringen, deren 
beschränkte Mittel es oft nicht zulassen, den Kindern das Mitbringen 
ihrer Freunde nach Hause zu erlauben. In den Schulen selbst ist 
die Schwierigkeit einer moralischen Erziehung in Anbetracht der 
zahlreichen Schüler sehr gross. 

Ein noch wichtigerer Grundzug unserer Erziehungsweise ist 
die Trennung der Geschlechter, welche gerade in der Zeit statt- 
findet, wo der Charakter, die Neigungen und Fähigkeiten sich aus- 
bilden. Wir hüten unsere Töchter ängstlich, wir beschränken sie 
mit allen möglichen Regeln der Etiquette, wir erhalten sie also in 
grosser Unwissenheit des wirklichen Lebens, und gestatten es, dass 
sie durch Lesen von Romanen sich eine eingebildete Welt schaffen. 
Unterdessen wachsen unsere Knaben heran in einer ganz verschiedenen 
Schule, einer Schule, welche in eben dem Masse zu weit ist, wie 
diejenige der Töchter zu eng, und in welcher der verfeinernde Ein- 
fluss von Mutter und Schwestern oft gänzlich fehlt. 

Die Knaben und Jünglinge in solchen Familien, je älter desto 
häufiger, suchen ausserhalb Genüsse und Vergnügungen, welche ihnen 
beschränkte Mittel zu Hause nicht gestatten. Sie machen ihre Er- 
fahrungen an allen möglichen Orten, Musikhallen, Tanzlokalen, 
Billard Salons etc. etc. Die Gefahren und Schattenseiten solch eines 
sozialen Lebens können kaum zu arg geschildert werden, und ver- 
ursachen allen zärtlichen Eltern tiefen und fortgesetzten Kummer. 

Das Resultat ist, dass unsere Jünglinge voll Weltklugheit und 
Egoismus sind; sie sind frühreif und manchmal unzart, duldsam 
gegen jede männliche Schwäche, aber streng, unerbittlich streng 
gegen das weibliche Geschlecht ihrer eigenen Klasse. Bedauerns- 
werte Folgen entspringen aus einem solchen Zustande, denn alle 
diese jungen Leute treten in Beziehungen zu einander und bilden 
zusammen Glieder in der Kette der menschlichen Gesellschaft, welche 
im 20. Jahrhundert für unser Land eine Zierde oder einen Haken 
bilden. Und wenn wir bedenken, dass reines und unschuldiges 
Glück durchaus auf gegenseitiger Würdigung beruhen muss, so 
müssen wir uns nur wundern, dass wir ein Erziehungssystem ferner 
beibehalten, welches geeignet ist, nicht Würdigung, sondern Mangel 
an Würdigung hervorzubringen. 

Kurz es scheint, dass die ganze Tendenz des modernen in- 
dustriellen Lebens, der modernen Gesellschaft, der modernen Philo- 
sophie darauf gerichtet ist, die Familienbeziehungen zu lockern. Als 
eine Entwickelungsstufe einer weiteren und mehr spontanen Sympathie 
ist die alte Familieneinrichtung nützlich und notwendig gewesen. 
Aber die Familie hat jetzt aufgehört, die Grundlage des gesellschaft- 
lichen Lebens zu bilden. 

Das getrennte Familienleben war nie ein vollkommenes oder 



— 391 — 

ideales Leben; es ist ehrwürdig und hat, wie alle Einrichtungen 
der Vergangenheit, seine KoUe in der Entwickelung gespielt, aber 
es passt sich nicht länger seiner gegenwärtigen Umgebung an. In 
der Jagd nach dem Grlück bemüht sich das gegenwärtige Geschlecht, 
sich einem verfehlten System des Familienlebens und einem mangel- 
haften System des sozialen Lebens anzupassen und in dem Kampfe 
verdirbt es. "Was muss der nächste Schritt sein? 

Sollen wir das Familienleben ganz aufgeben und ein gänzlich 
verschiedenes System einführen? Sicherlich nicht! Wenn etwas 
durch das Studium der Entwickelung völlig klar gelegt ist, so ist 
es dieses, dass es in der Natur, wie in der menschlichen Geschichte 
keinen plötzlichen Sprung giebt. So ist es mit dem Familienleben 
auch. Ich glaube, dass häusliche Beziehungen und häusliches in- 
dividuelles Leben die Hauptquelle für die Kraft der Menschheit 
bilden. Was notthut, ist also die Bildung eines vollkommeneren 
Familien- und Gesellschaftssystems durch Anwendung von Vernunft 
und erhöhtem moralischem G-efühl in der bewussten Entwickelung. 

Lassen Sie mich ganz kurz die wichtigsten Grundzüge eines 
künftigen, befriedigenden Familienlebens angeben, von dem ich 
sagen kann, dass es bedeutende Vorteile vor dem alten Familien^ 
leben besitzt. 

Das neue Familienleben, welches, wie ich glaube, bestimmt ist, 
das gegenwärtige System zu verdrängen, besteht in der Vereinigung 
mehrerer Familien, welche zusammenleben und ihre Ausgaben und 
gemeinschaftlichen Vorteile teilen. 

Unter dem gegenwärtigen System haben 20 bessere Familien 
jede ein kleines Wohn- oder Esszimmer und ein kleines Besuch- 
zimmer, im Ganzen 40 Wohnräume. Aber von diesen aus ver- 
schiedenen Elementen zusammengesetzten Familien ist jede auf einen 
dieser zwei Wohnräume angewiesen, wo die langen Winterabende 
einförmig dahinfliessen. Wo gespielt wird, muss Ruhe herrschen, 
wo musiziert wird, müssen die A eiteren ihren Whist aufgeben, und 
wer von den Jüngeren lieber liest, muss sein Buch bei Seite legen. 
Wenn nicht alle Glieder der Familie ähnlichen Geschmack haben, 
so wird notwendigerweise die freie Bewegung des Einzelnen ein- 
geschränkt, und wenn sie in einer Stadt leben, suchen die jungen 
Männer draussen ihre Vergnügungen, wo und wie, das wissen die 
Eltern nicht und wagen kaum danach zu fragen, wälirend den 
Schwestern das Haus überlassen ist, dessen Monotonie sie ver- 
anlasst, sich, wie oben gesagt, Aufregung in Romanen und Träume- 
reien zu suchen, welche die geistige Kraft in trauriger Weise 
schwächt. 

Aber lasst die zwanzig Familien sich vereinigen und alsbald wird es 
möglich sein, die 40 kleinen Zimmer in etwa 2 grosse Speisezimmer, 
ein Musikzimmer, ein Atelier, ein Rauchzimmer, einen Tanzsaal, ein 
Spielzimmer, ein Lesezimmer, eine Werkstätte, einige Schulzimmer 
und Kinderstuben, im Ganzen ungefähr 15 schöne Räume zu ver- 
wandeln, behaglich, wenn auch nicht üppig, möbliert. Jedes Glied 
hat eine weite Wahl, wo und wie und mit wem es die wertvollen 
Freistunden zubringen will. Jeder Raum ist einem besonderen 
Zweck gewidmet; in jedem beschäftigt sich eine kleine Gruppe von 



— 392 — 

zufriedenen Individuen auf angenehme und harmonische Weise, weil 
sie sich nach Wahlverwandtschaft zusammenfindet. Das Heim selber 
giebt Gelegenheit, unschuldigen Liebhabereien zu folgen, und diese 
Ungezwungenheit, seine Freistunden nach Belieben zuzubringen, bildet 
den grössten Teil der wahren Freiheit im Leben. Aber es giebt 
auch, wie ich weiss, Gemüter, denen Gesellschaft häufig lästig ist 
und welche öfters das Bedürfhiss des Alleinseins fühlen. Wenn 
nicht Einsamkeit und alle die dem ruhigen Nachdenken notwendigen 
Bedingungen einem jeden Mitgliede zugesichert werden können, so 
würde die „erweiterte Familie" nicht das sein, was, wie ich be- 
haupte, sie sein wird — eine soziale Einrichtung, die dem alten 
Familienleben überlegen ist, weil sie die Macht hat, das menschliche 
Glück zu erhöhen. 

In diesem grossen Heim kann die Erziehung der Kinder un- 
endlich sorgfältiger ausgeführt werden, als in grossen, öffent- 
lichen Schulen, wo sie notwendigerweise, in Bezug auf geistige 
Ausbildung, einförmig behandelt werden, während an die Charakter- 
ausbildung kaum zu denken ist. In der Heim-Schule werden Eltern 
von bescheidenem Einkommen ira Stande sein, ihren Kindern eine 
glückliche Kindheit, systematische IJeberwachung und Erziehung zu 
verschaffen, die sie für eine verantwortliche Existenz vorbereitet, 
und ihnen ferner eine vielseitige Geselligkeit, die durchaus dem ge- 
sunden Leben nötig ist, zuzusichern. Einer zärtlichen Mutter wird 
es möglich sein, die Beschäftigungen ihrer Kinder stündlich zu 
beobachten, ihre Geist- und Gemütsentwickelung zu überwachen, 
ihren Charakter zu bilden und die ihr gehörige Stellung in den 
Herzen der Kinder aufrecht zu erhalten. Der systematische Unter- 
richt in verschiedenen wissenschaftlichen Fächern kann von Mit- 
gliedern des Heims erteilt werden, welche sich durch Wahl der 
Ausübung jener sozialen Pflicht gewidmet und sich zu diesem Berufe 
ausgebildet haben. Es wird dann unser Streben sein, unsere Kinder 
zu lehren, nicht nur was sie wissen, sondern auch, was sie fühlen 
sollen. Wenn die Kinder zu Jünglingen und Jungfrauen heran- 
wachsen, werden sie nicht mehr, wie jj4zt, durch die künstlich auf- 
gerichteten Schranken der Etikette getrennt sein. Da sie so viel ihrer 
Zeit, vor allen Dingen ihrer freien Zeit im Heim selbst verbringen, 
das ihnen jeden Genuss bietet, und es unnötig macht, ihre Ver- 
gnügungen ausserhalb zu suchen, und ausserdem die Eltern selbst 
dabei sind, um sie vor etwaigen Ausschreitungen zu hüten, darf 
ihnen völlige Freiheit des Verkehrs gewährt werden. Die Wichtig- 
keit eines solchen Systems kann kaum übertrieben werden, denn es 
wird Männer und F'rauen in nahe Beziehungen bringen; innige, 
herzliche und treue Freundschaften werden sich bilden zum Segen 
aller und denen, welche zu heiraten wünschen, wird Gelegenheit 
gegeben, würdige Ehen zu schliessen auf Grund näherer persönlicher 
Bekanntschaft. 

Ein greifbarer Vorteil der Familiengenossenschaften, welcher sie 
praktischen Menschen empfehlen wird, ist ihre Wohlfeilheit im Ver- 
gleich zu dem alten isolierten Familienleben. Es ist augenscheinlich, 
dass 20 Familien, welche gemeinsam Haushalt führen, für die näm- 
lichen Kosten grössere Vorteile haben, als dieselbe Anzahl getrennt 



— 893 - 

lebender Familien. Ich möchte diesen Vorteil nicht zu sehr hervor- 
heben, weil ich diesen Punkt für weniger wichtig halte, als die 
anderen, und es ist Gefahr vorhanden, dass er bei etlichen Ge- 
mütern die Oberhand gewinnen würde. Ein gemeinschaftliches 
Lieben, welches hauptsächlich auf ökonomischen Spekulationen be- 
ruhte, würde sicherlich verfehlen, die Wirkungen auf das soziale 
Leben hervorzubringen, welche ich von ihm voraussetze. Die Be- 
strebung des künftigen idealen Lebens sollte dahin zielen, dass jeder 
Einzelne zu dem Glücke Aller beiträgt, in der wohlbegründeten 
Hoffnung, dass durch die Beglückung Anderer das eigene Glück 
vergrössert wird, wie es durch keine andere Handlungsweise möglich 
ist. Aus solch' einem Heim ist die Verlassenheit verbannt. 

Dieses Heim wird seine ruhigen, -behaglichen Winkel für das 
Alter haben, wo bis zum letzten Atemzug die Liebe und Pflege 
vieler Freunde ihm zu Teil wird. 

Drei wichtige soziale Veränderungen werden aus der Gründung 
von Familiengenossenschaften hervorgehen: 

1. wird die Erfahrung des Alters nicht länger unfruchtbar 
bleiben, 

2. werden Tugendmut und Tugendkraft ausgenutzt werden, sie 
werden den beständigen Faktor des allgemeinen Glückes bilden, 

3. wird edle Menschenwürde der Gesellschaft die Bahnen weisen 
und die Grundlage für Ordnung und Frieden bilden. 



Unter dem Vorsitz von Frau Gau er sprach dann Frau Jeannette 
Schwerin über die von ihr aufgestellte These: 

„Auf welchen Arbeitsgebieten kann sich die gesamte 
Frauenwelt zu gemeinsamer Arbeit vereinigen?'* 

Diese Frage geht von der Voraussetzung aus, dass sie eine 
positive Beantwortung zulässt. Das Bedürfnis der Frauen nach 
grossen, gemeinsamen Arbeitszielen hat bereits in Amerika durch 
den internationalen Frauenbund Ausdruck gefunden, dessen Aufgaben 
darin bestehen, die Gleichstellung der Frau vor dem Gesetz, Sitt- 
lichkeits- und Mässigkeitsfragen als Arbeitsziele aufzustellen. Solche 
gemeinsamen Aufgaben bietet z. B. noch die Reform der Volks- 
schule, die erst als Einheitsschule ihren Namen mit Recht 
tragen wird, die Einführung weiblicher Fabrikinspektoren, die Zu- 
lassung der Frau zur Kommunalverwaltung und die gewerk- 
schaftliche Organisation der Frauen. Auch Frauen, die auf dem 
Boden einer politischen Partei oder eines streng religiösen Bekennt- 
nisses stehen, ist es möglich, über individualistische und sozialistische 
Theorien hinweg, zusammen zu arbeiten. So haben in Zürich so- 
zialistische, bürgerliche, konfessionelle und sozialpolitische Frauen- 
vereine an die K ommission für die Rechtspflege eine Eingabe gemacht, 
in der sie beantragten: 

1. keinen Unterschied des Geschlechts betreffs der Vertretung 
von dritten Personen vor Gericht zu machen. 



— 394 — 

2. Frauen als Mitglieder von Schiedsgerichten und als Sach- 
verständige einzustellen, 

3. bei Beurteilungen, besonders weiblicher Verbrecher durch das 
Schwurgericht, einen Teil der Geschworenen von Frauen be- 
setzt zu sehen. 

4. für Behandlung von weiblichen Untersuchungsgefangenen weib- 
liche Angestellte zu bestellen. 

Im Oktober 1894 erging an den Kantonsrat von Zürich eine 
Eingabe, das Wirtschaftsgesetz betreffend, unterschrieben von zwei 
Arbeiterinnen-, zwei konfessionellen, einem sozialpolitischen und zwei 
bürgerlichen Frauen vereinen. Könnten nicht auch bei uns aus allen 
Frauen vereinen Vertrauenspersonen ernannt werden, deren Aufgabe 
es sein müsste, Fragen nach ihrer allgemeinen Bedeutung für das 
Gesamtwohl zu prüfen und sie dann den von ihnen vertretenen 
Vereinen zur Unterstützung vorzulegen? Das wäre auch eine Art 
von Einigungsamt. Wenn eine Führerin der sozialdemokratischen 
Partei im Hinblick auf die ausserhalb der Partei stehenden Frauen 
gesagt hat: Ihr hemmt uns wohl, doch ihr bezwingt uns nicht, so 
muss man ihr für den letzten Teil des Zitats vollständig Recht 
geben. Wir bezwingen sie nicht, denn wir wollen sie garnicht be- 
zwingen. Wir wollen in steter, unermüdlicher Arbeit zu einem 
vollen Verständnis der Lage der Arbeiterin gelangen und, ob man 
uns will oder ablehnt, unentwegt daran arbeiten, ihnen, wie aUen 
Frauen, die Bedingungen zu einem menschenwürdigen Dasein zu 
erringen. 

Diskussion. Frau Clara Zetkin: 

Verehrte Anwesende! Ich muss die Ausführungen, die ich 
hier vorbringe, nicht als Teilnehmerin des Kongresses, sondern als 
Zuhörerin, als Gegnerin, mit einer Richtigstellung einleiten. Frau 
Schwerin hat gesagt, es hätte jüngst eine Führerin der sozialdemo- 
kratischen Frauenbewegung gegenüber den bürgerlichen Frauen er- 
klärt: „Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht!" Ich habe 
mich Ihnen vorzustellen als jene sogenannte Führerin, die das Wort 
ausgesprochen hat, als eine derjenigen Frauen, die mit ganzem 
Herzen im Lager der Sozialdemokratie stehen und ihre Kräfte aus- 
schliesslich der sozialististischen Arbeiterinnenbewegung widmen. 
Ich habe dieses Wort nicht gebraucht gegenüber der bürgerlichen 
Frauenbewegung, denn — ich muss Sie bitttn, es nicht als ver- 
letzend für Sie ansehen zu wollen, sondern nur als Konstatierung einer 
Thatsache — ich habe bis jetzt die bürgerliche Frauenbewegung als 
soziale Macht gar nicht so hoch eingeschätzt, um ihr gegenüber 
ein solches Wort zu gebrauchen. 

Werte Anwesende! Ich habe diesen Ausdruck gebraucht gegen- 
über den Nucken und Tücken, welche der kapitalistische Staat an- 
wendet, um die Arbeiterinnenbewegung zu unterdrücken, weil sie 
auf dem Boden der sozialistischen Anschaung, des Klassenkampfes 
steht. Die Referentin hat Recht: zwisjchen bürgerlicher und prole- 
tarischer Frauenbewegung sind Berührungspunkte vorhanden. Alle 
jene Reformforderungen, welche aufgestelltwerden, um der G eschlechts- 






— 896 — 

Sklaverei des Weibes ein Ende zu machen, das sind Forderungen, 
für die auch wir eintreten, und für die wir seit Jahren mit einer 
Klarheit und einem Zielbewusstsein eingetreten sind, welche bis jetzt 
die bürgerliche Frauenbewegung noch nicht an den Tag gelegt hat. 
Wir kämpfen seit Jahren für die politische Gleichberechtigung des 
weiblichen Greschlechts , für das Vereins- und Stimmrecht, und wo 
ist der bürgerliche deutsche Frauenkongress. welcher ein einziges Mal 
diese Forderung offiziell zu formulieren gewagt hat? Es ist hier 
neulich ganz richtig das Wort gefallen: Getrennt marschieren und 
vereint schlagen. Wir können nicht mit den bürgerlichen Frauen 
Hand in Hand gehen, weil unser Kampf in erster Linie ein Klassen- 
kampf ist gegen das Unternehmertum und gegen die kapitalistische 
Gesellschaft. Auch in taktischer Beziehung können wir nicht die 
Wege wandeln, welche die bürgerliche Frauenbewegung geht. 
Ich erinnere daran: Sie wenden sicli mit Petitionen um Reformen 
nicht nur an die gesetzgebenden Behörden, sondern auch an Se. 
Majestät den Kaiser und an die Regierung. Wer kann von uns, 
die wir Republikaner sind, verlangen, dass wir uns der Person eines 
Herrschers bittend nahen? Wer kann von uns Sozialdemokraten ver- 
langen, dass wir bittend uns einer Regierung nahen, die ein Ausnahme- 
gesetz gegen uns erlassen hat, unter dem wir 12 Jahre lang ge- 
knechtet und verfolgt worden sind, wie überhaupt nur politische 
Gegner geknechtet und verfolgt werden können. Wie könnten wir 
an eine Regierung petitionieren, welche die Weisheit der Gerichte 
gegen die Arbeiterinnen-Organisationen in Bewegung gesetzt hat, 
eine Weisheit, gegen die Salomos Weisheit der reine Waihcnknabe ist. 
Und, werte Anwesende, wenn die Vorrednerin betont hat, dass sie 
die Fjauenfrage als Teil einer kulturellen Aufgabe betrachte, dass 
sich in diesen Forderungen alle Volkskreise, alle Parteien begegnen 
könnten, so muss ich ihr eines entgegnen: Es handelt sich nicht 
darum, schöne Wünsche, nützliche Forderungen zu formulieren; es 
handelt sich darum, eine soziale Macht vorzustellen, welche diese 
Forderungen durchzudrücken vermag. Was bedeutet die Macht 
der Gutgesinnten gegen die eines Stumm, der ausschlaggebend ist in 
sozialpolitischer Hinsicht? Die gesamte Gesellschaft ist heutzutage 
nur noch bestrebt, die Arbeiterklasse in weiterer Unterdrückung 
zu erhalten, sie widersteht jeder ernsten Sozialreform. Die Kreise 
der Gutgesinnten besitzen nicht die Macht, gegenüber der organi- 
sierten Macht des Klassenstaates die erstrebten Reformen durch- 
drücken zu können. Seit Jah zehnten schreit die geistige und 
sittliche Degeneration der arbeitenden Klassen zum Himmel, und 
wenn wir Sozialisten auch die Auffassung haben, dass nur eine 
soziale Umwälzung diesem Elend ein Ende machen kann, so er- 
kennen wir doch die Notwendigkeit von Reformen an. Wir weisen 
keine Reform zurück. Umgekehrt, wir sagen: Nur her mit 
diesen Reformen, immer mehr Reformen! Aber die Arbeiterklasse 
dankt Euch für diese Reformen nicht, denn alles, was die bürger- 
liche Gesellschaft an solchen Reformen zu schaffen vermag, das ist 
nur ein Quentchen gegenüber der Schuld der kapitalistischen Ge- 
sellschaft. Und mehr noch. Wir sagen: all diese Reformen sind 
für uns nur ein Linsengericht und für dieses Linsengericht geben 



~ 396 — 

wir unser Erstgeburtsrecht, das Recht, eine revolutionäre Klasse 
zu sein, nicht her. Verehrte Anwesende, erschrecken Sie nicht vor 
dem Wort „revolutionäre Klasse", es hat eine geschichtliche Be- 
deutung, und ich gebrauche es in dieser, nicht im Kapitalisten- oder 
Wachtstubenjargon. Frau Schwerin hat unter anderem gesagt, dass 
bürgerliche und proletarische Frauen zusammenarbeiten könnten 
auf dem Grebiete der Volksschule. 

Aber, frage ich sie, woher soll die Frau des Proletariats die 
Zeit nehmen, um sich in genügender Weise aufzuklären, um an einer 
solchen Aufgabe mitarbeiten zu können? Die Frau, die tagsüber 
in der Arbeit frohndet, hat nicht die Zeit, zu Vorträgen zu laufen 
und in Kommissionen mitzuarbeiten. Sie kann ihre Zeit weit nütz- 
licher anwenden, indem sie im Lager der Sozialdemokratie mit- 
kämpft. Wenn die bürgerliche Frauenbewegung etwas thun will, 
was auch den sogenannten ärmeren Schwestern zu Gute kommt, 
dann .soll sie in erster Linie für die volle politische Gleichberechtigung 
der Geschlechter eintreten, weil dadurch die Arbeiterin das Recht 
bekommt, wirtschaftlich und politisch mit ihrem Manne gegen das 
Unternehmertum kämpfen zu können. Die bürgerliche Frauen- 
bewegung sollte ferner eintreten für eine Reform des Steuer wesens, 
damit der arme Mann nicht so schwer belastet ist, für die Abschaffung 
der Gesindeordnung und für den Achtstundentag ohne Unterschied 
des Geschlechts. Von der Bereitwilligkeit der bürgerlichen Frauen, 
die Organisationen der Arbeiterinnen zu fördern, haben die prole- 
tarischen Frauen nur Nutzen, wenn man diese Organisationen zu 
Kampforganisationen gegen das Kapital gestaltet, und nicht etwa 
zu Harmonie -Kaffeekränzchen. Wenn die bürgerliche Frauen- 
bewegung für diese Reformen eintritt, wird sie parallel mit uns 
arbeiten. Wir werden es anerkennen, falls sie auf diesem Gebiete 
etwas erreicht, was den Arbeiterinnen zu Gute kommt. Aber wenn 
eine parallele Aktion möglich ist, so ist damit nicht gesagt, dass sie 
eine gemeinsame ist. Was wir auch für Berührungspunkte haben, 
wir stehen im anderen Lager. Für uns steht in erster Linie der 
Grundsatz: Die proletarische Frau kämpft gemeinsam mit ihrem 
männlichen Schicksalsgenossen einen Klassenkampf und nicht einen 
Kampf gegen die Vorrechte des männlichen Geschlechts, den die 
bürgerliche Frauenbewegung ihrer ganzen Entwickelung nach zu 
führen die historische Aufgabe hat. 

Die Ausführungen, die Baronesse Gripenberg (Finnland) in 
englischer Sprache giebt, werden von Herrn Boos-Jegher (Zürich) 
verdeutscht. 

Herr Boos-Jegher: 

Ich will Ihnen die Angaben, die Ihnen aus Finnland gemacht 
worden sind, deutsch wiedergeben, bitte Sie aber, die Mitteilungen 
nur als Notizen betrachten zu wollen, nicht als eine wörtliche 
Wiedergabe. Die Dame führte aus, dass sie seit 8 Jahren Präsi- 
dentin eines Frauenvereins sei und dass derselbe gegen 600 Ar- 
beiterinnen und Bauersfrauen, Leute vom Lande, in sich schliesst. 



— 397 — 

Die Arbeiterinnen finden es selbstverständlich, dass die besser 
gebildeten Frauen mit ihnen Hand in Hajid gehen, für sie sorgen 
und ihnen helfen. Der erste Appell zur Verkürzung der Arbeits- 
zeit der Näherinnen wurde von einer Dame des Vereins auf Wunsch 
der Arbeiterinnenkreise verfasst. Die Arbeiterinnen beschlossen, 
eine Gewerkschaft zu gründen und holten sich dabei den Rat der 
Damen ein, die ihnen hierbei organisatorisch hilfreich zur Hand 
gingen. Nach 4 Jahren besohl oss die Gewerkschaft der Arbeiterinnen, 
die Gewerkschaft aufzulösen und nahm folgende Resolution an : Wir 
betrachten es als eine Abschwächung an Kraft, dass noch eine 
spezielle Vereinigung getrennt existiert, und sind der Ansicht, dass 
sich der Prauenverein hinreichend um die ökonomischen und anderen 
Interessen der Arbeiterinnen bekümmere. Als diese Resolution ein- 
stimmig angenommen war, wurden die Gewerkschaftsmitglieder in 
den Frauenverein aufgenommen und gründeten in diesem auf An- 
raten der Mitglieder des Frauenvereins eine besondere Sektion. 
Dieser Beschluss erfolgte aus eigener Initiative. Als in der Ver- 
sammlung, in der es sich darum handelte, den Anschluss an den 
Frauenverein und die Auflösung der Gewerkschaft zu beschliessen, 
die Frage aufgeworfen wurde: „Werden sie uns überhaupt aufnehmen 
wollen?" da wurde gesagt, „es ist ihre Pflicht, uns zu helfen und 
sie werden uns aufnehmen." 

Die Dame fügte hinzu, dass diese Arbeiterinnen gewiss den 
richtigen Blick für die Förderung der Fraueninteressen im Allge- 
meinen und ihre eigenen Interessen gehabt hätten. Bei Besprechung 
des Arrangements von Klubabenden mit Vorträgen wurde im Schosse 
dieser Sektion von Arbeiterinnen der Antrag gestellt, dass jeweilen 
ein Klubabend mit einer Darlegung des Standes der Frauenbewegung 
überhaupt eingeleitet werden sollte. Dieser Klub — d. h. der 
Frauenverein in Finnland — veranstaltete letzten Winter eine grosse 
Zahl von Vorträgen im Lande über die Arbeiterinnen frage und zwar 
auf Wunsch der Arbeiterinnen. Diese Arbeiterinnen helfen auch 
bei Petitionen und bei Bestrebungen mit, welche sich auf die Besser- 
stellung des Rechts der Frauen beziehen. Sie schreiben auch in 
dem Vereinsblatt. Ihre Artikel sind sachlich, wenn auch formell 
nicht tüchtig. Sie besprccb'n die Lage der Landarbeiterinnen, die 
Dienstbotenfrage, die Stellung der verheirateten Frauen, die Sittlich- 
keitsfrage, die Alkoholfrage und Achnliches mehr. Man hatte sich 
an den Geistliehen gewandt, er solle dafür eintreten, dass Frauen 
sich diesem Verein anschliessen, aber selbst die Arbeiterinnen pro- 
testierten gegen diese Maassnahme. Die Arbeiterinnen in Finnland 
sind arm und die Zahlung des Jahresbeitrages fällt ihnen schwer. 

Baronesse Gripenberg schloss, man möchte ihr verzeihen, 
wenn sie stolz auf die Zugehörigkeit zu diesem Verein sei. 

Herr Boos-Jegher fährt dann fort: 

Ich kann das, was Frau Schwerin aus der Schweiz mitteilte, 
nur in vollem Umfang bestätigen. Wir sind allerdings nicht im 
ganzen Lande mit den Arbeitei'innenvereinen durchaus in Ver- 
bindung, aber es wird bei uns viel gemeinsam gearbeitet. Ich will 
damit nicht sagen, dass das eine Gemeinsamkeit der Geschlechter 
ist, sondern die verschiedensten Gesellschaftskreise, auch Männer 



— 398 — 

un.d Mänuervereine, sind mit den Frauen einverstanden. Wir würden 
es lebhaft bedauern, wenn es nicht so wäre, weil wir nur etwas 
erreichen, wenn eine allseitige Beteiligung stattfindet. Wir legen 
grossen Wert darauf, dass eben verschiedene Gesellschaften sich 
zusammenfinden und unter ihnen ein Meinungsaustausch stattfindet, 
der gewiss sehr vielen von Nutzen s<^in kann. Wir haben es be- 
merkt bei der Beratung des Wirtschaftsgesetzes im Kanton Zürich, 
wo 7 Frauen vereine auf die sozialen Krebsschäden aufmerksam 
machten, die im Wirtschafts wesen bestehen, und es war interessant 
zu sehen, wie ein Abgeordneter den anderen noch übertrumpfen 
wollte, um den Frauen entgegen zu kommen. Wir haben es dazu 
gebracht, dass in der Stadt Zürich nunmehr seit einigen Monaten 
keine Kellnerin und kein Kellner mehr nach 12 Uhr Nachts be- 
schäftigt werden darf und dass die Arbeitszeit normiert ist. Wir 
haben es dahin gebracht, dass zu Gunsten der Arbeiterinnen, die 
nicht den G-esetzen der Fabrik unterstehen, in der die Normal- 
arbeitszeit festgelegt ist, ähnliche Bestimmungen auch auf den Klein- 
betrieb ausgedehnt wurden. Es ist auch hier eine Kormalarbeitszeit 
dekretiert. Das hätten wir nicht erreicht, wenn wir nicht zusammen- 
gegangen wären. Wir sind der vollständigen Ueberzeugung, dass 
eine Krhöhung der weiblichen Bestrebungen auf die Allgemeinheit 
unbedingt wirksam sein mü'^se und das Los der Arbeiterin wesent- 
lich bessern wird. Einiges Zusammengehen ist absolut notwendig, 
nur Einigkeit macht stark. Was nützt es, wenn wir getrennt 
marschieren und nicht einig genug sind, wenn wir vereint schlagen 
wollen. Wir denken, es sind der Feinde genug, die uns entgegen- 
stehen, und wir haben selbst beim geschlossenen Vorgehen noch 
Mühe genug. 

Vor einigen Wochen hatten wir einen nationalen Kongress in 
Genf für die Interessen der Frauen, der wiederum durchaus von 
Männern und Frauen aller Gesellschaftskreise besucht war. Zu den 
Berichten waren die Referentinnen aus den verschiedensten Kreisen 
gewählt worden. Auch hier haben berufene Vertreterinnen der 
Sozialdemokratie gesprochen, und eine derselben hat ein ausgezeich- 
netes Referat über Unfall- und Krankenversicherung und Arbeits- 
losenversicherung gehalten. Wir haben uns auch bei diesem Kon- 
gress durchaus der Sympathien unserer Regierung erfreut. Verschiedene 
Kantonsregierungen sandten offizielle Delegierte, der Kongress wurde 
durch einen Genfer Staatsrat eröfi'net und der Bericht über den 
Kongress wird auf Staatskosten gedruckt. 

Dies, geehrte Versammlung, sind einige Bemerkungen, die ich 
mit Rücksicht auf unsere schweizerischen Verhältnisse zu machen 
hatte. Wenn hierdurch weitere Schlüsse auf andere Regierungen 
gemacht werden sollten, würde ich mich freuen. 

Ich möchte noch ganz kurz auf amerikanische Verhältnisse ein- 
gehen. Ich hatte Gelegenheit, vor einigen Jahren speziell im Auf- 
trage der schweizerischen Behörde, die Frage der Frauenthätigkeit 
dort zu studieren. Ich möchte Ihnen aus dem Bericht, den. ich damals 
erstattete, nur eine Stelle vorlesen. Ich schrieb: „Eines fällt bei 
den amerikanischen gemeinnützigen Bestrebungen gegenüber den 
unsrigen sofort auf, nämlich, dass dort viel mehr zentralisiert wird 



.H- 



— 399 — 

und, wo es sich um gemeinnützige Aufgaben handelt, keinerlei 
kleinliche Bedenken sich geltend machen. . Da wirken die verschie- 
densten Elemente aller Bevölkerungsschichten mit, wie sie auch oft 
einem grossen Verein angehören. Es ist einleuchtend, dass die vielen 
Bildungsgelegenheiten, die verschiedenen Errungenschaften in der ge- 
sellschaftlichen Stellung der Frau und in den gesetzlichen Besserungen 
nicht ohne vereintes Wirken erreicht werden konnten". 



Frau Lily Braun: 

Verehrte Anwesende. Im Anschluss an die These, die Frau 
Schwerin aufgestellt hat, möchte ich mir einige Bemerkungen er- 
lauben. Zunächst muss ich zur Orientierung der Ausländerinnen 
hervorheben, dass die Verhältnisse in Deutschland infolge der 
allgemeinen sozialen, wirtschaftlichen und geschichtlichen Entwicke- 
lung von denen Englands, Amerikas und der Schweiz so voll- 
ständig verschiedene sind, dass man sie unmöglich miteinander 
vergleichen kann. Ich möchte als Beispiel nur erwähnen, dass in 
England schon Mitte dieses Jahrhunderts sich die bürgerliche 
Oesellschaft mit der Lage der Arbeiterinnen beschäftigte, dass 
Strikes von Bürgerlichen nicht nur mit hervorgerufen, sondern 
auch eifrigst unterstützt worden sind. Im Gegensatz dazu erwähne 
ich, dass der grosse Konfektionsstreik von 1896 der erste gewesen 
ist, der von den bürgerlichen Kreisen infolge der zu Tage getretenen 
entsetzlichen Zustände mit unterstützt worden ist. In der Ent- 
wickelung Deutsfhlands ist alles so anders, dass ich dringend davor 
warnen möchte, die Entwickelung im Auslande damit zu vergleichen. 

Was das Ausland selber betrifft, so habe ich in England eigene 
Erfahrungen gemacht. Ich habe gesehen, dass die Damen der 
Bourgeoisie sich allerdings eingehend mit der Lage der Arbeiterinnen 
befassten. Es gehört dort zum guten Ton, Arbeiterinnen zu 
organisieren, sich mit ihnen zu beschäftigen, ihnen Klubräume 
y.ur Verfügung zu stellen und dergl. mehr. Andererseits wird der 
Einfluss dazu ausgenutzt, um nachher politische Progaganda zu 
machen. Die konservativen Frauen haben es sich angelegen sein 
lassen, von Haus zu Haus zu gehen, mit den Wählern sich zu 
unterhalten, um ihre Stimmen für den Kandidaten der konservativen 
Partei zu gewinnen. In England sehen wir auch, dass die Ent- 
wickelung der sozialdemokratischen Bewegung eine ganz andere 
ist wie die in Deutschland. Es giebt dort nur einzelne sozial- 
demokratische Gruppen, und bei uns besteht eine grosse, gewaltige 
Partei, die grösste politische Partei Deutschlands. 

Es ist hier vorhin von der Baronin Gripenberg gesagt worden, 
dass sie einem Verein von 600 Frauen und Mädchen angehöre, der 
sich hauptsächlich aus Arbeiterinnen zusammensetzt. Ich muss sagen, 
dass mir diese Erwähnung von 600 Mitgliedern gegenüber der That- 
sache dieses furchtbaren, nach Millionen zählenden Elends äusserst 
geringfügig erschien. Ebensogut könnte man einen Sturm im Glase 
Wasser mit einem Sturme auf dem Weltmeere vergleichen! 

Ich möchte noch an eines anknüpfen, das, wenn auch nicht 



— 400 — 

heute, so doch zu einer anderen Zeit hier gesagt worden ist, dass 
nämlich wir, die wir uns zur sozialdemokratischen Richtung rechnen, 
gegenüber dem Kongress ausser uns geraten wären, weil wir sehen, 
dass eine grosse Bewegung hinter ihm stehe, die bisher nicht ver- 
muthet worden sei. Allerdings macht dieser Kongress einen für 
deutsche Verhältnisse imposanten Eindruck. Ich frage aber alle 
Teilnehmerinnen, wie wohl ihre Begeisterung und ihre Freudigkeit 
zusammenschrumpfen werden, wenn sie wieder zurückgehen in ihre 
Vereinsthätigkeit, in welcher sie doch so sehr wenig erreichen. 
Ich habe oft gehört, wie gerade diejenigen, die sich am inten- 
sivsten mit den untersten Schichten der Bevölkerung beschäftigen, 
sagen: Hier stehen wir vor einem so ungeheueren Elend, dass wir 
mit Vereins- und Wohlthätigkeitsbestrebungen nicht dagegen an- 
kämpfen können. 

Es ist zweifellos, wie schon Frau Zetkin bemerkte, dass ver- 
schiedene Bestrebungen der bürgerlichen Frauenbewegung sich 
mit unseren Bestrebungen decken, und wenn Frau Schwerin die 
Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren, die Forderung nach 
Erweiterung der Arbeiterschutzgesetzgebung erwähnte und alle 
Frauen aufforderte, Hand in Hand mit den bürgerlichen Frauen zu 
gehen, so kann ich nur erwidern, dass das thatsächlich der Fall 
ist. Wir arbeiten seit vielen Jahren auf unsere Weise auch für 
dieselben Ziele, für Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren, für 
Erweiterung der Arbeiterschutzgesetzgebung u. s.w. Die Abgeordneten 
unserer Partei sind bekanntlich diejenigen, die immer und immer 
wieder alle Forderungen der Frauen einmütig im Reichstage unter- 
stützen. Die Aufforderung von Frau Schwerin zu einem engeren 
Zusammengehen ist eine überflüssige, um so mehr, als man von 
einer vollständig anderen Weltanschauung ausgeht. 

Es bleibt mir nur noch etwas zu erwähnen übrig. Ich möchte 
nämlich in Anbetracht dessen, dass von vielen Seiten gesagt wird, die 
Vertreter der Arbeiter hätten niemals Anerkennung für das, was 
von den Bürgerlichen gethan wird, mich lediglich darauf berufen, dass 
uns bisher noch nicht viel Förderung zu teil geworden ist. Wenn 
es geschieht, werden wir ganz sicher diejenigen sein, die es an- 
erkennen. Frau Schwerin hat in der Aufstellung ihrer These 
an uns eine Aufforderung zur Diskussion gerichtet. Wir haben 
diese Auffforderung auch ergehen lassen bei Gelegenheit unserer 
Versammlungen. Es hat sich keine einzige der Führerinnen der 
deutschen Frauenbewegung zum Wort gemeldet. Ich kann dies nur 
ausserordentlich bedauern und hoffe, dass es noch nachgeholt werden 
wird. Denn ebenso gut, wie wir hier in der Diskussion sprechen 
und unsere Meinung kund thun, so könnte es auch dort geschehen 
und nicht bloss den Ausländerinnen überlassen werden. 

Frau Schulrat Cauer: 

Baronesse Gripenberg bittet mich, der Versammlung mit- 
zuteilen, dass Finnland, das ganze Land, eine Bevölkerung hat ent- 
sprechend der Hälfte von London.