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Full text of "Der junge Dürer : drei Studien"

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DER  JUNGE  DÜRER 

DREI  STUDIEN  VON  WERNER  WEISBACH 


LEIPZIG  1906  !  VERLAG  VON  KARL  W.  HIERSEMANN 


DER  JUNGE  DÜRER 


DER  JUNGE  DURER 

DREI  STUDIEN  VON  WERNER  WEISBACH 


MIT  31  ABBILDUNGEN  IN  NETZ-  UND  STRICH- 
ÄTZUNG   UND    EINER  LICHTDRUCKTAFEL 


LEIPZIG  1906  :  VERLAG  VON  KARL  W.  HIERSEMANN 


VORWORT. 


|ie  drei  hier  vereinigten  Studien  beabsichtigen  nicht  eine  vollständige  Jugend- 
*-S  geschichte  Dürers  zu  geben.  Sie  behandeln  im  Zusammenhang  Probleme,  die 
durch  die  Überschriften  gekennzeichnet  sind.  Nicht  alle  in  die  Jugendzeit  Dürers 
fallenden  Arbeiten  werden  einzeln  aufgeführt,  aber  die  für  die  Entwicklung  maß- 
gebenden kommen  hier  und  dort  zur  Sprache.  Die  Bilder,  die  ich  für  eigenhändig 
halte,  finden  alle  Erwähnung.  Der  Ballast,  mit  dem  das  Dürer-Werk  teilweise  belastet 
worden  ist,  blieb  gänzlich  unberücksichtigt.  Manches  entlegenere  Stück,  das  entweder 
neu  für  Dürer  in  Anspruch  genommen  ist,  oder  bisher  in  den  Gang  seiner  Entwicklung 
noch  nicht  genügend  eingeordnet  war,  ist  ausführlicher  behandelt,  ausführlicher,  als 
es  in  einer  zusammenfassenden  Lebensgeschichte  Dürers  angängig  wäre.  Der  Charakter 
der  Studie  gestattete  ein  freieres  Sichgehenlassen  und  Abschweifen  auf  Verwandtes. 
Als  Endtermin  für  die  Untersuchung  wurde  im  allgemeinen  die  Zeit  zwischen  1501  und 
1503  angesehen.  Eine  feste  Jahresgrenze  läßt  sich  natürlich  für  die  Jugendentwicklung 
nicht  aufstellen.  Die  Betrachtung  schließt  mit  dem  Zeitpunkt,  wo  infolge  der  Auf- 
nahme der  Proportionsstudien  und  infolge  anderer  bedeutsamer  künstlerischer  Momente 
eine  neue  Epoche  für  die  Dürersche  Kunst  anhebt.  Die  drei  Abschnitte  versuchen, 
neben  einer  Herausarbeitung  der  für  Dürers  Jugend  bedeutsamen  Entwicklungsmomente, 
diese  Epoche  in  manchen  Punkten  zu  dem  allgemeinen  geistigen  und  künstlerischen 
Leben  seiner  Zeit  in  Beziehung  zu  setzen. 

Das  hier  Behandelte  knüpft  an  Forschungen  an,  die  vor  mehr  als  zehn  Jahren  von 
mir  begonnen  und  dann  für  einige  Zeit  zurückgestellt  wurden.  Manches,  namentlich 
die  Nürnberger  Buchillustration  betreffend,  stützt  sich  auf  Beobachtungen  und  Auf- 
zeichnungen, die  schon  mehrere  Jahre  zurückliegen  und  bei  der  Zerstreutheit  des 
Materials  seitdem  nicht  mehr  nachgeprüft  werden  konnten.  Ein  Teil  des  hier  Veröffent- 
lichten ist  in  die  Probevorlesung  bei  meiner  Habilitation  im  Jahre  1903  verarbeitet 
gewesen.  Der  Inhalt  der  zweiten  Studie  wurde  in  der  Sitzung  der  Berliner  Kunst- 
geschichtlichen Gesellschaft  am  10.  November  1905  vorgetragen.  Ende  Sommer  1905 
lagen  die  drei  Studien  bereits  fertig  vor.  Ihre  Publikation  war  anfänglich  in  einer  Zeit- 
schrift gedacht,  in  der  sie  jedoch  wegen  des  Umfanges,  den  sie  angenommen  hatten, 
keine  Aufnahme  finden  konnten. 

Während  der  Drucklegung  erschien  Wölfflins  Buch:  Die  Kunst  Albrecht  Dürers. 
Es  hätte  mir  noch  manche  wertvolle  Anregung  bieten  können.  Besonders  hätte  der 
von  Wölfflin  beobachtete  Zusammenhang  des  Körpermotivs  auf  dem  Stich  des  Sebastian 


VI 


an  der  Säule  (B.  56)  mit  einer  Figur  Cimas  da  Conegliano  zu  den  Entlehnungen 
Dürers  aus  der  italienischen  Kunst  in  der  zweiten  Studie  eine  interessante  Ergänzung 
geboten. 

Für  die  Auswahl  der  Abbildungen  ist  hauptsächlich  maßgebend  gewesen,  un- 
publiziertes  oder  schwerer  zugängliches  Material  zu  bieten.  Neben  den  von  Dürer 
selbst  herrührenden,  oder  mit  seinen  Jugendarbeiten  in  irgend  einem  Zusammenhang 
stehenden  Werken,  soll  durch  eine  Anzahl  von  charakteristischen  Beispielen  das  zu 
gleicher  Zeit  auf  dem  Gebiet  der  Holzschnitt-Illustration  in  Nürnberg  Geleistete  ver- 
anschaulicht werden. 

Der  Anhang,  der  ein  kurzes  Verzeichnis  der  von  mir  untersuchten  illustrierten 
Nürnberger  Drucke  enthält,  soll  lediglich  als  Handhabe  dienen,  um  die  in  der  ersten 
Studie  diesen  Gegenstand  betreffenden  Erörterungen  nachprüfen  zu  können,  und  eine 
Grundlage  für  weitere  Forschungen  auf  dem  Gebiete  liefern.  Wo  in  bibliographischer 
Hinsicht  Differenzen  zwischen  dem  Anhang  und  dem  Text  bestehen,  ist  der  Anhang 
maßgebend,  da  mir  für  das  Verzeichnis  neuere  bibliographische  Hilfsmittel  zur  Verfügung 
standen.    Weiteres  ergibt  die  Einleitung  des  Anhangs. 

Allen  denen,  die  mich  bei  meiner  Arbeit  unterstützt  haben,  spreche  ich  meinen 
aufrichtigen  Dank  aus,  insbesondere  den  Vorständen  der  Bibliotheken  und  Sammlungen, 
die  meine  Studien  in  den  ihnen  unterstellten  Instituten  förderten,  sei  es,  daß  sie  mir 
das  Photographieren  in  ihren  Räumen  ermöglichten  oder  photographische  Aufnahmen 
verschafften;  sei  es,  daß  sie  mir  nach  außerhalb  Werke  übersandten,  die  mir  an  anderer 
Stelle  eine  Vergleichung  gestatteten. 

Berlin,  im  Februar  1906. 


Werner  Weisbach. 


INHALTS- ÜBERSICHT. 


Seite 

I.  Dürer  und  die  deutsche  Kunst  des  15.  Jahrhunderts   1 

II.  Der  junge  Dürer  in  seinen  Beziehungen  zum  italienischen  Quattrocento  und  zur  Antike    .    .  29 

III.  Dürers  Sturm-  und  Drangzeit   62 

Anhang.    Verzeichnis  illustrierter  Nürnberger  Drucke   99 

Verzeichnis  der  Abbildungen   105 

Register   106 


L 

Dürer  und  die  deutsche  Kunst  des  15.  Jahrhunderts. 

rei  Faktoren  haben  besonders  auf  die  Jugendentwicklung  Albrecht  Dürers  ein- 
gewirkt: die  heimatliche  Nürnberger  Kunst,  Schongauer  und  Italien. 
Durch  und  durch  gotisch  war  der  Charakter  der  Stadt,  in  welcher  er  auf- 
wuchs. Die  Hauptkirchen,  Sankt  Sebald,  Unser  lieben  Frauen  und  St.  Lorenz,  trugen 
ein  gotisches,  zum  großen  Teil  spätgotisches  Gepräge.  Was  sich  noch  von  romanischen 
Bestandteilen  erhalten  hatte,  trat  ganz  hinter  den  gotischen  zurück.  Eine  gewisse 
Nüchternheit  haftet  dieser  fränkischen  Gotik  an.  In  bezug  auf  Phantasiereichtum, 
Fülle  und  Geschmack  des  Details  kann  sie  sich  mit  dem  Westen  nicht  messen. 

In  der  Plastik  bekundet  sich  auf  den  Wegen,  die  sie  im  Laufe  des  15.  Jahr- 
hunderts betrat,  —  nach  dem  Aufgeben  des  monumental -dekorativen  mittelalterlichen 
Stils  und  Übergehen  zu  einer  realistischeren  Anschauung  in  der  ganzen  Formgebung 
ein  plumpes,  spießbürgerliches  Wesen.  Die  männlichen  Figuren  sind  vierschrötig,  un- 
frei in  ihren  Bewegungen,  nicht  selten  brutal  und  grotesk  in  der  Art  sich  zu 
äußern.  Bei  den  Frauen  sucht  man  sich  zuweilen  durch  eine  affektierte  Grazie  zu 
entschädigen.  Der  Faltenwurf  ist  voll  Unruhe  und  Verworrenheit  mit  scharfen 
Brüchen,  harten  Kanten,  knitterigen  Draperieen.  Der  Sinn  für  die  Fläche  scheint 
verloren  gegangen.  Es  besteht  eine  Vorliebe  für  krause,  verschnörkelte  Linien.  Eine 
dieser  Kunst  innewohnende  Kraft  ist  unverkennbar.  Und  es  gibt  unter  den 
Skulpturen  einzelne,  die  ihrer  Qualität  nach  das  allgemeine  Niveau  überragen.  In 
Adam  Krafft  und  Veit  Stoß  findet  die  Richtung  dann  nach  verschiedenen  Seiten  ihren 
höchsten  Ausdruck.  Veit  Stoß  trat  mit  einer  neuen  Beweglichkeit  und  schwungvoll 
sich  gebärdenden  Erregung  auf.  —  Da  Dürer,  ehe  er  Maler  wurde,  zum  Goldschmied 
bestimmt,  bei  dem  Vater  den  ersten  Unterricht  erhielt,  so  wird  er  sich  in  diese 
plastische  Formenwelt  zunächst  schon  als  Knabe  wohl  gründlich  haben  einleben 
müssen. 

Die  Nürnberger  Malerei  hatte  zu  der  Zeit  seit  der  Epoche,  wo  sie  als 
eigentliche  illusionistische  Tafelmalerei  sichtbarlich  hervortritt  eine  etwa  achtzig- 
jährige Entwicklung  hinter  sich.  Lange  war  es  her,  seit  sie  den  trecentistischen 
Idealismus,  wie  er  durch  die  erste  bedeutende  künstlerische  Persönlichkeit,  den  Meister 
des  Imhofschen  Altars,  vertreten  wurde,  verlassen  hatte.  Von  der  sanften,  beschau- 
lichen Art  der  Gestalten,  dem  melodischen  Fluß  der  Gewandung  rettete  sich  kaum  etwas 

l 


2 


in  die  spätere  Zeit.  Der  Meister  des  Tucherschen  Altars  in  der  Frauenkirche  erreicht 
mit  den  letzten  Elementen  dieses  Stils  auf  neuer  realistischerer  Grundlage  eine  einzig 
dastehende  Hoheit  und  Großheit.  Er  ist  ein  Farbenkünstler  und  weiß  mit  seinen  so- 
noren Farbenakkorden  noch  einmal  den  Ton  des  erhaben  Feierlichen  in  dem  Kirchen- 
bilde zu  treffen. 

Dann  greift  ein  spezifisch  bürgerliches  Element  um  sich.  Niederländischer 
Einfluß  wird  mächtig  —  etwa  um  1450. 

Auch  Dürers  Vater  ist,  wie  der  Sohn  in  seiner  Familienchronik  berichtet,  schon 
vor  1455  „in  Niederland  gewest  bei  den  großen  Künstlern". 

Mit  Sicherheit  festzustellen  ist  das  Einwirken  niederländischer  Kunst  in  der 
Nürnberger  Malerei  seit  dem  Anfang  der  fünfziger  Jahre.  Das  Datum  1453  trägt  der 
Altar,  der  zum  Gedächtnis  der  Frau  Kunigunde  Löffelholz  in  den  Chor  von  St.  Sebald 
gestiftet  worden  ist,  und  der  unzweideutig  eine  Beeinflussung  durch  flandrische  Mal- 
weise verrät  sowohl  in  dem  Figürlichen  wie  in  der  Landschaft.  Den  Meister  dieses 
Altars  vermag  man  auch  in  anderen  Werken  wiederzuerkennen.1)  In  der  Art  der  Durch- 
arbeitung seiner  Bilder  und  in  gewissen  Typen  schließt  er  sich  eng  an  seine  Vorbilder 
an.  Die  ausführliche  Wiedergabe  der  Landschaft  im  realistischen  Sinne  der  Nieder- 
länder hat  er  für  die  Nürnberger  Kunst  erobert.  Ein  Anklang  an  jene  altnürnbergische 
Zartheit  in  der  Empfindung  und  Formgebung  macht  sich  bei  ihm  noch  hie  und  da 
bemerkbar  und  zeigt  ihn  in  Verbindung  mit  der  heimatlichen  Tradition. 

Ganz  im  Banne  flandrischer  Kunst  steht  der  Maler  Johannes  Pleydenwurff,  der 
1457  das  Nürnberger  Bürgerrecht  erwirbt  und  ein  Jahr  nach  Dürers  Geburt,  1472,  stirbt.  Er 
hat  der  Nürnberger  Malerei  die  entscheidende  Wendung  für  das  Ende  des  Jahrhunderts 
gegeben.  Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  er  Anregungen  durch  Rogier  van 
der  Weyden  erfahren  hat,  so  starke,  daß  sie  wohl  auf  einer  Reise  nach  den  Nieder- 
landen aufgenommen  sein  müssen.  Den  herben  Ernst,  den  leidenschaftlichen 
Ausdruck  des  großen  Brabanters  führt  er  in  die  Nürnbergische  Malerei  ein.  Die 
Landschaft  nimmt  in  seinen  Bildern  wie  auf  den  niederländischen  einen  weiten  Platz 
ein  und  wird  mit  großer  Liebe  für  das  Detail  durchgearbeitet.  Ist  er  auch  in  ihrem 
Aufbau  und  der  Art  des  Ausschnitts  von  seinem  fremden  Vorbild  abhängig,  so  ahmt 
er  es  doch  nicht  sklavisch  nach,  sondern  senkt  frei  und  selbständig  den  Blick  in  die 
Natur  und  beginnt  an  einzelnen  Stellen  in  intimer  und  reizvoller  Weise  wiederzugeben, 
was  er  mit  eigenen  Augen  erblickt  hat.  Die  Landschaft  auf  der  Kreuzigung  in  der 
Münchener  Pinakothek,  seinem  Hauptwerk,  mit  der  fein  beobachteten  Vorstadtszenerie 
im  Mittelgrund  und  der  Burg  von  Nürnberg  auf  der  rechten  Seite  legt  davon  Zeugnis 
ab.  Die  Kreuzigung,  eine  bewegte,  dramatische  Szene,  hat  ergreifende  Momente  und 
bekundet,  über  alles  Frühere  hinausgehend,  eine  neue  Ausdrucksfähigkeit  in  der  Kenn- 
zeichnung von  Affekten.  Diese  Kunst  nimmt  es  ernst  mit  der  Wirklichkeit.  Um  ein 
scharfes  Erfassen  des  Charakteristischen  und  Individuellen  ist  es  ihr  zu  tun.  Unter 
den  Männern  gibt  es  ausgesprochene  Porträts.  Auf  Pleydenwurff  kann  auch  ein 
selbständiges  Porträt  zurückgeführt  werden,  das  des  Kanonikus  Schönborn  im  Germa- 
nischen Museum,  als  Tafelbild  eins  der  frühsten  deutschen  Porträts.  Sein  Wirklich- 
keitssinn, der  sich  dem  Menschen  in  gleicher  Weise  wie  der  Landschaft  zuwendet, 


')  Vgl.  Thode,  Die  Malerschule  von  Nürnberg,  S.  118ff.  Weisbach  i.  d.  Zeitschrift  f.  bild.  Kunst. 
N.  F.  IX,  1898,  S.  234. 


3 


erstreckt  sich  ebenso  auf  alles  Stoffliche  als  solches.  Korrekt  bis  ins  kleinste  beob- 
achtend setzt  er  sich  mit  dem  Kostüm  und  allem  Beiwerk  auseinander  und  weiß  das 
stoffliche  Material  koloristisch  innerhalb  der  Grenzen  einer  formalrealistischen  Malerei 
zur  Wirkung  zu  bringen. 

Neben  den  ihr  eigenen  Vorzügen  weist  seine  Kunst  aber  auch  die  Mängel 
auf,  die  der  deutschen  Malerei  seiner  Zeit  im  großen  und  ganzen  und  insbesondere 
der  fränkischen  anhaften.  Es  fehlt  an  Kompositionssinn,  worunter  namentlich  viel- 
figurige  Bilder  zu  leiden  haben,  bei  denen  es  um  eine  wirksame  Organisation  und 
Verteilung  der  Massen  schlecht  bestellt  ist.  Der  neue  Realismus  verführt  leicht  zu 
Übertreibungen  sowohl  im  Ausdruck  wie  in  den  Formen.  In  dem  Streben  nach 
Charakterisierung  geht  man  nicht  selten  bis  zur  Karrikierung,  besonders  bei  den  Neben- 
figuren und  am  schlimmsten  bei  den  Schergen  und  Juden.  Die  vielfach  und  in  hart- 
kantigem Gefältel  gebrochene  Gewandung,  die  den  melodischen  Faltenfluß  der  früheren 
Zeit  ablöst  und  für  die  deutsche  Spätgotik  so  bezeichnend  ist,  fällt  allerlei  Ausartungen 
anheim.  Die  Konkurrenz  mit  den  bemalten  Holzschnitzereien,  die  in  der  Regel 
den  Mittelschrein  einnehmen  und  die  Malereien  auf  die  Flügel  beschränken,  führt  zu 
plastischen  Übertreibungen,  einem  Aufbauschen  knitteriger  Gewandmassen,  einer  Vor- 
liebe für  das  Hochkämmige,  Wulstige.  Alles  Spitze,  Eckige,  Knochige  wird  betont, 
das  Gewundene  in  die  Länge  gedehnt,  und  jede  Rundung  möglichst  unterdrückt. 
Der  Zwang  des  spätgotischen  Liniengefüges  bringt  allerhand  Vertracktheiten  und  bizarre 
Schwerfälligkeiten  mit  sich. 

Zum  äußersten  wurde  all  das  getrieben  durch  den  Nachfolger  Pleydenwurffs, 
Michael  Wolgemut,  der  nach  dessen  Tode  sein  Atelier  weiterführte  und  seine  Witwe 
heiratete,  bei  dem  der  junge  Dürer,  wie  er  in  seiner  Familienchronik  erzählt,  die  erste 
Unterweisung  in  der  Malerei  erhielt.  Hatte  Pleydenwurff  sich  der  spätgotischen  Stilistik 
mit  einem  hie  und  da  hervortretenden  Schönheitssinn  anzupassen  gewußt,  so  ist 
Wolgemut  dessen  gänzlich  bar.  Die  von  Robert  Vischer  und  Thode  begründete  Auf- 
fassung seiner  Kunst,  die  ihn  als  einen  ziemlich  banausischen  Maler  hinstellt,  ist  gewiß 
zutreffend.  Diesen  Eindruck  gewinnt  man  aus  den  ihm  mit  Hilfe  glaubwürdiger  Zeugnisse 
sicher  zuzuweisenden,  zeitlich  weit  auseinander  liegenden  Werken,  dem  frühen  Zwickauer 
Altar  und  der  Predelle  des  Schwabacher  Altars,  deren  Stilcharakter  der  gleiche  ist,  denen 
sich  dann,  mit  ihnen  übereinstimmend,  Arbeiten  wie  der  Hofer  Altar  von  1465  in  der 
Münchener  Pinakothek,  die  Altäre  in  der  Pfarrkirche  von  Crailsheim,  in  der  Heil.  Kreuz- 
Kapelle  zu  Nürnberg  und  in  der  Kirche  von  Hersbruck,  sowie  manche  anderen  Tafel- 
gemälde anschließen.  Seine  Malweise  ist  ersichtlich  ganz  aus  der  früheren  Nürnberger 
Kunst  erwachsen.  Von  Schwaben  ist  ihm  gewiß  nichts  Wesentliches  zugefallen.1) 
Voraussetzen  dürfen  wir  aber  seine  Bekanntschaft  mit  der  Kunst  Martin  Schongauers, 
doch  gewiß  nur  nach  dessen  Kupferstichen.  Darauf  läßt  besonders  sein  Altarwerk 
in  der  Hallerschen  Kreuz-Kapelle  schließen.  Es  handelt  sich  indessen  nur  um  ge- 
legentliche Entlehnungen  von  Motiven.  Von  einer  wesentlichen  Einwirkung  Schon- 
gauers, dessen  empfindsamer,  graziler  Kunst  er  mit  seinem  klotzigen  Wesen  innerlich 

Die  Beziehungen  seiner  Kunst  zu  Schüchlins  Tiefenbronner  Altar  v.  J.  1469  sind  nur  so 
zu  erklären,  daß  Schüchlin  fränkisch  beeinflußt  gewesen  ist.  Wie  weit  sich  die  Interessensphäre  der 
fränkischen  Malerei  nach  Schwaben  erstreckt  hat,  ist  noch  nicht  ganz  klargestellt.  Zweifellos  nürn- 
bergisch ist  in  dem  Städtchen  Dinkelsbühl  der  Hochaltar  der  St.  Georgskirche  (Phot.  Höfle),  der  zu 
Kreuzigungen  von  Pleydenwurff  und  Wolgemut  in  engster  Beziehung  steht. 

1* 


4 


ganz  fremd  gegenüberstehen  mußte,  kann  keine  Rede  sein.  Daß  Schongauer  in  den 
achtziger  Jahren  in  Nürnberg  auch  sonst  bekannt  gewesen  ist,  beweist  das  große 
Gemälde  der  Kreuztragung  v.J.  1485  von  einem  unbekannten  Meister  an  einem  Pfeiler 
in  St.  Sebald,  das  sich  ganz  an  den  Schongauerschen  Stich  der  großen  Kreuztragung 
(B.  21)  anlehnt. 

Wolgemuts  Kunst  fördert  die  Entwicklung  der  Nürnberger  Malerei  über  das 
von  Pleydenwurff  Geleistete  hinaus  um  keinen  Schritt.  Seine  Typen  sind  grob,  stumpf, 
unlebendig,  die  Körper  ungeschlacht  in  ihren  Bewegungen.  Die  Handlungen  entbehren 
einer  seinem  Vorgänger  zugänglichen  Dramatik  des  Vortrags.  Mit  dem  Komponieren 
größerer  Massen  kommt  er  noch  weniger  zurecht.  Die  Landschaft,  im  großen  und 
ganzen  nach  dem  System  Pleydenwurffs  angelegt,  läßt  dessen  liebevolle  Ausführung 
vermissen;  sie  ist  gleichsam  versimpelt  und  ohne  intimes  Verständnis  für  den  Orga- 
nismus der  Natur.  Die  Farbengebung  wirkt  meist  hart,  kalt,  unharmonisch.  In  allen 
seinen  Arbeiten  zeigt  sich  Wolgemut  als  derber,  handwerksmäßiger  Künstler.  Seine 
Phantasie  ist  eng  begrenzt,  und  ihrer  Art  sich  künstlerisch  auszudrücken  haftet  etwas 
Philiströses  an. 

Bei  der  Unpersönlichkeit  seiner  Kunst  ist  es  nicht  leicht,  ja  zum  Teil  unmöglich, 
eigene  Arbeiten  seiner  Hand  von  denen  der  Genossen  und  Schüler,  die  er  in  weit- 
gehendem Maße  bei  seinen  Werken  beteiligte,  zu  sondern.  Im  allgemeinen  ist  auch 
nicht  viel  daran  gelegen,  da  es  sich  ja  nicht  um  ein  durch  Genialität  hervorragendes 
Schuloberhaupt  handelt.  Der  Qualitätsunterschied  zwischen  ihm  und  seinen  Atelier- 
genossen ist  nicht  besonders  groß,  wenn  sich  unter  ihren  Händen  seine  Art  auch 
noch  mehr  vergröbert. 

Eine  Ausnahme  ist  zu  verzeichnen.  Tritt  man  mit  den  Kriterien,  die  man  für 
Wolgemuts  Kunst  gewonnen  hat,  an  den  ihm  auf  Neudörffers  Autorität  hin  zuge- 
schriebenen Peringsdörfferschen  Altar  im  Germanischen  Museum  heran,  so  gewinnt 
man  den  Eindruck,  daß  dieser  in  seinen  Hauptstücken  auf  einem  höheren  Niveau 
steht  als  alles,  was  sonst  von  Wolgemut  geleistet  und  diesem  auch  nur  zuzutrauen 
ist.  Man  sieht  sich  deshalb  gezwungen  mit  Thode  in  der  Hauptsache  die  Beteiligung 
eines  anderen  Künstlers  anzunehmen.  Der  Fall  steht  auch  nicht  vereinzelt  da.  Hat 
doch  Wolgemut  an  dem  bei  ihm  bestellten  Schwabacher  Altar,  wie  der  Augenschein 
lehrt,  gewiß  nicht  mehr  als  die  Staffelbilder  eigenhändig  ausgeführt.  Über  den  Perings- 
dörfferschen Altar  ist  so  viel  geschrieben  und  fast  von  jedem  Forscher  eine  andere 
Ansicht  aufgestellt  worden,  daß  es  nahezu  vermessen  erscheint,  eine  neue  Meinung 
vorzubringen.  Aber  bei  der  Bedeutung  dieses  in  die  Jugendzeit  Dürers  fallenden 
Altars  für  die  Nürnberger  Malerei  sei  es  gestattet,  was  sich  mir  nach  jahrelangem 
Umgang  mit  dem  Werk  und  wiederholten  Nachprüfungen  ergeben  hat,  kurz  zu 
resümieren.  Ich  stimme  mit  Thode  darin  überein,  in  den  Außenseiten  und  den  meisten 
Stücken  der  Innenseiten  eine  Wolgemut  überragende  künstlerische  Persönlichkeit  zu 
sehen.  Und  zwar  gehören  dieser,  wie  ich  glaube,  außer  den  großen  Heiligenfiguren 
auf  den  Außenseiten  von  den  Innenseiten  alle  Teile  an  bis  auf  das  heute  noch  in  dem 
linken  Seitenschiff  der  Lorenzkirche  hängende  Stück:  der  hl.  Veit  vor  dem  Götzenbild 
(mit  der  Bezeichnung  R.  F.  1487)  und  Nr.  112  des  Germanischen  Museums:  Martyrium 
des  heiligen  Veit.  Die  letzteren  beiden  Bilder  scheinen  mir  schwächer  als  die  anderen, 
wenn  auch  der  Stil  im  großen  und  ganzen  der  gleiche  ist.  Es  ist  alles  mehr  verblaßt; 
die  Typen  sind  vergröbert  und  verbauert.     Die  ganze  Art  der  Ausführung  verrät 


5 


weniger  Geschmack  und  angeborenen  künstlerischen  Sinn.  Ein  Oeselle  des  ersten 
Hauptkünstlers  hat  wohl  die  Hand  im  Spiel  gehabt  und  nach  dessen  Entwürfen  ge- 
arbeitet. Nichts  haben  mit  jenem  Hauptkünstler  die  Predellenstücke  des  Altars  im 
Germanischen  Museum  zu  tun,  die  grob  und  ungeschlacht  in  der  Art  Wolgemuts 
ausgeführt  sind,  mögen  sie  nun  von  ihm  selbst,  was-  mir  für  die  Halbfiguren  der 
Heiligen  durchaus  nicht  ausgeschlossen  erscheint,  oder  von  einem  ganz  in  seinem 
Geiste  arbeitenden  Gehilfen  herrühren. 

Die  auf  den  überlegenen  Maler  zurückgehenden  Altarteile  gehören  zu  dem 
Besten,  was  in  der  Nürnberger  Schule  und  in  der  deutschen  Malerei  überhaupt 
vor  Dürer  geleistet  worden  ist.  Jenes  grimassenhaft  Verzerrte,  das  sich  in  der  Kunst 
Wolgemuts  allenthalben  so  unangenehm  bemerkbar  macht,  tritt  bei  dem  Perings- 
dörfferschen  Altar  weit  mehr  zurück  und  kommt  nur  an  untergeordneten  Stellen  hie 
und  da  zum  Vorschein.  Im  Gegenteil  weiß  der  Schöpfer  dieses  Werkes  seinen  Typen, 
Jünglingen  wie  Mädchen,  eine  holdselige  Anmut  zu  verleihen,  die  in  der  Nürnberger 
Malerei  dieser  Epoche  eine  Ausnahme  bildet.  Es  ist  nicht  jene  allgemeine,  typische, 
schemenhafte  Anmut,  wie  sie  den  altnürnbergischen  Gestalten  eigen  war,  sondern 
eine  mehr  individuelle,  aus  der  Wirklichkeit  geschöpfte.  Aber  diese  Anmut  gibt  sich 
nicht  ganz  natürlich  und  unbefangen.  Es  haftet  etwas  Preziöses  an  ihr;  ein  graziles 
Wesen,  das  sich  in  gewissen  Haltungen  und  Bewegungen,  besonders  in  dem  Spiel  der 
Hände  bekundet,  das  sich  aus  der  höfischen  Gotik  herübergerettet  hat,  dem  wir  auch 
bei  Schongauer  oder  dem  Meister  des  Hausbuchs  zuweilen  begegnen.  Man  betrachte 
daraufhin  die  Mädchen,  die  den  hl.  Veit  verführen  sollen;  aber  auch  bei  den  Männern 
tritt  es  hervor  —  ganz  im  Gegensatz  zu  Wolgemut.  Etwas  Zaries,  Behutsames, 
Zurückhaltendes  liegt  in  den  Gesten  nicht  jene  klobige  Geradezuheit  fränkischer 
Durchschnittsfiguren.  Das  Seelenleben  ist  feiner  differenziert;  die  Menschen  scheinen 
Nerven  zu  haben  —  sie  allein  in  der  gleichzeitigen  Nürnberger  Kunst.  Der  hl.  Bern- 
hard, in  dessen  Arme  sich  der  Crucifixus  herabläßt,  ist  von  einer  wirklichen  Ekstase 
ergriffen;  sein  Blick  bohrt  sich  voll  Inbrunst  in  das  Antlitz  des  Herrn.  Woher 
kommt  diese  Verinnerlichung  und  Sensibilität?  —  Auch  in  der  Wiedergabe  der  Schau- 
plätze hat  der  Meister  seine  Besonderheiten.  Als  Landschafter  leistet  er  weit  besseres 
als  Wolgemut.  Wo  gäbe  es  bei  diesem  ein  Stück  Natur  wie  die  Seelandschaft  auf 
der  Vision  des  hl.  Bernhard  mit  dem  im  Wasser  sich  spiegelnden  Haus  und  dem 
kahlen  Weidenbäumchen  am  anderen  Ufer?  Das  ist  wirklich  geschaute  und  begriffene 
Natur,  allerdings  nur  stückweise  beobachtet  und  zusammengeordnet,  mit  Traditionellem 
und  Schematischem  vermischt.  Vieles  erinnert  an  die  niederländische  Landschafts- 
darstellung. Auch  wie  er  seine  Interieurs  gibt,  das  berührt  niederländisch,  z.  B.  auf 
dem  Lukasbilde  das  Gemach  mit  dem  säulengeteilten  Fenster  und  dem  Blick  auf  die 
Landschaft.  Und  sonst  noch  anderes  auch  im  Figürlichen.  Je  mehr  man  sich  vertieft, 
desto  mehr  Niederländisches  glaubt  man  wahrzunehmen. 

Ist  der  Meister  in  Flandern  gewesen?  Man  möchte  es  glauben.  Mir  hat  sich 
immer  von  neuem  eine  Verwandtschaft  zwischen  seiner  Kunst  und  der  Hans  Mem- 
lings  aufgedrängt.  Dem  Sentiment  nach  stehen  seine  Gestalten  denen  des  Brügger 
Meisters  nahe.  Etwas  gleichsam  Gedämpftes  im  Ausdruck  ist  für  beide  bezeichnend. 
Ein  ähnliches  Streben  nach  Anmut  in  den  Gesichtern  verbunden  mit  einer  gewissen 
jedoch  nicht  sehr  tief  gehenden  Innerlichkeit;  dasselbe  etwas  preziöse  Gebaren.  Die 
Engel,  die  dem  heil.  Veit  in  der  Verführungsszene  folgen,  muten  Memlingisch  an 


6 


1.    Bruder  Claus.  1488. 


(vgl.  die  Engel  auf  Memlings  Madonna  in  der  Kais.  Gemälde-Galerie  in  Wien  und 
in  den  Uffizien).    Auch  in  den  Landschaften  wird  man  manchen  Memlingschen  Zug 

finden.  Und  den  heiligen 
Christoph,  der  das  Christus- 
kind durch  das  Wasser  trägt, 
vergleiche  man  mit  Mem- 
lings gleicher  Darstellung 
im  Brügger  Museum.1)  In 
der  Komposition,  der  künst- 
lerischen Anordnung  und 
Gruppierung  hat  der  Nürn- 
berger nichts  von  Mem- 
ling  gelernt.  Das  ist  eine 
schwache  Seite  bei  ihm  wie 
in  der  ganzen  deutschen 
Malerei.  Ihrem  Grundzuge 
nach  ist  seine  Kunst  über- 
haupt echt  Nürnbergisch. 

Thode  läßt  ihn  wohl 
mit  Recht  aus  der  Schule 

Pleydenwurffs  hervorgehen.-)  Er  will  in  ihm  sogar  seinen  Sohn  Wilhelm  sehen,  der, 
wie  wir  wissen,  in  Wolgemuts  Atelier  und  mit  ihm  zusammen  tätig  gewesen  ist. 
Er  erhielt  im  Jahre  1491  den  Auftrag,  den 
„schönen  Brunnen"  auf  dem  Nürnberger 
Markt  neu  zu  bemalen  und  hat,  wie  be- 
kannt, mit  seinem  Stiefvater  Wolgemut  die 
Holzschnitt-Illustrationen  für  die  im  Jahre 
1493  erschienene  Schedeische  Weltchronik 
geliefert.  1495  schon  ist  er  gestorben.  Von 
der  Schedeischen  Chronik  geht  Thode  bei 
seiner  Bestimmung  der  Persönlichkeit  Wil- 
helm Pleydenwurffs  aus.  In  einer  Gruppe 
von  Holzschnitten  glaubt  er  die  Hand  des 
Meisters  des  Peringsdörfferschen  Altars 
wiederzuerkennen.  Hierin  vermag  ich  ihm 
nicht  zu  folgen,  indem  sich  mir  stilistische 
Unterschiede  innerhalb  der  Illustrationen,  die 
zu  einer  bestimmten  Scheidung  von  zwei 
Händen  führen  könnten,  nicht  ergeben. 


')  Abgebildet  bei  Friedländer,  Meisterwerke 
der  Brügger  Ausstellung.  München,  Brucktnann 
1903.    Taf.  33. 

-)  Gestalten  wie  der  Mann,  der  den  Beses- 
senen hält,  auf  der  Teufelaustreibung  kommen  un- 
mittelbar von  Pleydenwurff  her. 


2.    Horologium  devotionis.  1489. 


7 


Da  der  Holzschnitt  neben  der  Malerei  in  Wolgemuts  Atelier  reiche  Pflege 
fand,  da  er  für  Dürers  Jugend  eine  besondere  Bedeutung  hat,  so  sei  es  gestattet, 
einen  kurzen  Blick  auf  die  Entwicklung  der  Nürnberger  Holzschnittillustration  bis 
Dürer  zu  werfen,  um  auch  auf  diesem  Gebiete  das  Milieu,  aus  dem  der  junge  Meister 
hervorwächst,  zu  bestimmen. 

Die  frühsten  mit  Holzschnitten  illustrierten  Drucke  erschienen  in  Nürnberg  in 
der  Mitte  der  siebziger  Jahre.  Aus  der  Offizin  von  Johannes  Sensenschmidt  (er 
druckte  teils  allein,  teils  in  Verbindung  mit  Andreas  Frisner)  gingen  zuerst  mit  zahl- 
reicheren Illustrationen  ver- 
zierte Bücher  hervor.  In  der 
reich  illustrierten  Ausgabe 
der  „Heiligenleben"  (1475) 
schließen  sich  die  Holz- 
schnitte in  dem  Schema  der 
Anordnung  und  stilistisch  an 
die  der  Augsburger  Zainer- 
schen  Ausgabe  von  1471 
an,  rühren  aber  gewiß  von 
Nürnberger  Illustratoren  her. 
Sie  sind  ihrem  Charakter 
nach  fränkisch  und  hängen 
auch  in  gewissen  Einzel- 
heiten, z.  B.  der  Art  der 
Wiedergabe  der  Landschaft, 
mit  den  späteren  Nürnberger 
Illustrationen  zusammen. 
Auf  demselben  Niveau 
stehen  die  10  Holzschnitte 
des  „Justinianus",  der  in 
demselben  Jahre  die  Sensen- 
schmidt Frisnersche  Presse 
verließ.  Die  Art  der  Tech- 
nik dieser  frühen  Erzeug- 
nisse steht  der  der  Augs- 
burger, wie  sie  den  „Heiligen- 
leben" als  Vorbilder  dienten,  nahe.  Es  sind  rohe  Konturholzschnitte  mit  wenigen  hie 
und  da  eingefügten  kurzen  Parallelschraffierungen,  ungeschlacht  in  der  Ausdrucks- 
weise und  ohne  feineres  künstlerisches  Gefühl. 

Daneben  sind  es  dann  die  für  weitere  Kreise  bestimmten  Unterhaltungs-  und 
Volksbücher,  in  denen  Einzelholzschnitte  als  Titelbilder  vorkommen.  Sie  sind  in 
der  handwerksmäßigen  Weise  der  Brief-  und  Kartendrucker,  für  welche  die  Bilder- 
herstellung mehr  ein  Gewerbe  als  eine  Kunst  bedeutete,  angefertigt.  Bezeichnend  für 
diese  Illustrationsgattung  sind  die  klotzigen  Titelbilder,  die  den  Schwänken  und 
Reimereien  des  Nürnberger  Barbiers  und  Volksdichters  Hans  Folz  vorangestellt  sind, 
der  seine  poetischen  Ergüsse  auch  zum  Teil  selbst  gedruckt  hat. 

Um  eine  Hebung  des  Illustrationswesens  scheint  sich  dann  bewußt  der  be- 


8 


deutendste  Nürnberger  Buchdrucker,  Anton  Koberger,  der  ein  Pate  des  jungen  Dürer 
war,  bemüht  zu  haben.  Er  wußte  sich  die  Stöcke  der  reich  illustrierten  Kölner 
Quentelschen  Bibel  zu  verschaffen  und  druckte  sie  in  seiner  im  Jahre  1483  er- 
schienenen deutschen  Bibelausgabe  ab.  Er  hat  dann  später  das  Hauptmaleratelier, 
das  Michael  Wolgemuts,  für  Illustrationszwecke  in  Anspruch  genommen. 

Der  Stilcharakter  der 
Kölner  Holzschnitte  in  Ko- 
bergers  Bibel  hat  auf  die 
Weiterentwicklungdes  Nürn- 
berger Holzschnitts  keinen 
Einfluß  gehabt.  Das  zei- 
gen die  zahlreichen  Illustra- 
tionen der  im  Jahre  1488 
bei  Koberger  erschienenen 
„Heiligenleben".  Sie  sind 
ihrer  Stilistik  nach  echt 
nürnbergisch,  fortgeschrit- 
tener als  die  frühsten  rohen 
Konturholzschnitte  und  kor- 
respondieren in  ihrer  zeich- 
nerischen Anlage  mit  dem 
Durchschnittsmaß  des  von 
der  Wolgemutschen  Rich- 
tung auf  dem  Gebiete  der 
Malerei  zu  gleicher  Zeit  Ge- 
leisteten.1) Man  hat  jeden- 
falls anzunehmen,  daß  gegen 
Ende  des  15.  Jahrhunderts 
nach  und  nach  die  Her- 
stellung von  Buchillustra- 
tionen zum  Teil  aus  den 
Händen  der  gewerbsmäßi- 
gen Holzschnittverfertiger, 
der  Brief-,  Karten-  und 
Heiligendrucker,'-)  in  die  der 
Maler  überging.  Die  Ar- 
beiten der  Nürnberger  Illu- 
4.  Oratio  Cassandrae.  stratoren  dieser  Periode,  wie 

sie  uns  in  dem  Passional 

entgegentreten,  stehen  auf  einem  ziemlich  niedrigen  Niveau.  Wenn  auch  die  Zeich- 
nung flotter  und  natürlicher  ist  als  bei  den  groben  Konturholzschnitten,  so  ist  sie 


')  Daß  diese  Illustrationen  „vom  Meister  des  Ulmer  Terenz  gezeichnet  sein  könnten",  wie 
Kristeller  (Kupferstich  und  Holzschnitt  in  vier  Jahrhunderten  S.  46)  anführt,  leuchtet  mir  nicht  ein. 

-)  Über  die  urkundliche  Bezeichnung  von  Bücherillustratoren  vgl.  Dodgson,  Catalogue  of  early 
German  and  Flemish  woodcuts  in  the  British  Museum  S.  8  ff.  Weisbach,  Die  Baseler  Buchillustration 
des  15.  Jahrhunderts  S.  64. 


g 


doch  selten  wirklich  geschickt,  und  es  fehlt  viel  zu  einer  künstlerischen  Erfassung 
der  Aufgabe.  Die  Figuren  wirken  zumeist  unproportioniert  und  grob  und  stehen 
ohne  rechte  Beziehung  zu  dem  sie  umgebenden  Raum.  Von  seelischen  Regungen 
machen  sich  bei  ihnen  kaum  Spuren  bemerkbar.  Landschaften  und  Interieurs  werden 
schematisch  und  ohne  Verständnis  für  ihren  Organismus  gegeben.  Die  Art  der 
Zeichentechnik  erweist  sich  im  großen  und  ganzen  der  des  Schongauerschen 
Kupferstichs  verwandt:  Eine  Kontur-  und  Binnenzeichnung  mit  den  hakenartigen 
Biegungen  und  punktartigen  Verdickungen  an  den  Ausläufen  der  die  Faltenaugen 
markierenden  Striche,  Schraffierungen,  die  nicht  mehr  nur  aus  den  kurzen,  auf- 
gereihten Parallellinien  bestehen,  sondern  sich 
in  etwas  freierer  Weise  auch  an  die  der  Model- 
lierung dienende  Binnenzeichnung  anlehnen. 
Die  vielen  Illustrationen  des  Buches  sind  ver- 
schiedenwertig  und  rühren  wohl  von  mehreren 
Zeichnern  her. 

Eine  ganze  Anzahl  von  Holzschnitten  in 
Drucken  anderer  Offizinen  zeigt  dieselben  Stil- 
merkmale. Für  sie  alle  gilt  die  soeben  versuchte 
Charakterisierung.  Als  Beispiele  seien  folgende 
Bücher,  die  mehrere  Illustrationen  enthalten,  ge- 
nannt: 

1488  Bruder  Claus.    Marx  Ayrer.    Abb.  1. 

1489  Berthold,  Horologium  devotionis.  Creuß- 

ner.    Abb.  2. 
1491      Rupe,  Rosenkrantz.    S.  typ. 
1491      Mirabilia  Romae.    S.  typ. 

Innerhalb  dieses  Stils  gibt  es  verschie- 
dene Qualitäten.  Besser  als  die  Holzschnitte  in 
den  eben  genannten  Drucken  sind  z.  B.  die 
Titelbilder  in  den  Schriftchen:  Von  der  Er- 
ledigung der  königl.  Majestät  1488,  s.  typ., 
Abb.  3,  und  Epistola  Isocratis  ad  Demonicum, 
s.  a.  Creußner. 

Zu  dem  Geschicktesten  und  Flottesten,  was  zu  dieser  Zeit  auf  dem  Gebiete 
der  Nürnberger  Illustration  entstanden  ist,  gehört  eine  Anzahl  von  Holzschnitten,  die 
in  kleineren  Schriften  bei  verschiedenen  Offizinen  erschienen  sind.  Soweit  die  Drucke, 
in  denen  sie  vorkommen,  datierbar  sind,  fallen  sie  in  die  Jahre  1489  bis  1491.  Wenn 
auch  die  Resultate  des  Schnittes  bei  der  noch  auf  niedriger  Stufe  stehenden  Technik 
keine  glänzenden  sind,  so  machen  sich  doch  in  den  Vorzeichnungen  Eigenschaften  be- 
merkbar, die  das  Durchschnittsniveau  überragen  und  den  Anspruch  erheben  dürfen 
künstlerisch  ernst  genommen  zu  werden.  Vielleicht  ist  es  sogar  eine  und  dieselbe 
Persönlichkeit,  die  hauptsächlich  hier  die  Hand  im  Spiele  hat.  Aber  wie  soll  man 
das  bei  dem  schlechten,  nivellierenden  Schnitt  entscheiden.  Jedenfalls  haben  die  Ar- 
beiten so  viel  Gemeinsames,  und  zwar  dem  Wolgemutschen  Holzschnittstil  gegenüber 
und  verschieden  von  ihm,  daß  es  berechtigt  erscheint  sie  zu  einer  Gruppe  zusammen- 


5.    Folz,  Judenwucher. 


10 


zustellen.  Ich  führe  die  einzelnen  Holzschnitte  mit  den  Drucken,  in  denen  sie  sich 
befinden,  kurz  auf: 

1489  Versehung  leib  sei  er  vnd  gutt.  Titelholzschnitt.  Sterbeszene  in  der  Art  der 
Ars  moriendi.    S.  typ.  (Zeninger). 

1490  Repertorium  Aristotelis.1)  Titelholzschnitt.  Schulmeisterszene.  Wagner. 
Um  1490  Oratio  Cassandre  venete.-)  Titelholzschnitt.  S.  typ.  (Wagner).  Abb.  4. 
Vor  1491   Folz:  Rechnung  Ruprecht  Kolpergers  von  dem  Gesuch  der  Juden. :;)  Heftchen 

mit  Holzschnitt.    S.  typ.    Hain  7209.    Abb.  5. 

1491  Einblatt  mit  ähnlichem  größerem  Holzschnitt.    S.  typ.    Hain  7210. 

S.  a.  Allerheilsamste  Warnung  vor  der  falschen  Lieb  dieser  Welt.  Der  erste  Holz- 
schnitt: eine  Gesellschaft  beim  Mahle,  vorn  in  einem  Sarg  eine  Leiche,  und 
der  dritte:  Krönung  Mariä.    S.  typ.  (Wagner).    Abb.  6  u.  7. 

S.  a.  Der  Pfarrer  von  Kalenberg.  Von  den  34  Illustrationen  alle  bis  auf  fol.  An, 
Am v,  Dvi,  Ev(?),  Hm  v,  die  von  geringerer  Hand.  Abb.  8  u.  9.  Den 
Zusammenhang  mit  den  Illustrationen  der  „Allerheilsamsten  Warnung"  zeigt 
besonders  eine  ähnliche  Schmausszene  auf  fol.  Fv(76). 

Wir  finden  bei  diesen  Arbeiten  eine  unter  den  damaligen  Nürnberger  Illustra- 
toren nicht  gewöhnliche  Fähigkeit  mit  ein  paar  Strichen  zu  charakterisieren.  Der  Kopf 
des  stehenden  Mannes  rechts  auf  dem  Titelblatt  der  Oratio  Cassandrae  hat  eine  gewisse 
Lebendigkeit;  auf  den  Holzschnitten  Wolgemuts  dürfte  man  einen  so  sprechenden 
Kopf  vergebens  suchen.  Hie  und  da  überrascht  eine  kecke  Sicherheit  und  Leichtigkeit 
der  Zeichnung,  die  zu  dem  Gequälten,  das  den  Wolgemutschen  Schnitten  vielfach  an- 
haftet, in  wohltuendem  Gegensatz  steht.  Das  macht  sich  auch  bei  der  Wiedergabe 
des  Schauplatzes  bemerkbar.  Spielt  die  Szene  in  einem  Innenraum,  so  bemüht  sich 
der  Künstler,  mit  einer  gewissen  flotten  Strichführung  nach  seinem  Gefühl  durch 
Zurückfliehenlassen  der  Linien  und  Anlage  von  Schraffierungen  eine  vertiefte  Bühne 


')  Derselbe  Holzschnitt  in:  Alexander  Gallus,  Doctrinale,  s.  typ.  1491,  Hain  682;  und  Rudi- 
menta  grammaticae,  Creußner  1491,  nur  daß  bei  diesen  beiden  Holzschnitten  der  untere  Rand  vor- 
handen ist,  der  auf  dem  der  Wagnerschen  Ausgabe  fehlt. 

-)  Diese  Ausgabe  ist  jedenfalls  zwischen  1488  und  1490  erschienen.  Aus  dem  Text 
ist  ersichtlich,  daß  er  Ende  1488  abgeschlossen  ist.  Der  letzte  Brief  an  Cassandra  von  Petrus 
Abietiscola  (Danhauser)  ist  datiert:  decem  (von  Schedels  Hand  in  seinem  Exemplar  Cod.  lat.  467  der 
Münchener  Hof-  und  Staatsbibliothek  in  decimo  verändert)  kalendas  decembris.  Aus  dem  vorher- 
gehenden Brief  ist  ersichtlich,  daß  es  das  Jahr  1488  sein  muß.  Der  Druck  kommt  zweimal  in 
Münchener  Sammelbänden  Hartmann  Schedels  vor,  die  von  diesem  angelegt  und  augenscheinlich 
chronologisch  geordnet  sind:  I.  Codex  Inc.  c.  a.  424,  der  nur  Drucke  enthält  und  zwar  1)  Brixener 
Druck  1485,  2)  s.  a.,  3)  Mainz  1486,  4)  Oratio  hermolay  barbari,  Nürnberg  (1490  verfaßt),  5)  Oratio 
Cassandre,  6)  lateinisches  Gedicht  in  Hexametern  (defekt),  an  dessen  Schluß  Schedel  mit  eigener 
Hand  die  Jahreszahl  1490  geschrieben  hat,  7)  s.  a.  II.  Codex  lat.  467.  Sammelband  von  Handschriften 
und  Drucken.    Die  Drucke  sind  am  Schluß  angebunden.    Sie  beginnen  mit  1)  Oratio  Cassandre, 

2)  Epistola  de  miseria  Curatorum  mit  1489  bezeichnetem  Titelholzschnitt  s.  typ.  (Nürnberg,  Wagner), 

3)  Heidelberg  1489,  4)  Allerheilsamste  Warnung  etc.,  Nürnberg,  vgl.  oben  den  Text. 

i!)  Die  undatierte  Ausgabe  ist  wahrscheinlich  früher  erschienen  als  die  folgende  des  Jahres  1491 
H.  7210.  Ein  Fehler,  der  sich  in  ihr  findet,  erste  Kolumne,  Zeile  26:  XX  anstatt  XXX,  ist  in  H.  7210 
korrigiert.  Beide  Drucke  haben  dieselben  Typen.  H.  7210  ist  am  Anfang  um  28  Verse  vermehrt.  Dafür 
in  H.  7209  am  Anfang  eine  Zahlentabelle  von  21  Zeilen,  die  in  H.  7210  fehlt. 


1 1 


12 


herzustellen,  wobei  ihm  perspektivische  Kenntnisse  natürlich  ganz  fehlen.  Ein  solches 
Streben  ist  jedenfalls  bemerkenswert  und  zum  Teil  auch  von  einem  gewissen  Erfolg 
begleitet,  wie  bei  dem  kleinen  Bilde  zum  „Wucher  der  Juden".  Man  liebt  es,  den 
Räumen  durch  Anbringen  von  allerhand  Hausinventar  ein  wirklichkeitstreues  Ansehen 
zu  verleihen.  Zu  einer  Belebung  der  Bühne,  worauf  es  überall  abgesehen  ist,  dient 
dann  ein  Straßendurchblick  von  einem  Interieur  aus  durch  eine  Türöffnung,  wie  auf 
dem  Titelbild  der  Oratio  Cassandre,  ganz  ähnlich  dem  Ausblick,  den  Dürer  auf  seinem 
Baseler  Hieronymus-Holzschnitt  angebracht  hat.  Der  Höhe  nach  wird  die  Szene  öfter 
unmittelbar  über  den  Köpfen  der  Figuren  abgeschnitten,  so  daß  dann  ein  wenig  be- 
friedigendes Verhältnis  zwischen  Höhen-  und  Tiefenausdehnung  der  Bühne  entsteht. 

Besonders  gut  wird  ein  volkstümlich-übermütiger  Ton  getroffen,  für  Groteskes 
eine  originellere  Ausdrucksweise  gefunden.  In  den  Illustrationen  zu  dem  Folzschen 
Gedicht  und  zum  Pfarrer  von  Kalenberg,  einem  Gegenstück  zum  Tyll  Eulenspiegel, 


8.  9.    Pfarrer  von  Kalenberg. 

bricht  sich  jene  kecke,  für  drastische  Komik  geeignete  Vortragsweise  Bahn,  wie  sie 
uns  auch  in  den  Baseler  Holzschnitten  zu  Brants  Narrenschiff  entgegentritt,1)  bezeichnend 
genug  für  die  Geschmacksrichtung  der  damaligen  bürgerlichen  Kunst.  Stilistisch  besteht 
zwischen  den  Nürnberger  und  den  Baseler  Illustrationen  ebensowenig  oder  ebensoviel 
Übereinstimmung  wie  zwischen  diesen  und  Dürer. 

Das  von  Wolgemut  für  den  Nürnberger  Holzschnitt  Geleistete  kann  nach  alle- 
dem mehr  seiner  Quantität  als  seiner  Qualität  nach  einen  Vorrang  beanspruchen.  Daß 
die  bisher  betrachteten  Illustrationen  und  die  seinigen  auf  derselben  lokalen  Tradition 
beruhen,  dafür  sprechen  herüber  und  hinüber  weisende  Beziehungen.  Als  Beispiel 
für  den  lokalen  Nürnberger  Holzschnitt  am  Anfang  der  neunziger  Jahre  ist  hier  eine 
besonders  gute  Illustration  aus  dem  1491  bei  den  Augustinerbrüdern  gedruckten  Missale 
reproduziert,  die  man  nicht  unmittelbar  dem  Atelier  Wolgemuts  zuzuweisen  vermag, 
die  aber  deutlich  den  Zusammenhang  mit  dem  Stil  der  gleichzeitigen  Nürnberger 
Malerei  erkennen  läßt  (Abb.  10). 


')  Daß  man  dazu  in  Nürnberg  aber  durchaus  nicht  allgemein  imstande  ist,  zeigen  die  trotz 
der  vortrefflichen  Vorlagen  gänzlich  rohen  und  handwerklichen  Nachschnitte  nach  den  Baseler  Narrenschiff- 
Illustrationen  in  der  Ausgabe  von  Peter  Wagner  1494. 


13 


Wolgemut  hat  durch  die  großen  Aufgaben,  die  ihm  zufielen,  und  eine  enorme 
Produktion  wie  in  der  Malerei  so  auch  auf  dem  Gebiete  der  Illustration  seinem  Stil 
Geltung  zu  verschaffen  gewußt.  Er  war  der  Unternehmer,  der  über  die  Mittel  ver- 
fügte, bei  umfangreichen  Aufgaben  prompt  zu  bedienen.  Wie  ja  auch  heute  noch 
bei  großen  Aufträgen  vor  dem  künstlerisch  Begabtesten  der  Geschäftige  und  Geschäft- 
liche oft  den  Vorzug  erhält. 

Ihm  und  seinem  Stiefsohn  Wilhelm  Pleydenwurff  wurde,  wie  urkundlich 
feststeht,  der  Illustrationszyklus  für  Hartmann  Schedels  im  Jahre  1493  bei  Koberger 
erschienene  Weltchronik  in  Auftrag  gegeben.  Infolge  stilistischer  Übereinstimmung 
mit  diesem  werden  Wolgemut  mit  gutem  Grunde  auch  die  Holzschnitte  des  Koberger- 
schen  Schatzbehalters  vom  Jahre  1491  zugeschrieben.  Sein  Holzschnittwerk  ist  dann 
durch  V.  von  Loga1)  und  Campbell  Dodgson'2)  noch  erweitert  worden.  Die  erste  auf 
seine  Hand  weisende  Buchillustration  wäre  danach  in  das  Jahr  1484  zu  setzen,  das  Titelbild 
in  Kobergers  „Reformation  der  Stadt  Nürnberg".")  Wenn  der  allgemeine  Stilcharakter 
dieser  Arbeiten  wohl  auf  die  Wolgemutsche  Werkstätte  deutet,  so  wird  man  sie  jedoch  nicht 
alle,  wie  das  ja  für  die  Schedeische  Chronik  auch  urkundlich  feststeht,  als  eigenhändige 
Leistungen  Wolgemuts  anzusehen  haben.  Schon  die  Verschiedenwertigkeit  des  Schnitts 
und  die  daraus  resultierende  Verschiedenartigkeit  der  Wirkung  macht  es  bei  der  das 
allgemeine  Niveau  nur  wenig  überragenden  Leistungsfähigkeit  Wolgemuts  unmöglich 
ein  bestimmtes  Oeuvre  für  ihn  allein  aufzustellen.  Ebenso  scheint  es  mir  auch  bis 
jetzt  nicht  möglich,  bestimmte  andere  Künstlerindividualitäten  aus  dem  Gesamtbestande 
der  Werkstatt  herauszuschälen.  Thodes  Versuch,  den  Meister  des  Peringsdörfferschen 
Altars  als  den  Verfertiger  einer  Anzahl  von  Holzschnitten  der  Schedeischen  Chronik 
hinzustellen  und  demnach  die  Persönlichkeit  Wilhelm  Pleydenwurffs  aus  den  Illustra- 
tionen der  Chronik  heraus  zu  konstruieren,  vermag  auf  mich,  wie  schon  erwähnt, 
nicht  überzeugend  zu  wirken. 

Hinsichtlich  des  allgemeinen  künstlerischen  Charakters  der  Wolgemutschen 
Holzschnittgruppe  gilt  das  Gleiche  wie  das  über  seine  Malerei  Gesagte.  Zu  einem 
hohen  künstlerischen  Niveau  erheben  sich  auch  die  Holzschnitte  nicht.  Die  Erfindung 
ist  nie  wirklich  interessant.  Mit  wie  viel  Entlehnungen  von  fremden  Vorlagen  bei  den 
Sujets  der  Schedeischen  Chronik  wir  es  zu  tun  haben,  hat  von  Loga4)  nachgewiesen.  Vor 
den  anderen  Nürnberger  Illustrationen  haben  die  Wolgemutschen  wohl  eine  Erweiterung 
und  Bereicherung  des  Schauplatzes  voraus,  ohne  daß  dieser  eine  wirklich  künstlerisch 
befriedigende  Wiedergabe  fände.  Es  fehlt  an  einem  organisch  wirkenden  Aufbau; 
deshalb  hat  die  Szenerie,  mag  es  nun  ein  Interieur  oder  eine  Landschaft  sein,  oft 
etwas  Verworrenes.  Sie  kommt  auf  Arbeiten  der  auf  S.  10  geschilderten  Gruppe 
manchmal  mit  ein  paar  Strichen  besser  heraus  als  auf  einem  komplizierteren  Wolgemut- 
schen Holzschnitt.     Die  Technik   wird   dahin   weiter  ausgebildet,   daß   die  Holz- 


')  Jahrbuch  der  k.  preuß.  Kunsts.  XVI,  224. 

-)  Jb.  der  kunsthist.  Samml.  des  allerh.  Kaiserhauses  1902,  XXIII,  45ff.  Catalogue  of  early 
German  and  Flemish  woodcuts  in  the  British  Museum,  London  1903,  240ff. 

8)  Zwei,  wie  mir  scheint,  gleichfalls  aus  seinem  Atelier  hervorgegangene  Illustrationen,  die 
von  jenen  Forschern  noch  nicht  genannt  wurden,  sind  die  in  dem  1491  bei  Georg  Stuchs  er- 
schienenen Breviarium  Magdeburgense  (Hain  3856)  und  dem  Missale  Salisburgense  desselben  Verlags 
vom  Jahre  1492  (Hain  11420). 

')  A.  a.  O.  S.  227. 


10.    Missale.  1491. 


15 


schnitte  nach  Licht  und  Schatten  reicher  abgestuft,  bildmäßiger  gestaltet  werden. 
Sind  bei  den  früheren  Illustrationen  Kontur,  Binnenzeichnung  und  Schraffierungen 
meist  in  einer  Stärke  gehalten,  was  auch  in  dem  Schatzbehalter  zum  Teil  noch 
der  Fall  ist,  so  werden  mit  dem  Fortschreiten  dieses  Stils  die  Stärken  der  Linien  den 
Erfordernissen  der  Modellierung  entsprechend  mehr  differenziert.  In  den  tiefsten 
Schattenpartieen  werden  hier  und  da  Kreuzschraffierungen  angewandt,  Gegensätze  von 
Hell  und  Dunkel  stark  herausgearbeitet.  Eine  tonigere  Wirkung  wird  dadurch  erzielt. 
Es  ist  der  neue  Malerholzschnitt,  der  jetzt  aufkommt.  Aber  bei  dem  Mangel  an  feinerem 
künstlerischem  Takt  bringt  Wolgemut  eine  einheitlich-bildmäßige  Wirkung  nicht  zustande. 
Das  blieb  seinem  größeren  Schüler  vorbehalten. 

In  Wolgemuts  Werkstatt,  in  die  der  junge  Dürer  eintrat,  nachdem  ihm  der 
Vater  gestattet  hatte,  das  Goldschmiedehandwerk  aufzugeben,  fand  er  also  einen  aus- 
gebildeten Betrieb  auf  dem  Gebiete  der  Malerei  wie  des  Holzschnitts  vor. 

„Und  da  man  zählt  nach  Christi  Geburt  1486  am  St.  Endres  Tag  (das  ist  der 
30.  Nov.),  versprach  mich  mein  Vater  in  die  Lehrjahr  zu  Michael  Wohlgemuth,  drei  Jahr 
lang  ihm  zu  dienen",  heißt  es  in  Dürers  Familienchronik.  Er  hat  die  drei  Jahre  in 
der  Nürnberger  Werkstatt  ausgehalten,  obwohl  es  ihm  dort  nicht  sonderlich  behagt 
zu  haben  scheint,  da  er,  wie  er  sagt,  von  den  Gesellen  Wolgemuts  viel  zu  leiden 
hatte.  „Und  als  ich  im  1490  Jahr  hinwegzog  nach  Ostern,  darnach  kam  ich  wieder, 
als  man  zählt  1494  nach  Pfingsten",  schreibt  er  weiter  in  derselben  Chronik.  Im 
April  1490  der  Ostersonntag  fiel  in  diesem  Jahr  auf  den  11.  April  begab  sich 
Dürer  auf  die  Wanderschaft. 

Aus  der  Zeit  vor  der  Wanderschaft  sind  einige  bezeichnete  und  datierte 
Arbeiten  seiner  Hand  erhalten.  Zunächst  Zeichnungen.  Die  frühste  datierte  ist  das 
1484  mit  dem  Silberstift  gezeichnete  Selbstbildnis  in  der  Albertina,  in  dreiviertel  Profil 
gestellt  und  sorgfältig  abschattiert,  eine  saubere,  anmutige  Arbeit,  die,  wie  die  später  von 
Dürers  Hand  beigesetzte  Schrift  besagt,  nach  dem  Spiegel  gemacht  wurde.  Sie  dient  als 
Zeugnis  der  Frühreife  des  Knaben. 

Als  nächste  datierte  Arbeit  folgt  die  Madonna  mit  zwei  musizierenden 
Engeln  im  Berliner  Kupferstich -Kabinett,  eine  Federzeichnung,  welche  die  Signatur 
und  das  Datum  1485  trägt.  Dürer  hat  möglicherweise  einen  Kupferstich  man 
hat  an  den  Meister  E.  S.  gedacht  als  Vorbild  benutzt.1)  Dafür  spricht  die 
Art  der  Modellierung.  Es  ist  ein  System  von  scharf  ausgebildeten  Konturlinien,  in 
das  Kreuzschraffierungen  eingetragen  sind.  Die  Pflanzen  im  Vordergrunde  sind  zeich- 
nerisch angelegt.  Die  Arbeit  zeigt  ein  intensives  Sichversenken  in  den  Stoff  und  ist 
wie  das  Selbstbildnis  des  vorhergehenden  Jahres  mit  peinlicher  Gewissenhaftigkeit 
ausgeführt. 

Flüchtig  mit  Kreide  hingeworfen  ist  die  ebenfalls  vor  dem  Eintritt  in  die 
Werkstatt  Wolgemuts  entstandene  „Dame  mit  dem  Falken"  im  British  Museum,  die 
durch  ihre  zweifellos  alte  Inschrift  beglaubigt  ist:  „Das  ist  och  alt  hat  mir  Albrecht 
Dürer  gemacht  E  er  zum  maier  kam  in  des  wolgemuts  hus"  usw.  Diese  Zeichnung 
ist  wohl  auch  nach  einer  Vorlage  gefertigt,  vielleicht  eher  nach  einer  plastischen  als 


J)  Die  Maria  auf  dem  Thron  und  das  Kind  zeigen  auch  eine  gewisse  Verwandtschaft  mit  dem 
Münchener  Schrotblatt  der  Madonna  zwischen  Katharina  und  Barbara.    Schmidt  Nr.  93. 


16 


nach  einer  graphischen.  Eine  bestimmte  graphische  Technik  ahmt  sie  jedenfalls  nicht 
nach.  Man  kann  aus  der  unbeholfenen  Knabenarbeit  nicht  viel  herauslesen,  aber 
Schongauerschen  Geist,  wie  die  Lippmannsche  Notiz  im  Dürer-Werk  vermuten  läßt, 
scheint  sie  mir  nicht  zu  atmen.  Die  etwas  grämlichen  Züge  reproduzieren  vielmehr 
den  Frauentypus  der  älteren  Nürnberger  Schule,  ebenso  wie  auch  der  Madonnenkopf 
auf  der  Berliner  Zeichnung  von  1485. 

Erst  aus  dem  Jahre  148Q  gibt  es  danach  zwei  Federzeichnungen:  die  Bremer 
Kavalkade  und  die  drei  Landsknechte  in  Berlin;  wieder  Arbeiten,  die  einen  Selbstzweck 
hatten,  nicht  skizzenhafte  Entwürfe,  was  aus  der  sauberen  Durchführung  und  der 
gleichzeitigen  Monogrammierung  und  Datierung  hervorgeht.  Sie  zeigen  bereits  gewisse 
Eigenheiten,  die  sich  als  charakteristisch  für  die  Jugendarbeiten  Dürers  hinstellen  lassen. 
Vor  allem  legt  er  Wert  auf  eine  sorgfältige  Modellierung.  Er  arbeitet  mit  verschiedenen 
Helligkeits-  und  Dunkelheitsgraden  und  tönt  das  Bild  vermittels  verschieden  starker 
Schraffierungslagen  ab.  Die  Bremer  Kavalkade  hat  schon  eine  gewisse  Qualität. 
Es  ist  nicht  nur  das  rein  Gegenständliche,  das  ihn  zu  der  Darstellung  veranlaßt  hat. 
Das  Wie  in  der  Möglicheit  künstlerischer  Veranschaulichung  wird  für  seine  Phantasie 
Problem.  Und  schon  die  Art  des  Darstellungsproblems  zeugt  für  ein  starkes  künst- 
lerisches Bewußtsein.  Schwierige  Verkürzungen  scheinen  geradezu  gesucht  bei  der 
Anlage  der  den  Hohlweg  betretenden  Reitergruppe.  Eine  Gewandheit  in  der  zeich- 
nerischen Markierung  aller  Funktionswerte  macht  sich  bemerkbar,  wenn  auch 
das  wenigste  wirklich  ganz  gelungen  ist.  Wie  der  auf  die  Paßhöhe  gelangte  Reiter 
seinen  Arm  in  die  Höhe  schleudert,  das  hat  etwas  Schmetterndes.  Die  Landschaft 
läßt  nicht  ohne  weiteres  auf  unmittelbare  Naturnachahmung  schließen.  Schematische, 
konventionelle  Formen  finden  sich  zwar  nicht,  nur  der  Vordergrund  ist  hier  wie  auf 
der  Berliner  Zeichnung  in  ziemlich  schematischer  Weise  als  welliges,  übereinander- 
geschichtetes  Hügelland  gebildet.  Die  Art  des  Aufbaus  der  Szenerie,  die  Formen 
der  Felskegel  gemahnen  an  Hintergründe,  wie  sie  auf  Wolgemutschen  Bildern  zu 
finden  sind,  besonders  an  die  Landschaft  der  Anbetung  des  Kindes  auf  einem  der 
Flügel  des  Hallerschen  Altars  in  der  Heilig- Kreuz- Kapelle  zu  Nürnberg.  Vielleicht 
benutzte  Dürer  dergleichen  als  Vorbild.  Er  besaß  jedenfalls  schon  die  Leichtigkeit, 
solch  eine  flüchtige  Szenerie  sozusagen  aus  dem  Handgelenk  zu  schütteln. 

Außer  dem  Bildnis  des  Vaters,  von  dem  gleich  zu  sprechen  sein  wird, 
ist  aus  Dürers  Lehrzeit  bis  jetzt  nichts  weiter  bekannt.  An  den  großen  Holzschnitt- 
werken, die  der  Wolgemutschen  Werkstatt  für  den  Kobergerschen  Verlag  in  Auftrag 
gegeben  wurden,  dem  Schatzbehalter  und  der  Schedeischen  Weltchronik,  ist  Dürer  nicht 
beteiligt.  Sie  waren  in  Arbeit,  als  er  sich  auf  der  Wanderschaft  befand.  Sollte  er 
aber  nicht  sonst  vielleicht  irgendwelche  Holzschnittillustrationen  geliefert  haben? 

Bei  der  Prüfung  der  im  15.  Jahrhundert  in  Nürnberg  gedruckten  illustrierten 
Bücher  sind  mir  zwei  Holzschnitte  begegnet,  die  für  die  Jugendzeit  Dürers  in  Frage 
kommen.  Der  eine  bildet  das  Titelblatt  einer  kleinen  Schrift  über  das  Würfelspiel:  Wie 
der  würffei  auff  ist  kutnen  (Abb.  11).  Das  Schriftchen  befindet  sich  in  der  Kgl.  Bibliothek 
zu  Berlin  und  ist,  soweit  ich  sehe,  unbeschrieben.  Gedruckt  ist  es  laut  Schlußschrift 
von  Marx  Ayrer  im  Jahre  1480.  Marx  Ayrer  war  ein  Wanderdrucker,  der  an  den  ver- 
schiedensten Orten  sein  Gewerbe  betrieb.  Er  druckte  besonders  kleine  volkstümliche 
Schriften,  die  gewöhnlich  eine  oder  mehrere  Illustrationen  enthalten;  meist  ziemlich  rohe 
Machwerke.  Anders  der  Holzschnitt  des  Würfelbuches.  Er  besteht  aus  zwei  Teilen,  die  aber 


17 


auf  demselben  Holzstock  gezeichnet  sind.  Dargestellt  ist  die  Einführung  des  Würfel- 
spiels durch  den  Teufel  und  deren  Folgen.  An  künstlerischer  Qualität  übertrifft  der 
Holzschnitt  alles,  was  gleichzeitig  in  Nürnberg  auf  dem  Gebiete  geleistet  worden  ist. 
Er  zeigt  Dramatik  des  Vortrags  und  zeichnerische  Eigenschaften,  wie  sie  in  Nürnberg 


nicht  gang  und  gäbe  waren.     Der  Illustrator  hat  sich  seine  Aufgabe 


wählt  komplizierte  Stellungen,  schwierige  Verkürzungen 
Mir  scheint  der  Holz- 


nicht  leicht 
und  kommt 


gemacht.  Er 
damit  zurecht. 

schnitt  von  1 489  ganz  gut  das  Niveau 
zu  repräsentieren,  auf  dem  wir  uns 
nach  der  Bremer  und  Berliner  Zeich- 
nung Dürer  um  diese  Zeit  stehend 
zu  denken  haben.  Einige  Vergleichs- 
punkte seien  noch  angeführt.  Der 
gut  verkürzte  Reiter  mit  seinem  in 
die  Hüfte  gestemmten  rechten  Arm 
erinnert  an  die  Berittenen  der  Kaval- 
kade. Der  Teufel  nimmt  in  Dürers 
Phantasie  als  mehr  komisches,  kral- 
lenfüßiges  und  gehörntes  Ungeheuer 
noch  lange  dieselbe  Gestalt  an  wie 
hier  und  spielt  eine  ähnliche  Rolle, 
so  auf  der  bei  Ephrussi  abgebildeten 
merkwürdigen  Zeichnung  in  Reimes 
und  anderen.  Die  Figuren  mit  ihren 
langen  Gliedmaßen  sind  gleich  pro- 
portioniert wie  die  drei  Landsknechte 
auf  der  Berliner  Zeichnung.  Die 
Auffassung  der  Landschaft,  die  auch 
hier  flott  und  mit  sicherem  Gefühl 
für  die  Wirkung  heruntergezeichnet 
ist,  entspricht  dem  Bremer  Blatte. 
Die  dort  auf  der  rechten  Seite 
stehende  Felspartie  mit  dem  selt- 
samen, oben  auswärts  gebogenen 
Felskegel  findet  sich  ähnlich  auf  dem 
Holzschnitt  an  der  linken  Seite  des 
unteren  Teiles  wieder. 

Die  zweite  Illustration,  die  Hölle  am  jüngsten  Tage  darstellend,  ist  enthalten 
in  dem  Buch:  „Eine  allerheilsarnste  Warnung  vor  der  falschen  Lieb  dieser  Welt" 
(Abb.  12).  Gehören  die  beiden  anderen  Illustrationen  dieser  Schrift  (Abb.  6  und  7) 
schon  zu  dem  Besten,  was  zu  der  Zeit  in  Nürnberg  im  Holzschnitt  geleistet 
wurde,  so  werden  sie  von  der  kleinen  Höllenszene  noch  übertroffen,  die,  wenn  auch 
vom  Formschneider  ungeschickt  verschnitten,  sowohl  durch  die  Anlage  der  Komposition 
wie  durch  die  Wucht  der  Darstellung  ein  individuelles  Gepräge  trägt.  Wie  die  höllischen 
Spukgestalten  mit  Keule,  Knochen  und  Morgenstern  auf  die  Verdammten  einhauen,  wie 
das  als  Drache  wiedergegebene  Höllentier  einen  Mönch  verschlingt,  einen  anderen 

2 


11.  Wiirfelbuch.  1489. 


18 


Mann  mit  seinem  Schweif  umschlungen  hat  und  in  der  Luft  herumwirbelt,  dann  die 
Verzweiflung  der  Verdammten,  das  Aufsprühen  von  Feuerblitzen  aus  den  Bergen  im 
Hintergrunde,  das  alles  ist  mit  solcher  Energie  und  einem  künstlerischen  Verständnis 
zur  Erscheinung  gebracht,  daß  man  wohl  berechtigt  ist,  in  dem  Zeichner  einen  genialen 
jungen  Menschen  zu  vermuten.    Gleich  mein  erster  Gedanke  war:  der  junge  Dürer. 

Bestärkt  wurde  meine  Ver- 
mutung durch  einen  Ver- 
gleich mit  der  Höllenszene 
des  jüngsten  Gerichtes  auf 
der  Zeichnung  des  Brit.  Mus. 
(L.  224  Abb.  13)1).  Das 
Höllenbild  stellt  sich  in  der 
Phantasie  des  Künstlers  hier 
wie  dort  in  gleicher  Weise 
dar.  Ganz  ähnlich  hantieren 
die  Spukgestalten,  ähnlich 
ist  die  Verzweiflung  der  Ver- 
dammten veranschaulicht. 
Nur  ist  das  alles  auf  der 
Londoner  Zeichnung  der 
späteren  Entstehung  ent- 
sprechend mit  größerer 
zeichnerischer  Meisterschaft 
hingestellt;  das  Kleine,  das 
Zierliche  der  Frühzeit  ist 
überwunden.  Ich  verhehle 
mir  gewiß  nicht,  daß  solche 
Höllenbilder  in 
Zeit  mehr  oder 
ähnlich  aufgefaßt  wurden ; 
aber  in  den  beiden  Dar- 
stellungen scheint  mir  doch 
dieselbe  individuelle  Phan- 
tasie sich  auszusprechen. 
Daß  solche  Phantasiebilder, 
wenn  sie  einmal  in  der 
Jugend  eine  feste  Form  an- 
genommen   haben,  lange 

haften  bleiben,  zeigt  die  Seeiengeschichte  vieler  großer  Künstler,  auch  Goethes.  Dürer 
hat  sich  später  an  Gestalten,  die  in  der  Jugendzeit  seine  Phantasie  erfüllten,  gern 
erinnert.  Wir  haben  ja  auch  Beispiele  dafür,  wie  manches,  was  er  in  früher  Zeit  ge- 
zeichnet hatte,  in  späteren  Jahren  und  bei  anderer  Gelegenheit  von  ihm  wieder  ver- 
wandt wurde. 

Wie  hier  das  über  eine  Menschenmenge  heranbrausende  Verderben  zum  Aus- 


damaliger 


12.  Allerheilsamste  Warnun<>. 


')  Vgl.  auch  die  Höllendarstellung  auf  der  (sicherlich  falsch  datierten)  Zeichnung  L.  248. 


19 


druck  gebracht  ist,  das  ist  spezifisch  Dürerisch.  Hat  er,  wie  ich  vermute,  die  Höllen- 
darstellung um  das  Jahr  1489  gezeichnet,  bei  aller  Befangenheit  der  Ausdrucksweise 
wäre  sie  nicht  unwürdig,  als  eine  Vorahnung  des  apokalyptischen  Ideenkreises  zu 
gelten.  Man  halte  neben  sie  etwa  die  sich  einer  gewissen  Berühmtheit  erfreuende 
Auferstehung  der  Toten  in  der  Schedeischen  Chronik  und  entscheide  zwischen  beiden 
nach  der  Qualität.    Die  Wage  dürfte  sich  zugunsten  unseres  kleinen  Holzschnittes 


13.  Dürer.  Weltgericht.  Ausschnitt.  British  Museum. 


neigen.  Man  bemerke  bei  diesem  auch  die  geschickte  Verwendung  von  Hell  und 
Dunkel,  ein  Operieren  mit  Tonwerten,  wie  es  im  damaligen  Holzschnittstil  durchaus 
nicht  allgemein  üblich  war.  Dürers  Jugendwerke  zeugen  alle  für  ein  schon  früh  bei 
ihm  anhebendes  Gefühl  für  Herausarbeitung  und  Modellierung  der  Form. 

Stärker  als  irgend  etwas  deutet  auf  sein  frühes  Formverständnis  das  einzige 
Gemälde,  das  aus  der  Zeit  vor  der  Wanderschaft  auf  uns  gekommen  ist,  das 
1490  datierte  Bildnis  des  Vaters  in  den  Uffizien.  Es  läßt  schon  die  ganze  spätere 
Kunst  Dürers  in  ihren  Keimen  erkennen.  Ein  sprechender  Ausdruck,  feine  Beobachtung 
des  Details,  soweit  es  zur  Formbestimmung  notwendig  ist,  scharfäugige  Fixierung  eines 

2* 


20 


frappanten  Charakterbildes.  In  der  Nürnberger  Schule  war,  wie  wir  bei  den  Kirchen- 
bildern bemerkten,  vor  Dürer  schon  Verständnis  für  eine  scharf  charakterisierende  Bildnis- 
kunst gewesen.  Selbständige  Porträts  haben  sich  sehr  wenige  erhalten.  Keins  unter 
ihnen  weist  eine  solche  Formbehandlung  auf  wie  das  frühe  Dürersche.  Sie  haben 
etwas  Kleinliches,  Zerrissenes  in  der  Anlage,  etwas  Hartes  in  den  Zügen  und  etwas 
Übercharakteristisches,  so  daß  sie  öfter  in  Karrikaturen  ausarten.  Das  Dürersche  Bildnis 
ist  gewiß  auch  in  einer  mit  dem  Pinsel  mehr  distinguierend-zeichnenden  als  weich  ver- 
schmelzenden Manier  durchgeführt,  läßt  aber  deutlich  das  Streben,  für  die  Entfernung  ein 
Gesamtbild  zu  formen,  erkennen.  In  seiner  Anlage  entspricht  es  den  Nürnberger  Porträt- 
Gepflogenheiten:  Brustbild  in  dreiviertel  Profil  mit  den  Händen  vor  der  Brust,  die 
etwas  halten.  Dürers  Vater  hält  einen  Rosenkranz,  wie  auch  der  im  Jahre  1496  ge- 
malte Perckmeister  von  Wolgemut  im  Germanischen  Museum.  Sonst  halten  die  Figuren 
auch  eine  Blume,  einen  Ring  oder  ein  Buch.  Diese  Art  der  allgemeinen  Anlage  geht 
auf  niederländische  Vorbilder  zurück,  durch  die  ja,  wie  wir  sahen,  überhaupt  seit 
den  sechziger  Jahren  auf  die  Nürnbergische  Kunst  ein  tiefgehender  Einfluß  aus- 
geübt wurde.1) 

Als  Dürer  im  Jahre  1490  auf  die  Wanderschaft  zog,  war  er  also  schon  als  ein 
tüchtiger  Maler  und  wahrscheinlich  auch  als  Holzschnittzeichner  ausgebildet,  der  wohl 
wußte,  worauf  es  bei  der  Kunst  ankam.  Die  Grundlage  seiner  Schulung  hat  er  der 
Wolgemutschen  Werkstatt  zu  verdanken.  Das  zeigt  sein  in  Nürnbergischem  Sinne 
gemaltes  Bildnis  des  Vaters,  dem  allerdings  der  Stempel  eines  das  Nürnbergische  Niveau 
überragenden  Genies  aufgeprägt  ist,  das  zeigen  auch  die  frühen  Zeichnungen,  besonders 
die  Bremer  Kavalkade. 

Daß  Dürer  während  seiner  Lehrzeit  zu  der  Schongauerschen  Kunst  in  nähere 
Berührung  getreten  sei,  dafür  läßt  sich  kein  Anhaltspunkt  finden.  Dagegen  müßte 
man  eine  vielleicht  nur  flüchtige  Einwirkung  der  Kunst  des  Meisters  des  Hausbuchs, 
auf  die  von  Robert  Vischer  und  Thode  hingewiesen  wurde,  wenn  sie  überhaupt  statt- 
gefunden hat,  in  diese  frühe  Zeit  setzen.  Die  außergewöhnlichen  Stiche  des  rätsel- 
haften Meisters  mögen  schon  damals  in  Dürers  Hände  gekommen  sein,  und  er  mag 
aus  dessen  geistvollen  Blättern  für  manches  eine  Anregung  erhalten  haben.  Einige 
Typen  wie  die  Ausdrucksweise  der  Bremer  Kavalkade  lassen  an  die  Art  jenes 
Stechers  denken. 

Wohin  ist  Dürer  gewandert?  — 

Über  die  erste  Periode  seiner  Wanderschaft  bis  zum  Jahr  1492  wissen  wir  gar 
nichts.  Alle  Vermutungen  darüber  sind  nichts  als  Vermutungen  geblieben.  Das  einzige 
literarische  Zeugnis  für  diese  Epoche  in  Dürers  Leben  gibt  der  gewiß  glaubwürdige 
Christoph  Scheurl  in  seiner  gleichsam  unter  Dürers  Augen  im  Jahre  1515  gedruckten 
Lobrede  auf  Anton  Kreß  mit  der  deutlichen  Angabe:  -  -  tandem  peragrata  Ger- 

mania cum  anno  nonagesimo  secundo  Colmariam  venisset,  a  Caspare  et  Paulo  auri- 


')  Nicht  Dürer  zuzuschreiben  vermag  ich  die  von  Max  J.  Friedender  Repertor.  f.  K.  XIX  1896 
S.  15  publizierte  Zeichnung  der  Albertina,  die  nach  F.  den  Vater  des  Künstlers  darstellen  soll.  Schon 
die  Technik  ist  eine  von  den  Dürerschen  Jugendzeichnungen  verschiedene.  Diese  Art  der  dicken  glatten 
weißen  Grundierimg  findet  sich  bei  ihm  nicht,  ebensowenig  die  mit  dem  Silberstift  fein  schummernde 
Schraffierung.  Der  zeichnerische  Strich  ist  ziemlich  leblos,  die  Faltengebung,  besonders  am  rechten 
Ärmel,  schematisch. 


21 


fabris  et  Ludovico  pictore,  item  etiam  Basileae  a  Georgio  aurifabro,  Martini  fratribus, 
susceptus  sit  benigne  atque  humane  tractatus.  In  dem  ersten  Abschnitt  seiner  Wanderschaft 
wird  er  also  wohl  durch  Deutschland  von  Ort  zu  Ort  gezogen  sein,  ohne  sich  irgendwo 
länger  aufzuhalten.  1492  kam  er  nach  Colmar  zu  den  drei  Brüdern  Martin  Schongauers, 
der  kurz  vorher  gestorben  war,  und  ging  dann  nach  Basel  zu  dem  Goldschmied  Georg 
Schongauer,  dem  vierten  Bruder.  Daß  Dürer  in  Basel  gewesen  ist,  dafür  besitzen  wir 
außer  der  Notiz  bei  Scheurl  noch  ein  künstlerisches  und  urkundliches  Zeugnis:  den 
im  Baseler  Museum  bewahrten  Holzstock  des  hl.  Hieronymus,  der  von  Dürer  auf  der 
Rückseite  ausführlich  bezeichnet  ist  und  von  Nicolaus  Keßler  in  seiner  1492  erschienenen 
Ausgabe  der  Opera  Hieronymi  als  Titelbild  abgedruckt  wurde.  1492  ist  er  also  zweifellos 
in  Basel  gewesen. 

Den  nächsten  Anhaltspunkt  für  seine  Reiseroute  gibt  eine  Stelle  des  Imhof- 
schen  Inventars,  aus  der  hervorzugehen  scheint,  daß  er  1494  in  Straßburg  war.  Sie 
lautet:  „Ein  alter  man  In  ein  tefelein  Ist  zu  Straspurg  sein  meister  gewest  —  auf  per- 
gamen  fl.  4".  „Ein  weibspild  auch  in  ein  tefelein  olifarb  so  darzu  gehoert  gemalt  zu 
straspurg  1494  fl.  3."  Wenn  man  gegen  diese  Stelle  des  Imhof sehen  Inventars  nicht 
wie  Thausing  Bedenken  hegt,  wozu  kein  zwingender  Grund  vorliegt,  so  muß  man 
annehmen,  daß  Dürer  sich  auch  in  Straßburg  eine  Weile  aufgehalten  hat,  denn  er 
hatte  ja,  wie  es  heißt,  dort  einen  „Meister".  Nach  Pfingsten  war  er  schon  wieder 
zurück  in  Nürnberg.  Er  müßte  also  wohl  spätestens  am  Anfang  des  Jahres  1494  nach 
Straßburg  gekommen  sein. 

Thausings  Vermutung,  daß  Dürer  während  der  ersten  Wanderschaft  Italien 
besucht  habe,  dürfte  heute  kaum  noch  Anhänger  finden. 

Es  sollen  nun  die  künstlerischen  Zeugnisse  geprüft  werden,  die  aus  der  Zeit 
seiner  Wanderschaft  erhalten  sind.  Zunächst  das  bedeutendste,  sein  Selbstbildnis  von 
1493,  früher  in  der  Sammlung  Felix,  das  ich  allerdings  nur  nach  der  Reproduktion 
kenne.  Es  ist  ein  Brustbild  in  dreiviertel  Profil  mit  Händen,  wie  das  Porträt  des 
Vaters,  nur  daß  bei  diesem  der  Blick  der  Augen  der  Wendung  des  Kopfes  folgt, 
während  bei  dem  Selbstbildnis,  das  nach  dem  Spiegel  gemacht  werden  mußte,  die 
Augen  aus  dem  Bilde  herausschauen;  die  Hände  halten  einen  Eryngiumzweig  (Männer- 
treu), woraus  man  eine  Bestimmung  etwa  als  Brautbild  ableiten  zu  können  meinte. 
Auf  Stellung  und  Arrangement  ist  sehr  viel  Sorgfalt  verwendet.  Alles  sieht  zurecht- 
gelegt aus  und  ist  mit  peinlicher  Gewissenhaftigkeit  wiedergegeben.  Der  Ausdruck 
des  Kopfes  ist  ernst  und  sinnig.  Das  Ganze  wirkt  nach  der  Reproduktion  sehr 
eindrucksvoll  und  zeugt  von  künstlerischem  Ernst.  Aus  diesem  Bilde,  wie  das  ge- 
schehen ist,  zu  schließen,  daß  Dürer  in  der  ersten  Periode  seiner  Wanderschaft  die 
Niederlande  besucht  haben  müsse,  geht  nicht  an.  Es  reiht  sich  unmittelbar  an  das 
Porträt  des  Vaters  an,  wirkt  nicht  niederländischer  als  dieses.  Das,  was  daran  nieder- 
ländisch ist,  ist  nur  auf  die  Schulung  in  Nürnberg  zurückzuführen,  wo  die  Porträt- 
kunst ganz  auf  der  niederländischen  beruhte.  Das  jetzt  auf  Leinwand  übertragene 
Bild  war  ursprünglich  auf  Pergament  gemalt,  jedenfalls,  damit  es  auf  der  Wanderschaft 
leicht  transportiert  werden  konnte. 

Aus  dem  gleichen  Jahre  besitzen  wir  noch  ein  kleines  Pergamentblättchen, 
mit  Wasserfarben  'gemalt,  in  der  Albertina,  das  in  einer  Fensternische  den  Jesusknaben, 
der  mit  beiden  Händchen  die  Weltkugel  hält,  darstellt.    Auch  dies  keine  flüchtige 


22 


Studienarbeit,  sondern  mit  liebevollster  Versenkung  in  jedes  Detail  mit  der  Feder  ge- 
zeichnet und  mit  dem  Pinsel  durchmodelliert.  Es  gewinnt  seine  Wichtigkeit  als  einer 
der  frühsten  datierbaren  Idealköpfe,  die  wir  von  Dürers  Hand  besitzen.  Ein  Anklang 
an  Schongauersche  Jesusknabenköpfe  macht  sich  jetzt  bemerkbar. 

Nachdem  diese  beiden  auf  Pergament  gemalten  Arbeiten  aus  der  Zeit  der 
Wanderschaft  erhalten  sind,  haben  wir  keinen  Grund  zu  bezweifeln,  daß  die  beiden 
nach  dem  Imhof sehen  Inventar  von  Dürer  14Q4  in  Straßburg  auf  Pergament  gemalten 
Bildnisse  existiert  haben.  Die  vorhin  zitierte  Inventar-Notiz  ist  doch  zu  genau  detail- 
liert und  Tatsachen  entsprechend,  als  daß  man  sie  ohne  triftige  Gründe  beseitigen 
könnte. 

Von  datierten  beglaubigten  Arbeiten  der  Wanderschaft  ist  außer  den  besprochenen 
farbigen  nur  noch  ein  Holzschnitt  bekannt:  der  Baseler  Hieronymus,  der,  wie  schon 
erwähnt,  Keßlers  Ausgabe  von  1492  vorgedruckt  ist.  Aus  der  schlecht  geschnittenen 
Illustration  läßt  sich  natürlich  nur  wenig  auf  die  ursprüngliche  Vorzeichnung  schließen. 
Aber  so  viel  kann  man  sehen,  daß  es  eine  sauber  durchmodellierte,  nach  Licht  und 
Schatten  abgestufte  Vorlage  war.  Und  sucht  man  sich  genauer  über  die  Art  der 
Zeichentechnik  Rechenschaft  zu  geben,  so  findet  man,  daß  es  die  des  Schongauerschen 
Kupferstichs  ist,  aber  in  der  Anwendung  für  den  Holzschnitt,  wie  es  bei  den  Nürn- 
berger Illustrationen  Wolgemutscher  Richtung  üblich  war.1) 

Auf  die  Tatsache,  daß  dieser  Holzschnitt  für  einen  Baseler  Druck  geliefert 
wurde,  ist  das  bekannte  Hypothesengebäude  Daniel  Burckhardts  begründet  worden. 
Dürer  muß  danach  in  Basel  eine  fieberhafte  Tätigkeit  entfaltet  haben.  Außer  dem 
einen  Holzschnitt  für  die  Keßlerschen  Hieronymus-Werke  soll  er  noch  eine  Menge 
von  Illustrationen  entworfen  haben:  für  die  Furtersche  Offizin  die  Holzschnitte  des 
1493  erchienenen  „Ritters  von  Turn",  für  die  Bergmann  von  Olpesche  den  größten 
Teil  der  Bilder  in  dem  1494  gedruckten  Narrenschiff  von  Seb.  Brant  und  kleinere 
Holzschnitte  in  verschiedenen  anderen  Büchern,  endlich  eine  stattliche  Anzahl  von 
Zeichnungen  zu  den  Komödien  des  Terenz  auf  Holzstöcken,  die  im  Baseler  Museum 
bewahrt  werden  und  jedenfalls  auch  für  eine  Buchausgabe  bestimmt  waren,  aber  niemals 
oder  wenigstens  nur  zum  geringsten  Teil  geschnitten  wurden.  All  diese  über  hundert 
Werke  sollten  nach  dem  Verfasser  den  Charakter  der  Dürerschen  Kunst  tragen.  Und 
noch  ein  äußeres  Moment  sollte  seinen  Zuschreibungen  zugute  kommen.  Eine  seiner 
Hauptthesen  lautete:  Im  Jahre  1494  verließ  Dürer  Basel;  nach  diesem  Zeitpunkt  kommen 
Werke  von  dem  Meister  jener  Illustrationen,  eben  Dürer,  in  Baseler  Drucken  nicht 
mehr  vor.  Diese  These  versuchte  ich  auf  Grund  von  Studien  über  die  Baseler  Buch- 
illustration -)  schon  früher  zurückzuweisen,  indem  sich  herausstellte,  daß  bis  1499 
in  jedem  Jahre  neue  Illustrationen  desselben  Meisters  in  Baseler  Drucken  auftreten, 
daß  deshalb  schon  Dürer  nicht  der  Zeichner  sein  könne;  abgesehen  davon,  daß 
mit  seinem  Jugendstil  alle  jene  Arbeiten  auch  nicht  übereinstimmten.  Seitdem  sind 
wichtige  Zeichnungen  publiziert  worden,  die  auf  die  Jugendepoche  Dürers  ein  neues 
Licht  warfen. 

Ehe  ich  mich  ihnen  zuwende,  möchte  ich  folgende  Erwägungen  vorausschicken: 

')  Der  Zusammenhang  mit  Nürnberg  wird  auch  betont  von  Kristeller,  Kupferstich  und  Holz- 
schnitt in  vier  Jahrhunderten.    Berlin  1905,  S.  200. 

'-')  Der  Meister  der  Bergmannschen  Offizin  und  A.  Dürers  Beziehungen  zur  Baseler  Buch- 
illustration.   Straßburg  1896. 


23 


Im  Jahre  1492  kam  Dürer  nach  Colmar  zu  den  Brüdern  Martin  Schongauers,  von 
denen  er,  wie  es  heißt,  freundlich  aufgenommen  wurde.  Was  wird  er  dort  getrieben 
haben?  Darauf  gibt  es  eigentlich  nur  eine  Antwort.  Natürlich  wird  er  dort  in  der  Schule 
des  berühmtesten  Kupferstechers,  der  selbst  allerdings  verstorben  war,  dessen  Atelier 
aber  von  dem  Bruder  Ludwig  in  der  alten  Tradition  weitergeführt  wurde,  das  Kupfer- 
stechen erlernt  oder  sich  wenigstens  darin  vervollkommnet  haben.  Wolgemut,  der 
selbst  nicht  gestochen  zu  haben  scheint,  wird  ihm  das  kaum  haben  beibringen  können. 
Auf  die  Spuren  der  Schongauerschen  Schulung  in  Dürers  Werken  werde  ich  gleich 
zu  sprechen  kommen.  Hier  sei  nur  noch  einmal  hervorgehoben,  daß  der  Colmarer 
Aufenthalt  infolgedessen  nicht  zu  kurz  bemessen  werden  darf.  Er  mag  sich  bis  gegen 
Ende  1492  (spätestes  Datum  für  den  Hieronymus)  ausgedehnt  haben.  Anfang  1494 
müßte  er,  will  man  dem  Imhofschen  Inventar  glauben,  nach  Straßburg  gegangen  sein, 
wie  sich  vorhin  gezeigt  hat.  Es  käme  danach  für  den  Baseler  Aufenthalt  höchstens 
die  Zeit  von  Ende  1492  bis  Ende  1493  in  Betracht.  Burckhardt,  der  Dürer  in 
Basel  eine  Menge  von  Werken  fabrizieren  läßt,  sucht  deshalb  seinen  dortigen 
Aufenthalt  möglichst  zu  verlängern.  Er  läßt  ihn  im  Sommer  1492  nach  Basel 
kommen.  Den  Straßburger  Aufenthalt  streicht  er,  indem  er  eine  nicht  zu  recht- 
fertigende Umstellung  mit  den  Notizen  des  Imhofschen  Inventars  vornimmt.1)  Aber 
da  er  einen  Schongauerschen  Einfluß  auf  Dürers  Jugendstil  nicht  leugnen  kann, 
im  Gegenteil  die  Annahme  eines  solchen  für  seinen  stark  Schongauerisch  anmutenden 
Terenz-Illustrator  notwendig  braucht,  so  wird  der  Goldschmied  Georg  Schongauer 
heraufbeschworen,  bei  dem  Dürer  das  Kupferstechen  in  Basel  erlernt  habe.  Man  ver- 
gegenwärtige sich  einmal  Dürers  angebliche  Tätigkeit  in  Basel.  Mit  „Einläßlich- 
keit" und  einer  auf  gründlichen  Studien  beruhenden  künstlerischen  Ehrlichkeit  malt 
er  auf  Pergament  fein  ausgeführte  Bilder  wie  das  Selbstporträt  und  das  Jesuskind, 
daneben  soll  er  mit  geschickter  und  routinierter  Hand  Massen  von  Illustrationen  für 
den  Holzschnitt  im  Auftrage  der  verschiedensten  Offizinen  zeichnen  und  endlich 
daneben  noch  das  Kupferstechen  erlernen.  Entspricht  das  allein  schon  dem  Bilde, 
das  wir  uns  von  Dürers  Jugendtätigkeit  zu  machen  berechtigt  sind?  Ich  habe  den 
Eindruck,  daß  es  sich  um  ein  langsames  Vorschreiten  bei  ihm  handelte.  Eine  so 
extensive  Produktion  mit  vorwiegender  Routine  wie  die  des  Baseler  Illustrators  hätte 
in  seinem  Entwicklungsgang  keinen  Platz.  Seine  Jugendarbeiten  haben  eher  etwas 
Bedächtiges. 

Über  die  Stildifferenzen  zwischen  dem  von  mir  „Meister  der  Bergmannschen 
Offizin"  genannten  Baseler  und  Dürer  habe  ich  mich  schon  früher  ausgesprochen-') 
und  zu  zeigen  gesucht,  daß  jener  sich  für  seine  Zeichenweise  vornehmlich  den 
zeichnerischen  Strich  auf  Schongauers  früheren  Kupferstichen  zum  Muster  genommen 
hat.  Und  diese  Zeichenmanier  steht,  wie  schon  hervorgehoben  wurde,  dem  Jugendstil 
Dürers  nicht  sehr  viel  näher  als  etwa  den  Nürnberger  Illustrationen  der  Oratio  Cassandrae, 
des  Pfarrers  von  Kalenberg  und  des  Folzschen  Judenwuchers.  Die  Zeichnungen  der 
Wanderschaft  erweisen  Dürer  auch  unter  Schongauerschem  Einfluß  stehend,  und  somit 
sind  naturgemäß  gewisse  Berührungspunkte  mit  den  Baseler  Illustrationen  vorhanden. 
Aber  bei  ihnen,  die  zum  großen  Teil  sorgfältig  durchgeführte  Entwürfe  enthalten, 


')  Jahrbch.  der  kgl.  preuß.  Kunstsion.  XIV,  S.  162. 
-)  A.  a.  O.  S.  60  f. 


24 


ist  mit  Modellierungswerten  durch  ein  fein  ausgebildetes  und  je  nach  den  Licht-  und 
Schattengraden  abgestuftes  Schraffierungssystem  in  ganz  anderer  Weise  gerechnet  als 
bei  den  Baseler  Arbeiten.  Und  das  ist  nur  die  Fortsetzung  dessen,  was  sich  schon 
vor  der  Wanderschaft,  wie  wir  an  der  Bremer  Kavalkade  sahen,  in  Nürnberg  anbahnte. 
Zieht  man  die  ganze  Summe  der  Jugendarbeiten  in  Betracht  und  hält  sie  den  Baseler 
Illustrationen  entgegen,  so  lassen  sie  auf  eine  mehr  in  die  Tiefe  als  in  die  Breite  gehende 
Geistesrichtung  bei  Dürer  schließen. 

In  die  Zeit  der  Wanderschaft  gehört  außer  dem  gemalten  Selbstbildnis  jeden- 
falls auch  das  gezeichnete  der  Erlanger  Sammlung.  Der  Kopf  mit  der  rechten  Hand 
am  Auge  ist  das  Darstellungsproblem  für  die  Studie,  die  mit  genialer  Sicherheit  an- 
gelegt ist.  Die  andere  Seite  der  Zeichnung  enthält  eine  Madonna  auf  der  Rasenbank 
mit  Josef.  Ich  glaube,  daß  Dürer  hier  ein  Original  der  Schongauerschen  Schule  vor- 
gelegen hat.  Der  Typus  der  Maria  erinnert  stark  an  den  Schongauerschen  (z.  B.  auf  B.  4, 
oder  B.  29),  ebenso  der  Josefs  (wozu  B.  4  zu  vergleichen).  Auch  das  Schema  der 
Gewandmodellierung  ist  Schongauer  entlehnt.  Ferner  hat  sich  Dürer  bemüht,  Schon- 
gauers  feingliedrige  Hände  nachzubilden,  die  auch  ungeschickt  genug  ausgefallen  sind, 
was  bei  eigenen  Entwürfen  nie  in  dem  Maße  der  Fall  ist.  Meiner  Ansicht  nach  sind 
beide  Seiten  der  Zeichnung  nicht  vor  1492  entstanden.  Wenn  von  Seidlitz,  der  sie 
entdeckt  hat,  geltend  macht,  daß  das  Selbstbildnis  seinem  Aussehen  nach  den 
Künstler  nicht  älter  als  18  Jahre  darstellen  könne,  und  er  sie  infolgedessen  vor 
1489  ansetzt,  so  dürfte  man  dagegen  wohl  anführen,  daß  es  sehr  schwer  ist, 
aus  einer  so  flüchtigen  Skizze  zu  ersehen,  ob  jemand  in  dem  Übergangsalter  von  18, 
19,  20  oder  21  Jahren  dargestellt  ist.  Andere  ließen  sich  auch  dadurch  nicht  abhalten, 
die  Zeichnung  später  zu  datieren.  Der  geistvolle,  schon  mehr  ausgereifte  Strich  auf 
dem  Selbstbildnis  stimmt  wenig  zu  den  Zeichnungen  von  1484 — 1489,  entspricht  aber 
einigen  anderen  Blättern,  die  ebenfalls  in  den  Anfang  der  neunziger  Jahre  zu  setzen  sind. 
Endlich  besteht  eine  in  die  Augen  springende  Verwandtschaft  zwischen  der  Madonna 
und  einem  der  frühesten  Kupferstiche  Dürers,  der  Madonna  mit  der  Heuschrecke.  Ich 
möchte  hier  noch  auf  einen  Punkt  hinweisen,  auf  die  Verschiedenartigkeit  der  Strich- 
führung auf  jeder  der  beiden  Seiten  des  Erlanger  Blattes,  die  frisch  und  sicher  ist 
bei  dem  frei  erfundenen  Selbstbildnis,  kleinlicher  und  ängstlicher,  wo  er,  wie  ich 
glaube,  ein  Schongauersches  Original  zugrunde  gelegt  hat. 

Im  Zusammenhang  mit  der  Erlanger  Zeichnung  steht  die  vom  Berliner  Kupfer- 
stich-Kabinett vor  einigen  Jahren  aus  der  Sammlung  Rodrigues  erworbene,  auch  eine 
Madonna  auf  der  Rasenbank,  hinter  der  Bank  der  seinen  Kopf  auf  die  rechte  Hand 
stützende  schlafende  Josef.1)  Auch  hier  ist  Dürer  abhängig  von  der  Schongauerschen 
Formanschauung;  aber  er  bewegt  sich  selbständiger  und  freier  als  bei  der  Erlanger 
Madonna.  Der  Kopf  Josefs  ist  gar  nicht  von  Schongauer  inspiriert.  Das  ernste,  auch 
im  Schlaf  ausdrucksvolle  Gesicht  hat  einen  ganz  anderen  Gehalt  als  der  Erlanger  Josef. 
Vielleicht  wurde  von  Dürer  dafür  eine  Modellstudie  benutzt,  wofür  auch  die  charak- 
teristisch durchmodellierte  Hand  sprechen  würde.  Wie  ihn  das  Problem  einer  Zu- 
sammenstellung von  Kopf  und  Hand  damals  beschäftigte,  zeigte  ja  das  Erlanger 
Selbstbildnis.    In  die  flott  und  leicht  skizzierte  Landschaft  sind  zum  Teil  Elemente, 


*)  Abgebildet  in  der  Publ.  der  Berliner  Handzeichnnngen,  Berlin,  Grote,  Heft  2.  Vgl.  Gazette 

des  Beaux-Arts  1899,  S.  220  ff. 


25 


26 


die  auf  eigene  Beobachtung  schließen  lassen,  aufgenommen,  und  damit  wird 
ein  im  großen  und  ganzen  der  Natur  nahekommender  Eindruck  erzielt.  Es  gibt 
reizende  Motive,  wie  die  kleine  Landungsstelle  mit  dem  Kran  im  Hintergrunde  rechts. 
Anderes  wie  die  Felskulisse  links  mit  dem  verkrüppelten  Baum  wirkt  schematisch. 
Bemerkenswert  ist  die,  um  eine  Raumtiefe  zu  schaffen,  verkürzt  in  das  Bild  hinein- 
geführte Baumreihe.  Der  Vordergrund  wird  wie  gewöhnlich  unmittelbar  hinter  der 
Bank  durch  eine  Terrainwelle  abgeschlossen.  Das  ist  das  übliche  System,  wie  Dürer 
bei  den  frühesten  Landschaften  verfährt.  Er  weiß  geschickt  Traditionelles  und  Ge- 
schautes  zu  kombinieren.  Eine  Ansicht  aus  einem  Guß  kommt  dabei  natürlich  nicht 
zustande. 

Die  einzige  von  den  in  die  Wanderschaft  zu  setzenden  Zeichnungen,  die  ein 
Datum  trägt,  ist  die  Studie  einer  nackten  Frau  in  der  Sammlung  Bonnat,  1493  be- 
zeichnet (L.  345),  zwar  nicht  monogrammiert,  aber  allgemein  als  Dürer  anerkannt. 
In  der  Strichführung  zeigt  sie  denselben  Duktus  wie  das  Erlanger  Selbstbildnis.  Zweifellos 
eine  Studie  nach  dem  Leben,  wie  sich  aus  den  Pantoffeln  und  dem  um  den  Kopf  ge- 
schlungenen Tuch  ergibt.  Von  dem  Augenschein  ausgehend,  hat  Dürer  die  Frau  ganz 
en  face  mit  stelzig  nebeneinander  aufgepflanzten  Beinen  ohne  weiteres  naiv  abgezeichnet. 

In  der  Zeit  der  Wanderschaft  oder  gleich  nachher  sind  ferner,  wie  ich  glaube, 
folgende  stilistisch  zusammenhängende  Zeichnungen  entstanden:  1.  Die  schreitende 
Frau,  die  ihren  Mantel  aufhebt,  Slg.  Bonnat,  L.  346,  gewiß  auch  eine  rasche  Auf- 
zeichnung nach  dem  Leben;  2.  das,  wie  heute  ziemlich  allgemein  angenommen  wird, 
falsch  1496  bezeichnete  reitende  Paar  in  Berlin,  L.  3;  3.  das  schreitende  Paar  in  der 
Hamburger  Kunsthalle;1)  4.  Die  Madonna  mit  Engeln  unter  einem  Zelt,  im  Louvre, 
L.  300,  eine  der  bedeutendsten  und  durchgeführtesten  der  hier  zusammengestellten 
Zeichnungen;  5.  Ritter  zu  Pferd,  London,  Brit.  Mus.,  L.  209;  6.  Enthauptung  eines 
nackten  Jünglings,  Brit.  Mus.  (Abb.  14).2) 

Bei  allen  diesen  Arbeiten  macht  sich  der  Schongauersche  Einfluß  mehr  oder 
weniger  stark  bemerkbar;  sie  tragen  dabei  ein  durchaus  Dürersches  Gepräge.  Eine 
Brücke  zwischen  ihnen  und  den  Baseler  Illustrationen  wird  lediglich  durch  die 
Schongauersche  Kunst  hergestellt.  Gewiß  wird  Dürer  in  Basel  aber  auch  nicht  vor 
der  kecken,  routinierten  Ausdrucksweise  des  Meisters  der  Bergmannschen  Offizin, 
der  ja  einer  der  besten  deutschen  Illustratoren  seiner  Zeit  war,  die  Augen  gänzlich 
verschlossen  haben. 

Wenn  von  Peartree  darauf  hingewiesen  worden  ist,  daß  Eigentümlichkeiten  an  den 
Kostümen  des  Hamburger  schreitenden  Paares  sich  gerade  auch  auf  Werken  dieses  Meisters 
finden,  so  läßt  sich  gegen  die  Tatsache,  daß  Dürer  Baseler  Kostüme  angewendet  hat,  und 
diese  Zeichnung  etwa  in  Basel  entstanden  sei,  ja  gar  nichts  einwenden.  Eine  weiter- 
gehende stilistische  Verwandtschaft  zwischen  ihr  und  den  Baseler  Holzschnittwerken 
als  eine  bei  beiden  evident  sich  ergebende  Abhängigkeit  von  Schongauer  vermag  ich 
nicht  anzuerkennen.  Einen  zeichnerisch  so  geistvoll  behandelten  Kopf,  wie  den  des 
jungen  Mannes  der  Hamburger  Zeichnung,  der  gewiß  mit  Benutzung  von  Dürers 
eigenen  Zügen  gegeben  ist,  dürfte  man  in  den  Baseler  Werken  vergebens  suchen.  Und 

')  Publiziert  von  Peartree  im  Jahrb.  d.  königl.  preuß.  Kunsts.,  1904. 

2)  Durer-Society  V,  4.  Die  von  der  Durer-Society,  III,  3,  4  publizierten  Madonnenstudien  bei 
Mr.  Q.  Mayer,  die  mit  der  Erlanger  Zeichnung  zusammengehen  sollen,  kann  ich  nicht  für  Dürer  halten. 
Sie  sind  auch  schon  von  dem  Herausgeber  nur  mit  Vorbehalt  abgebildet. 


27 


dieselbe  schwungvolle,  echt  Dürersche  Strichführung  zeigt  bei  aller  Unbeholfenheit  die 
hier  abgebildete  Londoner  Enthauptung. 

Gewiß  machen  gerade  die  Hamburger  Zeichnung,  ebenso  wie  das  reitende  Paar, 
die  schreitende  Frau  bei  Bonnat  und  die  Madonnen  in  Erlangen,  in  Berlin  und  im  Louvre 
deutlich,  wie  viel  Dürer  von  Gepflogenheiten  Schongauerscher  Zeichenweise  angenommen 
hat,  und  namentlich  wenn  man  dem  das  frühe  Dokument  der  Bremer  Zeichnung 
entgegenstellt.  Es  zeigt  sich,  wie  er  auch  zunächst  eine  Konturzeichnung  anlegt  und 
für  die  Binnenzeichnung  die  bei  Schongauer  so  beliebten  langen  Striche,  die  in  Häkchen 
oder  Punkte  auslaufen,  verwendet.  Dann  werden  mit  dunklen  Kreuzschraffierungen 
oder  locker  aneinander  gereihten  Häkchen  die  Flächen  durchmodelliert.  Und  man  ver- 
gleiche die  Gewandbehandlung  auf  einer  dieser  Zeichnungen,  etwa  der  schreitenden  Frau 
bei  Bonnat,  mit  der  des  Basler  Hieronymus-Holzschnitts  von  1492,  man  wird  finden, 
die  zeichnerische  Behandlung  ist  im  großen  und  ganzen  dieselbe.  Eins  spricht  für 
das  andere. 

Schongauersche  Nachwirkungen  machen  sich  noch  längere  Zeit  an  Dürers 
Werken  bemerkbar.  Wir  wissen  auch  von  Zeichnungen  Schongauers,  die  er  besessen 
hat,  und  von  denen  eine,  die  er  selbst  handschriftlich  bezeichnet  haben  soll,  in  das 
British  Museum  gelangt  ist.1)  Deutlich  zeigen  seinen  Einfluß  die  frühen  Kupferstiche. 
Unter  ihnen  ist  es  besonders  die  Madonna  mit  der  Heuschrecke  (B.  44),  die  ihrer  Strich- 
führung nach  den  Zeichnungen  der  Wanderschaft  am  nächsten  steht  und  ganz  von 
Schongauer  inspiriert  erscheint.-)  Auf  ihre  enge  Verwandtschaft  mit  den  Madonnen- 
zeichnungen in  Erlangen  und  Berlin  ist  ja  schon  öfter  hingewiesen  worden.  Man 
fühlt  sich  bei  der  (etwas  verworrenen)  Technik  und  Einzelheiten  (z.  B.  dem  Kopf 
Josefs,  vgl.  Lehrs  31)  auch  unbestimmt  an  den  Hausbuch-Meister  erinnert. 

Der  Stich  ist,  wie  ich  glaube,  der  früheste,  den  wir  von  Dürer  besitzen;  denn 
den  ihm  zugeschriebenen  „Gewalttätigen"  (B.  92),  der  eine  primitive  Technik  aufweist, 
vermag  ich  nicht  als  eine  Arbeit  seiner  Hand  anzuerkennen.  Wahrscheinlich  ist  die 
Madonna  noch  während  oder  unmittelbar  nach  der  Wanderschaft  geschaffen. 

Überblickt  man  die  Werke  Dürers,  die  um  die  Zeit  der  Wanderschaft  entstanden 
sein  müssen,  so  tritt  einem  diese  Zeit  als  eine  Periode  unsicheren  Suchens  und  Schwankens 
entgegen.  Es  sind  Äußerungen  eines  kindlichen,  schmiegsamen  Temperamentes,  das 
sich  in  der  gotischen  Formen  weit  einzuleben  sucht,  weit  entfernt  von  jugendlichem 
Ungestüm  und  genialischen  Ausartungen.  Ruhige  Beschaulichkeit  kennzeichnet  diese 
Epoche  von  Dürers  Lebensweg.  Bedeutend,  charakteristisch,  lebensvoll  ist  er  da,  wo 
er  sich  unmittelbar  an  die  Natur  hält  wie  bei  den  Bildnissen.  In  dem  lebendigen 
Organismus  entdeckte  sein  feines  Künstlerauge  einen  Mikrokosmus,  der  eine  lebendige, 
temperamentvolle  Wiedergabe  erheischte;  und  die  Hand  gab  sich  nicht  willenlos  an 
ein  starres  Formenschema  spätgotisch-fränkischer  Stilistik  hin.  Von  dieser  machte  er 
sich  der  Wirklichkeit  gegenüber  bis  zu  einem  gewissen  Grade  los  und  schuf  sich  eine 
eigene  neue  Ausdrucksweise,  die  er  zum  Teil  von  der  unmittelbaren  Anschauung 
ableitete.  In  seihen  Phantasieschöpfungen  lehnte  er  sich  an  Schongauersche  Formideale 
an.    Sie  haben  etwas  Zierhaftes;  und  die  schwellendere  Modulation  Schongauerscher 

x)  Vgl.  Colvin,  Jahrb.  d.  kgl.  preuß.  Kunsts.,  VI  S.  69ff. 

2)  Auch  der  verstorbene  feine  Dürer-Kenner,  S.  R.  Köhler:  A  chronological  Catalogue  of  the 
engravings  .  .  .  of  A.  Durer,  New  York  1897,  S.  XVI,  schreibt  von  dieser  Madonna:  she  Stands  apart 
as  regards  the  design,  in  consequence,  no  doubt  of  the  influence  of  Schongauer  which  is  apparent  in  it. 


28 


Formensprache  trug  über  die  heimische  fränkische  Art,  das  Robuste,  hastig  Gebrochene, 
Abrupte  den  Sieg  davon. 

Wer  in  der  spätgotischen  Stilistik  aufwuchs,  der  fühlte  sich  an  ein  Formen- 
wesen gebunden,  das  auf  die  ganze  Art  künstlerischer  Betätigung  eine  zwingende 
Gewalt  ausübte.  Wie  wurde  die  Malerei  davon  in  Fesseln  geschlagen!  So  lange  der 
Künstler  in  diesem  Formbewußtsein  aufgeht  und  in  ihm  das  A  und  O  seiner  Kunst- 
übung sieht,  wird  er  innerhalb  der  gesteckten  Schranken  Raum  genug  für  seine  Arbeit 
finden.  Tritt  aber  einmal  ein  neues,  anders  geartetes,  mit  dem  alten  nicht  vereinbares 
Formideal  in  den  Bereich  seiner  Phantasie,  findet  Beachtung  und  Anklang  und  regt 
wohl  auch  zum  Nachschaffen  an,  so  kann  es  Momente  geben,  wo  es  zu  einer  Kon- 
kurrenz zwischen  den  beiden  Stilprinzipien  kommt,  wo  der  alte  Formenkram  wie  ein 
Hemmnis  empfunden  wird,  das  den  Weg  zu  neuen  lockenden  Fernen  versperrt.  In 
solchen  Fällen  unterwirft  sich  entweder  das  Neue  das  Alte  gänzlich,  oder  es  bringt 
nur  frische  Elemente  zu,  und  es  wird  dann  die  Bindung  zu  einer  neuen  Einheit 
versucht. 

Auch  für  Dürer  brach  ein  solcher  Konflikt  zwischen  zwei  sich  widerstreitenden 
Formanschauungen  an.  Daher  das  Widerspruchsvolle,  in  sich  nicht  ganz  im  Einklang 
Stehende,  das  man  manchen  seiner  Werke  gegenüber  empfindet.  Einige  muten  wohl 
an,  als  wollte  ihr  Schöpfer  über  sein  eigenes  so  robustes  Wesen  hinausgreifen  und 
sähe  sich  gezwungen  gegen  Widerstände  in  seinem  Inneren  anzukämpfen;  man 
meint  etwas  wie  ein  Sichaufbäumen  gegen  unfaßbare  Gewalten  zu  spüren.  Die  Qual 
eines  solchen  Ringens  scheint  dieser  und  jener  Arbeit  aufgeprägt.  Dürer  blieb  keine 
heitere  Seele. 

Die  neue  Formwelt,  zu  der  er  schon  früh  in  Beziehung  trat,  und  mit  der  er 
sich  dann  öfter  auseinanderzusetzen  hatte,  war  die  italienische  Kunst. 


II. 

Der  junge  Dürer  in  seinen  Beziehungen  zum  italienischen  Quattrocento 

und  zur  Antike. 


n  Italien  und  in  Deutschland  ist  die  Entwicklung  des  geistigen  und  künstlerischen 
Lebens  im  15.  Jahrhundert  eine  zu  verschiedene  gewesen,  als  daß  sich  leicht  Be- 
rührungs-  und  Anknüpfungspunkte  hätten  bieten  können. 


Die  Beziehungen  zwischen  deutscher  und  italienischer  Kunst  sind  sehr  lockere 
und  kommen  für  die  Entwicklung  der  deutschen  Malerei  nach  der  Mitte  des  Jahr- 
hunderts überhaupt  kaum  in  Frage.  Nachdem  sich  diese  von  dem  trecentistischen 
Idealismus  losgemacht  hatte,  lenkte  sie  in  andere  Bahnen  als  die  italienische  und 
wandte  sich,  wenn  sie  Anregungen  bedürftig  war,  der  ihren  eigenen  Tendenzen  ent- 
gegenkommenden, stammverwandten  niederländischen  Kunst  zu.  Wie  das  auch  mit  der 
Nürnbergischen  Malerei,  deren  Geschichte  in  der  vorigen  Studie  kurz  skizziert  wurde, 
der  Fall  war. 

Das  Konstanzer  Konzil,  auf  dem  die  Elite  der  italienischen  und  deutschen 
Geistlichkeit  und  im  Gefolge  der  italienischen,  abgesehen  von  den  humanistischen 
Klerikern,  ein  Kreis  erlesener  weltlicher  Humanisten  vertreten  war,  hatte  auf  geistigem 
Gebiet  eine  tiefer  greifende  Annäherung  zwischen  den  beiden  Ländern  nicht  zustande 
gebracht.  Die  Italiener  lernten  allerdings  das  Land,  auf  das  sie  mit  Hochmut  herab- 
zublicken  gewohnt  waren,  aus  eigener  Anschauung  besser  kennen  und  wußten  ihm 
manche  gute  Seite  abzugewinnen  auch  über  die  Erfolge  hinaus,  die  ihnen  bei  Be- 
friedigung ihrer  Leidenschaft  im  Sammeln  von  Codices  klassischer  Autoren  in  den 
zum  Teil  noch  wenig  durchstöberten  deutschen  Bibliotheken  zuteil  wurden.  Aber  es 
blieb  für  sie  doch  immer  Barbarenland. 

Der  italienische  Humanismus,  dessen  Gelehrsamkeit  sich  dem  Studium  des 
klassischen  Altertums  zuwandte,  setzte  vor  allem  die  intellektuellen  Kräfte  des  Menschen 
in  Tätigkeit.  Neben  einer  scharfen  Dialektik  verlangte  er  von  seinen  Jüngern  eine 
formalistische  Rhetorik,  die  an  den  besten  klassischen  Mustern,  dem  Ciceronianischen 
Latein  gebildet  wurde.  Die  Kritik  wurde  eine  seiner  Hauptaufgaben,  ja  zum  Teil  wohl 
ein  gewisser  Sport,  und  sie  wagte  sich  zuweilen  sogar  an  die  literarischen  Heroen 
und  Vorläufer  des  Humanismus,  indem  sie  das  von  diesen  Geschaffene  mehr  von 
einer  formal-klassizistischen  Seite  beurteilte  und  darüber  gedankliche  Vorzüge  und 


30 


die  rein  künstlerischen  Werte  übersah.  Aber  das  waren  Strömungen,  die  auf  der  Ober- 
fläche blieben. 

Der  Humanismus  bestand  nur  für  gewisse  Kreise.  Er  war  exklusiv.  Mit  dem 
Volke  hatte  und  suchte  er  keine  Fühlung. 

Das  Volk  sog  seine  geistige  Nahrung  aus  anderen  Quellen.  In  seinem  Leben 
spielte  die  Religion  und  alles,  was  damit  zusammenhängt  an  Legenden,  Wunder- 
geschichten, Hymnen  und  Erbauungsbüchern  eine  ganz  andere  Rolle  als  in  dem  der 
mehr  oder  weniger  heidnisch  gesinnten  Humanisten.  Die  großen  trecentistischen 
Dichter,  die  Schöpfer  und  Pfleger  des  Volgare,  hatten  hier  einen  fruchtbaren  Boden 
und  blieben  volkstümlich.  Seine  Unterhaltung  bestritt  man  zum  großen  Teil  auch 
noch  mit  den  alten  romantischen  Sagen,  den  Ritter-  und  Minnegeschichten,  die 
nach  wie  vor  die  cantastorie,  die  Bänkelsänger,  auf  öffentlichen  Plätzen  vortrugen. 
Dazu  kamen  neuere  Novellen,  Balladen  und  Romanzen  von  mehr  oder  weniger 
romantischem  Aufputz. 

Auch  das  klassische  Altertum  lebte  in  der  romantischen  Vermummung,  die 
ihm  das  Mittelalter  gegeben  hatte,  im  Volke  weiter. 

Aber  nicht  aus  den  unteren  Schichten  des  Volkes  allein  tönen  uns  diese 
mittelalterlich-romantischen  Nachklänge  entgegen.  Für  die  ganze  Renaissancekultur  ist 
die  Verschmelzung  romantischer  und  humanistischer  Elemente  bezeichnend.1)  In  besonders 
lebhaften  Farben  tritt  uns  das  an  einzelnen  italienischen  Fürstensitzen  vor  Augen.  Wer 
sich  etwa  in  das  Studium  der  Kultur  des  Estensischen  Hofes  in  Ferrara  vertieft,  der 
wird  überrascht  sein  von  der  Fülle  romantischer  Züge  und  romantischer  Neigungen.-) 
Und  das  ist  das  Bemerkenswerte,  daß  sich  in  solchen  Liebhaberereien  und  Gesinnungen 
die  höchst  Stehenden  und  die  niedrigsten  Kreise  stellenweise  berührten.  Es  gibt  ja 
heute  ebenfalls  noch  gewisse  gleichsam  elementare  Erzeugnisse,  die  für  Hoch  und 
Niedrig  bei  sonst  gänzlich  entgegengesetzten  Interessensphären  eine  Basis  für  gemein- 
same Anschauung,  Genuß  und  Verständigung  bieten,  etwa  Märchen  oder  Volkslied; 
das,  was  abseits  der  Bildung  liegt.  Auch  gewisse  Hervorbringungen  der  bildenden 
Künste.3) 

Der  Humanismus  als  wesentlich  intellektuelle  Kulturerscheinung  darf  gewiß 
nicht  für  sich  allein  die  Ehre  in  Anspruch  nehmen,  in  Italien  die  Entstehung  einer 
künstlerischen  Renaissance  herbeigeführt  zuhaben.  Mag  man  bei  dieser  nun  den 
Ton  auf  die  neue  Versenkung  in  die  Natur  oder  auf  den  Anschluß  an  die  Antike 
legen.  Das  Wesen  der  italienischen  Renaissance,  wenn  man  sie  als  Stilbegriff  faßt, 
liegt  ja  gewiß  in  der  Verbindung  der  beiden  Faktoren. 

Die  bildende  Kunst  schöpft  ihre  Kräfte  aus  anderen  als  geistigen  Quellen. 
Sie  liegen  auf  einem  anderen  Gebiet  als  das  Humanistische.  Ihr  Reich  ist  die  An- 
schauung, das  Sichtbare. 

Wo  keine  intensive  bildmäßige  Anschauung  vorhanden  ist,  da  kommt  keine 
künstlerische  Blüte  zustande.  Ein  Zeitalter  wie  das  Goethes  mit  all  seinen  lebhaften 
Kunstinteressen  hat  Deutschland  keine  starke  bildende  Kunst  zu  bringen  vermocht. 


')  Vgl.  Weisbach,  Francesco  Pesellino  und  die  Romantik  der  Renaissance,  Berlin,  Bruno 
Cassirer,  1902,  Kap.  2. 

')  Vgl.  besonders  Giulio  Bertoni,  La  Biblioteca  Estense  e  la  Coltura  Fcrrarese,  Turin  1903. 
3)  Diese  allerdings  heute  in  weit  geringerem  Maße. 


31 


Humanist  und  Künstler  ist  in  Italien  nur  selten  identisch,  wie  etwa  in  der 
Person  des  Leon  Battista  Alberti.  Und  dessen  künstlerische  Betätigung  ist  augen- 
scheinlich durch  ein  Überwiegen  des  Intellektes  beeinträchtigt  gewesen. 

Wohl  war  den  bahnbrechenden  Künstlern  der  Frührenaissance  zum  Teil  ein 
auf  wissenschaftliche  Exaktheit  hinzielender  Forschungstrieb  eigen,  wodurch  sich 
ihnen  eine  wirklichkeitstreue,  auf  Gesetze  begründete  Darstellungsweise  erschließen 
sollte.  Aber  das  Forschen,  das  in  erster  Linie  ein  praktisch-wissenschaftliches  war, 
blieb  doch  nur  ein  Mittel  zum  Zweck,  und  eins  unter  vielen  Mitteln  zur  Erreichung 
bestimmter  rein  künstlerischer  Ziele. 

Die  Phantasie  der  Künstler,  die  im  wesentlichen  aus  den  Kreisen  des  niederen 
Volkes,  zum  Teil  der  Handwerker,  hervorgingen,  war  mit  dem  gesättigt,  was  im  Volke 
lebendig  war. 

Ihr  Verhältnis  zur  Antike  wurde  mit  dadurch  bestimmt. 

Als  sie  zuerst  das  Bedürfnis  fühlten  mit  dem  klassischen  Altertum  in  Be- 
rührung zu  treten,  da  konnte  ihnen  die  Gelehrsamkeit  der  Humanisten  nur  wenig 
helfen.  Das  wurde  von  ihrer  Seite  zunächst  praktisch  angegriffen.  Und  es  ist  etwas 
gänzlich  anderes,  ob  man  antike  Gebäudeteile  nachmißt  und  zeichnet,  Gewölbe- 
konstruktionen studiert  und  Ornamente  kopiert  oder  mit  Plinius  auf  vertrautem 
Fuße  steht.  Die  Künstler  haben  sich  ihre  Renaissance  selbständig  geschaffen,  und 
das  wäre  vielleicht  anch  ohne  literarischen  Humanismus  gekommen;  wie  sich  schon 
in  der  sogenannten  Protorenaissance  des  elften  und  zwölften  Jahrhunderts  allein  aus 
künstlerischen  Bedürfnissen  heraus  ein  engerer  Anschluß  an  das  klassische  Altertum 
auf  dem  Gebiete  der  Architektur  und  Plastik  vollzogen  hatte.  Die  bildende  Kunst 
des  Quattrocento  war  von  sich  aus  vorbereitet  für  eine  Wiedererweckung  des  Alter- 
tums. Was  bedeutete  es  daneben,  daß  der  Humanismus  etwa  die  Rolle  eines  Weg- 
weisers zur  Antike  für  die  Künste  spielte.  Das  kommt  dabei  kaum  in  Betracht. 
Ein  Jahrhundert  ungefähr  hatte  er  schon  gewirkt,  bis  ein  Moment  kam,  wo  die 
Kunst  das  Altertum  brauchte.  Und  das,  was  diese  der  Antike  entnahm,  bezog  sich 
zunächst  nur  auf  Einzelheiten,  die  auf  dem  Gebiete  des  Ornamentalen  und  Archi- 
tektonischen im  weitesten  Sinne  eine  Rolle  spielten.  Das  Wesentliche  für  Malerei 
und  Plastik  wurde  jener  in  der  christlichen  Kunst  noch  nicht  dagewesene  Sinn  für 
Natur  und  Wirklichkeit,  woraus  alle  neuen  Kräfte  geschöpft  wurden.  Das  Figürliche 
der  Antike  bildete  anfangs  in  erster  Linie  nur  den  Maßstab  für  die  Beurteilung  der 
Natürlichkeit;  sie  galt  als  Wertmesser.  Aber  sie  wurde  nicht  unselbständig  nach- 
geahmt, ja  in  ihren  künstlerischen  Tendenzen  noch  nicht  einmal  ganz  verstanden. 
Deshalb  wurde  der  Charakter  der  Kunst  auch  kein  humanistisch-klassizistischer. 

Und  wie  verhielt  sich  die  Malerei  dieser  Epoche,  wenn  sie  antike  Stoffe  zu 
behandeln  hatte,  Episoden  aus  der  Sage  und  der  Geschichte  jener  Völker,  deren 
Kunst  und  Kultur  ihr  als  leuchtende  Sonne  vorschwebte,  Szenen,  die  viel  verlangt 
und  begehrt  wurden?  Die  Humanisten  vermochten  sie  wohl  dazu  anzuregen,  was  sie 
darstellen  sollte,  aber  wie  sie  es  machen  sollte,  das  mußte  ihr  überlassen  bleiben. 
Da  bemerken  wir  nun,  daß  zunächst  die  antiken  Sagen  oder  Szenen  aus  der  alten  Ge- 
schichte zum  Teil  ganz  im  höfisch -romantischen  Sinne  dargestellt  werden.1)  Sie 


l)  Dies  und  das  Folgende  bezieht  sich  vornehmlich  auf  die  Malereien  der  Cassoni  und  Hand- 
schriften, wo  man  die  Entwicklung  besonders  deutlich  verfolgen  kann. 


32 


wurden  wie  abenteuerliche  Begebenheiten  aufgefaßt  und  etwa  auf  die  gleiche  Stufe  gestellt 
wie  die  Novellen,  die  Rittergeschichten  und  die  alten  bretonischen  Sagen.  Höfischen 
Prunk  und  Pomp  breitete  man  über  solche  sagenhaften  Szenen  aus  und  bediente  sich 
der  neuen  Errungenschaften  der  Kunst,  um  dem  möglichst  greifbare  Wirklichkeit  zu 
verleihen.  Auch  wo  die  Darstellung  scheinbar  nur  wie  ein  Vorgang  aus  dem  Leben 
der  Zeit  in  moderner  Kostümierung  auftritt,  spielt  oft  eine  poetische  Romantisierung 
mit  hinein.  Von  einer  Wiedergabe  in  antikem  Sinn  oder  nach  antiken  Mustern  ist 
anfangs  nicht  die  Rede.  Mit  dem  Fortschreiten  des  Quattrocento  steigerte  sich  dann 
das  Eindringen  antiker  Elemente.  Hatte  man  zuerst  bei  Wiedergabe  von  antiken  Sagen 
und  Geschichten  hauptsächlich  für  das  Abenteuerliche,  Märchenhafte  der  Vorgänge 
Sinn  gehabt  ohne  besondere  Berücksichtigung  von  spezifisch  antikem  Beiwerk,  so 
suchte  man  nach  der  Mitte  des  Jahrhunderts  solche  Szenen  „antikischer"  auszugestalten. 
Man  bemühte  sich  ein  ideales  antikes  Lokalkolorit  zu  schaffen  —  so  wie  man  es 
verstand.  Antike  Triumphbögen  oder  Tempel  ahmte  man,  zum  Teil  allerdings  in  recht 
phantastischer  Weise,  nach.  Ruinen,  die  sich  aus  Trümmern  von  Triumphbögen,  antiken 
Kapitalen  und  Säulen  zusammensetzten,  waren  als  Szenerie  beliebt.  Die  Ruinen- 
sentimentalität, von  der  Jacob  Burckhardt  gesprochen  hat,  kommt  auf.  Im  Figürlichen 
lehnte  man  sich  nur  in  seltenen  Fällen  an  die  Antike  an,  und  dann,  wie  schon  an- 
gedeutet wurde,  ohne  eigentliches  Durchdringen  ihres  künstlerischen  Organismus. 
Aber  das  Nackte  wurde  in  die  Herrschaft  eingesetzt,  die  es  im  Altertum  gehabt  hatte. 

Mit  dem  formalen  Ideal  der  klassischen  Kunst  vermochte  man  im  Quattrocento 
auch  den  antiken  Stoffen  gegenüber  ebensowenig  wie  sonst  etwas  anzufangen.  Die 
Künstler,  und  besonders  die  Maler  hatten  ja  überhaupt  noch  keine  klare  Vorstellung 
von  der  Antike.  Sie  erschien  vielmehr  als  ein  Ziel  der  Sehnsucht,  verklärt  in  einer 
schönen  Ferne,  von  einem  romantischen  Schimmer  umkleidet.  Und  was  man  nicht 
klar  sah,  dem  suchte  man  durch  eine  aus  den  verschiedensten  Quellen  schöpfende 
Phantastik  beizukommen.  Dabei  wirkte  zum  Teil  eine  gesteigerte  subjektive  Senti- 
mentalität und  elegische  Stimmung  mit,  wie  das  bei  Werken  Botticellis  oder  dem 
Berliner  Panbilde  Signorellis,1)  hier  und  da  auch  bei  Mantegna  zum  Ausdruck  kommt. 
Eine  Romantisierung  des  Altertums  tritt  zutage.2)  In  welcher  Weise  sich  das  auch  in 
der  Literatur  bemerkbar  macht,  kann  hier  nicht  berührt  werden.  Man  nimmt  allgemein 
eine  Richtung  wahr,  die  man  als  klassische  Romantik  bezeichnen  darf. 

In  Deutschland  bringt  das  15.  Jahrhundert  einen  rapiden  Verfall  der  gesamten 
höfisch -romantischen  Kultur.  Nicht  wie  in  Italien  blühten  Bestandteile  dieser  Kultur 
lebenskräftig  weiter  und  amalgamierten  sich  einer  neuen  Zeit.  Der  Geschmack  ver- 
änderte sich  durch  das  Aufkommen  und  Hervortreten  anderer  Kreise  zu  sehr,  als  daß 
man  noch  an  der  höfischen  Literatur  der  mittelalterlichen  Sagen,  der  Ritter-  und 
Minnedichtungen  in  den  alten  Einkleidungen  Gefallen  fand.  Der  Adel,  das  Rittertum 
entfremdete  sich  der  feineren  Kultur  und  saß  raub-  und  rauflustig  auf  seinen  Burgen. 
Die  neue  Kultur  hatte  die  Städte  als  Zentrum  und  wurde  eine  ausgesprochen  bürger- 
liche.   Es  soll  nicht  etwa  behauptet  werden,  daß  alle  Elemente  mittelalterlich -roman- 

')  Vgl.  darüber  besonders  Robert  Vischers  Signorelli.    S.  131,  138,  241. 

'-)  Anton  Springer,  Dürer  S.  107,  bemerkte  einmal  [gewiß  etwas  einseitig):  „Die  Romantik  der 
italienischen  Renaissance  geht  auf  die  Antike  zurück."  —  Die  Romantik  der  Renaissance  besteht  aus 
antikisierenden  und  mittelalterlichen  und  modernen  Elementen.  Hier  müssen  diese  kurzen  Andeutungen 
genügen.    An  anderer  Stelle  gedenke  ich  die  Frage  ausführlicher  zu  behandeln. 


33 


tischer  Kultur  plötzlich  verschwunden  wären.  Ein  Fortleben  läßt  sich  in  der  Literatur 
wie  in  der  bildenden  Kunst  verfolgen,  aber  nur  spärlich  und  bei  weitem  nicht  in  dem 
Maße  und  Umfange  wie  in  Italien,  und  mannigfachen  durchgreifenden  Modifikationen 
ausgesetzt.  In  Niederdeutschland  und  in  den  Gegenden  am  Rhein  bis  zu  seinem 
Oberlauf  erhalten  sie  sich  intensiver  als  etwa  in  Franken. 

Maßgebend  für  den  Geschmack  in  Deutschland  im  15.  Jahrhundert  ist  das 
bürgerlich-städtische  Element.  Es  war  dem  Poetisch-Phantastischen  abgeneigt  und  be- 
kannte sich  zu  einem  ziemlich  platten  Rationalismus.  In  der  populären  Literatur  fanden 
die  groben,  unflätigen  Schwänke  und  Fastnachtspiele,  Sprüche,  Sinngedichte  die 
weiteste  Verbreitung.  Eine  Handwerkerpoesie  bildete  sich  heraus.  Und  wo  etwa  alte 
höfisch -ritterliche  Stoffe  neu  bearbeitet  wurden,  wie  das  in  der  Erzählungsliteratur 
zumeist  der  Fall  war,  da  wurden  sie  verroht  und  verkümmert,  in  eine  niedrige  bürger- 
liche, ja  spießbürgerliche  Sphäre  hinabgezogen. 

Als  neues  Element  kam  in  die  deutsche  Kultur  des  15.  Jahrhunderts  der 
Humanismus  von  Italien  herüber.  Er  wurde  eingesogen  und  importiert  von  Deutschen, 
die  in  Italien  ihre  Studien  absolvierten. 

In  Dürers  Heimatstadt  Nürnberg  drang  er  erst  verhältnismäßig  spät  ein;  weit 
später  als  etwa  in  Augsburg,  wo  schon  in  den  fünfziger  Jahren  ein  humanistischer 
Kreis  bestand,  die  Stadtverwaltung  dem  Humanismus  zugänglich  war,  und  ihr  Bürger- 
meister Sigismund  Gossenbrot  an  der  Spitze  dieser  Bestrebungen  stand,  und  wo  sich 
auch  der  bischöfliche  Hof  dem  Humanismus  zuneigte.  In  Nürnberg,  das,  im  Gegensatz 
zu  Augsburg  mit  seiner  demokratisch -zünftischen  Verfassung,  eine  patrizische  Ver- 
waltung der  alten  Geschlechter  hatte,  von  der  die  Zünfte  nahezu  ausgeschlossen 
waren,  bestand  ein  heftiger  Widerwille  gegen  die  modernen  humanistischen  Be- 
strebungen. Das  ging  so  weit,  daß  ein  Gesetz  bestand,  welches  jeden,  der  den 
Doktorhut  erlangt  hatte,  vom  Rat  ausschloß.  Der  sächsische  Humanist  Schneevogel 
(Niavis)  konnte  von  Nürnberg  als  der  Stadt  der  Krämer,  die  die  Studien  verachten, 
sprechen.1)  Wie  wenig  festen  Fuß  in  den  siebziger  und  achtziger  Jahren  der  Huma- 
nismus faßte,  geht  auch  daraus  hervor,  daß  innerhalb  dieser  Zeit  aus  den  Nürnberger 
Druckeroffizinen  im  ganzen  nur  zwei  moderne  humanistische  Werke  hervorgingen.-) 

Erst  am  Ende  der  achtziger  Jahre  bildete  sich  allen  Widerständen  zum  Trotz 
ein  eigentlicher  humanistischer  Kreis  heraus,  zu  dem  Männer  wie  Hans  und  Sixtus 
Tucher,  Sebald  Schreyer,  Hartmann  Schedel  gehörten.  Der  Klerus  war  im  allgemeinen 
in  Nürnberg  dem  Humanismus  abgeneigt.  Aber  der  Lesemeister  bei  den  Minoriten 
und  Prediger  am  Frauenkloster  der  hl.  Klara,  Stephan  Fridolin  aus  dem  Städtchen 
Winnenden  in  Schwaben,  hatte  humanistische  Anwandlungen.  Er  schenkte  im 
Jahre  1486  dem  Nürnberger  Rat  —  wohl  durch  Vermittlung  Hans  Tuchers  —  eine 
Sammlung  antiker  Münzen,  die  er  von  einem  Mainzer  Geistlichen  bekommen  hatte, 
und  die  dann  in  der  Stadtbibliothek  in  einem  Kasten  aufgehängt  wurde.  Tucher  ließ 
diese  Münzen  durch  den  alten  Dürer  vergolden  und  versilbern,  und  damals  mag  der 
junge  Albrecht  den  ersten  Eindruck  vom  klassischen  Altertum  empfangen  haben. 

Die  eigentliche  Weihe  für  den  Humanismus  erhielt  die  Stadt  Nürnberg  durch 
ihre  Beziehungen  zu  Conrad  Celtes,  der  lange  und  gern  in  ihren  Mauern  weilte  und 


Max  Herrmann,  Die  Rezeption  des  Humanismus  in  Nürnberg',  S.  58. 
-)  Herrmann  a.  a.  O.  S.  47.    Auch  für  das  Folgende. 


3 


34 


auch  auf  der  Nürnberger  Burg  aus  der  Hand  Kaiser  Friedrichs  III.  den  Dichterlorbeer 
empfing,  den  ersten,  der  an  einen  Deutschen  verliehen  wurde.  Nach  der  Rückkehr 
Wilibald  Pirckheimers  aus  Italien  von  der  Universität  im  Jahre  1495,  des  engsten 
Freundes  Albrecht  Dürers,  hatte  die  Stadt  dann  einen  Patrizier,  der  ein  begeisterter 
Humanist  und  bedeutender  Mensch  war  und,  da  er  wohlweislich  auf  die  Erlangung 
des  Doktorhuts  verzichtet  hatte,  die  Interessen  des  Humanismus  auch  in  der  Verwaltung 
als  Ratsherr  zu  vertreten  vermochte. 

War  durch  den  Humanismus  Italien  und  das  klassische  Altertum  auch  in  den 
Gesichtskreis  der  Gelehrten  gerückt,  so  hatte  das  auf  die  bildende  Kunst  zunächst 
gar  keinen  rückwirkenden  Einfluß.  Ihre  Beziehungen  zu  der  modernen  italienischen 
Kunst  waren  geringfügig  und  beschränkten  sich  im  ganzen  darauf,  daß  sie  italienische 
Vorbilder,  die  aus  irgend  einem  Grunde  stoffliches  Interesse  hatten,  mehr  oder  weniger 
sklavisch  kopierte  und  zwar  in  durchaus  roher  und  handwerklicher  Weise,  ohne  das 
geringste  Gefühl  für  den  ganz  anders  gearteten  südlichen  Formenrhythmus. 

Solcher  Kopieen  sind  bis  jetzt  sehr  wenige  nachgewiesen  worden,  und  es 
werden  wohl  kaum  viele  existiert  haben.1)  Von  der  Art  der  deutschen  Vergröbe- 
rung in  einem  durchschnittlichen  Fall  gibt  ein  anschauliches  Beispiel  die  Gegenüber- 
stellung von  Abbildungen  des  italienischen  Stiches  der  Muse  Clio  aus  dem  bekannten 
Tarockspiel  und  eines  danach  kopierten  Wolgemutschen  Holzschnittes  im  Jahrbuch 
der  kgl.  preuß.  Kunstsammlungen  XVI,  S.  237.  Auch  unter  den  Illustrationen  Wol- 
gemuts  in  der  Schedeischen  Chronik  findet  sich  eine  Kopie  nach  einem  italienischen 
Kunstwerk:  das  Bildnis  Johannes  VII.  Palaeologus  fol.  CCLVI  nach  der  Medaille  Vittore 
Pisanos.  Es  lag  ganz  außerhalb  des  Bereichs  eines  deutschen  Meisters,  eine  italienische 
Arbeit  in  ihrem  Stil  nur  der  Hauptsache  nach  zu  treffen.  Dergleichen  wurde  auch  gar 
nicht  prätendiert.  Es  handelt  sich  nur  um  grobe  stoffliche  Interessen;  und  man  war 
es  zufrieden,  wenn  diese  einigermaßen  befriedigt  wurden. 

Zu  der  Antike  hatte  die  deutsche  Kunst  des  15.  Jahrhunderts  natürlich  ebenso 
wenig  ein  Verhältnis  wie  zu  der  neuen  italienischen  Kunst. 

Im  Mittelalter  wurden  antike  Stoffe  auch  in  Deutschland  romantisiert;  und  die 
Malerei,  wenn  sie  sie  illustrierte,  gab  ihnen  ein  ritterlich -höfisches  Milieu.  Das  ist  im 
15.  Jahrhundert  nahezu  vorbei.  Zu  den  wenigen  Beispielen,  wo  uns  eine  mytholo- 
gische Szene  in  höfisch-romantischer  Aufmachung  begegnet,  gehört  das  Parisurteil  in 
dem  Stich  des  Meisters  mit  den  Bandrollen  (P.  II,  24,  44)  und  des  Meisters  des  hl. 
Erasmus  (P.  II,  23,  43);  und  hier  ist  eine  Anlehnung  an  ein  italienisches  Original  sehr 
wahrscheinlich  gemacht.-)  Mit  welcher  bäurischen  Roheit  ist  dabei  zu  Werke  ge- 
gangen! Das  künstlerische  Niveau  ist  das  denkbar  niedrigste.  Man  kann  kaum  noch 
von  Kunst,  nur  von  handwerklicher  Routine  der  Bildfabrikation  sprechen.  Erstarrte 
Schemen  werden  von  dem  Bilddrucker  als  Menschen  hingestellt. 

Von  den  Illustratoren  werden  im  allgemeinen  antike  Stoffe,  wenn  sie  ihnen 
vorkamen,  in  dieselbe  bürgerliche  Sphäre  gerückt  wie  alle  anderen  Vorgänge.  Von 
einem  antiken  Kostüm  ist  natürlich  nirgends  im  entfernten  die  Rede.  Alles  wird  mit 
einer  trockenen  Nüchternheit  vorgetragen,  aus  einer  spießbürgerlichen  Atmosphäre 
heraus.  Man  glaubt  sich  überall  in  den  Kreisen  zu  bewegen,  denen  diese  Illustratoren, 
Kupferstecher,  Maler,  Karten-  und  Heiligendrucker  selbst  angehören. 

1)  Vgl.  Lehrs,  Archivio  stor.  dell'Arte  1893,  S.  102  ff. 

2)  Lehrs  a.  a.  O.  S.  104. 


35 


So  werden  die  Komödien  des  Terenz  oder  die  Fabeln  des  Aesop  ganz  ins 
Kleinbürgerliche  gerückt.  Oder  man  sehe,  wie  der  Augsburger  Illustrator  der  Historie 
von  Troja  des  Guido  de  Columna  mit  seinem  Stoff  umspringt:  Paris  ein  guter  deutscher 
Landbauer,  Achilles  ein  besserer  Städter  in  kurzem  Rock  und  Schnabelschuhen.1)  Was 
ist  alles  aus  den  antiken  Heroinen  in  Boccacios  Liber  de  claris  mulieribus  gemacht 
worden!  Wie  wird  in  des  gelehrten  Hartmann  Schedel  1493  erschienener  Weltchronik 
noch  eine  Szene  wie  die  Begegnung  von  Odysseus  und  Circe  illustriert:  Odysseus 
als  braver  Alter  mit  Talar  und  Kappe  wie  ein  Doktor  in  seinem  Schiffe  sitzend,  Circe 
als  modisch  gekleidete  Dame  am  Lande  paradierend. 

Da  ist  nirgends  ein  Hauch  von  Phantasie  zu  verspüren.  Keine  romantische 
Ausdeutung  des  Stoffes.  Und  eine  humanistische  Auffassung  macht  sich  an  keiner 
Stelle  bemerkbar. 

Der  Humanismus  hat  auf  die  Entstehung  einer  künstlerischen  Renaissance 
keinen  Einfluß  geübt.  Er  hat  weder  das  Verhältnis  der  Kunst  antiken  Stoffen  gegen- 
über geändert,  noch  das  formale  Niveau  im  Sinne  einer  Renaissance  zu  heben  ge- 
sucht. Man  wird  das  getrost  behaupten  dürfen,  wenn  man  sieht,  daß  ein  Hartmann 
Schedel  bei  den  unter  seinen  Augen  hergestellten  Illustrationen  zu  seiner  Weltchronik 
eine  Darstellung  wie  die  von  Odysseus  und  Circe  gutheißen  konnte.  Und  ebenso 
wenig  lassen  sich  irgendwo  anders  in  der  Buchillustration  oder  auf  anderen  Gebieten 
humanistisch-künstlerische  Einflüsse  nachweisen,  weder  da,  wo  Sebastian  Brant,  noch 
da,  wo  Conrad  Celtes  die  Hand  im  Spiele  hatte.  Man  halte  nicht  die  Erschließung 
des  literarisch-humanistischen  Stoffgebietes  entgegen.  Das  hat  an  sich,  wie  wir  sahen, 
für  die  bildende  Kunst  als  solche  in  Deutschland  ebensowenig  zu  bedeuten  wie  in 
Italien.  Wir  hören  ja  wohl,  daß  sich  der  Nürnberger  Humanist  Sebald  Schreyer  seine 
Zimmer  mit  Darstellungen  von  Amphion,  Orpheus,  Apollo,  den  sieben  Weisen  und 
den  neun  Musen  schmücken  und  Celtessche  Verse  darunter  setzen  ließ.-)  Aber  was 
will  das  heißen!  Wenn  die  Musen  in  echt  Nürnbergischer  Wolgemutscher  Manier 
künstlerisch  versinnbildlicht  waren,  so  hätte  man  sie  gewiß  ebenso  gut  für  Nürn- 
berger Dienstmägde  ansehen  können,  falls  man  nicht  durch  Schrift  oder  Wort  eines 
Besseren  belehrt  wäre.  Und  der  biedere  Nürnberger  Humanist  hätte  sich  wohl 
auch  damit  begnügt,  zufrieden,  seine  geliebten  Musen  schwarz  auf  weiß  zu  sehen,  in 
welcher  Gestalt  auch  immer.  Eine  andersgeartete  künstlerische  Kultur  als  die 
ortsübliche  darf  man  bei  den  Humanisten  nicht  voraussetzen,  auch  wenn  sie  in  Italien 
gewesen  sein  mögen.  Ein  bloßer  Aufenthalt  in  Italien  ist  noch  nicht  imstande  eine 
solche  hervorzurufen.  Dazu  bedarf  es  einer  besonderen  Veranlagung,  einer  formalen 
Phantasie.  Und  daß  irgend  einer  von  ihnen  eine  neue  Formanschauung  aus  dem 
Süden  mitgebracht  und  nach  der  Richtung  daheim  gewirkt  habe,  dafür  haben  wir  keine 
Beweise. 

Die  deutsche  Kunst  verdankt  ihre  Renaissance  allein  den  Künstlern.  Aus 
formalen  Bedürfnissen  heraus  ist  sie  erwachsen,  ähnlich  wie  hundert  Jahre  früher  in 
Italien.  Unter  deutscher  Renaissance  aber  ist  hier  die  Stilperiode  verstanden,  bei  der 
zu  der  neuen  realistischen  Kunst  des  15.  Jahrhunderts  eine  Rezeption  der  italienischen 
und  damit  indirekt  der  Kunst  des  Altertums  hinzutritt.  Durch  die  Verschmelzung 
dieser  beiden  Elemente  entsteht  ein  neuer  Stil. 

Abbild,  bei  Muther,  Deutsche  Blichillustration,  Taf.  4 — 5. 
*)  B.  Hartmann,  Conrad  Celtes  in  Nürnberg.    Nürnberg  1889,  S.  25. 

3* 


36 


Einen  entscheidenden  Schritt  für  die  Anbahnung  neuer  Beziehungen  zwischen 
der  germanischen  und  romanischen  Kunst  und  demnach  für  das  Aufkommen  der 
Renaissance  hat  ein  Künstler  getan:  Albrecht  Dürer.  Ob  der  Humanismus  dabei 
eine  vermittelnde  Rolle  spielte,  ist  für  das  Künstlerische  nebensächlich.  Hartmann 
Schedel  mag  dem  jungen  Dürer  ebensogut  seine  italienischen  Kunstblätter  gezeigt 
haben  wie  Michael  Wolgemut  oder  einem  anderen  Landsmann.  Aber  der  eine  und 
einzige  reagierte  darauf  künstlerisch,  für  die  anderen  waren  sie  höchstens  Kuriosa. 

Wir  besitzen  aus  dem  Jahre  1494  eine  Zeichnung  von  Dürer,  die  Kopie  nach  dem 
italienischen  Stich:  „Der  Tod  des  Orpheus"  (Hamburg,  L.  159),  die  ein  italienisches 
Original  in  einer  Weise  reproduziert,  wie  es  vorher  noch  nie  geschehen  war.  Dürer 
hat  die  ziemlich  minderwertige  Vorlage  bis  auf  die  Landschaft  und  die  Laute,  die  er 
in  eine  Harfe  verwandelt  hat,  stofflich  ganz  getreu  kopiert,  nur  mit  sehr  bezeichnenden 
Veränderungen  in  der  Formgebung.  In  seiner  Zeichnung  tritt  deutlich  das  Bestreben 
hervor  sich  über  jedes  Motiv  klar  zu  werden,  die  einzelnen  Körperfunktionen  der 
Figuren  künstlerisch  besser  zu  fundieren  als  es  bei  dem  italienischen  Stich  der  Fall 
ist.  Das  macht  sich  besonders  bei  dem  Orpheus  selbst  bemerkbar,  dessen  schwäch- 
liche Stellung  einer  realistischeren  Wirkung  zu  Liebe  umgebildet  ist,  indem  er  das 
linke  Bein  stärker  anzieht,  so  daß  durch  das  Aufstemmen  des  Kniees  der  Körper  mehr 
Halt  bekommt.  Auch  sonst  hat  er  noch  Einzelheiten,  wie  leicht  zu  sehen  ist,  umgearbeitet 
und  die  Landschaft  gänzlich  neu  gestaltet.  Auf  Reproduzierung  einer  italienischen 
Landschaftsdarstellung  hat  er  sich  niemals  eingelassen.  Er  scheint  sich  davon  ganz 
bewußt  fern  gehalten  zu  haben.  Die  Wiedergabe  der  weiblichen  Gestalten,  deren 
Kostüm  bis  ins  kleinste  getreu  nachgeahmt  ist,  läßt  den  Wunsch  des  Künstlers  heraus- 
fühlen den  Schwung  und  die  Leichtigkeit  der  Bewegungen  zu  treffen,  das  Schwebende 
und  Schwellende  in  der  Haltung  der  Körper  und  dem  Fluß  der  Gewänder,  kurz  den 
Rhythmus  der  Formensprache  sich  zu  eigen  zu  machen.  Dabei  hat  er  im  einzelnen 
alles  in  seine  Zeichenweise  umstilisiert,  wie  sich  am  besten  an  der  Art  der  Falten- 
drapierungen erkennen  läßt. 

Hier  tritt  ein  Künstler  seinem  Vorbild  souverän  gegenüber.  Gewiß  hatte  ihn 
zunächst  wohl  das  Stoffliche  gelockt.  Aber  Hand  in  Hand  damit  geht  wie  bei  jedem 
echten  Künstler  das  Formale.  Auch  in  dieses  sucht  er  sich  hineinzuleben.  Es  entsteht 
ein  neues  Kunstwerk,  das  das  Gepräge  seines  Stils  trägt. 

Die  Orpheus-Zeichnung  ist  nur  ein  Stück  aus  einer  Reihe  von  Zeugnissen, 
die  für  Beziehungen  Dürers  zu  Italien  und  seiner  Kunst  vorhanden  sind.  Diese 
Zeugnisse  sind  derart  und  weisen  in  eine  Richtung,  daß  man  dazu  kam,  eine  Reise 
nach  dem  Süden  im  Laufe  der  neunziger  Jahre  anzunehmen.  Eine  solche  vor  der 
Reise  nach  Venedig  in  den  Jahren  1505  bis  1507  ist  bis  in  die  letzte  Zeit  von  einem 
Teil  der  Dürerforscher  stark  behauptet,  von  einem  anderen  ebenso  intensiv  geleugnet 
worden.  Mir  scheint  die  erste  italienische  Reise,  bewiesen  durch  eine  unlösliche 
Kette  von  künstlerischen  und  literarischen  Zeugnissen,  zu  einer  Tatsache  erhoben, 
mit  der  zu  rechnen  ist. 

Die  literarischen  Zeugnisse  seien  zunächst  kurz  in  Erinnerung  gerufen:  Einmal 
die  bekannte  Stelle  in  Scheurls  libellus  de  laudibus  Germaniae,  wo  dieser,  als  er  die 
venezianische  Reise  vom  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  erwähnt,  schreibt:  cum  nuper 
in  Italiam  rediisset;  eine  Wendung,  aus  der  eine  Anspielung  auf  eine  vorhergehende 


37 


Reise  herausgelesen  worden  ist,  was  Ephrussi  und  Daniel  Burckhardt1)  nicht  gerade 
glücklich  zurückzuweisen  versucht  haben.  Dann  der  bis  zum  Überdruß  kommentierte 
Passus  in  Dürers  venezianischem  Brief  an  Pirckheimer  vom  7.  Februar  1506:  „Und 
das  Ding,  das  mir  vor  eilf  Johren  so  wol  hat  gefallen,  das  gefällt  mir  itz  nüt  mehr" 
—  gedeutet  als  etwas,  was  er  vor  elf  Jahren  in  Italien  gesehen  hat.  Diese  Bemerkung 
ist  auch  für  Vermutungen  über  das  viel  umstrittene  Verhältnis  Dürers  zu  dem  Venezianer 
Jacopo  de'  Barbari  ausgenutzt  worden,  worauf  später  noch  zurückzukommen  sein  wird. 

Als  Beweisgründe,  daß  Dürer  in  den  neunziger  Jahren  in  Venedig  gewesen 
sei,  sind  dann  zwei  Zeichnungen  hingestellt  worden.  Zu  der  reich  kostümierten  Frau, 
die  später  in  der  Apokalypse  als  babylonische  Dirne  Verwendung  fand,  auf  einem 
1495  datierten  Blatt  der  Albertina  hat  offenbar  eine  Venezianerin  Modell .  gestanden. 
Und  auf  der  undatierten,  aber  zweifellos  in  den  neunziger  Jahren  entstandenen  Zeichnung 
zweier  Frauen  im  Städelschen  Institut,  von  denen  die  eine  eine  Nürnberger  Bürgerin 
darstellt,  erinnert  das  Kostüm  der  anderen  lebhaft  an  die  damalige  Tracht  vornehmer 
Venezianerinnen.  2)  Die  Tiroler  Landschaftsstudien,  von  denen  im  folgenden  Abschnitt 
ausführlicher  die  Rede  sein  wird,  können  auch  als  Beweis  für  einen  frühen  Zug 
über  die  Alpen  dienen. 

Bezieht  man  jenen  Passus  in  dem  Pirckheimer-Brief  auf  einen  früher  in  Italien 
empfangenen  Eindruck,  die  einzige,  wie  mir  scheint,  ungesuchte  Auslegung,  und  nimmt 
man  die  Datumangabe  dafür  wörtlich,  so  würde  man  für  eine  erste  italienische  Reise 
auf  das  Jahr  1495  kommen.  Und  will  man  die  nach  italienischen  Vorlagen  herge- 
stellten, 1494  datierten  Zeichnungen,  den  Orpheus  und  andere,  auf  die  ich  gleich  zu 
sprechen  kommen  werde,  auch  im  Süden  entstanden  denken  (was  ja  an  sich  durchaus 
nicht  notwendig  ist),  so  hätte  man  sich  vorzustellen,  daß  Dürer  etwa  im  Herbst  1494 
über  die  Alpen  gezogen  und  im  Laufe  des  Jahres  1495  zurückgekehrt  wäre.  Die 
Thausingsche  Annahme,  daß  die  erste  italienische  Reise  am  Ende  der  Wanderschaft 
vor  der  Verheiratung  stattgefunden  habe,  ist  von  denen,  die  für  diese  Reise  eintreten, 
zugunsten  des  neuen  Termins  ziemlich  allgemein  aufgegeben  worden. 

Wenn  diesem  Zeitpunkt  gegenüber  geltend  gemacht  wird,  Dürer  könne  nicht 
sobald  nach  seiner  Verheiratung,  die  am  7.  Juli  1494  stattfand,  seine  junge  Frau  ver- 
lassen haben,  so  ist  eine  solche  Auffassung  bei  den  damaligen  Verhältnissen  in 
Deutschland  wohl  etwas  zu  sentimental.  Die  Eheschließung  war  nicht  zum  geringsten 
ein  Geschäft,  für  das  ein  günstiger  Moment  und  die  günstigsten  Bedingungen 
hauptsächlich  maßgebend  waren.  Sie  spielte,  abgesehen  von  allem  anderen,  eine 
wichtige  Rolle  für  die  Schaffung  einer  bürgerlichen  und  handwerklichen  Existenz. 
Besonders  kam  das  auch  bei  der  Bewerbung  um  den  Meisterbrief  in  Frage.  Wir 
hören  z.  B.,  daß  im  Jahre  1478  in  Nürnberg  ein  Goldschmied  abgelehnt  wurde, 
„unbeweibt  Meister  zu  werden".  ')  Aus  Dürers  eigenen  Worten  in  der  Familienchronik 
tritt  dieser  geschäftliche  Charakter  der  Eheschließung  deutlich  genug  hervor,  wenn 
er  schreibt:  „Und  als  ich  wieder  anheims  kommen  was,  handelt  Hanns  Frei  mit 
meinem  Vater  und  gab  mir  seine  Tochter  mit  Namen  Jungfrau  Agnes,  und  gab  mir 
zu  ihr  200  fl.« 


*)  A.  Dürers  Aufenthalt  in  Basel  S.  36. 

a)  Vgl.  G.  v.  Terey,  Dürers  Aufenthalt  in  Venedig. 

3)  Hampe,  Nürnberger  Ratsverlässe  S.  21. 


38 


Bedenken,  die  sich  aus  einer  vor  kurzem  herangezogenen  urkundlichen  Notiz 
gegen  eine  italienische  Reise  in  den  Jahren  1494 — 95  ergeben  sollen,  scheinen  mir 
gleichfalls  hinfällig  zu  sein.  Aus  einer  Zahlung,  die  unter  dem  Datum  1494  95 
von  seiten  des  Kurfürsten  Friedrich  des  Weisen  an  einen  „Albrecht  maier  von  der 
ussladung  tzu  malen"  geleistet  wird,  schließt  Robert  Bruck,1)  daß  Dürer  zu  dieser  Zeit 
für  den  Kurfürsten  tätig  gewesen  sein  müsse,  und  wendet  sich  daraufhin  gegen  jede 
Möglichkeit  einer  ersten  italienischen  Reise.  Aber  zunächst  und  vor  allem  wäre  doch 
der  Nachweis  zu  erbringen,  daß  der  genannte  Albrecht  wirklich  Albrecht  Dürer  ist.  - 

Außer  dem  Orpheus  fallen  in  das  Jahr  1494  noch  zwei  andere  Kopieen 
italienischer  Stiche:  die  Zeichnungen  nach  Mantegna.  Sie  illustrieren  ebenso  wie  der 
Orpheus,  wie  sich  Dürers  Art  des  Kopierens  transalpiner  Vorbilder  wesentlich  von 
der  seiner  Zeitgenossen  unterscheidet,  wie  ihn  nicht  nur  wie  sie  ein  rohes  stoffliches 
Interesse  dazu  bewog,  dem  es  lediglich  um  den  gröbsten  inhaltlichen  Kern  zu  tun 
war.  Er  verfolgt  damit  künstlerische  Ziele.  Stoffliches  und  bildnerisches  Interesse 
gehen  Hand  in  Hand. 

Von  den  Stoffen  üben  eine  besondere  Anziehungskraft  auf  ihn  die  Mytho- 
logieen,  wie  sie  in  der  italienischen  Malerei  der  zweiten  Hälfte  des  Quattrocento  stark 
verbreitet  waren,  und  zwar  in  der  spezifischen,  teilweise  merkwürdigen  Auffassung 
dieser  Zeit,  von  der  schon  die  Rede  war.  Das  Phantastische,  Romantische  im  Kostüm 
und  in  der  ganzen  Stimmung  scheint  ihn  daran  nicht  wenig  gelockt  zu  haben. 
Daneben  vermittelten  ihm  die  italienischen  Darstellungen  ganz  neue  Offenbarungen 
rein  künstlerischer  Natur.  Und  er  benutzte  sie  für  Studien  auf  dem  Gebiete  des 
Figürlichen  zur  Bereicherung  seiner  Kenntnis  des  Nackten  und  der  Gewanddrapierung. 
Auch  mit  der  Antike  oder  wenigstens  dem,  was  man  für  antik  hielt,  trat  er  dadurch 
in  Beziehung.  Solche  Zeichnungskopieen  dienten  ihm  dann  später  gleichsam  als 
Repertorium  für  Motive,  die  er  hie  und  da  übernahm,  wenn  er  sich  selbständig  an 
ähnliche  Stoffe  wagte. 

Die  beiden  Stiche  Mantegnas,  die  er  kopierte,  das  Bacchanal  mit  dem  Silen 
und  den  Kampf  der  Seekentauren-),  hat  er  nahezu  Strich  für  Strich  nachgezeichnet. 
Aber  es  wirkt  nicht  wie  eine  sklavische  Imitation.  Jedes  Motiv  hat  er  verstanden,  nach- 
empfunden und  in  freier  Weise  nachgeschaffen.  Der  Eindruck  der  deutschen  Zeichnungen 
ist  denn  auch  gänzlich  verschieden  von  dem  der  italienischen  Stiche.  Man  fühlt  es 
den  Zeichnungen  an,  daß  es  ein  großer,  selbständiger  Künstler  ist,  der  hier  kopiert  hat. 
Auch  kleine  Veränderungen  und  Zusätze  hat  er  sich  erlaubt.  Auf  dem  Bacchanal  hat 
er  zwischen  den  beiden  Figuren  zuäußerst  rechts  einen  Rebstock  hinzugefügt,  der  auf 
dem  Original  fehlt;  jedenfalls  in  dem  Gefühl,  daß  er  ihn  brauchte,  um  für  seine  Kompo- 
sition ein  ihm  zusagendes  Gleichgewicht  herzustellen.  Ein  horror  vacui  ist  der  da- 
maligen deutschen  Kunst  eigentümlich.  Das  Pflanzliche  erscheint  unter  Dürers  Händen 
umstilisiert.  Das  Rebengewinde  des  Bacchanals  wirkt  voller,  üppiger  und  krauser  in 
seinem  Durcheinander  als  bei  Mantegna.  Die  Blätter  sind  wulstiger,  gleichsam  auf- 
gebläht in  jener  für  die  Spätgotik  bezeichnenden  Stilisierung,  in  der  Dürer  so  ganz  und 
gar  befangen  ist. 


')  Die  Kunst  unter  Friedrich  dem  Weisen  S.  145. 

-)  Von  Richard  Förster,  Jahrb.  der  königl.  preuß.  Kunstsamnil.,  XXIII,  S.  206,  als  Neid  bei  den 
Ichthyophagen  gedeutet. 


39 


Es  ist  bemerkenswert,  daß  er  sich  so  wild  bewegte,  dramatische  Szenen  zum 
Kopieren  aussuchte,  nachdem  er  noch  eben  im  Banne  Schongauers  gestanden  hatte. 
Er  hob  sich  dadurch  gleichsam  mit  einem  Ruck  und  gewaltsam  aus  dem  engeren 
Gesichtskreis  der  deutschen  Kunst  heraus.  Die  Furia,  welche  die  Werke  Mantegnas 
durchweht,  will  er  sich  zu  eigen  machen. 

Die  antike  Mythologie  wurde  ihm  hier  in  einer  ganz  bestimmten  Beleuchtung 
nahegerückt.  Mantegna  gilt  als  besonders  „antikisch"  und  ist  sich  gewiß  auch  selbst 
so  vorgekommen.  Aber  seine  Berührung  mit  der  antiken  Kunst  besteht  fast  nur  in 
Äußerlichkeiten.  Er  übernimmt  von  ihr  ornamentale  und  architektonische  Details, 
Kostüme  und  dergleichen.  Seinem  Formempfinden  nach  ist  er  von  der  Antike  weit 
entfernt.  Er  hat  sich  auch  niemals,  wenn  er  antike  allegorische,  mythologische  oder 
zeremoniöse  Stoffe  wiedergab,  unmittelbar  an  klassische  Vorlagen  angeschlossen. 
Keine  einzige  Imitation  antiker  figuraler  Darstellungen  konnte  bisher  bei  ihm  nach- 
gewiesen werden.  Und  auch  die  Annahme,  daß  der  eine  der  beiden  gestochenen 
Tritonenkämpfe  nach  einem  antiken  Relief  gezeichnet  sei,  hat  sich  als  irrtümlich  er- 
wiesen.1) Mantegna  schwebte  wie  den  meisten  Malern  seiner  Zeit  das  klassische 
Altertum  als  schönes  Traumbild  vor;  es  hatte  keine  absolut  greifbare  Gestalt  für  ihn. 
Aus  seiner  Hinterlassenschaft  gewann  er  für  seine  Kunst  jene  Requisiten,  die  gewissen 
Darstellungen  ein  antikes  Lokalkolorit  verleihen  sollten.  Er  stand  auch  im  Banne 
einer  klassischen  Romantik.  Für  die  formal-rhythmische  Geschlossenheit  des  antiken 
Kunstwerks  hat  er  ebensowenig  ein  Organ  wie  die  meisten  seiner  Zeitgenossen. 
Nur  hier  und  da  klingt  ein  der  Antike  verwandter  Rhythmus  durch  seine  Gestalten. 

Wie  stark  der  Einfluß  der  Antike  auf  die  beginnende  Renaissance  in  bezug  auf 
die  Formgebung  des  Figürlichen  und  besonders  in  bezug  auf  das  Nackte  überschätzt 
worden  ist,  das  hat  Julius  Lange  mit  seinem  weiten  Blick  an  verschiedenen  Stellen 
seines  reichen  nachgelassenen  Werkes  über  die  menschliche  Gestalt  energisch  hervor- 
gehoben.-) Nicht  die  Antike  ist  es,  die  von  vornherein  ausschließlich  oder  in  erster 
Linie  die  neue  Formauffassung  des  menschlichen  Körpers  für  die  Renaissance  bestimmt. 
Wenn  ihr  auch  eine  erhebliche  Mitwirkung  bei  dem  schließlich  zustande  kommenden 
Formideal  nicht  abzusprechen  ist.  Das  Quattrocento  hält  sich  zunächst  und  vor 
allem  an  die  Natur.  Sein  Verhältnis  zu  dem  menschlichen  Körper  wird  ein  völlig 
anderes  als  das  des  ganzen  Mittelalters.  Die  Freude  an  dem  Mechanismus  des  nackten 
Leibes,  der  Wunsch  diesen  natürlich  zu  veranschaulichen  und  künstlerisch  zu  be- 
wältigen, wird  einer  der  Hauptzüge  der  neuen  Zeit.  Mit  Hilfe  des  nackten  Modells 
sucht  man  zur  Beherrschung  der  Aufgabe  zu  gelangen. 

Dieses  neue  künstlerische  Gefühl  des  Menschen  für  seinen  Körper  ist  von 
Künstlern  erweckt  worden  und  konnte  nur  von  ihnen  erweckt  werden. 

Nicht  glücklich  scheint  es  mir,  wenn  Julius  Lange  dafür  das  Wort  „neuer  Huma- 
nismus" geprägt  hat.')  Einmal  denkt  man  dabei,  die  Humanisten  wären  die  eigentlichen 
Chorführer  auf  diesem  Gebiet  gewesen.  Dann  bringt  der  Begriff  des  Humanistischen, 
auf  das  künstlerische  Gebiet  übertragen,  etwas  außerhalb  diesem  Liegendes,  Lehrhaftes 
hinein      etwas,  was  Lange  durchaus  nicht  immer  beabsichtigt  —  und  ist  deshalb  wenig 

')  Kristeller,  Mantegna,  Berlin  u.  Leipzig  1902,  S.  414,  Abb.  144. 

-)  Die  menschliche  Gestalt  in  der  Geschichte  der  Kunst  von  der  zweiten  Blütezeit  der 
griechischen  Kunst  bis  zum  19.  Jahrh.    Herausg.  v.  P.  Köbke.    Straßburg  1903,  S.  268,  275  u.a. 
::)  A.  a.  O.  S.  268. 


40 


fruchtbar.  Von  künstlerischem  Standpunkt  ist  das,  was  als  humanistisch  an  einem 
Werk  bezeichnet  werden  könnte,  als  Wertmesser  unerheblich.  Man  würde  über- 
haupt in  Verlegenheit  kommen,  wo  man  den  Begriff  anwenden  sollte;  und  es  ließe 
sich  kein  Fall  denken,  in  dem  man  etwas  künstlerisch  Auszeichnendes  damit  verbände, 
wie  es  von  Lange  gemeint  ist.  Man  tut  nicht  gut,  Humanistisches  und  Künstlerisches 
terminologisch  zu  verquicken.  Der  Begriff  „neuer  Humanismus"  in  dem  von  Lange 
gebrauchten  Sinn,  der  sein  Werk  durchzieht,  trägt  zu  einer  Klärung  in  künstlerischen 
Fragen  nicht  bei.  Es  war  eine  rein  künstlerische  Tat,  als  ein  Donatello  und  ein 
Masaccio  anschaulich  zum  Bewußtsein  brachten,  was  es  mit  dem  neuen  Körper- 
gefühl auf  sich  hätte.  Und  wer  möchte  Masaccios  Vertreibung  aus  dem  Paradies 
gegenüber  das  Wort  „humanistisch"  über  die  Lippen  bringen.  Der  nackte  mensch- 
liche Körper  wurde  für  die  Kunst  wiedergewonnen,  als  sie  von  sich  aus  eine  neue 
Liebe  und  ein  neues  Verständnis  dafür  gewonnen  hatte.  Und  das  geht  auf  einen  Akt 
künstlerischer  Eingebung,  nicht- humanistischer  Doktrin  zurück. 

Indem  Dürer  mit  der  italienischen  Renaissancekunst  in  Berührung  trat,  kam 
ihm  ihr  neues  und  besonderes  Verhältnis  zu  der  menschlichen  Gestalt  zum  Bewußtsein. 
Und  gerade  das  Nackte  greift  er  begierig  von  der  italienischen  Kunst  auf.  Ihr  vor 
allem  verdankt  er,  wie  es  Julius  Lange1)  ausgesprochen  hat,  „eine  nicht  geringe  Lust 
zur  Darstellung  der  nackten  Figur". 

Wie  er  sich  bei  der  Wiedergabe  der  beiden  Mantegna -Stiche  für  das  üppig- 
strenge Auf  und  Ab  menschlicher  Glieder,  das  Quellen  und  Schwellen  der  Muskeln 
begeisterte,  so  reizte  ihn  auch  bei  der  A.  D.  bezeichneten  und  1495  datierten  Zeichnung 
bei  Mr.  Bonnat  (L.  345)  das  Problem  einer  Verbindung  nackter  Leiber  in  lebhafter  Be- 
wegung. Mit  Recht  hat  man  hier  gleichfalls  auf  eine  italienische  Vorlage,  und  zwar 
eine  Arbeit  des  Antonio  del  Pollajuolo,  geschlossen,  dessen  gewaltsamer  Art  der 
Wiedergabe  nackter  Körper  der  Stil  der  Zeichnung  nahe  kommt.  Seine  Zeichnungen 
und  Stiche  mit  nackten  Figuren  waren  als  Vorbilder  und  Muster  in  den  italienischen 
Ateliers  besonders  beliebt  und  kamen  weit  herum.  Auf  Dürers  Blatt  sieht  man  zwei 
Gruppen:  je  ein  Mann,  der  eine  Frau  davonträgt,  wohl  aus  einem  Raub  der  Sabine- 
rinnen, wie  man  vermutet  hat.  Auch  hier  eine  starke  Bewegung  und  Erregung  in 
den  Gruppen,  gewiß  im  Anschluß  an  das  italienische  Original.  Die  Köpfe  der  Männer, 
besonders  der  im  Profil  gesehene,  zeigen  gleichfalls  italienischen  Typus.  Von  Natür- 
lichkeit ist  in  den  Gruppen  keine  Rede.  Die  rechte  führt  in  ihrer  Aktion  eher  ein 
Akrobatenkunststück  aus,  als  daß  es  sich  um  eine  im  Affekt  vorgenommene  Ent- 
führung handelte.  Die  Muskulatur  ist  stark  herausgearbeitet  und  übertrieben.  Die 
Zeichnung  wird  ihrer  ganzen  Anlage  nach  wohl  auch  kaum  auf  ein  in  sich  ab- 
geschlossenes italienisches  Original,  sondern  eher  auf  ein  anatomisches  Studienblatt 
zurückgehen,  von  der  Art  wie  sie  durch  die  italienischen  Ateliers  wanderten. 

Mantegna  und  Pollajuolo  waren  als  Kenner  des  nackten  menschlichen  Körpers 
berühmt.  Im  Anschluß  an  solche  maßgebenden  italienischen  Vorbilder  suchte  sich  der 
junge  Dürer  augenscheinlich  mit  dem  Bau  des  nackten  Körpers  vertraut  zu  machen. 

Er  ergriff  aber  die  Gelegenheit  zum  Studium  und  zur  Nachbildung  des  süd- 
lichen Nackten,  wo  sie  sich  ihm  darbot,  und  war  in  seinen  Mustern  nicht  immer 
wählerisch. 


A.  a.  O.  S.  280. 


41 


Einmal  sehen  wir  ihn  Lorenzo  di  Credi  heranziehen  um  für  den  nackten  Kinder- 
körper ein  Beispiel  zu  gewinnen.  Welch  ein  Kontrast  zwischen  seinen  quappigen 
Formen  und  dem  struktiven  Gerüst  eines  Mantegna  und  Pollajuolo!  Aber  es  ist 
italienisch  und  ein  verstandenes,  durchempfundenes  Nacktes.  Und  das  genügte 
Dürers  Begeisterung  zu  dieser  Zeit.  Er  kopiert  nach  Credi  das  nackte  Christus- 
kind, wie  es  in  der  Zeichnung  aus  dem  Jahre  1495  bei  Baron  Schickler  in  Paris 
vorliegt  (L.  384). 

Die  Reihe  der  bisher  nachgewiesenen  unmittelbaren  Kopieen  italienischer  Originale 
wird  abgeschlossen  durch  die  Serie  der  Tarockkarten  auf  den  Zeichnungen  des  British 
Museum  (L.  210 — 218),  die  nach  der  Mitte  der  neunziger  Jahre  entstanden  sein  werden. 
Ob  Dürer  unmittelbar  nach  den  italienischen  Stichen  arbeitete,  oder  welche  Folge  des 
italienischen  Tarockspiels  er  benutzte,  läßt  sich  nicht  mehr  feststellen.  Er  hat  nur  die 
Motive  im  großen  und  ganzen  beibehalten,  im  einzelnen  manches  verändert  und  alles  in 
seinem  Sinn  umstilisiert.  Der  eigentümliche  Rhythmus  der  italienischen  Kompositionen 
ist  ganz  verloren  gegangen.  Daß  er  die  Blätter  nur  für  seine  Studienzwecke  zeichnete, 
und  in  der  Folge  kein  abgeschlossenes  Ganzes  vorliegt,  geht  daraus  hervor,  daß 
die  Darstellungen  in  verschiedener  Größe  gehalten  und  technisch  verschieden  mit 
gröberer  und  feinerer  Feder  ausgeführt  sind.  Es  sind  flüchtige  Skizzen  für  die 
Studienmappe. 

Mit  diesen  Kopieen  nach  italienischen  Werken,  die  Dürer  ja  alle,  vielleicht  mit 
Ausnahme  des  Credischen  Christuskindes,  auch  hätte  in  Deutschland  sehen  können, 
sind  aber  die  Anknüpfungspunkte  seiner  Kunst  an  den  Süden  nicht  erschöpft.  Es 
gibt  genügend  selbständige  Arbeiten  von  ihm,  die  auf  einen  engeren  Zusammenhang 
mit  Italien,  auf  ein  ganz  neues  Verhältnis  in  der  Anbahnung  germanisch-romanischer 
Beziehungen  schließen  lassen.  Das  hierfür  hauptsächlich  in  Betracht  Kommende  soll 
in  dem  Folgenden  zusammengestellt  werden. 

Da  ist  es  zunächst  wieder  das  Nackte,  das  auf  italienische  Spuren  weist. 

Die  Uffizien  besitzen  die  Zeichnung  eines  weiblichen  Akts  von  Dürer,  die 
zwar  von  Thausing  nicht  in  seinen  Katalog  aufgenommen,  von  Ephrussi,  Wickhoff, 
Harck,  Thode  aber  anerkannt  ist,  und  an  deren  Echtheit  zu  zweifeln  kein  Grund  vor- 
liegt (Abb.  15).  Es  handelt  sich  um  die  Wiedergabe  eines  en  face  gestellten  Akt- 
modells, dessen  Kniee  eng  aneinander  gedrückt  sind,  indem  das  eine  Bein  als  Stand-, 
das  andere  als  Spielbein  behandelt  ist.  Ein  Tuch  ist  so  um  den  Körper  geschlagen, 
daß  es  die  vordere  Partie  ganz  frei  läßt,  und  wird  mit  der  linken  Hand  gehalten. 
Auf  der  rechten  Seite  liegt  es  über  Arm  und  Schulter,  während  die  Hand  einen 
tellerartigen,  gebuckelten  Spiegel  trägt.  Eine  künstliche,  ja  gekünstelte  Pose  ist  ge- 
wählt. Und  das  fällt  besonders  auf,  wenn  man  die  mit  einfacher  Naivität  der 
Natur  oberflächlich  nachgezeichnete  Studie  der  nackten  Frau  aus  dem  Jahre  1493 
(Bonnat)  mit  ihren  steifen  Beinen  daneben  betrachtet  (Abb.  16).  Die  Ponderation  des 
Leibes  ist  bei  dem  Uffizien -Akt  eine  ganz  andere  geworden.  Systematischer  ist  die 
Modellierung  durchgeführt  und  nach  Licht  und  Schatten  abgestuft.  Zwischen  beiden 
Arbeiten  muß  eine  Umwandlung  in  der  Formanschauung  vor  sich  gegangen  sein. 

Diese  Art  des  Posierens  eines  Aktmodells  ist  in  der  deutschen  Kunst  der 
damaligen  Zeit  durchaus  ungewöhnlich,  der  italienischen  etwas  Geläufiges.  Eine 
nackte  Frau,  die  sich  in  einem  ähnlichen  gebuckelten  Spiegel  beschaut,  findet  sich 


15.  Dürer.  Frauenakt.  Uffizien. 


17.  Dürer.  Die  vier  Hexen. 


18.  J.  de'  Barbari.  Sieg  und  Ruhm. 


16.  Dürer.  Frauenakt.  Slg.  Bonnat. 


44 


unter  Jacopo  de'  Barbaris  Stichen  (Kristeller  18)  als  Venus  bezeichnet.1)  In  italienischer 
Weise  hat  Dürer  den  Akt  gestellt.  Nur  von  Italien  her  kann  er  die  Anregung  em- 
pfangen haben,  so  nach  italienischer  Schulgepflogenheit  zu  arbeiten. 

Wann  aber  ist  die  Uffizien-Zeichnung  entstanden?  Ephrussi  setzte  sie  1506  07 
zur  Zeit  der  zweiten  venezianischen  Reise  an.  Dagegen  ist  Wickhoff '-')  für  eine  Datierung 
um  1494  eingetreten.  Wie  mich  dünkt,  mit  vollem  Recht.  Nur  muß  man  vielleicht 
das  Datum  ein  wenig  hinausschieben.  Jedenfalls  aber  entstand  die  Zeichnung  unter 
dem  Eindruck  der  ersten  italienischen  Reise.  Ihrer  Technik  und  Strichführung  nach 
steht  sie  der  Europa  in  der  Albertina,  den  Tarocchi  und  anderen  Arbeiten  der  neun- 
ziger Jahre  nahe.  Wie  viel  sicherer  und  flotter  ist  dagegen  ein  Akt  wie  der  Poyntersche 
Apollo  (L  179)  gezeichnet.  Auf  der  Uffizien-Zeichnung  wird  das  Fleisch  durch  ziem- 
lich schematische  Schraffierungen  mühsam  herausgerundet.  Und  mit  Ängstlichkeit  ist 
der  Kontur  umrissen.  Das  spricht  alles  für  die  Mitte  der  neunziger  Jahre.  Auch  die 
Behandlung  des  Gewandstreifens  würde  dazu  stimmen. 

Die  im  neuen  Jahrhundert  entstandenen  Federzeichnungen  von  nackten  Frauen, 
wie  die  Proportionsstudie  in  London  (L.  225) '•)  oder  die  Wiener  Venus  auf  dem 
Delphin  (L.  469)  zeigen  mit  ihrem  Gekräusel  von  Schraffierungen  eine  ganz  andere 
Durchführung. 

Man  darf  also,  glaube  ich,  den  Florentiner  Akt  als  Studienresultat  der  ersten 
italienischen  Reise  ansehen.  Kein  Zusammenhang  jedoch  mit  den  Künstlern,  die  wir 
bisher  als  Lehrmeister  Dürers  auf  dem  Gebiete  des  Nackten  erkannten.  Nichts  Man- 
tegneskes,  nichts  von  Pollajuolo.  Wohl  aber  denkt  man  an  die  Frauen  Jacopo  de' 
Barbaris  mit  ihren  schmalen,  abfallenden  Schultern,  wenn  man  den  Oberkörper  in  Be- 
tracht zieht.  Auch  das  Schmachtende  in  der  Neigung  des  Kopfes  und  im  Blick  paßt 
dazu.4)  Und  das  Stehmotiv  entspricht  dem  von  Barbaris  hl.  Katharina  (Kr.  10).  Später, 
bei  den  nach  1500  entstandenen  Figuren  der  Apollo-,  Adam-  und  Eva-Gruppe,  hat 
Dürer  die  übereinandergedrückten  Kniee  nicht  mehr  verwendet. 

Die  Uffizien-Zeichnung  ist  mit  Dürers  Stich  der  vier  Hexen  vom  Jahre  1497 
(Abb.  17)  in  Verbindung  gebracht  worden.  Friedrich  Harck5)  hat  sie  als  Vorstudie  für 
die  zuäußerst  rechts  stehende  Hexe  angesehen,  und  Thode")  ist  ihm  darin  gefolgt. 
In  der  Tat  ist  die  Verwandtschaft  zu  auffallend,  als  daß  eine  Beziehung  zwischen  den 
beiden  Blättern  geleugnet  werden  könnte.  Die  Stellung  der  Hexe  reproduziert  im 
großen  und  ganzen  das  Motiv  der  nackten  Frau  der  Zeichnung  im  Gegensinn,  aller- 
dings mit  beträchtlichen  Abweichungen.  Das  Tuch  ist  nicht  hinter  dem  Körper  aus- 
gebreitet, sondern  bedeckt  mehr  zusammengerafft  die  Schamteile.  Der  Oberkörper  der 
Hexe  ist  in  der  Hüfte  gedreht  und  daher  zum  Teil  verkürzt  gezeichnet,  die  Schultern 


')  Eine  nackte  Frau,  die  in  der  gesenkten  Linken  einen  Spiegel  hält,  die  Rechte  erhoben,  den 
Blick  aufwärts  gerichtet,  auf  dem  Ben.  Montagna  zugeschriebenen  Stich  P.  49,  Cat.  Angiolini  Nr.  2074. 
-)  Zeitschr.  f.  bild.  K.  1886,  XVII,  217. 

:1)  Man  beobachte  hier  auch,  wie  anders  alle  Gliedmaßen,  besonders  die  Schultern  artikuliert 
sind.  Daß  die  Zeichnung  später,  als  ihre  Datierung  1500  besagt,  entstanden  sein  muß,  darin  ist  L.  Justi 
gewiß  beizustimmen. 

')  Eine  Alabasterstatiiette,  eine  nackte  Frau  darstellend,  in  einer,  wenn  ich  nicht  irre,  Barbari 
sehr  verwandten  Formbehandlung,  sah  ich  in  der  Sammlung  des  Herrn  von  Benda  in  Wien. 
r')  Mitteil,  des  Inst.  f.  österr.  Gesch.-Forschg.  1880,  S.  600. 
")  Jahrb.  d.  königl.  preuß.  Kunstsammlgn.  Hl,  S.  114. 


45 


sind  mehr  herausgetrieben,  die  Kniee  nicht  so  aneinandergedrückt;  die  Füße  stehen 
beide  fest  auf  dem  Boden.  Die  Durchmodellierung  des  Körpers  ist  verständnisvoller 
und  feiner.  Kann  der  Uffizien-Akt  gewiß  nicht  als  eine  unmittelbare  Vorstudie  der 
Hexe  betrachtet  werden,  so  hat  Dürer  bei  dieser  doch  auf  das  Motiv  der  Zeichnung 
zurückgegriffen  und  es  der  neuen  Aufgabe  gemäß  umgeformt.  Ein  Beispiel,  wie  Dürer 
eine  italienische  Studienzeichnung  benutzt  hat.  —  In  dem  Gesichtsausdruck  der  rechten 
Hexe  meint  man  etwas  wie  ein  Eingehen  auf  italienisches  Sentimento  zu  verspüren. 

Mir  scheint  auch  Berthold  Haendcke1)  nicht  auf  falschem  Wege  gewesen  zu  sein, 
als  er  für  eine  Beziehung  zwischen  der  Hexe  zuäußerst  links  und  der  Figur  des  Sieges  auf 
Barbaris  Stich  „Sieg  und  Ruhm"  (Kr.  26.  Abb.  18)  eintrat.  Der  Stich  gehört  nach  Kristellers 


überzeugenden  Argumenten  zu  den  frühen  Arbeiten  Barbaris.  Das  Stellungsmotiv  der 
Hexe  und  der  Figur  des  Sieges  ist  verwandt,  allerdings  nicht  in  dem  Maße  wie  das 
der  rechten  Hexe  und  der  Uffizien-Zeichnung.  Die  Körperbildung  der  Viktoria  mit  den 
abfallenden  Schultern  und  vollen  Formen  hat  auch  mit  der  der  Uffizien-Zeichnung 
manches  gemeinsam.  Das  Verhältnis  ist  vielleicht  so  zu  denken,  daß  Dürer  nach  der 
Viktoria  Barbaris  oder  einer  ähnlichen  Arbeit  —  wohl  auch  um  das  Jahr  1495  —  eine 
Zeichnung  anfertigte,  die  er  dann  mit  Modifikationen  für  den  Stich  der  Hexen 
verwandte. 

Auch  die  in  der  Mitte  stehende,  ganz  vom  Rücken  gesehene  Hexe  zeigt  eine 
italienische  Reminiszenz.    Das  edel  geknotete,  hinten  offene,  in  Wellenlinien  flatternde, 


20.   Barbari.  Galathea. 
Dresden,  Gemälde-Galerie. 


19.  Dürer.  Traum  des  Doktors. 


*)  Jahrb.  d.  königi.  preuß.  Kunstsammlgn.  XIX,  S.  162. 


46 


wie  von  einem  leichten  Wind  bewegte  Haar,  durch  einen  Kranz  mit  hängenden 
Bändern  geschmückt,  weist  auf  eine  italienische  Inspiration. 

Es  gibt  hier  also  eine  ganze  Anzahl  auf  südliche  Anregung  zurückzuführen- 
der Motive. 

Auf  dem  Stich  „der  Traum  des  Doktors"  (Abb.  19)  zeigt  der  Frauenakt  An- 
klänge an  die  Zeichnung  der  Uffizien  und  die  rechte  Hexe.  Offenbar  besteht  auch 
irgend  ein  Zusammenhang  mit  Barbaris  Gemälde  der  Galathea  in  der  Dresdener  Galerie 
(Abb.  20).  Die  Stellung  des  Oberkörpers  und  das  Motiv  der  das  Tuch  haltenden  Hand 
sind  verwandt.  Und  hier  kann  Barbari  nicht  Dürer  nachgeahmt  haben,  denn  seine 
Figur  steht  im  Gegensinn  zu  der  des  Stiches. 

Eine  Schaustellung  nackter  Körper  treffen  wir  noch  auf  anderen  in  den  neunziger 
Jahren  entstandenen  Arbeiten.  Um  dessentwillen  ist  der  frühe  Holzschnitt  des  Männer- 
bades und  die  Zeichnung  des  Frauenbades  vom  Jahre  1496  geschaffen  (L.  101).  Die 
Frauen  sind,  obwohl  bei  ganz  realistischen  Beschäftigungen  des  Waschens  und  Kämmens 
dargestellt,  doch  nicht  sehr  natürlich  wiedergegeben.  Man  hat  nicht  den  Eindruck,  daß 
dasselbe  stoffliche  (gewöhnlich  ja  obscöne)  Interesse  vorwaltete  wie  meist  bei  den 
altdeutschen  Darstellungen  von  Badeszenen.1)  Der  Künstler  wollte  mit  dem  Nackten 
prunken.  Die  einzelnen  Figuren  sind  zurechtgestellt,  posieren.  Das  Ganze  ist  kompo- 
niert, vergegenwärtigt  nicht  unmittelbar  einen  empfangenen  Wirklichkeitseindruck.  Zu 
dem  feisten  Ungetüm  auf  der  rechten  Seite  wurde  er  vielleicht  durch  eine  der  Gestalten 
aus  dem  bacchischen  Kreise  Mantegnas  angeregt. 

Stark  italienisch  mutet  das  Männerbad  an.  Hier  ist  der  feiste  Trinker  rechts 
auch  eine  dem  bacchischen  Kreise  Mantegnas  nahestehende  Figur  und  erinnert  an 
den  Silen  auf  dessen  Bacchanal.  Das  Nackte  geht  offenbar  auf  Italienisches  zurück. 
Den  Rücken  des  vorn  sitzenden  Mannes  nennt  Robert  Vischer  „heroisch  modelliert".'-) 
Das  weiche,  den  Tönen  der  Musik  sich  hingebende  Neigen  des  Kopfes  bei  dem  jugend- 
lichen Geigenspieler  und  dem  bärtigen  Flötenbläser,  ihre  Posen  sowie  die  des  Mannes 
zur  Linken  und  sein  träumerischer,  ins  Weite  gerichteter  Blick,  das  alles  ist  voll 
italienisierender  Empfindung,  voll  sentimento.  Eine  romantisch-elegische  Note  klingt  in 
dem  Blatte  mit.  Solch  ein  bloßes  Sichgehaben  nackter  Gestalten  ohne  bestimmten 
Konzentrationspunkt,  bei  gänzlicher  Aktionslosigkeit,  ist  bei  Dürer  nur  an-  und  nach- 
empfunden. Dergleichen  lag  nicht  eigentlich  in  seiner  Natur.  In  Formgebung  und 
Ausdruck  kommt  einem  hier  so  recht  das  Zwiespältige,  Disparate  der  germanisch- 
italienisierenden  Art  zum  Bewußtsein. 

Trat  er  durch  das  Studium  des  Nackten  in  der  italienischen  Kunst  wenn  auch 
nur  indirekt  mit  der  Antike  in  Berührung,  so  geschah  das  in  noch  höherem  Grade 
bei  den  aus  der  klassischen  Mythologie  geschöpften  Stoffen. 

Die  bekannte  Europa-Zeichnung  der  Albertina  ist  von  einer  Reihe  von 
Forschern  in  die  Zeit  der  ersten  italienischen  Reise  gesetzt  worden.  Die  Zeichnungs- 
technik entspricht,  wie  schon  bemerkt,  der  des  Frauenaktes  in  den  Uffizien;  die  Land- 
schaft erinnert  an  die  der  Rodrigues-Madonna  im  Berliner  Kupferstich-Kabinett  und  der 
kürzlich  von  Colvin  publizierten  „Weltfreuden"  in  Oxford.  Eine  Datierung  um  1495 
wird  wohl  das  Richtige  treffen. 

»)  Allerdings  blickt  ein  älterer  Mann  durch  einen  geöffneten  Fensterladen  von  hinten  in  die 
Badestube. 

2)  Studien  zur  Kunstgeschichte  S.  201. 


47 


Wickhoff1)  hat  zur  Erklärung  der  seltsamen  knieenden  Stellung  der  Europa 
auf  dem  Stier  als  Vorbild  eine  antike  Darstellung  der  stieropfernden  Nike  aus  dem 
Mithraskult  (möglicherweise  ein  zu  einer  Europa  ergänztes  Fragment)  herangezogen. 
Daß  das  Motiv  der  Antike  entstammt,  ist  gewiß  richtig.  Aber  ich  glaube,  das  Vorbild 
liegt  dem  Gestaltenkreise,  in  dem  wir  uns  bewegen,  näher.  Es  gibt  im  Louvre  einen 
Sarkophag-)  mit  Darstellungen  von  Tritonen  und  Nereiden,  auf  dessen  Frontrelief 
Nereiden  in  ganz  ähnlicher  Stellung  auf  dem  Rücken  von  Tritonen  knieen  wie  Dürers 
Europa  auf  dem  Stier.    Ein  derartiges  Vorbild  dürfte  wohl  maßgebend  gewesen  sein. 

In  allen  ihren  Einzelheiten  hat  die  Europa-Zeichnung  noch  keine  befriedigende 
Deutung  gefunden.  Wenn  auch  die  Eroten  und  Nereiden  auf  Delphinen,  die  bei  Dürer  das 
Meer  bevölkern,  in  den  Beschreibungen  der  Entführung  Europas  bei  Moschus  und  Lucian 
vorkommen,  wie  Wickhoff  darlegt,  so  ist  der  Satyr  und  das  Satyrweib,  das  Europa 
einen  Kranz  entgegenstreckt,  noch  nicht  erklärt  worden.  Auf  eine  eigene  Erfindung 
Dürers  wird  man  hierbei  kaum  schließen  dürfen,  auch  ein  unmittelbares  Schöpfen  aus 
antiken  Schriftstellern  wird,  wie  schon  Wickhoff  bemerkt,  nicht  anzunehmen  sein. 
Vermutlich  hat  eine  poetische  Darstellung  des  Mythus  in  italienisch-humanistischer 
Fassung  als  Grundlage  gedient,  wie  eine  solche  Quelle  kürzlich  auch  für  den  Stich 
der  Nemesis  nachgewiesen  werden  konnte,  wovon  noch  zu  sprechen  sein  wird. 

Die  rechte,  von  der  Europa  inhaltlich  unabhängige  Seite  des  Blattes  mit  den  drei 
Löwenköpfen  in  der  oberen,  dem  Apoll  und  dem  einen  Schädel  haltenden  Orientalen, 
beide  getrennt  durch  das  sonderbare  Gefäß  mit  der  rätselhaften  Inschrift  und  durch  ein 
Buch,  in  der  unteren  Reihe,  ist  gänzlich  unklar.  Daß  die  drei  Löwenköpfe  nach  einem 
der  venezianischen  Leoncini  auf  dem  Markusplatz  gezeichnet  sein  sollen,  wie  Thausing 
und  Wickhoff  wollen,  überzeugt  nicht  ganz.  Wohl  aber  hat  Wickhoff  schlagend  nach- 
gewiesen, daß  für  den  Apollo  als  Vorbild  eine  antike  Eros-Statue  anzunehmen  ist:  der 
Eros  mit  dem  Bogen  des  Herakles/5)  Wenn  Wickhoff  jedoch,  um  die  Umwandlung 
des  Eros  in  einen  Apollo  zu  erklären,  argumentiert,  daß  die  Renaissancekunst  Eros 
nur  als  fröhliches  Kind  kennt,  daß  der  erwachsene  Eros  ihr  unbekannt  ist,  und  daß 
infolgedessen  die  Statue  eines  jünglinghaften  Eros  leicht  als  Apollo  aufgefaßt  werden 
konnte,  so  trifft  das  nicht  zu.  Amor  als  Jüngling  ist  der  Frührenaissance  schon  um 
die  Mitte  des  Quattrocento  geläufig.  In  dieser  Auffassung  kommt  er  z.  B.  auf  Dar- 
stellungen des  Trionfo  d'Amore  vor.  Es  sei  nur  auf  Pesellinos  Cassonetafel  mit  den 
Triumphen  Petrarcas  bei  Mrs.  Gardner  in  Boston  hingewiesen,  wo  die  nackte  Jünglings- 
gestalt Amors  jedenfalls  auch  auf  ein  antikes  Vorbild  zurückgeht.4)  Daß  Dürers 
Figur  einen  Apoll  und  keinen  Eros  darstellt,  ist  zweifellos.  In  der  Auffassung  der 
italienischen  Renaissance  ist  Eros  immer  nackt,  höchstens  mit  einem  Schurz  um 
die  Lenden  bedeckt,"')  geflügelt  und  trägt  keinen  Kranz  im  Haar.  Die  Dürersche 
Gestalt  entspricht  ganz  dem  Typus  des  Apollo.  Ich  möchte  aber  nicht  annehmen, 
daß  Dürer   die  antike  Eros -Statue   selbst  vor  Augen  gehabt   und    dann   in  den 


!)  Mitteil,  des  Inst.  f.  österr.  Gesch.  Forschg.  I,  Heft  3,  S.  420. 

2)  Galerie  Denon  439,  Sarcophage  orne  d'un  Büste  et  de  Tritons  et  de  Nereides.  Sacristie 
de  l'Eglise  St.  Sulpice.    Musee  des  Monuments  Francais. 

3)  Friederich-Wolters  1582. 

4)  Vgl.  Weisbach,  Fr.  Pesellino  S.  75. 

5)  Ein  Beispiel  kenne  ich,  wo  er,  sonst  auch  nackt,  antike  Sandalenstiefel  trägt  wie  Dürers 
Apollo:  auf  der  florentinischen  Cassonetafel  des  Kestner-Museums  in  Hannover. 


» 


48 

Apollo  umgedeutet  hat,  sondern  es  scheint  mir  wahrscheinlicher,  daß  er  nach  einer 
quattrocentistischen  italienischen  Apollo-Darstellung,  welcher  die  Eros-Statue  zugrunde 
lag,  zeichnete,  in  der  Weise  wie  ihm  der  Apollo  von  Belvedere,  den  er  auf  der  späteren 
Poynterschen  Zeichnung  nachbildete,  jedenfalls  auch  durch  eine  italienische  Vorlage 
vermittelt  wurde.  Daß  Dürer  für  den  Apoll  der  Albertina-Zeichnung  ein  Vorbild  der 
italienischen  Renaissance  benutzte,  dafür  scheint  mir  die  elegante  Stellung  der  Figur, 
das  Gewand  mit  den  kokett  flatternden  Bändern  und  Zipfeln,  die  preziöse  Art,  wie 


21.  Dürer.  Herkules.  Ausschnitt  aus  der  Darmstädter  Zeichnung. 


die  Hand  den  Pfeil  hält,  zu  sprechen.  Das  sind  quattrocentistische  Eigentümlichkeiten, 
die  auf  ein  neueres  italienisches  Original  weisen.1) 

Venedig  war  der  Platz,  der  gewiß  wie  wenige  geeignet  war,  jemandem 
Antikisches  näher  zu  bringen.  Stein-  und  Bronzeplastik  kam  dort  gegen  Ende  des 
Quattrocento  in  antikisierende  Bahnen.  Man  braucht  nur  Namen  wie  Riccio  oder 
die  Lombardi  auszusprechen.  Auch  Jacopo  de'  Barbari  huldigte  der  antikisierenden 
Richtung. 


')  Der  sentimentale  Gesichtsausdruck  ließe  wieder  an  Barbari  denken.    Man  vergleiche  auch 
die  den  Pfeil  haltende  Hand  mit  der  den  Delphin  zügelnden  Linken  von  Barbaris  Galathea. 


49 


Verfolgen  wir  die  Dürerschen  Mythologieen  weiter,  so  bietet  uns  der  Kupferstich 
„die  Eifersucht"  (B.  73)  ein  Beispiel  dafür,  wie  der  Künstler  italienische  Reminis- 
zenzen für  eigene  neue  Werke  verwertet  hat.  Seitdem  der  Stich  mit  der  im  Tagebuch 
der  niederländischen  Reise  als  Herkules  bezeichneten  Darstellung  identifiziert  worden  ist,1) 
nimmt  man  fast  allgemein  als  Thema  der  Szene  an,  daß  der  Heros,  durch  seinen 
phantastischen  Kopfputz  als  Hahnrei  gekennzeichnet^  die  im  Schöße  des  als  Satyr 
gebildeten  Nessus  ruhende  Deinaira  überrascht.  Nach  Thausing  griffe  Herkules  das 
Paar  an  und  würde  in  sei- 
nem Angriff  von  einer  (un- 
erklärten) Frau  unterstützt. 
Diese  Deutung  befriedigt 
jedoch  nicht.  Der  mit  bei- 
den Händen  einen  Baum- 
stamm etwa  in  seiner  Mitte 
haltende  Mann  würde  die 
Waffe  in  der  ungeschickte- 
sten Weise  anpacken,  wollte 
er  in  dieser  Lage  damit  zum 
Schlage  ausholen.  Wohl 
aber  trägt  er  seinen  Stamm 
recht,  um  das  Paar  gegen 
den  Schlag  der  einen  Ast 
schwingenden  Frau  zu 
schützen,  diesen  aufzufan- 
gen. Nach  ihr  blickt  die 
Frau  im  Schöße  des  Satyrn, 
nach  ihr  schaut  sich  der 
kleine  entfliehende  Knabe 
um:  sie  ist  die  eigentliche 
Angreiferin.  Das  ist  auch 
schon  von  anderen  Erklärern 
betont  worden. 

Der  Stich  setzt  sich 
bekanntlich  aus  Bestand- 
teilen zusammen,  die  drei 
verschiedenen  Dürerschen 
Studienzeichnungen  ent- 
nommen sind:  die  zuschla- 
gende Frau,  der  Baumschlag 

hinter  ihr  und  der  entfliehende  Putto  dem  Orpheus,  die  nackte  Frau  dem  Kampf 
der  Seekentauren  nach  Mantegna,  der  stehende  Mann-)  der  Bonnatschen  Zeichnung 


22.  A.  del  Pollajuolo.  Herkules. 
Ausschnitt  aus  dem  Gemälde  in  New -Häven. 


')  Der  „Ercules"  bezeichnete  Holzschnitt  kann  kaum,  wie  bei  Lange-Fuhse  S.  121  vorgeschlagen 
wird,  mit  dem  im  Tagebuch  erwähnten  Blatt  gemeint  sein;  denn  es  wird  unter  den  Kupferstichen  auf- 
geführt, und  Dürer  pflegt  in  seinem  Tagebuch  Kupferstiche  und  Holzschnitte  getrennt  zu  notieren. 

'2)  Sein  Kopfputz  ist  ganz  im  Sinne  der  phantastischen  quattrocentistischen  Kopfbedeckungen, 
wie  sie  z.  B.  zahlreich  in  der  sogenannten  Bilderchronik  des  Finiguerra  vorkommen. 

4 


50 


nach  Pollajuolo.  Ein  solches  Übernehmen  fremder  Bestandteile  und  Zusammen- 
stücken aus  ihnen  ist  für  gewisse  Arbeiten  der  Frühzeit  Dürers  bezeichnend,  wo 
er  Probleme  behandelt,  die  ihm  nicht  von  Haus  aus  lagen,  die  ihn  aber  immer 
von  neuem  reizten:  Mythologisches  und  Nacktes.  Da  suchte  er  für  einzelnes  An- 
lehnung bei  den  Italienern;  für  das  Mythologische  gewiß  mit  der  Tendenz  möglichst 
„antikisch"  aufzutreten  und  für  das  Nackte,  weil  er  darin  offenbar  eine  besondere  Gabe 
der  Italiener  bewunderte. 

Neben  dem  Stich  der  „Eifersucht"  gibt  es  noch  zwei  Arbeiten  der  Frühzeit 
aus  der  Herkulessage:  den  Holzschnitt  (B.  127),  dessen  Kampfszene  im  einzelnen  nicht 
zu  erklären,  dessen  Stoffkreis  aber  durch  die  Inschrift  „Ercules"  angedeutet  ist,  und  das 
Gemälde  des  Kampfes  mit  den  Stymphalischen  Vögeln  im  Germanischen  Museum 
(1500),  für  welches  das  Darmstädter  Museum  die  Vorzeichnung  besitzt. 

Auf  dem  Ercules-Holzschnitt  sind,  was  die  Formgebung  der  Hauptgruppe 
betrifft,  keine  italienischen  Anklänge  zu  bemerken.  Das  scheint  auf  Dürers  eigener  Er- 
findung zu  beruhen  und  ist  aus  der  neuen  germanisch-romantischen  Phantasie  heraus 
geboren:  ungelenk  und  klotzig,  aber  doch  grandios  in  seiner  jugendlichen  Rauheit.  In 
Einzelheiten  zeigen  sich  aber  wieder  Zusammenhänge  mit  Italienischem.  Die  nackte, 
megärenhafte  Frau  mit  ihren  spitzen,  hängenden  Brüsten  ist  dasselbe  Wesen,  wie  das 
ein  Täfelchen  haltende  Weib  auf  Mantegnas  Kupferstich  des  (nicht  in  einer  Dürerschen 
Kopie  erhaltenen)  Tritonenkampfes  (B.  17)  und  auf  der  Vorzeichnung  für  dieses  Blatt 
in  Chatsworth.1)  Die  zweite,  die  Hände  ringende  Frau  trägt  eine  antike  Gewandung, 
und  der  breitspurig  auf  dem  Rücken  liegende  Krieger  ist  mit  einem  Panzer  bekleidet, 
der  an  die  phantastischen  italienischen  Rüstungen  erinnert. 

Auch  für  den  Herkules  im  Kampf  mit  den  Stymphalischen  Vögeln, 
eine  Gestalt,  von  der  Ephrussi  als  d'un  type  tout  allemand  gesprochen  hatte,  kann  man 
jetzt  ein  italienisches  Vorbild  nachweisen:  ein  Gemälde  in  der  Jarves-Collection 
(New  Häven),  Herkules  im  Kampfe  mit  dem  Kentauren  Nessus  von  Antonio  del  Polla- 
juolo') (Abb.  21,  22).  Vergleicht  man  dieses  mit  der  Darmstädter  Zeichnung,  so  er- 
geben sich  als  verwandte  Züge:  am  Unterkörper  der  linke  Fuß  auf  der  ganzen  Sohle 
ruhend,  der  rechte  auf  den  Zehen  aufgestellt,  die  spitz  herausgedrückten  Kniee;  am 
Oberkörper  der  Verlauf  des  Konturs  der  linken  Rumpfseite  mit  zweimaliger  starker 
Ausbuchtung,  der  kurze  Bart,  der  geöffnete  Mund,  das  lang  flatternde  Haar.  Bei  Dürer 
hat  der  Heros  einen  Kranz  auf  dem  Haupt,  der  bei  Pollajuolo  der  Photographie  nach 
zu  fehlen  scheint,  aber  auch  ein  italienisches  Motiv  ist.  Das  alles  soll  nicht  etwa 
heißen,  Dürer  müsse  jenes  Gemälde  selbst  gekannt  haben;  aber  eine  ähnliche  Polla- 
juoleske  Darstellung  hat  ihm  jedenfalls  vorgelegen,  die  er  sich  skizzierte,  und  aus 
der  dann  der  Darmstädter  Herkules  herauswuchs,  dem  Formeindruck  nach  von 
der  schwankenden  Pollajuolo -Gestalt  ganz  verschieden,  gewiß  sachgemäßer  und 
wirkungsvoller. 


')  Kristeller,  Mantegna  S.  423.  Schon  Robert  Vischer  a.  a.  O.  S.  201  hatte  hier  an  Mantegna 
gedacht,  ohne  ein  bestimmtes  Vorbild  namhaft  zu  machen. 

2)  Vgl.  A.  von  Beckerath  im  Repertor.  f.  K.  XXVIII,  1905,  116.  Der  Güte  des  Herrn  von 
Beckerath  verdanke  ich  auch  die  photographische  Vorlage  für  die  Abbildung.  Rob.  Vischer  a.  a.  O. 
S.  190,  A.  1  hat,  ohne  das  bestimmte  Vorbild  zu  kennen,  hier  auch  schon  den  Namen  A.  del  Pollajuolo 
ausgesprochen. 


51 

Aus  den  mythologischen  Darstellungen  hat  man  kürzlich  versucht  den  Stich 
auszuscheiden,  der  als  „Meerwunder"  von  Dürer  selbst  in  seinem  niederländischen 
Tagebuch  bezeichnet  wird.  Er  ist  früher  von  Bartsch  wohl  auf  Grund  alter  Tradition 
als  Raub  der  Amymone  gedeutet  worden.  Demgegenüber  hatte  Dollmayr1)  die 
Vermutung  aufgestellt,  daß  es  sich  um  eine  Darstellung  der  merovingischen  Stammes- 
sage handele;  eine  Erklärung,  die  mir  im  allgemeinen  schon  von  Konrad  Lange 
genügend  widerlegt  zu  sein  scheint  und  deshalb  hier  übergangen  werden  kann. 
Konrad  Lange-)  selbst  verficht,  indem  er  sich  auf  Dürers  eigene  Bezeichnung 
„Meerwunder"  stützt,  die  Deutung,  daß  es  sich  ganz  allgemein  um  ein  Meerwunder 
handle  „in  einer  für  dasselbe  charakteristischen  Handlung",  um  die  Entführung  einer 
Frau  durch  eines  jener  Seemonstra,  wie  sie  in  den  Köpfen  der  damaligen  Welt  spukten. 
Man  dürfte  also  den  Stich  in  Zukunft  nicht  mehr  mit  den  mythologischen  Darstellungen 
zusammenstellen,  „sondern  mit  dem  Raub  auf  dem  Einhorn,  weiterhin  mit  dem  sechs- 
beinigen  Schwein,  den  zusammengewachsenen  Zwillingen,  dem  Nashorn,  dem  Walroß 
usw.,  es  wäre  ein  Beispiel  nicht  für  Dürers  klassische  Bildung,  sondern  für  sein 
Interesse  an  allerlei  merkwürdigen  Naturerscheinungen,  Mißgeburten  und  Prodigien". 

Ich  vermag  mich  der  Darlegung  Langes,  so  interessant  und  glänzend  durch- 
geführt sie  im  einzelnen  ist,  nicht  anzuschließen.  Der  von  ihm  namhaft,  gemachten 
Kategorie  von  Sujets  darf  man,  wie  ich  glaube,  das  Meerwunder  nicht  beizählen. 
Ich  muß  bekennen,  daß  die  Deutung  des  Stiches  als  Raub  der  Amymone  doch  einen 
recht  gewichtigen  Stützpunkt  findet  in  dem  Brettstein  des  Wiener  Hofmuseums  von 
Hans  Kels  mit  der  offenbar  durch  die  Hauptgruppe  Dürers  inspirierten  Darstellung, 
die  durch  die  Inschrift  als  Raub  der  Amymone  beglaubigt  ist"').  Der  Amymone-Mythus 
war  zu  wenig  verbreitet,  als  daß  man  schon  in  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  für  die 
Dürersche  Szene  fälschlicherweise  diese  Deutung  sollte  aus  der  Luft  gegriffen  haben. 

Was  Lange  gegen  die  Erklärung  als  Raub  der  Amymone  anführt,  scheint  mir 
nicht  ganz  stichhaltig.  Setzt  man  eine  Anlehnung  an  die  Fassung  des  Mythus  bei 
Lucian  voraus,  so  ist  doch  ein  Hauptmotiv  übereinstimmend:  der  Raub  Amymones 
durch  einen  Triton  am  Meeresufer.  Daß  wir  in  dem  Fischmenschen  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  einen  Triton  zu  erkennen  haben,  davon  wird  noch  die  Rede  sein.  K.  Lange 
vermißt  Poseidon  als  Hauptperson  der  Geschichte.  Aber  auch  bei  Lucian  ist  der 
Triton  in  dem  Moment,  wo  er  zuerst  die  Jungfrau  entführt,  allein  mit  ihr,  während 
sich  Poseidon  versteckt  hat.  Sie  ruft  ihn  an:  „Weshalb  tust  du  mir  Gewalt  an 
und  zerrst  mich  in  das  Meer?  ich  Unglückliche  werde  ertrinken  müssen".  Dann 
hebt  Lange  hervor,  daß  Amymone  bei  Lucian,  als  sie  allein  zum  Wasserschöpfen 
kommt,  entführt  wird,  während  hier  noch  badende  Frauen  an  der  Küste  angebracht 
sind  und  ein  Alter  zu  Hilfe  eilt.  Das  wäre  aber  der  einzige  Divergenzpunkt.  Und 
auch  das  Erscheinen  des  Alten  ließe  sich  aus  irgend  einer  neueren  von  Lucian  aus- 
gehenden Variante  des  Mythus,  die  dem  Stich  zugrunde  liegen  könnte,  erklären.  Denn 
bei  Lucian  sagt  Amymone  zu  dem  .Triton:  „Invocabo  patrem".  Es  muß  also  dort 
(allerdings  in  inkonsequenter  Weise  zu  dem  Vorhergehenden)  angenommen  sein,  daß  der 
Vater  in  erreichbarer  Nähe  war.  Und  das  ist  vielleicht  in  einer  anderen  neueren 
Version  weiter  ausgeführt  gewesen. 

l)  Jahrb.  der  Kunstsamml.  des  Allerh.  Kaiserh.,  Wien,  1899,  2  ff. 
-)  Zeitschrift  f.  bild.  Kunst.  1902,  195  ff. 
:J)  In  Langes  Aufsatz  abgebildet. 

4* 


52 


Mag  es  sich  nun  aber  auch  um  die  bestimmte  Darstellung  des  Raubes  der 
Amymone  handeln  oder  nicht,  jedenfalls  scheint  mir  die  Deutung  des  Stiches  als  eine 
mythologische  Szene  dem,  was  Dürer  hat  ausdrücken  wollen,  näher  zu  kommen  als 
Langes  Erklärung:  Entführung  einer  beliebigen  Frau  durch  irgend  ein  Monstrum.  Daß 
er  selbst  das  Blatt  als  Meerwunder  bezeichnet  hat,  würde  an  sich  jener  Deutung  noch 
nicht  widersprechen;  denn  er  hatte  mit  seinen  Benennungen  vor  allem  auf  das  große 
Publikum  und  den  Absatz  Rücksicht  zu  nehmen.  Im  Geschäftsgang  beim  Feilbieten 
der  Drucke  empfahl  sich  der  allgemeinere,  zugkräftige  Titel  „Meerwunder"  gewiß  vor 
dem  irgend  einer  unbekannteren  mythologischen  Szene  mit  schwer  verständlichem  und 
schwer  aussprechbarem  Namen.  Dann  ist  doch  dieser  Titel  für  eine  Episode  der 
Amymone-Sage  auch  gar  nicht  so  unpassend.  Fährt  nicht  Amymone  selbst  bei  Lucian 
den  Triton  an:  „plagiarius  es!"  Und  was  heißt  das  anders,  als,  um  mit  Lange  zu 
sprechen:  „Du  auf  Menschenraub  ausgehendes  Monstrum!"  -  -  oder  Meerwunder. 

Dürer  hat  den  Vorgang  behandelt  und  ausgestaltet,  wie  er  es  mit  klassischen 
Mythologieen  zu  tun  pflegt.  Und  gewiß  hat  ihm  eine  der  künstlerischen  Darstellungen 
der  Entführung  einer  Frau  durch  eine  Meergottheit,  wie  sie  in  der  italienischen  Renais- 
sance ganz  ähnlich  so  häufig  vorkommen,  vorgeschwebt.1) 

Das  Seewesen,  in  dem  Lange  ein  beliebiges  phantastisches  Monstrum  erkennen 
will,  entspricht  durchaus  der  Vorstellung  der  italienischen  Renaissance  von  den  antiken 
Tritonen.  Es  ist  seinem  Typus  nach  z.  B.  auch  mit  dem  Triton  Jacopo  de'  Barbaris 
auf  dem  Stich  „Triton  und  Nereide"  (Kr.  23)  verwandt.  Ein  Attribut,  das  Barbaris 
Triton  fehlt,  die  Horner  auf  dem  Kopf,  kommt,  wie  Lange  gezeigt  hat,  in  Poggios  Be- 
schreibung eines  „Monstrums"  in  einer  seiner  Facetien  mit  der  Überschrift:  „Aliud  de 
monstro"  vor.  Daß  aber  der  ganz  von  antiken  Vorstellungen  beherrschte  Humanist 
Poggio  bei  seinem  Monstrum  ein  antikes  Meermonstrum,  einen  Triton,  im  Sinne 
hatte,  kann,  glaube  ich,  keinem  Zweifel  unterliegen.  Dürers  Meerwesen  hat  kein  Horn, 
aber  ein  Geweih.  Geweihe  tragen  die  Tritonen  häufig  auf  antiken  Sarkophagreliefs.  Es 
unterliegt  demnach  für  mich  keinem  Zweifel,  daß  Dürer  einen  antikischen  Triton  hat 
darstellen  wollen  und  nicht  eine  Mißgeburt,  ein  Prodigium,  das  zu  der  Kategorie  des 
sechsbeinigen  Schweines,  des  Walrosses  etc.  gehört.  Seine  Quelle  ist  auch  hier  jeden- 
falls wieder  der  italienisch -quattrocentistische  Literatur-  und  Kunstkreis. 

Auch  die  Art  der  Ausstaffierung  der  nackten  Frau  scheint  mir  dafür  zu  sprechen, 
daß  es  sich  um  eine  mythologische  Figur,  nicht  um  irgendeine  beliebige  entführte 
Frau  handelt.  Der  reiche  Kopfputz  mit  Diadem,  Perlenschnüren  und  herabhängenden 
Bändern  zeichnet  die  Frau  als  etwas  Besonderes  aus  und  gleicht  der  Art,  wie  Dürer 
mythologische  Frauen  auszustatten  pflegt.  Auch  der  am  Ufer  herbeieilende  hände- 
ringende Mann  in  orientalischer  Tracht  würde  durchaus  nicht  dem  widersprechen,  daß 
wir  es  mit  einer  mythologischen  Begebenheit  zu  tun  haben.  Und  wenn  es  sich  um 
den  Vater  der  Amymone,  den  „König  von  Ägypten"  handelt,  so  ist  die  orientalische 
Tracht  nur  um  so  berechtigter.  Es  war  der  italienischen  Frührenaissance,  aus  der 
Dürer  vornehmlich  für  seine  Mythologieen  schöpfte,  durchaus  geläufig,  antike  mytho- 
logische Figuren  in  orientalischem  Kostüm  darzustellen.    Als  Beispiele  seien  kurz 


')  Dem  Stiche  Dürers  steht  besonders  nahe  das  italienische  Niello  des  Berliner  Kupferstich- 
Kabinetts:  Aukt.-Kat.  Ontekunst  51.  1899,  N.  865.  —  Eine  ähnliche  Entführung  angesichts  der  Küste 
auf  dem  Stich  Bartsch  XIII  S.  351,  N.  1. 


53 

folgende  genannt:  Auf  dem  schon  einmal  erwähnten  Cassonebild  des  Kestner-Museums 
in  Hannover  sind  die  Trojaner  zum  Teil  als  Orientalen  charakterisiert.  Einen  turban- 
artigen Kopfputz  trägt  König  Aietes  auf  einem  Cassonebild  mit  Szenen  aus  dem  Jason- 
Mythus.1)  Gleichfalls  als  Orientale  kostümiert  ist  Orpheus  auf  einem  Jacopo  del  Sellaio 
zugeschriebenen  Cassonebild  mit  Darstellungen  aus  der  Orpheussage.'2)  Dürers 
Orientale  kann  und  wird  also  eine  mythologische  Figur  bedeuten.  Unter  den 
übrigen  kleinen  Figuren  am  Ufer  ist  bekanntlich  das  dem  Lande  mit  ausgebreiteten 
Armen  zustrebende  Mädchen  einer  der  Europa  nachjammernden  Frauen  auf  der  Albertina- 
Zeichnung  ähnlich. 

Daß  die  Vorzeichnung  für  den  Stich  wohl  wieder  aus  verschiedenen  vor- 
handenen Elementen  zusammengestückt  worden  ist,  hat  Lange  damit  wahrscheinlich 
gemacht,  daß  er  für  den  nackten  Körper  der  Frau  die  liegende  Viktoria  auf  Barbaris  Stich 
Kr.  27  als  Vorbild  hinstellte.  Natürlich  hätte  Dürer  sich  nur  ganz  allgemein  an  das  Liege- 
motiv, wie  es  Barbaris  Stich  oder  eine  Zeichnung  dazu  bot,  angeschlossen  und 
es  in  seiner  Weise  umgeformt.  Bei  seiner  Unsicherheit  in  der  Wiedergabe  des  Nackten 
und  seiner  Geneigtheit,  gerade  auf  diesem  Gebiet  italienische  Vorlagen  zu  be- 
nutzen, hat  das  durchaus  nichts  Befremdendes.  Und  Lange  hat  mit  Recht  darauf 
hingewiesen,  daß  Barbari  nicht  nach  Dürer  kopiert  haben  könne,  da  das  Motiv  des 
aufgestützten  linken  Armes  bei  ihm  motiviert  ist,  während  es  bei  Dürer  keinen  Stütz- 
punkt gibt. 

Daß  aber  die  Zeichnung  der  nackten  liegenden  Frau  vom  Jahre  1501  in  der 
Albertina,  die  nach  einem  Proportionsschema  konstruiert  ist,  eine  Vorzeichnung  für 
Dürers  Stich  sei,  darin  vermag  ich  Lange  nicht  zu  folgen.  Mir  scheint  vielmehr 
Ludwig  Justi  5)  eine  ansprechende  Erklärung  gefunden  zu  haben:  daß  Dürer,  nachdem 
er  den  Stich  ausgeführt  und  mit  dem  Konstruieren  von  Figuren  begonnen  hatte,  nun 
versuchte,  die  liegende  Figur  des  Stiches  nach  seinem  Schema  zu  konstruieren,  und 
das  Problem  jener  Liegefigur  auf  Grund  seines  Proportionsschemas  wieder  aufnahm. 

Die  verschiedensten  Deutungen  hat  bisher  die  Zeichnung  mit  der  rätsel- 
haften Inschrift  „Pupila  Augusta"  in  Windsor  (L.  389)  erfahren.  Sie  enthält  gleichfalls 
Motive,  die  dem  italienischen  Vorstellungs-  und  Bilderkreis  entlehnt  sind.  Die  Gruppe 
der  drei  Frauen  im  Hintergrund  auf  dem  Wasser,  die,  ein  Segel  über  sich  aus- 
breitend, von  einem  Delphin  getragen,  der  Küste  zutreiben,  schließt  sich  an  irgendeine 
italienische  Darstellung  dieses  Vorgangs  an,  wie  sie  öfter  auf  Niellen  und  Kupfer- 
stichen vorkommt.4)  Nach  Giehlow5)  handelt  es  sich  hier  um  die  „Allegorie  des  Glückes, 
welche  von  der  Frau  im  Vordergrunde  durch  das  Drehen  eines  Tellers  weiter  an- 
gedeutet wird."  Diese  Erklärung  befriedigt  indessen  wenig.  Man  wird  sich  kaum 
dazu  verstehen  können,  die  Manipulation,  welche  die  am  Boden  liegende,  mit  der 
Flügelhaube  bekleidete  Frau  vornimmt,  so  aufzufassen.  Von  dieser  Figur  wird  man 
auszugehen  haben,  wenn  man  in  das  Verständnis  der  Szene  eindringen  will.  Eine 
Flügelhaube  tragen  auf  Darstellungen  des  italienischen  Quattrocento  im  allgemeinen 
mythologische  oder  allegorische  weibliche  Gestalten,  auch  wohl  eine  Heroine  der 

l)  Abgebildet  Weisbach,  Pesellino  S.  123. 

-)  Mackowsky,  Jacopo  del  Sellaio,  Jahrb.  d.  königl.  preuß.  Kunstslgn.  XX,  1899,  S.  278,  Nr.  23. 

3)  Konstruierte  Figuren  etc.    Leipzig  1902,  S.  29. 

4)  Vgl.  Dutuit,  Manuel  de  l'amateur  d'estampes  I,  2  Nr.  419,  420  etc.    Bartsch  XIII  S.  351. 

5)  Jahrb.  der  Kunstsamml.  des  allerhöchst.  Kaiserh.  1899  XVI  95  A.  3. 


54 


altjüdischen  Geschichte  wie  Judith.1)  Die  Kopfbedeckung  ist  häufig  und  beliebt  in 
Darstellungskreisen,  die  vom  Quattrocento  in  jener  phantastisch-romantischen  Weise 
ausstaffiert  wurden.  Als  Quellen  dafür  liegen  besonders  die  sogenannten  Otto-prints 
und  andere  Stiche,  die  dem  Finiguerra  zugeschriebene  Bilderchronik  des  British  Museum, 
verschiedene  Darstellungen  auf  Cassoni  und  in  Handschriften  vor.  Einer  Figur  hat 
man  besonders  gern  die  Flügelhaube  aufs  Haupt  gesetzt:  Venus,  wenn  man  ihr 
nicht  das  Recht  ihrer  nackten  Schönheit,  wie  es  ihr  die  Antike  verliehen  hatte,  zuer- 
kannte. Ja  dieser  Kopfputz  kann  gewissermaßen  als  Attribut  der  Venus  angesehen 
werden.-)  Auf  einem  Urteil  des  Paris  bei  Mr.  Charles  Butler  in  London 3)  trägt  sie 
allein  ihn  von  den  drei  Göttinnen.  (Andere  Beispiele:  das  Sternbild  der  Venus  in 
der  Kupferstichfolge  der  Planeten;4)  das  früher  schon  erwähnte  Cassonebild  des  Kestner- 
Museums  in  Hannover.)  Daß  die  Flügelhaube  bei  Dürer  sich  an  ein  italienisches  Vorbild 
anschließt,  kann  keine  Frage  sein.  Die  Form  der  Haube  mit  den  Flügeln  und  Voluten 
ist  spezifisch  italienisch."')  Und  daß  auf  Dürers  Blatt  Venus  gemeint  ist,  dafür  sprechen 
andere  Attribute:  die  geflügelten  Amoretten  und  das  in  einer  Höhle  verschwindende, 
nur  halb  sichtbare  Häschen.")  In  welcher  Situation  Venus  erscheint,  was  die  Frau 
neben  ihr  für  eine  Rolle  spielt,  ist  mir  nicht  klar.  Aber  daß  die  Göttin  mit  ihrem 
Finger  in  eine  Schüssel  weist,  wie  man  bisher  immer  angenommen  hat,  und  daß  sie 
nicht,  wie  Giehlow  will,  einen  Teller  dreht,  scheint  mir  ziemlich  sicher.  Gewiß  hat 
man  es  mit  irgendeiner  liebes-symbolischen  oder  -allegorischen  Darstellung  zu  tun.  Sollte 
sich  irgend  eine  hehre  Verwaiste  (pupilla  augusta)  bei  Venus  Rat  erholen?  Die 
im  Mittelgrunde  mit  angezogenen  Knieen  sitzende  nackte  Frau  hat  auch  eine  italienisch- 
quattrocentistische  Frisur  und  Kopfbedeckung.  Man  möchte  meinen,  ihr  Profil  ginge 
auf  eine  Studienzeichnung  nach  einem  italienischen  Original  zurück.  Diese  Figur  steht 
jedenfalls  in  Beziehung  zu  der,  wie  wir  sahen,  ein  italienisches  Vorbild  reproduzierenden 
Gruppe  der  drei  Frauen  auf  dem  Delphin,  von  denen  die  mittlere  nackt,  die  beiden 
anderen  bekleidet  sind.  Hat  man  in  der  Frau  mit  der  Flügelhaube  Venus  zu  er- 
kennen, so  wird  man  sich  zu  fragen  haben,  ob  nicht  mit  der  nackten  von  den  drei 
Frauen  auch  die  Liebesgöttin  gemeint  ist.  Venus  auf  dem  Delphin  ist  ja  eine  Dürer 
geläufige  Vorstellung,  wie  wir  aus  der  Zeichnung  der  Albertina  vom  Jahre  1503  (L.  469, 
hier  allerdings  in  reitender  Stellung)  sehen.  Selbst  wenn  seine  italienische  Vorlage  eine 
Darstellung  der  Fortuna  bedeutete,  so  konnte  er  diese,  falls  ihm  das  Sujet  nicht  bekannt 
und  vertraut  war,  leicht  als  eine  Venus  auffassen  und  so  umdeuten.7) 

Auf  dem  Baccio  Baldini  zugeschriebenen  Kupferstich  B.  13;  P.  80,  V,  37;  Kolloff  in  Meyers 
Künstler-Lexikon  II,  607,  162. 

'-)  Er  wird  dann  auch  auf  erotischen  Darstellungen  in  der  Gefolgschaft  der  Venus  getragen. 
:')  New  Gallery,  Exhibition  of  early  Italian  art  1893/94  Nr.  142. 

')  Die  sieben  Planeten  von  Friedr.  Lippmann.  Publ.  der  internat.  Chalk.  Gesellsch.  1895. 
Taf.  Av,  Bv. 

"')  In  der  Bilderchronik  des  Brit.  Mus.  trägt  z.  B.  Semiramis  eine  solche  Haube  mit  Flügeln 
und  Voluten;  Colvin,  A  Florentine  Picture  Chronicle,  London  1898,  Taf.  8.  —  Auch  der  Flügelhelm  des 
Kriegers  auf  Dürers  Stich:  das  kleine  Pferd  (B.  96)  geht  auf  ein  Vorbild  dieses  italienischen  Bilder- 
kreises zurück. 

")  Man  denke  an  die  Häschen  auf  dem  Triumph  der  Venus  im  Palazzo  Schifanoja  in  Ferrara. 

;)  Gegen  die  Deutung  als  Fortuna  spricht  das  Fehlen  einer  Kugel.  Als  Venus  ist  vielleicht 
auch  die  ein  Segel  entfaltende  weibliche  Gestalt  zu  denken,  die  auf  einer  Muschel  dem  Zuge  der  Thetis 
vorauffährt,  auf  einem  Piero  di  Cosimo  zugeschriebenen  Cassonebild  des  Louvre  (No.  2162),  dessen 
Gegenstück  die  Vermählung  von  Thetis  und  Peleus  darstellt. 


55 


Zweifellos  aber  scheint  nach  alledem,  daß  die  Zeichnung  zu  dem  mythologisch- 
erotischen  Stoffgebiet  gehört,  das  Dürers  Phantasie  eine  Zeit  lang  intensiv  beschäftigte. 

Was  die  Entstehungszeit  des  Blattes  betrifft,  so  ist  man  sich  längst  darüber 
einig,  daß  es  nicht  das  auf  der  Zeichnung  später  zugefügte  Jahr  1516  sein  kann.  Sie 
muß  bedeutend  früher  fallen.  Lippmann  hat  als  Termin  um  1500  vorgeschlagen  und 
trifft  damit,  wie  ich  glaube,  das  Richtige.  Man  kann  die  Arbeit  nicht  weit  von  dem 
„Meerwunder"  abrücken.  Der  Zeichentechnik  nach  steht  sie  auch  noch  in  Zusammen- 
hang mit  den  Arbeiten  der  neunziger  Jahre  (Europa,  Tarocchi  etc.),  während  sie  sich  in 
die  Reihe  der  nach  1503  entstandenen  Zeichnungen  nicht  mehr  einordnen  läßt. 

Auch  für  den  Stich  der  Nemesis  ist  vor  kurzem  ein  Anknüpfungspunkt  an  den 
italienischen  Kulturkreis  gefunden  worden.  Diese  als  „großes  Glück"  bekannte  Figur 
ist,  wie  Giehlow l)  gezeigt  hat,  von  einer  Beschreibung  der  Nemesis  in  Polizians  „Silva 
in  Bucolicon  Virgilii  pronuntiata,  cui  titulus  Manto"  abhängig.  Daß  aber  die  Bildung 
der  nackten  Figur  hier  mit  dem  italienischen  Gestaltenkreise  nichts  zu  tun  hat,  lehrt 
schon  ein  erster  Blick.  Konstruiert  und  auf  einem  neuen  intensiven  Modellstudium  be- 
ruhend, ist  sie  in  formaler  Hinsicht  den  Gestalten  der  vorher  betrachteten  Mythologieen 
gar  nicht  vergleichbar.    Das  Blatt  ist  auch  schon  ein  Produkt  der  Reifezeit  Dürers. 

Treten  wir  mit  den  Anschauungen,  die  wir  von  Dürers  Schaffensweise  und  seinem 
Verhältnis  zum  Süden  gewonnen  haben,  an  den  Stich  „Apollo  und  Diana"  heran, 
dessen  Beziehung  zu  Jacopo  de'  Barbaris  gleichnamigem  Stich  (Kristeller  14)  seit  lange 
erkannt  und  lebhaft  diskutiert  worden  ist,  so  werden  wir  von  vornherein  geneigt  sein, 
wie  bei  den  anderen  mythologischen  Darstellungen  auch  hier  einen  Anschluß  Dürers 
an  die  italienische  Kunst  für  wahrscheinlich  zu  halten.')  Anders  als  der  Zusammenhang 
von  Ludwig  Justi :!)  erklärt  worden  ist.  Justi  leugnet  nach  seiner  bekannten  Theorie 
jede  künstlerische  Abhängigkeit  Dürers  von  Barbari.  Er  nimmt  an,  daß  der  Apollo 
des  Stichs  —  der  allein  mit  der  Komposition  Barbaris  eine  gewisse,  wenn  auch  sehr 
entfernte  Verwandtschaft  zeigt  von  Dürer  selbständig  erfunden  und  aus  seiner  Nach- 
zeichnung nach  dem  Apoll  von  Belvedere  in  der  Sammlung  Poynter  (L.  179)  heraus 
entwickelt  sei.  Diese  Zeichnung  habe  Dürer  auch  für  die  Apollo-Zeichnung  im  Brit. 
Mus.  (L.  233)  benutzt.1)  Barbari  habe  seinen  Apoll  nach  einer  vorauszusetzenden  Zeich- 
nung Dürers,  einem  Zwischengliede  zwischen  der  Poynter-Zeichnung  und  dem  Stich, 
geschaffen.  Für  den  Apoll  der  Brit.  Mus.-Zeichnung  (L.  233)  darf  gewiß  zugegeben 
werden,  daß  er  auf  Grund  der  Poynter-Zeichnung  des  Apoll  von  Belvedere  hergestellt 
ist.  Es  bleibt  dann  aber  die  auffallende  Tatsache  bestehen,  daß  auf  dem  Blatt  des 
Brit.  Mus.  und  auf  Barbaris  Stich  eine  vom  Rücken  gesehene  nackte  Frau,  Diana,  dar- 
gestellt ist,  bei  Dürer  nur  der  Rumpf,  während  der  Kopf  fortgelassen  oder  wenigstens 
nur  ganz  flüchtig  angedeutet  ist.  Barbari  hat  den  Vorgang  so  motiviert,  daß  Apoll 
als  Sonnengott,  von  einer  Strahlenglorie  umflossen,  Bogen  schießend  über  die  Himmels- 
kugel wandelt,  hinter  welcher  die  Mondgöttin  Diana  eben  im  Begriff  ist  zu  verschwinden 
und  nur  noch  in  halber  Figur  zu  sehen  ist.    Dürer  hat  den  Vorgang  weit  realistischer 


l)  Mitteilgn.  zu  d.  Graphischen  Künsten  1902,  N.  2,  S.  25. 

'-)  Ich  behandle  den  nicht  mehr  in  die  uns  beschäftigende  Epoche  fallenden  Stich  ausführlicher 
wegen  seiner  Beziehungen  zu  früheren  Zeichnungen. 
:i)  Repertor.  f.  K.  XXI,  1898,  S.  447. 

')  Uber  die  anderweitige  Verwendung  der  Poynter-Zeichnung,  die  für  unser«  Zusammenhang 
hier  belanglos  ist,  vgl.  Justi  a.  a.  O.    S.  450. 


56 


ausgedeutet:  Apollo,  der  in  der  Linken  die  Sonnenscheibe  trägt,1)  steht  auf  der  Erde 
in  einer  leicht  skizzierten  Landschaft;  Diana  sitzt  auf  dem  Boden  und  sucht  sich  mit 
erhobenen  Händen  gegen  die  Sonnenstrahlen  zu  schützen.    Es  ergibt  sich  also  das 
merkwürdige  Resultat,  daß  auf  der  Londoner  Zeichnung  Diana  (vom  Rücken  gesehen) 
im  Motiv  mit  Barbaris  Diana  verwandt,  während  der  Apoll  ganz  anders  gebildet  ist, 
daß  auf  dem  Stich  Apoll  dem  Motiv  nach  (bogenschießend)  wenigstens  ganz  äußerlich 
Barbaris  Apollo  nahekommt,  die  Diana  dagegen  neu  erfunden  ist.    Da  wohl  nicht 
anzunehmen  ist,  jeder  von  beiden  hätte  selbständig  von  sich  aus  eine  vom  Rücken 
gesehene  nackte  Diana  erdacht,  so  muß  man,  will  man  an  Justis  Hypothese  festhalten, 
voraussetzen,  die  von  ihm  supponierte  Zeichnung  Dürers,  die  Barbari  als  Vorbild  ge- 
dient haben  soll,  müsse  auch  eine  solche  Diana  wie  auf  der  Londoner  Zeichnung 
enthalten  haben,  auf  die  wir  uns  berufen  müssen,  da  wir  von  jener  Justischen  Zeichnung 
nichts  wissen.    Dürer  käme  also  die  Erfindung  der  nackten,  vom  Rücken  gesehenen 
Diana  zu.    Das  hat  aber  sehr  wenig  Wahrscheinlichkeit  für  sich.    Denn  bei  Barbari 
ist  die  Stellung  der  Diana  motiviert.    Sie  ist  vor  Apollo  ihre  Bahn  gewandelt  und 
sinkt  nun  hinter  die  Halbkugel  hinab.  Dabei  war  es  ganz  natürlich  ihren  Rücken  zu 
zeigen.    Bei  Dürer  sitzt  sie  neben  Apoll  auf  dem  Erdboden.   Einen  inhaltlichen  Grund 
für  die  Rückenstellung  gibt  es  nicht.-)    Auf  der  sonst  sehr  sorgfältigen,  für  den  Stich 
fertig  vorbereiteten  Zeichnung  fehlt  der  Kopf  der  Diana  oder  ist  wenigstens  nur  ganz 
vage  angedeutet.    Vermutlich  ist  die  Sachlage  die  gewesen,  daß  Dürer  mit  diesem 
Kopf  aus  irgend  einem  Grunde  nicht  zurechtkam,  daß  ihm  das  ganze  Motiv  nicht 
mehr  zusagte,  und  daß  er  deshalb  die  Vorzeichnung  für  den  Stich  verwarf.  —  Die  von 
Justi  für  die  Priorität  der  Dürerschen  Apollofigur  geltend  gemachten  Gründe  sind  nicht 
stichhaltig  genug,  um  die  Frage  in  seinem  Sinne  zu  entscheiden. 

Einfach,  und  mit  dem,  was  wir  über  Dürers  Jugendschaffen  wissen,  vereinbar 
stellt  sich  der  Vorgang  folgendermaßen  dar:  Dürer  wollte  eine  Szene  „Apoll  und 
Diana"  bilden.  Für  die  allgemeine  Situation  lieferte  ihm  Barbaris  Stich  das  Material. 
Er  behielt  deshalb  den  nach  rechts  gewandten,  stehenden  Apoll  und  die  vom 
Rücken  gesehene  Halbfigur  der  Diana  auf  der  Londoner  Zeichnung  bei;  im  übrigen 
veränderte  er  die  Figuren  im  einzelnen,  und  zwar  den  Apoll  auf  Grund  der  Studie 
nach  der  Antike.  Ein  solches  Vorgehen  von  seiten  Dürers  entspricht  durchaus  dem 
Verfahren,  wie  wir  es  an  einer  Reihe  von  Beispielen  festzustellen  versuchten.  Und 
es  ist  wirklich  nicht  einzusehen,  warum  man  sich  gerade  hier  sträuben  soll,  das  rein 
Gegenständliche  der  Dürerschen  Anordnung  von  einer  Benutzung  des  Barbarischen 
Stiches  herzuleiten,  wo  wir  doch  Dürer  bei  seinen  Mythologieen  fast  regelmäßig  aus 
italienischen  Quellen  schöpfen  sehen.  Nachdem  die  Londoner  Zeichnung  nicht 
zur  Ausführung  gekommen  war,  machte  sich  Dürer  später  nochmals  an  den  Vorwurf. 
Der  Kupferstich  B.  68  kam  zustande,  auf  dem  nun  Apollo  wie  auf  Barbaris  Stich 
auch  bogenschießend  (im  gleichen  Sinn)  dargestellt,  Diana  völlig  abweichend  von 
der  Barbaris  neu  erfunden  wurde,  so  daß  jetzt  an  eine  direkte  Beziehung  zwischen 
Dürers  und  Barbaris  Stich  gar  nicht  mehr  zu  denken  ist. 

')  Dieses  Motiv  kommt  auch  auf  der  Poynterschen  Zeichnung  des  Apoll  von  Belvedere  vor 
und  zeugt  dafür,  daß  Dürer  jedenfalls  eine  Nachzeichnung  der  italienischen  Renaissance  nach  der  Antike 
benutzt  hat.  Denn  der  die  Sonne  in  der  Hand  haltende  Gott  ist  ein  quattrocentistisches  Motiv.  So  tritt 
er  z.  B.  auf  dem  Triumph  Apollos  in  den  Fresken  des  Palazzo  Schifanoja  auf. 

2)  Auf  dem  Stich  hat  Dürer  dann  auch  die  Diana  umgekehrt. 


57 


Bei  anderen  Dürerschen  Stichen,  die  von  Thausing  in  die  Barbari-Frage  hin-^ 
eingezogen  worden  sind,  der  Satyrfamilie  B.  69  und  der  Türkenfamilie  B.  85,  sind  die 
Berührungspunkte  mit  den  damit  in  Verbindung  gebrachten  Stichen  Barbaris,  Satyr- 
familie Kr.  19  für  B.  69,  Spinnerin  Kr.  16  und  Mann  mit  der  Wiege  Kr.  17  für  B.  85, 
so  lose,  daß  sie  eigentlich  gar  nicht  in  Betracht  kommen1). 

Bei  dieser  Gelegenheit  sei  noch  bemerkt,  daß  alle  die  Werke  Barbaris,  die  wir 
zu  Arbeiten  Dürers  in  Beziehung  stehend  erkannten,  in  seine  frühere  „italienische" 
Periode  zu  setzen  sind2).  Gewiß  ein  nicht  zu  unterschätzendes  Argument  gegen  die 
Justische  Annahme  einer  Beeinflussung  Barbaris  durch  Dürer. 

Aus  unseren  Betrachtungen  gewinnen  wir  folgende  Ergebnisse  für  Dürers 
mythologische  Darstellungen.  Mit  der  Art,  wie  man  an  antike  Stoffe  bisher  in  seiner 
Heimat  heranzutreten  gewohnt  war,  hat  er  völlig  gebrochen.  Seit  1494  pflegt  er  das 
mythologische  Genre  unter  Führung  der  Italiener.  Durch  die  Antike  ist  er  jedenfalls 
nicht  unmittelbar  beeinflußt  worden,  sondern  mit  ihr  nur  durch  Vermittlung  der 
Quattrocento-Kunst  in  Berührung  getreten.  Stofflich  und  formal  hat  er  sich,  wie  wir 
gesehen  haben,  an  italienische  Muster  angeschlossen,  je  nach  den  Umständen  in  ver- 
schiedenem Maße.  Durch  die  klassische  Romantik  der  Renaissance  ist  seine  künstlerische 
Vorstellungsweise  angeregt  worden. 

Das  hat  schon  Herman  Grimm  empfunden,  indem  er  davon  spricht,  daß  Dürer 
unter  dem  Einfluß  der  italienischen  Romantik  stand3).  Und  Rob.  Vischer  bemerkte: 
„Sehr  empfänglich  und  doch  auch  wieder  eigenmächtig  verhält  er  sich  zur  antiken 
Stoffwelt  und  jener  romantisierenden  Umbildung  derselben  durch  die  Literatur  und 
Kunst  der  italienischen  Renaissance"4). 

Auf  dieser  Grundlage  hat  er  der  deutschen  Kunst  eine  ganz  neue  Art  des 
mythologischen  Genres  erschlossen.  Die  germanische  Phantasie  hat  hier  zuerst  mit 
den  klassischen  Gestalten  ein  romantisches  Spiel  in  künstlerischen  Formen  getrieben; 
ein  Spiel,  wie  es  zur  Zeit  unserer  großen  Dichtung  unter  gänzlich  veränderten  Be- 
dingungen wieder  aufgenommen  wurde,  etwa  von  Goethe  in  einigen  Partieen  des  Faust. 

Es  erübrigt  nun  noch  mit  einem  kurzen  Wort  zu  berühren,  in  welcher  Weise 
Dürers  Phantasie  nach  der  formalen  Seite  auch  bei  anderen  als  mythologischen 
Stoffen  durch  die  italienische  Kunst  beeinflußt  worden  ist.  Tiefgehend  ist  ein 
solcher  Einfluß  bei  einer  so  starken  Persönlichkeit  wie  Dürer  nicht  gewesen.  Es 
handelt  sich  im  Wesentlichen  um  ein  vereinzeltes  Übernehmen  von  italienischen  Motiven, 
für  die  er  sich  gerade  interessiert  und  die  er  in  seinen  Studienmappen  gesammelt 
hatte,  ohne  daß  seine  Eigenart  dadurch  irgendwie  beeinträchtigt  wurde.  An  einem  Vor- 
wurf aus  dem  religiösen  Stoffgebiet,  bei  dem  vorwiegend  formale  Probleme  eine  Rolle 
spielen,  dem  Madonnenbild,  mag  das  rasch  erläutert  werden. 

Für  die  Madonna  des  Dresdener  Altars  hat  Ludwig  Justi "')  mit  überzeugen- 
den Gründen  ein  italienisches  Vorbild  der  Bellinesken  Richtung  wahrscheinlich  gemacht 
und  auch  für  Teile  ihrer  Umgebung  die  Zusammenhänge  mit  Gepflogenheiten  der 

R.  S.  Köhler  a.  a.  O.  S.  22:   It  is  impossible  to  escape  the  conviction  that  this  is  an 
exceedingly  far-fetched  hypothesis. 

2)  Apoll  und  Diana  halte  ich  im  Gegensatz  zu  Kristeller  auch  der  früheren  Gruppe  der 
Stiche  für  näherstehend. 

3)  Jahrb.  der  kgl.  preuß.  Kunstsammlgn.  II,  S.  189. 

4)  A.  a.  O.  S.  194. 

5)  Dürers  Dresdener  Altar,  Leipzig,  E.  A.  Seemann  1904,  S.  24. 


58 


paduanisch -venezianischen  Kunst  klargelegt.  Beobachtungen,  die  ohne  weiteres  auf 
Zustimmung  rechnen  dürfen.  Die  für  die  deutsche  Kunst  ungewöhnliche  Madonnen- 
komposition kann  nur  von  Italien  her  inspiriert  sein.  Es  ist  bezeichnend  für  Dürers 
Schaffensweise  in  den  neunziger  Jahren,  wie  er  sich  mit  dem  fremden  Element  abge- 
funden und  es  in  seiner  Weise  verwendet  hat.    Auch  die  gekreuzten  Daumen  der 

Maria,  an  denen  Wölfflin1)  Anstoß  nimmt, 
erklären  sich  leicht  durch  Beibehalten 
eines  italienischen  Motivs.  So  finden 
sie  sich  z.  B.  an  den  gefalteten  Händen 
der  Stifterin  auf  Barbaris  Bild  im  Berliner 
Museum.  Für  die  Engelkinder  des  Mittel- 
bildes sei  noch  auf  die  Verwandtschaft 
in  der  Formgebung  mit  den  Putten  auf 
Dürers  Zeichnung  nach  der  Tarokkarte 
der  Beredsamkeit  verwiesen.  Wie  die 
Muskeln  und  Gelenke  artikuliert  sind, 
darin  zeigt  sich  ein  Eingehen  auf  padua- 
anische  Schulgewohnheiten. 

Die  Madonna  auf  dem  Stich  mit 
der  Meerkatze  ist  ihrer  kompositio- 
neilen Anlage  nach  jedenfalls  auch  auf 
einen  italienischen  Eindruck  zurückzu- 
führen. Sie  scheint  auf  einem  formalen 
Typus  der  Gruppe  der  Maria  mit  dem 
Kinde  zu  beruhen,  wie  er  in  Verrocchios 
Werkstatt  entstanden  und  dann  später  in 
Lionardos  Atelier  weitergebildet  worden 
ist.  Die  kontrapostische  Haltung  des 
Kindes  sowie  die  Körperformation  bei 
Dürer  entspricht  dem  Bambino  auf  Lo- 
renzo  di  Credis  Altar  der  Madonna  mit 
Johannes  dem  Täufer  und  dem  hl.  Zeno 
im  Dom  von  Pistoja  (Abb.  23,  24).  Ver- 
23.  Dürer.  Madonna  mit  der  Meerkatze.  wandt   ist   der  Christusknabe  auf  Bol- 

traffios  Halbfigurenbild  der  Madonna  in 
der  Sammlung  Salting  in  London2).  Und  hier  stützt  wie  auf  Dürers  Stich  Maria  sich 
mit  der  einen  Hand  auf  ein  Buch  -  ein  in  dieser  modellmäßigen  Positur  für  die 
deutsche  Kunst  ungewöhnliches  Motiv.  '')  Der  vornehme  Halsausschnitt  des  Gewandes 
der  Dürerschen  Maria  berührt  gleichfalls  italienisch.4) 

l)  Dresdener  Jahrbuch  1905,  S.  21. 

'-')  Abgebildet:  L'Arte  Anno  VII  1904,  S.  499.  Ähnlich  auch  die  Haltung  des  Christuskindes  auf 
verschiedenen  Altarbildern  Marco  d'Oggiono's.  Abgeb.  L'Arte  VIII,  1905,  Fase.  VI,  Frizzoni:  La  Pala 
di  Marco  d'Oggiono  nella  Chiesa  Parrocchiale  di  Besäte. 

')  Auch  Bai  baris  Maria  auf  der  Madonnenkompositiou  Kr.  6  posiert  mit  der  das  Buch  auf  die 
Bank  stützenden  Hand  in  ähnlicher  Weise. 

')  Ihren  Kopftypus  will  Harck  von  dem  der  nackten  Frau  der  Uffizien-Zeichnung  abgeleitet 
wissen.    Mitteilgn.  des  Inst.  f.  österr.  Gesch. - Forschg.  1S80,  S.  000. 


j 


59 

Von  demselben  Vorbild  sind  auch  die  Madonna  mit  den  vielen  Tieren 
(Zeichnung  der  Albertina,  L  460)  und  der  Entwurf  dafür  (Slg.  Blasius,  L.  134)  abhängig. 
Und  zwar  glaube  ich,  daß  diese  beiden  Zeichnungen  nach  dem  Stich  entstanden  sind.1) 
Der  Stich  entwickelt  sich  viel  unmittelbarer  aus  dem  südlichen  Original  und  schließt 
sich  enger  an  die  italienische  Formauffassung  an.  Bei  den  Zeichnungen  ist  die  Anlage 
freier;  das  fremde  Vorbild  klingt  nur  noch  leise 
in  der  Erinnerung  nach.  Wie  er  das  Gewand 
breitflächiger  behandelt,  die  Kniee  nicht  so 
heraustreibt,  sowie  die  zeichnerische  Technik, 
alles  spricht  für  eine  spätere  Entstehung  und 
weist  schon  auf  die  Madonnen  der  Londoner 
Zeichnung  (L.  229)  und  des  Stiches  B.  34,  beide 
von  1503.  Während  die  Meerkatzen -Madonna 
um  1499  entstanden  sein  wird,  fallen  die  Zeich- 
nungen gewiß  nach  1500. 

Nachdem  versucht  worden  ist,  die  nach- 
weisbaren Berührungen  Dürers  mit  der  Kunst 
Italiens,  welche  die  erste  italienische  Reise, 
wie  mir  scheint,  nahezu  zur  Gewißheit  erheben, 
zusammenzustellen,  schließt  sich  daran  die 
zweite  viel  diskutierte  Frage,  ob  Jacopo  de' 
Barbari,  der  nach  Dürers  eigenen  Aufzeichnungen 
eine  gewisse  Rolle  für  ihn  spielte,  ihm  schon  in 
den  neunziger  Jahren  begegnet  sein  wird.  Daß 
er  durch  Barbaris  Kunst  nicht  etwa  ausschließ- 
lich oder  auch  nur  hauptsächlich  beeinflusst 
wurde,  ergibt  sich  ohne  weiteres  aus  dem  Vor- 
hergehenden. Daß  er  aber  in  seiner  Entwick- 
lungszeit gar  keine  Anregungen  von  sehen  Bar- 
baris empfangen  haben  soll,  was  neuerdings 
von  L.  Justi  vertreten  worden  ist,  widerspricht 
den  Eindrücken,  die  sich  mir  aufgedrängt  haben. 

Barbari   besaß  die  Eigenschaften,  die 
Dürer  an   der   italienischen   Kunst   besonders  24.  Lorenzo  de  Credi.  Altarbild.  Pistoja,  Dom. 
schätzte  und  um  die  er  sich  bemühte.   Er  pflegte  Ausschnitt, 
das  mythologische  Genre  und  bildete  nackte 

menschliche  Körper.  Auf  Beziehungen  [zwischen  Werken  beider  nach  der  Seite  des 
Stofflichen  und  Formalen  ist  für  einzelne  Fälle  hingewiesen  worden. 

Aus  den  Äußerungen  über  Barbari  aus  Dürers  eigener  Feder  in  seinem  schrift- 
lichen Nachlaß  geht  Folgendes  hervor:  Barbari,  „ein  lieblicher  Moler",  wies  ihm  „Mann 
und  Weib,  die  er  aus  der  Maß  gemacht  hätt",  d.  h.  er  zeigte  ihm  Aktzeichnungen,  die 
nach  bestimmten  Proportionen  angelegt  sein  sollten.  Dürer  bemühte  sich  dem  auf 
den  Grund  zu  kommen,  „wie  man  solch  Ding  zu  Wegen  bringen  möcht".  Aber  Bar- 
bari verheimlichte  es  vor  ihm,  und  das  geschah  zu  einer  Zeit,  als  Dürer  jung  war. 

')  Umgekehrt  L.  Justi,  Monatshefte  f.  kunstwissenschaftl.  Litt.  Berlin  1905,  S.  34. 


60 


Nachher  forschte  Dürer  von  sich  aus  weiter  und  nahm  sich  dazu  den  Vitruv,  „der 
schreibt  ein  wenig  von  der  Gliedmaß  eines  Manns.  Also  aus  den  zwei  obgenannten 
hab  ich  dornoch  aus  eignem  Furnehmen  gesucht." 

Klar  und  deutlich  spricht  Dürer  hier  und  an  einer  anderen  ähnlich  lautenden 
Stelle1)  aus,  daß  er  von  Barbari  die  Anregung  zu  Aktstudien  nach  bestimmten  Propor- 
tionsgesetzen erhalten  habe.  Für  Dürer  hat  L.  Justi  solche  nach  einem  Proportions- 
schema konstruierten  Aktzeichnungen  seit  dem  Jahre  1501  nachweisen  können.  Barbari 
hat  seine  nackten  Figuren  nicht  konstruiert.  Damit  verbietet  sich  die  Annahme,  Dürer 
könnte  sein  Proportionsschema  von  diesen  ohne  weiteres  hergeleitet  haben.  Justi  hat 
vielmehr  erwiesen,  daß  er  sich  im  Anschluß  an  Vitruv  selbst  ein  Proportionsschema 
geschaffen  hat.  Und  das  entspricht  auch  Dürers  eigenen  Äußerungen.  Von  Barbari 
sei  er  nur  dazu  angeregt  worden  überhaupt  zu  konstruieren  und  dem  seine  Aufmerk- 
samkeit zuzuwenden. 

Können  also  Barbaris  unkonstruierte  Akte  nicht  als  Vorlagen  für  seine  Propor- 
tionsstudien gedient  und  als  etwas  für  ihn  Neues  die  unmittelbare  Veranlassung  für 
den  Beginn  seines  Konstruierens  gebildet  haben,  so  brauchen  ihm  solche  doch  auch 
nicht  erst,  eben  bevor  er  selbst  sein  neugefundenes  Proportionsschema  anwendet,  zu 
Gesicht  gekommen  sein,  wie  Justi  voraussetzt,  der  mit  dem  Auftreten  Barbaris  in  Nürn- 
berg am  Anfang  des  neuen  Jahrhunderts  das  Bekanntwerden  Dürers  mit  dessen 
Aktzeichnungen  zusammenfallen  läßt.  Er  kann  sehr  wohl  Barbaris  nackte  Figuren 
gekannt  und  sich  mit  ihnen  beschäftigt  haben,  ehe  er  auf  die  Suche  nach  einem  Pro- 
portionsschema für  den  menschlichen  Körper  ausging.  Nichts  spräche  dagegen,  daß 
er  schon  Mitte  der  neunziger  Jahre  in  Venedig  Akte  Barbaris  (etwa  in  der  Art  einer 
Vorlage  für  die  stehende  Frau  der  Uffizien)  oder  Zeichnungen  von  ihm  nach  der 
Antike  kennen  lernte  und  nachahmte. 

Und  warum  sollte  Barbari,  der  Beziehungen  zu  Deutschland  und  Nürnberg 
unterhielt,  nicht  für  den  jungen  Dürer  in  Italien  eine  Art  Mentor  gewesen  sein?  Aus 
Mantegna  und  Pollajuolo  allein  ist  doch  die  ganze  klassische  Romantik  Dürers  vor 
1500  nicht  zu  erklären. 

Entschließt  man  sich  überhaupt  dazu  einen  künstlerischen  Einfluß  Barbaris 
auf  Dürer  zuzugestehen,  so  kann  ein  solcher  der  Hauptsache  nach  nur  in  den  neun- 
ziger Jahren  stattgefunden  haben.  Denn  nach  1500  tritt  das  Barbaresk-ltalienisierende 
in  seinem  Schaffen  nicht  etwa  plötzlich  oder  mit  besonderer  Stärke  auf.  Seine  italie- 
nisierenden  Bestrebungen  setzen  sich  nach  dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  einfach 
fort  ohne  einen  erkennbaren  neuen  künstlerischen  Anstoß.  Der  von  Thausing 
für  die  Jahre  1501  —  1504  konstruierte  „Wettstreit  mit  Barbari"  ist  unhaltbar. 

Das  neue  Moment,  das  sich  zu  dieser  Zeit  geltend  macht,  ein  exakt-wissen- 
schaftliches Sichbemühen  um  ein  Proportionsschema  für  den  menschlichen  Körper, 
kann,  wie  wir  sahen,  nicht  einfach  auf  ein  Bekanntwerden  mit  Barbaris  Kunst  zurück- 
geführt werden,  nicht  von  Barbaris  künstlerischen  Resultaten,  wie  sie  uns  erhalten  sind, 
seinen  Ausgang  genommen  haben.'2)    Der  Verkehr  zwischen  beiden  seit  Barbaris  An- 

l)  Lange-Fuhse  S.  342—343. 

-')  Wie  man  sich  die  Anregung  Dürers  durch  Barbari  zu  Proportionsstudien  vorzustellen  hat, 
ist  überhaupt  unklar.  Vielleicht  hat  Barbari  entweder  ein  Proportionsstudienheft  eines  anderen  Künstlers 
in  seinem  Besitz  gehabt  oder  sich  aber  selbst  ein  solches  nach  fremdem  Muster  kopiert,  ohne  es  für 
seine  eigenen  Arbeiten  zu  verwerten. 


61 


Siedlung  in  Nürnberg  hat  also  die  italienischen  Reminiszenzen  Dürers  höchstens  wieder 
aufgefrischt,  von  neuem  in  Fluß  gebracht  und  nach  der  einen  oder  anderen  Seite  An- 
regungen geboten.1) 

Auf  Grund  solcher  Erwägungen  mag  man  dann  die  Stelle  in  dem  Brief  an 
Pirckheimer  von  der  zweiten  italienischen  Reise  getrost  auf  Barbari  beziehen.  Pirck- 
heimer  war  doch  auch  kein  Seher  und  Gedankenleser  und  mußte  sich  unter  dem 
„Ding  das  mir  vor  eilf  Joren  so  wol  hat  gefallen"  irgend  etwas  vorstellen  können. 
Was  —  das  kann  nur  der  Zusammenhang  in  den  gewiß  recht  salopp  vorgebrachten 
Äußerungen  ergeben.  Da  plaudert  nun  Dürer  von  seinen  Freundschaften  und  Feind- 
schaften in  Venedig,  erzählt  von  Giovanni  Bellini,  er  sei  sehr  alt  und  noch  der  best 
im  Gemäl.  Darauf  folgt  die  Stelle:  „Und  das  Ding,  das  mir  vor  eilf  Joren  so  wol  hat 
gefallen,  das  gefällt  mir  itz  nüt  mer.  Und  wenn  ichs  nit  selbs  säch,  so  hätt  ichs  keinem 
Anderen  gelaubt."  Und  dann  fährt  er  fort:  „Auch  laß  ich  Euch  wissen,  daß  viel 
besser  Moler  hie  sind  weder  daussen  Meister  Jacob  ist."  Auf  das  Vorhergehende 
(Bellini)  kann  sich  „das  Ding"  nicht  beziehen,  muß  also  wohl  mit  dem  nachfolgenden 
Barbari-Passus  in  irgend  einem  gedanklichen  Zusammenhang  stehen.  Und  das  ergibt 
einen  Sinn,  sobald  man  die  Hauptanregung  durch  Barbari  nicht,  wie  Thausing,  in  die 
eben  verflossenen  Jahre  1501  — 1504  setzt,  sondern  in  die  Mitte  der  neunziger  Jahre. 
Es  würde  dann  heißen:  Was  ich  vor  elf  Jahren  an  Barbari  (und  den  anderen  Italienern) 
hier  bewundert  habe,  macht  jetzt  keinen  Eindruck  mehr  auf  mich.  Das  ist  für  mich 
ein  überwundener  Standpunkt.    Und  das  konnte  Dürer  in  der  Tat  damals  sagen. 

Figuren,  wie  Barbari  sie  uns  hinterlassen  hat,  hatte  er  auf  Grund  seiner  eigenen 
Proportionsstudien  und  eines  nach  dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  anhebenden 
eifrigen  Modellstudiums  weit  überholt.  Den  Geschmack  an  den  Mythologieen  klassisch- 
romantischen Genres  hatte  er  verloren.  Das  bildete,  nach  dem  Material  von  ihm  er- 
haltener Arbeiten  zu  schließen,  während  der  zweiten  venezianischen  Reise  für  ihn 
keinen  Anziehungspunkt  mehr.  Er  war  damals  für  anderes  gestimmt  und  scheint  für 
die  antikisierende  Phantastik  keinen  Sinn  mehr  gehabt  zu  haben.  Etwas  dergleichen 
dürfen  wir  vielleicht  auch  aus  der  bekannten  Stelle  in  dem  Venezianischen  Brief  an 
Pirckheimer  vom  18.  Aug.  1506  herauslesen:  „Item  der  Historien  halben  sieh  ich  nix 
Besunders,  das  die  Walchen  machen,  das  sunders  lustig  in  Euer  Studiren  war.  Es 
ist  umer  das  und  das  ein.  Ihr  wißt  selber  mehr  weder  sie  molen."  Er  wird 
sich  damals  wohl  auch  nicht  sehr  darum  bemüht  haben.   Das  klingt  recht  verdrossen. 

Jedenfalls  spielt  das  mythologische  Genre  in  der  Weise,  wie  er  es  im  Anschluß 
an  die  Italiener  gepflegt  hatte,  keine  Rolle  mehr  in  der  Zeit  der  Reife.  Er  sah  später 
selbst  als  bezeichnend  für  seine  Jugend  an,  daß  er  ungeheuerliche  und  ungewöhnliche 
Gestalten  geliebt  habe  (se  adolescentem  in  pingendo  amasse  monstrosas  et  inusitatas 
figuras).'2)    Das  war  eine  Episode  der  Sturm-  und  Drangzeit. 

1)  Daß  Dürer  damals  von  Barbari  die  Perspektive  gelernt  haben  soll,  dafür  gibt  es  gar 
keine  Beweise. 

-)  Als  Ausspruch  Dürers  in  einem  Brief  Melanchthons  an  Hardenberg.  Thausing  II,  285.  Die 
Antithese  der  Naturbetrachtung  hier  ebenso  wie  in  dem  Brief  an  Georg  von  Anhalt.  Vgl.  Schluß  der 
dritten  Studie. 


III. 


Dürers  Sturm-  und  Drangzeit. 

us  der  Gesamtheit  der  Werke,  die  Dürer  in  den  seiner  Wanderschaft  folgenden 
Jahren  geschaffen  hat,  gewinnt  man  den  Eindruck:  nichts  Abgeschlossenes,  in 
sich  Abgerundetes  ist  es  gewesen,  was  er  von  der  italienischen  Kunst  in  sich 
aufnahm;  es  waren  nur  Bruchstücke.  Mit  Bestimmtheit  zu  formulieren,  was  er  der  ersten 
italienischen  Reise  zu  verdanken  hat,  ist  deshalb  schwer,  weil  er  zu  einer  Zeit  nach  dem 
Süden  ging,  als  er  im  Anfangsstadium  seiner  Entwicklung  stand  und  noch  keins 
seiner  großen  Werke  geschaffen  hatte,  so  daß  es  keinen  Maßstab  dafür  gibt,  wie  er 
geworden  wäre,  hätte  er  Italien  nicht  gesehen.  Sein  innerstes  Wesen  hat  er  jedenfalls 
nicht  verändert,  und  die  Bekanntschaft  mit  dem  Süden  hat  nicht  in  dem  Maße  um- 
gestaltend auf  seine  Phantasie  und  Formanschauung  gewirkt  wie  bei  den  deutschen 
und  niederländischen  Italienfahrern  des  16.  Jahrhunderts.  Als  Gotiker  ist  er  aus- 
gezogen, und  noch  von  spätgotischem  Stilgefühl  beherrscht,  kehrt  er  zurück. 

Gewiß  kam  durch  seine  Verbindung  mit  Italien  ein  größerer  Zug  in  seine  Kunst. 
Alles  wächst  an  Dimension  und  Ausdruck.  Und  die  neuen  Eindrücke  trugen  gewiß 
dazu  bei,  daß  er  aus  der  beschränkten  Spießbürgerlichkeit,  in  der  die  heimische  Nürn- 
berger Malerei  befangen  war,  herausgerissen  wurde.  Nach  seiner  Rückkehr  ergeht  er 
sich  gern  in  großen  Formaten.  Es  entstehen  die  umfangreichen,  machtvollen  Holz- 
schnitte der  neunziger  Jahre. 

Technische  Errungenschaften  mag  er  gleichfalls  mit  heimgebracht  haben,  wie 
das  Malen  mit  Leimfarben  auf  Leinwand.  Er  hat  diese  Methode,  die  in  der  Padua- 
nischen Schule  gebräuchlich,  in  Deutschland  aber  damals  noch  nicht  verbreitet  war, 
bei  dem  Mittelbild  des  Dresdener  Altars  und  dem  Bildnis  Friedrichs  des  Weisen  in 
Berlin  angewandt. 

Der  schönen  Form  und  dem  Linienschwung  der  italienischen  Kunst  gegen- 
über hat  er  sich,  wenn  auch  nicht  ganz,  so  doch  im  Grunde  ablehnend  verhalten.  In 
welcher  Weise  er  auch  nach  dieser  Richtung  Anregungen  aufnahm  und  verwertete, 
ist  in  der  vorigen  Studie  an  einigen  Fällen  erwiesen  worden. 

Der  Meister,  der  ihn  vor  allen  angezogen  haben  muß,  war  Mantegna.  Eine 
Berührung  mit  der  auf  das  Erhaben-Ausdrucksvolle,  Pathetisch-Großartige  gerichteten 
Seite  seiner  Kunst  mochte  bei  Dürer  etwas  wecken,  was  schon  längst  in  seiner  eigenen 
Natur  schlummerte,  dessen  Verwirklichungsmöglichkeit  und  Verwertbarkeit  er  sich  aber 


63 


noch  nicht  voll  bewußt  geworden  war.  Dort  trat  ihm  eine  Steigerung  der  mensch- 
lichen Persönlichkeit  entgegen,  welche  die  deutsche  Kunst  nicht  kannte.  In  der 
Apokalypse  zeigt  sich,  wie  das  Pathos  Mantegnas  auf  ihn  gewirkt  hat.  Etwas  Ge- 
waltiges, oft  sogar  Gewaltsames  kommt  nach  der  italienischen  Reise  in  seine  Kunst. 

Wir  sahen  dann,  in  welchem  Maße  ihm  das  echt  italienische  Vergnügen  an 
dem  Gliederbau  nackter  Körper  durch  Eindrücke  des  Südens  aufging.  Hier  kreuzten 
sich  Einflüsse  Mantegnas  mit  solchen  Pollajuolos,  Barbaris  und  wohl  noch  anderer 
Meister,  so  daß  für  uns  im  ganzen  nur  eine  allgemein-italienische  Beeinflussung  zu 
bemerken  ist.  Den  nackten  Körper  in  italienischem  Sinne  nach  seiner  Anatomie,  Musku- 
latur und  Ponderation  von  sich  aus  wirklich  zu  beherrschen,  das  hat  Dürer  damals 
nicht  gelernt.  Er  übernahm  vom  Süden  eine  leidenschaftliche,  aber  zum  Teil  recht 
unglückliche  Liebe  zum  Nackten  in  Verbindung  mit  mythologisch-novellistischen 
Stoffen  — ,  aber  er  wußte  das  Nackte  noch  nicht  zu  organisieren  und  greift  deshalb 
verschiedentlich  auf  seine  italienischen  Vorbilder  zurück.  Das  Nackte  bildete  ein 
Problem  für  ihn,  das  aufgestellt  war  und  energisch  hin  und  her  erwogen  wurde, 
aber  in  den  neunziger  Jahren  noch  nicht  einer  endgültigen  Lösung  entgegengeführt 
werden  konnte. 

Endlich  läßt  sich  hie  und  da  ein  Eingehen  auf  italienisches  Sentimento  bei  Dürer 
beobachten.  Jenes  Elegische  im  Gefühlsausdruck,  das  gewissen  italienischen  Köpfen 
eigen  ist,  kommt  bei  ihm  zuweilen  vor,  bei  mythologischen  und  genrehaften  Darstellun- 
gen. Es  gibt  weibliche  Idealköpfe  von  ihm,  die  in  der  damaligen  deutschen  Kunst 
ganz  für  sich  dastehen,  denen  er  etwas  Sentimental-Heroisches  ins  Antlitz  zu  legen 
sich  bemüht  hat.  Sie  können  nicht  unmittelbar  germanischen  Vorstellungskreisen  ent- 
sprungen sein.  Der  Ausdruck  des  Heroischen  als  eines  besonderen  Typus  wird  durch 
ihn  überhaupt  erst  der  deutschen  Kunst  vermittelt. 

Weit  bedeutungsvoller  aber  als  alles  Italienisierende  ist  für  seine  Kunst,  was 
sich  aus  seiner  eigenen  Natur  heraus  entwickelt  hat. 

Eine  Seite  seiner  Begabung  ist  augenscheinlich  auf  der  Reise  nach  Italien  so 
recht  zur  Entfaltung  gekommen  und  durch  die  Wanderung  über  die  Alpen  gefördert 
worden:  die  Darstellung  der  Landschaft. 

Wir  haben  keine  selbständige  Landschaftsstudie,  die  vor  der  ersten  italienischen 
Reise  entstanden  sein  könnte.  Die  landschaftlichen  Szenerieen  auf  Arbeiten  der 
Wanderschaft  weisen  Elemente  auf,  die  dem  Motivenschatz  der  früheren  deutschen 
Kunst  entnommen  sind,  neben  Objekten,  die  der  Künstler  selbst  beobachtet  und  seiner 
Beobachtung  gemäß  dann  aus  dem  Gedächtnis  reproduziert  hat.  Diese  Landschaften 
sind  also  komponierte  Phantasiegebilde,  die  mit  der  Tendenz  möglichst  natürlich  zu 
erscheinen  auftreten.  Für  jede  Art  von  Stoffen  werden  solche  echt  deutsch  anmutenden 
Szenerieen  verwandt.  (Vgl.  die  ähnlich  konstruierten  Landschaften  auf  der  Madonna- 
Rodrigues  in  Berlin  und  der  Europa-Zeichnung  der  Albertina.) 

Auf  dem  Gebiete  der  Landschaft  ist  Dürer  Einflüssen  italienischer  Meister  gar 
nicht  zugänglich  gewesen.  Den  phantastischen  Elementen  gegenüber,  wie  sie  etwa 
paduanische  oder  andere  oberitalienische  Landschaften  enthalten,  hat  er  sich  durchweg 
ablehnend  verhalten.  Im  Landschaftichen  waren  es  dann  gerade  die  Italiener,  die 
seine  Werke  nach  den  verschiedensten  Richtungen  ausbeuteten.  Bezeichnend  für 
seine  Art  ist  es  schon,  wie  er  die  Szenerie  des  von  ihm  kopierten  italienischen 


64 


Orpheus-Stiches  (1494)  umgearbeitet  hat.1)  Mit  ein  paar  Strichen  fügt  er  eins  der  ihm 
so  leicht  von  der  Hand  gehenden,  ganz  deutsch  anmutenden  Landschaftsbilder  auf  der 
linken  Seite  ein. 

Auf  der  Reise  über  die  Alpen  wurde  er  —  zuerst  für  uns  sichtbar  —  durch 
landschaftliche  Eindrücke  so  gefangen  genommen,  daß  er  Örtlichkeiten,  wie  sie  ihm 
von  einem  bestimmten  Standpunkt  aus  erschienen,  aufnahm,  und  daraus  teils  mit  der 
Feder  angelegte  Zeichnungen,  teils  sorgfältig  ausgeführte  Wasserfarbenmalereien  schuf. 
Dürer  ist  damit  der  Schöpfer  der  eigentlichen  Vedute  in  der  deutschen  Kunst  geworden. 
Durch  keine  niederländische  Anschauungsweise,  wie  wir  sie  bei  dem  Meister  des 
Peringsdörfferschen  Altars  noch  antrafen,  ist  sein  Blick  der  Natur  gegenüber  beein- 
trächtigt.   Er  sieht  nur  mit  eigenen  Augen. 

Es  dürfte  heute  kaum  noch  Widerspruch  finden,  daß  die  Tiroler  Land- 
schaftsstudien in  den  neunziger  Jahren  entstanden  sind:  Innsbruck,  Trient,  Venediger 
Klause  usw.  Aus  ihnen  hat  Haendcke'2)  auch  bestimmte  Argumente  beizubringen  ge- 
sucht, die  beweisen  sollen,  daß  Dürer  vor  der  venezianischen  Reise  i.  J.  1505  schon 
einmal  den  Brenner  überschritten  haben  müsse.  An  zweifellos  früher  entstandenen 
Arbeiten  weist  er  Tiroler  Reminiszenzen  nach.  Die  Landschaft  auf  dem  „großen  Glück" 
soll  das  Städtchen  Klausen  an  der  Brennerstraße  darstellen,  und  das  trifft  gewiß  zu. 
Die  schwalbenschwanzförmigen  Zinnen  an  der  Burg  auf  der  Wasserfarbenmalerei  des 
Louvre  (L.  301),  die  auf  dem  Stich  des  hl.  Eustachius  wiederkehrt,')  könne  Dürer  nur 
in  Tirol  oder  Italien  gesehen  haben.  Überzeugend  ist  die  Beobachtung,  daß  ein  Teil 
der  Ansicht  von  Trient  (Bremen,  L.  109)  im  Hintergrund  der  sicherlich  um  1500  ent- 
standenen allegorischen  Zeichnung  (Pupila  Augusta)  in  Windsor  (L.  389)  vorkommt.4) 

Die  Landschaftsbilder  aus  Tirol  und  die  mit  ihnen  im  Zusammenhang  zu 
denkenden  zeichnen  sich  durch  Frische  der  Naturbeobachtung,  durch  einfache,  schlichte 
Anschaulichkeit  und  Sachlichkeit  aus.  Der  Künstler  tritt  mit  naivem  Sinn  an  die 
Objekte  der  Natur  heran  und  bemüht  sich  sie  getreu  zu  reproduzieren,  so  wie  er  sie 
sieht.  Seine  Darstellungsweise  sucht  er  aus  dem  Augenschein  heraus  zu  entwickeln 
unter  möglichster  Vermeidung  von  konventionellen,  nur  aus  der  Tradition  geschöpften 
Formen.  Er  legt  sich  einen  künstlerisch  wirksamen  Naturausschnitt  zurecht,  und  er 
ist  einer  der  ersten,  der  den  Blick  auf  das  Ganze  solch  eines  Naturausschnitts  zu 
richten  weiß,  ohne  am  einzelnen  hängen  zu  bleiben,  wie  die  meisten  seiner  Vorgänger. 
Mit  seinem  Auge  umfaßt  er  mehr  als  diese  und  läßt  sich  auf  jene  alte,  durchgehends 
miniaturartig-detaillierende  Wiedergabe  nicht  mehr  ein.  Seine  Veduten  gliedert  er 
schon  nach  Massen  und  verleiht  seiner  Bühne  eine  einheitliche  Richtung  nach  der 
Tiefe,  wie  auf  der  Ansicht  von  Trient  (L.  109). 

Koloristisch  beschreitet  er  in  den  Wasserfarbenmalereien  neue  Bahnen. 


1)  Vgl.  oben  S.  36. 

2)  Die  Chronologie  der  Landschaften  A.  Dürers.   Straßburg,  180Q. 

!i)  Daß  die  Partie  mit  der  Burg  sich  auf  dem  Eustachius  in  gleichem  Sinne  findet,  ist  noch 
kein  Grund  die  Pariser  Zeichnung  anzuzweifeln,  wie  L.  Justi  es  tut.  Repertorium  f.  K.  XXVI,  1903,  S.  457  A.  7. 
Wie  weiter  unten  gezeigt  wird,  hat  Dürer  auch  ein  Stück  einer  anderen  Landschaftszeichnung  in  eine 
graphische  Arbeit  im  gleichen  Sinne  übernommen.  Bedenklicher  stimmen  gegen  die  Pariser  Zeichnung 
allerdings  die  unteren  Ausschnitte,  auf  die  Justi  hinweist. 

4)  Vgl.  oben  S.  55.  Bekanntlich  ist  die  Szenerie  dann  wieder  für  den  Kupferstich  des  hl.  An- 
tonius 1519  (B.  58)  benutzt  worden. 


65 


Er  hat  auch  kleinere  Ausschnitte  von  Naturszenerieen  geschaffen,  um  sich  der 
Struktur  einer  bestimmten  ihn  interessierenden  Örtlichkeit  zu  bemächtigen. 

Im  unmittelbaren  Verkehr  mit  der  Natur  kennt  er  keine  sentimentale  Anwand- 
lung.   Er  bezweckt  objektive  Abbilder,  keine  Stimmungsbilder. 

Für  die  Hochgebirgsnatur  hatte  er  eine  besondere  Vorliebe;  und  die  übertrug 
sich  auf  seine  Schüler  und  Nachfolger.  Höhenzüge  mit  schneebedeckten  Gipfeln 
werden  seit  1500  in  Oberdeutschland  allgemein  gern  verwendet. 

Die  meisten  Gemälde  des  jungen  Dürer  enthalten  Gebirgsszenerieen,  sowohl 
Porträts  (Selbstbildnis  von  1498,  Tucher-Porträts  in  Weimar  und  Cassel),  wie  andere 
Bilder  (Beweinung,  München;  Anbetung  der  Könige,  Uffizien);  auch  eine  ganze  Anzahl 
graphischer  Blätter.  Ein  besonders  großartig  zusammengefaßter  Hochgebirgsaus- 
schnitt  von  intensiver  Wirkung  auf  dem  Madrider  Selbstporträt.  Solche  Bergreihen 
schließen  den  Hintergrund  mit  stark  bewegten,  energischen  Linien  ab,  und  das 
liebte  Dürer. 

In  welcher  Weise  er  aus  den  Landschaftsstudien,  die  er  sich  gesammelt  hat, 
für  seine  Werke  Motive  schöpft,  läßt  sich  an  verschiedenen  Beispielen  verfolgen.  Die 
Verwertung  von  Tiroler  Veduten  wurde  schon  vorhin  erwähnt. 

Obwohl  er  der  erste  ist,  der  eine  Landschaftsstudie  als  Ganzes  um  ihrer  selbst 
willen  geschaffen  hat,  übernimmt  er  eine  solche  doch  nicht  in  ihrer  Totalität  in  das 
Werk,  in  dem  sie  Verwendung  finden  soll,  sondern  er  schneidet  sich  einzelne  Stücke 
heraus  und  versetzt  Teile,  wie  es  ihm  gerade  für  sein  Bild  zweckdienlich  erscheint. 
Aus  einzelnen  Partieen  der  Vorlage  oder  verschiedener  Vorlagen  konstruiert  er  sich 
ein  neues  Ganzes,  je  nach  seinen  formalen  und  dekorativen  Absichten.  Der  Begriff 
der  Landschaftsstudie  als  eines  Stimmungganzen,  dessen  Grundelement  zu  wahren 
ist,  wie  ihn  die  moderne  Kunst  kennt,  existiert  für  ihn  nicht.  Die  Art  seines  Vor- 
gehens wird  deutlich  bei  einem  Vergleich  der  Landschaft  der  Meerkatzen -Madonna 
mit  ihrer  Vorlage,  der  Londoner  Wasserfarbenzeichnung  des  Weiherhäuschens, 
worauf  schon  von  L.  Justi  für  diesen  Fall  verwiesen  worden  ist.1)  Die  mit  dem 
Londoner  Blatt  vorgenommenen  Verschiebungen  und  Veränderungen  sind  sehr  merk- 
würdig, z.  B.,  wie  er  die  langen  Grasbüschel,  die  hier  auf  der  rechten  Seite  am  Wasser 
stehen,  im  Stich  aus  der  Rasenbank  der  Maria  hervorwachsen  läßt.  Was  er  im 
übrigen  hinzugesetzt,  was  er  fortgelassen  und  verändert  hat,  ist  ja  leicht  weiterzuführen. 

In  einen  anderen,  für  die  Beziehung  zwischen  Entwurf  und  ausgeführtem 
Werk  interessanten  Fall  gewährt  die  Erlanger  Zeichnung  (L  431)  Einblick:  Eine  Ge- 
birgslandschaft mit  zackigen  Felsen  und  einem  See.  Offenbar  ein  Phantasieprodukt, 
keine  unmittelbare  Naturstudie,  als  die  Haendcke  (S.  6)  sie  hinstellt.  Die  Mitte  mit  dem 
eingesattelten  Berg  und  den  übereinander  gereihten  Höhenzügen  findet  sich  im  gleichen 
Sinn  als  Mittelstück  des  Hintergrundes  auf  dem  Holzschnitt  der  Heimsuchung  im 
Marieenleben  wieder.'2)  Aber  die  Wasserpartie  ist  fortgelassen,  und  stattdessen  eine 
Szenerie  in  der  Art  der  Tiroler  Felsenburgen  vor  jene  Berge  gesetzt.  Auch  hier 
stehen  wir  vor  jenem  schon  von  L.  Justi  gekennzeichneten  Prozeß  des  Zusammen- 
stückens landschaftlicher  Gründe  aus  verschiedenen  heterogenen  Bestandteilen.  Das 


x)  Repertorium  f.  K.  XXVI  1903,  S.  467. 

-)  Auf  dem  Entwurf  zu  diesem  Holzschnitt  in  der  Albertina  (L.  473)  kommt  diese  Partie  noch 
nicht  vor.    Da  ist  eine  Landschaft  nur  ganz  flüchtig  aus  dem  Kopf  mit  ein  paar  Strichen  hingeworfen. 

5 


66 

Umsetzen  einer  Vorlage  im  Gegensinn  machte  Dürer  gewiß  nicht  die  geringste 
Schwierigkeit.  Er,  der  gewiegte  Graphiker,  besaß  darin  offenbar  eine  solche  Leichtig- 
keit und  Raschheit,  von  der  sich  der  Laie  kaum  eine  Vorstellung  machen  kann. 

Die  Erlanger  Zeichnung  wird  nicht  vor  1500  entstanden  sein.  Mit  den  frühsten 
Landschaften,  wie  Haendcke  will,  ist  sie  gar  nicht  auf  eine  Stufe  zu  stellen.  Dazu  ist 
sie  viel  zu  frei  und  groß  konzipiert.  Sie  bietet  den  Entwurf  eines  für  bestimmte 
Zwecke  zugerichteten  Hintergrundes  und  ist,  wie  schon  erwähnt,  gewiß  nicht  vor  der 
Natur  geschaffen.  Das  geht  aus  der  ganzen  Art  der  Anlage  hervor:  vorn  rechts  der 
große  Baum  als  Repoussoir,  links  die  Felspartie  als  Seitenkulisse  (wie  sie  ähnlich  z.  B. 
auf  der  Münchener  Beweinung  vorkommt,  deren  Landschaft  mit  den  beiden  soeben 
behandelten  überhaupt  verwandt  ist).1)  Die  Zeichnung  bietet  ein  wichtiges  Beispiel, 
wie  eine  komponierte  Landschaftsstudie  von  Dürer  aussah,  die  unmittelbar  für  die  Be- 
nutzung zurecht  gemacht  war,  ganz  anders  als  die  gewöhnlichen  Naturstudien. 

Der  Akt  des  Umarbeitens  einer  Naturstudie  in  eine  im  Dürerschen  Sinne  bild- 
fertige Landschaft  kann  sich  nun  aber  nicht  allemal  auf  ein  bloßes  Verschieben,  An- 
setzen oder  Abschneiden  von  Bestandteilen  nach  formalen  Gesichtspunkten  beschränkt 
haben.  Während  die  Naturstudien,  wie  wir  sahen,  ganz  objektiv,  sachlich  gehalten 
sind,  macht  sich  bei  einigen  der  im  Rahmen  ausgeführter  Werke  auftretenden  Land- 
schaften hie  und  da  ein  mehr  subjektives  Element  bemerkbar.  Man  meint  zuweilen 
etwas  wie  eine  Beseelung  der  Natur  durchzufühlen,  als  nehme  sie  Teil  an  Stimmungen, 
die  in  den  dargestellten  Vorgängen  zum  Ausdruck  kommen,  als  sei  ihr  eine  Psyche 
eingehaucht.  Die  Gegenstände  der  Natur  subjektivieren  sich  für  den  Künstler,  scheinen 
zu  empfinden,  wie  er  empfindet.  Dadurch  verliert  die  Naturdarstellung  das  Starre, 
Regungs-  und  Teilnahmlose,  das  sie  vorher  in  der  deutschen  Kunst  gehabt  hat,  und 
in  die  Wiedergabe  der  Landschaft  kommen  neue  Stimmungselemente.  Natürlich  handelt 
es  sich  nur  um  leise,  tastende  Anfänge.  Dürers  Graphik  vermag  dergleichen  kraft 
eines  besonderen  Linienausdrucks.  Neben  ihrer  dekorativen  hat  die  Linie  stellenweise 
auch  eine  psychologische  Funktion  als  Vermittlerin  seelischer  Emotionen.  An  ihr 
hängt  das  innere  Leben,  das  der  Künstler  einer  Landschaftsdarstellung  einflößt.  —  Die 
Farbe  spielt  als  Stimmungsfaktor  in  den  Landschaften  ausgeführter  Gemälde  kaum 
eine  Rolle. 

Dürer  bringt  auch  bei  manchen  Gelegenheiten  mit  Bewußtsein  ein  romantisches 
Element  in  die  Naturdarstellung.  Die  romantische  Landschaft  als  Phantasielandschaft, 
an  die  sich  gewisse  poetische  Stimmungen  knüpfen,  ist  von  ihm  auf  realistischer  Grund- 
lage in  eigenartiger  Weise  ausgebildet  worden.  Das  Märchenhafte  sucht  er  z.  B.  bei 
der  Geburt  Christi  oder  der  Anbetung  der  Könige  durch  eine  Ruinenromantik  zum 
Ausdruck  zu  bringen,  wobei  er  sich  für  den  Schauplatz  wohl  an  eine  Tradition  an- 
schließt, aber  über  alles  Traditionelle  hinausgehend  den  Stimmungscharakter  vertieft. 
Verfallendes  Gemäuer,  knorriges  Geäst,  verwobenes  Gestrüpp,  hängendes  Gras  zwischen 
bröckelndem  Gestein,  das  hat  er  zu  romantischen  Szenerieen  vereinigt.  Und  das  alles 
ist  ganz  aus  deutschem  Gemüt  heraus  erfunden  und  ausgestaltet,  und  ist  ein  kost- 
bares Besitztum  der  germanischen  Volksphantasie  geworden.  Auch  in  die  Romantik 
des  Waldes  hat  er  zuerst  sich  künstlerisch  einzuleben  gesucht.    Und  darin  sind  ihm 


*)  Ähnliches  auch  auf  dem  Hintergrund  der  Landschaft  der  Maria  mit  den  vielen  Tieren 

in  Wien. 


67 


Schüler  und  Bewunderer  wie  Baidung,  Altdorffer,  gewisse  Schweizer  u.  a.  gefolgt.  Sie 
haben  die  assoziativen  Elemente,  auf  denen  die  Hervorbringung  einer  romantischen 
Stimmung  bei  ihm  beruhte,  erkannt,  weitergebildet  und  sogar  bis  zu  Extremen  gesteigert. 

Dem  Holzschnitt  sind  die  größten  Offenbarungen  der  Jugendepoche  Dürers 
zu  verdanken.  Er  hat  ihm  ganz  neue  Wirkungsmittel  entlockt  und  solche  aus  den 
Eigenschaften  seiner  Technik  heraus  entwickelt.  Die  Werke,  für  die  er  ihn  verwandte, 
haben  in  ihrem  künstlerischen  Charakter  etwas  so  Zwingendes,  daß  man  sie  sich 
in  keiner  anderen  Technik  ausgeführt  denken  könnte.  Er  hat  dem  Holzschnitt  einen 
Stil  gegeben. 

Sturm  und  Drang  —  die  Worte  stellen  sich  unwillkürlich  ein,  wenn  man  sich 
Dürers  Schaffensgang  nach  der  Mitte  der  neunziger  Jahre  vorzustellen  trachtet.  Man 
fühlt  sich  in  eine  Gärungsperiode  versetzt.  Ein  Übermaß  von  Kraft,  ein  Drang 
zum  Mächtigen,  Gewaltigen,  der  indessen  nie  ins  Zügellose  ausartet.  Der  Holz- 
schnitt wird  ein  dem  entsprechendes  künstlerisches  Ausdrucksmittel.  Das  kostbarste 
Dokument  für  diese  Stimmung  ist  die  Apokalypse,  ein  Werk,  das  nicht  nur  den  Höhe- 
punkt der  Frühzeit  bezeichnet,  sondern  uns  auch  neben  den  reifsten  Arbeiten  vor 
allem  teuer  ist. 

Es  ist  darauf  hingewiesen  worden,  daß  Dürers  Holzschnitte  sich  zum  Teil 
ihrem  Grundschema  nach  und  in  ikonographischen  Einzelheiten  an  die  Illustrationen 
der  Offenbarung  in  der  Kobergerschen  Bibel  anlehnen. *)  Aber  wenn  auch  diese  ihm 
von  Jugend  auf  vertrauten  Darstellungen  einen  festen  Bestandteil  seines  inneren  Schauens 
bildeten,  so  daß  er  bei  seinen  Schöpfungen  unwillkürlich  von  ihnen  ausging,  so  zeigt 
doch  ein  Vergleich  mit  ihnen  erst  recht,  wie  neuartig  und  selbständig  seine  künst- 
lerische Auffassung  und  Anschauung  ist.  Man  begnügte  sich  früher,  die  Schilderungen 
der  Offenbarung  Johannis  objektiv  wie  kuriose  Begebenheiten  darzustellen.  Man 
klammerte  sich  an  das  tatsächlich  Gegebene  und  bemühte  sich,  die  himmlischen  Ge- 
sichte schlecht  und  recht,  wie  man  sie  aus  der  Schrift  herauslas,  dem  Volke  verständ- 
lich und  deutlich  zu  machen.  Eines  höheren  Aufschwungs  war  man  nicht  fähig. 
Und  was  man  auch  etwa  dabei  empfand,  vermochte  man  nicht  bildlich  auszudrücken. 
Dürer  als  erster  sucht  den  geistigen  Gehalt  der  Offenbarung  künstlerisch  auszuschöpfen. 
Er  versetzt  sich  in  die  Seele  des  Evangelisten  und  erlebt  subjektiv  alle  heiligen  Schauer 
vor  der  Nähe  des  Göttlichen,  alle  qualvollen  Schauder  vor  dem  himmlischen  Strafgericht 
und  dem  über  die  Menschheit  hereinbrechenden  Wehe  mit.  Diese  seine  subjektive 
Erregung  teilt  er  den  Darstellungen  mit.  Es  ist  die  mystisch -romantische  Seele,  die 
den  phantastischen  Stoff  durchdringt,  ihre  Eingebungen  in  neue  Formen  kleidet  und 
ihnen  individuelles  Leben  verleiht. 

Die  kongeniale  Auffassung,  die  Dürer  für  die  von  Posaunenschall  durch- 
dröhnten Schilderungen  des  Evangelisten  mitbringt,  befähigt  ihn  diese  in  die  gran- 
diosesten Bilder  umzusetzen.  Für  die  deutsche  Kunst  ist  alles  neu  an  dieser  Art  der 
Vergegenwärtigung.  Das  Erscheinen  von  Dürers  Apokalypse  markiert  den  Schritt 
vom  Grotesken  zum  Dämonischen. 

Gewiß  mag  Dürer  Mantegnas  pathetischem  Stil  manche  Anregung  zu  ver- 
danken haben,  wie  man  des  Näheren  zu  begründen  versucht  hat,1)  und  worauf  oben 


')  Thode  im  Jahrb.  der  kgl.  preuß.  Kunstslgn.  III,  S.  115. 
')  G.  v.  Terey,  Dürers  venezianische  Reise. 


5' 


68 


schon  hingewiesen  wurde.  Aber  von  Natur  muß  doch  eine  Disposition  für  das  Ge- 
waltige, Erhabene,  Leidenschaftliche  in  seiner  Seele  Grund  geruht  haben,  die  zur  Ent- 
faltung kam,  nachdem  er  der  Schongauerschen  Grazilität  seinen  Tribut  gezollt  hatte. 
Die  künstlerischen  Mängel  in  Formgebung  und  Zeichnung,  die  der  Jugendarbeit  noch 
anhaften,  kommen  bei  der  neuartigen  und  genialen  Interpretation  und  Bildgestaltung 
des  Schriftinhalts  kaum  zum  Bewußtsein. 

Ist  nun  Dürer  der  einzige  und  erste,  der  einen  solchen  Umschwung  für  die 
deutsche  Kunst  herbeiführt?  Wie  gewöhnlich  am  Anfang  einer  neuen  Entwicklung  liegt 
gleichsam  etwas  in  der  Luft,  dessen  Niederschlag  man  an  verschiedenen  Stellen  spürt. 

Um  eine  für  feinere  seelische  Emotionen  empfängliche  Kunst  ins  Leben  zu 
rufen,  war  zunächst  nötig,  daß  die  Hand  der  Künstler  freier,  Geist  und  Phantasie  be- 
weglicher wurden.  Die  volkstümliche  Holzschnittillustration  hat  dazu  in  nicht  geringem 
Maße  beigetragen.  Die  Volksbücher,  die  illustriert  wurden,  boten  Gelegenheit  ins 
volle  Leben  zu  greifen.  Indem  es  darauf  ankam,  launige  Einfälle,  Bizarres,  Komisches 
in  anregender,  bewegter,  allgemein  verständlicher  Weise  zur  Anschauung  zu  bringen 
gelangte  man  zu  einer  frischeren,  schärfer  pointierenden  Darstellungsweise,  die  mit 
einer  gewissen  Verve  die  Ausgelassenheit  der  Gegenstände  zu  packen  suchte.  Und 
eine  treffsichere  Strichführung,  die  man  sich  erarbeitete,  um  das  Charakteristische  in 
seiner  Momentanität  wirkungsvoll  zu  akzentuieren,  kam  dann  auch  den  Gegenständen 
von  seelisch  tieferem  Gehalt  zugute.  Auf  dem  Boden  der  volkstümlichen  Holzschnitt- 
illustration ist  die  Apokalypse  erwachsen.  Sie  ist  das  erste  Werk,  wo  bei  einem  er- 
habenen, von  hohen  geistigen  Werten  getragenen  Stoff  die  künstlerische  Ausdrucks- 
weise dem  Inhalt  in  moderner  Weise  gerecht  zu  werden  weiß. 

Etwa  zur  Zeit  der  Apokalypse  bemächtigte  sich  aber  überhaupt  der  ober- 
deutschen Malerei  eine  innere,  zu  gewaltsamen  Gefühlsausbrüchen  hinneigende  Er- 
regung, von  welcher  in  Niederdeutschland  in  dem  Maße  nichts  zu  verspüren  ist.  Die 
Werke  Baidungs,  Grünewalds,  des  jungen  Cranach,  deren  Anfänge  zum  Teil  noch  in 
Dunkel  gehüllt  sind,  zeugen  von  einer  solchen  um  die  Wende  des  15.  und  16.  Jahrhunderts 
allgemeiner  sich  geltend  machenden  seelischen  Aufregung.  Und  so  spiegeln  auch  die 
Schöpfungen  der  bildenden  Kunst  einen  leidenschaftlichen  Aufruhr  wieder,  wie  er  dem 
Beginne  der  Reformation  in  der  allgemeinen  Stimmung  voraufging.  Nach  dem  bis 
jetzt  zu  Gebote  stehenden  Material  ist  die  Apokalypse  aber  das  frühste  Werk,  in  dem 
diese  Leidenschaftlichkeit  künstlerischen  Ausdruck  gefunden  hat. 

Die  Apokalypse  geht,  vom  technischen  Standpunkt  angesehen,  auf  eine 
Synthese  des  Schongauerschen  Kupferstich-  und  des  Wolgemutschen  Holzschnitt- 
stils zurück.  Aber  schließlich  ist  es  doch  das  spezifisch  Dürersche,  die  neue  Ge- 
staltungsgabe, was  den  Ausschlag  gibt.  Daß  der  Baseler  Hieronymus  von  1492  mit  der 
Nürnberger  Holzschnitttechnik  im  Zusammenhang  steht,  ist  schon  in  der  ersten  Studie 
betont  worden.  Sind  die  beiden  von  mir  für  Dürer  vorgeschlagenen  frühen  Holzschnitte 
in  Nürnberger  Drucken  tatsächlich  von  ihm,  so  wäre  damit  dargetan,  daß  er  schon 
vor  der  Wanderschaft  für  den  Holzschnitt  arbeitete  und  durch  Nürnberger  Muster 
geschult  wurde.  Wolgemut  ist,  wie  wir  sahen,  einer  der  ersten,  der  dem  Holzschnitt 
durch  stärkere  Licht-  und  Schattenkontraste  eine  tonigere  Wirkung  zu  verleihen  sucht. 
Aber  während  der  Holzschnitt  bei  ihm  noch  ganz  flach  wirkt,  bildet  Dürer  ihn  ins 
Dreidimensional-Plastische  weiter.  Alle  Formen  wie  auch  das  ganze  Raumbild  er- 
halten eine  stärkere  Tiefenrichtung.  Verschieden  geformte  und  abgestufte  Schraffierungs- 


69 


lagen  —  auch  die  Kreuzschraffierung  wird  ausgiebiger  verwertet  —  schaffen  eine 
reiche  Modellierung.  Die  hellsten  Lichter  auf  den  plastischen  Hebungen  bleiben  aus- 
gespart. Der  Holzschnitt  erhält  eine  Kraft  der  Ausdrucksfähigkeit,  eine  bildmäßige 
Tonigkeit,  was  ihn  für  die  größten  Aufgaben  befähigt.  Wirft  man  von  der  Apokalypse 
aus  einen  Blick  zurück  auf  die  Dürer  zugeschriebenen  Baseler  Holzschnitte,  so  erscheint 
der  Abstand  erheblich.  Wessen  Auge  nicht  darauf  eingestellt  ist,  den  von  Dürer 
verschiedenen  Duktus  in  der  Strichführung  zu  erkennen,  den  sollte  doch  das  stutzig 
machen,  daß  sich  bei  allen  diesen  Illustrationen  keine  Ansätze  zu  solchem  tonreichen 
Modellieren  finden,  wie  es  auch  schon  in  den  den  Baseler  Arbeiten  etwa  gleichzeitigen 
Zeichnungen  hervortritt.  Es  spielt  bei  ihm  als  Entwicklungsfaktor  auf  dem  Gebiet 
aller  graphischen  Künste  eine  Rolle,  die  Mittel  von  Schwarz  und  Weiß  immer  sicherer 
auszunutzen,  um  für  eine  kubische  Wirkung  die  Flächenschichten  möglichst  lückenlos 
ineinander  überzuleiten. 

Rein  technisch  betrachtet  bedeuten  die  Holzschnitte  der  Apokalypse  nach 
dieser  Richtung  ein  Anfangsstadium.  Um  das  Jahr  1504  (Marieenleben)  ist  ein  weiterer 
Fortschritt  erreicht.    Und  um  1511/13  ist  der  Meister  auf  der  Höhe. 

Dürer  ist  sich  von  Anfang  an  darüber  klar,  daß  eine  Hauptwirkung  der 
Graphik  auf  einer  künstlerischen  Fleckenverteilung  von  Schwarz  und  Weiß  beruht. 
Der  Grad  der  Feinfühligkeit  bei  der  Fleckenverteilung  mit  Rücksicht  auf  den  dekora- 
tiven Gesamteindruck  ist  für  den  ästhetischen  Wert  bestimmend.  Eine  solche  Fein- 
fühligkeit ist  Dürer  in  hohem  Grade  eigen,  und  sie  zeigt  sich  auch  schon  in  den  frühen 
Zeichnungen.  Deshalb  verliert  seine  Graphik  sehr  rasch  jenes  Wirre,  Undekorative, 
das  vielfach  Blättern  seiner  Vorgänger  anhaftet  und  bei  aller  Kraft  des  Ausdrucks  den 
ästhetischen  Genuß  beeinträchtigt.  Bei  ihm  greift  eine  ganz  bestimmte  Ökonomie 
in  bezug  auf  die  Anlage  von  Flecken  und  Linien  Platz. 

Die  Bedeutung  der  einzelnen  Linie  tritt  für  den  Gesamteindruck  im  Laufe  der 
Entwicklung  mehr  gegen  die  der  Tonfläche  zurück,  wenn  auch  gewiß  bis  zuletzt 
Linienwerte  in  hervorragender  Weise  für  die  Wirkung  maßgebend  sind.  Die  Neuheit 
der  Dürerschen  Linie  mit  ihrer  Lebensfülle  ist  in  der  Frühzeit  neben  Leistungen  anderer 
Künstler  vor  allem  frappierend.  Seine  Linie  vereinigt  zweierlei  Funktionen:  eine  orna- 
mental-dekorative und  eine  psychologisch-expressive.  Als  ornamentale  Chiffre  produ- 
ziert die  Linie  für  sich  bestehende  ästhetische  Werte,  auch  unabhängig  von  dem 
Inhalt,  den  sie  einschließt.  Jede  Form  fügt  sich  einem  bestimmten  dekorativen  Ge- 
schmack, wird  nicht  etwa  ohne  weiteres  aus  Naturvorbildern  heraus  entwickelt. 

Bezeichnend  ist  es,  wie  in  seiner  Formgebung  Altertümliches  und  Neuartiges 
nebeneinander  geht.  Für  die  Darstellung  der  Wolken  z.  B.  verwendet  er  bald  die 
mittelalterlichen  flachen  ornamentalen  Bandwindungen,  die  allerdings  unter  seinen 
Händen  eine  eigene  Lebendigkeit  erhalten,  bald  sucht  er  auf  neue  realistischere 
Weise  den  Charakter  luftiger,  wirbelnder  Massen  herauszubringen.1)  Illusionistische 
und  dekorative  Tendenzen  gehen  Hand  in  Hand. 

Daß  der  Dürerschen  Linie  aber  auch  eine  Ausdrucksenergie  innewohnt,  die 
als  etwas  ganz  Individuelles  dem  Urgrund  seiner  Seele  entspringt,  läßt  sich  nicht 
beweisen,  nur  fühlen. 


')  Die  letztere  Tendenz  wird  dann  in  späteren  Werken  noch  bedeutend  gesteigert. 


70 


Im  Stil  der  Apokalypse  sind  bekanntlich  noch  eine  Anzahl  anderer  Holz- 
schnitte, die  sich  über  die  neunziger  Jahre  verteilen,  gehalten. 

Schon  längst  gilt  allgemein  als  Tatsache,  daß  von  den  Blättern  der  im 
Jahre  1511  erschienenen  „Großen  Holzschnitt-Passion"  die  meisten,  im  ganzen 
sieben,  ihrer  Entstehung  nach  in  das  Ende  des  15.  Jahrhunderts,  die  Zeit  der  Apokalypse 
fallen:  Christus  am  Ölberg,  Geißelung,  Darstellung,  Kreuztragung,  Kreuzigung,  Be- 
weinung, Grablegung.  Das  ergibt  sich  auf  den  ersten  Blick  aus  der  stilistischen 
Verschiedenheit  zwischen  ihnen  und  den  1510  datierten  Blättern  der  Folge.  Sie  stehen 
technisch  ganz  auf  dem  Niveau  der  Apokalypse- Holzschnitte.  Die  anderen  Bestand- 
teile zeigen  der  späteren  Arbeitsweise  entsprechend  jene  weit  bewußtere  Zusammen- 
fassung der  Licht-  und  Schattenpartieen  zu  größeren  Massen,  eine  klarere  Disposition 
von  Hell  und  Dunkel  und  wirken  deshalb  übersichtlicher,  plastischer  und  —  nament- 
auf die  Ferne  hin  —  dekorativer.  Sie  haben  die  stärkste  Bildmäßigkeit,  die  dem  Holz- 
schnitt zu  erreichen  möglich  war. 

Dieselbe  leidenschaftliche  Erregung  in  der  Passion  wie  in  der  Apokalypse. 
Jede  Szene  wird  zu  einer  dramatischen  Aktion,  und  als  solche  wuchtig  zur 
Darstellung  gebracht.  Für  Massen  und  Einzelfiguren  sind  die  Rollen  abgemessen. 
Wenn  Dürer  auch  noch  nicht  imstande  ist,  die  Massen  völlig  zu  organisieren,  so 
wird  doch  durch  die  Anlage  der  Komposition  der  dramatische  Moment  so  unmittel- 
bar zum  Bewußtsein  gebracht,  daß  man  auf  den  ersten  Blick  sozusagen  Herr  der 
Situation  ist.  Ein  großer  Fortschritt  der  Unübersichtlichkeit  früherer  Passionsszenen 
gegenüber.  Bei  allem  Überschwang  des  Gefühlsausdrucks  nichts  Ungebärdiges  und 
Ungebändigtes.    Alles  wirkt  mit  volkstümlicher  Anschaulichkeit  im  besten  Sinne. 

So  gewinnt  er  einer  der  populärsten  Aufgaben  in  Deutschland,  an  der  sich 
schon  die  vorhergehenden  Generationen  mit  aller  Energie  versucht  hatten,  ganz  neue 
Seiten  ab.  Schongauersche  Passionsszenen  wirken  phlegmatisch  neben  den  seinigen, 
Wolgemut  ordinär.  Er  hat  das  Leben  und  Leiden  Christi  in  jene  ergreifenden,  auf 
das  Gemüt  wirkenden  Bilder  gefaßt,  bei  denen  das  allgemein  Menschliche  so  tief  zum 
Ausdruck  kommt  wie  vielleicht  nur  bei  Rembrandtschen  Passionsszenen.  Dabei  setzt  er 
sich  keineswegs  über  jede  Tradition  hinweg.  Wie  die  Haltung  seines  Christus  in  der 
Kreuztragung  auf  Schongauer  zurückgeht,  ist  bekannt.  Aber  was  ist  bei  ihm  daraus 
geworden!  Daß  sich  Raffael  daran  begeistern  konnte!  Die  Szenen  bekunden  in  manchen 
Zügen  auch  noch  den  Zusammenhang  mit  den  Passionsspielen.1)  Das  Groteske  tritt 
bei  ihm  seinen  Vorgängern  gegenüber  in  gemilderter  Form  auf.  Es  macht  sich  nicht 
mehr  so  breit  wie  früher.  Und  er  sucht  immer  nach  psychologischen  Motivierungen. 

Derselbe  neue  Geist,  der  Luther  dazu  trieb  sich  an  die  Quellen  der  Offen- 
barung zu  wenden,  rief  Dürers  selbständige  und  lebendige  künstlerische  Inter- 
pretationen der  heiligen  Schrift  hervor. 

Und  diese  Holzschnitte  stehen  am  Anfang  einer  glorreichen  Reihe  von 
Passionsszenen  und  sind  von  ihm  später  noch  übertroffen  worden. 

Mit  den  Blättern  der  beiden  Folgen  steht  eine  Anzahl  anderer  Holzschnitte 
in  Zusammenhang,  die  sich  auf  die  neunziger  Jahre  bis  zum  Beginn  des  16.  Jahr- 
hunderts verteilen,  alle  von  großem  Format  und  gleicher  Stilistik,  zum  Teil  von  demselben 


:)  Vgl.  darüber  Tscheuschner:  Die  deutsche  Passionsbühne  u.  d.  deutsche  Malerei  im  15.  und 
16.  Jahrh.   Repertor.  f.  K.  XXVIII,  1905. 


25.   Marter  des  heil.  Sebastian. 
Pass.  182. 


72 


26.  Ulsenius. 
Nürnberg  1496. 


Feuer  durchlodert  wie  Apokalypse  und 
große  Passion:  Das  Männerbad,1) 
Marter  der  hl.  Katharina,  Samson 
im  Kampf  mit  dem  Löwen,  „Er- 
cules"'),  Ritter  und  Landsknecht, 
Madonna  mit  den  drei  Hasen, 
Marter  der  Zehntausend. 

Von  einigen  dieser  Blätter  gibt 
es  verschiedene  Exemplare,  mit  und 
ohne  Monogramm.  In  beiden  Zu- 
ständen besitzt  das  Berliner  Kupfer- 
stich-Kabinett: Männerbad,  Ercules, 
Ritter  und  Landsknecht,  Marter  der 
Zehntausend.  Bei  einem  Vergleich 
kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  daß 
die  Schnitte  ohne  Monogramm  die 
schwächeren  sind,  sowohl  hinsichtlich 
der  Zeichnung  wie  der  Schneidetechnik. 
Thausing  hielt  auch  sie  für  eigen- 
händig.5) Seiner  Hypothese  über  die 
Jugendgeschichte  Dürers  zu  Liebe 
nahm  er  sie  als  die  erste  Redaktion 
der  Darstellungen  in  Anspruch,  die 
der  Künstler  noch  in  der  Werkstatt 
Wolgemuts  geschaffen  hätte,  der  er 
nach  Thausing  noch  einige  Jahre  nach 
seiner  Rückkehr  von  der  Wander- 
schaft angehört  haben  soll,  ehe  er  sich 
selbständig  machte  und  sein  bekanntes 
Monogramm  annahm.  Diese  Erklärung 
des  Verhältnisses  der  verschiedenen 
Zustände  hält  ebensowenig  stand  wie 
Dürers  angebliche  Tätigkeit  im  Verein 
mit  Wolgemut.  Es  kann  sich  nur  um 
Nachschnitte  nach  den  Dürerschen 
monogrammierten  Blättern  handeln,  die 
schon  bald  nach  Entstehung  der  letz- 
teren in  Umlauf  gesetzt  sein  mögen, 
da  es  einen  wirksamen  Schutz  für 
künstlerisches  Eigentum  damals  noch 
nicht  gab. 

')  Vgl.  oben  S.  46. 
-)  Vgl.  oben  S.  50. 

3)  Vgl.  Mitteilgn.  des  Inst.  f.  österr. 
Gesch.-Forschg.  III  Heft  I,  Dürers  frühe  Holz- 
schnitte ohne  Monogramm. 


73 


Zu  solchen  Nachschnitten  nach  Dürerschen  Originalen  gehört  vermutlich  auch 
das  Martyrium  des  hl.  Sebastian  (P.  182.  Abb.  25).  Die  Zeichnung  geht,  wie  ich 
bestimmt  glaube,  auf  Dürer  zurück,1)  aber  der  Schnitt  ist  schlechter  als  bei  den 
großen  Blättern  der  neunziger  Jahre. 

Dagegen  kann  ich  den  „Syphilitiker"  vom  Jahre  1496  überhaupt  nicht  als  eine 
Arbeit  Dürers  anerkennen.-)  Von  dem  in  zwei  Exemplaren  erhaltenen  Einblattdruck 
(beide  zusammen  auf  der  Wiener  Hofbibliothek,  Schreiber  1926)  enthält  der  mit  dem 
Druckjahr  1496  versehene  den  früheren  und  besseren  Abzug  (Abb.  26).  Für  Dürer  ist  die 
Darstellung  zu  unbedeutend,  er  hätte  etwas  anderes  daraus  zu  machen  gewußt.  Die 
markige  Formgebung  spricht  nicht  ohne  weiteres  für  ihn.  Ähnliches  kommt  auch  in 
der  gleichzeitigen  Nürnberger  Buchillustration  vor,  wie  das  Titelbild  in  dem  bei  Hoch- 
feder erschienenen  „Büchlein  der  Zuflucht  zu  Maria  in  alten  Oding"  (um  1497). 

Man  hat  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  jedenfalls  schon  mit  einer  Nachahmung 
Dürerscher  Kunst  zu  rechnen.  Wie  sein  Holzschnittstil  der  neunziger  Jahre  imitiert 
worden  ist,  dafür  bietet  ein  interessantes  Beispiel  der  Kupferstich  mit  der  Bekehrung 
Pauli  im  Dresdener  Kabinett  (P.  III,  157,  110.  Abb.  27)3)  Er  zeigt  Eigenheiten  jener 
großen  Blätter  vergröbert.  Dürersche  Bewegung  ist  nachempfunden.  Auch  bei  der 
Landschaft  geht  der  Stecher  von  Dürer  aus. 

Wo  Dürer  selbst  die  Hand  am  Werke  hat,  da  leuchtet  sein  Genius  meist  auch 
durch  alle  äußeren  Entstellungen  hindurch.  So  glaube  ich  ihm  einen  Holzschnitt  bei- 
messen zu  dürfen,  der  in  die  bisherigen  Oeuvre-Verzeichnisse  nicht  aufgenommen,  im 
Berliner  Kupferstich -Kabinett  allerdings  unter  seinem  Namen  eingeordnet  ist:  Eine 
Kreuzigung  von  großen  Dimensionen  (h.  0,57,  br.  0,389.  Abb.  28),  umfangreicher  als 
die  Folgen  und  Einzelblätter  der  neunziger  Jahre.  Ich  kenne  fünf  Exemplare  in  vier 
verschiedenen  Zuständen,  von  denen  zwei  jedoch  nur  Stücke  aus  der  Darstellung 
enthalten. 

1.  Königl.  Kupferstich-Kabinett,  Berlin.  Der  früheste  mir  bekannte  Zustand, 
abgedruckt  von  intakter  Holzplatte.  Der  Stock  schlecht  und  roh  geschnitten,  der  Abzug 
in  vielen  Partieen  verwischt,  auf  zwei  horizontal  geteilte,  aneinander  geklebte  Papierhälften 
gedruckt.  Die  Vorzeichnung  scheint  mir  unbedingt  auf  Dürer  zurückzugehen.  In  Einzel- 
heiten verweise  ich  für  den  Kopf  des  Johannes  auf  den  Johanneskopf  der  Grablegung  in 
der  großen  Passion  (B.  13),  für  den  des  rechten  Schächers  auf  den  des  Johannnes  der 
sieben  Leuchter  in  der  Apokalypse  (B.  62).  Der  ganze  Stilcharakter  ist  durchaus  Dürerisch. 
Den  Alten  mit  dem  Turban  kann  nur  er  erfunden  haben.  Die  Gruppe  des  Johannes  und 
der  neben  ihm  mit  erhobenen  Händen  klagenden  Frau  hat  etwas  Mantegneskes  in  ihrem 
Pathos.  Kleidung  und  Stellung  des  Johannes  scheinen  unmittelbar  auf  ein  italienisches 
Vorbild  zurückzugehen.  Das  Stellungmotiv  ist  verwandt  mit  dem  des  mittleren  die 
Winde  aufhaltenden  Engels  in  der  Apokalypse  (B.  66).  Die  Anlage  der  Landschaft 
mit  dem  Kuppelbau4)  im  Hintergrunde  entspricht  ganz  Dürers  Gepflogenheiten,  und 


')  So  auch  Dodgson  im  Katalog  der  Holzschnitte  des  Brit.  Mus.  S.  268. 

-)  Für  ihn  kürzlich  wieder  in  Anspruch  genommen  durch  Dörnhöffer,  Kunstgeschichtl.  Anzeigen, 
Wien  1905,  S.  50;  Dodgson  im  Katalog  der  Holzschnitte  des  Brit.  Mus.  S.  268  „probably". 

a)  Vgl.  J.  G.  A.  Frenzel,  Bekehrung  des  Paulus,  ein  bisher  unbekanntes  Kupferblatt  etc., 
Leipzig  1854.  Der  Güte  des  Herrn  Geheimrat  Lehrs  verdanke  ich  eine  photographische  Vorlage  für 
die  Abbildung. 

')  Eine  ähnliche  Rundkuppel  auf  Christi  Abschied  im  Marieenleben  (B.  92). 


27.  Bekehrung  Pauli.  Kupferstich.  Dresde 


75 


auch  die  Figuren  im  Mittelgrunde,  die  Reiter  und  würfelnden  Kriegsknechte,  tragen  das 
Gepräge  seines  Stils.  Ganz  ähnlich  im  Charakter  sind  die  kleinen  Figuren  auf  den 
Holzschnitten  der  Kreuzigung  (B.  59),  der  Marter  der  Zehntausend  (B.  117),  und  der 
Baseler  Zeichnung  für  das  Mittelbild  des  St.  Veiter  Altars.  Nichts  mit  Dürer  haben 
aber  die  ganz  ordinären  kleinfigurigen  Szenen  im  Hintergründe  auf  der  oberen  Hälfte 
des  Blattes  zu  tun,  links  vom  Kreuz:  Christus  am  Ölberg  und  Gefangennehmung, 
rechts:  Einzug  nach  Jerusalem,  Judas  am  Baum  hängend.  Sie  sind  von  einer  stümper- 
haften Hand  offenbar  nachträglich  eingefügt  worden  und  fallen  aus  dem  Charakter 
des  Ganzen  heraus.  (In  den  späteren  Abzügen  sind  sie  entfernt.)  Von  diesen  Zu- 
taten abgesehen  ist  die  Anlage  des  Blattes  großartig  und  Dürers  durchaus  würdig. 
Die  Komposition  ist  klarer  und  übersichtlicher  als  bei  den  meisten  Szenen  der  frühen 
Serie  der  großen  Passion,  was  leider  bei  dem  ungeschickten  Schnitt  und  den  schlechten 
Abdrücken  nicht  ganz  zur  Geltung  kommt. 

2.  König!.  Kupferstich-Kabinett,  Berlin.  Die  untere  Hälfte  der  Darstellung  bis 
unmittelbar  über  den  Kopf  der  stehenden  Frau,  durch  zugefügten  oberen  Rand  zu 
einem  selbständigen  Blatt  gemacht.  Sprünge  namentlich  am  rechten  und  unteren 
Rand,  die  auf  dem  ersten  Berliner  Zustand  noch  fehlen,  aber  besserer  Abzug  als  dieser. 

3.  Königl.  Kupferstich-Kabinett,  Dresden.  Oberes  linkes  Viertel  des  ursprüng- 
lichen Blattes  mit  dem  Schächer,  dem  halben  Cruzifixus  und  den  kleinen  Szenen: 
Christus  am  Ölberg  und  Gefangennehmung.  Ein  unterer  Rand  hinzugefügt.  Der 
linke  Rand  mehr  ausgesprungen  als  auf  dem  ersten  Berliner  Zustand.  Sonst  aber 
derselbe  Zustand;  klarerer  Abdruck. 

4.  Königl.  Kupferstich-Kabinett,  Dresden.  Das  ganze  Blatt,  wieder  zusammen- 
gesetzt aus  den  drei  Holzstöcken,  auf  vier  zusammengeklebte  Papierstücke  abgezogen; 
mit  viel  mehr  und  stärkeren  Sprüngen  als  auf  allen  vorhergehenden  Zuständen.  Die 
kleinen  Szenen  der  oberen  Hälfte  alle  entfernt  (herausgeschnitten)  und  von  den  kleinen 
Figuren  im  Mittelgrund  der  unteren  Hälfte  der  den  Wassereimer  tragende  Scherge 
rechts  vom  Kreuz.  Klarer  Abdruck  auf  schlechtem  modernem  Papier.  (Derselbe  Zu- 
stand in  Wien,  Hofbibliothek). 

Die  Entstehung  der  Vorzeichnung  dürfte  um"  1500  anzusetzen  sein. 

Für  den  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  gibt  es  Anhaltspunkte  zur  Datierung 
von  ein  paar  Holzschnitten,  die  als  Illustrationen  zu  Schriften  von  Conrad  Celtes  ent- 
standen sind.  1501  erschien  zum  erstenmal  der  Sebaldus-Holzschnitt  von  Dürer  in 
der  zweiten  Auflage  von  Celtes'  Ode:  De  felicitate  Norimbergae,  dessen  Genesis  von 
Campbell  Dodgson  völlig  klargestellt  worden  ist.1)  Eine  ausdrucksvolle,  mächtige 
Figur  von  durchaus  Dürerschem  Gepräge.  In  technischer  Beziehung  macht  sich  den 
Holzschnitten  der  neunziger  Jahre  gegenüber  bemerkbar,  daß  die  kleinen  Arbeiten 
(Häkchenkomplexe,  Kreuzschraffierungen)  mehr  Raum  einnehmen,  die  langgezogenen 
Geraden  als  Flächenteilungslinien  zurücktreten,  so  daß  im  ganzen  mit  weicheren  Über- 
gängen ins  Runde  modelliert  wird;  eine  Technik,  die  jedenfalls  von  der  umfangreichen 
Beschäftigung  mit  dem  Kupferstich  her  auf  den  Holzschnitt  übertragen  wurde. 

Eng  verwandt  mit  dem  Sebaldus  sind  stilistisch  zwei  Illustrationen  in  Celtes' 
Quatuor  libri  Amorum  (1502).   Die  Philosophie  trägt  Dürers  Monogramm;  aber  auch 


*)  Jahrb.  d.  Kunstslgn.  d.  allerh.  Kaiserh.  1902,  S.  45.   In  der  ersten  Auflage,  die  bei  Bergmann 
von  Olpe  in  Basel  erschien,  ein  Holzschnitt  Wolgemuts. 


28.  Große  Kreuzigung.   Berlin.  Kupferstich-Kabinett. 


77 


die  Darstellung,  wie  Celtes  dem  Kaiser  Maximilian  sein  Buch  überreicht,  darf  ihm  zweifel- 
los zugeschrieben  werden.  Das  Ornamentale  ist  ähnlich  dem  des  Sebaldus- Blattes. 
Die  geschmackvollen  Weinstockverflechtungen  werden  am  Anfang  des  16.  Jahrhunderts 
von  Dürer  für  ornamentale  Zwecke  gern  angewandt.  Durch  ihn  wird  überhaupt  das 
rein  dekorative  Element,  das  in  der  Nürnberger  Buchillustration  des  15.  Jahrhunderts 
anderen  Druckorten  gegenüber  kaum  eine  Rolle  spielt,  wesentlich  gefördert.  (Vgl. 
auch  das  köstliche  Bücherzeichen  für  Pirckheimer  B.  App.  52.) 

Man  merkt  es  den  Holzschnitten  vom  Anfang  des  neuen  Jahrhunderts  an,  daß 
die  Formschneider  Mühe  hatten,  sich  in  die  veränderte  Dürersche  Zeichenweise  einzu- 
arbeiten. Der  Schnitt  der  beiden  Illustrationen  in  den  Libri  amorum  ist  teilweise 
wenig  befriedigend.  An  einigen  Stellen  allerdings  hat  der  Holzschneider  den  feinen 
Linien  des  Zeichners  zu  folgen  gewußt,  wie  besonders  bei  dem  Gesicht  Maximilians; 
aber  an  anderen,  z.  B.  dem  Mantel  des  Celtes,  läßt  er  im  Stich  und  weiß  mit  dem 
Schneidemesser  den  eigentlich  maßgebenden  Strichen  und  Formbestandteilen  der 
Zeichnung  nicht  gerecht  zu  werden. 

Man  hat  mit  diesen  Illustrationen  auch  die  in  Celtes'  Ausgabe  der  Opera 
Rosvithae  (1501)  in  Verbindung  gebracht  und  für  Dürer  in  Anspruch  genommen.  Aber 
schon  darüber  herrscht  Uneinigkeit,  ob  nur  die  ersten  beiden,  gleichsam  die  Titel- 
bilder, oder  alle1)  von  Dürer  herrühren.  Zumeist  ist  nur  von  jenen  als  Arbeiten 
Dürers  die  Rede.  Besonders  nachdem  Giehlow  auf  der  Rückseite  einer  Dürer-Zeich- 
nung bei  Bonnat  in  Paris  (L.  348)  eine  flüchtige  Skizze'2)  als  den  ersten  Entwurf  für 
den  zweiten  Holzschnitt  der  Rosvitha  nachgewiesen  hat,  wagen  sich  kaum  noch 
Zweifel  an  der  Eigenhändigkeit  hervor.  Und  doch  kann  ich  mich  nicht  dazu  ver- 
stehen diese  zuzugeben.  Schon  wenn  man  die  beiden  Illustrationen  chronologisch 
in  das  Werk  Dürers  einordnen  soll,  kommt  man  in  Verlegenheit.  Zu  dem  Holzschnitt- 
stil nach  1500  wollen  sie  ihrer  Technik  nach  nicht  passen.3)  Andererseits  stimmt 
aber  die  ganze  szenarische  Anlage  der  Darstellungen  mit  dem  zu  dieser  Zeit  von 
Dürer  Geschaffenen  überein.  Für  die  Köpfe  allerdings  dürfte  man  bei  Dürer  keine 
Belege  finden.  Und  die  ganze  Art  des  Agierens  der  Figuren,  das  Halten  und  Greifen 
der  Hände  ist  undürerisch.  Es  fehlt  der  Ausdruck  der  Dürerschen  Linie.  Eine 
solche  Auffassung  steht  auch  nicht  ohne  weiteres  im  Widerspruch  mit  der  Tatsache, 
daß  zu  der  einen  Illustration  die  Bonnatsche  Vorzeichnung  von  Dürers  Hand 
existiert.  Dürer  konnte  sehr  gut  eine  so  flüchtige  und  ganz  im  Rohen  gehaltene 
Vorlage  wie  jene  Skizze  geliefert  haben,  und  diese  wäre  dann  von  einem  Atelier- 
genossen weiter  bearbeitet  worden.  Es  gibt  ja  auch  andere  Beispiele,  daß  Dürer  für 
ihm  nahestehende  Künstler  Zeichenvorlagen  lieferte. 

Noch  weniger  als  die  beiden  Titelbilder  der  Opera  Rosvithae  haben  die  Illu- 
strationen in  den  Revelationes  Sanctae  Brigittae  (Koberger  1500)  mit  Dürer  zu  tun, 
dem  sie  von  Passavant  (III  S  183,  Nr.  194)  zugeschrieben  wurden.4)  Der  elfte  Holz- 
schnitt, die  Kreuzigung,  ist  nicht  von  derselben  Hand  wie  die  auf  die  Legende  der 


J)  So  Jaro  Springer,  Sitz.  Ber.  der  Kunstgeschichtl.  Gesellschaft  i.  Berlin  13.  Mai  1904. 

2)  Abgebildet  Dürer-Society  III  1900. 

3)  Dan.  Burkhardt  hat  sich  deshalb  auch  berechtigt  geglaubt  sie  sieben  Jahre  zurückzudatieren. 
Vgl.  Dürers  Aufenthalt  in  Basel,  S.  28.  —  Mir  erschienen  sie  immer  wie  Jugendarbeiten  Hans  Baidungs. 

l)  Sie  sind  auch  noch  von  Kristeller  (Kupferstich  und  Holzschnitt  in   vier  Jahrhunderten 
Berlin  1905  S.  205)  als  Arbeiten  Dürers  aufgenommen. 


29.  Kreuztragung.  Holzschnitt.  Albertina. 


79 


hl.  Brigitta  sich  beziehenden  Illustrationen.  Diese  sind  in  ihrem  Darstellungsschema 
abhängig  von  den  Holzschnitten  der  Lübecker  Rosvitha-Ausgabe  (Gothan  1492),  aber 
frei  umgestaltet.  Dem  Künstler,  der  sie  gezeichnet  hat,  kann  man,  wie  ich  glaube, 
noch  eine  Anzahl  anderer  Arbeiten  zuweisen: 

1.  Eine  Reihe  von  Passionsdarstellungen,  zu  der  der  Holzschnitt  der  Dornen- 
krönung  (Bartsch  Dürer  App.  S.  174  No.  4)  gehört.  Drei  im  Format  und  Stil  mit 
diesem  übereinstimmende  Holzschnitte,  die  offenbar  aus  derselben  Folge  herrühren, 
sind  mir  bis  jetzt  begegnet,  alle  in  neueren  Abdrücken:  Geißelung,  Albertina;  Kreuz- 
tragung,  Albertina  (Abb.  29);  Kreuzigung, 
Berlin  Kupf.  Kab.  (Holzschnitte  16.  Jahrh. 
II,  427—10),  Wien  Hofbibl. 

2.  Eine  Folge  von  Zeichnungen 
aus  der  Legende  des  hl.  Benedikt,1)  die 
in  den  Sammlungen  von  Berlin,  Paris,-) 
München  (Abb.  30,3)  Braunschweig  (Bla- 
sius),')  Wien  (Albertina),  Darmstadt,"') 
London  zerstreut  sind.  Die  Gegenüber- 
stellung unserer  Abbildungen  der  (ver- 
kleinerten) Münchener  Zeichnung  und 
der  Kreuztragung  ergibt  wohl  offenkun- 
dig die  Identität  des  Künstlers.  Campbell 
Dodgson  (Kat.  der  Holzsche.  des  Brit. 
Mus.  S.  502)  will  in  dem  Zeichner  der 
Benedikt- Folge  Wolf  Traut  erkennen, 
was  mich  jedoch  nicht  zu  überzeugen 
vermag. 

3.  Von  gleicher  Hand,  wie  ich 
glaube,  der  Titelholzschnitt  mit  der  Kreuzi- 
gung in  dem  Nürnberger  Druck:  Spiri- 
tualium  personarum  feminei  sexus  facta 
admiratione  digna  (1501). 

Am  Anfang  des  neuen  Jahrhun- 
derts, im  Anschluß  an  die  vorher  be- 
trachteten Illustrationen  von  Dürer  setzen 
die  Arbeiten  ein,  die  Thausing'')  zusammengefaßt  und  als  die  „Stücke  des  schlechten 
Holzwerks",  von  denen  Dürer  in  seinem  Tagebuch  der  niederländischen  Reise  spricht, 
in  Anspruch  genommen  hat:  verschiedene  Heilige  und  Heiligenpaare  (B.  104,  107, 
108,  110,  111,  112,  118,  121).  Diese  Holzschnitte  sind  teilweise  gewiß  rasch  und 
mit  einer  gewissen  Flüchtigkeit  ausgeführt   und   haben   in   ihrer  Wirkung  etwas 


Schon  von  Thausing  I,  277  dem  Meister  der  Brigitta-Illustrationen  zugeschrieben. 
-)  Phot.  Giraudon. 

3)  Phot.  Bruckmann. 

4)  Abgebildet  bei  Hausmann,  Dürer. 

5)  Die  beiden  letzteren  abgebildet  in  der  Publikation  der  Albertina- Handzeichnungen  von 
Schönbrunner  und  Meder. 

6)  I  S.  306. 


30.  Benedikt-Legende.  Zeichnung.  München. 


80 


Rauhes,  aber  das  gibt  ihnen  einen  eigenen  Reiz.  Eine  gesammelte  Kraft  steckt  in 
dieser  Rauheit,  die  etwas  Imponierendes  hat.  Technisch  bemerkenswert  ist,  daß  das 
kupferstichartige  Modellieren  mit  den  flächenhaft  zusammenhängenden,  schmiegsamer 
ineinander  geführten  Schraffierungslagen  an  dieser  Gruppe  besonders  hervortritt.  Ein 
bezeichnendes  Beispiel  ist  die  Entrückung  der  Magdalena  (B.  121).  Da  sind  die  be- 
leuchteten Erhebungen  ausgespart  und  kompakten  Schattenflächen  entgegengesetzt; 
eine  neue  Art  für  das  Runden  des  Körperlichen  wird  in  Anwendung  gebracht.  Und 
die  von  der  tonigeren  Kupferstichmodellierung  hergenommenen  Mittel  werden  dann 
systematisch  weitergebildet. 

Dem  Holzschnitt  ganz  adaptiert  und  für  neue  großartige  Wirkungen  berufen 
tritt  uns  diese  Technik  in  der  Folge  des  Marieenlebens  entgegen,  von  der  die  meisten  Blätter 
in  der  Zeit  um  1504  entstanden  sein  müssen.  Als  Anhaltspunkt  für  die  Datierung 
dient  die  1504  bezeichnete  Begegnung  an  der  goldenen  Pforte.  Einzelne  Blätter 
mögen  schon  früher  geschaffen  und  in  ihren  Entwürfen  bald  nach  1500  konzipiert 
sein.  Zu  den  frühesten  Bestandteilen  des  Marieenlebens  scheinen  mir  Szenen  wie  die 
Heimsuchung  (B.  84),  Geburt  (B.  85),  Anbetung  der  Könige  (B.  86),  Flucht  nach  Ägypten 
(B.  89)  zu  gehören. 

Damit  stehen  wir  für  den  Holzschnitt  an  der  unserer  Betrachtung  gesteckten 

Grenze. 

Der  Kupferstich  ist  eine  Kunstform,  in  der  Dürer  sich  in  anderer  Weise 
ausspricht,  als  im  Holzschnitt.  Er  ist  die  kostbarere,  edlere  Gattung  gegenüber  dem 
volkstümlichen  Holzschnitt.  Die  Technik  gestattet  und  verlangt  größere  Feinheiten, 
zartere  Detailarbeit.  Und  Dürer  legt  hier  auf  vollendete,  ins  Kleinste  gehende  Durch- 
bildung besonderes  Gewicht.  Die  Stoffe,  die  für  ein  kultivierteres  Publikum  berechnet 
waren,  wurden  zumeist  dem  Stich  vorbehalten:  die  Mythologieen,  das  Nackte.  Der 
Stoffkreis  ist  außerdem  noch  mannigfaltig:  Madonnen,  Legendarisches,  Allegorieen, 
Genrehaftes,  Monstra  u.  a.  Passionsszenen  kommen  in  der  uns  beschäftigenden  Zeit 
nicht  vor  und  sind  auch  vor  1508,  dem  Beginn  der  Kupferstich-Passion,  nicht  ge- 
stochen worden.  Das  volkstümlich  Religiöse,  wodurch  auf  größere  Massen  gewirkt 
werden  sollte,  blieb  dem  Holzschnitt  überlassen. 

Dürer  hat  ein  besonders  feines  Gefühl  für  den  metallischen  Charakter  des 
Kupferstichs  gehabt  und  ihm  mit  fortschreitender  Entwicklung  immer  mehr  Rechnung 
getragen.  Das  Blanke,  Spiegelnde  des  Metalls  macht  sich  auch  in  den  Abzügen  für 
die  ästhetische  Wirkung  geltend.  Die  Feinarbeit  der  Modellierung  wird  allmählich  so  ge- 
steigert, daß  die  Rundungen  in  ihrer  Konkavität  gleichsam  etwas  Poliertes  bekommen.  Die 
letzte  Stufe  der  Vollendung  erreicht  er  mit  den  berühmten  Stichen  der  Jahre  1513  und 
1514:  Ritter,  Tod  und  Teufel,  Melancholie  und  Hieronymus  im  Gehäus.  Vorher  setzt 
etwa  um  das  Jahr  1503  eine  neue,  an  die  Jugendperiode  sich  anschließende  Etappe 
ein,  für  welche  Arbeiten  wie  die  säugende  Madonna  (B.  34)  und  das  Todeswappen 
(B.  101)  aus  dem  Jahre  1503,  Adam  und  Eva  1504  (B.  1),  bezeichnend  sind.  Bis 
dahin  läßt  sich  von  den  frühen  Arbeiten  an  eine  fortgesetzte  Verbesserung  und  Ver- 
feinerung der  Stichtechnik  verfolgen. 

Wie  die  Technik  im  Anfang  aus  der  Schongauerschen  hervorwächst,  dafür 
zeugt  besonders  die  Madonna  mit  der  Heuschrecke,  die  jedenfalls  der  früheste  erhaltene 
Stich  ist.1)  Was  ihr  fehlt,  ist  eine  sachgemäße  Modellierung  ins  Runde;  die  Stechweise 


l)  Vgl.  oben  S.  27. 


81 


nimmt  noch  ganz  auf  das  Eckige,  Gebrochene  der  Formgebung  Rücksicht.  Dem  wird 
schon  mehr  abgeholfen  in  den  nächsten  Blättern,  dem  Liebesantrag  (B.  93)  und  den  Lands- 
knechten mit  dem  Türken  (B.  88).  Man  vergleiche  etwa  die  Kniepartie  bei  der  Madonna 
und  der  Frau  des  Liebesantrags.  Wie  anders  -  freilich  auch  noch  unvollkommen  - 
rundet  sich  bei  der  letzteren  das  Gewand  über  den  Knieen  mit  Berücksichtigung  der 
darunterliegenden  Form.  Dürer  strebt  danach,  durch  aneinander  gereihte,  langgezogene 
und  in  sich  geschweifte  Linien  das  Runde  herauszumodellieren.  Diese  Art  behält  er 
lange  bei,  bis  er  nach  und  nach  zu  Beginn  des  zweiten  Jahrzehnts  des  neuen  Jahr- 
hunderts bei  voller  technischer  Reife  zu  jenem  allem  Schematischen  entrückten  System 
gelangt,  unter  möglichster  Aufgabe  der  zeichnerischen  Strichwirkung  durch  fein  gegen- 
einander abgestimmte  Tonmassen  verschiedener  Helligkeitsgrade  den  subtilsten  Model- 
lierungswerten gerecht  zu  werden. 

Bewundernswert  ist  es,  wie  er  in  seiner  ersten  Epoche,  zu  der  Zeit,  als  er  den 
Holzschnittstil  ins  Zeichnerisch-Machtvolle,  Gewaltige  steigert,  den  Kupferstich  ins  Feine, 
zart  und  weich  Modellierende  ausbildet.  Das  Fortschreiten  bis  zu  der  Staffel  um 
1503  läßt  sich  allerdings  nicht  im  einzelnen  urkundlich  festlegen,  da  die  Stiche  bis  auf 
einen  nicht  datiert  sind.  Aber  es  gibt  stilistische  Anhaltspunkte.  Zieht  man  das 
rein  Technische  in  Betracht,  so  darf  man  sagen,  daß  die  an  Schongauer  sich  an- 
schließende Manier  bei  ihm  im  15.  Jahrhundert  herrschend  bleibt  und  auf  das  neue  Ziel 
hin  in  persönlicher  Weise  weitergebildet  wird. 

Nach  der  Form  des  Monogramms  und  dem  Stil  gehören  mit  den  frühen, 
schon  genannten  Blättern  zusammen1):  der  verlorene  Sohn  (B.  28),  die  Buße  des 
Chrysostomus  (B.  63)  und  der  hl.  Hieronymus  (B.  61).  Wie  viel  reicher  sind  die  Szenen 
ausgestaltet  als  bei  Schongauer!  Traditionelles  und  Originales  geht  nebeneinander  her. 
Das  den  Figuren  als  Standfläche  oder  Hintergrund  dienende  sozusagen  neutrale 
Bodenterrain,  das  schon  gelegentlich  der  Berliner  Madonnenzeichnung  erwähnt  wurde, 
bei  Schongauer  meist  aus  nebeneinander  gestellten  Häkchenreihen  bestehend,  wird 
in  Dürers  Stich  kompakter  durch  engverbundene,  langgezogene  Striche  geformt.-) 
Es  steht  außerhalb  der  übrigen  Szenerie,  ist  mit  ihr  nicht  organisch  verwachsen;  und 
das  noch  weit  über  die  Jugendepoche  hinaus.  Daneben  aber  ein  neuer  Reichtum  in 
der  Belebung  der  Bühne.  Ein  Streben  nach  illusionistischen  Wirkungen,  wie  sie  die 
Schwarz -Weiß- Kunst  noch  nicht  kannte.  Die  Dorfidylle  des  verlorenen  Sohnes,  eine 
Offenbarung  heimatlicher,  intimer  Kunst,  die  romantische  Felseinsamkeit  des  Hieronymus, 
das  erschließt  dem  Kupferstich  weite,  bisher  unbebaute  Gebiete.  Figürliches  und 
Landschaft  ist  aber  noch  nicht  zu  einer  Bildeinheit  verschmolzen. 

Die  anderen  allgemein  als  früh  anerkannten  Stiche,  die  sich  anschließen, 
gruppieren  sich  um  das  allein  durch  ein  festes  Datum  gesicherte  Blatt  der  vier  Hexen 
von  1497.  Über  dieses  und  seine  Beziehungen  zur  italienischen  Kunst  ist  in  der  vorigen 
Studie  ausführlich  gesprochen  worden.  Sehen  wir  von  dem  technisch  unvollkommeneren 


')  Die  von  R.  H.  Köhler  in  seinem  zitierten  Katalog  versuchte  chronologische  Anordnung  der 
Stiche  ist  im  ganzen  vortrefflich.  Hier  können  nur  einige  Beispiele  für  die  Entwicklung  heraus- 
gegriffen werden. 

'-)  Beides  zusammen  in  der  Buße  des  Chrysostomus,  wo  auch  die  Formation  der  Felsen  auf 
Schongauer  zurückgeht.  —  Aus  der  Art  und  Anlage  dieses  Terrains  (besonders  auf  späteren  Stichen) 
hat  L.  Justi  (Repertor.  f.  K.  XXI  S.  439)  Schlüsse  für  eine  Beeinflussung  Barbaris  durch  Dürer  gezogen, 
die  mir  jedoch  nicht  zwingend  erscheinen. 

6 


82 


und  deshalb  wohl  früheren  „kleinen  Glück"  ab,  so  tritt  uns  hier  die  erste  ausführliche 
Behandlung  des  Nackten  in  Dürers  Stecherwerk  entgegen.  Die  Modellierung  ist  noch 
unsicher,  tastend,  wie  bei  dem  Frauenakt  der  Uffizien-Zeichnung.  Unregelmäßige 
Strichlagen,  aus  parallelen  und  gekreuzten  Schraffierungen  bestehend,  in  den  Schatten- 
partieen,  zum  Teil  recht  verworren  kombiniert,  wie  auf  dem  Rücken  der  linken  Hexe; 
die  im  Lichte  stehenden  Hebungen  als  ausgesparte  Flächen  herausprallend.  Dann  ein 
stufenweises  Fortschreiten  in  bezug  auf  ein  immer  detaillierteres  Eingehen  auf  die 
Hebungen  und  Senkungen  der  Körperoberfläche:  über  den  Traum  des  Doktors  (B.  76) 
und  die  Mythologieen  (B.  71,  73)  zu  der  Nemesis  (B.  77)  und  dem  1504  datierten 
Stich  Adam  und  Eva  (B.  1),  mit  dem  ein  gewisser  Abschluß  nach  der  Richtung 
erreicht  wird.1) 

Erst  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  überwand  Dürer  nach  und  nach,  was  ihm 
von  der  Schongauerschen  Kunstsprache  anhing.  Wie  stark  er  in  ihrem  Banne  stand, 
läßt  namentlich  auch  der  Gewandstil  auf  den  Kupferstichen  der  neunziger  Jahre  er- 
kennen. Ganz  Schongauerisch  auf  der  Heuschrecken- Madonna.  Bei  den  folgenden 
sucht  er  den  Faltenwurf  klarer  zu  gestalten  und  plastischer  zu  modellieren.  Die 
Drapierung  behält  zunächst  etwas  Zerrissenes,  ist  in  kleinere  Partieen  zerlegt;  schmale, 
beleuchtete  Faltenkämme  neben  dunklen  Faltentälern,  wie  bei  dem  Hieronymus  (B.  61). 
Entwickelter  bei  der  Madonna  mit  der  Meerkatze  (B.  42).  Sie  ist  sicherlich  vor  1500 
entstanden  und  gehört  ihrem  Stil  nach  mit  den  Stichen  der  neunziger  Jahre  eng  zu- 
sammen.') In  bezug  auf  technische  Vollendung  bezeichnet  sie  einen  gewissen  Höhe- 
punkt dieses  Stils.  Es  ist  aber  noch  viel  Schongauerisches  darin.1)  Wie  Dürer 
hierauf  von  dieser  Art  der  im  Kleinen  modellierenden  Gewandbehandlung  dazu  über- 
geht, breitere  Stoffmassen,  nach  Licht  und  Schatten  abgestuft,  gegeneinander  zu  stellen, 
die  einzelnen  Partieen  toniger  und  weicher  zu  verbinden,  dafür  bildet  die  säugende 
Maria  vom  Jahre  1503  (B.  34)  ein  Beispiel.  Und  auf  dem  gleichzeitig  entstandenen 
herrlichen  Todeswappen  (B.  101),  an  dem  Gewand  der  Frau  welche  Kunst  der  Stoff- 
imitation! Hier  geht  überhaupt  alles  infolge  einer  glücklichen  Anlage  der  Modellierungs- 
werte so  ineinander,  daß  sich  das  Ganze,  aus  einiger  Entfernung  betrachtet,  zu  nahezu 
völliger  Bildeinheit  abrundet.  Man  muß  einmal  dieses  Blatt  und  die  Meerkatzen- 
Madonna  in  tadellosen  Abdrücken  nebeneinander  legen,  um  sich  des  Abstandes  der 
letzteren  mit  ihren  zerrissenen  Flächen  bewußt  zu  werden.  Kurz  vor  1503  setzt  jener 
konsequente  Feinstil  ein,  für  den  das  Todeswappen  eines  der  frühsten  hervorragen- 
den Beispiele  ist.  Etwa  zu  gleicher  Zeit  steigert  sich  auch  infolge  einer  sichereren 
und  wirksameren  Fleckenverteilung  die  Harmonie  des  dekorativen  Eindrucks. 

Den  Beginn  von  Dürers  Feinstil  aus  seinen  Beziehungen  zu  Barbari  am  An- 
fang des  neuen  Jahrhunderts  herzuleiten  hat  gar  keine  Berechtigung.  Er  entwickelt 
sich  konsequent  aus  seiner  früheren  Technik  heraus.  Ebensowenig  wie  in  formaler 
läßt  sich  auch  in  kupferstichtechnischer  Hinsicht  nach  1500  ein  Umschwung  wahr- 
nehmen, der  eine  tiefgehende  italienische  Einwirkung  voraussetzte.    Andererseits  aber 


')  Der  stecherischen  Qualität  nach  ist  die  Reihenfolge:  Amymone,  Traum  des  Doktors,  Eifer- 
sucht. —  In  welcher  Weise  die  Proportionsstudien  in  die  obige  Reihe  eingreifen,  hat  Ludwig  Justi  in 
seiner  Schrift  ausgeführt. 

-')  In  dem  an  kuriosen  Datierungen  reichen  Dürer- Abbildungswerk  der  Deutschen  Veiiags- 
Anstalt  1904  (Val.  Scherer)  rangiert  sie  nach  dem  Jahre  1505. 

')  Über  das  Italienisierende  vgl.  oben  S.  58. 


83 


scheinen  mir  auch  die  Gründe  nicht  stichhaltig,  die  Justi  dafür  geltend  macht,  daß 
Barbari  in  seiner  ganzen  Stechkunst  von  Dürer  abhängig  sei.  Er  geht  meiner  Ansicht 
nach  von  der  falschen  Voraussetzung  aus,  daß  das  ganze  Stichwerk  Barbaris,  als 
kompakte  Masse,  in  demselben  Zeitraum  —  nach  seiner  Ansiedelung  in  Deutschland  — 
entstanden  sei.  Kristeller  hat  sein  Oeuvre  schon  in  verschiedene  technisch  und  des- 
halb auch  zeitlich  zu  trennende  Gruppen  zerlegt,  und  ich  stimme  mit  seiner  Einteilung 
im  großen  und  ganzen  überein.  Die  technisch  unentwickeltere  und  deshalb  als  früher 
anzusehende  Gruppe  (z.  B.  Kr.  3,  5,  6,  25,  26,  27)  trägt  stilistisch  einen  ausgesprochen 
venezianischen  Charakter,  und  sie  steht  technisch  gerade  Dürers  Feinstil  erheblich 
fern.  Sie  kann  unmöglich  unter  dem  Einfluß  dieses  Stils  entstanden  sein,  und  Barbari 
deshalb  auch  unmöglich  erst  nach  dem  Zusammensein  mit  Dürer  am  Anfang  des 
16.  Jahrhunderts  von  diesem  das  Stechen  erlernt  und  alle  uns  erhaltenen  Stiche  an- 
gefertigt haben.1)  Ob  auf  die  Ausbildung  von  Barbaris  Feinstil,  wie  er  in  den  Stichen 
Kr.  8,  12,  21,  28,  29,  zutage  tritt,  Dürer  einen  Einfluß  gehabt  hat,  lasse  ich  dahin- 
gestellt; es  gehört  auch  nicht  in  den  Rahmen  dieser  Untersuchung.  Kristeller  tritt 
hier  für  eine  Anlehnung  Barbaris  an  Lucas  von  Leyden  ein.  Jedenfalls  kann  man 
nicht  umhin  anzunehmen,  daß  das,  was  an  der  Technik  der  früheren  Barbari -Stiche 
deutsch  berührt,  auf  dieselben  Quellen  zurückgeht,  denen  Dürers  Technik  entsprungen 
ist:  auf  den  deutschen  Kupferstich  vor  Dürer. 

Den  graphischen  Werken  stehen  die  Gemälde  der  Jugendzeit  an  Zahl  und 
Bedeutung  nach.  Eine  Reihe  von  Porträts,  verschiedene  Altarbilder,  eine  kleine  Madonna 
(1503,  Wien)  und  ein  mythologisches  Bild,  Herkules  (1500,  Nürnberg),  sind  erhalten. 

Von  den  Porträts  sind  als  authentisch  anzusehen:  Kurfürst  Friedrich  der 
Weise  (Berlin),  Selbstbildnis  (1498,  Madrid),  Hans  und  Felicitas  Tucher  (1499,  Weimar), 
Elsbeth  Tucher  (1499,  Cassel),  Oswald  Krell  (1499,  München),  der  sogenannte  Hans 
Dürer  (1500,  München). 

Auf  Dürersche  Originale  gehen  jedenfalls  zurück:  das  Porträt  des  Vaters  von  1497 
und  das  der  sogenannten  Fürlegerin  in  modischer  Tracht.  Von  dem  ersteren  gibt  es 
Exemplare  in  München,  Frankfurt  und  London  (National-Gallery);  das  Londoner  Bild, 
das  ich  nicht  kenne,  wird  von  manchen  Seiten  als  Original  ausgegeben.  Von  dem 
Bildnis  der  sogen.  Fürlegerin  sind  mir  nur  Reproduktionen  bekannt  nach  den  Exem- 
plaren bei  Sir  Charles  Robinson  in  London  und  bei  dem  Freiherrn  Speck  von  Sternburg 
in  Lützschena;  das  letztere  macht  den  Eindruck  einer  sorgfältigen  Kopie  nach  Dürer.-) 

Das  Schema  der  Anordnung  ist  überall  ungefähr  das  gleiche.  Es  sind  Brustbilder 
in  dreiviertel  Profil,  mit  Armen  bei  Friedrich  dem  Weisen,  Selbstbildnis,  Krell,  Vater  und 
Fürlegerin,  die  anderen  unter  den  Schultern  abgeschnitten.  Auf  den  Tucherbildnissen 
ist  über  dem  unteren  Rand  noch  ein  Stück  von  einer  Hand  sichtbar,  die  eine  Blume 
oder  einen  Ring  hält.  Die  Art  der  Gesamtanlage  der  Figuren  weicht  also  nicht  sehr 
von  der  der  frühsten  Bildnisse  ab  und  hält  sich  an  das,  was  in  Nürnberg  üblich  war. 
In  Einzelheiten  variiert  Dürer.    Kurfürst  Friedrich,  der  Vater  und  Hans  Dürer  haben 


')  Gerade  zu  dieser  Gruppe  gehören  aber,  wie  wir  sahen,  alle  die  Stiche,  die  inhaltlich  und 
formal  zu  gewissen  Arbeiten  Dürers  in  Beziehung  stehen,  und  wo  wir  eine  Abhängigkeit  Dürers  an- 
nehmen zu  müssen  glaubten. 

-')  Abgebildet  im  Jahrgang  1904  der  kunsthistor.  Gesellschaft  für  photogr.  Publikationen.  - 
Über  die  „Fürlegerin  mit  offenem  Haar"  vgl.  unten  S.  87.    Im  übrigen  Weizsäcker  im  Katalog  des 
Städelschen  Instituts. 

.  6* 


84 


neutralen  Grund.  Der  junge  Albrecht  steht  neben  einem  Fenster  mit  Blick  in  die 
Landschaft,  so  daß  der  hell  beleuchtete  Kopf  sich  von  der  dunklen  Wand  neben  der 
Fensteröffnung  abhebt,  ein  Motiv,  wie  es  auch  auf  niederländischen  und  floren- 
tinischen  Porträts  vorkommt.  Ähnlich  ist  die  Szenerie  auf  dem  Bilde  der  Fürlegerin  in 
Lützschena.  Eine  Landschaft  im  Hintergrund  haben  auch  die  drei  Tucherporträts 
und  Krell  auf  der  einen  Seite,  während  auf  der  anderen  der  Vordergrund  unmittelbar 
hinter  der  Figur  durch  eine  Tapete  oder  einen  Vorhang  abgeschlossen  ist.  In  der 
äußeren  Anlage  des  Porträts  ist  Dürer  hier  nicht  bahnbrechend.  So  bedingt  auch 
die  Auffassung  durch  gewisse  Schemata  ist,  so  läßt  er  sich  doch  bei  der  Konzeption 
jedesmal  von  neuen  künstlerischen  Gesichtspunkten  leiten.  Schon  diese  frühen 
Bilder  machen  ihn  zum  ersten  deutschen  Porträtisten  seiner  Zeit.  Das  Porträt  erlangt  bei 
ihm  eine  individuelle  Bestimmtheit  ähnlich  wie  in  den  Niederlanden,  wirkt  aber  ganz 
anders  als  dort.  Es  bekommt  etwas  Impulsives,  fast  könnte  man  manchmal  sagen 
Herausforderndes. 

Dürers  Auge  ist  eingestellt  auf  das  Charakteristische  der  Form.  Er  nimmt 
das  Porträt  als  Formbild,  nicht  als  Stimmungsbild.  Die  formale  Charakteristik  prävaliert 
vor  einer  seelischen  oder  malerischen  Stimmung.  Das  Charakteristische  der  Persön- 
lichkeit erfaßt  er  mit  seiner  präzisen  Linienführung.  Aber  damit  ist  es  nicht  getan; 
er  bringt  auch  etwas  in  das  Bild  hinein,  das  nicht  bloß  einer  sachlichen  Interpretation 
des  in  der  Wirklichkeit  Geschauten  dient.  Es  ist  das  Persönliche  seines  Stils,  das 
schnörkelhafte  Eigenleben  seiner  Liniensprache,  was  bei  ihm  nicht  immer  an  der 
Natur  ein  genügendes  Korrektiv  erhält.  Mit  einem  altniederländischen  Porträt  ver- 
glichen haben  die  seinigen  in  dieser  Zeit  etwas  Unruhiges,  Zerrissenes.  Die  Konturlinien 
sind  sehr  bewegt,  springen  stark  vor  und  zurück.  Ein  energisches  Auf-  und  Abfahren 
bestimmt  den  Eindruck.  Und  dieses  kühne  Bewegungstempo  greift  auch  auf  den 
Schauplatz  über,  die  Landschaft,  die  Bergzüge  im  Hintergrund.  Dem  Frauenbildnis 
wird  eine  solche  Art  der  Behandlung  am  wenigsten  gerecht.  Dem  spezifisch  Weib- 
lichen vermochte  er  damit  nicht  nahe  zu  kommen.  Wie  wenig  in  der  Sache  begründet 
sind  z.  B.  die  aus  seinem  linearen  Gefühl  heraus  entstandenen  Ausbuchtungen  an  der 
linken  Gesichtslinie  der  Tucherin  in  Cassel. 

Die  Modellierung  der  Gesichter  wird  auf  kräftig  sprechende  Einzelformen  hin 
angelegt.  Die  Augen,  die  Nase,  der  Mund  mit  den  meist  stark  geschwungenen  Lippen  sind 
selbständig  ausgeprägte  und  zeichnerisch  durchgebildete  Formbestandteile.  In  ihrem 
Zusammenwirken  ist  die  Relativität  der  Teile  nicht  immer  ganz  berücksichtigt.  Er 
wird  auch  manchmal  den  Einzelformen  darstellerisch  noch  nicht  gerecht.  Namentlich 
die  Augen  bereiten  ihm  zuweilen  Schwierigkeit.  Man  braucht  nur  an  den  glotzenden 
Blick  des  Berliner  Kurfürsten  und  der  Felicitas  Tucher  in  Weimar  zu  erinnern.  Die 
meisten  Partieen  fesseln  aber  durch  die  wunderbare  Lebendigkeit  der  Zeichnung.  Auch 
den  Händen,  selbst  wenn  nur  ein  paar  Finger  sichtbar  sind,  ist  ein  eigener  Aus- 
druck verliehen. 

Jene  nicht  unmittelbar  der  Naturnachahmung  dienenden  ganz  persönlichen 
Darstellungsmittel  geben  dem  Bildnis  auch  seinen  besonderen  dekorativen  Stil.  Sie 
entrücken  es  aus  dem  Schein  zufälliger  natürlicher  Willkür  in  das  Bereich  bewußter 
Kunst.  Welche  künstlerische  Ökonomie  der  junge  Dürer  schon  bei  seinen  frühen 
Porträts  walten  ließ,  zeigt  ihr  Aufbau  im  ganzen,  der  etwas  Tektonisches  hat.  Das 
Figürliche  ist  nach  bestimmten  Gesichtspunkten  in  die  Bildfläche  gestellt,  mit  allen 


85 


Teilen  der  Umgebung  zeichnerisch  in  Beziehung  gesetzt.  Was  aufgenommen,  was 
abgeschnitten,  ist  sorgfältig  erwogen.  Ein  kühn  ineinander  greifendes  Linienspiel  er- 
zeugt den  Eindruck  des  Festgefügten,  Stabilen.  Man  beobachte  etwa  das  auf  die 
Wirkung  durchgehender  Vertikalen  basierte  Bildnis  des  Krell.  Das  Friedrichs  des 
Weisen,  das  noch  nicht  eine  solche  Geschlossenheit  und  Sicherheit  im  Aufbau  zeigt, 
gehört  gewiß  an  den  Anfang  der  Porträtreihe.1) 

Die  malerische  Ausführung  der  Frühbilder  ist  verschiedenartig,  niemals  sche- 
matisch. Sie  erreicht  bei  den  Gesichtern  nicht  jene  lückenlose  Verschmelzung  aller 
Teile  zu  einem  harmonischen  Ganzen,  jene  den  leisesten  Hebungen  und  Senkungen, 
den  zartesten  Schwingungen  der  Oberfläche  gerecht  werdende  Modellierung,  wie  bei 
einem  gleichsam  von  innen  heraus  belebten  Bildnis  von  van  Eyck  und  seinen  Nach- 
folgern. Das  wird  ein  Problem  für  Dürer  in  seiner  späteren  Zeit.  Jetzt  formt  er  mehr 
in  großen  Zügen,  faßt  breitere  Flächenpartieen  zusammen,  höht  die  Lichter  auf  und 
tönt  die  Dunkelheiten  mit  neutralen  Schatten  ab.  Vielfach  wird  mit  dem  Pinsel  ge- 
zeichnet, besonders  den  Haaren  eine  minutiöse  Feinheit  verliehen. 

Man  darf  im  Vergleich  mit  der  Graphik  vielleicht  von  kupferstichartig- subtil 
und  holzschnittmäßig-breit  ausgeführten  Bildnissen  sprechen.  Zu  den  ersteren  wäre 
das  Selbstporträt  in  Madrid  zu  rechnen  mit  seinen  fein  abgestuften,  zarten  Tonlagen, 
die  Perle  unter  den  frühen  Bildnissen.  Zu  den  letzteren  der  Krell,  packend  durch  die 
elementare  Energie  des  Ausdrucks,  groß  empfunden  und  breit  durchgeführt,  ein  echtes 
Produkt  der  Sturm-  und  Drangzeit. 

Zu  keinem  der  erhaltenen  Bildnisse  besitzen  wir  eine  Vorzeichnung.  Für  den 
Kupferstich  oder  Holzschnitt  hat  Dürer  das  Porträt  in  seiner  Jugend  nicht  verwandt. 
Dazu  ist  er  erst  verhältnismäßig  spät  übergegangen. 

Ausgeführte  Porträtzeichnungen  als  Selbstzweck  sind  vor  1503  nicht  auf 
uns  gekommen.  In  diesem  Jahr  setzen  die  prachtvollen  Kohlezeichnungen  von  Köpfen 
ein:  Frau  (L.  5),  leidender  Mann  (L.  230),  Pirckheimer  (L.  376),  Jüngling  (L.  426).  Sie 
bilden  den  Anfang  der  Reihe  großartig  aufgefaßter,  mit  mächtigen  Kohle-Strichen  auf 
das  Papier  gesetzter  Porträtköpfe,  in  Schwarz  und  Weiß  abgetönt  und  zu  bildartiger 
Wirkung  gebracht.  Aus  demselben  Jahre  in  sorgfältiger  Silberstiftzeichnung,  mit  Schraf- 
fierungen schattiert,  der  Kopf  eines  jungen  Mannes  (L.  99). 

Außerdem  gibt  es  zwei  Skizzenblätter  nach  Dürers  Gattin  aus  früherer  Zeit. 
Eine  rasch  mit  großer  Verve  hingeworfene  Federzeichnung  in  der  Albertina  (L.  457), 
und  das  mehr  durchgeführte,  weiß  gehöhte  Silberstiftblatt  in  Bremen  (L.  113,  von 
Lippmann  als  Katharina  Frey  angesprochen). 

Als  Maler  von  Altarbildern  verzichtet  Dürer  auf  die  Mitwirkung  figürlicher 
Holzplastik.  Auch  der  Mittelschrein  wird  der  Malerei  vorbehalten.  Was  sich  von 
frühen  Altargemälden  erhalten  hat,  ist  spärlich.  Vieles,  was  unter  seinem  Namen 
geht,  ist  nicht  eigenhändig.    Der  Schwerpunkt  seiner  Tätigkeit  lag  damals  in  den 


l)  Das  1904  in  Düsseldorf  ausgestellte  Bildnis  eines  Jünglings  im  Besitz  des  Großherzogs  von 
Hessen  in  Darmstadt,  in  dem  Peltzer  (Albrecht  Dürer  und  Friedrich  II.  von  der  Pfalz,  Straßburg  1905) 
den  Landgrafen  Friedrich  II.  erkennen  will,  kann  trotz  mancher  Übereinstimmung  mit  Dürers  tech- 
nischem Verfahren  schon  wegen  des  Mangels  der  für  ihn  so  charakteristischen  Linienbewegung  nicht 
als  sein  Werk  gelten.  Es  hat  etwas  Fades  in  der  Anlage,  etwas  Müdes  im  Blick.  Und  auch  die  Land- 
schaft mit  den  Bergzügen  im  Hintergrund  ist  zu  weichlich  für  Dürer.  Das  Ganze  macht  den  Eindruck 
einer  Schulimitation. 


86 

Porträts  und  der  Graphik.    Für  die  Ausführung  von  Altären  hat  er  vielfach  Schüler 

hinzugezogen. 

An  erster  Stelle  unter  den  Kirchenbildern  steht  der  Dresdener  Altar.  Er 
stammt  aus  der  Schloßkirche  in  Wittenberg,  und  man  nimmt  an,  daß  Friedrich  der 
Weise  ihn  bestellte.  Da  er  kürzlich  im  Vordergrunde  des  Interesses  gestanden  und 
von  berufenen  Seiten  eine  eingehende  Würdigung  erfahren  hat,1)  so  verzichte  ich  auf 
eine  neuerliche  weitläufige  Analyse  und  berühre  nur  einige  für  unseren  Zusammenhang 
wesentlichen  Punkte. 

Mittelbild  und  Flügel  sind  nicht  zu  gleicher  Zeit  geschaffen,  das  darf  man 
heute  wohl  als  Tatsache  hinstellen.  Die  Mitte  ist  gewiß  in  den  neunziger  Jahren 
entstanden.  Die  Flügel  rühren  aus  späterer  Zeit  her.  Und  zwar  möchte  ich  mit 
Justi  annehmen,  daß  sie  nach  der  zweiten  italienischen  Reise,  nicht,  wie  Wölfflin  will, 
vorher  hinzugefügt  worden  sind.  Was  das  Werk  an  späteren  Zutaten  und  Über- 
malungen aufzuweisen  hat,  ist  jetzt  aufgeklärt,  und  namentlich  haben  sich  die  Seiten- 
mauern des  Mittelbildes,  die  mit  Dürers  damaligen  perspektivischen  Kenntnissen  nicht 
in  Einklang  zu  bringen  sind,  als  Beigaben  neuerer  Zeit  erwiesen. 

Wie  weit  das  Figürliche  der  Anbetung  des  Kindes  auf  dem  Mittelbild  von  italie- 
nischen Anregungen  abhängig  ist,  wurde  in  der  vorigen  Studie  schon  berührt.  Dürer  war 
sich  offenbar  bewußt,  etwas  für  Deutschland  Neuartiges  zu  schaffen,  ein  Devotionsbild, 
wie  man  es  in  Italien  kannte.  Die  der  paduanisch-venezianischen  Kunst  entnommenen 
Motive:  die  anbetende  Maria  in  halber  Figur,  die  Brüstung  mit  dem  Kissen,  auf  dem 
das  Kind  liegt,  schöpfte  er  wohl  aus  dem  Schatze  seiner  Reiseerinnerungen;  ebenso  wie 
er  italienische  Eindrücke  für  graphische  Arbeiten  verwertete.  Unter  den  Gemälden  nimmt 
das  Dresdener  Mittelbild  eine  ähnliche  Stelle  ein  wie  die  Madonna  mit  der  Meerkatze 
unter  den  Kupferstichen.  Es  fällt  heraus  infolge  seiner  italienisierenden  Tendenz,  und  das 
hat  für  Dürers  Jugendjahre  nichts  Befremdendes.  Auch  in  der  malerischen  Technik  sucht 
er  mit  Italienischem  zu  rivalisieren.-)  Wie  unerhört  neu  und  fremdartig  das  Werk 
zu  seiner  Zeit  wirken  mußte,  wird  einem  erst  ganz  klar,  wenn  man  sich  daneben  das 
übliche  Altarbild  Wolgemutscher  Richtung  vergegenwärtigt.  Wie  auch  sonst,  hat  Dürer 
sich  nur  im  Figürlichen  an  italienische  Vorbilder  angelehnt.  Die  Umgebung  hat  er 
selbständig  hinzuerfunden.  Das  Ganze  ist  in  eine  bürgerlich-trauliche  Sphäre  gerückt. 
Das  Gemach  mit  dem  Ausblick  auf  die  Straße,  die  Zimmermannswerkstätte,  in  der 
Joseph  sein  Handwerk  treibt  (soviel  davon  unberührt  ist),  das  sind  echt  deutsche 
Züge.  Zu  dem  repräsentativen  Charakter  des  Vordergrundes  will  das  nicht  stimmen. 
Ein  Italiener  hätte  diesen  in  eine  strenge  architektonische  Umrahmung  gefaßt.  Er 
hätte  auch  den  Engelkindern,  die  ihre  Herkunft  von  paduanischen  Putten  gewiß  nicht 
verleugnen,  keine  so  degradierende  Beschäftigung  zugewiesen  wie  das  Reinigen 
des  Zimmers. 

Der  Engelputto  findet  sich  schon  vereinzelt  vor  Dürer.  Aber  er  spielt  keine 
so  selbständige  Rolle.  Meist  tritt  er  mit  irgend  einer  dekorativen  Bestimmung  oder 
in  ornamentaler  Umgebung  auf.  Schon  die  Madonna  mit  Engeln  des  Meisters  E.  S. 
(P.  143)  bringt  zwei  nackte  geflügelte  Putten,  die,  auf  gotischen  Postamenten  auf  den 
Seitenwangen  des  Thrones  stehend,  den  Baldachin  zurückschlagen.   Ein  anderer  Stich 


')  Vgl.  L.  Justi,  Dürers  Dresdener  Altar,  Leipzig  1904.  Wölfflin,  Dresdener  Jahrbuch  1905. 
-)  Vgl.  oben  S.  62. 


87 


des  Meisters  (P.  154)  zeigt  sie  die  Marterwerkzeuge  haltend.  In  Schongauers  Kupfer- 
stich-Passion sitzen  bei  der  Handwaschung  zwei  auf  der  Thronlehne.  Auf  dem  ersten 
Blatt  der  Schedeischen  Weltchronik  treiben  sie  in  dem  Laubgewinde  der  Umrahmung 
ihr  Wesen.  In  einen  Vorgang  verflochten  erscheinen  sie  auf  einem  Holzschnitte  des 
in  Basel  gedruckten  „Ritter  von  Turn"  (fol.  14v).  Es  ließen  sich  noch  mehr  einzelne 
Beispiele  anführen.  Aber  durch  Dürer  erhält  das  aus  dem  italienischen  Putto  erwachsene 
Engelkind  doch  erst  sozusagen  sein  Bürgerrecht  in  der  germanischen  Phantasie  und 
die  bevorzugte  Stellung  in  der  christlichen  Märchenwelt,  die  ihm  seither  geblieben 
ist.  Das  Marieenleben  und  die  damit  verwandten  Arbeiten  haben  die  maßgebenden 
Vorbilder  aufgestellt.  Auf  dem  Dresdener  Altar  haben  die  aus  dem  italienischen  Putto 
zu  unmittelbar  abgeleiteten  Wesen  bei  aller  Geschicklichkeit  der  Erfindung  etwas 
Plumpes  und  Täppisches. 

Das  Antlitz  der  Dresdener  Maria  ist  nach  dem  Prinzip,  das  wir  für  die  Be- 
handlung der  Porträtköpfe  als  maßgebend  erkannten,  durchgeführt:  die  einzelnen  Form- 
bestandteile mehr  für  sich  gesehen  und  modelliert,  nicht  aus  einem  Gesamteindruck 
heraus  entwickelt.  Daß  die  Linienbewegung  ruhiger,  stumpfer  ist  als  sonst,  hat  darin 
seinen  Grund,  daß  Dürer  hier  besonders  feierlich  im  italienischen  Sinne  wirken  wollte. 
Klar  aber  ist  ohne  weiteres,  daß  er  nicht  einen  italienischen  Kopf  unmittelbar  über- 
nommen hat.  Die  Züge  der  Maria  haben  etwas  Porträtartiges,  in  höherem  Maße  als 
es  sonst  bei  seinen  Madonnen  damals  der  Fall  zu  sein  pflegt.  In  welcher  Weise  er 
sie  aus  einem  Porträt  heraus  entwickelt  hat,  läßt  sich  natürlich  nicht  mehr  genau  fest- 
stellen. Offenbar  besteht  eine  Verwandtschaft  mit  dem  auf  Leinwand  gemalten,  en  face 
gestellten  Frauenkopf  mit  gesenkten  Augen  in  der  Pariser  Nationalbibliothek,  der  auf 
dasselbe  Modell  wie  die  sogenannten  Fürlegerin-Bildnisse  zurückgeführt  worden  ist.1) 
Die  stark  gewölbten  Augendeckel,  der  Mund  mit  der  breiten  Unterlippe,  das  Kinn  sind 
auf  der  Dresdener  Madonna  und  dem  Pariser  Kopf  ähnlich.  Es  ist  nicht  unwahrschein- 
lich, daß  dieser  und  eine  Darstellung  wie  die  „Fürlegerin  mit  offenem  Haar"  (Repliken 
in  Frankfurt,  Budapest  und  Augsburg)  in  den  Kreis  vorbereitender  Studien  für  die 
Dresdener  Maria  gehören.  Von  der  Frontansicht  wäre  Dürer  dann  dazu  übergegangen, 
die  Gestalt  etwas  schräger  zu  stellen  wie  auf  dem  Frankfurter  Bilde,  und  schließlich 
zu  der  starken  Verkürzung  der  Dresdener  Maria  vorgeschritten.  Daß  das  Frankfurter 
und  nicht  das  Augsburger  Exemplar  dem  Dürerschen  Original  näher  steht,  glaube 
ich  mit  Bestimmtheit  annehmen  zu  dürfen.  Wenn  Wölfflin2)  eine  Verwandtschaft 
zwischen  diesem  Bildnis  und  dem  Berliner  Mädchenkopf  (L.  96)  konstatieren  und  in- 
folgedessen jenes  erst  um  1506  datieren  möchte,  so  scheint  mir  das  nicht  überzeugend. 
Von  der  malerischen  Behandlung  des  späteren  Augsburger  Bildes  hat  man  ganz 
abzusehen.  Der  Bewegungsrhythmus  und  die  breitflächige  malerische  Anlage  des 
Frankfurter  Exemplars  entspricht  aber  wohl  dem  inschriftlichen  Datum  1497.  Und 
etwa  diese  Zeit  dürfte  auch  für  das  Mittelbild  des  Dresdener  Altars  in  Frage  kommen. 

Was  die  ästhetische  Bewertung  betrifft,  so  hängt  dabei  natürlich  viel  von 
persönlichem  Geschmack  ab.  Als  Krone  der  Jugendarbeiten  Dürers  wird  man  es 
aber  doch  wohl  nicht  hinstellen  dürfen.  Über  das  Unausgeglichene,  Zwiespältige  im 
Eindruck  kommt  man  bei  aller  Bewunderung  hoher  Qualitäten  nicht  leicht  hinweg. 


])  Weizsäcker,  Katalog  des  Städelsclien  Kunstinstituts,  S.  97. 
-)  Jahrb.  d.  Königl.  preuß.  Kunstsamml.    XXV,  1904,  S.  204. 


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Welch  ein  Unterschied  zwischen  der  Dresdener  Maria  und  dem  kleinen  Wiener 
Brustbild  der  Madonna  von  1503!  Dort  ein  Streben  nach  einer  gewissen  ruhigen  Ab- 
geklärtheit, hier  ein  fast  kokettes  Sichgebärden.  Ein  pikantes  Linienspiel,  pikant 
schon  die  Art  des  Ausschnitts.  Wie  ist  die  Empfindung  gegenüber  der  säugen- 
den Maria  des  Kupferstichs  aus  demselben  Jahre  (B.  34)  veräußerlicht!  Sollte 
sich  das  Verzwickte  in  dem  Antlitz  des  Gemäldes  vielleicht  durch  Umbildung  eines 
Barbarischen  Frauentypus  erklären?  Man  vergleiche  etwa  einen  Kopf  wie  den  von 
Barbaris  Judith  (Kr.  1).  Dagegen  ist  die  Feinarbeit  der  malerischen  Ausführung  gewiß 
nicht  auf  eine  Einwirkung  des  Italieners  zurückzuführen,  wie  Thausing  wollte,  ebenso 
wenig  wie  der  etwa  gleichzeitig  auftretende  Feinstil  im  Kupferstich.  Es  ist  einfach 
eine  Weiterbildung  jener  malerischen  Behandlung,  wie  sie  z.  B.  schon  das  Selbstbildnis 
von  1498  zeigt.  Das  Kupferstichartig-Subtile  und  das  Holzschnittmäßig-Breite  geht  in 
der  Malerei  auch  im  neuen  Jahrhundert  noch  nebeneinander.  Von  der  eigenartig 
geschmackvollen,  lichten  Farbenwirkung  des  Wiener  Bildes  vermag  keine  Reproduktion 
eine  Vorstellung  zu  geben.1) 

Großzügig  angelegt  ist  die  Münchener  Beweinung,  die  Thausing  nur 
als  Schulbild  hinstellte,  die  aber  gewiß  eigenhändig  ist.  Falls  Signierung  und 
Datierung  echt  sind,  wäre  sie  im  Jahre  1500  entstanden.  Das  Jahr  entspricht  wohl 
dem  mutmaßlichen  Zeitpunkte  der  Entstehung.  Koloristisch  wirkt  das  Gemälde  nicht 
erfreulich.  Es  hat  auch  Restaurierungen  über  sich  ergehen  lassen  müssen.  Nur 
wenige  Partieen  sind  noch  intakt.  Den  Vordergrund  nahmen  ursprünglich  Stifterfiguren 
ein,  wie  auf  dem  Paumgärtnerschen  Altar,  die  überpinselt  worden  sind  und  noch  auf 
der  linken  Seite  durchschimmern.  Auf  die  Verwandtschaft  des  Schauplatzes  mit  der 
Erlanger  Landschaftszeichnung  wurde  oben  schon  hingewiesen.  Es  ist  eine  großartige 
Bergszenerie  mit  wildbewegten  Linienzügen,  machtvoll  zusammenwirkend  mit  der 
Gestaltengruppe.  Die  Anlage  des  Figürlichen  erinnert  im  Kompositionsprinzip  an  die 
Grablegung  der  großen  Passion  (B.  13).  Sie  ist  ähnlich  pyramidisch;  die  Stelle,  die 
dort  die  Frau  mit  gefalteten  Händen  einnimmt,  als  Gruppenabschluß  nach  oben,  ist 
hier  Johannes  zugewiesen.  Die  Figurenmasse  ist  sehr  gedrängt  und  flach  geschichtet. 
Wie  auf  den  graphischen  Blättern  wird  unmittelbar  hinter  ihr  der  Vordergrund  sche- 
matisch durch  eine  Terrainwelle  (den  Kreuzeshügel)  abgeschnitten.  Und  nur  von  links 
her  wird  ein  schräger  Durchblick  nach  dem  Hintergrund  hin  gewährt.  In  der  grünen 
Passion  ist  die  Figurenmasse  schon  ganz  anders  gelockert  und  organisiert.  Die  Typen 
entsprechen  durchaus  der  Zeit  um  1500.  Ergreifend  in  seinem  verhaltenen  Schmerz 
ist  Johannes;  sein  Kopf  gehört  zu  den  wenigen  nahezu  intakten.  Die  Züge  sind 
weicher  als  bei  dem  Johannes  der  großen  Passion;  es  ist  derselbe  Typus  wie  auf 
der  Baseler  Zeichnung  zum  Mittelstück  des  St.  Veiter  Altars,  der  dann  auch  in  der 
grünen  Passion  wiederkehrt.  Ganz  Dürerisch  die  ausdrucksvolle  Schwingung  der 
Gesichtslinie.  Und  wer  anders  könnte  die  grandiose  Gestalt  des  Alten  mit  dem  Salb- 
gefäß geschaffen  haben ! 

Weit  schwächer  wirkt  daneben  die  verwandte  Holzschuhersche  Beweinung 
des  Germanischen  Museums.    Bei  der  schlechten  Erhaltung  läßt  sich  Positives  mit 


')  Das  Brustbild  des  Salvator  (früher  Slg.  Felix  in  Leipzig),  das  sich  jetzt  bei  Fairfax 
Murray  in  London  befinden  soll,  vermag  ich  nicht  zu  beurteilen,  da  ich  es  nie  gesehen  habe.  Es  ist 
gut  reproduziert  im  ersten  Jahrgang  der  Kunsthistor.  Gesellschaft  für  photogr.  Publikationen. 


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Sicherheit  nicht  sagen.  Dürersche  Motive  sind  benutzt.  Nichts  läßt  auf  eine  eigen- 
händige Ausführung  schließen.    Und  das  Monogramm  dürfte  falsch  sein.1) 

Der  mit  Dürers  Monogramm  bezeichnete  undatierte  Pau mgärtnersche  Altar 
der  Münchener  Pinakothek  ist  jedenfalls  vor  der  Anbetung  der  Könige  in  den  Uffizien 
entstanden.  Das  Mittelbild  der  Geburt  Christi  hat  infolge  der  vor  einigen  Jahren 
vorgenommenen  glücklichen  Restauration  seine  Stifterbildnisse  wieder  erhalten.  Die 
Raumgestaltung  ist  hier  noch  weit  weniger  glücklich  als  auf  dem  Uffizien-Bilde.  Bei 
den  Architekturkulissen  rechts  und  links  verschwinden  die  von  vorn  nach  hinten  ver- 
laufenden Mauern  nicht  in  den  Seitenrändern  des  Bildes,  sondern  werden  ein  wenig 
vor  dem  Bildrand  durchgeschnitten,  so  daß  noch  ein  schmales,  glattes  Stück  Stirnwand 
entsteht.  Das  ist  ein  primitiveres  Stadium  der  Konstruktion,  wie  es  auch  die  früheren 
Bilder  des  italienischen  Quattrocento  zeigen.  ')  Auf  der  Anbetung  der  Könige  gleitet 
die  Mauer  in  den  Bildrand,  ohne  daß  eine  Vorderfläche  sichtbar  ist.  Dadurch  kommt 
eine  stärkere  Raumillusion  zustande. 

Der  Schauplatz  des  Münchener  Bildes  ist  auf  perspektivische  Wirkung  hin 
angelegt.  Am  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  beginnt  Dürer  sich  intensiv  mit  der 
Perspektive  zu  beschäftigen.  Aber  die  Konstruktion  hat  etwas  Starres,  Schulmäßiges, 
erreicht  keinen  natürlichen  Eindruck.  Der  Horizont  ist  sehr  hoch  genommen.  Die 
vordere  Bühne  steigt  stark  an  und  dient  zum  Teil  als  Fond  für  die  Figuren.  Diese 
sind  in  die  perspektivische  Anlage  nicht  einbezogen.  Dürer  kann  sie  auch  noch 
nicht  frei  in  den  Raum  stellen.  Er  braucht  etwas  Festes,  von  dem  sie  sich  abheben. 
Der  Steinboden  erfüllt  hier  dieselbe  Funktion  wie  die  Terrainwelle  in  offener  Landschaft. 
In  der  Mitte  des  Hintergrundes  wird  es  frei  und  licht;  der  Blick  schweift  in  ein 
freundliches  Hügelland.  Die  Art  des  Schauplatzes  ist  die  schon  im  15.  Jahrhundert 
bei  dem  gleichen  Anlaß  gebräuchliche.  Aber  das  Malerische  und  Romantische  wird 
in  der  Ruinenszenerie  stärker  betont. 

Der  Vorgang  ist  von  Dürer  sonst  glücklicher  veranschaulicht  worden,  z.  B. 
in  dem  Marieenleben  oder  dem  Stich  B.  2.  Aber  die  Gruppe  mit  dem  Kinde  und 
den  es  wartenden  Englein  ist  gemütvoll  und  anmutig  (wenn  auch  manches  daran 
verdorben  ist).  Die  Engel  zeigen  nicht  mehr  jene  engen  Beziehungen  zu  dem  padua- 
nischen  Putto  wie  auf  dem  Dresdener  Altar.  Sie  sind  ganz  im  Dürerschen  Sinne 
die  munteren  Bürschchen  geworden,  in  die  er  alle  Reize  und  den  Mutwillen  deutscher 
Kinder  gelegt  hat. 

Die  Flügelbilder  mit  den  beiden  Paumgärtnern  als  Georg  und  Eustachius 
lassen  nach  der  Entfernung  der  neueren  Zutaten  erkennen,  wie  Dürer  die  Einzelgestalt 
zur  Raumfüllung  eines  schmalen  Hochbildes  ausnutzte.  Es  geschieht  ganz  im  Sinne 
des  15.  Jahrhunderts.  Wie  schwelgt  er  noch  in  der  spätgotischen  Bewegung!  Das 
trotzig  Widerstrebende  scheint  durch  einen  imponierenden  künstlerischen  Willen  ge- 
meistert. Aber  es  bleibt  ein  Überschuß  an  Kraft,  der  sich  nicht  in  Form  zwingen  läßt. 
Das  Eckige,  Spitze,  Grätige  behauptet  siegreich  seinen  Platz.  Und  wie  flattern  die 
Fähnlein  in  unmöglichen  Verschnörkelungen!  Das  ist  eine  ganz  unrenaissancemäßige 
Raumfüllung.   Der  dekorative  Geschmack  weist  auf  die  germanisch-gotische  Heraldik. 

J)  Aus  dem  1500  datierten  Herkules  des  Germanischen  Museums  läßt  sich  seiner  schlechten 
Erhaltung  wegen  für  Dürers  malerischen  Stil  nichts  gewinnen.  Über  den  Charakter  der  Zeichnung  ist 
schon  im  vorigen  Kapitel  gesprochen  worden. 

-)  Vgl.  Weisbach,  Pesellino  S.  40. 


QO 


In  diesen  schwerleibigen  Rittern  steckt  noch  das  ganze  Kraftgenie  des  Sturms  und 
Drangs. 

Wie  man  die  Wiederherstellung  des  Altars  hat  bemängeln  können  —  nament- 
lich von  französischer  Seite1)  -  ist  nicht  begreiflich.  Wer  das  wirklich  Dürersche  an 
Dürer  liebt,  kann  darüber  nur  Befriedigung  empfinden;  —  abgesehen  davon,  daß  die 
Restaurierung  die  Verkündigungs- Maria  auf  der  Rückseite  eines  Flügels  zu  Tage 
gefördert  hat.  Dem  Freunde  deutscher  Kunst  geben  die  an  hervorragender  Stelle 
hängenden  Flügel  mit  den  beiden  Paumgärtnern  von  dem,  was  der  junge  Dürer 
bedeutet,  eine  Vorstellung  mit  einer  Eindringlichkeit,  wie  nur  wenige  andere  Werke. 

Daneben  können  dann  allerdings  Stücke  wie  der  St.  Veiter  und  der  Jabachsche 
Altar  nicht  bestehen. 

Von  dem  1502  gemalten  Altar  in  Ober  St.  Veit  gelten  schon  lange  nur  die 
Vorzeichnungen  als  Dürerisch,  aber  auch  von  diesen  möchte  ich  nur  den  Baseler 
Entwurf  zu  dem  Mittelbild  für  den  Meister  selbst  in  Anspruch  nehmen.  Die  Frank- 
furter Zeichnungen  zu  den  Flügeln  scheinen  mir  nicht  ohne  weiteres  als  eigenhändig 
anzusehen  zu  sein.  Die  Ausführung  der  Altargemälde  hat  man,  wie  ich  glaube,  mit 
Recht  dem  jungen  Schäuffelein  zugewiesen. 

Ebenso  wenig  darf  man  die  malerische  Ausführung  der  Flügel  des 
Jabachschen  Altars  Dürer  zumuten.  Die  Münchener  Heiligen  werden  ihm  wohl 
überhaupt  kaum  noch  zugeschrieben.  Die  Typen,  die  Hände,  das  ganze  Auftreten  der 
Gestalten,  die  Figuren  der  Stickereien  am  Mantel  des  Lazarus,  alles  hat  keinen  spezifisch 
Dürerschen  Charakter.  Und  für  die  rohen  schwarzen  Konturierungen,  die  sich  auch 
auf  den  anderen  Flügeln  finden,  darf  man  ihn  gewiß  nicht  verantwortlich  machen. 

Auf  den  Teilen  in  Köln  (Musikanten)  und  Frankfurt  (Hiob)-)  entbehrt  die 
Landschaft  jener  für  den  jungen  Dürer  bezeichnenden  Festigkeit  in  der  Strichführung. 
Alles  ist  für  ihn  zu  weichlich  und  verwaschen.  Den  Bergzügen  fehlt  die  markante 
Bestimmtheit  des  bei  Dürer  immer  interessanten  Umrisses.  Das  Getüpfel  an  Baum- 
und Strauchwerk  ist  der  Art  seiner  Pinselführung  nur  nachgeahmt.  Im  Aufbau  der 
Szenerie  verletzt  der  Mangel  an  konstruktivem  Sinn,  wie  er  auf  keinem  echten  Werke 
Dürers  zu  finden  ist.  Und  auch  das  Figürliche  läßt  im  einzelnen  seine  Energie  und 
Prägnanz  in  der  Formgebung  vermissen.  Hände  wie  die  der  Kölner  Musikanten  sind 
für  Dürer  geradezu  unmöglich;  ebenso  die  schlechte  Innenzeichnung  der  herabhängenden 
Hand  des  Frankfurter  Hiob.  Gegen  Eigenhändigkeit  sprechen  auch  die  kleinlichen 
Motive  an  dem  Hiob  als  Schurz  dienenden  Tuche. 

An  den  Paumgärtnerschen  Altar  reiht  sich  die  Anbetung  der  Könige  in  der 
Tribuna  der  Uffizien,  die  als  Malerei  seine  Reifezeit  einleitet  und  zu  den  größten 
Schöpfungen  seines  Pinsels  gehört. 

Zeichnungen  sind  aus  Dürers  Jugend  nicht  so  zahlreich  erhalten  wie  aus 
späteren  Epochen.  Namentlich  datierte  sind  innerhalb  der  Zeit  von  1496  bis  1502 
sehr  selten.  Es  giebt  im  ganzen  nur  sieben:  1496  Frauenbad  (Bremen,  L.  101),  1497 
Laute  spielender  Engel  (Berlin,  L.  73),  1498  Ritter  zu  Pferd  (Albertina,  L.  461),  1500 
Bürgerin  (Albertina,  L.  464),  1501  liegende  nackte  Frau  (Albertina,  L.  466),  1502  Mitte 
zum  St.  Veiter  Altar  (Basel),  Hase  (Albertina,  L.  468).    Verschiedene  undatierte,  die  bis 


•)  Aug.  Marguillier  in  der  Zeitschrift  Les  Arts  1903  No.  14  u.  21. 
2)  In  Weizsäckers  Katalog  des  Städelschen  Kunstinstituts  als  Dürer. 


91 


auf  wenige  alle  im  Lippmannschen  Dürer-Werk  publiziert  sind,  gehören  dann  noch 
in  diesen  Zeitraum. 

Man  kann  Dürers  Zeichnungen  je  nach  ihrer  Bestimmung  etwa  in  drei  Gruppen 
einteilen:  1.  solche,  die  als  abgeschlossene  Kunstwerke  einen  Selbstzweck  hatten; 
2.  Kompositionen  oder  Entwürfe,  die  als  Grundlage  für  auszuführende  Werke  dienen 
sollten,  mögen  diese  nun  zustande  gekommen  sein  oder  nicht;  3.  flüchtige  Skizzen 
oder  Notizen,  um  gewisse  Situationen  oder  momentane  Eindrücke  festzuhalten. 

Beispiele  für  die  erste  Gruppe,  d.  h.  in  dem  Sinne  zu  selbständigen  bildmäßigen 
Kunstwerken  abgerundete  und  in  sich  vollendete  Zeichnungen,  wie  sie  in  der  späteren 
Zeit  auftreten,  kommen  in  den  neunziger  Jahren  noch  nicht  vor.  Höchstens  könnte 
man  dahin  Blätter  wie  den  aquarellierten  Ritter  der  Albertina  (L.  461)  oder  die  fein  in 
Silberstift  angelegten  und  weiß  gehöhten  Zeichnungen  des  Berliner  lautespielenden 
Engels  (L.  73)  und  der  Agnes  Dürer  in  Bremen  (L.  113)  rechnen,  die  doch  aber  bei 
aller  Sorgfalt  der  Ausführung  wohl  eher  als  Studien  gelten  dürfen.  Die  Technik  der 
beiden  letzten  ist  nicht  häufig.  Zum  Silberstift  hat  der  junge  Dürer  nur  selten  gegriffen. 
Im  Jahre  1503  setzen  dann  die  einem  Eigenzweck  dienenden  breiten  Porträtzeichnungen 
in  Kohle  ein,  von  denen  im  Zusammenhang  mit  dem  gemalten  Porträt  schon  die  Rede 
war.  Und  das  Jahr  1502  liefert  in  dem  berühmten  Hasen  der  Albertina  (L.  468)  das 
erste  Beispiel  jener  Feinmalerei,  mit  der  Dürer  sich  jetzt  der  äußeren  Erscheinung  von 
Naturobjekten  in  malerisch-eingehender  Weise  zu  bemächtigen  sucht. 

Das  gewöhnliche  Material  für  Entwürfe  und  Skizzen  ist  in  der  frühen  Zeit 
die  Feder.  Einen  künstlerischen  Selbstzweck  erhält  die  Federzeichnung  öfter  durch  eine 
leichte  Bemalung.  Von  Entwürfen,  die  zur  Ausführung  kamen  und  deren  Ausführung 
nachweisbar  ist,  haben  sich  erhalten:  für  den  Holzschnitt  einer  (babylonisches  Weib,  Al- 
bertina), zwei  für  den  Kupferstich  (verlorener  Sohn,  Brit.  Mus.,  und  Bauernpaar,  Berlin, 
Kupf.  Kab.),  zwei  für  Gemälde  (Darmstädter  Herkules,  St.  Veiter  Altar,  Basel1). 

Die  beiden  für  den  Kupferstich  hergestellten  Vorlagen  zeigen,  wie  Dürer  sich 
seine  Motive  in  sorgfältiger  Zeichnung  zurechtlegte,  ehe  er  sie  auf  die  Platte  übertrug. 
Der  verlorene  Sohn  ist  aber  aus  der  Londoner  Zeichnung  nicht  ohne  weiteres  herüber- 
genommen. Manches  hat  Dürer  verändert,  die  Licht  und  Schattenverhältnisse  modi- 
fiziert-) —  nicht  immer  zum  Glück  der  Darstellung.  Auf  der  Zeichnung  wirkt  z.  B. 
das  einzelne  Schwein  rechts  von  der  Figur  entschieden  günstiger  als  auf  dem  Stich, 
wo  es  zwischen  diese  und  den  Heuhaufen  gezwängt  ist.  Aber  die  Gesamtstimmung 
ist  in  der  Zeichnung  schon  ganz  zur  Geltung  gebracht. 

Die  kürzlich  von  dem  Berliner  Kabinett  erworbene,  bisher  unbekannte  und 
unbeschriebene  Zeichnung  (vgl.  den  Lichtdruck)1)  enthält  nebeneinander  zwei  Entwürfe: 
rechts  eine  bis  auf  kleine  Einzelheiten  genau  mit  dem  Stich  des  Bauernpaars  (B.  83) 
übereinstimmende  Darstellung  im  Gegensinn,  links  eine  Szene,  die  dem  Sujet  nach  den 
Marktbauern  (B.  86)  nahesteht,  aber  mit  anderen  Figuren.    Die  zeichnerische  Strich- 


')  Die  Frankfurter  Entwürfe  für  die  Flügel  des  St.  Veiter  Altars  sind,  wie  schon  bemerkt,  für 
mich  nicht  überzeugend.  —  Von  den  Landschaftsstudien  war  schon  S.  65  die  Rede.  —  Abgesehen  ist 
hier  von  den  Skizzen  für  die  außerhalb  des  von  uns  betrachteten  Zeitraums  vollendeten  Werke. 

'-)  Bei  der  Jünglingsfigur  ist  z.  B.  auf  dem  Stich  das  Knie  durch  den  Rockzipfel  verdeckt 
worden,  die  untere  Partie  des  Stiches  in  Schatten  gebracht  etc. 

3)  Die  Reproduktion  ist  im  ganzen  sehr  getreu;  nur  ist  im  Original  der  Kontrast  zwischen  dem 
Grunde  und  der  Zeichnung  etwas  stärker. 


92 


führung  ist  in  der  Vorlage  schon  genau  die  der  Technik  des  Kupferstichs  entsprechende. 
Und  das  Bauernpaar  der  Zeichnung  ist  wohl  die  endgültige  Redaktion  vor  der  Ausarbeitung 
auf  der  Platte.  Das  Blatt  hat  vielleicht  beim  ersten  Anblick  etwas  Befremdendes.1) 
Man  nimmt  besonders  an  den  Händen  der  Frau  Anstoß.  Aber  diese  Hände  mit  den 
stark  artikulierten  Fingergliedern  (wie  beim  Skelett)  stehen  keineswegs  außerhalb  allem 
aus  Dürers  Jugendschaffen  Bekannten.  Ähnliches  bemerken  wir  an  der  linken  Hand 
des  Jünglings  auf  der  frühen  Londoner  Zeichnung  der  Enthauptung  (Abb.  14)  und  an 
der  den  Kopf  stützenden  Hand  des  Josef  auf  der  Madonna-Rodrigues  in  Berlin;  auch 
sonst  noch.  Bei  der  Ausführung  im  Stich  wurde  dergleichen  natürlich  gemildert.  Das 
spricht  durchaus  nicht  gegen  die  Eigenhändigkeit  des  Blattes,  auf  dem  doch  alles  für 
Dürer  zeugt.  Die  Köpfe  sind  in  seiner  Weise  ganz  zwingend  charakterisiert.  Und 
das  lebensprühende  Galgengesicht  der  mittleren  Volksfigur  läßt  nur  an  ihn  denken.  - 
Die  Entstehungszeit  des  Blattes  ist  um  die  Mitte  der  neunziger  Jahre  zu  setzen. 

Unter  den  Entwürfen,  die  nach  und  nach  immer  freier,  sicherer,  genialer  werden, 
ist  einzig  in  seiner  Art  die  vor  kurzem  von  Sidney  Colvin  publizierte  Oxforder  Zeich- 
nung-), von  ihm  „die  Freuden  der  Welt"  getauft  (Abb.  31).  Auf  dem  Blatt  sind 
allerlei  galante,  heitere  und  höfische  Szenen  aus  der  Zeit  des  Künstlers  zu  einem 
Ganzen  vereinigt.  Im  Vordergrund  in  der  Mitte  haben  sich  auf  der  Wiese  um  einen 
runden  Tisch  verschiedene  Herren  und  Damen  zu  trautem  Beisammensein  gelagert. 
Ein  Trommler  und  ein  Pfeifer  spielen  auf.  Im  Zentrum  des  vordersten  Planes 
steht  ein  Weinkühler  mit  Krügen.  Links  davon  hat  sich  ein  Paar  zurückgezogen, 
das  sich  zärtliche  Blicke  zuwirft.  Aber  unmittelbar  neben  ihm  und  von  ihm  unbeachtet 
spielt  sich  eine  aufregende  Szene  ab.  Zwei  Frauen  (den  der  Europa  nachjammernden 
Gespielinnen  auf  der  Albertina-Zeichnung  sehr  ähnlich)  zerren  an  einem  Mann  herum, 
wogegen  sich  dieser  heftig  sträubt.  Wollen  sie  ihm  die  Kleider  vom  Leibe  reißen,  oder 
wollen  sie  ihn  mit  sich  fortziehen  —  zu  besserem  Lebenswandel?  Von  rechts  schreitet 
mit  einer  gewissen  Grandezza  ein  vornehmer  Herr,  gefolgt  von  zwei  Schleppenträgern, 
heran,  der  einen  Arm  um  die  ihm  zur  Seite  gehende  Frau,  die  einen  Pokal  zu  tragen 
scheint,  schlingt.  Die  moralisierende  Tendenz  wird  hier  angedeutet  durch  das  Gerippe, 
das  sich  dieser  Gruppe  nähert.  Im  Mittelgrund  rechts  ein  von  Badenden  und  Zu- 
schauern besuchtes  Bad  im  Freien,  zu  dem  der  hinter  dem  Baum  neben  der  Tisch- 
gesellschaft stehende  Narr  einzuladen  scheint;  im  Zentrum  eine  Fontäne,  aus  der  ver- 
schiedene Personen  schöpfen  und  der  andere  zueilen;  nach  dem  linken  Rand  zu  folgen 
noch  andere  kleine  nicht  ganz  deutliche  Figuren.  Der  dritte  Plan  wird  in  der  Haupt- 
sache durch  ein  Lanzenstechen  gefüllt.  Links  davon  wieder  eine  Anzahl  kleinerer 
Gestalten,  darunter  ein  Mann,  der  in  ein  Pusterohr  bläst,  andere,  die  Netze  aus 
dem  Wasser  ziehen.  Sonst  noch  verschiedene  Tiere  und  Menschen  über  das  Blatt 
verstreut. 

Die  Landschaft  baut  sich  ganz  in  der  Art  der  frühen  Dürerschen  auf,  wie  sie 
ähnlich  auf  der  Europa-Zeichnung  und  der  Rodrigues-Madonna  vorkommen.  Be- 
merkenswert ist  hier  aber,  daß  der  junge  Meister  es  verstanden  hat,  sich  ein  einheit- 
liches, flaches  Terrain  zu  schaffen  und  dieses  nach  der  Tiefe  zu  leiten. 


')  Die  Monograinmierung  rührt  natürlich  nicht  von  Dürer  her. 
-)  Drawings  of  the  University-Gall.    Vol.  II. 


93 


Die  Zeichnung,  die  gewiß  nach  der  Mitte  der  neunziger  Jahre  entstand,  ist 
deshalb  so  bedeutungsvoll,  weil  sie  die  unmittelbare  Niederschrift  einer  eben  der 
Phantasie  des  Künstlers  entsprungenen  Idee  gibt,  und  um  so  interessanter,  weil  es 
eine  vielfigurige  Darstellung  ist.  Man  sieht,  wie  schon  früh  auch  ein  bewegtes, 
gestaltenreiches  Bild  sich  von  vornherein  in  der  Phantasie  zu  einem  künstlerischen 
Ganzen  formte  und  fertig  vor  dem  inneren  Schauen  stand.  Die  Komposition,  mit 
Sicherheit  und  mit  feinem  Gefühl  für  Gruppierung  hingeworfen,  wirkt  wie  aus  einem 
Guß.  Und  in  allen  Einzelheiten  welch  außerordentliche  Freiheit  in  der  Beobachtung 
und  Kühnheit  in  der  Wiedergabe!  Wie  sind  einige  der  Figuren  in  ihren  momentanen 
Stellungen  und  Bewegungen  gesehen,  ganz  impressionistisch  erfaßt  und  keck  auf  das 
Blatt  gesetzt!  Etwas  Ähnliches  dürfte  die  deutsche  Kunst  dieser  Zeit  sonst  nicht  auf- 
zuweisen haben. 

Dieses  Blatt  und  andere  (wie  etwa  der  Reiter  im  Louvre,  L.  304  *)  geben  Auf- 
schluß darüber,  wie  seit  der  Mitte  der  neunziger  Jahre  neben  der  sorgsam  durch- 
geführten und  sauber  durchmodellierten  Federzeichnung  für  die  Zwecke  der  Skizze 
eine  den  Gedanken  des  Künstlers  unmittelbarer  folgende,  rasch  hinfegende  Zeichen- 
manier hergeht.  Ausgebildet  tritt  uns  diese  Technik  mit  ihrer  kühn  vereinfachenden, 
die  Formen  gleichsam  im  Sturm  nehmenden  Strichführung  erst  von  dem  neuen  Jahr- 
hundert an  entgegen,  z.  B.  in  gewissen  Entwürfen  für  das  Marieenleben  und  die 
grüne  Passion.  Dahin  gehört  auch  eine  Landschaftsstudie  wie  die  Erlanger  Zeich- 
nung.-) Und  jene  Gruppe  von  Skizzenblättern,  die  von  Thausing  nicht  anerkannt, 
von  Justr)  neuerdings  mit  guten  Gründen  verteidigt  wurde,  reiht  sich  ebenfalls  hier 
ein.  Die  Oxforder  Zeichnung  ist  ein  neuer  Beweis  dafür,  wie  der  Stil  dieser  Blätter 
sich  in  Arbeiten  der  neunziger  Jahre  vorbereitet. 

Von  flüchtigen  Notizen  und  Modellskizzen,  der  dritten  Kategorie,  ist  aus  der 
hier  in  Betracht  kommenden  Epoche  wenig  zu  uns  gelangt.  Wir  könnten  etwa  eine 
Zeichnung  wie  das  Bildnis  von  Dürers  Gattin  in  der  Albertina  (L.  457)  namhaft  machen, 
die  in  bezug  auf  ein  treffsicheres  Erfassen  des  Charakteristischen  und  Formbildenden 
auf  derselben  Stufe  steht  wie  die  erwähnten  Kompositionen. 

Dürers  Sturm-  und  Drangzeit  geht  in  die  Periode  der  Reife  über,  die  damit 
anhebt,  daß  er,  nachdem  das  leidenschaftliche  Feuer  der  Apokalypse-Epoche  sich  ge- 
dämpft hatte,  die  ihn  umgebende  Außenwelt  in  allen  ihren  Einzelheiten  ganz  anders 
als  früher  zu  begreifen  und  sich  zu  eigen  zu  machen  trachtet.  Und  das  geschieht 
in  der  Hauptsache  von  einem  formalen  Standpunkt.  Vom  Süden  her  drang  die  Kunde 
zu  ihm,  daß  es  ein  Gesetzmäßiges  in  der  Natur  gäbe,  daß  der  Bau  des  menschlichen 
Körpers  auf  Gesetzen  beruhte,  daß  die  Schönheit  von  Mann  und  Weib  von  den  Pro- 
portionen abhinge.  Und  nun  sucht  und  findet  er  ein  Proportionsschema,  mit  dem 
er  die  Natur  meistern  zu  können  hofft.  Das  erste  stolze  Resultat  solcher  Bemühungen 
ist  der  Kupferstich:  Adam  und  Eva  (1504). 

J)  Dagegen  kann  ich  nicht  für  eine  Zeichnung  von  ihm  den  sogenannten  Beiisar  im  Berliner 
Museum  halten,  publ.  v.  Lippmann,  Jb.  d.  kgl.  preuß.  Kunstslgn.,  1897,  Heft  II/III.  Sie  hat  nicht  die 
Dürersche  Qualität,  und  auch  die  Landschaft  mit  dem  stümperhaften  Baum  im  Vordergrund  ist  nicht  in 
seinem  Sinn.  Ebenso  wenig  von  ihm  die  zwei  Reiter  im  Münchener  Kupferstich-Kabinett,  die  auch  bei 
Lippmann  fehlen. 

-)  Vgl.  oben  S.  65. 

3)  Repertorium  f.  K.  XXI,  444. 


94 


Daß  es  eine  von  spätgotischem  Formempfinden  gänzlich  abweichende  Har- 
monie der  Bewegung  gäbe,  wie  sie  in  der  südlichen  Kunst  zum  Ausdruck  kommt, 
das  war  ihm  schon  Mitte  der  neunziger  Jahre  leise  aufgedämmert.  Aber  er  hatte 
damals  kein  Organ,  um  sich  diesen  Rhythmus  wirklich  zu  eigen  zu  machen.  Wenn 
er  in  Werken  der  folgenden  Zeit  italienische  Stellungsmotive  verwertet,  so  schließt  er 
sich  mehr  oder  weniger  eng  an  seine  Vorbilder  an  und  arbeitet  sie  seinem  eigenen 
Stilgefühl  gemäß  um.  Am  Anfang  des  neuen  Jahrhunderts  kommt  er  in  dem  Ver- 
ständnis des  antik-italienischen  Formenrhythmus  um  einen  Schritt  weiter.  Probleme 
rein  formaler  Art,  die  davon  ausgehen,  stellen  sich  ein.  Der  Stich  Adam  und  Eva  mit 
seinen  vorbereitenden  Zeichnungen  bietet  auch  dafür  das  Hauptbeispiel  (weit  entfernt, 
daß  schon  das  letzte  Wort  nach  dieser  Richtung  gesprochen  ist). 

Interessen,  welche  die  Ergründung  des  naturgesetzlichen  Normaltypus  anstreben 
und  formal-klassische  treten  also  Hand  in  Hand  auf.  Und  zugleich  bemüht  er  sich 
um  ein  neues  Erfassen  und  eine  weitergehende  wirklichkeitstreue  Wiedergabe  der 
stofflichen  Oberfläche  der  Objekte  sowohl  mit  dem  Zeichenstift  wie  mit  dem  Pinsel. 

Zu  derselben  Zeit  beginnt  die  Erkenntnis  der  Gesetzmäßigkeit  in  der  Flächen- 
projektion des  Raumes:  der  Perspektive.  Das  Lehrbuch  des  Viator  (Jean  Pelerin) 
hat  hierbei  zum  Teil  wenigstens  die  Handhabe  geboten. 

Wie  wenig  Dürer  aber  auf  seinem  eigensten  Gebiet,  dem  rein  künstlerischen, 
den  deutschen  Humanisten  zu  verdanken  hatte,  darauf  wurde  in  der  vorigen  Studie 
wiederholt  hingewiesen. 

Dürers  Wesen  ist  deshalb  so  schwer  faßbar,  weil  Romantisches  und  Klassisches, 
Impulsives  und  Doktrinäres  bei  ihm  nebeneinander  hergeht. 

Seine  romantische  Phantasie  ist  mit  romanischen  und  germanischen  Elementen 
durchsetzt.  Er  hat  die  klassische  Romantik  des  italienischen  Quattrocento  mit  germa- 
nischer Romantik  verschmolzen.  Ebenso  wie  seine  Formensprache  klassische  Bestand- 
teile mit  spätgotischen  vermischt. 

Mit  ihm  beginnt  jener  Zwiespalt  zwischen  Romantik  und  Klassik,  der  dann 
in  dem  deutschen  Kultur-  und  Geistesleben  wiederholt  in  die  Erscheinung  tritt.  Drei- 
hundert Jahre  später,  als  Deutschland  wieder  einen  künstlerischen  Genius  hervorbringt, 
der  einem  Zeitalter  seine  Prägung  gibt,  ein  neues  Ringen  zwischen  Romantik  und 
Klassik.  Auf  Goethes  romantische  Jugendepoche,  den  Sturm  und  Drang,  folgt  das 
klassische  Mannesalter.  In  seiner  Reifezeit  waren  die  Begriffe:  klassisch  und  romantisch, 
die  Dürers  Zeitalter  noch  nicht  zum  Bewußtsein  gekommen,  oder  wenigstens  noch 
nicht  formuliert  waren,  zu  Schlagworten  geworden,  und  er  hat  sich  oft  bemüht  mit 
ihrer  eigentlichen  Bedeutung,  ihrem  Wesen  ins  Reine  zu  kommen.  Im  zweiten  Teil 
des  Faust  sollte  künstlerisch  die  große  Verschmelzung  von  Klassischem  und  Roman- 
tischem vor  sich  gehen. 

Der  Konflikt  zwischen  Ausdruck  und  formal  reiner  Prägung  im  Kunstwerk 
zieht  sich  durch  das  Schaffen  aller  Zeiten.  Steigerungen  des  Ausdrucks  geschehen 
auf  Kosten  der  reinen  Formharmonie.  Das  Romantische  drängt  auf  Vertiefung  des 
Ausdrucks,  das  Klassische  sucht  den  Formenrythmus  herzustellen.  Die  Renaissance 
ist  ebenso  wenig  rein  klassisch  wie  die  Antike  oder  Goethe. 

In  Dürer  ist  der  Widerstreit  zwischen  Ausdruck  und  Form  besonders  intensiv. 
Seine  Phantasie  drängte  auf  ein  Übermaß  von  Ausdruck.  Ihre  reichste  und  glücklichste 


95 


Betätigung  fand  sie  in  der  Graphik.  In  der  „Griffelkunst"  hat  sie  ihre  höchste  Ge- 
staltungskraft bewährt. 

Seine  Jugendepoche  ist  die  Periode  der  Impulsivität.  Die  romantische  Leiden- 
schaft ist  aufs  höchste  gespannt. 

Er  gelangt  dann  zu  einer  Naturbetrachtung,  die  die  Anschauung  auf  eine  feste 
Norm  zu  begründen  sucht.  Der  Natur  will  er  ihre  Gesetze  abringen.  Er  glaubt  sie 
für  die  Kunst  auf  Formeln  bringen  und  diese  damit  meistern  zu  können. 

Nichts  liegt  ihm  mehr  am  Herzen  als  sich  zu  der  Einfachheit  und  Klarheit  der 
Natur  durchzuringen.  Aus  der  kraftgenialischen  Epoche  strebt  er  hinaus  zu  einem 
überlegten  Sichuntertanmachen  der  Wirklichkeit.  Klassische  Ideale  tauchen  vor  seiner 
Phantasie  auf.  Aber  Widerstände  in  seiner  Natur  hindern  ihn,  das,  was  er  für  das 
gelobte  Land  hält,  ganz  zu  erreichen. 

Die  Zeit  der  Reife  bleibt  von  Zwiespalt  durchzogen.  Form  und  Ausdruck, 
Klassisches  und  Romantisches  suchen  sich  gegenseitig  zu  durchdringen  und  ringen 
um  Ausgleich;  dazu  viel  theoretisches  Bemühen.  Man  ist  vielleicht  berechtigt,  in  dem 
Konflikt  solcher  Widersprüche  etwas  Tragisches  zu  sehen. 

Auf  jene  Jugendepoche,  in  der  ihm  das  Wesen  der  Form  als  ein  naturgesetz- 
liches noch  nicht  aufgegangen  war,  scheint  Dürer  später  mit  einer  gewissen  Gering- 
schätzigkeit zurückgeblickt  zu  haben.  Darauf  läßt  sein  bekannter  Ausspruch  schließen, 
der  in  einem  Briefe  Melanchthons  an  Georg  von  Anhalt  berichtet  wird:  „Ich  erinnere 
mich,  schreibt  Melanchthon,  wie  der  an  Geist  und  Tugend  ausgezeichnete  Mann, 
der  Maler  Albrecht  Dürer,  sagte,  er  habe  als  Jüngling  die  bunten  und  vielgestaltigen 
Bilder  geliebt,  und  habe  bei  der  Betrachtung  seiner  eigenen  Werke  die  Mannigfaltig- 
keit eines  Bildes  ganz  besonders  bewundert.  Als  älterer  Mann  habe  er  aber  begonnen 
die  Natur  zu  beobachten  und  deren  ursprüngliches  Antlitz  nachzubilden,  und  habe 
erkannt,  daß  diese  Einfachheit  der  Kunst  höchste  Zierde  sei.  Nun  nicht  mehr  im  Stande, 
diese  zu  erreichen,  habe  er  bei  der  Betrachtung  seiner  Bilder  nicht  mehr  wie  früher 
Bewunderung  empfunden,  sondern  seiner  Schwachheit  geseufzt." 


ANHANG. 


VERZEICHNIS  ILLUSTRIERTER  NÜRNBERGER  DRUCKE. 


Das  folgende  Verzeichnis  macht  weder  auf  bibliographische  Genauigkeit  noch 
auf  Vollständigkeit  Anspruch.  Ich  habe  lediglich  die  Ausgaben  zusammengestellt,  in 
denen  Holzschnitte  vorkommen,  die  ich  für  meine  Studien  benutzt  habe.  Die  genannten 
Holzschnitte  habe  ich  alle  entweder  im  Original  oder  in  Abbildungen  gesehen.  Die 
Drucke  sind  geordnet  nach  dem  Jahr  ihres  Erscheinens,  am  Schluß  die  undatierten 
nach  Druckern.  Die  datierten  Ausgaben  gehen  bis  zum  Jahre  1498.  Auf  die  Titelangabe 
des  Buches  folgen  von  bibliographischen  Quellen:  H  =  Hain,  Repertorium  bibliogr.; 
Pr.  =  Proctor,  An  Index  to  the  early  printed  books  in  the  British  Museum;  V.  = 
Vouillieme,  Verzeichnis  der  Berliner  Inkunabeln  (Königl.  BibL ,  Kupferstich -Kabinett, 
Kunstgewerbe-Museum).  Herr  Dr.  Vouillieme,  der  meine  Arbeit  in  entgegenkommendster 
Weise  unterstützt  hat,  stellte  mir  die  Korrekturbogen  seines  demnächst  erscheinenden 
Inkunabel-Kataloges  zur  Verfügung,  dessen  Nummern  von  mir  zitiert  werden.  Danach 
konnten  in  dem  Verzeichnis  dem  Text  gegenüber  auch  noch  einige  Veränderungen 
in  der  Angabe  der  Drucker  vorgenommen  werden.  In  der  folgenden  Zeile  des 
Verzeichnisses  bedeutet  die  Ziffer  vor  Hz.  die  Anzahl  der  Holzschnitte,  die  der  Druck 
enthält.  Die  Seitenangabe  bezieht  sich  auf  die  Stelle  in  den  Studien,  wo  der  betreffende 
Druck  erwähnt  ist.  Ferner  ist  bemerkt,  wo  ein  Holzschnitt  in  den  Studien  abgebildet 
ist.  Auch  wo  sonst  eine  der  erwähnten  Illustrationen  reproduziert  ist,  wurde  dies  nach 
Möglichkeit  berücksichtigt.  Abgesehen  wurde  natürlich  davon,  wenn  es  sich  um  so 
bekannte  Ausgaben  wie  die  Schedeische  Chronik  oder  den  Schatzbehalter  handelt. 

Zu  dem  Druck  des  Pfarrers  vom  Kalenberg  habe  ich  einen  längeren  Exkurs 
gegeben,  weil  mir  erst  nach  der  Drucklegung  der  ersten  Studie  die  Ausgabe  von 
Schorbach  bekannt  geworden  ist. 


1475. 


1.    Tuberinus,  de  Simone  puero. 


H.  15  654. 


Creußner. 


1  Hz. 

2.  Leben  der  Heiligen.       H.  9969. 

Zahlreiche  Hze.    S.  7. 

3.  Justinianus:  Codex.       H.  9599. 

10  Hze.    S.  7. 


Pr.  2198.    V.  1844 


V.  1845. 


Sensenschmid. 


Sensenschmid 
u.  Frisner. 

7* 


100 


1479. 

4.  Folz:  Krieg  des  Dichters  wider  einen  Juden.      H.  7215. 

Pr.  2217.  Folz. 
1  Hz.    Abgebildet:  Könnecke,  Bilderatlas  zur  Gesch.  der 
deutsch.  Lit.    S.  101. 

1480. 

5.  Folz:  Von  drei  Studenten.       H.  7216.  Folz. 

1  Hz. 

6.  Folz:  Historie  von  des  röm.  Reichs  Ursprung.     H.  7217. 

V.  1858.  Folz. 
1  Hz. 

7.  Folz:  Von  einem  kargen  Reichen.       H.  7218.  Folz. 

1  Hz. 

8.  Folz:  Wie  Adam  u.  Eva  gelebt  haben.       H.  7219.  Folz. 

1  Hz. 


1481. 


9.    Bürde  der  Welt. 
1  Hz. 


H.  12013. 


Zeninger. 


10.    Folz:  Von  der  Pestilenz. 
3  Hze. 


1482. 

H.  7220. 


S.  typ. 


1483. 

11.    Bibel.       H.  3137.    Pr.  2028.    V.  1691. 
Zahlreiche  Hze.    S.  8,  67. 


Koberger. 


1484. 

12.  Reformation  der  Stadt  Nürnberg.       H.  13  716.    V.  1703.  Koberger. 

1  Hz.    Wolgemut  zugeschrieb.    S.  13. 

13.  Leben  des  heil.  Rochus.    H.  13928.  S.  typ. 

1  Hz. 


1487. 

14.    Wie  man  einem  jeglichen  deutschen  Fürsten  schreiben 

soll.    H.  4051.  Ayrer. 
1  Hz. 


15.    Heiligtum  in  Nürnberg.       H.  8415. 
1  Hz. 


Vischer. 


101 


16. 


17. 


18. 


19. 


20. 


21. 


22. 


23. 


24. 


25. 


26. 


27. 


28. 


29. 


30. 


31. 


1488. 

Bruder  Claus.       H.  5380.    V.  1897. 

7  Hze.    Abb.  1.  S.  9. 
Von  der  Erledigung  der  königl.  Majestät. 
1  Hz.    Abb.  3.  S.  9. 

H.  9981.    V.  1732. 
Zahlreiche  Hze.    S.  8. 


V.  1898. 


Heiligenleben 


H.  16019. 


S.  13. 

H.  3856.  Pr.  2268.  V.  1907. 


1489. 

Wie  der  würffei  auff  ist  kiimen.       V.  1900. 

1  Hz.    Abb.  11.  S.  16. 
Berthold,  Horologium  devotionis.       H.  8934. 

24  Hze.    Abb.  2.  S.  9. 
Versehung  von  Leib,  Seele,  Ehre  und  Gut. 
Pr.  2244.    V.  1873. 

1  Hz.    S.  10. 

1491. 

Missale.       H.  11  262. 

2  Hze.    Abb.  10.  S.  12. 
Schatzbehalter.       H.  14  507. 

Zahlreiche  Hze.  Wolgemut. 
Breviarium  Magdeburgense. 

1  Hz.    S.  13,  A.  3.' 
Obsequiale  Ratisponense.       H.  11931.    Pr.  2267. 

1  Hz.;  reprod.  Burlington  Magazine,  Vol.  IV,  No.  X,  Jan. 

1904,  S.  245,  als  Wolgemut  nach  Campbell  Dodgson. 
Wie  Rom  gepauet  wart  (Mirabilia  Romae).       H.  11212. 
V.  1882. 

5  Hze.    S.  9. 

Der   Rosenkranz    unser    lieben   Frauen.        H.  14039? 
Dresden,  Königl.  Bibl.  (defekt). 
12  Hze. 

Folz,  Rechnung  Rupr.  Kolpergers  von  d.  Wucher  der 
Juden.    H.  7210. 

1  Hz.    S.  10. 
Alexander  Gallus,  Doctrinale.       H.  682. 

1  Hz.  Lehrer  und  4  Schüler  (mit  Rand).    S.  10,   A.  1. 

Vgl.  No.  46  u.  57. 

1492. 

Missale  Salisburgense.       H.  11  420. 

3  Hze.    S.  13,  A.  3. 

Kunz  Has:  Ein  new  Gedicht  der  lobl.  Stadt  Nürnberg. 
V.  1883. 
1  Hz. 


Ayrer. 
Ayrer. 
Koberger. 

Ayrer. 
Creußner. 


Zeninger. 


Fratres  ord. 

Augustini. 
Koberger. 


Stuchs. 
Stuchs. 

Wagner. 

S.  typ. 

S.  typ. 
S.  typ. 

Stuchs. 


Wagner. 


102 


1493. 

32.  Bernardin,  Sermones.       H.  2832.    Pr.  2160.  Creußner. 

1  Hz.  Reprod.  Burlington-Magazine,  Vol.  IV,  No.  X, 
S.  246.  (Dodgson,  Some  rare  woodcuts  by  M.  Wolgemut.) 

33.  Zeitglöcklein.    H.  16279.    V.  1819.  Creußner. 

Dieselben  Hze.  wie  in  No.  20. 

34.  Hartmann    Schedel,    Weltchronik    lat.    und  deutsch. 

H.  14  508,  14  510.  Koberger. 
Zahlreiche  Hze.  von  Wolgemut  und  Wilhelm  Pleydenwurff. 
S.  13,  87. 

35.  Kunz  Has:  Gedicht,  Freunt  du  pist  nicht  sundersiech.     S.  typ. 

Einblatt.    Reprod.:  Bouchot,  Les  deux  cents  incunables 
de  la  Bibl.  Nat.  PI.  100,  No.  183. 

1494. 

36.  Sebastian  Braut,  Narrenschiff.     H. 3737.  Pr. 2250.  V.  1884.  Wagner. 

Zahlreiche  Hze.    S.  12. 

1495. 

37.  Bamberger  Heiligtum.       Dresden,  Königl.  Bibl.  Meyr. 

1  Hz. 

1496. 

38.  Theod.  Ulsenius:  Vaticinium  in  epidemicam  scabiem. 

H.  16  089.    V.  1886.  Wagner. 
1  Hz.    Abb.  26.  S.  73. 

1497. 

39.  Breviarium  Erfordense.       H.  3836.    Pr.  2297.  Hochfeder. 

1  Hz. 

40.  Dy  schydung  vnnser  lieben  frawen.      H.  14537.  Erlangen.  Wagner. 

1  Hz. 

41.  Die  Fronika.       H.  13  723.    Erlangen.  Wagner. 

1  Hz. 

1498. 

42.  Missale  Salisburgense.       H.  11421.  Stuchs. 

2  Hze. 

43.  Savonarola,  Auslegung  des  Psalmen  Miserere.    H.  14426.  Wagner. 

1  Hz. 


Ohne  Jahr. 

14.    Rosenblüt:  Spruch  v.  d.  Ordnung  u.  Regierung  in  Nürn- 


berg.   H.  13984.    V.  1901. 
1  Hz. 


Ayrer. 


103 


45.  Engel,  practick  auff  das  Jar  1488.       H.  6590. 

1  Hz.  Neudruck:  Hellmann,  Wetterprognosen  u.  Wetter- 
berichte d.  15.  u.  lö.Jhs.  Faksimiledrucke,  Berlin,  Asher  1899. 

46.  Rudimenta  grammaticae.       H.  14023.    Pr.  2188  (1490). 

1  Hz.  Lehrer  und  4  Schüler  (mit  Rand)  =  No.  29  u.  57. 
S.  10. 

Dort  hätte  diese  Ausg.  anstatt  der  Wagnerschen  in  die  Rubrik 
gestellt  werden  sollen,  da  der  Hz.  mit  Rand  jedenfalls  der  frühere  ist. 

47.  Auslegung  des  Amts  der  heil.  Messe.      H.2143.  Pr.2175. 

V.  1822. 
1  Hz. 

48.  Tuberinus,  Passio  Simonis.       H.  15657. 

1  Hz.  wie  in  No.  1. 

49.  Isocrates:  Praecepta.       H.  9317.    Pr.  2191.    V.  1830. 

1  Hz.    S.  9. 

50.  Puerilia  super  Donatum.       H.  13555. 

1  Hz.  wie  in  No.  32. 

51.  Folz:  abenteurisch  klopf  an.       V.  1859. 

1  Hz. 

52.  Folz:  Die  freche  und  die  stille.       V.  1860. 

1  Hz. 

53.  Hilduinus:    Vita    Dionysii    Areopagitae.        H.  6237. 

Pr.  2305.    V.  1927. 
1  Hz. 

54.  Issickemer:  Zuflucht  zu  Maria  in  alten  Oding.  H.9319. 

Pr.  2296  (nach  15.  Okt.  1497). 
1  Hz.    S.  73. 

55.  Bie  man  sol  hauß  halten.       Wien.  Hofbibl. 

Einblatt. 

56.  Vegius,  Philalethes.       H.  15925.    Pr.  2215. 

1  Hz. 

57.  Beda:  Repertor.  Aristotelis.       H.  1926  =  2733.    Pr.  2246 

(nach  26.  Juli  1490).    V.  1888. 

1  Hz.  Lehrer  und  4  Schüler  (ohne  unteren  Rand) 
=  No.  29  u.  46.    S.  10. 

58.  Cassandra    Fidelis,    Oratio    pro    Bertucio  Lamberto. 

H.  4553.    Pr.  2258. 

1  Hz.    Abb.  4.    S.  10. 

59.  Allerheilsamste  Warnung  vor  der  falschen  Liebe  dieser 

Welt.       H.  16150.    Pr.  2255.    V.  1896. 
3  Hze.    Abb.  6,  7,  12.    S.  10,  17. 

60.  Pfarrer  vom  Kalenberg.       Hamburg.  Stadtbibl. 

36  Hze.    Abb.  8,  9.    S.  10. 

Alle  III.  abgebildet  bei  Bobertag:  Narrenbuch,  Kürschners  Nat- 
I.itt.,  Bd.  XI.    Weitere  bibliogr.  Nachweise:  Karl  Schorbach,  Die  Ge- 


Ayrer. 


Creußner. 


Creußner. 

Creußner. 

Creußner. 

Creußner. 

Folz. 

Folz. 

Hochfeder. 

Hochfeder. 
Meyr. 

Regiomontanus. 
Wagner. 

Wagner. 


Wagner. 


Wagner. 


104 


61. 


62. 


schichte  des  Pfaffen  vom  Kalenberg.  Seltene  Drucke  in  Nachbildungen, 
Halle  1905,  wo  die  Heidelberger  Knoblochtzersche  Ausgabe  von  1490 
reproduziert  ist.  Die  Holzschnitte  dieses  Drucks  stimmen  in  der  An- 
lage der  Szenen  mit  denen  des  Nürnberger  überein,  entweder  im 
gleichen  oder  im  Gegensinn  (9  Illustrationen),  sind  aber  ganz  rohe 
Machwerke.  Ich  glaube,  daß  sie  zum  Teil  wenigstens  nach  den 
Nürnberger  kopiert  sind.  Die  Gründe,  die  Schorbach  (S.  7)  dagegen 
geltend  macht,  scheinen  mir  nicht  stichhaltig.  Die  den  Abbildungen 
bei  Bobertag  S.  76,  78,  81 ,  83  entsprechenden  Heidelberger  Holz- 
schnitte u.  a.  machen  doch  ohne  weiteres  den  Eindruck  vergröberter 
Nachbildungen  der  Nürnberger,  wobei  man  noch  die  ursprüngliche 
kecke  Zeichnung  der  Vorlage  durch  alle  Entstellungen  hindurchzu- 
fühlen meint.  Daß  es  noch  eine  andere  ältere  Kalenberger-Ausgabe 
mit  so  außergewöhnlich  guten  Illustrationen  wie  in  der  Nürnberger 
gegeben  haben  sollte,  ist  nach  unserer  Kenntnis  der  deutschen  Buch- 
illustration  kaum  anzunehmen.  Zum  Teil  mögen  aber  auch  die 
Heidelberger  und  die  Nürnberger  Illustratoren  ihre  Darstellungstypen 
aus  ein  und  derselben  älteren  Quelle  geschöpft  haben.  Dafür  scheint 
der  nicht  von  dem  guten  Illustrator  herrührende  Hz.  der  Nürnb.  Ausg., 
Bobertag  S.  46,  zu  zeugen,  welcher  seinem  Stil  und  seiner  groben, 
eckigen  Formgebung  nach  dem  Hz.  der  Heidelberger  Ausgabe  fol.  b.,v, 
der  in  der  Nürnberger  Ausgabe  kein  korrespondierendes  Gegenstück 
hat,  entspricht.  Sind  die  Heidelberger  Holzschnitte  zum  Teil  nach 
den  Nürnberger  kopiert,  so  wäre  damit  die  Entstehung  der  letzteren 
vor  1490  gesichert.  Diese  ganze  Illustrationsgruppe  wird  dann  immer 
mehr  um  1490  zusammengedrängt. 

Epistola  de  miseria  curatorum.       H.  6618.    V.  1889. 

1  Hz.,  datiert  1489.    S.  10,  A.  2. 
Kannemann:  Passio  Christi.      H.  9759.  Pr.  2258.  V.  1892. 

1  Hz. 

Heitz-Häbler,  Kalender- Inkunabeln  66. 
Heitz-Häbler  72. 


Heitz-Häbler  73. 


63.  Kalender  für  1491. 

64.  Kalender  für  1492. 

65.  Kalender  für  1492. 

66.  Folz:  Von  dem  Pfarrer  im  Loch.       V.  1875. 

1  Hz. 

67.  Jörg  v.  Nürnberg:  Nachricht  von  d.  Türken.       H.  9379. 

'  1  Hz. 

68.  Folz:  Vom  Branntwein.       H.  7207. 

1  Hz. 

69.  Folz:  Berechnung  Rupr.  Kolpergers  von  dem  Wucher 

der  Juden.       H.  7209. 
1  Hz.    Abb.  5.  S.  10. 

70.  Die  Niklashauser  Fahrt.       V.  1932. 

1  Hz. 


Wagner. 


Wagner. 

Wagner. 
Wagner. 
Wagner. 
Zeninger. 


Fratres  ord. 
S.  Augustini. 
S.  typ. 


S.  typ. 
H.  H.  ? 


VERZEICHNIS  DER  ABBILDUNGEN. 

Seite 

1.  Bruder  Claus.    1488    6 

2.  Horologium  devotionis.    1489    6 

3.  Erledigung  der  königl.  Majestät.    1488   .  7 

4.  Oratio  Cassandrae   8 

5.  Folz,  Judenwucher   9 

6.  7.  Warnung  vor  der  falschen  Liebe  dieser  Welt   11 

8.  9.  Pfarrer  vom  Kalenberg   12 

10.  Missale  1491   14 

11.  Dürer,  Wie  der  Würffei  auff  ist  kumen   17 

12.  „      Warnung  vor  der  falschen  Liebe  dieser  Welt   18 

13.  „      Jüngstes  Gericht,  Zeichnung,  Brit.  Mus.    Ausschnitt   19 

14.  „       Enthauptungsszene,  Zeichnung,  Brit.  Mus.  (etwas  verkleinert)   25 

15.  „      Frauenakt,  Zeichnung,  Uffizien   42 

16.  „       Frauenakt,  Zeichnung,  Bonnat  (verkleinert)   43 

17.  „      Die  vier  Hexen   43 

18.  J.  de'  Barbari,  Sieg  und  Ruhm   43 

19.  Dürer,  Traum  des  Doktors   45 

20.  Barbari,  Galathea,  Dresden,  Gemälde -Galerie   45 

21.  Herkules  im  Kampf  mit  den  Stymphal.  Vögeln.    Zeichnung,  Darmstadt.    Ausschnitt  ...  48 

22.  A.  del  Pollajuolo,  Herkules,  Ausschnitt  aus  einem  Bild  in  New  Häven   49 

23.  Dürer,  Madonna  mit  der  Meerkatze   58 

24.  Lorenzo  di  Credi,  Madonna  vom  Altarbild  in  Pistoja   59 

25.  Dürer,  Marter  des  Sebastian,  Holzschnitt,  Berlin  Kupf.  Kab.  (verkleinert)   71 

26.  Ulsenius,  Vaticinium.    Holzschnitt,  Berlin  Kupf.  Kab.  (etwas  verkleinert)   72 

27.  Bekehrung  Pauli,  Kupferstich,  Dresden  (verkleinert)   74 

28.  Dürer,  Große  Kreuzigung,  Holzschnitt,  Berlin  Kupf.  Kab.  (verkleinert)   76 

29.  Kreuztragung,  Holzschnitt,  Albertina   78 

30.  Zeichnung  aus  Benedikt-Legende,  München  (verkleinert)   79 

31.  Dürer,  Die  Freuden  der  Welt.    Zeichnung.    Oxford  (verkleinert)   93 

Lichtdruck.    Dürer,  Zeichnung  für  Kupferstich,  Berlin 


REGISTER. 


Alberti,  L.  B.  31. 
Amor  47. 

Amymone-Mythus  51. 
Apollo  47,  56. 

Baldini,  Baccio  54. 
Baidung  68,  77. 

Barbari,  Jacopo  de'   37,  44,  45,  46,  48,  52,  53, 

55—57,  58,  59—61,  63,  81,  82—83,  88. 
Bellini,  Giovanni  57,  61. 
Benedikt-Zeichnungen  79. 
Boltraffio  58. 

Brant,  Narrenschiff  12,  22. 

Cassandra  Fidelis  10. 
Celtes,  Conrad  33,  35,  75. 
Cranach  68. 

Credi,  Lorenzo  di  41,  58. 

Danhauser,  Peter  (Abietiscola)  10. 
Donatello  40. 

Dürer,  Albrecht,  der  ältere  1,  2,  33. 
Dürer,  Gemälde: 

Bildnis  des  Vaters,  1490,  Uffizien  19. 

1497  83. 

Selbstporträt  1493  21. 

Herkules,  Nürnberg  50,  89. 

Dresdener  Altar  57—58,  86—87. 

Selbstporträt  1498,  Madrid  65,  83,  85. 

Beweinung,  München  65,  66,  88. 

Friedrich  der  Weise,  Berlin  83,  84,  85. 

Tucher,  Hans  u.  Felicitas,  Weimar,  1499  83,  84. 
Elsbeth  1499,  Cassel  83,  84. 

Krell,  1499,  München  83,  85. 

Sogen.  Hans  Dürer,  1500,  München  83. 

Sogen.  Fürlegerin  83,  87. 

Frauenkopf  Paris,  Bibl.  Nat.  87. 

Madonna  1503,  Wien  88. 

Salvator,  früher  Slg.  Felix  88. 

Paumgärtner-Altar  89. 


Zugeschrieben: 
Altar  in  Ober  St.  Veit  90. 
Jabach-Altar  90. 
Beweinung,  German.  Mus.  88. 
Jünglingsporträt,  Darmstadt,  Schloß  85. 

Dürer,  Kupferstiche: 

Madonna  mit  der  Heuschrecke  24,  27,  80,  82. 

Vier  Hexen  44,  81. 

Traum  des  Doktors  46,  82. 

Eifersucht  49,  82. 

Meerwunder  51,  55,  82. 

Das  kleine  Pferd  54. 

Nemesis  55,  64,  82. 

Apollo  und  Diana  55  f. 

Satyrfamilie  57. 

Türkenfamilie  57. 

Madonna  mit  der  Meerkatze  58,  65,  82,  86. 
Säugende  Madonna  (B.  34)  59,  82,  88. 
Eustachius  64. 

Hl.  Antonius  1519  (B.  58)  64. 

Der  verlorene  Sohn  81. 

Die  Buße  des  Chrysostomus  81. 

Der  hl.  Hieronymus  (B.  61)  81,  82. 

Das  kleine  Glück  82. 

Todeswappen  1503  82. 

Adam  und  Eva  1504  82,  93,  94. 

Zugeschrieben: 
Der  Gewalttätige  (B.  92)  27. 

Dürer,  Holzschnitte: 

Hieronymus  1492  12,  21,  22,  27,  68. 
Männerbad  46,  72. 
Ercules  49,  50,  72. 
Apokalypse  63,  67  ff. 
Marieenleben  65,  69,  80,  87. 
Große  Passion  70.| 
Marter  der  hl.  Katharina  72. 
Simson  72. 

Ritter  und  Landsknecht  72. 


107 


Madonna  mit  den  Hasen  72. 

Marter  der  Zehntausend  72. 

Marter  des  hl.  Sebastian  (P.  182)  73. 

Große  Kreuzigung  73  f. 

Sebaldus  75. 

Celtes,  libri  Aniorurn  75. 

Bücherzeichen  für  Pirckheimer  (B.  App.  52)  77. 
„Stücke  des  schlechten  Holzwerks"  79. 
Entrückung  der  Magdalena  (B.  121)  80. 

Zugeschrieben: 
Baseler  Illustrationen  22  f. 
Syphilitiker  73. 
Opera  Rosvithae  77. 
Revelationes  S.  Brigittae  77. 
Dornenkrönung  (B.  App.  4)  79. 

Dürer,  Zeichnungen: 

Selbstbildnis  1484,  Albertina  (L.  448)  15. 
Madonna  mit  Engeln,  Berlin  1485  (L.  1)  15. 
Dame  mit  d.  Falken,  Brit.  Mus.  (L.  208)  15. 
Kavalkade,  Bremen  (L.  100)  16,  17,  24. 
Drei  Landsknechte,  Berlin  (L.  2)   16,  17. 
Allegor.  Darstellung,  Reimes  17. 
Weltgericht,  Brit.  Mus.  (L.  224)  18. 
Weltgericht,  Brit.  Mus.  (L.  248)  18. 
Christusknabe  1493,  Albertina  (L.  450)  22. 
Selbstbildnis,  Erlangen  (L.  429)  24. 
Madonna,  Erlangen  (L.  430)  24,  27. 
Madonna-Rodrigues,  Berlin  24,  27,  46,  63. 
Frauenakt,  1493  Bonnat  (L.  345)  26,  41. 
Schreitende  Frau,  Bonnat  (L.  346)  26. 
Reitendes  Paar,  Berlin  (L.  3)  26. 
Schreitendes  Paar,  Hamburg  26. 
Madonna,  Louvre  (L.  300)  26. 
Ritter,  Brit.  Mus.  (L.  209)  26. 
Enthauptung,  Brit.  Mus.  26,  27. 
Tod  des  Orpheus,  Hamburg  (L.  159)  36,  49,  64. 
Trachtenstudie,  Albertina  (L.  459)  37.  91. 
Zwei  Frauen,  Frankfurt  (L.  187)  37. 
Bacchanal  nach  Mantegna  (L.  454)  38. 
Kampf  der  Seekentauren  nach  Mantegna  (L.  455) 
38,  49. 

Nackte  Figuren  1495,  Bonnat  (L.  345)  40,  49. 

Christuskind  nach  Credi,  Schickler  (L.  384)  41. 

Tarocchi,  Brit.  Mus.  (L.  210—218)  41. 

Frauenakt,  Uffizien  41,  60. 

Apollo,  Poynter  (L.  179)  44,  48,  55. 

Frauenakt,  Brit.  Mus.  (L.  225)  44. 

Venus  auf  Delphin,  Albertina  (L.  469)  44,  54. 

Frauenbad,  Bremen  (L.  101)  46. 

Europa,  Albertina  (L.  456)  46,  53,  63. 

Herkules,  Darmstadt  (L.  207)  50,  91. 

Nackte  liegende  Frau,  1501,  Albertina  (L.466)  53. 

„Pupila  Augusta",  Windsor  (L.  389)   53,  64. 

Apollo,  Brit.  Mus.  (L.  233)  55. 


Madonna  mit  d.  vielen  Tieren,  Albertina  (L.  460) 
59,  66. 

Madonna  mit  d.  vielen  Tieren,  Entwurf,  Blasius 

(L.  134)  59. 
Madonna,  Brit.  Mus.  (L.  229)  59. 
Tiroler  Landschaften  64. 
Weiherhäuschen,  Brit.  Mus.  (L.  220)  65. 
Landschaft,  Erlangen  (L.  431)  65,  93. 
Rosvitha-Skizze  77. 

Köpfe  (L.  5,  99,  113,  230,  376,  426,  457)  85. 

Mädchenkopf,  Berlin  (L.  96)  87. 

Zeichnungen  zum  Altar  in  Ober  St.  Veit  90,  91. 

Ritter  1498,  Albertina  (L.  461)  91. 

Lautespiel.  Engel,  Berlin  (L.  73)  91. 

Hase  1502,  Albertina  (L.  468)  91. 

Verlorener  Sohn,  Brit.  Mus.  (L.  222)  91. 

Entwürfe  für  Bauernszenen,  Berlin  91 — 92. 

Die  Freuden  der  Welt,  Oxford  46,  92. 

Reiter,  Louvre  (L.  304)  93. 

Agnes  Dürer,  Albertina  (L.  457)  85,  93. 

Bremen  (L.  113)  91. 
Zugeschrieben: 

Angebl.  Bildnis  des  Vaters,  Albertina  20. 
Madonnen  bei  Mr.  G.  Mayer  27. 
Sogen.  Beiisar,  Berlin  93. 
Zwei  Reiter,  München  93. 

Eyck  van  85. 

Ferrara  30. 
Finiguerra  49,  54. 
Folz,  Hans  7. 
Fortuna  54. 
Frei,  Hans  37. 

Fridolin,  Stephan,  Lesemeister  33. 
Friedrich  der  Weise,  Kurfürst  38. 

Goethe  57,  94. 
Gossenbrot,  Sigismund  33. 
Grünewald  68. 

Kels,  Hans  51. 
Koberger  8. 
Krafft,  Adam  1. 

Lange,  Julius  39. 
Lionardo  da  Vinci  58. 
Lombardi  48. 
Lucian  47,  51. 
Luther  70. 

Mantegna  39,  40,  41,  46,  50,  60,  62,  63,  67. 
Marco  d'Oggiono  58. 
Masaccio  40. 

Meister  mit  den  Bandrollen  34. 
„      des  hl.  Erasmus  34. 


108 


Meister  E.  S.  86. 

„      des  Imhofschen  Altars  1. 

„       „    Tucherschen  Altars  2. 

„        „    Löffelholzschen  Altars  2. 

„       „    Peringsdörfferschen  Altars  4,  5,  13. 
„    Hausbuclis  5,  20,  27. 

„      der  Bergmannsclien  Offizin  22,  20,  f>9. 
Melanchthon  61,  95. 
Meinling  5. 

Montagna,  Bartolomeo  44. 

Pesellino  47. 
Piero  di  Cosimo  54. 
Pirckheimer,  Wilibald  34,  37,  61. 
Pleydenwurff,  Johannes  2,  3,  4. 

Wilhelm  6,  13. 

Poggio  52. 
Polizian  55. 

Pollajuolo,  Antonio  del  40,  41,  50,  60,  63. 

Raffael  70. 
Riccio  48. 

Ritter  von  Turn  22,  S7. 
Rogier  van  der  Weyden  2. 

Schäuffelein  90. 

Schede!,  Hartmann  10,  33,  35,  36. 


Scheurl,  Christoph  20,  36. 
Schifanoja,  Palazzo  54,  56. 
Schneevogel  (Niavis)  33. 
Schongauer,  Caspar,  Paul,  Ludwig  21,  23. 
Georg  21,  23. 

Martin   1,  3,  4,  5,  9,  16,  20,  22,  23, 
24,  26,  27,  39,  70,  81. 
Schleyer,  Sebald  33,  35. 
Schüchlin  3. 
Sellaio,  Jacopo  del  53. 
Stoß,  Veit  1. 
Straßburg  21,  22,  23. 

Terenz  22. 

Traut,  Wolf  79. 

Tucher,  Hans,  Sixtus  33. 

Venedig  48. 

Venus  54. 

Verrocchio  58. 

Viator  (Jean  Pelerin)  94. 

Vitruv  60. 

Wolgemut   3,  4,  8,  10,  12,  13,  15,  16,  20,  22,  34, 
68,  72,  75. 


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Druck  von  Emil  Herrmann  senior  in  Leipzig. 


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