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Full text of "Der neuen Gedichte anderer Teil"

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6.  bis  8.  Tausend 


RAINER  MARIA  RILKE 

DER  NEUEN  GEDICHTE 
ANDERER  TEIL 


LEIPZIG 
Im  INSEL-VERLAG 

MCMXIX 


>vi 


A  MON  GRAND  AMI 
AUGUSTE  RODIN 


ARCHAISCHER  TORSO  APOLLOS 

Wir  kannten  nicht  sein  imerliörtes  Haupt, 
darin  die  Augenäpfel  reiften.  Aber 
sein  Torso  glüht  noch  wie  ein  Kandelaber, 
in  dem  sein  Schauen,  nur  zurückgeschraubt, 

sich  hält  und  glänzt.  Sonst  könnte  nicht  der  Bug 
der  Brust  dich  blenden,  und  im  leisen  Drehen 
der  Lenden  könnte  nicht  ein  Lächeln  gehen 
zu  jener  Mitte,  die  die  Zeugung  trug. 

Sonst  stünde  dieser  Stein  entstellt  und  kurz 
unter  der  Schultern  durchsichtigem  Sturz 
und  flimmerte  nicht  so  wie  Raubtierfelle 

und  bräche  nicht  aus  allen  seinen  Rändern 
aus  wie  ein  Stern:  denn  da  ist  keine  Stelle, 
die  dich  nicht  sieht.  Du  mußt  dein  Leben  ändern. 


KRETISCHE  ARTEMIS 

Wind  der  Vorgebirge:  war  nicht  ihre 
Stirne  wie  ein  Hchter  Gegenstand? 
Glatter  Gegenwind  der  leichten  Tiere, 
formtest  du  sie:  ihr  Gewand 

bildend  an  die  unbewußten  Brüste 
wie  ein  wechselvolles  Vorgefühl? 
Während  sie,  als  ob  sie  alles  wüßte, 
auf  das  Fernste  zu,  geschürzt  und  kühl, 

stürmte  mit  den  Nymphen  und  den  Hunden, 
ihren  Bogen  probend,  eingebunden 
in  den  harten  hohen  Gurt; 

manchmal  nur  aus  fremden  Siedelungen 
angerufen  und  erzürnt  bezwungen 
von  dem  Schreien  um  Geburt. 


LEDA 

Als  ihn  der  Gott  in  seiner  Not  betrat, 
erschrak  er  fast,  den  Schwan  so  schön  zu  finden; 
er  heß  sich  ganz  verwirrt  in  ihm  verschwinden. 
Schon  aber  trug  ihn  sein  Betrug  zur  Tat, 

bevor  er  noch  des  unerprobten  Seins 
Gefühle  prüfte.  Und  die  Aufgetane 
erkannte  schon  den  Kommenden  im  Schwane 
und  wußte  schon:  er  bat  um  eins, 

das  sie,  verwirrt  in  ihrem  Widerstand, 

nicht  mehr  verbergen  konnte.  Er  kam  nieder, 

und  halsend  durch  die  immer  schwächre  Hand 

Heß  sich  der  Gott  in  die  Geliebte  los. 

Dann  erst  empfand  er  glücklich  sein  Gefieder 

und  wurde  wirklich  Schwan  in  ihrem  Schoß. 


DELPHINE 

Jene  Wirklichen,  die  ilirem  Gleiclien 
überall  zu  wachsen  und  zu  wohnen 
gaben,  fühlten  an  verwandten  Zeichen 
öleiche  in  den  aufgelösten  Reichen, 
die  der  Gott,  mit  triefenden  Tritonen, 
überströmt  bisweilen  übersteigt; 
denn  da  hatte  sich  das  Tier  gezeigt: 
anders  als  die  stumme,  stumpfgemute 
Zucht  der  Fische,  Blut  von  ihrem  Blute, 
und  von  fern  dem  Menschlichen  geneigt. 


Eine  Schar  kam,  die  sich  überschlug, 

froh,  als  fühlte  sie  die  Fluten  glänzend: 

Warme,  Zugetane,  deren  Zug 

wie  mit  Zuversicht  die  Fahrt  bekränzend, 

leichtgebunden  um  den  runden  Bug 

wie  um  einer  Vase  Rumpf  und  Rundung, 

selig,  sorglos,  sicher  vor  Verwundung, 

aufgerichtet,  hingerissen,  rauschend 

und  im  Tauchen  mit  den  Wellen  tauschend 

die  Trireme  heiter  weitertrug. 


Und  der  Schiffer  nahm  den  .neugewährten 
Freund  in  seine  einsame  Gefahr 


und  ersann  für  ihn,  für  den  Gefährten, 
dankbar  eine  Welt  und  hielt  für  wahr, 
daß  er  Töne  liebte,  Götter,  Gärten 
und  das  tiefe,  stille  Sternenjahr. 


DIE  INSEL  DER  SIRENEN 

Wenn  er  denen,  die  ihm  gastlich  waren, 
spät,  nach  ihrem  Tage  noch,  da  sie 
fragten  nach  den  Fahrten  und  Gefahren, 
still  berichtete:  er  wußte  nie, 

wie  sie  schrecken  und  mit  welchem  jähen 
Wort  sie  wenden,  daß  sie  so  wie  er 
in  dem  blau  gestillten  Inselmeer 
die  Vergoldung  jener  Inseln  sähen, 

deren  Anblick  macht,  daß  die  Gefahr 
umschlägt;  denn  nun  ist  sie  nicht  im  Tosen 
und  im  Wüten,  wo  sie  immer  war: 
lautlos  kommt  sie  über  die  Matrosen, 

welche  wissen,  daß  es  dort  auf  jenen 
goldnen  Inseln  manchmal  singt  -, 
und  sich  blindlings  in  die  Ruder  lehnen, 
wie  umringt 

von  der  Stille,  die,  die  ganze  Weite 
in  sich  hat  und  an  die  Ohren  weht, 
so  als  wäre  ihre  andre  Seite 
der  Gesang,  dem  keiner  widersteht. 


KLAGE  UM  ANTINOUS 

Keiner  begriff  mir  von  euch  den  bithynisclien 

Knaben 
(dai3  ihr  den  Strom  anfaiket  und  von  ihm  hübt . . .). 
Ich  verwöhnte  ihn  zwar.  Und  dennoch:  wir  haben 
ihn  nur  mit  Schwere  erfüllt  und  für  immer  getrübt. 

Wer  vermag  denn  zu  heben?  Wer  kann  es?  - 

Noch  keiner. 
Und  so  hab  ich  unendliches  Weh  getan  -. 
Nun  ist  er  am  Nil  der  stillenden  Götter  einer, 
und  ich  weiß  kaum  welcher  und  kann  ihm  nicht 

nahn. 

Und  ihr  warfet  ihn  noch,  W^ahnsinnige,  bis  in 

die  Sterne, 
damit  ich  euch  rufe  und  dränge:  meint  ihr  den? 
Was  ist  er  nicht  einfach  ein  Toter.  Er  wäre  es  gerne. 
Und  vielleicht  wäre  ihm  nichts  geschehn. 


DER  TOD  DER  GELIEBTEN 

Er  wußte  nur  vom  Tod,  was  alle  wissen: 
daß  er  uns  nimmt  und  in  das  Stumme  stößt. 
Als  aber  sie,  nicht  von  ihm  fortgerissen, 
nein,  leis  aus  seinen  Augen  ausgelöst, 

hinüberglitt  zu  unbekannten  Schatten, 
und  als  er  fiihlte,  daß  sie  drüben  nun 
wie  einen  Mond  ihr  Mädchenlächeln  hatten 
und  ihre  Weise  wohlzutun: 

da  wurden  ihm  die  Toten  so  bekannt, 
als  wäre  er  durch  sie  mit  einem  jeden 
ganz  nah  verwandt;  er  ließ  die  andern  reden 

und  glaubte  nicht  und  nannte  jenes  Land 
das  gutgelegene,  das  immersüße  — . 
Und  tastete  es  ab  für  ihre  Füße. 


KLAGE  UM  JONATHAN 


Ach,  sind  auch  Könige  nicht  von  Bestand 
und  dürfen  hingehn  wie  gemeine  Dinge, 
obwohl  ihr  Druck  wie  der  der  Siegelringe 
sich  widerbildet  in  das  weiche  Land. 

Wie  aber  konntest  du,  so  angefangen 

mit  deines  Herzens  Initial, 

aufhören  plötzlich:  Wärme  meiner  Wangen. 

O  daß  dich  einer  noch  einmal 

erzeugte,  wenn  sein  Samen  in  ihm  glänzt. 

Irgendein  Fremder  sollte  dich  zerstören, 
und  der  dir  innig  war,  ist  nichts  dabei 
und  muß  sich  halten  und  die  Botschaft  hören; 
wie  wunde  Tiere  auf  den  Lagern  löhren, 
möcht  ich  mich  legen  mit  Geschrei: 

denn  da  und  da,  an  meinen  scheusten  Orten, 
bist  du  mir  ausgerissen  wie  das  Haar, 
das  in  den  Achselhöhlen  wächst  und  dorten, 
wo  ich  ein  Spiel  für  Frauen  war, 

bevor  du  meine  dort  verfitzten  Sinne 
aufsträhntest,  wie  man  einen  Knaul  entflicht; 
da  sah  ich  auf  und  wurde  deiner  inne:  — 
jetzt  aber  gehst  du  mir  aus  dem  Gesicht. 


TRÖSTUNG  DES  ELIA 

Er  hatte  das  getan  und  dies,  den  Bund 
wie  jenen  Altar  wieder  aufzubauen, 
zu  dem  sein  weitgeschleudertes  Vertrauen 
zurück  als  Feuer  fiel  von  ferne,  und 
hatte  er  dann  nicht  Hunderte  zerhauen, 
weil  sie  ihm  stanken  mit  dem  Baal  im  Mund, 
am  Bache  schlachtend  bis  ans  Abendgrauen, 

das  mit  dem  Regengrau  sich  groß  verband? 
Doch  als  ihn  von  der  Königin  der  Bote 
nach  solchem  Werktag  antrat  und  bedrohte, 
da  lief  er  wie  ein  Irrer  in  das  Land, 

so  lange,  bis  er  unterm  Ginsterstrauche 
wie  weggeworfen  aufbrach  in  Geschrei, 
das  in  der  Wüste  brüllte :  Gott,  gebrauche 
mich  länger  nicht.  Ich  bin  entzwei. 

Doch  grade  da  kam  ihn  der  Engel  ätzen 
mit  einer  Speise,  die  er  tief  empfing, 
so  daß  er  lange  dann  an  Weideplätzen 
und  Wassern  immer  zum  Gebirge  ging, 

zu  dem  der  Herr  um  seinetwillen  kam: 

lO 


im  Sturme  nicht  und  niclit  im  Sicli-Zerspalten 
der  Erde,  der  entlang  in  schweren  Falten 
ein  leeres  Feuer  ging,  fast  wie  aus  Scham 
über  des  Ungeheuren  ausgeruhtes 
Hinstürzen  zu  dem  angekommnen  Alten, 
der  ihn  im  sanften  Sausen  seines  Blutes 
erschreckt  und  zugedeckt  vernahm. 


II 


SAUL  UNTER  DEN  PROPHETEN 


Meinst  du  denn,  daß  man  sich  sinken  sieht? 
Nein,  der  König  schien  sich  noch  erhaben, 
da  er  seinen  starken  Harfenknaben 
töten  wollte  bis  ins  zehnte  Glied. 

Erst  da  ihn  der  Geist  auf  solchen  Wegen 
überfiel  und  auseinanderriß, 
sah  er  sich  im  Innern  ohne  Segen, 
und  sein  Blut  ging  in  der  Finsternis 
abergläubig  dem  Gericht  entgegen. 

Wenn  sein  Mund  jetzt  troff  und  prophezeite, 
war  es  nur,  damit  der  Flüchtling  weit 
flüchten  könne.  So  war  dieses  zweite 
Mal.  Doch  einst:  er  hatte  prophezeit 

fast  als  Kind,  als  ob  ihm  jede  Ader 
mündete  in  einen  Mund  aus  Erz; 
alle  schritten,  doch  er  schritt  gerader; 
alle  schrieen,  doch  ihm  schrie  das  Herz. 

Und  nun  war  er  nichts  als  dieser  Haufen 

umgestürzter  Würden,  Last  auf  Last; 

und  sein  Mund  war  wie  der  Mund  der  Traufen, 

der  die  Güsse,  die  zusammenlaufen, 

fallen  läßt,  eh  er  sie  faßt. 

12 


SAMUELS  ERSCHEINUNG  VOR  SAUL 

Da  schrie  die  Frau  zu  Endor  auf:  Ich  sehe  - 
Der  König  packte  sie  am  Arme:  Wen"? 
Und  da  die  Starrende  beschrieb,  noch  ehe, 
da  war  ihm  schon,  er  hätte  selbst  gesehn: 


den,  dessen  Stimme  ihn  noch  einmal  traf: 

Was  störst  du  mich?  Ich  habe  Schlaf. 

Willst  du,  weil  dir  die  Himmel  fluchen, 

und  weil  der  Herr  sich  vor  dir  schloß  und  schwieg, 

in  meinem  Mund  nach  einem  Siege  suchen? 

Soll  ich  dir  meine  Zähne  einzeln  sagen? 

Ich  habe  nichts  als  sie  . . .  Es  schwand.  Da  schrie 

das  Weib,  die  Hände  vors  Gesicht  geschlagen, 

als  ob  sie's  sehen  müßte:  Unterlieg  — 


Und  er,  der  in  der  Zeit,  die  ihm  gelang, 
das  Volk  wie  ein  Feldzeichen  überragte, 
fiel  hin,  bevor  er  noch  zu  klagen  wagte: 
so  sicher  war  sein  Untergang. 
Die  aber,  die  ihn  wider  Willen  schlug, 
hoffte,  daß  er  sich  faßte  und  vergäße; 
und  als  sie  hörte,  daß  er  nie  mehr  äße, 
ging  sie  hinaus  und  schlachtete  und  buk 

13 


und  brachte  ihn  dazu,  daß  er  sich  setzte; 
er  saß  wie  einer,  der  zu  viel  vergißt: 
alles,  was  war,  bis  auf  das  Eine,  Letzte. 
Dann  aß  er,  wie  ein  Knecht  zu  Abend  ißt. 


14 


EIN  PROPHET 

Ausgedehnt  von  riesigen  Gesichten, 
hell  vom  Feuerschein  aus  dem  Verlauf 
der  Gerichte,  die  ihn  nie  vernichten,  - 
sind  die  Augen,  schauend  unter  dichten 
Brauen.  Und  in  seinem  Innern  richten 
sich  schon  wieder  Worte  auf, 

nicht  die  seinen  (denn  was  wären  seine, 
und  wie  schonend  wären  sie  vertan), 
andre,  harte:  Eisenstücke,  Steine, 
die  er  schmelzen  muß  wie  ein  Vulkan, 

um  sie  in  dem  Ausbruch  seines  Mundes 
auszuwerfen,  welcher  llucht  und  flucht; 
während  seine  Stirne,  wie  des  Hundes 
Stirne,  das  zu  tragen  sucht, 

was  der  Herr  von  seiner  Stirne  nimmt: 
Dieser,  Dieser,  den  sie  alle  fänden, 
folgten  sie  den  großen  Zeigehänden, 
die  Ihn  weisen,  wie  Er  ist:  ergrimmt. 


15 


JEREMIAS 

Einmal  war  ich  weicli  wie  früher  Weizen, 
doch,  du  Rasender,  du  hast  vermocht, 
mir  das  hingehaltne  Herz  zu  reizen, 
daß  es  jetzt  wie  eines  Löwen  Ivocht. 

Welchen  Mund  hast  du  mir  zugemutet, 
damals,  da  ich  fast  ein  Knabe  war: 
eine  Wunde  wurde  er:  nun  blutet 
aus  ihm  Unglücksjahr  um  Unglücksjahr. 

Täglich  tönte  ich  von  neuen  Nöten, 

die  du.  Unersättlicher,  ersannst, 

und  sie  konnten  mir  den  Mund  nicht  töten; 

sieh  du  zu,  wie  du  ihn  stillen  kannst, 

wenn,  die  wir  zerstoßen  und  zerstören, 
erst  verloren  sind  und  fernverlaufen 
und  vergangen  sind  in  der  Gefahr: 
denn  dann  will  ich  in  den  Trümmerhaufen 
endlich  meine  Stimme  Wiederhören, 
die  von  Anfang  an  ein  Heulen  war. 


i6 


EINE  SIBYLLE 

Einst,  vor  Zeiten,  nannte  man  sie  alt. 
Doch  sie  blieb  und  kam  dieselbe  Straße 
täglich.  Und  man  änderte  die  Maße, 
und  man  zählte  sie  wie  einen  Wald 

nach  Jahrhunderten.  Sie  aber  stand 
jeden  Abend  auf  derselben  Stelle, 
schwarz  wie  eine  alte  Zitadelle, 
hoch  und  hohl  und  ausgebrannt; 

von  den  Worten,  die  sich  unbewacht 
wider  ihren  Willen  in  ihr  mehrten, 
immerfort  umschrieen  und  umflogen, 
während  die  schon  wieder  heimgekehrten 
dunkel  unter  ihren  Augenbogen 
saßen,  fertig  für  die  Nacht. 


17 


ABSALOMS  ABFALL 

Sie  hoben  sie  mit  Geblitz: 

der  Sturm  aus  den  Hörnern  schwellte 

seidene,  breitgewellte 

Fahnen.  Der  herrlich  Erhellte 

nahm  im  hochoffenen  Zelte, 

das  jauchzendes  Volk  umstellte, 

zehn  Frauen  in  Besitz, 


die  (gewohnt  an  des  alternden  Fürsten 
sparsame  Nacht  und  Tat) 
unter  seinem  Dürsten 
wogten  wie  Sommersaat. 


Dann  trat  er  heraus  zum  Rate, 
wie  vermindert  um  nichts, 
und  jeder,  der  ihm  nahte, 
erblindete  seines  Lichts. 


So  zog  er  auch  den  Heeren 
voran  wie  ein  Stern  dem  Jahr: 
über  allen  Speeren 
wehte  sein  warmes  Haar, 
das  der  Helm  nicht  faßte 
und  das  er  manchmal  haßte, 

18 


weil  es  schwerer  war 

als  seine  reichsten  Kleider. 

Der  König  hatte  geboten, 
daß  man  den  Schönen  schone. 
Doch  man  sah  ihn  ohne 
Helm  an  den  bedrohten 
Orten  die  ärgsten  Knoten 
zu  roten  Stücken  von  Toten 
auseinanderhaun. 
Dann  wußte  lange  keiner 
von  ihm,  bis  plötzlich  einer 
schrie:  Er  hängt  dort  hinten 
an  den  Terebinthen 
mit  hochgezogenen  Braun. 

Das  war  genug  des  Winks. 

Joab,  wie  ein  Jäger, 

erspähte  das  Haar  -:  ein  schräger 

gedrehter  Ast:  da  hings. 

Er  durchrannte  den  schlanken  Kläger, 

und  seine  Waffenträger 

durchbohrten  ihn  rechts  und  links. 


19 


ESTHER 

Die  Dienerinnen  kämmten  sieben  Tage 
die  Asche  ihres  Grams  und  ihrer  Plage 
Neige  und  Niederschlag  aus  ihrem  Haar 
und  trugen  es  und  sonnten  es  im  Freien 
und  speisten  es  mit  reinen  Spezereien 
noch  diesen  Tag  und  den:  dann  aber  war 


die  Zeit  gekommen,  da  sie  ungeboten, 
zu  keiner  Frist,  wie  eine  von  den  Toten 
den  drohend  offenen  Palast  betrat, 
um  gleich,  gelegt  auf  ihre  Kammerfrauen, 
am  Ende  ihres  Weges  den  zu  schauen, 
an  dem  man  stirbt,  wenn  man  ihm  naht. 


Er  glänzte  so,  daß  sie  die  Kronrubine 
aufflammen  fühlte,  die  sie  an  sich  trug; 
5ie  füllte  sich  ganz  rasch  mit  seiner  Miene 
wie  ein  Gefäß  und  war  schon  voll  genug 


und  floß  schon  über  von  des  Königs  Macht, 
bevor  sie  noch  den  dritten  Saal  durchschritt, 
der  sie  mit  seiner  Wände  Malachit 
grün  überlief.   Sie  hatte  nicht  gedacht, 

20 


so  langen  Gang  zu  tun  mit  allen  vStcinen, 

die  schwerer  wurden  von  des  Königs  Scheinen 

und  kalt  von  ihrer  Angst.   Sie  ging  und  ging. 

Und  als  sie  endlich  fast  von  nahe  ihn, 
aufruhend  auf  dem  Thron  von  Turmalin, 
sich  türmen  sah,  so  wirklich  wie  ein  Ding: 

empfing  die  rechte  von  den  Dienerinnen 
die  Schwindende  und  hielt  sie  zu  dem  Sitze. 
Er  rührte  sie  mit  seines  Zepters  Spitze; 
und  sie  begriff  es  ohne  Sinne,  innen. 


21 


DER  AUSSÄTZIGE  KÖNIG 

Da  trat  auf  seiner  Stirn  der  Aussatz  aus 
und  stand  auf  einmal  unter  seiner  Krone, 
als  war  er  König  über  allen  Graus, 
der  in  die  andern  fuhr,  die  fassungsohne 

hinstarrten  nach  dem  furchtbaren  Vollzug 

an  jenem,  welcher,  schmal  wie  ein  Verschnürter, 

erwartete,  daß  einer  nach  ihm  schlug; 

doch  noch  war  keiner  Manns  genug: 

als  machte  ihn  nur  immer  unberührter 

die  neue  Würde,  die  sich  übertrug. 


22 


LEGENDE  VON  DEN  DREI  LEBENDIGEN 
UND  DEN  DREI  TOTEN 

Drei  Herren  hatten  mit  Falken  gebeizt 
und  freuten  sich  auf  das  Gelag. 
Da  nahm  sie  der  Greis  in  Beschlag 
und  führte.  Die  Reiter  hielten  gespreizt 
vor  dem  dreifachen  Sarkophag, 

der  ihnen  dreimal  entgegenstank, 
in  den  Mund,  in  die  Nase,  ins  Sehn; 
und  sie  wußten  es  gleich:  da  lagen  lang 
drei  Tote  mitten  im  Untergang 
und  ließen  sich  gräi31ich  gehn. 

Und  sie  hatten  nur  noch  ihr  Jägergehör 
reinlich  hinter  dem  Sturmbandlör; 
doch  da  zischte  der  Alte  sein: 
—  Sie  gingen  nicht  durch  das  Nadelöhr 
und  gehen  niemals  -  hinein. 

Nun  bheb  ihnen  noch  ihr  klares  Getast, 
das  stark  war  vom  Jagen  und  heiß; 
doch  das  hatte  ein  Frost  von  hinten  gefaßt 
und  trieb  ihm  Eis  in  den  Schweiß. 


23 


DER  KÖNIG  VON  MÜNSTER 


Der  König  war  geschoren; 
nun  ging  ilini  die  Krone  zu  weit 
und  bog  ein  wenig  die  Oliren, 
in  die  von  Zeit  zu  Zeit . 

gellässiges  Gelärme 

aus  Hungermäulern  fand. 

Er  saß,  von  wegen  der  Wärme, 

auf  seiner  rechten  Hand, 

mürrisch  und  schwergesäßig. 
Er  fühlte  sich  nicht  mehr  echt: 
der  Herr  in  ihm  war  mäßig, 
und  der  Beischlaf  war  schlecht. 


24 


TOTENTANZ 

Sie  brauchen  kein  Tanz-Orchester; 
sie  hören  in  sich  ein  Geheule, 
als  wären  sie  Eulennester. 
Ihr  Ängsten  näßt  wie  eine  Beule, 
und  der  Vorgeruch  ihrer  Fäule 
ist  noch  ihr  bester  Geruch. 

Sie  fassen  den  Tänzer  fester, 

den  rippenbetreßten  Tänzer, 

den  Galan,  den  echten  Ergänzer 

zu  einem  ganzen  Paar. 

Und  er  lockert  der  Ordensschwester 

über  dem  Haar  das  Tuch; 

sie  tanzen  ja  unter  Gleichen. 

Und  er  zieht  der  wachslichtbleichen 

leise  die  Lesezeichen 

aus  ihrem  Stunden-Buch. 

Bald  wird  ihnen  allen  zu  heiß, 

sie  sind  zu  reich  gekleidet; 

beißender  Schweiß  verleidet 

ihnen  Stirne  und  Steiß 

und  Schauben  und  Hauben  und  Steine; 

sie  wünschen,  sie  wären  nackt 

wie  ein  Kind,  ein  Verrückter  und  Eine: 

die  tanzen  noch  immer  im  Takt. 


2^ 


DAS  JÜNGSTE  GERICHT 

So  erschrocken,  wie  sie  nie  erschraken, 
ohne  Ordnung,  oft  durchlocht  und  locker, 
hocken  sie  in  dem  geborstnen  Ocker 
ihres  Ackers,  nicht  von  ihren  Laken 

abzubringen,  die  sie  liebgewannen. 
Aber  Engel  kommen  an,  um  Öle 
einzuträufeln  in  die  trocknen  Pfannen 
und  um  jedem  in  die  Achselhöhle 

das  zu  legen,  was  er  in  dem  Lärme 
damals  seines  Lebens  nicht  entweihte; 
denn  dort  hat  es  noch  ein  wenig  Wärme, 

daß  es  nicht  des  Herren  Hand  erkälte 
oben,  wenn  er  es  aus  jeder  Seite 
leise  greift,  zu  fühlen,  ob  es  gälte. 


26 


DIE  VERSUCHUNG 

Nein,  es  half  nicht,  daß  er  sich  die  scharfen 
Stacheln  einhieb  in  das  geile  Fleisch; 
alle  seine  trächtigen  Sinne  warfen 
unter  kreißendem  Gekreisch 


Frühgeburten:  schiefe,  hingeschielte 
kriechende  und  fliegende  Gesichte, 
Nichte,  deren  nur  auf  ihn  erpichte 
Bosheit  sich  verband  und  mit  ihm  spielte. 


Und  schon  hatten  seine  Sinne  Enkel; 

denn  das  Pack  war  fruchtbar  in  der  Nacht 

und  in  immer  bunterem  Gesprenkel 

hingehudelt  und  verhundertfacht. 

Aus  dem  Ganzen  ward  ein  Trank  gemacht: 

seine  Hände  griffen  lauter  Henkel, 

und  der  Schatten  schob  sich  auf  wie  Schenkel 

warm  und  zu  Umarmungen  erwacht—. 


Und  da  schrie  er  nach  dem  Engel,  schrie; 
und  der  Engel  kam  in  seinem  Schein 
und  war  da:  und  jagte  sie 
wieder  in  den  Heiligen  hinein, 


27 


daß  er  mit  Geteufel  und  Getier 

in  sich  weiterringe  wie  seit  Jahren 

und  sich  Gott,  den  lange  noch  nicht  klaren, 

innen  aus  dem  Jäsen  destillier. 


28 


DER  ALCHIMIST 

Seltsam  verlächelnd  schob  der  Laborant 
den  Kolben  fort,  der  halbberuhigt  rauchte. 
Er  wußte  jetzt,  was  er  noch  brauchte, 
damit  der  sehr  erlauchte  Gegenstand 

da  drin  entstände.  Zeiten  brauchte  er. 
Jahrtausende  für  sich  und  diese  Birne, 
in  der  es  brodelte;  im  Hirn  Gestirne 
und  im  Bewußtsein  mindestens  das  Meer. 

Das  Ungeheuere,  das  er  gewollt, 

er  ließ  es  los  in  dieser  Nacht.  Es  kehrte 

zurück  zu  Gott  und  in  sein  altes  Maß; 

er  aber,  lallend  wie  ein  Trunkenbold, 
lag  über  dem  Geheimfach  und  begehrte 
den  Brocken  Gold,  den  er  besaß. 


29 


DER  RELIQUIENSCHREIN 

Draußen  wartete  auf  alle  Ringe 

und  auf  jedes  Kettenglied 

Schicksal,  das  nicht  ohne  sie  geschieht. 

Drinnen  waren  sie  nur  Dinge,  Dinge, 

die  er  schmiedete;  denn  vor  dem  Schmied 

war  sogar  die  Krone,  die  er  bog, 

nur  ein  Ding,  ein  zitterndes  und  eines, 

das  er  finster  wie  im  Zorn  erzog 

zu  dem  Tragen  eines  reinen  Steines. 

Seine  Augen  wurden  immer  kälter 
von  dem  kalten  täglichen  Getränk; 
aber  als  der  herrliche  Behälter 
(goldgetrieben,  köstlich,  vielkarätig) 
fertig  vor  ihm  stand,  das  Weihgeschenk, 
dai3  darin  ein  kleines  Handgelenk 
fürder  wohne,  weiß  und  wundertätig: 


blieb  er  ohne  Ende  auf  den  Knien, 

hingeworfen,  weinend,  nicht  mehr  wagend, 

seine  Seele  niederschlagend 

vor  dem  ruhigen  Rubin, 

der  ihn  zu  gewahren  schien 

und  ihn,  plötzlich  um  sein  Dasein  fragend, 

ansah  wie  aus  Dynastien. 

30 


DAS  GOLD 

Denk  es  wäre  nicht:  es  hätte  müssen 
endh'ch  in  den  Bergen  sich  gebären 
und  sich  niederschlagen  in  den  Flüssen 
aus  dem  Wollen,  aus  dem  Gären 

ihres  Willens;  aus  der  Zwangidee, 
daß  ein  Erz  ist  über  allen  Erzen. 
Weithin  warfen  sie  aus  ihren  Herzen 
immer  wieder  INIeroc 

an  den  Rand  der  Lande,  in  den  Äther, 

über  das  Erfahrene  hinaus; 

und  die  Söhne  brachten  manchmal  später 

das  Verheißene  der  Väter, 

abgehärtet  und  verhehrt,  nach  Haus, 

wo  es  anwuchs  eine  Zeit,  um  dann 
fortzugehn  von  den  an  ihm  Geschwächten, 
die  es  niemals  liebgewann. 
Nur  (so  sagt  man)  in  den  letzten  Nächten 
steht  es  auf  und  sieht  sie  an. 


!^I 


DER  STYLIT 

Völker  schlugen  über  ihm  zusammen, 

die  er  küren  durfte  und  verdammen; 

und  erratend,  daß  er  sich  verlor, 

klomm  er  aus  dem  Volksgeruch  mit  klammen 

Händen  einen  Säulenschaft  empor, 

der  noch  immer  stieg  und  nichts  mehr  hob, 
und  begann,  allein  auf  seiner  Fläche, 
ganz  von  vorne  seine  eigne  Schwäche 
zu  vergleichen  mit  des  Herren  Lob; 

und  da  war  kein  Ende:  er  verglich; 
und  der  andre  vvurde  immer  größer. 
Und  die  Hirten,  Ackerbauer,  Flößer 
sahn  ihn  klein  und  außer  sich 

immer  mit  dem  ganzen  Himmel  reden, 
eingeregnet  manchmal,  manchmal  licht; 
und  sein  Heulen  stürzte  sich  auf  jeden, 
so  als  heulte  er  ihm  ins  Gesicht. 
Doch  er  sah  seit  Jahren  nicht, 

wie  der  Menge  Drängen  und  Verlauf 
unten  unaufhörlich  sich  ergänzte, 
und  das  Blanke  an  den  Fürsten  glänzte 
lange  nicht  so  hoch  hinauf. 

,32 


x\ber  wenn  er  oben,  fast  verdammt 
und  von  ihrem  Widerstand  zerschunden, 
einsam  mit  verzweifeltem  (Icschreie 
schüttelte  die  täglichen  Dämonen: 
fielen  langsam  auf  die  erste  Reihe 
schwer  und  ungeschickt  aus  seinen  Wunden 
große  Würmer  in  die  oflhen  Kronen 
und  vermehrten  sich  im  Samt. 


33 


DIE  ÄGYPTISCHE  MARIA 

Seit  sie  damals,  bettheil3,  als  die  Hure 
übern  Jordan  flah  und,  wie  ein  Grab 
gebend,  stark  und  unvermischt  das  pure 
Herz  der  Ewigkeit  zu  trinken  gab, 

wuchs  ihr  frühes  Ilingegebensein 
unaufhaltsam  an  zu  solcher  Größe, 
daß  sie  endlich,  wie  die  ewige  Blöße 
aller,  aus  vergilbtem  Elfenbein 

dalag  in  der  dürren  Haare  Schelfe. 
Und  ein  Löwe  kreiste;  und  ein  Alter 
rief  ihn  winkend  an,  daß  er  ihm  helfe: 

(und  so  gruben  sie  zu  zwein.) 

Und  der  Alte  neigte  sie  hinein. 

Und  der  Löwe,  wie  ein  Wappenhalter, 

saß  dabei  und  hielt  den  Stein. 


34 


KREUZIGUNG 

Längst  geübt,  zum  kahlen  Galgenplatzc 
irgendein  Gesindel  liinziidrängen, 
ließen  sich  die  schweren  Knechte  hängen, 
dann  und  wann  nur  eine  große  Fratze 

kehrend  nach  den  abgetanen  Drein. 
Aber  oben  war  das  schlechte  Henkern 
rasch  getan;  und  nach  dem  Fertigsein 
ließen  sich  die  freien  Männer  schlenkern. 

Bis  der  eine  (fleckig  wie  ein  Selcher) 

sagte:  Hauptmann,  dieser  hat  geschrien. 

Und  der  Hauptmann  sah  vom  Pferde:  Welcher? 

und  es  war  ihm  selbst,  er  hätte  ihn 

den  Elia  rufen  hören.  Alle 
waren  zuzuschauen  voller  Lust, 
und  sie  hielten,  daß  er  nicht  verfalle, 
gierig  ihm  die  ganze  Essiggalle 
an  sein  schwindendes  Gehust. 

Denn  sie  hofften  noch  ein  ganzes  Spiel 
und  vielleicht  den  kommenden  Elia. 
Aber  hinten  ferne  schrie  Maria, 
und  er  selber  brüllte  und  verfiel. 


35. 


DER  AUFERSTANDENE 

Er  vermochte  niemals  bis  zuletzt 

ihr  zu  weigern  oder  abzuneinen, 

daß  sie  ihrer  Liebe  sich  berühme; 

und  sie  sank  ans  Kreuz  in  dem  Kostüme 

eines  Schmerzes,  welches  ganz  besetzt 

war  mit  ihrer  Liebe  größten  Steinen. 

Aber  da  sie  dann,  um  ihn  zu  salben, 
an  das  Grab  kam,  Tränen  im  Gesicht, 
war  er  auferstanden  ihrethalben, 
daß  er  seliger  ihr  sage:  Nicht  — 

Sie  begriff  es  erst  in  ihrer  Höhle, 
wie  er  ihr,  gestärkt  durch  seinen  Tod, 
endhch  das  Erleichternde  der  Öle 
und  des  Rührens  Vorgefühl  verbot, 

um  aus  ihr  die  Liebende  zu  formen, 
die  sich  nicht  mehr  zum  Geliebten  neigt, 
weil  sie,  hingerissen  von  enormen 
Stürmen,  seine  Stimme  übersteigt. 


36 


MAGNIFIKAT 

Sie  kam  den  Hang  herauf,  schon  schwer,  fast  ohne 
an  Trost  zu  glauben,  Hoffnung  oder  Rat; 
doch  da  die  hohe  tragende  Matrone 
ihr  ernst  und  stolz  entgegentrat 

und  alles  wußte  ohne  ihr  Vertrauen, 
da  war  sie  plötzlich  an  ihr  ausgeruht; 
vorsichtig  hielten  sich  die  vollen  Frauen, 
bis  dal3  die  junge  sprach:  Mir  ist  zuniut, 

als  war  ich,  Liebe,  von  nun  an  für  immer. 
Gott  schüttet  in  der  Reichen  Eitelkeit 
fast  ohne  hinzusehen  ihren  Schimmer; 
doch  sorgsam  sucht  er  sich  ein  Frauenzimmer 
und  füllt  sie  an  mit  seiner  fernsten  Zeit. 

Daß  er  mich  fand.  Bedenk  nur;  und  Befehle 
um  meinetwillen  gab  von  Stern  zu  Stern  -. 
Verherrliche  und  hebe,  meine  Seele, 
so  hoch  du  kannst:  den  Herrn. 


37 


ADAM 

Staunend  steht  er  an  der  Kathedrale 
steilem  Aufstieg,  nah  der  Fensterrose, 
wie  erschreclvt  von  der  Apotheose, 
welche  wuchs  und  ihn  mit  einem  Male 

niederstellte  über  die  und  die. 
Und  er  ragt  und  freut  sich  seiner  Dauer 
schlicht  entschlossen;  als  der  Ackerbauer, 
der  begann  und  der  nicht  wußte,  wie 

aus  dem  fertig-vollen  Garten  Eden 
einen  Ausweg  in  die  neue  Erde 
finden.   Gott  war  schwer  zu  überreden; 

und  er  drohte  ihm,  statt  zu  gewähren, 

immer  wieder,  dal3  er  sterben  werde. 

Doch  der  Mensch  bestand:  sie  wird  gebären. 


.38 


EVx\ 

Einfach  steht  sie  an  der  Kathedrale 
großem  x\ufstieg,  nah  der  Fensterrose, 
mit  dem  Apfel  in  der  Apfelpose, 
schuldlos-schuldig  ein  für  alle  Male 

an  dem  Wachsenden,  das  sie  gebar, 
seit  sie  aus  dem  Kreis  der  Ewigkeiten 
liebend  fortging,  um  sich  durchzustreiten 
durch  die  Erde,  wie  ein  junges  Jahr. 

Ach,  sie  hätte  gern  in  jenem  Land 
noch  ein  wenig  weilen  mögen,  achtend 
auf  der  Tiere  Eintracht  und  Verstand. 

Doch  da  sie  den  Mann  entschlossen  fand, 
ging  sie  mit  ihm,  nach  dem  Tode  trachtend, 
und  sie  hatte  Gott  noch  kaum  gekannt. 


.39 


IRRE  UM  GARTEN 

DIJON 

Noch  schließt  die  aufgegebene  Karthause 
sich  um  den  Hof,  als  würde  etwas  heil. 
Auch  die  sie  jetzt  bewohnen,  haben  Pause 
und  nehmen  nicht  am  Leben  draußen  teil. 

Was  irgend  kommen  konnte,  das  verlief. 
Nun  gehn  sie  gerne  mit  bekannten  Wegen 
und  trennen  sich  und  kommen  sich  entgegen, 
als  ob  sie  kreisten,  willig,  primitiv. 

Zwar  manche  pflegen  dort  die  Frühlingsbeete, 

demütig,  dürftig,  hingekniet; 

aber  sie  haben,  wenn  es  keiner  sieht, 

eine  verheimlichte,  verdrehte 

Gebärde  für  das  zarte  frühe  Gras, 
ein  prüfendes,  verschüchtertes  Liebkosen: 
denn  das  ist  freundlich,  und  das  Rot  der  Rosen 
wird  vielleicht  drohend  sein  und  Übermaß 

und  wird  vielleicht  schon  wieder  übersteigen, 
was  ihre  Seele  wiederkennt  und  weiß. 
Dies  aber  läßt  sich  noch  verschweigen: 
wie  gut  das  Gras  ist  und  wie  leis. 


40 


DIE  IRREN 

Und  sie  schweigen,  weil  die  Scheidewände 
weggenommen  sind  aus  ihrem  vSinn, 
und  die  Stunden,  da  man  sie  verstände, 
heben  an  und  gehen  hin. 

Nächtens  oft,  wenn  sie  ans  Fenster  treten: 

plötzHch  ist  es  alles  gut. 

Ihre  Hände  liegen  im  Konkreten, 

und  das  Herz  ist  hoch  und  könnte  beten, 

und  die  Augen  schauen  ausgeruht 

auf  den  unverhofften,  oftentstellten 
Garten  im  beruhigten  Geviert, 
der  im  Widerschein  der  fremden  Welten 
weiterwächst  und  niemals  sich  verliert. 


41 


AUS  DEiM  LEBEN  EINES  HEILIGEN 

Er  kannte  Ängste,  deren  Eingang  schon 
wie  Sterben  war  und  nicht  zu  überstehen. 
Sein  Herz  erlernte,  langsam  durchzugehen; 
er  zog  es  groß  wie  einen  Sohn. 

Und  namenlose  Nöte  kannte  er, 
finster  und  ohne  Morgen  wie  Verschlage; 
und  seine  Seele  gab  er  folgsam  her, 
da  sie  erwachsen  war,  auf  daß  sie  läge 

bei  ihrem  Bräutigam  und  Herrn;  und  blieb 

allein  zurück  an  einem  solchen  Orte, 

wo  das  Alleinsein  alles  übertrieb, 

und  wohnte  weit  und  wollte  niemals  Worte. 

Aber  dafür,  nach  Zeit  und  Zeit,  erfuhr 
er  auch  das  Glück,  sich  in  die  eignen  Hände, 
damit  er  eine  Zärtlichkeit  empfände, 
zu  legen  wie  die  ganze  Kreatur. 


42 


DIE  BETTLER 

Du  wußtest  nicht,  was  den  Haufen 
ausmacht.  Ein  Fremder  fand 
Bettler  darin.  Sie  verkaufen 
das  Hohle  aus  ihrer  Hand. 

Sie  zeigen  dem  Hergereisten 
ihren  Mund  voll  Mist, 
und  er  darf  (er  kann  es  sich  leisten) 
sehn,  wie  ihr  Aussatz  frißt. 

Es  zergeht  in  ihren  zerrührten 
Augen  sein  fremdes  Gesicht; 
und  sie  freuen  sich  des  Verführten 
und  speien,  wenn  er  spricht. 


43 


FREMDE  FAMILIE 

So  wie  der  Staub,  der  irgendwie  beginnt 
und  nirgends  ist,  zu  unerklärtem  Zwecke 
an  einem  leeren  Morgen  in  der  Ecke, 
in  die  man  sieht,  ganz  rasch  zu  Grau  gerinnt, 

so  bildeten  sie  sich,  wer  weiß  aus  was, 
im  letzten  Augenblick  vor  deinen  Schritten 
und  waren  etwas  Ungewisses  mitten 
im  nassen  Niederschlag  der  Gasse,  das 

nach  dir  verlangte.   Oder  nicht  nach  dir. 
Denn  eine  Stimme,  wie  vom  vorigen  Jahr, 
sang  dich  zwar  an  und  blieb  doch  ein  Geweine; 
und  eine  Hand,  die  wie  geliehen  war, 
kam  zwar  hervor  und  nahm  doch  nicht  die  deine. 
Wer  kommt  denn  noch?  Wen  meinen  diese  vier? 


44 


LEICHENWÄSCHE 

Sie  hatten  sich  an  ihn  gewöhnt.  Doch  als 
die  Küchenlampe  kam  und  unruhig  brannte 
im  dunkeln  Luftzug,  war  der  Unbekannte 
ganz  unbekannt.   Sie  wuschen  seinen  Hals, 

und  da  sie  nichts  von  seinem  Schicksal  wußten, 
so  logen  sie  ein  anderes  zusanmi, 
fortwährend  waschend.  Eine  mußte  husten 
und  ließ  solang  den  schweren  Essigschwamm 

auf  dem  Gesicht.  Da  gab  es  eine  Pause 
auch  für  die  zweite.  Aus  der  harten  Bürste 
klopften  die  Tropfen;  während  seine  grause 
gekramp fte  Hand  dem  ganzen  Hause 
beweisen  wollte,  daß  ihn  nicht  mehr  dürste. 

Und  er  bewies.  Sie  nahmen  wie  betreten 

eiliger  jetzt  mit  einem  kurzen  Huster 

die  Arbeit  auf,  so  daß  an  den  Tapeten 

ihr  krummer  Schatten  in  dem  stummen  Muster 

sich  wand  und  wälzte  wie  in  einem  Netze, 
bis  daß  die  Waschenden  zu  Ende  kamen. 
Die  Nacht  im  vorhanglosen  Fensterrahmen 
war  rücksichtslos.  Und  einer  ohne  Namen 
lag  bar  und  reinlich  da  und  gab  Ciesetze. 

45 


EINE  VON  DEN  ALTEN 

PARIS 

Abends  manchmal  (weißt  du,  wie  das  tut?) 
wenn  sie  plötzlich  stehn  und  rückwärts  nicken 
und  ein  Lächeln,  wie  aus  lauter  Flicken, 
zeigen  unter  ihrem  halben  Hut. 

Neben  ihnen  ist  dann  ein  Gebäude, 

endlos,  und  sie  locken  dich  entlang 

mit  dem  Rätsel  ihrer  Räude, 

mit  dem  Hut,  dem  Umhang  und  dem  Gang. 

Mit  der  Hand,  die  hinten  unterm  Kragen 
heimlich  wartet  und  verlangt  nach  dir: 
wie  um  deine  Hände  einzuschlagen 
in  ein  aufgehobenes  Papier. 


46 


DER  BLINDE 

PARIS 

Sieh,  er  geht  und  unterbricht  die  Stadt, 
die  nicht  ist  auf  seiner  dunkeln  Stelle, 
wie  ein  dunkler  Sprung  durch  eine  helle 
Tasse  geht.  Und  wie  auf  einem  Blatt 

ist  auf  ihm  der  Widerschein  der  Dinge 
aufgemalt;  er  nimmt  ihn  nicht  hinein. 
Nur  sein  Fühlen  rührt  sich,  so  als  finge 
es  die  Welt  in  kleinen  Wellen  ein : 

eine  Stille,  einen  Widerstand  — , 

und  dann  scheint  er  wartend  wen  zu  wählen: 

hingegeben  hebt  er  seine  Hand, 

festlich  fast,  wie  um  sich  zu  vermählen. 


EINE  WELKE 

Leicht,  wie  nach  ihrem  Tode 
trägt  sie  die  Handschuh,  das  Tuch. 
Ein  Duft  aus  ihrer  Kommode 
verdrängte  den  heben  Geruch, 

an  dem  sie  sich  früher  erkannte. 
Jetzt  fragte  sie  lange  nicht,  wer 
sie  sei  (:  eine  ferne  Verwandte), 
und  geht  in  Gedanken  umher 

und  sorgt  für  ein  ängstliches  Zimmer, 
das  sie  ordnet  und  schont, 
weil  es  vielleicht  noch  immer 
dasselbe  Mädchen  bewohnt. 


48 


ABENDMAHL 

Ewiges  will  zu  uns.  Wer  hat  die  Wahl 
und  trennt  die  grollen  und  geringen  Kräfte? 
Erkennst  du  durch  das  Dämmern  der  Geschäfte 
im  klaren  Ilinterraum  das  Abendmahl: 

wie  sie  sich's  halten  und  wie  sie  sich's  reichen 
und  in  der  Handlung  schlicht  und  schwer  beruhn. 
Aus  ihren  Händen  heben  sich  die  Zeichen; 
sie  wissen  nicht,  daß  sie  sie  tun 

und  immer  neu  mit  irgendwelchen  Worten 
einsetzen,  was  man  trinkt  und  was  man  teilt. 
Denn  da  ist  keiner,  der  nicht  allerorten 
heimhch  von  hinnen  geht,  indem  er  weilt. 

Und  sitzt  nicht  immer  einer  unter  ihnen, 
der  seine  Eltern,  die  ihm  ängstlich  dienen, 
wegschenkt  an  ihre  abgetane  Zeit? 
(Sie  zu  verkaufen,  ist  ihm  schon  zu  weit.) 


49 


DIE  BRANDSTÄTTE 

Gemieden  von  dem  Frühherbstmorgen,  der 
mißtrauisch  war,  lag  hinter  den  versengten 
Hauslinden,  die  das  Heidehaus  beengten, 
ein  Neues,  Leeres.  Eine  Stelle  mehr, 

auf  welcher  Kinder,  von  Gott  weiß  woher, 
einander  zuschrien  und  nach  Fetzen  haschten. 
Doch  alle  wurden  stille,  sooft  er, 
der  Sohn  von  hier,  aus  heißen,  halbveraschten 

Gebälken  Kessel  und  verbogne  Tröge 
mit  einem  langen  Gabelaste  zog,  - 
um  dann  mit  einem  Blick,  als  ob  er  löge, 
die  andern  anzusehn,  die  er  bewog 

zu  glauben,  was  an  dieser  Stelle  stand. 

Denn  seit  es  nicht  mehr  war,  schien  es  ihm  so 

seltsam:  phantastischer  als  Pharao. 

Und  er  war  anders,  wie  aus  fernem  Land. 


50 


DIE  GRUPPE 

PARIS 

Als  pflückte  einer  rasch  zu  einem  Strauß: 
ordnet  der  Zufall  hastig  die  Gesichter, 
lockert  sie  auf  und  drückt  sie  wieder  dichter,, 
ergreift  zwei  ferne,  läßt  ein  nahes  aus, 

tauscht  das  mit  dem,  bläst  irgendeines  frisch, 
wirft  einen  Hund,  wie  Kraut,  aus  dem  Gemisch 
und  zieht,  was  niedrig  schaut,  wie  durch  verworrne- 
Stiele  und  Blätter,  an  dem  Kopf  nach  vorne 

und  bindet  es  ganz  klein  am  Rande  ein; 
und  streckt  sich  wieder,  ändert  und  verstellt 
und  hat  nur  eben  Zeit,  zum  Augenschein 

zurückzuspringen  mitten  auf  die  Matte, 
auf  der  im  nächsten  Augenblick  der  glatte 
Gewichteschwinger  seine  Schwere  schwellt. 


5JJ 


SCHLANGENBESCHWÖRUNG 

Wenn  auf  dem  Markt,  sich  wiegend,  derBeschwörer 
die  Kürbisflöte  pfeift,  die  reizt  und  lullt, 
so  kann  es  sein,  daß  er  sich  einen  Hörer 
herüberlockt,  der  ganz  aus  dem  Tumult 

der  Buden  eintritt  in  den  Kreis  der  Pfeife, 
die  will  und  will  und  will  und  die  erreicht, 
daß  das  Reptil  in  seinem  Korb  sich  steife 
und  die  das  steife  schmeichlerisch  erweicht, 

abwechselnd  immer  schwindelnder  und  blinder 
mit  dem,  was  schreckt  und  streckt,  und  dem,  was 

löst  -; 
und  dann  genügt  ein  Blick:  so  hat  der  Inder 
dir  eine  Fremde  eingeflößt, 

in  der  du  stirbst.  Es  ist,  als  überstürze 
glühender  Himmel  dich.  Es  geht  ein  Sprung 
durch  dein  Gesicht.  Es  legen  sich  Gewürze 
auf  deine  nordische  Erinnerung, 

die  dir  nichts  hüft.  Dich  feien  keine  Kräfte, 
die  Sonne  gärt,  das  Fieber  fällt  und  trifit; 
von  böser  Freude  steilen  sich  die  Schäfte, 
und  in  den  Schlangen  glänzt  das  Gift. 

52 


SCHWARZE  KATZE 

Ein  Gespenst  ist  noch  wie  eine  Stelle, 
dran  dein  Bliclv  mit  einem  Klange  stößt;, 
aber  da  an  diesem  schwarzen  Felle 
wird  dein  stärkstes  Schauen  aufgelöst: 

wie  ein  Tobender,  wenn  er  in  vollster 
Raserei  ins  Schwarze  stampft, 
jählings  am  benehmenden  Gepolster 
einer  Zelle  aufhört  und  verdampft. 

Alle  Blicke,  die  sie  jemals  trafen, 
scheint  sie  also  an  sich  zu  verhehlen, 
um  darüber  drohend  und  verdrossen 
zuzuschauern  und  damit  zu  schlafen. 
Doch  auf  einmal  kehrt  sie,  wie  geweckt, 
ihr  Gesicht  und  mitten  in  das  deine: 
und  da  triffst  du  deinen  Blick  im  geelen 
Amber  ihrer  runden  Augensteine 
unerwartet  wieder:  eingeschlossen 
wie  ein  ausgestorbenes  Insekt. 


53 


VOR-OSTERN 
NEAPEL 

Morgen  wird  in  diesen  tiefgekerbten 
Gassen,  die  sich  durch  getürmtes  Wohnen 
unten  dunlvel  nach  dem  Hafen  drängen, 
hell  das  Gold  der  Prozessionen  rollen; 
statt  der  Fetzen  werden  die  ererbten 
Bettbezüge,  welche  wehen  wollen, 
von  den  immer  höheren  Baikonen 
(wie  in  Fließendem  gespiegelt)  hängen. 

Aber  heute  hämmert  an  den  Klopfern 
jeden  Augenblick  ein  voll  Bepackter, 
und  sie  schleppen  immer  neue  Käufe; 
dennoch  stehen  strotzend  noch  die  Stände. 
An  der  Ecke  zeigt  ein  aufgehackter 
Ochse  seine  frischen  Innenwände, 
und  in  Fähnchen  enden  alle  Läufe. 
Und  ein  Vorrat  wie  von  tausend  Opfern 

drängt  auf  Bänken,  hängt  sich  rings  um  Pflöcke, 
zwängt  sich,  wölbt  sich,  wälzt  sich  aus  dem  D  ämmer 
aller  Türen,  und  vor  dem  Gegähne 
der  Melonen  strecken  sich  die  Brote. 
Voller  Gier  und  Handlung  ist  das  Tote; 


54 


doch  viel  stiller  sind  die  jungen  Hähne 
und  die  abgehängten  Ziegenböcke 
und  am  allerleisesten  die  Lämmer, 

die  die  Knaben  um  die  Schultern  nehmen 
und  die  willig  von  den  Schritten  nicken; 
während  in  der  Mauer  der  verglasten 
spanischen  Madonna  die  Agraffe 
und  das  Silber  in  den  Diademen 
von  dem  Lichter-Vorgefühl  beglänzter 
schimmert.  Aber  drüber  in  dem  Fenster 
zeigt  sich  blickverschwenderisch  ein  Affe 
und  führt  rasch  in  einer  angemaßten 
Haltung  Gesten  aus,  die  sich  nicht  schicken. 


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DER  BALKON 

NEAPEL 

Von  der  Enge,  oben,  des  Balkones 
angeordnet  wie  von  einem  Maler 
und  gebunden  wie  zu  einem  Strauß 
alternder  Gesichter  und  ovaler, 
klar  im  Abend,  sehn  sie  idealer, 
rührender  und  wie  für  immer  aus. 

Diese  aneinander  angelehnten 
Schwestern,  die,  als  ob  sie  sich  von  weit 
ohne  Aussicht  nacheinander  sehnten, 
lehnen,  Einsamkeit  an  Einsamkeit; 

und  der  Bruder  mit  dem  feierlichen 
Schweigen,  zugeschlossen,  voll  Geschick, 
doch  von  einem  sanften  Augenblick 
mit  der  Mutter  unbemerkt  verglichen; 

und  dazwischen,  abgelebt  und  länglich, 
längst  mit  keinem  mehr  verwandt, 
einer  Greisin  Maske,  unzugänglich, 
wie  im  Fallen  von  der  einen  Hand 

aufgehalten,  während  eine  zweite, 

welkere,  als  ob  sie  weitergleite, 

unten  vor  den  Kleidern  hängt  zur  Seite 

56 


von  dem  Kinder-Angesicht, 
das  das  Letzte  ist,  versucht,  verbHchen, 
von  den  Stäben  wieder  durchgestrichen 
wie  noch  unbestimmbar,  wie  noch  nicht. 


57 


AUSWANDERER-SCHIFF 

NEAPEL 

Denk,  daß  einer  heiß  und  glüliend  flüclite, 

und  die  Sieger  wären  hinterher, 

und  auf  einmal  machte  der 

Flüchtende  kurz,  unerwartet,  Kehr 

gegen  Hunderte  -:  so  sehr 

warf  sich  das  Erglühende  der  Früchte 

immer  wieder  an  das  blaue  Meer, 

als  das  langsame  Orangenboot 
sie  vorübertrug  bis  an  das  große 
graue  Schiff,  zu  dem,  von  Stoß  zu  Stoße, 
andre  Boote  Fische  hoben,  Brot,  - 
während  es  voll  Hohn  in  seinem  Schöße 
Kohlen  aufnahm,  offen  wie  der  Tod. 


58 


LANDSCHAFT 

Wie  zuletzt,  in  einem  Augenblick 
aufgeliäuft  aus  Hängen,  Häusern,  Stücken 
alter  Himmel  und  zerbrochnen  Brücken, 
und  von  drüben  her,  wie  vom  Geschick, 
von  dem  Sonnenuntergang  getroffen, 
angeschuldigt,  aufgerissen,  offen  - 
ginge  dort  die  Ortschaft  tragisch  aus: 

fiele  nicht  auf  einmal  in  das  Wunde, 
drin  zerfließend,  aus  der  nächsten  Stunde 
jener  Tropfen  kühlen  Blaus, 
der  die  Nacht  schon  in  den  Abend  mischt, 
so  daß  das  von  ferne  Angefachte 
sachte,  wie  erlöst,  erlischt. 

Ruhig  sind  die  Tore  und  die  Bogen, 

durchsichtige  Wolken  wogen 

über  blassen  Häuserreihn, 

die  schon  Dunkel  in  sich  eingesogen; 

aber  plötzlich  ist  vom  Mond  ein  Schein 

durchgegliiten,  licht,  als  hätte  ein 

Erzengel  irgendwo  sein  Schwert  gezogen. 


59 


RÖMISCHE  CAMPAGNA 

Aus  der  vollgestellten  Stadt,  die  lieber 
schliefe,  träumend  von  den  hohen  Thermen, 
geht  der  grade  Gräberweg  ins  Fieber; 
und  die  Fenster  in  den  letzten  Fermen 

sehn  ihm  nach  mit  einem  bösen  Blick. 
Und  er  hat  sie  immer  im  Genick, 
wenn  er  hingeht,  rechts  und  links  zerstörend, 
bis  er  draußen  atemlos  beschwörend 

seine  Leere  zu  den  Himmeln  hebt, 
hastig  um  sich  schauend,  ob  ihn  keine 
Fenster  treffen.  Während  er  den  weiten 

Aquädukten  zuwinkt  herzuschreiten, 
geben  ihm  die  Himmel  für  die  seine 
ihre  Leere,  die  ihn  überlebt. 


60 


LIED  VOM  MEER 

CAPRI.  PICCOLA  MARINA 

Uraltes  Wehn  vom  Meer, 

Meerwind  bei  Nacht: 

du  kommst  zu  keinem  her 

wenn  einer  wacht, 

so  muß  er  sehn,  wie  er 

dich  übersteht: 

uraltes  Wehn  vom  Meer, 

welches  weht 

nur  wie  für  Urgestein, 

lauter  Raum 

reißend  von  weit  herein. 

O  wie  fühlt  dich  ein 
treibender  Feigenbaum 
oben  im  Mondschein. 


6i 


NÄCHTLICHE  FAHRT 

SANKT  PETERSBURG 

Damals  als  wir  mit  den  glatten  Trabern 
(schwarzen,  aus  dem  Orloffschen  Gestüt) 
während  hinter  hohen  Kandelabern 
Stadtnachtfronten  lagen,  angefrüht 
stumm  und  keiner  Stunde  mehr  gemäß  -, 
fuhren,  nein:  vergingen  oder  flogen 
und  um  lastende  Paläste  bogen 
in  das  Wehn  der  Newa-Quais, 

hingerissen  durch  das  wache  Nachten, 
das  nicht  Himmel  und  nicht  Erde  hat,  - 
als  das  Drängende  von  unbewachten 
Gärten  gärend  aus  dem  Ljetnij-Ssad 
aufstieg,  während  seine  Steinfiguren 
schwindend  mit  ohnmächtigen  Konturen 
hinter  uns  vergingen,  wie  wir  fuhren  -: 

damals  hörte  diese  Stadt 
auf  zu  sein.  Auf  einmal  gab  sie  zu, 
daß  sie  niemals  war,  um  nichts  als  Ruh 
flehend;  wie  ein  Irrer,  dem  das  Wirrn 
plötzlich  sich  entwirrt,  das  ihn  verriet, 


62 


und  der  einen  jahrelangen  kranken 
gar  nicht  zu  verwandelnden  Gedanken, 
den  er  nie  mehr  denken  muß:  Granit  - 
aus  dem  leeren  schwankenden  Gehirn 
fallen  fühlt,  bis  man  ihn  nicht  mehr  sieht 


63 


PAPAGEIENPARK 

PARIS 

Unter  türldschen  Linden,  die  blühen,  an  Rasen- 
rändern, 

in    leise    von    ihrem    Heimweh    geschaukelten 

Ständern 

atmen  die  Ära  und  wissen  von  ihren  Ländern, 

die  sich,  auch  wenn  sie  nicht  hinsehn,  nicht  ver- 
ändern. 

Fremd  im  beschäftigten  Grünen  wie  eine  Parade, 
zieren  sie  sich  und  fühlen  sich  selber  zu  schade, 
und  mit  den  kostbaren  Schnäbeln  aus  Jaspis  und 

Jade 
kauen  sie  Graues,  verschleudern  es,  finden  es  fade. 

Unten  klauben  die  dufFen  Tauben,  was  sie  nicht 

mögen, 

während  sich  oben  die  höhnischen  Vögel  ver- 
beugen 

zwischen  den  beiden  fast  leeren  vergeudeten 

Trögen. 

Aber  dann  wiegen  sie  wieder  und  schläfern  und 

äugen, 
spielen  mit  dunkelen  Zungen,  die  gerne  lögen, 
zerstreut  an  den  Fußfesselringen.  Warten  auf 

Zeugen. 

64 


DIE  PARKE 

I 

Unaufhaltsam  heben  sich  die  Parke 
aus  dem  sanft  zerfallenden  Vergehn; 
überhäuft  mit  Himmeln,  überstarke 
Überlieferte,  die  überstehn, 

um  sich  auf  den  klaren  Rasenplänen 
auszubreiten  und  zurückzuziehn, 
immer  mit  demselben  souveränen 
Aufwand,  wie  beschützt  durch  ihn, 

und  den  unerschöpflichen  Erlös 
königlicher  Größe  noch  vermehrend, 
aus  sich  steigend,  in  sich  wiederkehrend: 
huldvoll,  prunkend,  purpurn  und  pompös. 


11 

Leise  von  den  Alleen 
ergriffen,  rechts  und  links, 
folgend  dem  Weitergehen 
irgendeines  Winks, 

trittst  du  mit  einem  Male 
in  das  Beisammensein 
einer  schattigen  Wasserschale 
mit  vier  Bänken  aus  Stein; 


in  eine  abgetrennte 
Zeit,  die  allein  vergeht. 
Auf  feuchte  Postamente, 
auf  denen  nichts  mehr  steht, 

hebst  du  einen  tiefen 
erwartenden  Atemzug; 
während  das  silberne  Triefen 
vor  dem  dunkeln  Bug 

dich  schon  zu  den  Seinen 
zählt  und  weiterspricht. 
Und  du  fühlst  dich  unter  Steinen, 
die  hören,  und  rührst  dich  nicht. 

6^ 


III 


Den  Teichen  und  den  eingerahmten  Weihern 
verheimlicht  man  noch  immer  das  Verhör 
der  Könige.   Sie  warten  unter  Schleiern, 
und  jeden  Augenblick  kann  Monseigneur 

vorüberkommen;  und  dann  wollen  sie 
des  Königs  Laune  oder  Trauer  mildern 
und  von  den  Marmorrändern  wieder  die 
Teppiche  mit  alten  Spiegelbildern 

hinunterhängen,  wie  um  einen  Platz: 
auf  grünem  Grund,  mit  Silber,  Rosa,  Grau^ 
gewährtem  Weiß  und  leicht  gerührtem  Blau 
und  einem  Könige  und  einer  Frau 
und  Blumen  in  dem  wellenden  Besatz. 


67 


IV 


Und  Natur,  erlaucht  und  als  verletze 
sie  nur  unentschloßnes  Ungefähr, 
nahm  von  diesen  Königen  Gesetze, 
selber  selig,  um  den  Tapis-vert 

ihrer  Bäume  Traum  und  Übertreibung 
aufzutürmen  aus  gebauschtem  Grün 
und  die  Abende  nach  der  Beschreibung 
von  Verliebten  in  die  Avenün 

einzumalen  mit  dem  weichen  Pinsel, 
der  ein  firnisklares  aufgelöstes 
Lächeln  glänzend  zu  enthalten  schien: 

der  Natur  ein  liebes,  nicht  ihr  größtes, 
aber  eines,  das  sie  selbst  verliehn, 
um  auf  rosenvoller  Liebes-Insel 
es  zu  einem  größern  aufzuziehn. 


68 


V 


Götter  von  Alleen  und  Altanen, 
niemals  ganzgeglaiibte  Götter,  die 
altern  in  den  gradbeschnittnen  Bahnen, 
höchstens  angelächelte  Dianen, 
wenn  die  königliche  Venerie 

wie  ein  Wind  die  hohen  Morgen  teilend 
aufbrach,  übereilt  und  übereilend  -\ 
höchstens  angelächelte,  doch  nie  , 

angeflehte  Götter.  Elegante 
Pseudonyme,  unter  denen  man 
sich  verbarg  und  blühte  oder  brannte,  - 
leichtgeneigte,  lächelnd  angewandte 
Götter,  die  noch  manchmal  dann  und  wann 

das  gewähren,  was  sie  einst  gewährten, 
wenn  das  Blühen  der  entzückten  Gärten 
ihnen  ihre  kalte  Haltung  nimmt; 
wenn  sie  ganz  von  ersten  Schatten  beben 
und  Versprechen  um  Versprechen  geben, 
alle  unbegrenzt  und  unbestimmt. 


69 


VI 

Fühlst  du,  wie  keiner  von  allen 

Wegen  steht  und  stockt; 

von  gelassenen  Treppen  fallen, 

durch  ein  Nichts  von  Neigung 

leise  weitergelockt, 

über  alle  Terrassen 

die  Wege,  zwischen  den  Massen 

verlangsamt  und  gelenkt, 

bis  zu  den  weiten  Teichen, 

wo  sie  (wie  einem  Gleichen) 

der  reiche  Park  verschenkt 

an  den  reichen  Raum:  den  Einen, 
der  mit  Scheinen  und  Widerscheinen 
seinen  Besitz  durchdringt, 
aus  dem  er  von  allen  Seiten 
Weiten  mit  sich  bringt, 
wenn  er  aus  schließenden  Weihern 
zu  wolkigen  Abendfeiern 
sich  in  die  Himmel  schwingt. 


70 


VII 

Aber  Schalen  sind,  drin  der  Najaden 
Spiegelbilder,  die  sie  nicht  mehr  baden, 
wie  ertrunken  liegen,  sehr  verzerrt; 
die  Alleen  sind  durch  Balustraden 
in  der  Ferne  wie  versperrt. 

Immer  geht  ein  feuchter  Blätterfall 
durch  die  Luft  hinunter  wie  auf  Stufen, 
jeder  Vogelruf  ist  wie  verrufen, 
wie  vergiftet  jede  Nachtigall. 

Selbst  der  Frühling  ist  da  nicht  mehr  gebend, 
diese  Büsche  glauben  nicht  an  ihn; 
ungern  duftet  trübe,  überlebend 
abgestandener  Jasmin 

alt  und  mit  Zerfallendem  vermischt. 
Mit  dir  weiter  rückt  ein  Bündel  Mücken, 
so  als  würde  hinter  deinem  Rücken 
alles  gleich  vernichtet  und  verwischt. 


71 


BILDNIS 

Daß  von  dem  verzichtenden  Gesichte 
keiner  ihrer  großen  Schmerzen  fiele, 
trägt  sie  langsam  durch  die  Trauerspiele 
ihrer  Züge  schönen  welken  Strauß, 
wild  gebunden  und  schon  beinah  lose; 
manchmal  fällt,  wie  eine  Tuberose, 
ein  verlornes  Lächeln  müd  heraus. 

Und  sie  geht  gelassen  drüber  hin, 
müde,  mit  den  schönen  blinden  Händen, 
welche  wissen,  daß  sie  es  nicht  fänden, 

und  sie  sagt  Erdichtetes,  darin 
Schicksal  schwankt,  gewolltes,  irgendeines, 
und  sie  gibt  ihm  ihrer  Seele  Sinn, 
daß  es  ausbricht  wie  ein  Ungemeines: 
wie  das  Schreien  eines  Steines  - 

und  sie  läßt  mit  hochgehobnem  Kinn 
alle  diese  Worte  wieder  fallen, 
ohne  bleibend;  denn  nicht  eins  von  allen 
ist  der  w^hen  Wirklichkeit  gemäß, 
ihrem  einzigen  Eigentum, 
das  sie  wie  ein  fußloses  Gefäß 
halten  muß,  hoch  über  ihren  Ruhm 
und  den  Gang  der  Abende  hinaus. 

72 


VENEZIANISCHER  MORGEN 

RICHARD  BEER-IiOFMANN  ZUGEEIGNET 

Fürstlich  verwöhnte  Fenster  sehen  immer, 
was  manchesmal  uns  zu  bemühn  geruht: 
die  Stadt,  die  immer  wieder,  wo  ein  Schimmer 
von  Himmel  trifft  auf  ein  Gefühl  von  Flut, 

sich  bildet,  ohne  irgendwann  zu  sein. 
Ein  jeder  Morgen  muß  ihr  die  Opale 
erst  zeigen,  die  sie  gestern  trug,  und  Reihn 
von  Spiegelbildern  ziehn  aus  dem  Kanäle, 
und  sie  erinnern  an  die  andern  Male: 
dann  gibt  sie  sich  erst  zu  und  fällt  sich  ein 

wie  eine  Nymphe,  die  den  Zeus  empfing. 
Das  Ohrgehäng  erklingt  an  ihrem  Ohre; 
sie  aber  hebt  San  Giorgio  Maggiore 
und  lächelt  lässig  in  das  schöne  Ding. 


73 


SPÄTHERBST  IN  VENEDIG 

Nun  treibt  die  Stadt  schon  nicht  mehr  wie  ein 

Köder, 
der  alle  aufgetauchten  Tage  fängt. 
Die  gläsernen  Paläste  klingen  spröder 
an  deinen  Blick.  Und  aus  den  Gärten  hängt 

der  Sommer  wie  ein  Haufen  Marionetten 
kopfüber,  müde,  umgebracht. 
Aber  vom  Grund  aus  alten  Waldskeletten 
steigt  Willen  auf:  als  sollte  über  Nacht 

der  General  des  Meeres  die  Galeeren 

verdoppeln  in  dem  wachen  Arsenal, 

um  schon  die  nächste  Morgenluft  zu  teeren 

mit  einer  Flotte,  welche  ruderschlagend 

sich  drängt  und  jäh,  mit  allen  Flaggen  tagend, 

den  großen  Wind  hat,  strahlend  und  fatal. 


74 


SAN  MARCO 
VENEDIG 

In  diesem  Innern,  das  wie  ausgehöhlt 
sich  wölbt  und  wendet  in  die  goldnen  Smalten, 
rundkantig,  glatt,  mit  Köstlichkeit  geölt, 
^\'ard  dieses  Staates  Dunkelheit  gehalten 

und  heimlich  aufgehäuft,  als  Gleichgewicht 
des  Lichtes,  das  in  allen  seinen  Dingen 
sich  so  vermehrte,  dal3  sie  fast  vergingen. 
Und  plötzlich  zweifelst  du:  vergchn  sie  nichtV 

und  drängst  zurück  die  harte  Galerie, 

die  wie  ein  Gang  im  Bergwerk  nah  am  Glanz 

der  Wölbung  hängt;  und  du  erkennst  die  heile 

Helle  des  Ausblicks:  aber  irgendwie 
wehmütig  messend  ihre  müde  Weile 
am  nahen  Überstehn  des  Viergespanns. 


/D 


EIN  DOGE 

Fremde  Gesandte  sahen,  wie  sie  geizten 
mit  ihm  und  allem,  was  er  tat; 
während  sie  ihn  zu  seiner  Größe  reizten, 
umstellten  sie  das  goldene  Dogat 

mit  Spähern  und  Beschränkern  immer  mehr, 
bange,  daß  nicht  die  Macht  sie  überPällt, 
die  sie  in  ihm  (so  wie  man  Löwen  hält) 
vorsichtig  nährten.  Aber  er, 

im  Schutze  seiner  halbverhängten  Sinne, 

ward  dessen  nicht  gewahr  und  hielt  nicht  inne, 

größer  zu  werden.  Was  die  Signorie 

in  seinem  Innern  zu  bezwingen  glaubte, 
bezwang  er  selbst.  In  seinem  greisen  Haupte 
war  es  besiegt.  Sein  Antlitz  zeigte  wie. 


76 


DIE  Lx\UTE 

Ich  bin  die  Laute.  Willst  du  meinen  Leib 
beschreiben,  seine  schön  gewölbten  Streifen: 
sprich  so,  als  sprächest  du  von  einer  reifen 
gewölbten  Feige.   Übertreib 

das  Dunkel,  dfs  du  in  mir  siehst.  Es  war 
Tullias  Dunkelheit.  In  ihrer  Scham 
war  nicht  so  viel,  und  ihr  erhelltes  Haar 
war  wie  ein  heller  Saal.  Zuweilen  nahm 

sie  etwas  Klang  von  meiner  Oberfläche 
in  ihr  Gesicht  und  sang  zu  mir. 
Dann  spannte  ich  mich  gegen  ihre  Schwäche, 
und  endlich  war  mein  Inneres  in  ihr. 


77 


DER  ABENTEURER 

I 

Wenn  er  unter  jene,  welche  waren, 
trat:  der  Plötzliche,  der  schien, 
war  ein  Glanz  wie  von  Gefahren 
in  dem  ausgesparten  Raum  um  ihn, 

den  er  lächelnd  überschritt,  um  einer 
Herzogin  den  Fächer  aufzuheben: 
diesen  warmen  Fächer,  den  er  eben 
wollte  fallen  sehen.  Und  wenn  keiner 

mit  ihm  eintrat  in  die  Fensternische 
(wo  die  Parke  gleich  ins  Träumerische 
stiegen,  ^\^enn  er  nur  nach  ihnen  wies), 
ging  er  lässig  an  die  Kartentische 
und  gewann.  Und  unterließ 

nicht,  die  Blicke  alle  zu  behalten, 
die  ihn  zweifelnd  oder  zärtlich  trafen, 
und  auch  die  in  Spiegel  fielen,  galten. 
Er  beschloß,  auch  heute  nicht  zu  schlafen, 

wie  die  letzte  lange  Nacht,  und  bog 
einen  Blick  mit  seinem  rücksichtslosen, 
welcher  war:  als  hätte  er  von  Rosen 
Kinder,  die  man  irgendwo  erzog. 


II 


In  den  Tagen  -  (nein,  es  waren  keine), 

da  die  Flut  sein  unterstes  Verlies 

ihm  bestritt,  als  war  es  nicht  das  seine, 

und  ihn,  steigend,  an  die  Steine 

der  daran  gewöhnten  Wölbung  stieß, 

fiel  ihm  plötzlich  einer  von  den  Namen 
wieder  ein,  die  er  vor  Zeiten  trug. 
Und  er  wußte  wieder:  Leben  kamen, 
wenn  er  lockte;  wie  im  Flug 

kamen  sie:  noch  warme  Leben  Toter, 
die  er,  ungeduldiger,  bedrohter, 
weiterlebte  mitten  drin; 
oder  die  nicht  ausgelebten  Leben, 
und  er  wußte  sie  hinaufzuheben, 
und  sie  hatten  wieder  Sinn. 

Oft  war  keine  Stelle  an  ihm  sicher, 

und  er  zitterte:  Ich  bin 

doch  im  nächsten  Augenblicke  glich  er 
dem  Geliebten  einer  Königin. 

Immer  wieder  war  ein  Sein  zu  haben: 
die  Geschicke  angefangner  Knaben, 


79 


die,  als  hätte  man  sie  nicht  gewagt, 
abgebrochen  waren,  abgesagt, 
nahm  er  auf  und  ril^  sie  in  sich  hin; 
denn  er  mu{3te  einmal  nur  die  Gruft 
solcher  Aufgegebener  durchschreiten, 
und  die  Düfte  ihrer  Möglichkeiten 
lagen  wieder  in  der  Luft. 


80 


FALKEiN-BRIZE 

Kaiser  sein  hei(3t  unverwandelt  vieles 
überstehen  bei  geheimer  Tat: 
wenn  der  Kanzler  nachts  den  Turm  betrat, 
fand  er  ihn,  des  hohen  Federspieles 
kühnen  fürstlichen  Traktat 

in  den  eingeneigten  Schreiber  sagen; 
denn  er  hatte  im  entlegnen  Saale 
selber  nächtelang  und  viele  Male 
das  noch  ungewohnte  Tier  getragen, 

wenn  es  fremd  war,  neu  und  aufgebräut. 
Und  er  hatte  dann  sich  nie  gescheut, 
Pläne,  welche  in  ihm  aufgesprungen 
oder  zärtlicher  Erinnerungen 
tieftieiinneres  Geläut 
zu  verachten,  um  des  bangen  jungen 

Falken  willen,  dessen  Blut  und  Sorgen 
zu  begreifen  er  sich  nicht  erließ. 
Dafür  war  er  auch  wie  mitgehoben, 
wenn  der  Vogel,  den  die  Herren  loben, 
glänzend  von  der  Hand  geworfen,  oben 
in  dem  mitgefühlten  Frühlingsmorgen 
wie  ein  Engel  auf  den  llciher  stieß. 


CORRIDA 

IN  MEMORIAM  MONTEZ,.  1 830 

Seit  er,  klein  beinah,  aus  dem  Toril 
ausbrach,  aufgescheuchten  Augs  und  Ohrs, 
und  den  Eigensinn  des  Picadors 
und  die  Bänderhaken  wie  im  Spiel 

hinnahm,  ist  die  stürmische  Gestalt 
angewachsen  -  sieh:  zu  welcher  Masse, 
aufgehäuft  aus  altem  schwarzen  Hasse, 
und  das  Haupt  zu  einer  Faust  geballt, 

nicht  mehr  spielend  gegen  irgendwen, 
nein:  die  blutigen  Nackenhaken  hissend 
hinter  den  gefällten  Hörnern,  wissend 
und  von  Ewigkeit  her  gegen  den, 

der  in  Gold  und  mauver  Rosaseide 
plötzlich  umkehrt  und,  wie  einen  Schwärm 
Bienen  und  als  ob  er's  eben  leide, 
den  Bestürzten  unter  seinem  Arm 

durchläßt,  -  während  seine  Blicke  heiß 
sich  noch  einmal  heben,  leichtgelenkt, 
und  als  schlüge  draußen  jener  Kreis 

82 


sich  aus  ihrem  Glanz  und  Dunkel  nieder 
und  aus  jedem  Schlagen  seiner  Lider, 

ehe  er  gleichmütig,  ungehässig, 
an  sich  selbst  gelehnt,  gelassen,  lässig 
in  die  wiederhergerollte  große 
Woge  über  dem  verlornen  Stoße 
seinen  Degen  beinah  sanit  versenkt., 


83 


DON  JUANS  KINDHEIT 

In  seiner  Schlankheit  war,  schon  fast  entscheidend, 
der  Bogen,  der  an  Frauen  nicht  zerbricht; 
und  manchmal,  seine  Stirne  nicht  mehr  meidend, 
ging  eine  Neigung  durch  sein  Angesicht 

zu  einer,  die  vorüberkam,  zu  einer, 
die  ihm  ein  fremdes  altes  Bild  verschloß: 
er  lächelte.  Er  war  nicht  mehr  der  Weiner, 
der  sich  ins  Dunkel  trug  und  sich  vergoß. 

Und  während  ein  ganz  neues  Selbstvertrauen 
ihn  öfter  tröstete  und  fast  verzog, 
ertrug  er  ernst  den  ganzen  Bück  der  Frauen, 
der  ihn  bewunderte  und  ihn  bewog. 


84 


DON  JUANS  AUSWAHL 

Und  der  Engel  trat  ihn  an:  Bereite 

dich  mir  ganz.  Und  da  ist  mein  Gebot. 

Denn  daß  einer  jene  überschreite, 

die  die  Süßesten  an  ihrer  Seite 

bitter  machen,  tut  mir  not. 

Zwar  auch  du  kannst  wenig  besser  lieben, 

(unterbrich  mich  nicht:  du  irrst), 

doch  du  glühest,  und  es  steht  geschrieben, 

daß  du  viele  fiihren  wirst 

zu  der  Einsamkeit,  die  diesen 

tiefen  Eingang  hat.  Laß  ein 

die,  die  ich  dir  zugewiesen, 

daß  sie  wachsend  Heloisen 

überstehn  und  Überschrein. 


85 


SANKT  GEORG 

Und  sie  hatte  ihn  die  ganze  Nacht 
iingerufen,  hingekniet,  die  schwache 
wache  Jungfrau:  Siehe,  dieser  Drache, 
und  ich  weiß  es  nicht,  warum  er  wacht. 


Und  da  brach  er  aus  dem  Morgengraun 
auf  dem  Falben,  strahlend  Helm  und  Haubert, 
und  er  sah  sie,  traurig  und  verzaubert 
aus  dem  Knieen  aufwärtsschaun 


zu  dem  Glänze,  der  er  war. 
Und  er  sprengte  glänzend  längs  der  Länder 
abwärts  mit  erhobnem  Doppelhänder 
in  die  offene  Gefahr, 

viel  zu  furchtbar,  aber  doch  erfleht. 
Und  sie  kniete  knieender,  die  Hände 
fester  faltend,  daß  er  sie  bestände; 
denn  sie  wußte  nicht,  daß  der  besteht, 

den  ihr  Herz,  ihr  reines  und  bereites, 
aus  dem  Licht  des  göttlichen  Geleites 
niederreißt.  Zu  Seiten  seines  Streites 
stand,  wie  Türme  stehen,  ihr  Gebet. 

86 


DAME  AUF  EINEM  BALKON 

Plötzlich  tritt  sie,  in  den  Wind  gehüllt, 
licht  in  Lichtes,  wie  herausgegriffen, 
während  jetzt  die  Stube  wie  geschHfFen 
hinter  ihr  die  Türe  füllt 

dunkel  wie  der  Grund  einer  Kamee, 

die  ein  Schimmern  durchläßt  durch  die  Ränder; 

und  du  meinst,  der  Abend  war  nicht,  ehe 

sie  heraustrat,  um  auf  das  Geländer 

noch  ein  wenig  von  sich  fortzulegen, 
noch  die  Hände,  -  um  ganz  leicht  zu  sein: 
wie  dem  Himmel  von  den  Häuserreihn 
hingereicht,  von  allem  zu  bewegen. 


87 


BEGEGNUNG  IN  DER  KASTANIEN- ALLEE 

Ihm  ward  des  Eingangs  grüne  Dunkelheit 
kühl  wie  ein  Seidenmantel  umgegeben, 
den  er  noch  nahm  und  ordnete:  als  eben 
am  andern  transparenten  Ende,  weit, 

aus  grüner  Sonne,  wie  aus  grünen  Scheiben, 
weiß  eine  einzelne  Gestalt 
aufleuchtete,  um  lange  fern  zu  bleiben 
und  schließlich,  von  dem  Lichterniedertreiben 
bei  jedem  Schritte  überwallt, 

ein  helles  Wechseln  auf  sich  herzutragen, 
das  scheu  im  Blond  nach  hinten  lief. 
Aber  auf  einmal  war  der  Schatten  tief, 
und  nahe  Augen  lagen  aufgeschlagen 

in  einem  neuen  deutlichen  Gesicht, 

das  wie  in  einem  Bildnis  verweilte 

in  dem  Moment,  da  man  sich  wieder  teilte: 

erst  war  es  immer,  und  dann  war  es  nicht. 


88 


DIE  SCHWESTERN 

Sieh,  wie  sie  dieselben  Möglichl^eiten 
anders  an  sich  tragen  und  verstehn, 
so  als  sähe  man  verschiedne  Zeiten 
durch  zwei  gleiche  Zimmer  gehn. 

Jede  meint  die  andere  zu  stützen, 
während  sie  doch  müde  an  ihr  ruht; 
und  sie  können  nicht  einander  nützen, 
denn  sie  legen  Blut  auf  Blut, 

wenn  sie  sich  wie  früher  sanft  berühren 
und  versuchen,  die  Allee  entlang 
sich  geführt  zu  fühlen  und  zu  führen: 
ach,  sie  haben  nicht  denselben  Gang. 


89 


ÜBUNCx  AM  KLAVIER 

Der  Sommer  summt.  Der  Nachmittag  macht  müde ; 

sie  atmete  verwirrt  ihr  frisches  Kleid 

und  legte  in  die  triftige  Etüde 

die  Ungeduld  nach  einer  Wirklichkeit, 

die  kommen  konnte  morgen,  heute  abend, 
die  vielleicht  da  war,  die  man  nur  verbarg; 
und  vor  den  Fenstern,  hoch  und  alles  habend, 
empfand  sie  plötzlich  den  verwöhnten  Park. 

Da  brach  sie  ab;  schaute  hinaus,  verschränkte 
die  Hände,  wünschte  sich  ein  langes  Buch 
und  schob  auf  einmal  den  Jasmingeruch 
erzürnt  zurück.  Sie  fand,  daß  er  sie  kränkte. 


90 


DIE  LIEBENDE 

Das  ist  mein  Fenster.  Eben 
bin  ich  so  sanft  erwacht. 
Ich  dachte,  ich  würde  schweben. 
Bis  wohin  reicht  mein  Leben, 
und  wo  beginnt  die  NachtV 

Ich  Ivönnte  meinen,  alles 
wäre  noch  ich  ringsum; 
durchsichtig  wie  eines  Kristalles 
Tiefe,  verdunlvelt,  stumm. 

Ich  könnte  auch  noch  die  Sterne 
fassen  in  mir;  so  groß 
scheint  mir  mein  Herz;  so  gerne 
nel3  es  ihn  wieder  los, 

den  ich  vielleicht  zu  lieben, 
vielleicht  zu  halten  begann. 
Fremd  wie  niebeschrieben 
sieht  mich  mein  Schicksal  an. 

Was  bin  ich  unter  diese 
Unendlichkeit  gelegt, 
duftend  wie  eine  Wiese, 
hin  und  her  bewegt. 


91 


rufend  zugleich  und  bange, 
daß  einer  den  Ruf  vernimmt, 
und  zum  Untergange 
in  einem  andern  bestimmt. 


92 


DAS  ROSENIiNNERE 

Wo  ist  zu  diesem  Innen 

ein  Aul3en?  Auf  welches  Weh 

legt  man  solches  Linnen? 

Welche  Himmel  spiegeln  sich  drinnen 

in  dem  Binnensee 

dieser  offenen  Rosen, 

dieser  sorglosen,  sieh: 

wie  sie  lose  im  Losen 

liegen,  als  könnte  nie 

eine  zitternde  Hand  sie  verschütten. 

Sie  können  sich  selber  kaum 

halten;  viele  liel3en 

sich  überfüllen  und  Hielten 

über  von  Innenraum 

in  die  Tage,  die  immer 

voller  und  voller  sich  schließen, 

bis  der  ganze  Sommer  ein  Zimmer 

wird,  ein  Zimmer  in  einem  Traum. 


93 


DAMEN-BILDNIS  AUS  DEN  ACHTZIGER 
JAHREN 

Wartend  stand  sie  an  den  schwergerafFten 
dunklen  Atlasdraperien, 
die  ein  Aufwand  falscher  Leidenschaften 
über  ihr  zu  ballen  schien; 

seit  den  noch  so  nahen  Mädchenjahren 
wie  mit  einer  anderen  vertauscht: 
müde  unter  den  getürmten  Haaren, 
in  den  Rüschen-Roben  unerfahren 
und  von  allen  Falten  wie  belauscht 

bei  dem  Heimweh  und  dem  schwachen  Planen, 
wie  das  Leben  weiter  werden  soll: 
anders,  wirklicher,  wie  in  Romanen, 
hingerissen  und  verhängnisvoll,  - 

daß  man  etwas  erst  in  die  Schatullen 
legen  dürfte,  um  sich  im  Geruch 
von  Erinnerungen  einzulullen; 
daß  man  endlich  in  dem  Tagebuch 

einen  Anfang  fände,  der  nicht  schon 
unterm  Schreiben  sinnlos  wird  und  Lüge, 
und  ein  Blatt  von  einer  Rose  trüge 
in  dem  schweren  leeren  Medaillon, 

94 


welches  liegt  auf  jedem  Atemzug. 
Daß  man  einmal  durch  das  Fenster  winkte; 
diese  schlanke  Hand,  die  neuberingte, 
hätte  dran  für  Monate  genug. 


95 


DAME  VOR  DEM  SPIEGEL 

Wie  in  einem  Schlaftrunk  Spezerein, 
löst  sie  leise  in  dem  flüssigklaren 
Spiegel  ihr  ermüdetes  Gebaren; 
und  sie  tut  ihr  Lächeln  ganz  hinein. 

Und  sie  wartet,  daß  die  Flüssigkeit 
davon  steigt;  dann  gießt  sie  ihre  Haare 
in  den  Spiegel  und,  die  wunderbare 
Schulter  hebend  aus  dem  Abendkleid, 

trinkt  sie  still  aus  ihrem  Bild.   Sie  trinkt, 
was  ein  Liebender  im  Taumel  tränke, 
prüfend,  voller  Mißtraun;  und  sie  winkt 

erst  der  Zofe,  wenn  sie  auf  dem  Grunde 
ihres  Spiegels  Lichter  findet.  Schränke 
und  das  Trübe  einer  späten  Stunde. 


96 


DIE  GREISIN 

Weiße  Freundinnen  mitten  im  Heute 
lachen  und  horchen  und  planen  für  morgen; 
abseits  erwägen  gelassene  Leute 
langsam  ihre  besonderen  Sorgen, 

das  Warum  und  das  Wann  und  das  Wie, 
und  man  hört  sie  sagen:  Ich  glaube  -; 
aber  in  ihrer  Spitzenhaube 
ist  sie  sicher,  als  wüßte  sie, 

daß  sie  sich  irren,  diese  und  alle. 
Und  das  Kinn,  im  Niederfalle, 
lehnt  sich  an  die  weiße  Koralle, 
die  den  Schal  zur  Stirne  stimmt. 

Einmal  aber,  bei  einem  Gelache, 

holt  sie  aus  springenden  Lidern  zwei  wache  : 

Blicke  und  zeigt  diese  harte  Sache, 

wie  man  aus  einem  geheimen  Fache 

schöne  ererbte  Steine  nimmt. 


9? 


DAS  BETT 

Laß  sie  meinen,  daß  sich  in  privater 
Wehmut  löst,  was  einer  dort  bestritt. 
Nirgend  sonst  als  da  ist  ein  Theater; 
reiß  den  hohen  Vorhang  fort  -:  da  tritt 

vor  den  Chor  der  Nächte,  der  begann 
ein  unendlich  breites  Lied  zu  sagen, 
jene  Stunde  auf,  bei  der  sie  lagen, 
und  zerreißt  ihr  Kleid  und  klagt  sich  an, 

um  der  andern,  um  der  Stunde  willen, 
die  sich  wehrt  und  wälzt  im  Hintergrunde; 
denn  sie  konnte  sie  mit  sich  nicht  stillen. 
Aber  da  sie  zu  der  fremden  Stunde 

sich  gebeugt:  da  war  auf  ihr, 
was  sie  am  Geliebten  einst  gefunden, 
nur  so  drohend  und  so  groß  verbunden 
und  entzogen  wie  in  einem  Tier. 


98 


DER  FREMDE 


Ohne  Sorgfalt,  was  die  Nächsten  dächten, 
die  er  müde  nicht  mehr  fragen  hieß, 
ging  er  wieder  fort;  verlor,  verließ  -. 
Denn  er  hing  an  solchen  Reisenächten 

anders  als  an  jeder  Liebesnacht. 
Wunderbare  hatte  er  durchwacht, 
die  mit  starken  Sternen  überzogen 
enge  Fernen  auseinanderbogen 
und  sich  wandelten  wie  eine  Schlacht; 

andre,  die  mit  in  den  Mond  gestreuten 
Dörfern,  wie  mit  hingehaltnen  Beuten, 
sich  ergaben,  oder  durch  geschonte 
Parke  graue  Edelsitze  zeigten, 
die  er  gerne  in  dem  hingeneigten 
Haupte  einen  Augenblick  bewohnte, 
tiefer  wissend,  daß  man  nirgends  bleibt; 
und  schon  sah  er  bei  dem  nächsten  Biegen 
wieder  Wege,  Brücken,  Länder  liegen 
bis  an  Städte,  die  man  übertreibt. 


Und  dies  alles  immer  unbegehrend 
hinzulassen,  schien  ihm  mehr  als  seines 


99 


Lebens  Lust,  Besitz  und  Ruhm. 
Doch  auf  fremden  Plätzen  war  ihm  eines 
tägHch  ausgetretnen  Brunnensteines 
Mulde  manchmal  wie  ein  Eigentum. 


lOO 


DIE  ANFAHRT 

War  in  des  Wagens  Wendung  dieser  Schwung? 
War  er  im  Blick,  mit  dem  man  die  barocken 
Engelfiguren,  die  bei  blauen  Glocken 
im  Felde  standen  voll  Erinnerung, 

annahm  und  hielt  und  wieder  ließ,  bevor 
der  Schloßpark  schließend  um  die  Fahrt  sich 

drängte, 
an  die  er  streifte,  die  er  überhängte 
und  plötzlich  freigab:  denn  da  war  das  Tor, 

das  nun,  als  hätte  es  sie  angerufen, 
die  lange  Front  zu  einer  Schwenkung  zwang, 
nach  der  sie  stand.  Aufglänzend  ging  ein  Gleiten 
die  Glastür  abwärts;  und  ein  Windhund  drang 
aus  ihrem  Aufgehn,  seine  nahen  Seiten 
heruntertragend  von  den  flachen  Stufen. 


lOI 


DIE  SONNENUHR 

Selten  reicht  ein  Schauer  feuchter  Fäule 
aus  dem  Gartenschatten,  wo  einander 
Tropfen  fallen  hören  und  ein  Wander- 
vogel lautet,  zu  der  Säule, 
die  in  Majoran  und  Koriander 
steht  und  Sommerstunden  zeigt; 

nur  sobald  die  Dame  (der  ein  Diener 
nachfolgt)  in  dem  hellen  Florentiner 
über  ihren  Rand  sich  neigt, 
wird  sie  schattig  und  verschweigt  -. 

Oder  wenn  ein  sommerlicher  Regen 
aufkommt  aus  dem  wogenden  Bewegen 
hoher  Kronen,  hat  sie  eine  Pause; 
denn  sie  weiß  die  Zeit  nicht  auszudrücken, 
die  dann  in  den  Frucht-  und  Blumenstücken 
plötzlich  glüht  im  weißen  Gartenhause. 


I02 


SCHLAFMOHN 

Abseits  im  Garten  blüht  der  böse  Schlaf, 
in  welchem  die,  die  heimlich  eingedrungen, 
die  Liebe  fanden  junger  Spiegelungen, 
die  willig  waren,  ofl'en  und  konkav, 

und  Träume,  die  mit  aufgeregten  IVIasken 
auftraten,  riesiger  durch  die  Kothurne  -: 
das  alles  stockt  in  diesen  oben  flasken 
weichlichen  Stengeln,  die  die  Samenurne 

(nachdem  sie  lang,  die  Knospe  abwärts  tragend 
zu  welken  meinten)  festverschlossen  heben: 
gefranste  Kelche  auseinanderschlagend, 
die  fieberhaft  das  Mohngefäß  umgeben. 


103 


DIE  FLAMINGOS 

PARIS,  JARDIN  DES  PLANTES 

In  Spiegelbildern  wie  von  Fragonard 
ist  doch  von  ihrem  Weiß  und  ihrer  Röte 
nicht  mehr  gegeben,  als  dir  einer  böte, 
wenn  er  von  seiner  Freundin  sagt:  sie  war 

noch  sanft  von  Schlaf.  Denn  steigen  sie  ins  Grüne 
und  stehn,  auf  rosa  Stielen  leicht  gedreht, 
beisammen,  blühend,  wie  in  einem  Beet, 
verführen  sie  verführender  als  Phryne 

sich  selber;  bis  sie  ihres  Auges  Bleiche 

hinhalsend  bergen  in  der  eignen  Weiche, 

in  welcher  Schwarz  und  Fruchtrot  sich  versteckt. 

Auf  einmal  kreischt  ein  Neid  durch  die  VolÜTe; 
sie  aber  haben  sich  erstaunt  gestreckt 
und  schreiten  einzeln  ins  Imaginäre. 


104 


Pf:RSISCHES  HELIOTROP 

Es  könnte  sein,  daß  dir  der  Rose  Lob 
zu  laut  erscheint  für  deine  Freundin:  nimm 
das  schön  gestickte  Kraut  und  überstimm 
mit  dringend  flüsterndem  Heliotrop 

den  ßülbül,  der  an  ihren  Lieblingsplätzen 
sie  schreiend  preist  und  sie  nicht  kennt. 
Denn  sieh:  wie  süße  Worte  nachts  in  Sätzen 
beisammenstehn  ganz  dicht,  durch  nichts  getrennt, 
aus  der  Vokale  wachem  Violett 
hindüftend  durch  das  stille  Himmelbett  -: 

so  schließen  sich  vor  dem  gesteppten  Laube 
deutliche  Sterne  zu  der  scidnen  Traube 
und  mischen,  daß  sie  fast  davon  verschwimmt, 
die  Stille  mit  Vanille  und  mit  Zimt. 


105 


SCHLAFLIED 

Einmal,  wenn  ich  dich  verlier, 
wirst  du  schlafen  können,  ohne 
daß  ich  wie  eine  Lindenkrone 
mich  verflüstre  über  dir? 

Ohne  daß  ich  hier  wache  und 
Worte,  beinah  wie  Augenlider, 
auf  deine  Brüste,  auf  deine  Glieder 
niederlege,  auf  deinen  Mund? 

Ohne  daß  ich  dich  verschließ 
und  dich  allein  mit  Deinem  lasse, 
wie  einen  Garten  mit  einer  Masse 
von  Melissen  und  Sternanis? 


io6 


DER  PAVILLON 

Aber  selbst  noch  durch  die  Flügeltüren 

mit  dem  grünen,  regentrüben  Glas 

ist  ein  Spiegeln  lächelnder  Allüren 

und  ein  Glanz  von  jenem  Glück  zu  spüren, 

das  sich  dort,  wohin  sie  nicht  mehr  führen, 

einst  verbarg,  verklärte  und  vergaß. 

Aber  selbst  noch  in  den  Steingirlanden 
über  der  nicht  mehr  berührten  Tür 
ist  ein  Hang  zur  Heimlichkeit  vorhanden 
und  ein  stilles  Mitgefühl  dafür, 

und  sie  schauern  manchmal  wie  gespiegelt, 
wenn  ein  Wind  sie  schattig  überlief; 
auch  das  Wappen,  wie  auf  einem  Brief 
viel  zu  glücklich,  überstürzt  gesiegelt, 

redet  noch.  Wie  wenig  man  verscheuchte: 
alles  weiß  noch,  weint  noch,  tut  noch  weh. 
Und  im  Fortgehn  durch  die  tränenfeuchte, 
abgelegene  Allee 

fühlt  man  lang  noch  auf  dem  Rand  des  Dachs 
jene  Urnen  stehen,  kalt,  zerspalten, 
doch  entschlossen,  noch  zusammzuhalten 
um  die  Asche  alter  Achs. 


107 


DIE  ENTFÜHRUNG 

Oft  war  sie  als  Kind  ihren  Dienerinnen 
entwichen,  um  die  Nacht  und  den  Wind 
(weil  sie  drinnen  so  anders  sind) 
draußen  zu  sehn  an  ihrem  Beginnen; 

doch  keine  Sturmnacht  hatte  gewiß 
den  riesigen  Park  so  in  Stücke  gerissen, 
wie  ihn  jetzt  ihr  Gewissen  zerriß, 

da  er  sie  nahm  von  der  seidenen  Leiter 
und  sie  weitertrug,  weiter,  weiter: 

bis  der  Wagen  alles  war. 

Und  sie  roch  ihn,  den  schwarzen  Wagen, 

um  den  verhalten  das  Jagen  stand 

und  die  Gefahr. 

Und  sie  fand  ihn  mit  Kaltem  ausgeschlagen; 

und  das  Schwarze  und  Kalte  war  auch  in  ihr. 

Sie  kroch  in  ihren  Mantelkragen 

und  befühlte  ihr  Haar,  als  bhebe  es  hier, 

und  hörte  fremd  einen  Fremden  sagen: 

Ichbinbeidir. 


io8 


ROSA  HORTENSIE 

Wer  nahm  das  Rosa  an?  Wer  wußte  auch, 
daß  es  sich  sammelte  in  diesen  Dolden? 
Wie  Dinge  unter  Gold,  die  sich  entgolden, 
entröten  sie  sich  sanft,  wie  im  Gebrauch. 

Daß  sie  für  solches  Rosa  nichts  verlangen, 
bleibt  es  für  sie  und  lächelt  aus  der  Luft? 
Sind  Engel  da,  es  zärtlich  zu  empfangen, 
wenn  es  vergeht,  großmütig  wie  ein  Duft? 

Oder  vielleicht  auch  geben  sie  es  preis, 
damit  es  nie  erführe  vom  Verblühn. 
Doch  unter  diesem  Rosa  hat  ein  Grün 
gehorcht,  das  jetzt  verwelkt  und  alles  weiß. 


109 


DAS  WAPPEN 

Wie  ein  Spiegel,  der,  von  ferne  tragend, 
laudos  in  sich  aufnahm,  ist  der  Schild; 
offen  einstens,  dann  zusammenschlagend 
über  einem  Spiegelbild 

jener  Wesen,  die  in  des  Geschlechts 
Weiten  wohnen,  nicht  mehr  zu  bestreiten, 
seiner  Dinge,  seiner  Wirklichkeiten 
(rechte  links  und  linke  rechts), 

die  er  eingesteht  und  sagt  und  zeigt. 

Drauf,  mit  Ruhm  und  Dunkel  ausgeschlagen, 

ruht  der  Spangenhelm,  verkürzt, 

den  das  Flügelkleinod  übersteigt, 
während  seine  Decke  wie  mit  Klagen 
reich  und  aufgeregt  herniederstürzt. 


HO 


DER  JUNGGESELLE 

Lampe  auf  den  verlassenen  Papieren, 
und  ringsum  Nacht  bis  weit  hinein  ins  Holz 
der  Schränke.  Und  er  konnte  sich  verlieren 
an  sein  Geschlecht,  das  nun  mit  ihm  zerschmolz; 
ihm  schien,  je  mehr  er  las,  er  hätte  ihren, 
sie  aber  hatten  alle  seinen  Stolz. 

Hochmütig  steiften  sich  die  leeren  Stühle 
die  Wand  entlang,  und  lauter  Selbstgefühle 
machten  sich  schläfernd  in  den  Möbeln  breit; 
von  oben  goß  sich  Nacht  auf  die  Pendüle, 
und  zitternd  rann  aus  ihrer  goldnen  Mühle, 
ganz  fein  gemahlen,  seine  Zeit. 

Er  nahm  sie  nicht.  Um  fiebernd  unter  jenen, 

als  zögo.  er  die  Laken  ihrer  Leiber, 

andre  Zeiten  wegzuzerrn. 

Bis  er  ins  Flüstern  kam;  (was  war  ihm  fernV) 

Er  lobte  einen  dieser  Briefeschreiber, 

als  sei  der  Brief  an  ihn:  wie  du  mich  kennst; 

und  klopfte  lustig  auf  die  Seitenlehnen. 

Der  Spiegel  aber,  innen  unbegrenzter, 

ließ  leise  einen  Vorhang  aus,  ein  Fenster  -: 

denn  dorten  stand,  fast  fertig,  das  Gespenst. 


III 


DER  EINSAME 

Nein:  ein  Turm  soll  sein  aus  meinem  Herzen 
und  ich  selbst  an  seinen  Rand  gestellt: 
wo  sonst  nichts  mehr  ist,  noch  einmal  Schmerzen 
und  Unsäglichkeit,  noch  einmal  Welt. 

Noch  ein  Ding  allein  im  Übergroßen, 
welches  dunkel  wird  und  wieder  licht, 
noch  ein  letztes,  sehnendes  Gesicht 
in  das  Nie-zu-Stillende  verstoßen, 

noch  ein  äußerstes  Gesicht  aus  Stein, 
willig  seinen  inneren  Gewichten, 
das  die  Weiten,  die  es  still  vernichten, 
zwingen,  immer  seliger  zu  sein. 


112 


DER  LESER       ' 

Wer  kennt  ihn,  diesen,  welcher  sein  Gesicht 
wegsenkte  aus  dem  Sein  zu  einem  zweiten, 
das  nur  das  schnelle  Wenden  voller  Seiten 
manchmal  gewaltsam  unterbricht? 

Selbst  seine  Mutter  wäre  nicht  gewiß, 
ob  er  es  ist,  der  da  mit  seinem  Schatten 
Getränktes  liest.   Und  wir,  die  Stunden  hatten, 
was  wissen  wir,  wieviel  ihm  hinschwand,  bis 

er  mühsam  aufsah:  alles  auf  sich  hebend, 
was  unten  in  dem  Buche  sich  verhielt, 
mit  Augen,  welche,  statt  zu  nehmen,  gebend 
anstießen  an  die  fertig-volle  Welt: 
wie  stille  Kinder,  die  allein  gespielt, 
auf  einmal  das  Vorhandene  erfahren; 
doch  seine  Züge,  die  geordnet  waren, 
blieben  für  immer  umgestellt. 


113 


DER  APFELGARTEN 

BORGEBY-GARD 

Komm  gleich  nach  dem  Sonnenuntergänge, 
sieh  das  Abendgrün  des  Rasengrunds; 
ist  es  nicht,  als  hätten  wir  es  lange 
angesammelt  und  erspart  in  uns, 

um  es  jetzt  aus  Fühlen  und  Erinnern, 
neuer  Hoffnung,  halbvergeßnem  Freun, 
noch  vermischt  mit  Dunkel  aus  dem  Innern, 
in  Gedanken  vor  uns  hinzustreun 

unter  Bäume  wie  von  Dürer,  die 
das  Gewicht  von  hundert  Arbeitstagen 
in  den  überfüllten  Früchten  tragen, 
dienend,  voll  Geduld,  versuchend,  wie 

das,  was  alle  Maße  übersteigt, 
noch  zu  heben  ist  und  hinzugeben, 
wenn  man  willig,  durch  ein  langes  Leben 
nur  das  Eine  will  und  wächst  und  schweigt? 


114 


DIE  BERUFUNG 

Da  aber  als  in  sein  Versteclv  der  Hohe, 
sofort  Erkennbare:  der  Engel,  trat 
aufrecht,  der  lautere  und  lichterlohe, 
da  tat  er  allen  Anspruch  ab  und  bat, 

bleiben  zu  dürfen,  der  von  seinen  Reisen 
innen  verwirrte  Kaufmann,  der  er  war; 
er  hatte  nie  gelesen  und  nun  gar 
ein  solches  Wort,  zu  viel  für  einen  Weisen, 

Der  Engel  aber,  herrisch,  wies  und  wies 
ihm,  was  geschrieben  stand  auf  seinem  Blatte,, 
und  gab  nicht  nach  und  wollte  wieder:  lies. 

Da  las  er:  so,  daß  sich  der  Engel  bog, 
und  war  schon  einer,  der  gelesen  hatte 
und  konnte  und  gehorchte  und  vollzog. 


115: 


DER  BERG 

SechsLinddreißigmal  und  hundertmal 
hat  der  Maler  jenen  Berg  geschrieben, 
weggerissen,  wieder  hingetrieben 
(sechsunddreißigmal  und  hundertmal) 

zu  dem  unbegreiflichen  Vulkane, 
selig,  voll  Versuchung,  ohne  Rat,  — 
während  der  mit  Umriß  Angetane 
seiner  Herrlichkeit  nicht  Einhalt  tat: 

tausendmal  aus  allen  Tagen  tauchend, 
Nächte  ohnegleichen  von  sich  ab 
fallen  lassend,  alle  wie  zu  knapp; 
jedes  Bild  im  Augenblick  verbrauchend, 
von  Gestalt  gesteigert  zu  Gestalt, 
teilnahmslos  und  weit  und  ohne  Meinung  -, 
um  auf  einmal  wissend,  wie  Erscheinung, 
sich  zu  heben  hinter  jedem  Spalt. 


116 


DER  BALL 

Du  Runder,  der  das  Warme  aus  zwei  Händen 
im  Fliegen  oben  fortgibt,  sorglos  wie 
sein  Eigenes;  was  in  den  Gegenständen 
nicht  bleiben  kann,  zu  unbeschwert  für  sie, 

zu  wenig  Ding  und  doch  noch  Ding  genug, 
um  nicht  aus  allem  draußen  Aufgereihten 
unsichtbar  plötzlich  in  uns  einzugleiten: 
das  glitt  in  dich,  du  zwischen  Fall  und  Flug 

noch  Unentschlossener,  der,  weni;i  er  steigt, 

als  hätte  er  ihn  mit  hinaufgehoben, 

den  Wurf  entführt  und  freiläßt  -,  und  sich  neigt 

und  einhält  und  den  Spielenden  von  oben 

auf  einmal  eine  neue  Stelle  zeigt, 

sie  ordnend  wie  zu  einer  Tanzfigur, 

um  dann,  erwartet  und  erwünscht  von  allen, 
rasch,  einfach,  kunstlos,  ganz  Natur, 
dem  Becher  hoher  Hände  zuzufallen. 


117 


DAS  KIND 

Unwillkürlich  sehn  sie  seinem  Spiel 
lange  zu;  zuweilen  tritt  das  runde 
seiende  Gesicht  aus  dem  Profil, 
klar  und  ganz  wie  eine  volle  Stunde, 

welche  anhebt  und  zu  Ende  schlägt. 
Doch  die  andern  zählen  nicht  die  Schläge, 
trüb  von  Mühsal  und  vom  Leben  träge; 
und  sie  merken  gar  nicht,  wie  es  trägt  -, 

wie  es  alles  trägt,  auch  dann,  noch  immer, 
wenn  es  müde  in  dem  kleinen  Kleid 
neben  ihnen  wie  im  Wartezimmer 
sitzt  und  w^arten  will  auf  seine  Zeit. 


ii8 


DER  HUND 

Da  oben  wird  das  Bild  von  einer  Welt 

aus  Blicken  immerfort  erneut  und  gilt. 

Nur  manchmal,  heimlich,  kommt  ein  Ding  und 

stellt 
sich  neben  ihn,  wenn  er  durch  dieses  Bild 

sich  drängt,  ganz  unten,  anders,  wie  er  ist; 
nicht  ausgestoßen  und  nicht  eingereiht 
und  wie  im  Zweifel  seine  Wirklichkeit 
weggebend  an  das  Bild,  das  er  vergißt, 

um  dennoch  immer  wieder  sein  Gesicht 
hineinzuhalten,  fast  mit  einem  Flehen, 
beinah  begreifend,  nah  am  Einverstehen 
und  doch  verzichtend:  denn  er  wäre  nicht. 


119 


DER  KÄFERSTEIN 

Sind  nicht  Sterne  fast  in  deiner  Nähe, 
und  was  gibt  es,  das  du  nicht  umspannst, 
da  du  dieser  harten  Sl^arabäe 
Karneolkern  gar  nicht  fassen  kannst 

ohne  jenen  Raum,  der  ihre  Schilder 
niederhält,  auf  deinem  ganzen  Blut 
mitzutragen;  niemals  war  er  milder, 
näher,  hingegebener.  Er  ruht 

seit  Jahrtausenden  auf  diesen  Käfern, 
wo  ihn  keiner  braucht  und  unterbricht; 
und  die  Käfer  schheßen  sich  und  schläfern 
unter  seinem  wiegenden  Gewicht. 


120 


BUDDHA  IN  DER  GLORIE 

Mitte  aller  Mitten,  Kern  der  Kerne, 
Mandel,  die  sich  einschließt  und  versüßt,  - 
dieses  alles  bis  an  alle  Sterne 
ist  dein  Fruchtfleisch:  Sei  gegrüßt. 

Sieh,  du  fühlst,  wie  nichts  mehr  an  dir  hängt; 
im  Unendlichen  ist  deine  Schale, 
und  dort  steht  der  starke  Saft  und  drängt. 
Und  von  außen  hilft  ihm  ein  Gestrahle, 

denn  ganz  oben  werden  deine  Sonnen 
voll  und  glühend  umgedreht. 
Doch  in  dir  ist  schon  begonnen, 
was  die  Sonnen  übersteht. 


i2r 


INHALT 


Archaischer  Torso  Apollos i 

Kretische  Artemis 2 

Leda 3 

Delphine 4 

Die  Insel  der  Sirenen 6 

Klage  um  Antinous 7 

Der  Tod  der  Geliebten B 

Klage  um  Jonathan 9 

Tröstung  des  Elia la 

Saul  unter  den  Propheten 12 

Samuels  Erscheinung  vor  Saul 13 

Ein  Prophet .  15 

jeremias 16 

Eine  Sibylle 17 

Absaloms  Abfall 18 

Esther 20 

Der  aussätzige  König 22 

Legende  von  den  drei  Lebendigen  und  den 

drei  Toten 23 

Der  König  von  Münster 24 

Totentanz 25 

Das  Jüngste  Gericht 26 

Die  Versuchung 27 

Der  Alchimist 29 

Der  Reliquienschrein 30 

Das  Gold 31 

122 


Der  Stylit 32 

Die  ägyptische  Maria 34 

Kreuzigung 35 

Der  Auferstandene 36 

Magnifikat 37 

Adam 38 

Eva 39 

Irre  im  Garten  (Dijon) 40 

Die  Irren 41 

Aus  dem  Leben  eines  Heiligen 42 

Die  Bettler 43 

Fremde  Familie 44 

Leichenwäsche 45 

Eine  von  den  Alten  (Paris) 46 

Der  Blinde  (Paris) 47 

Eine  Welke 48 

Abendmahl 49 

Die  Brandstätte .  50 

Die  Gruppe  (Paris) 51 

Schlangenbeschwörung 52 

Schwarze  Katze 53 

Vor-Ostern  (Neapel) 54 

Der  Balkon  (Neapel) 56 

Auswanderer-Schiff  (Neapel)     .....  58 

Landschaft 59 

Römische  Campagna 60 

Lied  vom  Meer  (Capri,  Piccola  Marina)     .  61 

Nächtliche  Fahrt  (Sankt  Petersburg)  ...  62 

Papageien  park  (Paris) 64 

123 


Die  Parke  I-VII 65-71 

Bildnis 72 

Venezianischer  Morgen 73 

Spätlierbst  in  Venedig 74 

San  Marco  (Venedig) 75 

Ein  Doge 'jG 

Die  Laute 'j-j 

Der  Abenteurer  I,  II 78-79 

Falkenbeize 81 

Corrida  (In  memoriam  Montez,  1830)    .     .  82 

Don  Juans  Kindheit 84 

Don  Juans  Auswahl 85 

Sankt  Georg 86 

Dame  auf  einem  Balkon 87 

Begegnung  in  der  Kastanien-Allee  ....  88 

Die  Schwestern 89 

Übung  am  Klavier 90 

Die  Liebende 91 

Das  Roseninnere 93 

Damen-Bildnis  aus  den  achtziger  Jahren  .     .  94 

Dame  vor  dem  Spiegel 96 

Die  Greisin 97 

Das  Bett 98 

Der  Fremde 99 

Die  Anfahrt loi 

Die  Sonnenuhr    . 102 

Schlafmohn 103 

Die  Flamingos  (Paris,  Jardin  des  Plantes)    .  104 

Persisches  Heliotrop 105 

124 


Schlaflied io6 

Der  Pavillon 107 

Die  Entführung 108 

Rosa  Hortensie 109 

Das  Wappen iio 

Der  Junggeselle 11 1 

Der  Einsame 112 

Der  Leser 1 13 

Der  Apfelgarten  (Borgeby-Gard)  .     .     .     .114 

Die  Berufung 115 

Der  Berg 116 

Der  Ball iir 

Das  Kind 118 

Der  Hund 119 

Der  Käferstein 120 

Buddha  in  der  Glorie 121 


Dieses  Buch  wurde  ge- 
drucktin der  Spamerschen 
Buchdruckerei  in  Leipzig 


r^UG  2  6  1988 


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