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Full text of "der patriot"

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Abad 
L 72 
Alfred Neumann Ee 
1 
i Pew 
ats 
Drama in 5 Akten 
Viertes und fünftes Tauſend 
Deutſche Verlags-Anſtalt Stuttgart 
Berlin und Leipzig 
1927 i 
68981 
CONCORDIA COLLEGE LIBRARY 


BRONXVILLE, N. J. 10708 


Den Bühnen gegenüber als Manufkript gedruckt 


Alle Rechte, insbeſondere die der Überſetzung, 
vorbehalten 
Das Recht der Aufführung iſt zu erwerben von 
Chronos Verlag G. m. b. H., Stuttgart 
Bühnenvertrieb der Deutſchen Verlags-Anſtalt 


Perfonen 


Sar Paul 

Zarewitſch Alexander 

Graf Peter von der Pahlen, Kriegsgouverneur 
von Petersburg 

Anna Petrowna Oftermann 

Graf Panin, Vizekanzler 

Murawiew, Flügeladjutant 

Der Kammerherr 

Stepan 

Doktor Grive, Leibarzt 

Graf Valerian Subow 


Fürſt Platon Subow Mitglieder der Pahlen⸗ 


General Talyſin ſchen Organiſation 
Admiral Ribas | 


Der Stabskapitän 
Offiziere, Leibgardiſten, Lakaien 


St. Petersburg um 1800. 


Betonung und Ausſprache der Eigennamen 


Zaréwitſch 

Anna Petröwna Anjäta, Annuſchka 
Nikita Petröwitſch Pänin 

Lopuch in⸗Gagarin 

Sergej Nikolajewitſch Murawiéw, ſprich Murawiöw 
Jeletzkiſches Infanterieregiment, Mogilow 
Preobraſhönſkijꝙ-Kaſerne 

Petiuſchka 

Tal y ſin 

Valerian und Plat6n Sübow 

Narſſchkin 

Romãanow 

Sſemionowſki 

Stepan Warulénfo 

Swan 


Erſter Akt 


Erſte Szene 
Pahlens Arbeitszimmer. 


Pahlen, allein, ſitzt am Schreibtiſch und lieſt einen Bericht. 

Pahlen Was weiß England! — Er ſteht langſam 
auf, den Bericht in der Hand, tritt an den Kamin und wirft die 
Fetzen ins Feuer. Zur Tür hin, die ſich öffnet Was gibt's? 
Iſt er ſchon da? 

Lakai Nein, Exzellenz; aber Baronin Oſtermann 
wünſchen durchaus, Euer Gnaden zu ſehen, und laſſen 
ſich nicht abweiſen. 

Pahlen verärgert Ich bin beſchäftigt; ſag es ihr, 
Iwan; es tut mir ſehr leid ... 


Anna Petrowna Oſtermann drängt den Lakai in der Tür beiſeite 
und tritt ein. 


Zweite Szene 
Pahlen. Anna. 


Anna Seit wann gilt für mich Anmeldung und Ab— 
weiſung und die Inſtanz des Lakaien, Pahlen? Sie 
pflegen doch um dieſe Stunde keine Frau bei ſich zu haben. 
Alſo brauchte ich nicht zu fürchten, ungelegen zu kommen. 

Pahlen küßt ihr kalt die Hand Sie kommen unge- 
legen, Madame. Wir kennen uns lange genug, um uns der⸗ 
gleichen Wahrheiten ſagen zu können. Ich erwarte Beſuch. 


7 


Anna Der Lakai ſagte es zum mindeſten höflicher. 
Außerdem iſt es ungeſchickt von dir. Du weißt, daß ich 
nicht eiferſüchtig bin, ſondern nur neugierig. Unklarheiten 
reizen mich. — Was ſiehſt du mich ſo böſe an, Pahlen? 

Pahlen leiſe Hör zu, Anna! Es tut nicht gut, 
neugierig zu ſein, wenn ich verſchloſſen ſein will. Du 
kennſt mich. 

Anna kommt näher Ach, Pahlen, ich habe dich lieb, 
wenn du deine wilden Augen machſt. — Jetzt weiß ich 
auch, warum ich gerade heute abend gekommen bin. Ich 
hatte ſo etwas wie Sehnſucht nach dir. Manchmal habe 
ich meine weichen Stunden. Und du haſt dich ſchon lange 
Zeit bei mir nicht ſehen laſſen. 

Pahlen ungeduldig So fängſt du mich doch nicht, 
Anna. Und wie würde ich dich enttäuſchen, wenn ich dir 
ſagte, daß mich zur Stunde kein Bett intereſſiert, ſondern 
daß ich einen Miniſter in einer dienſtlichen Angelegenheit 
von ziemlicher Wichtigkeit erwarte. — Aber vielleicht 
will ich dich nicht enttäuſchen, ſondern nur einen üblichen 
Vorwand finden. 

Anna ſieht ihn an Ich kenne deine Art, glaube ich, 
auch deine Technik. Wir waren uns nahe genug, als du 
dich und mich auf unſere Höhe haſardierteſt. Ich ſehe beſſer 
als alle anderen, wenn du Fehler machſt. — Du haſt 
eben einen Fehler gemacht, Pahlen. 

Pahlen Weißt du das fo gewiß, ma chére? 

Anna Du hätteſt das dienſtliche Geſpräch nicht ge— 
heimnisvoll machen dürfen, wenn es voller Geheimnis 
iſt. Ich tue dir nicht den Gefallen, an das Bett zu glauben, 
mein Freund. — Man munkelt viel. Das Reich ſieht 
dich doch anders als die Schranzen, wenn es auch vor 
dir das Kreuz ſchlägt. Und der böſe Narr... 

Pahlen ſcharf Sind Sie bei Sinnen, Madame? 


8 


— Wiſſen Sie, was Sie ſprechen? Wiſſen Sie nicht, in 
welchem Land Sie ſind? — In Rußland, Madame, wiegt 
ein unbedachtes Wort ſchwerer als ein unbedachter Kopf. 
— Bleiben Sie bei Ihren kleinen Intrigen und großen 
Amouren, ich rate Ihnen gut. 

Anna erſchrocken und leiſe Ich wollte dieſe Nacht hier 
bleiben, Peter; ich hatte mich freigemacht. Und wenn ich 
enttäuſcht bin, werde ich gerne boshaft und unbedacht. 
Aber du wirſt mich bei dieſem Schneewetter und zu 
ſolcher Stunde nicht fortgehen heißen. Meinen Schlitten 
ſchickte ich nach Hauſe. — Habe ich nicht meine Zimmer 
in deinem Haus? Ich werde hinaufgehen und dich nicht 
ſtören. 

Pahlen lacht Es tut mir leid, Anna, daß ich dir 
heute keine Gaſtfreundſchaft gewähren kann. Vielleicht 
ſind deine Unbedachtſamkeiten ſchuld daran. Ich werde 
dich nach Haus fahren laſſen . . . Der Lakai kommt wieder 
und macht ihm ein Zeichen. Das heißt, Madame, bleiben Sie 
ruhig hier und haben Sie die Güte, ſich auf Ihre Zimmer 
zurückzuziehen. An ihrem Ohr Ich habe nun einmal Luſt, 
geheimnisvoll zu ſein und Begegnungen zu vermeiden, 
Anna. Denke bitte über meine ſcheinbare Nervoſität 
nicht nach; es möchte die Mühe nicht verlohnen. — Und 
jetzt entſchuldigen Sie mich, Madame. 

Anna unſicher Sehe ich Sie heute noch, Pahlen? 

Pahlen Es kann wohl ſein. f 


Anna geht durch eine andere Tür ab. 


Lakai Ich darf jetzt Seine Exzellenz den Herrn Vize- 
kanzler zu Euer Gnaden führen? 

Pahlen Ja, Iwan, und du ſorgſt dafür, daß Madame 
den Grafen Panin nicht zu ſehen bekommt — daß ſie 
überhaupt nicht ihre Zimmer oben verläßt. Du darfſt 


9 


fie ſogar einſchließen, wenn fie neugierig ſcheint. Du 
läßt fein Wort über den Beſuch aus dir herausbringen. 
Ich kann mich auf dich verlaſſen, Kerl? 

Lakai Gewiß, Exzellenz. 


Lakai ab. Pahlen aufrecht hinter dem Schreibtiſch, das kalte Geſicht 

der Tür zugewandt. Panin kommt, ein kultivierter Ariſtokrat in 

den Dreißigern, ſtockt auf der Schwelle, als blende ihn der Raum 
oder Pahlens Blick, geht dann auf ihn zu, reicht die Hand. 


Dritte Szene 
Pahlen. Panin. 


Panin Guten Abend, Exzellenz. Da bin ich. Bemüht, 
ſeine Unruhe zu verbergen Gott ſei Dank, es iſt warm 
bei Ihnen. Der Winter ſetzt früh und ſtreng ein. 

Pahlen Guten Abend, Nikita Petrowitſch. Nehmen 
Sie den wärmſten Platz, den Sie finden können — doch 
nicht zu weit von mir, wir beide müſſen heute abend in 
guter Nähe bleiben. Panin ſetzt ſich mit angeſpanntem Geſicht 
Pahlen gegenüber, an die andere Seite des Schreibtiſches. Ich 
danke Ihnen, daß Sie gekommen ſind, Graf Panin, 
und daß Sie auch in Ihrer Kleidung meiner Bitte folg- 
ten und ſchlichtes Zivil tragen. Ich wollte nicht, daß die 
Spione, die gewiß auch am Haus des Gouverneurs 
lauern, Sie erkennen und die abendliche Zuſammenkunft 
ins Schloß melden. Sie begreifen mich, Graf. 

Panin nervös Verzeihen Sie, Exzellenz, ich begreife 
Sie wohl nicht ganz. Warum ſollen Sie, der Regie— 
rungschef, nicht einen ſeiner Miniſter vor aller Augen 
bei ſich empfangen dürfen. Ich möchte faſt meinen, daß die 
Verdunklung, die Sie wünſchten, in dieſer mißtrauiſchen 
Zeit gefährlicher iſt. 

Pahlen lächelnd Das ſcheint mir doch davon ab— 


10 


zuhängen, was ich mit Ihnen zu beſprechen habe, Panin. 
Und daß es ſich nicht um Angelegenheiten Ihres Reſſorts 
handelt, werden Sie ſich nach alledem denken können. 
Ahnen Sie nicht, um was es geht, Panin? 

Panin bedrückt Nein. 

Pahlen ernſt Ahnen Sie es nicht, Nikita Petro— 
witſch? Ahnt es auch nicht die Unruhe auf Ihrem Geſicht? 
Es muß vielleicht ſein, mein Freund, daß wir zwiſchen 
uns nichts anderes beſtehen laſſen als die Ehrlichkeit des 
innerſten Gedankens. — Ich will Sie nicht drängen und 
jetzt nicht noch einmal fragen — wenn wir auch dann 
ſchon in dieſem frühen Augenblick das gleiche Wort 
ſprächen. 

Panin leiſe Sie meinen die ſchlimme Situation des 
Reiches, Exzellenz. 

Pahlen Wahrhaftig, es geht um das Reich! Denn 
glauben Sie, Nikita Petrowitſch, daß das Verhängnis, 
welches wir wie eine Lawine wachſen ſehen, vor dem 
Beſtand des Reiches haltmachen wird? Wenn ein ver— 
düſterter Menſch, ein raſender Menſch ... 

Panin hebt bedrängt den Kopf Sprechen Sie von der 
Majeſtät, Herr Graf? 

Pahlen ſchnell und leiſe Was ſoll wohl dieſe Frage, 
Panin? Glauben Sie, fie könnte mir die Sprache ver= 
ſchlagen oder gar das Schickſal, das ich mit mir führe? — 
Und dieſes Zimmer hat keine Ohren, und hätte es 
welche, ſo möchte ich Manns genug ſein, ſie zu verſtopfen. 
Er bückt ſich über die Tiſchplatte und ſieht dem Kanzler ins Ge⸗ 
ſicht Wahrhaftig, Panin, ich ſpreche vom Zaren. Ich 
ſpreche von Katharinas kleinem wilden Sohn. Erregt 
und allmählich immer lauter Er brachte zuerſt das revo- 
lutionäre Frankreich gegen uns auf — und jetzt tapeziert 
er närriſch ſeine Wände mit den Bildern des Bonaparte. 


il 


— 


Er ſchloß mit allen europäiſchen Staaten Bündniſſe — 
und hat fie jetzt alle zu Feinden: England, Oſterreich, 
Preußen, Spanien. Er hat die ganze Welt auf Rußland 
gehetzt, er hat ganz Rußland zuerſt zu einem lächerlichen 
Potsdam degradiert und dann mit ſeiner jähzornigen 
Tyrannei in nackte Angſt um das Leben gejagt — und 
dann in die heimlichſte Wut, in die gefährlichſte Wut, 
die wir in jedem Atemzug ſpüren — leugnen Sie es, 
Panin? — die uns gemach den Atem nimmt! — Doch 
das alles war noch vorgeſtern und geſtern: heute aber iſt 
er ein Geiſteskranker, der mit den Menſchen hantiert wie 
das Kind mit Bleiſoldaten — der ſie aufſtellt, umwirft, 
wegwirft, verbiegt, zerbricht! — Panin, morgen iſt Ruß⸗ 
land ſein zertrümmerter Spielkaſten! 

Panin ſteht in großer Erregung auf, tritt ein paar 
Schritte rückwärts in das Zimmer, ſpricht unfrei zuerſt, dann klarer 
Warum ſagen Sie alles dies, Exzellenz? Zu welchem 
Zweck haben Sie mich kommen laſſen? — Warum er— 
zählen Sie mir dieſe ſchlimmen Dinge, die ich ſo gut 
weiß wie Sie und die wir ſchon oft und geſtern noch 
beſprachen — ſachlich aber und als unſeres Herrn Diener? 
Warum ſprechen Sie in ſolchen gefährlichen Gleichniſſen, 
Herr Graf? Ich bin zwanzig Jahre jünger als Sie, ich 
weiß, wer Sie find, ich verehre Sie, ich liebe Sie viel- 
leicht: aber warum wagen Sie es, zu mir ſolche Worte 
zu ſprechen, ſolche maßlos kühnen Worte? — Glauben 
Sie denn, ich verſtünde nicht den ſchrecklichen Sinn und 
Ihren ſchrecklichen Willen! 

Pahlen ohne ſofort zu antworten, erhebt ſich mit gleichſam 
verſonnenem Geſicht, geht langſam auf den Kanzler zu, hält ihn 
mit den Augen feſt, ſpricht ruhig Gewiß glaube ich, daß 
Sie mich verſtehen, Panin. Ich glaubte es wohl ſchon 
früher, als Sie Ihren eigenen Ohren trauten. Ich hätte 


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nicht einmal mehr lange Zeit eine Unklarheit zugelaſſen. 
— Aber das eine dürfen Sie nicht annehmen, Nikita 
Petrowitſch, das eine nicht, das perſönliche Motiv nicht: 
daß ich die Ungnade fürchte und deshalb das Staats— 
ſchickſal zu meinen Gunſten umbiege. Wenn in mir ein 
Wille ſtark geworden iſt, ſo wurde er ſtark, weil ich Augen 
habe zu ſehen und für die Verantwortung genügend 
breite Schultern — nicht weil ich fürchte, abgeſetzt zu 
werden. Ob ich ehrgeizig bin oder nicht, Panin, ob ich 
böſe bin oder gut, ob unbedenklich oder überlegt, darf 
jetzt weder ich entſcheiden, noch dürfen Sie es. Aber ges 
ſchieht mir morgen das Schickſal, das ich täglich in Pauls 
Namen Hunderten bereite, dann iſt das Reich verloren, 
weil mir die Macht genommen iſt und weil id... 
Schlägt ſich mit den Fäuſten an die Bruſt, ruft .. . weil ich 
im großen Rußland der einzige Mann bin, der die von 
Gott und allen Nöten des Augenblicks befohlene Um— 
wälzung leiten könnte! 


Pauſe. Die beiden bleiben einander gegenüber, ſehen ſich an. 


Panin leiſe, wie für ſich Ich wußte es — und ſelt⸗ 
ſam, ich kam doch hierher — ich bleibe doch hier — ich 
gehöre Ihnen doch! — Sie ſind der Uſurpator. 

Pahlen lächelnd Nein, mein Freund, mir ſcheint, ich 
bin der Patriot. 

Panin gequält Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht. — 
Ich ſehe nicht in Sie hinein. Die Geheimniſſe liegen bei 
Ihnen ſehr tief. 

Pahlen Panin, ich brauche Sie, weil Ihre Perſon 
für Rußland der Inbegriff der Lauterkeit iſt. Dort, wo 
Sie ſind, iſt für das Reich die Moral; und das iſt ſehr 
wichtig, Sie begreifen es. — Im übrigen iſt das Ziel 
der Umwälzung legitim. Es handelt fic) um die Ab⸗ 


13 


kürzung der unheilvollen Regierungszeit Pauls und um 
die Inthroniſierung des Zarewitſch. Jetzt wiſſen Sie, 
ſein beſter Freund, bereits Ihre Aufgabe. Sie müſſen 
mir helfen, ihn auf unſere Seite zu ziehen. Sie lieben 
den ſchönen und gütigen Menſchen, wie ich ihn liebe. 
Sie wiſſen wie ich, daß er die neue Sonne über Rußland 
ſein wird. Er aber liebt Sie mehr als mich. Es gilt, ihn 
einzuweihen, auf die rückſichtsvollſte und vorſichtigſte 
Art. Wir dürfen ohne ſein Wiſſen und gegen ſeinen 
Willen nicht handeln. 

Panin nach kurzer Überlegung Der Zar wird nicht ohne 
äußerſten Widerſtand verzichten. Glauben Sie, für ſein 
Leben garantieren zu können? 

Pahlen langſam Ich will kein Blut. — Aber die 
Garantie für das Leben eines Menſchen ſteht keinem 
anderen Menſchen zu. Verſtehen Sie mich gut, Panin! — 
Das Ausland übrigens ſieht ſchon Blut, und ich erſchrecke 
ſelber. Ich zerriß eben einen chiffrierten Bericht unſeres 
Londoner Geheimdienſtes, der mir das Tagesgeſpräch 
der Klubs und der Börſe meldete. Panin, man ſpricht 
dort von dem bevorſtehenden Umſturz in Rußland und 
der — Ermordung Pauls. Pauſe. Dann ſehr langſam Und 
doch wiſſen in ganz Rußland erſt zwei Menſchen das, 
was kommen kann: Sie und ich. 

Panin ſehr unruhig Mein Gott, Sie verwirren mich, 
Graf! Sie haben eine Art, mich aus mir ſelber zu reißen, 
die grauenhaft iſt! Wenn Sie ſo Ihre Antworten formu— 
lieren und mein Gewiſſen, ſtatt es zu ſtützen oder zu ent⸗ 
laſten, unverſehens ſchon mit der letzten Schuld — mit 
der Blutſchuld kopulieren, kann ich nicht glauben, daß 
Sie in mir etwas anderes ſehen als das nächſtliegende 
Werkzeug. — Sie ſind der Überzeugung, daß Sie mich 
zur Teilnahme an dem Komplott zwingen können? 


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Pahlen O nein, Panin, ich werde weder Ihr Ge— 
wiſſen mit einem Menſchenleben belaſten noch Ihre Per⸗ 
ſönlichkeit degradieren. Ich bin auch nicht der Mann, 
der Teilhaber für die Verantwortung ſucht. Ich wollte 
Sie nicht verwirren noch gar die Tragfähigkeit Ihres 
Gewiſſens prüfen. Aber ich begreife auch die Art Ihrer 
Hemmung, und vielleicht, mein Freund, ift fie gar nicht 
ſo ſehr verſchieden von meinen eigenen Gefühlen. Wenn 
ich Ihnen alſo verſpreche, daß wir, die wir noch ganz am 
Anfang ſtehen und ſehr geduldig Schritt für Schritt zu 
gehen haben, die Abſetzung des Zaren als Ziel nehmen, 
nicht ſeinen Tod: werden Sie dann Ihre Aufgabe ver— 
ſuchen? 

Panin leiſe Ich arbeite mit Ihnen, Graf Pahlen. 

Pahlen Warum iſt Ihre Stimme ſo traurig, Panin? 

Panin wendet ſich ab, tritt ans Fenſter, ſpricht leiſe, ohne 
ſich umzudrehen Ich ſehe doch Blut. Aber es tut mir weh, 
daß ich traurig bin. Sie dürfen auf mich zählen. 

Pahlen ſieht einen Augenblick ernſt zu ihm hin und ſetzt ſich 
dann wieder, nüchtern ſprechend Wir müſſen jetzt von den 
Gefühlen loskommen, Nikita Petrowitſch. Panin wendet 
ſich wieder ihm zu. Die Organiſation des Unternehmens, 
die in gewiſſem Sinn ſchon vorbereitet iſt, übernehme 
ich. Über die Entwicklung verſtändige ich Sie von 
Fall zu Fall. Heute kann ich Ihnen ſchon ſagen — und 
es wird Sie nicht überraſchen — daß mein Einfluß 
auf die Armee ſehr groß iſt und daß ich zum mindeſten 
die Petersburger Garniſon feſt in der Hand habe. Von 
der Ergebenheit beſtimmter Offiziere, die vom Zaren 
gequält oder beleidigt ſind, habe ich mich in einer 
Weiſe überzeugt, daß ich mir jetzt ſchon zwei militäriſche 
Gehilfen wählen kann. Durch die Reaktivierungsorder, 
die ich in dieſen Tagen vom Kaiſer unterzeichnen laſſe, 


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werde ich die volkstümlichen Namen aus der großen Zeit 
gewinnen, Katharinas gekränkte und verbannte Paladine. 
Der Ring um den Zaren kann in vier Wochen geſchloſſen 
ſein. 

Panin Es iſt furchtbar, Pahlen, es iſt furchtbar! 

Pahlen kalt Es iſt notwendig, Panin! — Doch nun 
zu Ihnen. Ihr Verhalten in der Offentlichkeit und der 
Majeſtät gegenüber darf ſich in nichts von der gewohnten 
Art unterſcheiden. Paul hat die überſcharfen Augen des 
Verfolgungswahnſinnigen. — Ihre Aufgabe beſchränkt ſich 
durchaus auf die Bearbeitung Alexanders. Und auch 
dabei werde ich Ihnen helfen. Ich werde ihn wie von 
ungefähr einen tieferen Einblick in die politiſche Lage 
gewinnen laſſen. Ich werde dieſe zarte Seele ſo zart 
ſondieren, daß ſie es gar nicht merkt. Ich werde nichts 
anderes tun, als daß ich ihm jede außenpolitiſche Narr⸗ 
heit, jeden innerpolitiſchen Wahnſinn, jede private 
Raſerei des Kaiſers ſachlich und ohne einen Laut des Un— 
mutes melde. Alexander wird vor Scham und Zorn 
weinen. Er wird ſelbſt zu Ihnen kommen. Ihr Spiel mit 
ihm wird nicht ſchwer ſein. 

Panin Graf, Sie jonglieren furchtbar mit der Zu— 
kunft! Aber wenn das Spiel mit Alexander nicht ſo leicht 
iſt, wie Sie annehmen, wenn er ſich weigert, den 
Staatsſtreich zu ſanktionieren? 

Pahlen Vielleicht, Panin, jongliert die Zukunft mit 
mir! Denn ich geſtehe Ihnen, ich vermag mit keinem Ge— 
danken Alexanders Widerſtand zu fürchten. — Glauben 
Sie denn, daß dieſer junge Menſch — opponierte er 
wirklich — mit den Argumenten des Schickſals fertig 
wird? 

Panin Damit meinen Sie ſich, Graf Pahlen? 

Pahlen Mein Gott, Nikita Petrowitſch, ja, ich meine 


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mich — und dann ſchon die rollende Lawine! Wer nicht 
hinter mich tritt, mag gefährdet ſein. 

Panin Jetzt haben Sie zum erſtenmal die klare Alter⸗ 
native geſtellt, Herr Graf. Ich fühlte ſie ſchon von An— 
fang an. Ich habe klein beigegeben, nicht einmal aus per⸗ 
ſönlicher Angſt vor der Lawine, ſondern aus dem faft 
zwangvollen Reſpekt, den Menſchen meiner Art vor den 
Elementen des Willens haben. Aber Sie dürfen mit mir 
rechnen, wie es auch komme. 

Pahlen Ich danke Ihnen, Panin, ich hatte nicht 
daran gezweifelt. 

Panin flüchtig lächelnd Nein, Sie hatten nicht daran 
gezweifelt, Exzellenz. Ich wünſchte, ich gewänne etwas 
von Ihrer Sicherheit. Aber vielleicht iſt es bei mir 
nur die erſte Erſchütterung. — Ich werde jetzt gehen, 
Graf Pahlen. — Er ſteht auf. Ich fürchte, dieſe Nacht 
und die folgenden Nächte möchten lang werden. Sie 
haben keinen fröhlichen Komplizen gewonnen, das ſcheint 
mir gewiß. 

Pahlen iſt ebenfalls aufgeſtanden und reicht ihm die Hand 
Sehe ich ſehr heiter aus, Nikita Petrowitſch? 

Panin ſieht ihm in die Augen Bei Gott nicht, Graf. 
Aber ich bedauere Sie nicht. Sie werden auch mit ſich 
fertig. — Leben Sie wohl! 

Pahlen ſehr ernſt Panin, vielleicht bedauere ich Sie; 
aber ich darf es nicht merken laſſen. Die Perſon hat 
nichts mehr mit unſerem Werk zu tun. Trainieren Sie ſich 
die notwendige Härte an, damit wir beieinander bleiben 
können. Wären Sie eigennütziger, ſo wüßten Sie, daß es 
für Sie keine andere Möglichkeit gibt. — Gute Nacht, 
mein Freund. Panin ab. 


Neumann, Patriot 2 IE 


Vierte Szene 
Pahlen. Dann Lakai. Später Anna. 
Pahlen allein. Die Ruhe fällt von ihm ab wie eine Maske. 


Pahlen Es iſt ſchwer, ſehr ſchwer! — Mit Männern 
wie Panin gelange ich nicht weit, das fühle ich; und doch! 
Es ekelt mich vor den profeſſionellen Teufeln! 


Er ſetzt ſich, (chon wieder beherrſcht, an den Schreibtiſch und läutet. 
Der Lakai kommt. 


Lakai Exzellenz? 

Pahlen Sofort eine Ordonnanz zu Generalleutnant 
Talyſin: ich erwarte ihn nicht um elf Uhr hier, ſondern 
ich komme um dieſe Zeit zu ihm. Ich bitte ihn, den Ad— 
miral Ribas davon zu benachrichtigen — oder nein, die 
Ordonnanz ſoll dann ſelber zum Admiral gehen und ihn 
für elf Uhr zu Talyſin bitten. — Für mich dann einen 
Schlitten bereit halten. 

Lakai Sehr wohl, Exzellenz. 

Pahlen Was macht Madame? — War ſie neugierig? 

Lakai Durchaus nicht, Euer Gnaden. Die gnädige 
Frau ließ ſich einen kalten Imbiß kommen und beſchäftigte 
ſich dann mit Leſen. Sie lieſt auch jetzt noch. 

Pahlen Iſt ſie bereits im Negligé? 

Lakai Nein, Euer Gnaden. 

Pahlen Dann bitte ſie zu mir. Lakai ab. Dieſe Frau 
iſt noch gefährlicher als meine Sentiments. Sie ſpielt mit 
ihnen und mit mir und mit jedem Feuer, das ſie findet. 
Sie kennt mich zu gut. Sie ſieht in mich hinein, weil ſie 
meine eigenen Augen hat. Sie wird mir mit dem größten 
Vergnügen einen Strich durch die Rechnung machen, aus 
Spielerei, aus Laune, aus Sinnlichkeit, aus Wildheit, 
aus allen dunklen Gründen, die ich an ihr liebe. — Man 
müßte ihr zur guten Zeit zeigen, daß man ſo böſe ſein kann 


18 


wie fie und daß man dazu noch über die größere Kraft 
verfügt — das heißt alſo ... Er lacht kurz auf ... daß 
ich fie, wenn es notwendig würde, kalten Blutes.. 
Ach, Annuſchka, was weiß ich heute abend alles Böſe, 
das ich noch werde tun müſſen! — Dieſer Panin ſitzt 
mir im Schädel ... 

Anna kommt. 

Anna Sie ſind allein, Pahlen? Warum kommen Sie 
dann nicht zu mir? 

Pahlen Mein Tageswerk iſt leider noch nicht beendet, 
Anna Petrowna, ich muß noch fort, und zwar ziemlich 
bald. Ich meine, es iſt das beſte, wenn ich Sie dann mit 
meinem Schlitten nach Hauſe bringe; — denn ich kann 
ſchwer die Stunde vorausſagen, wann ich wieder hier 
ſein werde. Und ich ſähe es aus beſtimmten Gründen 
nicht ſehr gern, blieben Sie allein hier. Pauſe. Anna, 
wollen wir jetzt noch, nach ſo langer Zeit anfangen, ein— 
ander Schwierigkeiten zu machen? Der Teufel oder dein 
intrigantes Genie hat dich heute abend zu mir gebracht. 
Hoffentlich haben wir beide es nicht zu bedauern. 

Anna Hoffentlich nicht, Pahlen; aber Sie irritieren 
mich auf eine unleidliche Art. — Ihr Tageswerk! — 
Glauben Sie wirklich, daß ich jetzt mit den zähneknirſchen⸗ 
den Witzen der eiferſüchtigen Frau aufwarte? — Ich 
glaube ſehr wohl an die beſondere Ehrlichkeit dieſes Wor— 
tes, mein Freund! f f 

Pahlen entſchloſſen Anna, wie ſtehen wir zueinander? 
Wo willſt du hinaus? — Wer zahlt dir einen ſolchen 
Preis für die Denunziation meiner Perſon, daß du 
unſere Verbindung aufs Spiel ſetzſt — vielleicht noch 
mehr? 

Anna Das iſt eine ſehr törichte Beleidigung, Pahlen. 
Ich vermiſſe heute abend deine Überlegenheit, die ich zu 


19 


bewundern gelernt habe. Vielleicht ärgere ich mich weniger 
über deinen Mangel an Höflichkeit und Vertrauen als 
über deinen Mangel an Mut — ja, Pahlen, an Mut! 

Pahlen lacht Hoho, Madame, dieſer Vorwurf möchte 
mich überraſchen! 

Anna Verſteh mich nicht falſch, Pjotr: ich meine da— 
mit nicht Feigheit. — Wie ſoll ich es ausdrücken — du 
haſt jetzt Augen, als wenn ich oder du von meinem toten 
Mann ſprechen würden. Du haſt jetzt dein Gewiſſen in den 
Augen. 

Pahlen ernſt und leiſe Sprich bitte weiter, Anna. 

Anna Wie wir zueinander ſtehen? — Das fragtſt du 
immer, wenn du Angſt vor mir haſt — oder richtiger ge- 
ſagt: vor dem Gewiſſen. — Wir hängen nicht nur mit den 
Körpern zuſammen, wie du dir und mir gerne einreden 
willſt. Du betrügſt mich ſeit zehn Jahren und ich — nun, 
du behaupteſt von mir das gleiche. Aber ich habe zuweilen 
deinen Körper nötig und du — du kannſt nicht vergeſſen, 
daß du vor zehn Jahren den Baron Oſtermann in den 
Heldentod kommandierteſt, als er uns unbequem wurde. 
Das iſt unſere Bindung, die ich natürlich weidlich aus— 
nützte. Deshalb avancierteſt du mich mit dir ſelber die 
unglaubliche Kurve deines Glückes hinauf. Deshalb war 
weder von dir noch von mir im Laufe dieſer zehn Jahre 
viel von Dankbarkeit und noch weniger von Liebe ge— 
ſprochen worden. Und du dankſt mir dieſes Schweigen 
mit deiner Art Anhänglichkeit, die mir vielleicht not- 
wendig iſt. Und ich danke es dir mit meiner Art Perfidie, 
die du gewiß nötig haſt. — Zum Beiſpiel wieder heute, 
wo dein Gewiſſen auszubrechen droht und wo das neue 
Werk deiner Tage es wenig brauchen zu können ſcheint. 

Pahlen ſieht ſie unverwandt anz dann nach einer Pauſe, 
langſam Sie find ſehr gefährlich, Madame; vielleicht weil 


20 


Sie in manchem recht haben — ſchon weil Sie ſolche dunkle 
Beziehung durchzudenken wagen. — Aber was würden 
Sie dazu fagen, wenn einmal meine Gewiſſenloſigkeit — 
mein durch Ihren Genius bis zur letzten Brutalität ver— 
härtetes Gewiſſen den Entſchluß faſſen müßte, ſich Ihrer 
zu entledigen? 

Anna weicht etwas zurück, lächelt dann Ich würde wenig 
ſagen, Pahlen, ich würde mich zur Wehr ſetzen — ich 
würde mich mit deinem ganzen Geiſt zur Wehr ſetzen 
— und mit meinen Inſtinkten dazu. Ich würde dich den 
Glücksberg hinunterſtürzen — und mich mit dir — und 
gern wieder mit dir zu klettern anfangen, wenn wir noch 
heile Glieder haben. Sie kommt ganz nahe. Pjotr, ich wehre 
mich vielleicht ſchon ... Sie küßt ihn. 

Pahlen macht ſich ſanft frei, lacht Du ſchlüpfſt von keiner 
Seite in mein Geheimnis, Anna! Nehmen wir den wahr— 
ſcheinlichſten Grund an: weil ich keines habe! — Laß 
die hohe Politik, Annuſchka, und bleibe bei der horizon— 
talen. Der Lakai kommt Alles erledigt, Iwan? 

Lakai Ja, Euer Gnaden; der Schlitten ſteht bereit. 

Pahlen Gut. Die Pelze! Zu Anna Gehen wir, Ma— 

dame. : 
Anna auf dem Weg zur Tür Sagen Sie mir doch, lieber 
Freund, warum kam vorhin der ſanfte Panin in ſo un— 
dienſtlichem Schwarz zu Ihnen? Hat er Trauer? Pahlen 
bleibt mit zuſammengekniffenen Lippen ſtehen. Sie müſſen 
nämlich wiſſen, daß ich ihn — aus Zufall oder nicht — 
von der oberen Galerie aus habe ins Vorzimmer treten 
ſehen. 

Pahlen durch die Zähne Ich glaube, er hat Trauer, 
Madame. Sie gehen. 


Vorhang 


217 


Zweiter Akt 


Erſte Szene 
Vorſaal zum kaiſerlichen Arbeitskabinett im Michaels-Palais — 
Vormittags. 


Flügeladjutant Murawiew. Der Kammerherr. Abſeits der 
Stabskapitän. Rechts und links von dem zum Treppenhaus 
führenden Portal Stepan und ein zweiter Leibgardiſt. 


Murawiew zum Kammerherrn Er raſt heute, verprügelt 
die Lakaien, will ſchon wieder ſechzigtauſend Mann gegen 
Berlin ſchicken. 

Kammerherr mit nervöſem Grinſen Lieber Sergej Niko— 
lajewitſch, amüſieren wir uns doch damit, uns zu be— 
trachten, wie wir nach ſeiner Pfeife zu tanzen vermögen. 
Schließen wir kleine Wetten ab, ob wir nicht doch noch 
zu fallen Gelegenheit haben werden. — Nehmen wir 
dieſes Leben ... mit einer bezeichnenden Kopfbewegung ... die⸗ 
ſes Leben nicht tragiſch; — denn es dauert doch kaum 
mehr lange Zeit. — Sie verſtehen mich wohl, Murawiew. 

Murawiew zwiſchen den Zähnen Ich wollte aus die— 
ſem Tollhaus heraus, und wenn ich im öſtlichſten Linien— 
regiment verſauern müßte! Aber jetzt gilt es wahrhaftig, 
auszuhalten — es dauert nicht mehr lange... 

Kammerherr flüſternd Nein, es dauert nicht mehr 
lange .. . Dieſer Pahlen iſt der genialſte Teufel, der im 
heiligen Rußland jemals das Schickſal korrigierte. Er ar— 
beitet mit unfaßlicher Sicherheit — wie eine Spinne. Er 


22 


fängt jeden Augenblick neue Seelen ein, umwickelt den 
Zaren immer feſter — und der Narr merkt es nicht, weil 
er immer noch ſtrampeln darf. Aber man muß Nerven 
haben, um zuſehen zu können — um aushalten zu können, 
den Fußtritten immer wieder auszuweichen — um nicht 
fortzulaufen! 

Murawiew Und jetzt ſitzt dieſer Pahlen kalt und rieſig 
und mit ſeinem Steingeſicht da drin neben dem Tob— 
ſüchtigen, nimmt ſeelenruhig und ohne Erwiderung eine 
närriſch ultimative Depeſche für den Berliner Geſandten 
entgegen und macht mit kaum ſichtbaren chiffrierten An— 
merkungen die Anordnungen des Kaiſers unwirkſam — in 
ſeiner Gegenwart! 

Kammerherr Und dabei wiſſen wir eigentlich nichts 
— nicht das Wie und das Wann... 

Murawiew Wir wiſſen ſehr wenig, aber es dauert 
nicht mehr lange... 

Man hört die kreiſchende Stimme des Zaren hinter der geſchloſſenen 
Flügeltür. 

Kammerherr Die ſchöne Lopuchin ſcheint heute nacht 
nicht tüchtig... 

Die Tür wird aufgeriſſen. Alle Perſonen des Raumes erſtarren zu 
Bildſäulen. 


Zweite Szene 
Die vorigen. Der Zar. Später Pahlen. 


Der Zar ſteht in der Tür. Die Augen mit den flackernden Lidern 
ſehen an den Perſonen des Vorſaales vorbei. Das Geſicht blaß, 
gedunſen, zu hohe Stirn, aufgeworfene Naſe, ſehr häßlicher ſinn⸗ 
licher, etwas ſchiefer Mund, ſehr ſanftes frauenhaftes Kinn. Nervöſe 
Zuckungen zumal der Brauen und der rechten Schulter, die höher 
ſcheint als die andere. Er geht jetzt, immer noch mit abweſendem 
Geſicht, in den Saal, den Blick am Boden ſchleifend, kommt am 


23 


Stabskapitän vorbei, dreht ſich plötzlich um und ſtößt jenem mit 
ſeinem derben Reitſtiefel die Fußſpitzen auseinander. 


Zar kreiſchend Vorgeſchriebener Winkel das? Was?! 
— Weiß Er es noch nicht und will Gardeoffizier ſein?! — 
Er ſoll es lernen. 

Stabskapitän Sire ... 

Zar ſchreit Er redet ungefragt?! — Murawiew! 

Murawiew ſpringt drei Schritte hinter ihn Majeſtät? 

Zar Hauptmann ſtrafverſetzt zum Jeletzkijſchen In— 
fanterieregiment nach Mogilew! 

Murawiew notiert den Befehl Sehr wohl, Majeſtät. 


In der noch halbgeöffneten Tür erſcheint jetzt Pahlen, überfliegt 
die Szene, kalt, teilnahmslos, hebt nur ein wenig die Brauen. Den 
Zaren ſcheint ein beſtimmtes Intereſſe gefaßt zu haben. Er geht 
zu einem der beiden Gardiſten am Treppenhausportal, bückt ſich 
und zählt halblaut und mit ſachlichem Geſicht die Gamaſchenknöpfe 
des unbeweglichen Mannes. Er richtet ſich wieder auf, prüft Uniform, 
Zopf, Helm — geht zum anderen, Stepan, bückt ſich, zählt wieder, 
fährt in die Höhe und ſchlägt ihn mit der Fauſt gegen das Kinn. — 
Pahlen kommt langſam auf die Gruppe zu. 


Zar ſchreit Murawiew! Den Kerl zum Stockmeiſter! 
Murawiew ruft ins Treppenhaus Gefreiter! 


Ein Wachgefreiter kommt und will auf ein geflüſtertes Wort Mu⸗ 
rawiews hin den Poſten abführen. 


Pahlen ſteht jetzt neben Stepan, hat ſcharf auf deſſen Beine 
geſehen, leiſe zum Zaren Sire, der Mann hat ja die 
vorgeſchriebenen fünfundzwanzig Knöpfe. 

Zar zu dem Wachgefreiten, der Stepan abzuführen im Begriff 
iſt Halt! — Hierher! — Heb fein Bein hoch! Der Gefreite 
hebt Stepans Bein hoch. Der Kaiſer zählt von neuem, langſam und 
jeden einzelnen Knopf mit dem Zeigefinger berührend. Dann ſieht 
er auf und ſchaut Pahlen mit ſchwerem Blick an, ein halbes, 
gefährliches, grauſames Lächeln zeigend. Zum Gefreiten Hände 


24 


weg! — Stepan, mit angſtnaſſem Geſicht, ſchwankt auf dem 
einen Bein. — Bein hoch, Kerl! — Nicht wackeln! Er ſteht 
breitbeinig vor Stepan, deſſen Geſicht allmählich den Ausdruck 
einer ſtumpfen Wut zeigt, und ſchlägt mit der Reitpeitſche immer 
wieder das abſinkende Bein in die Höhe. Bein hoch! Bein hoch! 
Er ſieht Pahlen an, der den Poſten beobachtet Bein hoch, Kerl! 
Das Vein fink immer tiefer. Die Gertenhiebe praſſeln. Jetzt ftellt 
Stepan mit einem dunklen Laut den Fuß auf den Boden. Bein 
hoch, Kerl! Stepan rührt ſich nicht; Zar zu Pahlen Ich 
konſtatiere Ungehorſam, Gouverneur, Ungehorſam gegen 
den Befehl des Zaren! — Biſt du anderer Anſicht, Gou— 
verneur? 

Pahlen kalt Nein, Majeſtät. 

Zar Murawiew! Poſten in Eiſen ſchließen! Drei Tage 
ſchweren Arreſt! Sechzig Knutenhiebe, einzuteilen nach 
Ermeſſen des Stockmeiſters! Zu Pahlen Biſt du anderer 
Meinung, Gouverneur? 

Pahlen Nein, Majeſtät. 

Zar Das freut mich — das freut mich! — Ich bin in 
Stimmung. — Jetzt ſollen die Kerls unten ſchwitzen! — 
Steht die Wachkompagnie im Schloßhof? 

Murawiew Zu Befehl, Majeftat. 

Zar zum Treppenhaus ſchreitend, ſehr laut Ich gebe per- 
ſönlich die Kommandos! — Die Herren Offiziere haben 
mitzuexerzieren! — Meinen Korporalſtock! Zar ab. 


Dritte Szene 
Die Vorigen, ohne Zar. 
Pahlen leiſe zu Murawiew Schicken Sie den Gefreiten 
fort. Murawiew ſpricht ein paar Worte zum Gefreiten, der mit 


militäriſcher Wendung geht. Pahlen freundlich zu Stepan Geh 
auf deinen Platz, mein Sohn. 


25 


Stepan tritt ans Portal zurück. Man hört vom Schloßhof her die 
Stimme des Zaren Kommandos kreiſchen, dann fein hetzendes 
„Eins — zwei! Eins — zwei!“ und des Korporalſtocks ſcharfes 
Taktſtoßen auf das Pflaſter. Pahlen ſchließt mit angewidertem 
Geſicht das Fenſter. Murawiew ſpricht leiſe mit dem Kammerherrn. 


Pahlen zum Stabskapitän Kapitän, auf ein Wort. 

Stabskapitän eilt zu ihm in die Fenſterniſche Exzellenz 
befehlen? 

Pahlen ſieht ihn einen Augenblick ſtumm an, dann leiſe 
Haben Sie die Maßregelung verdient, Kapitän? 

Stabskapitän nach dem Moment der Verblüffung Nein, 
Exzellenz, ſo wahr mir Gott helfe — und auch, wenn Sie 
ein Ja erwarteten — mit Verlaub ... 

Pahlen Ich habe das Nein erwartet, Kapitän. Ich 
ſelber ſage nein. Pauſe. Er ergreift ſeine Hand. Verſtehen wir 
uns, Kapitän? Kann ich mich auf Sie verlaſſen, wie Sie 
ſich auf mich verlaſſen können? 

Stabskapitän So wahr mir Gott helfe! 

Pahlen Gut, mein Freund, ich ſuspendiere die Straf— 
verſetzung. Gehen Sie in die Preobraſhenſkij-Kaſerne und 
melden Sie ſich beim Gardekommandeur zur beſonderen 
Verwendung. — Wir aber werden uns wohl bald wieder 
ſehen, Kapitän. — Leben Sie wohl. 

Stabskapitän Ich kann dankbar ſein, Exzellenz. 

Mit tiefer Verbeugung ab. 


Vierte Szene 
Die Vorigen, ohne Stabskapitän. 
Kammerherr leiſe zu Murawiew Wieder einen... 
Murawiew ebenſo Wieder einen ... Er hat es nicht 
mehr ſchwer — er geht hinter Paul her und lieſt die 
Trümmer auf und macht fie lebendig ... 


26 


Sie ſprechen leiſe miteinander weiter, Pahlen beobachtend. 

Pahlen hat eine Weile Stepan betrachtet Grenadier, 
komm einmal her. Stepan gehorcht. Wie heißt du? 

Stepan Stepan Warulenko, Exzellenz. 

Pahlen Höre, Stepan: Was dachteſt du dir, als ich 
unſerem großmächtigen Zaren nach wies, daß er ſich wegen 
deiner Gamaſchen geirrt hat? 

Stepan Ich dachte, daß es von Eurer Exzellenz ſehr 
gütig ſei, aber daß es mir — daß es mir wenig helfen 
wird. 

Pahlen So gut kennſt du unſeren großmächtigen 
Zaren, Stepan? 

Stepan ſchweigt. 

Pahlen Und was dachteſt du dir, als ich deinen Un— 
gehorſam zugab? 

Stepan bedrängt Exzellenz konnten wohl kaum 
anders ... 

Pahlen Ich frage doch, was du gedacht hatteſt, 
Stepan! Sprich nur frei heraus. Ich bin nicht der Zar. 

Stepan hebt entſchloſſen den Kopf Ich dachte, daß es 
Euer Exzellenz nicht — nicht würdig fet, nicht die Wahrheit 
zu ſprechen ... ja, das dacht' ich. 

Pahlen Aber der Zar hat auch nicht die Wahrheit 
geſprochen, Stepan. 

Stepan unbeherrſcht Der Zar ... der Zar iſt ... 

Pahlen Was iſt der Zar, Stepan? — Du darfſt reden. 
Deine Augen vorhin haben es ſchon geſagt — deine Augen 
gefielen mir nicht ſchlecht, Stepan! — Jetzt wiederhole es 
nur! 

Stepan keuchend Der Zar iſt ... ausbrechend Herr, 
was quälen Sie mich! Man quält uns genug! Soll es mir 
den Kopf koſten! Verängſtigt Nichts für ungut, Euer 
Gnaden .. . Ich weiß ja nicht, was Sie von mir wollen. 


27 


— 


Pahlen lächelnd Ich will Ehrlichkeit, Stepan. Wenn 
du mir ehrlich ſagſt, was der Zar iſt, bewirke ich, daß du 
weder eingeſperrt noch geknutet wirſt. An ſeinem Ohr Ich 
ſuche ehrliche und mutige Männer, Stepan. 

Stepan öffnet weit die Augen, flüſtert Der Zar iſt der 
Teufel! 

Pahlen immer nahe dem Geſicht des anderen Und du haſt 
gelernt, den Teufel zu haffen, Stepan? 

Stepan Ja ja 

Pahlen Du ſollſt ihn haſſen — wie ich! Stepan, wie 
ich ihn haſſe! 

Stepan fromm und einfältig hingegeben Ich gehorche dir 
— gern gehorch ich dir, o mein Väterchen ... 

Pahlen Gut, Stepan, jetzt ſtell dich an deinen Platz 
zurück. Stepan gehorcht. Pahlen geht zu Murawiew und Kam— 
merherrn. Der Burſche hat eine verläßliche Wut in den 
Augen, Murawiew; er ſcheint mir verwendbar. Ich 
nehme ihn zu mir als Ordonnanz. Sie werden ihn un— 
ſchwer am Arreſtlokal vorbei in mein Haus ſchmuggeln 
können, Murawiew? 

Murawiew Das wird nicht ſchwer ſein, Exzellenz. 

Pahlen Schön; — und dann vergeſſen Sie nicht, 
mein Freund, mich über alle perſönlichen Befehle der 
Majeſtät — Beſtrafungen, Beförderungen und Regle— 
ments ſtets und ohne Verzug zu orientieren. Sie wiſſen, 
es iſt für unſere Sache wichtig. 

Murawiew Ich weiß es ſehr gut, Exzellenz. 

Pahlen zum Kammerherrn Baron, iſt die Anna Lopuchin 
jede Nacht bei dem Kaiſer? 

Kammerherr Ja, Exzellenz. 

Pahlen Man berichtet mir, daß Ihre Majeſtät durch 
die Frechheit und Deutlichkeit der Perſon auf das äußerſte 
aufgebracht ſei. 


28 


Kammerherr Um fo mehr, Exzellenz, als das Schlaf— 
zimmer Ihrer Majeſtät in peinlicher Nähe des kaiſerlichen 
liegt, wie Sie wiſſen. 

Pahlen Hat der Zar in letzter Zeit noch einmal davon 
geſprochen, die Verbindungstür zwiſchen ſeinen Gemii- 
chern und denen der Kaiſerin zumauern zu laſſen? 

Kammerherr Nicht daß ich wüßte, Exzellenz. 

Pahlen Erinnern Sie ihn bei guter Gelegenheit 
daran; es iſt vielleicht nicht unwichtig. Er ſieht die Bee 
troffenheit des Kammerherrn. Nun ja, Baron, man muß an 
alles denken. — Wenn Ihre Nerven vor tragiſchen 
Möglichkeiten zurückſchrecken, Baron, dürfen Sie ohne 
weiteres abtreten. Ich würde Ihnen nicht zürnen und 
Sie auch nicht mit dem leichteſten Reſſentiment be— 
laſten; denn ich könnte es verſtehen. Ich könnte es ſogar 
verſtehen, wenn Sie mich in der äußerſten Spannung 
Ihres Gewiſſens beim Zaren denunzierten. Ich würde es 
Ihnen nur deshalb nicht raten, weil es Sie in unmittel- 
bare Gefahr brächte — nicht durch mich, ſondern durch 
Paul ſelber. Ich perſönlich ſähe eine gelegentliche De— 
nunziation nicht einmal ungerne, weil ich dann beſſer und 
ſchneller arbeiten könnte. 

Kammerherr ſehr ernſt Ich hatte gehofft, meine Be— 
reitſchaft für die Sache und meine Ergebenheit für Sie 
möchten nicht angezweifelt werden können. Sie haben 
mein Wort, daß ich mit Ihnen arbeite, und ich pflege 
mein Wort zu halten. 

Pahlen Gewiß, gewiß, Baron. Ich zweifelte auch 
niemals Ihre perſönliche Ehrenhaftigkeit an, ſondern nur 
Ihre Nervenkraft — und auch dies nur für eine Se— 
kunde. Ich bitte Sie um Verzeihung: ich wollte Sie nicht 
kränken. — Halten Sie übrigens die Lopuchin in unſerem 
Sinn für gefährlich? Nach den Berichten meiner Agenten 


abe) 


ſcheint fie von der Aktion keine Ahnung zu haben und keine 
anderen Intereſſen zu kennen als die der kaiſerlichen Ko⸗ 
kotte. 

Kammerherr Das kann man von Frauen dieſer Art 
niemals wiſſen. Ich hielte es für beſſer, wenn ſich der Zar 
weniger ausſchließlich mit ihr beſchäftigte. Durch ſie 
ſchlüpft er doch aus der Kontrolle, ſcheint mir. f 

Pahlen überlegend Da mögen Sie nicht unrecht 
haben... Nach einer Pauſe zu Murawiew Sagen Sie, Mu- 
rawiew, finden Sie den Grafen Panin verändert? 

Murawiew Ja, Exzellenz, er leidet — faſt zu ſichtlich. 
Und der Kanzler iſt ein ſehr ſchlechter Lügner ... 

Pahlen Weiß Gott — und dieſe Tugend iſt ein großer 
Fehler — für unſereinen. Bitter Panin paßt ſchlecht zu 
mir; denn ich kann lügen — oder möchten Sie es beſtrei— 
ten, Messieurs? Die beiden ſchweigen betreten. Nun nichts für 
ungut, meine Herren, mich widert manchmal der Beruf 
an. Es wird Ihnen nicht anders gehen. Auf Stepan zeigend 
Schaffen Sie mir den Burſchen fort, ehe der Zar zurückt 
kommt, Murawiew. Mir liegt an dem Kerl etwas. Er ha— 
in gewiſſen Augenblicken Schwefel im Blick. — Und wenn 
der Großfürſt⸗Thronfolger nach mir verlangt: ich bin im 
Generalſtab. — Ich danke Ihnen, Messieurs, auf Wieder— 
ſehen! 

Pahlen ab. Kammerherr und Murawiew ſehen ſich an. 


Kammerherr ernſt und langſam Möchten Sie Pahlen 
ſein, Murawiew? 

Murawiew Nein, Baron, ich werde nicht einmal mit 
dem Murawiew fertig. Geht zu Stepan Komm, Kerl, die 
Knute hätteſt du nicht verdient; aber ich weiß noch nicht, 
ob du die Knute verdienſt, die man dir in die Hand geben 
ya Ab mit Stepan, Kammerherr folgt langſam. 


30 


Fünfte Szene 


In den unterirdiſchen Verbindungsgalerien unter dem Winter⸗ 

palais. Kreuzung zweier Haupteingänge mit einer verborgenen 

kleinen Treppe, die nach oben führt. In dem kleinen Raum, den 

die Treppe in ihrem Beginn unter ſich bildet, ein ſchmaler Tiſch 
zwiſchen zwei Holzſchemeln. Nacht. 


Panin, pelzverhüllt, tappt fic) mit einem kleinen Ollicht, das der 
Zugwind zu verlöſchen droht, den einen Gang herauf, der Kreu⸗ 
zung zu. 


Panin Teufel, mir liegen dieſe Dinge nicht... Alle 
dieſe Nächte ſind ſo traurig und unerbittlich und meiner 
Seele ſo feindlich wie das Ziel, zu dem man mich hin— 
peitſcht. — O dieſes Ziel, dieſes blutrote Wegende, das 
erreicht werden muß — Mein Gott, immer daran denken, 
an das große Leben denken, und nicht an das kleine — an 
dieſes eine kleine irre, böſe Leben! — Wäre ich ein Mann 
wie Pahlen, ein Mann, ein Mann! Er beleuchtet den Raum 
unter der Treppe. Der Prinz iſt noch nicht da. Das Warten 
iſt das Schlimmſte. — Pahlen! Warum tut er das? 
Wie weiß er, daß er dies Ungeheure tun darf? Warum 
weiß ich, daß ich nicht einmal zur Aſſiſtenz tauge? Iſt er 
der Patriot und bin ich es nicht? Er ſetzt ſich an das Tiſch— 
chen. — Warum kommt Alexander nicht? — Er hat doch 
nur dieſe widerlich heimliche Treppe herunterzuſteigen, 
um hier zu fein... Er ſteht wieder auf. Mein Gott, ich habe 
als Verſchwörer noch keine Übung... Warum kommt 
der Prinz nicht? Was kann geſchehen ſein? Zwiſchen 
dieſen naſſen Mauern muß ich immer an Kerker denken 
und an das viele Böſe, das hier herumgeiſtert ... Dieſer 
hölliſche Luftzug — vielleicht iſt die Kellertür auf 
gegangen. 

Er geht den Gang zurück. 


Sechſte Szene 
Alexander. Dann Panin. 


Alexander kommt die Treppe herunter. Ein Windſtoß löſcht ſeine 

Laterne aus. Er tappt ſich weiter und ſtößt an der Kreuzung mit 

dem zurückkommenden Panin zuſammen, deſſen Laterne ebenfalls 
verlöſcht iſt. 


Alexander erſchrocken flüſternd Wer da! 

Panin läßt ſeine Laterne fallen, aufſchreiend, den Prinzen 
gegen die Wand ſchleudernd, den Degen ziehend Verrat! Tod 
und Teufel! 

Alexander vor Schmerz ſtöhnend Panin, Sie haben mir 
weh getan! Machen Sie doch Licht! 

Panin Um Gottes willen, Hoheit, verzeihen Sie mir! 
Sind Sie verletzt? 

Alexander Nein, ich prellte mir nur die Ellbogen. 
Aber ſind Sie des Teufels, Panin, ſo nervös zu ſein und 
ſo zu lärmen? Machen Sie doch Licht! 

Panin Mein Feuerzeug liegt auf dem Tiſch; einen 
Augenblick . . . Ich ließ meine Lampe fallen. 

Alexander So warten Sie. Er zieht ein Feuerzeug aus 
der Taſche und ſteckt ſeine Laterne an. — Hoho, Herr Graf, 
mit bloßem Degen mir gegenüber? — Dieſer Anblick ge- 
fällt mir nicht! 

Panin wendet ſich ab und ſteckt den Degen in die Scheide 
Sie müſſen mir verzeihen, Hoheit, die Umſtände verſchul— 
deten meine Verwirrung. Sie wiſſen, wie ich Sie liebe. 

Alexander leiſe Die Umſtände ... mir gefallen auch 
die Umſtände nicht, Panin. Ich brauche unter dieſen 
Umſtänden nicht einmal viel Phantaſie dazu, um den 
nackten Säbel ominös zu finden. Was nützt mir und 
Ihnen Ihre Liebe, Panin! Ach, mir iſt nicht wohl zu— 
mute 


32 


Er geht langſam zum Treppenraum, Panin folgt ihm frierend 

und müde. Alexander nimmt einen Kupferleuchter, der unter den 

Treppenbalken verſteckt iſt, zündet ihn an und ſtellt ihn auf den 
Tiſch. Er ſetzt ſich und ſtützt den Kopf in die Hand. 


Panin ſich ebenfalls ſetzend Ich wartete ſchon lange, 
Prinz. So kam meine Unruhe. 

Alexander Ach ja, verzeihen Sie mir. Ich wagte 
mich nicht hinunter. Es wurde nicht ruhig oben. Und ich 
ſehe in jedem Lakai einen Spion meines Vaters. Den 
Kopf hebend, ſich erregend Und dabei weiß ich nicht einmal, 
ob er daran denkt, mich ausſpionieren zu laſſen. Er hat 
mir noch nicht viel Böſes getan, auch nicht viel Gutes, 
das iſt wahr. Er liebt mich nicht, das iſt wahr. Aber es 
iſt der Fluch der Herrſchenden, die Erbſöhne zu haſſen 
oder zu fürchten. — Und wäre es unberechtigt, Panin? 
Er mißtraut mir nicht mehr als aller Welt — und hat er 
nicht allen Grund, mir am meiſten zu mißtrauen? — Ach, 
Panin, ich weiß noch nicht einmal, ob ich Ihnen klagen 
darf, daß mir mein Gewiſſen Qualen bereitet! 

Panin Mein Gott, Alexander, ſind wir ſo verſtört, 
daß wir uns nicht mehr ſehen, wie wir ſind? Wie können 
Sie das ſagen? Dürfen wir denn nicht ausſprechen, was 
uns auf dem Geſicht geſchrieben ſteht? 

Alexander leiſe Ich fürchte, nein. 

Panin bedrängt Wenn wir es nicht dürfen, Prinz, 
ſo müſſen wir die Zähne zuſammenbeißen und unſere 
Pflicht tun. Die Ereigniſſe ſprechen eine zu laute und 
dringliche Sprache, als daß Sie noch ſchwanken könnten. 
Sie haben niemals gezögert, die Zukunft des Reiches zu 
repräſentieren. Wenn das politiſche Schickſal die Zeiten 
durcheinanderſtürzt, haben Sie die Pflicht, für uns 
Gegenwart zu ſein. 

Alexander Ich weiß es — ich weiß es! Ich zwinge 


Neumann, Patriot 3 33 


mich nicht einmal zu dieſer Pflicht! Es fteden viele 
Ambitionen und Empörungen in mir! — Vielleicht iſt 
es meine Jugend, daß ich von Gewaltloſigkeit träume 
und doch regieren will. Oder vielleicht iſt es das böſe 
Beiſpiel meines Vaters. Aber — das iſt immer noch die 
Frage — wer ſteht vor der Geſchichte reiner da: der 
Vater, der Böſes tut, jedoch mit Recht regiert, oder der 
Sohn, der Gutes will, aber durch Unrecht auf den Thron 
kommt? 

Panin Sie formulieren falſch, Alexander. Der Arzt, 
der einem Kranken gegenüber in ſeinem Intereſſe oder 
gar im Intereſſe der Allgemeinheit zu Maßregeln greift, 
tut kein Unrecht. 

Alexander Gewalt iſt Gewalt. Mein kaiſerlicher 
Vater iſt nicht ſo irre, um nicht gegen ſeine Abſetzung mit 
allen Mitteln ſeiner Stellung und ſeines Jähzorns an— 
zukämpfen. Mit erhobener Stimme Und wer haftet mir für 
ſein Leben? 

Panin nach einer Pauſe Ich — mit meinem Leben. 

Schweigen. 

Alexander Sie ſind ein Ehrenmann, Panin, aber 
kein Kaiſer. Die Geſchichte möchte mich in dieſem ſchlim— 
men Fall zum Vatermörder machen, ohne Ihren Paladin— 
ruhm zu ſchmälern. Ihre Garantie genügt mir nicht. 

Panin Und — Pahlens — Garantie? 

Alexander Pahlen? — Pahlen? Diefer Mann garanz 
tiert nicht, Panin. Dieſen Mann kümmert das Leben des 
Menſchen nicht . .. Auch er iſt kein Kaiſer; aber er hat 
ein Talent — ein gefährliches Talent, das Ihnen fehlt: 
er iſt der geborene Uſurpator! 

Panin langſam, wie prüfend Prinz, er iſt der Patriot! 

Alexander unruhig Ich weiß es nicht, Panin, ich 
weiß auch nicht, ob ich mir nicht mit alledem ſchade; denn 


34 


ich überſehe noch nicht euren Zuſammenhang — ich bin 
für die Kunſt des Mißtrauens wohl noch zu unerfahren. 
Die finſteren Zuſammenhänge ſehe ich noch nicht. — 
Wahrhaftig, ich weiß nicht, Panin, ob Sie nicht jedes 
Wort von mir ihm melden oder ihm melden müſſen. Aber 
ich ſage es Ihnen doch: Pahlen wird weder mein Ver— 
trauter ſein noch mein Freund. Er ſteht erregt auf. Ich 
ſage Ihnen noch mehr, Panin. Ich habe nicht einmal 
die Möglichkeit, ihn an ſeiner Art Patriotismus oder 
ſeiner Art Revolution zu verhindern; denn möchte ich 
ihn ſtürzen, durch ein Wort zu meinem Vater — und es 
iſt noch fraglich, ob es mir gelänge — dann vernichtete 
ich das Reich, mein eigenes Reich! Das iſt mir ſehr klar. 
Wahrſcheinlich iſt es, daß ich dann auch meine eigene 
Perſon in die gleiche Gefahr brächte. Bei dieſer Art 
Patrioten fällt dann mit Notwendigkeit die letzte dyna— 
ſtiſche Hemmung weg. — Und jetzt ſage ich Ihnen alles, 
Graf: Ich habe Furcht vor ihm! Bei Gott, ich fühle die 
erſte gewaltige Furcht meines Lebens. — Und ich kann 
von meiner Furcht nicht loskommen, indem ich mich von 
ihm befreie; denn er iſt mir notwendiger als ich ihm. Will 
ich nicht in der Luft hängen, ſo muß ich mich an dieſen 
muskulöſen Dämon klammern. Er kann mich, will er es 
nur, in ſeine Revolution hineinzwingen, wie er wohl 
auch Sie gezwungen hat, Panin; denn Sie haben ſeit 
ſechs Wochen keine glücklichen Augen mehr und ſind fahl 
und traurig wie Ihr eigenes Geſpenſt. — Das alſo wird 
das Schickſal meiner Inthroniſierung ſein! Es iſt nicht 
dazu angetan, aus mir einen heiteren Kaiſer zu machen .. 
Abbrechend, ſich müde wieder ſetzend Jetzt tun Sie mit meinen 
Worten, was Sie wollen, Panin. 


Pauſe. 


35 


Panin Es iſt gut, Alexander — es iſt gut, daß Sie 
mir dies alles ſagten. Ich gehöre zu Ihnen, ich gehöre 
nicht zu Pahlen. Sie ſprachen aus, was ich zu denken 
kaum mehr wagte. Daß unſere Gefühle für den Mann 
und für ſein Werk die gleichen ſind, iſt ſchon eine Waffe 
gegen ihn. — Verſtehen Sie mich, Alexander? 

Alexander Ich verſtehe Sie wohl, Panin; aber ich 
weiß nicht, ob es gut für uns iſt. Ich glaube es nicht. 
Hüten Sie ſich vor der kleinſten Revolte gegen ihn — in 
meinem Intereſſe. Vielleicht iſt es ſchon zu ſpät, und Sie 
werden um Ihrer Sondergefühle willen ausgeſchaltet. 
Dieſe Art Patrioten ſind ſchickſalsträchtig. — Mir iſt 
manchmal, als fet dieſer Menſch überall ... Sich feu um: 
ſehend Wir haben das alles nicht geſprochen, hören Sie 
mich, Panin! — Was haben Sie mir heute mitzuteilen? 

Panin müde Prinz, des Zaren Raſerei treibt zur Eile. 
Seine perſönlichen Gewalttätigkeiten kann Pahlen ent⸗ 
kräften oder für ſeine — für unſere Zwecke gebrauchen. 
Aber ſein außenpolitiſcher Irrſinn muß in bedrohlich 
kurzer Zeit das Reich in eine Kataſtrophe hineintreiben. 
Pauls Größenwahn betrachtet ſich als Weltſchiedsrichter. 
— Europa empfindet den Petersburger Tyrannen als 
nicht mehr erträglich. — Sie wiſſen das alles, Prinz. 

Alexander leiſe Europa empfindet ihn als nicht 
mehr erträglich — ja, ich weiß es. 

Panin Das Ausland erträgt ihn nicht mehr und 
Rußland erträgt ihn nicht mehr. Pahlen hat die Armee 
in der Hand. Die Garniſon, in die alle zu Unrecht ent— 
laſſenen Offiziere der Kaiſerin wieder aufgenommen ſind, 
iſt aktionsbereit. Pahlen hat für Sie einen Situations— 
bericht verfaßt; ich wollte ihn ſchon heute mitbringen; 
aber er hatte ihn bis abends noch nicht beendet. Sie 
erhalten ihn morgen vormittag. Er erwartet dann Ihren 


36 


Entſchluß. Ausbrechend Mein Gott, Alexander, find das 
alles meine Worte oder ſeine Worte? 

Alexander heftig Es ſind Seine Worte und es iſt 
Sein Heer und Sein Reich! — Aber dies frage ich mich: 
warum erträgt Pahlen nicht den Zaren? Kann die un⸗ 
geheuerliche Erhöhung, die dieſer Mann durch ſeinen 
Kaiſer erfahren hat, ſich in ſolche tragiſche Form über⸗ 
ſteigern, ohne daß er ein Schuft iſt? 

Panin Prinz, dieſes Wort laſſe ich nicht zu! Es bez 
leidigt einen Mann, den ich — wie es auch ſei — verehre. 
— Und ſprach en Sie nicht eben felber von den Schickſals⸗ 
trächtigen? — So iſt das Wort auch gefährlich! 

Alexander betroffen Panin, der Mann beſitzt Sie 
mehr, als Sie ahnen! Ich darf ihn nicht beſchimpfen 
— gewiß nicht: weil ich mich mit ihm vergleichen muß. 
Denn welche der beiden Kreaturen iſt als Verräter ver— 
ächtlicher, der Favorit oder der Sohn? 

Panin ſehr ernſt Hoheit, wenn Sie den Grafen ſo 
beurteilen und doch mit ihm verhandeln und ſich doch 
von ihm auf den Thron heben laſſen, ſind Sie verächtlicher. 

Alexander Panin! 

Panin Hoheit, wenn Sie in Pahlens Miſſion nicht 
das unabweisbare und von allem Perſönlichen gelöſte 
politiſche Schickſal erkennen können, verlange ich als Ihr 
Freund und als kaiſerlicher Miniſter von Ihnen die klare 
Ablehnung jeder Gemeinſchaft mit ihm und die YWuf- 
deckung des Komplottes gegen des Kaiſers Majeſtät! 

Alexander erſchüttert Panin, das kann ich nicht! — 
Panin, ich glaube an die innere Berechtigung ſeiner 
Aktion! 

Panin Dann müſſen Sie ihm Ihr Einverſtändnis 
erklären; dann müſſen Sie ihm Ihr Ja ſagen, auf das 
er wartet. 


37 


Alexander Ich kann noch nicht! Mein Gott, ich kann 
noch nicht! Panin, mein einziger Freund, quälen Sie 
mich nicht! 

Panin Prinz, Sie müſſen Ja ſagen! Was bleibt 
Ihnen denn übrig! Sie müſſen das Gewiſſen ſtumm 
machen! 

Alexander ſchreit Panin! Panin! Sind das Ihre 
Worte? — Der Dämon ſteckt ja in Ihnen! 

Panin ſchluchzt auf Mein Gott! Mein Gott! Ich 
weiß es nicht! Ich kann nicht mehr! — Ich ſehe doch 
Blut! Ich begreife ja Ihr Zögern, mein armer Freund! 

Alexander ſieht ihn ſtarr an; dann ſehr leiſe Das 
hätten Sie nicht ſagen ſollen, Panin. — Ich friere. Ich 
bin müde. Ich gehe ins Bett. Gute Nacht, Panin. 

Panin betäubt Gute Nacht, mein Prinz. 

Sie zünden ihre Laternen an dem Tiſchleuchter an, löſchen ihn aus. 

Alexander geht die Treppe hinauf. Panin den Gang zurück. 


Fünfte Szene 
Schlafzimmer der Baronin Oſtermann. — Früher Morgen. 


Anna. Pahlen. 


Anna richtet ſich im Bett auf, beugt ſich über den ſcheinbar ſchlafen⸗ 
den Pahlen, ſteht leiſe auf, ſchließt vorſichtig die Vorhänge des 
Alkovens, nimmt die Nachtlampe und den Uniformrock Pahlens 
und ſetzt ſich in einiger Entfernung vom Bett an einen kleinen 
Schreibtiſch. Sie durchſucht den Rock, zieht den Situationsbericht 
aus der Bruſttaſche und lieſt ihn ſehr aufmerkſam. Pahlen ſchlägt 
ein wenig die Bettvorhänge auseinander und beobachtet ſie. Anna 
hat den Bericht geleſen, wendet den Kopf, ſieht ihn, lächelt ſeltſam. 


Pahlen ſcharf Dieſe Art iſt mir neu an Ihnen, Maz 
dame. Ich habe Sie nicht ermächtigt, Staatsgeheimniſſe 
aus meiner Rocktaſche zu ziehen. 


38 


Anna leichthin, doch immer noch mit ihrem Lächeln Ver⸗ 
zeihen Sie mir, Pahlen, ich bin ſchon lange wach. Ich 
langweilte mich. — Du ſchläfſt wie ein Bär, Peter. Es 
war ſicher nicht recht von mir. — Ich fahndete eigentlich 
nach Liebesbriefen, um zu lachen .. 

Pahlen Das iſt nicht wahr, Madame. Sie hatten 
geſtern abend, noch bei mir im Arbeitszimmer, ſehr genau 
aufgepaßt, als ich Panins Sekretär ſagte, daß ich das „Er— 
forderliche“, wie ich es nannte, heute in aller Frühe dem 
Kanzler ſelber bringen werde. Und Sie hatten vor dem 
Schlafengehen durch einige geſchickte Griffe feſtgeſtellt, 
ob ich Dokumente bei mir trüge und in welcher Taſche. 

Anna etwas verblüfft, vorſichtig Aber glauben Sie 
denn, daß ich das da ernſt nehme? 

Pahlen Gewiß nehmen Sie es ernſt. Seit dem 
Abend, an dem ich Panins Beſuch nicht vor Ihnen ver— 
heimlichen konnte, ſitzen Sie mir mit einem tollen Haß 
auf den Ferſen. — Sie haben jetzt in Ihren Augen die 
kleinen brutalen gelben Lichter, die mich zu anderer Zeit 
ſehr reizen möchten; aber ich habe jetzt leider keinen Sinn 
dafür. — Madame, Sie können dieſen Bericht gar nicht 
ernſt genug nehmen. 

Er ſteht auf, wirft einen Pelzrock um die Schultern und geht lang: 
ſam auf ſie zu. Sie beobachtet ihn unverwandt; ihr Lächeln wird 
etwas glaſig. N 

Anna Nun ja, Pahlen, Sie wiſſen ja ſelber, daß man 
am Hof allerlei munkelt und daß dort allerlei Sonderbares 
vor ſich geht und daß die ausländiſchen Zeitungen, die die 
Kuriere einſchmuggeln, noch deutlicher ſind. Man traut 
Ihnen allerlei zu — und ich traue Ihnen alles zu und ſage 
es jetzt Ihnen nicht zum erſtenmal. — Aber Panin als 
Mitſpieler? — Mein Gott, Pahlen, Sie werden 1 
wiſſen, was Sie wollen. 


39 


Pahlen bleibt dicht vor ihr ftehen, langſam Ich weiß, 
was ich will, Madame. Verwundert es Sie nicht, daß ich 
Sie jetzt nicht wieder, wie neulich, frage, wie Sie zu mir 
ſtehen? Hätte ich Angſt vor Ihnen oder vor meinem Ge- 
wiſſen — behaupteten Sie nicht etwas Ahnliches? —, fo 
wäre es doch zu erfahren intereſſant für Sie und für mich 
ſogar notwendig. Aber Madame, ich frage nicht. Ich frage 
nicht. Ich weiß genau, was ich will. Ich wußte es viel⸗ 
leicht auch ſchon, als ich geſtern dem Sekretär Panins in 
Ihrer Gegenwart Beſcheid gab und den Bericht zu Ihnen 
mitnahm. — Ich liege vielleicht auch ſchon länger wach 
als Sie. 


Sie ſieht ihn lauernd an; ihr Geſicht iſt anders geworden und bee 
kommt einen Zug von Hilfloſigkeit. 


Anna Sie wollen wohl damit ſagen, daß Sie mir den 
Bericht mit irgendeiner beſtimmten Abſicht in die Hände 
geſpielt haben? 

Pahlen O nein, Anna, das will ich damit gewiß nicht 
ſagen; denn es wäre für Sie viel beſſer, wenn Sie Ihre 
Hände von dieſen Dingen ferngehalten hätten. Ich habe 
nur, wie ein vorſichtiger Stratege, auch dieſen Fall bez 
dacht und für ihn vorgeſorgt. Sie haben es getan, und ich 
bin jetzt zu Ihnen ſehr ehrlich und laſſe Sie nicht lange im 
unklaren. Der Augenblick Ihrer Überlegenheit iſt vor— 
über, das fühlen Sie ſelber. Und Sie kennen mich auch zu 
gut, um nicht berechnen zu können, daß ich jetzt irgend 
etwas mit Ihrer Perſon oder gegen Sie planen könnte, 
weil Sie mir vielleicht gefährlich geworden ſind. Nicht erſt 
ſeit heute, Madame, nicht wahr? — Und Sie verwünſchen 
vielleicht ſchon die Laune, die Ihnen ſo etwas wie eine 
Waffe gegen mich in die Hände geſpielt hat. Sie ſind ja 
doch nur in harmloſen Intrigen geübt; ein Duell mit mir 


40 


ſcheint mir nun einmal nicht ratſam. Ich deutete es Ihnen 
auch ſchon an. 

Anna ſehr unſicher Ja, was wollen Sie denn von mir, 
Pahlen? Wer ſagt Ihnen denn, daß ich gegen Sie kämp⸗ 
fen will? 

Pahlen Das ſagten Sie mir ſelber. Sie nannten es: 
ſich wehren. Sie mögen Ihre Gründe haben. Sie dürfen 
den Fall annehmen, daß ich mich Ihrer entledigen will. 

Anna auffahrend Sachte, ſachte, Herr Graf! Unſere 
Motive und unſere Mittel könnten ſich die Wage halten. 
Dieſer Bericht enthüllt Ihre Verſchwörung gegen den 
Zaren! 

Pahlen Meine Verſchwörung? — Hören Sie, Anna, 
Sie ſind klug, Sie wiſſen ſehr gut, daß ich dann wohl vor— 
ſichtiger mit dem Dokument umgegangen ſein würde. 
Glauben Sie mir, hätte dieſer Bericht auch nur einen — 
ſagen wir — akuten Sinn, dann müßte ich jetzt Ihnen 
gegenüber noch anders, noch ganz anders verfahren. Er 
hat natürlich einen Sinn; aber was er beabſichtigt, brau— 
chen Sie nicht zu wiſſen. Es muß Ihnen genügen, daß er 
im Sinne meines Amtes als Diener des Thrones und als 
verantwortlicher Regierungschef arbeitet. 

Anna ſehr unſicher Es genügt mir wahrhaftig, Peter. 
Sei mir nicht mehr böſe, Lieber, und ſprechen wir nicht 
mehr davon. — Ich werde nicht mehr deine politiſchen 
Kreiſe ſtören. Gewiß, es war unrecht und dumm. Sei 
wieder gut zu mir, Pjotr! — Sprechen wir nicht mehr 
davon. 


Sie verſucht eine zärtliche Bewegung; aber ſie mißlingt. Das kalte 
Geſicht Pahlens bemerkt ſie nicht. 


Pahlen Doch, Anna, wir müſſen noch davon ſprechen. 
Du haſt dich in einen Kreis gedrängt, der ſich {chon um dich 


417 


geſchloſſen hat. Was du weißt, weißt du — ich muß da— 
mit rechnen, ſo leid es mir tut. 


Pauſe. 


Anna Peter, willſt du mich ins Unglück bringen? 

Pahlen kalt Madame, ich fragte nicht nach Ihren 
Gedanken, als Sie dieſen Bericht fanden und in Ihren 
Händen auch mich zu haben glaubten. Sie haben in ſolchen 
Dingen noch keine Erfahrung; ſonſt würden Sie wiſſen, 
daß der Gouverneur Pahlen die Sentiments noch weniger 
zulaſſen möchte als der Ihnen mit Recht zugetane Lieb= 
haber. 

Anna Alſo bitte, Gouverneur Pahlen, welche Buße 
belieben Sie mir aufzuerlegen? 

Pahlen Sie gehen immer noch fehl, Anna. Zwar iſt 
die Szenerie ein Boudoir, aber die Handlung iſt ernft, ſehr 
ernſt. Mit Nachdruck Sie ſind in eine Verſchwörung ver— 
wickelt, Madame. 

Anna ſpringt auf, ſchreit Du Teufel! Du Teufel! — 
Das iſt nicht wahr! 

Pahlen So muß ich Ihnen Ihre Illuſion nehmen 
und endlich zum Ziel kommen. Ihr Wiſſen um den Bez 
richt zwingt mich als den verantwortlichen Leiter des 
Reiches, mich Ihrer zu verſichern. Anna macht eine Bewegung, 
als wollte ſie ſchreien oder fortlaufen. — Bleiben Sie ruhig, 
Anna, und ſeien Sie vernünftig, in Ihrem Intereſſe. — 
Ich muß mich Ihrer verſichern. Ich tue es am ſanfteſten 
für Sie, indem ich Sie in den Dienſt der Sache ſtelle. 

Anna verblüfft Was wollen Sie, Pahlen? Mich in 
den Dienſt der Sache ſtellen? Lacht nervös. Mein Gott, 
Pahlen, warum dann die dramatiſche Geſte? Stand ich 
vielleicht noch niemals in Ihren heimlichen Dienſten? — 

Pahlen ſehr kalt Ich freue mich recht über Ihre Will⸗ 


42 


fährigkeit; aber hoffentlich entſpricht die Rolle, die ich 
Ihnen zugedacht habe, auch Ihren Erwartungen. 
Er beginnt ſich anzukleiden. 

Anna Und wann beginnt meine Szene, Herr Re— 
giſſeur? 

Pahlen Sie beginnt ſelbſtverſtändlich ſofort. — Es 
iſt gut, Madame, daß Ihre eigene Stimme Ihre Spaßig⸗ 
keit Lügen ſtraft. Sie werden mich dann nicht mit Ihrer 
Enttäuſchung plagen, wenn Sie kein Luſtſpiel finden. 

Anna Sie verſtehen ſich prächtig auf das Terrori— 
ſieren, Gouverneur. Nun, Sie ſind in Ihrem Beruf. Und 
wenn Brutalität und Gewiſſenloſigkeit die Kardinaltugen⸗ 
den des Staatsmannes find, dann begreife ich die Bez 
wunderung Pauls für Sie ſo gut wie noch nie. — Zur 
Sache alſo. Was habe ich zu tun? 

Pahlen Zunächſt nehmen Sie einen Briefbogen mit 
Ihren Initialen und ſchreiben Sie ein möglichſt zärtlich es 
Billett an mich. Es genügen ein paar Zeilen. 

Anna Nun, das beginnt ja doch wie ein Luſtſpiel. 

Pahlen Das iſt ſchon möglich. Aber haben Sie die 
Güte, ſich zu beeilen. 

Anna nimmt Papier und Feder, zögert Mein Gott, Pah— 
len, ich bin zu nervös. Das iſt doch begreiflich. Ich habe 
ſchon viele Liebesbriefe geſchrieben, aber unter anderen 
Umſtänden, nicht auf Kommando. — Diktieren Sie mir 
lieber. 

Pahlen Alſo gut, ſchreiben Sie: „Mon chéri, wie 
ich mich nach Dir ſehne, trotzdem Du erſt ein paar Stun⸗ 
den von mir fort biſt. Ich liege noch im Bett. Ich bin 
noch ganz zerſchlagen — ach, in ſehr wörtlichem Sinn, 
mein wilder Freund ... 

Anna ſchreibend, unterbricht ſich Sind ſolche Intimi— 
täten notwendig, Pahlen? 


43 


Pahlen Sonſt würde ich ſie nicht diktieren. Schreiben 
Sie nur weiter: „Aber meine Gefühle für Dich ſind nicht 
müde. — Heute abend indes werden wir uns nicht ſehen 
können, ſo ſchmerzlich ich es bedauere. Ich habe Dienſt. 
Und morgen abend muß ich mich unbedingt für meinen 
kleinen Saſcha freihalten ...“ 

Anna Wer iſt Saſcha? 

Pahlen Aber das iſt doch ganz gleichgültig. Ich weiß 
es auch nicht. Ein Synonym für einen Ihrer Liebhaber — 
oder fo etwas. Schreiben Sie: „. .. Saſcha freihalten, der 
ſonſt noch ganz rabiat wird und doch ſo wunderſchöne 
Zähne hat“ — oder wunderſchöne Augen oder wunder— 
ſchöne Beine, was Sie wollen, Anna. 

Anna Das iſt ein ſehr merkwürdiges Billet d'amour, 
Pahlen. Oder iſt es ein Witz? 

Pahlen O gewiß nicht. — Halt, ſchreiben Sie nicht 
Zähne, ſchreiben Sie Lippen. Alſo: „. .. der fo wun— 
derſchöne Lippen hat. — Wir ſind ja nicht eiferſüchtig, 
cher Pierre, und gönnen uns die kleinen Freuden dieſer 
Welt. Toujours la tienne — Anjuta.“ — So, das ge⸗ 
nügt. 

Anna zu Ende ſchreibend Sage mir, Pjotr, ſoll das eine 
Lektion für mich ſein? Biſt du vielleicht in der Tat eifer⸗ 
ſüchtig? 

Pahlen lacht Madame, Sie ſind köſtlich! Ich glaube, 
Sie werden bald ſolch einen Zweifel verjagen können. — 
Geben Sie her, Madame. Er hat ſich inzwiſchen fertig ange: 
kleidet, nimmt den Brief, lieſt ihn durch, ſteckt ihn in den Armel⸗ 
aufſchlag ſeines Uniformrockes, und zwar ſo, daß noch ein ziem⸗ 
lich breiter Streifen des Papiers zu ſehen iſt. So, Anna, ich 
danke Ihnen, das wäre das Erſte. 

Anna plötzlich ängſtlich Sie ſind mir unheimlich, Pahlen. 
Iſt es für heute noch nicht genug? 


44 


Pahlen Leider nein, Madame. Das war nur der 
mehr oder weniger belangloſe Auftakt. Jetzt kommt das 
Wichtigere. — Nehmen Sie bitte ein Papier ohne Ihre 
Initialen, irgendein Stück Papier — ſo, ja — und ſchrei⸗ 
ben Sie die Worte: „Sire, hüten Sie ſich vor Pahlen und 
Panin!“ — Nichts weiter, keinen Namen, keine Unter⸗ 
ſchrift. — Was zögern Sie, Madame? 

Anna ſitzt wie erſtarrt, ſtöhnt Um Gottes willen! — 
Und wenn ich mich weigere! 

Pahlen Dann täte es mir leid um Sie. Laſſen Sie 
es nicht darauf ankommen, Anna. 

Anna Und wenn ich mich weigere .. 

Pahlen So laſſe ich Sie verhaften und ſtelle Sie als 
politiſch verdächtig vor das Geheime Gericht. 

Anna erſchüttert Das tuft du nicht, Pahlen ... Das 
kannſt du nicht tun... 

Pahlen Welch furchtbarer Irrtum, Madame! Glau— 
ben Sie um des Himmels willen nicht, daß ich davor auch 
nur eine Sekunde lang zurückſchrecke! Und Sie wiſſen, 
was es mit dieſer Folterkammer Pauls für eine Bewandt— 
nis hat. — Schreiben Sie, Madame? 

Anna Pahlen ... Pahlen .. . Ich habe ſolche Angſt 
— zu ſchreiben! 

Pahlen Die Angſt iſt unſinnig. Haben Sie Angſt, 
wenn Sie ſich zu ſchreiben weigern! Laſſen Sie nicht zu, 
daß ich Ihnen die Feder aus der Hand nehme. Dann näm⸗ 
lich ſchreibe ich, und zwar nur: „Baroninwitwe Anna 
Petrowna Oſtermann, Kaiſerliche Hofdame“ und dahinter 
eine beſtimmte Ziffer, die allerlei bedeutet und darunter 
„Pahlen“ — nichts weiter — und Sie werden nicht ein- 
mal mehr Zeit haben, aus Petersburg zu fliehen, Ma 
dame; — ſchreiben Sie? 

Er beugt ſich über den Schreibtiſch und greift langſam zur Feder. 


45 


Anna weinend Ich ſchreibe .. . Großer Gott ... großer 
Gott... : 

Pahlen diktiert „Sire, hüten Sie ſich vor Pahlen und 
Panin.“ Beugt ſich über ihre Schulter. Nein, Anna, das 
ſind verſtellte Schriftzüge. Ich brauche natürlich Ihre 
Handſchrift. 


Er nimmt ihr das Blatt fort und zerreißt es. Sie ſieht zu ihm auf 
mit ganz entſtelltem Geſicht. 

Anna Du Teufel! Du Teufel! Du willſt, daß ich mein 
eigenes Todesurteil unterſchreibe! 

Pahlen lächelnd und ruhig O nein, Anna, du wirſt ganz 
im Gegenteil die Geliebte des Kaiſers und vielleicht ſogar 
Gräfin ... 

Anna aufſpringend, wie betrunken Was. was... 
was .. . Sind Sie wahnſinnig geworden, Pahlen? Be— 
ginnt ein ſcharfes Lachen. Ach, das iſt ja alles Scherz! und 
gar kein übler! — Sagen Sie ſelber! 

Pahlen ungeduldig Schreiben Sie, Anna, ſchreiben Sie, 
ich habe nicht mehr lange Zeit. — Es iſt kein Scherz und 
ich bin nicht wahnſinnig — begreifen Sie endlich! Es iſt 
auch für Sie keine ſonderliche Gefahr, wenn Sie geſchickt 
ſind. Ich erlaube mir nur mit Ihnen eine kleine Speku— 
lation; wenn ſie mir gelingt, beherrſche ich den Herrſcher 
auch in ſeinem Bett. — Iſt das immer noch nicht deutlich 
genug, Madame? 

Pauſe. 


Anna langſam Ich fange an, dich zu verſtehen, Peter. — 
Du biſt ein ſo genialer Schuft und Gouverneur, ſcheint mir, 
daß es mich faſt ſchon reizt mitzutun — ſelbſt wenn ich 
die Wahl hätte. 

Sie ſetzt ſich und ſchreibt. 


46 


Pahlen leiſe Ihre Anerkennung iſt etwas wert, 
Anna. — Jetzt glaube ich es faſt ſelber. Nimmt das Billett. 
Ich danke dir. — Jetzt noch der Briefumſchlag: „An des 
Kaiſers Majeſtät“ — gut ſo. — Wir ſiegeln mit einem 
Geldſtück. — Ihre Hände zittern? — Das wird ſich geben. 
Sie haben einen ganzen Tag vor ſich, um mir zu fluchen 
oder mich zu ſegnen — wie Sie wollen — und um des 
Abends ſo ſchön zu fein, wie es nur Ihnen möglich iſt. — 
Sie ſehen, ich bin galant; aber dahinter ſteckt meine For⸗ 
derung, in Bereitſchaft zu ſein. Augenblicklich iſt Ihre 
Haut etwas grau. Das wird ſich richten laſſen. — Was 
ſehen Sie mich ſo an, Madame? Sie ahnen nicht, welche 
Freuden mir meine Genialität als Schuft und Gouver— 
neur verſchafft! Ich bin in prächtiger Stimmung, wie Sie 
ſehen, trotzdem ich auf Ihre köſtliche Schokolade verzichte 
und mich ſchon jetzt beurlauben muß. Aber man weiß nie, 
wann Paul aufſteht. Und Ihre gutgemeinte Warnung 
muß dann ſchon auf ſeinem Schreibtiſch fein. — Guten 
Morgen, Madame. 


Er nimmt den Brief an ſich, küßt Annas Hand und geht. Anna 
ſieht ihm ſprachlos nach. Dann fährt ſie entſetzt auf und läuft zur Tür. 


Anna ängſtlich rufend Pahlen! Pahlen! Sie lauſcht. 
Stille. Sie ſchließt die Tür und geht ins Zimmer zurück. Mein 
Gott! Mein Gott! 


Sie ſinnt vor ſich hin. Ihre Züge verhärten ſich. 


Vorhang 


47 


Dritter Akt 


Erſte Szene 


Kaiſerliches Arbeitskabinett im Michaels-Palais. Heller Vormittag. 
Murawiew, Kammerherr treten ein. 


Murawiew Er war ſchon da, unter der Steinmaske 
das Erdbeben. 

Kammerherr Was? — Wer? 

Murawiew Pahlen natürlich. Noch mitgenommen 
von der Oſtermann. Gefährlich weiß. Gefährlich! — Merz 
ken Sie ſich dieſen Tag, Baron. Er hat heute die Lunte 
angezündet. Wir haben heute gute Gelegenheit, in die 
Luft zu fliegen. 

Kammerherr nervös Laſſen Sie, bitte, die Metaphern, 
Sergej Nikolajewitſch. Sagen Sie möglichſt ſchlicht, was 
los iſt. 

Murawiew Als ob ich es wüßte! — Er kam ſchon 
gegen acht Uhr, zu ganz ungewohnter Stunde, und gab 
mir ein verſiegeltes Billett, das dort auf des Zaren 
Schreibtiſch liegt. Trotzdem ich es hingelegt habe, darf ich 
nicht wiſſen, auf welche Weiſe es in das Kabinett geflogen 
iſt. Und ich habe Befehl, auch für Sie, Baron, alles To— 
ben, das dieſer Brief hervorrufen könnte, mit Achſelzucken 
und Hilfloſigkeit zu beantworten. Er ſagte mir auch in aller 
Freundſchaft, daß er mir eine Kugel durch den Kopf jagen 
würde, wenn der Zar durch irgendwelche Mittel der Liſt 
oder Erpreſſung die Perſon des Überbringers durch mich 


48 


erführe. Das gleiche gelte auch für Sie, Baron. — Dann 
fuhr er zu Panin — um zu frühſtücken, wie er behauptete. 

Kammerherr Hm, das iſt allerdings ſachlich ge— 
ſprochen, Sergej Nikolajewitſch. Er geht vorſichtig an den 
Schreibtiſch. Eine Pahlenſche Myſtifikation ... Mir iſt 
eine ehrliche Bombe lieber. 

Murawiew Nun, die Wirkung iſt wahrſcheinlich auf 
dieſe Weiſe genauer zu berechnen. Bomben ſind unzu— 
verläſſig. 5 

Kammerherr Natürlich, ja. Er beugt ſich über die Tiſch— 
platte und lieſt „An des Kaiſers Majeſtät“. — Das iſt 
übrigens die Handſchrift einer Frau. Pauſe. Wiſſen Sie 
genau, daß Pahlen von der Oſtermann kam? 

Murawiew üchelt Das iſt ſelbſtverſtändlich nur eine 
naheliegende Vermutung. — Sie halten ſich gewiß für 
einen ſcharfſinnigen Kriminaliſten, Baron; aber ich ſchlich— 
ter Menſch kombiniere aufs Haar das gleiche. 

Kammerherr grinſt So — 

Murawiew Nun, verzeihen Sie mir, es liegt ziem— 
lich auf der Hand. — Pahlen hat zwar einen beträchtlichen 
Gebrauch an Frauen zaber die Oſtermann iſt ſeine Kreatur. 
Er hat ſie gemacht, das weiß ganz Petersburg. Alſo mag 
er eher ſie als irgendeine andere zu ſeinen Kabalen be— 
nutzen. Dazu kommt, daß er mich nach Neben- und Unter— 
liebhabern der Lopuchin fragte ... das heißt, er ver- 
langte nur eine Beſtätigung deſſen, was ihm angeblich der 
Polizeiminiſter gemeldet habe. Aber Sie begreifen, daß 
der Polizeiminiſter nicht aus freien Stücken und heiterem 
Himmel ſich mit der begnadeten Perſon und momentanen 
Zariza beſchäftigt. 

Kammerherr Aha, ich verſtehe vollkommen. Denken 
Sie, bitte, an das Thema Lopuch in, das er vor paar Tagen 
anſchnitt. Er iſt konſequent und weiß, was er will. Und er 


Neumann, Patriot 4 49 


will die Lopuchin erſetzen. Aber ich halte die exploſive 
Wirkung für viel geringer als Sie, Murawiew. So 
etwas erzeugt noch nicht das große Beben, auf das wir 
warten. Der Brief iſt eine etwas ungewöhnliche Kom— 
bination von einer Entlaſſung und einer Selbſtofferte, 
nichts mehr. 

Murawiew Ich bin nicht ganz Ihrer Meinung und 
ich möchte Ihnen raten, ſich wieder aus der Region des 
Schreibtiſches zurückzuziehen: der Zar kann jeden Augen⸗ 
blick kommen. Alexander, der ſich merkwürdigerweiſe zur 
Audienz angeſagt hat, wartet ſchon in der kleinen Galerie. 

Kammerherr geht zurück Ja, ich habe ihn geſehen. 
— Er tut mir leid. Sein ſchönes Geſicht iſt wie angefreſſen 
von der Sorge — oder vom Gewiſſen — was weiß ich ... 

Murawiew Von Angſt! Von nichts als Angſt, unter 
die Lawine zu kommen. — Glauben Sie mir, dieſer 
Alexander iſt ein echter Zar und ein falſcher Romantiker. 
Und ſein Gewiſſen gar nicht ſo bleich wie ſein Geſicht. — 
Es ſei denn, Sie nennen Panin ſein Gewiſſen. Dann wird 
er es bald los ſein, ſage ich Ihnen. 

Kammerherr Und ich ſage Ihnen, Pahlen iſt ſein 
Gewiſſen und unſer aller Gewiſſen. Ich ſage Ihnen, daß 
Pahlen ſchon in ihm drin ſitzt, wie im Zaren, wie in uns 
allen — und daß er keinen losläßt und daß wir doch nicht 
das geringſte ahnen, wie es in ihm ſelber ausſieht. In 
ſechs Monaten oder vier Wochen oder paar Tagen werden 
wir vielleicht bemerken können, was für ein beſonderer 
Moraliſt er iſt — fofern wir noch leben... Aber laſſen 
wir das. — Apropos, die berühmte Ahnlichkeit zwiſchen 
Alexander und Platon Subow iſt gerade jetzt, wo die 
Depreſſion des Zarewitſch den Altersunterſchied aus— 
gleicht, in der Tat verblüffend. Man kann ſie nämlich ver⸗ 
gleichen .. 


50 


Murawiew Ja, ich weiß, Fürſt Platon iſt in Peters: 
burg, auch Valerian, und die beiden Haſſer wetterleuchten 
in der Garniſon — nach Pahlens Regie. 

Kammerherr Weiß es der Zar, daß ſie in der Stadt 
ſind? 

Murawiew Vielleicht. Die geheime Polizei pflegt 
ihn gut zu bedienen — doch noch beſſer den Gouverneur. 
Und die beiden fallen unter die Reaktivierungsorder. Bei 
Hof laſſen ſie ſich natürlich nicht ſehen. Und Pauls wirrer 
Kopf... Still! 


Sie ſtehen regungslos rechts und links von der Tür. Der Zar kommt 
geräuſchvoll. 


Zweite Szene 
Die Vorigen. Zar. 
Der Zar geht an ihnen vorbei, ohne ſie zu beachten, mit ſich ſelber 
beſchäftigt, ſcheinbar nicht ſchlechter Stimmung, halblaut mit ſich 
redend, manchmal auch kurz lachend. Auf halbem Weg bleibt er 
ſtehen, in Nachdenken verſunken. Plötzlich wendet er ſich zu den 
N beiden um. 


Zar Ja — wie? — Ihr ſeid da — hab' ich's ſchon ge— 
ſagt, Murawiew? — Noch nicht? — Na alſo: Wach— 
kompagnie hat von jetzt ab ins Gewehr zu treten, wenn die 
Fürſtin Gagarin-Lopuchin kommt oder geht — ver— 
ſtanden? 3 

Murawiew beſtürzt Darf ich gehorſamſt zu erinnern 
wagen — das iſt das Prärogativ der Mitglieder des ... 

Zar Wie — was — was heißt das? — Widerrede? 
. . Ich will nicht hoffen, Kerl ... 

Der Kammerherr winkt Murawiew mit den Augen zu. 

Murawiew Gewiß nicht, Majeſtät. Das Wach— 
kommando wird inſtruiert. 


Bye 


Zar Gut, Murawiew. — Die Antwort war gut, Oberſt 
Murawiew. 

Murawiew Majeſtät halten zu Gnaden: mein Dienft- 
grad iſt Major. ; 

Zar Die Antwort war gut, Murawiew, na — und die 
Sonne ſcheint — und . . . und die Fürſtin hat Namenstag, 
— na, und du biſt Oberſt. 

Murawiew erregt Wenn Eure Majeſtät mich nicht 
zwingen wollen, meinen Abſchied zu nehmen, ſo darf ich 
in aller Ehrfurcht hoffen, daß dieſe Ernennung, die dem 
Geſetz der Anciennität widerſpricht und durch kein Ver— 
dienſt motivierbar iſt, nicht effektuiert wird. 

Zar nach der Pauſe der Überraſchung Na, denn nicht, 
Eſel. Er wendet ſich um und geht auf den Schreibtiſch zu Wer 
iſt angeſagt? 

Murawiew Seine Kaiſerliche Hoheit der Großfürſt— 
Thronfolger. — Seine Exzellenz der Kriegsgouverneur 
und Chef des Auswärtigen Departements. — Seine 
Exzellenz der Vizekanzler und Chef der Inneren Verwal- 
tung. f 

Zar verärgert Was will der Zarewitſch? 

Murawiew Seine Kaiſerliche Hoheit baten vor einer 
halben Stunde durch Ihren Adjutanten um eine dringende 
Privataudienz und warten bereits in der kleinen Galerie. 
Da der Herr Kriegsgouverneur erſt um elf Uhr zum Vor— 
trag befohlen iſt, glaubte ich, die Audienz an erſte Stelle 
ſetzen zu dürfen. 

Pauſe. 

Zar vor dem Schreibtiſch Was iſt das für ein Brief? 

Murawiew Majeſtät? Er tritt näher. Ich kann es 
nicht ſagen, Sire. Ich empfing ihn nicht und legte ihn 
auch nicht auf den Schreibtiſch. 

Zar Sie, Ungern? 


52 


Kammerherr Auch ich nicht, Majeſtät. 

Zar Seltſam ... Er reißt den Umſchlag ab und lieſt 
Hm. .. Sein Geſicht zuckt ſtärker; er ſieht gefährlich aus. Mura: 
wiew weicht unwillkürlich zurück. Warum läufſt du weg, 
Kerl? — Schlechtes Gewiſſen, was? — Wie kommt dieſer 
Brief hierher? 

Murawiew Ich wiederhole Eurer Majeſtät, daß ich 
es nicht weiß. Es iſt vielleicht ein Immediatgeſuch, das 
irgendein beſtochener Lakai am Zivilkabinett und den 
Sekretären vorbeigeſchmuggelt hat. 

Zar Immediatgeſuch? — Dummkopf! Er geht ſehr 
unruhig, mit ſchwer arbeitendem Hirn hin und her, bleibt dicht 
vor dem Kammerherrn ſtehen. Ungern, Sie ſind klug und 
boshaft. Sie haben die Augen offen. Sie werden Hof— 
marſchall, wenn Sie mir ſagen ... 

Er flüſtert ihm etwas ins Ohr. 

Kammerherr Sire, der Graf iſt ein ſo großer Mann, 
daß er ſcheinbar keine Feinde und in Wirklichkeit nur 
Feinde hat. 

Zar Großer Mann... fo... Was bedeutet das: großer 
Mann? Ich habe ihn zu dem gemacht, was er iſt — nein? 

Kammerherr Gewiß, Majeſtät, ich formulierte nicht 
anders. Für mich iſt ein großer Mann und ein von Eurer 
Majeſtät geſchätzter Premierminiſter eine Gleichung, die 
zumal in dieſem Fall aufgeht. 

Zar ausbrechend Zum Teufel mit euch Schranzen! 
Schert euch weg, ihr Mollusken! Ihr ſeid nicht wert, an 
Pahlens Stiefelſohlen zu kleben! — Zum Teufel, man quält 
mich! Die beiden wollen ſich zurückziehen. Halt! Murawiew! 

Murawiew Majeſtät? 

Zar Hierher! Murawiew kommt an den Schreibtiſch; der 
Zar zeigt ihm den Umſchlag. Kennſt du dieſe Handſchrift? 

Murawiew Nein, Majeſtät. 


3 


Zar Auf dein Ehren wort als Offizier? 

Murawiew Auf mein Ehrenwort als Offizier. 

Zar Ungern! Kammerherr eilt herbei. Auf Ihr Wort als 
Edelmann: kennen Sie dieſe Handſchrift? 

Kammerherr Auf mein Ehrenwort, Sire, ich kenne 
ſie nicht. 

Zar leiſe Man quält mich ... man quält mich... 
Warum ſehe ich nicht in die verfluchten Gehirne ... Er 
überlegt ſtumm, den Kopf zwiſchen den Händen. Alexander ... 
laut War der Adjutant des Thronfolgers in dieſem Zimmer? 

Murawiew Nein, Majeſtät, ich ſprach ihn im Vorſaal. 

Zar Kann der Adjutant in dieſes Zimmer einge— 
treten ſein, ohne daß Sie es bemerkt haben? 

Murawiew zögernd Ich halte es für ausgeſchloſſen, 
8 aver 

Zar Haben Sie ſein Kommen und Gehen kontrollieren 
können? 

Murawiew nach einem Blick mit dem Kammerherrn Das 
allerdings nicht, Majeſtät. Der Wachkommandant rief 
mich kurz darauf in den Pavillon. 

Zar So — Pauſe. Jetzt geht! Geht doch! — Mein 
Sohn ſoll kommen! — Und Pahlen ſofort — ſofort zu 
mir, ſowie er eintrifft! 

Murawiew und Kammerherr ab. 


Dritte Szene 
Zar. Dann Alexander. 


Der Zar, ſehr unruhig, ſpringt nach einigen Sekunden vom Seſſel 
auf und durchquert das Zimmer, undeutlich mit ſich ſelber ſprechend 
und erregt geſtikulierend. Wie der Lakai kommt, ſetzt er ſich an den 
Seſſel zurück, mit den Händen nervös auf die Tiſchplatte trommelnd. 


Lakai Seine Kaiſerliche Hoheit der Großfürſt-Thron⸗ 
folger. 


54 


Zar Ja... ja... Alexander tritt ein und verbeugt fic 
tief. Was wollen Sie? — Sie ſehen ſchlecht aus. — 
Krank? — Oder was? 

Alexander Nein, Sire, ich bin nicht krank. 

Zar So — Alſo was wollen Sie? — Apropos: ich 
liebe keine unvorhergeſehenen Audienzen, die mein 
Tagesprogramm ſtören. Das heute iſt alſo kein Präzedenz⸗ 
fall. Ein nächſtes Mal könnten Sie riskieren, abgewieſen 
zu werden. Wenn ich Sie heute empfange, ſo iſt es nicht, 
weil ich ſehr Wichtiges von Ihnen zu erfahren erwarte 
— ſondern aus einem anderen Grund. Es iſt nicht einmal 
ausgeſchloſſen, daß ich Sie hätte rufen laſſen. 

Alexander unruhig Um Vergebung, Sire. Es 
war ein plötzliches Bedürfnis, Sie zu ſprechen — ich 
weiß ſelbſt nicht was — es kam über Nacht — wie ein 
Alpdruck, den nur Sie von mir heben können .. . Ich 
bin Ihr Sohn, Sire... 

Zar ſehr miftrauif Was — was wollen Sie? Ich 
verſtehe Ihr Geſtammel nicht. Ich habe auch keine Zeit, 
es mir zu erklären. Ich halte zudem nichts von Familien— 
beziehungen und von ſolchen Poſtulaten der Zärtlichkeit. 
— Da ſteckt etwas ganz anderes dahinter — was? 

Alexander leiſe Sire, können Sie nicht anders zu 
mir ſprechen? 

Zar Nein! — Ich ſpreche mit jedem, wie er es ver— 
dient. Und mein Gefühl ſagt mir — nicht erſt ſeit heute — 
daß Sie mir ſchwerlich eine beſſere Meinung von ſich 
beibringen werden. 

Alexander gequält Warum, Sire... 

Zar Warum ... warum? — Wenn man die vater- 
liche Neigung anruft und dabei voll von Gedanken ſteckt, 
die mit der Kindesliebe verteufelt wenig zu tun haben, 
ſo iſt das unlauter — verſtehen Sie mich? Ich liebe Sie 


Ep) 


fo wenig, wie Sie mich. Aber ich verlange von Ihnen 
nicht den guten Sohn. 

Alexander ſehr beſtürzt Welche Gedanken ſehen Sie 
in mir, Sire? 

Zar laut Böſe Gedanken! Böſe Gedanken! Fragen 
Sie mich nicht nach Ihren Gedanken, Alexander! Ich 
rate Ihnen gut! 

Pauſe. 

Alexander tonlos Und was verlangen Sie von mir? 

Zar Gehorſam! Wie von jedem meiner Untertanen! 
— Ich erlaube Ihnen dafür, Ihnen und jedermann, 
mich nach Herzensluſt zu haſſen. 

Alexander Ich haſſe Sie nicht, Sire! — Ach, 
warum können Sie nicht gütig zu mir fein... 

Zar ſcharf Ja, ich glaube Ihnen, Monſieur, Sie 
brauchen eine Leitung für die Abwäſſer Ihres böſen 
Gewiſſens! Wenn ich Sie jetzt in meine Arme ſchließe, 
überſchwemmten Sie mich mit Konfidenzen, die mir mehr 
als meinen Rock beſchädigen möchten. Aber ich ſchere 
mich nicht um Ihren Nervenzuſtand und pfeife auf Ihr 
épanchement — vielleicht um Ihres ſanften Köpfchens 
willen, verſtehen Sie mich? — — Denn Sie zweifeln 
doch nicht, daß meine Strafgeſetze auch für Sie gelten? 

Alexander dumpf Ich bezweifle es nicht. 

Zar Gut alſo. Richten Sie ſich danach. Sie ſind in 
der fatalen Situation, Thronerbe zu ſein und im Geruch 
der Liberalität zu ſtehen. Und Sie fühlen die Volksgunſt 
in der Taſche klappern wie leicht erworbene und zu— 
tunliche Dukaten. Dabei iſt es ſchwer, vernünftig zu 
bleiben. Ich gebe es zu. Aber ich warne Sie. Das iſt 
falſches Gold. — Und der Zar iſt ein harter Zar und ein 
blutiger Zar. Und er iſt mißtrauiſch. Und er gibt keine 
Unze von ſeiner Herrlichkeit fort. — Es gibt welche, die 


56 


ihn für wahnſinnig halten. Er lacht darüber. Er hört es 
nicht ungern. Es ſchafft guten Abſtand. — Das ſind 
auch Geſtändniſſe, Alexander. Wohl die erſten, die Sie 
hören, und vielleicht die letzten. — Haben Sie noch 
immer Luſt, ſich den Alpdruck von mir heben zu laſſen? — 
Wenn nicht, ſo habe ich einige Fragen an Sie. 

Alexander erregt Noch nicht, Sire! Warten Sie 
noch! — Es iſt meine Pflicht als Thronfolger, Ihnen 
meine Beſorgniſſe über die Entwicklung der politiſchen 
Loge 

Zar ſcharf So wenig belieben Sie aus meinen 
Worten zu lernen? — Ihre einzige Pflicht als Thron— 
folger iſt, mir möglichſt wenig unter die Augen zu 
kommen und mich möglichſt wenig an Sie zu erinnern. 
Wenn Sie einmal Ihre Erbſchaft angetreten haben, 
darf es ſich Ihr Reſſentiment erlauben, Ihrem Sohn das 
gleiche zu ſagen. Aber wenn Sie anfangen, mir zu auf— 
fällig zu werden, ſchicke ich Sie nach dem Oſten, der in 
meinem Reich ſtill und weit iſt. 

Alexander Sire, ich verdiene dieſe Sprache nicht. 

Zar Ich bewies Ihnen ſchon, daß Sie ſie verdienen. 
Ich geſtehe Ihnen meine Gegenwart überhaupt nur noch 
zu, weil unſer Geſpräch zwanglos dort zu münden 
ſcheint, wo es mich zu intereſſieren beginnt. Deshalb er— 
laube ich Ihnen noch einige Räſonnements. 

Alexander Sire, ich räſonniere nicht! Aber ich ahne 
Unheil! 

Zar Es gefällt Ihnen, Unheil für das Reich zu ahnen 
und dabei an meine Perſon zu denken. Iſt es nicht ſo? 

Alexander Und wenn es ſo wäre! Können Sie es 
mir, dem Sohn und dem Reichserben, zum Verbrechen 
auslegen? 

Zar Ja, wenn der Wunſch der Vater des Gedankens iff, 


7 


Alexander außer ſich Sire! Warum — warum 
ſtoßen Sie alles zurück! Warum zerſchlagen Sie jede 
Verbindung von Menſch zu Menſch! Warum gönnen 
Sie ſich nicht einmal ſelbſt die Entſcheidung, ob nicht meine 
Sorgen auch Ihre Sorgen ſein können! — Um Gottes 
willen, Sire, fürchten Sie denn nichts für ſich? 

Pauſe. Der Zar erhebt ſich, mit einem ſchiefen Lächeln, geht 

zu Alexander und fixiert ihn aus großer Nähe. 

Zar Sie ſind ungeſchickt und dumm. Sie ſchießen 
auf Pahlen mit Kanonen und treffen ihn doch nicht. 

Alexander taumelt zurück, ratlos Sire ... jetzt — 
begreife ich Sie nicht mehr... 

Zar Das klingt nicht ſehr überzeugend. Was iſt nicht 
zu begreifen? Kritik an der Politik bedeutet Kritik an 
meinem Chefminiſter, nicht wahr? 

Alexander ſich faſſend Durchaus nicht, Sire. Pah— 
len hat nach Ihren Weiſungen zu arbeiten. 

Zar Sie ſcheinen ſehr kühn, Alexander. Sie wagen 
es, dem Zaren ein Mißtrauensvotum zu geben. Ich ver— 
mute aber, daß es im Grunde Angſt iſt, Angſt vor ihm. 
— Doch nehmen Sie an, ich verlange von Ihnen ein 
offenes Wort zu hören und verſpreche Ihnen, es für 
mich zu behalten. Sie kamen doch, um ſich zu erleichtern. 
Nun alſo: was denken Sie über Pahlen? 

Alexander ſehr mißtrauiſch Ihre Frage überraſcht 
mich, Sire. Ich habe keinen Grund, mir über den Gou— 
verneur Gedanken zu machen, die ſich von meiner alten 
Hochachtung für ihn unterſcheiden. 

Zar leiſe Aber wenn ich Grund hatte... würden 
Sie dann nicht auf andere Gedanken zu kommen wagen, 
Memme? 


Pauſe. Alexander, in ſchwerem Kampf, ſieht den Zaren an, will 
in ihn hineinſehen. 


58 


Alexander ſehr leife Nein, Sire. Und ich hielte es 
für ein Unglück. 

Zar losbrechend Zum Teufel! Was quält man mich! 
Warum quälen Sie mich? Warum ſoll ich mich vor 
ihm hüten — und vor Panin dazu? 

Alexander tief erſchrocken Mein Gott, was bedeutet 
das? Was glauben Sie von mir? — Ich, wahrhaftig, ich... 
Er bricht ab. Die Tür öffnet ſich. Pahlen kommt, ſieht von einem 

zum anderen. Verlegenes Schweigen. 


Vierte Szene 
Die Vorigen. Pahlen. 


Pahlen nach einem ſcharfen Blick auf Alexander Um 
Vergebung. Man befahl mich unverzüglich zu Eurer 
Majeſtät. Man ſagte mir wohl, daß Seine Hoheit hier 
feien, aber man unterrichtete mich nicht über den Charak⸗ 
ter der Audienz. Wenn meine Gegenwart unangebracht 
ee 

Zar verlegen Bleiben Sie nur! — Wir haben keine 
Geheimniſſe vor Ihnen. Der Zarewitſch interpelliert 
mich nur wegen der politiſchen Lage. 

Pahlen ſcharf zu Alexander In dieſem Fall, Hoheit, 
darf ich Sie bitten, nach dem Reglement zu verfahren 
und ſolche Wünſche bei mir, dem verantwortlichen Mini⸗ 
ſter, anzumelden. 

Alexander Sie können mir nicht verbieten, Ex— 
zellenz, mich über Dinge, die mich bewegen, mit meinem 
kaiſerlichen Vater auszuſprechen. 

Pahlen Sie wiſſen ſehr genau, Hoheit, warum ich 
es Ihnen verbieten kann. 

Alexander zurückfahrend Exzellenz, ich weiß nicht, 
was ich von dieſen Worten halten ſoll! 


59 


Pahlen Ich habe Ihnen nicht verhehlt, Hoheit, daß 
Seine Majeſtät bedauerlicherweiſe von dem Zweifel an 
Ihrer Loyalität nicht loskommt. Ich habe Sie wiederholt 
gewarnt, meine vermittelnde Perſon vor allem nicht 
in politiſchen Fragen auszuſchalten. Sie dürfen nicht 
gegen Ihre Intereſſen handeln, noch die allgemeine Citua- 
tion erſchweren, noch die Majeſtät mit Ihrer Oppoſition 
belaſten. 

Zar befangen Hm — ja — ich bedeutete ihm un— 
gefähr das gleiche. Zu Alexander Der Gouverneur hat 
recht, durchaus recht! 

Alexander ſehr erregt Sire, Ihre Gegenwart ver— 
hindert mich zu ſagen, was ich meine... 

Pahlen kalt Und ich würde Sie ebenfalls daran 
verhindern. Nachdrücklich Ich laſſe es nicht zu, daß Sie 
gegen Ihre Intereſſen handeln, Hoheit! Verſuchen Sie, 
ruhig zu werden und darüber nachzudenken. Es ſteht 
mehr auf dem Spiel als Ihre augenblickliche Stimmung. 

Alexander ſenkt unter ſeinem Blick den Kopf. 

Zar unruhig Was — was ſteht auf dem Spiel, Gou— 
verneur? 

Pahlen Die Einheitlichkeit der Reichspolitik und die 
Autorität ihres Trägers. 

Zar Meinen Sie mich oder ſich damit, Gouverneur? 

Pahlen Ich meine Eure Majeſtät! — Und wenn 
dieſe Frage, die ich weder erwartete noch verdiene, eine 
Folge des Geſpräches mit Seiner Hoheit iſt, werde ich 
für meine Perſon die Konſequenzen ziehen müſſen ... 

Zar Pjotr! Was denkſt du! — Glaubſt du, ich er— 
laubte ein Wort gegen dich? Jetzt tuſt du dem Zarewitſch 
Unrecht. Er ſprach kein Wort über dich, das nicht reſpekt⸗ 
voll geweſen wäre. Er ging ſogar ſo weit, dich nur als 
ausübendes Organ meines politiſchen Willens zu bezeich— 


60 


nen. Das heißt alſo, daß nur ich in ſeinen Augen Fehler 
begehe. — Das ſprach er allerdings nicht aus. 

Pahlen Dieſe Unterlaſſung ſcheint mir Seiner Hoheit 
vernünftigſter Audienzgedanken geweſen zu ſein. 

Alexander Sire, ich darf jetzt um Urlaub bitten. 

Zar zerſtreut am Schreibtiſch mit dem anonymen Billett 
ſpielend Ja — ja 

Pahlen beobachtet den Zaren, dann Ich darf Sie um 
die Güte bitten, Hoheit, im Schloß zu bleiben, da ich 
nach meinem Vortrag noch einiges mit Ihnen ſprechen 
möchte. 

Alexander bedrängt Ich werde zu Ihrer Verfügung 
ſtehen, Exzellenz. 

Zar fährt auf Sie haben nicht die Gemächer der 
Kaiſerin zu betreten, verſtanden? Ich ſchätze keine fron— 
dierende Familie. 

Alexander leiſe und müde Ich bleibe in der kleinen 
Galerie. Alexander ab. 


Fünfte Szene 
Zar. Pahlen. 


Schweigen. Der Zar ſitzt am Schreibtiſch, unruhig, wie auf dem 
Sprung. Er beobachtet Pahlen, der mit gleichmütigem Geſicht an 
ſeinen im Hintergrund befindlichen Arbeitstiſch tritt und in Akten 

blättert. 


Zar huſtet vor Erregung Gouverneur... 

Pahlen Majeſtät? 

Zar Hm. . . ja — Sie ſprachen ſcharf mit ihm — 
Sie ſehen in ihm Ihren Gegenſpieler .. was? — fürchten 
irgendeinen Strich durch irgendeine Rechnung, was? 

Pahlen Sire, Sie belieben heute meine Perſon 
auf ſonderbare Art in Betracht zu ziehen. Ich weiß nicht, 


61 


warum. Der Zarewitſch iſt gewiß nicht mein Antagoniſt. 
— Es ſei denn, Sie erweiſen mir die Ehre und identi— 
fizieren ſich mit mir. 

Zar ſehr nervös Ich weiß, was Sie damit ſagen 
wollen. Aber eben war er hier und ſuchte ſentimentaliſch 
ſeinen Vater. 

Pahlen Er ſcheint ihn nicht gefunden zu haben. 

Zar Nein. — Aber ich fühle nicht ſo ſchroff, wie ich 
ihm geantwortet habe. 

Pahlen Das iſt auch nicht nötig. Ich liebe ihn ſogar 
und laſſe ihn doch überwachen. Ich werde mich hüten, 
ſeine Romantik als ſtaatsgefährlich zu betrachten, ehe ich 
nicht Beweiſe habe, daß ſie aktiv iſt. 

Zar Sie haben noch keine Beweiſe? 

Pahlen Noch nicht. — Aber ich habe ihn in der Hand. 

Zar Sind Sie ſicher, daß er nicht daran denkt, Ihren 
Einfluß zu beſeitigen? 

Pahlen mit einem raſchen Blick Das verſtehe ich nicht, 
Sire. Sie ſagten doch, daß er in der Audienz nicht gegen 
mich agitierte. 

Zar Das nicht. Es gibt aber vielleicht noch andere 
Möglichkeiten — dunklere Mittel... 

Pahlen Nicht für Alexander. — Ich habe meine 
Gründe, deſſen ſicher zu ſein. Er ſieht den Zaren an und 
kommt näher. Sire, es iſt etwas anderes, was Sie zu Ihren 
abſonderlichen Fragen veranlaßt. 

Zar ſteht auf, in großer Unruhe Ja, was denn, Pjotr, 
was denn . . . Schreit Was find Sie für ein Menſch? 
Was ſteckt in Ihnen drin? Ich weiß es nicht! Ich kenne 
Sie nicht! 

Pahlen zurücktretend Sire... Sie find krank .. 

Zar ſtürzt ſich auf ihn, umarmt ihn Pjotr — Väter⸗ 
chen... bin ich krank? Ich weiß es nicht . .. Man quält 


62 


mich, Pjotr, man quält mich! Warum ſehe ich nicht in die 
verfluchten Gehirne! Er greift Pahlens Uniform ab, plötzlich 
mit ganz veränderter Stimme, ſehr ſcharf Was — was ſind 
das für Papiere? 

Pahlen ohne ſich zu ſträuben, ruhig Wo, Sire? 

Zar klopft auf Pahlens Bruſt Hier — hier in der 
Bruſttaſche! 

Pahlen Mein Gott, das ſind Papiere dienſtlicher 
Art, Rapporte, Sitzungsprotokolle, Garniſonsbefehle, 
Notizen — was weiß ich. 

Zar Ich will ſie ſehen. 

Pahlen Gewiß, Majeſtät. 

Er öffnet den Uniformrock und legt den Inhalt der Bruſttaſchen 
auf den Tiſch. Der Zar prüft die Papiere genau und läßt ſie dann 
achtlos auf den Boden fallen. 

Zar Iſt das alles? 

Pahlen Ja, Majeſtät. 

Zar Ich dürfte in die Taſchen faſſen? 

Pahlen Gewiß, Sire — wenngleich ich jetzt doch 
mit allem Reſpekt fragen muß. 

Zar zeigt auf den Brief in Pahlens Armelaufſchlag Was iſt 
das da? 

Pahlen mit verlegener Stimme Sire, das — das iſt 
ein privater Brief. 

Zar Ich will ihn leſen. 

Pahlen Sire, es iſt der Brief einer Dame. 

Zar Ich will ihn leſen. 

Pahlen Sire, es iſt der ſehr vertrauliche Brief 
einer Dame, die unrettbar kompromittiert ... 

Zar Zum Teufel, was geht mich das an! Ich will 
den Brief! 

Pahlen Sire, ich kann Ihnen nicht das Recht ein— 
räumen. 


63 


Zar brüllt Ich befehle Ihnen: geben Sie mir den 
Brief! 

Pahlen gibt den Brief. Der Zar fliegt ihn durch und wirft ihn mit 
einer Grimaſſe fort. 

Zar grob Die Hoſentaſchen! 

Pahlen weicht ein paar Schritte zurück, feſt Sire, es 
wird zuviel. Warum beleidigen Sie mich? — Ich 
pflege in meinen Hoſentaſchen keine Konſpirationen zu 
verbergen. Sire, ich warne Sie. 

Zar ſchreit Die Hoſentaſchen! 

Pahlen ſieht ihn an, mit ſtarker Betonung Sire, ich 
bitte um meine Demiſſion! 

Der Zar blickt ihn irr und ſtumm an und dreht ihm den Rücken. 
Seine Schultern zucken ſchneller. Er weint lautlos. 

Zar Nein ... nein . nein 

Pahlen Sire, um Gottes willen! Was erregt 
Sie ſo? Was iſt geſchehen? Warum mißtrauen Sie 
mir? 

Zar Nein ... nein ... Laß doch — verzeih mir... 

Pahlen geht mit kühnem Entſchluß an den Schreibtiſch, 
beugt ſich wie ſuchend über die Platte, ruft Sire, und wenn 
es meinen Kopf koſtet: ich muß wiſſen, welche ſchändliche 
Myſtifikation Eure Majeſtät zu ſolcher Behandlung Ihres 
treueſten Dieners bewogen hat! 

Zar fährt auf, ſtürzt herbei Hier, Pahlen, hier, leſen 
Sie! Leſen Sie — Pjotr, man quält mich! Er reicht 
Pahlen das Billett, klammert ſich an ſeinen Arm und ſchreit 
Petiuſchka! Petiuſchka! Brüderchen! Ich lebe nicht mehr 
lange! Man ſchiebt den Tod auf mich zu! Du — du ſollſt 
bei mir bleiben! 

Pahlen überhört ſeinen Ausruf, lieſt: „Hüten Sie ſich 
vor Pahlen und Panin“ — ſcheint das Billett genau zu prüfen, 
lacht jetzt laut Sire, das iſt köſtlich! das iſt köſtlich! 


64 


* 


Zar an ſeinem Geſicht hängend Was iſt denn? Was iſt 
denn, Pahlen? 

Pahlen, in ſich ſteigernder Luſtigkeit, macht ſanft ſeinen Arm frei, 
bückt ſich nach Annas Brief, den der Zar hatte auf das Parkett 
fallen laſſen, und legt ihn neben das anonyme Billett. 

Pahlen Sire, verzeihen Sie meine ungebührliche 
Luſtigkeit. Aber wer lachte da nicht! 

Zar von feiner Heiterkeit angeſteckt und zugleich maßlos ver: 
wirrt Ja, was denn, Brüderchen, was iſt denn? 

Pahlen immer lachend Sire, die Verſchwörung iſt 
aufgedeckt. Sie hat ſich wahrhaftig gegen mich gerichtet. 
— Sire, ich muß Sie einer überraſchenden Tat anklagen: 
Sie haben mir das hübſcheſte Weib geraubt! 

Zar kichert ratlos und lüſtern Was — was... hüb⸗ 
ſches Weib . . . ich hätte dir das hübſcheſte ... Biſt du 
bei Sinnen, Pjotr? 

Pahlen Sehen Sie ſelber, Sire. — Belieben Sie 
die Handſchrift des anonymen Billetts und dieſes Briefes 
zu vergleichen... 

Zar intereſſiert Die gleiche Handſchrift, in der Tat. 
— Wer iſt Anjuta? — Wahrſcheinlich doch die Ofters 
mann. 

Pahlen lachend Getroffen, Majeſtät — keine andere 
als meine vielliebe, wunderſchöne, höchſt ungetreue und 
ſündhafte Freundin Anna Petrowna! 

Zar Und was bedeutet das? — Ein Racheakt? 

Pahlen Im Gegenteil! Im Gegenteil! Eine Liebes— 
erklärung! — Die Dame iſt ehrgeizig und weiß, daß 
ſie zehn Jahre jünger iſt und ſchönere Beine und mehr 
Temperament hat als die Lopuchin! — Und ſie iſt takt⸗ 
voller als die Lopuchin und wird Sie nicht ſo öffentlich 
und mit allen Hofpagen betrügen ... 

Zar auffahrend Die Lopuchin betrügt ... 


Neumann, Patriot 5 6 5 


Pahlen Aber gewiß! Der Polizeiminiſter kann 
Ihnen mit einer umfangreichen Liſte von Schwägern 
aufwarten, Sire . .. Und ich darf Ihnen verraten, daß 
der Hofmarſchall Nariſchkin, der neapolitaniſche Geſandte 
und der Leibpage Sanglen in der Spitzengruppe 
ſtehen .. 

Zar Teufel, das iſt wahr?! 

Pahlen Das iſt ebenſo wahr, wie allgemein bekannt. 
Der polizeiliche Akt mit Protokollen und Nachweiſungen 
iſt abgeſchloſſen. — Aber das iſt ja gleichgültig, man ſoll 
Toten keine Steine nachwerfen. Und Sie haben eine 
Lebendige, Sire! Ich gratuliere Ihnen, Sire, ich bin 
nicht eiferſüchtig — Madame atteſtiert es — ich refi 
gniere fröhlichen Herzens und ich gönne ihr den Auf— 
ſchwung ... 

Zar Teufel, die Oſtermann iſt hübſch . . . Ob fie 
wirklich heute abend kommen würde? 

Pahlen Sire, ſie wartet doch drauf! Sie hat mir 
mittels eines imaginären Saſcha für die nächſte Zeit ab— 
gewinkt — und Saſcha iſt der Märchenprinz, auf den ſie 
wartet — ach viel mehr noch: er iſt der Zar — und Saſcha 
hat wunderſchöne Lippen, der Teufel auch .. . Und 
Anjuta iſt nicht nur ſchön und weiß nicht nur, daß ſie 
einen tollen Körper hat, ſie iſt kenntnisreich wie ein 
leibhaftiger Succubus... Er flüſtert ihm ins Ohr. 

Zar lacht betäubt Teufel ... Teufel.. 

Pahlen lärmend Und ich werde Madame Ihren 
Befehl überbringen. Es wird mir einen göttlichen Spaß 
machen, den Freiwerber zu ſpielen! Ein Satansweib, 
dieſe Oftermann! — Und morgen, Sire, werden Sie ſich 
mit Allerhöchſtem Befehl von der Vormittagsarbeit 
dispenſieren müſſen, weil die Phyſis aller Berechnung 
nach den Schlaf gebrauchen wird... 


66 


a“ 


Sie lachen ſchallend. Plötzlich bricht Pahlen ab und wird ernſt. Der 

Zar, ganz abhängig von Pahlens Mienenſpiel, klappt mit leerem 

Lachen nach, wird ſchon ſtill, tajtet flackernden Blicks das Geſicht 
des anderen ab. 

Zar wieder irr und gequält Ja, was denn, Pjotr, was 
iſt denn? 

Pahlen nachdenklich Das gar nicht dumme Hirnchen 
hat recht gut ſpekuliert. Es wußte ganz genau, daß ich 
die Handſchrift erkennen und die Sache aufklären würde. 
Es wußte ganz genau, daß dieſe ſenſationelle Art, auf 
ſich hinzuweiſen, bei dem ritterlichen Charakter Eurer 
Majeſtät Erfolg haben würde, auch wenn ich unloyal 
genug wäre, eiferſüchtig zu ſein. Die Dame wußte auch, 
daß Sie, Sire, wegen einer neuen Mätreſſe nicht Ihrem 
erſten Miniſter das Vertrauen nehmen. Sie wußte, daß 
fie mir nicht ſchaden kann .. Er ſtockt, dann mit Nachdruck 
Warum aber nannte ſie dann auch Panin? 

Zar ſtumpf Warum — warum auch Panin? 

Pahlen Vielleicht wollte fie nur frappieren oder viel— 
leicht kann fie den Vizekanzler nicht leiden, weil er ziem— 
lich tugendhaft iſt und ſeiner Frau treu ſcheint. — Sie 
hätte wohl auch ebenſogut ſchreiben können: Pahlen und 
der Hofmarſchall Nariſchkin oder Pahlen und Murawiew. 
— Aber das iſt doch ganz ſinnlos! 

Zar wieder mißtrauiſch Ein Grund muß da ſein. Die 
Frau ſcheint doch zu wiſſen, was ſie will. — Ob ich ſie 
heute nacht fragen ſoll? 

Pahlen lächelnd O nein, Sire — das wäre ſehr — 
deplaziert. Ich glaube auch, daß Sie nicht zu politiſchen 
Geſprächen kommen werden... Und dann, Sire, fie 
würde doch nur lügen, aber in ihren eigenen Augen eine 
Wichtigkeit gewinnen, die von Ihnen durchaus nicht beab— 
ſichtigt iſt und unheilboll werden könnte. Die Dame hat — 


67 


wie Sie ſehen und wie ich ſchon lange weiß — eine deut⸗ 
liche Begabung für die Intrige. Darin dürfen Sie ſie auf 
keinen Fall beſtärken. 

Zar ſchärfer Sie reden um die Sache herum, weil fie 
Ihnen ſelber nicht geheuerlich ſcheint. — Was iſt mit 
Panin? Da muß etwas dahinter ſtecken. — Er kommt 
übrigens gleich zum Vortrag, wie Sie wiſſen. Grob Ich 
möchte bis dahin Klarheit haben, warum gerade Panin 
erwähnt iſt. Sie können ſie mir geben, ſcheint mir. 

Pahlen Sire, dieſe Klarheit kann Ihnen kein Menſch 
geben, zumal höchſtwahrſcheinlich die Intrige einer Frau 
den Namen ohne viel Überlegung hingeſchrieben hat. Die 
Loyalität des Grafen iſt über jeden Zweifel erhaben. 

Zar Iſt ſie das, Pahlen? 

Pahlen Er iſt der einzige Mann am Hof, zu dem ich 
Vertrauen habe und für deſſen Geſinnung ich einſtehen 
kann. 

Zar lauernd Das genügt mir noch nicht, Pahlen. Ich 
kenne Ihren Tonfall ... 

Pahlen leichthin Eine gewiſſe geiſtige Abſpannung 
allerdings — vielleicht auch eine pſychiſche Depreſſion iſt 
in den letzten Wochen bei dem Vizekanzler nicht zu ver— 
kennen. — Ein kurzer Urlaub... 

Er ſpricht nicht weiter und hebt die Papiere vom Boden auf. 
Schweigen. Der Zar zeigt ſein ſchiefes Lächeln. Dann ſchlägt er 
auf den Gong neben dem Schreibtiſch. Lakai kommt. 

Zar Wenn der Vizekanzler kommt, kann ich ihn ſofort 
empfangen. 

Lakai Seine Exzellenz iſt ſchon im Palais. 

Zar haſtig Er ſpricht mit dem Zarewitſch? 

Lakai Sehr wohl, Majeſtät. 

Zar Er ſoll ſofort kommen. 

Lakai ab. 


68 


Pahlen Alexander liebt den Grafen. 

Zar Was bedeutet das? 

Pahlen Nichts Gefährliches. Doch Alexander liebt 
nicht ſeinen Vater. 

Zar Hm... Und er haßt Sie? 

Pahlen Er hat Angſt vor mir — Die Oſtermann iſt 
übrigens nicht anſpruchsvoll. 

Zar verwirrt Was? — Ja... fofo... 

Pahlen Gelegentlich ein Titel ... 

Zar Gut, gut... Das hat ja noch Zeit. 

Pahlen Es wird das beſte ſein, wenn der Polizei— 
miniſter Madame Lopuchin einen kleinen Beſuch abſtattet 
— mit einer Bankanweiſung und einem Auslandspaß ... 

Zar Ich ſchickte ihr lieber den Stockmeiſter, Teufel, 
ja! — aber meinetwegen. 

Pahlen grinſend Sire, lernen Sie Großmut von mir! 

Beide lachen. Lakai kommt. 
Lakai Seine Exzellenz, der Herr Vizekanzler. 


Der Zar tritt ans Fenſter, den Rücken gegen den Raum. Pahlen 
ſetzt ſich an ſeinen Tiſch im Hintergrund und arbeitet Akten durch. 


Sechſte Szene 
Zar. Pahlen. Panin. 
Panin tritt ein und fühlt ſofort die Spannung gegen ſich, ſieht 
nervös auf Pahlen, der ihm leicht zunickt. : 

Panin Ich wünſche Eurer Majeſtät gehorſamſt einen 
guten Morgen. — Exzellenz, guten Morgen. 

Der Zar dreht ſich nicht um und antwortet nicht. 

Pahlen Guten Morgen, Graf Panin. 

Panin nimmt ein Schriftſtück aus der Taſche, beginnt be⸗ 
fangen Sire, in Verfolg der vorgeſchlagenen Reformen 
für die Innere Verwaltung erlaube ich mir heute, das 
Intereſſe Eurer Majeſtät auf die offenſichtlichen Miß⸗ 


69 


ſtände im Polizeiweſen hinzulenken. Bevor ich auf bee 
ſtimmte Verwaltungsmängel eingehe, möchte ich zu— 
nächſt die Einſchränkung einiger ſehr kraſſer, im euro— 
päiſchen Sinn ſogar unmöglicher Polizeibefugniſſe an— 
regen. Ich möchte zum Beiſpiel Eurer Majeſtät nahe⸗ 
legen, die überſcharfen Vorſchriften der Fremdenüber⸗ 
wachung und die wenig zweckmäßigen Verordnungen 
gegen ausländiſche Literatur, Sprache, Barttrachten und 
Kleidungsſtücke aufzuheben und durch Maßnahmen zu 
erſetzen, die dem Anſehen des Reiches von größerem 
Nutzen fein möchten ... 

Zar dreht ſich um und ſchreit Das Anſehen des Reiches 
repräſentiere ich, Herr Graf! Wagen Sie jetzt noch, 
weiter zu reformieren? 

Panin blaß und faſſungslos Sire, erlauben Sie ... 
Er ſieht Pahlen an, der ihm zulächelt. Der Zar geht mit ſchiefem 
Lächeln auf ihn zu. 

Zar fixiert Panin, flüſtert Ja, Herr Graf, ich erlaube 
Ihnen — ich erlaube Ihnen, ſich als Privatmann auf Ihre 
Güter zurückzuziehen. Sie ſind erholungsbedürftig, ſcheint 
mir. Meine Gnade iſt ſehr groß. 

Panin ſehr leiſe Ich weiß es zu würdigen, Majeſtät. 

Zar zu Pahlen Ich muß mir Bewegung machen, Pah— 
len. Und den Kerls auch. Die Geſchäfte auf Nachmittag. 

Pahlen Sehr wohl, Majeſtät. 

Zar ab. 


Siebente Szene 
Pahlen. Panin. 
Schweigen. Pahlen nähert ſich langſam dem Kanzler. 
Pahlen Panin, ich — ich habe dem Zaren den Rat 
gegeben.. 


70 


a 


Panin nach einer kleinen Stille, ſchlicht Ich danke Ihnen, 
Graf Pahlen, ich konnte nicht mehr. 

Pahlen Ja, ich ſah es. Sie haben getan, was Sie tun 
konnten. Und Sie haben viel getan. Ich danke Ihnen, 
Panin. Bis zum Ende können Sie nicht mitgehen. Ich 
wußte es ſeit jenem Abend bei mir. Es galt, Sie auf mög— 
lichſt ruhiges Waſſer auszuſchiffen. Ich fand heute den 
Augenblick. Leiſer Jetzt werden wir Schurken unter uns 
ſein. Es iſt immerhin noch ein gutes Zeichen, daß mir die 
Trennung von Ihnen ein wenig weh tut. 

Panin überraſcht und bewegt Mein Gott, Pahlen ... 

Pahlen heftig Nein, nein, Panin, ſuchen Sie nicht 
nach einem guten Wort für mich! Ich verdiene es nicht! 
Hätten Sie vorhin gehört und geſehen, wie ich dieſen 
armen kranken Menſchen quäle und betrüge und belüge, 
mit welchen ſchlauen Fingern ich ihm die Schlinge um den 
Hals richte, wie ich lüge, lüge und berechnet töte und bis 
zu meinem glatten Maul im Dreck ſtecke . . . Großer Gott, 7 
Panin, was hat er mir denn getan! 

Panin erſchrocken Pahlen, Pahlen, ſchreien Sie 
nicht ſo! 

Pahlen Was hat er mir denn getan, daß ich ihn wie 
ein Tier in den Tod hetze! — Er hat mich erhoben wie 
noch keinen — und das iſt der Dank! Mit anderer Stimme 
Aber Sie glauben wohl, daß ich bereue, Panin, daß ich 
umkehre und in Ihre moraliſchen Arme ſinke? Sie irren 
ſich, mein Freund, ich gehe weiter! Das Ziel bleibt — und 
ich erreiche es. Und ich mache alles mit mir ſelber ab, ver⸗ 
ſtehen Sie mich! Das eben iſt nur eine Schwäche — wie 
bei jedem Mörder. Und ſie geht vorüber. Brüsk ablenkend 
Wußten Sie, daß ſich Alexander heute vormittag beim 
Zaren zur Audienz angeſagt hatte und bei ihm 
war? 


GFL 


Panin noch erſchüttert Alexander? — Nein, ich wußte 
es nicht. Als ich ihm heute morgen Ihren Bericht 
brachte, ſprach er kein Wort davon. Allerdings war er noch 
fo unentſchloſſen wie heute nacht und nicht zu einer Sue 
ſtimmung zu bringen. Es mag ſein, daß ihn erſt die Lek— 
türe zu jenem Schritt getrieben hat. Ich war zum min⸗ 
deſten ſehr erſchrocken, als ich ihn vorhin hier traf. Ich 
fürchtete das Schlimmſte. Aber er ſcheint nichts geſagt zu 
haben. 

Pahlen Er iſt wahrſcheinlich gar nicht zu Wort ge— 
kommen. Mich überraſcht übrigens dieſe Reaktion ſeiner 
Nerven nicht; ich habe ſie erwartet und hielt ſie auch nicht 
für ſonderlich gefährlich, da der Zar gegen ihn zu vorein— 
genommen iſt — und zwar durch mich. — Aus dieſem 
Grunde nicht und aus dem noch tieferen, weil der Thron—⸗ 
folger ein viel zu großer Opportuniſt iſt, um im Ernſt ſeine 
Chancen ſelber zu verderben. 

Panin erregt Glauben Sie, daß er es weiß oder daß 
er es nur inſtinktiv iſt? 

Pahlen Ich möchte glauben, daß er es ſehr gut weiß. 

Panin heftig Pahlen, Sie ſprechen etwas aus, was 
mich heute nacht anfiel und nicht mehr losließ und ſich in 
mir feſtgebiſſen hat. Pahlen, man kann das Gewiſſen töten 
der 

Pahlen ſehr ernſt Oder man wird vom Gewiſſen ge— 
tötet, Panin. 

Panin Ich weiß nicht genau, was Sie damit meinen. 
Ich jedenfalls kann es nicht und trete ab. Sie, Graf... 

Pahlen Sie meinen, daß ich es töten kann? Ich weiß 
bisher nur, daß ich Menſchen ... 

Panin bedrängt Laſſen wir das, Pahlen. Sie können 
weitergehen. Ich ahne vielleicht, um welchen Preis. 
Alexander aber will ſein Gewiſſen mitſchmuggeln. Das iſt 


72 


— 


verächtlich. Ich ringe um Unparteilichkeit. Ich kämpfe um 
den humanen Lebensbegriff, den ich Alexander lehrte und 
der mich an ihm entzückte. Aber iſt es denn ein Kampf 
um die Humanität, den Alexander führt? Dann iſt dieſe 
Humanität abſonderlich, die eine blutige Krone als Ziel 
hat, das Blut ſcheut und doch die Krone greifen möchte. 
Aber die Krone iſt voll Blut! Aber die Krone wird voll 
Blut ſein! Hat dieſer ſanfte und zarte Thronerbe nicht 
auch das Erbe der harten Zarengewiſſen, des getöteten 
Gewiſſens als Fundament ſeiner Staatsromantik? Iſt 
dieſer Pahlen, der ſich Mörder ſchimpft und doch weich 
wird, weil ich, der moraliſche Menſch, abtrete — iſt 
dieſer Kaiſermacher aus Vaterlandsliebe oder aus Ehr— 
geiz oder aus Temperament, was weiß ich! — nicht ge- 
wiſſenhafter im humanen Sinn? Ich jubelte heute nacht 
dem Prinzen zu, weil er Sie ſah, wie ich Sie ſehe. 
Aber jetzt ſehe ich ihn, wie Sie ihn ſehen, und ſage 
Ihnen, daß Sie ſein halbes Gewiſſen packen dürfen. Er 
verdient es nicht anders! 

Pahlen reicht ihm die Hand Sie ſind gut und Sie 
ſind klug, Panin. Dieſer Pahlen hat einen ſo breiten 
Buckel, daß er alle halben Gewiſſen und ſein ganzes noch 
dazu ſich aufpacken kann. Die Zaren werden von ihm 
nichts zu lernen brauchen; denn ſie ſind an dergleichen 
Sklavendienſte gewöhnt. Er lacht Aber wie es auch ſei, 
ich will jetzt Alexanders Halbheiten zu meinen kleinen Er⸗ 
preſſungen verwenden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn 
Sie dieſes letzte Mal noch mitkämen, Graf. Wir wollen 
jetzt zu ihm gehen. 

Panin Ich bin bereit. 

In der Tür ſtoßen ſie auf Alexander. 


Achte Szene 
Pahlen. Panin. Alexander. 


Panin Wir wollten zu Ihnen, mein Prinz. Wir 
haben Ihnen allerlei zu erzählen. Zu Pahlen Sollen wir hier 
bleiben, Exzellenz? 

Pahlen Das können wir ruhig. Die Majeſtät exer— 
ziert die Wachkompagnie. Das dauert eine geraume Zeit 
— wenn er überhaupt noch vormittags das Arbeits— 
kabinett betritt. 


Alexander und Panin treten ins Zimmer. Pahlen beugt ſich aus 
der Tür, macht ein Zeichen hinaus, ſchließt ſie und kehrt gleichfalls 
um, ſich etwas abſeits haltend. 


Alexander äußerſt unruhig Ich weiß — weiß alles. 
Die Majeſtät verfehlte nicht, es mir zu ſagen — und ſie 
tat es auf nicht zarte Art. — Daß Sie mich verlaſſen 
müſſen, Panin, iſt das Schlimmſte, was mir mein Vater 
antun konnte! 

Pahlen Es iſt meine Pflicht, auch Ihnen zu ſagen, 
Hoheit, daß Seine Majeſtät den Grafen Panin auf meinen 
Rat hin vom Amt ſuspendiert hat. 

Alexander betroffen Auf Ihren Rat? Sehr ſcharf Iſt 
das Ihr Dank, Herr Graf? 

Pahlen Es geht jetzt nicht um Dank und Undank, 
Hoheit. Jede große Sache erfordert zuweilen Maßnah— 
men, die dem Fernſtehenden hart und unverſtändlich er— 
ſcheinen können. Und vielleicht iſt ſogar meine Handlungs⸗ 
weiſe in gewiſſem perſönlichem Sinn ein Dank. Darüber 
wird Panin Ihnen gegenüber nicht ſchweigen. 

Alexander gepreßt Wenn mich aber das Ausſcheiden 
des Grafen Panin beſtimmen würde, auch meinerſeits 
das — das Intereſſe aufzukündigen, und wenn ich Ihnen 


74 


— 


anraten — Ihnen befehlen würde, das Unternehmen auf— 
zugeben .. 

Pahlen unterbricht ſehr ernſt Das ſind ſo gefährliche 
Worte, Hoheit — für Sie ſo gefährliche Worte, daß Sie 
gut getan haben, ſie nur bedingt auszuſprechen. 

Alexander ſchweigt, die Lippen zuſammenpreſſend. 


Panin leiſe Das Ausſcheiden eines ſo wenig qualifi— 
zierten Menſchen, wie ich es bin, unterbricht niemals den 
Ablauf der Hiſtorie, mein Prinz. 

Alexander ſieht ihn traurig und ſtumm an. 


Pahlen Und weil das hiſtoriſche Schickſal mit dem 
heutigen Tag aktiv wird, müſſen Sie ſich entſcheiden, 
Hoheit — müſſen Sie ſich entſcheiden, in Ihrem Intereſſe. 
Deshalb ſind wir jetzt hier. 

Alexander ſtöhnt Ich kann nicht! Ich kann jetzt noch 
nicht! 2 

Pahlen Mein Prinz, das ſtöhnen Sie ſeit vier Wochen. 
Die Zeit läuft Ihnen fort, Alexander. Die Zeit ſchritt 
raſch, furchtbar raſch, während Sie ſtöhnten. Sie haben 
meinen Bericht geleſen. Der Ring iſt geſchloſſen. Die Gar— 
niſon iſt auf das nahe dunkle unausbleibliche Ereignis vor— 
bereitet. Und Valerian Subow, der große Subow der 
Kaiſerin, den Sie und die Armee und das Reich als die 
Verkörperung der heroiſchen Tradition lieben müſſen — 
Valerian Subow tritt innerhalb meiner Organiſation an 
die Stelle des Grafen Panin. 

Alexander Valerian Subow! 

Pahlen Ja, Hoheit. Und ſind Sie jetzt bereit, das 
Unternehmen zu ſanktionieren und in einem von mir zu 
beſtimmenden Augenblick die erledigte Krone anzuneh— 
men? 

Alexander zurückweichend Die erledigte Krone? — 


JS 


Das ſagen Sie in dem Arbeitsraum meines Vaters? Das 
ſagen Sie zu ſeinem Sohn? 

Pahlen einen Schritt auf ihn zugehend Hören Sie, mein 
Prinz, ich habe bisher noch nicht die Audienz erwähnt, die 
Sie vorhin in dieſem Raum hatten. Wollen Sie mich 
zwingen, Hoheit, Sie als meinen Gegner zu behandeln 
und mich Ihrer Perſon in einer Weiſe zu verſichern, daß 
Sie den Gang der Ereigniſſe nicht mehr zu ſtören ver— 
möchten? 

Alexander bebend Wiſſen Sie, mit wem Sie ſpre— 
chen, Herr Graf? 

Pahlen langſam Der Kriegsgouverneur ſpricht mit dem 
Großfürſten-Thronfolger, der Seine Majeſtät nicht von 
dem Beſtehen einer gegen die Krone gerichteten Kon— 
ſpiration unterrichtet hat. 

Alexander raſend Menſch! Menſch! Sind Sie toll! 
Was machen Sie mit mir! 

Pahlen kalt Hoheit, ich gebe Ihnen den Weg frei. 
Wollen Sie jetzt noch den Zaren aufſuchen und ihm ſagen, 
was Sie wiſſen? — Ich gebe Ihnen keine zweite Gelegen— 
heit mehr. 

Alexander zuſammenbrechend Mein Gott... mein 
Gott nein ich will nicht 

Pahlen Gut, Hoheit, Sie entſcheiden ſich alſo für die 
Aktion. 

Alexander tonlos Nein... nein... noch nicht! 
. . . Panin, hilf mir doch! 

Panin leiſe Pahlen — hat — recht... 

Alexander Sie auch... Sie auch ... — Ich bin 
ganz allein ... Er ſtürzt auf Pahlen und umklammert ſeine 
Hand Pahlen, Pahlen, haben Sie doch Erbarmen mit 
mir! 

Pahlen plötzlich weich Mein Prinz, was nützt Ihnen 


76 


od 


mein Erbarmen . .. Pauſe Hoheit, verzichten Sie auf den 
Thron zugunſten ... 

Alexander fährt auf, ſchreit Nein! Nein! Nein! Nie— 
mals! 

Panin Hoheit, es tut mir weh, daß Sie mich jemals 
Ihren Freund nannten. 

Alexander ſchluchzt auf Ich kann nicht anders ... 

Pahlen ſich abwendend Ich will noch warten, Prinz. 

Alexander ſchluchzend Was nützt es mir... 

Die Tür wird aufgeriſſen. 
Murawiews Stimme ſchreit herein Er! 
Die drei ſtehen erſtarrt. Man hört die Stimme des Zaren. 


Neunte Szene 
Die Vorigen. Zar. 
Der Zar tritt ein, ſieht von einem zum anderen. 
Zar Was Ihr noch hier! Was für eine Gruppe! Was 
für ein Geſicht, Herr Sohn! 
Pahlen Die Hoheit weint um ihren Panin, Sire. 
Zar Weint?! 
Er lacht dröhnend, Pahlen fällt ein. 


Vorhang 


Wd 


Vierter Akt 


Erſte Szene 
Kaiſerliches Wohnkabinett. — Der Vorhang, der den Salon vom 
Vorraum trennt, iſt geöffnet. — Abend. 


Im Vorraum (Hintergrund): Pahlen. Murawiew. Kammer— 
herr. Abſeits Stepan in Pahlenſcher Livree. 

Pahlen Morgen iſt der dreiundzwanzigſte? 

Murawiew Jawohl, Exzellenz. 

Pahlen Morgen ſtellt das Regiment Sſeminonowſfkij 
die Wachen für das Michaels-Palais? 

Murawiew Jawohl, Exzellenz. 

Pauſe. 

Pahlen In der Nacht vom dreiundzwanzigſten auf 
den vierundzwanzigſten März. 

Murawiew beklommen Mit Verlaub, Exzellenz, was 
iſt dann? 

Pahlen In der Nacht vom dreiundzwanzigſten auf den 
vierundzwanzigſten März. 

Pauſe. 

Murawiew leiſe Schon ... 2 

Pahlen Es iſt die höchſte Zeit. 

Murawiew Weiß es der Zarewitſch? 

Pahlen Alexander weiß nichts und tut nichts. Aber 
bis morgen iſt noch viel Zeit — viel zu viel Zeit. Bis 
morgen muß noch mehr geſchehen — und Wichtigeres. 
Alexander iſt nicht ſo wichtig. Er verlangt nur nach dem 


78 \ 


rd 


Zwang als Mittel zur Überzeugung. Er foll ihn haben, 
gut doſiert und im rechten Augenblick. Wichtiger iſt die 
Oſtermann — und viel gefährlicher. Denn ſie weiß viel 
und tut viel. 

Kammerherr Ja, die Verbindungstür zu den Ge— 
mächern der Kaiſerin iſt zugemauert. Sie hat es ſofort 
erreicht. Sie erreicht alles. 

Pahlen Das meldeten Sie mir ſchon, Ungern. Das 
iſt gut. — Aber ſie erreicht zu viel, verſtehen Sie mich? 
Paul liebt ſie ſo wild und verzweifelt, wie er jetzt lebt. 
Paul iſt in Auflöſung, aufgeweicht von Wahnſinn und 
Angſt. 

Murawiew Oh, es iſt furchtbar ... 

Pahlen heftig Ja, es iſt furchtbar! Ich weiß es! 
Ich weiß es ſo gut wie Sie. — Aber warum ſagen Sie es? 
Was ſtöhnen Sie mir vor? — Wenn Sie es nicht aus— 
halten können, dann gehen Sie doch! Gehen Sie! Ich 
gebe Ihnen zwei Tage Urlaub. Dann iſt alles vorbei ... 

Murawiew leiſe Ich bleibe. 

Pahlen Nun ja, nichts für ungut, Sergej Nifola- 
jewitſch, wir ſind alle ein wenig überreizt, und zumal 
ich habe verdammt wenig Gelegenheit, mich gehen zu 
laſſen. Und das muß man hin und wieder. — Ja, ja, ja, 
es iſt furchtbar! Paul iſt verſtört oder betrunken poet 
entſetzlich hellſichtig. 

Kammerherr Er trinkt zu viel und ißt zu wenig — 
aus ſeiner tollen Angſt vor Gift. In den letzten Tagen iſt 
es etwas beſſer geworden. Er hat eine engliſche Köchin 
aus bürgerlichen Kreiſen gemietet, die nur für ihn kocht 
und in abſonderlicher Klauſur hier am Schloßflügel lebt. 
Und ſein neuer Leibarzt, der Engländer Grive, an deſſen 
Unbeſtechlichkeit ſelbſt er glaubt, hat ihn Tag und Nacht 
zu beobachten. 


79 
CONCORDIA COL! -EGE LIBRARY 


lotavat ULerTet 


Murawiew Es iſt fehr ſeltſam: er haßt kein Volk 
ſo ſehr wie die Engländer und ſchwört ihnen täglich den 
Untergang, trotzdem alle baltiſchen Häfen von britiſchen 
Kriegsſchiffen blockiert ſind. Aber ihm ſein Leben zu 
ſchützen, ſucht er die engliſche Köchin und den eng— 
liſchen Arzt. Seine Familie verdächtigt er, wie er alle 
Welt verdächtigt. Den Kammerherrn durchſucht er jeden 
Tag eigenhändig nach Waffen. Und ich darf in ſeinen 
Privaträumen keinen Degen tragen. 

Pahlen leiſe und haſtig Und doch, und doch, er liebt 
einen Menſchen, mit einer irren, hilfloſen, wütenden und 
{chon wieder ganz zarten Liebe. Wahrhaftig, messieurs, 
er liebt die Oſtermann. Er iſt gut zu ihr wie ein guter 
Menſch, er überhäuft ſie mit Geſchenken, er berauſcht ſich 
an ihrem Körper, er hält ſich an ihrem warmen Leben 
feſt. Sie iſt ihm unentbehrlich. Das iſt die Gefahr, die 
ich nicht ahnen konnte, als ich ſie ihm zuſchanzte. Ich 
weiß nicht, wie weit es ihr Plan war und wie weit ihr 
Pauls Zerfall entgegenkam. Aber ich weiß, daß ſie ſich 
ihrer gefährlichen Macht nicht nur bewußt iſt, ſondern 
daß fie fie auch gebraucht. Bis zur Stunde wenigitens 
iſt er noch leicht abzulenken. Aber nicht die Oſtermann. 
Und — kurz und gut — die Frau muß fort — noch heute! 

Murawiew erſchrocken Mein Gott, Exzellenz, wie 
ſoll das möglich ſein? 

Kammerherr Wie ſoll es ohne Gewalt möglich 
ſein — und wie ſollten wir Gewalt anwenden können? 
Der Zar iſt faſt immer bei ihr, und ſie wohnt unmittelbar 
neben dieſem Zimmer, vom Vorraum aus nur über den 
kleinen Gang. 

Pahlen Beunruhigen Sie ſich nicht, messieurs, ich 
beauftrage keinen von Ihnen, die ſchöne Frau zu ent— 
führen. Und ich — nun, ich beginne ſelbſtverſtändlich 


80 


— 


mit der ſanften Überredung. — Haben Sie ihr geſagt, 
Baron, daß ich etwas vor der üblichen Souperſtunde 
komme, um mit ihr ein paar Worte unter vier Augen 
zu ſprechen? 

Kammerherr Gewiß, Exzellenz, ich habe es ihr 
ausgerichtet. Und ſie ſagte zu. 

Pahlen Gut, die Frau muß fort. Und läßt ſie ſich 
nicht von mir überzeugen, dann übergebe ich ſie einer 
anderen Inſtanz. Denn jo wenig wie Sie, messieurs, 
vermag ich, ungalant zu fein. 

Murawiew unruhig Welcher Inſtanz, Herr Graf? 

Pahlen Sie ſteht im Zimmer, Murawiew. Sie be⸗ 
ſitzt alle guten exekutiven Eigenſchaften: fie ift wortkarg, 
zuverläſſig und muskulös. 


Alle ſehen auf Stepan. 


Murawiew leiſe Iſt das nicht jener Grenadier... 
Pahlen Er iſt mein beſter Freund und für dieſe und 
die nächſten Stunden Rußlands wichtigſter Mann. So 
ſieht das Schickſal des Reiches aus. Sehen Sie es ſich nur 
an! 
Schweigen. 

Kammerherr leiſe Sie haben alles Grauen dieſer 
Tage in der Stimme, Graf Pahlen ... 

Pahlen Lieber Kammerherr, wie ſoll ich es ver— 
hüten? — Aber mein Freund Stepan — das iſt mein 
Freund Stepan — wird vielleicht von Ihnen, cher 
baron, ich ſage es Ihnen noch, an einer paſſenden 
Stelle im Zimmer der Oſtermann untergebracht werden 
müſſen; verſtehen Sie mich? Und mein Freund Stepan 
darf keinem außer Ihnen beiden begegnen, wenn er 
etwa um elf Uhr, jedenfalls kurz bevor ich aufbreche, 
ſchier unmenſchlich beladen meinen Wagen zu erreichen 


Neumann, Patriot 6 817 


— 


ſtrebt — Sie begreifen mich gut. Ich weiß übrigens 
dies alles noch nicht ganz gewiß. Und Sie, Murawiew, 
werden nach einiger Zeit — noch bevor der Zar kommt — 
meine Plauderei mit der Oſtermann unterbrechen und 
mich dienſtlich irgendwo gebrauchen. Dann werden Sie 
erfahren, was zu tun fein wird. — Und jetzt bedarf ich 
Ihrer nicht mehr, messieurs. Es iſt gut, wenn wir nicht 
zu oft zuſammen geſehen werden. Die Oſtermann hat 
ſcharfe Augen — und ich auch ... Und mir gefällt Ihre 
Kritik nicht. Aber ich kann Ihnen nicht helfen ... 

Kammerherr Exzellenz, wir kritiſieren nicht, wir 
ſind nur überraſcht und — deprimiert. 

Kammerherr und Murawiew ab. Pahlen geht hin und her. 

Pahlen Stepan, weißt du, was deprimiert iſt? 

Stepan Nein, Exzellenz. 

Pahlen Stepan, biſt du froh? 

Stepan Nein, Exzellenz. 

Pahlen Biſt du traurig, Stepan? 

Stepan Nein, Exzellenz. 

Pahlen Was fühlſt du denn? 

Stepan Nichts, Exzellenz. 

Pahlen Nichts? Keine Angſt? Kein Herzklopfen? 

Stepan Nein, Exzellenz. 

Pahlen Aber wenn ich traurig bin? 

Stepan Dann bin ich's gewiß auch, Väterchen 
Exzellenz. 


Im Vordergrund betritt Anna den Salon, in einem Buch leſend. 


Pahlen leiſe zu Stepan Da iſt ſie. Du kennſt ſie doch? 

Stepan Jawohl. 

Pahlen Damen ſind zerbrechlich. Nicht mit der 
Fauſt, hörſt du? Ein Kiſſen aufs Geſicht ... Er flüſtert. 

Stepan Jawohl, Exzellenz. 


82 


Pahlen Damen haben eine zarte Haut. Nicht vere 
wunden, hörſt du? Und nicht vor elf Uhr, falls ich es 
dir nicht anders ſage. 

Stepan Jawohl, Exzellenz. 

Pahlen geht in den Salon und ſchlägt hinter ſich den Vorhang 
zuſammen. 


Zweite Szene 
Pahlen. Anna. Zum Schluß Murawiew. 


Pahlen Guten Abend, Madame. 

Anna Guten Abend, Pahlen. Der Kammerherr ... 

Pahlen Gewiß, Madame — und ich danke Ihnen, 
daß Sie mir die nachgeſuchte Audienz bewilligen. 

Anna Wollen Sie es bei dieſem Ton belaſſen, Herr 
Graf? 

Pahlen Nein, hohe Frau, ich mache die Muſik nach 
Ihrem Sopran. Ich will Sie ſozuſagen nur begleiten. 
Das Konzert wird nicht übel — bei ſo virtuoſen 
Spielern. 

Anna Pahlen, was wollen Sie? — Der Zar kann 
bald kommen. 

Pahlen Der Zar? — Wo iſt er denn? 

Anna Ich weiß es nicht. 

Pahlen Wer ſoll es denn wiſſen, wenn nicht Ste... 

Anna Wahrſcheinlich läßt er ſich von Doktor Grive 
beklopfen und abhorchen. 

Pahlen Ja, das Herz, das Herz! — Sie müſſen auf 
das Herz mehr Rückſicht nehmen, Madame. Der Zar hat 
nicht das Glück, Ihre Konſtitution zu beſitzen — nicht 
einmal meine 

Anna Ich verſtehe Sie nicht, Herr Graf. Aber ich 
habe große Luſt, Sie allein zu laſſen. 


83 


Pahlen Ach, Anjuta, behandelt man fo ſeine alten 
Freunde? Sollten Sie mich ſchon vergeſſen haben? 

Anna Ich wußte wahrhaftig nicht, daß Sie ſo 
widerwärtig ſein können. — Iſt das alles, was Sie mir 
zu ſagen haben? 

Pahlen Ich bin Ihnen immerhin für die Meinung 
dankbar, die Sie bis zu dieſem Augenblick von mir hatten. 
Aber man erkennt vertraute Menſchen zumeiſt erſt dann, 
wenn man ein gutes Stück von ihnen abrückt. So muß 
ich für mich noch allerlei fürchten. — Und ich wollte Sie 
fragen, ob Sie es ſchon erreicht haben. 

Anna Was ſoll ich erreicht haben? — Ich verſtehe 
Sie nicht. 

Pahlen Sie verſtehen mich nicht mehr? Das iſt 
ſchade. Ich brachte Sie nämlich zu einem beſtimmten 
Zweck mit Paul zuſammen, erinnern Sie ſich gar nicht? 
Sie ſollten erreichen, daß die Verbindungstür zu den 
Gemächern der Zarin zugemauert würde. 

Anna Sie brachten mich zu einem beſtimmten 
Zweck . . . Sie wechſeln die Tonart, Sie werden inter- 
eſſant, Herr Graf. — Die Tür iſt übrigens ſchon zuge— 
mauert. Ich vergaß es wohl, Ihnen zu ſagen. 

Pahlen Ach, Sie vergaßen es. Aber die Tür iſt zu⸗ 
gemauert. Nun, ich bin doch mit Ihnen zufrieden. Es 
war wohl ein rechter Kampf? 

Anna Durchaus nicht. Der Zar pflegt meine Wünſche 
gerne und ſchnell zu erfüllen. Er hat ſogar den leitenden 
Architekten, der die peinliche Aufgabe hinauszögern 
wollte, für kurze Zeit einſperren laſſen. 

Pahlen Sehr gut! Sehr gut! So haben wir es alſo 
erreicht. Und da ich eigentlich keine Aufgabe mehr für 
Sie habe, kann ich Sie jetzt ſchon aus der zwangvollen 
Gemeinſchaft entlaſſen. 


84 


Anna Mir ſcheint, Pahlen, Ihre Witze fangen an, 
fad zu werden. 

Pahlen Wieſo, Madame, ich ſcherze nicht. Ich denke 
an Ihr Wohl, wie ſtets. Ich möchte Sie nicht länger 
als unbedingt nötig neben einem kranken und gewiß 
nicht angenehmen Menſchen laſſen. Und Sie ſind nicht 
mehr notwendig ... 

Anna ſcharf Jetzt iſt es wohl genug! Herr Gouver— 
neur, ich habe nicht die Ehre, unter Ihrem ſpeziellen 
Kommando zu ſtehen. Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen 
einige Illuſionen nehme. Ich bleibe bei der Majeſtät, 
ſelbſt wenn es ungemütlich werden ſollte — ſogar wenn 
es Ihnen nicht belieben ſollte. Der Zar iſt gut zu mir: 
vielleicht liebt er mich, vielleicht braucht er mich, trotzdem 
es außerhalb Ihrer Berechnung liegen mag. — Aber 
ſelbſt Ihre Berechnungen könnten einmal einen Fehler 
haben! 

Pahlen lacht Um ſo beſſer, Marquiſe Pompadour, 
um ſo beſſer, wenn es ſo ſteht! Um ſo beſſer, wenn Sie 
mir ſogar die Verantwortung für Ihre Perſon erlaſſen! 
Aber eine kleine Frage, Madame: haben Sie vor, mich 
beim Kaiſer zu verdächtigen? 

Paufe. 

Anna gereizt Ich halte Sie für zu klug, . 
um mir eine Veranlaſſung zu geben. 

Pahlen lacht Eine prächtige Antwort, hohe Frau, 
eine prächtige Antwort! Alſo wenn ich Dummheiten 
machte, könnten Sie eine Veranlaſſung finden. — 
Madame, wäre das nicht ein bißchen undankbar? 

Anna ſchweigt 

Pahlen lacht ſtärker Hören Sie, Madame, ich er— 
laube Ihnen ſogar, ein wenig undankbar zu ſein. — Sie 
verſtehen nicht? Aber Sie find doch nicht fo klug, wie ich 


85 


— 


annahm, Anna. Begreifen Sie doch, welchen Spielraum 
ich Ihnen laſſe. Wenn Sie dem Zaren keinen Argwohn 
gegen mich ſchenken wollen, iſt es gut. Aber wollen Sie 
mich verraten — ſoweit Ihr geringes Wiſſen um den 
Lauf der Dinge und Ihre weiblichen Rankünchen dazu 
imſtande ſind — mein Gott, Madame, dann iſt es noch 
beſſer! Ich will Ihnen ſogar helfen. Sie brauchen nur 
Ihr gar nicht ſo harmloſes, wenn auch nicht ganz ſelbſtän⸗ 
diges Billetdoux in die kaiſerliche Erinnerung zurück— 
rufen — oder Sie haben es vielleicht ſchon getan. Und 
wenn Sie fürchten, der andere Name, Panin, möchte 
nicht mehr aktuell ſein, ſo fügen Sie nur hinzu — mehr 
oder minder nachdrücklich, wie Sie wollen — Panin war 
der beſte Freund und Ratgeber des Zarewitſch — ja 
Eccellenza, des Zarewitſch — und iſt es vielleicht noch. — 
Dann, Madame, ſind Sie in aller Wahrheit auf der Höhe 
der Situation. 

Anna ſchreit Ou... du . . teufliſcher Menſch! — 
Weißt du — weißt du, was du für ein Menſch biſt? 

Pahlen ernſt Wahrhaftig, Anna, das weiß ich nicht. 
Es klopft Ja! Herein! 

Murawiew kommt. 

Murawiew Um Vergebung ... 

Pahlen Sie ſind's, Sergej Nikolajewitſch ... Wiſſen 
Sie, was ich für ein Menſch bin, mein Freund? 

Murawiew betreten Das weiß ich nicht, Exzellenz... 

Pahlen Ich auch nicht, Murawiew. Aber die Mar— 
quiſe hier weiß es: ein teufliſcher Menſch! — Was 
meinen Sie? 

Murawiew betrachtet die erregte Frau, zögernd Nein 
— das find Sie nicht, Exzellenz... 

Pahlen lacht Hören Sie, Madame? — Aber was 
gibt es, Murawiew, ſuchen Sie mich? 


86 


a 


Murawiew Ja, Exzellenz. Eine Ordonnanz von der 
Admiralität — dringend zu erledigen ... 

Pahlen Ach Gott, ja. — Ich komme gleich mit 
Ihnen mit. Zu Anna Madame, Sie entſchuldigen mich 
bei der Majeſtät, ſollte ich etwas ſpäter als gewöhnlich 
zum Souper erſcheinen. — Sie werden ihn ja unter⸗ 
halten können ... 

Pahlen und Murawiew ab. Anna geht unruhig hin und her. Lakaien 


kommen und bereiten einen Tiſch für drei Perſonen. Der engliſche 
Doktor Grive geht durch das Zimmer. Anna hält ihn auf. 


Dritte Szene 


Anna. Grive. 


Anna Sahen Sie den Kaiſer? 

Grive Ja, Madam. 

Anna Haben Sie ihn unterſucht? 

Grive Ja, Madam. 

Anna Nun und? 

Grive Er ſollte weniger trinken, Madam. 

Anna Warum, Doktor? 

Grive Er ſollte keine Aufregungen haben, Madam. 

Anna Ja doch, warum? Iſt er krank? 

Grive verzieht den Mund Er iſt nicht geſund, Madam. 

Anna Mein Gott, Doktor, reden Sie doch! 

Grive Er hat Fieber, Madam. Aber das iſt es nicht allein. 

Anna Was denn noch, Doktor, reden Sie doch! 

Grive Da iſt nicht viel zu reden, Madam. Ich muß 
in die Küche — die Speiſen prüfen. 

Anna haſtig Was iſt mit ihm? Iſt er wahnſinnig? 

Grive Nein, Madam. — Er iſt ein armer Menſch. 
Grive ab. In der entgegengeſetzten Tür ſteht der Zar, bleich, ge: 

dunſen, fiebrig. 


87 


Vierte Szene 
Anna. Zar. 


Zar Wer war das? 

Anna Der Doktor. 

Zar Was ſagt er? 

Anna Er iſt zufrieden, Sire. 

Zar Zufrieden ... zufrieden . .. Das Herz iſt gut? 

Anna Sehr gut. 

Zar Und die Lunge? 

Anna Ganz geſund, Sire, vollkommen geſund. 

Zar Aber der Kopf — der Kopf... 

Anna Auch der Kopf iſt in Ordnung, ſagt Grive. 

Zar Nein, der Kopf iſt nicht in Ordnung — nein, der 
Kopf nicht ... Der Kopf weiß zu viel, das tut weh — und 
die Augen ſehen nichts und die Ohren hören nichts — 
das macht toll, Anjuta, das macht wütig! Mir platzt der 
Kopf vor Wiſſen ... 

Anna Sire, Sie dürfen ſich nicht aufregen; das ſagt 
auch der Doktor Grive... 

Zar Ich darf nicht? — Ach Gott, ich muß! Ich muß! 
Es gibt keinen ſtärkeren Grund zur Aufregung, als das, 
was ich weiß! Sich immer mehr ſteigernd Ich weiß! Aber ich 
bin blind! Aber ich bin taub! — Ich weiß, daß ſie mich 
töten werden, Anna! Bin ich ein ſo ſchlechter Menſch, 
Anna, daß ſie mich totſchlagen werden wie einen tollen 
Hund? — Aber ich bin ein guter Zar — noch iſt Rußland 
groß, noch zittern ſie, wenn ich brülle! — Und, Anna, ich 
will nichts Schlechtes ... oder ich bin ſchon fo hoch — fo 
hoch, daß ich nicht mehr weiß, was ſchlecht iſt ... Nein, 
nein, ſie verſtehen mich nicht, ſie haſſen mich, weil ich aus 
einem verfluchten Geſchlecht bin .. . hörſt du, Anna, Anna 
ich ſage dir das Geheimnis. Mein Vater wurde ermor— 


88 


a” 


det... vielleicht wird mein Sohn ermordet werden wie 
ich .. . mein Enkel ... es werden noch viele Romanows 
totgeſchlagen werden, Anna, Anna ... dann erſt ſtirbt 
mein Rußland . .. Er klammert ſich erſchöpft an Anna, die 
vor Angſt weint. Nicht mich allein laſſen, Annuſchka, mein 
Täubchen, meine gute Frau, meine ſüße Frau! Nicht mich 
verlaſſen! Mit mir fein, Anna — fie werden mich tot— 
ſchlagen ... 

Anna ſinnlos ſtammelnd Sire, er iſt es ... er iſt es... 
Pahlen! Pahlen! Dieſer Pahlen! 

Zar gequält Pahlen? — Liebſt du ihn? 

Anna Nein — nein — nein! 

Zar mit irrem Lächeln, flüſternd Ich aber liebe ihn; 
denn es ſteht geſchrieben: liebet eure Feinde ... Mit ganz 
veränderter Stimme, wie erwachend Pahlen? Wo iſt er? Ware 
um iſt er noch nicht hier? 

Anna ſich ſammelnd Ich weiß nicht... Es iſt ſonder— 
bar 

Zar Was iſt ſonderbar? 

Anna Pahlens Geſchäftigkeit ... 

Zar Er hat viele Pflichten und große Verantwortung. 

Anna Ja — ja ... aber warum gehen Sie nicht nach 
Moskau, Sire — mit mir? 

Zar Ich kann nicht. Ich deſertiere nicht! 

Anna Sie glauben alſo nicht an das, was Sie wiſſen, 
Sire? 

Zar wieder unruhig Ich — ich glaube an Pahlen. 

Anna Pahlen ... 

Zar plötzlich heftig Du ſollſt ſchweigen, Anna, hörſt 
du? Du follft nicht ... du ſollſt ihn mir nicht ... Mein 
Gott! 

Anna erſchüttert Ich ſagte ja nichts, Sire! Und ich 
bin ja ſtill! 


Zar Der Kopf, Anjuta, du follft ihn küſſen! 


Anna beugt ſich über ihn. Pahlen tritt durch den Vorhang des 
Vo rraums. Er huſtet. 


Fünfte Szene 
Zar. Anna. Pahlen. 


Zar erſchrocken Wer... ach, Ste find es, Pahlen. 

Pahlen Guten Abend, Majeſtät. 

Zar beengt Sie haben zugehört, Pahlen? 

Pahlen Ich habe gehört, wie Madame gelogen hat. 

Zar Was... was — wieſo? 

Anna auffahrend Man beleidigt nicht Frauen, noch 
dazu in der Gegenwart der Majeſtät! Sie ſcheinen Ihr 
bißchen Ritterlichkeit verloren zu haben, Herr Graf. 

Pahlen kalt Das iſt möglich. Zum Zaren Madame 
wußte ſehr gut, wo ich war. — Ich war hier, bis mich 
Murawiew vor einer Viertelſtunde zu einer Ordonnanz 
von der Admiralität holte. 

Zar Madame, hatten Sie es vergeſſen? 

Anna außer ſich Vielleicht, Sire. Und ſollte ich ge— 
logen haben, ſo folgte ich der Methode und dem Beiſpiel 
Seiner Exzellenz. Sie erlauben mir, Sire, mich zurück⸗ 
zuziehen. Anna ab. 


Sechſte Szene 
Zar. Pahlen. 

Zar ruft Anna nach Madame! Hören Sie doch! Maz 
dame! Zu Pahlen Laufen Sie ihr doch nach! Holen Sie ſie 
doch zurück! Das iſt ja lächerlich! 

Pahlen rührt ſich nicht Hörten Sie, was ſie geſagt 
hat, Sire? 


90 


* 


Zar Ja .. . nein — Unſinn! Was wollen Sie damit? 

Pahlen Sie hat geſagt, daß ſie mit der Lüge meiner 
Methode und meinem Beiſpiel folgt, Sire. 

Zar Mein Gott — nun ja, was tut es — ſie war ge— 
kränkt — wollte wieder kränken — Unſinn das! 

Pahlen Sire, die Frau kennt mich ſeit zehn Jahren. 
Ich habe oft gelogen in dieſen zehn Jahren. 

Zar Was wollen Sie — was wollen Sie? Was gehen 
mich Ihre Lügen an? — Ich glaube an Sie, das genügt. 

Pahlen Wahrhaftig, Sire, das genügt — und dann 
iſt alles gut. Er wendet ſich zur Tür. 

Zar in äußerſter Unruhe, ſchreit plötzlich Pahlen, Pah⸗ 
len, ich kenne Sie nicht! 

Pahlen bleibt ſtehen Majeſtät, das muß ich bedauern. 
Das iſt doch Mißtrauen. Was iſt Ihnen an meiner Haltung 
unklar, Sire? Lächelt Oder finden Sie doch meine Ge— 
ſchäftigkeit ſo ſonderbar — wie es Madame... 

Er ſtockt. Der Zar kommt auf ihn zu und ſieht ihn an, bebend und 
jähzornig. 

Zar heiſer Pahlen, ich bin nicht wahnſinnig. Ich 
kann noch denken. Ich kann noch unterſcheiden und das 
Sonderbare ſonderbar finden und hinter dem Wort die 
Lüge! Vielleicht weiß ich zu viel, um noch hören und ſehen 
zu müſſen! Aber vielleicht machen Sie mich doch neu— 
gierig hinzuſehen, hinzuhören! Pahlen weicht zurück. Der Zar 
ſpricht ſcharf Herr Graf, waren Sie in Petersburg, als 
mein unglücklicher Vater ſeines Thrones und ſeines Le— 
bens beraubt wurde? Waren Sie im Jahre 1762 in 
Petersburg? 

Pahlen wieder gleichmütig Gewiß, Majeſtät. 

Zar Waren Sie direkt oder indirekt an den Ereigniſſen 
beteiligt? — Ich verlange die Wahrheit. Sie wird an 
meinem Verhältnis zu Ihnen nichts ändern. 


91 


Pahlen lächelt Sire, welche Verbindung ſollte ein 
ſiebzehnjähriger Gardegefreiter, der gerade das Grüßen 
gelernt hatte, mit hochpolitiſchen Staatsereigniſſen haben? 
Er lacht, aber ſein Blick iſt gerade und kalt. Oder ſehe ich ſo 
verbraucht aus, Sire, daß Sie ſolche Energie um vierzig 
Jahre zurückdatieren? 

Pauſe. 

Zar mit zuckendem Körper Herr Graf, Sie ſind noch 
immer der ſtattlichſte Mann meiner Umgebung, wahr— 
haftig! — Sie ſind ungewöhnlich wenig verbraucht, ja! 
Schreit Ja! Ja! Ich täte Ihnen das größte Unrecht — 
ich täte mir das größte Unrecht — hielte ich Sie nicht mehr 
fähig jeder Tat — fähig jeder Tat! 

Pahlen ſtarrt ihn an, ſtumm, das Geſicht vor Entſchloſſenheit 
brutal. 

Zar ſchreit Fähig jeder Tat — hören Sie! — Menſch, 
hören Sie! 

Pahlen hart Jawohl, Sire, das iſt ein Kompliment. 

Zar bebend Kerl, glaubſt du, ich bin wahnſinnig ... 

Pahlen leiſe Nein, Sire, aber Sie haben Fieber ... 

Zar Fieber — ja ... ich habe Fieber. — Wenn man 
weiß, was ich weiß, fiebert man... o ja! — Vielleicht 
weiß ich viel, Herr Graf; aber ich weiß nicht, ob Sie noch 
dieſe Energie haben: mir, Ihrem Kaiſer, ins Geſicht hin— 
ein zu geſtehen, daß die Tragödie von 1762 in dieſem 
Jahr — in dieſem Monat vielleicht wiederholt werden 
ſoll. — Nun, was werden Sie ſagen? — Ich bin ſehr neu— 
gierig! 

Pahlen mit vollkommener Ruhe Sire, Sie irren nicht. 
Es beſteht eine Konſpiration, der ich ſelber angehöre, 
um 


Er ſtockt. Der Zar ſpringt zurück und reißt eine Piſtole aus der 
Rocktaſche. 


92 


Ps 


Zar kreiſcht Bravo, Herr Gouverneur! — Diefer 
ritterliche Freimut ſoll kaiſerlich belohnt werden! 

Er legt auf Pahlen an, der ſtumm die Augen ſchließt und in ſelt⸗ 
ſamer Hingabe die Arme öffnet. — Der Zar läßt die Waffe ſinken. 

Zar geſchüttelt Pahlen ... Pahlen — ich unterbrach 
Ihren letzten Satz. Wenn Ihnen etwas auf dieſer Welt 
heilig iſt — Pahlen, hören Sie — dann ſprechen Sie dieſen 
Satz in Wahrheit ſo zu Ende, wie Sie ihn haben ſprechen 
wollen! 

Pahlen breitbeinig, mit erhobenen Armen, mit ſtählerner 
Stimme, wie eine Beſchimpfung .. . um Euer Majeſtät ge⸗ 
heiligtes Leben retten zu können! 

Der Zar kichert irr. Das Geſicht wird ganz ſchlaff. 

Zar Hihihi! — So — ſo hätte ich mich alſo eben — 
gleichſam ſelber — hihihi! — um ein Haar — um ein 
Haar... mit ſchiefem Mund flüſternd ... wenn es wahr 
iſt — wenn das alles wahr iſt . .. — Aber warum ſoll 
es nicht wahr ſein — warum denn nicht? — Tat ich Ihnen 
je etwas Böſes an, Pahlen? 

Pahlen tritt zurück, wie von dieſer Frage körperlich getroffen. 


Pahlen tonlos Taten Sie mir je etwas Böſes an, 
Sire? 

Zar auf einen Stuhl gekauert, hilflos Brüderchen, tat ich 
dir je etwas Böſes an? 

Pahlen tonlos Nichts taten Sie mir an ... nichts — 
nichts... 
Pauſe. In Pahlen kämpfen verzweifelt die Gefühle des Mitleids. 


Pahlen ſtöhnend Mein Gott... 

Zar flüſternd Was ſtöhnſt du, Pjotr? 

Pahlen Sire, es ſtöhnen viele in Rußland ... 
Zar leiſe Es ſtöhnen viele... 


93 


Pahlen laut Und es nützt nichts! Es nützt nichts! 
Das bißchen Güte nützt nichts! — Das Gewiſſen vergibt 
nicht! 

Zar bebend Das Gewiſſen — vergibt — nichts... 

Pahlen plötzlich ruhig, als fälle er den Spruch gegen ſich 
ſelbſt Und wer das Gewiſſen nicht töten kann — wer es 
nicht kann, der ſoll vom Gewiſſen getötet werden! Leiſe 
und langfam Wer — es nicht — kann .. 

Pauſe. Der Zar hebt den Kopf, ſeine Schultern beben in geheimnis⸗ 
voller Qual. 

Zar mit ganz ferner Stimme Soll ich ... Brüderchen — 
ſoll ich . . . mich töten? 

Pahlen ſinkt ganz langſam auf einen Stuhl zuſammen, ſchluchzt 
auf. Der Zar ſpringt hoch, wie aus einer Betäubung erwachend. 

Zar Pahlen weint! — Pahlen weint? — Wer im 
großen Rußland hätte je geglaubt, daß Pahlen weinen 
könne? Er ſtampft kichernd um ihn herum, kreiſcht Welche 
Rührung, Herr Gouverneur! Was für ein ganz ungewohn— 
ter Anblick! Entweder ſind Sie doch ſchon älter als Sie 
meinen, oder — oder es iſt das böſe Gewiſſen — he! 

Pahlen aufſpringend, mit wilden Augen, ſehr laut Sire, 
ich weine, weil ich Dankbarkeit für Sie fühle! Ich weine, 
weil ich Sie beklage! Denn was ich Ihnen jetzt ſagen 
muß — ſchon heute, weil Sie mich zu meiner Recht— 
fertigung zwingen — was ich Ihnen jetzt ſagen muß, 
möchte jeden Menſchen erſchüttern, aber den Vater wahn— 
ſinnig machen! 

Zar ſchreit Was bedeutet das? 

Pahlen Sire, laſſen Sie den Thronfolger verhaften! 
Er konſpiriert gegen den kaiſerlichen Vater! 

Zar aufbrüllend Alexander!! — Vor das Geheime 
Gericht! Man erſchieße ihn kraft außerordentlichen Urteils 
innerhalb vierundzwanzig Stunden! 


94 


- 


Pahlen Majeſtät, das wäre das Signal zur Revo— 
lution. Man liebt den Prinzen; ſein Anhang, zumal in 
der Armee, iſt groß. Wenn Sie Ihr Leben ſchützen wollen, 
folgen Sie meinem Rat: Geben Sie mir die Vollmacht, 
die Kaiſerliche Hoheit zur Sicherung ſeiner Perſon in die 
Petersburger Zitadelle einzuſchließen. Ich werde mich des 
Dokuments zur richtigen Zeit bedienen. 

Zar ſieht ihm in die Augen Ja — ja. Wann? 
Morgen 

Pahlen Sofort, Sire. Es iſt beſſer. Er zieht ein Schrift⸗ 
ſtück aus der Taſche. Ich habe den Verhaftungsbefehl ſchon 
ausgefertigt. 

Zar Sie haben ihn ſchon ... 

Pahlen Sire, unterſchreiben Sie. 


Der Zar zögert noch eine Sekunde. Sieht Pahlen an. Dann geht 
er an einen kleinen Sekretär und unterſchreibt. 


Zar mit müder Bewegung Hier... 

Pahlen nimmt die Order Jetzt iſt alles gut. 

Zar Glaubſt du, Pjotr? — Abweſend Wenn ich nicht 
ſo müde wäre, dann führe ich noch heute nacht nach 
Moskau — mit Anjuta 


Pauſe. 


Pahlen Fahren Sie — morgen, Sire, wenn Sie es 
für gut halten. Pauſe. Aber ich müßte dann für die Er— 
ledigung der auswärtigen Fragen, vor allem für die Be⸗ 
handlung der preußiſchen Kriſe, ganz ſelbſtändige Aktions— 
möglichkeit zugeſichert bekommen. 

Zar Ich habe Durſt — ich will trinken — trinken — 
Pahlen bringt ihm Wein. . . ich will von nichts mehr 
wiſſen ... Er trinkt — Anjuta ... wo iſt fie denn? Pahlen 
nähert ſich unauffällig dem Vorhang. Hol ſie doch, Pjotr! 


95 


Pahlen reißt ſchnell den Vorhang auseinander, hinter dem 
Anna nicht mehr zur Seite ſpringen kann. Kommen Sie jetzt, 
Madame. Es gibt nichts Intereſſantes mehr zu hören! 


Anna, kaum verlegen, tritt vom Vorraum in den Salon. 


Siebente Szene 
Zar. Pahlen. Anna. 

Zar lacht kurz Sie ſind alſo neugierig, Madame? — 
Es iſt vielleicht nicht gut, daß ich Ihnen nicht böſe ſein 
kann. 

Anna Sire, ich betrat vor einer Minute den Vorraum. 

Pahlen Sicherlich hat Madame auch angeklopft; aber 
leider gab der fatale Vorhang das Geräuſch nicht weiter. 
Zu Anna Und wenn Sie wirklich lauſchten, Madame, 
ſo folgten Sie doch nur wieder mir und meinem Beiſpiel 
von vorhin — nicht wahr? 

Anna Gewiß, Herr Graf. 

Zar trinkend Ich habe Durſt — Durſt ... — Der Wein 
iſt gut, aber zu ſanft. — Wo iſt der Pfefferſchnaps? 

Pahlen Hier, Majeſtät. Gießt ihm ein. Ich darf jetzt 
anrichten laſſen? 

Zar Ja — ja 
Pahlen öffnet eine Tür im Vordergrund und klatſcht in die Hände. 
Diener bringen einige Schüſſeln und Platten, ſehr haſtig, und ver: 

ſchwinden wieder. 

Anna leiſe zum Zaren Sie dürfen nicht ſo viel trinken, 
Sire! 

Zar verſonnen, abweſend Ich muß — ich muß ... 

Anna dringlich Sire, ich glaube, es iſt gut, Sie be⸗ 
hielten Ihren klaren Kopf! 

Zar Ich — will — nicht, Anjuta. Ich will eine dicke 
Wand von Rauſch um mich herum ... Rauſch! Rauſch! — 


96 


. 


Ein Rauſchen, daß ich nichts mehr höre von dieſem Leben! 
Schreit Iſt denn dieſes Leben ſchön, Pjotr? 

Pahlen traurig Nein, Sire, es iſt nicht ſchön. 

Zar Aber wir hängen doch dran ... 

Pahlen Ich — nicht 

Zar Aber ich — ich hänge an dieſer Frau, Pjotr — 
das iſt doch Leben. 

Pahlen Ich glaube. — Aber wollen Sie nicht ſpei— 
ſen, Sire? 

Zar Ich kann nicht eſſen. Ich kann auch nicht eſſen 
ſehen. Ich habe nur Durſt. 


Er trinkt unaufhörlich. — Seine Züge werden glaſig. 


Anna Wollen Sie ſich nicht zur Ruhe begeben, Maje— 
ſtät? Es wäre gut für Sie. 

Zar Ich — will — nicht. — Ich habe keine Ruhe. — 
Komm zu mir, Anjuta. Du ſollſt hin und wieder meinen 
Kopf ſtreicheln — hin und wieder ... Anna ſetzt ſich zu ihm. 
— Pjotr, wenn ich deine Gedanken wüßte ... 

Pahlen Warum wollen Sie ſie wiſſen, Majeſtät? — 
Ich wünſchte, ich kennte ſie nicht ... 


Pauſe. 


Zar Pahlen — du biſt ein Deſperado. 

Pahlen überraſcht Wie kommen Sie auf dieſen Aus⸗ 
druck, Sire? 

Zar Er gefällt mir — für dich. Du deſertierſt nicht 
nach rückwärts — ſondern nach vorwärts ... das iſt der 
Unterſchied von den anderen Verzweifelten. — Und wenn 
du töten willſt, duellierſt du dich . . . das iſt der Unter— 
ſchied von den anderen Totſchlägern. 

Pahlen leiſe Und wenn ich getötet habe? 

Zar Dann ſprichſt du dich frei. 


Neumann, Patriot 7 97 


— 


Pahlen Und wenn ich mich einmal verurteilen muß? 

Zar Dann hängſt du dich auf. 

Pahlen murmelt Dann hänge ich mich auf... 

Zar Was ſagſt du? 

Pahlen laut Dann hänge ich mich auf! 

Anna Sie verurteilen ſich nicht, Pahlen. 

Pahlen Madame, ich beneide Sie um die Sicherheit 
Ihrer Meinung. Ich habe ſie nicht. 

Anna Es wird immer noch andere geben, die zu ver— 
urteilen ſind. Sie werden für ſich keine Zeit haben, 
Pahlen. 

Pahlen Es gibt nicht mehr viele andere, Madame. 

Zar abweſend Dieſe Worte find grauenhaft . .. dieſe 
Stunden ſind grauenhaft und fließen hin — dumpf, 
zäh, träge — wie kochender Leer... 

Pahlen Ja, wir find nicht luſtig heute... 

Zar Wir find traurig — wir find böſe — wir torfeln 
voll von böſer Ahnung — wir ſchlagen tot, um nicht tot— 
geſchlagen zu werden .. . Ich wünſchte faſt, ich hätte 
dich erſchoſſen, Pjotr ... 

Pahlen Warum taten Sie es nicht, Sire? 

Zar Weil ich dich liebe, Brüderchen — und weil ich 
an dich glaube — weil es mir wohl tut ... und not— 
wendig iſt, an dich zu glauben — — und weil ich nicht 
glauben will — nicht glauben will, daß du mich verur— 
teilt haft... 

Anna außer ſich Um Gottes willen, Sire, warum 
Nicht 

Pahlen leiſe Anna Petrowna, wiſſen Sie, was Sie 
reden? 

Zar kichernd Dir dreht der Kopf wie mir, Anjuta — 
und du weißt nicht mehr, an was dich halten. Ich weiß 
es auch nicht mehr, mein Täubchen. — Dieſer Pahlen 


98 


dreht fic) und mich und die Welt — unſere Welt wie ein 
Karuſſell — ich erkenne nicht fein Geſicht — nicht einmal 
mein Gefühl — ach, Annuſchka! Er umarmt ſie und ſtiert 
vor ſich hin. — Nach Moskau ſollen wir? 

Anna dringlich Fahren Sie nach Moskau, Sire! Zu 
Pahlen, mit geradem Blick Sind Sie dagegen, Graf? 

Pahlen Nein. 

Zar kichernd Aber ich fahre nicht, mein Täubchen — 
ich deſertiere nicht. — Biſt du zufrieden, Pahlen? 

Pahlen Ja. 

Anna erregt So haben Sie doch der Majeſtät ab— 
geraten? 

Pahlen Die außenpolitiſche Lage läßt die Abweſen— 
heit Seiner Majeſtät nicht ratſam erſcheinen, Madame. 
Maßgebend iſt natürlich nur der Allerhöchſte Wille. 

Zar Ich bleibe — ich bleibe — ich bin hier notwendig! 
Starrt vor ſich hin, mit plötzlich böſer Stimme Alexander? — 
Wann geſchieht es? 

Pahlen überraſcht Morgen — abend — 

Anna drängend Fahren Sie morgen früh, Sire! 

Zar ſcharf Madame, Sie machen mich krank! Ich 
bleibe! Sie verſtehen es nicht... 

Pahlen Um Vergebung, Sire, keine Politik mehr! 
Wir wollen uns nicht gegen Madame verſündigen — 
und gegen Ihre Nachtruhe, Majeſtät. 

Zar finnt nach Warum gerade morgen abend? 

Pahlen bedrängt Vielleicht auch im Laufe des 
Tages — es iſt noch nicht ſicher ... 

Zar hartnäckig Was iſt morgen abend? 

Pahlen Mein Gott, Sire ... 

Anna nicht mehr an ſich haltend, umklammert den Zaren 
Fragen Sie ihn nicht mehr, Sire! Er muß ja lügen! 
Schicken Sie ihn fort! Und fragen Sie dann mich! 


99 


Pahlen lacht Madame, Sie find betrunken! 
Zar lachend Ich glaube wahrhaftig, mein Täubchen, 
du biſt betrunken. 
Anna ſpringt auf Sire, verhaften Sie ihn! Töten Sie 
ihn! 
Der Zar und Pahlen lachen. 
Zar Bring ihn doch um, mein Täubchen! 


Anna läuft zur Tür, ſtutzt, wie von einem Gedanken geblendet, 

ſpringt von rückwärts auf Pahlen und verſucht, ſeinen Hals zu um⸗ 

klammern. Er ſchüttelt ſie leicht ab. Der Zar lacht betrunken. Sie 

ſtürzt aus dem Zimmer. Pahlen ſetzt mit dröhnendem Gelächter 
ein, als fürchte er jetzt die Stille. 


Achte Szene 
Zar. Pahlen. Zum Schluß Stepan. 

Zar unterbricht das Gelächter, mit aufgeriſſenen Augen Was 
war das? 

Pahlen Ich höre nichts. 

Zar Das war wie ein Schrei ... ganz erſtickt . .. 

Pahlen Vielleicht war Poſtenablöſung. 

Zar Eine Frau ſchrie — war mir. 

Pahlen Vielleicht erſchrak jemand — unten im 
Park — ein Küchenmädchen vor einer Kröte oder einem 
Liebhaber. 

Pauſe. 

Zar Was hatte die Oſtermann? 

Pahlen Sie war betrunken. 

Zar Pjotr, ſie war nicht betrunken. Pauſe. Pahlen, 
du biſt ein böſer Menſch. 

Pahlen traurig Ich bin ein böſer Menſch. 

Zar Pahlen, ich hätte dich totſchießen ſollen. 

Pahlen Sie tragen das Piſtol bei ſich, Sire. 


100 


Zar Ich bin betrunken — dann habe ich Angſt vor 
der Waffe — man weiß dann nicht, ob man nicht — 
mit einem Mal — ſich den Lauf in den Mund ſteckt. 

Pahlen Das verſtehe ich. 

Zar Das verſtehſt du, Pjotr? — Aber warum ſagſt 
du mir nicht, daß du mich nicht verurteilt haſt. 

Pahlen Ich bin nicht Ihr Richter, Sire. 

Zar Wer iſt mein Richter, Pjotr? 

Pahlen Ihr Gewiſſen, Sire. 

Zar Biſt du nicht mein Gewiſſen, Pahlen? 

Pahlen Nein, Sire; denn Sie machen es ſich nicht 
bequem. 

Zar Aber mein Gewiſſen verurteilt mich nicht. 

Pahlen Um ſo beſſer. 

Pauſe. Der Zar trinkt. 


Zar Warum kommt die Frau nicht zurück, Pahlen? 

Pahlen Wie ſoll ich das wiſſen, Sire. 

Zar Mir iſt ſo, Brüderchen, als müßteſt du es wiſſen 

. . Ach, wäre ich nicht fo betrunken und nicht fo feige — 
ich ſteckte mir den Lauf in den Mund und drückte ab... 

Pahlen Sire, was reden Sie? 

Zar Ja, Brüderchen, es iſt beſſer von meiner Hand 
als von deiner Hand. 

Pahlen Ich tu es nicht .. 

Zar Vielleicht lügſt du de — aber ich PRE. es 
gerne — ich habe ja Angſt vor dir — Pauſe. Warum 
kommt ſie nicht, Pahlen? 

Pahlen Sie wird zur Ruhe gegangen ſein, Majeſtät. 

Zar Ich will nachſehen ... 

Er ſchwankt hinaus. Pahlen ſinkt in ſeinem Stuhl zuſammen. 

Pahlen Mein Gott, mein Gott . . . es iſt fo ſchwer ... 


Der Zar kommt zurück. 


10T 


Zar Sie ift fort, Pjotr, fie iſt fort... Sie iſt fort, 
Brüderchen. — Was biſt du für ein böſer Menſch! 

Pahlen Sire, beurlauben Sie mich jetzt. Es iſt ſchon 
ſpät — und meine Gegenwart macht Ihnen keine Freude. 

Zar Nein, Brüderchen — aber ich habe noch mehr 
Angſt vor dir, wenn du fort biſt ... — Wo gehſt du hin, 
Pahlen? 

Pahlen geht zum Vorraum Ich will meinen Leibjäger 
fragen. Ruft Stepan! 


Stepan kommt mit Hut und Mantel. 


Stepan Exzellenz? 

Pahlen Haſt du die Baronin Oſtermann geſehen? 

Stepan Die Frau Baronin ſind mit dem Wagen 
Eurer Exzellenz fortgefahren und haben den Wagen 
bereits wieder zurückgeſchickt. 

Pahlen geht zum Zaren zurück, lächelt Sie werden dieſe 
Nacht allein bleiben müſſen, Majeſtät. 

Zar greift wankend nach ſeiner Hand Allein? — Allein? 
— Ich kann es nicht... bleib, Brüderchen, bleib hier ... 
Er zieht ihn auf einen Stuhl und fällt ihm in einer plötzlichen 
Schwäche auf den Schoß, ſich an ihn klammernd, lallend Ach — 
Väterchen ... du haſt mir die Frau — gegeben und du 
haſt ſie mir genommen. — Aber das Leben hat mir 
meine — böſe Mutter gegeben — und du nimmſt es 
mir doch auch... 


Er ſchläft ein, wie ein Alp auf Pahlen hockend. 
Pahlen ſtöhnt leiſe Das iſt fo traurig, Stepan, fo 
traurig! 


Stepan kommt näher Jetzt ſchon, Exzellenz ... ſoll 
ich jetzt ſchon ... 

Pahlen Nein — nein! Um Gottes willen, nein! — 
Iſt die Frau verletzt? 


102 


Stepan Nur ohnmächtig, glaube ich. Sie iff im 
Wagen unten. Iwan paßt auf, daß ſie nicht ſchreit, 
wenn ſie aufwacht. 

Pahlen Könnte ich nur fort — er wird ſo ſchwer — 
immer ſchwerer, Stepan, als wäre er ſchon . . . Es iſt 
ſolche Qual, Stepan... 

Zar delirierend Sieh, Annuſchka, mein Täubchen — 
er hätte mich jetzt doch — töten können — wollte eres... 
Er — will es nicht... 

Pahlen unterdrückt ein Schluchzen Das iſt fo traurig ... 
Pauſe Stepan, ruf den Kammerhuſaren. Er ſoll ihn ins 
Bett bringen. 

Stepan beugt ſich vor Euer Gnaden weinen ... 

Pahlen Das ſind Schweißtropfen, Stepan. 


Vorhang. 


103 


Fünfter Akt 


Erſte Szene 
Pahlens Arbeitszimmer. — Der Abend des dreiundzwanzigſten 
März. 


Alexander und Valerian Subow treten ein. 


Alexander ſehr erregt Jetzt bin ich hier. Jetzt werden 
Sie endlich reden, General! Was iſt geſchehen oder 
was wird geſchehen? Warum holen Sie mich ſo dringlich 
und ſo feierlich ſtumm zu Pahlen? 

Valerian Er muß in jedem Augenblick hier ſein, 
Hoheit, und er wird Ihnen alle Fragen beantworten. 

Alexander Warum antworten Sie mir nicht, Graf 
Subow? Ich geſtehe Ihnen, wären Sie es nicht geweſen, 
der mich heute abend aufſuchte: ich würde nicht gekommen 
ſein. Aber Sie verehre ich ſeit meiner Kindheit, General. 
Sie liefern Katharinas Enkel keinem Kondottiere aus! 

Valerian Das geht auf Pahlen, Hoheit. Und dieſes 
Mißtrauen tut mir weh, weil es unberechtigt iſt. Wenn 
ich alter Soldat der Kaiſerin aus freien Stücken mit 
Pahlen arbeite und immer wieder um Ihre Einwilligung 
zu dem Umſturzplan bettele, ſo geſchieht es nicht wegen 
Pahlen, ſondern um Ihretwillen. Und Sie werden in 
wenigen Minuten einſehen, mein Prinz, was Sie ihm 
zu danken haben. 

Alexander heftig Ich werde ihm die Krone zu 
danken haben und es mein Leben lang nicht verwinden! 


104 


Valerian Wenn Sie das ſchon heute wiſſen, Hoheit, 
dann muß ich mich doch verwundern, warum Sie nicht 
zugunſten Konſtantins verzichteten, der keine Sekunde 
zögern würde, die Aktion zu ſanktionieren. 

Alexander bedrängt Ich fühle meine Berufung — 
mit tiefem Zwang, Graf Subow ... 

Valerian Das verſtehe ich beſſer als Ihre Hemmung, 
mein Prinz. Doch laſſen wir das. Im Augenblick ſteht 
anderes auf dem Spiel. — Im Augenblick, Alexander, 
verdanken Sie dem Kondottiere mehr als die Krone ... 

Alexander Mein Gott, General, was wollen Sie 
damit ſagen? 

Valerian Sie verdanken ihm das Leben, Hoheit. 
Der Zar hätte Sie ohne ſein Veto heute noch erſchießen 
laſſen. 

Alexander taumelt zurück Großer Gott... 

Valerian Und ich habe Sie auf Pahlens Befehl 
hierher in Sicherheit gebracht — in Sicherheit, Hoheit! 
— weil Ihre Perſon noch gefährdet iſt. Das Übrige wird 
Ihnen der Gouverneur ſelber ſagen. 


Pauſe. Man hört von draußen marſchierende Truppen. 


Alexander leiſe Jetzt iſt es ſo weit. — Der Dämon 
hat mich. — Es nützt jetzt nicht mehr, viel zu fragen, 
wer mich meinem kaiſerlichen Vater mit ſolcher Wirkung 
verdächtigt hat. — Es nützt mir nicht einmal mehr die 
Antwort, die ich mir ſelber zu geben wüßte ... Was 
marſchieren da für Truppen, General? 

Valerian Die Wachen für das Michael-Palais vom 
Regiment Sſemionowſkij. 

Alexander Mein Regiment ſtellt heute ... — 
Mir kommt die Wache ungewöhnlich ſtark vor, General? 


Valerian ſchweigt. Pahlen tritt ein. Sein Geſicht iſt kalt und hart. 


105 


— 


Zweite Szene 
Alexander. Valerian. Pahlen. 


Pahlen Guten Abend, Hoheit. Sie werden meinem 
Freund Valerian die ungewöhnliche Einladung verziehen 
haben. Aber die Lage verträgt kein Zeremoniell mehr. 
Sie ſind wohl im großen ganzen orientiert? 

Alexander Graf Subow hat mir mitgeteilt, daß 
meine Perſon von letzten Entſcheidungen des Zaren be—⸗ 
troffen und in Gefahr ſei — zum mindeſten außerhalb 
dieſes Hauſes. 

Pahlen Jawohl, Hoheit, und ich freue mich über 
den Gleichmut, mit dem Sie dieſe Nachricht tragen. 

Alexander Mir perſönlich fehlt bisher ein Beweis 
für die veränderte Haltung meines kaiſerlichen Vaters 
und eine Unterlage für ſeine Exekutiobeſchlüſſe gegen 
meine Perſon. 

Pahlen Seien Sie darüber froh, mein Prinz. Es 
ſtände ſehr ſchlimm, würde der Zar dieſen direkten Weg 
eingeſchlagen haben. 

Alexander Es iſt Ihr Verdienſt, Exzellenz, daß der 
Zar davon abgekommen iſt? 

Pahlen Ja, mein Prinz — aber ich entbinde Sie 
gerne vom Dank. 

Alexander Ihre — Machtfülle hat ihn kaum nötig, 
Exzellenz. — Aber es ſollte mich doch wundern, wenn 
Ihre Intervention die Wirkung hätte, meine Füſilierung 
mit keiner anderen Strafe zu erſetzen als dem Beſuch 
Ihres Hauſes. 

Pahlen Das wäre auch verwundernswert und das 
iſt auch nicht der Fall. — Hoheit belieben dieſe Order 
zu leſen und daran die Stärke Ihrer Ironie gültig zu 
erweiſen. 


106 


Er gibt Alexander den Verhaftungsbefehl. Alexander lieſt ihn und 
läßt vor Schreck das Schriftſtück fallen. 


Alexander tonlos Iſt — es möglich ... Sie wollen 
mich — verhaften, Herr Gouverneur? 

Pahlen Wir wollen dieſe Frage nicht ſtellen, mein 
Prinz. Wir wollen ſprechen, als eriftiere dieſe Order 
nicht. Es genügt gewiß, daß Sie wiſſen, wie meine letzte 
Antwort fein kann. — Nicht wahr, Hoheit? 

Alexander durch die Zähne Ja. 

Pahlen Mein Prinz, ſo frage ich Sie — und meine 
Fragen und Ihre Antworten hört Valerian Subow als 
Zeuge: Sind Sie bereit, die von mir geleitete Aktion, 
deren Ziel Ihnen bekannt ijt, mit klarem Wort gut⸗ 
zuheißen und ſich durch feierliches Gelöbnis zu binden, 
den Thron zu beſteigen — und zwar zu dem Zeitpunkt, 
den ich Ihnen zu nennen die Ehre haben werde? 

Alexander in großer Bedrängnis Ich — o Gott — 
ich .. . Bei unſerem Herrn und Heiland, laſſen Sie mich 
dies vorher noch ſagen, Pahlen! Ich vermiſſe die Bürg— 
ſchaft für das Leben des Zaren! 

Pahlen langſam Die Bürgſchaft für das Abe 

Valerian Unſer Ziel iſt die zwangsweiſe i 
der Majeſtät — nichts anderes. 

Alexander Graf Pahlen, wenn Sie mein Gewiſſen 
entlaften, können Sie handeln und auf meine Freund— 
ſchaft rechnen. 

Pauſe. 


Pahlen ſehr ernſt Ja, ich entlaſte Ihr Gewiſſen, 
mein Prinz. Ich trage ſchon vieles. — Sie begreifen 
mich oder Sie werden mich begreifen. — Ich hafte für 
das Leben des Zaren — mit meinem Leben. 

Pauſe. 


107 


Alexander mühſam So — fo gelobe ich Ihnen, Graf 
Pahlen, und Ihnen, Graf Subow, bei dem Heil meiner 
Seele, das Unternehmen mit meiner ganzen Perſon 
zu fördern und mich in der Stunde, die Sie mir nennen 
werden, an den Platz zu ſtellen, der mir durch meine 
Geburt vorgeſchrieben iſt. — Hier meine Hand. 

Er reicht den beiden die Hand. 

Pahlen ein wenig lächelnd Es iſt gut jetzt, mein 
Prinz. Sie ſind doch noch zu jung für die tiefe Ironie. 
Wir meinen es jetzt alle ehrlich und ſind zufrieden mit— 
einander. 

Alexander Sie ſollten mich nicht mehr quälen, 
Pahlen. — Ich bin doch nur ein Menſch ... 

Pahlen Sie ſind ein guter Zar, Hoheit, ſchon jetzt. 

Alexander lenkt ab Und wann — wann findet die 
Aktion ſtatt? 

Pahlen Wenn das Regiment Sſemionowſkij die 
Wache für das Michagel-Palais ſtellt. 

Alexander fährt hoch Mein Regiment ſtellt heute ... 
— Allmächtiger! 

Pahlen Jawohl, mein Prinz, heute — in dieſer 
Nacht. 

Alexander laut Die Truppen marſchieren — immer 
noch marſchieren ſie — ſeit einer halben Stunde höre ich 
ſie: und Sie wiſſen erſt ſeit einer Minute meine Bereit— 
ſchaft! 

Pahlen Die Garniſon iſt alarmiert und im Begriff, 
den Sommergarten und das Palais zu zernieren. 

Alexander ſchreit Und hätte ich mich geweigert!? 

Pahlen achſelzuckend Mein Gott, Hoheit, muß ich— 
Sie an jene Antwort erinnern, die mir dann immer noch 
geblieben wäre? — Und die Truppen würden mar— 
ſchieren — auch dann! 


108 


Alexander gebrochen Ja, ja — gewiß... Es iſt fo weit... 

Pahlen Sie müſſen ſich jetzt beruhigen, Hoheit, und 
die Güte haben, ſich fürs erſte in die Räume des oberen 
Stockwerks zurückzuziehen. Für den wenig wahrſchein— 
lichen Fall des Mißlingens und für die Flucht zur weſt— 
lichen Reichsgrenze, die dann notwendig würde und für 
die eine Eilpoſt bereit ſteht, darf ich Sie bitten, ange— 
kleidet zu bleiben. — Der General wird Sie hinauf— 
begleiten. — Auf Wiederſehen — Sire. 
Alexander zuckt bei dem Wort zuſammen, will etwas erwidern, 
verläßt dann aber ſchnell das Zimmer, gefolgt von Valerian. 
Pahlen ſitzt ein paar Sekunden regungslos, dann läutet er. Stepan 

kommt. 


Dritte Szene 
Pahlen. Stepan. 

Pahlen Alſo der Kaiſer hat daraufhin nichts ſagen 
laſſen? 

Stepan Nein, Exzellenz, ich meldete dem Herrn 
Adjutanten, daß Euer Gnaden nicht wohl ſeien und des— 
halb nicht zur Abendtafel kommen könnten. Der Herr 
Adjutant kamen nach einer Weile zurück und ſagten: es 
iſt gut. 

Pahlen Ja... Pauſe. Sind alle Herren ſchon im 
Speiſeſaal verſammelt? : 

Stepan Es fehlen noch die Herren Offiziere vom 
Regiment Sſemionowſkij, der General Talyſin und Fürſt 
Platon. 

Pahlen Ja, ja. — Die Herren ſind ſehr ſtill. Man hört 
ſie gar nicht. 

Stepan Die Herren Offiziere ſprechen nur ſehr leiſe 
oder gar nicht. Sie trinken nur und eſſen wenig. Sie 
haben alle Orden an. 


109 


Pahlen Ou biſt ein hervorragender Beobachter, 
Stepan. — Haſt du Herzklopfen? 

Stepan Nein, Exzellenz. 

Pahlen Das iſt brav. Das glaube ich dir auch. — 
Du ziehſt dir jetzt die Huſarenoffiziersuniform an, die ich 
dir gegeben habe. Und du benimmſt dich entſprechend. 
Das heißt, du ſprichſt gar nichts, ſtehſt nicht immer ſtramm 
und hältſt dich in meiner Nähe. — Geh jetzt. — Doch halt! 
Wie geht es der Frau Oſtermann? 

Stepan Die Frau Baronin verlangten ſchon mittags 
zu eſſen und find jetzt aufgeſtanden. — Und ein geſchloſ— 
ſener Wagen iſt ſchon ſeit ſieben Uhr bereit; der Leib— 
jäger auch. 

Pahlen Gut. Geh jetzt hinauf zu ihr, bitte ſie zu 
mir und ſage dann dem Kutſcher, daß er in einer halben 
Stunde loszufahren habe. Iwan ſoll fie begleiten. 

Stepan Jawohl, Exzellenz. 

Pahlen Hol ſie jetzt. Raſch! Sag ihr, daß ich wenig 
Zeit habe. Iwan begleitet ſie dann zum Wagen — über 
die Dienertreppe. 

Stepan ab. Pahlen ſteht auf und öffnet eine Tür. Man hört ge⸗ 

dämpft Stimmengewirr. Pahlen lauſcht eine Sekunde, ſchließt dann 

wieder die Tür, geht ans Fenſter, öffnet es; Marſchlärm von 
Truppen wird ſtärker. 

Pahlen verſonnen Was iſt es doch. — Iſt es Mut oder 
Schwermut oder doch Beglückung! — Jede Tür, die ich 
öffne zur lebendigen Welt, gibt mir den Widerhall von 
meinem Aufruhr. — Und hier drinnen in der Bruſt iſt 
es doch ſchon ganz ſtill. — Was iſt es doch mit dieſer 
Ruhe? 

Er ſinnt, lächelnd. Anna tritt leiſe durch eine Tapetentür ein und 
betrachtet ihn. 


110 


Vierte Szene 
Pahlen. Anna. 


Anna Du kannſt lächeln, Pahlen? 

Pahlen Du biſt es, Anna. — Ja, ich kann lächeln. 

Anna Du kannſt eine Frau auf den Hinterkopf ſchla⸗ 
gen laſſen, Pahlen? 

Pahlen Ja, Anna, das kann ich auch, wenn es ſein muß. 

Anna Du kannſt auch töten laſſen, Pahlen? 

Pahlen Ja, Anna, das kann ich auch, wenn es ſein muß. 

Anna Was haſt du mit mir vor, Pahlen? Ich bin eine 
Frau. 

Pahlen Gewiß, Anna, du biſt eine Frau und der 
einzige Gegner, der mir gefährlich wurde. Ich habe Rez 
ſpekt vor dir, Anna. Doch du haſt das Spiel verloren — 
ein mutiges Spiel, wahrhaftig, und ich bin für eine große 
Sache verantwortlich. Ich muß immer noch die Galan— 
terie hintanſtellen. 

Anna Was bedeutet das? 

Pahlen Du biſt meine Gefangene — in allem Ernſt, 
Anna. Wenn du zu fliehen wagſt, riskierſt du dein Leben. 
Du wirſt jetzt von Iwan, der gegen Frauen ſehr kalt und 
mir ungemein ergeben iſt, in mein Peterhofer Landhaus 
gebracht werden. Außerdem ſteht auf dem Trittbrett 
hinten ein Leibjäger mit gezogenem Piſtol und ganz 
klarer Order. Es hat alſo gar keinen Zweck, den braven 
Iwan in Verſuchung zu bringen. — In Peterhof hält 
man dich bis morgen abend feſt. 

Anna Und dann? 

Pahlen Dann biſt du frei. 

Anna leiſe Dann iſt der Zar — tot? 

Pahlen Ja. 

Pauſe. 


111 


Anna zögernd Bin ich auch dann noch deine Gegnerin? 

Pahlen leiſe lachend O kleine Renegatin, nein, dann 
— dann biſt du es nicht mehr. 

Anna Ich liebe dich, Pjotr. Ich habe auch Paul lieb 
— er iſt ein armer Menſch. Ich wollte ihn retten, ich wollte 
dich verraten; aber es gelang nicht: ich wollte alles nur 
halb. Und du ſitzſt in mir — und du ſitzſt in ihm. Wir alle 
wollen Böſes und Gutes. — Verzeih mir. 

Pahlen Ich habe dir nichts zu verzeihen. Anjuta. Ich 
habe keinem Menſchen etwas zu verzeihen — nur mir 
ſelber. Und mir gebe ich nicht Pardon. — Wenn du es 
tuſt, will ich dir dankbar ſein. Lakai kommt. Da iſt Iwan. 
Du mußt jetzt gehen, Anna. 

Anna Ich will dich noch einmal küſſen, Pjotr... 

Pahlen Küß mich nur, Anjuta ... Sie küſſen ſich. 
Sieh dir dieſen Pahlen noch einmal an, Anjuta. 

Anna erſchrocken Fürchteſt du für dich, Pahlen? 

Pahlen lacht O nein, ich fürchte nichts für mich! — 
Leb wohl, Anjuta. 

Anna Leb. . . Gott fet dir gnädig, Pahlen ... 
Gott... 

Sie geht raſch ab. Pahlen ſieht ihr nach. Stepan kommt in Offiziers⸗ 
uniform mit gelber Schärpe. 


Fünfte Szene 
Pahlen. Stepan. 
Dann Valerian, Platon, Talyſin, Stabskapitän und 
andere Verſchworene 
Pahlen muſtert Stepan Gut ſo. — Sind jetzt alle da? 
Stepan Jawohl, Exzellenz. 
Pahlen Und du — du weißt Beſcheid — für nachher? 
— Gut. — Dann ruf ſie. 
Stepan geht und kehrt mit den Verſchworenen zurück. 


112 


Pahlen Meine Herren Brüder! Die Stunde ift ge— 
kommen. In dieſer Nacht wird Rußland von ſeinem Ty⸗ 
rannen befreit. In dieſer Nacht wird Alexander, der für 
das Gelingen unſeres Werkes betet, rechtmäßiger Zar. 
Es lebe Alexander der Erſte! 

Die Offiziere Es lebe Alexander der Erſte! 

Pahlen Graf Valerian, ich ernenne Sie zum Führer 
des Detachements, das die eigentliche Aktion ausführt. 
Wir werden jetzt den Offizieren auf den Schloßhof folgen. 
Von dort dringen Sie mit den hier anweſenden Herren 
und mit dreißig Offizieren ins kaiſerliche Schlafzimmer und 
bewegen den Zaren zur Abdankung. Dieſer junge Ka— 
merad hier er zeigt auf Stepan, der mit den Räumlich⸗ 
keiten vertraut iſt, wird Sie führen. Sie haben die Voll⸗ 
macht, Exzellenz, bis zum Zwang, bis zum äußerſten zu 
gehen. Hier iſt die Abdankungsurkunde, die von Paul zu 
unterzeichnen iſt. 

Valerian Und Sie, Pahlen, werden Sie nicht mit— 
kommen? 

Pahlen durch die Zähne Nein. Ich warte auf dem 
Schloßhof. Ich bin die notwendige Reſerve — für alle 
Fälle. 

Platon fährt auf Das riecht nach Feigheit oder Verrat! 

Pahlen ſehr laut Herr, lernen Sie Mut von mir! 
— Begreifen Sie denn nicht, daß meine Gegenwart die 
Szene unnötig komplizieren würde? Ich laſſe auch Mura— 
wiew und Baron Ungern nicht hinauf. Ich weiß, was ich 
will! Die Zeit drängt! Wollen Sie mir gehorchen? 

Talyſin ſcharf Fürſt Platon, wären Sie Soldat, ſo 
möchten Sie nicht wagen, in der Stunde des Angriffs 
den Gehorſam zu verweigern! 

Platon Ich gehorche, General. Aber die Sache ge— 
fällt mir nicht. 


Neumann, Patriot 8 113 


Pahlen Mir auch nicht, Fürſt Platon. Su Stepan Und 
dir, Leutnant? 
Stepan wild Mir gefällt ſie, Exzellenz! 
Alle ſehen Stepan an. Pahlen macht eine verworrene Bewegung 
mit der Hand und geht zur Tür. Die anderen folgen ihm. 


Sechſte Szene 


Kaiſerliches Schlafgemach. — Das Zimmer hat nur eine Tür. An 

der gegenüberliegenden Wandſeite verdeckt ein Teppich die zuge⸗ 

mauerte Tür. — Nacht. Ein mattes Nachtlicht brennt nahe dem 

Bett. — Der Zar ſchläft unruhig und ſtöhnend. Geſchrei von vielen 
Krähen weckt ihn. Er richtet ſich auf, lauſcht. 

Zar Was iſt das? — Die Krähen — im Sommer— 
garten — auf den Linden — kahlen Linden — wer ſtört 
ſie auf? — Gott nicht — Gott iſt ganz ruhig — Gott ſieht 
zu — ſieht immer zu — ſieht allem zu ... Die Menſchen 
aber — viele Menſchen müſſen ſtampfen — daß die 
Krähen — tauſend Krähen kreiſchen. — Alle Menſchen 
kommen hierher — alle Menſchen ſind gegen mich — die 
Krähen nicht — die Krähen tun, was fie können ... Ruft 
Grive! Doktor! — Nein, er iſt nicht bei mir — kein 
Menſch iſt bei mir — aber alle kommen ſie auf mich 
zu . . . Dieſe Nacht — wo die Angſt aus den Wänden 
bricht — die Angſt zuerſt — und dann die Menſchen — 
und alles kriecht auf mich zu ... Oh, ich kann nicht ſchreien 
— nicht rühren kann ich mich . . . Nichts überraſcht mich — 
ſo muß es kommen — ſo muß die Nacht ſein — oh, wie 
lange weiß ich es ſchon! — Und wo find die Augen? ... 
Da ſind auch die Augen — Alexej Orlows furchtbare 
Augen, als ich ihn prügelte — den alten Mann — ſeine 
Augen hier und andere Augen dort — Augen von den 
Gefolterten und Mißhandelten ... Oh, nichts überraſcht 
mich — und was kommt jetzt? — Die Reue — ich bereue! 


114 


Ich bereue! — Und ich will beten — Vater unſer, der du 
biſt in dem Himmel ... Er betet flüſternd, man hört Lärm. 
— Und jetzt kommen jie... Oh, wie lange weiß ich es 
ſchon! — Ach, Pjotr, Brüderchen ... Jetzt — jetzt.. 
Im Vorzimmer Stimmen vieler Menſchen, haſtige Schritte, der 
ſchon erſtickte Schrei des überwältigten Kammerhuſaren. 
Zar erſtickt Jetzt — jetzt ſchrei ich — jetzt ... Hilfe! 
Er ſpringt aus dem Bett und ſchlägt gegen die zugemauerte Tür 
mit den Fäuſten. 


Siebente Szene 


Zar. Valerian. Platon. Stepan, — Zum Schluß Pahlen. 
Valerian und Platon dringen ein, den Hut auf dem Kopf, mit 
bloßen Degen. Stepan gleitet hinter ihnen ins Zimmer und ſtellt 
ſich an die Wand, in die Nähe der Nachtlampe, den Zaren beob⸗ 
achtend. In der Tür Talyſin und Verſchworene in dichter Menge. 

Zar ſpringt hinter einen Ofenſchirm, ſchreit Was wollen 
Sie? 

Valerian Sire, Sie ſind verhaftet. Sie haben zu 
regieren aufgehört. 

Zar Was — was wagtihr, Hunde! Mit welchem Recht... 

Valerian Im Namen und Auftrag des Zaren Alex— 
ander 

Zar brüllt Alexander!! — Man erſchieße ihn — ſofort!! 

Valerian Sire, verhalten Sie ſich ruhig! Es geht um 
Ihr Leben! Er klemmt den Degen unter den Arm und zieht die 
Urkunde hervor. Im Namen des Kaiſers Alexander fordern 
wir Sie auf, dieſe Abdankungsurkunde zu unterſchreiben. 
Sie erklären ſich für unfähig, die Regierung weiterzu— 
führen, und übertragen ſie dem Zarewitſch. 

Zar Nein! Nein! Ich bin der Zar! Ich bleibe Zar! 

Valerian Sire, jeder Widerſtand iſt unnütz. Die ge⸗ 
ſamte Armee ſteht hinter uns! 


Neumann, Patriot 8“ Tele 


Zar Nein! Nein! Ich unterſchreibe nicht! Ich ... 

Platon nähert ſich dem Wandſchirm Sire, Sie zwingen 
uns zur Gewalt! 

Zar ſchreit in äußerſtem Schrecken Wer — wer ſind Sie? 

Platon Ich bin Platon Subow. 

Zar Bei dem allmächtigen Gott! — Sie ſehen aus 
wie mein Sohn Alexander ... Bei dem allmächtigen 
Gott, ſind Sie mein Sohn Alexander? 

Platon erſchüttert, bleibt ſtehen Sire, Sie ſind ver— 
wirrt. Ich bin wahrhaftig Platon Subow. — Sire, ich 
bitte Sie, das Dekret zu unterſchreiben, wenn Sie Ihr 
Leben retten wollen. 

Zar plötzlich Wo iſt Graf Pahlen? Die Männer wiſſen 
nicht, was antworten, und ſehen ſich an. Zar ſchreit Pahlen, 
Pahlen! Zu Hilfe! 

Er ſpringt mit unvermuteter Wucht hinter dem Wandſchirm hervor, 
überraſcht Platon, reißt dem überraſchten Valerian den Degen aus 
dem Arm und drängt zum Ausgang hin. In dieſem Augenblick 
reißt Stepan, der ihn nicht aus den Augen ließ, ſeine Schärpe ab 
und wirft die Nachtlampe zu Boden. Dunkelheit und furchtbare 
Verwirrung. Man hört „Licht! Licht!“ ſchreien, Fluchen und 
Stöhnen. Endlich eilt ein Offizier mit einer Fackel aus dem an⸗ 
ſtoßenden Raum. — Der Zar liegt in der Mitte des Zimmers, mit 
einer gelben Offiziersſchärpe erwürgt. Stepan iſt verſchwunden. 
Die Männer ſehen einander ſtumm an und rühren ſich nicht. — Auf 
der Schwelle ſteht jetzt Pahlen. Er geht ins Zimmer, entblößt das 
Haupt, betrachtet den Leichnam. Keine Muskel ſeines Geſichts be⸗ 
wegt ſich. 

Pahlen leiſe und ruhig Wir ſind am Ende der Tra— 
gödie. Wir haben mit dieſem Ausgang rechnen müſſen. 
Er kniet nieder, verhüllt Pauls Geſicht, hebt ſacht den Körper hoch, 
wehrt mit einem Kopfſchütteln Valerian ab, der ihm helfen will, 
trägt den Zaren langſam zum Bett, legt ihn ſanft hin, hebt die 
herabhängenden Hände, küßt ſie und kreuzt ſie über der Bruſt. 

Totenſtille. Pahlen winkt Valerian und geht zur Tür. 


116 


Achte Szene 
Pahlens Arbeitszimmer. 
Alexander. Dann Pahlen. Valerian. 
Alexander liegt angekleidet auf einem Feldbett. Es geht dem 
Morgen zu. Als ſich die Tür öffnet und Pahlen und Valerian ein⸗ 
treten, ſpringt er auf, wortlos vor Erregung, mit einer krampf⸗ 
haften fragenden Geſte. 

Pahlen nach einer Stille, ruhig und ernſt Majeſtät, der 
Zar Paul Petrowitſch regiert nicht mehr. 

Alexander zurückweichend, ſtammelnd Und — was iſt — 
mit ihm? f 

Pahlen ſieht ihm in die Augen Er iſt tot. 

Alexander duckt ſich mit verzerrtem Geſicht, als ſeien ihm die drei 
Worte wie Gewichte auf den Kopf gefallen. 

Alexander heiſer Und der Mörder wagt vor mir zu 
erſcheinen? — Wollen Sie Ihren Judaslohn, Herr Gou— 
verneur? — Glauben Sie, daß ich Sie zum Fürſten mache? 
Pahlen geht auf ihn zu, mit einer Wut in den Augen, daß Alexander 
bis zur Wand zurückweicht und Valerian ſich dazwiſchen drängt. 

Valerian Majeſtät, verſuchen Sie ſich zu beruhigen. 
Graf Pahlen war nicht im Zimmer, als der Mord gegen 
unſeren Willen geſchah. Wir verhandelten mit dem Zaren, 
der uns mit dem Degen angriff. In dem Getümmel wurde 
das Licht umgeſtoßen und der Zar von unbekannter Hand 
erwürgt. Das iſt die Wahrheit. 

Pahlen ſchreit Das iſt nicht die Wahrheit! — Ich 
bin der Mörder! Er ſchiebt Valerian beiſeite, ſpricht plötzlich 
ruhig Sire, denken Sie nach — und Sie werden mich 
nicht mehr beleidigen. — Erinnern Sie ſich, was an dieſem 
Abend in dieſem Zimmer geſchah! — Erinnern Sie ſich, 
daß ich Ihnen Ihr Gewiſſen abnahm und Sie es ſich ab- 
nehmen ließen. — Sire, ich trage zwei Gewiſſen — und 
ich weiß und Sie ahnen, wie ich damit fertig werde! — 


117 


Sire, im Namen Ihres Gewiſſens befehle ich Ihnen zu 
ſchweigen! 

Alexander öffnet ein wenig den Mund; er ſinkt ganz alle 
mählich nach vorne und ſtürzt dann ſchluchzend zu Boden. 

Pahlen betrachtet kalt den Liegenden Meine Arbeit iſt 
bald getan — ſehr bald. Sie werden weder nötig haben, 
mich zum Fürſten zu machen noch vor das Kriegsgericht 
zu ſtellen. Mein Werk iſt beendet, das Ihre beginnt. Ob 
wir zum Heil des Reiches waren und ſein werden, hat mit 
dem Menſchen in uns nichts zu tun. Das Menſchliche 
machen wir mit uns ſelber ab — und Sie, Sire, brauchen 
von mir nichts zu lernen — nichts von mir und dieſer 
Nacht, die noch nicht ganz zu Ende iſt. Stehen Sie auf, 
Sire. Er geht an den Schreibtiſch und nimmt aus der Lade ein 
Schriftſtück. Alexander erhebt ſich von Subow geſtützt. Ihre 
Pflicht beginnt mit dieſer Proklamation, Sire. Sie tut 
dem Volk kund, daß Zar Paul im Laufe dieſer Nacht an 
einem Schlaganfall verſchieden iſt und daß Zar Alexander 
den Thron ſeiner Väter beſtiegen habe. Wenn Sie die 
Proklamation unterſchrieben haben, iſt meine Pflicht ge— 
tan. Alexander unterſchreibt mit müder Bewegung. Ich danke 
Ihnen, Sire. Sie werden jetzt die Güte haben, ins Winter— 
palais zurückzukehren. Es ſind bereits Adjutanten in die 
Kaſernen geſandt, um die Garniſon den Treueid ſchwören 
zu laſſen. — Mehr habe ich nicht zu tun. 

Valerian Sie werden müde ſein, Pahlen. — Sire, 
ich begleite Sie ins Palais. — Leben Sie wohl, Graf. 

Pahlen Ja, ich bin müde. Leben Sie wohl, Valerian. 
Valerian geht zur Tür. — Sire, Gott fei jetzt mit Ihnen. 

Alexander hält ſeine Hand feſt und ſieht ihn an, will etwas 
ſprechen, beugt ſich plötzlich nieder, küßt Pahlens Hände und eilt 
fort. Pahlen betrachtet ſeine Hände, lächelt. 

Pahlen ruft Stepan! Stepan kommt ſchlaftrunken. 


118 


Neunte Szene 


Pahlen. Stepan. 


Von der Straße her dringt leiſer Lärm, der allmählich ſtärker wird. 
Im Laufe der Szene hört man die Freudenſchreie der Menge deut⸗ 
licher. Der Tag dämmert. 


Pahlen Schnaps und Gläſer — Waſſergläſer, auch 
für dich. 
Stepan bringt Flaſche und Gläſer und ſtellt fie auf den Schreib— 
tiſch, hockt ſich in der Nähe der Tür auf den Boden, ſchläft gleich ein. 
Pahlen ſetzt ſich mit übernächtigtem alten Geſicht an den Schreib⸗ 
tiſch, ordnet und zerreißt Papiere, trinkt, lauſcht zum Fenſter hin, 

ſchüttelt den Kopf, trinkt, ſchließt die Schublade. 

Pahlen Stepan, es iſt jetzt Zeit, wach zu werden. 
Stepan fährt auf, reibt ſich die Augen. Pahlen winkt ihn an den 
Tiſch, füllt ein Waſſerglas mit Branntwein. Hier, braver Kerl, 
trink auch. Wir müſſen beide noch einmal Mut haben. — 
Aber trink nicht ſo viel wie ich, hörſt du? Stepan trinkt in 
einem Zug. Pahlen füllt das Glas von neuem, ſtopft ſich eine 
Pfeife. Freundchen, ſag mir mal, warum, glaubſt du, habe 
ich das alles getan? 

Stepan hebt die Schultern und unterdrückt ein Gähnen. 

Pahlen lächelnd Gut, gut, Lieber, ich weiß es auch 
nicht recht; denn wenn ich jetzt da unten das Volk, das 
ich gar nicht kenne, vor Glück brüllen höre, weiß ich nur, 
daß es mir ſehr gleichgültig iſt. — Alſo bin ich ein Patriot? 

Stepan ſtumpf Ja, Väterchen, und ein großer Mann. 

Pahlen lacht Du biſt blöde vor Schlaf und Schnaps! 
Ich bin kein Patriot, ſcheint mir. Denn höre, Stepan, 
wäre es dem Kaiſer gelungen, dir zu entfliehen, dann 
hätte ich ihn gerettet und euch alle zuſammengeſchoſſen. 
Deshalb wartete ich auf dem Schloßhof. — Was ſagſt du 
jetzt, Stepan? 

Stepan Du biſt ein großer Schuft, Väterchen. 


119 


Pahlen Bravo, bravo, Stepan! Aber wenn ich ein 
ſo großer Schuft bin: warum ſaufe ich mich jetzt voll, daß 
ich nicht ſehe, wenn du das Piſtol hebſt und mich aus der 
Welt ſchaffſt — warum habe ich dir dann befohlen, mich 
und dich zu töten? 

Stepan Weil du doch ein großer Mann biſt, Väter⸗ 
chen Exzellenz. 

Pahlen trinkt lachend Du haſt wieder recht, Stepan, 
du haſt immer recht! Pauſe. — Wenn es ſieben ſchlägt, 
verſtehſt du? — Es muß bald ſieben ſchlagen. Hier ſind 
die — er gibt ihm aus der Tiſchlade zwei Piſtolen — Jetzt 
darfſt du nicht mehr trinken, Stepan. Er ſteht ſchwankend 
auf und legt ſich auf das Feldbett. Komm ganz nahe, 
Bruder Stepan. — Liebſt du mich? 

Stepan Ja, mein Väterchen. 

Pahlen Ich darf mich auf dich verlaſſen, Bruder 
Stepan, noch einmal? 

Stepan Ja, mein Väterchen. 

Pahlen ſchweigt und hebt ſeine Hände hoch. 

Pahlen Sieh, Stepan, fieh dir dieſe Hände an... 
die hat ein Kaiſer geküßt .. . und dieſen Mund — der hat 
eines anderen Kaiſers Hände geküßt. — Ich bin... was 
bin ich wohl ... Ich will jetzt nicht mehr ſprechen, Stepan. 
Sing ein Liedchen... 

Stepan beginnt ein ſchwermütiges kleinruſſiſches Lied. Der Vor: 
hang fällt langſam. Die Schreie auf der Straße werden deutlicher: 


„Es lebe der Zar!“ Von einer nahen Kirche ſchlägt es langſam und 
feierlich fieben Uhr. Der Geſang hört auf. Es fallen zwei Schüſſe. 


Vorhang. 


Von Alfred Neumann 
erſchien ferner 


Der Teufel 


Roman 


40. Tauſend 
Mit dem Kleiſtpreis 1926 ausgezeichnet 


Preſſeurteile umſtehend 


Alfred Neumann wurde von Diebold mit dem Kleiſtpreis bedacht. 
Sein hiſtoriſcher Roman „Der Teufel“ iſt ein Meiſterwerk, würdig, 
mit Döblins „Wallenſtein“ verglichen zu werden. Die Einigung 
Frankreichs durch Ludwig XI. iſt das Thema, das mit Hilfe einer 
ſouveränen Verdeutlichung der politiſchen Kräfte, die hinter dem 
zeitlichen Koſtüm zeitlos ſind, durchgeführt wird. Der dämoniſche 
Berater des zwiſchen Verbrecher und Genie ſchillernden Königs ſteht 
im Vordergrunde, von ihm aus wird das Gewirr der Fäden deut⸗ 
lich, es gibt keine Staatsaktion, es gibt aber auch keine marionetten⸗ 
hafte Abhängigkeit von einem Geſchick, wie es der materialiſtiſchen 
Geſchichtsauffaſſung entſpräche, vielmehr iſt, und dies iſt der große 
Vorzug der Kompoſition, die Beziehung zwiſchen Perſönlichkeit und 
Geſchichte funktional, nicht kauſal bedingt. Ebenſo gelungen iſt die 
Einbeziehung des erotiſchen Momentes in die „Staatsaktion“: der 
„Teufel“ iſt nämlich mit dem König in einer myſtiſchen Perſonal⸗ 
union verbunden, in der ſeine eigene Frau beiden gehört; der Mann 
und der Freund und der Politiker kämpfen in der einen Bruſt einen 
verzweifelten Kampf, der mit einer ſchweigſamen Härte wundervoll 
keuſch durchgeführt iſt. Voſſiſche Zeitung, Berlin. 


Unſere Bewunderung gehört ganz dem Autor. Man wird die Kühn⸗ 
heit der Fabel anerkennen müſſen, weil ſie mit außerordentlichen 
Mitteln erzählt iſt. Dieſer Roman, der ſeine Abſichten ſouverän zu 
verſchleiern weiß, fällt durch eine ſeltene epiſche Geſcheitheit gerade⸗ 
zu aus der Ordnung der jetzigen deutſchen Romanliteratur. Geſchichte 
dient in dieſem Werke nur als Vergroßerungsglas. Sie verweiſt 
immer auf Menſchliches. Verdientermaßen iſt Alfred Neumann der 
heurige Kleiſtpreis zugefallen. Möge das Anſehen dieſes Literatur⸗ 
preiſes den Erfolg dieſer reifen und in einem lauteren Sinne 
ſpannenden erzähleriſchen Leiſtung beflügeln helfen. Ein innerlich 
jo welthaltiger ſtarker Roman verdient die weiteſte Verbreitung. 
E. Korrodi in der Neuen Zürcher Zeitung. 


Seit vielen Jahren der beſte hiſtoriſche Roman. Seit langem iſt kein 
Buch erſchienen in einem ſo gedanken- und klangvollen, reinen 
Deutſch. Ein prachtvoll gelungener Wurf, mit dem Alfred Neumann 
in die Reihe der beſten deutſchen Erzähler vorrückt. 

Friedrich Eiſenlohr in der Neuen Bad. Landeszeitung, Mannheim. 


„Der Teufel“ iff Neumanns am weiteſten ausgeſponnenes Werk, 
volltönend und groß. Es zeigt den Erzähler auf einer Plattform 
ſeines Könnens ſowohl in pſychologiſcher als auch in ſtiliſtiſcher 
und formaler Hinſicht. Ein nach innen und außen hin farbiges, in 
ſcharfem, aber gebändigtem Glanz leuchtendes Buch. 

Artur Friedrich Binz in der Saarbrücker Zeitung. 


Dieſer Roman iſt eine hinreißende, vorwärtsſtürmende, atem⸗ 
beklemmende und blutdurchpulſte Dichtung. Es gibt nur wenige 
„hiſtoriſche Romane“, die ſo abſolut zeitlos und lebendig, ſo bis ins 
Letzte ſeelenſchlürfend und auch organiſch aufgebaut nicht Geſchichte, 
ſondern Menſchen ſpiegeln. Durch das ganze Buch ſchlägt eines 
Menſchen Herz. Dieſem Roman prophezeie ich eine große Zukunft. 
Er wird verſchlungen werden. Heinz Stroh in der Berliner Vörſenztg. 


Mit außerordentlicher Farbigkeit und Eindruckhaftigkeit, konzentriert 
in der Geſtaltung wie in der dialektiſchen Zuſpitzung des Dialogs, 
ijt das Werk geſchrieben. Die Figuren find, auch die kleinſten, über⸗ 
aus durchgearbeitet, bis zur letzten Sichtbarkeit. Wirklich ein Werk, 
über deſſen Krönung man ſich freut! 

Peter Hamecher in der Oeutſchen Allg. Zeitung, Berlin. 


Der Dichter ſtellt ſich mit dem „Teufel“ in die allererſte Reihe 
unſerer derzeitigen Romandichter. Da iſt der große und ſichere 
epiſche Zug, der bei uns Deutſchen fo felten ijt, verbunden mit fon: 
zentrierteſter Geſtaltungskraft; eine faſt viſionär großartige Erkennt⸗ 
nis und Schilderung der menſchlichen Seele in ihren verwickeltſten 
Ausprägungen, eine Weite der Idee und der Menſchlichkeit, eine 
Zuspitzung der Rede und Beherrſchung der Sprache überhaupt, daß 
man das Buch ohne Zaudern als bleibenden Wert bucht. 
Schwäbiſcher Merkur, Stuttgart. 


Deutſche Verlags-Anſtalt / Stuttgart Berlin Leipzig 


ee be 


10 


ee 


1 DATE DUE 


SO PT 2627 Ee PS 1927 
=o) Neumann; Alfred, 1895-1952. —_ = 
= | Der Patriot 3 


BORROWER'S NAME 


DATE DUE 


Concordia College Library 
Bronxville, NY 10708