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Full text of "Der sinnreiche Junker Don Quixote von La Mancha"

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u 3 








Der finnreiche Zunker 


Don Quixote 


von Sa Mande 

















Drud water der Zeitung von U. 8. 9° 





fe in Orutign. 
































Der finnreiche JZunker 


Dou Quirote 
von Sa Manda. 


Bon 


au 
Miguel Cervantes be Saavedra. 


Aus dem Spaniſchen überfezt; 
mit dem Leben von Aliguel Cervantes nach Diardot, 
und einer Einleitung 


von 


Seinrih Seine 


Erfier Band 


Stuttgart 1837. 


Berlag der Elaffilen 














Uachricht 


über das 
Pe 


Seben und die 


ne bie Lebenoumſtãnde unſeres Dichters 

ju Tonnen, Hat man lange fein Meie 

Rerwerk, den Roman Don Dulrote, 

dewundert, — ein Schtdfal, welches 

Don Miguel Cervantes mit an 

dern Dichtern erſten Manges theilt. 

Erſt in neuerer Zeit iſt das Dunkel, das 

‚über feinen Lebensumſtänden ſchwebte, 

durch muhſame Rachſuchungen in Archi ⸗ 

ven und Kirchenbuchern zerſtreut wor · 

den. At Stadte ſtritten ſich früder um 

die Ehre, ſein Geburtoort zu ſeyn: 

WMadrtid, Sevilla, Toledo, Lu⸗ 

cena, Esquivias, Alcazar de 

San Juanı — und Alcala de Henared. Dan weiß jeht 
gewiß, daß er in der ledteren giefet Städte im Jahre 1547 geboren ward, 





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Uochricht über das Leben 


doch fennt man den Zag nit; getauft wurde er dem 9. Oltober in ber 
Hauptlirhe zu Alcala. Seine Familie ſtammte urfprünglid aus Galizien, 
ließ Ach aber fpäter in Kaftilien nieder; fie gehörte dem niederen Adel an, 
deflen Mitgliever in Gpanien Hidalgos (von hijos de algo, gleihfam 
Göpne von jemand Rechtem) genannt werden. Geit dem dreizehnten Jahr- 
hunderte fommt der Rame Eervantes auf eine ehrenvolle Weiſe in den 
fpanifchen Jahrbüchern vor. Krieger diefes Ramens nahmen Theil an dem 
glorreihen Kampfe des heiligen Ferdinand, an ber Erflürmung von 
Bacza und Sevilla; fie wurben fpäter mit Gütern bedacht, als die den 
Mopren abgenommenen Ländereien neue Befiper erhielten. Andere Glieder 
des Haufes ber Eervantes zogen mit den Schaaren der Eroberer (los con- 
quistadores) in bie neue Belt, und verpflanzten einen Zweig des Hauptflammes 
in das überfeeifhe Spanien. Johann Eervantes war in ten erfien 
Jahren des fehzepnten Jahrhunderts Bogt (correzidor) ter Stadt Oſſunna. 
Sein Sohn Rodrigo peirathete um's Jahr 1540 ein Edelfräulein aus dem 
Drte Barajas, Donna Leonor be Eortinas. Aus biefer Ehe entflanden 
zuerſt zwei Mädchen, Andrea und Luifa, dann zwei Söhne, Rodrigo 
und Miguel; der Letztere it unfer Dichter. 

Ueber die Jahre der Kindheit weiß man wenig. Da fein Gehurtsort 
eine Univerftät war, mo die Jugend der benachbarten, nur vier Meilen 
entfernten, Hauptſtadt Madrid fudirte, fo ift es wahrfcheinlich, daß er dafelbft 
feine erfte Bildung empfing. Er felbf berichtet uns, daß er von Jugend auf 
große Neigung für die Studien empfunden, und bie Bücher in dem Grade 
neliebt habe, daß er felbft in der Straße Papierftreifen auflas. Damals 
309 der berühmte Lopez de Rueda, der Gründer der fpanifen Bühne, 
in den größeren Städten des Königreichs herum. Unfer Held fah ihn in 
Segovia und Madrid fpielen, und fühlte hier zum erfien Male feinen Beruf 
für's Tpeater und die Dichtkunſt. Rah durchlebten Kinderjapren ging der 
junge Cervantes auf die erſte Univerfität Spaniens, Salamanca, wo er 
zwei Jahre zubragte; man weiß, daß er in ber Moprenftrage wohnte. Dort 
erwarb er fih die genaue Kenntniß des Studentenlebens, welche einigen 
feiner Erzäpfungen fo viel Reiz verleift. Ein wenig fpäter finden wir 
unfern Dichter in der Schule eines namhaften Bumaniften jener Zeit, 
des Johann Lopez v. Hoyos. Diefer Gelehrte erhielt vom Madrider 
Stadtrathe den Auftrag, die Gedichte für das Trauergepränge der verflor« 
benen Königin Eliſabeth von Balois zu verfertigen, deren Leiche am 
24. Ottober 1568 mit großen Beierligkeiten beigefeßt wurde. Hoyos lieh 
fich von feinen Schülern helfen; vor allen Andern brauchte er den jungen 
Miguel, den er in der gebrudten Beigreibung des Hergangs mehrere Male 
feinen theuren, vielgeliebten Schüler nennt. Die Arbeit fand Beifall und 
wurde Anlaß zu neuen poetifen Bafugen; ohne Zweifel Hat Eervantes 











wr 











und die Schriften des Verſaſſers. 


um biefe Zeit das Meine Hirtengedicht Filena und einige Berfe verfertigt, 
von denen jedoch nicht mehr, als der Name auf ung gelommen if. 

Cervantes trat jet auf den großen Schauplag der Welt. Im Palafle 
des finftern Philipp IL, Königs von Spanien, hatten der Prinz Earlos 
und, nad kurzer Zwifchenzeit, bie Königin Elifabeth ein geheimnißvolles 
Ende genommen. Unter dem Borwande, das Beileid des heiligen Vaters In 
Rom zu bezeigen, erſchien in Madrid ein päbſtlicher Gefandter, deſſen wahre 
Abfiht jedoch war, gewifle Rechte bes pähftlichen Stuhls auf ſpaniſche Be- 
fisungen in Italien zu verfechten. Philipp gab bei aller Bigotterie dem 
Pabſte in weltlichen Sachen fein Haar breit nach; er hatte überbieg bei ſchwerer 
Strafe verboten, daß kein Menſch, fey er Zürft oder Unterthan, den Namen 
Don Earlos ausfprechen dürfte. Demnach konnte ipm die Sendung des 
Prälaten — er hieß Julius Acquaviva — unmöglich gefallen. In der 
That erhielt derſelbe zwei Monate nach feiner Ankunft, am 2. Dezember 1568, 
Befepl, Spanien auf dem kürzeſten Wege zu verlaffen. Wenn nid alle 
Anzeigen täufepen, war es Acquapiva, der den jungen Dichter mit fih na 
Rom nahm. Eervantes erklärt felbfi in feinen Werfen, daß er in bie 
Dienfte des Prälaten als Evellnabe oder Kammerbiener getreten fey. Eine 
folge Stellung, bie jet Taum ein mwohlerzogener Bürgerliher annehmen 
würde, hatte damals nichts Entehrendes; viele junge ſpaniſche Edelleute 
widmeten, ohne ihrer Würbe zu fihaden, ihre Dienſte dem römifchen Purpur, 
um durch Borfihub der Kardinäle ihr Glück in der Kirche zu machen, oder 
wenigftens auf fremde Koften Italien zu fehen. 

Soviel Gelegenheit, fi feinen dichteriſchen Neigungen hinzugeben, 
ihm auch der neue Stand gewähren mochte, blieb Cervantes doch nicht 
lange im Haufe bes Prälaten. Schon im folgenden Jahre 1569 trat er 
als Freiwilliger unter die ſpaniſchen Truppen, welche damals einen guten 
Theil Italiens befegt hielten. Eben war ein großer Kampf zwiſchen ber 
Chriftenpeit und dem Halbmond dem Ausbruche nahe. Sultan Selim I. 
hatte, opne fih um bie beflefenden Verträge zu befümmern, mitten im 
Frieden die Infel Eypern angefallen, welche den Benetianern gehörte. Diefe 
tiefen den Pabſt Pius V. um Hülfe an; ein dreifacher Bund zwiſchen den 
Benetianern, dem Pabfle und der Krone Spanien kam zu Stande; die römie 
fen und fpanifpen Galeeren vereinigten fih unter dem Befehle des be— 
rüpmten Marc Antonio Eolonna mit der venetianifhen Seemacht. 
Zu Anfang des Sommers 1570 fegelte die vereinigte Flotte nach dem Archipel, 
in der Abficht, die Fortſchritte der Türken zu hemmen, aber die Unternep- 
mung fieiterte an der Zwietracht under den Admiralen der drei Nationen. 
Die Türken napmen die flärkfie Feflung Cyperns, Nicofia, im Sturme und 
bemeiflerten ſich der sangen Infel; die chriſtliche Flotte wurde durch Stürme 
getrennt und mußte unverrichteter Dinge nach den Häfen zurüdfchren, von 

















iv Wahridt über das Sehen 


denen fle ausgefegelt war. Unter den 49 fpanifhen Galeeren, die fih mit 
der paͤbſtlichen Seemacht vereinigt hatten, befanden ſich 20 von der neapo» 
litaniſchen Flotte, über welche ber Marquis von Santa-Eruz den 
Befehl führte. Ihre Bemannung war durch 5000 fpanifihe Soldaten 
verftärft worden, zu benen auch die Compagnie des tapfern Hauptmanns 
Diego de Urbina gehörte. Im dieſer nämlichen Compagnie diente 
Miguel Eervantes. 

Bäprend des Winters wurden die Kriegsrüflungen mit größtem Eifer 
betrieben, und aud ber Bund erhielt eine beffere Geftalt. Der Oberbefeht 
über die gefammte Flotte der drei Mächte ward dem Prinzen Don Johann 
von Defterreich, einem natürlichen Sopne Kalfer Karls V., übertragen, 
der fid damals troß feiner Jugend fon einen Namen erworben hatte buch 
ſchnelle Dämpfung eines Aufflandes der Mohren von Grenada. Don Jo— 
bann nahm in Barcelona alte verfuchte Truppen an Bord, erfchien am 
26. Juni 1571 mit fiebenundvierzig ſpaniſchen Galeeren auf der Rhede von 
Genua, und fegelte etliche Tage fpäter nad dem Hafen von Meflina, 
welcher der ganzen vereinigten Flotte als Sammelplatz angewiefen war. 
Unter feinem früheren Hauptmanne Diego de Urbina beflieg Eervantes 
das Kriegsſchiff la Marquesa (die Markgräfin). Nachdem die Flotte Eorfu 
befreit und die feindliche Seemacht eine Zeit lang verfolgt hatte, ftieß fie am 
7. Oktober Morgens frühe, bei ver Einfahrt in ven Meerbufen von Lepanto, auf 
diefelbe. Gegen Mittag entbrannte der Kampf und wüthete bis fpät in den 
Abend, um mit einem glängenden Geefiege der Chriſten zu endigen. 
Cervantes hatte das breitägige Bieber. Sein Hauptmann, wie feine 
Rampfgenoffen, ſprachen ihm ernftlich zu, während der Schlacht im Zwi- 
ſchendede zu bleiben. Aber Cervantes, obgleih dur die Krankpeit ge 
ſchwächt, wies nit nur den freundlichen Rath feines Borgefeßten zurüd, 
fondern verlangte den geſährlichſten Plag. Mit zwölf auserlefenen Soldaten 
warb er neben der Chaluppe aufgeftellt. Die Marqucfa war eines von 
den Schiffen, die fih am meiften auszeichneten. Sie enterte das Admiral- 
ſchiff von Alerandrien, töbtete 500 Türken und eroberte bie Reichsfahne von 
Aegypten. Fortwährend dem heftigfien Beuer ausgefegt, erhielt Cervantes 
drei Flintenſchüſſe, zwei in die Bruf, der britte zerſchmetterte feine Tinte 
Hand, welche für immer verſtümmelt blieb. Mit Recht ſtolz auf feinen An- 
theil an dieſem benfwürbigen Kampfe, beklagte ih Eervantes nie über 
den Berluft feiner Hand; oft hörte man ihn fagen, daß ex den Ruhm, unter 
die Kämpfer von Lepanto fih zäplen zu dürfen, nicht zu theuer erfauft habe. 
Er, der den Ruhm perfönlicher Tapferkeit noch höher ſchätzte, als feinen 
Dichter ⸗ Lorber, zeigte flolz feine Wunden mit den Worten: „Ich habe 
fie in dem glorreihfien Kampfe empfangen, in einem Rampfe, deßgleichen 
die Gegenwart und die Bergangenpeit keinen, die Zukunft wohl wenige 

















und die Schriften des Werfaflers. 


aufmweifen. wird, in einem Kampfe, der wie ein Stern der Nachwelt auf ber 
Bahn zum Himmel des Ruhmes voranleuchten fol." 

Um feinen Sieg zu verfolgen, wollte Don Johann von Dcflerreih 
bie Schlöſſer von Lepanto und Santo-Mauro nehmen und die Türken in die 
Heinen Darbanellen einfpließen; aber Mangel an Lebensmitteln, die große 
Zapl von Verwundeten und Kranken, endlich auch ausdrüdliche Befehle feines 
königlichen Halbbruders Philipp IL. zwangen ihn zur Rüdfaprt nah 
Meffina, wo die fiegreihe Flotte am 31. Oktober Iandete. Die Soldaten 
murden in verſchiedene Winterquartiere veripeilt. Das Regiment Moncada 
(su dem Eervantes Compagnie gehörte) ward In das Innere von Gich- 
lien verlegt. Cervantes ſelbſt konnte feinen Kampfgenoſſen nicht folgen, 
denn zu gleicher Zeit frank und verwundet, burfte er Meffina nicht ver- 
laſſen, ſondern blieb fehs Monate im Spitale biefer Stadt. Don Johann 
von Defterreich Hatte ihm gleich am andern Tage nad der Schlaht große 
Aufmerkfamteit gefchentt, auch jeht vergaß er ihm nicht. Aus Rechnungen, 
bie noch jetzt vorhanden find, kann man beweifen, daß er ihm unter bem 
15. und 23. Januar, dem 9. und 17. März 1572 durch das Zahlamt ber 
Flotte Heine Summen zuftellen Lich. Nach feiner Wiederherſtellung erhielt 
Cervantes überdies durch einen Befehl an das Zahlamt vom 29. April 
einen außerorbentlichen Sold von drei Thalern für den Monat. Er wurde 
zugleich in das Regiment des Oberfien Figueroa, das angefehenfte bes 
Heeres, verfeßt. 

Der Feldzug des Jahres 1572 entſprach den gehegten Erwartungen nicht. 
Pabſt Pius V., die Seele der Liga, war geflorben, der Eifer des Rathes 
zu Venedig erfaltet. Faſt ganz vereinzelt land der König von Spanien den 
Türken gegenüber, welche große Rüftungen machten und die Küſten von 
Sicilien bedrohten. Am 6. Juni lief Marc-Antonio Eolonna mit 
einem Theile der verbündeten Flotte, worauf ſich auch Cervantes mit 
dem Regimente Bigueroa befand, nach dem Aripel aus. Don Johann 
folgte ihm mit der übrigen Seemacht am 9. Auguft, allein die beiden Ge- 
ſchwader verloren viele Zeit über dem Berfuche, fh zu vereinigen. Als fie 
endlich im September zueinander fließen, mißlang ihnen ein Angriff auf 
die feindliche Flotte, durch die Schuld der Lootſen. Nach einem vergeblichen 
Sturme auf das Schloß von Navarin mußte Don Johann fein Heer wies 
der einfgiffen, und fegelte im November nach Meffina zurüd. In der Ger 
ſchichte des gefangenen Hauptmannes erzählt Cervantes die Einzelnpeiten 
des verunglüdten Feldzuges vom Jahre 1572, an welchem er, wie gefagt, 
ſelbſt Theil nahm. 

Philipp IL. gab darum feinen Plan noch nicht auf; mit dem Frühlinge 
des folgenden Jahres follten 300 Galeeren in Eorfu zufammengezogen und 
der ottomanniſchen Seemacht ein toͤdtlicher Streich beigebracht werden. Aber 




















v Wadridht über das Sehen 


Die Benetianer, die feit längerer Zeit durch Bermittlung der Franzoſen ind- 
geheim mit dem Sultan unterhandelt hatten, ſchloſſen im März 1573 uuer- 
wartet Frieden. Die Liga Löste ſich hierdurch von feld auf. Um die im 
Mitteimeere vereinigte Flotte zu etwas zu brauden, beſchloß man fpanifcher 
Seits eine Landung in Tunis oder Algier. Ppilipp IL. und Don Io 
bhann mwäplten beide einfimmig den erfieren Drt, aber über die weiteren 
Mafregeln Tamen fie wit überein. Ppilipp IT. wollte bloß den jeweiligen 
Beherrſcher von Tunis, Alu Aly, einen Türken, verdrängen, den Mopren 
Wuley Mopammed auf feinen Gtupl fegen und die dortigen Feſtungs - 
werte zerören, während Zopanm insgeheim ſelbſt nad ber Herrſchaft der 
nordafrikaniſchen Küfe ſtrebte, auf welcher die Spanier fet Karl V. die 
Bee Boletta befaßen. Don Johann von Defterreich fegte fein Heer ohne 
Berink bei Goletta an's Land, dann fhidte er den Marquis von Santa- 
Eruz mit einem auserlefenen Heerhaufen nah der Stadt Tunis, melde 
turz zuvor von ber türfiihen Garnifon und fah der ganzen Einwohnerfhaft 
verlaffen worden war. Soweit ging Alles glüdlih. Aber nun fhidte Phi-⸗ 
lipp IL. feinem Halbbruber, erbittert über feinen Ungehorfam, den gemeſ ⸗ 
ſenſten Befehl, mad der Lombardei zurüdzulehten. Don Johann mußte 
Bolge leiſten; nur eine Meine Befagung blieb in Boletta zurüd. Cervantes 
war mit dem Regimente Figueroa ſelbſt in Zunis eingezogen. Rad- 
dem das Unternehmen aufgegeben war, kehrte er im Herbie mit den 
andern Truppen nach Stalien zuräd. Dieſe thatlofen Feldzüge gefielen ipm 
nit mehr. Im Jahre 1575 forderte er feinen Abſchied, um nah Spanien 
surädzufehren. Geine Entlaffung war eprenvol. Don Johann gab ihm 
Empfeplungs- Briefe au den König mit, worin er feinen Halbbruder bat, 
dem erprobten Manne eine der Eompagnien zw ſchenken, die damals in 
Spanien nen geworben wurden. Richt minder empfahl ihn der Bice- 
König von Gieilien, Don Carlos von Aragon, Herzog von Gefa, dem 
fpanifen Hofe, als einen Soldaten, der bisher vernachläßigt worden fep, 
der aber dur feine Tapferkeit, Einſicht und tadellofe Aufführung fi eben 
fo fehr die Achtung feiner Kameraden, als feiner Borgefegten erworben habe. 
Ausgerũſtet mit folhen träftigen Empfehlungen, die ipm eine gute Aufnahme 
im Baterlande verhießen, befieg Eervantes in Neapel das fpanifche 
Kriegsſchiff „bie Sonne*, um nah Spanien zurüdzulehren. Mehrere aus- 
gezeichnete Soldaten befanden fi auf demfelben, unter Anderen fein älterer 
Bruder Rodrigo und ber General des Gefhüges Pero Diaz Earillo 
de Duefada. Aber nur auf langen und mühfamen Umwegen follten fle die 
erfehnte Heimath erreichen. Den 26. September 1575 gerieth „bie Sonne” 
unter ein algierifes Raubgeſchwader. Drei türkiſche Schiffe, worunter 
eine Galione von zweiundgwanzig Ruderbänten, geführt von Dat-Mami, 
einem griepifhen Renegaten, fielen über die fpanifhe Galeere her. Nah 








































und die Schriften des Verſaſſers. vo 


einem eben fo hartnädigen, als ungleichen Kampfe mußte „bie Sonne“ ipre 
Blagge freichen; fie warb im Triumphe nad dem Hafen von Algier geführt, 
wo bie Korfaren ihre Beute tpeilten; Eervantes fiel dem Renegaten Dal- 
Mami zu. Dies war ein eben fo graufamer, als gelziger Menfh. Aus 
dem Empfehlungs- Schreiben Don Johanns und bes Herzogs von Seſa 
an den König don Spanien, die er unter Eervantes Gepäde fand, 
ſchloß er, daß fein Gefangener eine Perfon von poper Bedeutung fepn 
müffe, von dem ein hohes Löfegeld erpreft werben könne. Er begann daher 
damit, feinen Gefangenen mit ſchweren Ketten zu belaften, eng einzuſchließen 
und auf ale Weiſe zu peinigen. Dies war damals fo Brauch in der Ber- 
berei. Befonders in ber erften Zeit wurden die unglüdlichen Chriſten hart 
mißpandelt, damit fie entweder ihren Glauben abfhmwören oder durch die 
Schilderung namenloſer Leiden ihre Berwanbten in Europa zur Erlegung 
eines ausſchweifend hohen Löfegelbes beftimmen möchten. Eervantes zeigte 
in diefer Lage einen Muth, noch höher als den auf dem Schlachtfelde bewie⸗ 
fenen, den Muth der Geduld. Statt den Martern zu weichen, wie fein 
Peiniger glaubte, brütete er von Anfang an über kühnen Planen, nit nur 
fich ſelbſt, ſondern alle Mitgefangene zu reiten. Durch die Ucberlegenpeit 
feines Geiftes und Eharakters wurde er bald das Haupt und der Mittelpunft 
der anderen Epriftenfflaven. Die Geſchichte hat die Namen von einigen der» 
felben aufbewahrt; der Hauptmann Franzisco de Menefes, bie Fähn- 
driche Rios und Eaftanneda, ber Feldwebel Naparete, ein gewiſſer 
Don Beltran bel Salto y Eaftilla und ein anderer Edelmann, Don 
Dforio, befanden fih darunter. Ihr erſter Befreiungsplan ging nad dem 
Berichte des Paterd Haedo darauf aus, zu Lande nah Dran zu entfliehen, 
welche Stadt damals unter fpanifher Serrſchaft fand. Glücklich entwifchten 
fie aus Algier, geführt von einem eingeborenen Mohren, ven Cervantes 
gewonnen hatte. Aber ſchon am zweiten Tage verließ fie der Mohr, und 
fo blieb den Flüchtlingen nichts Anderes übrig, als nad Algier zurüdzufeh- 
ten, felbft auf die Gefahr hin, von ihren Gebietern mit dem Tode beftraft 
zu werben. Eervantes mwurbe als ber Anftifter des Verſuches behandelt, 
doch ohne Graufamfeit. Im Sommer 1576 erfauften einige feiner Mitge - 
fangenen, worunter namentlich ber Fähndrich Eaftanneda, ihre Freiheit. 
Eaftanneda üibernapm es, ben Eltern des Cervantes Briefe zu über- 
bringen, worin die beiden Brüder ihre traurige Lage fhilderten. Rodrigo 
Eervantes, der Bater, verkaufte ober verfehte fogleih das geringe Erbe 
feiner Söhne ſammt feinem eigenen Heinen Bermögen. Zwei Schweftern, bie 
noch nicht verheirathet waren, opferten ihre Morgengabe für die Brüder. 
Ale diefe Liebe erreichte den Zweck nit. Als das Geld in Eervantes 
Hände Fam, trat er fogleih in Unterhandlung mit feinem Gebieter; allein 
der Renegat “machte fegt die ausfchweifennfien Forderungen, fo daß bie 




















va achricht über das Schen 


ũberſchidten Mittel nicht ausreichten. Großmütpig trat nun Cervantes 
den ihm gehörenden Teil an feinen Bruder Rodrigo ab, der, weniger 
hoc angefihlagen, feine Freiheit im Auguft 1577 erkaufte. Bor feiner Abreife 
verfprap Rodrigo, in Balencia oder auf ben balearifhen Infeln eine 
Eregatte auszurüften, welche auf einem beflimmten Punkte ver afrikaniſchen 
Küfte Ianden und den Bruder fammt antern Epriften befreien follte. Er 
erhielt zu’ biefem Zwede von mehreren vornehmen Gefangenen Briefe an 
die Bicefönige der benachbarten fpanifhen Beflgungen. Eervantes ber 
ſqaftigte ſich ſchon feit längerer Zeit mit den Vorarbeiten zu biefem Plane. 
Drei Meilen von Algier, auf der Weſtſeite der Stadt, Tag ein Garten, der 
dem griechiſchen Renegaten Haffan gehörte. Einer feiner Sklaven, der 
mit dem Anbau des Grundſtückes beauftragt war und mit Eervantes in 
Berbindung fand, hatte auf jenem Lanpgute in aller Stille eine Höhle unter 
der Erde gegraben, in welder feit dem Bebruar 1577 mehrere gefangene 
Epriften eine Zufluht fanden. Als Rodrigo nah Spanien abreiste, war 
ihre Zapl bereits auf 15 gefliegen. Cervantes regierte von dem Haufe 
feines Gebieters aus, das er, um Argwohn zu vermeiden, nicht verließ, 
diefe Heine unterirbifche Gemeinde, und trug Sorge, daß fie mit Lebens⸗ 
mitteln verfehen wurde. Man wäre verfuht, an biefer feltfamen Ge 
ſchichte zu zweifeln, ſprächen nicht zu viele Urkunden und Zeugmiffe bafür. 
As hauptſaãchlichſter Gehütfe unterftügte ihn der Gärtner, Johann ger 
nannt, der die Rolle des Wächters übernahm und Niemanden Zutritt zum 
Garten geftattete, außerdem ein anderer Sklave, der den Ramen „Vergolder“ 
führte und in früher Jugend feinen Glauben verleugnet hatte, aber aus 
Reue wieder Chriſt geworben war. Leßterer war mit Herbeifchaffung der 
Lebensmittel für die Höhle beauftragt, welche die daſelbſt Eingeſchloſſenen 
nur bei Nacht verließen. Als Cervantes den Zeitpunkt nahe glaubte, wo 
bie von feinem Bruder verfprochene Fregatte eintreffen follte, flo er — den 
2%. September 1577 — aus dem Sflavenzwinger in Algier und ſchloß fih mit 
den Anderen in die Höhle ein. Seine Rechnung erwies fih als richtig. Wirklich 
war bie Fregatte inzwifhen auf der fpanifhen Küſte ausgerüftet worden. 
Biana, ein tüchtiger Seemann, der die Dertlichleiten der Berberei volltom« 
men kannte, führte fie. Den 28. September erfihien fie auf der Höhe von Algier; 
nachdem fie ven Tag über verborgengelegen, näherte fie ſich in der Nacht unweit 
von dem Garten der Meerestfüfte. Unglüdtiher Weife wurde fie, der Dunfelpeit 
unerachtet, von etlichen Fiſchern erkannt, welche ihre Barke noch nicht verlaffen 
hatten; diefe machten Lärm und zogen durch ihr Gefchret fo viele Leute herbei, 
daß Biana nothgebrungen fih zurüdziehen mußte. Einige Tage fpäter ver- 
ſuchte er eine zweite Landung, aber mit noch fhlimmerem Erfolge. Die Mohren 
hatten fich in einen Hinterhalt gelegt. Mit feiner ganzen Mannſchaft wurde 
Biana, als er eben ausgefliegen war, überfallen und gefangen genommen. 


























und die Schriften Des Werfaffers. ıx 

Bis pieher trugen Cervantes und feine Genoffen, in der Erwartung 
iprer Sreipeit, Alles mit großer Geduld, obgleih in Folge des ungefunden, 
feuchten Aufentpaltes Seuchen unter ihnen zu wüthen begannen. Der Ber- 
Tuft der Sregatte warb ihr Untergang. Der Bergolver, jene. Renegat, der 
fich mit der Kirche wieder ausgeföhnt und welchem Eervantes unbebingtes 
Bertrauen gefchentt Hatte, ſchwur feinen Glauben von Neuem ab und ging 
hin, dem Dey Haffan-Aga den Berfied der Gefangenen zu verratpen. 
Nach den Gefepen des Landes gehörten alle entlaufenen Sklaven dem Dey; 
mit Freuden nahm er daher eine Nachricht auf, die ipm fo viel Gewinn 
verſprach, und fehidte dreißig Mann von feiner Leibwache ab, um fi der 
Ungfüdtigen zu bemägtigen. Bon dem Bergolder geführt, flürzten dieſe 
mit gezüdten Säbeln in bie Höhle, deren Bewohner, unvermuthet überfallen, 
feinen Widerfland leiſteten. Während die Türken damit befäftigt find, ipre 
Gefangenen zu fefleln, rief Eervantes aus: „Ih allein bin ſchuldig, ih 
habe die Auberen verleitet, zu entfliehen und fih hier zu verbergen! Die 
Strafe kann nur mic treffen.“ Die Soldaten ſchickten fogleich einen Reiter 
ab, um diefes Geflänbniß dem Dey anzuzeigen, welcher nun Befehl gab, 
die Uebrigen in feinen eigenen Sklavenzwinger abzuführen, den Rädelsführer 
aber vor fein Angefiht zu bringen. Eervantes wurde mit Ketten belaftet 
und unter Hohnreden und Schmaͤhungen des türfifchen Pöbels zu Fuß aus 
der Höhle nach der Kaflabap geführt. Der Dey verhörte ihn ſelbſt, die 
einſchmeichelndſten Berfpredungen wechſelten mit ben fürhterlihten Drohungen 
ab, um ipn zu beivegen, baf er feine Mitfchuldigen angebe, Eervantes 
blieb unerfcpütterlich; zuleßt begnügte fih ber Dep, welchem eine ſolche 
Serlengröße Achtung abzwang, den edlen Gefangenen, mit Ketten belaftet, 
nah dem Zwinger abführen zu laſſen. 

Der Renegat, in deffen Garten das ganze Abenteuer vorgegangen war, 
hatte indeß vom Dey unnahfigtige Beftrafung aller Slügtlinge verlangt. Um 
ein gutes Beifpiel zu geben, fing er damit an, feinen SHaven, den Gärtner 
Iopann, eigenhändig aufzupängen. Daſſelbe Schickſal dropte unferem 
Dichter und feinen Genoffen, doch rettete fie diesmal ber Geiz bes Dep. 
Ueberdies wurden die Meiften durch ipre früheren Gebieter zurädgeforbert. 
Cervantes ſelbſt fam wieder in den Befig Dal-Mami’s. Allein bald 
darauf erfaufte ipn der Dey um die Summe von 500 Tpalern, ſey es, weil 
er einen fo gefährlichen Mann felbft bewachen wollte, fey es, daß er ein ſehr 
Hopes Loͤſegeld von ihm zu erpreffen hoffte. Diefer Dey Haffan, ein ges 
borner Benetianer, deffen wahrer Name Andreta war, gehörte unter bie 
Zapl der ärgfien Ungeheuer, die je auf der Küfte der Berberei gewüthet. 
Die Graufamteiten, welche er, nach des Paters Haedo Bericht, während feiner 
Derrſchaft begangen haben foll, überfleigen allen Glauben. Richt bloß feinen 
eigenen Chriſtenſtlaven, deren Anzahl bis auf 2000 flieg, fondern auch ben 




















x Wadrigt über das Schen 


Mapomebanern war er gleih fürchterlich Eervantes fagt von ihm in 
der Geſchichte des gefangenen Hauptmannes: „Nichts verurſachte und fo viel 
Pein, als daß wir täglich Zeuge von den unerhörten Greueln ſeyn mußten, 
die unfer Grbieter gegen Chriſten beging. Jeden Tag ließ er einen ober 
den anders umbringen; ber wurde gehenkt, der gepfählt, dem bie Ohren 
abgefhnitten, und das wegen folder Kleinigleiten, ober beſſer, fo ganz opne 
alien Grund, daß die Zürten felbft fagten, er thue das Böfe nur um bes 
Böfen willen, und weil angeborner Trieb ipn zum Mörber des menſchlichen 
Geſchlechtes made." 

Cervantes wurde gegen Eude des Jahres 1577 vom Dey angelauft. 
Trotz der firengfien Cinfperrung, troß der großen Gefahr, welche jeden 
Berſuch zur Befreiung bedrohte, ſetzte er fortwährend alle Hülfsmittel in 
Bewegung, die ihm fein reicher Geit ober die Umfände barboten. Im 
Laufe des Jahres 1578 gelang es ihm, einen Mopren mit Briefen an den 
Stattpalter von Oran, Don Martin ven Cordova, abzufertigen. Diefer 
Bote wurde jedoch, faR vor ben Thoren Drans, von den Bebuinen aufge 
griffen und mit feinen Briefen nach Algier zurüdgebracht. Der Dep ließ ihn 
fpießen, und befapl, daß Cervantes als Ausfieller der Briefe zweitaufend 
Peitfchenhiebe erhalten folle. (Einige Breunde, die er ſich unter der Umgebung 
des Dey gemadt, legten Zürbitte für ihn ein, und noch einmal verzieh ihm 
der biutbürfige Haffan. Dieſe Milde war um fo auffallender, weil ber 
BWütperich um diefelbe Zeit brei Spanier, welche ebenfalls nah Dran hatten 
entfliehen wollen, vor feinen Augen zu Zobe prügeln ließ. So gehäufte 
Ungfüdsfäle ſchlugen dennoch den Muth des Dichters nicht nieder. Im 
September 1579 machte er die Berlanntfchaft eines fpanifgen Renegaten 
aus Grenada, ber früher ſich den Licentiaten Giron nannte und feit ber 
Abſchwoͤrung Abdral-Rpamen hieß. Diefer Menſch fühlte Reue über 
feinen Abfall, und hatte die Abfipt, nach Spanien zurädzufehren, um dort 
wieder in den Schooß ber Kirche zu treten. Im Einverfländniffe mit ipm 
ſchmiedete Eervantes einem neuen Plan zur Blut. Sie wendeten ſich 
gemeinſchaftlich an zwei Kaufleute aus Balencia, bie fih in Algier nieder» 
gelaffen patten. Der eine hieß Onofrio Erarca, ber andere Baltafar 
»ou Zorres; beide boten die Hände, unb der erfte fhoß die Summe von 
500 Dublonen vor, zur Husräftung einer Bregatte von zwölf Ruberbänten, 
welche der Renegat, unter dem Vorwande, einen Kreuzzug zu maden, au 
fich kaufte, Die Mannfgaft war fon in Bereitfhaft, mehrere vornehme 
Gefangene warteten, von Cervantes zur Theilnahme eingeladen, nur auf 
das Zeichen zur Abfahrt, als das Unternehmen verrathen wurde. Ein Do- 
winitaner-Mönd, Juan Blauco de Paz, dem fih Cervantes anvertraut 
hatte, ging wie ein anderer Judas zum Dep, und zeigte um einige Gold⸗ 
Rüde den Plan an, Haffan Aga hielt es für beſſer, fi zu verſtellen ; 

















xu Nachricht über das Schen 


Gefangenen, die ſich damals in der Regentſchaft befanden, in's Werk zu 
fegen. Einer feiner neuern Biograppen, Fernandez Ravarrete, unter 
ſtellt ihm wirklich diefen fühnen Gedanken, und meint, Cervantes würde 
ihn auch ausgeführt Haben ohne die Undankbarkeit und die Schufterel, die 
ihn fo oft verriethen. Dem ſey, wie ipm wolle: fo ſehr fürdtete der Dey 
feinen Muth, feine Gefhidtichleit und bie Herrfhaft, welche Eervantes 
über die Gemüther feiner Mitgefangenen ausübte, daß er öfters über ihn 
äußerte: „Wenn ich nur den Spanier mit der Stumpfpand in gutem Gewahrfam 
halte, fo find meine Hauptfadt, meine Sklaven, meine Flotte in Sicherheit.“ 
Und doch zeigte diefer Wütherih nur gegen Cervantes Milde, ja felbft 
Edelmuth. So groß iſt die Macht wahrer Eparaktergröße. Unfer Dichter 
ſpricht ſelbſt hievon in ver mehrfach angeführten Novelle: „Ein Einziger kam 
gut mit ipm aus, ein fpanifher Soldat, Saavedra genannt, welder 
Dinge ausführte, die Tange, lange im Gedäptniffe der Eingeborenen bleiben 
werben, Alles, um feine Breipeit wieder zu gewinnen. Dennoch gab ipm 
Haffan Aga nie einen Stodfireih, noch ließ er ihm durch Andere ſchlagen, 
noch richtete er je ein befeidigendes Wort an denfelben, während bei feinen 
vielen Befreiungsverfuhen wir Alle jeden Augenblick befürchteten, fein Ende 
fep gefommen, ja er felbft erwartete mehr als einmal, gefpicßt zu werden.“ 

So lange Cervantes in dem engen Gefängniſſe ſchmachtete, war fein 
8008 noch erträglicher, als das der andern SHaven, welde frei herumlaufen 
durften; Haffan Aga hatte fih nämlich des Alleinpandels mit Korn und 
andern Lebensmitteln bemädhligt, und durch feinen Wucher eine ſolche Theu⸗ 
rung erlünftelt, daß bie Strafen der Stadt mit Leichen von verhungerten Eine 
gebornen wie befäet lagen. Die Epriftenfllaven erhielten von ihren Gchietern, 
den Türken, nur die allernötpigfte Nahrung, nicht ſowohl aus Mitleiven, 
als aus Geiz; dabei wurden fie mit den härteſten Arbeiten befaftet, denn bie 
Kriegsrüftungen, welche Philipp IL von Spanien unter dem Borwande 
eines Zuges gegen Algier wider Portugal machte, hatten Schreden in der 
Berberei verbreitet, und man arbeitete dort Tag und Naht an Wiederher⸗ 
Rellung der Werke, an Vergrößerung der Seemacht. 

Bäprend Cervantes fih auf diefe Weife abmüpte, feine Freiheit durch 
Kühne Anfchläge zu erobern, waren feine Verwandte in Madrid nicht müßig 
geblieben. Nachdem fie im Jahre 1577 faft ihr ganzes Bermögen für bie 
ostaufung des Altern Bruders Rodrigo aufgewendet, liefen fie unter 
dem 17. März 1578 durch einen ber Alcalden bes Hofes eine Schrift aufs 
fegen, in welcher mehrere Zeugen ſowohl die ehrenvollen Dienfte, welche 
Cervantes in den türkifgen Kriegen dem Lande geleiftet, als aud bie 
Mitteltofigkeit feiner Familie verbürgten. Der ehemalige Bicelönig von 
Sijilien, Herzog von Sefa, fügte diefer Schrift ein Gutachten bei, in 
welchem dr dem König feinen ehemaligen Sofvaten aufs angelegentlihfte 














xıv agricht über das Sehen 


Geiftes, feines Charakters, der Reinheit feiner Sitten, feiner edeln Auf 
opferung für die anderen Gefangenen, deren Herzen er faſt ohne Ausnahme 
gewann. Bir wollen einige der Zengniffe mittpeifen. Der Edelmann Don 
Diego de Benavides fagt aus: „Als ich nach meiner Ankunft zu Algier 
mid nach den angefehenften gefangenen Epriften erfundigte, nannte man mir 
vor allen andern den Namen Eexvantes, denn er fey in hohem Grabe 
ehrenwerth, edel, tugendhaft, von vortrefflichem Charakter nnd deßbalb allge 
mein verehrt. Ich Habe feine Freundſchaft gefuht, und bin fo Herzlich von 
ihm behandelt worden, daß ih Bater und Mutter in ihm fand.” Der Car- 
meliter-Mönh Feliciano Eariquez beflätigte biefe Ausfage, und gab 
weiter an: „Nachdem er bie Falſchheit der gegen ihn gefchmiebeten Berleum- 
dungen erfannt, ſey er fein Freund geworben, wie alle andere Gefangene, 
deren Achtung fein edles, chrißtliches, iugendhaftes Betragen errungen habe.“ 
Der Faͤhndrich Ludwig de Pedrofa erflärte: „Unter allen Eprifien in 
Algier habe ih keinen anderen gefehen, der feinen Mitgefangenen gleich fo 
viel Gutes erzeigt und ein fo zartes Eprgefühl beiviefen Hätte, wie Cer⸗ 
vantes. In allen Dingen hat derfelbe eine unvergleichliche Anmuth, er if 
fo geiſtvoll, klug, gewandt, daß nur wenige Menſchen fi mit ihm meffen 
lönnen!“ 

IR es ein Wunder, daß diefe fo ruhmreiche Gefangenſchaft fi in glän- 
jeden Zügen in Eervantes Gebädhiniß eingrub, daß er feine eigenen 
Abenteuer zum Gegenſtande von Dramen und Erzäplungen wählte, daß er 
faR in allen feinen Werken Anfpielungen darauf machte, die man lange nicht 
mehr verftand, bis erſt in unferen Zagen fein Leben urkundlich erhoben 
wurde. Gr vergaß auch bie Wopltpäter nicht, die ihm bie Freiheit wieber ver- 
ſchafften; in ber Novelle „die Anglo-Spanierin“ hat er den Bätern ber 
Erlöfang ein würbiges Denkmal feiner Dankbarkeit gefegt. Ende Oktobers 
1580 ging Cervantes unter Segel; nach fünfjährigen Leiden genoß er 
endlich, um feinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen, die füßefte aller Wonnen, 
bie man auf Erden koſten kann, die Freude, nach Tanger Sklaverei wohl und 
gefund den Boden des Baterlandes wieder zu betreten. „Denn,“ fügt er 
an einem anderen Orte bei, „es gibt fein anderes Gut, das dem Gewinn ver» 
Iorener Freipeit gleihtommt." Die Dürftigleit feiner Familie zwang ihn bald 
wieder, fein Heil answärtd zu verſuchen. Bei feiner Zurüdtunft lag 
Ppiltpp I. krank zu Badafoz, im Bolge des Todes feiner zweiten Gemahlin 
Anna von Oeſterre ich. Am 5. Degember betrat dieſer König die Grenzen 
Portugals, welches Land ihm ber Herzog don Alba erobert hatte. Das 
fpanifge Heer blieb im Lande vertheilt, ebenſowohl um eine mögliche Empd- 
zung zu vereiteln, ald um bie Eroberung ber Azoren vorzubereiten, wo 
ſich nod Immer die Anhänger des Großpriors von Ocrato hielten. Rodrigo 
Cervantes, nufers Dichters Bruder, hatte gleich na feiner Befreiung 

















und die Schriften des Merfaffers, xv 


aus der afgierifhen Sklaverei wicker Dienfle genommen, wahrſcheintich im 
feinem alten Negimente, dem des Feldmarſchalls Don Lopez von Bigueroa. 
Miguel Cervantes reiste feinem Bruber nach, und dieſer Mann, ber als 
Gefangener im Sllavenzwinger zu Agier dem Dep fihlaflofe Nächte ger 
mat, ergriff zum zweiten Mafe als gemeiner Soldat die Mudlete, Eer 
dantes fhiflte Mh im Sommer 1591 auf der Flotte unter Don Pedro 
Balde's Befehlen ein, welde die Azoren erobern und den indiſchen Handel 
befhügen follts, Unfer Digter machte au ben Feldzug bes ſolgenden Jahres 
unter dent Marquis de Santa-Eruz mit, und mahm Theil an ber 
Seeſchlacht, welche bie Spanier am 25. Juli im Ungefihte der Infel Zero 
echen gegen die franzöffe Flotte, die Werbündete der vertriebenen portugies 
Kihen Königsfamilie, gewann. Die Galione San Matee, bemannt mit 
den Beitranen bes Negiments Bigueroa, unter benen ſich ohne Zweifel 
auch Gervantes befand, zeichnete ſich auf's rühmdihfte im diefem Kampfe 
aus, Beide Brüder fochten auch in dem Feldzuge vom 1583, und maren bei 
der Cinnahme von Zerceira zugegen. Rodrigo Eerbantes fprang bei 
dieſet Gelegenhelt als einer der Erſten an’s Land, und wurde nad erfolgter 
Heimfehr der Alette zum gahndrich befördert. 

‚Dbgleich das Glück unfern Dieter minder begünftigte und er ſich ans 
dem nisderfien Graben nit aufihwingen konnte, hatte er doch Urſache, 
mit. feinem in Portugal: zu frpm. "Hus Yhtung vor 
feinen boden eg man ihm des Winterquartiero in die 
erſten Gefellſchaften. Es entfyann fih damals ein Lichesverfiänduiß zwiſchen 
ihm und einer Dame von Liſſabon. Diefe Portugiefin befgenkte in mit 
einer Tochtet, welde.den Namen Donna Ifabella de Saavedra bekam, 
und welde Cervantes während feines ganzen fpäteren Lebens, auch nad 
feiner Berheiratpung, bei ih bepielt. Auf diefe Liebe folgte eine andıre 
eruflhaftere, die ihm auch zu den Mufen, den Pflegerinnen feiner Kindheit, 
zurüdfübrte. Während der kurzen Ruhezeit zwiſchen den oben erzählten 
Beldzugen machte er in der Heinen Tafilifhen Stadt Esquibiad die 
Velanntfbaft einer Dame von edler Herkunft, Donna Catalina von Par 
Iaeiod Salazar und Vozmedlano. Cervantes glühte für Die Ge- 
Tiebie, und dichtete mitten im Sturme rind bewegten Soldatenlebens Ihr zu 
Ehren die Galatea. Dieles Werk, das er ſelbſt eine Effoge nennt, if ein 
Hirtengeriht ganz im Geſchmacke jener Jeit. Unter erdichteten Namen ſchildert 
er darin einen Theif feiner Abenteuer, lobt die damaligen Schöngeifter, und 
bringt vor Allem der Gebieterin feines Herzens eine zarte Puldigung bar, 
Man weiß aus fihern Zeugniffen, daß Cervantes, unter dem Namen 
Elicios, des Schäfers von ben Auen des Tagus, feine eigene Liebe zur 
ſchönen Galatea, der Schäferin von den Ufern deffelben Jluſſes, ſchildert. 
Unter den andern Schäfern, bie ex anführt, Tircid, Damon, Melifo, 














xvi Hacricht über das Keben 


Siralvo, Laufo, Larfileo, Artidoro, find Franz Figueroa, 
Pedro Lainez, Don Diego Hurtabo de Mendoza, Luis Galvez 
de Montalvo, nis Barahona de Soto, Don Alonzo de Ercilla, 
Andres Rey de Artieda, Iauter Freunde von ihm, lauter mehr oder 
minder berühmte Schriftſteller jener Zeit, gefeiert. Die Galatea, von welcher 
jedoch nur der erſte Theil erſchienen if, zeichnet fih aus durch Reinheit des 
Styls, durch Schönpeit der Schilderungen, befonders durch zarte Liebesbilder. 
Aber die Schäfer unfers Dichters find zu gelehrt, ihr Mund fließt über von 
prächtigen Sentengen und fehönen Redensarten, und überdies find in dem 
Gedichte Epifoden auf Epifoben mit wenig Gefehmad aufeinander geflapelt. 
Dies iſt das Urtheil, welches Cervantes in der Vorrede feines Hirtengedichtes 
ſelbſt über feine Arbeit fällt. Die Galatea erſchien gegen Ende des Jahres 
1584. Am 14. Dezember deſſelben Jahres vermäplte fih Cervantes mit 
der Heldin feines Gebichtes. Der Bater von Donna Eatalina war zuvor 
geſtorben, die Wittwe verſprach iprer Tochter eine angemeflene Ausſteuer in 
beweglichen und unbeweglichen Gütern; dieſes Verſprechen wurde zwei Jahre 
fpäter erfült. Im Epevertrage, der unter dem 9. Auguſt 1586 von bem 
Notar Alonzo de Aguilera ausgefertigt warb, vermachte Eervantes 
feiner Gemaplin 100 Dulaten, den zehnten Tpeit feines Vermögens. 

Er Hatte indeß den Kriegsbienft verlaffen und war Bürger geworden in 
dem Städten Esquivias; ſowohl die Muße, als die Rothwendigkeit, für 
den Unterpalt feiner Familie zu forgen, führten ihn nun zu den Träumen 
feiner Kindpeit, zu ben füßen Beſchäftigungen der Jugend zurüd. Die Räpe 
von Madrid erlaubte ihm, häufige Reifen dorthin zu machen? Ex erneuerte 
daſelbſt feine Belanntfhaft mit mehreren Schriftſtellern, namentlich mit 
Iuan Rufo, Lopez Maldonado, Bicente Espinel, dem Berfaffer 
des Romans Marcos de Obregon, den Lefage für feinen Gil-BIas 
ausbeutete. Es iſt wahrſcheinlich, daß Eervantes in eine Art von Alademie 
aufgenommen wurbe, bie ein großer Herr vom Hofe zu Madrid in feinem 
Haufe eröffnet haben mag, ungefähr wie ber berühmte Fernando Eortez 
zur Zeit Karls V. Wenigſtens ſpricht unfer Digter in einer feiner Ro- 
vellen ans Gelegenheit der italienifchen Akademie von einer Academia imita- 
toria, nachgeahmten Akademie, zu Madrid. In den vier erfien Jahren nah 
feiner Bermäplung — von 1584 bis 1588 — mwibmete fih Eervantes aus. 
ſchließlich dem Theater, dem einzigen Zweige ber Literatur, welcher damals 
etwas eintrug. Während feiner Kindheit war die fpanifche Bühne der Kirche 
entfcpläpft und weltlich geworben. Lope de Rueda, biefer wandernde Aefhpr 
lus, Schaufpieler und Dichter in einer Perfon und der wahre Gründer des 
ſpaniſchen Rational- Theaters, führte feine Stüde auf Öffentlichen Plägen vor 
dem Volle auf. Eine politifhe Neuerung begünfigte die neue Pflanze. 
Der ſpaniſche Hof, der ſonſt von einer großen Stadt der Halbinfel zur 

















R und die Schriften des Verſaſſers. xvu 


andern 309, feßte fi feit 1561 in Madrid, und mit dem Jahre 1580 erhoben 
fich daſelbſt zwei Tpenter, die no beflegen, „zum Kreuze” und „zum Fürſten“ 
benannt (de la Cruz und del Principe). Seit diefer Zeit hielten es ausge- 
zeichnete Geifter nicht mehr unter ihrer Würde, für bie Bühne zu arbeiten, 
die bis jest ben herumziehenden Truppen überlaffen war, melde ihre 
Schwäaͤnke ſelbſt dichteten. Als einer ber erfien betrat Cervantes diefe 
Laufbahn mit einem Stüde in fehs Alten, in welchem ex feine eigenen 
Abenteuer fhilderte, und bas ben Titel führte: das Leben in Algier. Etlihe 
und zwanzig andere Komödien folgten bald auf dieſe erſte, darunter Ru- 
mancia, bie Seeſchlacht, bie Großtärkiu, das Hans ber Eifer 
ſucht, Zerufalem, die Berwirrte und andere mehr. Cervantes 
fagt felbft darüber: „Ih wagte es, bie Schauſpiele von fünf Akten auf 
drei herabzufegen. Auch war ich der Erſte, welder die innerfien Beivegungen 
der menſchlichen Seele entpüllte, mit allgemeinem Beifall des Publikums. 
Ich verfaßte in jener Zeit zwanzig bis dreißig Komödien, die alle auf bie 
Bühne gebracht wurden, ohne ausgepfiffen ober ausgeſtampft zu werben, 
oder one daß, wie fonft, fih ein Hagel von Pomeranzenſchalen und Melo- 
nenftüden über die Schaufpieler ergoß.“ Lange kannte man biefe Arbeiten 
nur dem Ramen nach und bedauerte von ganzem Herzen ihren Berluf. Mit 
einer fo reihen Einbildungstraft, bei diefem Wie, bei ſoviel Hoheit der Seele 
und Gefhmad, bei der tiefen Kenntniß des Theaters, welche Cervantes 
da und dort in feinem Don Quixote verrätp, endlih bei den Lob⸗ 
ſprüchen, die er fich ſelbſt, als komiſchem Dichter, mit fo viel Offenperzigteit 
ertheilt, dachte man, müflen jene dramatifchen Arbeiten wahre Meiſterſtücke 
feyn. Zum Unglüde für feinen Ruhm hat man einige derfelben wieder 
aufgefunden, wie Rumancia, das Leben in Algier, die luſtigen 
Beiber. Aber diefe Dichtungen entſprachen den gehegten Erwartungen nicht; 
beſſer wäre es geivefen für feinen Ruhm, wenn fie im Staube der Biblio» 
tpefen verborgen blieben. Es war bie ſchwache Liebe eines Baters zu feinen 
Kindern, die ihm felbft jene Lobſprüche eingab, ein neuer Beweis dafür, 
wie wenig felbft die ausgezeihneiften Geiſter im Gtande find, fih ſelbſt 
richtig zu beurtpeilen. 

Das befte unter den wieberaufgefunbenen Stüden if ohne Widerrede die 
Tragödie Rumancia. Obgleich nichts weniger als vollkommen, übertrifft 
fie bei weitem die Tragödien von Lupercio de Argenfola, welde Eer- 
vantes im achtundvierzigſten Kapitel des Don Duirote mit Lobfprügen 
überfgüttet, bie um fo mehr auffallen müffen, da fie aus eier fo wenig 
ſchmeichleriſchen Feder floffen. In der Schilderung der heroifhen Gefühle 
eines Bolles, das fi für die Freipeit dem Tode weiht, in jenen rührenden 
Epifoben, welche bie volle Kraft der Freundſchaft, der Liebe, der älter · 
len Zaͤrtlichkeit verherrlihen, offenbart fih Eervantes Geelengröße und 











—* 


xvui Wacricht über das Keben 


fein edler Stolz. Aber der Plan des Ganzen ift mangelhaft, die einzelnen 
Theile Hängen nicht fer zufammen, und die Tpeilnahme bes Leſero erlifcht all- 
mäplich, weil feine Aufmerffamteit zu fehr zerfiteut wird. Die beften Arbeiten, 
welge Cervantes für das Theater ſchuf, find feine Intermezzo's, Heine 
Schwaͤnke, die man jet in Spanien salnetes nennt, und welche in ben 
Zwiſchen ⸗Akten der größeren Schaufpiele aufgeführt wurden. Man hat bie 
jegt drei folder Stüde von Eervantes aufgefunden: den Epe-Richter, 
den verwittweten Auppler, bie Schulgenwapl, melde in der That 
Meifterwerke von körnichtem Witze find. Nicht Tange jedoch fand der arme 
Cervantes auf dem Theater ben gewünfchten Ruhm und Gewinn. Wie fo 
viele Andere, wurbe er durch Zope de Bega verbrängt. „Damals begann,“ 
erzäplt Eervantes ſelbſt, „jenes Wunder der Natur, der große Lope de 
Bega, feine glänzende Laufbahn, bemächtigte ſich der Alleinherrſchaft über 
bie Bühne, unterwarf alle Schaufpieler feinen Gefegen und erfüllte die 
Belt mit feinen Komödien." 

Bon Rahrungsforgen gebrängt, mußte Cervantes einen anderen Be- 
ruf ergreifen, der zwar weit weniger feinen Neigungen gemäß, weit weniger 
glänzend und ehrenvoll war, aber doch Brod verhieß. Er fand jegt im 
vierzigſten Lebensjahre. Ohne Bermögen, opne Belohnung für harte zwanzig 
Dienftiahre, Hatte er überdies für eine Familie zu forgen, welche durch feine 
zwei Schweſtern und feine natürlige Tochter verflärkt worden war. Ein 
Rath vom Finanzamte, Antonio de Guevara, wurde im Jahre 1588 zum 
Sqhatzmeiſter der Blotte ernannt, mit dem Befehle, feinen Sig in Sevilla 
zu nehmen. (Er erhielt die Bergünftigung, ſich vier Eommiffäre als Gehülfen 
ſelbſt zu mwählen. Es hantelte fih davon, bie berühmte unüberwindliche 
Blotte auszurüften, welche fo fhnel den Stürmen unb den Engländern 
erlag. Guevara bot einen ber vier Pläge unferem Digter an, der nun 
mit feiner Familie ſich nad Andaluflen überfiedelte. 

So war denn ber Schöpfer der Galatea und fo vieler mit Glück aufe 
geführten Bühnenfüde zum Proviant-Eommiflär geworden. Noch ſchlimmer 
hätte es ihm gehen können. Aus ben fpanifchen Archiven if eine Eingabe vom 
Mai 1590 Hervorgezogen worden, in welcher er den König um eine Steuer- 
Einnehmerfielle in Reu-Grenada, oder um ben Pla eines Richters in 
irgend einer Heinen Stadt von Guetemala bittet. Er wollte nah Amerika 
gehen, nach jenem Lande, das er felbft die gewöhnliche Zuflucht der Ber- 
zweifelten Spaniens nennt. Zum Glüde verlor fih feine Bittſchrift in der 
unermeßlichen Regiftratur des Rathes beider Indien. 

Sein Aufenthalt in Sevilla war von langer Dauer. Einige Heine Aus 
flüge nad Andalnfien und eine einzige Reife nah Madrid abgerechnet, blieb 
er zehn Jahre hintereinander in jener Stadt. Im Jahre 1591 wurde Gue- 
varaburh Pedro Iſunzo abgelöst; aud unter diefem diente Cervantes 

















— und die Schriften des Werfaflers. xıx 


in gleicher Stellung noch weitere zwei Jahre. Als endlich die Hauptfelle 
eingezogen wurde, und fomit die untergeorbneten von felbft aufhörten, wurde 
Cervantes Sachwalter und lebte mehrere Jahre von der Beforgung getviffer 
Geſchäfte, welche ipm mehrere Stadträthe, Eorporationen oder au einzelne 
Privatleute anvertrauten; unter Anderem verwaltete er die Güter eines 
zeichen Evelmannes, Don Hernando de Toledo, und wurde fein Freund. 

Mitten unter dieſen unedlen Gefchäften vernapläßigte jedoch Eervan- 
tes bie Mufen nie ganz. Das Haus des berühmten Malers Franzis co 
Pacheco (Schwiegervater und Lehrer bes großen Belasquez) Rand bamals 
allen Männern von Berbienk offen; die Werfflätte dieſes Künftlers, ver auch 
die Poefie liebte und trieb, war nad dem Ausbrude Rodrigo Car o's bie 
Alademie aller Scyöngeifter von Sevilla. Eervantes fand fih faſt täglich 
ein, fein Bildniß wurde in jenes koſtbare Gemälde aufgenommen, in welchem 
Bacheco mehr als Hundert berühmte Perfonen bamaliger Zeit darſtellte. Er 
fand außerdem in freundlichem Berlepre mit dem ausgezeichneten Lyriler Fer- 
nanbo be Herrera, den Spanien faſt ganz vergaß; denn man kennt weder 
fein Geburts“, noch Todesjahr, noch irgend einen befonderen Umfland 
aus feinem Leben, und auch feine Were, oder vielmehr bie Meberbleibfel 
derfeiben, fand man nur durch Zufall unter dem Nachlaſſe feiner Freunde, 
Cervantes, der ein Sonnet auf Herrera’s Tod ſchrieb, fand noch mit 
einem anderen Dichter in Berbindung, mit Juan Jauregul, dem Berfaffer 
einer Haffifchen Neberfegung von Taſſo's Aminta. Wie ber Maler Paheco 
fich mit Poeſie befgäftigte, fo pflog der Dichter Jauregui der Malerei; 
er malte ebenfalls ein Bildniß feines Freundes Cervantes. In Sevilla 
war ed aud, wo Eervantes feine Novellas exemplares ſchrieb, die jedoch 
erſt fpäter, in der Zwiſchenzeit der beiden Theile des Don Quixote, er- 
ſchienen. Die Abenteuer zweier berühmten Diebe, die im Jahr 1569 zu 
Sevilla verhaftet worden waren, und deren Geſchichte bamals no im Munde 
des Volkes herumlief, gab ipm den Stoff zu der köſtlichen Schelmen-Rovelle 
Rinconete und Eortadillo. Aus der Plünderung von Cadix, bas bie 
englifche Flotte unter dem Befehle des Admirald Ho ward und bes Grafen 
von Effer am 1. Juli 1596 eroberte, entnahm er die Idee zur Anglo-Spa- 
nierin. Bon den übrigen Novellen kannte man lange Zeit die unterfhobene 
Tante nur dem Namen nad, erſt in neuerer Zeit iſt fie wieder aufgefunden 
worden. Seit den Kriegen Karls V., welche in Spanien Belanntfchaft mit der 
italieniſchen Literatur verbreiteten, bis auf Cervantes, begnügte man ſich 
in der Halbinfel, die leichtfertigen Erzählungen des Decamerone und ber 
Nahapmer Boccacio's zu überfegen. Cervantes konnte daher in feinem 
Borworte mit gerechtem Stolze fagen: „Ih bin ber Erfte, der fpanifche 
Novellen ſchrieb, denn bie vielen Dichtungen diefer Art, welche in ſpaniſcher 
Sprache verbreitet wurben, find fremden Nationen abgeborgt. Aber biefe 

















xx Nachricht über das Leben 


bier gehören mein, fie find nicht nachgemacht, nicht geftoplen. Mein Geiſt 
hat fie gezeugt, meine Feder hat fie an's Tageslicht gebracht.“ Er nannte 
fie Novellas exemplares !, theils um fie von den nachgemachten, dem italie⸗ 
nifhen Boden abgeborgten, zu unterſcheiden, theils weil feine unter ihnen 
iſt, aus der man nicht, wie er felbft fagt, irgend eine nügliche Lehre, ein 
gutes Beifpiel ziehen Lünnte. Sie zerfallen in ernfte uud ſcherzhafte. Es 
gibt fieben der erſten, acht der zweiten Gattung. Nächft dem Don Quixote 
begründen hauptſaͤchlich diefe Novellen Cervantes Anfprühe auf ewigen 
Rupm. In ihnen offenbart fi unter taufend werhfelnden Formen der ganze 
Reichthum feiner Einbildungstraft, ein Herz vol Güte und Wohlwollen, ein 
unerfpöpflicher Witz, der erpeitert, ohne bospaft zu verwunden; endlich 
eine meifterhafte Gefchmeidigkeit der Sprache, bie fih allen Gegenfländen 
anpaßt, die den rührendfien Tönen in der Geſchichte der Eornelia und 
den unũberſetzlichen Schelmereien des Rinconete und Eortadillo den 
naturgemäßen Ausdrud verleipt. König Philipp IL. farb den 13. September 
1598. Ihm zu Ehren wurde in der Hauptkirche von Sevilla ein prächtiger 
Ratafalt errichtet, von dem ein alter Epronift fagt, es fey das wunderwür« 
digſte Todtendentmal gewefen, bas je menſchliche Augen hätten ſchauen bür« 
fen. Solche und ähnlihe Ruhmrednereien veranlaßten Cervantes, fein 
berüpmtes Spottgebicht zu Schreiben, worin er mit auferorbentlicher Anmut 
die Windbeutelei der Andalufier — biefer Berliner Spaniens — durchzieht. 
Cervantes nennt biefes Heine Gedicht felbft Cin der Reife nah dem 
Parnaß) die befte unter feinen Schriften. Wenige Monate fpäter verließ 
er die Stabt Sevilla, um fie nie wieder zu betreten, aus folgendem Anlaffe. 

Cervantes, beffen Leben fonf fo viel Aepnlichkeit mit den Schidfalen 
des Camoens barbietet, war dem großen Portugiefen auch darin gleich, 
daß er wegen Beruntreuung öffentlicher Gelber angeflagt wurde. Wie der 
Letztere, bewies er feine Unſchuld durch feine ehrenvolle Armutp. Gegen 
Ende des Jahres 1594 war er damit beicäftigt, feine Rehnungen in Ord⸗ 
aung zu bringen und einige Rüdfände einzuziehen, was ihm nur mit großer 
Mühe gelang; die eingehenden Summen fihidte er dann einzeln in Wechſel⸗ 
Briefen auf Sevilla an das Schapamt in Madrid. Eine diefer Summen, 
im Betrage von 7400 Realen Steuergelvern, aus dem Diſtrikte Velez ⸗Malaga, 
übergab er in Mingender Münze einem in Sevilla anfäßigen Kaufmanne, 
Ramens Simon Freire be Lima, ber es über fih nahm, das empfangene 
Gew an das Madrider Schatzamt zu bezahlen. Eervantes machte bald 
darauf eine Reife nad der Hauptftabt, und da bas Gelb noch nicht einge» 
gangen war, forderte ex es fehriftlih von dem Kaufmanne; diefer hatte aber 
indeß Banterott gemacht und fi geflüchtet. Cervantes eilte fogleih nah 


* Dopvelinnig, zugleich Original diovellen und ſolche, welde als Leifriel dienen fönnen. 

















3 und die Schriften des Verſaſſers. xxı 


Sevilla zurüd, wo er allee Bermögen des Kaufmannes von anderen Bläu- 
bigern mit Befchlag belegt fand. Er machte nun eine Eingabe an den 
König, und in ber Tpat erſchien unter dem 7. Auguſt ein Königliches Dekret, 
welches den Oberrichter in Sevilla ermädtigte, die dem Kaufmanne über- 
gebene Summe auf feine zurüdgelaffene Güter zu entnehmen. Der Richter 
erhob aud das Geld, und übermarhte es durch einen Wechſel vom 22. Ro» 
vember 1596 an ben koͤniglichen Schapmeifter Don Pebro Mefta be 
Zomar. 

Die ſpaniſchen Finanzen waren damals aufs tieffle erfchöpft dur bie 
Eroberung von Portugal und Zerceira, durch den Krieg in den Niederlan- 
den, burch bie Vernichtung der unüberwindlichen Flotte, endlich buch eine 
Menge Projeltimaher, damals Arbitristas genannt, in deren betrüglide 
Hände die Regierung fiel. Die Ober-Rerhnungstammer entwidelte daher, 
um ben erfpöpften Schaß wieder einigermaßen zu füllen, bie größte Strenge 
in Bereinigung alter Ausfände. Der Ober-Einnehmer, deſſen Untergebener 
Cervantes gewefen war, wurde nah Madrid berufen, um dort Rechnung 
abzulegen. Er erklärte, daß alle Urkunden, beren er zu biefem Zwece ber 
nöthigt ſey, ih zu Sevila in Cervantes Händen befänden. Ohne wei⸗ 
tere Börmlichleit erhielt nun der Töntglihe Richter Gafpar de Balleio 
unter dem 6. September 1597 Befehl, untferen Dichter zu verhaften und in eines 
der Gefängniffe Madrids abzuliefern. Cervantes wurde wirklich einge 
fegt, da er aber Bürgfchaft für die Bezahlung von 2641 Realen (330 Gul« 
den) Teiftete, — fo hoch belief fi die ganze Summe, beren Beruntreuung 
man ihm Schuld gab, — fo erhielt er feine Breipeit wieder kraft eines zweiten 
töniglichen Befeples vom 1. Dezember beffelben Jahres, gegen das Ber- 
ſprechen, fi Innerhalb einer Friſt von breißig Tagen vor der Rehnungs- 
Kammer zu flellen und die Rüdflände zu bezahlen. Man weiß niht, wie 
diefe erſte gerichtliche Verfolgung endigte; ſoviel iR aber gewiß, daß er 
einige Jahre fpäter wegen derſelben Heinen Summe von Neuem beläftigt 
wurde. Der Steuer-Einnehmer von Baza, Bafpar Dforio be Tejaba, 
brachte Ende 1602 unter feinen Rechnungen einen Empfangfchein von Eer- 
vantes hervor, woraus fih ergab, daß unfer Dichter im Jahre 1594 
2641 Realen erhalten hatte, als er beauftragt wurbe, bie oben berührten 
Rüdflände in der Stadt nnd Umgegend von Baza einzuziehen. Die Rech⸗ 
nungsltammer erftattete hierüber einen Bericht, datirt Valladolid ven 24. Jar 
nuar 1603, worin fie die Berhaflung unferes Dichters wegen berfelben 
Summe und feine Freilaffung gegen Bürgſchaft berührte, und weiter beifügte, 
daß er feit 1597 nicht vor dem Zribunal erfchienen ſey. Diefer Umſtand 
ward bie Beranlafiung, daß ſich Eervantes mit feiner ganzen Familie 
nad Ballabolid verfügte, wohin feit zwei Jahren König Philipp IL. den 
Hof verlegt Hatte. Aus wieder aufgefundenen Urfanden geht hervor, daß 











xxı Uaqricht über das Schen * 


unſeres Dichters Schweſter Donna Andrea im Februar 1603 die Haus- 
haltung eines gewiflen Don Pedro Dforto, Marquis von Billafranca, 
einzichtete. Unter ipren Hausrechnungen, welche ein redendes Zeugniß find 
von ber Mittellofigkeit der ganzen Bamilie, fanden ſich mehrere Schuldſcheine 
von Cervantes eigener Hand. Er berichtigte damals feinen Handel mit 
ber Rechnungskammer, ſey es dadurch, daß er eine frühere Heimbezahlung 
nachwies, oder indem er jegt die Meine Summe erlegte. Die Berfolgungen 
hörten von nun an auf, unb ruhig brachte er ben Reſt feiner Tage in der 
Näpe diefer Behörde zu, die ihn fo hart behandelt hatte. Die Ehre unferes 
Dichters machte diefe in's Einzelne gehenden Rachweiſungen nothwendig. 
Uebrigens wird feine Redlichkeit ſchon dadurch über allen Verdacht erhoben, 
daß er felbR in feinen Werfen da und bort mit der harmlofeften Heiterfeit 
auf feine vielen Berhaftungen anfpielt. Dies wäre eine allzugroße Frechheit, 
fobald irgend eine erniebrigende Handlung Schuld daran gewefen wäre, und 
andererfeits hätten bann feine zahlloſen Feinde, Neider, Berfleinerer, die 
ihm felhR feine Stumpfpand vorwarfen, fiherlih nicht ermangelt, ihn an 

. einem viel verwunbbarern Punkte, als an ber bloßen Schriftfteller- Eitelkeit 
anzugreifen. 

Die urkundligen Nachforſchungen über Cervantes Leben zeigen hier 
eine große Lüde. Man weiß nichts Gewiſſes über ipn vom Jahre 1598, wo 
er jenes Sonnet am Grabe Ppiltpps IL. ſchrieb, bis 1603, in welchem 
Jahre er an den Hof zu Ballabolid zog. Und doch hat er gerabe in biefem 
dreijährigen Zwifchenraume ben erſten Theil des Don Duirote entworfen, 
begonnen, vielleicht beendigt. Aus mehreren Umfänden wird fehr wahr⸗ 
ſcheinlich, daß er um's Jahr 1599 Sevilla mit feiner Familie verließ und 
fich in irgend eine Ortſchaft der Provinz Mana überfievelte, in welder er 
Berwandte hatte und Gefchäfte beforgen mußte. Sein ſchnelles Erſcheinen 
vor ber Rehnungslammer zu Balladolid im Jahre 1603 läßt keinem 
Zweifel darüber Raum, daß er bamals im einer Gegend wohnte, welche 
jener Stadt weit näher feyn mußte, als die Provinz Andaluflen es if. 
Beiter zeigt er in feinem Romane eine fo vollfommene Kenntnig der Sitten 
und Eigenheiten obiger Provinz, daß man gezwungen iſt, anzunehmen, unfer 
Dichter habe ſich Tängere Zeit in der Mana aufgehalten. Allem Anfcheine 
nad wohnte er in dem Orte Argamafilla; indem er boripin die Heimath 
feines verrüdten Ritters verlegte, wollte er bie Krautjunker diefes Dorfes 
zůchtigen, welde gerade damals, laut anderer Nachrichten, wegen gewiſſer 
jaͤmmerlichen Rangftreitigleiten fo erboste und hartnädige Prozeſſe miteinan- 
der führten, daß nach den Chronilen jener Zeit bie Bevölkerung in Abnahme 
kam. Eervantes fagt in feiner Vorrede: „Diefer trodene, langweilige, 
verfiegene Querkopf, der Sohn feines Gehirns, ſey im Gefängniffe geboren, 
wo alle Nebel Haufen, wo ber Jammer feine Wohnung aufgefhlagen hat.” 











und die Schriften Des Verfafers. xxiu 


Man fragt daber mit gerechtet Reugier, mim welcher Urſache willen, wann 
und wo unfer Dichter in eine fo ſchlimme Lage derſedt worden fep, aus ber 
eine ber heiterſten Schöpfungen bes menfchlihen Geiftes pervorging. Die 
aufer Spanien lange Zeit hertſchende Meinung war bie, daß Cersantes 
fein Wert in ven Befängnifen der Iugnifition entworfen pabe. Aber ſchon 
Voltaire meinte, der müfe micht viel Wig Haben, der mit dem heillgen 
Offielum anbinde. In der That hatte Cervantes bei allem Inglüde, das 
über ihn Fam, doch nie etwas mit den Glaubensgerichten zu fhaffen. Man 
dat über die Urſache feiner Einterferung eine Menge ſchwankender Bermms 
tungen aufgeflellt. Einige behaupten, der Streich fep ihm im Dorfe Toboſo 
gefpielt worden, wegen: einiger beißenden Reden gegen eine gewiſſe Frau, 
deren Verwandte ihn dann ans Rache hätten einthärnen laffen. Die vers 
breitetfte Anficht it jedoch: die Einwohner von Argamafilfa ſepen «4 gemefen, 
die ihm fo mißhandelten, fey es aus Nahe bafür, daß er die rüdtändigen 
Zehnten des Groß-Priorats von S. Johann einforberte, ober weil er ihnen 
zum Bepufe einer Salpetergrube den Guadiana abbämmte, ben jene Junker 
zur Wäfferung ihrer Wieſen benützten. Gewiß if, daf man noch bis auf 
dieſen Tag in jenem Orte ein altes Haus, das Haus Medrana genannt, 

in welches eine uralte Sage dad Geſangniß unferes Dichters verlegt, 
Eben fo ſiet if, daß er 8 > im entblößteften Zuflande im bier 
fem Loche fhmanhtete, fo daß er fi zufeht genoͤthigt fah, die Dälfe eines 
Dfeims, Johann Barnabe de Saavedra, anzurufen. Sein Brief an 
ihn ſoll mit dem Worten angefangen haben: „Lange Tage und kurze Räcte 
(SHlaflofigteit) peinigen mid in viefem Gefänguiffe, oder beffer, in dieſem 
Loge." Im Andenfen am die ſchlechte Behandlung begann er aud feinen 
Don Duirote mit ben Worten: „In einem Orte der Manda, an deſſen 
Ramen ich mich wicht erinnern mag," — gewiß eine milde Rahel 

Als Eervantes nad breizchnfähriger Abwefenheit wieder an ben Hof 
von Balladolid fam, fand er ſich wie im einem fremden Lande. Ein anderer 
Fürft, andere Günfttinge vegiertenz feine alten Breunde waren geforben 
oder da und dorthin zerfirent. Konnte der Soldat von Lepanto, der Verfaſſer 
des Trauerfpield Rumancia und ber Galatea feine Anerfennung, Feinen 
Schuß finden, als feine Anſprüche noch neu waren, was durfte er danu 
jept nach fünfzepmjäpriger Vergeſſenhelt vom Nachfolger Philipps I. er 
warten! Dennoch machte Eervamtes, gebrängt dur bie traurige Lage 
feiner Jamilie, einen Tehlen Verſuch. Er erfihien im Borzimmer des Der- 
gogs von Lerma, des Niefen, der die Laſt der Monarchie auf feinen 
Schultern trag, wie Eervantes ſich ausbrüdt, unter dem Schwarme der 
Bitiftellet. Allein der hochmuthige Günfling empfing ihn mit faum ver ⸗ 
Rlelktem Hohne, und Eervantes, in feinem Selbftgefühle auf's tieffle ver- 
mwundet, gab jeden Oedanken an weitere Gunftbewerbungen auf. Bon nun 

















xxıv Madrict über das Sehen 


an lebte er vom Ertrage feiner Feder und eilicher Gefchäfte, die ipm anvertraut 
waren, in ber Stille und Zurüdgezogenpeit. Seine einzigen Beſchützer unter 
den Bornepmen waren ber Graf Lemos und der Erzbifihof von Toledo. 

Die Herausgabe bes erſten Theiles von Don Duirote wurde unter 
diefen Umfänden beſchleunigt. Unter dem 26. September 1604 erhielt Cer⸗ 
vantes ein koͤnigliches Privilegium. Es handelte fi jegt darum, einen 
Mäcenas zu finden, der fi die Zueignung gefallen ließ und das Buch unter 
die Fittige feines Namens nahm. Cervantes mußte fi nothgebrungen 
diefer erniedrigenden Sitte unterwerfen, wegen ber Natur feines Buches. 
Denn wurde das Werk, deſſen Titel Leicht täufhen mochte, für einen gemei- 
nem Nitter-Roman genommen, fo konnte es leicht in bie Hände von 
Menſchen fallen, die darin nicht fanden, was fie fuhten, und alfo au die 
Satpre auf ipren fhlechten Gefhmad nicht merkten. Ward es bagegen for 
gleid verſtanden, fo eriheilte das Buch außer dem Hauptfchlage gegen das 
falſche Rittertpum unter taufend Anfpielungen noch fo viele verfiedte Sei⸗ 
tenpiebe, daß ein hoher Schußpatron nur um fo nötpiger war. Eervantes 
erfah fi zu diefem Zwecke den Herzog von Bejar, Don Alonzo Kopez 
de Zunniga und Eotomayor, einen von jenen vornehmen Müfig- 
gängern, die fih herabließen, bie Künfte und Wiſſenſchaften mit dem Beis 
falllaͤheln iprer hochgeborenen Unmiflenpeit zu beglüden. Man erzählt, 
der Herzog habe, als er erfuhr, daß ber Gegenfland des Don Duirote 
eine Satpre fey, bie Zueignang verweigert, weil er die Annahme eines 
iwigigen Wertes ber Art unter feiner Würde hielt. Eervantes ſtellte ſich, 
als ob er auf die Anfihten des Herzogs einginge, und verlangte bloß bie 
Gunſt, ihm ein Kapitel daraus vorlefen zu dürfen. Aber fo groß war bie 
Ueberraſchung und der Genuß, welchen alle Zuhörer empfanden, daß Eer- 
dantes von einem Kapitel zum anderen unb zuletzt bis zu Ende in Einem 
Inge fortlefen mußte. Der Berfafler wurde mit Lobſprüchen überfüttet, 
und der Herzog gab den allgemeinen Bitten nach, und ließ es fih gefallen, 
daß fein Rame durh Cervantes der Unfterblichkeit übergeben ward. Der 
Gewiſſensrath des Herzogs, ein eprgeiziger Priefter, der bas große Wort 
im Haufe führte, wurde eiferſüchtig auf den Beifall, den der Digter fih 
errungen, zog auf das Buch, wie über den Berfafler, mit gleicher Bitter 
keit los, und rechnete es feinem Beiptkinde zur Sünde an, ſoviel Woplge- 
fallen an einem weltlichen Bude gefunden zu haben. In der That vergaß 
der Herzog ſchnell unfern Dichter, ber ihm feinerfeits nie mepr mit einer 
Zueignung befhwerlih fiel. Cervantes rädhte ſich fogar nad feiner Art, 
indem er im zweiten Theile des Don Quixote ben ganzen Auftritt, fowie 
die anwefende Zuhörerfhaft ſchilderte. 

Der erſte Tpeil des Don Duirote erſchien gu Anfang des Jahres 
1605. &pe wir jedoch mit unferer Erzäplung weiter gehen, mäflen wir bie 














und die Schriften des Verfaffers. 


fpanifchen Zuſtande der Zeit fGildern, mo das Buch im die Welt trat. Die 
Epoche, in welde man die Bluthe des irrenden Nittertfums, die Paladine 
und den König Artbus mit feiner Tafelrunde verieht, füllt zwifben ben 
Untergang der alten Welt und das Aufblühen ber neueren geordneten Gtä« 
ten. Eo ift jenes finftere Mittelalter, wo das Schwert Alles galt, wo man 
im Zweitampfe die Gerechtigteit feiner Sache bemicd, wo das dauftrecht 
den Boden mit Blut düngte, wo die Kirche enpli mit allen ihren Schreden 
taum dadurch den Nationen einige Nudetage in der Woche verfhaffte, dap 
fie den Gottesfrieden einführte. Gewis, in einer folden Zeit maß es al 
eine ſchone Aufgabe eriheinen, Unglüdtihe zu tröften, Unterprüdte zu 
beipügen. Denkt eu einen Krieger won hoher Abkunft, der, bie Lanze in 
der Bauft und eingepällt in Stahl, dinauszteht in die weite Welt und Ges 
legenheit fucht, vie Hoheit feiner Gefinnung, die Stärke feines Armes im 
Dienfte des Rechtes und der Tugend zu bemeifen, fo ift dies ein ediee Blud 
Benn ein folder die Räuberhaufen vernigtet, welde die Wege umlagerten, 
der jene adeligen Schnappbaͤhne bändigt, melde von ihren Beljenneftern 
herab auf bie unbewaffneten Wanderer einflüruten, wenn’ er Gefangene von 


> ihren Stetten befreit, einen — 

‚befiraft, einen Tyrannen vom Throne Hößt: fo war dies eine \ 
jener heroiſchen Tpaten, welche die Sage der autlnen hetdenzeiu den Dalbe 
göttern des gtiechiſchen Altertpums, dem Thefeus, Hertules nad Anderen, 
zufepreibt. Das Epritentpum hatte ferner durch Bermifhung geiſtiget Reize 
mit den Förperlien einen Minnedieuſt geſchaſſen, von welchem bie alte 
Welt nichts wußte. Die irrenden Nitter mochten daber ven Shug der 
Grauen zu ihrer erſten Pflicht erheben, diefe erzbelleineten Kämpfer des 
Mechtes mochten ihr Lehen theilen zwiſchen Krieg und Lirbe, So anfgefaft, 
bot jene ſagenteiche Zeit nicht etwa mur zu einem Buche, ſondern zu einer 
ganzen Literatur Stoff genug bar. Es lag ferner nade, in der Geſchichte 
der fahrenden Ritter eine Schilderung der Sitten jener Zeit, der Turniere 
und Befle und fo vieler Glanzpuntte des Mittelalters, die Licbeshöfe, die 
Gefänge der Troubadout, die Wallfahrten in ferne Länder, die Kreuzzüge zu: 
verweben und alle Wunder des Orients vor der Einbilbungsteaft des Lefers 
zu entfalten. 

Aber nicht fo verſtanden die Berfafler der Ritterromane ihre Aufgabe 
Obne alle Adtung für Wahrheit häuften fie wie gröbften Berftöße gegen 
Geſchichte, Geographie, Phyſtt und gegen die Natur des Menfhen, fa felbft 
die gefährlichiten moralifhen Itrthümet aufeinander; da fällt Hieb-auf Hieb, 
beftändige Balgereien, unglaublide Thaten, Abenteuer über Abenteuer, ohne 
allen Plan, Zuſammenhang und gefunden Menfhenvertand, wechſeln mitein« 
ander ab; ſchwaͤrmeriſche Liebe vermiſcht ſich mit der wildeſten Robheit, 
Later mit Aberglauben. Rieſen, Iwerge, Ungeheuer, Zauberer wimmeln 











xxvi Wocricht über das Feben 


auf den Straßen, und bie Berfaffer dieſer papiernen Welt wetteifern mit 
einander, fih im Reinunmöglichen und Unnatürlichen zu übertreffen. 

Dennoch fanden die Ritterbücher gerabe wegen ihrer Fehler unglaublichen 
Beifall. Zu der Zeit, wo fie erfipienen, hatten zwar eben einige Gelehrte ven 
Schutt, ber die Literatur des Alterthums bebedte, meggeräumt, aber bie 
uniffende müßige Menge war no ohne beffere geiftige Rahrung; mit 
wahrer Gier fürzte fie fih auf die dargebotenen groben Dichtungen. Es 
Tag in jenem Jahrhunderte ein mächtiger Hebel, der biefe falfche Richtung 
begünftigte. Ein abenteuerliher Geiſt Hatte fih feit ven Kreuzzügen über 
Europa verbreitet und den Ritterbürhern einen Weg gebahnt, und gerade 
in Spanien fanden biefelben mehr Anklang, als irgendwo ſonſt, weil hier 
der Boden am günfiigfien war. Rah achthundertjäͤhrigen Kriegen gegen 
Araber und Mopren folgten in zeißender Schnelle die Entdedung der neuen 
Welt, die Kriege in Italien, in Flandern, in Afrila. Kann es auffallen, 
wenn bie Ritterbücher in einem Lande Beifall fanden, wo bie ausſchweifendſten 
Anfichten berfelben fhon verwirklicht worden waren. Der feharffinnige Zunfer 
von der Mancha war nit der erſte feiner Art, er hatte ſchon Vorbilder 
von Fleifh und Blut gefunden. Man fhlage den kaſtiliſchen Plutarch des 
Hernando dei Pulgar auf, und man wird Wunder finden; dort wird 
der mannpafte Ritter Don Suero de Ouinnones, ber Sohn bes 
Landammanns von Afturien, mit Lob überfcüttet, er, ein Mann, ber während 
dreißig Tagen jevermänniglic den Uchergang bes Orbigo verwehrte, weil er 
übereingefommen war, fi mit dreipundert gebrochenen Langen von ben Ketten 
der Gebieterin feines Herzens loszukaufen. Derfelbe Chronikenſchreiber nennt 
bloß aus der Regierungszeit König Jobhanns IT. eine Maffe ihm perſönlich 
befannter Krieger, wie Gonzalo de Gugman, Juan de Merfo, Gu- 
tiere Duefada, Iuan de Polanco, Pero Vazquez de Saya- 
vedra, Diego Barela, bie nicht nur ipre näͤchſten Nachbarn, die Mopren 
von Grenaba, heimſuchten, fondern als wahrhafte irrende Ritter entlegene 
Länder, Italien, Frankreich, Deutfhland, durchſtreiften, um Jedem, der fi 
ihnen flellte, ein Lanzenbrechen zur Ehre ihrer Damen anzubieten. 

Die maßlofe Borliebe für die Ritterbücher trug bald ihre bitteren Früchte. 
Die Jugend, deren wild aufgeregter Einbildungsfraft das ernſte Studium 
der Geſchichte nicht mehr behagte, erfor Sprache, wie Tpaten in jenen Ro- 
manen zum Vorbild. Blinde Unterwürfigfeit gegen bie Launen ber rauen, 
Epebräche, falſches Eprgefüpt, die blutigſte Rachgier wegen unbebeutender 
Beleidigungen wurben Mode, und fo ſchadeten jene Bücher ebenfo den guten 
Sitten, als dem gefunden Menſchenverſtande. Bald erhoben fih Träftige 
Stimmen gegen diefelben. Männer wie Louis Bives, Alero Baner 
gae, Diego Gracian, Melchior Eano, der Bruder Luis von Gra- 
nada, Malon de Epaide, Arins-Montano und andere fromme ober 














und die Schriften des Verſaſſers. xxvu 


vernünftige Schriftſteller klagten Iaut über bie unfeligen Bolgen, welde 
das Lefen fo verkehrter Bücher hervorbrachte. Auch die Gefeßgeber Tiefen 
das Nebel nicht unbeachtet. Ein Dekret Kaifer Karls V. vom Jahre 1543 
verbot allen Bicelönigen und Gerichtehöfen der neuen Welt bei ſchwerer 
Strafe, keinen Spanier ober Indier Ritterbücher drucken, verlaufen ober 
Iefen zu Iaffen. Im Jahre 1555 forderten die Stände von Ballabolin, in 
ſehr entſchiedener Sprache, daſſelbe Verbot für Spanien, ja fie ſprachen 
fogar den Bunſch aus, daß alle vorhandenen Romane gefammelt und ver⸗ 
brannt werben möchten. Die Königin JZopamma verhieß ein Geſetz dagegen, 
das aber nie erſchien. Aber weder die Berebfamleit ver Sittenprebiger, noch 
die Drohungen des Gefehes konnten das Uebel eindaͤmmen. Alle Mittel 
vermochten nichts gegen bie Vorliebe ber Zeit für das Wunderbare. Forte 
während wurben neue Rittercomane verfaßt und gelefen. Bürfen, Große, 
Hrölaten der Kirche liefen fih bie Zueignung biefer Werke gefallen. Eine 
gewiffe Heilige Thereſa, bie fi in ihrer Jugend ganz dem Leſen von Ritter« 
Romanen hingegeben hatte, verfaßte ſelbſt einen ſolchen, ehe fie ihr „Inneres 
Schloß“ und andere mpfifhe Schriften der Axt ſchrieb, worüber fie zuletzt 
yeilig geſprochen warb. Kaiſer Karl V. verſchlang, während er dieſe Romane 
Öffentlich ächtete, in aller Stille ven Don Belianis von Gräcia, einen 
der allerausſchweifendſten unter denfelben, unb als feine Scäweher, die 
Königin von Ungarn, feine Rüdtunft nach Flandern feierlich begehen wollte, 
glaubte fie ihm mit nichts eine größere Freude machen zu Fönnen, ale 
dadurch, daß fie in den berühmten Feſten von Bins (1549) alle Helden und, 
Bilder eines Ritterromans von lebenden Perfonen darfiellen ließ. Die großen 
Herren von Hofe, felbft Philipp IL, übernahmen eine Rolle dabei. Der Ger 
fpmad für diefe Literatur war bis in die Klöfter gedrungen; Mönde und 
Ronnen fprieben oder Iafen Romane. Ein Franzistaner-Bruder, Gabriel 
von Mata genannt, ſchmiedete noch im Jahre 1589 ein Rittergediht, deffen 

+ Delb der heilige Franz war; baffelbe führte den Zitel: der Ritter von 
Affifi. Auf dem Titel des Buches prangte das Bildniß des Heiligen zu 
Pferd, ganz nad Art der Amadis und Esplandiane, über und über mit 
Schutzwaffen bevedt. Auch fein Pferd war geharnifcht, und trug eine prägtige 
Dede. Die Spitze des Helmes zierte ein Kreuz, mit ven Nägeln und der 
ODornenkrone des Exlöfers, auf feinem Schilde führte ex bie fünf Wundenmale, 
an ber Lanze ein Fähnlein mit der Umſchrift: en esta no faltare Ein dieſem 
Zeichen wird mir nichts mißlingen). Diefes fonderbare Buch war bem 
Connetable von Kaftilien zugeeignet. 

So flanden die Sachen, als Cer vantes, ber arme Gefangene in einem 
Dorfe der Mancha, den Gedanken faßte, den Ritterbüchern mit Einem Schlage 
den Garaus zu machen. Diefe Art von Literatur Rand eben in ihrer höchſten 
Blüthe, als er, ein arıner Mann, opne Namen, ohne Beſchutzer, one andere 











x. vin Madricht über das Feben 


Hülfemittel, als feinen Geiſt und feine Feder, einen Wahn anzugreifen be» 
ſchloß, der bisher der Bernunft und den Geſetzen troßte. Freilich ergriff er 
eine Waffe, die fehärfer fepnitt, als alle Kanzelteden, Beweiſe und Berbote: 
die Waffe des Lächerlichen. Sein Sieg war vollfommen. Ein Edelmann 
vom Hofe Philipps Ilt., Don Juan de Silva und Toledo, Herr von 
Cannada-Hermofa, ſchrieb im Jahre 1602 die Chronik des Prinzen Don 
Bolicisne von Böotta. Diefer Roman, einer der ausſchweifendſten von 
allen, war der Ießte, der in Spanien entftand. Denn feit der Erſcheinung 
des Don Quixote wurbe nit nur Fein neuer mehr verlegt, fondern man 
börte fogar auf, bie alten wieber abdruden zu laſſen, die dadurch fehr felten 
und zu wahren Schagftüden großer Bibliotpefen geworben find. Bon vielen 
kennt man nur noch bie Titel, von andern gingen felbft die Namen verloren. 
Kurz der Erfolg des Don Quixote war im biefer Beziehung fo aus- 
fließend, daß einige firenge Richter feinem Berfafler den Vorwurf machten, 
durch eine übertriebene Gabe des Heilmitteld bie entgegengefeßte Krankheit 
bervorgerufen zu haben; denn durch Cervantes beißende Satyre, ſprachen 
fe, fey nicht bloß der Gefhmad für's Abenteuerlihe, fondern aud das alte 
Laftilianifche Eprgefüpl zu Grabe gegangen, Rad ‚diefer Abfchweifung kehren 
wir zur Geſchichte unferes Dichters und feines Buches zurüd. Kraft einer 
allgemein angenommenen Neberlicferung, die viele Wahrſcheinlichkeit für fich 
bat, fol der erſte Tpeil des Don Duirote Anfangs mit großer Gleich ⸗ 
gältigkeit aufgenommen worden feyn. Wie Cervantes zum Voraus ger 
fürchtet hatte, wurde fein Buch von Leuten gelefen, bie es nicht verflanden, 
und umgelehrt von Solden verſchmäht, die es hätten beurtheifen können. 
Er erfann daher eine unſchuldige Lift; unter dem Titel Buscapies (Leuchte 
kugeſ) gab er eine Flugſchrift Heraus, in welcher er, opne feinen Namen zu 
nennen, ben wahren Zwech des Don Quixote entpüllte, und zugleich zw 
verfiehen gab, daß die Perfonen und Handlungen des Romans, obwohl 
auſcheinend erträumte Geftalten, denn doch ein Borbild auf dem ſpaniſchen 
Boden finden dürften. Diefe Kriegsliſt gelang volllommen; durch die halben 
Aufflärungen neugierig gemacht, laſen nun au gefheite Leute das Bud, 
und von biefem Augenblide an verwandelte fih bie frühere Gleichgültigkeit 
in das regſte Intereffe. Der erſte Tpeil des Don Duirote wurde im 
Jahre 1605 viermal allein in Spanien aufgelegt, unb durch vervielfältigte 
im Auslande veranflaltete Nachdrũcke verbreitete er fich reißend fihnell nach 
Frankreich, Italien, Portugal und Flandern. 

Die erſte Brut, welde Cervantes von biefer günſtigen Aufnahme 
feines Werkes pflücdte, war keineswegs Befreiung aus feiner Fümmerlichen 
Lage, fondern Reid und Feindſchaft. Nicht etwa bloß jene eitlen Thoren, 
die jedes Berbienft empört, fhrieen gegen ihn, fondern bie ganze Gelehrten» 
Zunft Spaniens geriety in Bewegung. In ber That enthielt der Don 











i und die Schriften des Verſaſſers. xxıx 


QDuirote fo viele Geitenhiebe auf alle Arten von Schriftſtellern, daß dies 
nicht auffallen Tann. Wie gewöhnlich‘ trugen bie ausgezeichneiften Namen 
die Bolzen, welde auf fie abgefchoffen waren, mit größerer Geduld; Lopez 
be Bega, ber vielleiht unter Allen am ſchlechteſten wegkam, zeigte gar 
feinen Groll gegen den neu auftauchenden Schriftfieller, welcher es gewagt 
hatte, einen Tropfen Wermuth in ben Neftarfirom von Lobſprüchen zu 
gießen, mit denen ihn damals ganz Spanien überfchüttete. Sein wohlber 
gründeter Ruf, feine Reichtpämer erlaubten ihm, großmüthig zu ſeyn, ja 
er war fogar fo höflich, einzugeflehen, daß es Cervantes weder an Anmuth, 
noch an Schönfeit des Styls fehle. Nicht fo machten es die Schriftſteller 
‚weiten Ranges, die ihr Bischen Ruhm und außerdem ihren Antpeil an ber 
Börfe bes Iefenden Publitums gu vertheidigen hatten. Ein wahrer Wollen. 
brud von Schmaͤhungen, ein tauſendfaches Echo von geheimen und offenen 
Schulmeiſtereien brach über unfern Dichter herein; da behandelte ihn ein 
dummpochmütpiger Alademiler als einen ungehobelten Meufchen, dem es an 
aller höheren Bildung, an der philofoppifhen Weihe fehle, ein Anderer 
nannte {hm höhniſch einen Don Duirotiken, biefer verläſterte ihn in 
Heinen Flugſchriften, den Zeitungen des flebenzehnten Jahrhunderts, jener 
ſchictte ihm wohlverſiegelt ein Schanbgedicht zu, das Eervantes, umfih | 
gu räden, felbft aboruden ließ. Unter ben Gegnern von einigem Wertpe, | 
bie fih wider ipn am hefligſten erhoben, müffen wir ben Dichter Don 
Luis de Gongora, Urpeber jener ſchwulſtigen Redeweiſe, welche ben reinen 
laſtiliſchen Styl nach kurzer Blüthe verbrängte, und welche noch heute in ben 
Kammern Madrids in allerlei Mißgeburten ſpukt; den Doktor Chri— 
ſtoval Snarez, einen biffigen und ſcheelſüchtigen Schriftſteller, fo wie 
endlich den Heinen Reimfchmied Efteban Billegas anführen, ber fich ſelbſt 
für das größte Gente in ganz Spanien erklärte. Eervantes, ber eben fo 
wenig an ſchwarzer Galle, als an kindiſcher Eitelkeit litt, beluſtigte fih an 
dieſen eigenliebigen Angriffen auf feinen wachſenden Rum. Eine härtere 
Probe für fein edles Gemüth war bas Zurädtretem etlicher Freunde, die ben 
Gleichgeſtellten geliebt, aber jetzt fi von dem Hodhgefeierten zurädzogen. 
Es thut uns leid, unter dieſen ben bereits angeführten romantifchen Dichter 
and Muſiker Bicente Espinel, ven Berfafler des Marcos de Obre 
gon, nennen zu müffen. So ifl eben der Welt Lauf: die berauſchendſten 
Geſichte unterbricht der pinfende Schleicher und gießt einen Tropfen Bitter 
teit in den Becher ber Wonne. 

Don Quixote erſchien in bemfelben Jahre, wo Philipp IV. gebo- 
zen wurde (zu Balladolid am 8. Aprif 1605). Das Jahr zuvor hatte | 
ber ſpaniſche Hof den Eonnetable von Kaftilien, Don Juan Fernandez 
de Belasco, nach England gefidt, um wegen bes Friedens zu unter- 
handeln. Zur Vergeltung biefer Höflichkeit ſendete Jakob I. den Admiral 






























































xx Macricht über das Seben 


Karl Howard, Grafen von Hontingham, ab, um bie Friedensurkunde dem 
Könige von Spanien zur Unterſchrift zu überreichen, und zu gleicher Zeit 
Englands Glücwünfhe wegen der Geburt des Prinzen barzubringen. So⸗ 
warb landete mit einem Gefolge von 600 Engliſchen in Eoronna, und hielt 
am 26. Mai 1605 feinen Einzug in Ballabolid, Er wurde mit aller Pracht 
empfangen, welche ber fpanifche Hof damals entfalten konnte. Unter den 
kirchlichen und weltlichen Feften, ven Gtierfämpfen, ven Mastenbällen, ben 
Paraden und Ringelrennen, an welden ber König ſelbſt Theil nahm, und 
den übrigen Herrlichteiten nennt man ein Gaſtmahl im Haufe des Eon- 
netable, bei welchem zwölfpundert Schüffeln Fleiſch und Fiſche, ungereh- 
net den Rachtiſch und bie Gerichte, die auf der Tafel einen Platz fanden, 
aufgetragen worden fepn follen. Der Herzog von Lerma ließ eine Ber 
ſchreibung dieſer Feſte auffeßen, welche zu Balladolid im nämlihen Jahre 
gebrudt wurde. Dan glaubt, daß Cervantes Berfaffer derſelben if, 
wenigftens ſcheint dies ein Epigramm bes Yugenzeugen Gongora voraus- 
zuſeden. 

In Folge dieſer Feſtlichteiten traf die Familie unſeres Dichters "ein neuer 
Schlag, der ihn zum britten Male in's Gefängniß führte. In ber Rat 
des 27. Juni 1605 wollte ein Ritter vom Orden ©. Jakob, Don Gaspar 
de Eypeleta, bie hölzerne Brüde des Esgueva-Bades überfihreiten, als 
ipm ein Unbefannter ben Weg verrannte. Es fam fogleih zum Streit, bie 
beiden Kämpen zogen ihre Degen, und Don Gaspar fiel mit mehreren 
Wunden. Um Hülfe rufend und mit Blut bededt ſchleppte er fih nad dem 
naächſten Haufe. In dem erfien Gtode deffelben wohnte, neben der Wittwe 
des Epronitenfihreibers Stephan Garibay, Eervantes mit feiner 
Samilie. Auf das Gefchrei des Berwundeten Tiefen er und ber Sohn ber 
Bitte herbei. Sie fanden Don Gaspar auf der Schwelle bes Haufes 
liegend, in einer Hand ben Degen, in der andern feinen Schild, und trugen 
ihn zu der Wittme Garibay, wo er zwei Tage fpäter verſchied. Der 
Stadt» und Hofrihter Criſtobal be Villaroel leitete fogleih eine 
Unterfuhung ein. Eervantes, feine Hausfrau, feine natürliche Toch⸗ 
ter, welche bamals zwanzig Jahre alt war, feine verwittwete Schweſter, 
welche eine ahtunbzwanzigfäprige Torpter bei fih Hatte, eine Ronne Donna 
Magdalena de Sotomayor, bie Magb Maria be Eevallos, und 
anßerbem zwei Hausfreunde Eigales und Simon Mendez wurden ver- 
hört. Mit Recht oder Unrecht nahm der Richter an, daß Eypeleta in 
einem Liebesabenteuer mit der Tochter ober Nichte unferes Dichters getöbtet 
worden fep; er ließ daher beide Damen, fo wie Cervantes felbft und feine 
Schweſter, einthürmen. Erſt na Berfluß von acht Tagen, nachdem mehrere 
Berhöre vorgenommen und Zeugen abgehört waren, wurden bie vier Ber- 
hafteten gegen Burgſchaft freigegeben. Aus den Akten biefes unangenehmen 














und die Schriften Des Werfaffers. xxxi 


Borfalls geht hervor, daß Cervantes damals noch, um den Unterhalt 
feiner Bamilie beſtreiten zu Können, den Sahwalter machen mußte, 

Im Jahre 1006 zog er nah Madrid, wahriheintih dem fpaniihen Hofe 
folgend, und emwählte diefe Stadt zum bleibenden Wohnfig. Dan bat 
erhoben, daß ex im Juni 1609 in der Magdatenenftrafe, ein wenig fpäter 
dinter dem Eollegium unferer lieben Brauen von Loretto, im Juni 1610 in 
der Löwenfiraße Nr. 9, im Jahre 1614 in der Gartenftraße, dann in ber 
Herzog Alba · Straße, endlich 1616 abermals in der Lömenftrafe Ir. 20 wohnte, 
wo er au darb. Errvantes war zum reife geworden, und doch hatten 
weber feine Dienfte, noch feine hopen Talente Anerfennung gefunden. Bers 
nadhläfigt von feinen Freunden, verfolgt von Nebenbublern, und durch 
lange Belterfaprung in jene Stimmung verfept, wo. alle Täufhungen zet ⸗ 
rinnen/ lebte er ganz eingezogen als Philofopd, ohne zu murren oder zu 
Hagen. Nicht jene goldene Mitteltraße, welde Horaz den Verehrern der 
Nufen wünfgt, nein bitterer Mangel, Armutd war fein Loos. Doch fand 
er zwei Befhüßer in dem Erzbifhofe von Toledo, Don Bermarbo de 
Sandoval y Rojas, und Don Pedro Fernandez de Eaftro, Grafen 
von Lemos, einen großen Herrn non ausgezeichneten Berftande, der im 

"güpre 1610 einen Heinen Hof von Gelehrten mit ſich in fein Vicefönigtpum- 
Neapel nahm, und don fo hoher Stellung herab und aus weiter Ferne 
ven verftämmelten Veteranen von Lepanto, der ihm ſelbſt mit hatte felgen 
Können, nicht vergaß. 

Eine fat auertlarliche Erfeheinung, die jedoch der unabhängigen Seele 
de Errvantes eben fo viele Ehre bringt, als Schande den Ausſpendern 
der tönigligen Gnade, den Miniſtern des ſpaniſchen Hofes, iſt «6, dan man 
den großen Dichter ganz undeachtet Lief, während eine Maffe elender Sudler 
Venfionen empfing, die fle in Profa umd Berfen erbettelt hatten. Dan 
ersäplt, eines Tages habe Ppilipp 1. vom Balfone feines Schloffes 
‚einen Studenten bemerkt, der mit einem Bude in der Hand am Ufer des 
Manzanares luſtwandelte. Der Menſch im ſchwarzen Mantel hielt jeden 
Augenblic am, ſabelte mit den Dänden, ſchlug ſich mit der gauſt vor den 
Kopf, und brach dann in ein unbändiges Gelächter aus. Der König beobach ⸗ 
tete den Menſchen eine gute Weite, dann rief ex ans: „Entweder if ver 


Kb im Don Duirote fefe, Aber feinem von ihr 
auf das Elend aufmerham zu —— in 
fo gefeierten und populären Bi 

















xxxu Wacridt über das Keben 


genoß. Der Licentiat Francisco Marquez de Torres, Kaplan beim 
Erzbifchofe von Toledo, und mit der Eenfur des zweiten Tpeils von Don 
Quixote beauftragt, erzählt Bolgendes in feinem Tagebuge: „Am 
15. Februar 1615 war der Kardinal, mein Gebieter, mit mir auf Beſuch bei 
dem Botfihafter von Frankreich. Mehrere franzoͤſiſche Edelleute aus dem 
Gefolge des Gefandten uäperten fi mir und den anderen Kaplanen des 
Karbinals, und fragten uns, welhe neue Erfeinungen aus bem Gebiete 
ber ſchoͤnen Literatur jetzt am meiften Auffepen erregten. Ich nannte zur 
fälliger Beife ven Don Duirote, mit deſſen Eenfur ich mid gegenwärtig 
befcpäftige. Kaum hörten fie ben Ramen Miguel von Eervantes, als 
fie in Bewegung geriethen und laut die hope Achtung rühmten, welche ber 
Berfafler ver Galatea, die einer der Anwefenden auswendig herfagen konnte, 
des Don Duirote und ber Novellen in Frankreich, wie in den benachbar ⸗ 
ten Ländern genöffe. Sie konnten nicht fatt werden, ihn zu loben, fo daß 
ich ipnen meine Dienfte anbot, um fie perſönlich mit dem Dicpter befannt 
zu machen. Mit großem Dante nahmen fie diefes Anerbieten an. Sie frag- 
ten weiter fehr genau nah feinem Alter, Stand, Charakter, Bermögen. 
Ich konnte ipnen Feine andere Antwort geben, als daß er alt, Soldat, 
Edelmann und arm fey. Hierauf rief Einer von ihnen lebhaft aus: „ie, 
Spanien hat einen folhen Mann nit mit Reichthümern Aberfüttet, man 
erhält ihn nicht auf Koften des öffentlichen Schapes?* Ein Anderer gab biefer 
Aeußerung ſchnell eine feine Wendung. „Wenn es die Roth if, bie ihn 
zum Schreiben treibt, fo verhüte Gott, daß er nie reich werde, damit er noch 
ferner durch Bere, die ihm bie Armutp eingibt, die ganze Welt reich made.“ 

Die erfte Ausgabe bes Don Duirote, die vom Jahre 1605, war fern 
von ben Augen des Berfaffers, und nad feiner eigenen, ſehr unleferlichen 
Dandſchrift veranftaltet worden, fie wimmelte beßpalb von Beplern. Eine 
der erſten Sorgen unferes Dichters nach feiner Rieberlaffung zu Madrid 
war daher, eine zweite Ausgabe zu machen, bie er felbit genau korrigirte. 
Diefe zweite Ausgabe vom Jahre 1608 diente allen fpäteren Druden als 
Driginal. Im Jahre 1612 gab er au die zwölf Novellen heraus, die mit 
ben beiden in den Don Quixote eingefipalteten und einer dritten new 
aufgefundenen die ganze Sammlung feiner fünfzepn Novellen ausmachen. 
Diefes Bud, das im vorgedrudten Löniglichen Privilegium eine fhöne Unter- 
haltung genannt wird, in welcher fih die ganze Majeſtaͤt und Fruchtbarkeit 
der kaſtiliſchen Sprache zeige, fand in Spanien und dem Ausfande biefelbe 
günfige Aufnahme, wie der Don Duirote. Lopez de Bega apmte 
unfern Dichter auf zwei verfihiedene Weifen nah: indem er felbR eigene 
Novellen ſchrieb, die aber tief unter benen des Cervantes ſtehen, und in- 
bem ec mehrere von dieſem bearbeitete Stüde auf die Bretter brachte. 
Andere große dramatiſche Dichter ſchoöpften aus derſelben Duelle, wie Don 

















and die Schriften des Verſaſſers. XXXIU 


Augufino Moreto, Don Diego de Figueroa, Don Antonio 
Solis, namentlih auch der Mönh Gabriel Tellez, befannter unter 
dem Namen Tirſo be Molina, welcher unfern Miguel Cervantes den 
fpanifchen Boccacio zu nennen pflegte. Nach den Novellen veröffentlichte 
Cervantes imJapre 1614 fein Gedicht, „bie Reife zum Parnaß“ (Viage 
al Parnaso) betitelt, fammt einer Meinen, in Profa gefehriebenen Abhandr 
lung, welche er unter dem Namen „Zugabe zum Parnaß“ (adjunta al 
Parnaso) herausgab. In dem Gedichte lobt er die guten Schriftfieller jener 
‚Zeit, und züctigt dagegen ohne Erbarmen die Jünger der neuen Schule von 
Gorgora, welche die fhöne Sprache des goldenen Jahrhunderts durch den 
unfinnigften und Tächerlichften Schwulft verbarben. In der Abhandlung beflagt 
ex fih über die Schaufpieler, weil fie weder feine älteren, no feine neueren 
Tpenterflüde aufführen wollten. Um einigen Rugen aus ben letzteren zw 
gehen, befhloß Cervantes, fie herauszugeben. Er wandte fih daper an 
den angefehenften Buchhändler Madrids, Billaroel, ber ihm rund heraus 
fagte: „Ih habe wegen Eures Antrags einen namhaften Schriftfteller zu 
Rathe gezogen, der mich verfiherte, daß man Alles von Eurer Profa, gar 
nichts von Euren Berfen erwarten bürfe.“ Diefe Antwort war ganz richtig, 
obgleich ein wenig grob, und fie that Cervantes fehr wehe, bee Apollo 
zu Trog reimte, und wie ein Kind an feinem Rufe als Poet hing. Nichts 
deſto weniger druckte Villaroel im September 1615 at Komödien und 
eben fo viele Intermezzo unferes Dichters, mit einer Zueignung an ben Grafen 
von Lemos und einer Borrede, die nicht nur fehr wigig, fondern auf für 
die Geſchichte der fpanifchen Bühne fepr belehrend if. Lopez de Bega war 
noch immer König der Breiter, und der Nebenbupler, der ihn entthronen 
follte, Ealderon, begann erft feine Laufbahn. Mit Bleihgültigfeit wurden 
bie ausgewählten Stüde von Eervantes vom Publilum aufgenommen, 
und bie Schaufpieler braten nit ein einziges auf die Bühne. Undankbar 
mögen Schaufpieler und Publitum geweſen ſeyn, ungerecht keineswegs. 
Wie konnte man fie auch darüber tadeln, Komödien der Bergeffenpeit über» 
laſſen zu haben, von denen ein Jahrhundert fpäter Blaſius Rafarro 
aus Gelegenpeit einer neuen von ihm veranftalteten Ausgabe behauptete, 
Cervantes hätte fie abfichtlich ſchlecht gefeprieben, um fih über die aus 
ſchweifenden Stüde, melde zu feiner Zeit Beifall fanden, luſtig zu machen. 

In demfelben Jahre 1615 erſchien eine andere Arbeit unferes Dichters, 
seranlaßt durch einen intereflanten Borfall. In Spanien herrfchte damals 
noch die ſchone Sitte der bichterifchen Wettftreite, die unter König Johann il. 
fo häufig waren, als die Turniere, und die fih im mittäglihen Frankreich 
unter dem Namen Blumenfpiele Geux Noraux) bis auf unfere Tage erhalten 
haben. Pabſt Paul V. hatte im Jahre 1614 die berühmte Heilige The⸗ 
vefa de Jeſus felig geſprochen, und der Triumph biefer Kloſterheldin 














xxxiv Laqricht über das Sehen J 


ward zum Gegenſtande des Wettſtreites gegeben. Lopez de Bega war 
einer ber Kampfrichter. Die Bewerber follten die Entzüdungen dieſer Hei⸗ 
tigen in Geftalt der Ode, bie man Cancion castellana nannte, und nah 
dem Metrum von Garcilafo de la Bega’s erfter Ekloge „EI dulce 1la- 
mentar de los pastores‘‘ beſingen. Alle Dichter von einigem Rufe traten als 
Bewerber auf; auch Eervantes, in bem ferhziger Jahren fih als Lyriker 
verſuchend, fihicte feine Ode ein, die, ohne den Preis zu erlangen, doch für 
eine ber beften erklärt und als ſolche gedrudt wurde. 

Im Jahre 1615 erſchien auch der zweite Tpeil des Don Quixote. Er 
hatte fleißig daran gearbeitet und fein baldiges Erſcheinen in der Vorrede 
zu ben Novellen verſprochen, als plöglih um die Mitte des Jahres 1614 
in ber Stabt Tarragona eine Zortfegung des erſten Theiles von frember 
Hand, unter dem Namen des Licentiaten Alonzo Bernandez de Avel- 
Ianeba, gebürtig von Zorbefillas, erſchien. Dies war ein erheugelter 
Name, mit welchem fih einer der unverfchämteften literarifchen Schnapphähne 
verfappte, um dem Berfaffer eines unflerbligen Wertes noch bei feinen 
Lebzeiten Titel und Gegenfland zu entwenden. Trog aller Nachforſchungen 
iſt es nicht gelungen, feinen wahren Ramen zu erheben; nur fo viel haben 
die mühfamen Unterfuhungen von Mayans, Murillo und Pellicer 
wahrſcheinlich gemacht, daß es ein arragonifcper Mönch vom Prebigerorben 
war, und zugleich einer von den Komödienfpreibern, welche Cervantes 
im erfien Theile des Don Quixote auf eine fo ergögliche Weiſe mitge 
nommen hat. Gleich einem Straßenräuber, ber die Opfer feiner Raubgier 
noch beſchimpft, goß der falſche Avellaneda gleich zu Anfang des Buches 
alle Galle feines rachſüchtigen Herzens in den wildeften Schimpfworten über 
Eervantes aus, nannte ihn den flumpfpändigen, mürriſchen, neidiſchen, 
verleumderiſchen Alten, warf ihm fein Unglüd, feine Gefangenſchaft, feine 
Armuth vor, ſprach ihm allen Geift und alles Talent ab, und machte fi 
enblich felbft groß damit, den Gegner um den Abfag feines zweiten Theiles 
zu bringen. Als biefes Buch in feine Hände fiel, bereitete Cervantes 
eine Rache vor, bie feiner wärdig war. Er beeilte fih, fo fehr ald mög- 
lich, den zweiten Theil zu vollenden, fo daß die letzten Kapitel einige Spuren 
von Flüchtigkeit an fi tragen. Schon in ber Zueignung feiner Komödien 
an den Grafen von Lemos fagt er (zu Anfang des Jahres 1615): „Don 
Duizote hat die Sporen ſchon angeſchnallt, um Eurer Ercellenz feine Hul» 
digung barzubringen. Indeß beforge ih, er möchte ein wenig verdrießlich 
anlommen, weil er in Tarragona irregeleitet und mißpandelt warb; doch 
hat er eine Urkunde mit-Brief und Siegel darüber aufnehmen laffen, daß 
nicht er ſelbſt in jener anderen Geſchichte enthalten if, fondern ein falfcher 
Doppelgänger, der er ſelbſt fepn wollte, aber es nicht vermochte.“ Im 
jweiten Zpeile des Don Quixote (Borrebe und Kapitel 59) antwortete 


























und die Schriften des Berfaflers. xxxv 


ex auf die groben Schimpfreden des Fälſchers, ohne jedoch feinen wahren 
Ramen zu nennen, mit den feinften Spöttereien voll attifhen Salzes, und 
zeigte ſich durch dieſes edle Benehmen eben fo erhaben über den Gegner, 
wie durch die jede Bergleihung ausſchließende Bolllommenpeit feines Wertes. 
Um jedoch auch Fünftigen Avellaneda bie Luft zu jeder weiteren Entweipung 
gu benehmen, führte er diesmal feinen Helden bie aufs Todtenbett, Tieß ihn 
das Teſtament machen, feine Beihte ablegen und verfgeiden, begrub ihn 
dann, und vergaß auch bie Auffihrift auf den Leichenftein nicht. Zuletzt 
ſchließt er in demſelben Geifte fein Wert mit den Worten voll edlen Stolzes: 
„Hier legte Eid Hamed Ben Engeli feine Feder nieder, aber er hat fie 
diesmal fo hoch aufgehängt, daß Niemand fih fürber beigehen laſſen foll, 
dieſelbe wieder herabzunehmen.“ 

Es ſey uns vergönnt, einige Worte über Bedeutung und Werth dieſes 
Buches, des Meiſterſtückes der kaſtilianiſchen Literatur, zu ſagen. Man hat 
fich gewoͤhnt, den Don Quixote bloß unter dem Geſichtspunkte eines 
Schlangentödters der Ritterromane zu betrachten, aber mit Unrecht. Wenn 
er nur biefes Berbienft hätte, fo würde er fie nicht Tange überlcht haben. 
Nah dem Beflegten hätte man bald au ben Sieger in's Grab geſcharrt. 
Iſt es die Berfpottung der Amapdis, der Esplandbian, der Platir, ber 
Ritter Gotterbarm von Montalban, bie wir jetzt noch im Don 
Quixote fuhen? Bir wollen nit Teugnen, daß Cervantes ven völlie 
gen Umſturz diefer gefährlichen und ausfihweifenden Literatur felbft als eines 
feiner Hauptverdienſte betrachtete. Sein Buch if in diefer Beziehung eine 
fittliche That, eine Arbeit, die im hödften Grabe die zwei Tugenden der 
wahren Komödie, das Nützliche im Bunde mit dem Angenehmen Cmiscuit 
utile dulei), vereinigt. Nichts deſto weniger if Don Duirote noch etwas 
mehr als eine Satyre auf alte Romane, und wir müſſen zeigen, daß ber 
Berfaffer feinen Plan während des Schreibens erweitert und veredelt hat. 
Zu Anfang des Buches, glauben wir, hatte Cervantes feinen anderen 
Zwed, als mit den Waffen des Lächerlichen die ganze Ritter» Literatur über 
den Haufen zu rennen. Er fagt dies mit bürren Worten in der Vorrede. 
Auch fonft braucht man nur auf bie fonderbaren Nachläßigkeiten, Wider- 
fprüche und Berflöße, von denen es im erfien Tpeile des Don Quirote 
mwimmelt, aufmerffam zu machen, um in biefem Fehler (wenn es anders ein 
Fehler zu nennen if) einen vollgültigen Beweis dafür zu finden, baß er 
ben Don Quixote in einer gutgelaunten Stunde anfing, daß er opne 
feften Plan feiner Feder den freien Lauf lieh, daß er endlich feinen voraus⸗ 
berechneten Werth auf diefes Werk Iegte, deffen volle Größe er vielleicht nie 
ganz empfunden hat. Don Quirote if Anfangs nichts als ein Narr, ein 
Narr, der Ketten und Prügel verdient, und in ber That befömmt ja ber 
arme Ritter fo viel Püfe von Menſchen und Vieh, daß es ſelbſt für die 














xxxvi achricht über das Keben 


Rippen feines Roslnante zu viel wäre. Auch Sancho Panfa if An- 
fangs ein bloßer Bauernlümmel, der fih eben fo fehr aus Geiz, als aus 
Einfalt von den ZTporpeiten feines @ebieters fortreigen Täßt. Aber das 
dauert nicht Tange. 

Allmaͤhlich faßt Eervantes eine väterlihe Zuneigung zu ben Helden 
und Kindern feines Gehirnes, er leiht ihnen fein Urtheil, feinen Geiſt, 
er theilt die Rollen nach einem woplberecpneten Plane zwiſchen ihnen aus. 
Dem Gebieter gehören erhabene Anfihten, wie fie ih durh Studium und 
Nachdenken bei edlen, gefunden Geiftern ausbilden; dem Schildknappen ein 
befepränfter, aber fiher das Ziel treffender Sinn, gefunder Menſchenver⸗ 
fand, angeborenes Gerechtigkeitsgefühl, das nur da ſchweigt, wo es vom 
Eigennuge überflimmt wird, Lauter Eigenfpaften, welche ein ordentlicher 
Menſch bei der Geburt mit auf die Welt bringt, und melde bie gemeine 
Belterfaprung auszubilden vermag. In der dirnkammer des Ritters iſt nur 
noch ein einziges krankes Fach; feine Narrpeit ift die uͤberſchwängliche Stim ⸗ 
mung eines eblen Menfchen, den jede Ungerechtigkeit empört, den Begeifter 
zung für Tugend aus dem Geleife des Lebens herausreißt. Noch immer 
träumt er davon, ben Unterbrüdten beizuſtehen, die Schwachen zu heben, 
die Stolzen und Schlechten zu zerfihmettern, aber fonft urtpeilt und fließt 
ex vortrefflig, ein Strom der Berebfamteit entfließt feinen Lippen, er 
taugt, wie Sancho fagt, viel eher zu einem Prediger, als zum fahrenden 
Ritter. Diefelbe Berwandlung {ft mit dem Schildknappen vorgegangen: 
Sando hat den alten Adam abgelegt, er iſt ſchlau genug, obgleich rop, 
er if ein Schalt, und do gutmüthig. Wie man an Don Duirote nur 
no ein Körnchen von Narrpeit bemerkt, fo zeigt auch er nur ein Reftchen 
von Teihtgläubiger Einfalt, die überdies durch den hohen Geift des Gebies 
ters und durch die natürliche Anhänglichkeit des Schildknappen gerechtfertigt 
erſcheint. Und nun entfaltet fih vor unferem flaunenden Blide ein herzliches 
Schauſpiel. Diefe beiden Menſchen, ungertrennlih von einander, wie Seele 
und 2eib, erklären und ergänzen fich gegenfeitig, fie Haben fi) vereinigt zur 
Verwirklichung eines Zwedes, der eben fo ebel, als unausführbar if, fie 
handeln wie Thoren und fprehen wie Weife, fie fegen fih dem Gelächter, 
oft auch der Grobpeit der Menſchen aus, und ftellen zugleich die Lafter und 
die Dummpeit derjenigen, melde fih über fie luſtig maden wollen, in’s 
Harfe Licht. Sie ermeden zuerft das Gefpötte, bald das Mitleid, zuletzt 
bie vegfte Sympathie des Lefers, fie rühren ihn eben fo viel, als fie ihn er» 
göpen, fie belehren und unterhalten ihn zu gleicher Zeit, enbli dur den 
boppelten Gegenſatz Beider zu einander und zu der übrigen Welt bieten fie ung 
ein immer neues, beinahe unendliches Schaufpiel dar. Im dem erften Theile 
* Don Quixote ſchwankt der Plan noch, aber im zweiten hat ſich der 








Grundgedanke des Verfaſſers, durch Alter und Welterfahrung gereift, feſt 














und die Schriften des Berfafers, xxxvu 


ausgeblldet und verklaͤrt. Bon der fahrenden Ritterſchaft iſt hier nur noch 
fo viel die Rede, als nöthig war, um beide Theile zu verbinden und in 
einen Rahmen zu faflen. Man ſuche hier nicht mehr bloß eine Satyre auf 
bie Ritterromane, es if vielmehr ein Buch vol Lebensweispeit, voll unum« 
ſtoßlicher Grundfäge, oder vielmehr vol aus der Erfahrung gegriffener 
Beifpiele; ihr findet pier eine eben fo milde, als fcharffinnige Schilderung 
der ganzen Menfppeit. Der neue Bekannte, der fih dem Kreife des Ritters 
von ber Manda anfhließt, der Barcalaureus Samfon Earrasco, if 
er nicht der Teibhaftige Unglauben, ber opne Rüdhalt, opne Achtung Alles 
bezweifelt, Alles befpöttelt? Und um ein anderes Beifpiel zu geben, welcher 
Lefer hätte nicht, wenn er zum erften Male an bie Stelle kommt, wo Sanch o 
die Regierung der Infel Barataria übernimmt, zum voraus erwartet, daß 
der Schildknappe in diefer Eigenſchaft Stoff genug zum Lachen geben werde? 
Ber Hätte nicht geglaubt, daß der nagelneue, wie vom Himmel gefallene 
Monarch auf feinem Richterſtuhle mehr Tollpeiten begehen werbe, als fein 
geſtrenger Gebieter während der ganzen Buße in der Sierra Morena? Mit 
nichten: der hope Geift des Dichters dachte etwas weiter, ald bloß den Lefer 
au belufligen, obgleich er diefen Zwed nit vergaß. Er wollte beweifen, 
baß bie vielgepriefene Kunſt, die Menſchen zu beherrſchen, nicht die Gepeim- 
lehte einer Familie oder Kafte if, daß zur Ausübung berfelben noch edlere 
Eigenſchaften, als ein wenig Jurifterei und Berfplagenpeit, daß nämlich 
vor Allem gefunder Menſchenverſtand und ein redliher Wille dazu gehöre. 
Obne aus feinem früher gefchilderten Charakter herauszuplumpen, opne ih 
über die Sphäre feines Schildtnappen-Geiſtes zu verfleigen, richtet und 
regiert Sancho Panfa wie ein zweiter Salomo, 

Der zweite Tpeil des Don Duirote erfchien gehn Jahre nad dem 
erſten, und ald Cervantes den erſten feprich, dachte er an keine Fortſetzung. 
Es war damals Sitte, Werke der Dihtung unvollendet zu laſſen. Man 
ſchloß ein Buch, wie Arioft feine Gefänge, mitten im verwideltfien Aben- 
teuer, an ber intereſſanteſten Stelle. Der Lazarillo de Tormes und 
der hinkende Teufel haben feinen Schluß, die Galatea eben fo wenig. 
Die Bortfeßung des Anellaneba war es nicht, was Cervantes beſtimmte, 
den Baden wieder aufzunehmen, denn er hatte ja den zweiten Theil beinahe 
vollendet, als das Werk des Erfteren erſchien. Wäre ber Don Duirote 
bloß auf eine ſchriftſtelleriſche Satyre berechnet geweſen, fo würde ipn Cer⸗ 
dantes nicht vollendet haben. Daß er es do that, dies fpricht für die 
Baprpeit unferer oben entwidelten Anfiht, die beiden Theile des Werkes 
bieten daher auch eine in ben Jahrbüchern der Literatur einzige Ausnahme 
bar; ein zweiter Theil, der erfi hintendrein kommt, nachdem der Haupifireih 
ſchon geführt if, erreicht nicht nur den erſten, ſondern übertrifft ipn fogar, 
denn die Ausführung iſt gleich gut, die Ieitende Grund⸗Idee aber no viel 

















xxxvui Nachricht über das Keben 


größer und reicher. Der Don Duirote iſt dadurch zu einem Werke ge» 
worden, das allen Ländern, allen Zeiten angehört, er ſpricht zu der Menſch⸗ 
heit in der allgemeinen Sprade; denn in höherem Grade, als irgend ein 
Bud in der Welt, entpält er bie befle Gabe des menfihlichen Geiſtes: ger 
funden Verſtand in allgemein faßlicher Ausdrudsmeife. 

Genug hiemit; unfere Abfiht war nicht, ihn zw Toben, denn wer hat 
nicht von ihm gehört, wer warb nicht entzüdt, wenn er ipn Ins? Walter 
Scott, der feurigfie Bewunderer des Eervantes und zugleih einer 
feiner glüdtichften Nacheiferer, at den Don Quixote für eine ber hoͤchſten 
Schöpfungen des menſchlichen Geiftes erklärt. infihtsvolle Männer aller 
Nationen ſtimmten diefem Urtpeile bei. Die vollkommene Schönpeit diefes 
Buches fühlen indeß nur Diejenigen, welche fpanifh verſtehen. Kaifer 
Karl V. fol die kaſtilianiſche Sprache die Sprache der Götter genannt 
haben; mit gleich begründetem Rechte hatte man vom Don Quirote ber 
hauptet, er ſey mit goͤttlicher Kunft in der Sprache der Götter geſchrieben. 
Die Zeiten find vorbei, wo man an ben Höfen von Wien, von Münden, 
don Neapel, Mailand, Brüffel, Paris fafilif redete. Die ſpaniſche Sprache 
wurde durch die franzoͤſiſche entthront, bie edle folge Gebieterin mußte einer 
geſchminkten Zofe Plag machen. Daher gibt es heutzutage nur Wenige, die 
den Don Duirote im Originale Iefen fönnen. Ugberfegungen füllen eint- 
germaßen die Lüde aus. Faſt jede neuere Nation befigt folge. Cervantes 
unſterbliches Werk wurde in’s Holländifihe, Schwedifche, Däniſche, Ruffifche 
übertragen. Bon beutfhen Neberfegungen mag es wohl ein Dugend ver» 
fpiedene geben, worunter fepr alte, wie uns benn eine vom Jahre 1662 
vorliegt. In England fand Cervantes zehn Meberfeger: Shelton, 
Gapton, Ward, Jarvie, Smollet, Ozell, Motteur, Wilmont, 
Durfey, 3. Ppilips, und dazu noch einen vortrefflichen Exflärer in 
der Perfon des Doktor John Bowle; vieleiht eben fo viele in Italien von 
Branciofint's treffficher Heberfegung bis zu der anonymen vom Jahre 
1815 herab, zu welcher Novelli bie Stiche lieferte. Im Frankreich ift bie 
Zahl noch weit größer. Bloß die Webertragung von Filleau de Saint- 
Martin hat feit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wo fie zuerft erfhien, 
bis jegt zweiundfünfzig Auflagen erfebt. Die neuefte und beſte iſt die von 
Biardot, beffen vortreffliher Notice sur Ia vie et les ouvrages de Cer- 
vantes wir Schritt vor Schritt folgen. Außer der Bibel, der Imitatio Jesu 
Christi und etlichen römiſchen und griehifhen Elaffitern iſt fein Buch fo 
viel gebrudt, gelefen und bet allen Bölfern eingebürgert worden, wie der 
Don Duirote. Diefer Erfolg beweist ſchon für ſich allein, daß er ber 
Roman aller Romane und mit dem Siegel der Unfterblichfeit geftempelt if. 
Und doch wurde dieſes Buch von den Ueberſetzern vielfach verflümmelt, und 
doch enthält er ſelbſt im Originale fo viele feine Anfpielungen, welche ben 


= 















— — — 





und die Schriften des Verſaſſers. xxxix 





Zeitgenoſſen zwar verſtändlich, der Nachwelt aber verſchloſſen find. Eer- 
vantes mußte feine geheimften Gedanken verfihleiern, er mußte die Spür» 
hunde der heiligen Inquifition auf eine falfhe Fährte führen; daher eine 
Menge doppelfinniger Ausdrüde, feiner Wendungen vol ſchlauer Ironie, 
unter welder er vor den Argus- Augen des heiligen Officiums feine kühnen 
Anfichten verbarg. In unferen Tagen, wo bie Anfpielungen auf Zeitereig« 
niſſe uns entgehen, iſt der Sinn oft ſchwer zu erratfen. Nur die Worte 
ſtehen vor uns, ber Gedanke verbirgt fh, und felbft Die Spanier verſtehen 
das Buch nicht mehr vollfommen. Man bedarf daper eines Schlüffels; diefer 
Schläffel findet fi in den Eommentaren von Bowle, von ber ſpaniſchen 
Alademie, von Fernandez Ravarrette, Los Rios, Arrietta, Ele 
mencin. Biardot hat fie in feiner franzöfifchen Ueberfegung benägt, und 
wir haben fie theilweife von ipm entlehnt. Der gencigte Lefer wird, hoffen wir, 
finden, daß fie zum genauen Berfländniß des Don Duirote nöthig find. 
In einem Alter von mehr als fehzig Jahren arbeitete Cervantes 
mit der Kraft und dem Feuer eines Jünglings; ale läge noch eine Tange 
Zukunft vor ihm, trug er ſich noch mit weit ausfehenden Planen zu größeren 
Werken. In jener eblen und würdigen Zueignung, welche er im Oktober 
1615 mit dem zweiten Theile des Don Duirote an feinen Befhüger, den 
Herzog von Lemos, richtete, verfündigte er ihm die baldige Vollendung 
eines zweiten Romans, Perfiles und Sigismunda. Bei andern Gele 
genheiten hatte er ſchon früher eine Zortfegung der Galatea und zwei 
andere Werke, deren Natur man nicht kennt, den Bernardo und bie 
Semanas del Jardin, verſprochen. Bon diefen drei Tegtern iſt nicht einmal 
ein Bruchſtũck übrig geblichen. Den Perfiles dagegen gab feine Wittwe 
im Jahre 1617 heraus. Sonberbar! In demfelben Augenblide, wo bie 
Nitterbüher unter feinem Witze erlagen, mit derſelben Beber, welde ben 
toͤdtlichen Streich wider fie geführt, fhrieb ex einen Roman von faft eben fo 
ausfhweifender Natur, ald diejenigen waren, welche das Gehirn des Junkers 
von der Mancha verwirrten. Er ahmte die nach, welche er getadelt, er ber 
sing diefelbe Sünde, gegen welche er den Bannfrapl geſchleudert. Noch 
fonderbarer iſt, daß er diefem mißgebornen Werke feine ganze Liebe und 
Zärtlichkeit zumandte, ähnlich jenen Vätern, welche eine blinde Zärtlichkeit 
verleitet, die wellen Sprößlinge ihres Alters den rüftigen Früchten jugend» 
licher Kraft vorzuziehen. Während er von Don Duirote mit Befdeiden- 
heit, faft mit verlegener Miene ſprach, kündigte er ber Welt mit Pomp bie 
Wunder feines Perfiles an. Der Roman Perfiles, den man mit nichts 
vergleichen, nirgend einteipen kann, — denn er hat etwas von allen Arten ber 
Poefie, opne in eine befiimmte Gattung zu gehören, — iſt ein Gewebe in ein» 
ander geſchachtelter Epifoden, toller Abenteuer, der feltfamften Wunder» 
Erſcheinungen, falſcher Eparaktere, kraͤnklicher Gefüple. Eervantes, biefer 
























































XL Macrict über das Feben 


tiefe Kenner der Natur, hat wohlgethan, die Scene des Perfiles in die 
byperboreifegen Lande zu verpflangen; denn es ift eine wahre Traummelt, 
ohne alle,Bezichung zur wirklichen. Beim Durchleſen diefes Entwurfes, aus 
dem man Stoff genug zu zwanzig Dramen und hundert Novellen entnehmen 
könnte, muß man über die Einbildungsfraft eines Greifen von achtundſechzig 
Zapren ſtaunen, die noch fo reich und fruchtbar if, als die Phantafie Arioft’s. 
Nicht genug kann man dieſe Feder bewundern, die immer edel, geſchmadvoll 
und kühn if, welche enblih das Widerfinnige des Stoffes unter dem gol» 
denen Prunte kaſtiliſcher Sprache verbirgt. Perfiles ift noch gefeilter und 
glatter ald Don Quixote, er if in Beziehung auf bie Form das erfle 
unter Spaniens Haffifgen Büdern. Dan moͤchte ipn mit einem Palafte 
vergleichen, der ganz aus Marmorflein und Eedernpolz aufgeführt it, aber 
ohne Ordnung, Plan und richtiges Berhältnig dem Auge des Befchauers 
nichts darbietet, als einen Haufen der Föftlichften Materialien. Ueberſchlägt 
man den Stoff des Buches, den Namen des Verfaſſers, den Borrang, wel ⸗ 
den er dem Perfiles vor. allen jeinen antern Werfen gab, endlich bie 
außerordentliche, aber fo thoͤricht verſchwendete Dichterkraft: fo iſt man ver- 
fuht, den Perfiles für eine der großen Berirrungen des menſchlichen 
Geiftes zu erflären. 

Cervantes follte bie günfige Aufnapme, die er diefem letzten feiner 
Berle, dem Benjamin unter ben Kindern feines Geiſtes, verhieß, nicht 
mehr erleben, eben fo wenig, als er ben dauernden Ruhm ahnte, ben fein 
ebenbürtiger Sohn Don Duirote bei allen Bölfern, zu allen Zeiten ein» 
ernten würbe. Während er in feinem achtundſechzigſten Lebensjapre den zweiten 
Theil des Don Quirote herausgab, mar er bereit don der Krankheit 
befallen, welche feine Tage endigte. Bei Anbrud des Frühlings 1616 hoffte 
er von ber Pandluft einige Linderung des Uebels, und begab fih daher am 
2. April zu feinen Berwandten nad Esquivias. Aber fon nah einigen 
Tagen nahm bie Krankheit auf eine bedenkliche Weife überhand, er mußte 
nad Madrid zurüdtehren. Zwei Bürger des Staͤdtchens begleiteten ihn, um 
ihn unterwegs zu pflegen. Auf diefer Meinen Reife ereignete fih ein 
Abenfeuer, das er in ber Vorrede zum Perfiles Launig genug befeprieben 
hat. Die drei Freunde zogen friedlich ihres Wege, als ein Student, der 
auf einem Efel pintendrein trabte, ihnen zurief, anzupalten. Sobald er fie 
erreicht hatte, beflagte ex fich darüber, daß er nicht früher zu ihnen geftoßen 
fep, um ipre Unterhaltung zu theilen. Einer ber Bürger aus Esquivias 
erwiderte: „Pieran if bloß das Pferd des Herrn Miguel Eervantes 
Schuld, das ſtark ausgreift.“ Kaum berührte der Name Cervantes fein 
Ohr, als der Stubent von feinem Grauen herabrutſchte, auf Cervantes 
aueilte, feine Hand ergriff, und den Dishter, den cr laängſt verehrte, ohne 
ihn zu kennen, mit ben begeiftertfien Huligungen überfpüttete. Eervantes 














und die Schriften des Verfafers. xi.i 


dankte ihm mit feiner gewohnten Beſcheidenheit, und bat ihn dann, wieder auf 
zuſteigen, um an feiner Seite bie Reife fortzufegen. Laſſen wir Cervantes 
ſelbſt ſprechen: „Wir hielten ein wenig an,“ erzählt er, „bald kam bas 
Geſpraͤch auf meine Krankpeit. Der gute Student ſprach mir das Leben ab. 
Ihr Habt die Waſſerſucht, fagte ex, und biefes Nebel kann alles Wafler bes 
Oceans nicht heilen, wenn Ihr es au Tropfen um Tropfen austrinfen 
würdet. Darum, Herr Eervantes, laßt das Trinken Tieber ganz bleiben 
und effet deſto mehr, vielleicht werbet Ihr dann wieder gefund, ohne andere 
Mittel. Das haben mir fhon viele Leute gerathen, antwortete ich. Allein 
ich kann nicht anders, ich muß nach Herzensluft trinfen. Mein Lebensdocht 
erliſcht, und der Kalender meines fehleichenden Pulſes fagt mir, daß ich kom⸗ 
menden Sonntag nicht überleben werde. Ihr habt daher in einem fehlimmen 
Augenblide meine Bekanntſchaft gemacht, denn Kaum bleibt mir Zeit genug 
übrig, um Eu für die bewieſene Tpeilnapme zu danken. Unter biefem 
Geſpräche kamen wir an die Toledobrücke, über welche wir ritten, während 
der Student fi feitwärts nach dem Thore von Segovia wandte.” 

Diefe Borrede zum Perfiles, in welder unfer Dichter beſonders 
durch bie launige Schilderung des Studenten bie volle Heiterkeit feiner 
Seele entfaltete, war fein letztes Bett. Das Nebel machte reißende Fort- 
ſchritte, er mußte fih gu Bette legen, und empfing am 18. Aprif die Sterb« 
Sakramente. Die nahe Rüdlunft des Grafen von Lemos, ber von feiner 
bohen Stelle in Neapel zur Präfiventfhaft des Geheimen-Ratps berufen war, 
fand bevor. Die Ießten Augenblide des Dichters waren einem Gefühle der 
Dankbarkeit gegen biefen Wohlthäter geweiht. Faſt flerbend diktirte er 
folgenden Brief an ben Grafen: 

„Zene alten Lieber, welde ihrer Zeit fo viel Gluck machten und mit der 
Strophe anfangen: „In Bügel ift der Buß geſetzt,“ paflen leiber nur zu 
ſehr auf biefen meinen Brief, denn mit denfelben Worten muß ich anfangen: 

Puesto ya el pie en el estribo, 
Con Is in muerte, 
Gran sennor, osta te escribo.t 


„Geftern Hat man mir bie letzte Delung gegeben, und heute ſchreibe ich 
Ihnen diefes Briefchen. Kurz iſt mir die Zeit gemeffen, es wächst die Angſt, 
Hoffnung ſchwindet, do hänge ih noch am Leben, doch wünſche ih Aufſchub 
des Todes fo Tange, um Eurer Ercellenz meine Huldigung darbringen zu 
Tonnen. Bielleicpt würde die Freude, Sie gefund heimgelommen zu fehen, 
mid in’s Leben zurückrufen. Doch wenn ich fterben fol, geſchehe der Wille 
des Himmels. Wenigſtens follen Euer Gnaden meine Wünſche kennen, den 


ı Mit den Füßen fon im Steigbügel, in den Aengſten des Todes ſchreibe ich dieſes, o edler 
Her. 




















xLu Uachricht über das Seben 


letzten Ausdruck meiner treuen Anpänglileit vernehmen, die fo groß if, 
daß fie gerne über die Schranken des Grabes hinausgreifen moͤchte. 

Wenn nicht als Augenzeuge, fo genieße ich als Prophet bie Freude Ihrer 
Rüdtepr, im Geiſte ſehe ich voraus, wie alle Herzen Ihnen entgegenfchlagen, 
und fhaue ven Ruhm, den Ihre Tugenden verbienen.” 

Diefer Brief, der, wie fhon Los Rios bemerkt, allen Großen und 
allen Schriftſtellern immer vor Augen ſchweben ſollte, um bie Einen Groß⸗ 
muth, bie Andern Dankbarkeit zu Iehren, bezeugt die volllommene Heiterkeit 
bes Gemüths, die unfern Dichter bis zum Ießten Augenblide nicht verließ. 
Ray langen Opnmarhten verſchied er Samſtags am 23. April 1616. Dr. John 
Bowle hat zuerft die überraſchende Bemerlung gemacht, baß bie zwei 
größten Geiſter jener Epoche, beide von ipren Zeitgenoffen verfannt, beibe 
glänzend gerochen durch eine bankbarere Nachwelt, Wilhelm Spates- 
peare und Miguel Eervantes, an einem unb bemfelben Tage farben. 
Doch iſt diefe Aehnlichkeit nur ſcheinbar, denn bie Engländer nahmen ben 
Gregorianiſchen Kalender, der fhon im fechzehnten Jahrhundert in Spanien 
eingeführt war, erſt mit bem Jahre 1754 an. Da nun der Unterfhieb zivie 
ſchen beiden Zeitrechnungen für das ſiebenzehnte Jahrhundert zehn Tage bes 
trägt, fo folgt, daß Shakespeare zepn Tage älter wurde. 

Im Zeftamente, zu deſſen Vollziehern Cervantes feine Wittwe und 
feinen Nachbar, den Licentiaten Franzisco Nunnez, eingefept, war ber 
Wunſch ausgeſprochen, daß man ihn bei den Trinitarier-Ronnen begraben 
foltte, die feit vier Jahren ein Kofler in der Straße del Humilladero 
befaßen, und bei denen feine natürliche Tochter Donna Ifabel de Saa- 
vedra, wahrſcheinlich durch Armuth aus dem vaͤterlichen Haufe vertrieben, 
erſt neulich den Schleier genommen hatte. Es iſt wahrſcheinlich, daß fein 
letzter Wunſch in diefer Beziehung erfüllt wurde, aber im Jahre 1633 ſiedelten 
ſich die Ronnen in ein anderes Kloſter in ber Straße Eantaranas über; fo 
weiß man nicht, was aus Cervantes Aſche geworden. Kein Grabflein, 
fein Denkmal, keine Auffhrift bezeichnet Miguel Cervantes Ießte 
Aupeftätte. 

Auch die beiden Bildniſſe, welche Paheco und Jauregui von im 
gemacht, find verloren gegangen; nur ein Nachbild hat fi bis auf unfere 
Tage erhalten. Es gehört in bie Regierungszeit Ppilipps IV.; die Einen 
ſchreiben es dem Alonzo bel Arco, Andere der Schule des Bicencio 
Carducho ober bes Eugenio Eajes zu. Mag übrigens ver Maler heißen 
wie er will, fo viel if gewiß, daß es volllommen genau der Zeichnung ent 
ſpricht, welche Eervantes in der Vorrede zu den Novellen von fi ſelbſt 
gibt. „Manche Leute," fagt er dort, „möchten doch gerne wiflen, wie der 
Mann ausfieht, der es wagt, bie Welt mit feinen Grillen und Einfällen zu 
unterhalten. Diefen Wunf könnte einer meiner Freunde leicht befriedigen, 














und die Sqhtiſten des Berfaffers, xum 


wenm ex mich fein zierlich, wie es jept Mode iſt, mad dem Gemälde des 
berühmten Jauregui vor dem Titel diefes BWerkleins in Kupfer Märhe, 
und dann unter meln Wild bie Worte fegte: Der Mann da mit dem Adler 
Geſichte, mit Faftanienbraunen Haaren, mit der freien, Offenen Stiene, mit 
den Iebpaften Augen, mit der gebogenen, doch wohlgeftäfttten Naſe, mit dem 
Silberbarte, — ber vor kaum zwanzig Jahren noch gelb war, — mit dem 
großen Anebelbarte, bem Heinen Munde, worin nur noch ſechs Zähne, die 
feidgr nicht einmal auf einander paffen, won mittlerer Statur, von heller, 
Wer, ve On der ein wenig gebüdt geht und nicht 
leicht auf den Büßen iftz eben biefer Mann if Verfaſſer der Gar 
Iaten, bes Don Duirote von der Mana, der Reife zum Par 
na und anderer Werke, die zerfireut und zum Theil mantenlos in ber 
Belt herumflattern. Gewöhnlich nennt man ihn Miguel de Cervantes 
Saavedta.“ 
Dies iA Alles, was urkundlich und mit Sicherheit durch ſeht mühſame 
Naspforfihungen über Errvantes Leben erhoben wurde, doch genügt «6, 
n diefelbe Bersprung, die er ald Sqhriftſteller verdient, auch Die 
au fichera.  Eerbantes war ein tapferer Soldat, ein 
J ———— xeiner Menſch, dabel 
während eines — &ens von Relp und Ungläd verfolgt. Bedarf es 


mehr, um ihm die innigfte Dochachtung zu zolln? 


Diefer Fangen, aber hoffentlich erwunſchten Einfeitung erlaubt fi der 
Ueberfeger nur noch wenige Worte über feine eigene Arbeit beizufügen. 
Vorllegende Ausgabe if an Ausftattung die fhönfte, die je in Deutfhland 
erſchlen. Der Innere Werts ſollie nah feinem Wunſche nicht binter dem 
äußern Glange yurhifbleiben. Alle vorhandenen Pülfsmittel wurden daher 
forgfältig benügt, Cine vortrefflihe Vorarbeit lag ipm vor, bie Bertuh'fhe 
Bearbeitung des Don Duirote, welche In mehr als einer Beziehung würdig 
tft, neben den beflen deutſchen Ueberfegungen fremder Werte von Wieland, 
Ebert und Anderen eine Stelle einzunehmen. Im Komiſchen iſt Bertuch 
unäberterfflich; leider will er oft noch fpaßhafter feyn, als das Driginal, 
und erlaubt ih überdies, Cervantes Wert nad feinem Wopigefallen zur 

j fammenzulepen und zu verflümmelt. Wo er gefund it, bin ich ihm oft 


ange Steeden auf dem Fuße gefolgt, feine Fehler Habe ih dagegen zu dere | 


| meiben geſucht. Offen geftepe Id daher, bafı ich in der woplüberlegten Nbfict, 
| ben Don Dulrote ‚ganz in Deutſchland einzubürgern und wo möglich 
\ zum Vollsbuche zu machen, auf den zweibeutigen Ruhm ausſchliebender 














Heinrich Heine 


Leben und —2 ſchat em * Don Duirote 


ih fon in 

ſtabenweſens einigermaßen Her), = war. Ich erinnere mich noch 
ganz genau jener Heinen Zeit, wo ich mid; eines frühen Morgens 
von Haufe wegſtahl und nad dem Hofgarten eilte, um dort un— 
geſtört den Don Duirote zu leſen. Es war ein fhöner Maitag, 
lauſchend im ſtillen Morgenlichte Tag der blühende Frühling und 
ließ ſich Toben von der Nachtigall, feiner füßen Schmeichlerin, und 
dieſe fang ihr Loblied fo careffirend weich, fo ſchmelzend enthus 
ſiaſtiſch, daß die verfhämteften Snofpen aufiprangen, und die 
lüfternen Gräfer und die duftigen Sonnenftrahlen ſich haſtiger 
füßten, und Bäume und Blumen ſchauerten vor eitel Entzüden. 

Ich aber fegte mich auf eine alte moofige Steinbanf i in der ſoge⸗ 
nannten Seufgerallee, unfern bes Waſſerfalls, und ergögte mein 
Heine Herz an nben großen — des kühnen Ritters. In 


liaäcdherlich auch dem armen Selden von 
wurde, fo meinte ich dor das mil 























xıvı Einleitung. 


’mal zum Helventbum, das Ausgelachtwerden eben fo gut wie bie 
Wunden des Leibes, und jenes verbroß mich eben fo febr, wie "ich 
diefe in meiner Seele mitfühlte. — Ih war ein Kind und Fannte 
nicht die Irdnie, die Gott in die Melt hineingeſchaffen, und die 
der große Dichter in feiner gedrudten Kleinwelt nahgeahmt hatte, 
und id fonnte die bitterfien Thränen vergießen, wenn der Me 
Nitter für all feinen Edelmuth nur Undank und Prügel & 
Da ih, noch ungeübt im Lefen, jedes Wort laut ausſprach, 
konnten Vögel und Bäume, Bad und Blume Alles mit anhören, 
und ba folge unfguldige Naturwefen, eben fo wie bie Kinder, 
von der Weltironie nichts wiſſen, fo bielten fie gleihfalls Alles 
für baaren Ernft und weinten mit mir über die Leiden des armen 
Ritters; fogar eine alte ausgediente Eiche ſchluchzte, und ber 
Waſſerfall ſchütielte heftiger feinen weißen Bart und’ fhien zu 
ſchelten auf die Sqhlechtigleit der Welt. Wir fühlten, daß der 
Helvenfinn des Ritters darum nicht minbere Bewunderung ver 
dient, wenn ihm der Löwe obne Rampfluf den Rüden fehrte, und 
daß feine Thaten um fo preifenswertber, je ſchwächer und ausges 
dörrter fein Leib, je morfcher die Rüfung, die ibn ſchützte, und 
je armfeliger der Klepper, ter ibn trug. Wir verachteten den 
niedrigen Pöbel, der, gefhmüdt mit buntfeidenen Mänteln, vor- 
nebmen Redensarten und Herzogstiteln, einen Mann verhöbnte, 
der ibm an Geiftesfraft und Edelſinn fo weit überlegen war. 
Dulcinea’s Ritter flieg immer höber in meiner Adtung und 
gewann immer mebr meine Liebe, je länger ih in dem munder- 
famen Bude lad, was in bemfelben Garten täglih geſchah, fo 
daß ich ſchon im Herbie das Ente der Geſchichte erreichte, — 
und nie werde ich den Tag vergeffen, wo ih von dem kummervollen 
Zweifampfe lad, worin der Ritter fo ſchmäbhlich unterliegen mußte! 
Es war ein trüber Tag, häßliche Nebelmelfen zogen ben 
grauen Himmel entlang, die gelten Blätter fielen ſchmerzlich 
von den Bäumen, ſchwere Thränentropfen hingen an den legten 


















{bier ‚brechen, als- ich Ins, wie der: edle ter betäubt und zer- 

malmt am Boden lag und, ohne das Viſit zu beben, als wenn 

dem Grabe geſprochen hätte, mit ſchwacher, kranker Stimme 

A Sir binaufrief: Dulcinea ift das fhönfte Weib der 

und ih der unglücklichſte Nitter auf Erden, aber es ziemt 

ſich nicht, daß meine Schwäche diefe Wahrheit verleugne, — At 
zu mit der Lanze, Nitter! 

Ach, diefer leuchtende Ritter vom filbernen Monde, ber — 

muthigſten und edelſten — der Belt befiegte, war ein ver ⸗ 


Be \ 


derte, den bie Lecture des Don S weit längerer Zeit 
in’ meinem Geifle hervorbrachte. Lieber Himmel, wie dod die 
Jahre ſchnell dahinſchwinden! Es ift mir, als Habe ich erft geſtern 
in der Seufzerallee des Düffeldorfer Hofgartens das Bud) zu Ende 
gelefen, und mein Herz fey noch erſchüttert von Bewunderung für 
die Thaten und Leiden des großen Ritters. Iſt mein Herz bie 
ganze Zeit über ftabil geblieben, ober ift es, nad einem wunder— 
baren Kreislauf, zu den Gefühlen der Kinbheit zurüdgefehrt? Das 
Lehtere mag wohl der Fall fen: denn ich erinnere mid, daß ich 
in jedem Luſtrum meines Lebens bed Don Quirote mit abwech-⸗ 
felnd verſchiedenattigen Empfindungen gelefen babe. Als ich in’s 
Yünglingsalter emporblübete und mit unerfabrenen Händen in die 
Rofenbüfche des Lebens bineingeiff und auf die höchſten Felfen 
Komm, um der Sonne näher zu fegn, und des Nachts von nichts 
räumte ald von Adlern und reinen Jungfrauen: da war mir der 
Don Duirote ein ſehr unerquickliches Bud, und lag es in mei- 
nem Wege, fo ſchob id es ummwillig zur Seite. Späterbin, als 

























































— — 
XLVIu Einleitung. 


ich zum Manne heranreifte, verſöhnte ich mich ſchon einigermaßen 
mit Dulcinea’s unglüdiihem Kämpen, und ich fing ſchon an über 
ihn zu lachen. Der Kerl ift ein Narr, fagte ih. Doc, fonderbarer 
Weiſe, auf allen meinen Lebensfahrten verfolgten mich die Schatten- 
bilder. des dürren Ritters und feines fetten Knappen, namentlich 
wenn ih an einen bedenflihen Scheideweg gelangte. So erin: 

ih mid, als ih nach Frankreich reiste und eincd Morgens Im 
Wagen aus einem ficberhaften Halbfhlummer erwachte, fah ih im 
Fruhnebel zwei wohlbefannte Geftalten neben mir einher reiten, 
und bie eine, an meiner rechten Seite, war Don Duirote von 
der Mancha auf feinem abfiracten Rozinante, und die andere, 
zu meiner Linken, war Sandho Panfa auf feinem pofitiven 
Grauden. Wir Hatten chen die franzöſiſche Grenze erreicht. Der 
edle Mandaner beugte ehrfurchtevoll Das Haupt ver der breifar- 
bigen Bahne, bie und vom hohen Grenzpfahl 'entgegen flatterte, 
der gute Sancho grüßte mit etwas Fühlerem Kopfniden die erſten 
franzöfifhen Gensdarmen, die unfern zum Vorſchein famen; end» 
lich aber jagten beide Freunde mir voran, ich verlor fie aus dem 
Geſichte, und nur noch zuweilen hörte ih Rozina nte's begeiftertes 
Gewicher und die bejabenden Töne des Efels. 

Ih war damals der Meinung, die Lächerlichkeit des Don- 
quixotiemug beftehe darin, daß der edle Ritter eine längſt abge- 
Ichte Bergangenbeit in's Leben zurüdrufen wollte, und feine armen 
Glieder, namentlich fein Rüden, mit den Thatſachen der Grgen- 
wart in ſchmerzliche Reibungen geriethen. Ad, ih babe feittem 
erfabren, daß es eine eben fo undankbare Tollheit if, wenn man 
die Zukunft allzu frübgeitig in die Gegenwart einführen will und 
bei folhem Ankampf gegen die ſchweren Intereffen des Tages nur 
einen febr mageren Klepper, eine fehr morſche Rüftung und einen 
chen fo gebrechlichen Körper befigt! Wie Über jenen, fo auch 
über diefen Donquirotismus ſchüttelt der Weife fein vernünftiges 
Haupt. — Aber Dulcinea von Toboſo ift dennoch das ſchönſte 














Einleitung. 


Weib der Welt; obgleich ich clend zu Boden Tiege, nehme ich 
dennoch dieſe Behauptung nimmermehr zurück, ich lann nicht an ⸗ 
ders, — ſtoßt zu mit Euren Lanzen, Ihr ſilberne Mondritter, Ihr 
verfappte Barbiergefellen! 
Welcher Grundgebanfe Teitete den großen Cervantes, als 
er fein: großes Buch ſchrieb 2: Beabſichtigte er nur den Ruin der 
omane, beren Lecture zu feiner Zeit in Spanien fo fiarf 
graffirte, daß geiftliche und weltliche Verordnungen dagegen unmächtig 
waren? oder wollte er alle Erfheinungen der menſchlichen Begeis 
ſterung überbaupt und zunächſt das Heldenthum der Schwertführer 
in's Lächerliche sieben? Offenbar bezwedte er nur eine Satire gegen 
die erwähnten Romane, die er, durch Beleuchtung ihrer Asfurbie 
“täten, dem allgemeinen Gefpötte und alfo dem Untergange über 
‚Tiefern au gelang auf's gläimpendfies denn 
was weder die Ermahnungen der 4 noch die Dropungen der 
Kanzefei bewerffielfigen Tonnten, bas erwirlie ein armer Schrift: 
ſteller mit feiner Feber: er richtete die Nitterromane fo gründlich 
zw Grunde, daß bald nad. dem Erfceinen bes Don Quirote 
der Gefhmad für jene Bücher in ganz Spanien erlofh, und auch 
feins derfelben mehr gebrudt ward. Aber die Feder des Genius 
iſt immer größer als er felber, fie reiht immer weit hinaus über 
feine zeitlichen Abfihten, und obne daß er fih deſſen Har bewußt 
wurde, ſchrieb Cervantes bie größte Satire gegen bie menſchliche 
Begeifterung.  Nimmermehr abnte er diefes, er felber, der Held, 
welcher den größten Theil feines Lebens in ritterlihen Kämpfen 
zugebracht batte und im fpäten After ſich noch oft darüber freute, 
daß er in der Schlacht bei Lepanto mitgefodten, obgleich er 
diefen Ruhm mit dem Verluſte feiner linken Hand bezahlt hatte. 
Ueber Perfon und Lebensverhältniffe des Dichters, der den 
Don Duirote gefhrieben, weiß der Biograph nur Weniges zu 
melden. Wir verlieren nicht viel durch folhen Mangel an Notizen, 
die gewöhnlich bei den Frau Bafen ver Nachbarſchaft aufgegabelt 























Einleitung. 


‚werden. Diefe fehen ja nur bie Hülle; Wir aber fehen den Mann 
felbft, feine wahre, treue, unverleumbete Gefalt. 

Er war ein fihöner, kräftiger Mann, Don Miguel Cer— 
vantes de Saavedra. Geine Stirn war hoch und fein Herz 
war weit. Wunderfam war die Zauberfraft feines Auges. Wie 
es Leute gibt, welche durch die Erde fhauen und bie darin be= 
grabenen Schäge oder Leichen fehen können, fo drang das Auge des 
großen Dichters durch die Bruft der Menfchen, und er fah deut- 
lid, was dort vergraben. Den Guten war fein Blid ein Sonnen- 
ſtrahl, der ihr Inneres freudig erhellte; den Böfen war fein Blick 
ein Schwert, das ihre Gefühle graufam zerſchnitt. Sein Blid 
drang forfhend in die Seele eines Menſchen und fprad mit ihr, 
und wenn fie nicht antworten wollte, folterte er fie, und die Seele" 
Tag blutend auf ver dolter, während vielleicht ihre leibliche Hülle 
ſich herablaſſend vornehm geberdete. Was Wunder, daß ihm 
dadurch fehr viele Leute abhold wurden, und ihn auf feiner irdiſchen 
Laufbahn nur faumfelig beförderten! Auch gelangte er niemals 
zu Rang und Woblftand, und von all feinen mübfeligen Pilger: 
fabrten brachte er feine Perfen, fondern nur leere Muſcheln nad 
Haufe. Man fagt, er babe den Werth des Geldes nicht zu fhägen 
gewußt; aber ich verfihere euch, er mußte den Werth des Geldes 
febr zu fhägen, ſobald er Feind mehr hatte. Nie aber fhägte er 
es fo hoch, wie feine Ehre. Er hatte Schulden, und in einer von 
ihm verfaßten Charte, die Apollo den Dichtern octroyirt, beſtimmt 
der erfle Paragraph, wenn ein Dichter verficert, fein Geld zu 
haben, fo fole man ibm aufs Wort glauben und feinen Eid 
von ibm verlangen. Er liebte Mufif, Blumen und Weiber. Doch 
aub in ber Liebe für Kegiere ging es ibm manchmal herzlich 
ſchlecht, namentlidy als er no jung war. Konnte das Bewußt: 
feyn fünftiger Größe ihn genugfam tröften in feiner Jugend, wenn 
ſchnippiſche Rofen ihn mit ihren Dornen verlegten? — Einf an 
einem hellen Sommernadgmittag ging er, ein junger Fant, am 























Einleitung 


Zafo fpazieren mit einer Tehzehnjährigen Schönen, ibie \ ih, ber 
ftändig über feine Särtlichfeit moquirte · Die Sonne war noch nicht 
untergegangen, fie glühte noch in ihrer goldigften Pradtz; aber 
oben am Himmel fand fhon der Mond, winzig und blaß, wic 
ein weißes Wölfen. Siehſt du,“ ſptach ber, junge Dichter zu 
feiner) Geliebten, „fiehft du dort oben jene. kleine bleiche Scheibe? 
der Fluß bier neben ung, worin fie fih abfpiegelt, ſcheint nur aus 
Mitfeiden ihr ärmliches Abbild auf feinen ofen Fluten zu tragen, 
und bie gefräufelten Wellen werfen es zuweilen ſpottend an’s Ufer. 
Aber laß nur den alten Tag verbämmern! Sobald die Dunkelheit 
anbricht, erglüht droben jene blaffe Scheibe immer herrlicher und 
herrlicher, der ganze Fluß wird überſtrablt von ihrem Lichte, Im 
bie Wellen, die vorbin fo, wegwerfen übermätbig, erfhauern | b 
. id A - 1 
















und Bier ‚findet man ihre, Ban Ueberall, mehr 
noch in feinen Dramen ald im Don Duirote, fehen win, was 
id bereits erwähnt babe, daß Cervantes lange Zeit Soldat war. 
In der That, das römifche Wort: Leben heißt Krieg führen! findet 
auf ihn feine doppelte Anwendung. Als gemeiner Soldat lämpfte er 4. 
in den meiſten jener wilden Waffenſpiele, die König Philipp IL 
zue Ehre Gottes und feiner eigenen Luft: in allen Landen auf 
führte. Diefer Umftand, daß Cervantes dem größten Kämpen 
des Katholicismus feine ganze Jugend gewidmet, daß er für bie 
latholiſchen Jutereſſen perſönlich gekämpft, läßt vermutben, daß 
dieſe Intereſſen ihm auch theuer am Herzen lagen, und widerlegt 
wird dadurch jene viel verbreitete Meinung, daß nur die Furcht 
vor ber Inquifition ihn abgehalten habe, die proteftantifhen Zeit- 
gebanfen im Don Quirote zu befprechen. Nein, Cervantes 
war ein geireuer Sohn ber römifchen Kirche, und nicht bloß bfutete 
fein Leib im ritterlichen Kampfe für ihre gebenedeite Fahne, fondern 

































ın ‚ Einleitung 


er litt für fie au mit feiner ganzen Seele das peinlichfte Märtyr- 
thum während feiner langjährigen Gefangenfhaft unter den Un- 
gläubigen. . 

Dem Zufall verdanken wir mehr Details über das Treiben 
des Cervantes zu Algier, und bier erkennen wir in dem großen 
Dichter einen eben fo großen Helven. Die Gefangenſchaftsgeſchichte 
widerſpricht aufs glänzendſte der melodifchen Lüge jenes glatten 
Lebemannes, ber dem Auguftus und allen deutſchen Schulfüchſen 
weiß gemacht hat, er fey ein Dichter, und Dichter feyen feige. 
Rein, der wahre Dichter ift aud ein wahrer Held, und in feiner 
Bruſt wohnt die Geduld, die, wie der Spanier fagt, ein zweiter 
Math if. Es gibt fein erhabeneres Schaufpiel, als den Anblid 
jenes edeln Eaftilianerd, der dem Dep zu Algier ald Sklave dient, 
bekändig auf Befreiung finnt, feine kühnen Plane unermüdlich 
vorbereitet, allen Gefahren ruhig entgegen blidt und, wenn das 
Unternehmen fheitert, Tieber Tod und Folter ertrüge, als daß er 
nur mit einer Sylbe die Mitſchuldigen verriethe. Der blutgierige 
Herr feines Leibes wird entwafnet von fo viel Großmuth und 
Tugend, der Tiger ſchont den gefeffelten Löwen und zittert vor 
dem ſchrecklichen Einarm, den er doch mit einem Wort in den 
Tod ſchicken könnte. Unter dem Namen „der Cinarm“ ift Ger- 
vantes in ganz Algier befannt, und ver Dey geſteht, daß er 
ruhig ſchlafen könne und der Ruhe feiner Stadt, feiner Armee 
und feiner Sklaven verfihert fey, wenn er nur den einhändigen 
Spanier in feftem Gewahrfam wiffe. 

Ich habe erwähnt, daß Cervantes beftändig gemeiner Soldat 
war; aber da er fogar in fo untergeorbneter Stellung fi aus- 
zeichnen und namentlich feinem großen Feldherrn, Don Juan 
d’Auftria, bemerfbar machen konnie, fo erhielt er, ald er aus 
Italien nad) Spanien zurüdtehren wollte, die rühmlichſten Zeugniß- 
briefe für den Rönig, dem feine Beförderung darin nachdrücklich 
empfohlen ward. Als num bie algierifhen Eorfaren, bie ihn auf 























und — — 
muilie, Krot aller Müben und Opfer, ibn nicht Toszufaufen 
mochte, und der · arme Dichter dadurch deſto Fänger und qum 
in der Gefangenſchaft gebalten wurde. So ward fogar die Air- 
exfennung feiner Bi ichfeit für ihm nur eine neue Duelle des 
ſpottete feiner "jenes 


.  Unglüds, undıfo, bis an's Ende feiner Tage, 

grauſame Weib, die Göttin Fortuna, die es dem Genius nie ver⸗ 

zeiht, daß er auch ohne — nn 
arm Ag 


E — 
| * Ines. reinen d 
\ fäfterung. Seiner fell tugendbafter und geiſtreicher fen, als die 
Uebrigen. Wer aber durch die unbeugfame Gewalt des Genius 
Hinausragt, über das banalc Gemeindemaf, dieſen teifit der Oftra- 
eismus der Geſellſchaft, fie verfolgt: ihm mit jo gnadenloſer Ver— 
fpottung und Berleumdung, daß er fih endlich ka ii muß 
in die Einfamfeit feiner Gedanken. ’ 

3a, die Geſellſchaft it ibrem'Wefen nad zerusttanif6. Iede 
Fürftlichfeit ift ihr verhaßt, die geiftige eben fo febr wie die mate- 
tielle. Leblere fügt nicht ſelten auch die Erftere mehr als man 
gewöhnlich ahnt, Gelangten wir doch felber zu dieſer Einficht 
bald nad der Juliusrevolution, als der Geift des Nepublifanis- 
mus in allen geſellſchaftlichen Verhäftniffen fih fund gab. Der 
Lorbeer eines großen Dichters war unfern Nepublifanern eben fo 
verbaßt, wie der Purpur eines großen Könige. Auch die geiftigen 





Beinen Sinn: wur 






































Einleitung. 


Dort jeben wir. Shatespeare, bier Cervantes als die Blüthe 
der. Schule. 

Wie Die, ſpaniſchen Dister unter | Pr; drei Bhilippen, fe 
baben auch Die englifhen unter der Elifaberb eine, gewiſſe 
Familicnähnlichteit, und weder Shafespeare noch Cervantes 
fünnen auf Originalität in unferem Sinne Anſpruch maden. Sie 
unterſcheiden ſich von ihren Zeitgenoſſen feineowegs durch befon- 
deres Fühlen ‚und Denen oder beſondere Darftellungsart, ſon- 
dern. nur durch bebeutendere ‚Tiefe, Iunigfeit, Zärte und Kraft; 
ibre Dichtungen find mehr durchdrungen und umfloffen vom Aetber 
der Poeſie. 

Aber beide Dichter find nicht bloß die Blüthe ihrer Zeit, fon 
„dern fie waren hi die Wurzel Be Wie Sh: 


— I BEE h — 
des modernen Romans verehren. Hierüber erlaube ich mir einige 
fühhtige Bemerkungen. 

Der ‚ältere Roman, der fogenannte Ritterroman, entfprang 
aus ber Porfie des Mittelalters; ex war zuerft eine proſaiſche 
Bearbeitung. jener epifhen Gedichte, deren Helden zum Sagenfreife 
Karls des Großen und des beiligen Graals gehörten; immer 
beftand der Stoff aus ritterlihen Abentenern, Es war der Roman 
des Adels, und die Perfonen, die darin agirten, waren entweder 
- fabelbafte Vhantafiegebilde, oder Reiter mit goldenen Sporen; 
nirgends eine Spur, von Bolf. Dieſe Ritterromane, die in ber 
abſurdeſten Weife ausarteten, ſtürzte Cervantes durch feinen 
Don Uuirote. Aber, indem er eine Satire fhrieb, die den 
älteren Roman zu Grunde richtete, Kieferte ex felber wieber das 
Vorbild zw einer neuen Ditungsart, die wir den modernen Ro— 
man. nennen. ‚So pflegen immer große Poeten zu verfabren: fie 
begründen ‚zugleich. etwas Neues, indem fie das Alte zerſtören; 






N N 














Einieitune 


fie negirem nie, ohne etwas zu bejahen. Gervantes ſtiftete ben 


modernen Roman, indem er in ben Ritter-Roman bie getrene ': 


Schilderung der niederen Klaſſen einführte, iadem er ihm das 
Bollsleben beimifchte. Die Neigung, das Treiben des gemeinften 
Yöbeld, des verworfenften Lumpenpads zu befihreiben, gehört nicht 
bloß dem Cervantes, fondern der ganzen literariſchen Zeitge- 
noſſenſchaft, und fie findet ſich wie bei den Poeten fo auch bei den 
Malern des damaligen Spanien; ein Morillo, der dem Himmel 
die heiligen Farben flahl, womit er feine ſchönen Madonnen 
malte, conterfeite mit derfelben Liebe auch die ſchuutzigſten Er- 
fpeinungen diefer Erde. Es war vielleicht die Begeifterung für 
Die Kunft felber, wenn dieſe edeln Spanier mandmal an ber 
treuen Abbildung eines Bettelfungen, der ſich laust, daſſelbe Ber- 
giügen empfanden, wie an / der Darfelung ber poffgebensbeiten 
Jungfrau. Oder es war ber Reiz des Eontrafed, welder eben 
die vornehmften Edefleute, einen gefäniegelten Hofmann wie Que⸗ 
vedo oder einen mächtigen Minifter wie Mendoza, antrieb, ihre 
zerlumpten Bettler- und Gauner-Romane zu fehreiben; fie wollten 
ſich vielleicht aus der Eintönigfeit ihrer Standesumgekung dur) 
die Phantafie in eine entgegengefegte Lebensſphäre verfegen, wie 
wir daſſelbe Bedürfniß bei manden deutſchen Schriftftellern finden, 
die ihre Romane nur mit Schilderungen ber vornehmen Welt 
füllen und ihre Helden immer zu Grafen und Baronen maden. 
Bei Cervantes finden wir noch nicht diefe einfeitige Richtung, 
das Uneble ganz abgefordert darzuftellen; er vermifcht nur das Ideale 
mit dem Gemeinen, das Eine dient dem Andern zur Abſchattung 
oder zur Beleuchtung, und das adeltbümliche Element ift darin noch 
eben fo mächtig wie Das volfstbümliche. Diefes adeltbümliche, cheva- 
leresfe, ariftofratifche Element verſchwindet aber ganz in dem Roman 
der Engländer, die ben Cervantes zuerft nachgeabmt und ibn bie 
auf den heutigen Tag immer als Vorbild vor Augen haben. Es find 
proſaiſche Naturen, diefe englifhen Romandichter feit Rihardfone 











hieran 

. Regierung, der prude Geift-ihrer Zeit wibenfircht' ſogar ‚aller 
fernigen Schilderung: des gemeinen Vollslebens, und: wir 

jenfeit des Canals jene bürgerlichen Romane entfiehen, worin das 
nüchterne Ktleinleben der Bonrgeoifte fi abſpiegelt. Dieſe klägliche 
Leeture überwsäflerte das engliſche Publicum bis auf die Tepte Zeit, 
wo ber große Schotte auftrat, der im Roman eine Revolution 
oder eigentlich eine Neftauration bewirkte, Wie nämlih Gew 
vantes das bemofratifde Element taibens Roma pineinbrangi 
als darin mur das einfeitig. ritterthümliche herrſchend war: fo 
brachte Walter Scott in den Noman wieder das ariſtokratiſche 
Element zurück, als dieſes gänzlich darin erloſchen war, und nur 
profaifche: — —— dort ihr Weſen trieb. Durch ein 


großen Diner tina nie —— werben: Seine 
torvſchen Neigungen, feine Vorliebe für die Vergangenheit waren 
beiffam für die Literatur, für jene Meifterwerfe feines Genius, 
die überall fowohl Anklang als Nachabhmung fanden und die afdı- 
grauen Schemen / des bürgerlichen Romans in bie dunfferen Winfel 
der Leibbibliothelen verdrängten. Es ift ein Irrthum, wenn man 
Walter Scott nicht als den wahren Begründer des fogenannten 
bifterifchen Romans anfeben will und Legtern von deutſchen An- 
regungen berleitet. Man verkennt, daß das Charakteriftiiche ber 
biftorifhen Romane eben in der Harmonie des ariftofratijhen und 
demolratiſchen Elements beſtehtz daß Walter Scott dieſe Hat- 
monie, welde während der Alleinberrfhaft des demofratifden 
Elements geflört war, durch bie Wiedereinfegung bes ariſtokratiſchen 
Elements auf's fhönfte berfteltte, ftatt daß unfere deutfchen Ro— 
mantifer das bemofratifhe Element in ihren Nomanen gänzlich 
verleugneten und wieder in das aberwigige Gleiſe des NRitterromans, 











Einleitung 


der vor Eervantes blühte, gurüdfehrten. Unſer de fa Motte 
Fouqué if nichts als ein Nachzügler jener Dichter, die den 
Amabis von Gallien und ähnliche Abenteuerlichteiten zur Welt 
gebracht; und ich bewundere nicht bioß das Talent, fondern auch 
den Muth, womit der edle Freiherr zweihundert Jahre nad dem 
Erſcheinen des Don Duirote feine Ritterbücher gefhrichen bat. 
Es war eine fonderbare Periode in Deutſchland, als letztere 

d und das Publirum daran Gefallen fand: Was bedeutete | 
in der Literatur dieſe Borkiebe für das NRitterthum und die Bilder 
ver alten Feubalzeit? Ich glaube, das deutſche Volt wollte auf 


immer Abſchied nehmen von dem Mittelalter; aber gerührt, wie | ' 


wir es leicht find, nahmen wir Abfchied mit einem Kuffe: Wir 


| n Male unſere Lippen auf die alten Leichenſteine 
d dete-fih dabei) böhft närriſch. 
dwig Tick, der Schule, die tobten 


Voreltern aus dem Grabe | ſchautelte ihren Sarg, ale wär" 
es eine Wiege, und mit aberwigig Eindifhem Lallen fang er dabei: 
Schlaf, Großväterden, ſchlafe! 
Ih habe Walter Scott den zweiten großen Dichter Englands 
und feine Romane Meifterwerfe genannt. Aber nur feinem Gen 
wollte ich das höchſte Lob erteilen. Seine Romane ſelbſt f 
ich dem großen Noman des Cervantes feineswegs gleichitellen 
Diefer übertrifft ihn an cpiſchem Geiſt. Cervantes war, wie 
ſchon erwähnt hate, ein katholiſcher Dichter, und diefer Eigenfhaft 
verdanft er vielleicht jene große eviſche Seelenrube, die, wie 
Kryſtallhimmel, feine bunten Dichtungen überwölbte nirg 
Spalte des Zweifels. Dazu kömmt noch die Nube des fi 
National» Charalters. Walter Scott aber gebört eine: 
welde felbft die göttlihen Dinge einer fiharfen Discuffio 

| woirftz als Advocat und) Schotte ift er gewöhnt am Handiun, 
Discuffion, und, wie in feinem Geifte und Leben, ſo iſt 

' feinen Romanen das Dramatiſche vorherrſchend. 




















Einleitung 


fönnen daher nimmermehr als reine Mufter jener Dibtungsart, 
die wir Roman nennen, betrachtet werden, Den Spaniern gebührt 
der Ruhm, den. beften Roman bervorgebracht zu baben, wie man 
den Engländern den Nubm- ae - u fie im we 
das Höchſte geleiftet. en) 

' Und dem Deutfehen, welche as PP ipnens übrig. Ran, 
wir find-bie beſten Liederdichter · dieſer Erde: Kein Bolt beſiht fo 
schöne Lieber, wie die Deutſchen. Jetzt haben die Bölfer-a 
politiſche Gefhäfte; wenn aber dieſe einmal abgetban find, 
wir Deutſche, Britten, Spanier, Franzoſen, Italiener, wir wollen 
Alle hinausgehen in den grünen Wald und fingen, und die Nach- 
tigalf ſoll Schiedsrichterin ſeyn. Ich bin überzeugt, bei diefem 

jefange wird das Lied von Wolfgang ©, 


Vielleicht ift der Schreiber diefer Blätter befonders befugt, unfern 
großen Landsmann als den vollendetiten Lieberbichter zu preifen. 
Göthe ſteht im’ der Mitte zwifhen den beiden Ausartungen bes 
Liebes, jenen zwei Schulen, wovon die eine Teider mit meinem 
eigenen Namen; die andere mit dem Namen Schwabens bezeichnet 
wird. Beide freilich haben ihre Verdieuſte: fie förderten indireeter 
Weiſe das Gedeihen der deutihen Poefie. Die exftere bewirkte eine 
heilſame Reaetion gegen den einfeitigen Idealismus im deutſchen 
Liede, fie führte den Geiſt zurück zur ftarfen Realität und ent 
wurzelte jenen fentimentalen Petranhismus, der und immer als 
eine Iprifhe Donquiroterie erfhienen if. Die ſchwäbiſche Schule 
wirkte ebenfalls indireet zum Heile der deutſchen Pocfie. Wenn in 
Norddeutſchland Fräftig gefunde Dichtungen zum Vorſchein fommen 


konnten, fo verbanft man biefes vielleicht der ſchwäbiſchen Schule, 


bie alle kränkliche, bleihfüchtige, Fromm gemüthliche Feuchtigleiten 














Einleitung 


der deusihen Mufe an ſich zog. Stuttgart war dleichſam die 
Fontanelle der: bentfchen Muſe. 

Indem ich die höchſten Leiftungen im Drama, im Roman und 
im Liebe dem erwähnten großen Triumvirate zufchreibe, bin ich 
weit davon entfernt, an dem poetiſchen Werthe anderer großen 
Dichter zu mäfeln. Nichts if thörichter, als die Frage: welcher 
Dichter größer. fep, als der andere$ Flamme ift Flamme, und 
ihr Gewicht laͤßt ſich nicht beflimmen nach Pfund und Unze. Nur 
platter Krämerfiun tommt mit feiner ſchäbigen Käfewage und will 
den Genins wiegen. Richt‘ bIoß die Alten, fondern auch mande 
Neuere haben Dichtungen geliefert," worin die Flamme der Poefle 
eben fo prachtvoll lodert, wie in. ben Meifterwerfen von Shaled 
peart, Cervantes und. Göthe. Jedoch dieſe Namen halt 
ſannnen / wie duich "ein gefeimes Band. Es fraplt eiw;ver- 
wandter Geift uns ihren: Schäpfungen; ed weht barin eine ewige 
Milde, wie der Athem Gottes; es blüht darin bie Beſcheidenheit 
der Ratur. Wie an Shalespeare, erinnert Göthe auch beftändig 
an Gervantes, und biefem ähnelt er bis im die Einzelnheiten 
des Styls, in jener behaglihen Profa, die von der füßeften und 
harmloſeſten Ironie gefärbt if. ‚Cervantes und Göthe gleichen 
ſich fogar in ihren Untugenben: in ber Weitſchweifigleit der Rede, 
in jenen langen Perioben, die wir zuweilen bei ihnen finden, 
und bie einem Aufzug. königlicher Equipagen vergleihhar. Nicht 
felten figt nur ein einziger Gebanfe in fo einer breitausgedehnten 
Periode, bie wie eine große vergolbete Hoffurfche‘ mit ſechs 
panaſchirten Pferden gravitätifh bahinfährt. Aber biefer einzige 
Gedanke ift immer etwas Hohes, wo nicht gar ber Souverain. 

Ueber den Geift des Cervantes und den Einfluß feines 
Buches habe ih nur mit wenigen Andeutungen reden können. 
Ueber den eigentlihen Kunſtwerth feines Romans fann ih mid 
bier nod weniger verbreiten, indem Erörterungen zur Sprache 
kaͤmen, bie allzuweit in's Gebiet der Aeſthetik hinabführen würden. 





Pe ee ee | 
cationen immer die Fabeln der andern benugt, und burd bie ba= 
Kr are derfelben —— —— 


der Politik, bewegt ſich Alles nad dem Geſetz der Action und 
Reaction. 2) 1m, 

Bas rim jene zwei Gehalten betrifft, bie fih Don Duirore 
und Sande Panfa nennen, ſich beſiändig parobiren und doch 
fo wunderbar ergänzen, baß fie ben eigentlichen Helden bed Romans 
bilden, fo zeugen fie im gleichen Maße von dem Aunfifinn, wie 
vom der Geifiedtiefe des Dichter. Wenn andere Striftheller, In 
teren Roman ber Held mur als einzeine Perfon durch die Krk 
zieht, zu Menelogen, Briefen ober Tagebüchern ihre Zuflucht 
uehmen mäfen, um die Grtanfen und Empfindungen des Briten 
fand zu geben, fo fann Cervantes aberau einem marliliden 
Dialog Serserizeten laffen; und iadem bie eine Aaur Immer bie 
Wiebe der andern yarstirt, tritt bie Iusention dee Dikters um (0 
ſAcret jerer. Billa wahgeaimt warn (eisen vie Devp⸗idau/ 











der — Roman mit all feinem wilden Laubwerk, fei 
Blüten, ſtrablenden Brügten and, Affen und Wundervögein, Di 


ſich entfaltet. 

Aber es wäre ungerecht, bier Alles auf Rechnung 
Nahabmung zu fegenz; fie fag jo nahe, die Einführum; 
sei Figuren, wie Don Ouirote und Sande Panfa 
die eine, bie potiiſche auf Abenteuer zieht, und die aı 


— dieſes Paar, unter den verfchiebenastigfien Vermume 


ne —n — in der unft wie im Leben, 
man freinich n ide, die geiſtige Signatur, nicht 
das Zufällige ihrer Äußern ng in’s Auge faſſen. Der Bei- 


ſpiele Könnte ich unzählige anführen. Binden wir Don Quixote 
und Sancho Panfa nicht eben fo gut in den Geftalten Don 
Zuan's und Leporello's, wie etwa in der Perfon Lord Bi 


in der Gehalt von fo mandem Shriftfteller und feinem 
fer, welcher Legtere die Narrheiten feines Autors wohl 
aber dennoch, um reellen Vortheil daraus zu ziehen, ihm getreu; 
auf allen feinen ivealen Irrfahrten begleitet. Und ber 
leger Sandho, wenn er aud mandmal nur Püffe be 
Gefgäfte gewinnt, bleibt doch immer fett, während ber ed! 
täglih immer mebr und mehr abmagert. 

Aber nicht bloß unter Männern, fondern auch unter, 
zimmern babe ich öfters die Typen Don Quixote's und 
Scilefnappen wiedergefunden.  Ramentlich erinnere ich mic) einer 














Einleitung. isn —— 


ſchönen Engländerin, einer ſchwärmeriſchen Blondine, die mit ihrer 
Freundin aus einer Londoner Mädchenpenfion entfprungen war und 


die ganze Welt durchiehen wollte, um ein fo edies Männerhenn | | 


zu fuhen, wie fie es in fanften Mondſcheinnächten geträumt hatte, 
Die Freundin, eine unterfegte Brunette, hoffte bei biefer Gelegem | | 
heit, wenn auch nicht etwas ganz apartes Ideale, doch wenigfiens | | 
einen Mann von gutem Ausfeben zu erbeuten. Ich febe fie nad, 
mit ihren liebeſüchtigen blauen Augen, die ſchlanle Geftalt, wie 
fie am Strande von Brigbten, weit Über das futende Meer, 
nad der franzöfifhen Küfte hinüber ſchmachtete .. Ihre Freundin 
Mnadte unterdeffen Hafelnüffe, freute fih des füßen Kerns und 
warf die Schalen in’s Waffer. 

Jedoch weder in den Meifterwerfen anderer Künft 


bier einem entgegengefeßten und —* verwandten Zuge bei dem 
Andern. Hier bat jede Einzelnbeit eine parobiftifhe Bedeutung. 
Ha fogar zwiſchen Nozinanten und Sando's Grauen herrſcht 
derfelbe ironiſche Parallelismus, wie zwiſchen dem Stnappen und 
feinem Ritter, und aud die beiden Thiere find gewiffermafen die 
fymbolifhen Träger derfelben Ideen. Wie in ihrer Denfungsart, 
fo offenbaren Herr und Diener auch in ihrer Sprade die merk 
würbigften Gegenſätze, und bier fann ich nicht umbin, der Schwie- 
zigfeiten zu erwähnen, welde der Ueberfeger zu überwinden hatte, 
der die bausbadene, knorrige, niedrige Spredart des guten 
Sando in's Deutfche übertrug. Durch feine gehadte, nicht felten 
unfaubere Sprichwörtlichleit mahnt ber gute Sanyo ganz an ben 
Narren des Königs Salomon, an Mareuff, der ebenfalls einem 
pathetifhen Idealismus gegenüber das Erfahrungsmiflen des ge= 
meinen Volles in furzen Sprüden vorträgt. Don Quirote 
bingegen redet die Sprache der Bildung, des höheren Standes, 

















uxıv Einleitung. 


und aud in der Grandezza des woblgeründeten Periovenkaues 
reprãſentirt er den vornehmen Hidalgo. Zuweilen iſt dieſer Per 
riodenbau allzuweit ausgeſponnen, und die Sprache des Ritters 
gleicht einer ſtolzen Hofdame in aufgebauſchtem Seidenkleid, mit 


langer rauſchender Schleppe. Aber die Grazien, als Pagen ver⸗ 


lleidet, tragen lächelnd einen Zipfel diefer Schlepper bie langen | | 


Perioden fliehen mit den anmuthigſten Wendungen. 

Den Charakter ver Sprache Don Duirote's und Sando | 
Panfa's refumiren wir in den Worten: der Exftere, wenn er | 
redet, ſcheint immer auf feinem hoben Pferde zu figen, der Andere 
foricht, als füge er auf feinem niedrigen Eſel. y 

Mir blicbe neh übrig, von den Zlluftrationen zu fpreden, 
womit bie Berlagsbandlung dieſe neue Ueberfegung des Don ! 

roterubie, ich, ‚bien. bevorworte, ausgefhmidt hat, Dieſe 
gabe iſt das erfte der ſchonen Literatur Dr Bud, das 
in Deutſchland auf biefe Weife verziert au's Licht tritt. In Enge 
land umd namentlich in Franfreic find dergleichen Illuſtrationen 
an ber Tagesordnung und finden einen faſt enthuſiaſtiſchen Beifall, 
Deutfhe Gewifienhaftigkeit und Gründlichteit wird aber gewiß bie 
Frage aufwerfen: Sind den Intereffen wahrer Kunſt derglei 
Slluftrationen förderlih? Ib glaube nicht. Zwar zeigen fie, wit 
die geiftreich und leicht fhaffende Hand eines Malers die Geftalte 
des Dichters auffaßt und wiedergibt; fie bieten aud für 
etwaige Ermüdung durch die Lecture eine angenehme Unterbrechung; 
aber fie find ein Zeichen mehr, wie die Kunft, berabgezerrt von 
dem Piedeftale ibrer Selbfiftändigfeit, zur Dienerin des Lurus 
entwürdigt wird. Und dann ift bier für ben Künſtler nicht bloß 
die Gelegenheit und Berführung, fondern fogar die Verpflichtung, 





Zweden und Fönnen mit biefen Illuſtrationen nicht vergliden | I 


werden. 














— 
—99 


Einleitung. 


Die Illuſtrationen der vorliegenden Ausgabe find, nach Zeich- 
en von Tony Johannot, von dem erſten Holzſchneidern 

do und. Franfreihs gefhmitten. Sie find, wie es ſchon 
obannots Name verkürgt, eben fo elegant als daraf- 
aufgefaßt und gezeichnet; trog ber Flüchtigleit der Ber 

ſieht man, wie ber Künftler in dem Geift des Dichters 

en iſt. Sehr geiftreih und phantaftifh find die Inis 

und Culs-de⸗Lampe erfunden, und gewiß mit tieffinnig 
‚poetifher Intention hat der Künſiler zu den Verzierungen meiftend 
‚moresfe Deffins gewählt. Sehen wir ja doch bie Erinnerung an 
bie heitere Maurenzeit wie einen fhönen fernen Hintergrund überal! 
din Don Duirste bervorfhimmern. — Tony Johannot, einer 
n ——— und bedeutendſten Rünflier in Paris, ift ein 


fe Sf, wie 3 Don Ouir 


nn. der daraus Sujets zu einer Reihe —— Kunſtwerle 


entnommen hätte, Iſt der Geiſt des Buches etwa zu leicht und 
phantaftifh, als daß nicht unter der Hand des Künſtlers ber 
bunte Farbenftaub entflöpe? Ih glaube nicht, Denn der Don 
Duirote, fo leicht und phantaftifch er iſt, fußt auf berber, 
irdiſcher Wirflichfeit, wie das ja feyn mußte, um ihn zu einem 
Vollobuche zu machen. Iſt es etwa, weil hinter den Geftalten, bie 
uns der Dichter vorführt, tiefere Ideen Liegen, die der bildende 
Künftler nicht wiedergeben fan, fo daß er nur die äußere Err 
ſcheinung, wie failiant fie aud vielleicht feg, nicht aber den tieferen 
Sinn feftbalten und reproduciren Könnte? Das ift wahrſcheinlich 
der Grund, — Verſucht haben ſich übrigens viele Künftler an 
Zeichnungen zum Don Duirote. Was ih von englifchen, 
ſpaniſchen und früheren franzöfifhen Arbeiten diefer Art geſehen 
babe, war abſcheulich. Was deutſche Künſtler betrifft, jo muß ich 
bier an unferen großen Daniel Ehodomwiedi erinnern. Er bat 














uxvi Einleitung. 


eine Reihe Darfiellungen zum Don Duirote gezeichnet, die, von 
Berger in Chodomwiedi’s Sinn rabirt, die Bertuch'ſche Ueber- 
fegung begleiteten, Es find vortrefflihe Sachen darunter. Der 
falſche thentralifh-conventionelle Begriff, den der Künftler, wie 
feine übrigen Zeitgenoffen, vom ſpaniſchen Coftume hatte, bat ibm 
fehr geſchadet. Man ſieht aber überall, dab Ehodowiedi den 
Don Quirote vollfommen verfianden bat. Das bat mid grade 
bei diefem Künſtler gefreut und war mir um feinerwillen wie des 
Cervantes wegen lich, Denn es ift mir immer angenehm, wenn 
zwei meiner Freunde fi lieben, wie 8 mich auch fiets freut, 
wenn zwei meiner Feinde auf einander losſchlagen. Chodowiedi's 
Zeit, als Periode einer ſich erſt Bildenden Literatur, die der Pe 
geifterung noch bedurfte und Satire ablehnen mußte, war dem 
indniß des Don Quixote eben nicht günfiggund da geugt 

—* für Eerwantes, Hop feine Gcfähten bamals dennoch ver. 
fanden wurden und Anflang fanden, wie es für Chodowicdi 
zeugt, vaß er Geftalten wie Don Duirote und Sancho Panfa 
begriff, er, welder mehr ala vielleicht je ein anderer Künftter das | 
Kind feiner Zeit war, in ihr wurzelte, nur ihr angehörte, von | 
ihr getragen, verfianden und anerfannt wurde. 

Bon neueften Darftellungen zum Don Duirote erwähne ih B 
mit Bergnügen einige Slizzen von Decamps, dem originellften — 12 
alfer lebenden franzöfifchen Maler, — Aber nur ein Deutſcher kann | 
ben Don Duirote ganz verfieben, und das fühlte. ich diefer Tage 
in erfreniefter Seele, als id an ben Fenſtern eines Bilderladens | 
auf dem Boulevard Montmartre ein Blatt fahr welches den edein | 
Mandaner in feinem Studierzimmer darftellt und nah Adolf | 
Schröter, einem großen Meifter, gezeichnet iſt ; 

Geidhrieben zu Paris im Carnevat 1897. 








4 


- Heinrich Heine, 
Be 














z [ 


ieber müßiger Le⸗ 
fer! du fannft mir 
aufs Wort glau⸗ 
7 ben, daß ich von 
Herzen wünide, 
dies Buch, das 
Kind meines Ges 
birns, möchte fo 
ſchon, luſtig und 
Hug fein, als man 
ſich nur immer 
denken kann. Aber 
ter kann wider | 
die Natur? Im 

>, £ der ganzen Welt 
zeugt jedes Ding feines Gleichen; was fonnte folglich aus meinem 
unfruchtbaren, verwabrlosten Kopfe Beſſeres fommen, als die | 
Geſchichte eines trodnen, langweiligen, verftiegnen Querkopfes, 
voll feltfamer Einfälle, davon fih mie Jemand etwas träumen | 
ließ, als ein Werk, das feinen Geburtsort, das Gefängniß, nicht 








































—S 1 


2 Errvanteo Vorrede, 


verläugnen fan, wo alle Uebel haufen und der Jammer feine 
Wohnung aufgefhlagen Hat?" Stille, ein behagliches Plägchen, 
lach Felder, heiter Frühlingsbimmel, murmelnde Quellen 
und Seelenfriede füllen freilich den Geift mit mehr Schö—⸗ 
pfungsfraft, machen die uuftuchtbarſie Mufe fruchtbar, und geben 
ihr Kinder, worüber die Welt erfiaunt und die Menſchen in Ent⸗ 
süden gerathen. 

Manchem Vater fnüpft zwar oft Vaterliche die Binde fo feit 
ums Auge, daß er die Kleden und Thorbeiten feines häßlichen 
Jungen nicht nur nicht gewahr wird, fondern ibn feinen Freunden 
als ein Mufter der Schönheit und Grazie vorftellt, und feine 

- Albernbeiten als golbne Sprüche empfiehlt. Hier ift der Fall 
nicht; denn ob du mich gleich für den rechten Vater des Don 
Duirote haliſt, licher Leſer, jo will ich dod nur als fein Stief- 
vater ſprechen, wills nicht machen, wie Andre, will nicht mit 
Thränen im Auge vor dich hintreten und did Sitten, die Fehler 
zu überfeben, welche du an diefem meinem Rinde bemerkt. Du 
biſt fa weder fein Verwandter noch Freund, haft deinen Kopf, 
beine Augen und deinen freien Willen, jo gut als Einer in der 
"Welt, bift Herr in deinem Haufe, fo gut ald ein Fürft in feinem 
Erbe, und fannft, wie das Sprichwort jagt, dem König unter 
deinem Mantel ein Schnippchen ſchlagen, haft alfo Freiheit, Macht 
und Gewalt, von diefem Büchlein zu benfen und zu fagen, was 
dir beliebt. Niemand wird dirs verargen, wenn du es verachteſt, 
noch dir lohnen, wenn du es lobt. 

Beinahe mol id) dir es baar und ungefchmüdt, ohne Bor- 
rede, Sonnette, Epigramme und Lobgedichte, die fonft immer ſchaa- | 
renweiſe vor ben Büchern paradiren, vor Augen legen; denn unter | 
uns gefagt, das Wert foftete mir auch ein wenig Mühe, ai | 
gegen biefe Borrede, die du zw lefen beginnt, war es nur eine | 
Meinigkeit, Oft griff ih zur Meder, oft Tieß ich fie fallen, weil | 
ich nicht wußte, was ich fehreiben ſollte. 






























Cervantes Vorrede, 









In einer fo verzweifelten Lage ſaß ich einmal, das Papier 
vor mir, bie Feber hinterm Dbr, ben Arm auf dem Schreibtiſche 
und den Kopf in ber Hand, und fann darüber nach, was ich nun 
fagen wollte; fiche, da fam von ungefähr einer meiner Freunde, 
ein feiner, muntrer und verftändiger Mann zu mir. Wo fehlte? 













fragt er mich, da er mich fo troftlos fisen jab. Ih fagt ihm 
gerade heraus, daß ih an einer Vorrede zur Gefhichte des Don 
Quixote arbeite, die mir aber dergeftalt zu ſchaffen mache, daß 























4 Cervbanteo Vorrede 


ich fie Keber gar liegen laſſen, und die weltberühmten Thaten des 
edeln Nitters nicht ans Licht bringen wolle, Sollte mid, fubr 
ih 2 der Gedanke an den alten Nichter, an das Urtheil des 
P 18, nicht im Berlegenbeit ſeten? ſoll id mir vorwerfen 
laſſen, daß ih nad fo vielen in Vergeſſenheit durchſchlummerten 
Jahren * wieder mit einer armen, marffofen Legende, ohne Er 
findung, ohne Styl, ohne gute Einfälle, ohne Gelehrſamleit her⸗ 
vortrete; dafı mein Buch weder Nandgloffen noch Endnoten babe, 
wie andre, bie, fo abenteuerlich und fabelhaft fie auch immer 
ſeyn mögen, doch von Sentenzen des Ariftoteles, Plato und 
der ganzen Philoſophenſchaar firogen, alſo, daß bie Lefer erftaunen 
und ben Berfaffer für ein Wunder von Belefenbeit, Gelehrtheit 
und Berebtfamfeit halten? Denn nad ihren Citaten follte man 
darauf jhwören, es wären Iauter beilige Thomas ober andre 
Kirhenpäter, und dabei können fie mit fo vielem Wig und Anftand 
in der einen Zeile einen verliebten Geden mablen, und in ber 
andern wieder eine feine chriſtliche Predigt balten, daß es eine 
rechte Herzensluſt ift, fie zu bören und zu lefen. Alles dies gebt 
meinem Buche ab, Nandgloffen und Endnoten allzumal; ic weiß 
nicht einmal, was für Schriftfteller ich dabei gebraucht hätte, daß 
ich fie in belichter Weife dem Alphabet nach aufzählen, von Ari: 
Hoteles anfangen und mit Kenopbon, Zeuris oder Zoilus 
aufbören fönnte, ungeachtet diefer ein Läfterer und jener ein Mabler | 
war. Eben fo ſehr mangelt meinem Buche die Empfehlung von 
Sonneiten an der Spige, wenigfiens von folden, bie Herzoge, 
Marguefen, Grafen, Erzbifhöffe, Damen und berühmte Dichter | 
au Verfaffern hätten; ungeachtet mir gewiß zwei oder drei meiner 
lieben Amtsbrüber derlei Verſe machen würden, wenn idy fie dar 
bäte, und beffere als die, von welden man jest in unferem | 
Spanien jo viel Weſens macht. 


* Errpantes mar 53 Jahre alt, als der erfte Theil des Di 
rote erſchien. 
































Gervantes Dorrede 


Mit einem Worte, lieber Herr und Freund, fuhr ich fort, 
es iſt befchloffen, Herr Don Duirote mag in den Ardiven ber 
Mancha vergraben liegen, bis der Himmel einen Mi h 
der ihn mit allem dem, was ihm noch mangelt, ausrüi in 
ich bin zu ſchwach und zu ungelebrt, es zu thun. Ueberdies bin 
ich aud von Natur zu feig und verzagt, um mit Mühe Schrift: 
ſteller nachzuſchlagen, bie fagen, was id mir ohne fie zu fagen 
gettaue. Eben dies war Schuld an meinem Mißmuth und der 
Verlegenheit, in ber Ihr mic) fandet. 

i Ums Himmels willen, rief mein Freund, als er dies hörte, 
und ſchlug fih unter lautem Lachen mit der Hand vor die Stirn, 
ums Himmels willen, Bruder, wie iſts möglich, daß ich mich 
bisher über Euch fo betrügen fonnte? So Tange ih Euch nun 
Senne, hielt ich Euch immer für einen Augen und ſchlauen Mann; 
‚aber nun ſehe ich daß Ihr noch weiter davon entfernt ſeyd, als 
der Himmel von ber Erbe. Wie? its moͤglich, daß fo leichte 
Dinge, fo unerbebliche Schwierigkeiten einen fo guten Kopf, ber 
wohl größere überwinden kann, in Verfegenbeit jegen oder gar 
abjehreden follten? Was gilts, nicht Mangel an Fähigfeiten, 
fondern Ueberfluß an Trägbeit und übertriebne Bequemlichteit ift 
Schuld daran, Wollt Ihr begreifen, daß id Recht habe? Hört 
mid nur rubig an, und Ihr follt fehen, wie ich Euch in einem 
Augenblick al! Eure Berge wegblafe und die Schwierigkeiten hebe, 
die Euch, wie Ihr zu jagen beliebt, von der Herausgabe der Ge— 
ſchichte Eures berühmten Don Duirote, des Lichts und Spiegels 
der ganzen fahrenden Ritterſchaft, abſchreden. 

Nun, fo lat bören, fagte ich, ich möchte wohl willen, wie 
Ihr mir aus der Angft beifen, über die Kluft meiner Furt eine 
Brücke fhlagen und das Chaos aufhellen wollt, worin id bes 
fangen bin. 

Wohlan! verfezte er; das Erfte, was Euch für Euer Werk fehlt, 
find Sonnette, Epigramme und Lobreden von großen, berühmten 





















6 Cervantes Vorrede. 


Leuten, Nichts in der Welt ift leihter gehoben als dieſe Schwie- 
vigfeit, wenn Ihr Euch nur die Meine Mühe geben wolt, fie felhft 
au en, und dann fönnt ibr fie taufen und benennen, wie Ihr 
nur wollt, So fönnt Ihr fie dem Vricfter Zobannes von 
Indien *, oder dem Kaifer von Traprzunt zufchreiben; denn beide 
fud als große Poeten befannt, wie ich nicht anders weiß, und 
wären fie es auch nicht gewefen, und einige Pedanten und Privat: 
dorenten wollten Euch nachtläffen und diefe Wahrheiten befnurren, 
was fümmert das Euh? Denn bewiefen fie auch die Lüge, fo 
Finnen fie Euch doch nicht die Hand abbauen, mit der Ihr fie 
geſchrieben Was Randgloſſen und Citate aus andern Schrift: 
ſtellern betrifft, ſd dürft Ihr nur immer zu geleguer Zeit ein 
paar Sentenzen oder lateiniſche Broden einftreuen, die Ihr entweder 
‚fhon auswendig wißt, oder doch mit leichter Mühe fen Könnt. 
So paßt z. B. auf die Materie von Freiheit und, Sklaverei: 

Non bene pro toto libertas venditur auro; 
am Rande citirt ihr dann dem Horaz, oder wer es fonft gejagt 
hat. Sprecht Ihr von der Gewalt des Todes, glei rüdet 
beraus mit 

Pallida mors aequo palsat pede 

Pauperum tabernas, regumgue turres. 

Handelt Jbr von Freundſchaft und Liebe gegen Feinde, die 
Gott befieblt, fo it Gottes Befehl in der heiligen Schrift zur Hand: 
Ego autem dico vobis, diligite inimicos vestras; 
imgleichen, was böfe Gedanfen betrifft, der Ausſpruch des Evangelii: 
De corde cxcuns cogitationes malne; 
ſchoͤnes 


J 

* Ginem adeige der Zabel. Im Mittelalter glaubte man, das im mörbligen 

en eg ee — 
zugleid, ein großes Reit Ieperrige. Die Acdeuateit der päpklihen Re. 

Higien mit der des Dalal fama gab Infas zu Birler Sage. J 

















Cervantes Worrede. 


Wenn Ihr Euch in dergleichen lateiniſche Flitter hüllt, werbet 
Ihr alsbald für einen Gelehrten paſſiren; und dies zw fepn, iſt 
beutzutag’ in nicht geringem Grade ehrenvoll und von F 
Was die Noten zu Ende Eures Buches betrifft, fo könnt es 
ſicher folgendermaßen damit bhalten. Gedenlet Ihr z. B. eines 
Nieſen in Eurer Geſchichte, ſo macht ihn zum Rieſen Goliath, 
und durch dieſen einzigen Kunſigriff, der Euch faſt nichts Foftet, 
babt Ihr auf einmal eine große Note, und fönnt feßen: ber 
Niefe Golias oder Goliath war ein Phififter, den der Hirte 
David mit einem gewaltigen Steinwurf im Thale Terebinto 
töbtete; wie folhes denn im Bude der Könige, in und bem 
Kapitel des Weiteren nachzuleſen. Um Euch aber auch ald einen 
gelehrten Humaniften und Cosmograpben zu zeigen, fo ermäbnet 
unter anderm in Eurer Geſchichte des Fluſſes Tage, und da habt ghr 
wieder folgende ſchoͤne Note: der Fluß Tago hat feinen Namen von 


i j einem alten fi ‚Könige; an dem und dem Orte empfängt er 





fein Dafeyn und ſtirbt in dem Meere Dean, nachdem er zuvor bie 
Mauern des berühmten Lisbon gefüßtz auch fagt man, er führe 
Goldfand in feinem Schooße. IR bie Rede von Näubern, fo will 
ich Euch die Gefhichte von Cacus erzähfen, denn ich kann fie 
auswendig; von Bublerinnen? da habt Ihr den Bifhoff von Mone 
donedo!, der Euch fogleih eine Lamia, Lais und Flora zu 
einer Note liefert, die Euch Ehre machen wird; von Graufamen? 
Dvid borgt Euch feine Medea; von Heren und Zauberinnen? 
Homer bat eine Calypſo, Virgil eine Circe; von tapfern 
Feldberren? Julius Cäfar ftellt in feinen Commentarien ſich 
ſelbſt als Beifpiel dar, und Plutard gibt eine hübſche Anzahl 
von Alerandern zum Beten. Handelt Ihr von Liebe, und 
babt nur ein paar Mefferfpigen voll Tofeanifh im Kopfe, fo 
ſteht Euch Leo der Jude zu Dienften, wo Ihr volle Genüge 


! Don Antonio de Gneverra beſchrieb in einem feiner Briefe bie 
denfwürbige Geſchichte der drei berüchtigften Buhlerinnen. 























8 Cervantes Vorrede. 


finden werdet *; ‚oder wolftet Ihr feinen Ausländer dazu, jo babt 
Hr ja zu Haufe den Fonfeca, von der Liebe Gottes, wo Alles 
ſteht, was Ihr oder fonft ein guter Kopf über biefe Materie 
fagen kann. Dit einem Worte, Ihr braucht weiter nichts, als 
nur biefe Namen und Geſchichten in Eurem Werke zu berühren; 
die Noten und Nandgloffen überlaßt mir; und ich ftehe dafür, id) 
will Euch alle Ränder vollſchmieren, und vielleicht noch einen vier 
Bogen langen Schwanz an Euer Bud; anhängen. Kommen wir 
nun auf das Verzeichniß der eitirten Schriftteller, das andre 
Bücher baben, Euch aber noch fehlt! Nichts ift Leichter, als dies 
zu ſchaffen; denn Ihr dürft Euch nur ein Buch * mit einem 
dergleichen reiht vollftändigen Verzeichniſſe von A bis 3 ſuchen, 
und dies ganze ABE in Euer Buch übertragen, fo babt Ihr, 
was Ihr wollt. Geſetzt auch, man entdedte den Betrug, weil 
Ihr es nicht mötbig Battet, was thus? Vielleicht gibt es doch 
einen Pinfel, der dumm genug ft, zu glauben, Ihr habet alle 
biefe beberühmten Schriftfieller für Eure fo einfache Geſchichte 
benäßt. Und wenn auch dies weitläufige Schriftfteller + Verzeihniß 
zu fonft nichts nützt, fo gibts doch dem Buche wenigſtens auf 
ben erften Blick ein chrwürbiges Anfehen. Und die Mübe wird 
ſich gewiß Niemand geben, zu unterſuchen, ob Ihr jene Bücher 
aud wirklich benüät babtz denn Nieinanden wird diefe Mühe bes 
lohnt werben. Weberdies hat Euer Werk, im rechten Lichte betrachtet, 
nicht das Mindefte von allem dem vonnötben, was Ihr glaubt, 
baß ihm noch abgehe; denn das Ganze ift Satyre auf die Ritter. R 
bücher, davon weder Ariftoteles, noch Sanct Bafilius, no 

Cicero je etwas geräumt, gejagt oder gepredigt bat. Wed 


* Ein portugieſiſcher Jude, der fh im Venedig als Arzt miederlieh u 
in itatienifihse Sprache ein Bud unter dem Titel dinloghi dinmore (Gefprä 
über die Liebe) ſchrieb. 

* Dies ift ein Stich auf den berühmten Zeitgenoffen unſers 
Loper de Vega, der hinter einem feiner Werke, el peregrino betitelt, ei 
Serzeihniß von 150 eitirten Schriftiellern abbruden lies. 




















Cervantes Vorrede, 9 


biftorifche Wahrheit, noch Aſtrologie, nod Geometrie, noch Rhe— 
torif bat Etwas mit Euern Abenteuern zu tbunz auch ſind's feine 
Predigten, wo man Göttliches mit Menſchlichem vermengt, und 
wofür jeder Fromme Chriſt billig ſich hüten fol. Hier fommis blos 
auf Nachahmung der Natur an, und je vollfommner biefe iſt, deſto 
vortrefflicher ift das Werk. Da nun Euer Buch feinen andern 
Zweck bat, als den Nitterbüchern ihr Anfeben in der Welt und 
unter dem Volke zu nehmen, fo habt Ihr nicht nötbig, Sentenzen 
bei Philoſophen, Sprüche bei der heiligen Schrift, Fabeln bei 
Pocten, Reden bei Nebnern und Wunder bei Heiligen zu entlebnen. 
Genug, wenn Eure Erzählungen deutlich, Eure U paſſend 
und Fräftig, Eure Wendungen und Perioden ſchön und wohlklingend 
find. BVerftekt nie Eure Gedanken abſichtlich in Dumkelbeit: immer 
muß man verfteben, was Ihr fagen wollt, Der Schwermüthige 
lädhle bei Eurer Geſchichte un 
made fie feine Langeweile; der 
findung; der Ernſthafte fchäge 
Lobes werth. Habt immer 

verdorbnen Gefchmad für bie Nitterbücher anszurotten, die von 
Manchen verachtet, von noch weit Mehreren aber gelobt werben, 
und erreicht Ihr nur diefen, fo habt Ihr genug gethan. 

In tiefem Schweigen hörte id meinem Freunde zu. Seine 
Gründe fihienen mir aud jo einleuchtend, daß ih, ohne einen 
fernern Gpdanfen von Zweifel, fie billige und annahm, und auf 
der Stelle befchloß, diefe Vorrede daraus zu machen. 

Du fiehft bieraus, mein befter Leſer, wie glücklich ih war, 
einen fo Hugen Freund und treuen Natbgeber bei meiner Nothdurft 
zu finden, und wie glücklich auch Du bift, rein, lauter und ums 
verfälſcht bie Gefhichte des weltberühmten Don Duirote von 
der Mancha zu erhalten, von bem alle Bewohner des Feldes 
Montiel glauben, er fey der keuſcheſte Liebhaber und tapferfte Nitter 
gewejen, ben man feit vielen Jahren innerhalb ihrer Gränzen 








Don Buisetch 07 











Cervantes Borrede, 


gefehen babe. Ich will's eben nicht rühmen, was ih Dir für einen 
Dienft Teifte, daf ih Dir die Belauntſchaft eines fo merlwürdigen 
und ebrfamen Ritters verſchaffe; aber das folltet Du mir doch 
danfen, daß ih Dir feinen Shildfnappen, den rubmiwürbigen 


Sande Panfa, näher bringe; in befien Perfon ih meines Bes 
bünfens alle Grazie der Schildtnappenſchaft, die in ben lügenbaften 
Nitterbüchern nur zerfireut ſich findet, zufammengefaßt habe. Und 
biemit Gott befohlen, ber auch meiner gedenken möge. Lebe wohl! 























Der finnreiche Take 
Don Quirote von der Manche. 


Erftes Buch. 
Erftes Rapitel. 
Stand und‘ Lebensart des berühmten Sunkers 
R es ſhichte wohnte 
> vor nicht gar langer Zeit in einem 
‚Dorfe der Mana, auf deffen 


— 


(©; Namen ich mich nicht beſinnen mag, 
Sy einen Spieß und eine alte Tartſche 

im Waffenfihrant haben, einen 

dürren Klepper im Stall und ein 

® ) Wintfpiet im Hofe. Mittags ein 
a, Fleiſchluchen, worin mehr Mehl als 
leiſch, Abends gewöhnlich kalte 
Küche, Sonnabends arme’ Nitter, 

Freitags Linfen, und Sonntags zur 

© Zugabe no eine Taube, verzehr ⸗ 

ten drei Biertheile feines Ein- 

> kommend. Der Net ging auf 

für ein Wamms von feinem Tuche, 

N „Arme Nitter® bedeutet im Sachſiſchen daſſelbe, was man in Schwaben unter „ Wierhaber * 


verflebt; oder auch In Milch geweichte unt mir Gieen geröflete Senmelichnitten. 
Der Heransgeber. 


| 




















12 Don Quirote. 


für Fefttagshofen und Pantoffeln von Sammt, und für einen Alltagsrod 
von bübfhen Mitteltuche. Er batte bei fi eine Haushälterin von 


mehr als vierzig, eine Nichte von mod micht zwanzig Jahren, und 
einen Burſchen, der den Stepper fattelte und Holz fpaltete. 

Die Lebensjahre unfers Junfers ftreiften hart am die fünfzig; er 
hatte eine gute Natur, einen hagerm Leib, ein ausgemergeltes Geſicht, 
war ein großer Frübauffteher, und Liebhaber der Jagd. Verſchiedne 
wollen ihm ven Zunamen Onirada over Queſada geben, und die 
Schriſiſteller, welche feiner gebenfen, find wicht ganz darüber einig; 
dem wahrſcheinlichſten Vermutben nah hieß er Quix ana. Doch wie 
wenig tut dies zu uuſter Gefhichte! Genug, wenn fie fih nur ſonſt 
in feinem Stüde von der Wahrheit entfernt, n 














T. Kapitel, 13 


Zur Hauptfahe! So oft gedachter Junker nichts zu thun Hatte, 
was den größten Theil des Jahres über der Fall war, befhäftigte er 
fih damit, Nitterbücer zu leſen, und zwar mit ſolchem Eifer und Ber 
bagen, daß er darüber die Jagd vergaß und ſelbſt bie Verwaltung 
feines Vermögens. Geine Liebhaberei hiefür ging fo weit, daß er 
manchen fehönen Ader daran rüdte, um Nitterbücher zu faufen. Er 


brachte auch, fo viel er deren nur auftreiben 
zuſammen. 

Am beſten von allen geſielen ihm bie Werle des berühmten Fe⸗ 
lielano de Sylsa. Der Glanz feiner Profa und deren verwidelte 
Spigfündigfeiten dienen ihm fauter Perlen; am höchften ftieg fein 
Entzüden, wenn er an zärtfihe lagen, Seufzer ober Ausforberungen 
folgenden Schnittes Fam: „Dero fürkrefflihe Seelenreige find fo ohn' 
allen Grund, daß id nit ohne guten Grund darob ein Narr geworben ;” 
ober: „der hohe Himmel, welder Euch mit den Sternen Eurer Gottheit 
göttlich zieret und Euch zur Verdienerin der Verbienfte macht, die 
Eure Hobeit verbient.” 

Ueber folder geiftreihen Speife zehrte ſich das Hirnmark unfers 
Nitters auf. Er zermarterte fih, einen Sinn aus diefem Wirrwarr her» 
augzuwirren, worüber ſelbſt Ariftoteles vergeblich gegrübelt hätte, wäre 
er auch ausdrüdlich deßhalb auferftanden. Am wenigften Fam er über die 
Wunden ins Klare, welde Dom Belianis austheilte und empfieng; 
„denn fo grofe Meifter der Kunft auch immer die Wundärzte, bie 
fie Heiften, feyn mochten,” ſprach er, „fo mufte ihm endlich doch fein 
Leib und Gefiht zu einer einzigen Narbe werben.“ Indeſſen Tobte 




















14 Don Buirote. 


er es fehr an biefem Schriftſteller, daß er fein Buch mit dem Ber: 
ſprechen beflsf, ein unmögliches Abenteuer nadhzuliefern. Oft wollte 
er ſchon zur Feder greifen, und wen Faden, welchen jener Autor ein« 
gefäbelt, ungerbroffen zu Ende fpinnen. Er würde e6 auch unftreitig 
getban haben, wenn ihn wicht andre wichtigere Gedanken daran gehindert 
hätten, Zuweilen gerieth er ntit dem Pfarrer feines Dorfes — einem 


ea u — — 

gelehrten und zu Siquenza ! graduirten Manne — in Streit, ob 
Palmerin von England oder Amadis von Gallien ein befirer Ritter 
gewefen fei? Aber Meifter Niklas, der Dorfbarbier, entfchied meiftens 
mit dem Ausſpruche, daß feiner von beiden dem Sonnenritter das Waffer 
reihe; und Füm’ ihm je noch Einer bei, fo fei es Don Galaor, bes 
Amadis von Gallien Bruder, weil er fih in Alles beffer fügte, fein 
ſolcher Löfhpapierner Ritter und Jammermann wie fein Bruder wäre, 
auch biefen, was bie Tapferfeit anbelange, im Sack wegtrüge. 

GEla Siib auf die Heinen Umtverfürätchen, melde jeten Thoren um cin @tüd Gelb gratulsen, 


Signenza fane in temfelben Rufe, wie fräter in Druticlam Grlangen; Epölter fagter, 
E werben bort Dorterhüte an Gel um 2 Dublanen verkauft 

















1. Kapitel 15 
Kurz, der gute Junker verſant fo tief in feine Lectüre, daß er 
Nächte und ‚Tage Tang, vom Abend bis an den Morgen, und vom 
Morgen dis an den’Abend, damit zuhrachte, und ſich endlich durch 
viefes Lefen und wenigen Schlaf das Gehirn bergeftalt ausirodnete, 
daf er ben Verſtand verfor. Er füllte fih den Kopf mit dem Zeuge 
an, das er in feinen Büchern fand, als da find Bezauberungen, 
Fehden , Schlachten, Herausforderungen, Wunden, Zartlichteiten, Lie- 
bespändel, Dualen und andre Tollheiten mehr; und fo tief arbeitete 
er fih hinein, baf ihm endlich dieſer Wuſt von Hirngefpinfen als 
bie zuerfäßigfle Geſchichte von der Welt galt, Eid Nui Diaz", 
meinte er, ſey ein ganz Nitter, aber bei weiten fonme er dem 
Nitter vom brennenden Schwerte nicht glei, "ver auf einen Hieb 
zwei ftolze, unmäßig große Niefen mitten entzwei gebanen babe. 








Noch beffer and bei ifm Bernardo bel Carpio, weil er bei 
Nonceyal ben bezauberten Roland erfhlagen und dabei den Kunft- 
griff des Herfules angewandt, ber einft Antäus, den Sohn der Erde, 
in feinen Armen erbrüdt hatte, Biel Gutes wußte er vom Rieſen 
Morgante zu fagen, weil er, obwohl ein Spröfling jener übermäthigen 

Der Noman vom dem berühmten Eid beit: Los fnmoroe y oroicos hechos del invicible y 


ein Onvallbro, Onrd y Nor de Ins Kopannas, el Chi Hay Diaz de Bivar con los de otros 
ülusiren, por Diege Ximensa Ayllon in dio 1068. Vertuc. 














16 e Don Buizote. 


Niefenbrut, doch flets freundlich und manierlich geweſen fey. Ueber 
Alle aber ging ihm Reynald von Montalban, fonderlih wenn er 
ihn im Geifte aus feiner Burg ausfallen, und Alles plündern ſah, 
was ihm aufftieß, oder wie er von drüben ! über das Meer herüber 
Mahoms Bild Holte, das laut der Geſchichte von lauterem Gold 
gewefen. Um ben Verräter Ganelon * nur einmal nach Herzensluſt 
mit Küfen treten zu fönnen, bätte er gern feine Haushälterin herge- 
geben und noch dazu die Nichte in den Kauf. 

Endlich, als fein Verftand völlig auf die Neige ging, gerieth 
er auf den feltfamften Einfall, den je ein Narr in der Welt gehabt. 
Es ſchien ihm nämlich angemeffen und nöthig, ſowohl zur Berherr- 
lichung feines eignen Namens, als auch zu Nut and Frommen des 
‚gemeinen Wefens, daß er ſelbſt ein fahrender Ritter werde, und in 
der ganzen Melt Kerumziche mit Wehr und Nofi, um Abenteuer zu 
fuchen, und allem dem nadzufommen, was, wie er gelefen, fahrende 
Nitter zu thun pflegten, allem Unrecht zu ſteuern and fich in Faͤhrlich⸗ 
keiten zw flärgen, durch deren Ueberwindung er ewigen Ruhm und 
Glorie ſich erwerben werbe. Schon ſah der arme Mann als Preis 
für die Zapferfeit feines Arms zum wenigften bie Staiferfrone von 
Zrapezunt auf feinem Haupte, und berauſcht von dem Glücke, deſſen 
Gunft er im Boraus genoß, eilte er, fo fehr er lonnte, fein Vorhaben 
ind Werk zu richten, 

Sein erftes Gefhäft war, einige Waffen zw putzen, bie feinen 
Urafhen gehört und feit undenklicher Zeit, vom Roſt zerfreffen und 
ſtaubbededt, in einem Winfel gelegen hatten. Er füuberte fie, fo ‚gut 
er fonnte, entbedte aber einen fehr wefentlihen Danger; denn ftatt 
eines vollfländigen Turnierhelms fand er blos eine Pickelhaube. Aber 
aus biefer Verlegenheit half ihm gar bald fein erfinderiſcher Geift: er 
machte ſich ein neues Untertheif son Pappe, welches an bie Sr J 
haube befeftigt, ihr fo ziemlich das Auſehen eines vollſtändigen Helmes 
gab, Die Probe, ob fie aud dauerhaft fey und einen derben Sn 
aushalten fönne, wurde ſogleich gemadt, Er zog den Da un fü * 


hriftliche Oeer in den Thalern von —— den Sarayenen In die Hände 

















1. Kapitel 


zwei ftarfe Hiebe darauf; allein ſchon bei dem erften fag das mähfame 
Werk einer ganzen Woche in Trümmern, Verdrießlich darüber, daß 


dies fo Teicht gelungen fey, gieng er von Neuem ans Werk, und bradte, 
um fih vor einer ähnfihen Gefahr zu fihern, am innern Theile des 
Helms einige Eifenftäbe an, die ihm fo ftark fchienen, daß er ohne 
weitere Probe am der Vortrefflichfeit des Ganzen feinen Augenblick mehr 
zweifelte. 

Sein nachſter Gedanke war nun der Klepper, und ob dieſer gleich 
mehr Mängel hatte, ald Haare im Schweif, und mehr Gebrechen als 
das Pferd Gonelas, das blos aus Haut und Knochen beftand, fo würde 
er ihn doch nicht gegen den Bucephalus Aleranders oder gegen beu 
Babieca des Eid verkauft haben. Bier Tage lang gieng er mit ſich 





Der Duirsteh 3 





















2 + Don Buixote. 


winbe, wäre es ba nicht fein, eine Dame zu haben, wor bie ich ihn 
weifer und beſcheiden konnte ? und daf er dann zu meiner füßen Gebie- 
terin bineinträte, fich ihr zu Rüßen würfe und mit demüthiger und halb⸗ 
gebrochner Stimme fagte: O Herrin! ich bin ber Rieſe Caracnliambro, 








Herrſcher der Infel Malindrania, welchen in einem Zweifampfe der nie genug 
nach Würden zu lobende Nitter Don Duirote von der Manda 






















I. Kapitel . 


Junker ein, daß der mannhafte Amadis fich nicht fhlehtweg Amadis, 
fondern Amadis von Gallien genennt habe, um fein Neih und 
Baterland durch feinen Namen berühmt zu machen. Als ein wadrer 
Nitter wollte er deumach zu feinem Namen ben feiner Heimath fügen, 
und nannte fih Don Duirote von der Maucha, ein Zuname, 
womit er fein Geſchlecht in volles Licht zu ſtellen und fein Land zu 
verberrlichen glaubte, 

Nun, da feine Waffen gepupt, die Pidelhaube in einen Helm 
verwandelt, er und fein Klepper glücklich umgetauft waren, ſchien ihm 
nichts mehr zu fehlen, als eine Dame, in die er ſich verlieben fönnte; 
maffen ein fahrender Nitter ohne Liebe ein Daum ohne Blätter und 
Frucht, ja ein Körper ohne Seele fei. „Denn,“ fprad er, „wenn 


mir zur Strafe meiner Sünden ober gar zur guten Stunde elwa unter 
wegs ein Niefe in ben Wurf kommt, wie denn ſolches fahrenden Nittern 
zu geſchehen pflegt, — und ih ihm nun auf einen Nitt zu Boden 
ſtrecke, oder durch umd durch fteche, mit einem Wort, ihm über 














Don E&uirote. 


winde, wäre ed da nicht fein, eine Dame zu haben, vor vie ich ihn 
weifen und beſcheiden fönnte ? und daß er dann zu meiner ſüßen Gebie- 
terin bineinträte, ſich ihr zu Rüßen würfe und mit demüthiger und halb⸗ 
gebrochner Stimme fagter O Herrin! ih bin der Riefe@araculiambro, 


Herrſcher der Infel Malindrania, welchen in einem Zweifampfederniegemug 
na Würden zu lobende Nitter Don Ouirote vom der Mana 

















I Kapitel, | 
überwand, als welder mir auch befoblen, mid allhier wor Euer 
Gnaden geborfamlich zu ftellen, damit Eure Hoheit nad Dero Belichung 
und Gefallen über mich gebiete. 

D wie freuete fich nicht unfer wackrer Ritter, ald er dieſe Stand» 
rede zur Welt gebracht batte, und noch mehr, ale ihm einfiel, wen 
er fih zur Liebſchaft erwählen fönne! Es war, wie man glaubt, ein 
hübſches Bauermãdchen in einem benachbarten Dorfe, in die er früher 
verliebt gewefen, obgleich fie der Sage nad) weder davon gewußt, noch 
fih darum befümmert hatte. Sie hieß Aldonza Lorenzo, und 
ſchien ihm volllommen geeignet, bie Dame feines Herzens zu werben. 
Er fuchte ihr einen Namen, der dem feinigen einigermaßen entfpräche, 
und babei halbwegs auf eine Prinzeffin und grofe Herrin rathen ließe. 
Eudlich fand er ihn, und nannte fie Dulcinea von Tobofo, weil 
fie von Tobofo gebürtig war: ein Name, ber, in feinen Obren mufitalifch, 
fremd und bebeutfam Hang, wie bie andern, die er fi und feinem .\ 
Roffe gegeben. — 














24 Don Quixote. 


Abenteurer Hin, und begann folgendes Selöftgefpräch: Erſcheint dereinft 
in fommenden Zeiten die wahre Gefchichte meiner berühmten Thaten 
vor den Augen der Welt, fo wird unftreitig der Weife, ver fie 
ſchreibt, wenn er an die Erzähfung meines erften fo frühen Anszuges 
tommt, folgendergeftalt anheben: Kaum hatte ver rubinrothe Apollo 
die geldnen Locken feines ſchönen Haupthaares über das weite Ange» 
ſicht der weiten, fanggeftredten Erde verbreitet; kaum hatten bie Heinen 
bunten Bögelein mit ihren Harfenzungen und ihrer fügen ſchmelzenden 
Harmonie die Ankunft der rofigen Aurora gegräßt, welche das weiche 
Bett ihres eiferfüchtigen Gemals verlief, und fih in den Thüren 
und enftern des Horizonte der Manche den Sterbliden zeigte: als 
der berühmte Nitter Don Duirote von der Mancha bie ſchnöden 
Federn verlieh, fein berühmtes Pferd Rozinante beftieg, und anfieng 
über das afte Feld Montiel zu ziehen, « — Er zog auch in der That 
‚eben über diefes Feld. — Glũckliche Jeit,“ fuhr er fort, „gefegnetes 

Jahrhundert, in weichen die Welt meine berühmten Thaten, werth in 
Erz gegoffen, in Marmer gehanen, in Gemählsen der Nachwelt auf- 
geſtellt zu werden, lennen fernen wird. — O Di, wer Du auch feyeft, 
weifer Zauberer, tem die Ehre aufbepalten ift, Aufzeichner dieſer feltnen 
Geſchichte zu werden, ich bitte Dich, vergiß meinen guten Rozinante, 
den ewig freuen Gefährten aller meiner Abenteuer nicht." — Dann, 
auf ein andres Kapitel übergehend, rief er, ald wär’ er wirflich ver- 
liebt: „D Prinzeffin Daleinea, Gebieterin diefes gefangnen Herzens, 
wie fo gar ſchwere Trübfal habt Ihr mir auferlegt, daß Ihr mid 
verbannt und mir ed graufamlich verweigert, vor Eurer Schönheit zu 
erſcheinen. Möchte es Euch bach gefallen, o Herrin, einmal in Gnaden 
zu gedenten biefes Euch Teibeignen Herzens, welches Enrenthalb aus 
Liebe fo große Pein erduldet.“ 

Mit dieſem und ähnlichem Unſinn, ganz nah dem Schnitt und 


uoch welches gehabt hätte. Er reiste faſt den ganzen Tag, 

etwas vorfiel, mas verbiente, hier erzählt zu werden. Faſt = 
er darüber, denn er bürftete darnach, Jemanden zır finden, an dem er 
die Stärfe feines Arms erproben könnte. 


— 
= 








* 





IL Kapitel, 


Einige Schriftfteller berichten, das erfie Abenteuer, welches unfer , 
Nitter beſtand, fey das am Paffe Lapice gewefen; andre dagegen 
weifen dem mit den Windmühlen bie vorderſte Stelle an, Alle, 4 
worüber ich mir habe Gewißheit verfhaffen tönen, und was ich in | 
den Annalen. der Manda aufgezeichnet: fand, iſt, daf er dieſen 
ganzen Tag fortreiste, und daß beim Einbruche der Nacht der Nitter 
wie fein Klepper vor Hunger und Mübigfeit halb todt war, Er fah 
ſich allenthalben um, irgendwo ein Schloß oder eine Schäferfütte zu 
entdeclen er feine Zuflucht nehmen und feiner dringenden Noth 
abwarten fönne. Endlich gewahrte er nicht fern vom Wege, den er 
zog, eine Schenke, für feine Augen ein Stern, der ihm, wenn nicht 
zum Burgthor, fo doch zum Pförthen der Erföfung winfte. Er 


als der Tag rM L . 

Bon ungefähr landen 4 ber Shin ein a. paar Dirnen Ei, der 
Zahl der bar 
nach Sevilla gegen, und Willens waren, mit diefen in ber Schenke 
zu übernachten. Da nun im unſers Abenteurers Kopfe Alles, was er 
ſah und hörte, dichtete und dachte, die Farbe feiner Ritterbücher an⸗ » 
nahm, fo erſchien ihm auch die Schenfe gleich auf den erſten Blick als 
ein Schloß mit vier Thürmen und“ filberfirahfenden Zinnen, fanmt 
einer Zugbrüde nebft tiefen Gräben und aller der Zubehör, womit 
dergleichen Kaſtelle gewöhnlich ausgeftattet find. Er ritt auf bie 
Schenke, oder wie er meinte, auf das Kaſtell zu; wenige Schritte 
davor zog er bie Zügel feines Rozinaute an, hoffend, es werde 
zwiſchen den Zinnen ein Zwerg erfcheinen und mit der Trompete das 








Don Buirote. 


Zweites Rapitel. 
he Barth der fderffnlaen Juntert Don Duirote, 


les war vorbereitet, er wollte daher die 
—— Mans feinen Augenblick 


net fo viel — auf ihn warte, die 


er abzuſtellen, ſo manches Unrecht, das er 

gerade zu machen, Mißbräuche, demen er 

zu fteuern, Frevel, die er zu rächen Habe. 
Ohne demnach Jemanden ein Wort davon zu fagen, und ohne fih von 
Jemanden erblicken zu laſſen, legte er eines Morgens vor Tage — es 
war einer der heifieften im Henmsnat — feine ganze Nüftung am, fepte 
feinen zufammengeflieften Helm auf, ergriff Tartfche und Lanze, beftieg 
feinen Rozinamte und ritt durch die Hinterthüre bes Hofes auf dag freie 
Feld, äuferft vergnügt, daß fein wichtiges Vorhaben einen fo leichten 
Anfang nahm. Kaum war er hinaus, als ihn ein fo ſchreclicher 
Gedanfe überfiel, daß er nahezu ben ganzen Ausritt und das ange 
fangne Werk aufgegeben Hätis, Es fiel ihm nämlich ein, daß er noch 
richt zum Nitter geſchlagen ſey, und es folglich nah den Geſehen 
der Ritterſchaft mit feinem andern Ritter aufnehmen fönne und dürfe; 
und gefegt, er wäre ein Ritter, fo dürfe er bios einen bianfen 
Schild ohne Sinnbild führen, bis er ſich ſolches durch tapfre Thaten 
erworben hätte, 




















U. Kapitel, 


Dies machte ihn eine Zeitfang in feinem Vorfage wanfend; alfein 
feine Narrheit war ftärfer als alle Gründe, und er beſchloß, fih von 
dem Erften dem Beften, ber ihm unterwegs aufftieße, zum Ritter ſchlagen 
zu Taffen, wie es viele Andre aud getan, den Ritterbüchern zufolge, 
welche ihn in diefen Zuftand verfeßt hatten. Was den Punkt wegen 
des blanken Schildes betraf, fo gedachte er felbigen zu gelegner Zeit 
fon fo Hell zu pugen, daß er weißer als ein Hermelin ausfehen follte. 

Nun war er wieder ruhig, und fegte feinen Weg fort, den jedoch 
das Pferd wählte; denn dies, glaubte er, fey das wahre grofie 
Geheimnig, Abentener zu finden, Dort zog nun unfer angehendır 

















Don Guixote. 


wohl wußten, weit non ihrem Gewerbe entfernt war, fo brachen fie in 
ein Gelächter aus, und zwar fo unbändig, daß er ihnen zurief: „Sitte 
famfeit ſtehet ten Schoͤnen wohl an und über Kleinigkeiten zu lachen, 

iſt grofie Therheitz wiewohl ih dies nicht fage, um Euch wehe zu 
tun, ober End) übler Laune zu machen. Nein, mein Wille ift vielmehr, 
Euch auf jede Weife zu dienen.“ 

Diefl für Schenten-Prinzeſſinnen unverſtändliche Sprache und. 
der noch feltfamere Aufzug unſers Ritters vermehrte bei jenen das Ge- 
lächter und bei diefem den Zorn fo gewaltig, daß er ſich ganz gewiß 
an ihnen vergriffen haben würde, wäre nicht in eben dem Augenblicke 
der Wirth, ein bieder, bolglich friedliebender Mann, dazu gekommen. 

Dieſer nun konnte ſich bei dem Anblick einer fo mißgefhaffnen, 
mit Silo, Epeer, Harnifh und Zaum werpahgerten Bigur, faf 
sben fo wenig ded Ladens enthalten als die beiden Dirnen. Im 
Grunde aber fürchtete er fih doch etwas vor einer fo auggerüfteten 
Mafchine, und dader feinen Gaſt ein wenig höflich angureden. 
Herr Ritter," er, u! es Euch belicht, Hier Quartier zu 
fusen, fo werbet Ihr, die ausgenommen — denn in meinem 
Haufe find feine — fonft am Allem Ueberflafi bei mir finden.“ As 
Don Duirote ſich fo unterthänig von dem Schlofpauptmann, wo 
für er den Wirth hielt, empfangen fah, antwortete er ihm: „Fuͤr 
mich, Herr Caſtellan, iſt alles gut genug; ich · nehme vorlich; denn 
meine Pracht find Waffen, und Fämpfen meine Ruf’ t, m. few“ | 
Der Wirth, welder nicht wußte, warum ber Nitter ihn Caftella 
mente, glaubte, er Halte ihn für einen fogenannten ehrwürb 
Eaftilianer ?, ohnerachtet er ein Audaluſier war and der Gegend von 
San Lucar, fo lange Finger hatte als Cacus und Fein geringerer \ 
Schalt war, als ein Student oder Evelfnabe. Er verfepte all 
nach werben wohl harte Steine) Euer Gnaden Bett, fletes 
Schlaf” feyn? und wenn dieß iſt, fo bürfet Ihr nur abfleige 
Nitter, ich gebe Euch die Verfiherung, daß Ihr in meinem 
Gelegenheit finden follet, ein ganzes Jahr nicht zu ſchlafen, 


Sue aan: belle enant 
jemotl ein Gafellan ala aud ein Gafllianer; un Sane de Cı 


im —— ein me Spızbube, ön 
* Gbenfalle Anfang eins Tieren. 
8 “ se nn 


























D. Kapitel, 29 


denn eine Nacht.” So ſprechend hielt er dem Nitter die Steigbügel, ber 
fih dann mit Mühe und Schwierigkeit vom Pferde berabwälzte, als 
Einer, der am Abend noch nicht gefräßftückt Hatte. Er befahl hierauf 
den Wirte fein Pferd auf's Leben an, weil es das befte Thier ſey, das 
je Heu gefreffen., Der Wirth ſchaute es darauf an, fand es aber nicht halb 
fo preiswärbig, als Don Duirote fagte, und führte es in den Stall. 

Hierauf fam er zuräd, um zu hören, was etwa ſein Gaft zu 
befehlen Hätte, fand aber bereits bie beiden Nympben, mit denen er 




















30 Don Buixote. ur 
ib (hen wicder ansgefögnt Kate, ihn zu entmaffnen befätigt. Den 


Vorder ⸗ und Hinterfürafi Hatten fie ihm wohl loegeſchnallt, 
viele Mühe fie ſich auch gaben, fo fonnten fie doch weder di 
derge öffnen, noch den geflichten Helm abnefmen; denn — 
ihe mit einigen grünen Schnüren zufammengefmüpft, die fie 5 
zerſchneiden müffen, weil bie Kaoten unauflöelich waren, was 
ber Nitter auf feine Weife zugeben wollte. 

Er behielt alfo die ganze Nacht hindurch feinen Helm auf dem Kopf 4 
und machte darin bie ſchoͤnſte und ſeltſamſte Figur, die man ſic nur | 
denlen kaun. Unter dem Entwaffnen fagte er zu ben beiben Dirnen, 
die er noch immer für Fräufein und vornehme Damen aus bem Schloſſe 
bielt, überaus zierfih: „Niemals ward ein’edfer Degen baf | 
als Don Duirot’, Damen famen ihm entgegen, pflegten ihn als 
einen Gott, führten ihn zum Nitterfiloffe, freuten Futter feinem 
Roffe— nämlich ver Royinante, deun dies, meine Damen, iſt der Name 

meines Pferdes, und Don Quixote von der Mancha derimeinige, 
den ich Euch zwar micht eher emtbeden wollte, ale bis ihm etwelche 
Großthaten, Euch zu Dienft und Nuß, verrathen hätten, wenn ich 


müßte, und dies bie Urfache wäre, warum Ihr ihm eher erfahret 


gebieten und ich durch meinen Gehorſam zeigen werde, wie bremen 
mein Verlangen fey, Euch durch die Tapferkeit meines Arme zu 
dienen. = 

Die Dirnen, welde nicht gewohnt waren, bergleihen redmerifche 
Figuren zw hören, antworteten ihm fein Wort darauf, und fragten 
mar, ob er nichts effen wollte? „D ja,” verfeste Don Quixote; 
„feg es, was es wolle, denn fo wie ich merfe, iſt «8 fehr von nöthı 
Zum Unglück war es eben Freitag und in der ganzen Echenfe m 
zu haben old einige Biſſen ſchlechten Stedfifges, dem man bier zu 
Lande den eben Namen ber Forellen gab. Man fragte alfo, ob 
Seine Gaben Forellen befehlen, weil eben fein anderer Fiſch vor- 
räthig wäre. 

„Run ja, wenn's ziete — find, fo maden 























U. Kapitel, 3 


deſto beffer, wenn es Meine Forellen find; denn Kalbfleiſch iſt immer 
zarter als Fleiſch von einer Kuh, und ein Ziclein beffer denn ein 
Bock. Doch gleihvieh, was? nur hurtig Her damit, deun ein fo 
weiter Weg und die Laft der Waffen trägt ſich nicht gut mit leerem 
Magen.“ 

Man ſehte ihm alfo den Tiſch der Kühlung wegen vor bie Thürt, 
und nun trug ber Wirth ein Stück von dem ſchlecht geweichten und 
noch ſchlechter gekochten Stodfifhe nebft einem Brode auf, das 
ſchwärzer und ſchimmlichter war, als bes Nittere Waffen, Dan mufte 
ſich frank lachen, wenn man ihn effen fahz; benn mit dem Helme auf 
dem Kopfe und dem Bifier vor dem Geſichte fonnte er mit feinen 
eigenen Händen durchaus feinen Biffen zum Munde bringen, wenn 
man es ihm nicht hineinſchob. Diefen Dienft Teiftete ihm eine von 
den Nymphen. Nun aber fam es zum Zrinfen. Dies war noch 
unmöglicher, und Winde es auf immer geblieben ſeyn, wenn nicht der 
Wirth ein Rohr auegehöhlt, ihm das eine Ende davon in den Mund 

















32 Don Quixote. 


gegeben und durch das andre ihm den Mein eingetrichtert hätte, 
Alles dies litt der Nitter mit Gebufd, damit mir die Schnüre feines 
Helms nicht zerfänitten wurben. 

Mitlerweile fam ein Schweinſchneider vor die Schenfe und blies 
vier ⸗ ober fünfmal auf feiner Rohrpfeife. Dies vollendete des armen 
Junkers Tauſchung. Die Schenfe war ihm unwiderſprechlich ein 
Eaftell; das Gedudel Tafelmufil; der Stodfifh Forelle; das Commifi- 
brod Semmel; die beiden Landuidel Damen; der Wirth Eaftellan 
des Schloſſes, und fomit fein erfier Ausritt mit beften Erfolge ger 
fröut, Nur Eines quälte ihm noch, daß er nämlich uoch nicht zum 
Nitter geſchlagen war; ohne welde Weihe er doch nicht mit gutem 
Gewiffen ein Abenteuer befichen Fonnte, 














Drittes Kapitel. 


Bon Duirote empfängt mit geſlemender Belerlichtelt zen Mitterfdhlag. 


nu, 18 er, von biefem Gebanfen gemartert, fein 
Ny Tiches Mahl — verzehrt 
9 I Wirt, ver 


— 
ich her v —* Stelle —* 
‚bis Eure Herclichteit mir eine Gabe gewahret, um 
welche ih Euch bitten will, und welde nicht allein 
zu Eurem Lob, fondern auch zum Frommen des 

menschlichen Geſchlechtes ausſchlagen wird. a 
Der Wirth, welder feinen Gaſt zu. feinen Füßen ſah und in 
ſolchem Tone reden hörte, fehaute ihn ganz betroffen an, umd wußte 
nicht, was er thun oder fagen follte, Er wollte ihn aufheben; allein 
es war Alles umfonft, bis er ihm feine Bitte zu gewähren verſprach. 
„Weniger erwartete ich auch nicht von Eurer gepriesnen Großmuth, 
Sennor! Wiffet alfo, daß bie Gabe, beren Gewährung mie Eure 
Freigebigfeit verſprochen hat, darin beftebet, daß Ihr mid mor⸗ 
genden Tags zum Nitter fchlaget. Diefe Nacht werde ih in Eurer 
Schloß -Stapelle die Waffenwache halten, damit ic morgen früh 
empfangen Fönue, wornach id) fo Tange geſchmachtet, und enbfich in 
Stand gefegt werben möge, in alle vier Theile ver Welt zu ziehen, wie 
ſichs gebührt, und zu Nutz und Frommen der Bebrängten, Abenteuer 
aufzufuchen, wie es dem Amt der Ritterſchaft, und ſonderlich der 











Den Duirete. I 5 











Don Quirste. 


führenden, gu welcher ich mich belenne, obliegt, und mein  feuriger 
Wunſch und Wille if.“ 

Der Wirth, der, wie oben gefagt, den Schelm zum Unterfutter 
batte, und ſchon merkte, daf es bei feinem Gafte unter dem Helm 
nicht richtig fegn mäffe, ward durch diefe Anrede feiner Sache vollends 
gewiß, und damit es die Nacht über tüchtig zu lachen gebe, beſchloß 
er, Don Duirotes Laune freien Lauf zu laſſen. „Herr Ritter,” 
antwortete er ihm, „Eure Bitte und Begehr ift fehr billig, und Euer 
Borhaben nicht allein höchſt loblich, fondern aud einem fo hohen 
Nitter, als Ener edles Anfeben zeigt, befonbers anftändig. Ich felbft 
war it jungen Jahren fold’ edelm Gewerb ergeben, durchzog ver- 
ſchiedne Neiche der Welt und ſuchte Abenteuer, am meiften aber 
trieb ich mic berum in den Vorftäbten von Malaga, auf den Infeln 
Rioran, im Weichbild von Sevilla, auf dem Markte von Segovia, 
im Delgarten von Valencia, auf den Plägen von, Granada, am 
Strande San Lucar, in der Mauergaffe von Eorbosa, in den Kueipen 
zu Toledo * und anderwärts, wo ich Proben genug von der Peichtig- 
feit meiner Füße und Gefhmwindigfeit meiner Hände ablegte. Ich trieb 
es ein wenig bunt, führte junge Witwen in Verfuhung, that einige 
Juugferſchaften ab, verhalf etlihen Waifen von ihrem Erbe, und 
machte mir faft bei allen Tribunalen Spaniens einen Namen, End- 
lich dab’ ich mic auf diefes Schloß zurädgezogen, wo ih von meinen 
und andrer Leute Einkünften lebe, alle fahrenden Ritter, wes Standes 
und Würben fie auch fepn mögen, aufnchme, und zwar blos aus Lieb" 
und Gunft, fo ih zu diefem Stand trage, nebenbei aud, damit fie 
zur Vergeltung meiner Kürforge ihr bischen Habe mit mir theifen. Es 
ift zwar,“ fuhr er fort, „iegt in meinem Schlofi keine Kapelle, wo Jh 
Waffenwache halten fönntet, weil ich fie niederreiſſen Lich, um ein 
neue zu. bauen; aber ich wei, daß man auch, im Falle der Noth, 
dies Gefhäft verriäten kann, wo man will, und alfo könnt Ihr 
dieſe Nacht in einem Hofe des Kaſtells Waffenwache Halten, bie wir 
morgen nad ter Frähmeſſe die gebührende Geremonie vornehmen 
tönnen, wo Ihr dann fo zum Ritter geſchlagen werben follet, | j 


* Saıter berüctigte Orte in Epanien, wo man mehr Diebe und Beutelichneiker alt ehrliche 


Krure fürtet. 
win 

















IL Kapitel 


keiner in der Melt je dazu geſchlagen worden iſt. — Noch Eins: 
bat Euer Gnaden Geld bei ih?“ 

„Keinen Heller," antwortete Don Duirote; „ih habe auf nie 
in der Geſchichte gelefen, daß ein fahrender Ritter Geld bei ſich 
geführt.» 

„Hierin irrt ghr Euch, verfepte der With; „dem get ih, 
daß nichts davon in den Geſchichten fände, fo bereihtigt dies micht zu 
dem Schluffe, daf fie leines bei fi gehabt, dieweil die Berfaffer es 
sieeiht für überflüffig hielten, einer fo umentbefrlihen Sache zu 
erwähnen, wie Geld und weiße Wäfhe auf Reifen iſt. Ihr könnt 
alfo für ausgemacht annehmen, daf die fahrenden Ritter, von welchen 
fo große and beglaubigte Bücher handeln, für den Nothfall allezeit 
einen wohlgeſpickten Beutel, desgfeihen weiße Hemden und ein Bücheshen 
Salbe für etwanige Wunden mit fi führten; denn auf den — 

nd Wuſteneier fie kampften und oft — 
——— il es ſey denn, 

Zauberer zum Freunde Hatten ber 

oder ihnen durch bie Luft in einer 

Zwerg mit einer Flaſche Wundereffenz zufhidte, davon ein einziger 
Tropfen fie fo gründlich kurirte, als hätten fie nie eine Wunde ge⸗ 
fpürt. Sintemal aber Tegteres Mittel mit umter die fiherften zu 
rechnen, fo fanden es obgemefbte Ritter rathfam, ihre Knappen mit 
Geld und andern nötbigen Dingen, z. B. mit Heftfaden und Wund- 
ſalbe zu verfehen. Und fo ihnen ein Knappe abgieng, — welder 
Fall jedoch nicht oft vorgelommen — fo führten fie jene Dinge ſelbſt 
in einem niedlichen Mantelfädchen bei fich, das fie fo forgfältig hinter 
dem Sattel verſtedten, ald wär es eine Sache von noch gröferem 
Belang; fonft aber war es nicht fehr im Brauch, daß fahrende Nitter 
ſelbſt Mantelfäde führten. Ih rathe Euch alfo, obgleich ichs ber 
fehlen fönnte, als der ih Euch demnächſt werde aus der Nittertaufe 
heben, daß Ihr fürder nicht ohne Geld, noch fonftige Nothdurft 
veifet „ und werdet Ihr finden, daß dies Euch wohl zu Statten fomme, 
wo Ihr am wenigften daran gedacht. * 

Don Duirote verfpradh, feinem Rathe getreulich nadzufeben, 
und fogleih wurben Anftalten zu der Waffenwache getroffen, die er 

















36 Don Euirote. 


in einem großen Hof neben der Schenfe haften follte. Er Ins feine 
Rüftung zufammen, legte fie ‚auf den Trog eines Zichbrunnens, faßte 
feinen Schild, nahm den Spief in die Kauft, und wandelte mit feier» 
lichem Anftand vor dem Troge auf und nieder. Es war bereits Nacht, 
als er feinen Spaziergang antrat. Der Wirth erzählte allen Leuten 
in der Schenfe von der Narrheit und der Waffenwache feines Gaftes, fo 
wie von feinem Wunſche, zum Nitter geſchlagen zu werden. Sie ver- 
wunberten ſich männiglich. über diefe feltfame Art von Wahnfinn, und 
beobachteten ihn von weitem, wie er bald in ernfter Haltung umber» 
wandelte, bald, auf den Speer geftüpt, die Mugen eine gute Weile 
ungerrücdt auf feine Näftung heftete. Obwohl fpät in der Nacht, 
erfeßten doch die erborgten Strahlen des Montes den Glanz des 
Tagegeſtirnes, alfo, baf Jever fehen fonnte, was der ritterliche 
Novize that, 
Nude fiel es einem von ben fremden Maulthiertreibern in der 
‚Schenfe ein, feine Tpiere zu tränfen, wozu er motfwwenbig.die- Waffen 
vom. Troge wegnehmen mußte: Als Don Duirote ihn kommen 
fab, rief er ihm mit lauter Stimme zu: „D bu, wer bu auch feyeft, 
verwegner Nitter, ber dur Fommft, tie Waffen des Tapferften, den 
‚je ein Schwert umgürtete, zu berühren, ſiehe wohl zu, was du thuft, 
und wag' es nicht fie anzueügren, wenn bu mit auf der Stelle mit 
dem Leben für beine Hüpnpeit büßen will“ Der Maulthiertreiber 
fragte wenig darnach — mas er freilih bald zu bereuen hatte — | 
ergriff die Waffen bei ben Riemen und ſchleuderte fie eine gute Strede 
von ſich. Kaum ſah dies Don Quixote, als er feine Augen zum 
Himmel erhob, und Sinn und Gebanfen, wie es fehlen, auf | 
Dame Duleinca rihtend, alfo ſprach: „Kommt mir bei biefe 
Strauße, der Eurem unterthänigen Diener begegnet, zu Hi 
bieterin meines Herzens, und Eure Gunſt und Schuß fehle 
diefem Gange nit.“ Damit ließ er die Tartſche fahren, (man 
die Lanze mit beiden Händen und ſchlug den Maultpiertreiber fo | 
mächtig über den Kopf, daß biefer übel zugerichtet auf den Boden 
flürzte, und wäre ein zweiter Schlag nadgefolgt, fo hätte ein Wund- 
arzt nichts mehr an demfelben zu thun gefunden. + u 
N 

















Nach folder That raffte er feine Waffen wieder auf, und wandelte 
hin und her, als ob nichts vorgefallen wäre. Es ftand micht lange 
an, jo fam ein andrer Efelötreiber, der, unwiſſend, was ſich zuge 
tragen — denn ber erfte lag noch betäubt auf dem Wahlplage — 
ebenfalls, um feine Maulthiere zu tränfen, an den Brunnen trat, und 
die Waffen vom Troge weghob. Don Duirote fagte fein Wort, 
empfahl fih Niemanden in der Welt, legte zum zweitenmale bie 
Zartfhe ab, fhwang zum zweitenmale wie Lanze und ohne bafi ber- 
Spieß einen Splitter verloren, hatte der Efelstreiber vier Löcher im 
Kopf. Auf das Gefchrei des Verwundeten Tief Alles aus ber Schenle 
herbei, unter Andern auch der Wirth, Da Don Quixote dies fah, 
ergriff er hurtig feine Tartfche wieder, legte Hand an den Degen 
und fprah: „O Königin der Schönheit, Kraft und Stärke meines 
ſchwachen Herzens, jegt ift es Zeit, bie Augen von Eurer Höhe herab 
auf Euren unterthänigen Nitter zu werfen, da ihn ein fo grofies 
Abenteuer erwartet; und hierauf befam er in feinen Gedanfen fo 
viel mannhaften Muth, daß er vor allen Maulthiertreibern in der 














38 Don Quicote. 


Belt feinen Fuß breit würde gewihen ſeyn. Die Kameraden der 
Verwundeten, da fie ihren Gefellen fo übel mitgefpielt fahen, fiengen 
an einen Hagel von Steinen auf Don Duirote los zw fehleutern, 
ber ſich dagegen, fo gut er fonnte, mit feiner Tartfche bedeckte, aber 
ungerrüct am Wege ſtehen blieb, damit ex feine Waffen nicht verlöre. 
„Laßt ihn doch gehen,“ ſchrie der Wirth ans vollem Halfe; „ih Hab’ 
euhs ja ſchon gefagt, daß der Kerl ein Narr ft, und wenn er euch 
alle umbringt, wird im brum wenig gefpehen," — Schrie der Wirth, 
fo fhrie Don Duirote defto ärger, fhimpfte fie treufofe Verräther, 
und den Herrn Kaſtellan eine feige Memme und einen pflicht- und 
ehrvergeßnen Nitter, weil er zugebe, daß man fahrende Nitter fo 
beandle, „und wär” if mr erft zum Ritter gefehfagen,“ fuhr er fort, 
„fo wollte ich Euch diefen Vorwurf beweifen. Ihr Anbern aber, 
elendes, verächtliches Gefindel! um euch belümmre ih mih gar nichts. 
. Nie näher Ser, nur immer zugemerfen! ihr wertet bold ſehen, mas euer 
freches Wefen eu eintragen wirt.” Er fagte dies in fo fühnen Tone, daf 
er allen feinen Gegnern Furcht einjagte. Dies und das Zureben des 
Wirthes machte, daß fie aufbörten zu werfen, er hingegen die Berwun- 
beten wegtragen ließ, aud feine Waffenwache fo ruhig ale zuvor fortfegte. 
Dem Birth indeß gefielen die Streihe feines Gaſtes nur halb. 
Er befäloß alfo dem Ding ein Ende zu maden, und ihm den ver- 
wůnſchten Ritterorden lieber gleih zu ertheilen, ch’ noch ein anderes 
Unglüt geſchehe. Er gieng anf ih zu und entſchuldigte fih wegen 
der Beleidigung, welche tiefer Pöhel ohne fein Vorwiſſen fi gegen 
ihn erlaubt Habe, wofür jedoch derſelbe fon hinreichend gezüchtigt 
worden ſey. „Ich habe Euer Gnaden ſchon gemeldet,“ fuhr er fort, 
daß im dieſem Kaſtell feine Kapelle ift, welche ich aber aud zu 
unſerin Borhaben nicht nöthig finde; denn, fo wie ih aus dem 
Drdenobuche weifi, beficht die ganze Feierlichteit in einem Schlag ber 
flachen Hand an den Hals, und in dem Schwertfehlag auf den Rüden, wel- 
bes aber eben fo gut mitten auf freiem Felde gefihchen fann. Und in Bes 
treff Eurer Waffenwache Habt Iht ja mehr als genug gethan, ba dieſelbe uun 
bereits vier Stunden augedauert, während fonft auch zwei fhon hinreichen.“ 
Don Duirote glaubte dies alles gar gern, und fagte, er ſey 


ſogleich bereit zu geherfamen, und die Sache in — Kine | 














IN. Kapitel. 39 





Stand zu bringen; denn, fey er nur einmal zum Ritter gefchlagen, 
und werbe nod einmal fo fhändlih angefallen, fo wolle er auch feine 
Seele im Kaftell am Leben laffen, ausgenommen, die, welde er ans 
Reſpelt für des Herrn Kaſtellans Befehle vielleicht verfhonen würde. 

Der Wirth, dem es bei biefen Drohungen nicht recht gebeuer 
war, bolte fogleih ein Buch, worin er den Maulthiertreibern die ab» 
gegebene Spreu und Gerfte anfhrieb, und ſchritt, begleitet von einem 
Burfihen, der ein Stümpchen Licht trug, amd von beiden mehrer- 
wähnten Dirmen, wieder auf Don Duirste zu, Er befahl ihm 
ſogleich niederzufnien, murmelte hierauf etwas ans feinem Manual, 
als wenn er ein Gebet ſpräche; mitten unter dem Lefen erhob er die 
Hand und gab ihm einen berben Schlag in den Nacen, bierauf einen 

















40 Don Quixoit. 


mit feinem eignen Degen auf den Rücken, und murmelte dabei immer 
zwiſchen den Zähnen fort. Nachdem dies geſchehen war, befahl er einer 
von den Damen dem Nitter das Schwert umzjugürten, weldes fie 
auch mit wiefer Zierlicfeit und Selbſtoerläugnung that, denn t6 
loſtete iht wicht wenig Mühe, bei allen biefen Eerimonien das Lachen 
zu Halten; aber die Proben, welche ber neue Nitter bereits von feiner 
Zapferfeit gegeben hatte, verboten es ihr wohl. ‘Beim Imgürten des 
Schwertes fagte das züchtige Fräufein zu Ähm: „Gott mache Ener 
Gnaden zum glücklichſten Nitter, und gebe Euch feinen Segen zu 
Euern Kämpfen,“ Don Duirote fragte fle um ihren Nanten, damit 
er hinfüro wiffe, wen er für biefe empfangne Gnade verbunden fey, 
und ihr einen Theil des durch feinem tapfer Arm zu erwerbenden 
Ruhmes zufßreiben Lönne, 


„3% heiße Tolofa“ antwortete die Dirne ſeht bemüthig, „bin 
eines iber von Toledo Toter, Halte mich meift in Sauchs 
Bienayad auf, und bin allezeit bereit, wo und mie es fey, 
Euer Gnaden untertänig zu bedienen.“ 


„Run fo erweist mir bie Gefälligfeit ,” erwiederte Don Duirote, 
„Eu ein „„von““ beizufegen, und menu Euch künftig Fraulein 
von Toloſa.“ Cie verſprach es ihm ug. ü 


. Die Andre Tegte ihm Fiereuf die Cperen am, und mit dieſer 
hielt ex baffelbe Gefpräc, wie mit der Borigen. Auf die Frage wach 
ihrem Namen, fagte fie, man feife fie die Milerin, weit ihr Vater 
ein chrbarer Müller zu Antiquera ſey. „Thut mir auch den Gefallen, 
ſprach er, und nenuet Euch nicht ſchlechthin fo, fondern nehmet das 
„von““ an; es lliugt beffer! Uebrigens danfe ih Euch, und erbiete 
Euch meine Gegenbienfte, 

Nachdem num diefe noch mie erfehnen Cerimonien der Nitterung 

im Galoppe abgemacht waren, konnte Don Quixote nicht einmal den 

Tag erwarten, ſich zu Pferde zu fehen, und Abenteuer aufzuſuchen. 

Er fattelte auf der Stelle feinen Rozinante, ſchwang fih hinauf, 

umarmte ben Wirth, und fagte ihm bei Gelegenheit feines Dankes für 

den Nitterfchlag fo viel närrifhes Zeug, dag wir es nie würben 
1 

















— — — — 
ID. MAapitel. 


erzaͤhlen koͤnnen, fo gern wir auch wollten. Der Wirth, um ihn nur 
108 zu werben, antwortete ihm mit nicht weniger Floskeln, doch etwas 
kürzer, und Tieß ihn, ohne Zehrgeld zu fordern, in Gottes Namen 
ziehen. 











Den Duisotu L 6 





Don Quirote, 


— —— 
— 


Biertes Kapitel. 
ee TE 


> uftig brach fo Pe. 3 Morgen an, ale 

Don Duirote aus der Schenke ritt, und 

‚zwar fo zufrieden, fo froͤhlich, fo ent- 

‚güct, fih nun zum Nitter geſchlagen zu 

fehen, daß ihm die Freude darüber beinahe 

den Gattelgurt zerfprengt hätte. Da 

ihm aber der gute Rath feines Wirthes 

in Anfehung des Geldes und der weifien 

Waſche einfiel, beſchloß er vor der Hand 

wieder nah Haufe zu reiten, und fi mit allem Nöthigen, be 
fonders aber mit einen Schilofnappen zu verſehen. Diefe Stelle 
dachte er mit feinem Nachbar im Dorfe zw befegen, einem Bauer, 
der arm war und mit Kindern gefegnet, aber wie gemacht zum Schild- 
lnappendienſt eines fahrenden Ritters. In diefen Gedanten Ienfte er 
ben Rozinaute nad) feinem Dorfe zu, welcher auch, als ahnete er bie 
Abſicht feines Herrn, fo hurtig zu laufen anfing, daß er faum bie 
Erde mit den Füßen zu berühren fhien. Don Dnirote war noch 
nicht weit geritten, als er aus einem dicken Walde rechter Hand 
eine zarte Häglihe Stimme zu bören glaubte. Kaum hatte er fie 
vernommen, fo rief er: „Dank fey dem Himmel für die Gnade, daß 

















IV. Kapitel, 


er mir fo bald Gelegenheit gibt, die Pflichten meines Amtes zu erfüllen, 
und die Früchte meines Töhlichen Entfehluffes zu fammeln. Dhne Zweifel 
iſt dies vie Hagende Stimme eines oter einer Bebrängten, > 
Schutzes und Beiſtandes bedarf. 

Sogleich drehte er die Zügel und Tenfte fein Her nad 
Orte, woher ihm bie Stimme zu fommen ſchien. Nur wenige 
war er ins Gebüſch geriten, fo erblickte er an einer Eiche Br 
angebunden, und an einer andern einen Jungen von ungefähr fünf. 
zehn Jahren, nadend bis auf den Hofenbund, der ‚jene Klagetöne 
von fih gab, und zwar nicht ohne Grund, denn ein vi 
Bauer peitfepte ihm jämmerfih mit feinem Gürtel und ar 

















+ Don Quixote. 


Hieb mit einem Tadel und einem Rathe, indem er fagte: „Maul 
zu, Augen auf!“ 


„Ach ums Blut Chriſti willen, ih wills nicht wieder thun, lieber 
Here, ich wile nicht wicher tun; ich verſpreche Euchs, ih will 
Rünftig beffer aufs Vich Acht geben!“ fihrie ter Junge unaufhörlid. 

Da Don Dnirote ſah, was bier vorgieng, ergrimmte er uub 
rief dem Bauer zu: „Ungezogner Ritter, iſts auch Manier, mit 
Jemanden anzubinden, ter fi nicht wehren fann? kefleiget Euer 
Roß und nehmer Gure Lanze — wofür er eine Stange anfah, vie 
au ter Eiche Ichnte, an welche tas Pferd gebunten war — und ich 
will Gab zeigen, daß dies mar eine feige Memme that.“ Der 
Bauer, ter über ſich die von Waffen firegente Geftalt erblidte, tie 
Yen med dazu immer mit der Lanze unter dem Gefiht berumfrielte, 
war halk tert, und gab tie beſten Sorte. „Gere Ritter,“ ſorach 
er. „ter Junge, ten id bier abftrafe, iR ron mir gebungen, meine 
Safe zu hüten, Er if aber fo liederlich. daß mir tiglih ein Schaf 
wigtemmt; uud wenn ich übe über feine Nachlikigkeis und Boeheit 
deſtraft, fe ſericht er noch edentramf, ich tdät' cs nur baram, damit 
ia ida feinen fultigen Yche wicht Arzadicn türfe; ut mein’ Seele, 
Kerr Nüner! er läge“ 


dagea. far tet für Den Ouirete; „unb dies in 
meiner Öegrzwurt. grober Pazır? Dei der Semze, tie une de 
VAuızt. Kor muhde sh tab zeit meiner Yızjc darde uut turdh rerıen. 
Dadez Aagendtic Iezte ide Ind. wer beıtle Dir edze Siderrtde; 
eder der Ger. der üder uud DR. bo made tie auf der Seele 
der Aura ' 


Tier Serce Yaef m Sf Aizee wer har eier Sienete 
we anne im Erz Oxirrte rare de mie mel der See Der 
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‚sr xvr Mm Weder Maier © Der Mom. mabtenr 1 serehoer 
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nt ie De Aedcume Fun nerüdee der Anpeger. fr gem er 











IV. Kapitel, 


daſtehe und geſchworen Habe, ungeachtet er nicht gefihmoren Hatte — 
daß es mit fo viel betrage; benn es müßten noch drei Paar Schuhe 
abgerechnet werben, bie er ihm gegeben, und ein Neal fir zweimal 
Merlaffen, da er frank geweſen fey. ur iu) 


„Mag Alles feyn,“ verfeßte Don Quixotez „aber rechnet die 
Schuhe und das Aberlaffen für die Schläge, die Ihr ihm unfhul- 
digerweife gabet. Zertiß er au das Leder von, Euern Schuhen, fo 
Habt Ihr ihm dafür fein eignes Fell zergerbt; ließ ihm ber Barbier 
für Euer Geld zur Ader, da er frank war, fo habt Ihr ihm bei 
gefunden Leibe Blut abgezapft, und folglich iſt er Euch von dieſer 
Seite nichts fhulbig. « ) m, 

„Das Ungläct aber iR mar, Herr Ritter, daß if fein Ger Wei 
mir habe,“ fagte der Bauer. „Andrees mag mit mir 


, da will i ei Heer und fennig begabten." 


#34 mit ihm gefent“ — sa Bm 


wär’; in meinem Leben nicht, Nicht einmal in Gedanfen, 
denn hätt’ er mich allein, fa eher Teenie! fen, 
wie einen Sanet Barthelmere.” 


mDas wird er nicht thun,“ fagte Don Duirote; genug, 
daß ih es ihm verbiete, und er gegen mich Reſpelt haben muf. Cr 
fol mir e6 bei dem Nitterorden, den er empfangen hat, fhwören, 
und dann will ih ihm frei Iaffen und bir für bie Bezahlung haften.“ 

Geſtrenger Herr,“ ſprach der Junge, „bedenkt, was Ihr fagt; 
mein Herr da iſt ja fein Ritter und bat in feinem Leben feinem 
Drden angehört, Er heißt Hans Wanft der Reiche, und ift bei 
Rnaufersdorf zu Haufe.” 


„Dies macht nihts aus,“ antwortete Don Dnirote; „die 
Wänfte fönnen fo gut Ritter feyn, ald Andre, denn Jeder ift Sopn 
feiner Thaten.“ 


„Das iſt wohl wahr,” fagte Anbrees; „aber welder —* 
Sohn iſt denn mein Herr, wenn er mir mein Bischen Schweiß und 
Blut, meinen ſauer verdienten Lohr vorenthält? * 














48 Don Quixote. 


Raum gewahrte fie Don Duirote von Ferne, fo glaubte er, 
ein neues Abenteuer fey im Anzug; und, um feinen Ritterbächern 
Schritt wor Schritt zu folgen, fiel ihm glückficermeife ein ahnliches 
ei, mach welchem er das jegige zit behandeln gedachte. Er fegte 
ſich demnach mit chen fo vieler Würde als Kühnheit in den Gteig- 
bügeln: fefter, Iegte die Lanze ein, zog feine Tartſche vor die Bruſt, 


poftirte ſich mitten in den Weg, und erwartete biefe fahrenden Nitter, 
wofür er fie unbedenklich anfah. Als fie fih nahe genug Waren, 
um einander fehen und hören zu fönnen, erhob Don Duixote 
die Stimme, und ſchrie ihnen tropig zu: „Alle Welt Halte, wenn 
nicht alle Welt befennen will, dafı in aller Welt Fein fchöneres Fräu- 
leia iſt, als bie Raiferin von der Mana, bie unvergleichliche 
Dulsinea von Toboſor“ 

Auf dieſe Worte hielten bie Kaufleute ſtill, die feltfame Geſtalt 
zu beſchauen, bie ihnen ſolches zurief. Aus der Figur und Anrede 
aber fahen fie bald, wo «8 dem Herm fehle. Jedoch, um näher zu 
erfahren, was er mit dem Bekeuntniß bezwecen wollte, das er ihnen 
abforberte, antwortete ihm Einer von ihnen, ein loſer Vogel und 
Spafmader: „Here Nitter, wir Alle fennen die Dame nicht, von 
der Ihr uns da faget. Zeiget fie uns, und went fie wirklich fo 
ſchon iſt, wie Ihr ſprechet, wohlan, fo wollen wir ohne den geringften 
Zwang: die Wahrheit bekennen, die Ihr von ung Hören wollt.” 























IV. Kapitel 


„Und wenn ich-fie Euch zeigte,” verfegte Don Ouirote, „was 
Hättet Ihr dann noch für ein Verdienſt, eine fo welttundige Wahr - 
heit einzugeftehen? Hier fommt cs darauf am, daß Ihr, ohne fie 
gefehen zu haben, es glaubet, befennet, behauptet, beſchwoͤret und 
verfechtetʒ wo nicht, fo ſey euch ſtolzem und ungezognem Bolte hier 
mit die Fehde ertlart. Kommt her, Mann für Mann, wie es die 
Gefepe der Ritterſchaft fordern, oder Alle zufammen, wie ed gemeiner 
Brauch von Leuten Eures Gelichters iſt, bier erwarte ich Euch uner- 
ſchrocken, vertrauend auf die Gerechtigkeit meiner “ 

Here Ritter," antwortete der Kaufmann, „ich bi 
Beften im Nomen afler hier gegenwärtigen Prinzen, daß 
nicht zwingen wollet, eine nie gefehne und mie gehörte 
befennen, bie erſtlich unſer Gewiſſen — zu it 
Kaiſerinnen und önigianen, von 


dbeilloſes Geſindell. fehrie 

Don Duirote —— „Bon ihr trauft nur Balſam und 

Ambra. Sie iſt weder krumm noch bucklich, ſondern gerader und 

ſchlanker als eine Spindel von Quadarrama; aber ihr Alle ſollt mir 

für eine fo ungeheure Fäfterung büßen, — Ir die hohe Schön⸗ 
heit meiner Dame zu beſchimpfen Euch erfrecht habt.“ 

Hierauf rannte er mit gefällter Lanze fo wüthend auf den Läfterer 

zu, daß es gewiß dem muthwilligen Kaufmann übel ergangen ſeyn 

wůrde, hätte fein guter Stern nicht gewollt, daß Rozinante mitten 

im Lauf ſtolperte und niederſtürzte. Der Sturz war auch fo gewaltig, 


# Alcarria heißt im Spani ſchen auch ein Strich Sandes, wo nidts als Meine Dörfer und 
ende Bauerhütten find. 








Den Duiric l, 7 

















50 » Don Quixote. 


daß unfer Nitter eine gute Strecke über das Feld hinddog. Er fuchte 
wieder aufzuftehen, allein es gieng ticht, denn immer verbinberten ihn 
Lanze, Schild, Sporen, Helm und vie Laſt feiner altoäterifhen 
Waffen. Indem er ſich fo mit dem Verfuche aufzuftchen germarterte und 


immer nicht fonnte, ſchrie er: „Laufet wicht, ihr Memmen, ihr feiges 
Pad; ſtehet, wenn Ihr Herz habt; ich nicht, mein Pferd ift Schuld, 
daß ich bier liege." in Maulthierjunge vom Gefolge der Rauf- 
feute aber, der eben Feiner von ben Gutmüthigften war, fonnte ſich 














IV. Sapitel 


nicht enthalten, bie Antwort auf fo ehrenrüßrige Reden dem armen 
abgefattelten Nitter auf feine Nippem zu fehreiben, Er gieng zu ihm 
bin, nahm feine Lanze, brach fie in Stüde, und gab mit einem 
davon unferm Don Onirote eine fo gute Tracht Schläge, da er 
ihn, trog feiner Waffen und Nüftung, faft zu Brei draſch. Seine 
Herren fihrien zwar, er follte aufhören und ihm geben laſſen; ber 
Maulthierjunge aber war im beften Zuge und wollte fein Spiel nicht 
eher aufgeben, bis er fein Müthhen ganz gefühlt hätte. Er griff: 
alfo nach den übrigen Stüden der Lanze, zerſchlug fie alle nad ein -⸗ 
ander an ben armen Nitter, der unter dem ganzen Hagelregen on 
Prügeln nicht einen Augenblick ſtille fhwieg, fondern Bi. 
Himmel, Erde und diefen Strafienräubern, wofür er fie hielt, fludte. 
Endlich ward der Junge felbft müde; die Kaufleute zogen weiter und 
nahmen Stoff genug mit, fi den ganzen Weg über von bem armen 
zerſchlagnen Ritt interhalten. 

Da ſich nun Duirote 
aufsufiehen; aber Fonnte er es nie a 
er 6 noch weniger jeht, da er fo zerbfäut und faſt geräbert war. 


Und doch hielt er ſich no immer für grüctich genug, weil dies ein 
Zufall ſey, ber nur irrenden Nittern begegnen fönne, und die ganze 
Schuld niht auf ihn, fondern auf fein Pferd falle, Indeſſen blieb 
er fortwährend mit feinem Xrofte und zermalmten Leib auf dem 
Wahlplatze Tiegen. 














Don Euirote- 


Fünftes Rapitel. 


or Schmerz unfähig, 
uur ein Glied zu regen, 
wahın er feine Zuflucht 
zu dem. gewöhnlichen 
Hilfsmittel, ſich auf 
einen ähnlichen Fall in 
3 feinen Büchern zu bes 
finnen. Seine Narı- 
* ee peit brachte ihm: auch 
glüdli den Unfall Baldnins nad des Marguefe von Mantua 
in die Gebanfen, als nämlih Earlot jenen verwundet im Gebirge 
Kiegen Tief; eine Geſchichte, die Alt und Jung weiß und glaubt, und 
welche ungefähr fo wahr ift, als bie Wunder Mahomeds. Dem fey, 
wie ihm wolle, unferm Ritter ſchien dieſe Begebenheit gerade für den 
Fall gemacht, in weldem er ſich eben befand. Er fieng dennach an, 
fi mit Zeichen des äußerten Schmerzens auf der Erbe herumgumälgen, 
und mit ſchwacher Stimme eben fo zu Magen, wie ber verwundete 
Nitter des Waldes geflagt haben foll: 
„D ba meiner Augen Wade, 
Weilen du im fernen Yand? 
Beifeft dur nicht, mas id leide? 
Bard dein Herze mir entmandt?= 
Im biefem Tone beffamirte er die ganze Romanze her, bis er 
an die Worte füm: 

















IV. Kapitel, 


Mantuas hochgeborner Markgraf, 
Boplgewogner Herr und Opmi«* 

Hier Fam von ungefähr ein Bauer ans feinem Dorfe, der eben 
einen Sad Korn in die Mühle gebracht hatte. Da diefer einen 
Menfgen bier auf der Erbe geſtredt Tiegen ſah, gieng er hin und 
fragte ihn, wer er fey und was ihm fehle, daß er fo jämmerkicdh 
wehffage? Don Duirote hielt ihn alsbald für den Margues vom 
Mantua, feinen Oheim, ver ihm zu Hilfe lomme; fuhr alfo ununter - 
brochen fort, die Verfe von feinem Unglüd und ber Liebſchaft feiner 
Braut mit dem Saifersfohne abzufeiern. 

Der Bauer ftand ganz verblüfft da, wie er den Unfinn 
machte dem Nitter aber doch wundershafber das Viſier auf, welches 
zerſchlagen war, und reinigte ihm das Gefiht vom Staube. 


hatte er dies gethan, fo erfannte er ihn: „Ei, Herr Quixada,“ 

ſchrie der Bauer, Cfo muß er folglich geheißen haben, als er noch 

o 

s 

# Gin altes berühmter Voltelien, deifen Inhalt kurz folgenter il: Gartot, Karla det Großen 

Sobn, verloct den Orafen Baltuin aus Giferfutit in eine Ginde, um ibm dort zu tükten und 

dann feine Wittwe zu chellchen. Zu der That ſtreckt er ibm meuchlings niever und ihn für 

tott auf her Grbe liegen. Der Marquis von Mantus, Balbuins ef, jagt er Weile 

in Ser Mäbe und wurde durch bie Beufer des Sterbenden berbeigegogen. (ir erkannte feinem 

Opeim, befehlof ibm zu rachen unb ſchigte pesbalb eine Oefandtichaft an Kaiſer Kazl nadı Paris, 
ver auch wieflich feinen Sobn binrichten Lie 

















Don uirote, 


bei Verftand war und den frieblichen Landjunker noch nicht mit dem 
fahrenden Mitter vertauſcht batte), „wer bat denn Euer Geftrengen 
fo zugerihtet Der Nitter aber fuhr beharrlich in feiner Nomanze 
fort, was auch Jener fragen mochte. Da nun ber gute Mann fah, 
daß nichts mit dem Junker anzufangen war, fo nahm er ihm beft- 
mögficft den Bruft- und Rückenharniſch ab, zu feben, ob er verwundet 
ſey, fand aber weder Blut noch irgend eine Spur von Wunden, Er 
bob ihm dann von ber Erbe auf und brachte ihm mit viefer Mühe 
auf feinen a weil er biefen für ein fanfteres Transportmittel 


bieft als den Nüden Rozinantes. Die Waffen las er bis auf die 
Splitter der Lanze zufammen, packte fie dem Rozinante auf, nahm 
letztern mit einer Hand beim Zaume und mit der andern feinen Eſel 
beim Halfter, wanderte immer feinem Dorfe zu in fieigender Ver- 
wunberung über Don Quixotes närrifce Neben. 

Weit übler gieng es tem armen Don Duirote, welder zer: 
ſchlagen, wie er war, fih faun anf dem Eſel halten konnte, und 
von Zeit zu Zeit herzbrechende Seufzer gen Himmel ſchidte, daß der 














IV. Kapitel, 


Bauer vom Neuem bewogen wurde, zu fragen, wo es ihm tem 
feble® Es war aber, als brächte der Teufel unferm Witer afle vie 
Geſchichten in ven Kopf, die auf feine jegigen Umftände paßten; 
denn jegt vergaß er feinen Herm Balduin, dafür aber fiel ihm ker 
Mohr Abindarraez ein, als ihn der Burgvogt von Antequerea, 
Rodrigo be Narvarz, gefangen nah feiner Burg „führte. Di 
ihn nun der Bauer fragte, wie er fich befinde, und mo es ihm weh 
tue? fo antwortete er ihm buchſtäblich eben fo, wie in der Diana 
des Zörg von Montemajor der gefangene Abindarraez dem 
Rodrigo de Narsaez, und zug Alles, was dort fieht, fo woll- 
fommen auf fih, baf ber Bauer faſt des Teufels geworben 

über das tolle Zeug, das er hörem mußte. Zulegt gieng | 

Licht auf, daß der Herr Nachbar ein Narr — — fü. & 


armen Sünder reht an. Ih bin ja weder der Don Rodrigo de 
Narsaez no der Marchefe von Dantun; ſondern Peter Alonzo, 
Euer Nachbar, und Euer Gnaden tft ja weder Balduin, mode 
Abindarraez, fonbern der geftrenge Junfer Quixada.“ 

„Ich weiß, wer ich bin,“ rief Don Duirote, „aber id weiß 
auch, was ic ſeyn kann, nämlich nicht bios, was ic gefagt habe, 
fondern noch mehr als die zwölf Pairs von Franfreih und die neun 
Helben * des Nuhmes dazu; denn Alles, was fie einzelm und zur 
ſammen gethan, kommt meinen Thaten noch fange nicht gleich.” 

Unter derlei Zwiegeſprächen famen ſie mit Abenddammerung 
am das Dorf; der Bauer aber wartete noch, bis es ein wenig dunkler 
wurde, damit bie Leute den mohlzerbläuten Zunfer nicht fo übel 


* Jofus, David, Iutas Maccabdus, Hektor, Mlesanter der Große, Julins Caſar, Arihus, 
Karl der Orofe und Wottfeied von Bonillen. 














L 





56 Don Quixdte. 


beritten fehen möchten. Da es ihm mum finfter genug ſchien, hielt 
er feinen Einzug in das Dorf, und brachte den Ritter in fein Haus, 
wo er Alles in der größten Verwirrung fand. Eben waren der Pfarrer 
und Dorfbarbier day und die Haushälterin lieſt ihre Freifchende Stimme 
bören. „Was dünkt Euch, Herr Licentiat Peter Perez (fo hieß 
der Pfarrer), von den Unglücke meines Herm? Sechs Tage find 
es ſchon, feit weder er, noch fein Pferd, noch Schild, noch Lanze, 
noch Panzer da if. D Jammer und Efend! mir ift vor, und gewiß 
iſts fo, fo wahr ih in Sünden geboren hin, bie verfluchten Ritter 
büder, in bie er. immer den Kopf hineinſteckte, haben ihn verrückt 
gemadt. Und jegt fällt ed mir ein, daß ic ihn oft zu ſich ſelbſt 
habe fagen hören, er wolle ein fahrender Nitter werben, und in 
aller Welt Enden Abenteuer aufſuchen. Wären fie doch bei'm Teufel 
und feiner Großmutter, bie verdammten Bücher miteinander, die den 
feinſten Berftand in der Mancha verwirrt haben" 

Eben fo und noch ausführlicher Lich ſich bie Nichte vernehmen, 
Wiſſet, Meifter Niklasl“ fagte fie zum Dorfbarbier, „daß 
mein Herr Onlel oft zwei gefhlagne Tage und Nächte lang in 
dieſen feelenverberblichen Unglücsbüchern Tas? Und am Ende warf 
er das Buch aus den Händen, griff zum Degen und hieb und flach 
auf die Wände los. Wenn er nun müde war, ſprach er, er hätte 
vier Miefen, fo groß wie unfer Kirchthurm, erlegt; und ber Schweiß, 
den ihm bie Anftrengung ausprefite, der, fagt' er, wäre Blut von 
„ben Wunden, die er im Kampfe befommen hätte; darauf tranf er 
einen großen Becher feifchen Waffers, und war nun mie geheilt und 
rubig, indem er fagte, dies fey ein foftbarer Trank, den ihm — 
weiſe Eſquife, ein großer Zauberer, fein Freund geſchickt 
Bald möchte ich mix die Schuld von Allem dem beimeffen, weil ich Eu 
nicht in Zeiten was von ben Anfällen meines Herrn Ontels fagte. 
Vielleicht hättet Ihr wohl noch Mittel finden können, ch’ cs fo weit 
gefommen wäre. Wenigſtens alle bie verdammten Bücher, fo v 
ihrer find, hättet Ihr verbrennen Lönnen; denn fie verdienen das 
Feuer fo gut als ein Ketzer.“ 


* Die Nichte nerfpricht Nic Im Zorn, Sie follte eigentlich Uiauife jagen. So dieß — | 
ter weile Derfafler bes Amabis von Gracia il 


hi 

















V Kapitel 


* 

n Das fag’ ich auch,“ verfepte der Pfarrer, „und bei meinem 
Wort, die Sonne foll morgen nicht untergehen, ohne daß ich an 
ihnen ein Erempel flatwirt und fie zum Feuer verbammt hätte, damit 
fie nicht irgend nod einmal bei Jemand, der darüber Kmmt und fie 
liest, fo ein Unglüd anrichten, als fie bei meinem — 
angerichtet haben.“ 

Dies Alles hoͤrte der Bauer und Don Quixote mit an, und 
jener kam nun vollends über den Kraukheitszuſtand feines Nachbare 


ins Reine, Er klopfte an, und ſchrie ziemlich Taut: „Macet auf, | 


ihr Herren! der Herr Balduin, ber Herr Marcheſe von Mantua, 
ſchwer verwundet, und der Herr Mohr Abindarrarz, den der m 

Hafte Nodrigo de Narvaez, Burgvoigt von Antequerra, 9: 
bringt, iſt da.“ Auf dies Schreien Tiefen: Ale herbei, md da fir 
in — die ee i 5 


Wunden pflege und fie heile.“ 

„Da baben wir'e,“ ſchrie die Haushälterin, „Sagte mirs nicht 
mein Herz, auf welchem Fuß Ihr binfet? Kommt mur in Gottes 
Namen herein, geftrenger Herr, wir wollen Euch ſchon ohne bie Here 
Urganja furiren, Verflucht und noch hundertmal verfluht ſeyen 
doch die Nitterbücher, die Euer Geftrengen fo zugerühtet haben!“ 

Hiermit trugen fie ihm auf das Bett, unb unterſuchten feine 
Wunden; da fie aber feine fanden, fagte er: „’s ift blos eine Ber- 
renfung von wegen eines Gturzes, ben ich mit meinem Pferde that, 
da ich mit zehm der ungehenerften und grimmigften Rieſen, bie ſich 
vielleicht auf ber Welt befinden, kämpfte. ” 

„Aha!“ fagte der Pfarrer; „find Rieſen st im Spiele. Bei 
meiner Tonfur! ih verbrenne fie alle morgen, eh’ es Nacht wird,” 

Sie richteten noch viele Fragen an Don Duirote, allein auf 
alle antwortete er, fie follten ihm zu effen geben, und ihn dann ſchlafen 
laffen, als welches ihm jet das Nöthigfte fey. Dies gefhah, und 











Dun Ouirere & s 

















Don @uizote. 





indeffen fragte der Pfarrer den Bauer umſtändlich, wie und wo er 
Don Duirote gefunden? Lepterer erzählte ihm auch Alles, fogar 
bis auf die feltfamen Reben, die Don Duirote geführt habe, ba 
er ihn fand und nad Haufe fhaffte. 

Hieburh wurde ver Pfarrer noch mehr in feinem Borkaben 
beftärkt, folgenden Tags ten Barbier zu rufen und fi mit ihm im 
Don Duirotes Haus zu begeben. 














VI Kapitel, 


Sehstes Kapitel. 


Grgädlung von wem firengen Gericht, das ver Yfareer um ter Barbier über die Suchet des 
weijen Sunfers Don Cuizore gehalten. 


ange noch lag der Ritter in tiefem Schlaf, 

als fie von der Nichte die Schlüffel zu dem 

Gemach verlangten, wo die unfeligen Bücher 

Fanven; ein Wunſch, dem gern eutſprochen 

wurde mit der Haushälterin 

‚hinein und fanden mehr als hundert Stück 

Rolianten und viele in Heinerem Format, 

ſehr ſchon eingebunden, Als die Haushälteriu 

A. diefen Vorrath erblickte, lief fie eiligft hin⸗ 

Haus, und lam bald darauf mit einem 

£ a Ssüffelhen Weihwaſſer und einem Bäfcel 

op zurüd, „Da, da, Herr Licentiat,“ ſchrie fie, „nehmt und 

befprengt ja erft die ganze Kammer, damit feiner von den vielen 

Herenmeiftern, die in biefen Büchern ſtecken, kommt und ung behext, 
dafür, daß wir fie aus der Welt fhaffen wollen. * 

Der Lieentiat lachte über die Einfalt der guten Frau, und Lich 
fih von dem Barbier ein Buch nach dem andern reichen, ihren Inhalt 
zu befchauen, weil ſich doch vielleicht einige noch darunter finden 
könnten, die ein befferes Schidfal verbienten. 

„Nein, nein, Herr Licentiat,“ ſchrie bie Nichte, „verfhonet Fein 
einziges; fie haben alle gefündigt. Am Beften iſt's, mit allen zum 
Fenfter hinaus in ben Hof, und da einen Scheiterhaufen daraus ger 
macht und verbrannt. Dver noch beffer können wir den Stoß im 

















60 Don Quitote. 


Hinterhof anzänden, daß der Rauch nicht fo wiel Auffehens macht.” 
Die Hauspäfterin flimmte mit Freuden bei, fo eifrig verlangten fie 
Beide nah dem Tode diefer Unſchuldigen. Der Pfarrer aber gieng 
nicht darauf ein, fondern blieb dabei, zuver die Titel Iefen zu wollen. 

Der erfte Foliant, welchen ihm ber Barbier reichte, waren bie 
vier Bücher des Amadis von Gallien ', „If es nicht ein wahres 


* Mon tennt weder da Vaterland noch den Derfaffer diefes älteften aller Mitterbicher 
Bahrfaeintich dürfte ee In Portugal von einem gewiſſen Basco de Sobeira geſchtieben jemm 
Borifegungen davon erfätenen Im allen Yandern. 

















VI Kapitel, 


Wunder? * ſprach der Pfarrer, „da haben wir ja gleich das Ritter: 
buch, das, wie ich Hörte, zuerft in Spanien gedruckt wurde, und alle 
andern mach ſich gezogen hat, Ich vente alfo, daß wir dieſen Amadis 
als den Etifter einer fo boͤſen Sette ohne weiteres Verhör zum 
Feuer verdammen können, * 

„Mit Nicten, hochwürdiger Herr!" rief Meifter Niffas, Ich 
habe mir fagen laſſen, es fey das Befte, was in dieſem Geſchmack 
geſchrieben worden; und alfo Fönnten wir es wohl als das einige 
in feiner Art verſchonen.“ 

„Ihr Habt Recht," fagte ber Pfarrer, „und bewegen fol ihm 
das Leben gefhenft ſeyn. Laßt fehen, was weiter folgt.” 

„Es find die Helventhaten Efplandians, eheleiblichen Sohnes 
des Amadie von Gallien !,* antwortete der Barbier; 

Was belfen Sopne die Verdienſte ded Vaters,“ fagte der 
| Pfarrer. u‘ Jungfer Haushälterin, macht das Feuſter 

er den. in den Hof, er mag bie Grundlage zum 
Scheiterhahfen fie dies; der arme Efplan- 
dian flog in Sen ef m mouse mi ve Om feine Hin- 
richtung durchs Feuer. 

Weiter!“ ſagte der Pfarrer. 

„Der ba,“ ſprach Meiſter Niklas, „iR der Amadie aus 
Gräcia 2; und alle auf — Reihe, glaub' ih, find von des 
Amadie Sippſchafft.“ 

„Rort, mit allen in ben —* tief der Pfarrer; „denn um bie 
Königin Pintiguinieftra und den Schäfer Darinel, mit feinen 
Eelogen und feinem verteufelt wirren Gefhwäg aus ber Welt zu 
ſchaffen, würde ich eher mit ihnen meinen leiblichen Vater verbrennen, 
wenn er mir in Geftalt eines fahrenden Nitters unter die Hände 
käme. # 

Recht fo,” fagte der Barbier. „Volllommen Recht," fagte bie 
Nichte, „Weils denn fo if,” fprad die Haushälterin, „Her mit, 
und alle in ben Hof.“ Cie gaben ihr die ganze Sammlung, die 

# Der Thiel nes Guche it quinto libre de Amadin de Gauls, 0 lan sorgns del enwallere Bay 


nlandian 
hijo die Amadin de Onula. Wol. Sevilla 1106. Der Verfafler it HareiaDrbonneg pe Montalun. 
® Amadis de (recin Kijo de Dan Liewarte eic. Fol. Burger 1535 














6 Bon Quixote. 


nicht Mein war, und fie erfparte ſich die Mühe des Treppenſteigens 
und warf fie zum Zenfter hinaus. 

„Bas kümmt denn da für ein Ungethümf“ fragte der Pfarrer. 
— „Don Dlivante von Laura“ !, antwortete der Barbier. — 
„Hat mit dem Blumengarten einerlei Berfafler, und in Wahrheit, 
ih weiß nicht, welches von beiden Büchern mehr Wahrheit, oder, 
um es richtiger zu fagen, weniger Rügen enthält. Nur fo viel weiß 
ich, daß Olivante, als ein abgeſchmackter Bengel, in den Hof gehört.“ 

Der Folgende iſt Florismarte von Hirkanien“ ?, fagte 
der Barbier. 

„Kommen wir fo zufammen, Herr $lorismarte?“ verfeßte ber 
Pfarrer. „Beim heiligen Glauben! der foll, trog feiner feltfamen - 
Geburt und ſchwaͤrmeriſchen Abenteuer, augenblidlich hinunter in dem 
Hof; denn fein harter, trodener Styl verdient nichts Beſſeres. Hin- 
unter mit ifm und ben andern in den Hof, Junger Hauspälterin. “ 

„Ja, von Herzen gerne, hochwürdiger Herr!“ amtwortete dieſe, 
und vollzog eifigft feine Befehle. 

„Hier kommt der Ritter Platir“°, fuhr der Barbier fort, 
„Ein altes Buch!“ rief der Pfarrer: „ih finde aber darum nichts 
in ihm, das Schonung verbient. Es mag ben andern Gefellfchaft 
Teiften.“ Und fo geſchah es. 

Man öffnete ein andres. Es führte den Titel: der Krenz- 
ritter“. „Um feines heiligen Namens willen,“ fagte der Pfarrer, 
„tönnte man ihm wohl feine Dummheit verzeihen; aber hinter dem 
Kreuze ſteckt der Teufel, fagt das Sprichwort. Fort mit ihm zum Feuer!“ 

„Der Ritterfpiegel” ®, rief der Barbier, indem er ein 
andres Buch aufſchlug. „Ih Fenne Seine Gnaden ſchon,“ fagte 
der Pfarrer. „Hier werben wir ben Herrn Rinaldo von Mont- 
alban mit feinen Freunden und Gefelen — größere Räuber ale 


% Don Olivante de Laura por Antonio de Torquemada. 

% Historia del principe Felix Marte de Mircania. Der Verfaffer beißt Don Melchior de 
Drtegna; gebrudt if das Bud) zu Vallaboliv 1556. 

3 Mintoria del muy valiente y enforzado cavallero Platir hijo del imperador Primaleon. Valla- 
‚dolid 1537. 

© Gehört qu den Romanen von der Tajelrunbe. 

* Eopejo de cavallerian, en el qual me trata de los hochon del conde Ion Raldas y de Don 
Beynaldon de Monialban. Sevilla 188336. 2 Bände Fol. 





— 











VI. Kapitel 63 


Eaens — mebft den zwölf Pairs vom Frankreich und dem wahr ⸗ 
heitliebenden Geſchichtſchreiber Turpin antreffen. Meines Eradtene 
verdienen diefe nicht mehr als eine ewige Lanbesverweifung; denn fie 
haben viele ihrer Gefhichten von dem berühmten Matteo Bor 
jardo 4, von welchem auch der gottfelige Dichter Arioft fein Ge 
webe entlchnte. Dafi mir aber der Ieptere, wenn er ſich bier findet, 
nur feine Mutterſprache rede, fonft babe ich nicht die geringfte Achtung 
für ihn. Spricht er aber diefe, dann ziehe ich den Hut vor ihm ab.’ 

„Ich Habe ihm italieniſch,“ fagte der Barbier, „aber ih ver- 
ſtehe ihm nicht." . 

„Es wäre auch nicht gut, wenn Ihr ihn verftündet,” entgegnete 
der Pfarrer, „und wir würden es dem Herrn Kapitän gern vergeben, 
ment er ihm nicht nach Spanien werpflanzt und zum Kaſtiltaner? 
gemachte Bette) denn er hat ihm zu viel von feiner Naturfraft ent« 


= Alle begehen, welche gereimte Werte in eine 
fü 





enz denn mit aller Mübe und Geſchid- 


feit, die fie auch ar nög | werden fie doch mie die Balls 
endung des Driginals auf unfern Ritterſpiegel 


zurüczufommen, fo ift meine Meinung, ihn und alle andern, vie von 
den franzöfifhen Händen fahrieben, in einen trodnen Bronnen zu 
verfteden, bie man mit mehr Muße überlegt, was mit ihm anzufangen 
ſey; ausgenommen einen gewiffen Bernarbo dei Carpio?, ver 
bier zu Lande ſich umtreibt und einen Andern, Namens Ronces- 
valfes*; denn kommen biefe Beide in meine Hände, fo follen fie 
gewiß aus den meinigen in die Hände der Yungfer Haudhälterin, 
unb aus diefen ohne Barmherzigkeit ind Feuer wandern. « 

Zu dem Allen fagte der Barbier Ja und Amen, weil er wußte, der 
hochwürdige Herr fey ein fo guter Chriſt und Freund ber Wahrheit, 
daß er um Alles in der Welt nicht eine Lüge fagen würde, Er öffnete 
ein andres Bub, «6 war der Palmerin vom Delbaum; 

* Berfafler bes verliebten Rolanı. 

? Der Hauptmann, welcher den Orlando farioso in dad Spaniſche überfegt hecaungab, dieh 
Don Geronime de Merea. 

Geſchrieben von Aug. Alonso. Toledo 15%. 

* Der Verfaffer beift Don Araneisco Warride ve Villera, Das Bud erſchlen In 


Toleto 15%. 
* Libro del famoso Carallero Palmerin de Oliva. Toledo 1580, 
























6 Bon Quixote. 






































daneben fland ein zweites, das den Titel Palmerin von England ® 
führte. 

mDiefen Oelbaum,“ rief der Pfarrer, „ſäget mir auf der Stelle 
kurz und Mein und verbrennt ihn, daß auch nicht bie Aſche übrig 
bleibe; dieſe Palme von England aber bewahrt als ein Kleinod auf, 
fie verdient ein Kaͤſtchen von noch größerem Werth, als dasjenige 
war, weldes Alexander unter der Bente des Darius fand und 
das er zur Aufbewahrung der Gedihte Homers beſtimmte. Aus 
Gränden, Here Gevatter! verdient das Buch Refpeft: erſtlich, weil 
es am fi fehr gut if, und fürs Zweite, weil es, wie bie Sage 
geht, einen weifen König von Portugal zum Berfaffer hat. Alle die 
Abenteuer im Kaſtell Miraguarda find ſchoͤn und kunſtreich angelegt; 
die Sprache ift zierlih und Mar, die Reden finb mit vielem Berftand 
dem Charakter ver handelnden Perfonen angepaßt. Ich dachte alfo, 
mit Eurer Genehmhaltung, Meifter Niklas, verfponten wir dieſen 
and ben Amadis von Gallien mit dem Fener, ſchicktten hingegen 
alle die übrigen, ohne viel Feberlefens, zum Tode.“ 

„Mit nichten, Herr Gevatter!“ ſchrie der Barbier; „ih habe 
den berufnen Don Belianis“?, 

„Der hätte,“ fagte der Pfarrer, „zufammt feiner vierbändigen 
Geſchichte eine Dofis Rhabarber vonnöthen, um ihm die überflichende 
Galle abzuführen. Auch wäre nöthig, das Schloß des Ruhms und 
andre noch größere Ungereimtheiten ganz wegzufchneiven. Darum 
wollen wir ihm Galgenfrift gewähren und, je nachdem er fi beffert 
ober nicht, nach Gnade oder firengen Rechten mit ihm verfahren. 
Nehmt ihn indeffen mit nah Haufe, Herr Gevatter; laſſet ihn aber 
Niemand leſen.“ 

„Das fol geſchehen, hochwürdiger Herr!“ fagte der Barbier, 
und ohne ſich weiter mit Auffhlagen der Bücher zu bemühen, befahl 
er der Haushälterin, die Zolianten nur alle zu nehmen und in dem 
Hof zu werfen. Dies war feiner Tauben noch Blöden gefagt, und 
fie Hätte gewiß wicht das größte und feinfte Stüd Leinwand um die 









% Libro del famonismimo y muy valerono Cavallero Palmerin de Inglaterra. 
® Libro del valeroso principe Don Bolianis de Grreia sarado del Griego, en qual fae encrito por 
el sabio Friston. Burgos 1879. 


J 








VI Kapitel 65 


Frende genommen, bie armen Helden brennen zu ſehen. Sie raffte 
alfo ihrer acht zufammen und warf fie zum Fenfter hinaus, Da fie 
aber zu viele auf einen Schub erfaßt hatte, fo fiel eines bavon dem 
Barbier vor die Füße. Er hob es aus Neugier auf, und las: Ge 
ſchichte des berügmten Nitters Tiramte des Weifen % 

„Ums Himmels willen,” rief der Pfarrer mit Tauter Stimme, 
wift Nitter Tirante bier? Mir her, Here Gevatter, damit ich 
Euch zeige, was für einen Schag von Vergnügen, weld' eine Gold- 
grube von Zeitvertreib wir barin entbedt haben. Hier finden wir 
den tapfern Nitter Gotterbarm von Montalban mit feinen 
Bruder Thomas von Montalban; den Nitter Fonſeca und ben - 
Strauß des tapfern Detriante mit dem Bullenbeifer; die Schel ⸗ 
mereien des Rräufein Luſtigz die Liebechändel und Kniffe der Wittwe 
Wohlgelegen und die Geſchichte der Frau Kaiſerin, die ſich in 

olyt verfiehte. * Elaubt mir, Herr Gevatter, 

trifft, das befte Bud von 

afen doch Die Mitter, fierben auf ihrem ete, maden 

fein orbentfic vor dem Tode noch ihr und thun taufenb 

andre Dinge, davon Andre der Art fein Wort wiſſen. Deffenunge- 

achtet hätte der Verfaſſer auf Zeit Lebens Fr Galeere verbient, weil 

er bei der Schilderung ſolcher Thorbeiten feinen vernünftigen Zwed 

vor Augen hatte”. Nehmt es mit mach Haufe und Iefet;. Ihr werbet 
feben, daß ih Recht habe.“ 

„Out!“ verfegte der Barbierz; „aber was ſoll's mit den übrigen 
Heinen Büchern werden, die noch da ftehen?“ 

„Dies, dent ih, werden feine Kitterbücher, ſondern Gedichte 
ſeyn,“ fprac der Pfarrer. Er nahm. eines heraus, und fand bie 
Diana des Georg von Montemayor?, Da er bei allen übrigen 
einen gleichen Inhalt, vorausfegte, fo fuhr er fort: „Dieſe verdienen 


"Lion eineo lihros de Tiramte el Blanco de Mora Salndn. Fol: Valladolid 1584. (68 ift kat 
feltenfie after fnaniichen Mitterbücer um finder ſich weder im ven Bibliorhefen zu Varis mod zu 
Matrin. 


Siemit ſpielt Gerwantes auf feinen Don Ouizote an, den er auch unfägliche Thorhelten 
begeben lieh, aber in ver Abſicht, durch feine Satyren zu nühen. 

* Gin Portugiefe, ber jroh in fpamifcher Sprache dichtete Seine Diana wurde guerit vom 
Aongo Verer ans Salamanca, dann von Gafy. IL Pole fortgefeht. 








Den Ouinme & 


Bi 
























66 Don Euizste, 


das Fener nicht, wie jene; benn fie lönnen und werben nie fo viel 
Schaden anrichten, als die Ritterbücher fhon gethan haben. Es finb 
vernünftige Bücher, welche die Rechte feines Dritten beeinträdtigen, 
fondern den Berfland des Leſers laſſen, wie er if.“ 

„Ach, hochwürdiger Herr,” fagte bie Nichte, „Ir Könnt fie 
eben fo gut verbrennen als die andern. Denn wie bald wärs ge- 
ſchehen, daß dem Herrn Onkel, wenn er von ber Ritterfenche geuefen 
wäre, und bie ba Iäfe, einfiefe, ein Schäfer zu werben, im Bald, 
anf den Wiefen herumguziehen und zu fpielen; ober, was noch ärger 
wäre, ein Poet zu werben, benn das. fol, wie man fagt, vollends 
ein unheilbares Uebel ſeyn, das an dem Menfchen hängen bleibt, 
wie Pech.“ 

„Das Mädchen hat Recht,“ ſprach der Pfarrer, „und darum 
wirds nicht übel feyn, wenn wir unferem Freunde auch biefen Stein 
ans dem Wege räumen. Fangen wir alfo mit der Diana bes“ 
Montemayor an. Hier bin ih der Meinung, daß wir fie nicht 
ganz, fondern daß wir nur die Stellen von der weifen Felicia unb 
dem bezauberten Wafler, fo wie faft alle die langen Berfe verbrennen; 
laſſen wir ihr dann ihre Profa, fammt der Ehre, das erfte Buch 
feines Gleichen zu ſeyn.“ 

„Das folgende,“ fagte der Barbier, „it die fogenannte zweite 
Dianz des Salmantiners, und diefe dritte da, gleiches Namens, 
hat Gil Polo zum Berfaffer.“ 

nDas Werk des Salmantiners,“ antwortete ber Pfarrer, 
„fol die andern in den Hof und ins Feuer begleiten; aber Gil 
Polo's Diana werde aufbewahrt, als hätte Apollo ſelbſt fie ge» 
ſchrieben. Borwärts, Herr Gevatter, eilen wir, es wird ſchon ſpät!“ 

„Hier,“ fagte der Barbier, indem er ein ambres auffhlug, 
„find die zehn Bücher vom Glück der Liebe, vie Antonio de Lo- 
frafo, ein farbinifher Dichter, geſchrieben hat“ !. 

„Bei der Weihe, die ih empfangen,“ verfeßte ber Pfarrer, 
„fo fange Apollo Apollo if, Mufen Mufen, und Digter Dichter 
























* Das Buch erſchien zu Barcelona 1573. 




















VL Kapitel. 67 


find, ift fein Tuftigeres und naͤrriſcheres Buch gefhrieben worden als 
dies, E86 iſt in feiner Art dad befte und einzige, das je unter ber 
Sonne erfhien, und wers nicht gefefen bat, darf überzeugt feyn, daß 
er noch nie was Gefhmadvolies lad, Gebt mirs her, Herr Gesatter; 
der Fund iſt mir lieber, als hätte mir Jemand einen Priefterrod vom 
ſchonſten florentiner Zeuge geſchenlt.“ Er legte es mit großer Freude 
bei Seite, und der Varbier fuhr fort: 

„Da kommen die Nymphen von Enares, ber Schäfer von 
Iberien, und die Arznei ber Eiferfucht” , - 

„Fort damit," fagte der Pfarrer; „übergebt fie ven weltlichen 
Arme der Haushäfterin, und fragt mich wicht, warum? denn fonft 
würden wir nimmer fertig. « 

„Bolgt nun der Schäfer von Filida,“ fagte der Barbier, 


Der ift fei ifer, fondern ein feiner Hofmann“ *, ant 
vortete der Pfart ebt ihn auf, wie eine köſtliche Juwele“ 
„Der Foliant, welcher jept kommt, beift Schag von allerhand 
Neimen“ *, 

„Warens ihrer nicht fo viel,” fagte der Pfarrer, „fo wären 
fie mehr werth. Man follte ihr Metall erft von ben anklebenden 
Schladen ſaubern. Judeſſen hebt es mur auf; ber Verfaffer ift mein 
Freund, und hat beffere Werke gefprieben, die einen höbern Flug 
nehmen. " £ 

„Die Lieder * des Lopez Maldonadol“ rief der Barbier, 

„Auch er ift mein guter Freund,“ fagte ber Pfarrer, „Die 
Verfe aus feinem Mund wirken unwiderſtehlich, und wen er einmal 
nur in fein Zauberneh zieht, der weiß micht mehr, wie ihm gefchieht. 
Ein wenig breit iſt er in feinen Eclogen; aber bes Guten ift nie zu 
viel. Gebt ihm feinen Map bei ven Auserwählten, Uber was ſteht 
denn dort für ein Buch neben fm?“ 


* Die Werte wreier Dithterlinges Bernurbo ve fa Vega, Gonzaley de Bobarilla 
und. Bart, Sopey de Gneife. 

* Wabefeinlih eine Anſplelung auf ten Titel des Werke: EI pustor de Filide, compuio 

Luis inlvex de Montalvo, Gentilhombre cortenano. 

* Berfaßt son Bavilta, 

* Garrudt zu Maseir 1560 























68 Don Auirote, 

„Die Galaten von Miguel Cervantes,“ amtwortetete | 
der Barbier. 

„Diefer Cervantes ift ſchon viele Jahre lang mein genauer. 
Freund, und ic) weiß wohl, daß er vertranter mit Unglück ift, als 
mit Verſemachen. Die Erfindung in feinem Bude hat Gutes; er 
legt wohl etwas an, führt aber nichts zu Ende. Dod warten wir 
erſt den zweiten Theil ab, den er verfproden hat !. - Vielleicht ver- 
dient er fi noch durch Beſſerung die Gnade, welche ihm bie jet 
verfagt wird. Nehmt diefen indeß mit nach Haufe, Herr Gevatter, 
und hebt ihn anf.” 

„Ganz recht,“ fagte der Barbier; „und hier kommen ihrer brei 
in einem Bande, die Araucana des Don Alonfo de Ercilfa, 
die Auftriade des Juan Rufo, Gefhwornen von Eorbova, und 
der Monferrate des Ehriftoyal de Virmes, eines valenziſch 
Dichters“ *, * 

„Dieſe drei Bücher, find die beſten Heldengedichte in caftilia- 
niſcher Sprade, und können fi mit den gefeiertfien ver Italiener 
meffen. Wir wollen fie als die koftbarften Perlen fpanifher Poeſie 
aufheben. * 








Der Pfarrer war des weitern Bücherbefhauens müde und wollte 
die übrigen vollends auf eine Ladung dem Feuer überliefern, Aber 
der Barbier hatte fhon wieder eines aufgefhlagen mit dem Titel: 
die Thränen der Angelica ®. 

„Diefe Thräuen hätte ich felbft geweint,” fagte der Pfarrer, 
„wäre ih an Verbrennung eines folhen Buches Schuld geworben, 















# Siehe hierüber vie Sebensbefchreibung ves Gerwantes, vie biefem Werte vorangeorudt if. 
# Drei ber beten fpanifchen Gpopeen, wie auch bier ber Pfarrer fagt. Die Araucane Befingt 
vie Wiepereroberung des Fleinen Staates Arauco in Siütamerifa an der Orenze von Gill, 
welche Greilla jelbft mit ausführen half. In der Auſtriade Hat ſich der Dichter, der eigentlich, 
Juan Rufo Outierzez beißt, das berühmte Seetreffen, weldes Don Juan de Auftria 
ven Türfen lieferte, zum Oegenflande gewählt; ver Monjerrate befingt die Gutvedung tes wun: | 
dertätigen Mutter ottee- Bildes zu Donferrate in Gatalonien, die Erbauung der Kirche und 
bie dabel vorgefalfenen Wunder. 

% Las Lagriman de Angelica, de Luys Barabona de Soto. En Granada. 1586. 4. Gine vortreff: 
liche Gpopee, davon aber nur der erfle Theil in zwölf Gefängen erſchenen if. 























VE Kapitel 69 


Der Verfaffer davon war einer der Gerüfmteften Dichter, nicht allein 
Spaniens, fondern der Welt, und fehr glücklich in der Uebertragung 
einiger Fabeln des Dyid. 














| 58 Don Buirate, 


inveffen fragte der Pfarrer den Baner umftändlih, wie und wo er 
Don Duirote gefunden? Letzterer erzählte ihm au Alles, fogar 
bis auf bie feltfamen Neben, die Don Quixote geführt Habe, da 
er ihm fand und nad Haufe ſchaffte. 

Hiedurch wurde der Pfarrer noch mehr im feinem Vorhaben 
beftärkt, folgenden Tags den Barbier zu rufen und fi mit ihm in 
Don Duirotes Haus zu begeben. 




















VE Kapitel 


Schstes Rapitel. 
a En Et. Nas der Dfürser und ter Barbier über bie Bucher des 
Junters Den Duirote gedaten, i 
ange noch lag der Ritter in tiefem Saraf, 
16 fie von der Nichte die Schläffel 
Gemach wo die 


Hauspälteri 

—— fie eligft hin- 

and bald darauf mit einem 

£ 5 Eäfrigen Behmaftn u ser Be 

op zurid. „Da, da, Herr Lirentiat," ſchrie fie, „nehmt und 

befprengt ja erft die ganze Kammer, damit feiner von den vielen 

Herenmeiftern, die in diefen Büchern ſtecken, fommt und und behert, 
dafür, daß wir fie aus der Welt ſchaffen wollen, « 

Der Licentiat Tachte über die Einfalt der guten Frau, und ließ 
fi son dem Barbier ein Bud nad dem andern reihen, ihren Inhalt 
zu beſchauen, weil ſich doch vielleicht einige noch darunter finden 
tönnten, die ein beſſeres Schidfal verdienten 

„Nein, nein, Herr Licentiat,“ fehrie die Nichte, „verfhonet Fein 
einziges; fie haben alle gefündigt.. Am Beften iſt's, mit allen zum 
Fenfter hinaus in den Hof, und da einen Scheiterhaufen daraus ge- 
madjt und verbrannt. Oder noch beffer können wir den Stoß im 





























co Don Quicote. 


Hinterhof anzünden, daß der Rauch nicht fo wiel Auffehens macht.“ 
Die Haushälterin flimmte mit Freuden bei, fo eifrig verlangten fie 
Beide nad dem Tode biefer Unjhuldigen. Der Pfarrer aber gieng 
nicht barauf ein, fonbern blieb dabei, zuvor die Titel leſen zu wollen. 

Der erfie Foliant, welden ihm der Barbier reichte, waren die 
vier Bücher dee Amadis von Gallien, „I es nicht ein wahres 





* Man Ienat werer das Battriaat meh den Berfafler diried äheen aller Ritterkidher 
Babrfkeislih türfir et im Pertagal nen rinm gewiten Basıe tr Erheira geideichen je 
Berzfegungen tasen erideenen ia allen Süntern 






























VI Kapitel, 


Bunder?* ſprach der Marrer, „da haben wir ja gleih das Ritters 
buch, das, wie ich hörte, zuerſt in Spanien gebrudt wurde, und alle 
andern nach ſich gezogen Hat. Ich denfe alfo, daf wir biefen Amadis 
als den Stifter einer fo böfen Sekte ohne weiteres — zum 
Feuer verbammen fönnen, * 

„Mit Nichten, hochwürdiger Herr!“ rief Meifter Niklas. „Ih 
habe mir fagen Taffen, es ſey das Beſte, was in diefem Geſchmach 
geſchrieben worden; und alfo Lönnten wir es wohl ald das einzige 
in feiner Art verſchonen.“ 

„Ihr Habt Recht,“ fagte der Marrer, „und befivegen ſoll ihm 
das Leben gefchenft ſeyn. Laßt fehen, was weiter folgt.” 

„Es find die Heldenthaten Efplandians, eheleiblichen Sohnes 
des Amadis von Gallien 1," antwortete der Barbier 

Was helfen Sohne die Verbienfte des Vaters,” fagte ber 







pfarrer. Jungfer Hauchäfterin, macht das Fenſter 

und in den er mag. bie Grundlage zum 
Stheiterhai i fie dies; der arme Eſplan⸗ 
dian flog in den 


vieler Geduld feine Hin- 
richtung durchs Feuer, tv 

Weiter!“ fagte der Pfarrer, 

nDer da,“ ſprach Meifter Niklas, „ift der Amadis aus 
Gracia ?; und alle auf diefer Reihe, glaub’ ih, find won bes 
Amadis Sippſchafft.“ Pr 

mBort, mit allen in den Hof,“ rief ver Pfarrer; „denm um die 
Königin Pintiquinieftra und den Schäfer Darinel, mit feinen 
Eelogen und feinem verteufelt wirren Gefhwäg aus der Welt zu 
ſchaffen, würde id eher mit ihnen meinen leiblichen Vater verbrennen, 
wenn er mir in Geftalt eines fahrenden Nitters unter die Hände 
käme. « 

Recht fo," fagte ver Barbier. „Vollkommen Net,” fagte die 
Nichte. „Weils denn fo ift,“ ſprach die Haushälterin, „her mit, 
und alle in den Hof.” Sie gaben ihr die ganze Sammlung, die 

# Der Titel des Buche ift quinte Libro de Amadis de tiaula, 0 las sergas del envallers Kaplandlian 


hijo de Amadix de Gaula. Pol. Sevilla 1826. Der Verfafler it Wareta Drvonneg de Montalvo 
# Amadis de Grecin hijo de Don Kirwarte eis. Fol, Burgos 136. 

















62 Don Quitott. 


nicht Hein war, uud fie erfparte ſich die Mühe des Treppenfteigens 
und warf fie zum Fenſter hinaus, 

Bas fömmt denn va für ein Ungethüm?* fragte der Pfarrer, 
— „Don Olivante von Laura“ !, antwortete der, Barbier. — 
„Hat mit dem Blumengarten einerfei Berfaffer, und in Wahrheit, 
ich weiß nicht, weldes von beiden Büchern mehr Wahrheit, over, 
um es richtiger zu fagen, weniger Lügen enthält. Nur fo viel weiß 
id, daß Dlivante, als ein abgeſchmackter Bengel, in den Hof gehört.“ 

„Der Folgende ift Florismarte von Hirfanien” ?, fagte 
der, Barbier, 

„Kommen wir fo zufammen, Here Florismarte?“ verfegte ber 
Pfarrer. „Bei'm heiligen Glauben! der foll, trop feiner feltfamen 
Geburt und fhmwärmerifhen Abenteuer, augenblicklich hinunter in den 
Hof; denn fein harter, trodener Styl verdient nichts Befferes. Hin- 
unter mit ifm und den andern in den Hof, Jangfer Hauspälterin. « 

„a, son Herzen gerne, bogmirdiger, Here! * antwortete dieſe⸗ 
und vollzog eifigft feine Befehle. 

„Hier lommt der Ritter Platir“®, fuhr der Barbier fort. 
„Ein altes Bug!“ rief der Pfarrer: „ih finde aber darum nichts 
in ihm, das Schenung verbient. Es mag ben andern Geſellſchaft 
leiſten.“ Und fo geſchah es. 

Dan öffnete ein andres. Es führte den Titel: der Kreuz- 
ritter® „Um feines heiligen Namens willen,“ fagte der Pfarrer, 
„könnte man ihm wohl feine Dummbeit verzeihen; aber hinter dem 
Kreuze ftecht der Teufel, fagt das Sprihwort. Fort mit ihm zum Feuer! « 

„Der Ritterfpiegel“ ®, rief der Barbier, indem er ein 
andres Buch aufſchlug. „IH kenne Seine Gnaden ſchon,“ fagte 
der Pfarrer. „Hier werden wir den Herrn Rinaldo von Mont- 
alban mit feinen Kreunden und Gefellen — größere Räuber als 


* 1ton Olivanie de Laura por Antoni de Torquemada 

* isiris dei peineipe Yelix Mario de Hirania Der Berfafler beißt Don Melditor re 
Drtegna; arrudı If das Bus) zu Ballavelis 1596. 

# Historie del muy valionie y enforsalo earallero Platir hijo del impeendor Primsleon. Valla- 
deln 1887. 

* Oehöet zu sen Memanen son der Tafelrunke. 

® Enpeja de el qual m irata de los hechns del conde Don Holdan y de Don 
Hernaldos de Montalban. Seville 1853 — 36. 2 Bände Bol 














VE Kapitel 


Cacus — nebſt den zwölf Pairs von ranfreih und bem wahrs 
heitliebenden Geſchichtſchreiber Turpim antreffen. Meines Eramtend 
verdienen biefe nicht mehr als eine ewige Landesverweiſungz demm fie 
haben viele ihrer Gefhichten von dem berühmten Matheo Bo» 
jarbo *, von welchem aud der gottfelige Dichter Arioft fein Ges 
webe entfehnte. Daß mir aber der lehtere, wenn er ſich hier findet, 
aur feine Mutterſprache rede, fonft habe id micht die geringfte Achtung 
für ihn. Spricht er aber diefe, datın ziehe ich den Hut vor ihm ab." 
nd Habe ihm italieniſch/ fagte der Barbier, 2 ich ver⸗ 
ſtehe ihn nicht.“ ib 
Es wäre auch nicht gut, wenn Ihr * ———— entgegnete 
der Pfarrer, „und wir würden es dem Herrn Kapitän gern vergeben, 
wenn er ihn nicht nach Spanien verpflanzt und zum Haftilianer* 
gemachte Hätte. denn er —* ihm zu viel von feiner Naturfraft ent» 
‚gereimte ! 


den franzöfifhen Hänsefn —— in einen — Bronnen zu 
verſteclen, bis man mit mehr Muße überfegt, was mit ihm anzufangen 
ſey; ausgenommen einen gewiffen Bernarbo bel Earpio?, ver 
bier zu Lande fi umtreibt und einen Andern, Namens Nonces« 
valfes*; denn kommen dieſe Beide in meine Hände, fo follen fie 
gewiß aus den meinigen in bie Hänbe der Jungfer Haushälterin, 
und aus dieſen one Barmherzigkeit ins Feuer wandern. « 

Zu dem Allen fagte der Barbier Ja und Amen, weil er wußte, der 
bodwürdige Herr fey ein fo guter Eprift und Freund der Wahrheit, 
daß er um Alles in der Welt nit eine Lüge fagen würde. Er öffnete 
ein andres Bud, es war der Palmerin vom Delbaum; 

X Verfaffer des verliehten Rolank, 

* Der Hauptmann, welcher ven Orlando furiono in das Sdaniſche überfeht heramsgab, hieß 
Don Weronimo de Uerea, 

* Seihrieben vom Aug. Nlonzo. Toledo 1585. 

* Der Berfaffer beit Don Frameisco Garribo ve Billera, Das Buch erfhien in 


Tolevo 1585. 
* Libro del famoso Cavalloro Palmerin de Oliva. Toledo 1580. 














6 7 Don &uirote 


daneben ftand ein zweites, das den Titel Palmerin von England! 
führte. 

»Diefen Delbaum, rief ver Pfarrer, „fäget mir auf der Stelle 
kurz und Hein und verbrennt ihn, daß auch nicht die Aſche übrig 
bleibe; dieſe Palme von England aber bewahrt als ein Kleinod auf, 
fie verbient ein Käfigen von mod größerem Werth, als dasjenige 
war, welches Alerander unter der Beute des Darins fand und 
das er zur Aufbewahrung der Gedichte Homers beſtimmte. Mus 
Gründen, Here Gevatter! verdient das Buch Refpekt: erſtlich, weil 
es an ſich fehr gut ift, md fürs Zweite, weil es, wie bie Gage 
gebt, einen weifen König von Portugal zum Berfaffer hat. Alle die 
Abenteuer im Kaſtell Miragnarda find ſchön und kunſtreich angelegt; 
die Sprache ift zierlich und Mar, die Reden find mit vielem Berftand 
dem Eharafter der handelnden Perfonen angepaft. Ich dachte alfo, 
mit Eurer Genehmhaltung, Meifter Niklas, werfehonten wir dieſen 
und den Amabis von Gallien mit dem Feuer, fehicten hingegen 
alle die übrigen, ohne viel Federleſens, zum Tode. + 

Mit nichten, Here Gevatter!“ ſchrie der Barbier; „ih habe 
den berufnen Don Belianis“?, 

Der hätte,“ fagte der Pfarrer, „zufammt feiner vierbändigen 
Geſchichte eine Doſis Rhabarber vonnöthen, um ihm die überflichende 
Galle abzuführen. Auch wäre nöthig, das Schloß des Ruhms und 
ande noch größere Ungereimtheiten gang wegzuſchneiden. Darum 
wollen wir ihn Galgenfrift gewähren und, je nachdem er ſich Seffert 
ober nicht, nach Gnade ober firengen Rechten mit ihm x 
Nehmt ihn indeſſen mit nad Haufe, Here Gevatter; laſſet 
Niemand Tefen. 

„Das foll geſchehen, hochwürdiger Herr!* fagte der Barbier, 
und ohne fih weiter mit Auffhlagen der Bücher zu bemühen, Sefapt 
er ber Haushälterin, die Folianten nur afle zu nehmen 
Hof zu werfen. Dies war feiner Tauben noch Blöden g 
fie. Hätte gewiß nicht das größte und- feiufte Stück einmand u um d 


ÜLibro del famoninnimo y muy valerons Cavallero Palmerin de Inplassrrn, 


* Libre del valerone principe Tion Halianie de irrein mmendo del Griege, en 
el anbio Friston. Burzon 1879. 














Barbier vor die Füße. Er hob 

ſchichte des berüßmten Ritters 
„AUms Himmels willen,“ 

„iſt Ritter Tirante ‚hier 


Strauß des tapfern Detriante 

mereien des Fräulein Luftig; die 

— und sie Gefgichte der 
n Stallm il 


vor Augen Hatte? Nehmt es —— — 


ſehen, daß ich Recht habe.“ J 

„Gut!“ verfeßte der Barbier; „aber was ſoll's mit dem übrigen 
Heinen Büchern werden, die noch da fliehen?“ 

Dies, dent! ich, werden feine Ritterbücher, ſondern Gebichte 
feon,“ ſprach der Pfarrer. Er nahm eines heraus, und fand. bie 
Diana des Georg von Montemayor?. Da er bei allen übrigen 
einen gleichen Inhalt. voraugfegte, fo. fuhr er fort: „Dieſe verbienen 


# Lon eineo libros de Tirante el Mianeo de Moca alada. Pol. Valladolid 1511. Ba ift had 


fettenfte aller fpamifchen Ritterbüdher und findet ſich weder in den Bibliorbeten zu Paris noch zu 
Matrid, 


* Siemit fplelt Gerwantes auf feinen Don Suirote an, tem er auch unfäglice Thorheiten 
begeben lief, aber in der Mbficht, durch feine Satyren zu müten. M 

* Gin Portugiefe, ber jedoch in ſpaniſcher Sprache ichtete. Seine Diana wurde zuerſt von 
Aonyo Perez aus Salamanca, kann von Gafp. IL Polo fortgeiett. 





Den Dutrere. 9 














64 2 Don Quixote. 


daneben ftand ein zweites, das den Titel Palmerin von England! 
führte. 

n Diefen Delbaum,“ rief der Pfarrer, „fäget mir auf der Stelle 
kurz und Hein und verbrennt ihn, daß auch nicht die Aſche übrig 
bleibe; dieſe Palme von England aber bewahrt als ein Kleinod aufı 
fie verdient ein Käftchen von noch größerem Werth, ald dasjenige 
war, weldes Alerander unter der Beute des Darins fand und 
das. er zur Aufbewahrung der Gedihte Homers beſtimmte. Aus 
Gründen, Herr Gevatterl verbient das Buch Nefpekt: erftlich, weil 
es am fih fehr gut ift, unb fürs Zweite, weil es, wie bie Sage 
geht, einen weifen König von Portugaf zum Berfaffer hat. Alle die 
Abenteuer im Kaſtell Miraguarda find fhön und kunſtreich angelegt; 
die Sprade iſt zierlih und Mar, die Neben find mit vielem Verſtand 
den Eharafter ber hanbeinden Perfonen angepaft. Ih dächte alfo, 
mit Enrer Genehmhaltung, Deifter Nitlas, onten wir biefen 
und den Amadie von Gallien mit —— Hingegen 


alle bie übrigen, ohne viel Federleſens, zum Zope.“ 
„Mit nicten, Herr Gevatter!” ſchrie der Barbier; „ich habe 


den berufnen Don Belianis“? 

„Der hätte,* fagte ver Pfarrer, „zufammt feiner vierbändigen 
Geſchichte eine Dofis Rhabarber vonnöthen, um ihm die überflichenbe 
Galle abzuführen. Auch wäre nötbig, das Schloß des Ruhms und 
andre noch größere Ungereimtheiten ganz wegzuſchneiden. Darum 
wollen wir ihm Gafgenfrift gewähren und, je nachdem er ſich beffert 
ober «nicht, nach Gnade oder firengen Rechten mit ihm verfahren. 
Nehmit ihn indeſſen mit nach Haufe, Here Gevatter; laſſet ihn aber 
Niemand leſen.“ 

„Das foll gefchehen, hochwürdiger Herr!” fagte der Barbier, 
und ohne fih weiter mit Aufſchlagen der Bücher zu bemühen, befahl 
er ber Haudhälterin, die Folianten nur alle zu nehmen und in dem 
Hof zu werfen. Dies war feiner Tauben noch Blöden gefagt, und 
fie Hätte gewiß nicht das größte und- feinfte Stüd Leinwand um die 

Libre del fümenissime y muy valerom Curalloro Palmerin de Ingiateera. 


# Libre del valeroso principe Don Heliania de (rcein suendo del Grisge, en qual fur entrito por 
el anbio Friston. Burzon 178. 











L 


VL Kapitel 


Freude genommen, die armen Helden brennen zu fehen. Sie raffte 
alfo ihrer acht zufammen und warf fie zum Fenfter hinaus. Da fie 
aber zu viele auf einen Schub erfaßt halte, fo fiel eines davon dem 
Barbier vor bie Füße. Er hob es aus Neugier auf, und Ins: Ge 
ſchichte des berühmten Ritters Tirante des Weifen . 
„Ums Himmels willen, « rief der Pfarrer mit Lauter Stimme, 
„iſt Ritter Tirante hier? Mir her, Here Genatter, bamit ich 
End zeige, was für einen Shah von Vergnügen, welch eine Gold 
grube von Zeitvertreib wir darin entbedt Haben. Hier finden wir 
ben tapfern Nitter Gotterbarm von Montalban mit feinem 
Bruder Thomas von Montalban; den Nitter Fonfeca und den » 
Strauß des tapfern Detriante mit dem Bullenbeißer; die Schel ⸗ 
mereien des Fräulein Luſtigz die Liebeshändel und Krniffe der Wittwe 
Wohlgelegen und bit — der Frau Kaiſerin, die ſich in 
Glaubt mir, Here Gevatter, 


achtet hätte ver Verfaffer auf Zeit Lebens 

ex bei der Schilderung folder Thorheiten feinen vern } 

vor Augen hatte?. Nehmt es mit nad danſe und leſet z Ihr werdet 
ſehen, daß ih Recht babe." 

„Gut!“ verfegte der Barbier; „aber was fows mit dem übrigen 
Heinen Büchern werben, die noch da fieben?“ 

„Dies, denk’ ich, werben feine Ritterbücher, fondern Gedichte 
feon,“ ſprach der Pfarrer. Er nahm eines heraus, und fand die 
Diana des Georg von Montemayor ’, Da er bei allen übrigen 
einen gleichen Inhalt, vorausfeste, fo fuhr er fort: Dieſe verdienen 


U Los einco libros de Tirante el Mlanco de Moca Balnda, Fol. Valladolid 1511. 8 iſt das 
feltenfte aller ſpaniſchen Mitterbücher und findet ſich weder in den Bibliotbeten zu Vario noch zu 
Matrid, 


= Siemit fplelt Gerwanten auf feinen Don Quixote an, ben er auch unfägliche Thorbeiten 
begeben Lich, aber in ber Abficht, durch feine Satyren zu nühen, 

* Gin Vortugiefe, der ſedoch Im fyanticher Sprache ichtete. eine Diana wurbe juerfl von 
Alonzo Perez aus Salamanca, dann von Gafy. Dil Bote fortgeieht. 








Den Dulrote. 4 9 











Don Buixote, 


das Feuer nicht, wie jenez denn fie fönnen und werden nie fo viel 
Schaden anrichten, af die Nitterbücher ſchon getham haben. Es find 
vernünftige Bücher, welde die Rechte Feines Dritten beeinträchtigen, 
fondern den Werftand des Leſers laſſen, wie er if.“ 

„Ach, hochwürdiger Herr,“ fagte die Nichte, „Ihr Könnt fie 
eben fo gut verbrennen als die andern. Denn wie bald wärs ge- 
ſchehen, daf dem Herrn Onfel, wenn er von der Ritterſeuche genefen 
wäre, und bie da fäfe, einfiele, ein Schäfer zu werben, im Wald, 
auf ben Wiefen herumzuziehen und zu fpielen; oder, was nod ärger 
wäre, ein Poet zu werben, benn das foll, wie man fagt, vollends 
ein unbeilbares Uebel feyn, dad an dem Menfhen hängen bleibt, 
wie Pech.“ 

„Das Mädchen hat Recht,“ ſprach der Pfarrer, „und darum 
wirbs nicht übel fegn, wenn wir unferem Arı auch diefen Stein 
ans dem Wege räumen. Fangen wir alfo mit der Diana des 
Montemayor an, Hier bin ich der Meinung, daß wir fie nicht 
ganz, fonbern dag wir nur die Stellen von der weifen Felicia und 
dem bezauberten Waſſer, fo wie faft alle die langen Verſe verbrennen; 
laſſen wir ihr dann ihre Profa, fammt der Ehre, das erfte Buch 
feines Gfeigen zu fepn. 

Das folgende,“ fagte der Barbier, „if die fogemannte zweite 
Diam des Salmantiners, und diefe dritte ba, gleiches Namens, 
bat Gil Polo zum Berfaffer.” 

„Das Wert des Salmantinere,“ antwortete der Pfarrer, 
„ſoll bie andern in den Hof und ins Feuer begleiten; aber Gil 
Polo's Diama werde aufbewahrt, als hätte Apollo ſelbſt fie ger 
fchrieben. Vorwärts, Herr Gevatter, eilen wir, es wir ſchon hät!“ 

„Hier," fagte der Barbier, indem er ein audres aufſchlug, 
„find: die zehn Bücher vom Glück der Liebe, vie Antonio de Lo— 
frafo, ein ſardiniſcher Dichter, geſchrieben Hat“ ", 

„Bei der Weihe, die ich empfangen,“ verfeßte der Pfarrer, 
„fo fange Apollo Apollo ift, Mufen Mufen, und Dichter Dichter 


* Das But erſchlen an Barcelona 1579. 























VL Kapitel 


nd, ift fein. luſtigeres und närifgeres Buch gefihrieben worden als 
dies, Es iſt in feiner Art das befte und einzige, das fe unter der 
Sonne erfien, und wers nicht gelefen hat, darf überzeugt fepn, daß 
er nod nie was Geſchmacvolles fat. Gebt mirs her, Herr Gevatter; 
der Fund ift mir Fieber, als hätte mir Jemand einen Priefterrod vom 
ſchonſten forentiner Zeuge gefpenkt." Er legte es mit großer Freude 
bei Seite, und der Barbier fuhr fort: 

„Da kommen bie Nymphen von Enares, ber Schäfer von 
Iberien, und die Arzuei der Eiferfucht“, 

„Fort damit,” fagte der Pfarrer; „übergeht fie dem weltlichen 
Arme der Haushälterin, und fragt mich nicht, warum? denn fonft 
würden wir nimmer fertig. ” 

„Folgt nun der Schäfer von Filida,” fagte ver Varbier. 


m Der ft feiı fer, 5 Qpfmaan ya orte 
ber P auf, * eine 2 

„DE doliant 
Neimen” 

„Birne ihrer U ſo viel,# ver Harrer, „fo wären 
fie mehr werth. Mon folte ihr Metall erf: vom den anffebenten 
Schladen fäubern, Judeſſen Hebt es nur auf; ber Berfaffer iſt mein 
Freund, und hat beffere Werke geſchrieben, bie einen höhern Bug 
nehmen, " 

Die Lieder * bes Lopez Maldonado!“ rief der Barbier, 

„Auch er ift mein guter freund,“ fagte ber Pfarrer, „Die 
Berfe aus feinem Mund wirken unwiberftehlih, und wen er einmal 
nur in fein Zauberneß zieht, der weiß nicht mehr, wie ihm gefchieht. 
Ein wenig breit ift er in feinen Eelogen; aber bes Guten ift nie zu 
viel. Gebt ihm feinen Platz bei den Nuserwählten. Aber was fteht 
denn dort für ein Buch neben ihm?” 


"Die Werte dreier Ditpterlinge; Bernarko Ve la Bega, Wonzaler de Bobapilfa 
und Bart Loven de Önciio. 
* Mabriceinli eine Anfielung auf ven Titel des Werke EI pastor de Filidn, compuenio 
por Kain Galvon de Mantalvo, Gentilhombre cortesano. 
* Verfait von Bapilla. 
Borat zu Marie 1586 




















Don Quitote. 


„Die Galatea von Miguel Cervantes,“ antwortetete 
der Barbier. 


„Diefer Cervantes ift ſchon viele Jahre lang mein genauer, 
Freund, und ich weiß wohl, baf er vertrauter mit Unglüd ıft, ale 
mit Berfemagen, Die Erfindung in feinem Bude hat Gutes; er 
legt wohl etwas an, führt aber nichts zu Ende. Doc warten wir 
erſt ben zweiten Theil ab, ben er verſprochen hat’, Vielleicht ver- 
dient er fi mod durch Befferung die Gnade, welche ihm bis jegt 
verfagt wird. Nehmt diefen indeß mit nah Haufe, Herr Gevatter, 
und hebt ihn auf." 

m Ganz recht, * fagte der Barbier; „und hier fommen ihrer brei 
in einem Bande, bie Araucana des Dom Alonfo de Ercilla, 
die Auftriade des Juan Rufo, Gefhwornen von Cordova, und 
der Monferrate des Chriſtoval de Bir eines valengifpen * 
an, en 

„Diefe brei Bücher find die beften — in caſtilia⸗ 
niſcher Sprache, und lonnen ſich mit den gefeiertſten der Italiener 


meſſen. Wir wollen fie als die — Perlen ſpaniſcher Poeſie 
aufheben.“ 


Der Pfarrer war des weitern — mübe und wollte 
die übrigen vollends auf eine Latung dem Feuer überliefern. Aber 
der Barbier hatte [Kom wieder eines aufgefhlagen mit dem Titel: 
die Thränen der Angelica ®. 


„Diefe Thränen hätte id ſelbſt geweint,” fagte der Pfarrer, 
„wäre id an Verbrennung eines folhen Buches Schuld geworben, 


* Glebe bierüber vie Schensbefchreibung ven Gervanters, bie diefem Werke vorangetrudt if. 

* Drei der beiten ſpaniſchen Gyorcen, wie auch bier der Pfarrer fagt. Die Araucane deſtngt 
tie Wirsereroberung des Meinen Staates Urauco in @ütamerika am der renge von Ghili, 
melde Greilta felbft mit ausführen balf.. Im der Auftrlate dar ſich ker Dichter, der eigentlich 
Iuan Rufo —— beift, das berühmte Seetseffen, weldes Don Iuan de Huftria 
zen Türken lieferte, zum Gegenſtande gewäblt; ver Monferrate befingt die Entdeckung des wur: 
weribätigen Prater boten Bihet zu Donjerrate in Gatafonien, die Grbauung ver Kirche und 
vie zubel zorgefüllenen Bunker. 

* Lan Lagrimas de Angeliea, de Luys Marabans de Soto. En Granada. 1556. 4 Gine vortreff: 
liche paper, daron aber mur der erfle Theil in zwölf Geſangen ericienen it. 











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72 — Don Quixott. 


„Verwundet nicht, aber geſchlagen und gebläut, denn ba hat 
mid der Baftard Don Roland mit einem Eichftamme zerdroſchen, 
und das aus lauter Neid, weil ih der Einzige bin, ber ihm bem 
Preis der Tapferkeit ftreitig macht. Aber ih will nit Rainald 
von Montalban heißen, wenn er mirs trog feiner Zauberei nicht 
entgelten fol, fobald ih nur wieder von meinem Bett auffiehe. 
Jetzt aber bringt mir einen Imbiß, denn dies if mir vor der Hand 
am nöthigften; auf Rache will ich nachher ſchon bedacht ſeyn.“ Gie 
brachten ihm zu effen, wie er verlangte; er ſchlief darauf wieder ein, 
und fie Tonnten fi über feine Narrheit nicht genug verwundern. 
Während ber Nacht verbrannte die Hanshälterin Alles, was von 
Büchern im Hof und im Hanfe war. Sicherlich mußten manche mit- 
brennen, bie wohl verdient hätten, in Archiven ewig aufbewahrt zu 
werben. Allein fo wollte e8 einmal das Schidfal und bie Faulheit 
des Richters, auf daß an ihnen erfüllt würde, Was bas Sprigworig, 
fagt: „Der Gerechte muß mit dem Ungerechten leiden.“ 


Ein Mittel, welches Pfarrer und Barbier vorläufig gegen das 
Uebel ihres Freundes erfannen, beftand darin, die Thüre zur Bücher- 
fammer zu vermauern, damit er fie, wenn er aufftünde, gar nicht 
wieder fände. Denn mit der Urſache, ſchloſſen fie, werde auch bie 
Wirkung aufgehoben ſeyn. Sie verabreveten fih, daß fie ihm fagen 
wollten, ein Zauberer habe Kammer und Alles auf und davon geführt, 
und dies thaten fie auch richtig. 

Zwei Tage darauf fand Don Duirote wieder auf. Das 
Erſte, was er that, war nad feinen lieben Büchern zu fehen. Da 
er nun bie Kammer nicht finden Fonnte, fuchte er im ganzen Haufe 
umber. Endlich kam er an den Ort, wo font die Thüre war, taſtete 
mit den Händen, und kehrte die Augen auf und nieder, ohne ein Wort 
zu fagen. Nach einer guten Weile fragte er endlich doch die Haus- 
hälterin, wo denn feine Bücherkammer fey? 

Die Haushälterin, die ihre Rolle gut inne hatte, antwortete: 
„Was für eine Kammer? Ach, ſuchen Euer Geftrengen nur nicht 
weiter; es ift weder Kammer noch Buch mehr im Haufe, denn ver 
Teibhaftige Teufel hat Alles geholt.“ 











(m 








VIE Kapitel. 73 


„Richt der Teufel,“ ſprach die Nichte, „eim Zauberer wars, 
der auf einer Wolfe daherfam des Nachts, da Ihr den Tag zuvor 
abgereist waret. Er flieg von einem Drachen ab, worauf er rittlings 


gefeffen, und gieng in vie Bücerfammer, Was er darin gemacht hat, 
iſt mir unbewußt. Ich weiß nur, baß er ein feines Weilchen darauf 
zum Dache hinausfuhr, und und das ganze Haus voll Nauch zurüc 
hieß; und da wir nun zufiefen und fehen wollten, was er gemacht 
hatte, ſahen wir weder Buch noch Kammer mehr. Dies erinnern 
wir uns nod, bie Frau Hanshäfterin und ih, daß ber alte Böfe- 
mit, glei da er abzog, mit lauter Stimme fagte: er habe aus 
beimficher Feindſchaft, die er gegen den Herrn dieſer Bücher und 
Kammer früge, einen Schaden im Haufe angerichtet, den man fon 
findenwerbe. Er fagte auch noch, daß er der weife Munaton ſey.“ 
„Erefton, muß er gefagt Haben,“ fprah Don Duirote: 











Den Outeote. 4 10 


Don uirote, 


veisten diefe Nacht durch fo fharf, daß fie ſchon bei anbrechenden 
Tage fiher waren, von Niemand gefunden zu werden, wenn man fie 


auch fuhen wollte. Sancho Panfa ritt auf feinem Efel daher wie 
ein Patriarch, mit feinem Schnappfade und mit feinem Schlauche, 
voll Berfangen, fih bald ald Statthalter der Inſel zu fehen, bie 
fein Herr ihm verfprochen hatte, Es traf ſich, daß Don Duirote 
denfelben Weg über die Ebene Montiel einfhlug, ben er auf feiner 
erfien Fahrt genommen hatte, und in der That reiste er jeßt mit 
weit mehr Bequemlichkeit, ale das legtemal; denn ed war Morgen 
und die Sonnenftraßlen, die ihn nur fehräg trafen, fielen ihm nicht 
fo befpwerlich, 

Da hub Saucho Panfa an: „Geftrenger Herr fahrender Nit- 
ter, feht ja wohl zu, daß Ihr das nicht vergeht, was Ihr mir 
wegen der Juſel verſprochen habt. Sie mag fo groß ſeyn nd fe 
will, regieren will ich fie ſchon.“ 








pr 








VI. Kapitel. 


„Du ſollſt wiſſen, Freund Saucho Panſa,“ antwortete Don 
Duirote, „daß ed bei den alten fahrenden Rittern der allergewöhn- 
lichſte Brauch war, ihre Schildlnappen zu Statthaltern der Imfeln 
und Koͤnigreiche zu machen, bie fie eroberten, und ic bin feft ent- 
ſchloſſen, daß ein fo Föbliher Brauch durch mich nicht untergehen fol, 
im Gegentheif gedenle ih, es ihnen zuvor zu thun. Jene warteten 
zuweilen — und vielleicht meift — bis ihre Schilofnappen alt und abge- 
dient waren, und wenn fie nun abgebient waren, und viel böfe Tage 
und noch ſchlimmere Nächte durchgemacht Hatten, dann gaben fie ihnen 
erſt einen Grafen» oder Marquefen- Titel von irgend einem Thale 
ober einer Provinz, größer oder Heiner; aber wenn du lebſt, und 
and ih lebe, fo Fönnt es gar leicht kommen, daß, che ſechs Tage 
um wären, ich ein folhes Königreich gewönne, das mehrere kleinere 
unter fih bat, und biefe fämen fehr gelegen, um bie über eind da⸗ 
—— zu laſſen. Und. baräßer ſaunt. nun nichtt 
denn es beg Nittern ſo 


Fälle durch nie. geragte unb-nie er 


leicht noch mehr werbe geben Können, 


„Ei,“ verfeßte Sanyo, „wenn id num irgenb durch fo ein 
Wunder, wie Euer Geftrengen va fagt, König würbe, da würde ja 
Marie Outierrez, meine Hausehre, wenigflens eine Fe und 
meine Jungen Prinzen? Nicht wahr?” 


Freilich,“ fagte Don Duirote; „wer zweifelt daran?” 


„Ich,“ fagte Sandoz; „denn ich benfe fo bei mir: wenn auch 
gleich der Tiebe Gott Tauter Kronen auf die Erbe regnen Tiefe, fo 
paßte doch feine auf Marie Outierrez ihren Kopf. Nein, geftrenger 
Herr, fie und eine Königin — zur Gräfin, möchts noch, und doch 
nur faum, Gott helf ihr!“ 


„Befich! du's Gott, Sanıhol“ fprah Don Quixote; „der 
giebt Jedem, was ihm gebührt. "Aber ermichrige dich nur micht ſelbſt 
fo fehr, daf du mit etwas Minderem als einer Statthalterſchaft 
vorlieb nehmen wollteft. ” 

















0 Don Euirste 


Das will ich auch nicht thun,“ verfehte Sanyo, „und um fo 
weniger, da ich an Euer Geftrengen fo eine trefflihen Herru Habe, 
der mir fon geben wird, was mir gut ift, und ich tragen ann, « 




















— — Verlauf. 
ben entdeckten fie dreißig bis vierzig Wind» 
mählen auf dem Felde. Don Duirste 
erbficte fie kaum, fo ſprach er zu feinem 
Schildtnappen: „Das Glück führt un 
Thun beffer, SE wir verlangen ‚fon 


denn ſolche Kriege find gut, und es gefchicht 
Ehren, wenn man folhe böfe Brut Kor Angeſicht 

„Was denn für Riefen?“ fragte Sanho Panfa. 

„Die du dort ſiehſt, fagte fein Herr, „die mit ven fangen 
Armen, welche einige von ihnen bei zwo Meilen fang zu haben pflegen, « 

„Seht wohl zu, geſtrenger Herr, was Ihr thut, denn das, 
was wir dort fehen, find ja feine-Riefen, fondern Windmühlen, und 
das, was Ihr für die Arme amfehet, find bie Flügel, die, wenn fie 
der Wind herumbreht, den Stein treiben. * 

„Da fieht mans,“ fprah Don Quixote, „wie ſchlecht du 
dich auf Abenteuer diefer Art verſtehſt. Ind fommt dich etwa eine 
Furcht an, fo hebe dich weg und bete ein Water Unfer, dieweil ich 
bingehe, einen Fühnen aber ungleihen Kampf zu beftchen. # 

Mit diefen Worten gab er feinem Gaul Nozinante bie Sporen, 
ohne weiter auf den Schildtnappen Saucho zu hören, der ihm immer 
noch nachſchrie, daß es gewiß Windmühlen und feine Niefen wären, 








Den Oufeote 1 TI 








Don Euirote. 


er angreifen wollte. Allein, die Niefen faßen ihm ſchon fo feſt im 
daß er weder auf Sauchoe Geſchrei hörte, mod fih bie 
Mühe gab, ihre wahre Beſchaffenheit, fo dicht er auch ver ihnen war, 
gu begreifen. Mit lautem Gefrei lam er auf fie lot: „Rlicht nicht, 
ihr feigen, ihr elenden Gefhöpfe; ein einziger Nittermann ifis, der 
euch Feste anfündigt.* — Inteffen erhob ſich ein Meiner Wind, der die 
großen Flügel bewegte Dies ſah Don Onirote und fhrie: „Hal 
wenn ihr auch mehr Arme ansfredtet, als Niefe Briarens, follt ihr 
mir doch die Zeche bezaffen." — Und Fiemit empfahl er ſich feinem 
Fräufein Dufeinea mit bemäthigem Erſuchen, fie wolle ihm in diefem 
ſchweren Strauß zu Häffe eilen, bededte fig mit der Tartſche, Tegte 
mit der Lanze ein und raunte in vollem Galopp mit feinem Nozinante 
auf die erſte Mühle los. Judem er nun auf ben einen Flügel einen 
+ drehte der Wind deuſelben fo wüthend herum, daß die 
anz is itter gieng, und Gaul und Ritter übel zugerihtet 
wurden. 


Sancho eilte, was fein-Efel nme immer laufen konute, herbei, 


und fand, dafı fein Herr ſich faum mehr rühren kountez einen fo 


6 




















VII. Kapitel, 


ſchweren Fall Hatte er mit feinem Rozinante getfan. „Nun, ah 
für!“ fprah Sandoz; „Hab ichs Euer Geftrengen nicht gefagt, Ihr 
folltet wohl zufeben, was Ihr thätet, und dag es nur Windmühlen 
wären? Meiner Treu! man mußte felber welche im Kopfe Haben, 
wenn mang nicht fehen wollte. « 

„Schweig, Freund Sancho,“ fagte Don Quixote; „Krieges 
glück iſt Veränderlicher denn all Und gewiß ift e8 fo, jener weife 
Zauberge Brefton, derimir Kammer, und Bücher entführt, Sat auch 
diefe Niefen in Windmüblen verwandelt, nur damit er mir nicht die 
Ehre, fie Seflegt zu haben, Küche; fo heftig if der Oral, den er miter 
mich trägt, Aber wenns zum Ende Fommt, dan, ja dann follen 
ihn feine böfen Künfte wenig helfen wiber mein gutes Schwert, * 

„Isa, wenns Gottes Wille il" ſprach Sande, ” * 


n ſagte Don Duir es anmöglic, 
DaB nr nie ner FE Finden fein, weil es ein 
fo gangbarer Ort if.“ Was ihn jedoch fehr betrübte, war der Ver | 
luſt feiner Lanze, weßhalb er ſich alfo ſprechend an Sanch o wendete: 
„Ich erinnre mid), gelefen zu haben, daß ein ſpaniſcher Ritter, ger 
nannt Diego Perez de Vargas!, da ihm das Schwert im Kampfe 
zerfprungen war, einen Aft von einem Eichſtamm herunterriß uud 
damit felbigen Tages ſolche Thaten verrichtete und fo viele Mohren 
matfhte, daß er davon den Zunamen Matſcher bekam, und er ſowohl 
als feine Nachkommen fi, zum ewigen Gevähtniffe hievon, Bargas 
und Matfcher nannten. Dies fag ich dir, weil ich von der erſten 
Eiche, die mir aufftößt, einen chen fo flarfen und ſchönen Aft als 
jenen reifen, und damit eben folhe Thaten thun will, daß du Gott 
danken und dich glücklich preifen foltft, fie nur fehen und ein Zeuge 
von Dingen ſeyn zu Finnen, die faſt Niemand glauben wird." 
„In Gottes Namen!” fprab Sandoz „ih glaubs ja Alles, wie's 
Euer Geftrengen da erzählt! Aber fegt Euch doch ein wenig gerade; 


* Diefen Abenteuer ereignete fit bei ver innahıne von Kerey unter kem Keiigen Arrninan 
Bargas bekam ven Beinamen el Maduca. 























86 Don Buirote. 


Während dieſes Gefprähs erfhienen auf der Landſtraße zwei 
Brüder Benebictiner, anf Maulthieren dahertrabend, die fo groß wie 
Trampelthiere waren. Sie führten beive Stanbbrillen und Sonnen 
fhirme, Hinter ipnen her kam eine Kutfhe mit vier oder fünf Be- 
gleitern zu Pferd und zwei Maufthierjungen zu Fuße, Im der Kutſche 


befand ſich — wie ſich nachher ergab — eine biscaifhe Dame, die 
nad Sevilla zu ihrem Gemahl wollte, der in einer großen Bedienung 
nach Indien zu gehen im Begriffe war. Die beiven Mönde gehörten 
aber nicht zu ihrem Gefolge, ungeachtet fie dieſelbe Strafe zogen. 
Kaum hatte fie Don Quixote entdeckt, fo ſprach er zu feinem 
Schildknappen: „Entweder irre ich mich gewaltig, oder hier ftößt mir 
das berübmtefte Abenteuer auf, das man je auf Erden ſah. Gewiß 
find jene zwei ſchwarze Geftalten ein paar Zauberer, die irgend eine 
geraubte Prinzeffin in jener Kutſche entführen; drum ift nöthig, daß 
ich dieſem Ungebühr nad Kräften fteure. * 

„Das wird noch fehlimmer gehen, als mit den Windnrühlen, + 
ſprach Sauch o. „Sebet wohl zu, geftrenger Herr! die Beiden find ja 
bodwürbige Brüder von Sanet Benediet, und in der Kutjche find irgend 
fonft andre Wandersleute. Ad! ſchaut doch ja wohl zu, fag ih noch 
einmal, daß Euch der Böfe nicht verbiende. ” 























VII. Kapitel 


„Ich Habe dirs fchon geſagt, Sancho,“ verfegte der Ritter, 
mdaß du dich nicht auf Abentener verftehft; denn was ich bir fagte, 
ift wahr, und du wirft es zur Stunde erfahren.” Hiermit rüdte er 
einige Schritte voraus, ftellte ſich mitten in bie Strafe, wo bie beiden 
Mönche Herfamen, und da fie ihm fo nahe waren, daß er vom ihnen 
gehört zu werben glaubte, erhob er feine Stimme mädtig: „Vers 
teufelted, Heiflofed Volt! geht augenblidtih frei und Iedig die er- 
lauchten Prinzeffinnen, fo ihr wider ihren Willen in diefer Kutſche ent- 
fügret, oder macht End gefaßt, den Tod zu empfangen als gerechte 
Bügtigung für eure böfen Werke," 

Die ehrwürbigen Herrn hielten ihre Maufthiere an, soll Staunens 
ſowohl über die Geftalt, als die Anrebe des Ritters. „Herr Ritter, # 
antworteten fie, „wir find weber vertenfeltes noch heilloſes Volk, fon- 


dern zwei Geiftlihe pom Orden Sanct Venedicts, ziehen aße / 
| ind mifen —— Rufe Ber rn 


„Bei mir fommt ihr mit glatten Werten mit bavonz id fenne 
euch treufofes Gezůchte fon, * ſchrie Don Duirote, gab, ohne wein 
tere Gegenrebe zu erwarten, bem Rozinante bie Sporen, und rannte 
mit eingefegter Lanze fo grimmig auf ben einen Bruder Tos, daß, 
wenn diefer ſich nicht augenblicklich ſelbſt von feinem Maulthiere her 
abgeworfen Hätte, er ihn ohne Barmherzigleit ſchwer verwundet, wo 
nicht gar tobt herabgeſtürzt haben würde. Der andre Ordenebruder, 
als er feinen Gefährten fo übel mitfpielen fah, fehte feinen wohl« 
genährten Efel die Ferfen wider den Wanft, und jagte fehneller als 
der Wind über dad Feld weg. As Sanch o ben Mind auf ber Erbe 
Tiegen ſah, ftieg er hurtig von feinem Efel ab, lief herzu und fieng 
an, ihn audzuziehen. Indeß famen die Maufthiertreiber ber beiden 
Mönde herzu, und fragten Sancho, was er da made? 

„Ich nehme die Beute, die mir von Gott und Nechtswegen ge- 
hört, weil mein Herr Don Quixote das Treffen gewonnen hat; “ 
ſprach Sanch o. Die Burfhen aber, die weder Spaß, noch was von 
Beute und Treffen verfiunden und Don Duirote fon ein Stüd 
davon mit dem Leuten bei der Kutſche im Gefpräch begriffen fahen, 



























Don Quixote. 


padten ben guten Sando, warfen ihm zu Boden, traten ihm mit 
Füßen, rauften ihm alle Haare aus dem Barte und Tiefen ihn finn- 
und athemfos auf der Erbe ausgeftredft Tiegen. Ohne einen Nugen- 
blick zu fäumen, flieg der geiftliche Herr voll Furcht und Zittern und 
ohne ein Färben im Geſichte vom Boden auf, und eilte, ba er 
wieder beritten war, ſpornſtreichs feinem Mitbruber nad, der in ge» 
siemenber Entfernung auf ber Lauer fand, um den Ausgang bed 
Ueberfalls abzuwarten. Nun aber festen fig, unbefümmert nm bem 
fernern Verlauf des Abenteners, ihre Neife fort, und fehfugen eim 
Kreuz über das andre, als wenn ihnen der Teufel ſchon Hinten auf 
der Kutte ſaͤße. 


Don Dxirote unterhielt ſich indeß, wie ſchon gefagt, folgen 
dermafien mit der Dame in der Kutſche: „Eure Schönheit, gnädige 
Frau, lann nun wieder über Dero Perfon verfügen, ganz nad) eigenem, 
Belieben, denn zu Boden geſtreckt Tiegt durch biefen meinen tapfern Arm 
der Stolz Eurer Räuber; und damit Ihr nicht in peinficher Ungewißheit 
fhwebet über die Namen Eures Befreiers, fo wiffet, daß ih Don 
Duirote von der Manda bin, ein fahrender und abenteuernder 
Nitter und Gefangener der umvergleihlih fhönen Herrin Dul— 
einen von Tobofo, und zum Dank für ſolche Wohlthat verlange 
ich nichts Anderes, als daß Ihr ummendet nah Tobofo und Euch 
vor biefer Herrin ftellt in meinem Namen, um ihr zu melben, was 
mein tapfrer Arm für Eure Befreiung gethan habe.” 


Diefe Standrede unferes Redners hörte Einer aus dem berittenem 
Gefolge der Dame, ein Biscaier von Geburt. Als er fah, daf 
Don Quixote den Wagen nicht fortlaffen wollte, fondern immer 
davon fprah, man müffe nah Tobofo fahren, machte er fih an ihn, 
padte ihn bei der Lanze, und fagte in gebrochenem Caftifianifh und 
noch ſchlechterem Biscaierwelfch zu ihm: „Pad dit, Nitter! oder gehts 
ſchlecht! bei Gott, der mir erfchaffen, den Wagen gehn g'laßt, oder 
ich ſchlag dir maustodt, fo wahr ick Biscaier find.“ Don Qui— 
rote verfiund ihm ganz wohl, und verfegte gelaffen: „Wäreft du 
Nitter, fo wie du's mit bift, ich mollte dich bald etwas Anderes 
Ichren, du elender Tropf.“ 





















































VI. Kapitel, 9 


„IE wit Ritter fegn®“ ſchrie der Disenier; „ice ſchwoͤren zu Gott; 
du fügen es wie ein Chriſtenmenſch. Wirf weg bie Spieß and greif das 
Schwert, id bir zeigen will, wie die Kat die Maus beißt. Biscaier 
auf die Erd, Edelmann auf dad Meer, Edelmann vor bie Teufel, und 
erfogen is, wenn du anders fpreden. 


«da, ſchauen follft du es, rief einſtens Agrages,“ fagte Don 
Quixote, warf bie Lanze auf die Erde, zog das Schwert, fahte 
feine Tartſche und gieng auf den Biscaier los, feſt entſchloſſen, ihm 
den Garaus zu machen. So gern der Biseaier, der ihn fo gegen ſich 
tommen fah, auch abgeftiegen wäre, fo fonnte er doch, weil er nur einen 
Mietheſet hatte, auf den fih nicht zu verfaffen war, in der Eile 
nichts weiter thun, als feinen Degen ziehn. Zum Glück war er hart 
am Wagen, aus dem er ein Polſter ergreifen Tonnte, das ihm zum. 


Schild diente, und firads waren fie über einander ber, 
fie zwei Tobfeinde gewefen. Die andern — 
bringen, aber Das war ummöglih; denn der. e Biscaier ſchwor 


in feinen Kauderwelſch, wenn fie ihn mit gehen und feinen Han- 
del auefechten Tiefen, fo wollt er feine gnadige Frau und Alle, 
die ſich ihm widerſehten, umbringen. Die gute Dame im Wagen, 
erſtaunt und erſchrocken über das, was vorgieng, ließ den Kutſcher 
ein wenig bei Seite fahren, und fah von fern dem gewaltigen Kampfe 
zu. Ehe man ſichs verſah, verfepte der Biscaier dem Don Duirote 
einen fo mächtigen Hieb über die eine Schulter zu oberft der Tartſche, 
daß er ihn, wenn biefe ihn nicht bevedte, bis auf ven Hofenbund 
gefpalten hätte, 


Don Duirote, ald er das Gewicht dieſes Streihe fühlte, 
ſchrie Taut auf: „D Gebieterin meiner Sesle, Dulcinca, Blume ver 
Shönbeit, fommt Eurem Nitter zu Hilfe, ver um Euretwillen ſich 
in dieſem ſchweren Strauße befindet.” Dies fagen, das Schwert 
bob f&wingen, bie Tartfhe vorwerfen und anf ven Biscaier los - 
fürgen wor eins; denn auf dieſen einzigen Streich follte Alles ar 
kommen. Der Bispaier, der ibn fo auf ſich einbringen ſah, merkte 
wobl, daß fein Feind Muth babe, und beſchloß, ihn mit nicht min 
derem zu empfangen, Er bedeckte ſich alfo beſtmoͤglichſt mit feinem 

































Polſter, feinen Mauleſel aber konnte er weder kehren noch wenden, 
weil er; theils vor Müdigleit, theils folder Kurzweil ungewohnt, 
feinen Schritt mehr gehen wollte, 

So gieng nun, wie gefagt, unfer Nitter mit hochgeſchwungnem 
Schwerte auf ben Biscaier los, feſt entfhloffen, ihn mitten entzwei 
zu hauen; ber Biseaier erwartete ihm mit nicht minder gehobnem 


Don Auirote. 





Schwerte und wohl gepofftert, und alle Zuſchauer fanden in banger 
Erwartung da, wie Beide fo gewaltige Streihe, die unfere Kämpfer 
ſich droßten, fallen würden. Die arme Dame in der Kutfche und 
ihre Zofe thaten allen Wunderbildern, Gotteshäufern und Kapellen 
in Spanien taufend Gelübde, daß der barmherzige Gott fie und den 
guten Stallmeifter aus der ſchreckllichen Gefahr retten möge. 

Aber Jammer und Schade ifts, daß gerade hier der Verfaſſer 
diefer Gefhichte abbricht, den unerhörten Kampf unvollendet ſchweben 
laßt und fih damit entf—hufbigt, er habe nichts weiter von den Thaten 
Don Duirotes aufgezeichnet gefunden, als was er bisher erzählt, 
Indeß fonnte fih der Herausgeber dieſes Werfleins nicht überreden, 
daß eine fo merkwürdige Gefhichte in Vergeſſenheit begraben feyn, 
und fih in den Schränfen und Archiven wifibegieriger und gelehrter 
Männer aus der Mancha nicht noch einige Papiere finden follten, die 
von diefem berühmten Ritter handelten. In dem Gedanken verzweifelte 

















VII. Kapitel. 9 


er nicht, noch immer einmal dad Ende biefer anmuthigen Geſchichte 
zu finden. Es glüdte ihm auch mit Gunft des Himmels den großen 
Fund zu thun. Wie? wird das Folgende ſagen. 




















T 


Zweites Buch. 
tes Rapite 


muthige Biscater und Don Qui— 

ote im Begriff waren, mit hodge» 

ſchwungnen Klingen zwei Streihe zu 

5; führen, bie, wenn fie voll trafen, 

Beide von oben bis unten wie Gra- 

„ Natäpfel würden gefpalten haben, brach 

im entfheivenden Augenblick die Hi» 

= ftorie ab. So begierig ich den Anfang 

gelefen Hatte, fo fnell gieng mein 

Vergnügen in Mißvergnügen über, 

wenn. ich an ben weiten Weg date, ven ih würde durchlaufen mäffen, 
um ben Neft jener Geſchichte ausfindig zu machen. Es ſchien mir uumdg« 
lich, daß ein fo wackrer Nitter nit einen Weifen ſollte gefunden haben, 
der feine mie gefehnen Thaten aufgezeichnet hätte; hat es doch feinem 















Don Quixote. 





9 


ber irrenden Nitter an einem ober. ein paar Weifen gemangelt, bie 
fogar feine geheimften Gevanfen und Rindereien ausmalten, Ich warf 
Tieber die Schuld auf die Bosheit der Alles verſchlingenden Zeit, erwog 
jedoch andrerfeits, daß unter umfers Ritters Büchern fo neue, als die 
Arznei der Eiferfucht, die Nymphen und Schäfer von Enares, ſich 
gefunden hatten, daß ſonach feine Geſchichte aud nicht fo gar alt fegn 

me, fondern, falls fie aufgezeichnet wäre, nod im Audenken der 

ute bes Dorfes und ber Nachbarſchaft leben müffe. Diefer Gedanfe 


machte mich begierig, um Leben rein und gründlich 
zu erfahren, zumaf ba er d er, in unfern fo böfen und 

tem Higen, Amte unterzog, um 
urn 4 em zu helfen und Junge 
frau ge Ihren Zeltern mit der Reit» 


peitſche in der unugferſchaft zur Seite vom 


























IX. Kapitel 9 


Berg zu Berg, von Thal zu Thal zogen, and wenn micht irgend ein 
Buſchtlepper oder Bauerlümmel mit Streitart und pidelhaube, oder 
ein ungeſchlachter Riefe den Zwinger ihrer Zungfernfhaft im Sturn- 
ſchritt einnahm, vor Zeiten oft nach achtzig Jahren mod, in welchen 
fie feine einzige Nacht unter einem Dache gefchlafen hatten, fo rein 
und unbeflecit zu Grabe getragen wurden, als bie Mütter, bie fie 
geboren, Diefer unb vieler andern Nüdfichten wegen find ih unfern 
wadern Ritter eines ewigen und unvergeßlihen Lobes werth. And) 
nein Fleiß und meine Mühe, fo ich auf Entdedung biefer merfwür- 
digen Geſchichte wandte, iſt micht minder Ehren und Danted werth, 

tet ich wohl weiß, dafı wenn Himmel, Glack und Zufall mir nicht 
beigeftanben, die Melt dennoch; das Vergnügen vor einem paar Stun« 
ben und ber andächtige Lefer manchen Zeitvertreib hätte entbehren 
müffen. — Mit meinem Funde giengs folgenvergeftalt zu. 

Rt} auf der Alcana * zu Toledo; da 


Ant, F ich 


heben můſſen, nahm, vermöge — natüi 

von den alten Papieren bes Jungen, und ſah, daf es arabiſche Hand» 
ſchrift war, wie mirs ſchien. Die Schrift lanut ih aun zwar, fie zu 
leſen aber war ih nicht im Stande. Ich ſah mich alfo auf dem Plage nach 
einem ſpaniſchen Mofren um, der mird erklärte, Es wurde mir nicht 
ſchwer, einen ſolchen Somenc zu finden, denn ich hätte wohl für eine 
beffere und ältere Sprache bie melde angetroffen *. Sturz, das Glück 
führte mir einen zu, ben ich bat, indem ich ihm das Buch gab. 
Er ſchlug es mitten auf, Tas ein wenig und fieng an zu lachen. „Was 
lacht Z6r9” fragt ich ihn. „Ueber eine Anmerkung, * fagte er, „bie 
ih dA auf dem Rande gefhrieben finde.” Ich bat ihn, er follte fie 
mir mittheilen. Er that es, und las mir unter beftändigem Lachen 
Folgendes: „Diefe Dulcinea von Tobofo, deren zum öftern in biefer 
Hifterie gedacht wird, foll die fertigfte Fauft unter allen Weibern 
von der Manda gehabt haben, um Schweinefleiſch einzuſalzen.“ 


* Der Krämerplat ter genannten Statt. 
* Das heit einen Juten, 








12 Don uirste. 


Der Name Dulcinea von Tobofo madgte mid bei 
‚glei am mir ber Gebanfe, diefed alte Manufeript 
die Geſchichte Dom Duirotes enthalten. Ju 
ich ihn, mir den Anfang zu leſen; er that es, { 
das Arabifhe ins Spanifge, und ba hörte ih : Hifteria 
Don Duirotes von ber Mandja, beſchrieben durch Cid —— 
Ben-Engeli, arabiſchen Geſchichtſchreiber. Ich — 
Freude zu verbergen, welche biefer —— BE 
dem Seivenhänbfer alle biefe Papiere wieder and den Händen, und 
taufte dem Jungen ben game # einen halben Real 
er wohl’ ſechs von mir hätte b tB nen, wenn er Hug 
wäre und gemerkt hätte, wie viel 3 darau gelegen war. 
gieng ich eifende mit meinem Mohren ben Kreuzgang ber 
fire, und bat ihn dringend, er md Inte allen, I x % dieſen 
Papieren von Don Duirote handle, yne 
than, ind Spaniſche überfepen; für feine 
was er verlange. Er verlangte eine 
zween Scheffel Weizen. Wir wurden | seld einig, und er verfprach 
mir gut, treu und pünktlich zu überfeßen; ich aber, um ihm das 
Bert zu erleichtern und meinen Schatz nicht aus ben Händen zu 
faffen, nahm ihm zu mir ind Haus, und in weniger als anderthalb 
Monaten überfegte er Alles, fo wie folgt: 

Gleich auf dem erften Blatte befand fih ein fehr treues Gemaͤlde 
des barten Treffeng - zwifchen Don Quixote und dem Biscaier 
Beide ftanden noch in ber nämlichen Stellung, wie die Geſchichte oben 
fagte, mit emporgebobenen Schwertern, ber eine mit der Tartſche, 
der andere mit feinem Polfter Gebet und ver Maufefel des Biscaiers 
war fo trefflih nad dem Leben abeonterfeiet, daß man ihn auf 
Bhichſenſchuß weite ſchon für einen Mietbefel erfannte. Zu den Füßen 
des Discaiers and geſchrieben Don Sancho be Azpetia, was yer« 
muthlich fein Name war, und unter Nozinante ftand Don Dnirote, 
Nozinantes Eonterfei war überaus funftreih; er war fo lang, fo 


"Gervantet folgte dem Oefehmadte jener Zeit, Indem er feinen Don Duirute von einem 
Diodren verfaßt ſevn LAN, Mebelgens verfiedte ex unter em Namen Ven-Öngeli feinen eignen, 
Denn Gngeli uf ein arabifhes Veimert, deſſen Wurzel agel Hirſch bereitet, gerade wie Wer, 
vantes das Mort eiervo birſch zur Wurzel hat 

















IX. Kapitel 





dünn, fo welt, hatte ein frigigen Nüdgrat und fo ſchwindſüch⸗ 
tiges Ausſehen, daß man glei auf den erſten Blick ſah, wie wohle 
bedachtig und wahr man ihm aljo genannt hatte, Ihm zur Seite ſtaud 
Sando Panfa !, feinen Eſel bei dem Halfter Haltend; zwiſchen 
den Beinen hatte er einen Zettel, worauf Saucho Sancas* fand, 
vermuthlich weil er, wie die Figur zeigte, einen derben Wanft, kurzen 
Wuchs und ein plumpes Untergeſtell Hatte, Beide Nauen, Panfa und 
Sancas, müſſen ihm alfo mit Recht zuftehen, wie deun aud iu ver 


* Diebauc. 
* Batfhbein 


























Dan Ournch 13 








“8, Don uizote. 


Folge dieſer Geſchichte unter beiden feiner etlihemal gedacht wird. 
Einige andre Kleinigkeiten könnt ih noch dabei anmerken, aber fie 
find von feiner Erheblichkeit, und tragen zur Beftätigung der Wahr- 
heit dieſer Geſchichte gar nichts bei; denn allerdings ift nichts ohne 
Bedeutung, wenn es dazu dient, die Wahrheit herauszuftellen. 

Wollte man gegen die Glaubwürdigkeit diefer Geſchichte irgend 
einen Zweifel erheben, fo könnte es einzig aus dem Grund gefchehen, 
weil fie einen Araber zum Berfaffer hat, welcher Nation bas Lügen 
wie angeboren ift; wenn man aber wieder bedenkt, daß fie unfre 
Feinde find, fo ſieht man, daß er den Ruhm unfers Ritters eher 
vermindert als übertrieben haben würde. Und dies, glaub ihr hat 
er aud wirklich gethan; denn an manden Etellen, die er mit recht 
volftrömendem Lob unfers guten Ritters hätte auszeichnen fönnen und 
ſollen, ſcheint er gefliffentlich zu ſchweigen: ein höchſt unbilliges Ber- 
fahren von einem Geſchichtſchreiber, der pünktlich, unpartheiiſch und 
ohne alle Leivenfchaft, fi weder durch Eigennug noch Furcht, wert 
durd Haß noch Gunft, vom Wege der Wahrheit ableiten Iaffen follte, 
deren Mutter die Geſchichte if, diefe Nebenbuplerin der Zeit, Aufe 
bewahrerin aller Thaten, Zeugin der Vergangenheit, Lehrerin ber 
Gegenwart, Prophetin der Zukunft. 

Was gegenwärtige Geſchichte betrifft, fo weiß ich gewiß, daß 
jeder fo viel Angenehmes wird finden können, als fi) nur wünſchen 
Täßt. Fehlt ihr etwas Gutes, fo fällt die Schuld davon nicht auf 
den Grgenftand, fondern auf den Hund von Berfaffer '. Kurz, das 
zweite Buch unfrer Geſchichte hebt nach der Ucberfegung des Mohren 
folgendermaßen an: 2 

Sp fanden nun mit grimmigen Gefihtern und emporgehobnen 
Schwertern beide tapfre und zornige Kämpfer gegen einander, und 
ſchienen mit ihren Streihen Himmel, Erde und Hölle zu drohen. 
Der erſte, der den feinigen führte, war der zornmüthige Biscaier, 
und zwar mit folder Stärfe und Wuth, daß, hätte fih ihm nicht 
das Schwert im Schwunge gedreht, diefer einzige Streih hinreichend 
gewefen wäre, dem higigen Kampf und allen Abenteuern unfere 
guten Nitters ein Ende zu machen. Allein das Glück, weldes diefen 


* Die Spanier und die Mohren nannten ſich gegenfeitig . bunde. - 











4 — — — 



























zu noch größern Dingen aufbewahrte, breite das Schwert des Gegners 
fo, daß es, ungeachtet es ihm vie linke Schulter traf, doch weiter 
feinen großen Schaden that, fonderm ihm nur dieſe ganje Geite ent» 
waffnete, und unterwegs ein großes Stüd Helm und das halbe Ohr 
wegnahm, welches alles zufammen zu den Füßen bes übel zugerichteten 
Nitters gar jammerlich zur Erbe fiel. 

Hilf Himmel, wer fann die Wuth und das Toben befihreiben, 
in welche der Held von der Mancha ausbrad, als er ſich dergeftalt 
mißhandelt fah! Ich Fann nur fo viel davon fagen, daß er ſich aufs 
Neue in den Bügeln erhob, das Schwert in beide Fäuſte nahm, und 
dem Biscaier einen fo grimmigen Hieb über Polfter und Kopf ver- 
ſetzte, daß es, ohngeachtet er bier ganz gut bedeckt war, ihm nicht 
anders bünfte, als fäme ein Bergſturz über ihm ber. Das Blut 
ſchoß ihm aus Nafe, anf und Opren; er wanlte, als wollt er 
Vie und ſicher würde es and gefcheh 


IX. Kapitel, 










er aber feinen Feind falien ſah, fprang er von feinem Roſſe, Tief 
eilende zu ihm, feßte ihm die Spitze feines Schwertes aufs Geſicht 
und fehrie: „Ergieb dich, ober ich haue dir den Kopf ab!“ 

Der Biscaier lag fo ganz ohne Sinnen da, daß er fein Wort 
ſprechen fonnte; und gewiß würde es ihm ſchlimm ergangen feyn, — 
denn Don Dxirote war blind vor Zorn, — wären nicht die Frauen. 
zimmer aus ber Autfche, die bisher den Kampf mit Schrecken ange 
fehen Hatten, auf ihm zugegangen, um fi bie beſondre Gunft und 
Gnade von ihm zw erbitten, daß er ihrem Staffmeifter das Leben 
ſchenlen möchte, Don Ouirote antwortete hierauf mit vieler Gra- 
vität: „Eure Bitten, fhöne Damen, bin ich Euch zu gewähren bereit, 
jebod mit dem einzigen Begehren, daß biefer mir angelobe, nach dem 
Drte Tobofo zu geben, und fi von meinetwegen ber unvergleichlichen 
Herrin Duleinea zu ſtellen, damit folhe mit ihm ihres eigenen 
Willens und Gefallens ſchalte.“ Die erfhrodne und troſtloſe Dame 
verſprach, ohne fih auf Don Duirotes Forderung weiter einzulaffen 
























Bebntes Kapitel. 


Gin Mehädh lien Don Onirote und emenm treuen Schlidinarben Sanche Vanſa 


— Vcfſſen Hatte füh der von den Maulthiertrei - 
bern ber Mönde wohlzerdroſchue Sauch o 
Panfa wieder aufgerafft, de eines 


Herrn Don cn 


n ger 

etet, le doch Herrn den 

a ee und ihm dabei eine Inſel 

an Taffen, zu beren Statthalter ihn 

- fein Herr verſprochnermaßen machen würde. 

Als er merkte, daß der Handel abgethan war und fein Herr wicber 

auffteigen wollte, lief er eifigft zu, ihm den Gteigbügel zu halten, 

warf fi aber, ehe er ihn noch auffteigen kieß, vor ihm auf bie 

Knie, füßte ihm die Hand und ſprach: „Geftrenger Her Don 

Quixotel möchten doch nun Ener Gnaden geruhen, mir das Negir 

ment der in diefem harten Kampf gewonnenen Inſel zu geben; denn 

ich fühle mich, fie mag fo groß ſeyn, als fie will, fähig und ftark, 

fie fo gut zw regieren, als fonft Einer, der irgend in ber Welt 
Inſeln regiert.“ 

„Du ſollſt wiffen, Freund Sancho,“ forah Don Duirote, 
„daft dies und dergleichen feine Infel-Abentener find; dies find nur 
Strafengefechte, wo man nichts weiter als ein paar Löcher im Kopf 
und ein Ohr weniger davon bringt. Habe nur Geduld, es werben 
ſchon noch Abentener fommen, vwermittelft deren ich dich nicht allein 
zum Statthalter, fondern wielleiht noch zu etwas Befferem werde 























































102 Don Euixote. 





maden können.“ Sancho war hiemit höchlich zufriggen, küßte 
ihm nochmals die Hand und den Saum des Panzerhemds, Half ihm 
wieder auf den Rozinante, und zog feinem Herrn nad, ber, ohne 
ſich weiter mit den Leuten von ber Kutſche abzugeben, gerabewegs in 
ein nächftliegendes Holz ritt. Sancho eifte ihm im fchärfften Efels- 
trabe nad, aber Rozinante war fo gut im Zuge, daß er ſich weit 
zurückſah und endlich feinem Herrn nachſchreien mußte, er möchte ihn 
doch erwarten. Don Duirote 30g feinem Rozinante den Zügel 
an und erwartete ten müben Schildknappen. s 
„Geſtrenger Herr,” fprach diefer zu ihm, als er ihm wieber 
eingeholt hatte, „geflrenger Herr, ich dächte, wir thäten wohl, wenn 
wir in irgend eine Kirche flüchteten; denn der arme Teufel, mit dem 
Ihrs zu thun hattet, iſt! häßlich zugerichtet, und da könnts Teicht 
fommen, daß ſie's der Heiligen Hermandad ! anzeigten, und bie 
ung beim Kopfe nähm. Und wenn fie uns einmal hat, nüffen wir 
ſchon die beften Haare aus dem Pelz laffen, eh wir wieber (osfommen.” 
„Schweig!“ fprah Don Duirote. „Wo Haft du jemals gehört 
oder gelefen, daß man einen fahrenden Ritter, wenn er auch noch fo 
viele qualificirte Todtſchläge begangen, vor Gericht gezogen hätte?“ 
„Canailliſirte? Meiner Treu, darauf hab ih mich in meinem 
Leben nicht eingelaffen,“ fprah Sanchoz „aber das weiß ich wohl, 
daß die heilige Hermandad fih mit denen zu ſchaffen macht, die 
auf freiem Felde raufen und balgen, ums Uebrige befümmere ich 
mich nit." 
„Iſt auch nicht nöthig, Freund Sancho,“ fprah Don Quirote. 
„Ich wollte dich wohl aus den Klauen der Chaldäer reißen, geſchweige 
denn ang der Gewalt ter Hermandad. ber fag mir auf bein Leben 
und tein Gewiffen, haft tu je in ter ganzen Welt, fo weit fie ent- 
deckt iſt, einen fo tapfern Nitter gefeben, als mich? Haft du je in den 
Geſchichten von einem Heften gefefen, ter mehr Kührheit im Angriff, 
beffern Athem im Aushalten, größere Geſchicklichkeit im Fechten, größere 
Wut) im Abjatteln des Feindes beweist ober bemiefen Hätte, als ih?" 


U Ta santa Hermandad, edet bie heilige Brüberichaft, iN ein Corva berittener Voligeibebienten, 
teren Meicäft es it, beitäntig dag ganze Königreich zu durdifreifen, Sand und Strafen vor 
Räubern und dergleichen Gefinbel rein zu halten und anderem linfug zu wehren. 





























u 


Balſam, davon ich das Recept im Stopfe babe,“ aut 
Duirotez „ein i 
hat, me tb an eit 
ihn ma, 2 





X. Kapitel, 103 
‚abrheit zu fagen, gefirenger Herr,“ antwortete Sand, 
„ich habe mein Tage bergleihen Hiftorien nicht gelefen, weil ich über: 
haupt werer leſen noch fehreiben kann, aber das kann ich wohl ber 
ſchwoͤren, daß ih Zeit meines Lebens Teinem fo verweguen Herm 
gedient habe, als Euer Geftrengen. Gott gebe nur, daß Euchs 
nicht fo bezahlt wird, wie ich fagte. Aber, um was id jegt Euer 
Geftrengen bitten wollte, iſt, daß Ihr Euch verbinden Tafitz; benn 
Euer Ohr blutet arg und ich habe Heftfaben und etwas Wundſalbe 
im Schnappfad. 

Alles dies hätten wir nicht nöthig,“ fprah Don Duirote, 
„wenn mind nur eingefallen wäre, eine Flaſche Balfam des Fierabras ! 
zu machen, Mit einem einzigen Tropfen bavon fönnten wir jept Zeit 
und Arzneien erſparen.“ — „Ei!“ fill Saudo ein, „was iſt denn das 
für eine Flaſche und ein Balfanı, geftrenger Herr® Es iſt ein 










vaß ich etwa in einem Kampfe ‚gehanen werde 
Cie dem fe arfehen ea) fo Haft du weiter nichts zu 


aufgupeben, und fie, ehe das Blut gerinnt, fein fäuberlih an die 
andre zu fügen, die noch im Gattel fist, und ja wohl zuzufchen, 
daß alles rihtig am einander paffet. Dranf giebſt du mir nur zween 
Schläde von gedachtem Balſam, und gleich wirft du mid wieder ſo 
friſch und ganz fehen wie einen Apfel.“ 

„Wenn das if,” ſprach Saudho, „fo entjag id auf der Stelle 
der Etatthalterfhaft und der verfprochnen Infel, und verlange Nichts 
von Ener Geftrengen zum Lohn meiner treuen Dienfle, als das Recept 
dieſes Wunderbalfams; denn ih denfe ſo bei mir, daß bie Unze davon 
allenthalben ihre zwölf Baten werth fegn muf, und mehr brauch ich 


* Bierabrar war ein heidniſcher Miele — erzählt bie Geſchiane Rarls bes Groden — König 
son Meranerien und Sohn bes weitberühmten Mmirals Balan, tr Groberers von Nom um 
Serufalem. In atger Aeinpihaft Map er mit Olivier, ber Ibm törtlide Wunden beibrate, 
Aber Blerabras farb nicht taran, tenn er tranf von dem Munterbalfam, den er im zwei 
Meinen daſchen mit fi führte, melde ex bei ver Groberung von Jetuſalem gewonnen hatte, 


























ij 
| 


104 Don Auirstr. 


nit, mein Leben ehrlich und ruhig zuzubringen. fagt mir 
tod, koſtet er denn auch viel zu maden ?* — „Du fannjt für beilaufig 
achtzehn Bagen ein halb Ohm bavon bereiten,“ antwortete Don 
Duirote — „Deb dich alle Tauſend!“ verfegte Sande; „woranf 
wartet Ihr benm nod, geftrenger Herr, daß ihr ihm nicht gleich 
machet und mirs auch weifet?“ — „Gtille nur, Freund,” ante 
wortete Don Quixote, „ih denke, dir noch größere Gcheimniffe 
mitzutheilen und noch größere Belohnungen dir augedeihen zu laffen, 
Bür jegt wollen wir und nur heilen, denn mein Ohr feomerst mich 
mehr, als mirt Tieb if.” 

Sauch o holte Faden und Salbe aus dem Schnappſacke, Don 


QOuirote aber, als er den Schaden an feinem Helme ſah, wollte 
faft von Sinnen fommen. Er legte die Hand ans Schwert, hob die 
Augen gen Himmel und fprah: „Ich fhwöre bei dem Schöpfer aller 
Dinge und bei den heiligen vier Evangeliſten, we fie mit der gröbften 
Schrift gebructt ftehen, fo Tange ih mid nicht an dem, der mir diefen 
Schimpf angethan, vollkommen gerät habe, ein Leben zu führen wie 











h 








X Sapitel. 105 


der Morquefe von Mantua, ale er ſchwur, den Tod feines Vetters 
Balduin zu räden, und nicht eher fein Brod auf einen Tiſchtuche 
zu effen, noch fid mit feiner Frau zu vergnügen, nod andre Dinge 
mehr zu thun, deren ich mich zwar jegt nit mehr erinnere, bie ich 
aber in meinem Eide auedrüdlich mit begriffen wiffen will.“ 


Bie Saucho den Schwur Körte, ſprach er: „Geftrenger Herr 
Don Duirote, bevenfet doch, baf, wenn der Nitter Euern Befehl 
befolgt und fih dem gnäbigen Fräulein Duleinea von Tobofo 
ſtellt, er feine Pflicht und Gebühr erfüllt hat, und weiter feine 
Strafe verbient, als bis er wieder aufs nene was verbricht.“ 


„Wohl geſprochen,“ antwortete Don Quixote. „Ich wider 
rufe daher meinen Eid, was meine neue Race anbelangt; beftätige 
und wiederhole ihn aber, ein Leben, wie obgedacht, zu führen, fo 
Tange, bis id einem Ritter einen andern Helm, vom Güte, 
mit gewaffneter Hand abnehme. Und glanbe nigt, € 0, daß 
dig won. mir, mur ſo in den Wind geredet ifts, ein, ich weiß ſchon, 

men ch hierin nachahmen ſollz denn alles dies begab ſich Kucfräbtig 
fo mit Mambrins Helme, der dem Suertüanterte ſo theuer zu 
ſtehen lam . 


„Ei, zum Teufel mit ſolchen Eiden, geſtrenger — bereit 
Sancho; „fie fhaden einem an der ewigen Seligkeit und beſchweren 
das Gewiſſen. Denn feht, was follen wir thun, wenm wir mim wiele 
Tage lang feinen Menſchen mit einem Helme antreffen? Unfern 
Schwur halten, mit fo viel Ungemach und Mühſeligleiten, in Meidern 
und unter feinem Dache fehlafen, und taufend andre Buße Teiden, 
die in dem Eide des alten Narren von Manta flchet, den Ener 
Geftrengen wieder aufwärmen will? Bedenkt doch nur, daß auf allen 
den Strafen feine geharniſchten Männer, ſondern lauter Fuhrleute 
und Karner ziehen, die nicht nur Feine Helme tragen, ſondern bu) 
vielleicht ihr Lebtage Fein Wort davon gehört haben, « 


Hierin irrſt du dich,“ fprah Don Onirote; „denn wir werben 
nicht zwo Stunben auf dieſen Kreuzwegen ziehn, fo werben wir mehr 


"iriofto, rafender Moland, Belang Xxin. W. Int, 








Den Deire 1. 14 





gewaffnete Lente antreffen, Pileac ver kagea ie 
fhöne Angelica zu erobern !.# 

Nu, meinethalben ſeye fo,“ ſprach Sanıho; „der liche Gott 
gebe nur, daß ed und gut gebe, und da die Zeit bald komme, da 
wir bie Infel gewinnen, um die ih fo viel ausſtehen muß, und dar 
nach will ich gerne fierben.“ 

Ich habe dirs ſchon gefagt, Sauger verfepte Don Duirote, 
du ſollſt dich nicht darım grämen, denn wenns auch mit der Infel 
ſchief gienge, fo ift doch das Königreih Dänemark noch da, oder das 
von Sobrabifa *, die dir fo wohl anftehen werben, als ein Ring der 
Braut, und dir um fo viel Fieber feyn müffen, weil beide auf dem Feſt⸗ 
lande Tiegen. Jedoch überlaffen wir dies ver Zeit. Seht fich nur, 
ob du was zur effen fir ung im beinem Schnappfade Haft, damit wir 

auffahen, wo wir unfer Nachtlager Halten und 
jubereiten fönnen, von dem ich fagte; denn, bei Gott, 
j erzt mich gewaltig." 

„Da hab ih eine Zwichef, ein Stäcchen Käſe und etliche 
Vroden Brod, aber das ift fein Effen für einen ſo tapferm Witten, 
wie Euer Geſtrengen,“ ſprach Sande. 

„Das verftehft du ſchlecht, lieber Sande,“ antwortete Don 
Duirote; „ic fage dir, daß ſichs die fahrenden Nitter zum Ruhme 
achteten, oft im einem ganzen Donate mit einen Biſſen zu effen; 
und afen fie ja etwas, fo wars, was ihnen eben vor bie Hand Fam. 
Gewiß würbeft du hieran nicht zweifeln, hätteſt du fo viele Geſchichten 
gelefen als ih; denn fo viele deren es find, Hab ih doch in Feiner 
einzigen gefunden, daf fahrende Nitter je anders gegeffen hätten, ald 
wie's etwa ber Zufall gab, oder daun und warn aud ein präctiges 
Gaſtmahl, das ihnen zu Ehren veranftaltet ward. Die andern Tage 

brachten fie mit füßen Gedanfen zu. Und, ungeachtet ſich leicht ber 
greifen läßt, daß fie nicht ganz ohne Effen und andre natürliche Bes 
dürfniſſe beftchen Fonnten, fo berechtigt doch hinwiederum ihre Lebensart, 


* In Bojarhos verliehtem Roland belagert Ngrican, König ter Tartaren, die Stadt 
Ailbraca mit einem Heere von zwei Millionen Sottaten, welde einen Raum von dier Meilen 


bereiten. 
* Gin Königreidh, das gar auf feiner Karte, wohl aber im Amapis von Wallia vorfommt 

















da fie beftändig durch Feld und Wald und ohne Koch zogen, zu dem 
Schluſſe, daf Vauernfoft, wie bu mir da anbieteft, ihre gewöhnliche 
Speife war, Kümmere did alfo nicht, Freund. Sando, über meinen 
Geſchmack, noch wolle du die Welt umfehren und die fahrende Ritter 
ſchaft aus ihren Angeln heben,“ 

„Haltet mirs nicht für ungut, geftrenger Herr!“ ſprach Sandoz; 
„da ich weder ſchreiben noch leſen kann, wie gefagt, fo hab ih 
mich auch nicht um Nitterfhaftsregeln befümmern lönnen. Aber 
wenns bas iſt, jo will ich meinen Schnappfad für Euer Geftrengen, 
als einen Nitter, von nun an mit trockenem Obft, für mich aber, 
der ichs nicht bin, mit andern Kleinigfeiten ftopfen, die recht ind ı 
Gewicht fallen. * 

„Ich fage darum nicht,“ verfehte Don Duirote, „daf die 
fahrenten Nitter gezwungen waren, nichts als trı rächte zu 
effen, fonbern nur, daß fie ſich gewöhnlich davon nährten, wic auch 
von einigen Feldfräutern, die fie kaunten und die ich iß.“ 


„Ei, es iſt gar fein, ſolche Kränter zu kennen,“ ſprach Saucho; 
„und ich benfe immer, wir werben auch wohl einmal die Kunſt 
brauchen fönnen.“ Damit holte er heraus, was er bei ſich Hatte, 
und Beide afen in gutem Frieden und Berftändnif. Im Hoffnung, 
noch eine Herberge zu finden, enbigten fie ſehr bald ihr Feines 
trodenes Dahl, fafien wieder auf, und eilten, wo möglich nod vor 




















108 Don Quicate. 


Naht in ein Dorf zu fommen. Allein die Sonne gieng ihnen unter, 
und mit ir bie Hoffnung, ihr Berfangen erfüllt zu ſehen. Sie 
waren eben bei einigen Hütten, die Ziegenbirten gehörten, und ber 
ſchloſſen, die Nacht bier zuzubringen. So unmuthig auch Sauch o 
war, baf fie fein Dorf erreicht hatten, fo vergnügt war hingegen 
fein Herr, unter freiem Himmel zu ruhen; denn jede fo zugebrachte 
Nacht bünfte ihm ein neues Beträftigungeſiegel feiner Nittersmatrifel. 

















Elftes Kapitel. 


Wat dem Nitter mit einigen Ziegenbirten begegnete 





ach einem fehr freunbtigen Empfang 
von Seiten ber Ziegenhirten, beſchidte 
Saucho den Rozinante und auch 
SL fein Thierlein fo gut es eben gieng, 
N. und z0g dem Gerade von einigen 
Stüden Ziegenfleifö nad, bie in 
einem Keffel am Feuer lochten. Er 
war fon im Begriff zu unterfuchen, 
h 05 fie wohl gar genug fegn möchten, 
um fi aus bem Keſſel in feinen Bau 
verfegen zu laſſen, aber er wurde 

geftört, denn bie Ziegenhirten hoben dem Keffel vom Feuer, breiteten - 
einige Schaffelle auf die Erbe, machten ihre Ländliche Tafel in grofer 
Eile zurecht und baten ihre beiden Gäfte mit herzligem Gutmeinen, 
mit dem, was ba fey, vorlieb zu nehmen. Sie fagerten ſich, ſechs 
ander Zahl, alle zu dieſer Heerde gehörig, ringe um die Schaffelle 
ber, nachdem fie zuvor Don Quixote mit bänrifcher Höflichleit 
erfucht hatten, fi auf einen umgeftürten Trog niederzulaffen. Der 
= ‚fepte fih, Saucho aber bfich ſtehen, feinem Herrn den hör 





nernen Becher vollzufchenken. 




















| 





PN 
Don Quixote. 


Da ihn man Don Duirote ſtehen fah, fi er zu ihm: 
„Damit du ſiehſt, Sauch o, wie viel Gutes be Ritter⸗ 
ſchaft in fih ſchließe, und wie jeber in ihrem Dienft Beflifne fo 
nahe daran iſt, vor der Welt zu Ehren und Anfehen zu kommen, fo 
will ich, daß du di ber an meine Seite fegeft, in Geſellſchaft dieſer 
guten Leute, und unerachtet ich dein Herr und Gebieter bin, mir voll 
lommen gleich ſeyeſt, mit mir ans einer Schüffel eſſeſt und aus einem 
Becher trinfeft; denn von der fahrenden Nitterfhaft Fann man chem 
wie von der Liebe fagen: fie macht Alles gleich.” 

Großen Dank, geftrenger Herr!” fprah Sande, „Aber 
Ihe müßt wiſſen, daß, wenn id nur fonft was Gutes zu effen habe, 
mirs auf meinen beiben Beinen und für mich ganz allein chen fo 
gut und beffer ſchmedt, als wenn ih neben einem Kaiſer ſaße. Ya, 
wenn ich Euch die Wahrheit fagen fell, fo fhmedt mir eine Zwiebel 
und ein Stüd Brod in einem Winkel, und ohne viel Krapfüße und 
Neverenz, zehnmal beffer, ald ein Trathahn an ien Tafeln, wo, 
ih fein langſam fauen, nur ein Fingerhütchen men und mi 
fein oft wiſchen muß, micht huſten, nicht nießen, wenn mir an- 
fömmt, noch andre Saden thun barf, die mir meine Freiheit und 
mein Winkel erlaubt. Ich wollte alfo wohl, daß Euer Geftrengen 
die Ehre, die Ihr mir als einem Diener und Mitgenoffen der fahren- 
den Ritterſchaft, wie ih denn als Euer Schllokuappe wirflih bin, 
anzuthun gebenkt, in etwas Andres verwandelten, fo mir erfpriefilicher 
und einträglicher wäre; denn was bie Ehre anbelangt, fo nehme ih fie 
für empfangen an, verzichte aber darauf von nun an bis in Ewigfeit, « 

Nichtodeſtoweniger follft du dich bieher fegen; denn wer ſich 
ſelbſt erniedrigt, den erhöhet Gott," forah Don Duirote, und 
zugleich nahm er ihn beim Arme und z0g ihn neben ſich nieder. Die 
Ziegenbirten verftanden natürlich das Kauderwelſch von Schildknappen 
und fahrenden Nittern nicht, ſondern aßen, ſchwiegen und fahen mit 
Verwunderung zu, wie ihre Gäfte gar zierlih und emfig fauftgroße 
Biſſen hinunterſchoben. Das Fleiſch war verzehrt, und num ſchütteten 
fie einen Haufen trodene Eigen ! auf bie Belle, und fehten dazu 


* Gervantes meinte Lie Frucht ter Epeiseide, die einen den Kafanien ähnlichen Wer 
ſchmad bat, 














X. Kapitel 


einen balben Käfelaib auf, ver hart wie ein Stein war. Indeſſen 
feierte auch der Hornbecher nicht; denn er gieng bald voll, bafd leer, 
wie die Eimer an einem Schöpfbrunnen, fo fleißig herum, daß bald 
einer von ben zwei vorräthigen Schläuchen geleert war. Don Dui« 
rote aber, nachdem er fih fatt gegeflen, nahm eine Hand voll 
Eicheln, betrachtete fie aufmerffam, und begann folgende Rede: 


„O felige Zeit! glüdtiches Weltafter! du, von dem Alten golden 
genannt, nicht weil man dat in unfrer eifernen Zeit fo begehrte, 
fo gelichte Gold in dir ohne Mühe erwarb, fondern weil die Men- 
hen, die damals Tebten, jene zwei Worte, mein und dein, nicht 
taunten. Alles war im jenen heiligen Jahrhunderten gemein, Nie- 
manb bedurfte zu feiner gewöhnlichen Nahrung mehr Arbeit, als die 














112 Don Quirote. 


Hand auezuſtrecken und feine Speife von den flarfen Eichen zu brechen, 
die Jedermann freigebig mit ihrer füßen Frucht ui einfuden, 
Mare Quellen und hüpfende Bärhe boten dem Durſtigen wohlſchmecken ⸗ 
des kryſtallhelles Waffer in reichſter Menge var. In Kelfenriffen 
amd hohlen Bäumen bauten die forgfamen und weifen Bienen ihren 
Staat und theiften uneigenmägig nit Jedermann ben reichen Ertrag 
ihrer fühen Arbeit, Die ftarfen Korkbäume gaben gutwillig ihre brei- 
ten, leichten Ninden her, womit man vie erften auf unbehauenem 
Pfahlwerl ruheuden Hütten bebedte, deren einziger Zwed war, ‚ben 
Beroohner vor Ungewitter zu fügen. Alles war bamals Friebe, 
Alles Freunbfhaft, Alles Eintracht! Noch Hatte das ſchneidende Eifen 
des” gefrümmten Pfluges nicht gewagt, bie Eingeweide der gütigen 
Mutter vor ung Allen zu öffnen. Ihr weiter fruchtbarer Schoos ge- 
bar damald noch Alles freiwillig, was ihre Söhne fättigen, erhalten 
und ergögen fonnte. Damals giengen die jhönen, unſchuldigen Tähter 
der Natur unbeforge von That zu Thal, von © T zu Hügel; 
fliegenbem Haar und nicht weiter beffeidet als ni N wu 























XI. &apitel, 113 


anftändig zu den, deſſen Verbällung die Ehrbarkeit von jeher ge 
boten hat. chmuck war nicht, wie heutzutage, tyriſcher Purpur 
und fanfenpfäktig zermarterte Seide. Blumenkränze, mit Epheit durch⸗ 
weht, ſchmückten fie, und vielleicht fo ſchön und prächtig, als unfre 
Hofvanen ihre fremben Zeuge und feltfanen Erfindungen, welche bie 
müfige Mode erfann. Damals ließ die unſchuldevolle Seele ihre 
Liebesgefühle rein, lauter und aufrühtig, wie fie in ihr quoflen, ber» 
vorſtromen, und borgte nicht son der Kunft gedrehte Wendungen und 
Worte, fie zu verfhönern. Argliſt, Betrug und Bosheit mifchte ſich 
noch nit unter Wahrheit und Einfalt; bie Gerechtigteit thronte ſicher 
in ihrem Reiche, und weber Gunft noch Eigennutz, vie jet fie beugen, 
trängen und verfolgen, nahte fih damals ihren Grenzen. Willtühr 


des Nicters war den Menfhen etwas Unbekanntes, bdenm es gab 


weber Nechtshändel noch Parteien. Yungfräufihe Tugend und Ehr- 
barkeit wandelten damals, wie ih gefagt babe, frei und ungeflört, 
Wwohin es ihnen beliebte, ohne Gefahr vor fremder Gewalt und untkeu - 
ſchem Muthwillen; ihr Verluſt war die Sünde eigner Neigung. In 
unfern abſcheulichen Zeiten aber ift feine weibliche Tugend mehr füher, 
und verfchlöfe fie auch ein neues Labyrinth, wie jenes in Kreta, den 
Angen der Welt, denn auch bier dringt Liebespeft und verruchte Ver: 
füßrungstmft dur einen Nig oder mit der Luft hinein, and bringt 
fie trotz aller Einfamfeit zu Kalle. e Zu deren Sicherheit wurde nun, 
da die Zeiten fi verſchlimmerten und die Booheit überhand nahm, 
der Orden ber fahrenden Nitterfchaft geftiftet, um Jungfrauen zu ver- 
theidigen, Wittwen und Waiſen zu beſchühen und Nothleivenden her- 
zuftchen; dieſes Ordens bin auch ih, ihr Hirten, Tieben Brüder, denen 
ih Hiermit für die freundliche Aufnahme und gute Bewirthung, fo 
ihr mir und meinem Schildfnappen erwieſet, freundlichſt dauke. Denn 
obgleich nach dem Naturgeſetz jeder lebende Menfch verbunden ift, ven 
fahrenden Nittern gut zu begegnen, fo wußtet ihr doch dieſe Verbind- 
lichteit nicht, nahmet mich blos aus gutem Willen auf, und folglich 
iſts Billig, daß ich euch auch mit möglihft gutem Willen für den 
Eurigen bante. # 
‚Zu biefer ganzen fangen Standreve, vie füglih hätte unterbfeiben 
mögen, gaben unferm Nitter die Eicheln Aulaß, weil fie ihn an das 








Don Dvirein 15 


















































































Don uirote, 


Dent nur, was Tperefe fagte, 
Aus ih jüngft Dich hoc gepriefen; * 
»D, da fhwagen fie von Engeln 
„Und zulegt is nur ein Aeffchen, 
„Das, mit Rlitterflaat behangen 
„Aufgepugt mit falfcen Loden, 
Gleißend in erbergten Reizen, 
„Dfeite ſtielt aus Amors Köder. * 
„Lügnerin“ ſchrie ich; fir grollte; 
Händel gabs mit ihrem Beiter, 
Drauf fo etwas wie 'nen Zweitampf — 
Nun, Du weißt ja, wie's gegangen. 
Nicht aus frärlichen Gcüften, 
VNicht, als wollt ih Di verführen, 
Sondern treu im reiner Abſicht 


Dab ih um Dein Herz geworben, 
Zart aus Seidenftoff gemunden , 
des Epftands Doppelflinge: 
coft Du farhte Die) in Bicfe, - 
pt ic daruig in die ann. 
Dot wenn nit, fo feus gefhworen 
Bei dem Heiligften der Heiligen: 
Eilends geb ich von dem Bergen, 
Aort ins Kapuzinerkiofter. 


Hiemit war das Lied des Ziegenhirten zu Ende, und während 
Don Duirote ihn bat, nod etwas mehr zu fingen, war Sando 
ganz andrer Meinung, weil er Lieber fchlafen, als ſolches Geleier 
anhören wollte. „Geftrenger Herr,“ fprac er zu ihm, „Ihr fönntet 
Euch nun wohl nad Eurem Nachtlager umfehen; denn bei der Arbeit, 
welche die guten Leute den fangen Tag über haben, konnen fie nicht 
die Nächte durch fingen.” — „Ich verftche did, Saucho,“ ante 
wortete fein Herr, „und merke wohl, daf dir die öftern Beſuche bei 
deinem Schlauche mehr Luft zum Schlaf als zur Mufit machen.“ — 
„Es bat und, Gott ſey Danf! Allen wohl geſchmedt, dent ih," 

serfegte Sanıho. — „Das Täugne ich aud nicht,“ fprah Don 
Duirote; „aber leg du dich hin, wohin du willſt; für Leute von 
Stande ſchickt fib Wachen beffer ale Schlaf. Doch wäre es 























N. Kapitel, 


immer gut, wenn bu mir zuvor noch einmal nad dem Ohr fäbeit, 
denn es ſchmerzt mich mehr, ald es gut if." Sauch o that ee; einer 
von ben Ziegenhirten aber, der die Wunde fah, ſprach, er folle ſich 
nicht leid ſcyn laſſen, denn er wiffe ein Mittel, das ihn gar bald 
heifen folle. Darauf nahm er etliche Nosmarinblätter, die dafelbft in 
Menge wuchfen, kaute fie, vermiſchte fie mit Salz, legte es ihm 
aufs Ohr, verbond ihm dies feſt und verficherfe ihn, daß er nun 
feinee andern Arznei bebürfe, und fo verhielt fihs au in der That. 


N 
* 




















Zwölftes Kapitel. 
War einer von ben Zingenbirten ber Weftllfchaft ergihlte. 


welche Lebensmittel aus bem Dorf zu bofen 
pflegten, und foradh: „Wißt Ihr auch, Kameras 
ben, was fi im Dorfe zugetragen hat?" — 
Wie follten wirs wiffen? " — „Nun, fo muß 
ich Euch fagen,” verfegte der Burfde, „daf 
heute früh der berühmte Schäfer EHryfoftor 
ä m — mus geftorben ift, wißt Ihr, der Student, und 
wie fie fprehen, vor lauter Liebe zu dem Teufelemadchen Marcella, 
des reihen Wilhelms Toter, die immer in Schäferffeidern auf der 
Weide umherzieht.“ — „Was? vor Liebe zu Marcella?” ſprach 
Einer. — „Wie ich euch fage,” verfegte der Andere, „und was noch 
ärger ift, fo hat er in feinem Teftament befohlen, daß fie ihn wie einen 
ungetauften Mobren aufs freie Held begraben follen, am Fuße der Felſen, 
wo die Duelle bei den Korfbäumen hervorfpringt, weil er, wie bie Leute 
ſprachen und wie er auch gefagt haben fol, fie da zum erflenmal 
gefehen hat; auch orbnete er noch andere Sachen der Art an, was 
die Ortsgeiftlicfeit nicht zulaffen will, weil es heidniſcher Unfug wäre, 
Sein guter Freund aber, Ambrofius, ber Student, der fih auch 
in einen Schäfer verffeivet hat, foll gejagt haben, Alles müffe 
gefhehen, genau fo, wie es Ehryfoftomus in feinem Teftament 
befohfen. Das ganze Dorf ift darüber im Aufruhr; aber wie es 
beißt, fo wird am Ende doch geſchehen müffen, was Ambrofius 
und bie andern Schäfer, feine guten Freunde, wollen; und morgen 
ſoll die Leiche recht ftattlih, wo ih fagte, begraben werben. Ich 
denfe, da wirbs was Rechts zu fehen geben, und will hingehen, follt 
ich auch morgen den ganzen Tag nicht heimfommen. * 























XU. Kapitel. 


„Bir wollen Ale hin," fagten die Hirten; „vorher aber müffen 
wir ‚loofen, wer von und bei den Ziegen bleiben fol." — „Du haft 
Recht, Peter,” fagte ein Andrer, „aber zu looſen braucht ihr nicht; 
ich will für euch Alle da bleiben, nicht euch zu Gefallen, ober daß 
ich nicht neugierig wäre, fondern weil id mir Iegthin einen Dorn in 
den Fuß getreten Habe.“ — „Nun, mags feyn wie es will, du ſollſt 
großen Danf haben,“ fagte Peter. 

Don Duirote bat den Peter, ihm doch genauer zu fagen, 
was es mit dem Verſtorbnen und der Schäferin für eine mdtniß 
habe. „Was ich von der Sache weiß,“ ſagte Peter, „iſt, daß 
der Berfiorbne ein reicher Junker ans unfrer Nachbarſchaft im Gebirge 
war, viele Jahre in Salamanca ſtudirt hatte, und am Ende gar 
hochgelehrt wieber heim fam. Sonderlich auf die Sterne, ſprechen 
fie, fol er fi recht verftanden, und Alles gewußt haben, was im 
Himmel, in der Sonne und im Monde vorgieng. Denn er fagte 
ung alle Kalypſen an Sonne und Mond auf ein Jahr voraus.” — 
„Nicht Kalypſen,“ fiel Don Duirote ein, „fondern Effipfen 
nennt man die Verfinfterungen der beiden großen Himmelslichter. # 

Veter,. der fih wenig um ſolche Schufmeiftereien befümmerte, 
fuhr fort: „So mußt erd au zum Voraus, ob die Ernte gerathen 
ober manfeniren würde, # 

„Manquiren, wollt Ihr fagen,“ rief Don Quixote. „Manfani- 
ren oder manquiren wirb ein Ding ſeyn,“ fagte Peter. „Seine Eltern 
und Freunde hatten ihren Glauben daran und folgten feinem Rath und 
wurben reich babei; denn bald fagte er ihnen: heuer fäct Gerfte und feinen 
Waizen; ein andermal: heuer fäet Erbfen und feine Gerſte. Einmal fagteer: 
heuer giebts ein gutes Deljahr, in den folgenden drei giebts feinen Tropfen,“ 

„Diefe Wiffenfhaft heißt die Aſtrologie,“ fagte Don Duirote, 

„Wie fie heißt, weiß ich nicht,” verfegte Peter, „aber das 
weiß ih, daß er das Alles wußte, und mod viel mehr. Kurz und 
gut, er war faum etliche Monate von Salamanca wieder heim, fo 
fam er einmal wie ein Schäfer geffeibet, mit Schippe und Wanms, 
daher, und hatte ven ſchoͤnen fangen Rod, den er als Scholar trug, 
ausgejogen. Eben fo Meidete fih fein Freund Ambrofius, der mit 


ihm gelernt hatte auf ber Univerfität. Aber da hab id vergeffen, 


























Don Onirnte, 


Euch zu fagen, was für ein Aushund- Bersmaher der Ehryfo- 
fomns felig war; denn er machte alle die Chriſtnachtolieder und bie 


Komöbien, die unfre Jungen im Dorfe auf den Frohnleichnametag 


und alle Leute fagten, daß nichts darüber gehe. Da num 

die Nachtarn im Dorf die beiten ſtudirten Herren fo auf einmal in 

Schäfer verffeidet fahen, wunderten fie ſich mädhtig, und fonnten nicht 

herauegrũbeln · warum ſie's mur gethau hätten. ben dazumal ſtarb 

dem Chryſo ſto mug fein Vater und hinterließ ihm ein großes 
liegenden Gründen und gar viel baar Geld, was 


die Hand des jungen Herrn kam. Und wahr iſte, 


nte; denn es war ein gar licher Dann, mitleidig 

ein Freund aller Nectfcaffnen, und hatte ein 

— wie die Mutter Gottes. Auf die Lehte Fame "raus, 
daß er fich fo vwerfleivet Hatte, blos um der Schäferin Marcella, 

















XI. Saopitel, 121 


von ber unfer Burſche vorhin erzählte und in die er fich ſterblich 
verliebt hatte, auf unfrer Heide nachzuziehen. Und nun muß ih Euch 
doch auch fagen, denn wiffen müßt Ihrs, wer biefes hoffärthige 
Ding iſtz vielleicht, ja nicht vielleicht, gewiß werdet Ihr fo eine 
Geſchichte nicht wieber hören, und wenn Ihr fo alt würdet ald Jeru⸗ 
falem. # 

„Methuſalem heißts,“ färie Don Quixote, ber unmöglich 
die Namen fo radebrechen hören konnte. 

„Nur, Zerufalem oder Methufalem, das ift all eiı 
Ihrs fo anfangen und mir jedes Wort aufmugen wollt 
wir in einem Jahr nicht fertig,” verfegte Peter. 9 

Vergebt mirs, guter Freund,“ ſagte Don Duirste; 
wollt Euch nur den Unterſchied zwifchen Jeruſalem und Methu- 
falem zeigen; aber man verfteht Euch fhon, was Ihr fagen wollt, 


darum nur weiter in Euer Geſchichte; ich will Euch nicht wieder 


unterbrechen, a 
„Wohlan, gefirenger Herr, fo vernefmt," antwortete Peter. 
„Es wor Euh in unſerm Dorfe ein Bauer, der war noch reiher 
ale des Chryſoſtomo fein Bater, und hieß Wilhelm; dem 
hatte der liebe Gott noch außer feinem Geld und Gut eine Tochter 
gegeben. Sie foftete ihrer Mutter bei der Geburt das Leben. Gott 
bab fie felig! Es war eine rechte Frau, und Jedermann hatte fie 
im ganzen Lande lieb und werth. Es ift mir nicht anders, ale ſtänd 
fie noch vor mir mit ihrem Gefihte und mit ihren paar Augen wie 
Sonne nd Mond. Sie war eine Hauswirthin, mie fihs gehört, 
und that den Armen fo viel Gutes, und darum glaub ich gewiß, 
daß fie jegt ein Engel im Himmel iſt. Wilhelm grämte fih auch 
über den Verluft einer fo guten Fran zu Tode, und binterlich nun 
feine Tochter Marcella, jung und reich, unter der Aufficht ihres 
Betters, der Pfarrer und Pfründner in unferm Dorfe if, Das Mäd- 
Gen wuchs Euch und wurde fo ſchoͤn, daf fie uns oft an ihre Mutter 
felig erinnerte, die es aud war; denn ba fie nur vierzehn oder fünfe 
zehn Jahre alt war, Fonnte Niemand fie anfehn, ohne Gott dafür zu 
feguen, daß er fol eine Kreatur gefhaffen. Die Meiften aber wur- 
ven ſterblich in fie verliebt. Ihr Vetter hielt fie fehr eingezogen, aber 











Den Outron. h 16 





Don Quirote. 


was half? Es war einmaf befannt, daß fie fo ſchön und reich war; 
und, die Freier Tiefen, viele Meilen in der Runde, ihrem Better bald 
26 ein. Ihr Better — ein gar fremmer Chriſt — Hätte fie 
verheiratpet, wie fie das Alter hatte, aber er wollt es doch 

der ihren Willen tun; und das nicht etwa, als hätte er ein 

Auge auf ihr Gelb gehabt, das Tänger unter feinen Händen blich, 
wenn es fi mit ihrer Heirat hinauszog. Weiß Gott, deßwegen 
nit, das Lob giebt die ganze Gemeinde unferm Herem Pfarrer, und 
i Dr als lauter Liebe und Gute nachgeſagt, wen = 


; und das glaubt mir mur Cbehaltets aber für Euch, wie ichs 
für mich behalte): ein Pfarrer muß ein Uebriges tun, wenn er 
will, daf feine Beichtfinder gut von ihm reden follen, zumal auf 
dem Dorfe, 

„So iſts auch,“ fagte Don Duirote. „Nur weiter, die 
Geſchichte iſt gut, und Ihr Habt eine gute Gabe, fie zu erzählen.“ 

„Alle gute Gabe kommt von Gott, und die Furt des Herrn 
if ver Wahrheit Anfang,” verfegte Peter. „Höret, wie's weiter 
nieng. Der Better that Alles, was er nur Fonnte; er ftellte feinem 
Bästein bie guten Eigenfchaften von jedem ihrer Freier vor, und bat 
fie, mach ihrem Belichen Einen zu nehmen; aber es half nichts; 
dummer fagte fie: „Ih bin noch zu jung, und fann die ſchwere Laft 
der Ehe nicht tragen.” Wider diefe Entſchuldigung konute ihr Vetter 
mihts vorbeingen; er dachte, fommt Zeit, kommt Rath, und fie 
werbe fhon zugreifen, wenn fie äfter ſey. „Denn,“ fagte er, und 
barin hatte er Recht, „Eltern müffen ihre Kinder nicht zum Heirathen 
oingen." Was gefhah? Eines Tages fiel es einmal der fhönen 
Marcella ein, Schäferin zu werben; und das that fie auch, ihres 
Wetterd und andrer Leute im Dorfe Zureden ungeachtet, zog mit 
andren Ohäferinmen aufs Feld und hütete ihre Heerde ſelbſt. Nun 
logo erfl weht losz denn fie ließ ſich nicht fo bald erbliden, und 
man fab wie fhön fie war, da Tamen, ad! wer weiß wie viel, 
unter und junge veihe Bauern, verffeideten fih wie Chryfofto- 
mo, Im Oder, und zogen ihr auf ber Heide nach. Einer davon 














war, wie gefagt, unfer feliger Ehrofoftomo, der fie, wie man 
fpricht, nicht geliebt, fondern angebetet hat. Ihr dürft aber nicht 
denen, daß irgend Marcella, bei ihrer fo freien und ungezwungnen 
Lebensart, nur den mindeften Schein gegen ihre Tugend und Ehr- 
barfeit gegeben Hätte. Nein, das muß man ihr Iaffen, daß fie fleifig 
über ihrer Ehre gewacht hat, und ſich feiner von ihren Freiern mir 
einer einzigen Heinen Gunft oder gemachten Hoffnung rühmen konnte, 
Sie flieht aber darum die Geſellſchaft der andren Schäfer nicht, Nein, 
fie geht mit Affen freundlich und höflich um, bis es Einer verficht, 
und ihr feine Liebe entvedt; dann aber, und wäre feine Abſicht noch 
fo rein und ehrlich, ſchleudert fie ihn von ſich. Auf biefe Art thut 
fie mehr Schaden im Lande als vie Peſtilenzz denn durch ihre 
Freundlichkeit und Schönheit ftichlt fie Aller Herzen, die mit ihr 
umgehen, und zwingt fie zur Liebe, aber ihre Spröbigfeit und ihr 
Stolz bringt die Armen zur Verzweiflung. Und was fönnen fie 
weiter thun? Nichts, als über fie Magen und winfeln, fie eine 
Graufame, Undanfbare, und was bergleihen mehr iſt, nennen, wie 





























Don &kirote 


fie's denn auch verdient, Ihr bürftet nur etfihe Tage Hier ſeyn, 
sefrenger Herr, fo würdet Ihr Euer Wunder hören, wie Berge und 
THäler vor ben Klagen dieſer Verachteten, bie ihr doch immer nad- 
tönen, Nicht weit von hier fiehen ungefähr ein Paar 
he Buchen, und da findet Ihr an allen nichts als 
Marcella A die Rinde gefhnitten, und über mander noch dazu 
Kronen eingegraben, als wollte der Liebhaber fagen, ſie allein ver- 
diene unter allen Weibsfeuten bie Krone der Schönheit. Da feuft 
ein Schäfer, dort winfelt ein andrer; ba hört man Liehesficder, 
dort m fie wie Verzweifelte. Der Eine bringt die ganze Nat 
unter ice oder einem Felſen zu, und, one vor Weinen ein 
Auge jugethan zu baben, findet thn mod die Morgenfonne in fein 
Leid verfenlt; ein Dritter wirft, ohn Ende feiner Marter, ſich 
mitten im heißeften Sommer hin auf den brennenden Sand und 
ſchidt feine Seufzer gen Himmel. Und über diefe und jene-und jene 


und biefe triumphirt die fhöne Marcella in größter Ruhe. Wir 
Alle, die wir fie fennen, find voll — s mit ihrem Hoch⸗ 


muth noch hinaus will und wer der Of ſeyn wird, der ihren 
Stolz bändigen und ifrer Schönheit genießen darf. Da nun Alcs, 
was ih Euch da erzählt habe, Lie Tautere Wahrheit ift, fo glaube 
ichs auch wohl, was unfer Kamerad von dem Tode des Ehryfo- 
ſtomo gefagt hat, und raths Euch, gefirenger Herr, daß Ihr mir 
morgen ja zu feinem Begräbniß mit gehet. Es wird viel da zu fehen 
feyn; benn ber Chryſoſtomo felig Hatte viele gute Freunde, und 
zudem iſis nur eine halbe Meile bis an den Ort, wo er beftattet wird. * 

u Ih werbe es gewiß thun,“ fagte Don Quixote, „und ih 
dante Euch für das Vergnügen, das Ihr mir durch Eure artige 
Erzählung machtet. 

„O,“ rief der Ziegenhirt, „ih weiß faum die Hälfte von dem, 
mas ihren Liebhabern allen begeguet ift; aber vielleicht finden wir 
morgen unterwegs noch einen Schäfer, der Euch das Uebrige vollends 
erzählt. Jetzt aber wärs wohl gut, wenn Ihr Euch unter einem 
Dad ſchlafen legtet, denn die freie Luft Föunte Eurer Wunde doch 
Scharen, ob Ihr glei bei dem, was ih Euch drauf gelegt habe, 
weiter nichts zu fürdten habt.” 




















X. Kapitel, 125 


I Sanıho Panfa, der fon längf den Histen mit feinem langen 
Gefhwäg zum Teufel gewünfcht hatte, bat nicht minder feinen Heren, 
fih in Peters Hätte niederzufegen. Er that dies, und brachte mach 
dem Beifpiele von Marcelfens Anbetern die ganze Nacht mit 
Liebesgebanfen an Donna Dulcinea zu. Sancho machte fih ein 
P lägen zurecht zwifhen dem Rozinante und feinem Eſel, und 
ſchlief, micht wie ein unglüclicher Liebhaber, fondern wie ein wohl- 
zerdroſchner Schildlnapp. 






















Don Ouizote, 


Dreijehntes Kapitel. 2 
Die Grihißte der Schäferin Diererlla wirt zu Gute erpiblt, fammt andern Begebenheiten. 


it Zagesanbrud ftiegen 
fünf von den ſechs Bier 
genhirten auf, weckten 
Don Duirote und 


) Begräbnif des Ehry- 

> foftomo wolle, fo woll- 

— ten fie ihm begleiten, 

Don Duirote, seen — Wunſch dies war, erhub ſich und 

befahl dem Sancho, augenblicklich Roß und Eſel zu fatteln; er that 

es ungefäumt, und fo machten fie fi alsbald auf den Weg. Sie 

waren no Feine BViertelmeile weit, fo begegneten fie auf einem 

Kreuzwege feche Schäfern in ſchwarzen Pelzen, mit Kränzen von Ey« 

preffen und Lorbeerrofen auf den Köpfen und grofien Dornftäben 

in den Händen. Hinter biefen kamen zwei Edelleute zu Pferde, in 

feinen Reiſelleidern, begleitet von drei Dienern zu Fuß. Da fie 

zufammentrafen, grüßten fie einander fehr Höflih und fragten ſich, 

wo fie hin wollten? &s fand fih, daß Ale einerlei Borfaß Hatten, 
der Beerdigung beizumohnen, und fo reisten fie zufammen fort, 

„Mich däucht, Herr Vivaldo,“ fagte einer von den Reitern 

zu feinem Gefährten, „wir werden ben Meinen Aufenthalt nicht 

















XI. Kapitel, 127 


bereuen, den wir machen, dies merfwürbige Leihenbegängnif zu ſehen; 
denn etwas Außerordentliches muß es feyn, nad allem, was und die 
Schäfer von dem BVerftorbnen erzählt haben und von der’ Schäferin, 
welche die Urſache feines Todes if.” — „Ih bin der Meinung 
auch,“ antwortete Vivaldoz „denn fehen hätte ichs müffen, und 
ſollt es mic, auch vier Tage ſtatt einen gefoftet Haben.” 

D uirote fragte fie, was fie denn von Marcella und 
CEhryſoſtomo gehört hätten? Der Neifende fagte, fie feyen die» 
fen Morgen mit den Schäfern zufammengetroffen und hätten gefragt, 
warum fie in Trauer giengenz biefe hätten ihnen darauf Vieles von 
einer fhönen Schäferin, Marcella, und ihren vielen Liebhabern, 
und dem Tode des Ehryfoftomo erzählt, zu deffen Beerdigung 
fie eben giengen. Kurz, es war Peters bereits befannte Erzäh⸗ 
fung. Sie famen bald von dieſem Geſpraͤche ab und auf ein andres. 
Bivaldo fragte unſern Nitter, was ihn bewege, ü a fo frieb« 
lichen Lande fo gerüftet einherzuzichen? — „Mein Stand 
erlauben es mir nit anders,“ antwortete Don Duirote. „Gute 
Tage, ein Tederer Tifh und Nuhe gehören nur für verweichtlichte 
Hoffhranzen, aber Arbeit, Unruhe und Waffen ziemen einzig und 
allein für diejenigen, fo die Welt fahrende Nitter nennt, und von 
deren Orden ich Unwärbiger bas geringfte Mitglied bin. « 

So bald fie bies hörten, merkten Alle, daß er ein Narr fey. 
‚Um aber der Sache noch mehr auf den Grund zu fommen und ausfin- 
dig zu machen, zu welcher Sorte Narren er gehöre, fragte ihn Bi- 
valdo weiter, was deun fahrende Nitter eigentlich für Leute wären? 


„Habt Ihr denn nie die Annalen und Geſchichten von England 
gelefen, wo fo Vieles von ben weltberühmten Thaten des Könige 
Arturus — ben wir in gemeinem Spaniſch nur immer König 
Artus nennen — vorfommt? Wißt Ihr auch nicht, daß von ihm die 
alte, im ganzen Königreih Britannien verbreitete Sage geht, er fey 
nit geftorben, fondern dur Zauberei verwandelt in einen, Raben 
und werbe im Laufe ber Zeiten wieder kommen, um Reich und Scepter 
wieberum in Befig zu nehmen? Daher man aud nit erhören wird, 
daß von jener Zeit an ein Engländer bis jegt einen Naben getöbtet 














Don Auirste, 


habe. Unter diefem »edeln König wurbe nun ber 

Orden von ter Tafelrunde gefiftet; bamals auch bucht 

nad der Geſchichte die Fiebeshändel zwifhen Don Lanzarote vom 

See und der Königin Ginebra vor, wobei bie ehr» und tugenbbefobte 

Dame Duintannona hilfreiche Mittlerin war, woher denn auch bie 

befaunte und in unferm Spanien fo oft gefungne R: B 
Rimmer, nimmer warb ein Ritter ’% 
Wohl von Damen das bedient, 

" Denn der edle Lanzarote, 

Als cr von Bretagna kam, * 
and worin fofort feine Liebes- und Heldenthaten wunderfam ange 
nehm und füß befchriehen werden. Bon der Zeit an hat ſich nun 
diefer Nitterorden immer weiter und nad und mach über verſchiedne 
Theile der Welt ausgebreitet, Unter andern waren darin wegen 
ihrer Thaten berühmt ber tapfre Amabis von Galfien nebft 
Söfnen fein bi6 ins fünfte Glied, ber AMmannhafte Ritter 
Belirmarte aus Hyrcania, der nie genug nach Würden gepriesne 
ZTirante der Weife und ber unüberwindlich fireitbare Ritter Don 
Belianis aus Gräcia, ber faſt noch zu unſern Zeiten gelebt, und 
von beffen Heldenthaten wir fo wiel reden gehört haben. Dies, meine 
Herren, heißt fahrender Nitter fen; dies if der Orden, in ben auch 
ich armer Sünder mich Habe aufnehmen Iaffen, und gehorche derſelben 
Negel, wie die eben benannten Ritter. Daher ziehe ich auch durch 
diefe Einöden und. Wüfteneien umher und fuche Abentener auf, feft 
entſchloſſen, meinen Arm und mich felbft, zu Hilf und Dienft- ver 
Nothfeidenden, an die größten Gefahren zu wagen, die das Schidfat 
mir anmeist. 

Hieraus erfahen bie Reiſenden vollends, daß es bei Don 
Duirote nicht rihtig ſey und an welher Art von Narrheit er leide. 
Sie wunderten ſich auch nicht minder barob als jeder Andre, der 
diefe Entvedung bei ihm machte. Bivaldo, ein aufgewedter Kopf, 
beſchloß fih den Weg zum Begräbnißplatze dadurch zu verkürzen, daß 
er ihm Gelegenheit gab, immer weiter mit feinen Thorheiten heraus. 
zurüden. „Wenn mic reiht bebünft, Herr fahrender Nitter,“ ſprach 


I Diefe ganze Romanze feht im franifehen Ganciomero, Antwerpener Ausgabe, 























XII. Kapitel, 129 


er zu Don Dnirote, „fo bat fi Euer Veften einen der firengften 
Drden auf der Welt gewählt, und faft glaub ih, daß ber — 
Orden nicht fo hart ſeyn könne, als der Eurige.“ 

„So firenge vieleicht," verfegte Don Duirote, „ob aber fo 
nothwenbig füre Gefammtwohl, das ift eine andre Arage; denn die 
Wahrheit jagen, der Soldat thut, indem er die Befehle feines 
—— nicht weniger als der Hauptmann ſelbſt, der 
fie ihn lebit. Ih will ſagen, die Geiſtlichen und Mönde bitten 
Gott um Frieden und Ruhe, um Gutes für die Welt; wir Soldaten 
und Ritter aber fegen das ing Werk, warum jene bitten, führen es 
aus durch die Tapferkeit unfers Armes und durch die Schneide 
unſers Schwerts, unter feinem Dache, fondern unter freiem Himmel, 














Den Onirste # 17 





a“ 











124 Don Quixote. 


ſie's denn auch verbient. Ihr dürfte nur etliche Tage bier feym, 
geftrenger Herr, fo würdet Ihr Euer Wunder hören, wie Berge und 
Tpäler von den Klagen diefer Verachteten, die ihr doch immer nad» 
ziel wiebertönen, Nicht weit von hier flehen ungefähr ein Paar 
Fr. Buchen, und da findet Ihr am allen micte als 
Marcella in die Rinde geſchnitten, und über mancher no dazu 
Kronen eingegraben, als wollte der Liebhaber fügen, ſie allein ver- 
diene unter allen Weibsleuten die Krone der Schönheit. Da feufjt 
ein Schäfer, dort winfelt ein andrer; da Hört man Licheslicder, 
dort jammern fie wie Verzweifelte. Dr Eine bringt die ganze Nacht 
unter einer Eiche ober einem Felſen zu, und, ohne vor Weinen ein 
Auge zugethan zu haben, findet ihn noch die Morgenfonne in fein 
Leid verfenft; ein Dritter wirft, ohn Ende feiner Marter, ſich 
mitten im beifeften Sommer hin auf den brennenden Sand und 
ſchidt feine Seufzer gen Himmel. Und über diefe und jene-und jene 
und biefe triumphirt die fhöne Marcelfa in gröfter Ruhe. Wir 
Alte, die wir fie Fennen, find voll Erwartens, wo's mit ihrem Hoch⸗ 
muth noch hinaus will und wer ber Glückliche ſeyn wird, ber ihren 
Stolz bändigen unb ihrer Schönheit geniefen darf. Da mu Allee, 
was ih Euch da erzählt habe, tie lautere Wahrheit ift, fo glaube 
ichs auch wohl, was unfer Kamerad von dem Tode des Chryſo— 
ſtomo gefagt hat, und raths Euch, geftrenger Herr, daß Ihr mir 
morgen ja;zu feinem Begräbnif mit gehet. Es wird viel da zu fehen 
ſeyn; denn ber Chryſoſtomo felig hatte viele gute Freunde, und 
zudem iſts nur eine halbe Meile bis au den Ort, wo er beftattet wird, # 

„Ich werbe es gewiß thun,“ fagte Don Duirote, „und ih 
banfe Eud für das Vergnügen, das Ihr mir durch Eure artige 
Erzählung. machtet. * 

„Dr“ rief der Ziegenpirt, „ih weiß faum die Hälfte von dem, 
was ihren Liebhabern allen begegnet iſtz aber vielleicht finden wir 
morgen unterwegs noch einen Schäfer, der Euch das Uebrige vollends 
erzählt, Jetzt aber wärs wohl gut, wenn Ihr Euch unter einem 
Dach ſchlafen legtet, denn die freie Luft könnte Eurer Wunde doch 
ſchaden, ob Ihr gleich bei dem, was ic Euch drauf gelegt habe, 
weiter nichts zu fürchten habt.“ 














XII. Kapitel, 


} was ich ſelbſt vabei leide, folgern, daß er weit mühſeliger, 
hungriger, durſtiger, lumpiger und aͤrmlicher ſeyz denn 

gewiß und wahr, daß all meine Vorfahren in dieſem Stand 

viel Mühe und Unglück Zeit ihres Lebens gehabt. haben; und waren 
aud) einige darunter, die ſich durch Tapferkeit ihres Arme auf einen 
Kaiferthro; wangen, fo foftete es ihnen, bei Gott! auch Schweik 
und — Und wär ihnen nicht die Hilfe von Zauberern 
und ai eifen zu gut gefommen, fo hätten fie gleichwohl ihren 


Zweck nimmer erreicht und wären in ihren Hoffnungen ſchmählich 
getäufcht: worden. # 

„Das meine ich auch," fagte der Neifende; „aber Herr Ritter, 
Eins nur gefällt mir unter vielem Andern nicht an den fahrenden 
Nittern, nämlich, daß, wenn es nun an dem ift, ein großes Aben- 
teuer zu beftehen, wobei fie offenbare Lchensgefahr vor Augen feben, 
fie fi nie in den Schug Gottes, wie jeder gute Chriſt bei folhen 


Gefegenheiten thnt, ſondern ihren Damen mit fo viel, inbruft und 
Andacht empfehlen, als wären dieſe ihr Gott — ein Ding, das 
meines Erachtens ein wenig nah Heiven ſchmeckt . 

„Herr!“ antwortete Don Duirote, „dies lann num fhlehter- 
dings nicht anders feyn, und der fahrende Nitter, der anders thun 
wollte, würde einen großen Fehler begehen. Es ift einmal bei unferm 
Orden fo Brauch, daß der fahrende Nitter, wenn ihm ein großer 
Strauß aufſtößt, fi feine Dame lebhaft vergegenwartige und feine 
Blicde vol Zärtlichkeit auf fie richte, "als wollt er mit ſolcher Augen- 
ſprache fie bitten, ihm doch in diefem gefährlichen Kampfe bilfrei zu 
erfcheinen, Und ob ihn gleich Niemand hört, fo ift er dennoch vers 
bunden, einige Worte zu Iifpeln, womit er fih ihr don ganzem Herzen 
empfiehlt, und hievon ftellt die Geſchichte unzählige Beifpiele auf. 
Daraus folgt aber nicht, daß fie ſich Gott nicht befehfen dürften, 
denn biezu bleibt ihnen im Verlaufe des Kampfs immer noch Mufe 
und Gelegenheit. « 


So wune Raynalt von Montalban Kaifer von Treblfone, Bernard tel Garpie 
König von Irland, Palnterin vom Delbaum Kaifer von Gonflantinopel u. {. w. 

= Eiranı der Weife vief mie irgend einen Seiligen an, fontern blos den diamen feiner 
Garmefina, une wenn man ibn fragte, warum er mie einen Selligen anrufe, pflegte ex zu 
fügen: „Wer ziwel Herren tlenet, dienet gar nicht.“ Auszug aus tem Roman, 














Don Quixote. 


Dreizjebntes Kapitel. 


Die Beidlchte der Schaferin Marrella wird zu Ende erpiblt, famınt andern Begebenheiten 


it Tageoanbruch legen 
fünf von den fehs Zie- 


genhirten auf, wetten 

Don Duirste und 

fragten ihn, ob er noch 

mit zu dem feltfamen 

Begräbniß des Ehry- 

ſoſtomo wolle, fo woll« 

. k 7° ten fie ihm begleiten, 

Don Duirote, beffen — Wurf bies war, erhub fih und 

befahl dem Sancho, augenblidtih Roß und Eſel zu fatteln; er that 

es ungefäumt, und fo machten fie ſich alebald auf den Weg. Sie 

waren noch Feine Viertelmeile weit, fo begegneten fie auf einen 

Kreuzwege ſechs Schäfern in ſchwarzen Pelzen, mit Kränzen von Ey« 

preffen und Lorbeerrofen auf den Köpfen und großen Dornftäben 

in ben Händen. Hinter biefen kamen zwei Ebelleute zu Pferde, in 

feinen Reiſelleidern, begleitet von drei Dienern zu Fuß, Da fie 

sufammentrafen, grüfiten fie einander fehr höflich und fragten ſich, 

wo fie hin wollten? Es fand fi, daß Alle einerfei Vorſatz Hatten, 
ver Beerdigung beizumohnen, und fo reisten fie zuſammen fort, 

„Mich däucht, Here Bivaldo,“ ſagte einer von ben Neitern 

zu feinem Gefährten, „wir werden den Meinen Aufenthalt nicht 







































XI Kapitel. 





belannt und ausgemacht genug, dafi er nur eine Einzige zur Dame 
feiner Gedanfen gemacht, für die er inegeheim ſchmachtete und der er 
oft ſich empfahl, weil er einen Werth daranf Iegte, ein geheimmiß- 
voller Ritter zu fegn .“ 

„Wenn denn ſchlechterdings ein fahrender Nitter verliebt ſeyn 
muß,” ſprach Vivaldo, „fo Fan man zum Voraus annehmen, daß 
Euer gleichfats verliebt Al, denn Ihr gehört ja zum 
Orden. Fall Ihr nun nicht fo verſchwiegen ſeyn wollt, wie 
Don Galaor, fo erſuche ih Euch in meinem und der ganzen Ge 
ſellſchaft Namen, daß Ihr uns Namen, Vaterland, Stand und Schön- 
heit Eurer Dame entdecket; da fie ſich glüdtih Thägen muß, wenn 
alle Welt erfährt, daf ein fo edler Nitter, als Euer Beften find, 
Liebe zu ihr trage und ihr diene, « 

Hier holte Don Duirote einen tiefen Seufzer und ſprach: 
„Ich weiß zwar nit, ob meine füße Feindin es der Welt wiffen 
laſſen will, baf ih in ihrem Dienfte ſeyz aber doch zu t auf 
Eure Höftihe Frage muß ich ——— Duteinea heiſt 
Ihr Geburtsort iſt Toboſo in der nchaz ihrem Stande nach 
iſt fie zum wenigſten eine Prinzeſſin, deun fie iſt meine Königin 
und Gebieterin, und ihre Schönheit ift übermenfchli; denn zu einer 
Wahrheit werben in ihr all die unmöglichen, nur von Dichtern erträums 
ten Reize der Schönheit, Ihre Haare find Gold, Eipfiens Felder ihre 
Stirne, Himmelsbogen ihre Brauen, ihre Augen Sonnen, Rofen ihre 
Wangen, Eoralfen ihre Lippen, ihre Zähne Perlen, Alabaſter ihr 
Hals, Marmor ihre Bruſt, Helfenbein ihre Hände, und ihre Haut 
weiß wie friſchgefallner Schnee, ihre übrigen Neize aber, welche Ehr⸗ 
barfeit unfern Blicken verbirgt, glanb ih gewiß, find fo befchaffen, 
daß man_fie fi durch eine lebhafte Phantafie in ihrer Volllommenheit 
zwar denfen, nimmer aber mit etwag vergleichen ann, “ 

Aber ihr Geſchlecht, Sippfhaft und Ahnenfolge möchten wir 
auch gern wiffen,* fagte Bivaldo. 

„Sie ftammt zwar nit,” verfeßte Don Quixote, „oon den 
alten xömifhen Eurtiern, Grachen und Seipionen, noh aus 


* Don Duizore fpielt bier auf die Bringen Briolange an, melde Amaris für feinen 
Beier Salaor zur eliebten ertobren, 








Don Quirote. 


„Bei dem allen,“ antwortete Bivaldo, „Tann ih mic eines 
Strupels nicht entſchlagen. Ih babe nämlich vielmal gele a 
oft zwei fahrende Ritter mit einander in Wortwechſel gerather 
in Unfrieben über eine Sache kommen; was gefhieht? fie werfen 
ſchleunig ihre Noffe herum, jagen ein gutes Stück ins Feld, wenden 
und rennen dann in vollem Lauf, während deſſen fie Damen 
empfehlen, mir nichts, bie nichts, aufeinander Ti folg 
davon if gewöhnlich, daß ber Eine, vom feines Gegn durch 
und durch gerannt, hinter feinem Pferde t, und der Andre 
nicht minder ans bem Sattel gehoben wird, wenn er fi nicht etwa 
nod an den Mäpnen anhält. Num weiß id nit, wo ber Todte, 
bei fo ſchnellem Verlauf der Sachen, Muße finden foll, ſich Gott zu 
befehlen ? Beffer wärs, er hätte bie während bes Rennens am feine 
Dame verfhwendeten Worte angewandt, um zu tun, was fid für 
einen Cpriften geziemt. Ueberdies, glaub ih, Haben nicht einmal alle 
fahrenden Nitter Damen, denen fie ſich empfehlen Mhnten, weit nicht 
Alte verliebt ſind ·· . 

„Unmöglih,“ rief Don Onirote, „ia unmöglich iſto, fage ich, 
daß ein fahrender Ritter ohne Dame fey; umb verliebt ſeyn ift ihnen 
fo wefentlih eigen, ald dem Himmel Sterne zu haben. Ih fann 
ſicher behaupten, daß ſich in feiner einzigen Geſchichte ein irrender 
Nitter ohne Buhlſchaft finde; und fände ſich einer dergleichen, fo ift 
er fein rechtmäßiger Nitter, fondern ein Baftard, und er ift nicht 
durch das Thor in die Burg des Nitterthums eingezogen, fondern 
über die Mauer geftiegen, wie ein Räuber und Dieb,“ 

„Demungeadhtet,* fagte Bivaldo, „entfinne ich mich gefefen zu 
haben, daß Don Galaor, des tapfern Amadis von Gallien 
Bruder, niemals eine beftimmte Dame gehabt hat, der er ſich hätte 
empfehlen können, und warb body drum nicht minder hochgeſchätzt, 
bat ſtets als ein tapfrer und berühmter Nitter gegolten, « 

„Herr! eine Schwalbe macht noch feinen Sommer,“ antwortete 
Don Duirote. „Ueberdies weiß ich aus guter Hand, daß dieſer 
Nitter insgeheim nicht wenig verliebt war, ungeachtet feine Natur, 
die er nicht ablegen Fonnte, es fo mit fih brachte, daß er allen 
hübſchen Mädchen Hold ſeyn mufite, Im Grunde aber ift es doch 




















XII. Kapitel, 


belannt unb ausgemacht genug, daf er nur eine Einzige zur Dame 
feiner Gedanfen gemacht, für bie er insgeheim ſchmachtete und der er 
oft ſich empfahl, weil er einen Werth darauf legte, ein geheimniß⸗ 
voller Ritter zu fegn 1.“ 

„Wenn denn ſchlechterdings ein führender Nitter verliebt ſeyn 
muß,“ fi ivaldo, „fo fann man zum Boraus annehmen, daf 
Euer len gleichfalls verliebt if, denn Ihr gehört ja zum 
Orden. Fall Ihr nun nicht ſo verſchwiegen ſeyn wollt, wie 
Don Galaor, fo erſuche ih Euch in meinem und der ganzen Ge» 
fetfhaft Namen, da Ihr uns Namen, Vaterland, Stand und Schön. 
heit Eurer Dame entvedet; da fie fih glücklich fhägen muß, wenn 
alle Welt erfährt, daß ein fo edler Nitter, ald Euer Veften find, 
Liebe zu ihr trage und ihr diene. « 

Hier holte Don Duirote einen tiefen Seufzer und fprad: 
„Ih weiß zwar nicht, ob nteine ſüße Feindin es der Welt wiſſen 
faffen will, daß ich in ihrem Dienfte ſey; aber doch zur Antwort auf 
Eure hoͤfliche Frage muß ich Euch fage daß fie Duleinea heißt. 
Ihr Geburtsort ift Tobofo in der Mauchaz ihrem Stande nah 
iſt fie zum wenigften eine Prinzeffin, denn fie ift meine Königin 
und Gebieterin, und ihre Schönheit ift übermenfhlih; denn zu einer 
Wahrheit werden in ihr all bie unmöglichen, nur von Dichtern erträum ⸗ 
ten Reize der Schönheit. Ihre Haare find Gold, Eiyfiens Felder ihre 
Stirne, Himmelsbogen ihre Brauen, ihre Augen Sonnen, Roſen ihre 
Wangen, Corallen ihre Lippen, ihre Zähne Perlen, Aabafter ihr 
Hals, Marmor ihre Bruft, Helfenbein ihre Hände, und ihre Haut 
weiß wie frifchgefalfner Schnee, ihre übrigen Neize aber, welche Ehr⸗ 
barkeit unfern Blicken verbirgt, glaub ich gewifi, find fo beſchaffen, 
daft man fie fih durch eine lebhafte Phantafie in ihrer Volllommenheit 
zwar denken, nimmer aber mit etwas vergleichen Kann. 

Aber ihr Gefchlecht, Sippfhaft und Ahnenfolge möchten wir 
auch gern wiſſen,“ fagte Vivaldo. 

„Sie ſtammt zwar nicht,” verfeßte Don Duirote, „von den 
alten römifhen Eurtiern, Grachen und Scipionen, noch aus 


Don Quirote fpielt bier auf tit Pringeffin Briolange an, welche Amapie für feinen 
Bruker Galaor zur Geliebten extoheen. 


























den neuern Familien ber Enlonta, Orfini, noch von Eataloniens 
Moncapas und Requeſens, noch von ben Nebellas und 
Villanovas aus Valencia herz zählt auch nicht die Palafore, 
Nufas, Nocabertis, Eorellas, Lunas, Alagones, Urreas, 
Fozes und Gurreas von Arragon, noh bie Cordas, Man- 
ringuez, Mendozas und Gußmanen von Caftilien, noch 
bie Alencaftros, Pallas und Menefes von unter 
ihren Ahnen, fondern fie ift eine geborne von Tobo n ber 
Mancha. Ihr Geſchlecht, obgleich neu, K er edelfte Stamm: zu 
den durchlauchtigſten Familien folgender Jabrbunderte werben, And 
dieſe Wahrheit tafte mir Niemand an, oder er höre von mir biefelbe 


' Drohung, die Zerbin unter die Trophäen fepte, die er aus Rolands 


Waffen errichtete: 
Ber taftet diefe Waffen an, 
Muf Rolanden im Streit beſtahn .“ 

Ich ſtamme zwar auch von den Cahopinen Fans Lare do ab,“ 
fagte Vivaldo, „aber auf dieſe Art getraue ih mir doch nicht mein 
Geſchlecht mit ber Familie Tobofo von der Manda in Ber- 
gleihung zu fegen; obgleih, die Wahrheit zu geftchen, eo das erſte 
mal in meinem Leben tft, daß ich fie nennen höre.” — „Wie, davon 
wäre Euch nichts zu Ohren gelommen? “ fagte Don Onirote, 

Mit großer Andacht hörten bie andern Begleiter dem Zwiege ⸗ 
ſpräche zu, und Alle, fogar bie Ziegenhirten und Schäfer, erfannten 
das große Deficit im’ unfers Nitters Hirn, Nur Sanho Panfa 
fab alles, was fein Herr und Meifter fagte, für baare Wahrheit an; 
denn er Tannte ihn ja von Jugend auf, und wußte, wer er war. 
Nur Eines wollte ihm nicht recht in den Kopf, nämlich das liebreizende 
Rräufein Dufcinca von Tobofo, denn er hatte fein Lebtage nicht 
von einer Prinzeffin diefes Namens veden hören, ungeachtet er fo 
nahe bei Tobofo zu Haufe war. 

Unter diefen Gefprächen bemerften fie zwanzig Schäfer,. die aus 
einer Schlucht zwifchen zwei hoben Bergen bherabfamen, und mit 


* Arloftos raſender Noland, Geſang XXIV. ®. 57. 
*Gahopin nannte man damal · tie armen Schluter, welche aus Verzweiflung oter Hunger 
mad} der neuen Welt auswanterten. 















































XI, Kapitel, 135 


Wamſern von ſchwarzer Wolle bekleidet und an den Häuptern theils 
mit Eopreffen», theils mit Eibenfränzen geſchmückt waren. Sechs von 
ihnen trugen eine Bahre, mit vielerlei Blumen und Zweigen bebedt, 
» Da kommen fie,“ rief einer von den Ziegenhirten, „die den Leichnam 
des Ehrpfoftomo zu Grabe tragen, und unten am Berge hat er 
begraben “ wollen.“ Sie eiften daher, fo fehr fie Fonnten, und famen 


eben am Träger die Bahre nieberfegten, während Andre befchäf 


tigt waren, das Grab in ben Felſen zu hauen. Nachdem fie ſich 
von beiden Seiten höflich gegeüßt, traten Don Duirote und feine 
Gefährten zur Bahre und erblicten einen Tobten in Schäfertraht }, 
mit Blumen beſtreut. Er ſchien ungefähr dreißig Jahre alt, und 

"Weil Ghrnfonomme in Verzweiflung, das beit durch Selbſtmord, aeftorben war, wird 


fein Seichenbegängniß ohne alle firchliche Orbräuche vorgenommen, Die Leiche trägt auch feine 
‚Kutte, weiche fonfl panifchen Ghriften Im Tote angejogen wird, ſondern ein Schäferwamme. 






















































Don Enirote, 


man fonnte ed noch am der Leiche fehen, daß er im Leben mußte 
fhön und munter gewefen ſeyn. Rund um ihn Her anf der Bahre 
fagen einige Bücher, theils offen, theils zufammengerofft. Alle, die 
Zuſchauer, wie die mit Zubereitung des Grabes Befchäftigten, verharrten 
in feierlihem Stillſchweigen, bis endlich eiter.von den Trägern zum 
andern fprach: „Ambrofins! iſt denn das auch der rechte Ort, den 
ſich Chryſo ſt o mo erwählt hat, weil du doch fein Willen 
fo pün! erfüllt wiſſen wi?" — „Er if,” an Amts 
brofiud. „Wie oft hat mir mein armer unglädlicher Freund hier die 
Geſchichte feiner Leiden erzählt! Hier, fagte er mir, ſah er zum 
erſtenmal jene Tobfeindin des menfhlihen Geſchlechts; Hier entbedte 
er ihr zum erfienmal feine reine, tugenbhafte Fiebe; bier verfhmähte 
zum feptenmal Mareella fein Herz, und brachte ihn aus Ber- 
zweiflung zu dem Entſchluſſe, fein elendes Leben zu enden, und hier 
wollte er au, zum Andenken feines Unglüde, zur ewigen Ruhe 
gebracht fegn. Diefer Körper, meine Herren — fuhr er fort, indem 
er fih zu Don Onirote und feinen Gefährten wandte — den Ihr 
jegt mit mitleidevollen Blicken betrachtet, umſchloß eine Seele, die 
der Himmel mit feinen reichten Gaben geſchmüdt hatte, Es war 
mein Freund Chrpfoftomo, einzig an Geift, ohne Gleichen an feie 
nen Sitten, ein Mufter der Gefelligkeit, ein Phönir in der Freund- 
ſchaft, freigebig ohne Prahlerei, ernfthaft ohne Stolz, fröhlich ohne 
Ausgelaffenheit, Furz, der voflfommenfte Mann in alfem Guten, aber 
au ber einzige, ber Alles Teiven mufte, was Unglück heißt. Er 
Tiebte und wurde verabfheut; er betete an und wurde veradhtet; er 
flehte eine Tiegerin um Mitleid, er fuchte Mitgefühl bei einem Mars 
morfelfen, feefenfofe Luft wollte er umarmen, und erwartete Wieder- 
Hang aus ber Tauffofen Wüfte; feine Dienfte witmete er ber Undank⸗ 
barfeit, bie feine Hufbigungen mit dem Tod belohnte in der Blüthe 
bes Alters. Ihn hat eine Schäferin geopfert, die er verewigen wollte 
im Anbenfen der Völfer, wie ih aus dieſen Papieren beweifen Fönnte, 
hätte er nicht befohlen, fie dem Feuer zu übergeben, fobald fein Leich - 
nam in die Erbe gefenft ſey.“ 

„Da würbet ihr ftrenger gegen fie ſeyn, als ihr voriger Befiser 
feld," fagte Bivaldo. „Denn man ift nicht fhuldig, Jcmande 












































XI. Sapitel. 197 


Willen zu vollziehen, wenn er ber gefunden Vernunft, zuwiderläuft. 
Hätte zum Beifpiel Auguftus recht geiban, wenn er Birgils Ich 
ten Willen hätte pünktlich vollziehen laſſen ? Wenn Ihr auch den Leid» 
nam Eures Freundes, Herr Ambrofio, in die Erbe fenft, fo ſollt 
Ihr doch micht feine Schriften der Bergeffenheit übergeben, denn cs 
iſt nicht gut, unüberlegt zu befolgen, was er im Unmuth befohlen hat, 
Aufbew ſolltet Ihr dieſe Papiere, damit Marcellas Grau—⸗ 
ſamkeit ben Meuſchen im Gedachtniß bleibe und der anmen ⸗ 
ſchaft zum abſchredenden Beiſpiel diene. Wir, ich und Beglei- 
ter, lennen fhon die Liebesgeſchichte Eures unglüdlihen Freundes. 
Wir haben von Eurer Freundfihaft gehört, von der Urſache feines 
Todes und feinem letzten Willen, Aus dieſer jammersoflen Geſchichte 
laßt fih das Maf der Graufamfeit Marcellas, ber Liebe des 
Ehryfoftome und ber Treue Eurer Freundſchaft, fo wie auch das 
Ende derer abnehmen, die mit verhängtem Zügel auf Irrwegen 
finnlofer Liebe dahinrennen. WIE wir geftern Abend von dem 
Tode des Chryſoſtomo und feinem Begräbniffe hörten, ver⸗ 
Tiefen wir die Strafe, und Famen teils aus Neugier, theils aus 
Mitleid Hicher, um Augenzengen von dem zu feyn, was ung fon 
beim bloßen Hören gerührt hatte. Bei dem Mitleid, das Euch 
unfre Herzen gegollt haben, bei dem uneigennügigen Wuuſche, den 
wir, wäre Hülfe noch möglich gewefen, fie zu Teiften gehegt hätten, 
laßt ab von dem Vorhaben, diefe Papiere zu verbrennen, Tat 
einige davon wenigfiend mid retten.“ Und ohne auf Antwort 
zu warten, gieng er zur Bahre, und nahm die ihm zunächſt 
liegenden. 


„Aus Höflichkeit will ih Euch dieſe überlaffen,* fprah Ambro- 
find; „aber die übrigen muß und will ich verbrennen,” Vivaldo, 
der auf den Inhalt biefer Papiere äuferft begierig war, flug eins 
davon auf, und fas den Titel: Verzweiflungs-Ode. 


Dies if das letzte Blatt, das der Unglückliche geſchrieben 
bat," fprah Ambrofius. „Und damit Ihr fehet, wie weit ihn fein 
Unglück gebradt bat, fo lest es nur Taut, indeß das Grab hier 
gemacht wird. * 








Den Ouisin. 18 











138 Don Auirote, 


„Recht gern,“ fagte Vivaldo, und da alle Umſtehenden das 
gleiche Verlangen bezeigten, fo bilbeten fie einen Kreis um ihn, und 
Vivaldo fas mit vernehmlicher Stimme folgendes Gedicht ab: 














XIV. Kapitel, 


Vierzehntes Kapitel. 


Die bofnungslofen Gerſe des verflorbnen Echaſers, famınt andern umoerbofften Vorkommniffen, 


£ied des Ehryfoftome 





einvoll erfenn iche num! 
daß alle Welt 


Das ift Dein Wunſch, das willſt Du, Undankbare! 
Nun, fo geſchehe denn, mie Dir gefällt, 

Mit Wuth will ich der Liebe Schmerz vertaufhen, 
Wie Donner foll mird von der Leler raufıhen. 


Bor Schreden ſtumm wirft dem Gefang Du laufen, 
Der Dir erzählt, wie Du gefrevelt haft; 
Mir aber leichtert auf dem Bufen fh die Lat, 
Indem ich in die Hürmiich wilden Klänge 
Das Blut aus dem jerrifnen Herzen menge. 




































































Don Uuirote. 


3a, höre mur! das tönt nicht wie Scpatmei, 
Das if ein grell verzmeiflungswoller Schrei, 
Ein Wiederpall der quälendfien Gefühle, 

Ein dohngelãchter, wie der Wahnwig Int, 
Ein Wimmern, das duch Dart und Bein Die mifte. 


Des Leu'n Gebruͤll, wenn er nach Blute 
Des wilden Wolfes heißeres Gepeufe, 
Der mitternähtge Laut der fheuen Eule, 
Naben Stimme, der von Unheil krachzt, 
Der dihtbefguppten Schlange gifiges giſchen, 
Das Sturmgetös, vor dem bie Meere gifben , 


Des Kampfftiers Röheln, ber nach mörberifhen 
Gefechten blind und taumelnd nieverbröhnt, 

Ein Ad, wie's bie verlaßne Taube Höhnt, 

Ein Angftruf, wie er in der Geifterftunde 
Herüberfchallt aus ber Verdammten Munde, — 


Dies alles, Grimm, Entfegen, Trauer, Dom, 
Soll in des Liedes fürdterlihem Ton, 4 
Den id erfinde, durchelnanderſchwitren, 

Gleich meinen Qualen grauenvoll amd neu, 

Daß jedes Hörers Sinne fih verwirren, 


Drum töne nicht, Du Hagender Gefang, 
Bo Bater Tagus gelben Sand befhäumet, 
Bo Batis zwifhen Delbaumpainen fäumet: s 
‚Hier falle, bier, die Felſentluft entlang, 

Dier, mo eo dunkelt um des Mittags Weile 

Und Echo brandet an ver Bergwand Stelle. 


Mein krantes Herz Tprüht giftge Deuerpfeile, 
Im Thal, wohin fein Licht ver Sonne glitt, 
Durch Wüften, die fein Glüdliher beiritt, 
Dur Deden, bie fein Morgentpau gefegnet, 
Wo nur der Molch dem Skorpion begegnet. 


Berlaffen bin ich, einfam überall, 
Hab feinen Boten als den Wicberhall; 

Doqh wir die Luft, in die mein Lieb gegriffen, 
Das freie Element, das nirgends weilt, 

Mit Deiner Schande durch den Weltraum fhiffen. 


























XIV. Kapitel 


Manch Hohler, eingebilveter Verdacht 
Dat trene Herzen fhon zu Grund gerichtet; 
Beratung tödtet, Eiferſucht vernichtet, 
Der Trennung Schmerz hat Viele krank gemadt, 
Und kein Beweis, ben Liebe Dir gegeben, 
Kann zweiflerifher Dual Did überheben. 


Ein jedes diefer Leiden zehrt am Leben, 
Und doch, o nie erhörtes Wunder, doch, 
Zrop aller diefer Leiden, leb ih noch, 
I, dem das Herz in Eiferſucht verfchmanhtet , 
Ih, den Marcella von ih ſtoßt, verahtet. 


Und diefe bange, namenlofe Pein 
Dämpft aud fein ferner, bleiher Hoffnungsfchein: 
Die Luft fogar zur Hoffnung ift verloren; 
Daß grenzenlos mein Leiden fep, dab ib, 
I ſelbſt, dem Wiederſehen abgeſchworen. 


Kann gurcht und Hoffnung jemals ſich umfapn? 


Und darf in meiner Bruft bie Hoffnung fliegen, 
Wenn Gründe der Beforgniß überwiegen? 

Sch das Geſpenſt der Eiferfucht id nahn 

Und feine haͤmſchen Blids auf mich fchisden, 
Vermag ich ruhig dann mein Aug zu fhliefen 


Ber follte nicht in Schmerz und Gram zerfliehen, 
Benn feine Hand bie bittre Niete zieht, 
Sein Aug die tranrigfie Verwandlung fieht, 
Daß finftrer Atgwohn übergeht in Klarheit, 
Zur Lüge fih verkehrt das Licht ber Wahrheit? 


Gleb mir, Defpotin in der Liebe Land, 
Gieb, Eiferfunt, ein Schwert in meine Hand, 
deih mir, Verzweiflung, beine Tobesftridel — 
Do wehe, wenn ih enden will, erfcheint 
Mit Zaubermacht ihr Bild vor meinem Bde! 


Ich ſterbe; doch getreu dem alten Wahn 
(Obgleich mir dann au, wenn ich Teben bliebe, 
Nicht eine Ausfiht blieb auf Gegenllebe) 
Sprech ich noch jeßt: wer liebt, hat mohlgetban, 
Und wer der Männerwürde will genügen, 

Der muß ſich Amors Willluhrherrſchaft fügen. 




















Don Suirote. 


8a, Höre nur! das tönt nicht wie Schafmei, 
Das ift ein grell bergweiflungsnoller Schrei, 
Ein Wlederhall der quälendfien Gefühle, 
Ein Hohngelachter, wie der Wahnwig lacht, 
Ein Wimmern, das durch Mark und Bein Die * 


Des Leu'n Gebrüfl, wenn er nah Blute lechut, 
Des wilden Wolfes heifleres Geheule, 
Der mitternähtge Laut der fhenen Eule, 
Mrs Naben Stimme, der von Unheil Mrächyt, 
Der dichtbeſchuppten Schlange giftges Ziſchen, 
Das Sturmgetös, vor dem die Meere giſchen, 


Des Kampffliers Nöheln, ber nah moͤrderiſchen 
Gefechten blind und taumelnd nieberbröhnt, 
Ein Ach, wie's die serlafine Taube töhnt, 
Ein Angſtruf, wle er In der Geifterflunde 
Derüberfchallt aus der Berbammten Munde,, — 


Dies alles, Grimm, Entfepen, Trauer, Bonn; 
Sol in des Liedes fürchterlihem Ton, 
Den ih erfinde, durceinanderfihtoirren, 
Gleich meinen Dualen grauenvoll und meu, 
Dafı jeved Hörerd Sinne fih verwirten. 


Drum töne nicht, Du klagender Geſang, 
Bo Bater Tagus gelben Sand befihänmel, 
Wo Bätis zwiſchen Delbaumpainen fäumet: 
Dier fhalle, bier, die Jelſentluft entlang, 
Her, wo es dunfelt um des Mittags Weile 
Und Echo brandet an ber Bergwand Stelle. 


Mein rantes Herz fprüht giftge Beuerpfeite, 
Im That, wohin kein Licht der Sonne glütt, 
Durch Wüften, die kein Gluͤcklicher betritt, 
Durch Deven, die fein Morgenthau gefegnet, 
Wo nur der Mol dem Storpion begegnet, 


Berlaffen bin ich, einfam überall, 
Hab feinen Boten als den Wieverball; 
Doc wird die Luft, in die mein Lieb gegriffen, 
Das freie Element, bas nirgends weilt, 
Mit Deiner Schande durch den Weltraum ſchiffen. 











XIV. &apitel. 


Du aber, fchwarzer, grimmger Hölfenpund, 
D brülfe du aus dreifach offnem Schlund 
Den Grundton zum Geheul der Beifterlarven! 
Denn wo die Liebe fo zu Schanden gieng, 
Taugt nit der Klang von Cymbeln und von Harfen. 


Zu Ende bift, mein Schwanenlied, auch du. 
So fahre wohl, ing weiter ohne Ruh, 
Bis an der Beindin Oprz doch par bad Beinen! 
Damit Ihr hoͤhniſcher Triumph nicht fteigt, 
So mußt am Grabe nod du heiter ſcheinen. 


Den Zuhörern gefiel die Ode des Ehryfoftomo fehr wohl, 
nur meinte der Vorlefer, fie wolle nicht recht zu dem fittfamen und 
tugenbhaften Charakter paffen, welhen man son der Marcella 
rügmte; denn Ehrgfoftomo fprah ja in jenen Berfen Magen der 
Eiferſucht aus, welche ihm bie Trennung som ber Geliebten abgeprefit 


hätte. Ambrofio, welder mit ven geheimfien Gedanken feines 
Freundes verkraut war, gab ihm zur Antwort: „Im Euch Euern 
Zweifel zu benehmen, mein Herr, muß ih Euch fagen, daß der 
Ungfüdlihe, als er dieſes Lieb ſchrieb, wirffih von Marcelfa 
abwefend war, und ſich freiwillig von ihr entfernt hatte, um zit 
verfuchen, ob die Abwefenheit ihre gewohnte Wirkung auch an ihm 
haben würbe. Weil es aber nichts giebt, das einen Berlichten nicht 
ängftigen, und feine Furcht, die feiner nicht ſich bemädhtigen könnte, fo 
quäfte ihn Eiferfucht, die nur in feiner Einbifdung, und Argwohn, 
der nur in feiner Furcht einen Grund hatte. Es bleibt demnach 
Altes wahr, was der Öffentliche Nuf von Marcellas Tugend rühmt; 
zwar graufam ift fie, ein wenig ſtolz, und noch viel mehr fpröbe; 
fonft aber fann ihr der Neid ſelbſt nichts Ungebührliches nachfagen. * 


n Das ift wahr,“ verfehte Bivaldo, und war eben im Begriff, 
noch ein andre ber geretteten Papiere vorzulefen, als fih unerwartet 
den Augen eine Wundererſcheinung darbot. Denn auf dem Gipfel des 
Felfen, an deffen Fuße das Grab bereitet war, zeigte ih Marcelfa 








Don Buirote. 


Auch jept betenn id: in Marcellas Zügen, 
Berförperte ber Himmel feine Hulp, 
Und wenn fie mic verfchmäht, it mein die Schuld; 
Und hat mir Amor nichts als Dual befhieven, 
Er berrfhe dennoch ewig fort im Brieden. 


So denn beende du, mitleidger Strang, 
Des unerbittlihen Geſchides Drang; 
Gieb meine Serle hin der Luft, ven Winden. 
Verihmäpt und rupmlos fint ih in das Grab, 
Ohn alle Hoffnung, künftig Beil zu finden. 


DMarcella, bie Du mit fo wenig Grund 
So unabweiolich durch dein kaltes Halten 
Mid zwingft, dies öde Daſeyn zu verlaſſen; 
D Du, der einft noch mein geihlofner Mund 
Bezeugen mag, wie freubig ich das Leben 
Zum Opfer Deiner Oraufamteit gegeben, — 


Begreifft Du je einmat mit Teifem Beben, 


Id dätt es dom vielleicht verdient, daß ſich 
Der Himmel Deines Auges trüb um mid, 
So bändge ſchnell Dein Herz: Du follft nicht weinen 
Ob den für Di verſchmachteten Gebeinen; 


Im Gegentheit, gieb Iahend zu verſtehn, 
Daß Du mit Jubel meinen Tod gefehn. — 
Doc wie? hab id mid nod einmal betrogen? 
Bergaß ih ganz, Daß Du Dig rühmen wirft, 
Wie ſchnell Du mir das Leben ausgefogen? 


Ihr Schatten, es ift Zeit, erfheint! wohlan, 
D Zantalus, mit ber zetlechzten Yunge, 
D Sifpppus, in deines Belfens Schwunge, 
Mit deinem Geier, Zitppus; heran, 
Irton, den des Nades Ning umfhliehet, 
Ir Schweftern, bie ihr zwedlos Waſſer giehet! 


Schafft einen Schmerz, in dem zufammenflichet , 
Bas ihr vereinzelt tragt, und achtet ihr 
Mic deſſen werth, fo fingt das Grablied mir, 
Stimmt beufend an, dem armen Lelb zu Ehren, 
Dem Menfchen auch des Sarges Zierde wehren! 























- XIV. Kapitel. 


wie einft Nero, anf das brennende Rom höhniſch Herunterzufchauen? 
oder um voll Uebermuth deinen Fuß auf diefen Leichnam zu ſetzen, 
wie einft des Tulliue Tochter auf den ihres Vaters? Gage 
ſchnell, warum du gekommen und was bein Begehr ift? Denn da 
ich weiß, daß alle Gedanfen meines Freundes, fo lang er lebte, dir zu 
Dienften waren, fo will ich Sorge tragen, daß auch nach feinem Tode 
Ale dir zu Willen feyen, die fih feine Freunde nannten, = 

„Um feiner diefer Urfachen willen, * ſprach Marcella, „fondern 
zu meiner Rechtfertigung bin ich hieher gefommen. Zeigen möcht ich euch 
Allen, wie fehr man Unrecht hat, die Leiden und den Tod des Ehryfo- 
ſtomo mir zur Laſt zu fegen. Und befwegen bitte ih euch insgefammt, 
mir Gehör zu ſchenken; denn ohne viel Aufwand von Zeit und Worten 
ſoll jedem BVernünftigen alsbald die Wahrheit einleuchtend werben, 

„Der Himmel hat mich, fagt ihr, fo fhön erſchaffen, daß es eine 
Unmöglichkeit fey, mich zu ſehen und nicht zu liebenz und für bie 
Liebe, die ihr mir bezeugt, fordert ihr meine Gegenliche, Die Ber 
nunft, die mir Gott gegeben hat, erfennt das Schöne als liebens · 
würdig an; alleim ich begreife nicht, warum bie wegen Schönheit 


Geliebte den Liebenden notbwenbig wieder Lieben muß; denn es fönnte 


fi treffen, daß der Liebhaber des Schönen häßlich wäre, und da das 
Haßliche nur des Abſcheus würdig iſt, fo würde es feltfam klingen, 
wenn Einer fagen wollte: Ich liebe dich, weil du ſchoͤn bift, und du 
mußt mich lieben, obgleich ih häflich bin. Allein, gefegt auf, Schön, 
beit träfe immer nur mit Schönheit zufammen, fo folgt noch wicht, 
daß auch die Neigungen ſich begegnen, denn nicht jede Schönheit reift 
zur Liebe; mande gefällt nur dem Auge, läßt das Herz aber Falt. 
Würde hingegen jede Schönheit zur Liebe reifen, fo würden unſre 
Neigungen in ſtetem Strudel umherſchweifen, und nirgends zur Ruhe 
kommen; denn weil die fhönen Gegenftände umzählig find, fo wäre 
auch der Neigungen feine Zahl zu finden; und gleichwohl hat man 
mir gefagt, wahre Liebe müffe eben fo gut untheilbar ale freiwillig 
fegn. Wenn biefes, wie ich glaube, feine Nichtigkeit hat, wie Könnt 
ihr dann verlangen, baf ih meiner Neigung Gewalt anthun foll, 
bloß deßwegen, weil ihr faget, daß ihr mich Ticht? Sagt mir 
vielmehr, wenn mir ber Himmel Haßlichteit ftatt Schönheit beſchieden 


Den Onieone. 1. 19 





\ TI 




















Don Buirote 


ſelbſt, ſchön und noch fhöner, als das Gerucht fie geſchildert hatte. 
Ber fie zum erftenmale ſah, ftaunte fie mit ſtummer Bewunderung 
anz aber auch die Anden, die ſchon an ihren Anblick gewöhnt 
waren, fühlten gleiches Entzüden. Nicht fo Ambrofio, Denn 
laum hatte-er fie erbfict, fo rief er in tieffter Entrüftung: „Du 
greuliche Schlange diefes Gebirge, kommſt du vielleicht um zu fehen, 
ob die Wunden des Geopferten aufs Neue ihr Blut über deinem 
Anblicke firömen faffen, over kommſt bu, um über den ſchrecklichen 
Erfolg veines Kaltfinns zu triumphiven? Ober um von deiner Höhe, 




















— XIV. Kapitel. 145 


wie einft Nero, auf das brennende Rom höhnifh Herunterzufhauen? 
oder um voll Uebermuth deinen Fuß auf diefen Leichnam zu fegen, 
wie einft bed Tullius Tochter auf den ihres Vaters? Gage 
ſchnell, warum du gefommen unb was bein Begehr iſt? Denn da 
ich weiß, daß alle Gedanfen meines Freundes, fo lang er lebte, bir zu 
Dienften waren, fo will ih Sorge tragen, baf auch nad feinem Tode 
Alte dir zu Willen feyen, die fih feine Freunde nannten, 

„Um feiner biefer Urfachen willen, * fprah Marcella, „fondern 
zu meiner Rechtfertigung bin ich hieher gefommen. Zeigen möcht ich euch 
Allen, wie fehr man Unrecht hat, bie Leiden und ven Tod des Chryfo- 
ſtomo mir zur Laſt zu legen. Und befiwegen bitte ih euch insgefammt, 
mir Gehör zu fhenfen; denn ohne viel Aufwand von Zeit und Worten 
ſoll jedem Vernünftigen alsbald die Wahrheit einleuchtend werben, 

„Der Himmel Hat mich, fagt ihr, fo ſchön erſchafen, daß es eine 
Unmöglichkeit ſey, mich zu fehen und micht zu Iiebenz und für bie 
Liebe, die ihr mir bezeugt, fordert ihr meine Gegenliebe. Die Ber 
nunft, die mir Gott gegeben hat, erfennt das Schöne als Tiebens- 
wirdig an; allein ih begreife nicht, warum die wegen Schönheit 
Gelichte den Liebenden nothwendig wieber Lieben muß; denn es Fönnte 
ſich treffen, daß der Liebhaber des Schönen häßlich wäre, und da das 
Häßlihe nur des Abſcheus würdig ift, fo würbe es ſeltſam Hingen, 
wenn Einer fagen wollte: Ich Liebe dich, weil du fhön biſt, und du 
mußt mich Lieben, obgleich ich häßlich hin. Allein, gefegt auß, Schön, 
beit träfe immer nur mit Schönheit zufammen, fo folgt noch nicht, 
daß auch die Neigungen fih begegnen, denn nicht jede Schönheit reift 
zur Liebe; mande gefällt nur dem Auge, läßt das Herz aber kalt, 
Würde Hingegen jede Schönheit zur Liebe reifen, fo würben unfre 
Neigungen in ftetem Strudel umherſchweifen, und nirgends zur Ruhe 
lommen; denn weil die fhönen Gegenftände unzählig find, fo wäre 
auch der Neigungen Feine Zahl zu finden; und gleichwohl hat man 
mir gefagt, wahre Liebe müffe eben fo gut untheilbar als freiwillig 
ſeyn. Wenn diefes, wie ich glaube, feine Nichtigkeit Hat, wie könnt 
ihr dann verlangen, baf ih meiner Neigung Gewalt anthun foll, 
bloß deßwegen, weil ihr faget, daß ihr mich liebt? Gagt mir 
vielmehr, wenn mir der Himmel Häßlichteit ftatt Schönheit beſchieden 


Den Ontreie. # 19 





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Don Quixote. 


hätte, würde ich mich dann wohl mit Net über euch beffagen fönnen, 
wen ihr mid micht Tiebtet? Ueberdies folltet ihre bevenfen, daß 
ich mie meine Schönheit nicht felbft gegeben, fonbern daß ih fie, fo 
wie fie ift, aus ber Hand des Himmels empfangen habe, ohne darum 
zu bitten, ober fie mir zu wünſchen. Go wie man bemnad ber 
Natter den Stachel, mit welchem fie tödtet, nicht zum Bormurf machen 
fan, weil ihm die Natur ihr gegeben bat, fo könnt ihr aud mir 
um meiner Schönheit willen nichts zur Laft legen. Die Schönheit 
einer züchtigen Jungfrau iſt wie ein wohloerwahrtes euer, und 
wie ein blanfed Schwert; jenes verfengt, und dieſes ſchneidet nur 
die, fo ihm zu nahe kommen, Zucht und Tugend find ein Schmud 
der Seele, ohne welden der Leib, wenn er and ſchön iſt, nicht 
liebenswürbig genannt werben kann. Wenn bemmah ein züchtiges 
Weſen eine von den Tugenden iſt, welche Leib und Seele am meiften 
zieren, warum foll diejenige, die man ihrer Schönheit wegen licht, 
ihre Tugend demjenigen anfopfern, welcher, um feinen Begierden zu 
froͤhnen, fih alle Mäpe giebt, fie ihr zu rauben? Ih bin frei 
geboren, unb um frei zu leben, wählte ich mir bie Einſamleit 
und biefen länbfihen Aufenthalt, Die Bäume dieſer Bergwälder 
find meine Gefellfhaft, und das Waffer diefer Bäche ift mein Spiegel; 
jenen fage ih meine Gedanken, dieſem theile ih meine Schönheit 
mit. Ich bin ein verfhlofnes Feuer und ein wohlverwahrtes Schwert. 
Wenn fih jemand von meiner Schönheit hat verblenden laſſen, fo 
haben meine Reden ihm die Augen geöffnet, und werben die Wünfche 
nur durch Hoffnung gemährt, fo bin ich, nicht am Verderben des 
Chryfoſtomo Schuld; demm weder ihm noch den Andern Hab ich 
Hoffnung gemacht, und wohl darf man fagen, daß fein Eigenſinn 
und nicht meine Oraufamfeit ihm getöbtet habe. Und macht man die 
Redlichteit feiner Abſichten mir zum Vorwurf, und meint man, ich 
hätte deßhalb ihm Gehör ſcheulen follen, fo antworte ih: Als er mir 
bier an diefer Stelle wo man jeßt fein Grab bereitet, die Reinheit 
feiner Abſichten entdedte, gab ich ihm die Erflärung, daß ich entſchloſſen 
ſey, beftändig in ehefofem Stande zu leben, und daß nur bie Erbe 
dereinft das Kleinod meiner Schönheit und die Blume meiner Keuſchheit 
genießen folle. Wenn er nun, trog dieſer Enttäufhung, Hoffnungen 

















XIV. Kapitel, 


hegte, wo nichts mehr zu hoffen war, und vermeffen genug war, 
wider den Strom fhwimmen zu wollen, — wer darf fi wundern, 
daß er enblih an feinem- Wahnfinne Schiffbruch Titt? Hatte ich 
ihn Hingehalten, fo wäre ih falſch gewefen; hätte ich feiner 
Neigung nahgegeben, fo hätte ich gegen meine beffere Ueber- 
zeugung gehandelt. Er beharrte in feinem Wahne, obgleich er 
enttaͤuſcht war; er verzweifelte, obgleich ich ihn nicht haßte. Be 
Mage fi, wer betrogen wirb; verzweifle, wer feine Hoffnung 
getäufht ſiehtz ber trete gegen mich auf, ben ih angefodt, ber 
verhoͤhne mich, den ich begünftigt, aber Niemand nenne mich grau 
fam oder eine Mörberin, dem ich mihts verfproden, ven ih nicht 
betrogen, den ich nicht angelodt und nicht begünftigt habe; bisher 
bat es dem Himmel nicht gefallen, mich der Liebe zu unterwerfen, 
und daß ich freiwillig ihr Huldigen werde, möge Niemand erwarten, 

„Dieſe allgemeine Zurehtweifung merke fih jeder meiner Lieb⸗ 
haber zu feinem eignen Fronmen, und man nehme es in Zukunft 
als ausgemaht an, daf, wenn aufs neue Jemand um meinetwillen 
ſtirbt, Niemand fage, Eiferfugt und Granfamfeit Habe ihn ume 
Leben gebracht; denn mer Seinen Licht, über den Fann Niemand 
eiferfüchtig werden, und wenn ich Einem die Wahrheit fage, fo if 
dies feine Verfehmähung. Wer mich eine Tiegerin und eine Schlange 
nennt, ber meide mich als etwas Böfes und Gefährlihes; wer mid 
für undanfbar hält, der biete mir feine Dienfte micht an; wem ich 
unempfindlich fheine, der fuche nicht meine Geſellſchaft, und wer 
mid graufam nennt, der gehe mir nicht nach. Diefe Tiegerin, biefe 
Schlange, dieſe Undanfbare, biefe Granfame, biefe Unempfindliche 
wird ihm weber auffuhen noch am ſich Toden, weder mit ihm 
umgeben, noch ihm naclaufen, Wenn Ungeduld und ungezügelte 
Leidenſchaft den Ehryfoftomo ums Leben gebracht haben, 
warum will man meine Gittfamfeit deßhalb anflagen? Wenn 
id in ver Gefellfhaft der Bäume meine Unfhuld bewahre, warım 
verlangt man son mir, daß ich fie in ber Geſellſchaft der Männer 
in Gefahr fegen fol? Ihr wißt, ih bin reich genug, um fremde 
Güter nicht zw begehren; id Liebe die Freiheit und wünſche | 





kein Joch; ich liebe Niemand und haffe Niemand; ih bin nicht 














Don Buirote. 


gewohnt, den Einen zu betrügen und dem Andern zu ſchmeicheln, 
mit Diefen zu fcherzen und mit Jenem zu fofen. Der barmlofe 
Umgang mit den Mädchen vom Dorfe. und die Sorge für meine 
Heerden befhäftigen mid hinlanglich; diefe Berge umfclichen das 
Gebiet meiner Wünſche, und wenn fie je ſich höher erheben, fo 
geſchieht es nur, um die Schönheit des Himmels zu betrachten, 
deffen Aublick meine Seele in ihre Heimath zurückführt. * 

Nach diefer Standrede fehrte Marcella um, ohne eine Ante 
wort abzuwarten, und verlor fih in eine Schlucht des nahen Ger 
birgs. Alle Zuhörer waren von ihrem Verftand und ihrer Schönheit 
entzückt. Unter der Verfammling befanden fid einige ihrer Lichhaber, 
welche, trog der harten Erflärung, baß fie nie Gegenliche gewähren 
würde, Miene machten, ihr nachzufolgen. Als Don Quixote 
fahe, was fie thun wollten, bünfte ihm dies eine Gelegenheit, feine 
Nitterpflichten, in Befhügung einer Jungfrau, die man zur Liebe 


zwingen wollte, auszuüben. Er Iegte daher Hand an den Degen, 























XIV. Kapitel, 149 


und rief mit lauter Stimme: „Keiner, weh Standes und Würden 
er auch ſey, erfühne fi der ſchönen Marcella zu folgen, bei 
Strafe meines höchſten Zone. Sie bat deutlich und hinreichend 
gezeigt, daß fie an dem Tode des Ehryfoftome gar feine ober 
nur fehr wenig Schuld habe, und wie weit fie entfernt ſey, jemals 
in das Verlangen eines ihrer Liebhaber zu willigen. Derohalben ift 
es billig und Recht, anftatt fie zu beunruhigen und zu verfolgen, fie 
vielmehr bochzufhägen, weil fie vielleicht die Einzige in der Welt iſt, 
die einen fo tugendhaften Borfa hat.” 

Entweder unferd Ritters Droht ‚ ober des Ambrofio 
Bitten, feinem Freunde die legte Lichedpfliht zu erweifen, machten, 
daß feiner von den Schäfern fih regte, noch entfernte, bis fie das 
Grab gehauen, die Papiere verbrannt, und unter vielen Thränen der 


Umftehenden ven Leichnam beftattet hatten. Sie verfhlofen das Grab 
einftweilen mit einem Feloblock bis ein Leichenſtein fertig fegn würde, 
worauf Ambrofio folgende Infchrift zu fegen gedachte: 

















Don Quixote. 


Sied, dieſet kalte Keihenfein, 
Die peißete Liebe fhlieft er ein: 
Ein Schäfer, krant an Liebeswunden, 
Bat hier fein frühes Grab gefunden; 
Ihn bracht um feine beften Jahre 

. Eine ſchoͤue, ſtolze Undantbare. 
Nicht nur Tprannen lüfets, auf Erden 
Durch Grauſamteit berühmt zu werben. 

Sie beftrenten das Grab mit Blumen und Zweigen, und nad« 
dem ein Jeder dem Ambrofio fein herzliches Beileid bezeigt hatte, 
nahmen die Schäfer Abfgied von ihnen. Vivaldo und fein Ge— 
führte thaten deßgleichen, Don Quixote beurlaubte fih von 
feinen Wirthen und ben Neifenden. Diefe wollten ihn bere⸗ 
den, mit ihnen nad Sevilla zu ziehen, weil es da auf allen Stra- 
fen und an allen Eden mehr Abenteuer gebe, ald irgendwo. Don 
Duirote dankte ihnen fehr für die Nachricht und ihren g 
Willen, fagte ihnen aber, daß er für jetzt mod nicht nad Se: 
ziehen Könne und dürfe, bis er dies Gebirge gänzlih von Räubern 
gefäubert hätte, als deren es voll fer. Da fie en gutet 
Borfag fahen, wollten fie nicht ferner in ihn dringen, fondern nahe 
men nochmals Abfchied, umd zogen ihres Weges, auf welchem ihnen 
ſowohl die Gefhichte der Marcella und des Ehryfoftome, 
ald Don Duirotes Narrheit genugfamen Stoff zur Unterhaltung 
gewährte. Don Duirote hatte ſich feft vorgenommen, die Schäferin 
Marcella aufzufuchen und ihr feine Dienfte anzubieten. Wie er 
aber an der Ausführung diefes Löhlichen Vorhabens gehindert wurde, 
wird bas folgende Buch diefer wahrbaften Geſchichte zeigen. 

















XV. Kapitel, 157 


dem neuen Herrn fo ergeben find, daß nicht ein Aufruhr zu befürchten 
ſtünde, um die Dinge wieder in bew alten Stand zurüdzuführen und 
eine fogenannte Neftauration zu bewerfftelligen. Der neue Befiger 
muß alfo Verftand genug haben, um ſich zu benehmen, und Kraft 
genug, um ſich zu vertheibigen, je nachdem bie Ereigniffe es erfordern, # 

„In dem Ereiguiß, fo ung ebem erſt betroffen bat, möcht ich wohl 
fo viel Verftand und Stärke gehabt haben, als Ew. Geftrengen da 
fagt,* verſehte Samch o. „Aber ih fhwör es Euch bei dem Wort 
eines gefchlagnen Mannes, daf mir jet ein Pflafter beffer zu Statten 
käme, ale Eure Reden da. Geht doch einmal zu, geftrenger Herr, 
ob. ihr nicht auffigen Fönnet, damit wir dem Nozinante nur wieder 
auf die. Beine helfen, ob ers gleich nicht verbient, denn er iſt eigent- 
lich an der ganzen Prügelfuppe Schuld. Meine Tage hätt ich 
fo was nicht von dem Nozinante gedacht; denn ich hielt ihn — 
für einen ſo leuſchen und friedliebenden Burſchen wie ae 


Aber da fiebt mans, daß gar Dr Zeit ehört, ch 

Leute recht feinen, lernt nm in der = 
auf nichts rechnen Fan. eingefallen, daß auf bie 
koftbare Beſcherung, die Ihr * unglädlichen fahrenden Ritter ans 
gehängt habt, ver hinkende Bote fo ſchnell hinter uns brein in Ge- 
ſtalt eines folhen Donnerwetters von Prügeln uns auf den Buckel 
kommen würde, # 

„Der veinige, Sancho,“ forah Don Quixote, „if an 
ſolches Unwetter fhon gewöhnt; aber ‚dem meinigen, der von jeher 
in Seide und Muffelin eingewickelt war, thut ſolche Mifhanblung 
doppelt weh: das ift fonnenflar. Und würde ih nicht glauben — was, 
glauben? wüßt ih nicht vollfommen gewiß, daß alle diefe Beſchwer⸗ 
lichteiten mit dem Waffenhandwerk ungertrennlih. verbunden find, fo 
ftürb ich bier vor Tauter Verdruß.“ 

wGeftrenger Herr!“ fagte Sandoz; „wenn ſolch Unglück zu 
den Iaufenden Einkünften der fahrenden Nitterfhaft gehört, fo fagt 
mir doch, obs oft und häufig fo fünmt, oder obs feine gewiffen Ter- 
mine hält; denn noch ein paar folhe Einnahmen, denk ich, und dann 
würden wir für die dritte nicht viel mehr müge fen, wenn une Gott, 
vermöge feiner unendlichen Barmperzigfeit, nicht befonders beiſteht.* 























Don Euirote. 


Wiſſe, Freund Sanıho," antwortete Don Onirote, daß 
zwar das chem der fahrenden Nitter tauſend Zufällen und Gefähr- 
lichteiten ansgefept if, daß fie aber auch ebenſo nah tem Glüde 
Mad, Kaiſer und Könige zu werden. Hiefür zeugt die Erfahrung 
vieler und gerſchiedener Nitter, von deren Geſchichte ich genaue 
Wiſſenſchaft Habe. IH Fönnte dir auch, wenns nur mein Schmerz 
zuließe, gleich jegt die Geſchichte von einigen erzäpfen, die bios 
durch Tapferkeit ihres Arms zu fo hohen Ehren gelangten, und ben- 
noch ſowohl vor» als nachher fih in mancherlei Ungläd und Noth 
befanden. Sp gerieth ter mannhafte Amadis von Gallien em 
Zauberer Arcalaus, feinem Todfeind, in die Hände, welcher ihn, 
wie man beftimmt verfichert, im Hof an eine Saule band, umb ihm 
mehr als zweihundert Hiebe mit feines Pferdes Zaume gab, Im 
gleichen berichten uns die geheimen Papiere eines nicht wenig Glau« 
ben verbienenden Schriftſtellers won bem Sonnenritter, baf er in 


einem gewiffen Kaſiel eine he eig in ein tiefet Loch 
unter der Erbe gefallen: d Rüße 
gefeſſelt und ihm, fo zu — chneewaſſer und 


Sand gegeben, wovon er beinahe ab ch si und wär im 
nicht ein andrer Weifer, fein guter Freund, in diefer Noth beiger 
fprungen, fo würde es dem armen Nitter übel ergangen fen. Alſo 
Kann ich mich nod immer mit diefen wadern Yeuten tröften, die weit 
größere Unglüdsfälle und Befhimpfungen ausgeftanten haben, als 
wir. Und überhaupt mufit du wiffen, Sauch o, baf Wunden und 
Schläge, beigebracht durch Jaſtrumeute, die einem Anderen von un- 
gefähr in die Hände fommen, gar nit ſchimpflich find; denn in den 
Dueligefegen ſteht mit Haren Worten geſchrieben: „Wenn ein 
Schuſter Einen mit einem Leiften ſchlagt, ben er eben in der Hand 
hat, ohngeachtet der Leiften aud von Holz ift, fo fol man dennoch 
nicht fagen, daß der Andre dadurch gefchlagen worben ſey.“ Dies fag 
ich dir zum Trofte, daß du nicht etwan glaubeft, daß wir durch die 
empfangen Prügel befchimpft wären, denn fo viel ic) mich erinnre, 
waren die Waffen der Leute, die uns fo zugerihtet haben, nichts als 
Knüttel und Pfähle, und fein einziger davon hatte Degen, Schwert 
ober Dold." 



























XV. Kapitel. 


„Ich Hatte nicht Zeit," ſprach Sandıo, „um fo genau nach⸗ 
zufehen; denn faum hatte ich mein Hadmeffer erwiſcht, da ſchlugen 
fie mit ihren Prügeln das Kreuz fo fräftig über meinen Buckel, daß 
mir Hören, Sehen und Laufen vergieng, und. id. dahinpurzelte, wo 
ich aud noch Liege, und es mid; ven Henfer fümmert, ob mir. ihre 
Pfahlprügel eine Schande find, oder nicht, aber das weiß ih, daß 
die Prügel mir weh thun, weßhalb fie auch in mein Gedächtniß 
geſchrieben find, wie auf meine Schuftern. ” 

»Demungeadhtet Bruder Sancho,“ verfegte Don Duirote, 
„giebt es feine fo. bittre Erinnerung, welche die Zeit nicht milberte, 
und feinen Schmerz, den der Tod nicht verwiſchte.“ 

„So?“ ſprach Sandoz „giebts denn wohl was Schlimmeres 
als ein Unglück, das die Zeit erſt Iindern, ober der Tod aufheben 
muß? Wär unfers mit einem paar Pflaftern abgethan, da möchte 
noch hingehen; aber uns möchten wohl faum die Pflafter eines 
ganzen Spitals heilen.“ 

„Laß das jegt,“ fi on O mund raffe dich auf! 
Ich wills auch tun, und dann faffe une wie's um ben Mogie 
nante ſtehtz deun dem armen Thier, glaub ich, ift nicht eben der 
Heinfte Theil von diefem Unglück zugefallen.“ 

nDas ift fein Wunder,” fagte Sanyo, „denn iſt er nicht 
fahrender Nitter fo gut als wir? Das aber wundert mich, daß mein 
Eſel mit ganzen Rippen ——— da wir faſt keine halbe 
mehr im Leib haben.“ 

„Immer laßt das Glück in allem Ira nod eine Hinter« 
tür offen,“ verfegte Don Duirote. „Ih fage dies, weil jegt 
dein Thierlein Rozinantes Stelle verfehen foll, um mich in irgend 
ein Kaftell zu bringen, wo ich meiner Wunden genefen fönne. Und 
wird mir folhe Nitterfchaft nicht im mindeften zur Schande gereichen, 
denn ich erinnere mich gelefen zu haben, daß der gute alte Silen, 
Hofmeifter und Lehrer des Gottes der Freude, ald er feinen Einzug 
in das hundertthorige Thebä bielt, vergnüglich anf einem Eſel 
daherritt. 

„Wenn man nur noch reiten kann,“ ſprach Sanch o, „da mags 
dem wohl fo ſeyn, wie Ew. Geftrengen ſagt; aber es iſt doch ein 

















160 Bon @uirote. 


mädtiger Unterſchied zwifhen Reiten, und fo queer über dem Eſel 
hängen wie ein Sad voll Dred.” 

„Wunden, die man in der Schladht empfängt,“ entgegnete Don 
Dnirote, „bringen mehr Ehre ald Schande. Sag mir alfo nichts 
mehr dawider, Freund Saucho, fonvern erheb dich, fo gut du Fannfl, 
wie ih bir befohlen, und Hilf mir, fo gut e6 gehen will, auf beinen 
&fel, damit wir von bannen fommen und ung die Naht in biefer 
Einöde nicht überfalle.” — „Hab ih doch von Ew. Geftrengen ge- 
hört, daß es bei fahrenden Nittern gar fehr der Brauch fey, bie 
meifte Zeit des Jahres in Wüften und Einöben zu fehlafen, als ob 
dies ihr Beruf fo mit fih brädte,“ warf Sando ein. — „Dies 
thun fie nur,“ fprah Don Duirote, „wenn fie nicht andere 
tönnen, oder verliebt find. So gab es z. B. einen Ritter, der zwei 
ganze Jahre, Tag und Naht, auf einem Felſen zubrachte, und allem 
Ungemah ver Witterung Trotz bot, ohne daß feine Dame etwas 
davon wußte. Einer dergleichen war auch Amadis, als er fih den 
Dunkelhübſch nannte, und den Armuths-Felfen acht Jahre oder 
acht Monate — ih erinnre mich im Augenbfide nicht fo genau — 
bewohnte, und ich weiß nicht, um welches Unrecht trauerte, das ihm 
von tem Fräulein Oriana widerfahren war. Aber Iaffen wir dies 
jest, Sancho, und mad, daß du fertig wirft, che dem Eſel “ns . 
ein Unglück begegnet, wie dem Rozinante.“ 

„Da müßte vollends der Teufel los ſeyn!“ fprah Sancho, unb* 
kroch, nachdem er dreißigmal ggächzt, fechzigmal gefeufzt, und hundert⸗ 
undzwanzigmal den verdammt und verwünfcht hatte, ver ihn hieher 
gebracht, in die Höhe, blich aber halbwegs krumm wie ein türfifcher 
Bogen ſtehen; denn ganz fonnte er fih nicht aufrichten. Trotzdem 
machte er den Efel zurecht, der die gute Gelegenheit benützt hatte, 
fi ein wenig in der Gegend zu ergeben. Drauf half er dem Ro— 
zinante auf die Beine, der, wenn er nur eine Zunge zum Weh- 
Hagen gehabt hätte, werer dem Sancho nod feinem Herrn hierin 
etwas nachgegeben haben würbe. Endlich padte er auh Don Dui- 
xote auf den Efel, band den Rozinante Hinten an den Schwanz, 
nahm den Efel bei der Halfter, und ſchlich fachte immer nach ber 
Gegend zu, wo nad feinem Dafürhalten die Landſtraße feyn mußte. 

















XV. Kapitel, 161 


Ein Gfäd fommt nie alffin; faum waren fie eine halbe Meife fo 
gezogen, da zeigte‘ fi ihnen die Yandftrafie, und auf derſelben eine 
Schenke, die einmal, zu ded armen Sande größtem Berbraß und 
unfers Nitters größter rende, ein Kaftell feyn mußte.“ Saucho 
ſchwur hoch und theuer: „Es ift eine Schenle!“ — „Nein, es ift ein 
Kaſtell!“ rief fein Herr, und fo banerte der Streit fort, bis fie davor 
kamen, und Sandıo rüdte, ohne ſich weiter zu vereifern, mit feinem 
ganzen Zuge hinein, 








Den Butrre 1. 





















Don &uirote, 


Sechzehntes Kapitel. 


Was unierm weiſen Junter in ver Schenke begegnete, die er für ein Rafell hielt. 


Zag demnah Don Duirote queer über 
_ dem Efel; weßhalb der Wirth den 
Sand fragte, wasihmfehle? „Es iſt 
weiter nichts," fprah Sancho, „als 
daß er von einem Felfen herabgefallen 
ift, und fi die Geiten ein wenig ge- 
N quetfht hat.“ Der Wirth hatte eine - 
un 8 Frau, die wider Gewohnheit ſolches 
Volks gar mitleidig war, und fih das Unglück ihres Nächften zu 
Herzen gehen Tief. Sie nahm ſich alfo gleich des armen Ritters an, 
befahl auch ihrer Tochter, einem hübfchen jungen Mädchen, ihr ben 
Gaft verbinden zu helfen. Nun diente in eben der Schenke eine 
aſturiſche Dirne, mit breitem Gefiht, flachem Hinterfopfe und Stumpf» 
nafe, die auf einem Auge fihielte und mit dem andern auch nicht 
recht fah. Indeß, die Reize ihrer Perfon erfehten diefen Mangel. 
Denn fie maß von der Ferfe bis zum Scheitel faum etwas über vier 
Fuß und dabei machte cin Meines Uebergewicht hinter der Schulter, 
daß fie mehr zur Erde fehen mußte, als ihr lich war. Diefe zarte 
Magd half der Tochter des Wirte für Don Duirote cin elendes 
Bett in einer ſchlechten Kammer zurecht machen, der man es anfab, 
daß feit Jahren dort nichts ald Stroh aufgehoben worben war. In 
eben biefem Stalle befand ſich aud ein Efelstreiber, der fein Lager 
einen Fleck weiter von unfere Nitters feinem aufgefchlagen hatte; wel- 
ches, ungeachtet es nur aus Deden und Polftern feiner Efel beftand, 
doch vortheilhaft von der Ruheſtätte Don Quixotes abflah; 



























Ä XVL Sapitel 163 


denn diefe beftand and vier höckerichten Bretern auf zwei ungleichen 
Böden, aus einer Matrage, die nicht dider ald eine Ueberdecle, dem 
Gefühle nach aber voll von Knollen wie Kiefelfteine war, hätte man 
nicht durch einige Löcher bemerkt, daß fie mit Wolle geftopft ſey; 
ferner aus zwei Leilachen, fo hart wie Schildleder, und einer feinenen 
Dede, deren Fäden man alle, ohne um einem zu irren, hätte zählen 
können. In dies verwünfchte Bett fegte fih Don DOuirote, und 





nun bepflafterten ihn die Wirthin und ihre Tochter von oben bis 
unten, wozu ihnen Maritornes (fo hieß die Afturierin) Leuchtete, 


























164 Don Quitote. 


As nun die Wirthin unter dem Bepflaftern gewahr wurde, bafı 
Don Duirote allenthalben voll Striemen war, fagte fie, dies fähe 
ja eher Schlägen als einem Falle ähnlich. „Dit nichten,“ ſprach 
Sande, „es find feine Schläge, fondern der Fels hatte viel ſcherfe 
Spigen und Eden, deren jede ihr Mahl gemacht Hat. Und-noh 
eins! Frau Wirthin, ſeyd fo gut und laſſet wo möglich einige Fetzen 
Pflafter übrig, denn es iſt Einer da, der es brauchen kann z denn 
auch mich ſchmerzt es ein wenig da im Kreuze.“ — „Seyd ihr benn 
aud gefallen?" fragte die Wirthin. — „Das zwar mit,“ ſprach 
Sandoz; „aber der Schreden, da ich meinen Herrn fallen ſah, ift 
mie fo. in ben Leib gefahren, daf es mir nicht anders iſt, ald Hätt 
ich taufend Prägel befommen,“ — „Das ift gar wohl möglich,” ſprach 
die Tochter, „denn wie oft iſt mies nicht im Traume fo gewefen, als 
fiel ih von einem hohen Thurm und fäme nicht auf den Boden, und 

















XV Kapitel. 


wenn ich vom Traum erwacht, war ich fo müde und zerfihlagen, als 
ob ih wirklich gefallen wäre,” — „Da triffts die Jungfer auf ein 
Haar,” fagte Sanchoz „wur daß ich nit träumte, fondern fo 
munter war wie jegt, und habe doch vom bloßen Schrecken faft eben 
To viel blaue Fleden gefriegt, als mein Herr,“ 

Wie Heißt denn der Herr Ritter?” fragte Maritornes. — 
„Don Duirote von der Mana,“ antwortete Sanho Panfaz 
„ein fahrender Nitter ift er, umb zwar einer ber beften und mann“ 
hafteften, die feit langer Zeit auf Erven gefehen worden find.“ — 
„Was ift'denn das, ein fahrenver Nitter®* verfegte bie Dirne. — 
„Seyd Ihr denn fo jung in der Welt, daß Ihr das nicht wiffet?« 
antwortete Sanch o. „Höre, Schwefter, ih will dire fagen; ein 
fahrender Nitter iſt, mit zwei Worten, ein Ding, das bald geprügelt 
wird, bald Kaifer iſt. Heute ift er das elendefte und ärmfte Geſchöpf 
unter ber Sonne, und morgen hat er zwei ober brei Königskronen, 
die er feinem Schildknappen fheufen lann.“ — „Wie kömmts denn 
aber, da Ihr doch einen fo guten Herm dienet, daß Ihr, wies 
ſcheinet, nicht wenigftens eine Grafſchaft habt?“ fragte die Wirthin. — 
„Damit hats nod Zeit,“ ſprach Sandho, „denn cs ift ohnedies erft 
kaum einen Monat her, daß wir Abentener ſuchen, und bis jegt haben 
wir noch feines gefunden, das viel werth war, Aber da ſucht man 
oft eine Sache und findet eine andre; doch das ift ausgemacht, fömmt 
mein Herr Don Duirote nur von feinen Schlägen — von feinem 
Ball, wollt ih fagen, wieder auf, fo vertaufhe ih gewiß meine Hoff- 
nung mit dem beften Titel von Spanien nicht.” 

Dem tollen Gefhwäg hörte Don Quixote fehr aufmerkfam 
zu, feßte fih im Bette fo gut er Fonnte in die Höhe, ergriff die 
Hand der Wirthin und ſprach: „Glaubt mir, fhönfte Frau, daß 
Ihr Euch glůcklich fhägen Könnt, eine Perfon, wie ih bin, in Eurem 
Kaftell aufgenommen zu haben. Denn wenn ih mic nicht ſelbſt 
Tode, fo geſchieht es einzig deßhalb, weil Eigenlob feinen guten 
Geruch verbreitet; aber mein treuer Schildknappe wirds Euch er⸗ 
zaͤhlen, wer ich bin. Nur dies erlaubt mie noch zu fagen, daß. der 
Dienft, fo Ihr mir gefeiftet, ewig in meinem Gebächtniffe wird ge» 
ſchrieben ſtehen und ich Zeitlebens Euch zu Dank werde verpflichtet 














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XVI. Kapitel, =] 


Nun hatte der Eſelstreiber mit ihr für dieſe Naht eine verliebte 
Zufammenfunft verabredet, und fie ihm auch ihr Ehrenwert darauf 
gegeben, ſobald die Gäfte und ihre Herrſchaft ſchlafen würden, ihm 
einen Beſuch zu machen und, fo weit er es verlangte, zu Willen 
zu ſeyn. Dan fagt überhaupt won dieſer ehrlichen Dirne, daß fie 
ihr Wort in dergleichen Rällen nie gebroden, hätte fie es aud auf 
freiem Felde und ohne Beifegn eines Zeugen gegeben; denn fie hielt 
fehr viel auf ihren Adel, und achtete es fih für feine Schande, 
als Magd in der Schenfe zu dienen, weil nur Ungfücsfälle und 
Widerwärtigkeiten, wie fie fagte, fie zu diefem Stande berabgefegt 
hatten, 





Don Duirotes hartes, enges, gebredlihes und lumpiges 
Bett ſtand gleih vorne am unb mitten in biefer alten Rumpele · 
fammer, Gleich daneben hatte ſich Saucho fein Neft von einer 
Binfenmatte und Dede gemacht, die eher von Segeltuch als Wolle 
ſchien. Nach diefen beiden folgte des Eſeltreibers Lager, weldes, 
wie fon gefagt, ‚von ben Deden und bem Geſchirr feiner zwei 
beften Maufefel aufgebaut war, deren er zwölf hatte, alle ftarf; fett 
unb glänzend wie die Spiegel, denn es war einer ber reichfien Trei- 
ber von Arevalo!, So verfihert wenigftens unfer Autor, der dieſes 
Treibers befonders erwähnt, weil er ihn fehr genau Fannte, und, wie's 
verfauten will, wohl gar ein wenig mit ihm verwandt wart, Mer 
nigftend erhellt daraus, daß Eid-Hamet-Ben-Engeli ein fehr 
treuer und genauer Geſchichtſchreiber war, weil er aud die Heinften 
unb unerheblichften Umftände nicht mit Stillſchweigen übergeht. Moͤch- 
tem doch unfre neuern ernfthaften Geſchichtſchreiber ein Beifpiel dran 
nehmen, die, wenn fie Begebenheiten erzählen, Alles fo kurz zufam- 
menfaffen, daft mans laum mit den Lippen foften fann, und dabei 
immer aus Rabrläfigfeit, Bosheit oder Ummwiffenheit gerade das Wer 
fentliche im Tintenfaſſe ſtecken laffen. Heil dafür, taufenpmal Heil 





* Cine Stast in MEGafilien, 

* Bor ihrer Berteeibung aus Spanien gaben ſich die Moriskos gerne mit Fubrwerf ab, Das 
abenteuerliche Scben eines Maultkiertreibert behagte ihnen, entyog fir überdiek ber frengen 
Aufficht der Inguifition, und befreite fie vom verbaften Beſuche der Kirchen. 








L_ 

















168 Don @uirote. 


dem Gefchichtfchreiber des Tablante ve Ricamonte und dem Er- 
sähler der Thaten des Grafen Tomillas! Dies find doch Leute, 
die Alles pünktlich beſchreiben. 


Nachdem nun der Efelstreiber@feine Thiere beſchickt und ihnen 
das zweite Futter gegeben hatte, fo ſtreckte er ſich auf feine Deden 
und erwartete mit heißem Liebesverlangen feine pünktlihe Mari- 
tornes. Sancho lag ſchon völlig eingepflaftert auf dem Ohr, 
wollte gern fhlafen, konnte aber vor Kreuzweh nicht; eben fo Ing 
Don Duirote vor Schmerz mit offnen Augen ba, wie ein Hafe. 
Schweigen lag rings auf ber Schenke, nirgenb6 mehr war Licht; nur 
eine Lampe brannte no, die über dem Thorwege aufgehängt war. 
Diefe merkwürdige Stille und die unruhigen Gebanken unfers Ritters, 
welche unaufhörlich in den Ritterbüchern, jener Duelle feines Ungläde, 
ſchwärmten, zauberten ihm eine der feltfamften Thorheiten vor. Er 
bifvete fi nämlich ein, daß er in einem berühmten Kaſtell ſich be- 
fände (denn jede Schenke, in der er einfehrte, war ihm, wie obger 
dat, ein Kaftel), daß die Wirthstochter, als Fräulein des Herrn 
biefes Kaſtells, von feiner Anmuth überwunden, in ihn verlicht 
fey und ihm verſprochen habe, dieſe Nacht ohne Vorwiſſen ihrer 
Eltern zu fommen und eine gute Weile bei ihm zu liegen. Diefe 
Griffe, welche er ſteif und feſt für wahr hielt, ſehte ihm gewaltig 
zu, und er fieng an fich fehr über die Gefahr zu ängfligen, im 
welche dabei feine Treue und Keufchheit gerathen könne. Doc ber 
ſchloß er in feinem Herzen, an feiner Dame Dulcinea von Tor 
bofo durchaus feine Untreue zu begehen, follte auch die Königin 
Ginebra mit ihrer Dame Duintannona in eigner Perfon vor 


ihm erfcheinen. 


Indem er fo da Tag und es in feinem Kopf gewaltig fpudte, 
nahte ſich die für ihn unglüdfelige Stunde ver Ankunft Maritor- 
nes. Sie erſchien im Hemde, trat baarfuß, die Haare unter eine 
Nachtmütze von Barchent geſteckt, mit Ieifen furchtfamen Schritten in 
die Kammer, wo alle drei Tagen, ihren Efelötreiber zu ſuchen. Aber 
taum war fie zur Thüre herein, fo merkte fie Don Quixrote, fegte 











XVI Kapitel, 


fih, fo gut es ihm Pflafler und Lendenweh erfaubten, im Beite 
aufrecht, und fredte feine Arne aus, fein ſchönes aſturiſches Fräu- 
Tein zu empfangen, bie ſtill und gebüdt mit ben Händen voran- 
tappte, ihren Geliebten zu finden. Gie traf gerade auf Don Dni- 
rotes Arme, der fie ſogleich einer Fauſt ergriff, fie nach ſich 
308, und, ohne daß fie ſich traute ein Mörtchen zu fagen, auf fein 
Bette feste, Er belam ſogleich ihr Hembe in die Hand, das, obgleich 
es von Hanf war, ihm doch der feinfte und weichfte Duffelin fchien. 
Die Gfastoralfen, die fie um den Arm Hatte, leuchteten ihm wie 
die fhönften orientaliſchen Perlen. Ihre Haare, die Pferdemähnen 
wenig nachgaben, waren ihm Fäden des feinften arabifchen Goldes, 
deren Glanz bie Sonne verdunfelte, und ihr Athem, der nach altem 
übernähtigem Salate roch, hauchte ihm Gewürzduft und Wohlgerü— 
in bie Nafe. Kurz, feine Phantafie malte fie ihm gerade fo, 
jene Prinzeffin in feinen Büchern, die von Liebe überwältigt in diefem 





ganzen Aufzuge, ihren verwunbeten Ritter zu bi fan. Die 
Blindheit des armen Junkers gieng fo weit, n weder Gc- 
fügt noch Geruch, noch andre Dinge, die das gute Mädchen an ſich 
Hatte, und die: gewiß jeden Andern, ber fein Efelstreiber war, zum 
Seien brachten, ſeinen Jerthum benehmen konnten. In feinen Ge» 
daulen Hatte er die Schönheitsgöttin ſelbſt in den Armen. 9 





Da er fie fo feft umfchloffen hielt, hob er mit leiſer, zärtlicher 
Stimme an: „Möcht ich mich doch, ſchönes und hochgebornes Fräulein, 
im Stande befinden, Euer Lieb eine fo große Gnade, als Ihr mir 
durch Darftellung Eurer hohen Schönheit erzeiget, zu vergeften; aber 
das Schiefal (welches nie aufhört, die Guten zw verfolgen) Hat mich, 
in dies Bett geworfen, wo ich dermaßen jermafmt und geräbert Tiege, 
daß es mir unmöglich wäre, Ener Lich Willen ein Genäge zu leiſten, 
wen ich aud wollte. Zu biefer Unmoͤglichteit kommt aber noch eine 
größere, nämlich; meine der Dulcinea von Toboſo, ber einzigen 
Dame meiner geheimften Gedanken, verſprochne und gelobte Treue, 
Wäre dies nicht, fo würde ich ja fein fo thörichter Nitter ſeyn, die 


fhöne Gelegenheit, die Euer Gnaden mir darbietet, ungenügt aus ben 
Händen zu Taffen.“ 


Den Dunn E77} 































Maritornes war in Höflennöthen. Sie fhwigte vor Angf, 
da fie fih von Don Dnirste fo feft gehalten fühlte, und war 
bemäßt, ganz im der Stille von ihm Toszufommen. Der gute Ejeld« 
treiber, ben feine böfe Luft nicht fhlafen Tick, Hatte das Weibssilb 











oleich beim Cintritte bemerkt, und lauſchte fehr aufmerffam auf allet, 
was Don Duirote vorbragte. Er wurde eiferfächtig, daß ihm bie 
Afurierin, um eines Autern willen nicht Wort hielt, ſchlich ſich 
näher zu unfers Ritters Bette, und horchte, wo denn dies Gerede, 
das er freilich nicht ganz verftand, eudlich hinaus wolle. Als er 
„aber gewahr wurbe, daß fein Liebhen "fi gern Iosarbeiten wollte, 
und Don Duirote fie mit allen Sräften zurückhielt, nahm er den 
Spaf übel, holte weit aus und gab dem verlichten Ritter mit voller 
Banft eine fo ſchredliche Obrfeige auf den dürren Baden, daß ihm 
gleich das ganze Geſicht im Blute ſchwamm. Nicht zufrieden damit, 
fprang er ihm auf den Leib, und trabte von oben an bis unten jäm⸗ 
merfich auf ihm herum. Das Bett, welches an fi ſchon gebrechlich 
war, und auf ſchwachen Füßen ſtand, Ionnte die neue Laft des Efeld- 
treiber® nicht tragen, und brach mit lautem Krachen zufammen. Das 
Gepolter davon weckte den Wirth auf, der es gleich für eins von 
Maritornes feinen Stüden hielt, weil fie ihm anf fein Rufen 
nicht antwortete. Mit tiefem Verdachte fand er auf, zindete ei 
| Riht an, und gieng dem Lärmen nah. Die Dirne, welche ihren 




















XVI. Kapitel, a 


Heren, und zwar mit feinem freundlichen Gefihte, kommen fab, roh” 
vor Angft und Schreden zu Sauch o ind Bett, der mod fihlich, und 
drüdte fih da zufammen wie ein Knäuf. * 
„Bo biſt du, Hure?“ fihrie der Wirth beim Eintritt. „Sicher 

haft du wieder einmal einen Streich gemacht!“ Indem wurde Sauch o 
halbwach, und fühlte den Klumpen beinahe auf ſich Liegen. Er dachte 
nicht anders als der Alp drücke ihn fo ſchrecklich, und fieng daher an 
mit beiven Fäuften um fih zu fihlagen. Die meiftenmale traf er 
Maritornes, die vom Schmerz übermannt, alle Epre und Schaam 
bei Seite fegte, und ihm bas Empfangne fo Fräftig wieder heimgab, 
daß er nothwendig ganz davon erwachen mußte. Sancho, ber fih 
fo ungebüßrli miß handelt fah, ohne zu wiffen, von wen? erhob 
ſich fo gut er konnte, umfaßte Maritornes, und num begann zioii 
Beiden die higigfte und anmuthigfte Balgerei von der Welt, 
Efelötreiber, als er beim Schein des Lichtes fah, wie fhlimm | 
feinem Liebchen gieng, lie a OQuixote fa ihr zu 

ü i auch ins Spiel, aber in der Abſicht, 

Jı zu zi welche er für bie unfehlbare Urheberin 
des ganzen Färmens hielt, So gieugs nun hier nah dem Sprüc- 
wort: Prügel auf ben Hund, Hund auf den Michel, Michel auf den 
Baum; denn ber Efelstreiber ſchlug auf Saucho, Saucho auf die 
Magd, bie Magd auf ihn, ver Wirth auf die Magd, und fie zer- 
walften fi untereinander mit foldem Eifer, daß fie nicht einen 
Augensid ausruhten. Das Sqhonſie war, daf dem Wirthe das 
tigt ausgieng. Denn nun fhlugen fie fo bliudlings und toll auf ein- 
ander los, daß, wo eine Fauft auffiel, gewiß fein gefunder Fleck blich. 

Von ungefähr war in berfelben Nacht ein Gerichtsdiener der 

fogenannten alten heiligen Hermandad von Toledo in ber Scheule 
eingefehrt. Als diefer das dumpfe Schladtgetümmel hörte, ergriff er 
feinen Gerichtöftab und die blecherne Büchfe worin fein Beglaubigungs- 
Patent flat, gieng finfterlings in die Kammer und rief: „Friede, im 
Namen der Gerechtigkeit! Friede im Namen ber heiligen Hermandab!« 
Der Erfte, auf den er traf, war der zermalmte Don Duirste, ber 
unter den Trümmern feines. eingebrochnen Bettes, den Mund in die 
Höhe redend, ohue Sinn und Empfindung dalag. Er befühlte ihn, 























172 Ps Don &uirste, 


befam den Bart in die Hand, und rief unaufhörlih: „Gehorfam im 
“Namen der Obrigkeit!" Da er aber fah, daß der, den er gepadt 
hatte, ſich nicht regte und bewegte, hielt er ihn für todt, und die 
andern Kämpfer für feine Mörder. Aus diefem Grunde ſchrie er 
noch lauter: „man fhliche eilends Die Thüren des Haufes, und laſſe 
ja Niemanden entwifchen, denm Hier ift ein Menfch erfhlagen.“ Dies 
Wort fuhr Allen durch die Glieder, und augenblicklich Tiefen fic den 
Streit, wie er lag, Der Wirth ſchlich in feine Kammer, der Efeld- 
treiber auf feine Sattelbeden, und Maritornes in ihren MWinfel, 
nur die beiden Unglädsfameraden Don Quixote und Sancho 
konnten ſich nicht von der Stelle bewegen. 
Unterdeß ließ der Gerichtstiener Don Onirotes Bart fahren, 
5 hinaus und ſuchte Licht, die Thäter gefangen zu nehmen, fand 
R keins, denn der Wirth hatte mit Fleiß die Lampe ausgeföfht, 
als er ſich in feine Kammer zurückzog. Er mußte alfo im Kamine 
nochſuchen wo er denn auch, nach v und — ein andres 
Licht anftedtte. 














4 














sote nebit feinem 
jener gi feinem 


I, er Nitter hatte ſich indeffen 
A wieder von feiner Opnmagt 


* er im Prügelthale ausge 

ſtredt Tag, feinem Schildknap · 

pen zu: „Rreund Sancho, 

fgtäffe tu? fptaffe du, Freund 

Sanchor“ — „ga, es bat 

ſich da was zu fhlafen,“ ant- 

E wortete Saucho voll Verbruß 

und sa „iſts doch nicht anders, als wenn alle Teufel dieſe 
Nacht fi über mich hergemacht hätten.“ — „Und das darfft du 
aud nur glauben, Sando,” fprah Don Duirote; „denn 
ich verfiche entweder gar nichts von dergleichen Sachen, oder dies 
Kaſtell ift bezaubert. Wiſſe alfo — aber nein, du mufit mir erft 


* 




















174 7 Don Quixote. 





fhwören, das, was ich dir jegt eröffnen will, bis nach meinem Tode 

bei dir zu behalten.” — „Ya, ih fhwörs Euch,“ ſprach Sanıho. 
— „Ic verlange e8 nur darum,“ fuhr Don Quixote fort, „weil 
ich nicht gern will, daß Jemand an feiner Ehre leide.“ — „Ih 
Tag, ich Thwörs Euch, gefirenger Herr, daß ichs bis nad Eurem 
Tode verfhweigen will,“ verfegte Sanchoz „aber, wollte Gott, 
daß ichs morgen ſchon weiter erzählen dürfte.“ — „Thue ich bir 
denn fo viel Leids an, Saucho, daß du mic ſo bald tobt wün» 
ſcheſt?“ fragte Don Duirote. — „ES ift nicht darum,“ ſprach 
Sanyo, „Sondern weil ih die Sachen nicht gern Tang bei mir 
behalte, damit fie nicht vor fangem Liegen verfaulen.“ 

„Seys, warum es wolle,“ fprah Don Duirote; „ih ver 
laſſe mich ſchon auf deine Lieb und Treue. Wiſſe alſo, daß mir 
dieſe Nacht eins der ſeltſamſten Abenteuer begegnet iſt, deſſen ich 
mic werde rühmen können, Mit einem Worte, vor wenigen Minus 
ten kam die Tochter des Herrn diefes Kaſtells, eins ber ſchönſten 
und liebreizendſten Fräulein weit und breit in der Welt, zu mir, 
Was foll ih dir von den Neizen ihrer Perfon fagen? mas von 
ihrem aufgewecten Verftande? was von andern verborgnen Dingen, 
die ich in ſchuldiger Treue gegen mein Fräulein Dulcinea von 
Tobofo Lieber unbefchrieben und unberührt laffen wi, Nur fo viel 
ſollſt du wiffen, daß entweder das Schickſal neidifh auf mich if, 
daß ein folder Schag mir durchs Ungefähr in bie Hände gerieth, 
ober (was mir wahrfcheinficher dünft), daß dies Schloß bezaubert 
iſt, wie ih dir ſchon fagte; denn eben da ich mid mit ihr in dem 
füßeften und holdſeligſten Gefpräd befand, kam unverfehens eine 
Hand — Gptt weiß woher? aber gewiß mußte fie zum Arme eines 
ungeheuern Niefen gehören — und gab mir einen folhen Fauftfhlag 
auf den Kinnbacken, daß gfeih Blut darnach floß; und darauf hat 
es mic dergeftalt zermalmt, daß ich jegt ſchlimmer daran bin, als 
geftern, da uns die Gtutentreiber um der Gelüfte meines Noir 
nante willen fo übel mitfpielten. Hieraus ſchließe ich nun, daß“ 
der Echönheitsfhag dieſes Fräuleins irgend einem verzauberten Mobe 
ven zur Huth und Wache anvertraut, und für mich mit gemacht 
ſeyn müſſe.“ 








Ir 


















NVI. Kapitel. 


m 


„Für mi, mein Seel, auch nicht, — „den 
mich haben wohl mehr als vierhundert Met hoͤlliſch abs 
fhen, daf die geftrigen Pfahlpüffe noch Tauter Mareipa: Zucker⸗ 
brod dagegen find. Aber ſagt mir nur, geftrenger 
mun das für ein fo gutes und rares Abenteuer halten Fönnt 
doch feht, wie es abgelaufen if. Für Euch zwar °% 
‚für mid, da Ihr ein fo unvergfeihlih ſchönes Wunt 
Armen bieltet, Ihr ſprecht. Aber ich, was hab ich 
als bie heil Yüffe und Prügel, die ih mein Lebtag 
kann. Wehe mir und wehe der Mutter, die mich gebar! 
weder führender Ritter, noch will ichs in jem Leben wer 
doch muß ih von allen Prägelfuppen oben weg Friegen.” 
Wie?“ fagte Don Duirote; „du haft alfo auch Schl— 
befommen, Sanhaf" — u fel, was hab ih d 
anders gefagt?* verfehte S Mar 
den, Freund Sancho,“ 
jegt ben 5 


Zumittelſt Hatte ber Gerichtsdiener a 
hinein, den vermeinten Tobten zu befichtigen. Da ihn nun Sauch o 
im Hemde, das Licht in der Hand, mit einem Tuche um den Kopf 
und einem ziemlichen Gifenfrefjersgefihte Hinein tommen fah, fragte 
er feinen Herm+ „Ift denn das etwa der verzauberte Mohr, der 
und nod einmal abzuſchmieren fömmt, wenn ihm ja noch was im 
Tintenfaffe geblieben wäre. * 

„Nein,“ forah Don Quixote, „das fann der Mohr nicht 
feon, denn die Vergauberten Taffen fih von Niemand fehen." — 
„Nun, laffen fie ſich auch nicht fehen, fo Laffen fie ſich doch fühlen,“ 
fagte Sando; „ he meine Schultern, die Fönnens Euch er 
zählen.“ — „Die nicht minder,“ verfegte Don Dui- 












rote; „aber das ift fein hinreihender Grund zu glanben, dies, wo 


wir da fehen, ſey der verzauberte Mohr.“ 
Der Gerichtsdiener trat näher und ſtutte, da er Beide ruhig 


mit einander reden hörte, Don Duirote lag zwar immer noch mit _ 


dem Mund in die Höhe, weil er ſich theils der Schläge, theils feiner 































— 


176 Don Quixote. — 


Pflaſter wegen, weder regen noch wenden lonnte. Der Gerichtsdiener 
gieng zu ihm bin und fragte ihn: „Wie ſtehts, guter Freund? — 
nWär ih wie ihr,“ fprah Don Duirote, „ic redete die Leute 
ein wenig böfliher an. Sprit man hier zu Sande fo mit fahren» 
den Nittern, grober Flegel?“ Dem Gerichtsdiener, der einen fo 
ſchlecht ausfehenden Menſchen in folhem Tone mit ſich reden hörte, 
Tief die Galle über, und vor Zorn ſchlug er dem armen Nitter bie 
Lampe am den Kopf. Dann gieng er, da es num- flodfinfter war, 
eilends hinaus. „Meiner Treu, gefirenger Herr!“ fagte Saucho, 
„das ift Euch der verzauberte Mohr, der für Andre den Schag und 
für ung Fauft- und Lanzenftöße aufgehoben hat.” — „So ifis,“ 
antwortete Don Quixote. „Aber man muß ſich nur aus folden 
Baubereien nicht viel machen, oder fich fehr darüber erzürnen; benn 
rachen fann man fih doch nicht dafür, fo gern man aud wollte, 
weil fie unſichtbar und phantaftifher Natur find. Steh Tieber auf, 
wenn du fannft, rufe den Burgvogt biefer Veſte und Taf bir ein 
wenig Del, Wein, Salz und Nosmarin geben, damit ih den heile 
famen Balfam mache, den ich jest höchſt nöthig zu haben glaube, 
denn die Wunde blutet gewaltig, die mir das Gefpenft geſchlagen hat," 
Sando erhob fih mit großen Schmerzen feiner Knochen und 
tappte im Dunfeln nach der Kammer des Wirtbe. Als er noch von 
ungefähr den Gerichtsdiener fand, welcher fand und horchte, wie es 
mit feinem Feinde ablaufe, fo redete er ihn an: „Wer Ihr and 
fegd, Lieber Herr, thut uns doch die Liebe und gebt ung eim wenig 
Rosmarin, Del, Salz und Wein, einen der beften fahrenden Ritter 
auf Gottes Erbboden zu heifen, der bier im Bette liegt, ſchwer vers 
wundet dur den verzauberten Mobren, ber in biefer Schenfe ums 
geht.“ Der Gerichtsdiener, ber ihm fo reden hörte, hielt ihn für 
einen Wahnfinnigen. Da es num fon zu tagen anfieng, machte er 
die Thüre der Schenfe auf, rief den Wirth und fagte ihm, was ber 
te Menſch wollte. Der Wirth gab ihm das Begehrte, und Sancho 
bracht es feinem Heren, welcher da Tag, den Kopf in den Händen 
bieft, und fehr über den Schmerz klagte, den ihm die Oellampe ver- 
urfahte, die ihm doch weiter nichts als ein paar ziemlich große 
Beufen am Kopfe gemacht hatte, Was er für Blut hielt, war nichts 

















XVII. Kapitel, 177 | 


als Schweiß, den ihm feine Leiden andgeprefit hatten, Dann nahm 
er diefe Spezies, miſchte und that fie zufammen, und kochte fie eine 
ziemliche Weile, bis er glaubte, daß es gar geworben ſey. Nun 
forderte er eine gläferne Phiofe, den Trank bineinzugiepen; da ſich aber 
in der ganzen Schenke dergleichen nicht fand, fo that er ihn in eine 
alte blecherne Delflafche, betete wohl achtzig Paternofter und eben fo 
viele Ave Maria, Salve und Credo, und begleitete jedes Wort 
mit dem Kreugfegen. Bei diefer ganzen Cerimonie waren Sande, 





der Wirth und der Gerichtediener zugegen; denn der Efelätreiber war 
‚bereits in aller Stille davon gegangen, um feine Thiere zu füttern. 








Den Oulrete. & 








178 Don Buirote 


As Don Duirote fertig war, wollte er ſogleich die Probe 
mit feinem vermeintlichen Wunderbalſam machen, und tranf daher 
von dem, was nicht in die Flaſche gegangen war, beiläufig eine 
Halbe Maf. Kaum hatte ers hinunter, fo fieng er fih dermaßen 
zu erbrechen an, daß ihm nicht das Geringfte im Magen blieb, Die 
Augft und das Würgen des Erbrecheus trich ihm einen gewaltigen 
Schweiß aus, weßhalb cr befahl, man follte ihn warm zudeden 
und allein laſſen. Dies thaten fie, und er ſchlief länger als brei 
Stunden, Als er wieber erwarhte, befand er ſich fo Leicht, und feine 
Quetſchungen fepmerzten ihm fo wenig, daß er fih für gefund 
hielt. Das Gewiſſeſte, was er glaubte, war, er habe ben wahren 
Balfam des Fierabras gefunden, mit Hilfe deſſen er alle Aben- 
feuer beftehen, und ſich im die gefährlihften Händel, Schlägereien 
und Treffen wagen koͤnne. 


Sand, vr ebenfowohl die Beſſerung feines Herrn für ein 
Wunderwerf hielt, bat ihn um das MUebriggebfiebne im Topfe, 
deffen nicht wenig war. Don Duirote gefland es ihm zu, und em 
faßte den Topf mit beiden Fäuften und tranf, in guter Zuverſicht 
und mit noch beffrem Appetite, Alles aus. Der arme Sando 
mußte vielfeiht feinen fo reizbaren Magen gehabt haben als fein 
Herr; benn eh es bei ihm zum Durchbruche Fam, machte ihm ber 
Trank fo viel Angft, Uebeffeiten, Schweiß und Schwächen, daß er 
in allem Ernfte glaubte, fein Stündfein fey gefommen, In dieſer 
Dual verfluchte er den Balfam und den Spigbuben, der ihn ihm ge= 
geben hätte, 


„Sancho!“ fprah Don Duirote, als er ihn fo im Zuge 
ah, „ich müßte mich fehr täufchen, wenn es dir nicht lediglich def- 
wegen fo ſchlimm gienge, weil du nicht zum Ritter gefchlagen bift; 
denn biefer Trank Hifft eigentfih nur Nittern,” — „Zum Teufel! 
wenn Ihr das wußte,“ ſprach Sancho, „was that ih und meine 
arme Sippſchaft Euch denn, daß Ihr mid davon faufen ließet.“ In 
diefem Augenblicke wirkte das Wundergebräu, und der arme Schild- 
tnapp begann fih aus beiden Kanälen feines Leibs mit folhem Ungeftüm 
zu entladen, daß feine Binfenmatte und grobe Dede ſchlechterdings | 




















XVH. Kapitel 


anw 


nicht mehr zu brauchen war. Dabei ſchwihte und trof er unter fo hefti ⸗ 
gen Verzuckungen, daß nicht allein er, fondern auch die Umfichenden 
dies für fein Leptes hielten. Diefe Stanpe dauerte ungefähr zwei 
Stunden, nach welchen ex aber nicht fo munter als fein Herr, fondern 
fo matt und entfräftet war, baf er ſich kaum auf den Beinen hielt. 

Don Dutirote hingegen, ber ſich wohl befand, befam ſchon 
wieder Luft auszuzichen und Abentener zu fen; benn jede Minute, 
die er bier noch zögerte, glaubte er der Welt und den Efenven, die 
feiner Hiffe bebürften, zu rauben. Ju biefer Zuverſicht beflärkte ihn 
aud der Wunderbaffam, dem er bei ſich führte, fo baß er ſelbſt den 
Rozinante und feines Schilvfnappen Eſel fattefte, dem Sanch o auch 
in die Kleider und auf fein Tier Haff. Drauf ſehte er ſich zu Pferd, 
und ergriff eine Gtange, die in einem Winkel Ichnte, mm fie als 
Lanze zu gebrauden. Alle, die im der Schenle waren, ungefähr 
zwanzig Perfonen, fahen zu, was daraus werden follte. Inter ben 
Zufhauern war aud bie Wirthstochter. Don Quixote verwandte 














180 Don Ouirste. 


fein Auge von ihr, und ließ von Zeit zu Zeit einen Geufjer laut 
werben, ber aus ber Tiefe feiner Seele zu kommen ſchien. Die 
Umſtehenden fhrieben es jedoch feinem Lenbenwehe zu, wenigſtens 
diejenigen, die am Abende zuvor gefehen hatten, wie er einge 
pflaftert wurde. 

Als Beide beritten waren, faßte Don Duirote Pofto unter 
dem Thore, rief dem Wirth und ſprach mit Eruſt und Bedentung: 
mBiel und groß find die Wohlthaten, Here Burgvogt, bie ih in 
Eurem Kaſtell empfangen habe, nud wofür ih Euch Zeit meines 
Lebens zu Dank verbunden ſeyn werde. Kann ih Euch damit ver- 
gelten, daß ich am einem Hebermüthigen Euch raͤche, von dem Ihr 
Unbill erlitten, fo wiflet, daß es meines Amtes if, denen zu helfen, 
fo unvermögend find, die zu rächen, denen Ungebühr wiberfährt und 
Berrätpereien zu zũchtigen. Strenget Ener Gedaͤchtniß an, und findet 
Ihr der Art etwas darin, das Ihr mir auftragen könnt, fo braucht 
Ihr es nur auszuſprechen. Denn bei bem Mitterorden, den ich 
empfangen, fey es gelobt, Euch fol Genugthuung werben.“ 

In eben fo bevächtigem Tone antwortete der Wirth: „Ich habe 
nicht von Nöthen, daß Euer Geftrengen mir Rache ſchaffe für irgend 
erlittne Unbill, denn ich bin felder ver Mann, mir Recht zu ver- 
ſchaffen, fo mich Jemand beleidigt. Nur das wollt ich gebeten haben, 
daß Ihr mir jegt die Zeche bezahlt für Stroh und Futter, das ben 
Thieren gereicht wurde, fo wie für das, was Ihr ſelbſt genoffen.“ 
— „& iſts denn eine Schenfe, wo ich bin?“ fragte Don Oni«- 
zote. — „Und das eine ber beften im Lande,“ verfeßte der Wirth. 
— „So hab ich mich alfo getäuſcht,“ fagte der Ritter, „ich hielt 
es bis jegt für ein Kaftel und zwar für fein ſchlechtes. Da dem 
aber nicht fo ift, fo Eönnt Ihr für jept nichts Beſſeres tun, als 
daß Ihr auf die Bezahlung verzichtet, denn ich darf die Ordensgeſetze 
der fahrenden Nitterfchaft nicht übertreten. Ich weiß gewiß Cund 
habe nirgends das Gegentheil gelefen), daß nie Einer feine Herberge 
oder fonft etwas im Wirthshanfe bezahlt habe. Dan ift ihnen ohne 
dies von Gott und Rechts wegen allenthalben freie und gute Auf- 
nahme ſchuldig, zu Belohnung der unausfpreplihen Mühe und Noth, 
fo fie Haben, dieweil fie Abenteuer fuchen bei Tag und Naht, im 





— 











AV. Kapitel, 181 


Winter und Sommer, zu Pferd und zu Fuß, unter Hunger und 
Durft, in Hige und Froft und ausgefegt find allen Wiverwärtigfeiten 
des Himmels und allen Drangfalen der Erbe. * 

„Was geht mid das an?“ verfegte der Wirth. „Bezahlt mir, 
was Ihr ſchuldig ſeyd und behaltet Euer Nittergefhwäg für Euch. 
Was fhierts mid; ih muß dafür forgen, das Meinige zu befom- 
men.” — „Ihr ſeyd ein Zölpel und ſchlechter Kerll“ fprah Don 
Duirote, gab feinem Nozinante bie Sporen, fenfte feine Stange, 
fprengte zur Schenke hinaus, ohne daß ihn Jemand aufpielt, und 
entfernte fih eine große Steede, ohne zu fehen, ob ihm au fein 
Schildtnappe folgte oder nicht. 

Der Wirth, der ihn fo mit unbezahlter Rechnung abziehen fah, 
machte fih nun an Sancho und verlangte Zahlung. „Ei wasl# 
ſprach Sand, „Hat mein Herr nicht bezahlt, bezahl ich auch micht. 
Id bin eines fahrenden, Ritters Schildknappe und/es ift wahr, alfo 
gift mir wie ihm das gleihe Geſetz, anbefangend das Zahlen in 
Wirthohauſern und Schenten.“ Der Wirth ward endlich böfe und 
drohte ihm, wenn er nicht bezahle, fo wolle er ſich ſelbſt auf eine 
Art am ihm bezapft machen, daß es ihn gereuen folle. „IH darf 
ja nah den Nittergefepen meines Herrn feinen Heller bezahlen und 
were Ihr mir die Haut abziehen wolltet,“ ſchrie Sanho, „und 
Euretwegen werde ich nicht deu alten loͤblichen Brauch der fahrenden 
Nitter brechen; auch fol mirs fein fünftiger Schilöfnappe nachſagen, 
daß ich ihm fein Recht vergeben hätte," 

Nun mußten fih zum Unglück für den armen Saucho unter 
den Gäften in der Schente eben vier Tuchſcherer von Segovia, 
drei Nabfer vom Potro zu Eorbona * und zwei Nachbarn vom Marfte 
zu Sevilla, alles junge, rüftige, Fuftige und ſchadenfrohe Burſche, 
befinden, Diefe alle, wie von einem Geifte getrieben, machten fi 
über Sancho her und zogen im vom Eſel. Judeß gieng einer 
hinein, um das Leintuch vom Bette des Wirthe zu Holen. Auf 


* Der Potro ın Gordeva If ein öffentlicher Play zu Gorkeoa, auf weldem ein Brunnen it, 
mo ein Pferd Waller ausfpeit. Davon beißt er eigentlich «I Yotro as Alten. Da aber auf 
‚rem nämlichen Ylape auch der Vranger Acht, we Diebe gebrammarkt, und Bentelihneisern bie 
DObren abgeichnitten werben, fo ih e4 fein Chreutltel, wenn man Jemamten auf tem — von 
Conova zu hun giebt, 

















182 Don Euirote. 


diefes warfen fie ihn und wollten eben das Werk beginnen, als fie 
bemerften, daß die Decke des Thorwege zu niedrig ſey. Daher be 
ſchloßen fie, in ven Hof zu gehen, der mir den Himmel zur Dede 
hatte. Sancho warb in die Mitte des Betttuche gelegt: dann 
fiengen fie an, ihn in die Höhe zw ſchwingen wie einen Humb in 





der Faſtnacht. Der arme Geprellte ſchrie entfeglih, daß es fein 
Herr in der Ferne hörte, Er hielt fill, Horchte aufmertſam, und 
glaubte ſchon, es jey ihm ein neues Abentener beſchieden. Als er | 
aber deutlicher hörte, daß es fein Schilofnappe fen, der fo schrie, 
fehrte er im sollen Gallopp nad der Schenke um, fand fie aber zu. 
Als er nun herum ritt, einen Eingang zu finden, fam er am bie | 
Hofwand, die nicht allzu Ho war, und fah, wie fie mit feinem | 
armen Schildknappen böfes Spiel trieben, Wär er nicht gar grimmig 
gewefen, fo hätte er mothwendig lachen müffen, als er ihn fo ge- 
ſchwind und mit fo gutem Anftand in die Luft auf und nieder fliegen 














NV. Kapitel, 183 


ſah. Er verfuchte es, vom Pferde auf ben Rand der Mauer zur 
fleigen, allein er war noch fo ſchwach und zerſchlagen, baf es ihm 
auch nicht gelang, einen Fuß auf die Erbe zu ſetzen. Er übergoß 
alfo vom Pferde herab die Preller feines Sancho mit einer folhen 
Fluth von Schimpf · und Schmähworten, daft «4 nicht möglich ift, es 
ihm alles nachzuſchreiben. Aber deßhalb hörten jene nicht auf zu 
prellen und ſich halb todt zu lachen, und der arme, zum Vogel ger 
worbne Sande wehllagte, drohte und bat immer wechfelfeitig. 
Doch es Half Alles nichts; fie ließen nicht cher von ihm ab, bis fie 
vor Mübigkeit nicht mehr fonnten. Drauf brachten fie ihm feinen 
Eſel, halfen ihm hinauf und widelten ihn in den Mantel. 

Da ihn die weihhersige Maritornes fo abgemattet ſah, Fam 
fie ihm mit einem Kruge Waffer zu Hilfe, das fie erſt für ihn aus 
dem Brunnen geholt hatte, damit es vefto friſcher wäre. Sauch o 
napım es und ſebte es an ben T aber, er ſet a 

n eben, mein Sofn! Eich, Hier Ar ii 
den cl Bar —er * ihm die blecherne Flaſche voll 
— * — — zwei Tropfen davon biſt du ohne Zweifel geheilt.“ 
Sauchd ſah ihn über die Achſel an und rief noch lauter als fein 
Herr: „Habt Ihrs vielleicht ſchon vergeffen, daß ich fein Ritter bin ? 
Der wollt Ihr gern, daß ih dad Biechen Gcdärm, weldes mir heute 
Nacht noch übrig bfich, vollends ausſpeien fol? Behaltet Euer Ge» 
foͤff mit allen Teufeln für Euch, und laßt mich ungefhoren.” Dies 
fagen und ben Krug anfeben, war Eins; da er aber beim erſten 
Schlucke merkte, daß es Waſſer war, ſehte er ab und bat Marir 
tornes, fie möchte ihm Wein bringen. Cie that es auch willig, 
und bezahlte den Wein vom ihrem eignen Gelbe; denn das muß 
man ihr laſſen, daß fie, ungeachtet fie in bem Stande febte, doch 
noch ein wenig Ehriftentfum im Leibe hatte, 

Ms nun Sanch o getrunfen hatte, und man ihm beide Thor- 
flügel öffnete, nahm er feinen Efel zwifchen die Hafen und ritt fehr 
zufrieden davon, daß er bo feinen Wiflen gehabt und nicht bezahlt 
hätte, uneradtet es auf Koften feiner gewöhnlichen Bürgen, feiner 


Schultern, gefhehen war. Zwar behielt der Wirth feinen Schnappſack 

















Don Quixote. 











XVII. Kapitel 


AUchtzjehbntes Kapitel. 


eſprach zroijchen Sancho Panfa und feinem Hereu, und andre tenfwwirkige Abenteuer. 


N dafı er faft feinen Efel nicht mehr 

forttreiben fonnte. Alt ihn Don 

an Duirote in biefem Zuftande fah, 

I. fprap er: „Rum glaub ichs erfl, 

lieber Sancho, dafi jenes Kaſtell 

ober jene Schenke verzaubert ift; 

denn was fonnten jene, bie bir 

fo graufam mitfpielten, wohl anders feyn, als Gefpenfter und Wer 

fen nicht aus diefer Welt? Und was mid noch mehr in meiner 

Meinung beftätigt, iſt, als ih an ver Hofwand Bielt und die Auf⸗ 

tritte deiner Tragödie fah, kommt ich weder Kinüberfteigen, fo viel 

Müge ih mir auch gab, noch vom Nozinante herabkommen, 

weil fie mich auch bezaubert haben mußten, Denn gefhworen fey 

dirs bei meinem Nitterworte, hätt ich nur hinüber oder herab gefonnt, 

ich Hätte dich dergeſtalt an dieſen Schelmen und Gtraßenräubern 

räden wollen, daß fie ewig hätten dran denken follen, ob ich gleich 

dabei hätte die Gefege des Nitterorbens brechen mäffen, als welde, 

wie ich fhon oft gefagt, nicht geftatten, daß ein Nitter, außer zu 

Vertheidigung feines eignen Lebens und im alle dringender Noth, 
am einen Andern, der nicht Ritter iſt, Hand lege.“ 














Den Onirem 24 





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XV Kapitel, 


Euer Geftrengen doch immer nur mit einem halben Ohr und der || 
halben Blechhaube davon Fam, Denn feitvem hats immer nichts ge- - 
feßt, als Prügel und noch mehr Prügel, Fauſtſchläge und noch mehr 
Fauſtſchlage, und für mich noch obendrein eine Prelle; und da biefe 
mir von Gefpenftern und Kobolden widerfuhr, die ich nicht aupacken 
kann, fo fann ih auch nicht einmal wiffen, wie das Vergnügen, 
einen Feind zu befiegen, fhmedt, das Euer Geftrengen fo lobt,” 

„Das iſts eben, was mid fo ſehr Fränft als did, Sando,“ 
fagte Don Duirote, „Aber flille nur! Ich will von nun an bafür 
forgen, ein Schwert von fo geheimer Kraft zu befommen, daß, wer 
es führt, auf feinerlei Art bezaubert werben fann. Bielleiht führt 
mir gar. das Glügf jenes berühmte des Amadis zu, vom weldem 
er fi den Ritter vom brennenden Schwerte nannte. Dies war eins 
der beften Schwerter, die je ein Ritter in der Welt hatte 
obgedachter geheimer Kraft hatte es eine Schnei 
meffer, und feine Wal xt und fo T 
ſeyn mochten, fon viderſtehen. - 

Mir hilfts doch ni fagte and, „denn wenn Ener Gefrengen 
aud fo ein Schwert friegt, fo wirds nur Rittern helfen, wie Euer Bal- 
fam; die armen Schildknappen müffen ihren Jammer hinunterfhluden,“ 

„Das fürhte nicht, Sancho,“ fagte Don Dunirote; „der 
Himmel wirds beffer mit die machen. * 

Als beide unter diefem Gefpräch fo Hinzogen, fa Don Qui— 
rote auf dem Wege, wo fie waren, eine große dide Staubwolle 
entfichen, und auf fie zufommen. Kaum warb ers gewahr, fo lehrte 
er fih zu feinem Schildtnappen und fprah: „D,Sando, dies ift 
der Tag, da du fehen wirft, welch ein Glück mir mein Schidſal 
beſchieden hat. Dies ift der Tag, fag ich, am welchem ſich die Stärfe 
meines Arms fo fehr als jemals zeigen wird, und an welchem ich 
Thaten thun will, bie aufgezeichnet werben follen im Bude des 
Nuhms für alle kommenden Jahrhunderte, Siehſt du jene Staub- 
wolle, Sando, die fih dort erhebt? Ein zapfreices Rriegsprer 
wirbeft fie empor, weldes aus verſchieduen und faſt unzäpfigen 
Völlerſchaften beftcht und ba einherzieht,.“ — „Das müßten alfo 
zwei Heere ſeyn,“ ſprach Sanch oz „denn dort auf der andern Seite 














Don Buirste 


erhebt fi chen fo eine Staubwolley · Don Duirste fah Hin, 
und da er e6 fo befand, freute er fi ganz außerordentlich; denn 
er glaubte zuverſichtlich, daß es zwei Heere wären, die fi bier 
begegnen und in biefer weiten Ebne eine Schlacht Tiefern wollten, 
weil fein Kopf beftänbig voll Schlachten, Verzauberungen, Abenteuern, 
Liebesgefhigten und Ausforberungen feiner Nitterbüder war, und 
was er nur dachte, that und ſprach, da hinauslief. 

Eigentlich wurden diefe Staubwolfen, die er fah, vom zwei 
großen Schafheerden erregt, die von verſchiednen Geiten her diefen 
Weg famen und vor dem dicken Staube nicht cher gefehen werden 
konnten, bis fie ganz mahe waren. Don Duirote aber verſicherte 
fo Higig, es wären Sriegäheere, daf es endlih Sancho felbft glaubte 
und fragte: „Aber, geftrenger Herr, was follen wir denn nun thun?* 
— „Bas thun?“” verfeßte Don Oniroter „den Hilfobebürftigen 
und Unterliegenden beiftehen, Siehe Sanyo, das Heer, das uns 
da entgegen fommt, führt und fommandirt der große Kaiſer Afifan+ 
faron, Herrſcher der großen Infel Trapobana; das andre aber, 




















XV Kapitel 


das feitwärts herfommt, gehört feinem Feinde, dem Könige von 
Garamantes, Pentapolin mit dem aufgeftreiften Arme, ber fo 
heißt, weil er immer mit entblößtem rechtem Arme in die Schlacht 
zieht,” ’ 
„Warum find denn die beiden Herren fo erboßt über einander?” 
fragte Sando. — „Darum,“ ſprach Don Duirote, „weil biefer 
Alifanfaron ein wüthender Heide iſt, und ſich in die Tochter des 
Pentapolin, die ein wunderfchönes und liebreizendes Fräulein und 
überdies auch noch eine Epriftin iſt, verlicht hatz die aber ihr Bater 
dem Heivenfönige nicht cher geben will, bis er ſich des Glaubens 
feines Lügenpropheten Mohameds abthue und zum Ehriftenglanben 
übergehe.* — „Bei meinem Bartel” fprah Sando, „ba thut der 
König Pentapolin ganz recht dran, und ich will ihm hei 

viel ih fann.“ — „Daran tHuft du deine Pfliht, Sanı 

Don Duirote; „denn zu folhen Schlachten b 

den Nitterfhlag zu 5 u, dag ti 

verfegte Sauchoz ab ir bi er 

| wir ihm wieder ‚r wenn der Strauß vorüber if, Denn auf 
einem Eſel in die Schlacht zu ziehen, iſt, glaub ih, doch nicht 
Braut" — „Du Haft Recht," fprah Don Quixote. „Judeß 
weißt du, was du mit ihm machen Fanuft, Sauchor Laß ihn aufs 
Geradewohl Hinlaufen, mag ex ſich verlieren oder nicht; denn es wird 
fo viel Pferde geben, die ung in der Beute zufallen, daß es noch 
drauf anfommt, ob ich nicht ſelbſt meinen guten Rozinante mit 
einem andern Gauf vertauſche. Aber jept- höre mir zu und ſchau 
auf, id will dir bie vornehmſten Ritter in beiden Heeren namhaft 
maden, und damit du Alles beffer feheft und dir merfeft, wollen wir 
uns ba zur Geite auf die Anhöhe ziehen, von welcher man beide 
Heere muß überfehen fönnen.” Cie thaten es, und ſtellten fih auf 
einen Hügel, von welhem man die beiden Heerben, die unferm Ritter 
Heere waren, gar wohl hätte fehen können, wenn Einem ber Staub 
den fie machten, nicht die Ausficht benommen hätte, Aber was that 
das zur Sacher Don Duirote fah im ber Einbildung Alles, 
was weder zu fehen, noch da war, und hub alfo mit erhabner 
Stimme an: 







































Don Buirote. 


„Iener Ritter, den du dort in gelber Rüſtung mit einem ge- 
frönten Löwen zu Füßen einer Jungfrau im Schilde fiehft, iſt ver 
tapfre Laurcalco, Herr der filbernen Brüde, Der andre bort mit 
dem golobeblumten Waffenrock, der brei filberne Kronen in bfauem 
Felde im Schild führt, iſt der furdtbare Micocolembo, Groß ⸗ 
herzog von Quiracia. Jener mit Niefengliedern, ber ihm zur 
Rechten fteht, it der unverzagte Brandabarbaran von Boliche, 
Herr der drei Arabien; er zieht einher gehüllt in eine Schlangenhaut, 
und als Schild führt er ein Thor, wie die Sage meldet, von dem 
Tempel, den Simfon einwarf, als er fi dur feinen Tod au 
feinen Feinden rächte. Aber hieher ſieh auch auf die andre Seite; 
bemerfft du nicht am der Spige des andern Heeres den immer fiege 
reichen und nie überwundnen Timonel von Carcajona, Fürſten 
von Neubiscaia? Vierfarbige Waffen führt er, blau, grün, weiß 
und gelb, und im Schild eine goldne Kage in dunfelbraunem Felde 
mit dem Worte Miau, denn fo fängt ſich der Name feiner Buhl- 
ſchaft an, welches die unvergleihliche Miaulina, Tochter des Herzogs 
Alfenniquen von Algarve, feyn fol. Der Andre dort, welcher 
das mächtige Streitroß reitet, mit weißer Nüftung und weißem Schilde 
ohne Sinnbild, ift ein Neulingsritter, von Geburt ein Franzoſe, 
Namens Pierre Papin, Herr der Baronien von Utrique. Jener, 
der feinem fhön geftreiften, Teihten Zebra die beftählten Ferfen in 
den Bug ftößt, und Himmelblaue Nüftung bat, ift der gewaltige 
Herzog aus Narbia, Efpartafilardo vom Buſche genannt; im 
Schilde führt er eine Spargel, mit dem Wahlfpruche: mein Glück 
wächſet noch.“ 

So nannte er noch viel andre Ritter beider Heere, die nur in 
feinem Kopfe lebten, und allen verlieh er ihre Waffen, Farben, Sinn⸗ 
bifder und Wahlfprüce, wie fein unerhörter Wahnſinn fie ihm aus 
dem Stegreife eingab. „Hier in biefem vorderften Geſchwader,“ fuhr 
er, ohne inne zu haften, fort, „find Leute aus allen Nationen; hier die, 
welche die fügen Waffer des berühmten Kanthus trinfen, dort Berg- 
bewohner, welde die Ebne Maſſilias durchſtreifen; dort Goldſammler 
des glüdlidenArabiens; dort die aus dem Haren Strome Thermodon 
Thöpfen, dort die, fo den gofdreihen Paftolus auf mancerlei Weife 

































































Don Ouirote 


erhebt fih eben fo eine Staubwoltet* Don Duirote fah hin, 
und da er ed fo befand, freute er ſich ganz außerordentlich; denn 
er glaubte zuoerfichtlih, daß es zwei Heere wären, die ſich Bier 
begegnen und in biefer weiten Ebne eine Schlacht liefern wollten, 
weil fein Kopf beftändig voll Schlachten, Berzanberungen, Abenteuern, 
Liebesgeſchichten und Ausforderungen feiner Nitterbücher war, und 
was er nur dachte, that und ſprach, da hinauslief. 

Eigentlich wurden dieſe Stanbwolfen, bie er fah, von zwei 
großen Schaſheerden erregt, bie von verſchiednen Seiten her biefen 
Weg famen und vor dem biden Staube nit eher gefehen werben 
fonnten, bis fie ganz mahe waren, Don Duirote aber verfüherte 
fo Higig, es wären Kriegsheere, daß es enblih Sando ſelbſt glaubte 
und fragte: „Aber, gefirenger Herr, was follen wir denn nun thun?“ 
— „Bas tun?“ verfegte Don Quixote: „den Hilfsbebürftigen 
und Unterliegenden beiſtehen. Siehe Sando, das Heer, das uns 
da entgegen fommt, führt und fommanbirt der große Kaifer Alifan» 
faren, Herrſcher der großen Juſel Trapobana; das andre aber, 

















XV. Sapitel 189 


das feitwärts berfommt, gehört feinem Feinde, dem Könige vom 
Garamantes, Pentapolin mit dem aufgeflreiften Arme, ber fo 
heißt, weil er immer mit entblößtem rechtem Arme in bie Schlacht 
sicht," 

„Warum find denn die beiden Herren fo erboßt über einander? « 
fragte Sande. — „Darum,“ fprah Don Duirote, „weil diefer 
Alifanfaron ein wüthender Heide if, und fih in bie Tochter des 
Pentapofin, bie ein wunberfhönes und liebreizendes Fräulein und 
überdies auch no eine Chriſtin ift, verliebt hatz bie aber ihr Water 
dem Heidenfönige nicht eher geben will, bie er ſich des Glaubens 
feines Lügenpropheten Mohameds abtfue und zum Chrifienglauben 
übergehe." — „Bei meinem Barte!“ ſprach Sauch o, „da thut der 
König Pentapolin ganz reiht dran, und ich will ihm 
viel ih kann.“ — „Daran tHuft bu deine Pflicht, Sa 


Don Duirote; „benn zu ſolchen Schlachten ‚eben nicht 
den Ritterſchlag zu hal ff ſich gleid 
verfeßte Sandho; (mal wir der Weile den Eſel Hin, daß 
wir ihn wieder finden, wenn der Strauf vorüber iſt. Denn auf 
einem Efel in vie Schlacht zu ziehen, ift, glaub ich, doch nicht 
Braut” — „Du haft Recht,“ fprah Don Duirote. „Judeß 
weißt du, was du mit ihm machen Fannft, Sanho? Laß ihn aufs 
Geradewohl hinlaufen, mag er fi verlieren oder nicht; denn es wird 
fo viel Pferde geben, die und in der Beute zufallen, daß es noch 
drauf ankommt, ob ih nicht felbft meinen guten Rozinante mit 
einem andern Gaul vertaufche. Aber jegt- höre mir zu und ſchau 
auf, id will dir bie vornehmften Ritter in beiben Heeren namhaft 
machen, und damit dur Alles beffer ſeheſt und bir merfeft, wollen wir 
ung da zur Geite auf die Anhöhe ziehen, von welder man beide 
Heere muß überfehen Fönnen.* Sie thaten cs, und ſtellten ſich auf 
einen Hügel, von welchem man die beiden Heerden, die unferm Ritter 
Heere waren, gar wohl hätte fehen können, wenn Einem der Staub 
den fie machten, nicht die Ausficht benommen hätte. Aber was that 
das zur Cadet? Don Quixote fah in der Einbildung Alles, 
was weder zu fehen, noch da war, und hub alfo mit erhabner 
Stimme an: 






























190 Don @nirote. 


FJener Ritter, den bu bort im gelber Rüſtung mit einem ge« 
frönten Löwen zu Füßen einer Jungfrau im Schilde ſiehſt, iſt der 
tapfre Laurcalco, Herr ber filbernen Brüde. Der andre dort mit 
dem gofobeblumten Waffenrock, der drei filberne Kronen in blauem 
Felde im Schild führt, ift der furdtbare Micocolembo, Grof- 
herzog von Quiracia. Jener mit Niefenglievern, ber ihm zur 
Rechten ſteht, ift der unverzagte Brandabarbaran von Boliche, 
Herr der drei Arabien; er zieht einher gehüllt in eine Schlangenhant, 
und als Schild führt er ein Thor, wie die Sage meldet, von bem 
Tempel, den Simfon einwarf, als er fi dur feinen Tob am 
feinen Feinden rächte. Aber Hieher ſieh auch auf die andre Geite; 
bemerfft du nicht am der Spige bes andern Heeres ben immer fieg« 
reichen und nie überwundnen Timonel von Carcajona, Fürſten 
von Neubiscaia? Vierfarbige Waffen führt er, blau, grün, weiß 
und gelb, und im Schild eine goldne Katze in dunfelbraunem Felde 
mit dem Worte Mian, denn fo füngt ſich der Name feiner Buhl- 
haft an, weldes die unvergleihliche Miaulina, Tochter des Herzogs 
Alfenniquen von Algarve, ſeyn fol, Der Andre dort, welcher 
das mächtige Streitroß reitet, mit weißer Nüftung und weißem Schilde 
ohne Sinnbild, ift ein Neulingeritter, von Geburt ein Franzofe, 
Namens Pierre Papin, Herr der Baronien von Utrique. Jener, 
der feinem fhön geftreiften, Teichten Zebra die beftählten Ferſen im 
den Bug ftößt, und himmelblaue Nüftung bat, ift der gewaltige 
Herzog aus Narbia, Efpartafilardo vom Buſche genannt; im 
Schilde führt er eine Spargel, mit dem Wahlfpruche: mein Glück 
wächfet noch. * 

Sp nannte er noch viel andre Nitter beider Heere, die nur in 
feinem Kopfe lebten, und alfen verlieh er ihre Waffen, Farben, Sinn» 
bilder und Wahlſprüche, wie fein unerhörter Wahnfinn fie ihm aus 
dem Stegreife eingab. „Hier in dieſem vorderften Gefchwader,“ fuhr 
er, ohne inne zu halten, fort, „find Leute aus allen Nationen; bier die, 
welche die füßen Waffer des berühmten Kanthus trinfen, dort Berge 
bewohner, welche die Ebne Maffilias durchſtreifen; dort Goldſammler 
des glüdlihen Arabiens; dort die aus dem Haren Strome Thermodon 
Thöpfen, dort die, fo den golvreihen Paktolus auf manderlei Weife 

























































































XVII. Sapitel. 193 


ausbenten; dort liſtige Numidier, dort in Pfeil und Bogen berühmte 
Perſer, Partper und Meder, die fliehend fehten, Araber mit 
wanbernden Gezelten, Seythen, welde fo graufam find als weiſe, 
die Methiopier mit durchſtochnen Lippen und unzählige andre Bölfer- 
fhaften, deren Gefichter ich ſchaue und fenne, deren Namen mir aber 
unbekannt find. In dem andern Gefhwader fommen, welche die Kryſtall⸗ 
wellen des öfbefränzten Bätis trinfenz die, welche mit dem Naß bes 
ewigreichen gofohaltigen Tago das Geficht ſich abfpülen ; die, welche die 
beitfamen Fluthen des gelblihen Genil genießen; die fo die weibereichen 
Gefilde von Tarteffus betreten; die fi in den elyſiſchen Auen 
von Keres erfreuen; ferner die reichen, mit goldnen Achren gefrönten 
Manchaner; dort eiferne Männer, Ablömmlinge alten gothiſchen 
Gebiets; bie, welche fih im fanftwallenden Piſuer ge. baden; ſodann 
die, welche ihre Heerben auf den weiten Triften bes 
Guadiana meiden, der um ſeines verborgnen ; 
rühmt iſtz die, welche a ot 
blanken Kuppen des himmel 
alle Bölterfaften, die Europa ö 

Hilf Himmel! was für eine Menge Länder und Nationen nannte 
er nicht, indem er jede mit dem ihr eigenthümlichen Merkmale bezeichnete, 
genau bis ind Unglaubfihe und ganz verfunfen in die erfognen Bücher 
feiner Nitterwelt. Sauch o fland da, verblüfft vurh Don Quixotes 
* Neben und ohne eine Sylbe zu antworten, Zuweilen ſah er ſich um, 
ob er nicht die Nitter und Rieſen erblide, die Don Dnirote her⸗ 
nannte; da er aber nichts ſah, rief er endlich: „Herr, Hol fie ver 
Tenfel alle zufammen, die Leute, Niefen und Nitter, die Ihr da 
nennt; ich wenigſtens fehe feinen davon. Vielleicht iſts einmal wieder 
fo eine Teufelei, wie mit ben Gefpenftern voriger Nacht." — „Wie 
fannft du fo etwas fagen, Sandho?" fprab Don Duirote. 
„Hörft du denn nicht das Wiehern ter Pferde, das Schmettern der 
Trompeten, und den Schall der Heerpauden?* — „Ei, ich höre nichts 
als Bloͤcken von Schafen und Hämmeln,“ forah Sanch o. Und fo 
verhielt fihs auch in der That; denn die beiden Heerben waren ihnen 
num ziemlich nahe. „Die Furcht machte bei dir,” fagte Don Quixote, 
daß du werer recht fiehft neh hörft, Sandho; denn dies ift eben 








Des Gatseis = 








tem Rozinante die Speren, legte die Lanze 
Hügel Hinab mie ein Blipfirafl. 








ar 4 [ 





XVII. Aapitel 195 


„Daß Gott taufendmal erbarm, geſtrenger Herr!” fehrie ihm 
Sancho aus vollem Halfe nah. „AH! Fehrt doch, nur um; meine 
Seele, es find ja nur Hämmel und Schafe. Kehrt do um! Nun, 
fo wollt ich auch, daß — was das nun wieber für eine Narrpeit ift! 
Thut doch nur die Augen auf, Herr! Es find weder Niefen noch 
Nitter, noch Kahen, noch Waffen, noch halbe, noch ganze, blaue oder 
grüne Felder, noch ber Teufel und feine Großmutter dal Daß Gott 
tauſendmal erbarm, was er nun ba wieder macht?” 

Wer auf alles dies nicht hörte, war unfer Ritter. „Friſch auf, 
tapfre Nitter, bie ihr unter dem Banner des großen Kaifers Pen. 
tapofin mit dem aufgeftreiften Arme ftreitet, friſch auf! folgt mir 
alfe nad, und ihr follt fehen, wie leicht ich ihn an feinem Br 
Alifanfaron von Trapobana rächen will,“ ſchrie er, ſpreng 
mitten ins Geſchwader der Schafe, und fieng an fie fo 
derzuftofien, ald wären es feine Todfeinde, i 
tnechte fehrien ihm zu, er foll 
aber fahen, daß all i 
dern zur Hand, und begrüßt 


ihm 
Don Quixote machte ſich nichts — wa, nur da und 


dort Hin und ſchrie: „Wo biſt du, übermüthiger Alifanfaron? fomm 
heran! ih bin ein eingiger Nitter, ber bir Fehde anfündigt! ich allein 
will dich Mann für Mann befiehen, und bir bein Leben rauben, zur 
Strafe der Ungebühr, die du dem tapfern Pentapolin Gara» 
manta erweiſeſt.“ Indem Tain ein berber Stiefelftein geflogen, traf 
ihn in bie Seite und ſchlug ihm zwei Rippen in den Leib hinein. 
As er fih fo Übel zugerichtet ſah, hielt er ſich entweder gar für 
tobt, ober doch wenigftend für ſchwer verwundet. Zum Glüd fiel 
ihm noch fein Wundertranf ein. Sogleich nahm er die Flaſche her» 
aus, fegte fie an und ſchluckte; che er aber noch das Gehörige zu 
fi genommen, kam no ein folder Mandelfern nnd traf ihn fo voll 
auf die Kauft und Flaſche, daß er dieſe gleich zu Trümmern flug, 
unterwegs noch beiläufig drei bis vier Zähne mitnahm, und ihm zwei 
Finger, jaͤmmerlich zerquetſchte. Die zwei Würfe zufommen wirften 


fo entfcheidend, daß der arme Ritter nothgedrungen vom Pferbe fiel, _ 


Die Hirten Tiefen zu, und da fie nicht anders daten, als fie hätten 





— 














196 Don Quirote. 


ihm tobt geworfen, trieben fie eiligft ihre Heerde zufammen, Inden 
ihre Tobten auf, beren über fieben waren, und machten fih auf und 
davon. 

Saucho ſtand indeſſen mauerſeſt auf feinem Hügel, ſah vie 
Narrheiten feines Herrn mit an, zerraufte fi ben Bart, und ver“ 
fluchte Tag und Stunde, wo das Unglüd ihn mit feinem Herem 
zufammengeführt hatte, Da er ihm nun auf ber Erbe Tiegenjah, 
und merkte, daß die Hirten das Feld geräumt hätten, begab er ſich 
herab, gieng zu ihm hin, und fand ihn in fehr fchlimmen Umfländen, 
obgfeih noch bei Sinnen. „Sagt ichs nicht, gefirenger Herr, Ihr 
ſolltet umtehren ?* ſprach er. „Sagt ichs nicht, es find Schöpferund 
feine Solbaten?* — „So verwandelt mir num ber Erzſchelm vom 
Zauberer, mein Feind, alles unter den Händen,“ verfegte Don Qui⸗ 
rote. „Dpfieber Saucho! ſolchem Volke ifts leicht, ung alles vor⸗ 
zugaufeln was ihnen einfällt, und ficher hat mir dieſer Schurfe, ber 
mic verfolgt, und mir den Ruhm bemeidet, den ich in dieſer Schlacht 
davon getragen hätte, die Geſchwader Feinde in Heerden Schafe ver- 
wandelt. Ums Himmelswillen, Sancdo, thue mir — damit bu nur 
fiehft, daß ich recht habe — thue mir nur dem einzigen Gefallen, 
und nimm beinen Eſel, reite ihnen fachte nah, und ſiehe zu, ob fie 
nicht eine Heine Strede von hier ihre vorige Geftalt wieder annehmen, 
und fi aus Schöpfen wieder in wahre ordentlihe Menfchen vers 
wandeln, wie ich fie anfangs beſchrieb. Doch nein, warte nur ein 
wenig; jest hab ich deiner nöthig. Komm her, und fich einmal zu, 
wie viel mir Baden- und Vorderzähne fehlen. Ich glaub, ih hab 
feinen einzigen mehr im Munde,” 

Sando trat fo nahe hin, daß er ihm beinahe bie Augen in 
den Mund ſteckte. Ungfüdlicherweife war es gerade der Augenblick, 
wo ber Balfam zu wirken anfieng, und Don Duirote fpie fehneller 
und gewaltfamer, als ein Flintenſchuß, Alles, was er im Leibe hatte, 
feinem mitfeidigen ‚Schilofnappen in den Bart. „Heilige Maria, 
Mutter Gottes!“ ſchrie Sandoz; „was ift das? Der arme Mann 
iſt gewiß tödtlich verwundet, denn das helle Blut fehießt ihm ja zum 

. Halfe raus.“ Da ers aber ein Bischen genauer unterfuchte, merkte 
er gleich an Farbe, Gefchmaf und Geruh, daß es Fein Blut, 














XV. Kapitel. 0 
fondern Balfam ans der Delflafhe ſey, wovon er ihn hatte trinfen 
fehen, und befam auf einmal bavon fo gewaltigen Etel, daß ſich 
ihm der Magen umfehrte und er Alles, was darin war, über feinen 
Heren ergoß, alfo, daß Veide glänzten wie Perlen. Sanch o lief 
eilig zu feinem Eſel, um Etwas aus dem Schnappfade zu holen, 
womit er ſich reinigen und feinen Herrn verbinden koͤnute. Aber der 

war weg, und Sanch o wollte darüber fat von Sinnen 
verwünfhte fih aufs Neue, und fhwer es in feinem 


nd die gehoffte Statthalterſchaft der verſprochnen 
Juſel im Stihe ſollte. > 


Don Duirote richtete fi indeffen wieder ai 
Hand in den Mund, daß die übrigen Zähne ni 
faßte mit der andern den Zügel feines Rozine 


von — Herri 


* 02% ſprach ber Ritter, ber ihn fo in Leid ver- 
fen. iffe, fein Menſch ift mehr als ein anbrer, wenn 
er nicht mehr hut, ald ein andrer. Affe die Stürne, fe jegt ung 
nach einanber getroffen haben, finb Zeigen, daf ber Himmel fh 
aufffären und unſer Schicfal bald beffer werden wird; deun es ift 
nicht möglich, daß Glüd und Unglüd fange dauern, und barans 
folgt, daß, weil das Unglück uns Tange verfolgt hat, das Gfüd jegt 
vor der Schwelle ſey. Gräme dic nicht fo fehr über die Widerwär- 
tigfeiten, die mich betroffen Haben, denn du haft fie doch nicht mit 
fühlen müſſen.“ 


„Ih nicht?“ verfepte Sando. „Wars denn irgend nicht 
meines Vaters einziger Sohn, den fie preilten? Und war benm ber 
Schnappfack, der jet mit meinem Bischen Hab und Gut zum Teufel 
iſt, auch nicht mein?“ — „Was? Iſt der Schnappſad weg, 
Sancho?“ fragte Don Duirote. — „Ih, was denn fonf?“ 
ſprach Sando. — „Sp haben wir ja heute nichts zu effen?“ 






























A: 


fagte Don Quixote. — „Freilich,“ verfegte Sancho, „wenns 
auf diefen Wiefen feine Kräuter und Wurzeln giebt, die Ihr Fennt, 
wie Ihr ſprecht, und womit fi die fahrenden Unglüdsritter, wie 
Euer Gefirengen einer ift, helfen, wenn fie ven Schnappſack verloren 
haben.“ — „Bei dem Allen,“ fagte Don Quixote, „möchte ich 
doch jest ein Stüd weißes oder ſchwarzes Brod und etliche Heringe 
lieber haben, als alle Kräuter, die im Dipskorides zufammt ben 
Commentar des Doftors Laguna ! fiehen Aber unterdeffen ſteig 
nur auf und folge mir nach, guter Sanch oz Gott, der für Alles in 
der Welt forgt, wird ung auch nicht verfaffen, da wir jegt in feinem 
Dienfte und unferm Berufe wandeln, Speist er doch die Miüden 
in der Luft, die Würmer auf der Erde und die Fröfche im Waffer, 
und ME aus Barmperzigfeit feine Sonne aufgehen über Gute und 
Böfe, und laßt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ 

„Meiner Treul“ fprah Sanch o, „Ihr fihidtet Euch beffer zu 
einem Pfarrer, als zu einem fahrenden Ritter, geftrenger Herr! — 
„Don Allem müffen fahrende Nitter Etwas verfiehen, Saucho,“ 
verfegte Don Duirote; „denn in vorigen Zeiten gab es melde, 
die auf freier öffentlicher Landftrafe eine Rede oder Predigt fo gut 
halten fonnten, als hätten fie auf der hohen Schule zu Paris den 
Gradum befommen, und daraus folgt, daß die Lanze der Fever und bie 
Feder der Lanze feinen Eintrag thut.“ — „Nun, meinethalben mags 
fo fegn, wie Euer Geftrengen ſagt,“ ſprach Sanchoz „aber jegt macht 
nur, daß wir fortfommen und Nachtquartier finden; Gott gebs ung nur 
da, wo fein Prelfen und feine Preller, Feine Gefpenfler und verzauberte 
Mopren find; denn, meiner Treu! geftrenger Herr, wenns und wie- 
der fo gebt, fo wünſch ich vollends Sad und Pad zum Teufel." — 
„Um das bitte du Gott, Fieber Sohn,” ſprach Don Duirote, 
„und führe mid, wohin du willt, denn die Wahl unfrer Herberge 
will ich jegt dir überlaſſen. Aber gieb dod deine Hand her, fühle 
mit dem Finger und ſieh einmal zu, wie viel mir Badzähne in der 
rechten obern Kinnfade fehlen, denn ih fühle da Schmerzen. * 


198 Don Quirote. 









ESo hiefi ver Leidarzt Karls V-, ker den Dioaforides überjegte und erläuterte. 






























Sancho fiedte die Finger hinein, fühlte und fragte ihn fehr 
bedenflich: „wie viel Zähne pflegten denn Euer Geſtreugen auf biefer 
Seite zu haben?“ — „Biere,“ fprad Don Dunirote, „aufer dem 
Weie heite zahne, und alle frifh und gefund.” — „Biere? * verfegte 
Sando. „Hm! befinnt Euch doch einmal recht, was Ihr ſaget.“ — 
n Bas ic dir fage: viere oder gar fünfe,“ wiederholte Don Qui- 
rote, „denn in meinem Leben ift mir feiner ausgefallen, ausgebrochen 
worben, ober von Zabnfänle und Scharbor angegangen.“ — „Nun, 





7 




















Don Euirote. 





da unten habt Ihr nicht mehr als dritthalb Backzähne, und oben 
weder einen halben noch einen ganzen, denn da iſt alles fo glatt wie 
meine Hand,“ fprah Sanıho. — „Weh mir!” fagte der Ritter, da 
er diefe traurige Nachricht hörte, „wollt ich doch Lieber, daf fie mir 
einen Arm vom Leibe gehauen hätten, nur den nicht, womit ich dem 
Degen führe; denn das mußt du wiffen, Sandho! ein Mund ohne 
Zähne ift eine Mühle ohne Stein, und ein guter Zahn ftcht mehr 
als Diamanten an. Aber ſolchen Fährlichfeiten find wir num einmal 
bei dem firengen Gelübde der Nitterfihaft unterworfen. Steig auf, 
Freund, und reite voran, ich will dir folgen, wohin du willfk” 

Dies that Sancho, und hielt fi nad ber Gegend zu, wo er 
eine Herberge hoffte, wid aber dabei nicht ans ber Landftrafie, auf 
welcher ziemlich lebhafter Verkehr war, Da fie num fo allmählig Hin- 
zogen, — denn den Nitter ſchmerzte fein Baden heftig, und Tief ihn 
nicht ſcharf reiten — ſuchte ihn Saucho durch ein Gefpräd zu zer- 
ſtreuen und zu unterhalten. Etwas davon wird im folgenden Kapitel 
vorfommen, 

















9 
XIX. Kapitel, 


Meunjebntes Kapitel. 


Bon tem metien Gefprädh, Has Fandıo mit feinem Heren führte, wen dem Adenteuer mit tee 
Weiche, und von antern groben Sreiqnifien. 

ch glaube, mein Herr!“ ſprach Sarı« 

69; „allesdas Unglück, was uns diefe 

Tage berzugeftofien, iſt, glaub —* 





was dem —— dis Ihr 
dem Malandrie, oder wie ber 


B nommen bättet. # 

„Du * wohl Recht, Sarıho, “ ſprach Don Duirote; „aber 
dir dic Wal zu geftchen, ich hatte es ganz vergeffen; und num 
lannſt du glauben, daß du zur Strafe, weil du mich nicht 
in Zeiten daran erinmerteft, bift gepreilt worden. Aber den Schaden 
will ich ſchon wieber erfegen, denn in dem Ritterorden kann man ſich auf 
alferfei Art helfen.” — „ Was Henker, hatt ih denn auch geſchworen d“ 
ſprach Sanch o. — „Geſchworen oder nicht,“ verfepte Don On» 
rote, „bas ift einerfei, genug, daß ih ber Meinung bit, du ſeyſt 
nicht ganz frei von Mitwiffenfhaft. Aber fey es, ober ſey «6 nicht, 
fo wirds nicht fhaben, wenn wir auf Mittel denfen, das Ding wieder 
gut zu machen. * — „Wenns fo geht,“ ſprach Sanıho, „fo vergeht doch 
ja das nicht auch, wie Euern Eid, geftrenger Herr; benn bie Gefpenfter 
möchten fonft wieber Luft befommen, no einmal mit mir zu furzweifen und 


wer weiß, ob nicht auch mit Euch, wenn fie Euch fo oft meineibig finden.“ 


Dan Oninn t 




















208 Don Buirote. 


Unter diefem Gefpräch überfiel fie mitten auf der Straße die Nacht, 
ohne daß fie wußten, wo fie Herberge finden würden. Das Schlimmſte 
bei der Sache war, fie flarben faft vor Hunger; denn mit Sanchos 
Schnappſack war ihr ganzes Reifemagazin verloren. Ihr Unglück aber zu 
vollenden, begegnete ihnen noch dazu ein Abenteuer, das alles Anfehn eines 
wahren hatte. Die Nacht wurde immer finfterer, aber fie reisten doch fort, 
denn Sancho glaubte, weil fie auf ber Heerſtraße wären, in einer oder 
höchſtens zwei guten Stunden Weges nod eine Schenke zu finden. 
Wie fie denn fo weiter giengen in finflerer Naht, Sauch o voll 
Hungers, fein Herr voll Berlangens zu eſſen, fahen fie ſich von fern 
eine Menge Lichter entgegen kommen, die wie Irrlichter ausfahen. 
Sancho fiel faſt in Ohnmacht, da er fie erblidte, und dem Ritter 
ſchien es auch nicht recht geheuer. Jener z0g dem Efel die Halfter, 
biefer dem of bie Zügel an. So hielten fie und ſchauten lautlos 
vor fih Hin, und fiehe, die Lichter kamen immer näher und wurben 
immer größer. Sancho zitterte am ganzen Leibe wie Efpenlaub, 
und Don Duiroten fiengen bie Haare an fih zu flräuben; der 
Ritter aber erholte fi ein wenig, und ſprach: „Saucho, dies if 
unftreitig das größte und gefährlichfte Abenteuer, wo ich meine ganze 
Kraft und Tapferkeit werbe zeigen müſſen.“ 

„Ah, daß Gott erbarm!” fprah Sandho; „wenn das wirder 
Gefpenfter find, wie's faft fheint, wo werd ich Rippen hernehmen, fie 
auszuhalten?” — „Wären es auch noch fo viele Gefpenfter, ih 
werde nicht zugeben, daß man bir ein Haar frümme,® fprah Don 
Dnirote. „Letztens fonnten fie dir wohl übel mitfpielen, weil id 
nit im Stande war, über die Hofmauer zu fteigen; aber jegt find 
wir in freiem Felde, wo ich mein Schwert brauchen kann, wie ih 
will,“ — „Aber wenn fie Euer Geftrengen wieter bezaubern, wie fie 
neulich gethan haben, was hilfts ung kann, ob Ihr in freiem Felbe 
ſeyd oder nit? — „Demungeachtet fen guten Muths, Sancho,“ 
ſprach Don Duirote, „du folft aus Erfahrung feben, wie muthig 
ich feld bin.” — „Nu helfe der liebe Gott, ich wills wohl ſehn;“ 
antwortete Sanyo, und beibe fleflten ſich zur Ceite des Wege, 
und lauſchten aufmerffam, was aus ten wandelnden Lichtern werden 
wolle. Kurz daranf entdeckten fie eine Menge Leute in weißen langen 











> 
XIX. Kapitel, 203 


Hemden. Der fürdterliche Anblit Löfäte das Iepte Fünfchen Muth 
in Sandhos Bruft, und er fieng an mit den Zähnen zu Happern, 
als hätte er das viertägige Fieber. Je deutlicher ihnen Alles wurde, 
defio mehr nahm Sauchos Zahnellappern zu; denn nun fahen (fie 
bei zwanzig verfehleierten Leuten, ſaͤmmtlich zu Roß mit brennenden 














Fackelu im der Hand. Hinter dieſen fam eine Cänfte, mit Trauer 
behangen, und biefer folgten ſechs andre Neiter, gleichfalls in Trauer 
bis zu ben Füßen ihrer Maulthiere; denn daß es feine Pferbe 
waren, merkte man wohl an bem leiſen bedächtlichen Gange. Die weiß- 
verfehleierten Leute murmelten in dumpfer Häglicher Stimme vor fih hin. 











” Ben @uirste. 
Eine fo feltfame Erfeinung zu folder Stunde und an diefer | 


Stätte konnte ſelbſt den mannhaften Don Dnirote in Schrecken 
fegen; denn dem armen Saucho war ohnehin das Herz gänzlich ent ⸗ 
fallen. Zum Gläde für des Ritters Muth fpielte ihm feine" Yhan- 
taſie den Streich, aus jener Erſcheinung ein Mbentener zu machen, 
wie dergleichen in dem Ritterbüchern flanden. Er machte fih wämiich 
gleich die Sänfte zu einer Bahre, auf welder man einen ſchwer ver- 
wunbeten ober gar tobten Ritter führe, deſſen Rache ihm allein auf 
behalten fey. Ohne weiteres Rachfinnen Iegte er bie Lanze ein, fepte 
ſich feſt im Sattel, und ſtellte fi mit einer wahren Helbenmiene 
mitten in bie Strafe, wo der Zug herlam. Als er ihm nahe genug 
war, exhob er bie Stimme: „Haltet, ihr Ritter, wer ihr and feyb! 
und gebt dig Rechenſchaft / wer ihr feb? woher ihr Font? wohn 
ihr wollt? und was ihr auf jener Bahre führe? Allem Anſehen nah 
habt ihr entweder Jemanden, ober hat eud Jemand Ungebüpr zugefügt, 
und bie muß ih wiffen, damit ich entweder euch wegen beganguer 
uebelthat züchtigen, ober euch wegen erlitinen Unrechts rächen 
kann!" — „Wir haben Eile, die Herberge if noch weit; ſprach 
einer von ben Berfchleierten, „es ift nicht Zeit, Euch eine lange Erzäf- 
kung zu machen, wie Ihr fie verlangt,” und bamit flach er fein Maul- 
thier an, und wollte vorbei. „Halt!“ fprah Don Duirote, ber 
diefe Antwort ziemlich übel nahm, und dem Reiter in den Zügel 
griff — „halt! ſeyd ein Bischen höflicher, und gebt mir Beſcheid 
über das, was ich euch fragte, oder fegt euch Alle mit mir in Fehde." 
Das Maulthier ward fen; als ihm nun Don Duirote in ben 
Zügel fiel, bäumte es ſich dergeſtalt in die Höhe, daß es fih mit 
feinem Herrn rüdwärts überſchlug. Ein Maulthiertreiber: Junge der 
nebenher gieng und ihn fallen ſah, fieng an auf Don Duirote 
loszuziehen. Diefer, ohnedies fon zornig genug, Iegte ohne weitern 
Verzug mit feiner Stange ein, rannte auf einen Leidtragenden los, 
fattelte ihn übel zugerichtet ab, und warf fich ſchnell wiever herum, den 
Andern e8 auch fo zu machen. Eine Luſt war es zu fehen, wie gefehwind 
und fertig er fie angriff und auseinander fprengte. Es war nicht anders, 
als wären dem Rozinante Flügel gewachſen, fo leicht und folz flog 
er daher. Alle Bermummten waren furchtſame und unbewaffnete Lente, 











XIX. Kapitel, 205 


und folglich nahmen fie augenblids die Flucht und rannten mit ben Fackeln 
über dad Feld hin, fo dafı fie niht anders ausfahen wie Masten, bie in 
der Faſtnacht umherſchwärmen. Die Leivtragenben, die fi in ihren 
Zrauermänteln und fangen Talaren verwidelten, konnten ſich and nicht 
regen, und alfo war es unferm Ritter leicht, fie nad) Herzeneluft abzu⸗ 
prügeln und fie aus dem Felde zu fhlagen; denn die armen Yeute dachten, 
es wäre fein Menſch, fondern der leibhafte Teufel aus der Hölle, der 
käme und ihnen den Leichnam in der Sänfte abnehmen wollte. 

Alles dies ſah Sanıho mit an, voll Bermunderung über den 
Muth feines Heren und ſprach in feinem Herzen: „Mein Herr if 
doch wirflih ein fo tapfrer und fühner Held, wie er ſpricht.“ Nicht 
weit von dem Erſtern, mit dem fi das Maufthier üb 0 
hatte, lag eine Fachel, bei deren Sein ifn Don DO 
Er ritt zu ihm Hin, fepte ihm die Spige feiner Stang 























a > 


214 Don ®uirote. 


Eurem Vornehmen ablaffen wollet, fo verſchiebts doch wenigftens bis 
auf den Morgen. Es fann nicht Tänger als drei Stunden bis dahin 
fen, fo viel ich davon weiß und gelernt habe, da ih noch Schaf- 
neht war; denn, feht ihrs, geftrenger Herr? die Schnauge am Heinen 
Bären flieht über dem Kreuge, und zeigt Mitternacht an, weil ex 
Tinfs in geraber Linie über ung ſteht ', 

„Sauch o, Freund Saucho!“ fprah Don Duirote, „was 
ſchwatzeſt du da von Linie, Schnauge und dem Heinen Bären, da es 
fo flodfinfter if, daß am ganzen Himmel nirgends ein Gtern ſich 
zeigt?" — „Das ift zwar wahr,“ verfegte Sancho, „dunkel iſte, 
aber Furt hat taufend Augen; und fann man fehen, was unter der 
Erde ? iſt, warum nicht auch was im Himmel ift? Und man fanne 
auch durch Nachdenken finden, daß es nicht weit mehr vom Tage 
ſeyn muß.“ — „Mag er nah oder noch ferne ſeyn,“ fprah Don 
Duirote, „das ift mir einerfei; vom mir fol man weder jegt, noch 
in Zufunft fagen, daß ich mich dur Bitten und Thränen von meiner 
Nitrerpfliht Habe abwendig machen laſſen; und alfo bitt ich dic, 
Sancho, ſchweige! denn Gott, der mirs in Sinn und Herz gegeben" 
hat, dies fihwere und gefährliche Abenteuer zu beftehen, wird fi 
meiner ſchon gnädig annehmen und auch dich in deiner Trauer tröſten. 
Alles was du jet noch zu thun Haft, ift, gürte mir den Rozinante 
fefter, und erwarte mic) bier; denn ich komme bald wieder, lebendig 
ober tobt.“ 

Da nun Saucho ſah, wie feft fein Herr entfchloffen war, wie 
wenig fein Rath, feine Bitten und Thränen helfen wollten, beſchloß t 
er Lift zu brauchen, und dadurch feinen Herrn dennoch zu nöthigen, 
daß er den Tag erwarte. Er ſchnürte alfo dem Pferde, als er es 
fefter gürtete, unvermerft mit dem Stridhalfter feines Efels die Beine 
dergeftalt zufammen, daß es, ald Don Duirote fort wollte, 
unfähig war, eine andre Bewegung zu machen, als mit geſchloßnen 


® Anjpielung auf bie Art, wie bie fpaniiden Bauern nadı dem Heinen Baren bie Stunden 
der Macht mieflen. 

® Dies bezieht ſich auf den Glauben ved gemeinen Volks in Spanien, daß gewiffen Leuten 
tie @abe angeboren je, in ker Grte vergrabne oner ankre verborgme Dinge u Sehen, in fo fern 
fe nur mit feinem blauen Tuche bevedt wären Die mit iejer Wunperaft Vegabten beißen 
Iaborie. 














XX. Kapitel, 


Fußen einen Sprung in die Höhe, „Seht Ihrs, geftrenger Herr,“ 
ſprach Sande, da er merkte, daß ihm feine Lift gelang; „ſeht Ihre, 
daß ſich der Himmel meiner Bitten und Thränen erbarınt, und macht, 
daf Rozinante nicht fort kann? Und wenn Ihrs dennoch erzwingen 
wollt, und ihm bie Sporen noch fo fehr gebt, fo wirds Euch doch 
nichts Helfen, ald dag Ihr Gott verfucht, und wider ben Stachel 
fedet, wie man fpridt.” Don Duirote Hätte rafend werben 
mögen; je mehr er dem Gauf die Sporen gab, deſto weniger fonnt 
er ihn vom Flecke bringen. Daß dem Rozinante bie Beine gebunden 
ſeyen, daran dachte er Feinedwegs,, ſoudern befhloß es ruhig abzuwarten, 
bis entweder der Tag anbräche, ober Rozinante ſich rühren könnte. 
Er meinte nämlich, es müfe etwas ganz Andres dahinter ſtecken, als 
eine ER Sandhod. „Sande!“ ſprach er, „weil ich denn merke, 
daß Rozinante fih ſchlechterdinge nicht regen ann, fo will ich nur 
den Morgen Hier erwarten; ungeachtet ich fehr beflage, daf es noch 
fo fange damit werden wird." — „Ei, bat fih was zu Magen,“ 
verfeßte Sanho; „vie Zeit foll Euch nicht lang werden, geftrenger 
Here; ich will Euch Märden genug bis am den hellen Tag erzählen, 

















210 Bon @uirste, 


hatten, auch nicht einmal einen Tropfen Wafler, nur die Zunge zw 
negen. Bon biefer Leibesnoth gepreßt, bemerkte Saucho, baf bie 
Biefe, wo fie waren, vol friſchen Grafes flund; dies machte ihm 
wieberum Hoffnung, und im folgenden Kapitel wird er bem Ritter 
feine Gebanfen darüber mittheilen. 











Swanzigfies Kapitel. 


Wie ver mannsafte Don Onisote von ker Wanda ein nie gefehnek uno nie mrbheteh Mheniraer 
mit wenig Oefabe Bepsab, alt je cin Alter in Beet 


¶ Wollte wetten, gefrenger Herr,“ ſprach 

Sandro, „darf irgend eine Duelle oder 

2. ein Bach im der Nähe iſt, denn das Gras 

\ bier iſt fo friſch und feucht. Ich meine, 

wir gefen ein Bishen weiter; vielleicht 

finden wir was, womit wir den ſchred⸗ 

lichen Durft löfchen fönnen, ber gewiß 

E taufendmal ärger ift als ber Hunger. 

Diefer ns gefiel unferm Ritter wicht übel; er nahm alfo den 
Rozinante beim Zügel, und Sandho, nachdem er die Ueberbleibſel 
des Abendbrode wieder aufgepackt hatte, feinen Efel bei dem Halfte, 
und fo tappten fie ganz bedächtig über die Wiefe hin, weil es fo finfter 
war, baf fie nichts fehen Fonnten, Kaum waren fie zweihundert 
Schritte gegangen, fo hörten fie ein großes Geräufg von Waffer, 
als wenn es fih über Hohe Felfen herabſtürzte. Dies Braufen 
erfreute fie fehr. Da fie aber genau darauf horchten, Körten fie noch 
ein audres Getöfe, welches ihnen bie Freude über das erflere wieber 
vergällte; fonderlich dem armen Sando, der vom Natur furdtfam 
und Heinmüthig war. Es waren flarfe Schläge nad einem gewiffen 
Takt, nebft einem Gellirre von Eifen und Ketten, die, verbunden mit dem 

























Don Quixote. 






wüthenden Waflerbraufen, jedem Anvern als einem Don Duirote 
große Furt eingejagt haben würden. Gtodfinfter war, wie gefagt, 
die Nacht, und fie befanden ſich eben unter einigen hohen Bäumen, 
deren Blätter von einem fanften Winde bewegt, ein fhauriges 
Säufeln verurfachten, fo daß Einfamfeit, Dunkelheit, Braufen des 
Waſſers und Säufeln der Blätter fi vereinigten, um den Eindruck 
des Graufens hervorzubringen, zumal da bie Schläge nicht aufpörten, 
der Wind fich nicht Iegte, der Morgen nicht anbrechen wollte, und 
fir überdies nicht wußten, wo fie ſich befänden. 

Endlich ſchwang fih Don Duisote, von dem and in biefer 
f Stunde fein Heldenmuth nicht wich, auf den Rozinante, ergriff 
bie Tartſche, erhob bie Lanze und fprah: „Wiffe, Freund Saucho, 
daß mid ber Schluß des Himmels geboren werben ließ, in unferm 
eifernen Zeitalter das Gold der alten Zeit, ober daß ich es recht fage, 
das golbne Zeitalter wieder Herzuftellen. Ich bin es, für den Ger 
fahren, Großthaten oder erhabne Unternehmungen aufbehalten find. 
Ich bin es, fag ich noch einmal, ber die Ritter von der ZTafelrunde, 
die Zwölfe von Franfreih, und die neun Männer bes Ruhms wieder 
erweden, und alle Platirs, ZTablanten, Dlivanten, Ziranten, Son- 
nenritter, Belianiffe und die ganze Schaar berühmter fahrender Ritter 
der alten Zeit in Vergeffenheit bringen wird, indem ich zu unfern 
Zeiten folhe unerhörte große Thaten und Waffenwunder thun werde, 
daß fie die berühmteften von jenen vertunfeln ſollen. Di bemerffl, 
getreuer und redlicher Schildknapp, die Finfterniffe diefer Nacht, ihr 
feltfames Schweigen, das dumpfe und räthfelhafte Säufeln der Blätter, 
das gräßliche Braufen des Waffers, dem wir nachgiengen, und weldes 
nicht anders Mingt, als flürze e8 von den hohen Mondbergen ! 
herab; du Hörft die unaufhörlichen Schläge, melde unfre Ohren bes 
täuben. Alles dies zufammen, ja ſchon jedes für fih wäre hinreichend, 
dem Kriegsgotte ſelbſt Schrecken einzujagen, gefhweige denn einem 
Andern, der folhe Vorfälle und Abenteuer nicht gewohnt if. Für 
meinen Muth ift es aber nur ein neuer Sporn, fo daß mir das Herz 
im Leibe vor Begier fpringen möchte, dies Abenteuer zu beftchen, 

































* ie ter Nil 











Pj 


XX. Kapitel 


fo gefährlich es auch feyn mag. Gürte mir derohalben den Rozinante 
etwas fefter, und ſey Gott befohlen. Erwarte mich hier drei Tage; 
komme ich in diefen nicht zurüd, fg fannft du in unfer Dorf zurüd- 
kehren. Und willft du mir dann noch einen Gefallen und Liebesdienft 
erweifen, fo gehe nah Tobofo, und fage meinem unvergleichlichen 
Fräulein Dulcinea, daß ihr ganz ergebner Nitter tobt und im 
Unternefmungen geblieben fey, die ihn würdig machen follten, fich den 
Ihrigen zu nennen.“ 

Sando fieng an bitterlic zu weinen, als er dies von feinem 
Herrn hörte. „AH, geſtrenger Herz,“ ſprach er, „ich weiß gar nicht, 
marum Ihr Euh nur an das erſchreckliche Abenteuer machen wollt. 
Jept iſts ja Nacht, und Fein Menfch ficht uns; könnten wir nicht 
umfehren und der Gefahr ausweichen, ſollten wir auch gleich in drei 
Tagen feinen Tropfen zu trinfen Haben? Und wenn ung fein Menſch 
fieht, fann uns ja auch Hein Menſch Memmen fhimpfen. Ich Hab 
fo oft von unferm 'Herm Pfarrer, den Ener Geflrengen wohl kennen, 
auf der Kamel gehört: wer Gefahr fucht, der fommt drin um, und 
mar bürfe den lieben Gott nicht durch ein Wageſtück verfuhen, wo 
man nur durch ein Wunderwerk davon kommen könne. Es ift ja 
genug, daß Euch der Himmel die Gnade gethan hat, Eud vor der 
Prellerei zu bewahren, die mir wiberfahren ift, und bag Ihr friſch 
und gefund die Feinde überwunden habt, bie bei ber Reihe waren. 
Und bewegt das Alles Euer hartes Felfenherz nicht, fo habt doch nur 
die Barmherzigkeit, und bevenkt, daß ich ficher, fo bald Ihr nur von 
mir weg feyb, vor lauter Furcht meinen Geift an den Erſten Beften 
aufgeben werbe, der ihn holen will. Bedenkts doch nur, daß ih aus 
meiner Heimath gieng, Fran und Rinder verließ und mit Euch z0g, 
Euch zw dienen; denn ich glaubte mich zu verbeffern, nicht aber zu 
verfeplimmern. Aber ich Habs meine Tage gehört, zu viel zerreißt 
den Sad. So find auch meine Hoffnungen zu Boden gefallen: Se 
gewifler ih dachte, noch einmal die verwünſchte, vermaledeite Juſel 
zu friegen, die Ihr mir fo oft verfpracet, deſto unglücklicher geht 
mirs, denn nun wollt Ihr mich dafür mitten in der Wüſtenei figen 
laſſen. Ah! ih bitt Euch ums alleinigen Gottes Willen, gnädiger 
Herr! macht mid wicht fo unglüdlih; und wenn Ihr ja nicht von 

















Don @uirote. 


Eurem Bornehmen ablaffen wollet, fo verſchiebts doch wenigftens bis 
auf den Morgen. Es kann nicht länger als drei Stunden bis dahin 
ſeyn, fo viel ih davon weiß und gelernt habe, da ich noch Schaf- 
knecht war; denn, feht ihrs, geftrenger Herr? die Schnange am Heinen 
Bären ſteht über dem NKreuge, und zeigt Mitternacht an, weil er 
links in geraber Linie über ung ſteht 1” 

„Sando, Freund Saucho!“ fprah Don Quixote, „was 
ſchwatzeſt du da von Linie, Schnauge und dem Meinen Bären, da es 
fo Rosfinfter ift, daß am ganzen Himmel nirgends ein Stern ſich 
zeigt?" — „Das if zwar wahr,“ verfeßte Sancho, „dunkel iſts, 
aber Furcht hat taufend Augen; und kann man fehen, was unter ber 
Erde ? ift, warum nicht auch was im Himmel ift? Und man kanns 
auch durch Nachdenken finden, daß es nicht weit mehr vom Tage 
fegn muß.“ — „Mag er nah over noch ferne feyn,* fprah Don 
Duirote, „das ik mir einerlei; von mir ſoll man weder jetzt, noch 
in Zufunft fagen, daß ich mich durch Bitten und Thränen von meiner 
Nitterpfliht habe abwendig machen laſſen; und alfo bitt ih did, 
Sando, ſchweige! denn Gott, der mir in Sinn und Herz gegeben 
hat, dies fehwere und gefährliche Abentener zu beftchen, wird fi 
meiner fon gnädig annehmen und auch dich in deiner Trauer tröſten. 
Alles was du jetzt noch zu thun Haft, iſt, gürte mir ben Rozinante 
fefter, und erwarte mich hier; denn ich komme bafd wieder, lebendig 
ober tobt.“ 

Da nun Sancho fah, wie feft fein Herr entfchloffen war, wie 
wenig fein Rath, feine Bitten und Thränen helfen wollten, beſchloß ; 
er Lift zu brauchen, und dadurch feinen Herrn dennoch zu nöthigen, 
daß er den Tag erwarte. Er ſchnürte alfo dem Pferde, als er es 
fefter gürtete, unvermerft mit dem Strickhalfter feines Efels die Beine 
bergeftalt zufammen, daß es, ald Don Duirote fort wollte, 
unfähig war, eine andre Bewegung zu machen, als mit geſchloßnen 


* Anipielung auf tie Art, wie die ſpaniſchen Bauern nach dem Heinen Yären vie Etunden 
der Nacht meiien. 

® Dies bezieht ſich auf den Glauben des gemeinen Volls in Eranien, daß gewiffen Leuten 
wie Gabe angeboren jew, in der Grte vergrabne orer antre verborgne Dinge zu fehen, in jo fern 
fie nur mit feinem blauen Tuche bedect wären. Die mit vieler Wunterfrait Begabten beiden 
Zaborie, 

















Füßen einen Sprang in die Höfe. „Seht Ira, gefirenger Herr," 


ſprach Saucho, da er merkte, daß ihm feine Lift gelang; „feht Ihre, 
daß fih der Himmel meiner Bitten und Tränen erdarmt, und macht, 
daß Rozimante micht fort fann? Und wenn Ihro dennoch erzwingen 
wollt, und ihm die Sporen noch fo fehr gebt, fo wirds Euch doch 
nichts Helfen, als daß Ihr Gott verfügt, and wider den Stachel 
fedet, wie man fpricht." Don Duirote hätte rafend werden 
mögen; je mehr er dem Gaul die Sporen gab, deſto weniger konnt 
er ihn vom Alede bringen, Daß dem Rozinante die Beine gebunden 
fegen, darau dachte er keineswego, Tonberm beſchloß es ruhig abzumarten, 
bis entweder der Tag anbrähe, oder Nozinante fih rühren könnte. 
Er meinte nämlich, es mäffe etwas ganz Andres dahinter fteden, als 
eine Liſt Sandhos. „Sauchol“ ſprach er, „weil ih benu merke, 
daß Rozinante ſich ſchlechterdings nit regen Fann, fo will ih nur 
den Morgen hier erwarten; ungeachtet ic fehr beflage, daß es noch 
fo fange damit werben wird." — „Ei, bat fih was zu Hagen," 
verfeßte Sanch oz „die Zeit foll Euch nit fang werben, geftrenger 
Herrz ich will Euch Märden genug bis an den hellen Tag erzählen, 














2316 Don @uizote. 


wenn Ihr auch nicht abfleigen und Euch, nach fahrenden Ritters 
Braud ein wenig hier ins Gras ſchlafen legen wollt, damit Ihr zw 
dem ſchrecklichen Abentener, das Euch erwartet, neue Kräfte ſammlet.“ — 
„Bas fprihft du von Abfleigen und Schlafen?“ antwortete Don 
Duirote. „Bin ih irgend einer von den Nittern, bie der Ruhe 
pflegen, wenn Gefahr vorhanden it? Schlafe du, der du zum Schlafen 
geboren biſt, oder made was bu willſt; ih weiß ſchon was ich zu 
tun habe, und was meines Amtes if.“ — „Run, werbet nur nicht 
glei böfe drüber, geſtrenger Here; ih Habe ja nicht fo ſchlium ge» 
meint;“ fprah Saucho, trat hiemit näher zu feinem Herrn, faßte 
mit der einen Hand den vorbern, mit ber andern den hintern Sattel⸗ 
bogen, und drängte fih aus Furcht fo feſt au Don Duirotes 
Iinfen Schenlel an, daß er nicht einen Finger breit weichen wollte, 
weil er fi} gewaltig vor den Schlägen fürchtete, die ſich noch immer 
taftmäßig hören Iießen. „Erzähl mir doch nun zum Zeitvertreib ein 
Märhen, Saucho, wie du verſprochen haſt,“ fprah Don Dui- 
zote. — „Das wollt ich wohl,” verfeßte Sauch o, „wenn ich mich 
nur nicht fo gräulich vor dem Lärmen fürdtete, den ich höre. Judeß, 
ich will Euch doch eins erzählen, und das ſolls befte feyn, das Ihr 
in Eurem Leben gehört, fo ich es anders zu Stande bringe, und mir 
nichts dazwiſchen kommt. Hört zu, jept fang ih an: 

„Es war einmal, da es war. Das Gute, das kömmt für Alle, 
das Böfe für den, ders fucht !! — Merkts wohl, geflrenger Her, 
die Alten fiengen ihre Deäprhen nicht fo an, wie wir irgend; nein, 
es war immer ein Denffpruh von einem gewiffen Cato Zimber- 
Linus den fie voranſchickten, ver hieß: das Böſe für den ders fucht, 
und das paßt gerate, wie ein Ning an ben Finger, darauf daß ihr 
fein Hier bleibet und nirgends Unglüd mit Fleiß fuchet, oder daß 
wir lieber gar durch einen andern Weg wieder umfehren; denn wer 
zwingt uns benn zu biefem, wo uns lauter Höllenfchreden erwarten? « 

„Erzähle du dein Märden fort,“ fprah Don Duirote, 
„und den Weg zu wählen, überlaß mir.” 


% Gine Anpielung auf das fpaniice Eprihmert: tat Gute für alle Welt, rat Echlimme 


für tie Kodin des Viarrers. 











— 


XX. Kapitel, 217 


Sand fuhr fort: „ && war einmal, fag id, in Efiremabura 
ein Dorf, und in dem Dorfe war ein Ziegenbirte; ich meine einer, 
der Ziegen hütete. Dieſer Hirte oder Ziegenhüter hieß Lope Ruyz, 
bab ich gefagt, fag ich; und diefer Lope Ruyz Hatte ſich in cite 
Scäferin verlicht, die hieß Torralvaz und dieſe Schäferin, die 
Torralva biefi, war die Tochter eines reihen Hirten, und dieſer 
Hirte war reich. * 

„Wenn du dein Märhen fo erzäßfft, mein lieber Sande, 
und Alles wiederholſt, was du ſchon zweimal gefagt Haft, da wirft 
du in zwei Tagen nicht fertig," ſprach Don Duirote „Sag es 
nadeinander her, wie ſichs gehört, und erzähle wie ein — 
Menſch; wo nicht, fo ſchweige lieber fi!” 

„Bei mir daheim erzaͤhlt man bie Maͤhrchen alle fo wie ich,* ver- 
feßte Sanch o. „Ich kauns meiner Treu nicht anders und Ener Geflren- 
gen wirb body nicht verlangen, daß ich eine Neı machen fol ?* — 
„Nun, fo erzäffe wie du willft; denn da es das Schickſal einmal will, 
muß ich bir doch zuhören, Nur weiter, Sandho,” fprad ber Nitter. 

„Run, wie gefagt, herzliebſter Herr,* fuhr Sancho fert, „der 
Hirte Lope Ruyz war in bie Schäferin Torralva verlicht, Die 
Torralva mar ein junges, fugelrundes, raſches Menſch; ein ordents 
licher halber Kerl, denn ein paar Schnurten hatte fie ſchon äberm Maule; 
es ift mir, ale wenn ich fie da vor meinen Augen ſahe.“ — „Haft 
du fie denn gefanut?* fragte Don Duirote. — „Meiner Leb⸗ 
tage nicht,“ antwortete Sandoz; „aber der mir das Märden er- 
zählte, fagte mir, es wäre fo gewiß und wahrhaftig wahr, daß ich, 
wenn ich& wieder Einem erzählte, reben und branf ſchwören Funte, als 
hätte ich Alles ſelbſt gefehen. Was gefchah? Indem fo ein Tag 
immer nad) dem andern fam und vergieng, wußte es der Teufel, der 
ohnehin nimmer ſchlaft und bei Allem feine Ringer im Spiel hat, 
fo zu drehen, daß die Liebe des Hirten fih in Haß und Abſcheu 
gegen fie verfehrte; und das kam daher, weil fie ihm, wie böfe Leute 
fprechen, eine Menge Nrfachen zur Eiferſucht gab; und es mag wohl 
feyn, daß fie etlichemal aus den Strängen flug, Kurz, fie warb 
ihm fo völlig zumider, daß er fie micht mehr vor Augen fehen fonnte, 
und beſchloß ans dem Lande zu geben und an einen Ort zu ziehen, 




















218 Don Euirote. 


wo feine Augen fie nicht mehr fehen würden. Torralva aber, bie 
fi fo von Zope verachtet fah, Mriegte ihm jegt erſt Lieber, als fie 
ihm jemals gehabt Hatte.“ 

„So madens die Weiber überhaupt,“ fil Don Duirote ein; 
„verachten den, ber fie liebt, und Lieben den, der fie verachtet. Weiter, 
Sango!" 

„Nun kams, daß der Hirte fein Vorhaben ins Werk richtete, 
Er nahm feine Ziegen, trieb fie vor fi her, und wanderte immer 
damit fort über die Felder, von Eſtremadura nad dem Königreiche 
Portugal zu. Torralva, die das Ding merkte, machte fi Hinter 
ihm her, und gieng ihm barfuß von ferne nad, mit einem Stode in 
ver Haud, und einem Schnappfade am Halfe, worin fie, wie's heißt, 


J BE — 














XX. Kapitel 219 


ein Stüden Spiegel, ein’ Stüdhen Kamm, und ein Buͤchechen, weiß 
der Henfer, mit was für Schminfe hatte, Aber mag fie drinnen gehabt 


haben was fie will, was ſchierts mich? Enbfih, wie's heißt, kam ber 
Hirte mit feiner Heerde Ziegen an den Guadianaſtrom, ber eben fo 
fehr angefaufen war, daß er austrat. An dem filed, wo der Hirte 
binfam, war weder Fähre, noch Schiff, noch ein Menſch, der ifn 
und feine Heerbe hätte überfegen können, Darob war bei ü 


war, und dachte wohl, daß fie ihm wiel Verbruß,n tat 

ihren. bittern Thraͤnen. te, er ſuchte, 

einen Fiſcher, der al 2 

als ein Menſch und eine Ziege en 

er mit ihm, und kung ih, daß er ihn und feine breifundert Ziegen 


überfegen follte. Der Fiſcher trat in den Kahn, und brachte eine 




















0 Don Quirote. 


Ziege hinüber; er fam wieder, und Horte noch eine; er fam noch 
einmal und brachte noch eine hinüber. Nun, gefivenger Herr, gebt 
wohl Abt, und zäplt, wie viel Ziegen der Fiſcher überfept; denn, 
das fage ih Euch, wenn Ihr nur eine einzige vergeht, fo if mein 
Marchen auf einmal aus, und ich kann fein Wort mehr davon erzählen. 
Nun’ weiter im Terte! Die Anfahrt auf der andern Geite war gar 
ſchlammig und ſchlüpfrig , und das machte, daß der Fiſcher viel Zeit 
zum Hin- und Herfahren brauchte. Demungeachtet kam er doch 
wieder und holte noch eine Ziege, und noch eine, und noch eine.“ 
„Stelle dir vor, Saucho, daß er fie nun alle hinüber hat,“ 
ſprach Don Duirote; „denn wenn bu mit einer jeven überfahren 
und wieber fommen willſt, fo bringf du fie in einem ganzen Jahr 
nicht Hinäßer. 7 
mBie viele Hat er denn jept drüben, geftrenger Herr?” fragte 
Sancho. — „Zum Teufel, was weiß ih?“ verfepte Don Dni- 
rote. — „Da haben wird, was —— daß Ihr fein nachzählen 
ſolltet; denn bei Gott, jetzt iſt das Märchen aus, und ich Kann nicht 
weiter damit kommen.“ — „Wie das?“ fragte Don Quixote. 
„Iſt es denn fo weſentlich zu deiner Gefhichte nöthig, dag man alle 
übergefegte Ziegen einzeln wiffen muß, und daß, wenn man fih nur 
um eine verzäßlt, du nicht weiter kannſt?“ — „Schlechterdings,“ 
antwortete Sancho; „denn da ich Euer Geſtrengen fragte, wie viel 
find nun Ziegen hinüber? und Ihr mir zur Antwort gabt, zum Teufel, 
was weiß ih8? den Augenblid fiel mir alles, was ich noch zu erzähleü 
hatte, aus; und, meiner Treu, es waren Euch noch feine Sachen 
drunter.“ — „Wie? deine Erzählung wäre wirklich zu Ende?” fragte 
Don Duirote. — „Zu Ende ifts mit ihr, wie mit meiner Mutter 
. feelig,“ antwortete Sancho. — „Nun, das muß ich befennen, Freund 
Sancho,“ ſprach der Ritter, „du haft eins der feltfamften und 
neueſten Märden, die man nur in ber Welt erdenken Eonnte ', er« 
zählt; und ſelbſt deine Art zu erzählen und abzubrehen, muß nie 
Einer in feinem chen gehört haben, obgleich ich von deinem Witze 
nichts Anders erwarten fonnte. Aber ich wunbere mich nicht barüber; 


Tie Geichichte von ver Schaferin Terralva um iheen Jiegen if ubrigene alt, man finzer 
fie in Sanfodino's hundert alten Rerellen. 














an ang En — 


XX. Kapitel, 22 


denn das unaufpörliche Getöfe muß dir das Gehirn verwirrt haben.” — 
„Das ift alles möglich,“ verfegte Sancho, „aber das weiß ic, 
was mein Märden betrifft, daß es gleih aus ift, wenn Einer im 
Zähfen der übergefegten Ziegen ſich ſtößt.“ — „Es mag fi) in Gottes 
Namen enden wo es will,“ fprah Don Quixote, „fehen wir jetzt, 
ob fih Rozinante wieder regen kann.“ Er gab ihm die Sporen, der 
Gaul fuhr in die Höhe, und blieb wieder ſtehen, fo feſt war er gebunden. 

Entweder machte es die Kälte des Morgens, oder hatte Sancho 
einige abführende Sachen zu Nacht gefpeist, oder war es fo bie Drd- 
nung feiner Natur, was die annehmlichfte Erflärung fegn möchte, — 
kurz, er empfand Drang und Bebürfnig, ein Gefchäft zu verrichten, 
welches Fein Andrer für ihn übernehmen fonnte. Die Furcht, welche 
fein Herz erfüllte, war fo groß, daß er ſich nicht traute, einen Nagel 
breit von ſeinen Herrn zu weichen; afdrerfeits war ihm ber Gebanfe, 
ſich feiner Laft nicht eutledigen zu Fönnen, nicht minder ſchrecklich. 
Um nun zwifchen beiden Uebeln die rechte Mitte zu treffen, lich er 
die eine Hand, womit er ben Hintern Sattelbogen gefaßt hatte, los, 
band mit derfelben den Neftel auf, welcher feine Hofen in die Höhe hielt, 
diefe rollten nun wie zwei Fußfchellen zu feinen Ferſen hinunter. 
Drauf hob er das Hemde auf, fo gut er Eonnte, und firedte den 
ganzen H—rn, der gewiß nicht Hein war, hinaus in bie Luft. Schon 
glaubte er, das Wichtigſte für feinen Zweck gethan zu haben, als 
ihm ein andrer Punkt einfiel, der noch Figlicher abzumachen war. 
Er beſann ſich nämlich, daß es bei feinem vorhabenden Gefchäfte nicht 
ohne Geräufch abgehen werde. Er biß alfo die Zähne zufammen, 
zog bie Schultern ein und hielt ven Athem an fi, fo fehr er konnte; 
aber troß diefer Vorſicht, war er fo unglücklich, ein Getöfe zu erregen, 
das fih merflih von jenem unterſchied, wovor er bisher gezittert " 
hatte. — „Was if das, Sancho?“ fragte Don Duirote, als 
er es hörte. — „Ich weiß-nicht, geftrenger Herr!” antwortete Sanyo; 
„gewiß iſts wieder etwas Neues, denn Abenteuer und Unglüdsfälle 
tommen immer hageldicht.“ 

Er verfuchte zum zweitenmal fein Glück, und diesmals gerieths 
ihm fo gut, daß er ohne fernern Laut und Geräuſch fich feiner ſchweren 
Bürde ganz entänßerte. Da aber Don Quixote eine eben fo dünne 














2 Don Quitott. 


Nafe als leiſes Gehör Hatte, und Saucho fo nahe bei ihm fand, 
fo mußten notwendig einige Dünfte, die in gerader Linie im bie 
Höhe fliegen, auch bei feiner Nafe anlangen. Saum bemerkte er fie, 
fo drüdte er die Nafe feft mit den Fingern zu, und fprad im etwas 





näfelndem Tone: „Sande, deine Furcht muß jegt gewaltig groß 
feyn?* — „Ia wohl,“ verfeßte Sauch o, „aber woran merfts denn 
Euer Gefrengen jegt mehr als zuvor?“ — „Weil du jegt ſtarter 














XX. Kapitel, 223 


riechſt, ald jemals, und zwar nicht nah Ambra,“ fprah Don Dui- 
zote. — „Das ift Teicht möglich," verfeßte Sanch o, „aber ih bin 
nit Sepuld daran, gefrenger Here; ihr feybe felöf, weil Ihr mich fo 
zur Unzeit and an ſolchen abgelegnen Orten herumſchleppt.“ — „Xritt 
brei oder vier Schritte bei Seite, guter Freund, * fprah Don Onirote 
(mit der Nafe noch immer zwifhen den Kingern) „und nimm fünftig 
beine Perfon beffer in Acht, und ben Nefpekt, den du mir ſchuldig biſt, 
denn ich fehe wohl, meine Herablaffung hat gemacht, daß du ihn außer 
Augen ſetzteſt.“ — „Ih wollte wetten, geſtrenger Herr,” verfegte 
Sando, „Ihr denkt, ich Habe was Ungebüprliches vorgenommen? + — 
„Stift, * fagte Don Duirote; „ned ſchlimmer iſts darau zu rühren," 

Dit folgen und andern Gefprägen brachten Ritter und Sqhild⸗ 
lnapp die Nacht zu. Sando aber, welcher merkte, daß mad und 
nach der Morgen anbrah, nahm ganz leife dem Rozinaute bie 
Haffter ab, und band fi die Hofen wierer hinauf, Us NRozi- 
nante ſich frei fühlte, ſchien er barüber-fo froh, daß er, ungeachtet 
ihn fonft der Muth nicht plagte, jept einige krumme Bodsfpränge zu 
machen anfieng; denn Courbetten waren, mit feiner Erlaubniß zu 
fagen, ihm ganz umnbelannt, Don Duirote, da er fah, daß ſich 
Rozinante wieder regen Fonnte, hielt es für ein gutes Zeichen, 
daß er nunmehro bies gefährliche Abentener beftehen loͤnue. 

Indem brad bie Morgenrätpe an, und machte, baf man bie 
Dinge unterfeiden fonnte. Der Nitter fah, daß er ſich unter einigen 
Hohen Raftanienbäumen befand, die ohnedies einen finftern Schatten 
machen. Er merkte, daß das Getös der Schläge noch nicht aufhörte, 
ungeachtet er nicht entbeden Lonnte, woher es fam, Nun war fein 
Aufenthalt mehr. Er gab daher dem Roginante die Sporen, wandte 
fh zu Sancho, nahm nochmals Abſchied, und befahl ihm, wie 
zuvor, ihm hier aufs Tängfte drei Tage zu erwarten. „Konm ich in 
diefer Zeit nicht wieder,” ſprach er, „fo kannſt du fiher glauben, 
daß es Gott in feiner Weisheit gefallen hat, meine Tage in diefem 
ſchredlichen Abenteuer zu enden. Meinem Kräufein Dulcinca wirft 
du treulich von meinetwegen die Botſchaft bringen, die ih dir fon 
aufgetragen habe; und für den Lohn deiner treuen Dienfle trag Feine 
Sorge; ih hab zu Haufe, che ih auszog, mein Teſtament Hinterlaffen, 




















221 Don Quirote. 


worin du zu Erfah teines Lohnes für die Zeit, da du mir gedient 
haft, wohl bedacht biſt. Bringt mid aber Gott aus dieſem gefähr- 
lichen Handel frifh und gefund und ohne Gefaͤhrde wieder zuräd, fo 
launſt du dir anf die verſprochne Inſel fihre Rechnung machen.“ 
Bon Neuem fing Saucho am, über ben traurigen Abſchied 
feines guten Herrn zu weinen, und beſchloß, bei ihm bis auf den 
feßten Atemzug in der Gefahr auszuhalten. Aus biefen Tränen und 
feinem edlem Entſchluſſe folgert unfer Geſchichtſchreiber, daß Sanch o 
som guter Geburt, und wenigſtens ein Aftchrift * geweſen ſeyn müſſe. 
In der That machte auch dies feinen Herrn weichherzig, doch nicht 
fo, daß er einigen Kleinmuth hätte merken laſſen. Er verbarg es 


fo gut er fonnte, und trat nunmehr feine Fahrt nad) der 

e woher ihm das Braufen des Wafferd und das Getöfe 

—— ſchien. Saach o folgte ihm zu Fuße nad, 
und führte, 


gewoͤhnlich, feinen treuen Mitgenoffen aller 
feiner Leiden umd renden her ſich Her. 6 fie 
eine gute Strede unter den Kaſi J— — D Väumen 
fortgewandelt waren, famen fie auf eine Wieſe am Fuße einiger 


bohen Felſen, von melden ein zienlich Märfer Waferfat derat i 


" Sonennt man in Spanien Hrfenigen , welche feine Vobern une Juden unter bren Abnen zählen 














NN. Aapitel 225 


Unten an denfelben Tagen einige eleade Hätten, welde Trümmern von Ge» 
bauden ähnlicher fahen, als Häufern, and aus benfelben kam das Getos der 
Schläge, wie fie bemerkten. Rozinante wurde über das Branfen des 
Baffers und über das Geklapper fihen. Don Duirote aber fireihelte 
und beruhigte ihn, näherte ſich den Häufern immer mehr, und empfagt fih 
von ganzen Herzen feiner Dame, ihm bei diefer gefäßrlichen Tagfabrt und 
graufenden Unternehmung hälflich zu ſeyn. Nebenher empfahl er ſich dem 
Tieben Gott, daß er ihn nicht vergäße. Sand o wid; ihm wicht von der 
Seite, machte den Hals fo lang er fonnte und ſchielte Roginante immer 
durch bie Beine, ob er nicht bafd das Ding zu fehen befäme, das ihn fo lang 
in Furcht und Schreden gehalten hatte, — Sie waren faum um hundert 
Schritte weiter, und um eine Ede herum, als ihnen plöglic die ganze Ur - 
face des Larms, vor dem fie die Nacht über faum zu Athem gelömmen war 
ren, fo Har vor Augen lag, daß fein Zweifel mehr möglich wat, Lieber ke ⸗ 
fer, werde mir nicht böfe, wenn ich bir fage — daß ediveiter nichts war ald 
ſechs Stämpfel einer Walltühley die durch ihr beffändiges Auf» und Nier 
ergehen Dies Getoſe As Don Dnirote das Ding fah, war er 
anf einmal Berfiummt und a vom Scheitel bis zur Jehe. Sanch o 


ſah feinen Herrn an, der den Mopfbefchämt auf die Bruſt finfen ließ. Eben 
fo fah diefer ven Sanyo an, und bemerkte, daß ihm beide Baden vor La - 
chen baufgen, und bafı er im Begriff ſey, bamit herauczuplatzen. So ver 
drießlich er felößt war, Fonnte er ſich doch bei Sanch o's Aublick des Lachens 
nit enthalten, und da Sanyo fah, dafı fein Herr angefangen hatte, brach 
er bergeftalt los, daß er ſich die Zänfte in die Seite ſtemmen mafte, um 




















226 Don Quitote. 


nicht vor Lachen zu berſten. Viermal fegte er ab, holte Athem und 
hub eben fo heftig wieder an als zuvor. Don Duirote verlor 
endlich die Geduld, und fieng an alle Tenfel zu fluchen, zumal da 
Sando hintrat und ihm nachſpottend fagte: „Wiſſe, Freund Saucho, 
daß der Himmel mid geboren werben ließ, in unfrer cifernen Zeit 
das goldne Weltalter wieder zu erwecken. Für mich find Gefahren, 
Grofthaten und erhabne Unternehmungen aufbebalten ;“ und fo wieder 
bolte er faft all die fhönen Rebenearten, die Don Duirote vor- 
gebracht hatte, als fie zuerft das fürdterlihe Getöfe hörten. Ton 
Duirote, da er ſah, daß Saucho Spott mit ihm trieb, ward fo 
grimmig, daß er feine Lanze erhob, und ihm zwei folhe Schläge 
damit über die Schultern verfegte, daß, wenn fie Saucho über den 
Kopf empfangen hätte, er ihm feinen Yohn mehr würde zu bezahlen 
gehabt haben, wenn ihn feine Erben micht gefordert hätten. Als 
Sando merkte, daß fein Scherz fo übel abfief, begann er zu fürchten, 
fein Herr möchte nod weiter geben, daher fagte cr ganz demüthig zu 





ihm: „Gebt Euch doch zufrieden, geftrenger Herr, ich babe ja nur 
geſpaßt.“ — „Eben weil du fpaßeft, fpaß ich nicht,“ fagte Don 
Duirote. „Komm doch ber, du Muger Menſch! Wären diefe Walk- 
ſtämpfel ein wirklich gefährliches Abentewer gewefen, zeigte ich nicht 
Muth genug, es zu unternehmen und zu beftehen? Bin ich denn ale 
Ritter verbunden, jeden Schall zu fennen, und von ferne zu wiffen, 
was Walkmühlen find, oder nicht; zumal da ich vielleicht in meinem 











NN. Kapitel, — 67 


Leben feine gefehen habe, und du, als ein Bauerflegel, ver du darin 
erzogen und geboren bift, fie beffer fennen mußt? Aber verwandle 
mir einmal diefe ſechs Waftftämpfel glei in ſechs Niefen, und bringe 
mir fie ber, einen mach dem andern, ober alle zufammen, und wenn 
ich fie nit alle zu Gottes Boden werfe, daß fie die Beine in die 
Höhe reden, dann lache über mid, fo viel du willſt.“ 

Laßt es gut fen, gefirenger Herr,“ verfegte Sauch oz „ih 
befenne Euchs ja, daß ih wie ein Narr gelachtihabe. Aber fagt 
mir bob, ba wir mm wieder eins find, — beum Gott gebe, daft 
Ihr aus allen Abentenern fo friſch and gefund davon fommt, als 
and diefem, — mußte man mit drüber lachen? Und gäbs nicht ein 
feines Marchen, wenn mane Jemanden erzählte, wie wir ung, 
teten, oder wenigſtens ich? Denn was Euch betrifft, gi 
fo weiß ih wohl, daß Ihr werer Furcht noch Schreien 

„I will zwar nit in Abrede feon, taß der Streich, der uns 
begegnete, lächerfih wars aber zum Eryähfen taugt er niht, denn 
nicht alle Leute find gi genug, die Sache beim rechten Fleck zu 
nehmen.“ — „Ihr freilich, gefirenger Herr, wußtet ben rechten Flech zu 
treffen,” verjepte Sande. „Denn am Euch lags nicht, daß Ihr 
mir micht den Kopf mit Eurer Lanze fo gut als die Schuftern trafet. 
Aber Gott ſey Dank, daß ih mich noch fo geſchickt drehte, Doch 
in der Waſche gebt alles raus, und ich habs mein Lebtage gehört, 
wen der Herr lieb Sat, ben züchtiget er. Und überdies, große Herren 
ſchenten ja immer ihrem Diener ein paar Strümpfe, wenn fie ihn 
auogeſcholten haben, Was werden fie ihm nicht geben, wenn er gar 
Prügel befommen hat? Bielfeiht ſchenlen fahrende Ritter, nah 
ansgetheiften Schlägen, etwa gar Juſeln oder Königreihe anf fetem 
Lande. * 

„Es könnte fih leiht fügen, daß alles das einträfe, was dur 
bier fagft," fprah Don Duirote, „verzeih mir das Geſchehue, 
denn ba meißt wohl, daß man im ber erfien Hige nicht Herr über 
ſich iſt. Aber merke dir es von nun am zur Lehre, daß du inslünf- 
tige nicht wieder. fo ungefchliffen mit mir fprihft. Denn in allen 
Nitterbächern, die ich je gelefen habe, und deren Zahl groß ift, hab 
ih mie gefunden, daß ein Schilofnapp fo mit feinem Herrn geredet 

















2283 Don Buirote. 


hätte, wie du mit dem Deinigen. Wahr iſts, daß ich fo viel dran 
Schuld bin als du; du, weil du mic nicht in fonderfihen Ehren Hältft 
und ich, weil ich mich bei dir nicht genug in Anfehn fegte. Gandalin, 
des Amadis von Gallien Schildknapp, war Graf der feften 
Inſel, und doch Tiest man von ihm, daß er immer mit feinem Herrn, 
mit der Mütze in ver Hand, mit gebeugtem Kopf und Leibe, wie ein 
ZTürfe, gefprochen habe. Ja, was noch mehr if, Gafabal, Don 
Galaors Schildfnapp, war fo beſcheiden und fill, daß zum Zeichen 
feines bewunderuswürbigen Schweigens, in biefer ganzen großen und 
wahren Geſchichte fein Name nur ein einzigesmal genannt wird. Aus 
allem dem, was ich da gefagt habe, kannſt du ſchließen, Sando, 
daß ein Unterſchied zwifchen Herrn und Diener, Junker und Knecht, 
Nitter und Schilöfnappen fey, und daß wir ung von num an mit 
mehr Reſpelt begegnen, und einander nicht mehr fchrauben müffen; 
denn wenn ich mich noch einmal fo über di erzürnen follte, möchte 
ich vielfeiht dem Faffe den Soden gar ausſtoßen. Die Gejchenfe 
und Belopnungen, die ih dir verſprach, werben zu ihrer Zeit ſchon 
kommen, und fommen fie nit, fo bleibt dir doch wenigftens, wie 
gefagt, dein Lohn gewiß.“ 

„Das ift ja alles recht und gut, was Euer Geftrengen da fagt,” 
ſprach Sancho; „aber ih möchte doch wiffen, wenn num irgend der 
Teufel fein Spiel mit den Belohnungen und Geſchenken hätte, und 
man fih an den bfofen Lohn halten müßte, möcht ich doch wohl 
wiffen, fag id, wie viel damals die Nitter ihren Schildknappen Lohn 
gaben” und ob man fie auf Monate oder Tage miethete, wie bei 
ung Tagföhner und Handlanger?” 

„Ih glaube nicht,“ fprah Don Quixote, „daß die Schild- 
fnappen je um gewiffen Lohn gebient Haben, fondern blog auf Gnade 
ibrer Herrn; und wenn ich dir in meinem Teſtamente, das verfiegelt 
zu Haufe Tiegt, einen gewiffen Lohn beftimmt habe, fo geſchah es 
darum, weil ich micht gewiß weiß, wie fi in unfern brangfafigen 
Zeiten die Nitterfchaft haften wird, und weil ich nicht will, taf meine 
Seele für eine folhe Kleinigkeit in der Ewigfeit Pein leide. Denn 
das muß ih dir fagen, Saucho, daß in dieſer Welt fein gefähr- 
Ticherer Stand ald der Stand der Abenteurer iſt.“ 














m 





XX. Kapitel, 229 


Das it wohl wahr,” fprah Sanch oz „weil fhon das Getös 
von Walkſtämpfeln das Herz eines fo tapfern Abentenrers, als Euer 
Gefrengen if, in Unrub fegen, und aufbringen kann. Aber feyb 
verſichert, daß id von num am nicht wieder mein Maul aufthun will, 
über Sachen von Euer Geftrengen za ſpaßen; fondern nur Eu immer 
als meinen Herrn und Meifter zu ehren. * 

„Und ſo wird dirs wohlgehen, und du wirft lange leben auf Erden,” 
verfeßte Don Duirote; „denn nähft Vater und Mutter muf man 
die Herrſchaft wie feine leiblichen Eltern in Ehren halten. * 





























@inundz;3wanzigites Rapitel. 


Sanvelt von einem alorreichen Abenteuer und ver berrlicen Groberung det Mambrin: Helms 
Antammt andern Dingen, tie unferm unüberwinblichen Kitter begegneten. 


% fieng indeffen an zu regnen, und Sand 
wollte gern iu der Walkmühle einfehren. Don 
Duirote aber hatte durch den vorgefallnen 
Spaß einen ſolchen Abſcheu davor befommen, 
daß er ſchlechterdings nicht hinein wollte. Sie 
ſchlugen ſich alfo rechter Hand und famen auf 
’ einen andern Weg, als fie Tags zuvor ge» 
macht hatten. Sie waren noch nicht weit, fo 
Yan entvedte Don Duirote einen Reiter mit 
eınem Ding auf dem RKopfe, das wie Gold glänzte. Kaum hatte 
er ihn erblidt, fo wandte er fih zu Sancho, und fprah: „Ih 
glaube, Sancho, es Tügt fein einziges Sprüchwort in der Welt, 
denn e6 find fauter aus der Erfahrung, der Mutter aller Wiſſenſchaften, 
fliegende Säge. Für eins der wahrften aber halte ich dies, wo eine 
Thüre ſich ſchließt, da geht die andre auf. Dies fag ich deßwegen, 
weil, wenn Glück die Thüre, die wir fuchten, dieſe Nacht verſchloß 
und ung mit Walfmühlen betrog, es und jegt dafür eine andre zu 
einem größern und gewiffern Abenteuer öffnet, Wenn ich nicht zu 

















XXI Sapitel 231 | 


diefer eingeben mollte, fo wär es meine eigne Schul. Hier gilt 
weder Untenntniß der Walfmühlen, noch Rinfternifi der Nacht als 
Vorwand. Siche hin, Saucho, warum ih dire fage. Denn ih 
mäfite mich gewaltig irren, oder dort Fommt Einer, der Mambrins 
Helm trägt, über den ich, wie du weißt, den großen Eid gethan habe, * 


„Seht wohl zu, geftrenger Herr, was Zhr da ſagt, und mod) 
mehr, was Ihr thun wollt,” ſprach Sauch o. „Denn ih melite 
nicht, daß es wieder Wallſtampfel wären, die ung unfer Bishen Ber 
fand vollends zermalften und zerftampften. * — „Hol dich der Teufel, 
Dummtopf! fiel ihm Don Duirote in die Rede; „was für Achn= 
lichteit bat jener Helm dort mit Walkfiämpfen?" — „Was weiß 
ihsR“ verfegte Sanho; „aber dürft id nur reden wie fonft, ich 
wollts Euer Geftrengen fon beweifen, daß Ihr Euch im dem betrügt, 
was Ihr da ſagt.“ — „Was ifi da ſich zu beträgen, unglaubiger 
Schurke,“ fuhr ihn Don Quixote an. „Sag mir, fichft du denn 
nicht jenen Ritter auf dem Apfelfchimmel mit einem goldnen Helme 
auf dem Kopfe auf uns zufommen?* — „Alles, was ich fehen und 
in der Ferne erfennen kann,“ ſprach Sande, „if ein Mann auf 
einen grauen Eſel, wie meiner, er bat anf dem Hopf ein Ding, 
































233 Don @uirote. 


das glänzt." — „Nun das if eben Mambrins Helm,“ fagte Don 
Duirote; „mach di ein wenig auf die Geite, und laß mich mit 
ihm allein, du ſollſt fehen, wie ich, ohne viel Zeit und Worte zu 
verlieren, dies Abenteuer abthun und den längſtgewünſchten Helm 
in meiner Gewalt haben will.“ — „Auf bie Geite gehen? das laß 
ih mir ſchon gefallen,” ſprach Sancho. „Wollte Gott, daß es 
was Gutes if und nicht wieder Walkflämpfel.” — „Guter Freund, 
ich hab dirs ſchon gefagt, du folft mir nie mehr von ben Walkſtämpfeln 
ſchwatzen, nit einmal dran benfen,“ verfegte Don Duirote, 
„ober ich ſchwöre dirs, ih will dir Leib und Seele zuſammenwalken.“ 
Sando ſchwieg, damit fein Herr nicht Luft befommen möchte, ben 
Schwur zu erfüllen, den er ihm fo rund in ben Bart geworfen hatte. 
Die Sache mit dem Helme, dem Pferde und Ritter, welche Don Oui- 
zote fah, verhielt fich folgendergeſtalt. Es Tagen in biefer Gegend 
zwei Dörfer, wovon eins fo Hein war, daß es weder Apothefe noch 





Barbier Halten Fonnte, das andre benachbarte aber hatte beides. Der 
Barbier des größern Dorfes beforgte alfo das Heine auch mit. 
Nun wollte eben ein Kranker daſelbſt ſich die Ader fehlagen Iaffen, und ein 
Andrer feines Bartes 108 ſeyn. Deßwegen hatte der Barbier, ber eben 
dahin wollte, ein meffingnes Barbierbecken beifih. Es fieng an zu reg- 
nen, da er unterwegs war, und weil er feinen, vielleicht neuen Hut n'cht 
verderben wollte, fo hatte er das Bartbecken anf den Kopf geftürzt, 








—“ 








XXI. LSapitel. 233 


welches fein gefeheuert war, und baher wohl ein halbes Stündchen 
weit glängte. Er ritt auf einem grauen Efel, wie Sancho gefagt 
hatte, und dies war Urſache, daß ihn Don Duirote für einen 
Ritter auf einem Apfelſchimmel mit goldnem Helme hielt. Denn er 
ſah mit der größten Leichtigkeit alle Dinge nur nach Form und Ge- 
Halt feiner Ritterbücher und bunten Einfälle. 

Als nun biefer arme Ritter etwas näher Fam, legte Don Qui— 
xote bie Lanze ein, und rannte, ohne ſich mit ihm in Wortwechfel 
einzulaffen, in vollſtem Galopp des Rozinante auf ihn los, mit 
dem ernfien Vorſatz, ihn durch und burd zu rennen. Er war nicht 
mehr weit von ihm, fo fehrie er ihm, noch immer galloppirenb, zu: 
mBertheibige dich, nichtswürdiges Geſchöpf, ober Tiefre mir gutwillig 
das aus, was mir mit fo vielem Rechte gebührt.“ Der Barbier, der 
fo unvermuthet dies Gefpenft auf fih herfommen ſah, fanb Hein 
andres Mittel, fi) vor dem Lanzenſtoße zu retten, als rüdwärts vom 
Eſel zu fallen. Kaum war er herab, fo fprang er leichter als eine 
Gemfe wieder auf, und floh fo ſchnell über das Feld, daß ihn fein 


Wind eingeholt Hätte. Sein Bartbeden Tie er im Stiche, worüber 
Don Dnirotefehr zufrieden war. „Der Heide iſt geſcheidt,“ ſprach 
er, mer hats gemacht wie der Biber, der, wenn er ſich von den 











Den Oninete. 1. Er) 





234 Don Auizxote, 


Jägern verfolgt fieht, dasjenige ſelbſt abbeißt, weßwegen fie ihm 
nachſtellen. Hier, hebe mir dieſen Helm auf, Freund Saucho.“ 

„Mein Seel!“ fagte Sancho, als er es in bie Hanb nahm, 
„das if ein treffliches Bartbeden, und einen Gulden unter Brübern 
werth.“ Er gabs feinem Heren, ber ed fogfeich auf den Kopf fehte, 
es immer herumbrehte, das Bifir ſuchte, und Feines fand. „Hml“ 
ſprach er, „ber Heive, für ben dieſer berühmte Helm gefchmievet 
wurde, muß einen ſchrecklich großen Ropf gehabt haben! Das Schlimmfte 
iſt, es fehlt die andre Hälfte.“ Als Sancho das Bartbecken einen 
Helm nennen hörte, konnte er das Lachen nicht Iaflen, aber ber Zorn 
feines Herrn fiel ihm wieder ein, und mitten im Losbrechen hielt er 
inne. „Was lachſt du, Sancho,“ fragte fein Herr. — „Ich lache 
über den großen Kopf des Heiden, der ben Helm zuerft hatte, welder 
einem Bartbeifen fo ähnlich fieht, wie ein Tropfen Waffer dem andern,“ 

„Weißt da, was ich denle, Sancho?“ fuhr der Ritter fort. 
„Ich glaube, dieſer koſtbare und berühmte Zauberhelm iſt vielleicht 
durch einen ſeltſamen Zufall Einem in bie Hände gerathen, ber ihn 
weber fannte, noch feinen Werth zu fehägen wußte, und da er fah, 
daß er vom feinften Gold war, bie eine Hälfte davon einfchmelzte, 
ohne zu wiffen, was er that, und von ber andern bies Ding machte, 
das, wie bu fprihft, einem Bartbecken fo gleich ficht. Aber dem fey 
wie ihm wolle, ich kenne feinen Werth, und made mir aus biefer 
Berwanblung nichts. In dem erften Orte, wo ich eine Schmiede finde, 
will ich ihn ſchon fo zurecht machen Taffen, daß ihm feldft ver Helm, 
den Bulfan für den Gott ber Schlachten ſchmiedete, nicht von ferne 
gleichen fol. Indeſſen will ich ihn führen, fo gut ich fann. Denn, 
beffer Etwas als Nichts, und um fo viel mehr, ba er mir doch wenig- 
ſtens dient, mich gegen einen Gteinregen zu bedecken.“ 

„Das mag wohl ſeyn,“ fagte Sancho, „wenn es nur Feine 
Schleuderfteine find, wie die, welde letzt in der Schlacht zwifchen 
den beiden Kriegsheeren geflogen kamen, bie Euer Geftrengen vie Zähne 
in den Hals fhlugen, und bie Flaſche in der Hand zertrümmerten, 
worin jenes gebenebeite Geföff war, bavon ich beinah meine Cinge- 
weide aus bem Leib gefpieen Habe.“ — „Ich gräme mich nicht fehr 
über biefen Verluſt,“ fagte Don Onixote, „denn bn weißt ja, 











XXI. Kapitel, 235 


Sando, daß ich das Rezept davon im Kopfe habe.“ — „Ich habs 
auch,“ verfeßte Sanyo, „aber wenn ich in meinem Leben wieber 
einen Tropfen davon nehme, oder ihn made, ſo ſoll dies mein letztes 
Stündlein ſeyn; um ſo viel mehr, da ich mich nie einer Gelegenheit 
auszuſetzen gedenke, wo ih ihn nöthig hätte. Denn ich will mich ſchon 
mit alfen meinen fünf Sinnen in Acht nehmen, weder verwundet zu 
werben, noch Jemanden felbft zu verwunden. Noch einmal geprellt 
zu werben, davon fag ih nichts; denn fo ein Unglüd kann man 
nicht verhindern, und kommt es, fo fann man weiter nichts thurt, 
als die Schultern einziehn, ven Athem an fi halten, die Augen zu- 
drücken und es gehen laſſen, wohin das Schickſal und die Prelle will.“ 

„Du bift ein böfer Chriſt, Sancho,“ fprah Don Duisote, 
da er das hörte, „denn bu kannſt erlittnes Unrecht nie vergeffen. 
Wiſſe, daß edle und großmüthige Herzen aus ſolchen Kindereien Nichts 
machen. Welches Bein Haft du gebrodgen? welche Rippe iſt dir ent- 
zwei? und wie viel Löcher haſt du im Kopfe, daß du biefe Kleinigkeit 
nicht vergeffen Taunft, bie, wenns um und um kommt, doch nicht 
mehr als eine Kurzweil war? Denn näpm ih fie nicht felbft dafür, 
ih wäre Tängft wieder umgelehrt, und hätte, dich zu rächen, mehr 
Schaden angerichtet, als die Griechen wegen der geraubten Helena; 
melde, wenn fie zu unfern Zeiten gelebt hätte, ober meine Dul- 
ceinea zu ber ihrigen, mit nichten wegen ihrer Schönheit fo berühmt 
fegn würde.” Und hier ſchickte er einen ſchweren Geufzer empor zu 
ben Wolfen, 

„Immwerhin,“ ſprach Sancho, „mags eine Kurzweil gewefen 
fegn, weil mans doch nicht rächen kann. Aber ich weiß am beften, 
wie ernftlich gemeint ber Spaß war, und weiß auch, daß ich es eben 
fo gut im Gedachtniß als auf den Schultern behalten werde. Aber 
Iaffen wir das. Jetzt fagt mir, geftrenger Herr, was wir mit dem 
Apfelfcpimmel machen, der auf und ab wie ein Efel ausfieht? Wie 
Ihr feht, fo Hat der Kerl, ven Ihr abgeſetzt habt, ihn ung hinter⸗ 
laſſen, und fo wie er davon Tief, glaub ich fhwerlih, daß er wieder 
tommen wird, ihn zu holen? Und, bei meinem Barte, das Grauchen 
iſt nicht übel!“ — „Ih bin nie gewohnt, die Ueberwunbnen zu 
plänbern,“ verfepte Don Duizote „Es if aud nicht Ritters 




















236 Don ©uirste. 


Brauch, ihnen die Pferde zu nehmen und fie zu Fuß davon laufen 
zu Taflen; der Sieger müßte denn im Kampfe fein eigen Pferd ein- 
gebüßt haben; denn in folhem Fall ift es ihm erlaubt, bes Ueber⸗ 
wunbnen Gaul als eine rechtmäßige Beute zu nehmen. Laß alfo 
nur dies Pferd, oder dieſen Efel, oder wofür du es font Hältfl, 
Sando. Denn wenn fein Befiger fieht, daß wir fort find, wird 
er fchon kommen und es holen.” — „Gott weiß, wie gern ich ihn 
mitnähme,“ fprah Sancho, „oder wie gern ich ihn wenigflens mit 
meinem vertaufihte, der mir nicht halb fo gut ſcheint. Meiner Treu, 
die Nittergefege find doch fehr fireng, daß fie einem nicht einmal 
erlauben, einen Efel mit dem andern zu vertaufchen! Aber darf ich 
denn nicht wenigftens Sattel und Zeug umfegen.” — „Ih weiß es 
nicht gewiß,” antwortete Don Quixote. „Indeß, fo lange bis 
ich mich genauer unterrichtet Habe, glaube ich, “ar kannſt es thun, 
wenn du es änferft vonnöthen haft.“ — „Und wenn ichs für meinen 
eignen Leib braudte, könnt ichs nicht nöthiger haben,“ verſetzte 
Sand. 

Raum war es ihm erlaubt worben, fo nahm er ben Rappen 
wechfel ! vor, und pußte feinen Efel mit jenem Zeuge fo heraus, 
daß er breimal beffer ausfah, als zuvor. Dies gethan, frühftüdten 
fie die noch übrigen Broden von ber Beute des Küchenefels, und 
tranfen dazu aus dem Bache der Walfmühle, doch ohne ſich ein 
einzigesmal nach ihr umzufehen, fo viel Abfchen hatten fie davor, 
wegen ber Furcht, die fie ihnen cingejagt hatte Da nun Zorn 
und Mißmuth bei dem Nitter gänzlih vorüber war, fliegen fie 
wieber auf und zogen fort, ofne einen beftimmten Weg zu wählen. 
Denn es war fahrenter Ritter Brauch, feinen gewiffen zu nehmen. 
Rozinante war Wegweifer; was der wollte, wollte fein Her, 
und auch Sanchos Efel, der ihm, wohin er ihn führte, in treuer 
Lieb und Freundſchaft folgte. Mit dem allen famen fie doch auf 
die Landſtraße, und zogen ihr auf gut Glück ohne beftimmte Ab» 
ſicht nach. 


* Mutauo caparum, eine Sroileret auf tie Geipluchteun tie m Spanien wabtend ver haben 
äeite vie gwößnlicen Meigerwänter mit purpurfarhnen vertanicht. 

















Kapitel, 


Indem fie fo dahin ritten, ſprach Sancho zu Don Duirote: 
mGeftrenger Herr, ich wollt mir wohl Erlaubniß ausgebeten haben, 
ein Bishen mit Euch zu koſen; denn feit Ihr mir den firengen 
Befehl gegeben habt, das Maul zu halten, find mir fon mehr als 
vier Sachen im Magen verfault; bie aber, fo ich jegt auf der Zunge 
habe, kann ich nicht hinunterſchlucken, und möchte doch auch nicht, 
daß es ſchlimm für mich abliefe.” — „So fag fie heraus,“ ſprach 
Don Duirste, „nur ſey kurz in deinem Vorbringen; denn 
Tanges Gemäfche gefält nie.” — „Ih wollt Euch nur das fagen, 
geftwenger Herr,” verfeßte Sancho, „ich Habs fo bie Tage her bei 
mir überlegt, wie wenig wir bavon haben, daß wir fo in ben Wüfte- 
neien und auf den Kreuzwegen nach Abenteuern umherziehen. Trifft 
man au das größte und gefährlichfte, und überwindet es, fo hörte 
und fiehts niemand; es Fräht weiter fein Hahn darnach, und alles 
bleibt zu Euer Geftrengen Nachtheil in ewiger Bergeffenheit begraben. 
Nun dacht ich, wärs beſſer (doch ohne Ener Geſtrengen vorzufihreiben ), 
wenn wir bei einem Raifer, oder irgend andern großen Herrn, ber 
eben Krieg hat, in Dienfte giengen, wo Euer Geftrengen Ihre Tapfer- 
teit, Ihre große Stärke und noch größern Verfland zeigen könnte. 
Denn wenn bag der Herr, dem wir bienten, einfähe, müßte er ung doch 
nothwendig, und zwar jeben nach Verbieuft und Würden, belohnen; und, 
meiner Treu! da wirds auch nicht af Leuten fehlen, die Euer Ge- 
firengen Hohe Thaten zu ewigem Andenken aufſchrieben. Bon meinen 
fag ih nichts; denn bie werben fi doch nicht weit über bie Schild⸗ 
Enappfihaft erheben, wiewohl, wenns bei der Ritterſchaft Brauch wäre, 
die Thaten der Schildknappen zu befchreiben, meine auch nicht im 
Tintenfaß bleiben würden, fo viel weiß ih.” 

„Du fprichft nicht übel, Sancho,“ verfeßte Don Quixote, 
maber eh es dahin kommt, muß man erft die Welt durchziehn, und 
zur Probe Abenteuer auffuchen; denn hat man einige glücklich beftanden, 
fo erfangt man einen folhen Ruhm und Namen, daß man fihon als 
ein durch feine Thaten berühmter Ritter an den Hof eines großen 
Monarchen kommen kann, und daß, wenn man faum zu den Stadtthoren 
hinein if, die Jungen auf den Straßen Einen fihon kennen, um- 
ringen, nachlaufen und ſchreien: Das ift der Sonnenritter, der 











238 Don Ouirste. 


Ritter von ber Schlange, oder ter von irgend einem Schildzeichen, 
unter welchem er fo große Thaten gethan hat! Das iſt ter, ber den 
großen allmächtigen Riefen Brocabruno im Zweilampfe überwunden 
hat! Das ift ber, ber ben großen Mameluden von Perfien, welder 
au die neunhundert Jahre verwünfct und verzaubert war, erlöst hat! 


Der Ruf feiner großen Thaten geht von Mund zu Mund; ver Lärm 
der Buben und des Volls macht ven König aufmerffam, er tritt an 
ein Fenſter feiner Föniglihen Burg, erblidt den Nitter, erkennt ihn 
fogleid an feinen Waffen, oder am Sinnbilte feines Schildes, und 
befiehlt alsbald allen Nittern, tie an feinem Hofe find: Auf! und 
empfangt mir biefe Blume ver Nitterfhaft, die hier Fommt! Auf 
dies Wort ziehn fie Alle aus, ihm entgegen, und ber König fommt 
ſelbſt, bis zur Mitte ter Burgtreppe, empfängt den Ritter, grüßt 
ihn, umarmt ihn herzlich, küßt ihm auf die Stirne, und führt ihn 
an ber Hand ins Gemac der Frau Königin. Da findet fie der Ritter 
mit ihrer Infantin Tochter, welche eine der ſchönſten und vollfommenften 














NN. Kapitel, 


Damen in ber bieher entbediten Welt if. Cie wirft fogleich ihre 
Augen auf dem Nitter, und ver Mitter die feinigen auf fie, und 
jedes ſcheint bem andern mehr ein Göttermejen ale ein Menfh zu 
ſeyn. Beide werben, ohne zu wiffen wie? in dem unentwirrbaren 
Neg der Liebe gefangen. Nun feiven fie Beide große Pein, weil fie 
nicht wiffen, wie fie einander ihr Herzeleiv und ihre Schmerzen ent» 
deden follen, 

„Bon ba führt man ben Nitter in eim fhönes und reichgeſchmücktes 
Gemad der Föniglichen Burg, nimmt ihm die Waffen ab, und bringt 








210 Don Quirote. 


ihm einen Föftfichen Mantel von Scharlah, den er anlegt; und war 
er erft fhön in ber Rüſtung, fo muß ers noch mehr im Feierkleide 
ſeyn. Zu Nacht fpeist er mit dem Könige, ver Königin und ber 
Jufantin, von welder Ießtern er Fein Auge verwendet, und fie immer 
unvermerkt Tieblich anblidt. Ein Gleiches thut fie, jebod mit eben 
der Vorfiht, weil fie, wie gefagt, eine fehr Huge Jungfrau if. Nach 
aufgehobner Tafel tritt in den Saal ein Heiner ungeflalter Zwerg, 
hinter ihm eine fhöne Dame zwiſchen zwei Rieſen. Dies if ein 


zansen m 


gewiſſes Abenteuer, welches einer ber älteften Weiſen angelegt hat, 
mit dem Beding, daß, wer es beftehe, für den beflen Nitter in 
der Welt gehalten werben fol. Der König befiehlt ſogleich, daß 
Alle, die gegenwärtig find, fi daran machen. Kein Einziger aber 
Tann es zu Stande bringen als ber fremde Ritter, zum Beften feines 











XXL Kapitel 241 


Kuhms und großen Ramens. Die Infantin iſt außerordentlich ver 
gnügt darüber, und ſchätt ſich glücklich, ihr Herz und Augen auf ſolch 
ein Mufter der Volllommenheit gerichtet zu haben. 

„Zun Gfüd hat diefer König, Fürft oder wers fonft ift, einen 
gar gefährlichen Krieg mit einem chen fo mächtigen Nachbar als 
er. Der Gaftritter bittet ihm, nachdem er einige Tage am feinem 
Hofe gewefen ift, um Erlaubnif, ihm in diefem Kriege dienen zu 
dürfen, Der König gicht fie ihm Herzlich gern, und der Mitter fügt 
ihm gar Höflich die Hand für die empfangne Gnade. Dieſelbe Nacht 
nimmt er Abſchied von feiner Gebieterin, der Infantin, durch das 
eiferne Gitter eines Penfters an ihrem Schlafzimmer, das im ten 
Garten geht, an welgen er [hen oft dur Hilfe und Vermistfung 
eines vertrauten Rammerfränfeins, die um die ganze Sache weiß, 
mit ihr gefprogen und fie gefofet Hat, Er ſeufzt, fie fällt in Ofn« 
macht, das Kammerfräulein bringt friſches Waffer, amd iſt in tanfend 
Aengfien, weil der Morgen anbriht, und fie bei einer 
ſeht für die Ehre ihrer Prinzeffin beſorgt if. Endlich erholt fih die 
Infantin wieder, und reiht dem Ritter · ihre weißen Hände durchs 
Gitter, der fie dann tauſendmal füft und in feinen Tränen babet, 





Den Ovitnte 1 








212 Don &uirote, 


Daranf bereben fie mit einander, wie fie ihr Wohl und Weh fi zu 
wiffen thun wollen, und die Prinzeffin bittet ihn, er folle ſich fo 
kurz als möglich verweilen. Der Ritter gelobt es ihr mit vielen Eiden, 
füßt ihr nochmals die Hände und ſcheidet fo ſchwer von ihr, daß 
es ihm beinahe bas Leben Foftet. Er geht von ba im fein Gemach, 
wirft fih aufs Bett, und kann vor Schmerz feines Scheidens fein 
Auge zutun. 

Morgens hernach fteht er fehr früh auf, und geht Hin, dem König, 
der Königin und der Infantin Lebewohl zu fagen. Nachdem er fi von 
Beiden erft beurlaubt Hat, fagt man ihm, die Infantin fey nicht 
wohl auf, und könne ihm feine Audienz geben. Der Nitter merkt 
gleich, daß es vom Kummer über fein Scheiven herrühre; bies geht 
ihm durchs Herz, und es fehlt wenig, daß er ſich nicht öffentlich 
verräth. Das vertraute Rammerfränfein ift zugegen, bemerkt Alles, 
und fagt e8 ihrer Prinzeffin wieder, welche fie mit Tränen empfängt, 
und ihr entvedt, ihr größtes Leiden fey, daß fie nicht wiffe, ob ihr 
Nitter von Föniglihem Stamme ſey oder nicht. Das Kammerfräulein 
verfihert e8 ihr aber, weil man unmöglich ſolche Höflichkeit, Tugend 
und Muth, als womit ihr Nitter begabt fey, bei Einem finden könne, 
der nicht aus föniglihem Haufe ſey. Dies tröftet die Betrübte; fie 
fucht fi aufzumuntern, bamit fie dem Könige und der Königin feinen 
üblen Verdacht von fi gebe, und geht nach zwei Tagen wieder 
öffentlich aus." 

„Der Nitter iſt ſchon auf und davon, ftreitet und friegt, über» 
windet den Feind des Königs, gewinnt viele Stäbte, fiegt in vielen 


Schlachten, fommt an ben Hof zurüd, und fieht feine Gebieterin 
an dem gewöhnlichen Orte wieder. Sie reden miteinander ab, daß 














XXI Saopitel, 243 


er fie von ihrem Vater für feine gefeifteten Dienfte zu feinem Eher 
gemahl begehren ſolle. Der König will fie ihm nicht geben, weil 
er nicht weiß, wer er iſtz bemungeachtet wird durch eine Ent- 
führung, oder wie es fonft zugehen mag, bie Infantin feine Fran, 
und der König, ihr Herr Vater, fhägt ſich endlich drob fehr glücklich, 
weil er erfährt, daß biefer Nitter eines gar mädtigen Königs Sohn 
ſey, der über ein Reich herrſcht, das, ich glaube, gar nicht einmal 
auf der Landkarte ſteht. Der Vater flirbt, die Jufantin erbt das 
Reich, kurz uud gut, der Ritter wird König. Nun ift bie Zeit ger 
fommer, feinen Schilöfnappen und Alle, die ihm zu feiner Erhöhung 
geholfen Haben, nah Würden zu belohnen. Seinen Schildknappen 
verheirathet er wit einer Hofbame der Jufantin, welches unſtreitig 
die Vertraute feines Liebespandels und bie Tochter eins mägtigen 
Herzogs it.“ J 

„Ia, fo wär mind eben recht,“ ſprach Sandoz „und ic verlaß 
mid, drauf, daß alles dies buchttatlich Ener fo begegnen 
wird, als ben, der da heiftt, Ritter von der traurigen Geſtalt.“ — 
„Zweifle nit dran, Freund Sande,“ fagte Don Duirote, 
denn auf eben biefe Art, und durch eben dieſe Stufen ſchwingen 
und haben ſich bereits fahrende Nitter zu Kaifern und Königen empor" 
geſchwungen. Zegt fehlt weiter nichts, ald daß wir einen chriſtlichen 
ober heidniſchen König eutdeden, der cine fhöne Toter bat, und 
zugleich Krieg führt. Mber wir haben noch Zeit geuug, darauf zu 
denen. Denn, tie gefagt, ich muff mir erft einen Namen duch 
andre Sachen machen, eh ih am den Hof gehe: Jadeß fehlt mir 
noch an etwas; bemm gefept, es findet fih ein König mit Krieg und einer 
fhönen Tochter, und ich Habe mir au einen unglaubfihen Namen 
in der ganzen Welt erwerben: wie mac iche, daß ih von einem 
Könige abflanme? oder wenigfens Audergeſchwiſterlind mit einen 
Kaifer bin? Denn, freilich wird mir der König feine Prinzeffin Tochter 
nicht zur Frau geben wollen, wenn er nicht über biefen Punlt Ge⸗ 
wißheit hat z ungeachtet es eigentlich meine berühmten Thaten wären, 
die fie verdienten, Es iſt Teicht möglich, dafı ich durch biefe Kleiigleit 
verliere, was ih durch meinen Arm wohl verbient hatte, Wahr 
iſto, ich bin ein Edelmann von altem wohlsefanntem Haufe, Habe 














XXL, Kapitel, 215 


olaub ih doch, daß fein Herr fie ihm ſogleich rechtmäßig zur 
Brau geben kaun.“ — „Wer wollte fie dir nehmen Können?" fprach 
Don Duirote, — „Nun, wenns das iſt,“ verfegte Sande, 
„wollen wir und nur dem lieben Gotte empfehlen, und dem Glück 
feinen Lauf Taffen; es wird ſchon gut werben." — „Gott geh 1% 
fpra$ Don Duirote, „wie ichs wünfge, und du es vom nöthen 
haft, Sauch o. Und ein Schurke bleibe, wer ein Schurke fegn will." — 
„da, bei Gott, ſey's ſo!“ ſprach Sandoz „ih für meinen Theil 
bin ein alter Eprift, und das iſt genug, um Graf zu werben,” — 
„Und noch überfläffig für bi,” fiel Don Quixote ehr. „Würbeft 
du's auch nicht, was thäte das zur Sadhe? Denn wenn ich König 
bin, kann ih die den Adel fchenfen, ohne bafı du ihm zu kaufen ober 
zu verdienen brauchſt. Und mad ich dig zum Grafen, fo bift tu 
and Nitter, und fie ſollen dich bei meiner Ehre Ener Geſtrengen 
nennen, fie mögen fagen uns fie wollen, # — „El, warum bas nicht? 
was gifts, daß ichs verftehen werde, mich in Liffelt zu fegen?”" ſprach 
Sara — „Mefpelt mußt da fagen und nicht Affelt,“ fagte Don 
Duirote. — „Das iſt all Eins," verfegte Sancho, „ih fage 
nur, ih wollte mir ſchon ein Anfehen geben; meiner Seel! IH war 
einmal Gemeinderathobote, und der Botenrock fand mir fo gut, daß 
Alte fagten, ich hätte ganz das Anfehen drin, daß ih den Schutzen 
fpielen fönnte. Aber was wirds nicht dann fegn, wenn ih erſt einen 
Fürftenmantel umthue, ober überall vom Kopf bis zu den Beinen 
mit Gold und Perlen behängt bin, wie ein fremder Graf? Meiner 
Sir, ih dente hundert Meilen Weges werden fie berfommen, mich 
nur zu fehen. # 

„Du wirft fein auoſehen, das ift wahr,” fprah Don Duirote, 
„Aber dann mußt du die auch den Bart fheren, denn fo rauh, 
borftig und verzandt, als du ihn jege führt, wird man dich ſchon 
auf einen Büchfenfhuß weit für den alten Sancho erkennen, wenn 
du dir ihm nicht wenigftens allezeit über den andern Tag abnehmen 
laſſeſt.“ — „Was hatte denn weiteg? verfegte Sandoz „ih barf 
mir ja nur einen Bartfrager ins Haus, in Koft und Lohn nehmen; 
und wenns Noth thut, kann ich ihn ja auch hinter mir hergeben 
faffen, wie ein Grande feinen Staflmeifter,” — „Woher weißt du 











| 











216 Don Quixote. 


denn,“ fragte Don Duirote, „daß die Granden ihre Stallmeiſter 
Hinter fih hertreten laſſen?“ — „Ih wills Eu fagen,“ antwortete 
Sanchoz „ih war vor etlichen Jahren einen Monat lang bei Hofe; 
da ſah ih einen ganz Meinen Herrn vorbeireiten, und ba fagten fie, 
es wär ein Grande. Hinter ihm kam ein Andrer zu Pferd, der ihm 
allenthalben, wohin er fi nur wandte, nachfolgte, nicht anders als 
wie ein Schwanz. Ich fragte, warum denn der Mann nicht neben 
dem andern ritte, fondern immer hintennach bliebe? und ba fagten 
fie, e8 wäre fein Stallmeifter, und die Granden hätten immer welche 
hinter fih. Daher weiß ichs fo gut, daß ich es noch nie ver- 
geſſen Habe.” 

„Du Haft Recht, Sanyo," ſprach Don Quixote, „und 
eben fo kannſt du deinen Barbier Hinter dir hergeben laſſen; denn 
es iſt nicht Alles auf einmal erfunden worden. Und warum follteft 
du nicht der erfle Graf feyn können, ber einen Barbier Hinter fih 
bat? Im Grunde erfordert au das Amt, mir ben Bart abzunehmen, 
weit mehr Vertrauen, als das, mein Pferd zu ſatteln.“ — „Nun, 
für den Barbier laßt mi forgen, und forgt Ihr nur, geflrenger 
Herr, daß Ihr König werdet und ih Graf;“ fagte Sande. — 
„Das ſoll geſchehen,“ verfegte Don Quixote, hob die Augen auf 
und fah, was im nächſten Kapitel folgen wird. 














XXI Kapitel, 


Zweiundzwanzigites Rapitel 


Wie Dem Dulrote slefe Ungäürlliche befreit, die man binführt, wohl Me nicht wollen, 


ib-Hamed-Ben-Engeli, ber arabiſche 

und ans Manda gebürtige Geſchichtſchrei- 

ber, erzähft in dieſer wichtigen, hochtönen- 

_ ben, hochſtgenauen, füßen und phantaftifhen 

Geſchichte, daf nad) der Unterredung, welde 

bi Don Duirote von der Maucha und 

fein Schildknappe Sanho Panfa am 

= Ende des vorigen Kapitels gehalten haben, 
unfer Ritter "bie Augen aufgehoben, und auf dem Wege, den fie 
zogen, bei zwölf Leute zu Fuß erblickt habe, die, wie bie Körner 
eined Paternofters, alle mit den Hälfen an eine fange eiferne Nette 
angereift waren, und fämmtlih am ben Händen Schelfen hatten; 
zwei Neiter und zwei Fußlnechte begleiteten fie. Die Neiter führten 
Feuerrohre und die Fußlaechte Hellebarden und Schwerter. Da fie 
Sancho erblidte, ſprach er: „Das ift eine Kette von Nuderfnechten, 
die nad) des Königs Befehl gezwungen auf die Galeeren wandern, * 
— nBie? gezwungne Leute?" fragte Don Duirote. „Is mög. 
lich, daß der König einem Menfchen in der Welt Gewalt thun 








XXIE Kapitel, 249 


Unglüds wiffen.* Er fügte diefer Bitte neh andre und fo beſcheidne 
bei, das zu erfahren, was er germe wiſſen wollte, daß der anbre 
Neiter zu ihm ſagte: „Wir haben zwar Prezeß und Urtheil eines 
jeden diefer Miffethäter bei und, aber wir haben jet nit Zeit und 
anfzuhalten, fie berauszuholen und zu leſen. Kommt mir er und 
fragt! ſie ſelbſt, fie werdens End fon erzählen, wenn fie wollen, 
Und warum follten fie nicht wollen? Das ift ein Bolf, das feine 
Schefmenftreihe fo gern erzählt, als that. 

Mit diefer Erlaubniß, bie fih Don Onirste am Enbe ſelbſt 
gettommen haben würde, weun man fie ihm nicht gegeben hätte, trat 
er näher zur Stette, unb fragte den Erſten, welches Verbrechens wegen 
er fo übel einperzöge? „IH war verlicht," — antwortete ber Ge« 
fragte. „Und weiter Haft du nichts getfan?“* verfehte Den Dufr 
zote. „Ha, wenn man wegen bes Verliebtſeyns auf bie Galeere 
tommt, fo hätt ich ſchon Fängf drauf rudern mäffen® — „Ya, es 
iſt fein ſolches Verlichtfegny als Euer Veſten wielleicht venft,” ſprach 
der Rubexfechtz ‚rich hatte mich ‚in einen grofien Korb weißer Waſche 
verliebt/ und ihn fo fer umarmt, dafı, wenn mir ihn bie Gherechtigfeit 
nicht mit Gewalt wieder entriffen, ich ihm vielleicht bis jept noch nicht mit 
gutem Willen verfaffen hätte. Aber man ertappte mich auf friſcher That, 
vie Folter war nicht nötig; man ſprach mir das Urtheil, fegte mir 
den Nüden mit hundert Stanpenfchlägen aus und befpenfte mich 
auf drei Jahre mit freiem Quartier auf dem Waſſerſchloſſe, und fo 
war die Sache abgethan.“ — „Was iſt das Wafferfihlopt" fragte 
Don Duirote: — „Die Galeere,“ verfepte der Ruderknecht, ein 
Junger Burſche von ungefahr 24 Jahren, aus Piedrapita, wie er 
fagte, gebürtig. 

Ebenfo fragte Don Duirote dem Zweiten, ter vor Traurig ⸗ 
keit und Melandolie fein Wort antwortete, Der Erfte aber vertrat 
feine Stelle und fpraß: „Herr, das iſt ein Sanarienvogel; oder 
eigentlich zu fagen gehts ihm darum fo ſchlimm, weil er ein Mufifant 
und Sänger iſt.“ — „Wie?* verfegte Don Duirote, „if denn 
Muſilmachen oder Singen fo ein fhlimmes Handwerk, daf man drum 
auf bie Galeere lommt?“ — „Allerdings, lieber Herr, denn nichts 
in der Welt ift gefährlicher als in der Noth fingen.” — „Ich babe 


— 








Den Duirste, I 











250 Don Auixote. 


immer fagen hören,“ fprah Don Duirote „daß es dem gelingt, 
der feine Noth verfingt.“ — „Hier ifts gerade umgekehrt,“ verfegte 
der Nuderfneht; „wer einmal fingt, weint fein Lehen lang.“ — 
„Das verfteh ich nicht,“ fprah Don Quixote. Einer von ben 
Wächtern aber erklärte es ihm: „Herr Nitter, in der Noth fingen, 
beißt bei diefem Völlchen auf der Folter bekennen. Dan hat diefen 
Miffethäter gemartert, und er hat befannt, daß er ein Vierfüßler 
oder Vieh- und Pferdedieb gewefen. Da er nun befannt Hat, ſchickt 
man ihn, außer zweifundert Staupenfihlägen, die ihm noch auf dem 
Rücken brennen, ſechs Jahre Tang auf die Galeere, Er ift darum 
fo traurig und tieffinnig, weil ihn feine andern Gefährten ſchimpfen, 
mißhandeln und für einen ſchlechten Kerl halten, daß er auf ber Folter 
befannt umd nicht Herz genug gehabt hat, Nein zu fagen. Denn, 
forechen fie, Nein hat eben fo viel Silben als Ja, und ein armer 
Sünder ift immer glüdlih genug, wenn Leben und Tod auf feiner 
eignen Zunge ſchwebt, und er weder Zeugen noch Beweis gegen 
fi) Hat. Und darin, denf ih, haben fie Net.“ — „Ich bin eben 
der Meinung,“ verfeßte Don Quixote. 

Er gieng zum Dritten über, und Iegte ihm die nämliche Frage 
vor; ber aber antwortete ihm fehr Fed und fertig: „Ich befuche 
Fräulein Waffernire auf fünf Jahre, weil mir zehn Dufaten fehlten. « — 
„Ich will gerne zwanzig geben, did von deinem unangenehmen Befuche 
zu befreien,“ fprah Don Duirote. — „Das kommt mir gerade 
fo vor,” verfegte der Burfche, „als wenn einer mitten auf dem Meer 
viel Geld hätte, und doch Hungers fterben muß, weil er nichts dafür 
Faufen kann. Hätt ich zu rechter Zeit die zwanzig Dufaten gehabt, 
die Euer Gnaden mir da anbieten, ich hätte ſchon des Gerichtsſchrei— 
bers Feber falben, und meinem Adoofaten den Kopf fo öffnen wollen, 
daß ich jegt gewiß noch auf dem Zocodover ' zu Toledo wäre, und 
nicht da an der Koppel gehen müßte, wie ein Windhund. Aber Gott 
ift groß! Geduld! Und weiter fage ich nicht. “ 

Der Nitter kam zum Vierten, einem alten ehrwürbigen Manne, 
mit einem DBarte, der ihm über die Bruft herab hieng. Da ihn 


% Gin Marktplag zu Tolebo. 








7 


XXU. Kapitel, 





Don Duirote am bie Urfache feines Schickſals fragte, fieng er an 
zu meinen und fprad fein Wort, Der Fünfte aber antwortete flatt 
feiner: „Diefer Ehreumaun befugt auf vier Jahre die Galeere, 
nachdem ‚ex zuvor feinen Triumphzug im Feierlleidern zu Pferde ger 
halten hat}, — „Das heißt, denk ich, er hat ben Schandefel ger 
ritten®# — „Getroffen 1 rief der Gafeerenbruder, „und die Urſache 
war, daß er bisher mit Menfchenfleifch geſchachert hat. Das heift, er 
if ein Kuppler geweſen und hat ſich nebenher auch mit Hexerei ab» 
gegeben." — „Wäre das Leptere nicht," fprah Don Quixote, 


* Die Strafe ter Kuppler und Kuplerimmen in panien ift folgente: Man fept Ne ball 
nadenb, mie Honig befteiden um mit Feteen befireut, auf einen @fel, um führt fie zurch die 
Steaden. Huf dem Kopfe haben fle eine Mäge won teeifiem Papter, in Jorm eined Iuderhute, 
taranf fcht mit großen Buchflahen, Aleahuete urn Aloahunta, Kuppler, Kupplerin. Während 
dres Zuge wirft le nad Bolt mit faulen Orangen, Aepfeln un anderm Unflath, und darauf 
wersen fie ded Landes verwithen 





N 














212 Don Auirote, 


Darauf bereden fie mit einander, wie fie ihr Wohl und Weh ſich zu 
wiffen thun wollen, und die Prinzeffin bittet ihn, er ſolle ſich fo 
furz als möglich verweilen. Der Ritter gelobt es ihr mit vielen Eiden, 
füßt ihr nochmals die Hände und feheivet fo ſchwer von ihr, daß 
es ihm beinahe das Lehen Foftet, Er geht von da in fein Gemach, 
wirft fih aufs Bett, und kann vor Schmerz feines Scheivens fein 
Auge zutun, 

„Morgens hernach fteht er fehr früh auf, und geht hin, dem König, 
der Königin und der Iufantin Lebewohl zu fagen. Nachdem er fih von 
Beiden erft beurlaubt hat, fagt man ihm, die Infantin ſey nicht 
wohl auf, und könne ihm Feine Aubienz geben. Der Nitter merkt 
glei, daß es vom Kummer über fein Scheiden herrühre; dies geht 
ihm durchs Herz, und es fehlt wenig, daß er fi nicht öffentlich 
verräth. Das vertraute Kammerfräufein ift zugegen, bemerkt Alles, 
und fagt e8 ihrer Prinzeffin wieder, welche fie mit Tränen empfängt, 
und ihr eutdeckt, ihr größtes Leiden ſey, daß fie nicht wiffe, ob ihr 
Nitter von Föniglichem Stamme ſey oder nicht. Das Kammerfräufein 
verficert es ihr aber, weil man unmöglich ſolche Höflichkeit, Tugend 
und Muth, als womit ihr Nitter begabt fey, bei Einem finden könne, 
der nicht aus föniglihem Haufe fey. Dies tröftet die Betrübte; fie 
fucht fi aufzumuntern, damit fie dem Könige und der Königin feinen 
übfen Verdacht von fi gebe, und geht nach zwei Tagen wicber 
öffentlich aus. * 

„Der Ritter ift fon auf und davon, ftreitet und Friegt, über 
windet den Feind des Königs, gewinnt viele Städte, ſiegt in vielen 


Schlachten, fommt an den Hof zurüd, und fieht feine Gebieterin 
an dem gewöhnlichen Orte wieder, Sie reden miteinander ab, daß 




















XXL Kapitel, 213 


er fie von ihrem Vater für feine geleifteten Dienfte zu feinem Ehe ⸗ 
gemahl begehren ſolle. Der König will fie ihm micht geben, weil 
er nicht weiß, wer er iſt; bemmmgenchtet wird durch eine Ent 
führung, oder wie ed fonft zugehen mag, die Infantin feine Fran, 
und der König, ihr Herr Bater, fhäpt fih endlich drob fehr glüclich, 
weil er erfährt, daß diefer Nitter eines. gar mächtigen Könige Sohn 
ſey, ber über ein Reich herrſcht, das, ich glaube, gar nicht einmal 
auf ber Landkarte ſteht. Der Vater ſtirbt, die Iufantin erbt das 
Neich, kurz und gut, der Ritter wird König. Nun ift die Zeit ge» 
kommen, feinen Schildknappen und Alle, die ihm zu feiner Erhoͤhuug 
geholfen Haben, nah Würden zu belohnen. Geinen Schildknappen 
verheirathet er mit einer Hofdame ber Jufantin, weiches unſtreitig 
die Vertraute feines Liebechandels und bie Tochter eines mädhtigen 
Herzogs ift.” - 

m 3a, fo wär mise ben recht, * ſprach Sandiay „und ich verlaß 
mid drauf, daß alles bies buchſtablich Euer Gefrengen fo begegnen 
wird, als dem, ber da heifit, Ritter von der traurigen Geſtalt,“ — 
Zweifle nicht dran, Freund Sande,” fagte Don Quixote, 
denn auf eben biefe Art, und durch eben dieſe Stufen ſchwingen 
und haben fi bereits fahrende Ritter zu Kaiſern und Königen empor» 
geſchwungen. Jeht fehlt weiter nichts, als daß wir einen chriftlichen 
oder heidniſchen König emtdeden, ber eine fihöne Tochter hat, und 
zugleich Krieg führt, Aber wir haben noch Zeit genng, barauf zu 
denken, Denn, wie gefagt, ih muß mir erft einen Namen durch 
andre Sachen machen, ch ih an ben Hof gehe: Jadeſ fehlt mirs 
noch am etwas; demm gefeht, es findet ſich ein König mit Krieg und einer 
fhönen Tochter, und ich habe mir auch einen unglaublichen Nanren 
in der ganzen Welt erworben: wie mac ichs, daf ich von einem 
Könige abftamme? ober wenigfiens Andergeſchwiſterlind mit einem 
Kaifer bin? Denn, freilich wird mir ber König feine Prinzeffin Tochter 
nicht zue Frau geben wollen, wenn er nicht über biefen Punkt Ge⸗ 
wißheit Katz ungeachtet ed eigentlich meine berühmten Thaten wären, 
die fie verbienten. Es ift leicht möglich, daß ich durch biefe Kleinigleit 
verfiere, was ih durch meinen Arm wohl verdient hatte, Wahr 
ifis, ich bin ein Edelmann von altem wohlbelanntem Haufe, habe 

















4 Don Quixote. 


Landeigenthum, ftandesmäßige Einkünfte, und es ift leicht möglich, 
daß der Weife, der einmal meine Gefchichte fehreiben wird, meinen 
Stammbaum fo genau unterfucht, daß ich im fünften oder fechsten 
Grab mit einem Könige verwandt werde. Denn du mußt willen, 
Sancho, es giebt zweierlei Arten von Gefchlehtern in der Welt. 
Die eine Ieitet ihren Urfprung von Fürften und Monarchen her, mit 
der Zeit find fie aber fo heruntergefommen, daß fie ſich wie eine 
umgeftärzte Pyramide in die Gpige verlieren; die andre Art aber 
hat einen geringen unb niedrigen Urfprung, und fleigt von Grab zu 
Grade, bis fie groß und berühmt wird; folglich befteht der Unterſchied 
darin, daß jene waren, was fie nicht mehr find, und biefe find, was 
fie vorher nicht waren. Es könnte gar leicht ſeyn, daß, wenns zur 
genauen Unterfuchung käme, ich einer von denen wäre, bie einen großen 
und berühmten Urfprung gehabt haben, und ver Rönig, mein Schwie- 
gervater, würbe ſich fehr erfreuen, biefe Eutdeckung zu machen. Wär 
aber dies auch nicht, fo wird mich bie Infantin fchon in dem Maße 
Tieben, daß fie, ihrem Vater zum Trog, und wenn fie auch müßte, 
daß ich eines Waflerträgers Sohn wäre, mich dennoch heirathen und 
für ihren Herrn und Gemahl erfennen wird. Gefeßt auch das Gegen- 
theit, fo entführe ich fie und bringe fie an einen Ort, wohin es 
mir beliebt, und warte bis Zeit oder Tod den Zorn ihrer Eltern 
endigt.“ 

„Meiner Treu!“ ſprach Sancho, „da paßt gleich her, wie 
einige Galgenvögel ſprechen: was du nehmen kannſt, das brauchſt du 
nicht zu betteln, oder noch beffer: zugreifen iſt beſſer als hinten 
nachlaufen. Ich fags derhalben, wenn der Herr König, Euer geflrenger 
Schwiegervater, fih nicht überwinden fann, Euch meine Gebieterin, bie 
Infantin, zur Frau zu geben, fo entführt fie ihm vor der Nafe weg 
und ſchafft fie fort. Aber das iſt der Teufel, daß, ehe zwiſchen 
Euch beiden Friede wird, und Ihr Euer Königreich in Ruhe geniefen 
Könnt, der arme Schildfnapp derweile daftehen, hungern und fi bie 
Zähne nach der Belohnung ausftochern kann, wenn nicht irgend das 
vertraute Kammerfräulein, bie ihm zur Frau beftimmt iſt, mit ber 
Infantin durchgeht, ihn unterbeffen nimmt und Wohl oder Wehe 
mit ihm theilt, bis es ber Himmel anders ſchickt. Denn bas 











XXL Kapitel. 235 


glaub ih doch, daß fein Herr fie ihm fogleih rechtmäßig zur 
Frau geben kann.” — „Wer wollte fie dir nehmen Fönnen?“ ſprach 
Don Duirote. — „Nun, wenns das iſt,“ verſetzte Sancho, 
wollen wir uns nur bem lieben Gotte empfehlen, und dem Glück 
feinen Lauf laſſen; es wird ſchon gut werben.“ — „Gott geb es,“ 
fprah Don Quixote, „wie ichs wünſche, und bu es von nöthen 
haſt, Sanıho. Und ein Schurke bleibe, wer ein Schurke fegn will." — 
„Ja, bei Gott, fey’s fol“ ſprach Sancho; „id für meinen Theil 
bin ein alter Chriſt, und das ift genug, um Graf zu werben.” — 
„Und noch überfläffig für did,“ fiel Don Quixote ein. „Würdeſt 
du's auch nicht, was thäte das zur Sache? Denn wenn ich König 
bin, kann ich dir den Adel ſchenken, ohne dag du ihn zu Faufen ober 
zu verdienen brauchſt. Und mach ih did zum Grafen, fo bift du 
auch Nitter, und fie follen di bei meiner Ehre Euer Geftrengen 
nennen, fie mögen fagen, was fie wollen.“ -— „Ei, warum das nicht? 
was gilts, daß ichs verflehen werde, mich im Affelt zu ſetzen ?“ fprach 
Sande. — „Reſpelt mußt du fagen und nicht Affekt,” fagte Don 
Ouixote. — „Das ift all Eins,“ verſetzte Sancho, „ih fage 
nur, ih wollte mir ſchon ein Anfehen geben; meiner Seel! Ich war 
einmal Gemeinderathebote, und der Botenrock fland mir fo gut, daß 
Alle fagten, ich hätte ganz das Anfehen drin, daß ih den Schuhen 
fpielen könnte, Aber was wirds nicht dann feyn, wenn ich erſt einen 
Fürftenmantel umthue, ober überall vom Kopf bis zu den Beinen 
mit Gold und Perlen behängt bin, wie ein fremder Graf? Meiner 
Sir, ich denke hundert Meilen Weges werben fie herfommen, mich 
nur zu fehen. “ 

„Du wirft fein ausfehen, das ift wahr,“ fprah Don Quixote. 
Aber dann mußt bu bir auch den Bart fcheren, denn fo rauf, 
borftig und verzaust, als du ihn jegt führft, wird man dich fon 
auf einen Büchſenſchuß weit für den alten Saucho erkennen, wenn 
du dir ihm nicht wenigftens allezeit über den andern Tag abnehmen 
laſſeſt.“ — „Was Hatts denn weiteg?“ verſette Sandho; „id darf 
mir ja nur einen Bartfrager ins Haus, in Koft und Lohn nehmen; 
und wenns Noth thut, kann ih ihn ja auch Hinter mir hergeben 
Taffen, wie ein Grande feinen Stallmeiſter.“ — „Woher weißt du 

















2416 Don Buixote, 


denn,“ fragte Don Onirote, „daß die Granden ihre Stalfmeifter 
Hinter ſich Hertreten laſſen?“ — „Ich wills Euch fagen,“ antwortete 
Sandoz „ih war vor etlichen Jahren einen Monat lang bei Hofe; 
da fah ich einen ganz Heinen Herrn worbeireiten, und da fagten fie, 
es wär ein Grande. Hinter ihm kam ein Andrer zu Pferd, der ihm 
alfenthafben, wohin er fih nur wandte, nachfolgte, nicht anders als 
wie ein Schwanz. Ich fragte, warum denn der Mann nicht neben 
dem andern ritte, fondern immer hintennach bliebe? und ba fagten 
fie, e8 wäre fein Stallmeifter, und die Granden hätten immer welche 
hinter fih. Daher weiß ichs fo gut, daß ih es noch mie ver- 
geffen habe.“ 

nDu Haft Recht, Sancıho,” fprah Don Duirote, „und 
eben fo Fannft du beinen Barbier Hinter dir hergeben Taffen; denn 
es iſt nicht Alles auf einmal erfunden worben. Und warum follteft 
du nicht der erfte Graf feyn fönnen, der einen Barbier Hinter ſich 
hat? Im Grunde erfordert auch das Amt, mir den Bart abzunehmen, 
weit mehr Vertrauen, als das, mein Pferd zu fatteln.“ — „Nun, 
für den Barbier laßt mich forgen, und forget Ihr nur, geflrenger 
Herr, daß Ihr König werdet und ich Graf;“ fagte Sancho. — 
„Das foll geſchehen,“ verfegte Don Duirote, hob die Augen auf 
und fah, was im nächften Kapitel folgen wird, 











XXU. Kapitel, 


Zweiundzwanzigftes Kapitel. 
Die Don Duizote viele Unglädiäce Fefreit, tie mon Sinfühet, wohin fe nicht wollen, 


td-Hamed+-Ben-Engeli, ber arabiſche 

8 er aus Mana gebürtige Geſchichtſchrei- 

ber, erzäbft in biefer wichtigen, borhtönen- 

* * hoͤchſtgenauen, fügen und phantaftifhen 

R Geſchichte, daf nach derUnterredung, welche 

* Don Duirote von der Maucha und 

— fein Schildknappe Sancho Panfa am 

— Ende des vorigen Kapitels gehalten haben, 

unſer Nitter- ie Augen aufgehoben, und auf bem Wege, den fie 
zogen, bei zwölf Leute zu Fuß erblickt Habe, die, wie die Koͤrner 
eines Paternofterd, alle mit den Hälfen an eine Tange eiferne Kette 
angereiht waren, und fimmtlih an ben Händen Schellen hatten; 
zwei Neiter und zwei Fußfnechte begleiteten fie. Die Reiter führten 
Feuerrohre und bie Fußluechte Hellebarden und Schwerter, Da fie 
Sancho erblidte, fpra er: „Das ift eine Kette von Nuberfnechten, 
die nach des Königs Befehl gezwungen auf die Galeeren wandern, ” 
— „Bie? gezwungne Leute?” fragte Don Quixote. „Ifis mög- 
lich, daß der König einem Menfgen in der Welt Gewalt thun 

















— 


248 Don Quixote. 


kann?“ — „So mein ichs auch nicht,“ ſprach Sandoz; „das iſt 
Volk, das wegen feiner Miffethaten verdammt ift, dem Könige mit 
Zwang auf den Galeeren zu dienen.“ — „Es fey, wie ihm wolle,” 
verfegte Don Quixote, „diefe Leute gehen doch nicht gutwillig, 
fondern man zwingt fie mit Gewalt dazu?” — „Freilich,“ fagte 
Sando. — „Nun, wenn bies ift,“ fprach fein Herr, „fo macht 
es mir mein Amt zur Pflicht, der Gewaltthätigfeit zu ftenern, und 
Hilfloſen beizufpringen.“ — „Gebt wohl Adt, geftrenger Herr,“ 
verfegte Sancho. „Denn die Gerechtigkeit, das heißt, ber König 
felber, thut ſolchem Bolt werer Unrecht noch Gewalt, fondern was 
ihnen widerfährt, ift Züchtigung für ihre Miffethaten, 

Eben fam die Kette Galeerenfffaven bei ihnen an, und Don 
Duirote bat ihre Wächter gar höflich, fie möchten ihm doch, wenns 


ihnen beliebte, die Urfache oter die Urfahen fagen, warum man biefe 
armen Leute fo zufammengefhloffen führte? „Es find Ruderknechte 
Sr. Majeftät, die anf die Galeeren wandern; mehr brauch ich nicht 
zu fagen, und mehr braucht Ihr nicht zu wiſſen,“ antwortete einer 
von den Reitern. — „Demungeachtet,“ verfegte Don Quixote, 
„möcht ich doch gerne von jedem insbeſondre bie Urſache feines 




















XXI. Sapitel 29 


Unglücts wiſſen.“ Er fügte diefer Bitte noch andre und fo beſcheidne 
bei, das zw erfahren, was er gerne wiſſen wollte, bag ber andre 
Reiter zu ihm fagte: „Wir haben zwar Prozeh und Urtheil eines 
jeden dieſer Miffethäter bei ans, aber wir haben jet nicht Zeit ung 
aufzuhalten, fie berauszuhofen und zu leſen. Kommt nur her und 
fragt ſie felbft, fie werdens Euch ſchon erzählen, wenn fie wollen, 
Und warum follten fie wicht wollen? Das if ein Volk, das feine 
Schelmenſtreiche fo gern erzäplt, als thut.“ 

> Mit viefer Erlaubniß, die fih Don Onirote am Ende ſelbſt 
genommen Haben würde, wenn man fie ihm nicht gegeben hätte, trat” 
er näher zur Kette, und fragte den Erften, welches Verbrechens wegen 
er fo übel einherzöge? „Ich war verliebt,“ — antwortete 12 
fragte. „Und weiter Haft bu nichts getan?“ verfepte Don Dutr 
rote. „Ha, wenn man wegen des Verliebtſeyns auf die Galcere 
fommt, fo hätt ich ſchon längft drauf rudern mi — dJa ed 
iſt fein ſolches Verliebtſeyn, Als Ener Veſten dentt,“ ſprach 
der Rudertnecht „ih hatte mich in einen großen Korb weißer Wäfche 
verliebt, amd ihn fo feſt umarmt, dafı, wenn mir ihn bie Gerechtigkeit 
wicht mit Gewalt wieber entriffen, ich ihn vielleicht bis jegt noch nicht mit 
gutem Willen verlaffen hätte. Aber man ertappte mich auf frifger That, 
bie Folter war nicht nöthig; man fprad) mir das Urtheil, fegte mir 
den Nüden mit Hundert Staupenfchlägen ans und befcenfte mich 
auf brei Jahre mit freiem Duarkier auf dem Waſſerſchloſſe, und fo 
war die Sache abgethan.“ — „Mas ift das Waſſerſchloß?“ fragte 
Don Duirote. — „Die Galeere,“ verfegte der Ruderknecht, ein 
junger Burſche von ungefäge 24 Jahren, aus Piedrahita, wie er 
fagte, gebürtig. 

Ebenfo fragte Don Duirote den Zweiten, ber vor Traurig 
keit und Melandolie kein Wort antwortete. Der Erfte aber vertrat 
feine Stelle und fprad: „Herr, das ift ein Stanarienvogel; ober 
eigentlich; zu fagen gebts ihm darum fo ſchlimm, weif er ein Mufifant 
und Sänger iſt.“ — „Wie?“ verfegte Don Duirote, „ift denn 
Muſilmachen oder Singen fo ein fhlimmes Handiverf, daf man drum 
auf die Galcere konmt ?“ — „Allerdings, Lieber Herr, denn nichts 
in der Welt ift gefährlicher ale in ber Noth fingen.“ — „Ih babe 


Den Dniren # 











20 Don Buizote. 


immer fagen hören,“ fprah Don Duirote „daß es dem gelingt, 
ber feine Noth verſingt.“ — „Hier iſts gerade umgekehrt,” verfegte 
der Ruderknecht; „wer einmal fingt, weint fein Leben Tang.” — 
„Das verfteh ich nicht,” fprah Don Quixote. Einer von ben 
Baͤchtern aber erklärte es ihm: „Herr Ritter, in ber Noth fingen, 
heißt bei diefem Völlchen auf der Folter befennen. Man hat biefen 
Miffetpäter gemartert, und er hat befannt, daß er ein Bierfühler 
ober Bieh- und Pferbebieb gewefen. Da er nun befannt hat, ſchickt 
man ihn, außer zweihundert Staupenfchlägen, die ihm noch auf dem 
Rücken brennen, ſechs Jahre lang auf die Galeere. Er if darum 
fo traurig und tieffinnig, weil ihn feine andern Gefährten ſchimpfen, 
mißhankeln und für einen ſchlechten Kerl halten, daß er auf der Folter 
befannt dub nicht Herz genug gehabt hat, Nein zu fagen. Denn, 
ſprechen fie, Nein hat eben fo viel Eilben als Ja, und ein armer 
Sünder ift immer glüdlih genug, wenn Leben und Tod auf feiner 
eignen Zunge fehwebt, und er weder Zeugen noch Beweis gegen 
fi) Hat. Und darin, dent ih, haben fie Recht.“ — „Ich bin eben 
der Meinung,” verfegte Don Quixote. 

Er gieng zum Dritten über, und Iegte ihm bie nämliche Frage 
vor; der aber antwortete ihm fehr keck und fertig: „Ich beſuche 
Fraͤulein Waffernixe auf fünf Jahre, weil mir zehn Dufaten fehlten.“ — 
„Ich will gerne zwanzig geben, dich von deinem unangenehmen Befuche 
zu befreien,“ fprah Don Quixote. — „Das kommt mir gerade 
fo vor,“ verfegte der Burſche, „als wenn einer mitten auf dem Meer 
viel Geld hätte, und doch Hungers fterben muß, weil er nichts dafür 
kaufen kanr. Hätt ich zu rechter Zeit die zwanzig Dufaten gehabt, 
die Euer Gnaden mir da anbieten, ich hätte ſchon des Gerichtsfchrei- 
bers Feder falben, und meinem Advokaten den Kopf fo öffnen wollen, 
daß ich jeht gewiß noch auf dem Zocodoner ? zu Toledo wäre, und 
nicht da an ber Koppel geheu müßte, wie ein Windhund. Aber Gott 
iſt groß! Geduld! Und weiter fage ich nicht.“ 

Der Ritter fam zum Vierten, einem alten ehrwürbigen DManne, 
mit einem Barte, der ihm über die Bruft herab hieng. Da ihn 


* Gin Marttplag zu Toleo. 








en 


XXI Kapitel 





Don Dnirote um die Urſache feines Schickſals fragte, ſieng er an 
zu weinen und forach fein Wort, Der Fünfte aber antwortete ſtatt 
feiner: „Diefer Ehreumann beſucht auf vier Jahre die Oaleere, 
nachdem er zuvor feinen Triumphzug in Keierfleivern zu Pferde ger 
halten hat .“ — „Das heißt, denk ich, er bat den Schaudeſel ge 
ritten ?“ — „Getroffen!* rief der Galeerenbruder, „und bie Urſache 
war, daß er bisher mit Menfhenfleifh geſchachert hat. Das heißt, er 
ift ein Kuppler geweſen und hat fih nebenher auch mit Hererei ab 
gegeben," — „Wäre bas Letztere nicht,“ fprah Don Duizote, 





* Die Strafe ver Kuppler um Kuppferinnen in Eyanien if folgene: Man ſedt fie dals ⸗ 
madenb, mit Honig beftridien un mit Peter beflerut, auf einen Gjek, un führt fie durch bie 
Strafen. Auf dem Kopfe haben fir eine Prüpe son weidem Papier, Im dorm ehnes Zucerbute, 
varanf firbt mit groden Bucsflaben, Alcakunte ober Alcahusia, Kuppler, Kunplerin. Watren 
übren Zuge wirft fie das Bolt mit faulen Orangen, Nepfeln und amern Inflath, ut rarauf 


werten fir des Sanded werwirien 














258 Don Buirote. 


nfo verbiente er feines ehrlichen Kupplerhandwerls wegen eher Ga- 
leerenhauptmann zu werben, als Ruderknecht. Denn das Ruppleramt 
iſt fo ſchlecht nicht, als man glaubt; es gehören Muge Köpfe dazu, 
und es if ein höchſt noͤthiges Amt in einem wohleingerichteten Ge- 
meinwefen, welches eigentlih nur Lente von gutem Stande verwalten 
folten. Bon Rechtswegen follten fie beauffihtigt und geprüft werben, 
eine geſchloßne Zahl Haben und befannt feyn, wie bie Mäder 
auf ber Börfe. Auf biefe Art würde mandes Unheil ver- 
mieben, das jeßt gefhieht, weil ſich dummes und unwiſſendes Bolt 
damit zu ſchaffen macht, wie bie Weiber find, bie ſich dazu hergeben, 
ober Buben, Gelbſchnäbel ohne Erfahrung, die, wenns zum Treffen 
kommt, ſich den Broden aus dem Mund und bie Hand dazu angreifen 
Taffen, und obendrein nicht willen, was ihre rechte Hand if, Ich 
wollte, wenn es Zeit wäre, genau nachweifen, warım man im Ge- 
meinwefen ein fo nöthiges Amt mit gewählten Leuten befegen müßte. 
Aber hier if der Ort nicht dazu. Ich will es zu feiner Zeit ſchon 
Perſonen fagen, welche diefe Verfügung treffen Können. Jetzt will 
ich nur bemerken: das Mitleiven, welches ich darüber fühlte, daß dieſer 
ehrwürbige Graubart als Kuppler fo hart geftraft werben fol, ſchwindet 
nur defwegen, weil ich höre, daß er auch ein Schwarzlünftler 
iſt; ungeachtet ich gewiß weiß, daß es Feine Hexerei in ver Welt 
giebt, die den Willen bewegen und zwingen könnte, wie einige Dumm- 
Eöpfe glauben. Unfer Wille iſt frei, und weder Kraut noch Gaufelei 
kann ihn zwingen; alles, was einige einfältige alte Weiber und Duad- 
ſalber thun können, ift, daß fie giftige Getränke und Mifhungen 
bereiten, womit fie die Leute toll machen, und ihnen dann einſchwatzen, 
fie önnten die Leute in fie verliebt machen; aber das ift Betrügerei, 
denn, wie gefagt, unfer Wille Kann nicht, gezwungen werben.“ — 
Da Habt ihr wohl Recht, geftrenger Herr,“ verfegte der Alte, „denn 
in der Hererei bin ih fo unſchuldig wie ein Kind. Was aber bie 
Kupplerei anlangt, das hab ich freitich nicht Täugnen Können. Aber 
in meinem Leben hätt ich nicht gedacht, daß ich daran Unrecht thäte, 
denn meine Abficht war, daß ſich die ganze Welt freuen und in 
gutem Frieden und Einigkeit leben follte. Aber meine gute Mei- 
nung hat mir weiter nichts geholfen, als daß ich nun dahin wandern 

















XXI. Kapitel, 253 


maß, von danmen ich ſchwerlich wieder zurüdfommen werde. Denn 
ich bin fhon fo alt und babe auch noch das Harnübel am Leibe, 
welches mich nicht einen Augenblick ruhen läßt.“ Drauf fieng er 
wieder bitterlich zu weinen an, und Sancho trug fo großes Mite 
Teiden mit ihm, daß er einen Sehobägner and dem Brufituche holte 
und ihm zum Allmoſen gab. 

Don Duirote fragte den Folgenden um fein Verbrechen, und 
diefer antwortete ganz luſtig: „Ih gehe meinen Gang, weil ich 'mit 
zwei feiblichen Muhmen von mir und zwei andern Schweſtern, bie 
mir aber wicht fo nahe verwandt waren, ein Bischen zu fehr gekurz ⸗ 
weilt habe z ich trieb das Ding mit ihnen fo weit, daß endlich ans 
lauter Scherz unfre Blutsfreundfhaft und unfer Geſchlechtoregiſter fo 
ineinander gerieth und verwirrt wurde, daß der befte und geſchickteſte 
Stammbaummacer dem meinigen nicht wieber in Ordnung bringen 
faun. Man hat mir Alles bewiefen, cs fehlte mic.an Gunft, und 
Gerd Hatte ich auch nicht) ich gerieth fogar in Gefahr, am Haleweh 
zu fterben. Endlich hat man mid ſeche Jahr zur Galeere verdammt; 
ich Habe drein gewilligt, es iſt eine Meine Züchtigung für mic; ih 
. bin jung, Habe noch lange zu feben, und damit if für Allee geforgt. 
Habt Ihr nun was, Lieber Herr Ritter, womit Ihr uns armen Teufeln 
beifiehen loͤnnt, fo wirks Eu Gott im Himmel vergelten, und wir 
wollen indeß auf Erden für Euch beten, daß Euch Gott fo Tange 
Leben und gut Glück beſcheere, als Ener gutes Ausſehen verdient.“ 

Diefer Meuſch trug ſich wie ein Student, und eiter von den 
Stodluechten fagte and, er fey ein mächtiger Rebner, ein trefflicher 
Lateiner. 

Nun folgte in der Reihe ein Mann von feinem Anfehen, unge: 
fähr breißig Jahre alt, der mit einem Auge gegen das andere ſchielte 
Diefer war anders geſchloſſen als bie Uebrigen. Am Fuß Hatte er 
eine fo große Kette, daß fie ihm um dem ganzen Leib gieng, und 
um den Hals zwei eiferne Ringe; ber eine Ning hieng mit der Kette, 
ber andre mit einer fogenannten Geige zufammen, Yon welcher zwei 
eiferne Stangen mit Handſchellen Heruntergiengen, in welche ihm die 
Hände mit großen Schlöffern befeftigt waren, fo bafi er weder die 
Hände zum Munde bringen, noch fi mit dem Kopfe herahneigen 














Don Buirste. 


konnte. Don Duirote fragte, warum biefer fefter gefchloffen wäre 
als die Andern. „Weil biefer Einzige mehr Verbrechen begangen 
hat, als Alle zufammen genommen,“ antwortete der Stodmeifter, 
„und dabei ift er ein fo kühner und durdtriebner Schelm, daß, 
ungeachtet wir ihn fo feſi geſchloſſen führen, wir doch immer befürdten 
müffen, ex entwifhe ung,” — „Was für ein Verbrechen follte das 
ſeyn, wofür die Onfeerenftrafe zu Hein wäre," fagte Don Qui-— 
rote, — „Er if auf zehn Jahre dahin verurtheilt,“ verfegte bie 
Wade, „und das ift fo arg als bürgerlicher Tod, Ihr braucht 
weiter nichts zu willen, als daß biefer Eprenmann der berüchtigte 





















































* Gin befannter fpanifcher Echelmen-:Roman, verfaßt von Don Diego ve Mendoza. 


XXI. Rapitel. 255 
Gines von Paffamonte if, fonften auh Ginefillo von Pas 
rapilfa genannt.“ — „Herr Commiſſär,“ rief ver Gefangne, 
„thut ein wenig gemach, verflümmelt und radebrecht mir meinen 
Namen und Zunamen nicht fo. Ich heife Gines, nicht Gineſillo, 
und Paffamonte ift mein Geſchlechtsname, niht Parapilla, wie 
ihr ſprecht. Jeder kehre nur vor feiner Thüre, fo hat er vollauf zu 
thun.“ — „Thut das Maul nicht zu weit auf, Herr Etraßenräuber 
von ber feinften Sorte,” verfeßte der Commiffär, „wenn ichs Euch 
nicht ftopfen fol.” — „Man fieht wohl, daß es ten Menſchen geht, 
wie's Gott gefält,“ fprah Gines. „Aber die Zeit fol fon noch 
fommen, ba ein Gewiffer erfahren wird, ob ih Gineſillo von 
Parapilla heife oder nicht.“ — „Nun, nennt man tih etwa 
nicht fo, Galgenſtrick?“ fragte der Stodmeifter. — „Ja, man nennt 
mid fo,“ verfegte Gines, „aber ich will es ſchon noch dahin bringen, 
daß mich die Leute nicht mehr fo nennen follen, oder ih will ihnen 
mit Kolben lauſen. Herr Ritter, wenn Ihr uns was zu geben habt, 
fo gebt es jegt und reist mit Gott; denn über Eurem Fragen nah 
andrer Leute Leben wird mirs übel. Wollt Ihr meines wiffen, fo 
hört, ih bin Gines von Paffamonte, deſſen Leben diefe Finger 
meiner Hand gefehrieben haben.“ 

„Das ift wahr,” ſprach der Eommiflär, „er hat feine eigne 
Geſchichte umſtändlich und ausführlich befchrieben und fie im Ge- 
fängniß für zweihundert Realen verfegt.” — „Und wird fie wieder 
einlöfen, wenn fie auch für zweifundert Dufaten verſetzt wäre,“ fiel 
Gines ein. — „If fie denn fo gut?“ fragte Don Quixote. — 
„Sie ift fo gut, daß der Lazarillo de Tormes! und alle andern 
dergleichen Werke, die fchon da find und noch fommen werben, nichts 
dagegen find,” antwortete Gines. „Was ih Euch tavon fagen 
Tann, ift, es ſtehen Iauter Wahrheiten drin, und vie find fo furz- 
weilig und luſtig, daß Lügen ſelbſt nicht kurzweiliger ſeyn können.“ — 
„Und was für einen Titel hat denn bas Bub?“ fragte Don 
Dnirote. — „Leben und Thaten des Gines von Paffamonte,” 
antwortete er. — „Und iſts denn fertig?“ fragte Don Quixote. — 

















6 Don @uirote. 


„Wie kanns denn fertig ſeyn,“ verfeßte der Andre, „da ich ſelbſt mit 
meinem Leben noch nicht fertig bin. Die Geſchichte, fo weit fie 
drinnen fleht, geht von meiner Geburt an, bis auf bie Zeit, da ih 
das letztemal auf der Galeere war.” — „Seyd ihr denn fon mehr- 
mals drauf gewefen?“ fragte Don Quixote. — „O ja, Gott und 
dem Könige zu dienen, ſchon vier Jahre, und weiß gar wohl, wie 
Zwieback und bie Knute ſchmeckt,“ antwortete Gines. „Im Grunde 
mach ih mir nicht viel draus, daß ich wieder hin muß, deun ta 
hab ich Zeit, mein Buch zu vollenden, weil ich noch gar viele Sachen 
darin zu fagen habe. Und auf ven ſpaniſchen Galeeren hat man 
Mufe genug dazu; ungeachtet ich eigentlich nicht viel Zeit zu dem, 
was ich noch zu fihreiben habe, brauche; denn ich habs Alles ſchon 
im Ropfe.” — „Du fheinft mir ein fähiger Kopf zu ſeyn,“ ſprach 
Don Quixote. — „Und unglücklich,“ fagte Gines; „benn immer 
verfolgt das Unglück die guten Köpfe.” — „Spigbuben verfolgt es,“ 
fiel der Commiſſär ein. — „Herr Commiffär,” rief Paffamonte, 
„ich Habs Euch ſchon gefagt, Ihr ſollt gemach thun; die Obrigkeit 
hat Eud ja den Stab nit in die Hand gegeben, daß Ihr uns arme 
Teufel mißhandeln, fondern an den Ort bringen ſollt, wohin Seine 
Majeftät befiehlt. Und wo Ihr das nicht thut, Herr Commiffär, 
meiner Seele! fo — aber halt, es könnt einmal fommen, daß bie 
Flecken in ver Wäfhe wieder herausgiengen, die in der Schenke ger 
macht worden. Ein Jeder halte alfo fein Maul, Iebe gut, und ſpreche 
noch beffer. Jetzt laßt uns fortgehen. Ich habe des Gefrags und 
der Poſſen fatt.” 

Der Eommiffär holte mit feinem Stabe aus, bie Antwort anf 
diefe Drohung dem Paffamonte auf die Haut zu prägen. Aber 
Don Duirote flug fih ins Mittel, und bat ihn, er möcht ihn 
doch nicht mißhandeln, weil Einer, dem bie Hände fo gebunden wären, 
die Zunge doch wenigftens frei haben müfle. Zugleih wandte er ſich 
an die fänmtlichen Glieder der Kette. „Lieben Brüder!“ ſprach er, 
maus dem, was ihr mir erzählt habt, feh ich deutlich, daß, ob man 
euch glei für eure Verbrechen züchtigt, euch doch die Gtrafe, die 
ihr Teiden font, ſchwer eingeht, und daß ihr jegt gezwungen und 
wider Willen dahin wandert, Es kann feyn, daß der Kleinmuth des 











XXI. Kapitel. 257 


Einen auf der Folter, der Mangel des Geldes bei dem Andern, ber 
Gunft bei dem Dritten, und endlich ungerechte und parteiifche Sprüche 


der Richter Schuld an eurem Verderben find, und eud das Recht 


nicht haben zufommen Iaffen, das euch gehörte. Alles dies ſtellt ſich 
mir fo Iebhaft dar, daß es mich geneigt macht, ja zwingt, euch zu 
zeigen, warum mid der Himmel in diefe Welt gefanbt, mich in den 
Nitterorden gefegt, und in demfelben das Gelübde habe thun Laffen, 
den Nothleidenden gegen Unterbrüdung der Maͤchtigern beizuftehn. 
Da es aber die Klugheit erfordert, nichts durch Gewalt zu thun, 
was man burg Güte erlangen kann, fo bitt ich hiemit den Herrn 
Commiffär und eure Wächter, euch loszuſchließen und in Frieden 
eure Straße wandern zu Iaffen. Es wird dem Könige nie an Leuten 
fehlen, die ihm unter beffern Bedingungen dienen, und es ſcheint mir 
hart, Leute zu Sklaven zu machen, die Gott und bie Natur frei 
ſchuf. Und überdies, Ihr Herren Aufſeher,“ fuhr Don Quixote 
fort, „haben Euch alle diefe Armen nichts zu Leive gethan. Ein Jever 
hat für feine eigne Sünden Rechenſchaft zu geben. Es ift ein Gott 
im Himmel, der nicht müde wird, das Böfe zu befirafen und das 
Gute zu belopnen, und es geziemt ehrlichen Leuten nicht, Henker 


andrer Menſchen zu werben, bie ihnen nichts gethan haben. Diefes '' 


bitte und begehr ich von Euch fo gütig und Höflih, damit ih Euch 
dafür danfen kann, wenn Ihr mir es gewähret, Wo nit, fo fol 
Eu diefe Lanze, dies Schwert und die Stärfe meines Armes zeigen, 


daß Ihr es mit Gewalt thun müßt.“ 


nSeht mir doc die allerlichfte Flegelei!“ verſetzte der Com⸗ 
miffär. „Ein feiner Spaß auf ven die Sache Hinausläuft! Warum 
nicht gar des Königs Gefangne Ioslaflen, als Hätten wir Macht, das 
zu thun, oder Ihr es uns zu gebieten? Geht, Lieber Herr! zieht in 
Gottes Namen Eure Straße, rüdt Euch das Bartbeden auf dem 
Kopfe zurecht, und befümmert Euch nit um ungelegte Gier.” — 
„Ihr ſeyd das Ei, die Gans und ein Epigbube dazu,“ ſchrie Don 
Deirote, und rannte fo haſtig auf ihn los, daß er ben Commiſſär, 
der fi nicht fo geſchwind vertheidigen Tomate, mit einem Lanzenfloße 
übel verwuntet zu Boten warf. Zum Glück war es ter, fo das 
Feuerrohr führte. Die antern von der Wade waren erfi wie vom 














288 | Don Quixote. 


Donner gerührt, und wußten nicht, was fie tun follten. Sie faßten 
ſich aber und fielen mit ihren Degen und Hellebarben über unfern 
Nitter her, ber fie zwar ganz gelaffen erwartete, dem es aber doch 
übel gegangen feyn würde, wenn bie Galeerenſtlaven nicht die Gele- 
genheit fi zu befreien augenblicklich ergriffen, und die Kette, an 
welder fie giengen, zu zerbrechen gefucht hätten. Die Verwirrung 
war fo groß, daß die Wache, melde bald zu den Ruderknechten Tief, 
die fi losmachten, bald fih gegen Don Duirote vertheibigen 
mußte, nichts mehr ausrichten konnte. Sancho half indeſſen, was 
er Eonnte, dem Gines von Paffamonte Ios, der auch, zuerſt 
feiner Ketten Ievig, zum Eommiffär hinlief, ihm Schwert und Fener- 
rohr nahm, und damit bald auf diefen, bald auf jenen zielte, ohne 
Ioszubräden. In Kurzem war feine Wache mehr zu hören noch zu 
fehen, denn fie Hatten Alle, tHeils vor Paffamontes Gewehr, theils 
vor dem ſchrecklichen Steinhagel, womit die Iosgefommnen Ruber- 
ſtlaven fie verfolgten, die Flucht ergriffen. Dem Sancho war nit 
wohl zu Muthe, da er fah, daß bie Sache fo ablief; denn er dachte 
ſich nichts gewiffer, als daß die Flüchtigen der heiligen Hermandad bie 
Sage anzeigten, und dieſe nun allenthalben an vie Glocken ſchlagen 
und ben Thätern nachfegen würde. Er entdeckte feinem Herrn bie 
Angft feines Herzens, und bat ihn, fih gefhwinde davon zu machen, 
und in das benachbarte Gebirge zu verfteden. „Es mag wohl 
ſeyn,“ fagte Don Duirote, „aber ich weiß ſchon, was ich jetzt 
zu thun habe.“ Und Hiemit rief er alle die Galeerenfflaven zu- 
fammen, bie ſchon umperliefen, und den Commiffär bereits bis auf 
die bloße Haut ausgezogen hatten. Sie fammelten fih wieder, ſchloßen 
einen Kreis um ihn her, und wollten hören, was er ihnen zu fagen 
habe. „Ehrlichen und rechtſchaffnen Leuten,“ redete er fie an, „ger 
ziemt es, für empfangne Wohlthaten dankbar zu feyn, denn unter 
allen Sünden beleidigt Gott Undankbarkeit am meiften. Ih fag 
euch dies, meine Freunde, weil ihr aus der Erfahrung fehet, was 
ihr von mir empfangen habt. Zu Belohnung deffen, ift nun meine 
Bitt und Begehr, daß ihr euch mit biefer Kette, davon ih euch 
befreit Habe, wiederum beladen auf ven Weg machet, und Hinzichet 
zur Stadt Tobofo, bafeldften euch dem Fräulein Dulcinea von 

















XXI. Kapitel 259 


Toboſo geborfamlih ftellet, und ihr fagt, daß ihr Nitter, ber 
Nitter von der traurigen Geftalt, fi ihr zu Lieb und Gunften 
befebfe, ihr hierauf von Punkt zu Punkt alles treulich erzählt, was 
fih bei diefem merkwürdigen Abentener von Anfang bis zu Ende 
jugetragen; und wenn ihr biefes verrichtet habt, fo ziehet Hin in 
Frieden. * 

Gines von Paffamonte führte im Namen Aller das Wort, 
und fprah: „Herr Ritter und Befreier, was Ihr da pon uns ver 
Tangt, iſt ung zu erfüllen rein unmöglich. Wir bürfen micht in Ge— 
ſellſchaft auf der Straße ziehen, fondern allein und vertheilt; Jeder 
muß für fih forgen, und wenns möglich wäre, ſich vor der heiligen 
Hermandab unter bie Erbe verjteden, bie ganz gewiß nach ung ftreifen 
wird. Was Ihr aber thun könnt, gefirenger Herr, und was ich 
auch für billig finde, ift, daß Ihr den Auftrag an das Fräufein Dul- 
einea von Toboſo in eine Anzahl Ave Marias und Erebos 
verwandelt, die wir für Euer Geftrengen fprechen ſollen. Dies ift 
eine Sache, die wir bei Tag und Nacht, auf ber Flucht und zu 
Haufe, im Krieg und Frieden thun können. Aber eher könntet 
Ihr Euch einbifden, es fey jegt Nacht, da es doch Morgens zehn 
Uhr if, und eher Fönntet Ihr Birnen von Ulmen fchütteln, als 
venfen, daß wir ung wieder nach den Fleiſchtöpfen Aegyptens 
fehnen, ich meine unfre Ketten aufhocken und damit nah Tobofo 
wandern werben, # 

„Nun, fo ſchwör ich auch bei dem und dem,” ſchrie Don Dui- 
rote, vor Zorn ſchon außer fih, „daß du, Herr von Hurenfohn, 
Don Öinifello von Parapilla, oder wie du fonft heißen magft, 
ganz allein die Kette überhängen, den Schwanz zwifgen die Beine 
nehmen, wie ein begofner Hund, und hinwandern ſollſt.“ 

Paffamonte, der ohnedies nicht viel ertragen konnte und 
aus ber Narrheit, die Don Duirote begangen hatte, fie in Frei» 
heit zu fegen, fhon merkte, daß es nicht richtig bei ihm fey, konnte 
fih nit fo behandeln laſſen. Er winkte feinen Kameraden, fie ent 
fernten fih, und fiengen dermaßen an mit Steinen Toszuhageln, daß 
er nicht Hände genug hatte, fih mit der Tartſche zu bedecken, und 
der arme Rozinante achtete diesmal der Sporen fo wenig, als wär 











Don Quirote, 


er ans Metall gegoffen. Saucho kroch hinter feinen Efel, und 
ſchühte fh fo gegen den Steinregen, der fie beide traf. Der Ritter 
aber konute ſich doch nicht fo völlig bedecken, daß ihm nicht einige 
derbe Steine den Leib, und zwar ſo ungeftüm trafen, daß er zu Boden 
ſtürzte. Kaum lag er, fo lief der Student hin, nahm ihm das Bart ⸗ 
beden vom Kopfe, flug es ihm drei» bis viermal anf den Nüden 
und eben fo vielmal wider bie Erbe, dafı es faft in Stücken gieng. 
Sie nahmen ihm überdies den Waffenmantel, den er über der Rüftung 
führte, und Hätten ihm auch gerne die Hofen ausgezogen, wenn bie 
Bein ſchieuen fie nicht verhindert hätten. Dem armen Saudo nahmen 
fie feinen Ueberrech, und liegen ihm im Wammfe liegen, theilten die 
gemachte Beute unter fih und giengen auseinander, weil fie Alle 
mehr Luft Hatte, ver heiligen Hermandad zu entwiſchen, als bie 
Kette aufzuladen und fih dem Fräulein Dulcinea von Tobofo 
zu ſtellen. 














XXI Kapitel, 261 


Der Efel, Nozinante, Saucho und fein Herr blieben allein 
auf der Wahlſtatt. Der Eſel fland mit hängendem Kopfe in tiefen 
Gedanken, fchättelte von Zeit zu Zeit die Ohren, als bauerte ber 
Steinregen, der ihm um die Dfren gefaust Hatte, mod immer fort, 
Nozinante, dem auch ein GSteinwurf zu Boden gefchlagen hatte, 
fag neben feinen Herrn geſtreclt. Sauch o land in feinem Wanmfe 
da und zitterfe vor der heifigen Hermandad. Don Dnirote aber 
wollte nor Unmuth faft vergehen, daß ihn eben bie, benen er Gutes 
gethan, fo mißhandelt hatten. 

















Don Quirote. 


Dreiundzswanzigites Rapitel. 


Was unferm berüßmten Nitter in ber Slerra Diorena begegnete, — Gins der feltenften Abentener 
diefer wahrhaften Geidichte 


as hab ich doch von jeher fagen hören, 
Sancho, daß man Waffer ing Meer 
trägt, wenn man ſchlechtem Volke Wohl- 
thaten erzeigt;“ ſprach der Nitter, als er 
fich fo übel zugerichtet fah. „Hätt ich dir 
geglaubt, fo hätt ich jegt einen Verdruß 
weniger. Aber gefchehen ifts; Geduld! 
Wir wollen in Zukunft durch Schaden 
ug werben!“ — „Ja, wo Ihr einmal 
durd Schaden Hug werdet, geftrenger Herr, 
fo bin ich ein Türke,“ verſetzte Saucho. „Aber weil Ihr doch 
ſprecht: Hätt ich dir geglaubt, fo hätt ich einen Verdruß weniger, fo 
glaubt mir noch, und vermeidet ein noch größres Unglüd; denn das 
müßt Zhr wiffen, daß man ber heifigen Hermandad mit Ritterftreichen 
nicht fommen darf: fie giebt feine zwei Heller für alle fahrenden 
Ritter in der Welt, und es ift mir nichts anders, als wenn mir ihre 
Wurfſpieße ſchon um die Ohren ſummten.“ 

















XXI. Kapitel, 263 


„Du bi eine geberne Menme, Sauchol“ verjegte Don 
Quirote. „Damit du aber nit jagen kanuſt, ich ſey hartnädig 
und folge nie deinem Nathe, fo will ih es jept than und dem 
Ungethüm ausweihen, das du fo fehr fürchteſtz; doch mit der ausbrüd- 
lichen Bedingung, daß but, weder lebeudig nod todt, Jemanden fagft, 
ich habe aus Furcht dieſe Gefahr geflohen ober sermieben. ſondern 
blos, weil id deinen Bitten nachgegeben habe; und fagft du es 
anders, fo leugſt du jet und dann, umb daun und jeht; und ich 
zeihe dich von mum an und immer einer Lüge, und fage, du leugſt 
und wirſt Lügen, fo oft du ed nur benfft ober fageft. Und fag mir 
nichts dagegen, denn che du nur deufen ſollſt, daß ich mich vor einer 
Gefahr, und ſonderlich vor diefer, die etwas zu bedeuten fiheint, aus 
einem Schatten von Furt, weichen fönnte, eher will ich bier fl 
bleiben umd nicht allein bie heilige Brüderfigaft, vor ber du ſo 
fürchteſt, ſondern au alle Brüder der zwölf Stämme Ifraeld, die 
ſieben Maffabäer, Caſtor und Pollur, und alle Brüder und 
Brüderfhaften der ganzen Welt erwarten.” — „Gefrenger Herr,” 
antwortete Sauch d, „fih zurückziehen, heißt nicht davonlaufen, 
und den Kopf hoch tragen, iſt nicht Klugheit, zumal wenn und bie 
Gefahr über den Mopf gewadfen if. Wer Aug if, fihont fi heut 
‚anf morgen, und ſeht nicht Alles mit einenimafe auf das Spiel; denn 
das müßt Ihe willen, ob ih gfeih nur eit gemeiner einfältiger Bauer 
bin, fo habe ich doch ein Bishen von den, was man Lebenoklugheit 
nennt, weggefeiegt, und affo darfs Euch nit reuen, meinen Rath 
angenommen zu haben. Steigt auf, geftrenger Herr! wenn Ihr nicht 
könnt, fo will ih Euch helfen; und folgt mir nad; denn mein Geiſt 
fagt mir, daß wir jet die Beine nöthiger haben werden, als die 
Fünfte." Don Duirste flieg ganz ſtillſchweigend auf, Sande 
zog auf feinem Efel voran, und fo machten fie fih in bie Sierra 
Morena binein, deren Worbergebirg ganz mahe war, Saucho 
gedachte fie gueer zu durchziehn, den Weg auf Bifo oder Almodovar 
del Campo zu mehnten, und fi am biefen raufen Orten vor ber 
Hermandad zu verbergen Mas ihm noch mehr dazu aufmunterte, 
war: er bemerfie, baf ber Brobfad, dem er anf feinem Eſel führte, 
glädtih den Händen der Muderfuechte entgangen fey; eine Sache, 














264 - Don Quixote. 


die er für ein Wunderwerk hielt, nach dem, was ihnen biefe Räuber 
genommen und wie fie das Ihrige durchſucht hatten. 

Diefe Racht gelangten fie bis mitten in das Inure der Gierra 
Morena, wo Sancho für gut fand, einige Tage flille zu Tiegen 
und fi verborgen zu halten, wenigflens fo Tange, als der Proviant 
dauerte, den er bei fi Hatte. Sie fihlugen alfo ihr Nachtlager 
zwiſchen zwei Felſen unter einigen Korkbäumen auf. Allein das 
Schickſal — welches nah der Meinung der Un- und Irrgläubigen 
Alles nach feinem Belieben lenkt — fügte es für diesmal, daß 
Gines von Paffamonte, der berüchtigte Räuber und Spitzbube, 
aus gerechter Furcht vor ber heiligen Hermandad fi auch in biefem 
Gebirge verkrochen hatte, und gerade an ben Ort, wo Don Qui⸗ 
zote und Sancho Panfa ihr Nachtlager auffchlugen und eben 
riclafen wollten, führte ihn das Sqhigſal und feine Angf, und- 
zwar noch frühe genug, daß er im Stande war, fie zu erfennen. 
Da nun folhe Böfewichter immer undanfbar find, und bie Noth fie 
mandes Mittel lehrt, ſich zu Helfen, ihnen auch das nächſte immer 
das liebſte ift, fo beſchloß der verruchte Gines, dem armen Sancho 
ſeinen Eſel zu ſtehlen, der ihm viel Tiebeg war· els Rozinante, 
welchen er weder zu verſetzen no zu verfanfen ſichntzaute. Saucho 
ſchlief, er ſtahl ihm fein Thier glücklich, nyd eh ea wurde, war 
ex ſchon weit genug, daß er nicht gefunden menge fonnte. Die 
Morgenröthe brach an, der Welt zur Freubg, aber 2. armen Sandho 
Panſa zum bitterften Herzeleid, benn fdn lieber Vrauer war fort. 
Er erhob das jämmerlichfte Klagegeſchrei, als er < dergeftalt der⸗ 
Taffen fah, und weinte fo laut, daß Don Duirote darüber erwachte, 
und noch folgendes Klaglied hoͤrte: „O, mein lieber Herzensſohn, in 
meinem Haus geboren, du Spielgeſell meiner Jungen, du Augapfel 
meiner Frau; du warſt meinen Nachbarn ein Dorn im Auge, die 
Stüge meiner Laſt, mein halber Pflegevater. Denn mit den ſechs⸗ 
undzwanzig Kreuzern, die bu mir täglich erwarbft, beftritt ich meine 
halbe Haushaltung! " Don Dusrote tröflete, als er biefes Klage- 
lied hörte und die Urfache davon erfuhr, feinen Sancho fo gut er 
konnte, bat ihn, er möchte ſich doch zufrieden geben, und verſprach 
ihm einen Wechſel auf drei andre Efel von ven fünfen, bie er zu 




















Haufe — hatte. Saucho beruhigte — wiſchte die 
Tpränen ans ben Augen, hörte anf zu ſchluchzen und daulte feinem 


ermiefen, 
außerordentlich vergnügt über die rauhen 
irges, denn Fein Pag däntte ihm bequemer zu 
, als diefer. Sein Gedächtniß flelite ihm 
Karen Zufälle dar, welche fahrenden Rittern 
aufgeftofien waren. Er verfanf fo tief in Ge⸗ 


danfen, daf er AR nichts ig der Welt fonft dachte; Sanho Kingegen, 
ber nur froh daß & fein eignes Fell in Sicherheit wußte, 


Sakte fein Geſchaſt, als feinen Magen mit den Ueber- 
bleikfeln der geitlichen Neifeläge zu ſtopfen. Mad Weiberart auf 
feinem Efet* figenb, ritt er hinter Don Dairote AS nahm immer 
einen Biſſen na dem andern aus bem Gade, warf ihn in feinen 
Wanſt und Höfte feinen Deut um ein nenes Abenteuer gegeben, das 
ihn in diefer füßen Befhäftigung gefört hätte, Judeß bemerkte er, 
daß fein Here flilfe hielt, und ich weiß nicht, was für einen Bündel, 

* Gin ſonderbaret Wiberfpruc, in melden man [dem eine Parotie ver Ritterromane bat 
finzen wollen, die ih vurch Andaufung folder Birerivrühe autzeihneten, Natuelicher it cn 


vielleiät anzunehmen, Gernantes Habe erjt nach einiger Unterbrebung an bieiem Kapitel fort: 
geihrieden, und die Aleinigteit von San os Gfel vergeffen. 


Den Bufretet 











2366 Don Quixote. 


der auf der Erbe Tag, mit ber Lanze aufheben wollte. Ex lief baher 
eilig hinzu und wollte feinem Herrn helfen, der eben ein fhon halb⸗ 
verfaultes Reittiſſen und einen daran gebunbnen Heinen Mantelſack an 
vie Lanze geſtochen hatte. Es war aber fo ſchwer, bag Sanchos 


Hilfe nötig war. Don Quixote befahl ihm, zu fehen, was in 
dem DMantelfade ſey. Er ließ ſichs nicht zweimal heißen, und un« 
geachtet der Mantelſack mit einer Kette und einem Schloffe verwahrt 
war, konute doch Saucho bur ein Loch, wo er verfault war, vier 
Hemden von feiner holländiſcher Leinwand, nebft andrer feiner Wäfche 
und ein hübſches Klümpchen Gold, in ein Schnupftuch gebunden, 
heransziehen. 











XXI. Kapitel, 267 


„Gott fey taufenbmal gedankt," ſchrie Saucho bei diefem An- 
blide, „daß er uns doch einmal ein gutes Abenteuer zufidt,“ Da 
er weiter ſuchte, fand er noch ein Meines Taſchenbuch, fehr reich 
verziert, Don Quixote nahm ihm dies ab, das Gold aber, fagte 


er, follt er für fi behalten. Sando füfte feinem Here die Hand 
für diefe Gnade, plünderte den Mantelfat vollends rein aus und 
ſtedte Alles zufammen in feinen Schnappſack. Sauchol“ ſprach 
Don Duirste, „ih weiß nicht, was ih von dem Dinge denfen 
fol: es Tann wicht andersfegn, als ein Neifender maß ſich in diefem 
Gebirge verirrt haben, er muß Näubern in die Hände gefallen feyn, 
bie ihn umgebracht und in diefer Einsde begraben haben." — „Das 
glanb ih nicht,” ſprach Sanıho, „denn wären’s Nänber gewefen, 
fo Hätten fie das Geld gewiß nit liegen laſſen.“ — „Das if auch 
wahr,* verfegte Don Quixote, „und ich begreife fhlehterbings 
nicht, wie das zugegangen fegn muß. Aber warte nur, wir wollen 
feben, ob wir midt im biefem Taſchenbuche etwas finden, das uns 
auf die Spur Hilft.“ Er machte es auf, und bad erfle, was er 
darinnen fand, war folgendes Gonett, im erſten Entwurfe, übrigens 
deutlich hingeſchrieben, weldes er dem Samch Sant vorlat. 


Weiß Amor nicht, wie fhwer er mich gefhlagen? 
I feine Graufamfeit unmäßig groß? 
Beſchied des Himmels Wille mir das Loos, 
Bas Anbern unerträglih, zu ertragen? 


Ber mir fo voll den Kelch des Leidens gef, 
IM Amer nihi; denn alle meine Klagen 
Hört fein allbörend Opr; nicht um zu plagen, 
Spannt diefer fanfte Dämon fein Geſchoß. 














Don Buirote, 


Der Himmel auch ſchuf nimmer folh Berberben, 
Und Ppplis, ſollte Phyllis ſchuldig ſeyn ? 
Dann wäre gut auch böſe, Ja auch Nein. 


An mir kann ſich kein Arzt mehr Dank erwerben: 
Verborgen liegt die Quelle meiner Pein; 
Mir bleibt nichts übrig, als der Wunſch zu ſterben. 


„Aus dem Liedchen wird man nicht klug,“ ſprach Sauch oz 
„denn der Teufel weiß, ob er mit ſeinem Filze einen Hut meint, 
oder was ſonſt.“ — „Wo iſt denn was vom Filze?“ ſprach Don 
Quixote. — „Es war mir nicht anders, als wenn Euer Geſtren⸗ 
gen etwas von einem Filz vorläfe,“ antwortete Sauch o. — „Lieber 
Gott, was du doch hörſt, Sanchol“ verfeste Don Quixote. 
„Phyllie Hab ich gefagt, und das if unfkreitig der Name der 
Dame, beren ber Verfafler in diefem Sonett gevenfet; und wahrhaftig, 
er muß fein übler Dichter feyn, oder ich verflehe nichts von ber 
Kunſt.“ — „Ei, gefirenger Herr,“ fprah Saucho, „verfteht Ihr 
Euch denn auch auf das Verfemahen?“ — „Und beffer, als du 
vielleiht glaubſt,“ antwortete der Ritter; „aber du ſollſt ſehen, wenn 
ich dir einen Brief von oben an bis unten in Berfen an mein Fräu- 
Tein Dulcinea von Tobofo zu überbringen geben werde. Denn das 
mußt du wiffen, Sancho, alle, oder doch die meiften fahrenden Ritter 
der vorigen Zeiten waren große Poeten und große Sänger und Sai- 
tenfpieler. Denn biefe Fähigkeiten oder Gottesgaben waren flets 
wefentliche Eigenſchaften verlichter Nitter, ob man gleih auch ge- 
fiehen muß, daß ihre Lieder mehr Geift und Feuer als Kunft haben.“ 
— „Lkeſet nur weiter,“ ſprach Sanıho, „vielleicht fommen wir noch 
auf den Grund. 

Don Duirote flug das Blatt um und fprah: „Da kommt 
Profa, und wie mich dünkt, iſts ein Brief.“ — „Ein Brieft“ 
ſchrie San o, „da wirds drinnen fegn.“ — „Born herein ſcheint 
es mir gar ein Liebesbrief,“ verfezte Don Quixote. — „Ei, Iefet 
ihn doch laut, geftrenger Herr, ih höre für mein Leben gern Lie- 
besbriefchen,“ ſprach Sancho. — „Das gefällt mir," fagte Don 
Duirote und las Folgendes: 














XXIH. Kapitel, 269 


Prierf 

Dein falſches Verſprechen und mein gewiſſes Unglück treiben 
mich an einen Ort, yon wannen Da eher bie Nachricht, daß ich 
seftorden ſey, als die Stimme meiner lagen vernehmen wirſt. 
Du Haft mich verworfen, Undanfbare, wegen eines Neihern, der 
aber nicht mehr Verdieuſte befigt, ala ih. Wäre Tugend ein 
Reigtham, den man zu fhäten wüßte, fo hätte ich jept nicht Andrer 
Reiptpum zu beneiden und mein Unglüd zu beflagen. Bas Du 
dar Deine Schönkeit gewann, haft Du durch Dein Yelragen 
wieber verloren. Nah jener warft Du mir ein Engel, und nach 
diefem biſt Du nichts mehr, als cin Weib. Lebe wohl und zufric- 
den, Du Duelle meiner Unzufriedenheit! Gebe der Dimmel, daß 
das Unrecht ſtets unbelannt bleibe, welches Du Deinem Bräutigam 
erwiefeft, damit Di nicht gereuet, mas Du geiham daft, und 
ich mich nicht wider Willen an Dir räden müſſe. 


„Aus dem Briefe ſieht man mihts mehr, als aus den Verſen,“ 
fprah Don Duirote. „Alles, was ich Kann, if, 
daß ihn ein anglücklicher Liebhaber leben hat.“ Er blätterte 
weiter in dem Taſchenbuche und fand noch mehr Berfe und Briefe, 
davon er noch einige fefen Fonnte, andre nicht. Alle enthielten SHa- 
gen, Vorwürfe, Zweifel, Vergnügen und Mifvergnügen, Gunft und 
Ungunft; jenes erhoben, biefes beweiat. Judeſ Don Quixote bas 
Buch durchſah, fühte Sande, damit ja nichts drin fteden bleibe, 
nochmals den Mantelfad und das Neitliffen fo ängſtlich und genau 
durch, daß er auch feine Falte undurchſtört, keine Rath unzertreunt 
und fein Löckhen Wolle unverzaust ließ, fo Tüftern Hatten ihn die 
gefundnen Golsftüde, deren doch über hundert waren, gemacht. ‚Db 
er gleich nicht mehr fand, fo Hielt er fich doch für feine Prelle, für bie Wir- 
fang des Wunderbalfams, für die Prügelei mit ben Stangen, für die 
Fauftſchlage des Efelstreibers, für den Verluſt feines Schnappfads und 
Oberrods, und für allen Hunger, Durſt und Sammer, fo er mit feinem 
lichen Herrn ausgeftanden Hatte, durch feinen Fund reichg belohnt. 

Unfer Ritter von der traurigen Geſtalt hatte für fein Leben 
gern den Herrn des Mantelſacks gewußt, tenn er fhloß aus dem 
Sonett, aus dem Briefe, aus dem Gold und and der feinen Wäſche, 
daß es rin vornchmer Verliebter feyn müffe, den feine Liebe und 











0 Don Quixote. 


die Grauſamleit feiner Dame zur Verzweiflung gebracht habe. Da er aber 
in biefer rauen Eindde Niemand vermuthen Fonmte, ber ihm Nach⸗ 
richt davon gäbe, fo dacht er nicht weiter drauf, fonbern zog fort, 
wohin fein Rozinante wollte, ver auch immer ben gangbarften Weg 
fuchte; er aber befhäftigte fih mit der Hoffnung, daß es ihm im 
biefen wüften Gchöfgen nicht an einem ganz außerorbentlihen Aben- 
teuer fehlen werde. 

Da er nun in dieſen Gebanfen vertieft dahin 309, ſah er auf 
einer Heinen Anhöhe vor fih einen Menſchen mit außerordentlicher 
Leichtigkeit von Kippe zu Mippe und von Buſch zu Buſch fpringen. 








NXIL Kapitel, 271 


Er ſchien ihm oberhalb nackt, mit einem ſchwarzen dicken Barte, Tangen 
verwirrten Haaren und barfuß. Das einzige, was er noch von Klei⸗ 
dung am fih hatte, waren ein Paar Hofen, dem Schein nad von 
braunem Santmt, aber ‚fo zerriffen, daß man an vielen Orten das 
bloße Fleiſch fahe. Den Kopf trug er ebenfalls unbebedt, und ob er 
gleich fo ſchnell worbeifprang, bemerkte dech der Nitter ven ber trau ⸗ 
rigen Geſtalt alle biefe Sfeinigleiten. Don Duirote wollte ihm 
eben fo ſchnell nahfolgen, aber dem guten Tangfamen und. fraftfofen 
Rozinante war es nicht gegeben, über biefe raupen Klippen wegzu - 
laufen. Jadeß hielt Don Quixote dieſen Menfen doch gewiß; für 
den Heren bes Neitfiffens und Mantelfads, und war feft eutſchloſſen, 
ihn aufzufugen, wenn er aud ein ganzes Jahr Tang in, diefen Ge» 
birgen nad ihm umberziehen follte. Deßhalb befahl er dem Sauch o 
von feinem Thiere abzufleigen, und die eine Geite des Bergs zu 
umgehen, indeß er bie andre näßme, um vieleicht auf biefe Art 
den Flüchtling zu finden, „Nein, geftrenger Herr, das kann ich un 

\ möglich," verfegte Sanı denn wenn ih nur einen Schritt weit 
vom Euch gehe, fo kommt mic gleich eine Furcht an, als wenn alle 
Teufel und Gefpenfter num erfheinen wollten. Nein, meiner Treu, 
das verlangt nicht von mir, denn einmal für allemal, ih weiche 
feinen Ringer breit von End." — „Nun fo fey es,” verſehte der 
Nitter von der traurigen Geflalt, „ed iſt mir lich, da bu fo grefe 
Stüde auf meinen Muth Hältft und der foll dich auch nicht verlaſſen; 
denn ehe follen ſich bei dir Leib und Seele fheiven. Komm mir jegt 
Säritt vor Schritt nah, oder fo gut du lannſt; aber mad aus 
deinen Augen Laternen, während wir biefen Hügel umziehen, vielleicht 
finden wir den Mann, den wir fahen, deun er muß unftreitig ber 
Befiger des gefundaen Mantelfats ſeyn.“ 

„Bärs wicht beffer, gefirenger Herre, wir fuchten ihn Lieber 
nit?" ſprach Sanyo, „denn finden wir ihn, und gehört ihm das 
Geld vielleicht, fo muß ichs ihm ja notwendig wieder geben. Klüger 
wärs alfo, wir liefen unfer unnäges Suchen bleiben und behielten in 
allen Ehren unfern Zund, bis twir einmal vor ungefähr und ungefucht 
feinen reiten Herrn anträfen, vielleicht wenn ſchon alles verzehrt 
wäre, und dam — wo mihts ift, ba hat der Kaiſer fein Recht 








— — — — — 

272 Den Quirote 

verloren." — „Falſch, Lieber Sancho,“ verfegte Don Duirote; 
„bern da wir ben Herrn biefer Saden wenigſtens doch vermuthen 
Binnen, find wir fhlechterbings verbunden, ihn aufzufuhen und ihm 
das Seinige zuzuftellen; und ſuchen wir ifm nicht, fo macht uns fon 
die Wahrſcheinlichleit, daß er ber Befißer fey, eben fo firaf- 
bar, als müßten wirs gewiß. Laß did alfo nur das Suchen nit 
verbrießen, Freund Sando, denn mir wirb ein Stein vom Herzen 
fallen, wenn wir ihn finden.“ Hiermit ftah er ven Rozinante 
an und Sanmch o folgte ihm auf feinem Tpiere nah. Ts fie um 
den Berg herum famen, fanden fie in einem Lore einen. todten Maufr 
efel mit Sattel und Zaum, den die Hunde und Naben fon halb 





aufgefreffen Hatten. Alles dies beftärkte fie in der Vermuthung, daß 
jener Fliehende ber Herr des Efels und Mantelſacks ſeyn müſſe. 











XXIN. Kapitel. 273 


Indem fie fo daſtanden, hörten fie pfeifen, wie einen Hirten 
bei der Heerbe; gleich daranf kam Iinfer Hand eine gute Heerbe Zier 
gen zum Borfhein und auf der Spige des Bergs zeigte ſich der Hirte, 
der ein äftliher Mann war. Don Dnirote rief ihm und bat ihm 


— A | 


* — 


herabzutommmen. Der Alte ſchrie ihnen zu, was ſie denn in dieſer 
rauhen Wuſtenei mollten, die mie von einem Menfen und zur 
von Ziegen, Wölfen und andern wilden Tieren beſucht 'würbe? 
Sanıho rief ihm wieder zu, er follte herlommen, fie wollten ihm 
Alles erzählen, Der Hirte Fam Herunter und fagte, ba er zw 
Don Duirote gekommen war: Ich wollte wohl weiten, 
daß ihr daſteht und ben Mietheſel beſehei. Es iſt meiner Treue 
ſchon bei ſechs Monaten, daß er da in dem Loche liegt. Aber ſagt 





Der Deine. b 








2374 Bon Quirote. 


mir doch, Habt Ihr nicht irgend feinen Herm hier herum gefun- 
den?" — „Wir haben nichts gefunden,” verfezte Don Quixote, 
mals ein Neitkiffen und einen Mantelfad nicht weit von hier.“ — 
„Das hab ich auch gefunden,” verfeßte der Ziegenhirt, „habs aber 
nie anrühren mögen; ich bin nicht einmal vecht nahe hingegangen, 
denn ich traute bem Dinge nit: man hätte mir können Diebſtahl 
Schuld geben; denn der Teufel if ein Schelm, er wirft einem manch ⸗ 
mal was in ben Weg, daß man barüber hinftolpert, ohne zu wiffen 
wie, ober warum.” — „Das fpreh ih auch,“ verfehte Saucho, 
nich habs auch gefunden, bin aber wohl einen ganzen Gteinwurf weit 
davon geblieben. Da mags Tiegen bleiben, wo es Liegt. Ih mag 
den Hund mit ber Schelle nicht.” — „Sagt mir doch, guter Freund,“ 
ſprach Don Quixote, „wißt ihr nicht, wem dieſe Sachen zugehö- 
rent“ — „Alles, was ih Euch davon fagen kann,“ verfeßte der 
Ziegenpirte, „if das: Es wirb ungefähr ſechs Monate her feyn, da 
fam ein junger feinee Menfch auf eben dem Mauleſel, den Ihr da 
Tiegen feht, und mit eben dem Neitfiffen und Mantelfad, den Ihr 
gefunden und nicht berührt habt, wie Ihr fprecht, an eine von unfern 
Schäfereien, drei Meilen von hier und fragte nach ber rauheſten und 
verborgenſten Wüſtenei in biefem Gebirge. Wir wiefen ihm ben 
Platz, wo wir jegt find, wie ers denn auch ifl; denn wenn Ihr nur 
noch eine halbe Meile tiefer Hineingeht, fo Könnt Ihr Euch nicht 
wieber zurechte finden, und ich wundre mich nur, wie Ihr daher ge» 
Iommen ſeyd, benn es ift weder Weg noch Steg ta. Daß ichs Eu 
aber weiter erzähle, fo hatte der junge Menſch faum unfre Antwort 
gehört, als er umkehrte und nah dem Orte zuritt, den wir ihm 
gezeigt hatten. Wir waren ganz verwundert über fein feines An- 
fehen und daß er fo eine Frage that und darnach fo eilfertig ins 
Gebirge ritt. Seit ver Zeit fahen und hörten wir nichts mehr von 
ihm, als bis er eine Weile drauf unterwegs einem unfrer Schäfer 
begegnet und ihn ohne ein Wort zu fagen, anfällt, ihm viele Fauſt⸗ 
läge gibt, fih über feinen Padefel hermacht und ihm alles Brod 
und Räfe, bas drauf war nimmt, und darnach eben fo gefhwind 
ins Gebirge zurüdfpringt. Da wir das hörten, gieugen unferer 
Etliche Hin und ſuchten faſt zwei Tage Iang im tiefflen Gebirge. 











XXI. Kapitel, 


— 
Endlich kanden wir ihn in-einem grüßen hohlen Korlbaume Liegen. 
Er Fam und freundfich entgegen; ſchon war fein Kleid fo zerriffen, 


fein Geſicht fo-entfelt und von der Sonne verbrannt, baf wir ige 
laum noch; am den Fepen' dis Kleide erkannten, welches wir früher 
am ihm gefehen Hatten. Er grüßte ung höflich and fieng vernünftig an 
zu redenr wie follten uns nit wundern, daß wir ihn in der Geſtalt 
herumziehen fühen, denn er mäßte eine ſchwere Buße vollbringen, bie 
ihm feiner vielen Sünden wegen auferlegt wäre. Wir baten ihn, er 
möchte ung doch fagen, wer er wäre; aber dagu Fonmten wir ihm micht 
bringen. Wenn Ihr was zu Eurem Unterhalte nöthig Habt, ſprachen 
wir, fo fagts uns nur, wo wir Eu antreffen, denn wir wollen 
Euch ja berzlih gerne geben and bringen, und wenn Ihr mit dem 
Wenigen vorlieb nehmen wollt, fo lommt doch nur wenigſtene und 
bittet uns drum and nehmts ben Hirten wicht mit Gewalt. Er ber 
dankte ſich fchön für unfer Anerbieten, bat um Berzeifung beffen, 
was er gethan und verfprach insfünftige alles um Gottes Willen zu 
erbitten, was er nölhig hätte und Niemanden wieder Leides zu thuu. 
Bas feinen Aufentgaft beireffe, fagte er, hätt er feinen gewiſſen, 
fondern er bliebe immer, wo ihn bie Nacht überfiele, und num fieug 











Den Enirste. 


er bitterlig zu meinen an, daß wir Alle hätten müffen ven Etein 
fegn, wenn es uns nicht erbarmt hätte. Wir weinten alle mit ifm, 
zumal, da wir beraten, wie wir ihm erft geſehen hatien, wab wie 
er num ausſah; temm wie gejagt, es war Eud ein gar feiner licher 
junger Herr, und aus feinen Höfligen und fingen Neten ſah man 
wohl, daß er vom guter Geburt und Erziehung ſeyn müfle. Ya, fo 
groß war feine Feiaheit, daß fie auch einem Baner in tie Augen 
fallen mußte. Da er fo im beften Reten war, ſchwieg er firade 
ſtille und flug vie Augen eine ganze Beile zur Erte. Bir flanten 
da, verwuntert über biefe plötzliche Betäufung und voll Betrübniß, ihm 
in ſolchem Zuftande zu fehen; denn taraus, daß er bald tie Augen 
anffperrte und auf einen Ale hinfiarrte, bald die Augen ſchloß, die 
Lippen zufammenbig und tie Etirne runzelte, merften wir wohl, daß 
er einen Anfall von Tollheit habe. Aber es währte nicht ange, fo 
beflätigte ſichs, was wir gedacht hatten. Denn er fprang wüthend 
von ber Erbe auf, wohin er fi geworfen hatte, und fiel ten erften 
von un, ten er zu paden friegte, fo grimmig an, daß er in würde 
mit ben Fäuflen tobtgefhlagen und mit Zäpnen zerriffen haben, wern 
wir nit dazwiſchen gefprungen wären. Während ver Zeit fhrie er 
immer: ba, treufofer, verächtlicher Ferdinand, hier, hier ſollſt du 
für bie Bosheit büßen, die du mir gethan haft! mit dieſen Hänten 
will ih bir das treuloſe Herz herausreißen, in welchem tie Fülle 
aller after und vorzüglih Betrug und Meineid wohnen! Die und 
anbres mehr brachte er vor, welches aber alles auf ten Berräther 
Ferdinand gieng. Wir verließen ihn mit herzlichem Mitleiden, 
und er gieng von und, ohne weiter ein Wort zu fagen, verkroch ſich, 
und fprang fo gefgwind durch die Büfche und Dornpeden, daß wir 
ihm unmöglich folgen fonnten. Wir merften num wohl daraus, daß 
ihn tie Wuth nur zu manchen Zeiten überfiel, daß ihm ein gemiffer 
Ferdinand was Großes zu Leid gethan haben müffe, und daß er 
darüber in biefen traurigen Zuſtand gerathen ſey. Und tas haben 
wir hernach auch vielmals gefehen, wenn er uns in ben Weg fam. 
Das einemal bat er tie Hirten, fie möchten ihm zu effen geben, das 
andremal nahm ers mit Gewalt; denn wenn er feine böfe Stunde 
hat, fo nimmt ers nicht, wenn mans ihm gleich anbietet, fondern 








XXI. Kapitel. 277 


raubt eo mit Gewalt und mit Schlägen; ift er aber bei Ginnen, 
fo bittet er um Gottes Willen freundlich uud Höflih und bebanft ſich 
taufentmal unter Thränen für Alles, Und jet, meine Herrn,“ führe 
der alte Ziegenhixt, fort, „haben wir, id und noch vier andre, bason 
zwei meine Kuechte und noch zwei meine guten Freunde find, uns 
berebet, ihn aufzufuchen, und wenn wir ihn finden, mit Gewalt oder 
im Guten nad der Stadt Almodovar, die nur acht Meilen von hier 
if, zu dringen und ihm da Helfen zw faffen, wenn ihm noch ger 
hoffen werden lann, ober doch wenigftens zu erfahren, wer er if 
und ob er noch Freunde hat, denen man Nachricht von feinem Un« 
glüc geben Könnte, Das ift alles, was ih Euch auf Eure Frage 
antworten lann. Und eben der, den ihr halb nadt durch das Ge— 
birge fpringen faht (denn Don Quixote hatte es ihm gefagt, daß 
er ihn gefehen), iſt ber rechte Here zu ben Sachen, bie ihr gefün- 
den Habt,“ = 

Unfer Ritter war ganz erſtaunt über die Ergäfling des Hirten, 
wurde immer begieriger, wer der unglüdfihe Wahnſinnige ſey, und 
beſchleß noch fefler als zuvor, das ganze Gebirg und alle Winfel 
und Höhfen in bemfelben nad ihm zu durchſuchen. Das Gfüst fugte 
es aber beffer als er dachte und hoffte; denn in dem Augeublick ſah 
er ben Züngfing aus einer Felolluft in der Nähe auf fie zukommen, 
Er murmelte etwas vor fih bin, welches fie weder in der Kerne 
noch in der Nähe verfichen konnten. Sein Aufzug war wie obgedacht, 
außer daß er noch einzerrifines Koller anhatte, welches, wie Don Dui- 
xote bemerkte, da er herzufam, von wohlriechendem Leber war, wor« 
aus er fihliefen konnte, baf diefer Menſch nit von geringem Staude 
ſeyn fönne, Der Menfh gräßte fie mit einer heißern klangloſen 
Stimme, aber doch ſehr hoͤſſich Don Quixote dankte ihm nicht 
minder freundlich, flieg von feinem Rozinante ab, umarmte ihn 
mit Anftand und Würde, und hielt ihn eine lange Weile fo freund» 
ſchaftlich in feinen Armen, als, hätten fie fih fon lange gefannt, 
Der Andere, den wir den Ritter von ber zerlumpten Geftalt wie 
Don Duirote den von ber traurigen memen können, trat ein wenig 
zurüd, nachdem er fih hatte umarmen laſſen, legte feine Hände auf 
Don Duirotes Schultern, und fah isn flare au, als wollt er fih 











278 Don Oairste. 


befinuen, ob er ihn nicht keune. Er ſchien ſich auch mit weniger 
über Don Duirotes Figur, Waffen und Aufzug zw wundern, als 
dieſer fi über ihm verwunderte. Der erfle ber nad) biefer Umarmung 
den Mund öffnete, war ber Zerlumpte, wie folgt. 





Fra 


— He 


XXIV. Gapitel, 279 


Vierundzwanzigſtes Rapitel. 


Bortfeßung det Möenteuers in der Elerra Moses, 





—— — — 
auſchend hörte Don Quixote, 
unfre Geſchichte ſagt, dem une 
glüdtigen Nitter vom Gebirge zu, 
= ver ih folgenbergeflaft anredete: 
u Wer Ihr auch ſeyn möget, wer- 
IN 6 Yante Euh ger 
22 ſeht für die Proben von Hoͤflich - 
Min: = E teit und Freuudſchaft, bie Ihr mir 
gegeben habt, ungeachtet ih Eud nit lenne, und ih wüuſchte fehr, 
im Stande zu fegn, Euch mit etwas mehr ald blofem guten Willen 
für Eure Aufnahme zu dienen, Aber mein Schidfal gewäßrt mir 
nichts als gute Wünſche für Eure guten Werl. — „Ib 
wünſche nichts fo fehr,* verfepte Don Quixote, „als Euch nur 
dienen zu können, Ja ich hatte bereits beſchloſſen, dies Gebirg nicht 
eher zu verlaffen, bio ich Euch gefunden und non Euch erfahren Hätte, 
ob noch ein Mittel gegen den Schmerz, den Ihr durch diefe feltfame 
Tebensweife zu erfennen gebt, möglich ſey, um es mit allen meinen 
Kräften für Euch zu verſuchen. Wäre aber für Eure Leiden fein Troſt 
mehr, fo wollte ich dech mit Euch weinen und fie, fo gut ih 
tonnte, mit Euch tfeifen, denn immer iſt es Troſt, im Ungfüd 














20 Don Quixote. 


Jemanden zu finden, ber mit uns klagt. Glaubt Ihr, daß mein 
guter Wille einigen Dank verdient, fo bitt ich Euch, lieber 
Herr, bei der guten Lebensart, die Ihr befißt, ja ich beſchwöre Euch 
bei allem, was Ihr jemald geliebt Habt ober noch Tiebt, fagt mir, 
wer Ihr ſeyd und was Euch zu dem Entſchluſſe gebracht hat, in 
diefen Einöben wie ein wildes Thier zu leben und zu flerben. Denn 
wie ih an Euch und Eurem Anzuge fehe, ſeyd Ihr ſelbſt Euch Hier 
fremd. Ich ſchwöre Eu,“ fuhr Don Dnirote fort, „bei dem Rit- 
terorben, ben ich, obgleich unwürbig empfangen habe und bei meinem 
fahrenden Nittersamte, daß, wenn Ihr mir diefen Gefallen thut, ich 
Euch in allem Wefentlihen, wozu mi meine Pflicht verbindet, 
dienen, und Euch entweder von Eurem Unglüd befreien, ober, iſts 
nicht möglich, mit Euch weinen werde, wie ichs verſprach.“ 

Der Waldritter, als er fih vom Nitter ber traurigen Geftali 
fo anreden hörte, betrachtete ihn unverwandt vom Kopf bis auf bie 
Füße, und nachdem er dies lange genug gethan hatte, fprah er: 
„Habt Ihr zu effen, fo gebt mir um Gottes Willen etwas, denn 
wenn ich gegeffen Habe, fo will ih aus Dankbarkeit für Euern guten 
Willen gern alles tun, was Ihr woht.“” — Sogleich holte Saucho 
aus feinem Sad und der Hirte ana feiner Tafpe etwas für feinen 
Hunger. Der zerlumpte Ritter fraßßie ein — was ſie ihm 
gaben, fo haſtig und heißhungrig Sinein, daß er es nicht ſowohl 
Taute als verfchlang. Während er aß, ſprach er, fraie vie Umſte⸗ 
henden, kein Wort. 52 2 

Als er fertig war, winfte er daß fie fofgten, und führte 
fie nicht weit davon auf eine Heide Bice, die hinter einem vor- 
fpringenben Felſen fih befand. Hich ſtreckte er fi ins Gras und - 
die Andern festen ſich ſtill ſchweigend ihn her. Endlich, nachdem 
er ſich eine bequemere Lage gegeben hakte, fieng er an: „Wenn Ihr 
wollt, meine Herren, daß ich Eu min unermeßliches Unglüc kurz 
erzäßfen fol, fo müßt Ihr mir verſprechen, mit keiner Frage ober 
font etwas ben Faden meiner traurigen Geſchichte zu unterbrechen. 
Denn ſobald Ihr es thut, hör ich auf.” — 

Diefe Bedingung erinnerte Don Quixote an feines Schild- 
knappen Maͤrchen, welches auch aufpörte, fobald man bie Zapl der 











XXIV. Sapitel, 281 


übergefeßten Ziegen vergaß. — „Ich brauche diefe Vorſicht darum,“ 
fuhr der Waldritter fort, „weil ich gern geſchwind über die Geſchichte 
hinweggehen mödte, da es mir nur neue Leiden verurfacht, wenn 
ih mich an bie alten erinnre. Je weniger Ihr alfo fragt, deſto 
ſchneller komm ih zu Ende, vorausgeſetzt, daß ih nichts Wich- 
tiges auslaffe, und Euern Wunſch ganz erfülle.“ Don Quixote 
verfprah ihm im Namen der Uebrigen das Berlangte, und jener fieng 
dann feine Erzäßfung fo an: „Ic heiße Cardenio und bin ans einer 
der beften Städte von Andalufien. Mein Gefchlecht ift edel und meine 
Eltern find reich. Mein Unglüd if fo groß, daß meine Eitern mich 
nur beweinen, mir aber nicht mit ihrem Reichthume helfen können. 
Denn gegen das, was ber Himmel über uns verhängt hat, kann Feine 
Gabe des Glücs uns fhügen. In eben dem Drte lebte ein himmli- 
ſches Maͤdchen, an die der Liebesgott al feine Reize verſchwendet 
hatte, um mich zu ihrem Sklaven zu maden; fo groß if Lucindens 
Schönheit. Reich und von guter Geburt iſt fie wie ich, aber weniger 
flandpaft, als es meine reine Gefinnung um fie verdiente. Diefe 
ucinde Fichte und betete ich ſchon als ein Kind an; auch fie Fichte 
mid mit der kindlichen Unſchuld, die ihrem zarten Alter angemeffen 
war. Unſre Ef unſern gegenfeitigen Hang ohne Widerwillen, 
denn fie» wußten weht, daß, wir größer wären, eine Heirath 
der Erfolg davon Feyn würbeißfetwas, das die Gleihheit unfers 
Standegfund Vermögens ſehr wahrſcheinlich machte. Wir wurden 
größer, unfre Liebe wuchs 6 und wurbe fo Iebhaft, daß es 
Sucindeng. Bater nothig En, Yuftandes wegen, den Zu- 
tritt in feinem Haufe zu verſchen. Er that es auch wirklich und 
machte es wie der Vater der oft befungnen Thigbe. Was Half 
e6? Diese Verbot Upgt Flame zu Flamme und machte unfre Liebe 
nur Iebhafter; unſerd Zunge legte es zwar Schweigen auf, aber 
nicht unfern Federn; ‚denn ſchrieben uns nur deſto freier, was in 
unfern Geelen vorgieng. Oft macht bie Gegenwart des gelichten 
Gegenfandes ung finmm, ſchlägt unfern kühnſten Entſchluß nieder, 
und feffelt die freiefte Zunge. O Himmel! wie viele Briefe hab ich 
ihr gefcrieben! Wie mande verbindliche und fittfame Antworten 
Habe ich erhalten! Wie viele Lieber Hab ich auf fle gedichtet, worin 





Don Daireie. Lk 36 











Dos Ouirsie. 


üpl meiner Seelt lebte, zut all das Aener lag, wemit 

Pets mit tem gelichten Bilte Eefdäftigte! Errlich 

fand ig mid fo getrungen, urt mein Ger; ſchmachtete fo ſeht, Fe 
wiezer zu fehen, taf ih beſchloß, ein:n ertſcheitenten Edrüt zu 
wagen, une mi fo auf ten Givfel meiner Wünſche zu Ihwingen; 
tarz, ig wollte fie von iprem Bater zur Ehe begehren. Dies that 
id und er baufte mir ſeht für tie Ehre, fo ih ihm tur biefe Berbin- 
bang erzeigen wellte; weil aber mein Vater nech lebte, fo müßte von 
Rechtswegen tiefer tie Auwerkurg ıhun, fagte er; temn wenn es 
zigt mit tefien Bilen nur Zuftimmung geigehe, fo ſey Lucinte 
fein Marchen, tas man nur fo unter ter Hanb weggeben könne. Ih 
fand, daß er fehr Recht in tem hatte, was er fagte, tanfte ihm für 
feine Erinnerung und verfigert:, mein Vater werte gern einwilligen, 
wenn ichs ihm enttedte. Ich gieng in tiefer Abſicht augenblidiich 
zu meinem Bater, und fanb ibn mit einem offnen Briefe in ber 
Hand, ten er mir, eh ih ihm nech was fagte, mit tiefen Worten 
zu leſen gab: „Aus tiefem Briefe, Cardenio, wirft tm fehen, 


wie viele Onate ter Herzog Ricarto kir anthen will.“ — Diefer 
Herzog Ricardo, meine Herrn, müft ihr wiffen, ift ein Grande 
von Spanien, ter feine Güter in ter kefien Gegen von Antalufier 
hat. — Ich nahm und las den Brief, der in ber That fo ſchmeichelhaft 














XXIV, Kapitel, 283 


war, baf es mir ſelbſt ſchien, mein Bater mäffe bes Herzogs 
Berfangen erfüllen, als welcher mich für feinen äftefen Sopn zum 
Geſellſchaſter, migt Diener, Haben wollte, und zugleich verſprach, 
mein Gfüd auf eine Art zu machen, bie feiner Achtung für mich ent 
ſprache. Ich verflummte, als ih dem Brief gefefen Hatte und mo 
mehr, als mein Vater zu mir fagte: „Nun, Carbenio, binnen zwei 
Tagen mache dich gefaßt, des Herzogs Begehren zu erfüllen, und 
danke Gott, der dir einen Weg zeigt, dein Gfüd zu maden und fo 
belohnt zu werden, wie du verdienſt.“ Er fügte dieſem noch manden 
andern väterlichen Rath bei. Der Tag meiner Abreife kam, ich ſprach 
in der Nacht zusor Lueinden, und erzähfte ihr alles, was vorgieng. 














284 Don Quitote. 


Ich fagte die Sache ihrem Vater, und bat ihm, noch einige Tage zu 
warten und bie Berforgung feiner Tochter aufzufhieben, bis ich gehört 
hätte, was ter Herzog Ricarto von mir wollte. Er verfprad mirs 
und fie beflätigte e6 mit taufend Ehwüren und dem zärtlichſten 
Abſchiede. Ih kam zum Herzog Ricardo, und wurde fo wohl vor 


ihm aufgenommen und gehalten, daß ih von dem Augenblid an vor 
allen feinen Leuten beneitet wurde, als welden ich ein Dorm im 
Auge war. Ber fih am meiften über meine Ankunft freute, war 
fein zweiter Cohn, Ferdinand; ein liebenswürdiger, muntrer, frei- 
gebiger junger Mann, der aber zugleich fehr zur Liebe geneigt war. 
Diefer wurde in furzer Zeit mein fo vertranter Freund, daß alle 
Leute davon ſprachen, und ungeachtet mich fein älterer Bruder auch 
ſehr Tiebte und hochſchätzte, ſo war doch zwiſchen feiner und Don 
Ferdinands Liebe ein merklicher Unterſchied. Da nun vertraute 
Freunde fein Geheimnig vor einander haben, und ih mit Don Fer- 
dinand im genaueften Verhältniffe fland, fo entdedte er mir alle 
feine Gebanfen, unter andern auch einen Heinen Liebeshandel, ver in 
beunruhigte. Er hatte fi nämlich in ein junges reiches Bauermäd- 
hen, welches eine Unterthanin feines Vaters war, verliebt. Dies 
Mädchen war fo auferorbentlih fhön, klug, beſcheiden und ehrbar, 
daß die, fo fie Fannten, kaum zu entfcheiven wagten, welder von 
diefen Eigenfhaften der Preis gebühre. Diefe Bollfommenpeiten des 





— — 











NXIV. Kapitel, 235 


fhönen Bauermadchens braten endlih den Don Ferbinand, da 
er feine Mögtichteit fahr ihre Standpaftigfeit zu beſiegen, fo weit, 
daß er ſich eatſchloß, ihr die Ehe anzubieten. Ich, als fein Freund, 
hielts für meine Pflicht, ifn mit den Aärkften Gränden und einbring- 
lichſten Beifpielen von feinem Borfage abzubringen Da ih aber 
fa9, daß Alles vergebens war, beſchloß ich, bene Herzoge, feinem Vater, 
die Sache zu sentbeden. Don Ferbinand, ber liſtig genug war, 
und befürchtete, ih möchte aus Pflicht und Ehre eine dem Haus fo 
nachtheilige Sache dem Herzoge, meinem Herrn, anzeigen, ſuchte mic 
zu bfenden und fiher zu machen, und fagte mir, daß er Fein beſſeres 
und wirffameres Mittel Fenne, ſich biefer Liebe zu enffälagen, ale 
wenn er fih einige Monate entferne, Diefe Entfernung follte in einer 
Reife zu meinem Vater beftehen, und bei tem Herzog follte zum Bor- 
wand gebraucht werben, daß wir einige ſehr fhöne Pferde in meiner 
Vaterſtadt, ald wo die beflen gezogen werben, ſehen und fanfen 
wollten, Saum hatte er mir es gefagt, fo billigte ich, von meiner 
eiguen Peibenfhaft bewogen, feinen Entfehluf, ald den beſten, der 
fi fafen Tafe, trogdem; dafı feine Aiht dabei niht fo rein war; 
deßhalb beſtarlte ich ihn in feinem Vorfage, und rieth ihm, mit der 
Ausführung zu eifen, weil bie Entfernung von ber Geliebten unzweifel« 
haft gute Wirkung thun werde, Hätte die Liebe auch neh fo tiefe Wur- 
zelu gefhlagen. Mein eignes Anfiegen und bie Hoffnung, bei biefer 
Gelegeneit Lueinden wieder zu fehen, machte mich noch geneigten, 
feinen Vorſatz zu beſchleunigen. 

„Don Ferdinand hatte fih, indef er mir dies fagte, ſchon 
mit feinem Bauermäbden ehlich verlobt und ifre lehte Gunft ge- 
noffen, wie ich hernach erfuhr, und wartete nur auf Gelegenheit, es 
feinem Bater auf gute Art zu Hinterbringen, weil er ben Zorn beffel- 
den fürdtete. Da aber bei vielen jungen Leuten bie Liebe nichts als 
eine wilde Begierde if, und mit bem Genuß, ben ihr die Natur zur 
Grenze gefegt Hat, wieder verſchwindet, während bie wahre Liebe 
diefe Grenzen nicht‘ Tennt, fo verfwand auh Don Ferbinands 
vermeinte Liebe zu feinem Bauermadchen, fo bald er fie genoffen 
Hatte; und ſtellte er ſich erft, als wollt er fi entfernen, um fie zu 
vergeffen, fo befcleunigte er jegt feine Reife im Exnft, um fie zu 














288 Don @uirste. 


auf und ſprach: „IH Taffe mir es nicht ausreden, Kein Menſch in 
der Welt wird mir es anders weiß maden und das if ein Flegel, 
der mirs läugnen wollte, daß ber Schurke von Meifter Eliſabat 
nicht bei der Rönigin Madafima geſchlafen Habe.” 

„Was?“ fchrie Don Duirote in einen feiner gewohnten 
Flüce ausbregend, „die größte Schurkerei ober vielmehr Gemeinheit 
iſts, To was zu fagen! Die Königin Madafima war eine vortreff- 
liche und tugendreihe Dame, und es läßt ſich gar nicht denfen, daß eine 
fo Hohe Prinzeffin mit fo einem Onadfalber und Zahnarzt ver Liebe 
gepflogen habe, und wer es fpridt, Lügt wie ein Erzſchurke, und 
ich will es ihm zu Roß und zu Fuß, bewaffnet und unbewaffnet, bei 
Tag und bei Nacht und wie ers fonft haben will, beweifen.” 

Cardenio fah ihn flarr an, und ba er eben einen Anfall von 
feiner Raferei hatte, konnte er feine Geſchichte nicht fortfegen. Don 
Duirote war eben fo wenig für jetzt im Stande fie weiter anzu- 
hören, denn er hatte fi gewaltig über den Schimpf geärgert, den 
man der Königin Madafima anthat. Und es if in der That ein 
Wunder, daß er fo auf einmal ein anderer Menſch warb, ald wäre 
fie feine wahre Rönigin”gewefen: fo ſehr war er von feinen verfluch⸗ 
ten Büchern beſeſſen. Cardenio, bei dem, wie gefagt, bie böfe 
Stunde wieder eingetreten war, und ber ſich noch dazu einen Lügner 
und Schurken fhimpfen hörte, nahm den Spaß übel auf, ergriff 
einen Stein, ber neben ihm Tag, und warf unfern Ritter bergeftalt 
auf die Bruft, daß er rüdwärts zu Boden fiel. Sancho Panfa, 
der feinem Herrn fo mitfpielen fahe, Tief mit geballter Fauft auf den 
Wapnfinnigen los, aber Eardenio empfieng ihn fo, daß er ihn mit 
einem tüchtigen Fauftfhlag zu Boden ſtreckte, auf ihn fprang und 
nach Herzensfuft mit den Füßen trat. Dem Ziegenhirten, ver ihm 
helfen wohte, giengs eben fo, und Cardenio, nachdem er fie alle 
wohl zerdroſchen und zertreten hatte, gieng ernft und gelaffen fort 
ins Gebirge. Sancho fland wieder auf und wollte aus Grimm, ſich 
fo um nichts und wieder nichts ausgegerbt zu fehen, dem Hirten in 
die Haare, dem er Schuld gab, er hätte es ihnen nicht gefagt, daß 
dieſer Menfh zuweilen Anfälle von Wuth befäme, weil fie fih 
fonft ſchon beſſer in Acht genommen haben würden. „Ih habs Euch 




















XXV. Kapitel. 289 


ja geſagt,“ ſprach der Hirte, „und wenn Du’s nicht gehört haſt, 
dafür fann ich nichts.“ Sancho konnte das Maul nicht halten, ber 
Hirt blieb ihm auch Feine Antwort ſchuldig, und endlich geriethen fie 
einander in bie Haare und Bärte, und rauften und balgten fih fo 
ſchredlich, daß fie, Hätte fie nicht Don Duirote auseinander gebracht, 
einander in Stücke würden zerwallt haben. — „Laßt mih nur, 
Herr Ritter von der traurigen Geftalt,” fihrie Sancho, als er ben 
Ziegenpirten noch bei ven Haaren hatte, „er ift nur ein Bauer, fo 
gut wie ich, iſt nicht zum Ritter geſchlagen, drum kann ih fchon mein 
Müthchen an ihm Fühlen und meine Sache mit ihm auf die Fauft, als 
ein ehrlicher Kerl ausmachen.“ — „Das ift wohl wahr,” ſprach 
Don Duirote, „aber er ift ja nicht Schuld an dem, was uns 
begegnet if.” 5 

Hiedurch brachte er die Kämpfer auseinander, und fragte branf den 
Ziegenpirten, obs möglih wäre, den Cardenio wieber zu finden, 
weil er fehr begierig auf das Ende feiner Gefchichte fey? Der Hirt 
antwortete ihm, wie zuvor, daß er feinen Aufenthalt nicht gewiß 
wiffe, aber er bürfte biefe Gegend nur durchſachen, ſo werde er ihn 
gewiß entweder bei Sinnen ober raſend wieberfinben. 


—— EX 











Don Auirote. 





Fünfundzwanzigſtes Rapitel. 


Zeitiame Tinge, tie dem Ritter Don Talnete ın ter Zierra Morena anflofen und Nachahmung 
ver Yuße nes Tunfelhubfe, 


on Duirote nahm Abfhied vom Ziegen» 

birten, beftieg wiederum ten Nozinante 

und befabl feinem Schildknappen ihm zu 

folgen, ber es, wiewohl fehr unzufrieden, 

that. Sie zogen Tangfam und ftillfhwei- 

gend fort und famen an die rauheſten Orte 

des Gebirge. Unferm Sancho drückte 

die Luft zu fhwagen fat das Herz ab; 

wegen Befehls feines Herrn aber traute er 

fih nicht anzufangen. Endlich konnt ers 

= nicht Tänger aushalten. „Geftrenger Herr 

Don Duirote,” fprah er, „gebt mir Euern Sergen und meinen 
Abſchied, daß ich ſtracks wieder zu meiner Frau und meinen Kindern 

















XNV. Kapitel, 29 


sehe, mit denen ih doch wenigftens alles ſchwatzen fann, was ich 
will; denn mit Euer Geſtreugen in den Wüfteneien Tag und Nat 
herumzuziehen und wicht einmal ſchwatzen zu bürfen, wenn mirs an- 
Fommt, iſt ſchlimmer als fih lebendig begraben zu laſſen. Wenn nur 
wenigſtens die Thiere noch ſchwahten, wie zu den Zeiten Yfops, 
wärs doch nicht fo ſchlimm. Denn da fönnt ih doch mit meinem 
Eſel ſchwahen, was mir in den Schnabel fäm und babei mei Unglück 
vergeffen, Mein Seel! es if ein hundeloſes Ding um das beftändige 
Abenteuer fuhen, wenn man am Ende bod nichts findet, als Prügel» 
fuppen, Prellen, Steinhagel und Kauftpäffe, und noch dazu nicht von 
ſich geben darf, was man auf dem Herzen hat, und fi das Maut 
zufliden faffen foll, als wär einer ſtumm geboren.“ 

„Ich verfiche did, Sauch o,“ fprah Don Duirote; „bie 
Feſſeln, die ich deiner Zunge angelegt habe, drüden HR Gut! 
Du fonf die Erlaubniß haben, Alles zu ſagen, mas dir einfällt; 
aber wohl zu merken, diefe Erlaubnig dauert aur, fo fange wir und 
in biefem Gebirg aufhalten,“ — „Nun fegs drum,“ ſprach Sandho; 
„To will ich auch jept fhwagen, was das Zeug Halten will; wie cd 
darnach wird, weiß der liche Gott. Bor allen Dingen, geftrenger 
Herr, fagt mir doch, warum nahme Ihr Euch denn der Königin Mar 
simafa, oder wie fie fonft beißt, an? Oder was verſchlugs Euch, 
ob der Labad ihr guter Freund gewefen iſt oder nicht? Hättet Ihr 
den Dre nicht gerührt — denn was gieng es Euh anf Ihr waret 
ja wicht Richter — fo Hätte der närrifche Kerl feine Geſchichte vollends 
hinaus erzählt, Ihr hättet den Stein nicht auf den Leib gefriegt, und 
mir wären bie Prügel ſammt einem Dutzend Maulſchellen erfpart ge» 
weſen.“ — „Bünwahr, Saucho,“ verfepte Don Duirote, „wenn 
du fo gut wie ih wüßte, was für eine gar ehr- und tugenbfame 
Dame vie Königin Madafima gewefen, gewiß, du würdeſt dich 
wundern, daß ich noch fo wiel Geduld hatte, dem Kerl nicht das Maul 
auf ewig zu ſtopfen, ans dem folche Läfterungen famen. "Denn bie 
erſchrecklichſte Läſterung iſis zu fagen, ja nur zu deufen, daß eine 
Königin mit einem Zahnarzte zu thun Habe, Wahr ift freilich, ter 
Meifter Elifabath, welchen der Unfinnige genannt hat, war ein 
Huger Rathgeber und geſchidter Mann, dem die Königin als ihren 























298 Don Quixote. 


Oberhofmeiſter und Leibarzt brauchte. Aber deßhalb zu denken, daß 
fie ein Bißchen zu viel feine gute Freundin gewefen ſey, ift eine höchſt 
ſtrafwũrdige Raferei, und du fannft leicht fehen, daß Earvenio 
nicht wußte, was er fagte, weil er in dem Augenblicke ſchon nicht 
mehr bei Sinuen war." — „Das ifis eben, was ich au ſpreche,“ 
verfegte Sa nch o, „und man follte fih aus den Worten eines Narren 
gar nichts machen. Denn hätt Eu das Glück nicht wohl gewollt, 
und ber Stein wär an Euern Kopf gefahren, fo gut er auf die Bruſt 
flog, da hätten wir was Schönes davon gehabt, daß wir uns ber 
Dame angenommen, bie ver Henfer holen mag. Und würde Car⸗ 
denio nit als ein raſender Menfch frei gemwefen feyn, was er Euch 
auch gethan hätte?” — „Ein fahrender Ritter,“ fprah Don Qui- 
rote, „muß gegen Kluge und gegen Narren die Ehre der Frauen 
vertpeibigen, wer fie auch feyn mögen, wie vielmehr nicht den guten 
Namen fo hoher und vortrefflicher Königinnen, als die Rönigin Mada- 
fima war, bie ich wegen ihrer Vollkommenheiten infonberpeit hoch⸗ 
ſchätze. Denn außer ihrer Schönheit war fie fehr Eug und ertrag 
ihre Leiden, deren fic in Menge trafen, mit großer Gelaſſenheit. Der 
gute Rath und Beiftand des Meifter Elifabaths, Fam ihr dabei, 
eins wie das andre, trefflich zu Ctatten, und daher hat ber une 
wiffente und Loshafte Pöbel ausgeftreut, fic habe mit ihm zugehalten. 
Aber erfogen iſts, zehn- und hundertfach erfogen, fo Jemand dies 
fagt oter denkt.” — „Ich fag und dent es nicht,” ſprach Sancho; 
„da mögen ſies haben und wer es fpridt, der wirds auf dem Brob 
zu effen friegen. Haben fie beieinander gefhlafen, fo wirts Gott 
ſchon wiffen. Ein Jeder feg vor feiner Thüre; ich weiß von nichts; 
was ich nicht weiß, macht mir nit heiß; wer eingebrockt hat, mags 
auch ausfreſſen; nadt bin ich geboren und nackt werd ich wieder dahin 
fahren; was hab ih davon? mögen fie gethan haben, was fie 
wollen, was ſchierts mich? Mander fieht den Splitter in bes 
Bruders Auge und ten Balken in feinem eignen nicht; wer fann 
ein Sieb voll Waffer tragen; Haben fie nicht den lieben Heiland 
ſelbſt gefäftert ?” 

„Hilf Himmel!“ fhrie Don Duirote, „was für dummes 
Zeug ftopfeft du da zufammen Sanho? Wie paffen denn alle 























XXV. Sapitel. 293 





die Sprifwörter, die du ba aufwärmft, auf das, wovon wir fprachen? 
Schweig, fo lieb dir dein Leben iſt; fporne du in Zufunft deinen 
Eſel, und menge dich nit in Sachen, die bu nicht verfichft. Merl 
es mit allen beinen fünf Sinnen, daß alles, was ich gethan habe, 
thue und noch thun werde, ber gefunden Vernunft fowohl, als den 
Nittergefegen entfpriht, die ich beffer weiß als alle Ritter, vie jemals 
auf der Welt gewefen find.” — „Sagt mir doch, geftrenger Herr,” 
ſprach Sancho, „if denn das auch ein gutes Nittergefeh, daß wir 
hier wie Landftreicher in diefem Gebirge, ohne Weg und Steg umher- 
ziehen und einen Narren ſuchen, der, wenn wir ihn nun gefunden 
haben, fortfahren wird, wo er fichen geblieben it, — nämlich nicht 
in feiner Erzählung, fondern an Eurem Kopf und meinen Rippen, 
die er kurz und Hein ſchlagen wird.“ 2 

3% fage dirs nochmals, Sancho, ſchweig!“/ verfegte DoaDni- 
zote; „denn du mußt wiffen, daß ich dieſes Gebirg durchziehe, nicht 
ſowohl um jenen Wahnfinnigen wieder zu finden, fondern vielmehr eine 
That zu thun, mit welcher ich mir unfterblichen Ruhm und Namen in 
der ganzen Welt, fo weit fie entdeckt ift, zu erwerben gebenfe; cine That, 
die alles übertreffen fol, was ein fahrender Ritter nur Volllommnes 
und Großes thun kann.“ — „If auch Gefahr dabei?“ fragte 
Sand. — „Nein,“ verfeßte der Ritter von der traurigen Geftalt; 
„das Glück müßte uns denn einen befondern Streich dabei fpielen. Aber 
Alles Hängt von deinem Eifer ab.“ — „Bon meinem Eifer, geſtrenger 
Hart” fragte Saucho. — „Allerdings, ” antwortete Don Dui- 
zote. „Denn kommſt du bald von daher zurüd, wohin ich dich 
ſchicken will, fo wird auch meine Buße fih bald enden, und mein 
Ruhm anfangen. Damit ich dich aber nit zu lange in Spannung 
halte, fo wifle, Sauncho, daß der berühmte Amadis von Gallien 
einer ber vollfommenften fahrenden Ritter war. Ich thue ihm Unrecht, 
wenn ich fage einer; er war ber erfle, vornehmfte und einzige, ja 
die Krone von Allen, bie zu feiner Zeit in ber Welt waren. Pfui 
über Don Belianis und Ale, die fih mit ihm meffen wollen; fie 
taͤuſchen fi, ih ſchwoͤr es dir. Auch fag ih dir, wenn ein Maler 
in feiner Kunft berühmt werben will, fo nimmt er fi die Originale 


der beſten Meifter zu Muftern feiner Nachahmung. Diefe Regel gilt 

















un. 

















2394 Don @uirzste. 


von allen wichtigen Künften und Wiflenfhaften, welche tienen zur 
Berherrlihung ter Staaten, und ebenfo muß es derjenige maden, 
ter den Namen eines Weiſen und Etanthajten ermerken will; er 
muß ten Ulyfies nahahmen, den uns Homer als ein Mufter der 


.Klugheit und Geduld ſchildert; ſo wie uns ang Virgil in feinem 


Aeneas cin Beifpiel kintliher Liebe und eines Eingen und tapfern 
Heerführere darſtellt. Beide zeichnen und beichreiten ihre Helden 
nicht wie fie waren, fontern wie fie ſeyn follten, um ter Nachwelt ein 
Mufter in ihren Tugenden zu geben. Ebenſo war Amadis ber 
Rordſtern, Leuchttburm und tie Sonne aller tapfern und verliebten 
Nitter, tem wir Alle, tie wir unter tem Pannier ber Liebe unb 
Ritterſchaft flreiten, billig nachahmen. Da dies nun ansgemadt if, 
Freund Sando, fo muß auch terjenige fahrente Ritter, der ihm 
am meiſten nachabmt, ter Bollfommenpeit in feinem Gtande am 
nädften fommen. Eine That aber, worin dieſer Ritter feine Klug - 
heit, Much, Stärfe, Geduld, Stantharrigfeit und Liche am meiſten 
zeigte, war, wie er fi, von ter Prinzeffin Oriane verſchmäht, auf 
ten Armutbefelfen begab, und feinen Ramen in Tunfelfäbfch verwan- 
delte, der fehr bezeichnend für tie Lebensart war, die er fih aus- 
gedacht hatte. Ta cs mir nun leichter iſt, ibm bierin nachzuahmen, 
als Rieſen zu inalten, Schlangen zu zerhauen, Lindwürmer zu er 
legen ?, Streithaufen zu zerſtreuen, Heerzüge in die Pfanne zu hauen 
und Zaubereien zu löien, und dieſe Gegend fid vorzüglich zu einem 
folgen Vorbaben ſchickt, fo wid ich Die gute Gelegenheit ergreifen, 
tie mir das Glüd dazu darbietet.“ 

„Ater was met Ibr denn cigentlih in der Müftenei machen, 
geſtrenger Herr f” frazte Sande. — „Ich habe dirs ihen geſagt,“ 
seriegte Don Tuizore, „ib mil ten Amadis nachabmen und mid 
verzweiteine, narriich and wütberd fleller, wobei ichs zugleich auch 
tem tadfern Reland nachzachen kann, wie er an einem Brunnen 
die Zeichen ter Schand: hat faad, weite Augelica die Schöne mit 




















XXV. Kapitel, 295 


Medor begangen hatte, die er ſich dergeflalt zu Herzen nahm, daß 
er rafend wurde, Bäume ansrif, das Waffır in den Haren Quellen 
trübte, Schäfer todiſchlug, Heerden zerftrente, Hütten verbrannte, 


Häufer zertrümmerte, Pferde davon frich und taufenb andre Raſe⸗ 
reien verübte, die werth find, in bie Tafeln ber Geſchichte für die 
Ewigkeit eingegraßen zu werben *, Gefegt au, ich ahme dem No» 
land, Drfand ober Rotoland — denn er führt alle brei Namen 
— nit Stüd für Stud in allen Rafereien, die. er that, ſprach oder 
dachte, nad, fo will iche doch wenigſtens verſuchen, unter den wefent» 
lichſten feiner Thaten mit Umſicht eine Auswahl zu treffen. Vielleicht 
begnäg ih mid auch wur ben Umadis nachzuahmen, der, ohne ſolche 
ſchandliche Nafereien zu begehen, einzig mit Trauern und Sagen 
einen fo großen Ruhm, wie jener, fih erworben Hat, 

„Mich vünkt,“ ſprach Sancho, „jene Ritter, die das thaten, 
waren aufgebracht, und hatten wohl Urſache dazu, ſolche Narrheiten 


* irbe ven rafenten Rolanı. Belang U 














296 Don Quirste. Al 


und Buße zu thun; aber wer hat End) denn was gethan, geſtrenger 
Herr, daß Ihr ein Narr werben wollt? welche Dame hat Euch denn 
verachtet? ober was habt Ihr denn für Kennzeichen, daß Euer Fräulein 
Dulcinea von Tobofo mit einem Mohren oder Cpriften Kurzweil 
getrieben babe?“ — „Das ift eben ver Punkt, und darin beſteht 
die Feinheit meines Unterfangens,“ fprah Don Quixote, „als 
ein fahrenver Ritter ohne Grund und Urfache ein Narr zu werben. 
Denn dadurch, daß ich ohne Urſache wahnfinnig werde, geb ih auf 
verblümte Art meiner Dame zu verftchen: gefchieht das am grünen 
Holze, wae wis nicht erft am bürren werben! Ueberdies hab ih 
auch Urfahe genug dazu, wegen ber weiten. Entfernung von meiner 
ewigen Gebicterin Dulcinea von Tobofo; denn Haft du es nicht 
von dem Schäfer Ambrofius gehört, daß ein Abweſender Alles 
leidet, Alles fürchtet? Alſo, Freund Sancho, gieb dir feine Mühe, 
mid von einer feltnen, glücklichen und nie gefehnen Nachahmung 
abzubringen. IH bin Narr, und will Narr bleiben, bie De mit 
einer Antwort auf den Brief zurüdfommft, womit ih dich zu "meinem 
Fräufein Dulcinea fiden will. Iſt fie fo, wie meine an: fie 
verdient, fo hat meine Narrheit und Buße gleich ein Ende,’ ift fie 


aber das Gegentheil, fo werde ih im Ernft ein Narr werden, und 


dann nichts mehr fühlen. So fomme ih, die Sache mag ablaufen, 
wie fie will, auf beide Fälle gut aus dem Handel, und freue mid 
entweder als Rluger des Glücks, das du mir verfündigft, ober fühle 
als Rafender das Unglüd nicht, das mi im Gegentheile trifft. 
Aber fag mir, Sancho, du haft doh Mambrins Helm wohl ver- 
wahrt? Ih fah wohl, daß du ihn von der Erbe aufhobſt, als An 
jener undankbare Taugenichts hatte zerſchlagen wollen und nicht kounnte, 
woraus man ſeine vortreffliche Härte ſehen kann.“ 

„Bei Gott im Himmel!“ verſetzte Sancho, „Herr Ritter von 
der traurigen Geſtalt, ih kann nicht Alles hinunterſchlucken, p 
Euer Geſtrengen ſagt, und das bringt mi) manchmal auf ven We— 
danfen, daß alles, was Ihr mir von ber Ritterſchaft, von Erobekang 
ber Rönigreihe und Herrſchaften, von Inſelnverſchenken und andern 
golonen Bergen, welche die fahrenden Ritter austheilen, vorfagt, 
wicht als Wind, Lug und Trug, und wenns um und um kommt, 





| 











XXV. Kapitel, 297 


altes Weibermärhen iſt. Denn, wenn man fo hört, daß Ihr ein 
Bartbeden vier ganzer Tage fang für Mambrind Helm haltet 
und davon nicht abzubringen ſeyd, wer follte daun nicht denken, daß 
Ihr Euern Verftand verloren hättet? Ih hab das Beden in meinen 
Sade ganz zerſchlagen und verberbt, und wenn mir Gott bie Gnade 
thut, daß ich wieder zu meiner Frau und Kindern nah Haufe komme, 
will ich mirs einmal wieber aushämmern faffen, und zu meinem Barte 
brauchen.“ — „Gicb wohl Acht!“ verfegte Don Duirote, „ih 
beſchwoͤr dich bei bemfelben Gott, ben tu vorhin zum Zeugen an 
gerufen Haft: nie hat es einen Schildluappen gegeben, fo vermahrlost 
an Verſtand wie du. Ifts möglich, du biſt fo fange ſchon bei mir, 
und Haft noch nicht gemerkt, daß alles Thun der fahrenden Ritter 
ungereimt und thöricht ſcheint und wie eine verlehrte Welt aueſieht, 
nicht weils wirllich fo ift, fordern meil uns unaufhörlich eine Motte 
Zauberer umgiebt, die all unfere Sachen nad ihrem Belieben der- 
wandeln und verlauſchen / gut ober ſchlinm machen, je nachdem fie uns 
wohl wollen oder So ſcheint dir did ein Bartbecken, mir 
Mambrins und einem Andern wieder wad anders, Es war 
eine große des Weiſen, meines guten Freundes, den wahren 
und ähten Helm Mambrins Allen als ein Bartbeden erſcheinen zu 
laſſen: fonft hätt ih, feines hohen Werthes wegen, feinen Augenblick 
Nufe: Zevermanm würde mich verfolgen und mir ie abtchmen 
wollen; da hingegen jet Niemand darnad fragt, fo lang man ihn 
für ein Bartbecken anficht, wie ſiche and wohl an dem Kerl zeigte, 
der ihn zerfchlagen wollte, Hätte) ce-ifn nur gefannt, er würde ihn 
gnig nicht auf der Erde haben liegen laſſen. Heb ihn auf, licher 
Brand! Heb if wohl auf, denn ich Habe feiner jept nicht nöthig, 
weit ich mich vielmehr ganz; entwaffnen, und fo nadt einhergehen 
auf, als ich von Mutterfeibe am, wenn es mir einfällt, in meiner 
2 mehr den Rotans als den Amadis nahzuafmen, 


— Hefe Geſſeich tamen fie am einen hohen Felſen, der wie 
abgehauen unter ben ihm) umgebenden Höhen daſtaund. Un feinem 
Fuße floß ein fanfter Bad, und. wäſſerte eine fo grüne und ange» 
nehme Wiefe, daß man feine Luft daran Hatte. Cine Menge fhöner 





Din Duıerc 





Don Quixott. 


Bäume, Pflanzen und Blumen machte ben Ort Höchft lieblich. Diefen 
Pag erwählte fi der Ritter von der traurigen Geſialt zu feiner 
Bape. Kaum Hatte er ihm erblidt, fo erhob er feine Stimme, als 
wär er fhon völlig von Sinnen: „D ihr Himmel! dies ift ber Platz 
ten ich mir wählte, mein Ungfüd zu beweinen, in welches ihr mid 
geſtürzt Habt! Dies if der Ort, wo meiner Augen Naf die Waffer 
diefes Bachleins anſchwellen, und wo meine beftändigen tiefen Seufzer 
das Laub biefer Bäume des Gebirge unaufhörlich bewegen follen, 
zum Zeichen der Dual, welche mein daurchmartertes Herz leidet. O 
ie Wafngätter, wer ihe auch fepd, die ihr diefe umsirtfbaren Ger 
‚genben bewohnt, Höret die Sagen eines unglädlichen Liebhabers, ven 





XXV. Kapitel, 29 


Lange Abwefenpeit und eingebifdete Eiferfuht in dieſe Wuſten treibt, 
bie Härte und Oraufamfeit jener Undanlbaren zu beweinen, welche bie 
ganze Fülle menſchlicher Schönpeit in fi faßt! D’ife Dryaden mb 
Napien, bie ihr dem Dicicht der Berge wohnt, — möchten doch bie 
feigtfüßigen und geilen Satyra, die euch nachſtellen, eure. füfe 
Rufe nie Aören! — Helft mir mein Unglück beffagen, oder werdet 
wenigfiens nit müde e6 zu hören! D Dulcinea von Tobefo, 
Tag meiner Naht, Ruhm meiner Pein, Polarfiern meiner Fahrten 
und. meines Glüds — der Himmel gebe dir weldes, wenn du ed 
verfangfi! — betrachte ben Ort, den Zuftand, wohin mid Abwefengeit 
von bir gebracht hat, und antworte treulich ber Fefligfeit meiner 
Treue! D ihr einfieblerifhen Bäume, bie ihr inskünftige die Gefell- 
fHaft meiner Einfomfeit ſeyn ſollt, gebt mir durch fauftes Beugen | 
enrer Aeſte ein Zeichen, daß euch meine Gegenwart nicht beſchwertich 
ſey! Auch dan, mein Sgildfnappe, treuer und. lieber Gefährte meiner 
gfüctigen und ungläcklichen Zufäe, präge dir wohl ein, was. bu 
mich Hier thum ſithſt, damit du es der gelichten Urheberin deſſen, 
wes ·du fh, allee erjäßfen Tann! 

Dies gefagt, flieg er vom Noginante ab, nahm ihm Zaum 
und Sattel in einem Augendlick ab, und ſchlug ihn ſauft mit der 
Hand aufs Kreuz. „Gehe hin, lieber anf,“ ſprach er, „Einer, der 
die Freiheit verloren, gieht dir fie jeht; fo berüfimt du durch deine 
Thaten biſt, fo unglücklich ift tein Schicſal. Gehe bin, trefflicher 
Gaul, wohin da willſt, es left dir an der Slitne geſchrieben, daß 
dir weder Aftolphes Hippogryph, no ber berühmte Frontin, 
der Bradamanten fo theuer zu ſtehen fan, an Leichtigkeit beis 
komme." 


u Dank fey es dem Spidbuben, ber uns der Mühe überhob 
meinen Eſel abzufatteln," ſprach Saucho, „da er dies ſahe, ih 
hätt ihn wohl aud wollen auf das Kreuz Hopfen, und eine wadere 
Lobrede Halten; aber wenn ich ihm auch da Hätte, ih Lich ihn gewiß 
nit abfatteln, denn ih wüßte micht, warum? Was gehn ihn bie 
Thorheiten und Redensarten eines Berfiehten und Verzweifelten an? 
Denn fein Herr iſt Feind von beiven nie gewefen, und ber war ih, 














300 Bon Quirote. 


fo Tang Gott wollte. Aber hört einmal, Herr Ritter von ber trauri- 
gen Geftalt, wenns mit Eurem Närrifhwerben und mit meiner Verfen- 
dung Ernft gelten fol, wärs nicht beſſer, ich fattelte mir den Rozi- 
nante wieber flatt meines Eſels, weil ich dadurch viel Zeit auf 
meiner Reife erfparen Zönnte? Ihr wißt es, ich bin ein fihlechter 
Fußgänger, und wenn ih zu Fuße laufen foll, weiß ber liebe Gott, . 
wann ich hin und wieder herfomme.“ — „Mad es fo, Sancho,“ 
verfegte Don Quixote, „dein Einfall if nicht übel; in drei Tagen 
fon du abreifen; während ber Zeit aber ſollſt du fehen, was ih 
für meine Dame thue, bamit du es ihr erzählen kannſt.“ — „Hml“ 
fprad Sanyo, „fann ih denn mehr fehen, als ich ſchon gefehen 
habe" — „Du irrſt bi gewaltig,” verfepte Don Quixote, 
njegt muß ich noch meine Kleider zerreißen, meine Waffen umher⸗ 
freuen, mit dem Kopfe wider die Felſen rennen, und noch mehr der⸗ 
gleichen Dinge thun, barüber bu di wundern wirſt.“ — „Um 
Gottes Willen,” ſprach Sanyo, „Ihr werdet doch das nicht thun, 
geftrenger Herr? den Kopf wider die Felſen rennen? da könntet 
Ihr ja auf einen fo fteinharten Felsblock flogen, daß auf ben erfien 
Stoß der ganze Spaß aus wäre. Ich dächte fo, wenns doch ja zum 
Werke nöthig if, daß Ihr den Kopf wider etwas rennet, fo wäre 
fon gut, wenn Ihr mit dem Kopfe ins Waffer fahret, oder fonft 
vor Weiches wie etwa Baumwolle ftoßet, weils ja doch nur Narren 
poflen find. Das Uebrige laßt nur mir, ih wills doch dem gnäbigen 
Eräulein weiß machen, daß Ihr gegen eine Felfenfpige gerannt feyb, 
die härter als ein Demant war.” — „Jh banfe dir für beinen 
guten Willen, Freund Sancho,“ antwortete Don Quixote, 
„muß bir aber fagen, daß alles dies Fein Spaß, fondern Tautrer 
Ernſt iſt, weil ich fonften die Nitterorbensgefege übertreten würbe, 
welche uns ſchlechterdings verbieten, eine Lüge zu fagen oder zu thun, 
bei Verluſt bes Ordens. Folglich müffen meine Kopfſtöße auch wahr, 
ernſthaft, kräftig und Feine Goppiftereien noch Phantaftereien ſeyn. 
Du mußt mir alfo andy einige Leinwand zum Verbinden da laſſen, 
weil ich unglücklicherweiſe nichts mehr von dem Balfam habe.” — 
„Schlimmer iſts noch,“ verfegte Sancho, „daß ber Efel gar fort 
iſt, denn auf dem war Leinwand und Alles; aber ih bitt Euch, 











XXV. Kapitel, 301 


geftrenger Herr, denlt mir dech wit mehr am das verſluchte Geſoͤff ; 
denn wenn ichs mar nennen höre, kehrt fih mir die Seele und ber 
Magen im Leibe um. Was ih Euch auch noch bitten wollt, wäre: 
benft einmal, daß die drei Tage, da ih Eure Marrheiten noch mit 
anfehen fol, ſchon um find; demm ich will fie für geſchehen und ger 
ſehen annehmen, und meiner Gebieterin Wunder über Wunder davon 
erzäßfen. Schreibt mir den Brief und fertigt mich ab, denn ich 
möcht Euch gar zu gerne bald aus dem Fegfeuer erlöfen, worin 
ich Euch laſſe.“ — Fegefeuer neunſt du 06, Sancho“ ſprach 
Don Duirote: „Nenn es lieber eine Hölle, oder noch ſchliumer, 
wenn es was Schlimmeres giebt." — „Ach,“ ſprach Sande, 
waus ber Hölle, hab ih mein Tage gehört, nula es retentio," — 
„Was heißt das, Retentio® ich verfiefe es nicht,“ ſprach Don 
Duirote. — „Retentio Heift, wer in ber Höfe ift, lommt mein 
Tage nicht wieder heraus,“ antwortete Sa ucho. Doch Euch fon 
es anders werben, ober ich müßte die Beine nicht mehr regen lönnen, 
dem Rozinaute die Sporen zu gebem Bin ich nur einmaf in 
Tob o ſo and beim geädigen Fräulein Duleinea, ba will ich ihr 
ſchon vom Euer geſtreugen Narrheiten oder Unſiun, denn es iſt alles 
eins, bie Haut fo voll erzäßfen, daß fie geſchmeidiger als ein Haud⸗ 
ſchuh werden fol, wenn fie aud Härter als ein Korlbaum wäre; und 
hab ih nur erſt eine zuderhonigfüße Antwort von ihr, Huf! will 
ich damit durch die Luft fliegen wie ein Herenmeifier, und Ener 
Gefirengen aus dem Regefeuer erlöfen, das Euch eine Hölle ſcheint, 
aber wie gefagt, feine ift, weil Ihr noch Hoffnung habt, Herauszu» 
fommen, was keiner hoffen darf, der in der Hölle ift, wie Ihr das 
felbft wißt, ober fagen werdet.“ 


„Du haft Recht, Sancho,“ ſprach der Ritter von der traurigen 
Geftaft, „aber wo nehme ih was her, ben Brief darauf zu fhreiben?" — 
„Und bie Anweifung auf die drei jungen Efel dazu,“ ſchrie Samch o. — 
„Die ſollſt du haben,“ verfepte Don Duirote. — „Da wir aber 
fein Papier haben, möcht ich wohl auf große Banmblätter oder auf 
Wachotafeln fhreiben, wie die Alten; obgleich die Teptern Hier chen 
fo ſchwer zu finden feyn möchten, als Papier. Aber jeht fällt mir 














Quixste, 


fie eben Flachs hechelte, oder anf der Tenne dräſche, und ba wirbe 
ſchön Iaffen, wenn die Lente fo zu ihr kämen, oder fie Euch mit 
fammt Eurer Verehrung auslachte.“ 

„Saucho,“ fprad Don Quixote, „ih hab dire ſchon viel- 
mals gefagt, daß du ein ſchreckliches Plaudermaul Haft, und bei aller 
Dummpeit doch mandmal fpigig ſeyn will. Es geht aber nicht, 
guter Freund, und bamit du fiehft, wie dumm du bift, und wie klug 
ich bin, will ih dir ein Meines Geſchichtchen erzählen. 

„Es war einmal eine junge, fhöne, reihe und luſtige Wittwe, 
bie verliebte ſich in einen jungen, handfeſten Raienbruber. Der Pater 
Prior erfuhr das Ding, und fagt einmal im Tone brüderlicher Er⸗ 
mahnung: Ich wundre mi, Sennora, und zwar nicht wenig, daß 
eine fo ſchöne und reihe Fran von Eurem Stande, fih in einen fo 




















x 


XXV. Sapitel, 305 


niedrigen und ſchlechten Kerl, der fo dumm afd Einer ift, derliebt, 
da es doch in unferm Kloſter fo viele wadre Meifter der Künfte, fo- 
viele edle Doftoren der Theologie giebt, unter denen ihr das Aus- 
fefen Kättet, wie unter einem Korbe vol Birnen, und fagen Fönntet, 
ben will ih, jenen nicht.” — „Hocwärbiger Herr," antwortete die 
Wittwe mit Lachen: „Ihr täufht Eu ſehr, und Euer Latein reicht 
bier nicht aus, wenn Ihr glaubt, ich hätte fo ſchlecht gewählt, weil 
meine Wahl auf feinen Gelehrten fiel; benm wozu ich ihm haben 
will, dazu Kat ex fo viel und mehr Phifofophie als Ariſtoteles.“ 

Alſo, Freund Sauch o, wozu ih bie Dulcinea braude, if 
fie fo gut als die größte Pringeffin der Welt, Nicht alle Posten 
haben die Damen wirklich, welche fie unter gewiffen willlührlich ge 
wãhlten Namen befingen. Glaubſt du benn, baf es eine Ama- 
roifis oder Phyllie gebe? oder daß die Sylvien, Dianen, 
Galatpeen, Aliden und Andre, von denen man in Büchern, 
Romanzen, Barbierbuben und auf den Schanbühnen fo viel hört und 
Kiest, wirkliche Maͤdchen von Fleiſch und Bein find? Nichts weniger, 
Eo find Geſchopfe der Posten, die fie ſich erbichteten, damit fie Gtoff 
zu ihren Berfen befofmen, und man ſie für Leute Hält, bie fih aufs 
Lieben verfichn. mic iſts alfo genug, daß ich denle and glaube, 
die gute Aldonza Lorenzo it fhön und ehrbar. Was geht mich 
ihr Herfommen an? „Hat fie doch feinen Drven zu empfangen, daß 
ihre Geburt eine fo firenge Unterfuhung auszuhalten Hätte. Kür 
mich iſt fie die größte Prinzeffin von der Welt, Denn merfs von 
mir, Sande, wenn bu es noch nicht weißt: zwei Dinge nur reizen 
vor allen andern zur Liebe: große Schönheit und guter Ruf, und 
dies beides befigt Duleinen im Höfen Grade; denn an Schönheit 
kommt ihr Niemand, an gutem Nuf nur Wenige bei, Mit einem 
Worte, ich bilde mir ein, daß Alles genau fo iſt, wie ih fage, und 
male fie nun in meiner Einbifpungsfraft ganz nah Wunfh and, 
ſewohl was Schönpeit als Bortreffligkeit anbelangt. Ihr kommt 
Helene nicht gleich, noch Lueretia, no irgend eine der berühmten 
Frauen des Alterthums, fegen es Griechen, Lateiner ober Barbaren, 
Halte Jever davon, was er will; wenn Unverflänbige mic tadeln, fo 
werben Vernünftige mich Toben. * 

















306 Bon Quixote. 


„Nun fag ichs doch,“ verfegte Sauch o, „Ihr Habt immer 
Recht, geſtrenger Herr, und ih bin ein Efel. Aber wie koͤmmt mir 
doch der Efel ins Maul? Im Hanfe des Gehenkten fol man ja 
nicht vom Stride even. Dod, nur her mit dem Briefe, und dann, 
Gott behüt Euch!“ 

Don Quixote holte das Taſchenbuch heraus, gieng ein wenig 
auf die Seite und ſchrieb in größter Ruhe. Als er fertig war, rief 
er Saucho und fagte, er wolle ihm den Brief vorlefen, bamit er 
ihn auswendig Iernen koͤnnte, wenn er ihn etwa unterwegs verlöre, 
denn er müffe von feinem Unflern immer alles befürchten. „Ei ſchreibt 
ihn Lieber zwei- ober dreimal ins Buch, und gebt mir ihn, ih will 
ihm fchon aufheben,“ ſprach Sauch o. „Aber daß ih ihn answendig 
Iernen fol, das if umſonſt. Muß ih mich doch oft auf meinen 
eiguen Namen befinnen, fo ein ſchlechtes Gedaͤchtniß Hab ih. Hören 
möcht ich ihn aber doch. Xefet mir ihn einmal, geflrenger Herr, denn 
ich denke, er muß wie gebrechfelt ſeyn.“ — „So höre denn,“ ſprach 
der Ritter, 


Don Quixote an Fräulein Dulcinea von Tobofo. 


Selbſtherrſchendes, hochgepriesnes Fräulein! 


Der von ber Spitze Deiner Abweſenheit Verwundete, der von Liebes⸗ 
pfeifen Durchbohrte wünfcht Dir Heil, weldes er felbft nit hat, ſüßeſte 
Dulcinea von Zobofo. Wenn Deine Schönpeit mich verachtet, 
wenn Deine Tugend mir nicht zu Gunften ift, wenn Deine Berfpmäpung 
meine Wünſche trifft, fo kann ih, obgleich in Leben geübt, doch nicht 
mehr den Kummer ertragen, ber fo lange und mächtig mich drückt. 

* Mein treuer Schildfnapp, Sancho, wird Dir, fehöne Undanfbare und 
deliebte Zeindin, volftändigen Bericht von dem erſtatten, was ich jegt 
um Deinetwilfen bin. Gefält es Dir, mir beizufpringen, fo bin ich 

. der Deinige; wo nicht, fo tue, was Dir beliebt. Dann wird mein 
Tod Deiner Graufamteit Genüge tun, und meinen Wunſch erfüllen. 


Der Deinige bis in ven Tor. 


Der Ritter von der traurigen Geſialt. 














XXV. Gapitel 307 


„Meiner Sir!" forah San o, „das ift das hochgelahrteſte 
Ding, das ich mein Lebtage gehört habe. Der Teufel! was Ihr fagen 
wollt, das, hat doch Alles eine Art, und wie der Nitter von der 
traurigen Geftalt fo fhön im bie Unterfärift paßt! Gewiß und 
wahrhaftig, geftrenger Here, Ihr müßt den Teufel im Leibe haben, 
denn Ihr wißt ja Alles.” — „In meinem Stande muß. man auch 
Alles wiffen, * verfegte der Ritter. — „Nun,“ ſprach Sande, 
„fept nun auf die andre Seite auch den Wechfel, wegen ber brei 
jungen Eſel, und unterfepreibt ihn ja fein deutlich, damit mans auch 
fefen lann.“ — „Das will ih than,“ fagte Don Quixote, er 
fhrieb und lad Folgendes: _ 


„Auf diefen meinen Solawechſel wollet Ihr, liebe Nichte, bem 
Sancho Panfa, meinem Schifpfnappen, brei von ben fünf jungen 
Eſeln, die ich zu Haus gefaffen Habe, richtig abfiefern. Des Werths 
Sin won ihm wohl vergnügt, und werde Eich gegen Empfang dieſes 
und feiner Duittung gute Rechnung haften. Gegeben mitten in ber 
Sierra Morena, den zweiandgwanzigfien Auguſt des jeptlaufenden 


Jahres. 


„So iſis recht,“ ſprach Sande, „unterſchreibt aun, gefirenger 
Herr.“ — „Es iſt nicht nöthig,” autwortete Don Quixote, „ich 
will nur mein gewöͤhnliches Jeichen darunter muachen, und dann ifis 
für drei Eſel fo gut unterfhriehen, als für dreihundert.,“ — „Ih 
verfaffe mich auf Euch, geſtrenger Herr,“ verfegte Sauch o. „Jezt 
will ih den Rozinante ſatteln, drauf gebt mir Euern Segen, und 
dann will ih fort, ohne weiter bie Narrheiten abzuwarten, die Ihr 
tum wollt; denn ich will ſchon fo viel erzählen, daß fie genug und 
ſatt daran haben ſollen.“ — „Aber wenigftens, Sando, ſollſt du 
mi erſt nadt, und ein ober ein paar Dutzend Thorheiten begehen 
ſehen,“ forah Don Duirote. „Es ift ſchlechterdiugs nöthig, und 
in weniger als einer halben Stunde gethaun. Haft bu biefe nur Mit 
eignen Augen gefehen, fo lannſt vu hernach mit gutem Gewiffen auf 
die andern fhwören, die du mod hinzufegen willſt; denn ich ver- 
fihre dir, du ſollſt ihrer nicht halb fo viel erzählen fönnen, als ih 

















HS Don @uirote. 


than wi.” — „Um Gotteswillen, lieber Herr,“ fprah Saucho, 
m verlanget nicht, dag ich Euch nadt fehen foll, denn das würde mich 
fo jammern, daß ih das Heulen nicht laſſen Fönnte, und, ih habe 
mich ſchon vorige Racht fo fehr über meinen armen Efel abgepeult, 
daß ich bald nicht mehr kann. Wenn Ihr aber doch nun ja wollt, 
daß ich Eure Thorheiten fehen fol, fo macht fie nur angezogen, und 
fein kurz, was Eud am erflen einfällt. Ich habs Euch ja fon ge- 
fagt, bei mir iſt dies alles nicht nöthig, und es Hält mich nur auf, 
denn ich möchte vor mein Leben gerne bald wieber mit ber guten 
Nachricht da ſeyn, die Euer Gefirengen fo fehr wünſcht und verbient. 
Das Fräulein Dulcinea mag mir nur mit viel Sprünge machen ;. 
denn, mein Geel! wenn fie mir nicht baranf antwortet, wie ſichs 
gebührt, wi ich ihr ſchon die Antwort mit Maulfchellen und Rippen- 
ſtößen raus kriegen. Das ift nicht Manier, daß ein fahrender be- 
rähmter Ritter, wie Ener Geftrengen, fo ohne Weiteres zum Narren 
werben fol, und noch dazu um fo Einer willen. Sie foll mid nur 
nicht ſchwatzen laſſen; ich will ihr ſchon Eins anfgeigen und mit ihr 
fertig werben, daß fie fih wundern fol. Dazu bin ich der rechte 
Kerl; fie kennt mich nur noch nicht, die gute Jungfer, aber meiner 
Treu! wenn fie mich kennte, fo wär ih juſt ein Freſſen für fi." — 
„Bei Gott! Sancho,“ fpra Don Duirote, „du biſt nicht Hüger 
als ih, wie es ſcheint.“ — „So närrifh bin ich nicht,“ verfeßte 
Sando, „aber bitterböfe bin ih jetzt. Doch das beifeite; was 
wollt Ihr denn unterbeffen effen, bis ich wieder komme, geflrenger 
Herr? Wollt Ihrs machen wie Cardenio, und den armen Schäfern 
das Brod nehmen?" — „Belümmre dich darum nit,“ verfeßte 
Don Quixote. „Wenn ich auch fonft was hätte, will ih doch nichts 
effen, als Kräuter biefer Wiefe, und Früchte biefer Bäume; denn 
der Hauptzweck meines Unternehmens befteht in Faſten und andern 
Bußen.“ 


„Wißt Ihr aber auch, geſtrenger Herr," ſprach Sauch o, „daß 
ich mir nicht traue, den Weg zu Euch wieder zu finden, ſo verborgen 
iſt der Ort?“ — „Merk ihn ja wohl an gewiſſen Kennzeichen,“ 
ſprach Don Quixote, „ich werde nicht von da weggehen, und 














XXV. Kapitel, 20 


zuweilen anf bie höchfte Spige des Felfens fteigen, mich nach dir um» 
zuſehen. Damit du dich aber noch weniger verirren Fannft, barfft du 
nur einige Zweige abbauen, und fie vom Zeit zu Zeit hinter bir 
fallen Taffen, bi6 du aus dem Gebirge hinaus bil, Die werden bir 
fo gut als dem Thefeus fein Faden im Labgrinthe dienen, mic 
wieder zu finden.“ — „Das will ih thun,“ fprah Saucho, und 





nachdem er einen Arm voll abgehauen, bat er feinen Herrn um feinen 
Segen. Beide ſchieden mit vielen Thränen von einander, Sanch o 
beftieg den Rogimamte, dem ihm fein Herr auf die Seele band, 








310 Don Auixote, 


machte fih auf ben Weg, und freute vom Zeit zu Zeit feine Gin- 
fierzweige ans. Er war noch nicht handert Schritte weit fort, fo 
lam er ſchon wieder. „Geſtreuger Herr,“ ſprach er, „Ihr habt 
doch Net; ich ſollte doch wenigſtens ein paar Narrheiten von Euch 
ſehen, daß ih mit gutem Gewiſſen drauf ſchwören loͤnnte, ih 
hätte fie gefehen, obgleich die, daß Ihr Hier bleibt, bie größte vom 
allen ift, die Ihr begehen lounnt.“ — „Sagt ih birs mit,“ ſprach 
Don Onirote? „Warte wur, ehe du ein Credo ſprechen Lannfl, 
ſollen fihon etliche gemacht ſeyn.“ Eitigft zog er die Hofen ans, 
fand Halb nadt im Hemde da, machte im Hui zwei Bodofprünge in 
die Luft, zwei Purzelbäume, fand auf dem Kopfe, und gab babei 














XXV. Kapitel 311 


fo ſchoͤne Sachen blos, daß Sancho, um ben Jammer nur nicht 
lãänger mit anzuſehen, den Rozinante herumlenkte, und ſehr ver- 
gnũgt von bannen ritt, daß er nun darauf ſchwören könne, fein 
Here fey ein Narr worden. Wir wollen ihn ziehn Iaffen, bis er 
wieber fommt, welches nit lange werben wird. 

















318 Bon Quixote. 





Sechsundzwanzigſtes Rapitel. 


Meiterer Bericht von den Licbesgrillen, denen ſich Don Duirote in ber Gierra Morena bingab. 


& erzählt die Geſchichte, was der Ritter 
von ber traurigen Geſtalt ferner ge» 
than habe, folgenbergeftalt: Als Don 
Dairote unten halb nadt, oben 
halb beffeivet feine Luftſprünge unb 
Purzelbäume vollendet hatte, und 
Sando, ohne mehr Rarrheiten ab» 
zuwarten, fortgeritten war, beftieg 
jener eine hohe Felfenfpige, nnd 
überlegte da eine Sache, bie er zwar 
fon oft durchdacht, in. der er aber 
noch nie zu einem Schluſſe hatte 
kommen können. Es war nämlich 
die Frage: weldes beffer und ange- 
meßner fey, dem Roland in feiner Raferei, oder dem Amadis 
in feiner Schwermuth nadzuafmen? „Es if wahr,“ fprach er bei 
ſich ſelbſt, „daß Roland ein fo großer und tapfrer Ritter gewefen, 
wie Alle fagen, ift fein Wunber, denn er hatte fi) durch, Zauberei 
feft gemacht, und man Fonnte ihm nicht töbten, außer burd einen 
Nadelſtich in die Fußſohle; daher er auch allezeit Schuhe mit fieben 














XXVIL Sapitel, 313 


eifernen Soffen trug % Aber wa halfen ihm afl feine Nänfe gegen 
Bernbarbo def Carpio, der fie ſchon Fannte, und isn bei Non- 
zeval in feinen Armen erdrückte? Dod mit feiner Tapferkeit babe 
ich ja nichts zu thun, feine Narrheit iſts, die ich bier brauche. Wahr 
iſts, daß er den Verſtand verlor über den Zeihen, die er im Haine 
fand, und über der Nachricht, die ihm der Schäfer gab, daß An+ 
gelica mit Medor, dem lockigen Mohren, dem Edelfnaben Agrar 
manté, mehr als zweimal ein Miltagsſchläfchen gemacht habe, Da 
er nun wußte, daß dies wahr feg, und daß feine Dame ihm biefen 
Schimpf angetban habe, fo war es eben nichts beſonderes, wenn er 
närriſch wurde. Wie fann ih aber feiner Naferei nachahmen, da ich 
nicht denſelben Grund dazu habe? Denn das wollt ich wohl be- 
ſchwören, daf meine Dulcinea von Eobofo in ihrem Leben feinen 
Mohren in feiner Tracht gefehen bat, und daß fie noch fo rein und 
unbefhoften ift, als ihre Mutter fie gebar. Ich würde ihr alfo 
offenbar Unrecht tun, wenn ih Nolauds Narreit erwähfte und 
ihr fomit etwas der Art zur Saft‘ Tegte, Auf ber andern Seite fehe 
ih, daß Amadis von Gallien, ‚ohne den Verſtand zu verlieren 
und Nafereien zu begehen, feiner Liebe wegen chen fo berühmt wurde 
als jener, Deun ‚ was er that, als er fih vor Dame Oriana 
verachtet fah, Die ihm beſohlen hatte, nicht eher wicder wor ihr 
zu erfheinen, bis fe es ihm erfaubte, war, daf er fih mit einem 
Einſiedler auf den Armuthefelfen begab, und fih da recht fatt meinte, 
bis der Himmel fid feines Leidens erbarmte und ihm Hilfe fandte, 
wie feine Hiftoria befagt. Iſt dies man wahr, wie ich nicht andere 
weiß, warum foll ih mir die Marter anthum, mich nadt augzichn 
und diefen Bäumen Schaden zufügen, die mir doch fein Leid gethan 
haben? Es Iche Amadis und fein Anbenfen! und Don Ouirote 
von der Mana ahme ihm mad, fo viel er Tann; von dem man 
ebenfo wie von Jeuem fagen foll, daß er, wenn er auch feine Groß ⸗ 
thaten vollbrachte, doch im Verſuche großer Thaten ſtarb. Und bin 
ich nit von meiner Duleinea verachtet und verſtoßen, fo bin 
ich doc von ihr entfernt, Und dies iſt genug. Wohlen, Hand and 


* Nicht Nolan, feiern Ferragma tig ſelche Sohlen. Orlando Puricos canın 12. 





Den Ouirie 











314 Don Quixott. 


Wert! Kommt und erſcheinet mir im Gedachtniß, ihr Thaten des 
Amadis, und zeiget mir, wo ich anfangen foll, euch nachzuahmen! 
Aber ih weiß eo ſchon: Beten war das Meifte, was er that. Dies 
will ich auch thun.“ 

Daranf machte ſich unfer Ritter aus einigen großen Galläpfeln von 
einem Korfbaume, bie er an einander reihte, einen Nofenfranz. Was 
ihm aber am meiften leid that, war, daß er bier nicht auch einen 


Einfievler Hatte, dem er beichten und ber ihn tröften Könnte. Seine 
gewöhnliche Unterhaltung war alfo, baf er auf der Meinen Wieſe 
hin und wieder gieng, und viele Berfe, bie theils Liebesllagen, theils 
Lobeserhebungen feiner Dulcinen enthielten, in Baumrinden und 
todern Sand fhrieb, Die meiften derſelben find verloren gegangen; 











XXVI Kapitel, 315 


alles was fi nachher davon gefunden hat und was a noch leſen 
fonnte, iſt folgendes Fragment: 


Ihr Blumen, die ihr biefe Trift beffeidet, 

Ihr Bäume, grün und ſtattlich ausgebreitet, 
BWofern ifr euch am meinem Schmerz nicht weibet, 
So hört, hört an, was meine Seele leidet. 
Zwar wicht beträben will ich euch hiemit, 
Bernehmt nur, wer ich bin, fo ſiad mir quitt: 
Hier weint und grämt ſich ſicherlich zu Tobe 
Der liebesfranle, ganz marode, 

Der edle Ritter Don Quirotez 

Ihm ficht der Sinn 

Weit in die Ferne hin, 

Zur Duleinen, zur Toboferin. 


Ber liebte treuer je, mer underwandter, 

Ale ih Berfhmähter, ih fo ganz Verbannter, 

Ih Tiefgebeugter, Urmer, Hirnverbrannter ? 

Und doch {fi mir ber Grund ein unbefannter. 

Kein Wort von Hoffnung mehr, von @lüid und Beil! 
Mic führt die Liebe toll am Narrenfeil. 








Don Quixote. 


Berzepret euch, ihr Wangen blaß, und bläfler, 
Beint end, ihr Augen, immer näfler, 

Beint, um zu füllen ganze Zäffer. 

Mir flept der Sinn 

Beit in die Ferne pin, 

Zur Dulcinea, zur Toboferin. 


Brei in die Welt, thatträftig zog der Ritter 
Und ſchmachtet jet in diefem Sclfengitter; 

Die wadre Lanze gieng ihm glei in Splitter 
An deiner Bruft von Stein, — ift das nicht bitter? 
Getroffen pat mich Amor, diefer Wicht, 

Doch mit dem Steden, mit dem Stengel nit, 
Traf mi, von hinten zielend, ganz fommobe, 
Und drüber haͤrmt Ah nun zu Tode 

Der edle Ritter Don Duirote. 

Ihm fteht der Sinn 

Beit in die Zerne pin, 

Zur Dulcinea, zur Toboferin. 


Der Zufag „Toboſerin“ zum Namen der Dulcinea machte 
Ale lachen, die nachmals diefe Berfe laſen; benn, fagten fie, Don 
Duirote müfle geglaubt haben, man verftehe fein ganzes Gedicht 
nicht, wenn er nicht Toboferin zu Duleinea fege; und fie trafeng 
auch, wie er hernach felbft befannt hat. Er hatte noch viele andre 
gefchrieben, aber, wie gefagt, man konnte außer biefen drei Strophen 











xxvi. Kapitel, 37 


nichts Ganzes herausbringen. Hiemit und mit Geufzen, Anrufen 
der Faunen und Waldgötter, der Nomphen im den Flüffen und des 
tlagenden Echos, daß fie ihm zuhören, antworten und Troft geben fellten, 
vertrieb er ſich bie Zeit und fuchte Kräuter zu feinem Unterhalte, bis 
Saucho wierer Fäne, Wäre diefer fo gut drei Wochen als drei 
Tage ausgeblieben, fo hätte er gewiß den Nitter von der tranrigen 
Gefialt fo übel zugerichict und entfelt gefanden, dafı ihm ſelbſt bie 
Mutter, die ihm gebar, nicht würde gelaunt haben. Laffen wir ihm 
indeffen fenfzen und dichten, und fehen, wie es Saucho Patfa auf 
feiner Geſandtſchaft gieng. 

Als er heraus auf die Heerfiraße war, ſuchte er den Weg nad 
Tobofo, und kam Tages darauf am die Schenke, wo ihn das Unglück 
der Prelle getroffen hatte, Kaum erblickte er fie, fo däuchte ihm 
ſchon, er flöge wieder in bie Luft. Hineinzugehen Hatte er Feine 
Luft, ob es gleih Zeit zum Mittagobrode war und er großen Trieb 
Hatte, einmal was Warmes zu effen, weil feine Nahrung feit langer 
Zeit nur in Falter Rüge befland. Diefe Nothdurft trieb ihn wenig ⸗ 
fens fehr nah zur Schenfe, aber neh immer war ex zweifelhaft, 
ob er hineingehen folle oder nicht, Als er fo unentfhieden da ftand, 
kamen zwei Leute heraus, die ihn ſogleich erfammten und deren einer 
zum andern fagte: „Hear &ı iſt der Reiter dort nicht 
Sancho Panfa, ben, wie bie in fagte, unfer Abentenrer 
als Waffenträger mitgenommen Hat?! — „Allerdings iſt erd,® 
antwortete der Lirentiat, „und das if auh Don Duirotes 
Pferd." Sie mußten ihn wohl kennen, denn es war der Pfarrer 
und Barbier aus Sanıho’s Dorfe; fie, eben biefelben, welche das 
peinfihe Gericht über unfers Ritters Bücher gehalten Hatten. Da 
fie nun den Sandho und Rozinante ſogleich erfannt hatten, giengen 
fe auf ihn zu. „Freund Saucho Panfa, wo habt Ihr Eiern 
Herrn?” rief der Pfarrer. Sauch o erkannte fie gleich auch, beſchloß 
aber, Aufenthaltsort und Zuſtand feines Herru geheim zu halten. 
„Mein Herr,” ſprach er, „if an einem gewiffen Orte mit einem 
gewiffen Werke beſchaͤftigt, das viel auf fih hat, das ich aber nit 
entdeden kann und folkten mir die Augen aus dem Kopfe gefragt 
werben." — „Nein, nein, Sanıho Panfa," fprad der Barbier, 

















318 Don &uirote. 


„wenn Ihr uns nicht fagt, wo Euer Herr ift, fo glauben wir, Ihr 
habt ihn tobt gefhlagen und beraubt, weil Ihr auf feinem Pferde 
reitet. In allem Ernfte, ſchafft den Herrn des Kleppers her, ober 
es fol Euch der und jener —“ — „Mir braucht Ihr eben nicht fo 
zu droßen, ih bin fein Spigbube noch Todtfchläger. Ich laſſe jeden 
fterben, wie’s ihm beftimmt ift und wie Gott will, ber ihn gemacht 
hat. Mein Herr ift mitten in ber Sierra Morena und thut nach 
Herzensluſt Buße.“ Und nun erzählt er ihnen der Reife nach, in wel- 
em Zuftande er den Ritter verlaffen, was ihm für Ahentener begegnet 
wären und wie jegt er einen Brief an Fräulein Dulcinea von To» 
bofo, Lorenzo Corchuelos Tochter beftellen folle, in die fein Herr 
bis an die große Zehe verliebt ſey.“ Beide erftaunten über Sancho 
Panfas Erzählung, und ungeachtet fie Don Duirotes Narrheit 
genau Fannten, wunberten fie fih doch aufs Neue darüber. Sie for- 
derten von Sancho den Brief an das Fräulein Dulcinea von 
Tobofo. „Er ſteht in der Schreibtafel,” ſprach Sancho, „mein 
Herr hat befohlen, ich ſoll ihn im nächften Dorf abſchreiben laſſen.“ 
— „Das will ih thun,“ fagte der Pfarrer, „und zwar vecht zierlich. 
Zeigt ihn nur her.” Sancho fuhr mit der Hand in das Bruſttuch, 
ſuchte, und fand es nicht, hätte es auch nicht gefunden, und würde 
er heute noch fuchen; denn Don Duirote hatte es behalten, und 
er vergefien, es ihm abzuforb&rn. Als Sande fah, daß ers nicht 
hatte, ward er leichenblaß im Geſicht, durchſuchte ſich nochmals am 
ganzen Leibe, ob ers nicht irgendwo finden könnte; aber umfonft. 
Nun fuhr er fi mit beiden Fäuften in ven Bart, riß ihn faft halb 
aus, und ſchlug fih ein halb dutzendmal fo graufam ins Gefiht 
und auf bie Nafe, daß ihm das Blut darnach Tief. Der Pfarrer 
und Barbier fragten, was ihm denn fehle, daß er fo graufam mit 
ſich umgienge? „Was foll mir fehlen,“ verfeßte Sancho, „als 
daß ih, wie man eine Hand umwendet, drei Efel verloren habe, 
davon jeber wenigſtens ein Schloß werth war?” — „Und wie das?” 
fragte der Barbie. „Weil ich die Schreibetafel verloren habe,“ 
antwortete Sanch o, „worin ber Brief an Dulcinea fand, und 
auch für mich ein Antveifezettel von meinem Herrn auf drei junge 
Efel, die ih von den vieren oder fünfen, die er noch zu Haufe hat, 





XXVI. Kapitel, 319 


friegen ſollte.“ Zugleich erzählte er ihnen ben Verluſt feines Grau - 
ſchimmels. Der Pfarrer tröftete ihm, und verſprach, wenn fie feinen 
Heren fänben, wollte er ihm einen andern Wechſel verſchaffen, der, 
wie fie gehöre, auf Papier gefärieben feyn müßte, benm ein ins 
Taſchenbuch geſchriebner ſey ohmedies micht gültig, Hiemit tröftete 
ſich Sando und ſprach, wenn er ſich drauf verfaffen fönhte, fo 
machte er ſich nicht viel draus, denn den Brief an die Dufcinea 
wiffe er faft auswendig, und fönne ihn auffhreiben Taffen, wo er 
wolle. „Sagt ihm einmal her, Saucho,“ fprad der Barbier, „dar 
mit wir ihm hernach auffegen.“ Sancho fieng an, nadzufinnen, 
fragte fih am Kopfe, ftand bald auf dem, bafd auf jenem Beine, 
guckte bald gen Himmel, bald anf die Erbe, und nagte fih faſt bie 
eine ingerfpige ab, aber es wollte fein Brief fommen. Endlich, 
nachdem er fie fange genug hatte warten laſſen, ſprach er: „Bei 
Gott! hochwürdiger Herr, der Teufel muß fein Spiel haben, da fann 
ich mich nicht wieder auf den Brief befinnen, und wem ich mich zer» 
riſſe. Den Anfang weiß id noch, ber hieß: Hochgebornes, wohlges 
rittenes Fraulein.“ — „So kanns nicht geheißen haben,“ ſprach der 
Barbier: hochgeboraes, wohlgelittenes oder gepricones Fräuleia 
wird dort geſtauden haben.“ — „Deiner Treu! Ihr habts getrof ⸗ 
fen,“ verfegte Sanch o. „Und wenn ih mich recht erinnre, gieugs 
darnach fo: der Geſchlagne, Mift und Berwahrloste küßt 
Ener Gnaben die Hand, undanfbare, gänzlich unbekannte Schöne. 
Und drauf fGmwagt er, ih weiß nicht was, von Heil und Unheil, 
das er ihr ſchidte, und darnach hieß es zuleht: ber Eurige bis in 
den Tod, der Ritter von der traurigen Geflaft. « 

Sando Panfas treues Gedächtniß machte beiden Herren vie- 
len Spaß. Sie fobten ihn, daß er eine Sache fo gut merfen könnte, 
und baten in, daß er ihnen den Brief nod ein paarmal vorfagte, 
damit fie ihm and merfen und zu feiner Zeit auffcreiben könnten, 
Sancho thats no dreimal, und immer närrifher, immer toller. 
Mitunter erzählte er auch, was feinem Heren wiberfahren war; 
aber vom der Prelle, die er in dieſer Schenke genoffen fatte, fagte 
er feim Wortchen. Er erzählte auch, daß fein Herr, ſobald nur gute 
Nahrigt vom Aränfein Dulcinea von Tobofo gefommen ſeyn 








\ 


320 Don Quixote. 


würde, ſich fogleih auf ven Weg machen wollte, Kaiſer ober wenig- 
ſtens Monarch zu werben; denn fo hätten ſie's Beide verabredet. Das 
werbe ihm auch nicht ſchwer werben, wegen der Tapferkeit feiner 
Perſon und der Stärke feines Arms. Sobald dies gefehehen wäre, wolle 
Don Quixote ihn verheiratfen, denn bis dahin müfle er Wittwer 
ſeyn, da könne es gar nicht fehlen, — unb zwar mit der Hofdame 
einer Kaiſerin, die ein großes Reich auf dem Feſtlande zu erben Hätte, 
und nicht etwa Infeln; denn von Infeln wolle er nichts mehr wiffen. 
Dies alles fagte Sancho fo gelaffen und Faltblütig, und wifchte 
fi von Zeit zu Zeit fo unbefangen die Nafe dazu, daß Beide aufs nene 
erflaunten, wie flart Don Duirotes Narrfeit ſeyn müffe, daß fie 
in fo kurzer Zeit aud dieſem armen Teufel den Kopf habe verrüden 
können. Sie wollten fih nicht vergebens bemühen, ihn aus feinem 
Irrthume zu reifen. Denn da es eine unſchuldige Narrheit war, 
womit er fi trug, dachten fie, Fönnten fie ihn immer noch eine 
Weile dabei laſſen, weil fie ihnen Spaß machte. Sie fagten ihm 
alfo, er follte nun fein fleißig für feines Herrn Wohl beten, und 
dann ſey es Teicht möglich, daß er mit ber Zeit Kaifer, wenigſtens 
Erzbiſchof oder fo dergleichen etwas Großes werbe. : 
„Hochwürdiger Herre,“ ſprach Sancho, „wenns run irgend _ 
meinem Heren einfiele, nicht Kaiſer, fonbern Erzbifchof zu werben, 
möcht ih doch wohl willen? was bie fahrenden Erzbiſchöfe ihren 
Schildknappen zur Belohnung geben?" — „Was fonft,“ antwortete 
der Pfarrer, „als eine Präbendey. einen Pfarr» oder Küſterdienſt 
mit einer fetten Befoldung, ungerechnet die Accivenzien, bie immer 
faft eben fo hoch kommen?“ — „Aber,“ . verſetzte Sancho, 
„da muß der Schildknapp ja keine Frau haben, und bei der Meſſe 
wenigſtens helfen können ? Das Gott erbarm! wenns das iſt, ba 
bin ich übel dran, denn ich habe Frau und Kind, und kann nicht 
einmal den erfien Buchftaben im ABE. Ah! was würde da aus 
mie werben, wenn mein Here fich in ben Kopf ſetzte, lieber Erzbiſchof 
als Kaifer zu werden, wie es doch fonft bei fahrenden Nittern immer 
der Brauch iſt?“ — „Laßt Euch feine graue Haare drum wachen, 
Sancho,“ fagte Meifter Niklas, „wir wollens Eurem Herrn ſchon 
rathen, ja ihm eine Gewiſſensſache draus machen, daß er Fieber Kaiſer 








XXVE Sapitel, 321 


als Erzbiſchof werden foll, da er ſich ohnedies zu jenem beffer ſchickt, 
weil ex mehr tapfer als gelehrt-if.” — „Das hab ich auch gedacht," 
ſprach Sauch o, „ungeachtet ih Euch das fagen muß: er weiß Alled. 
Ich meines Teils will unfere Herrn Gott bitten, daß er ihm das 
Gottfeligfte in den Sinn geben möchte, wobei er auch mich am beften 
bedenfen lann.“ — „Ihr ſprecht als ein Huger Mann,” fagte der 
Pfarrer, „und werdet, wenn Ihrs fo macht, wie ein guter Eprift 
handeln, Am nöthigften iſt jet, daß wir braufdenfen, Euern Herrn 
von der unnägen Bufe abzubringen, bie er thut, wie Ihr fagt. Um 
nun hierüber nachzudenlen, und die rechten Mittel herauszufinden, 
wird. es am beſten fegn, wenn wir in bie Scheule gehen und unfer 
Mittagebrod effen, weil es Zeit if." — „Geht nur alleine Hin,“ 
ſprach Sanch v, „ich will Hier auf Euch warten, und Euch hernach 
die Urſach fagen, warum ich nicht hinein gieng, no hinein gehen 
tanu. Aber das bitt ih Euch reiht ſehr, ſchicket mir einen Biffen 
Warmes zu eſſen heraus, und auch Gerfle für meinen Rozinante" 
Sie giengen hinein, und balb brachte ihm der Barbier Eſſen. 




















322 Don Auirote. 


Als Beide, der Pfarrer und der Barbier, ſich berathſchlagten, 
wie ſie's mit unferm Ritter angreifen follten, fam dem Pfarrer ein 
vortreffliher Gedanfe, auf welhe Art ihm am beften beizufommen 
feyn möge. „Hört, Meifter Niklas,“ fprah er, „es ift mir 
eingefallen, ich will mich in ein herumziehendes Fräulein verffeiden, 
und Ihr müßt Euch, fo gut Ihr könnt, auch verfappen, und mein 
Stallmeifter werben. So will ich hin zu Don Quixote, und mich 
für ein bebrängtes und nothleidenbes Fräulein ausgeben, ihn bitten, 
er wolle mir gewähren eine Gab, und dies zu thun wird er fich als 
ein tapfrer fahrender Nitter nicht entbrechen können. Die Gabe, um 
die ih ihm bitten will, wird feyn, daß er mit mir gehe, wohin 
ich ihn führe, und mich wegen einer Schmach räche, die mir ein böfer 
Nitter angethan hat. Zugleich will ich ihn bitten, daß er nicht von 
mir verlange, meine Masfe abzunehmen, noch mich um meine Um- 
fände frage, bie er den treufofen Ritter geftraft, und mir Genug- 
thuung verfhafft Habe. Ich glaube gewif, Don Duirote wird 
blindlings daranf eingehen, wenn man ihm dieſe Falle ftellt, und fo 
bringen wir ihn von bier weg nad Haufe, und fönnen fehen, ob 
irgend noch ein Mittel für feine große Narrbeit ſey.“ 
































XXVIL Kapitel, 


Siebenundzwanzigfties Kapitel. 


Wie der Pfareer und Barbier ihr Vorhaden Ind Werk ſehen, ſanunt andern wictigen Dingen: 


uftig genug bünfte dem Barbier der 

Einfall des Pfarrers, fo daß er 

laum bie Zeit erwarten Fonnte, ihn 

auszuführen. Sit baten die Wir. 

thin um einen Weiberrock und 

eine Haube, und Ficken ihr dafür 

bes Pfarrers neuen Prieſterrock 

Mi . zum Pfande. Der Barbier machte 

fig einen Bart von einem grauen Ochſeuſchwanz, worin der Wirth 
feinen Kamm fieden hatte. Die Wirtpin fragte fie, was fie denn 
mit den Sachen machen wollten? Der Pfarrer erzätlte Don Qui- 
rotes Narrheit und wie biefe Verfappung nöthig ſey, ihm aus dem 
Gebirge zu friegen, wo er jet wäre, Nun befannen fih der Wirth 
und die Wirthin, daß diefer Wapnfinnige ihr ehemaliger Gaft mit 
dem Wunderbalfam und der Herr des geprellten Schildkrappen fey, 
und erzäßften drauf dem Pfarrer Alles, was bei ihnen vorgefallen 
war, und was Sancho fo heifig verſchwiegen hatte. Drauf zug die 
Wirthin den Pfarrer fo artig an, daß mand nicht beffer wunſchen 
Fonnte. Sein Anzug beſtand aus einem Tuchrocke mit handbreiten 
ausgehadten fhwarzen Sammtborben, und einem Leibchen von grünen 
Sammt, mit Streifen von weißem Atlas eingefaßt; beides mußte 




















Don &uirote 


aber gewiß noch unter ber Regierung bes Könige Bamba gemacht feyn. 
Die Haube wollte ſich der Pfarrer nicht auffegen laſſen, fontern 
griff zu einer feinen weißen durchuahten Müge, bie er gewöhnlich 


des Nachts führte, band fie auf der Stirne mit einem Strumpfbanbe 
von ſchwarzem Tafft zufammen, und verdeckte ſich mit dem andern 
Geſicht und Bart. Ueber bie Müge ſtürzte er ben Hut, der fo groß 
war, daf er ihm ſtatt eines Gonnenfhirmes dienen konnte. Dranf 
nahm er feinen Mantel um, und feßte fih nad Weiberart anf fein 
Maulthier. Der Barbier machte ſich nicht minder feinen halb rothen, 
halb ſchwarzen Dchſenſchwanzbart, der bis an ben Gürtel reichte, 
zurecht, und beftieg auch fein Thier. Cie nahmen von Allen Abſchied- 
unter Anbern auch von der guten Maritornes, welhe, obgleich 
felöft eine arme Sunderin, doch einen Nofenfranz zu beten verſprach, 
daß ihnen Gott in einem fo ſchweren und chriſtlichen Vorhaben Gnad 
und Segen verleifen möchte. 

Raum hatten fie die Schenfe verlaſſen, fo wandelte den Pfarrer 
ein Gewiffenszweifel an, obs nämlich nit Sünde, oder doch wenig- 
ſtens unſchicklich ſey, daß ein Priefter ſich fo verlleide, ob er gleich 
ein gutes Werk dadurch thun Fönne. Er entdeckte ihn dem Barbier, 
und fagte, fie wollten mit den Kleidern tauſchen. „Es ift beffer, 

















XXVIL Kapitel 325 


Meifter Niklas,“ ſprach er, „Ihr feyb das beträngte Fräufein und 
ich made den Stallmeifter; denm auf biefe Art fände ih doch weni- 
ger meine Würde, Wenn ihr ben Tauſch nit annehmen wollt, fo 
gehe ih feinen Schritt weiter, und follte Don Duirote der Teufel 
hofen.” Hier fam Sancho zw ihnen und Tonnte fich des Ladens 
nicht enthalten, ba er fie in dem Mufjuge fah. Der Barbier that 
dem Pfarrer feinen Willen, und während er fi umlleidete, unter- 
richtete ihn ber Pfarrer, wie ex ſich bei unferm Nitter verhalten und 
was er ihm fagen ſollte, um ihu zu vermögen, baf er mit ihnen 
gehe und den Ort feiner unnützen Buße verlaſſe. Der Bar 
bier antwortete, man braude ihm weiter nichto zu fagen, er wolle 
feine Saden fhon machen; verlleiden wolle er ſich aber erſt, wenn 
fie Don Duiroten näher wären. Er yadte alfo feine Kleider 
jufanmen, der Pfarrer legte feinen Bart an und fo folgten fie 
Sancho Panfa nah, der ihnen unterwegs erzählte, was ihnen mit 
dem Wahnſinnigen in ber Sierra begegnet war, Den Fund des 
Mantelſacks aber verfihwieg er ihmen weislich, deun fo dumm er 
auch ausfah, war er doch ein durchtriebner Schalt. 


Tage baranf famen fie an bie Zweige, welde Saucho aut 
gefirent hatte, feinen Herrn wieder zu finden. Gr bemerkte fie und 
fagte ihnen, fie wären man am Eingange und Fönnten ſich immer 
verkleiden, wenn fie feinen Herrn dadurch von der Buße abbringen 
wollten; denn fie hatten ee ihm zuvor gefagt, dieſe Kleidung fey 
fihfecterdings notwendig, um feinen Gebieter von der traurigen 
Lebensweife zu befehren, die er erwäßlt Habe. Sie Banden ihm 
daher auch tie änfierfte Berſchwiegenheit ein, und daß er fih fleflen 
folfe, als kenne er fie nicht, Wenn ihn, wie dies vorauszufehen fey, 
fein Herr fragen werde, ob er der Dulcinea ben Brief überbracht 
habe, folle er nur fagen, ja; da fie aber weder Iefen noch fehreiben 
Könne, babe fie ihm nur mündlich befohlen, er folle bei Bermeidung 
ihrer Ungnabe augenblicklich zw ifr Fommen, weil viel daran gelegen 
fey; denn hiedurch und durch das, was fie ſelbſt ihrer Seits bem 
Nitter noch fagen wollten, hofften fie gewiß ihu auf beffere Wege 
zu bringen und dahin zu vermögen, daß er ſich glei aufmache, 























: 326 Bon Buirote. 


Raifer oder Monarch zu werben, und fo habe er, Saucho, auch 
das Erzbifchofwerben nicht zu befürchten. 

Alles dies hörte Sancho anbädhtig mit an, merkte ſichs wohl 
und dankte ihnen fehr für bie gute Mbficht, die fie hätten, feinem 
Herrn zu rathen, lieber Kaifer als Erzbifhof zu werden. „Denn,“ 
ſprach er, „ich denke fo bei mir, bie Raifer können doch ihre Schild- 
Tnappen immer befjer belohnen und verforgen, als fahrende Erzbifchöfe. 
Indeffen wirds doch immer gut feyn, wenn ich ein "bischen voraus⸗ 
gehe, meinen Herrn auffuhe und ihm die Antwort feiner Dame 
bringe. Vielleicht ift dieſe allein hinreichend, ihn vom Flecke zu 
treiben, ohne daß Ihr Euch fo viele Mühe geben dürft.“ Sie 
billigten feinen Einfall und verſprachen, ihn hier zu erwarten, bis er 
mit Nachrichten von feinem Herrn wieder fommen würde. Hiemit 
verließ fie Sanyo auf einem angenehmen Plage, dem ein Heiner 
Bach nebf einigen Baumen Schatten und Kühlung gab, und trat in 
die Felſenklüfte des Gebirges, feinen Herrn zu ſuchen. Es war 
ungefähr Nachmittags um 3 Uhr, mitten im Auguf, da fie hier an- 
famen, und bie Hitze, die in biefen Gegenden ohnedies heftig ift, brannte 
faſt unerträglih; um fo erwünfchter alfo war ihnen das Pläßchen, 
wo fie Saucho erwarten wollten. Als fie nun Beide ganz ruhig im 
Schatten dalagen, hörten fie eine Stimme, welche, ohne Begleitung 
eines Jaftruments, fehr lieblich fang. Sie wunderten ſich nicht wenig, 
denn dies war gar nicht der Drt, wo fie einen fo angenehmen Sänger 
erwarten fonnten; und obgleich immer viel von fchönfingenden Schä- 
fern in den Wäldern gefagt wird, fo find es am Ende doch nur 
Gefchöpfe der Porten, wie man weiß. Ihre Berwunderung flieg, 
da fie hörten, daß die Stimme nit etwa ein bäurifches Lied, fondern 
folgende Verſe fang, die von einem feinen Manne herrüpren mußten. 


Bas macht mir ſchaal die lange Zeit? 
Abweſenheit; 

Was doppelt traurig meine Flucht? 
Die Eiferſucht; 

Und mas noch größer meine Pein? 
Berfhmäpt zu feyn. 




















XXVIL Sapitel, 327 


Da ſeh ih keinen Hoffnungsfein, 

Da Hilft nicht Arzenei: 

Entfernt, verſchmäht, vol Argwohns feyn 
O diefe böfen Drei! 


Ber hat gefät dies Ungemach 
Die Liche, ad! 
Ber ließ gebeipn bie Unglüdsfaat? 
Des Himmels Ratp; 
Ber leuchtete dazu fo gern? 
Mein böfer Stern. 
So bleibt mir ſtets die Hoffnung fern, 
Umfonft iſt Arzenei: 
D Liebe, Himmel, böfer Stern, 
O weh’, ihr mädht’gen Drei! 


Ber tilgt des alten Uebels Spur? 
Der Bapnfinn nur; 
Ber ſchafft mir neue Liebesgluth? 
Der Bantelmuth; 
Ber reitet mich aus aller Rotp? 
Allein der Tod. 
Drum zieh’ ich vor bie alte Roth 
Dergleihen Arzenei’n; 
Denn Bahnfinn, Banfelmutd und Tod — 
Refpelt vor biefen Drei'n. 


Die Trefflichleit der Stimme, zumal in diefer Jahreszeit und 
in diefer Stunde, erfüllte fie mit Berwunberung und Bergnügen. 
Sie verpielten fi daher ruhig, in Erwartung, noch ein Lied zu 
hören. Da aber eine lange Paufe eintrat, wollten fie eben heraus- 
gehen, um ven Mufiter zu fuchen, als zum zweitenmale feine Stimme 
ertönte und folgendes Sonnet vernehmen ließ: 








O heil'ge Freundſchaft! müde diefer Welt, 
Biſt du mit leichten Schwingen uns entflogen, 
Um da zu wohnen, wo in golbnem Bogen 
Die Sterne reifen um der Sel'gen Zelt. 











Don Buizote. 


Drim iſt die Freundſchaft, die ſich uns geſellt, 
Ein Trugbild, das dein Kleid nur angezogen, 
Das, wenn es kurze Freuden und gelogen, 
Bür immer die Erinnerung vergaͤllt. 


D kehre von den Himmeln, wo du weileft, 
Doldſel'ge Freundſchaft, wieber zu dem Staube, 
Laß dich herab, der Menſchen Gaft zu werden! 


So du den Trug nicht zu entlarven eileſt, 
So wird ipm bald das Heiligfe zum Raube, 
Und ſicher ſteht hinfort nichts mehr auf Erden. 


Der Gefang ſchloß mit einem tiefen Seufzer. Beide horchten, 
ob die Stimme fortfingen würde. Da fie aber nichts als Schluchzen 
und trauriges Wehflagen hörten, beſchloſſen fie zu unterſuchen, wer 
der fo Lieblihe und wehmüthige Sänger fey. Sie giengen nicht weit, 
fo fahen fie Hinter einem Felfen einen Menfchen von eben der Geflalt 


und Tracht, ald Sancho Yanfa ifnen, bei feiner Erzählung, den 
Cardenio beſchrieben hatte. Als diefer fie erblickte, ſchien ex 
nicht ũberraſcht, ſondern ließ den Kopf zur Bruſt herabhängen, wie 
ein tiefdenlender Menſch, ohne die Augen aufzuſchlagen und fie anzu» 
fehen, bis fie vor ihm flanden. Der Pfarrer, der ein wohlwollender 
Mann war, und fihon fein Unglück kannte, gieng zu ihm hin, und 
bat ihn kurz, aber fehr höflich, er möchte doch diefe elende Lebensart 
verlaffen, damit er nicht fein Leben dabei verlöre, was vollends das 
größte Unglüd feyn würde. Eardenio war damals völlig bei Ber- 
Rande, und hatte feinen von ben Anfällen, bie ihn oft außer fich 
felöft fegten. Da er nun beibe in einer hier ganz ungewöhnlichen 
Tracht erblicte, und fie ſchon ganz befannt von feinen Unftänden mit 
ihm ſprechen Hörte (denn der Pfarrer hatte Einiges davon mit ein» 
fliegen laffen), flugte er ein wenig. Endlich brach er aus: „Wer Ihr 
au feyn möget, meine Herren, fo fehe ih doch, daß der Himmel, 
der für die Guten forgt (freilich auch oft für die Böfen), mir, opne 
daß ich es verbiene, in biefe rauhe und menfchenleere Wüfte gute 
"Leute ſchidt, die mic meine verkehrte Lebensart vorhalten, und mich auf 











XXVM. Mapitel 329 


befre Wege zu bringen ſuchen. Da fie aber nicht fo gut wie ih 
wiffen, daß ih, wenn ih auch diefem Unglück entgehe, wieder in ein 
neues und gröfres falle, fo Fönnten fie mich leicht für einen blöven, 
ober gar feiner Vernunft beraubten Meuſchen haften. Und kein Wunder 
wär es; denn ich ſelbſt ſehe ein, das allzufehhafte Andenken meiner 
Ungfüdefälle reift mi oft fo dahin, daß ih verirrt werde, und 
opne Empfindung und Bewußtfeyn bin, wie ein Stein. Was mir 
diefe traurige Vermuthung noch gewiſſer macht, if, daß man mir 
bernach oft fagt und zeigt, was ig während dieſes ſchredlichen An- 
falls gethan Habe. Ih lann aber nichts dabei tun, als mein Uns 
Hlüct vergebens beffagen, und zu meiner Entfgufsigung die Urſache 
meines Zuftandes Jedermann erzählen, der fie hören will; denn ver- 
nünftige Leute, wenn fie die Urſache Hören, werden ſich über bie 
Wirkung nicht wundern, und wenn fie mir auch micht helfen Lönnen, 
doch mid nicht verbammen, ſondern, flatt zu zürmen, mich bemitfeiven. 
Bean Ihr, meine Herren, ans eben der Abſicht wie Andre hicher 
tommt, fo bitte ih, ehe Ihr in Euern gültigen Unterredungen fort 

fahrt, Höret erſt die Geſchichte meiner Leivenz vielleicht fehet Ihr 


daruach, daß es ganz vergeblich ſey, einen Unglüdlichen zu tröften, 
der feines Troſtes mehr fähig if." 


Da Beide germ feine Geſchichte aus feinem eignen Munde ge» 
hört Hätten, baten fie ipn brum und verfißerten ihn, fie wollten nichts 
wider feinen Willen zu feinem Troft ober feiner Erleichterung vor- 
nehmen. Nun erzahlte der traurige Ritter feine Mäglihe Geſchichte 
faſt mit eben ben Worten, als er fie wenig Zage zuvor unferm 
Ritter und ben Hirten erzäpft hatte, bis dahin, wo Don Duirote 
über den Meiſter Efifabat und bie gar zu firenge Beobachtung der 
Nittergefege mit ihm gerfiel und bie Geſchichte völlig unterdrach. 
Iept aber war Eardenio zum Gfüd völlig bei Verſtande und fonnte 
fie ganz enbigen, Dort war er bis auf das Billet gelommen, welches 
Don Kernando im Amadis von Gallien fand, „IH kauun es 
auswendig,“ ſprach Earbenio, „Lucinde fhrieb mir folgendes: 






































Don Buirste. 
Zucinde au Eardenio. 


Täglich entdede ih mehr Borzüge an End, die Euch meine Soch⸗ 
adtung erwerben. Wollt Ihr mich in ten Stand ſeben, End vie 
Märkten Beweiſe davon zu geben, fe thut es anf eine Art, die mit 
meiner Ehre beflehen fann. Ich Habe einen Bater, ter Eucb kennt 
und mih liebt. Er wird, opne mi zu etwas Anderm zu zwingen, 
Euern Wunſch erfüllen, den Ihr ihm, ohne weiter anzuſtehen, enıdeden 
tönnt, wenn Ihr mich fo liebt, mie Ihr fagt und id glaube. 


„Dies Billet veranlaßte mid, um Lucinden bei ihrem Bater 
nochmals anzupalten, wie ich Euch fhon erzählt Habe; aber es ließ 
fie aud dem Don Fernando als eine ber verftäntigfien Jungfranen 
ihrer Zeit erſcheinen und brachte ihn zu dem Entſchluſſe, mich zu 
antergraben. Ich entbedte ihm bie Schwierigkeit, an welde ſich 
Lucindens Bater noch ſtieß, daß nämlich mein Bater ſelbſt um fie 
anhalten follte, dem ich aber nichts davon zu fagen wagte, nicht, als 
wäre ihm Encindens Werth, Tugend, Schönheit und edle Geburt 
unbefannt gewefen, fondern weil er mich nicht eher heirathen laſſen 
wollte, als bis er fähe, was der Herzog Ricardo mit mir vorhabe. 
Rurz, ih fagte ihm, daß ih nicht mit meinem Bater reven könne, 
nicht nur ans dem angeführten Grunde, fondern aus mehreren andern, 
die ich mir ſelbſt nicht Mar zu machen wiffe; es fey mir eben vor, 
ich werde das Ziel meiner Wünfche nicht erreichen. Don Fernando 
erbot fi fogleih, mit ‚meinem Vater darüber zu fprechen und ihm 
zur Einwilligung zu bereden. D ehrfüchtiger Marius, granfamer 
Eatilina, fhänbliher Sulla, heimtüdifher Galalon, ränkevoller 
Telito, rachgieriger Julian, arglifiiger Judas! — Berräther, 
Granfamer, Ungeheuer! was hatte ich Armer dir gethan, dem ich 
die geheimften Falten meines Herzens entvedte? welche Beleidigung 
haft du von mir erfahren? melden Rath habe ich bir gegeben, 
welches Wort zu dir geſprochen, wobei es nicht meine Abficht gewefen 
wäre, beine Ehre und deinen Nugen zu fördern? Doch, was Mage 
ih Elender! Mein Schichkſal und der Lauf verhängnißvoller Sterne 
wollte es fo, und ihrer Wuth kann Feine Kraft auf Erden, feine 
menfchlihe Cinfiht Einhalt thun. Wer konnte ſich einhilden, 
































XXVIE Kapitel. 331 


daß Mernando,  biefer edle, wohlerzogue, mir‘ zum Dan 
verpflichtete Ritter, dem noch überdies jede Wahl offen fand, darauf 
verfallen würde, mir mein einziges Schäfchen zw vauben, das ih 
ſelbſt noch nicht beſaß Doc Taffen wir dieſe unnägen Klagen; 
ehren wir zu meiner Gefchichte zurück 

„Don Fernando, den meine Gegenwart an Husführang feines 
ſchreclichen Vorſahes Hinderte, ſuchte mich zu entfernen. Dies zu 
bewertſtelligen, Taufte er an demſelben Tage, als er mit‘ meinem 
Bater über meine Sache ſprechen wollte, fehs Pferde, und ſchickte 
mid eilig zu feinem ältern Bruder, das Gelb dafür zu holen. 
Konnte ih dieſer Verrätherei vorbengen? kounte ih fie ahıien? 
Nein, mit der größten Vereitwilligfeit und erfrent über den vortheil 
haften Kauf, bot ih mich an, fogleih zu gehen, ſprach dieſen Abend 
noch mit Luein den umd eutdeclte ihr meine Abrede mit Don Fer- 
wando umb meine Hoffnung, umfre guten 'umb gerechten Wänſche 
bald erfüllt zu fehen. So wenig von dem Berrathe ahnend als ich, 
forderte fie mich nur auf, bafd wieder zu Fommen, deum Alles werde 
ſich fügen, ſobald mein Vater mit dem ihrigen fpräde. Ich weiß 
wicht; woher es kam, daß ihr bei dieſen Worte Tpränen in bie Augen 
tratem und ihr bie Stimme vergieng, fo daß fie, fein Wort mehr 
hervorbringen Tenute, obgleidh fie, wie es ſchien, mir noch Vieles zu 
ſagen Hatte: Ich wunderte mich über dieſen feltfamen Umſtand, weil 
mir dergleichen wit ihr noch nie begegnet warz deun fo oft mir fenft 
mei gutes Oläd und meine Maßregeln Gelegenheit verſchafft Hatten, 
fie zu ſprechen, herrſchte nur Frohfinn und Heiterfeit in unfrer Unter 
Haltung, opne jemals durch Tpränen, Seuſzer, Eiferfugt, Argwohn 
ober Unruhe unterbrochen zu werben. Ich überließ mich gänzlich dem 
Gefühle des Gläds, deffen mich die Gunft bes Himmels durch ihre 
Liebe theilhaftig machte; ich erhob ihre Neize und bewunderte ifren 
Berftand und ihre Tugenden, und fie ſprach ifrerfeits mit Beifall 
von den Eigenfihaften, bie fie, als ein Tiehendes Mädchen, am 
mir lobenswerth fand. Zur Abwecheluug erzäpften wir einander 
allerlei Meinigfeiten und Begebenpeiten von unfern Nachbarn und 
Bekannten, wobei ih mir mie etwas mehr erlaubte, ale daß ich 
bisweilen Halb mit Gewalt eine von ihren Tiebenswürdigen weißen 














338 Don @uizote, 


Hänben foßte und foweit es das Gitter verflattete, fie an meine 
Lippen brüdte. Allein am Abend vor meiner unglücklichen Abreiſe 
ſchied fie von mir unter Tränen und Genfjern, und ſehte mich in 
Erſtaunen und Berwirrung dur biefe ungewöhnlichen und traurigen 
Yenperungen ihres Schmerzes und ihrer Bekümmerniſſe. Um jedoch 
meine Hoffnung nicht finfen zu laſſen, ſchrieb ich alles dem Ueber 
maß ihrer Zärtlichleit für mich zu und bem Schmerz, welden die 
Trennung den Liebenden gewöhnlich verurſacht. Nichts deſtoweniger 
trat id traurig und ſchwermüthig meine Reife an, mit einem Herzen 
vol von Beforgniß und Unruhe, obgleich ich ſelbſt nicht wußte, was 
ich befürdtete und was mich unruhig machte, wobei offenbar ein Bor- 
gefühl des Unglüde, welches mir bevorſtaud, zu Grunde ag. 

Ich kam nad dem Orte meiner Sendung, übergab dem Bruder bes 
Don Fernando feinen Brief, warb von ihm fehr gut empfangen, 
aber nit eben fo gut abgefertigt; denn zu meinem nicht geringen 
Mißvergnügen, befahl er mir, acht Tage zu warten, und mich in Acht 
zu nehmen, daß ber Herzog, fein Bater, mich nicht gewahr werbe, indem 
fein Bruder ihn gebeten Hätte, ihm das Gelb ohne Vorwiſſen feines 
Baters zu ſchicken; und das Alles geſchah auf Anfiften des treuloſen 
Don Fernando, benn feinem Bruder fehlte es nit an Geld, um 
mich opne Verzug abzufertigen. Diefer Befehl war ganz dazu geeig- 
net, mich zum Ungehorfam zu reizen, weil es mir unmöglich ſchien, 
meine Abwefenpeit von Lucinden fo lange zu ertragen, zumal da 
ih fie in der traurigen Stimmung verlaffen hatte, bie ih Euch 
beſchrieben habe. Ich gehorchte indeffen als ein treuer Diener, ob⸗ 
wohl ich fühlte, daß es auf Koften meiner Ruhe geſchah. Allein am 
vierten Tage nah meiner Ankunft ſuchte ein Dann mi auf und 
brachte mir einen Brief, beffen Auffhrift ich für Lucindens Hand 
erfannte. Ich erbrach ihn mit Angft und Schreden, weil ich nicht 
zweifelte, eine Sade von der äuferflen Wichtigkeit müßte_fie bewogen 
haben, mir nad biefem entfernten Orte zu fihreiben, ba fie dieſes 
doch nur felten zu thun pflegte, wenn wir uns auch an einem und 
demfelben Orte befanden. Ehe ich den Brief las, fragte ich ven 
Ueberbringer, von wem er ihn empfangen hätte und wie lange er 


unterwegs gewefen wäre. Er autwortete mir, wie er um Mittagszeit 
x 














XXVI. Kapitel, 333 


von ungefähr durch eine Straße in meiner Baterflabt gegangen 
wäre, hätte eine fgöne Dame mit verweinten Augen, ihn an. einem 
Fenfer angerufen, und mit eiligen Worten zu ihm gefagt: „Wenn 
Ihr ein Chriſt ſeyd, mein Freund, wie Ihr zu ſeyn fheint, fo. bitte 
ih Euch um Gottes willen, biefen Brief den Yugenblid nad dem 
Orte und an die Perfon zu befördern, welche die Auffhrift anzeigt; 
beibe find. befannt genug, und Ihr werbet ein Gott gefälliges Wert 
thunz und damit Euch die Mittel dazu nicht fehlen, fo nehmet das⸗ 
jenige hin, was in biefes Tuch gebunden if.“ Mit diefen Worten, 
fagte er, warf fie mir ein Tu zu, in welches hundert Reafen, ein 











334 Don Quixote. 


goldner Ring, den ih Hier am Finger trage, und ber Brief, ben 
ich Euch gebracht Habe, gewidelt waren, und ohne meine Antwort 
abzuwarten, verließ fie das Fenfter, fobald fie gefehen hatte, daß ih 
den Brief aufpob und ihr durch Zehen zu verfiehen gab, daß ich 
ihren Befehl ausrichten würde. Da fie mich für meine Mühe fo 
reichlich belohnte, da ih Euch, an ben die Aufſchrift Iautet, fehr 
wohl Fannte, fo wollte ich ihre Botſchaft keinem Andern anvertrauen, 
fondern fie ſelbſt beſtellen; und in ſechzehn Stunden, feitvem ich den 
Brief empfieng, habe ich den Weg von achtzehn Meilen Hieher zuräd- 
gelegt. Indem der vienftfertige und ungewöhnliche Bote diefes ſprach, 
hieng meine Seele an jeinen Lippen und ich zitterte fo fehr, daß ich 
mid kaum aufrecht erhalten konnte. Ih fhlug den Brief ausein- 
ander und lad Folgendes: 

„Don Fernando hat fein Wort gehalten, das er dir gegeben 
hat, deinen Bater zu bitten, mit dem meinigen zu fpreden; aber nicht 
zu deinem Beften, fondern zu feinem eignen Bortpeil. Wiſſe nämlich, 
daß er felbft mich zur Braut begehrt hat, und daß mein Bater, geblen- 
det durch den Vortheil und die Epre diefer Verbindung, feinen Antrag 
mit folder Bereitwilligfeit angenommen hat, daß in zwei Tagen die 
Bermählung fon vor fich gehen foll, und zwar fo geheim, daß nur 
der Himmel und einige Hausgenoffen Zeugen dabei ſeyn werben. Meine 
ſchreckliche Lage fannft du dir denken. Iſts möglich, ſo komme. Ob 
ich dich Tiebe oder nicht, fol der Erfolg zeigen. Gebe Gott, daß dir 
diefer Brief eher zur Hand kommt, als ich genöthigt werde, meine 
Hand demjenigen zu reihen, der Treue und Glauben fo ſchlecht hält." 

Dies war der Inhalt ihres Briefes, welcher mich bewog, augen- 
blicklich fortzueilen, ohne daß ich länger auf meine Abfertigung ober 
auf Geld gewartet hätte; denn jetzt warb ich nur zu deutlich gewahr, 
daß Don Fernando nicht wegen des Pferbefaufs, fondern um ganz 
andre Abſichten zu erreichen, mich an feinen Bruder abgeſchickt hatte. 
Meine Erbitterung gegen ihn und die Furcht, einen Schatz zu ver- 
lieren, welchen ich durch vieljährige treue Anhänglichkeit und Zärt- 
Tichfeit verdient hatte, Tiehen mir Flügel, fo daß ich am folgenden 
Tage in meiner Vaterſtadt anfam, gerade zu rechter Zeit und Stunde, 
um Lucinden fprehen zu können. Ich kam unbemerkt in die Stadt, 
ließ mein Maulthier bei dem Manne ftehen, ver mir die Botfhaft 

















XXVI Kapitel. 335 


gebracht Hatte, und das Glück war mir vamals noch fo günftig, vafı 
es mich Lucinden an dem Gitter anfreffen ließ, an welchem wir 
uns oft von anfrer Liebe unterhalten batten. Sie ward mid ſogleich 
gewahr und ich fie ebenfalls; allein wir fanden und Seiberfeits wicht 
fo wieder, wie wir und finden follten, Doch wo if der Menfh; 
der fih rühmen fan, Gedanten und Herz eines Weibes ergründet 
zu haben Gewiß nirgends in der Welt, Sobald Lueinde mich 
erbfidte, Tagte fie: „Earbemio, du fichft mich im Brautkleide, 
und fon erwarten mich int Hochzeitzimmer der treufofe Rernande, 
mein rangfüchtiger Vater und med einige andre Zeugen; doch eher 
ſollen fie Zeugen meined Todes, ald Zeugen meiner Vermählung 
werden. Beunruhige dich nicht, mein Freund, fondern fuche nar bei 
dieſem Dpfer gegenwärtig zu ſeyn; denn wenn ih es durch Worte 
nicht abwenden Tann, fo Habe ih einen Dolch bei mir, welcher, in⸗ 
dem er meinem Lehen ein Ende macht, allen Zwang befiegen und dir 
beweiſen folk, wie ich ſtets gegen dich gefinnt war und noch jegt Kin.“ 

Beſtürzung und Kürze ber Zeit erlaubte mir nur, ihr in ver Eile 
zu antworten· „Die That beftätige deine Worte, Gelichte! denn 
baſt du einen Dolch, um ihm Rachdruc zu geben, fo habe ich ein 
Schwert, um big zw vertheidigen, ober um mic darein zu ſtürzen, 
wenn das Schidjal uns zuwider iſt.“ 

“dh glaube kaum, daff fie meine lehten Worte gehört hat, denn 
fie warb ploͤtzlich abgerufen, weil der Bräutigam fie erwartete. Die 
Naht meines Kummers brach jept am tab unter gieng die Sonne 
meines Glüds. Meinem Auge erlof das Licht, meinem Geifte die 
Marheit. IH dachte nicht einmal daran, in ihr Haus zu gehen, 
noch war ich im Stande, mid von ber Stelle zu bewegen; doch als 
«6 mir eudlich einfiel, wie nöthig anf jeden Fall meine Gegenwart 
wäre, raffte ich mi zufammen, fo gut ich konnte, und gieng in Lu⸗ 
eindens Hans, und da id alle Ein- und Ausgänge Tante, ſchlich 
ich ungeſehen binein, zumal bei der Unruhe, welche der geheime Bor 
gang mit fi brachte. Ih verſteckte mich hinter den Borhängen 
eines Bogenfenftere im Brautgemache ſelbſt, wo ih, ohne bemerkt zu 
werben, Milch beobachten fonnte, mas im Zümmer vorgieng. Wer 
befehreißt die Qualen, die mein Herz beflärntten, nnd bie Gedanfen, 














336 "Bon Quixote. 


die mich folterten: fie waren fo verworren nnd mannigfaltig, daß 
ih fie nicht ale ausſprechen kaun und mag. Genng, ber Bräutigam 
trat in den Saal, ohne Schmuck, und in feiner gewößnligen Kleidung. 
US Zeuge begleitete ihn ein leiblicher Better Lucindens, und 
anfer den Dienern war Niemand im Zimmer. Nach einer Heinen 
Beile trat Lucinde aus einer Nebenfammer herein, begleitet von 
ihrer Mutter und zwei Zofen, geffeivet und geſchmückt mit aller 
Pracht, die ihrem Stande und ihrer Schönheit angemeflen war, und 
welche die Feier des Tages erforderte. Die heftige Spannung erlaubte 
mir nicht, ihren Anzug genau zu beobachten: ich konnte nur bie Farben 
ihres Gewandes bemerken, welche blafroth und weiß waren, und ben 
Glanz der unzähligen Edelſteine, welde ihren KRopfpug unb ihren 
ganzen Anzug bedeckten; doch weit herrlicher glänzten bie goldnen Laden 
ihres üppigen Haupthaare, mit welchen ihr ganzer Schmud und ber 
Schimmer der vier Fackeln, die das Brautgemach erleuchteten, umſonſt 
zu wetteifern ſchienen. O Gedaͤchtniß, Todfeind meiner Ruhe! wargm 
mußt du mir noch jegt meine angebetete Widerfacherin in dem vollen 
Glanz ihrer unvergleichlichen Schönheit barflellen? Wäre es nicht 
beffer, granfame Erinnerung! wenn du mir nur dasjenige vorpielteft, 
was fie damals that, damit id, gereizt durch bie empfindliche Belei- 
bigung, zwar nicht mich rächte, aber doch meinem Leben ein Ende machte, 

„Werdet nicht ungebulbig, meine Herren, biefe Abſchweifungen 
anzuhören; denn meine Leiden find nicht von folder Art, daß ich fie 
mit wenigen Worten und in ruhiger Ordnung ſchildern könnte ober 
dürfte, indem nach meinem Gefühl jeder Umſtand ausführliche Erwäh- 
nung verdient.“ 

Der Pfarrer verficherte ihm, fle fänden feine Erzählung fo wenig 
Tangweilig, daß fie vielmehr mit Vergnügen auch bie kleinſten Um ⸗ 
fände vernähmen, weil fie nicht verdienten übergangen, fondern mit 
eben fo vieler Aufmerkfamfeit angehört zu werden, als die Hanptge- 
genftände feiner Geſchichte. 

„Wohlan,“ fuhr Eardenio fort, „wie fie jegt alle in dem Saale 
verfammelt waren, kam auch der Pfarrer des Kirchfpiels herein, und 
ließ fih von dem beiden Verlobten die Hände geben, nm dasjenige zu 
verrichten, was bei biefer Handlung feines Amtes war. Bei ber 











XXVIL Kapitel, 


Frage: Fraulein Sweinde, begehrt Ihr den gegenwärtigen Don 
Fernando nah ber Orbnung anſter Heiligen Kirche zu Eurem 
ehlichen Gemahl ẽ firedt ich Kopf und Hals zwiſchen den Borhängen 
Heraus und Horte mit aufmertfamem Or, in angſtlicher Erwartung, 
was ucinde antworten würbe, weil ich von ihren Lippen mein Todes. 
urtheif, oder neues Leben zu gewärtigen hatte. Ach! Hätte ih tamafs 
Entffoffenheit genug gehabt, Heroorzufpringen und mit lauter Stimme 
zu rufen: Lucinde, Aucinde, bevenfe was du thuſt; vergiß nicht, 
was du mir ſchuldig biſt; erinme dich, dafı dm mir gehört, und 
feinem Andern gehören kannſt; bedenke, daß der Augenblick, in welchem 
du das Jawort aueſprichſt, der letzte meines Sehens ſeyn wird. Ha, 
treufofer Don Fernando! Zerfiörer meines Gfüds, Tod meines 
Lebens, was wilft du? worauf machft da Maforuh? Vedente, daß 
du als Eprift das Ziel deiner Wänſche wicht erreichen kannſt, indem 
Lueinde meine Braut iſt, und ich ihr Gemahl bin. O, ih Thor! 
jest, da ih weit von ihr entfernt bin, und den entſcheidenden Angen- 
blick habe verftreichen Taffen, rede ich von dem, was ich Hätte thun 
follen und nicht gethan Gabe. Jet, nachdem ich mir den theuerften 




















3383 Don Euizote. 


Schatz habe entwenten laſſen, verwünſche ich ten Räuber, an tem ih 
mich hätte rächen können, wenn ich eben fo viel Muth gehabt hätte, 
dieſes zu thun, als ich jegt Habe, mich zu beffagen. Bin ih damals 
feige und ein Wicht gewefen, fo ift es nicht zu viel, wenn ich jetzt 
ſterben muß, als Lanbflreicher in Rene und Wahnfinn.“ 

„Lucinde ließ ven Pfarrer lang auf ihre Antwort warten; allein 
indem ich noch immer dachte, fie würde entweder ven Dolch züden, 
um ihr vergebenes Wort zu löfen, oder den Munt öffnen, um ſich frei- 
müthig für mich zu erklären, hörte ich fic endlich mit ſchwacher und 
ohnmãchtiger Stimme Ja fagen. Daffelbe tfat Don Fernando, 
indem er ihr den Ring überreichte, durch welden das nnanflögliche 
Band zwiſchen ihnen auf immer gelnüpft war. Der Bräutigam trat 
näher, um feine Braut zu umarmen, aber fie legte die Hand aufs 
Herz, und fant ohnmächtig ihrer Mutter in die Arme. Ihr könnt Euch 
vorſtellen, wie mir zu Muthe ward, indem das unglückliche Jawort, 
das ich vernommen hatte, anf einmal alle meine Hoffnungen zerftörte, 
Lucindens Wort und Zufage unwahr machte und mich für immer 
um die Möglichkeit brachte, ein Gut wieder zu erlangen, weldes ich in 
diefem Augenblid einbüßte. Die Gebanfen fhwanden mir, mir ware, 
als Hätte der Himmel ſelbſt mid verlaffen, als wäre bie Erbe, bie 
mi trug, mir feind geworben, weil die Luft mir ihren Hauch zu 
meinen Geufjern und das Wafler feine Tropfen zu meinen Thränen 
verfagte. Nur das Feuer loderte höher empor, fo daß ich glühte von 
Wuth und von Eiferfugt. Lucindens Ohnmacht verfegte Alles in 
Unruhe; indem ihre Mutter bie Schnürbruft Töste, um ihr Luft zu 
machen, fand fie in ihrem Bufen ein Papier, beffen Don Fernando 
ſich augenblicklich bemädtigte, um es beim Lichte einer Fackel zu 
durchleſen. Dann warf er fih in einen Lehnfeffel, ſtützte gedankenvoll 
den Kopf auf die Hand und dachte nicht daran, feine Braut aus ihrer 
Ohnmacht erweden zu helfen. Wie ih alle Menfchen im Haufe ber 
fhäftigt fah, wagte ichs auf die Gefahr, daß man mich entdeckte, weg« 
zugehen, mit dem Vorfag, im Fall ich bemerkt würde, fo viel Unheil 
anzurichten, daß bie Welt meinen gerechten Zorn in ber Beftrafung 
des falfchen Don Fernando und ſelbſt der ohnmächtigen VBerrätherin 
erfennen follte. Allein mein Schickſal, welches gewiß noch größre 








XXVI. Kapitel, 339 


Leiden über mich verhängt hat Cwenm es woch gröfite geben 
kann), ließ mir damals noch etwas Verſtand übrig, den ih feit- 
dem verloren habe, und auſtatt mich an meinen ärgflem Feinden zu 
rächen (welches ich leicht Hätte thun können, weil Niemand an mich 
dachte), nahm ich mir vor, meine Hand gegen mich felbft zu lehreu 
and mir bie Strafe aufjufegen, die fie verdient Hatten, ja eine ned 
Härtere, als fie von mir erlitten haben wärben, wenn id ihnen auf 
der Stelle das Leben genommen hätte; ben ein ſchneller Tod macht 
aller Dual ein Ende, da hingegen ein martervolfes Dafeyn umaufe 
Hörlich tödtet, ohne dem Leben ein Ende zu marhen. # 

„Genug, ih verlieh das Haus und gieng hin zu demjenigen, bei 
welchen ih mein Maulthier hatte ſtehen laſſen, ließ es fatteln, und ritt, 
ohne Abſchied, ans ber Stadt, und wie ein zweiter Lot wagte ih ee 
nicht einmal einen Blid rüwärts zu werfen, Wie id mid auf dem Felde 
allein befand, wie die Finfterni der Nacht mich umgab und ihre Stille 
mic) einfub za Hagen, ohne Beforguiß, daf Jemand mid hören würde, 
da erhob ich meine Stimme und ließ meiner Zunge freien Lauf, um 
Sucinde und Don Fernando zw verwünfhen, als ob ich mir 
dadurch Genugthuung verſchaffte für den Kummer, den fie mir verur- 
ſachten. Ich ſchalt Luciuden graufam, undanfsar, falſch, herzlos 
und vor allen Dingen habſüchtig, weil fie ſich durch die Reichthümer 
meines Feindes habe verbleuden und verleiten laſſen, mir ihr Herz 
zu entwenden, mad es demjenigen zu fhenten, gegen melden das 
Gfäd ſich freigebiger bewiefen hätte. Dech mitten unter biefem 
Strome von Vorwürfen und Berwünfgungen entſchuldigte ich fie 
wieber, indem ich fprach: wie leicht laßt ein Mätchen, welches von 
den Eftern in hänsliher Stille erzogen und ftets zum Gehorſam 
angehalten warb, ſich bewegen, dem Willen derſelben zu folgen, indem 
fie ihr einen vornehmen, reichen und wohlerzoguen Mann zum Ge- 
mahfe vorſchlagen, welchem fie ihre Hand nicht verfagen faun, ohne 
ihren guten Ruf in Gefahr zu ſehen, weil man denfen müßte, daß 
fie entweder nicht vernünftig überlegt, ober daß fie fih bereits in 
einen andern Liebeshaudel eingefaffen Hätte? Dann dachte ih wieder: 
wenn fie erffärt hätte, daß ich mit ihr verſprochen wäre, fo würben 
die Eitern eingefehen Haben, ihre Wahl fey feineswegs fo ſchlecht, 























310 Don @uixote, 


daß fie nicht entfchufbigt werben müßte, indem fie ſelbſt, ehe Don 
Fernando fih um die Hand ihrer Tochter bewarb, feinen beflern 
Gemahl als mi für fie Hätten wünſchen fönnen, wenn fie ihren 
Erwartungen vernünftige Schranken fegten; und fie hätte demnach, 
ehe fie ſich den größten und äußerfien Zwang anthat, einem Anbern 
ihre Hand zu geben, getroft ſagen können, daß fie bereits bie mei- 
nige angenommen; benn ich würde mit Freuden Alles beftätigt haben, 
was fie vorgegeben hätte. Am Ende zog ich den Schluß, daß wenig 
Liebe, wenig Berfland und viel Ehrgeiz und Streben nah hohen 
Dingen fie bewogen hätten, das Verſprechen zu vergeflen, mit weldem 
fie mich getäufpt, und womit fie meine zuverfichtlihe Hoffaung ge» 
näprt, und meine fehnlihen Wünfche hingehalten.“ 

„Unter ſolchen Ausrafungen und vom folhen Gedanken gepeinigt, 
ritt ich den übrigen THeil der Nacht durch, und kam mit Aubruch des 
Tages an einen von ben Eingängen biefes Gebirges, worin ih brei 
Tage ohne Weg und Steg umberirrte, bis ich auf eine Wiefe kam, 
die, ih weiß nicht, wo? in biefer Wüfte liegt. Hier fragte ich einige 
Hirten, wo das Waldgebirge am unzugängliäften wäre. Sie wiefen mich 
nach biefer Stelle, und fogleih begab ich mich hieher, mit dem feflen 
BVorfage, mein Leben hier zu enbigen. Mein Maultpier fiel tobt 








XXVIL Kapitel, 34 


wieder vor Mattigfeit und Hunger, oder vielmehr (wie ich glaube), 
weil es feiner unnũhen Laft müde war. Ich mußte nunmehr zu Fuße 
geben, meine Kräfte waren erſchöpft, ich verſchmachtete vor Hunger, 
ich Hatte Niemand umd fragte nah Niemand, der mir helfen Fonnte. 
In diefem Zuftand Tag id eine Zeitlang auf der Erde: wie lange, 
fann ich ſelbſt nit fagen, und. wie ich mich wieder anfrichtete, empfand 
ich Leinen Hunger mehr, aber ih fah einige Hirten neben mir fichen, 
die vermuthlih meiner Noth abgeholfen hatten; denn fie fagten mir, 
in weldem Zuftande fie mich angetroffen, und daß ih eine Menge 
ungereimte und wahnfinnige Dinge geſprochen Hätte, welche offenbar 
von der Zerrüttung meines Verfiandes zeugten, Ich babe auch feit 
der Zeit felbft bemerkt, daß ich meiner Siune nicht immer mächtig 
bin, fonbern daß meine Bernunft bisweilen fo ſchwach und zerrüttet 
iſt, daß ich taufend Tollheiten begehe, meine Kleider zerreiße, dieſe 
Einöde mit meinem Geſchrei erfüle, mein Unglück verwünſche, und 
vergeblich den geliebten Nanen meiner Feindin ausrufe, blos im der 
Abſicht, mich todt zu ſchreien; und wenn ih wieder zur Befinnung 
fomme, fo fühle ich mich fo matt und kraftlos, daß ih mich klaum 
rüßren lann. Mein gewöhnlicher Aufenthaltsort iſt in hohlen Kork 
bäumen, die geräumig genug find, meinen efenden Körper zu bergen, 
Die Hirten und Schäfer des Gebirge legen aus Barmferzigfeit ein 
wenig Speife für mid auf den Fußfteigen und Klippen an ſolchen 
Stellen Hin, wo fie vermuthen, daß ich auf meinen Wanderungen fie 


finden werde, und wenn id dann auch nicht bei Berftande bin, fo 
lehrt mich doch das Naturbebürfnig die Nahrungsmittel fennen. Ju 














313 Don @uirste, 


meinen vernünftigen Stunden erzählen fie mir auch bisweilen, wenn 
fie mir begegnen, daß ih die Hirten, bie mit Speiſen ans dem 
Dörfern nach den Hürden kommen, oft anfalle und ihnen dasjenige 
mit Gewalt abnehme, was fie mir gern aus Gutherzigkeit geben 
würben. Auf tiefe Weiſe bringe ich hier mein elendes, kummervolles 
Leben zu, bis es dem Himmel gefallen wird, ihm ein Ziel zu ſetzen, 
ober mir mein Gebächtniß zu rauben, damit ich mich nicht mehr au 
Zucindens Liebreiz und Untreue und an bie von Fernando erlitts 
nen Beleidigungen erinnre; denn wenn biefes geſchehen Tann, ohne 
daß es mir das Leben Koftet, fo werde ich wieber befier zu Verſtaude 
tommen; wo nicht, fo bleibt mir nichts übrig, als daß ich den Himmel 
bitte, Erbarmen mit meiner Seele zu haben, denn ich befige weder 
Muth noch Kraft genug, um mich aus dem Elend wieder heranszu- 
arbeiten, in weldes ich mich vorſätzlich geſtürzt habe. “ 


nDies, meine Herren! ift die traurige Geſchichte meines Unglüds. 
UrtHeifet feld, ob fie von der Art if, daß man fie mit weniger 
Schmerz erzählen fönnte, als Ihr am mir bemerkt Habt. Bemühet 
Euch nicht, mir mit Vernunftgränden oder gutem Rath zu Hilfe zu 
tommen; denn fie würden mir fo wenig helfen, als die befte Arznei 
dem Rranfen, der fie nicht einnehmen wil. Ich fenne Fein Heil ohne 
Lucinde, und wenn fie einem Andern gehören foll, da fie doch mir 
gehört Coder gehören ſollte), fo laßt mir meinen Willen, mih dem 
Unglüd zu weihen, da ich hätte glüdfih werden können. Durch ihre 
Unbeftändigfeit hat fie mir beftändiges Elend bereiten wollen: ich will 
ihre Abficht befördern, indem ih mich flets tiefer ins Verderben 
flürge, um den fommenden Zeiten ein Beifpiel zu feyn; denn mir 
allein fehlt, was allen Unglücklichen übrig bleibt, daß fie nämlich in 
ver Größe ihres Unglücks eine Art von Zrof finden, weil es nicht 
ſchlimmer mit ihnen werben kann; während mein Unglück, wie ich 
fürdte, feldft mit meinem Tode noch fein Ende nehmen wird. ” 


Hier endigte Eardenio feine lange Rede und feine eben fo 
rührende als unglüdsvolle Liebesgeſchichte. Der Pfarrer war eben 
im Begriff, einige Troflgründe vorzubringen, als eine andre Stimme 














XXVN. Kapitel, 343 


ihn unterbrach, die Hagend und wehmuthsvoll fih in die Worte er- 
goß, bie wir im- folgenden vierten Buche biefer Geſchichte melden 
werben; denn hier befehließt ber weife Geſchichtſchreiber Eid Hamet 
Ben Engeli fein drittes Buch. 











5 8 — 


ee a 


Diertes Buch. 
Achtundzwanzigftes Rapitel. 


Sim nrurs angenetines Abenteuer, weider tes Dfarter une Marbirr ım kı= Eierea Morena aufdokt; 


cil euch, ihr glücfe- 
ligen Zeiten, die ihr 

den fühnen Nitter Don 
Duirote How der 
Mana der Welt 

- Senftet, um den ver» 
\jj, formen und faſt torten 
Drven der fahrenden 
Nitterfihaft wieder zu 
ermeden! Euch allein 





em und wahrhaftigen Erzählungen zu danken. Und 
fir dem mohlgefponnenen umb gezwirnten Aaden wieder 
den Lefer zu fagen, daß, als der Pfarrer ſich anfepicte, 








4 














316 Don Quirote. 


„Ach Bott! iſts möglich, daß ich hier einen Drt gefunden habe, 
der meinem elenden Leibe, deſſen Bürbe ich wider Willen trage, zum 
ſtillen Grabe dienen Tann? Ya, Unglüdfelige, biefe einfamen Felfen 
verſprechen bir biefen letzten Troſt! Welche angenehme Geſellſchafter 
werbet ihr mir ſeyn, ihr Klippen und Sträude! denn bei euch kann 
ich ungeflört dem Himmel mein Leid Magen. Unter Menſchen kann 
ich es nicht, denn Feiner if auf Erben, von bem ich Rath, Troſt und 
Hilfe erwarten könnte.“ 

Der Pfarrer und feine Geſellſchaft hörten diefe Klagen Wort 
für Wort; die Stimme ſchien ihnen nahe, und fie flanden auf, ihr 
nachzugehen. Sie waren noch nicht zwanzig Schritte weit, fo fahen 
fie Hinter einer Felfenfpige einen jungen Menſchen in Bauerkleidern 
unter einer Eſche figen. Ins Geficht konnten fie ihm nicht fehen, 
weil er den Kopf niebergebengt hatte und die Füße im vorbeifließen- 
den Bade wuſch. Sie nahten ihm fo Ieife, daß er fie nicht bemerkte, 
denn er ſchien ganz mit dem Wafıhen feiner Füße befchäftigt, und 
diefe feuchteten unter ben Riefeln des Baches Hervor, wie zwei Stüde 
Kryftall. Sie erftaunten über deren Schönheit; denn folhe Füße 
fhienen nicht gefchaffen, über Erdſchollen zu wandern, ober Ochſen 
hinter dem Pfluge nachzugehen, wie man der Kleidung bes Jüng- 
Kings nach vermuthen follte. Der Pfarrer fah, daß jener fie noch 
nicht bemerkt hatte, und winfte den Andern. Sie verfledten ſich 
hinter einem Felsblode. ALS fie nun den Jüngling genauer beob- 
achteten, fahen fie, daß er eine graue Jacke anhatte, vie ihm fehr 
feft mit einem weißen Tuhe um den Leib gebunden war. Er trug 
auch graue Tuhhofen und Kamaſchen und auf dem Kopf eine Müge 
von eben foldem Tuche. Die Kamaſchen, hatte er bis zur Hälfte des 
Beins aufgeftreift, das an Weiße dem Alabaſter gleih kam. Als 
er ſich feine fhönen Füße gewaſchen, trodnete er dieſelben mit einem 
Tuche ab, das er unter feiner Müge hervornahm. Bei diefer Ge- 
Tegeneit richtete ex fih in die Höhe und zeigte den Lauſchern ein fo 
wunderſchönes Geſicht, daß Cardenio augenblicklich Teife zum Pfar- 
ver ſprach: „Das ift entweder Lucinde, ober feines Menfchen, 
fondern einer Göttin Antlitz.“ — Der Jüngling that feine Müge 
ab, fhüttelte den Kopf ein wenig, und da fielen eine Menge fo 




















NXVIE. Kapitel, 347 | 


ſchoͤner Haare herab, daß die Sonne ihn daram hätte beueiden mögen; 
allein eben daraus erfannten fie auch, daß dies Fein junger Bauer, 
fondern eines ber fhönften Mädchen von ver Welt fey. Sie erflaunten 
Affe darüber, und ſelbſt Eardemio geftand, daß er, außer Qucinden, 
nie etwas Schöneres gefehen habe. Ihre Haare waren fo fhön und 
fo Tang, daß fie ihr nicht allein die Schultern, ſondern auch den Leib 
unterhalb ber Schultern bebedten, fo daß man mur mod ihre Füße 
ſah. Sie brauchte die Finger ſtatt eines Kammes, und waren ihre 
Füße dem Mfabafter gleich geweſen, fo ſchienen jegt ihre Hände aus 
feifhgefallenem Schnee geformt. Das Erfiaunen und die Neugierde 




















318 Don Euixote. 


zu wiſſen, wer fie ſey, flieg bei unfern Zufchauern fo hoch, daß fie 
befchloffen, fich ihr zu zeigen. Auf das Geräuſch, weldes fie machten, 
um fi Hinter dem Felsſtücke zu erheben, richtete die Schöne ihr 
Haupt empor, ſchob mit beiden Händen die Haare aus dem Geficht, 
und warb biejenigen gewahr, bie das Geräuſch gemacht hatten. Raum 
hatte fie diefe erblicdt, fo fprang fie auf, ergriff ein Meines Bündel 
neben ihr und entfloh, ohne erſt ihre Haare in Drbnung zu bringen, 
und etwas an bie Füße zu ziehen, voll Furt und Schreden. Aber 
kaum hatte fie einige Schritte gethan, fo ſank fie nieder, weil ihre 
zarten Füße die fpigigen Steine nicht ertrugen. Alle drei famen ihr 
zu Hilfe und der Pfarrer fagte zu ihr: „Fliehet nicht, ſchöne Unde- 
kannte, denn diejenigen, bie Ihr hier feht, haben feine andre Abficht, 

















XXVIII. £Kapitel. n 349 


als End zu dienen. Ihr Habt nicht nöthig, fo übereilt vor und 
zu fliehen, denn dies Fönnen Eure Füße fo wenig aushalten, ale 
wir es zugeben können. ” 

Während fie vor Schreden und Ueberraſchung Fein Wort erwidern 
Eonnte, nahten fie ſich ihr, und der Pfarrer, indem er ihre Hand 
faßte, fuhr fort: „Was Eure Kleidung verhehfen foll, das verrathen 
uns Eure Loden, nämlih, daß Ihr nicht ohne wichtige Urfachen 
Eure ſchöne Perfon in eine fo unwürbige Meivung gehüllt, und Euch 
in eine Einöbe wie diefe begeben habt, wo wir glücklicherweiſe Euch 
antreffen, um End, wo nicht helfen, doch wenigftens rathen zu können; 
denn fo Tange das Leben währt, muß uns Fein Unglüd fo muthlos 
maden und nieberbeugen, daß wir mit wenigftens guten Rath 
anhören follten, wenn er uns aus wohlgemeinter Abficht gegeben 
wird. Berbannet demnach, fhöne Jungfrau (ober junger Herr, wenn 
Ihr wollt, daß man Euch fo nenne), alle Furcht, welde unſer Anblick 
Euch verurfaht Hat, und erzäpft uns Eure guten ober böfen Schid- 
fale; denn Ihr werdet uns ſämmtlich bereit finden, Euch unfre 
Theilnahme zu beweifen. ” 

Wäprend der Rebe bes Pfarrers ſtand bie verfleivete Schöne 
wie verfleinert, und betrachtete ſtillſchweigend bald den Einen, bald 
den Andern, faft wie ein Knabe vom Land Dinge anflaunt, bie zum 
erfienmale feinem Blid begegnen. Da inzwifchen der Pfarrer noch 
fortfuhr, ihr zuzureden, fo öffnete fie endlich mit einem tiefen Seuffer 
ihre Lippen, und fagte: „Da bie Einfamfeit des Gebirge mich nicht 
hat verbergen können, und das herabwallende Haar meiner Zunge 
verwehrt, Unwahrheit zu behaupten, fo würde ich nmfonft verſuchen 
etwas vorzugehen, welches Ihr mehr ans Höfligfeit, als aus Ueber- 
zeugung für wahr gelten laſſen würdet. Ich danke Euch demnach, 
meine Herren, für Euer freundſchaftliches Anerbieten, wodurch Ihr 
es mir zur Pflicht macht, Euch Eure Bitte zu gewähren; wiewohl 
ih fürdte, daß die Erzählung meiner Leiden Euch nicht nur zum 
Mitleiven bewegen, fondern auch beträben werbe, weil Ihr weder 
Mittet finden werdet, ihnen abzupelfen, noch Troſtgründe, um fie zu 
lindern. Doch damit Ihr Euch feine nachtheiligen Begriffe von mir 
machet, indem Ihr feht, daß ich, als ein junges Mädchen, mich hier 














30 Don Quitote. 


fo allein, und in einer folhen Verkleidung betreten faffe (Umſtände, 
welde jeder einzeln für fi, oter zufammen, wohl den unbefcholtenften 
Ruf zu Boden fireden fönnten), fo will ich Euch lieber Alles ent- 
deden, was ich fonft gerne verfihweigen möchte.“ 

Das ſchöne Frauenzimmer ſprach dieſe Worte mit einer fo hin- 
reißenden Berebtfamfeit, und mit fo lieblicher Stimme, daß ifre An- 
muth nit weniger Bewunderung erregte, als ihre Schönheit, und 
man wiederholte nochmals die inſtändigſten Bitten um bie Erfüllung 
ihres Verſprechens, welche fie auch ohne weitern Anftand gewährte, 
nachdem fie mit Sittfamfeit ihre Fußbedeckung wieder angezogen und 
ihr Haar in Ordnung gebracht hatte. Cie fehte ſich auf einen Stein, 
die andern Drei Iagerten fih um fie her, und indem fie eine Thräne 
zurädhielt, die ihrem Auge entquoll, begann fie mit gefegter und 
vernehmlicher Stimme ihre Lebensgefhichte folgendermaßen: 

„Hier in Andaluſien ift ein Ort, veffen Befiger den Titel eines 
Herzogs und eines Grande von Spanien führt. Derfelbe hat zwei 
Söhne, von welden ver alieſte Erbe feiner Güter, und wie es Teint, 
auch feiner guten Cigenfchaften feyn wird. Was das Erbtheil des 
jüngern fegn mag, weiß ich nit, wenn er nicht etwa alle Argliſt 
eines Bellido und alle Treuloſigkeit eines Galalon geerbt hat. 
Deine Eltern find Unterthanen dieſes Herzogs; ihre Herkunft if 
geringe, ihr Reichthum aber if fo groß, daß wenn ihr Stand ihren 
Glücksgütern gleich wäre, ihnen von diefer Seite nichts zu wünfchen 
übrig bliebe, und ich felbft wäre alsdann nit in die unglüdliche Lage 
geraten, worin ich mich befinde; denn wahrſcheinlich habe ich mein 
Unglüd feiner andern Urſache beizumeffen, als daß meine Eltern nit 
adelich find. Ihre Abkunft if zwar nicht fo verächtlih, daß fie ſich 
verfelben zu ſchämen brauchten, doch auch nicht fo vornehm, daß ich 
nit glauben müßte, ihr niedriger Stand habe mir mein ganzes 
Ungfüd zugezogen. Mit einem Worte, fie find Pächter, gute, ſchlichte 
Leute von ehrlicher, unbefcoltner Herkunft, und (wie man zu fagen 
vflegt ) von ächtem uraltchriftfichem Geblüte, fo daß man fie wegen 
ihrer Reichthümer und ihrer flattlihen Lebensweife faft unter die 
adelichen und wohl gar unter die ritterlichen Perfonen rechnen fönnte. 
Sie Hielten es jedoch für ihren größten Reichthum und Adel, mich 











NNXVIL. Kapitel, 351 


zur Tochter zu haben, und ba ih ihr einziges Kind war und an ihnen 
überaus zärtlige Eltern hatte, fo ward wohl nie eine Toter lieb⸗ 
reicher und forgfältiger von ifren Eltern erzogen. Ich war der Spiegel, 
im welchem fie ihr Ebenbild erblidten, bie Stüße ihres Alters und 
nädft der Gnade des Himmels der Gegenſtand aller ihrer Wänſche; 
und da biefe fo gut unb fronm waren, fo flimmten aud bie meinigen 
ſtets mit denfelben überein, und fo wie ih die Befiperin ihrer Herzen 
war, fo herrſchte ih auch unumſchränkt über ihr Vermögen. Ih 
miethete und entließ das Gefinde; id führte Nehnung über Ausfaat 
und Ernte; Delpreffen, Weinfeltern, großes und Feines Vieh, Bienen» 
zucht und Alles, was ein begüterter Sandmann, wie mein Vater, hat 


und haben fan, ſtand unter meiner Aufſicht; ih war Berwalterin 
and Gebieterin über Alles, und zwar mit fo vieler Emfigfeit von 
meiner und Zufriedenheit von ihrer Seite, daß ich über Beides nicht 
zu viel fagen fann, Wenn ih den Hirten, Aderfnegten und ander 
Arbeitern ihr Tagewerl angewiefen hatte, fo bradte id; meine Zeit 
mit felgen Befhäftigungen zu, die einem Rrauenzimmer eben fo 














358 Don Quirote. 


anftändig al nüglich find: mit der Nabel, tem Stidrapmen und der 
Spindel; und wenn mir nod einige Stunten ver Mnfe übrig blichen, 





fo widmete ich fie dem Lefen her Bücher ober aud der Harfe, 
weil mich die Erfahrung fchrte, düß die Muſik das bewegte Gemüth 
beruhigt, und die Lebensgeifter erfeitert. So wat das Leten ‚-weldhes 
ich im Haufe meiner Eftern führte, und welches dh Euch nicht aus 
Ruhmredigkeit, oder um mit Reichthümern zu prahlen, ſo umſtändlich 
beſchrieben habe, ſondern nur um Such bemertlich zu machen, aus 
welchem glücklichen Zuſtande ih ohne meine Schuld in den unglüd- 
lichen gerathen bin, in welchem Ihr mich hier a ff. Immer be= 
ſchäftigt, Tebte ih in ſolcher Einfamfeit, daß man fie fat mit dem 
Kiofterleben vergleichen Fonute, fo daß ich nicht glaubte von irgend 
Jemand, außer von unferm Hansgefinde, bemerkt zu werten; denn 
wenn ich zur Meffe gieng, fo geſchah es immer früh Morgens, in 
Begleitung meiner Mutter und einer Menge Mägde, und fo verfappt 
und verfepleiert, daß meine Augen faum etwas mehr von dem Erd» 
boten erblickten, als die Stelle, die ih betrat. Und dennoch cntded- 
ten mid die Blicke der Liebe, oder vielmehr, mich eutdeckte mit 














XXVm. Kapitel, 353 


Luchsaugen des mäßigen Uebermuths der foäpene Don Fernando, 
von welchem ih Euch fen gefagt habe.“ 

Kaum hörte Eardenio den Namen Don Fernando, fo ver 
änderte fih feine Farbe, und vor heftiger Bewegung trat ihm der 
Schweiß vor die Stirne, fo daß der Pfarrer und ter Barbier 
befürdteten, er würde wieder einen Anfall von Naferei bekommen, 
wie ed ihn feiner eignen Aeußerung zufelge bisweilen anwandelte. 
Diesmal blieb es aber bei dem bfofen Angfifhweiß, und Kar- 
denio verhielt ſich ruhig; doch betrachtete er das Laudmädchen mit 
äußerfler Aufmerlfamfeit, weil er bereits vermuthete, wer fie war. 
Sie bemerkte indefien feine Gemüthebewegung nit, fondern fuhr 
mit ihrer Erzahlung folgendermafien fort: 

„E Hatte mi kaum erbfict, fo empfand er, wie er mir nach⸗ 
mals fagte, die heftigfe Liebe für mid, welches er mir durch fein 
Betragen auch deutlich zu erfennen gab. — — 
zablloſen Leiden nicht in die Länge zu ziehen, will ich Eu nichts 
von den Künſten welche er anwandte, um mir feine Liebe zu 
erklären; er Rente im Haufe; er ſuchte alle meine Ber- 
wanbten durch % und Gefigenfe zu gewinnen; in unfrer 
Strafe nahmen am Tage die tein Ende, und Rachte 
tonnte vor Maſit Niemand fl Unzäßfige Briefe, welde mehr 
Liehederklärungen, m Berheifungen And Betheurangen als Bugſtaben 
enthieften, wurden mir, ih weiß mit wie, in die Hände gefsielt; 
allein das alles machte auf mich feinen Eindruck, fondern es waffnete 
mich vielmehr ihm mit ‚Hartherzigkeit, als wenn er 
mein. Argfier gemefen, Jund als wenn all fein Streben, 
mich zur Ertarng feiner Wünfge zw bewegen, auf die entgegen« 
gefegte Wirtung berechnet gewefen wäre, ich Hotte zwar fein 
Mißfallen an feiner Perfon und an feinem Bemühen mir zu ger 
falten, fondern es machte mir gewiſſermaßen Vergnügen, mid von 
einem fo vornehmen Cavalier gefhägt und geliebt zu fehen, und die 
Kobeserhebungen in feinen Briefen waren mir nicht zuwider; denn 
was biefen Punkt betrifft, fo glaube ih, daß mir Frauenzimmer, 
wenn wir aud noch fo bäffich find, uns dennoch gerne ſchön gennen 

— Allein gegen dies alles verwahrten mic, mächft meiner 

















3514 Don Buirote. 


eignen Gittfamfeit, die öftern Erinnerungen meiner Eltern, welde 
nur zu beutlich merkten, wo Don Fernando hinaus wollte, indem 
er ohnehin vor aller Welt Fein Geheimnig daraus machte. Sie 
fagten mir, fie fegten ihre Ehre und ihren Nuhm lediglich in meine 
Tugend und Gittfamfeit; ih müßte bebenfen, wie groß der Unterfchieb 
des Standes zwifcden mir und Don Fernando wäre, und ich könnte 
daraus abnehmen, daß feine Abfichten Cfo fehr er auch das Gegen- 
theil verfiherte) mehr fein eignes Bergnügen ald meine Wohlfahrt 
zum Zwede hätten. Wenn ich demnach aufrichtig gefonnen wäre, 
feinen unflatthaften Bewerbungen ein Ende zu machen, fo wären fie 
bereit mir ohne Aufſchub denjenigen zum Gemahl zu geben, den ih 
ſelbſt unter den angefehenften Einwohnern unfers Orts oder in ber 
Nachbarſchaft wählen würde; denn ihr Vermögen und mein guter 
Ruf beretigten mid zu dem vortheilhafteften Erwartungen. Diefe 
Verfiherung und das ernſtliche Zureden meiner Eltern befeftigten mich 
in meinen Grundſätzen, und nie erhielt Don Fernando von mir 
eine Antwort, welche ibm auch nur dic entferntefle Hoffnung hätte 
geben fönnen, feine Abſicht bei mir zu erreichen. Alle diefe Zurüd- 
haltung, die ihm als Berfhmähung erfheinen follte, reiste nur noch 
mehr feine mwolfüftigen Begierden. Einen andern Namen kann ih 
der Neigung, die er für mich äußerte, nicht beifegen; denn wenn fie 
das gewefen wäre, was fie feyn follte, fo hättet Ihr nie etwas davon 
erfahren, weil ih Feine Beranlaffung würde gehabt haben, Euch 
davon zu erzählen. Genug, Don Fernando erfuhr, daß meine 
Eitern Willens waren, mich zu verheiraihen, damit fie ihm alle Hoff- 
nung benäßmen, mi zu befigen, ober bamit ih wenigftens noch mehr 
Hüter um mid Hätte, die mi bewachten. Diefe Nachricht oder 
diefe Bermuthung bewog ihm zn einem Schritte, ven ih Euch jetzt 
erzählen muß. An einem Abend nämlih, wie id bei vorſichtig 
verriegelter Thüre in meinem Zimmer war und Niemand außer 
meinem Mädchen fi bei mir befand, fand plötzlich, trog aller 
BVorfihtsmaßregelu, mitten in meiner flillen und verborgnen Ein- 
famfeit, Don Fernando vor mir, ohne daß ich begreifen Fonnte, 
wie er hereingefommen war, und erfihredte mich dermaßen dur 
feine Gegenwart, daß ih VBefinnung und Sprache verlor, und 














AXVIN. Kapitel, 


nicht vermögene war, tim Hilfe zu rufen, welches er mir dadurch 
noch unmögfiher machte, daß er mich feſt im feine Arme fhlch, 
weil ich vor Beſtürzung nit die Kraft hatte, mich zu tmider- 
feben, umd mit folhen Ausdräcken in mich drang, dafl ih nigt 


































356 Don Euixote. 


begreife, wie die Lüge fich fo geſchidt in das Gewand der Wahrheit 
hüllen onnte. Mit Thränen ſuchte der Treulofe feinen Worten Ein- 
gang zu verfhaffen, und mit Geufzern feinen Abfichten ven Schein 
der Aufrichtigkeit zu geben. Sch ormes, in häuslicher Stille erzognes, 
in folhen Sachen unerfaprnes Mädchen fieng an, ih weiß nicht 
wie, feine verführerifhen Reden für wahr zu halten, und mid durch 
feine Tpräuen und Seufzer zu einem firäflihen Mitleid bewegen 
zu laffen. Wie ih mid demnach von meinem erſten Schreden erholt 
hatte, fammelte ich einigermaßen meine verlornen Lebensgeifter wieder, 
und mit fefterem Mutpe, als ich mir zugetraut hätte, ſprach ich zu 
ihm: Wenn ich, mein Herr, mich jept in den Krallen des grimmigften 
Löwen, ftatt in deinen Armen befände, und ich Könnte mich aus ben- 
felden durch Worte ober Handlungen erretten, welche meiner Sitt ⸗ 
famfeit zum Nachtheil gereihten, fo würde mir dies ebenfo unmöglich 
fegn, als das Gefchehne ungeſchehen zu machen. Go wie beine 
Arme meinen Leib fe halten, eben fo feſt Hält fi mein Herz an 
meine guten Grunbfäge, und wie jehr diefe von ben beinigen ver- 
ſchieden find, das wirft bu gewahr werden, wofern du in ben beinigen 
beharreft, um Gewalt gegen mich zu gebrauchen. Ich bin beine 
Untertpanin, aber nicht deine Sklavin, und der Abel deines Bluts 
Kann und foll dir die Macht nicht geben, das meinige, ungeachtet 
meines niebrigen Standes, gering zu fhägen und zu entehren; denn 


ich halte, obwohl ich nur ein ſchlichtes Landmädchen bin, nicht weniger 


auf mich felbft ald du, der du ein Herr und Edelmann biſt. Dit 


" Gewalt richteſt du nichts bei mir aus; beine Reichthümer haben für 


mid feinen Reiz; deine Reben follen mich nicht bethören; durch beine 
Thränen und Seufzer wirft du mich nicht erweihen. Wenn ic irgend 
etwas von dem allen bei demjenigen fände, welchen meine Eftern mir 
zum Gemahl beftimmten, fo würbe ih mid in ihren Willen fügen, 
und mir feinen Wunf erlauben, der dem ihrigen zuwider wäre; ich 
würde dir aledann, felbft auf Koften meiner Neigung, doch nur nicht 
auf Koften meiner Ehre, dasjenige anfopfern, wornach du jet mit 
fo vielem Beftreben ringfl. Diefes fage ih bir, damit du wiſſeſt, 
daß Niemand anders als mein rechtmäßiger Gemahl ſich ſchmeicheln 
darf, isgend eine Gunft von wir zu erlangen.” 














XXVIl. Sapitel, 357 


nenn du,“ fpra der Treuloſe, „fonft feine Bedenklichkeit haft 
als diefe, fhöne Dorothea“ (denn dies ift der Name der Unglüdlichen, 
die Ihr vor Euch feht), „fo gebe ich dir meine Hand als dein Ge- 
mahl, und zu Zeugen, daß ih es aufrichtig meine, rufe ih den 
Himmel, welchem nichts verborgen ift, und biefes Bild der heiligen 
Jungfrau, welches du hier haſt.“ 

Wie Eardenio den Namen Dorothea hörte, entfärbte er ſich 
aufs Neue, indem er nunmehr feine erfie Vermuthung beftätigt fand, 
und obwohl er bie Erzählung nicht unterbrechen wollte, um den Aus- 
gang desjenigen zu erfahren, was ihm ſchon zum Theile befannt war, 
fo konnte er fi doch nicht enthalten zu fragen: „IR Euer Name 
Dorothea? Jh habe von einer Perfon diefes Namens gehört, deren 
unglückliche Schickſale den Eurigen vielleicht ähnlich find. Fahret 
nur fort, ih werde Euch hernach wieder Dinge erzählen, die Euch 
eben fo fehr zum Erflaunen, als zum Mitleid bewegen werben.“ 

Dorothea verwunberte fih über die Worte und über bas felt- 
fame und traurige Ausfehen des Cardenio, und bat ihn, wenn er 
etwas von ihren Angelegenheiten wüßte, es ihr nur fogleich zu fagen; 
denn wenn das Schidfal ihr noch irgend ein Gut übrig gelaffen 
hätte, fo wäre e6 ber Muth, jedes Unglück, welches ihr noch bevor- 
fläude, zu ertragen, indem fie verfichert wäre, es Tönnte nichts mehr 
nachfolgen, welches ihre jegige Lage verſchlimmern könnte. 

„Ich würde Keinen Augenblid Anftand nehmen,“ erwiderte Car- 
denio, „Euch zu fagen, was ih denke, wenn ich wüßte, daß ich 
mid in meiner Vermuthung nicht irrte; fo aber hat es vor der Hand 
keine Eile damit, und es wird Euch wenig daran liegen, es zu wiſſen.“ 

„Sey es, was es wolle,“ fprah Dorothea; „Don Fer- 
uando nahm, wie gefagt, ein Bild, welches in meinem Zimmer 
hieng, ftellte es hin als Zeugen unfrer Vermählung, und gelobte mir 
in den flärffien Ausbrüden und mit ben heiligften Eidſchwüren die 
he, obgleich ich ihn vorher nochmals ermahnte, wohl zu überlegen, 
was er thäte, und zu bevenfen, wie groß der Unwille feines Vaters 
ſeyn würde, wenn er ihn mit einem Lanbmäbchen, und zwar mit 
der Tochter eines Untertfans verheirathet ſähe. Ich bat in, er 
möchte fih doch von meinen wenigen Reizen nicht blenden laſſen, weil 


























358 Don Quitote. 


fie uiht hinreichten, um darin eine Eutſchuldigung für feine Ber 
irrung zu finden, und wenn er irgend etwas mir zu Liebe thun 
wollte, fo möchte er dem Schidfal es überlaffen, mid meinem Stande 
gemäß zu verforgen, weil Mißheirathen felten gebiefen, und in ber 
Folge der Zeit nie dieſelbe Zufriedenheit gewährten, mit welcher fie 
anfiengen. Alles, was ich Euch jept gefagt Habe, ſtellte ih ihm 
damals vor, und noch mandes mehr, beffen ich mich nicht erinnre. 
Aber Feine Vorftellungen waren im Stande, ihn von feinem Vorſatz 
abzubringen, fo wenig als ein Käufer, ber nicht Willens ift zu be 
zahlen, fi dur irgend eine Bedenklichkeit abhalten Täßt, einen 
Handel zu fihließen. Ich gieng hierauf mit mir felbft zu Rath und 
dachte: id werde ja nicht die Erfle feyn, bie durch ibre Heirath aus 
einem niedrigen Stante zu hohen Ehren fommt, fo wie Don Fer— 
nando ebenfalls nicht der Erfte ſeyn wird, melden Schönheit oder 
blinde Reidenihaft (welche letztere es wohl eigentlich feyn mag), 
bewogen hat, eine Gattin zu wählen, bie unter feinem Stande ge- 
boren if. Da ih demnach nichts Neues oder Ungewöhnliches thue, 
fo ift es am beten, die Erhebung, die mir das Glück anbietet, nicht 
auszufchlagen, und wenn auch die Neigung, vie er jet für mich 
äußert, nicht länger dauern follte ale bis zur Erfüllung feiner Wünſche, 
fo bin ich mit Hilfe Gottes doh am Ente feine Gemaplin. Wollte 
ich aber fein Anerbieten verſchmähen, fo würde er in feiner jegigen 
Stimmung vielfeiht jede Rückſicht aus den Augen fegen und Gewalt 
brauchen, und dann würde ich vollends entehrt, und fände nicht ein- 
mal Entſchuldigung bei denen, welche nicht wüßten, wie unverſchuldet 
ih in eine folche Lage geraten wäre; denn durch welche Beweife 
könnte ih wohl meine Eltern und andre eure überzeugen, daß 
diefer Erelmann one meine Erlaubnif in mein Zinmer gefommen if? « 

„Alle diefe Zweifel und Bebenflichfeiten zu erwägen, batte ih nur 
wenige Augenblide Zeit, und überdies ward ich zu tem Schritte, 
welcher wider meine Erwartung mir verderblich geworden ift, allmäblich 
bewogen durch die Eitfehwüre des Don Fernando, durch die Zeugen, 
die er anrief, durch die Tprinen, bie cr vergoß, und endlich war 
auch feine Perfon und fein einnchmendes Wefen, verbunden mit fo 
vielen Betheurungen der innigften Liebe, wohl vermögend jedes audre, 








— — 

















XXVI. Kapitel. 359 


eben fo unbefangne und keuſche Herz wie das meinige zu befiegen. 
Ich rief mein Mädchen, damit fie durch ihr Zeugniß auf Erden das 
Zeugniß der Himmlifchen verftärten möchte; Don Fernando erneuerte 
und beftätigte feine Eidſchwüre, rief noch mehr Heilige zu Zeugen, 
ſprach taufendfah den Fluch über fich felbft, falls er fein Gelübbe 
nicht erfüllte, Tieß neue Thränen ſtrömen, neue Seufzer erfchallen, 
ſchloß mich noch fefter in feine Arme, die mid feinen Augenblick los— 
gelaffen Hatten; und da hierauf meine Jungfer ſich wieder entfernte, 














fo hörte ich auf eine zu ſeyn, und ihm gelang es, den ſchändlichſten 
Berrath an mir zu begehen. Der Tag, welder auf die Nacht meiner 
Schmach folgte, ſchien, wie mid dünfte, kaum früh genug für den 
Don Fernando anzubrechen; denn nad geſtillter Begierde wünſcht 
Mancher nichts mehr, als fi wieder von dem Gegenftande derfelben 




















360 Don Quixote. 


zu entfernen. Ich ſchließe dies aus der Eiffertigfeit, mit welcher 
Don Fernando mid verließ, und daſſelbe Mädchen, welches ihn 
eingelaffen hatte, Tieß ihn auch vor Tagesanbrud wieder and. Indem 
er von mir Abſchied nahm, wiederholte er (doch nicht mit foldem 
Feuer wie vorher) die Verfiherung feiner Trene und der Aufrich- 
tigfeit feiner Eidſchwüre, und zur Beflätigung feines Verſprechens 
309 er einen koſtbaren Ring vom finger, und fledte ipn an ben 
meinigen. Hierauf entfernte er fih und verließ mi in einem Zu⸗ 
flande, dem ich weder fröhlich noch traurig nennen, und von welchem 
id) 5108 fagen kann, daß ich über die außerordentliche Begebenheit, 
die ſich mit mir zugetragen hatte, fehr verwirrt und tieffinnig, und 
faft außer mir war, und daß ich entweder nicht Muth, oder nicht 
Befonnenheit genug hatte, um meine Magd für die Treufofigfeit zu 
felten, mit welder fie ven Don Fernando in mein Zimmer ein- 
geſchloſſen hatte; zumal da ich felbft noch nicht wußte, ob mir dadurch 
ein Glück oder ein Unglück wiberfahren war. Zu Don Fernando 
fagte ich beim Abſchiednehmen, fo könnte er feine Befuhe bei mir 
auf diefelbe Weife fortfegen, bis er für gut fände, unfre Vermäh- 
lung befannt zu maden; allein er fam nur nod in ber folgenden 
Nacht wieder, und ih fah ihm hernach während eines ganzen 
Monats werer auf ber Strafe, noch in der Kirche, und er ließ ſich 
von mir vergeblich erwarten, obgleich ich wußte, daß er in unferm 


Orte war, und täglich auf die Jagd gieng, bie er fehr Lichte. Ich 


muß geftehn, daß mir biefe Tage und Stunden bitter unb ſchmerz- 
haft wurden, und daß id bereits in Unruhe gerieth, und an feiner 
Treue zu zweifeln begann. Jet befam auch mein Mädchen die 
Bermeife für ihre Verwegenheit, die ich ihr vorher nicht gegeben 
hatte. Ich weiß, wie ſchwer e8 mir warb, meine Thränen zurüczu- 
haften, und eine heitre Miene anzunehmen, damit meine Eiterg, mich 
nit fragen möchten, was mich unmuthig machte, und bamit ich nicht 
genöthigt würde, ihnen Unmwahrheiten zu fagen. Doc bies alles 
nahm plögfih ein Ende, und der Augenblick kam heran, da ich alle 
Rückſichten aus den Augen feßte, alle Schranfen ter Befonnenheit 
durchbrach, alle Gebuld verlor, und bie verborgenften Gebanfen 
meines Herzens verriet. Man erzählte nämlich bald nachher in 











XXVIH. Kapitel, 361 


unferm Orte, Don Kernande hätte im einer benachbarten Stadt 
ein wunderſchoͤnes Fräulein aus einer angefehnen Familie geheirathet, 
deren Reichthum jedoch nicht fo groß wäre, daß fie deßwegen auf 
einen fo vornehmen Gemahl hätte Anfpruch machen können, Lueinde 
nannte man fie, und man erzäplte noch viele ſeltſame Umftände, die 
ſich bei ihrer Trauung follten zugetragen haben. * 


Indem Earbenio ven Namen Rucinde hörte, zuckte er die 
Ahfeln, biß ſich in die Lippen, runzelte die Stirn, und Thränen 
ſtroͤmten ihm Über die Wangen; doch ließ fih Dorothea nicht abfal- 
ten, mit ihrer Erzählung fortzufahren. „Ich erfuhr,” fagte fie, „diefe 
ſchrecliche Nachricht, welche, anſtatt mir das Herz zu brechen, meinen 
Zorn und meine Wuth dermaßen entflammte, daß ich faft hätte auf 
die Strafen hinauslaufen und mit lauter Stimme den Verrath ver- 
kündigen mögen, der am mir begangen werben war; ich vermied 
jedoch dieſe heftigen Ausbrüche ver Yeivenfaft, weil mir ein Entwurf 
einfiel, den ich noch deuſelben Abend ausführte, nämfich biefe Kleider 
anzuziehen, bie mir einer von den Knechten meines Vaters verfchaffte, 
welchem id mein ganzes Unglüͤck entbedte und ihn bat, mich nad der 
Stadt zu begleiten, woſelbſt, wie ih veruahm, mein Beleidiger fih 
befinden forte. Er mahnte mich zwar ab von meinem raſchen Ente 
ſchluſſez wie er aber fah, bafı ich auf meinem Willen beſtand, ver ⸗ 
ſprach er, mich bis ans Ende der Welt, wie er fih ausbrädte, zu 
begleiten, Ich band demnach in ver Gefihwindigkeit einige Frauen» 
zimmerlleider, etwas Geld und einige Roftbarkeiten in ein Bündelgen 
zuſammen, und ohne meiner treulofen Magd etwas zu fagen, verlieh 
ich in der Stille der Nacht mein Hans, begleitet von meinem Knecht 
und non meinen befümmerten Gedanken, und machte mich zu Ruf 
auf den Weg nach der Stadt, beflügelt von dem Wunfihe, wenn ih 
auch das Geſchehne nicht ungeſchehen machen Fönnte, wenigftend den 
Don Fernando zw fragen, wie er das Herz gehabt hätte, fo zu 
handeln, Am dritten Tage Fam ih am in ber Stadt, und erfundigte 
mich fogleih nah Lncindens Eltern, Der Erfie, den ich fragte, 
erzählte mie mehr afe ich zu wiſſen wänfchte, zeigte mir ihr Haus 
und beſchrieb mir alles, was bei Lueindens Bermäplung vorgefallen 








46 











Don Quirote. 


und in der Stabt ſchon fo befannt war, daß man an allen Eden - 
davon ſprach. Er fagte, an dem Abend, ald Don Fernando fich 
vermäßlt habe, ſey Lucinde, unmittelbar nachdem fie das Jawort 
ausgeſprochen hatte, in eine tiefe Ohnmacht gefallen, und wie ihr 
Bräutigam herzugetreten fey, um ihr die Schnürbruft zu Töfen, und ihr 
Luft zu machen, habe man in ihrem Bufen ein Papier von ihrer 
Hand gefunden, in welchem fie erklärt habe, fie könne nie die Ge- 
mahlin des Don Fernando werden, weil fie bereits dem Cardenio 
gehöre, ber, wie mir biefer Mann fagte, ein vornehmer Eavalier in 
derſelben Stadt ſeyn fol, und fie habe das Jawort bloß aus Ge- 
horfam gegen ihre Eltern ausgeſprochen. Aus dem übrigen Inhalt 
des Zettel habe es deutlich erhellt, daß ihre Abficht gewefen fey, 
gleich nach der Tranung ſich felbft das Leben zu nehmen, und welde 
Urſachen fie zu diefem Vorfage bewogen hätten; welches alles ſich 
auch durch einen Dolch, den man bei ihr verfiedt gefunden, beftätigt 
habe. Wie Don Fernando dies gefehen, und daraus gefchloffen 
habe, daß Lueinde ihn täufchte, verfhmähte und geringfhäpte, habe 
er ſich noch während ihrer Ohnmacht mit ihrem eignen Dolch erſtechen 














XXVII. Kapitel, 


wollen, welches auch wirklich gefchehen wäre, wenn ihre Eltern es 
nit verhindert Hätten, Dan fagte auh, Don Hernande hätte 
ſich gleich darauf entfernt, Lucindene Ohamachten hätten erft am 
folgenden Tage nachgelaffen, und fie Hätte ipren Eltern verſichert, 
dafı fie wirtlich die werfohte Braut des Earbenio wäre. Ich habe 
and gehört, daß Earbenio felöft bei der Trauung foll gegenwärtig 
geweſen ſeynz wie er aber gefehen, daß Lucinde dem Don Ker- 
nambo ihre Hand gegeben, welches er nicht erwartet habe, ſey er 
voll Verzweiflung davon gegangen, nachdem er in einem zurücger 
fafınen Zettel ſich über das Unrecht, welches ihm Lueinde gethan, 
beſchwert und erklärt Hatte, er gienge an einen Ort, wo ihn nie 
Menſchen wieder finden ſollten. Dies alles war in der ganzen Stadt 
belauut, und es ward überall davon geſprochen, zumal wie man er» 
fuhr, daß Lucinde das Hans ihrer Eltern verlaffen hatte, und ans 
der Stadt entwicen war; denn fie war nirgends zu finden, und ihre 
Eitern wollten darüber fat von Sinnen fommen, weil fie nicht 
wußten, wohin fie entflohen wäre." 

„Diefe Nachrichten belebten aufs Neue meine Hoffnung, und ih 
ſchatzte mich glücklicher, den Don Fernando nicht gefunden zu 
haben, als wenn ich ihn in ben Armen einer andern Gemahlin ange 
teoffen hätte; denn mich bünfte, daf mir die Türe zu meiner Errettung 














364 Don Uuirete, 


noch nicht gänzlich verfihloffen wäre, indem ih mir ſchmeichelte, 
daß der Himmel vielleicht der nenen Heirat Don Pernanbos 
diefes Hinberniß in den Weg gelegt hätte, damit er in fi gehen 
und bedenfen möchte, was er feiner erfien Gattin ſchuldig fey, und 
damit er einfehen Ternte, daß er alo ein Chriſt mehr das Heil 
feiner Seele ald menfehliche Vorurtheile in Betrachtung zu ziehen 
Habe, Diefe Gebanfen befehäftigten mid, und gaben mir in meiner 
Beümmernif einigen Troft, indem fie mir mit weltausfehenden gaufel- 
Haften Hoffnungen ſchmeichelten, um ein Leben zu friften, welches mir 
feitdem zur Laſt geworben iſt.“ 

Indem ich mich noch in jener Stadt befand, unſchlüſſig, was ih 
anfangen follte, ba ih ven Don Kernando nicht angetroffen hatte, 
hörte ic öffentlich ausrufen, daf man demjenigen, der mich ausfindig, 


machen Könnte, eine große Belohnung verfprähe, wobei man mein 
Alter und bie Reibung, die ich trug, genau beſchrieb, und ich hörte, 
daß man mir nachſagte, der Schäferknecht, der mich begfeitete, hätte 
I . — 














XXVIL, Kapitel, 365 


mid aus dem Haufe meiner, Eftern entführt. Dice gieng mir durche 
Herz, weil ih ſah, wie fehr mein guter Ruf gefunfen war, indem 
man fi nicht damit begnägt Hatte, meine Entweihung befannt zu 
machen, fondern auch mit wen ich entflohen wäre, nämfich mit einem 
Menfhen, der fo weit unter mir und meiner Wahl fo unwärbig 
war. Sobald ih demnach den Ausrufer gehört hatte, verließ ih die 
Stadt mit meinem Begleiter, beffen verſprochne Treue jedoch ſchon 





anfieng mir verdächtig zu werben, amd beufelben Abend begaben wir 
und, um wicht eutdedt zu werben, in bie dichteſte Gegend diefer 
Walder. Dod man fagt wohl mit Net, daß ein Unglück nur felten 
allein kommt, und daß das Ende bes einen der Anfang eines andern 
noch größern if, und fo gieng es auch mir. Denn mein Knecht, der 
mir bio dahin drem und redlich gebient Hatte, ließ ſich, ſobald wir 
und in dieſer Einoͤde befanden, mehr von feiner viehiſchen Begierde 
als von meiner Schönheit anzeigen, fi der Gelegenheit zu bedienen, 
welche biefe Wüßte ihm darbot, um mit eben ſo vieler Unverſchämtheit 
als Nuchlofigkeit mit mir von Liebe zu reden; und wie ich ihm auf 
verbiente und nachdrücliche Weife ‚feine Frechheit verwies, hörte er 
anf zu bitten und fing an Gewalt zu gebrauchen; allein ber ‚gerechte 




















360 Don Quixote. 


zu entfernen. Ich ſchließe dies aus der Eilfertigfeit, mit welder 
Don Fernando mich verließ, und daſſelbe Mädchen, weldes ihn 
eingelaffen Hatte, ließ ihn aud vor Tagesanbruch wieder aus. Indem 
er von mir Abſchied nahm, wiederholte er (doch nicht mit ſolchem 
Feuer wie vorher) die Verfiherung feiner Treue und der Aufrih- 
tigfeit feiner Eidſchwüre, und zur Beflätigung feines Berfprechens 
309 er einen koſtbaren Ring vom finger, und fledie ihn an ben 
meinigen. Hierauf entfernte er fi und verließ mih in einem Zu⸗ 
flande, den ich weder fröhlich noch traurig nennen, und von weldem 
id) blos fagen fann, daß ich über die außerorbentlihe Begebenheit, 
die ſich mit mir zugetragen hatte, fehr verwirrt und tieffinnig, und 
faft außer mir war, und daß ich entweder nicht Muth, ober nicht 
Befonnenheit genug hatte, um meine Magd für die Treulofigfeit zu 
ſchelten, mit welder fie ven Don Fernando in mein Zimmer ein- 
geſchloſſen Hatte; zumal da ich ſelbſt noch nicht wußte, ob mir dadurch 
ein Glück oder ein Unglüd widerfahren war. Zu Don Fernando 
fagte ich beim Abfchiernchmen, fo könnte er feine Beſuche bei mir 
auf diefelde Weije fortfegen, bis er für gut fände, unfre Bermäß- 
lung befannt zu machen; allein er fam nur nod in ber folgenden 
Naht wieder, und ih ſah ihm hernach während eines ganzen 
Monats werer auf der Strafie, noch in der Kirche, und er ließ ſich 
von mir vergeblich erwarten, obgleich ich wußte, daß er in unferm 
Drte war, und täglich auf bie Jagd gieng, die er fehr liebte. Ich + 
muß geſtehn, daß mir diefe Tage und Stunden bitter und ſchmerz- 
baft wurden, und daß ich bereits in Unruhe gerieth, und an feiner 
Treue zu zweifeln begann. Jetzt befam auch mein Mädchen bie 
Berweife für ihre Verwegenheit, die ich ihr vorher nicht gegeben 
hatte. Ich weiß, wie ſchwer es mir ward, meine Thränen zurückzu- 
haften, und eine heitre Miene anzunehmen, damit meine Eitern, mich 
nicht fragen möchten, was mich unmuthig machte, und damit ich nicht 
genöthigt würde, ihnen Unwahrheiten zu fagen. Doch dies alles 
nahm plögfich ein Ende, und der Augenblick fam heran, da ih alle 
Rüdfihten ans den Augen fegte, alle Schranken der Befonnenpeit 
durchbrach, alle Geduld verlor, und die verborgenften Gedanfen 
meines Herzens verriet. Man erzäßfte nämlich bald nachber in 























XXVIII. Kapitel. 361 


unferm Orte, Don Fernando Hätte in einer benachbarten Stabt 
ein wunderfhönes Fräufein aus einer angefehnen Familie geheirathet, 
deren Reichthum jedoch uiht fo groß wäre, daß fie befwegen auf 
einen fo vornehmen Gemahl hätte Anfpruch machen Fönnen, Lucinde 
nannte man fie, und man erzäßfte no viele feltfame Umftänbe, bie 
ſich bei ihrer Tranung follten zugetragen haben. « 


Indem Earbenio den Namen Lucinde Hörte, zudte er die 
Achſeln, biß fih in die Lippen, runzelte die Stirn, und XThränen 
frömten ihm über die Wangen; doch Lich ſich Dorothea nicht abhal- 
ten, mit ihrer Erjähfuug fortyufahren. „Ih erfuhr,“ fagte fir, „diefe 
ſchredliche Nachricht, welche, anflatt mir dad Herz zu brechen, meinen 
Zorn und meine Wuth dermaßen entflammte, daß ich faft hätte auf 
die Straßen hinausfaufen und mit Tauter Stimme den Berrath ver- 
fündigen mögen, der an mir begangen werben war; ich vermied 
jedoch biefe heftigen Ausbrüche der Leidenfhaft, weil mir ein Entwurf 
einfiel, den ich noch deuſelben Abend ausführte, nämlich diefe Kleider 
anzuziehen, die mir einer von den Kucchten meines Vaters verfaffte, 
welchem ich mein ganzes Unglück entberfte und ihn bat, mich nach der 
Stabt zu begleiten, woſelbſt, wie ih vernahm, mein Beleidiger fih 
befinden follte, Er mahnte mi zwar ab von meinem raſchen Eit- 
ſchluſſe; wie er aber ſah, daß ih auf meinem Willen beſtand, ver» 
ſprach er, mid bis ans Eude der Welt, wie er fih ausprädte, zu 
begfeiten. Ib band demnah in der Gefhwindigkeit einige Frauen 
zimmerlleider, etwas Geld und einige Kofibarleiten in ein Büudelchen 
jufammen, und ohne meiner treufofen Magd etwas zu fagen, verlieh 
ich in der Stille der Nacht mein Haus, begleitet von meinen Knecht 
und vou meinen befümmerten Gedanfen, und machte mich zu Auf 
auf den Weg nach der Stadt, beflügelt von dem Wunſche, wenn ich 
auch das Geſchehue nit ungeſchehen maden Könnte, wenigftens den 
Don Fernando zu fragen, wie er das Herz gehabt hätte, fo zu 
handeln. Am dritten Tage Fam ich an in der Stadt, und erfundigte 
mich fogleih nah Aucindens Eltern Der Erfie, den ih fragte, 
erzählte mir mehr als ich zu wiffen wünfchte, zeigte mir ihr Haus 
und beſchrieb mir alles, was bei Aucindens Vermäflung vorgefallen 





Dan Daitsint 

























Don Quixote. 


und in ber Stadt fihon fo befannt war, daß man an allen Eden- 
davon ſprach. Er fagte, an dem Abend, ald Don Fernando fih 
vermäßlt habe, fey Lucinde, unmittelbar nachdem fie das Jawort 
ausgeſprochen hatte, in eine tiefe Ohnmacht gefallen, und wie ihr 
Bräutigam herzugetreten fey, um ihr die Schnürbruft zu Töfen, und ihr 
Luft zu machen, habe man in ihrem Bufen ein Papier vun ihrer 
Hand gefunden, in welchem fie erflärt habe, fie könne nie bie Ge— 
mahlin des Don Fernando werben, weil fie bereits dem Cardenio 
gehöre, ber, wie mir biefer Mann fagte, ein vornehmer Eavalier in 
verfelben Stadt ſeyn fol, und fie habe das Jawort bloß aus Ge- 
horſam gegen ihre Eltern ausgefprocen. Aus dem übrigen Inhalt 
des Zettel habe es deutlich erhellt, daß ihre Abficht gewefen fey, 
gleich nach der Trauung fich felbft das Leben zu nehmen, und welche 
Urfachen fie zu dieſem Vorfage bewogen hätten; welches alles ſich 
au durch einen Dolch, den man bei ihr verſteckt gefunden, beftätigt 
habe. Wie Don Fernando dies gefehen, und daraus gefchloffen 
babe, daß Rucinde ihn tänfchte, verſchmähte und geringfchäßte, habe 
er fi noch während ihrer Ohnmacht mit ihrem eignen Dolch erſtechen 




















wollen, weldes auch wirklich geſchehen wäre, wenn ihre Eltern e6 
nicht verhindert hätten. Man fagte auh, Don Hermando Hätte 
ſich gleich darauf entfernt, Ancindens Ohnmachten hätten erſt am 
folgenden Tage nadgelaffen, und fie hätte ihren Eltern verſichert, 
daß fie wirllich die verfobte Braut des Carbenio wäre. Ich babe 
auch gehört, daß Eardenio felöft bei der Trauung foll gegenwärtig 
gewefen ſeynz wie er aber gefehen, daß Lueinde tem Don Fer- 
nando ihre Hand gegeben, welches er micht erwartet babe, fey er 
voll Verzweiflung bavon gegangen, nachdem er in einen zurücge- 
Tafnen Zettel fih über das Unrecht, weldes ihm Lucinde gethan, 
beſchwert und erffärt Hatte, er gienge an einen Ort, wo ihn nie 
Menſchen wieder finden follten. Died alles war in der ganzen Stadt 
befannt, und cd warb überall davon gefprochen, zumal wie man er 
fuhr, daß Lucinde das Haus ihrer Eltern verlaffen Hatte, und aus 
der Stadt entwichen war; denn fie war mirgends zu finden, nnd ihre 
Eltern wollten darüber faſt von Sinnen fommen, weil fie nit 
wußten, wohin fie entflohen wäre.” 

Dieſe Nachrichten belebten anf Neue meite Hoffnung, und ich 
ſchaͤzte mich glädficger, ven Don Fernando nicht gefunden zu 
haben, als wen ich ihn in den Armen einer andern Gemahlin ange- 
troffen Hätte; denn mich bänfte, daß mir die Thüre zu meiner Errettung 

















Don @uirete, 


noch nicht gänzlich verfehloffen wäre, indem ich mir fihmeichelte, 
daß ber Himmel vielleicht der neuen Heiratf Don Fernandes 
diefes Hinderniß in den Weg gelegt hätte, damit er in ſich geben 
und bebenfen möchte, was er feiner erſten Gattin ſchuldig fey, und 
damit er einfehen Iernte, daß er als ein Chriſt mehr das Heil 
feiner Seele als menſchliche Borurtfeile in Betrachtung zu ziehen 
habe. Diefe Gedanken befcäftigten mich, und gaben mir in meiner 
Belümmerniß einigen Troft, indem fie mir mit weitausfehenden gaufel- 
haften Hoffnungen ſchmeichelten, um ein Leben zu friften, welches mir 
feitvem zur Laſt geworben iſt.“ 

„Indem ich mich noch in jener Stadt befand, unfchläffig, was ih 
anfangen ſollte, da ih den Don Fernando nicht angetroffen hatte, 
hörte ich öffentlich ausrufen, daß man demjenigen, der mich ausfindig 


machen fönnte, eine große Belohnung verfpräche, wobei man mein 
Alter und die Mleibung, die ich trug, genau beſchrieb, und ich Höre, 
daß man mir nachſagte, der Schaäferknecht, der mich begleitete, hätte 

















XXVIL Kapitel 365 


mich ans dem Haufe meiner) Eftern entführt. Dies gieng mit durche 
Herz, weil ih ſah, wie fehr mein guter Ruf geſunlen war, indem 
man. fi nicht damit begnägt hatte, meine Entweichung befannt zu 
machen, fonbern auch mit wen ich entflohen wäre, nämfih mit einem 
Menfhen, der fo weit unter mir und meiner Wahl fo unwürdig 
war. Sobald ich demnach den Ausrufer gehört hatte, verließ ih die 
Stadt mit meinem Begleiter, deffen verfprochne Treue jedod hen 


anfieng mir verbädhtig zu werben, und benfelben Abend begaben wir 
und, um nicht entvedt zu werben, in bie dichteſte Gegend biefer 
Wälder. Doch man fagt wohl mit Recht, daß ein Unglüd nur felten 
allein kommt, und daß das Ende des einen der Anfang eines andern 
noch größern if, und. fo gieng es auch mir, Denn ntein Knecht, der 
mir bis dahin treu und redlich gedient hatte, ließ fih, ſobald wir 
und. in-diefer Einöde befanden, mehr von. feiner viehiſchen Begierde 
als von meiner Schönheit anzeigen, fi der Gelegenheit zu bedienen, 
welche dieſe Wüfte ihm darbot, um mit eben fo vieler Unverfhämtheit 
als Ruchloſigkeit mit mir von Liebe zu reden; und wie ich ihm auf 
verbiente und nachdrücliche Weiſe feine Frechheit verwies, hörte er 
auf zu bitten und fing an Gewalt zu gebrauden; allein der gerechte 








— 








366 Bon Ouirste. 


Himmel, welder felten ober niemals unterläßt, über bie Tugend zu 
wachen und fie zu befhügen, ſtand and ber meinigen bei, fo daß 
ich mit meiner ſchwachen Kraft ihm vom einer Felswand herabſtürzte, 


wo ich ihm, ich weiß nicht, ob tedt ober lebendig, liegen ließ. Go 
eilig, als Schrecken und Erfhöpfung mir erlaubten, begab ih mi 
tiefer in biefe Wildniß, und war nur tarauf bedacht, mid zu ver 
bergen und vor meinem Bater und ver tenen, die mich vom feinel- 
wegen auffuchten, au flieben. In vieler Abficht Fam ich vor einigen 
Monaten in tiefes Gebirge, wo ich einen Viehbirten antraf, ter mich 
als Knecht mit nad feinem Dorfe nahm, welches mitten in tiefer 
Gegend Tiegt, und bei dem ih bie ganze Zeit als Hirtenknabe ger 
dient und mich befläntig auf tem Zelte anfgebalten hate, um mein 
Haar zu verbergen, welches mid hente fo unvermuthet verrathen 
hat. Aber alle Borfiht ume Sergfalt balf mir nichts; fontern mein 
Herr fam meiner Berfleitung arf die Erur und verfiel auf eben fo 
gottlofe Geranfen wie mein Knecht. Da nun ter Zufall nicht alle- 
mal mit den Gefahren zugleich die Reitungsmittel an die Hant giebt, 


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XXVIL SKapitel, 867 


und ba id keine zweite Felswand ober Schlucht fand, um meinen 
Herrn ebenfo wie meinen Knecht hinabzuſtürzen, fo hielt ih es für 
rathſamer, ihn zu verlaflen und mic aufs Neue in biefer Wildniß 
zu verbergen, als meine Kräfte oder meine Berebtfamleit bei ihm auf 
die Probe zu ſtellen. Genug, ich verſteckte mich wieber hier im Walde, 
und ſuchte nur einen Ort, wo ich ungeflört den Himmel mit Seufzern 
und Tränen bitten Könnte, mich entweber ans dem Unglüde zu be» 
freien, ober mein Leben in biefer Einöbe zu enden, damit der Unglüd- 
lichen nicht mehr gedacht werde, die one Schuld ihren Namen in und 
außer der Heimath dem Tadel ausgefegt hat. 


u 














Bon @uirote. 


Neunundzwanzigfies Kapitel. 


Handelt von der Klugbeit ber ihönen Dorothea, fammt andern Dingen, gar ergöglich zu Lefen. 


IN hraͤnen, Seufzer und Magen find für- 
m wahr nit überflüffig, wenn Jemand alles 
das hat erdulden müffen, was ih Euch, 
meine Herrn, ganz bem Hergange gemäß 
N erzäßlt Habe. Urtheilet nun ſelbſt, ob ich 
im Stande bin, Troft anzunehmen, da ich 
I feine Hilfe erwarten faun? Dies einzige 
EN bitte ich ‚Euch, welches Sr mir Teicht ger 

"währen könnt, zeigt mit einen Ort, wo 
= ich mein Leben ohne Furcht, von benen, bie 
mich fuchen, — zu werben, zubringen kann; bean ungeachtet ich 
weiß, daß meine Eltern mich aus Liebe gern wieder aufuehmen 
würden, fo fühle ich mid doch durch den Gedanken, nicht rein vor 
ihnen erſcheinen zu fönnen, fo tief beſchämt, daß ich mich Lieber anf 
immer von ihnen verbannen mil, als ihr Angeficht. wieder fehen, 
wenn mein Herz mir fagt, vaß ih nicht ſchuldlos zu ihnen kehre, wie 

fie mich erwarten. « 

Sie ſchwieg, und bie Röthe, die ihre Wangen überflog, gab 
deutlich bie ſchmerzlichen Gefühle ihres Innern zu erkennen. Ihre 
Zupörer fühlten und bewunderten mit innigflem Mitleid ihr Unglück 
Der Pfarrer wollte fie tröften, allein Cardenio nahm fie ſogleich 














XXIX. Kapitel 369 


mit diefen Worten bei der Hand: „So feyb Ihr denn die fhöne 
Dorothea, des reihen Elenardo einzige Toter?" Gie erfhrad, 
als fie den Namen ihres Vaterd nennen hörte, and zwar von einem 
Menſchen in fo efendem Anzuge; denn Cardenio war, mie fihon 
geſagt, ſchlecht geffeidet. „Und wer |.9b bemm Ihr, guter Freund, 
fragte fie, „daß Ihr den Namen meines Vaters wißt, ben ih doch, 
fo viel ich mich erinnre, in meiner ganzen Geſchichte nit genannt 
babe?“ — „Ih bin der Unglüdlie,” antwortete Carbenio, „ben 
Lucinde als ihren Bräutigam nannte, wie Ihr fagt; ich bin ber 
unglückliche Carbenio, ben die Treuloſigkeit auch Eures Berräthers 
in diefen efenden Zuftand derfegt und dahin gebracht Hat, daß 
ich zerriſſen, madt, aller menfihlihen Hilfe, zuweilen gar meines 
Berftandes beraubt, in diefen Wüften wohne; denn nur hie und da, 
wenn es mir der Himmel auf kurze Zeit vergönnt, bin ih bei völliger 
Befinnung. Ich bin derſelbe, Doro'!Sea, ber bei Don Kernandos 
ruchloſer Verrätherei zugegen war, der Aucindens unglädtihes 
Ja hörte, der dem Muth nicht Hatte, ihre Dhnmnacht und ben Jupalt 
des Briefes, den man in ihrem Buſen fand, abzuwarden; denn meine 
Seele Hatte feine Kraft mehr, fo gehänftee Unglec zu ertragen, 
So verließ ih dab Hans, verlor bie Geduld, gab meinem Wirthe 
noch einen Brief, an Lueinde und floh im dieſe Wuſteneien, um 
bier mein Reben ‘zu enden, welches ich von biefem Angenblidte an als 
meinen Todfeind betrachtete; allein das Schickſal hat es mir nicht 
abnehmen wollen ſondern ſich damit begnägt, mir meinen Verſtand 
zu raußen), wielfeiht weil ir dat Ofüd vorbehalten war, End hier 
anzutreffen. Denn wenn ſich Alles fo verhält, wie Ihr erzählt habt, 
woran ich nicht zweifle, fo ift es möglich, daß uns beiden nach afler 
unfrer Trübfal noch ein befferes Loos beſchieden iſt, als wir dachten; 
bean da Lucinde mit Don Fernando ſich nicht vermäßfen Kann, weil 
fie die Meinige iſt, und Don Fernando micht mit ihr, weil er 
Euch als Gemahl angehört, und da Lueinde das Erfiere fo feierlich 
erflärt hat, fo dürfen wir noch Hoffen, daß der Himmel uns das 
Unfeige wieder geben werde, ba es weber verloren noch veraͤußert iſtz 
und da wir biefen Troſt befigen, ber weber aus fehr weit geſuchter 
Hoffnung Hergenommen, noch auf Terre Hirmgefpinfte gegrändet if, 





Don Onltett. 














m 


370 Don Buixote. 


fo bitte ih Eu, in Eurem tugendhaften Herzen andern Entſchlüſſen 
Raum zu geben, weldes ich gleichfalls than werde, und Euch auf 
glücklichere Zeiten gefaßt zu machen. Ich ſchwöre Euch bei ben Worten 
eines Edelmanns und Chriften, Euch nicht zu verlaffen, bis ih Euch 
Euern Don Fernando zuführe, und wenn id ihn nicht durch meine 
Vorſtellungen zur Erfenntniß feiner Pflicht gegen Euch bewegen Tann, 
fo werde ih das Recht geltend machen, weldes mir meine Geburt 
giebt, ihn auszufordern, um Euch von ihm Genugthuung zu verfchaffen, 
ohne Rüdfiht auf das Unreht, das er mir felbſt gethan hat; denn 
meine Rache werde ich dem Himmel anheimſtellen, um in dieſer Welt 
nur Eure Sache zu verfechten.“ 

Bei diefen Worten des Cardenio flieg Dorotheens Verwun⸗ 
derung aufs Höchfte, und da fie nit wußte, wie fie ihm für fein 
großmüthiges Anerbieten danken follte, wollte fie ihm dic Füße küſſen, 
welches aber Cardenio nicht geſchehen Tief. Der Pfarrer nahm für 
Beide das Wort, Tobte die ebelmüthige Aeußerung Cardenios, 
und ſuchte fie durch Rath, Bitte und Ueberredung zu bewegen, 
daß fie mit ihm in fein Dorf zögen, wo fie fi mit dem Nöthigen 
verfehen, zugleich über die Mittel berathſchlagen könnten, um ent. 
weder den Don Fernando aufzuſuchen, ober Dorotheen zu ihren 
Eitern zurüdzuführen, oder andre dienſame Mafregeln zu ergreifen. 
Eardenio und Dorothea bankten ihm, und milligten in feinen 
Vorschlag. 

Der Barbier, welcher bisher nur flaunend und ſchweigend zuge- 
hört Hatte, brachte nunmehr aud fein wohlgemeintes Wort vor, und 
erbot fih eben fo Herzlich wie der Pfarrer zu allen Dienflen, bie er 
vermögend wäre, zu leiften; zu gleicher Zeit erzählte er mit wenigen 
Worten die Urfache, welche ihn und den Pfarrer nach diefem Ort 
gebracht hätte, und die fonberbare Thorheit des Don Duirote, 
deffen Rappen fie jet erwarteten, weil er hingegangen wäre, ihn 
aufzufuhen. Cardenio erinnerte fi wie an einen Traum an ben 
Streit, den er einft mit dem Ritter gehabt und erwähnte beffelben 
gegen bie Andern; doch wußte er nicht zu fagen, worüber fie fich 
eigentlich entzweit hätten. Mittlerweile hörten fie eine Stimme, und 
fanden, daß Sancho Panfa ihnen aus vollem Halfe rief, weil er fie 














XXIN. Kapitel, ri 


nicht an derſelben Stelle fand, wo er fie verlaffen hatte. Sie giengen 
ihm entgegen und erfunbigten fih nah Don Duirote, „Ih babe 
ihn bald nadt, im Hemde, verwellt, gelb, Halb tobt vor Hungen, 
und immer nach feinem Aräulein Dulcinea feufzenb, gefunden,” 
ſprach Saucho. „Ih fagt es ihm, fie ließe ihm befehlen, er follte 
ſich aufmachen und nah Tobofo kommen, wo fie ihn erwarte; 
aber er gab mir zur Antwort: Ich werde nicht eher vor ihrer Shön- 
heit erſcheinen, bis ich Thaten gethan habe, die mich ihrer Gnade 
würdig machen, Meiner Treu! wenn das fo fortgeht, da ſieht es 
windig um das Kaiſerwerden aus, und fo wirb er nicht einmal Etz ⸗ 
biſchof, was do das Wenigfle wäre, Liebe Herren, mum forget wur, 
daß Ihr ihm von dem verwünſchten Orte fortbringt,” 

Der Pfarrer fagte ihm, er folle fih nur zufrieden geben, fie 
wollten ihn ſchon mit oder wider Willen fortbringen. Er entdeckte 
dem Eardenio und der Dorothea hierauf das Mittel, weldes fie 
erfonnen Hatten, den Don Duirote wo nicht zu heifen, doch wenig- 
ſtens nach Haufe zu bringen, „Dabei fan ich das bebrängte Fräulein 
beſſer fpielen, als der Barbier," fagte Dorothea, „zumal da ich 
Frauenffeiver bei mir habe, bie mir paſſen. Ueberlaßt mir nur bie 
Rolle ganz, ih weiß ſchon, wie ih fie fpielen ſollz denn ich habe 
Nitterbücher genug gelefen, mm zu willen, wie bedrängte Fräulein 
ſprechen, wenn fie von fahrenden Nittern eine Gab begehrten.” — 
„Gut!“ fagte ber Pfarrer, „fo haben wir weiter nichts zu thum, 
als Hand ans Werk zu legen. Das Gtüd feheint uns zu lächeln; 
denn Euch bat es bereits eine fröhliche Ausfiht eröffnet, und ung 
durch Euch unfer Unternehmen erleichtert,“ Dorothea nahm ſogleich 
ans ihrem Bündel ein Kleid von reihem Stoff, ein Mautelchen von 
grünem dergleichen, ein Halsband und "andre Juwelen aus einer 
Schachtel, womit fie ſich dergeſtalt ſchmücte, daß fie wirklich eime 
große reihe Dame fehlen. Alle bewunderten ihre Anmut und 
feltne Schoͤnheit, uud behaupteten, Don Fernando müffe wenig 
Geſchmach haben, weil er eine ſolche Schönheit Habe verlaffen 
fönnen, 

Wer fie aber am meiften angaffte, war Sandho Panfaz denn 
in feinen ganzen Leben hatte er mo nit ein fo ſchönes Geſchöpf 














Don Auirete, 


geſehen. Ex fragte den Pfarrer ſehr dringend: wer deun bas ſchöne 
Bränfein ſey, und was fie hier wolle? „Lieber Freund Samdho,“ 
ſprach der Pfarrer, „fie iſt möcht weniger als eine Prinzefiin und 

















XXIXN. Kapitel 373 


Erbin des großen Neihs Micomiconz fie kommt, euern Herren um 
Hiffe anzuflehen, und ihn zu bitten, daß er fie an einem böfen Niefen 
rache, der ihr viel Leid gethan hat. Der Ruf, den unfer vortrefflicher 
Nitter durch ganz Oninea, fo weit es entdedt iſt, hat, bewog fie 
zu kommen und ihm aufzuſuchen.“ — „Da kommt fie vor bie rechte 
Schmidte,“ fprah Saucho. „Was wäre bas für eine herrliche 
Sache, wenn mein Herr fo glüdlih wäre, und ben Lümmel von 
Niefen niedermachte, wie Ener Hochwürden da ſpricht. Und trifft er 
ihn nur an, ih ſteh Euch dafür, er bläst ihm das Lebenslicht gewiß 
aus, wenns nur fein Geſpenſt if; denn Gefpenftern hat mein Herr 
nichts an. Aber Eins fürcht ich doch noch, Hochwürbiger Herr! wenn ſich 
mein Here mur nicht in den Sinn kommen läßt, Erzbiſchof zu werden, 
wofür mir fo bange if. Ihr müßt ihm nur rathen, daß er biefe 
Prinzeffin gleich heirathet, daruach wird es ihm unmöglich ſeyn, bie 
Weihe eines Erzbiſchofs zu empfangen, fonderm Kaifer mufı er werben, 
und ich Friege das Meinige and; denn ih habs jo Hin und her über- 
Tegt, und ich finde, daß es burchans für mich michtd taugt, wenn er 
Erzbifpof wird; ih Habe ja eine Fran und fie mid nit zur 
ſKirche. Und daß ich erſt hingehen und nm Vergünftigung betteln follte, 
eine Kirchenpfründe zu gemiefen, da ich Weib und Kind Babe, — nein, 
daraus wirb nichts. Mit einem Worte, hochwürdiger Herr, das 
Beſte iſt, mein Herr heirathet das gwäbige Fräulein auf der Stelle; 
denn wie fie heißt, weiß ih noch gar wicht; bram nenm ich fie nicht 
bei ihrem Namen,” — „Pringeffin Micomicona, nennt fie ſich,“ 
verfepte dee Pfarrer, „denn da ihr Reich Micomicom heißt, fo if 
tiar, daß fie fo heißen muß" — „Ei freilich, freilih," sprach 
Sando, „das if ganz natürlich; ich leune viel Leute, die ſich nach 
dem Drte nennen, wo fie ber find; wie Pedro von Alcala, 
Yuan von Ubeda, Diego von Valladolid, und fo wirds wohl 
auch im Guinea fegn, daß bie Königinnen fih nad ihren Königreichen 
nennen." — „Unfreitig, * verfeßte ber Pfarrer, „unb was die Heirath 
Eures Herrn anbeteifft, fo verfaßt Euch nur auf mich, ih will mein 
Moglichſtes thun.“ Sancho war felig in biefer Hoffnung und ber 
Pfarrer tonnte ſich nicht fatt wundern, daß die Narrheiten feines 
Heren biefem armen Tropf auch fhon das Gehirn fo völlig verrüdt 

















374 Don Quixote. 


hatten, daß er das Raiferwerden für eine fo ganz ausgemachte Sache 
hielt. — Indeß hatte ſich Dorothea auf des Pfarrers Mauleſel 
gefegt, der Barbier feinen Ochſenſchwanzbart auch vorgemacht, und 
Sando folte fie zu unferm Ritter bringen. 


Sie fhärften ihm nochmals Hoch und thener ein, er folle fih ja 
nicht merken laſſen, daß er den Pfarrer und Barbier fenne; denn blos 
darauf fäme es an, wenn fein Herr Raifer werben folle; Carbenio 
und der Pfarrer wollten nicht mit, jener, weil fih Don Quixote 
leicht feines Streits mit ihm hätte erinnern Können, und biefer, weil 
ex feine Gegenwart dabei für überflüffig hielt. Darauf Tiefen fie ipn 
fürbaß ziehn und folgten ihm gemächlich nad. Der Pfarrer unter- 
richtete Dorothea nochmals in ihrer Role, und dieſe fagte, fie 
follten nur ruhig ſeyn, fie werde fich ſchon fo verhalten, wie es bie 
Nitterbücher verlangten. 


Sie waren kaum dreiviertel Meilen weit, fo fahen fie den Ritter 
zwiſchen Selstrümmern, zwar angekleidet, aber nicht bewaffnet. Als ihn 


Dorothea erblidte und Sanyo ihr gemeldet hatte, daß dies fein " 
Herr Don Quixote fey, trieb fie ihr Maulthier ſchneller an, und 
fobald fie angefommen waren, fprang der Iangbärtige Stallmeifter herab, 
und half feiner Dame abfleigen. Sobald fie herab war, warf fie fi 
ſehr geſchickt dem Ritter zu Füßen. Er that fein Möglichftes, fie 
wieder aufzuheben, aber es half Alles nichts. „Ich werde mich nicht 
eher von meinen Knien erheben, kühner und mannpafter Nitter,“ 
ſprach fie, „bis Eure Gnade und Höflichkeit mir gewähre eine Gab 
zu Preis und Ehren Eurer Hohen Perfon, und zu Nug und Frommen 
des troftlofeften Fräuleins, das je die Gonne beſchien; und wenn bie 
Stärke Eures tapfern Arms Eurem unfterbliden Ruhme gleih kommt, 
fo ſeyd Ihr verbunden, einer Genothbrängten hilfreich zu fegn, welde 
auf den Ruf Eures berühmten Namens aus entfernten Landen kommt, 
Euch um Beiftand in ihrem Unglück anzuflehn.“ — „Ih werde 
Euch nicht eher antworten, ſchönſtes Fräulein,“ verfeßte Don Qui— 
xote, „werde auch nichts mehr von Eurem Begehr anhören, bis Ihr 
Euch von der Erde erhebt." — „Nein,“ fprach das tiefgebeugte 
Fräulein, „id werde nicht eher aufſtehen, bis Ihr mir nach Eurer 

















XXIX. Kapitel, 


Hufd die Babe gewährt habt, um bie ich Euch auflehe.“ — „ Wohlan, 
fagte Don Duirote, „fie fey Euch gewährt, wenn fie nicht wider 
meinen König, mein Baterland und wider diejenige ift, welche den 
Schläffel zu meinem Herzem und zu meiner Freiheit befigt." — 
Nein, wiber alle diefe ift meine Bitte nicht," antwortete das Fräufein 
mit Thranen. Jetzt ſchlich Sancho zu feinem Herm, und fagte ihm 
ganz Teife ins Ofr: „Ihr Könnt es ihr ganz getroft gewähren, gitd« 
diger Herr, was fie will; co iſt weiter nichts, als daß Ihr einen 
großem Niefen umbringen ſollt. Und die Euch drum bittet, iſt die 
große Prinzeffin Micomicona, Königin von dem mächtigen Rönig- 
reihe Micomicon im Mohrenlande.“ — „Sey fie, wer fie will,“ 

















376 Bon Quixote. 


verfegte Don Duirote, „ih werbe tun, was mir Amt, Pflicht 
und Gewiſſen gebietet,“ kehrte fi darauf zu dem Fräulein und 
ſprach: „Eure Schönheit beliebe nur aufzuſtehen; denn ich gewähre 
Euch Alles, worum Ihr mich bitten wollt.” — „So bitt ih denn 
von Euch, edler Ritter,“ fprah Dorothea, „daß Eure großmüthige 
Perfon mit mir ziehen wolle, wohin ich Eu führe, und mir ver- 
ſpreche, nicht eher ein andres Abenteuer noch Ansforberung, zu 
Schimpf oder Ernfl, anzunehmen, bis Ihr mich an dem Verräther 
gerächt Habt, der wider göttliches und menſchliches Recht mich ver- 
trieben und fi meines Reihe angemapt hat.“ — „Ih fage noch 
einmal, es ift Euch gewährt,“ antwortete Don Quixote. „Laßt 
von biefem Augenblich an Eure Traurigkeit fahren, durchlauchtigſte 
Prinzeffin, Eure ſchwache Hoffnung belebe fih, und Euer Muth 
fammle neue Kräfte; denn mit Hilfe Gottes und meines Arms ſollt 
Ihr wieder in Euer Reich eingefegt und Euer alter Thron befeftigt 
werben, zu Trog allen den Schelmen, fo Euch zuwider find. Laßt 
ung daher Hand ans Werk legen; denn Zaubern, fagt man, bringt 
Gefahr.“ 

Die bedrängte Prinzeffin wollte ihm durchaus die Hände füffen, 
was er aber als ein höfliher und wohlgefitteter Ritter ſchlechterdings 
nicht zugab; er hob fie vielmehr wo.der Erde auf und umarmte fle 
ſehr liebreich. Drauf befahl er den Sanyo, ihm die Waffen an- .| 
äufegen und dem Rozinante den Burt feſt zu fhnallen. San . 
nahm die Waffen von einem Baume herab, woran fie wie eine 
Throphaͤe Hiengen, ſchnallte dem Rozinante den Gurt zurecht und 
waffnete feinen Herrn. „Wohlan,“ fprag Don Duirote, da er 
fid wieder in den Waffen fah, „ziehen wir in Gottes Namen dahin, 
diefer durchlauchtigſten Prinzeffin beizufpringen!“ Der Barbier Iag 
noch immer auf den Knien, und hatte große Mühe das Laden zu ver- 
beißen, und feinen Bart nicht fallen zu laſſen, weil es ſonſt mit dem 
ganzen Plane aus gewefen wäre; da er aber fah, daß bie Gabe gewährt 
war, und Don Quixote ſich fo eilig reifefertig machte, flieg er auch 
auf, nahm feine Dame bei der andern Hand, und hob fie mit dem Ritter 
auf ihr Maulthier. Don Quixote beftieg fogleich feinen Rozi- 
nante, auch der Barbier machte fih beritten, nur Saucho mußte 














XXIX. Kapitel, 


au Bufi gehen, weßhalb er den Verluſt feines Grauſchimmels auf 
Neue bekfagte, weil jept derſelbe ihm gut zu Statten gefommen wäre. 
Do trag er Alles mit Geduld, weil er date, num fey fein Herr 
im beſten Gange, Kaiſer zu werben; benn es Könne ja nicht fehlen, 
daß Don Onirote bie fin heirathe und dann doch wenigſtens 
König von Micomicon Bas ihm doch mit fo ganz bei 
der Sache gefiel, wor, daß diefes Königreich im Mohrenland liege, 
und daß feine fünftigen Unterthauen lauter Schwarze wären. „Aber 
dafür weiß ih fhom guten Rath,“ ſprach er, bei ſich feldft; „meinet- 
halben mögens lauter Schwarge fen, befto beffer, da pad ich fie alle 
zufammen in eim Schiff, bringe fie fein nad Spanien, und verkaufe 
fie für baares Geld, und fir das Geld Faufe ich mir Ant und Titel, 
und bringe meine Tage in Nube zu. Denn das wäre mir ein 
Schöner, der mit fo viel Grüge im Kopf hätte, um dreißig» ober 
zehmtanfend Sklaven zu verkaufen, wie ein Gtroppalm, Nur her 
damit, groß und Mein, wie fie kommen, ih will fie ſchon zurecht 
machen; bei Gott, und wenn fie ſchwarz wie die Teufel wären, fo 
will ich fie weiß und gelb anfaufen laffen Wenn ic fie nur erft 
hätte, mir juden jegt ſchen die Finger darnach.“ Mit viefen . 











Bon @uirote, 


RNeunundzwanzigfties Kapitel, 


‚Handelt von der Klugheit der ihönen Dorothea, fammt andern Dingen, gar ergöglich zu lejen 


pränen, Seufzer und lagen find für- 
nahr nicht überflüffig, wenn Jemand alles 
das hat erbufden müffen, was ih Euch, 
—9 meine Herrn, ganz dem Hergange gemäß 
\ erzählt Habe. Urtheilet nun ſelbſt, ab ih 
im Stande bin, Trof anzunehmen, da ich 
| feine Hitfe erwarten fann? Dies ‚einzige 


N) währen Könnt, zeigt mit einen Ort, wo 

r ich mein Leben ohne Gurk, von denen, bie 
mich fuchen, acht zu werben, zubringen kann; denn ungeachtet ich 
weiß, daß meine Eltern mid aus Liebe gern wieber aufuehmen 

‘wärben, fo fühle ich mich doch durch den Gedanken, nicht rein vor 
ihnen erſcheinen zu können, fo tief befhämt, daß ich mid Lieber anf 
immer von ihnen verbannen will, als ihr Angeficht wieber fehen, 
wenn mein Herz mir fagt, vaß ich nicht ſchuldlos zu ihnen kehre, wie 
fie mich erwarten. « 

Sie ſchwieg, und die Röthe, die ihre Wangen überflog, gab 
deutlich die ſchmerzlichen Gefühle ihres Innern zu erkennen, Ihre 
Zuhörer fühlten und bewunderten mit innigflem Mitleid ihr Unglück. 
Der Pfarrer wollte fie tröften, allein Cardenio nahm fie ſogleich 











XXIX. Kapitel, 369 


mit diefen Worten bei der Hab: „So ſeyd Ihr denn bie ſchöne 
Dorothea, des reihen Elenarbo einzige Toter?" Cie erfihrad, 
als fie den Namen ihres Waters nennen hörte, und zwar von einem 
Menfhen in fo elendem Mazuge; denn Cardenio war, mie ſchou 
geſagt, ſchlecht geffeivet. „Und wer jmd denn Ihr, guter Freund,“ 
fragte fie, „daß Ihr den Namen meines Vaters wißt, den ich doch, 
fo viel ih mich erinnte, in meiner ganzen Gefihichte nit genauut 
habe ?“ — „Ih bin der Unglädlihe,” antwortete Earbenio, „ten 
Lueinde als ihren Bräutigam nannte, wie Ihr ſagt; ih bin ber 
unglädfige Earbenio, ben bie Treufofigfeit auch Eures Berräthers 
in biefen elenven Zuſtand derſeht und dahin gebracht Kat, daß 
ich zerriſſen, nackt, aller menfchligen Hilfe, zuweilen gar meines 
Berftandes beraubt, in biefen Wüften wohne; bemm mar bie und da, 
wenn es mir der Himmel auf kurze Zeit vergönnt, bin ih bei völliger 
Befinnung. Ich bin derſelbe, Dorottea, der bei Don Rernandos 
ruchlofer Verrätherei zugegen war, der Lucindens unglüdliches 
Ju hörte, ber den Muth mit hatte, ihre Ohnmacht und den Juhalt 
des Briefes, den man in ihrem Bufen fand, abzuwarten; benn meine 
Seele alte Teine Kraft mehr, fo gehäuftes Unpfüt zu ertragen. 
So verließ ih dad Hand, verlor Lie Geduld, gab meinem Wirthe 
noch einen Brief, an Lucinde und flog in diefe Wüfteneien, um 
Gier mein Lehen zu enden, welches ich von biefem Liugenblice an als 
meinen Tobfeind, betrachtete; allein das Sthikfal hat es mir nit 
abnehmen wetten; ſondern ſich damit begnägt, mir meinen Verſtand 
gu raußen‘, vielleicht weil mir das Gfäd vorbehalten war, End hier 
anzutreffen. Dein wenn ſic Mes fo werhäft, wit Ir erzäfft Habt, 
woran ich nicht zweifle, fo iſt es möglih, daß uns beiben nach aller 
unfrer Trübfal noch ein beſſeres Roos beſchieden ift, als wir dachtenz 
denn da Encinde mit Don Fernando fi nicht vermäßfen Fann, weil 
fie die Meinige it, und Don Fernando nicht mit ihr, meil er 
Euch als Gemahl angehört, und da Ancinde das Erfiere fo feierlich 
erflärt Hat, fo dürfen wir noch hoffen, daß der Himmel und das 
Unfrige wicber geben werde, ba es weder verloren noch veräußert iftz 
and da wir biefen Troſt befigen, der weder aus fehr weit geſuchter 
Hoffnung Hergenommen, noch auf Terre Hirmgefpinfte gegründet if, 

















370 Don Quixote. 


fo bitte ih Eu, in Eurem tugenbhaften Herzen andern Entſchlüſſen 
Raum zu geben, welches ich gleichfalls than werde, und Euch auf 
glücflichere Zeiten gefaßt zu machen. Ich fepwöre Euch bei den Worten 
eines Edelmanns und Chriften, Euch nicht zu verlaflen, bie ih Euch 
Euern Don Fernando zuführe, und wenn ic ihn nicht durch meine 
Vorftellungen zur Erfenntni feiner Pflicht gegen Euch bewegen fann, 
fo werde ich das Recht geltend maden, weldes mir meine Geburt 
giebt, ihn auszufordern, um Euch von ihm Oenugthuung zu verfhaffen, 
ohne Rüdfiht auf das Unrecht, das er mir felbft gethan hat; denn 
meine Rache werbe ih dem Himmel anpeimftellen, um in diefer Welt 
nur Eure Sache zu verfechten. “ 

Bei diefen Worten des Carbenio flieg Dorotheens Berwun- 
derung aufs Höchſte, und da fie nicht wußte, wie fie ihm für fein 
großmüthiges Anerbieten danfen follte, wollte fie ihm die Füße küſſen, 
weldes aber Cardenio nicht gefhehen Tief. Der Pfarrer nahm für 
Beide das Wort, lobte tie edelmüthige Aeußerung Cardenios, 
und fügte fie duch Rath, Bitte und Ueberredung zu bewegen, 
daß fie mit ihm in fein Dorf zögen, wo fie fih mit dem Nöthigen 
verſehen, zugleich über die Mittel berathfchlagen Fönuten, um ente 
weber den Don Fernando aufzuſuchen, oder Dorotheen zu ihren 
Eitern zurückzuführen, ober andre bienfame Mafregeln zu ergreifen. 
Cardenio und Dorothea banften ihm, und willigten in feinen 
Vorſchlag. 

Der Barbier, welcher bisher nur flaunend und ſchweigend zuge» 
hört hatte, brachte nunmehr aud fein wohlgemeintes Wort vor, und 
erbot ſich eben fo Herzlich wie der Pfarrer zu allen Dienften, die er 
vermögenb wäre, zu leiſten; zu gleicher Zeit erzählte er mit wenigen 
Worten bie Urſache, welche ihn und den Pfarrer nach biefem Ort 
gebracht Hätte, und bie fonderbare Thorfeit des Don Quixote, 
deffen Knappen fie jegt erwarteten, weil er hingegangen wäre, ihn 
aufzuſuchen. Cardenio erinnerte fi wie an einen Traum an den 
Streit, den er einſt mit dem Ritter gehabt und erwähnte beffelben 
gegen bie Andern; doch wußte er nicht zu fagen, worüber fie ſich 
eigentlich entzweit hätten. Mittlerweile hörten fie eine Stimme, und 
fanden, daß Sanyo Panfa ihnen aus vollem Halfe rief, weil er fie 














XXNIX. Kapitel. 371 | 


nicht an derſelben Stelle fand, wo er fie verlaffen hatte. Sie giengen 
ihm entgegen und erfundigten fi nah Don Duirote. „Ih habe 
ihn balb madt, im Hemde, verwellt, gelb, halb tobt vor Hunger, 
und immer nad feinem Fräulein Dulcinea feufjend, gefunden, * 
ſprach Sando. „Ih fagt es ihm, fie ließe ihm Befehlen, ex follte 
fi$ aufmahen und nah Tobofo fommen, wo fie ihn erwarte; 
aber er gab mir zur Antwort: Ich werde nicht eher vor ihrer Schön 
heit erfeinen, bis ich Thaten geihan habe, die mich ührer Gnade 
würdig machen. Meiner Treu! wenn dad fo fortgeht, da ſieht es 
windig um das Staiferwerben aus, und fo wird er nicht einmal Erz ⸗ 
biſchof, was doch das Wenigfie wäre. Liebe Herren, nun forget wur, 
daß Ihr ihn von dem verwünſchten Orte fortbringt.” 

Der Pfarrer fagte ihm, er folle ſich nur zufrieden geben, fie 
wollten ihm ſchon mit oder wider Willen fortbringen. Er entdedte 
dem Earbenio und der Dorothea bierauf bas Mittel, welches fie 
erfonnen hatten, den Don Duirote wo nicht zu Heilen, doch wenige 
ſteno nach Haufe zu bringen, „Dabei Kann G das bedrängte Fräufein 
beſſer fpielen, als ter Barbier,* fagte Dorothea, „zumal da ih 
Franenfleiver bei mir Habe, bie mir paffen. Ueberlaft mir nur die 
Rolle ganz, ih weiß fon, wie ih fie ſpielen foll; denn ih Habe 
Nitterbücher genug gefefen, am zu wiffen, wie bebrängte Fräufein 
fpregen, wenn fie von fahrenden Nittern eine Gab begehen. — 
„Gut!“ fagte der Pfarrer, „fo haben wir weiter nichts zu thun, 
als Hand ans Werk zu legen. Das Glück ſcheint und zw Lächeln; 
denn Euch Hat ed bereits eine fröhliche Ausſicht eröffnet, und uns 
durch Eich unfer Unternehmen erleichtert." Dorothea nahm ſogleich 
aus ihrem Bündel ein Meid von reihen Ctoff, ein Mäntelgen von 
grünem vergleichen, ein Halsband und "andre Juwelen aus einer 
Sqchaqhtel, womit fie ſich dergeſtalt ſchmudte, daf fie wirffi eine 
große reihe Dame ſchien. Alle bewunberten ihre Aumuth und 
feltne Schönheit, und behauptelen, Don Fernandes müſſe wenig 
Geſchmack Haben, weil er eine folhe Schönheit Habe verlaſſen 
fönnen, 

Wer fie aber am meiften angaffte, war Sanıho Panfa; denn 
in feinem ganzen Leben hatte er noch wicht ein fo ſchönes Geſchöpf 

















Don Quirote. 


gefehen. Er fragte den Pfarrer fehr dringend: mer benn das ſchöne 
Fräulein fey, und was fie hier wolle? „Lieber Freund Sanho,“ 
ſprach der Pfarrer, „fie it nit weniger als eine Prineffin und 








I 1 








XXIX. Gapitel, 373 


Erbin des großen Reihe Micomiconz fie fommt, euern Herrn um 
Hilfe anzuflehen, und ihn zu Bitten, baf er fie an einem böfen Niefen 
räche, der ihr viel Leid gethan hat. Der Ruf, den unfer vortreffliher 
Nitter durh gang Guinea, fo weit es emtbedt ift, bat, bewog fie 
zu kommen und ihn aufzuſuchen.“ — „Da lommt fie vor bie rechte 
Schmidte,“ forah Sande. „Was wäre bas für eine herrliche 
Sade, wenn mein Here fo glüdfih wäre, und ben Lümmel von 
Niefen niedermachte, wie Euer Hochwürden ba ſpricht. Und trifft er 
ihn nur am, ich ſteh Euch dafür, er bläst ihm das Lebenslicht gewiß 
aus, wenns nur fein Geſpenſt iſtz benm Gefpenfiern hat mein Herr 
nichts am, Aber Eins fürcht ich doch noch, hochwürdiger Herr! wenn ſich 
mein Herr wir nicht in den Sinn lommen läßt, Erzbifchof zu werben, 
wofür mir fo bange if. Ihr müßt ipm nur rathen, daß er biefe 
Prinzeffin gleich heirathet, darnach wird es ihm unmöglich feyn, die 
Weihe eines Erzbifhofs zu empfangen, fondern Kaiſer muß cr werben, 
und ich Friege das Meinige and; denn ich Habe, ſo hin und her übers 
fegt, und ich finde, daß es durchaus für mich nichts taugt, wenn er 
Erzbiſchef wird; ih Habe ja eine Frau und ſchicke mich nicht zur 
Kirche. Und daß ich erſt hinge hen und um Vergünfigung bettefn folte, 
eine Kircheupfründe zu geniefien, da ih Weib und Rind habe, — nein, 
daraus wird michts. Mit einem Morte, hochwürdiger Herr, das 
Beſie ift, mein Herr heirathet das guätige Fräulein auf der Stelle; 
denn wie fie Heißt, weiß fd meh gar nicht; dram nenn id fie nicht 
bei ihrem Namen. — „Prinzeffin Micomicona, nennt fie fi,“ 
verfegte der Pfarrer, „denn da ihr Reich Micomicon heißt, fo ift 
Harz dafı fie fo Seifen mup.r — „Ei freilich, freitih," ſprach 
Sands, „das iſt ganz natürlich; ich kenne viel Lente, die fih nad 
dem Drte nennen, wo fie her find; wie Pedro von Alcala, 
Iuan von Ubeda, Diego von Valladolid, und fo wirde wohl 
auch in Guinea ſeyn, daß die Röniginmen fih nach ihren Königreichen 
nennen.“ — „Unftreitig," verfepte der Pfarrer, „und was die Heitath 
Eures Herrn anbetrifft, fo verlaft Euch nur auf mid, ih will mein 
Möglihftes thun.“ Sancho war felig in diefer Hoffnung und der 
Pfarrer Tonmte ſich micht fatt wundern, daß die Narrheiten feines 
Heren dieſem armen Tropf auch ſchon das Gehirn fo völlig verrüdt 























34 Don Quixote. 


hatten, daß er das Kaiferwerden für eine fo ganz ausgemachte Sache 
hielt. — Indeß Hatte fih Dorothea auf des Pfarrers Mauleſel 
geſetzt, ber Barbier feinen Ochſenſchwanzbart auch vorgemacht, und 
Sand folte fie zu unferm Ritter bringen. 


Sie fhärften ihm nochmals hoch und thener ein, er folle fih ja 
nicht merfen laſſen, daß er ben Pfarrer und Barbier fenne; denn blos 
darauf kaͤme e8 an, wenn fein Herr Kaiſer werben folle; Cardenio 
und der Pfarrer wollten nicht mit, jener, weit fi Don Quixote 
leicht feines Streits mit ihm hätte erinnern können, und biefer, weil 
ex feine Gegenwart dabei für überflüffig hielt. Darauf Liegen fie ihn 
fürbaß ziehn und folgten ihm gemächlich nah. Der Pfarrer unter- 
richtete Dorothea nochmals in ihrer Rolle, und diefe fagte, fie 
ſollten nur ruhig ſeyn, fie werde fi ſchon fo verhalten, wie es bie 
NRitterbücher verlangten. 


Sie waren faum dreiviertel Meilen weit, fo fahen fie den Ritter 
zwiſchen Felstrümmern, zwar angekleibet, aber nicht bewaffnet. Als ihn 


Dorothea erblidte und Sancho ihr gemeldet hatte, daß dies fein 
Hear Don Duirote fey, trieb fie ihr Maulthier ſchneller an, und 
ſobald fie angefommen waren, fprang ber Iangbärtige Stallmeifter herab, 
und half feiner Dame abfleigen. Sobald fie herab war, warf fie fih 
fehr geſchidt dem Ritter zu Füßen. Er that fein Möglichſtes, fie 
wieder aufzuheben, aber es Half Alles nichts. „Ich werde mich nicht 
eher von meinen Knien erheben, kühner und mannhafter Ritter,“ 
ſprach fie, „bis Eure Gnade und Höflicpkeit mir gewähre eine Gab 
zu Preis und Ehren Eurer Hohen Perfon, und zu Nug und Frommen 
des troſtloſeſten Fräuleins, das je die Sonne beſchien; und wenn die 
Stärke Eures tapfern Arms Eurem unflerblihen Ruhme gleich kommt, 
fo fegd Ihr verbunden, einer Genothbrängten Hilfreich zu ſeyn, welde 
auf den Ruf Eures berüfmten Namens aus entfernten Landen kommt, 
Euch um Beiftand in ihrem Unglück anzuflehn.“ — „Ih werde 
Euch nicht eher antworten, fhönftes Fräufein,“ verfegte Don Qui— 
xote, „werbe auch nichts mehr von Eurem Begehr anhören, bis Ihr 
Euch von der Erde erhebt." — „Nein,“ ſprach das tiefgebeugte 
Fräulein, „ip werde nicht eher aufftehen, bis Ihr mir nach Eurer 

















XXIX. Sapitel, 


Hufd die Gabe gewährt habt, um die ich Euch anflehe." — „ Wohlan, 
fagte Don Duirote, „fie ſey Euch gewährt, wenn fie nicht wiber 
meinen König, mein Baterfanb und wider biejenige ift, welhe dem 
Sclüffel zu meinem Herzen uud zu meiner Freiheit befigt." — 
„Nein, wider afle dieſe ift meine Bitte nicht,” antwortete bas Fräulein 
mit Thränen, Jeht ſchlich Sancho zu feinem Herrn, und fagte ihm 
ganz Teife ins Ohr: „Ihr Fönnt es ihr ganz getroſt gewähren, gnä- 
diger Herr, was fie will; es iſt weiter nichts, als daß Ihr einen 
großen Niefen umbringen ſollt. Und bie Euch drum bittet, iſt bie 
große Prinzeſſia Micomicona, Königin von dem mächtigen König 
reihe Micomicon im Mohrenlande.“ — „Sey fie, wer fie will,” 














376 Don @uirote. 


verfegte Don Onirote, „ih werde thun, was mir Amt, Pflicht 
und Gewiſſen gebietet,“ kehrte fih darauf zu dem Sräulein und 
ſprach: „Eure Schönheit beliebe nur aufzuftehen; denn ich gewähre 
Euch Alles, worum Ihr mich bitten wollt.” — „So bitt ih denn 
von Euch, edler Ritter,“ ſprach Dorothea, „daß Eure großmüthige 
Perfon mit mir ziefen wolle, wohin ih Eu führe, und mir ver- 
ſpreche, nicht eher ein anbres Abentener noch Ausforderung, zu 
Schimpf ober Eraft, anzunehmen, bis Ihr mich an dem Verräther 
gerät Habt, der wider göttliches und menſchliches Recht mid ver- 
trieben und fih meines Reihe angemaßt hat.“ — „Ih fage no 
einmal, es iſt Euch gewährt,” antwortete Don Quixote. „Laßt 
von bdiefem Angenblid an Eure Traurigleit fahren, durchlauchtigſte 
Prinzeffin, Eure ſchwache Hoffnung belebe fih, und Euer Muth 
fammle neue Kräfte; denn mit Hilfe Gottes und meines Arms follt 
Ihr wieder in Euer Reich eingefegt und Euer alter Thron befeftigt 
werben, zu Trog allen den Schelmen, fo Euch zumiber find. Laßt 
uns daher Hand ans Werk legen; denn Zaudern, fagt man, bringt 
Gefahr.“ 

Die bebrängte Prinzeffin wollte ihm durchaus bie Hände küffen, 
was er aber als ein höflicher und wohlgefitteter Ritter fhledhterbings 
nicht zugab; er Hob fie vielmehr von der Erde anf und umarmte fie | 
fehr Tiebreih. Drauf befahl er dee Sancho, ihm die Waffen an- 
zulegen und dem Rozinante ben Burt feſt zu ſchnallen. Saucho 
nahm die Waffen von einem Baume herab, woran fie wie eine 
Throphaͤe hiengen, fhnallte dem Rozinante den Gurt zurecht und 
waffnete feinen Herr. „Wohlen,“ fprah Don Quixote, da er 
fih wieder in den Waffen fah, „ziehen wir in Gottes Namen dahin, 
diefer durchlauchtigſten Prinzeffin beizufpringen!“ Der Barbier lag 
noch immer auf den Knien, und hatte große Mühe das Laden zu ver- 
beißen, und feinen Bart nicht fallen zu laſſen, weil es fonft mit dem 
ganzen Plane aus gewefen wäre; ba er aber fah, daß bie Gabe gewährt 
war, und Don Quixote ſich fo eilig reifefertig machte, flieg er auch 
auf, nahm feine Dame bei der andern Hand, und hob fie mit dem Ritter 
anf ihr Maulthier. Don Quixote beftieg fogleih feinen Nozi- 
nante, auch ber Barbier machte ſich beritten, nur Saucho mußte 














XXIX. Kapitel. 


zu Buß geben, weßhalb er den Verluſt ſeines Granfäimmels aufe 
Neue dellagte / weil jegt derſelbe ihm gut zu Statten gefommen wäre. 


Doch trug er Alles mit Geduld, weil er dachte, num fey fein Her 
im befien Gange, Kaifer zu werden; denn cs fönne ja nicht fehlen, 
daß Don Quixote bie fin Heirathe unb dann doch wenigſtens 
König von Boni mo, Bat ihm doch nicht fo ganz bei 
der Sache gefiel, war, daß Difes Königreich im Mohrenland liege, 
und daß feine künftigen Unterthanen lauter Schwarze wären. „Aber 
dafür weiß ich fhom guten Rath,“ ſprach er, bei ſich ſelbſt; „meinet- 
halben mögens lauter Schwarze ſeyn, deſto beffer, da pad ih fie alle 
zufammen in ein Schiff, bringe fie fein nach Spanien, and verkaufe 
fie für baares Geld, und für das Geld Fanfe ih mir Amt und Titel, 
und bringe meine Tage in Ruhe zu. Denn das wäre mir ein 
Schöner, der nicht fo viel Grüge im Hopf Hätte, um dreißig · oder 
sehntaufend Sfaven zu verfaufen, wie ein Stroppalm. Nur her 
damit, groß und Hein, wie fie Kommen, ich will fie fchom zurecht 
machen; bei Gott, und wenn fie ſchwarz wie die Teufel wären, fo 
will ich fie weiß und gelb anfaufen laſſen. Wenn ich fie nur erft 
hätte, mir juden jegt ſchon die Finger darnach.“ Mit diefen . 














378 Don @uirote. 


Gedanken wanderte Sanyo fo vergnügt einher, daß er die Beſchwer⸗ 
lichkeit des Fußgehens harüber vergaß. 

Eardenio und der Pfarrer hatten dies Alles durch das Gebüſch 
beobachtet, und waren ein wenig verlegen, wie fie mit guter Art zu 
ihnen kommen follten. Aber dem Pfarrer, der ein offner Kopf war, 
fiel gleich ein Mittel ein. Er nahm eine Scheere, tie er in einem 
Futteral bei ſich hatte, fiupte gefhwind dem Cardenio ben Bart, 





gab ihm jeinen grauen Ueberrock und feinen Fleinen ſchwarzen Mantel, 
er ſelbſt aber blieb nur in Wamms und Holen. Cardenio wurde 
batur fo veräntert, daß er ſich ſelbſt miche würde gefannt baben, 
wenn er in ten Eriegel gefeben bitte. Dies gethan, nabmen fie 
einen nähern Weg nad ter Lantfiraße, kamen auch, ungeachtet jene 














XXIX. Kapitel, 379 


ſchon voraus waren, eher dahin, weil fie auf den ſchlechten Wegen 
ſchneller zu Fuß fortfommen fonnten, als jene zu Pferd. Am Aus- 
gange des Gebirge fepten fie fih hin und erwarteten die Andern. 
Als Don Duirote mit feiner Geſellſchaft anfam, betrachtete ihn 
der Pfarrer von weitem, als einen, den er zu kennen glaubte, und 
kaum war unfer Ritter ein wenig näher, fo gieng er mit offnen 
Armen auf ihn zu. „Willkommen,“ vief er, „lieber Herr Lands- 
mann, Don Quixote von der Mana! Spiegel und Blume 
der Ritterſchaft, Schug und Schild aller Berrängten, Quinteſſenz 
aller fahrenden Ritter!" Mit diefen Worten umſchlang er Don 
Duirotens linken Fuß. Der Ritter, ganz betroffen über das, was 
er ſah und Härte, Hielt ſtill, und betrachtete ihn eine lange Weile 
aufmerkfam; endlich erfannte er ihn, wunderte fi, ihn hier zu finden, 
und wollte abfteigen, allein der Pfarrer gabs nicht zu. „Laft es 
doch geſchehen, Herr Licentiat,“ fprah Don Quixote; „es fhidt 
ſich nicht, daß ih zu Pferde figen bleibe, da Euer Hochwürden zu 
Fuß if.” — „Nein,“ verfegte der Pfarrer, „ich werbe es auf feine 
Beife zugeben, daß Eure Hoheit abfleigen. Bleibt nur auf dem 
Pferde, worauf Ihe fo viele und zu unfern Zeiten unerhörte Thaten 
und Abenteuer verrichtet. Für mid armen unwürdigen Diener ber 
Kirche ifis genug, wenn mid einer von Euer Gnaden Begleitern nur 
hinten auf feinen &fel nimmt, und ih will mirs für eine fo große 
Ehre rechnen, als wenn ih auf dem Pegafus, ober auf dem Zehra, 
ober auf bem Turnierroffe des berüßmten Mohren Muzaraque ritte, 
welcher noch bis zur heutigen Stunde auf dem Berge Zulema, nicht 
weit von Großcomplutum, verzaubert Liegt.” — „In der That, daran 
date ich nicht, Herr Licentiat,“ verfepte Don Quixote. „Ih 
glaube aber, meine durchlauchtige Prinzeffin wird die Gnade für mich 
haben, und ihrem Stallmeiſter befehlen, Euch den Sattel feines 
Maulthiers zu räumen, und fich Hinter Euch zu feßen, wenn es das 
Thier leidet." — „D ja,“ verfehte die Prinzeſſin, „das geht fhon 
an, wie ich glaube, und meinem Herrn Gtallmeifter darf ih dies 
nicht erſt befehlen; denn er ift fo ein höflicher Mann, daß er nie 
einen geiftlichen Heren zu Fuß gehen läßt, wenn er reiten könnte.“ — 
„Allerdings! " ſprach der Barbier, fprang von feinem Efel und bot 











382 Don @uirote. 


heilen. „Es ift unmöglich,“ fagte er, „baß ein ganzer Bart fo 
ausgeriffen wird, ohne daß bas Fleiſch gewaltig babei leidet, und 
doch ift alles wieder heil. Nein, hochwürdiger Herr, das Mittel muß 
noch andre Kräfte haben.“ — „Das ift auch der Fall,” antwortete der 
Pfarrer, „und ih verfpreche e8 Euch bei nächſter Gelegenheit zu Ichren.“ 
Sie beſchloßen nun, daß zuerft der Pfarrer reiten ſolle, dann die 
Andern abwechslungsweife, bis zur nächften Schenke, tie uoch ungefähr 
zwei Meilen weit war. 


Da nun Don Duirote, die Prinzeffin und der Pfarrer wieder 
beritten, und Cardenio, der Barbier und Sancho zu Fuß zum 
Aufbruch bereit waren, ſprach der Ritter zur Prinzeſſin: „Eure König- 
liche Hoheit wolle und nun nach eignem Belieben Leiten und führen. “ 
Ehe fie noch antworten konnte, nahm der Pfarrer das Wort und 
ſprach: „In weldes Königreich wollt Ihr, durchlauchtige Prinzeffin? 
vielfeiht nad Micomicon? Ich müßte mich fehr irren, wenns nicht 
fo wäre.“ Dorothea, melde fogleih ten Wink verſtand, fprad: 
„ga, Herr Pfarrer, ih will dahin zurüd, weil cd mein Rei iſt.“ — 
Wenns dies if,” verfeßte ber Pfarrer, „fo geht der Weg mitten 
dur mein Dorf, von da nad Carthagena, wo fih Eure Hoheit mit 
gutem Glück einfhiffen fann. Wenn Wind und Wetter gut if, könnt 
Ihr noch vor neun Jahren in dem Waſſer Pißporus, will fagen 
Bosporus, ſeyn, welches ohnedies nicht weiter als hundert Tagereifen 
von Eurer Hoheit Königreiche liegt.“ 


„Hierin irrt Ihr Euch, mein Herr,“ fprad fie; „denn es find 
noch nicht zwei Jahre, daß ich ausreistee Ich hatte wahrhaftig 
feinen guten Wind, und demungeachtet bin ih fon hier, und habe 
die Erfüllung meines Wunſches, den edlen Ritter Don Duirote 
von der Manda zu fehen, gefunden. Ich hatte faum den Fuß in 
Spanien ans Land gefegt, fo kam mir ſchon fein großer Ruf zu 
Ohren. Dies bewog mich, ihn aufzufuhen, ihn um Huld und Schuß 
anzuflehen, und meine gerechte Sade feinem unüberwindfihen Arme 
anzuvertrauen.“ — „Genug von dieſen Lobeserhebungen!“ ſprach 
Don Quixote; „ih bin ein Todfeind aller Art von Schmeichelei; 
und ungeachtet dies feine wäre, fo beleidigen doch vergleichen Reden 




















XXIX. Kapitel. 383 


mein keuſches Ohr. Was ich Eurer Hoheit verſichern kann, iſt, ich 
mag tapfer feyn oder nicht, fo werde ih doch bis auf ven letzten 
Haud meines Lebens für Euch flreiten. Die Zeit wirds Ichren, ob 
ich wahr rede. Jetzt, Herr Licentiat, erlaubt mir, Euch zu fragen, 
wie Ihr fo allein, ohne Diener und in fo leichter Kleidung hieher 
kommt, welches mich fehr wundert?” — „Dies will ih Euch ganz 
kurz fagen, gnädiger Here,“ verfegte der Pfarrer. „Ich und unfer 
Freund, Meifter Niflas der Barbier, giengen zufammen nach Se— 
villa, eine Summe Geldes zu heben, welche mir einer meiner Anver- 
wandten, der fehon vor langen Jahren nach Indien gegangen iſt, 
geſchidt hatte. Es war nicht wenig; denn fechzigtaufend Pefos, und 
alle vollwichtig, find wahrhaftig feine Kleinigleit. Da wir nun 
dur) dieſe Gegend zogen, fielen uns vier Straßenräuber an, und 
plünderten uns bis auf die Bärte fo vein aus, daß fogar der arme 
Barbier jegt einen falfhen tragen muß. Auch diefen jungen Menfchen 
(er wies auf den Cardenio) hatten fie bis auf die Hant ausge- 
zogen. Das Befte ift, daß es ig ber ganzen Gegend Heißt, unfre 
Räuber fegen Galeerenfllaven gewefen, die ein einziger tapfrer 
Mann troß des fie begleitenden Kommiflärs und der Wade nicht weit 
von hier losgemacht habe. Wie er das thun Konnte, begreife 
ih nichtz denn entweder muß ber Kerl ein Narr, ober ein ebenfo 
großer Schurke wie fie, oder ein Mann ohne Barmherzigkeit und 
Gewiffen gewefen ſeyn, daß er die Wölfe unter die Schafe, den 
Fuchs in den Hühnerhof und die Wespe in den Bienenftod ſchicken 
konnte. Er lehnt ſich gegen Gerechtigkeit und König auf, da er fih 
deſſen gerechten Befehlen wiberfept, beraubt bie Galeeren der Arme, 
deren fie bebürfen, fegt die heilige Hermandad, welche ſchon fo viele 
Jahre ſchlief, aufs Nene in Unruhe, kurz, er fihlägt feine Seele in 
die Schanze und feinen Leib obendrein.” 


Sancho hatte dem Pfarrer und Barbier zuvor das ganze Aben- 
teuer mit den Ruderknechten erzählt, welches fein Herr mit fo vielem 
Ruhm vollbracht Habe, unb dies fehte den Pfarrer in Stand, fo 
heftig brauf Toszuziehen, um zu fehen, wie fih Don Duirote bei 
[ Sache benäfme. Der Ritter veränderte bei jedem Wort vie 
























Bon @uizote. 








384 


Farbe, wurde bald blaß, bald roth, und wagte es keineswegs zu fagen, 
daß er der Befreier diefer guten Lente ſey. — „Seht,“ fo endigte 
der Pfarrer feine Erzäflung, „dies waren bie feinen Burfihe, bie 
uns beranbt und in dieſen Zuſtand verfegt haben. Gott vergebe es 
dem, der fie ihrer wohlverbienten Strafe entriffen hat.” 














Dreifiigites Rapitel, 


Wie wer verlichge RE Her einen Fufigm @arwint feine Raftetung nnd fünseren Bufe 
* entriflen wir. 





Dean * je Parrer das — wBen geſprochen, ſo ſchrie 
—— Seol mich der Geier, Herr Pfarrer, mein Her ifs, 
der das Wanderwert gethan hat! Hab ichs ihm nicht vorher gefagt, 
ich waſche weine Hände in Unſchuld, vorher hab ich ihn gewarut, 
er ſollie ſehen, mas er thäte, und daß «8 eine ſchwere Sünde 
ſey, folge Galgenfirite los zu machen." — „Dummtopf!“ ſprach 








Den Dulınte I 











386 Bon @uirote. 


Don Duirote, „fahrenden Rittern kommts nicht zu, Gefeffelte 
und Nothleivende, die ihnen unterwegs begegnen, erft lange auszu⸗ 
fragen, ob fie ſchuldig oder unfgulbig find? Helfen müffen fie 
ihnen, als Nothbürftigen, und nur auf ihre Leiden, nit auf ipre 
Verbrechen fehen. Ich fand eine Kette unglüdlicher Leute, angereihet 
wie ein Rofenkranz, und that ihnen, wie mein Gelühbe fordert; und 
wer ſpricht, daß ich daran Unrecht gethan habe, — den Herrn Licen- 
tiaten ausgenommen, beffen heiliges Amt und Perfon ich verehre — 
dem will ih bemweifen, daß er nichts von dem Nitterwerfe ver- 
ſteht, und daß er lügt wie ein Hurenfohn und ſchlechter Kerl; mit 
dem Schwert in ver Fauft will ichs ihm beweiſen, fo viel er will.“ 
Mit disfen Worten fegte er ſich fefter in den Steigbügeln und drückte 
ſich die Pickelhaube tiefer ind Geficht; denn das Bartbecken oder den 
fogenannten Helm Mambrins hatte er am Sattelfnopfe hängen, 
weil es ihm die Ruderknechte für jept unbrauchbar gemacht hatten. 
Dorothea, ein wigiges und muntres Mädchen, die Don Qui— 
rotes Sparren nun kannte und wohl merkte, daß Alle bie auf 
Sancho ihn zum Beſten hatten, wollte das Ihrige auch zur Luft 
beitragen und fprad, wie fie ihn fo im Zorne fah: „Ich bitte, 
Ihr wollet Euch Eures Verſprechens erinnern, kraft deſſen Ihr Euch 
in fein neues Abentener, fo dringend es auch fey, einlaflen könnt. 
Beruhigt En, denn Hätte der Herr Licentiat gewußt, daß durch 
dieſen unüberwindlihen Arm die Galeerenfflaven befreit worden 
wären, id glaube, eher hätte er ſich ins Geſicht gefhlagen und breis 
mal die Zunge abgebiffen, als etwas Euer Veſten zum Berbruffe 
geſagt.“ — „Gut! ich will fhweigen, durchlauchtige Prinzeffin,“ ver- 
fegte Don Duirote, „ih will den gerechten Zorn unterbrüden, . 
der in mir entbrannte; ich will fill und ruhig ſeyn, bis ich mein 
Verſprechen erfüllt Habe; aber zum Lohne deſſen bitt ih Euch, daß 
Ihr mir, wenn es Euch nicht befhwerli fällt, die Geſchichte Eurer 
Widerwärtigfeiten erzählt und mir fagt, wer und, wie viel deren find, 
an denen ich Euch gebührend und unbegränzt rächen fol." — 
„Herzlich gern will ichs thun,“ antwortete Dorothea, „wenn Euch 
meine Klagen und Unglücksfälle die Zeit nicht zu Tange machen.“ — 
„Dit nichten, durchlauchtige Prinzeffin!” verfegte Don Quixote. — 

















XXX. Kapitel, 387 


„So ſchenke mir denn Euer Geftrengen Eure Aufmerkfamfeit,* fagte 
Dorothea. Cardenio und der Barbier machten fih ihr zur 
Seite, weil fie höchſt neugierig waren, was die luſtige Dorothea 
für ein Märchen erzählen würde. Sancho drängte fih auch mit an, 
aber aus ganz andern Gründen, denn ihm war fo gut wie feinem 
Herrn Alles, was fie fagte, Evangelium. 


Nachdem fie ſich nun im Sattel zurecht gefegt, zierlich gehuftet 
und fonft ihren Anlauf zum Reden genommen hatte, begann fie mit 
vielem Anftande folgenvergeftalt zu erzähfen: „Erſt, meine Herren, 
muß ich eu fagen, mein Name ift —“ Hier ſtockte fie ein wenig, 
weil fie nicht mehr wußte, welchen Namen ihr der Pfarrer gegeben 
hatte. Diefer aber merkte es und Fam ihr fogleih zu Hilfe. „Es 
if fein Wunder,“ ſprach er, „daß Eure Hoheit bei Erzählung Ihrer 
Widerwärtigfeiten in Verwirrung geräth. Große Unglücksfälle rauben 
ung oftmals fo ganz und gar das Gedächtniß, daß man fi nicht 
einmal auf feinen eignen Namen befinnt. Wärs denn Wunder, 
wenn die Prinzeffin Micomicona, rechtmaͤßige Erbin des König- 
reichs Micomicon, durch eine ſolche Reihe Unglüdsfälle ihren eignen 
Namen vergeffen Hätte? Doc vermöge diefer Meinen Zurechtweiſung 
hoffe ih, wird fi Euer Hoheit Alles deſſen wieder erinnern, was 
fie uns von ihrer traurigen Geſchichte zu erzählen hat." — „Das 
ift wahr, Herr Pfarrer,“ verfeßte Dorothea, „ich danke Euch für 
Eure gütige Hilfe, und Hoffe fie nun nit mehr noͤthig zu haben; 
denn ich glaube mit meiner wahrhaftigen Gefchichte ganz gut zu Ende 
zu kommen. 


Der König, mein Bater, hieß Tinacrio der Weile, und 
war.in magiſchen Künften fehr gelehrt. Bermittelft feiner Wiffen- 
ſchaft fah er voraus, daß meine Mutter, bie Königin Zaramilla, 
noch vor ihm flerben, er ihr aber bald nachfolgen und mid als 
Baife hinterlaffen werde. Jedoch dies, fagte er, betrübe ihn nicht fo 
ſehr, als daß ein gewiſſer ungepeurer Riefe, Herr einer benachbarten | 
Infel, Namens Pandafilando mit dem böfen Auge (denn es iſt 
ansgemacht, daß er ein paar gerabe und gefunde Mugen Hat, mit 




















diefen blict er aber fo grell, als ob er fehielte, und Dies thut er 
bio aus Bosheit, damit Jebermann fih vor ihm fürdte), daß 
dieſer Rieſe, fage ih, mih, da er wußte, dafı ih Waife feg, mit einer 


großen Macht überfallen, mir mein Neih und Alles nehmen, and 
nicht einmal ein elendes Dörfgen zur Zuflucht laffen werde. Diefem 
Unglüd fönute ih zwar zusorfommen, wenn ih ihn heirathete, aber 
daß ich mich nie dazu würde entfchliegen Fönnen, fah er ebenfalls 























XXX. Kapitel, 389 


voraus; und darin hatte er fehr Recht; ben in meinem Leben ift 
mirs nicht eingefallen, diefen ober einen andern Niefen, fo groß und 
ungeſchlacht er au immer fegn möchte, zu heirathen. Mein Batr 
befahl daher, wenn er tobt fey, und ich fähe, daß Pandafilando 
mein Reich anfalle, ſollt id nicht daran denfen mich zu verteidigen, 
denn dies würde mein Untergang ſeyn; ich ſollte ihm vielmehr mein 
Reich ohne allen Wiverfiand überlaffen, um nur mein und meiner 
Untertanen Leben zw retten, weil gegen die teufliſche Macht des 
Nieſen micht auszuhalten ſey. IH ſollte mich darauf ſogleich mit 
einigen meiner treueſten Diener auf ten Weg nah Spanien machen, 
wo ich Hilfe und Schutz bei einem fahrenden Nitter finden würde, 
deffen Ruhm fih nm dieſe Zeit im ganzen Stönigreih ausbreiten 
werde, und ber, wenn ih mich recht befinne, Don Azote! ober 
Don Bigote heißen ſollte.“ — „Don Quixote, fonft auch Nitter 
von ber traurigen Geftalt genannt, wird er gefagt haben, Pringeffin!« 
ſchrie Saucho. — „Richtig,“ ſprach Dorothea, „fo wars, Er 
beſchrieb mir ihn auch weiter als einen langen Mann, hager von Ge- 
fit, und der auf ver rechten Seite unter ber Tinfen Schulter, oder 
daherum, ein graues Muttermapl mit berftenäßuficgen Haaren bewach - 
fen, Haben müſſe.“ 

Halt, mein Son Sancho!“ ſprach Don Dnirote, da er 
dies hörte; „Fomm gefhwind und hilf mi ausziehen, ih will fehen, 
ob ich der Nitter bin, von dem diefer weiſe König alfo geweiſſagt 
hat.· — „Warum wollt Ihr Euch auelleiden, edler Herr?“ fragte 
Dorothea. — „Das Mahl zu unterfugen, von dem Euer Vater 
fagte," antwortete unfer Ritter. — „Das braucht Ihr gar nicht, 
geftvenger Herr,” verfepte Saucho, „ich weiß ſchon, daf Ihr ein 
Muttermahl mitten auf dem Krenze habt, und das beweidt, daß Ihr 
ein tapfrer Dann ſeyd.“ — „Das ift genug,” fprah Dorothea; 
„unter Freunden unterfucht man die Sache fo genan nicht; mag Euer 
Mahl unter der Schulter oder auf dem Kreise fegn, genug, daß es 
ein Mahl, und da it, Und fey ed, wo es will, am Ende iſt bo 
Alles einerlei Fleiſch. Mein Bater hat Alles wohl vorher gewußt, 


* Eigentlich Don Aurcenjhmanı ater Dan Aleifhfuden. 























390 Don Auizote. 


wie ich fehe, und ich Habs wohl getroffen, daß ich mich an ben Herrn 
und Ritter Don Quixote gewendet, der gewiß der Mann if, den 
mein Vater meinte; denn alle Keunzeihen des Gefihts treffen mit 
dem großen Ruhme überein, den diefer Ritter nicht allein in Spanien, 
fondern auch in der ganzen Manda Hat; und faum hatte ih zu 
Dffuna gelandet, als ich ſchon fo viele Wunder von ihm hörte, daß 





mirs gleich mein Herz fagte, das ift der Mann, ven du ſucheſt.“ — 
„Aber wie iſts möglich, daß Eure Hoheit zu Ofſuna landen fonnte, 
wo doch Fein Hafen if?“ fragte Don Duirote. — „Die Prin- 
zeſſin,“ ſprach der Pfarrer, indem er ihr zu Hilfe kam, „wollte 
vermuthlih fagen, zu Malaga habe fie gelandet, in Dffuna aber 
zuerft von Euer Veſten fprechen hören.” — „Allerdings iſts fo,” 
fagte Dorothea, „ih verſprach mid.“ — „Das fonnte man ja 
denken,“ ſprach der Pfarrer; „belieben Ener Majeftät nur fortzu- 
fahren.” — „Ich habe weiter nichts zu ſagen,“ verfegte Dorothea, 
mals daß ich endlich fo glücklich geweſen bin, den Herrn Ritter Don 
Duirote zu finden, und daß ih mich ſchon im Geift wieder als 
Königin und Selbſtherrſcherin meines Reihe fehe, nachdem er mir fo 
äußerft gütig zu verſprechen belicht hat, mit mir zu ziehen, wohin 
ih ihn führen werde; und dies wird nirgend anderdwohin ſeyn, als 
gegen Pandafilando mit dem böfen Auge, daß er ihm töbte und 




















XXX. Kapitel. 391 


mir das wieder ſchaffe, was jener mir unrechtmaͤßiger Meife entriffen 
Bat. Miles dies wird aufs Haar geſchehen, wie Tinacrio ber 
Beife, mein licher Bater, propbejeit bat. Eben derſelbe hat mir eine 
Handſchrift Hinterlaffen, ob fie griechiſch oder haldaͤiſch ift, weiß ih 
nit, denn ich lann fie nicht Iefen; doch weiß ih, daß fie den Deo 
fehl enthält, daf, wenn gedachter Nitter, nah Enthauptung des 
Niefen, mich zur Ehe begehrte, ih ihm ohne Widerrede meine Hand 
geben und ihm zum Befiger meines Neihs und meiner Perfon 
machen folle. * 

„Nun,“ Freund Sanch o, wie fiehtd?* rief Hier Don Onirote. 
Hoͤrſt du, was vorgeht? Sagt ich dirs niht? Da haben wir ja das 
Reich nur zu nehmen, umb die Königin nur zu heirathen.“ — „So 
wahr ih lebe,“ ſprach Sancho, „und ein Hurenfohn, der nicht 
glei die Prinzeffin heirathet, wenn dem Meifter Vantoffelland 
die Kehle angebohrt if. ZA fie denn irgend fo übel, die Königin? 
Saderfot! id wollte nur, daß ich einmal fo was im Betiſtroh fände! 
Und hiemit machte er vor lauter Freuden zwei Bodksfpränge in bie 


Luft, fiel Dorotheene Maufthier in den Zügel, hielt es auf, ſtürzte 
vor ihr auf die Knie, und bat fie, ſie mört ihm doch erlauben, ihr 
ale feiner Gebieterin und Königin demüthig die Hand zu küſſen. 
Ber hätte nicht über die Narrbeit des Herrn und die Dummheit 
tes Dienere laden müflen? Dorothea reichte dem Schildtnappen 























392 Don Quirott. 


die Hand zum Kuſſe, und verfprach ihm, einen großen Herrn in ihrem 
Reiche aus ihm zu machen, fobald fie es nur wieder hätte. Sancho 
bedankte ſich taufendmal und in fo närrifchen Ausprüden, daß Ale 
aufs Nene zu lachen anftengen. 

„Ihr habt nun meine Geſchichte völlig gehört, meine Herren,” 
“fahr Dorothea fort. „Dies Einzige muß ih noch fagen, daß von 
dem ganzen Gefolge, welches ih mit aus meinem Reich mitge- 
nommen habe, Niemand mehr übrig ift, als dieſer gute großbärtige 
Stallmeifter. Alle famen in einem Sturme um, den wir noch aus⸗ 
ſtehen mußten, da wir fon in den Hafen einfaufen wollten. Wir 
Beide retteten uns allein fap dur ein Wunder auf ein paar 
Bretern; doch mein ganzes Leben ift ja faft ein Wunder, wie Ihr 
gehört habt. Hab ich es nicht fo ordentlich, genau und pünktlich er⸗ 
zählt, als Ihr wohl wünſchtet, fo fehreibt es der Urfage zu, bie 
auch ſchon der Herr Licentiat bemerkte, daß nämlich meine Unruhen 
und Leiden meinem Gebächtniffe fehr gefchadet haben.” — „Des 
meinigen folfen fie mich nicht berauben,“ vrrfegte der Ritter, „wie 
groß und ungeheuer auch die Drangfale ſeyn mögen, die ih in Eurem 
Dienft, erhabne Prinzeffin, werde beftehen müffen. Und fo beftätige 
ich von Neuem die Euch verſprochne Gabe und ſchwöre von Neuem. 
mit Euch bis an der Welt Ende zu ziehen, und nicht zu raflen, bie . 
ich Eurem Feinde fein ſtolzes Haupt abgeſchlagen, mit Hilfe Gottes 














XXX. Kapitel, 393 


und biefes, ich will nit fagen guten Schwertes, weil Gines von 
Yaffamonte mein eignes mir genommen hat.“ Das Lehtere mur ⸗ 
melte er zwiſchen den Zähnen, uud fuhr bann wieber faut fort: 
„Hab ich ihn dann überwunden, und Euch wieber in Ruhe auf Euern 
Thron geſeht, fo beliebe es Enrer Hoheit, nad Dero eignen Willlühr 
mit. Ihrer Hohen Perfon zu fhaften; denn fo fange mein Herz, Wille 
und Verſtand derjenigen unterworfen iſt — ich fage weiter nichts; 
aber am eine Heirath darf ich ſchlechterdings nit benfen, wenn es 
auch mit dem Vogel Phönir ſelbſi wäre. * 


Dies Lepte war für Sanho ein Schlag, der ihn aus aller 
Faſſung brachte. „IH fhmwöre Stein und Bein,“ brach er in vollem 
Grimme aus, „daß Euer Geftrengen feinen Funken Berfland Hat! 
Wie Ihr fönnt Euch mo befinnen, ob Ihr cine Prinzeffin nehmen 
wollt oder mit? Denkt Ihr denn, daß Ihr fo ein Glück hinter 
jedem Zanne findet? I denn irgend Eier einea 
fihöner? Ja bie wäre die rechte! Sie reicht ja, ee da 
das Waffer nigt, Nun, Glück zu! da werd ih meine Graffhaft 
bald friegen, auf bie ih fhon fo fang laure, wenn Ihr immer den 


Gaul beim Schwanje aufzäumen wollt. So eiratfet fie doch ins 
Teufels Nomen und mehmt das Neid, weils Euch in die Hände 
Gaſt, wie dem Pfaffen der Braten im die Küche, und wenn Ihr 
König ſeyd, fo macht mih zum Markgrafen oder Stattpalter, und 
darnach mag der Henker alles das Andre holen!" 


Als Don Duirote fo firäflihe Läfterungen gegen fein Fräu— 
fein Dufcinea ausftoßen hörte, lonute er fi nicht halten, fondern 
erhob die Lanze und gab, ohne auch mar zu fagen, das ift mein 
Maul, feinem ungefehliffuen Schildlnappen ein paar folge Schläge, 
daß er ihn gleich damit zu Boden ſtreckte, und ihm, hätte Dorothea 
nicht Fürbitte für ihn eingelegt, diesmal ‚gewiß den Garaus gemacht 
hätte, „Meinft du angerathener Schlingel, du Banernflegel," ſchrie 
Don Duirote, „daß ih immer die Hände in die Taſche fleden, 
daß das Sündigen immer an dir und das Vergeben an mir ſeyn 
fol? Das denke ja nicht, verdammter Schurfe, der bu biſt, weil 
dur gegen bie unvergleihlige Daleinea deine Zunge losgelaſſen 




















394 Don @uirote. 


hal. Weißt du, fpigbübifcer Pflaftertreter, nicht, daß, gäb fie 
meinem Arm nicht Stärke, ich feinen Floh todtſchlagen föunte? Gag 
an, du natterzängiger Schall, wer hat dies Reich erobert? wer 
hat diefem Riefen den Kopf abgefchlagen? wer hat dich zum Mart- 
grafen gemacht? Denn alles dies if ſchon fo gut als geſchehen. 
Iſts nicht Dulcinea felbfl, die meinen Arm nur als Werkzeng 
ihrer Thaten branht? Sie iſts, die durch mich Fämpft, durch mich 
fiegt, in der ich lebe und webe, von ber ich Wefen und Dafeyu habe. 
Da Hurenfohn und ſchlechter Kerl, wie bift bn fo undanfhar! Kaum 
aus dem Staube erhoben, banfft du ber Hand, bie dich hervorzog, 
mit Läfterang?” 

Ungeachtet die beiden Schläge unfern Sando zur Erde geſtreckt 
hatten, fo ſtands doch nicht fo fhlimm mit ihm, daß er nit Alles 
gehört Hätte, was ihm fein Herr da vorfagte. Er flanb wieber auf, 
fo geſchwind er fonnte, machte fi der Sicherheit wegen, hinter der 
Yrinzeffin Maultgier, und fhrie von ta aus feinem Herrn zu: 
„Hab ich denn irgend nicht Recht, geftrenger Herr? Sagt mir doc, 
wenn Ihr nun bie Pringeffin da nicht heirathet, was habt Ihr denn 
hernach von ihrem Reiche? und wenn Ihr felbft nichts halt, was 
tönnt Ihr mir dann geben? Das ift der Punkt, über den ich 
jammre! Ad! nehmt doch nur diefe Königin, geftrenger Herr, jeßt, 
da wir fie haben. Es ift ja nicht anders, als wenn fie für Euch 
vom Himmel gefallen wäre. Ihr könnt wohl immer wieder zu Eurer 
Dulcinea fommen; denn e6 hat ja wohl mehr Könige in der Welt 
gegeben, vie Kebsweiber hielten. Und was auf tie Schönheit an- 
kommt, davon will ich gar nichts fagen; denn wenn ich Eud bie 
Wahrheit geftehen fol, geſtrenger Herr, je nun, fo gefallen fie mir 
alle Beide; ob ich gleih das Fräulein Dulcinea nicht mit Augen 
geſehen habe.” — „Wie, Verrätper! nicht gefehen haft bu fieg“ 
ſchrie Don Quixote. „Haft du mir nit eben eine Antwort von 
ihr wiebergebracht?”" — „Ich wollte nur fagen, ich habe fie nicht 
fo Tange und fo mit Fleiß angefehen, daß ich gemerkt hätte, wie 
fhön fie if, ober daß ich Punkt vor Punkt erzählen könnte, was 
fie Schönes an ſich hat,” verfeßte Sauch o; „aber fo überhaupt 
genommen, benf ich wohl, daß fie fhön if." „Das laß ich mir gefallen 














XXX. Kapitel, 395 


und mum fey dir auch vergeben,“ fprah Don Duirote; „verzeih 
mir gleichfalls, wenn ich dir zu viel gethan habe; benm bie erfien 
Bewegungen find wie in des Dienfhen Gewalt.“ — „ga, das fehe 
ich wohl, antwortete Sauch o. „Die Luft zu reden gehört bei mir 
auch unter bie erfien Bewegungen, die ich nicht in meiner Gewalt 
Habe, und wenn ih einmal dram bin, dann muß Alles raus, wie 
mirs auf die Zunge kommt.“ — „Bei allem dem, Sande,“ ſprach 
Don Duirote, „ſieh künftig wohl zu, was du redeſt z denn ber 
Krug geht fo lange zum Waller, — mehr will ich nicht fagen. " 
— „Schon gut,” fprad Sand, „es iſt noch ein Gott im Hin 
mel, der herunter auf die Welt ficht und der auch unter uns richten 
| wird, wer am meiften Eünve thut, ih, wenn ich Unrecht rede, oder 
|. Ihr, wenn Ihr Unrecht that. = 
„Nichts mehr, Sando,“ fprah Dorothea, „geht Kin un 
füßt Eurem Herrn die Hand, bittet ihm um Verzeihuug, feyb Hin- 
fügro vorfißtiger in Eurem Lob und Tadel und ſprecht nie ſchlecht 
von dem Fräulein Tobofo, die ih zwar wicht Kenne, der ih aber 
aufjuwarten wünfhe. Verlaßt Euch übrigens auf den Himmel und 
glaubt, daß es Euch mit an einer Herrſchaft fehlen fo, worin Ihr 
wie ein Fürft leben könnt." Saucho ſchlich kopfhängend Hin zu 
„ feinem Herrn und griff ihm mad ber Hand; Don Onirote reichte 
fie ihm mit ernſter Diene, und da fie Sanyo gefüft Hatte, gab 
er ihm den Segen, und zog ihn cin wenig auf die Seite, weil er 
wichtige Dinge mit ihm zu ſprechen babe, Sie machten fi Beide 
ein wenig auf dem Wege voraus, aud da fie fo weit weg waren, 
daß man fie mit mehr hören Konnte, fprah Don Duirote: 
„Sand, ich Habe nach deiner Zurüdfunft noch nicht fo viel Zeit 
und Gelegenheit gehabt, dich über verſchiedne Punkte deiner Gefandt- 
ſchaft zu fragen, und genan zu hören, was bu ausgerichtet haſt 
Jetzt erzähle mir Alles, und berfag mir nicht Tänger die Freude, bie 
du mir vermutlich durch verſchiedene gute Neuigkeiten zu machen 
haft.” — „Nur gefragt, gefirenger Herr,“ ſprach Sanyo, „Hin 
wie her, Ihr folit ſchon gute Ausfunft finden. Aber ich bitt Euch 
ums Himmels Willen, fegd Tünftig aicht mehr fo rachgierig.” — 
„Warum fagft du das, Sanho?” fragte Don Dnirote — | 




















396 Don &uirste 


wDeshalben,* verfepte Sauch o, „weil ich wohl weiß, daß ih die 
paar Püffe vorhin mehr um des Streits willen friegte, ven der Teufel 
neulich unter uns anblied, als wegen deſſen, was ich von ter Aräufein 
Duleinen fagte, die ich wie eine heilige Reliquie in Ehren halte, 
obgleich ih von ber Art nichts an ihr verfpürt babe, bloß weil fie 
Euer Gefirengen zugehört.* — „Sprich mir nidt davon, Sande, 
fo wahr dir dein Leben Tieb iſt,“ ſprach Don O:nirote, „es macht 
mir Verdruß· Ich hab dire fhon damals vergeben; aber du weißt, 
wie es im Sprüchworte beißt: neue Sünde, nme Bußer“ 

Während fie fo miteinander fhwapten, erblidten fie auf ber 
Strafe einen Kerl auf einem Eſel, der, als er näher kam, wie ein 
Zigeuner ausfah. Aber Sauch Panfs, welcher, wo er nur einen 




















XXX. Kapitel, 397 


Eſel erbfidte, gleich mit Leib und Seele dabei war, hatte ihn kaum ger 
fehen, als er ihn für den Gines von Paffamonte erkannte. Und 
vom Kaden zurück wach dem Knauel greifend, floh er som Diebe auf den 
geſtohlnen Efel und er hatte Necht, denn es war wirklich fein Grauer, auf 
welchem Paffamonte daher Fam, der fih, am nit entdeckt zu werden, 
und den Efel fihrer zu verkaufen, in einen Zigenner verfleivet hatte, weil 
er deren Sprache nebſt vielen andern fehr fertig reden Fonnte, Ihn 
ſehen und erkennen war Eins, und kaum hatte ihn Sande gefehen 
und erfanmt, fo fihrie er aus vollem Halfe: „D bu ſpitzbübiſcher 
Ginefillo, gieb mir das Meinige wieder, Taf ab von meinem 
Leben, die Hand weg von meinem Mugapfel, her mit meinem Ejel, 
ber mit meinen Herzbfatt! Lauf, lauf du Hurenfohn, fort, du ſchlechter 
Kerl, marſch und laß fahren, was nicht dein iſt,“ Es brauchte nicht fo 
vieler Umftände und Worte; denn kaum hatte Gines Sand os Stimme 
gehört, fo fprang er Herunter, flug einen Trab an, der wie ein 
Galopp ausfah, lief davon, was er Fonnte, unb machte ſich ihnen 
hurtig aus ben Augen. Sanch eifte zu feinem Efel hin, umarmte 
ihn und rief: „D mein Gofofipag! mein Herzensgrauden! wie ift dire 











nr 
— 












398 Don @uirote. 


denn gegangen, lieber, alter Rammerad?“ Und hiemit herzte und 
drüdte er ihn, als wärs ein Menſch. Der Efel ſchwieg, und ließ ſich, 
ohne zu antworten, von Sancho küffen und flreiheln. Die Anbern 
famen hinzu und wünſchten ihm Glück, daß er feinen Graufhimmel 
wiebergefanden, fonderlih Don Duirote, ber ihm noch dazu bie 
Verficherung gab, daß dies der Schenkung ber drei Efel nichts ſchaden 
folle, wofür ihm Sand o bemüthig dankte. 

Indeß fih Don Duirote mit feinem Schilöfnappen, wie obge- 
fagt, insgeheim unterrebete, Iobte ber Pfarrer die Dorothea wegen 
ihrer Erzählung, zumal, daß fie ſich fo kurz gefaßt und ganz im 
Geſchmack der Ritterbüder ausgebrüdt habe. „Das war mir ein 
Leichtes," ſprach fie, „denn ich habe ihrer viele gelefen; aber bie Lage 
der Provinzen und Häfen weiß ich nicht fo gut; bram verfah ichs 
auch und fagte, daß ich zu Dffuna gelandet wäre." — „Ich merkt es 
glei,” verfegte ver Pfarrer, „drum Fam ich Euch zu Hilfe, wodurch 
Alles wieder ins Geleife fam. Aber ifts nicht ſeltſam, wie Leicht 
der arme Junker alle Märden und Lügen glaubt, wenn fie Farbe 
und Schuitt feiner unfinnigen Bücher haben?“ — „Allerdings,“ fagte 
Eardenio, „die Sache ift fo feltfam und unerhört, daß, glaub ic, 
der wigigfte Kopf Mühe haben würde, nur fo was zu erbidhten, was wir 
hier mit Augen fehen.” — „Dabei iſt es fehr merkwürdig,“ ſprach der 
Pfarrer, „daß ber Junker, außer den Narrheiten, bie mit feiner Grille 
zufammenhängen, über andre Dinge vernünftig fpricht, und einen klaren 
Verſtand zeigt, fo daß, wenn nur der Punkt feiner Ritterſchaft nicht be- 
rührt wird, ihm Jedermann ein gefundes Urtpeil zufprehen muß.” 

Während fie auf diefe Art ſich miteinander unterhielten, feßte 
Don Duirote fein Geſpräch mit Sancho folgendermaßen fort: 
Werfen wir unfre Heinen Zänfereien ins Meer,“ fprah Don 
Duirote, „und fag mir aufrihtig und treu, wo, wie und wann 
haft du die Dulcinea angetroffen? was machte fie? was fagtefl 
du ihr? was gab fie zur Antwort? mit was für einem Gefichte las 
fie meinen Brief? wer fihrieb dir ihn ab? mit einem Worte, Alles 
fag mir, was wiflens- und erzäßfenswerth ift, aber opne etwas hinzu 
zu thun, um mir Vergnügen zu machen, oder etwas wegzufaffen, um 
mir bie Luft micht zu verderben.“ — „Geflrenger Herr,“ verfeßte 























XXX. Sapitel, 399 


Sancho, „die Wahrheit zu fagen, fo hat mir den Brief Niemand abge- 
ſchrieben, denn ich hatte feinen mitgenommen," — „So ifis,” verfegte 
Don Duirote; „denn als du ſchon zwei Tage weg warf, fand ich 
das Taſchenbuch, worein ih ihn gefchrieben hatte, und war in großer 
Verlegenheit rüber, was du anfangen würbeft, wenn du feinen Brief 
hätteft; ich date immer, du würbeft wieberfommen und ihn holen.“ 
— „Das Hätte ih auch gewiß gethan,“ ſprach Samch o, „wenn 
ich ihn nicht noch davon, daf mir ihm Euer Geſtrengen vorlas, aus- 
wenbig gewußt hätte. Ich fagt ihn alfo einem Küfer Her, ber mir 
ihn von Wort zu Wort aufſchrieb, und drauf ſchwur, ob er gleich 
fein Lebtage fo viel Bannbriefe gefefen umd gefärieben, hätte er 
doch noch feinen fo bübſchen, wie den, gefehen. * — „Und faunfl 
tu ihn noch auswendig, Sanch o?“ fragte Don Quixote. „Nein, 
geftrenger Herr,” verfegte er; „denn ba ih ihn Hergefagt Hatte, 
und fah, daß er mir weiter nichts Half, hab ich ihn fogleich wieder 
vergeſſen. Das Einzige weiß ih nod davon: Hofenpreisfihes, will 
fagen hochpreisliches Fräufein, und ben Schluß: der Enrige bis in den 
Tod, Nitter von der traurigen Geſtalt, und zwifgen hinein bracht 


ih mehr als 300 Seelen, Täubhen und Aeuglein an.“ 





















Don Quirote. 


EEE 





Einunddreißigſtes Rapitel. 


Kurzweiliges Geſprach zwifen Ritter Don Duirote und Sanche Banfa, feinem Ebiltknapven, 
(ammt anderm Verlauf. 














refflih, mein Tieber Saucho,“ 
ſprach Don Quixote, „nur 
= weiter, bu lamſt alfo an, und was 
| "machte denn meine Schönheits- 
Königin? Sicher reipte fie Perlen 
an, ober fidte irgend ein Sinn- 
bild mit Goldfaden für ihren ge» 
fangenen Ritter?” 

Sando. Das nidt, fie fegte 
3 eben zwei Scheffel Getraide im 
Hof. 

Don Duirote, Aber verwandelten fih die Waizenkörner nicht 
ſogleich in Perlen, wie ihre ſchönen Hände fie berührten ? und war 
das, was fie fegte, nicht vom feinften Kornet 
Sando. Mit Nichten, es war nur Roggen. 























XXXI. Kapitel, 401 


Don Quixote. Mag fegn, aber id verfigere dir, wenn er 
durch ihre Hand lief, muß er das fhönfte Mehl geben. Dod weiter! 
Da du ihr meinen Brief gabft; küßte fie ihn vrüdte fie ihn an 
die Stirne? oder that fie font etwas, das eines folgen Briefes 
würdig war? 

Sando. Sie Hatte eben ein ganzes Sieb von Gelraide und 
war mächtig emfig, da ich ihr den Brief geben wollte. Legt ihn nur 


hin auf ven Sad, guter Freund! ſprach fie, ich kann ihn nicht cher 
Tefen, bis ih den Reſt da vollends gefegt habe. 

Don Quixote. D mie fein, Sano! das that fie bloß darum, 
weil fie ihn Hernach mit Muße leſen und fi daran ergögen wollte. 
Weiter, Sancho! Was ſprach fie, während ihrer Arbeit, mit dir? 
was fragte fie did von mir? was gabſt du ihre zur Autwort? 
Geſchwind, lieber Saucho, erzähl mie Alles, und vergiß au die 
geringfte Aeinigfeit nit. 

Saucho. Fragen that fie mich nichts, gefrenger Herr! aber 
id) ergäßfte ihr, wie es Euch um ihretwillen gienge, wie Ihr Buße 








Dem Dunicel. 











403 Don Onirote. 


thätet, daß Ihr nact bis auf den Hoſenbund, wie ein wilder Mann 
im Gebirge herumfiefet, auf dem bloßen Gottes Erdboden ſchliefet, 
feinen Diffen aßet, Euch ten Bart nicht fänmtet, heultet und auf 
Euer Schidſal fluchtet. 

Don Duirote. Das Haft du nicht gut gemacht, Sanchol Ich 
fluche nigt auf mein Schidfal, ih fegne es vielmehr, und werbe es 
Zeit meines Lebens feguen, baf es mich würbig gemadt hat, bie Liebe 
eines fo hohen Fräufeins, ald Dulcinea von Tobofo, zu verbienen, 

Sand. Ja, meiner Treu! gefirenger Herr, was die Höße betrifft, 
da habt Ihr Recht, deun fie ift End über eine Fauſt größer als id. 

Don Duirote, Wie, Sando? haft du dich mit ihr gemeffen? 

Santo. Mit Fleiß eben nicht, aber da ich ihr eben einen Sad 
Getraide auf einen Efel heben Half, famen wir jo nahe zufammen, daß 
iche wohl fehen konnte, daß fie eine gute Spanne größer war ale id. 


Don Duirote. Aber beffeibet und fhmädt fie ihre Größe nicht 
mit taufend Millionen Seelenreizen? Und Eins wirft du mir zugeben 











XXXT. Kapitel. 403 


müflen, Sande! empfandeft du nicht, als du näher zu ihr trateſt, 
einen Wopfgerug, einen balſamiſchen Duft, ein gewiſſes herrliches 
unnennbares Etwas, fo ungefähr, als ob bu in den Laden eines 
Spezereihänbfers gelommen wäreft? 

Saucho. Was ih fagen fann, geflrenger Here! iſte fie roch 
fo fo, ein biochen männlich, und das Fam wohl daher, weil fie bei 
ihrem Fegen unbändig geihwigt hatte. 

DonDuirote, AG, das ann wicht ſeyn, du mußt den Schna- 
pfen gefaßt, ober dich ſeitſt gerehen haben; denn ih weiß wohl, 
wie biefe Roſe unter den Dornen, biefe Lilie des Feldes umd diefer 
zerſchmolzue Ambra riechen mnf. 

Sa uch o. Nun, das it aud möglich; denn manchmal freilich pflegt 
ein Geruch von mir auszugehen, und vielleicht ward eben damals fo, und 
ich dachte, es lam von bem guädigen Fränlein Dulcinea, Aber das 
ift auch eben fein groß Wunder, denn es iſt ein Teufel wie der anbre. 

Don Duirote. Nun gut! fie Hatte alſo ihr Getraide gefegt 
und ſchidte es in die Mühle; was that fie denn aber, ba fie meinen 
Brief gelefen hatte? 

Sande. Den Brief? — fie hat ihn gar miht gelefen; denn 
fie fagte, fie fönne weder leſen nod fehreiben, Sie nahm ihn und 
zerriß ihm in Meine Stüdden, damit ihm fonft fein Menſch fefe; 
denn, fagte fie, die Beute im Dorf brauchten wicht Alles zu wiffen, 
Sie meinte auch, ed wäre ſchon genug, was id; ihr mündlich won 
Euer Gefrengen Liebe zu ihr, und von Eurer ſchreclichen Buße um 
igretwillen gefagt Hätte, und endlich fagte fie mir, fie ließ Euer 
Gefirengen wieder fhön grüßen, und füfte Euch die Hände, und 
moͤchte Cuch lieber fehen, als Eu ſchreiben. Umd fie bittet Euch 
und befichft Each, Ihr ſollt gleich mach erhaltner Antwort aus der 
Waſte aufbrechen und Eure Narrfeiten ſeyn laffen, und Euch auf 
den Weg nah Tobofo mager, wenn Euch nichts Wichtigerd dazwiſchen 
fäme; denn fie hätte ein gar ſchredliches Verlangen, Euer Geftrengen 
zu fehen, Sie wollte ſich tobt lachen, da ich ihr erzählte, daß Ihr 
der Nitter von ber traurigen Geftalt heißt. Ich fragte fie auch, ob 
nicht neulich der Biscaier zu ihr gekommen wäre? Ja, fagte fie, es 








404 Don uirote. 


war ein fhmuder Burfhe. Ich fragte aud nad ben Ruberknechten, 
aber fie fagte, daß fie bis jegt noch leinen gefehen habe, 

Don Quixote. Das geht Altes gut bisher! Aber fag mir doch⸗ 
was gab fie dir demm bei dem Abſchiede für ein Kleinod für die gute 
Nachricht, fo da ihr non mir gebracht hatteſt ? Denn es iſt unter 
fahrenden Ritters und Damen von Uralters her Brauch, daß fie ben 
Schildknappen, Kammerfränfein ober Zwergen, die ihnen von ein ⸗ 
ander gute Nachricht bringen, ans Dankbarkeit ein reiches Kleinod, 
ein Juwel, oder fonft etwas verehren, 

Sancho. Der löblihe Drau mag fonft wohl gewefen ſeyn, 
jebt aber iſts abgelommen; jept giebt tan Faun noch ein Städ Brod 
und Räfez denn mehr hat mir das Fräulein Dafeinea nicht über bie 
Hofwand Heransgereicht, als ich Abſchied von ihr nahm; und damit Ihr 
ſeht, daß ich nicht füge, kann ih Eu nod dazu fagen, es war Chafläs. 

Don Duirote. Sie muß eben gar nichts bei fih gehabt haben, 
fonft Hätte ſie dir gewiß ein gefbnes Kleinod gegeben; denn fie ift fonft 
auferorbenttich freigebig. Aber Taf nur feynz nach Oſtern ſchmeckt 
der Kuchen auch noch gut. Ich werbe fie fehen, und es wirb ſich 
ſchon geben. Weißt du aber, was mih am meiflen wundert, Sandho? 

Ich glaube, du mußt durch die Luft hin⸗ und hergeflogen feyn; denn 








XXXL Sapitel, 405 


«6 find doch wohl immer dreifig Meilen von bier bit Toboſo, nnd 
du Haft in drei Eagen den Hin» und Herweg gemacht. Darm ner 
muthe ih, daß der weife Zauberer, mein Freund und Beſchüter — 
denn ich babe einen unb mufi einen haben, fonft wär ich ja fein 
achter fahrender Ritter — daß, fege ib, der weife Zanberer bir fo 
ſchnell, ohne daß du es ſelbſt gemerkt, fertgehoffen haben muf. Denn 
das iſt nichta Unerhoͤrtes, daß fo ein Zauberer einen fahrenden 
Nitter ſchlafend zufammt tem Bette davon geführt; fo daß er, ohne 
zu wiffen, wie? wohl taufend Meilen weit von tem Plage, wo er fih 
fülafen gelegt, wieder erwachte. Wäre aud bies nit, wie fönnten 
ſich fahrende Mitter einander in ihren Gefahren zu Hilfe fommen, 
wie doch immer gefhiest? So Tämpft zum Erempel einer in ben 
armenifihen Gebirgen mit einem Lindwurm ober andern ſchreckichen 











406 Don Quirote. 


Ungehtuern, oder auch wohl mit einem Ritter, wobei es fo hidig 
ergeht, daß fein Leben in augenfeinfiher Gefahr iſt. Siehe, ba 
kommt, che fie ein Meuſch verfieht, auf einer Wolfe oder auf 
einem Feuerwagen darch die Luft ein andrer Nitter, fein Freuud, 
der Kurz zuver noch in England war, ihm zu Hilfe, befreit ihn som 
Tore, und fept ſich Abends guter Dinge in feinem eignen Haufe 
zu Tiſch, obgleich er einen Weg von zwei bis breitanfenn Meilen 
gemacht hat. Dies alles gefhieht durch Kunft und Wiſſenſchaft jener 
weiſen Zauberer, bie für tapfre Nitter Sorge tragen, und fomit 
wundre ich mich keineswegs, daß du beine Meife fo ſchnell geendet 
haft; denn unftreitig hat dic ein Zauberer, mein Freund, darch bie 
Luft geführt, ohue daß du es gemußt haft. 


Saucho. So muß es feyn, denn Rozinante lief wie ein 
Zigeunerefel, und als wenn er Duedfilber in den Ofren hätte. 


Don Duirote. Ja wohl Duedfilber und nod dazu eine Legion 
Teufel; denn das iſt ein Voll das Beine hat und Andern Beine macht, 











XXXL Kapitel, 407 


nah DBelichen, ohne müde zu mwerbem Uber dies beifeite. Was 
meinft du, Saucho, daß ih num auf den Befehl meines Fränleins, 
zu ihr zu Fommen, thun fol? So fehr ich verbunden bin, ihr ge» 
borfam zu ſeyn, fo unmöglich if mirs wegen des Verſprechens, das 
ich diefer Pringeffin gegeben habe; und ſelbſt die Mittergefege zwingen 
mi, eher mein Wort zu halten, als an mein Berguügen zu benfen, 
Bas fol ih num tHun? Auf einer Seite liegt mir die Sehnſucht, 
meine Geliebte zu fehen, am Herzen; auf ber andern ruft mid mein 
Wort, und fodt mid die Ehre, die mir bei diefem Unternehmen 
gewiß iſt 

Aber ich will mir fon Helfen. IH will geſchwind Hinreifen zu 
diefem Niefen, ihm gleich nad der Anfanft ben Kopf abbauen, bie 
Prinzeffin auf den Thron fegen, und ſchleunig zurüdfehren, um bas 
Licht meiner Sinne zu fehen. Macht fie mir dann Vorwürfe, daß 
ich nicht gleich gefommen feg, fo habe ih bie beſte Entfhulbigung 
von der Welt, weil fie fieht, daß alles dies zur Ausbreitung und 
Berherrlihung ihres Ruhms und Mamens gefehen; denn Alles, 


was id durch die Waffen in meinem Leben gethau habe, thue und 
noch thum werde, Hab ich les ihrer Gunſt und der Ehre zu danfen, 
daß ich der Ihrige bin. 


Saucho. Achl wie könnt Ihr Euch fo viel lämmern um taube 
Näüfe, Sagt mir doch, gefirenger Herr, wollt Ihr denn den weiten 
Weg fo gar umfonft und um nichts tu, und eine ſolche Kernheirath 
nebenausfaffen, wo es ein ganzed Königreich zur Mitgift giebt? ein 
Königreich, das, wie ich gehört habe, bei zwangigtaufend Meifen in 
der Runde und Lebensmittel in fhwerer Menge hat, und größer 
als Portugal und Caſtilien zufammen iM? Und das wollt Ihr fo 
faßren Iaffen? Schweigt um Gotteswillen ſtille und ſchärit Euch, 
dag For nur fo was fagen Fonutet! Folgt meinem Nathe, nehmt mirs 
nicht übel und. Heirathet die Prinzeffin im erſten Dorfe, wo ein 
Pfarrer if; ober nom beffer, da haben wir ja unfern Herrn Licen- 
tiaten, der End auf der Stelle traren kann, wie ein Daäußchen. 
39 din alt genug, einen guten Rath zu geben, und der, den ich Euch 
gebe, kommt von der rechten Schmidte. 























408 Don Buizote. 


Ein Sperling in der Hand ift beffer als ein Adler auf dem 
Dade, und wer im Sommer nicht Holz einträgt, muß auch nicht 
Hagen, wenn er im Winter friert, 





Don Duirote, Ich merke wohl, was dich fo eifrig macht, 
Sando. Es if dir bloß darum zu thun, daß ich bald König werde, 
und bir bie verfprochne Belohnung geben Fann? Aber du mußt wiffen, 
daß ich dies, auch ohne die Prinzeffin zu heiraten, thun kann; dem 
eh ich noch einen Schlag thue, werde ich mir voraus bedingen, daß, 
wenn ich ben Sieg gewinne, man mir ohne Heirath einen Theil des 
Reichs abtrete, den ich geben fönne, wen ich wolle; und hab ich 
Ihn, wer wird ihn fonjt befommen als du? 

Sando. Das ift Mar. Aber geftrenger Herr, feht wohl zu, 
daß Ihr ein Stüd nehmt, das an der See liegt, damit, wenn mirs 
nicht in dem Sande gefällt, ih meine Mohren in ein Schiff paden 

















XXXL Sapitel. 409 


und damit machen Fann, was ich ſchon gefagt Habe. Lats alſo mit 
der Reife zum Fräufein Dalcinea jept nur gut ſeyn, und geht hin 
und gebt dem Rieſen den Gnadenftoß; denn das ift eine Sache, die, 
wenn wir fie nur fein bald abthun, uns viel Ehre und Nugen 
bringen wird. 

Don Duirote. Berlaß dich dranf, Freund Saucho, ih folge 
deinem Nat$e, und reife erft mit der Prinzeffin, che ich zum Fräulein 
Dufcinea gehe. Aber merke wohl, Sanyo! fag gegen Niemand ein 
Wort von Allem, was wir hier gefprodgen und ausgemacht haben! 
ſelbſt gegen Niemand von unfrer Gefelifgaft! denn Dufeinca ift 
zurüdhaftend, daß fie Niemand von ihren Angelegenheiten wiffen 
Taffen will, und es wäre ſchlecht von mir, wenn ich diefe entweder 
ſelbſt oder durch einen Andern ausſchwatzen wollte, 


Saundo. Wenn aber das if, geſtrenger Herr, warum ſchidt 
Ihr denn Ale, die Ihr überwindet, hin, daß fie fih dem Kränfein 
Du leinea ſtellen follen? da iſts ja wie verbrieft und verfiegelt, daß 
Ihr fie liebt und fie Eng. Bedenlt wur, bie Leute follen hingehen, 


ſollen ihr zu Fußen fallen, und fprehen, Euer Geftrengen ſchicke fie 
Hin, und doch fol Euer Gcheimnif verſchwiegen bleiben! 

DonDnirote, D, was für ein dummer Wicht bu biſt, Sando! 
Siehſt du denm nicht ein, bafı dies Alles zu ihrer Ehre und Verhett - 
lichung gereicht? und weißt da nicht, daß ed nad Witterbraud einer 
Dame große Ehre bringt, wenn viel fahrende Ritter ihr dienen, die 
fonft feinen Wunſch haben, als ihr wm ihrer ſelbſt willen zu dienen, 
und feine andre Gebühr für ihre vielen und guten Dienfte verlangen, 
als die Erlaubniß, ihr Ritter zu ſeyn, und ihr zu hofieren? 

Sande. Das ift ja, wie ih babe prebigen hören, unfern 
Herrn Gott follte man um fein ſelbſt willen fieb haben, ohne an Himmel 
und Höfe zu denfen, ob ih ihm gleich um deſſen willen, was er 
vermag, licben und ihm dienen möchte, 

Don Dnirste. Was Teufel, Saucho, wie fommt dir das? 
Du biſt ein bloßer Bauer, und fagft mauchmal fo gelehrte Sachen, 
daß man glauben follte, bu hätten ſtudiert. 

















410 Don &uizste 


Sande. Und tod fann ih nicht einmal leſen. 
Judem rief ihnen Meiſter Niklas zu, fie follten warten, weil 
die Gefenfhaft an einer Quelle ausruhen und trinfen wolle. Don 





Duirote hielt au, zu Sanchos großer Zufriedenheit, weil er fich ſchon 
ganz müde gelogen hatte, und befürchtete, fein Here möchte ihn in 
einem Worte fangen; denn, daß Dulcinea ein Bauermädchen von 
Tobofo war, wußte er zwar, aber gefehen hatte er fie in feinem 
Leben nicht. Cardenio hatte indeſſen Dorotheas Mannstleider 
angezogen, bie, ob fie gleich nicht die beften waren, doch immer ihm 
beffer anſtauden als fein erfler Anzug im Gebirge. Sie ließen 
fih bei der Duelle nieder, und ftillten mit dem Heinen Vorrathe, 
den der Pfarrer aus der Schenke mitgenommen hatte, ihren großen 
Hunger. 

Während des Effens fam ein flämmiger Junge die Straße her, 
bfieb fliehen, und befah die Gefellfchaft, welche um die Duelle her 
lag; dann Tief er anf Don Duirote zu, umfaßte ihm die Knie, 























XXNI Kapitel. 41 


und fprach beufend: „Mh, Fieber Herr! lieber geftrenger Herr! 
fennt Ihr mich denn nie mehr? Geht mich doch mur an, ich 
bin ja Andres; der Andres dem Ihr vom ber Eiche los machtet, 
wo ich angebunden war. * 

Don Duirote erfannte im, mahm ihn bei der Hand, und 
febrte ſich zu den Umſtehenden. „Geht, meine Freunde,“ ſprach 
er; „wie unentbehrlich fahrende Mitter in der Melt find, dem 
Unrecht zu ſteuern, welches böfe Menſchen anfliften. Ih reiste 
vor einiger Zeit durch einen Wald, und hörte Schreien und ein 
tlägliches Winfeln. Bon Pfliht und Amtawegen eifte ih dem 
Orte zu, wo mir die Stimme herzulommen ſchien, und fand biefen 
jungen Menfgen an einer Eiche angebunden. Ich frene mi von 
ganzer Seele, daß er hier gegenwärtig if, und mir bezeugen 
ann, daß ich nicht füge. Er war, fage ih, an eine Eiche gebunden, 
nadt did an den Gürtel, und ein Bauer, der, wie ih bermach erfuhr, 
fein Here war, peitſchte ihn mit einem Pferbezaume, Ich fragte ihn 
um die Urſache einer fo harten Züdtigung, und ber Flegel antwortete 
mir, 66 wäre fein Kuecht, umb er peitſche ihm wegen einiger Nach⸗ 
Tägigfeit, die er mehr ans Bocheit ald aus Dummheit begangen habe. 
Nein, ſprach der arme Buße, er prügelt mich, weil ich meinen Lohn 
baben will. Der Baner brachte noch, ih weiß nigt was für Ent» 
fGultigungen vor, die ih zwar auhörte, aber nicht gelten ließ. Kurz, 
er mußte den Buben Tosbinden, und mir ſchwören, ihn mit ſich nah 
Haufe zu nehmen, und im Real vor Neal in vollwichtiger Münze 
zu zahfen. IR das nicht Alles wahr, mein Sohn Andres? Haft 
du micht geſehen, wie ſtreng ich es ihm gebot, und wie bemüthig mir 
der Bauer angefobte, meinem Befehl in allen Städen nachzufommen? 
Sen nit blode, antworte, erzäßfe biefen Herren Alles, wie's gegangen 
iſt, damit fie fehen, was für nützliche und nothwendige Leute fahrende 
Nitter auf den Straßen find,“ 

„Was Ihr erzäßft Habt, gefirenger Herr, ift Alles wohl wahr,“ 
antwortete der Junge; „aber bie Sache Tief ganz andere ab, als 
Euer Geftrengen fi einbifdet. = 

Wie anders?" fuhr Don Duirote auf; „hat di der 
Bauer nicht bezahlt?” 














4123 Don @uirote, 


„Ja doch, bezahlt?” verfegte Andres. „Niht nur das hat 
er nicht gethan, fondern als Euer Geftrengen zum Holze hinaus 
war, hat er mid wieder gefriegt, an die nämliche Eiche gebun- 
den und mich fo jämmerlich gepeitſcht, daß ich ausſah wie ein ge» 
ſchunduer Sault Barthelmees; und bei jedem Hiebe, den er 
mir gab, machte er noch Spaß, und höhnte Euer Geſtrengen fo 
aus, daß ich felbf Hätte lachen müffen, wenns mir nicht fo weh 
gethan hätte. Meiner Seel, er hat mich fo jämmerlich zugebedt, 
daß ich feit der Zeit nicht ans dem Spitale gefommen bin. Und am 
allem dem if Niemand ſchuld als Ihr, gefirenger Herr; denn wäret 
Ihr Eures Wegs fortgezogen, und nicht Hingegangen, wohin Euch Nie- 
mand rief, nnd hättet Ihr Euch nicht in andrer Leute Sachen gemengt, 
fo wär ih mit einem paar Dugend Schlägen durchgekommen, nud 
mein Herr hätte mich bezahlt; da Ihr ihm aber fo fhimpftet, und 
loſe Reden gabt, wurde er rappelköpfifh, und ba ers nicht an Euch 
anslaffen konnte, brach das Wetter über mich los; und, meiner 
Treu, er hat mirs fo arg gemacht, daß ich glaube, ih werde in 
meinem Leben nicht wieder zu rechte.” 


„Der einzige Fehler,“ fprad Don Quixote, „war, daß ich 
zu bald fortgieng; ich hätte ſchlechterdings bleiben follen, bis er 
dich bezahlt hatte; denn das mußte ich freilich aus Tanger Erfahrung 
wiffen, daß ein Bauer nit Wort Hält, wenn er nicht fieht, daß 
es ihm Nugen bringt, wenn ers Hält. Aber erinnre dich, An- 
dres, daß ich geſchworen habe, ihn, falls er di nicht bezahlte, 
wieder aufzufuhen, und follte er auh im Baude eines Wall- 


fiſches ſtecken.“ 
„Das iſt wohl wahr," ſprach Andres, „aber was hilfts? 


„Gleich ſollſt du fehen, was es Hilft,“ ſchrie Don Dnirote, 
fprang auf, und befahl dem Sancho, feinen Rozinante aufzu- 
aäumen, welcher weidete, indeß bie Andern aßen. 


„Wo wollt Ihr denn hin, Herr Ritter?“ fragte Dorothea. 


"Sort," fprah Don Duirote, „den Schurken von Bauer zu 
ſuchen, ihn nach Gebühr zu flrafen, und ihn zu zwingen, daß er ven 

















XXX Kapitel 43 


Andres bis auf den lehten Moravedi bezahlt, zu Trop allen Bauern 
in der Welt. # 

„Aber Herr Ritter,” verfepte Dorothea, „Ahr Habt mir ja 
verſprochen, Euch fihleihterdings in fein Unternefmen einzufaffen, bis 
Ihr mir die verſprochne Gabe gewährt habet. Beruhigt End alfo, 
und verfehieht diefe Rache, Bid Ihr aus meinem Neihe wieberfommt. 

„Ihr Habt Recht, durchlauchtige Prinzeffin,“ fagte der Ritter, 
„lieber Andres, du muft bis zu meiner MWiederfunft warten, mie 
die Prinzeſſin fagt, und ih ſchwöre bir aufs Nene, dap ih nicht 
eher ruhen will, bis du geräct und ganz bezahlt biſt.“ 

„Ich gebe nicht viel nm Eure Schwüre,“ fprah Andres; 
„wer weiß, warn Ihr wiederfommt? Jeht möcht ih für die ſchönſte 
Race in ber Welt Fieber einen Zehrpfenning nach Sevilla Haben. Gebt 
mir was zu effen, wenn Ihr mas fabt, und auch was mit auf den 
Weg. Got ſey mit Euch und allen fahrenden Rittern, die fo gut 
für ſich fahren mögen, als ich mit ipnen gefahren bin." — Saucho 
| mahın aus feinem Schnappfad ein Stüd Brod und Kaſe, gabe dem 
Jungen und fprad: „ba, Bruder Andres, es iſt billig, daß ein 
Jever am deinen Unglüd Theil nehme," — „Was koſtet dich denn 
ber Teil, den bu baran nimmf?" fragte Andres. — „Das 
Stüg Brob und Käfe, das ih bir gebe,“ verfegte Sandoz; „and 
Gott weiß, ob iche entberen fann oder nicht; denn, bu guter Junge, 
du mußt wiffen, daß die Schildlnappen der fahrenden Ritter oft nichts 
zu beißen noch zu breihen Haben, und Tauſenderlei fonft noch ans- 
fiehen müffen, was ſich beffer fühlen als fagen läßt.“ Andres 
nahm fein Brod und den Räfe, mb da er fah, daf ihm fonft Niemand 
was gab, bängte er den Kopf und nahm den Weg unter die Füße, 
mie man zm fagen pflegt; «he er aber gieng, ſprach er noch zu 
Don Quirote: „ih bitte Eu um Gotteswillen, Herr fahrender 
Nitter, wenn Ihr mich irgend wieder antrefft, fo helft mir nicht, 
und ob fie mich gleih in Stüde riffen, fondern Taft mich nur in 
meinem Ungläde; ben es fann doch nicht fo arg feyn, als das, was 
Ihr draus macht, wenn Ihr mir heifen wollt, Gott verbamme End 
und alle fahrenden Ritter in der Welt!" 











4 Don Buirotr. 


Don Duirste wollte auffiehen und ihn züstigen, ber Junge 
aber lief fo hartig, daß Niemand ihn Hätte einholen Fönnen, Der 
Nitten aber war fehr deſchamt über das, mas Andres erzählt hatte, 
und die Audern mußten das Laden verbeifen, nm ihn nicht ganz 
außer doſſung zu bringen. e 











416 Don Euirste. 


das letztemal. „Wenn Ihr befier bezahlt als das Ieptemal, ge- 
ſtrenger Herr,“ fagte die Wirthin, „fo ſollt Ihr eins haben, wie 
ein Prinz, * 

Don Dnirote verfiherte, „das fol geſchehen.“ Und zum 
ſchlag man ihm zwar ein befleres Bett, aber in eben derſelben 
Kammer auf, worin er das vorigemal geſchlafen hatte. Er legte ſich, 
an Leib and Seele müte und fraftlos nieder. 


Kaum war er abgefertigt, fo nahm tie Wirthin den Barbier 
beim Barte und ſchrie: „Meiner Treu! Ihr fol mir auch nicht 
länger mit meinem Schwanze ald Bart rumlanfen. Her damit! 
Meines Mannes feiner fährt auf dem Boten herum, daß es eine 
Schande if, fein Kamm nämlih, den ih in den Schwanz zu ſtecken 
pflegte. = 


Der Barbier wollte ihr venfelben nicht geben, fo fehr fie 
ihm auch zerrte, bis ihm endlich ter Pfarrer fagte, weil er feine 


Rolle nicht mehr nöthig habe, Fönne er ihn nur abgeben, und im 
feiner wahren Geftalt erſcheinen, denn er kraude nur Don Ouiroten 
zu fagen, nachdem ihn die Räuber ausgeplüntert, fey er in tiefe Schenfe 
geflogen, und wenn er nah dem Etallmeifter der Prinzeflin frage, 
wolle man ihm weis machen, die Prinzeffin Habe ihn indeffen in ihr 
Reich vorausgeſchickt, um zu melden, daß fie komme, und den Be- 
freier Aller mit fi bringe. Hierauf gab Meifter Niflas ver Wirthin 
den Schwanz und zugleih auch die übrigen Saden, vie fie zu ihrer 
Mummerei von ihr geborgt hatten. 

Jedermann in der Schenke bewunderte Dorotheens Schönpeit 
und den feinen Schafknecht Cardenio. Der Pfarrer beftellte ein 
Effen, fo gut es in ver Schenle zu Haben war, und ber Wirth, 
der diesmal beffer bezahlt zu werben hoffte, that aud fein Mög- 
Tiches, ihnen gut aufjutifhen. Alles dies verſchlief Don Dnirote, 
und fie fanden es auch nicht für gut, ihn aufzuwecken, weil ihm ber 
Schlaf nöthiger war, als Effen. 

Sie ſprachen über Tifge von Don Duirotens feltfamer 
Rarrpeit, und von dem Zuſtande, in welchem fie ihn gefünden Hätten. 











XXX. Kapitel, 47 
Der Birth, die Wirthin, ihre Torhter und Maritornes ware zu- 


gegen und hörten zu. Die Wirthin ihrerſeits erzählte ihnen fein 
Abenteuer mit dem Efelötreiber, und da fie fih nah Sauch o umge 
fehen und bemerkt Hatte, daß er mit zugegen war, beſchrieb fie 
feine Prelle, was Allen Stoff genug zum Lachen gab. „Daran 
iſt nichts anders Schuld," rief der Pfarrer, „als bie verwünfchten 
Nitterbücher, die der arme Zunfer Tas; die haben ihm dem Kopf 
verrüdt, * 


Schweigt doch filfe, hochwürdiger Herr! wie kann denn das fegn? « 
ſprach der Wirth. „Meiner Teen! ih bächte, es wären feine beffern 
Bücher in der Welt, fo hübſch Tefen fie fi. Ich Habe ihrer aud 
zwei ober drei da, mit noch andern Papieren, die mir und vielen 
Andern ein rechtes Labfal gewefen find; benm in ber Ernte verfammeln 
fi immer eine Menge Schnitter bei mir, während ber Mittageruhe ; 
meiftens ift Einer drunter, ber leſen laun, der nimmt bemm eins von 
ten Büdern, und da fegen wir und, bei mehr als breißig um ihm 
ber, und Horden ihm mit fo viel Woßfgefallen zu, daß wir Effen 
und Trinfen drüber vergeffen. Mir wenigflens, wenn ih vom den 
erſchredlichen Hieben höre, welge bie fahrenden Ritter ausiheifen, 
und von deu großen Thaten, die fie thun, juckt es immer, auch fo 
was zu thun, unb meiner Seele ich wollt Euch Tag und Nacht fo 
aufören, 








„Ich wär es and zufrieden,” fpra die Wirthin; „denn id 
Habe nicht cher Ruh im Haufe, als bis du ſiheſt and leſen hörſt; 
demm wenn bis fo drauf erpicht biſt, denfft du wenigftens nit ans 
Reifen und Schimpfen, * 


„Das if wahr," ſprach Maritornes; „es Hört fih auch 
gar zu fein an, und es fliehen gar häbſche Sachen in-den Bädern, 
zumal wenns drinnen fömmt, wie die oder jene Dame in den Armen 
ihres Ritters unter einem Pomerangenbaume liegt, und nicht weit 
davon ihre Kammerftau Wade Halten muß, die derweile wor Neid 
und LAergerniß berſten möchte, Ach das find Tanter Honigfüße Garen!” 
nl a nl 








Din Oulsır k 




















418 Don @uirote 





„Und was vünft Euch davon, liebes Jüngferchen d fragte der Pfarrer die 
Wirthstochter. — „Ich weiß es felbft nicht, hochwürdiger Herr,“ ver- 
feste fie. „Ich höre aud fo mit zu, und wenn ichs auch nicht verſtehe, 
gefällt mird doch. Doc habe ich meine Freude nicht eben an ben wilben 
Streichen, die mein Bater fo lobt, fonbern vielmehr an den Wehflagen 
der Ritter, wenn fie nicht bei ihren Damen find. Meiner Treu! manchmal 
preffen fie mir die Thränen aus, fo fehr dauern mich bie armen Lieb- 
haber.“ — „Würbet ihr wohl fo hart gegen fie ſeyn, meine Tochter, 
wenn fie um Euch meinten?” fragte Dorothea — „Was ih 
thun würde, weiß ih nit,“ antwortete das Mädchen. „Aber es 
iſt wahr, es giebt doch fo graufame Damen drunter, daß ihre Ritter 
fie gar Löwen und Tiger heißen, und ihnen noch andre garſtige 














XXX. Kapitel, 419 


Namen geben. Mein Gott! Ich möchte nur wiffen, wie's folge un- 
barmherzige und gewiffenfofe Leute geben Könne, die einem ehrlichen 
Mann lieber flerben, ober gar närrifh werden laſſen, ehe fie ihu 
nur einemof freuntfid anguden. Was fol ven all ihre Biererei? 
Benn fie fo ehrbar thum, ei, fo mögen fie ihre Ritter heirathen, die 
opnevies nichts Andres wollen.“ — „Chmeig Mäbgen!“ fpra ihre 
Mutter; „man follte Wunder denfen, wie viel bu von den Sachen 
wüßte. Es fteht gar nit fein für eine Jungfer, wenn fie fo niet 
davon weiß und gar herausfhmagt.r — „Der fohmwirbige Herr 
da fragte mich ja, und ich mußte ihm doch antworten, Mutter! * 
verſehte fie. 

Wohlan, Herr Wirth, * fprad der Pfarrer, „bringt ung einmal 
Eure Bücher; ih möchte fie doch auch ſehen.“ — „Gleich, gleich, 
hochwürbiger Herr!“ amtwertete der Wirth, Tief in feine Kammer, 
holte ein altes, mit einem Ketten verſchloßnes Felleiſen und 308 





drei große Bücher, nebft einigen Haudſchriſteu, ſehr deutlich gefchrie- 
ben, heraus. Das erfie Bach, fo zum Borfheine lam, war Don 
Ciromgilio von Thracien, das andre Don Belir Marte 

















420 Don Erissır. 


vor Hyrcania umt das dritie bie Gefhihte des großen Rapitäns 
Gssjole Hermantez von Eorbooa nebfl dem Leben bes Diege 





Garcia von Paredes. Nachdem der Pfarrer die Titel von den erfien 
gelefen Hatte, Mehrte er fih zum Barbier und fprah: „Hier. fehlt 
ung Niemand als bie Haushäfterin und Nichte unfers guten Freundes.” 
— „Daran folls und nit fehlen,” ſprach Meifter Niklas; „ih 

















XXXIL Kapitel. am 


will fie wohl felber in den Hof oder im has Kamin tragen, es iſt 
eben ein feines Fener drinnen." — „Himmel, Element, Here! wollt 
Zur meine Bücher verbrennen?” ſchrie der Wirth. — „Nur bie 
beiden, ben Dom Eirongilio und Felix Marte," verſehte ver 
Pfarrer. — „Sinds denn irgend Keher ober Pflegmatifer, had 
würbiger Herr, daß Ihr fie verbrennen welt?” fragte der Wirth, — 
„Scäismatiter, müßt ihr fagen, und mit Phlegmatifer, guter 
Freund," ſprach der Barbie. — „Nu, fo mein ichs auch,“ ver- 
fegte der Wirth; „aber wenn Ihr ja eins verbrennen wollt, fo nehmt 
da ben großen Kapitän und ben Diego Garcia; denn, meiner Treu! 
eher wollt ih meinen leiblichen Sohn verbrennen Taffen, als eins von 
jenen beiden.” — „Guter Freund,“ ſprach der Pfarrer, „jene 
beiden, auf die ir fo verfeffen fegb, find nichts als ein Haufen Lügen, 
Norrenpoffen und albernes Zeug; das dritte aber ift bie wahre Ge» 
ſchichte des befannten Gonzalo Hernanbez von Cordova, ber 
wegen feiner vielen und großen Thaten den Zunamen „ber grofie 
Kapitän" bekam, ein Ehrentitel, der feinen wahren Berbienften von 
Rechtowegen gebührt. Der andre, Diego Garcia vom Paredes, 
war ein vornehmer Ritter ans ber Stadt Truxillo in Eſtremadara, 
ein braver Soldat, und vo: en daß er mit einem 
einzigen Finger ein Mühlrad in — aufhalten lounte, auch 
einmal, bloß mit bem we in ber Hand, den Eingang einer 
Brüde gegen ein zahlreiches Heer ae M Außerdem Hat er 
nech viele andre berahmte Taten gethan; hätte er fie nicht ſelbſt mit 


Geſchichtſhreiber 
er gar leicht einen Hector, Achilles und Roland verdunkeln.“ — 
„Geht mir doch weg! das iſt wohl ein rechtes Wunder, ein Mühl. 
rad aufzuhaltenl“ verfegte der Wirth. „Da leſet nme einmal ben 
Felix Marte von Hyrcanien, Herr Pfarrer, da findet Ihr ganz 
andre Gadjen. fünf grofe ungeenre Niefen hat er auf einen eit- 
zigen Hieb von einander gehanen, ald wären es Hanfflängel oder 
Männerden ans Teig gewefen, wie fie die Kinder zu machen pflegen, 
Ein anbermal bat er eine ſchrecllich große Armee, von mehr als 
einer Million und fehsmalhunderttanfend Soldaten, alle von oben 

































434 Don Euirote 


alle Mühe geben, bir Ehre und Leben zu rauben, und zugleich mich 
ſelbſt um beides zu bringen. Denn wenn ich beine Ehre morben 
ſoll, fo iſt es klar, daß ich dich zugleich mit ums Leben bringe, weil 
ein entehrter Menſch unglücklicher if als ein tobter; und wenn ich, 
wie du verlangft, derjenige feyn fol, welcher dir fo großes Uebel 
zufügt, morde ich da nicht auch meine eigne Ehre und folglich auch 
mein Leben? Höre mih an, Anfelmo, und unterbrich mich nicht, 
bis ich dir Alles gefagt Habe, was ich gegen bein Begehren einwenden 
muß, hernach wird noch Zeit genug übrig bleiben, daß du mir ant- 
worteſt, und ich dich anhöre. “ 

Anfelmo war damit zufrieden und Lothario fuhr fort: „Mic 
daͤucht, dir geht es ebenfo wie den Mauren, welche man weber durch 
Stellen aus der heiligen Schrift, noch durch Grünte, bie aus ber 
Bernunft und Glaubenslehre gefhöpft find, von ihren Irrthümeru 
Überzeugen fann, fondern denen man ſchlagend einleuchtende, Hand» 
greifliche Beifpiele und taraus abgeleitete mathematifh richtige Folge» 
rungen, wie etwa ben Gap „Gleiches von Gleichem giebt Gleihes“ 
vorhalten, und wenn fie Worte nicht verftehen, mit der derbſten Wirt | 
lichkeit zufegen muß, und tie am Ende dennoch von ven Wahrheiten 
unfrer Heiligen Religion unüberzeugt bleiben. Daſſelbe Berfahren 
werde ich auch bei dir beobachten müſſen; denn ber Wunſch, den bu 
äußerft, freitet fo fehr gegen alles, was einen Chatten von gefunder 
Vernunft Hat, daß ich befürdten muß, meine Zeit zu verlieren, fo 
gern ich dich von beiner Verirrung (um mic feines härtern Aus— 
druds zu bebienen) überführen möchte; und faft verdiente du, daß 
ich did zur Strafe deiner Vethörung überliche; tod, meine Freund» 
ſchaft erlaubt mir nicht, fo hart mit dir zu verfahren und dich zw | 
verlaffen, da du offenbar einem Abgrunte zutaumelfl. Denn, fage | 
mir, Anfelmo, forberft du nicht, ich ſolle die Gittfamfeit zur Aus | 
ſchweifung verleiten, tie Keuſchheit verführen, die Treue beſtechen, 
die Klugheit überliften? tenn du weißt ja, daß tu ein filtfameg, 
keuſches, treues, kluges Weib beſitzeſt. Wozu alfo die Proben? 
Wenn du glaubft, Camilla werte alle meine Angriffe abfhlagen, 
woran ich ſelbſt nicht zweifle, welchen beffern Namen kaunſt du ihr 
hernach beifegen, den fie nicht jetzt ſchon verdiente, oder was kaun 






























































= 


XXX Sapitel, 423 


zweiten Don Quixote.“ — „Allerdings, verfegte Earbenio; 
denn wie es fheint, Häft er alle Lügen diefer Bücher für fo wahr 
und für fo auegemachte Dinge, daß alle Brüder Barfüßer in der 
Belt ihn nicht vom Gegentheile überreden Fönuten.“ — „Denkt ihr 
denn, guter Freund,” fprach der Pfarrer weiter zum Wirthe, „daß 
es je einen Felix Marte von Hyrcanien, einen Don Eiron- 
gilio von Thracien, ober andre dergleichen Ritter, von benen 
Eure Bücher erzäͤhlen, in der Welt gegeben habe? Nichts weniger; 
Märgen, und Erdichtungen müßiger Köpfe finde, welche bloß dazu 
gefhrieben find, mm: Leuten, bie nichts Beſſeres zu thun Gaben, 
wie Eure Schnitter, die lauge Weile zu vertreiben. Glaubt c6 
mir aufs Wort, daß won allen diefen Rittern und ihren Thaten, 
Abentenern und Narrheiten Fein Wort wahr if,“ — „Einem andern 
Hunde biefen Knochen!“ verfegte ber Wird; „ih weiß auch noch, 
daß zweimal zwei vier macht, und was ash = >> rag 
wrun Ihr Einem was weis machen wollt, fo ſucht Eu nur einen 
dämmen. Wie, ihr wollt mir aufbinden, baf Alles was in ben 
Dügeru ſieht, Lügen und Rarrenpoffen ſey? Cie find ja mit Er- 
laubuiß der Herren Som hohen Nathe gedrucktz und als wenn dad 
ente wären, bie nur fo Lug und Trug von Schlachten und Beyan- 
berungen, worüber man naͤrriſch werben Könnte, bindruden ließen. — 
Ich dab Euch es ja ſchon gefagt, guter Areund,“ fagte der Pfarrer, 
„ed gefchieht zum Zeitvertreib müßiger Leute; und fo gut man in 
wohleingerichteten Staaten dasıKegel-, Billard», Shah. und Ball- 
ſpiel Leuten, die nicht arbeiten dürfen ober Fönnen, erlaubt, ebenfo 
erfandt man den Drud folger Bücher, weil man mit Recht voraus» 
fest, daß fein Menſch ſo albern und unmiffend ſeyn werde, dergleichen 
Marchen für wahre Geſchichten zu halten. Litten es jeht Zeit und 
Umftände, oder verlangte 6 dir Gehenfchaft, fo wellt ih wohl etwas 
über die Nitterbücer fagen, und zeigen, wie fie beſchaffen ſeyn 
müßten, wenn fie gut und don Nupen ſeyn follten; allein ich hoffe, 
die Zeit wird fommen, da ich meine Gedanlen Jemanden, der etwas 
bei der Sache thun fan, mittheilen werde. Judeſſen glaubet, Herr 
Wirth, was ich Euch gefagt Habe, nehmt Eure Bäder, leot Euch 
au ifren Wahrheiten ober Lügen herzlich fatt, und wohl bekomm es 








484 Don Quicote. 


Euch; nur behüte Euch der Himmel vor dem Sparren, der Euern 
Gaſt Don Quixote drüdt.“ — „Dafür hats gute Wege,“ ver- 
fegte der Wirth, „ih werde kein folder Rare feyn und fahrender 
Ritter werben; ich fehe wohl, daß fie jegt nicht mehr fo im Brauch 
find, als ſonſt.“ 

Mitten unter diefem Geſpräch kam Saucho in bie Stube, und 
wurbe fehr betroffen und tieffinnig, als er hörte, daß bie fahrenden 
Ritter jept nicht mehr gebraͤuchlich und alle Ritterbücher Poffen und 
Lügen wären. Nur biefe einzige Ritterfahrt feines Herrn befhloß er 
noch mitzumachen; Tief fie aber nicht nach Wunſche ab, fo wollt ex 
ihu and verlaflen, und heim zu feiner Fran und zu feinen Kindern 
sehen, und feine vorige Nahrung treiben. Der Wirth padte feine 
Bücher ſchon wieder ins Felleifen und wollte damit fort; ber Pfarrer 
aber bat ihn zu warten, weil er gern bie ſchoͤn geſchriebne Hand» 
ſchrift anfepen wolle. Der Wirth z0g fie heraus, und gab fle ihm 
zu Iefen. Sie war faft act Bogen ſtark, und hatte zur Aufſchrift: 


ber unvorſichtige Nengierige, eine Erzählung. Der Pfarrer Ias einige 


Zeilen, und fagte dann: „Der Titel der Erzählung verfprict etwas, 
und ich mochte fie wohl ganz leſen.“ — „Das mögt Ihr immerhin 
thun, hochwürdiger Herr,” fagte der Wirth, „es haben fie ſchon 
Manche gelefen, die bei mir eingefehrt find. Diefelbe Hat Allen gefallen, 
und fie haben mich fehr drum gebeten; ich habe fie aber nicht weggeben 
wollen, denn es Könnte leicht feyn, daß einmal der Herr, der biefen 
Mantelfad und die Bücher bei mir gelaffen hat, wieberfäme, und dann 
muß ich fie ihm zurüdgeben, fo. fehr fie mich auch dauern follten; 
denn ob ih gleich nur ein Wirth bin, fo bin ih bo ein ehrlicher 
Kerl und ein Chriſt.“ — „IH lobe Euch drum, guter Freundl“ 
ſprach der Pfarrer; „aber wenn mir die Gefihichte gefällt, wolltet 
Ihr fie mich wohl abfihreiben Taffen?“ — „Herzlich gern,“ antwortete 
der Wirth. 

Bäprend deſſen Hatte Earbenio bie Handſchrift genommen, 
und drin gelefen. Da fie ihm auch gefiel, bat er ven Pfarrer, 
fie Taut zu leſen. „Ih wollte es wohl tun,“ ſprach ber Pfarrer, 
maber es if Zeit, unfer Mittagsfcläfhen zu machen.“ — „Eine 
angenehme Erzählung wär mir jegt Lieber, als Schlaf,“ fagte 

















XXX. Kapitel, 


Dorstbea, „denn ich bin moch nicht rubig genug dazu.” — „Wenn 
das iſt,“ ſprach der Pfarrer, „fo wollen mir fehen, was brinn 


ſteht. Meifter Niklas bat ihn auch drum, fo wie auch Sande, 
und als der Marser fah, daß Alle den gleichen Wunſch hegten, fing 
er an, nachfolgente Geſchichte zu leſen 














492 Don Auirote, 


an bis unten aus geharniſcht, ganz allein angegriffen und audein- 
andergejagt, wie eine Heerbe Schafe, Und was fagt Ihr vollends 
zu dem wadern Don Eirongiliv von Thracien? Der hatte 
doch das Herz auf dem rechten Flecke, wie in dem Buche zu leſen 
ſteht! Wißt Ihr, was er that? Er fuhr einmal über einen Fluß; 
da fam mitten aus dem Waſſer ein großer feuriger Drache; ver 
Ritter, nicht faul, fpringt dem Drachen gerade auf feinen ſchup⸗ 
pichten Rüden, und drüdt ihm mit beiden Händen die Gurgel feft 
zu; der Drache merkt, daß es ihm ans Leben geht, und fährt mit 
fammt dem Ritter, der ihn nicht gehen läßt, hinunter auf den Grund, 
Da fie unten find, befinvet fi der Ritter auf einmal im einem 
wunderfchönen Pallaft und Garten, und ber Drade verwandelt ſich 


in einen alten ehrbaren Mann, der ihm gar unerhörte Sachen erzählt, 
Schweigt mir ſtille, Herr Pfarrer! Ich weiß gewiß, wenn Ihr die 
Geſchichte nur gehört hättet, Ihr wäret vor Freuden halb närriſch 
gewrrden; aber für den großen Kapitän und für Diego Garcia, 
den Ihr fo rühmt, gebe ich Euch einen Pfifferling. * 
„Wahrhaftig,“ forah Dorothea Teife zu Carbenio, „da 
fehft nicht Finger breit mehr, fo haben wir an unferm Wirth den 














XXXI. Kapitel, 423 


zweiten Don Quixote.“ — „Allerbings,t verfepte Cardenioz 
„denn wie ed ſcheint, Hält er alle Lügen diefer Bücher für fo wahr 
und für fo auogemachte Dinge, daß alle Brüder Barfüßer in der 
Belt ihn nicht vom Gegentheile überreden Könnten.“ — „Denkt ihr 
denn, guter Freund,” ſprach ber Pfarrer weiter zum Wirthe, „daft 
es je einen Kelie Marte von Hyrcanien, einen Don Eiron- 
gilio von Thracien, ober aubre bergleihen Nitter, von denen 
Eure Bůcher erzaͤhlen, in der Welt gegeben habe? Nichts weniger; 
Märgen und Erbihtungen mäßiger Köpfe ſinds, welde bloß dazu 
gefehrieben find, um Leuten, bie mihte Beſſeres zu thun Haben, 
wie Eure Schuitter, die fange Weile zu vertreiben, Glaubt co 
mir aufs Wort, daß von allen dieſen Rittern und ihren Thaten, 
Abentenern und Narrheiten Fein Wort wahr il," — „Einem ander 
Hunde diefen Kuochen!“ verfegte der Wirth; „ih weiß auch mod, 
daß zweimal zwei vier macht, und was ſchwatz unb we Rein, 
wenn Ihr Einem was weis machen wollt, fo ſucht nur einen 
dümmern, Wie, ihr wollt mir aufbinden, daß Alles was in ven 
Bürhern ſteht, Lügen und Narrenpoffen fey? Sie find ja mit Er- 
laubaiß der Herren som hoben Rathe gebradt; und als wenn das 
Leute wären, bie nur fo Lug und Trug von Schlachten und Bezau- 
berungen, worüber man narriſch werben fönnte, Hindruden liefen. « — 
Ich dab Euch es ja fhom gefagt, guter Freund,“ fagte der Pfarrer, 
es geſchieht zum Zeitvertreib mäßiger Leute; und fo gut man in 
wopleingerichteten Staaten das · Kegel·, Billard-, Schach und Ball- 
ſpiel Leuten, die nicht arbeiten dürfen ober Können, erlaubt, ebenfo 
erlandt man den Drud ſolcher Bücher, weil man mit Recht vorand- 
fept, daß fein Meuſch ſo albern und unwiſſend ſeyn werde, dergleichen 
Marchen für wahre Geſchichten zu Halten. Litten es jeht Zeit und 
Umftäude, oder verlangte es dir Geflfgaft, fo wollt ih wohl etwas 
über die Nitterbücher fagen, und zeigen, wie fie beſchaffen ſeyn 
müßten, wenn fie gut und von Nugen ſeyn follten; allein ih Hoffe, 
die Zeit wird fommen, da ich meine Gedanken Jemanden, der etwas 
bei der Sache thun laun, mittheilen werde, Indeffen glaubet, Herr 
Wirth, was ih Euch gefagt Habe, nehmt Eure Bäder, leot Euch 
am ihren Wahrheiten ober Lügen herzlich fatt, und wohl bekomm «6 

















484 Bon Quixote. 


Euch; nur bepüte Euch der Himmel vor dem Sparen, der Euern 
Gaſt Don Duirote brüdt.” — „Dafür hats gute Wege,“ ver 
fegte der Wirth, „ih werde kein folder Rare feyn und fahrender 
Ritter werben; ich fehe wohl, daß fie jetzt nicht mehr fo im Brauch 
find, als ſonſt.“ 

Mitten unter dieſem Geſpräch kam Saucho in bie Stube, und 
wurde fehr betroffen und tieffinnig, als er hörte, daß bie fahrenden 
Ritter jept nicht mehr gebräuglih und alle Ritterbücher Poffen und 
Lügen wären. Rur biefe einzige Ritterfahrt feines Herrn beſchloß er 
noch mitzumachen; Tief fie aber nicht nah Wunfche ab, fo wollt ex 
ihn auch verlaflen, und heim zu feiner rau und zu feinen Kindern 
gehen, und feine vorige Nahrung treiben. Der Wirth padte feine 
Bücher ſchoun wieder ins Felleifen und wollte damit fort; ber Pfarrer 
aber bat ihn zu warten, weil ex gern bie fhön geſchriebne Haud⸗ 
ſchrift anfehen wolle. Der Wirth zog fie herans, und gab fie ihm 
zu leſen. Sie war faſt at Bogen ſtark, und hatte zur Aufſchrift: 


der unvorfihtige Nengierige, eine Erzäflung. Der Pfarrer las einige " 


Zeilen, und fagte dann: „Der Titel der Erzäplung verfpricht etwas, 
und ich möchte fie wohl ganz Iefen.” — „Das mögt Ihr immerhin 
than, hochwürdiger Herr,” fagte der Wirth, „es haben fie fon 
Manche gelefen, die bei mir eingefehrt find. Diefelbe hat Allen gefallen, 
und fie haben mich fehr drum gebeten; ich Habe fie aber nicht weggeben 
wollen, denn es könnte Teicht feyn, daß einmal ber Herr, ber biefen 
Mantelfadt und die Bücher bei mir gelaffen hat, wieberläme, und dann 
muß ich fie ihm zurädgeben, fo fehr fie mich and dauern follten; 
denn ob ih gleich nur ein Wirth bin, fo bin ih doch ein ehrlicher 
Kerl und ein Chriſt.“ — „Ih lobe Euch drum, guter Freundl= 
ſprach der Pfarrer; „aber wenn mir bie Gefihichte gefällt, wolltet 
Ihr fie mich wohl abfihreiben Iaffen?“ — „Herzlich gern,“ antwortete 
der Birth. 

Während deffen hatte Earbenio die Handfihrift genommen, 
und drin gelefen. Da fie ihm auch gefiel, bat er den Pfarren, 
fie laut zu leſen. „Ich wollte es wohl tun,“ fprad der Pfarrer, 
maber es iſt Zeit, unfer Mittagsfchläfchen zu machen.“ — „Eine 
angenehme Erzäplung wär mir jegt Lieber, als Schlaf,“ fagte 

















XXX. Kupitel 425 


Dorothea, „denn ich bin mo nicht ruhig genug dazu." — „Wenn 
das if,’ forach der Pfarrer, „fo wollen wir fehen, was driun 


Rebe. Meifter Niklas bat ihm auch drum, fo wie auch Sanko, 
und als ter Pfarrer ſah, daß Alle dem gleichen Wunfc Hegten, fieng 
er an, nachfolgende Geſchichte zu leſen 

















Dreiunddreifigftes Kapitel. 
. Die Grpiklung zum tom unbefesnien Reagierigen 


afelmo and Lothario, zwei reiche und votnehme Erellente und fo der⸗ 
traute Freunde, daß fie non ihren Befannten vorzugsweifebie beiden Freunde 
genannt wurden, wohnten in Florenz, einer reichen und berüßmten Stadt 
Italiens, in Großperzogthume Toscana, Siewaren unverhriratbet, junge: 
Männer von gleichem Alter und gleichet Tebensweife, was nicht wenig dazu 
beitrug, das Band ihrer Freundſchaft ftets fefter zu Inüpfen. Anfelmo 
war zwar ein wenig mehr zur Liebe geneigt als Lothario, welder ſich 
die Zeit am liedſten mit der Jagd vertrieb; doch wenn es die Umftände es 
forderten, pflegte Anfelmo feine Neigung dem Hange Lot harios aufzus 
opfern, ſowie zu andern Zeiten Lothario bereit war, Unfelmos Wänfen 
mit Hintanfegung feiner eignen nachzugeben ; weß halb fie in fo volllommner 
Eintracht lebten, daß es fehlen, ala hätten fie beide nur einerlei Willen: 

Anfelmo war aͤußerſt verlicht in ein edles und ſchönes Mädchen 
aus derfelben Stadt, deren adelihe Geburt und perfönlicher Werth 
ihn bewogen, nad vorläufiger Beratbfhlagung mit Letbaris, ohne 




















XXX Kapitel 


welden er wie etwas unternabie, bei ihren Eltern um fie anzubalten, 
Lothario machte den Brautwerber und brachte Alles fo erwünſcht zu 
Stande, daß fein Freund in kurzer Zeit ded Beſitzes der Geliebten froh 
wurde, und auch Camilla fühlte fih als Anfelmos Gattin fo fe 
lich, daß fie nicht aufpörte, dem Himmel und Lothario zu’tanfen, _ 
durch deffen Vermittlung ihr diefes Glück zu Theile geworden war. 











428 Don Euirote. 


Während der erftien Tage, die gewöhnlich hochzeitlichen Heften 
gewidmet find, fuhr Lothario fort, das Haus des Freundes zu 
beſuchen, und verfäumte nicht durch allerlei Luſtbarkeiten ihm feine 
Aufmerffamkeit zu beweifen. Sobald aber die Hochzeitfeier vorbei 
und das Gewühl der Glückwünſche und Aufwartungen zu Ende war, 
fieng Lothario an, feine Befuche in Anfelmos Haufe mit Borfag 
zu unterlaffen, weil er bedachte (was jeber vernünftige Dann billig 
denken follte), daß man bei einem Freunde nach feiner Verheiratbuug 
nicht mehr fo frei und oft ein- und ausgehen muß, als während feines 
ledigen Standes; denn obwohl zwifchen wahren Freunden fein Verdacht 
Statt finden kann, fo if doch eines Ehemann Ehre fo zart und 
empfindlich, dag man fagen möchte, fie nähme Anftoß an leiblichen 
Brüdern, wie vielmehr alfo an Freunden? 

Anfelmo, welchem das Wegbleiben feines Freundes auffiel, 
machte ihm darüber ernfllihe Vorwürfe. „Hätte ich geglaubt,“ ſprach 
er, „daß meine Berheiratfung dich abhalten würbe, fo wie fonk mit 
mir umzugehen, fo hätte ich nie eine Frau genommen. So lang ich 
noch unverheirathet war, erwarben wir uns durch vertrauten Umgang 
den ſchönen Beinamen der beiden Freunde. Bringe uns jegt nicht 
um dieſen rühmlichen und fchmeichelgaften Namen, indem du ohne 
erhebliche Urſache den Borfichtigen fpielft, fondern fey inftändig von 
mir gebeten (wenn es nöthig und ſchicklich if, mich biefes Aus» 
drucks gegen dich zu bedienen), daß du nach wie vor, ale wäreſt 
du Herr des Haufes, bei mir aus- und eingehen möchteſt. Ich ver- 
fihre dir, Camilla, meine Frau, hat feinen andern Wunſch und 
Willen, als den meinigen, und da fie weiß, wie fehr wir ein- 
ander fchägen, fo fann fie fi dein auffallendes Wegbleiben nicht 
erklären.” 

Diefe und andre Borftellungen, wodurch Anfelmo den Lothario 
bewegen wollte, fein Haus wie gewöhnlich zu befuchen, beantwortete 
diefer mit fo vieler Klugheit und Beſcheidenheit, daß Anfelmo fih 
von der guten Abficht des Freundes überzeugte, und cd warb demnach 
zwiſchen ihnen verabredet, Yotbario folle fünftighin zweimal in der 
Woche und an allen Feſttagen bei Anfelmo zur Tafel kommen; 
deſſenungeachtet nahm ſich derfelbe vor, nicht anders zu handeln, als 





























XXX. Kapitel 429 


er felbft es für die Ehre feines Freundes am zuträglichſten hielt, die 
ihm theurer war, als feine eigne. Er glaubte mit Recht, ein ver- 
heiratheter Dann, der eine fchöne Frau habe, müffe cbenfo vorfihtig 
zuſehen, welde Freunde er bei fi aufnehme, als welde Freun- 
dinnen fie zu ihrem Umgange wähle, indem mande Dinge, die 
nicht auf Spaziergängen, in der Kirche, bei öffentligen Feſten, 
oder auf Walfahrten ausgeheckt und eingejvelt würden (von welden 
ein Mann feine Frau nicht immer abhalten darf), in den Häuſern 
der Freundinnen und Verwandten angefponnen und ausgeführt zu 
werden .pflegten. Auch meinte er, jedes Ehepaar müſſe einen Freund 
haben, der beide auf jeden unvorfichtigen Schritt aufmerkfam made, 
indem es fich oft zutrage, daß ber Mann aus Zärtlichkeit und um 
ver Frau feinen Berdruß zu machen, Manches nicht rüge und ihr 
nicht fage, daß fie gewiffe Dinge zu thun oder zu laſſen habe, deren 
Begehung oder Unterlaffung ihr zum Vorwurf gereichen könnte; da 
hingegen die Erinnerungen eines Hausfreundes ihm es Leicht machen 
würden, bie bienlichften Maßregeln zu nehmen. Allein wo findet ſich 
ein fo verändiger und aufricptiger Freund, wie Lothario ihn ver- 
langt? Ich weiß es wahrlich nicht, und nur Lothario war fähig, 
mit äuferfier Sorgfalt und Scharffihtigkeit für bie Epre feines 
Freundes zu forgen, und die Befuhe in deſſen Wohnung an den 
verabredeten Tagen fo felten und kurz zu machen, daß er den böfen 
Zungen und Splitterrichtern feinen Anlaß gab, fi über die Beſuche 
eines jungen, reichen, vornehmen und gebildeten Mannes, was er 
nad feiner eignen Ueberzeugung war, im Haufe eines fo fchönen 
Beibes, wie Camilla, aufzuhalten. Denn obwohl ihre Zucht und 
Tugend jever Läflerzunge den Zaum anlegen konnte, fo wollte er 
dennoch ihren guten Ruf und die Ehre ihres Mannes auch nicht dem 
geringften Zweifel ausfegen, und befcpäftigte fih daher an ven ver- 
abrebeten Tagen fo oft mit amdern Dingen, unter dem Borwande 
dringender Berhinderungen, daß Anfelmo und er die meifle Zeit 
mit Borwürfen auf der einen und mit Entfchuldigungen auf der andern 
Seite zubrachten. 

Bie fie einft geraume Zeit nachher anf einer fchönen Wiefe 
außer der Stadt Iufiwanbelten, fagte Anfelmo: „Du deufft wohl, 














hl P 























XXXIII. Kapitel, 431 


Lothario, daß ich Urfache habe, die Vorfehung befonders zu preifen, 
indem fie mi nicht nur von ſolchen Eltern abftammen Tief, wie die 
meinigen waren, und mich mit allen Gaben, welde Natur und Glüd 
gewähren können, fo reichlich ausftattete, ſondern mir aud vor allen 
Dingen dich zum freunde und Camilla zur Gemahlin gab, zwei 
Schäge, die ich vielleicht nicht ganz, wie ich follte, aber doch nach 
beftem Vermögen würdige. Allein bei biefen Genüffen, bie alles in 
ſich begreifen, was gewöhnlicherweiſe die Menſchen glücklich und ver- 
gnügt machen kann, führe ich das unzufriedenfte und freudenleerſte 
Leben von der Welt; denn es quält mich, ich weiß nicht feit wann, 
ein fo höchſt feltfamer Wunſch, daß ich über mich ſelbſt erflaune, mir 
innerlich Vorwürfe made, und meine Gedanken vor mir felbft ver- 
bergen möchte; und dennoch drüdt mid mein Geheimniß fo fehr, als 
ob ich mich nothgedrungen fühlte, es aller Welt zu offenbaren. Weil 
es denn einmal heraus muß, fo will ich es in deinen Buſen niever- 
legen, überzeugt, deine Verſchwiegenheit und der Eifer, mit welchem 
du, als treuer Freund mir helfen willſt, werben mich bald von meiner 
Unruhe befreien und mir meinen Frohſinn in bem Maße wieber- 
geben, in welchem meine Thorheit mir Unzufriedenheit verurfacht. * 
Lothario erflaunte über die Worte feines Freundes, und fonnte 
nicht begreifen, was er mit biefer langen Vorrede oder Einleitung 
beabfihtige. Er dachte zwar Vieles Hin und her über den Wunſch, 
der Jenem fo fehr am Herzen liege; allein er blieb mit allen Ver— 
muthungen weit von ber Wahrheit entfernt, und um biefer peinlichen 
Ungewißheit los zu werben, fagte er, es flreite gegen die zwiſchen 
ihnen berrfchende Vertraulichkeit, wenn Anfelmo Umſchweife mache, 
ihm feine heimlichſten Gedanken zu offenbaren, da er zuverfäßig feinem 
Freunde, entweder Mittel, jenen Wunſch erfüllt zu fehen, oder guten 
Rath, um ſich deffelden zu entſchlagen, an die Hand geben werde. 
„Das ift wahr,“ erwiderte Anfelmo, „und in diefer Zuver- 
ſicht will ih dir befennen, daß mic nichts Anderes quält als eine 
ungebufbige Neugier, zu wiffen, ob meine Camilla wirkfic fo tugend- 
haft und vollfommen ift, wie ich fie mir denfe, und darüber ann 
ich nicht anders zur Gewißheit gelangen, als wenn ich fie auf eine 
Probe ftelle, woburd der Gehalt ihrer Tugend untrüglich bewährt 























432 Don @uirote. 


wird, wie die Feinheit des Goldes durch das Feuer; denn ich glaube, 
mein Freund, daß um ein Weib für tugendſam zu erflären, ed darauf 
ankommt, ob fie in Berfuchung geführt wird oder nicht, und daß 
nur diejenige das Lob der Beftändigfeit verbient, welche weber durch 
Berfprecjungen noch Geſchenke, weber durch Thränen noch durch inn- 
brünftiges Flehen ihrer Liebhaber fi wanfend machen läßt. Welchen 
Dank verdient eine Frau für ihr Woplverhalten, wenn Niemand fie 
zum Böfen verfuht? was Wunder, daß fie züchtig und ehrbar if, 
wenn man ihr Feine Gelegenheit zum Leichtfinne giebt, oder wenn fie 
weiß, daß ihr Ehemann ihren erſten Fehltritt mit dem Tod beftrafen 
vwürbe? Ich kann demnach diejenige, die fih aus Furdt oder aus 
Mangel an Gelegenheit in den Schranken hält, nicht fo hoch ſchäten 
als eine Andre, die den Berfuhungen und Berfolgungen ihrer Lieb⸗ 
haber rühmlich widerſteht, fo daß ich aus diefen und andern Grünen, 
die fih anführen Tiefen, den Wunſch nidt unterbrüden fann, meine 
Frau möchte eine Probe der Art beftehen, und im Feuer der heißeften 
Liebeserflärungen, und zwar eines Mannes, der werth ift, feine 
Wünſche bis zu ihr zu erheben, ihre Tugend bewähren. Geht fie, 
wie ich Hoffe, fiegreih ans dem Rampfe hervor, fo werbe ich, mid 
über Alles glücklich fhägend, fagen können: das Maß meiner Wünſche 
if erfüllt, das Glück hat mir das Weib beſchieden, von welcher ber 
Weiſe fpriht: wer wird fie finden? Fällt aber die Sache anders 
aus, fo wird die Ueberzeugung, daß ih mich in meiner Anſicht nicht 
betrogen Habe, mir den Schmerz erträgliher machen, als wenn ich 
zufällig durch eine bittre Erfahrung belehrt würde. Nichts iſt im 
Stande, mi von viefem Borfage abzubringen. Ich muß alfo bitten, 
daß du ſelbſt, Lothario, zur Erreichung des Zweds mir behilflich 
ſeyn wolleſt. Nicht nur Gelegenheit, Camilla zu fehen, fondern 
jebes Mittel fol dir werben, das geeignet ſeyn mag, ein fittfames, 
züchtiges und ganz für ihren Mann Ichendes Weib auf die Probe zu 
ſtellen, und ich wähle dich zu diefem kitzlichen Verfuce unter Anderm 
deßwegen, weil ich weiß, daß du, im Fall Camilla dir nicht wider- 
ſtehen Fönnte, ven Sieg nicht aufs äußerfte verfolgen, fondern das- 
jenige als gefhehen annchmen würdeſt, was aus guten Gründen 
nicht gefchehen darf. Sie würde mich demnach höchſtens in Gedanfen 








XXXM. Kapitel 433 


befeivigen, und für die Verheimlichung meines Ungläde würde mir 
beine Verſchwiegenheit bürgen, welde gewiß in Hinficht auf alles, 
wad mic betrifft, von fo Tanger Dauer ſeyn wird, wie das Schweigen 
im Grabe. Wil du denmach, daß ich ein Leben führen ſoll, welches 
verdient, Leben genannt zu werben, fo mußt du dich ohne Verzug 
diefem Licbesfampfe unterziehen, und zwar nicht etwa gleichgültig und 
verbroffen, fondern mit dem Exrnft und Eifer, wie e6 bir zufommt, 
und mit der Rechtlichteit, bie ih von beiner Freuudſchaft erwarte." 
Lothario hörte feinen Freund mit Aufmerkfamfeit au, und 
öffnete die Lippen micht, bie er ausgeredet hatte, betrachtete ihn wiel- 
mehr no eine Weile naher mit Verwunderung und Erflaunen, 
und gab endlich zur Antwort: „Ic kann mir nit einbilden, Anfelmo, 
daß du anders als im Scherz redeſtz denn wenn ich das Gegeutheil 
glauben dürfte, hätte ih dich ſoweit nicht kommen Iaffen, fondern 


deiner Tangen Nee dabun ein Ende gemadt, af ich fieniät A 





anpörte, Entweder keunſt du mich wicht, 

nicht; doch nein, ich weiß ja, daß du Anfelmobifl, und du weißt, 
daß ih Lothario binz unglüdfigermeife aber muß ih benfen, da 
ſeyeſt nicht mehr der Anfelmo, der du warft, und du habeſt gedacht, 
ich ſey nicht der Lothario, der ih ſcyn follte; denn was du mir gefagt 
Haft, fhidt ſich nicht für meinen Freund Anfelmo, und was bu 
von mir verlamgft, fordert man nicht son Lothario, melden du 
lennſt, weil wahre Freunde, wie ber Dichter fagt, einander nur 
prüfen umd gebrauden, usque ad aras, d. h. einander nichts an« 
muthen, was wider die göttlichen Gefege freitet. Wenn ein Heide 
ſolche Begriffe won der Freundſchaft Hatte, wie viel mehr ziemt es 
fi für einen Epriften, welcher weiß, daß er die Gnade Gottes um 
feiner menſchlichen Freundſchaft willen verfchergen darf? Wollte man 
jemals die Freundſchaft fo weit treiben, daf man Gottes Gebote 
and den Augen fepte, fo müßte bie BVeranlaffung dazu nit eine 
geringfügige fegn, fondern etwas, wovon bie Ehre oder das Leben 
des Kreundes abhienge, Sage mir nun, Anfelmo, an welchem von 
diefen beiden Täufft du Gefahr, daß ich beinetwegen eine fo abſcheulicht 
Handlung begehen fol, ald du mir anmutheft? Wahrlih an feinem, 
fonbern du will vielmehr, wenn ich dich recht verfiche, ich folle mir 

















434 Don Quixote. 


alle Mühe geben, dir Ehre und Leben zu rauben, und zugleich mid 
ſelbſt um beides zu bringen. Denn wenn ich beine Ehre morben 
ſoll, fo ift es Har, daß ich dich zugleich mit ums Leben bringe, weil 
ein entehrter Menfch unglücklicher iſt als ein tobter; und wenn ich, 
wie du verlangſt, derjenige feyn fol, welcher dir fo großes Uebel 
zufügt, morbe ich da nicht auch meine eigne Ehre und folglich auch 
mein Leben? Höre mih an, Anfelmo, und unterbrih mich nicht, 
bis ich dir Alles gefagt habe, was ich gegen dein Begehren einwenden 
muß, hernach wird noch Zeit genug übrig bleiben, daß du mir ant- 
worte, und ich dich anhöre.“ 

Anfelmo war damit zufrieden und Lothario fuhr fort: „Mich 
daͤucht, dir geht e8 ebenfo wie den Mauren, welche man weber durch 
Stellen ans der heiligen Schrift, noch durch Gründe, die aus der 
Bernunft und Glaubenslehre gefhöpft find, von ihren Irrthümern 
Überzengen Tann, fondern denen man fhlagend einleuchtende, hand- 
greifliche Beifpiele und daraus abgeleitete mathematifh richtige Folge» 
rungen, wie etwa den Gap „Gleiches von Gleichem giebt Gleiches“ 
vorhalten, and wenn fie Worte nicht verftehen, mit ver berbflen Wirk 
lichkeit zufegen muß, und die am Ende dennoch von den Wahrheiten 
unfrer heiligen Religion unüberzeugt bleiben. Daffelde Verfahren 
werde ich aud bei dir beobachten müflen; denn der Wunſch, den du 
aͤußerſt, freitet fo fehr gegen alles, was cinen Schatten von gefunber 
Vernunft hat, daß ich befürchten muß, meine Zeit zu verlieren, fo 
gern ih dich von deiner Verirrung Cum mich feines härtern Ause 
druds zu bedienen) überführen möchte; und faft verbienteft du, daß 
ich dich zur Strafe deiner Vethörung überließe; doch, meine Freunde 
ſchaft erlaubt mir nicht, fo hart mit bir zu verfahren und dich zu 
verlaffen, da du offenbar einem Abgrunde zutaumelſt. Denn, fage 
mir, Anfelmo, forderft du nicht, ich folle die Sittfamfeit zur Aus- 
ſchweifung verleiten, die Keuſchheit verführen, die Treue beſtechen, 
die Klugheit überliflen? denn bu weißt ja, daß du ein fittfames, 
keuſches, trenes, Euges Weib beſitzeſt. Wozu alfo die Proben? 
Wenn du glaubft, Camilla werde alle meine Angriffe abſchlagen, 
woran ich ſelbſt nicht zweifle, welden beſſern Namen kannſt du ihr 
hernach beifegen, den fie nicht jetzt ſchon verdiente, ober was kauu 











XXXM. Kapitel, 435 


fie dir nod werden, das fie nicht jet ſchon wäre? Entweder dentſt 
du von ihr nicht fo, wie du von ihr fprihft, ober du weißt ſelbſt 
nicht, was du will, Wenn du fie aber nicht für diejenige hältſt, 
wofür du fie erflärft, warum fie auf bie Probe ſtellen, wofern du nicht 
etwa die Abficht Haft, fie zum Böfen zu reizen, damit du fie ſtrafen 
Fönntern? Iſt fie jedoch nach deiner eignen Meinung fo volllommen, 
wie bu fagft, fo ift es nicht verflänbig, eine unbezweifelte Wahrheit 
noch erft ausmachen zu wollen, indem fie dadurch fein gröfres Ge- 
wit Gefommt, als fie bereits hatte, Du muft mir demuach ein- 
räumen, bafi es verwegen unb unvorſichtig gehandelt ift, etwas zu 
unternehmen, was und eher zum Schaden, ald zum Nutzen gereihen 
wird, zumal wenn wir durch feine Noth und Leinen Zwang dazır ge» 
drungen werben, und vorausfehen, daß cd Thorheit feyn würde, ben 
Berfuh damit zu wagen. Schwierige Divge unternimmt man nur 
für Gott oder die Welt, ober für beide zufammen. Ans Liebe zu 
Gott führten bie Heiligen ein Leben ber Engel in menſchlichen Leibernz 
für die Welt wagen fih diejenigen, welde unermeflihe Meere, ferne 
Himmelsftrige und unzäpfige frembe Bölferfaften durchziehen, um 
dasjenige zu erwerben, was man Glückegüter nennt, und für Gott 
und die Welt wagt ſich der tapfte Kriegemann. Kaum erblidt er 
in der feindlichen Dauer eine Deffnung, von einer Stücklugel ges 
ſchlagen, fo ſtürzt er ſich ohne Bedenlen in die Breſche, beflügelt 
von dem Verlangen, für feinen Glauben, fein Voll und feinen König 
zu reiten, und troht unerſchroden den tauſend Gefahren, die ihn 
erwarten, Dergfeihen Dinge ziemt e6 fi zu unternehmen, und fie 
find loͤblich, näpfih und ehrenvoll, fo groß auch die damit verbunduen 
Mäpfeligfeiten und Gefapren ſeyn mögen; allein durch dasjenige, 
was du bir vorgenommen haſt, und es auch auszuführen gebenfft, 
wirft du weder Gnade bei Gott, noch Güter biefer Welt, noch Ehre 
bei den Meufgen erlangen; denn gefeßt, es gelingt bir, ſo wirft du 
dadurch weder beräßmter, noch weicher, noch höher geehrt, als du 
jegt biſt, und ſchlägt es fehl, fo ſtürzeſt du dich in gröftes Elend, 
als du glaubt; denn der eingebildete Troft, daß ja Niemand von 
deiner Schmach wiffe, fann die wenig heifen, da du das ſchreckliche 
Bewußtſeyn davon in bir ſelbſt tragen wirſt. Zur Befräftigung 




















436 Don Quirote. 














diefer Wahrheit will ih eine Stange herfagen, welde der berühmte 
Dichter Luis Tonfilio am Ende des erften Teils feiner „Cpränen 
des beiligen Petrus" gebichtet bat: 


In Petri Serie wächst und mädhst die Scham, 
Sobald der Hahn gefräht, ver Morgen thaute; 
Dualvoller ſtets und tiefer wird fein Gram, 
Obwohl ipn keines Merichen Auge ſchaute, — 
Beil er den Fehltritt fih zu Herzen nahm, 

Und rer dem eignen Selbſt ihm bangt‘ und graute. 
Den Beffern ſchredt nicht, was die Menge fagt: 
Er bebt. wenn das Gemiffen ibn verflagt. 








XXX. Kapitel, 437 


„Geheimhaltung wird dir demnach den Schmerz nicht erfparen, 
fondern beftändig wirft du Thränen vergiefen, und wenn dies auch 
nicht mit den Mugen gefhicht, fo wird ed deinem Herzen blutige 
Thränen foften, fo wie jenem Doctor, von welchem der Dichter 
fagt, daf er mit den Trinfgefhire bie Probe gemacht habe, welde 
NRinaldo klüglicher vermied, Dies iſt zwar nur eine Erfindung 
des Dichters, allein fie enthält einen verborgen, lehrreichen Siam, 
der werth iſt, erwogen, verflanben und beherzigt zu werben; zumal 
da dasjenige, was ih bir jegt mod fagen will, dich vollends von 
der Größe ber Thorheit überzeugen wird, bie du im Begriffe 
biſt, zu begehen. Sage mir, Anfelmo, wenn ber Himmel ober 
ein gläctiher Zufall dich zum Befiger eines koͤſtlichen Diamants ge- 
macht Hätte, von deffen Aechtheit alle Steinfenner, die ihn gefehen 
und unterſucht hätten, überzeugt wären, und ihn mit einmüthiger 
Stimme für fo volllommen erflärten, als ein folder Stein nur ſeyn 
fann, und du ſelbſt glaubteft es, und hättefk Feine Urſache, anders 
zu denfen, — wäre es dann ug gehandelt, wenun es dir einfiele, biefen 
Diamant auf ben Ambos zu bringen, und mit bem Hammer zu vers 
ſuchen, ob er auch wirklich fo hart fep, wie man bir verficherte? denn 
gefegt, du tHäteR cd, und der Stein hielte die thörichte Probe aus, 
fo würde er dadurch weder föflicher noch fehägbarer werden; wenn 
er aber zerbräche (welches dech möglich wäre) würde er dann nicht 
gänzlich für dich verloren feyn? Alferbings, und Jedermann würde 
den Befiger für einen Thoren erflären. Betrachte demnach Tamilla 
als ein koͤſtliches Meinod, ſowohl nach deinem eignen, als nad anbrer 
Leute Urteil, und denle nicht, daß du Hug handelſt, wenn du fie 
der Gefahr des Zerbrechens ausfegeft; denn gefeht, fie bewährt 
ihre Tugend, fo wird fie ſich dadurch zu feinem Höher Werth er- 
heben, als fie jegt befipt; fiele fie aber unb Fönnte nit wiberfiehen, 
fo bevenfe bei Zeiten, daß fie für bi verforen wäre, und wie fehr 
da Urfache Hätteft, dich ſelbſt anzulfagen, indem tu allein an ifrem 
Verderben und an deinem eignen Schulb wärefl, Bebenfe, daß fein 
\ N leinod im der Welt fo koöſtlich iM als ein keuſches, züctiges Weib, 
| und vaß die Ehre der Weiber lediglich von ber guten Meinung ab- 


hängt, die man vom ihnen hat; und da bu weißt, in welch hohem 
l 




















438 Don Buirote. 


Grade deine Gemahlin diefe gute Meinung für fih hat, warum 
willſt du denn daran zweifeln, baf fie ſolche verdient? Vergiß nicht, 
mein Freund, daß das Weib ein ſchwaches Geſchopf iR und daß man 
ihr nichts in den Weg legen muf, worüber fie ſtraucheln und fallen 
taunz fonbern man foll ige vielmehr jeden Anſtoß ans dem Wege 
räumen, bamit fie ohne Schwierigleit auf dem Pfade ber Tugend 
fortwantefn und das Ziel ter Volllommenheit erreichen möge. Die 
Naturkundigen fagen, das Hermelin ſey ein Thierchen, welches ein 


fehr weißes Fell habe, und um es zu fangen, follen die Jäger fih 
der Lift bedienen, daß fie ihm die Auswege, die es hat, mit Roth 
verfegen und es dann mit Lärm und Geſchrei aus feinem Lager aufs 
ſcheuchen; wenn ed an die lothigen Steffen kommt, ſoll es ſtill ſtehen 
und fi lieber fangen laſſen, als ‚fein weißes Fell mit Unrath be 
fudeln, weil 6 die Neinlichfeit mehr licht als die Freifeit und das 
Leben. Ein tugendfames Weib ift ein folhes Hermelin, und bie 
Tugend der Keufchheit reiner und weißer, als men gefallner Schnee; 
und wer da wünfcht, daß feine Gattin dieſe nicht verfieren, fondern 











XXX. Kapitel, 439 


fie behalten möchte, der verfahre nicht fo, wie die Jäger mit dem 
Hermelin, und lege ihr nicht den Unflath der Gefchenke und Schmei- 
cheleien verführerifcher Liebhaber in den Weg; denn es iſt mög- 
lich und wohl gar wahrfgeinfih, daß ihre Tugend und ihre 
natürlichen Kräfte nicht hinreichen, diefe Aufechtungen ohne Hilfe zu 
überwinden, und man muß fie demnach von ihr entfernen und fie 
| dur den Glanz der Tugend und ben Weiz eines guten Namens auf- 
muntern. Man Tann eine tugendhafte Frau and mit einem Spiegel 
von reinem und hellem Kryſtall vergleichen, welchen ber Ieifefte Hauch 
verbunkelt und befledt. Man muß fie behandeln wie eine Reliquie, 
die man wohl anbeten, aber nicht berühren darf; man muß fie hüten 
und fhügen, wie man einen fhönen Garten vol Nofen und andern 
Blumen fhügt und verwahrt, beffen Befiger Keinem erlaubt, hinein- 
| zugehen und fie zu betaften, fondern Jedermann muß froh feyn, fi 
von ferne durch die Gitter an ihrem Duft und Anublick ergögen zu 
ı Finnen. Zum Schluß will ih bir noch einige Verſe herſagen, bie 
I ih neulich in einem Luftfpiele gehört habe, und die mir auf den 
Gegenftand unfrer Unterredung fehr anwendbar feinen. Ein ver- 
nünftiger Greis raͤth nämlich dem Bater eines jungen Mädchens, 
feine Tochter forgfältig in Acht zu nehmen und fie eingezogen zu 
halten, und unter Anberm fagt er ihm auch biefe Worte: 


Ein Weiberherz iſt fur wie Glas, 
Verſuche nicht, 
Obs auch zerbricht: 
Bie leicht geſchaͤbe das? 


Und wenn es dir einmal zerbrach, 
So is vorbei, 
Denn fag mir frei: 
Ber lötpet es bernag? 


Giebis Danaen in diefer Belt, 
So fieh nur au, 
Ob nit im Ru 
Ein goloner Regen fält. 








Li 222020711 — — —— — —— — ————— 











440 Don Quirote. 


„Alles, was ich bir bisher gefagt, Anfelmo, Hat fih bloß 
auf dasjenige bezogen, was dich betrifft; jetzt if es billig, daß ich 
aud etwas von demjenigen erwähne, was mich felbft angeht. Wenn 
ih etwas weitläufig bin, fo nimm es mir nicht übel; benn das 
Labyrinth, worin du di gewagt haft und woraus ich dich wieder 
ziehen fol, macht dies nothwendig. Du uennft mid deinen Freund, 
und doch willſt du mir meine Ehre rauben, was wider alle Freund ⸗ 
ſchaft freitet; und au damit noch nicht zufrieden, verlangft du, ich 
ſoll die die beinige gleichfalls rauben. Daß du mir bie meinige 
ranben willſt, iſt offenbar; denn wenn Camilla fieht, daß ih ihr 
nachſtelle, fo muß fie mich für einen ehrloſen pflichtvergefnen Men- 
fen Halten, indem ich mid folder Dinge erfreche, die fi weder 
mit meiner eignen Würbe, noch mit beiner Freundſchaft für mid 
vertragen. Daß du mir anmutheft, dich zu entehren, Täßt ſich eben- 
falls nicht bezweifeln; denn meine Liebeserffärungen müſſen Camilla 
anf den Gedanken bringen, daß ich etwas Leichtfinniges an ihr bemerkt 
habe, weil ih es wage, ihr meine unerlaubten Wünfche zu entdecken, 
und indem fie ſich dadurch entehrt fühlt, muß ihre Entveddung auch Dich 
mit treffen, weil du ihr angehörft; und daher kömmt eben bie böfe 
Gewohnheit, den Gatten eines unzühtigen Weibes mit ſchimpfe 
lichen und entehrenden Beinamen zu belegen, wenn er aud vom 
Allem nichts weih, und no weniger feinem Weibe zur Verlegung 
ihrer Pflicht Anlaß gegeben, oder aus Nachſicht und Gorglofigkeit 
verfäumt Hat, ihren Ausſchweifungen vorzubeugen; und gemeiniglich 
betrachten ihn diejenigen, welche die Vergehungen feiner Frau erfah- 
ven, flatt ihn zu bedauern, mit einer gewiffen Geringfägung, ba 
doch nicht fein eignes Betragen, fondern bie Neigung feiner böfen 
Gattin ihm das Unglück zugezogen hat. Ich will dir aber erffären, 
warum ber Ehemann eines Iafterhaften Weibes mit gutem Grund 
ihre Schande tragen muß, wenn er auch nit weiß, daß fie laſter⸗ 
haft if, und es weder verſchuldet, noch ihr Anlaß und Gelegenheit 
gegeben hat, es zu werben. Laß did es nicht verdrießen, mich an⸗ 
zuhören, denn ich rede bloß zu deinem Beſten. Die Schrift Iehrt, 
dag Gott, nachdem er unfern erflen Stammvater im Paradies er- 
ſchaffen Hatte, einen tiefen Schlaf auf Adam fallen lieg, während 











XXXII. SKapitel 41 


deffen er aus feiner finfen Seite eine feiner Rippen mahm und aus 
derfelben unfre Mutter Eva bildete, von welger Adam bei feinem 
Erwachen fagte: „das iſt Fleiſch von meinem Fleiſche mad Dein 
von meinen Beinen;“ und Gott ſprach: „für fie wird der Menfch 
Vater und Mutter verfaffen, und fie werden Beide ein Fleiſch feyn.” 
Auf folhe Weife ward damals das Saframent ber Ehe gefliftet und 
mit folgen Banden geknüpft, welge nur der Tod löſen kann; und 
die Kraft und Wirkung biefes wundervollen Sakraments geht fo 
weit, daß fie zwei verfiebne Perfonen zu einem Fleiſche vereinigt; 
ja, bei guten Ehelenten ifi dieſe Vereinigung noch inniger, denn ob» 
gleich fie zwei Seelen haben, fo haben fie dog nur einerfei. Willen, 
Bern 4 Dann und Weib nur ein Fleifch find, fo folgt dar ⸗ 
aus, daß jebe Befledung des Weibed und jeder Fehler, beifen fie 
ſich ſchuldig macht, auch dem Manne mit angerechnet wird, wenn er 
au, wie gefagt, noch fo wenig Unfaf dazu gegeben hat; dem jo 
wie der ganze Leib des Menſchen Ieivet, wen mar ein Fuß ober ein 
anders Glied Schmerz empfindet, weil fie alle ein Fleiſch find, und 
wie das Haupt die Verlegung der Zehe mitfühlt, obwohl es dieſelbt 
nicht veranlaßt hat, ſo trägt auch der Mann bie Schande bes Weibes, 
weiß fie Beide ein einiges Wefen find; und da alle Ehre und Unehre 
in der Welt einen fleiſchlichen Urſprung Hat, und da bie Unehre bes 
Weibes von diefer Art ift, fo muß der Mann notwendig einen Theil 
der Schande tragen und ſich für eutehrt haften laſſen, ohne etwas 
davon zu wiffen, Bedenke demnach, Anfelmo, in welche Gefahr du 
dich fürzeft, indem du deine Gattin in ihrem flillen Lebenswandel 
fören willſt; bedenke, wie zwedlos und unbefonmen die Neugier if, 
welche dich anregt, Gefühle zu weden, die jept in ihrer Teufhen 
Bruſt ruhig felummern, Merfe dir, was du gewinnen fannft, iſt 
wenig oder nichts, bie Gefahr des Berluftes hingegen würde fo groß 
ſeyn, daß ich fie nicht ſchildern mag, weil mir die Worte dazu 
fehlen. Wenn aber alle meine Vorſtellungen dich von deinem unbe» 
fonnenen Vorhaben nicht abwendig machen können, fo magft du dir nur 
ein andres Werkzeug wählen, um bir Ungläf und Schande zu bereiten, 
ich will es nicht werben, wenn ih auch deßwegen deine Freundſchaft 
verlieren ſollte — und ein größerer Verluf könnte mich nicht treffen. * 


Den Onisste k 














448 Don Quizote 


Hier ſchwieg der tugenbhafte, verfländige Loth ario, und tief 
in Gedanken verfenft, fann Anfelmo noch Lange feiner Rede nach; 
endlich antwortete er: „Du fiehfl, Freund Lothario, mit welcher 
Aufmerkfamteit ich Alles angehört habe, was bu mir haſt fagen 
wollen. An ven Gründen, Beifpielen und Gleichniſſen, die du an» 
geführt Haft, erkenne ich deinen großen Berflanb und das Uebermaß 
deiner aufrichtigen Freundfchaft für mich; und ich fehe und befenue 
zugleich, daß ih mein Glück verſcherze und mich ins Ungläd ſtürze, 
wenn ich deinen Rath vernachläßige und meinem eiguen Sinn folge. 
Du mußt bir dennoch vorftellen, daß ich jeßt an der Krankheit leide, 
welcher einige Weiber unterworfen find, wenn fie fi) gefüften laſſen, 
Erde, Kohle, Kalt und andre fhlimmere Sachen zu eflen, beren 
bloßer Anblick im Stande if, Elel zu verurfachen; folglich mußt 
du einen Kunfgriff gebrauchen, um mid) wieber zurecht zu bringen, 
und biefes wird bir nicht ſchwer werben, wenn bu einen Anfang 
maden wii, den Liebhaber bei Camilla vorzuftelen, wenn es 
auch nur zum Scheine geſchieht. Sie wird nit fo ſchwach ſeyn, 
daß ihre Tugend gleich beim erften Angriff fie verliege, ich werbe 
mit dieſem erften Verſuche mich begnügen, und du wirft zugleich deine 
Pflicht als Freund gegen mic erfüllen, indem du mir nit nur das 
Leben wieder giebft, fondern mich auch überzeugft, ba meine Ehre 
gefigert if. Ein einziger Grund wird hinreichen, um bir bies zur 
Pflicht zu machen: Du fichft namlich, wie feft ich entfchloffen bin, 


den Berfuch anzuftellen, und darfft es nicht zugeben, daß ich meine - 


Thorheit einem Andern entdede, bei welchem meine Ehre, die du 
zu erhalten wünſcheſt, Gefahr laufen würde. Und wenn aud die 
beinige dur beine Zubringlichfeit auf eine kurze Zeit in Eas 
millas Meinung herabfinfen folte, fo barf dich das nicht bes 
fümmern, benn fobald wir fie fo flandhaft finden, als wir wünſchen, 
kannſt du ihr unfern Anfıhlag entdecken, und dir dadurch ihre gute 
Meinung wieder erwerben. Da du nun fo wenig dabei wagſt und 
fo viel zu meiner Beruhigung beitragen Tannft, fo weigre dich 
nicht, trotz aller Unannehmlichkeiten, welche du dir dabei benfflz 
denn wie gefagt, ich bin zufrieden, es beim erfien Verſuche bewenden 
zu laſſen.“ 








XXXM. Kapitel 443 


Wie Lothario feinen Fremd fo Hartnädig fand, und für das 
Gegenteil weder neue Gründe, noch Beifpiele anzuführen wußte, 
zumal da Anfelmo feine thörichte Griffe einem Andern zu entdeden 
droßte, fo entfhlof er fih, damit größeres Uebel verhütet werde, 
ihm nachzugeben und zu thun, was er von ihm verlangte, mit dem 
Vorſatze, ſich dabei fo zu benefmen, daß er, ohne Camillas Grund» 
füge zu untergraben, dem Auſelmo Genüge Ieiftete. Er bat diefen 
alfo, fih feinem Andern anzuvertrauen, inbem er ſelbſt, ſobald es 
verlangt werde, ben Auftrag übernehmen wolle. Auſelmo ums 
armte ihn and dankte ihm fo herzlich für feine Zufage, als wenn er 
ihm bie größte Wohlthat erzeigt hätte. Sie nahmen barauf Abrede, 
gleih am folgenden Tage ans Werk zu fihreiten, und Anfelmo 
wollte feinem Freunde fowohl Zeit und Gelegenheit, Camilla 
allein zu ſprechen, als auch Geld und Kleinodien zu Geſchenken ver 
ſchaffen. Meberbies follte ihr Lothario Ständigen bringen, und 
Lobgedichte auf fie maden, wozu Auſelmo, falls‘ fein Freund ſich 
nicht ſelbſt bemühen wolle, bie Berfe zu bieten verſprach. Lothario 
bezeigte fig zu Allem willig, jedoch in ganz anbrer Abfiht, ale 
Anfelmo glaubte, nnd nach getroffner Berabredung fehrten fie 
zurück nah Anfelmos Haufe, woſelbſt Camilla bereits mit 
zärtliher Ungebuld auf ihren Gemahl wartete, weil er an biefem 
Tage viel Länger als gewöhnlich auegeblieben war. Lothario 
gieng nah Hauſe, und Anfelmo mar in dem feinigen fo vergnügt, 
ald Jener befümmert war, weil er nicht mit fih einig werben Fonnte, 
wie er es anfangen follte, um fih aus diefem kitlichen Handel zu 
ziehen; inzwiſchen entwarf er noch an bemfelben Abend einen Plan, 
um den Anfelmo zu bintergehen und Camilla nit zu beleidigen. 
Am folgenden Tage gieng er zu feinem Freunde zum Efien, und 
ward von Camilla mit berjenigen Herzlichteit empfangen, welche 
der Mann verbiente, ben ihr Gewmahl fo fehr Lichte. Nach aufge» 
hobner Tafel bat Anfelmo den Lothario, feiner Gemaßlin fo 
lange Geſellſchaſt zu leiten, bis er ein nothwendiges Gefchäft abge 
than Hätte, und verſprach in anderthalb Stunden wieder zu kommen. 
Camilla bat ihn, nicht auszugeben, und Lothario erbot fih, ihn 
zu begleiten; affein Aufelmo ließ fi nicht bereten, fonbern befland 











+ Don Auirote. 


darauf, daß Yotbario bleiben und ihn erwarten folle, weil er noch 
über etmad Wichtined mit ibm fpreden müſſe. Camilla bat er 
wienbfang, feinen ſreund fo Tange zu unterhalten, bi6 er wieder 
ame. Senna, er wußte feine notbwentige, ober vielmehr feine 
tdoriddte Entfernung ale eine fo dringende Sache vorzuftellen, daß 
Niemand fie für einen Iceren Vorwand balten fennte. (Er gieng und 
?otdarıe dueb bei Camilta aleın am Tiſche, weil dic Vedienten 
bereite zum (fen gegangen waren. Jett befant fi Lothario auf 











SE Now Bam Im anne oe ee Sup 
more der Xmar sr pen Se ame 








XXXM. Kapitel, 4455 


Sopha bequem zu machen; er wollte aber nicht, ſondern blieb ſchlum ⸗ 
mernd auf feinem Stuhle figen, bis Anfelmo zurädfam, Wie biefer 


Camilla in ihrem Zimmer und den Lothario ſchlafend fand, 
glaubte er, fie hätten während feiner Abweſenheit Zeit gehabt, nicht 
nur mm zu einer Erklärung zu fommen, fondern auch um einzufchlafen, 
und er Fonnte fan den Augenblick abwarten, bis Lothario er- 
machte, um wieder mit ihm auszugehen und ihn zu fragen, wie es 


gelungen wäre. Es gieng Alles, wie er wünſchte. Lothario er | 


wachte, fie giengen miteitander ans, und Lothario antwortete ihm 
auf feine Frage? er hätte es nicht für dienlich gehalten, gleich das 
erftemal mit einer foͤrmlichen Liebeserflärang herandzurüden, fondern 
ih damit Segnägt, Camillas Verſtand und Schönheit zu rühmen 
und ihr zu fagen, daß beide von der ganzen Gtabt beucidet werben; 
viefen Anfang Halte er für den zweckmäßigſten, um ſich ihr zu 








446 Don @uirote, 


empfehlen und um für das nächſtemal ſich deſto Teihter Gehör zu 
verfchaffen, fo wie Satan, wenn er bie Wachſamkeit eines Menſchen 
einſchläfern will, fi in einen Engel des Lichts verfleivet, da er doch 
Fürſt der Finſterniß ift und nur fo lange buch den Schein des 
Guten täuſcht, bis er feine Abficht erreicht, und alsdann in feiner 
wahren Geftalt erfeint, wenn der Betrug nicht gleih im Anfange 
entdedt wird. Anfelmo war damit fehr zufrieden und verſprach 
ihm täglich ähnliche Gelegenheit zu geben, oder wenn er nicht aus⸗ 
gienge, ſich in feinem Haufe auf folhe Art zu beſchäftigen, dag Ea- 
milla feinen Plan nicht merken ſolle. Lothario ließ inzwiſchen 
einen Tag nach dem antern verfireichen, ohne Camillen ein Wort 
von Liebe zu fagen, obwohl er den Anfelmo verfiherte, daß er 
zwar mit ihr geſprochen, aber im geringften Feine Antwort von ihr 
erhalten habe, welche Tadel nerbiente, oder auch ihm nur bie ent- 
ferntefte Hoffnung geben könnte; vielmehr habe fie ihm gedroht, ſich 
bei ihrem Gemahl über ihn zu befehweren, wenn er feinen böfen 
Abſichten nicht entfagte. £ 

„Sehr gut,“ fprah Anfelmo, „ben Worten hat Camilla 
bisher widerſtanden, jegt müffen wir auch verfuhen, wie fie ben 
Thaten widerfteht. Morgen erhältſt du von mir zweitaufend Thaler 
in Gold, die du ihr anbieten, oder geben fannft, und eine gleiche 
Summe, um Nofbarfeiten dafür anzufgaffen; denn bie Weiber, 
zumal bie fehönen, finden immer Vergnügen an Putz und Schmud, 
fie mögen fo keuſch ſeyn, wie fie wollen, und wenn Camilla biefer 
Berfahung widerſteht, fo will ich zufrieden feyn und dir weiter feine 
Mühe mehr machen.“ 

Lothario antwortete, da er einmal angefangen habe, fey er 
auch bereit, bie Unternehmung zu Ende zu bringen, obgleich er zufegt 
opne Zweifel ermübet und überwunden ben Kampfplatz würde räumen 
müffen. Er empfieng bie viertaufend Thaler, die ihn in viertaufend 
neue Berlegenheiten fegten, weil er feine nene Lüge zu erfinnen wußte. 
Er nahm ſich indeffen vor, zu fagen, Camilla Iaffe fi ebenfo wenig 
durch Geſchenke beftehen als durch Worte überreden, und das Befte 
wäre, alle fernen Berfuche aufzugeben, weil nur Zeit damit verloren 
würde. Allein das Schickſal fügte die Sachen anders, und es traf | 














XXXII. Kapitel, 47 


ſich, daß Anfelmo, wie er einſt Camilla mit dem Lothario 
nad) feiner Gewohnheit allein gelaſſen hatte, im Borpimmer ich, 
and durch das Sqluſſelloch beobagtete, womit fie ſich unterhieften, 
und fo wurde er benn gewahr, daß Lothario in einer halben 


Stunde fein Wort mit Camilla ſprach, und nichts würde gefproden 
haben, wenn er auch ein Jahrhundert dageblieben wäre. Dieß brachte 
den Anfelmo auf den Gedanfen, daß alles, was ihm fein Freund 
geſagt, nichts ald Ummaprheit und Erbichtung feg. Um fih hievon 
zu überzeugen, trat er ins Zimmer, rief den Lothario berand, 
und fragte ihn, wie er mit Camilla fände, und wie fie jept ges 
finnt ſey. 2othario eriwiederte, er glaube mit, daf er jemals 
einen Schritt weiter bei ihr fommen würde; denn Camilla habe 
ihn mit ſolchen Zorn und folder Beratung abgewiefen, daß er 
nicht das Herz hätte, ihr ein Wort mehr zu fagen. 











em | em | @uirote. 


„Ah Lothario, Lothario!” verfeßte Anfelmo, „wie 
ffeipt erfülf du deine Pflicht gegen mid, und wie wenig entfprigft 
du dem Vertrauen, das ich in bich gefegt habe! Sept eben habe ich 
dich durch diefes Schlüſſelloch beobachtet und entdeckt, daß du mit 
Camilla nit ein Wort geſprochen Haft, und ich deuke demnach, 
daß du ihr noch das erſte Wörtchen fagen folk. Wenn bies ber 
Fall if Cwie ich nicht zweifeln kann), fo fage mir, warum betrügſt 
du mich, ober worum will bu mich vorfeglich des Mittels berauben, 
welches allein zum Zwede dient?” 

Mehr fagte er nicht, doch was er gefagt hatte, war genug, 
um feinen Freund verwirrt zu machen und zu beſchämen, und weil 
Lothario es gewiſſermaßen für einen Schimpf hielt, auf einer Un⸗ 
wahrheit ertappt zu werden, fo ſchwor er von dem Augenblick ihn 
völlig zufrieben flellen zu wollen. Anfelmo möge ihn nur beobach⸗ 
ten; übrigens fey fein weitrer Sporn nöthig: aus freiem Antrieb 
werde er Allem aufbieten, damit jeder Verdacht ſchwinden müffe. 
Anfelmo glaubte ifm, wollte gleich die beſte und bequemfle Gele» 
genheit einleiten, und beſchloß daher fih auf acht Tage von daufe 
zu entfernen und bei einem Freunde aufzuhalten, der nicht weit von 
der Stadt auf dem Lande wohnte. 

Unglädtiger, unbefonnener Anfelmo! was beginnft du? was 

Rifte du an? wie viel Unglück und Schande ladeſt du ſelbſt bir 
auf dein Hanpt? Deine Camilla if tugendhaft; du kaunſt fie ruhig 
und in Frieden befigen; Niemand fört di in deinem Glück; ihre 
Gedanfen ſchweifen nicht hinaus über den Kreis ihrer häuslichen 
Geſchäfte; du biſt ihr Himmel auf-Erden, das Ziel ihrer Wünſche, 
die Fülle ihrer Freude und die Richtſchnur ihres Willens, welcher nur 
dem beinigen und dem Willen des Himmels fih fügt. Warum willſt 
du, während bie reiche Fundgrube ifrer Tugend, Schönheit und Gitt- 
famfeit dir zu Gebote ſteht, nad neuen, eingebilveten Schägen gra- 
ben und dich der Gefahr ausfegen, daß Alles über bir zufammen- 
ſtürzt, da du dich auf nichts, als auf ihre ſchwachen Kräfte verlaffen 
tannft? Bedenke, daß wer unmöglihe Dinge begehrt, mit Recht auch 
das noch entbehren muß, was er hätte befigen können, wie S 
Dichter fagt: 

















XXX. Saopitel 


Im Tode ſucht ich Leben, 
Geſundheit auf dem Siechbett, 
I Rerfermauern Breibeit, 

Aus Labprintpen Andgang, 
Und Treue bei Berrätpern. 
"Drum hat mein böfer Stern, 
Im Einklang mit dem Dimmel, 
Beil nah Unmöglispleiten 
Mein Ders geitachtet, 

Mir aub das Mögliche verfagt. 

Anfelmo gieng am folgenden Tage aufs Land, und fagte beim 
Abfchied zu Camilla, Lothario werde indeß die häuslichen An- 
gelegenheiten für ihn beforgen, und bei Tiſche ihr Gaſt fegn, er bitte 
fie demnach, demfelben fo wie ihm felbft zu begegnen. Camilla 
ward, als ein tugenbhaftes und verfländiges Weib, über dieſen Befehl 
ihres Gemahls fehr betroffen und bat ihn zu. bebenfen, wie unfcie- 
lid es wäre, daß ein Andrer feinen Platz während. feiner Abmwefenheit 
einnehmen follte, Wenn er, fagte fie, ein Mißtrauen in ihre Fähig- 
keit, das Haus zu. regieren, fege, fo bitte fie ihn, fie mir dies ein» 
sigemak;auf, bieagprebe zu Rellen, under werde finten, daf fie wohl 

[häften gewachfen, wäre. Anfelmo ermiberte, 

befiploffen, und ihr bliebe nichts übrig, als die 

zu legen nnd zu geboren, Camilla fagte, 

fie wolle es than / obgleich es diesmal fehr wider ihre Neigung geſchehe. 

Unfelmo reiste ab, und am folgenden Tage lam Lothario 
in fein Haus und ward von Camilla mit Kreundfichfeit und Achtung 
empfangen; fie vermied jedoch jede Gelegenheit, ‚mit ihm allein zu 
fepn, umd war beftändig von ihren Dienern und Mädchen umgeben; 
beſondero Fam ihr eine der Hammerjungfern mie vom der Geite, bie 
geliebte. Lionella, die im Haufe ihrer Eltern von Jugend, auf mit 
ihre war erzogen worden, und welche fie daher bei ihrer Berheirathung 
mit fi, genommen hatte, Während der erfien drei Tage fagte Lo» 
thario ihr nichts, obgleich er dazu wohl Gelegenheit gehabt hätte, 
wen nach anfgehobner Tafel die Bedienten eine Weile weggiengen, 
um ihre Mahlzeit zu halten, wobei fie jetoh auf Camillas Be 
fehl nicht lange ausblieben; und an Lionelfen hatte fie befohlen, 





Dan Onirete I 


























350 Bon @uirote. 


früher als fie ſelbſt zu eſſen, damit fie hernach nicht wieber ſich zu 
entfernen brauchte. Weil aber dieſe den Kopf voll anbrer Gebanfen 
hatte und fih Zeit und Gelegenheit zu ihrem eignen Vergnügen zu 
Nugen machte, fo befolgte fie nicht immer die Befehle ihrer Gebie- 
terin, fondern ließ fie oft (als wenn es ihr geheißen wäre) mit 
dem Rothario allein; doch das Ehrfurcht gebietende Weſen Eamil- 
Tas, der Ernft in ihrem Blick und die Würde in ihrem Betragen 
hielten feine Zunge in Zaum. Aber chen die Bortheile, welde 
Camillas erhabene Tugend im Anfange über Lothario erhielt, 
indem fie ihm Stillſchweigen auferlegte, gereichte am Ende ihnen Beiden 
deſto mehr zum Berberben; denn obgleich feine Zunge ſchwieg, fo 
bfieben doch feine Gedanken nicht unbefchäftigt, fondern fie hatten nur 
deſto mehr Zeit, Camillas vollendete Liebenswürbigfeit und Schön- 
heit zu bewundern, welde nicht nur in einem gefühlvollen Herzen, 
fondern felbf in einem Marmorbifde bie Glut der Liebe zu ent- 
zünden vermocht bätte. Je weniger Lothario mit ihr ſprach, deſto 
mehr Muße hatte er, fie zu beobachten und ben hohen Grab ihrer 
Tiebenswürbigfeit zu empfinden; über biefen Betrachtungen vergaß er 
almälig, was er feinem Freunde ſchuldig war; tauſendmal fiel es 
ihm ein, die Stadt zu verlaflen und fo weit zu fliehen, daß An- 
felmo ihn und er Camilla nie wieder fähe; allein die Wonne, 
die er in ihrem Anbli empfand, hatte ihm bereits zu fehr gefeffelt 
und hielt ihn zurück. Cr fämpfte mit ſich ſelbſt und fuchte diefe Em- 
pfindung ans feinem Herzen zu verbannen, er machte ſich heimlich 
Vorwürfe wegen feiner ungebührlihen Wünſche und ſchalt fi) einen 
treulofen Freund und ſchlechten Chriſten, er flellte Betrachtungen an 
und machte Vergleihungen zwiſchen fih nnd Anfelmo; doch Alles 
endete damit, daß er ber Thorheit und dem blinden Zutrauen feines 
Freundes mehr Schuld gab als fi ſelbſt, ſo daß er das Ber 
brechen, weldes er im Begriffe war zu begehen, kaum noch für 
ſträflich würde gehalten haben, wenn er es vor Gott fo gut, wie 
vor der Welt, hätte beſchönigen können. Genug, Eamillas 
Reize und Vortrefflichkeit, verbunden mit der Gelegenheit, welde ihr 
unbefonnener Gemahl ſelbſt ihm an die Hand gab, brachte Lotha- 
rios Rechtlichkeit zum Fall, und am dritten Tage nah Anfelmos 





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XXXIII. Kapitel 451 


Abreiſe, während welcher Zeit er beſtändig mit feiner Leidenſchaft 
gekämpft hatte, ſehte er endlich Alles ans den Augen, was feiner 
Neigung im Wege fland, uud fieng an, Eamillen mit fo vielem 
Feuer feine Liebe zu erflären, daß fie voll Erflaunen auffland und 
fi$ in ihr Zimmer begab, ohne ihm ein Wort zu erwidern. Durch 
diefe Mißbilligung ließ ſich jedoch Lothario die Hoffnung nit 
rauben, welche ſtets mit der Liebe zugleich entſteht, vielmehr fhäpte 
er Eamilla nur noch höher. Camilla, welde ein Betragen an 
ihm bemerkte, deſſen fie fh nie verfehen hatte, wußte nicht, wie fie 
ſich dabei verhalten follte, und da fie es für eben fo gefährlich als 
uuſchicklich Hielt, wenn fie ihm nene Gelegenheit, fie zu ſprechen 
gäbe, fo fanbte fie noch denfelben Abend einen Diener an ihren 
Gemahl mit einem Briefe, welchen man in folgendem Kapitel 
finden wird. 





























452 Don @uizote. 





Vierunddreißigſtes Rapitel. 


ortfegung der Grzählung vom unbefonnenen Neugierigen 


Camillas Brief an Anfelmo. 


447 Par REN ‚aftelle opne Caſtellan, Deere 
a | opne Feldherrn find, wie 
man zu fagen pflegt, 
ſchlecht berathen; allein 
mid daͤucht, eine junge 
Ehefrau iſt noch ſchlimmer 
daran, wenn fle von ih⸗ 
tem Gemahle allein ger 
laſſen wird. Ich fühle mich 
dur beine Abwefenpeit 
sin eine fo bedenkliche Lage 
iverfegt, und finde es fo 
‚ganz unmögli, fie länger 
zu ertragen, daß ich mich 
werbe gezwungen fehen, 
mid zu meinen Eltern zu begeben und bein Haus opne Hüterin zu laflen, 
wenn bu nicht Ichleunig zurüdfommft; denn derjenige, den du mir zum Auf- 
ſeher beftellt Haft, falls du ihm anders dieſes Amt übertrugft, ſcheint 
mie mepr feinen eignen Abfichten als die beinigen zum Endzwed zu haben. 
Da du ein verflänbiger Mann bift, fo brauche ich dir nichts mehr zu 
fagen; auch iſt es nicht rathſam, mid deutlicher auszubrüden. “ 
Diefen Brief erhielt Anfelmo und ſchloß daraus, dag Lotha- 
rio den erften Angriff bereits gethan, und daß Camilla, wie es 























XXXIV. Kapitel 453 


bien, fih fo vertheibigt hatte, wie er wünſchte. Höchſt vergnügt 
über diefe Rachricht, ließ er ihr mündlich antworten, fie folle auf 
feine Weife ihr Haus verlaffen, weil er ſehr bald zurüdfommen 
werde. Camilla erſtaunte über diefe Antwort ihres Gemahls, 
durch welche fie im noch größre Verlegenheit gefegt wurde. Sie 
getrante ſich weder im Haufe zu Bleiben, mod zu ihren Eitern zu 
geben; demm went fie blieb, fo Tief ihre Ehre Gefahr, und wenn fie 
ſich entfernte, fo handelte fie dem Befehle ihres Gemahls zuwider. 
Endlich foßte fie den unglüdtigen Eutſchluß zu bleiben, mit dem 
Borfage, die Gegenwart Lotkarios nicht zu meiden, um bei ihren 
Bebienten feinen Verdacht zu erregen, und faft bereute fie cd, daß 
fie an ihren Gemahl geſchrieben hatte; denn fie befürchtete, er möchte 
auf ben Gedanken geratgen, daß Lothario etwas Leihtfinniges an 
ihr bemerkt und daß ihn dies veranlaft hätte, die ſchuldige Achtung 
für fie. aus den Mugen zu fegen. Da fie fih aber ihrer Tugend 
beruft war, fo trante fie auf Gott and ihre guten Grunbfäge, unb 
war entfhleffen, alles wa& Lothario ihr fagen würde, ſullſchwei 
gend anzufören, ohne daß fie ihrem Gemafl Nachricht davon gäbe, 
um diefem weder Händel noch Verdruß zuzuziehen; fie fann fogar 
anf Mittel, wie fie den Lothario wieder enffehufbigen Föunte, 
falls Anfelmo fragen würde, warum fie am ihn geſchrieben habe. 
In diefer Abſicht, die zwar fehr gutmäthig, aber nicht chen fo gut 
und überlegt war, gab fie folgenden Tags den Neben des Lothario 
wieder Gehör, welder diesmal fo fehr in fie drang, daß ihre Stand« 
haftigfeit zu wanfen anfieng und fie alle Sittfamfeit aufbieten mufite, 
damit ihre Blicke nicht etwas von zärtlihem Mitleid verrietben, 
welches Lotharios Tränen und Bitten in ihrer Bruſt erregten. 
Dies entgieng feinen Augen nicht und gab feiner Alamme neue 
Nahrung. Da er wußte, daß er bie Abweſenheit Unfelmos benupen 
müffe, wenn er die Feftung erſtürmen wolle, fo machte er einen An- 
griff auf ihre Eigenficbe, indem er ihre Schönfeit erheb; benn nichts 
kann fepneller den feften Turm weibliger Eitelfeit umſtürzen, als 
dieſe Eitelleit ſelbſt, wenn man ihr ſchmeichelt. Genug, er unter- 
grub den Fels ihrer Tugend mit fo wieler Gewandtheit und Beharr- 
lichteit, daß Eamilla fallen mußte, wenn fie au von Erz gewefen 





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Don @uizste. 


feloR die Gelegenheiten meide, ſich mit ihr allein zu befinden. Ans 
felmo verſicherte ipr, fie könne allen Argwohn fahren laſſen; ven 
Lothario liebe ein würbiges Mädchen in der Stadt und richte bis⸗ 
weilen Gedichte an fie unter dem Namen Eploris, und wenn andy 
dies nicht wäre, fo habe fie dennoch non Lothario wegen feiner 
vertrauten Freundfchaft mit ihm nichts zu beforgen. Hätte Lothario 
Camilla nicht zeitig einen Winf gegeben, daß das Liekrsverkändnig 
mit Eploris eine Erfindung fey, deren er fi) gegen Anfelmo be» 
dient habe, bloß um bisweilen Camilla ſelbſt loben zu Können, fo 
wäre fie gewiß in bie verzweiflungsnollen Stricke der Eiferſucht ge» 
fallen; weil fie aber von Allem ſchon unterrichtet war, fo machte fie 
fi deßhalb feine Sorge. Indem nun folgenden Tags alle drei mit- 
einander zu Tiſche faßen, bat Anfelmo feinen Freund, ihm ein Ge⸗ 
dicht auf feine Geliebte Chloris vorzulefen, denn da Camilla 
nicht wiſſe, wer fie fey, fo brauche er ja gar nicht zurüdzupalten. 
„Und ſollte fie tiefe Eploris and kennen,“ ſprach Lothario, 
„ſo würde ich wicht nöthig Haben, etwas zu verbergen; bean wenn eim 
Liebpaber vie Reize feiner Geliebten erhebt und ſich zugleich über 
ihre Unerbittlifeit beHagt, fo fegt er gewiß ihren guten Ruf im 
keine Gefahr. Doch dem fey, wie ihm wolle, Bier if ein Souett, 
welches ih geſtern auf die Spröbigfeit meiner Chloris machte. 


Der id an Borten arm, bob reih an Plagen, 
Mid Höre die Mitternacht, wenn ſchlafbeñegt 
Die ganze Belt in tiefter Rude liegt, 
Dem Simmel und der fpröben Chlorid Hagen. 


Unt was ih Rachts in franfer Bruf getragen, 
Das List au, wenn, vom Morgenwind gemwiegt, 
Aus biamanınem Ther die Sonne Hicgt, 

Kein Licht in meiner trüben Ecele tagen. 


Der Morgen ſchwindet, Mittag kemmt beran. 
Und ſeakrecht wie des Mittags Sonnenfrahl 
Trifft Liche mich mit wachſendtr Gewalt. 


Run kehrt tie Nacht zurüd auf dunkler Bahn, 
Und id, ich Ände gegen meine Lual 
Den Simmel taub und Epforis marmorfalt. 





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XXXV. Kapitel, 


Camilla war mit tem Sonett ſehr zufrieten Anfelmo 
tobte es mod mehr und fagte: „Die Dame müſſe übermäßig fpröde | 
ſeyn, bie durch fo Mare Wahrheiten fih nicht erweichen Taffe.* 

„IR denn afles wahr, was die verfiehten Dichter in ifren Berfen 
fagen®* fragte Camilla. 


„As Dichter,“ antwortete Lothario, „reden fie nicht immer | 


wahr; als Verliebte aber find fie lets ärmer an Worten als an 
BWahrpeit, * . 

„Daran ift kein Zweifel,” fagte Unfelmo, um den Werten 
Lotharioe noch mehr Gewicht bei Camilla zu geben, welde aber | 
defto weniger af feinen Kunſtgriff Achtung gab, je mehr fie bereits 
in den Lothario verficht war, und ka fie nit ur an feinen Berfen 
Vergnügen fand, fondern auch überzeugt ſeyn durfte, daß feine Wünfige, 
ſowit feine Gedichte, nar fie ſelbſt zum Gegeuſtaud Hatten, und daß fie 














458 Don Euirote. 


die Chloris war, welde er befang, fo bat fie ihn, wenn er fonft noch 
ein Sonett ober ein antres Gedicht auswentig wüßte, es herzufagen. 

„Ich weiß wohl noch ein antres,“ erwiberte Lothario: 
„allein nit, ob es fo gut if, wie bas erfle, oder vielmeßr, ob das 
erſte nicht weniger ſchlecht if, doch Ibr mögt ſelbſt darüber ent- 
ſcheiden; ſo lautet es: 

16 ih dich liebe, koſtet mir das chen. 
Du zmweifeid? So nemiffer iſte, fo ſchlimmer! 
Und toͤdtet einft mid deiner Auge Ecbimmer, 
Se wird in Liche doch mein Geift entſchweben. 
And Leides Waftern ſchlürf ıb ohne Veben, 
Nein EelbR zergede, mie mein Glüd, in Trümmer: 
Au dann, in meiner ſtarren Pruf. noch immer 
Wird dein Sild, wie ich liebte. Zeugnis geben. 
Dies Goͤtterdild Folgt mir ind Ramriserämmel. 
Zu ibm. dur derne Kälte angereuert, 
Bet ib. wenn ale auten Sterne Felsien. 
Dem Skifer wer. der dei 
Bean nırgentd Ad ein Teorit 
In unbefannte Merre dednles Acuert. 

Anielmo Ichte das zweite Senett wie das erſte, unt fügte 
mutdın immer ein Slied nah tem entern zu der Kette, mit welder 
dene Scarde täglich Feier geiklangen wart; tonn je tätiger Lo- 
tbarıe war, ibm zu entehren. ters mehr überredete er ihn, feine 
Edre Rche fer gegrandet, umd zede Sur "Se Camilla tiefer 
zum Agrante der Verechtlioken bızaditieg, biert ifr Gemafl für 
are Stafel, am? welder he immer böder art die zum Girfel des 
Nude um. der Insert Aa erbede 
We Lomills Rs or me isrer Roumerizusier allein befamh, 








setmärzem Pimmel, 
an Safe, 





















indie diegtzedea amt Nm Letdarte vn 
zig dade: ich hand. m wer mi ale 


welt za witerächen. ne md ;2 ide Sim; 
‚Ste Fad das ser Raum modern 
Iırzeliz, „Dear det ndee ja dedeater 




















NXNIV. Kapitel. 459 


Gabe wirt dadurch nicht verringert, daß man fie bald giebt, weun 
fie nur gut and au fig ſelbſt fGäpber if; man pflegt fogar zu fagen, 
wer bald giebt, gebe doppelt." — „Man fagt aber and: wohl- 
feile Waare wird nicht geachtet,” enwiderte Camilla. 

Auf Euch laͤßt ſich dies wicht anwenden,” verfepte Lionelfa, 
denn die Liebe kommt, wie ih gehört Habe, bald geflogen, bald ge- 
ſchrittenz bei dem Einen geht fie fahnell, bei dem Andern Tangfam; 
Diefen macht fie dreiſt, Jenen verzagt; Einige verwundet fie nur Leicht, 
Andre lödilich bioweilen Hat fie die Baufbapn ihrer Wünfge kaum 
angetreten, fo befindet fie fih auch ſchon am Ziele; der Map, den 
fie des Morgens belagert, ift ſchon aut Abend oft erebert, weil Feine 
Kraft ihr widerfichen laun. Warum welt Ihr denn Euch Kummer 
und Sorge machen, da ed doch dem Lothario wie Euch gegangen 
if, ſeildem Amor bie Abweſenheit unfers Herrn bemügte, um Euch 
beide unter fein Joch zu bringen? Während diefer Zeit mußte 
wendig Alles ausgeführt werben, was er beſchloſſen halte, che 
Anfelmo Zeit ließ, wieber zu fommen und ihm bas Spiel zu ver« 
derben; deun um feine Abſichten zu erreichen, Hatte er feine behre 
Gehiffin, als die Gelegenfeit: fie if et, die ihm in allen feinen 
Händeln, beſonders im Anfange dienen mußte, Ih weiß dad afles 
ang eiguer Erfahrung, und nicht vom bloßen Hörenfagen, und will Euch 
mit der Zeit wohl etwas davon ergäplen; denn ich habe ebenfalls 
jagendliches Fleiſch und Blut. Ueberbies Habt Ihr End niht fo 
rafch und fibereift ergeben, daß Ihr uicht vorfer au den Bliden, 
Seufzern, Neven, Berheifungen und Geſchenken Eures Liebbabers 
feine ganze Gefinnung erfannt und dadurch, fowie durch feine per- 
ſonliches Verdienſte, End überzeugt hättet, wie ſehr Lothario 
Eurer Liebe würdig war. Laßt Euch demnach tur dieſe gar zu 
empfinbfamen und ängfilihen Gedanlen nicht beunruhigen, fondern 
ſeyd verfigert, dafı Lothario Euch ebenfo hoch ſchätt, ala Ihr ihn, 
und ba Ihr num einmal in dem Garn ter Liebe gefangen feyd, fo 
freut Eu, daß derjenige, der Euch gefeffelt hat, ein wärbiger und 
ſchatbarer Mana iſt, bei weichem Ihr nicht nur Sanftmuth, Scharf- 
fan, Stärke und Schönheit, die vier &', welde, wie man fagt, 


# Die Sion © ver Branieriniei Fink vigenttidh> «able, sole, selhaw nik merene 





Don Euvirene, 


jeder gute. Liebhaber ‚befigen muß, vereinigt findet, fonbern ein, ganzes 
Alphabet ven guten Eigenfaften; denn er ift 


Bieder — Easalier 
Dienftfertig — Edel — Freigebig 
Gefallig 
Herzhaft — Jung 
Alag — Lebhaft — Mio 
Nachgiebig 
Ofenferzig — Pragtig — Reif 
die Bier 
s-5-5-6 
nicht zu vergeffen 
Tapfer — Unverdroffen — Verftänbig 
Wohlredend und Zärtlic. 























XXXNIV. Kapitel, 461 


„Das Dund X find harte, fremde Buchſtaben, mnb bas-9) wird 
ans Newerangsfucht von Vielen verihmäßt; dafür befigt aber Lo— 
tbario außer ben erwähnten vier S noch ein fünftes, nämlich Serg- 
falt für Euern gulen Namen.“ 

Camilla Tähelte über das Alphabet ihrer Zofe, und merkte 
wohl, daß biefelbe in Liebeshändeln erfahrner war, als fie geglaubt 
hatte; und dies gefland Lionella ſelbſt, indem fie ihrer Gebieterin 
entveite, bafı fie mit einem Füngling aus gutem Haufe in der Stadt 
ein Liebesverfläubniß unterhalte, Camilla ward ſehr unruhig bar- 
über, weil fie wegen diefes Handels Gefahr für ihre eigne Ehre 
befürdtete, Sie fragte deßwegen, ob das BVerhäftnif fi weiter als 
auf erfaubten Umgang erfirede, und Lionelfa entblödete fi nicht, 
zu befennen, daß fie ſchon weiter gegangen ſey. So gewiß iſt es, 
daß die Fehltritte einer Hausfrau ifre Mägde zur Unverfehämtpeit 
veranlaffen, und ſobald jene aus ber Bahn tritt, ſcheuen fig dieſe 
nicht, über bie Schranfen zu fpringen, ohne ſich darum zu befümmern, 
was ihre Herrfhaft dazu fagt. Camilla blieb nichts übrig, als bie 
Zefe zu bitten, fie möchte ihrem Liebhaber mihtd von den Augelegen - 
deiten ihret Herrin entveden, und and ihren eignen Liebeshaudel fo 
geheim Halten, daf weder Anfelmo noch Lot hario etwas davon 
erführe, Monella verfprah es, hielt aber ihr Wort fo ſchlecht, 
daß Camilla bald gewahr warb, fie werde durch die Schuld ihres 
Mädgene um ihren guten Ruf fommen; denn faum ſah die freche 
und verwegne Zofe, daß ihre Gebisterin ſich nicht Betrag, wie fie 
ſollte, fo ſcheute fie ſich nicht länger, ihren Liebhaber ind Hans 
fonmen zu faffen, weil fie wufite, daß Camilla, wenn fie ihn auch 
gewahr würde, ihm micht zu werratben wagen dürfte; und dies ift 
eine son ven böfen Folgen, welche die Bergehungen einer Hausfrau 
nach fih ziehen, daß fie zur Sklavin ihrer eignen Magde wird und 
ſich gezwangen fieht, die Unarten und Laſter derfelben ſelbſt verhehlen 
zw helfen. So gieng eo auch Camilla, welche zwar oft gewahr 
ward, daß Lionella ihren Liebhaber bei fi in der Kammer hatte, 
aber micht mir Feineswegs fie defiwegen zu [Kelten "wagte, fonbern 
ihr vielmehr Vorſchub tat, ihn zu verfieden, und ihr jedes Hin- 
dernif aus dem en räumte, damit nur ihr Gemahl — erfũhre. 














462 Den @uiron. 


Bei dem allen fonnte fie micht verfindern, daß Lothario ein 
in der Morgendämmerung ben jungen Dont ans ihrem Hanfe gehen 
fab. Mnfängfich Hätte er dem Unbefannten faft für cin @efpenfi 


gehalten; wie er aber ſah, daß ſich derſelbe das Geſicht mit dem 
Mantel verhüffte und mit ängfificher Geberde davon ſchlich, gerieth 
er auf einen Einfall, woburd er fir Alle hätte unglüdlih machen 
fönnen, wenn Camille nicht Rath geſchafft hätte, Er konnte fi 
namlich nicht vorftellen, dafı der Menſch, ben er zn einer ſo unge» 
wößnlihen Stunde ans Anfelmos Haud hatte fommen ſehen, um 
Liomeltene willen dort geweſen wäre; denn om biefe dachte er in 














NXXIV. Gapitel 463 


dem Ungenblid fo wenig, ald wäre fie nie in der Welt gemefen, 
fonbern er, glaubte vielmehr, Camilla Habe ſich eben ſo leichtſinnig 
einem Andern, wie ihm ſelbſt ergeben; denn fo ift es immer: ein 
ungetreuts Weib verdirbt ſich auch im der guten Meinung detjenigen, den 
fie nad langem Flehen erfört hat; denn diefer glaubt, fie werde noch 
leichter die Bente eines Andern werden; daher der Fleinfte Schatten 
von Verdacht ihm ald unbezweifelte Gewißheit gilt. Es war, als 
wenn Lothario in dem Angenblick feinen gefunden Berfland verlöre, - 
und als were alle vernünftige Ucberfegung von ihm wiche. Ohne im 
Geringftien zu bedenken, ob er recht ober auch aur Hug haudle, ließ 
er fih von der Wath der Eiferfucht, die ihm in den Eingeweiden 
wüßlte, dermaßen verblenden, dafi er vor Begierde, fih an Camilla 
zu rächen, bie ihn boch nicht befeivigt Hatte, zu Amfelmo, ber noch 
nicht einmal anfgeftanden war, ins Haus cilte, 
wBife, Anfelmo,“ ſprach er, „daß ich ſchon feit einigen 
Tagen mit mir felöß gelämpft und mic Gewalt angetan habe, um 
dir etwas zu verſchweigen, weldes bir wicht länger verborgen bleiben 
kann und darf, Wiffe, daß Eamillas Standpaftigfeit überwunden 
iſt und daß fie ſich mir ergeben hat. Wenn ich dir dies bisher ver - 
fhmieg, fo gef hah es bloß, weil ich erſt erforfihen wollte, ‚0b es 
vielleicht nur ein vorübergehenber Einfall wäre, ober ob fic mich nur 
anf die Probe flellen wollte, um zu fehen, ob die Liebeserllärungen 
ernſtlich gemeint wären, welche ih, bir zu gefallen, ihr gethan habe; 
ich mir vor, wenn fie diejenige wäre, wofür wir beibe 
+ fo würde fie dir bereits vom meinen Nachſtelluagen etwas 
Haben. Weil ich aber fehe, daß fie damit zögert, fo fhließe 





der Ort, wo Camilla wirllich mit ihm 

pflegte.) IH wünfge miht, daß du di mit deiner Racht übereifft, 
da das Verbrechen no nit weiter als in Oebanfen brgangen worden 
iſtz deun es laun ſeyn, daß Camilla in der Zwifchenzeit fih anders 
befinut und ihren Worfag bereut, Weil bu num bisher meinen Rath 
immer, wo nicht ganz, doch zum Theile befolgt Haft, fo befolge auch 
er 



















































464 


Den Quirote. 


mod) denjenigen, welden ich jet dir geben will, damit du dich ohne 
Zänfung übergengen und mit forgfältiger Umfigt deine Mafregein 
nehmen Hanne. Stelle dich, als wollek du, wie fonk, auf eim 
paar Tage verreifen, nnd richte es fo ein, daß tm dich Hinter ben 
Tapeten und dem Gerätfe in deiner Rüffımmer verſtechſt, fo können 
wir beite uns mit eigueh Wagen von Eamillas Gefiunung über- 
zeugen, und if fie fo ſchaldig, wie wir zwar nit wänfchen, aber 
doch befürchten müffen, fo fannf da im Stillen und insgefeim beine 
Beleivigung räden.” 

Aufelmo war erfiaunt und beſtürzt über tie Nachricht, welche 
Lothario ihm gab, indem er fie zu einer Zeit erfahr, ba ers am 
werigfien vermutpete und gewiß glaubte, Camilla habe längfk alle 
verfieliten Angriffe Lotharios abgefihlagen, fo daß er anfteng, ſich 
ihres rüfmlichen Siege zu erfremen. ange Zeit fwig er Ri, 
den Blid auf tie Erde gebeftzt, endlich fagte er: „Du haſt gehan- 
delt, Lotharie, wie ichs von deiner Freuntfchaft erwartete; ich habe 
in allen Etüden teinen Rath befelgt; ibae, was ta villſt, und 
beobachte die Verſchwiegenheit, die ein fo außerorbentfißer Borfel 
erforbert. = 

Lethario verforah es, Kerente aber fon beim Weggehen 
iedes Wert, da ihm einfiel, daß er fib an Camille Hütte rüden 
können, ohne zu fo gramfamen und mieterträdtigen Titten zu greifen. 
Er verdammte feine Unzernunft, verwänichte ſeinen raſchen Entſchlaß, 
und wußte micht, wie ers anfangen follte, das Geſchehne wieter get 
zu machen, ober menigiiene zu einem urſchädlichen Ziele zu Ienfen. 
Erdlich fam er darasf, Camilla Alles ju enttedfen, unh da es im 
an Gelegenheit hiczu wicht fehlte, ſo Ferch er fie noch am temielben 
Tage unter vier Angen. Raum befand fie fih wit ihm allen, fo 
tagte fie zn ihm: „Lietfier Letbario. mir liegt etwas Oxilentes 
anf dem Gergen, weren es faſt zerferingen mil, und es wire ein 
SWuater, were dies wicht geichäße,; tdemm tie Umverihimtseit meiner 
Liomella gest fo weit, taE fie jete Natt ihren Liebbaber zu fh 
ind Gans fommen likt, wat ihm bis zum Morgen bei fich behält, 
weßti meine Ehre tie sröfte Gefahr lauft. weil Jetermann, ter ihn 
zu io ungewöhnlicher Zeit aus meinem Haufe fowmen feht, bie 














NXXIV. Anpitel 465 


Freigeit hat, davon zu benfen, wie er will. Was mich am meiften 
dabei werbrießt, iſt, daß ich fie dafür weder befirafen, noch ſchelten 
darf, weil das Bewußtſeyn, daß fie um unfre Angelegenheiten weiß, 
mir den Zwang anflegt, zu den ifrigen zu fhweigen; und benmoch 
fürdte ih, daß am Ende noch ein Unglüd für und daraus ent» 
fiehen wird. # 


Lothario hielt im Anfarge Alles für Verſtellung und glaubte, 
Camilla wolle ihn nür vereden, der Menfch, dem er geſchen, 
fey nicht um ifretwillen, fondern Liomellas wegen ind Hans ger 
tommen. Wie er aber fab, daß fie weinte, und ihm mit fehwerem 
Herzen um Hilfe bat, fieng er an, ihr zu glanben und warb deß ⸗ 
wegen von Befhämung und Neue burhbrungen; inbef bat er Car 
milla, fie möhte fih Lionellas wegen feine Sorge machen, weil 
er wohl Mittel finden wolle, ihrer Unverfhämtheit Grenzen zu fehen. 
Hierauf gefland er ihr, was er, verleitet von unfinniger Wuth der 
Eiferſucht, zu Anfelmo gefagt und bafi er mit biefem verabredet 
babe, Anfelmo folle fi in der Rüflfammer verfiedlen, um daſelbſt 


Zeuge ihrer Treufofigfeit zu ſeyn. Er bat fie wegen feiner Thorbeit 
um Berzeifung unb zugleich um ihren Math, wie fie fih ans der 
Berlegenpeit herausgelfen könnten, in bie feine Unvernunft fie beide 
gefegt Habe. 


Camilfa erfärad über das, was fie von Lothario Härte, 
und machte ihm chen fo bittre als gerechte Vorwürfe wegen feines 
ungegründeten Verdachto und wegen des unvernünftigen und feind- 
feligen Entfpfuffes, den er deßhalb gefaßt hatte. Da fi aber die 
Weiber in der Geſchwindigkeit, ſey es zu guten ober zu böfen 
Endzwechen, vom Natur beffer zu helfen wiffen, als die Männer, 
obgleich fie zw reiflicher und bebädtiger Ueberlegung weniger ge- 
ſchidt find, fo fand auch Camilla auf der Stelle ein Mittel, 
ſich and diefer, dem Anfeheine nah mmanflösligen Berwidiung 
herauozuziehen. Sie erfuchte demuach ben Lothario, ed fo zu 
veranflaften, daß Anfelmo folgenden Tags am verabrebeten Orte 
fih verfiede, weil fie Willens ſey, gerade dieſen Mmftanb fo zu 





Den Oulreint 














466 Don Auirote. 


benägen, daß fie künftig ohne die geringfle Beforgnig miteinander 
umgehen fönnten. Ohne ihm ihren Plan völlig zu entdecken, bat fie 
ihn nur, er möchte, wenn Anfelmo fich verfledt Hätte, ſobald fie 
durch Lionella ihn rufen Tiefe, erfeinen und auf alles, was fie 
ihn fragen würde, fo antworten, als ob er nicht wüßte, dag Anfelmo 
ihn hören Fönne. 


Lothario drang fehr in fie, ihm ihren Plan ganz zu entveden, 
damit cr deſto beffer im Stand wäre, feinerfeits das Nöthige zu 
beobachten; allein Camilla erwiderte: „es iſt weiter nichts babei zu 
beobachten, als daß du mir meine Fragen beantworteſt;“ denn fie 
wollte ihm von ihrem Vorhaben bewegen vorher feine genaue Nad- 
richt geben, amit er nicht Einwendungen gegen ihren Plan machen, 
oder einen andern in Vorſchlag bringen möchte, der vielleicht nicht 
fo gut wäre. 


Lothario begab fich hieranf hinweg, und folgenden Tags flellte 
ſich Anfelmo, al ob er wieder zu feinem Freund aufs Land gienge; 
er lam aber zurüd und verfledte fih, was er beflo Teichter thun 
fonnte, da ihm Camilla und Lionella mit Fleiß dazu Gele 
genpeit gaben. Man kann ſich vorftelen, mit welchem Herzklopfen 
er feinen Lauſcheplatz einnafm, da er mit eignen Augen zu fehen 
erwartete, wie feine Ehre zu Grund gerichtet werde, und ba er auf 
dem Punkte ftand, das höchſte Gut zu verlieren, welches er in feiner 
Camilla zu befigen geglaubt. 


Sobald Eamilla und Lionella wußten, daß Anfelmo fih 
verftect Hatte, traten fie in die Rüſtlammer, und beim Hereintreten 
ſprach Eamilla mit einem tiefen Seufzer zu Rionella: „AG 
liebſte Rionella! wäre es nicht beffer, eh ich eine That vollführte, 
die ich dir aus Furdt, von bir verhindert zu werben, nicht entbeden 
mag, wenn bu mit dem Dolce des Anfelmo, den ich von dir ger 
fordert Habe, diefe entehrte Bruſt durchbohrteſt? Doc nein, thue es 
nit, denn es ift nicht billig, daß ih für die Schuld eines Andern 
büße. Ich will erfi wiffen, was bie freien und unverſchämten Augen 





























XXXIV. Kapitel, 467 
dieſes Lotpario an mir entvect haben, daß er ſich erbreiften durfte, 


mir dem fhändlichen Antrag zu thun, durch welden er meine Ehre 
und die Bande ber Freundſchaft entweiht, Tritt and Fenſter und 





rufe ihn herein, denn gewiß wartet er ſchon auf der Straße, 
in der Hoffnung, feine fhändfiche Abſicht zw erreichen; ich aber 
werde ihm auf eine eben fo graufame ald lobenowürdige Art zuvor 
kommen.* 























468 Bon @uirote. 


„Um des Himmeldwillen, gnätige Frau!” rief die ſchlaue und 
gewandte Lionella, „was wollt Ihr mit dem Dolce mahen? Ihr 
wolt doch nicht Euch felbft, oder dem Lothario das Leben nehmen? 
Das Eine wie das Andre würde Eure Ehre und Euern guten Namen 
zu Grunde richten. Laßt Euch lieber nicht merken, daß er Euch be» 
leidigt hat, und verhindert, daß diefer böfe Menfch jest in Euer 
Haus kommt und uns allein antrifft. Bebenft, daß wir ſchwache 
Frauenzimmer find, nnd daß er ein Mann und kühn und unter 
nehmend iſt, und da ihm anferbem feine böfen Begierden taub und 
blind machen werben, fo könnt Ihr vielleiht Euern Borfag nicht fo 
fgnel ausführen, als er bereits dasjenige vollbracht haben wird, 
was Euch theurer zu flehn kommen würde als der Verluft Eures 
Lebens. Es if ein Unglück, daß unfer Herr Anfelmo diefem ge» 
fährlichen Menſchen fo viele Gewalt in feinem Haufe eingeräumt 
hat; denn gefegt, Ihr nähmt ihm das Leben, welches, wie ich fürdte, 
Eure Abſicht if, was follen wir hernah mit feinem Leichname 
anfangen?" ö 


„Den mag Anfelmo begraben laflen,“ verfegte Camilla; 
„denn, er fann ſich für feine Mühe dadurch als hinlänglich belohnt 
betrachten, daß er feine eigne Schande in der Erde vergräbt. Eile 
nur, ihn zu rufen; denn jeder Augenblick, den ich durch Zaubern 
verliere, bis ih die mir zugefügte Beleidigung räche, ſcheint 


mir eine Berlegung der Treue zu feyn, die ich meinem Gemahle 


ſchuldig bin.” 


Dies alles hörte Anfelmo, und jedes Wort, weldes Camilla 
ſprach, fegte ihn in neue Bewegung; wie er aber vollents hörte, 
daß fie Willens war, den Lothario zu verſtechen, fehlte wenig, 
daß er nicht hervorfprang und fi zeigte, um fie davon abzuhalten; 
er that es jedoch nicht, weil er fehen wollte, wie weit löblicher Eifer 
und Entſchloſſenheit fie führen würden, mit dem Vorſatze, dieſen zu 
rechter Zeit Maß und Ziel zu fegen. Indeffen fanf Camilla in 
eine tiefe Ohnmacht, und warf fih auf ein Bett, weldes in ver 
Kammer ſtand. Lionella fieng an, bitterlich zu weinen, und rief: 











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„O ih Unglüdtige, wenn ih den Jammer erlebe, daß bie Kroue 
aller guten Weiber in der Welt, ver Ansbund aller Zucht und Keuſch-⸗ 
heit, bier unter meinen Händen flirbtl* Wer biefe und neh mehr 
andre Ausrufungen von ihr hörte, der Fonnte nicht umpin, fie für 
die befümmertfle und treufle Zofe und ifre Frau für eine zweite 
verfolgte Penelope zu halten. Camilla erholte ih jedoch bald 
wieder, und fagte: „Was zauderſt du, Lionella, dem treufofeften 
Freund, welden jemals die Sonne befhienen, oder die Nacht ver- 
ftedft hat, zu rufen? Mad ein Ende, eife, laufe, damit nicht durch 
dein Zögern die Gluth meines Zorns erfalte, und meine gerechte 
Rache fi in feere Drohungen und Verwünſchungen oerwandle, * 














Don @uirote. 


„Gleich win ih ihn rufen,“ fagte Lionella, „allein Ihr 
müßt mir vorher den Dolch geben, damit Ihr nicht, indem ich den 
Nüden kehre, eine That begeht, welde Allen, die Euch kennen, 
Lebenslang Thränen koflen würde.“ 


„Sey unbeforgt, Lionella,” erwiderte Camilla, „das werbe 
ih nicht thun; denn fo raſch und unüberlegt der Plan, meine Ehre 
zu retten, bir and fcheinen mag, ſo werde ich doch nicht fo unbe- 
dachtſam handeln, wie jene Lucretia, von welder man fagt, daf 
fie fih ums Leben brachte, ohne feldft etwas GSträflihes begangen 
zu haben und ohne ſich an demjenigen zu rächen, der ihr bergleihen- 
anmuthete. Ich will flerben, wenn ih muß, aber nicht eher, bis 
ich mich an demjenigen gerät habe, der mid veranlaßt hat, hieher 
zu fommen, um feine Berwegenheit zu beweinen, zu welcher ich ihm 
nie Anlaß gab.” E 

Lionella ließ fi ange bitten, ehe fie gieng, den Rothario 
zu rufen; doc endlich gieng fie hin. „DO Himmel!“ fagte Camilla 
während ihrer Abwefenheit, „wäre es nicht klüger gewefen, wenn ich 
den Lothario abgewiefen hätte, wie ih fo oft gethan habe, flatt 
ihm Gelegenheit zu geben, mid auch nur auf eine kurze Zeit für 
treulos zu halten, bis ich ihm feinen Irrthum benehme? Beffer 
wäre es freilich wohl gewefen; allein ih würbe mich ſelbſt nicht ge⸗ 
rät und der Ehre meines Gemahls niht Genugthuung verfhafft 
haben, wenn Jener fo leicht und ohne Strafe für feine böfen Be- 
gierden davon gefommen wäre. Mag der Treulofe mit feinem Leben 
für feine ſchändliche Lüfternheit büßen. Mag die Welt erfennen, 
wenn fie zufällig erfährt, daß Camilla nicht nur ihre Treue gegen 
ihren Gemahl zu bewähren, fondern auch ihn an demjenigen zu rächen 
wußte, der fi unterwand, fie anzufechten. Bei dem allen hätte ich 
vielleicht beffer gethan, dem Anfelmo von Allem Nachricht zu geben; 
allein ich hatte ihm ja bereits genug in dem Briefe gefagt, den ich 
ihm aufs Land fepicte, und ih glaube, wenn er damals dem Unheil 
nicht vorbeugte, wovor ich ihn warnte, fo ließ er fih bloß durch 
fein unbegränztes Vertrauen abhalten, welches ihm nicht erlaubte 

















XXXV. Kapitel 471 


zu denfen, daf fein Bufenfreund Anfhläge gegen feine Ehre fehmie- 
den könnte; ja ich felbft glaubte es nachher fange Zeit nicht und 
wärbe ed. nie geglaubt Haben, wenn feine Unverſchämtheit nit fo 
weit gegangen wäre, daß er durch Geſchenke, Verſprechungen und 
heiße Ehränen mir endlich die Augen öffnete. Doch wozu ſielle ih 
jegt diefe Betrachtungen an? Brandt man etwa in einem herzhaft 
gefaften Borfage ſich noch durch neue Gründe zu beflärfen? Mit 
nichten. Weg mit dem Berräther! Rache, ſchide vih an! Mag der 
Treufofe Hereinfommenz; er fomme, er falle, gehe zu Grund, heruach 
mag es gehen, wie es will, Unbefcholten empfieng mich derjenige, 
welchen der Himmel mir zum Gemahl gab; unbeſcholten will ich mich 
au wieder von ihm trennen, und wenn es zum Schlimmften fommt, 
fo babe ich mic zu gleicher Zeit in meinem eignen, leuſchen Bfute 
und in bem unreinen Blute des treuloſeſten Freundes, ber jemals tem 
Namen der Freundſchaft entweißt hat.“ 


Indem fie diefe Worte ſprach, gieng fie mit gezädtem Dolche, 
mit raſchen Schritten und in fo heftiger Bewegung im Zimmer auf 
und ab, daß fie wie wahnfinnig ſchien, und mehr einem wüthenden 
Meuhelmörder, als einem zarten Frauenzimmer ähnlich war, An- 
felmo, welcher Alles durch die Tapete, hinter ber er verſtedt 
war, beobachten fonnte, war voll Erftaunen, und hielt, was er ge 
feben unb gehört Hatte, ſchon für volllommen hinreichend, um ben 
ftärfften Argwohn zu wiberfegen; ſchon wänfdte er, daß Lothario 
nicht kommen mödte, damit dicht plöglih ein Unglück geſchehe, und 
fon war er im Begriff hervorzutreten, fih feiner Gemahlin zu 
zeigen, fie zu umarmen und ihr Alles zu entbeden, als Lionella 
bereintrat und ben Lothario am ber Hand führte, 


Sobald ihn Camilla erblidte, zog fie mit dem Dolche einen 
fangen Strich vor fig auf den Boden. Lothario,“ ſprach fir, 
wböre, was ih dir ſage: hüte dich, biefe Linie zu überſchreiten, 
ober ihr auch mur mahe zw treten, denn im bem MYugenblide, da du 
dies wagft, durchbohre ich mit dem Dolche, dem bu in meiner Hand 
fießft, meine Bruſt. Ehe du mir antworteft, höre zuvor noch einige 

















Don @uirote. 




















Worte, die ih dir fagen will und dann erwibre mir, was du will. 
Bor allen Dingen Taf mi fragen, Lothario, fennft du meinen 
Gemahl Anfelmo und was haltft du von ihm? Zweitens fage 
mir, ob du glaubft, auch mich zu kennen. Antworte mir unverzüglich 
and ohne Umſchweiſe; denn meine Fragen find nicht ſchwer zu bes 
antworten. “ 

Lothario war nicht fo unerfahren, daß er nicht in dem Augen- 
blide, wo Eamilla ihm befahl, den Anfelmo zu verſtecken, ihren 
Plan bereits errathen hätte; er wußte demnach ihre Abfiht auf den 
erſten Wink fo geſchickt zu unterftügen, daf fie beiberfeits ihre Rollen 
bis zum höchſten Grade der Täufhung fpielten. Er gab ihr dem- 
nad zur Antwort: „Ich glaubte nicht, Tiebenswürdige Camilla, 
„daß du mich hätteſt rufen laſſen, um mir Fragen vorzulegen, bie ber 
Erwartung, mit welder ih hieher gefommen bin, fo wenig zuſagen. 
Thuſt du es, um die Gunſtbezeigungen, die du mich hoffen ließeſt, 
noch länger aufzufchieben, fo hätteft du mir nicht fo zeitig Hoffnung 














NXXIV. Kapitel " 43 


machen follen; denn je näher man dem Ziel feiner Wünfche zu 
ſeyn glaubt, deſto ſchmerzlicher iſt es, dieſes Ziel weiter hiuaus 
gerät zu fehen. Damit du mir jedoch nicht vorwirfft, ich laſſe 
deine Fragen unbeantwortet, fo geftehe id dir, daß ich deinen Ge 
mahl Anfelmo fenne und baf wir einander von unfrer zarten Zur 
gend am gefannt Haben. Unfrer Freuudſchaft, welche bir genugfam 
befannt if, mag ich nicht gebenfen, um nicht felbft als Zeuge ber 
Beleidigung aufzutreten, welde die Liebe, die wohl uoch größte 
Verirrungen eutſchuldigen laun, mid antreibt, ihm zuzufügen. Ich 
kenne auch dich, Camilla, und fhäge dich nicht weniger hoch, ale 
er felbf; denn für einen Cchag von geringerm Werthe hätte ih 
meine Pflicht gegen mich felbft und bie heiligen Bande der Freund⸗ 
ſchaft nit verleßt, die ich, gezwungen von der unwiderſtehlichen 
Macht der Liebe, zerriffen und übertreten habe, * 

„Wenn du diefes bdekenuſt,“ ſprach Camilla, „mit ar 
Stirne darfſt du denn, du abgefagter Feind alles 
Haft fiebenswärbig ift, ver den Augen derjenigen en von 
welger dw weißt, daß fie der Spiegel ift, ber das Bild besjenigen 
guräwirft, an welgem du gleichfalls dich fpiegelt und bedenfen foll- 
teſt, wie wenig es bie ziemt, ihn zu beleibigen? Abet ih Unglüd- 
fie! faſt errathe ih, was dich bewogen Hat, fo wenig anf dasjenige 
au achten, was da dir ſelbſt ſchuldig biſt. Vielleicht war es irgend 
eine Unbedachtſamleit in meinen Betragen; denn Leihtfinn Far ich 
es wit nennen, weil es nicht mit Vorſatz gefihehen iſt, fontern mit 
der Unbefangenpeit, mit welcher ein Weib oft undorſehlich demjenigen 
Bloͤßen geben Tann, zu welchem fie ſich feines Argen verficht. Denn 
fage mir, Xrenfofer, wann ermiberte ih beine Aumnthungen durch 
Werte oder burg Handfungen, welche dir nur einen Schatten von 
Hoffnung geben Fonnten, deine ſchändlichen Abfihten bei mir zu 
erreihen? wann begegnete ich deinen verliebten Reden anders, als 
mit der hoͤchſten Mifbiligung und mit dem frengfien Tadel? wann 
glaubte ich deinen häufigen Verheifungen, uud wann nahm id bie 
Gef penfe, mit welchen du eben fo derfchwenderiſch warf? Weil es 
mir jedoch unmöglich ſcheiut, baf Jemand einer Leivenfhaft Lange 
nachhãngen fann, wenn nigt einige Hoffnung ihn dazu aufmantert, 





Den Beisein 





















474 Don @uizote. 





fo muß ich mir wohl vorftellen, daß ich felbft an beiner Bermefien- 
heit Schuld bin und daß vieleicht irgend eine Unvorſichtigkeit in 
meinem Betragen deiner Hoffnung fo lange Nahrung gegeben hat; 
daher ich auch mich ſelbſt für das Verbrechen befirafen will, welches 
du begangen hafl. Und damit du gewahr werdeſt, daß ich unmöglich 
weniger graufam gegen dich verfahren könne, als gegen mich ſelbſt, 
fo habe ich di zum Zeugen des Opfers nehmen wollen, weldes ih 
der beleidigten Ehre meines Gemahls bringe, an welchem du dich 
mit dem beftimmteften Borfage verfündigt haſt; ich aber gleichfalls, 
weil ich nicht mit größrer Vorſicht die Gelegenheiten vermieden habe, 
welche ich dir vielleicht gab, beine unerlaubten Hoffnungen zu nähren 
und fie für gegründet zu halten. Ich fage noch einmal: die Beforg- ⸗ 
niß, daß meine Fahrläßigkeit dir zu ausſchweifenden Erwartungen 
Anlaß gegeben hat, quält mid am meiften und bewegt mid, bie 
Hand an mich felbft zu legen, um mich zu beftrafen; denn wenn ih 
meine Strafe von einer andern Hand empfienge, fo würde vielleicht 
mein Fehler noch mehr ruchbar werden. Doch ehe ich dies thue, 
will ich flerdend aud demjenigen das Leben rauben und ihn mit mir 
nehmen, welcher allein mich fättigen Tann mit der Rache, bie ih 
bereinft dort (es fey, wo es wolle) vor ber unpartheüſchen und un« 
wandelbaren Gerechtigkeit in der Beflrafung desjenigen zu erbliden 
hoffe, ver mich zu dieſem verzweifelten Schritte gebracht hat.“ 
Indem fie dieſe letzten Worte ſprach, gieng fie mit gezücktem 
Dolche und dem anſcheinenden Borfage, den Lothario zu erſtechen, 
ſo raſch und heftig auf ihn los, daß er kaum wußte, ob ſie im 
Ernſte, oder nur verſtellter Weiſe auf ſeine Bruſt ziele, und alle 
Kraft und Geſchicklichkeit zuſammennehmen mußte, um nicht ver⸗ 
wundet zu werden; ja ſie gieng ſo weit, daß ſie ihre verſtellte 
Wuth durch Vergießung ihres eignen Blutes bethätigen wollte; 
denn wie fie fand, daß fie dem Lothario keine Wunde beibringen 
konnte Cober wie fie ſich wenigftens fo ſtellte), fagte fie: „Wenn 
das Schickſal mir nicht verflatten will, meinen gerechten Wuuſch 
ganz erfüllt zu fehen, fo fol es doch nicht vermögen, ihn völlig zu 
vereiteln.“ Unter diefen Worten entwand fie ihre Hand fammt dem 
Dolge dem Lothario und gab fih mit demſelben eine leichte 


















476 Bon @uirste. 


Lionella und Lothario flanden wie verfeinert und wußten 
nicht, ob fie ihren Augen trauen follten, als fie Camilla blutend 
auf ber Erde licgen fahen. Athemlos vor Schrecken, eilte Lothario, 
den Dolch aus der Wunte zu ziehen; tod indem er fah, wie unbe 
deutend dieſe war, verlor fi feine Beforgniß, und er mußte aufs 
Neue tie auferorbentlihe Verſchlagenheit ver ſchönen Camilla 
bewundern. Um and am feiner Seite nichts zu vernachläßigen, 
begann er eine lange uud traurige Wehflage über Eamilla, als 
wenn fie wirklich tobt wäre, und rief taufend Verwünſchungen, nicht zur 
über ſich ſelbſt Herab, fontern aud über denjenigen, ber ihn in biefe 
Lage verfeßt habe; denn weil er wußte, daß Anfelmo ihn hörte, 
fo fagte er Dinge, wegen teren Jever, ter fie vernahm, ihn no 
mehr beflagen mußte, als die Camilla, wenn er fie au wirklich 
für tott hielt. Lionella nahm fie in ihre Arme, Iegte fie anf das 
Bett und bat ten Lothario einen Wantarzt zu holen, der fie 
heimlich verbäute, und ihr zugleih ;u rathen, was man tem An- 
felmo fagen folle, falle er wiederkämt, bexor tie Bunte ihrer 
Gebieterin gefeilt wäre. Letbarie antwortete, fie möchten ihm 
fügen, was fie wollten, er ſelbſt müßte nichts Vernünftiges zu reifen; 
tionella wöchte jegt nur fasen, Camilla vor Berblutung zw 
bewaßren, tenn er würte dadea geben und fi ver allen Menfien 
verbergen. Er entfernte fi hicrauf, unter Neufcrungen des bitter- 
Ren Schmerzes, ſebald er aber allein und chne Zeugen war, fieng 
er au, über Camillas Berfälsgenbeit und Lionellas gewanties 
Vetragen fi zu frenzigen und zu fegnen. Er bedachte zugleich, wie 
fehr Anjelmo fih nunmehr für überzeugt halten müßte, daß er 
eine zweite Portia zur Frau babe, und fennte tie Zeit kaus ab» 
werten, ihn zu foreden und ihm zu tem Ausgange bes mit Lüge 
ur Wahrbeit geirichzer Sdiegelgeftchtes Glüd zu wünidgen. 

Lienella file untertefien mit leichter Müfe das Plst, weldes 
26 der Bunte ihrer Gedicteria nit ſtärker Ho, ala nöchizg war, 
zu m Blerdwerk eiren Anihein cn Sichtigkert za gehen; fie 
wars tie Bene mir Dein, Serband fie, fe gut Re konnte, zub 
Fatrre datei felde Reren, daß Anielmc, wiızı er uch wide ven 
nie ſchen mehr gehört Sitte, jene ram für em wahres Mafer 











KXXXWV. Kapitel, 477 


ehlicher Treue halten mußte: Camilla Hat Alles, um bie Worte 
ihrer Zofe zu unterflügen; fie nannte fih muthlos und feige, weil fie 
die koſtbaren Augenblicke nicht herzhaft benügt Habe, um fih ein 
Leben zu nehmen, weldes ihr verfaßt fey; fie fragte, ob fie ifrem 
Gemahfe den ganzen Vorfall entveden folle ober mit, Die Zofe 
wiberriei ed ihr, weil fie ihm dadurch in bie Nothwendigleit ver- 
feen würde, fih an Lothario zu räden, was er nicht ohne eigne 
Gefahr thun fönne; da doch eine gute Gattin ihrem Gemahl feine 
Händel zuzichen, fondern ſuchen müffe, folde ſoviel als möglich zu 
verhüten. Camilla ermiberte: fie finde ihren Rath ſehr gut und 
wolle ihm befolgen; allein auf jeden Fall müffe man doch irgend 
einen Vorwand wegen ihrer Wunde zu finden ſuchen, weil Anfelmo 
dieſe unfehlbar bemerken werde; Lionella verſicherte aber, fie Fönnte 
keine Lüge behaupten, wenn es auch nur im Scherz wäre, 

mBie foll ih e6 denn Finnen,“ fragte Eamilfa, „da ih 
feine Unwahrheit exrdenfen, ober and nur fagen lönnte, wenn auch 
mein Leben davon abhienge? Und könuen wir dazu nicht Rath 
ſchaffen, fo if es beffer, ihm bie reine Wahrheit zu geftehen, als 
uns von ihm über einer Unwahrheit ertappen Taffen. * 

wBerupigt Euch nur, gnäbige Fran,“ werfeßte, Lionella, 
vielleicht fällt mir bis morgen noch etwas ein, bas wir ihm fagen 
Können; vielleicht Täft fih ang Eure Wunte, da fie an einer ſolchen 
Stelle if, vor ihm derheimlichen und der Himmel wird unfre guten 
und wohfmeinenden Abfihten begünſtigen. Haltet Euch nur rußig 
und faft Eure Lchensgeifter fih ſammeln, damit Euer Gemahl Euch 
in feiner heftigen Gemüthebewegung autrifft; “übrigens verfaßt Euch 
auf mih und auf Gott, ver eim gutes Vorhaben immer gut 
gedeihen fägt." 

Anfelmo Hatte mit der größten Aufmerlſamleit das Trauer 
ſbiel feiner. gemorbeten Ehre angefehen, weldes bie haudelnden 
Perfonen mit jo natürlichem Austrude ber Leidenſchaft aufgeführt 
hatten, daß «8 fchien, ald wären fie wirklich das geworden, was fie 
zu fepn vorgaben, Mit Ungebuld erwartete er den Abend um feinen 
Schlupfwinkel zu verlaffen, feinen lieben Freund Lothario zu 
beſuchen und fi mit ihm über die Föftliche Perle zu freuen, die er 




















478 Don @uirote. 


an der geprüften Treue feiner Gemahlin gefunden habe. Camilla 
und Lionella erleichterten ihm die Gelegenheit, fi) wieder zu emt- 
fernen, und er benügte fie, nm fi) unverzäglih zu Lothario zn 
begeben, ihm unter unzähligen Umarmungen feine Freude zu befchrei- 
ben und fih in Lobſprüche über Camilla zu ergiefen. Lothario 
hörte Alles an, ohne an feiner Freude auf irgend eine Art Theil 
nehmen zu fönnen, weil ihm fein Gewiſſen fagte, wie gröbli er 
feinen Freund hintergangen und wie unverantwortlich er ihm beleibigt 
hatte. Anfelmo merkte zwar wohl, daß Rothario nicht froh war, 
glaubte aber, dich komme bloß daher, weil fein Freund Camilla 
blutend verlaffen und ſelbſt diefen Unfall herbeigeführt Habe, bat ihn 
deßwegen, fih über Camillas Zuftand feinen Kummer zu machen, 
indem die Wunde gewiß von feiner Berentung fey, weil man fie ja als 
eine ungefährliche zu verheimlichen gedenke und ſchloß mit dem Wunſche, 
Lothario möchte fih freuen, ihn auf den Gipfel des Glücks gebracht‘ 
zu haben, und künftighin mit ihm nichts als Robgebichte machen, welche 
noch in fpäten Zeiten Camilla bei der Nachwelt berühmt machen 
ſollten. Lot hario Torte ven Einfall und verſprach, Alles beizutragen, 
was nöthig wäre, um ein fo herrliches Gebände aufführen zu helfen. 

So ward Anfelmo, anf die liſtigſte Art hintergangen. Er ſelbſt 
führte denjenigen ins Haus zurüd, ben er für das Werkzeug feines 
Gfüdes hielt, während diefer feine Ehre zu Grunde richtete. Camilla 
empfieng den Lothario zum Schein mit finfirer Miene, obgleich mit 
froͤhlichem Herzen. Eine Zeitlang blieb der Betrug verborgen, bis nach 
einigen Monaten das Blatt ſich wandte, das mit fo vieler Liſt verheffte 
Verbrechen ans Licht Fam, und dem Anfelmo feine unbefonnene Nen- 
gier das Leben Foftete. 























XXXV. Supitel, 


Fünfunddreigigites Kapitel. 


Shredlöher Kampf ven Mitere mit Den Weinfdläuben. Beſchlus der Gezädlung won dam 
unbefonnenen Neugierigen. 


m dem Augenblicke, da die Erzählung 
beinahe zu Ende war, ſtützte Sando 
and der Kammer, wo fein Heer ſchlick 


herein und ſchrie Tauts „Zu Hilfe! zu 

Hilfe! fommt doch meinem Hera zu 

Hilfe, Ihr Herren! er ift in einem 

fresttigen, Higigen Kampfe. Id wit 

ein Selm ſeyn, wenn er dem Niefen 

der Pringeffin Micomicona nigt Eins 

verſeht Hat, daß er daran denfen Fann: 

den Kopf hat er ihm wenigflens vom 

1 Rumpf gehauen wie eine Rübe.“ — 

„Bift du toll, Saucho, dafı du foldes 

Zeug fmageftf“ ſprach der Pfarser, 

Pe fegte das Papier vor fih hin. „Wie Teufel fol denn der Rieſe 
sweitaufend Meilen weit hergelommen fegn?* Indem hörten fie einen 
ſchredlichen Larm in Don Dnirptend Kammer, and fonberlig des 
Ritters Stimme: „Halt, Räuber, Spighube, Böfewiht! hier Hab 
ih did, und dein großer Säbel fol dir, bei Gott! nichts Helfen," 
Zugleich Mang «6, als wenn er mit feinem Degen auf die Wände 








Be Re weh et fon ven feinem 
böfen Lebenswantel Rechesſchaft geben Ich Habe ja ſchea das Bat 
auf der Erbe hinfaufen fehen, und der Kopf lag anf der Seite. Das 
ift eim Kopf! fo groß mie ber größte Weinfhlauh!" — „Taufend 
Saderfot!“ ſchrie der Wirth, „ſicherlich Hat Don Duirsten der 
Teufel geritten, daß er mit meinen Schländen sol reifen Wrint, 
bie in der Ramnter bei feinem Bette hiengen, Treffen hält, und daf 
ter Pinfel da deu Wein, ber herausgelanfen ift, für Blat anficht.* 














NNNV. OBapitel. as | 


Hiemit gieng, er nebſt den Audern im die Hammer hinein, wo 
fie Don Duirote in dem ſeltſamſten Aufzuge von der Welt fanden: 


er land im Hemde da, unb- dies war ſo kurz, bafi es vorm die | 


Schenlel nur Halb bedeclte und Hinten fehlten mod ſechs Zoll weiter; er 
hatte lange, welfe, haarige und nicht gar fanbere Füße, unb anf bem 
Kopfe eine vor Zeiten rothe Mäge,'die ihm der Wirth geliehen hatte, 
die aben fürdterlich fhmugig war; um-ten linken Arm hatte er die 
Bettdecle gewickelt (welcher Sauch o aus gutem Gründen fehr gram 
war), in ber rechten Hand aber hielt er den bloßen Degen, mit dem 
er kreuzweis um fi hieb und ſtach, und ſchrie, als werk er im 
Ernſt mit einem Niefen- kampfte. Das Drolligſte bei ber Gage war, 
daß er die Augen noch feſt zu hatte, weil er wirllich noch ſchlief. 
und. vermuthlich von dem Wiefenfampf träumte; denn feine Ein- 
bifdungöfraft war von dem vorhabenden Ubenteuer fo erhigt, daß es 
ihm im Traume vorfam,(alsfep er ſchen — — 
und. habe mit-feinem Feinde angebunden, 

Indeſſen Hatten bie armen Weinfhlände — und 
Stiche richtig erhalten, weigerte Rieſen zugedacht waren, ſo daß 
die game Kammer vol Wein ſchwauum. . Der Wirth warb wüthend, 
als. er den Unfug ſah, er lief auf Don Dnirote zu und ſchlag 
mit geballter Fauft fo derb anf ihn los, daß er, wäre Earbenio 


Den Deira I, 














483 Don Euirste. 


und ber Pfarrer nicht zugefprungen, den Riefembändiger übel zu- 
gedeclt Haben würde. Demungeachtet wachte der arme Ritter no 
wit anf, bis ihm Meiſter Niklas einen Eimer voll falten Waffers 
über den Leib gegofien Hatte. Davon erwacte er nun zwar, fonnie 
aber od wicht gehörig zu ſich ſelbſt kommen, um zu fehen, im 
wos für einem Zuflante er fih befand. Dorothea wellie eben 
in bie Rammer treten, da fie aber ſah, daß der Ritter fo ein 
turyes und darchſichtiges Gemb anfatie, zog fie fih zuräd, und be 
— Zreffen ihres Befgügers zujufganen. Saucho 
hatte inbefien midts Dringenberes zu than, als ben Kopf des 
Niefen in allen Eden zu ſuchen. Da er ihn aber nit finden 
bounte, ſprach er ganz ungetaltig: „Ich weiß and wit, in bem 
Haufe muß Alles behert feyn; im chen ter Rammer ba friegie 
ich einmal ein ganzes Rute Püffe, Rippenföfe und Mauifellen, 
und fonnte wit fehen, wie ober von wem fie famen, uud jept 
if fein Hürden von tem Kopfe mehr ba, als wenn ich mit mit 
meinen leiblichen Augen gefchen Hätte, wie er heranterfing zab 
das Blat wie ein Brunnen herauslief.” — „Was ſchwatzeſt da von 
Drunzen und Bint, Huntefott?“ fire der Wirth, „fichk de nicht, 
Sqaftkopf, daß Drannea wat Blut wihts anters find, als meine 
Beinfälände, tie mir ter Narr zerbadt hat, und daß der reihe 
Bein da in ber Kammer flieht, daß man fGwimmen Einnte Ih 
wollte, ter Genfer holte dem, ter mir folden Unfug da ange 
rißtet hat.” — „Bas ſchierts ih?‘ verfegte Sande, „üb weih 
am befien, wo mid ber Schah tradt, and daß, wenn üh den Mepf 
wit finde, meine Graffhaft za Bafler wirt." Rurı Sande be 
gann bei völlig wachentem Leibe faſt märrifper heramsjufgmagen as 
fein Herr im Sqlafe, fe hatten ihm die Berforejungen ven Lopf 
verrät. Der Birth wollte über Die wulegreiflihe Gleigältigfeit 
des Eäiitnanpen bei tiefer Sache and über den Schaden, ben üben 
ver Sitter angerichtet hatte, faſt rafend werten. und fderer heh 
man tfener, c6 fohte ihnen nicht fo hingehen, mie das Ichiemel, Da 
fe ehee Zahlung dascn gezogen fen; Tietmal würten ifarn gewiß 
fir ihn Dezahfen Iib anf Die Flafker für tie jerfiodhnen Ehlände. 








XXXV. Kapitel. 


| Der Pfarrer hielt: unfern Nitter- bei den Händen; Dieſer, ber 
| fein Abenteuer vollendet zu baben und ver der Prinzeffin Dico« 
| micona zu flehen glaubte, fiel dem Pfarrer zu Füßen und fprad: 


„Eure Hofeit, vurdfantigße Pringefin, iſt nun von aller 
befreit, die Euch dies. vermorfne Geſchopf drohte, und ich bin 
meines Verſprechend quitt und ledig, denn, durch Gottes =. 
Hiffe, für die ih lebe and webe, Hab. ih, es arm au 
nicht gefagt? 
and, ae 


verſprochne Gab: gewaͤhrt. — u Mur hab ichs 

Saucho, da er dies hörte: „id weiß bad. 

befoffen bin. Hat mein Here den Niefen nit wirtlich eingefalzen? 
Das Spiel if} gewonnen, bie Orafigaft fan mir nicht eutgehen.“ 
Die ganze Geſellſchaft lachte ans vollem. Halfe über. die ungehenre 
Narrheit des Herrn und Dieners, ausgenommen der Wirth, der noch 
immer alle Teufel über feine Weinfhläuge luchte. Endlich braten 
ver Barbier, Carbenio und der Porter Don Duiroten mit vieler 














Ve En en 1 Pe an a ln 


484 Don Quitoit. 


Mühe wieder ins Bett, und er ſchlief auch ſogleich, außerſt müde, 
wieber ein. Gie giengen in die Stube ;zurüd und tröfleten Saucho 
über ben nicht gefuntnen Rieſenlopf, der fi auch endlich darüber 
zufrieden gab. Den Wirth hingegen fonnten fie nicht fo Leicht ber 
ruhigen, denn dem Iagen feine Schläuche zu fehr am Herzen. Die 
Birtpin fam auch dazu und erhob ein Zetergeſchrei, als fie es er- 
fuhr: „Verflucht fey doch die Stunde und ber Augenblid, da der 
Unglüdsritter in mein Hans fam! Hätt ih ihn doch nie mit Augen 
gefehen, da er mir folhen Unfug macht! Das Ieptemal lief er auch 
davon, wie die Rat vom Tanbenhanfe und bezahlte feinen Pfiffer- 
ling für Herberge, Bett, Abendbrod, Heu und Gerſte für fih und 
feinen Kerl, für das Pferd und ben Efel, und das bloß, weil er 
ein fahrender Ritter ſey. Ich wollte, daß ihn und alle Abenteurer 
in der Welt zufammen ber Teufel holte, wenn fie darum nicht be- 
zahlen wollen, weils in ihren verwünfchten Ritterregiftern fo ſteht! 
Und fenetwegen kommt mir der Herr da auch (fie wies auf Meiſter 
Niklas) und wimmt mir meinen Schwanz, ſchleppt ihn herum und 
bringt mir ihn um eim gutes Theil ſchlechter, ganz verſtoßen unb 
abgenägt wieder, daß er nun nichts mehr dazu taugt, wozu ihn 
mein Mann fonft brauchte, und endlich kommt ver verwünſchte Ritter 
wieder, ſticht mir meine Schläuche entzwei und läßt mir den Wein 
auslaufen. Wars doch lieber fein Blut gewefen, aber bei den Be- 
beinen meines Vaters, bei der Seligfeit meiner Mutter fhwöre ic, 
er fol mir Alles bei Heller und Pfenning bezahlen, oder ih will 
nicht heißen, wie ich heiße, noch bie Tochter meines Baters ſeyn.“ 
Mit folden Reden machte die Wirthin ihrem Unmuth Luft, vom 
Maritorne getrenlih unterflüßt. Die Tochter allein ſchwieg und 
lächelte nur von Zeit zu Zeit. Der Pfarrer bernhigte vie aufge 
brachte Wirthin, indem er verfpradh, es ſollte Alles bezahlt und 
abgemacht werben, Schläudhe und Wein und fonderli der verberbte 
Schwanz, woraus fie fo viel zu machen ſchien. Dorothea ſprach 
auf unferm Sauch o neuen Muth ein, unb verfiherte ihn, da, 
wenn es gewiß fey, daß fein Herr tem Riefen den Kopf db- 
gehauen habe und fie wieder zum rubigen Befip ihres Reichs 
gelange, ihm bie befie Graffhaft darin gewiß micht entgehen 














1 


XXXV. Kapitel, 


folle. Sands tröftete fih damit und nerfiherte die Prinzeffin, 
er Habe mit feinen eignen Augen ven Niefenfopf gefehen. „Und 
damit Ihr merkt, daf ich micht Lüge," ſprach er, „Tann ich Euch 
fagen, er Hatte einen Bart, der ihm runter bis auf ben Gürtel 
giengz aber dag ih ihn micht finden Tann, kommt meiner Treu bloß 
daher, weil in dem Haufe Miles behert iſt, wie ich fonft ſchon er» 
fahren Habe.” — „Ih glaube es ja," fagte Dorothea, „air Gedult 
Kieser Sanho! «0 wird Alles gut gehen.” — Als Ass ruhig war, 
fegte fih der Pfarrer wieder bin, mahnt auf die Bitte ver Anmer 
fenden fein Papier und las bie Erzäplung von dem unvorfihtigen 
Nengierigen, von der opnebies wenig mehr übrig war, vollends 
zu Ende, 

Hoch erfreut über die geprüfte Tugend feiner Gattin, lebte Anır 
felmo mit ige fehr vergnägt. Camilla machte vorfäglih dem Lo⸗ 
thario eine unfreunblihe Diene, damit Anfelmo deſto weniger 
ihre wahre Gefinnung argwößnen möchte, und um der. Sache noch 
mehr Schein zu geben, bat ihn Lot hario um Erfaubmig fein Hans 
zu meiden, weil er deutlich, fehe, daß ber Camilla feine Gegen- 
wart, jeher zuwider ſey. Allein der betrogne Anfelms redete ihm 
dies aus dem Sinne und trag demnach ſelbſt auf jede Weife bei, 
feine Entehrung zu befördern, während ex feinen Genuß zw erhöhen 
wähnte, Inzwiſchen fepte Lioneila alle Rüdfichten fo frhr ans den 
Angen, daß fie aufs Frechſie ihrer Lüſternheit ven Zügel ſchichen 
ließ, weil Camilla nicht wur zu Allen ſchwieg, fondern ihr ſelbſi 
behifffih war, ihren Begierben ohne Sehen zu fröhnen. Endlich aber 
fügte es ſich, daß Anfelmo an einem Abende Jemand in Lionellas 
Kammer gehen horte. Judem er hineintreten und fehen wollte, wer 
es ſey, bielt man die Thäre vor ihm zu, mworäber er nur noch ne 
‚gieriger warb, mit Gewalt in die Kammer drang und bemerkte, daß 
in dem Angenblicd eine Maunsperfon aus dem Fenſier auf die Gaffe 
fprang. Er wollte dem Entfprunguen nadhlaufen, um ihm einzuholen, 
ober wenigſtens zu fehen, wer er ſeyz allein Liomelfa hielt ihn auf, 
und bat ihn, fein Anffegen zu machen und ihn nicht zu verfolgen, 
denn er ſey ihr Liebhaber und verlobter Bräutigam. Anfelmo 
wollte ihr nicht glauben, fondern züdkte zornig ven Dolch und drohte 

















486 Don @uirote. 


fie zu erflehen, wenn fie ihm nicht die reine Wahrheit befenne. 
Sie wußte vor Angſt nicht, was fie fagte, und gab ihm zur Ant- 
wort: „Bringt mich nur nit um, guäbiger Her, fo will ih Euch 
wohl wichtigere Dinge entdecken, als Ihr Euch vorftellen könnt.“ 
„Sp rede glei,“ ſprach Auſelmo, „oder bu biſt des Todes.“ 
„Sept kann ih unmöglich,“ ſprach Lionella, „denn ih bin 
zu verwiret, um zu reden; gebuldet Euch aber bis morgen, fo follt 
Ihr Dinge von mir erfahren, worüber Ihr erſtaunen werdet. Seyd 
indeffen verfidert, daß derjenige, der aus dem Fenfler fprang, ein 
junger Dann aus biefer Stadt und wirkfih mit mir verlobt iR.“ 
Anfelmo ließ ſich dadurch befänftigen, und wollte die beflinmte 
Zeit abwarten; denn es fiel ihm nicht ein, etwas Böfes von Ca⸗ 
milla zu hören, von beren Tugend er bie ſprechendſten Beweiſe zu 
haben glaubte. Er gieng demnach hinaus und ſchloß Lionella in ihre 
Kammer ein, indem er fagte, er würde fie nicht eher herauslaſſen, 
bis fie ihm Alles entdeckt Hätte. Hierauf gieng er fogleih zu Camilla, 
und erzäßlte was zwiſchen ihm und ihrer Rammerjungfer vorgefallen 
ſey, und daß fie verfprocden habe, ihm große und wichtige Dinge zu 
entbeden. Man lann fih Camillas Beſtürzung leicht denfen: fie 
durfte nicht zweifeln, dag Lionella dem Anfelmo Alles fagen 
würde, was fie von ihrer Untreue wußte, und gerieth darüber in fo 
entjeglihe Angft, daß fie nicht das Herz hatte, zu erwarten, ob ihre 
Beforgniß gegründet ſey oder nicht. Sobald fie glaubte, daß An- 
felmo ſchlief, packte fie noch in derſelben Nacht ihre beften Kleinode 
und etwas Geld zufammen, ſchliech unbemerkt aus dem Haufe, und 
floh nah Lotharios Wohnung, erzählte ihm das Vorgefaline, und 
bat ihn, fie irgend wohin in Sicherheit zu bringen, ober mit ihr 
nah einem Orte zu entfliehen, wo fie fi vor Anfelmo verbergen 
könnten. Lothario gerieth über Camillas Bericht in folhe Ber- 
wirrung, daß er ihr anfänglich Fein Wort erwidern, noch weniger 
einen Eutſchluß faffen konnte. Endlich fiel ihm ein, fie nad einem 
Kloſter zu bringen, deſſen Priorin feine Schweſter war; Camilla 
war damit zufrieden, und er führte fie in möglihfler Eife dahin. 
Hierauf entfernte er fi fogleih aus der Stadt, ohne Jemand etwas 
von feiner Abreife zu fagen. Wie es Tag ward, gieng Auſelmo, 

















XXXV. Kapitel, 


oßne darauf zu merfen, daß Camilla ihm an feiner Geite fehlte, 
nad der Kammer, wo er die Zofe eingefäloffen Hatte, vol Nen- 
gierde zu hören, was fie ihm offenbaren werde. Wie er das Zimmer 
öffnete und hineingieng, war feine Lionella zu fehen und er fand 
nur am einem Fenſter einige zufammengefnüpfte Betttücher hängen, 
am welchen fie, wie es fehien, fich hinuutergelaſſen Hatte und entjlohen 
war. Boll Verdruß gieng er zuräd, um bies feiner Kran zu fagen, 
wie er fie aber weder im Bette noch irgendwo fm ganzen Haufe fand, 
fieng er an Verdacht zu fhöpfen. Er erfundigte ſich nah ihr bei 
den Bebienten, aber Niemand fonnte ihm von ihr Nachricht geben. 
Indem er fie noch überall ſuchte, warb ex von Ungefähr gewahr, daß 
ihre Schmucfäfihen offen fland und daß bie meiſten ihrer Kleinode 
herausgenommen waren. Dies öffnete ihm vollends die Mugen über 
fein Unglück and er überzengte fih, daß nicht Lionella die Urheberin 
deſſelben fey. Boll Schmerz und Beflärzung eilte er jebt im Nachtr 
Heide zu feinem Freunde Lothario, um ihm fein Sqhicſal zu Hagen; 
wie er aber auch biefen nicht fand und die Vebienten ihm fagten, 
daf er mitten in ber Nacht fein Haus verlaffen habe, wollte er von 
Sinnen fommen. Um das Maaf feines Unglüds vol zu machen, 
fand er im eiguen Haufe, als er zurückkam, weber männliche noch 
weibliche Bebienten. Alles fand leer und übe. Nun mußte er gar 
nicht mehr, was er denfen und anfangen follte, fo daß er faſt gänz- 
lich den Verftand verlor. In einem einzigen Augenblicke fah er fih 
von feiner Gemahlin, feinem Freunde, feinen Bedienten, ja, wie eo 
ſchien, vom Himmel felbft verlaſſen. Doch mehr als Alles ſchmerzte 
ihm der Verluſt feiner Ehre, welgen Camilfas Flucht aufer aflen 
Zweifet fepte. ’ 

Nah langem Befinnen entfhloß er fih, zu demfelben Freunde 
aufs Land zu gehen, bei melden er fi aufgehalten hatte, als er 
die erfle Veranfaffung zu feinem Ungläde gab, Cr verſchloß fein 
Haus, ſtieg zu Pferde und machte fih mit beffommenem Herzen auf 
den Weg; doch faum Hatte er bie Hälfte veffelden zurädgelegt, als 
er, gebengt von feinem Gram, ſich gendthigt fühlte abzufteigen, fein 
Pferd an einen Baum band, und am Fuße deffelben unter vielen 
wehmäthigen Seufzern Binfant, wo er faft bis zum Aubruche der 














Don Anirstc 


Nacht Tiegen blieb. Um dieſe Zeit klam ein Mann zu Pferde aus 
der Stadt vorbei, welchen er grüßte und fragte, was eo im Florenz 
Neues gebe. 


„Die fonberbarfte Geſchichte von der Welt,“ antwortete ber 
Maus, „Man fügt überall, Lothario, der vertraute Freund des 
reihen Anfelmo, der bei St. Gisnanni wohnt, Habe ihm: biefe 
Racht feine Gemaklin Camilla entführt und Anfelmo wird and 
vermift. Das alles Hat eine Kammerjungfer Camillas ausgeſagt, 
die man zum Gouverneur gebracht Hat, weil fie in der Nacht fih an 
einem Betttuche aus dem Feuſter Sat herunterlaffen wollen. Man 

















XXXV. Kapitel, 


weiß zwar nit genau, wie die Sache zufammenhängt; aber die ganze 
Stabt if soll Berwunderung über diefen Vorfall, deffen man fih 
wegen der großen Freuudſchaft zwifhen ven Beiden nimmermehr ver- 
fehen Hätte, welche fo weit gieng, daf man fie verzugsweife die zwei 
Freunde zu nennen pflegte.“ 

„Weiß man nit, welchen Weg Kothario und Camilla ger 
nommen haben?“ fragte Anfelmo. 

„Nein,“ antwortete der Dann, „obgleih der Gouverneur ſich 
alle Mühe gegeben Hat, ihnen auf die Spur zu fommen, « 

Diefe unglüdtige Nachricht, nach welder der Fremde ſich empfaht 
und weiter ritt, broßte dem Anfelmo nicht nur den völligen Berfaft 
des Verſtandes, fondern auch des Lebens. Er raffte ſich indeſſen auf, 
fo gut er Fonnte und Fam an im Hanfe feines Freuudes. Diefer 


Der Daireic h, 











490 Don Euirote 


mußte noch nichts won feinem Unglüd, merkte aber wohl an feiner 
blaſſen Farbe und feinen entfleflten Befihtszügen, kafı ihn ein ſchwerer 
Kummer drücden müffe. Anfefmo bat ihn fogfeih um ein Bett und 
Schreibzeug. Man gab es ihm und auf fein Berlangen ließ man ihn 
offein, fobalo@er fi niedergelegt Halle und verfloh das Zimmer, 
Kaum hatte man ihm verfaffen, fo übermältigte ihn das Gefühl feines 
Ungfüds dermaßen, baf er fein Ende nah fühlte, und weil er von der 
Urſache feines plöglichen Todes mit eigner Hand Bericht zu geben wünfchte, 
ſo Feng er an, venfelben aufzufegen; allein che er feinen Aufſatz 
vollenden fonnte, verliehen ihn die Kraͤfte und der Schmerz, ten er 
ſich durch unbejonnene Neugier zugezogen hatte, raubte ihm das Leben, 

Bie es ſpat war und Anfelme nichts von fih hören Lich, 
gieng der Here des Haufes in fein Zimmer, um zu fehen, ob es 
vieffeiht ſchlimmer mit ihm geworben ſey. Er fand ihm im Bette, 
mit dem Dberleibe auf den Schreibtiſch gefehnt und mit dem Gefichte 
auf einem beſchriebnen Papier Legend und mit ver Feder in der 


I LT 


a er 























XXXV. Kapitel, 491 


Hand, Er rief, Anfeimo antwortete wicht; er trat mäher, ſchüttelte 
ihm die Hand, fühlte, daß fie Falt war, und fonnte endlich nit 
mehr an feinem Tobe zweifeln. Aeußerſt beträbt und erſchrocken, rief 
er fein Hausgefinde zufammen, um ihnen zu zeigen, welches Unglüct 
fih mit Anfelmo zugetragen habe, Er as bas Papier, welches 
er für die Handfprift deffelben erfannte und worauf Folgendes ge» 
ſchrieben war: 

Ein thoͤrichter und unbefonnener Wunfh hat mir das Erben ger 
toſtel. Wenn Eamiffa meinen Tod erfahren follte, fo wife fie, daß 
ich ihr verzelbez denn ſie war nit verbunden Wunder zu thun und 
ich Halte nicht mölhig, Wundertpaten von Ihr zu verlangen. Da ih 
demnach felbit der Urheber meiner Schmach gewefen Din, fo wäre ee 
Unreht, wenn 


Bis fo weit hatte Anfelmo gefhrieben, und man konule dar 
aus abnehmen, daß ihn der Tod überrafht habe, ehe ex den unvofl» 
endeten Gedanken ganz ausbrüden fonnte, Gein Freund Tünbigte 
folgenden Tags den Todesfall Anfelmos Verwandten an, welche 
bereits wußten, was für ein Unglüd ihn beirofen hatte und in 


welchem Kloſter Eamilla fi aufpielt. 

Diefe war dem Tode faft fo mahe wie ihr Gemahl, doch nicht 
fo ſehr wegen der Nachricht von feinem Ableben, ald weil fie bald 
daranf erfuhr, dah Lothario fortgereist ſey. Man fagt, fie 
babe fih geweigert, das Mofter zu verlaffen, obwohl fie nunmehr 
Wittwe warz doch babe fie eben fo wenig ben Schleier annehmen 
wollen, bis fie bald darauf die Nachticht erhalten habe, Lothario 
fey im einem Treffen geblieben, weldes ber Marſchall Lautrec 
dem tapfern Gonzalo Fernandez von Cordoda im Neapolitar 
niſchen geliefert, und in weldem ber seuige Freund feinen Tod ge- 
funden habe, Wie Camilla bies erfuhr, Tegte fie ihr Kloſter⸗ 
geläßde ab und endigte Furz darauf gleichfalls ir Lehen unter der 
Laſt des Kummers und der Schwermatf. 

So brachte ein unvernänftiges Beginnen fie alle brei zu einem 
umgeitigen Ende, 














| 492 Don Buirete. 


„Die Erzählung gefällt mir nicht übel," fprad ber Pfarrer; „aber 
gewiß iſt e8 Feine wahre Geſchichte, und wenn fie erdichtet ift, fo 
bat der Berfafler feinen Plan micht gut angelegt; denn es läßt fi 
mit wohl deuten, dak ein Ehemann fo thöricht ſeyn fellte, einen fo 
gefahrlichen Berfah zu wagen, wie Anfelme. Zwiſchen einem 
Liebhaber und feiner Gkelichten Fönnte man fi einen folgen Fall 
noch eber venfen; allein zwifden Dann und Weib ſcheint er mir 
fa unmögfih. Die Art des Bortrage mißfällt mir übrigens nicht.“ 




















weiß zwar nicht genau, wie die Sache zufammenhängt; aber die ganze 
Stadt if vol Verwunderung über diefen Vorfall, deffen man fih 
wegen ber großen Freundſchaft zwiſchen den Beiden nimmermehr ver- 
fehen Hätte, welde fo weit gieng, baf man fie vorgugsweife die zwei 
Freunde zu nennen pflegte. * 

Weiß man nicht, welden Weg Lothario und Camilla ger 
nommen haben?“ fragte Anfelmo. 

Nein," antwortete der Mann, „obgleich ber Gouverneur ſich 
alte Mübe gegeben hat, ihnen auf die Spur zu lommen.“ 

Diefe unglüdtfiche Nachricht, nach welcher der Fremde ſich empfahl 
und weiter ritt, drohte dem Anfelmo nicht nur den vöfigen Verfuft 
des Verftandes, fondern auch des Lebens. Er raffte ſich indeffen auf, 
fo gut er Fonnte und Fam an im Haufe feines Freundes. Diefer 

















Don Auirote, 


dies gefehen, fe famen die Fremben, welde ein ganz feines Au» 


fehn Hatten‘, fliegen ab und hoben die Dame vom Pferd. Der Eine 
führte fie Hinein und fegte fie auf einen Stuhl, hart an der Ram- 
merthäre, wo Earbenio Hineingegangen war. Keiner von Allen 
hatte weder bie Larve abgelegt, noch während der Zeit ein Wort 
geredet, bloß bie Dame feufzte tief, als fie fih nieberfepte und Tief 
die Arme kraftlos finfen, wie eine ohnmächtige Perſen. Die Ber 
dienten, welde zu Faß gelommen waren, führten bie Pferde in ben 
Stall. Der Pfarrer, der ans ben Leuten und ifrem Schweigen 
nit Mug werben konnte, gieng ben Bedienten nach und befragte bem 
Einen. „Wahrhaftig, Fieber Herr!“ antwortete ihm biefer, „id 
weiß ee ſelbſt mit, wer diefe Leute find. Bornehm mäffen fie fegn, 
und fonderlih, der die Dame Hineinführte; denn die Andern Halten 
ihn ho, und wichts gefchieht, als was er ſagt.“ — „Und wer ift 
denn die Dame?“ fragte ver Pfarrer weiter. „Das weiß ich eben 
fo wenig,“ verfeßte der Burſche, „denn ich Habe ihr Geſicht den 
ganzen Weg noch nicht gefehenz feufzen habe ih fie wohl oft gehört 
und zwar fo tief, als wollte fie glei ven Geift aufgeben. Mehr 











XXXVI. Kapitel, 495 


fönnen- wir auch micht von ihnen wiffen, denn wir Beide, ih und 
mein Ramerad,. find erft zwei Tage bei ihnen; fie fanden und 
unterwegs und beredeten ung, fie für einen guten Lohn bie Anda- 
Tufien zu begleiten. # — „Habt ihr feinen von ihnen nennen hören ?« 
fragte der Pfarrer. „Mein, gewiß nit,“ antwortete der Diener, 
fie reifen fo fill, dag es ein Wunder if und man hört nichts, 
als herzbrechende Seufjer und Schluchzen der armen Dame. Ber 
muthlich wird fie wider Willen fortgefhafft; wenn man ihrer eis 
dang nach ſchließen foll, auß fie entweder eine Nonne feyn, oder 
noch eine werden follen; und vielleicht iſt fie darum eben fo traurig, 
weil ihr das Kloſterleben nit anfteht.« 

Da der Pfarrer ſah, baf er nichts erfahren Fonnte, gieng er 
wieder and tem Stall zu Dorothea, Diefe, als fie die verhüllte 
Dame fo ſeufzen hörte, Hatte gefragt, ob ihr michte fehle und ob fie als 
Franenzimmer ihr nicht mit Hilfe und Rath am die Hand gehen Könne? 
3u allen diefen Fragen fhwieg die Unglüdliche und beharrie and, ob- 
gleih Dorothea wiederholt in fie drang, auf ihrem Stillſchweigen bis 
der verfarste Nitter, dem; wie der Burſche gefagt hatte, die Anbern 
gehorchten, Kereintrat und zu Dorothea fprah: Gebt End feine 
Müge, Sennora, diefem: Brauenzimmer Gefältigfeiten zu ergeigen; denn 
«6 iſt fo ihre Art, für Nichts zu danen, was man ihr zu Eiche tut; 
verlangt aud feine Antwort von ihr, denn Ihr würdet fonft mm 
eine Lüge aus ifrem Mund vernehmen. — „Ih habe nie eine Lüge 
geſagt,“ ſprach die Dame, „im Grgentheil hat mich nichte Anders 
als Aufrictigfeit in dieſen unglücktichen Zuſtand verfegt. Ihr ſelbſt 
müßt bezeugen, daß bloß meine Wahrheitoliebe Euch zum Falſchen 
and Lügner gemacht hat.“ 

Cardenio hörte biefe Reden ganz bentlich, dba nur bie Thäre 
von Don Duirotes Gemach zwiſchen ifm und der Sprecherin war. 
Möglich brach er daher in die Worte ans: „Himmel, was hör ih? 
was für eine Stimme iſt dies, die mir ind Ofr fehallt?* Auf dieſen 
Ruf fah fih die Dame erſchrocken um, und da fie Niemand erblickte, 
Rand fie auf und mollte in die Kammer, aber ber Ritter hielt fie 
anf. Jadeß war ihr bei diefer Berwirrung die Taffetfappe vom 
Rovfe gefallen, wodurch ſich ihr wunderfpönes, obgleich blaſſes und 








492 Don Buirone, 


Die Erzäplung gefällt mir nicht übel," ſprach der Pfarrer; wähe 
gewiß ift es Feine wahre, Gefipihte, und wenn fie erbichtet ii fh 
Sat der Berfaffer feinen Plan nicht gut angelegt; denn es IAft fd | 
nicht wohl denfen, dafı ein Ehemann fo thoöͤricht ſeyn ſollte, einen fe | 
gefährlichen Verſach gu wagen, wie Anfelmo. Zwiſchen einen 
Liebhaber und feiner Belichten Fönnte man ſich einem ſolchen Rat 
uoch eber venfen; allein zwifhen Dann und Weib feheint er mir 
faft unmöglich, Die Art des Bortrage miffällt mir übrigens midt.“ 














XXXVI. Bapitel, 


Sehsunddreifiigfied Kapitel. 


Hanelt von andern feltiamen Dingen. bie fi In der Saente gugetranen 
u 


thüre fand; „wenn bie hier 

einfehren, da wirbs boch her⸗ 

neben." — „Was finds für 

Lente?* fragte Eardenio. — 

„Es find vier Meiter mit 

Schild nnd Langen; ıfie ſihen 

furz in den Bügeln und haben 

ü alfe ſchwarze Larsen vor. Es 

iſt auch eine Dame Babel, gang weiß gefleivet, die auf einem 

Weiberfottel reitet und ebenfalls as Geſicht verfarut hat. Zwei Ber 

dienten Laufen zu Fuß nebenher.“ — „Sind fie mod weit?“ fragte 
ber Pfarrer. „Eben werben fie da ſeyn,“ ſprach der Wirth. 

Da Dorothea dies hörte, bededte fie fih das Gefiht und 

Eardenio ging gu Don Quiroten in bie Kammer. Kaum ar 























dies gefihchen, fo famen bie Fremden, — ein ganz feines An» 


fehn Hatten), fliegen ab und hoben bie Dame vom Pferd, Der Eine 
führte fie Hinein und fegte fie auf einen Stuhl, Hart au der Rame 
mertfäre, wo Cardenio hineingegaugen war. Keiner von Allen 
hatte weder bie Larve abgelegt, noch während der Zeit ein Wort 
geredet, bloß bie Dame feufzte tief, als fie fi nieberfegte und ließ 
die Arme fraftlos finfen, wie eine ofmmädtige Perſon. Die Be 
dienten, welde zu Faß gelommen waren, führten die Pferde in ben 
Stall. Der Pfarrer, der aus den Leuten und ihrem Schweigen 
nicht Mug werden konnte, gieng ben Bedienten nad und befragte den 
Einen, „Wahrhaftig, lieber Herr!“ antwortete ihm. diefer, „ich 
weiß es felbft nicht, wer diefe Leute find. Voruehm müffen fie fepn, 
und fonderlih, der die Dame hineinführte; deun die Andern halten 
ihn Hoch, und nichte gefchicht, als was er ſagt.“ — „Und wer ift 
benn die Dame?" fragte der Pfarrer weiter. „Das weiß ich eben 
fo wenig," verfepte der Burſche, „denn ich habe ihr Geſicht dem 
ganzen Weg noch wicht gefehen; feufzen habe ih fie wohl oft gehört 
und zwar fo tief, als wollte fie glei den Geift aufgeben. Mehr 











XXXVI. Kapitel, 495 


fönnen wir auch micht vom ihnen wiffen, denn wir Beide, ih und 
mein Ramerad, find erſt zwei Tage bei ihnen; fie fanden und 
unterwegs und berebiten uns, fie für einen guten Lohn bis Anda- 
luſien zu begleiten.” — „Habt ihr feinen von ihnen nennen hören?" 
fragte der Pfarrer. „Nein, gewiß nicht,“ antwortete der Diener, 
„fe reiſen fo ſtill, daß es ein Wunder iſt und man Hört nichto, 
als herzbrechende Seufzer und Schluchzen der armen Dame, Ber 
muthlich wird fie wider Willen fortgeſchafft; wenn man ihrer Klei- 
dung mach ſchließen foll, muß fie entweder eine Nonne fepn, oder |, 
ner eine werben follen; und vielleicht ift fie baram eben fo traurig, 
weil ihr das Moflerfeben nit anftept.“ 

Da ber Pfarrer fah, daß er mies erfahren Fonnte, gieng er 
wieder aus dem Stall zu Dorothee. Diefe, als fie die verhüllte 
Dame fo ſeufzen hörte, Hatte gefragt, ob ihr nichts fehle und ob fie ale 
Frauenzimmer ihr niht mit Hilfe und Rath an bie Hand gehen konne? 
Bu allen diefen Fragen fhmirg bie Ungädlice uud Sefarste auf, o6- 
gleih Dorothea wiederholt in fie rang, auf ihrem Stinfgmweigen bie 
der derlarote Ritter, dem, wie der Burſche gefagt Hatte, die Anbern 
gehorchten, Hereintrat und zu Dorothea fprah: „Gebt Euch feine 
Mühe, Sennora, diefem Frauenzimmer Gefäigfeiten zu erzeigen; denn 
es iſt jo ihre Art, für Nichts zu dauken, was man ihr zu Liebe thut; 
verlangt auch feine Antwort von ihr, denn Ihr würdet fonft nur 
eine Lüge aus ifrem Mund vernehmen." — „Ih babe nie eine Lüge 
gefagt,“ ſprach die Dame, „in Gegentheil hat mich nichts Anders 
als Aufrictigfeit im dieſen unglüdlichen Zuftand verfegt. IHr ſelbſt 
müßt bezeugen, daß bloß meime Wahrheitoliebe Euch zum dalſchen 
und Lügner gemacht hat.“ 

Eardenio hörte biefe Reden ganz deutlich, ba mie die Thäre 
von Don Duirotes Gemach zwiſchen ihm und der Sprecherin war. 
Plöglih brach er daher im die Worte ans: „Himmel, was hör ih? 
was für eine Stimme ift dies, die mir ind Ohr fehaflt?" Auf diefen 
Ruf fah fih die Dame erſchrocken um, und da fie Niemand erblickte, 
and fie anf und wollte in die Kammer, aber ber Ritter pielt fie 
anf, Judeß war ihr bei diefer Verwirrung die Zaffetfappe vom 
Rovfe gefallen, woburd fi ihr munderfhönes, oßgleid blaffes und 














396 Den Eairsıe. 


abgehärmies Geſicht emıhällte. Sie fah dabei fo zerfiört aus uud 
ügre Anger fuhten allenıpalten fo ängflih etwas, daß fie einer 
Bahnfınzigen glich, und Dorothea uud tie Andern, ohne zu willen, 
was dies bedeuten folle, fie herzlich bedauerien. Judem ber Ritter 
fig bemühte, fie bei den Sqhaltern feſtzuhalten, tonnte er wit ver 
findern, daß ifm die Larve vom Geſichte fiel, und Dorothea, welde 
eben nad ber fremden Dame die Arme ausgefredt hatte, erfannte 
in bem, welder dieſelbe feRgielt, igren Gemafl, Don Ber- 
wando. Raum hatte fie ihm erlaunt, als fie aus der Tiefe ihres 
Herzens ein langes mub trauriges Wehe ertönen ließ und ohumädtig 
zufammenfanf. Gäste ver Barbier fie nicht im feinen Yrmen aufge 
fangen, fo wäre fie zu Boden geſtürzt. Der Pfarrer Lief ſogleich 
herzu und riß ihr die Larve vom Gefiht, um fie mit Wafler anzu- 
feifgen. Indem erfannie fie Dom Sernando auch mad fland wie 
entfelt da. Gleichwohl ließ er Eucinden (denn dies war bie 
Dame,) teineswege los, während fie fih aus feinen Armen zu 
machen ſtrebte, denn fie hatte Cardenio, wie diefer fie, am Genf 
zen erfannt. Eardenio hörte nit minder Dorotheens Gefdrei, 
glaubte es fey Lacinde und fprang erfchroden aus ber Rammer 
hervor. Das Erfie, was er erblidte, war Don Fernando, ber 
ucinde in den Armen hielt. Don Fernando erfaunte ihn chen- 
falls fogleip und alle Bier fahen einander betroffen, verwirrt unb 
ſtillſchweigend au, Dorothea den Don Fernando, Don Fer- 
uando ben Cardenio, Cardenio Eucinde und Lucinde bem 
.Eardenio. 

Lucinde brach das Schweigen zuerſt. „Laßt mih, Dom Fer- 
wanbo,“ fprad fie, „um Eurer felbft willen laßt mich los, wenn 
and Feine andere Rüdfiht Euch dazu beftimmen ſollte; an die Mauer 
laßt mid eilen, deren Ephen ih bin, an den Weinſtock mi fhmie- 
gen, von dem Ihr weber durch Ungeflüm, noch tur Drohungen, 
weber buch Berfprechungen, noch durch Geſchenke mich habt los⸗ 
veifen können. Seht, wie mid) der Himmel auf geheimen und wun- 
berbaren Wegen meinem wahren Gatten zugeführt hat; und taufend 
theure Erfahrungen haben Euch ja bewiefen, daß nur der Tod ihm 
ans meinem Gebädhtniffe verbannen fann. Laßt Euch turd fo deutliche 








XXXVE Kapitel 497 


Zeichen endlich bewegen, Eure Liebe — denn Ihr könnt ja doch 
nicht anders — Eure Liebe in Haß, Eure Zärtlihfeit in Abſchen zu 
verwandeln, und nehmt mir lieber vollends das Leben, das ich mit 
Freuden anfopfre, wenn es vor den Augen meines theuern Gemahls 
geſchieht. Vielleicht daß mein Tod ihm; von der Treue überzeugt, 
die ich ihm bis. zum Tepten Athemzug bewahrt habe," 

In der Zwiſchenzeit war Dorothea wieder zu ſich felbft ger 
kommen. Ale fie num fah, daß dies Lueinde war, und Don Aer- 
mando weder von ihr ablich, noch ihr antwortete, ſammelte fie alle 
ihre Kräfte, warf fih ihm zu Füßen und fprach unter einem Steome 
gärtlicher und bittrer Tränen: „AG, mein Gebieter! wofern du 
nit ganz geblendet bift von den Strahlen der Sonne, die jegt 
ummöltt in beinen Armen ruht, fo mußt du ſchon bemerkt haben, 
daß Dorothea dir zu Füßen Tiegt, fie, bie unglüdfih und troſtlos 
bfeiben wird, fo lange du es nicht anbers willft, ih, die bu aus 
Güte ‚ober Leidenfhaft bis zu der Höhe erheben wo daß fie f 
die Deinige nennen bürftez die in ihres Vaters Haufe unbefannt, | 
ehrbar und zufrieden Tebte, bis fie dur dringendes Bitten und an 
ſcheinend tugendhafte Liebe bewogen, dir die Pforte ifrer Zuräd- 
gegogeneit öffnete und die Schläffel ihrer Freiheit in beine Hänbe 
sah, ein Dpfer, welches du mit folhem Undank ermibert Haft, daß 
du mich Hier fo Haft autreffen müffen und daß ich dich unter folgen Um- 
ſtanden erbliden muß. Denfe jedech nicht, baf entehrende Schritte 
mid hieher geführt Haben, mein, nur ber Summer, mid, won bir 
verlaffen zu fehen, hat mi an dieſen Ort gebragt. Du wollteſt 
mid zu der Deinigen machen, und thateſt es auf ſolche Weiſe, 
daß bu mie aufhören anni, der Meinige zu ſeyn, wenn bu dich 
glei jegt von mir fosfagen willſt. Bedente, mein Herr, ob ih dich 
nicht für die Schönfeit und den Abel derjenigen, um berenwillen 
du mi verlaffen willſt, durch meine mnäberfhwänglige Liebe ent» 
fGädigen lann. Du fannft nie ber liebenswürbigen Incinde ge» 
hören, weil du mein bift, und fie fan nie die Deinige werden, weil 
fie dem Cardenio gehört, Wenn‘ bır es reiflich überlegft, fo muß 
es bir Teichter werben, diejenige zw Tieben, bie dich anbetet, als die- 
jenige zur Liebe zu bewegen, welche dich verſchmäht. Du brängteft 


Den Duintch 








498 Bon @uirote. 


dig in mein arglofes Herz, du beſtürmteſt meine Unſchuldz du fannteft 
auch meinen Stand, und weißt, anf welde Bedingung ich mi bir 
ergab; folglich bleibt bir fein Vorwand und feine Ansfludt übrig zu 
Hagen, daß bu betrogen worden feyfl. Wenn du dies nit laͤugnen 
Tannft und wenn du eben fo fehr ein Eprift feyn willſt als ein Edelmaun, 
wie barfft du dann Anſtand nehmen, mich fortwährend fo glücklich 
zu machen wie im Anfang? Wilft du mich nicht für das, was ih 
bin, für deine rechtmäßige Gemahlin, erfennen, fo liebe und behalte 
mid wenigflens als beine Magd; denn wie ich bir and angehören 
mag, fo werbe ich mich bei dir doch immer glücklich ſchätzen. Berlaffe 
und verfloße mich nur nicht, fondern ſchone der granen Haare meiner 
tern, die fih gegen bie deinigen immer als treue Diener und Un- 
terthanen betragen haben und diefe Schmach von bir nit verbienen. 
Benn du glaubſt, den Adel deines Bluts durch die Bermifhung mit 
dem meinigen zu entwürbigen, fo bebenfe, daß es unter ben adelichen 
Geſchlechtern nur wenige ober gar feine giebt, bei benen nicht ähn⸗ 
liche Fälle eingetreten wären, und daß das Blut der Weiber weniger 
als das Blut der Männer bei der Ahnenfolge in Betrachtung kommt, 
zumal da der wahre Abel in der Tugend befteht; und wenn du auf 
diefe Verzicht thuſt, indem bu mir dasjenige verfagft, was du mir 
von Rechtswegen ſchuldig bift, fo bin ich adlicher als dm. Mit 
einem Worte, mein Gebieter, e8 mag bir Lieb feyn ober nicht, fo 
bin ich deine Gemahlin; beine Worte zeugen für mi, und du Fanft 
und darfſt fie nicht zur Lüge machen, wenn du dasjenige an bir ſelbſt 
ehren willft, wegen beffen Ermanglung bu mid verfhmäpeft. Deine 
Berfprechungen zeugen für mich, der Himmel zeugt für mich, den da 
felbft zum Zeugen deiner Gelübde angerufen Haft. Und wenn auch 
das Alles nicht wäre, fo würde doch bein eignes Gewiſſen mitten 
unter dem Taumel der Luft feine Stimme erheben, die Wahrheit 
meiner Worte befräftigen und bir alle Freude und Zufriedenheit 
rauben. 

Diefe und andre Gründe brachte die troſtloſe Dorothea mit 
folder Rüprung und fo vielen Thränen vor, daß alle Anwefenden, 
felöft die Begfeiter Fernandos, fich nicht enthalten Ionnten, Tränen 
des Mitleids zu vergießen. 











NXXVE Kapitel 49 


Don Kernande hörte fie ſtillſchweigend an, bis fie ihre Nebe 
geendigt hatte und man fo inwig ſeufzte umd ſchluchzte, daf er von Erz 
Hätte ſeyn müffen, ‚wenn ex bei dem Ausdrud ihres Schmerzeno 
ungerührt geblieben wäre. Lucinde betrachtete fie ſowohl mit inniger 
Theilnahme an ihrer Behimmernif, als mit Bewunderung ihres 
Berftandes und ihrer Schönheit, und gern wäre fie ihr an die Bruſt 
geflogen, um ihr etwas zum Troſte zu fagen, wenn. fie ſich den 
Armen Don Fernandes hätte entwinden lönnen. Lange betradtete 
viefer Dorothea von Scham und Beftürzung, emblih Tief er 
Lucinden los, breitete feine Arme gegen Dorothea ans und 
fagte: „Di Haft gefiegt, Kiebenswürbige Dorothea, es iſt unmög- 
lich, fo viele vereinigte Wahrheiten zu läugnen.* 


Yudem Don Fernando Lucinden looließ, wäre fie vor hef 
tiger Bewegung faſt bingefanten; doch Cardenio, welcher eher 
um bie Blicke Feruandos nicht auf ſich zu ziehen, ET ger 
treten war, feßte jeht alle Furt auf die Seite, 6, fie in 
feine Arme zu fliegen und fpraß: „Wenn es der Wille bes gütigen 


Himmels ift, dir, meine treue, ſtandhafte und liebenswärbige Gebier 
terin, einige Ruhe zu gönnen, fo glaube ih, daß du fie nirgends 
gewiffer finden wirft, als in biejen Armen, die dich jeßt umfangen, 
die auch früher dich umfiengen, als ich noch fo glüdlih war, did 
die Meinige nennen zu dürfen.“ 


Wie Carbenio dies fagte, blidte Pucinde zu ihm auf, und 
da jeht ihr Auge feine Gefihtszüge, ſewie vorhin ihr Ohr feine 
Stimme erfaunte, ſchlang fie, bingeriffen von Zaͤrtlichleit, ohne Zu 
rüdhaftung die Arme um feinen Hals, lehute ihre Wange am bie 
feinige und fagte: „Sa, da bift ber wahre, rechtmaßige Befiger 
meines Herzens, welde Hinderniffe auch das Schidfal in den Weg 
Tegen mag, und welde Gefahren aud ein Leben bedrohen mögen, 
das nur am dem deinigen hängt und nur dir gewidmet iſt.“ 


Don Fernando und alle Anmwefenden waren vol Erſtaunen 
über diefen auferordentlichen Auftritt; Dorothea glaubte jedoch zu 
bemerken, daß Don Fernando fih entfärbte und daß es ſchien, 











als wollte er gegen Eardenio Gewalt gebrauchen, weil er eine Ber 
wegung mit ber Hand machte, wie um ben; Degen zu ziehen, Raum 


ftieg biefer Gedanle in ihr auf, fo umfafite fie fihnen feine Knie, 
fügte fie und hielt fie fo feft umfchlungen, daß er ſich nit rüßren 
Konnte. Mit Thränen in den Augen fagte fie zu ihm: „Mas wilft 
du, mein Einziggelichter, bei diefem unverhofften Auftritte beginnen? 
Hier ſiehſt du deine Gemahlin zu deinen Füßen, und jene, mach 
welcher du Lich fehnft, Tiegt in den Armen ihres Gemahle. Bedente, 
ob du dasjenige ändern Fannft ober darfſt, was die Fügung des 











XXXVL Kapitel, 501 


Himmels beſchloſſen Hat, und ob «6 dir ziemt, Anſprüche auf diejenige 
zu machen, welde allen Aufechtungen zum Trope ftandhaft geblieben 
iſt und jegt vor deinen Mugen Thränen der Zärtlichkeit auf die 
Bangen und in den Bufen ihres rechtmäßigen Gemahls fliehen 
laßt. Ich bitte dich um Gottes und deiner eignen Ehre willen, Taf 
diefe ihre freimüthige Erklärung dich nicht zum Zorne reizen, fondern 
vielmehr fo volllommen befänftigen, daf du biefen Liebenden, ohne 
fie zu hindern, verftatteft, einander im Frieden zu befigen, folange der 
Himmel 6 ihnen vergönut; denn baburch wirft du den Edelmuth 
deiner Gefinnung beweifen, und die Welt wird fehen, daf Vernunft 
mehr als Leivenfhaft über dich vermag." 

Eardenio, welcher während biefer Rede Lucinde noch 
immer in feinen Armen hielt, Heftete zu gleicher Zeit feine Blicke 
auf Don Fernando, entſchloſſen, bei ber geringfien feindfeligen 
Bewegung, welche diefer ſich gegen ihn erfauben würde, ihm und 
allen Andern mit voller Kraft zu widerfiehen, wenn es ihm and 
das Leben loſten ſollte. Doc in diefem Augenblide Tegtem ſich die 
Freunde Fermandos, nebſt dem Pfarrer und dem Barbier, welde 
fänmtlih zugegen waren, ins Mittel und felbft der ehrliche Saucho 
Panfa blieb nit mäßig. Alle umgaben ven Don Fernando und 
baten ihn, auf Dorstheas Thränen Nüdfigt zu nehmen, und 
wenn (wie fie nicht zweifelten) Alles wahr wäre, was fie fagte, 
ihre gerechte Erwartungen nit zu täufgen, fordern zu erwägen, 
daß allem Anſcheine nad es ſich nicht vom Ungefähr, fendern dur 
eine beſondre Schidung des Himmels fo gefügt habe, daß fie ins. 
gefammt an einem Orte, wo fie es am wenigften vermuthet hätten, 
einander angetroffen. Ueberbies gab der Pfarrer ihm zu bedeufen, 
daß mihts ale der Tod ben Cardenio von Fueinden trennen 
Bönne und daß fie beiderfeits, wenn auch die Schärfe des Schwerte 
fie feiven ſollte, den Tod felbft für ein Gläd Halten würden, 
Da fi demnach die Sachen nicht ändern Tiefen, fo gebiete ifm 
die Klagheit, fih ſelbſt zu überwinden, Edelmuth zu zeigen und 
freiwillig viefes Paar das Gfüd genießen zu Taffen, weldes ber 
Himmel bemfelben beſchieden. Er bat ihm zugleih, auf Doro» 
tHeas Schönheit, bie nur wenige ober feine ihres Gleichen Habe, 














503 Don Auizote 


geſchweige denn von irgend Jemand übertroffen werde, auf ihre 
Demuth und ihre außerordentliche Liebe Rüdficht zu nehmen, vor 
allen Dingen aber nicht zu vergeffen, daß er, wenn er als Erel- 
mann und Eprift handeln wolle, nicht umhin könne, fein gegeb- 
nes Wort zu halten. Thue er dies, fo erfüle er feine Pflicht 
gegen Gott und verdiene den Beifall aller vernünftigen Men- 
fen, welde wohl wiffen, dag Schönpeit und Gittfamleit gepaart 
anf die Erhebung aus dem niebrigflen Stande zu ben höchſten Stufen 
menſchlicher Größe Anfpruh machen Fönnen, ohne Herabwürbigung 
deßjenigen, ver fie zu fi erhebe, und daß man es keinem 
Menſchen verdenken könne, wenn er ſich der Gewalt ber Liebe über- 
Iaffe, infofern nichts Sündliches dabei zu Grunde Tiege. Diefen 
Gründen fügten die Andern noch fo viele und einleuchtende hinzu, 
daß Don Fernando, welder ohnehin aus edelm Gebläte entfproffen 
war, ſich erweichen und durch Wahrheiten überzeugen ließ, die er 
nicht abläuguen konnte, wenn er auch gewollt hätte. Zum Zeiden, 
daß er befiegt den ihm vorgehaltnen Gründen nachgebe, meigte er 
fi herab zu Dorothea, umarmte fie und fagte: „Steh auf, Ge⸗ 
liebte, es ziemt fih nicht, daß diejenige zu meinen Füßen liege, bie 
über mein Herz gebietet. Wenn ich das, was ich jetzt fage, bisher 
nit durch die That bewiefen habe, fo war es vielleiht der Wille 
des Himmels, daß ih vorher deine Treue und Liebe in vollem Um⸗ 
fange fennen Iernen follte, um did nach Verdienſt fHägen zu können. 
Zürne nur nicht Tänger, ich bitte dich, über mein ungerechtes Ber 
fahren und meine unverzeihliche Vernachläßigung; denn dieſelbe Ge- 
walt, welde mich dir unterworfen hat, machte mich dir auch abtrännig. 
Um dich zu überzeugen, fo betrachte nur die Augen ber jegt zufriebnen 
Lucinde, fo wirft bu in ihren Bliden die Eutſchuldigung meines 
Fehltritts finden. Da fie jegt das Ziel ihrer Wünfcpe erreicht hat, 
und ih in dir Alles gefunden habe, was mich beglüden Tann, fo 
möge fie lange Jahre ſicher und glüdlih mit ihrem Carbenio leben 
und id werbe den Himmel bitten, mid eben fo lange durch ten Befig 
meiner Dorothea zu beglüden.“ Mit biefen Worten umarmie er 
fie aufs. Neue und legte mit fo vieler Zärtlichkeit feine Wange an 
die ihrige, daß er nur mit Mühe die Thräuen zurückhielt, die im 











XXXVI. Kapitel, 


Begriffe waren, ald unwiderſprechliche Zengen feiner Rene und Liebe 

zu fließen. Lucinde, Carbenio und alfe Umſtehenden fonnten ſich 
5 ißrigen nicht erwehren, fonbern faſt alle vergoſſen fo viele Zahren 
der Freude, theils über ihr eigues Gfüd, theils über das Glüd ter 
Andern, daß man hätte denten mögen, #8 wäre ihnen Allen großes 
Herzeleid wiberfaßren. Selbſt Sanıho Panfa meinte mit; doch 
geſtand er nachher, er habe nur darüber geweint, daß Dorotsea 
nit die Königin Miromicona fey, wofür er fie gehalten und 
von welcher ex fih große Gmabenbejeigungen verſprochen. 

Tränen und Verwundrung währen noch eine Zeit lang bei 
Allen. Hierauf warfen Cardenio und Lucinde fih tem Don 
Fernando zu Füßen und bankten ihm fir die Wohlthat, er 
ihnen erzeigt hatte, in fo verbindlichen Anstriidden, daß er Worte 
finden fonnte, um fie zu erwidern, ſondern fie nur aufs freundfaft- 
lichſte und liebreichſte umarmte, Er bat hierauf Dorothea, ihm zu 














504 Don Quixott. 


fagen, wie fie nach diefem Orte gefommen ſey, ber fo weit von ihrem 
Geburtsort entfernt Tiege. Sie erzäͤhlte ihm alle Umftände, welche 
Carbenio bereitd vom ihr gehört hatte, zwar mit wenigen Worten, 
aber mit fo vieler Anmuth, daß ſowohl Don Kermando ale feine 
Begleiter ihr mit dem größten Vergnügen zubörten, und gerne ge» 
wünſcht hätten, ir noch länger zufören zu Fönnen. Don Fernando 
erzählte hierauf gleichfalls, was ihm in ber Gtabt begegnet war, 
feitvem man in Lucindens Bufen das Papier zrfunden, worin 
fie erffärte, daß fie nicht feine Gemahlin werben fünne, weil fie 
Eardenios Brant fey. Er gefland, daß er fie habe umbringen 
wollen unb daß er cd würde gethan haben, wenn ihre Eltern ihm 
nicht, daran verhindert Hätten. Boll Scham und Berdruß ſey er 
hierauf aus dem Haufe gegangen, in ber Mbficht, eine bequemere 
Gelegenheit zur Rache abzuwarten, und am folgenden Tage habe 
er gehört, daß Lueinde im Haufe ifrer Eltern vermißt werde und 
daß Niemand wife, wohin fie gegangen, Nah einigen Monaten 
habe er erfahren, daß fie fih in einem Mofter befinde und Willens 








XXXVI. Kapiteh 505 


ſey, ihr Leben daſelbſt zuzubringen, wenn fie nit die Gemahlin des 
Eardenio werben fünne. Sobald er dies vernommen, babe er ſich 
in Begleitung der drei Eavaliere, die bei ihm feyen, nad ihrem 
Zufluhtöorte begeben, übrigens vermicden, ihr zu Geſichte zu 
kommen, bamit man nicht, wern man feine Anmwefenheit erführe, im 
Kloſter gegen feine Anfhläge auf der Hut ſeyn möchte. Wie er nun 
eines Tags die Gelegenheit abgewartet und die Kloſterpforte offen 
gefunden, Habe er zwei nom feinen Freunden am ter Pforte zur 
Bade gelaffen und fih mit dem dritten ins SHofler verfügt, um 
Lucinden aufzuſuchen, welche fie im Geſpräch mit einer Nonne an- 
getroffen. Ohne ihr einen Augenblik Zeit zur Befinnung zu laffen, 
haben fie fi ihrer bemägtigt und fie an einen Ort in Sicherheit 





Die Duck 








806 Don uirote. 


gebracht, wofelbf er bafür geforgt Habe, fie weiter fortzuſchaffen. 
Das Alles Habe er ohne Gefahr ausführen Fönnen, weil das Kloſter 
weit von der Stabt in einer einfamen Gegend Liege. Er fehte hinzu, 
fobald Lucinde ſich in feiner Gewalt befunden, fey fie in eine tiefe 
Ohnmacht gefallen und feit dem Angenblid, da fie wieder zu fih 
gelommen, habe fie befländig gefeufzt und geweint, opne ein Wort 
zu reden. Schweigend und weinend fey fie endlich mit ihnen bie 
nad dieſem Wirthshauſe gelommen, welches er jetzt wie einen 
Himmel betrachten müſſe, weil fie Hier fämmtlich das Ende ihrer 
irdiſchen Widerwärtigleiten gefunden. 








XXXVI. Kapitel, 


————— 


Siebenunddreifßigſtes Kapitel. 


Bortfegung der Seſchite ver berühmten Drinzeſfin Micomirone, fammt andern anmuihigen 
Abenteuern, 


Normal Bi Sur wollte verzweifeln, 
als er feine Qufifhlöffer auf 
einmal oerſchwinden und die 
Prineffin Micomicona 
fi$ in Dorothea und den 
Riefen Pandafilande in 

* VSonernando verwandeln 

ſah. Sein Herr lag noch in 

tiefem Schlafe und wußte 

— fein Wort von Allem, was 

feitger vorgegangen, Dorothea fonnte fih kaum befinnen, ob ihr 

Gluck ein Traum ſey oder niht; Earbenio und Lucinden giengs 

ebenfo; Don Fernando dankte dem Himmel, auf fo gute Art aus 

dent Labyriuthe gerüdt worden zu fepn, das ihm mit Gefahr für Ehre 
und Seefenheif bedroht hatte; Jedermann in der Schenfe war froh 
und vergnügt über den Ausgang diefer fo wunderbar verſchlungnen 

Händel, und der Pfarrer ald ein verfändiger Mann, wußte Alles 

ins vechte Lit zu ſehen und Jedem auf paffende Weife Glück zu 











os Don Buirote, 


wünſchen. Am meiften aber jubelte und frohlockte bie Wirthin, weicher 
Eardenio und ber Pfarrer den von Don Quixote angeriäteten 
Schaden reihlih zu erfegen verforodgen hatten. Nur Sauch o, wie 
gefagt, war traurig und niedergeſchlagen. Mit ſchwermüthigem Ge- 
fihte gieng er binein zu feinem Herrn, ber eben ermachte, und fpradh: 


I, 


ee 


„Ihr könnt in Gottes Namen fortſchlafen, gefirenger Herr, Ihr braucht 
auch weiter am feinen Niefen, noh am Einfegung der Prinzeffin in 
ihr Neich zu gebenfen, es iſt fhon Alles sorbei und geſchehen.“ — 
„Das glaub ich wohl,“ fra Don Duirote, „nachdem ich ja 
mit dem ungeheuerften Kieſen bie berüßmtefte Schlacht in meinem 
Leben gefochten habe. Auf einen Hieb, patſch, lag der Kopf auf ber 
Erbe, und das Blut ſchoß heraus wie Ströme Waſſers.“ — „Ia, 
ſprecht lieber wie Ströme rotsen Weins,“ verfepte Sande; 
„wißt Ihre deun nicht, daß Euer tobter Niefe ein Schlau ift, ven 
Ihr zu Fetzen gehauen habt? und das Bint ſeche Ohm rothen Weine, 
den er im Leibe hatte? umb ber abgehanene Kopf ift die Hure, bie 
mid) gebar, und der Teufel ſoll Alles holen.“ — „Was fprihft du 

















XXXVI. Sapitel 509 


Efel da?“ fragte Don Quixote, „bift du auch Bei Sinnen?* — 
„Steht nur auf und feht, was für faubre Arbeit Ihr geliefert habt,” 
ſprach Sandho; „fie werben ums ſchon die Zeche dafür machen. Ihr 
tönzt and die Prinzeffin Micomicona in eine Nlltagsjungfer, 
Namens Dorothea, verwandelt, mebft taufend andern Sachen fehen, 
darüber Ihr Euch kreuhigen unb fegnen werdet.“ — „IH wundre 
mich bier über nichts,“ antwortete Don Ouirote; „denn erinnerf 
du dich noch, wie ih, als wir das Letztemal hier waren, dir fagte, 
daf Alles in dem Haufe durch Zauberei zugehe? Mas Munder, 
wenns jept wieber fo it?“ — „Ich wollts gerne glauben,” verſehte 
Sando, „wenn nur meine Prelle and Blendwert und Zauberei 
gewefen wäre; aber bas war mit fo, fondern eine wirlliche und 
wahrhaftige Prelle, denn ich habs ja mit eignen Augen gefehen, wie 
unfer jegiger nämlicer Wirth aud einen Zipfel vom Betttuche hielt 
und mich unter lautem Gelächter nach Hergensiuft himmelhoch in bie 
Luft ſchnellte. Und wenn man chen die Pente ſieht und Fennt, da 
mein’ ich, fo dumm, wie ih bin, ſey weit und breit mit bie Rebe 
von Zauberei, fondern von lauter Unglück und Prügelei.” — „Genug, 
der Himmel wirds ſchon machen,” fprah Don Onirote. „Gich mir 
meine Kleider, und Hilf mich anziehen, damit ih hinaus und fehen 
tann, was das für Verwandlungen find, von denen bu fhwageft, * 
Sande gab fie ihm, und während er fih anzog, erzäßfte ber 
Pfarrer Don Fernando und den Uebrigen die Gefsichte von Don 
Duirotes Narrheiten, und was man für Lift Habe brauchen müffen, 
ihn vom Armuthöfelfen herabzubringen, wo er wegen eingebildeter 
Beratung von Seiten feiner Gelichten bleiben zw müffen geglaubt 
Hätte, Zugleich tHeifte er ihnen alle von Sandho erzäffte Abenteuer 
des Ritters mit, wobei fie nicht wenig lachten, und ſich über biefe 
feltfame Art von Narrheit wanderten. „Nun,“ fprad der Pfarrer zu 
Dorothea, „ba mir die glückliche Entwidlang Eures Schidfals 
meine Prinzeffin geraubt hat, muß ih anf eine andre Erfindung 
denlen, unfern Junker vollends nach Haufe zu bringen." Cardenio 
flug vor, dem angefangenen Faden fortzufpinnen, wobei Lucinde 
die Rolle der Dorothea übernehmen und fortfpielen folle. „Nein,“ 
forah Don Fernando, „das foll mict ſeyn, Dorothea foll ihre 




















510 Don Buixste 


Erfindung vollenden, und ba wir ohnedies mit mehr weit von ber 
Heimath des guten Junfers find, will ih mit Vergnügen das Meinige 
zu feinem Beften beitragen, « — „Wir haben kaum nod zwei Tage 
veifen nah Haufe,” ſprach der Pfarrer. „Wenns auch mehr wäre,” 
verfegte Don Fernando, „fo würde ih doch bie Reife gern dran 
wenden, ein fo gutes Werf zu thun.“ 

Während fie fo im beſten Gefpräh waren, trat Don Duirste 
in völliger Rüftung und Heergeräthe zu ifuen Herein; auf bem Kopf 
hatte er dem zerfgellten Helm Mambrins, am linfen Arm bie 
Tartſche und mit dem rechten flägte er ſich auf feine Stange oder 
Lanze. Don Fernando nad die Andern, die ihn mod nicht fanuten, 
fugten über die feltfame Figur unfers Nitters; denn fein meilen- 
Tanges, bürres, braungelbed Geficht, feine zuſammengeſtoppelten Waffen 
und fein feierlicher Anftand machten das feltfamfte Ganze von der Welt, 
Sie ſchwiegen Alle und erwarteten, wad er vorbringen wärbe, Mit 
erahnen Ernfte, und die Mugen ſtarr anf Dorothea gerichtet, begann 








XXXVI. Kapitel. 511 


er num folgendergeftalt: „Schöne Dame, biefer mein Stallmeiſter 
hinterbringt mir, daß Eure Hoheit ſich erniedrigt, ſich ihres vorigen 
Standes abgethan, ihr ganzes Weſen verändert und aus einer hohen 
Königin in eine gemeine Jungfrau fi verwandelt habe, Iſt dies 
auf Willen und Befehl Eures Herrn Vaters, des Zauberfönigs, ge- 
fgehen, der etwa fürdtete, ich möchte Euch nicht die nöthige und 
ſchuldige Hilfe Teiften Können: fo fag ih End biemit, daß er von 
feiner Kunſt nicht das ABE verficht, und noch ſchlechter in den 
Nittergefehichten beſchlagen feyn muß. Denn Hätte er fie mit fo 
vielem Fleiß, Verſtand und Nachdenfen gefefen als ih, fo würde er 
anf jevem Blatte gefunden Haben, daß Ritter, die tief unter meinem 
Nuhme ſtehen, wohl gröfre Dinge ausgeführt haben. Denn was ift 
Sonderliches daran, einen Heinen Rieſen niederzuhauen, fo flolz er 
auch ſeyn mag? Ginds do erft einige Stunden, dog ih mit einem 
folgen — doch nein, ich will fhweigen, damit mir Niemand vor- 
werfen lann, ich lüge; aber die Zeit, die Entbesferin aller Dinge, 
wird ed ſchon and Tageslicht bringen, wenn wir am wenigſten darau 
denken.“ — „Mit einem paar Weinſchlauchen habt Ihr gefochten, 
nit mit einem Rieſen!“ färie der Wirth; aber Dom Fernando 
gebot ihm augenblicklich Stinfhweigen. „Kurz, führ Don Dui- 
xote fort, „ich fage mur fooiel, Hohe und emterbte Dame, bat Euer 
Vater aus obbemelbelen Gründen die Verwandlung mit Euch vorge 
nommen, fo glanbt ihm nicht, benn es iſt Feine Gefahr auf der ganzen 
Erde, dar welche ſich nicht mein Schwert einen Weg maden fönnte; 
died Echwert, mit welchem ih Eu ben Kopf Eures Feindes zu 
Füßen Iegen, und Eu Eure Krone in wenigen Tagen aufs Haupt 
ſehen werde. # 


Don Duirote ſchwieg, und erwartete ber Prinzeffin Antwort 
hierauf. Diefe wußte nun fon Don Fernanbos Willen wegen 
Vollendung ihrer Rolle, und antwortete daher mit Würde unb 
feierlicher DMiene: „Wer Eu gefagt hat, edler Nitter von der 
traurigen Geftalt, daß ich mi verwandelt und mein Wefen verändert 
habe, Hat Euch fehr unwahr berichtet, denm ich bin heute noch voll» 
ändig eine und eben biefelbe, die ic geftern gewefen. Zwar iſt eõ wahr, 














512 Don @uirote. 


daß ein gewiſſer glüdtiger Zufall die angenehmfte Veränderung in 
meinem Schidfale gemacht hat, aber dadurch höre ich durchaus nicht 
auf zu ſeyn, was id vorher war, habe auch nicht deßhalb den Ge- 
danken aufgegeben, den ich zuvor hatte, mich Eures tapfern unüber- 
windlichen Arms zu bedienen. Laßt alfo ja, werther Ritter, die Epre 
meines Vaters unangetaftet und glaubt gewiß, daß er ein kluger und 
weifer Mann war, weil er vermöge feiner Wiffenfhaft dem leichteſten 
und fiherfien Weg, mich wiederum glüdlich zu mahen, fand; bemn 
gewiß glaube ih, wärs nicht durch Euch geſchehen, nie wär ich wieder 
fo glüdlich geworden, als ich jest bin. Alle diefe Herrn, welde 
gegenwärtig find, werden mir bezeugen, daß dies wahr if. Nichte 
if nun übrig, als daß wir ung morgen frühe auf ven Weg machen; 
denn für heute ift es ſchon zw fpät. Wegen des übrigen guten Aus- 
gangs meiner Sache verlaffe ich mich gänzlich auf ven Himmel und 
Euern tapfern Arm.“ 


So fprah die kluge Dorothea und Don Quixote kehrte 
fi mit ziemlich finſterem Gefiht zu feinem Sando: „Nun, mein 
feiner Sanyo," ſprach er, „bif du nicht der größte Schurfe, den 
es in Spanien giebt? Geſteh, gottlofer Kandfireiher, haft dm mir 
nicht diefen Augenblick noch gefagt, da dieſe Prinzeffin ſich in ein 
gemeines Mädchen, Namens Dorothea, verwandelt habe? und daß 
der Rieſenkopf, den ih abgehauen, die Hure ſey, bie dich gebar, 
fammt taufend andern Tollpeiten, die mich fo verwirrt machten, als 
ich in meinem Leben noch nicht gewefen bin? Ich fhwöre bei Gott“ 
— hier bficte er gen Himmel und biß die Zäpne zufammen — „ih 
will ein Beifpiel an bir flatuiren, das allen andern lügneriſchen 
Schildknappen fahrender Ritter von jegt bis an ber Welt Ende den 
Kopf zurechtſetzen fol.“ 


„Seyd doch nicht fo böfe, geſtrenger Herr,“ verfeßte Saucho, 
„es Tann ja leicht fegn, daß ich mich wegen der Verwandlung 
der Prinzeffin Micomicona geirrt habe, aber wegen bes Rie- 
fenfopfs oder wenigfens darin, daß Ihr die Shlänhe zerhackt 
habt und daß das Blut rother Wein if, hab ih, weiß Gott im 

















NNXVU. Kapitel 513 


Himmel, Recht. Die Schläuche Tiegen ja no, fo wie Ihr fie 
zugerichtet habt, bei Euer Geftrengen Bette; der rothe Wein Hat ein 
ganzes Meer in die Kammer gemacht und Ihr werdet fhon fehen, 
was Ihr Euch eingebrodt habt; bei der Rechnung wird ſichs aud- 
weifen. Daß aber bie guäbige Prinzeffin noch das, was fie war, if, 
freut mich von Herzen, denn ich finde meinen Vortheil fo gut babei 
als fonft Einer. * 


Höre Sancho,“ fprah Don Duirote; „If die was 
fagen: du biſt ein Schafstopf! vergieb mir und bamit gut!’ 


„3a gewiß," fagte Don Kernando; „nun fein Wort mehr 
davon, Die Prinzefin will, wie gejagt, ihre Reife bis morgen auf- 
fhieben, weil es jept ſchon zu fpät if. Indeß wollen wir die Nacht 
vergnügt unter und zubringen unb morgen indgefammt ben Herrn 
Nitter Don Quixote begfeiten, um Zeugen ber großen und uner- 
hörten Tpaten zu ſeyn, welche er bei feinem ſchweres Unternehmen 
vollbringen wird. * 

[7 

„Die Ehre wird auf meiner Seite feyn, Euch zu bienen 
und zu begleiten,“ verfepte Don Quixote. „Zugleih dante 
ich Euch für die Aute Meinung, bie Ihr von mir Habt, welche 
ich zu beftätigen ſuchen werbe, follte es auch mein Leben und, falls 
dies möglich wäre, mehr als mein Lehen koſten.“ Hierauf fielen noch 
viele Höfligfeiten und Freundſchaftoverſicherungen zwifgen Don 
Duirote und Don Fernando vor; aber bie Ankunft eines Fremden 
in der Schenke, der gerade fo, wie ein eben and ber Berberei zurück⸗ 
kommender Eprifienfflave audfah, unterbrach fie. Er trug ein fnappes 
Wamms von blauem Tuch mit halben Aermeln und ohne Kragen; 
die Hofen waren ebenfalls von blauer Leinwand, und auf dem Kopf 
hatte er’ eine dergleichen Müge, außerdem trug er mauriſche Halbe 
ſtiefeln und einen Säbel in einem Wehrgehäng, das ihm queer über 
die Bruft gieng. Hinter ihm Fam ein mauriſch gelleidetes Frauen, 
ziumer auf einem Maufthiere, dad Geficht mit einem Schleier bedeckt 
und mit einer Heinen brotatenen Haube vom Goldſtoff; darüber trug 





Den Dnimteh, 








Don Quirote. 


fie einen weiten türfifgen Mantel, der ihr von den Schultern 
den Kühen reichte, Die Manneperfon war ſtark, wohl 'gei 


nicht viel über vierzig Jahre alt, ein wenig braun im Gefichte zum 


trug einen großen Schnurrbart, fowie einen Badenbart, der ihm tr. 
Rand. Kurz, man fah, vafı er, wenn er gut geffeibet Wäre, ı 
Mann von Stande vorſtellen könnte, Er verlangte ein Zimmer, 
ſchien es ungern zu hören, ald man ihm fagte, daß in ber g 
Söenfe weiter keines al das aflgemeine fe. Sri eng 
Hin und hob die anſcheinende Matrin von ihrem Thiere he '&u 
einde, Dorothea, bie Wirthin, ihre Tochter und Maritorn 
für welche dieſe Tracht was ganz Nenes war, umringten und 











KNXVIL Kapitel 515 


befonders freundlich und leutſelig war, fah, daß bie Fremde ſich in Ber- 
legenheit befand, weil fie kein befondres Zimmer befam und ſprach zu 
ihr: „Mergert Euch nicht, liebe Sennora, über den Mangel an 
Bequemfichfeiten, den Ihr hier findet, dies iſt im den Sıhenfen was 
ganz Gewoͤhnliches. Indeß, wenn Ihr Euch zw uns halten und in 
unfrer Geſellſchaft die Nacht zubringen wollt,” — fie deutete zugleich 
auf Lueinde — „fo werbet Ihrs bier vielleicht erträglicer finden 
ald anderswo." Die Berfleierte antwortete nichts darauf, fondern 
Rand wur auf, Iegte die Hände kreuhweiſe auf die Bruft, und beugte 
den Kopf und Leib zum Zeichen ihrer Dankbarkeit. Aus ihrem 
Schweigen fhloffen fie ſogleich, daß fie eine Maurin ſey und nicht 
ſpaniſch ſprechen könne, 

Indeß kam der Sklave, welcher ſich anderswo beſchäftigt hatte, 
hinzu, und da er ſah, daß fie feine Gefahrtin umringt hatten und 
anredeten, fprah er: „Meine Damen, dies Rrauenzimmer weiß faum 
ein paar Worte ſpaniſch und ſpricht bloß ihre Mutterfprahe, daher 
kann fie auch nicht beantworten, was man fie fragt, — „Bir 
haben fie nichts gefragt," verfepte Lucin de, „fonbern ihr nur für 
diefe Nacht unfre Gefellfpaft und Kammer angeboten, welche wir 
herzlich germ mit ihr theifen wollen und wo fie fo viel Bequemlichkeit 
haben fol, ald der Drt erlaubt da ed in unferm Wunſche liegt, 
jedem Aremden und befonders Arauenzimmern gefälig zu feym" — 
„Ih kaſſe Euch im ihrem und meinen Namen dankbar bie Hände, 
und fhäge Euer gütiges Erbieten um fo höher, da es von fo ange- 
ſehnen Perfonen ausgeht,” ſprach der Sklave, — „Sagt mir doch, 
lieber Herr," verfepte Dorothea, „if dies Frauenzimmer eine 
Chriſtin ober Maurin? Ihr Schweigen und ihre Tracht laͤßt uns 
vermuten, daß leider das Lehtere der Fall feyn werde,” — „Ihrer 
Geburt und Tracht nah iſt fie eine Manrin,“ antwortete der Sklave, 
aber im Herzen iſt fie eine gute Chriſtinz denn fie verfangt von 
ganzem Herzen darnach, es zw werben.“ — „Sie it alfo noch nicht 
getauft?" fragte Lueinde. — „Nein,“ fprad der Slave, „wir 
haben, feit fie aus ifren Vaterlaude Afgier weg ift, noch feine Gele- 
genheit dazu gehabt, und bisher ift fie noch nicht in fo dringender Tobes- 
‚gefahr gewefen, daß ich fie ohne die Vorbereitungen, welche unfre 

















516 Don Quirste 


heilige Kirche erfordert, hätte taufen müffen. Aber fo Gott will, fol 
fie bald mit aller der Würde getauft werden, welche ifr Stand er- 
fordert; denn wir find Beide mehr, als unfre Kleidung verräth. * 
Diefe Rede machte alle neugierig zu erfahren, wer dieſe beiden 
Leute wohl feyn möchten; aber Niemand wagte es, fie jept baram zu 
fragen, weil es ſchien, daß fie lieber ausruhn als erzäßlen wollten, 
Dorothea nahm die Maurin bei der Hand, z0g fie neben ſich auf 


* einen Stuhl nieder und bat fie, ihren Schleier abzulegen. Sie fah ven 


Sklaven an, als wollte fie ihn fragen: was ſpricht fie zu mir? ober, 
was fol ih than? Er fagte ihr auf Aiſrabch, warum man fie bitte 
und daß fie e6 nur thun könne. Sie nahm darauf den Schleier ab 
und zeigte ein fo fihönes Gefiht, daß Dorothea fie ſchöner fand 











XXXVI. Kapitel 517 


als Kucinden und Luein de fie fhöner als Dorothea, und alle Um 
ſtehenden bekannten, wenn Jemand ihren beiden Damen an Schönheit 
gleich komme, fo fey es die Maurin, und Einige hielten dieſe fogar 
für noch ſchöner. Auch bier zeigte die Schönheit ihre Allgewalt, bie 
Seelen zu feſſeln und fi Liebe zu erwerben; denn Jebermann wollte 
ſogleich der fhönen Maurin dienen und ihr Hoͤflichteit bezeigen. Don 
Kernando fragte ben Sklaven nach ihrem Namen, „Sie heit Lela 
Zoraide,“ antwortete diefer. Sobald fie hörte, daß man den Chriſten 
um ihren Namen gefragt hatte, fagte fie fehr haftig und mit liebens⸗ 
würdiger Verwirrung: „No, no, Zoraide: Maria, Marial” 
und zeigte dadurch, fie wolle nicht mehr Zoraide, fondern Marin 
heißen. Diefe Worte und das Feuer der Leivenfhaft, mit welder 
die Maurin es fagte, lockte ven Umflehenden, fonberlih ben Krauen- 
zimmern, bie von Natur weichherzig find, mehr als eine Thräne ab, 
Luceinde umarmte fie voll Liebe und fprah: „Ya, ja, Maria, 
Maria!” und ſogleich antwortete die Maurin wieder: „Ya, ja, 
Maria! nit Zoraide,“ 

Indeß war es ſchon fpät geworden und der Wirth Hatte auf 
Veranſtaltung der Freunde Don Fernaudos das Befle, was er 
tonnte, zum Abendeffen angeſchafft. Da nun aufgetragen war, fegten 
fie ſich alle an einen großen fangen Schenktifh; deun im der ganzen 
Schente war fein andrer, weder runder moch vieredfiger zu finden. 
Dbenan fegte man dem Nitter, fo ſehr er auch dieſe Ehre verbat. 
Da er aber dieſen Pag dennoch einnehmen mußte, verlangte er bie 
Prinzeffin Micomicona an feine Seite, weil er ihr Befhüger fey. 
Neben dieſe fepten fih Lucinde und Zoraide, ihnen gegenüber 
Don Fernando, Carbenio, der Gffave und bie übrigen Ritter, 
Der Pfarrer und Barbier nahmen jren Pag neben ten Frauen 
zimmern. So fpeisten fie außerſt vergnägt, und was ihre Luft bei 
Tiſch noch vermehrte, war bie Stimmung, welche Don Duiroten 
anmanbefte; benm derſelbe Geift der Rede, der ihm ehedem beim 
Eichelmale der Ziegenhirten ergriffen hatte, Lam jegt wieder über 
ihn; er hörte plöglih auf zu effen und begann folgendergefaft: 
„Gewiß, meine Herrn, wenn mans wohl überlegt, fo muß man 


belennen, daß fahrende Ritter in der Welt mande große und unerhörte 




















AXXVIL Kapitel 519 


Laſtträger, der nur Knochen braucht, und ald ob und im unferm Stande 
nicht fo mande Fälle vorlamen, in welchen nur Klugheit und Einficht 
zum Ziele führen. Was arbeitet bei dem Helden, der ein Heer zu 
befehligen, oder eine befagerte Stadt zu vertheidigen hat? Leib ‚oder 
Geift? find Leibenfräfte allein hinreichend, des Feindes Man und 
Kriegäliften zu eutdeden und feinen Abfichten zuvor zu lemmen und 
fie zu vereiteln? find dies nicht Sauter Dinge, die fein Verſtand 
allein thun muß und woran fein Leib faft gar feinen Theil nimmt? 
Da es nun ansgemadt ift, daß der Gelehrte ſowohl als der Krieger 
Berftand haben muß, fo wollen wir doch unterſuchen, weſſen Geiſt 
am meiften und vorzůglichſten arbeitet, Dies Fönnen wir nur and dem 
mehr oder weniger eben Zwede beurtheilen, ben ſich Jeder vorgefegt 
hat, als wornach eigentlich feine Würde zu fhägen if. Der Zweck 
des Gelehrten — ich rede Bier nicht von dem, ber ſich mit göttfihen 
Dingen und der Gefigfeit unfrer Seele befhäftigt, weil diefer ohnehin 
den Vorzug vor allen Andern hat, fondern mar vom dem, ber ſich 
mit menſchlichen Wiffenfhaften, ale mit Verwaltung ber Gerechtigfeit, 
mit Beobachtung ber Gefege und Anderm dergleichen abgiebt, — ber 
Zwed dieſes Gelehrten fage ih, iſt unftreitig edel, gut und Tobend« 
wärbig; aber bei weitem noch nicht fo erhaben, als der Zwed bes 
Kriegers — der Friebe, welder das größte Gut if, das wir in biefem 
Leben geniefien fönnen. War nicht die erfie frohe Nachricht, welche 
in jener Nacht des Heils Engel in den Lüften der Welt und den 
Menſchen zufangen: Ehre ſey Gott in ber Höhe, Friede anf Erben 
und den Menfihen ein Wohfgefallen? War nicht der Gruß, den ber 
befle Meiſter im Himmel und auf Erben feine Lichfinge und Jünger 
lehrte, daß fie beim Eintritte in ein Haus fagen follten: Friede ſey 
in diefem Haufe? und ſprach er micht ſelbſt fo vielmal: meinen 
Trieben geb ich Cuch; meinen Frieden laß ich Euch; Friede ſey mit 
Euch! als wenn er ihnen einen Schah und Juwel gäbe, ohne 
welchen für fie im Himmel und auf Erben feine Gfüdfeligfeit 
wäre? Diefer Friede if ber wahre Zweck des Kriegs; denn Krieg 
und Waffen find einerfei, Da wir num gefunden haben, daß 
Friede der Zwed bes Sriege und biefer Zwed weit erhabner als 


der Zwedt der Wiffenfhaften if, fo wollen wir auch das Andre 














512 Bon @uirote. 


daß ein gewiffer glädticher Zufall die angenehmfte Beränberung in 
meinem Schickſale gemacht hat, aber dadurch Höre ich durchaus nicht 
auf zu ſeyn, was id vorher war, habe auch nicht deßhalb ven Ge⸗ 
danken aufgegeben, den ich zuvor hatte, mich Eures tapfern unäber- 
windlichen Arms zu bedienen. Laßt alfo ja, werther Ritter, die Ehre 
meines Vaters unangetaftet und glaubt gewiß, daß er ein kluger und 
weifer Mann war, weil er vermöge feiner Wiſſenſchaft den leichteſten 
und fiherflen Weg, mich wieberum glücklich zu machen, fand; denn 
gewiß glaube ich, wärs nicht durch Euch geſchehen, nie wär ich wieder 
fo glüdlih geworben, als ich jegt bin. Alle diefe Herrn, welde 
gegenwärtig find, werben mir bezeugen, daß dies wahr if. Richts 
iR nun übrig, als daß wir ung morgen frühe auf ben Weg machen; 
denn für hente iſt es ſchon zu fpät. Wegen des übrigen guten Ans- 
gangs meiner Sache verlaffe ih mich gänzlich auf den Himmel und 
Euern tapfern Arm.” 


So ſprach die Huge Dorothea und Don Quixote kehrte 
ſich mit ziemlich finfterem Gefiht zu feinem Sando: „Nun, mein 
feiner Saucho,“ fprad er, „biſt du nicht der größte Schurke, den 
es in Spanien giebt? Geſteh, gottlofer Landſtreicher, haſt dn mir 
micht diefen Augenblick noch gefagt, daß dieſe Prinzefin fih in ein 
gemeines Mädchen, Namens Dorothea, verwandelt habe? und daß 
der Rieſenkopf, den ich abgehauen, die Hure fey, bie dich gebar, 
fammt taufend andern Tollheiten, die mich fo verwirrt machten, ale 
ich in meinem Leben noch nicht gewefen bin? Ich ſchwoͤre bei Gott“ 
— bier bfidte er gen Himmel und big die Zähne zufammen — „ich 
will ein Beifpiel an dir fatuiren, das allen andern lügneriſchen 
Schildknappen fahrender Ritter von jegt bis an der Welt Ende den 
Ropf zurechtſetzen fol.“ 


„Seyd doch nicht fo böfe, geſtreuger Herr,” verfegte Sanch o, 
„es kann ja leicht ſeyn, daß ich mid wegen der Berwanblung 
der Prinzeffin Micomicona geirrt habe, aber wegen bes Nie» 
fentopfs ober wenigflens darin, daß Ihr die Schläuche zerhadt 
habt und daß das Blut rother Wein if, hab ih, weiß Gott im 











NNXVI. Kapitel 513 


Himmel, Recht. Die Sqhläuche liegen ja noch, fo wie Ihr fie 
zugerichtet habt, bei Euer Geftrengen Bette; ber rothe Wein hat ein 
ganzes Meer in die Kammer gemacht und Ihr werdet fhon fehen, 
was Ihr Euch eingebrodt habt; bei der Rechnung wird ſichs aud- 
weifen. Daß aber die guäbige Prinzeſſin nod das, was fie war, if, 
freut mich von Herzen, benn id finde meinen Vortheil fo gut dabei 
als fonft Einer. * 


„Höre Sande,“ fprah Don Duirote; „If dir was 
fagen: bu biſt ein Schafskopfl vergieb mir und bamit gut!“ 


„ga gewiß," fagte Don Fernando; „nun fein Wort mehr 
davon. Die Prinzeffin will, wie gejagt, ihre Neife dis morgen aufe 
ſchieben, weil es jept fehon zu fpät iſt. Judeß wollen wir bie Nacht 
vergnügt unter uns zubringen und mergen insgefammt den Herrn 
Ritter Don Quixote begleiten, um Zeugen ber großen und uner- 
hörten Thaten zu feyn, welge er bei feinem ſchweren Unternehmen 
vollbringen wird," 


uDie Ehre wird auf meiner Seite feyn, Euch zu dienen 
und zu begleiten,” verfepte Don Onirote. „Zugleih banfe 
ih Euch für die gute Meinung, bie Ihr von mir habt, welde 
ih zu beflätigen ſuchen werde, follte es auch mein Leben und, falls 
dies möglich wäre, mehr ald mein Lehen koſten.“ Hierauf fielen noch 
viele Höfligfeiten und Freundſchaftoverſichtrungen zwifgen Don 
Duirote und Don Fernando vor; aber die Ankunft eines Kremben 
in ber Schenle, der gerade fo, wie ein eben and der Berberei zurüd« 
kommender Chriſtenſtlave ansfah, unterbrach fie. Er trug ein nappes 
Wamms von blauem Tuch mit halben Mermeln und one Kragen; 
die Hofen waren ebenfals von blauer Leinwand, und auf dem Kopf 
hatte er eine bergleigen Müge, außerdem trug er mauriſche Halt» 
ſtiefeln und einen Säbel in einem Wehrgehäng, das ihm queer über 
die Bruſt gieng. Hinter ihm Fam cin mauriſch geffeivetes Frauen - 
zimmer auf einem Maulthiere, das Geſicht mit einem Schleier bededt 
und mit einer Heinen brocatenen Hanbe von Goldſtoff; darüber trug 





Den Beim t 











Don Auirote 


fie einen weiten türliſchen Mantel, der ihr von den Schultern bis zu 
den Füßen reichte, Die Mannsperfon war ſtark, wohl gewachſen, 
nicht viel über vierzig Jahre alt, ein wenig braun im Gefichte und 
trug einen großen Schnurrbart, ſowie einen Badenbart, der ihm trefflich 
Rand. Kurz, man fah, daß er, wenn er gut geffeibet wäre, einem 
Dann von Stande vorſtellen Könnte. Er verlangte ein Zimmer, and 
ſchien es ungern zu hören, als man ihm fagte, daß in der ganzem 
Schenle weiter feines als das allgemeine ſey. Judeſſen gieng er 
Hin und hob bie auſcheinende Maurin von ifrem Thiere herab, Lır- 
einde, Dorothea, bie Wirthin, ihre Tochter und Maritornes, 
für welche biefe Tracht was ganz Neues war, umringten und be= 
trachteten die Maurin. Dorotbea, melde ofnebies non Natur 


Be I ee 











XXXVE. Kapitel sis 


befonders freundfich und feutfelig war, ſah, daß bie Fremde ſich in Ber 
legenheit befand, weil fie fein befondres Zimmer befam und fprad zu 
ihr: „Mergert Euch nicht, liebe Sennora, über den Mangel an 
Bequemlichfeiten, den Ihr hier findet, dies ift in den Schenfen was 
ganz Gewoͤhnliches. Judeß, wenn Ihr Euch zu ung halten und in 
unfrer Gefenfchaft die Nacht zubringen wollt,“ — fie deutete zugleich 
auf Lucinde — „fo werdet Ihrs bier vielleicht erträgliher finden 
als anderswo." Die Verſchleierte antwortete nichts barauf, ſoudern 
fand mr auf, legte vie Hände reugweife auf die Bruft, und beugte 
den Kopf und Leib zum Zeichen ihrer Dankbarkeit. Aus ihrem 
Schweigen fhloffen fie fogleih, daß fie eine Maurin ſey und night 
ſpaniſch ſprechen loͤnne. 

JIndeß kam der Sklave, welcher ſich anderswo beſchäftigt hatte, 
Hinzu, und da er ſah, daß fie feine Gefährtin umringt hatten und 
anredeten, ſprach er: „Meine Damen, dies Frauenzimmer weiß faum 
ein paar Worte fpanifh und ſpricht bloß ihre —— daher 
kaun fie auch nicht beantworten, was man fie fragt. — „Bir 
haben fie nichts gefragt,” verfepte Uncinde, „ ihr nur für 
diefe Nacht unfre Geſellſchaft und Kammer , melde wir 
herzlich gern mit ihr theifen wollen und wo fie fo sie Bequentigfeit 
haben foll, als der Drt erlaubt da es in unferm Wunſche liegt, 
jedem Fremden und befonders Frauenzimmern gefälig zu ſeyn.“ — 
„IH kuſſe Euh in ihrem und meinem Namen dankbar die Hände, 
und fhäge Euer gütiges Erbieten um fo höher, da es von fo ange» 
ſehnen Perfonen ausgeht," ſprach der Shave, — „Sagt mir doch, 
fieber Herr," verfegte Dorothea, „ift dies Frauenzimmer eine 
Chriſtin ober Maurin? Ihr Schweigen und ihre Tracht laßt uns 
vermuthen, baf leider das Leptere ber Fall feyn werde.” — „Ihrer 
Geburt und Tracht nad if fie eine Maurin,“ antwortete der Sklave, 
„aber im Herzen iſt fie eine gute Chriſtinz denn fie verlangt von 
gangem Herzen darnach, es zu werben." — „Sie ift alfo noch nicht 
getauft?" fragte Lueinde. — „Nein,“ ſprach der Sklave, „wir 
haben, feit fie aus ihrem Baterfande Afgier weg ift, ned feine Gele - 
genheit dazu gehabt, und biöher ift fie noch nicht in fo dringender Tobes- 
gefahr gewefen, daß ich fie ohne die Vorbereitungen, welche unfre 























516 Don Buirote 


heilige Kirche erfordert, hätte taufen müffen. Aber fo Gott will, fol 
fie bald mit aller der Würbe getauft werden, welche ihr Stand er- 
fordert; denn wir find Beide mehr, als unfre Kleidung verräth.“ 
Diefe Rede machte alle neugierig zu erfahren, wer dieſe beiden 
Leute wohl feyn möchten; aber Niemand wagte es, fie jet darum zu 
fragen, weil es ſchien, daß fie lieber ausruhn als erzählen wollten, 
Dorothea nahm die Manrin bei der Hand, zog fie neben ſich auf 
" einen Stuhl nieder und bat fie, ihren Schleier abzulegen. Sie fah den 
Sklaven an, als wollte fie ihn fragen: was fpricht fie zu mir? oder, 
was foll ich thun? Er fagte ihr auf Aifrabh, warum man fie bitte 
und daß fie ed nur thun fönne. Sie nahm darauf den Schleier ab 
und zeigte ein fo fehönes Geficht, dap Dorothea fie ſchöner fand 











XXXVI. Kapitel, 517 


ale Lucinden und Lucinde fie fhöner ald Dorothea, und ale Um ⸗ 
ſtehenden bekannten, wenn Jemand ihren beiden Damen an Schönheit 
gleich komme, fo fey es die Maurin, und Einige hielten diefe fogar 
für noch fhöner. Auch hier zeigte die Schönheit ihre Allgewalt, bie 
Seelen zu feffeln und fig Liebe zw erwerben; denn Jedermann wollte 
ſogleich der fhönen Maurin dienen und ihr Höflichkeit bezeigen. Don 
Fernando fragte dem Sklaven nad ihrem Mamen. „Sie heißt Lela 
Zoraide,” antwortete biefer, Sobald fie hörte, daß man dem Epriften ° 
um ihren Namen gefragt hatte, fagte fie fehr haſtig und mit ficbens- 
würbiger Verwirrung: „Ro, mo, Zoraide: Maria, Marial“ 
und zeigte badurd, fie wolle nicht mehr Zoraide, fondern Maria 
Seifen. Diefe Worte und das Feuer der Leidenſchaft, mit welder 
die Maurin es fagte, lodte ven Umflehenden, fonberli den Frauen, 
zimmern, die von Natur weihherzig find, mehr als eine Ehräne ab. 
Lucinde umarmte fie vol Liebe und ſprach: „ga, ja, Maria, 
Maria!” und fogleig antwortete die Maurin wieder: 38, ia, 
Maria! nit Zoraibe, “ 

Iubep war es fihom fpät gemorben and ber Mir Saite auf 
Beranftaltung der Freunde Don Mernandos das Befle, was er 
tonnte, zum Abendeffen angefpafft. Da nun aufgetragen war, fegten 
fie fi alle an einen großen Tangen Schenttiſchz denn in der ganzen 
Scenfe war fein andrer, weder runder noch vierediger zu finden, 
Dbenan fepte man den Ritter, fo fehr er auch dieſe Ehre verbat. 
Da er aber diefen Platz dennoch einnehmen mußte, verlangte er die 
Prinzeffin Micomicona an feine Seite, weil er ihr Beſchüber fey. 
Neben diefe fepten fih Lucinde und Zoraide, ihnen gegenüber 
Don Fernando, Eardenio, der Sklave und bie übrigen Ritter, 
Der Pfarrer und Barbier nahmen jpren Plap neben ten Frauen 
zimmern. Go fpeisten fie außerſt vergnägt, unb was ihre Luſt bei 
Tiſch noch vermeßrte, war bie Stimmung, welche Don Duiroten 
anwandelte; denn berfeibe Geiſt der Mebe, der ihm ehedem beim 
Eigelmafe der Ziegenfirten ergriffen Hatte, am jegt wieder über 
ihm; er Hörte plögfi auf zu effen und begann folgendergeftalt: 
Gewif, meine Herrn, wenn mans wohl überfegt, fo muß man 
befennen, daß fahrende Ritter in ber Welt mande große und unerpörte | 























Don Quirote, 


Dinge zu fehen befommen. Welcher Sterblihe unter der Sonne 
würde, wenn er jegt herein in biefes Kaſtell träte und uns fo beir 
ſammen fähe, uns wohl für bas haften, was wir find? Wer würde 
wohl diefe Dame Hier mir zur Seite, für bie große Königin, als 
welche wir fie Alfe fennen, und mid für ben Ritter von der traurigen 
Geſtalt Halten, vom dem der Mund ver Fama fo viel erzählt? Wer 
zweifelt num noch, daß biefe Kunſt und das Werk, fo ih treibe, jebe 
Kunft und jedes Werk, das Menfchen jemals erfunden haben, weit 
übertreffe und in deſto größerm Ehren zu halten ſey, je größern Ge» 
fahren es unterworfen ift? Hinweg mit denen, welche behaupten, 
Geleprfamteit gehe über Waffen! Mer dies fpricht, fey er, wer er 
wolle, bem fag ih ind Gefiht, er weiß nicht, was er redet, Diefe 
Schwäger führen gemeiniglih zu ifrem Behufe an, daß die Arbeiten 
bes Geifteo weit größer und edler feyen als bie Arbeiten des Körpers, 
und daß das Waffenhanbwerf ein bloßes Wert des Leibes feh, gleich 
als ob der ſtriegemann weiter nichts wäre ald ein Taglöfner und 














XXXVIL Kapitel. 59 


Laflträger, der nur Knochen braucht, und ale ob uns in nnferm Stande 
nicht fo mande Fälle vorfämen, in welchen nur Klugheit und Einſicht 
zum Ziele führen. Was arbeitet bei dem Helden, der ein Heer zu 
befehligen, ober eine befagerte Stadt zu vertheibigen Hat? Leib oder 
Geift? find Leibesträfte allein Hinreichend, des Feindes Plan und 
Kriegsliften zu entveden und feinen Abfichten zuvor zu kommen und 
fie zw vereitein® find dies nicht lauter Dinge, die fein Verſtand 
allein thun mufi und woran fein Leib faſt gar feinen Theil nimmt? 
Da e6 num ancgemacht ift, daß der Gelehrte ſowohl als der Krieger 
Berftand haben muß, fo wollen wir doch unterſuchen, weſſen Geift 
am meiften und vorzäglichften arbeitet. Dies fönnen wir nur aus dem 
mehr oder weniger eben Zwede beurteilen, den ſich Jeder vorgefegt 
hat, als wornach eigentlich feine Würde zu fehägen if. Der Zweck 
des Gelehrten — ich rede hier nicht von dem, der ſich mit göttlichen 
Dingen und der Seligfeit unfrer Seele befhäftigt, weil dieſer ohnehin 
den Vorzug vor allen Anbern hat, fondern mar von dem, ber ſich 
mit menfhlihen Wiffenfhaften, als mit Verwaltung ber Gerechtigleit, 
mit Beobachtung der Gefeße und Anderm dergleichen abgiebt, — der 
Zwed viefes Gelehrten fage ih, iſt unflreitig edel, gut und lobens- 
würdig; aber bei weitem noch nicht fo erbaben, ld der Zwedch des 
Kriegers — der Friebe, welcher das größte Gut iſt, das wir in dieſem 
Leben genießen koͤnnen. War nicht bie erſte frohe Nachricht, welche 
in jener Naht des Heils Engel in den Lüften ver Melt und den 
Menfcen zufangen: Epre fey Gott in der Höfe, Friede auf Erden 
und den Menſchen ein Wohlgefallen? War nicht ber Gruß, den ber 
befte Meifter im Himmel und auf Erben feine Lieblinge und Jünger 
lehrte, daß fie beim Eintritte in ein Haus fagen follten: Friede fey 
in biefem Haufe? und ſprach er nicht ſelbſt fo vielmal: meinen 
Frieden geb ih Euch; meinen Frieden Taf ih Euch; Friede fey mit 
Eu! als wenn er ihnen einen Schap und Juwel gäbe, ohne 
welchen für fie im Himmel und auf Erben feine Glüdfeligfeit 
wäre? Diefer Friede ift ber wahre Zweck bes Kriege; denn Krieg 
und Waffen find einerfei, Da wir nun gefunden haben, daß 
Friede der Zwed des Kriege und biefer Zwer weit erhabner als 
der Zwed der Wiffenfchaften if, fo wollen wir auch bas Andre 











530 Don @uirote. 


unterſuchen: weſſen Leibeskräfte mehr arbeiten, die bes Kriegers ober 
die des Gelehrten?“ 

Ber unfern Ritter fo gnt und vernünftig reben hörte, Konnte 
ihn gewiß nicht für einen Narren halten; alle Anmwefenden vergafen 
es wenigflens in biefem Augenblide, und da bie meiften ohnedies 
Soldaten waren, hörten fie ihm mit vielem Bergnügen bie ganze 
Rede hindurch zu. 

Don Dnirote fahr alfo fort: „Die Roth des Gelehrten if 
meiftens Armuth. Ih fage darum nicht, daß alle Gelehrten arm 
find, fondern fege Hier nur den fhlimmften Fall. Wenn ih vom 
Gelehrten fage, er if arm, fo darf id feine Leiden weiter nicht zer⸗ 
gliedern; denn einem Armen geht gewiß nicht wohl: er leidet von 
allen Seiten, bald Hunger, bald Kälte, bald Blöße, bald trifft dies 
Alles zufammen. Doch geht es ihm nie fo übel, daß er gar nihte 
zu effen hätte; er findet bo immer noch fein tägliches Brod, wär 
es aud ein paar Stunden fpäter, als andre Leute effen, unb von ben 
übrigen Broden der Reichen. Das größte Elend des Stubirenden 
beſteht darin, daß er ber Kloſterſuppe nachgehen muß. Es fehlt ihm 
auch nie an andrer Leute Kohlpfanne ober Kamin, woran er fi, 
wenn and nicht wärmen, doch ein wenig aufthauen kann und Nachts 
ſchläft er doc immer noch unter einem Dade. Andre Kleinigkeiten, 
die man unter feine Uebel rechnen könnte, will ich hier nicht erwähnen; 
denn daß er zumeilen Fein Hemd anzuziehen hat, daß an feinen 
Schuhen fein Stih mehr Hält, daß fein Mod fein Härchen Wolle 
mehr hat unb daß er ſich bei jedem Schmanfe, den ihm bas gute 
Städt in den Wurf bringt, gleih eine Unverbaulifeit an ven Hals 
ißt, find Sachen von zu geringer Erheblichkeit, als daß fie hier im 
Auſchlag kommen könnten. Auf diefem obgleich rauhen und befhwer- 
lichen Wege, anf dem er bald hier ſtrauchelt, bald dort fällt, bald 
wieber auffteht, bald auf bie Seite gefloßen wird, gelangt er doch 
endlich, wohin er will, und wie viele haben wir ihrer gefehen, die, 
nachdem fie ein günfliger Wind des Glüds dur biefe Rippen ge- 
führt hatte, auf den Gipfel der Ehre erhoben worben find? Gie 
faßen auf einem Stuhle und regierten die Welt; ihr Hunger ver- 
wandelte fi in Sättigung, ihr Frof in fanfte Wärme, ihre Nadtpeit 

















XXXVV. SKapftel, 6270 


in Feierlleider, und ſtatt ver harten Erde, anf welcher fie fonft jchliefen, 
Tiegen fie jegt auf hollandiſcher Leinwand und Damafı — eine Beloh- 
nung, welde ihre Tugend wohl verbient hatte, Aber vergleichen wir 
ihre Leiden einmal mit den Leiden des ſtriegers, und glei follt ir 
ſehen, meine Herrn, daß diefelben gegen biefe faft ganz verſchwinden.“ 


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523 Don Quitote. 


Achtunddreißigſtes Rapitel. 


Merkwürbige Rede des Rittert Don Tuirote, enthaltend eine Vergleihung pwiſchen den Waffen 
und Wiffenidarten. 

on Quixote fuhr fort: 
"Wir haben den Gelehrten 
in feiner Armuth betrachtet, 
ſehen wir nun, ob der Soldat 
reicher ift. Bei Gott, Fein 
ärmeres Geſchöpf iſt unter 
der Sonne, als er. Bon dem 
ſchlechten Solde, den er oft 
fpät, zuweilen gar niht be⸗ 
* kommt, ſoll er leben, und 

wagt er etwas zu rauben, ſo läuft dabei ſein Gewiſſen und ſein 
Leben Gefahr. Wie oft iſt er fo nadt, daß fein zerhadter Koller 
ihm Hembe, Rod, Feierfleid und Alles if. Muß er fi nicht oft 
mitten im Winter unter offnem Himmel und bei der firengften Kälte 
bloß an feinem eignen Athem wärmen, ber, ba er aus leerem Leibe 
fommt, wider den Lauf der Natur felbft Falt if? Nun bricht bie 
Nacht ein, und er hofft ſich vielleicht im Bette von allen Uebeln bes 
Tags zu erholen? Gut! wenn er fi e6 nicht ſelbſt zu eng macht, 
fo hat er ein ziemlich geräumiges Bett und fann fih auf der Erbe 
nad Herzensluſt ausftredden und hin- und herwälzen, ohne Furcht, fi 
in bie Betttücher zu verwickeln. Nun fommt der Tag und die Stunde, 
da er grabuirt werben fol, ih meine, ber Tag der Schlacht, und 
fiehe, da fegt man ihm ein Baret von Pflaflern auf den Kopf, um 








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XXXVMI. Kapitel, 523 


damit ein Loch zu verftopfen, das ihm eine Kugel in ben Schädel 
geſchlagen bat, oder ſchneidet ihm einem Arm, ein Bein ab, Und ift 
dies nicht der Fall, fonderm bringt ihm der gute Himmel friſch und 
gefund davon, fo bleibt er zum mindeften fo arm, als er war. Muß 
er nicht mandem Treffen und Scharmügel beigewohnt haben, und 
aus allen glüdfi durchgekommen fegn, wenn ers zu etwas bringen 
und fi. emporfhwingen will? Aber wie felten find tiefe Wunter! 
Habt Ihr wohl je bedacht, meine Herm, wie Hein die Zahl der 
durch den Krieg glücklich Gewordnen gegen die Zahl terjenigen ift, 
welche der Krieg weggerafft hat? Habt Ihre, fo müßt Ihr befennen, 
dafi zwiſchen beiten Theilen gar Fein Berpältnig ſtatt findet, daß 
man für die Lehtern kaum Ziffern genng hat, Jene aber an den 














ohne Wiſſenſchaft nicht beflehen, denn der Krieg habe auch feine Ge- 








Don &uirote, 


Fingern herzäͤhlen Tann. Ganz anders verhält ſichs mit den Ge- 
lehrten, die auf die eine oder andre Art ihr Unterfommen finden, 
während den Soldaten bei größern Mühfeligfeiten Mcinere Belohnung 
erwartet. Hierauf Fönnte man zwar antworten, es fey leichter, 
zweitaufend Gelehrte, als breißigtaufend Soldaten zu. belohnen, weil 
jene durch Aemter, die man ohnedies Niemand anverd geben Fann, 
diefe aber fihlechterbings aus dem Beutel des Herrn, dem fie dienen, 
belohnt werden müſſen. Allein dies beflätigt meinen Gap nur 
noch mehr." 




































„Doch laſſen wir dies bei Seite, um uns nicht in ein Labyrinth 
zu verwideln, und fommen wir auf den Vorzug der Waffen vor ben 
Wiſſenſchaften zurück. Dies ift der flreitige Punkt, den ich noch aus⸗ 
zumachen habe, und zwar eben durch die Gründe, welde jeder Theil 
für feine Sache anführt. Der Gelehrte fagt: die Waffen können 


fege, denen er unterworfen fey; Gefege aber gehören für die Gelehrten. 
Die BVertheidiger der Waffen fagen: ohne diefe können Feine Gefege 
beftehen; denn die Waffen müffen Republifen und Königreiche aufrecht 
erhalten, Städte vertheidigen, Heerſtraßen fiher machen und die Deere 
von Seeräubern reinigen; kurz, ohne fie würden Gtaaten und Reiche, 
Städte und Wege, Waffer und Land fortwährend den gewaltfamen ; 
Zerrüttungen des Kriegs ausgefegt ſeyn. Es ift eine ausgemachte 
Sade, daf man, jemehr ein Ding koſtet, daſſelbe deſto höher fchäßt. 
Nun Foftet zwar, berühmt und ein großer Mann zu werden, einem 
Gelehrten viele Zeit, Nachtwachen, Hunger, Blöße, Kopfweh, Un- 
verbaulichfeiten und andre damit verfnüpfte Unannehmlichkeiten, bie 
ich zum Theil fhon erwähnt habe. Aber ein braver Soldat zu werben, 
foftet alles dies und noch ohne Vergleich mehr, weil man feine Stunde 
feines Lebens ficher iſt. Und welche Mühſeligkeit kann wohl ein Ge- | 
lehrter dem Efende eines Soldaten entgegenfeßen, ber in einer Feſtung 
belagert wird? Da feht er auf einer Schanze oder auf einem Boll- 
werke Schildwache und fühlt, daß die Feinde unter feinen Füßen eine 
Mine angelegt Haben; feinen Fingerbreit darf er feinem Poften und 
ber Todesgefahr entweichen, die ihn fo nahe bebropt. Alles, was er 














XXXVMI. Kapitel, 


thun fan, iſt, feinem Hauptmann Nachricht son dem, mas vorgeht, 
zu geben, damit man durch Gegenminen helfen könne; er ſelbſt aber 
muß ſtehen bleiben, im fteter Furcht, ohne Flügel in die Wollen zu 
liegen und ohne Fallſchirm herunterzuftärzen, Ober ſcheiut Euch biefe 
Gefahr noch mit ſchrecllich genug, fo wollen wir fehen, wie End bie 
andere ſcheint, wenn auf dem weiten Deere zwei Galceren ſich angreifen. 
Mit den Borbertheifen hängen fie bereits zufanmen, und der Soldat 
Hat nicht mehr Platz, als zwei Faß breit anf dem Verdece, nichts 
fieht er vor ſich, als drohende Werkzeuge des Todes; kaum eine Lanze 
fang vor ihm flehen bie offnen Schlünde der Kanonen, und. beim 


nädften Fehltritte, den er that, ſtürzt er in Neptuns Abgründe 
hinab. Dennoch tritt er unverzagten Sinnes hin, bietet feine Bruft 
allen feindlichen. Gewehren zum Ziele dar und bringt durch biefen 




















526 Don Auixote. 


engen Weg hinüber in das feindliche Schiff. Und was am wunder 
barften ift, Faum ftürzt einer für immer tobt dahin, fo ſteht ſchon 
ein Andrer auf eben dem Plage, wo jener fiel, und ſtürzt auch dieſer 
ing Meer, weldes wie ein Feind auf ihm lauert, fo rüdt ein Dritter 
und ein Vierter ohne Zagen und Zögern dem gleichen Tod entgegen. 





Gewiß ein Heldenmuth, wovon man nirgends fonft im Kriege glän- 
zenbere Proben finden kann. Glückſelig waren die Zeiten, welche 
die ſchreckliche Wuth der großen und Heinen Feuergewehre noch nicht 
fannten! Gewiß muß der Erfinder für das fluhwürdige Geſchenk, wel- 
des er der Welt gab, in der Höffe büßen, weil er machte, daß nun 
der feigberzigfte Schurke dem tapferften Ritter das Leben rauben fann. 
Denn mitten im Feuer des Muths, das feine edle Bruſt entzündet, 
kommt eine heilfofe Kugel, ohne daß man weiß, wie oder woher? und 








XXXVIN. Kapitel, 527 
wirft einen Mann darnieder, der Jahrhunderte zu leben verdient 


Hätte, Wenn ich dies bedente, fo ärgerts mid in der Seele, daß 
ih in einem fo abſcheulichen Zeitafter, als das unfeige iſt, ein fahr 
render Nitter geworden bin; denn ungeachtet mir ſchlechterdings feine 
Gefahr Furcht einjagen Tann, fo ſchlagt mich doch der Gebanfe nieder, 
daß ein wenig Pulver und Blei dem Lanfe meiner Thaten ein Ziel 
fegen und mir die Gelegenheit rauben könnte, mich durch bie Stärfe 
meines Arms und bie Schneide meines Schwerts in ber ganzen ent- 
beiten Welt berühmt zu machen. Aber füge es der Himmel, wie 
er will; je größeren Gefahren ih mid unterwerfe und um wie viel 
mehr ich unternehme, als bie fahrenden Nitter voriger Zeiten, deſto 
größer wird auch mein Ruhm ſeyn.“ 

Diefe Iange Rede hielt Dom Quixote, indeg die Andern 
fpeisten, und vergaß darüber, einen Biffen zu ſich zu nehmen, ob 
ihn gleih Sancho etlichemale daran erinnert und gefagt hatte, er 
fönne ja nach dem Effen reben, foniel er wolle. Alle, die ihm zuge- 
hört hatten, beffagten aufs Neue, daß ein fo guter und über alle 
andre Dinge rihtig denlender Kopf ben Verſtand verliere, ſobald er 
auf fein verwünfgtes Nitterhandiverf komme. Dex Pfarrer billigte 
vollfommen, was er zum Lobe ber Waffen gefagt hatte, und verfiherte 
ihm, daß er, obwohl ſelbſt Gelehrter und Grabuirter, deunoch völlig 
feiner Meinung fey. Enblih Hatte man abgefpeist, das Tiſchtuch 
warb weggenommen, und bie Wirthin, deren Torhter und Mari- 
tornes mahten Don Duirotens Kammer zum Nachtlager für 
die Frauen zimer zurecht. Während dies gefhah, bat Don Fer- 
nando den Stlaven um bie Erzäpfung feiner Geſchichte, denn dieſe 
fonnte, nad dem, was man gleich bei feiner Anfunft mit Zoraide 
bemerkt, nit anders als merfwürbig und unterhaftenb ſeyn. „Herz 
lich gern will ih Euch ven Gefallen tun,“ fagte der Sklave, „nur 
befürdte ih, meine Erzählung mödte End das gehoffte Vergnügen 
nicht gewähren; iadeß will ih, um nicht ungeherfam zu ſeyn, fie 
beginnen,“ Der Pfarrer und alle Uebrigen banften ifm unter Wieder 
holung ihrer Bitte, und ba er von fo Vielen aufgefordert wurde, 
fagte er; „Wer mit beftem Rechte befehfen Fann, Hat nicht nöthig zu 
bitten. So fhenft mir denn Eure Aufmerffamteit, und hört meine _ 

















536 Don Auirote 


„Ufhali, Dey von Afgier, ein Fühner und tapfrer Korſat, hatte 
die maltefifhe Hanptgafeere angegriffen, und ifr fo heftig augefept, 
daß mur noch drei Ritter Tebendig am Bord, und auch dieſe ſchwer 
verwundet waren, Die Hauptgaleere bes Don Giovanni Andrea, 
auf welcher ih mit meiner Compagnie mich befand, eifte der mal» 
tefifhen Flotte zu Hilfe, ich that, mas bei folder Gelegenheit 
meine Pflicht war, und fprang in bie feinblihe Galtere, die aber 
in bemfelben Augenblid vor ber wnfrigen die Flucht nahm, fo daft 
meine Soldaten mir nit folgen Fonnten, und fe befand ih mih allein 
unter den Feinden, welden ich nit wiberfichen kounte. Bedeckt mit 





Wunden, ward ich gefangen, und wie End, meine Herrn, vermuth lich 
befannt iſt, fo rettete ſich Uſchali damals mit feinem ganzen Ger 
ſchwader; ih blieb demnach in feiner Gewalt, und war unter fo vielen 














XXXIK. Kapitel. 537 


Frohlichen der einzige Vetrühte und der Einzige, welcher in Ge⸗ 
fangenfgaft gerieth, während fo Biele ihre Freigeit erfangten, denn 
nicht weniger als fünfjepntaufend Epriflen, die auf ber türfifcen Flotte 
ald Ruderlnechte hatten dienen müffen, wurben an diefem Tage ans 
der Sklaverei erlöet.“ 

„Ich ward nah Conſtantinopel geführt, woeſelbſt der Sultan 
Selim meinen Herm zum Großabmiraf machte, weil er fih in 
der Sqlacht fo gut gehalten, und die Haupiftandarte ber Mal- 
tefer als ein Zeihen feiner Tapferkeit davon getragen Fate. Im 
folgenden Jahre 1572 war ih am Bord der türfifhen Nomirafsga- 
Terre zu Navarino: ih fah und bemerkte die Gelegenheit, die man 
damals verfäumte, die ganze türliſche Flotte im Hafen megzumep- 
men; denn bie Serfolvaten und Janitfharen erwarteten, daß man fie 
daſelbſt angreifen werde, und unfre (Flotte Hatte ihnen fo viel Furcht 
eingejagt, daß fie indgefammt fon ihre Bündel geſchaürt und ihre 
Paſſamalen, wie fie die Schuhe nennen, gewichst Halten, um ſich ohne 
Gefecht ans Land zu retten. Allein ber Himmel fügte «0 anders, und 
es Tag nicht an bem Berfahren oder an ber Unachtfamfeit unſers Ad ⸗ 
mirals, fordern die Sünden ber Chriſtenheit waren Schuld daran, 
daß der Wille nnd die Zufaffung Gottes uns biefe Geifel zu beflän- 
diger Züchtigung beftinmte, Genug, Ufhali zog fih zurüc nad 
Moden, einer Inſel bei Navarino, fepte feine Leute and Land, ber 
fefigte die Einfahrt des Hafens und hielt ſich fill, bis Don 
Iwan zuräcgieng. Auf biefer Nüdfaprt ward die Gaferre fa Prefa 
genommen, welde ein Sohn bes berüßmten Korfaren Barbaroffa 
führte; die meapolitanifhe Hauptgaleere la Loba that diefen Rang 
unter dem Befehl des gläctihen und unäberwindlichen Don Alvaro 
de Bazas, Marguis von Santa Eruz, dieſes Sohns des Kriegegottes 
und Baterd der Soldaten. Ich fanm mic mit enthalten, Eu einen 
Umftand zu erzäßfen, ter Hiebei vorfil, Barbaroffas Sohn war 
fo granfam und Gefandelte feine Sklaven fo unmenſchlich, daß biefe, 
fobald fie fahen, daß vie Loba Jagd auf fie machte und im Begriff 
mar zu entern, indgefanmt anf einmal bie Mader gehen Tiefen, ihren 
Befehlshaber, der auf bem Borberfaftell fland und fie mit Geſchrei zum 
Nudern autrieb, beim Kopf nahmen und isn einander von einer Bauk 

















Den Onirete 


zur andern zumarfen, wobei fie ihn dergeſtalt bearbeiteten, bafı feine 
ſchwarze Seele zum Teufel fahr, als er faum bei dem Maſtbaum 
vorbeigelommen war, Dies war bie Frucht feiner Graufamfeit gegen 
fie und. ihres Haffes gegen ihu.“ 

Bir kehrten zuräd nah Eonftantinopel, und im folgenden 
Jahre 1573 erfuhr man daſelbſt, daß Don Juan Tunis 
erobert, den Muley Hamed in Befig dieſer Stadt geſetzt und 
dadurch dem Muley Hamidah, dem grauſamſten und tapferſten 
Mauren don der Welt, alle Hoffnung benommen habe, wieder 
anf ben Thron zu gelangen. Diefer Berluft war für ben Grofe 
Sultan fehr empfindlich, und vermöge der Schlauheit, die feinem 
ganzen Hanfe eigen if, ſchloß er mit den Venetianern einen Frieben, 














XXXIX. Kapitel, 539 


welchen dieſe noch mehr wünſchten als er ſelbſtz worauf er 1574 
Goletta und bie Eitabelle bei Tunis angriff, die Don Juan am- 
gelegt, aber noch nicht vollendet Hatte, « 


„Wahrend aller biefer Begebenheiten ſaß ih auf der Ruderbant 
und hatte feine Ausfiht, meine Freiheit zu erfangen, wenigfiens night 
für ein Löfegeld, weil ih eutſchloſſen war, meinem Vater nichts von 
meinem Ungläd zu melden. Goletta und die Citadelle wurden von 
den Türfen erobert, welche mit 75,000 Mann regelmäßiger Truppen 
und mit mehr als 400,000 Mauren und andern afrilauiſchen Söfd- 
nern davor fagen, und fo viel Kriegegeräth und Munition bei ſich 
hatten, aud außerdem einen folgen Troß mit fih führten, baf fie 
im Stande gewefen wären, Goletta und die Citadelle mit Erbwürfen 
zu verfchütten. * 


„Goletta, weldes man bisher für unäberwindfich gehalten 
Hatte, fiel zuerft, jedoch mit ans Mangel tapfer Bertfeidigung, 
vielmese that die Befagung Wunder der Tapferfeit; allein die Erfaße 
zung zeigte, wie leicht man in dieſem fanbigen Lande mit’ ven Bela- 
gerungsarbeiten fertig werben fann; benn, wenn man fonft Waſſer 
anteifft, ſobald man einige Spaunen tief gegraben hat, fo fonnten 
die Türken zwei M after tief graben, ohne Waffer zw finden. Sie 
konnten demnach ihre Schanzen vermittelt aufgethürmter Sandfäde fo 
Hoch bringen, daß fie die Mauern ber Feſtung von obenher zu beſchießen 
waren, und baf es ber Befagung nit möglich gewefen, in den Werfen 
Stand zu Halten. Biefe meinten, bie unfrigen Hätten ſich nicht in 
Goletta einfperren, fonbern dem Feinde bei ber Landung im Freien bie 
Spige bieten follenz; allein fo urtheilen nur Leute, die nicht dabei gewe · 
fen find und nichts von der Sache verſtehenz denn ba fi in Goletta 
und in der Citadelle kaum fiebentanfend Mann befanden, wie hätte 


sen und entfgloßnen Feinde in deſſen eignem Lande 
ward, Mauche glaubten Hingegen (und biefer Meinung bin ih 





















5410 Don uisote 


der Himmel habe aus befondrer Gnade und Güte gegen Spanien es 
zugelaffen, daß dieſe Mördergrube voll Bospeit und Uebelthaten zerftört 
ward, biefer Schlund und Schwamm, ber alle Schäge der Nation 
verſchlaug und in fi 309, welche man zu feinem andern Endzweck 
verſchwendete, als um das Andenken feftzubehalten, daß ber fieg- 
reihe Karl V. diefes Neſt einſt erobert habe, als hätte es dieſes 
Steinhaufens beburft, um feinen Namen zu verewigen. “ 





„Die Eitadele gieng ebenfalls verloren; doch jeder Schritt wurd 
den Türken flreitig gemacht, und die Befagung vertpeibigte ſich mit 
folgem Muth und mit folder Beharrligkeit, daß in zweinndzwanzig 
Hauptftürmen 25,000 Türken auf dem Plage blieben. Nur dreifundert 
Dann geriethen lebendig in Gefangenſchaft, und unterfdiefen war 
nicht ein Unverwundeter, worans man abnehmen Tann, wie tapfer jeber 
feinen Play behauptet Hatte.” 





„Ein Heines Schloß oder ein Thurm, welcher mitten im See 
fland, und von Don Juan Zanuguera, einem valencianifchen 
Edelmann, vertheivigt war, mußte noch befonbers erobert werben. 
Unter den Gefangnen befand fih Don Pedro Puertocarrero, 
Befehlshaber von Goletta, welcher, nachdem er fih aufs änferfe 
vertheidigt hatte, den Verluſt des Plages fo fehr zu Herzen nahm, 
daß er auf der Fahrt nad onftantinopel in der Gefangenfchaft 
den Geift aufgab. Der Eommandant der Citadelle, Gabriel 
Eerbelloni, ein mailändifher Edelmann, trefflicher Jugenieur und 
tapfrer Rrieger, warb ebenfalls gefangen. Unter den Getöbteten 
in beiden Plägen waren fehr viele beveutende Männer und unter An« 
dern Pagano Doria, Ritter vom Orden bes heiligen Johannes, 
ein Mann von vortreffligem Herzen, welches er durch feine auferor- 
dentliche Freigebigfeit gegen feinen Bruber, den beräßmten Giovanni 
Andrea Doria, bewiefen hatte. Sein Tod war beflo bebauerns- 
würdiger, weil er von einigen Eingebornen ermordet ward, denen er fih 
anvertraut hatte, als bie Feſtung nicht mehr zu reiten war, und bie 
fi erboten Hatten, ihn in mauriſcher Mleivung nah Tabarla, einem 
Heinen genuefifcpen Hafen, oder einer Factorei zu briugen, wofelb 



























XXXIXN. Kapitel, 


Perlen geſiſcht werden. Statt deffen hieben fie ihm den Kopf ab, und 
braten ihn dem türkifchen Befehlohaber, ver aber an ihnen das 
Sprihwort wahr machte, daß man den Verrath zwar benäßt, den 
Verrather aber Haft; denn man fagt, er habe bie Meuchelmörder hängen 
Toffen, weit fie ihm dem Ritter nicht Tebenbig überliefert hätten, Un- 
ter ten Gefangnen befand fih auch ein gewiffer Don Pedro de 
Aguilar, gebürtig ans einem mir nit erinnerligen Orte in Anda- 
laſten. Er fand als Fahndrich im Dienft, war ein tapfrer Soltat, ein 
verftändiger Mann und ein guter Dichter. IH erwähnte feiner, weil 
es der Zufall fo fägte, daß er auf unfre Galeere fam, mit mir unter 
einem Herrn biente, und auf berfelben Muberbanf ſaß. Ehe wir von 
jenem Hafen ausliefen, machte dieſer Cavalier ein Baar Sonette, als 
Denfgeriste auf Goletta and die Citadelle, bie ih Euch wohl noch her · 
ſagen kaun, weil id fie answendig weiß, und ich glaube, fie werben 
Euch eher Vergnügen, als Langeweile machen.“ — Indem der 








































540 Don &uirste. 


der Himmel habe aus befondrer Gnade und Güte gegen Spanien es 
zugelaſſen, daß dieſe Mördergrube vol Bosheit und Uebelthaten zerftört 
warb, diefer Schlund und Schwamm, ver alle Schäge der Nation 
verfoplang und in ſich zog, welche man zu feinem andern Endzweck 
verſchwendete, als um das Andenfen feftzubehalten, daß ber fieg- 
reihe Karl V. diefes Neft einft erobert habe, als hätte es biefes 
Steinhaufens bedurft, um feinen Namen zu verewigen. “ 


Die Citadelle gieng ebenfalls verloren; doch jeder Schritt wurd 
den Türken flreitig gemacht, und die Befagung vertheibigte fih mit 
ſolchem Muth und mit folder Beharrlicteit, daß in zweiundzwanzig 
Haunptftürmen 25,000 Türken auf dem Plage blieben. Nur breifundert 
Mann geriethen Iebendig in Gefangenſchaft, und unteräbiefen war 
nicht ein Unverwundeter, woraus man abnehmen kann, wie tapfer jeder 
feinen Platz behanptet Hatte.” 


„Ein Meines Schloß ober ein Thurm, welcher mitten im Ger 
fand, und von Don Juan Zanuguera, einem valencianifhen 
Edelmann, vertheidigt war, mußte noch befonbers erobert werben. 
Unter den Gefangnen befand fih Don Pedro Puertocarrero, 
Befehlshaber von Goletta, welcher, nachdem er fih aufs äußerſte 
vertpeidigt hatte, den Berluft des Platzes fo fehr zu Herzen nahm, 
daß er auf der Fahrt nach Konftantinopel in der Gefangenfchaft 
den Geiſt aufgadb. Der Eommandant der Citadelle, Gabriel 
Eerbelfoni, ein mailändifher Edelmann, treffliher Ingenieur und 
tapfrer Rrieger, ward ebenfalls gefangen. Unter ben Getödteten 
in beiden Plägen waren fehr viele bedeutende Männer und unter An- 
dern Pagano Doria, Ritter vom Orden bes Heiligen Johannes, 
ein Mann von vortrefflihem Herzen, welches er durch feine auferor- 
dentliche Freigebigfeit gegen feinen Bruder, ven berühmten Giovanni 
Andrea Doria, bewiefen hatte. Sein Tod war beflo bedauerns⸗ 
würdiger, weil er von einigen Eingebornen ermorbet ward, denen er fi 
anvertraut hatte, als bie Feſtung nicht mehr zu zeiten war, und bie 
ſich erboten Hatten, ihn in mauriſcher Kleidung nah Tabarla, einem 
Heinen genueſiſchen Hafen, oder einer Factorei zu bringen, wofelöf 











XXXIX. Kapitel. 


Perlen gefiſcht werden. Statt deffen Hieben fie ihm den Kopf ab, und 
brachten ihn dem turliſchen Befehlohaber, ber aber am ihnen das 
Sprichwort wahr machte, daß man dem Vertath zwar benüht, den 
Berräther aber haft; denn man fagt, er habe die Meuchelmörber Hängen 
laſſen, weil fie ihm den Ritter nicht Iebenbig überliefert Hätten. Un- 
ter ben Gefanguen befand fih auch ein gewiffer Don Pedro de 
Aguilar, geürtig ans einem mic nit erinnerligen Orte in Andar 
fufien. Er fand als Fahndrich im Dienft, war ein tapfrer Soldat, ein 
verfländiger Mann und ein guter Dichter, Ich erwähnte feiner, weil 
es der Zufall fo fügte, daß er anf unfre Galcere fam, mit mir unter 
einen Herrn diente, und auf berfelden Nuberbant ſaß. Ehe wir von 
jenem Hafen ausliefen, machte dieſer Cavalier ein Paar Sonette, als 
Dentgedichte auf Goletta und die Citadelle, die ih Euch wohl noch her ⸗ 
fagen kann, weit ich fie auswendig weiß, und ih glaube, fie werden 
Euch cher Bergmügen, als Langeweile maden.” — Zudem der 











548 Bon @uirote 


Sklave den Namen Don Pedro de Aguilar nannte, fah Fernando 
feine Begleiter an, die alle drei lächelten; und wie ber Sklave im 
Begriffe war, bie Sonette herzufagen, ſprach einer von ihnen zu ihm: 
„Ehe Ihr weiter fortfahrt, mein Here, fagt mir doch, was aus biefem 
Don Pedro de Agnilar, deſſen Ihr erwähnt, geworben if.” 

„Alles, was ich Euch von ihm fagen Tann,” erwiderte ber Sllave, 
„iſt, daß er nach Verlauf von zwei Jahren, die er in Eonflantinopel 
zubrachte, in arnautiſcher Kleivung mit einem griechiſchen Spion ent- 
wiſchte. IH weiß zwar nicht, ob er glücklich entfommen if; allein 
ich Hoffe es, weil ich ein Jahr nachher den Griechen wieder in Eon- 
flantinopel gefehen habe; ich Hatte aber nicht Gelegenheit, ihn gu fra- 
gen, wie feine Reife abgelaufen ſey.“ 

„So Tann ih es Euch ſagen,“ ſprach der Eavalier; „denn bie- 
fer Don Pedro ift mein Bruder und lebt jeht in unferer Stadt 
gefund und vermögend, iſt verheirathet, und Vater von drei Kindern. « 

„Gott fey gelobt!” antwortete ber SHave, „baß er ihm fo große 
Wohlthat erzeigt Hat, benn ich glaube nicht, daß es ein größeres 
Glück auf Erden gibt, als die verlorne Freiheit wieder zu erlangen. * 

„Was noch mehr if,“ verfegte der Cavalier, „ih kenne auch 
die Sonette, die mein Bruder gebichtet hat.“ 

„So bitt ih Euch, fie und mitzutheilen,“ fagte der Slave, „denn 
Ihr Tönnt fie gewiß beffer vortragen als ich.“ 








AL. Kapitel, 





Bierzigftes Kapitel. 
Tonett auf Woletia, Der Ellare iegt feine Irpäblung ferı 


1fo,“ ſprach der Eavalier, „Tautete 
das Sonnet anf Goletta:; 


„dr —— bie ihr aufgt · 


Som Staub, wo — sure ‚Hüfte 
zubt, 

Die idt befreit, dort unter Goties Huth, 

Im Arieden wohnt, am blaum Pim- 
melöbogen! 


Bon edelm Tpatenburfte fortgezogen, 
Die Froft zu prüfen und den ühnen Tutp, 
Habt ihr mit tignem and mit Beinded But 
Den Sand am Meer geröthet und bie Bogen. 


€ fihiwand die Lebenstraft aus euern Gefnen; 
Au da no blieb euch Gott und Ehre thrner, 
Vefiegt erranget ihr die Giegesfrone. 


Ihr fantet, harbt: cuch Aichen unfre Tpränen; 


Dort fielt ihr, zwiſchen Speeren und Bentiuer, 
Und Preis und Olorie marb euch zum Lohne.” 


„Eben fo Gabe ich es auch gehört,” ſprach der Save. 
„Und das andre auf die Citadelle,“ fagte ber Cavalier, „lautete, 
wo ich nicht irre, folgendermaßen: 

















5 Don @uisste. 


‚Hier, wo der Pflug nicht geht, nicht Früchte prangen, 
39 Trümmer rings mit Trümmern ſich vermäplen, 
‚Hier find dreitaufend wadre Männerfeelen « 
Zu einer beſſern Heimath eingegangen. 

‚Hier fochten fie den Streit, den blutig Tangen: 
Nicht Einer will fih feig von hinnen fehlen: 

Gefallen find, die ihrer Reihe fehlen, 

Und Jeder will den Todesſtreich empfangen. 
Seitdem ber Boden, wo Karthago Rand, 

Der glutpverbrannte, ſich in giergen Zügen 

Bon Helvenblut und Tpränen fatt getrunfen, 
Sind Hier, an biefem öben, harten Strand, 

Nie Seelen Edlerer emporgefiiegen, 

Nie Leiber Tapfrerer ins Grab gefunten.* 

Man fand die Sonette nicht übel, und der Sklave freute fig 
über die Nachricht, die er von feinem Mitgefangnen erpielt, worauf 
ex feine Erzählung folgendermaßen fortfegte: 

nie Goletta und die Eitabelle übergegangen waren, machten 
vie Türken Anftalt Goletta zu fihleifen; denn die Eitadelle war ſchon 
fo zugerichtet, daß nichts zu fehleifen daſelbſt übrig blieb. Um nicht 
zu viel Zeit und Arbeit aufzuwenden, untergruben fie bie Werke an 
drei Stellen, aber Feine Mine war hinreichend, die alten Mauern, 
die man für den ſchwächſten Theil Hielt, zu zerflören, ba hingegen 
Alles, was von Fratins new angelegten Werfen noch übrig geblieben 
war, mit leichter Mühe gefprengt ward. Die Flotte kehrte fieg- 
prangend nach Conſtantinopel zuräd, und nad einigen Monaten farb 
mein Herr Uſchali, den man gewöhnlich Ufhali Fartach, ben 
krätzigen Nenegaten, nannte; denn er war wirklich Fräpig, und es iſt 
eine alte Gewohnpeit bei den Türfen, daß man ben Leuten Beinamen 
giebt von Fehlern, bie fie an ſich Haben, ober von Tugenden, bie fie 
befigen, denn eigentlihe Geſchlechtenamen giebt es bei ihnen nicht 
mehr als vier, welche an Adel mit dem Haufe Osmans wetteifern; und 
alle übrigen befommen Namen und Beinamen entweder von Gebrechen 
ober von Vorzügen bes Geifles, ober bes Leibe. Diefer Kräatzige 
diente dem Großfultan vierzehn Jahre als Ruderkuccht, und wie er 
bereits über vier und dreißig Jahre alt war, nahm er ans Erbitterung 











— 


über einen Türken, der ihm auf ber Ruderbant eine Ohrfeige ger 
geben, den türfifgen Glauben an, und verließ die Religion feiner | 
Bäter, um fih am Jenem rächen zw fönnen. Er war fo tapfer, 
daß er, ohne ſich der erniebrigenden Mittel zu bedienen, wodurch 
die meiſten Günftlinge der Sultaue emporfleigen, Dey von Algier 
und hernach Grofadmiraf ward, und bemmad) die dritte Eprenftelle im 
türfifen Reiche erhielt, Er war aus Eafabrien gebürtig und ein recht» 
ſchaffner Mann, ber feine Sllaven, deren er über drei Tauſend Hatte, 
ſehr menſchlich behandelte. Diefe wurden ſammtlich nad feinem Tode, 
vermöge feines egten Willens, zwiſchen dem Groffultan und ben Ne- 
negaten, die unter ihm gedient Hatten, vertheiltz denn ber Groffultan 
erbt von jedem feiner Untertanen, und geht mit deſſen hinterlaßnen 
Kindern zu gleichen Theilen. Ich ward einem venetianifgen Nenegar 
| ten zu Theil, welchen Ufgali als Syiffsjungen zum Gefangnen 
gemadt hatte und fo lieb gewann, daß er ihn unter allen feinen 
Leuten am beflen hielt; er warb aber einer von dem graufamften 
Nenegaten, die mam je geſehen hat. Er Sieh Haffan Aga ! umb | 
ward fehr reich und endlich Dey von Algier. Ich gieng gemwiffermaßen 
gerne mit ihm von Eonflontinopef ab, weil ih Spanien um fo viel 
näher fam; denn ih hatte zwar nicht bie Abſicht, Jemanden in meinem 
Vaterfande Nachricht von meinem unglüdligen Schickſale za geben, 
allein ih hoffte, das Glück werke mir vielleicht in Algier günftiger 
feye, als in Conflantinopel, wofelöf ig ofne Erfolg anyäplige Ber- 
fuche gemacht Hatte zu entkommen; und ih nahm mir vor, in Algier 
auf neue Mittel zu finnen, um basjemige zu erlangen, wornach ich 
mich fo ſehr fehnte; denn nie verließ mi die Hoffnung, endlich wie - 
der die Freiheit zu erlangen, und wenn mir auch noch fo viele 
Mafregeln, Anftalten und Entwürfe fehl ſchlugen, fo fann ih doch 
augenblidtih wieder auf meue Plane, bie meine Hoffnung näprten, 
wenn fie auch no fo ſchwach und gering war. Damit vertrieb ich 
mie die Zeit in dem Gefängniffe, welches die Türken Bagno nennen, 
und wofelbft man bie Cpriftenfffaven einfhliefit, welche dem Dey und 
and wohl bisweilen Privatperfonen gehören, ingfeihen diejenigen, die 
man Almagen oder Gefangne des Stadtratho nennt. Diefe lehtern 


* Gerantes (dreht Micnaga 


XL. Kapitel. 345 

















7 


546 Don E rote, 


werben vom Divan zu Öffentlichen Arbeiten gebraucht, und ihnen wirt 
es bifonders ſchwer, ihre Freiheit zu erlangen, weil fie dem Gemein- 
wefen gehören und keinen beftimmten Herrn haben, mit weldem fie 
fi wegen ihres Löfegelds abfinden könnten, wenn fie au im Stande 
wären, es anzuſchaffen. In dieſe Bagnos pflegen, wie ih gefagt 
habe, einige Privatperfonen ihre Eflaven zu ſchicken, befonder6 wenn 
fie ihre Auslöfung erwarten, weil fie dort fo fange fiher aufbewahrt 
werben, bis das Löfegeld anlommt. Die Sflaven des Dey, deren 
Auslöfung erwartet wird, gehen au nicht mit zur Arbeit, es wäre 
denn, daß ihr Loͤſegeld lang anshliebe, in welchem Falle man fie 
mit den andern nad) Holz gehen läßt, welches eine fchwere Arbeit if, 
damit fie deflo dringender um Geld fihreiben. Mich rechnete man mit 
unter dieſe Zahl; denn weil man wußte, daß ih Hauptmann war, 
fo half es mir nichts, daß ich mein Unvermögen und meine Armuth 
betheuerte, fondern man fegte mich mit unter die Zahl ber Edelleute 
und andrer Perfonen, anf deren Auslöfung man rechnete. Man legte 
mir Retten an, ober mehr zum Zeichen ber erwarteten Auslöfung, als 
um mi damit zu feſſeln; und fo lebte ich in dieſem Bagno auf glei» 
Gem Buße mit vielen Cavalieren und andern angefehenen Leuten, 
deren Loslauſung man entgegen fah. 

„Obwohl wir nun ſelbſt manchmal und faft befländig von Hunger 
und Blöße Bieles ausſtanden, fo fehmerzte uns doch Alles nicht fo 
fehr, als wenn wir hören und fehen mußten, mit welcher unerhörten 
Grauſamleit mein Herr den Epriften begegnete. Rein Tag vergieng, 
an dem er nicht einen oder den andern hängen, fpießen ober ihm bie 
Ohren abſchneiden ließ, und zwar oft entweber one alle Urſache, 
ober um fo geringfügiger Dinge willen, daß die Türken ſelbſt fagten, 
er thue es bloß, weil es ihm Bergnügen made, ein Heufer des 
ganzen Menfchengefihlechts zu ſeyn. Ein einziger ſpaniſcher Soldat, 
ein gewiffer Saavebra ', fonnte mit ihm fertig werben; denn obgleich 
diefer, um fi in Freiheit zu fegen, ſchon manderlei Dinge unter- 
nommen hatte, die man zu Algier in vielen Jahren nicht vergeffen 
wird, fo ließ er ihm doch nie einen Schlag geben und fagte ihm nicht 
einmal ein hartes Wort, und doch fürdteten wir, daß er für den 


* Siebe tie Ginleitung. 





U Eee er Be 








Au Kapitel. 547 


geringften von den vielen Streichen, die er verſuchte, würde gefpieft 
werben, und wäre bie Zeit nicht zu kurz, fo erzählte ich einige von ben 
Bageftüden diefes Soldaten, die Euch vielleicht beſſer unterhaften 
und mehr in Verwunderung fegen würden, als meine eigne Geſchichte 
„36 muß bemerken, daf die Fenfter oben im Haufe eines ge- 
wiſſen reihen und vornehmen Mauren in ben Hof unfers Gefängniffes 
» binausgiengen. Nah manrifher Bauart waren biefe nicht größer 
no beffewals ein paar Löcher und überdies waren fie mit dichten 
und fiarfen Gittern verfeßen. Einfi traf es ſich, indem ich mit dreien 
meiner Kameraden mich auf einem Plag im Hofe dieſes Oefängniffes 
befand, woſelbſt wir zum Zeitvertreib mit unfern Stetten herumzus 
foringen verfchten, während die übrigen Chriſten auf die Arbeit 
gegangen waren, daß ich vom ungefäßr in die Höhe fah und am dem 

























Don @uirste. 


vergitterten Fenſter einen Gtod gewahr warb, woran ein Tach hieng, 
und daß man mit dem Stock eine Bewegung machte, ald wenn man 
uns näher zu fommen und ihn in Empfang zu nehmen mwinfte. Wir 
bemerkten dies, und einer von meinen Kameraden trat hinze, ua 
zu verſuchen, ob man ihm den Gtod zuwerfen würbe;- allein wie er 
fig näperte, warb der Stod zurüdgezogen und hin and her bewegt, 
wie man ben Kopf zu ſchütteln pflegt, um ein verneinendes Zeichen 


‘zu geben. Mein Kamerad trat zurüd, der Stoch warb wieder her- 


antergehalten und man winfte wie vorhin. Ein andrer von uns 
trat Hinzu und es gieng ihm wie dem erflen; and ber dritte 
machte den Berfuh und warb abgewiefen wie vie beiben andern. 
Wie ich dies fah, wollte ich micht unterlaffen, mein Glück gleichfalls 
zu verfügen, und kaum hatte ich mich unter bas Fenfler geſtellt, fo 
Tieg man den Stock in das Bagno Herunterfallen, und er fiel mir 
gerade vor bie Füße. Ich nahm das Tuch ab und fand in einem 
Knoten zehn Cianis eingekunden, kleine maurifche Goldmünzen, beren 





jede zehn Realen werth if. Ob mir der Fund erfreulich war, brauche 
ich wohl wicht zu fagen; er verurfachte mir jedoch nit weniger 
Verwunderung ald Freude, indem ich mir nicht erklären konnte, woher 


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XL. Kapitel, 519 


und diefer Schap fäme unb zwar mir in&befondre, weil man dadurch, 
daß der Sto nur für mich Herunterfiel, zu erkennen gab, die Wohl- 
that ſey ansfplieflih mir zugedacht. Ih nahm das Geld, zerbrach 
den Stock und gieng nah bem Nafenpfage zurück, und indem ich 
nach dem Fenſter blicte, fab ih, daß eine fehr weiße Hand ca öffnete 


und wieder verſchloß· Wir merlten daraus, oder vermutheten wenig. | 
Rene, daf ein Frauenzimmer in diefem Haufe unfre Wohlthäterin 
ſey, und zum Zeichen unfrer Danfbarleit machten wir nad maurifher 


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550 





































Don Euirate. 





Art unfre Berbeugungen mit dem Kopf und Oberleibe und mit kreuz - 
wveeiſe anf die Bruſt gelegten Händen. Bald nachher warb aus bem- 
ſelben enfter ein Meines Kreuz von Stäbchen heransgehalten und 
}  wieber zurüdgezogen. Dies veranlafte und zu vermuthen, daß eine 
chriſtliche Sklavin fih in dem Haus befände, die fih fo wohlthätig 
gegen uns bezeigte, obgleich das blendende Weiß ber Hand und bie 
Armbänder, die wir an berfelben bemerkt hatten, biefer Vermuthung 
widerſprachen und uns auf ben Gebanfen braten, eine chriſtlich ge- 
borne Renegatin im Haufe zu vermuthen, welche die Mauren gerne 
zu ihren Gemaflinnen wählen und fie den Weibern ihrer eignen Na- 
tion vorziehen. Wir trafen jedoch mit allen biefen Bermuthungen 
weit vom Ziele; inzwiſchen waren von ber Zeit an unfre Augen be- 
ſtaͤndig auf das Fenfter gerichtet, an welchem uns ber Gtod wie ein 
Glädsftern erfhienen war. Es vergiengen aber wohl vierzehn Tage, 
ohne daß der Etod, die Hand, ober irgend ein anbres Zeichen ſich wie- 
der fehen Tief, und obwohl wir indeß ung alle Mühe gaben, zu erfahren, 
wer in dem Haufe wohne, fo braten wir doch weiter nichts heraus, 
als daß ber Herr biefes Haufes ein reicher Manre Namens Habfchi 
Murat fey, gewefener Alfaive von Ia Pota, weldes ein Amt vom 
großer Auszeichnung ifl. Wie wir aber am wenigflen daran dachten, 
daß es wieber Cianis regnen werbe, Fam unvermuthet ber Stock mit 
einem dem Anfehen nach noch beffer gefüllten Tuche zum Vorſchein, 
und zwar ebenfo wie das vorigemal, zu einer Zeit, da fein Fremder 
in unferm Hofe zugegen war. Wir wieberholten unfern vorigen Ber- 
fa, indem jeder meiner drei Kameraden vor mir unter das Fenfer 
trat, und and biesmal warb ber Stod für Teinen andern als für 
mich heruntergelaffen. Ich öffnete das Tuch und fand vierzig fpawi- 
ſche Halte Dublonen darin und einen Brief, der in arabiſcher Sprache 
gefhrieben und am Enve mit einem großen Kreuze bezeichnet war. 
Ich küßte das Kreuz, nahm die Goldſtüde und gieng nach dem Plahe 
zurück; wie machten unfre BVerbengungen, die Hand ließ fi wieder 
fehen, ich gab ein Zeichen, daß ich den Brief Iefen werde, und das 
Feuſter warb wieber zugemacht. y 

„Wir alle waren vol Verwunderung unb Freude über biefen Bor- 
fall; weil aber feiner von uns arabiſch verfland, fo quäfte uns bie 














— 


XL. Kapitel, 551 


Neugier zu erfahren, was in dem Brief ſtehe, und wir waren nicht 
wenig verlegen, Jemand zu finden, der ihn uns Tefen lönnte. End - 
lich wagte ih 18, mich einem aus Murcia gebürtigen Renegaten an- 
zuvertrauen, der ſich fehr freundſchaftlich gegen mich betragen und 
mir auch mande Dinge im Vertrauen entbedt Hatte, bie ihn nöthigen 
mußten, auch mein Geheimnif zu bewahren; benn einige Nenegaten 
pflegen, wenn fie bie Abſicht haben, mach den chriſtlichen Ländern zu» 
rüdzufehren, ſich von vornehmen chriſtlichen Gefangnen Scheine geben 
zu Iaffen, worin biefe in ber bündigſten Form bezeugen, daß der Bor» 
zeiger derſelben ein rechtſchaffner Mann ſey, der fi flets der Chriſten 
angenommen habe, und baß er bei erfier Gelegenheit zu entweichen 
wũnſche. Einige laſſen fi dieſe Scheine an redlicher Abſicht geben, 
andre aber mißbrauchen fie zu Streifzügen auf chriſtlichem Boden, 
Benn fie nämlich vom Ungefähr Schiffbrach leiden oder gefangen wers 
den, fo zeigen fie ihre Scheine ver, und berufen ſich darin anf ihren 
beurfundeten Vorfag, im Lande ter ESriften zu bleiben, indem fie vor 
geben, daß fie nur in diefer Abſicht die Türfen auf ihrem Streifzuge 
begfeitet Hätten. Damit fügen fie fi vor der erflen Gefahr, ver⸗ 
ſoͤhnen fih zum Scheine mit ber Kirche, wobei fie nichts verlieren, 
sehen aber, fobald fie ihre Gelegenheit abfehen, wieder mach der Ber- 
berei, und beiben, was fie waren. Audre hingegen verſchaffen ſich 
jene Papfere, um fie zu guten Enbzweden zu gebranden, und Bleiben 
bei dem Chriſten. Mein Freund war einer ber gutgefinnten Nenega- 
ten und befaß Zeuguiffe von allen unfren Rameraben, daher wir 
zu ihm das befle Vertrauen hatten; denn wenn die Mauren biefe 
Papiere bei ihm gefunden Hätten, fo würden fie ihn lebendig ver- 
brannt haten. IH wußte, daß er das Nrobifipe ſeht gut verfland 
und nicht nur fpregen, fondern auch ſchreiben konnte. Ehe ih jedoch 
mich ihm völlig entbedfte, bat ich ihm bloß, mir diefes Papier zu 
Tefen, welches ich zufäflig in einem MWinfef meines Gefängniffes ger 
funden Hätte. Er öffnete den Brief und las ihn bedachtlich umd mit 
Halbfauter Stimme burg. Ich fragte, ob er ihn verfiche, und er 
antwortete mir: Sehr gut, and wenn Ihr den Inhalt von Wort zu 
Wort wiffen wollt, fo gebt mir nur Feder nnd Dinte. Diefe ver- 
ſchafften wir ihm, und wie er mit feiner Ueberfegung fertig war, fagte 




















3 





Den Eairste. 


er: „Gier ih Alles wörtliä ins Eraniige überiegt, was tas maurife 
Farier enthält; merkt Each mer, 235 überall, we Lela Maria ge 
naunt wird, vom ter heiligen Juzziran tie Rede il.“ Wir lafen den 
Brief, ver Folgendes entsielt: 





„Bie id noch ein Kind war, haite mein Bater eine Stlavin, vie 
mid den Segendgras ber Cpriücn ın meiner Mutterirrage fehrie 
und mir viel Gutes von ter Lela Maria fügte. Die Eprikie 
Aarb und ih bin veridert, daß fie nice ins Feuer, fordern zw 
Altah gelommen if, denn fie iß mir feitdem zweimal erfienen, und 
has mir gefagt, ih felle ins Land ver Eprifien ziehn, um Lela Ma- 
tia zu ſehen, die mir ſehr gut ſey. Ich weiß nicht, wie ich dahin 
tommen fol. Biele Chriſten habe ih aus biefem Genfer ſchon gefchen, 
aber feiner ift mir fo ſehr als dm wie eim Edelmann vorgelommen. 
Ich bin ſchön und jung und habe viel Gelb, das ich mitnehmen fann. 
Sieh zu, ob du Anftalt machen kannt, daß wir entfliehen, fo folk 
tu dort mein Gemahl werden, wern tu willf; oder weru du das nit 
will, fo liegt mir auch nit viel daran, weil mir Lela Maria 
wohl einen andern Gemapl geben wird. = 








XL. Kapitel 553 


„Sieh did vor, wer da meinen Brief zu leſen giebft: vertraue 
dich feinem Mauren, deun fie find alle Betrüger, Ih bin ängſtlich 
beforgt, daß du dich nicht Verrätpern anverirauft; benn wenn mein 
Vater eiwas erfühte, er würde mid in einen Brunnen fürzen und 
mit Steinen verſchutlen. Ich werde elnen Baden am biefen Gtot 
tnüpfen; binde beine Antwort daran, ober wenn du Niemand daft, 
der arabifh ſchreiden fann, fo antworte mir durch Zelden: Lela 
‚Maria wir gebem, daß ich dich verſtehe. Mögen Allah und fie 
dich befihügen und dieſes Kreng, welches ich jauſendmal Füffe, wie 
mix bie Epriftin gelehrt hat.” 


„Denkt, meine Herrn, welche Freude und Verwundruug biefer 
Brief und verurſochen mufite. Beide fliegen in uns za einer ſolchen 
Höfe, daß ber Nenegat wohl merkte, das Papier fey nicht durch Zu- 
fall gefunden, fonbern wirklich an einem von und geſchrieben worben. 
Er bat demnach, wir mögten uns ihm auverttauen, wenn er in ftir 
| ner Meinung fih nicht ierte, und ihm Alles entdeclen, weil er gerne 
| fein Sehen für uns wagen wolle, um uns bie Freißeit zu verſchaffen. 
Wit diefen Worten zog er ein Erueifir aus dem Bufen, and ſchwur 
mit vielen Tränen bei dem Göttlichen, den dieſes Bild vorftelle, und 
am welchen er, ungeachtet feiner Sünde und Berimung treufih and 
aufrichtig glaube, taf er in allen Angelegenheiten, bie wir ihm au ⸗ 
vertrauen wirden, Treue und Verſchwiegenheit beobachten wolle, weil 
&6 ihm ahne, daß biejenige, bie dieſen Brief gefrieben, die Bermitte 
lerin unfrer Freiheit werben, und zugleich auch ihm Gelegenheit 
verſchaffen werde, ſich mit der Kirche zu verföhnen, von welcher Un- 
wiffenheit und Sünde ihn als ein fanles Glied getrennt habe. Der 
Renegat fagte dies mit fo vielen Tpränen und Zeichen ernfifiher Rene, 
daß wir und eimmüthig entfchloffen, ihm ofme Zurũchaltung Alles zu 
entbeden; wir zeigten ihm das Renfler, an weldem der Stod zu er- 
feinen pflegte, und er verſprach, ſich alle Mühe zu geben, um zu 
erfahren, wer in den Haufe wohne. Wir hielten es aud für nöthig, 
den Brief der Maurin unverzüglich zu beantworten, und ba wir au 
dem RNenegaten einen guten Schreiber zur Hand hatten, fo fegte er 
ohne Zeitverfuft alles auf, was ih ifm in die Feder fügte, und was 
ich Euch noch woͤrtlich wiederholen Tann, weil ich von Allen, was ba- 
‚mals vorfiel, nicht den Heinften Umfand vergeffen Habe, und aud in 














Den Onirste f 











554 Don @uirete. 


meinem Leben nicht vergeffen werde. Wir antworteten der Maurin 
in folgenden Ausbrüden: 

„Der wahre Allah fey bein Beſchüter, edle Jungfrau, nnd bie 
peilige Maria, welde die wahre Mutter Gottes if und bir ins 
Herz gegeben hat, in bas Land der Epriften zu ziehen, weil fie dich 
Tieb hat. Bitte fie, bir die Mittel anzuzeigen, wie bu ipren Befehl 
ausführen Fannft, denn fie if fo liebreich, daß fie es gewiß thun wird. 
Ich und alle Chriſten, bie bei mir find, verſprechen dir, Alles für dich 
zu thun, was wir können und unfer Leben daran zu wagen. Unter 
laſſe nicht, mir zu ſchreiben und mir Nachricht zu geben, wie du beine 
Mafregeln nehmen wit. Ich werde dir immer antworten, denn ber 
große Allah hat, wie du aus dieſem Briefe fiehft, uns einen Epriken 
zugeführt, welcher beine Sprache fehr gut Iefen und freiben kann. 
Du Fannf und demnad ohne Zucht, von Allem, was du willſt, Rache 
richt geben. Auf beine Aeußerung, daß tu mid, fo bald bu auf 
qhriſtlihem Boden anfümmf, zum Gemapl annehmen wolle, antworte 
ich dir als ein guter Chriſt, daß ich ver Deinige feyn will, und du 
tannft verfichert fepn, daß die Chriſten ihr Wort beffer halten als bie 
Mauren. Allah und Maria feine Mutter feyen deine Beſchützer, 

edle Jungfrau! 


„Bie der Brief fertig war, wartete ih nad meiner Gewohnpeit, 
bis nach zwei Tagen das Bagno einmal wieder Ieer war, und begab 
mid alsdann nach dem gewöhnlichen Plage, um zu verfuhen, ob fi 
der Stod fehen Tieße, welder auch bald zum Vorſcheine kam. Sobald 
ich ihn erblickte, ohne jedoch unterſcheiden zu Fönnen, wer ihn heraus» 
hielt, zeigte ih den Brief, um anzubeuten, daß man den Faden an- 
knüpfen möchte; doch dies war bereits geſchehen, und ich band meinen 
Brief daran. Bald darauf erſchien unfer Glüdsftern wieder mit der 
weißen Friedensfahne des Bündelchens, weldes man herunterfallen 
Tieß. Ich öffnete es und fand darin an Gold und Gilbermänze über 
fünfzig Thaler, wodurch unfre Freude fünfzigmal vermehrt und bie 
Hoffnung, unfre Freipeit zu erlangen, verflärft ward. Denfelben 
Abend Fam unfer Nenegat wieber und fagte uns, was er erfahren, 
nämlih, daß Hadfhi Murat, der Manre, den man uns fon 
genannt hatte, in biefem Haus wohne, daß er ein überaus reicher 
Mann feg und eine einzige Tochter habe, bie dereinſt fein ganzes 
Vermögen erben werde; man halte fie in ber ganzen Stadt für 

















XL. Gapitel, 


das fchönfte Frauenzimmer der Berberei, und mander Bornehme 
Habe fid bereit um ihre Hand beworben, fie aber dieſelben fämmt- 
lich anggefchlagen; auch Habe fie, wie man ihm gefagt, eine Ehriftent- 
ſtlavin gehabt, die aber ſchon geftorben ſey. Dies alles ſtimmte 
mit dem Inhalt des Briefes überein, wir berathſchlagten uns dem ·⸗ 
nach mit dem Nenegaten über die Mittel, die Maurin zu entführen, und 
mit ihr mach einem chriſtlichen Lande zu entfonmen, und wurben einig, 
vor der Hand auf neue Nachrichten von Zoraiben zu warten (fo 
hieß diejenige, welde jept wünfht Maria genannt zu werden); 
denn wir fahen wohl ein, daß fie die Einzige fey, die ung aus ber 
Verlegenheit ziehen könne. 

„Sofort bat ver Nenegat, dag wir uns unbebingt auf ihm ber- 
| Taffen follten, denn er werde fein Leben daran wagen, und bie Rreis 
| Seit zu verſchaffen. Wäßrend der nächfleh vier Tage waren immer 
| 2eute im Bagno; am fünften aber, da ed wicber leer war, erſchien 

auch der Stod (der fi unterbeffen nicht hatte fehen Taffen), und 
zwar mit einem wohlgefüllten Bündel, das eine reiche Ausbeute ver» 
ſprach. Stock und Tuch neigten fih zu mir herab, und ich fand einen 
zweiten Brief nebſt hundert Thafern in Gold darin und feine Heine 
Mänze dabei. Da der Nenegat eben bei und war, gaben wir ihm 
den Brief in unfrer Barade zu fefen, umd er überfeßte ihn wie folgt: 
„Ih weiß dir Feine Mittel anzugeben, mein Herr, mie wir nad 
Spanien fommen können, und Lela Maria hat mir au nichts ges 

fagt, obwohl ich fie darım gebeten habe. Ich fann meiter nichts 
tun, als dir aus diefem Benfter große Summen Geldes zuwerfen. 
Kaufe dich und deine Freunde damit los und Taffe einen von Euch 

nad dem Eprifienfande reifen, um ein Schiff zu kaufen und die Andern 
abzuholen. Ihr werdet mich auf meines Vaters Landhauſe, vor dem 
Thore Bab Aſſon, dicht bei dem Hafen finden, wo ih ben Sommer 

mit meinem Baker und unferm Gefinbe zubringen ſoll und wo Ihr 

bei Nacht mich ohne Gefahr abholen und an Bord bringen Fönnt, 
Vergiß nicht, daß du verſprochen haft, mein Gemahl zu werden, 

fonft werde id Lela Maria bitten, dich zu ſtrafen. Wenn du dich 

‚auf keinen Andern verlaffen fannft, fo kaufe did ſelbſt los und reife 

hin, um ein Schiff zu holen; denn ih weiß, daß du eher als ein 
Anbrer wieberfommen wirft, weit bu ein Eprift bit und ein Edel⸗ 
mann. Erkundige dich genau nad dent Bartenhaufe, und wenn bu bier 





























556 Don Quieote. 


wieber auf- und abgehft, fo werbe ih daraus abnehmen, daß das 

Bagno leer ift und werde dir viel Geld geben. Allah bepüte big 

mein Herr!" 

„Dies war ber Inhalt des zweiten Briefe. Wie wir ihn gele- 
fen Hatten, wollte Jeder der Erſte ſeyn, der fi Iosfaufte, mit dem 
Verſprechen pünktlich abzureifen und wieder zu kommen. Ich felbft 
erbot mich dazu, allein der Renegat wollte nicht einwiligen, und fagte, 
er werde nie zugeben, daß Einer vor ben Uebrigen feine Freiheit erhalte, 
bis wir alle auf einmal Iosfämen; denn bie Erfahrung habe ihn ges 
lehrt, daß manche nad der Befreiung bas während ber Gefangen» 
ſchaft gegebene Wort nicht halten, und oft fon hätten vornehme Ge- 
fangne Jemand Tosgefauft und ihm nad) Valencia oder nad Mallorca 
Geld mitgegeben, um ein Schiff zu faufen und feine Befreier abzu- 
holen, aber nie feyen fie wiebergefommen, weil die Erlangung ber 
Freiheit und bie Furcht, diefelhe wieder zu verlieren, jede Erinnerung an 
die Pflicht aus ihrem Gedächtniſſe vertilgt habe. Zum Beweife, 
daß er uns die Wahrheit fage, erzählte er eine Geſchichte, die fih 
erſt fürzlih mit einigen chriſtlichen Cavalieren zugetragen hatte, eine 
von ben fonberbarfien, die jemals in einem Lande vorgefallen, wo 
fi täglih die unglaublihflen Begebenheiten ereignen. Statt bef- 
fen ſchlug er uns vor, wir follten ihm ſelbſt fo viel Geld geben, als 
die Losfaufung eines Epriften betragen würde, dann wolle er in Algier 
unter dem Borwande des Küftenpandels nach Tetuan ein Schiff fan- 
fen, und als Eigenthümer deffelben bald Mittel finden, uns alle aus 
dem Bagno abzuholen und einzufiffen, zumal wenn bie Maurin 
ihrem Verſprechen gemäß uns fo viel Geld gebe, daß wir alle uns 
Iostaufen könnten; denn fohald wir alle frei ſeyen, könne man 
fogar am hellen Tage uns an Bord kommen laſſen. Die einzige 
Schwierigkeit werde darin beftehen, daß die Mauren den Renegaten 
feine andre Schiffe auszuräften gefatten, als große bewaffnete zum 
Kreuzen, aus Zucht, diejenigen, welche leichte Schiffe kaufen, zu- 
mal wenn fie Spanier feyen, möchten mit benfelben nach einem 
chriſtlichen Lande entweihen. Diefe Schwierigkeit Hoffte er jedoch 
dadurch zu heben, daß er mit einem tagarinifhen Mauren ein Schiff 
Taufe und denfelben am Handel Theil nehmen laffe. Unter diefem Borwand 











XL. Kapitel, 557 
| wolle er fih im den Befig des Schiffes fegen, und das Uebrige 


| würde ſich dann von felbft finden. Ich und meine Kameraden bielten 


es zwar für beffer, ein Schiff von Mallorca fommen zu faffen, wie 
die Maurin vorgefhlagen hatte, allein wir wagten es nicht dem Re— 
megaten zu widerſprechen, damit er, wenn wir ihm nicht folgten, ung 
nicht verriethe und in Lebensgefahr brächte, wenn er unfer Ber 
ſtaudniß mit Zoraiden befannt machte, für deren Leben wir fämmt- 
lich das unfrige willig würden hingegeben haben, Wir eutſchloſſen 
und demnach, Alles Gott und dem Nenegaten zu überfaffen, und gaben 
Zoraiden auf ber Gtefle zur Antwort, daf wir in allen Stüden 
ihren Rath befolgen werben, weil er fo vernünftig ſey, ald wenn ihn 
Lela Maria ſelbſt gegeben hätte, und es folle von ihr allein ab» 


| hängen, wie früh oder wie fpät wir ihn in Ausführung bringen wür- 
den. Ich verficerte ihr zugleich aufs neue, daß ich ihr Gemahl 











werden wolle, und ba ih mich am folgenden Tage zufällig allein im 
| Vagno befand, fo gab fie mir vermittelt des; Stods und des Tuche 
2000 Goldſtůde, wobei fih ein Zettel befand, im welgem fie mir fagte, 
daß fie am nachſten Freitage nach ihres Vaters Garten gehen werde; 
ehe fie dahin abgienge, wolle fie uns ned mehr Geld geben, und 
werk auch dieſes moch nicht hinreihe, möchten wir fie ed nur wiſſen 
faffen, denn fie koͤnne uns fo viel geben, ald wir brauchten, weil ihr 
Bater fo reich ſey, daß er den Abgang nicht merken werde; zumal 
da fie die Schlüffel zu Allen in ifren Händen habe. 

„Bir gaben fogleih dem Nenegaten 500 Golbftüde, um ein 
Schiff zu fanfen, and mit 800 kaufte ich mich felbft 106, indem ich 
das Geld bei einem Kaufman aus Valencia nieberlegte, der fih eben in 
Mgier befand, und ſich bei dem Dey für mic verbürgen mußte, daß 
er wach Ankunft des erſten Schiffs aus Balencia das Löfegeld für 
mid bezahlen wolle; denn wenn er ihm das. Geld gleich haar gege- 
ben Hätte, fo würde ihm der Dey im Berbacht gehabt haben, daß es 
ſchon fängft in Algier angelommen ſey, und daf der Kaufmann bei 
Empfang verfwiegen habe, um damit zu wuchtru. Mein Herr war 
überfaupt fo voll von Ränfen, daß ich es feineswegs wagen barfte, 
ihm das Geld gleich auszahlen zu laſſen. Am Donnerflag, bevor die 
ihöne Zoraide fih nah ihrem Laudhauſe begab, erhielten wir von 

















556 Don Quixote. 


wieder auf» und abgehft, fo werde ich daraus abnehmen, daß das 

Bagno leer ift und werde bir viel Geld geben. Allah bepüte dich 

mein Herr!" 

„Dies war ber Inhalt des zweiten Briefe. Wie wir ihn gele- 
fen Hatten, wollte Jeder der Erfte ſeyn, der ſich Ioskaufte, mit dem 
Verſprechen pünktlich abzureifen uud wieder zu kommen. Ich ſelbſt 
erbot mid) dazu, allein ver Renegat wollte nicht einwilligen, und fagte, 
er werde nie zugeben, daß Einer vor ben Uebrigen feine Freiheit erhalte, 
bis wir alle auf einmal Iosfämen; denn bie Erfahrung habe ihn ge» 
lehrt, daß manche nah der Befreiung das während ber Gefangen- 
haft gegebene Wort nicht Halten, und oft ſchon Hätten vornehme Ge- 
fangne Jemand Iosgefauft und ihm nach Valencia oder nah Mallorca 
Geld mitgegeben, um ein Schiff zu kaufen und feine Befreier abzu- 
holen, aber nie feyen fie wiebergefommen, weil bie Erlangung ber 
Freiheit und bie Furcht, dieſelbe wieder zu verlieren, jede Erinuerung an 
die Pit aus ihrem Gedächtniſſe vertifgt habe. Zum Beweife, 
daß er uns bie Wahrheit fage, erzählte ex eine Geſchichte, die ſich 
erſt kürzlich mit einigen chriſtlichen Cavalieren zugetragen hatte, eine 
von ben fonderbarfien, bie jemals in einem Lande vorgefallen, wo 
fich täglich die unglaublichſten Begebenheiten ereignen. Statt befe 
fen flug er uns vor, wir ſollten ihm ſelbſt fo viel Geld geben, als 
bie Losfaufung eines Epriften betragen würde, dann wolle er in Algier 
unter dem Borwande des Küftenhandels nach Tetuan ein Schiff Fau- 
fen, und als Eigentpümer deſſelben bald Mittel finden, und alle ans 
dem Bagno abzuholen und einzufiffen, zumal wenn die Maurin 
ihrem Verſprechen gemäß uns fo viel Geld gebe, daß wir alle uns 
lostaufen Tönnten; denn fohald wir alle frei feyen, Fönne man 
fogar am hellen Tage uns an Bord fommen Iaffen. Die einzige 
Schwierigkeit werde darin befichen, daß die Mauren den Renegaten 
feine andre Schiffe auszurüſten geflatten, als große bewaffnete zum 
Kreuzen, aus Furcht, diejenigen, welche leichte Schiffe kaufen, zu- 
mal wenn fie Spanier feyen, möchten mit benfelben nach einem 
chriſtlichen Lande entweichen. Diefe Schwierigkeit Hoffte er jedoch 
dadurch zu heben, daß er mit einem tagarinifchen Mauren ein Schiff 
Kaufe und denfelben am Handel Theil nehmen laffe. Unter diefem Borwand 














XL. Kupitel, 557 


wolle er fi in ven Befig des Schiffes fegen, und das Uehrige 
würde ſich daun von ſelbſt finden. Ih und meine Kameraden bielten 
es zwar für beffer, ein Schiff von Mallorca fommen zu laſſen, wie 
die Maurin vorgeſchlagen hatte, allein wir wagten es nicht dem Ne 
negaten zu widerſprechen, damit er, wenn wir ihm nicht folgten, und 


| | mit verriethe und in Lebensgefahr brächte, wenn er unfer Ber- 
| fändnig mit Zoraiden befaunt machte, für deren Leben wir fänmt» 


lich das unfrige willig würden Hingegeben haben, Wir eutſchloſſen 
und demnach, Alles Bott und dem Nenegaten zu überfaffen, und gaben 
Zoraiden auf der Stelle zur Antwort, daf wir in allen Stüden 
ihren Rath befolgen werben, weil er fo vernünftig ſey, als wenn ihm 
Lela Maria felbft gegeben Hätte, und es folle von ihr allein ab» 
hängen, wie früh ober wie fpät wir ihm in Musführung bringen wür ⸗ 
den, Ich verſicherte ihr zugleih aufs neue, daß ih ihr Gemahl 
| werben wolle, und da ih mich am folgenben Tage zufällig alein im 


|| Sage befand, fo gab fie mir vermitteif bes Stodo und des Zuge 





2000 Goftftüde, wobei fih ein Zettel befand, in weldem fie mir fagte, 
daß fie am nähften Freitage nah ihres Vaters Garten gehen werbe; 
ehe fie dahin abgienge, wolle fie uns neh mehr Geld geben, and 
wenn au biefes mo wicht hiareiche, möchten wir fie es nur willen 
faffen, denn fie fönue ung fo viel geben, als wir brauchten, weil ihr 
Bater fo reich ſey, daß er dem Abgang nicht merlen werbe; zumal 
da fie die Schlüffel zu Allem in ihren Händen habe, 

„Bir gaben fogleih dem Nenegaten 500 Gofeftüde, um ein 
SHiff zu laufen, und mit 800 kaufte ih mic ſelbſt los, indem ich 
das Geld bei einem Kaufman aus Valencia nieberlegte, der fi eben im 
Algier befand, und fih bei dem Dey für mid verbürgen mußte, daß 
er nah Ankunft des erften Schiffs aus Balencia das Löfegeld für 
mich bezahlen wolle; denn weunn er ihm das Gelb gleich baar gege- 
ben Hätte, fo würde ihm der Dey im Verdacht gehabt haben, daß es 
ſchon langſt im Algier angelommen fey, und daß der Kaufmann den 
Empfang verfgwiegen habe, um damit zu wuchern. Mein Herr war 
überhaupt fo voll von Nänfen, daß ich es keineswegs wagen durfte, 
ihm das Geld gleich auszahlen zu lafſen. Am Donnerflag, bevor die 
ſchöne Zoraide fi nah ihrem Landhauſe begab, erhielten wir von 














558 Don Quixote. 


ihre noch taufend Goldſtücke und die Nachricht, daß fie im Begriff 
fey, abzugehen, mit der Bitte ich möchte, fobald ich mich Iosgefauft 
hätte, den Garten ihres Baters auffuhen, und Gelegenheit nehmen, 
fie dort zw ſprechen. Ich erwiderte mit wenigen Worten, daß ih 
Altes erfüllen werde und fie bitte, fih und uns alle der Lela 
Maria durch die Gebete zu empfehlen, welde fie von ber Chriſtin 
gelernt habe. 

„Hierauf ward Verfügung getroffen, meine brei Kameraden gleich ⸗ 
falls loszukaufen, damit auch fie das Bagno verlaffen könnten und 
nicht aus Ungeduld ſich vom Teufel verblenden ließen, etwas zu 
Zoraidens Nachtheile vorzunehmen, wenn fie mich in Freiheit gefe- 
hen und ſich ſelbſt noch in der Sklaverei befunden hätten; benn ob- 
wohl fie Männer waren, deren Stand und Denkungsart vergleichen 
nicht von ihnen befürchten ließ, fo wollte ih doch nichts dem Zufall 
anpeimgeben, und veranftaltete deßwegen ihre Auslöfung auf biefelbe 
Art wie die meinige und Tieß alles Geld bei dem Raufmanne nie- 
verlegen, bamit er ſicher und ruhig die nöthige Bürgſchaft für uns 
feiften könne. Bon unferm Plan und Geheimniffe Tiefen wir ihn je- 
doch nie etwas merken, um uns feiner Gefahr auszuſehen. 

















XLA Kapitel. 


@inundpvierzigftes Kapitel. 
Veſchiuñ ver Gefihlihte der Eflanen. 


ualooll war bie Spannung, 
worin fletes Warten uns 
hielt; indeß hatte unfer 
Kenegat bereits nach 14 Ta- 
gen ein ſehr gutes Zah 
zeug au6geräftet, worin fi 


für mehr als 30 Perfonen 

_ Raum fand, und um feiner 

Gate, gntt u [nahe Siein zu geben, madte er | 
eine Reife nach Sargel, weldes 30 Meilen von Algier nah der 
Seite von Dran zn Liegt und wo flarfer Handel mit trodnen Feigen 
getrieben wird. Zwei» oder breimal wiederholte er dieſe Reife in 
Geſellſchaft des ſchon erwähnten Tagariners. Zagariner nennt man 
nämlich in der Berberei die Mauren aus Mragonz die aus Granada 
werben Mudachares genannt; in Fes nennt man bie Leptern auch 
Eltſches, und die Kaiſer daſelbſt bedienen ſich ihrer befonders gern 
im Kriege, So oft der Nenegat mit feinem Schiffe zurüdfam, Tanbete 
er immer in einer Meinen Bucht, bie kaum ein paar Bogenſchüſſe von 
dem Garten entfernt war, wofelbft ung Zoraide erwartete, ließ 
dort feine Mannfchaft bald ihr Gebet verriten, bald Uebungen an- 
ſtellen, um ſich fpielend auf bie Rolle vorzubereiten, die er nähftens 
im Ernft ausführen wollte, Er gieng deßwegen and oft nah Z0- 
taidens Garten und bat um einige Früdte, die ihm ihr Vater, 

















Don @uinste, 


obwohl er ihn miht Fannte, gerne gab. Er hätte zwar, mie er 
hernach änferte, Zoraiden gerne geſprochen, um ihr zu fagen, daß 
er derjenige fey, der fie vermöge meines Auftrags nah dem Ehriften- 
Iande führen ſolle, und daß fie ſich getroft auf ihn verlaffen tönne; 
allein es war ihm no nie gelungen, weil bie maurifchen Frauen - 
zimmer fi nie vor Mauren oder Türken fehen Iaffen, wenn ihr Eher 
mann ober ihr Vater es nicht ansbrädlih beſielt, da fie hingegen 
mit den Chriſtenſtlaven frei reben und umgehen, vielleicht mehr, als 
ſich geziemt. Es wäre mir auch wirklich nicht Tieb gewefen, wenn er 
Zoraiden geſprochen hätte; denn es würbe fie vielleicht jehr befrembet 
haben, wenn fie gefehen, daß ein Nenegat um ihre Angelegenheiten 

















XL Köpitel. 561 


wüßte; allein Gott fenfie «8 anders und gab nicht zu, daß er feine 
wohlgemeinte Abſicht erreichte. 

„Weil er nun fand, daß man ihn frei und ungehindert nad 
Sargel und zurüd fahren Tief, daß er vor Anfer gehen Fonnte, warn, 
wo und wie er wollte, daß fein Kamerad, der Tagariner, ibm in 
offen Stüden ven Willen ließ, daß ih mich Tosgefauft hatte und 
und nichts mehr fehfte, ale eine Anzahl Epriftenfflaven zum Rudern, 
fo bat er mid, diejenigen felöft auszuführen, bie id; außer den Los» 
gefauften mitzunehmen wünfge, und mit ihnen Abrede zu mehmen, 
daß fie ſich auf wächften Freitag zur Abreife fertig halten könnten. 
Id ſprach demuach mit zwölf Spaniern, lauter räftigen und gewandten 
Nuderern, und gwar mit folgen, die am freieften aud der Stadt gehen 
tonnten. E86 war Fein geringes Gläd, daß ih um diefe Zeit noch 
fo viele antraf, weil eben zwanzig Schiffe in der See freuzten, 
welche alles tätige Rudervoll mitgenommen hatten, und ich würde 
auch diefe nit belommen haben, wenn nit zum Glüch ihr Herr 
diefen Sommer zu Haufe geblieben wäre, um eine Galione auszu- 
rüſten, bie auf der Werfte Ian. Ich fagte ihnen weiter nichts, ale 
daß fie fi näsften Freitag Abende einzeln, opme Auffehen zu erregen, 
ans der Stadt ſchleichen und Hinter Habfhi Murats Garten mic 
erwarten moͤchten. Diefen Winf gab ich jevem non imen befonbers, 
und bebentete ihm dabei, wenn er am bent berabrebeten Orte mehr 
andre Ehriften anträfe, fo mödte er ihnen nichts weiter fagen, alt 
daß ih ihn dahin beſchieden habe, 

Nun blieb mir noch das Wichtigſte übrig, nämlih Zoraiden 
zu benachrichtigen, damit fie wachſam und bereit ſey umb nicht er 
free, wenn mir fie unsermuthet früher überraſchten, als fie 
die Ankunft eines Schiffs aus einem riflihen Lande erwarten 
tonnte. Ich entſchloß mich dernach, in den Garten zu gehen und 
zu derſuchen, ob ich fie fpregen lonnte. Jadem ich unter dem Bor« 
wand, einige Kräuter zu fammeln, hineintrat, war Zoraidene 
Vater der Erfle, der mir begegnete. (Er fragte mich in ber Franken - 
ſprache, die in der gangen Berberei ud ſelbſt in Konſtautinopel 
zwifgen ben Türken unb Chriſten geſprochen wird, und die weder 
tũrtiſch, noch ſpaniſch, mod fonft eine beſtimmte Sprache, fondern eine 


Der Oniench 














558 Don Quixote. 


ihr noch taufend Goldſtücke und die Nachricht, daß fie im WBegriff 
fey, abzugehen, mit ver Bitte ich möchte, ſobald ih mich losgekauft 
hätte, den Garten ihres Baters aufſuchen, und Gelegenheit nehmen, 
fie dort zu ſprechen. Ich erwiderte mit wenigen Worten, daß ich 
Alles erfüllen werde und fie bitte, fih und uns alle der Rela 
Maria dur die Gebete zu empfehlen, welche fie von ber Epriftin 
gelernt habe. 

„Hierauf ward Verfügung getroffen, meine drei Kameraden gleich- 
falls Ioszufaufen, damit au fie das Bagno verlaffen könnten und 
nit aus Ungebuld fih vom Teufel verblenden Tiefen, etwas zu 
Zoraidens Nachtheile vorzunehmen, wenn fie mich in Freiheit gefe- 
hen und ſich ſelbſt noch in der Sklaverei befunden hätten; benn ob⸗ 
wohl fie Männer waren, deren Stand und Denfungsart dergleichen 
nicht von ihnen befürdten ließ, fo wollte ih doch nichts dem Zufall 
anheimgeben, und veranflaltete befwegen ihre Auslöfung auf Diefelbe 
Art wie die meinige und ließ alles Geld bei dem Kaufmanne nie- 
verlegen, damit er fiher und ruhig die nöthige Bürgſchaft für uns 
Teiften könne. Bon unferm Plan und Geheimniffe Tiefen wir ihn je- 
doch nie etwas merfen, um uns feiner Gefahr auszuſetzen. 





























XL GKapitel 563 


bald erhöhen, bald ſchwachen, manchmal fogar völlig zerſtören. 30+ 
raide zeigte fi mir damals in dem prächtigen Schmuck und in 
x größten Fülle der Schönheit; mir zum wenigſten ſchien fie die 
hönfte zu ſeyn, die ich bis dahin gefehen Hatte. Da ich nun über- 
6 bie große Verbindlichkeit empfand, die fie mir aufgelegt, fo 


glaubte ich im ihr eine Göttin des Himmels zu erbliden, bie zur 
Etde gefommen ſey, um mir Heil und Wonne zu bringen. Wie fie 
zu und Fam, fagte ihr Vater in feiner Sprache zu ihr, ich ſey ein 
Sklave des Arnauten Mami, und wolle Salat holen. Sie nahm 
fogleich das Wort und fragte mich im der Frankenſprache, ob ih ein 
Erelmann fey und warum ich mich nicht Iosfaufe. Ich antwortete 
ihr, ich habe mich bereits loogekauft und fie Fönne aus dem Betrag 
meines Löfegelds abnehmen, welchen Werth mein Herr auf mic fehte, 


| da ich ihm 1500 Suftaniunen hätte bezahlen müffen, 


„Wenn du meinem Vater gebörteft,“ fagte fie, „fo würde ih 
m wahrlich rathen, dich für zweimal fo viel nicht loezugeben; denn 
ihr Epriften fagt und Maren immer Unwahrheiten und ſtellt euch 
arın, um und zu hintergehen." 
„Das mag wohl bisweilen der Fall feyn, * antwortete ih; „mit 
meinem Herrn bin ich aber aufrihtig umgegangen, und werke mich 
fiets gegen Jedermann aufrihtig betragen. “ 
„Wann wirft du denn abreifen?* fragte fie, 
¶ Do glaube morgen, benn «6 if ein fangöfifiges Soif Sie, welches 
morgen abgehen wird, und auf diefem denle ih mich einzufhiffen, 
„Wäre e6 nicht beffer, = fagte fie, „ein Schiff aus Spanien abzu- 
warten, als dich den Franzoſen anzuvertrauen, bie euch nicht gewogen find?“ 
„Rein,“ ermiderte id; „tenn wenn es and gewiß wäre, daß 
ein fpanifces Schiff, wie man fagt, unterwegs fid) befindet, fo mag 
ich doch nicht darauf warten, weil «6 fihrer iſt, morgen abzureifen. 
Mein Verlangen, wieder in mein Vaterland und in die Arme der- 
jenigen, die mir thewer find, zw eifem, iſt fo grofi, daß ich eine 
frätere Gelegempeit nicht abwarten moöͤchte, wenn fic and noch fo 
einladend wäre.“ 
„Du biſt alfo vermuthli in beinem Baterlande verheirathet, * 
ſprach Zoraide, „und fehnft bi, deine Gattin wieder zu fehen?* 




















564 Don Buirote. 


„Nein,“ erwiderte ih; „allein ih habe mein Wort gegeben, 
gleich nach meiner Ankunft mich zu verheirathen.“ 

„IR das Frauenzimmer ſchön,“ fragte fie, „welcher du dein 
Wort gegeben Haft?" 

„So ſchön, daß ich weder mehr zu ihrem Lobe fagen, no fie 
treuer ſchildern fann, als wenn ih fage, daß fie dir fehr ähnlich if.” 

„Ihr Vater lachte darüber herzlich und fagte: „Wahrlich, Chriſt, 
dann muß fie fehr fhön ſeyn; denn fehöner if wohl keine im Lande, 
als meine Tochter. Betrachte fie nur recht, fo wirft du gefichen 
müffen, daß ich nicht zuviel fage.” 

„Während diefer Unterredung war Zoraidens Vater faſt be- 
ſtändig unfer Dolmetfcher, weil ihm bie Frankenſprache geläufiger 
war, als feiner Tochter; denn obwopl fie diefe Zwitterſprache eben- 
falls verftand, fo mußte fie fi doch mehr durch Zeichen, als durch 
Worte verftändlih machen. Indem wir noch von biefen und andern 
Dingen ſprachen, fam ein Maure mit Gefchrei gelaufen, um feinem 
Heren zu fagen, daß vier Türken über die Gartenmaner gefprungen 
ſeyen und reife Früchte abriffen. Der Alte fingte und Zoraide 
erſchrack; denn die Mauren fürchten fih fehr vor den Türken und 
befonders vor den Soldaten, die unverfhämt find und fih gegen 
ihre maurifchen Schuggenoffen fo anmaßend betragen, als wenn diefe 
ihre Leibeignen wären. „Geh in dein Zimmer, meine Tochter,“ fagte 
der Alte, „bis ich diefe Hunde abgefertigt habe, und du, Eprift, ſuche 
deine Kräuter und gehe mit Gott; Aus⸗ geleite dich glücklich in 
dein Vaterland.” 

„Ich neigte mich vor ihm, und er gieng hin, die Türken wegzu« 
jagen, und ließ mich mit Zoraiden allein. Diefe ftellte fih zwar, 
als ob fie dahin gienge, wohin ihr Vater ihr zu gehen befahl, aber 
taum verbargen fie die Gebüfche des Gartens vor feinen Augen, fo 
kam fie zu mir zurück, und fragte mich mit Thränen in ihren Blicken: 
„Gehſt du fort, Cprift? gehft du wirklich fort?“ 

„3a, ih gehe,“ gab ih ihr zur Antwort, „aber wicht ohne 
dich. Erwarte mi am nächſten Freitag und erſchrick nicht, wenn du ung 
fommen fiehft, denn wir gehen gewiß nad dem Rande der Chriſten.“ 
Ich ſuchte mich fo auszubrüden, daß fie mich vollfommen verſtehen 




















XLI. Kapitel. 565 


mußte, und fie ſchlaug ihren Arm um meinen Hals und gieng 
mit wanfenden Schritten nah dem Haufe zw. Dur einen Zufall, 
welcher fehr unglüdfich Hätte für uns ablaufen lönnen, wenn es 
der Himmel nicht verhütet, fam ihr Bater zuräd, nachdem er. bie 
Türken fortgefgidt Hatte, und überrafhte uns im biefer Stellung. 











566 Don Quixote. 


Wir wurden jedoch zeitig genug gewaßr, daß er ung bereits gefehen, 
und Zoraide hatte die Gegenwart des Geifles, daß fie ihren Arm, 
der noch um meinen Hals gefhlungen war, nicht zurädzog, fonbern 
fi vielmehr noch feſter an mich fhmiegte, ihr Haupt an meine Bruſt 
lehnte und die Knie finfen ließ, als wenn fie ohnmächtig würde, wo- 
bei ich mich gleichfalls ſtellte, als ob ich nur durch bie Umflände ge- 
nötpigt würde, fie in meinen Armen zu halten. Ihr Bater kam 
eilig gelaufen, und wie er feine Tochter in dieſem Zuftand erblidte, 
fragte er, was ihr fehle. Wie fie ihm Feine Antwort gab, fagte er: 
„Ganz gewiß ift fie vor Schreden über das Einfteigen dieſer Hunde 
opnmächtig geworben.“ Er nahm fie hierauf aus meinen Armen und 
drüdte fie an feine Bruſt. Mit einem Seufzer öffnete Zoraide 
ihre Augen, in welcher noch eine Thräne fhwamm, und fagte: 
„Geh fort, Cprift, geh fort!“ 

„Warum fol er gehen?“ ſprach ihr Vater, „er hat dir ja nichts 
zu Leide gethan, und die Türken find fon fort. Du brauchſt nicht 
bange zu haben, denn hier haft du did vor Niemand zu fürchten, und 
die Türken find in der Güte wieder bavongegangen, wie fie gelom- 
men waren. ” 

„Dieſe haben fie gewiß erfchreeft, mein Herr, wie bu vermutheſt,“ 
fagte ich zu ihrem Vater; „weil fie aber fagt, daß ich gehen foll, fo 
will ich fie nicht beſchweren. Lebe wohl, und mit deiner Erlaubniß 
komme ich gelegentlich wieder, um Kräuter zu holen. Denn, wie mein 
Herr fagt, giebts nirgends fo gute Kräuter zum Salat, wie hier.” 

Komm fo oft du willſt,“ erwiderte Hadſchi Murat; „denn 
meine Tochter hat gegen dich und deine Glaubensgenoffen keinen Wi- 
derwillen zeigen wollen, fonbern fie hat dich entweder um ber Türlen 
willen gehen heißen oder bamit bu deinen Salat fammeln ſolleſt.“ 

„Ih nahm Hierauf von Beiden Abſchied; Zoraide folgte, wie 
es ſchien, mit ſchwerem Herzen ihrem Vater, und ich durchſtrich unter 
dem Borwande, Kräuter zu fammeln, ven ganzen Garten nach meinem 
Gefallen, und bemerkte mir jeden Ans- und Eingang, die Zugänge 
zum Haufe und Alles, was uns die Ausführung unfers Vorhabens 
erleichtern konnte. Hierauf entfernte ich mich und gab dem Renegaten 
und meinen Kameraden Bericht von allem Borgefallnen, und kaum 




















XLI. Kapitel, 


Konnte ih die Stunde erwarten, die mich in den ruhigen Befig des 
Schatzes fegen ſollte, welchen das Gfüc mir in der Perfon der fhönen 
und fiebenswürbigen Zoraide befgerte. Die Zeit vergieng, und endlich 
fam der Tag und bie Stunde, wornad wir fämmtlih uns fehnten, 
und da Jeder bie Mafregein genau befolgte, die wir mit kluger Bor- 


figt und reifer Meberfegung genommen hatten, fo gelang uns Alles 
nah Wunſch. Mächflen Freitag nah meiner Unterredung mit Zo— 
raiden legte ib Morenago (fo hieß ver Nenegat) bei andre» 
sender Nacht mit feiner Barke fer neben ven Garten, welden vie 














564 Bon Buirote. 


„Nein,“ erwiderte ich; „allein ih habe mein Wort gegeben, 
gleich nach meiner Ankunft mich zu verheirathen.“ 

„IR das Frauenzimmer ſchön,“ fragte fie, „welder du bein 
Wort gegeben Haft?“ 

„So ſchön, daß ich weder mehr zu ihrem Lobe fagen, noch fie 
treuer ſchildern fann, als wenn ich fage, daß fie dir ſehr ähnlich if.” 

m IHr Vater lachte darüber herzlich und fagte: „Wahrlih, Chriſt, 
dann muß fie fehr fhön ſeyn; denn ſchöner if wohl keine im Lande, 
als meine Tochter. Betrachte fie nur recht, fo wirft du geflehen 
müffen, daß ich nicht zuviel fage.” 

„Während biefer Unterredung war Zoraidens Vater fa be- 
Kändig unfer Dolmeifcher, weil ihm die Frankenſprache geläufiger 
war, als feiner Tochter; denn obwohl fie diefe Zwitterſprache eben- 
falls verfland, fo mußte fie fih doch mehr durch Zeigen, als durch 
Worte verfländlih machen. Indem wir noch von dieſen unb andern 
Dingen fpragen, fam ein Maure mit Gefchrei gelaufen, um feinem 
Heren zu fagen, daß vier Türfen über die Gartenmauer gefprungen 
feyen und reife Früchte abriffen. Der Alte fiugte und Zoraide 
erſchrack; denn die Mauren fürchten ſich fehr vor den Türken und 
befonders vor den Soldaten, die unverfhämt find und fi gegen 
ihre mauriſchen Schußgenoffen fo anmaßend betragen, als wenn biefe 
ihre Leibeignen wären. „Geh in dein Zimmer, meine Tochter,“ fagte 
der Alte, „bis ich diefe Hunde abgefertigt habe, und du, Eprift, ſuche 
deine Kräuter und gehe mit Gott; Allah geleite dich glücklich im 
dein Vaterland.” 1 

„Ich neigte mich vor ihm, und er gieng hin, die Türken wegzu- 
jagen, und ließ mi mit Zoraiden allein. Diefe ſtellte fih zwar, 
ale ob fie dahin gienge, wohin ihr Vater ihr zu gehen befahl, aber 
taum verbargen fie tie Gebüſche des Gartens vor feinen Augen, fo 
kam fie zu mir zurück, und fragte mich mit Thränen in ihren Bliden: 
mGehft du fort, Eprift? gehſt du wirklich fort?“ 

„Ja, ih gehe,“ gab ich ihr zur Antwort, „aber wicht ohne 
dig. Erwarte mid am nächſten Freitag und erſchrick nicht, wenn du ung 
kommen fiehft, denn wir gehen gewiß nach dem Lande der Epriften. “ 
Ich ſuchte mid fo auszubrüden, daß fie mich volfommen verſtehen 




















XLI. Sapitel. 565 


mußte, und fie fhlang ihren Arm um meinen Hald und gieng 
mit wanfenden Schritten nad dem Haufe zu. Dur einen Zufall, 
welcher fehr unglüdtich Hätte für und ablaufen fönnen, wenn es 
der Himmel nicht verbütet, fam ihr Vater zurüd, nachdem er bie 
Zürten fortgefihieft Hatte, und überrafehte und in dieſer Stellung. 














566 Don Quixote. 


Bir wurden jedoch zeitig genug gewahr, daß er uns bereits gefehen, 
und Zoraide hatte die Gegenwart des Geiftes, daß fie ihren Arm, 
der noch um meinen Hals gefejlungen war, nicht zurädzog, fonbern 
fh vielmehr noch fefter an mich ſchmiegte, ihr Haupt an meine Bruft 
lehnte und die Knie finfen ließ, als wenn fie ohnmächtig würde, wo- 
bei ich mich gleichfalls ſtellte, als ob ich nur durch die Umflänbe ge- 
nöthigt würde, fie in meinen Armen zu halten. Ihr Bater kam 
eilig gelaufen, und wie er feine Tochter in dieſem Zuftand erblickte, 
fragte er, was ihr fehle. Wie fie ihm keine Antwort gab, fagte er: 
„Ganz gewiß ift fie vor Schreden über das Einfteigen biefer Hunde 
opnmädptig geworben.“ Er nahm fie hierauf ans meinen Armen und 
drückte fie an feine Bruſt. Mit einem Seufzer öffnete Zoraide 
ihre Augen, in welcher no eine Thräne ſchwamm, und fagte: 
„Geh fort, Chriſt, geh fort!" 

„Barum fol er gehen?“ ſprach ihr Vater, „er hat bir ja nichts 
zu Leide gethan, und die Türken find fhon fort. Da brauchſt nicht 
bange zu haben, denn Hier Haft du dich vor Niemand zu fürchten, und 
die Türken find in ber Güte wieder davongegangen, wie fie gelom« 
men waren.” 

„Dieſe haben fie gewiß erſchreckt, mein Herr, wie du vermutheſt,“ 
fagte ich zu ihrem Vater; „weil fie aber fagt, daß ich gehen fol, fo 
will ich fie nicht beſchweren. Lebe wohl, und mit deiner Erlaubniß 
komme ich gelegentlich wieder, um Kräuter zu holen. Denn, wie mein 
Herr fagt, giebts nirgends fo gute Kräuter zum Salat, wie hier.“ 

„Komm fo oft du willſt,“ erwiderte Hadſchi Murat; „denn 
meine Tochter hat gegen dich und deine Glaubensgenoffen feinen Wir 
derwillen zeigen wollen, fondern fie hat did entweder um ber Türken 
willen gehen heißen oder damit du deinen Salat fammeln folleft. + 

„Ich nahm Hierauf von Beiden Abſchied; Zoraide folgte, wie 
es ſchien, mit ſchwerem Herzen ihrem Bater, und ich durchſtrich unter 
dem Borwande, Rräuter zu fammeln, den ganzen Garten nach meinem 
Gefallen, und bemerkte mir jeben Aus- und Eingang, die Zugänge 
zum Haufe und Alles, was uns bie Ausführung unfers Vorhabens 
erleichtern konute. Hierauf entfernte ich mich und gab dem Renegaten 
und meinen Kameraden Bericht von allem Borgefallnen, und kaum 














XLI. &apitel. 


konnte ih die Stunde erwarten, die mich in den ruhigen Befig bes 
Schatzes fegen follte, welden das Glück mir in der Perfon der fhönen 
und licbenswürbigen Zoraide beſcherte. Die Zeit vergieng, und endlich 
fam der Tag und die Stunde, wornach wir fämmtlich und fehnten, 
und da Jeder die Mafregein genau befolgte, die wir mit Anger Vor. 


fiht und reifer Meberfegung genommen hatten, fo gelang und Alles 
nah Wunſch. Nachſten Freitag nach meiner Unterredung mit 30+ 
raiden legte fih Morenago Cfo hieß der Nenegat) bei anbre- 
Sender Nacht mit. feiner Barfe feſt neben ven Garten, melden bie 

















563 Don Quirote. 


ſchöne Zoraide bewohnte, vor Anfer. Die Epriften, welde die Ru- 
der bebienen follten, hatten fich bereits eingefunden und da und bort 
in der Nähe verfiedt. Alle warteten mit Ungeduld auf meine Ankunft 
und brannten vor Begierde, das vor ihnen Tiegende Schiff zu entern, 
weil fie nicht wußten, daß ber Renegat mit uns einverflanden war, 
fondern fi einbifbeten, daß fie das Schiff mit Gewalt nehmen, bie 
Mannfhaft nievermegeln und durch diefe That die Freiheit erlangen 
follten. Indem ih mich meinen Kameraden zeigte, kamen auch bie 
Andern, wie fie uns erblidten, ans ihren Schlupfwinkeln hervor und 
geſellten fi zu uns. Das Stadtthor war um biefe Zeit fhon ge- 
floffen und in der Gegend umher Fein Menſch mehr zu fehen. 
Sobald wir verfammelt waren, wurde überlegt, ob wir fogleih Zo⸗ 
raiden abholen, oder vorher die tagarinifhen Mauren, die als Schiffs⸗ 
Iente auf ver Barfe dienten, überwältigen follten. Indem wir noch 
darüber rathſchlagten, kam unfer Renegat und fragte, waram wir 
zauberten und ben Augenblick nicht benüßten, ba bie meiften feiner 
Leute ſchliefen und bie Uebrigen fi Feines Böfen verfähen. Wir 
fagten ifm, woran wir Anftand nähmen, und er antwortete, wir müßten 
vor allen Dingen ung zuerſt des Schiffes bemeiftern, welches wir mit 
der größten Leichtigleit und ohne Gefahr ausführen und hernach Z0- 
raide abholen Fönnten. Sein Rath gefiel uns, und ohne Tänger 
Zeit zu verlieren, begaben wir und unter feiner Anführung nad dem 
Schiffe; er ſelbſt fprang zuerft mit dem Säbel in ver Fauft an Bord, 
und gebot ben Mauren auf dem Verdeck, fi nit zu rühren, wenn 
fie nicht den Augenblick des Todes feyn wollten. Unterbeffen waren 
far alle Epriften an Bord gekommen; die Mauren, die nie viel Herz 
hatten und ifren Schiffsperen eine ſolche Sprache führen hörten, dach ⸗ 
ten vor Schrecken nit daran, zu den Waffen zu greifen, womit fie 
ohnehin ſchlecht oder gar nicht verfehen waren, fondern ließen ſich 
opne Widerftand von den Chriſten binden, weldes in der Gefhwin- 
digfeit gefhah und wobei man ihnen broßte, fie insgefammt über bie 
Klinge fpringen zu Iaffen, wenn fie nur einen Laut von ſich gäben. 
„Sobald wir uns ihrer verſichert und die Hälfte ber Unfrigen 
als Wache bei ihnen gelaflen hatten, giengen wir Uebrigen, den Re 
negaten an ber Spige, nah dem Garten des Hadſchi Murat. 

















XLIL. &apitel 569 


Bir waren fo glücklich die Gartentpüre mit leichter Mühe zu öffnen, 
und kamen in aller Gtiffe bis an das Hans, ohne von Jemand be- 
merft zu werden, Die fhöne Zoraide wartete auf und an einem 
Fenfter, und ſobald fie Menfeentritte vernahm, fragte fie mit Teifer 
Stimme, ob wir Nafarani (Epriften) ſeyen. Ih bejahte es, und 
bat fie herunter zu kommen, Wie fie mich exfannte, verweilte fie nicht 
einen Angenblid, fondern eilte, ohne mir zu antworten, herab, öffnete 
die Thüre, und zeigte fih uns Allen in unbeſchreiblicher Schönheit 
und Pracht. Sobald ih fie erblidte, ergriff id eine ihrer Hände 
und füßte fie, weldes der Nenegat und meine Kameraden gleichfalle 


taten, und die Uebrigen, welde nicht um unfer Geheimniß ie 
folgten unferm Beifpiele, wodurdh wir ifr zu Hulbigen, und fie für 
unfre Befreierin zu erfennen ſchienen. Der Nenegat fragte fie, ob 
ihr Vater auch im Garten fey. 

„3a,“ fagte fie, „er fhläft.“ 


Den Ouirete t 





570 Don Buirete 


„Sollen wir ihn nicht weden,“ fragte der Reuegat, „und ihn und Alle; 
was er an Sachen von Werth in dieſem fhönen Garten hat, mitnefmen ?“* 

Rein,“ fagte fie, „meinen Bater mnf Niemand antaften, und in 
dieſem Haufe ift weiter nichts, ale was ich mituchme, und was wohl 
binreichen wird, um Euch alle reich und zufrieden zu machen. War⸗ 
tet nur ein wenig, fo werbet Ihr es ſelbſt fehen. 

Sie gieng hierauf wieder hinein und bat und, fein Geräuſch 
zu machen , bie fie in wenigen Minuten wieberfomme, Judeß fragte 
ich den Renegaten, was er mit ihr gefproden, und nachdem er mird 
geſagt Hatte, bat ih ihm, ja nichts vorzunehmen, was ihr mißfällig 
ſeyn tönnte. Sie lam wieder mit einem Käſichen voll Gold, welches 
fo ſchwer war, daß fie es Tamm tragen lonnte. Unglädlicherweiſe 
erwachte in der Zwiſchenzeit Zoraidens Vater und hörte bad 




















NLL &opitel 571 


Gerauſch im Garten, das wir nicht gänzlich vermeiden konnten, und wie 
er ang Fenfter kam, ward er bald gewahr, daß viele Chriſten in feir 
nem Garten waren, und fieng an, aus vollem Halfe zu rufen: „Ehri» 
ſten, Chriſten, Diebe, Dicbel® Sein Geſchrei verfepte uns alle in 
Screden und Berfegenpeit; allein der Nenegat, der die Gefahr fah, 
worin wir ſchwebten, und wie notfwendig ed war, mit unfrer Unter» 
mehmung zu eifen, ehe Lärm eutſtand, fprang geſchwind mit einigen 
der Unfrigen die Treppe hinauf, während deſſen ih Zoraiden nicht 
verfaffen durfte, die mir ohnmächtig in die Arme gefunfen. Der 
Renegat und feine Gehilfen giengen fo hurtig zu Werke, daß fie in 
wenigen Minuten mit dem Hadſchi Murat Herunterfamen, dem fie 
die Hände gebunden und ein Tuch im den Mund geftepft Hatten, fo 
daß er fein Wort reden fonnte; wobei fie ihm drohten, beim erflen 
Laut, den er von ſich gäbe, ihm umzubringen. Wie feine Tochter 
ihn gewahr warb, bedecte fie ihre Mugen, um ihm nit zu ſehen, 
und ihr Bater erfhrad, wie er fie erblickte, weil er nit wußte, daß 
fie ſich uns freiwilig in die Arme geworfen. 


Wir durften jet feine Zeit mehr verlieren, fondern eiften, fo 
ſchnell wir fonnten, nad ber Barfe, woſelbſt unfre Kameraden fon 
mit Ungeduld auf ung warteten, weil fie befürdteten, «0 ſey uns etwas 
Widriges begegnet. Es war faum zwei Uhr nah Mitternacht, als 
wir ſchon ſammtlich an Bord waren. Zoraidens Bater warden angen- 
bliclich die Bande vom den Händen umd das Tuch aus dem Mutde 
genommen, nachdem ihn der Nenegat nochmals gewarnt hatte, fein 
Wort von fi hören, zu laſſen, fo lieb ihm fein Leben ſey. Wie er 
feine Tochter an Bord fah, fieng er an wehmüthig zu feufgen, zumal 
als er fand, daß ich fie in meine Arme ſchloß und daß fie e6 geſche ⸗ 
den Tief, ohne ſich mit Worten oder Geberben dagegen zu ſtrauben; 
ex ſchwieg jedoch fill, aus Furcht, der Nenegat möchte feine 2 
holte Drohung erfüllen, Als Zoraide ſah, daß wir im Di 
fanden, die Ruder zu Töfen, daß miht nur fie, fonbern aud ihr 
Bater fih bei und an Bord befand, und baf die mauriſchen Seeleute 
gebunden waren, Lich fie mich durch den Menegaten bitten, ihr zu Liebe 
die Bande der Mauren zu föfen, und ihrem Bater die Freihtit zu 




















573 Don Quirote. 


ſchenken, weil fie lieber ſich ſelbſt ins Meer flürzen, als zugeben 
wäre, daß man vor ihren Augen und buch ihr Verſchulden ihren 
Bater, der fie flets zärtlich geliebt, in bie Gefangenſchaft ſchleppe. 
Der Renegat fagte mir dieſes und ih hatte nichts dawider; allein 
er wandte dagegen ein, daß es nicht rathſam fey, weil jene, wenn 
wir fie ans Land fegten, fogleih Alles auf dem Lande und in ber 
Stadt in Bewegung bringen und Auſtalt machen würden, daß 
man uns mit einigen leichten Fregatten nachſetze, und Ianbwärts und 
feewärts den Weg verlege, und es uns unmöglich made zu entfom- 
men. Dagegen ſchlug er vor, den Mauren bie Freiheit zu fihenfen, 
fobald wir wieber chriſtlichen Beben beträten. Diefen Vorſchlag bil- 
ligten wir Ale, und auch Zoraide gab fi zufrieven, wie man 
ihr die Urſache erklärte, warum man ihren Wunſch nicht ſogleich er⸗ 
füllen könne. Unſre rüſtigen Jünglinge griffen hierauf in ber Stille 
mit Freuden und Munterleit zu den Rudern, und wir empfahlen uns 
Gott von ganzem Herzen, und flenerten nad Mallorca, weil bie ba- 
leariſchen Infeln ung zunäͤchſt lagen. Da jebod ber Wind ein wenig 
noͤrdlich Tief and die See ziemlich Hohl gieng, fo konnten wir dieſen 
Stri nicht Halten, fondern mußten längs ber Küſte nach ber Gegend 
von Dran flenern. Dies war uns fehr unangenehm, weil wir ber 
füräteten, zu Sargel entdedt zu werben, weldes an biefer Küſte dreißig 
Meilen von Algier Tiegt, ober einem von ben Schiffen zu begegnen, 
bie gewößnlig mit Warren von Tetuan kommen; doch hätten wire 
mit den Leptern, wenn nur feine bewaffneten Kaperſchiffe darunter 
waren, allenfalls aufgenommen, weil wir uns für flarf genug hielten, 
nicht nur mit ihnen zu fechten, fonbern wohl gar ein Schiff zu er⸗ 
obern, worauf wir unfre Fahrt bequemer und ſichrer fortfegen köus⸗ 
ten. Zoraide lehnte unterwegs ihr Gefiht an mich, weil fie ben 
Anblick ihres Baters nicht ertragen konnte, und ich hörte fie oft Lela 
Marien zu Hilfe rufen. 


Wir mochten ungefähr dreißig Meilen gerndert haben, als wir 
uns bei anbrecpendem Tage faum drei Büchſenſchüſſe vom Lande 
entfernt fanden. Wir fahen zwar eine wüſte Gegend vor uns, wo 
Niemand war, ber ung entbeden konnte; nichts deſto weniger hielten 











ALL &opitel 573 


wir, weil bie See etwas ruhiger geworben war, aus allen Kräften vom 
Lande ab. Nachdem wir ungefähr zwei Meilen in die See gefischen 
hatten, wollten wir unfre Mannfhaft einander wechſeloweiſe im Nu» 
derm abföfen Taffen, damit jeder Zeit hätte, etwas zu effen, inbem 
wie mit Lebensmitteln reichlich verfehen waren; doch feiner von ifnen 
wollte die Ruber verfaffen, fondern fie fagten, man möchte nur denen 
zu effen geben, vie wicht ruderten, weil fie jegt leine Zeit verlieren 
bürften, um auczuruhen. Mir ließen ihnen demnach ihren Willen; 
doch bald barauf erhob ſich ein friſcher Wind, wir fegten die Gegel 
bei, nahmen bie Ruder ein, und flewerten, weil wir nicht anders 
konnten, nah Dram Wir fegelten fo ſchuell, daß mir in einer 
Stunde vier Meilen zurüdfegten, und fürdteten und vor feiner an» 
bern Gefahr als vor Serräubern, Unfern tagariner Mauren gaben 
wir zu effen, und ber Nenegat verſprach ihnen, daß wir fie nicht ale 
Sklaven behandeln, fondern bei der erſten Gelegenheit in Freiheit 
fegen wollten. Eben diefes verſicherten wir auch dem Bater Zorai- 
dent, allein er gab ung zur Antwort: „Wenn ih Euch Epriften auch 
fonft irgend eine großmüthige ober wohlthätige Handlung zutraue, fo 
müßt Ihr mid dech nicht für fo einfältig halten, daß ih mir 
einbifden Könnte, Ihr würdet mir die Freiheit ſcheulen; deun Iht 
gättet End gewiß nit fo vieler Gefahr ansgefept, um fie mir 
zu rauben, wenn Ihr Willens wäret, fie mir fo großmüthig 
wieber zu geben, zumal da Ihr wißt, wer ih bin, und wie theuer 
Ihr mir meine Freiheit verkaufen loͤnnt. Ya, wenn Ihr mir den 
Preis dafür beftinmen wolltet, fo würbe ich Euch gerne Alles 
geben, was Ihr verlangtet, um mich und biefe meine unglücliche 
Toter auszulöfen, oder au mar fie allein, die mir lieber iſt als 
meine Seele. * 








Indem er died fagte, vergoß er fo bittre Chrfinen, daß 
Alle Mitleid mit ihm Hatten, und Zoraide ſich micht enthal 
Tonnte, zu ihm aufzufhauen, Bon feinen Thränen fo gerührt, entwand 
fie fid meinen Armen, fanf in die Arme ihres Vaters, und verr 


miſchte ihte Tränen fo zärtlich mit den feinigen, daß mande von 
und mit ifr weinen mußten. Wie aber ihr Bater fie fo feſtlich 








Don Euirsie 








geſchmuct ſah, fragte er: „Was beveutet dies, meine Toter? Ges 
fern Abend, ed' uns diefes ſchreclicht Ungläd begegnete, verficheft 











XLL Kapitel 57 


bu mich ie einer häuslichen Meibung, und jeßt fehe ich dich in dem 
koſtlichſten Schmucke, den ich dir in gfüclihern Tagen: geben Fonnte: 

Ei} begreife nicht, warn da Zeit hatteft, dich fo zu fihmäcen, ober 
welche fröhliche Veranfaffung du dazu finden konnteſt. Erlläre mir 
dies; denn ih bin darüser mehr erſtaunt, ald über das Unglück 


vorin ich mich geſtürzt fehe.” 





Der Renegat verdolmetſchte uns alles, was der Manre zu 
feiner Toter fagte, die nicht im Stande war, ihm ein Wort zu er- 
widern. Wie er aber vollends in einem Winkel das Kaͤſtchen gewahr 
warb, in welchem er feine Schaͤze zu verwahren pflegte, und wie er 
ſich erinnerte, bafi er es in der Stadt gelaffen und nicht mit nad 
feinem Landhauſe genommen hatte, warb er noch beflürzter, und fragte 

feine Toter, wie es in unfre Hände gefommen und was barin ſey. 

Der Nenegat überhob fie der Mühe, ihm zu antworten: „Ber 
 müht Euch nicht, mein Herr,“ ſprach er, „Eure Tochter ſo Vieles zu 
fragen; denn eine einzige Antwort, die ich Euch geben Tann, wird 
Alles, auf einmal erflären. Wiſſet demnach, daß Zoraide eine Epri- 
fin, nad daß fie eo iſt, bie unfre Feſſeln zerbrochen und unfre Ge« 
fangenſchaft in Freiheit verwandelt hat. Aus freiem Willen begleitet 
fie und jept und freut ſich, wie ich glaube, über die Veränderung 
ihres Zuftande, wie eine Perfon, bie and ber Finfternif ans Licht, 
aus dem Grabe zur Auferſtehung und ans der Marter zur Monte 
gelangt." 

„IR das wahr, was biefer Mann fpriht, meine Tochter 
fragte der Alte, 

Ja, es iſt wahr," anmortete Zoraide. 

Alſo biſt du wirklich eine Ehriſtin, und haft beinen Bater in 
die Hände feiner Feinde überliefert? 

Eine Ebriftin bin ih,“ erwiberte fir; „allein ih bin nicht 
Schuld daran, da du Hier biſt, deun mie war e6 meine Abſicht, dich 
ans Muthwillen zu verlaffen, —————— fondern mır 
mein eigned Gfüd zu befördern. * 

„Und weldes Gfüd baft du denn gefunden, meine Tochter?” 

„Das mußt du Lela Marien fragen,“ antwortete Zoraibe: 
„Sie wird es bir beffer erffären Können, ala ih." 

















Don Euirste 


Kaum Hatte der Maure dies gehört, fo ſtürzte er fig plötlich 
ind Meer und wäre gewiß ertrunfen, wenn ihm nicht feine langen, 
weiten Kleider eine Zeitlang über dem Waſſer gehalten Hätten. Zo⸗ 
raide jammerte um Hilfe, umd wir Alle eiften Hinzu, padten ihn 
beim leide und zogen ihm Halb tobt und befinnungelos aus dem 


Waſſer, wärend Zoraibe fih fo fehr grämte mub ihm fo Herzlich 
und weßmüthig beffagte, als ob er wirffid tobt gewefen wäre. Mir 
legten ihn mit dem Gefiht anf den Boden, er gab viel Waffer von 
ſich, und erſt mad zwei Stunden fonnte er fi völlig wicer erholen, 











XLL; Sapinel, 577 


Indeffen fegte der Wind um, und trieb ums wieder nach der Küfte, 
Zum Glüd erreichten wir eine Heine Bucht hinter einem Heinen Bor- 
gedirge, weldes die Manten das -Borgebirg der Eavia Rumia, oder, 
dee böfen Epriftenweibes, nennen, weil bei ihnen die Sage geht, daß 
dert das unglüdliche Weib begraben Liege, um deſſen willen einft 
Spanien verloren ging '; denn Gavin heißt in ihrer Sprade ein 
böfes Weib, und Numia eine Epriftin, und fie haften es für ein 
ſchlimmes Zeichen, wenn man bei diefem Borgebirge anfern muß, 
was daher auch nie ohne Noth von ihnen geſchieht. Wir aber bar 
gen uns bier bei feinem böfen Weihe, fondern fanden einen ſichern 
Anferplag, woſelbſt wir vor dem ftärmifchen Meere gefhügt warenz- 
wir ftellten am Lande Schildwachen aus, lichen die Ruder nicht aud den 
Hänten, während wir von dem Vorrathe des Nenegaten zehrten, und 
baten Gott and die heilige Jungfrau um Hilfe und Beiftand, um bie 
glüdtih angefangne Unternehmung eben fo glüdlih zu Ende zu bringen, 
Auf Zoraidens Bitte warb zugleih Anſtalt getroffen, ihren 
Bater und bie maurifhen Gefonguen an’s Land zu fegen. "Wir ver 
ſprachen ihr, fie insgefammt frei zu geben, fobald wir im Begriff 
wären, wieder abzufahren, weil wir am biefem unbewohnten Orte 
nichts zu befürchten hatten. Der Himmel erförte unfer Gebet; ber 
Bind war uns bald wieder günftig, das Meer würde ruhig und er 
laubte uns, die Reife fröhlich anzutreten. Wir lösten demnach den 
Mauren ihre Bande nnd fepten fie einzeln nacheinander zu ihrer großen 
Bermunderung an's Land, Inden wir um auch Zoraidend Vater 
an’ Sand. feßen wollten, ber ſich nöftig wieher erholt Hatte, fagte er: 
Weßwegen denlt ihr wohl, ihr €i daß diefes böfe eibabild es 
gerne ießt, wenn ihr mir die Feeihenn gebt? Meint ihr, es geſchehe aut 
Mitfeiden mit mir? Nein, wahrhaftig nicht, fondern fie ſcheut fih mur, 
bei ber Husfüprung ihrer räflicen Abſicht mich zum Zengen zu haben. 
Glaubt mar nicht, daf fie darum ihre Religion ändern will, weil fie 
vie entige für beffer Hält, ſondern weil fie weiß, daß man in eurem 
Laube fih mehr Ansfgweifungen erlaubt, als in dem unfrigen.* 


* Bericht Leer.) 12er ah —— vie durch Rorerich 
ven Tepe. weftgeehifdben —— fübet wurde, und Seren Gatet daher auf Hade 
fudt Die aracınen in Lamp 


Der Deich, 











578 Don Quirote. 


Hierauf wandte er fich gegen Zoraiden, nnd ich mußte ihn 
mit einem meiner Kameraden bei beiden Armen feſthalten, damit: ex 
ſich wicht an ihr vergriffe, indem er fie auſchrie: „Du chroergefnee, 

















XLIL Kapitel, 579 


Teichtfertiges Maͤdchen, wohin, läffert du dich führen in beiner. Ber- 
Sendung und Berfehrteit von biefen Hunden, unferm gebornen Fein» 
ven? Verflucht ſey die Stunde, da ich dich zeugte, verſlucht ſey bie 
Sorgfalt und Jaͤrtlichleit, womit ich ‚dich ‚erzog:* 

Da ih merkte, daß. er vielleicht noch lange nicht, — 
ließ ich ihn eiligſt an's Land. bringen; er fuhr aber noch immer fort 
uns nachzufluchen, zu jammern und feinen Propheten anzurufen, er 
folle Gott bitten, uns zw zerfchmettern und zu vernichten. Als wir 
und ſchon ſo weit entfernt hatten, daß wir feine Worte nit mehr 
verſtehen fonnten, fahen ‚wir noch, wie er ſich den Bart ausranfte 
und auf der Erde mwälzte. Noch einmal erhob er jedoch feine Stimme 
fo laut, daß wir hören konnten, wie er audrief: „Kehre wieder, ge 
liebte Tochter, komm’ wieder an’s Land: ich verztihe dir Alles, Laß 
diefen Leuten das Geld, das fie in Händen haben, und fomme wieder, 
| deinen befümmerten Bater zu tröften, der hier in der den Gandr 
| wüfte fein Leben laſſen muß, wenn du ihm verläſſeſt.“ 

Ale diefe Worte hörte Zoraide mit Schmerzen und Tpränen, 
lonnte ihm aber nur antworten: „Licher Bater! Allah gebe, daß 
Lela Maria, bie mich bewogen hat, eine Epriftin zu werden, dich 
in deiner Befümmerniß tröfie, Allah weiß, daß ih, nicht anders hon ⸗ 
dein konnte und daß diefe Epriften meiner befondern Zuneigung wihts 
zu danfen haben; denn es wäre mir unmöglich gewefen, zu Haufe zu 
dfeiben und nicht mit ihnen zu gehen, wenn ih es auch gewollt 
hätte: fo groß war der Drang meines Herzens, ein Werk auszufüp- 
ren, das ich für chen fo verdienfllich Halte, ald es dir, mein Vater, 
ſtraͤflich fheint.* 

Bon diefen Anerfungen konnte ihr Bater nichts mehr pören, weil 
wir ihn bereitd aus dem Geſichte verloren hatten. Ich ſuchte demnach 
Zoraiden zu tröften, umd mir fepten unſre Fahrt mit fo günfigem 
Winde fort, daß wir alle Hoffnung hatten, die fpanifche Küſte am 
folgenden Morgen zu erreichen, Weil aber das Gute felten ober nie 
mals ohne Beimifhung des Böfen kommt, fondern gemeiniglih von 
ſchlimmen Zufällen begleitet, oder unterbrochen wird, die es trüben 
und. verbittern, fo fügte es auch unfer Schidfal anders mit ung, ober 
waren vieleicht wie Fläche des Mauren Schuld, denn Flüche der 





| 











5” Bon @uirote. 


Eltern, mögen die Eltern feyn wer fie wollen, find inmer furchtbar für 
ihre Kinder. Ich fage, es fügte fi etwa um bie dritte Stunde der 
Nacht, als wir nit weit vom Lande und unter vollen Segeln wa- 
ren und alle Ruder fefigebunden hatten, weil wir fie nicht brauchten, 
daß wir bei hellem Mondlicht ein andres rund gebautes Schiff ge» 
wahr wurden, welches alle Segel beigefegt hatte, mit vollem Winde 
fuhr und an uns grade vorüberftenerte, und zwar fo nahe, daß 
wir, um nicht an baffelbe zu flogen, ven Lauf unfers Schiffes mäßi- 
gen mußten, während auch jene anhielten, um ung vorbei zu laſſen. 
Die Mannfhaft am Bord rief uns zu und fragte, wer wir feyen, 
wohin wir fiffen, und woher wir fommen? Weil fie uns aber in 
franzöfifder Sprache anrebeten, fagte der Renegat, wir follten ja 
nicht antworten, da fie gewiß franzöfifhe Seeräuber feyen, die Jer 
dermann plünderten. Wir fhwiegen demnach ſtill, allein fobald wir 
an ihnen vorbeigefommen waren, feuerten fie plöglih zwei Stüde 
auf uns ab, welde vermutlich mit Kettenfugeln geladen waren; 
denn der eine Schuß nahm uns Maft und Segel weg, daß beide 
über Bord fielen, und der andre traf ung dermaßen zwiſchen Wind 
und BWaffer, dag wir fahen, wir müßten finfen, und bie Andern mit 
Iautem Geſchrei baten, fie möchten und retten und in ihr Schiff auf- 
nehmen, weil wir Gefahr Tiefen zu ertrinfen. Sie drehten hierauf 
bei und fegten ihr Boot aus, worein ein Dugend Franzofen mit ger 
ladnen Slinten und brennenden Lunten fliegen und zu und an Bord 
kamen. Wie fie fanden, daß unfrer fo Wenige waren und daß 
unfer Schiff finfen müßte, nahmen fie ung an Bord und fagten: 
wir hätten unfer Ungfüd blos ber Unhöflichkeit beizumefien, ihnen 
nicht geantwortet zu haben. Unfer Renegat nahm unterbeflen das 
Kifihen, worin fih Zoraidens Schäge befanden, und warf es um- 
bemerkt in's Meer. Genug, wir wurden fümmtlih zu den Franzofen 
an Bord gebracht, die uns zuerft Alles abfragten, was fie wiſſen 
wollten, und bierauf fo rein ausplünderten, als ob wir ihre ärgfien 
Feinde wären. Zoraiden nahmen fie fogar bie Ringe, die fie au 
den Knöcheln trug; doch fehmerzte mich die nicht fo fehr, als bie 
Beforgniß, daß man ihr, nachdem man fie aller Kofibarfeiten be» 
raubt hatte, auch noch das köoͤſtlichſte Kleinod entreißen würde, worauf 




















m en 
NLE Gapitel, 581 


fe und ich den gröften Werth fepte. Doch die Begierden dieſes 
Gefindels gehen mur auf Geld und Gelveswerth, deffen fie nie genug be- 
kommen lönnen, und hierin trieben fie e6 jo weit, daß fie ung fogar bie 
Stiavenfittel genommen hätten, wären biefe ihnen zw irgend etwas 
nũtze geweſen. Einige vom ihnen meinten fogar, man follte uns alle 
in ein Segel wickeln und in’6 Meer werfen, weil fie Willens war 
zeit, unter den Mamen von Bretaguern in einigen fpanifhen Häfen 
zu handeln, woſelbſt fie befürgten mußten, beftraft zu werben, wenn 
fie uns lebendig mitbräggten und ihre Näuberei dur uns au's Licht 
käme, Allein ber Hauptmann, welcher meine Zoraide beranbt Hatte, 
erffärte, daß er mit dem Fang fi begnäge, und in feinem fpanifchen 
Hafen einlaufen, fondern in der Nat, oder warn er fonft fönne, 
durch ‚die Meerenge und nah Rochelle fegein wolle, wofelbft er zu 
Haufe war. Demzufolge entſchloſſen fie fih, uns ihr Boot zu geben, 
nebſt den nöthigften Dingen, die wir auf unfrer furzen Fahrt brau - 
Gew würden. Diefes thaten fie auch am folgenden Tage, wie fie fih ber 
reits im Geſicht der fpanifhen Küſte befanden. Bei dem Anblide der- 
fiden vergaßen wir allen Kummer und unfre Armuth fo volllommen, 
als wenn wir fie nie empfunden hätten: fo groß iſt die Freude über 
Biedererlongung der verlornen Freiheit. Es war ungefähr um 
Mittagszeit, als fie und in das Boot fleigen ließen: fie gaben und 
ein paar Faßchen Waffer und etwas Schiffszwiebat auf ven Weg, 
und ih weiß micht, welche Anwandfung von Mitleiden den Haupt» 
mann bewog, daß er Zoraiden beim Einfteigen in's Boot noch 
vierzig Dutaten mitgab und feinen Leuten nicht erlaubte, ihr bie 
Kleider zu nehmen, die fie neh trägt. 

Bir fliegen in's Boot, zu beffagen, ſondern dankten 
ihnen vielmehr für dad erwiefene Gute. Sie ſteuerten der Dieerenge, 
wir dem vor und liegenden Bande, wohin unfre Blide unverwandt 
gerichtet waren, fo eifrig zu, daß wir mit Sonnenuntergang nahe 
genug waren, um nad tnfrer Rechnung vor dem völligen Eintritt 
der Nacht die Küfte zu erreihen. Weil aber der Mond nicht fehlen, 
der Himmel bebesft war und wir jenen Theil der Küſte nicht kannten, fo 
hielten es Einige von uns für unficher zu landen, Andre Hingegen war 
ren der Meinung, daß dies auf jeden Fall gef ehen mäffe, wenn 

















583 Don @uizote 


auch auf einem kahlen Felfen und fern von einem bewohnten Orte; 
denn nur fo vermieden wir die Gefahr, vor der wir uns mit Recht 
fürchteten, nämlich Seeräubern von Tetuan in die Hände zu fallen, 
welche oft vor der Morgendämmerung auslaufen, des Morgens an 
der fpanifchen Küſte rauben und vor dem Abend mit ihrer Beute ſchon 
wieber zu Haufe find. Endlich vereinigten fi die Meinungen dahin, 
daß wir uns langſam der Küfte nähern und, wenn wir am Ufer feine 
Brandung fänden, landen folten, wo wir fönnten. Dies thaten wir 
und famen kurz vor Mitternacht an den Fuß eines finftern und hohen 
Berges, der jedoch nicht fo fehroff aus dem Waſſer emporfieg, daß 
wir nicht einen feinen Platz gefunden hätten, wo wir bequem aus- 
Reigen fonnten. Wir ſetzten unfer Boot auf den fandigen Strand, 
fprangen ſämmtlich an’s Ufer und füßten den Boden, indem wir mit 
Freudetfränen Gott unferm Herrn für die unfhägbare Wohlthat 
dankten, daß er uns die Reife glücklich hatte zurücklegen laſſen. 
Bir nahmen unfern Vorrath aus dem Boote, zogen es vollends auf 
den Strand und fliegen eine große Strede den Berg hinan; denn 
noch wußten wir nicht, wie uns war, und fonnten uns faum überrd 
den, daß wir bereits chriſtlichen Boden beträten. Der Morgen ſchien 
ung fpäter anzubrechen, als wir wünfhten, und nun erfliegen wir vol« 
Iends den Gipfel des Berge, um zu fehen, ob wir nicht ein Dorf 
oder wenigftens einige Schäferpütten entdecken könnten; allein trotz 
aller Anftrengung wurden wir weder Dörfer, noch Menſchen, weder 
Wege, noch Stege gewahr. Nichtsveftoweniger entfchloffen wir ung, 
weiter in's Land hinein zu gehen, weil wir nicht zweifelten, bald Je- 
mand zu finden, der und fagen könnte, wo wir feyen. Nichts ſchmerzte 
mid dabei fo fehr, als daß Joraide biefen beſchwerlichen Weg 
zu Fuß machen mußte; denn wenn ich fie bisweilen auch eine Strede 
weit auf ben Armen trug, fo litt fie doc mehr bei dem Gedanken, 
mir beſchwerlich zu fallen, als fie fih dur das Ausruhen erleichtert 
fand, und wollte mir daher die Mühe durchaus nicht wieder anmu- 
then, fondern wanderte fröhfih und unverbrdffen an meiner Hand 
fort. Als wir ungefähr eine halbe Stunde gegangen waren, hörten 
wir, zum deutlichen Zeichen, daß unweit eine Heerde feyn müffe, das 
Geklingel einer Schelle, und indem wir uns umfahen, fanden wir 

















XLI Kapitel Fl 


unter einem Korlbaum einen Schäferfnaben, der forglos und ruhig mit 
feinem Meffer an einem Steden fhnigefte. Wir riefen ihm; er fah 





fi um, lief aber fogfeih davon, weil er (wie wir hernad erfuhren) 
Zoraiden und den Renegaten zuerſt gewahr ward, denn weil biefe 
mauriſch geffeibet waren, meinte er, (alle Mauren aus der Berberei fegen 
ihm ſchon auf den Ferfen. Er lief demnach in der größten Eife durch dem 
Bald und ſchrie aus vollem Halfe: „Mauren im Lande, Mauren, Mau- 
ven! in’s Gewehr, in's Gewehr!" Sein Geſchrei fegte uns in einige 
Berlegenheit, und wir wußten nicht recht, wie wir uns verhalten foll« 
tem; weil wir jedoch erwarten mußten, daß ber Lärm bes Hirten bie 
Landleute in Bewegung bringen, und daß bie Gtranbreiterei bald and- 
rüden würde, nm zu ſehen, was es gäbe, fo beſchloſſen wir, der 
Nenegat folle feine mauriſche Meivang ablegen und eine Sflavenjade 














584 Don @uirote. 


anziehen, die ihm einer von unfern Kameraden lieh, obgleich er ſelbſt 
deßwegen in bloßem Hemde gehen mußte. Hieranf empfahlen wir 
ung Gott und gingen denfelben Weg, den der Hirte genommen hatte, 
in beftändiger Erwartung, der Reiterei zu begegnen. Wir irrten auch 
nit, denn nach Verlauf von zwei Stunden, wie wir aus dem Ge- 
hölz anf eine Ebene kamen, erblidten wir ungefähr fünfzig Reiter, 
bie im kurzen Galopp uns entgegen famen. Gobald wir fie gewahr 





wurden, machten wir Halt, um fie zu erwarten. Wie fie aber näher 
tamen und flatt der Mauren, die fie auffuchten, einen Trapp armer 
Chriſtenſtlaven vor fih fahen, verwunderten fie fi fehr und fragten 
uns, ob wir vieleicht diejenigen feyen, um derentwillen der Hirte 
zum Gewehr gerufen habe. 

„3a wohl find wir's,“ antwortete ih und wollte eben anfangen, 
ihm unfre Schidfale zu erzäplen und woher wir fämen; aber einer 
von unfern Kameraden, welcher den Reiter erfannte, fiel mir in bie 
Rebe und rief: „Gott ſey Dank, meine Herren, daf er uns fo glück⸗ 
Ti geführt Hat; denn wenn ich nicht irre, fo gehört der Boden, dem 
wir betreten, zu Velez Malaga, und wenn mich, nad) einer vierjährigen 











NL Kapitel. 


N — Sefenhenſeft meine Erinnerung nicht täufht, jo ſeyd Ihr, mein 
Ham, der und fragt, mein Dheim Pedro de Buftamente.* 
Kaum hatte der Chriſtenſtlave dies gefagt, fo fprang der Rei ⸗ 
ter vom Pferde, umarmte ben Jüngling und fagte: „Lieber, befler 
Neffe, ja wohl Tenne ich dich wieder. Ich und meine Schweſter, beine 
utter, hatten dich ſchon als tobt beweint, und nun fäft Gott ung 
Freude erfeben, dich wieder zu fehen. Daß bu in Algier ſeyſt, Hat- 
‚ten wir ſchon gehört, und nach deiner Kleidung und ber Kleidung aller 
‚deiner Kameraden zu urtheilen, müßt ifr auf eine wunderbare Art 
‚die Freifeit erfangt haben.” 
Gewiß,“ erwiderte der Jüngling; „und es wird’ans nicht an 
Zeit fehlen, Euch dies Alles zu erzählen. « 
Ms bie Reiter fanden, baf wir Chriſtenſtlaven waren, fliegen 
fie ab, und jeder bot und fein Pferd nah Velcz Malaga an, bas 
ch auderthalb Meilen entfernt war. Einige gingen hin, um das 
ot, deſſen Stelle wir ihnen bezeichnet hatten, nah der Gtabt zu 
bringen; die Andern nahmen und zum Theil hinter ſich auf ihre Pferde, 
und Zoraibe nahm Platz Hinter dem Dfeim unfers Stameraben, 
Me Menſchen aus der Stadt kamen uns entgegen, weil fie burg 
einen Vorausgegangnen ſchon von unfrer Ankunft gehört hatten. 
Sie wunderten fi zwar nicht, Chriſtenſtlaven in Freiheit ober Mau- 
B-; in Banden zu fehen, weil beide in.biefen Gegenden nichts Neues 
1 find; allein Jeder verwunderte fih über Zoraibens Schönheit, welde 
durch die Bewegung auf ihrer Fußreiſe und — bie Freude, ſich in 
einem chriſtlichen Rande zu befinten, ungemein erhöht war. Das 
frohe Gefühl, alle Gefahr aunmehr glüdlich überſtanden zu haben, 
verbreitete über ihre Wangen ein fo liebliches Roth, daß ih, wenn 
mid damals meine Liebe wicht getäuſcht hat, wohl jagen moͤchte, es 
fey nie ein ſchöneres Frauenzimmer in ber Melt gewefen, wenigſtens 
unter allen, bie ih in meinem Leben gefehen habe. 

Unfer Zug ging geraden Wegs mad der Kirche, um Gott für bie 
und erwiefene Gnade zu-danfen, Yndem Zoraide Hineintrat, fagte 
fie, fie fühe dort Geſichter, welche mit Lela Marien Aehnlichteit 
haben. Mir fagten ihr, daß es Abbildungen berfelben feyen, und 














Ben Onleste # 














Don Bnirote 


der Nenegat erflärte ihr, To gut er Fonnte, der Zwedt derſelben, damit 
fie ihnen ihre Eprerbiefung ebenſo beweife, als wenn fie in jedem 
verfelben die wirkliche Lela Maria vor fih füge, die ihr erſchienen 
ſey. Da fie einen feinen Berftand befigt und leicht eimas begreift, 
fo begriff fie bald Alles, was man ifr von dem Bildern ſagte. Man 
vertheifte uns hierauf in der Stadt im verfihiebne Duarkiere; bem 
Nenegaten aber, Zoraiden und mich nahm unfer Kamerad mit ſich 
nah dem Haufe feiner Eltern, welche im behaglichen Mittelftande 
fehten und uns fo liebreich anfnabmen, wie ihren eignen Sohn, 
Sechs Tage biichen wir in Velez Malaga, worauf unfer Reuegat, 
nachdem er vorläufig feine Mafregeln genommen hatte, nach Granaba 
ging, um fig durch Bermittfung ber Heiligen Smguifition im den 
allerheiligſten Scheoß der Kirche wieder aufnehmen zu laſſen. Die 
übrigen befreiten Chriſten zogen ein jeber, wohin es ihm am beſten 











XLL Kapitel, 587 


| tünfte. Zoraide und ih blieben zuleht allein zuräd und Hatten 
iter nichte, als das Geld, weldes der Branzofe ihr aus Höflih- 
gegeben. Bon diefem Gele faufte ich das Thier, worauf fie rei- 
t. Bisher Habe ih wie ein Vater und Begleiter für fie geforgt, 
\ aber noch nicht die Rechte eines Gemahls bei ihr geltend gemacht. 
Bir ziehen jegt hin, um zu fehen, ob mein Vater noch febe, und ob 
es einem von meinen Brüdern beffer geglüdt iſt, als mir; doch hat 
mir ber Himmel in Zoraiden einen Schatz gefihenkt, welder nad 
| meinem Gefühl durch fein audres Glück, das mir noch bevorſtehen 
möchte, überwogen werben kann. Die Geduld, mit welder fie alle 
Beſchwerlichteiten der Armuth erträgt, und die Begierde, die fie äußert, 
eine Eprifiin zu werden, verbienen meine ganze Bewunderung und 
ı haben mich ihr auf immer zu eigen gemacht, Mein Wunſch, mic 
1" mit ihr näher und inniger zu verbinden, finbet jedoch Bisher noch ein 
Wi  Hinderniß in der Ungewißheit, ob mir auf in meinem Baterlande 
$ | ein Platzchen beſchicden ift, woſelbſt ih mit ihr mich nicderfaffen Tann, 
und ob nicht die Zeit und ber Tod ſolche Veränderungen in meiner 
Famifie und in den Gfüdsnmfländen verfelben gemacht haben, daß ih 
vielleicht weber meinen Vater, nod meine Brüder autreffe, und fein 
Menfh mehr mi fennt, im Falle jene nicht mehr am Leben find. 
Die ift Alles, meine Herru, was ih Eu von meinen Begeben- 
heiten zu erzäfen Habe, Euer einfihtevolles Urtheil mag enifheiben, 
ob Ihr fie unterpaftend und wunderfam genug gefunden habt, Ich 
laun Euch verfigern, daß ich mid gern etwas fürzer gefaßt Hätte, 
und doch Habe ich mander Heinen Umſtände nicht erwähnt, um Euch 
feine Langweile zu verurfachen. 




















Zweiundvierzigſtes Rapitel. 


Neue Begebenheiten in dem Wirthebauſe und andre merfwürbige Vorfälle. 


A 18 der Sllave fhwieg, fagte Don Fer⸗ 


nando: „Zn ter That, Herr Hauptmann, 
die Art, mic Ihr dieſe außerordentlichen 
Begebenpeiten erzählt habt, war ben felt- 
famen und wundervollen Umfländen ganz 
angemefien. Alles ift fonderbar und un⸗ 
gewöhnlich und reich an Ereigniffen, welche 
Geben, der davon hört, in Erftaunen ver» 
fegen, und wir haben Euch mit fo vielem 
Vergnügen zugehört, daß, wenn Ihr und bis an den Morgen er- 
zählet, wir dennoch wünfcen würden, Ihr möchtet von vorne wieber 
anfangen. ” 

Don Fernando und alle Uebrigen erboten ſich hierauf dem 
Hauptmanne zu allen möglichen Dienften mit Rath und That in fo 
Tiebreihen Auodrücken und mit fo vieler Herzlihfeit, daß er fih von 
ihrem Wohlwollen vollfommen überzeugte. Don Fernando insbefondre 
verfprah ihm, wenn er mit ihm reifen wolle, feinen Bruder, den 
Marquis, zu erſuchen, bei Zoraiden Pathenftele zu vertreten, und 
er ſelbſt erbot fi, ihn fo auszurüften, daß er feinem Range gemäß 











XL. Kapitel, 589 


mit Bequemlichkeit und Anftand in feine Vaterſtadt zurüdtehren 
inne. Der Hauptmann dankte auf's verbindlichſte für bies groß- 
i Anerbieten, weldes er jedoch mit Befheivenheit ablehnte. 
ME es eben Nacht werben wollte, Fam nod eine Kutſche in Beglei⸗ 

3 iger Diener zu Pferd vor dem Wirthshauſe angefahren. Die 





rn verlangten Quartier; allein die Wirthin antwortete, es 
| fey im ganzen Haufe Feine Hand breit Naum mer übrig. 

„Dem fe, wie ihm wolle,“ fprad einer von den Bedienten; „der 

Here Oberrichter iſt bier, und für ihn muf Platz gemacht werben.“ 

MO die Wirthin dies hörte, ſtutte fie und fagte: „Die Wahr 
heit zu fagen, mein Herr, fo fehlt es uns an Betten, Wenn aber 
der Herr Oberrichter Bettzeug mitgebracht hat, wie ich nicht zweifle, 
fo fol er willfommen ſeyn, und ih und mein Mann wollen Seiner 
Gefirengen gern unfer eigues Zimmer einräumen. * 

„Sehr gut,“ ſprach der Bedientez und es flieg ein Mann aus 
den Wagen, deffen Kleidung fein Amt und feine Würde anfündigte, 
denn fein langes Gewand mit anfgefhlaguen Mermeln bezeichnete Hin 
Tänglich den Oberrichter, welchen ber Bediente angemeldet hatte. Er 
führte ein Mädchen in Neifeffeivern an ber Hand, das dem Ausfehen 























Don Buixote 





nach ſechzehn bis firdenzehn Jahre alt und von einnchmender Schönheit 
war, fo daß wer@neinde, Dorothea and Zoraide nicht gefehen hatte, 
fhwerli geglaubt haben würde, daß cs ein fhöneres Mädchen geben 
könne, Don Duirote fand wicht weit von der Thüre, ald ver 
Obertichter mit feiner fhönen Gefäprtin in bie Schente trat, und 
fagte zu den Eintretenden: „Euer Geftrengen lönnen ohne Bedenten 


Em 











XL. Kopitel, 591 


in biefes Schloß einziehen und in demfelben verweilen; denn obwohl 
es etwas eng und unbequem ift, fo kann doch fein Plägchen in ver 
Belt fo Hein und befegt ſeyn, daß Waffen und Wiffenfhaften nicht 
Raum darin fänden, zumal wenn Waffen und Wiſſenſchaften von der 
Schoͤnheit begleitet und eingeführt werden, fo wie die Gelahrtheit 
Euer Gefirengem yon biefem Fräulein begleitet und eingeführt wird, 
vor welcher mit nur die Thore der Schlöffer ſich aufthun, fondern 
auch Felſen zerfpaften und Derge ſich zeriheilen und ebnen müffen, 
um ihr Pag zu machen, Ich fage: Ener Geftrengen können füglich 
hereinfommen in biefes Parabied; deun hier findet Ihr Sonnen und 
Sterne, welche verbienen, ſich zu dem Himmel zu gefellen, den Ihr 
mitbringt. Hier findet Ihr die Waffen in ihrem vollen Glanz und 
die Schönfeit in ihrem hochſten Uebermaaß.“ 

Der Dberrihter wußte nicht, was er aus Don Duirstes 
Nee machen follte; er betrachtete ihn von oben bie unten, umd ver- 
wuuderte fi mit weniger über feine Geftalt, als über feine Rede, 
Ehe er Worte finden founte, um bie Anrede zu erwibern, ftieg feine 
Verwunderung noch höher, wie er Sucinden, Dorothea und 3m 
raibe erblicte, welche ale drei herbei eilten, um bie neuen Gäſte zu 
fegen und das hütſche Mätchen zu bewilllommnen. Indeß empfingen 
Don Fernando, Earbenio und der Pfarrer ben Oberrichter mit 
verflänbfihern und, verbintligern Worten, Genug, der Here Dber · 
richter fonnte bei feinem Eintritte wicht umbin, zu erſtaunen und fi 
zu verwunbern über Alles, was er ſah und hörte, während die ſchö- 
nen Damen feine liebenswärbige Begleiterin Sewilltonmneten. Er fah 
zwar wohl, daß er von Tauter vornehmen Perfonen umgeben war, 
aber Don Duirotes Miene, Gefialt und Aufzug konnte er nidt 
damit reimen. 

Wie die erſten Höflichfeitsbezeigungen vorbei waren, und man 
die wenigen Btautmlichteiten berenet Hatte, welde das Wirthehans 
gewãhren Tonnte, warb befehloffen, daf die Frauenzimmer ihrer Ab» 
rede gemäß in dem ſchon beſchriebnen Rämmerden übernachten, und 
die Herren anf dem Borplage bfeiben nnd ihnen gleichfam zu Beſchü - 
gern dienen follten. Der Dberrichter gab es gerne zu, daß feine 
Tochter (das bäbfhe Mädchen, weldes mit ifm gelommen war) bei 











598 Don Buirote, 


den andern Frauenzimmern bliebe, weldes ihr ſelbſt Tieb war; und 
mit dem wenigen Bettzeuge bes Wirths und mit der Hälfte besjeni- 
gen, welches der Oberrichter mitgebracht hatte, bereitete man für fie 
Alle ein bequemeres Nachtlager, als fie erwartet hatten. 


Der Hauptmann hatte fhon im erſten Augenblide, wie der Ober- 
richter hereintrat, eine geheime Ahnung empfunden, daß biefer fein 
Bruder fey, und fragte daher einen Bedienten nad dem Namen def- 
felben und aus welcher Provinz er gebürtig fey; der Bebiente ant- 
wortete, fein Herr heiße Don Juan Perez de Viedma, und er 
habe gehört, daß er aus einem Orte in den Gebirgen von Leon flamme. 
Diefe Nachricht, neu dem, was feine eignen Augen ſchon bemerkt 
hatten, überzeugten ihn, daß ter Oberrichter derjenige von feinen 
Brüdern fey, der ſich nad des Vaters Naty den Wiffenfchaften ge- 
widmet hatte. Verwundert und erfreut zog er Don Fernando, 
Eardenio und ben Pfarrer auf die Seite, und erzäplte ihnen, was 
ex fo eben erfahren, und daß der Dberrichter fein Teiblicher Bruder 
fey. Der Bediente Hatte ihm auch gefagt, daß er als Oberrichter 
nad Merico gehe, daß das ſchöne Mädchen feine Tochter und daß 
die Mutter bei der Geburt derfelben geftorben fey, und ihm dies Kind 
und ein beträchtliches Vermögen hinterlaffen habe. Er bat fie vem- 
nad, ihm zu rathen, wie er fih ihm zu erfennen geben, ober wie er 
vorläufig erforfhen folle, ob jein Bruder, wenn er fi ihm entvede, 
ihn als armen Dann verſchmähen ober mit brüderlicher Liebe auf 
nehmen werbe. 


„Laßt mi nur machen, Herr Hauptmann,“ fagte der Pfarrer, 
mich will ihn bald ausforfhen, und zweifle gar nicht, daß Ihr eine gute 
Aufnahme finden werdet; denn ber Verſtand und die Würde, die ſich 
in den feinen Manieren Eures Bruders ausfprecen, laſſen mich wer 
der einen thörichten Stolz, noch Mangel an Gefühl bei ihm erwarten, 
oder daß er nicht wiffen follte, wie viel von den Launen tes Glücks 
abhängt. ” 


„Bei dem Allem,“ fagte der Hauptmann, „möchte ich mich doch 
nicht plöglich zu erkennen geben, fondern mich nur allmählich ihm 
entdedfen. « 














XL Kapitel, 593 


«Ih gebe Each mein Wort," erwiderte der Pfarrer, „baf es zu 
Eurer beiberfeitigen Zufriedenheit ausfallen fol.” 


Inzwiſchen hatte man für den Oberrichter ein Abendeſſen ber 
reitet, unb bie Andern Teifteten ihm bei Tifhe Geſellſchaft, bis auf 
den Hauptmann und bie Frauenzimmer, welhe in ihrer Kammer blie ⸗ 
ben. Während ber Mahfzeit fagte der Pfarrer: „Here Oberrichter, 
wie ich einft einige Jahre in Konftantinopel gefangen war, hatte ih 
einen Stameraben Eures Namens, ber einer von den tapferſten Haupt- 
leuten in der ganzen fpanifhen Jufanterie, aber auch eben fo ungläd- 
lich, als tapfer und unternefmenb war, * 


„Bie hieß der Hauptmann, mein Herr?“ fragte: ber Oberricter. 

„Er hieß Nuy Perez de Bicdma,“ antwortete der Pfarrer, 
„und war ans einem Orte in den Gebirgen von Leon gebürtig. Einft 
erzählte er mir einen Auftritt, der zwiſchen feinem Bater und ihm 
und feinen Brüdern vorgefallen ſeyn fol, und den ih, wenn ihn mir 
nicht ein fo glanbwürdiger Mann erzählt bätte, für eines von ben 
Märdien würde gehalten baden, womit ſich alte Mätterchen im Min- 
ter beim Kamin zu unterhaften pflegen. Er fagte mir nämlich, fein 
Vater habe fein Vermögen unter drei Söhne vertheilt, und ihnen zu 
oleicher Zeit beffer gerathen, als ein Eato; und ih Fann Euch ver- 
fißern, daß es ihm in dem Soldatenſtande, welchem er ſich diefem 
Nathe gemäß gewidmet hatte, fo gut geglüdt war, daß er ſich in 
wenigen Jahren bloß durch Muth und durch Verdieuſte bis zum 
Hauptmann beim Außsolfe aufgedient hatte, und daß er auf dem 
beſten Wege war, Marſchall zu werden, Hätte ihm das Ehidfal 
nit fo übel gewollt, daß er am Tage der glorreihen Schlacht bei 
Lepanto, woſelbſt er ein gfüdfieres Loos erwarten durfte, feine Frei» 
heit in bemfelden Augenblicte verlor, im welchem fo Biele fie wieder 
erfangten. Ich felbft warb in Goletta gefangen, und bar mander- 
fei Zufätle fügte es fih hernach, da wir in Stonflantinepel Un- 
glädögefäbrten wurden. Bon dort fam er mad Algier, woſelbſt 
er, wie ih höre, eines ber wunderbarſten Schidfafe von ber Welt 
gehabt Hat." 


DenDsireie h 














594 Bon @uirote. 


Hier fuhr der Pfarrer fort, in aller Kürze zu erzählen, wie 
es dem Gefangnen gegangen war, und ber Oberrichter hörte auf⸗ 
merkfamer zu, als je bei einem Progeffe. Wie ver Pfarrer anf die 
Begebenheit mit den Seeräubern kam, fagte er bloß, daß bie Chris 
Men auf jenem Schiffe ven Gefangnen, deſſen Kameraden und bie 
fhöne Maurin ausgepländert und in bie äuferfte Noth und Dürftig- 
keit verfeßt Haben, verſchwieg dann aber, was weiter aus ihnen ge» 
worden, ob fie nad Spanien zurädgefommen, oder von ben Gee- 
räubern nach Frankreich geſchleppt worden feyen. 


Der Hauptmann, welder bit beim Pfarrer faß und Alles 
hören konnte, ‚merkte genau auf ben Einbrud, ben die Erzählung 
auf feinen Bruder machte. Mit einem tiefen Seufzer und Thränen 
in den Augen fagte diefer zu dem Pfarrer, als derſelbe aufpörte zu 
erzäßlen: „AG, mein Here, Ihr wißt nicht, wie nahe dieſe Ge⸗ 
ſchichte mi angeht, fo nahe, daß ih mid der Thränen nit ent» 
halten Tann, wie fehr ih mich auch bemühe, bdiefelben vor Euch 
zu verbergen. Diefer tapfre Hauptmann, von dem Ihr rebet, iſt 
mein ältefter Bruder. Weil er fühner und unternehmenver war, als 
mein jüngerer Bruder und ich, fo wählte er den ehrenvollen Sofbaten- 
fland, als einen von den breien, die mein Vater uns vorſchlug, wie 
Ener Kamerad in der Erzählung, bie Euch fo märchenhaft geſchienen, 
gefagt Hat. Ich felbft widmete mich den Wiſſenſchaften, welde 
mi durch Gottes Hilfe und duch meinen Fleiß zu ber Würde 
erhoben haben, womit Ihr mich beffeidet feht. Mein jüngerer Bru⸗ 
der befindet fi in Peru, und hat von feinem Ueberfluffe meinem Bater 
folhe Summen herübergeſchickt, daß er ihm nicht nur bie mitgenom⸗ 
menen Gelder reichlich wieder erftattet, fondern ihn auch in den 
Stand gefegt hat, mit feiner angebornen Freigebigkeit zu leben; und 
auch mir hat er dadurch die Mittel verfchafft, mit mehr Anftand und 
Unabhängigkeit meinen Stubien abzuwarten und mic) in der Folge zu 
meinem jegigen Amte empor zu ſchwingen. Mein Vater Iebt noch, und 
nichts macht ihm Kummer, ald daß er nicht weiß, wie es feinem älte- 
fien Sohne geht, und er bittet Gott täglich und ſtündlich, in nur 
noch fo lange Ieben zu Iaffen, bis er feinen Sohn lebendig wieber 











erbfidt. Ich Tann nicht begreifen, warum er ald ein verflänbiger 
Mann während feiner vielen Leiden und Freuden feinem Vater nie 
die geringfte Nachricht von fi) gegeben hat; denm wenn biefer oder 
irgend einer von ung etwas davon erfahren Hätte, fo wäre dad Wun- 
derwerf mit dem Stäbchen nicht nöthig gemefen, um ihm fein Loſegeld 
zu verfhaffen. Jeht aber quält mid die Ungewißheit, ob bie Rran- 
zofen ihn fodgelaffen, uber ob fie ihm ermordet haben, um ihre Räus 
berei gu verhehlen, und ih werde meine Neife wicht mehr fo froͤhlich 
fortfegen, ald ic fie angetreten abe, fondern mit Summer und Be 
träbniß im Herzen. D mein guter Bruder! wüßt' id mur jegt, wo 
du biſt, fo würde ih dich anffuchen, und nicht ruhen, bis ich deiner 
Trũbſal abgeholfen, wenn ih ſelbſt au für di Teiden müßte. DO 
wenk bob Jemand unferm alten Bater die Nachricht brächte, daf du 
noch lebteſt! wäre es auch in den finftern Kerlern der Berberei, fo 











596 Don Buinste. 


wärben feine Reichthümer nnd die Reichthümer deiner Brüder dich 
daraus erlöfen. D liebenswürbige und edeimüthige Zoraide! löau⸗ 
ten wir dir doch die Wohlthat vergelten, die du unferm Bruber er» 
zeige Haft! könnten wir doch gegemmärtig fepn, wenn beine Geele 
wiebergeboren wird, und eine Bermäßlung feiern, die und alle fo 
gladlich machen wärbel” 

Diefe und andre Worte des Oberrichters zeigten von fo inniger 
Theilnahme an den Schidfalen feines Braders, daf alle Anmwefenden 
von feiner Befümmernif tief gerührt wurden. Da nun der Pfarrer 
fand, zaf Alles nach feinem und des Hanptmanns Wunſche ging, fo 
wollte er bie Geſellſchaft nicht lange in diefer wehmäthigen Stimmung 
loffen, ſondern fland vom Tiſche auf, ging zu Zoraiden hinein, 
nahm fie bei der Hand, faßte mit der andern ben Arm des 











XLIR Kapitel 597 


Hanptmanns, und führte Beide, gefolgt von Lucinden, Dorothea 
and der Tochter des Oberrichters, Heraus zw dem Leptern und zu der 
übrigen Geſellſchaft. „Xrodnet Eure Thränen, Herr Oberrichter 
fprah er, „und erfreut Euch des Glücks, welches Ihr fo ſehnlich 
wünfgt. Hier feht Ihr Euren guten Bruder und Eure lichendwürs 
dige Schwägerin. Diefer Hier ift ber Hauptmann Viedma, nad 
diefe die fhöne Maurin, welche fo viel für ihm gethan hat. Die 
Branzofen, von denen ich Euch erzählte, verfepten fie beide im bie 
fünmerfihen Umfände, worin fie vor Euch erfheinen, damit Ihr 
Gelegenheit hättet, ihnen Beweife Enrer großmäthigen Gefinnung zu 
geben, * 


Der Hauptmann eifte feinem Bruber im die Arme. Diefer legte 
ihm beide Hände auf die Bruſt, um ihn recht zu betrachten, unb da 
er ihm bald an feinen Gefihtszägen erfannte, ſchloß er ihn mit 
folder Innigfeit in die Arme und vergoß fo herzliche Freudethränen, 
daß die meiften Anweſenden mit ihm weinen mußten, Die zärtlichen 
Gefühle, welde beide Brüder einamter durch Worte und Hands 
lungen zu erfennen gaben, laffen fi kaum nahempfinden, geſchweige 
beſchreiben. Kurze Mittheifungen der Begebenheiten ihres Lebens 
wurden befänbig umterbroden durch Aeußerungen ihrer brüderlichen 
Liebe; bald umarmte der Oberrichter Zoraide und bat fie, über fein 
Vermögen zu gebieten, bald führte er feine Tochter in ihre Arme, 
und man fah die [höne Maurin ihre Thränen mit den Tränen ber 
kiebenswürdigen Chriſtin vermifhen. 


Don Duirote verlor fih ſtaunend und ſchweigend in Ber 
teachtung über diefe wunderbaren Ereigniffe, und ermangelte nicht, 
fie insgefammt auf Rechnung des abentenernden Rittertfums zu 
fegen. 


Man ward einig, der Hauptmann folle mit Zoraide umfehren 
und in Gefellfaft des Oberrichters nah Sevilla gehen, unb dem 
alten Vater folle ihre Befreiung und ihre Ankunft gemeldet und bie 
Bitte geäußert werden, bei Zoraidens Taufe und BVermählung 











598 Bon @uizote. 


gegenwärtig zu ſeyn; denn der Oberrichter konnte feinen Beifeplan 
nicht ändern, weil er Nachricht hatte, daß binnen einem Monat eine 
Flotte von Sevilla nah Neufpanien abgehen werbe, welche @elegen- 
peit er nicht verfäumen durfte. Ale Uebrigen vereinigten ſich, dem 
Hauptmanne ihre Freude über die glädlihe Veränderung feiner Um- 
fände zu bezeigen; und da nunmehr bie Nacht ſchon bald verfirihen 
war, fo wurbe befäloffen, den übrigen Theil derfelben der Ruhe zu 
wibmen, 


Don Duirote erbot fi, das Schloß zu bewachen, damit nicht 
irgend ein Rieſe ober fon ein umherſtreichender Unhold ſich's ein- 
fallen Laffe, den großen Schatz von Schönheit zu fehlen, welden 
daſſelbe in ſich faßte. Diejenigen, die ihn kannten, bezeigten ihm 
ihre Dankbarkeit, und ſchilderten gelegentlih dem Oberrichter feine fon- 
derbare Schwärmerei, welche diefen nicht wenig beluſtigte. Sancho 
Panfa war der Einzige, der vor Unmuth außer ſich war, weil man 
erſt fo fpät fchlafen ging; doch dafür war aud fein Lager das befte 
von allen, denn er legte ſich auf den weichen Saumfattel feines Eſels, 
mußte aber theuer genug bafür bezahlen, wie man in ber Folge fehen 
wird. Nachdem hieranf die Frauenzimmer fih in ihre Kammer beges 
ben, und die Herren fi, fo gut fie konnten, gebettet hatten, ging 
Don Duirote hinaus, um vor dem Schloſſe verſprochenermaßen 
Schildwache zu halten. 


Niht Iange vor Anbrudh der Morgenröthe hörten die Damen 
eine volltönende und überaus angenehme Stimme, welde fie alle auf- 
merkfam machte, beſonders Dorotheen, die noch ganz munter war, 
und an deren Seite Donna Elara von Viedma, die Tochter des 
Oberrichters, fehlummerte. Niemand konnte erraten, wer der ange 
nehme Sänger fey, deſſen Gefang von feiner andern Stimme, noch 
von einem Inſtrumente begleitet warb, und ber fi, wie es ſchien, 
bald im Hofe, bald im Stalle hören Tief. Indem fie mit gefpannter 
Nengier horchten, Hopfte Cardenio an bie Tpüre und rief: „Wer 
nicht fepläft, höre zu, denn ihr werdet einen Maulthiertreiber hören, 
der bezaubernd fhön fingt!“ 











XLIL &apitel. 599 
„Bir hören fhon, mein Herr,” fagte Dorothea; und Car 


denio entfernte ſich wieder. Dorotkea horchte mit gefpannter Auf 
merfamkeit und vernahm folgendes Lied, 


Kan 

















Bon Quixote. 


Dreiundvierzigfied Kapitel. 


Die anmutbige Geſchichte von dem Gfelötreiber, nebft andera feltiamen Auftritten in bem 
Birtbspaufe, 


ch hi auf tiefem Deere, 

Es ift das Meer der Liebe, 
Schiff' opne Raft, ohn' Hoffnung, 
Je einen Port zu finden. 





Bolg’ ſchiffend einem Sterne, 
Der fernper lieblich ſchimmert: 
® x So Hell, fo rein, fo glänzend 
Sn Sah Palinurus feinen. 


BWopin er führt, nicht weiß ih’, 
Ich fhiP nur immer weiter, 
Den Blid nad ihm gerichtet, 
Bald frop, bald voller Sorgen. 


Ein ängſtlich fprödes Weſen 
Und übertriebne Strenge 
Berpüllen mir als Wolfen 
Die Leuchte meiner Seele. 














XLIHN. Kapitel, 


D Stern voll fanfter Klarheit, 
Bon deffen Licht ih Tebe, 
Sobald du mir entſchwiudeſt, 
Schlägt meine letie Stunde! 


Ad der Sänger fo weit gefungen Hatte, wollte Dorothea 
gerne der Donna Clara das Vergnügen gönnen, die ſchöne Stimme 
mit anzuhören, weite fie demnach und fagte: „Verztihen Sie, Lie» 
bes Kind, daß ih Sie wede, um Sie eine Stimme hören zu Taffen, 
die fo angenehm ift, wie Sie we noch Teine in Ihrem Leben 
gehört Haben. + 

Clara erwachte, allein noch halb fihlaftrunfen, verftand fie 
anfänglich nicht, was, Dorothea fagte, fondern bat fie, es zu 





Des Onirstt. I 














co Don Euirote. 


wiederholen, worauf fie endlich aufmerffam ward; aber kaum hatte fie 
ein paar Berfe von dem Liebe gehört, in welchem der Sänger noch fort- 
fuhr, fo überfiel fie ein fo flarfes Zittern, ald wenn fie im Fieber läge. 
Sie ſchmiegte fi an Dorothea und fagte: „Ad, meine Theuerſte, 
warum haben Sie mih gewedt? Es wäre in biefem Augenblide das 
größte Glück für mid, wenn meine Augen und Ohren verfihloffen 
wären, bamit ich nur diefen bebauernswürbigen Gänger weber hören, 
noch fehen möchte.“ 


„Was fagen Sie, mein Rind?“ ſprach Dorothea. „ES ſoll 
ja nur einer von den Efelstreibern ſeyn, welcher fingt. * 


„Rein, er befigt Landgüter,“ erwiderte Donna Clara, „und 
überdies einen Pla in meinem Herzen, ben ihm, falls er nicht ſelbſt 
drauf verzichtet, in Ewigkeit Niemand entreigen wird.“ 


Dorothea verwunderte fi über die Wärme, mit welcher das 
junge Madchen fi ausdrüdte, da jene weit über ihr zartes Alter 
hinauszugehen ſchien. „Sie reden in Räthfeln, liebe Donna Elara,“ 
fagte fie, „die ih nicht verſtehe; erklären Sie ſich deutlicher; was 
meinen Sie mit dem Heren, der Gewalt über Landgüter und Herzen 
hat, und mit dem Sänger, deffen Stimme Sie fo fehr beunruhigt? 
Dod warten Sie Lieber noch ein wenig, fo gern ich Ihnen auch 
Ihre Unruhe benehmen möchte, fo ungern möchte ich doch das Ber- 
gnügen entbehren, den Sänger zu vernehmen, ber, wie mir bünft, 
ſich eben anſchickt, ein neues Lied zu fingen.“ 


„In Gottes Namen!” fprah Donna Clara, und hielt fih mit 
beiden Händen bie Ohren zu, worüber Dorothea fih noch mehr 
verwunderte. Diefe hörte inbeffen dem Sänger zu, wie er das fol- 
gende Lied fang: 


O Hoffnung, die mich Teitet 
Auf ſteiler, dornenvoller Bahn, 
Die raſtlos weit und weiter fepreitet 
Zum felbfigewäplten Ziel hinan, 
‚Barr’ aus] du wirft mir's noch e-werben, 
Siehſt du glei vor bir nur Berberben. 











XL. Sapitcl, 603 


Dem wird fein Kranz zu Theile, 
Der träger Rupe nur fi weipt, 
Und fern ift noch von feinem Heile, 
Ber nicht die Stirn dem Schidfal beut: 
Sic bettend auf dem Sinnenpfühle, 
Erliegt er trügrifgem Gefühle, 


Daß nur zu hohem Preife 
Man Liebe kauft, iſt recht und Har: 
Das Schönfte auf dem Erdenkreiſe 
Waͤgt Amors Wage ja ung bar: 
Was leichten Kaufs davongetragen, 
Wird auch gering nur angeſchlagen. 


Unmogliches vollbringen 
Kaun, wer von Amors Flammen brennt: 
Beharrlich kühn will ich erzwingen 
Das Schwerſte, was die Liebe kennt; 
Sollt' ich den Himmel drob verſcherzen, 
Nichts reißt dies Ziel mir aus dem Herzen. 


" Hier ſchwieg der Sänger, und Donna Elara fing aufs Neue 
an zu ſchluchzen. Dorothea warb dadurch noch neugieriger, die 
Veranlaffung eines fo Tieblichen Gefangs und folder bittern Thränen 
zu erfahren. Gie fragte demnach Clara nochmals, was fie mit den 
vorhin gefagten Worten gemeint habe. Donna Elara fihloß fie 
feR in bie Arme, legte ihren Mund an Dorotheas Ohr, um nicht 
von Lucinden gehört zu werben, und flüferte ihr zu: „Liebe Freun- 
din, diefer Sänger iſt der Sohn eines arragoniſchen Edelmanns, wel- 
her zwei Dörfer befigt und in Madrid dem Haufe meines Vaters gegenüber 
wohnte. Die Fenfler unfrer Häufer waren zwar befländig im Winter 
mit Borhängen und Sommers mit Gittern verfehen; aber dennoch hatte 
mid) dieſer junge Edelmzun, ich weiß nicht, wie ober wo? in ber Kirche 
ober an einem anbern Orte? gefehen. Genng, er verlichte ſich in mic, 

















XL. Kupitel, 


heirathen wänfge. Das wäre mir num zwar recht gemwefen; weil ih aber 
feine Matter Hatte, mit der ich mich darüber berathſchlagen konnte, 
ließ ih es dabei bewenden, und gab ihm feine andre Nufmanterung, als 
daß ih, wenn unfre beiden Väter nicht zu Haufe waren, den Bor 
bang over das Bitter ein wenig aufhob und mich vor ihm fehen Lich, 
worüber er denn immer eine Freude bezeigte, als ob er närriſch 
werben wollte. Imbef kam die Nbreife meines Vaters heran, und 
er hörte davon, aber wicht durch mich, denm ich hatte nie Gelegenpeit, 




















606 Don Quixote. 


es ihm zu fagen. Er warb Franf, ich glanbe, vor Betrübnig, und 
folglich bekam ich ihn am Tage unfrer Abreife nicht zu ſehen und 
konnte nicht einmal durch Blide von ihm Abſchied nehmen. Allein 
ein paar Tage nad unfrer Abfahrt, als wir eine Tagreife von hier 
in einer Herberge einfehrten, fah ich ihn vor der Haustgüre ſtehen, 
natürlich wie ein Saumer gekleidet, fo daß ich ſelbſt ihn nit würde 
erfannt Haben, wenn mir fein Bild nicht fo tief in’s Herz geprägt 
wäre. Ich erfannte in, wunberte mich und freute mich. Er fah 
mi nur an, wenn mein Vater es nicht bemerkte, deſſen Blicken er 
immer aus weicht, wenn er unterwegs ober in ben Herbergen, wo wir 
einfehren, an uns vorbeigeht. Da ih nun weiß, wer er if, und 
daß er bloß aus Liebe zu mir folhe Iange Reifen zu Fuß macht, fo 
betrübt mich das fehr, und meine Augen find immer anf feine Zuf- 
Rapfen geheftet. Ich weiß nicht, in welcher Abfiht er gelommen if, 
und wie er feinen Vater fo hat verlaffen können, ber ihn auferor- 
dentlich Tiebt, weil ex fein einziger Sohn ifl, und weil er es auch ver- 
dient, wie Sie felbft geftehen würden, wenn Sie ihn fähen. Und ih 
ann Ihnen fagen, Alles, was er da fingt, das macht er ans feinem 
eignen Kopf, und man hat mir gefagt, daß er ein ſehr geſchidter Stadent 
und Dichter fey. Was das Schlimmſte ift, jedesmal, wenn ich ihn fehe 
ober ihn fingen Höre, fo zittre und bebe ich immer vor Ang, daß 
mein Bater ihn erkennen und Hinter das Geheimniß unfrer Wünſche 
Tommen werbe. Ich habe ihm zwar in meinem Leben noch Fein Wort 
sefagt, aber dennoch Habe ich ihn fo Tieb, daß ich ohne ihn nicht 
werbe leben Fönnen. Das if Alles, was ich Ihnen von diefem Sän- 
ger zu fagen weiß, beffen Stimme Ihnen fo fehr gefallen hat. Schon 
diefe, allein könnte Sie überzeugen, daß er fein Efelstreiber if, fon- 
dern ein Herr, der über Landgüter und Herzen gebieten Tann, wie ih 
gefagt habe.“ 


„Sagen Sie nun nichts mehr, liebe Donna Elara,“ ſprach 
Dorothea und küßte fie taufendmal, „Warten Sie uur bis es 
Tag wird, fo Hoffe ich mit Gottes Hilfe Ihre Angelegenheiten zu 
einem fo glüdtihen Ende zu leiten, als ber unſchuldige Anfang 
es verdient.” 














XLIM. Sapitel, 607 | 


„Ach nein,” fenfjte Donna Elara; „wie kann ih ein gfüd- 
liches Ende erwarten, da fein Vater fo reih und fo vornehm if, 
daß er meinen wird, id verdiene kaum, die Magd, vielweniger bie 
Gemahlin feines Sohns zw fegn? Und opne Wiffen und Willen 
meines Vaters würbe ich am Alles in der Welt nicht heirathen. Ich 
wünfchte nur, daß diefer Jüngling von mir abließe und umfehrte; 
denn wer weifi, ob mir nicht leichter würde, ale mir jegt ift, wenn 
ich ihn nicht mehr fähe und weit von ihm wegreiste? Und doch muß 
ich geftchen, daß ich mir auch von biefem Mittel nur wenig Hilfe 
verfprede. IH weiß auch gar mit, wer Teufel es gemacht Sat, 
daß ih ihm fo fehr gut geworben bin, da ich noch fo jung bin 
und er ebenfalld; denn ih glaube gewiß, wir find von gleichem 
Alter, und ih bin noch micht wolle ſechzehn Jahre alt, fonbern 
wie mein Bater fagt, werbe ich erſt fünftigen Michaeliotag ſechzehn 


werben,” 


Dorothea mußte lächeln über bie kindliche Unſchald, mit wel- 
Ger Donna Clara fi auebrädte. „Laffen Sie uns mur den 
Heinen Neft ber Nacht verfälafen, meine Liebe!“ fagte fie. „Morgen 
früh denfe ih, fo Gott will, Math zu fhaffen, oder es müßte mir 
ſchlecht won ſtatten gehen.” 


Damit begaben fie fi beide zur Ruhe, und in der Schenfe 
herrſchte nunmehr überall die tieffte Stiffe. Nur die Tochter ber 
Wirthin und Maritornes ſchliefen nicht, ſondern weil fie wußten, 
von welcher Thorheit der Nitter angeſtedt war, und baf er draußen 
in, voller Nüftung zu Pferde Schildwache Hielt, fo nahmen fie fih 
vor, ihm einen Streich zu fpielen, oder ſich wenigfiens einfiweifen 
die Zeit zu vertreiben und feine Narrheiten anzuhören, 


Im ganzen Haufe war auf der Geite gegen das Feld hinaus 
tein Zenfier, fondern mur ein Loch an dem Heubeden, durch welches 
man'bas Stroh hinunterwarf. An diefes Loch machten ſich die beiden 
Fräufein von der ‚Schenfe, fahen hinaus, erbfidten den Ritter zu 
Pferde, unbeweglich auf feine Lanze gelehnt, und hörten von Zeit zu 














Don @uirote. 


Zeit fo herzbrechende Seufzer von ihm, als wollte er den Geiſt aufe 
geben. Zuweilen brad er mit ungemein zaͤrtlicher und fanfter Stimme 
aus: „OD meine Gebieterin, Fränlein Dulcinea von Tobofo, 
Gipfel aller Schönheit, Schatz aller Klugheit und Vernunft, Inder 
griff aller Holbfeligkeit und guter Gitte, Ausbund aller Ehrbarkeit 
und Tugend, höchſte Idee alles Ehrbaren, Nüplichen und Angenehmen 
in der Welt! 0, was wirſt du jetzt machen? denkſt du vieleicht am 
den licbesgefangnen Ritter dein, der fo viele Gefahren, bloß bie 
zum Dienfte, freiwillig übernimmt? O holde Luna, Göttin mit dem 
dreifachen Gefiht, gib mir doch jetzt einige Nachricht von ihr. Biel- 
leicht blidſt du jept, ihre Schönheit beneidend, anf fie herab, wie 
fie in einer Galerie ihres prägtigen Palaſtes luſtwandelt, ober wie 














XLIN. Sapitel. 


, mit ihrer ſchönen Bruſt Halb über das Geländer eines Balkone 
ut, darauf finnt, in welcher Weiſe fie, ihrer Tugend und 
it unbeſchadet, die Martern Hintern wolle, welde mein 
olles Herz um ihrelwillen leidet, wie glorreih fie meine 
Schmerzen enden, meinen Nummer flillen, mein Lehen vom Tode 
etten und meine treuen Dienfte belohnen will? Und du, Phökus, 
der du gewiß fon beine Pferde anfpannef, um fräper auszufahren, 
mit du meine Göttin fehen mögeſt, fag’ ihr, id Bitte dich, ſobalb 
du ſie erbficht, meinen Gruß; aber häte dich, fie zu lüſſen; denn ih 
| würde dan eiferfüchtiger auf dich ſeyn als du auf jene Teiptfäßige 
Unbanfhare, ber bu ſchwitend und fendenb durch bie dfeffalifhen 

bis an bie Ufer bes Peneus, ober wohin es fonft el 

gei entfinne ih mid; des Namens jego nicht, — 1 

ſucht nachliefeſt.“ 


So weit war Don Duirote in feiner traurigen Liebeotlage 
getommen, ald die Wirthotochter ihm winkte und ganz Ieife zurief: 
Herr Nitter, ſeyd doch fe güfig und fommt ein wenig näper!” 


Auf dieſen Zaruf lehrte ſich Don Quixote um, und ſah beim 





dergleichen für ſolche Shlöffer paſſen, als in feinen Gedaulen 
Al die Spenle eines war. Sodleich fiellte ihm feine überfpaunte 
| * * vor, das —— Fräulein, Tochter des Herrn 


| hörung, = 20 Im diefen Gedanfen wendete er den Rozie 
nante, nnd ritt, mm micht anhöflich zw ſeyn, Hin unter das Boden 
Tod. Als er mum die beiden Mäbdhen erbfidte, fpra er: „Es thut 
mir in der Seele Leid, fhöned und guäbiges Fräufein, daß Ihr 
Euren verliebten Ginn auf einen Gegenftand gerichtet Habt, der Eure 
Trefflichteit und Liebreizungen fo wenig belohnen Tann. Klaget def 
halb ja nicht biefen armen verlichten Nitter an, dem es bie Liche 
unmöglich macht, feinen Sinn und Willen auf eine Andre, ald dies 
 jenige zu Tenfen, welche in dem Angenblide, da feine Augen zuerfi 
fie fahen, Selbſtherrſcherin feiner Scele wurde. Verzeiht mir, gnädiges 











Don Oulrrie k 











610 Don Quixote. 


Fränlein, zieht Euch zurück in Ener Zimmer, zeigt mir Eure 
Gunſt nicht weiter, daß ich nicht noch undankbarer feyn muß. Fiudet 
Ihr aber vermöge Eurer Liebe zu mir noch etwas anfer Liebe, 
womit ich Euch dienen kaun, fo gebietet, und ich fehwöre bei biefer 
meiner abwefenden Feindin, es Euch auf der Stelle zu gewähren, 
wär es auch ein Zopf vom Schlangenhaare der Medufa, oder bie 
Strahlen der Sonne in einer Flaſche.“ 


„Mein gnädiges Fräulein bebarf Alles deffen nicht, Herr Bitter,” 
verfeßte Maritornes. 


„Und was verlangt fie denn ſonſt, liebe Frau Oberhofmeifterin®“ 
fragte Don Dairote. 


„Nichts als eine von Euren fhönen Händen,“ ſprach Mari—⸗ 
tornes, um ihre Liebesgint zu Fühlen, welche fie mit Gefahr 
ihrer Epre hieher an biefes Fenfter treibt; denn erführe es ihr Herr 
Bater, gewiß, er ſchnitte ihr wenigfiens bie Ohren ab.“ 


„Das wollt’ ich doch wohl fehen,“ verfeßte Don Duirote; 
mer fol es gewiß bleiben Taffen, wenn er nicht das ſchrecklichſte 
Ende nehmen will, fo jemals ein Bater unter der Sonne hatte, ber 
feine Hände am bie zarten Glieder feiner verliebten Tochter legte.“ 


Maritorues fand den Nitter fehr geneigt, ihre Bitte zu 
erfüllen und feine Hand herzureichen. Sogleich fiel ihr ein Streich 
ein, den fie ihm fpiefen wollte; fie Tief daher eiligf hinunter in ben 
Stall, Holte die Halfter von Sanchos Efel und fprang wieder hinauf 
an ihr Bodenloch. Der Ritter war indeß in die Höhe gefliegen und , 
Fond mit den Füßen im Sattel feines Rozinante, um hinauf in 
das Fenfter zu Iangen und dem Tiebesfranfen Fräulein feine Hanb 
zur Linderung ihrer Schmerzen zu reichen. „Hier, ſchönſtes Fräulein,” 
ſprach er, indem er fie hinreichte, „nehmt dieſe Hand, ober beffer 
zu fagen, dieſe Geißel aller Böfewichter auf Erben. Nehmt, fage 
ich, diefe Hand, in melde noch fein Weib bie ihrige gelegt Hat, 



















































































ſelbſt die micht, welche doch unumfhränfte Befigerin meines ganzen 
Leibes iſt. Nicht zum Kaffe reihe ih fie Eu, fondern damit Ihr 
das Gewebe ihrer Nerven, die Gedrungenpeit ihrer Musleln, ihre 











612 Don Quirote. 


großen firogenden Adern bewundern und daraus ſchließen fönnet, was 
für Stärke der Arm befige, tem biefe Hand zugehört.“ — „Das 
wollen wir gleich ſehen!“ fprah Maritornes, warf ihm damit 
eine Schlinge, die fie am Haffterfiride gemacht Hatte, um bie Fanft 
und band den Halfter mit dem andern Ende an einem Riegel ber 
Heubodenthüre feft. 

Don Duirote, ber den raufen Strif um feine Hand fühlte, 
fprad ganz betroffen: „Wie, gnädiges Fräulein, ſcheint es doch, als 
wolltet Ihr meine Hand eher wund reiben, als fireiheln? Laßt fie 
die Strenge nicht entgelten, die ih Euch erzeigen mnß: fie hat feinen 
Teil daran, und es wäre ungerecht von Euch, wenn Ihr gegen 
einen fo Heinen Theil meines Leibes Euren ganzen Zorn anelaffen 
wolltet. Wer wahrhaftig liebt, Kann fi nie fo granfam rädhen. 
Aber feine Seele hörte unfers armen Ritters Klagen; denn fobald 
ihn Maritornes feftgebunden Hatte, lief fie mit ihrer Gefährtin 
davon, ließ den guten Junfer hängen, und wollte fi mit der Andern 
faft tobt über den Streich lachen, den fie ihm gefpielt. 

So fland nun, wie gefagt, Ritter Don Duirote auf!feinem 
Rozinante da, hatte den Arm fefgebunden im Bodenloche ſtecken, 
und ſchwebte in fehredliher Angf, Rozinante möchte unter ihm 
weggehen und ihn an ter Hand in der Luft hängen laſſen. Aus 
diefer Furcht traute er fi nicht, die geringfle Bewegung zu machen, 
ungeachtet er von der Geduld und Sanftmuth des guten Rozinante 
hätte fiher Hoffen fönnen, daß er ein ganzes Jahrhundert hindurch 
wie ein Stein anf einer Stelle würbe geflanden haben. Da fih nun 
Don Duirote fo angebunden und beive Damen verſchwunden fah, 
bifvete er ſich feſt ein, es müfle abermals eine Art von Verzauberung 
fattfinden, dergleichen er fhon mehr in dieſem Kaftell erfahren 
hatte, wie z. B. die legte Prügelfuppe von dem in einen Mohren verzau- 
berten Efelötreiber, und verwünſchte daher im Herzen feine Unvorfichtig- 
keit, daß er's zum zweitenmale gewagt, in ein Kaſtell zu gehen, woraus 
er ſchon das erſtemal fo übel weggefommen, ba es doch Regel ber 
fahrenden Ritter if, ein Abenteuer, weldes ihnen zum erfienmale 
mißlungen, als für einen Andern aufgepoben zu betrachten, und daher 
nicht mehr zu beſtehen. Trot dem zerrte er au feinem Arme, ob er 














ge 7' 
XLIH. Kapitel, 613 


ſich nicht loemachen koͤnne, aber Maritornes Hatte ihn fo fer ge» 
bunden, baf Alles vergeblich war. Freilich mußte er and mit Vorſicht 
siehen, damit Rozinaute ſich nicht rühre; ſich anf den Sattel nieder- 
zulaſſen, war ihm ganz unmöglich, feine anbre Wahl blich alfo übrig, 
als ſtehen zu bleiben ober fih dem Arm audzureißen. Bald ergoß 
er fih in Magen über den Verluſt, welchen die Welt erleive, weil 
er fo fange verzaubert daſtehen müſſe; denn daß er verzaubert fen, 
darüber war er im Neinen; bald rief er feinem getreuen Anappen, 
der im tiefen Schlaf auf feinem Saumfattel ſchnarchte und nicht ein» 
mal an die Mutter dachte, die ihm geboren, bald bat er den weifen 
tirgandeo ober den Alquife um Hilfe, bald erſuchte er feine 
Freundin Urganda, ihm beizuftehen, 

So fand ihm endlich die Morgenröthe, und jeht brüflte er vor 
Scham und Verzweiflung wie ein Stier, und gab alle Hoffnung 
auf, daß der anbrechende Tag ihm Erlöfung bringen werde, Denn 
er hielt feine Zauberei für eine ewige, und zwar um fo ſicherer, weil 
NRozinante fih im Geringſten nicht bewegte, fo daß er des Ofau- 
bens ward, er felbft und fein Gauf müßten in dieſer Stellung, ohne 
zu effen nad zu trinfen, fichen bleiben, bie der Einfluß feines böfen 
Sterns vorübergehe, ober bis ein geſchidter Zauberer ben Zauber 
wieder löfe. Er inte jebod im feiner Rechuuugz deun als es kaum 
anfing zu tagen, kamen vier wohlgelleidete und wohlberittene, mit 
Feuerropren bewaffnete Männer vor tem Wirthehauſe an. Sie Hopf- 
tem heftig an bie noch verfehloffene Thüre. Don Quixote, welder 
trog feiner Lage micht vergaß, dafı er anf der Schildwache fland, rief 
ihnen gebieterifch zu: „Ihr Ritter oder Kuappen, ober wer ihr fonft 
ſeyd, Habt hier mit am das Thor diefes Kaſtells zu Mopfen; denn 
ige ſelbſt müßt wohl wiffen, daß um biefe Stunde biejenigen, die 
darin find, entweder noch fehlafen, ober daß es wenigſtens nit Sitte 
ift, die Thore folder Feſtungen zu Öffnen, ehe die Sonne ben ganzen 
Weltraum erleuchtet, Weider zurück und erwartet den hellen Tag, 
fo wollen wir fehen, ob man euch einfaffen ſoll oder nicht!“ 

„Bo zum Teufel gibt's Hier ein Kaftell ober eine Feflung, mer 
gen beren wir viefe Umftände machen ſollten?“ fragte einer von den 
Neitern. „Seyd Ihr der Wirth, fo laft aufmagen. Wir find 
Tr — 

















614 Bon @uirote. 


Reifende, und wollen hier nur unſern Pferden ein Futter geben und 
weiter reiten, denn wir haben Eile.“ 

„Meint Ihr denn, Ritter, daß ich einem Gaſtwirth ähnlich fehe?“ 
fragte Don Duirote. 

„Wem Ihr ähnlich feht, weiß ich nicht, * fprach der Reiter; „aber 
das weiß ih, daß Ihr tolles Zeug ſchwatzt, wenn Ihr diefe Kueipe 
ein Kaſtell nennt.” 

„Ein Kaſtell iſt's,“ erwiderte Don Duirote, „und eins 
von den beſten in der ganzen Provinz, und es find Perfonen darin, 
die wohl Kronen auf dem Haupte getragen und Scepter in ben Hän- 
den geführt haben.“ 

„Sage lieber: das Scepter auf dem Kopf und die Krone in der 
Hand," verfegte der Reiter. „Am Ende Liegt Hier vermuthlich ein 
Trupp wandernder Schaufpieler, bei denen bie Krone und Scepter, 
wovon Ihr fhwagt, nichts Seltues find. In eine winzige Kneipe, 
wie diefe, wo man feinen Laut Hört, werben wohl feine Perfonen 
einfehren, die Scepter und Kronen verbienen. ” 

„Ihr wißt wenig von der Welt Lauf,” fprah Don Duirote, 
„weil Ihr nit mit den Begebenheiten bekannt ſeyd, die fahrenden 
Nittern zuſtoßen.“ 

Die Reiter wurden des Schwaßens müde und Flopften auf's Rene 
fo Tant, daß der Wirth fammt Allen, die in der Schenke waren, anf- 
wachte, und fi erhob, um zu fehen, wer anflopfe. Unterbeffen traf 
es fih, während Rozinante traurig und niedergeſchlagen, mit ge- 
fenkten Ohren, unbeweglih unter feinem ungfüdlihen Herrn daſtaud, 
daß eine von den Stutten der Reiter fi ihm näherte und ihn ber 
roch. Weil er nun auch von Fleiſch und Bein war unb nicht von 
Holy, wie er wohl zu ſeyn fehlen, fo Eonnte er nicht umhin, fi zu 
fühlen, und die Artigfeit derjenigen, bie ihn berochen hatte, zu er⸗ 
widern. Raum hatte er fih nur ein wenig von ber Stelle bewegt, 
fo glitfäteg Don Duirotes Füße vom Sattel herab, uud er 
wärde zur Erbe gefallen feyn, wäre er nicht beim Arme hängen ge- 
blieben. Dies verurfachte ihm jedoch einen fo heftigen Schmerz, daß 
er meinte, die Hand fey ihm abgehanen oder ber Arm ansgeriffen; 
denn er kam dem Boden fo nahe, daß ihn die Gpigen feiner Zehen 

















XLIN. Kapitel. 615 


beräßrten, und dies war für ihn deſto ſchlimmer; denn weil er empfand, 
wie wenig ihm noch fehlte, um die Füße ganz auf die Erde zu bringen, 
fo gab er fi ale Müpe, fih zu reden und zu fireden, um ben Erd⸗ 
boden zu erreichen, fo wie einer, ben man auf ber Folter in die Höhe 
sieht, feine Marter dadurch vermehrt, daß er vergeblich firebt, feine 
Füße zur Erbe zu bringen, zu welder fie faft Hinabreichen. 














Don @uirote. 


Vierundvierzigſtes Rapitel. 


;Berfolg ber unerbörten Begebenheiten in der Echenke. 


ntfeglih ſchrie Don Dnirote, 

= fo daß der Wirth ganz erſchroden 

die Thüre öffnete und hinauslief, 

> um zu fehen, wer biefes Geſchrei 

/ E exhebe; und auch diejenigen, welche 

Sdraußen waren, eilten Hinzu. 

I Maritornes, bie von dem Lär- 

men bereits erwacht war, konnte ſich 

R die Urſache leicht erffären, Tief da⸗ 

her geſchwind nach dem Henboben, 

ohne daß es Jemand gewahr ward, und machte bie Halfter loe, 

woran Don Quixote hing, der hierauf den Augenblick zu Boden 

fiel. Der Wirth und die Reiſenden traten zu ihm und fragten, was 

ihm fehle, daß er fo gewaltig ſchreie. Ohne ein Wort zu erwidern, 

ſtrejfte er den Strick von ber Hand, fland auf, ſchwang ſich auf feinen 

Rozinante, warf feine Tariſche vor, Iegte die Sanze ein, ritt eine 

Strede in's Feld, Fam in kurzem Galopp zurüd und rief: „Wer da 

behauptet, daß ich mit Recht angezaubert gewefen, dem fage ih, daß 

ex Tügt und daß ih ihm hiemit Trotz biete und ihn zum Kampf ans- 
forbre, wenn bie Pringeffin Micomicona mir es exlaubtl” 











XLIV. Kapitel, 617 


Die neuen Gäfe vermunderten fi über Don Duirotes 
der Wirth Half ihnen aber aus dem Traume, indem er zu 
gab, wen fie vor fi hätten, und fie bat, ſich nicht am ihn zu 
weil er nicht recht geſcheit fey. Sie fragten hierauf den Wirt, 

t ein Züngling von ungefähr fünfzehn Jahren in fein Haus 
ven ſey, der fi wie ein Eſelstreiber verffeibet habe, und ben 
je völlig fo bejeidnelen, wie Donna Elaras Liehhaber Belle 


nem PER daß er demjenigen, welchen fie) ihm beſchrieben, nicht bes 
 merft Gabe. Unterbefi hatt edoch Einer von ihnen den Reifewagen 
gefehen, worin ber Oberrichter gelommen war. 


‚ wäßrend bie Andern bineingehen und ihm aufſuchen. Es 
—* auch wohl Einer draußen verweilen, damit er nicht über die 
4 fmauer entfpringt.” Zwei von ihnen gingen hierauf in’d Haut, 
| Einer bfich am der Türe, und ein Anderer ging draußen auf und ob, 
welches Altes dem Wirthe ſehr auffiel, weil er nicht wußte, was die 
Hansfuhung bedeuten folle, obwohl er vermuthete, daß fie den Yüng- 
Ting ſuchten, welden fie ihm beſchrieben hatten, 
Da es nun völlig Tag geworben war, und Don Dnirote fo 
ofen ir gemadt hatte, fo wachten bereits Alle und ſtanden 
Auch Donna Clara und Dorothea verließen ihr Lager, ob« 
ich fie beide wenig gefhlafen Hatten, die eine vor Uaruhe, weit 
ihr Liebhaber fo nahe bei ihr war, and die andere vor Neugier, ihn 
| u fehen. Da Don Duirote fah, dafı Feiner von ben vier Neifigen 
6 um ihn Sefämmerte oder ihm auch nur antwortete, wollte er wor 
Zorn und Verbraß rafend werben, und wenn er nur geplanst hätte, 
daß nad dem Mittergefegen ein führender Nitter fig mit Fug in ein 
wenet Wbentener einlaffen Fönne, nachdem er verfproden, fih mit 
feinem andern abzugeben, bis das bereits übernemmene beftanden 
wäre, fo würde er fie alle angegriffen und genöthigt Baden, ihm auch 
wider Willen zu antworten. Weil er aber glaubte, es zieme ſich 
nie für ihm, etwas Neued zu imterneßmen, rei | 
Micomicona in ihr Reich eingefept, fo ſchwieg er une | 

















618 Don @uixote 


verhielt fih ruhig, in Erwartung beffen, was aus den Nachſuchungen 
der Fremden würde. Einer von biefen fand den Jüngling, den fie 
ſuchten, wie er eben neben einem Efelstreiber fchlief, ohne ſich träumen 
zu laſſen, daß man ihn hier fuchen, und noch weniger, daß man ihn 
finden werde. Der Menfh fiüttelte ihn beim Arm und fagte: 


„Wahrlich, Don Louis, das Kleid, welches Ihr tragt, ſchidt ſich treif- 
lich für einen jungen Herrn von Eurem Stande, und das Lager, 
worauf ih Euch treffe, paßt fehr zu der Zärtlichkeit, mit welcher 
Eure Mutter Euch erzogen hat.” 

Der Jüngling rieb fi den Schlaf aus den Augen und ſah dem⸗ 
jenigen, der ihn beim Arm gefaßt Hatte, fleif in’s Gefiht. Wie er 
ihn für einen Bedienten feines Vaters erfannte, erſchrack er fo fehr, 
daß er ihm geraume Zeit nicht antworten konnte; ber Bediente aber 
fuhr fort und fagte: „Hier ift nichts Anderes zu tfun, Don Lonis, 
als Euch geduldig zw ergeben und nad Haufe zu kehren, wenn Ihr 
nicht wollt, daß Euer Vater ans der Welt gehe; denn Geringeres 
Täßt uns fein Gram über Eure Entweihung nicht befürchten.“ 

nBie hat denn mein Bater erfahren,” fragte Don Louis, „daß 
ih dieſen Weg, und zwar in dieſer Berfleivung genommen habe?” 























XLIV. Kapitel, 619 1 


Ein Student,” fagte der Bediente „dem Ihr Eure Abſicht ent» 
bt, hat ed ihm gefagt, aus Mitfeiven mit dem Kummer, den 
Bater empfand, als er Euch vermifte. Derſelbe feidte ſogleich 
n feinen Bedienten ab, um Euch aufzufugen, unb wir freuen ung 
deutlich, daß wir fo glücklich zurüdlehren und Euch demjenigen 
bringen werben, ber fo große Sehuſucht nach End fühlt.“ 
wird davon abhängen," enwiderte Don Louis, „obid es 
ei finde, und wie es der Himmel fügt. ” 
| „Was anders lönut Ihr für gut finden,” verſetzte der Bebiente, 
B- was fann der Himmel anders wollen, ald daß Ihr Euch bequemt, 
ichulehren, ba es durchaus nicht anders ſeyn fann.“ 
‚ganze Unterredung hatte der Efelötreiber, welger neben 
Tag, mit angehört. Ex fand auf und ging bin zu 
Fernando, Earbenio und den Hebrigen, die ſich bereits an- 
bi hatten, und erzäßlte ihnen, was vorgefallen, nämlich, daß 
der Bediente den Jüngling Don genannt, und daß er ihn wieder 
nach feinem väterfihen Haufe bringen wolle, wozu aber der junge 
ert feine Luſt bezeige. Diefe Nachrichten, und der Eindruck, welden 


MNengier, zu erfahren, wer er wäre, und ſich feiner anzunehmen, falls 
m Gewalt ‚gegen ihn gebrauchen wollte. Sie gingen demnach mit- 


then kam ebenfalls aus ihrem Zimmer und mit ihr 
ara in großer Uneupe, Dorothea zog ten — 


a6 mit den Hr: vorgefalfen, bie der Bater des Don Louis 
ausgefandt hätte, um ihn aufzuſuchen. Er fonnte ihr dies jedoch 
nicht fo Teife fagen, daf Donna Elara nit etwas davon verſtanden 
Hätte, welche darüber fo beſtürzt wurbe, baf fie Hingefunfen wäre, hätte 
Doroth ea fie nicht gehalten, Carbenio bat deßwegen Dorothea, 
wieder mit ihr in bie Kammer zu gehen, und verſprach ihr, Alles zu 
vermitteln, worauf die beiven Frauengimmer fih zurädbegaben. 
Ale vier Bedienten, welche nah Don Louis anegefandt 
waren, hatten fih unterbeffen um ihn fer verfammelt und redeten 





! 

















= 
| 
| 





620 Don Quirote. 


ihm zu, mit ihnen zu gehen und feinen Vater zu beruhigen. Er ant- 
wortete ihnen aber, daß er durchaus nicht eher gehen werde, bie er 
eine gewiſſe Sache abgemacht, von welcher fein Leben, feine Eher 
und feine Glüdfeligkeit abhänge. Die Bedienten fepten ihm hieramf 
noch dringender zu, und erflärten, fie würden auf Seinen Fall ohne 
ihn zurüdfehren, und wenn er nit in der Güte mitgehen wolle, fo 
müßten fie ihn mit Gewalt zurädführen. 

„Das follt Ihr wohl bleiben laſſen,“ fprah Don Louis, „wenn 
IHr mich nicht vorher um’s Leben bringt; und wenn es Euch au 
gelänge, mich auf irgend eine Art fortzufchleppen, fo würde es mir 
dennoch das Leben often.” * 

Ueber dieſem Gezänke waren bereits alle Gaͤſte in der Schenfe 
aufammengefommen, Eardenio, Don Fernando und feine Beglei- 
ter, der Oberrichter, der Pfarrer, der Barbier, und ſelbſt Don 
Duirote, welder glaubte, daß das Caſtell jegt einer Schildwache 
nicht länger bedürfe. Cardenio, welcher mit der Geſchichte des 
Jünglings ſchon befannt war, fragte bie, welche ihn wegführen woll- 
ten, warum fie darauf beftänten, ihn wider Willen mitzunehmen. 

„Beil wir wünfgen, feinem Vater das Leben zu friſten,“ antwor- 
tete Einer von ihnen, „weldes die Entweichung diefes jungen Herrn in 
große Gefahr gebracht Hat.” 

„Hier iſt nicht der Ort, von meinen Angelegenheiten zu ſchwatzen,“ 
fagte Don Louis, „Ich bin ein freier Mann, und gehe zarüd, wenn 
es mir gefällt, und wenn ich nicht will, fo darf Keiner von Euch mich 
dazu zwingen. ” 

„Die Bernunft muß Euch dazu zwingen,“ fagte der Bedicnte; 
„und wenn fie das nicht fann, fo zwingt fie uns, unfern Auftrag und 
unfere Pflicht zu erfüllen. * 

„Was ſoll denn das alles bedeuten?“ fragte der Dberrichter. 

„Ei, Here Oberrichter“ ſprach der Bediente, der ihn als einen 
Nachbar feines Herrn fehr wohl kannte, „kennen Euer Gnaben diefen 
jungen Herrn nicht? Er ift ja ter Sohn Eures Rachbars, und Hat 
ſich in dieſer Kleidung, die feinem Stande fo wenig angemeflen if, 
aus dem Haufe feines Vaters entfernt.“ x 

















XLIV. Sapitel, 


Der Dberrichter betrachtete ihn gemamer, und wie er ihn erfannte, 
umarmte er ihn und fagte: „Was find das für Jagendſtreiche Don 
Lonis? ober was für wichtige Urſachen konnten Euch bewegen, Euch 
in einer folgen Kleidung betreten zu Taffen, die fih fo wenig für 
Euren Stand fhidt?* 

Dem Jüngling famen die Tränen in die Augen, und er konnte 
dem Oberriter fein Wort erwidern. Diefer gebot den Bedienten 
Ruhe und verſprach, Alles in Ordnung zu bringen, Hierauf nahm 
erden Don Louis auf die Seite und fragte ihn, warum er hieher 
gefommen? Dod indem er ihm hierüber und über andere Dinge ber 
fragte, entftand großer Lärm vor ber Haustpüre; denn ein paar Gäſte, 
die in der Schenke übernachtet, wurben gewahr, daß Jedermann mit 
feiner Neugier wegen des Fünglings und mit den vier Bedienten befcjäf- 
tgit war, und wollten verfügen, fih davon zu machen, ohne ihre Zeche 
zu bezahlen. Allein der Wirth, mehr um feine eigenen, als um anberer 
Leute Sachen befümmert, hielt fie an, ‚wie fie aus der Thüre gehen 
wollten, forderte fein Gelb und verwies ihnen ihre Unrechtlichfeit in 
folgen Ausprüden, daß fie ihm mit Fauſtſchlägen antworteten und 
ihm dermaßen bearbeiteten, daß der arme Wirth gendthigt war, um 
Hitfe zu freien. Die Wirthin und ihre Tochter ſahen Niemand, der 
beffer Zeit Hatte, ihm beizufpringen, als Don Duirote, und die 
Tochter rief dieſem zu: „Helfet, Here Ritter, um der Tapferkeit willen, 

die Euch Gott gegeben hat! Steht meinem Vater bei, den ein paar 
gottlofe Menſchen zu Brei dreſcheu!“ 

Langfam und Faftbfütig antwortete Don Onirote: „Schönes 
Fräufein, Euer Begehr kann dermalen nicht flattfinden, fintemal ih 
jedt Fein anderessAbentener befichen lann, bevor ich dasjenige aöge- 
führt, wozu mein gegebened Wort mich verbunden hält. Ich will Euch 
aber fagen, was ih für Euch than fan: lauft und fagt Eurem Ba- 
ter, er ſoll ſich im Kampf zu Halten ſuchen und den Sieg fi nicht 
entreißen laſſes, verweilen ih die Prinzeffin Miconicona um Er- 
laubaiß bitte, ihm in feiner Noth beizuſtehen, und wenn fie mic Diefe 
nicht verſagt, fo ſeyd verſichert, daß ih ihm daraus erreiten werde. 

„Gott verzeih mir" rief Maritornes; „ehe Ener Guaden dieſe Er- 
laubniß befommen, kann mein armer Herr ſchon in der andern Welt ſeyn.“ 

















622 Don &uirote, 


„Laßt mich die befagte Erfaubnig nur erlangen,“ erwiderte Don 
Duirote; „denn wenn id fie erhalte, fo ift wenig daran gelegen, 
ob er ſchon in ber andern Welt iſt, denn ich Hole ihn aller Welt 
zum Trotz von bort zurüd, oder räche Euch bermafien an benen, bie 
ihn dapin geſchidt haben, daß Ihr mehr ald mittelmäßig mit mir wer- 
det zufrieden ſeyn.“ 

Dhne Weiteres ließ er fih vor Dorothea auf ein Knie nieder, 
und bat nad allen Formen fahrenden Nittertfums: „ IHro Hoheit möge 
gerufen, ihm zu vergönnen, dem Caſtellan des Schloffes in hartem 
Kampf und Drangfal zu Helfen und beizufpringen. « 

Die Prinzeffin gewährte ihm ohne Schwierigkeit feine Bitte, 
worauf er firads den Schild vorwarf, das Schwert ergriff und an bie 
Thüre ging, woſelbſt die beiden Gäſte noch immer weiblih auf den 
Wirth losſchlugen. Wie er aber dahin Fam, flugte er und blieb 














XLIV. Kapitel 623 


ſtehen. Maritornes und die Wirthin riefen ihm zu, warum er 
zaudere, ihrem Herr und Ehemann beijuſtehen? 

„Ich zaudere,“ ſprach Don Quixote, „weil es mir nicht ziemt, 
mein Schwert gegen Knappen zu ziehen. Ruft mir aber nur meinen 
Kuappen Sancho Herz deun ihm gebüßrt ed, dieſe Bertgeibigung 
und Rache zu übernehmen, * 

Dies alles begab fi vor ber Haucthüre, und es regnete Maul - 
ſchellen und Faufifhläge auf Koften des Wirths, während die Wir- 
thin, ihre Tochter und Maritornes vor Verdruß raſend werben 
wollten, daf Don Quirote müßig daſtand und ihren Ehemann, 
Bater und Herrn mißhandeln Tief. Wir müffen ihn jedoch vor der 
Hand hier verfaffen, und es wird fi ja wohl Jemand finden, der 
ihm beiftehtz wo nicht, fo muß er die Hanb auf den Mund legen und 
fih gedulden, wenn er mehr unternommen, als er auöfechten fan. 
Wir wollen indeß unfre fünfjig Schritte zurüdgehen und Hören, was 
Don Louis dem Oberrichter zur Antwort gab, als wir ifn mit 
ihm allein Kießen, und als biefer ihn fragte, warum ex zu Fuß und 
in fo unſchicklicher Kleidung eine folhe Reife unternommen. 

Der Füngling drückte ihm mit beffommenem Herzen die Hände, 
und fagte unter Vergießung häufiger Tränen: „Mein Herr, ih muß 
Euch nur geftehen, von dem erſten Augenblicke an, ba der gütige Himmel 
durch unfre nahe Nachbarſchaft mir Gelegenheit gab, Eure liebenswärdige 
Toter Donna Elara zu fehen, war fie unumſchräntte Gebieterin 
über mein Hery, und wenn es Euch, mein theurer Herr und Vater, 
wicht zuwider wäre, fo würde fie vom diefer Stunde an meine Ge- 
mahlin. Um ifretwilfen verlieh ich das Haus meines Vaters, um 
ihretwillen zog ich diefe Kleider an, um ihr überall nadhzufolgen, wie 
ber Pfeil nach dem Ziele firebt und die Nadel nach dem Norbpef. 


Sie ſelbſt weiß von meiner Liebe weiter michts, ald was meine Anı 


gen ihr von ferne bisweilen durch zärtliche Blicke mögen entbedt 
haben. Ihr wißt, mein Herr, wie reich und adelich meine Eltern find, 
und daß ich ifr einziger Erbe bin. Wenn Ihr meint, dafı diefe Rüd- 
fihten Hinfänglih find, um Eu zu bewegen, mein Gfüd volllommen 
zumachen, fo erfenmt mich nur anf der Stefle für Euern Soßn; denn 
gefeßt auch, mein Vater hätte Abfichten mit mir, welde dem Gfüde, das 


| 














618 Don @uirote 


verhielt fi ruhig, in Erwartung deffen, was aus ben Nachfuchungen 
der Fremden würde. Einer von biefen fand den Jüngling, ben fie 
ſuchten, wie er eben neben einem Efelstreiber fihlief, opne fich träumen 
zu laffen, daß man ihm hier ſuchen, und nod weniger, daß man ihn 
finden werde. Der Menſch ſchüttelte ihn beim Arm und fagte: 


„Wahrlich, Don Louis, das Kleid, welches Ihr tragt, fickt ſich treif- 
lich für einen jungen Herrn von Eurem Gtande, und das Lager, 
worauf ih Euch treffe, paßt ſehr zu der Zärtlichkeit, mit welcher 
Eure Mutter Euch erzogen hat.” 

Der Jüngling rieb fig den Schlaf aus den Augen und fah bem- 
jenigen, der ihn beim Arm gefaßt hatte, fleif in’s Geſicht. Wie er 
ihn für einen Bebienten feines Baters erfannte, erfhrad er fo fepr, | 
daß er ihm geraume Zeit nicht antworten fonnte; der Bediente aber 
fuhr fort und fagte: „Hier ift nichts Anderes zu tfun, Don Lonié, 
als Euch gebufdig zu ergeben und nah Haufe zu fehren, wenn Ihr 
nicht wollt, daß Euer Bater aus ber Welt gehe; denn Geringeres 
Täßt ung fein Gram über Eure Entweichung nit befürchten.“ 

„Wie hat denn mein Bater erfahren," fragte Don Lonis, „da 
ich diefen Weg, und zwar in biefer Verkleidung genommen Habe? 

















XLIV. Kapitel. 65 


zu thun ſey. Don Lonis Füfte ihm mit Inbrunſt die Hände 
und benegte fie mit Thränen, die wohl ein Marmorbild Hätten 
erweichen können, wie vielmehr das Herz des Oberrichters, wel- 
Gem die Bemerfung nicht entging, dafı feine Tochter durch die 
Heirath ein glänzendes Gfüd machen würde; er wänfchte jedoch, daß 
es wo möglich mit Genehmigung des Baters von Don Louis 
geſchehe, der aber, wie er wußte, mit feinem Sohne fehr hoch 
hinaus wollte, 


Indeß Hatten die Gäſte und der Wirth bereits Friede gemacht, 
indem Don Quixote bie erſtern mehr durch Güte und Leber 
redung, als darch Drofungen bahin vermochte, daß fie dem Wirthe 
feine Rechnung bezahlten, umb and bie Bebienten tes Don Louis 
warteten nur anf dem Auegang feiner Unterredung mit dem Ober 
richtet und auf den Entfluß ihres jungen Herrn. 


Allein der Teufel, der nie fötäft, füßrte in demſelben Augen 
blicke den Barbier her, welhem Don — jüngft dem Helm 


Mambrins geraubt, und San o das Geſqhirr feines, Efete, 
nommen und ed gegen das ſeinige aucgetauſcht ha Indem d 
Barbier feinen Eſel in den Stall zog, warb er dem Sand 
gewaßr, wie er eben am Saumſattel etwas zurecht machte. Kaum 
erblicte er den Sattel und erfannte ihn für dem feinigen, fo ging 
er auf Sanch o los und rief: „Hab ih Dich, Erzfpigsubet 
Heraus mit meinem Beden und Saumfattel und mit alfen Sachen, 
die Dis mir geſtohlen Haft!“ 


Sancho, der fo undermuthet angegriffen warb, und bie Schimpfe 
wörter hörte, die man gegem ihn auoſtieß, hielt mit der einen Hand 
den Saumfattel ſeſt und gab mit der andern dem Barbier eine fo 
derbe Maulſchelle, daf das Blat darnach floß. Diefer ließ aber den 
Saumfattel nicht Ios, und rief fo lant, dag die ganze Schenfe davon 
erſcholl: „Hilfe im Namen des Könige und der Gerechtigkeit! Ein 
Schelm und Straßentränber will mich hier todtfchlagen, weil ich mein 
Eigenthum von ihm wieder haben will.“ 























620 Don Buirote 


ihm zw, mit ihnen zu gehen und feinen Bater zu berufigen. Er ant- 
wortete ihnen aber, daß er durchaus nicht eher gehen werde, bis er 
eine gewiſſe Sache abgemacht, von welder fein Leben, feine Ehre 
und feine Glüdfeligkeit abhänge. Die Bedienten fepten ihm Hierauf 
noch dringender zu, und erflärten, fie würden auf feinen Fall ohne 
ihn zurüdfehren, und wenn er nicht in der Güte mitgehen wolle, fo 
müßten fie ihn mit Gewalt zurückführen. 

„Das follt Ihr wohl bleiben laſſen,“ fprah Don Lonis, „wenn 
Ihr mich nicht vorher um's Leben bringt; und wenn es Euch auf 
gelänge, mich auf irgend eine Art fortzufpfeppen, fo würbe es mir | 
dennoch das Leben koſten.“ N ı 

Ueber diefem Gezänfe waren bereits alle Gäfte in der Schenfe 
aufammengefommen, Cardenio, Don Bernando und feine Beglei- 
ter, der Oberrichter, der Pfarrer, der Barbier, und ſelbſt Don 
Duirote, welcher glaubte, daß das Caſtell jegt einer Schildwache 
nit fänger bedürfe. Cardenio, welcher mit ber Geſchichte des 
Jünglings fon befannt war, fragte die, welde ifn wegführen woll- 
ten, warum fie darauf beftänden, ihn wider Willen mitzunehmen. \ 

„Beil wir wünfgen, feinem Vater das Leben zu frißen,“ antwer- ı 
tete Einer von ihnen, „welches die Entweichung diefes jungen Deren in 
große Gefahr gebracht Hat.” 

„Hier iſt nicht der Drt, von meinen Angelegenheiten zu ſchwatzen,“ 
fagte Don Louis, „Ich bin ein freier Mann, und gehe zurück, wenn 
es mir gefällt, und wenn ich nicht will, fo darfKeiner von Euch mi 
dazu zwingen. « 

„Die Vernunft muß Euch dazu zwingen,“ fagte ver Bedicnte; 
„und wenn fie das nicht fann, fo zwingt fie ung, unfern Auftrag und 
unfere Pfliht zu erfüllen. « 

Bas fol denn das alles bedeuten?“ fragte der Oberrichter. 

„Ei, Here Oberrichter * ſprach der Bediente, der ihn als einen 
Nachbar feines Herrn fehr wohl kannte, „kennen Euer Gnaden dieſen 
Jungen Herrn nicht? Er ift ja der Sohn Eures Nachbars, und Hat 
fi in diefer Kleidung, die feinem Stande fo wenig angemeffen if, 
aus dem Haufe feines Vaters entfernt.” h 











XLIV, Kapitel. 


\ 
4 


fort, und der Barbier fagte unter Anderm: „Meine Herren, ſo wahr ic 

| debe, dieſer Saumfattel gehört mie, und id leune ihn fo gut, als 
we ich ſelbſt ihn gezeugt und. geboren hätte, Dort ſteht mein Efel 
im Stalle und fann’s beweiſen, Legt ihm den, Sanmfattel, auf, und 
wenn er ihm nicht auf den Nüden paßt mie gegoffen, fo nennt mich 
einen Schelm. Bas noch mehr ift, an demfelben Tage, da fie mir 
ihm abnahmen, raubten fie mir auch sin Bartbecken, das noch nie 
gebraudt und feinen baaren Thaler werth war.“ 


Jetzt konnte Don Duirote nicht länger anftehen, fih in die 
Eu Sacıe zu mifchen. Er trat zwiſchen die beiden Parteien, brachte fie 
mder, legte den Saumfattel auf die Erde, damit Feder bie 
gemachter Sache ihn fehen Zönne, und fagte: „Damit Euer 
fammt und ſouders einfehben, wie fehr diefer ehrlige Knappe 
im Jerthum ſtect, fo braucht Ihr nur zu bemerten, wie fälſchlich er 
ei ein Ding Vartbeden nennt, weldes nie etwas Anderes war, if 
ober ſeyn wird, ald Mambring. en ihm in ehrlicher, 
|| ofener Gehe algenommen, und ihm yeah fa meinen cıät- 
RE habe, Was den Saumſattel ber 
at ante, und will weiter nichts 
Sando, Aagbem ich deſen 











ih erlaubte es ihm und er nahm ea, und wenn es ſich and einem 
eitzeuge in einen Saumfattel verwandelt hat, fo weiß ich feine 

B andere Urſache davon anzugeben, ald daß dergleichen Verwandlungen 
u i a die den fahrenden Rittern vorkommen, nichts 
| Ungemöpnfiges find. Um diefes zu beweifen, fo geh hin, Freund 
| Sando, und hole mir den Helm, den dieſer ehrliche Menſch zum 
Bartbeden machen will. 


| „Mein Seel, Herr!” fprah Sanıho, „wenn wir feinen beffern 
| Beweis Haben, am und zu rechtfertigen, als Ihr beibringen wollt, 

fo if Mambrins Helm fo gut ein Bartbeden, alo das Reit- 
1% diefes Ehrenmannes ein Saumfattel iſt.“ 








2 

















- 





628 Don Buixote 


Thu', was ich dir befehle?“ fagte Don Duirote; „es 
wird ja wohl micht Alles hier im Haufe mit Zauberei zugeben.“ 

Saucho ging und brachte das Bartbeden, welchee Don 
Duirote in die Hand nahm und ſprach: „Urtheilen Euer Gnaden 


jept ſelbſi, mit welchet Stiene biefer Knappe behaupten darf, bies 
fey ein Bartbeclen, und nicht der Helm, vom weldem ich ſprach; ich 
ſchwoͤre bei dem Orden der Ritterſchaft, zu welhem ich gehöre, daß 
dies derſelbe Helm iſt, dem ich ihm abnafım, und daß nichts weber 
dazu getan, noch davon genontmen ward, 

„Das ift gewiß," ſprach Sanıho; „denn feitven ihn mein 
Herr gewann, hat er ihm bis dieſe Stunde mir in einem einzigen 














LXIV. Kapitel 6 


Treffen gebraucht, nämlich wie er die unglücklichen Gefangenen be- 
freite, und wenn er biefen Bartbeckenhelm damals nicht gehabt Hätte, 
fo wäre es ihm fehr ſchlimm befommen, denn bei dem Strauße hat's 
Steine geregnet.“ 





624 Don Buikste. 


ich ſelbſt für mich gefunden, in ben Weg träten, fo kann doch bie Zeit eher 
alles Andere ändern und zerflörem, als die Neigungen des Denfhen.” 

Hier ſchwieg der verliebte Jüngling, und ber DOberrichter war 
eben fo fehr erſtaunt über die einnehmende Art, mit welcher Don 
Louis ihm feine Wünſche entvedt batte, als unſchläſſig, was er 
auf einen fo überrafenden Antrag erwidern folle. Er bat im bem- 
nach, fi zu gedulden, und feine Leute dahin zu vermögen, daß fie 
nicht noch an demſelben Tage wieder nah Haufe gingen, damit man 
Zeit hätte, zu überlegen, was zu allerfeitigem Beten bei der Sache 


LET 


| 9 




















XLIV. Kapitel. 6 


zu thun ſey. Dom Lonis füßte ihm mit Imbrunft die Hände 
und benehte fie mit Thränen, die wohl eim Marmorbiid hätten 
erweihen fünnen, wie vielmehr bad Herz bes Oberrichtere, wel» 
em die Bemerkung nicht eutging, daß feine Tochter durch die 
Heirath ein glänzendes Gläd machen würde; er wünſchte jedoch, daß 
«8 wo möglich mit Genehmigung des Baterd von Don Louis 
geſchehe, der aber, wie er mußte, mit feinem Sohne fehr God 
hinaus wollte. 


Indeß Hatten die Gifte und der Wirth bereits Ftiede gemacht, 
indem Don Quixrote bie erſtern mehr dur Güte und Ueber 
rebung, als durch Drofungen dahin vermochte, daß fie dem Wirthe 
feine Rechnung bezahlten, und auch die Bedienten des Don Lonis 
warteten nur auf den Ausgang feiner Unterredung mit bem Ober- 
richter und anf ben Eutfgfaß ihres jungen Herrn. 


Allein der Teufel, der nie ſchlaft, führte in demſelben Augen - 
bfide den Varbier Ser, weldem Don Quixote jüngſt den Hefm 
Mambrins geraubt, und Sandho das Gefihirr feines Efels ger 
nommen und es gegen ba6 feinige ausgetaufcht hatte. Indem biefer 
Barbier feinen Eſel in den Stall zog, warb er den Saucho 
gewahr, wie er eben am Gaumfattel etwas zurecht machte. Saum 
erblidte er den Sattel und erfannte ihn für den feinigen, fo ging 
er auf Sando Tos und rief: „Hab' ih Di, Erzſpitbude 
Heraus mit meinem Beden und Saumſattel und mit allen Sachen, 
die Du mir geſtohlen Haft“ 


Sando, ber fo unvermuthet angegriffen ward, und bie Schinipfe 
wörter hörte, die man gegen ihn ausſtieß, hielt mit der einen Hand 
den Saumfattel fe und gab mit ter andern dem Barbier eine fo 
derbe Maulſchelle, daß das Blat darnach floß. Diefer ließ aber den 
Saumſattel nicht los, und rief fo laut, daß die ganze Schenfe davon 
erfholf: „Hilfe im Namen des Könige und ber Gereligfeit! Ein 
Schelm und Strafenräuber will mich bier todtſchlagen, weil ich mein 
Eigenthum von ihm wieder haben will.“ 




















„Du lügſt!“ ſchrie Sauchoz „ih bin fein Gtraßenräuber. 
Diefe Beute Hat mein Herr Don Duirote in ehrlicher Fehde gr 
wonnen, # 

Don Duirotewar fon dazu gefommen und bemerkte mit Wohlge ⸗ 
fallen, wie ſein Kuappe in Vertheibigung und Angriff ſich fo tapfer benahm, 
und von bent Augenblicke an hielt er ihn für einen madern Kerl und nahm 
ſich vor, ihn bei erfier Gelegenheit zum Nitter zu ſchlagen, weil er meinte, 
daf er den Ritterſchlag wohl verbiene. Unterdeſſen dauerte ber Zant 


- 























L 


XLIV. Kapitel. 687 


fort, und ver Barbier fagte unter Anderm: „Meine Herren, ſo wahr ih 
febe, dieſer Saumfattel gehört mir, und ich leune ihn fo gut, ale 
wenn ich ſelbſt ihm gezeugt und geboren hätte, Dort ſteht mein Eſel 
im Stalle und lann's beweifen,, Legt ihm, den, Saumſattel auf, , und 
wenn er ihm nicht anf den Rücken paßt wie gegoffen, fo nennt mic, 
einen Schelm Was noch mehr if, am demfelben Tage, da fie mir 
ihn abnahmen, raubten fie mir auch ein Bartbeden, das noch nie 
gebraucht und feinen baaren Thaler werth war. 


Jetzt fonnte Don Quixote mit länger anftehen, fih in bie 
Sade zu miſchen. Er trat zwiſchen die beiden Parteien, brachte fie 
auseinander, legte ben Saumfattel auf die Erbe, damit Jeder bie 
nach ausgemachter Sade ihn fehen Fönne, und fagte: „Damit Eier 
Gnaden fammt und fonbere einfehen, wie fehr biefer ehrliche Anappe 
im Jrrthum ſtedt, fo braucht Ihr nur zu bemerken, wie falſchlich er 
ein Ding Bartbeden nennt, welches mie etwas Anderes war, iſt 
oder fegn wird, ald Mambrins Helm, dem ich ihm in ehrlicher, 
offener Fehde abgenommen, und in dadurch zu meinen reht- and 
gefegmäßigen Eigenthum erworben Habe. Was den Saumfattel be- 
trifft, darauf fann ich mich wicht einfaffen, und will weiter nichts 
davon fagen, als daß mein Schifpfnappe Sando, nachdem ich dieſen 
feigen Tropfen überwunden hatte, mid um Erfanbnif bat, das Reit⸗ 
zeug feines Gauls zu nehmen und den feinigen damit auszuräften, 
Ich erfandte es ihm und er nahm «4, und wenn es fi au einem 
Reitzeuge in einen Gaumfattel verwandelt hat, fo weiß ih feine 
andere Urſache davon anzugeben, als dafı dergleichen Verwandlungen 
bei Gegenftänden, die den fahrenden Nittern vorlommen, nichts 
Ungewöhnfices find. Um diefes zu bemeifen, fo geh bin, Freund 
Sande, und hole mir den Helm, den dieſer ehrliche Meuſch zum 
Bartbeden machen will, * 


„Mein Seel, Herr!” fprah Sanıho, „wenn wir feinen beffeen 
Beweis haben, um uns zu rehffertigen, als Ihr beibringen wollt, 
fo if Mambrins Helm fo gut ein Bartbecken, als das Reit 
zeug diefes Ehremmannes ein Saumfattel iſt.“ 














628 Don &uixste. 


Thu, was ih die befehle!“ fagte Don Duirote; „es 
wirb ja wohl nicht Alles bier im Hanfe mit Zauberei zugeben." 

Sando ging und bradte das Bartbeden, welchee Don 
Duirote in bie Hand nahm und fprah: „Urtheifen Euer Gnaben 





fhwöre bei dem Orden der Mitterfehaft, zu welchem ich 
dies berfelbe Helm iſt, den ich ihm abnahm, und daß 
dazu gethan, mod bavom genommen ward," 
Das ift gewiß," ſprach Sancho; „denn feitdem ihn 
Herr gewann, hat er ihm bie diefe Stunde nur in einem 




















LXIV. Kapitel 6 


Treffen gebraucht, nämlich wie er bie unglädlihen Gefangenen be- 
freite, und wenn er dieſen Bartbedenhelm damals nicht gehabt Hätte, 
fo wäre e6 ihm fehr ſchlimm befommen, deun bei dem Strauße hat’s 
Steine geregnet." 





























Fünfundvierzigfled Rapitel. 


Gnrfheitung ver Streits über Mamkrins Helm und ven Caumfattel, jammt andern Borfällen 
ter Wahrheit gemäß bargefteilt. 


uadfalbert fo ange Ihr wollt!“ rief der 
Barbierz „aus einem Bartbeden werbet 
220. Ihr feinen Helm machen: nicht wahr, 
4 Euer Gnaden?“ 

© „Und wer das Gegentheil behauptet," 
fhrie Don Quixote, „den will ih 
empfinden Iaffen, daß er lügt, falls er 
ein Ritter ift, und ift er ein Knappe, fo fage ih ihm, daß er taufend- 
mal lügt und noch einmal lügt.“ 

Unfer Meifter Niklas, ver bei dem ganzen Auftritte gegenwärtig 
war und Don Quixotes Grillen fo gut Fannte, hatte feine Luſt 
daran, Del in’s Fener zu gießen und zum Vergnügen der Uebrigen 
den Spaß weiter zu treiben. Er fagte demnach zu bem fremden 
Barbier: „Mein Here Barbier, oder was Ihr font ſeyn mögt, 
wiffet, daß ih Euer Amtsbruder bin und feit zwanzig Jahren meinen 
Meifterbrief aufweifen kann und alle Barbier-Infirumente vom größten 
bis zum Heinften fehr wohl Senne. Ich bin auch in meiner Jugend 











f XIV: aavitel 631 


einmal Soldat gewefen, fo daß ih wohl weiß, mas ein Helm, ein 
|  Stuembutoder eine Pidelhaube ift, und was fonft noch zum Strieges 
gerätb gehört und zu den Waffen der Gofbaten. Aber mit aller 
Achtung für den, der ed beffer weiß und nerficht, muß ich fagen, daß 


das Ding, welches diefer gute Herr in der Hand bat, mit allein 
fein Bartbeiten, ſondern fo fehr davon nerfhieben ii, wie Schwarz 
| von Weiß amd wie bie Wahrheit von der Lüge. Ich muß zugleich 
| fagen, dafi es zwar ein Helm iſt, aber Tein vollſtändiger Helm.“ 
Svreilich nicht,” fagte Don Dnirote; „denn es fehlt ihm 
faſt die Häffte, nämlich die Halsberge.“ 

„Sehr richtig!” fagte der Pfarrer, ber im bie Abſicht feines 
Fteundes, des Barbiers, einging. Carbenio, Don Kernande 
und feine Kameraden beflätigten den Ausſpruch, und ſelbſt der Dber- 

ter würde ben Spaß mit unterftügt haben, wenn nicht bie Ange 
egenbeiten des Don Lonid feine Gebanfen ernſthafter befchäftigt 
und ihm verhindert hätten, auf diefe Poffen zu achten. 

„Gott fep bei mir!" fagte der geſchraubte Barbier; „ift es 
möglich, daß fo viele ehrfame Leute fagen, bies fey fein Bartbeden, 
fondern ein Helm? So wat Fönnte wohl eine ganze Univerfität mit 

| aller ibrer Weisheit in Verwunderung fegen. Ei nun, wenn bies 

| Vartbeden ein Helm ift, fo wird wohl and der Gaunfattel ein 

| Reitzeng ſeyn müffen, wie biefer Herr fast.” — „Es ſcheint mir 
mehr einem Sanmfattel ähnlich," ſprach Don Duirote; „allein ih 
babe ſchon gefagt, daß ich mic daranf nicht einlaffe, zu entfeiten, 
ob dies ein Pferber oder Efelöfattel fen.“ 

„Ds 6 ein Eaumfattel ober Turnierzeug feg,“ fpra der 
Darren, „das kaun Niemand beffer eutſcheiden, ale Herr Don 
Quixote, weldem wir in ſolchen ritterlihen Sachen ſammt und fonders 
unfere Meinungen unterwerfen.“ 

"Bei Gott! meine Herren,” erwiderte Don Duirote, „ib 
bin nun zum zweitenmale in dieſes Schlofi eingefehrt, und habe ſchon 
fo viele außerordentliche Dinge hier erlebt, daß ih mir nicht getraue, 
anf irgend eine Frage Über Dinge, die bier gefhehen, beſtimmt zu 
antworten, weil mir däucht, daß bier platterbinge Alles mit Zauberei 
zugeht. Das erftemal hat ein verzanberter Mohr, der Bier fpuft, 





























mm 00000 — 
633 Don Buizote 





mic) übel mitgenommen, und Sancho fam unter ben Händen feiner 
Helferspelfer nicht beffer weg, und vorige Nacht habe ich wieber ein 
paar Stunden an biefem Arm in ber Luft hängen müflen, ofne ber | 
greifen zu Können, wie und warum mich biefes Unglüd betroffen Kat. 
Es wäre demnach fehr verwegen von mir gehandelt, wenn ich in einer 
fo verwidelten Sache ein entfcheivendes Urtheil ausſprechen wollte. 
Bas die Behauptung derjenigen behsfft, welche fagen, diefes fey ein 
Bartbecken und fein Helm, fo Habe ich ſolche bereits widerlegt, ob 
aber jenes bort ein Saumfattel ober ein Neitzeng ſey, das getraue 
ih mir nicht beflimmt zu entfcheiven, fondern überlaffe e6 enrem 
Gutachten. Denn weil ihr nicht zu Rittern geſchlagen ſeyd, fo haben 
vielleicht die Zaubereien, fo hier vorgehen, feinen Einfluß auf euch, 
und laſſen end den richtigen Gebrauch eurer Sinne, fo daß ihr 
bie Sachen in dieſem Schloſſe beurtheilen könnet, wie fie wirklich find, 
und nicht wie fie mir ſcheinen.“ L 

Here Don Duirote hat allerdings fehr richtig bemerkt,“ 
ſprach Don Fernando, „daß es diesmal uns Andern zufommt, 
dieſen Fall zu entfgeiden, und damit Alles babei ordentlich zugehe, 
fo will ich insgeheim die Stimmen biefer Herren fammeln, und hernach 
treulich und deutlich berichten, wie fie ausfallen.” 

Denjenigen, welhe Don Duirotes Grillen bereits Fannten, 
machten dieſe Auftritte vielen Spaß; die Andern aber, bie nichts bavon 5 
mußten, hielten Alles für ein tolles Marrenfpiel, befonbers bie vier 
Diener des Don Louis, er ſelbſt gleihfals und noch drei andere 
Gäfte, welde von ungefähr in der Schenke eingekehrt waren und 
große Aehnlichteit mit Schergen hatten, und das waren fie aud in 
der That. Der Barbier aber wollte vollends aus ber Haut fahren, 
wie ihm fein Bartbecken vor den Augen in einen Helm verwandelt 
ward, und er jeden Angenblid erwarten mußte, auch den Saumſattel 
in ein Föfliches Reitzeug verwandelt zu fehen. Ale mufiten indeß 
über die Gefchäftigfeit Tachen, mit welcher Don Fernando bie 
Stimmen fammelte, und fi von Jedem in's Ohr fagen ließ, ob das 
Reinod, worüber gefritten ward, ein Saumfattel oder ein Reitzeng 
fey. Nachdem er von Don Duirotes Belannten die Stimmen 


eingefammelt Hatte, fagte er zu bem fremben Barbier: „Die Wahrpeit 

















XLV. Kapitel. 633 


zu geſtehen, mein guter Freund, fo bin ich Then müde, Stimmen 

| zu ſemmeln, weil ich finde, daß Jeder, dem ih frage, mir antwortet, 

man müffe nicht geſcheit ſeyn, wenn man nicht fehe, daff biee fein 

Saumſattel für einen Efel fey, fonbern ein Neitzeng für ein Pferd, 
und zwar für ein recht edled Pferd, Ihr müßt demnach Geduld 

' haben, denn es iſt nun einmal, trog Euch und Enrem fer, fein 

Saumſattel, fondern ein Pferdegeſchirr, und Ihr, mein Arennb, habt 

|  &nerm Projeß verloren. # 

j „Mein Erbtheil im Himmel will ich werfieren,* ſprach der arme 
Barbier, „mern Ihr insgefammt nicht fee irrt, und ich will nicht 
zu Gott kommen, wenn ich nicht übergengt bim, daft dies ein Saum ⸗ 

ſattel iſt und fein Geſchirr für ein Kampfrofi. Uber Gewalt 

| geht — ih will nicht fügen mwosor, amd ich bin doch, weiß Gott! 
ruchtern, und habe biefen Morgen noch gar nichts im Leib, ale bie 
leidige Erbfünde.” 

I Diefe närrifgen Neden des; Barbiers Tiefertem nicht weniger 
Stoff zum Laden, als die Thorbeiten Don Dunirote's, welcher 

am Ende fagte: „Hier iſt weiter nichts zu thun, als daß Jeder das 

Seinige nehme, und mem Gott es gibt, dem Taf es St. Peter 

| gedeihen.” 

1m Wenn dies nicht ein werabreseter Spaß iſt, ſagte einer won den 
Dienern des Don Ponit, „fo weiß ih nicht, mie fo viele vernänf- 

tige Rente, wie dieſe find oder zu ſeyn feinen, fagen und behaupten 

können, dies fey fein Bartbedfen und jenes fein Saumfattel. Weil fie 
aber fo feft darauf befichen, fo bifde ih mir ein, daf cin Gcheimnif 
dahinter ſtedt, da fie fo etwas fhnurftrads gegen alle Wahrheit nnd 
gegen allen Augenſchein behaupten. Denn het! mich · — und er fagte 
rund heraus, wer — „wem ich mir weißmachen Taffe, daß dies 
mit ein Vartbeden it und jenes ein Saumfattel für einen Efet.” 
„Dver au wohl für eine Eſelin,“ ſprach der Pfarrer, 
„Gleichviel!“ fagte ber Bediente, „barauf Fommt's nit an, 

fondern nur, ob's ein Saumfattel iſt ober nicht. * 

Einer von den Schergen, bie hereingelommen waren, hatte die 

Streitfrage mit angehört, und fagte vo Verdruß und Iergernig: 

„Allerdings if’ ein Saumfattel, fo gewiß ich meines Bates Sohn 

















63 Don &nirote. 


bin, und wer anders ſpricht ever geſprochen hat, dem muß ber Ber- 
fand in Wein gefallen ſeyn.“ 

„Das fügt Ihr, wie ein Schelm!* rief Dom Duirote, und 
erhob die Pide, die er mie aus ben Händen ließ, und wärbe bem 
Sgergen einen felgen Sqlag auf den Kopf gegeben haben, daß 
er ihn miebergefehmeitert Hätte, wenn er nicht anf bie Geite ge 
fprangen wäre. Die Pide zerfslitterte zu Trümmern om Beben, 
und die andern Schergen, bie ihren Kameraden mißhanbelt fahen, 
erhoben ihre Stimme und forberien Hilfe für die Heilige Brüber- 
ſchaft. Der Wirth, welcher mit zu der Truppe gehörte, Tief ge» 
ſchwind nach Amteſtab und Degen und gefellte fih zu feinen Ka - 
meraden, und die Bebienten bes Dom Louis umringten ifrem jungen 
Herrn, damit er im Getüntmel mit entwifhen mödhte. Der Bar- 
bier, welcher das ganze Haus in Aufrufe fah, wollte wieder nah 
feinem Saumfattel greifen, allein Sancho Tief ihn mit fahren. 
Don Duirote zog das Schwert und ging los auf die Gihergen. 
Don Lonis rief feinen Dienerm zu, fie ſollen fig um ihn nicht 




















XLV. Kapitel, 635 


befämmern, fondern Don Dairote beifichen, welchem auch Don 
Fernando und Cardenio zu Hilfe famen. Der Pfarrer rief, die 
Wirthin fehrie, ihre Tochter ängfiete fi, Maritornes Heulte, 
Dorothea war erfiaunt, Lucinde erfäroden und Donna Elara 
ohumachtigz der Barbier prügelte Sandho, Sand draſch den Bar- 
bier, Don Louis, welchen einer von feinen Leuten beim Arm. faifen 
wollte, gab dem Kerl cine Maulſchelle, dab ihm die Zahue wackelten, 
der Oberrichter fand dem Don Louis bei, Don Fernando hatte 
einen von den Schaarwächtern unter fih uud trat ihm nach Herzens» 
Luft mit Füßen, und der Wirth erhob auf's Neue feine Stimme und 
forderte Hilfe für die heilige Brüberfhaft. Mit einem Worte, in der 
ganzen Schenfe gab cd nichts ale Lärm, Geheuf, Geſchrei, Verwir - 
rung, Angſt / Schreten, Unheil, Hiede, Maulſchellen, Prügel, Rippen- 
ſtoͤße uud blutige Köpfe. 

Aber mitten in dieſem Chaosgetünmel und Wirrwar der Dinge fam 
es dem Ritter Don Duirote plöglid vor, er befinde fi im Hand» 
gemenge in dem Lager bes Ngramante. Er rief befimegen mit einer 
Stimme, die das ganze Wirthahaus durchdonnerte: „Jeder halte ein, 
Jeder ſtecle fein Schwert in die Scheide, Jeder ſchweige ſtill und höre 
mic an, Jeder, dem fein Leben lieb il“ Diefer Tante Zuruf brachte 
Ale zum Schweigen, und Don Duirste fuhr fort: „Sagie ich «6 
Each nicht, meine Herren, vieles Caſtell fey verzaubert und cs müſſe 
eine Legion Teufel darin haufen? Seht nun, wie bier der Augenſchein 
meine Worte betätigt, wie bie Zwielradt, die in dem Lager Agra- 
mante's Herrfchte, hieher gefommen und unter und getreten if. Geht, 
wie man hier um ein Schwert, bort um ein Roß, hier um einen 
Adler, dort um einen Helm Fämpft, und wie wir Alle fireiten und 
Keiner den Anbern verſteht. Daram fonmt her, meine Herren, Herr 
Oberrichter und Here Pfarrer, Einer von Euch fey König Agra- 
mante, der Andere Hönig Sobrino, und ſtiſtet Frieven zwiſchen ung; 
denn beim almäptigen Gott, es iſt doch Scpimpf und Schande, daf 
fo viele angefehene Perfonen, wie wir, einander um nichts und. wieber 
nichts bie Hälfe brechen, * 

Die Schergen, die das Rothwälſch des Nitters nicht verſtanden 
und von Don Fernando und Eardenio übel waren bearbeitet 




















636 Don Buizote. 


worden, wollten fi micht zur Ruhe bequemen, wohl aber der Bar- 
bier, der in dem Scharmägel an feinem eigenen Barte und an feinem 
Saumfattel zu Schaden gelommen war. Sancho gehorchte als ein 
treuer Diener feinem Herrn auf ben erfien Wink, und bie vier 
Bedienten des Don Louis verhielten fi ebenfalls ruhig, weil fie 
merkten, daß ihnen das Gegentheil fleht bekommen würde. Nur 
der Wirth ließ nicht nach, darauf zu dringen, daß man ben Narren 
für feine tollen Streiche züchtigen müfle, woburd er jeden Augenblid 
das Hans in Aufruhr bringe. Endlich war der Lärm für diesmal 
gefilit: der Saumfattel blieb in der Einbildung des Ritters ein Reit» 
zeug, das Bartbeden ein Helm und die Schenle eine ritterliche Burg, 
bis zum jüngften Tage. 

Bie nun Alles ruhig war und der Oberrichter und der Pfarrer 
dur ihr Zureben das gute Vernehmen wieder hergeſtellt hatten, 
drangen die Bebienten des Don Louis aufs Neue in ihn mit Bitten, 
er möchte ſogleich mit ihnen nach Haufe gehen. Während er mit ihnen 
unterhandelte, berathſchlagte der Oberrichter mit Don Fernando, Car⸗ 
denio und dem Pfarrer, wie er fi) bei der Sache verhalten folle, und 
erzählte ipnen, was ihm Don Louis entvedt habe. Dan beſchloß end» 
lich, Dou Fernando folle ſich den Bedienten zu erkennen geben, und 
ihnen fagen, er wünſche Don Louis mit nad Andalufien zu nehmen, 
woſelbſt fein Bruder, der Marquis, ihn mit gebührender Achtung 
aufnehmen werde; denn die Yeußerungen des jungen ‚Herrn geben 
deutlich zu erfennen, daß man ihn vor der Hand nicht dahin bringen 
werde, vor feinem Vater zu erfheinen, wenn man ihn auch zerriſſe. 
Da die Bedienten den Rang Don Fernando's erfuhren und wie 
Don Louis gefinnt war, nahmen fie untereinander Abrede, daß brei 
von ihnen zu feinem Vater zurüdkehren und ihm das Borgefallene 
erzählen, der vierte aber fo Iange bei ihm bfeiben folle, bis man ihn 
abhofe over fehe, was fein Water weiter verfüge. 

So ward demnach dieſer verwidelte Handel durch das Anfehen 
des Könige Agramante und dur die Klugheit des Könige So— 
brino glücklich beigelegt. Kaum wurde aber der Störer des Friedens 
und Feind der Eintracht gewahr, daß feine Abficht vereitelt war und 
er vergeblich die Geſellſchaft in jenen Strudel von Zwiſtigkeiten 

















XLV. Kapitel 637 


hineingezogen hatte, fo entſchloß er fir zu einem menen Berfuche, und 
erregte neuen Zanf und neue Unruhen. Die Schergen hatten fih 
nämlich zwar befänftigen laſſen, weil fie merkten, mit welden vor 
uchmen Lenten fie angebunden, und zogen ſich demnach aus dem 
Handel, denn fie würden ja doch zuleßt ben Kürzern gezogen haben; 
doch einer von ihnen und zwar derjenige, welgen Don Fernando 
unter den Füßen gehabt hatte, erinnerte fih, daß unter mehren 
BVerhaftsbefehlen, vie er bei fih führte, aud einer beſindlich war, 
welder Don Duirote betraf, deu die heilige Brüderſchaft wegen 
Befreiung der Galeerenſtlaven aufzuheben befohlen, wie Saucho 
ſchon längft mit Necht befürgtet hatte. Sobald ihm dies einfiel, zog 











638 Bon @uirste. 





er feine Pergamente aus dem Bufen, ſuchte das rechte herans und 
! fing an, weil ihm das Lefen eben nicht fehr geläufig war, es be 
duaͤchtig durchzuſehen, und bei jedem Worte die Augen auf Don Dui- 
’  zote zu heften. Er verglich feine Geſichtezüge genau mit der Be- 
ſchreibung in dem Steckbriefe, und überzeugte ſich bald, daß diefer der. 
felbe feg, der in dem Briefe bezeichnet war. Kaum war er beffen 
verfichert, fo fledte er feine Pergamente wieder in ven Bufen, nahm 
den Stedbrief in die linke Hand, padte Don Dnirote mit ber 
rechten fo kraͤftig beim Kragen, daß er faum atmen konnte, und rief 
mit lauter Stimme: „Helfet der heiligen Brüberfchaft, und damit ihr 
feht, daß ich berechtigt bin, euch dazu aufzuforbern, fo leſet dieſen 
Stedörief, worin geſchrieben fleht, daß diefer Straßenräuber verhaftet 
werben ſolle.“ r 
Der Pfarrer nahm den Gtedbrief und fand, daß der Scherge 
die Wahrheit fagte, und dag Don Duirote beutlih und richtig 
bezeichnet war. Wie fich diefer von einem gemeinen Kerl mißhanbelt 
ſah, warb er fo wüthend, daß fi ihm das Eingeweide im Leibe um«- 
kehrte, und er griff dem Schergen mit beiden Fäuften fo fräftig an bie 
Gurgel, daß er ihm eher würde bie Seele ansgewürgt, als ihn Ioß- 
!  gelaffen haben, wären bem Schergen nicht feine Kameraden beige 
I fprungen. Der Wirth, welder feinen Amtsbruder nicht im Stiche 
laaſſen durfte, Fam ihm ebenfalls zu Hilfe, und die Wirthin, die ihren 
‘ Mann fon wieder in Händel vermidelt fah, erhob auf's Neue ihre 
Stimme, heren heller Ton au die Maritornes und ihre Tochter 
herbeizog, welche insgefammt Himmel und Erbe um Beifland an- 


ſchrieen. 


„Meiner Treu!“ ſprach Sancho, wie er ſah, daß es wieder 
losging, „mein Herr mag wohl mit Recht ſagen, der Teufel 
treibe fein Spiel in dieſem Eaftel, denn man hat feine Stunde 
Ruhe darin.” 


Don Fernando brachte ven Schergen und Don Duirote 
auseinander, und beide waren froh, wie er ihnen die Hände Töste, 




















XLV. Kapitel. 639 


mit welchen fie, der Eine in ben Nodfragen, ber Andere in bie Gur- 
gel feines Gegners, fih eingeffammert hatten. Die Schergen ließen 
unterbeffen nit ab, zu ſordern und zu begehren, daß ihr Gefan- 
gener ihnen wohlgebunden überliefert werde, weil ber Dienft bes 
Königs und der Heiligen Brüberfchaft died erheifhe, im deren Namen 
fie nohmals Hilfe und Beiftand verlangten, um biefen Landſtreicher 
und GStrafenräuber zu verhaften. 


Don Duirote lachte über ihre Neben und antwortete ganz Falt- 
bfätig: „Was wollt ipr einfältiges, ungeſchliffenes Gefindel? Nennt ihr 
es Straßenraub, wenn man Gefeffelten die Freiheit gibt, Gefangene er- 
Töst, Unglüdlichen beifpringt, Gefallene aufrichtet und den Nothleidenden 
Hilfe Teiftet? Ha! ehrlofes Gefhmeiß, die ihr wegen eurer gemeinen und 
niederträchtigen Denfart nicht werth ſeyd, daß euch ber Himmel einfehen 
laßt, welchen hohen Werth die fahrende Ritterſchaft in ſich ſchließt, und wie 
fündfig und unvernünftig ihr handelt, wenn ihr nit fhon ven Schatten, 
wie vielmehr denn die wirkliche Perfon eines jeven fahrenden Nitters 
in Demuth verehrt, Kommt ber! nicht Landreiter ſeyd ihr, ſondern 
Landflreiher unter dem Dedwantel ber heiligen Brüderſchaft; fagt 
an, wer war ber Dummkopf, der ben Befehl unterfprich, einen fab- 
renden Witter, wie ih bin, in Verhaft zu nefmen? wer war der 
Einfältige, der nicht weiß, daf fahrende Nitter feiner Gerichtsbarkeit 
unterworfen find, daß ihr Schwert ihr Net, ihr Wille ihr Gefeg, 
ihr Wohigefallen ihre Rihtfhuur if? Ich frage noch einmal, wer 
war der Gimpel, der wicht wußte, baf feine Apnentafel in der Welt 
fo viele Vorzüge, Gerechtſame und Freiheiten gewähren fann, ale 
ein Nitter empfängt an dem Tage, da er zum Nitter gefchlagen 
wirb und ſich dem beſchwerlichen Drben der Nitterfhaft wibmet? 
Welcher fahrende Ritter Hat in feinem Leben Schooß, Kopfgeld, Prin- 
zeffinftener, ZoM, Weggeld oder Geleit bezahlt? wo iſt der Schnei- 
der, der ihm jemals Macherlohn für feine Kleider abforberte? wel 
Ser Burgherr nahm ihn anf in fein Schloß und verlangte von ihm 
Bezahlung für feine Zeche? welcher König zog ihn nit an feine Tas 
fel? welche adelihe Maid verliebte ſich nicht im ihn und ergab ſich 
nicht gänzlich feinem Willen und Wohlgefallen? mit einem Worte, 

















6 Don Quixote. 


wo ifl, wo war und mo wirb jemals in ber Welt ein fahrender Rit- 
ter feyn, dem es an Muth fehlt, um mit feinem einzelnen Arme 
vierhundert Schergen je vierfundert Stodprügel zu geben, wenn fie 
gegen ihn auffichen? 

















XLVI. Gapitel, 


Sechs undvierzigſtes Kapitel. 


Aucaana ver dentwurdigen Abenteuere mit ten Scheraca- Grode Strenat des Rittero Don 
Dutzoie. Der ſelbt wirt in einen Köfiq gejaubert, 


was ber eble Nitter baher- 

IL N ſchwadte, und zwiſchen hinein 

* gab ſich noch überdies ber 

Pfarrer alle Muhe, fie zu 

überzeugen, baf Don Dxi- 

xote mit recht bei Sinnen 

ſey, wie fie aus feinen Ne 

= — den und Handlungen ſchließen 

fönnen, und daß es nicht der Mühe werth wäre, die Sache weiter 

zu treiben und ihn gefängli abzuführen, weil man ihm doch ale 

Bahnfinnigen wieder Ioslaffen würde, Derjenige, welder den Steck- 

brief bei ſich hatte, wandte aber dagegen ein, es ſey micht feine 

Sache, zu unterfuchen, wie es in Don Quixote's Kopf auoſehe, 

fondern er müffe ben Befehl feier Obern ausführen, und biefe möchten 

ihn bermach feinetisegen dreibunderts ıl losfaffen,, wenn er ihn einmal 
gefängfic eingebracht Hätte. 


— ee 




















wo ift, wo war und wo wirb jemals in ber Welt ein fahrender Rit- 
ter fegn, dem e6 an Muth fehlt, um mit feinem einzelnen Arme 

vierhundert Schergen je vierhunbert Stodprügel zu geben, wenn fie 
gegen ihn aufftehen? 


64 Don Quixote. | 
{ 
| 
| 














XLVE Kapitel. 


ET RE 


— — 


Sechs undvierzigſtes Kapitel. 


Aueaana tet dentwurdigen Abentener⸗ mit tem Scheraca Grot⸗ Strenge ma Rittera Don 
Duigote, Derfelbe wird in einen Käfig aezauberi 


oll genug bünfte den Schergen, 

was ber edle Ritter daher · 

fhwapte, und zwiſchen hinein 

gab ſich noch überdies der 

Pfarrer alle Mühe, fie zu 

überzeugen, daß Don Qui⸗ 

rote nit recht bei Sinnen 

fey, wie fie aus feinen Ner 

> den und Handlungen ſchließen 

fönnen, und Ya eo nicht} der Mife werth wäre, die Sache weiter 

zu treiben umd ihm gefänglich abzuführen, weil man ihn doch als 

Bahnfinnigen wieder Ioslaffen würde. Derjenige, welcher ben Sted- 

brief bei ſich hatte, wandte aber dagegen ein, es fey nicht feine 

Sache, zu unterſuchen, wie 6 in Don Duirote's Kopf ausfehe, 

ſondern er müffe ben Befehl feine: Hbern ausführen, und biefe möchten 

ihm hernach feinetwegen dreihundertn (| Ioslaffen, wenn er ihn einmal 
gefaͤnglich eingebracht hätte. 





Der Ouirnin I 














642 Don Quixote. 


„Nichtsdeſtoweniger,“ fagte der Pfarrer, „folltet ihr ihn doch 
diesmal nicht aufheben, und er würde ſich auch wohl fehwerlih von 
euch aufpeben laſſen.“ 


Genug, ber Pfarrer wußte fo Vieles zu fagen und Don Qui— 
zote wußte fo viele neue Thorheiten zu begehen, daß bie Schergen 
noch närrifcher Hätten feyn mäflen, als er felbft, wenn fie nicht ein- 
gefehen hätten, woran es ihm fehle. Sie liefen ſich demnach nicht 
nur befänftigen, fondern fogar bewegen, zwifchen dem fremden Bar- 
bier uud Sancho Panfa, bie noch immer miteinander zanften, 
den Frieden vollends zu Stande zu bringen. als Handlanger der 
Gerechtigkeit ſchlichteten ſie die Sache dergeſtalt, daß beide Theile 
zwar nicht völlig, aber doch einigermaßen zufrieden geſtellt wurden; 
benn es warb ausgemadht, daß der Tauſch zwar mit ben Saumfätteln, 
aber nicht mit ben Gurten und dem übrigen Zugehör flattfinden 
fole. Was Mambrins Helm betraf, fo gab der Pfarrer dem 
Barbier heimlich, one dag Don Duirote etwas davon erfuhr, 
acht Realen, und der Barbier gab ihm dagegen einen Schein, daß er 
das Geld empfangen habe und ſich aller weitern Anſprüche enthalten 
wolle, jetzt und in Ewigkeit. Amen. 


Nachdem die beiden wichtigften und ſchwierigſten Sachen abge- 
than waren, fam es noch darauf an, die Bebienten des Don Louis 
dahin zu vermögen, daß ihrer drei zurüdgingen und der vierte ihn 
begleite, wenn er mit Don Fernando abreifen würde, und ba 
einmal das gute Glück der Liebenden angefangen hatte, Lanzen zu 
brechen und Berge zu ebnen, fo wollte es nunmehr fein Werk 
vollenden und auch das Uebrige zu guter Endſchaft gebeihen Taflen. 
Die Bedienten Tießen fi Alles gefallen, was Don Lonis von ihnen 
verlangte, und Donna Clara warb darüber fo froh, daß Jedermann 
in ihren Bliden leſen konnte, wie froh fie war. 


Zoraide verftand von Allem, was vorging, wenig ober nichts; 
inzwifgen war fie traurig mit ben Traurigen und froh mit’ven Fröh⸗ 
lichen, je nachdem fie die Empfindungen auf dem Gefichte eines Je⸗ 
den abwechſeln ſah, und befonbers in ben Mienen ihres geliebten 
Spanier, an dem ihre Blide und Gedanken befländig hafteten. 














XLVI Kapitel, 63 


Der Wirth Hatte inbeffen benterft, daß der Pfarrer fih mit dem 
Barbier abgefunden; er Fam demnach und forderte gleichfalls Bezah⸗ 
fung für bie vorige Zeche des Junkers, und Schabenerfag für feine 
Schlauche und feinen Wein, und ſchwor, dag weder Rozinante, noch 
Saucho's Eſel ans feinem Stalle kommen follten, bevor Alles bis auf 
ben fegten Heller bezahlt wäre. Auch tiefes brachte ber Pfarser in 
Drbnung; Don Fernando bezahlte, obwohl ber Oberrichter eben- 
falls mit viefer Bereitwilligleit feine Börfe anbot. 

Ein Jever wurde bemnad fo volllommen zufrieden geſtellt, daß 
die Schenfe nicht mehr dem lärmeuden Lager Agramante’s ähnlich 
war, mit melden Don Duirote fie verglichen hatte, fondern dag 
Ruhe und Friede daſelbſt herrſchten, wie zu ben Zeiten Detavians, 
und Jeder mußte geftehen, daß man Alles der Klugheit und Bered⸗ 
ſamleit des Pfarrers and der großen Breigebigleit Don Fermando’s 
zu danfen Habe. 

Da nun Don Duirote fah, daß die vielen Händel, worein 
er felbft und fein Schildfehppe verwickelt gewefen, glädlich beendigt 
waren, fo glaubte er, 6 fey Zeit, feine angetretene Ritterſchaft 
fortzufegen und das große Abenteuer zu Ende zu bringen, wozu er 
berufen und anserwäßlt worden war. Mit diefem feften Borfage 
warf er ſich demnach Dorotheen zu Füßen, welche ihm jedoch nicht 
eber erlauben wollte zu reden, bie er aufflünde, Er gehorchte, rich⸗ 
tete fi auf die Beine und ſprach: „ES iR ein befanntes Sprichwort, 
daß ber Fleiß Bater des Glüds ift, und oft hat bie Erfahrung ge» 
lehtt, daß der Eifer eines guten Sachwalters mit felten eine miß · 
liche Sache zu guter Eudſchaft gebracht hat; nirgends aber beftätigt 
ſich die Wahrheit dieſes Sapes mehr, als im Kriege, wo man durch 
Schnelligkeit und Thätigkeit die Anfeläge des Keindes am Teichteften 
vereitelt, und ihn überwindet, wenn man ihm nicht Zeit Täßt, ſich zur 
Vertheidigung zu rüften, Ih fage dieſes darum, erhabene und vor ⸗ 
treffliche Prinzeffin! weil mir bänft, daß unfer Aufenthalt hier in diefem 
Eaftelle jegt vom feinem Nugen mehr ſeyn, fendern uns im Gegentheile 
fo viel ſchaden fann, dafı wir es bereinft fehr hart empfinden wärben. 
Deum wer weiß, ob Euer Feind, ber Riefe, nicht vielleicht durch heim · 
liche und gefhäftige Spione bereits erfahren hat, daß ich Fomme, 

















Don Quixote. 


Hilf Himmel, wie ergrimmte Don Duirote über das ungezogene 
Geſchwätz feines Rnappen. Mit Freifhender Stimme, ftotternder Zunge 
und funfelnden Augen fuhr er ifn an: „O du nieberträdtiger, unge 
berdiger, grober, dummer, bäurifcher, boshafter und gottövergeffener 
Berläumder und Läfterer! Wie unterfiehft du dich, dergleichen. Reben 
in meiner Gegenwart und im Beiſeyn erlauchter Franen vorzubringen, 
und folge fehändlihe und abſcheuliche Dinge in deinem verrüdten 
Schädel auszuhecken? Geh’ mir aus ben Augen, bu Scheuſal ber 
Natur, du Sad voll Lügen, du Zeughaus ber Betrügerei, Abgrund 
von Schelmenftreihen, Erfinder von Bosheiten, Ausſprenger von 
Narrentpeidungen und Erzfeind aller Ehrerbietung, die man Tönigli- 
hen Perſonen ſchuldig iR! Geh’, und komm' mir nicht wieber zu Ge- 
fiht, wenn du nicht meinen Zorn fühlen wink!" Dies fprach er mit 
gerungelter Stirne, mit aufgeblafenen Baden und Wildheit im Blide, 
und flampfte dabei mit dem rechten Fuße fürdterlih auf ven Boben, 
woraus man abnehmen konnte, welch ein Grimm in feinen Eingewei- 
den kochte. Sancho warb über dieſe wüthenden Reben und Geber- 
den fo beſtürzt, daß .er gewünſcht hätte, die Erbe möchte fi unter 
feinen Füßen aufthun und ihn verſchlingen, und es blieb ihm nichts 
Anderes übrig, ald den Rüden zu fchren und fi) dem zornigen Blide 
feines Herrn zu entziehen. Doch die Huge Dorothea, welhe Don 
Duirote durh und durch kennen gelernt hatte, fagte, um feinen 
Zorn zu befänftigen: „Zürnet nicht, Herr Ritter von ber traurigen 
Gehalt, über die einfältigen Dinge, welde Euer ehrlicher Schildknappe 
gefagt hat; denn wer weiß, wie er bazu ift veranlaßt worden? Sonſt 
wäre es ihm bei feiner gefunden Vernunft und bei feiner chriftlichen 
Gefinnung gewiß nicht möglich, Jemand etwas Unrechtes nachzufagen. 
Es iſt demnach kein Zweifel, da Alles in dieſem Schloſſe, wie Ihr 
ſelbſt ſagt, mit Zauberei zugept, daß Sancho, vielleicht getäufcht 
durch ſolche Teufeleien, wirklich dieſe Erfheinungen gehabt hat, bie 
meiner Ehre fo nachtheilig find.“ 

„3% ſchwöre beim allmächtigen Gott,“ erwiderte Don Oui 
zote, „daß Eure Hoheit den Nagel auf den Kopf getroffen haben, 
und daß dem Sünder von Saucho irgend ein leidiges Geficht er- 
ſchienen und Sachen vorgefpiegelt hat, die ihm ohne Zauberei nimmer 

















XLVI. Sapitel, 647 


in den Sinm gelommen wären; denn infoweit Kin ich won der Gnt- 
mütbigfeit und Arglofigleit des armen Tropfs überzeugt, daß er nie 
vorfäglih von Jemand Böfes reden wird.” 

„So iſt's und dabei bleibt's!“ fagte Don Kernando; „und 
folglich, Herr Don Duirote, follten Euer Gnaden ihm verzeihen 
und im wieder in den Schooß Eurer Gewogenheit aufnehmen, sicut 
erat in prineipio, che diefe Erfheinungen ihm den Kopf verrüdten.“ 

Don Dnirote verſprach, ihm zu verzeihen, und der Pfarrer 
führte ihn wieder herein. Sanch o Fan bemüthig zu feinem Here, 

















Don @uizote. 


fniete vor ihm nieder und bat ihn um feine Hand, die er ihm and 
zum Suffe darreichte; darauf gab er dem Knappen feinen Gegen und 
fagte: „Run wirft du doch einfehen, mein Sohn Saucho, daß es 
wahr ift, was ich dir ſchon oft gefagt habe, und daß Alles, was in 
diefem Schloffe vorgeht, durch Hererei geſchieht.“ 

„Das glaub’ ih auch,“ fprah Saucho, „die Prelle ausgenom- 
men, mit weldyer e8 ganz natürlich zuging.” 

nDenfe das nit,” erwiverte Don Duirote; „denn wenn 
dies gewefen wäre, fo hätte ich dich ſchon damals oder doch jeßt ge- 
rãcht, aber weber damals, noch jeht Fonnte ich es than, und wußte 
nicht einmal, an wem ih Rache für deine Beleivigung ausüben follte.“ 

Jedermann ward nengierig, zu wiffen, wie es mit biefer Prelle 
zugegangen, und ber Wirth beſchrieb ihnen Sancho's Luftfahrt mit 
allen Umfländen, worüber fie alle recht Herzlich lachten, und worüber 
Sando fi eben fo fehr würde geärgert haben, wenn ihm fein Herr 
nicht nochmals verfihert hätte, daß es Lauter Zauberei geweſen fey. 
Sando ging jedoch in feiner Einfalt nie fo weit, daß er es nicht 
für wahre, nnbezweifelte Wirklichkeit, ohne Beimifhung von Betrug, 
gehalten Hätte, durch Menſchen von Fleiſch und Bein, nicht aber 
durch Gefpenfter, wie fein Herr glaubte und behauptete, geprellt 
worben zu feyn. 

Zwei Tage hatte die anſehnliche Geſellſchaft in der Schenke be- 
reits zugebracht. Weil man demnach glaubte, es fey nunmehr Zeit, 
anfzubrehen, fo dachte man auf Mittel, wie der Pfarrer und ber 
Barbier ihrem Wunſche gemäß Don Duirote wieter nad feinem 
Dorfe bringen fönnten, um ihn bort von feiner Thorheit, wo möglich, 
zu heilen, ofne daß Dorothea und Don Fernando nöthig Hätten, 
mit ihnen umzukehren at, die Befreiung ber Pringeffin Micomicona 
fortzufpielen. 

Während ihrer Berathung ruhte Don Dnirote von den Mühen 
und Anftrengungen, bie er hatte durchmachen müffen, anf dem Bette 
aus, und fo beſchloſſen fie denn einmüthig, den Ochſenkarren eines 
zufällig angefommenen Zuhrmanns zu miethen, und fügten aus kreuz- 
weife verbundenen Latten eine Art von Käfig zuſammen, worin der 
Ritter Raum zum Sigen hatte. 














XLVI. Kapitel, 


Don Fernandes und feine Begleiter, die Vedienten des Don 
Louis, die Schergen und ver Wirth verffeiveten ſich nad Anleitung 
des Pfarrers, der eine auf biefe, ber andere auf jene Art, damit 
Dor Dxirote fie für Inuter neue Perfonen haften möchte, die er 
in der Schenfe noch micht gefehen Hätte, So näherten fie fih in 
aller Stille dem Lager, worauf er von feinen Abenteuern ausrublg. 
Indem er noch ruhig und unbeforgt vor einem ſolchen Ueberfalle 
ſchlief, bemädptigten fie fi feiner und handen ihm Hände und Füße 
fo feft, daß er fih nicht rühren Fonnte, fondern nur mit Erftaunen 
nah den Geflalten umberblidte, die ihn ungaben. Doch in dem 
Augenblide brachte ihn feine flets rege Einbildung auf den närrifchen 
Gedanfen, daß alle biefe Geſtalten Tanter Gefpenfler des verzanberten 
Schloſſes ſeyen, und daß man auch ihm felbft verzaubert habe, weit 
er fih weder rüßren, noch vertheibigen fonnte, und gerade fo hatte 
der Pfarrer fih Alles gedacht und den Plan feines Poffenfpiels 
darnach angelegt. Saucho war der Einzige, der feine eigene Geftalt 
behalten hatte unb bei feinen eigenen Gedanfen blichz; denm obwohl 
er faſt eben fo märeifh war, wie fein Herr, fo wußte er doch recht 
gut, wer alle biefe verffeiveten Perfonen feyen; er magte ed aber 
nicht, feinen Mund zu öffnen, bis er fühe, wo «6 mit der Ueber⸗ 


rumpelung und Berfaftung feines Herrn Hinauswolle, weder ebenfalls 


Deu Onirein h 

















650 Don &uirote, 


fein Wort ſprach, fondern mit Gebuld das Ende feiner Anfehting 
abtwartete, Diefes beſtand darin, daß man den Käfig hereinbrachte, 
den Junfer hineinfperrte und das Lattenwert feſt genug vernagelte, 


um ed auch mit Gewalt nicht erbrechen zn loͤnnen. Sodann nahmen 
Einige den Räfig auf ihre Schultern, und indem fie ihn aus dem 
Zinmer trugen, ließ eine furchtbare Stimme, fo laut der Barbier, 
namlich nicht der mit dem Gfelsfattel, fondern Meifter Niffas, fie 
hervorbringen fonnte, in folgenden Worten fi vernehmen: „Ritter 
von der traurigen Geſtalt, laß dir dein Gefängniß mit zu Herzen 
gehen, denn diefes ift nothwendig, damit du defto geſchwinder das 
große Abentener zu Ende bringeft, welchem deine Tapferkeit dich unter» 
zogen hat, Alles wird vollendet werden, wenn ber grimmige Löwe 
von ber Mancha, vereint mit der weißen Taube von Tobofo, 
feinen ſtolzen Naden unter das fanfte Joch des Eheſtandes ſchmiegen 
wirb; aus welder unerhörten Verbindung tapfre Jungen an das Licht 
der Welt fommen und mit reifenden Krallen ihrem mächtigen Bater 














XLVE Kapitel, 651 


nachahmen werben: und das alles wirb geſchehen, ehe denn ber Ver- 
folger der lästigen Nymphe zweimal vie ftraßfenden Bilder feiner 
natürlichen Bahn in ſchnellem Laufe beſucht Hat. Und du, evelfter und 
folgfamfter aller Scpilofnappen, die jemals ein Schwert an der Seite, 
Haar in Bart und Witterung in ber Nafe hatten, werbe nicht traurig 
ober verdroffen, indent du fiehft, wie die Krone ber fahrenden Ritter- 
ſchaft vor deinen Augen entführt wird; benn bald, wofern es bem 
Baumeiſter der Welt alſo genehm if, wirft du dich fo Hoch und 
erhaben fehen, daß du ſelbſt dich micht mehr keunen wirſt, und 
feine von den Verheißungen, welche bein guter Herr bir gegeben 
bat, wird unerfüllt bfeiben. Ich verfigere dir and im Mamen ber 
weifen Zauberin Frau Nimmerwahr, daß bein Lohn richtig foll 
bezahlt werben, wie du thatſachlich fehen wirſt, wenn du den Fuß ⸗ 
ſtapfen ded tapfern verzauberten Ritters folgſt, denn es iſt nothwendig, 
daß ihr zuſammen dahin kommt, von wannen der Ausgang war. 
Da ed mir nicht erlaubt iſt, euch mehr zu fagen, fo fahret mit Gott, 
und ic lehre zurüd, ich weiß wohl wohin. * 

Gegen das Ende diefer Weiffagung erhob der Barbier feine 
Stimme und ließ fie dann allmählich und fanft verllingen, fo daß ſelbſt 
diejenigen, welche den Spaß mit angeftelit hatten, ſich faft dadurch 
täufhen ließen. Don Duirote fand fih durch die Weiffagung 
fehr getröftet, weil er den Sinn derſelben Teicht errieth, daß er näm» 
lich durch ein Heiliges Band mit feiner geliebten Dulcinea von 
Tobofo follte vereinigt werden, und daß ans ihrem gefegneten 
Schooße die jungen Löwen, feine Söhne, zum ewigen Ruhme von 
der Mancha entfpriefen würden, In dieſer feften Meberzeugung erhob 
er feine Stimme und fagte mit einem herzbrechenden Seufjer: „DO 
du, mer du and ſeyn magfi, der du mir fo viel Släck verfündigt 
baft, ich bitte dich, den weifen Zauberer, welder über meine Anger 
legenheiten walter, in meinem Namen zu erfuchen, daf er mich in 
diefem Gefängniffe, worin man mid jegt wegfüßrt, nit umfommen 
Taffe, ehe diefe erfreufihen und unvergleihlichen Berbeifungen, bie 
man mir jegt gegeben hat, in Erfüllung geben; denn geſchieht Diefed, 
fo werde ih die Drangfale meiner Haft als Wenne, bie Ketten, fo 
mich feſſelu, als Blumenfränze, und das Lager, worauf man mid 




















Don @uirste. 


gelegt hat, nicht als den harten Boden eines Sqhlechtfeldes, fonbern 
als ein weiches, reichbepolſtertes Brauibeit betrachten. Bas bie Be⸗ 
rupigung meines Ruappen Saucho Pauſa betrifft, fo verlaffe ih 
mid auf feine Treue und Rechtlichteit, daß er in guten und böfen 
Tagen nit vom mir weichen wirb, und wenn auch fein oder mein 
Unglüd wi verhindern follte, ihm die verſprochene Iufel ober etwas 
Anderes von gleigem Werthe zu geben, fo fann wenigfiens fein Lohn 
igm nit entgehen; weil in meinem Teſtamente, weldes ich bereits 
gemacht habe, ausdrüdlich befiimmt if, wieviel man ihm, nit nah 
Maßgabe feiner vielen und guten Dienfe, fonbern nah Maßgabe 
meines Bermögens, geben ſoll.“ 

Saucho Pauſa meigte ſich fehr demüthig vor ihm und küßte 
igm beide Hände; denn eine allein lonnte fein Herr ihm wicht reichen, 
weil fie beide zufammengebunben waren. Hierauf hoben bie Geſpenſter 
den Räfig auf den Karren und machten ihn fefl. 











XLVIL &apitel. 


Sicebenundvierzigfied Kapitel, 


Bon Don Duirords Hadrt auf tem sergaukerten Karren und andern mertwirbigen Worfällen. 


ieber Sandho,“ ſprach Don 

Duirote, older fi in den 

Käfig gefperrt und auf einen 

Karren gefeßt ſah z „viele und 

manderlei denfwürdige Ger 

ſchichten fahrender Ritter find 

mir zwar befannt, allein noch 

nie babe ich weder gelefen, 

noch gehört, dafı man einen 

= Nitter anf folde Art wegge · 

Be — führt Hätte, wie mi, und mit 

der Langfamfeit, mit welder diefe trägen und ſchwerfälligen Thiere mich 

fortſchleppen werden; denn immer pflegt 'man fie mit unglaublicher Ge- 

ſchwindigkeit durch die Lüfte davonzuführen, entweder eingehüllt im eine 

diete, finftre Wolfe, ober auf einem feurigen Wagen, auf einem Bogel 

Greif, oder auf einem andern ähnlichen Thier. Aber daß man mich auf 

einen Ochfenfarren geſeht hat, bei Gott! das wurmt mir im Ropfe. 

Ber weiß jedoch, ob nicht das Ritterweſen und die Berzauberungen 
heutigen Tags einen ganz andern Gang genommen haben, als vor , 

mals? Bielleicht Tann e# demnach feyn, fowie ich ein ganz teuer 

















654 Don Buixote. 


Nitter in der beutigen Welt und der Erfie bin, welcher ben fängft 
vergeffenen Orden fahrender Ritterſchaft wiederherſtellt, daß man auch 
meue Berzauberungen und nene Arten, die Verzauberten fortzubringen, 
erfunden Hat. Was denfft du davon, Freund Sandho?“ 

39 weiß nicht, was ich davon denfen foll,” fagte Sand, 
weil ich in den beramfaßrenden Büchern nicht fo beleſen bin, wie 
Ener Gnaben. Uber ih wollte wohl behanpten und fihwören, daß 
es mit den Gefpenfiern hier um und herum wicht fo ganz latholiſch 
augeßt. " 

„Barum nicht gar fatholifh?* rief Don Quixote. „Mic 
tönnten fie fathelifch ſeyn, da fie lauter höllifhe Geifter find, die 


ſich in Inftige Körper gehäflt haben, mm hier ihr Wefen zw treiben 
und mich in diefe Lage zu verfegen? Wenn du dich davon überzeugen 
wigſt, fo rühre fie nur an und betafte fie, fo wirft dr bald finden, 
daß fie nichts find, als bloße Luftgebilde und Terre Erſcheinuugen.“ 

„Bei Gott, Here!“ erwiderte Sande, „ih habe fle fen 
angerährt, umd diefer Teufel hier, ber fo gefhäftig thut, hat gutes, 
feftes, derbes Fleiſch, und font neh Mandes um und an fih, das 
ganz anders befchaffen it, als man mir die Teufel berieben hat, 











XLVI. Kapitel - 655 


die, wie man fagt, nad lauter Pech und Schwefel riechen follen, 
und biefer riecht auf eine halbe Meile weit nach Tauter Ambra.“ 
Sande ſprach namlich von Don Fernando, der ald — 
Cavalier wohl nach dergleichen riechen mochte. 

„Laß dich das nicht wundern, Freund Sanch o,“ ſprach Don 
Duirote; „denn du mußt wiſſen, daß bie Teufel viele Künfte ver- 
flehen, und wenn fie au Gerüche um fi ber verbreiten, fo riechen 
fie doch eigentlich nah nichts, weil fie Geifler find, fonft würden fie 
freilich nicht gut, fondern übel riehen; warum? weit fie überall bie 
Höffe in ihrem Bufen tragen und nirgends Linderung für ihre Pein 
finden fönnen. Da nun Wohlgerüche etwas Liebliges und Angenehmes 
find, fo fönnen fie unmöglich gut riechen, fondern, menn es bir 
ſcheint, daß diefer Teufel von Ambra duftet, fo irrſt du entweber 
ſelbſt, oder er betrügt dich und will dir weißimaden, daß er fein 

Teufel ſey.“ 

So unterredeten ſich der Here und ber Diener miteinander, 
and weil Don Fernando und Earbenio befürchteten, Sanıho 
möchte am Ende ihre Abſicht völlig erratfen, woson er ſchon 
Bieles witterte, fo beſchloſſen fie, die Abfahrt zu befgleunigen, riefen 
den Wirth auf die Seite und fagten ifm, g folle den Rozinante 
ſatteln und Sauch o's Efel beyaden; weldes er auch in aller Eife 
bewertſielligte. 

Unterbeß hatte der Pfarrer mit den Schergen Abrede genommen, 
daß fie ihn für einen gewiffen täglichen Lohn bis nad feinem Dorfe be» 
gleiteten, Cardenio bängte die Lanze an die eine und das Bartbedfen- 
au die andere Seite von Noginante's Sattelbogen, und befahl dem 
Sando, feinen Efel zu befteigen und Nozinante ald Handpferd 
zu führen, und bie beiven Gchergen mußten zu beiden Geiten des 
Karrens reiten. he biefer abfuhr, kam noch die Wirtfin mit ihrer 
Toter und mit Maritorned heraus, am von Don Dnirote 
Abſchied zu nehmen, wobei fie fih ſtellten, Hals ob fie vor Betrübniß 
über fein Ungläd weinten. 

„Beinet niet, meine guten Frauen,” fagte Don Onirote; „ben 
dergleichen Unglüdtsfälle verfolgen immer diejenigen, bie ſich zu meir 
nem Orden befennen, und wenn folche Truͤbſale mir nicht begegneten, 











656 Don Euirote, 


fo würde ich mid nit für einen berühmten fahrenden Ritter Halten; 
denn Vorfälle folder Art treffen wiemals Ritter von unbeveutendem 
Namen und Ruhm, weil Niemand in der Welt fih um dieſe befüm- 
mert, ſondern nur die Tapfern, deren Muth und Berbienfie oft von 
Fürften und vielen andern Nittern beueidet werben, und biefe lettern 
ſuchen van durd unrehtmäßige Mittel die Guten aus tem Wege 
zu räumen, Dei dem allen ift aber die Tugend fo mädtig, daß fie 
durch fi ſelbſt allein, trotz aller Schwarzlunft, melde Zoroafter 
‚zuerft erfand, alle Schwierigleiten überwinden und mit ifrem Lichte 
die Welt, wie die Sonne den Himmel, erleudten wird, Verjeiht 
mir, fhöne rauen, wenn ih, ohne es zu wollen, euch einiges Miß⸗ 
vergnügen verurſacht babe, deum vorfäglich und wiſſentlich Habe ih 
Niemand etwas zuwider geffan, und bittet Gott, daß er micht aus 
diefer Haft erlöfe, in welche irgend ein feindfeliger Zauberer mid 
gebracht hat, fo werde ich mich, wenn ich daraus befreit bin, gewiß 
beftändig der vielen Gunfibejeigungen erinnern, bie ihr mir in bie 
Tem Schloffe habt wiverfahren laſſen, um euch dafür nad Bervienft 
zu banfen, zu bienen und zu lohnen. 




















XLVIL Kapitel, 657 


Wäprend diefer Auftritte zwifgen Don Duirote und den Frauen 
des Schlofjes nahmen ber Pfarrer und der Varbier Abſchied von 
Don Fernando und feinen Gefährten, vom dem Hanptmanne und 
feinem Bruder und von den Frauenzimmern, welge ſaͤmmtlich, befon- 

“ders Dorothea und Lucinde, jegt froh und zufrieden waren, 
Alle umarmien ſich und verſprachen, einander Nachricht von ihren 
fernern Schidfalen zu ertheifen. Don Fernando bat ben Pfarrer, 
ihm Nachricht von Don Quixote zu geben, und fügte bei, wohin 
er ihm fehreiben könne, denn wichts werde ihm mehr Vergnügen machen, 
als zu hören, wie's mit dem Ritter gehe; dagegen verſprach er 
wieberum, dem Pfarrer Alles zu berichten, woson er glaubte, daß es 
ihn intereffiren werde, ſowohl feine eigene Hochzeitfeier, als Zorai- 
dens Taufe, das Schickſal dee Don Louis und Incindens Nüd- 
leht zu den Ihrigen. Der Pfarrer verfprach, Alles pünktlich zu beſol - 
gen, was er von ihm verlangte; man umarmte fih auf's Neue und gab 
einander wiederholte reundfhaftsverficherungen. Zufept kam ber Wirth 
zu dem Pfarrer und brachte ihm einige Papiere, die gr in einer Seiten · 
tafche des Mantelfads gefunden hatte, worin ſich auch die Erzähfung 
von dem unbefonnenen Neugierigen befand, Weil der Eigentümer 
fie ihm mie wieder abgefordert hatte und er fett fid nichts daraus 
machte, fo trug er dem Pfarrer an, biefelben Fammtlich mitzunegwen. 
Der Pfarrer dankte, ſchlug das Heft auf und Tas anf bem Mel: 
Rinconete und Eortadillo, eine Etzählung.“ Da ihm nun 
die Geſchichte von dem unbefonnenen Neugierigen gefallen hatte, fo 
hoffte ex, daß biefe nicht weniger gut ſeyn werde, teil vielleicht beide 
von demfelben Berfaffer herrühren, und nahm fie demnach mit, um fie 
gelegentlich durchzuleſen. Er und fein Freund, der Barbier, befiiegen 
Hierauf ihre Thiere, nahmen ihre Masten dor, bamit Don Dunirote 
fie vor der Hand mit erkeune, und ritten hinter dem Karren ber, 
indem fie folgende Marſchordnung beobachteten: voran fuhr der Och ſen ⸗ 
treiber mit feinem Sarren, welchen auf beibeiP Seiten die Schergen 
mit ihren Feuerrohren begleiteten; dann fam Sancho Panfa auf 
feinem Eſel und führte Nozinante am Zügel, und den Zug 


* Eine vom den zwölf Novellen is Gervantes. 





Den Osirete 1. 














r 








658 Don Quixote. 








befchloffen der Pfarrer und der Barbier mit verlarvten Gefichtern und 
feierliher Geberde, auf flattlihen Maulthieren, welche mit dem be- 
dachtlichen Gangg, der Ochſen Schritt hielten. Don Dnirote fah 
im Käfig mit gebundenen Händen, mit ausgeſtreckten Füßen und rüd- 
wärts an das Gitter gelehnt, fo fill und geduldig, als wenn er 
fein Menſch von dleich und Bein, ſondern ein Marmorbild wäre. 


So ging die Reife langſam und in ber Stille ungefähr zwei 
Meilen fort, bis fie in ein Thal famen, wo der Dchfentreiber Luft 
bezeugte, auszurufen und fein Vieh grafen zu laſſen. Er fagte dies 
dem Pfarrer; allein der Barbier ſchlug vor, noch ein wenig weiter 
zu geben, weil er jenfeits eines nahe gelegenen Hügels noch ein an- 
deres Thal wife, wo noch mehr und befferes Gras wachſe. Man 
folgte feinem Rate und zog weiter. Indeß fah ver Pfarrer fih um 
und bemerkte, daß hinter ihnen ſechs bis fieben wohlgekleidete und 
wohlberittene Männer herfamen, von welchen fie bald eingeholt wur- 
den, weil diefe nichk fo träge und langſam einperzogen, wie ber 
Ochſenkarren, fondern auf ven raſchen Maulthieren eines Domberrn, und 
mit der beften Luft, recht bald in einem Wirthshauſe Mittag zu hal- 
ten, welches faum eine Stunde weit vor ihnen lag. Die Langfamen 
wardeg von den Eilfertigen eingeholt; man grüßte einander Höflich, 

















XLVM. Kapitel, 659 


und inben einer von den Neitern Cein Domberr aus Toledo, ben bie 
Uebrigen bebienten) bie Marfhorbnung bemerfte, in welger der Rar- 
zen, die Schergen, Saucho, Rozinante, ber Pfarrer unb Barbier, 
befonders aber der eingefperrte und gebundene Don Duirote einher- 
zogen, fonnte er fi nit enthalten, zu fragen, was es zu bebenten 
babe, doß man diefen Mann auf folge Art gefangen führe; wiewohl 
die begleitenden Scergen ibn faſt vermutpen ließen, daß der Ge» 
fangene irgend ein berüchtigter Straßenräuber oder ein anderer Miffe- 
thäter ſeyn müffe, welden die heilige Brüberfhaft zur Strafe ziehen 
wolle. Giner von den Schaarwächtern, an welden er feine Arage 
gerichtet, gab zur Antwort: „Mein Gere, biefer Nitter mag Euch 
ſelbſt fagen, was es zu bedeuten hat, baß man ihn weggeführt; wir 
wiffen e6 nicht.” 

Dies hörte Don Duirote und fagte: „Meine Herren Ritter, 
find Eure Gnaden erfahren und belefen in Sachen, welche bie fahrende 
Ritterſchaft angehen? Wenn das der Fall ift, fo will ich euch kundthun, 
welche Widerwärtigfeiten mich betroffen Haben; wo nicht, fo ift eo 
nicht der Mühe werth, euch etwas davon zu erzäflen,“ 

Dir Pferrer und ber Barbier waren unterbeffen näber gelom- 
men, ſobald fie ſahen, daß die Neifenden fi mit Don Duirete 
in ein Geſpraͤch einließen, damit fie zu rechter Zeit bat Wort etgrei· 
fen and die Entdedung ihres Plaus verhüten lönnten. Der Dom- 
herr gab Don Duirote zur Antwort: „Wahrlih, mein Freund, 
id bin in den Nitterbüchern vielleicht beffer bewandert, als in den 
Compendien des Villapando,“ und wenn cd nur darauf allein au- 
kommt, fo könnt Ihr mie Alles erzählen, was Ihr wollt.” 

wu Gottes Namen! fprag Don Duirote. „Wiſſet dem- 
nad, Herr Ritter, daß der Neid und die Argliſt böfer Zauberer mic 
in biefen Käfig himeingebannt Hat, weil das Verbienft aflezeit mehr 
von den Böfen verfolgt, als von den Guten aejhäst wird. Ich bin 
ein fahrender Nitter, und zwar feiner von denen, teren Namen die 


Göttin des Ruhms nie der Aufmerlſamteit würbigte, fie in ihren 


* Gin Hantbac ter ogif, melden damale in kam inanifken Schulen eingeführt war, 



















i 








660 


Bon @uirote. 


Denkſchriften zu verewigen, fondern ein folder, welder troß bes 
Neides und der Mißguuſt und trog aller Magier in Perfien, aller 
Braminen in Indien und aller Gymnofoppiften in Aethiopien fein 
Denkmal im Tempel der Unfterblickeit anfflelen wird, um ben künf- 
tigen Jahrhunderten ein Beifpiel und Mufter zu liefern, woran fah- 
ende Ritter ſehen können, welche Schritte fie thun müſſen, wenn fie 
die Zinnen und den Gipfel des Waffenrupmes erflimmen wollen.” 


nRitter Don Duirote von der Mancha redet die Wahrheit," 
ſprach der Pfarrer, „wenn er fagt, daß man ihn anf biefen Karren 
gezaubert hat; nnd zwar keineswegs durch fein Verſchulden ober für 
feine Sünden, fondern aus Bospeit derjenigen, welchen bie Tugend 
eine Thorpeit und bie Tapferfeit ein Aergerniß iſt. Hier, mein Herr, 
ſeht Ihr den Ritter von der traurigen Geftalt vor Euch, von wel- 
Gem Ihr vielleicht ſchon gehört Habt, deffen tapfere Unternefmungen 
und Großthaten in Erz werben gegraben und in unvergänglichen 
Marmoͤr gehauen werden, wie fehr auch der Neid ſich befireben mag, 
fie zu verbunfeln, und die Bosheit, fie zu verhehlen.“ 


Bie der Domherr ſowohl den Freien, als den Gefangenen in 
viefem Tone reden hörte, machte er das Kreuz vor Verwunderung, und 
weber er, noch feine Begleiter wußten, was fie aus den Leuten machen 
ſollten. Zum Ueberfluffe Fam auch noch Saucho dazu, der ſich heran- 
sefhlien Hatte, um das Gefpräh anzuhören. „Meine Herren,” 
fpra er, „ihr mögt es mir wohl oder übel nehmen, fo muß ich 
eu fagen, daß mein Herr Don Duirote fo wenig verzaubert ifl, 
wie meine Mutter. Er ift bei völligem Verftand, ißt und trinkt und 
verrichtet feine Nothdurft, wie alle anderen Menfchen, und wie er ge- 
fern that, che fie ihn einſperrten. Wie wollten Sie mir denn bei fo 
bewanbten Umftänden weißmacen, daß er verhert fey? als wenn 
ich nicht oft genug gehört hätte, daß verzanberte Leute weder effen, 
noch trinfen, weber ‚fihlafen, noch reden; und mein Herr wirb euch 

* wohl mehr ſchwatzen, als ein halb Schod Advokaten zufammen, wenn 
man ihm nur feinen Willen läßt. Ad, Herr Pfarrer, Here Pfarrer! 
denken Euer Ehrwürden, daß ih Euch nicht Fenne? und meint Ihr, 
daß ich nicht merke und errathe, wo Ihr mit diefen wunderlichen 




























XLVIL Sapitel, 668 


Berzauberungen hinaus wollt? Ihr müßt aber wiffen, dag ich trag 
Eurer Berlappung recht wohl weiß, wer Ihr ſeyd, und daf ich Eure 
Abſicht wohl merle, Ihr mögt fie verfieden wie Jr wollt, Genng,® 
wo der Neid wuchert, da kaun das Verbienft nicht anffommen, und 
wo der Geiz zu Haufe ift, da muß man feine Areigebigfeit fuchen. 
Hol's der Teufel! wenn Euer Eprwürden nicht gewefen wären, fo 
hätte mein Herr zu diefer Stunde ſchon die Prinzeffin Micomicona 
geheirathet, und ih wäre zum wenigften ein Graf; deun weniger 
Könnte ih weder von der Güte meines Herrn von der tranrigen Ge» 
flaft, no von meinen wichtigen Dienften erwarten. Aber ich merfe 
wohl, wie wahr «6 ift, daf das Glücksrad, wie man zu fagen pflegt, 
ſich ſchneller dreht, als ein Mählrad, und wer geſtern obendrauf 
war, Tiegt heut' auf der Nafe. Es ift mir nur leid um meine Fran 
und finder, die alle Tage erwarten, daß ich als Statthalter oder Bice- 
fönig von einer Infel oder einem Königreihe nad Haufe fommen folle, 
und num Fomme ic wiel cher wie ein Stallluecht angezogen, Ich will 
das alles nur darım gefagt Haben, Herr Pfarrer, damit Euer Ehr- 
würden meinen Herrn nicht fo gewiſſeulos behaudle, ſondern Ihr 7 
Euch in Acht nehmet, damit Cuch Gott in jenem Leben für biefe Ein- | 
terferung meines Heron nicht zur Recheuſchaft zieht und es Euch nicht 
entgelten Täft, daß Here Don Quixote, fe ange er gefangen ſiht, 
fo manden Leuten nicht Helfen und ihnen Gutes tun ann,” 

wPfeift der Vogel ſo?“ fagte der Barbier; „biſt da auch von 
der Brüderfhaft deines Herm, Sanho? Wahrhaftig, ich hätte bad 
Luft, dir auch ein Pägchen in feinem Käfig zu geben und did mit 4 
ihm zu verzaubern, weil du einerlei Ritterfporn mit ihm führſt. Zar 
unrechten Stunde fommen dir feine Berfprehungen in den Schädel, 
zur unrechten Stunde gehft du mit deinen Infeln ſchwanger.“ — „Ei 
was," ſprach Sauch o, „ih bin von Niemanden ſchwanger und bin 
auch nicht der Mann, der fih von Jemanden fhmwängern läßt, und 
wenn's der König ſelbſt wäre. Wenn ih auch arm bin, bin ich doch 
ein alter Eprift und bin feinen Menfehen was ſchuldig, und wenn ich 
auch Infeln begehre, fo begehren wohl amdere Leute Schlimmeres. 
Jeder iſt Sohn feiner Thaten, und wer ein rechter Kerl iſt, kann noch 
Pabft werben, geſchweige denn Statthalter anf einer Infel, und mein 

















. 





N 








63 Bon ®uirote, 


Herr kann beren wohl fo viel gewinnen, daß er zufegt nicht mehr 
weiß, wem er fie geben fol. Geht ein andermal fein zu, was 

Ihr redet, Herr Barbier, denn damit iſt's noch nicht gethan, daß 
man einen Bart runter fragen kann, und mander' Schelm findet fei- 
nen Meiſter. Wir kennen einander alle hinten und vorn, und mid 
führt man nicht hinter’s Licht. Wie's mit der Verzauberung meines 
Herrn zugegangen ift, weiß Gott am beften. Aber es mag feyn, ih 
fage nichts; wenn man ven Dre rührt, fo flinkt’s." 


Der Barbier hatte nicht Luft, ihm weiter zu antworten, bamit 
er nicht in feiner Einfalt Alles verriethe, was er und der Pfarrer 
geheim halten wollten. Aus eben biefer Beforgniß hatte auch der Pfarrer 
unterbeffen den Domheren gebeten, mit ihm ein wenig voraus zu reiten, 
weil er ihm das Geheimnif des Gefangenen entdecken und ipm noch an- 
dere Sachen erzählen wolle, die ihm Spaß machen würden. Der Dom- 
herr war zufrieden, ritt nebft feinen Bedienten mit ihm voraus und hörte 
mit Aufmerffamfeit an, was ihm ber Pfarrer von Don Duirote's 
Charakter, Lebensweife, Thorheiten und Gewohnpeiten erzählte, wie 
und woburd er zuerfi anf feine Schwärmerei verfallen, und Alles, was 
ihm begegnet, bis man ihn zulegt in diefen Käfig gefperrt, und daß 
man die Abſicht Habe, ihn nach Haufe zu bringen, um zu verfuchen, 
ob man irgend ein Mittel für feine Thorheit finden Fünne. Der 
Domherr und feine Leute verwunderten ſich jegt noch mehr, wie 
fie Don Duirote’s fonderbare Begebenheiten hörten, und der Dom- 
here fagte: „In der That, Herr Pfarrer, mir dünft, die fogenannten 
Rittergeſchichten find dem Staate fehr ſchädlich, und obgleich ih mid 
durch die Langeweile und ben verkehrten Gefhmad ver Zeit habe ver- 
leiten Iaffen, in ben meiften, die heransgefommen find, zu blättern, 
fo Habe ich mich doch nie überwinden können, nur eine derſelben von 
Anfang bis zu Ende durchzuleſen; denn bis auf wenige Umflände 
feinen fie mir alle einerlei Inhalts zu feyn, und man findet in 
der einen weder mehr, noch weniger, als in der andern. Meiner 
Meinung nach gehört diefe Art Schreiberei in diefelbe Mlaffe mit den 
fogenannten milefifhen Fabeln, und fie enthält, wie diefe, lauter un- 
gereimte Geſchichten, die nichts als Zeitvertreib und mit bie geringfle 














NLVI. Kapitel, sc 


Belehrung gewähren, ba hingegen lehrreiche Erzählungen wicht bloß 
befuftigen, fonbern auch aufffären. Doch gefept au, daß ſolche 
Büder bloß zur Belufigung dienen follen, fo weiß ih nicht, wie fie 
nur diefen Endzwed erfüllen lönnen, da fo viele finnlofe und über- 
teiebene Sachen darin Mehen; denn das Vergnügen, wofür unfer Geift 
empfängli if, beſteht im der Schönfeit und Ucbereinftimmung, bie 
er in den Dingen entvedt, welde ihm entweder bie Augen des 
Leibes oder die Einbilbungsfraft darſtellen; hingegen Affe, was aus 
Mifverkältnig und Häßtichfeit zufammengefeßt if, fann unmöglich Ber- 
guügen gewähren. Welche Schönheiten und welches richtige Berhält- 
mit der Theile zum Ganyen und des Ganzen zu feinen Theilen 
fan man aber in einem Buche ober Gedichte ermarlen, worin ein 
Ruabe von ſechzehn Fahren einen Rieſen, der fo groß iſt wie ein 
Turm, mit einem Hiebe mitten voneinander haut, als wenn er von 
Teig wäre? Und wie machen fie es, wenn fie ung eine Schlacht 
befihreiben, in welder das feinbfiche Heer angeblich eine Million Den 
ſchen flark ifi? Der Held des Buchs braucht fi ihm nur entgegen zu 
ſtellen, fo müffen wir wider unfern Danf und Willen uns überreben 
Taffen, daß er bloß durch bie Kraft feines einzelnen Arms ben Sieg da- 
vontrage. Was follen wir zu bem Feichtfinne fagen, mit welchem bie 
Erbin eines Königreichs ober Kaiſerthums ſich einem unbefannten 
irrenben Nitter in die Arme wirft? Welcher Kopf, der nicht völlig 
roh und ungebifdet ift, kann feinen Wiberwillen über den Unſinn 
unterbrüden, wenn er fiedt, daß ein großer Thurm voll Nitter über 
das Meer fährt, wie ein Schiff unter Segel; daß er heute Abend 
noch feft auf feinem Plage in der Lombardei ficht und morgen früb im 
Lande des Priefterd Johannes vom Indien, oder im einem andern 
angefommen ift, dad weder PtoTemäng beſchrieben, noh Marko Polo 
gefehen Hat? Wollte man einwenden, die Berfaffer folder Bücher geben 
fie für nichts ale Kabeln aus, und feyen folglich nit verbunden, auf 
Stidlihteit und Wahrheit zu achten, fo antworte ih, daß eine Er- 
dichtung nur infoferıf"gefalten laun, ald fie mit der Wahrbeit einige 
Aehnlichteit hat, und daß fie ſich defto angenehmer Tefen laͤßt, je mehr 
fie Mögliges und Wahrſcheinliches enthält, Fabelhafte Geſchichten 
mäffen fi$ vernünftigen Leſern dadurch empfehlen, daß fie dem 

















%64 Bon @uirote. ) 


Unmöglichen einen Anfein von Möglichkeit geben, das Erhabene und 
Wunderbare nit übertreiben, und wechfelsweife Staunen, Schreien 
und Vergnügen erregen, jedoch fo, daß die Verwunderung des Leſers 
ſtets mit angenehmen Gefühlen gepaart ifl. Dies alles kaun derje- 
nige nicht Teiflen, der die Wahrſcheinlichleit und Nachahmung bes 
Natürlihen ans den Augen ſeht, durch welde der gute Schriftfteller 
ſich als Meifter in feiner Kunſt zeigt. Ich habe no feine Ritter 
geſchichte geſehen, in welcher der Körper der Fabel mit allen feinen 
Gliedern ein zufammenpängendes Ganze ausmachte, fo daß die Mitte 
dem Anfang und das Ende dem Anfang und der Mitte entfpräce. 
Alles ift vielmehr ans ſolchen fremdartigen Theilen zufammengeftoppelt, 
als Hätte man fi mehr bemüht, eine Ehimäre oder ein anderes Un 
geheuer darzuſtellen, als ein woßlgeftaltetes Bild zu liefern. Ueber« 
dieß iſt der Styl der Berfafler gewöhnlich Hart nnd trocken, ihre Be⸗ 
gebenheiten find unglaublich, ihre Liebesgeſchichten unzüchtig, ihre 
Artigfeiten Kinkifh, ihre Befhreibungen von Schlachten weitſchweifig, 
ihr Dialog iſt ſchal und ſchleppend, die Reifen ihrer Helden find 
immer abentenerlich; mit einem Worte, es fehlt ihnen durchgängig fo 
fehr an Gefhmad und Kunft, daß man fie billig als eitel und unnütz 
aus der Epriftenheit verbannen ſollte.“ 

Der Pfarrer Hörte fehr aufmerffam zu, und fand an dem Dom- 
herrn einen verftändigen Mann, ver fich über feinen Gegenftand fehr 
richtig ausbrüde. Er fagte ihm demnach, da er mit ihm einerlei 
Meinung fey und die Ritterbücher nicht ausſtehen könne, fo habe er 
Don Duirote’s ganze Sammlung verbrannt, welche nit wenig 
zahlreich gewwefen. Bei biefer Gelegenheit erzählte er ihm, wie er 
Gericht über fie gehalten, welde er zum Fener verdammt, welchen er 
das Leben geſchenkt habe, worüber der Domherr ſich nicht wenig er- 
gögte; doch fügte er bei, fo viel Böfes er auch von den Nitter- 
büchern gefagt, fo habe er doch eine gute Seite an ihnen gefunden: 
fie geben nämlich einem ſcharfſinnigen Kopfe Gelegenheit, ſich zw zeir 
gen, indem fie ihm ein weites Feld darböten, um ohne Zwang feiner 
Feder freien Lauf zu Iaffen, bald Schiffbrüche, Stürme, Schlachten 
und Fehden zu beſchreiben, bald das Gemälde eines tapfern Feldherm 
zu entwerfen und alle erforderlichen Eigenſchaften deſſelben zu ſchildern, 














NLVM. Kapitel, 665 


nämlich Klugheit, um den Abfichten des Feindes zuvorzufommen und 
fie zw vereiteln, Beredfamfeit, um feine Soldaten anzufeuern ober 
zurüdzuhalten, Bedachtfamteit in feinen Nathfhlägen, Schnelligkeit in 
Ausfügrung derfelben, Beharrlifeit im Ausbanern, Tapferkeit im 
Angriffe; bald gäbe es eine rüßrende ober traurige Geſchichte, bald 
eine angenehme oder überrafcgende Gelegenheit zu erzählen; hier ein 
liebenewůrdiges Weib, gefhmüdt mit allen Reizen bes Geiſtes und 
des Körpers, zu ſchildern; dort einen tapferm Rittersmann voll Anftand, 





Edelmuth und guter Sitten; dort wieder einen wilden, ungeſtümen 
Eifenfreffer zu befßreiben, oder zw einer andern Zeit einen tapfern, 


Der Onirete h 











666 Don uirste. 


| 





* 


AL 
— 





lentſeligen und geliebten Fürſten, trene Unterthanen und erhabene 
«ober wohlthätige Handlungen; bald fönne er ſich als Sternkundigen, j 
ı als Welt- und Erdbeſchreiber, bald als Kenner der Muſik, bald als 
i Staatsmann zeigen; ja, wenn ihn die Luſt anfomme, fo könne er 
ſich and als Schwarzlünſtler geltend machen, könne die Verſchlagen- 
heit des Ulyffes, die Tapferkeit des Achilles, die Frömmigkeit des 
Aeneas, den jähen Tod Hektors, die Falſchheit eines Sinon, 
die Freundfhaft des Euryalus, die Freigebigfeit Alcranders, den | 
Muth Eäfars, die Güte und Nedlickeit Trajans, bie Treue des 
Zopyrus oder die Weisheit Eato’s darftellen. Alle diefe Tugen- 
den, welche einen Mann groß und berühmt machen, könne er nad 
Belieben bald einem einzelnen Helben beilegen, bald unter. viele 
vertheilen. Weiß er das alles in gefälligem Style vorzutragen," fagte 
der Domperr, „und mit einer finnreichen Erfindung, bie fi) fo viel als 
möglich der Wahrſcheinlichkeit nähert, fo wird ex gewiß ein Gewebe 




















NLVE. Kapitel, 667 


liefern, welches, aud manderlei reihhaltigem Stoffe zufammengefegt, 
wenn es fertig iſt fo viele Vollkommenheit amd Schönfeit zeigen 
wird, daß er den löbfüchften Endzweck erreicht, welchen ein Schrift: 
ſtellet ſich vorfegen kann, nämlich, zu gleicher Zeit zu befehren und zu 
befufligen. Denn der zwanglofe Gang folder Sihriften erlanbt dem 
Verfaſſer, ſich als epiſchen, lyriſchen, tragiſchen oder komiſchen 
Shriftſteller zu zeigen, und fein Wert mit allen Annehmlichkeiten der 
Digptfunf und der Beredſamleit auszuſtatten, weil das epiſche Gedicht 
ſich ebenſowohl in Profa, als in Berfen vortragen Täft, 




















Achtundvierzigſtes Kapitel. 


Der Lomberr fäoet fort, über Rittergeiicbten und andere @egenfänte mit vieler Ginfiht zu 
i foresen, 


y 


olltommen Recht paben Euer Hoch⸗ 
würben ‚“ fagte ber Pfarrer, „und 
ebendeßwegen verdienen dic Ver- 
faffer folder Bücher um vefio 
mehr Tadel, je weniger fie bis- 
her weder auf die gefunde Ber- 
annft, noch auf Kunft und Re 
“= geln Rüdficht genommen haben, 

durch deren Befolgung fie‘ ſich 

mit ihrer Profa eben fo berühmt machen könnten, als bie beiben Für- 
fen unter den griechiſchen und römifhen Dichtern dur ihre Verſe.“ 
„3% ſelbſt,“ erwiderte der Domherr, „bin wirklich einft in Ber 
fugung geraten, eine Rittergeſchichte zu ſchreiben und alle Regeln, 
die ich angeführt Habe, dabei zu beobachten. Ich hatte ſchon ein paar 
hundert Seiten gefgrieben, und um zu verfugen, wie es mir damit 
gelungen, las ih fie nicht nur einigen gelchrten und verfländigen 
Liebhabern folder Werke vor, fondern auch unmiffenden Leuten, bie 
nur an abenteuerlichen Poffen Gefhmad finden, und fand Beifall bei 
Alen. Nichtsdeſtoweniger legte ich meinen Auffag wieder anf bie 
Seite, theils weil es mir fihien, daß bergleihen Arbeiten meinem 
Stande nicht ganz angemeffen feyen, theils weil ich bedachte, daß 
die Zahl unwiflender Lefer bie Zahl ber verfländigen weit über 
wiegt; und obwohl das Lob der wenigen Bernünftigen eine reichliche 

















XLVIIL. Sapitel 669 


Entfpädigung für den Tadel einer Menge von Narren gewährt, fo 
mochte ich doch dem: vielfeitigen Urtheile diefer Menge eitier Thoren 
mid nit ausfegen, bie fih am meiften mit dem Lefen folder Bücher 
befcäftigen. Mein Entfhluß, die Feder miederzulegen und meinen 
Plan aufzugeben, ward jedoch hauptſächlich durch eine Betrachtung 
veranfaßt, welche mir die Luftfpiele am die Hand gaben, die man 
heutigen Tags aufführt: IH dachte nämlich, die Stüde, die man 
jegt gibt, fie mögen eine fabelhafte oder wirkliche Begebenheit zum 
Gegenftande haben, enthalten durchgängig oder doch gröftentheils 
nichts als handgreiflichen Unfinn und Gefhwäg, das weder Hände, 
no Füße hat, und man Hört fie denne mit Vergnägen und lobt fie 
als. vortrefflich. Sie taugen zwar nicht, allein die Verfaffer und 
die Schaufpieler ſagen, daf fie ſo ſeyn müßten, weil das Publikum 
fie fo und nicht anders verlange, und daß biejenigen, welche ihre 
Kabeln im Zufammenfange und nad Negefn ber Kuuſt durch ihr 
ganzes Stück durdführen, zwar ben Beifall einiger wenigen Kenner 
einernten, daß aber alle übrigen Zufihauer, welche nichts davon ver- 
ſtehen, von ihrem Gaſtmahle nügtern wieder weggehen, und daß fie 
«6 daher gerathener finden, vom großen Haufen ihr Bred, als von 
einigen Wenigen ihren Beifall zu verdienen. So würde es mir auch 
mit meinem Buche gehen, und am Ende ber vielen Nachtwachen, vie 
mir's gefoftet, jene Negeln zu beobachten, wäre ich wie jener Schnei- 
der in der Vaude, der umſonſt arbeitete und den Zwirn brein gab. 
Ih Habe zwar bisweilen geſucht, ben Schaufpielern zu bemeifen, daß 
fie mehr Zulauf haben und mehr Beifall finden würden, wenn fie 
regelmäßige Schauſpiele anfführten, ald wenn fie Uufinn auf bie 
Bahne bringen; allein fie beftchen fo fteif auf ihrem Wahne, daß 
feine Veweiſe ober Bernanftgründe fie davon abbringen können. 
Einft fagte ih zu einem von dieſen Marrenföpfen: „Habt Ihr fihon 
vergeffen, daß vor einigen Jahren+ brei Trawerfpiefe Hier in Spanien 
aufgeführt wurden, bie einen berühmten Dieter in diefem Lande zum 
BVerfaffer Hatten, und bie von Jedem, ber fie befuchte, gelobt und 
bewundert wurden, von Gelehrten und Ungelehrten, Kennern und 
Nigtlennern, und daß biefe drei Stüde den Schaufpielern mehr Geld 
einbrachten, als bie dreißig beflen, die man feitdem auf die Bühne 














670 Bon uirste. 


gebracht Hat?“ — „Ihr meint ohne Zweifel die Iſabella, bie 
Phyllis und die Alerandra,” erwiberte der Schaufpieler. „Eben 
dieſe meine ich,” gab ich ihm zur Antwort. „Sagt mir nun felbft, ob 
die Regeln der Kunſt in denfelben gehörig beobachtet find, und ob dies 
ihnen geſchadet oder den allgemeinen Beifall, mit welchem fie aufge- 
nommen wurben, im Geringften geſchwächt hat? Es if folglich nicht 
die Schuld des Publitums, welches Unfinn fordert, fondern bie Schuld 
derjenigen, welche ihm nichts Beſſeres geben. Ju dem beftraften 
Undanf, in der Numancia, in dem verliebten Raufmann und 
in der wohlwollenden Feindbin ! ift ebenfalls fein Unfinn zu finden, 
fo wenig als in manden andern Stüden, bie ihren geſchickten Berfaf- 
fern Ruhm und Ehre und den Schaufpielern Geld eingebracht haben. 
Ich fügte noch andere Gründe hinzu, welche, wie es fchien, zwar hin- 
reichten, ihn in Verlegenheit zu fegen, aber nit, ihn zu überzengen 
und ihm feinen irrigen Wahn zu benehmen.“ 

„Here Domperr,“ fagte der Pfarrer, „Ihr feyb auf eine Materie 
gefommen, die bei mir einen alten Unwillen rege macht, ben ich 
gegen die heutigen Schaufpieler gefaßt habe, und der nicht geringer iſt, 
als mein Widerwille gegen die Ritterbücher; denn flatt daß bie 
Bühne, wie Cicero fagt, ein Spiegel des menfchlichen Lebens, ein 
Mufter der Sitten und ein. Bild der Wahrheit fegn follte, fo find die 
jetzigen Stüde nichts als Spiegel des Tollhauſes, Beifpiele von Narr- 
beit und Ueppigfeit, und Darftellungen der Unfittlichfeit. Kann man 
fi in dem Face, von welchem wir fprechen, etwas Unfinnigeres denken, 
als wenn man im erften Auftritte eines Stücks ein Kind in Windeln 
auf die Bühne bringt und es im zweiten ſchon als einen bärtigen 
Kerl auftreten läßt? Kann etwas toller feyn, als wenn man uns 
einen zitternden Greis als furchtbaren Helden, einen Jüngling als 
Hafenfuß, einen Lakaien als Redner, einen Pagen als Stantsratp, 
einen König als Schuhpuger, eine Prinzeffin ald Küchenmagd vorſtellt 
Was fol ich von der Beobachtung des Zeitraums fagen, worin auf 
die Bühne gebrachte Handlungen gefchehen können? IH habe Schau- 
fpiele gefehen, in welchen die erſte Handlung in Europa, die zweite 


bier lobt Gervantes Ach fclbf, venm er it Berfaffer der vier genannten Echaufviele. 

















XLVII. Kapitel. or 


in Aſien und die dritte in Afrika vorging, nnd wenn noch ein. vierter 
Aft gewefen wäre, fo würde das Spiel vermuthlich in Amerifa geendet 
haben, um und durch alle vier Theile ber Welt herumzuführen. Wenn 
richtige Nachahmung ein wefentlihes Exforbernifi beim Schaufpiele 
iR, wie Tann der mittelmäfigfie Hopf es mit Gebuld anfehen, wenn 
man in einer Handlung, welde in die Zeiten Pipins und Karls 
des Großen fält, ben Kaiſer Heraklins, ber mit dem Kreuze 

















673 Bon Quirote. 


nach Jeruſalem kam, und den Gottfried von Bonillon, ber das 
heilige Haus eroberte, als Hauptperfonen auftreten läßt, da doch zwi⸗ 
fen ihnen eine beträchtliche Reife von Jahren verfloffen iR? ober 
wenn man in ein Stück, welchem eine Fabel zu Grunde Liegt, wirk⸗ 
liche Geſchichten und Bruchſtücke von andern Begebenheiten mitein- 
mengt, bie fih zu verfepiebenen Zeiten und mit verſchiedenen Perfonen 
zugetragen haben, und wenn das Alles ohne ben geringfien Grab vom 
Wahrſcheinlichleit durch die unverzeiplihften Mißgriffe zufammenge- 
floppelt wird? Das Schlimmfte dabei if, daß Dummköpfe genug 
folge Sachen für vortrefflih, und Alles, was dagegen eingewenbet wirb, 
für Krittelei halten. Nehmen wir wie geiſtlichen Vo ſtellungen: wie 
viele erbichtete Wunderwerfe, wie viele untergefepobene oder mißver- 
Randene Thatſachen werben da aufgetifht, und dem einen Heiligen 
Wunder zugefchrieben, bie der andere verrichtet Hat? Man fihent fih 
nit, ſelbſt in weltlichen Stüden Wunderwerke einzuflechten, aus fei- 
ner andern Urſache, als weil man-meint, baß hier ober dort ein 
Wunderzeichen ober eine Erfheinung Effekt machen werde, wie man 
es madt, wenn man den Einfältigen etwas zu gaffen gibt, um fie 
“damit anzuloden. Mit allen diefen Dingen verfündigt man fih an 
der Wahrheit, verflümmelt die Geſchichte und macht dem Gefhmade 
der Spanier Schande; denn bie Ausländer, welche fih genau nad den 


Gefegen der Bühne richten, müflen uns als Barbaren und Unmiffende . 


betrachten, wenn fie fehen, wie unfere Städe mit thörichtem Unfinne 
vollgepfropft find. Es gereicht und auch nicht zu genügender Entſchul⸗ 
digung, wenn wir einwenden: die Erlaubniß, öffentliche Schanfpiele 
aufzuführen, werbe hauptſächlich in der Abficht gegeben, dem Volle 
eine erlaubte Ergöplichkeit zu verſchaffen, um es von Ansfchweifungen 
abzuhalten, welche der Müßiggang zu veranlaffen pflegt; da nun bie- 
fer Endzweck ebenfowohl durch ſchlechte oder mittelmäßige, als durch 
gute Schauſpiele erreicht werde, fo ſey es nicht nöthig, die Schrift- 
ſteller und Schauſpieler an firenge Regeln und Vorſchriften zu binden, 
wie fie reiben und fpielen ſollen, indem jedes Stüd zu Erreihung 
diefes Zwedes fih eigne. Darauf würde ich antworten: der Zwed 
wird ohne alle Bergleigung beffer durch gute, als durch ſchlechte 
Schaufpiele erreigt; venn in einem regelmäßig georbneten, gut 




















XLVI. Kapitel. 673 


geſchriebenen uftfpiele findet der Zufhanr Wip, der in befufligt, 
Wahrheiten, die ihn belehren, unerwartete Ereigniffe, bie ihn überra⸗ 
ſchen, er wird durch vernünftige Urtheile anfgeflärt, vor Betrügerei 
gewarnt und durch Beifpiele gewißigt, er Iernt das Lafter haffen und 
die Tugend Tieben. Alle biefe Wirfungen muß ein gutes Schaufpiel 
unfehlbar bei dem dümmſten und einfältigften Zuſchauer hervorbringen; 
es if demnach unmöglich, daß ein ſolches Schaufpiel nicht unendlich 
mebr Vergnügen, Unterhaltung und Nugen gewähren follte, als bie- 
jenigen, bei welchen man alle jene Eigenfhaften vermißt, was mit 
den meiften heutigen Stüden der Kal if. Die Schuld Tiegt nicht 
immer an ben Verfaſſern, unter denen es Viele gibt, die fehr wohl 
wiffen, woran es ihren Stüden fehlt, und was fie thun müßten, um 
fie beffer zu machen. Sie beffagen ſich aber nicht ohne Grund darüber, 
daß die Schaufpiele zu einer Art von Waare geworden find, daß bie 
Schauſpieler fie nicht nehmen, wenn fie nicht nach dem gewöhnlichen 
Sönitte gemacht find, und daß ber Dichter fich nach der Laune ber- 
jenigen richten müffe, die ihm feine Arbeit bezahlen. Die Wahrheit 
diefer Behauptung leuchtet ans vielen Schaufpielen hervor, bie einer 
der vortrefflichften Köpfe Spaniens gefchrieben hat: ! Alles darin iſt 
prachtvoll angelegt und fprudelt von Wig, die Verfe find ſchön, das 
Gefpräh fließt angenehm fort, ſinnſchwere Gedanken überraſchen, 
Berebfamfeit und ein würbevoller Vortrag fefleln den Hörer, fo daß 
mit Recht die Welt feines Ruhmes voll if; und dennoch hat and 
diefer Dichter nit in allen Stüden, fondern nur in einigen bas 
höchſte Ziel erreichen können, weil er ſich nad dem Gefhmade ver 
Schauſpieler richten wollte und mußte. Andere hingegen ſchreiben fo 
te und unvorfihtig, daß die Schaufpieler bisweilen nad) der erfien 
Vorſtellung flüchtig werden müffen, um den Strafen zu entgehen, 
welde fie befürchten müffen, wenn fie anzüglige Sachen gegen bie 
Regierung oder gegen vornchme Familien anf die Bühne bringen. 
Solcher Urfug und andere Mißbräuche, bie ich nicht erwähnen will, 
tönnten vermieden werben, wenn bei Hofe ein einfichtsooller Mann 
angeftellt würbe, ber alle Schaufpiele, ehe man fie aufführte, vorher 


* Bone de Vega, 








Den Dnieste 8 











64 Don Quirote. 


prüfen müßte, und zwar nicht nur diejenigen, welde in der Hanpt- 
ſtadt, fondern alle, die in Spanien zur Aufführung fommen follen, 
und ohne feine Genehmigung, ohne fein Siegel und feine Unter 
ſchrift dürfte Feine Ortsobrigkeit die Vorftellung irgend eines Schau—⸗ 
fpiels erlauben. Alsvann würden bie Schaufpieler genöthigt feyn, 
die neuen Stüde jebesmal zur Beurtheilung einzufenden, und fie würden 
ſolche hernach ohne Beſorgniß aufführen fönnen, und bie Berfafler 
würden mehr Sorgfalt und Aufmerkfamfeit auf ihre Arbeiten ver- 
wenden, weil fie wüßten, daß ihre Werke die firenge Prüfung eines 
Sachkundigen zu befichen haben. Auf biefe Art befämen wir gute 
Schauſpiele, und der Zwed, wozu fie dienen follen, würde glücklich 
erreicht, das Bolt fände fein Vergnügen, ber literariſche Ruf Spa- 
niens wäre gerettet, bie Schaufpieler genöflen Vortheile und Sicher- 
heit, und die Obrigfeit fähe fih der Mühe überhoben, fie zu züchtigen. 
Benn man bemfelden Manne oder einem Andern auch die Eenfur 
der neuen Ritterbücher aufträge, fo könnte man mit Zuverficht hoffen, 
einige derſelben in folder Volllommenheit erſcheinen zu fehen, wie 
Euer Hochwürden fie verlangen und wie fie ſeyn müßten, um unfere 
Sprache mit den angenehmen und köſtlichen Schägen ber Beredſamkeit 
zu bereihern. Dann würden die alten Ritterbücher durch bie Bor 
züge der neuen verbrängt werben, und biefe würden nit nur bem 
mäßigen Leuten, fondern auch den gefhäftigften Männern zu erlaubtem 
Zeitvertreibe dienen, denn ein Bogen kann nicht beftändig gefpannt 
bleiben und bie ſchwache menfhlihe Natur Tann ohne eine erlaubte 
Erholung nit ausdauern.“ 

Hier warb das Geſpräch zwifchen dem Domherrn und dem Pfar- 
rer durch den Barbier unterbrochen, welcher zu dem Pfarrer fam nnd 
fagte: „Hier iſt der Pag, Herr Licentiat, wovon ih Euch gefagt 
habe, daß er für uns am bequemften fey, um Mittagsruhe zu halten 
und unfere Ochfen weiden zu laſſen.“ 

„So ſcheint es auch mir,“ ſprach ber Pfarrer; und auch der 
Domherr ließ ſich gerne bereden, ihnen Geſellſchaft zu leiſten, weil 
ihm der Platz und die Ausſicht in ein anmuthiges Thal gefiel. Um 
dieſer und zugleich der Gefellfchaft des Pfarrers, die ihm fehr behagte, 
länger zu genießen und noch etwas mehr von Don Quixote's 




















XLVIU. Kopitel, 675 


Angelegenheiten zu erfahren, befahl er einigen feiner Leute, nach dem 
nahe gelegenen Wirthehaufe zu gehen und Effen für die ganze Befell- 
ſchaft zu holen, weil er die Nahmittagefiunden bier zubringen wolle. 


Einer von den Bedienten antwortete: das Maulihier mit bem 
Munbvorrathe, welches fhon in dem Wirthehaufe angelangt ſeyn 
müffe, fey noch binlängli beladen, um fie ſammtlich zu fättigen, und 
man braude demuach aus dem Wirthshaufe wur Futter für bie Thiere 














676 Don Euirote. 


„Wenn: das ift,“ fprad ber Domperr, „fo führt nur die anderen Tiere 
dahiu und bringt ven Padejel wieder zu uns hieher.“ 

Sauch o nahm unterbejfen die Gelegenheit wahr, feinem Herru · 
ein paar Worte zu fügen, ohue daß ber Pfarrer und der Barbier, 
welchen er wicht traute, etwas davon merlten. Er fam an den Käfig 
und fagte zw feinem Herrn: „Herr Don Duirote, um mein 














XLVII. Kapitel, 67 


Gewiffen zu beruhigen, maß ih Euch mir fagen, wie es mit Eurer 
Berzauberung befhaffen if. Die beiden verfappten Gefichter hier 
find der Pfarrer und der Barbier aus unſerem Dorfe, und ih glaube, 
fie Haben den Pan, Euch wegzuführen, bloß darum angelegt, weil 
fie geidiſch Darüber find, daß Ihr's mit Euren rühmlichen Thaten 
ihnen fo weit zuvor ihut. Wenn das feine Richtigkeit hat, fo folgt 
daraus, daß es bei Euch nicht Heißt: dur Zauber berüdt, fondern 
in April geſchidt und am der Nafe herumgeführt. Zum Beweife deffen 
erlaubt mir eine Frage, und wenn Ihr mir diefe fo beantwortet, 
wie ich gfaube, daß Ihr mir fie beantworten werdet, fo folt Ihr 
den Betrug mit Händen greifen und fehen, daß das nicht zugeht mit 
Hererei, ſondern mit Narrethei.“ 

„Frage, was du will, Sohn Saucho,“ fprah Don Dui- 
zote, „ih will dir Antwort und Auskunft über Alles geben, was 
du begehrſt. Was aber beine Behauptung betrifft, daf die Beiden, 
bie hier um uns find, der Pfarrer und der Darbier, unfere Nachbarn 
und Befannten, ſeyn follen, jo mag dir's wohl fo feinen, als wären 
fies; daß fie eo aber wirklich und in der That find, das bilde dir 
ja nicht ein, fondern ſey verfichert, daß es dir nur fo vorfommt, und 
daß diejenigen, die mich verzaubert haben, ſich vermuthlich ihr Anfes 
ben und ihre Geflalt geben, weil es den Zauberern etwas Leichtes 
iſt, jede Geſtalt, welche fie wollen, anzunehmen; und fie werben ſich 
wohl in diefe unfere freunde verwandelt haben, bioß um Dich zu ver- 
Teiten, fie wirtlich für diefelben zu Halten, und um dich in ein Labyrinth 

von Bermuthungen zw verwideln, wo fein Faden bes Theſeus 
dir wieder beraushelfen würde. Vielleicht wollen fie au mid ſelbſt 
dadurch irre machen, damit ich micht errathe, wer mir biefe Gtreiche 
fpielt, Denn inden da von der einen Seite mir fagfl, daß ber 
Pfarrer und der Barbier ans unferem Dorfe mich begleiten, und indem 
ih vom der anderen Seite bevenfe, daß ich in diefem Käfig fige, und 
überzeugt bin, daß nicht menſchliche, fondern nur übernatürliche Kräfte 
mich hineinbannen Fonnten: was kaun ich deun anders fagen unb 
denken, als daf die Art und Weiſe meiner Verzauberung Alles über- 
trifft, was ich in meinem Leben von verzauberten fahrenden Nittern 
gelefen habe? Da kanuſt dich alfo daranf verlaffen, daß fie fo wenig 

















678 Don Quixote. 


dasjenige find, wofür du fie hältft, als daß ich ein Türke bin. Was 
übrigens bie Fragen betrifft, die bu mir vorlegen willſt, fo frage 
bis morgen frühe, ich will dir auf Alles antworten.” 

„Heilige Mutter Gottes!“ rief Sancho; „iſt's möglich, Herr! 
if Euch das Hirn fo vernagelt und das Mark fo ganz ausgetrocknet, 
daß Ihr nicht begreift, daß ich Eud die reine Wahrheit fage, und 
daß Eure Gefangenfihaft und Eure Wiverwärtigfeiten mehr mit 
Schelmenſtücken, als mit Hererei zugehen? Weil Ihr aber nun einmal 
fo feyd, fo muß ich's Euch nur handgreiflich beweifen, daß Ihr wenig- 
ſtens nicht verzaubert feyb. Denn fagt mir mur, fo wahr, als Ihr 
wünſcht, daß Gott Euch aus biefer Trübſal erlöfe und Euch, ehe 
Ihr's vermuthet, in die Arme unfers gnädigen Fräuleins Dulcdk- 
nea führe —“ 

„Hör auf, mich zu befhwören,“ fprah Don Quixote, „und 
rüde heraus mit deinen Fragen. Ih habe dir ja ſchon ausführlich 
Antwort verſprochen.“ 

Das bitt’ ich mir aus,“ fprah Sande. „Saget mir demnach 
ohne Zufag und Hinterhalt anf meine Frage die reine Wahrheit, fo 
wie ein Jeder fie fagt und fagen foll, ber fi den Waffen, fo wie 
Euer Gnaben, als fahrender Ritter gewibmet hat.“ 

„Ich fage ja, daß ich dir nichts vorlügen will,“ fprah Don 
Duirote. „Laß mich endlich hören, was du fragen willſt: denn weiß 
Gott, deine Umſchweife, Klauſeln und Einleitungen habe ich fatt.” 

„Ich bin von der Rechtfchaffenheit und Wahrhaftigfeit meines 
Herrn überzeugt,” erwiderte Sanch o. „Um alfo auf den Grund ver 
Sache zu kommen, fo frag’ ich mit allem Refpelt, ob Euer Geftrengen, 
feitvem man Euch in dieſen Käfig eingefperrt ober, wie Ihr meint, 
hineingezaubert hat, ſchon Luſt und Neigung verfpärt haben, did 
oder bünn zu machen, wie man zu fagen pflegt?“ 

„Ich verfiehe nicht, Sancho, was du mit bem bie! oder dünn 
fagen wit. Erkläre dich deutlicher, wenn du willſt, daß ih bir 
richtig antworten fol.“ 

„Iſt's möglich,“ ſprach Sanch o, „daß Euer Gnaben nit willen, 
was es heißt, dick oder dünn machen? Das fagt man ja den Kindern, 
fobald fie in die Schule kommen. Ich möchte nur wiffen, ob Euch 

















„ XLvin. Kapitel, 679 


nicht angekommen iſt, das zu thun, was auch ber Kaiſer nicht durch 
einen Andern thun laſſen lann *“ 

„So, mun verſteh' ih dich, Saucho. Ja wohl iſt mir's fhon 
längft augekommen, und eben jetzt treibt mich's. Hilf mir aus ber 
Berlegenheit, benn es iſt die Höchfte Noth.“ 




















— 
Bon @uirotr. 


ð 


Neunundvierzigſtes Kapitel. 


Sinnreiches Geſprach zwilden Sancho Banfa und feinem Herrn Don Duirote. 


ha!“ rief Sandoz; „alfo hab ich Euch, geftrenger Herr? Das wollt 
ich eben für mein Leben gern wiſſen. Nun fommt einmal her; könnt 

















XLIX. Kapitel, 681 


Ihr's wohl leugnen, gefirenger Herr, daß man zu Haufe Sei ums 
von einem Menſchen, der nicht recht bei Trofte if, gemeiniglich 
ſpricht: ih weiß nicht, was bem und bem fehlt, er ißt wicht, er 
trinkt nicht, ex ſchlaft nicht, er antwortet Iinfs, wenn man ihr fragt; 
es iſt nit anders, er muß behert ſeyul Num fehet, daraus ſchlicße 
ich, daß die Beherten weder effen, noch trinfen, noch ſchlaſen, noch 
ihre gewöhnliche Nothdurft verrichten. Nun aber thut ja Euer Ger 
firengen das Alles: Ihr eft und teinft, wenn man Euch etwas gibt, 
antwortet einem aud reif, wenn man Euch fragt, und es lommt 
Euch auch an, did und dünm zu machen!“ 


® „Alles wahr, Sandho!® verfegte Dom Duirote; „aber ih 
habe dir's ſchon gefagt, daß es vielerlei Arten von Verzauberungen 
gibt; und fann es nicht ſeyn, daß ſich im der Folge der Zeit einige 
geändert haben, und daß jegt die Berzanberten Alles thun, was ih 
thue und was fie fonft nicht thaten? Wenn dies if, kann man 
Wider den Lauf der Welt und die Gewohnheit der Zeiten nicht fo 
fließen, noch diefe Folgerungen ziehen. Ich weiß und glaube es, 


daß ih verzaubert bin, und dies if mir zur Ueberzeugung und Beru⸗ 
higung meines Gewiffens genug. Denn id würde mix ſelbſt bie 
bitterfien Vorwürfe maden, wenn ih wüßte, daß id uuverzau ⸗ 
bert fo fhändlih, feig und faul in diefem Käfige daliegen, und 
fo vielen Nothleivenden, Bedrängten und Hilfsbedürftigen meinen 
Beiftand entziehen follte, den fie jede Stunde, jeben Augendfic 
nöthig haben.“ 


„3% wünſchte aber doch, geſtrenger Herr,“ ſprach Santo, „daß 

Ihr zum Ueberfluffe und zu noch größerer Berubigung Eures Ge» 
wiffens doch noch verfuchtet, aus dem Gefängniffe heraus zu lommenz 
\ ih fhmör's End, ich wollt’ Euch treufich dabei Helfen. Legt Hand an, 
und verſucht's, vielleicht kommt Ihr wieder auf Euren guten Rozie 
mante. Der arme Burſche geht fo traurig und ſchlappohrig einher, 
als wenn er aud verzaubert wäre. Sipt Ihr nur erft wieder im Gattel, 
dann geben wir wieder auf's Abentenerfachen; und geht's damit nicht, 
je uun, in dem Käfig fönnen wir immer zurücktriechen, ta kommen 





Dan Duitein I. 

















688 Don Quixote. 


wir um nichts zu ſpät; ich verſprech's Euch als ehrlicher treuer 
Schildknappe, mich mit Euch einzufperren, im Halle Ihr fp unglücklich 
wäret ober ich fo ungeſchickt, daß ich mein Wort nicht gut machen 
Fönnte. 


„Ich will thun, was du fagfl, Freund Saucho,“ antwortete 
Don Duirote, „und wenn du eine gute Gelegenheit wahrnimmfl, 
mich zu befreien, fo wil ich bir in allen Stüden überall hinfolgen. 
Aber du wirft fehen, wie fehr du in der Urſache meiner Wiverwärtigfeit 
dich täuſcheſt.“ 


Dieſe Geſpraͤche hielten der fahrende Ritter und fein übelfag- 
vender Knappe miteinander, bis fie an den Drt famen, wo ber 
Pfarrer, der Domherr und der Barbier bereits abgefliegen waren. 
Der Fuhrmann machte fofort feine Ochſen los und Tieß fie in dem 
ſchönen Thale weiden, deſſen frifches Grün für den verzauberten Don 
Duirote zwar wenig Reiz hatte, feinem Hügern und pfiffigen Knappen 
aber fehr wohl behagte. Diefer bat nunmehr den Pfarrer, er möchte 
feinem Herm erlauben, ſich aͤuf einige Augenblide ans dem Käfige 
zu entfernen, weil derfelbe fonft Gefahr Tiefe, nicht völig fo fauber 
zu bleiben, wie es fih für einen ſolchen Ritter zieme. Der Pfarrer 
verfland ihn, und fagte, er wolle ihm feine Bitte gerne gewähren, 
wenn er nicht befürdten müffe, fein Herr möchte, ſobald er fih in 
Freiheit befände, nene Streiche fpielen und das Weite ſuchen. 


„Ich flehe dafür, daß er nicht entweicht!“ fagte Sanch o. 


„Und: ich auch,“ fprad der Domherr, „zumal wenn er mir fein 
ritterlihes Wort gibt, ohne unfere Einwilligung fih nicht von ung zu 
entfernen.” 


„Ich gebe es,“ fagte Don Duirote, ber Alles gehört hatte, 
„and zwar um fo williger, da ein Berzauberter, wie ih bin, nicht 
beliebig mit feiner Perfon falten Tann, indem derjenige, der ihn 
verzaubert hat, machen Tann, daß er fih in Jahrhunderten nicht 
von ber Stelle bewegt, und wenn er auch bie Flucht nähme, fo 








* 








XLIX. Kapitel 683 
könnte jener ihm doch im Fluge zurüdbringen. Bei fo bewandten 


Umftänden fönnet ihr mich ohne Bedenken Toslaffen, zumal da es zum 
allerfeitigen Frommen gereicht; denn wenn man mich nicht Keraud- 
läßt, fo muß ich euch erklären, daß bie Nafen aller Anmefenden in 
Verlegenheit gerathen werben, wenn ihr nicht etwa ſelbſt davonfaufen 
wollet.“ 


Der Domperr ließ fih von ihm feine Hände (gebunden, wie fie 
waren) darauf geben, unb auf fein Ehrenwort ließ man ihn zu feiner 
großen Freude aus bem Käfig. 

















64 . Bon @uirote. 


Sein Erfles war, daß er alle feine lieder dehnte, und hierauf 


ging er firads an Rozinante, gab ihm ein paar Schläge mit der 
Hand auf den Rüden und fagte: „Ich hoffe zu Gott und zur Heiligen 
Jungfrau, du Krone und Spiegel aller Roffe, daß wir ung bald wieder 
in folder Lage befinden werden, wie wir fie und wünſchen, du mit 
deinem Herrn anf dem Rüden, und ich im Sattel und in den Bügeln, 
am dem Berufe nachzugehen, wozu ber Himmel mich in die Welt gefandt 
hat.“ Mit diefen Worfen entfernte er fih mit Saucho und kam bald 




















darauf zurüc, fehr erfeichtert und mit dem beſten Willen, dasjenige in’d 
Bert zu rigten, was ihm fein Schildknappe an bie Hand geben würde. 

Der Domberr fah ihn an, und wußte nicht, ob er ſich mehr über 
ben hohen Grad feiner Verrüdtheit wundern follte, ober über ben 
gefunden Verſtand, den er fonft in feinen Neben und Gedanken bliden 
ließ; denn wie wir ſchon oft gefagt haben, er fam nur dann aus 
ben Bügeln, wenn man mit ihm von Nitterfachen redete. Als ſich 
num die Geſellſchaft im Graſe gelagert hatte und auf ben Muntsor 
rath des Domberrn wartete, bewog diefen das Mitleid, zu Don 
Duirote zw fügen: „Ich weiß nicht, mein guter, edler Junfer, 
wie bie eitefn, umgereimten Nittermären Euch dermaßen ben Kopf 
verrüden lönnen, daß Ihr Euch einbildet, Ihr wäret verzanbert, und 
andere bergleihen Dinge, wovon bob nicht das Mindee wahr iſt. 
Wie ift es möglich, daß ein vernünftiger Menſch ſich einbifden Tann, 
die vielen Amabis, ber bunte Haufe berühmter Ritter, jo mander 
Kaifer von Trapezunt und Felix Marte von Hyrkanien, fo viele 
Frauen, die auf Zeltern Herumritten, fo viele Schlangen, Draden 
und Niefen, fo manderlei Abentener, Verzauberungen und Schlachten, 

















686 Don Quixote. 


fo viele unerhörte Kämpfe und Aufzüge, fo manche verliebte Prin- 
zeffinnen, Knappen, die zu Grafen erhoben wurden, und furzweilige 
Zwerge, fo viele Liebesbriefe und ſchmachtende Erflärungen, flreit- 
bare Frauenzimmer, und mit Einem Worte, die unenblihe Menge 
ausfhweifender Sachen, wovon bie Ritterbücher firogen, wären femals 
in ber wirklichen Welt vorhanden gewefen? Ich muß geflehen, wenn ich 
ſolche Sachen leſe, fo können fie mich wohl fo lange unterhalten, als 
ich es vor mir felbft verhehle, daß Alles lauter Tügenhaftes Geſchwätz 
iſt. Sobald ich aber bedenke, was diefe Bücher wirklich find, fo 
werfe ich das befle von ihnen am die Wand, und würde es vollends 
in's euer werfen, wenn eben eines angezündet wäre; denn biefes 
Schichſal verdienen fie alle, als finnlofe Fügen, die Allem, was 
Wahres in der Natur ift, zuwiderlaufen, als Reime neuer Gitten 
und Lebensweifen, und als Rodfpeifen, welche ven unwiſſenden Pöbel 
verleiten, allen ihren Unfinn als Wahrheit anzunehmen. Ja fie drohen 
fogar, den Verſtand ſcharfſinniger und wohlunterrichteter Biedermänner 
zu verwirren, fo wie es Euch ergangen if, indem fie Euch fo weit 
gebracht Haben, daß man Euch in einen Käfig fperren und auf einem 
Ochſenkarren wegführen mußte, wie man einen Löwen oder Tiger von 
einem Drte zum anderen führt, um ihn für Geld fehen zu laſſen. 
Lieber Here Don Quixote, habt Mitleid mit Euch felbft, kehrt 
zurück in den Schooß der gefuuden Vernunft, und gebraucht dem treff- 
lien Berfland, womit Euch der Himmel beſchenkt hat. Wendet bie 
feltenen Geiflesgaben, die Ihr befigt, auf Bücher an, die Eurem 
Herzen und Berflande zum Nutzen und zur Ehre gereichen, und wenn 
ja Eure natürliche Neigung Euch einen befonderen Geſchmack an 
ritterlichen Thaten finden läßt, fo nehmet die heilige Schrift zur 
Hand und leſet das Buch der Richter, in welchem Ihr erhabene 
Wahrheiten und fo wahre, als tapfere Großthaten beſchrieben findet. 
Eufitanien hatte einen Viriathus, Rom einen Cäfar, Carthago 
einen Hannibal, Griegenland einen Alerander, Caflilien einen 
Fernando Gonzalez, Balencia einen Cid, Andalufien einen Gon- 
faloo Fernandez, Eſtremadura einen Diego Garcia de Pa— 
redes, Terez einen Garcia Perez de Vargas, Toledo einen 
Garcilafo, Sevilla einen Manuel de Leon, Männer, deren 




















ıXLIX. Kapitel, 


Geſchichten und tapfere Thaten den erhabenſten Geif zu unterhaften, zu 
befehren, zu ergögen unb mit Staunen zu erfüllee vermögen, Solche 
Bücher, Herr Don Duirote, find Euren vernünftigen Einfihten an- 
gemeffen, fie werben Eud mit der wahren Gefehichte befannt machen, und 
Euch lehren, bie Tugend zu Lieben, Euch im Guten zu üben, Eure Sitten 
zu. verfeinern, tapfer ohne Verwegenheit, und kühn ohne Trotz zu ſeyn, 
und das Alles zur Ehre Gottes, zu Eurem eigenen Nugen und zum 
Nuhme von der Mancha, wo Ihr, wie ih wernehme, zu Haufe ſeyd.“ 

Don Duirote hörte mit vieler Aufmerkffamfeit zu. Wie ber 
Domberr andgerebet hatte, fah er ihm no eine Weile in’s Geſicht, 




















688 Don Buirote. 


und fagte endlich: „Mich bäudt, edler Herr, Ihr mollet mir mit 
Eurer Rede zu verfichen geben, daß niemals fahrende Nitter in ber 
Belt gewefen, daß alle Rittergeſchichten falfch, Tügenpaft, verdammlich 
und unnäg für ben Staat find, daß ich übel gethan habe, fie zu 
leſen, noch ſchlimmer, ihnen zu glauben, am ſchlimmſten aber, eipnen 
nachzuahmen, das Heißt, mich felbft dem beſchwerlichen Orden fahrender 
Ritterſchaft zn widmen, welcher darin beſchrieben wird; denn Ihr leugnet 
ja, daß es jemals einen Amadis von Gallien oder von Griechen- 
Iand gegeben habe, von welchem diefe Bücher fo Vieles erzählen.“ 

Alles verhält fich buchſtäblich ſo, wie Ihr fagt,“ erwiderte ber 
Domberr. 

„Ihr habt ferner behauptet,” fuhr Don Quixote fort, „biefe 
Bücher haben mir vielen Schaben gethan, mir ben Kopf verrädt, 
mid in biefen Käfig gebracht, und ih würde wohlthun, mich zu 
beffern und etwas Anderes zu Iefen, was mehr Wahrheit enthielte, 
und mir mehr Vergnügen und Belehrung gewährte.” 

„So iſt's,“ ſprach der Domherr. 

„Wohlan,“ erwiderte Don Quixote, „ſo muß ich Euch ſagen, 
daß Euer Hochwürden der Behexte und der Verblendete find, indem 
Ihr Euch Habt einfallen laſſen, fo viele Läſterungen gegen eine Sache 
anszuftoßen, bie fo weltkundig ift und fo allgemein für wahr gehalten 
wird, daß derjenige, der fie Teugnet, dieſelbe Strafe verdient, welche 
Ihr über diefe Bücher verhängt, wenn Ihr fie Iefet und Aergerniß an 
ihnen nehmet. Denn wer mir einbilden will, fein Amadis und 
feiner von den übrigen fahrenden Nittern, von welchen fie erzählen, 
ſey jemals in der Welt gewefen, der mag mir auch fagen, daß die 
Sonne nit Teuchtet, daß das Eis nicht Falt if und dag man auf 
der Erde nicht feffteht. Welcher vernünftige Menfh in ver Welt 
wird einen Anbern überreben wollen, es fey nichts Wahres an ber 
Geſchichte der Infantin Floripes und des Ritters Guy von Bur⸗ 
gund, ober an dem Abenteuer des Fierabras bei ber Brüde von 
Mantible, weldes zur Zeit Karls des Großen vorfiel, Dinge, die 
do, beim Himmel! fo wahr find, als es jetzt heller Tag if? Wenn 
diefe erlogen find, fo iſt es auch nicht wahr, daß es einen Hektor, 
einen Achilles ober einen Xrojanerkrieg gegeben hat, and feine 




















XLIX: Aapitel 


zwölf Paire von Frankreich und feinen König Arthur von England, 
der noch bis auf dieſen Tag ale Nabe umberfliegt, und in feinem 
Königreiche täglich und ſtündlich erwartet wird. Eben fo gut fönnte 
man fagen, die Gefchihte vom Guarino Mezquino fey nicht 
wahr, fo wenig ald die Fehde wegen des heiligen Graals, und bie 
Licbesgefchichten ded Don Triftan und der Königin Ifeo, fo wie 
der Königin Ginebra und des Lanzelot feyen Fabeln; da es doch 
Leute gibt, die ſich faſt erinnern, die Frau Duintannona gefehen 
zu haben, welche die befte Mundſchenlin in ganz England war. Dies 
ift fo gewiß wahr, daß ich ſelbſt mich noch fehr wohl erinnere, wie 
meine Großmutter säterliher Seite, wenn fie eine ehrbar verfchleierte 
Duenna fah, zu mir zu fagen pflegte: Sieh” einmal, Enlelchen, 
die fieht recht fo aus wie bie Teibhaftige Duenna Duintannona, 


woraus ih ſchließe, daß fie dieſelbe muß gefannt haben, ober daß 
fie wenigſtens ir Bildniß irgendwo geſehen hat Und mer 
fann die Wahrheit der Geſchichte von Peter und ber fhönen 





Der Dsisein. h 











Don Quirote. 


Magelone Iengnen, da man noch heutigen Tages in dem föniglichen 
Zeughaufe den Zapfen zeigt, womit Peter den böfgernen Gaul 
Tentte, als er mit ihm durch bie Luft ritt, und ber wohl mod Länger 
if, als eine Wagenbeichfel? Und neben dem Zapfen hängt der 
Sattel des Babiera, und in Nonceevalles ficht man noh Rolande 
Hufthorn, welches fo groß if wie ein Balfen, Daraus folgt offenbar, 


daß e6 zwölf Pairs, einen Peter, eine Magelone, einen Eid und 
mehrere folder Nitter gegeben hat, bie, wie man es nennt, auf Aben- 
teuer auszogen. Wo niht, fo leugne man mir es and, daß ber 
tapfere Porktugiefe Juan de Merlo ein fahrender Ritter war, der 
nad Burgund zog und ſich zu Roß mit dem berühmten Herr von 
Charny, genannt Mofes Peter, fhlng, und hernach in Bafel 














XLIX. Kapitel, 6 


mit Mofes Heinzih von Remeflan, und in beiven Kämpfen 
Sieg und Ruhm davontrug. Der feugnet mir einmal die Abentener 
und Fehden, bie unfere tapferen Landsleute Pedro Barba und 
Gutierre Quixada, mein Ahnherr in gerader männlicher Linie, 
in Burgund beftanden, wie fie bie Göhne des Grafen yon Sankt 
Paul überwanden. Gagt mir auch, Don Fernando be Our 
vara fey nicht nah Deutfehland auf Abenteuer gezogen, und habe 
nicht mit Herm Goͤrgen, Nitter am Hofe ded Herzogs von Defter- 
reich, gefämpft. Sagt, das Lanzenbrechen des Suero de Duinno- 
nes und ber Kampf des Mofes Luie de Falced mit dem 
caftifianifhen Ritter Don Gonzalo de Gugman fegen nur Poffen- 
fpiele gewefen, und fo auch viefe andere berühmte Thaten chriſlicher 
Nitter in unferem Baterlanbe und in anderen fremden Reihen; und 
doch find fie alle fo weltfundig und wahr, daß ih noch einmal fage, 
wer fie leugnen wollte, müßte feinen Menſchenverſtand haben. 

Der Domherr lonnte nicht aufhören, ſich zw vermundern, wie 
Don Duirote Wahrheit und Lügen durcheinander mengte, und 
wie fehr er in allen Gefichten bewandert war, bie fih nur einiger 
mafen auf Ritter und ritterlihe Thaten bezogen. 

„Ih kann nicht leugnen, Here Don Quixote,“ gab er ihm 
zur Antwort, „dag nicht Mandes wahr wäre, was Ihr angeführt 
habt, befonders von den fpanifhen Nittern, Ih will auch einräu- 
men, daß es zwölf Pairs von Frankreich gegeben hat; aber darum 
glaube ih noch micht, daß fie alle die Thalen verrichtet Haben, welche 
der Erzbiſchof Turpim ihnen zufhreibt. Das Wahre an ber Sacht 
iſt, daß fie Nitter waren, welche die Könige von Franfreih beſonders 
auszeicpneten, und fie Pairs nannten, weil fie alle gleich bieder, adelich 
und tapfer waren, ober wenn fie es nit waren, es bo wenigftens 
ſeyn follten, Diefe bildeten einen Drben, wie unfere Ritter von 
Santiago und von Calatrava, und man ſetzte voraus, baf die Mit- 
glieder deſſelben Tauter biedere, tapfere und wohlgeborene Ritteroleute 
fegen. So mie man heutigen Tages fagt: ein Nitter von San 
Juan oder von Alcantara, fo fagte man damals; einer von ben 
zwölf Pairs, weil zwölf gleich adeliche Nitter biefen kriegeriſchen 
Orden volzäßlig machten. Rein Menf zweifelt daran, daß es einen 

















6% Don Quixote. 


Eid und einen Bernardo del Earpio gegeben hat; ob fie aber 
auch alle Großthaten, die man von ihnen erzählt, wirklich ausgerichtet 
haben, daran ift, wie ich glaube, noch fehr zu zweifeln. Was den 
Zapfen des Grafen Peter betrifft, deffen Ihr erwähnt, und ber in 
dem Föniglichen Zeughanfe neben dem Sattel des Babiera zu fehen 
ſeyn foll, fo muß ich meine Schwäche befennen, daß ich entweber 
fo unfandig oder fo kurzſichtig bin, daß ih zwar ven Gattel gefehen 
habe, aber nicht den Zapfen, ven Ihr mir doch fo groß befchreibt.” 

„Allerdings if er ba,” fprah Don Dnirote, „und zum 
Bahrzeichen fol er in einem Iedernen Futteral ſtecken, damit er nicht 
vom Schimmel leidet.” 

„Das kann Alles ſeyn,“ erwiberte der Domherr; „allein ich ver- 
fidere Euch bei der Weihe, die ich empfangen Habe, daß ih mich 
nicht erinnere, ihn gefehen zu haben. Doc gefegt, er befinde fih 
dort, fo bin ich darum noch nicht verbunden, alle Märchen zu glau- 
ben, bie man uns von den verfchievenen Amabis und dem zahllofen 
Schwarm ber übrigen Ritter erzählt; und ein fo achtbarer, gefcheiter 


und verflänbiger Mann, wie Ihr ſeyd, follte fih deßwegen nit in 
den Sinn fommen Iaffen, folde abenteuerliche Thorheiten, als in ben 
Ritterbüchern beſchrieben ſtehen, für wahr zu halten.“ 

















L. Kapitel 


Fünfzigites Kapitel. 


Bornegung des Iharfiinnigen Wortwechſels zerjben Den Oultoie und dem Demberen, mbh 
‚aneren Veatallen 


— Be 
F erdammt wäre das!” erwiderte 
- N Don Quirote; „Bücher, bie 
: mit Erlaubniß des Königs und 
mit Genehmigung der Eenfar ge- 


gelehrt und augelehrt, Bauer und 

ı, Erelmanı, kurz Leute von allerlei 

Siand uud Würden, mit Ber- 

NE giügen fefen und bewundern, bie 

will man zu Lügen machen? ba fie 

noch dazu fo fehr das Gepräge 

der Wahrheit tragen, daß fie uns Water und Mutter, Baterland, 
Verwandte und Alter des Nitters oder der Nitter angeben, und Ort 
und Stelle, Tag vor Tag und Streih vor Streih genau befäreiben, 
wie and wo fie ihre Thaten vollführten? Schweigt doch, mein guter 
Herr, rebet wicht folge Laſterungen, ſondern glaubet mir und folget 
meinem Rathe. Lefet, fo werdet Ihr fehen, wie viel Vergnügen fie 
Euch machen; denn fagt nur, fann man etwas Beſſeres jeher, als 
wenn wir z. B. hier einen großen See vor uns hätten, ber von 
lauter ſiedendem Pech fprubelte, und worin eine Menge Schlangen, 
Draden, Salamander und mehr dergleichen granfame unb fürdterliche 
Ungeheuer Herumfrenzten und fhwämmen, und mitten aus biefem 
See riefe eine klaͤgliche Stimme: Ritter, wer du auch ſeyn magf, 

















r 








694 Bon @uirote. 


der du dieſen fürchterlichen See anflaunefl, wenn du den Schag heben 
wink, der im Grunde diefer fchwarzen Fluten verborgen liegt, fo 
zeige die Entſchloſſenheit deines tapfern Herzens und flürze dich mitten 
in ihren glühenden Feuerfirom; denn wofern du dieſes nicht thuft, fo 
biſt du nicht würdig, die überſchwänglichen Wunder zu erbliden, 
welche die fieben Schlöffer ver fieben Feen in fich ſchließen, die 
unter biefem ſchwarzen Pfuhle verborgen Liegen. Kaum hat der 
Nitter diefe fürcpterliche Stimme gehört, fo ftürzt er fi, ohne wei- 
tere Weberlegung der großen Gefahr, nachdem er fi nur einen 
Augenblid zuvor Gott und feiner Dame empfohlen, mit völliger 
Rüſtung mitten in ben fiebenden See. Eh' er ſich verfieht, oder 
weiß, was aus ihm werbem wird, iſt er in fehönen, blühenden Ge» 
filden, mit denen die elyſeiſchen keine Vergleihung aushalten. Hier 
fiept er einen ſchönen Himmel; die Sonne glänzt mit neuem, nie 
gefehenem Lite; ringsum erblickt er lachende Haine von ſchön ge- 
wechfenen und immer grünen Bäumen; feinen Ohren ſchmeicheln die 
füßen Lieder der Heinen bunten Vögel, die in unzäpliger Menge durch 
die verſchlungenen Zweige ſchlüpfen; hier fieht er einen Bach, deſſen 
friſches, kryſtallhelles Waffer über glänzenden Kies, wie über Gold⸗ 
fand und Perlen Hüpfend, dahinrollt; dort zeigt fi ein künſtlicher 
Brunnen von glängendem Jafpis und biendend weißem Marmor, hier 
eine Heine Grotte, aus Heinen Mufceln, weißen Schnedenhäufern, 
bunten Korallen, glänzenden Kryflallen und Smaragden in gefällig 
bunter Verwirrung zufammengefegt, fo daß hier bie Natur von ber 
fie nachahmenden Kunft übertroffen feheint. 

Ploͤtzlich wird er ein fefles Schloß ober einen prächtigen Palaf 
gewahr, beffen Mauern von gebiegenem Golde find, die Zinnen von 
Diamant und die Pforten von Hyaciuth. Mit Einem Worte, er if 
in dem herrlichſten Geſchmade gebaut, und wenn feine Beftanbtfeile 
nichts Geringeres find, als Diamanten, Karfunfel, Rubinen, Perlen, 
Gold und Smaragbe, fo if die Kunſt noch von größerem Werthe, 
die in dem Ban deſſelben herrſcht. Aber unendlich angenehmer wird 
er überrafht, indem eine Schaar der fhönften Jungfrauen aus dem 
Schloſſe kommt, alle fo prächtig und geſchmackvoll geffeidet, daß des 
Befchreibens Fein Ende wäre, wenn ih Euch Alles erzählen follte, 

















L. £apitel 69 


wie es in den Rittergeſchichten fieht. Diejenige, welche die vor ⸗ 
nehmfte umter ihmen zu ſeyn fheint, ergreift nunmehr ven kühnen 
Nitter, der fi in den Fenerpfuhl ſtürzte, bei der Hand, führt ihn, 























696 Don Quixote. 


ohne ein Wort zu reden, in ben prächtigen Palaft ober in das 
Sqloß, laßt ihn fo nadt ausfleiven, wie ihn feine Multer geboren 
hat, und in ein laues Bad bringen, wo man ihn über und über mit 
töftligen Specereien falbt; man legt ihm ein Hemd am von der 
feinften Leinwand, die von Föffichen Wohlgerüchen duftet, und eine 
andere Jungfrau lommt und wirft ihm einen Mantel um die Schul- 
term, der, wie man verfichert, wenigfiens eine Stabt und wohl noch 
mehr werth if. Was fagen wir, wenn es weiter heit: wie er in 
einen anbern Saal geführt wird, wo bie Tafel fo loͤſilich und ge- 
ſchmackvoll befegt if, daß er fi nicht genug darüber verwundern 
ann; wie man ihm Waſſer anf bie Hände gieft, das von. lauter 





Ambra und wohltiechenden Blumen abgezogen iſtz wie man ihn auf 
einem Throne von Elfenbein Platz nehmen läßt; wie holdſelige Jung- 
frauen in’ feierliger Stille ihn bedienenz wie ihm fo viele wohl⸗ 
fhmedende Speifen aufgetragen werben, daß fein Mund nicht, weiß, 




















L. Kapitel, 


wie er wählen, oder feine Hand, wie fie zulangen fol? Wie muß 
er fi wundert, wenn während ber Mahlzeit die herrlichſte Mufit 
ertönt, ohne daß er weiß, wer fingt ober wer ihm auffpielt® Und 
wenn er dann nach aufgehobener Tafel fit und fih vieleicht, wie 
gewöhnlid, die Zäpne ausſtochert, wie wird «6 ihm werben, wenn auf 
einmaf durch die Saaltgüre eine Jungfrau bereintritt, bie noch fhöner 


ift, als alle vorigen; wenn fie fih meben den Ritter ſetzt, und anpebt 
die Geſchichte des Schloffes zu erzaͤhlen und wie man fie dahin ver- 
zaubert hat, umd noch hundert andere Sachen, die dem Ritter ver- 
wundern und den Lefer feiner Geſchichte in Erflaunen fegen? IG 
will mic hierüber nicht weitläufiger anslaffen, denm bierans erhellt 
ſchon genugfam, wieniel Wunder und Vergnügen der Leſer erwarten 
darf, wenn er irgend eine Gtelfe in irgend einem Ritterbuche 
auffhlägt. Glaubet demnach meinen Worten, Tefet, wie ih Euch 

















698 Don Quixote. 


ſchon gerathen Habe, dieſe Bücher, fo ſollt Ihr fehen, wie fie Euch 
die Grillen vertreiben, und wie fie Eure Gemäthefimmung verbeffern 
werben, wenn fie vieleicht nicht die befte ſeyn follte. Ich meines 
Theils Tann Euch verfihern, daß ich erſt, feitvem ich ein fahrender 
Ritter bin, gefällig, freigebig, höflich, großmüthig, wohlgefittet, Fühn, 
fanftmäthig, gebufbig und gelaflen in Trübfalen, Gefängnig und Ber- 
zauberungen warb; und obwohl man mic eben erfl wie einen Narren 
in einen Käfig gefperrt hat, fo hoffe ich dennoch, wenn mir ber 
Himmel gnäbig und das Glück mir nicht zuwider iſt, durch die Kraft 
meines Armes in wenigen Tagen Herr von einem Sönigreiche zu 
werben, woſelbſt ih mein dankbares Herz und meine freigebige Ge- 
finnung gegen Jedermann an den Tag legen kann. Denn wahrlid, 
mein Herr, der Arme Kann feine Neigung zum Wohlthun an Nier 
mand beweifen, unb die Dankbarkeit, die fih auf fromme Wünſche 
einferänfen muß, if nur ein tobtes Wefen, wie der Glaube, dem 
gute Werke fehlen. Deßwegen wünſche ih, daß mir das Glüd, 
je eher, je Tieber, eine Gelegenheit in ven Weg werfen möchte, Raifer 
zu werben, bamit ich meine Gefinnung durch Wohlthaten an meinen 
Freunden beweifen könnte; beſonders an biefem armen Sancho 
Panfa, meinem Rnappen, der die ehrlichſte Haut von ver Welt ifl, 
und dem ich gerne eine Graffchaft geben möchte, die ich ihm fon 
Tängft verſprochen Habe; nur fürdte ich, daß er nicht genug Gefchid- 
lichkeit befigen wirb, fein Land zu regieren. 

Sancho hörte bie letzten Worte feines Herrn und fagte: „Sor- 
get Ihr nur dafür, Herr Don Duirote, mir die verſprochene 
Grafſchaft zu geben, auf die ich ſchon fo lange warte. Ich verfichere 
Euch, daß es am mir nit fehlen foll, fie gut zu regieren. Und 
wenn’s auch nicht recht damit gehen wollte, fo habe ich wohl gehört, 
daß es Leute genug gibt, die den Herren ihre Länder in Pacht neh- 
men, geben ihnen jährlich ein Gewiſſes und verwalten die Regierung 
für fie, und ver Herr figt ruhig, ſtill und verzehrt feine Renten, 
ohne fi weiter um etwas zu befümmern. So werd’ ich's eben auch 
machen, und, ohne Lange zu handeln, dem Erften Beften Alles zu- 
ſchlagen und Ieben von meinen Renten, wie ein Fürſt, mag's übrigens 
gehen, wie's will.“ 

















L. Kapitel, 699 


Ihe fheint Euch nur um's Berzehren der Menten zu befümmern, 
Freund Sancho,“ fprad ber Domperr; „der Landeaherr muß aber 
für bie Verwaltung ber Nehtepflege forgen, und dazu gehört Ver⸗ 
Rand und Geſchicllichteit, vorzüglich aber ein anfritiger, guter Wille; 
denn wo biefe fehlen, iſt's hinten und vornen gefehlt, Deßwegen 
pflegt Gott and die gute Abficht des Einfältigen gedeihen, bie böfen 
Anſchlage des Klüglers aber ſcheitern zu laſſen.“ 

dh verſtehe nichts von Eurer Philoſophie,“ antwortete Sandoz 
„aber bas weiß ich, hätte ich nur die Grafſchaft fo gewiß in Händen, 
ale ich fie zu regieren wüßte, denn ich hab’ eine Seele fo gut wie 
ein Anderer, und einen Leib fo gut wie der Befte, und werde fo 
gut Herr in meinem Lande fegn, wie ein Anderer; und wenn ih bas 
wäre, fo thäte ih, was ich wollte; und wenn ih thäte, was ich 
wollte, fo wär! ih zufrieden; und wenn id zufrieden wäre, fo Hätte 
ich weiter nichts zu wunſchen ; und wenn ich weiter nichts zu wünſchen 


DV N ) 
DIN NS 
EEE SER —9 12) 


Hätte, fo wär's im Neinen. Alfo nur her mit ver Grafſchaft, und 
Gott befohfen, bis wir uns wieder fehen, fagte jener Blinde zum 
anderen,“ 








| 











700 Den Buiroıe, 


„Deine Philoſophie ift fo dumm nicht, Sancho,“ ſprach ter 
Domperrz „wos aber bie Sache wegen der Graffhaft betrifft, fo 
fieße fi darüber noch Vieles jagen.” 

„Ich wäßte nicht,“ antwortete Don Ouirote, „was fih noch 
weiter baräßer fagen ließe. Ich halte mich an das Beifpiel bes 
großen Amadis von Gallien, der feinen Knappen zum Grafen von 
der Infel machte, bie ba liegt auf feftem Lande; folglich fann ich 
auch, ohne mein Gewiffen zu befhweren, meinen Sande zum Grafen 
maden, ba er einer von den beften Anappen ift, die jemals ein fah⸗ 
vonder Ritter gehabt hat.” 

Der Dompere verwunderte fi über den plaumäßigen Unfinn, 
den Don Dxirote audkramte, über die Fertigkeit, mit weder er 
das Abentener des Nitterd vom brennenden See antgemalt, über den 
tiefen Eindruch, welchen die lägen feiner Bücher in ihm zuräcgelaffen, 
und über die Einfalt, mit welcher Sando nah der verſprochenen 
Graffchaft fih ſehnte. Indeß kamen die Bedienten des Domferrn 
zurüch, die den Padefel aus dem Wirthehauſe sehoft hatten, und 




















L. Kapitel, 01 


breitelen einen Teppich anf das Gras der Wieſe, um welden bie 
Geſellſchaft im Schatten einiger Baume fi lagerte und ihr Mittags. 
mahl hielt, damit der Dchfentreiber Zeit hätte, fein Vieh grafen 
zu laſſen. 

Während des Effens Hirten fie plötzlich ein Geräuſch und has 
Geffingel einer Schelle, weldes ſich aus dichtem Dorngebüfche neben 
ihnen vernehmen fieß; und in demſelben Augenblide fprang eine fhöne, 
ſchwarz, weiß und braun gefledte Ziege aus dem Buſch hervor, welder 











ein Ziegenbirte nachſprang und wiederholt zurief, fie folle ſtillhalten 
und zur Heerde zurückkehren. Die flüchtige Ziege hörte aber vor 
Furcht nicht auf, wor ihm zu fliehen, bis fie zu der Geſellſchaft kam, 
bei welcher fie ftehen blieb, als ob fie ſich unter ihren Schuß begäbe. 














702 Don @uirote. 


Der Hirte kam nach, faßte fie bei den Hörnern und fing an, ihr 
zuzuſprechen, als ob fie feine Worte verftünde: „Ad du Wildfang, 
Scheckchen, Scheckchen! wie Täufft du mir feit einiger Zeit herum? 
welder Wolf hat dich gejagt, mein Kind? was fol das bebeuten, 
mein Liebchen ? Doch was fann es anders bebeuten, als daß bu ein 
Weibchen bift und nirgends Ruhe, noch Raſt findeſt, wegen bes ver- 
dammten Leichtſinns, der dir und deinem ganzen Geſchlechte anflebt ? 
Kehr' um, Närrchen, lehr' um; denn wenn es bir in ber Hürde ober 
bei deinen Schweftern auch nicht am beften gefällt, fo bift bu doch 
dort wenigftens am ficherften aufgehoben. Aber wenn bu, flatt fie 
zu leiten und zu führen, felbft fo wild umherläufft, was fann ich 
dann von ben anderen erwarten 


Diefe Worte des Hirten belufligten alle Anmwefenden und bes 
fonders den Domherrn. „Gemach, mein Freund!” ſprach er zu ihm; 
närgert Euch nur nicht, und eilet nicht fo fehr, Eure Ziege nach der 
Hürde zurüd zu führen; denn da fie ein Weibchen if, fo wird fie 
dennoch, wie Ihr ſelbſt fagt, ihrem natärlihen Hange folgen, Ihr 
mögt es anfangen, wie Ihr wollt, fie davon abzuhalten. Nehmet 
Tieber diefen Biſſen und trinkt eins dazu, um Euren Aerger nie- 
derzuſchlagen, und laßt unterbeffen Eure Ziege verſchnaufen.“ Mit 
dieſen Worten reihte er ihm auf ber Mefferfpige die Keule von einem 
Yalten Raninden. * 


Der Hirte nahm's mit Dank an, trank einmal dazu, ſezte ſich 

ruhig hin und fagte: „Es würde mir leid ſeyn, meine Herren, wenn 

"ihr mich für einen Narren hieltet, weil ih fo mit diefem Vieh ſpreche; 

aber die Worte, die ich zu ihr fagte, find in ver That nit ohne 

guten Sinn. Ich bin zwar nur ein Bauer, aber nicht fo ganz bäner 

riſch, daß ih nicht wüßte, wie man mit Menſchen oder mit Tpieren 
umgehen muß.“ 


"Das glaube ich gerne,“ fprach ber Pfarrer; „benn ich weiß 
aus Erfahrung, daß man auch in Wäldern unterrichtete Leute, und 
in Schafhürden Philoſophen antrifft." 














L. Kapitel, 


„Zum wenigften, mein Here,“ erwiderte ber Hirte, „Aönnet Ihr 
bei und Leute finden, die durch Schaden klüger geworben find; und 
um Euch davon einen überzeugenden Beweis zu geben, will ich Euch, 
obgleich ungebeten, wofern es Euch nicht Langeweile macht, ein 
wenig zujuhören, eine wahre Begebenfeit erzählen, welde die Worte 
biefes Herrn (er zeigte auf den Pfarrer) and die meinigen befläti- 
gen wird,’ 


„Da ich merke," fagte Don Dunirote, „daß ber Vorfall ent» 
fernte Achnfichfeit mit einem ritterlihen Abenteuer hat, mein Freund, 
fo wilf ich meines Theiles Euch gerne anfören, und das werben 
affe diefe Herren gleichfalls thun, weil fie als verftändige Männer 
Liebhaber vom folhen Gefhichten find, die Staunen und Vergnügen 
erregen; und von dieſer Art wird, wie ich nicht zweifle, auch die 
Eurige ſeyn. Fangt nur an, mein Freund! wir Affe wollen zuhören.“ 


„Dich müßt ihr ausnehmen,“ fprah Sande. „IH ſetze mich 
bier an den Bach mit dieſer Paftete, und verforge meinen Magen 


auf ein paar Tage; denn ich habe von meinem Herrn Don Quixote 
gehört, daft ein Schildfnappe effen maß, wens er was hat, fo lange, 
bis er nicht mehr fann, weil er zu anderer Zeit fo tief in einen 
Bald gerathen möchte, daß er in ſechs Tagen fi nicht wieder heraus» 
findet; und wenn fih dann ein Menſch nicht fatt gegeffen, fo fann 
er fih abzehren, bis er zur Mumie wirb, welches auch oft geſchieht.“ 


„Du baft Recht, Saucho,“ ſprach Don Duirote „Och 
wohin du willſt, if, was du lannſt. Ich bin bereits gefättiget, und 
mir fehlt nicht, als ein wenig Nahrung für meinen Geift, welde 
ich in ber Erzählung biefes guten Mannes zu finden hoffe.“ 


„Und tie Andern ebenfalls,“ fagte der Domberr, und bat ben 
Hirten, feine Erzäßfung anzufangen. Diefer nahm die Ziege bei den 
Hoͤrnern, Mopfte ihr ein paarmal mit der Hand auf den Rüden und 
fagte: „Lege dich hier bei mir nieder, Scheckchen, wir haben noch 
Zeit genug, nach unferer Hürde zurüd zu klehren.“ 














704 Don Buirote. 


Die Ziege ſchien ihn zu verfiehen, denn indem ihr Herr ſich 
fegte, Tegte fie ſich bei ihm nieder und fah ihn an, als ob fie feine 
Erzäplung mit anhören wollte, die er folgendermaßen begann: 

















EI Kapitel 


Einundfünfzigites Hapitel. 


1fo drei Meifen von hier Tiegt ein Dorf, das zwar Hein, aber eines 
‚von ben reidften in der Gegend if. Yu demſelben wohnte ein Land- 
mann, der fo bieber war, baf man ihm mehr wegen feines rechtſchaf⸗ 
fenen Wandels Hohfhägte, ald wegen feines Reihtfume; obgleich der 
lebtere gewoͤhnlich fhon Hinreiht, um feinen Befiper geehrt zu machen. 


Der Orirein I 








706 Don &uirote 


| Am reichſten fühlte er ſich jedoch, wie er zu ſagen pflegte, im Beſitze 
| | einer Tochter, die fo außerordentlich ſchön, vernünftig, Hug und 








tugenthaft war, bafı Jeder, der fie fah und kannte, fi über die 
feftenen Gaben verwunderte, womit ber Himmel und bie Mater fie 
anegeflattet hatten. Schon ald Kind war fie fehr ſchoͤn, und warb 














— el 
LI. Kapitel. 707 


immer fchöner, fo daß fie im ſechzehnten Jahre als ein Wunder 
von Schönheit galt. Der Ruf von ihren Reizen fing an, in allen 
umliegenden Dörfern fi zu verbreiten; ja er erſtreckte ſich bie in 
bie entfernteften Städte, und drang fogar bis in die Paläfte der 
Fürften, fo daß man, um fie zu fehen, zu ihr wallfahrtete, wie zu 
einer großen Seltenheit ober zu einem wunberthätigen Bilde. Ihr 
Bater hütete fie mit Sorgfalt, und fie felbft wachte über ihren Wan- 
del; denn weber Hüter, nch Schlöſſer und Riegel können ein 
Mädchen fo fiher verwahren, als ihre eigene GSittfamfeit. Der 
Reichthum des Vaters und die Neize der Tochter bewogen Viele, 
ſowohl Fremde, als Einheimiſche, ſich um fie zu bewerben; allein der 
Bater, der dieſes köſtliche Mleinod zu vergeben hatte, konnte nicht 
mit fi einig werden, an wen er's verſchenken follte, da fo Viele 
darnach firebten; und unter dieſen Vielen war ich einer von denen, bie 
ſich Hoffnung machen konnten, weil ihr Vater mich kannte, und ih 
aus demſelben Dorfe, von guter Sippfihaft, in der Blüthe meiner 
Jahre, reich an Glücksgütern und in der Erziehung nicht vernadg- 
Täßigt war. 








Diefelden Anfprüche hatte jedoch auch ein anderer Züngling in 
unferem Dorfe, und deßwegen blieb ihr Vater Iange Zeit unſchiüſſig, 
weil er dachte, ſeine Tochter werde bei dem Einen von uns ſo gut 
verſorgt ſeyn, wie bei dem Anderen; und um ſich die Mühe der 
Wahl zu erſparen, überließ er's am Ende der Leandra, ſo hieß 
die Reiche, die mich arm und elend gemacht hat, ſelbſt ihre Wahl zu 
treffen. Er ſagte ihr, da wir beide einander gleich ſeyen, ſo wolle 
er's ſeiner geliebten Tochter überlaſſen, ſich nach eigenem Wunſche zu 
entſcheiden; und das ſollten alle Väter thun, wenn fie ihre Kinder 
verheirathen wollen. Ich will damit nicht fagen, daß fie ihnen freie 
Hand Taflen follen, wohl ober übel zu wählen, ſondern fie follen 
ihnen gute, anfländige Berforgungen vorfplagen, und fie unter dieſen 
nad eigener Neigung wählen laffen. Bon Leandra’s Neigung fann 
ich nicht urteilen; ich Tann davon weiter nichts fagen, als daß ihr 
Bater uns beide mit der Erklärung hinhielt, feine Tochter ſey noch 
fehr jung, und mit anberen dergleichen unbeftimmten Reben, die 














708 Don Quixote. 


weder Ja noch Nein enthielten. Mein Nebenkuhler nennt fih An- 
felmo, und ih beige Eugenio, damit ihr die Namen der Perfonen 
wißt, die in diefem Trauerſpiele auftreten, deflen Ausgang noch un- 
entfchieden if, wiewohl zu befürdten fleht, daß es ein tranriges 
Ende nehmen wird. 


Während diefer Zeit fam ein gewifler Bicente de la Rofa, 
Sohn eines armen Taglöhners in unferem Dorfe, als Soldat aus 
Italien und anderen Ländern zurüd. Ein Hauptmann, der mit feiner 
Compagnie dur unſer Dorf gezogen war, Hatte ihn einft als zwölf. 
jährigen Knaben mitgenommen, und nad einer Abmwefenheit von zwölf 
Jahren fam er wieder, in Soldatenkleidern, gefhmüdt mit Farben 
und behangen mit gligerndem Zeug von Kryſtall und Kettchen von 
Stahl. Heute kleidete er fi fo, morgen anders, aber in lauter 
Flitterſtaat ohne Werth und Gewicht. Die Landleute, die von Natur 
ſchalkhaft find, und wenn fie nichts zu thun haben, gern auf Iofe 
Streiche finnen, rechneten ihm bald feinen Pag und fein Gefchmeibe 
nad, und machten ausfindig, daß Alles in brei paar Kleidern mit 
dazu gehörigen Bändern und Strümpfen beftand, die er aber auf fo 
mandperlei Art zu wechfeln und zu verändern wußte, daß man meinen 
folte, er hätte mehr als zehn Paar Kleider und zwanzig Federbüſche 
gehabt. Ihr müßt mir's nicht übel nehmen, daß ich fo viel Redens 
von feinen Kleidern made, denn fie find nichts weniger als gleichgültig 
für meine Geſchichte. Gewöhnlich fegte er fih auf eine Banf unter 
einem großen Ulmbaume auf unferem Marktplage, und dann fhwapte 
er uns fo Vieles vor von feinen Helventhaten, daß wir alle bad 
Maul auffperten. Da war kein Land in der Welt, das er nicht 
geſehen, und feine Schlacht, in welcher er nicht mitgefochten: er hatte 
mehr Mauren erfehlagen, als in ganz Maroflo und Tunis wohnen; 
er rühmte fi, mehr Zweifämpfe beftanden zu haben, ald Gante 
una, Diego Garcia de Paredes und taufend Andere, die er 
daherzählte, und in allen hatte er gefiegt, ohne daß man ihm einen 
Tropfen von feinem Blute abgegapft hätte. Dagegen zeigte er wieber 
Narben, die kaum zu ſehen waren, und gab fie aus für Ianter Schuf- 
wunden, bie er in verſchiedenen Treffen und Scharmügeln befommen 

















LE Kapitel, 


hate, und babei war er fo übermäthig, daf er Yente, bie fo gut 
oder beffer waren, ale er, über bie Achſel anſab, obgleich fie ihn 
fehr wohl fannten und wohl mußten, was an ihm war. Sein Arm, 
fagte er, fey fein Ahnherr, feine Thaten feyen fein Stammbaum, und 
ale Soldat gebe er dem Könige ſelbſt nichts nad. Meben feiner 
Aufſchneiderei verſtaud er fih and ein wenig anf Saitenfpiel, und 
limperte bisweilen auf einer Zitber, daß mande Lente ihr Wunder 























Don Buirote 


daran hatten. Und das iſt noch nicht Milch, womit er ſich brüfete, 
fondern er war au ein Stück von einem Dichter, und machte auf 
jede Sinderei, die im Dorfe vorfiel, eine anderthalb Ellen lange 
Romanze. 

Diefen Soldaten, den ih Euch beſchrieben Habe, diefen Vicente 
de fa Rofa, diefen Eifenfreffer, diefen Stutzer, diefen Reimſchmied, 
diefen Fiedler hatte Leaudra oft aus ihren Feuſter, welches auf 
den Markt binausging, gefehen und betrachtet. Sie verliebte ſich in 
feinen buntſchedigen Flitterfiaat, im bie Lieder, wovon er bie Abſchriften 
bei Dugenden vectheilte, und in vie Helventhaten, bie er von ſich 
erzählte. Genug, der Teufel muß es wohl fo gefartet haben, daß 

















LE Kapitel. 7m 


fie bie über die Ohren in ihm vernarrt warb, ehe er ſich unterftanden, 
ihr etwas von Liebe zu fagen. Da nun in ber Welt nichts leichter 
ift, als einen Picbeshanbel zu Stande zu bringen, fobald man bie 
Neigung des Kranenzimmers fen auf feiner Seite hat, fo wurden auch 
Leandra und Vicente bald miteinander einig, und bevor Jemand 
ihrer vielen Anbeter etwas won biefer Neigung argwöhnte, hatte fie 
ihr bereitd den Zügel fo weit ſchießen laſſen, daß fie das Haus 
ihres zärtlihen und gelichten Waters verlieh (eine Mutter hatte fie 
nicht mehr) und mit dem Soldaten davonging, ber in diefer Unter» 
nehmang einen vollfommmeren Sieg davontrug, ald in irgend einer 
von den viefem anderen, womit er prahlte. Unfer ganzes Dorf und 
Jedermann, der davon hörte, erfiaunte über biefen Vorfall: ih war 
außer mir, Anfelmo wie vom Blitze getroffen, der Vater im Jammer, 
die Polizei in Tpätigkeit, bie Heilige Brüderſchaft auf den Beinen, 
auf allen Laudſtraßen wurde gefireift und jedes Gebüſche durchſucht. 
Genug, na Verlauf von drei Tagen fand man bie bethörte Leaudra 
in einer Höhle im Walde, in blofem Hemde und aller Gelder und 

















712 Don &uirote. 


Koftbarfeiten beraubt, die fie aus ihrem Haufe mitgenommen hatte. 
Man brachte fie ihrem bekümmerten Vater zurüd, und befragte fie 
über ihr Ungläd: fie geftand, daß Vicente de fa Rofa fie betrogen, 
und fie unter dem Verſprechen der Ehe verleitet Habe, ans dem väter 
lichen Hanfe zu entweichen; er habe verſprochen, fie nach der reichften 
und luſtigſten Stadt in der Welt, nach Neapel, zu bringen; bethört 
dur Umverfland und Beträgerei, und ihren Bater beraubend, fey fie 
in der Nacht, da man fie vermißte, mit ihm davongegaugen; er 
babe fie im einen dichten Wald geführt und fie in bie Höhle eingefperrt, 














LI. Sapitel. 


in welder man fie gefunden abe. Sie fepte Hinzu, der Soldat babe 
ihr (ohne ſich jedoch an ihrer Ehre zu vergreifen) Alles abgenommen, 
was fie bei fih gehabt. Jedermann verwunderte fih darüber auf's 
Neue, und es iſt ſchwer, an bie Enthaltſamleit des Burſchen 
zu glauben. Sie verfiherte dies jedoch mit fo vielen Bethenrungen, 
daß ihr armer, troſtloſer Bater fih babur beruhigen Ließ, umd den 
Verluſt feiner Habe verfhmerzte, weil feiner Toter wenigfiens das 
Meinod nit geraubt worden, weldes man nie hoffen kann, wieder 
zu erlangen, wenn es einmal verloren ift. Ihr Water entzog fie 
unferen Bliden an demſelben Tage, am mweldem fie wieder zum 
Borfgein gefommen, und ſchidte fie in das Kloſier einer benachbarten 
Stadt, in ber Hoffnung, daß bie nachtheifige Meinung, welde feine 
Tochter fih zugezogen, mit der Zeit wieder verfhwinden werde. 
Leandra’s Jugend Fönne fie vieleicht einigermaßen eutſchuldigen, 
wenigfiens bei denen, welchen nicht viel daran liegt, ob fie ihre 
Tugend bewahrt Hat, oder nicht. Diejenigen aber, die ihren Wig 
und ihren Verſtand Fannten, ferieben ihren Fehler nicht der Einfalt 
zu, fondern vielmehr dem Leichtſinue und natürlihen Hauge der 
Weiber zu THorheiten und Ausſchweifungen. Sobald leandra ein 
gefperrt war, fand Anfelmo nihts mehr in der Welt, was ihm 
Freude machen konute, und vor meinen Augen find Lit und Wonne 
gleichfalls verſchwunden, feitvem ich fie nicht mehr fehe. Unſere 
Traurigleit nahm tägfi zu, unfere Geduld ab, wir verfluchten dem 
Flitterſtaat des Soldaten, und verwünften die Unvorſichtigleit des 
Vaters der Leaudra. Endlich entfloffen wir und, Anfelmo und 
id, unfer Dorf zu verlaffen und uns in dieſes Thal zw begeben, in 
weldem er eine beträchtliche Menge Schaafe weibet, die ifm gehören, 
und id die eben fo zahfreihe Heerbe meiner Ziegen. So leben wir 
bier unter biefen Bauern, laſſen umferer Leidenſchaft den Lauf, fingen 
zufammen das Lob und den Tadel ber ſchönen Leaudra, oder ſeufzen, 
Jeder für fih allein, und Hagen dem Himmel unfer Leid in der Ein- 
famkeit. Nach unferem Beiſpiele find fon viele von Leaudra's 
Unbetern in diefe Wildniß gelommen, und machen es ebenfo wie wir. 
Ihre Anzahl ift bereits fo groß, daß wir hier faſt ein neues Arfadien 
geftiftet Haben; denn es wimmelt hier überall von Schäfern und 





Des Bettete. Li 











714 Don Buirote, 


Hirten, und es gibt hier fein Fledchen, wo der Namen der ſchoͤnen 
Leandra nicht gehört wird. Hier verwünſcht fie der Eine und ſchilt 
fie leichtfertig, unbeftändig und lüſtern; dort tabelt ein Anderer ihren 
kLeichtſiun und ihre Umbefonnenheit; dort ift Einer, der fie entſchuldigt 
und ihr verzeißt; und dort wieder ein Anderer, der fie richtet und 
verdammt. Der Eine befingt ihre Schönpeit, ver Andere vermänfht 
ihre Betragen, die Meiften ſchimpfen auf fie, nnd doch wird fie von 
Allen angebetet, Die Leuten gehen fo weit im ihrer Thorpeit, daß 
es Manchen gibt, der ſich über ihre Spröpigkeit bellagt, ohne je- 
mals ein. Wort mit ihr geſprochen zu Haben, und Mander jammert 
wohl gar über die Dual der Eiferfucht, wozu fie doch feinen Anlaf 
gegeben Hat, indem, wie gefagt, ifre Neigung nicht cher befannt 
ward, bis fie dem Schritt begangen Hatte, Hier iſt feine Felskluft, 
fein Ufer eines Baches, kein befhattender Baum, wo nicht irgend ein 
Schaͤfer liegt und fein Unglüd den Winden Magt. Wo nur ein Echo 


tönt es im Walde, Leaudra murmeln die Bäder; Leaudra Hält 
und alle in beftändiger Spannung und Bezauberung, während wir 








LI. Kapitel. 715 


uns bald mit eiteln Hoffnungen ſchmeicheln und bafd mit Beforgniffen 
und quälen, ohne felbft zu wiffen, was wir befürchten. 

Unter diefen Verrücten zeigt mein Nebenbuhler Anfelms, fo 
gefiheit er fonft if, den wenigften Berfland; denn fo fehr er Urfache 
bat, fi über andere Dinge zw beſchweren, fo Hagt er doch über 
nichts, ald über feine Trennung von ihr, und fingt feine Sagen in 
Liedern, die vortrefflich gedichtet find, zu einer Zither, die er fehr 
gut ſpielt. IH habe mir einen leichteren und, wie mir ſcheint, 
Hlügeren Weg erwählt. Ih fhimpfe auf ven Leihtfinn ber Weiber, 
auf ihren Unbeftand, ihre Falſchheit, ihre Wortbrüchigkeit, Untreue 
und Unbefonnenheit, mit welcher fie burhgängig ihre Neigungen ver⸗ 
ſchenlen; und dies bewog mi auch, meine Herren, mit meiner Ziege 
fo zu fhwagen, wie ich hierher fam, benn da fie ein Weibchen iſt, 
fo made ih mir nicht viel aus ihr, obwohl fie das fhönfte Stück 
Vieh iſt, bas ich in meiner ganzen Heerbe Habe, 

Dies ift die Geſchichte, die ih Euch mitzutheifen verſprach. Hätte 
ich vielleicht die Worte mehr fparen follen, fo werde ih auch meinen 
Eifer nicht fparen, mm Euch zu dienen. Meine Hütte ift nicht weit 
von bier: dort Habe ich friihe Milch, vortrefflihen Käfe und allerlei 
ſchoͤne reife Früchte, die Euer Auge ergößen und Enerm Gaumen 
wohlſchmeden follen. 














Don Quirste. 


Sweiundfünfzigfies Rapitel. 


Kampf des Mitrere mait dem Ziegendieten. Seltjamea Abenirer mit den Dühen, welchet er 
im Echweiße feinet Hngeldise beflanb. 


ieblich ſchien Allen die Erzählung des 

") Ziegenhirten, befonders dem Domperm, 

J der mit Verwunderung bemerkte, daf bie 

Dianier, womit er fie vorirug, ſich mehr 

der Rede eines feinen Hofmannes näherte, 

als ben Worten eines bäuerifchen Hirten; 

r und er gefland, ber Pfarrer habe Recht 

gehabt, zu fagen, daf man aud in ben 

r un Wölbern unterrichtete Rente finde: Jeder 
beſtrebte fi, dem Eugenio etwas Berbinbliges zw fagen; am 
freigebigfien war Don Dnirote mit dem Anerbieten feiner Dienfle. 
„Gewif, Bruder Ziegenhirt,” ſprach er zu ihm, „wenn ed mir möglich. 
wäre, mich jept im irgend ein Abenteuer einzufaffen, fo würde ich 
mid den Angenbfit auf den Weg machen, um fr Euch ein gutes 
zu beſtehen; denn ich würde Leandra, trog der Mebtiffin und Allen, 














LEO. Gapitel. 7 


die ſich mir wiberfegen wollten) ans dem A fofter holen, wofelbft fie 
gewiß wiber ifren Willen figt, nnd würde fie Euch überfiefern, um 
mit ihr zu falten nach Enerm Willen und Vegehr, iedoch ben 
Regeln des Nittertfumd gemäß, welche verbieten, an irgend einer 
Jungfrau eine Unbifde zu begehen. Ich Hoffe jedoch zu Gott, bie 
Macht eines feindfeligen Zauberers werde nicht fo weit gehen, daß 
nicht ein anderer Wohlgeſinnter ihn endlich überwinden folte; und 
alodann verſpreche ich Each Hüffe und Beiſtand, wozu mein Beruf 
mich verpflichtet, ala der lediglich darin beſteht, Schwachen und 
Nothleidenden beizufpringen. 


Der Ziegenhirte ſah ihn mit großen Augen an, derwunderte ſich 
über feine feltfame Geftalt und feinen Aufzug, und fragte den Barbier, 
der neben ihm ſaß: „Mer ift bemn biefer Menfh, mein Herr, der 
fo wunderlich ausfieht und folde Sagen fpriht?" 


„Wer anders follte es ſeyn,“ fprad der Barbier, „als ber 


weit beräfmte Don Duirote von der Mana, ber alles Unrecht 
abſtellt, Alles recht macht, was frumm iſt, alle Jungfrauen beihügt, 
allen Niefen ein Schreden und in allen Schlachten Sieger iſt.“ 


„Das tklingt ja beinahe fo,“ erwiberte der Hirte, „wie man’s 
in den Geſchichten fahrender Nitter Test, welche das alles thaten, 
was Ihr von biefem Menſchen fagt. Ih glaube aber, Ihr ſcherzt 
mit mir, ober in dem Kopfe dieſes ehrlichen Mannes find leere 
Zimmer zu vermiethen. * 


Ihr ſeyd ein Erzſchlingel,“ rief Don Dnirote, „und ſelbſt 
ein Narr und ein Icerer Kopf, und bei mir ſieht's voller aus, als 
bei der Erzmege, die Euch gebarlv Dit viefen Worten hob er ein 
Brod auf, das neben ihm Tag, und warf's bem Hirten mit folder 
Gewalt in's Geſicht, daß er ihm die Nafe platt flug. Allein: ver 
Hirte, der feinen Spaß verfland und fih fo tHätfih mißpanbelt 
fühlte, lehtte ſich weder an Teppich, Tiſchtuch, mod Tiſchgeſellſchaft, 
fondern fiel über Don Duirote Her, und griff ihm mit beiden 














718 Don Auirote. 


Fäuften dergeflalt nach der Gurgel, daß er ihn gewiß würbe ermürgt 
haben, wäre niht Saucho Panfa augenblicklich dazu gekommen, 
ber den Hirten bei den Schultern padte und mitten unter das Tafel- 
geräthe hinwarf, daß Scherben der Teller, Flaſchen und Gläfer 
umberftoben, und Wein und Speifen floffen und ſchwammen. Wie 
Don Duirote Luft befam, machte er fih über den Hirten her, 
und biefer, welchem bas Geſicht von Blut firömte, indem ihn Sando 
bearbeitete, tappte mit ber Hand herum nach einem Meffer, um eine 
blutige Rache auszuüben; was jedoch der Pfarrer und ber Domherr 
verhinderten. Der Barbier machte indeß, daß der Hirte Herm Don 
Dnirote wieder unter ſich befam, welchem er mit Fauſtſchlägen das 
Geſicht dermaßen zurichtete, daß es ebenfo, wie ihm felbft, von Blut 
floß. Der Domperr und der Pfarrer wollten vor Lachen berften, 
und die Schergen tanzten und fprangen vor Kurzweile, und hetzten 
die beiden Kämpfer wie ein paar beigende Hunde. Saucho Panfa 
allein wollte vor Verbruß raſend werden, weil er fi von einem 
Bedienten des Domherrn nicht losmachen Fonnte, der ihn fefthielt, 
bamit er feinem Herrn nicht zu Hülfe käme. 


Indem jet Alle, ausgenommen bie Fauftfämpfer, die aufeinander 
berumteommelten, ihre Luft hatten, hörte man plöglich eine Trom- 
pete fo traurig erfehallen, daß fie fih insgefammt darnach umfahen. 
Am meiften wirkte diefer Ton auf Don Duirote, und obwohl 
diefer zu feinem größten Berbruß noch unter dem Hirten lag und 
Prügel einnapm, fo fagte er doch zu ihm: „Bruber Teufel, denn 
das mußt du wohl feyn, da bu Kraft und Tapferkeit genug haft, mi 
zu überwältigen; ich bitte dig, laß uns nur auf ein Stündchen Waf- 
fenſtillſtand machen, denn ber traurige Ton der Trompete, bie wir 
hören, läßt mich vermuthen, daß ein neues Abenteuer mich erwartet.” 


Der Ziegenhirte, der ebenfalls mübe wer, zu prügeln und ſich 
prügeln zu laſſen, ließ ihn im Augenblide Ios; Don Duirote 
fland auf, blicte nad) der Seite, wo der Schall ſich hören ließ, und 
warb gewahr, baf von einem Hügel viele weiß wie Büßer gefleidete 
Leute herunterfamen. Es war nämlich in biefem Jahre Fein Regen 














LI. Kapitel, 


gefallen, fo daß an allen Orten im felbiger Gegend Umgänge mit 
Gebeten und Bufübungen gehalten wurden, um Gott zu bitten, daß 
er die Hand feiner Barmherzigleit aufthue und Regen gebe, Zu 
dieſem Zwecke wallfahrtete auch die Gemeinde eines benachbarten 
Dorfes zu einer Einftevelei, die auf einem Hügel des Thale gelegen 
war. Don Duirote, weldem die fonderbare Belfeitung der 
Büßenden aufftel, dachte nicht daran, daß er dergleichen ſchon oft 
mußte gefehen Haben, fondern ſiellte fih gleich ein Abenteuer vor, 
an das Niemand anders, als er ſich wagen dürfe. In diefer Meinung 
ward er noch mehr beflärkt durch ein Bild in Tranerffeidern, welches 
er für eine vornehme Frau hielt, die von liederlichen und ſchamloſen 
Buben entführt werde. Kaum fuhr ihm dies durch den Siam, fo 
eifte er zu Rozinante, der im Grafe weidete, nahm Zaum aud 
Schild vom Sattelbagen, zänmte ihn hurtig auf, forberte fein Schwert 
von Saucho, fhwang fih anf feinen Gaul, warf den Schild ner 
und fprach mit lauter Stimme zu allen Umftehenben: Jetzt, meine 
achtbaren Gefäßrten, ſollt ihr inne werben, wie viel daran gelegen 














I 








720 Don @uirote. 


iſt, daß es Ritter in der Welt gibt, die fih zu dem Orden ber 
fahrenden Ritterſchaft befennen. Sept, fage ih, folt ihr an ber 
Befreiung der würdigen Fran, bie man bort gefangen führt, wahrnehmen, 
wie fehr die fahrenden Ritter Eure Hochachtung verbienen.“ 

Mit diefen Worten gab er Rozinanten die Waden, weil er 
ohne Sporen war, und ritt im kurzen Galopp ben Geißlern entgegen 
(denn von einem geflredten Galopp Liest man nirgends in biefer 
wahrhaften Geſchichte, daß Rozinante fi damit abgegeben Hätte). 
Der Pfarrer, der Domperr, der Barbier gaben ſich zwar alle Mühe, 
ihm abzuhalten, vermochten aber über ihn fo wenig, als das Geſchrei 
Sando’s, der ihm ans vollem Halfe nachrief: „Wo wollt Ihr 





bin, Herr Don Duirote? welder böfe Geiſt reizt und treibt Euch 
an, gegen unferen katholiſchen Glauben zu fehten® Thut doch in's 
Henters Namen die Augen auf, fo werdet Ihr einfehen, daß Ihr einen 
Bußzug vor Euch habt, und daf die Dame, die fie dort auf einem 
Fußgeſtelle tragen, das Bild der Hochgebenebeiten, unbefleckten Jungfrau 
iſt. Bedenket, Herr, was Ihr thut; denn diesmal kann man doch 
wahrhaftig fagen, daß Ihr es ſelbſt nicht wißt.“ 

















LI. Sapitel 


Aber Sancho gab fi vergeblie Mühe; demn fein Herr war 
fo in Haft, zu den Weißröcken zu fommen, daf er fein Wort hörte; 
und wenn er's auch gehört hätte, fo wäre er dennoch nicht umgefehrt, 
und häfte der König felbft es ihm befohlen. Indeſſen fam der Zug 
näher, und Don Duirste hielt Nozinante's Zügel an, der 
ſelbſt ſchon Luft hatte, ein wenig auszuruben, und rief mit brohenber 
und kreiſchender Stimme: „Ihr, die ihr vielleicht aur darum eure 
Gefichter verhuͤllt, weil ihr nichts Gutes im Schilde führt, wartet 
und hört an, was ich euch zu fagen habe!“ 


Die Erſten, melde fibielten, waren die Träger bes Bildes, 
und einer ber Geiſtlichen, melde bie Litaneien abfangen, fand bie 
Geftalt des Nitters und feines bageren Gauld und andere aben- 
teuerfihe Dinge, die er an Don Duirote bemerkte, fo lacherlich, 
daß er ihm antwortete: „Herr Bruder, wenn Ihr und was zu fagen 
habt, fo macht es furz; denn diefe guten Leute zerfleiſchen ſich das 
Fell, und wir lönnen uns folglich nicht aufpalten, um Euch anzuhören, 
wenn es nicht mit zwei Worten abgethan ift.“ 


„Mit Einem wit ich's ſagen,“ erwiderte Don Onirote, „laft 
im Augenblide die ſchöne Frau los, derem Thränen und trauernde 
Blide genugfam beweifen, daf ihr fie wider ihren Willen entführt 
und große Ungebühr an ihr begangen habt. Ich aber, der ich geboren 
bin, alle dergleihen Unbilden abzuftellen, werde nimmermehr zugeben, 
daß ihr einen Schritt weiter geht, ohne ihr die freiheit wieder 
au geben,“ 


Durch diefe Anrede überzeugte Don Duirote Alle, die ihn hörten, 
daß er nicht geſcheit ſey, und fie lachten herzlich über feine Ausfälle, 
Ihr Gelächter reiste ihn aber nur nod mehr zum Zorne, fo daß er, 
ohne ein Wort weiter zu fagen, zum Schwerte griff und auf bie 
Bahre looging. Einer von ben Trägern lietz die Laft auf dem 
Schultern feiner Kameraden, fprang mit feiner Gabelftüge, deren 
er fih beim Ansruhen bediente, Dom Quixote entgegen, und 
wandte mit derfelben einen mädtigen Hieb ab, den der Nitter 
nach ihm führte. Der Hieb jerträmmerte das Holz in zwei Gtüde; 





Den Outrere 1. 














718 Don Quixote. 


Fäuften bergeftalt nach der Gurgel, daß er ihn gewiß würde erwürgt 
haben, wäre niht Sancho Panfa augenblicklich dazu gelommen, 
der den Hirten bei den Schultern padte und mitten unter das Zafel- 
geräthe hinwarf, daß Scherben der Keller, Flaſchen und Gläfer 
umherfioben, und Wein und Speifen floffen und ſchwammen. Wie 
Don Quixote Luft befam, machte er fih über den Hirten Ber, 
und biefer, welchem das Gefiht von Blut ſtrömte, indem ihn Sancho 
bearbeitete, tappte mit der Hand herum nad einem Meffer, um eine 
bintige Rache auszuüben; was jedoch der Pfarrer und ber Domherr 
verhinderten. Der Barbier machte indeß, daß der Hirte Herrn Don 
Duirote wieder unter fih befam, welchem er mit Fauſtſchlägen das 
Geſicht dermaßen zurichtete, daß es ebenfo, wie ihm ſelbſt, von Blut 
floß. Der Domherr und der Pfarrer wollten vor Lachen berften, 
und die Schergen tanzten und fprangen vor Surzweile, und hetzten 
die beiden Kämpfer wie ein paar beißende Hunde. Saucho Panfa 
allein wollte vor Verdruß rafend werben, weil er fi von einem 
Bebienten bes Domperrn nicht losmachen konnte, der ihn feftpielt, 
damit er feinem Heren nicht zu Hülfe käme. 


Indem jegt Alle, ausgenommen bie Fauftfämpfer, die aufeinander 
herumtrommelten, ihre Luft hatten, hörte man plöglich eine Trom- 
pete fo traurig erſchallen, daß fie fich insgefammt darnach umfahen. 
Am meiften wirkte diefer Ton auf Don Quixote, und obwohl 
diefer zu feinem größten Verbruß noch unter dem Hirten lag und 
Prügel einnahm, fo fagte er doch zu ihm: „Bruder Teufel, denn 
das mußt du wohl ſeyn, ba bu Kraft und Tapferkeit genug haft, mich 
zu überwältigen; ich bitte dich, laß uns nur auf ein Stündchen Waf- 
fenſtillſtand machen, denn ber traurige Ton ber Trompete, bie wir 
hören, läßt mich vermuthen, daß ein neues Abenteuer mich erwartet.” 


Der Ziegenhirte, der ebenfalls müde war, zu prügeln und fi 
prügeln zu Iaffen, ließ ihn im NAugenblide Io; Don Quixote 
fland auf, blickte nach der Seite, wo der Schall fi hören ließ, und 
warb gewahr, daß von einem Hügel viele weiß wie Büßer gekleidete 
Leute herunterfamen. Es war nämlich in biefem Jahre Fein Regen 

















LI. Kapitel, 


gefallen, fo daß an allen Orten im felbiger Gegend Umgänge mit 
Gebeten und Bußübungen gehalten wurden, um Gott zu bitten, daß 
er die Hand feiner Barmherzigkeit auftfue und Regen gebe, Zu 
diefem Zwede wallfahrtete auch die Gemeinde eines benachbarten 
Dorfes zu einer Einfiedefei, die auf einem Hügel des Thales gelegen 
war. Don Quixrote, welchem die fonberbare Bekleidung ber 
Büßenden anffiel, dachte nicht daran, daß er bergleigen ſchon oft 
mußte gefehen Haben, ſondern ſtellte ſich gleih ein Abenteuer vor, 
an das Niemand anders, ald er fi wagen bürfe. Ju biefer Meinung 
warb er noch mehr beflärkt durch ein Bild im Trauerlleidern, welches 
er für eine vornehme Frau hielt, die von liederlichen und ſchamloſen 
Buben entführt werde. Kaum fuhr ihm dies durch den Sinn, fo 
eifte er zu Rozinante, der im Graſe weidete, nahm Zaum uud 
Schild vom Sattelbagen, zäumte ihm hurtig auf, forderte fein Schwert 
von Saucho, fhwang fih auf feinen Gaul, warf den Schild vor 
und ſprach mit fauter Stimme zu allen Umftehenden: Jeht, meine 
adtbaren Gefährten, folt ihr inne werben, wie viel daran gelegen 

























Bra @nirsıe 


iR, baf es Nine ım ber Seu sie, tie ip zu Dem Lrten ber 
fajeıuten Aridi befezuen Jap, Tape id, tet die am ver 
DVefreizug ver wirrigen Zrcu, bie mm dort gefangen füßer, wahrnehmen, 
wie fer vie fahrexten Rus Eure Dodpedieuug vertienm* 

Diü viefen Poren git er Rejinanten vie Basen, mal er 
ohee Ereren wer, zur ritt im lerzes Galorp den Geiflern entgegen 
(oean son einem gefiredien Galopp liest man wizgenrs im biefer 
wahcheften Gefgidte, deß Rojiuante S damit abgegeben hatte). 
Der Vierer, der Demperr, der Barbier gaben fi zwar alle Mühe, 
ign abzupalten, vermodpten aber über ihn fo wenig, als das Gefdprei 
Saucho's, ver ihs ans vollem Halfe nadrief: „Wo weit Ir 





Yin, Herr Don Dnirote? welder böfe Geiſt reizt und treibt Euch 
an, gegen unferen katholiſchen Glauben zu fechten ? Thut doch in’s 
Henkers Namen die Augen auf, fo werbet Ihr einfehen, daß Ihr einen 
Bußzug vor Euch Habt, und daß die Dame, die fie dort auf einem 
Bußgeftelle tragen, das Bild der hochgebenedeiten, unbefleten Jungfrau 
iR. Bedenlet, Herr, was Ihr thnt; denn diesmal fann man doch 
wahrhaftig fagen, daß Ihr es ſelbſt nicht wißt.“ 








| 
























LI. Sapitel. Fa 


Aber Sancho gab fi vergebliche Mühe; denn fein Here war 
fo in Haft, zu den Weißröden zu fommen, daß er fein Wort Hörte; 
und wenn er’6 and; gehört hätte, fo wäre er dennoch nicht umgefehrt, 
und hätte der König felbft es ihm befohlen. Indeſſen fam ber Zug 
nãher, und Don Duirote hielt Rozinante'd Zügel am, ber 
ſelbſt ſchon Luft hatte, ein wenig auczuruhen, und rief mit drohender 
und freifgender Stimme: „Ahr, bie ihr vielleiht nur darum eure 
Gefichter verhüllt, weil ihr nichts Gutes im Schilde führt, wartet 
und hört an, was ich euch zu fagen habe!“ 


Die Erften, melde flilhielten, waren die Träger bes Bildes, 
und einer der Geiftfichen, welche bie Litaneien abfangen, fand bie 
Gefalt des Nitterd und feines hageren Gauls und andere aben- 
teuerliche Dinge, bie er an Don Duirote bemerkte, fo lächerlich, 
daß er ihm antwortete: „Here Bruder, wenn Ihr uns was zu fagen 
Habt, fo macht es lurzz denn biefe guten Leute zerfleifchen ſich das 
Fell, und wir koͤnnen uns folglich nicht aufpalten, um Euch anzuhören, 
wenn e6 nicht mit zwei Worten abgetfan iſt.“ 


„Mit Einem will ich's fagen,“ erwiberte Don Quixote, „laßt 
im Augenblide bie fhöne Frau 106, deren Tränen unb trauernde 
Blide genugfam beweifen, baf ihr fie wider ihren Willen entführt 
| amd grofie Ungebühr an ihr begangen habt. Ich aber, ber ich geboren 
| bin, alle bergleihen Unbilben abzuftellen, werbe nimmermehr zugeben, 
daß ihr einen Schritt weiter geht, ohne ihr bie Freiheit wieber 
zu geben.” 


Durch diefe Anrede überzengte Don Duirote Alle, die ihn hörten, 
daß er nicht gefeheit ſey, und fie lachten herzlich über feine Ausfälle. 
Ihr Gelachter reiste ihm aber nur noch mehr zum Zorne, fo daß er, 
ohne ein Wort weiter zu fagen, zum Schwerte griff und auf bie 
Bahre Tosging. Einer vom den Trägern Tief bie Laſt auf ben 
Schultern feiner Kameraden, fprang mit feiner Gabelflüße, deren 
er fih beim Auoruhen bediente, Don Duirote entgegen, und 
wandte mit derſelben einen mächtigen Sieb ab, dem der Mitter 
nad ihm führte, Der Hieb zertrümmerte das Holz in zwei Gtüde; 





Den Dulmie 1. 





























iR Don Quixote. 





allein mit dem einen, weldes ber Träger in der Hand behielt, 
verfeßte er dem Nitter einen ſolchen Streich über die Schulter bes 
Sıywertarmes, welchen die Tartſche gegen ſolche bäueriſche Kraft nicht 
zu fügen vermochte, baf ber arme Don Duirote übel zugerichtet 
vom Pferde fiel. Sancho Panfa, der ihm keuchend nachgelaufen 
war, fah ihn fallen, und fhrie dem Angreifenden zu, er möchte ihn 
doch nicht mehr ſchlagen, denn er fey ein armer verzauberter Ritter, 
der in feinem Leben Niemand etwas zu Leide gethan. Sancho's 
Gewand jedoch hätte wenig geholfen, wenn der Bauer nicht gefehen, 
daß Don Quixote werer Hand, noch Fuß rührte. Weil er nun 
meinte, er habe ihn tobtgefhlagen, fo widelte er geſchwind fein 
Bußhemd um den Leib, und lief davon, wie ein Gemsbock. Indeſſen 
wor Don Quixote's übrige Geſellſchaft gleichfalls herbeigeeilt. 

















LI. SKapitel, 


Als die Leute, welche zu ber Proceffion gehörten, dieſe in vollem Lanfe | | 


aufommen fahen, und zugleih bie Schergen mit ihren Gewehre, 
fürgteten fie fi vor Unheil, ſchloſſen einen Kreis um das Bild, 
zogen ihre Kappen über bie Köpfe, hielten fi mit ihren Geißeln, 
und die Priefter mit ihren Fadeln bereit, und madpten ſich gefaßt nigt | 
bloß zur Vertheidigung, fordern auch, um Gewalt mit Gemalt zu 
vertreiben; allein es lief glücklicher für fie ab, als fie dachten. 
Sancho that weiter mihts, als daß er fi auf den Leichnam feines 
Herrn warf und die Santefte, Bitterfie Klage erhob, weil er ihn für 
tobt hielt. Der Pfarrer ward von einem Amtebruder erfannt, ber 
fi bei der Proceffion befand, und: ihre Befanntfdaft machte allen | 
Beforgniffen ein Ende. Der Pfarrer gab dem anderen mit wenigen 
Worten Bericht, wer Dom Duirote fey, und ſie gingen mit ber 
ganzen Truppe der Büßenden bin, um zu fehen, ob der arme Ritter 

| geftorben ſey oder lebe. Sie hörten, wie Saucho mit Thränen in 
den Angen wehflagte: „O dm Blüthe der Nitterfihaft! fo hat denn 


ein Knitte'fcfog deinem thatoollen Leben ein Ende gemaht? D du 
Ehre deines Geſchlechtes, du Ruhm und Stolz der Mana und der 

















720 Don uirote. 


if, daß es Nitter in der Welt gibt, die fih zu dem Orden ber 
fahrenden Ritterſchaft bekennen. Jett, fage ich, ſollt ihr an der 
Befreiung der würdigen Frau, die man bort gefangen führt, wahrnehmen, 
wie fehr die fahrenden Ritter Eure Hochachtung verdienen.“ 

Mit viefen Worten gaͤb er Roginanten bie Waden, weil er 
ohne Sporen war, und ritt im kurzen Galopp ven Geißlern entgegen 
(denn von einem geſtrecten Galopp liest man nirgends in biefer 
wahrhaften Geſchichte, daß Rozinante fi damit abgegeben Hätte). 

Der Pfarrer, der Domherr, der Barbier gaben fi zwar alle Mühe, 
ihn abzuhalten, vermochten aber über ihn fo wenig, als das Geſchrei 
Saucho's, der ihm aus vollem Halfe nachrief: „Wo wollt Ihr 





hin, Herr Don Duirote? welder böfe Geiſt reizt und treibt Euch 
an, gegen unferen katholiſchen Glauben zu fechten? Thut doch in's 
Henters Namen die Augen auf, fo werbet Ihr einfehen, daß Ihr einen 
Bußzug vor Euch habt, und daß die Dame, die fie dort auf einem 
Fußgeſtelle tragen, das Bild ber hochgebenebeiten, unbefledten Jungfrau 
iſt. Bedenlet, Herr, was Ihr thut; denn diesmal kann man doch 
wahrhaftig fagen, daß Ihr es ſelbſt nicht wißt.“ 














LIE. Sapitel 


Aber Sancho gab ſich vergeblihe Mühe; deun fein Herr war 
fo in Haft, zu den Weißröden zu fommen, daß er fein Wort hörte; 
und wenn er's auch gehört hätte, fo wäre er dennoch micht mmgefehrt, 
und hätte ber König ſelbſt es ihm befohlen, Indeſſen fam der Zug 
näher, und Don Duirote hielt Nozinante's Zügel an, der 
ſelbſt fon Luft Hatte, ein wenig anszurupen, und rief mit drohender 
und kreiſchender Stimme: „Ihr, die ihr vielleicht nur darum eure 
Geſichter verhüllt, weil ihr nichts Gutes im Schilde führt, wartet 
und hört an, was ich euch zu fagen habe!“ 


Die Erfien, welche fliffbielten, waren bie Träger des Bildes, 
und einer ber Geiftlihen, welde bie Litaneien abfangen, fand bie 
Geftalt des Ritters und feines hageren Gauls und andere aben- 
teuerliche Dinge, die er an Don Quixote bemerkte, fo lächerlich, 
daß er ihm antwortete: „Here Bruder, wenn Ihr und was zu fagen 
babt, fo macht es kurzz denn diefe guten Leute zerfleifhen fih das 
Bell, und wir Fönnen ung folglich nicht auffalten, um Eud anzuhören, 
wenn es nicht mit zwei Worten abgethan iſt.“ 


„Mit Einem will ich's fagen,“ erwiderte Don Quixote, „Iafit 
im Augenblicke bie ſchöne Frau los, deren Tränen und tranernde 
Blicde genugfam beweifen, dafı ihr fie wider ihren Willen entführt 
und große Ungebühr an ihr begangen habt. Ich aber, der ich geboren 
bin, alle bergleihen Unbilden abzuftellen, werde nimmermehr zugeben, 
daß ihr einen Schritt weiter geht, ohne ihr die Freiheit wieder 
zu geben.“ 


Durch diefe Anrede überzeugte Don Duirote Alle, die ihn hörten, 
daß er nicht gefiheit fey, und fie lachten herzlich über feine Ausfälle, 
Yor Gelächter reigte ihn aber nur noch mehr zum Zorne, fo daß er, 
ohne ein Wort weiter zu fagen, zum Schwerte griff und auf bie 
Bahre looging. Einer von den Trägern ließ die Laſt anf dem 
Schultern feiner Sameraden, fprang mit feiner Gabelftüge, deren 
er fih beim Aueruhen bediente, Dom Quirote entgegen, und 
wandte mit berfelben einen mächtigen Sieb ab, den ber Nitter 
nach ihm führte. Der Hieb zerträmmerte das Holz in zwei Gtüde; 





Don Ontiein 4. 

















720 Don @uirote. 


if, daß es Ritter in der Welt gibt, die fih zu dem Orben der 
fahrenden Ritterſchaft befennen. Jetzt, fage ich, folt ihr an ber 
Befreiung der würbigen Frau, die man bort gefangen führt, wahrnehmen, 
wie fehr die fahrenden Ritter Eure Hochachtung verdienen.” 

Mit diefen Worten gaͤb er Roginanten die Waden, weil er 
ohne Sporen war, und ritt im kurzen Galopp ven Geißlern entgegen 
(Denn von einem geſtredten Galopp Tiest man nirgends in biefer 


wahrhaften Geſchichte, daß Rozinante ſich damit abgegeben hätte). 


Der Pferrer, der Domherr, der Barbier gaben fih zwar alle Mühe, 
ihn abzuhalten, vermochten aber über ihn fo wenig, als das Geſchrei 
Sando’s, der ihm aus vollem Halfe nadrief: „Wo wollt Ihr 





hin, Herr Don Dnirote? welder böfe Geiſt reizt und treibt Euch 
an, gegen unferen katholiſchen Glauben zu fechten? Thut doch in's 
Henkers Namen die Augen auf, fo werbet Ihr einfehen, daß Ihr einen 
Bußzug vor Euch Habt, und daß die Dame, die fie dort auf einem 
Bußgeftelle tragen, das Bild der hochgebenedeiten, unbefleckten Jungfrau 
iſt. Bedenket, Herr, was Ihr thut; denn diesmal kann man doch 
wahrhaftig fagen, daß Ihr es ſelbſt nit wißt.“ 




















LI. Kapitel, mai 


Aber Sancho gab ſich vergeblihe Mühe; denn fein Here war 
fo in Haft, zu den Weißröcken zu fommen, daß er fein Mort hörte; 
und wenn er's auch gehört hätte, fo wäre er dennoch nicht umgefehrt, 
und hätte der König felbft es ihm befohlen. Indeſſen am der Zug 
näher, und Don Duirote hielt Nozimante's Zügel an, der 
ſelbſt fon Luft Hatte, ein wenig auczuruhen, und rief mit drohender 
und Mreifhender Stimme: „Ahr, die ihr vielleicht nur darım enre 
Geſichter verhüftt, weil ihr mihts Gutes im Schilde führt, wartet 
und hört am, mad ich euch zu fagen habe!“ 


Die Erften, welche flilbielten, waren die Träger bes Bildes, 
und einer der Geiftlichen, welde bie Litaneien abfangen, fand bie 
Geſtalt des Nitters und feines hageren Gauls und andere aben- 
teuerlihe Dinge, bie er an Don Duirote bemerkte, fo lächerlich, 
daß er ihm antwortete: „Here Bruder, wenn Ihr und mas zu fagen 
habt, fo macht es furz; denn biefe guten Leute zerfleiſchen ſich das 
Fell, und wir fönnen uns folglich nicht aufhalten, um Euch anzufören, 
wenn es nicht mit zwei Worten abgethan if.” 


„Mit Einem will ich's fagen,” erwiberte Don Duixote, „Iafit 
im Augenblide bie ſchöne Arau 106, deren Thränen und trauernde 
Blide genugfam beweifen, daß ihr fie wider ifren Willen entführt 
und große Ungebühr an ihr begangen habt. Ich aber, ber ih geboren 
bin, alle bergfeihen Unbilden abzuftellen, werde nimmermehr zugeben, 
daß ihr einen Schritt weiter geht, ohne ihr bie Freiheit wieder 
zu geben.” 


Durch diefe Anrede überzeugte Don Duirote Alle, die ihn hörten, 
daß er wicht geſcheit ſey, und fie Tachten herzlich über feine Anefätle, 
Ihr Gelägter reiste ihn aber nur noch mehr zum Zone, fo daß er, 
ohne ein Wort weiter zu fagen, zum Schwerte geiff uud auf bie 
Bahre Iosging. Einer von den Trägern ließ die Laſt auf ben 
Schultern feiner Kameraden, fprang mit feiner Gabelftüge, beren 
er fih beim Ausruhen bediente, Don Duirote entgegen, und 
wanbte mit derſelben einen mächtigen Hieb ab, ben der Ritter 
nad ihm führte. Der Hieb zertrümmerte das Holz in zwei Gtüde; 








Don Onlıeie 1. 








Den Euvizsie 


So plauderte Sande Panfa mit feiner Aran Iherefe, 
wärend die Hauspälterin und Nichte Herrn Don Onirete rmpfin- 
gen, entffeiveten und in fein altfränfifges Bett zur Rufe brachten. 




















LU. Kapitel, 


Er betrachtete fie mit großen Mugen und fonnte fih nicht 

wo er fey. Der Pfarrer befahl der Nichte, ihren Oheim auf's 

zu verpflegen und fi) wohl vorzufehen, daß er ihr nicht: nad ei 
entwiſche, und erzäßfte ihr, wie viele Mühe es geloſtet, ihm mwicber 
mach Haufe zu ſchaffen. Jedt ging das Magegeihrei der, beiden 
Frauengimmer wieber an; jet verwünfcten ſie auf's Neue bie Ritter- 
bücher; jeht baten fie den Himmel, die Verfaffer fo vieler Lügen und 
Tollpeiten in den Abgrand der Höfle zu flürgen; furz, fie konnten 
ſich der Furgt nicht erwehren, daß ihr Herr und Obeim, ſebald es 
einigermafen beffer mit im ginge, ihnen wieder bie Ferſen zeigen 
werde; und bas that er auch wirklich. 

Nun Hat fih zwar der Verfaffer diefer Geſchichte alle Mühe 
gegeben, von Don Quixote's Thaten auf feinem britten Ausritte 
etwas in Erfahrung zu bringen; allein trog feines Fleißes im Nad- 
forfhen Hat er dennoch bisher Feine Nachrichten, wenigfiens nicht 
bei zuverläßigen Scriftftellern, darüber autreffen lönnen. Das Ein- 
zige, was in ber Manda mündliche Sage davon aufbewahrt hat, if, daß 
Don Duirote, ald er zum dritten Male fein Haus verlieh, nah 
Saragoffa ging und einem großen Lauzenbrechen beimohnte, das in 
diefer Stadt gegeben wurde, und baf ihm bei dieſer Gelegenheit 
manche Dinge begegneten, bie feiner Tapferfeit und feines Verſtandes 
würdig fienen. Bon feinem Tode und Begräbniffe Tonnte der Ber- 
faffer eben fo wenig etwas Gewiffes erfahren, und er würde gar 
nichts davon wiffen, hätte nit ein glüdfiher Zufall ihm die Bekannt: 
ſchaft eines alten Arztes verfhafft, der eine bleierne Bücfe beſaß, 
die man, wie er fagte, unter dem Schutte einer. alten Einfievelei 
gefunden, indem man den Grunb anfgrub, um fie neu aufzubauen, 
In diefer Büchfe befanden fi einige Pergamentblätter, mit ſpaniſchen 
Verſen in gothiſcher Schrift beſchrieben, welche Mauches vom feinen 
Thaten erwähnten und zugleich Nachrichten euthielten von Dalein ea's 
Schoͤnheit, von der Geſtalt des Nozinante, von ber Treue bes Saucho 
Panfa und von Don Quixote's Begräbniffe, nebft verſchiedenen 
Grabfäriften und Lobgedichten auf feine Sitten und Lehenemeife, 

Der glaubwürbige Verfaffer dieſer fonberbaren und beifpielfefen 
Geſchichte verlangt von feinen Lefern feinen anderen Lohn für die 


Der Onisste 1. 














79 Don @uirote. 


unermeßliche Mühe, die es ihn gefoftet hat, alle geheimen Nachrichten 
in der Mancha aufzufuhen, um fie an's Licht zu fleflen, als daß 
fie ihm gleichviel Glauben fchenken, als vernünftige Leute den Ritter- 
geſchichten beimeflen, die in ber Welt fo fehr beliebt find. Damit 
wird er ſich vollfommen für bezahlt unb befriedigt Halten, und wird 
ſich Müpe geben, noch andere Nachrichten aufzutreiben, weldhe, wo 
nicht eben fo wahr, wie biefe, doch wenigfiens eben fo gut erfunden 
und nicht weniger luſtig zu Iefen find. Nur wenige jener Berfe 
waren leferlich geblieben: die anderen, weil die Schrift erloſchen war, 
gab man einem Afabemifer zum Entziffern, und es will verlauten, 
daß es nach vielem Nachtwachen und angefirengter Mühe ihm gelungen, 
und er Willens fey, fie herauszugeben, in Hoffnung einer britten 
Ausfahrt Don Dnirotee. 
Forse altrui cantera con miglior plettro. ! 


* Im Originale finden fid einige ver erwähnten Verſe, deren ziemlich gehaltlofe Spielereien 
im Deutſchen kaum irgend Anklang finden würven, 























Inhalts- Verzeichniß. 


Dreiundzwanzigfteb Kapitel. Mas unferm berüßmten Ritter in der Sierra Morena 
begegnete, eins der feltenflen Abenteuer dieſer wahrbaften Gefhihte . . - - 


Bieruubzwanzigftes Kapitel. Bortfegung bes Abenteuers in der Gierra Morenn . . . 


Fünfundzwanzigkes Kapitel. Seltjame Dinge, die dem Ritter Don Duizote in der 
Sierra Morena aufftosen, und Nachabmung ber Buße des Dunkelbübſch. 


Sehsundzwantiaftes Kapitel, Weiterer Bericht von ben Liebeegrillen, denen Ad} 
Don Cuirote in der Sierra Morena hingab 


Biebenundzwanzigfteb Kapitel. Wie ver Pfarrer und ver Barbier ihr Vorhaben in's 
Wert jegen, fammt anteren wichtigen Dingen . . 


Diertes Buch. 


Ahrundzwanzianed Kapitel. Gin neuce angenehmes Abenteuer, weldhes dem Pfarrer 
und dem Barbier in der Eierra Morena aufflößt . . . - 


Reunundjwanzigfted Kapitel. Handelt von ter Klugheit der fhhönen Dorotken, ſammi 
anderen Tingen, gar ergeplich zu leſen 


Dreifigtes Kapitel, Wie unier verliebter Ritter durch einen ion © Schmant feiner 
Kufleiung und (hweren Wuße entriffen wird . x 


Cinunddreifigftes Kapitel. Kurzweiliges Geſpraͤch zwiſchen Ritter Don Duixote 
unt Eando Vanſa, jeinem Schildtnarven, fammt auderm Verlauf . . . . 


Swelundbreißigfte® Kapitel Was unferm Ritter und feiner @efelfbaft in ver ai 
begegnet — 


Dreiunddreifigftes Kapitel. Die Erzählung von dem unbefonnenen Neugierigen. 
Bierundreifinftes Kapitel, Gortfehung ber Orzäblung vom unbefonnenen Deugierigen 


Hünfundbreifigftes Kapitel, Echretlicer Ramrf bes Ritters mit ben Weinſchlauchen. 
Veſchius der Grjählung von tem unbefonnenen Heugierigen . . - . + - 


Schbundbreifigrtes Kapitel. Handelt von andern feltfamen Dingen, die ſich In der 
Sgenle zugetragen 


@iebenundbreihigftes Kapitel, Fortſehung der Geſchichte der berühmten Beten 
Wiiconicona, fammt anberen annıuthigen Mbenteuem . . . 2.2... + 


Udtnndbreitigited Kapitel, Mierlwürbige Reve des Ritters Don Duizote, entbaltend 
eine Vergleichung zwifthen den Waffen und 2Biffenfeaften 

Reunundbreitigftes Kapitel. Geſchichte tes Elavm . . . ... . - 

Bierzigftes Kapitel. Eonett auf Goletta, Der SHave fept feine Erzäblung fort. . . 

Einunboierzigftes Kapitel. Beſchluß ver Geſchichte des Shave . . 


Iweiunboierzinfted Kapitel, Neue Begebenheiten in dem Wirthebauſe und andere 
merhourk:ge Vorfälle 


Dreinndoiersigfieh Kapitel. Die anmutbige Geſchichte von dem Gfelötzeiber, nebh 
anteren jeltfamen Auftritten in dem Wirthehauſe 


Bierundolerzigftes Kapitel. Werfolg der unerhörten Begebenheiten in der Schenke 


















Inhalts - Werzeichnif. 


Siebented Kapitel. Zweite Babrt unfers guten Ritters Don Duizote von der Mandha 
Achten Kapitel, Von tem alüdlichen Ausgange des entfeplichen und unerbenflicen 

Abenteuers mit ven Winbmühlen, das Don Duixote beflanb, zufammt 
anderem benfwürbigen Berluf . . . . . — — 






Zweites Buch. 


Neunteb Kapitel. Beſchluß des dentwuͤrdigen Kampfes zwiſchen dem heldenmüthigen 
Biscaler und dem mannhaften Junker von ver Mancha 


Schnteo Kapitel. Gin Geſprach zwiſchen Don Dulzote und feinem treuen Sale 
Inappen Sancho Vanſa But un he a 
Eiftes Kapitel. Was dem Ritter mit einigen Ziegerbirten begegnete . . 2 2... . 
Swölftes Kapftel. Was einer von ben Ziegendirten ter Geſellſchaft erzählte . 
Dreigehnteb Kapitel, Die Gedichte ver Schäferin Marcella wird zu Ende erzählt, 
fammt anderen Begebenheiten . + - Teer 
Ü Bierzchutes Kapitel. Die Bofnungelofen Verfe des verflorbenen Saat, fammt 
i anderen unverbofiten Worlommniflen . - «+ - ee 


! Drittes Buch. 


| günfsehmte Kapitel. Unglüdliches Abenteuer, dat Don Duirote auffleß, alt er mit 

‚einigen ungeſchlachten Yangueſern zufammentraf . . . un 

Cechzehntes Kapitel. Was unferm weifen Junker in der Schenke begegnete, tie er 
für ein Kaflell hielt. oo 00er 

@iebenzehntes Kapitel. Fernerer Verlauf ber unzähligen, Leiten, fo ter mannhafte 
Ritter Don Quirote nebft feinem guten Gcitkknappen Sancho Banfa in 
der Schenke autzuſteben hatte, die jener zu feinem Unglüd für ein Kaftell 
aniah. . . A —— 

Achtzehntes Kapitel. Geſpräͤch zwiſchen Sancho Panſa und feinem Herrn, und andere 
dentwurtige Abenteuer . —— — 

Neunzehntes Kapitel. Von dem weiſen Geſprache, das Sancho mit feinem Herrn 
fabrie; von dem Abenteuer mit er Reiche, und von anderen großen Greigniffen 


Swanzigfted Kapitel. Wie der mannhafte Don Duirote von ber Mancha ein nie 
gefebenes und nie exhörtes Abenteuer mit weniger Gefahr beſtand, als je 
ein Ritter in ver Welt 5 


Cinundzwanzigftes Kapitel. Handelt von einem glorreichen Abenteuer und ber herr⸗ 

! lichen Eroberung des Mambrin-Helms zufammt anderen Dingen, bie unferm 
unüberwinblichen Ritter begegneten . 

Swetundzwanzigiteb Stapitel. Wie Don Duirote viele Ungtietide befreit, bie man 

tinfühet, wohin fie nicht wollen . en 













19 


151 


182 


. 178 


. 185 


a1 


2111 


ar 




















Iahalto-dereigniß. 


Dreinndzwanziafted Kapitel. Was unferm berütmten Ritter in der Sierra Morena 
begegnete, ind der feltenften Mbentener dieſet wahrbaften @Wefdhldhte . . 


Bierundpwongigftes Napitel, Bottfehung ha Abenteuerk ih ter @ierra Morena  . 
Fnfundjwanzigftes Kapitel. Geltfame Dinge, die hem Ritter Don Duifbte In der 
Sierra Morena aufftofen, und Namahmung ver Bufe bes Dünfelbübfh. . - 
Schöundzwanzigfted Kapktel, Weiterer Bericht von den — denen Ad. 
Don Quirote in ber Sierra Morena hingab . ee. 
Tichenundzwangiafted Hapitel. Wir ver Dfarrer und der Berker F Vorhaben in's 
Wert fepen, ſammi anderen wichtigen Dingen — 


viertes Buch. u 


Achrundgwanzigftes Kapitel. Gin neues ängenchmes Mbenteuer, welcher dem Pfarrer 
umd tem Barbier in der Sierra Morena aufflöht . » «= eu nu» 


Neunundzwanzigftes Kapitel. Handelt von der Kiugbeit der [hönen Doroiben, ſammi 
anderen Dingen, gar ergöglich zu Iefem . “. 


Dreikigfted Kapitel, Mie unier verlichter Ritter durch einen Tuftigen Schwant feiner 
Kaftelung und fhıweren Vuhe entriffen wird - = u can nenne 


Einunddreifigites Kapitel. Kurzwelliges Geſprac goiſchen Ritter Don Duizote 
und Sando Panſa, feinem Schildtnappen, fammt anderm Verlauf . - . 


Swelunddreifigftes Kapiteh Was unferm Ritter une (ner Gefell(haft In ser Schente 
—— RER 


Dreiunddreifilgftes Kapitel, Die Erzählung von dem unbefonnenen Mengierigen . 
Vierumddreitigfted Kapltel. doetſehung der Orzäblung som undefonnenen Neugierigen 


Fünfunddreitigfter Kapktel, Schredtichet Kampf des Ritters mit den Weinfchläudhen, 
Beſchluß der Gtzahlung von dem unbefonnenen Ieugierigen 


Seddunddrein iaſtes Napitel, Handelt von andern ſeltſamen —— vie ſich in der 
@chente zugetragen „ — — 


@iebennuddreifrigfted Kapitel. Mortfepung der Geſclaue ter — Pr 
Micomicona, ſammt anderen anmtdigen Abentenem . u... = 


Ahtunddreifigite® Kapitel, Mertwürbise Nere des Ritterd Don Quixote, enthaltend 
eine Bergleltung gwiſchen den Waffen um Wiſſenſchaften 


Reunundbreifigites Kapltel, Geſchlate des Ellaven . ı ı 4» m mn: 
Bierzlgfted Kapitel. Sonett auf Goletta. Der Slave fett feine Grzählung fort . 
Eimmnvierzigftes Kapitel, Beſchluß der Sefhichte des Stlaven 


Sweinntoierzigftes Kapltel, Neue Begebenheiten in tem Wierhahauſt und andere 
merbwärbige Borfälle . . » co 0 cn nennen 


Dreinndviersigftes Kapitel, Die anmutbige Geſchichte von bem — mn 
anderen feltjamen Huftritten In dem Wirchspaufe 


Bierunoierjigftes Kapitel. Berfolg der unerhörten Begebenheiten in der Echenfe . 














734 Inpalts-Verzeignif. 


Yünfundvierzigfted Kapitel. Entſcheidung des Streits über Mambrins Helm uns 
ven Saumfattel, fammt anderen Borfällen ver Wahrheit gemäß vargeftellt . 

Schsunbvierzigfted Kapitel, Ausgang ves dentwurdigen Abenteuers mit den Schergen. 
Große Otrenge des Ritters Don Duisote. Derfelbe wird in gnen Räfg 
gegaubert 

@iebenundvierzigftes Kapitel. Bon Don Quixote's Babrt auf dem 

>: Karren und anberen merkwürdigen Vorfallen . 

Ahıtundoiersigfted Kapitel. Der Domberr fährt fort, über Again ı um 
andere @egenflände mit vieler Ginficht zu ſprechen 

Weunundoiersigfted Stapitel. Sinnreiches aerie oifden Sancho PR uns 
feinem Here Don Duizote . 

duutzisſtes Kapitel. Fortfegung bes ſcharffinnigen Wortroechfels zwifchen Don Dulzote 
und dem Domherrn, nebfl anderen Vorfällen 

Cinuubfünfsigfteb Kapitel. Der Ziegenkirte erzählt feine Geſchichte H 

Swelundfünfploes Kapitel. Kampf des Ritters mit dem Ziegenbirten. Seltjames 
Abenteuer mit den Bühern, welches er im Gemweihe feines Roach be 
Rand