Pischinger, Arnold
Der Vogelzug
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3.015
Der Vogelzug
bei den
griechischen Dichtern
des
klassischen Altertums.
Ein zweiter Beitrag
zur
Würdigung des Naturgefühls in der antiken Poesie
von
Dr. Arnold Pischinger,
K. (Tyiiiuusiali)i'otVs?-(ir.
Programm
des K. Humanistischen Gymnasiums Eichstätt
für das Schuljahr 1903 04.
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Eichstätt.
Pli. BriinuL'r 'sclie B ucIj d r uoker ei [P. Seitzj.
1904.
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Inhalt.
Seile
Vorwort.... 1
I. K a p i t e 1. F r ü li j a li r (• z u ^ 3
II. Kapitel. Herbstzui*' und W i uterauf eutli alt iu Grie-
clienlaud 11
III. Kapitel. Zug im all <»-emei ueu H
IV. Kapitel. Winterschlaf . 47
V. Kapitel. Verwanrllung' . . • 52
.\ n m e r k u n g e u . . . 5.')
Verzeichnis der behandelten wichtigeren Dichterstellen ... 75
Verzeichnis der in den Jahren 1845—1903 den .Tahrei«berichten
des K. Humanistischen Gymnasiums in Eichstätt
beigegebenen wissenschaftlichen Beilagen ... 77
y %
Vorwort.
„Der Wandertrieb der Vi'igel in seinen mannigfaltigen Ab-
stufungen und dessen Manifestation ist ohne Zweifel diejenige
Erscheinung im Leben des Vogels, welche neben dem Gesänge
die allgemeinste Aufmerksamkeit und Teilnahme erregt; denn
mit ihr steht und fällt der Sommer und Winter und mit diesen
Jahreszeiten ihre Gaben, Freuden und Leiden." (Altum, Der
Vogel und sein Leben, 6. Aufl. S. 237). Mit diesen Worten
kennzeichnet ein geistreicher Naturforscher eines der merkwürdig-
sten und sinnvollsten Naturwunder nach seiner Wirkung auf
das menschliche Empfinden.
Ein so tiefgehender Eindruck pflegt sich aber nicht von
gestern auf heute geltend zu machen. Die Faktoren, die ihn
zustande bringen, sind seit den ältesten Zeiten die gleichen
und sie wirken fort durch die Gegenwart bis in die fernste Zukunft,
Da nun mit der Stärke und Dauer solcher Anregungen
ihre Bedeutung als Motive der Volks- oder Kunstpoesie in
engster AVechselbeziehung steht, so ist es für einen Bewunderer
der griechischen Dichtung, der zugleich für das Leben in der
Natur ein offenes Auge hat, ausserordentlich verlockend, die
Frage zu stellen: Inwiefern ist das Phänomen des
Vogelzuges von den griechischen Dichtern be-
achtet und in ihren Werken verwertet worden?
Diese Frage nach ihrer philologischen wie naturkundlichen
Seite eingehend zu beantworten, ist der Zweck der folgenden
Blätter, die ich als zweites Kapitel meiner grösseren Arbeit
über die Vögel bei den Dichtern des griechischen Altertums
nach dreijährigem Zwischenräume meinem gleichartigen Pro-
gramme über den Vogelgesang (Eichstätt 1901) folgen lasse.
Über Ziel und Wege der erstgenannten umfangreichen
Arbeit habe ich mich in der Einleitung zu der letzteren Ab-
handlung verbreitet und muss an dieser Stelle, um Wiederho-
lungen zu vermeiden, auf das dort Gesagte verweisen.
1
— 2 —
Bei der Abfassung der vorliegenden Studie habe ich
mich bemüht, die schätzbaren Winke zu befolgen, die ich den
Besprechungen meines Programmes durch so verdienstvolle
Forscher wie 0. Keller (Berliner philol. Woc-henschr. 1902,
Nro. 46) und A. Biese (Wochenschr. f. kl. Philol. 1902,
Kro. 48) entnehmen durfte. In manchen Punkten konnte ich
freilich nur bis zu einer gewissen Grenze den geäusserten
AVünschen entsprechen. Denn weder vermochte ich mir Bieses
allzugrosse Vorliebe für die Herausarbeitung leitender Ideen,
worüber noch unten die Rede sein soll, zu eigen zu machen,
noch bin ich imstande, Kellers gedrängte Art der Stoffbe-
handlung nachzuahmen, die es ihm z. B. ermöglicht, in seinem
lehrreichen Buche ^ Tiere des klassischen Alterturas" (Innsbruck
1887) auf den 17 Seiten, die der Nachtigall (und anderen
Singvögeln) gewidmet sind, 154 Zittitc aus allen möglichen
Literaturen und Zeitabschnitten unterzubringen.
Mit herzlichstem Danke erinnere ich mich bei diesem
Anlasse der überaus feinsinnigen und eingehenden Rezension
meines Programmes in der Zeitschrift La Cultura (1903, Nro. 2),
die für ihren ebenso gelehrten als liebenswürdigen Verfasser,
Herrn Universitätsprofessor G. S e 1 1 i in Padua, nicht minder
ehrend ist als für die bescheidene Arbeit, der ihre anerkennen-
den Worte gelten.
Diesen Dank richte ich aber zugleich an alle meine ver-
ehrten Lehrer, Amtsgenossen und Freunde, die auf irgend eine
Weise ihr Interesse an dem von mir beh indelten Gegenstände
kundgegeben haben, vor allem an meinen verehrten Freund,
Herrn Hofrat Dr. Paul Leverkühn in Sofia, der mit wert-
vollen Angaben aus dem Schatze seiner Erfahrung und mit
willkommenen Literatur-Hinweisen mir beigesprungen ist.
Möge es der neuen Arbeit, die ich hier vorlege, gelingen,
gleich ihrer Vorgängerin im Kreise der Altertumsfreundc wie
der Naturkundigen freundliche Teilnahme zu erwecken !
I. Kapitel.
Der Frühjahrszug.
Um die Bedeutung der griechischen Dichterstellen, die
den Frühjahrszug betreffen, richtig abschätzen zu können, ist
es wohl am besten, wenn wir zunächst von dem Eindrucke
dieser Naturerscheinung auf ein deutsches Gemüt unseren
Ausgang nehmen.
Zu Ende geht der Winter mit all seiner Not. Seit der
Zunahme der weit zurückgegangenen Tageslänge und Sonnen-
kraft beginnt das Leben in der Natur aus seinem tiefen
Winterschlafe allmählich zu erwachen. Mit Entzücken beobach-
ten wir nach der langen Zimmerhaft der vorausgegangenen
Monate die ersten Zeichen des nahenden Frühlings in Wald
und Feld. Wie sollten wir da nicht neben den ersten Blumen
am sonnigen Bergeshang, neben dem zarten Grün der Fluren,
neben den jungen Trieben der Sträucher und Bäume auch die
Wandervögel bemerken, die aus ihrer Winterherberge zurück-
gekehrt die anmutige Frühlingslandschaft durch ihr munteres
Wesen und ihre wohlklingenden Lieder mit neuem Leben er-
füllen ! Und nicht als Fremdlinge erscheinen uns die aus weiter
Ferne eingetroffenen Wanderer, sondern gleichsam als Ange-
hörige, die von einer langen Reise zu den Ihrigen heimkehren,
um hier im alten Vaterlande ihr verlassenes Hauswesen neu
zu begründen und die ganze Glückseligkeit des Familienlebens
zu geniessen.
So empfinden wir Deutsche und unsere Dichter
haben es an tausend und abertausend Stellen in der mannig^
fachsten Weise ausgesprochen.
Bei den Griechen dagegen wirkten verschiedene Um-
stände zusammen, um die Stärke und Innigkeit dieses Naturge-
fühls zu verringern. Vor allem ist der Winter in diesen Breiten
viel weniger streng und schneereich, und die Tage verkürzen
sich nicht im gleichen Masse wie bei uns. Der Mensch em-
pfindet zwar die Ungunst der Zeiten ; er stellt infolgedessen
1*
— 4 —
die Schiffahrt ein und benötigt wärmere Kleider; aber das
Ver^Yeilen im Freien ist doch lange nicht so erschwert wie in
unserem Klima, und was die Vögel betrifft, so bilden die
Tcäler Griechenlands gerade in diesen Vfonaten den Aufenthalts-
ort, ja die Zufluchtstätte vieler nördlichen uüd mitteleuropäischen
Arten, die schon während der rauhen Jahreszeit ihren Gesang
einzuüben beginnen und so das Ohr sachte an die Klänge des
Frühlings gewöhnen. Allmählich suchen dann diese Vögel
ihre nördlicher gelegene Heimat auf und die ihnen nachrücken-
den Wanderer, die eigentlichen Frühlingsvögel Griechenlands,
füllen gewissermassen nur die Lücken aus, die beim Abzüge
der Wintergäste entstanden. Endlich ist unter diesen An-
kömmlingen, speziell den Singvögeln, der Prozentsatz derjenigen,
welche die klassischen Länder nur auf dem l^urchzuge berühren,
ohne sich dort zum Bleiben einzurichten, viel grösser als bei
uns in Deutschland, ein Umstand, unter dem das Gefühl der
Zusammengehörigkeit zwischen Mensch und Vogel erheblich leidet.
So mildert die N a t u r in Griechenland die herben Gegen-
sätze des Nordens. Aber im gleichen Masse verliert auch der
Quell der Poesie, der für uns aus diesen Verhältnissen ent-
springt, an Tiefe und Reichtum.
Zwar behauptet der Chor der Vögel bei Ari stophanes
Av. 7 08, dass von ihnen den Menschen alles Gute zukomme,
und rühmt sich zum Beweise des Gesagten, sie seien es, die
den Eintritt der verschiedenen Jahreszeiten (Frühling, Herbst
lind Winter) den Menschen anzeigen,^) wobei natürlich an ihre
Ankunft bezw. Abreise zu denken ist; wenn wir aber von diesem
allgemeinen Satze ausgehend uns dem einzelnen zu-
wenden, so finden wir, dass nur die prägnantesten Er-
scheinungen unter den gefiederten Frühlingsboten die Auf-
merksamkeit des Volkes und speziell der Dichter erregt haben:
in erster Linie die Schwalbe, daneben die Nachtigall,
der Kuckuck und der Weih. Alle übrigen sonst etwa
erwähnten Vogelarten spielen nur eine ganz untergeordnete
Rolle.2)
Dass vor allem die Schwalbe als der volkstüm-
lichste Frühlingsvogel in der griechischen Poesie er-
scheint, kann uns nicht wundernehmen, wenn wir bedenken,
dass auch in vielen anderen Literaturen, zumal im deutschen
Liede, dieser Vogel das gleiche Ansehen geniesst. Ist er ja
doch den Menschen überall ein lieber Hausgenosse, der sich
bei der Lebhaftigkeit seines Gebarens sofort nach seiner An-
kunft bemerklich macht.
Soweit nun der Gesang der zurückgekehrten Schwalbe
den Dichtern als Frühlingszeichen gilt, sind die betreffenden
— t) —
Zitate 3) schon in meinem vorigen Programme eingehend be-
sprochen. Andere (z. T. auch die gleichen) Stellen, an denen
das Hauptgewicht auf den Nestbau dieses Vogels gelegt ist/)
passen noch weniger in den Rahmen unseres Themas. Es
bleiben uns also bloss diejenigen Dichterworte zu behandeln,
durch welche die Ankunft der Schwalbe oder ihre Erschei-
nung an sich als Frühlingszeichen namhaft gemacht ist.-^j
Da kommen vor allem zwei Erzeugnisse der Volks-
poesie in Betracht, in denen uns der Zauber der Frühlings-
stimmung aus den ärmlichen Lumpen der Bettlergewandung
entgegenschimmert. Das ältere von beiden ist das von der
Überlieferung auf Homer zurückgeführte Bettellied sa-
mischer Kinder (Eiresione, Epigr. Hom. 15). Die ersten
Verse preisen den Reichtum und das Glück des Hauses, vor
dem die Kinder singen, sowie seine Fülle an allem, was einen
hungrigen Kindermagen zu reizen vermag. Dann folgen einige
durch Verderbnisse und Lücken des Textes entstellte Zeilen.
Endlich erscheint ein anmutender Vergleich: „Ich JiOinme, ich
l'omine nach Jahresfi'kf, wie die Schralbe im Vorraum erscheint
mit blossen Fi(sse7i"f>) Zum Schlüsse bitten die Kinder um
schleunige Aushändigung des zugedachten Geschenkes. Jeden-
falls handelt es sich hier um einen uralten Volksgebrauch:
Arme Kinder, die mit Wolle umwundene Ölzweige in den
Händen trugen,^) zogen um die Frühlingszeit vor die Türen
reicher Leute und bettelten unter Absingung eines einfachen
Liedes, in dem sie ihre jährliche Wiederkehr mit derjenigen
der Schwalben verglichen, um milde Gaben. Dieser Vergleich
steht, wie es scheint, mit dem rein äusserlichen Umstände, dass
die Kinder gerade zur Frühlingszeit zum Betteln herumzogen,
in Zusammenhang; doch hat er jedenfalls die tiefere Bedeu-
tung, dass durch die Berufung auf die willkommene Rückkehr
der beliebten Frühlingsbotin die Zudringlichkeit der Kinder in
ein milderes Licht gestellt und freundlicher Aufnahme vonseite
der angesprochenen Gönner versichert werden soll.
Das andere Gedichtchen dieser Art ist das bekannte
Schwalbenlied der rhodischen Kinder (Carm. pop. 41,
bei Athen. VHI 360 c), ebenfalls ein Bettellied, das mit den
Worten beginnt: „Gekommen, gekommen ist die Schtcalbe, schöne
Zeiten bringend, glückliche Jahre, weiss auf dem Bauch, schwarz
auf dem Rücken." Darauf folgt die eigentliche Bitte um aller-
lei Lebensmittel : Wein, Käse, Brot und anderes, sowie die
scherzhafte Drohung, im Falle der Abweisung die Türe oder
gar die Hausfrau mitfortzutragen. Die Schlussworte lauten :
„Öß'ne, öjfne die Tür der Schivalbe! Denn nicht alte Leute sind
u-ir, sondern Kinder" ß) In diesem Liede ist die Verbindung
— 6 —
des Vergleichs mit dem Inhalte eine viel engere als in der
Eiresione. Mit der dem Volksliede eigenen Unbestimmtheit des
Ausdruckes werden die bettelnden Kinder einfach mit der
Schwalbe identifiziert und der Segen, den die zurückgekehrte
Schwalbe bringt oder wenigstens versinnbildlicht, tritt in Be-
ziehung zu dem Segenswunsche, den der Dank den beschenkten
Kindern auf die Lippen drängt. Aus diesem Sachverhalte
lässt sich der Schluss ableiten, dass der Volksgebrauch mit
dem Herumziehen der Kinder und dem Absingen des Liedes
nicht erschöpft gewesen sei, sondern auch eine augenfällige
Andeutung des Schwalbenmotivs enthalten habe. Man könnte
sich vorstellen, dass eines der Kinder, etwa der Vorsänger, eine
ausgestopfte oder kurz vorher getötete Schwalbe in der Hand
trug, wenn ein solches Verfahren nicht mit der ganzen Stim-
mung des gemütvollen Volksgebrauches disharmonierte. An
eine gefangen gehaltene, zahme Schwalbe aber ist schon des-
halb nicht zu denken, weil es bekanntlich ebenso schwierig als
unbequem ist. Schwalben in der Gefangenschaft zu erhalten.
Es bleibt also nur die Annahme übrig, dass der Vorsänger
durch die Farben seines Kleides (hinten schwarz, vorn weiss)
eine Schwalbe vorstellen sollte, oder dass er ein aus Ton ge-
fertigtes, vergrössertes Abbild einer Schwalbe auf der Hand
oder auf einer Stange dem Zuge vorantrug.^)
Die Rückkehr der Schwalbe ist ausserdem erwähnt im
2 5. (3 3.) Anakreontischen Liede, das u. a. davon spricht,
das» die Schwalbe jedes Jahr im Sommer nach ihrer Ankunft
([jLoXoöaa) ihr Nest baue, und in dem Piühlingsepigramme des
Leonidas (Anth. Pal. X 1), das mit den Worten beginnt:
Jetzt ist die Zeit tvieder günstig der Schifahrt; denn schon ist
die plaudernde Srhircdhe irkdergel-ommen (|X£[jißAa)x£v),io) und es
ireht irieder der liehUche Zephyr. — In den übrigen Epigrammen,
deren Reihe dieses Gedichtchen eröffnet, wird, wie gesagt, nicht
die Rückkehr, sondern der Nestbau oder der Gesang der
Schwalbe als Frühlingszeichen hervorgehoben.
Aus dieser Bedeutung des Wiedererscheinens der Schwalbe
erklärt sich ein anderer V o 1 k s g e b r a u c h , der zwar we-
niger zeremoniell war als der oben geschilderte, dafür aber in
seiner unmittelbaren Schlichtheit den Eindruck des beobachteten
Naturereignisses noch besser wiedergab. Ein bekanntes Vasen-
bild auf einer Volc ent er Amphora (Monum. dell. inst. H 24)
schildert uns den Vorgang aufs deutlichste. Wir sehen einen
älteren, bärtigen Mann, einen Jüngling und einen Knaben.
i'ber den Kopf des ersteren weg fliegt eine Schwalbe, die
wir nach ihrem tiefgegabelten Schwänze ohne Bedenken als
Dorfschwalbe (Hir. rustica) ansprechen dürfen. Dieser Vogel
— 7 —
erregt die Aufmerksamkeit aller drei dargestellten Personen
in augenfälliger Weise. Sie deuten mit den Händen nach ilim,
und was sie äussern, ergibt sich aus den beigeschriebenen Spruch-
zeilen. Der Jüngling, der die Schwalbe zuerst gesehen haben
muss, ruft: „Schau! eine SchirOibe .'" Der ältere Mann be-
kräftigt diese Worte durch einen Schwur: ^\\ ahrltaftig, heim
Herakles."', und auch der Knabe stimmt ein und ruft: „Da
ist sie." Zwischen dem Manne und dem Knaben aber stehen
die Worte, in denen alle drei die Schlussfolgerung ihrer Beobach-
tung zusammenfassen: „Nun ist's Frühling''^ (eap rjov]'). Solche
Szenen der Erkennung und Begrüssung der ersten
Prühlingsschwalbe mögen sich in den griechischen Städten,
speziell in dem lebhaften Athen, oft genug auf Strassen und
Plätzen abgespielt haben. — Auch literarisch ist uns dieser
Gebrauch bezeugt, nämlich durch eine spasshafte Stelle des
Aristophanes (Equ. 419). Der Wursthändler erzählt hier,
wie er als Knabe einst die (larköche betrogen habe. Er trat
an ihren Stand und rief: ^^Schaid, Leute! Seht ihr nicldY Der
Frühling ist da! Dort ßiegt eine Schvalbe ! " ^^) Während nun
die Köche hinsahen, stahl er rasch ein Stück Fleisch und
machte sich davon. i-) — In dieser wie in der vorigen Szene
entsprechen die einfachen Ausrufe der beteiligten Personen in
ihrer Prägnanz vollkommen der gegebenen Situation. Ob sie
aber, wie Thompson S. 189 bezüglich der letzteren Stelle
meint, auf den Text eines volkstümlichen Schwalbenliedes
zurückgehen, scheint mir mehr als zweifelhaft.
Aus dem Schlüsse: „Die Schwalben sind da; also ist es
Frühling" ergab sich für den beliebten Vogel die Zuerken-
nung eines Ehrennamens, der seither nicht mehr aus dem
Gebrauche gekommen ist, des Namens FriihlingsJjote oder
Herold des FnVdings. Den ersteren empfängt er durch Si-
monides (frg. 74) in der Anrede: Berühmte Botin des süss-
duftenden Frühlings, stahlblaue Schwalbe,"^^) den letzteren am
Ende der griechischen Literaturentwicklung durch Nonnus
(Dionys. III 12 f.).i^) Derselbe Dichter nennt (Dionys. II 132 f.)
unseren Vogel in etwas gezierter und überladener Darstellungs-
weise die Verkünderin der Böse und des Blumentaues, den
Liebling des Frühlingszephtjrs.^"^) Eine ähnliche Bedeutung
ist der Bezeichnung Frühlingsvogel beizulegen, die uns bei
Oppian, Hai. I 729 als Beiwort der Schwalbe begegnet
Diese Ankündigung des Frühlings bot den alten Griechen
ausser der idealen Seite noch ein sehr materielles Interesse.
Darüber belehrt uns Aristophanes, Av. 714f. : Und dann
(nach dem Weih) zeigt die Schwalbe an, u-ann es Zeit ist, den
uarmen Winterrock zu verkaufen und ein leichtes liöcldein da-
für zu encerhen. ^'^) Der Überschuss, der bei einem solclien
Tauschgeschäft erzielt wurde, mag manchem armen Schlucker
für einige Tage aus der Verlegenheit geholfen haben. Ander-
seits aber mag auch mancher leichtlebige Cleselle auf den Ein-
tritt des Sommers im voraus gesündigt haben. Dabei kam es
dann freilich vor, dass der Betreffende sich in unliebsamer
Weise verrechnete ; denn eine ScJiu-albe macht noch leinen
Sommer. Dieses griechische SpricliAvort. das einen guten orni-
thologischen Untergrund besitzt,^^) wurde, soweit wir es nach-
weisen können, von C rat in (frg. 33) in seiner Komödie AyjXtaocc;
in die Poesie eingeführt. i^) In welcher Gedankenverbindung
dies geschah, ist aus den Fragmenten nicht mehr ersichtlich.
Dagegen ist uns noch die lehrreiche Geschichte erhalten, welche
die Didaktik zur Warnung leichtlebiger Jünglinge daraus zu
konstruieren wusste. Fabel 304 erzählt: Ein verschwende-
rischer junger Mann hatte sein Ycderyut aufgezehrt und sein
Mantel allein war ihm übrig gehliehen. Als er nun vor der ge-
uöhnlicJien Zeit eine Srhualhe sah, gab er sich dem Wahne hin,
es sei schon Sommer. In der Meinung, er bedürfe seines Mantels
nicht mehr, verkaufte er auch diesen. Bald aber trat wieder
' Winterwetter ein, und ein scharfer Luftzug ivelite. Als er nun
die Schu-alhe tot am Boden liegen sah, rief er ihr zu: ^ Un-
glücksvogel.' Du hast auch mich zu Grunde gerichtet." — Den
gleichen Stoff' hat Babrius in poetische Form gegossen; doch
ist davon nur mehr ein kleines Bruchstück (frg. 138) erhalten:
Als ein (junger) Verschwender, der sein Vatergut aufgezehrt
hatte, . . . diese (d. h. die erste Schuralbe) nur ein bischen zwit-
schern hörte .... Das Verlorene ist aus der zitierten Prosa-
form der Fabel leicht dem Sinne nach zu ergänzen. — Eine
Anspielung auf unser Sprichwort finden wir beiAristoph.
Av. 1416 f. Hier spricht Ratefreund die Ansicht aus, dass der
um Befiederung nachsuchende Sykophant sein Lied, das eine
hochtrabende Anrede an die Schwalbe enthält, wegen seines
zerlumpten Mantels singe. „Es scheint," fügt er hinzu, ,,dass
er nicht weniger Schiralhen bedarf"-.-^) Natürlich ist der Sinn
dieser Worte: Es muss wirklich Sommer werden, wozu eine
Schwalbe noch nicht genügt, wenn ihm geholfen werden soll,
d. h. wenn er ohne Wintermantel auskommen will.
Eine l'bcrtragung der sprichwörtlichen Frühlings-
schwalbe auf andere V^erhältnissc begegnet uns bei Aristo-
phanes, Thesm. 1. „Zeus! ivird denn nicht einmal eine
Schwalhe erscheinen ':'"'^^) ruft Mnesilochos, der Schwager des
Euripides, verzweifelt aus und fügt als Begründung seiner
Worte hinzu: „Der Mensch (Euripides) irird mich noch zu-
— 9 —
fjnmde richten, iiidem er mich seit dem früliesten Morijen herum-
treibt." Nach einer richtigen Bemerkung der Schollen ist hier
die Sehnsucht nach der Schwalbe bildlich gesagt für die Sehn-
sucht nach der Erlösung aus einem quälenden Zustande, wie
sich die Menschen im Winter nach dem Frühling und seiner
Verkünderin, der Schwalbe, sehnen.^'-)
Ahnlich zu deuten ist vielleicht auch frg. 8 des Komödien-
dichters Chionides: „Erkundige dich, trann einmal ei»e
Scliicalhe erscheint !^^-^) Wenigstens sind die Heraupgeber dieser
Ansicht. Doch tritt m. E. ein besserer Sinn zu tage, wenn
wir diese W^orte als höhnische Anrede an einen durch Ver-
schwendung oder sonstwie verarmten Menschen auffassen, der
daran eiinnert wird, wie gut es für ihn Wcäre, wenn der Som-
mer käme.
Mit der Ankunft der Schwalbe hängt auch die Benen-
nung einer Pflanze zusammen, die bei den Dichtern mehrfach
erwähnt wird, nämlich des Schwalbenkrautes ()j£A',o6vtov).--')
Erhielt es ja doch seinen Namen daher, weil es zur Zeit der
Wiederkehr der Schwalbe blüht (nach Theophrast. H. pl. VII
15, 1). Dies scheint auch aus dem 74. frg. des Xikander
(Athen. XV 683 e) hervorzugehen. -J) Dieselbe Erklärung
geben die Scholien zu Nikander Ther. 857. Aus einem ähn-
lichen Grunde führt der S ch wal be n wind (;/£X'.oovcac),2^) der
freilich an keiner der erhaltenen Dichterstellen erwähnt wird,
seinen Namen. Es ist der laue West, der den Frühling und
die Schwalben zurückbringt ■-'^)
Neben der Schwalbe wird als Frühlitigsbotin (vjpoc
ayysXo?) die Nachtigall-^) von den Dichtern gerühmt. So
nennt sie wenigstens Sappho, frg. 39 (36), und den gleichen
Sinn hat das Epitheton Botin des Zeus (A'.ö^ a-f.'sXoc), das
ihr Sophocles, El. 149, beilegt. Doch kommt hiebei in ge-
ringerem Grade ihre Heimkehr an sich in Betracht als ihr
herrlicher Gesang, der eines der schönsten Frühlingszeichen
bildet und als solches eine bevorzugte Stellung in der griechischen
Poesie einnimmt. (Vgl. Hcm. Od. XIX 518 ff., Hymn. Ilom.
XIX 16 ff., Simonid. frg. 73, Aristoph. Av. 683 und Meleagers
Frühlingsgedicht, Anth. Pal. IX 363, wo Eisvogel, Schwalbe
und Schwan daneben genannt werden.) W'ir geraten demnach
hier in das Kapitel des Vogelgesanges, das schon durch mein
voriges Programm erledigt ist.
Ein einziges Gedicht (Anth. Pal, IX 88, Philippus von
Thessak) weist deutlich auf den Zug der Nachtigall hin, den
es in artiger Weise mit ihrem Gesang in Verbindung bringt.
Es ist die hübsche Anekdote von einer Nachtigall, die bei hef-
tigem Nordwinde nur mit Mühe über das Meer fliegt und des-
— 10 —
halb von einem üelphin, der in ihrem Gesänge den schönsten
Lohn findet, auf den Rücken genommen und libergesetzt wird.-'-^)
Die Jiihreszeit ist nicht ausdrücklich angegeben. Da jedoch
dem Gedichtchen ersichtlich die Vorstellung zugrunde liegt,
dass die Nachtigall durch Gegenwind im Fluge behindert
wurde, so müssen wir annehmen, dass sie von Süden nach
Norden flog, sich also auf dem Frühjahrszuge befand. Ausser-
dem würde ja die Ausübung ihres Gesanges nur zu dieser
Zugzeit passen, da im Herbste die Kehle der Nachtigall ver-
stummt ist.
In ähnlicher Weise wie die Nachtigall macht sich auch
der Kuckuck^O) nach seiner Ankunft im Frühjahre weniger
dem Auge durch seine Erscheinung bemerklieh als dem Ohre
durch seine charakteristische Stimme. Diese gilt schon bei
Ilesiod Op. 486 ff. als Frühlingszeichen. Wenn der Knclcuck,
so lesen wir dort, zum erstenmale ruft in den Blättern des
Kichhaums und die Menschen erfreut auf der weiten Erde, so
ir'rd TiCHS am dritten Tafje regnen lassen . . ß^) Diese herz-
erfreuende Wirkung der den Frühling verkündenden Vogelstimme
wird — als selbstverständlich — von den Dichtern der guten
Zeit sonst nicht eigens angegeben ; ^') um so mehr werden wir
unsere Stelle als die einzige Ausnahme rühmend hervorheben
müssen. — Nach Ägypten und Phönizien versetzt uns eine
Stelle aus den Vögeln des Aristophan es. In diesen Ländern
erscheint, nach v. 505 f., der Kuckuck vor der Ernte und sein
Ruf y.dxx'j treibt die Leute aufs Feld hinaus zum Einbringen
der Feldfrüchte •'•^) — e*n Zusammentreffen, das in scherzhafter
Weise als Beweis für die frühere Königsherrschaft des Kuckucks
in diesen Lämlcrn gedeutet wird. — Endlich ist der Ruf des
Kurlucks im Früldiu;/ bei Nikander, Ther, 380,-^*) genannt
als Termin für die Erlegung einer Schlange, deren Haut als
Heilmittel gebraucht wurde. — Derselbe Dichter nennt mit
einem absichtlich dunklen Ausdrucke eine Art Feigen Kucl-urke
des Fei(jenhaumes (-/coxy.'jya; £p'.vaoo;, Ther. 854). Nach den
Scholien ist diese sonderbare Benennung durch den Umstand
zu erklären, dass die Feigen der genannten Art zugleich mit
dem Kuckuck erscheinen.
Sämtliche anderen Frühlingsboten übertrifft an Grösse der Ge-
stalt und Hoheit der Erscheinung „der König in den Lüften,'' der
Weih (i7.t:vo;), ■'•"•) und eine wahrhaft kein igl ic he Ehr un g ist es,
die ihm, wenn wir dem Aristophanes glauben dürfen, in Grie-
chenland bei seinem Wiedererscheinen erwiesen wurde. Rate-
freund behauptet nämlich in seiner grossen Rede, durch die er die
Vögel von ihrer ein.stigen Weltherrschaft überzeugen will(Av. 499):
„Der ]\'ei/i herrschte damals über die (jI riechen und /rar ihr Köni(j."
— n —
„ über die Griechen ?" wirft der Wiedehopf ungläubig ein. Ohno
sieh stören zu lassen, führt Ratefreund fort: ,,Und dieser irar
es, der als erster Künif/ die Leute anicies, sielt rar den Weihen
im Staube zu irUhen.'^ Nun fällt ihm Hoff'egut unter beteuern-
der Anrufung des Dionysus ins Wort und erzählt, auch er
habe sich einmal^ da er eitlen Weih sah, im Staube (jeu-älzt.
Als er jedoch dabei rücldijujs zu liegen harn, sei ihm das 3Iiss-
(jeschick begegnet, dass er den Obolus, den er im Munde trugj^^')
verschluckte und in Ermangelung weiteren Geldes den Brotbeutel
leer nach Hause brachteß'^) Was haben wir nun von dieser
königlichen Ehrung des Weihs zu halten? Denn dass Aristo-
phanes das Wälzen im Staube bei dessen Erscheinen der fuss-
fälligen Verehrung (7rpoax6vr]atG), die der Perserkönig bean-
spruchte, gleichsetzt, ist augenfällig. Gewiss treibt der Dichter
an dieser Stelle, wie an so vielen anderen, mit dem Publikum
seinen Scherz. Denn scherzhaft ist das Thema der Rede,
scherzhaft die Ausführung. Aber auch der Scherz muss eine
tatsächliche Grundlage haben, sonst entartet er zur sinnlosen
Posse. Worin besteht nun hier der Witz des Dichters? Ge-
wiss nicht in der freien Erdichtung einer komischen Situation,
sondern vielmehr in der spasshaften Umdeutung eines wirk-
lichen Volksgebrauches. Über diesen belehren uns die Schoben
zu V. 50], freilich nicht aus eigener Anschauung. Ihre Angaben
können wir in den Satz zusammenfassen : Den Weih, der in
alter Zeit in Griechenland den Beginn des Frühlings anzeigte,
begrüssten die armen Leute ^8) aus lauter Freude über das
Ende des harten Winters dadurch, dass sie sich zu Boden
warfen. Doch besagt eine andere Notiz der Schoben, diese
Gebärde sei gewöhnlich nur durch Niederknieen (wj knl yovu)
angedeutet worden ; der Dichter vergleiche scherzend dieses
Niederknieen mit der dem Perserkönig gezollten Verehrung.
Damit ist die Weisheit der Schoben zu Ende. Wenn wir nun
selbst dieser Frage näher treten wollen, so müssen wir von
der Überzeugung ausgehen, dass die ganze Stelle gar keinen
Sinn hätte, wenn nicht ein wirkliches Wälzen im Gebrauche
gewesen wäre. Denn die ganze Geschichte von dem verschluck-
ten Obolus beruht auf dieser Voraussetzung. Nicht hierin ist
also die Übertreibung des Dichters zu suchen, sondern in einem
Umstände, den wir durch Vergleichung mit den Schwalben-
liedern als höchst wahrscheinlich erweisen können : Nicht E r-
wachsene waren es, die dem Weih solche Ehre erwiesen,
was trotz Aristophanes' Darstellung aus den einfachsten Gründen
von vorneherein unglaublich erscheint, sondern armer Leute
Kinder, die sich auch sonst mmchmal in den Staub gelegt
haben werden. Darin aber haben die Schollen recht : Das
— 12 —
Wälzen ist keinesweg-s der Ausdruck erniedrigender Unter-
würfigkeit, wie der Dichter im Scherze glaublich machen will,
sondern unbändiger Freude über ein glückliches Ereignis, in
unserem Falle über das von den Armen ersehnte Erscheinen
des hehren Frühlingsboten. 39) Es ist merkwürdig, dass wir
für diesen auffallenden Volksgebrauch nur das eine Zeugnis
des Aristophanes besitzen. War er zu des Dichters Zeiten
etwa nur mehr ausnahmsweise und nur in den Kreisen der
Gjissenjugend im Schwange":' Später wird er wohl gänzlich aus
der Übung gekommen sein. Fragen wir nach dem Grunde
dieser Veränderung, so bieten sich uns zwei ^löglichkeiten der
Lösung. Entweder kam der AVeih für den eigentlichen Beginn
des Frühlings in der Regel zu früh,^Oj oder er genoss als
Raubvogel in den späteren Epochen einer verfeinerten Kultur
weniger Sympathie als in der kräftigeren Denkweise der Vor-
zeit.^ i) — Nur ein einziges Mal wird der Weih sonst noch als
Frühlingsbote genannt. Es ist die schon zweimal teilweise
zitierte Stelle des Aristophanes, an der die Vögel als Ver-
künder der Jahreszeiten bezeichnet werden. Av. 713 f.: Dar-
auf zeigt himriederum der Weih durch sein Erschei?ieu eine
andere Jahreszeit an, zu der es erforderlich ist, die Friihlings-
schur der Schafe vorzunehmaiA-) — Im übrigen fiel der Vogel
bei den Dichtern der Vergessenheit anbei m und der zarteren
Schwalbe w^ar es beschieden, statt seiner den Ehrenplatz als
Frühlingsbote einzunehmen und gemäss dem konservativen
Grundzuge der griechischen Poesie auch zu behaupten.
Neben diesen vier volkstümlichsten Frühlingsvögeln kommen
andere Arten nur ausnalimsweise in Betracht,
So z B. ruft der Verfasser des 4 4. (3 7.) Anakreon-
tischen Liedes, das den Preis des Frühlings zum Gegen-
stande hat, V. 5 f. aus: Sieh, ivie die hhite taucht! Sieh, irie
der Kranich einherschreitet ! ^^) Es sind also unter den übrigen
Frühlingszeichen, dem Ilervorsprossen der Rosen und des Wein-
laubes, der wiedereingetretenen Ruhe des Meeres und anderen,
auch zwei Vögel aufgeführt, deren Benehmen bei der Nahrungs-
suche auf ihren Zugstationen vom Dichter kurz und tretlend
charakterisiert wird.
Auch der xyjpuXoc;, ein undefinierbarer Vogel,") der
über die schäumenden Wellen ziigleicJi mit den Kiscögchi /Hegt,
wird einmal zum Frühling in Beziehung gesetzt, da ihn der
Lyriker Alcman, frg. 26 (12), den meerpurpurnen Frühlings-
vogel (aXtTiopcpupog eiapos öpvt?) nennt.'*^)
Wenn ferner Alcaeus in einer seiner grossartigsten
Dichtungen, deren Inhalt Ilimerius, Or. XIV., überliefert, den
Gott Apollo auf dem Seh w a n e n wagen zuerst zu den Ilyper-
— 13 —
boräern fahren lässt, so darf man hierin vielleicht eine Anspie-
lung auf den Frühlingszug der Singschwäne nach ihren nordischen
Brutplätzen erblicken.
Zwei andere Stellen habe ich schon beim „Yogelgesang"
(S. 13 bezw. 20) behmdelt, weshilb ich sie hier nur flüchtig
streifen mag: Ein fälschlich dem Theo er it zugeschriebenes
Epigramm (17), in dem Standvögel wie die Amseln missver-
ständlich (v. 9) als Fri'üiUngsvikjel (siaptvo:) bezeichnet sind,
und das Epigramm des Antipater aus Sidon (Anth. Pal. VIT
713) auf die Dichterin Erinna, in dem das Gekrächs der
Dohlen, zerstreut in deyi WoU:en des Frnhlinfjs dem kurzen
Ruf des Schwans entgegengesetzt wird. Bezüglich der letzteren
Stelle möchte ich nur kurz wiederholen, dass sie auf das Be-
nehmen der in Griechenland überwinternden Dohlen ^'^) vor der
Brut oder, was in den meisten Fällen gleichbedeutend ist, vor
dem Aufbruche nach Norden zu beziehen ist.-^")
Über die M emnonsv ögel, die bei Quintus Smyrn.
11 642 ff. näher geschildert werden, will ich mich bei der kom-
plizierten Natur dieser Frage lieber im Anhange verbreiten.^S)
Dies sind die Stellen griechischer Dichter, die vom Früh-
jahrszuge der Vögel handeln. „Ist das alles?" wird mancher
Leser im Gefühle der Enttäuschung ausrufen. Und gewiss kann
niemand verkennen, dass Zahl und Wert dieser Stellen im
Verhältnisse zu der Bedeutung und Mannigfaltigkeit der grie-
chischen Poesie auffallend gering sind, wenn gleich wir bei der
Schwalbe und beim Weih auf wertvolle Zeugnisse für alte
Volksgebräuche gestossen sind und auch sonst manch liebliches
Bildchen erschaut haben. Bei der unleugbaren Grösse dieses
Missverhältnisses glaube ich nochmals auf beide Momente hin-
weisen zu sollen, die m. E. zur Erklärung desselben ausreichen,
nämlich auf die relativ geringe Bedeutung des Frühjahrszuges
für die Naturschilderungen der griechischen Dichter infolge
der ornithologischen Verhältnisse des Landes, ferner auf den
Umstand, dass uns gerade von den Lyrikern, denen die Poesie
der Jahreszeiten am nächsten liegen musste, zu wenige Bruch-
stücke erhalten sind (vgl. Anm. 161), als dass verallgemeinernde
Schlüsse daraus gezogen werden könnten.
IL Kapitel.
Herbstzug und Winteraufenthalt in Griechenland.
Einen wesentlich anderen Eindruck empfangen wir, so-
bald wir uns denjenigen Stellen zuwenden, die sich auf den
Ilerbstzug beziehen; denn hier sind die Zitate ebenso zahl-
reich als inhaltlich ergiebig. Und in der Tat ist der Ilerbst-
zug in viel höherem Grade als der Frühjahrszug geeignet, die
Teilnahme des Südländers zu erwecken.
Im Frühling erscheinen die Vögel gewissermassen ver-
stohlen, über Nacht. Ihre Anwesenheit verraten sie teils durch
ihre Stimme, die gar manchem Ohre nicht im einzelnen unter-
scheidbar ist, teils durch ihre Erscheinung, die deshalb nicht
so sehr in die Augen fällt, weil die Vögel um diese Zeit mehr
zerstreut ziehen und, am Zielpunkte angelangt, sich sofort in
einzelne Paare trennen. Wenn dagegen die Herbstzeit naht,
sammeln sie sich, durch die glücldich beendete Brutperiode
um das drei- bis vierfache vermehrt, in Scharen, durchstreifen
auf mannigfachen Übungszügen die Gegend und erfüllen die
Luft durch die Menge ihrer Erscheinungen. Zugleich machen
sie sich dem Landwirte wie dem Gartenbesitzer höchst unange-
nehm bemerkbar. Sie besuchen die Felder, die zu dieser Zeit
mit der Wintersaat neu bestellt werden, sowie die Gärten, in
denen die Trauben und Früchte reifen, und dezimieren diese
in der fühlbarsten Weise. Haben sie durch ihre grosse Zahl
und ihr auffallendes Benehmen die Aufmerksamkeit der Menschen
auf sich gezogen, so fordern sie durch ihren Schaden die Land •
bewohner geradezu zur Abwehr heraus. Dazu gesellt sich als
drittes Moment die treffliche Leibesbeschaffenheit der Vcigel
infolge des ausgiebigen Futters, die noch dadurch an Bedeutung
für den Feinschmecker gewinnt, dass die Vogelscharon zu dieser
Zeit grösstenteils aus jungen, im Fleische ungemein zarten
Stücken bestehen, so dass die Jagd auf diese arglosen Geschöpfe
nicht nur als ein Gebot der Notwehr sondern auch als eine
lohnende Nahrungs- und Erwerbsquelle erscheint.'*^) Vcrlok-
— 15 —
icung und Ertrag des herbstlichen Vogelfanges steigern sich
für den Südländer um ein vielfaches durch das fortgesetzte
Nachrücken nordischer Wanderer, durch die der Zug monate-
lang auf gleicher. Höhe erhalten wird. So wurde mit der Zeit
aus dieser von der Natur gewissermassen aufgedrungenen Mass-
regel ein förmlicher Sport, dem der Italiener und der Grieche
mit allen Fasern ihrer feurigen Natur ergeben sind.
Neben der Leichtigkeit der Beobachtung ist es also ge-
wiss die Leidenschaft für den Vogelfang, die den Herbstziig
bei den Griechen zu einer viel volkstümlicheren Naturerschei-
nung stempelt als den Frühjahrszug. Da jedoch der Ursprung
dieser Vorliebe durchaus materieller Natur ist, so ergibt sich
zu unserer landesüblichen idealen Auffassung ein scharfer
innerer Gegensatz, der infolge der beiderseitigen klimatischen
Verhältnisse noch eine weitere Verschärfung erfährt. Wenn
nämlich in einem deutschen Gemüte beim Scheiden unserer
lieben Sommervögel in Erwartung eines trüben, einsamen
Winters aufs rührendste die Saite der Wehmut erklingt, so
finden wir dafür in der griechischen Poesie kein Beispiel. Im
Herzen des Griechen erweckt die Beobachtung herbstlicher
Zugvögel ganz andere Gefühle. Ihn bedroht ja nicht im gleichen
Masse wie uns die Abnahme des Lebens, des Lichtes und der
Sonnenwärme; er hat noch einen herrlichen, früchtereichen
Spätherbst vor sich; er bestellt noch erst seine Felder mit
frischer Saat und sieht dann in aller Ruhe einem milden, durch
zahlreiche befiederte Gäste belebten Winter entgegen. Bei
seiner durchaus gesunden Natur bleibt er also dem herbstlichen
Vogelzuge gegenüber jeder Sentimentalität ferne und betrachtet
ihn lediglich nach den Gesichtspunkten des Schadens und Nutzens
oder objektiv als interessantes Naturschiuspiel.^'-^)
Auch hier habe ich nur eine Stelle von allgemeinem
Inhalte voranzuschicken, nämlich Sophocles, Oed. tyr.
175 ff. In grossartigen Versen schildert der Chor die schreck-
lichen Wirkungen der über Theben hereingebrochenen Pest
und flicht darein, um den Eindruck des allgemeinen Hinsterbens
wiederzugeben, folgenden Vergleich: Einen nach dem andern
aber sieht man irie einen u-ohlbefH gelten Vogel^ unwiderstehlich
ivie das vernichtende Feuer, dahineilen zum Gestade des abend-
lichen Gottes.^^) Es sind in diesen wenigen Worten zwei Bilder
vereinigt. Der Flug der Seelen zum Hades wird wegen der
Unmöglichkeit eines Widerstandes oder einer Heilung mit dem
zerstörenden Feuer, wegen seiner Schnelligkeit und Massen-
haftigkeit aber mit den Scharen der Zugvögel verglichen. Schon
Schneidewin-Nauck weist auf den letzteren Punkt hin. An
dem Singular {irie einen wohlbefi, V.) brauchen wir keinen
-- 16 -^
Anstoss zu nehmen. Er ist durch eine leicht verständliche Be-
ziehung im griechischen Texte (auf äXkov aXXo)) veranlasst und
ist ebenso wie die bezüglichen AVorte dem Sinne nach als
Mehrzahl zu fassen. Dichtgedrängt nacheinander fliegen also
die Seelen der Dahingeschiedenen dem im Westen der Erde
gedachten Hades zu, wie Vögel, die auf dem Herbstzuge in
dichten Scharen nach Südwesten eilen.
Im übrigen ist, wenn wir von den überaus zahlreichen
Stellen, die speziell vom Vogelfange handeln, und den dabei
genannten Kleinvögeln zunächst absehen, der Hauptvertreter
der herbstlichen Zugvögel in der griechischen Poesie der
Kran ich.^'-)
Fürwahr, ein würdiger Vertreter des Vogelgeschlechts,
ein plastisches Kunstwerk der Natur, einer der edelsten und
erscheinungsgewaltigsten unter den gefiederten Wanderern!
Seine Art zu ziehen hat auf die Griechen, besonders im Herbste,
den grössten Eindruck gemacht. Seit den ältesten Zeiten
schildern die Dichter des öfteren die Hauptmerkmale des Kranich-
zuges: seine Richtung nach Süden, gegen Libyen zu, fort
aus den Regionen des anrückenden Winters, diereihenförmige
Anordnung der durchziehenden Scharen, sowie die kolossale
Flugkraft unseres Vogels, die ihn zu der Höhe der Wolken
erhebt und ihn menschlicher Wahrnehmung gar oft gänzlich
entziehen würde, wenn seine unverkennbare rauhe Stimme
ihn nicht verriete. Das Ganze wird als Zeichen des nahen-
den Winters und als eine Mahnung zur Aufnahme der
Saatarbeit aufgefasst Diese Schilderungen der Dichter um-
fassen natürlich niemals alle Einzelheiten in systematischer
Reihenfolge oder erschöpfender Vollständigkeit, sondern der
eine hebt diesen, der andere jenen Zug hervor, der den er-
haltenen Natureindruck versinnbildlicht oder auch den gelungenen
Darstellungen seiner Vorbikler abgelauscht ist.
Schon Homer zeigt sich als Kenner des Kranichzuges,
11. HI 2 ff. lesen wir den schönen Vergleich: Die Troer nun
rückten mit Geschrei und Ruf heran wie Vögel/''^) und zwar
gerade so, ivie der Ruf von Kranichen ertönt vor dem Himmel
hin, die, wenn sie sich vor dem nahenden Winter und seinen
ungeheuren Regen güssen''-^) auf die Flucht begehen haben, mit
lautem Rufe hin/liegen zu den Gestaden des Ozeans, um den
Pggmäenmännern Tod und Verderben zu bringen. Noch in der
Morgenfrühe^-') beginnen sie dann verderblichen Kampf. ■'^)
Der Kern des Vergleiches liegt in dem wirren Geschrei, das
die Ileercsmassen der Troer wie die Scharen der wandernden
Kraniche schon von ferne hören lassen. Alles andere ist po-
etische Ausschmückung. In dem Ausdrucke vor dem Himmel
- 17 —
liin werden wir mit den Scholien wohl einen Hinweis auf die
grosse Höhe des Fluges zu sehen haben. Durch die Worte
zu den Gestaden des Ozeans ist nach den Grundbegriffen der
homerischen Geographie als Ziel des Kranichzuges die äusserste
Grenze der Erde bezw. des festen Landes angegeben. Zu be-
achten ist auch hier, wie bei den Stellen über den Eisvogel
(II. IX 561 ff.) und besonders die Nachtigall (Od. XIX 518 ff.),
die Verknüpfung von Natur und Mythus, eine hervorstechende
Eigentümlichkeit der homerischen Denk- und Darstellungs-
weise. Während nämlich einerseits als Grund des Kranich-
zuges der drohende Winter, ein der Natur entnommenes Moment,
angegeben ist, so gehört doch anderseits sein Zweck, der Kampf
mit den Pygmäen, der Sphäre des Mythus an. So viel für
jetzt! Das letztere Problem soll uns weiter unten beschäftigen.
Als Zeichen der herbstlichen Saatzeit^*^) fassen
den Kranichzug drei Dichterstellen, deren älteste dem poetischen
Lehrmeister der Landwirte, Hesiod (Op. 448 ff.), zugehört.
Er gibt den Rat, aclüzuliahen auf die Zeit, zu der man des
Kranichs Stimme hört, der hoch aus den Wolken alljährlich
ruft und damit zum Pflügen das Zeichen gibt und die Zeit des
regenreichen Winters anzeigt; er erJiUlt aber mit Sorge die
Herzen mittelloser Leute.^^) Zum erstenmale sind hier die
Wolken mit dem Kranichzuge in Verbindung gebracht, wodurch
wir von der schwindelnden Höhe des Kranichzuges eine treffende
Vorstellung gewinnen. Eine kurze Besprechung erheischt noch
das Wort alljährUch. Dies kann nichts anderes bedeuten
als alljährlich einmal. Der Dichter berücksichtigt also nur
den Herbstzug des Kranichs. Vom Frühjahrszuge hat er ent-
weder noch nichts gewusst oder, was ungleich wahrscheinlicher
ist, er hat bei dieser Gelegenheit seiner nicht gedacht, weil
ihm keine wirtschaftliche Bedeutung zukam, — Aus dieser
Stelle erklären sich die Worte des Theognis, v. 1197 ff . :
„Sohn des Pohjpaos, ich habe die Stimme des Vogels, des laut
rufenden, gehört, der den Sterblichen als Verliinder der rechten
Pflügezeit ersc]nen"J'^) Doch diesmal erAveckt der wohlbekannte
Laut schmerzliche Gedanken in der Brust des Dichters; denn
er hat seinen fruchtbaren Landbesitz verloren und mit Ingrimm
muss er zusehen, wie fremde Herren sein ehemaliges Eigentum
bewirtschaften. Der Name des Vogels ist nicht genannt; doch
ist die Deutung auf den Kranich durch die zitierte Hesiod-
Stelle völlig gesichert. Jedenfalls müssen wir in den Worten
des älteren Didaktikers das Vorbild des jüngeren Lyrikers
erkennen. Der letztere hat nichts getan, um dieses Verhältnis
zu verschleiern; er scheint vielmehr geradezu auf die zu seiner
Zeit allgemein bekannten Verse seines Vorgängers zu verweisen.
2
— 18 —
Deshalb hat er den Namen des Vogels unterdrückt, deshalb
auch jede Angabe der Jahreszeit weggelassen. — Noch in
weiterem Umfange von Hesiod abhängig zeigt sich Aristo-
phanes (Av. 710 f. — die Vögel als Verkünder der Jahres-
zeiten) : Die Zeit der Aussaat (zeigen irir an), wenn der Knmich
unter Irächzendem Geschrei nach Libyen forfiranderf. Dadurch
macht er zugleich den Reeder aufmerksam, dass es Zeit ist, das
Steuerruder aufzuhängen und sich dem Niclifstun hinzugehend*)
Zwei Botschaften sind es also, die der Kranich bringt: Die
Wintersaat ist zu besorgen, die Schiffahrt dagegen einzustellen.
Diese letztere Einschränkung, die für den Beginn des AVinters
ebenso charakteristisch ist wie ihre Aufhebung für den Früh-
ling,*^') wird vom Dichter angedeutet durch die Erwähnung des
Gebrauches, das vom Schiffe abgenommene Steuerruder zu
Hause im Rauchfange aufzuhängen. Auch hierin finden wir
eine deutliche Beziehung auf Hesiod, der zweimal (Op. 45 und
629) von dieser Gepflogenheit spricht. Ob freilich zur Zeit
des Aristophanes ein so patriarchalischer Gebrauch noch allge-
mein herrschte, mag zweifelhaTt erscheinen. Wenn er über-
haupt noch vorkam, so beschränkte er sich wohl auf die Kreise
der weniger vermöglichen Schiffseigentümer, die nur ein ein-
ziges kleineres Schiff oder deren wenige besassen. Aber es
ist ja bekannt, dass Aristophanes mit seinen Gedanken und
seiner Darstellung gerne in der alten Zeit verweilt, die er wegen
ihrer Einfachheit und Sittenstrenge den gleichzeitigen Verhält-
nissen weitaus vorzieht. Als Wanderziel der Kraniche wird
an unserer Stelle zum erstenmale Libyen genannt, das im
weitesten Sinne = Afrika aufzufassen ist.
Weitaus die grösste und reichhaltigste Stelle über den
Kranichzug bietet Euripides, Hei. 1478 flf. Der aus grie-
chischen Frauen bestehende Chor hat im Vorausgehenden das
Schiff angesprochen, das Helena und Menelaus von Ägypten
in die griechische Heimat zurücktragen soll. Er hat die Schiffer
aufgefordert, die lluder zur Hand zu nehmen, und schwelgt
in der Ausmalung der Festlichkeiten, an denen die Königin
nun wieder in Sparta teilnehmen wird. Diese Gedanken ent-
locken ihm den Wunsch: „0, möchten wir lioch in der Luft
Ubgsche Zugvögel u-erden, die auf der Flucht vor dem Winterregen
(nach dem Süden) zurückkeltren, der Pfeife des Altesten, ihres
Hirten, folgend, der dürre ivie fruchtbare Landstrecken über-
jliegend sein Signal erschallen lässt. Ihr langJialsigen Vögel,
teilnehmend am Laufe der Wolken^ zieJiet mitten unter den Ple-
jaden und dem nächtlicJien Orion liin und verkündet, am Ufer
des Lurotas stehend, die Botschaft, dass Menelaus nach FAnnahme
der Feste des Dardanus in die Heimat zurückkehren wird!"^'^)
— 19 -
Wenn wir diese schwungvollen Verse genauer betrachten, so
vermissen wir zunächst den Namen des geschilderten Vogels.
Gleichwohl kann es keinen Augenblick zweifelhaft sein, welcher
gemeint ist.^^^ Sodann bemerken wir manche Einzelheiten,
die uns schon aus den älteren Zitaten bekannt sind: Der Zug
des Kranichs ist als eine Flucht vor dem Winter regen
gedacht, ganz wie bei Homer II. III 4; die Kraniche fliegen
in der Nähe der Wolken, wie bei Hesiod Op. 449; sie
werden wie bei Aristophanes Av. 710 zu Libyen in Bezie-
hung gesetzt.'^'^j Dagegen muss es auffallen, dass Euripides den
herbstlichen Kranichzug als eine Rückkehr dieser Vögel in
ihre eigentliche Heimat auffasst. Darauf deutet schon das
Wort vtaaovtao; noch klarer jedoch ergibt sich diese Ansicht
des Dichters daraus, dass er die Kraniche als libysche d. h. in
Libyen beheimatete Vögel bezeichnet. (Vgl. ßabrius, Fabel
143, frg.: Acßuaaa yepavo?!) Aber auch abgesehen von dieser
Besonderheit treffen wir noch mehreres Neue in der Schilde-
rung unseres Dichters : Er nimmt an, dass die Kraniche einen
Führer haben, dass dieser Führer der älteste Vogel ist und
sie durch seinen Ruf wie durch ein Signal zusammenhält.'^^)
Diesen Führer nennt er in verkürzter Vergleichung einen Hirten,
seine Stimme aber eine Hirtenpfeife. Durch ihn erfahren die
Wanderer, wie aus v. 1484 ff. hervorzugehen scheint, ob das
Land, über das sie fliegen, fruchtbar oder unfruchtbar ist, d. h.
ob es sich zur Raststation mit Weidegelegenheit eignet oder
nicht.6'^) Das Beiwort ooXi'/au*/£V£>; (langnackig) ist eine leichte
Umänderung des homerischen Epithetons Zoxtkiyood^wj (lang-
halsig), das II. II 460 und XV 692 den Schwänen beigelegt
ist. Auf die Kraniche passt es natürlich ebenso gut. Ob aber
die sprachliche Umformung an sich eine glückliche ist, kann
zweifelhaft erscheinen. Bemerkenswert ist auch der Ausdruck
ofwvoc a-oAao£?, den der Dichter erfunden zu haben scheint,
um für den Begriff Ziigvijgel ein deckendes Wort zu bilden.
Doch hat sich diese Bezeichnung nicht einzubürgern vermocht ;
wenigstens finden wir sie sonst nirgends in der Literatur an-
gewendet. Soweit stimmt alles vortrefflich zusammen und der
Ornithologe kommt bei der Betrachtung unserer schönen Stelle
ganz und voll auf seine Rechnung. Wenn wir dagegen den
logischen Zusammenhang erwägen — ganz abgesehen von der
mangelhaften Überlieferung des Textes, die in der Anmerkung
besprochen ist — , so stossen wir auf eine befremdende Inkon-
gruenz. Augenscheinlich sind in den besprochenen Versen
zwei Gedanken miteinander verflochten : Die Chorfrauen wünschen
Kraniche zu sein, um mit dem Königspaare nach Sparta ge-
langen zu können.6'^) Unmittelbar darauf jedoch fordern sie diese
- 20 —
Zugvögel auf, die Heimkehr der beiden in Sparta zu verkünden.
Hier ist jedenfalls der Zwischengedanke zu ergänzen : Da der
sehnliche ßeflügelungswunsch des Chors leider unerfüllbar ist,
so soll die freudige Nachricht wenigstens durch beflügelte Boten
an ihrem Bestimmungsorte eintreffen. Damit ist der Zusammen-
hang ohne besondere Mühe hergestellt, Die ungleich grössere
Schwierigkeit aber liegt darin, dass der Chor nach Sparta, also
nordwärts, zu fliegen wünscht und ebenso die Kraniche er-
sucht, von Ägypten die bestellte Nachricht dorthin zu bringen,
während doch im Zusammenhange damit gesagt ist, dass diese
V'öffel auf der Flucht vor dem Winter nach Libyen heimkehren.
Demnach sind sie das einemal nach Norden, das anderemal
nach Süden fliegend zu denken. Diese Verquickung innerlich
entgegengesetzter Ausgangspunkte kann durch keine Textver-
besserung beseitigt werden. Sie scheint auf eine Flücht'g-keit
des Euripides zurückzugehen, wie sie in seinen Chorliedern
öfters zu rügen ist. Ein hinreichender Erklärungs- wenn auch
nicht Entschuldigungpgrund liegt in unserem Fall nicht ferne.
Die altüberkommenen Ausdrücke und Bilder beherrscht der
literaturkundige Dichter so vollkommen, da?s er sie fast mechanisch
verwendet. So fügt er hier die WinterÜucht der Kraniche in
seine Darstellung ein, obwohl dieses Motiv mit der angenommenen
Situation völlig unvereinbar ist. Die nachgewiesene zweimalige
Veränderung des Standpunktes, hinsichtlich des Beüügelungs-
wunsches wie der Zugrichtung, verleiht unseren Versen ein
höchst eigenartiges Gepräge. Es kommt dadurch in die ganze
Darstellung eine Unruhe, die trotz der temperamentvollen Fas-
sung einen reinen Kunstgenuss nicht zulässt. — Von dieser
Stelle fällt ein willkommener Lichtstrahl auf einen anderen
Beflügelungswunsch bei Euripides, dessen spez'elle Bedeu-
tung sonst in Dunkel gehüllt bliebe. Im Hippolyt, v. 732 flf.,
wünscht sich nämlich der Chor trözenischer Frauen, nachdem
seine Herrin Phaedra mit dem festen Entschlüsse, sich den
Tod zu geben, die Bühne verlassen hat, weit weg vom Schau-
platze dieser Schreckenstat. ,,0, war' ich doch/' so ruft er, „ent-
rücJd in jäJie Schluchten, dass mich ein Gott als bescJurivt/foi
Vogel unter die be/lä(/elten Herden rersetzte !" ^^) Er möchte dann
weiter ans adriatische Meer und an den Po, ja bis in das ge-
segnete Land der Hcsperiden gelangen. Auch hier meint der
Dichter keinen anderen Vogel als den Kranich. Denn die Be-
zeichnung der gedachten Vr)gel als /lerdc beruht auf dem näm-
lichen Vergleiche wie diejenige des Kranichfühters als Ilirte
an der vorigen Stelle, und diss derselbe Ausdruck auch
später noch im gleichen Sinne gebräuchlich war, beweist
Arat. V. 107 5. "9)
- 21 —
Ein bezeichnendes Merkmal des Krauichzuges, seine grosse
Höhe, wird besonders in einer Fab el hervorgehoben, die uns
in doppelter Bearbeitung, in Prosa (397 und 397 b) und in der
Versifikation des Babrius (65), erhalten ist. Der eitle Pfau
verspottet den Kranich wegen seiner einfachen Farbe. Der
Kranich erwidert (397): ^Ich ßiege den Sternen nahe und
rufe von dort herunter; du cdwr scliu-inr/st tele ein Hahn deine
Flihjel auf dem Boden, ohne dich oben zu zeif/en ;'' oder (397 b) :
„ Ich rufe ganz nahe hei den Sternen und erhelle mich im FiiKje
zu himmlischen Höhen; du aber lebst wie ein Hahn am Boden
mit deinen Hennen." Bei Babrius spricht der Kranich: „Ich er-
hebe micli mit diesem Gefieder, dessen Farben du verspottest, nahe
zu den Sternen und krä'^hze dort ohen;"^^) du aber schwingst
diese deine vergoldeten Flügel u:ie ein Hahn auf dem Boden,
ohne dich oben zu zeigen." Über den Sinn der Fabel brauchen
wir uns nicht weiter zu äussern. Der Form nach stimmen
alle drei Erzählungen bis auf einzelne Ausdrücke überein ; be-
sonders deutlich zeigt sich dies bei der ersten Prosaversion,
die sich als ein Auszug aus der Fassung des Babrius darstellt.
Nur in einem Punkte hat der Prosaerzähler den Dichter wirk-
lich verbessert, indem er nämlich das Beiwort „wohlgestaltet"
(£'j'^u/j;), das Babrius dem Pfau gibt, dem Kranich zuteilt.
Denn wirklich steht dieser gerade durch die Harmonie und
Schönheit seines gesamten Körperbaues zu dem nur durch
seinen Farbenglanz blendenden Pfau im Gegensatz. Dass die
B"'abel in allen drei Versionen zur Kennzeichnung der Höhe des
Kranichzuges die Sterne nennt, erscheint wie eine beabsichtigte
L'berbietung der seit Hesiods Vorginge zu diesem Zwecke
gerne genannten Wolken. — Auch Arat erwähnt bei der
Schilderung des Kranichzuges dessen Höhe (O'iioO v. 1031) und
gibt ferner als erster unter den griechischen Dichtern die Form
dieses Zuges an. Er spricht nämlich von den langen Reihen
([Aaxpac axr/s;) der Kraniche.
Zwei Epigramme der Anthologie endlich erzählen
singulare Vorfälle des Kranichzuges, Anekdoten, die sich an
diese Naturerscheinung knüpfen. Ein unbekannter Autor
(Anth. Pal. Vll 543) ruft an dem Gedenksteine eines Schiff-
brüchigen aus: Jede Art von Seefahrt mikhte einer zu meiden
u-itnschen, da du, Theogenes, im lihgschen Meere dein Grab ge-
funden hast, als auf dein Lastschiff jene dichte Wolle unzäJdiger
Kraniche ermüdet aufflog.'^ ^) Man glaubte also, das betreffende
Schiffsunglück sei durch den Einfall einer ungeheuren Menge
von Kranichen herbeigeführt worden. Dass Wandervögel bei
widrigem Wetter im Zustande der Erschtipfung sich an das
Tauwerk eines Schiffes anklammern oder auf seinem Deck sich
— 22 —
niederlassen, ist ein Vorkommnis, das jeder Seefahrer kennt.
Dass aber dadurch ein Schiff, selbst wenn es noch so überladen
ist, zum Sinken gebracht werden könnte, zur Erfindung einer
solchen Angabe gehört eine starke Phantasie und zu ihrer wider-
spruchslosen Aufnahme eine grosse Leichtgläubigkeit. Einen
besseren Sinn bekommt die ganze Erzählung, wenn wir daran
denken, dass die Alten der Ansicht waren, die Kraniche trügen
auf dem Zuge Steine mit sich, wovon unten die Rede sein
wird. Das Gewicht dieser Steine konnte dann freilich die Last
des Schiffes allzusehr vermehren,"-) Hiebei bleibt es nur zu
verwundern, dass der Dichter mit keinem Worte auf dieses
wesentliche Moment hinweist. Indes hielt er die Sache vs'ohl
für selbstverständlich, da man ziehende Kraniche sich ein für
allemal als Steinträger vorzustellen gewohnt war. Doch abge-
sehen von diesem grundlegenden Bedenken ist auch ein einzelner
Ausdruck in unserem Epigramme geeignet, Anstoss zu erregen,
nämlich die Bezeichnung der Kraniche als Wolke. Zwar ge-
braucht schon Homer, 11. XVII 755, dieses Wort bei der Schil-
derung herumziehender Dohlen und Stare. Aber diese Vögel
fliegen wirklich in Schwärmen zusammengeballt, sodass sie sich
wohl mit einer Wolke vergleichen lassen, während die Kraniche
ihren Zug in lange Reihen auflösen, für welche die Bezeichnung
Wolke nimmermehr zutriffr.^*^) — Den gleichen Fehler treffen
wir in einem anderen Epigramme (Anth. Pal. VII 745), das
den Antipater von Sidon zum Verfasser hat. Seinen Inhalt
bildet die Geschichte der Kraniche des Ibykus."^^) Ibijkus,
so apostrophiert der Verfasser den toten Dichter, Räuber haben
dich ermordet, als du einst, von der Insel her auf dem Fest-
lande anyekommen, durch einsame, unbetretene Gegenden wander-
test. Doch vor deinem Tode riefest du eine Wolke von Kranichen
an, die dir als Zeugen erschienen, als du auf die schmerzlichste
Weise dahinsterben musstest. Und nicht vergeblich war es, dass
du zu ihnen emjwrriefest ; denn die strafende Erinnys nnisste
durch das Geschrei dieser Vögel im Lande des Sisijphus (d. h. i>i
Korinth) deinen Mord zu rächenJ'^) Das übrige ist eine Ver-
wünschung der Mörder, die nicht bedacht hätten, dass auch
Aegisth, der einen Sänger getötet hatte, der Rache der Erinnyen
nicht entging."") Die ITolke von Kranichen ist natürlich eine
Schar dieser Vögel, die auf dem Zuge den Schauplatz der Un-
tat überflog. Der Verfasser dieses Epigratnmcs, das älter zu
sein scheint als das vorher zitierte,'^'') gebraucht den Ausdruck
Wolke formolliRft als Nachahmer Homers, ohne die schlimme
Folge dieser Übertragung, ein Abweichen von der Naturtreue,
zu ahnen. Auch Schiller hat in seinen „Kranichen des
Ibykus" keine glückliche Wendung für die Charakteristik der
— 23 —
vorüberziehenden Kranichschar gefunden. Denn ihr aclnvärz-
liches Gewimmel ist niciit viel naturwahrer als die Wolle des
Antipater. Doch mag unserem heimischen Dichter der Um-
stand zu gute kommen, dass in Deutschland die Gelegenheit,
ziehende Kraniche zu beobachten, sich viel seltener bietet als
in Griechenland.
Dass auch die Wetterkundigen auf das Erscheinen
und Benehmen der Kranichzüge achteten, ist bei dem Interesse
der Griechen für diese auffallenden Vögel selbstverständlich.'^^)
An drei Stellen zieht Arat aus dom Kranichzuge einen Schluss
auf das eintretende Wetter. V. 1010 ff. erwähnt er den
Kranich unter den Vorboten guten Wetters nach vorausge-
gangenem Sturm mit den Worten : Undtvohl werden die Kraniche
vor sanfter Mlndstille ins(jesamt eine einzige Ztifjrichlmuj sicher
einhalten und hei heiterem Himmel sich nicld rückirärts treiben
lassen. '^^) Dagegen bilden Kranichscharen, die auf dem Zuge
umkehren, ein Vorzeichen von Sturm : Dann ziehen die langen
Reihen der Kraniche nicht den gleichen Pfad in der Höhe fort,
sondern sich umkehrend irenden sie sich rückwärts (v. 1031 f.).^*^')
Das Phänomen der Zugunterbrechung bezw, Umkehr, das auch
in unseren Breiten zuweilen beobachtet wird, ist also dem Dich-
ter nicht unbekannt. (Vgl. Ael. N. A. III 14.) Endlich gibt
Arat V. 1075 ff. noch eine andere hierher bezügliche Wetter-
prognose: Es freut sich auch der Kranichherden der herbst-
liche P0(fjery wenn sie zur rechten Zeit kommen; noch mehr aber,
we)tn sie verspätet eintreffen. Denn auf dem Fusse ziehen die
Winterstürme den Kraniclien nach. Wenn diese daher früh und
mehr dichtgedrängt erscJieinen, so stellt sich auch in Bälde der Winter
ein; wenn sie dagegen, spät und nicld scharenweise angekommen,
längere Zeit auf dem Durchzuge sich aufhalten und sielt mehr
vereinzelt zeigen, so uird durch den Aufschub des Winters die
spätere Feldarbeit gef ordert. ^^) Arat schliesst also aus dem früheren
oder späteren Eintreffen der Kraniche auf den entsprechenden
Beginn des Winters. Dabei liegt die poetische Vorstellung zu-
grunde, dass der Winter den Kranichen nachzieht, womit nur
die Tatsache umschrieben wird, dass diese Vögel ein feines
Vorgefühl für das Wetter besitzen. Dieselbe Annahme treffen
wir übrigens noch heutzutage: Aus der frühen Abreise der
Störche, aus dem zeitigen Durchzuge der Wildgänse und Kra-
niche prophezeit man auch bei uns einen frühen und strengen
Winter.
Eine Reihe anderer Dichterstellen zeigt uns den
Kranich, ohne direkt seinen Zug zu schildern, als herbst-
lichen Gast in Griechenland oder in den benachbarten
Ländern. Ohne Angaben der Jahreszeit schildert Homer (II.
— 24 —
II 459 ff.) das Benehmen dieser und ähnlicher Wandervögel
an einem Flusse Kleinasiens : TJ^e grosse Scharoi von Jlii(j-
schnellen Vörjehi,^') von Gänsen oder Kranichen oder lanc/Jialsüjoi
Schwänen, auf der Asischen Flur an der Strömung des Kaijster
bald hierhin, bald dorthin fiegen, mit den Schwingen prangend,
indem sich unter Geschrei die einen vor den andern niederlassen,
sodass die gatue Ilur von Getön erfüllt ist: so ergossen sielt
der Griechen volhreiche Scharen von den ScJtiffen und den Ge-
zeiten in die Ebene des SJiatnanderß^) Der Kern des Vergleiches
liegt in dem individuenreichen, lärmenden Gewimmel, das einer-
seits bei den Yogelscharen am Kayster, anderseits bei den am
Skamander aufmarschierenden Heeresmassen der Griechen
herrscht. Rühmenswert ist neben der poetischen Schönheit des
Bildes auch die Naturwahrheit der Darstellung. Die Unruhe
solcher "Vogelscharen, die einander immer wieder überfliegen,
um zu neuen Weideplätzen zu gelangen, der Glanz des Schwanen-
gefieders, das Geschrei der Gänse und Kraniche,^^) alles dies
ist vortrefflich wiedergegeben und vereinigt sich zu einem präch-
tigen Gesamtbilde. Der Anteil der Kraniche an diesem reichen
Vogelleben beruht vor allem auf ihrer grossen Menge und ihrem
unruhigen Wesen, sodann auf dem lauten Geschrei, das sie
vereint mit den Gänsen, im Gegensatze zu den Schwänen,
hören lassen. — Ein schwacher Abglanz von der poetischen
Pracht dieser Verse fällt auf eine andere Stelle Homers (II.
XV 690 ff.), die dem skizzenhaft wiederholten Grundrisse des
gleichen Bildes einen neuen Zug in knappster Linienführung
hinzufügt. Der Dichter vergleicht hier den IJektor, wie er
auf die Schiffe der Achäer lo&stürmt, mit einem Adler, der los-
fährt auf einen Schino'm von Hugschnellen Vögeln, die an einem
Flusse weiden, von Gänsen oder Kranichen oder langhalsigen
Schu'änen.^'^) Wir sehen, wie die friedliche Bewegung des
vorigen Naturbildes durch das Erscheinen eines mächtigen
Feindes, des Adlers, auf einmal in eine Szene des Schreckens
verwandelt wird. Freilich hat der Dichter diese Veränderung
nur angedeutet, ohne den lohnenden Vorwurf weiter auszumalen.
Auch hier weiden die Scharen der Wandervr)gel an einem
Flusse, eine Situation, die ganz der Natur entspricht; denn an
den sumpfigen Ausflüssen der grossen Ströme Jonicns finden
solche Massen müder und hungriger Vögel auch heute noch am
ehesten Buhe und ausreichende Nahrung.^*')
Es gibt aber noch eine andere Nahrungsquellc für
die durchziehenden Wandervögel ; das sind die Werke des mensch-
lichen Fleisses, die Wein- und Feigenpflanzungen sowie die neu
bestellten Felder, auf denen die Saat eben zu keimen beginnt.
Werden die süssen Früchte des Südens meiir von den beeren-
— 25 —
fressenden Klein vögeln gezehntet, so bilden die jungen Snaten
eine ergiebige Weide für Dohlen, Krähen, Stare, Gänse und
Kraniche. Wenn also der Landmann nicht den Ertrag seiner
Arbeit gefährdet sehen will, so ist er darauf angewiesen, zum
SchutzeseinerFeld-undBaumfrücbte Abwehrmassregeln zu troffen.
Mit der Dai Stellung dieser Verhältnisse, soweit der Kra-
nich daran beteiligt ist, befassen sich vier Fabeln. In der
26. Fabel erzählt Babrius ungefähr folgendes: Kraniche irei-
dt'ten auf dem Felde eines Bauern, das lürzUrli mit Wei^an-
saat bestellt worden icnr. Der Landmann versuchte sie UbKjcre
Zeit dadurch zu verscheuchen, dass er eine leere Schleuder
schu-an;j. Bald aber merlden die Kraniche diese List lotd jlohen
nicht nu'hr, bis jener sein Verhalten änderte und irirkl'cJi Sieine
warf. Als mm mehrere verwundet ivurden, verl'essen sie das
Feld und krächzten: „Lasst ims davoneilen ins Land der
Pygmäen! Denn offenbar will uns der Mann nicht mehr bbiss
in Schrecken setzen, sondern er fängt an ^ zu Taten überzugehen".^'^)
— Erscheint hier der Kranich als ein schlauer Vogel, der leere
Schreckmittel leicht von wirklichen Nachstellungen unterscheiden
lernt — was ganz mit der Wirklichkeit übereinstimmt — , so
schildert Fabel 42 1 die auf einer Flur u-cidenden Kraniche
als ungemein Huggewandte Vögel, denen es bei Wahrnehmung
eines nahenden Feindes wes-en ihres o-erintjen Gewichtes eine
Leichtigkeit ist, sich vom Boden zu erheben und in Sicherheit
zu bringen, während die schwerfälligen Gänse bei dieser Ge-
legenheit gefangen werden — eine Gegenüberstellung, über
deren Berechtigung wir später zu sprechen haben. — Eine
andere, allgemein bekannte Fabel, die uns in Prosa (100 und
100b) und in Versen (Babrius 13) überliefert ist, berichtet,
wie unter saatverwüstenden Kranichen ein Storch gefangen wird
und trotz seiner Entschuldigungen den Tod erleidet, nach dem
Grundsatze: „Mitgefangen, mitgehangen." Trotz dieser Ge-
meinsamkeit des Stoffes weisen die drei Bearbeitungen doch
einige anziehende Einzelzüge auf. In Fab. 100 nennt sich der
Storch zu seiner Entschuldigung das frömmste Geschöpf, weil
es seinen Vater ehre und ihm diene. In Fab. 100 b verweist
er nicht auf seine sprichwörtliche Pietät, sondern auf den Nutzen,
den er durch Vernichtung von Schlangen und anderen Kriech-
tieren dem Menschen gewähre. Babrius zeichnet die Sachlage
am Beginne seiner Darstellung auf folgende Weise: In den
Furchen seines Saatfeldes liatte ein Landmann di'mne Scldingcn
befestigt und darin Kraniclte, die Feinde der Saat, gefangen.
V. 5 entschuldigt sich der Storch: „Ich bin kein Kranich; ich ver-
derbe die Saat nicht." Er nennt sich das frömmste Geschöpf, das seinen
V ater pflege und in der Krankheit warte. Der Vogelfänger erwidert :
— 26 —
„Slorch, an /reicher LehensfüliraiKj du deine Freude hast, weiss
ich nicht; nur soviel weiss ich, dass ich dich mit denen pn<i, die
iju'ine Werke zerstören. Also u-irst du auch mit denen zu (/runde
(jelien, mit wel hen du gefangen wurdest" ß'^) Obwohl in dieser
Fabel der Storch die Hauptfigur bildet, so wird doch auch
das schädliche Gebaren dos Kranichs darin beleuchtet und zwar
von zwei Seiten: direkt durch die kurze, aber vielsagende Be-
zeichnung dieses Vogels als Feind der Saat^ indirekt durch
die in der Entschuldigungsrede des Storches enthaltenen Hin-
weise auf den schädlichen Verwandten. — In der 33. Fabel
des Babrius endlich ist die Rede von den Verwüstungen,
die ein ungeheurer Schwärm von Krähen und Staren zur Zeit
des Unterganges der Plejaden auf einem frisch bestellten Weizen-
felde anrichtete, und von einer List, durch die es dem Land-
wirte gelang, viele dieser Schädlinge zu verwunden oder zu
tüten. Während die übrigen fliehen, begegnen iJinen^ Kraniclie
und fragen sie nacli dem Geschehenen.^'^) Diese Begegnung ist
natürlich keine zufällige, sondern sie wird durch den Umstand
veranlasst, dass die Kraniche denselben Weideplätzen nachgehen
wie die vertriebenen Krähen und Stare. Bei der Selbstver-
ständlichkeit der Situation brauchte sie der Dichter nicht weiter
zu begründen. — Soweit die Fabeln !
Dasselbe Motiv, wenn auch in anderer Verflechtung, klingt
aus zwei Epigrammen der griechischen Anthologie w^ieder.
In dem einen (Anth. Pal. VI 109), das den Autornamen des
Antipater von Sidon trügt, weiht ein Jäger dem Pan seine
abgenützten Fangwerkzeuge, darunter auch das Netz, die Hals-
scliünge schreilustiger Kraniche ;'^'^) das andere (VII 172), von
demselben Verfasser, ist die Grabschrift eines Mannes, der sich
rühmt, die Kraniche und Stare, welche in wolkenähnlichen
Scharen die Saatfelder verwüsteten, mit der Schleuder abge-
wehrt zu haben. Es beginnt mit den Worten: Ich, der ehe-
mals sowoJil Stare als auch die Fäuber der Saat, hoclißicgende bisto-
iiiscJie (d. )>. thrazische) Kraniche fernzuhalten wussle . . .'J')
Neben dem Ausgangspunkte der Darstellung, der Schädlichkeit
des ICranichs auf dem Ilerbstzuge und seinem dadurch veran-
lassten Fange, figurieren in diesen Epigrammen zwei altgewohnte
Merkmale seines Wanderzuges, sein Geschrei und sein hoher
Flug.
Zu dergleichen Auflassung könnte eine Stelle des Theo-
krit (X 30 f.) verleiten, an der ein Hirte seinem Mädchen
die Rastlosigkeit seines Liebeswerbens durch mehrere ihm nahe-
liegende Gleichnisse ins rechte Licht zu stellen sucht. Die
Ziege., so ruft er aus, geJd dem Klee nach, der Wolf der Ziege,
der Kranich dem F/luge, icJt, aber bin ganz in dielt vernarrt.'^-)
— 27 —
Fritzsche wenigstens verweist in seiner Ausgabe auf das verlier
besprochene Epigramm (Antli. Pal. VII 172), in dem der Kra-
nich als Saaträuber erscheint. AVie unrichtig diese Auffassung
ist, lässt sich schon daraus erkennen, dass Theokrit den Kranich
hinter dem Pfluge, nicht hinter demSäemann einhergohen lässt.
Ausserdem würde der Vogel das eben ausgeworfene Getreide
nicht aufnehmen, sondern warten, bis die Körner keimen und
dadurch weich und bekömmlich werden. Was sucht nun der
Kranich hinter dem Pfluge ? Natürlich die bei dieser Arbeit
durch das Umlegen der Erdschollen zu Tage geförderten Insek-
ten und ^Yürmer. Seine Tätigkeit ist also hier eine ebenso
nützliche wie die der Krähen und Stare, wenn sie frisch
umgeackerte Felder abgehen. Merkwürdig ist freilich an dieser
Stelle, dass der Kranich als ein zutraulicher Vogel auftritt,
während er sonst im allgemeinen als scheu und vorsichtig gilt.
Doch wird auch dieser Zug wohl richtig beobachtet sein ; denn
dem arbeitenden Landmanne gegenüber sind auch andere Vögel
viel zutraulicher, als es sonst ihre Art ist. Sie wissen eben
aus Erfahrung, dass es bei dieser Beschäftigung weder in seiner
Absicht noch in seiner Macht liegt, ihnen Schaden zuzufügen.
Als harmloser Spaziergänger endlich erscheint der
Kranich in dem 10. frg. des Komödiendichters Aristophon
(aus dem nuö-ayopcax/jS)- Hier wird in mehreren Versen ein
lächerlicher Nachahmer des Pythagoras verspottet, indem er
wegen seiner abgehärteten und frugalen Lebensweise sowie
wegen seines Schmutzes mit verschiedenen Tieren verglichen
wird, darunter auch mit einer Amsel und einem Kranich. Er
ist, so wird v. 5 von diesem Pythagoristen gesagt, ivenn es sich
darum Jtaudelt, nute)' freiem Himmel die Kälte des Wi)ders
zu ertragen, einer Amsel vergleichbar, und (v. 8 f.) wenn es dar-
auf ankommt, unbeschuht in der Fridie herumzuspazieren, tut
er es einem Kranich gleich.^'^) Man sah eben die Kraniche zur
Zugzeit in aller Frühe auf Feldern und Wiesen umherschreiten
und diese ihre Beschäftigung wurde ebenso verschieden ausge-
legt, als sie für den Menschen von positivem oder negativem
Werte oder auch, wie hier, bloss von naturkundlichem Inte-
resse war.
Es bleiben uns noch zwei sagenhafte Elemente
desKranichzuges zu besprechen : der Pygm äen -Mythus und die
Annahme der Kran ich st eine.
Für den genannten Mythus bildet das älteste Zeugnis die
schon oben besprochene Stelle Homers (II. III 2 ff.), an der
als Ziel des herbstlichen Kranichzuges das Land der Pygmäen
an der Strömung des Ozeans angegeben ist, dessen Bewohnern
die Kraniche Tod und Verderben bringen. Nucli in der Morgen-
- 28 —
friilw, so fügt der Dichter hinzu, be<ji)uten sie tUuui rerderUirlicn
Streif. Die Zeitangabe ist für die Auffassung unserer Stelle
nicht ohne Bedeutung. Die kampflustigen Vögel können nach
ihrer Ankunft im Pygmcäenlande den Ausbruch der Feindselig-
keiten kaum erwarten. Die Nacht hält ihren Eifer zurück ;
sobald aber der Tag anbricht, gehen sie zum Angriffe über.^*)
— Unter den kleineren homerischen Gedichten wird
ferner eines erwähnt, das den Namen FepavoiJLaXt'a (Kranich-
krieg) führte. Es hatte scherzhaften Charakter und wird mit
der erhaltenen Boczpxyoix'JOixT/lcx. (dem Prosch-Mäusekrieg') ver-
wandt gewesen sein. 9'^) Als Gegner dor Kraniche traten jeden-
falls die Pygmäen auf; dies ist die nächstliegende Beziehung,
die wir zu entdecken vermögen. Der Titel des Gedichtes sollte
also vollständiger heissen: repxvoii'jyiLoc'.oixxxioc (Kranich- Pyg-
mäenkrieg). Warum die abgekürzte Bezeichnung üblich wurde,
vermag ich nicht zu sagen. — Aus der Blütezeit der Lyrik
und des Dramas fehlen poetische Belegstellen füi- unsere Sage.
Dass sie aber noch bis in die Kaiserzeit hinein im Volksbe-
wusstsein lebendig war, beweist ausser mehreren Prosastellen ^^)
ein durch seine Kürze charakteristischer Hinweis in der oben
erwähnten 26. Fabel des Babrius, in der die Kraniche, voa
einem Landmann durch Steinwürfe verscheucht, ausrufen: „Lassl
uns davoneilen ins Land der Pygmäen .'" ^') Dabei schwebte dem
Dichter wohl der Gedanke vor, dass die Kraniche mit diesen
Gegnern leichter fertig werden als mit den durch ihre List
überlegenen Normalmenschen. — Ebenso sind zwei Epi-
gramme der griechischen Anthologie Belege für das Fortleben
der Pygmäen -Sage. In dem einen (Anth. Pal. XI 265) über-
schüttet Lukillius einen kleingewachsenen Menschen mit
höhnischen Bemerkungen. Er würde bloss zu einem Kampfe
gegen Heuschrecken, Mücken, Mäuse, Flöhe oder Frösche passen,
nicht aber zu einem Kriege gegen Männer. Das Gedichtchen
schliesst mit den Worten: Die Römer aber haben keinen Krieg
ijrgeH KriDiiehe zu bestehen p^) d. h.: Die Römer sind keine
Pygmäen, sondern stattliche, mannhafte Krieger. Der verspottete
Mensch wird demnach als ungeeignet zum römischen Kriegs-
dienste bezeichnet. — Das andere, noch spätere Epigramm
(Anth. Pal. XI 369, zweizeilig), das den lulianus Anteces-
sor zum Verfasser hat, ist ebenfalls auf einen solchen zwergen-
haft gebauten Menschen gemünzt, der darauf angewiesen ist,
sich innerhalb der Stadt zu halten, damit er nicht etwa beim
Spazi(!rcngehen von den Kranichen für einen I'ygmäen gehalten
und angegriffen wird. \Ve}i)i du sieher u^oJinen u-iüst, so lautet
der spöttische Rat des Dichters, so bleibe in der Stadt, damit
dieh nicht ein l\r<inie]t, der sich gerne am Pggmäenblut erlabt,
— 29 —
rorlelze l^'^) In diesen, wie auch in anderen, verwandten Epi-
grammen der Anthologie ist der satirische Grundgc lanke mit
so grossem Behagen ausgemalt, dass man daran zweifeln kann,
ob diese boshaften Spottverse wirklichen Personen als Xenien
zugedacht waren, oder ob sie nur der scherzhaften Idee zu-
liebe entstanden sind. Das aber können wir mit Sicherheit
daraus erkennen, dass es in der späteren Zeit üblich war,
körperlich zu kurz geratene Menschen mit Pygmäen zu ver-
gleichen oder auch wohl nach ihnen zu benennen, und dass
die Dichter gelegentlich mit dem Gedanken spielten, als ob
sich auch diese Pseudo- Pygmäen vor der verderblichen Feind-
schaft der Kraniche zu hüten hätten, — Eine interessante
Stelle finden wir endlich bei Oppian, Hai. I G20 ff. Dieser
Dichter vergleicht die unzähligen Scharen von Fischen, die zur
Eierablage das Schwarze Me^r aufsuchen, mit den Zügen der
Kraniche: Wie trenn von Afhiopien und von den Strömungen
Ä(jij[)tens (d. h. dem XU) eine hocJißiegende Schar von KranicJien,
ans luftiger Höhe hevabrufe)id, einherzieht auf der FlucJit vor
dem schneereichen Hange des Atlas und seinem Wintencetter so-
wie vor den schwächlichen. Geschlechtern der oJm mächtigen Pgg-
inäen, n-obei die ausgedehnten Schwärme in reihenförmigem Fluge
die Luft verdunkeln und umvandelbar ihre Linie einhaltoi : so
durchschneiden dann unzählige Scharen von Fischöl die u-eiff
IHut des schwarzen Meeres.'^^'^) Hier ist zwar die Schilderung
der ziehenden Kraniche sehr hübsch und naturgetreu; aber im
übrigen sind alle Verhältnisse geradezu auf den Kopf gestellt.
Aus der Flucht vor dem nordischen Winter wird eine Flucht
vor dem schneereichen südlichen Atlas und seinem Winterwetter;
aus dem kriegerischen Zuge ins Pygmäenland wird ein Rück-
zug vor Gegnern, die im selben Atemzuge als schwächlich und
ohnmächtig bezeichnet werden. Was ist die Ursache so ge-
waltsamer Veränderungen y Der Dichter vergleicht den nordost-
wärts gerichteten Zug der laichenden Fische mit dem Zuge
der Kraniche. Deshalb gibt er auch diesem die gleiche Rich-
tung, d. h. er setzt statt des Hinzuges den Heimzug ein. Er
schildert jedoch diesen, trotz der abweichenden Auffassung, mit
denselben Kunstmitteln, wie sie die früheren Dichter ihm an die
Hand gaben. So will er auch die „Flucht vor dem Winter" und
die Pygmäensage nicht beiseite lassen. Aus diesem Zwiespalte der
Gesichtspunkte erklärt sich, ähnlich wie bei Eur. Hei. 1478 ff.,
die Verworrenheit des Bildes, das der Dichter entwirft.
Wer sind nun die Pygmäen? Wie schon aus der
Ilomerstelle, noch deutlicher aber aus den drei letzten Zitaten
hervorgeht, stellten sich die Alten unter diesem Namen ein
Zwergengeschlecht vor, dessen W^ohnsitz sie an den süd-
— 30 -
lichsten Rand der Erde verlegten. Über die angenommene
Grrösse dieser Zwerge belehrt uns die Etymologie. Das Wort
TT'JYiJiatoi ist abzuleiten von -uyjxr], die Faust, und bedeutet
demnach soviel wie „Fäustlinge" d. h. Mcännlein, die nicht
grösser sind als eine Faust. i*^') Eine andere Ableitung dieses
Namens geben die Scholien zu Homer II. 111 6, indem sie ihn
auf 71'jycov d. h. Abstand vom Ellenbogen bis zu den Fingern
zurückführen. 10-2) Darnach hätten die Pygmäen ungefähr die
Länge einer Elle erreicht. Letztere Ableitung wurde zwar in
der späteren Zeit, wie es scheint, allgemein angenommen, hat
aber die etymologische Akribie gegen sich und würde ausser-
dem die sprachliche Bezeichnung dieser Zwerge viel weniger
prägnant erscheinen lassen. Wir werden also dabei bleiben,
dafs der Name Pygmäen, wenigstens für die Zeit der Entste-
hung und Ausbildung dieser Sage, so viel bedeutet wie „Fäust-
linge", und werden diese Bezeichnung nicht mit Unrecht mit
unserem „Däumling" vergleichen.
Wollen Avir nun die Pygmäen als reine Phantasiegebilde
betrachten oder mit menschenähnlichen Tiergestalten verglei-
chen ^'^^^ oder endlich auf gewisse Anomalien im Körperbau
bestimmter Volksstämme zurückführen? Für das letztere
Auskunftsmittel spricht Aristoteles IL A. VIII 12, 3. Der
Philosoph behauptet nämlich, die Sache sei kein blosser Mythus,
sondern es gebe im Ursprungslande des Nils wirklich ein Zwergen-
gcschlecht, das in Höhlen wohne und auch kleine Pferde be-
sitze. Vgl. Strabo, Geogr. I C. 35 und 42, XVII C. 821 ;
Pompon. .Mel. HI 8,81. Diese Notizen scheinen allerdings auf
eine dunkle Überlieferung zurückzugehen, die aus dem Innern
Centralafrikas über Ägypten nach Griechenland gelangte und
in der neuesten Zeit durch die Forschungsreisen Schwein -
furths^''') und anderer, zuletzt durch Stuhlmann (in seinem
Buche „Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika", Berlin 1894)
bestätigt worden ist. In der Tat gehen z. B, die Akka, der
bekannteste unter diesen Volksstämmen — zwischen 2^ und 3^
nördlicher Breite — , nie über 1,50 m Körporhöhe hinaus,
während das Mittel zwischen 1,24 und 1,40 m schwankt. Sie
stehen also allerdings bedeutend unter dem normalen Körpcr-
masse. Als wirkliche Zwerge, im Sinne der Sage, sind sie aber
trotzdem nicht anzusprechen. Es ist überhaupt sehr fraglich,
ob der Mythus von den Fäustlingen, der schon bei llomoi' als
bekannt vorausgesetzt wird, auf diese anthropologische Merk-
würdigkeit zurückgeführt werden kann. Denn dass Homer,
dessen geographischer Gesichtskreis doch so beschränkt war,
aus Centralafrika Nachrichten über die KörpergnVsse der dortigen
Volksstämmc erhalten haben sollte, lässt sich kaum annehmen.'""')
— 31 —
Bezüglich des Aristoteles besteht dieses Bedenken freilich nicht,
Aber der berühmte Polyhistor hatte ja den Pygmäen -Mythus
nicht erfunden, sondern er versuchte ihn bloss durch seine er-
weiterten geographischen und naturhistorischen Kenntnisse zu
erklären. Zur Zeit der Entstehung des Mythus werden wir
ganz andere, viel bescliiänktere Verhältnisse im Völkerverkehre
anzunehmen haben. Wenn dagegen spätere Autoren die Wohn-
sitze der Pygmäen nach Indien, i-"^) nach Thrazien 1^7) oder gar
in den äussersten Norden, in die Gegend von Thule,!'^'*) ver-
legen, so ist dies nur ein Beweis dafür, dass es auch in dieser
Zeit nicht gelingen wollte, die Existenz des fraglichen Zwergen:
Volkes nachzuweisen, sodass man auf ein planloses Herumraten
angewiesen war. Deutlich zeigt sich dabei das Bestreben, die
angegebene Örtlichkeit in möglichst ferne oder schwer zugäng-
liche Länder zu verlegen. So bot sich ja die meiste Aussicht,
Zusammenstösse mit der kontrastierenden Wirklichkeit zu ver-
meiden.
All diesen widerspruchsvollen Angaben gegenüber glaube
ich, dass die Pygraäensage nur aus der Grundidee des
Kr an ich zug es begriffen werden kann; denn dass es diese Er-
scheinung ist, deren mächtiger Einwirkung auf die Phantasie
des Beobachters die genannte Sage ihre Entstehung verdankt,
scheint mir ausser Zweifel zu stehen. Aus dem inneren Dialoge :
„Was tun die ziehenden Kraniche":'" „Sie bringen den Winter."
„Wohin?" „Nach dem Süden!" und aus dem Eindrucke krie-
gerischer Wehrhaftigkeit, den diese Vögelzüge unwillkürlich
hervorriefen, hat sich in uralter Zeit der Mythus zusammenge-
setzt und entwickelt. Die Kraniche ziehen dem Winter voran,
der vom Norden, von der Mitternacht ausgehend das Leben in
der Natur durch Abnahme des Lichtes und der Wärme, durch
Schnee und Regenschauer überwindet. ^09j SJe sind seine Vor-
boten und deshalb nach der ursprünglichen Volksmeinung auch
seine Vorkämpfer. Zu dieser Rolle berief sie in erster Linie
ihre nahezu militärische Zugordnung, das Abbild eines keil-
förmig anrückenden Schlachthaufens, sodann ihr rauhes lärmen-
des Geschrei, endlich ihr spitziger, lanzenähnlicher Schnabel. i^O)
Auf der anderen Seite sind die Pygmäen als das am weitesten
gegen Süden versetzte Volk die Repräsentanten des Gegenteils :
der Sonnenwärme, des Mittags, des Südens. Sie kämpfen gegen
die Vortruppen des heranrückenden Winters, aber vergeblich.
Warum jedoch sind diese Südmänner von der Volkssage zu
Fäustlingen verkleinert worden ? Denken wir an andere Mythen
der indogermanischen Völker, so finden wir, dass die naive
Phantasie ihrer Urheber die wundersamsten Schöpfungen ihrer
Erfindungskraft gern in die entlegensten Gebiete der Erde ver-
— 32 —
legt. Je weiter ein Gegenstand entfernt ist, um so sicherer
fällt er in die Sphäre der tibertreibung: Entweder wächst er
zu riesenhafter Grösse heran, oder er schrumpft zu zwergen-
hafter Kleinheit zusammen, oder er zeigt auch andere von der
gewöhnlichen Erscheinungsform abweichende, wunderbare Merk-
male. Es ergeht der Phantasie dabei ebenso wie dem mensch-
lichen Auge, das auf weitere Entfernung die Sicherheit des
Abschätzungsvermögens verliert. Im Falle der Pygmäen war
die Kleinheit der Gestalt von vorneherein vorauszusetzen, da sie
als unterliegende Gegner der Kraniche gedacht sind. So dürfen
wir uns nicht wundern, dass sie als Liliputaner geschildert
werden. Dass aber die siegreichen Vögel nach kurzer Zeit
schon wieder das eroberte Land verlassen und anderseits die
Pygmäen ihre gelichteten Reihen wieder ergänzen, um sich dem
Anstürme der Feinde von neuem zu widersetzen, diese nach
der Seite der Logik unverständliche, alljährlich wiederholte
Fortsetzung des ungleichen Kampfes ist nichts anderes als eine
Folge des ewigen Kreislaufes der Natur, dem die Sage wohl
oder übel Rechnung tragen musste.^)
Aus diesem Gedankengange versuche ich mir die Ent-
stehung der Pygmäensage zu erklären. Was die Alten selbst
zur Lösung dieses Rätsels beitragen, ist herzlich wenig. Denn
die alberne Verwandlungsgeschichte, die Boios (bei Athen. IX
393 e) zu diesem Zwecke erfunden hat, ist kaum der Erwäh-
nung wert.'^'-) Im übrigen interessierten sich die alten Schrift-
steller w^ohl für die Wohnsitze der Pygmäen, für die Art ihrer
Kämpfe und ähnliche Nebensachen; den Urgrund der Sage da-
gegen Hessen sie ohne weiteres auf sich beruhen.
Noch eine andere Merkwürdigkeit spielt in diesen Vor-
stellungskreis der Alten hinein, die Fabel von den Kranich-
steinen. Für diese weit verbreitete Annahme finden wir in
der erhaltenen poetischen Literatur freilich nur drei sichere Be-
legstellen, von denen zwei in den „Vögeln" des Aristophanes
stehen. "■') Können wir sie demnach auch nicht als ein frucht-
bares Motiv der griechischen Dichtung bezeichnen, so erfordert
doch das rein sachliche Interesse eine eingehendere Behandlung
der Frage.
An der ersteren Stelle des Aristophanes (Av.
11 3G f.) berichtet der Bote dem Ratefreund über den Bau
der Vogelstadt durch die „Hände" der Vögel. Verschiedene
witzig charakterisierte Vogelirten arbeiten am Baue der Mauern
mit, darunter auch gegen .'iOOOO KranicJie aus Libi/en, die Ftui-
(Idinenlstpine rerschluckt liaHenM^) Man sieht aus der gedräng-
ten Ausdrucksweise dieser Stelle, dass der Dichter die Ver-
trautheit seiner Zuhörer mit dem angedeuteten Gegenstände
— 33 —
voraussetzen durfte. Dagegen liegt die witzige Pointe der Stelle
keineswegs darin, dass es, wie Droysen meint, Fabelsteine
sind, aus denen die neue Phantasiestadt aufgebaut wird.
Denn dem klassischen Altertum galten die Kranichsteine nicht
als ein Produkt der Fabel, sondern als eine verbürgte Tatsache.
Aufklärung über die einschlägigen Ansichten geben uns die
Schollen. Sie sagen nämlich zu dieser Stelle: „Durch die
Höhe ihres Fluges und die gerade Richtung ihres Dahinstürmens
werden die Kraniche am Abwärtssehen verhindert. Deshalb
tragen sie Steine bei sich, um sie, wenn sie vom Fluge ermüdet
sind, hinabzuwerfen und dadurch zu erkennen, ob sie über
Meer oder Land fliegen. Fällt nun der Stein in das Meer, so
fliegen sie weiter; fällt er dagegen auf festes Land, so lassen
sie sich zur Ruhe auf den Boden nieder." Einen anderen Er-
klärungsversuch bieten uns die Schollen zu der zweiten Stelle
des Aristophanes (Av. 1428 f.). Hier ist die Situation
folgende: Unter den vielen Bittstellern, die sich bei Ratefreund
aus Anlass seiner Stadtgründung vorstellen, meldet sich auch
ein Sykophant, der um Federn bittet, damit er auf den Inseln,
die zum attischen Bunde gehören, herumschwärmen könnne:
„Mit den Kranichen,^ ruft er, „ivill ich sodami von dort ivieder
heimkehren, nachdem ich statt eines ßallasfsteines viele Prozesse
hinunteryesclduckt h^ibe'^A^'^) Eine witz'ge Zusammenstellung!
Mit den Kranichen will der Sykophant nach der prozesslustigen
Heimatstadt zurückeilen, aber nichf, wie diese, mit einem
Ballaststeine beladen, sondern mit einer Menge von chikanösen
Anzeigen gegen vermögliche Bundesgenossen in der Tasche,
wodurch er im Verlaufe der Verhandlungen viel Geld zu ver-
dienen hoff'c. Zu dieser Stelle geben die Schollen, wie gesagt,
einen anderen Lösungsversuch des Problems der Kranichsteine.
Sie behaupten nämlich: „Oft führen die Kraniche die Steine
auch als Stütze ('j-rip'.'(\i'xxoc, hB'/.oc) mit, um durch die Winde
nicht aus der Bahn geworfen zu werden," d, h. um ihre Schwere zu
erhöhen und das Gleichgewicht besser herzustellen. Diese An-
gabe beruht auf der Vergleichung des die Luft durchfliegenden
Vogels mit einem über das Meer segelnden oder geruderten
Schiffe, Dies ist eine nicht ungebräuchliche Parallele, von der
sich im poetischen Sprachgebrauche mehrere Spuren nachweisen
lassen. 11*') Wie also die Seefahrer ihr Schiff, falls ihnen die
Ladung zu leicht erscheint, absichtlich mit Steinen oder Sand-
säcken beladen, um es gegen den Andrang der Wogen besser
zu sichern, so belädt sich auch der Kranich nach der Ansicht
der Alten mit einem Steingewichte, um von den Stürmen des
Luftmeeres nicht widerstandslos umhergeschleudert zu werden
— eine kindliche Ansicht, die dem grossartigen Mechanismus
3
— 34 —
der Natur durch kleinliche Mittelchen nachhelfen zu müssen
o-laubt.ii') Ein spätes Zeugnis für die gleiche Auffassung haben
wir bei Nonnus, Dionys. XL 515 ff. Es handelt sich hier
um die Erfindung des Öchiffsbaues und der Anwendung von
Ballaststeinen: Sie ahmten den unerschütteiiichen Zug der Kra-
niche nach, die als Beistand auf ihrem Pfade einen lastenden
Stein im Schlünde mit sich tragen, damit nicht ihre leichten
Schwingen heim Fluge ein Wind vom rechten Wege ahhringe.^^^)
Noch sonderbarer ist freilich die an erster Stelle angeführte
Meinung, welche die Kraniche während ihres Fluges für un-
fähig erklärt, Meer und Land mit den Augen zu unterscheiden,
während sie mit den Ohren imstande sein sollen, aus dem
Klange des auffallenden Steines sich über die Beschaffenheit
der Gegend, die sie überfliegen, zu vergewissern. Das ist natür-
lich die dürrste Schulpcdantcrie ! Doch hat auch sie eine wenn
auch noch so kurze Berührungslinie mit der Erscheinung des
wirklichen Lebens. Der Kranich pflegt nämlich, wie viele an-
dere Sumpf- und Schwimmvögel, mit weit vorgestrecktem Halse
zu fliegen und aus diesem Sachverhalte mochte der Urheber
dieser Erklärung die Folgerung ableiten, dass der Vogel, wenn
er nicht das Gleichgewicht verlieren wolle, seinen Hals und
Kopf nicht im geringsten nach abwärts richten dürfe — wieder
ein Beweis dafür, dass alle Theorie grau ist. — Auf diese Vor-
stellung wird bei Suidas eine aparte sprichwörtliche
Redensart zurückgeführt. Nach ihm gebrauchte man näm-
lich von vorsichtigen Menschen die umschreibende Bezeichnung
Kraniche, die Steine verschluckt liahenA^^)
Eine andere Art von Kranich steinen ist, wie es scheint,
erst später in der antiken Naturgeschichte zur Geltung gekom-
men. ^-'^) Während nämlich die älteren Autoren von der Meinung
ausgingen, dass der Kranich den Stein im Magen '-i) mit sich
trage, was aus dem stehenden Ausdrucke, dass der Stein „ver-
schluckt" wird, zur Genüge hervorgellt, bildete sich in der
Folgezeit daneben die Ansicht, der Kranich trage den Stein
mit dem einen emporgehaltenen Fusse, wenn er, als „Schild -
wache" zur Sicherung der weidenden Gefährten aufgestellt, ^22)
sich um jeden Preis des Schlafes erwehren wolle. Vgl. Plin.
X 23 (30); riut. Sol. Anim. X, XXIX; Ael. N. A. Hl 13.i'-^'0
So wurde der „Kranich mit dem Steine" — ungeachtet der
lächerlichen Naivität des Bildes — ein Symbol der Wachsam-
keit.i-*) Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde er dem-
zufolge in Naturgeschichten und Bilderbüchern dargestellt, wie
er, auf einem Fusse stehend, in den Klauen des anderen Fusscs
einen Stein hält, und als Wappentier wird er in dieser Situa-
tion noch lange Zeit für das alte Märchen zeugen.^-"')
— 35 —
I^un zu dem springenden Punkte bei der ganzen Frage !
Woraus entstand die Annahme der Kranichsteine? Hier glaube
ich eine einfache Lösung vorschlagen zu können, zu welcher
der Aristophanische Ausdruck -/axaTiSTtcoxucac den Schlüssel bietet.
Die Griechen müssen überzeugt gewesen sein, dass die Kraniche
Steine ver schluck en.'-^) Wie können sie nun zu dieser
Beobachtung gelangt sein? Einfach durch das Öffnen des Magens
erlegter Kraniche! Dass diese Vögel häufig gefangen und ge-
tötet wurden, geht aus den oben erwähnten Fabeln und Dichter-
stellen hervor, Dass man sie aber auch verspeiste, ist von
vorneherein äusserst wahrscheinlich und wird durch zwei Ko-
mikerstellen (Epicharm. frg. 65^27) und Anaxandrides frg. 41
V. 06) ausdrücklich bestätigt. Freilich zählte der Kranich, wie
aus der ersteren Stelle hervorgeht, keineswegs zu den Lecker-
bissen und wird wohl meistens nur die Tafel einfacher Leute
„geziert" haben. i-S) Beim Zubereiten erlegter Kraniche scheint
es nun öfters vorgekommen zu sein, dass in den Eingeweiden
Steine gefunden wurden. Diese Beobachtung können wir noch
heutzutage auf ihre Richtigkeit kontrollieren. Jedem Jäger
oder Wildbrethändler ist es bekannt und in den naturgeschicht-
lichen Werken ist es allenthalben verzeichnet, dass manche
Yogelarten Sand und kleinere Steine — der Verdauung halber,
wie man annimmt, — verschlucken und dass ihr Magen oft eine
erstaunliche Anzahl von solchen enthält. Besonders ausgebildet
ist diese Gewohnheit bei allen Arten von Hühnervögeln, vor
allem beim Vogel Strauss. Bezüglich des Kranichs ist die Sach-
lage freilich nicht die gleiche. Seine Magenwände sind nicht
so stark und muskulös wie die der Hühner, sondern vielmehr
ziemlich schwach. Es liegt ihm infolgedessen ferne, feste Gegen-
stände absichtlich zu verschlucken. Da er aber seine Nahrung
zeitweise der frisch umgeackerten Erde entnimmt, so gelangen
Erde und Sand durch die gierige Hast des hungernden Vogels
von selbst in dessen Magen. Steine scheinen indes, wie gesagt,
nicht zum Inventar eines Kranichraagens zu gehören. i29) Doch
wo des öfteren Sand gefunden worden ist, sind Steine oder
wenigstens Steinchen gewiss nicht ausgeschlossen, und der Zu-
fall mag auch hier im Spiele gewesen sein.
Aus solchen Beobachtungen hat sich, wie ich glaube, durch
Übertreibung des Gesehenen, also durch eine Art Jäger-
latein, die Fabel von den Kranichsteinen entwickelt. Später
gab man sich zwar Mühe, spitzfindige Erklärungen für dieses
Phänomen zu finden ; aber der Sache durch wiederholte scharfe
Beobachtungen auf den Grund zu gehen, versäumte man. Ent-
sprach es ja doch einer verhängnisvollen Neigung des zu Ende
gehenden Altertums, naturgeschichtlichen Rätseln mit Hilfe lo-
— 3(i —
gischer Spekulation statt auf dem Woge der Beobachtung und
des Experimentes näher zu treten.
Aber auch in Beziehung auf andere Vögel, nämlich W a ch-
teP^^^j und Gans,!'^') existierten ähnliche Fabeln, die auf eine
gemeinsame Quelle solcher Vorstellungen, Jagd und Küche,
hinweisen. Sie sind daher geeignet, die Berechtigung unserer
Ableitung zu stützen.
Fassen wir am Schlüsse dieser Erörterungen die Haupt-
punkte kurz zusammen, so gelangen wir zu dem Ergebnis :
Der Kranich galt den Cfriechen als der typische Zug-
vogel des Herbstes. Sein Erscheinen zu dieser Jahreszeit
erweckte im Volke die mannigfachsten Empfindungen, und das
künstlerisch abgetönte Spiegelbild, das diese Eindrücke in der
Poesie und Sage hinterliessen, können wir aus den erhaltenen
Dichterstellen nach seiner allmählichen Entstehung ziemlich voll-
ständig wieder zusammensetzen.
Anderen Vogelarten, die Griechenland auf dem
Herbstzuge berühren oder als Winteraufenthalt benützen, kommt
im Vergleiche zum Kranich nur eine nebensächliche Be-
deutung zu.
Der Anteil des Storches i^-) ist z. B. auf eine einzige,
schon besprochene Fabel (100 und 100b, Babr. 13) beschränkt.
Er wird mit Kranichen auf einem Saatfelde gefangen, erscheint
also als herbstlicher Durchzügler. Was wir sonst über den
Storch aus dieser Erzählung erfahren, seine sprichwörtliche
Pietät und seine nutzbringende Tätigkeit durch Vertilgung von
Kriechtiei'en, hat auf unseren Gegenstand keinen Bezug.
Tritt der Storch nur an dieser einen Stelle in der Gesell-
schaft des Kranichs auf, so ist dies bezüglich der Wildgans ^''^j
mehrfach der Fall. Hierher gehören zwei schon besprochene
Homer- Stellen, II. H 460 und XV 692, an denen sich als
dritter im Bunde noch der „langhalsige" Schwan hinzugesellt. —
Einen künstlichen Gegensatz zwischen Kranich und Gans
konstruiert Fabel 421. Wenn der Verfasser derselben die
Gänse als schwerfällige Geschöpfe bezeichnet, denen es wegen
ihres Kcirpergewichtes Mühe kostet, sich schnell in die Luft
zu erheben, so verwechselt er die Wildgans mit der Hausgans.
Denn die erstere steht an Flugkrafc und -Gewandtheit dem
Kranich keineswegs nach und ist wegen ihrer Schlauheit und
Sinnenschärfe ebenso schwer zu erlegen als dieser. — Viel
richtiger wird das Wesen dieser Gänse in einem anonymen
Kpigramme (Anth. Pal. Vil 546) gekennzeichnet. Es ist
die Grabschrift eines Mannes, der sich seinen Lebensunterhalt
durch Erlegung von Vögeln, besonders von Wildgänsen, ver-
schaffte, die er leise auf lisfif/em Pfade anaclihlchend zu fäuscJieti
— 37 —
iinisste, irährend .s/c niil seUiväris scJiielenden BlicLen weideten. ^''^^)
Nun aber verweilt er im Hades. Seine Waffe ist verwaist und
die Vög-el, die er zu fangen verstand, fliegen unbehelligt über
sein Grab. Diese Schilderung der Gänsejagd ist ebenso liübsch
als zutreffend. AVcnn wir die knappen Worte des Gedichtes
der Deutlichkeit halber etwas erweitern, so lehren sie uns fol-
gendes : Die Gänse geben sich auf der Weide nicht ungeteilt
der Nahrungsaufnahme hin, sondern sie schauen zugleich seit-
wärts, um eine nahende Gefahr zeitig genug zu bemerken. Zu-
gleich sind ihre Ohren beständig jedem Geräusche geöffnet und
der Jäger n uss daher so leise und gedeckt als möglich an-
schleichen, um der doppelten Sinnesschärfe des Federwildes
verborgen zu bleiben und die todbringende Waffe mit Erfolg
handhaben zu können. i^''^^ j^ag Epitheton beffügelt (icxr^vai;), das
hier den Gänsen zugeteilt wird, ist nicht etwa eines jener stehen-
den, versfüllenden Beiwörter, die Homer so oft anwendet, i3«)
sondern es bezeichnet die Gänse ausdrücklich als fluggewandte
Vögel und gibt den Grund nn, warum der Jäger so vorsichtig
zu Werke gehen muss. Denn sobald ihn die Gänse eräugt
oder erlauscht haben, erheben sie sich in die Luft und sind
für ihn verloren. — Verwandt ist die Schilderung einer Gänse-
jagd mit der Schleuder in dem Bruchstücke eines Orakels bei
Eusebius, Praep. evang. V 23 (Anth. Gr. App Cap. VI 138).
Der Verfasser dieser Verse hebt an den Gänsen ihre grosse
Zahl und ihre Schädlichkeit für die keimende Saat hervor.i^T^
Dem Wortsinne nach nennt er sie freilich (jra^fre'^sende Vögel ;
doch scheint das Wort ttocV; hier nicht so fast das eigentliche
Gras als die ähnlich dem Grase aufkeimende Saat zu bezeichnen.
Nur so hat das Beiwort einen prägnanten und zu den Parallel-
stellen passenden Sinn und bezeichnet zugleich den hauptsäch-
lichsten Grund der Nachstellungen, die diesen Vögeln von den
Menschen bereitet werden.
Auch den Schwan^'^S) haben wir schon bei der Besprechung
zweier Homer-Stellen (11. H 460, XV 692) als Zugvogel oder
Wintergast kennen gelernt. Durch den Einfluss dieser Vor-
bilder erklärt sich das Attribut 7ioTa[xco; (mi Flüssen venveilend),
das Euripidcs, Rhes. 618, diesem Vogel beilegt. Denn nur
zur Zugzeit verweilen die Schwäne an Flüssen, während sie
sonst ausschliesslich Seen oder Meerbuchten bewohnen. Dass
der Dichter an unserer Stelle den Glanz des Schwanengefieders
zu einem Vergleiche heranzieht, ''^^j scheint wiederum auf einen
Homerischen Ausdruck (ayaXXojxeva TiTcpuysaatv, II. II 462) zu-
rückzugehen. Ebenso müssen wir die Schwäne, die nach Ari-
stophanes, Av. 774, am Ilebrus dem Apollo ihr begeister-
tes Lied anstimmen, 1^"^) als rastende Durchzügler ansprechen.
— 38 —
Auch bei Nikander finden wir einen kurzen Hinweis auf
den Scliwanenzui;-. Nach dem 52. frg. (bei Anton. Lib. 12)
zeigen sich zur Zeit des Pflügens, also im Herbste, ^^i) am Ko-
nopischen See viele Schwäne. Diese Beobachtung setzt der
Dichter zu der Verwandlungssage eines gewissen Kyknos in
Beziehung und sucht daraus die spätere Bezeichnung des Sees
(xuxvsc'yj, Schwansee) abzuleiten, ein irreführender Umweg, da
der Name offenbar auf das erwähnte Zugpliänomen zurückgeht.
Auch Stare und Dohlen erscheinen anf dem Ilerbst-
zuge in Griechenland und blieben nicht unbeachtet. Schon der
Vater der griechischen Dichtung kennt, wie es scheint, die
Eigentümlichkeit beider Vogelarten, im Herbste oder Winter
trotz ihres erheblichen Grösscnunterschiedes gerne gemeinsam
auf die Nahrungssuche zu gehen. i^'^j
Homer geht mit zwei Vergleichen voran. Wenig aus-
geführt ist der erste (II. XVI ,582 f.): Patroklus stürmt durch
die Vorkämpfer, einem schnellen Hahiclä ähnlich, der Dohlen und
Stare in Schrecl-en setzt. ^^'^) Der Kern des Vergleiches liegt
klar vor Augen: schnelles Vordringen eines einzelnen auf der
einen Seite, erschrecktes Zurückweichen einer haltlosen Menge
auf der anderen. Ihre naturgeschichtliche Erläuterung indes
erhält diese Stelle erst durch den zweiten Vergleich, der un-
gleich schöner ausgemalt ist (11. XVH 755 ff): Wie eine Wolle
von Staren oder Dohlen dahinzieht, unter wirrem GescJirei^ wetin
sie einen Ilabicld, der den Meinen Vögeln Tod bringt, von weitem
heranstürmen sehen, so Jlohen vor Aeneas und lleldor die Söhne
der Achäer, nirr durcheinanderschreiendM'^) Der Kern des
Vergleiches ist der nämliche wie oben; nur tritt hier noch die
Betonung des wirren Geschreis als ergänzendes Moment hinzu.
Die Ausführung ist viel genauer und treffender und wir müssen
daher diesen zweiten Vergleich geradezu als die Voraussetzung
des ersten betrachten. ^^5) Vor allem sieht man aus dem meta-
phorischen Ausdruck Wolhe , dass wir die Dohlen bczw. Stare
zusammengeschart zu denken haben, oder mit anderen
Worten, dass sich das geschilderte Schauspiel im Herbste (oder
Winter) abspielt. Dazu kommt, dass das vom Dichter gewählte
Wort — ein Vergleich im Vergleiche — ausserordentlich male-
risch wirkt, da ein solcher Schwärm wegen der schwärzlichen
Farbe und des dicht gedrängten Fluges wirklich einer W^olke
sehr ähnlich sieht. i^*5) Das ivirre (icschrei der geängstigten
Vögel verstärkt den packenden Eindruck der trefflich geschil-
derten Szene. — Eine weitere Ergänzung zu diesem Bilde gibt
Babrius (Fab. 33), indem er die zur Herbstzeit vereinten
Dohlen- und Starenschwärme als Feinde der jungen Saat be-
zeichnet, wodurch sie mit Kranichen und Gänsen, von denen
— 39 —
schon oben die Rede war, in dieselbe Linie rücken. Es irar
um die Zeit des Plejaden - Untenjanyes, so ungefähr lautet die
Fabel, ivann die Saat bestellt wird, als ein Laiidmaiui, der
Weizen ins Neulund aimjetcorfe.yi hatte, dabeistand und ihn be-
icachte; denn ein unzählbarer, schwarzer Schwärm von misslautend
schreienden Dohlen und von Staren, den Verderbern ländlicher
Aussaat, war erscliienenM'^) Dem Manne folgte ein K}mbe mit
einer Schleuder in der Hand. Wenn nun der Bauer nach dieser
verlangte, so verstanden es die Stare und flohen, bevor er die Waf'e
zur Hand nehmen konnte. Da ersann er eine List. Er verab-
redete mit dem Knaben, u-enn er Hin um Brot anspreche, solle
er ihm die Schleuder reichen. Wieder harnen die Stare und
weideten das Feld ab. Xun verlangte der Landmann nacJt der
Verabredung Brot, weshalb die Stare nicht an Flucht dachten;
der Knabe reichte ihm aber die mit Steinen gefüllte Schleuder.
Wirklich traf der Bauer einige von den Vögeln; die andern flohen
aus dem Lande. Als ihnen Kraniche begegneten und sie um das
Geschehene fragten, sprach eine Dohle: „Fliehet das schlimme
Geschlecht der Menschen, die anders zu spreclien als zu handeln
irissen .'^ Die Fabel ist für uns wertvoll nicht bloss durch die
Ergänzung, die sie zur Schilderung Homers bietet, sondern vor
allem durch die genaue Zeitangabe, aus der mit Sicherheit zu
ersehen ist, dass es sich um den Ilerbstzuo: handelt. Denn der
Früh-UntergRng der Plejaden bezeichnete bei den alten Griechen
den Beginn des Spätherbstes,'^^) Auch sonst ist die Darstellung
sehr naturgetreu, sowohl in der deutlichen Unterscheidung der
Dohlen von den Staren durch die Erwähnung ihres misstünen-
den Geschreies als auch in der Schilderung des schlauen An-
passungsvermögens beider Vogelarten an die menschlichen Ver-
folgungsmassregeln, das erst dort seine Grenze findet, wo der
Mensch zu einem Mittel greift, das bezeichnenderweise ihm allein
geläufig ist, der Lüge und Verstellung, — Hierher gehört auch
das schon besprochene Epigramm des Antipater aus Sidon
(Anth. Pal. VH 172), in dem die Stare neben den Räubern der
Saat, den Kranichen, ohne weitere Beifügung, d. h. als gleich-
artige, wenn auch minder gefährliche Missetäter genannt sind.
Der Dichter gebraucht (v. 4) zur Charakteristik der schädlichen
Vogelschwärme den Homerischen Ausdruck Wolle.^^'^) — Als
Schädlinge sind die Stare, neben anderen Yögeln, auch in einem
anonymen Epigramme (Anth. Pal. IK 373} genannt. Die
Grille verweist darin die Hirten, in deren Hände sie geraten
ist, auf die Räuber ländlichen Reichtums. Drosseln, Amseln und
Stare. Diese Zerstörer der FrücJtte sollten sie töten ; die Blätter
aber und die Tautröpfchen, die sie selbst brauche, sollten sie
ihr nicht missgünnen.'-^')
— 40 —
Der Schaden, den die genannten Vögel anrichten, entsteht
natürlich besonders zu der Zeit, wenn die Feld- und Gartenfi lichte
reifen, beim Star und bei der Drossel speziell zur Zug/.eit.
Im übrigen wird die Drossel i^^) in der griechischen Poesie
weniger wegen ihres Schadens als wegen der Schmackhaftig-
keit ihres Fleisches angeführt — wiederum ein Hinweis auf
den Herbstzug! Als Frühlingssänger dagegen ist sie, jedenfalls
wegen ihres frühen Aufbruchs nach dem Norden, völlig unbe;
kannt. Diesen Sachverhalt beweisen drei Epigramme der An-
thologie (IX 76, 343, 396), die in meinem vorigen Programme
S. 70 f. eingehend verglichen und gewürdigt sind. Streng ge-
nommen wären nun sämtliche Stellen hier anzuführen, an denen
die Drossel in der griechischen Poesie als Fangobjekt oder
als Delikatesse erwähnt ist, und wir würden dabei, von Homer,
Od. XXH 468 flF. ausgehend,'^'-) viele Stellen, besonders aus
Aristophanes und den übrigen K omöd ien di c h t er n, zu
zitieren haben. Da jedoch diese Dichter keineswegs das Be-
wusstsein haben, dass es sich bei der gefangenen oder verspeisten
Drossel um einen herbstlichen Durchzugsvogel handelt, sondern
ohne die gering&te Rücksichtnahme auf Herkunft oder Lebens-
gewohnheiten sie lediglich vom Standpunkte des Vogelfängers
oder Feinschmeckers betrachten, so sind die betr» ffenden Stellen
hier ohne Interesse für uns und gehören in ein anderes Kapitel,
das den Vogelfang bezw. die Küche umfasst.^'^'^') Auf das Be-
nehmen der Drossel während ihres Durchzuges bezieht sich nur
noch eine einzige Stelle, nämlich die 194. Äsopische Fabel,
die mit den AVorten beginnt: In einem Mi/rfenJtairic tat sich
eine Drossel ejütlieJiA'^*) Solche Ortlichkeiten besuchte der Vogel
natürlich um der süssen Beeren des Myrtenstrauches willen und
diese Gelegenheit benützten auch die Vogelfänger, um den un-
voisichtigen Näscher mit Leimruten zu berücken, was den In-
halt der genannten Fabel bildet. i^'')
Die Schwalbe haben wir im vorigen Abschnitte als den
sprichwörtlichen Frühlingsboten kennen gelernt. Den vielen
dort zitierten Stellen haben wir hier, wo es sich um den Herbst-
zug handelt, nur eine einzige entgegenzusetzen, nämlich das 2 5.
(3 3.) Ana kreont i sehe Lied. Der Dichter spricht die
Schwalbe an und erwähnt ihre alljährliche AViedeikehr und ihren
Nestbau zur schönen Jahreszeit. Im Winter aber, so fährt er
fort, rerschirindest du und siehst fort zum NUstrande oder ge(/en
MemphisJ-^^) Hier ist es deutlich ausgesprochen, wohin die
Schwalbe im Herbste „verschwindet'', was gegenüber der weit-
verbreiteten Ansicht von ihrem Winterschlafe besonders bemer-
kenswert erscheint.
Wenn ferner Arat (v. 903 (f.) das scharenweise Erschei-
— 41 —
non und habichtähnliclie Schreien der Raben (xopaxsc;) und
Dohlen als ein Zeichen kommenden ive,i;(>n\vetters erklärt, ''J^)
so scheint es am besten, auch diese Stelle wegen der erwähnten
Zusammenrottung auf den Ilerbstzug oder Winteraufenthalt
dieser Vögel zu beziehen.
Zu den volkstümlichsten Durch zugsvögeln gehört in Süd-
europa unstreitig die W achtel. ^^s^ In grossen Scharen fällt
sie an den dortigen Küsten und auf den Inseln ein und der
Zustand der Ermüdung, in dem sich der wenig flugkräftigo
Vogel nach der langen Seereise befindet, erleichtert einen Massen-
fang, der einige Wochen hindurch den Bewohnern dieser Land-
striche nicht nur die Schüsseln sondern auch die Börsen zu
füllen pflegt. Aber trotz dieser seiner grossen Bedeutung hat
der Wachtelzug auf die griechische Poesie keinen EinHuss ge-
äussert, es müshte denn sein, dass die betreffenden Stellen ver-
loren gegangen sind. Nur der geographi-che Name Ortygia
d. h. Wachtelfeld (nach Beiiseler) klingt als ein vernehmliches
Mahnwort aus der dunklen Zeit der Sage in die späteren Perio-
den der Dichtung hinüber.
Vier Orte dieses Namens bezw. Beinamens nennt Ni-
kander im 5. Frg. seiner AüxcoXtxa (Sclineider p. 22). Wenn
wir diesem Autor Glauben schenken, so haben drei von diesen
Orten: Ephesus,iä9j Dolus ^'''^) und die von den Dichtern öfters
genannte Insel Ortygia bei Syrakusi*^') diese Benennung einer
gemeinsamen Mu'terstadt, dem ätolischen Orlygia,zu verdanken. ^'J-)
Bezüglich der Insel Delus- Ortygia gab es indessen auch eine
andere und, wie es scheint, viel weiter verbreitete Ableitung
des Namens. Lycophron (v. 401) nennt diese Insel das he-
narJibarie Grob der hefh'hjelfen ^VachielA^'^) Dazu geben die
Schollen folgende Erklärung: „Die Schwester der Leto, Asteria,
verwandelte sich, die Liebe des Zeus fliehend, in eine Wachtel,
sprang ins Meer und wurde eine Insel, die darnach Oitygia,
später aber Delus genannt wurde." Auch die Schollen zu A pol-
lonius Rhod. I 419, denen das oben zitierte Fragment des
Nikander entnommen ist, kennen diese Sage, verwerfen sie aber
zu Gunsten der Ansicht des letzteren. Mag nun die Verwand-
lungsgeschichte der Asteria auf eine alte Sage zurückgehen
oder ein Erzeugnis der mythenfrohen alexandrinischen Dichter
sein, jedenfalls beabsichtigte ihr Erfinder nichts anderes, als
den uralten, nicht mehr verstandenen Namen Ortygia zu er-
klären. Und doch lag die Wahrheit so nahe! Ortygia bezeichnet
jedenfalls einen Ort, an dem zur Zugzeit viele Wachteln ein-
zufallen pflegen. Für diese einfachste und natürlichste Deutung
spricht sich wenigstens eine Stimme aus dem griechischen
Altertum aus, nämlich der Historiker Phanodemus bei Athen.
— 42 —
IX 392 d. Im übrigen waren es die Griechen zu sehr ge-
wohnt, Ortsbezeichnungen auf Sagen späterer Erfindung zurück-
zuführen, als dass ihnen die Unwahrscheinlichkeit der erwähn-
ten poetischen Erklärung irgendwie unliebsam aufgefallen wäre, i"^^)
Hier möchte ich noch zwei Stellen des Aristophanes
einreihen, deren Beziehung auf unseren Gegenstand sehr wahr-
scheinlich ist. In den Acharnern (v. 876 f.) erwidert Dikaiopolis
dem böotischen Händler, der eben eine Menge erlegter und
feilgebotener Vögel aufgezählt hat: „Wie ein Vogelsturm bist
du also auf (lern Markte erscliienen." '*^^) Ich beziehe diese
Worte auf die schon dem Aristoteles (II. A. VIIl 12,6) be-
kannte Erscheinung, dass beim Eintritte rauhen Winterwetters
verschiedene individuenreiche Kleinvogelarten aus den Bergen
in die Ebene herabkommen, sodass die Vogelfänger leichte
Arbeit haben und den Markt mit ihrer Beute überschütten. i''^)
Für ein solches Wetter scheint der Ausdruck Vogelsturm ge-
bräuchlich gewesen zu sein.^*'") Ob die Liste der Vögel, die
Aristophanes dem böotischen Händler in den Mund legt, den-
jenigen Arten entspricht, die bei solchen Gelegenheiten gewöhn-
lich auf den Markt geworfen wurden, ist für die Erklärung
dieses Ausdruckes gleichgültig; denn der Dichter zieht ja diese
Naturerscheinung nur vergleichsweise heran und lässt im ein-
zelnen seiner guten Laune freien Lauf. — Eine Anspielung
auf die nämliche Sache enthält jedenfalls auch der Ausruf des
Philokieon (Vesp. 1513): ^Sieh doch die Menge der Zauul-önige,
die hier plötzlich herahgefidlen ist.'"'^^'^) Dieser Vers bezieht
sich auf die zum au?gelassenen Kehraustanze antretenden Söhne
des Karkinos, die wegen der Kleinheit ihrer Gestalt vom Dichter
zum Spotte mit dem kleinsten Vogel verglichen werden. Un-
ter dem „Herabfallen" solcher Vögel ist der nämliche Vorgang
zu verstehen, den wir bei der Besprechung der vorigen Stelle
geschildert haben. Der gewählte Ausdruck wirkt deshalb be-
sonders bezeichnend, weil die Vögel bei solchen Anlässen in
der Tat so plötzlich und in so grossen Massen zu erscheinen
pflegen, dass man meinen könnte, sie seien buchstäblich vom
Himmel „herabgefallen".
Blicken wir nochmals auf die eben behandelten Dichter-
steilen zurück, die sich auf den Ilerbstzug der Vögel beziehen,
und vergleichen wir sie mit denjenigen, die den Frühjahrszug
zum Gegenstande haben, so finden wir unsere vorausgeschickte
Angabe bestätigt, dass die ersteren nicht nur an Zahl sondern
auch an Bedeutung des Inhaltes bei weitem überwiegen. Wir
bemerken eine ganze Reihe von Stellen, die von feiner Beo-
bachtung und richtigem Naturgefühle zeugen ; wir sehen den
ganzen Vorgang von mehreren Seiten treffend beleuchtet. Wenn
— 43 —
aber der Kranich unter den herbstlichen Wanderern von den
Dichtern fast noch mehr bevorzugt wird als die Schwalbe unter
den Frühlingsboten, so ergibt sich dies einerseits aus den auf-
fallenden Begleiterscheinungen seines Zuges, anderseits aber
zeigt sich auch in diesem Punkte das grosse Beharrungsver-
mögen, das die griechische Dichtung, sobald sie einmal ein all-
seitig befriedigendes, prägnantes Beispiel für einen Vorgang in
der Natur gefunden hat, durch den Lauf der Jahrhunderte an
den Tag legt. Hier ist kein Schwanken der Mode, keine zu
überraschenden Ergebnissen führende Entwicklung, sondern nur
der ausgetretene, aber wohlgepflegte Pfad einer geheiligten Über-
lieferung erkennbar.
In einem Punkte freilich, das ist hier nochmals zu betonen,
steht die literarische Verwertung des Herbstzuges hinter der-
jenigen des Frühjahrszuges zurück. Kommt in dem letzteren
Falle, wenn auch in knappen Worten, das Gemüt zur Sprache,
das mit herzlicher Freude die erschienenen Frühlingsboten be-
grüsst, so sollte man erwarten, dass die Bilder des Herbstes doch
wenigstens durch einen leichten Schimmer der Wehmut, wie sie
uns Deutsche beim Scheiden des Sommers und seiner gefieder-
ten Gäste erfüllt, ein unterscheidendes Merkmal gewännen.
Doch umsonst werden wir nach den Spuren dieses Empfindens
suchen. Fremd war ein solches Fühlen dem griechischen Alter-
tum, so fremd, wie es noch jetzt der realistisch denkenden Be-
völkerung des „glücklichen" Südens geblieben ist. — Im übri-
gen aber werden wir mit Befriedigung auf den an der Hand
der griechischen Muse zurückgelegten Herbst - Spaziergang zu-
rückschauen.
III. Kapitel.
Zug im allgemeinen.
Einiu'c Dichtcrstellen behandeln den N'ogelzug im allge-
meinen, ohne dass eine Beziehung auf dun Frühjahts- oder
llerbstzug erkennbar wäre.
Ein Teil derselben, freilich merkwürdig wenige, oliarak-
terisieit die Vögel als wand er n de, nur z e it weise in Griechen-
land sich aufhaltende AVesen. So nennt Aeschylus (frg. 52)
die Schwalbe einen ziKioranderfen Yogol,^^'^; und Euenus
(Anth. Pal. IX 122) bezeichnet den gleichen Vogel ebenso wie
die Baumgrille, die er mit ihm vergleicht, als einen Sommer-
[/asf.^'^^) Dabei müssen wir freilich bezüglich der B:iumgrille
ein teilweises Missverständnis des liebenswürdigen Dichters an-
nehmen. Denn ihr Zirpen ist zwar nur im Sommer zu hören;
da sie jedoch im Herbste nicht fortwandert, ist es unrichtig,
von ihr als einem Gcisie zu sprechen. Für die Schwalbe da-
gegen trifft dieses Attribut vollkommen zu. — Ein Gast (csvyj)
wird die Schwalbe auch zu Beginn der 418. Fabel genannt.
Darnach ist auch das unpassende Beiwort cou9-r^ (gelbbraun),
das in Babrius' Bearbeitung des gleichen Stoffes (118) der
Schwalbe zugeteilt wird, als Schreibfehler zu erklären und in
Elvr^ (Gast) umzuändern.
Eine Reihe anderer Stellen hat die Ausdehnung des
V^ogelfluges über die ganze Erde zum Gegenstande.
Nun unternehmen aber die Vögel, mit seltenen Ausnahmen,
nur zur Zugzeit so weite Flüge, während sie für gewöhnlich
ihrem Brut- und ITeimatgebicte nicht weniger treu bleiben als
andere, ungefiügelte 'J'iere. Wenn wir also den Sinn dieser
Stellen erschöpfen wollen, so müssen wir sie weniger auf die
Flugfertigkeit der Vögel im allgemeinen als speziell auf ihre
AVanderzüge beziehen.'"')
Eine noch sehr beschränkte, geradezu naive Anschauung
treffen wir bei Homer (Od. III 320 ff.). Nach dem Wortlaute
dieser Stelle ist Menelaus auf seinen Irrfahrten so weit verschlagen
— 45 —
worden, dass sogar VI'xjpI von dort nicht im seihen Johre zuriki--
keliren l-önneuX^-) Wie gross iniiss sich der Dichter die Erde,
wie gering dagegen die Flugfähigkeit der Vögel vorgestellt haben !
Andererseits ist die Stelle gewiss nicht wörtlich zu nehmen, so-
dass die Entstellung der natürlichen Verhältnisse mehr der
Hvperbolik des Ausdruckes als der wirklichen Ansicht des Dich-
ters zuzuschreiben ist.^''^) — Ein wesenthch anderer Geist spricht
aus dem 84. Frg. des Alcaeus, der biinfhalsige, ßügelstreckende
Wildenten von den Grenzen des Meeres und der Erde herbeige-
Icommen sein lässt. ^'^^) — Sodann erwähnt Aristophanes in
seinen „Vögeln" zweimal die weiten Flüge des AViedehopfes :
Das erstemal (v. 47 f.) äussern die beiden Auswanderer dem
Publikum gegenüber, sie wollten diesen Vogel fragen, ob er irgend-
wo, soiveit er flog {r, "TiSTttaxo), eine Stadt gesehen habe, die ihren
Wünschen entspräche; das zweitemal (v. 118) wird von dem
nämlichen A^ogel gesagt, er habe Erde und Meer im Kreise
üherßogfn.^'^-^) — Von der letzteren Stelle scheint ein Epigramm des
Leo nid as Alex. (Anth. Pal. IX 346), das auch dem Archias
zugeschrieben wird, abhängig zu sein. Es beginnt mit der
Anrede; „Schwalbe, die du über das ganze Festland und die
Inseln hinfliegst l""^"^^) Der Ausdruck entspricht genau dem vor-
ausgehenden, nur dass statt des Meeres dasjenige eingesetzt ist,
was eine Reise über die See besonders abwechselnd und interes-
sant macht, nämlich die darin gelegenen Inseln.
So führt nach den Worten griechischer Dichter den Vogel
sein AVanderflug bis an die Grenzen der Erde. Als Strasse
dient ihm dabei der dem Menschen unzugängliche Luftraum,
der heilige Äther, die Strasse der Vögel, wie ihn Aeschylus, Prom.
281, nennt. ''■^j Freilich lassen diese schönen Worte auch eine
weniger enge Deutung zu, die nicht bloss den Wanderzug der
Vögel sondern ihren Flug im weitesten Sinne umfasst; aber
aus zwei Gründen glaube ich, mit meiner speziellen Erklärung
dem Sinne der Stelle am nächsten zu kommen. Vor allem
nennt Aeschylus als Strasse der Vögel nicht die Luft überh\upt
(a/^p), sondern die. obere Luftschicht (od^r^p). Nun ist es aber
allgemein bekannt, dass die Vögel gerade zu ihren Wande-
rungen viel höhere Luftschichten benützen als zu ihren gewöhn-
lichen Kreuz- und Querflügen. Aber auch das Wort Ttopoc;
werden wir erst dann völlig sinnentsprechend erklären, wenn
wir dabei an die grosse Reise denken, die unsere Vögel all-
jährlich zweimal in direkter Linie von der kälteren zur wär-
meren Zone und in entgegengesetzter Richtung zurücklegen.
Nicht ganz sicher ist auch die Beziehung eines schiinen
Vergleiches des Apollonius Rh od. Arg. IV 238 ff.) Der
Auslauf der kolchischen Flotte entlockt dem Dichter die stau-
— 46 -
nenden "Worte: Man halte glauben sollen., nicht Sclüffe seien es,
die einen so (jvossartiyen Änhlicl- rjeivährten, sondern es brause
ein unermessUclier Schrarm von (/rossen Vögeln, zusammengescharf
über das Meer hinA"'^) Der Kern des Vergleiches liegt jeden-
falls in der geräuschvollen Bewegung einer grossen Menge von
Körpern über die Wasserfläche hin. Dabei lässt sich das Bild un-
schwer dahin ergänzen, dass die Schwingen der Vögel den
Segeln oder Rudern der Schilfe entsprechen, i"^) Der weitere
Umstand, dass die Flotte der Kolcher vom Lande abstösst,
bleibt für den Vergleich ohne Bedeutung; denn der Dichter
denkt nicht an eine Vogelschar, die vom Gestade abfliegt, um
ihren Weg über das Meer zu nehmen, sondern er versetzt sich
auf die offene See, die von den Segeln der Kolcher erfüllt ist,
und vergleicht diese mit einer Schar von Vögeln, die mitten
auf dem Meere im vollen Fluge beobachtet werden. Solchen
Vogelscharen begegnet aber der Seefahrer ganz besonders in
der Zugperiode. In dieser Zeit sind sie am gewaltigsten; da
halten sie am engsten zusammen und bleiben, wie eine gut ge-
leitete Flotte, derselben Richtung treu. Wir werden also den
Vergleich am prägnantesten auffassen, wenn wir ihn auf den
Zug bezichen. Welche Vögel aber passen am besten zu dem
Bilde des Dichters? Jedenfalls müssen sie einer Art angehören,
die durch ihre Grösse auffallt. Das liegt schon in dem Worte
oüovoc, das besonders für grössere Vögel gebraucht wird, wie
sie für das Augurium in Betracht kommen. Auch könnten
kleine Vögel doch nicht wohl mit Schiffen verglichen werden.
Ein weiteres Erfordernis, um dem Vergleiche mit einer dahin-
segelnden Flotte zu entsprechen, scheint ein helles, am besten
weisses Gefieder. Zu diesen Voraussetzungen passen für die
südeuropäischen Meere nur Vögel wie Scliwäne oder Gänse, be-
sonders aber Pelikane,!^'') während die Kraniche wegen der
Höhe des Fluges und der Farbe des Gefieders nicht in Betracht
kommen. Solche Vogelschwärme gewäliren in der Tat einen
h()clist imposanten Anblick und wir müssen dem Dichter Dank
wissen, dass er einen solchen Naturoindruck fixiert und, wenn
auch in gedrängter Kürze, in Worte gekleidet hat.
Wie sch(")n wäre es, wenn uns die griechische Literatur
mehr solcher Stellen überliefert hätte, an denen der Vogelzug
als solcher, als eindrucksvolles Naturschauspiel poetisch gewürdigt
wäre! So aber müssen wir uns gestehen, dass die wenigen
Stellen, die wir in dieser Hinsicht anführen können, uns mehr
an das erinnern, was uns die griechische Poesie in diesem Punkte
vorenthfilt, als was sie uns zu bieten imstande ist.
IV. Kapitel.
Winterschlaf.
Schon oben ist angedeutet worden, dass der Vogelzug- in
den meisten Fällen nicht unmittelbar bemerkt wird, sondern
nur in seinen Folgeerscheinungen dem Beobachter in die Augen
fällt. Die Vögel erscheinen und verschwinden und niemand
weiss, woher sie kommen, wohin sie gehen. Dazu gesellt sich
der weitere Umstand, dass sie bei längerer Dauer von widrigem
Wetter, durch Hunger und Kälte erschöpft und am AVegzuge
gehindert, sich gerne in L()cher oder Höhlen verkriechen, um
dort den Eintritt besserer Tage abzuwarten, und dass sie in
solchen Lagen oft in einen Zustand todesähnlicher Firstarrung
verfallen, in dem sie wochen- ja monatelang auszudauern ver-
mögen. Es kommt infolgedessen auch bei uns, in klimatisch
viel ungünstigeren Verhältnissen, zuweilen vor, dass Zugvögel,
besonderR Schwalben, mitten im Winter aus solchen Schlupf-
winkeln in unversehrtem Körperzustande hervorgezogen werden,
in der Zimmerwärme wieder erwachen, ihre Flügel ausbreiten
und das Bedürfnis nach Nahrung verraten. ^S')
Aus diesen beiden Umständen erklärt sich eine volks-
tümliche Ansicht, die schon bei den Griechen weit ver-
breitet war und sich trotz aller wissenschaftlichen Gegengründo
auch bei uns noch immer lebendig erhält. Darnach würden
gewisse Vogelarten im Herbste nicht nach dem Süden abziehen,
sondern sich nach Analogie verschiedener Säugetiere zu einem
raehrmonatlichen Winterschlafe in Baum- oder Felshöhlen
oder gar in den Schlamm der Flüsse zurückziehen ; im Früh-
jahre würden sie dann nicht aus fremden Ländern zurückkehren,
sondern nur wieder aus ihren Zufluchtstätten hervorkommen
und neue Lebenstätigkeit entfalten.
Die erste Äusserung der Wissenschaft zugunsten die-
ser Annahme lesen wir in der Tiergeschichte des Aristoteles,
der bezüglich mehrerer Vogelarten einen längeren oder kürzeren
Winterschlaf annimmt. i^'-^ Wie in anderen Punkten so waren
— 48 —
auch hier die Behauptungen des berühmten Naturforschers für
spätere Schriftsteller ein massgebendes Vorbild. ^^3)
Bei diesem Sachverhalte wäre es doch merkwürdig, wenn
die Poesie von dem Einflüsse dieser zweifellos volkstümlichen
Ansicht gänzlich unberührt geblieben wäre. Und in der Tat,
wenn wir die Werke der griechischen Dichter daraufhin unter-
suchen, so stossen wir gleich am Eingange der Literatur auf
eine Stelle, die ohne Bezugnahme auf diese Anschauung un-
nii'jglich erklärt werden kann, ich meine llesiod, Op. 568 f.
Die betreffenden Verse lauten: NacJi ihm (nämlich dem Sterne
Arkturus) kommt die in der Frühe seufzende Tochter des Pan-
dion, die Schwalbe, ans Licht und zei(jt sich den Menschen, in
der ersten Zeit des Frühlings. Kurz zuvor soll der Landwirt
die Weinreben beschneiden ; denn so ist es am besten. ^^^) Der
Ausdruck ans Licht konunen deutet entschieden darauf hin, dass
llesiod der Meinung ist, die Schwalbe bringe die AVinterszeit
in dunklen Höhlen zu, aus denen sie im Frühling sich wieder
ans Tageslicht hervorwage. — Wenn ferner der Komödien-
dichter Philemon (frg. 208) eine seiner Personen zur anderen
sagen lässt: „Die Schwalbe, Weib, scliwälzt nur im Sommer/' ^^■')
wozu die ErgäLzung: ^/lu aber das tjanze Jahr hindurch^' sich
von selbst ergibt, so müssen wir die gleiche Erklärung zu Hilfe
nehmen, wenn wir die naturgeschichtliche Grundlage dieser
Stelle aufdecken wollen. Offenbar gilt die Schwalbe dem Dich-
ter als ein Vogel, der nur im Sommer zu schon und zu hören
ist, während er im Winter sich zurückzieht und seinem Organis-
mus, vor allem seiner geschwätzigen Zunge, Ruhe vergönnt.
Wollten wir dagegen annehmen, der Dichter halte die Schwalbe
für einen Zugvogel, der im Winter ausser Landes weile, so
wäre die Prägnanz des Gegensatzes zerstfirt. Denn die Schwalbe
vcrlässt im Herbste ihre Heimat nicht, um in der Fremde zu
schweigen, sondern sie legt auch dort ohne Unterbrechung ihnm
schwatzhaften Charakter an den Tag. — Nicht anders lässt sich
auch die 415. Fabel erklären. Hier streiten Schwalbe und
Krähe miteinander über ihre Schiinheit. Die Krähe spricht:
„Deine Schönheit blüht nur iräJirend der (jutoi J(üires:eit ;^^'^)
mein Leib dagegen hält auch den Winter über st((nd." Auch
hier liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Schwalbe einen
Winterschlaf durchmacht, während dessen sie ihre Schönheit
einbüsst d. h. die Federn verliert. Dieser letztere Punkt, der
jedenfalls einem alten Volksglauben entspricht, wird durch eine
Stelle des Aristophanes, Av. 108 ft'., in ein helleres Licht
gerückt, Iloffegut fragt den Wiedehopf: „Wo sind denn deine
Federn':"' Dieser antwortet: „Sie sind ausgefallen." Hoflegut
fragt weiter: „Infolge einer Kraid.hcil Y" worauf der Wiede-
— 49 —
hopf V. 105 f. erwidert: „Nein! sondern den ganzen Winter
über verlieren irir Vögel unsere Federn und bekommen dann
wieder andere dafür"J^') Es bestand also die Ansicht, dass
die Zugvögel in der Winterszeit, während deren sie ihrer Flügel
nicht bedürfen, sich ihres alten Federkleides entledigten, um
erst zu ihrem Wiedererscheinen im Frühling ein neues anzu-
legen, ^ssj Darüber lassen die klaren Worte unserer Stelle keinen
Zweifel übrig. Dass aber die Vögel in dieser federlosen Zeit
sich verkriechen und schlafen sollten, verschweigt der Dichter
wohlweislich. Denn der Wiedehopf darf bei der Ankunft seiner
Besucher doch nicht in tiefem Winterschlafe befangen seinl^'^^)
Aristophanes lässt ihn also im AYinter in reduziertem Feder-
kleide leben und wachen. Warum aber berührt der Dichter
überhaupt diese entlegene Vorstellung, wenn er sie nur zum
Teile verwerten kann? Der Grund ergibt sich aus der ganzen
Situation. Es gilt, das unzulänglich befiederte Kostüm des
Schauspielers, der den Wiedehopf darstellt, scherzhaft zu moti-
vieren, und dabei kommt es nicht darauf an, ob die gewählte
Ausrede im einzelnen stimmt oder nicht. Das Publikum muss
lachen und damit ist der Zweck des Dichters erreicht. i'-'O)
Die schönste Stelle aber, die sich auf diesen Punkt be-
zieht, finden wir in dem gleichen Schatzkästlein antiker Natur-
poesie (Aristoph. Av. 1088 ff.). liier singt der Vogelchor:
Glückliches Volk der beflügelten Vögel, die im IVintcr keinen
Mantel brauchen, um sich damit zu umhüllen ! Auch der heisse,
fernhin leuchtende Strahl cler Sommersonne versengt uns nicht;
sondern ivir wohnen unter dem Blätterdache blühender Auen, wenn
die göttliche Zikade, die Freundin des Sonnenbrandes, ihr schrilles
Lied in der Mittagi^glut ertönen lässt. Den Winter aber bringen
wir in geräumigen Höhlen zu, indem irir mit den Bergngmyhen
scherzen. Dabei verzehren wir, als ob es Frühling wäre, weisse
Mgrtenbeeren,^^^) der Jungfrauen Lieblingsnäscherei, und die
Gartengewächse der CharitinnenJ^-) Fürwahr, eine hochpoetische
Stelle! Eine wunderschöne Charakterisierung des sorgenlosen
Vogellebens! Untersuchen wir die Worte des Dichters genauer,
so müssen wir zur besseren Unterscheidung zwei Fragen stellen.
Was tun die Vögel im strengen Winter? Darauf antwortet
der Dichter am Anfange der zitierten Stelle negativ, positiv
und ausführlich aber von v. 1097 an. Was tun sodann die
Vögel im heissen Sommer, da nur die Grille im Sonnenbrande
noch aushält und singt? Die Antwort daraufmacht der Dichter
kurz ab. indem er auf die schattige Wohnung der Vögel unter
dem Laubdache der Bäume hinweist. Zusammenzuziehen aber
sind beide Punkte in den einen Satz, der dem Dichter gewisser-
massen als These vorschwebte: „Die Vögel sind unberührt von
4
— 50 —
der Xot der Jahreszeiten." Dies ist der nämliche Gedanke,
der in einer etwas engeren, aber auch präziseren Fassun«: in
den schönen Worten der Bibel vorliegt: „Betrachtet die Vögel
des Himmels! Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln
nicht in die Scheunen, und dennoch ernährt sie euer himmlischer
Vater." Besonders interessant ist es, dass der Dichter hier mit
klaren Worten von dem Überwintern der Vögel in Höhlen spricht,
während er an der vorher besprochenen Stelle diesen Umstand
übergangen hatte. Doch auch hier entspricht das Ende dem
Anfange nicht. Denn von dem Zustande der Erstarrung, in den
die Vögel nach allgemeiner Ansicht in diesen Höhlen verfallen
sollten, ist auch an dieser zweiten Stelle keine Rede. Statt
dessen erscheint eine liebliche poetische Fiktion, Felsenhöhlen
galten bei den Griechen als heilige Aufenthaltsorte der Nymphen.
SVas lag näher, als dass der Dichter die darin überwinternden
Vögel als die Schul zbefohlencn^ ja geradezu als die Spielge-
nossen der Nymphen bezeichnete, die ihren Pfleglingen die
lange, traurige Zeit des Winters in der angenehmsten Weise
verkürzten ? i'"*"^) So ist Aristophanes der Volksansicht auch hier
nur eine Strecke Weges gefolgt. Dann veranlasste ihn die
Erkenntnis, dass mit erstarrten AVinterschläfern keine poetische
AVirkung zu erzielen sei, eine andere Richtung einzuschlagen.
Dabei wies ihm eine vornehmere NatiiraufiTassiing, die seinen
Zeitgenossen als Schülern Homers unmittelbar verständlich war,
den Weg zu den sonnigen, gestaltenreichen Höhen des Mythus.
Mit diesem schönen Zitate ist die kurze Reihe der Dich-
terstellen, die sich unzweifelhaft auf den Winterschlaf, bezw.
das versteckte Winterleben der Vögel beziehen, schon zu Ende.
Aber der (Jedanke liegt nahe, dass unter den weiter oben be-
sprochenen Stellen nicht wenige sich finden mr)gen, an denen
diese Annahme stillschweigend vorausgesetzt ist, ohne in der
sprachlichen Darstellung mit nachweisbarer Deutlichkeit hervor-
zutreten. Und wirklich bieten uns wenigstens unter denjenigen
Zitaten, die den Frühjahrszug betreffen, mehrere zu Bedenken
Anlass. Es sind solche Stellen, an denen gesagt ist, dass die
Vögel im Frühling erscheinen oder wieder erscheinen,
z. B. Aristoph. Av. 713, Thcsni. 1; Cliionidcs frg. 8; Nonn.
Dionys. Hl 14. Dieser doppeldeutige Ausdruck kann nämlich
ebensowohl auf die Rückkehr der Vögel aus dem Süden als
auf ihr Hervorkommen aus den winterlichen Versteckplätzen
bezogen werden.
Und doch wage ich nicht, sie ohne eine sichere Handhabe
hierher zu versetzen. Wie leicht man sich in dieser Hinsicht
täuschen könnte, zeigt besonders deutlich das 25. (33.) Ana-
krcontische Lied.'^^) Hier lesen wir, dass die Schwalbe im
Winter verschwindet und nach Ägypten fortwandert.
Offenbar ist an dieser Stelle das Verschwinden mit dem Weg-
ziehen als gleichbedeutend gefasst. Die nämliche Vertauschung
aber muss der Sprachgebrauch bezüglich des Wiedererscheinens
bezw. Zurückkehrens zugelassen haben. Damit scheidet die
Möglichkeit, aus derartigen Ausdrücken sichere Schlüsse auf
die zugrunde liegende Naturauffassung zu ziehen, aus dem Kreise
der Diskussion.
Aber auch sämtliche Stellen, an denen der Gesang oder
Ruf eines Vogels als Frühlingszeichen angegeben ist,
können ebensogut auf die Annahme eines Winterschlafes wie
auf die einer Heimkehr bezogen werden.
Das einzige sichere Kriterium in diesem Zwiespalte wären
klare Angaben der gleichzeitigen naturwissenschaftlichen Schrift-
steller. Doch einerseits lassen auch diese bei verschiedenen
Vögeln, z. B. der Schwalbe, beide Möglichkeiten zu, anderer-
seits stehen sie teilweise im Widerspruche zu gewissen Dichter-
stellen. So nimmt z. B. Aristoteles bezüglich der Nachtigall
an, dass sie einen Winterschlaf halte. In einem Epigramme des
Philippus Thess. (Anth. Pal. IX 83) dagegen ist ausdrück-
lich gesagt, dass dieser Vogel über das Meer nach Norden zieht.
Aus all dem ist zu ersehen, diss die Alten selbst über
die ganze Frage nicht einig gewesen sind. Es wäre deshalb
ein aussichtsloses Unternehmen, wollte unsere Kritik in dieser
Sache festere Gesichtspunkte gewinnen, als die zu erklärenden
Dichterworte enthalten. Es genügt, wenn wir diejenigen Stellen
hervorgehoben haben, an denen es möglich ist, die Spuren der
einen oder der anderen Auffassung nachzuweisen. Dabei müssen
wir uns aber gegenwärtig halten, dass die Annahme des Zuges,
als die der Natur entsprechende, in einsichtigen Kreisen jeden-
falls von Anfang an der so wenig fest begründeten Vorstellung
des Winterschlafes an V^erbreitung voraus war und sich mit
dem Fortschritte der Bildung und Naturerkenntnis immer weitere
Bahn brechen musste. Dies ist der Grund, weshalb ich alle
diejenigen Stellen, die eine doppelte Erklärung zulassen, auch
weiterhin auf den Zug beziehe, auf den Winterschlaf dagegen nur
die wenigen, an denen der Wortlaut keine andere Deutung
zulässt.
V. Kapitel.
Verwandlung.
Eine Quelle weiterer Verwiriung der volkstümlichen Be-
griffe über den Vogelzug war schon im griechischen Altertume
der Umstand, dass Herbst- und Frühjahrskleid der gleichen
Vogelart oft merklich voneinander abweichen, soM-ie dass nur
der männliche Vogel, und auch dieser nur zu einer bestimmten
Zeit, zum Singen befähigt ist. Bevor diese verwickelten Ver-
hältnisse durch die planmässige Arbeit der Naturwissenschaft
gesichtet und geklärt waren, musste daraus im Volke der Glaube
entstehen, dass hier eine förmliche Verwandlung stattfinde.'^"')
Ähnliche Verwechslungen ergaben sich aus der Verschiedenheit
der Getiedeifärbung nach Geschlecht und Altersstufe. ^9*^)
Aber noch eine andere Beobachtung war hiebei von Einfluss.
Man bemerkte, dass im Herbste gewisse Vogelarten verschwunden
waren während andere, in mancher Beziehung ähnliche, an ihre
Stelle traten. Statt nun, dem natürlichen Laufe der Dingo ent-
sprechend, in dem einen Falle einen Abzug nach dem Süden,
in dem anderen einen Zuzug aus dem Norden anzunehmen, half
man sich durch die widernatürliche Fabel, der eine Vogel sei
durch Verwandlung aus dem andern entstanden.''-^"}
Hie volkstümlichste unter diesen Verwandlungssagen be-
traf den Kuckuck und den Habicht, oder besser gesagt
den Sperber.'^S) Da man nämlich im Herbste und AVinter keine
Kuckucke, wohl aber viele Sperber wahrnahm, die an Grösse
und Färbung in beiden Geschlechtern dem Kuckuck ähnlich sind,
80 verbreitete sich der Glaube, der Kuckuck verwandle sich
gegen Ende des Sommers in einen Sperber und dieser im Früh-
ling in einen Kuckuck. Dass jedoch, vom Gefieder abgesehen,
die Körperbildung beider Vögel, besonders in Hinsicht auf Füsse
und Schnabel, weit voneinander abweiche, übersah man mit
derselben OberHächlichkeit, die ein Charakterzug derartiger
Volksurteile zu sein pflegt.''«''') Der nicht minder grosse Gegen-
satz, in dem die Lebensweise beider Vogelarten steht, wurde,
— 53 —
statt naturkundliche Bedenken anzuregen, geradezu der Anlass,
dass die didaktische Poesie diesen Stoff für ihre Zwecke geeignet
fand. War doch mit Leichtigkeit eine Fabel daraus zu kon-
struieren, deren Quintessenz unserem „Trau, schau, wem?" aufs
beste entsprach. Diese Fabel besitzen wir freilich nicht mehr
in ihrer ursprünglichen Gestalt, aber wenigstens in einer kurzen
Skizze, die Plutarch im Leben des Arat, cap. XXX, über-
liefert. Hier lesen wir: Aesop erzählt, dass die kleinen Vöyel,
als der Kuckuck sie fragte, irarum sie vor ihm die Flucht er-
griffen^ ihm qeanticortet hätten: „Weil du einmal ein Sperber
wirst." (Fab. 198 ed. Halm.)
Von einem ähnlichen regelmässigen Wechsel der Gestalt
berichtet Aeschylus(frg. 297 nach (Aristot.) H. A. IX 49 B, 9
bezüglich des Königs Tereus, dessen Metamorphose in einen
Wiedehopf vorher geschildert wird : Ist der Frühling erschie-
nen, so schiringt dieser das Gefieder eines hellgrauen Falken.
Denn, obnohl nur einem Mutterleihe entsprossen, ivird er zicei
Gestalten, einerseits die seities Kindes, anderseits die seiner selbst
aufumsen. Zu Beginn des Spätsommers jedoch, wenn die Ähren
sich bleichen^ wird ihn wieder buntes Gefieder umkleiden. Für alle
Zeil aber wird er aus Hass gegen diese (d. h seine Verwandte!})
nach einer fremden Orilichkeif, nämlich jiach einsamen Walcl-
weiden und Berghängen, übtrsiedeln.-'^'^} Aus den komplizierten
Worten des Dichters geht so viel mit Sicherheit hervor, dass
Tereus nach seiner Verwandlung in einen Vogel zur PJrinnerung
an die Ermordung seines Kindes abwechselnd in zwei Gestalten
auf Erden weilen soll, nämlich in der Gestalt eines Wiedehopfs
und in derjenigen eines Falken, '-O') sowie dass er aus Hass gegen
seine Angehörigen bewohnte Gegenden meiden und sich in die
Einsamkeit des Bergwaldes zurückziehen wird. Die Verwand-
lung geschieht zu einer Zeit, in der sonst der Zug stattfinden
müsste, nämlich im Frühling bezw. im Spätsommer. Das Auf-
fallende an der Sache ist hier nur, dass beide Vögel nicht bloss
im Körperbau und in der Ernährungsweise differieren, sondern
auch im Gefieder grosse Verschiedenheit aufweisen. Dadurch
unterscheidet sich diese poetische Verwandlungsgeschichte von
allen andern, die sonst zu unserer Kenntnis gelangt sind. Nur
ein Band ist es, das die beiden so unähnlichen Gestalten ver-
bindet: Das Leben in menschenferner Einsamkeit;
und dies scheint auch der Kern des Vergleiches zu sein, um
dessentwillen Aeschylus beide Vögel hier zusammengestellt hat.
Denn dass diese Verwandlungsgeschichte nicht im Volke ent-
standen ist, zeigt ausser dem Mangel jeder äusseren Wahrschein-
lichkeit infolge der gegenseitigen Unähnlichkeit der genannten
Vögel auch der Umstand, dass sonst keiner der alten Autoren
— 54 —
etwas über die Sache beizubringen weiss. -^ '2) Ohne Zweifel hat
Aeschylus selbst diese Variation des Tereus-Mythus erfunden. Doch
liess er dabei seiner Phantasie keineswegs freien Spielraum, son-
dern hielt sich an ein älteres Vorbild, das wir in dem erwähn-
ten Volksglauben über Kuckuck und Sperber zu suchen haben.
Dem Kuckuck entspricht bei Aeschylus der Wiedehopf, der ihm
in mancher Hinsicht nahe steht,^ '^) dem Sperber ein anderer,
im Gefieder abweichender, aber doch verwandter Raubvogel,
den der Dichter als besonderen Freund der Einsamkeit zu kennen
scheint. Der ganze Sachverhalt aber entspricht vortrefflich dem
auch sonst etwas gewaltsamen Charakter der grossartigen Muse
des Aeschylus.
Abgesehen von diesen beiden Stellen zeigt sich nirgends
in der griechischen Poesie der Einfluss der erwähnten Volks-
meinung, die statt des Zuges der Vögel eine Verwandlung der
einen Art in die andere annehmen zu dürfen glaubte. Es war
eben selbst bei den Dichtern trotz aller Ungebundenheit der
schaffenden Phantasie der Sinn für den natürlichen Zusammen-
hang der Dinge zu stark entwickelt, als da?s solche Fabeln als
reine Quelle der Dichtkunst hätten gelten können.-'^)
Anmerkungen.
1) V. 709 TiptöTa jiev wpa; zoi.i'/o\itw ^([^21; "^p^?? X^'.jiwvo;. oTitöpag' Das
Weitere vg^l. bei A. 60, 42 und 17.
2) Über den Frühjahrszno- im allg-emeinen sag-t Aristot. H. A. VIII
12, 3 mir so viel, dass ilm die Vög-el aus Furcht vor der Glatliitze (des
Südens) nach der Frülijalirs-Taa,'- und Nachtgleiche unternehineu — eine
recht wenig tiefgehende Bemerkung !
3) Stesich/frg. 36; Aristoph/ Pac. 800 f.; Anth. Pal. IX 363 (Me-
•leager), X 4 (Marcus Arg.), 6 (Satvrus), 14 fAgathias).
*) Anth. Pal. X 2 (Autipater Sid.), 4, 5 (Thyillus), 14, 16 (Theae-
tetus); Bahr. 118 v. 2.
5) Über den SchwalbenzAig vgl. Aristot. H. A. VITI 16, 1. Er nimmt
teils Wanderung nach dem Süden teils — bei weiterer Entfernung des Brut-
ortes — Überwinterung in Höhlen an. Ausserdem Plin. H. N. X 24 (34).
'') V. 11 f. vsOiiai TOI, Vi'JiJLa'. iv'.a'JT.og, waxs /i/.'.dcbv /äaxyjx' £v ;ipo9-Jpo'.;
'.^'.ÄY) -d5as- x-Ä. Vgl. Thompson, Greek Birds,' Oxford 1895, S. 189. Der
Vorraum, in dem die Kinder erscheinen, ist zugleich der Nistplatz der
Hausschwalbe (Hir. rustica), während ihre nächste Verwandte, die Mauer-
schwalbe (Hir. urbica), an der Aussenseite der Häuser nistet. Die erstere
ist also hier gemeint. Die Barfüssigkeit ist eiu weiterer Zug, den die
Kinder mit der Schwalbegemein haben. Grammatikalisch ist sie in unserem
Texte freilich nur zur Schwalbe zu konstruieren; dem Sinne nach muss sie
jedoch ebenso auf die Kinder bezogen werden, deren Armut sie andeuten soll.
') Daher der Name des Gedichtes!
8) V. 1 ff. r,X9-', Y(X9-£ x£Xi5ojv, / xaXä; copajaYO'J^oc, / xaÄo-JSSv.a'j-oüc;, /
£7:1 yasTspa Xs-jxdc, / iui vw-ra |i£Äa'.va. V. 19 f. ävoiy', ävo'.y£ xäv -O-üpav
X£Äi3övt,- / oü yxp ylpovisg ioiiEv, äXXä Tüaidia. Aus der Beschreibung geht
hervor, dass Hir. urbica gemeint ist, während Hir. rustica als die volks-
tümlichere von beiden gelten kann. Ausser der Eiresione vgl. Simonides
frg. 74 (A. 13) und das S. 6 genannte Vasenbild.
9) Nur so erklären sich v. 10 ff. : „Auch Weizetihrot . . . weist die
Schiralhe nicht zni-ück." — Nach Christ, Gesch. d. gr. Litt. ^ S. 154
A. 5, trugen die Knaben eine Schwalbe in der Hand. Biese, EntAvick-
lung d. Naturgefühls I S. 90, spricht von einer „nachgebildeten Schwalbe"
und von „Vermummung" der Kinder. — Aus Athenaeus 1. c. ist für unsere
Frage nichts zu ersehen. Er gibt nur an, dass man diese Art der Gaben-
sammlung (äyEpijiöe) in Rhodus .,schwälbeln'' (xsÄ'.oovi^siv i nannte und dass
sie alljährlich im Monat Boedromion wiederholt wurde. Er führt diesen
Gebrauch auf Kleobulos von Lindos zurück, der aus Anlass einer Teue-
rung auf diese Weise Ausgleich und Abhilfe schaffte. — Nach Beut,
Cyclades, London 1885 p. 434, werden Schwalbenlieder noch jetzt in
— 56 —
Kytbuos (Therniia) uutl in Maceiluiiieii (am 1. Mcärz) vuri^etrageu. Ein
modernes g-riechisclies Schwalbenlied zitiert Tliompsoi! S. 189 nach Fau-
riel, Chants de la Grece mod. I. p. XXVIII. C hrist a. a. 0. verweist
auf Passow, Neuijriechisclie Volkslieder Nro. 305—8. Das in „Des
Knaben Wunderlioru" anfg-enommene Lied v. Praetorius: „Es ist kommen,
es ist kommen der ijfewüuscbte Frübliiio-sboth" ist nach P)iese , Zeitschr. f.
vergl. Litteraturg-esch. N. F. I S. 412, lediglich eine tJbersetzung des
rhod. Bettelliedes. — Damit verwandt ist das Bettellied der sogen.
■/. opo) v. aiai, das von Athen. VIII p. 859 e dem Ph oeni x aus Kolophon
zugeschrieben wird. Aus dem "Wortlaute dieses Gedichtes muss man wohl
folgern, dass diese Bettler, die „für eine Krähe'' Gaben sammelten, wirk-
lich einen lebenden Vogel bei sich hatten. Da aber die Krähe leicht
zu zähmen und zu erhalten ist, so ergibt sich aus dieser Annahme gar
keine Schwierigkeit. Zweifellos hat Aristophanes den Eingang seiner
„Vögel'', wo die beiden Atliener mit solchen Vögeln auftreten, derartigen
volkstiinilicheu Gebräuchen nachgebildet. Vgl. 11 ge n, Poes. Mendicorum
Graec. Spec. in Opusc. Var. Philol. I p. 129 ff., Fauriel a. a. 0. p. OIX.
if») Unrichtig übersetzt Biese, Naturgefülil I S. 96: Die Schwalbe
hat sich aufgemacht.
11) ax£'|aa9-ö, TLalSsg' oü/ 6pä9-' ; wpa vsa, xsXiScöv.
'2) Darauf ruft der Chor (v. -121 f.): „Ein kosüicher Streich! Das
hast da pjiß'iij aiisf/cdacJif. Wie nenn du Xcssehi vor der An knuff
d er Schwalben (/eijesscn hättest, Jiast du den Diebstahl aus(jefiiJirf."
Die Nessel (ä-/.a?.y,:fYi) wi;rde nach den Scholien in besondere Beziehung
zur Schlauheit gesetzt und im Vorfrühling (Tipö xsXiSövojv) gegessen. Später
im Jahre galt sie als ungeniessbar. ^'gl. Blaydes z. d. St.
13) "AyYiÄs y.l'izcc lot-po^ ä5'jG5[j.oy, v.'j'x^io!. -/bX'.ZoZ. Vgl. A. 8.
1*) Hai X'.fupri jispÖTisaai auvdaxioc; s'iapi X'^p'jg / opd-p'-ov {iuvov ä|i£po£
XäXosxp-'j^lo'jaa y.£?-'.5(bv / äpT'.q;avTjg, xtX. Der Dativ siapi statt des Genetivs
ist jedenfalls durch die Rücksichtnahme auf die Quantität zu erklären.
15) xal pioo'/ äYysXÄO'jaa -/.al ävSVsixösaaav äspar^v / £aao|ia'. £lap'.vo'.o
q;i?wr/ Z£'.p''jpo'.o ^sÄiScöv, y.xX.
16) Hierher gehört vielleicht Sapphos 88. (52.) Erg.: Ti ii£ llav-
Siov'.g ü) (llpavva ysitdcov, in dem Thompson S. 189 die Spur des volks-
tümlichen öjpa via, x£X'.5wv /Aristoph. Equ. 419) zu entdecken glaubt.
Doch ist dieser Einfall kaum canz ernst zu nehmen. Denn auch Tli.
selbst hat keinen Versuch gemacht, seiner Konjektur durch Herstellung
einer verständlichen Lesart greifbare Gestalt zu geben. Vielleicht fuhr
die Dichterin fort: „Was erinnerst du mich an den Frühling?" und
brachte dann ihre eigene Stimmung zu dieser Botschaft in Gegensatz.
Auch Anacreons freundliche Anrede (frg. 67): Aiujenehm sinkende, lieb-
liche Schwalbe (ä5'j|i£Xi;, ■/api£aaa x^^'-5oi) stammt wahrscheinlich aus einem
Frülilingsgedichte. Diese beiden kleinen, aber doch so anregenden Bruch-
stücke liefern wi{Mlerum einen Beleg, wie gross der Verlust ist, den wir
durch die Vernichtung eines grossen Teils der altgriechischen Lyriker
erlitten haben. Denn dass die Scliwall)c unter allen Vögeln am liäutig-
sten gerade in der Lyrik, und zwar in Frülilingsliedern, genannt war,
beweist auch eine scherzhafte Stelle des Aristophanes (Av. 1300 f.).
Als Beleg dafür, wie die Menschen für die Vögel schwärmten, wird hier
angeführt, das.« alle Leute am liebsten solche Lieder sangen, in denen
iri/end etiras von einer Schwalbe rorhuitn. Das ist offenbar eine Anspielung
auf verschiedene alte Frülilingslieder, die damals noch bekannt waren.
Wenn die Scholien z. d. St. auch nur mehr ein einziges Lied des Simoni-
des 'frg. 74) zu nennen wissen, so braucht uns dies nicht in unserer
(,'berzeugnng irre zu maciien, dass viele, oder wenigstens manche Lied(>r
aus der besten Zeit, die hier einzureihen wären, verloren gegangen
— 57 —
sind. — Beispiele aus der lateinischen Puesie für die Bedeutun«- der
Schwalbe als Frühlingsbotin: Ovid. Fastill 853 und Hör. Epist. I 7, 13.
Vgl. auch Cornif. rhet. IV 61 ; Col. XI, 2, 21 f. — Gleicher Popularität
erfreute sich die Schwalbe in der dekorativen Malerei der Alten, vyofür,
abgesehen von den erhaltenen Resten dieser Kunst, das 41. Frg. des Komö-
diendichters Eubulus (bei Athen. XIII 562 c) Zeugnis ablegt.
18) Vgl. Parrot, Materialien zur bayer. Ornithologie II S. IS.
19) Mca xeXioöiv eap oü TiotsT. Vgl. auch Aristot. Eth. Nie. I 6 (7) 16.
2^') SsIoi^aL 5' loixev oüy. öXlycov xeX'.^ö'joiv.
ai) 'Q ZsO, yeX'.odi^ apä iroxs cpav/josiai;
2-') Diese Stelle wird von Thompson S. 188 unrichtig erklärt.
Er meint, die Schwalbe sei hier angerufen wegen der Eigenschaft der
Thesmophorien als Frühlingsfest, was dem Sinne des Verses widerspricht.
23) n'j9-o0 yzXirMv TivjVLx' äxxa cfatvsxat.. Dieser Vers wird auch dem
Aristoi)h. zugeschrieben (frg. 601). Vgl. Meineke und Kock z. d. St.
Eine andere Erklärung gibt nach letzterem M. Haupt (Herrn. V 190).
Er zieht die bei Hesych.' nnd Phot. überlieferte sprichwörtliche Redens-
art toO-o'j -j^zXilivoc, heran nnd möchte die Stelle so umschreiben: „Wann
wird man ti'jö-o'j yzXi.böwc, sagen können?" (was nur zur guten Jahreszeit
möglich ist); d. h. „Wann Avird es endlich Frühling werden?" Dieser
Erklärung scheint indes die grammatische Konstruktion zu widersprechen.
Bezüglich des Ausdruckes u. x- finden wir bei Schneidewin - Leutsch,
Paroem. Graec. II p. 631 die trotz falscher Begründung doch richtige
Erklärung: lyxacpüjg tioisi xä aauxo'j d. h. Was du tust, das tue zur rechten
Zeit! n. x- würde also besagen: Erkundige dich nach der Schwalbe !
s. V. a : Sieh zu, ob die Schwalben schon da sind, bezw. ob es wirklich
Frühling geworden ist! Vom Frühling wurde diese Redensart dann über-
tragen auf jede andere zum Handeln geeignete Zeit.
21) Es wird genannt bei Aristoph. frg. 569 v. 4; Theoer. XIII 41 ;
Parthen. frg. 30; Nicander, Ther. 857; Anth. Pal. XI 130 (Pollianus);
endlich von Pankrates bei Athen. XV 677 f.
25) V. 32 f. . . . yO.'.loy'.o:Q: 5s xsXXst / ävO-sa'.v laoopoiisOaa, y^K^jizi^.
Das Komma fügt Wilamowitz - MöUendorff hinzu.
2G) Plin. H. N. II 47, 122; Theophr. H. PI. VII 15, 1.
2"', Dagegen haben die Sch/ralbeiifeü/en (x^X'.bo'nv.i lay^ozc,), die im
1. Frg. des Kom. Epigenes (Athen. III 75c), in einem anonymen Ko-
mikerfragment (Com. frg. adesp. 111) und in einer Hetärenerzählung
des alex. Dichters Ma'chon (bei Athen. XIII 582 f., v. 26; erwähnt
werden, nach Athen. XIV 652 f. ihren Namen von ihrer schwarzroten
Farbe, die, wie es scheint, mit der Färbung der Dorfschwalbe verglichen
wurde. Vgl. Poll. 6, 81, Plin. N. H. XV 18, 71 sowie ein unsicheres
Komikerfragm. bei Kock III S. 634 Nr. 1342. In ähnlicher Weise nannte
man eine Hasen-Varietät Schicalhenluisen {yzX'.oövz'.oc, oao'JTio-Js) nach^ der
oben schwärzlichen, unten weisslichen Färbung dieser Tiere. D i p h i l u s
gebrauchte dieses Wort in seiner Komödie "Ayvoia (frg. 1, bei Athen.
IX 401 a). — Beide Bezeichnungen gehören eigentlich nicht zu unserem
Gegenstande; aber wegen ihrer scheinbaren Verwandtschaft mit den im
Texte angeführten glaubte ich, sie nicht übergehen zu sollen.
28) Nach Aristot. H. A. V 9, 3 und IX 49 B 3 (vgl. Plin. X 29
(43) 85) hält die Nachtigall einen Winterschlaf, während sie VIII 16
nicht im Verzeichnis der Winterschläfer aufgeführt ist. Aber die Be-
zeichnung ayysXog ist wohl nicht anders zu deuten als durch die Annahme,
dass der „Bote" von auswärts eintrifft, um seinen Auftrag, die frohe
Botschaft vom Nahen des Frühlings, auszurichten. Diese Erklärung
— 58 —
scbeint dem i^'eiiaueu Wortsinne am besten zu eiits])recheii. Dass auch
die Stelleu, au denen vom Frühlino-sgesano-e der N. die Rede ist, von
dieser Anschauuno; ausgehen, ist nicht zu beweisen. Doch zeigt Antb.
Pal. IX 88, dass die Annahme des Winterschlafes in Bezug- auf die N.
nicht allgemein verbreitet Avar.
29rVgl. Vogelgesang S. 73, 80.
30) Aristot. H. A. VI 7, 1 spricht nur vom ^Erscheinen" und „Ver-
schwinden'" des Kuckucks, nicht aber ausdrücklich von seinem Zuge
(iihnlicb IX -49 B 7); er nennt ihn aber auch nicht unter den AVinter-
schläfern. Demnach scheint er ihn doch für einen Zugvogel zu halten.
Nach Ael. N. A. III 30 Avird der K. gesellen vom Beginne des Früh-
lings bis zum Aufgange des Sirius. Vgl. Plin. H. N. XVIII 26 (GG , 2i\}.
3ij y,|iog xdxxu; xoxx'j^s'. Spuög sv TzzxiXo'.o: j xoTtpöjxov, TspTrst, xs ßpoxo'j;
iu' äTTctpova yoi.Xoi.v xxX.
3-) Vgl. Vogelgesang S. 21 ff.
33) j(^(?)Trö9' ö xöxx'JS sTtioi xöxx'j, xox' av oi ^oiv.xcs äcTcavxsg / xo'jg
Tfc'jpo'jg av xal xäg xpiO-ig iv xolc, TisStoig dS-spi^ov.
8^) Ttp6a9-s ßofjc; xöxxyyo; iapxspo'j.
^^j Für die genauere Bestimmung dieses Raubvogels bieten die
Angaben bei Aristot. De part. an. III 7, 13; H. A. VI G, 3 sowie VIII 3,
1 und 17 wenig sichere Anhaltspunkte. Deshalb geht Hammerschm i d t
(Die Ornithologie des Aristot. Progr. Speier 1897, S. .55) von einer Notiz
Erhards (Fauna der Cykladen I 44) aus, dass auf den Oykladen noch
heute der schwarze Milan (Milv. aterl den gleichen Namen trägt. Avas
freilich bezüglich Attikas nicht zutrifft (Vgl. Heldreicli, La Faune
de Grece). Nach freundlicher 3Iitteilung des Herrn Dr. Othmar Reiser,
Kustos am Landesmuseum in Sarajevo, dessen Werk über die Vögel
Griechenlands demnächst erscheinen Avird, kommt daneben auch der rote
j\Iil a n (Milv. regalis) in Betracht. Von beiden Arten erscheint die Haupt -
menge im Frühjahr, Avährend einzelne Individuen freilich auch im
Winter vorkommen. Die Angaben bei Kr ü per-Hartl aub, (iriecli.
Jahreszeiten, III S. 169, die den roten 3Iilau auszuschliessen sclieiiien,
sind gerade in dieser Frage nicht ausreichend. — Herodot. II 22 be-
zeichnet den ixxtvog für Oberägypten als Standvogel.
3C) Von der Sitte bezAv. Unsitte der alten Athener, Scheidemünzen
im Munde zu tragen, ist in den Stücken des Aristoph. öfters die Rede.
Vgl. Kock z. d. St.
37) V. .")00 . . . IIEI. xal xaxe^sigev y' ojxog (sc. Ixxtvog) Ttpwxog ßacji-
Xs'Jwv / Tipox'jX'.vScta&'ai xoi; Ixxivoij. EVE. vyj xov Aiövuaov, syä) yo'Jv /
sx'jX'.vdo'jjir// IxxTvov i5cöv xxX.
38) D. i. dieselbe Volksklasse, die auch bei der Ankunft der Sclnvalbe
in erster Linie interessiert Avar.
3") Die Gleichsetzung des Comp. xpoxoXLVosIad-ai mit dem Simplex
unterstützt den Scherz. Denn jenes bedeutet, Avie lat. provolvi, ein unter-
Avürügcs Sichniederwerfen (vgl. Demostli. XIX 338); dieses dagegen bc-
zeiclinet einfach die Gebärde des Sich-Wälzens, die als Ausdruck der
höchsten (iemütsbcAvegung, soAvohl der Freude, wie liier, als auch der
Trauer, z. B. Hom. II. XXII 414, gelten kann. Vergl. auch Kock
z. d. Sf., der bezüglich einer ents])rcchenden Sitte beim Anblicke des
ersten Storches auf Pliilostr. Epist. 44 verAveist. Derselbe zitiert
Jlannliardt in Haupts Ztschr. XU S. 400, um auf eine ähnliciie Be-
grüssung des Kuckucks diircli deutsche Bauern aufmerksam zu niaclicii.
nSich wälzen" sich unbändig freuen ist aucli bei uns ein niclit uiilic-
kanuter Ausdruck. Die betr. (iebärde hat ausserdem im Tierreiche
(Hund, Schwein u. a.) die treffendsten Analogien. — Die Ausg. v. Blaydes
bleibt bei diT wr.rtliclien i'bersctzung (adorare) stehen.
— 59 —
■"^) Aristopli- Av. 713 f. setzt seine Ankunft vur die der Schwalbe.
Nach Geminus, Isagog. in Arat. Pliaen. wurde seine Ankunft in den
verschiedeneu Kalendern meist einige bezw. mehrere Ti^ge vor der
Frühlings-Tag- und Nachtgleiche angesetzt. (Vgl. Ausg. v. Manitius,
S. 228, 1, 6 und 11.)
^1) Es ist hier daran zu erinnern, dass Homer für die Kleinvogel -
Welt noch wenig Sinn verrät, wie er z. B. Od. V 65 ff. die idyllische
Insel der Kalypso mit Eulen, Habichten und Meerkrähen bevölkert.
Das Interesse für solche Vögel nahm mit dem Fortschreiten der Kultur
und Sentimentalität immer mehr ab, während das Gefühl für das Sinnige,
Feine und Liebliche wie überall (vgl. Biese, Xaturgefühl I S. 6-t ff.)
so auch hier sich steigerte. Vgl. auch d. Anhang v. Ameis Hentze z. d. St.
42) Ixxtvog §' au [iSTa xaSxa ^avsig STSpav (opav 'i.ri.ozT.i^n;, / r^Y.y.%
Tisy-Tsiv öjpa T^poßdcTtov tloxov rjp'.vöv' xtX.
43) 15; T-ö- vf,aaa •/.oÄ'jjji.ia* / I5s Tiwg '{ipa^og ö5£'J£'.. Der Kranich
gilt Sonst als Herbstvogel. Unter der „Ente" ist jedenfalls eine Wild-
ente, die sich auf dem Frühjahrsdurchzuge befindet, zu verstehen. Als
Frühl ingsvogel ist diese ebensowenig charakteristisch wie der Kranich;
denn die griechischen Gewässer bilden gerade im Winter das Massen-
quartier verschiedener nordischen Entenarten, die zu Beginn des Früh-
lings wieder nach ihren Brutplätzen abziehen. Die einzige Wildente,
die wenigstens vereinzelt in Griechenland brütet, ist nach Krüper-H.
S. 291 die Stockente (Anas boschas). Doch vermag diese nicht zu tau-
chen, sondern nur zu gründein d. h. den Oberkörper ins Wasser zu
senken. Das erstere tun nur die sog. Tauchenten. An eine solche
müssen wir also hier denken, ohne die Art näher bestimmen zu können.
**) Später galt er als Männchen des Eisvogels. Vgl. Antigon. Hist.
Mir. 23 f. (27 f.) u. a.
45) Wie diese Angabe mit der Sage von den halkyonischen Tagen
(zur Zeit der Wintersonnenwende) in Übereinstimmung gebracht werden
kann, ist mir unerfindlich. Vgl. Aristot. H. A. V 8, 8 ff. und das da-
selbst zitierte 12. (18.) Frg. des Simonides. Der erstere erklärt V 9, 2
den Eisvogel geradezu für einen ausschliesslichen Herbst- und Wintervogel.
46) !Nach Krüper-H. S. 215 überwintert die Dohle in Griechenland
und Kleinasien in gro.sseu Scharen. Nach Abzug der nordischen Gäste
im Februar und März begeben sich die einheimischen Dohlen an ihre
Brutplätze.
47) V^ielleicht wäre noch eine Stelle des Arat (v. 1094 ff.) beim
Früh Jahrszuge einzureihen; doch ist der Ausdruck dieser Verse zu unbe-
stimmt gehalten, als dass wir sie für unsere Zwecke ohne weitläufige
Erörterungen verwerten könnten.
^8) A. a. 0. lesen wir, dass die in Vögel verwandelten Gefährten
Meninons alljährlich am '»rabe ihres Königs in der kleinasiatischen Land-
schaft Troas erscheinen, ihn beklagen und Staub auf das Grab werfen.
Dann beginnen sie ihm zu Ehren Kämpfe, nach Art der Leichenspiele,
um dem Toten im Hades eine Freude zu bereiten. Dabei ruhen sie nicht
eher, als bis es Verwundete und Tote gibt. Dies alles tun sie auf die
Weisung von Memnons Mutter Eos, die auch ihre Verwandlung verur^
sachte. Xach Plin. X. H. X 26 (37) und anderen davon abgeleiteten
Stellen kamen diese Vögel aus Äthiopien, woher ja auch Memnon stammte.
^'gl. Paus. X 31, 6, Dionys. De Avibus I 8, sowie Aelian X. A. V 1.
Diese und andere einschlägige Stellen, bes. Ovid, Met. XIII 576—622,
werden von Holland in seinem lehrreichen Programme „Heroenvögel
in der griech. Mythologie", Leipzig, Thomasgymn. 1895 eingehend ge-
sichtet und besprochen. Wenn aber der Verfasser S. 17 darauf verzich-
tet, diese Vögel naturhistorisch zu klassifizieren, so müssen wir diese
— 60 —
Lücke in seineu Austuliruniien auszufüllen trachten. Es lianilelt sich
bei Hollands Untersuchuno-en nicht um die Memnonsvüg-el allein, sondern
auch nni die Achilles-, Pioniedes- und Melea^-er-Vög-el, die ebenfalls mit
dem Kultus der Gräber oder Heiligtümer ihrer Heroen betraut erscheinen.
Nur besteht zwischen den einzelnen Sag-en der bedeutsame Unterschied,
dass die letztgenannten drei Vogelarten an den betr. ()rtlichkeiten auch
nisteten, während die Memnonsvögel nur periodisch am Grabe
ihres Heroen erschienen. Sie allein kommen daher für unser Thema
in Betracht. Holland selbst gibt S. 17 mit Welcker (Ep. Cykl. IP 207)
zu, dass die Heroenvögelsagen von den Gräbern der betr. Helden aus-
g-ingcu und dass die dichtende und verknüpfende Phantasie angeregt und
bestärkt wurde durch wirkliche Vog-elscharen, die sich dort ständig oder
l)eriüdisch zeigten. Halten wir uns au die natürlichen Ausgangspunkte
der Sage, so können die ritterlichen Vogelkämpfer an Memnons Grabe
uur Kampfläufer (Machetes pugnax) g'ewesen sein (vgl. Thompson
S. 116\ Diese verweilten auf ihrem Zuge (vgl. Krüper-H. S. 275), und
zwar im Frühjahre auf der Reise von Afrika nach dem Norden, etwas
länger au den ihnen zusagenden Plätzen der troischen Landschaft und
traben dabei ihre allgemein bekannten, auffallenden Kämpfe zum besten,
bei denen es freilich nicht so blutig zugeht, wie es Quint. Sniyrn. schil-
dert. Doch das tut nichts zur Sache. Es fragt sich nur, ob eine andere
Ableitung der Sage denkbar ist, und ich glaube, es wird nicht so leicht
möglich sein, eine bejahende Antwort auf diese Frage zu geben bezw.
zu begründen. Wenn aber Holland S- 18 darauf Gewicht legt, dass
Aelian 1. c. diese Vögel mit schwarzen Habichten vergleicht, und dar-
aus weitere Schlussfolgerangen «ableitet, so glaube ich, dass wir Aelians
Angabe hier ohne weiteres auf sich beruhen lassen können, da sie nichts
anderes ist als eine phantastische Ausbildung der Sage nach der nij'tholo-
gischen Richtung, die jeden Zusammenhang mit ihrem natürlichen Ausgangs-
]>unkte verloren hat. Und dieser liegt ohne Zweifel im Frühjahrszuge
des Kampfläufers, für dessen Einsetzung in seine Rechte schon Cuvier
eingetreten ist.
^3) Darüber bandeln viele Stellen der alten Komödie und der An-
thologie, bes. des G. Buches. Doch konnte ich diese nur insoweit hier
berücksichtigen, als die Beziehung auf den Zug darin irgendwie zu
Tage tritt. Wenn nicht, so gehören sie in das Kapitel des Vogelfanges.
5") Als Grund des Vogelzuges nach der herbstlichen Tag- und
Nachtgleiche bezeichnet Aristot. H. A. VIII 12, 3 die Flucht vor dem
herannahenden Winter. Vgl Hom. II. III 4. Derselbe Ausdruck bei
Herodot II 22 (über den Kranichzug).
51) äXÄov 5' äv äXÄo) -po-j{5o'.; äTtsp e'mTspov öpviv / xpslaaov ä|iai-
"laxeto'-) ^'jpöj öp|i£vov äy.xäv Tipö; saTispou O-soO. Auch äväpiö-iiog im näch-
sten Verse (17ü) scheint durch die Vorstellung der unzähligen Vogcd-
scharen veranlasst.
52) Über den Kranichzug vgl. Aristot. IL A. VIII 12,3; ausführ-
licher IX 10, 1 f.; Herodut. II 22; Aelian N. A. II 1, III 13 (eine be-
sonders reichhaltige Stelle); Dionys. De Avibus II 17; I'lin. X 23 (30).
Sonderbar ist, dass sowohl Thompson S. 41 als :vuch Krüper-H. S. 2(57
besonders den Frühjahrszug b.etonen, während fast alle griechischen
Dichterstellen, wie aucli Aristoteles, nur vom Herbstzuge sprechen-
Vgl. auch Körner, Die Homerisihe Tierwelt, Kerlin 1880, S. 62 ff.
53) Man beachte, dass der Ausdruck zuerst allgemein gelialten ist
und auf den Vogelzug im ganzen sich bezieht. Dann erst wird auf die
Kraniche speziell hinsrewiesen.
5') Dies ist vom griechischen Standpunkte aus gesagt; denn ilort
ist der Regen für den Winter ebenso charakteristisch wie bei uns der
— 61 —
Schnee. Vgl. Hesiod Op. 4.")!. Weniger gut passt die Erwähnung der
winterlichen Regengüs.se auf die nördlichen Brutplätze der Kraniche.
55) Der Dichter ninniit, wie es scheint, an, dass die Kraniche von
Griechenland aus in einem Tage ans Ziel gelangen.
56j Tp&ec, [isv xXayY"S t' svoti-^ t' "iaav, opv.^s; tog, / ifizz nsp xXayyvj
yspivcüv TTsXsi oOpavö9-. -pö, aix' dnsl o5v /S'-jicöva tpüyov -xai äi)-3a-.paxov
öjjißpov, / -/Xavy^ Tacys zsTOVTa'. Iti' 'SxsavoTo ;5oäcov, / avSpäoi nuyiaacoia'.
'^övov xal XYjpa cpspouaa'.- / T|Spta'. d' ö;pa xaiys xaxYjv sp'.da upocpspovxat.
(Übersetzung vorne nach Anieis). Eine anonyme Parodie dieser Stelle
hei Brandt,' Parod. Ep. Gr. rell. p. 102, v. 7—9. Vgl. auch Claudian
XV 474 ff. und Juvenal XIII 167 ft.
5") Natürlich wurde auch im Frühjahre gepflügt. An unseren
Stellen handelt es sich aber durchweg um die Herhstzeit, in die, wie es
scheint, die Hauptarbeit des Pflügens verlegt war. Wurde ja doch
für diesen Abschnitt des Jahres geradezu der Name „Saatzeit" (a-opvixds)
gebräuchlich, wie schon Hesiod 1. c. von der „Pflügezeit" (äpoxog) spricht.
Vgl. Ideler, Handb. d. math. u. techn. Chron. I S. 242.
58) <I)pä^sa{)-ai S', s'jx' av yspävou cftovYjv änaxo'Jarjg / lcIiöO-ev §x vs^fsiov
sv'.aOa'.a xsxXyjY'jiYjg' / y^x' äpdxo-.ö xs or,ii% cpspsi, xai ■/s,i\i.'Xzoc, löpr^v / Ss'-xv-Js:
Ö!J.ßpr;po'j' xpaSir^v 5' soax' dvSpög äßoOxsw.
59) "OpviO'Og q;ü)vr(V, IloXunator,, dgü ßocöav;? / YjXO'ja', r^xs ßpoxolg äyysXos
YjXy äpdxo'j / wpaiou' xxX. Das letztere Wort wird von Biese (IS. 24)
mit Unrecht auf den Frühling bezogen. Vgl dagegen Hesiod Op. 616 f.
sowie Arat 1075.
c ) OTisipsiv [JLsv, äxav yspavos xpoj^o'ja' ^g xyjv Aißüvjv [JLcxaxwp-^, / xai
KTjSäXiov TÖX£ va-jxXTjpw '-ppä^c'. xpiiidcaavx'. xa9-£'j5=!.v, xxX.
61) Vgl. die Epigramme zu Beginn des X. Buches der Anthologie.
62j 5;,' äipoc, sTÖ-s Tioxavoi / YsvoitisO-a Aißusg / olwvoi axoXäosc: / oiJißpov
X'.-o'jaa-. xs'.|isp',ov / viaaovxa-. -peaßuxäxcf, / a'jp'.yy'' ^£-*d[j.£vat / Tio'.jjievo;, o;
äßpo^a j Tisoia xapTto^dpa x£ yag / lii'.7i£XGjj.£vos loi.yzl. / w -xaval §oXix,a'Jy,£V£s, /
a'ivvo|jLGt v£-.f£cov 5pd|iO'j, / ßäx£ n£X£!,ä§ag 'jTiö iiiaag I 'Qpicovä x' §vvOx.'.ov, /
xap'jgax' äYY£^»-ÄV, / Eüpcöxav £cp£^d!i£va'., MEvdXaog äx'. Aap^ävou / -dXiv iXcbv
§d[iov r;5£'.. In v. 1478 möchte ich oi" al9-£pos lesen nach Aeschyl. Prom. 281.
Um viaaovxa-. (v. 1482) konstruieren zu können, ist es nötig, entweder
mit Härtung in v. 1481 x£i|j.£pov, ai zu lesen, oder, was das Einfachste
wäre, nach v. 1480 einen Punkt zu setzen. Auch v. 1488 ist nach Nauck
verderbt; er setzt Spd[xo'j in Klammern. Das „Sitzen am Eurotas" scheint
auf das Vorbild Homers zurückzugehen. Vgl. 11. II 459 ff. Übrigens
ist der Ausdruck wenig passend: Die Kraniche stehen, Gänse und
Schwäne dagegen sitzen viel häufiger und machen auch im Stehen wegen
ihrer kurzen Füsse mehr den Eindruck des Sitzens.
6') Abgesehen von der ganzen Charakteristik vgl. die Feminina
XOTO'jaa; (v. 1481), r.f.d-iiiBvx'. (v. 1483\ Tixaval i'v. 1487) und i-^ps^dia^vai
(v. 1492).
'■■') Die „Vögel" des Aristoph. Avurden i. J. «414, die Helena des
Eur. i. J. 412 aufgeführt.
<55) Diese Ansicht beruht im ersten Teile auf richtiger Beobachtung
(vgl. auch (Aristot.) H. A. IX 10, 1); der zweite Teil dagegen, nämlich
das hohe Alter dieser Führer, ist ebenso schwer wissenschaftlich zu be-
weisen als zu widerlegen. (Bzgl. anderer grosser Zugvögel, z. B. der
Wildgänse, besteht die gleiche Annahme; vgl. Fr i d erich, Naturgesch.
d. deutschen V. S. 637.) Sicher ist nur, dass die Führer in unregel-
mässigen Zwischenräumen wechseln (L e v e r k ü h n). Ausserdem behauptet
Naumann, Naturgesch. d. V. Mitteleuropas, Neue Aufl., Bd. VII S. 102,
dass der Anführer meistens einer der grcissten (d. h. der kräftigsten)
aus der Schar ist.
— 62 —
•'•'^l Diese Stelle ist unverständlich übersetzt bei Biese, I. S. 52.
*''') Vgl. Biese, Einige Wandinngen des Wunscbmotivs, Ztschr.
f. vrgl. Litteraturgesch. N. F. I S. 417 f.
*»8) rjX'.ßäxoig uTiö x£'j8-!JL0)a'. y£voi|Jiav, / i'va jjls Ti-spoOaaav Spviv / ^zbc.
slvl TZOTavaTc; äyiXatg -S-sirj.
'^^) Was freilich die jähen SchlKcJtten mit dein Beflügelungswunsche
zu tun haben, ist nicht ohne weiteres klar. Der Chor scheint zu meinen,
dass in der Einsamkeit die Erfüllung dieses Wunsches leichter möglich
wäre als mitten in der Stadt Troezen. Nach der Ausg. v. Barthold
(Beiliu, Weidmann 1880) ist der Gedankengang vielmehr: .,Konnte ich
mich doch tief in den Gründen der Erde bergen, oder wäre ich ein
Vogel ...!'■ Der Fehler läge dann in Iva, das zu korrigieren wäre.
Doch ist die vorgeschlagene Änderung kaum empfehlenswert. — Paley
versteht in s. Ausg. [Cambridge 1876) unter x£'j9-!iü)V£s „Höhlen in glatten,
unzugänglichen Felswänden, wo die Seevögel brüten". Es ist hier aber
nicht an Brutvögel sondern an Zugvögel zu denken. — Biese, Na-
turgefühl I S 52 findet an unserer Stelle „die Stimmung eines reinen,
von Neb euni oti ven geläuterten Na turg ef ü hls , das die Be-
Üügelung \\m ihrer selbst willen sich wünscht." Doch davon kann
hier doch wahrlich nicht die Rede sein. (Vgl. auch dess. Verfassers
Artikel in der Ztschr. f. vergl. Litteraturgesch. N. F. I S. 418.) Freilich neigt
sich auch Wi la mo wi tz - M öl 1 en d orf f , der in seiner Ausgabe des
Hiypolytos, Berlin 1891, S. 216 ff. die Stelle behandelt, dieser Auflassung
zu. Aber indem er einen Zusammenhang des Liedes mit dem Inhalte
des Dramas einmal annimmt, dann aber wieder in Abrede stellt, lässt
seine Erklärung eine Lücke. Wir werden m. E. auch hier am sichersten
gehen, wenn wir eine uuwillkürlithe Ablenkung der Tendenz des Dich-
ters bei der Ausführung seines ursprünglichen Gedankens annehmen wie
Hei. 1478 ff. Zuerst wünscht sich der Chor nur deshalb Flügel, um weit
wegzueilen von dem Entsetzlichen, was hier geschehen soll. Daraus wird
im Verlaufe der Darstellung (i. d. Antistrophe) der Wunsch, zu den Ge-
staden der Seligen zu gelangen.
■^ ') V. 4 äotptov a'jvsyyjs i'Tixaixat xe xotL xpdc^co.
''') V. 3 vjvixa aoi y.£X|j.yj6g InsTixaxo cpopxidt vvjl / o'jÄov ävT/pifViKov
x£Tvo yi':f'jc. y£päv(i)v.
72) Etwas Ähnli.hes berichtet Plin. X 23 (33) 69 von den Wach-
teln. Aber auch von diesen glaubte man, dass sie Sand oder Steine
als Ballast mit sich trügen. Vgl. A. 130. Freilich lesen wir die gleiche
Geschichte auch bzgl. einer Art von Fischen (loUiginesj bei Plin. XXXII
2 (6), 15. Hier kann nur an das eigene Gewicht der Fische gedadit
werden.
''3) Vgl. den richtigen Ausdruck „lange Iteihen" bei Arat 1031.
■f^) Vgl. Wel.ker Kl. Sehr. I 100 ff. Die Sage wird erzählt bei
Plutarch, de garrul. 14. Christ, Gesch. d. gr. Litt^, S. KiO führt die
Sage auf eine etymol. Spielerei zurück, da für die Kraniche audi der
Name Ißuxss (Trompeter) gebräuchlich gewesen zu sein scheint.
''^) V. 3 . . . yepä'KD^ vi-.foc; . . ., v. 6 xff)v5. 5iä xXayyrjV . . .
76j Vgl. Hom. Od. III 2()9ff.
77) Freilich kann man daraus nicht folgern, dass es dem Verfasser
des ersteren als Muster vorlag. Es kann in beiden (Tcdichten direkte
Naihahmung Homers vorliegen.
7*^) Cbcr den Kr. als Wetterpropheten vgl. Theophr. Sign. TU 1,
IV 3; Geopon. I 3, 12; Ael. N. A. I 44, III 14, VII 7. Vgl. aucii Vergil,
Georg. I 374 f., eine von Arat unabliängige Stelle, während .\en. X 2(>4 ff .
ein Kiiniiiilatinii griccliisclicr lAIntive darstellt.
— 63 —
■cavuaaiev sva Sp6[j.ov YjXi^Va Tiäaa'., / oucik noi.X'.ppöd-'.ol xsv uTtsöSio: cfopäoivio.
8") o'jS' u'^^i'J Y^P^'^"^"^ iJ.a7.pal axix-? aOxa xsÄs'jO-a / Tsivovxai, axpo-
^aSsg 5s 7iaXi|j,7i£X£g ä;iov£Ovxa'..
81) X^^P-- *) ^•'^- Y-P°''''"^'^ äysXais **) ojpatog ** -) dpoxpsus / öpiov spxo-
[isvaog, o 5' dtöpotg aOx'/z.a [laXXov / aiixcog Y"^? X-'^l''^''-? snepxovxaL y^P^"
vo'.ai, / Tipcüia |j.£v xal iiaXXov dp.iXa5öv spxoiiivvjaiv ; TtpoV.of auxap 5x' &4'^
xal o'jx äYsXrjoä cpavslaa'. / TiXstoxspov cpopsovxai iui ypö^o'/ o'j5' ajia tioX-
Xai, / dji^oXivi x-'-l^"^'-"^? ö-fsXXsxai Oaxspa spYO'-
*J Auf dieses Wort ist kein allzugrosses Gewicht zu legen. Der
Ton liegt entschieden auf |j.öcXXov v. 1076. Nicht unter allen Umständen
freut sich der Ptiüger über das Erseheinen des Kr. — sind sie doch Vor-
hoten des Winters und noch dazu Feinde der Saat — , sondern besonders
dann, wenn sie durch ihr spätes Eintreffen den Winter gevvisserniassen
zurückhalten.
**) Vgl. A. 59.
v-s-v) Vgl. Eur. Hippol. 734.
8^J Man beachte auch hier, wie II. III 2 ff., dass der Ausdruck vom
Allgemeinen zum Speziellen übergeht!
83J xöv §', toax' dpvii)-(ov TisxsYjvwv sS-vsa noAÄdc, / yjiwi^ r; y-P^^''^'^''
7j xüxvcov So'jXiX'^Sstpwv, / 'Aaiw sv A£'.ji.ä3vi, Kaüaxpio'j dji'^l päsS-pa, / svH-a
xa: evt)-a ixoxwvxai äYaÄXö[i£va 7i;x£p'JY£33!.v, / xAaYY^^öv TipoxaO-i^^övxcov, a[ia-
paY£l §£ x£ X£L|ji(öv, / äc, xwv sl>v£a Tic-ÄXä xxÄ. Vgl. Vergil Aen. VII
699 ff. und Georg. I 388 f.
8^) Allerdings wäre dann ^i—^i zur Bedeutung von xal-xal abge-
schwächt. Ich kann aber nicht glauben, dass sich Homer eine unge-
mischte Gesellschaft solcher Vögel — al-o entweder nur Gänse oder nur
Kraniche oder nur Schwäne — vorgestellt habe. Am allerwenigsten
wäre bei der Annahme eines Seh wanenzuges das Wort xXaYY'i^/56v zu ver-
stehen, da diese Vögel auf der Weide keinen Ton hören lassen, während
die Kr. bei solchen Gelegenheiten grossen Spektakel machen (Lev.).
Andererseits passt äya^X. tzz. auf die grauen Kr. viel weniger gut als
auf die prächtig weissen SehAväne. Vgl. Kommentar und ^Anhang" von
Ameis-Hentze z. d. St.
85) kXX' töax' dpv{i)-o)v Tisxsrjvwv a'.£xög at^-tov / sO-voj £cpop[iäxaL, Tioxa-
[löv Tiäpa ßoaxo|j.£väojv, / x'i^j'^öv y; Y^pävwv r^ xOxvtov SooXixoSs'pwv, xxX.
86) Beispiele bei Krüper-H. S. 287. Solche Sammelplätze nennt
man in Smyrna „die Arche Noahs".
87) V. 1 f. Fspavot Y^ö^PT^'^ xaxövdjiovxo xyjv X^P""*'' / £37cap!JLivr;v
v£(oaxl Kupivcp aixtp. V. 10 cp£'JYO>[-i£v, ixpa^Ya^ov, s-ic, xä Tlu'{\ioi.wyK
88) V. 1 f. AüXagi XsTixäg Tiot-^ldoic, dcYpöxvjg Tiv^jag / y^P'^'''^'-»» a-opatojv
7ioX£iJiiag a'JV£iX7]9£i. V. 5 oux stiil Y^pavog, oü OTiöpov xaxacf9-£ipw. V. 11
sXaßöv 0£ o'jv xalg xapya xd[iä ■Kopd-o'joa.K^.
89) V. 21 •{spoi.wot. a'jvY/vxtüv xat xö aujjißäv rjponojv. Über die Zeit-
bestimmung vgl. A. 148. Aristot. H. A. VIII 12, 6 gibt dagegen als
Wauderzeit der Kr. den Monat MaL(j.axxr]pU'}v (Mitte Nov. bis Mitte Dez.)
an ; das wäre fast ein Monat später, als bei uns in Deutsehland der
Durchzug gewöhnlich beobachtet wird.
^'J V. 8 dpx'jv x£ xXaYSpwv Xai[xo7i£oav Yspävwv. Vgl. Horat. epod.
2, 35 f. advenam laqueo gruem / . . captat . .
91) '0 uplv SYÖ) xai 4^fjpa xal dp7iäxx£Lpav £p'jxwv / aTzspiiaxog, 'r\)i-
Tisxrj B'.axovtav yspoi.\o^, / xxX. V. 4 s. A. 149.
92) ä a'ig xäv xOx'.aov, ö Xoxog xav odyx S'.wxsi, / ä '{ip'X'toc, xcopoxpov,
£YÖ) 5' £7ül xlv |ji£tJLävr|[J.ai.
93) Zu V. 5 : Die Amsel bleibt als Standvogel den Winter über
in Griechenland; v. 8f. . . . dvOTödvjxo; op9-pov nEpvnaxstv / ysp^vos.
— 64 —
3+) Diese Annahme leite ieli aus der Erklärung- von Anieis-Heutze
ab, der r,iy.y.'. auf den Tag nach der Ankunft der Kraniche bezieht.
Über die Dauer der Reise val. A. 55.
95) Vgl. Kinkel Ep. gr. frgg. I p. 63.
96) Vgl. A. 10()— 108.
97) Den Text vgl. bei A. 87.
9S) V. 6 'Ptojiaio'.; 5' oOdsl; Ttpög •{zpä.vo'jc, :iöX£[j.oc;. Erklärung nach
der frz. Ausg.
99) 'Aa-.paÄscos oly.Y,:j>jv sv äaxs'C, \ir^ zt -/.oXcciv^ / aijiax'. nuYfiaiov
•^5o!Ji£VTj yspavo;. Vgl. Priap. 47 (auf eine sehr kleine Frau) und zu v. 2
Ovid, Fast. VI 176.
100) (0- g' Sx* tx-' Al9-!.ö7icov TS xal Alyü-xo'.o poäcov / •j'4'i7x=TVj5 yspä-
vojv X^P'^? £px.2"a'. Yjspo'.fcövwv, / 'AxXavTOg v'.'.pG£v-a ixctyov xal X--!^^ cfuyoO-
aai, / il'JY|i3tto)v -C oXiyobp'X'^ivDy äjjisvvjva ylvsa-Xa* / t'^oi 3" dcp' i7r-a|i£VT;;a!,
y.a-a aiixa; sOpss? isiiol / 7)dpa iz axiäouai y.al aXXuTov oyiiov s^ouaiv xxX,
'"!) Diese richtige Ableitung geben die Schol. zu Hom. II. III (5;
nur gehen sie fälschlich von der abgeleiteten Bedeutung des Wortes
TwUYRi ^ Faustkanipf aus. Die Feindschaft zw. P. und Kr. leiten sie
davon ab, dass diese jenen die Saat beschädigen und dadurch Hungers-
not im Lande verursachen- Darnach wären die P. die Angreifer, was
mit der Stelle Homers nicht übereinstimmt.
i<^2) Dieselbe Angabe in Schol. Wech. zu Anth. Pal. XI 369 nach
Eustath. zu Hom. II. III 6. — Über die angebliche Kampfesweise der
Pygmäen (auf Widdern) vgl. Schol. zu Hom. II. III 6 und genauer Plin.
VII 2, 26. Dabei wird aber die Grundlage der Sage wiederum insofern
verschoben, als die P. offensiv vorgehen, indem sie Eier und Junge der
Kr. vernichten. Da jedoch die Kr. im Süden nicht nisten, hat diese
Ausschmückung der Sage keinen rechten Sinn; man müsste denn daran
denken, dass ihr Ertiuder eine doppelte Brut der Kr-, im Norden wie im
Süden, angenommen habe. Die älteste Darstellung eines Kampfes zw.
Kr. u. P. lindet sich am Fusse der sog. Fran(;ois-Vase (in Florenz). (V^gl.
Amelung, Führer durch die Antiken in Florenz, 1897 S. 223 ff.) Ge-
naueres über P. -Darstellungen in der klass. Kunst bei Jahn, Arch. Beitr.
418 ff., Stephani, Compte-rendu 1865 S. 119 ff. sowie Overbeck,
Pompeji S. 583 f. In der Alexandrinischen Kunst wurde das Gebiet der
Sage dadurch erweitert, dass die Pygmäen nicht nur mit Kranichen
sondern auch mit anderen Tieren z. B. Krokodilen und Nilpferden zu-
sammengestellt wurden.
'«^) Die Schol. z. Opp. Hai. I ()23 erklären die Pygmäen kurzweg
für Affen. Ob dieser Erklärung eine weiter verbreitete Ansicht zugrunde
liegt, ist schwer festzustellen.
1'*) .\uf ihn beruft sich Bender, „Die märchenhaften Bestand-
teile der homeiischen Gedichte." Progr. Darmstadt 1878, S. 11. Er
glaubt die Pygmäen-Frage einfach durch diesen Hinweis zu lösen.
105) Bender freilicli glaubt, das ägyptische Wissen Jlomers krmne
so weit gereicht haben, wenn er auch Gladstones IJbertreibungen
fHomer und sein Zeitalter, D. Ausg. Jena 1877 S. 227ff.l zurückweist.
Durch die Güte des Hrn. I'niv.-Prof. Dr. Hommel in München werde
ich nachträglich aufmerksam gemacht, dass D um i eben in der Einleitung
z. Ed. Meyers (lescli. des alten Ägyptens, Berlin 1887, S. 7 Anm. aus
einer Tempelinsciirift von Karnak die Bckanntsclialt der alten Ägypter
mit zwergenhaft kleinen j\Iens( hen aus dem südl. Oberägypten nach-
weist. Die Möglichkeit eines Zu sam uienh anges bleibt also be-
stellen. Wir miissten dann annelimen, dass die Natur hier von lieiden
Seiten, vom Norden und vom Süden, di-m Mythus entgegengekommen
sei, was freilich ein höchst merkwürdiges Znsammentreifen wäre. Ausser-
— 65 —
dem scheint die Figur der „Fäustlinge" nicht einmal für die Sage
vom Kranichkrieg erfunden, sondern aus einer noch älteren Zeit über-
nommen zu sein. Sie sind ursprünglich das Non plus ultra der Klein-
heit, erwiesen sich aber ebendadurch neben den hochbeinigen Kranichen
als zu klein, sodass die Erklärer in Übereinstimmung mit der bilden-
den Kunst sie auf Grund einer falschen Etymologie zur Grösse einer
Elle heranwachsen Hessen. Demnach ist durch die Gegnerschaft der
Kr. die ursprüngliche Grösse der Pygmäen nicht etwa herabgedrückt,
sondern vielmehr gesteigert worden. Auch die Fixierung ihrer Wohn-
sitze im Süden geht dann vielleicht auf die Kraniche zurück.
106) Ktes. Ind. 11 p. 250, 294 (nach P.-Benseler » ; Strabo II C. 70, XV C.
711 ; Plin. VI 19, 70 ; VII 2, 26 ; Gell. IX 4, 10 ; Philostr. Vit. Apoll. III 47.
107] Plin. IV 11 (18), 44.
iP"; Eusthenes in ^Hüller's Hist. graec. IJI 732 (uachPape-Benseler). —
Dazu kommt noch Karlen nach Plin. V 29, 108 f.
1*^9) Dass es in den Tropen keinen Winter gibt, scheint man zur
Zeit der Entstehung der P.-Sage in der betr. Gegend begreiflicherweise
nicht gewusst oder nicht bedacht zu haben; ebensowenig natürlich, dass
die Wärme südlich des Äquators wieder abnimmt und dass der nörd-
lichen kalten Zone eine noch kältere südliche entspricht.
ii'Jj Dass nach Homer u. a. Autoren die Kr. auf der Flucht vor
dem Winter begriffen sind, kann meine Ansicht nicht erschüttern. Der
Mythus ist eben bei Homer schon mit einem zweiten Elemente durch-
setzt, mit den Anfängen naturgeschichtlicher Erkenntnis. (Vgl. S. 17.)
Die letztere fasst die Kraniche, der Analogie mit anderen Vögeln ent-
sprechend, als Flüchtlinge, die erstere dagegen als Vorkämpfer. Keine
noch so entsprechende Deutung (vgl. die Erklärung v. Sybel's, A. 111 ])
vermag diesen immanenten Widerspruch ohne Rest auszugleichen.
1") Zur Pygmäen-Sage vgl. Gruppe, Griech. Myth. S. 393 A. 1. Der
Verfasser beschränkt sich, (dme den Versuch einer Entwirrung der Frage
zu machen, darauf, neben den lit. und kunsthist. Nachweisen die Ver-
mutungen von Bender (vgl. Anm. 104!) als unwahrscheinlich zu be-
zeichnen. Wenn dieses Urteil schon von dessen Hinweis auf die afri-
kanischen „Zwergenvölker" zu gelten hat, so müssen wir es in noch
höherem Grade auf den 2. Teil von B.'s Aufstellungen beziehen. Dieser
meint nämlich, der Name „Kraniche" könne der Spitzname einer afr.
Völkerschaft gewesen sein, die den Akka benachbart war und sich mit
ihnen in häunger Fehde befand. — Eine S(jrgfältig durchgeführte lo-
gische Konstruktion der Entstehung des Mythus gibt v. Sybel, Die
Mythologie der Ilias. Marburg 1877, S. 7 If. Seine von Bender zu Gunsten
der ethnographischen Erklärung beiseite gesetzten Darlegungen, auf die
ich erst nachträglich durch letzteren aufmerksam gemacht wnirde, stim-
men mit den meinigen in vielen Punkten überein, nur dass der letzte
Grund des Mythus, der Kampf der Jahreszeiten, noch verhüllt bleibt. —
Nach Thompson S. 43 erscheint die P.-S. in Indien in der Geschichte
von der Feindschaft zwischen den Garuda-Vögeln und einem Volke mit
Namen Kirata d. h. Zwerge, das bei Ael. N. A. XVI 22 und von Megasth.
bei Plin. VII 2, 25 erwähnt ist. Thompson fügt hinzu: Es ist leicht
möglich, dass diese Fabel eine tatsächliche Grundlage besitzt in der
Verfolgung des Vogel-Strausses durch eine zwergenhafte Menschenrace.
Er verweist ausserdem auf Tysons Essay betr. d. P. — ■ Der P.-Artikel
bei Pioscher ist noch ausständig. Preller, Gr. Myth.^ II S. 218 f.
bietet wenig. — Eine eigenartige Hypothese finde ich zum Schlüsse in
der Neuauflage von Naumanns Naturgesch. d. V. Mittel-Europas, Bd.
VII S. 112. Der berühmte Ornith(doge meint, die Sage verdanke gewiss
dem Umstände ihr Entstehen, dass man das Abwehren der Schaden ver-
5
— 66 —
breitenden Kraniche in südliclien Ländern meistens Kindern überlässt,
geo-en die sie weniger Furclit als gegen Erwachsene haben. Doch kann ein
allgemein verbreiteter, einheimische r Volksgebranch kanm als Quelle
einesderartigen^I j'thnsbei dem nämli ch en Volk e in Betracht kommen.
112) Vgl. anch Anten. Lib. 16.
i'8) Dazu käme nach meiner Auffassung das S. 21 f. besprochene
auonj'me Epigramm Anth. Pal. VII 543.
ii-J) £■/. [isv ys A'.p'jr^ä v/.ov Coz tpiqwp'.ai / yiptx'^o:, ii)-3jj.£Xiouc; xaxa-
Tts-wx'Jia'. XitJ-o'jj. Droj'sen hat die Stelle nicht genau übersetzt. Nicht
als Ballast für den KranichÜug sollen in diesem Falle die Steine dienen,
sondern zur Fuudamentierung und zum Baue der Mauer.
115) [jLSxä -(ov yspävcov t" sxsIiVsv ävaxwpö TiäXiv, / äv9-' spjiaxog tioX-
Xig xaxansTiwy.fog Sixa;. Ans dem Singular spiiaiog ersieht man, dass
jedem Krauich nur ein Stein zugeschrieben wurde. Dazu stimmt Ari-
stot. H. A. VIII 12, 8. Nehmen wir an, der Sykophant meine die nord-
östlich von Athen gelegenen Inseln, so stimmt die Richtung seiner Rück-
reise mit der des herbstlichen Kranichzuges überein.
ii*"') Als Beispiele für die Vergleichnng eines Vogels bezw. seiner
Glieder mit einem Schiffe bezw. seinen Teilen (oder umgekehrt) notierte
ich mir folgende Stellen: Hom. Od. XI 125; Hesiod. Op. 628; Eur. Iph.
T. 289, 1346, Jon 161; Apollon. Rhod. 11 1258, IV 238 ff.; Anth. Pal.
VII 202 (Anyte), X 6, v. 6 (Satyrns).
!'■') Zur Erklärung des Kranichsteines als äpiicc vgl. Aristot. VIII
12, 8; Ael. N. A. II 1 und III 13.
11'^) xal yspävwv äxivaxxov i\xi\iy]oy.'no nopsir^v, / oii axoiiäxwv £vxoa!>sv
äoaarjXYjpa y.sXsüO'OU / X&av i.X%'^pit,ouQi xaxax.i)-£a, |Ji7^ txoxs xsivtov / Ejxxa-
p.EV(ov Tixspä xoOq;« napaTüXäygsisv äy/xr,c, / v.iX.
119) yipavo'. Xift-oog xaxaTisTKOVv'r.x'.. iizl xöiv zpovovjxiotwä xt, 7ioici'jvx(i)v.
Bei Thompson S. 43 steht fälschlich xaxauöTtxwx'r.ai.
1-0) Antigon. Hist. mirab. 40 (46) weiss noch nichts davon; der
erste Schriftsteller, der die Sache erwähnt, ist Plinius. Dionys. De Av.
II 17 spricht von den „Wäclitern", ohne den Stein zu erwähnen; er
kennt nur die zur Orientierung dienenden Steine wie Schol. Aristoph.
Av. 1136 f.
'21) Der Kranich hat ja weder Kropf noch Kehlsack (Lev.) ; das
wussten jedenfalls auch die alten Jäger. Damit ist aber freilich nicht
erwiesen, dass die Dichter nicht doch einen Kropf beim Kranich voraus-
setzten und meinten, darin — nicht im Magen — trage er den Stein.
1") Vgl. (Aristot.) H. A. IX 10, 2, wo diese bekannte Eigentüm-
lichkeit der Kraniche zuerst erwähnt wird, aber noch ohne den Stein.
Dagegen erklärt der echte Aristot. H. A. VIII 12, 8 die ganze Annahme
der Kranichsteine für falscli, was seiner wissenschaftliclien Kinsicht nur
Ehre macht.
'21) Der echte Physiologus weiss sonderbarerweise vom Kranich
nichts zu berichten; vgl. Lauch ert, Geschichte des Pliysiologus, Strass-
burg 1889, S. 142, wo (n"st aus einem späten, romanischen Physiologus
eine entsprechende Stelle augefiilirt wird. (Vgl. Isid. XIl c. 7, 15.) Da-
gegen erwähnt Philes, De An- Propr. XI, beide Arten der Kranichsteine.
12») Wenn Ilorapollo II 94 dieses Bild — freilich ohne den Stein
ausdrücklich zu erwähnen — ein ägyptisches Symbol nennt, so wird hie-
bei der spätere Einfluss griechischer Vorst(dlungen zu erkennen sein.
Denn nach H. Dr. Karl Dyroffs frcundliclier Mitteilung ist der wach-
haltende Kranich weder unter den Hieroglyphen zu finden, noch spielt
er sonst in der altägypt. Literatur eine Rolle. Vielleicht beruht die
ganze Notiz auf einer missverständlichen, gräcisierenden Deutung eines
der vielen Vögel der Hieroglyphen-Schrift.
— 67 —
'25) Beispiele in v. Hefnei's Handbuch der Heraldik, Görlitz
1887, S. 81. — Dass den Kr.-8teinen die wunderbare Kraft, da? Gold
auf seine Echtheit zu prüfen, zug'eschrieben wurde, will ich nur ueben-
hei erwähnen. V^l. Aristot. H. A. VIII 12, 8; Ael. N. A. III 13, 20.
•26) Wollte der Kr. von seinem Steine Gebrauch machen, so musste
er nach der Ansicht der Alten ihn heraufwürgen und „ausspeien". (Ari-
stot. und Ael. 1. c.) Vgl. die Jungenfütterung und Gewüllhildung vieler
Vögel, die eine solche Analogie nahelegte. Die Schol. z. Aristoph. Av.
14:29 sprechen allerdings davon, dass der Kr. den Stein im Schnabel
(oder im Schlünde?) (=v -,& a-ö[ia-i) trage. Fast der gleiche Ausdruck
bei Nonn. Dionys. XL 516; vgl. A. 118. Doch ist auf eine solche Ungenauig-
keit späterer Angaben nicht allzuviel Gewicht zu legen.
i-'^) Hier könnte freilich auch der gleichnaniige Fisch gemeint
sein. So wenigstens fasst Athen. VIII 338 d das Wort auf.
128) Dagegen wird bei Horat. Epod. 2, 35 f. der erlegte Kr., ebenso
wie der Hase, als „augenehme Beute", d. h. als guter Braten bezeichnet.
Dabei ist natürlich, wie v. 55 ff., der Standpunkt des einfachen Land-
mannes vorausgesetzt.
■29) Ich folge hier Leverküh US dankenswerten, auf persönlichen
Beobachtungen fassenden ]ilitteilungen. Bei Naumann findeich nichts
darüber. — Trotzdem mag ich an keine andere Möglichkeit der Er-
klärung denken. Der Anteil, den unverbürgte, übertreibende Erzählungen
von Jägern an solchen Fabeln haben, kann nicht scharf genug betont
werden.
130) Dionys. De Avib. I 30; Plin. X 23 (33), 69.
13») Ael. N. A. V 29.
'32) Aristot. H. A. VIII 16, 2 nennt den Storch nur als Winter-
schläfer. Vom Zuge des St. sprechen Plin. X 23 (31) und Ael. N. A.
III 23; auch Plutarch, Vit. Luc. 39 ist darauf zu beziehen.
133) püj. Griechenland kommen besonders die Graugans (Auser
ciuereus) und die Saatgans (A. segetura) in Betracht. Vgl. Krüper-H.
S. 288.
13<) V. 2 v^a TiapasTsixwv 5oXir,v ö5öv, o'.oz ixsiva^ / 'j^rjaocaffai Xo-
13'') Das y.opcovoßöXov hält der frz. Herausgeber für eine Schleuder,
die bes. für die Erlegung von Krähen üblich war. .Jedenfalls war es
eine derbe Waffe. Grotius dachte an einen Bogen.
136) Z. B. jiwvjxs- [.tltzo: u. a.
137) V. 2 yj^va; . . . aaTilto-jg, 7wOir,ßöpous.
13S) Beide Arten des Schwans, der Siugschwan (.Cygn. musicus)
und der Höckerschwan (C olor), besonders aber der erstere, überwintern
in Griechenland. Vgl. Krüper-H. S. 287. Aristot. H. A. VIII 12, 13
zählt den Schwan mit dem Kranich, dem Pelikan und der Gaus zu den
Herdenvögeln (äysÄalo'. xwv öpviS-ojv), kennt ihn also nur vom Zuge her.
•39) Es ist von den weissen thrakischen Pferden des Rhesus die
Rede: a-iX^o-ja'. d' wa^s 7io-aiJ.io'j x'jxvo'j --spöv.
140) Vgl. Vogelgesang S. 81 f.
'*') Vgl. die beim Kranich angeführten Parallelstellen.
1^2) Bezgl. der Dohlen vgl. A. 46. Die Stare sind in Griechen-
land fast nur Herbst- und Wintergäste. (Vgl. Krüper — H. S. 218.) Es
scheint aber doch im Herbste ihre Anwesenheit viel mehr bemerkt wor-
den zu sein als im Winter. Denn Aristot. H. A. VIII 16, 3 nennt den
Star einen Vogel, der in Höhlen überwintert (^(oÄsl). Man sah also
jedenfalls im Winter nur wenige Stare, während sie im Herbste sehr
zahlreich waren.
— 68 —
1*3) . , . "üpr//.'. io'.yMC. / wxsi, Sax' icfößr,aä y.oXo-.o'j; ts '|YJpä; ts. Ans
der Partikel xs— ts sclüiesse ich, dass Homer au eine aus Dohlen und
Stareu gemischte Gesellschaft gedacht hat.
1**) Twv 3', (oqxs djapöjv vs--po; äpxsxai i^z xoXo'.tov, / ouXov xsxXv/Y^'^'c^S-
OTE Tcpotdwa'.v iövxa / xipxov, 5 xs ajjiixpfiai cfövov :f£ps'. öpvi^-saaiv, xxX. Auch
hier ist r^'t wie II. II 460 und XV 692 nicht als ausschliessende, sondern
als anreihende Partikel zu fassen. Vgl. A. 84. Eine anonyme Parodie
dieser Stelle aus der Zeit d. Die Chrvsost. hei Brandt, Parod. Ep. Gr.
roll. p. 102, V. 10 ff.
"5) Man könnte daraus folgern, dass die erstere Stelle jünger ist
als die letztere.
i**^) Dagegen missglückte anderen Dichtern die Übertragung dieser
Metapher auf den Kranich. Vgl. S. 22. Ni'-fog von Vögeln überhaupt:
Aristoph. Av. 295, von Sperlingen: 578.
1*'^) V. 3 . . . xal Y^P äxp'.xov rzXrid-z: ! [liXav xoXo'.mv s9-vo; v^äS-s
Suaycövcov, / 4>ap£5 x' oXsS-poc; aTrspiiixwv äpo'jpaiojv.
i-*8) Das älteste Zeugnis dafür hei Hesiod Op. 614 ff. Ideler,
Handbuch d. Chron. I S. 241 ff. setzt den Frühuntergang der Plejaden
auf den 26. Oktober.
'^8) Den Text vgl. hei A. 91. V. 4 . . . uxavciöv stpyov cItkü^i v£-.fo;.
'SO) V- o TjVids xal v.iyX-q'/ y.al y.özo'r^rjv, y^vids xöaao'j; / d;äpaj, äpo'j-
patT]; apTüayas äOTXopir^g' / xapnwv SrjÄr^xf^pa; IXsiv i^-i'i'.;' oXX'jx' sxsivo-jg' xxX.
151) Unter dem Namen v-^-xM sind sämtliche europ. Drosselarten zu
vorstehen. (Vgl. unsere ,,Krammotsvöger'l) Drei Unterart'^n kennt (Ari-
stot.) H. A. IX 20; do<h ist die Identifikation im einzelnen nicht ganz
sicher. Auf die Wachholderdrossel (Turd. pilaris) scheint sich H. A. VI
1, 6 zu beziehen.
i-''2) Diese Stelle handelt vom Drossel- und Taubenfang in Schlingen,
die am Schlafplatze jedenfalls zur Zugzeit oder während des Wintev-
aufenthaltes angebracht sind.
'S3) Das Gleiche wäre bezüglich des Vogels oTiivog (Fink?) zu sagen,
der in dieser Verbindung öfters bei den Komikern genannt wird. Da-
neben kämen besonders die in Griechenland scharenweise durchziehenden,
aber selten brütenden Taubi'narten: -^äxxa (Ringeltaube) und xpi)Y«')v
(Turteltaube) in Betracht.
151) "Ev x'.v. jjL'jpa'.vwvL v.l'/X% ivsjxsxo.
'55) Die Vorliebe der Vögel für Ii[yrtenl)eeren wird dreimal in den
^Vögeln" des Aristopli. erwähnt: V. 82, 160, 1100.
156) Y. 4 f. xs'-nwv'. 5' sTs äfavxoj / tj NstXov 7^ 'nl Msii-xlv. Herodot
II 22 bezeichnet die Schwalben für Oberägypten als Standvögel.
15") V. 965 f. cpaivöjisvoi äYsXr^Sä xal Spy^XiOatv 6|iora / cf O-sYSäiisvoi.
158) Vgl. Aristot. H. A. VIII 12, 9 ff. und, davon abhängig, Pliu.
X 23 (33).
'59) Anth. Pal. VI 121 (v) (Oallimachus) und 273 (Temiielhain bei
Ephesus); vgl. Tacit. Ann. III 61.
!•■") Ap(dl. Rhod. I 419, 537; IV 1703; Callimach. hymn. II 59;
Anth. Pal. IX 5.50 (Antipater).
IC) Ilom. Od. V 123, XV 404 (von anderen auf Dolos bezogen);
Ilesiod. frg. 85; Pind. Ol. VI 92, Pyth. II 6, Nem. I 2; Bacchyl. IV 8;
<in Orakel bei Paus. V 7, 3.
i^-J Vgl. Soph. Trach. 213, Schneidewin z. d. St. Dagegen be-
zieht Wunder-Wecklein 3 die Stelle auf die Insel 0. bei Syrakus.
'•''3) x'')nßo{; 8s -^tlzi»^ ^jpvifOQ 7tx£po')iJi£vr/g. Schol. IF. liest TiExpov-
liivr^f (in einen Felsen verwandelt).
— 09 —
"•*) Älinlit'li ist aurli der geogr. Name Föpävs'. a (Krunichstein),
ein durch Scliiffbrüche b^-rüclitigtes Vorg-ebirge in Megaris, zu erklären.
Vgl. Simouid frg- 114, Eupliorion frg. 66 (Düntzer).
165) öiaTüspsL y£'.|i.ö)v apa / öpv!,!>tag sl; xr^v &.';ci^j%^j sÄyjX'jit-ag.
166) Beispiele bei Krüper-H. S. 308^
16^) Auf diese Erklärung bringt mich ein Zusatz in den Scholien
zu V. 877. Sie erklären x-'-l^''''-' 'ipv.i'^ix; zuerst als heftigen Wintersturm,
durch den auch die Vögel umkommen, bzw. als Orkan, durch den sie
zu Boden geworfen werden infolge des kalten Lufthauches. Dann fügen
sie bei: ,,8ymmachus dagegen meint, dieses Wetter habe seinen Namen
daher, dass wälirend desselben (d. h. im Winter) diese Vögel erscheinen
I sTDccfaivsa^-ai) wie bei Arat (v. 1077)." So unklar an sich diese letztere Er-
klärung bleibt, so kann sie doch auf die richtige Erkenntnis führen,
wenn wir sie mit den im Texte zitierten Angaben des Aristot. und denen
der neueren Naturforscher zusammenhalten. — Von anderer Art sind die
bei Beginn des Frühlings zur Ankunftszeit der Schwalbe wehenden
venti Septentrionales^ qtii vocaiitur Oriiifhiae, bei Col. XI 2, 21 (vgl. Plin.
H. N. II 47, 122), die mit dem oben (S. 9) erwähnten Schiralbenwind
identisch zu sein scheinen. Für diese Luftströmung Aväre nicht x-V-^'^^'^
sondern ävsjjios die zutreffende Bezeichnung- Pas erstere Wort dagegen
ist wohl am besten auf ein wirkliches Winterwetter zu beziehen.
168) 5(;ov xb 7iXfjt>-oj xaTSTieasv twv ö^jjJmv. Betr. der Ideutilikatiun
des öpxiXog vgl. Aristoph. Av. 568 und (Äristot.) H. A. IX 11, 5. Aus
der Vergleichung beider Stellen kann man mit Thompson den Schluss
ziehen, dass der i^ylloc, mit dem an der letzteren Stelle geschilderten
z^^oyiXog^ identisch ist. Auf die gegebene Beschreibung passt am besten
der Zaunkönig. Bei Aristoph. hat aber dieses Wort entschieden noch
eine obszöne Nebenbedeutung. Vgl. d. Schol. z. d. St.
169) TcsSoixo'j ■/bX'.^övoz. Hesych. 2, p. 898, der die Stelle über-
liefert, erklärt das Wort — a'jvoixcj (mit den Menschen zusammen-
wohnend). Diese Erklärung scheint der Verbesserung fähig. Freilich
ist :i£5a (= jisiä) = o'Jv ; aber dennoch hat [isTOWog im Sprachgebrauche
eine durchaus andere Bedeutung angenommen als oüvo-xos. Es bezeich-
net speziell einen .,Beisassen'" d. h. einen Fremden, der in einem anderen
Staate sich augesiedelt hat und dort das Schutzrecht geniesst.
1'^") V. 4 xöv gsvov ä gsiva, -öv y-spivöv O-spivä.
i"M Ein Frg. des Callimachus (Schneider II p. 719), das von Thomp-
son auf den Storch als Zugvogel bezogen wird, will ich wegen der Un-
sicherheit des Textes in formeller und inhaltlicher Hinsicht ganz aus
dem Spiele lassen.
i'^2) V. 321 iz TiiXocy^S V-^X'^ xoXov, äO-sv zi mp oüo' olcövol / aOxd-
£X£g olxv£'jaiv, £7isi jidya ts Selvöv ts.
i''3) Dadurch mildert sich auch der Widerspruch, in dem diese
Stelle zu Hora. IL III 3 ff . steht. Denn dort herrscht die Anschauung,
dass die Kraniche zu ihrer Reise an die Südgrenze der Erde nur kurze
Zeit, vielleicht nur einen Tag, brauchen. Vgl. A. 5.5.
17«) "Opvii)-£S xiv£S o"i5' ; ' üjx£ävo) Y^S ■^' '^'^'^ Tiippäxcov / YjÄÖ-ov rtavi-
XoKZc, 7zo'.Y.'.Xöoeipo'. xav'jaCuXipo'..
'75) -xal yy^'^ iniizxo'j xai O-iXaxxav £v x'r/.?.w. An beiden Stellen ist
es freilich eine Frage, ob der Dichter wirklich an den Zug gedacht hat,
oder ob er die Vögel nur im allgemeinen als weitherumfliegende Ge-
schöpfe charakterisieren Avollte. Im ersteren Falle bestände ein Wider-
spruch zu V. 103 ff. (Winter-Schlaf bzw. -Mauser.) Doch würde dies,
bei der allgemeinen Färbung des Ausdruckes an ersteren beiden Stellen,
in keiner Weise störend auffallen. Eine ähnliche Vorstellung liegt v.
1470 f. zugrunde.
— 70 —
'"6) V. 1 Aiav ö/.r^v vr^aou; xs 5'.i7iTa|i£VY, tj -/.sXioojv.
177) aiO-lpa 0-' äyvöv uöpov ol(ovö)v.
178) , . . oO 6e x£ cpaiTjS / "cdoaov vr^iir^v aiöXov iiijisva'., äXÄ" olcovcov /
IXaSöv aozEXOv s9-vo;- iTttßpoiJiss'.v TisXäY^cja'.v.
179) Vgl. A. 116.
ISO) ^'acli L e V erk ü h ii. Vgl. auch E a d d o , Onus caucasica, S. 47.
470 ff.
181) Über diesen Geg-eustaud gibt es aus dem 17. und 18. Jahrb.
eine aiisgedehnte Literatur, die mit allen Mitteln philologischer und
philosophisch-theologischer Gelehrsamkeit für die Idee des Wintersclilafes
der Vögel arbeitet. Für Interessenten zitiere ich die aus der Biblintliek
Le verkühn mir freundlichst zur Verfügung gestellten Werke: Christ.
Schmidichen, Dissert. philosoph. de hibernaculis hirundinum. Leip-
zig 1671. M. Job. P ra e 1 0 r i u s , Winter-Flucht der nordischen Sonnncr-
Vügel. Leipzig 1678 (speziell über „Storclis und Schwalben Winter-
Quartier".) Jak. Theod. Kle in, _ Vögelliistorie, Leipzig und Lübeck
1760, (S. B57 ff.) , eine deutsche Übersetzung von desselben Autors Hi-
storiae avium prodromus, Lübeck 1750 (S. 195 ff'. ^. Ludw. Reichen-
bach, Blicke in das Leben der Tierwelt. Dresden und Leipzig 1843,
S. 67 f. — Vgl. ferner die Zusammenstellung bei A. und K. Müller, Tiere
der Heimat I A. S. 86 f. sowie den neuesten Beitrag zu dieser Frage in
einem Artikel von S ch enkli ng in der Ztschr. St. Hubertus XXI S. 4'J9.
182) Aristot. H. A. VIII 16 nennt als Winterschläfer: Weih, Schwal-
be, Storch, Amsel, Turteltaube, Hanbenlerche, Ringeltaube, Drossel, Star
und Käuzeben. Freilich muss ich beifügen, dass Aristot. nirgends von
einem eigentlichen Schlafe, sondern nur von einem Leben im Ver-
steck (^GoXsiv) spricht. Da er jedocli von bekannten Säugetieren, z. B.
dem Bären, denselben Ausdruck gebraucht, so ist die Sache trotzdem
nicht zweifelhaft.
183) Vgl. Plin. X 24 (84), 70; 29 (41), 76.
184) xöv oh jjtsx' dpS-oyöv] üavS'.c/vlc; (opxo x£Äl3'""v / H ^äog dv9-p(üuoig,
sapo? vEov caxaiisvo'.o. Das Patronymikon H. erklärt sich aus der Ver-
wandlungsgescliichte der Schwalbe. — Meine Auffassung der Stelle linde
ich durch die Hesiod-Ausg. v. K. Sittl, Atlien 1889 bestätigt.
185) vj |iev y^ü.idöy/ aOxö (xö) S-ipog, & yjvai,, / XaXsI. A'gl. A^ogelge-
sang S. 61 u. A. 117 daselbst.
188) Mit einer leichten Änderung glaube ich statt xv^v sapivr^v (öpav:
X. ■9-epivyjv w. lesen zu dürfen. Denn erstens ist der erstere Begriff viel
zu eng und zweitens wird gewölmlicli nicht der Frühling, sondern der
Sonnner dem Winter entgegengesetzt. Vgl. die Texte in A. 170 u. 185.
187) o'jy., äÄ?.ä xöv y^ti\iGr^a. Tidcvxa xiöpvsa / uxspoppusi xs xa'jiVig sxspa
'.^'Joji.£v. Eine politische Lizenz liegt auch in itävxa. Denn nur von
einem k 1 e i n e n T e i 1 e der Vögel, den Winterschläfern, gelten diese Worte.
188) Vgl. Aristot. H. A. VIII 16, 2: „Man hat schon oft Schwalben,
die gänzlich der Federn entblösst waren, (im Winter) in Felsklüften ge-
funden". Kurz darauf wird von der Turteltaube berichtet, dass sie
während des Winterschlafes die Federn verliere (uxspopp-jsi, vgl. Aristoph.
Av. 106).
189) Das Verdauungsschläfchen, dem er sich nach der Aussage
seines Dieners eben liingibt (v. 81 f.), hat natürlich mit dem Winter-
schlafe nichts zu tun. Es dient nur dazu, die Sitannung der Zuschauer
zu erhöhen, bis der Wiedeliopf endlidi sell)st erscheint.
•"<>) Bzgl. eines (mfigliclien) zweiten AVidorsprucbes, da der Wiede-
liopf ein Zugvogel, kein Winterschläfer ist, vgl. A. 175.
191) Vgl. A. 154 und 155.
— 71 —
19-) V. 1097 ff. X='-r^^^oj S' SV y.oöÄoig av-potg, / Nö|j,:pa'.s oOpsiaig guiJ.-
Tiat^cöv" / fjpivä -s ßoaxöiisB-a 7:ap9-5V'.a ' Xs'jxd-po-xa [xOp-a. XapöTOJv xs */.7j7T:20|j.7.ta.
i''^) Anders ist eine scheinbar verwandte Stelle des Aeschylus
(Eum. 22 f.) zu erklären. Die Priesterin in Delphi begrüsst bei ihrem
Eintritte in den Tempel verschiedene Gottheiten nnd spricht u. a.: „Ich
bezeige meine Verehrung aber auch den Ni/rnphen, die in der horykischen
Felsenhöhle, der vofielfrcundiichen, der Einhehr von Göttern, u-ohnen." Die
Felsenhöhle ist also ein Aufenthaltsort von Yöo-eln. Doch zu welcher
Jahreszeit? Jedenfalls nicht im Winter! Denn wie sollte man zu dieser
Annahme gelangt sein, da der Parnass um diese Zeit doch unzugäng-
lich ist? Ausserdem werden bestimmte Schlafstätten der Vögel nir-
gends angegeben und konnten auch nicht angegeben werden, da ja die
These des Winterschlafes der Vögel der Wirklichkeit im allgemeinen
widerspricht. Demnach kann die korykische Grotte bloss zur Brutzeit
als geschützter Wohnort von Vögeln gedacht werden. Welche Vögel
der Dichter meint, ist nicht schwer festzustellen : denn nur wenige Arten
passen zu den angegebenen Verhältnissen. Vor allem der Alpeusegler
(C.ypselus melba); sodann, nach H. Dr. Othmar Reisers gütigen Mit-
teilungen, die Felsenschwalbe (Hirundo rnpestris} , die Felsentaube (Co-
luniba livia) und besonders die Alpendohle f'Pyrrhocorax alpinus), even-
tuell auch die Alpenkrähe (Fregilus graculus), sämtlich höhlenbewohnende
Brutvögel des Parnass Gebietes, die ihre Nester stets in den kaminartigen
Spalten der oberen Wölbungen grosser Höhlen anbringen. Vgl. auch
Krüper-Hartlaub, deren nun veraltete, aber doch gut kennbare Xumenklatur
ich durchweg beibehielt, au den betr. Stellen. — Bezgl. der korykischeu
Grotte vgl. u. a. das bei Antigen. Hist. Mir. 127 (141) zitierte Frg. des Phi-
loxenus. — Auch der Name eines Vorgebirges in Lycien, des Schiralben-
felsens, der im 5. Frg. des Ap ol 1 oni us Pvhod. (v. 5 XsÄ'.oov';-/j5 äi^ö
Tisxpvis, Michaelis) genannt ist, niuss jedenfalls von einer Vogelkolonie ab-
geleitet werden, die nach H. Dr. Othin. Reisers freundlicher Mitteilung
so gut wie sicher aus Mauerseglern (Turmschwalben, Gyps. apus) be.stand.
Möiglicherweise könnte auch der eben genannte Alpenscgler (Gyps. melba)
dort angesiedelt gewesen sein. Dabei müssen wir freilich eine Ver-
wechslung zwischen Schv/alben und Seglern annehmen; aber die Unter-
scheidung zwischen beiden, äusserlich so nahe verwandten Vogel-Familien
ist auch heutzutage nur in wissenschaftlichen Kreisen bekannt; das Volk
hält sie noch immer für identisch.
"■«) Vgl. A. 156.
105) -^vi. (Aristot.) H. A. IX 19 B, 1 ff. über Amsel, Drossel und
Xachtigall. Bei dieser Art der „Verwandlung" ist die Kontinuität der
Art nicht unterbrochen; denn der Vogel behält in beiden Gestalten deu
gleichen Namen bei.
'96) Dadurch erklärt sich eine Notiz bei i'Aristot.) H. A. IX 19
B, 1 f . über die ou-/. aXios; und lisÄa-f/. öp-jr oi. Dort lesen wir näm-
lich: „Auch diese verwandeln sich ineinander. Es ensteht aber die s-jx.
um die Zeit des Frühherbstes (ö-ojpa), der iisÄ. jedoch sogleich nach dem
Spätherbste. Auch diese Vögel unterscheiden sich nur durch Farbe und
Stimme voneinander. Dass es aber ein und derselbe Vogel ist, geht
daraus hervor, dass man schon beide (Arten) im Zustande der Verwand-
lung gesehen hat, ohne dass diese schon vollständig war, sodass sie die
Merkmale beider Arten noch an sich hatten." Um das Nähere festzu-
stellen, halten wir uns zunächst an die Etymologie. ZT/.aXt; ist jeden-
falls ein Vogel, der besonders gerne Feigen frisst, iJiö?.'^Y-/.öp'jzos ein
Vogel, der einen schwarzen Scheitel hat. Beide müssen, das lehrt der
Zusammenhang, Herbst- und Wintergäste in Griechenland sein, da
ausdrücklich gesagt ist, dass sie zu dieser Zeit „entstehen". Da passt
— 72 —
nun als licÄ. vur allein unser Seh warzplä ttclie n (Sylvia atricai>illa\
(las zwar in den griecli. Gebirgen auch als Brutvog-el vorkommt, aber
ducli meistens, besonders in den Gärten, nur ausserhalb der Brutzeit bemerkt
wird (vgl. Krüper-H. S. 241 f.), während das verwandte Samtköpfchen
(S. melanocephala) als allgemein bekannter Brutvogel kaum in Betracht
zu ziehen ist. -'r/.. dagegen kann alle übrigen graubraungefärbten G]-as-
niückenarten umfassen. Besonders tut sich unter diesen die Garten-
grasmücke (S. hortensis) als Feigenfresser hervor. Die Schwarzplätt-
chen werden in Griechenland besonders im Spätherbst und Winter l)e-
merkt ; die anderen Arten halten meist nicht so lange aus. W.as ist
nun aber von dem Übergangsstadium beider Arten zu halten, das
die Wurzel der Yerwaudlungsgeschichte zu sein scheint? Zu dieser
Fabel gaben jedenfalls mausernde Schwarzplättchen Veranlassung,
die im Jugendkleide eine braune Kopfplatte (wie die Weibchen zeit-
lebens) haben, während der I^Iauser aber an dieser Stelle braun und
schwarz geÜeckt erscheinen. Wegen ihrer von den alten Männchen ab-
weichenden Färbung wurden diese jungen Vögel, ebenso wie die Weib-
chen, mit den übrigen Grasmücken (TjxaÄiSsc;) verwechselt, und die ge-
fleckte Kopfplatte im Übergangskleide wurde als Beweis für die Ver-
wandlung der einen Art in die andere angesehen. Wenn aber (Aristot.)
H. A. IX 15, 2 den |j.£?.. wegen seiner hohen Eierzahl mit den Meise u ver-
gleicht und Alex. Mynd. bei Athen. II 65 b den iis>.. und die ^ux. ohne weiteres
unter die Meisen i aly-O-aXot) einreiht, so beruht dieser Irrtum auf einer
naheliegenden Verwechslung mit der ebenfalls schwarzscheiteligen Sunipf-
nieise (Parus palustris), die von der in Griechenland viel häufigeren
Taunenmeise (Parus ater) wahrscheinlich nicht unterschieden wurde. Der
grosse Unterschied in der Lebens- und Ernährungsweise beider Vög(d
und die feineren Verschiedenheiten im Körperbau wurden dabei freilich
übersehen, da Färbung und Grösse so ziemlich übereinstimmen. Vgl.
Thompson S. 163, der zugleich über die abweichenden Ansichten von
Suudevall und Aub e r t - W i mm er referiert.
1^') So erklärt sich ganz einfach das Missverständnis bei (Aristot.)
H. A. IX 49 B, 4 hinsichtlich der gegenseitigen Verwandlung der spi-
^a.v.ci'. und 9 o ivixo upo i. Den ersteren nennt, der Verfasser einen
Wintervogel, den letzteren einen Sommervogel und fügt hinzu, dass sie
sich in nichts untei scheiden als in der Farbe. Der cföivixoupog ist seinem
Namen entsprechend jedenfalls ein R 0 1 s c h w ä n z c h e n , undzwar Ruticilla
phoenicura, das Gartenrotschw., ein Sommervogel, der zwar nach Krü-
per-II. S. 245 nicht in Griechenland brütet, aber so spät nordwärts fort-
zieht und so früh wieder erscheint (April bzw. Sept.), dass er irrtümlich
wohl als Brutvogel gelten konnte. Der erstere dagegen ist so gut wie
sicher das Rotkehlchen (Erithacus rubecula\ das in der Haltung mit
dem Rutschwänzchen viele Ähnlichkeit besitzt, in der Farbe dagegen
merklich abweicht. Es ist ein allgemein bekannter Wintervogel in
Griechenland (Krüper-H. S. 244). Das Gartenrotschwänzchen wird also
im Winter vom Rotkehlchen abgelöst, wodurch die Verwandlungsge-
schichte entstand. Wenn aber Su nde vall den ipiO-a-xog umgekehrt ileiii
Gartenrotschwänzchen gleichsetzt, so bringt er den an und für sich
klaren Sachverhalt aus unzureichenden Gründen in Verwirrung, was
Thompson S. 57 zutreffend bemerkt.
198) ■\Venn ich den Sperber statt des Habichts einsetze, so tue icli
dies deshalb, weil des ersteren Grösse mit der des Kuckucks so ziemlich
übereinstimmt, während der Habicht viel grösser ist. Auch sagt Aristot.
H. A. \'I 7, 3, dass der Kuckuck an Grösse und Flug dem kleinsten
unter den cipaxs; äimlich sei; und H. A. VIII 3, 1 unterscheidet er als
Unterarten des genus iipag den „Tauhenhabicht" [^ot.'^ioz'jnoz, unseren
— 73 —
^Habicht") und den „Fiukenliabicht" (aui^iag, uuöereu „Sperber"). Der
letztere ist also bei der Verwandluiia:sg-eschicbte des Kuckucks einzu-
setzen. Vgl- Hammer sc bm idt S. 55 u. 56.
109) Aristot. H. A. VI 7, 2f. widerspricbt dieser Fabel aus dem im
Texte ano-e<>'ebenen Grunde und anderen, mebr oder weniger ricbtio-eu
Erwäy-ung-en. Der Verfasser des IX. Buclies der Tiergescliicbte (49 B, 7j
nimmt dagegen eine Verwandlung des Kuckucks in Farbe und vStinime
an, wie bei der Amsel, Drossel und Nachtigall. Vgl. A. 195.
200) y_ 4 gg yjp-. |j,£v cpavivti o'.andXXsi Ttxspöv / xipxo'j XsKäpyo'j* SOo
yäp o5v [jiopcpäg cpavsi / uaiSög xs x.ao'^o'J vtjoüos \iiolc. unry / viag 8' ÖTitöpag
y;vix' äv ^avO-^ az±yuc., / aicxTr; viv a5'9-t,g djjLcpivwiJLviast Tixipug. / äst 3s [xiast,
xwvd' öcTt' aXXov slg xönov / Sp'Jixoüs £pig|jioyg xal Träyous äT^oivtist. Vgl. Plin.
H. N. X 29 (44). Dagegen teilt Welcker dieses Fragment dem Tereus
des So ph 0 des zu.
Über die Identifikation des xipxo; ^.iTtapyog vgl. Thompson S. iS4.
Eine zutreifende Deutung steht noch aus; denn Sun de val Is Kornweihe
(Oircus cyaneus) hat ganz andere Wohnplätze. Ausserdem darf zwischen
£7io'|i und xtp-zcog Xin. kein bedeutender Unterschied in der Grö.sse be-
stehen. Da ?.eTiapYo? bei Theoer. IV 45 und Kic. Ther. 349 dem Esel
(„Grautier") als x\ttribut beigelegt Avird, so denke ich mit Le ve rkühn
an den aschgrauen R o t f ussf alk en (Falco vespertinus), der an Grösse
etwas hinter einer Haustaube zurückbleibt.
201) Zwischen Tereus und dem Wiedehopf hat der Dichter eine
doppelte Beziehung hergestellt, durch ein etymologisches Wortspiel
(sTzrj']) = §7iÖ7rxv]g xwv auxo'j xaxwv, v. 1) und durch die Schilderung des
W. als eines in voller Waffenrüstung prangenden Vogels (v. 8). Zwischen
dem Sohne des Tereus dagegen und dem „hellgrauen Falken" besteht
kein engeres Band. Der Vogel entspricht dem Knaben nur insofern, als
er verhältnismässig zart und Aveniger wehrhaft zu denken ist. Von seiner
Raubvogelnatur müssen wir dabei freilich ebenso absehen, wie von dem
harmlosen Wesen des ersteren. Denn nicht auf die naturgeschichtliche Be-
deutung des Vogels kommt es hier an, sondern nur auf die Symbolik der
Federholle des Wiedehopfs, die einem Helmbusche gleichgesetzt wird.
^^"2) Die im Text genannte Stelle aus d. IX. Buche der H. A. ist
nur auf die daselbst zitierten Verse des Aeschylus zurückzufüliren. Eine
andere Stelle (IX 15, 1) ist eine Avenig veränderte Wiederholung der
erstgenannten, aber ohne Zitat. Plin. X 25 (36) nennt den Wiedehopf
einen Zugvogel.
203) Vgl. Thompson S. 55, Grimm, D. Myth. S. 394.
20^) Zum Schlüsse seien mir noch einige allgemeine Bemer-
kungen gestattet.
Biese (vgl. S. 2) hat mir seinerzeit vorgehalten, dass ich die
Entwickelungsgeschichte des Naturgefühls in der antiken Poesie
so gut wie gar nicht berücksichtige und auch nicht zu wissen scheine,
dass es darüber eine reiche Literatur gibt. Was ziinächst die letztere
Ausstellung betrifft, so kann ich versichern, dass ich sein schönes Buch
„Die Entwicklung des Naturgefülils bei den Griechen und Römern",
Kiel 1884, schon i. J. 1893 benützte und seit 1897 selbst besitze, sowie
dass ich ausserdem eine ganze Menge einschlägiger Literatur gelesen
habe. Dass ich sie nicht in dem Masse, Avie ich Avünschte, benützen
konnte, ist nicht meine Schuld. Bezüglich des ersteren Vorhaltes aber
bin ich mir bewusst, durch Zusammenordnnng miteinander verwandter
Dichterstellen und durch sorgfältige, ins einzelne eingehende Vergleichung
derselben, auch ohne allzu reichliches Prunken mit den jetzt, üblichen,
sattsam bekannten SchlagAvörtern, zur Förderung des~ganzen^Problems
am ehesten etAvas beitragen zu können.
— 74 —
Mir Avill es im Gegenteil scheinen, als ob Biese zuviel verall-
gemeinere. Gewiss beruhen die von ihm aufgestellten Kateg-orien des
naiven, sympathetischen und sentimental -idyllischen Xaturgefühls auf un-
anfeclitbar richtigen Beobachtungen. Aber es lässt sich nicht alles in
diesen Rahmen zwängen. Denn wie die literarischen Erscheinungen einer
späteren Zeit manchmal schon in frühere Perioden ihre Schatten voraus-
werfen, so stehen noch in unvergleichlich höherem Grade die späteren Peri-
oden unter dem Einflüsse der vorausgehenden, an denen sie sich gebildet haben.
So ist Homer gewiss nie, oder wenigstens fast nie, sentimental. Aber
seine naive, mythologische Naturfreude hat sich in weitem Umfange auf
die folgenden Jahrhunderte übertragen.
Ausserdem ist die Veränderung des Xaturgefühls von einem ganz
bestimmten, beschränkten (lebiete ausgegangen und nur in diesem zu
ausschliesslicher Geltung gelangt, ich meine das Gebiet der Erotik.
Indem die Art, Liebe 7A\ fühlen und zu äussern, sich veränderte, ver-
wandelte sich auch die Art der Naturbetrachtung vom Natürlich-Gesunden
zum Gemütvoll-Zarten, zum Schwärmerischen und Aveiter bis zur ent-
arteten Decadence. Dass aber die Naturschilderung gerade von dieser
Seite bestimmend beeinflusst Avurde, ergibt .sich aus dem engen Zusammen-
hange zwischen Liebeslyrik und Naturgefühl, über den kein Wort weiter
nötig ist. Daher kommt es, dass man z. B. beim Lesen der von Biese
angeführten Zitate manchmal zweifeln kann, ob es sich dabei in erster
Linie um das Naturgefühl oder um die erotische Poesie handelt. Die
angedeutete Veränderung des Geschmackes griff dann freilich auch auf
andere literarische Gebiete über. Aber durch das strenge Stilgefühl der
Alten, das jeder Literatur -Gattung ihre eigene Art der sprachlichen
Darstellung gewahrt wissen wollte, wurde die Verbreitung solcher Llccn
auch Avieder aufs wirksamste gehemmt. Ein deutliches Beispiel bietet
der ale.\andrinischeDicliter Apollonius R h u d. Im dritten Gesangeseiner
Argouautica, in dem das Zusammentreffen der Liebenden, Medeas
und Jasons, geschildert Avird, zeigt er sich als ein echter Sohn seiner
Zeit; seine Darstellung ist idyllisch -sentimental. In den übrigen (ic-
sängen aber steht er als objektiver Erzähler ganz unter dem Einflüsse
Homers.
Wie diese verwickelten Verhältnisse im einzelnen gelagert sind,
das kann nur durch sorgfältige Ei nz el unt ersn chun gen aufgehellt
Averden. Diese müssen nach meiner Überzeugung von den einfaclisten
sprachlichen Erscheinungen ausgehend, sammelnd und vergleicliend, schritt-
Avcise vordringen, ohne den Ausblick auf höhere Gesichtspunkte zu ver-
lieren, aber auch ohne von vorneherein auf gewisse Formeln sich ein-
schwören zu lassen. In diesem Sinne hoffe ich auch mit der vorliegenden
Arbeit — ganz abgesehen von dem sachlichen Interesse des (iegenstandes
— zur Würdigung des Naturgefülils in der antiken Poesie beizutragen,
Aveiin gleich liiei', entsprecjiend der Natur des Stofl'es und der Lü<kiii-
haftigkeit der ('l)erliefernng, nocji seltener als in meiner letzten Abhand-
lung voll den (irundzügen seiner Entwicklungsgeschichte die Rede sein
konnte.
~^^i^-
Verzeichnis
der behandelten wichtigeren Dichterstellen.
Die Aiuiierkuiiiiieu (A.) sind mir dann verzeieliuet, wenn sich der Hinweis
auf die Stelle nicht aus dem Texte ero'ibt. Weg-g-elasseu sind die Stellen
über das Schwalbenkraut (A. 24) und über Ürtyg-ia (A. 15'Jff.).
A. P. = Anth. Pal.
Aeschyhis, Proui. 281 S. 45.
— Eum. 22 f. A. 193.
— frg-. 52 S. 44.
— frg. 297 S. 53 f.
Alcaeiis, frg. 2 S. 12 f.
— frg. 84 S. 45.
Alcniau, frg. 26 jl2) S. 12.
Auacreon, frg. 67 A. 16.
Anacreoutea 25 (33) S. 6, 40, 50 f.
— 44 (37) S. 12.
Autipater Sid., A. P. VI 109 S. 26.
— — — VIT 172 S. 26,
39
— — — VII 71 3 S. 13."
— - — VII 745 S. 22 f.
Apollonius Rhod., Arg. I 419 S. 41.
_ _ _ IV 238 ff.
S. 45 f.
— — frg. 5 A. 193.
Aratus, Phaen. 963 ff. S. 40 f.
— — 1010 ff. S. 23.
— — 1031 f. S. 21, 23.
— — 1075 ff. S. 23.
— — 1094 A. 47.
Aristophanes, Ach. 876 f. S. 42.
— Equ. 419 ff. S. 7,
A 12
— Vesp. 1513 S. 42.
— Av. 47 f. S. 45.
— — 103 ff. S.48f.
— — 118 S. 45.
— — 499 ff. S. 10 ff.
— — 505 f. S. 10.
— — 708 S. 4.
Aristophanes, Av. 710 f. S. 18.
— — 713 f. S. 12, 50.
— — 714 f. S. 7 f.
— - 774 S. 37.
— — 1088 ff. S. 49 f.
— 1136 f. S. 32 f.
— — 1300 f. A. 16.
— — 1416 f. S. 8.
— — 1428 f. S. 33.
— Thesni. 1 S. 8 f., 50.
Aristophon, frg. 10 S. 27.
Babrius, Fabel 13 S. 25 f., 36.
— — 26 S. 25, 28.
— — 33 S. 26, 38 f.
— ~ 65 S. 21.
— — 118 S. 44.
frg.
138 S. 8.
143 S. 19.
Chionides, frg. 8 S. 9, 50.
Cratinus, frg. 33 S. 8.
Epigr. anou., A. P. VII 543 S. 21 f.
_ — VII 546 S. 36 f.
— — IX 373 S. 39.
— Anth. Gr. App. VI 138
S 37
Euenus, A. P. IX 122 S. 44. '
Euphorion, frg. 66 A. 164.
Euripides, Hei. 1478 ff'. S. 18 ff.
— Hippol. 732 ff'. S. 20.
(— ) Pthes. 618 S. 37.
Fabel 100, 100 b S. 25, 36.
— 194 S. 40.
— 198 S. 53.
— 304 S. 8.
76 —
Fabel 397, 3ü7b S.
— 415 S. -48.
— 418 S. 44.
21.
— 421 y.
Hesioduf;, Op.
25, 3G.
448 ff. S. 17.
48Gft- S. lü.
— — öÜ8f. S. 48.
Hoiuenis, rspavojiaxia 8. 28.
— 11. JI 459 ff. S. 23 f., 30,37.
— — IJl 2 ff. S. IGf., S.27f.
— — XV 690 ff. S. 24, 36, 37.
— — XVI 582 f. S. 38.
— — XVII 755 ff'. S. 38.
— 0(1. Jll 320 ff. S. 44 f.
— — XXII 468 ff'. 8. 40
Hoin. 8(li\valbf'iilie(l (Eiresioue) 8.5.
Juliauus Aiit., A. P. XI 369 8. 28 f.
Lruiiiilas Alex. (Ar(hias?\ A. P. IX
346 S. 45.
Leuiiidas Tar., A. P. XI 8. 6.
Lucilius, A. P. XI 265 8. 28.
Lvfophroii, Alex. 401 8. 41.
Ni<aiKler, Aetol. fra". 5 8. 41.
— Thor. 380 S. 10.
Xitauclcr, Tlier. 854 8. 10.
— fr.o-. 52 8. 38.
- fi-o-. 74 S. 9.
Nuiinus, Dionys. II 132 f. 8. 7.
— — III 12 f. 8.7, 50.
— - XL 515 ff". 8. 34.
Oppiaims, Hai. I 620 ff". S. 29.
— — I 729 8. 7.
Phiieiuoii, fr«;-. 208 8. 48.
Philippns Tbess., A. P. 1X88 8. 9 f.,
51.
Phoenix Ooldiili. (Krälieiilied) A. 9
Qiiiiitus Sinyni. II 642 ff. S. 13
Ixliod. 8ch\valbenlie(l 8. 5 f.
Sappbo, fr?. 39 (36) 8. 9.
— frg. 88 (521 A. 16.
8ininnides, fri>-. 74 8. 7
- fr»-. 114 A. 164.
Sophocles, El. 149 8. 9.
— Oed. R. 175 ff. 8. 15 f.
Theocritus, Jd. X 30f. 8 26 f.
1— ) Epiar. 17 8. 13.
Tlieoi>-iiis 1197 ff'. 8 17 f.
Verzeichnis
der in den
Jahren 1845—1903 den Jahresberichten
des
K. Humanistischen Gymnasiums in Eichstätt beigegebenen
wissenschaftlichen Beilagen.
* 1845: Sebastian Mutzl „Über die Verwandtschaft der ger-
manisch-nordischen und hellenischen Götterwelt."
* 1846: Karl Kugler „Einige Bemerkungen über das Verhält-
nis zwischen Familie und Schule."
* 1847: Vitus Schauer „Beitrag zur Würdigung des Gymnasial-
Schulwesens in Bayern."
* 1848: Georg Fischer „Fragmente aus König Oedipus."
* 1849: Franz Xav. Richter „Über aesthetische Bildung— mit
besonderer Rücksicht auf deren Pflege in Gelehrten-
schulen."
* 1850: Joseph Rott „De interpolationibus theogoniae Hesiodeae."
* 1851 : Dr. Simon Zauuer „Über den alten Denkspruch „Fvwi^-c
aea'j-ov" oder über die Notwendigkeit der Selbst-
erkenntnis."
*1852: Sebastian Mutzl „Die Cella S. Maximiliani und die
älteste Geschichte Bayerns."
* 1853: Karl Kugler „Über den Unterricht der Naturwissen-
schaften an den Gymnasien."
* 1854: Georg Fischer „Annotationes ad ahquot Xenophontis
Anabaseos locos."
* 1855: Franz Xav. Richter „Über Methode und Umfang des
mathematischen Studiums an Gymnasien."
* 1856: Dr. Urban Krinninger „Die Lehre dos Aristoteles
vom voü;."
*• Vergriffen.
— 78 —
* 1857: Carolus Zettel „Observationes in Hippocratis Coi de
aöre aqua et locis libellum,"
* 1858: Michael Widinann „Über das Wesen oder den Begriff
des Kunstschönen. "
Karl Zettel „Festgedicht zur Feier des fünfzigjährigen
Doktor- Jubiläums des K, Geheimrates Herrn Professor
Dr. Friedrich von Thiersch."
* 1859: Sebastian Mutzl „Die lex Baiwariorum als geschicht-
liche und sprachliche Urkunde."
* 1860: Karl Kugler „Einige Worte über das Studium der
Geschichte und Poesie an den gelehrten Schulen."
* 1801: Georg Fischer „Les regles principales de la Syntaxe
franraise ä 1' usage de mes ecoliers." (Partie I.)
1862: Dr. Simon Zauner „Rückblicke auf die ersten Kämpfe
der Germanen mit den Römern."
* 1863: Franz Xav. Richter „Über das geographische Moment
bei dem historischen Studium."
1864: Karl Zettel „Über die Pflege des mündlichen Vortrages
an Studienanstalten."
* 1865: Heinrich Kihn „Über die ältesten christlichen Schulen."
1866: Heinrich Kihn „Bedeutung der antiochenischen Schule
auf dem exegetischen Gebiete" 2. Teil.
1867: Carolus Zettel „Quaestionum Theocritearum specimen,
quo sollemnia anniversaria in Gymnasio Regio Eystettensi
rite celebranda indicit Carolus Zettel."
Dr. Heinrich Kihn „Relative Betrachtungen und histo-
rischer Einfluss der Antiochenischen Exegese." 3. Teil
einer von der theologischen Fakultät der Hochschule
zu Würzburg gekrönten Preisschrift über das Thema :
„Die Bedeutung der antiochenischen Schule auf dem
exegetischen Gebiete." Ctr. 1865/6.)
1868: Johann Denk „Über Sprachbildung und Sprachvergleich-
ungnebst einem vergleichenden Vademccum der stamm-
verwandten Wörter auf dem Gebiete des Griechischen,
Lateinischen, Gotischen, Alt- und Neuhochdeutschen."
1869: W. Gross „über den Nutzen und zur Methodik der
Altertumsstudien."
1870: Ad. Ullerich „Der Japanische Eichenspinner Bombyx (An-
theraea) Yama - mayou vom ersten Auftreten als Ei bis zur
Entwicklung zum vollkommenen Insect (Schmetterling)."
1871: Dr. Karl Meiser „Kritische Studien zum Dialogus und
zur Germania des Tacitus."
* Vcrgriften.
— 79 —
1872: Joseph Hüdel „Lehr- und Übungsbuch für den Unter-
richt in der allgemeinen Arhhmetik und Algebra in
der vierten Lateinklasse." l. Teil.
1873: IL Teil des vorigen Programmes 1872.
1874: Emmeram Vie]g\ „Der väterliche Segen. Ein exege-
tischer Versuch."
1875: Alban Zeitler „Zu Spartianus' Vita Hadriani."
1876: Franz Binhack „Dichterstimmen aus dem Lateinischen
in metrischer Übertragung."
1877: Adam Lorenz „Einige Bemerkungen über die Söldnerei
bei den Griechen (bis zur Zeit der Schlacht bei Leuctra)."
1878: Joseph Diringer „Die Periode oder der Gliedersatz in
der deutschen Sprache."
1879: Adolf Schlosser „Mathematische Studien. Geometrische
Untersuchungen (I. Teil) mit Compass für Anfänger in
der Mathematik samt Gebrauchsanweisung als Beigabe."
1880: Adam Lorenz „Weitere Bemerkungen über die Söld-
nerei bei den Griechen (von der Schlacht bei Leuctra
bis zum Tode des grossen Alexandres)." (Cfr. 1877.)
* 1881 : Jakob Brückl „Hodoeporicon S. Willibaldi oder S. Willi-
balds Pilgerreise geschrieben von der Ileidenheimer
Nonne. Übersetzt und erläutert."
1882: Adam Emminger „Der Athener Kleon."
1883: Joseph Diringer „Annales imperatorum et paparnm
Eystettenses. (Flenrici ßebdorfensis annales imperatorum
et paparum). I. Teil : Übersetzung.
* 1884: J. G. Brambs „De auctoritate tragoediae Christianae,
quae Inscribi solet Xptaxos 7iaa)(03V, Gregorio Nazianzeno
falso attributae ad soUemnia anniversaria gymnasii
regii Eichstettensis celebranda scripsit J. G, Brambs."
1885: Dr, Bernardus Sepp „Incerti auctoris liber de origine
gentis Romanae (fragmentum) ad fidem codicis Bruxel-
lensis qui exstat unicus denuo reccnsnit Bernardus Sepp."
1886: Dr. Wilhelm Procop „Syntactische Studien zu Robert
Garnier."
* 1887: Franz Binhack „Die Abte des Cisterzienser - Stiftes
Waldsassen von 1133 — 1506." L Abteilung.
1888: Dr. J. Georg Brambs „über Citatc und Reminiszen-
zen aus Dichtern bei Lucian und einigen späteren
Schriftstellern."
1889: Franz Binhack „Die Äbte des Cisterzienser - Stiftes
Waldsassen von 1133-1506." IL Abteilung. (Cfr. 1887.)
* Vergriffen.
— 80 —
1890: Franz Binhack „Die Gründung der Cisterzienser- Abtei
Waldsassen nebst den Erzählungen aus dem Leben
Waldsassener Mönche und der Geschichte der Drei-
faltigkeitskirche nach gedruckten und ungedruckteii
Quellen."
1891: Franz Binhack „Geschichte der Cisterzienser- Abtei und
des Stiftes Waldsassen von 1507 — 1648 nach gedruck-
ten und ungedruckten Quellen."
1892: Franz Ehrlich „Mittelitalien, Land und Leute, in der
.vneide Vergils."
1893: August Geist „Studien über Alfred de Musset nebst
einer erstmaligen metrischen Ibexsetzung der Epistel
Lettre ä Lamartine."
1894: Wendelin Berdolt „Zur Entwicklungsgeschichte der Kon-
struktionen mit waxe."
1895: Dr. Sebastian Englert „Der Mässinger Bauernhaufe
und die Haltung der bedrohten Fürsten. Beitrag zur
Geschichte des Bauernkrieges 1525."
1896: Franz Binhack „Geschichte des Cisterzienser -Stiftes
Waldsassen unter dem Abte Wigand von Deltsch (1756
bis 1792) nach handschriftliehen Quellen bearbeitet."
1897: Dr. J. G. Brambs „Studien zu den Werken Julians
des Apostaten." l. Teil.
1 898: Franz Wirth „Unterrichtsmaterial für den mineralogischen
Unterricht in der V. Klasse der humanistischen Lehr-
anstalten des Königreichs Bayern."
1899: Dr. J. G, Brambs „Studien zu den Werken Julians
des Apostaten." II. Teil. (Cfr. 1897.)
1900: Friedrich Degenhart „Beiträge zur Charakteristik des
Stils in Zacharias Werners Dramen."
1901: Dr. Arnold Pischinger „Der Vogelgesing bei den
griechischen Dichtern des klassischen Altertums. Ein
Beitrag zur Würdigung des Naturgefühls der antiken
Poesie. "
1902: Franz Wirth „Schulgeologie von Bayern."
1903: Dr. M. Doell „Die Benützung der Antike in AVielanda
„Moralischen Briefen." Beitrag zur Entwicklunga -
(Jeschichte der deutschen Literatur im 18. Jahrhundert."
VfTijvilTrn.
^
PA
3015
IJ4B56
Pischinger, Arnold
Der Vogelzug
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