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Full text of "Der Vogelzug bei den griechischen Dichtern des klassischen Altertums. Ein 2. Beitrag zur Würdigung des Naturgefühls in der antiken Poesie"

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Pischinger,  Arnold 
Der  Vogelzug 


PA 

3.015 


Der  Vogelzug 


bei  den 

griechischen  Dichtern 

des 

klassischen  Altertums. 
Ein  zweiter  Beitrag 

zur 

Würdigung  des  Naturgefühls  in  der  antiken  Poesie 

von 

Dr.  Arnold  Pischinger, 

K.  (Tyiiiuusiali)i'otVs?-(ir. 


Programm 

des  K.  Humanistischen  Gymnasiums  Eichstätt 

für  das  Schuljahr  1903  04. 


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Eichstätt. 

Pli.  BriinuL'r 'sclie  B  ucIj  d  r  uoker  ei  [P.  Seitzj. 
1904. 


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Inhalt. 


Seile 

Vorwort.... 1 

I.  K  a  p  i  t  e  1.     F  r  ü  li  j  a  li  r  (•  z  u  ^ 3 

II.  Kapitel.     Herbstzui*'  und    W  i  uterauf  eutli  alt  iu  Grie- 

clienlaud 11 

III.  Kapitel.     Zug  im  all  <»-emei  ueu H 

IV.  Kapitel.     Winterschlaf    . 47 

V.  Kapitel.     Verwanrllung'    .         .     • 52 

.\  n  m  e  r  k  u  n  g  e  u .     .     .  5.') 

Verzeichnis  der  behandelten  wichtigeren  Dichterstellen      ...  75 
Verzeichnis   der  in  den  Jahren  1845—1903  den  .Tahrei«berichten 
des  K.  Humanistischen  Gymnasiums  in  Eichstätt 

beigegebenen  wissenschaftlichen  Beilagen  ...  77 


y  % 


Vorwort. 


„Der  Wandertrieb  der  Vi'igel  in  seinen  mannigfaltigen  Ab- 
stufungen und  dessen  Manifestation  ist  ohne  Zweifel  diejenige 
Erscheinung  im  Leben  des  Vogels,  welche  neben  dem  Gesänge 
die  allgemeinste  Aufmerksamkeit  und  Teilnahme  erregt;  denn 
mit  ihr  steht  und  fällt  der  Sommer  und  Winter  und  mit  diesen 
Jahreszeiten  ihre  Gaben,  Freuden  und  Leiden."  (Altum,  Der 
Vogel  und  sein  Leben,  6.  Aufl.  S.  237).  Mit  diesen  Worten 
kennzeichnet  ein  geistreicher  Naturforscher  eines  der  merkwürdig- 
sten und  sinnvollsten  Naturwunder  nach  seiner  Wirkung  auf 
das  menschliche  Empfinden. 

Ein  so  tiefgehender  Eindruck  pflegt  sich  aber  nicht  von 
gestern  auf  heute  geltend  zu  machen.  Die  Faktoren,  die  ihn 
zustande  bringen,  sind  seit  den  ältesten  Zeiten  die  gleichen 
und  sie  wirken  fort  durch  die  Gegenwart  bis  in  die  fernste  Zukunft, 

Da  nun  mit  der  Stärke  und  Dauer  solcher  Anregungen 
ihre  Bedeutung  als  Motive  der  Volks-  oder  Kunstpoesie  in 
engster  AVechselbeziehung  steht,  so  ist  es  für  einen  Bewunderer 
der  griechischen  Dichtung,  der  zugleich  für  das  Leben  in  der 
Natur  ein  offenes  Auge  hat,  ausserordentlich  verlockend,  die 
Frage  zu  stellen:  Inwiefern  ist  das  Phänomen  des 
Vogelzuges  von  den  griechischen  Dichtern  be- 
achtet und  in  ihren  Werken  verwertet  worden? 
Diese  Frage  nach  ihrer  philologischen  wie  naturkundlichen 
Seite  eingehend  zu  beantworten,  ist  der  Zweck  der  folgenden 
Blätter,  die  ich  als  zweites  Kapitel  meiner  grösseren  Arbeit 
über  die  Vögel  bei  den  Dichtern  des  griechischen  Altertums 
nach  dreijährigem  Zwischenräume  meinem  gleichartigen  Pro- 
gramme  über   den  Vogelgesang  (Eichstätt    1901)   folgen    lasse. 

Über  Ziel  und  Wege  der  erstgenannten  umfangreichen 
Arbeit  habe  ich  mich  in  der  Einleitung  zu  der  letzteren  Ab- 
handlung verbreitet  und  muss  an  dieser  Stelle,  um  Wiederho- 
lungen zu  vermeiden,  auf  das  dort  Gesagte  verweisen. 

1 


—     2     — 

Bei  der  Abfassung  der  vorliegenden  Studie  habe  ich 
mich  bemüht,  die  schätzbaren  Winke  zu  befolgen,  die  ich  den 
Besprechungen  meines  Programmes  durch  so  verdienstvolle 
Forscher  wie  0.  Keller  (Berliner  philol.  Woc-henschr.  1902, 
Nro.  46)  und  A.  Biese  (Wochenschr.  f.  kl.  Philol.  1902, 
Kro.  48)  entnehmen  durfte.  In  manchen  Punkten  konnte  ich 
freilich  nur  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  den  geäusserten 
AVünschen  entsprechen.  Denn  weder  vermochte  ich  mir  Bieses 
allzugrosse  Vorliebe  für  die  Herausarbeitung  leitender  Ideen, 
worüber  noch  unten  die  Rede  sein  soll,  zu  eigen  zu  machen, 
noch  bin  ich  imstande,  Kellers  gedrängte  Art  der  Stoffbe- 
handlung nachzuahmen,  die  es  ihm  z.  B.  ermöglicht,  in  seinem 
lehrreichen  Buche  ^ Tiere  des  klassischen  Alterturas"  (Innsbruck 
1887)  auf  den  17  Seiten,  die  der  Nachtigall  (und  anderen 
Singvögeln)  gewidmet  sind,  154  Zittitc  aus  allen  möglichen 
Literaturen  und  Zeitabschnitten  unterzubringen. 

Mit  herzlichstem  Danke  erinnere  ich  mich  bei  diesem 
Anlasse  der  überaus  feinsinnigen  und  eingehenden  Rezension 
meines  Programmes  in  der  Zeitschrift  La  Cultura  (1903,  Nro.  2), 
die  für  ihren  ebenso  gelehrten  als  liebenswürdigen  Verfasser, 
Herrn  Universitätsprofessor  G.  S  e  1 1  i  in  Padua,  nicht  minder 
ehrend  ist  als  für  die  bescheidene  Arbeit,  der  ihre  anerkennen- 
den Worte  gelten. 

Diesen  Dank  richte  ich  aber  zugleich  an  alle  meine  ver- 
ehrten Lehrer,  Amtsgenossen  und  Freunde,  die  auf  irgend  eine 
Weise  ihr  Interesse  an  dem  von  mir  beh  indelten  Gegenstände 
kundgegeben  haben,  vor  allem  an  meinen  verehrten  Freund, 
Herrn  Hofrat  Dr.  Paul  Leverkühn  in  Sofia,  der  mit  wert- 
vollen Angaben  aus  dem  Schatze  seiner  Erfahrung  und  mit 
willkommenen  Literatur-Hinweisen  mir  beigesprungen  ist. 

Möge  es  der  neuen  Arbeit,  die  ich  hier  vorlege,  gelingen, 
gleich  ihrer  Vorgängerin  im  Kreise  der  Altertumsfreundc  wie 
der  Naturkundigen  freundliche  Teilnahme  zu  erwecken ! 


I.  Kapitel. 

Der  Frühjahrszug. 

Um  die  Bedeutung  der  griechischen  Dichterstellen,  die 
den  Frühjahrszug  betreffen,  richtig  abschätzen  zu  können,  ist 
es  wohl  am  besten,  wenn  wir  zunächst  von  dem  Eindrucke 
dieser  Naturerscheinung  auf  ein  deutsches  Gemüt  unseren 
Ausgang  nehmen. 

Zu  Ende  geht  der  Winter  mit  all  seiner  Not.  Seit  der 
Zunahme  der  weit  zurückgegangenen  Tageslänge  und  Sonnen- 
kraft beginnt  das  Leben  in  der  Natur  aus  seinem  tiefen 
Winterschlafe  allmählich  zu  erwachen.  Mit  Entzücken  beobach- 
ten wir  nach  der  langen  Zimmerhaft  der  vorausgegangenen 
Monate  die  ersten  Zeichen  des  nahenden  Frühlings  in  Wald 
und  Feld.  Wie  sollten  wir  da  nicht  neben  den  ersten  Blumen 
am  sonnigen  Bergeshang,  neben  dem  zarten  Grün  der  Fluren, 
neben  den  jungen  Trieben  der  Sträucher  und  Bäume  auch  die 
Wandervögel  bemerken,  die  aus  ihrer  Winterherberge  zurück- 
gekehrt die  anmutige  Frühlingslandschaft  durch  ihr  munteres 
Wesen  und  ihre  wohlklingenden  Lieder  mit  neuem  Leben  er- 
füllen !  Und  nicht  als  Fremdlinge  erscheinen  uns  die  aus  weiter 
Ferne  eingetroffenen  Wanderer,  sondern  gleichsam  als  Ange- 
hörige, die  von  einer  langen  Reise  zu  den  Ihrigen  heimkehren, 
um  hier  im  alten  Vaterlande  ihr  verlassenes  Hauswesen  neu 
zu  begründen  und  die  ganze  Glückseligkeit  des  Familienlebens 
zu  geniessen. 

So  empfinden  wir  Deutsche  und  unsere  Dichter 
haben  es  an  tausend  und  abertausend  Stellen  in  der  mannig^ 
fachsten  Weise  ausgesprochen. 

Bei  den  Griechen  dagegen  wirkten  verschiedene  Um- 
stände zusammen,  um  die  Stärke  und  Innigkeit  dieses  Naturge- 
fühls zu  verringern.  Vor  allem  ist  der  Winter  in  diesen  Breiten 
viel  weniger  streng  und  schneereich,  und  die  Tage  verkürzen 
sich  nicht  im  gleichen  Masse  wie  bei  uns.  Der  Mensch  em- 
pfindet  zwar   die  Ungunst    der  Zeiten ;    er    stellt    infolgedessen 

1* 


—     4     — 

die  Schiffahrt  ein  und  benötigt  wärmere  Kleider;  aber  das 
Ver^Yeilen  im  Freien  ist  doch  lange  nicht  so  erschwert  wie  in 
unserem  Klima,  und  was  die  Vögel  betrifft,  so  bilden  die 
Tcäler  Griechenlands  gerade  in  diesen  Vfonaten  den  Aufenthalts- 
ort, ja  die  Zufluchtstätte  vieler  nördlichen  uüd  mitteleuropäischen 
Arten,  die  schon  während  der  rauhen  Jahreszeit  ihren  Gesang 
einzuüben  beginnen  und  so  das  Ohr  sachte  an  die  Klänge  des 
Frühlings  gewöhnen.  Allmählich  suchen  dann  diese  Vögel 
ihre  nördlicher  gelegene  Heimat  auf  und  die  ihnen  nachrücken- 
den Wanderer,  die  eigentlichen  Frühlingsvögel  Griechenlands, 
füllen  gewissermassen  nur  die  Lücken  aus,  die  beim  Abzüge 
der  Wintergäste  entstanden.  Endlich  ist  unter  diesen  An- 
kömmlingen, speziell  den  Singvögeln,  der  Prozentsatz  derjenigen, 
welche  die  klassischen  Länder  nur  auf  dem  l^urchzuge  berühren, 
ohne  sich  dort  zum  Bleiben  einzurichten,  viel  grösser  als  bei 
uns  in  Deutschland,  ein  Umstand,  unter  dem  das  Gefühl  der 
Zusammengehörigkeit  zwischen  Mensch  und  Vogel  erheblich  leidet. 

So  mildert  die  N  a  t  u  r  in  Griechenland  die  herben  Gegen- 
sätze des  Nordens.  Aber  im  gleichen  Masse  verliert  auch  der 
Quell  der  Poesie,  der  für  uns  aus  diesen  Verhältnissen  ent- 
springt, an  Tiefe  und  Reichtum. 

Zwar  behauptet  der  Chor  der  Vögel  bei  Ari  stophanes 
Av.  7  08,  dass  von  ihnen  den  Menschen  alles  Gute  zukomme, 
und  rühmt  sich  zum  Beweise  des  Gesagten,  sie  seien  es,  die 
den  Eintritt  der  verschiedenen  Jahreszeiten  (Frühling,  Herbst 
lind  Winter)  den  Menschen  anzeigen,^)  wobei  natürlich  an  ihre 
Ankunft  bezw.  Abreise  zu  denken  ist;  wenn  wir  aber  von  diesem 
allgemeinen  Satze  ausgehend  uns  dem  einzelnen  zu- 
wenden, so  finden  wir,  dass  nur  die  prägnantesten  Er- 
scheinungen unter  den  gefiederten  Frühlingsboten  die  Auf- 
merksamkeit des  Volkes  und  speziell  der  Dichter  erregt  haben: 
in  erster  Linie  die  Schwalbe,  daneben  die  Nachtigall, 
der  Kuckuck  und  der  Weih.  Alle  übrigen  sonst  etwa 
erwähnten  Vogelarten  spielen  nur  eine  ganz  untergeordnete 
Rolle.2) 

Dass  vor  allem  die  Schwalbe  als  der  volkstüm- 
lichste Frühlingsvogel  in  der  griechischen  Poesie  er- 
scheint, kann  uns  nicht  wundernehmen,  wenn  wir  bedenken, 
dass  auch  in  vielen  anderen  Literaturen,  zumal  im  deutschen 
Liede,  dieser  Vogel  das  gleiche  Ansehen  geniesst.  Ist  er  ja 
doch  den  Menschen  überall  ein  lieber  Hausgenosse,  der  sich 
bei  der  Lebhaftigkeit  seines  Gebarens  sofort  nach  seiner  An- 
kunft bemerklich  macht. 

Soweit  nun  der  Gesang  der  zurückgekehrten  Schwalbe 
den  Dichtern    als  Frühlingszeichen   gilt,    sind    die    betreffenden 


—     t)     — 


Zitate  3)  schon  in  meinem  vorigen  Programme  eingehend  be- 
sprochen. Andere  (z.  T.  auch  die  gleichen)  Stellen,  an  denen 
das  Hauptgewicht  auf  den  Nestbau  dieses  Vogels  gelegt  ist/) 
passen  noch  weniger  in  den  Rahmen  unseres  Themas.  Es 
bleiben  uns  also  bloss  diejenigen  Dichterworte  zu  behandeln, 
durch  welche  die  Ankunft  der  Schwalbe  oder  ihre  Erschei- 
nung  an    sich  als  Frühlingszeichen  namhaft  gemacht  ist.-^j 

Da  kommen  vor  allem  zwei  Erzeugnisse  der  Volks- 
poesie  in  Betracht,  in  denen  uns  der  Zauber  der  Frühlings- 
stimmung aus  den  ärmlichen  Lumpen  der  Bettlergewandung 
entgegenschimmert.  Das  ältere  von  beiden  ist  das  von  der 
Überlieferung  auf  Homer  zurückgeführte  Bettellied  sa- 
mischer  Kinder  (Eiresione,  Epigr.  Hom.  15).  Die  ersten 
Verse  preisen  den  Reichtum  und  das  Glück  des  Hauses,  vor 
dem  die  Kinder  singen,  sowie  seine  Fülle  an  allem,  was  einen 
hungrigen  Kindermagen  zu  reizen  vermag.  Dann  folgen  einige 
durch  Verderbnisse  und  Lücken  des  Textes  entstellte  Zeilen. 
Endlich  erscheint  ein  anmutender  Vergleich:  „Ich  JiOinme,  ich 
l'omine  nach  Jahresfi'kf,  wie  die  Schralbe  im  Vorraum  erscheint 
mit  blossen  Fi(sse7i"f>)  Zum  Schlüsse  bitten  die  Kinder  um 
schleunige  Aushändigung  des  zugedachten  Geschenkes.  Jeden- 
falls handelt  es  sich  hier  um  einen  uralten  Volksgebrauch: 
Arme  Kinder,  die  mit  Wolle  umwundene  Ölzweige  in  den 
Händen  trugen,^)  zogen  um  die  Frühlingszeit  vor  die  Türen 
reicher  Leute  und  bettelten  unter  Absingung  eines  einfachen 
Liedes,  in  dem  sie  ihre  jährliche  Wiederkehr  mit  derjenigen 
der  Schwalben  verglichen,  um  milde  Gaben.  Dieser  Vergleich 
steht,  wie  es  scheint,  mit  dem  rein  äusserlichen  Umstände,  dass 
die  Kinder  gerade  zur  Frühlingszeit  zum  Betteln  herumzogen, 
in  Zusammenhang;  doch  hat  er  jedenfalls  die  tiefere  Bedeu- 
tung, dass  durch  die  Berufung  auf  die  willkommene  Rückkehr 
der  beliebten  Frühlingsbotin  die  Zudringlichkeit  der  Kinder  in 
ein  milderes  Licht  gestellt  und  freundlicher  Aufnahme  vonseite 
der  angesprochenen  Gönner  versichert  werden  soll. 

Das  andere  Gedichtchen  dieser  Art  ist  das  bekannte 
Schwalbenlied  der  rhodischen  Kinder  (Carm.  pop.  41, 
bei  Athen.  VHI  360  c),  ebenfalls  ein  Bettellied,  das  mit  den 
Worten  beginnt:  „Gekommen,  gekommen  ist  die  Schtcalbe,  schöne 
Zeiten  bringend,  glückliche  Jahre,  weiss  auf  dem  Bauch,  schwarz 
auf  dem  Rücken."  Darauf  folgt  die  eigentliche  Bitte  um  aller- 
lei Lebensmittel :  Wein,  Käse,  Brot  und  anderes,  sowie  die 
scherzhafte  Drohung,  im  Falle  der  Abweisung  die  Türe  oder 
gar  die  Hausfrau  mitfortzutragen.  Die  Schlussworte  lauten : 
„Öß'ne,  öjfne  die  Tür  der  Schivalbe!  Denn  nicht  alte  Leute  sind 
u-ir,   sondern    Kinder" ß)     In   diesem  Liede  ist  die  Verbindung 


—     6     — 

des  Vergleichs  mit  dem  Inhalte  eine  viel  engere  als  in  der 
Eiresione.  Mit  der  dem  Volksliede  eigenen  Unbestimmtheit  des 
Ausdruckes  werden  die  bettelnden  Kinder  einfach  mit  der 
Schwalbe  identifiziert  und  der  Segen,  den  die  zurückgekehrte 
Schwalbe  bringt  oder  wenigstens  versinnbildlicht,  tritt  in  Be- 
ziehung zu  dem  Segenswunsche,  den  der  Dank  den  beschenkten 
Kindern  auf  die  Lippen  drängt.  Aus  diesem  Sachverhalte 
lässt  sich  der  Schluss  ableiten,  dass  der  Volksgebrauch  mit 
dem  Herumziehen  der  Kinder  und  dem  Absingen  des  Liedes 
nicht  erschöpft  gewesen  sei,  sondern  auch  eine  augenfällige 
Andeutung  des  Schwalbenmotivs  enthalten  habe.  Man  könnte 
sich  vorstellen,  dass  eines  der  Kinder,  etwa  der  Vorsänger,  eine 
ausgestopfte  oder  kurz  vorher  getötete  Schwalbe  in  der  Hand 
trug,  wenn  ein  solches  Verfahren  nicht  mit  der  ganzen  Stim- 
mung des  gemütvollen  Volksgebrauches  disharmonierte.  An 
eine  gefangen  gehaltene,  zahme  Schwalbe  aber  ist  schon  des- 
halb nicht  zu  denken,  weil  es  bekanntlich  ebenso  schwierig  als 
unbequem  ist.  Schwalben  in  der  Gefangenschaft  zu  erhalten. 
Es  bleibt  also  nur  die  Annahme  übrig,  dass  der  Vorsänger 
durch  die  Farben  seines  Kleides  (hinten  schwarz,  vorn  weiss) 
eine  Schwalbe  vorstellen  sollte,  oder  dass  er  ein  aus  Ton  ge- 
fertigtes, vergrössertes  Abbild  einer  Schwalbe  auf  der  Hand 
oder  auf  einer  Stange  dem  Zuge   vorantrug.^) 

Die  Rückkehr  der  Schwalbe  ist  ausserdem  erwähnt  im 
2  5.  (3  3.)  Anakreontischen  Liede,  das  u.  a.  davon  spricht, 
das»  die  Schwalbe  jedes  Jahr  im  Sommer  nach  ihrer  Ankunft 
([jLoXoöaa)  ihr  Nest  baue,  und  in  dem  Piühlingsepigramme  des 
Leonidas  (Anth.  Pal.  X  1),  das  mit  den  Worten  beginnt: 
Jetzt  ist  die  Zeit  tvieder  günstig  der  Schifahrt;  denn  schon  ist 
die  plaudernde  Srhircdhe  irkdergel-ommen  (|X£[jißAa)x£v),io)  und  es 
ireht  irieder  der  liehUche  Zephyr.  —  In  den  übrigen  Epigrammen, 
deren  Reihe  dieses  Gedichtchen  eröffnet,  wird,  wie  gesagt,  nicht 
die  Rückkehr,  sondern  der  Nestbau  oder  der  Gesang  der 
Schwalbe  als  Frühlingszeichen  hervorgehoben. 

Aus  dieser  Bedeutung  des  Wiedererscheinens  der  Schwalbe 
erklärt  sich  ein  anderer  V  o  1  k  s  g e  b  r  a  u  c  h  ,  der  zwar  we- 
niger zeremoniell  war  als  der  oben  geschilderte,  dafür  aber  in 
seiner  unmittelbaren  Schlichtheit  den  Eindruck  des  beobachteten 
Naturereignisses  noch  besser  wiedergab.  Ein  bekanntes  Vasen- 
bild auf  einer  Volc  ent  er  Amphora  (Monum.  dell.  inst. H  24) 
schildert  uns  den  Vorgang  aufs  deutlichste.  Wir  sehen  einen 
älteren,  bärtigen  Mann,  einen  Jüngling  und  einen  Knaben. 
i'ber  den  Kopf  des  ersteren  weg  fliegt  eine  Schwalbe,  die 
wir  nach  ihrem  tiefgegabelten  Schwänze  ohne  Bedenken  als 
Dorfschwalbe   (Hir.    rustica)    ansprechen  dürfen.     Dieser  Vogel 


—     7     — 

erregt  die  Aufmerksamkeit  aller  drei  dargestellten  Personen 
in  augenfälliger  Weise.  Sie  deuten  mit  den  Händen  nach  ilim, 
und  was  sie  äussern,  ergibt  sich  aus  den  beigeschriebenen  Spruch- 
zeilen. Der  Jüngling,  der  die  Schwalbe  zuerst  gesehen  haben 
muss,  ruft:  „Schau!  eine  SchirOibe .'"  Der  ältere  Mann  be- 
kräftigt diese  Worte  durch  einen  Schwur:  ^\\  ahrltaftig,  heim 
Herakles."',  und  auch  der  Knabe  stimmt  ein  und  ruft:  „Da 
ist  sie."  Zwischen  dem  Manne  und  dem  Knaben  aber  stehen 
die  Worte,  in  denen  alle  drei  die  Schlussfolgerung  ihrer  Beobach- 
tung zusammenfassen:  „Nun  ist's  Frühling''^  (eap  rjov]').  Solche 
Szenen  der  Erkennung  und  Begrüssung  der  ersten 
Prühlingsschwalbe  mögen  sich  in  den  griechischen  Städten, 
speziell  in  dem  lebhaften  Athen,  oft  genug  auf  Strassen  und 
Plätzen  abgespielt  haben.  —  Auch  literarisch  ist  uns  dieser 
Gebrauch  bezeugt,  nämlich  durch  eine  spasshafte  Stelle  des 
Aristophanes  (Equ.  419).  Der  Wursthändler  erzählt  hier, 
wie  er  als  Knabe  einst  die  (larköche  betrogen  habe.  Er  trat 
an  ihren  Stand  und  rief:  ^^Schaid,  Leute!  Seht  ihr  nicldY  Der 
Frühling  ist  da!  Dort  ßiegt  eine  Schvalbe ! "  ^^)  Während  nun 
die  Köche  hinsahen,  stahl  er  rasch  ein  Stück  Fleisch  und 
machte  sich  davon. i-)  —  In  dieser  wie  in  der  vorigen  Szene 
entsprechen  die  einfachen  Ausrufe  der  beteiligten  Personen  in 
ihrer  Prägnanz  vollkommen  der  gegebenen  Situation.  Ob  sie 
aber,  wie  Thompson  S.  189  bezüglich  der  letzteren  Stelle 
meint,  auf  den  Text  eines  volkstümlichen  Schwalbenliedes 
zurückgehen,  scheint  mir  mehr  als  zweifelhaft. 

Aus  dem  Schlüsse:  „Die  Schwalben  sind  da;  also  ist  es 
Frühling"  ergab  sich  für  den  beliebten  Vogel  die  Zuerken- 
nung  eines  Ehrennamens,  der  seither  nicht  mehr  aus  dem 
Gebrauche  gekommen  ist,  des  Namens  FriihlingsJjote  oder 
Herold  des  FnVdings.  Den  ersteren  empfängt  er  durch  Si- 
monides  (frg.  74)  in  der  Anrede:  Berühmte  Botin  des  süss- 
duftenden  Frühlings,  stahlblaue  Schwalbe,"^^)  den  letzteren  am 
Ende  der  griechischen  Literaturentwicklung  durch  Nonnus 
(Dionys.  III  12  f.).i^)  Derselbe  Dichter  nennt  (Dionys.  II  132  f.) 
unseren  Vogel  in  etwas  gezierter  und  überladener  Darstellungs- 
weise die  Verkünderin  der  Böse  und  des  Blumentaues,  den 
Liebling  des  Frühlingszephtjrs.^"^)  Eine  ähnliche  Bedeutung 
ist  der  Bezeichnung  Frühlingsvogel  beizulegen,  die  uns  bei 
Oppian,    Hai.    I    729    als    Beiwort    der    Schwalbe    begegnet 

Diese  Ankündigung  des  Frühlings  bot  den  alten  Griechen 
ausser  der  idealen  Seite  noch  ein  sehr  materielles  Interesse. 
Darüber  belehrt  uns  Aristophanes,  Av.  714f. :  Und  dann 
(nach    dem   Weih)    zeigt  die  Schwalbe  an,  u-ann  es  Zeit  ist,  den 


uarmen  Winterrock  zu  verkaufen  und  ein  leichtes  liöcldein  da- 
für zu  encerhen.  ^'^)  Der  Überschuss,  der  bei  einem  solclien 
Tauschgeschäft  erzielt  wurde,  mag  manchem  armen  Schlucker 
für  einige  Tage  aus  der  Verlegenheit  geholfen  haben.  Ander- 
seits aber  mag  auch  mancher  leichtlebige  Cleselle  auf  den  Ein- 
tritt des  Sommers  im  voraus  gesündigt  haben.  Dabei  kam  es 
dann  freilich  vor,  dass  der  Betreffende  sich  in  unliebsamer 
Weise  verrechnete ;  denn  eine  ScJiu-albe  macht  noch  leinen 
Sommer.  Dieses  griechische  SpricliAvort.  das  einen  guten  orni- 
thologischen  Untergrund  besitzt,^^)  wurde,  soweit  wir  es  nach- 
weisen können,  von  C  rat  in  (frg.  33)  in  seiner  Komödie  AyjXtaocc; 
in  die  Poesie  eingeführt. i^)  In  welcher  Gedankenverbindung 
dies  geschah,  ist  aus  den  Fragmenten  nicht  mehr  ersichtlich. 
Dagegen  ist  uns  noch  die  lehrreiche  Geschichte  erhalten,  welche 
die  Didaktik  zur  Warnung  leichtlebiger  Jünglinge  daraus  zu 
konstruieren  wusste.  Fabel  304  erzählt:  Ein  verschwende- 
rischer  junger  Mann  hatte  sein  Ycderyut  aufgezehrt  und  sein 
Mantel  allein  war  ihm  übrig  gehliehen.  Als  er  nun  vor  der  ge- 
uöhnlicJien  Zeit  eine  Srhualhe  sah,  gab  er  sich  dem  Wahne  hin, 
es  sei  schon  Sommer.  In  der  Meinung,  er  bedürfe  seines  Mantels 
nicht  mehr,  verkaufte  er  auch  diesen.  Bald  aber  trat  wieder 
'  Winterwetter  ein,  und  ein  scharfer  Luftzug  ivelite.  Als  er  nun 
die  Schu-alhe  tot  am  Boden  liegen  sah,  rief  er  ihr  zu:  ^  Un- 
glücksvogel.' Du  hast  auch  mich  zu  Grunde  gerichtet."  —  Den 
gleichen  Stoff'  hat  Babrius  in  poetische  Form  gegossen;  doch 
ist  davon  nur  mehr  ein  kleines  Bruchstück  (frg.  138)  erhalten: 
Als  ein  (junger)  Verschwender,  der  sein  Vatergut  aufgezehrt 
hatte,  .  .  .  diese  (d.  h.  die  erste  Schuralbe)  nur  ein  bischen  zwit- 
schern hörte  ....  Das  Verlorene  ist  aus  der  zitierten  Prosa- 
form der  Fabel  leicht  dem  Sinne  nach  zu  ergänzen.  —  Eine 
Anspielung  auf  unser  Sprichwort  finden  wir  beiAristoph. 
Av.  1416  f.  Hier  spricht  Ratefreund  die  Ansicht  aus,  dass  der 
um  Befiederung  nachsuchende  Sykophant  sein  Lied,  das  eine 
hochtrabende  Anrede  an  die  Schwalbe  enthält,  wegen  seines 
zerlumpten  Mantels  singe.  „Es  scheint,"  fügt  er  hinzu,  ,,dass 
er  nicht  weniger  Schiralhen  bedarf"-.-^)  Natürlich  ist  der  Sinn 
dieser  Worte:  Es  muss  wirklich  Sommer  werden,  wozu  eine 
Schwalbe  noch  nicht  genügt,  wenn  ihm  geholfen  werden  soll, 
d.  h.  wenn  er  ohne  Wintermantel    auskommen  will. 

Eine  l'bcrtragung  der  sprichwörtlichen  Frühlings- 
schwalbe  auf  andere  V^erhältnissc  begegnet  uns  bei  Aristo- 
phanes,  Thesm.  1.  „Zeus!  ivird  denn  nicht  einmal  eine 
Schwalhe  erscheinen ':'"'^^)  ruft  Mnesilochos,  der  Schwager  des 
Euripides,  verzweifelt  aus  und  fügt  als  Begründung  seiner 
Worte  hinzu:     „Der  Mensch    (Euripides)    irird   mich    noch  zu- 


—      9     — 

fjnmde  richten,  iiidem  er  mich  seit  dem  früliesten  Morijen  herum- 
treibt." Nach  einer  richtigen  Bemerkung  der  Schollen  ist  hier 
die  Sehnsucht  nach  der  Schwalbe  bildlich  gesagt  für  die  Sehn- 
sucht nach  der  Erlösung  aus  einem  quälenden  Zustande,  wie 
sich  die  Menschen  im  Winter  nach  dem  Frühling  und  seiner 
Verkünderin,  der  Schwalbe,  sehnen.^'-) 

Ahnlich  zu  deuten  ist  vielleicht  auch  frg.  8  des  Komödien- 
dichters Chionides:  „Erkundige  dich,  trann  einmal  ei»e 
Scliicalhe  erscheint  !^^-^)  Wenigstens  sind  die  Heraupgeber  dieser 
Ansicht.  Doch  tritt  m.  E.  ein  besserer  Sinn  zu  tage,  wenn 
wir  diese  W^orte  als  höhnische  Anrede  an  einen  durch  Ver- 
schwendung oder  sonstwie  verarmten  Menschen  auffassen,  der 
daran  eiinnert  wird,  wie  gut  es  für  ihn  Wcäre,  wenn  der  Som- 
mer käme. 

Mit  der  Ankunft  der  Schwalbe  hängt  auch  die  Benen- 
nung einer  Pflanze  zusammen,  die  bei  den  Dichtern  mehrfach 
erwähnt  wird,  nämlich  des  Schwalbenkrautes  ()j£A',o6vtov).--') 
Erhielt  es  ja  doch  seinen  Namen  daher,  weil  es  zur  Zeit  der 
Wiederkehr  der  Schwalbe  blüht  (nach  Theophrast.  H.  pl.  VII 
15,  1).  Dies  scheint  auch  aus  dem  74.  frg.  des  Xikander 
(Athen.  XV  683  e)  hervorzugehen. -J)  Dieselbe  Erklärung 
geben  die  Scholien  zu  Nikander  Ther.  857.  Aus  einem  ähn- 
lichen Grunde  führt  der  S  ch  wal  be  n  wind  (;/£X'.oovcac),2^)  der 
freilich  an  keiner  der  erhaltenen  Dichterstellen  erwähnt  wird, 
seinen  Namen.  Es  ist  der  laue  West,  der  den  Frühling  und 
die  Schwalben  zurückbringt  ■-'^) 

Neben  der  Schwalbe  wird  als  Frühlitigsbotin  (vjpoc 
ayysXo?)  die  Nachtigall-^)  von  den  Dichtern  gerühmt.  So 
nennt  sie  wenigstens  Sappho,  frg.  39  (36),  und  den  gleichen 
Sinn  hat  das  Epitheton  Botin  des  Zeus  (A'.ö^  a-f.'sXoc),  das 
ihr  Sophocles,  El.  149,  beilegt.  Doch  kommt  hiebei  in  ge- 
ringerem Grade  ihre  Heimkehr  an  sich  in  Betracht  als  ihr 
herrlicher  Gesang,  der  eines  der  schönsten  Frühlingszeichen 
bildet  und  als  solches  eine  bevorzugte  Stellung  in  der  griechischen 
Poesie  einnimmt.  (Vgl.  Hcm.  Od.  XIX  518  ff.,  Hymn.  Ilom. 
XIX  16  ff.,  Simonid.  frg.  73,  Aristoph.  Av.  683  und  Meleagers 
Frühlingsgedicht,  Anth.  Pal.  IX  363,  wo  Eisvogel,  Schwalbe 
und  Schwan  daneben  genannt  werden.)  W'ir  geraten  demnach 
hier  in  das  Kapitel  des  Vogelgesanges,  das  schon  durch  mein 
voriges  Programm  erledigt  ist. 

Ein  einziges  Gedicht  (Anth.  Pal,  IX  88,  Philippus  von 
Thessak)  weist  deutlich  auf  den  Zug  der  Nachtigall  hin,  den 
es  in  artiger  Weise  mit  ihrem  Gesang  in  Verbindung  bringt. 
Es  ist  die  hübsche  Anekdote  von  einer  Nachtigall,  die  bei  hef- 
tigem Nordwinde  nur  mit  Mühe  über  das  Meer  fliegt  und  des- 


—     10     — 

halb  von  einem  üelphin,  der  in  ihrem  Gesänge  den  schönsten 
Lohn  findet,  auf  den  Rücken  genommen  und  libergesetzt  wird.-'-^) 
Die  Jiihreszeit  ist  nicht  ausdrücklich  angegeben.  Da  jedoch 
dem  Gedichtchen  ersichtlich  die  Vorstellung  zugrunde  liegt, 
dass  die  Nachtigall  durch  Gegenwind  im  Fluge  behindert 
wurde,  so  müssen  wir  annehmen,  dass  sie  von  Süden  nach 
Norden  flog,  sich  also  auf  dem  Frühjahrszuge  befand.  Ausser- 
dem würde  ja  die  Ausübung  ihres  Gesanges  nur  zu  dieser 
Zugzeit  passen,  da  im  Herbste  die  Kehle  der  Nachtigall  ver- 
stummt ist. 

In  ähnlicher  Weise  wie  die  Nachtigall  macht  sich  auch 
der  Kuckuck^O)  nach  seiner  Ankunft  im  Frühjahre  weniger 
dem  Auge  durch  seine  Erscheinung  bemerklieh  als  dem  Ohre 
durch  seine  charakteristische  Stimme.  Diese  gilt  schon  bei 
Ilesiod  Op.  486  ff.  als  Frühlingszeichen.  Wenn  der  Knclcuck, 
so  lesen  wir  dort,  zum  erstenmale  ruft  in  den  Blättern  des 
Kichhaums  und  die  Menschen  erfreut  auf  der  weiten  Erde,  so 
ir'rd  TiCHS  am  dritten  Tafje  regnen  lassen  .  .  ß^)  Diese  herz- 
erfreuende Wirkung  der  den  Frühling  verkündenden  Vogelstimme 
wird  —  als  selbstverständlich  —  von  den  Dichtern  der  guten 
Zeit  sonst  nicht  eigens  angegeben ;  ^')  um  so  mehr  werden  wir 
unsere  Stelle  als  die  einzige  Ausnahme  rühmend  hervorheben 
müssen.  —  Nach  Ägypten  und  Phönizien  versetzt  uns  eine 
Stelle  aus  den  Vögeln  des  Aristophan  es.  In  diesen  Ländern 
erscheint,  nach  v.  505  f.,  der  Kuckuck  vor  der  Ernte  und  sein 
Ruf  y.dxx'j  treibt  die  Leute  aufs  Feld  hinaus  zum  Einbringen 
der  Feldfrüchte •'•^)  —  e*n  Zusammentreffen,  das  in  scherzhafter 
Weise  als  Beweis  für  die  frühere  Königsherrschaft  des  Kuckucks 
in  diesen  Lämlcrn  gedeutet  wird.  —  Endlich  ist  der  Ruf  des 
Kurlucks  im  Früldiu;/  bei  Nikander,  Ther,  380,-^*)  genannt 
als  Termin  für  die  Erlegung  einer  Schlange,  deren  Haut  als 
Heilmittel  gebraucht  wurde.  —  Derselbe  Dichter  nennt  mit 
einem  absichtlich  dunklen  Ausdrucke  eine  Art  Feigen  Kucl-urke 
des  Fei(jenhaumes  (-/coxy.'jya;  £p'.vaoo;,  Ther.  854).  Nach  den 
Scholien  ist  diese  sonderbare  Benennung  durch  den  Umstand 
zu  erklären,  dass  die  Feigen  der  genannten  Art  zugleich  mit 
dem  Kuckuck   erscheinen. 

Sämtliche  anderen  Frühlingsboten  übertrifft  an  Grösse  der  Ge- 
stalt und  Hoheit  der  Erscheinung  „der  König  in  den  Lüften,''  der 
Weih  (i7.t:vo;), ■'•"•)  und  eine  wahrhaft  kein  igl  ic  he  Ehr  un  g  ist  es, 
die  ihm,  wenn  wir  dem  Aristophanes  glauben  dürfen,  in  Grie- 
chenland bei  seinem  Wiedererscheinen  erwiesen  wurde.  Rate- 
freund behauptet  nämlich  in  seiner  grossen  Rede,  durch  die  er  die 
Vögel  von  ihrer  ein.stigen  Weltherrschaft  überzeugen  will(Av.  499): 
„Der  ]\'ei/i  herrschte  damals  über  die (jI riechen  und  /rar ihr  Köni(j." 


—    n    — 

„  über  die  Griechen  ?"  wirft  der  Wiedehopf  ungläubig  ein.  Ohno 
sieh  stören  zu  lassen,  führt  Ratefreund  fort:  ,,Und  dieser  irar 
es,  der  als  erster  Künif/  die  Leute  anicies,  sielt  rar  den  Weihen 
im  Staube  zu  irUhen.'^  Nun  fällt  ihm  Hoff'egut  unter  beteuern- 
der Anrufung  des  Dionysus  ins  Wort  und  erzählt,  auch  er 
habe  sich  einmal^  da  er  eitlen  Weih  sah,  im  Staube  (jeu-älzt. 
Als  er  jedoch  dabei  rücldijujs  zu  liegen  harn,  sei  ihm  das  3Iiss- 
(jeschick  begegnet,  dass  er  den  Obolus,  den  er  im  Munde  trugj^^') 
verschluckte  und  in  Ermangelung  weiteren  Geldes  den  Brotbeutel 
leer  nach  Hause  brachteß'^)  Was  haben  wir  nun  von  dieser 
königlichen  Ehrung  des  Weihs  zu  halten?  Denn  dass  Aristo- 
phanes  das  Wälzen  im  Staube  bei  dessen  Erscheinen  der  fuss- 
fälligen  Verehrung  (7rpoax6vr]atG),  die  der  Perserkönig  bean- 
spruchte, gleichsetzt,  ist  augenfällig.  Gewiss  treibt  der  Dichter 
an  dieser  Stelle,  wie  an  so  vielen  anderen,  mit  dem  Publikum 
seinen  Scherz.  Denn  scherzhaft  ist  das  Thema  der  Rede, 
scherzhaft  die  Ausführung.  Aber  auch  der  Scherz  muss  eine 
tatsächliche  Grundlage  haben,  sonst  entartet  er  zur  sinnlosen 
Posse.  Worin  besteht  nun  hier  der  Witz  des  Dichters?  Ge- 
wiss nicht  in  der  freien  Erdichtung  einer  komischen  Situation, 
sondern  vielmehr  in  der  spasshaften  Umdeutung  eines  wirk- 
lichen Volksgebrauches.  Über  diesen  belehren  uns  die  Schoben 
zu  V.  50],  freilich  nicht  aus  eigener  Anschauung.  Ihre  Angaben 
können  wir  in  den  Satz  zusammenfassen :  Den  Weih,  der  in 
alter  Zeit  in  Griechenland  den  Beginn  des  Frühlings  anzeigte, 
begrüssten  die  armen  Leute  ^8)  aus  lauter  Freude  über  das 
Ende  des  harten  Winters  dadurch,  dass  sie  sich  zu  Boden 
warfen.  Doch  besagt  eine  andere  Notiz  der  Schoben,  diese 
Gebärde  sei  gewöhnlich  nur  durch  Niederknieen  (wj  knl  yovu) 
angedeutet  worden ;  der  Dichter  vergleiche  scherzend  dieses 
Niederknieen  mit  der  dem  Perserkönig  gezollten  Verehrung. 
Damit  ist  die  Weisheit  der  Schoben  zu  Ende.  Wenn  wir  nun 
selbst  dieser  Frage  näher  treten  wollen,  so  müssen  wir  von 
der  Überzeugung  ausgehen,  dass  die  ganze  Stelle  gar  keinen 
Sinn  hätte,  wenn  nicht  ein  wirkliches  Wälzen  im  Gebrauche 
gewesen  wäre.  Denn  die  ganze  Geschichte  von  dem  verschluck- 
ten Obolus  beruht  auf  dieser  Voraussetzung.  Nicht  hierin  ist 
also  die  Übertreibung  des  Dichters  zu  suchen,  sondern  in  einem 
Umstände,  den  wir  durch  Vergleichung  mit  den  Schwalben- 
liedern  als  höchst  wahrscheinlich  erweisen  können :  Nicht  E  r- 
wachsene  waren  es,  die  dem  Weih  solche  Ehre  erwiesen, 
was  trotz  Aristophanes'  Darstellung  aus  den  einfachsten  Gründen 
von  vorneherein  unglaublich  erscheint,  sondern  armer  Leute 
Kinder,  die  sich  auch  sonst  mmchmal  in  den  Staub  gelegt 
haben    werden.     Darin    aber   haben    die    Schollen   recht :    Das 


—      12     — 

Wälzen  ist  keinesweg-s  der  Ausdruck  erniedrigender  Unter- 
würfigkeit, wie  der  Dichter  im  Scherze  glaublich  machen  will, 
sondern  unbändiger  Freude  über  ein  glückliches  Ereignis,  in 
unserem  Falle  über  das  von  den  Armen  ersehnte  Erscheinen 
des  hehren  Frühlingsboten. 39)  Es  ist  merkwürdig,  dass  wir 
für  diesen  auffallenden  Volksgebrauch  nur  das  eine  Zeugnis 
des  Aristophanes  besitzen.  War  er  zu  des  Dichters  Zeiten 
etwa  nur  mehr  ausnahmsweise  und  nur  in  den  Kreisen  der 
Gjissenjugend  im  Schwange":'  Später  wird  er  wohl  gänzlich  aus 
der  Übung  gekommen  sein.  Fragen  wir  nach  dem  Grunde 
dieser  Veränderung,  so  bieten  sich  uns  zwei  ^löglichkeiten  der 
Lösung.  Entweder  kam  der  AVeih  für  den  eigentlichen  Beginn 
des  Frühlings  in  der  Regel  zu  früh,^Oj  oder  er  genoss  als 
Raubvogel  in  den  späteren  Epochen  einer  verfeinerten  Kultur 
weniger  Sympathie  als  in  der  kräftigeren  Denkweise  der  Vor- 
zeit.^ i)  —  Nur  ein  einziges  Mal  wird  der  Weih  sonst  noch  als 
Frühlingsbote  genannt.  Es  ist  die  schon  zweimal  teilweise 
zitierte  Stelle  des  Aristophanes,  an  der  die  Vögel  als  Ver- 
künder der  Jahreszeiten  bezeichnet  werden.  Av.  713  f.:  Dar- 
auf zeigt  himriederum  der  Weih  durch  sein  Erschei?ieu  eine 
andere  Jahreszeit  an,  zu  der  es  erforderlich  ist,  die  Friihlings- 
schur  der  Schafe  vorzunehmaiA-)  —  Im  übrigen  fiel  der  Vogel 
bei  den  Dichtern  der  Vergessenheit  anbei m  und  der  zarteren 
Schwalbe  w^ar  es  beschieden,  statt  seiner  den  Ehrenplatz  als 
Frühlingsbote  einzunehmen  und  gemäss  dem  konservativen 
Grundzuge  der  griechischen  Poesie  auch  zu  behaupten. 

Neben  diesen  vier  volkstümlichsten  Frühlingsvögeln  kommen 
andere  Arten  nur  ausnalimsweise  in  Betracht, 

So  z  B.  ruft  der  Verfasser  des  4  4.  (3  7.)  Anakreon- 
tischen  Liedes,  das  den  Preis  des  Frühlings  zum  Gegen- 
stande hat,  V.  5  f.  aus:  Sieh,  ivie  die  hhite  taucht!  Sieh,  irie 
der  Kranich  einherschreitet ! ^^)  Es  sind  also  unter  den  übrigen 
Frühlingszeichen,  dem  Ilervorsprossen  der  Rosen  und  des  Wein- 
laubes, der  wiedereingetretenen  Ruhe  des  Meeres  und  anderen, 
auch  zwei  Vögel  aufgeführt,  deren  Benehmen  bei  der  Nahrungs- 
suche auf  ihren  Zugstationen  vom  Dichter  kurz  und  tretlend 
charakterisiert  wird. 

Auch  der  xyjpuXoc;,  ein  undefinierbarer  Vogel,")  der 
über  die  schäumenden  Wellen  ziigleicJi  mit  den  Kiscögchi  /Hegt, 
wird  einmal  zum  Frühling  in  Beziehung  gesetzt,  da  ihn  der 
Lyriker  Alcman,  frg.  26  (12),  den  meerpurpurnen  Frühlings- 
vogel (aXtTiopcpupog  eiapos  öpvt?)  nennt.'*^) 

Wenn  ferner  Alcaeus  in  einer  seiner  grossartigsten 
Dichtungen,  deren  Inhalt  Ilimerius,  Or.  XIV.,  überliefert,  den 
Gott  Apollo  auf  dem  Seh  w  a  n  e  n  wagen  zuerst  zu  den  Ilyper- 


—      13     — 

boräern  fahren  lässt,  so  darf  man  hierin  vielleicht  eine  Anspie- 
lung auf  den  Frühlingszug  der  Singschwäne  nach  ihren  nordischen 
Brutplätzen  erblicken. 

Zwei  andere  Stellen  habe  ich  schon  beim  „Yogelgesang" 
(S.  13  bezw.  20)  behmdelt,  weshilb  ich  sie  hier  nur  flüchtig 
streifen  mag:  Ein  fälschlich  dem  Theo  er it  zugeschriebenes 
Epigramm  (17),  in  dem  Standvögel  wie  die  Amseln  missver- 
ständlich (v.  9)  als  Fri'üiUngsvikjel  (siaptvo:)  bezeichnet  sind, 
und  das  Epigramm  des  Antipater  aus  Sidon  (Anth.  Pal.  VIT 
713)  auf  die  Dichterin  Erinna,  in  dem  das  Gekrächs  der 
Dohlen,  zerstreut  in  deyi  WoU:en  des  Frnhlinfjs  dem  kurzen 
Ruf  des  Schwans  entgegengesetzt  wird.  Bezüglich  der  letzteren 
Stelle  möchte  ich  nur  kurz  wiederholen,  dass  sie  auf  das  Be- 
nehmen der  in  Griechenland  überwinternden  Dohlen  ^'^)  vor  der 
Brut  oder,  was  in  den  meisten  Fällen  gleichbedeutend  ist,  vor 
dem  Aufbruche  nach  Norden  zu  beziehen  ist.-^") 

Über  die  M  emnonsv  ögel,  die  bei  Quintus  Smyrn. 
11  642  ff.  näher  geschildert  werden,  will  ich  mich  bei  der  kom- 
plizierten Natur  dieser  Frage  lieber   im  Anhange  verbreiten.^S) 

Dies  sind  die  Stellen  griechischer  Dichter,  die  vom  Früh- 
jahrszuge der  Vögel  handeln.  „Ist  das  alles?"  wird  mancher 
Leser  im  Gefühle  der  Enttäuschung  ausrufen.  Und  gewiss  kann 
niemand  verkennen,  dass  Zahl  und  Wert  dieser  Stellen  im 
Verhältnisse  zu  der  Bedeutung  und  Mannigfaltigkeit  der  grie- 
chischen Poesie  auffallend  gering  sind,  wenn  gleich  wir  bei  der 
Schwalbe  und  beim  Weih  auf  wertvolle  Zeugnisse  für  alte 
Volksgebräuche  gestossen  sind  und  auch  sonst  manch  liebliches 
Bildchen  erschaut  haben.  Bei  der  unleugbaren  Grösse  dieses 
Missverhältnisses  glaube  ich  nochmals  auf  beide  Momente  hin- 
weisen zu  sollen,  die  m.  E.  zur  Erklärung  desselben  ausreichen, 
nämlich  auf  die  relativ  geringe  Bedeutung  des  Frühjahrszuges 
für  die  Naturschilderungen  der  griechischen  Dichter  infolge 
der  ornithologischen  Verhältnisse  des  Landes,  ferner  auf  den 
Umstand,  dass  uns  gerade  von  den  Lyrikern,  denen  die  Poesie 
der  Jahreszeiten  am  nächsten  liegen  musste,  zu  wenige  Bruch- 
stücke erhalten  sind  (vgl.  Anm.  161),  als  dass  verallgemeinernde 
Schlüsse  daraus  gezogen  werden  könnten. 


IL  Kapitel. 

Herbstzug  und  Winteraufenthalt  in  Griechenland. 

Einen  wesentlich  anderen  Eindruck  empfangen  wir,  so- 
bald wir  uns  denjenigen  Stellen  zuwenden,  die  sich  auf  den 
Ilerbstzug  beziehen;  denn  hier  sind  die  Zitate  ebenso  zahl- 
reich als  inhaltlich  ergiebig.  Und  in  der  Tat  ist  der  Ilerbst- 
zug in  viel  höherem  Grade  als  der  Frühjahrszug  geeignet,  die 
Teilnahme  des  Südländers  zu  erwecken. 

Im  Frühling  erscheinen  die  Vögel  gewissermassen  ver- 
stohlen, über  Nacht.  Ihre  Anwesenheit  verraten  sie  teils  durch 
ihre  Stimme,  die  gar  manchem  Ohre  nicht  im  einzelnen  unter- 
scheidbar ist,  teils  durch  ihre  Erscheinung,  die  deshalb  nicht 
so  sehr  in  die  Augen  fällt,  weil  die  Vögel  um  diese  Zeit  mehr 
zerstreut  ziehen  und,  am  Zielpunkte  angelangt,  sich  sofort  in 
einzelne  Paare  trennen.  Wenn  dagegen  die  Herbstzeit  naht, 
sammeln  sie  sich,  durch  die  glücldich  beendete  Brutperiode 
um  das  drei-  bis  vierfache  vermehrt,  in  Scharen,  durchstreifen 
auf  mannigfachen  Übungszügen  die  Gegend  und  erfüllen  die 
Luft  durch  die  Menge  ihrer  Erscheinungen.  Zugleich  machen 
sie  sich  dem  Landwirte  wie  dem  Gartenbesitzer  höchst  unange- 
nehm bemerkbar.  Sie  besuchen  die  Felder,  die  zu  dieser  Zeit 
mit  der  Wintersaat  neu  bestellt  werden,  sowie  die  Gärten,  in 
denen  die  Trauben  und  Früchte  reifen,  und  dezimieren  diese 
in  der  fühlbarsten  Weise.  Haben  sie  durch  ihre  grosse  Zahl 
und  ihr  auffallendes  Benehmen  die  Aufmerksamkeit  der  Menschen 
auf  sich  gezogen,  so  fordern  sie  durch  ihren  Schaden  die  Land  • 
bewohner  geradezu  zur  Abwehr  heraus.  Dazu  gesellt  sich  als 
drittes  Moment  die  treffliche  Leibesbeschaffenheit  der  Vcigel 
infolge  des  ausgiebigen  Futters,  die  noch  dadurch  an  Bedeutung 
für  den  Feinschmecker  gewinnt,  dass  die  Vogelscharon  zu  dieser 
Zeit  grösstenteils  aus  jungen,  im  Fleische  ungemein  zarten 
Stücken  bestehen,  so  dass  die  Jagd  auf  diese  arglosen  Geschöpfe 
nicht  nur  als  ein  Gebot  der  Notwehr  sondern  auch  als  eine 
lohnende  Nahrungs-    und    Erwerbsquelle    erscheint.'*^)      Vcrlok- 


—     15     — 

icung  und  Ertrag  des  herbstlichen  Vogelfanges  steigern  sich 
für  den  Südländer  um  ein  vielfaches  durch  das  fortgesetzte 
Nachrücken  nordischer  Wanderer,  durch  die  der  Zug  monate- 
lang auf  gleicher. Höhe  erhalten  wird.  So  wurde  mit  der  Zeit 
aus  dieser  von  der  Natur  gewissermassen  aufgedrungenen  Mass- 
regel ein  förmlicher  Sport,  dem  der  Italiener  und  der  Grieche 
mit  allen  Fasern  ihrer  feurigen  Natur  ergeben  sind. 

Neben  der  Leichtigkeit  der  Beobachtung  ist  es  also  ge- 
wiss die  Leidenschaft  für  den  Vogelfang,  die  den  Herbstziig 
bei  den  Griechen  zu  einer  viel  volkstümlicheren  Naturerschei- 
nung stempelt  als  den  Frühjahrszug.  Da  jedoch  der  Ursprung 
dieser  Vorliebe  durchaus  materieller  Natur  ist,  so  ergibt  sich 
zu  unserer  landesüblichen  idealen  Auffassung  ein  scharfer 
innerer  Gegensatz,  der  infolge  der  beiderseitigen  klimatischen 
Verhältnisse  noch  eine  weitere  Verschärfung  erfährt.  Wenn 
nämlich  in  einem  deutschen  Gemüte  beim  Scheiden  unserer 
lieben  Sommervögel  in  Erwartung  eines  trüben,  einsamen 
Winters  aufs  rührendste  die  Saite  der  Wehmut  erklingt,  so 
finden  wir  dafür  in  der  griechischen  Poesie  kein  Beispiel.  Im 
Herzen  des  Griechen  erweckt  die  Beobachtung  herbstlicher 
Zugvögel  ganz  andere  Gefühle.  Ihn  bedroht  ja  nicht  im  gleichen 
Masse  wie  uns  die  Abnahme  des  Lebens,  des  Lichtes  und  der 
Sonnenwärme;  er  hat  noch  einen  herrlichen,  früchtereichen 
Spätherbst  vor  sich;  er  bestellt  noch  erst  seine  Felder  mit 
frischer  Saat  und  sieht  dann  in  aller  Ruhe  einem  milden,  durch 
zahlreiche  befiederte  Gäste  belebten  Winter  entgegen.  Bei 
seiner  durchaus  gesunden  Natur  bleibt  er  also  dem  herbstlichen 
Vogelzuge  gegenüber  jeder  Sentimentalität  ferne  und  betrachtet 
ihn  lediglich  nach  den  Gesichtspunkten  des  Schadens  und  Nutzens 
oder  objektiv  als  interessantes  Naturschiuspiel.^'-^) 

Auch  hier  habe  ich  nur  eine  Stelle  von  allgemeinem 
Inhalte  voranzuschicken,  nämlich  Sophocles,  Oed.  tyr. 
175  ff.  In  grossartigen  Versen  schildert  der  Chor  die  schreck- 
lichen Wirkungen  der  über  Theben  hereingebrochenen  Pest 
und  flicht  darein,  um  den  Eindruck  des  allgemeinen  Hinsterbens 
wiederzugeben,  folgenden  Vergleich:  Einen  nach  dem  andern 
aber  sieht  man  irie  einen  u-ohlbefH gelten  Vogel^  unwiderstehlich 
ivie  das  vernichtende  Feuer,  dahineilen  zum  Gestade  des  abend- 
lichen Gottes.^^)  Es  sind  in  diesen  wenigen  Worten  zwei  Bilder 
vereinigt.  Der  Flug  der  Seelen  zum  Hades  wird  wegen  der 
Unmöglichkeit  eines  Widerstandes  oder  einer  Heilung  mit  dem 
zerstörenden  Feuer,  wegen  seiner  Schnelligkeit  und  Massen- 
haftigkeit  aber  mit  den  Scharen  der  Zugvögel  verglichen.  Schon 
Schneidewin-Nauck  weist  auf  den  letzteren  Punkt  hin.  An 
dem   Singular    {irie   einen   wohlbefi,   V.)  brauchen   wir  keinen 


--     16      -^ 

Anstoss  zu  nehmen.  Er  ist  durch  eine  leicht  verständliche  Be- 
ziehung im  griechischen  Texte  (auf  äXkov  aXXo))  veranlasst  und 
ist  ebenso  wie  die  bezüglichen  AVorte  dem  Sinne  nach  als 
Mehrzahl  zu  fassen.  Dichtgedrängt  nacheinander  fliegen  also 
die  Seelen  der  Dahingeschiedenen  dem  im  Westen  der  Erde 
gedachten  Hades  zu,  wie  Vögel,  die  auf  dem  Herbstzuge  in 
dichten  Scharen  nach  Südwesten  eilen. 

Im  übrigen  ist,  wenn  wir  von  den  überaus  zahlreichen 
Stellen,  die  speziell  vom  Vogelfange  handeln,  und  den  dabei 
genannten  Kleinvögeln  zunächst  absehen,  der  Hauptvertreter 
der  herbstlichen  Zugvögel  in  der  griechischen  Poesie  der 
Kran  ich.^'-) 

Fürwahr,  ein  würdiger  Vertreter  des  Vogelgeschlechts, 
ein  plastisches  Kunstwerk  der  Natur,  einer  der  edelsten  und 
erscheinungsgewaltigsten  unter  den  gefiederten  Wanderern! 
Seine  Art  zu  ziehen  hat  auf  die  Griechen,  besonders  im  Herbste, 
den  grössten  Eindruck  gemacht.  Seit  den  ältesten  Zeiten 
schildern  die  Dichter  des  öfteren  die  Hauptmerkmale  des  Kranich- 
zuges: seine  Richtung  nach  Süden,  gegen  Libyen  zu,  fort 
aus  den  Regionen  des  anrückenden  Winters,  diereihenförmige 
Anordnung  der  durchziehenden  Scharen,  sowie  die  kolossale 
Flugkraft  unseres  Vogels,  die  ihn  zu  der  Höhe  der  Wolken 
erhebt  und  ihn  menschlicher  Wahrnehmung  gar  oft  gänzlich 
entziehen  würde,  wenn  seine  unverkennbare  rauhe  Stimme 
ihn  nicht  verriete.  Das  Ganze  wird  als  Zeichen  des  nahen- 
den Winters  und  als  eine  Mahnung  zur  Aufnahme  der 
Saatarbeit  aufgefasst  Diese  Schilderungen  der  Dichter  um- 
fassen natürlich  niemals  alle  Einzelheiten  in  systematischer 
Reihenfolge  oder  erschöpfender  Vollständigkeit,  sondern  der 
eine  hebt  diesen,  der  andere  jenen  Zug  hervor,  der  den  er- 
haltenen Natureindruck  versinnbildlicht  oder  auch  den  gelungenen 
Darstellungen  seiner  Vorbikler  abgelauscht  ist. 

Schon  Homer  zeigt  sich  als  Kenner  des  Kranichzuges, 
11.  HI  2  ff.  lesen  wir  den  schönen  Vergleich:  Die  Troer  nun 
rückten  mit  Geschrei  und  Ruf  heran  wie  Vögel/''^)  und  zwar 
gerade  so,  ivie  der  Ruf  von  Kranichen  ertönt  vor  dem  Himmel 
hin,  die,  wenn  sie  sich  vor  dem  nahenden  Winter  und  seinen 
ungeheuren  Regen güssen''-^)  auf  die  Flucht  begehen  haben,  mit 
lautem  Rufe  hin/liegen  zu  den  Gestaden  des  Ozeans,  um  den 
Pggmäenmännern  Tod  und  Verderben  zu  bringen.  Noch  in  der 
Morgenfrühe^-')  beginnen  sie  dann  verderblichen  Kampf.  ■'^) 
Der  Kern  des  Vergleiches  liegt  in  dem  wirren  Geschrei,  das 
die  Ileercsmassen  der  Troer  wie  die  Scharen  der  wandernden 
Kraniche  schon  von  ferne  hören  lassen.  Alles  andere  ist  po- 
etische  Ausschmückung.     In    dem  Ausdrucke    vor  dem  Himmel 


-     17     — 

liin   werden   wir   mit  den  Scholien  wohl  einen  Hinweis  auf  die 
grosse  Höhe    des    Fluges   zu    sehen  haben.     Durch   die  Worte 
zu   den  Gestaden    des  Ozeans  ist   nach    den  Grundbegriffen  der 
homerischen  Geographie  als  Ziel  des  Kranichzuges  die  äusserste 
Grenze  der  Erde  bezw.  des  festen  Landes  angegeben.     Zu  be- 
achten ist  auch  hier,    wie    bei   den  Stellen    über    den    Eisvogel 
(II.  IX  561  ff.)  und  besonders  die  Nachtigall  (Od.  XIX  518  ff.), 
die  Verknüpfung  von  Natur  und  Mythus,   eine  hervorstechende 
Eigentümlichkeit    der    homerischen    Denk-    und    Darstellungs- 
weise.    Während    nämlich    einerseits    als  Grund    des   Kranich- 
zuges der  drohende  Winter,  ein  der  Natur  entnommenes  Moment, 
angegeben  ist,  so  gehört  doch  anderseits  sein  Zweck,  der  Kampf 
mit    den  Pygmäen,    der    Sphäre   des   Mythus   an.      So    viel    für 
jetzt!  Das  letztere  Problem  soll  uns  weiter  unten    beschäftigen. 
Als  Zeichen   der   herbstlichen    Saatzeit^*^)    fassen 
den  Kranichzug  drei  Dichterstellen,  deren  älteste  dem  poetischen 
Lehrmeister   der  Landwirte,  Hesiod   (Op.    448   ff.),    zugehört. 
Er   gibt    den   Rat,    aclüzuliahen    auf  die  Zeit,    zu    der  man  des 
Kranichs  Stimme    hört,    der    hoch    aus    den    Wolken    alljährlich 
ruft  und  damit  zum   Pflügen    das  Zeichen   gibt  und  die  Zeit  des 
regenreichen     Winters    anzeigt;    er    erJiUlt    aber    mit    Sorge   die 
Herzen    mittelloser    Leute.^^)      Zum     erstenmale    sind    hier    die 
Wolken  mit  dem  Kranichzuge  in  Verbindung  gebracht,  wodurch 
wir  von  der  schwindelnden  Höhe  des  Kranichzuges  eine  treffende 
Vorstellung  gewinnen.     Eine  kurze  Besprechung  erheischt  noch 
das    Wort    alljährUch.      Dies    kann    nichts    anderes    bedeuten 
als   alljährlich   einmal.     Der   Dichter    berücksichtigt  also    nur 
den  Herbstzug  des  Kranichs.     Vom  Frühjahrszuge  hat  er  ent- 
weder noch  nichts  gewusst  oder,  was  ungleich  wahrscheinlicher 
ist,    er  hat    bei    dieser   Gelegenheit  seiner  nicht  gedacht,    weil 
ihm   keine    wirtschaftliche    Bedeutung    zukam,    —    Aus    dieser 
Stelle   erklären   sich   die  Worte    des  Theognis,    v.  1197  ff .  : 
„Sohn    des  Pohjpaos,    ich  habe  die  Stimme  des   Vogels,    des   laut 
rufenden,  gehört,  der  den  Sterblichen   als   Verliinder  der  rechten 
Pflügezeit  ersc]nen"J'^)     Doch  diesmal  erAveckt  der  wohlbekannte 
Laut  schmerzliche  Gedanken    in   der  Brust  des  Dichters;  denn 
er  hat  seinen  fruchtbaren  Landbesitz  verloren  und  mit  Ingrimm 
muss  er  zusehen,  wie  fremde  Herren  sein  ehemaliges  Eigentum 
bewirtschaften.     Der  Name  des  Vogels  ist  nicht  genannt;  doch 
ist   die  Deutung    auf  den  Kranich    durch    die    zitierte    Hesiod- 
Stelle  völlig  gesichert.     Jedenfalls    müssen  wir   in  den  Worten 
des    älteren    Didaktikers    das   Vorbild    des   jüngeren    Lyrikers 
erkennen.     Der  letztere  hat  nichts  getan,  um  dieses  Verhältnis 
zu  verschleiern;  er  scheint  vielmehr  geradezu  auf  die  zu  seiner 
Zeit  allgemein  bekannten  Verse  seines  Vorgängers  zu  verweisen. 

2 


—     18     — 

Deshalb  hat  er  den  Namen  des  Vogels  unterdrückt,  deshalb 
auch  jede  Angabe  der  Jahreszeit  weggelassen.  —  Noch  in 
weiterem  Umfange  von  Hesiod  abhängig  zeigt  sich  Aristo- 
phanes  (Av.  710  f.  —  die  Vögel  als  Verkünder  der  Jahres- 
zeiten) :  Die  Zeit  der  Aussaat  (zeigen  irir  an),  wenn  der  Knmich 
unter  Irächzendem  Geschrei  nach  Libyen  forfiranderf.  Dadurch 
macht  er  zugleich  den  Reeder  aufmerksam,  dass  es  Zeit  ist,  das 
Steuerruder  aufzuhängen  und  sich  dem  Niclifstun  hinzugehend*) 
Zwei  Botschaften  sind  es  also,  die  der  Kranich  bringt:  Die 
Wintersaat  ist  zu  besorgen,  die  Schiffahrt  dagegen  einzustellen. 
Diese  letztere  Einschränkung,  die  für  den  Beginn  des  AVinters 
ebenso  charakteristisch  ist  wie  ihre  Aufhebung  für  den  Früh- 
ling,*^') wird  vom  Dichter  angedeutet  durch  die  Erwähnung  des 
Gebrauches,  das  vom  Schiffe  abgenommene  Steuerruder  zu 
Hause  im  Rauchfange  aufzuhängen.  Auch  hierin  finden  wir 
eine  deutliche  Beziehung  auf  Hesiod,  der  zweimal  (Op.  45  und 
629)  von  dieser  Gepflogenheit  spricht.  Ob  freilich  zur  Zeit 
des  Aristophanes  ein  so  patriarchalischer  Gebrauch  noch  allge- 
mein herrschte,  mag  zweifelhaTt  erscheinen.  Wenn  er  über- 
haupt noch  vorkam,  so  beschränkte  er  sich  wohl  auf  die  Kreise 
der  weniger  vermöglichen  Schiffseigentümer,  die  nur  ein  ein- 
ziges kleineres  Schiff  oder  deren  wenige  besassen.  Aber  es 
ist  ja  bekannt,  dass  Aristophanes  mit  seinen  Gedanken  und 
seiner  Darstellung  gerne  in  der  alten  Zeit  verweilt,  die  er  wegen 
ihrer  Einfachheit  und  Sittenstrenge  den  gleichzeitigen  Verhält- 
nissen weitaus  vorzieht.  Als  Wanderziel  der  Kraniche  wird 
an  unserer  Stelle  zum  erstenmale  Libyen  genannt,  das  im 
weitesten  Sinne  =  Afrika  aufzufassen  ist. 

Weitaus  die  grösste  und  reichhaltigste  Stelle  über  den 
Kranichzug  bietet  Euripides,  Hei.  1478  flf.  Der  aus  grie- 
chischen Frauen  bestehende  Chor  hat  im  Vorausgehenden  das 
Schiff  angesprochen,  das  Helena  und  Menelaus  von  Ägypten 
in  die  griechische  Heimat  zurücktragen  soll.  Er  hat  die  Schiffer 
aufgefordert,  die  lluder  zur  Hand  zu  nehmen,  und  schwelgt 
in  der  Ausmalung  der  Festlichkeiten,  an  denen  die  Königin 
nun  wieder  in  Sparta  teilnehmen  wird.  Diese  Gedanken  ent- 
locken ihm  den  Wunsch:  „0,  möchten  wir  lioch  in  der  Luft 
Ubgsche  Zugvögel  u-erden,  die  auf  der  Flucht  vor  dem  Winterregen 
(nach  dem  Süden)  zurückkeltren,  der  Pfeife  des  Altesten,  ihres 
Hirten,  folgend,  der  dürre  ivie  fruchtbare  Landstrecken  über- 
jliegend  sein  Signal  erschallen  lässt.  Ihr  langJialsigen  Vögel, 
teilnehmend  am  Laufe  der  Wolken^  zieJiet  mitten  unter  den  Ple- 
jaden  und  dem  nächtlicJien  Orion  liin  und  verkündet,  am  Ufer 
des  Lurotas  stehend,  die  Botschaft,  dass  Menelaus  nach  FAnnahme 
der  Feste   des  Dardanus  in  die  Heimat  zurückkehren  wird!"^'^) 


—     19     - 

Wenn  wir  diese  schwungvollen  Verse  genauer  betrachten,  so 
vermissen  wir  zunächst  den  Namen  des  geschilderten  Vogels. 
Gleichwohl  kann  es  keinen  Augenblick  zweifelhaft  sein,  welcher 
gemeint  ist.^^^  Sodann  bemerken  wir  manche  Einzelheiten, 
die  uns  schon  aus  den  älteren  Zitaten  bekannt  sind:  Der  Zug 
des  Kranichs  ist  als  eine  Flucht  vor  dem  Winter  regen 
gedacht,  ganz  wie  bei  Homer  II.  III  4;  die  Kraniche  fliegen 
in  der  Nähe  der  Wolken,  wie  bei  Hesiod  Op.  449;  sie 
werden  wie  bei  Aristophanes  Av.  710  zu  Libyen  in  Bezie- 
hung gesetzt.'^'^j  Dagegen  muss  es  auffallen,  dass  Euripides  den 
herbstlichen  Kranichzug  als  eine  Rückkehr  dieser  Vögel  in 
ihre  eigentliche  Heimat  auffasst.  Darauf  deutet  schon  das 
Wort  vtaaovtao;  noch  klarer  jedoch  ergibt  sich  diese  Ansicht 
des  Dichters  daraus,  dass  er  die  Kraniche  als  libysche  d.  h.  in 
Libyen  beheimatete  Vögel  bezeichnet.  (Vgl.  ßabrius,  Fabel 
143,  frg.:  Acßuaaa  yepavo?!)  Aber  auch  abgesehen  von  dieser 
Besonderheit  treffen  wir  noch  mehreres  Neue  in  der  Schilde- 
rung unseres  Dichters :  Er  nimmt  an,  dass  die  Kraniche  einen 
Führer  haben,  dass  dieser  Führer  der  älteste  Vogel  ist  und 
sie  durch  seinen  Ruf  wie  durch  ein  Signal  zusammenhält.'^^) 
Diesen  Führer  nennt  er  in  verkürzter  Vergleichung  einen  Hirten, 
seine  Stimme  aber  eine  Hirtenpfeife.  Durch  ihn  erfahren  die 
Wanderer,  wie  aus  v.  1484  ff.  hervorzugehen  scheint,  ob  das 
Land,  über  das  sie  fliegen,  fruchtbar  oder  unfruchtbar  ist,  d.  h. 
ob  es  sich  zur  Raststation  mit  Weidegelegenheit  eignet  oder 
nicht.6'^)  Das  Beiwort  ooXi'/au*/£V£>;  (langnackig)  ist  eine  leichte 
Umänderung  des  homerischen  Epithetons  Zoxtkiyood^wj  (lang- 
halsig),  das  II.  II  460  und  XV  692  den  Schwänen  beigelegt 
ist.  Auf  die  Kraniche  passt  es  natürlich  ebenso  gut.  Ob  aber 
die  sprachliche  Umformung  an  sich  eine  glückliche  ist,  kann 
zweifelhaft  erscheinen.  Bemerkenswert  ist  auch  der  Ausdruck 
ofwvoc  a-oAao£?,  den  der  Dichter  erfunden  zu  haben  scheint, 
um  für  den  Begriff  Ziigvijgel  ein  deckendes  Wort  zu  bilden. 
Doch  hat  sich  diese  Bezeichnung  nicht  einzubürgern  vermocht ; 
wenigstens  finden  wir  sie  sonst  nirgends  in  der  Literatur  an- 
gewendet. Soweit  stimmt  alles  vortrefflich  zusammen  und  der 
Ornithologe  kommt  bei  der  Betrachtung  unserer  schönen  Stelle 
ganz  und  voll  auf  seine  Rechnung.  Wenn  wir  dagegen  den 
logischen  Zusammenhang  erwägen  —  ganz  abgesehen  von  der 
mangelhaften  Überlieferung  des  Textes,  die  in  der  Anmerkung 
besprochen  ist  — ,  so  stossen  wir  auf  eine  befremdende  Inkon- 
gruenz.  Augenscheinlich  sind  in  den  besprochenen  Versen 
zwei  Gedanken  miteinander  verflochten :  Die  Chorfrauen  wünschen 
Kraniche  zu  sein,  um  mit  dem  Königspaare  nach  Sparta  ge- 
langen zu  können.6'^)    Unmittelbar  darauf  jedoch  fordern  sie  diese 


-     20     — 

Zugvögel  auf,  die  Heimkehr  der  beiden  in  Sparta  zu  verkünden. 
Hier  ist  jedenfalls  der  Zwischengedanke  zu  ergänzen :  Da  der 
sehnliche  ßeflügelungswunsch  des  Chors  leider  unerfüllbar  ist, 
so  soll  die  freudige  Nachricht  wenigstens  durch  beflügelte  Boten 
an  ihrem  Bestimmungsorte  eintreffen.  Damit  ist  der  Zusammen- 
hang ohne  besondere  Mühe  hergestellt,  Die  ungleich  grössere 
Schwierigkeit  aber  liegt  darin,  dass  der  Chor  nach  Sparta,  also 
nordwärts,  zu  fliegen  wünscht  und  ebenso  die  Kraniche  er- 
sucht, von  Ägypten  die  bestellte  Nachricht  dorthin  zu  bringen, 
während  doch  im  Zusammenhange  damit  gesagt  ist,  dass  diese 
V'öffel  auf  der  Flucht  vor  dem  Winter  nach  Libyen  heimkehren. 
Demnach  sind  sie  das  einemal  nach  Norden,  das  anderemal 
nach  Süden  fliegend  zu  denken.  Diese  Verquickung  innerlich 
entgegengesetzter  Ausgangspunkte  kann  durch  keine  Textver- 
besserung beseitigt  werden.  Sie  scheint  auf  eine  Flücht'g-keit 
des  Euripides  zurückzugehen,  wie  sie  in  seinen  Chorliedern 
öfters  zu  rügen  ist.  Ein  hinreichender  Erklärungs-  wenn  auch 
nicht  Entschuldigungpgrund  liegt  in  unserem  Fall  nicht  ferne. 
Die  altüberkommenen  Ausdrücke  und  Bilder  beherrscht  der 
literaturkundige  Dichter  so  vollkommen,  da?s  er  sie  fast  mechanisch 
verwendet.  So  fügt  er  hier  die  WinterÜucht  der  Kraniche  in 
seine  Darstellung  ein,  obwohl  dieses  Motiv  mit  der  angenommenen 
Situation  völlig  unvereinbar  ist.  Die  nachgewiesene  zweimalige 
Veränderung  des  Standpunktes,  hinsichtlich  des  Beüügelungs- 
wunsches  wie  der  Zugrichtung,  verleiht  unseren  Versen  ein 
höchst  eigenartiges  Gepräge.  Es  kommt  dadurch  in  die  ganze 
Darstellung  eine  Unruhe,  die  trotz  der  temperamentvollen  Fas- 
sung einen  reinen  Kunstgenuss  nicht  zulässt.  —  Von  dieser 
Stelle  fällt  ein  willkommener  Lichtstrahl  auf  einen  anderen 
Beflügelungswunsch  bei  Euripides,  dessen  spez'elle  Bedeu- 
tung sonst  in  Dunkel  gehüllt  bliebe.  Im  Hippolyt,  v.  732  flf., 
wünscht  sich  nämlich  der  Chor  trözenischer  Frauen,  nachdem 
seine  Herrin  Phaedra  mit  dem  festen  Entschlüsse,  sich  den 
Tod  zu  geben,  die  Bühne  verlassen  hat,  weit  weg  vom  Schau- 
platze dieser  Schreckenstat.  ,,0,  war'  ich  doch/'  so  ruft  er,  „ent- 
rücJd  in  jäJie  Schluchten,  dass  mich  ein  Gott  als  bescJurivt/foi 
Vogel  unter  die  be/lä(/elten  Herden  rersetzte  !"  ^^)  Er  möchte  dann 
weiter  ans  adriatische  Meer  und  an  den  Po,  ja  bis  in  das  ge- 
segnete Land  der  Hcsperiden  gelangen.  Auch  hier  meint  der 
Dichter  keinen  anderen  Vogel  als  den  Kranich.  Denn  die  Be- 
zeichnung der  gedachten  Vr)gel  als  /lerdc  beruht  auf  dem  näm- 
lichen Vergleiche  wie  diejenige  des  Kranichfühters  als  Ilirte 
an  der  vorigen  Stelle,  und  diss  derselbe  Ausdruck  auch 
später  noch  im  gleichen  Sinne  gebräuchlich  war,  beweist 
Arat.  V.  107 5. "9) 


-      21      — 

Ein  bezeichnendes  Merkmal  des  Krauichzuges,  seine  grosse 
Höhe,  wird  besonders  in  einer  Fab  el  hervorgehoben,  die  uns 
in  doppelter  Bearbeitung,  in  Prosa  (397  und  397  b)  und  in  der 
Versifikation  des  Babrius  (65),  erhalten  ist.  Der  eitle  Pfau 
verspottet  den  Kranich  wegen  seiner  einfachen  Farbe.  Der 
Kranich  erwidert  (397):  ^Ich  ßiege  den  Sternen  nahe  und 
rufe  von  dort  herunter;  du  cdwr  scliu-inr/st  tele  ein  Hahn  deine 
Flihjel  auf  dem  Boden,  ohne  dich  oben  zu  zeif/en ;''  oder  (397  b) : 
„  Ich  rufe  ganz  nahe  hei  den  Sternen  und  erhelle  mich  im  FiiKje 
zu  himmlischen  Höhen;  du  aber  lebst  wie  ein  Hahn  am  Boden 
mit  deinen  Hennen."  Bei  Babrius  spricht  der  Kranich:  „Ich  er- 
hebe micli  mit  diesem  Gefieder,  dessen  Farben  du  verspottest,  nahe 
zu  den  Sternen  und  krä'^hze  dort  ohen;"^^)  du  aber  schwingst 
diese  deine  vergoldeten  Flügel  u:ie  ein  Hahn  auf  dem  Boden, 
ohne  dich  oben  zu  zeigen."  Über  den  Sinn  der  Fabel  brauchen 
wir  uns  nicht  weiter  zu  äussern.  Der  Form  nach  stimmen 
alle  drei  Erzählungen  bis  auf  einzelne  Ausdrücke  überein ;  be- 
sonders deutlich  zeigt  sich  dies  bei  der  ersten  Prosaversion, 
die  sich  als  ein  Auszug  aus  der  Fassung  des  Babrius  darstellt. 
Nur  in  einem  Punkte  hat  der  Prosaerzähler  den  Dichter  wirk- 
lich verbessert,  indem  er  nämlich  das  Beiwort  „wohlgestaltet" 
(£'j'^u/j;),  das  Babrius  dem  Pfau  gibt,  dem  Kranich  zuteilt. 
Denn  wirklich  steht  dieser  gerade  durch  die  Harmonie  und 
Schönheit  seines  gesamten  Körperbaues  zu  dem  nur  durch 
seinen  Farbenglanz  blendenden  Pfau  im  Gegensatz.  Dass  die 
B"'abel  in  allen  drei  Versionen  zur  Kennzeichnung  der  Höhe  des 
Kranichzuges  die  Sterne  nennt,  erscheint  wie  eine  beabsichtigte 
L'berbietung  der  seit  Hesiods  Vorginge  zu  diesem  Zwecke 
gerne  genannten  Wolken.  —  Auch  Arat  erwähnt  bei  der 
Schilderung  des  Kranichzuges  dessen  Höhe  (O'iioO  v.  1031)  und 
gibt  ferner  als  erster  unter  den  griechischen  Dichtern  die  Form 
dieses  Zuges  an.  Er  spricht  nämlich  von  den  langen  Reihen 
([Aaxpac  axr/s;)  der  Kraniche. 

Zwei  Epigramme  der  Anthologie  endlich  erzählen 
singulare  Vorfälle  des  Kranichzuges,  Anekdoten,  die  sich  an 
diese  Naturerscheinung  knüpfen.  Ein  unbekannter  Autor 
(Anth.  Pal.  Vll  543)  ruft  an  dem  Gedenksteine  eines  Schiff- 
brüchigen aus:  Jede  Art  von  Seefahrt  mikhte  einer  zu  meiden 
u-itnschen,  da  du,  Theogenes,  im  lihgschen  Meere  dein  Grab  ge- 
funden hast,  als  auf  dein  Lastschiff  jene  dichte  Wolle  unzäJdiger 
Kraniche  ermüdet  aufflog.'^ ^)  Man  glaubte  also,  das  betreffende 
Schiffsunglück  sei  durch  den  Einfall  einer  ungeheuren  Menge 
von  Kranichen  herbeigeführt  worden.  Dass  Wandervögel  bei 
widrigem  Wetter  im  Zustande  der  Erschtipfung  sich  an  das 
Tauwerk  eines  Schiffes  anklammern  oder  auf  seinem  Deck  sich 


—     22     — 

niederlassen,  ist  ein  Vorkommnis,  das  jeder  Seefahrer  kennt. 
Dass  aber  dadurch  ein  Schiff,  selbst  wenn  es  noch  so  überladen 
ist,  zum  Sinken  gebracht  werden  könnte,  zur  Erfindung  einer 
solchen  Angabe  gehört  eine  starke  Phantasie  und  zu  ihrer  wider- 
spruchslosen Aufnahme  eine  grosse  Leichtgläubigkeit.  Einen 
besseren  Sinn  bekommt  die  ganze  Erzählung,  wenn  wir  daran 
denken,  dass  die  Alten  der  Ansicht  waren,  die  Kraniche  trügen 
auf  dem  Zuge  Steine  mit  sich,  wovon  unten  die  Rede  sein 
wird.  Das  Gewicht  dieser  Steine  konnte  dann  freilich  die  Last 
des  Schiffes  allzusehr  vermehren,"-)  Hiebei  bleibt  es  nur  zu 
verwundern,  dass  der  Dichter  mit  keinem  Worte  auf  dieses 
wesentliche  Moment  hinweist.  Indes  hielt  er  die  Sache  vs'ohl 
für  selbstverständlich,  da  man  ziehende  Kraniche  sich  ein  für 
allemal  als  Steinträger  vorzustellen  gewohnt  war.  Doch  abge- 
sehen von  diesem  grundlegenden  Bedenken  ist  auch  ein  einzelner 
Ausdruck  in  unserem  Epigramme  geeignet,  Anstoss  zu  erregen, 
nämlich  die  Bezeichnung  der  Kraniche  als  Wolke.  Zwar  ge- 
braucht schon  Homer,  11.  XVII  755,  dieses  Wort  bei  der  Schil- 
derung herumziehender  Dohlen  und  Stare.  Aber  diese  Vögel 
fliegen  wirklich  in  Schwärmen  zusammengeballt,  sodass  sie  sich 
wohl  mit  einer  Wolke  vergleichen  lassen,  während  die  Kraniche 
ihren  Zug  in  lange  Reihen  auflösen,  für  welche  die  Bezeichnung 
Wolke  nimmermehr  zutriffr.^*^)  —  Den  gleichen  Fehler  treffen 
wir  in  einem  anderen  Epigramme  (Anth.  Pal.  VII  745),  das 
den  Antipater  von  Sidon  zum  Verfasser  hat.  Seinen  Inhalt 
bildet  die  Geschichte  der  Kraniche  des  Ibykus."^^)  Ibijkus, 
so  apostrophiert  der  Verfasser  den  toten  Dichter,  Räuber  haben 
dich  ermordet,  als  du  einst,  von  der  Insel  her  auf  dem  Fest- 
lande anyekommen,  durch  einsame,  unbetretene  Gegenden  wander- 
test. Doch  vor  deinem  Tode  riefest  du  eine  Wolke  von  Kranichen 
an,  die  dir  als  Zeugen  erschienen,  als  du  auf  die  schmerzlichste 
Weise  dahinsterben  musstest.  Und  nicht  vergeblich  war  es,  dass 
du  zu  ihnen  emjwrriefest ;  denn  die  strafende  Erinnys  nnisste 
durch  das  Geschrei  dieser  Vögel  im  Lande  des  Sisijphus  (d.  h.  i>i 
Korinth)  deinen  Mord  zu  rächenJ'^)  Das  übrige  ist  eine  Ver- 
wünschung der  Mörder,  die  nicht  bedacht  hätten,  dass  auch 
Aegisth,  der  einen  Sänger  getötet  hatte,  der  Rache  der  Erinnyen 
nicht  entging."")  Die  ITolke  von  Kranichen  ist  natürlich  eine 
Schar  dieser  Vögel,  die  auf  dem  Zuge  den  Schauplatz  der  Un- 
tat überflog.  Der  Verfasser  dieses  Epigratnmcs,  das  älter  zu 
sein  scheint  als  das  vorher  zitierte,'^'')  gebraucht  den  Ausdruck 
Wolke  formolliRft  als  Nachahmer  Homers,  ohne  die  schlimme 
Folge  dieser  Übertragung,  ein  Abweichen  von  der  Naturtreue, 
zu  ahnen.  Auch  Schiller  hat  in  seinen  „Kranichen  des 
Ibykus"  keine  glückliche  Wendung   für   die  Charakteristik  der 


—     23     — 

vorüberziehenden  Kranichschar  gefunden.  Denn  ihr  aclnvärz- 
liches  Gewimmel  ist  niciit  viel  naturwahrer  als  die  Wolle  des 
Antipater.  Doch  mag  unserem  heimischen  Dichter  der  Um- 
stand zu  gute  kommen,  dass  in  Deutschland  die  Gelegenheit, 
ziehende  Kraniche  zu  beobachten,  sich  viel  seltener  bietet  als 
in  Griechenland. 

Dass  auch  die  Wetterkundigen  auf  das  Erscheinen 
und  Benehmen  der  Kranichzüge  achteten,  ist  bei  dem  Interesse 
der  Griechen  für  diese  auffallenden  Vögel  selbstverständlich.'^^) 
An  drei  Stellen  zieht  Arat  aus  dom  Kranichzuge  einen  Schluss 
auf  das  eintretende  Wetter.  V.  1010  ff.  erwähnt  er  den 
Kranich  unter  den  Vorboten  guten  Wetters  nach  vorausge- 
gangenem Sturm  mit  den  Worten  :  Undtvohl  werden  die  Kraniche 
vor  sanfter  Mlndstille  ins(jesamt  eine  einzige  Ztifjrichlmuj  sicher 
einhalten  und  hei  heiterem  Himmel  sich  nicld  rückirärts  treiben 
lassen. '^^)  Dagegen  bilden  Kranichscharen,  die  auf  dem  Zuge 
umkehren,  ein  Vorzeichen  von  Sturm  :  Dann  ziehen  die  langen 
Reihen  der  Kraniche  nicht  den  gleichen  Pfad  in  der  Höhe  fort, 
sondern  sich  umkehrend  irenden  sie  sich  rückwärts  (v.  1031  f.).^*^') 
Das  Phänomen  der  Zugunterbrechung  bezw,  Umkehr,  das  auch 
in  unseren  Breiten  zuweilen  beobachtet  wird,  ist  also  dem  Dich- 
ter nicht  unbekannt.  (Vgl.  Ael.  N.  A.  III  14.)  Endlich  gibt 
Arat  V.  1075  ff.  noch  eine  andere  hierher  bezügliche  Wetter- 
prognose: Es  freut  sich  auch  der  Kranichherden  der  herbst- 
liche P0(fjery  wenn  sie  zur  rechten  Zeit  kommen;  noch  mehr  aber, 
we)tn  sie  verspätet  eintreffen.  Denn  auf  dem  Fusse  ziehen  die 
Winterstürme  den  Kraniclien  nach.  Wenn  diese  daher  früh  und 
mehr  dichtgedrängt  erscJieinen,  so  stellt  sich  auch  in  Bälde  der  Winter 
ein;  wenn  sie  dagegen,  spät  und  nicld  scharenweise  angekommen, 
längere  Zeit  auf  dem  Durchzuge  sich  aufhalten  und  sielt  mehr 
vereinzelt  zeigen,  so  uird  durch  den  Aufschub  des  Winters  die 
spätere  Feldarbeit gef ordert. ^^)  Arat  schliesst  also  aus  dem  früheren 
oder  späteren  Eintreffen  der  Kraniche  auf  den  entsprechenden 
Beginn  des  Winters.  Dabei  liegt  die  poetische  Vorstellung  zu- 
grunde, dass  der  Winter  den  Kranichen  nachzieht,  womit  nur 
die  Tatsache  umschrieben  wird,  dass  diese  Vögel  ein  feines 
Vorgefühl  für  das  Wetter  besitzen.  Dieselbe  Annahme  treffen 
wir  übrigens  noch  heutzutage:  Aus  der  frühen  Abreise  der 
Störche,  aus  dem  zeitigen  Durchzuge  der  Wildgänse  und  Kra- 
niche prophezeit  man  auch  bei  uns  einen  frühen  und  strengen 
Winter. 

Eine  Reihe  anderer  Dichterstellen  zeigt  uns  den 
Kranich,  ohne  direkt  seinen  Zug  zu  schildern,  als  herbst- 
lichen Gast  in  Griechenland  oder  in  den  benachbarten 
Ländern.     Ohne  Angaben  der  Jahreszeit  schildert  Homer  (II. 


—     24     — 

II  459  ff.)  das  Benehmen  dieser  und  ähnlicher  Wandervögel 
an  einem  Flusse  Kleinasiens :  TJ^e  grosse  Scharoi  von  Jlii(j- 
schnellen  Vörjehi,^')  von  Gänsen  oder  Kranichen  oder  lanc/Jialsüjoi 
Schwänen,  auf  der  Asischen  Flur  an  der  Strömung  des  Kaijster 
bald  hierhin,  bald  dorthin  fiegen,  mit  den  Schwingen  prangend, 
indem  sich  unter  Geschrei  die  einen  vor  den  andern  niederlassen, 
sodass  die  gatue  Ilur  von  Getön  erfüllt  ist:  so  ergossen  sielt 
der  Griechen  volhreiche  Scharen  von  den  ScJtiffen  und  den  Ge- 
zeiten in  die  Ebene  des  SJiatnanderß^)  Der  Kern  des  Vergleiches 
liegt  in  dem  individuenreichen,  lärmenden  Gewimmel,  das  einer- 
seits bei  den  Yogelscharen  am  Kayster,  anderseits  bei  den  am 
Skamander  aufmarschierenden  Heeresmassen  der  Griechen 
herrscht.  Rühmenswert  ist  neben  der  poetischen  Schönheit  des 
Bildes  auch  die  Naturwahrheit  der  Darstellung.  Die  Unruhe 
solcher  "Vogelscharen,  die  einander  immer  wieder  überfliegen, 
um  zu  neuen  Weideplätzen  zu  gelangen,  der  Glanz  des  Schwanen- 
gefieders,  das  Geschrei  der  Gänse  und  Kraniche,^^)  alles  dies 
ist  vortrefflich  wiedergegeben  und  vereinigt  sich  zu  einem  präch- 
tigen Gesamtbilde.  Der  Anteil  der  Kraniche  an  diesem  reichen 
Vogelleben  beruht  vor  allem  auf  ihrer  grossen  Menge  und  ihrem 
unruhigen  Wesen,  sodann  auf  dem  lauten  Geschrei,  das  sie 
vereint  mit  den  Gänsen,  im  Gegensatze  zu  den  Schwänen, 
hören  lassen.  —  Ein  schwacher  Abglanz  von  der  poetischen 
Pracht  dieser  Verse  fällt  auf  eine  andere  Stelle  Homers  (II. 
XV  690  ff.),  die  dem  skizzenhaft  wiederholten  Grundrisse  des 
gleichen  Bildes  einen  neuen  Zug  in  knappster  Linienführung 
hinzufügt.  Der  Dichter  vergleicht  hier  den  IJektor,  wie  er 
auf  die  Schiffe  der  Achäer  lo&stürmt,  mit  einem  Adler,  der  los- 
fährt auf  einen  Schino'm  von  Hugschnellen  Vögeln,  die  an  einem 
Flusse  weiden,  von  Gänsen  oder  Kranichen  oder  langhalsigen 
Schu'änen.^'^)  Wir  sehen,  wie  die  friedliche  Bewegung  des 
vorigen  Naturbildes  durch  das  Erscheinen  eines  mächtigen 
Feindes,  des  Adlers,  auf  einmal  in  eine  Szene  des  Schreckens 
verwandelt  wird.  Freilich  hat  der  Dichter  diese  Veränderung 
nur  angedeutet,  ohne  den  lohnenden  Vorwurf  weiter  auszumalen. 
Auch  hier  weiden  die  Scharen  der  Wandervr)gel  an  einem 
Flusse,  eine  Situation,  die  ganz  der  Natur  entspricht;  denn  an 
den  sumpfigen  Ausflüssen  der  grossen  Ströme  Jonicns  finden 
solche  Massen  müder  und  hungriger  Vögel  auch  heute  noch  am 
ehesten  Buhe  und  ausreichende  Nahrung.^*') 

Es  gibt  aber  noch  eine  andere  Nahrungsquellc  für 
die  durchziehenden  Wandervögel ;  das  sind  die  Werke  des  mensch- 
lichen Fleisses,  die  Wein-  und  Feigenpflanzungen  sowie  die  neu 
bestellten  Felder,  auf  denen  die  Saat  eben  zu  keimen  beginnt. 
Werden  die  süssen  Früchte  des  Südens  meiir  von  den  beeren- 


—     25     — 

fressenden  Klein  vögeln  gezehntet,  so  bilden  die  jungen  Snaten 
eine  ergiebige  Weide  für  Dohlen,  Krähen,  Stare,  Gänse  und 
Kraniche.  Wenn  also  der  Landmann  nicht  den  Ertrag  seiner 
Arbeit  gefährdet  sehen  will,  so  ist  er  darauf  angewiesen,  zum 
SchutzeseinerFeld-undBaumfrücbte  Abwehrmassregeln  zu  troffen. 
Mit  der  Dai Stellung  dieser  Verhältnisse,  soweit  der  Kra- 
nich daran  beteiligt  ist,  befassen  sich  vier  Fabeln.  In  der 
26.  Fabel  erzählt  Babrius  ungefähr  folgendes:  Kraniche  irei- 
dt'ten  auf  dem  Felde  eines  Bauern,  das  lürzUrli  mit  Wei^an- 
saat  bestellt  worden  icnr.  Der  Landmann  versuchte  sie  UbKjcre 
Zeit  dadurch  zu  verscheuchen,  dass  er  eine  leere  Schleuder 
schu-an;j.  Bald  aber  merlden  die  Kraniche  diese  List  lotd  jlohen 
nicht  nu'hr,  bis  jener  sein  Verhalten  änderte  und  irirkl'cJi  Sieine 
warf.  Als  mm  mehrere  verwundet  ivurden,  verl'essen  sie  das 
Feld  und  krächzten:  „Lasst  ims  davoneilen  ins  Land  der 
Pygmäen!  Denn  offenbar  will  uns  der  Mann  nicht  mehr  bbiss 
in  Schrecken  setzen,  sondern  er  fängt  an ^  zu  Taten  überzugehen".^'^) 
—  Erscheint  hier  der  Kranich  als  ein  schlauer  Vogel,  der  leere 
Schreckmittel  leicht  von  wirklichen  Nachstellungen  unterscheiden 
lernt  —  was  ganz  mit  der  Wirklichkeit  übereinstimmt  — ,  so 
schildert  Fabel  42  1  die  auf  einer  Flur  u-cidenden  Kraniche 
als  ungemein  Huggewandte  Vögel,  denen  es  bei  Wahrnehmung 
eines  nahenden  Feindes  wes-en  ihres  o-erintjen  Gewichtes  eine 
Leichtigkeit  ist,  sich  vom  Boden  zu  erheben  und  in  Sicherheit 
zu  bringen,  während  die  schwerfälligen  Gänse  bei  dieser  Ge- 
legenheit gefangen  werden  —  eine  Gegenüberstellung,  über 
deren  Berechtigung  wir  später  zu  sprechen  haben.  —  Eine 
andere,  allgemein  bekannte  Fabel,  die  uns  in  Prosa  (100  und 
100b)  und  in  Versen  (Babrius  13)  überliefert  ist,  berichtet, 
wie  unter  saatverwüstenden  Kranichen  ein  Storch  gefangen  wird 
und  trotz  seiner  Entschuldigungen  den  Tod  erleidet,  nach  dem 
Grundsatze:  „Mitgefangen,  mitgehangen."  Trotz  dieser  Ge- 
meinsamkeit des  Stoffes  weisen  die  drei  Bearbeitungen  doch 
einige  anziehende  Einzelzüge  auf.  In  Fab.  100  nennt  sich  der 
Storch  zu  seiner  Entschuldigung  das  frömmste  Geschöpf,  weil 
es  seinen  Vater  ehre  und  ihm  diene.  In  Fab.  100  b  verweist 
er  nicht  auf  seine  sprichwörtliche  Pietät,  sondern  auf  den  Nutzen, 
den  er  durch  Vernichtung  von  Schlangen  und  anderen  Kriech- 
tieren dem  Menschen  gewähre.  Babrius  zeichnet  die  Sachlage 
am  Beginne  seiner  Darstellung  auf  folgende  Weise:  In  den 
Furchen  seines  Saatfeldes  liatte  ein  Landmann  di'mne  Scldingcn 
befestigt  und  darin  Kraniclte,  die  Feinde  der  Saat,  gefangen. 
V.  5  entschuldigt  sich  der  Storch:  „Ich  bin  kein  Kranich;  ich  ver- 
derbe die  Saat  nicht."  Er  nennt  sich  das  frömmste  Geschöpf,  das  seinen 
V  ater  pflege  und  in  der  Krankheit  warte.  Der  Vogelfänger  erwidert : 


—     26     — 

„Slorch,  an  /reicher  LehensfüliraiKj  du  deine  Freude  hast,  weiss 
ich  nicht;  nur  soviel  weiss  ich,  dass  ich  dich  mit  denen  pn<i,  die 
iju'ine  Werke  zerstören.  Also  u-irst  du  auch  mit  denen  zu  (/runde 
(jelien,  mit  wel  hen  du  gefangen  wurdest" ß'^)  Obwohl  in  dieser 
Fabel  der  Storch  die  Hauptfigur  bildet,  so  wird  doch  auch 
das  schädliche  Gebaren  dos  Kranichs  darin  beleuchtet  und  zwar 
von  zwei  Seiten:  direkt  durch  die  kurze,  aber  vielsagende  Be- 
zeichnung dieses  Vogels  als  Feind  der  Saat^  indirekt  durch 
die  in  der  Entschuldigungsrede  des  Storches  enthaltenen  Hin- 
weise auf  den  schädlichen  Verwandten.  —  In  der  33.  Fabel 
des  Babrius  endlich  ist  die  Rede  von  den  Verwüstungen, 
die  ein  ungeheurer  Schwärm  von  Krähen  und  Staren  zur  Zeit 
des  Unterganges  der  Plejaden  auf  einem  frisch  bestellten  Weizen- 
felde anrichtete,  und  von  einer  List,  durch  die  es  dem  Land- 
wirte gelang,  viele  dieser  Schädlinge  zu  verwunden  oder  zu 
tüten.  Während  die  übrigen  fliehen,  begegnen  iJinen^  Kraniclie 
und  fragen  sie  nacli  dem  Geschehenen.^'^)  Diese  Begegnung  ist 
natürlich  keine  zufällige,  sondern  sie  wird  durch  den  Umstand 
veranlasst,  dass  die  Kraniche  denselben  Weideplätzen  nachgehen 
wie  die  vertriebenen  Krähen  und  Stare.  Bei  der  Selbstver- 
ständlichkeit der  Situation  brauchte  sie  der  Dichter  nicht  weiter 
zu  begründen.  —  Soweit  die  Fabeln ! 

Dasselbe  Motiv,  wenn  auch  in  anderer  Verflechtung,  klingt 
aus  zwei  Epigrammen  der  griechischen  Anthologie  w^ieder. 
In  dem  einen  (Anth.  Pal.  VI  109),  das  den  Autornamen  des 
Antipater  von  Sidon  trügt,  weiht  ein  Jäger  dem  Pan  seine 
abgenützten  Fangwerkzeuge,  darunter  auch  das  Netz,  die  Hals- 
scliünge  schreilustiger  Kraniche ;'^'^)  das  andere  (VII  172),  von 
demselben  Verfasser,  ist  die  Grabschrift  eines  Mannes,  der  sich 
rühmt,  die  Kraniche  und  Stare,  welche  in  wolkenähnlichen 
Scharen  die  Saatfelder  verwüsteten,  mit  der  Schleuder  abge- 
wehrt zu  haben.  Es  beginnt  mit  den  Worten:  Ich,  der  ehe- 
mals sowoJil  Stare  als  auch  die  Fäuber  der  Saat,  hoclißicgende  bisto- 
iiiscJie  (d.  )>.  thrazische)  Kraniche  fernzuhalten  wussle  .  .  .'J') 
Neben  dem  Ausgangspunkte  der  Darstellung,  der  Schädlichkeit 
des  ICranichs  auf  dem  Ilerbstzuge  und  seinem  dadurch  veran- 
lassten Fange,  figurieren  in  diesen  Epigrammen  zwei  altgewohnte 
Merkmale  seines  Wanderzuges,  sein  Geschrei  und  sein  hoher 
Flug. 

Zu  dergleichen  Auflassung  könnte  eine  Stelle  des  Theo- 
krit  (X  30  f.)  verleiten,  an  der  ein  Hirte  seinem  Mädchen 
die  Rastlosigkeit  seines  Liebeswerbens  durch  mehrere  ihm  nahe- 
liegende Gleichnisse  ins  rechte  Licht  zu  stellen  sucht.  Die 
Ziege.,  so  ruft  er  aus,  geJd  dem  Klee  nach,  der  Wolf  der  Ziege, 
der  Kranich  dem  F/luge,  icJt,  aber  bin  ganz  in  dielt   vernarrt.'^-) 


—     27     — 

Fritzsche  wenigstens  verweist  in  seiner  Ausgabe  auf  das  verlier 
besprochene  Epigramm  (Antli.  Pal.  VII  172),  in  dem  der  Kra- 
nich als  Saaträuber  erscheint.  AVie  unrichtig  diese  Auffassung 
ist,  lässt  sich  schon  daraus  erkennen,  dass  Theokrit  den  Kranich 
hinter  dem  Pfluge,  nicht  hinter  demSäemann  einhergohen  lässt. 
Ausserdem  würde  der  Vogel  das  eben  ausgeworfene  Getreide 
nicht  aufnehmen,  sondern  warten,  bis  die  Körner  keimen  und 
dadurch  weich  und  bekömmlich  werden.  Was  sucht  nun  der 
Kranich  hinter  dem  Pfluge  ?  Natürlich  die  bei  dieser  Arbeit 
durch  das  Umlegen  der  Erdschollen  zu  Tage  geförderten  Insek- 
ten und  ^Yürmer.  Seine  Tätigkeit  ist  also  hier  eine  ebenso 
nützliche  wie  die  der  Krähen  und  Stare,  wenn  sie  frisch 
umgeackerte  Felder  abgehen.  Merkwürdig  ist  freilich  an  dieser 
Stelle,  dass  der  Kranich  als  ein  zutraulicher  Vogel  auftritt, 
während  er  sonst  im  allgemeinen  als  scheu  und  vorsichtig  gilt. 
Doch  wird  auch  dieser  Zug  wohl  richtig  beobachtet  sein ;  denn 
dem  arbeitenden  Landmanne  gegenüber  sind  auch  andere  Vögel 
viel  zutraulicher,  als  es  sonst  ihre  Art  ist.  Sie  wissen  eben 
aus  Erfahrung,  dass  es  bei  dieser  Beschäftigung  weder  in  seiner 
Absicht  noch  in  seiner  Macht  liegt,   ihnen  Schaden    zuzufügen. 

Als  harmloser  Spaziergänger  endlich  erscheint  der 
Kranich  in  dem  10.  frg.  des  Komödiendichters  Aristophon 
(aus  dem  nuö-ayopcax/jS)-  Hier  wird  in  mehreren  Versen  ein 
lächerlicher  Nachahmer  des  Pythagoras  verspottet,  indem  er 
wegen  seiner  abgehärteten  und  frugalen  Lebensweise  sowie 
wegen  seines  Schmutzes  mit  verschiedenen  Tieren  verglichen 
wird,  darunter  auch  mit  einer  Amsel  und  einem  Kranich.  Er 
ist,  so  wird  v.  5  von  diesem  Pythagoristen  gesagt,  ivenn  es  sich 
darum  Jtaudelt,  nute)'  freiem  Himmel  die  Kälte  des  Wi)ders 
zu  ertragen,  einer  Amsel  vergleichbar,  und  (v.  8  f.)  wenn  es  dar- 
auf ankommt,  unbeschuht  in  der  Fridie  herumzuspazieren,  tut 
er  es  einem  Kranich  gleich.^'^)  Man  sah  eben  die  Kraniche  zur 
Zugzeit  in  aller  Frühe  auf  Feldern  und  Wiesen  umherschreiten 
und  diese  ihre  Beschäftigung  wurde  ebenso  verschieden  ausge- 
legt, als  sie  für  den  Menschen  von  positivem  oder  negativem 
Werte  oder  auch,  wie  hier,  bloss  von  naturkundlichem  Inte- 
resse war. 

Es  bleiben  uns  noch  zwei  sagenhafte  Elemente 
desKranichzuges  zu  besprechen  :  der  Pygm  äen -Mythus  und  die 
Annahme  der  Kran  ich  st  eine. 

Für  den  genannten  Mythus  bildet  das  älteste  Zeugnis  die 
schon  oben  besprochene  Stelle  Homers  (II.  III  2  ff.),  an  der 
als  Ziel  des  herbstlichen  Kranichzuges  das  Land  der  Pygmäen 
an  der  Strömung  des  Ozeans  angegeben  ist,  dessen  Bewohnern 
die  Kraniche  Tod  und  Verderben  bringen.     Nucli  in  der  Morgen- 


-     28     — 

friilw,  so  fügt  der  Dichter  hinzu,  be<ji)uten  sie  tUuui  rerderUirlicn 
Streif.  Die  Zeitangabe  ist  für  die  Auffassung  unserer  Stelle 
nicht  ohne  Bedeutung.  Die  kampflustigen  Vögel  können  nach 
ihrer  Ankunft  im  Pygmcäenlande  den  Ausbruch  der  Feindselig- 
keiten kaum  erwarten.  Die  Nacht  hält  ihren  Eifer  zurück ; 
sobald  aber  der  Tag  anbricht,  gehen  sie  zum  Angriffe  über.^*) 
—  Unter  den  kleineren  homerischen  Gedichten  wird 
ferner  eines  erwähnt,  das  den  Namen  FepavoiJLaXt'a  (Kranich- 
krieg) führte.  Es  hatte  scherzhaften  Charakter  und  wird  mit 
der  erhaltenen  Boczpxyoix'JOixT/lcx.  (dem  Prosch-Mäusekrieg')  ver- 
wandt gewesen  sein. 9'^)  Als  Gegner  dor  Kraniche  traten  jeden- 
falls die  Pygmäen  auf;  dies  ist  die  nächstliegende  Beziehung, 
die  wir  zu  entdecken  vermögen.  Der  Titel  des  Gedichtes  sollte 
also  vollständiger  heissen:  repxvoii'jyiLoc'.oixxxioc  (Kranich- Pyg- 
mäenkrieg). Warum  die  abgekürzte  Bezeichnung  üblich  wurde, 
vermag  ich  nicht  zu  sagen.  —  Aus  der  Blütezeit  der  Lyrik 
und  des  Dramas  fehlen  poetische  Belegstellen  füi-  unsere  Sage. 
Dass  sie  aber  noch  bis  in  die  Kaiserzeit  hinein  im  Volksbe- 
wusstsein  lebendig  war,  beweist  ausser  mehreren  Prosastellen  ^^) 
ein  durch  seine  Kürze  charakteristischer  Hinweis  in  der  oben 
erwähnten  26.  Fabel  des  Babrius,  in  der  die  Kraniche,  voa 
einem  Landmann  durch  Steinwürfe  verscheucht,  ausrufen:  „Lassl 
uns  davoneilen  ins  Land  der  Pygmäen  .'"  ^')  Dabei  schwebte  dem 
Dichter  wohl  der  Gedanke  vor,  dass  die  Kraniche  mit  diesen 
Gegnern  leichter  fertig  werden  als  mit  den  durch  ihre  List 
überlegenen  Normalmenschen.  —  Ebenso  sind  zwei  Epi- 
gramme der  griechischen  Anthologie  Belege  für  das  Fortleben 
der  Pygmäen -Sage.  In  dem  einen  (Anth.  Pal.  XI  265)  über- 
schüttet Lukillius  einen  kleingewachsenen  Menschen  mit 
höhnischen  Bemerkungen.  Er  würde  bloss  zu  einem  Kampfe 
gegen  Heuschrecken,  Mücken,  Mäuse,  Flöhe  oder  Frösche  passen, 
nicht  aber  zu  einem  Kriege  gegen  Männer.  Das  Gedichtchen 
schliesst  mit  den  Worten:  Die  Römer  aber  haben  keinen  Krieg 
ijrgeH  KriDiiehe  zu  bestehen p^)  d.  h.:  Die  Römer  sind  keine 
Pygmäen,  sondern  stattliche,  mannhafte  Krieger.  Der  verspottete 
Mensch  wird  demnach  als  ungeeignet  zum  römischen  Kriegs- 
dienste bezeichnet.  —  Das  andere,  noch  spätere  Epigramm 
(Anth.  Pal.  XI  369,  zweizeilig),  das  den  lulianus  Anteces- 
sor  zum  Verfasser  hat,  ist  ebenfalls  auf  einen  solchen  zwergen- 
haft gebauten  Menschen  gemünzt,  der  darauf  angewiesen  ist, 
sich  innerhalb  der  Stadt  zu  halten,  damit  er  nicht  etwa  beim 
Spazi(!rcngehen  von  den  Kranichen  für  einen  I'ygmäen  gehalten 
und  angegriffen  wird.  \Ve}i)i  du  sieher  u^oJinen  u-iüst,  so  lautet 
der  spöttische  Rat  des  Dichters,  so  bleibe  in  der  Stadt,  damit 
dieh  nicht  ein  l\r<inie]t,    der  sich  gerne  am  Pggmäenblut  erlabt, 


—     29     — 

rorlelze  l^'^)  In  diesen,  wie  auch  in  anderen,  verwandten  Epi- 
grammen der  Anthologie  ist  der  satirische  Grundgc  lanke  mit 
so  grossem  Behagen  ausgemalt,  dass  man  daran  zweifeln  kann, 
ob  diese  boshaften  Spottverse  wirklichen  Personen  als  Xenien 
zugedacht  waren,  oder  ob  sie  nur  der  scherzhaften  Idee  zu- 
liebe entstanden  sind.  Das  aber  können  wir  mit  Sicherheit 
daraus  erkennen,  dass  es  in  der  späteren  Zeit  üblich  war, 
körperlich  zu  kurz  geratene  Menschen  mit  Pygmäen  zu  ver- 
gleichen oder  auch  wohl  nach  ihnen  zu  benennen,  und  dass 
die  Dichter  gelegentlich  mit  dem  Gedanken  spielten,  als  ob 
sich  auch  diese  Pseudo- Pygmäen  vor  der  verderblichen  Feind- 
schaft der  Kraniche  zu  hüten  hätten,  —  Eine  interessante 
Stelle  finden  wir  endlich  bei  Oppian,  Hai.  I  G20  ff.  Dieser 
Dichter  vergleicht  die  unzähligen  Scharen  von  Fischen,  die  zur 
Eierablage  das  Schwarze  Me^r  aufsuchen,  mit  den  Zügen  der 
Kraniche:  Wie  trenn  von  Afhiopien  und  von  den  Strömungen 
Ä(jij[)tens  (d.  h.  dem  XU)  eine  hocJißiegende  Schar  von  KranicJien, 
ans  luftiger  Höhe  hevabrufe)id,  einherzieht  auf  der  FlucJit  vor 
dem  schneereichen  Hange  des  Atlas  und  seinem  Wintencetter  so- 
wie vor  den  schwächlichen.  Geschlechtern  der  oJm mächtigen  Pgg- 
inäen,  n-obei  die  ausgedehnten  Schwärme  in  reihenförmigem  Fluge 
die  Luft  verdunkeln  und  umvandelbar  ihre  Linie  einhaltoi :  so 
durchschneiden  dann  unzählige  Scharen  von  Fischöl  die  u-eiff 
IHut  des  schwarzen  Meeres.'^^'^)  Hier  ist  zwar  die  Schilderung 
der  ziehenden  Kraniche  sehr  hübsch  und  naturgetreu;  aber  im 
übrigen  sind  alle  Verhältnisse  geradezu  auf  den  Kopf  gestellt. 
Aus  der  Flucht  vor  dem  nordischen  Winter  wird  eine  Flucht 
vor  dem  schneereichen  südlichen  Atlas  und  seinem  Winterwetter; 
aus  dem  kriegerischen  Zuge  ins  Pygmäenland  wird  ein  Rück- 
zug vor  Gegnern,  die  im  selben  Atemzuge  als  schwächlich  und 
ohnmächtig  bezeichnet  werden.  Was  ist  die  Ursache  so  ge- 
waltsamer Veränderungen  y  Der  Dichter  vergleicht  den  nordost- 
wärts  gerichteten  Zug  der  laichenden  Fische  mit  dem  Zuge 
der  Kraniche.  Deshalb  gibt  er  auch  diesem  die  gleiche  Rich- 
tung, d.  h.  er  setzt  statt  des  Hinzuges  den  Heimzug  ein.  Er 
schildert  jedoch  diesen,  trotz  der  abweichenden  Auffassung,  mit 
denselben  Kunstmitteln,  wie  sie  die  früheren  Dichter  ihm  an  die 
Hand  gaben.  So  will  er  auch  die  „Flucht  vor  dem  Winter"  und 
die  Pygmäensage  nicht  beiseite  lassen.  Aus  diesem  Zwiespalte  der 
Gesichtspunkte  erklärt  sich,  ähnlich  wie  bei  Eur.  Hei.  1478  ff., 
die  Verworrenheit  des  Bildes,    das  der  Dichter  entwirft. 

Wer  sind  nun  die  Pygmäen?  Wie  schon  aus  der 
Ilomerstelle,  noch  deutlicher  aber  aus  den  drei  letzten  Zitaten 
hervorgeht,  stellten  sich  die  Alten  unter  diesem  Namen  ein 
Zwergengeschlecht  vor,  dessen  W^ohnsitz  sie  an  den  süd- 


—     30     - 

lichsten  Rand  der  Erde  verlegten.  Über  die  angenommene 
Grrösse  dieser  Zwerge  belehrt  uns  die  Etymologie.  Das  Wort 
TT'JYiJiatoi  ist  abzuleiten  von  -uyjxr],  die  Faust,  und  bedeutet 
demnach  soviel  wie  „Fäustlinge"  d.  h.  Mcännlein,  die  nicht 
grösser  sind  als  eine  Faust. i*^')  Eine  andere  Ableitung  dieses 
Namens  geben  die  Scholien  zu  Homer  II.  111  6,  indem  sie  ihn 
auf  71'jycov  d.  h.  Abstand  vom  Ellenbogen  bis  zu  den  Fingern 
zurückführen.  10-2)  Darnach  hätten  die  Pygmäen  ungefähr  die 
Länge  einer  Elle  erreicht.  Letztere  Ableitung  wurde  zwar  in 
der  späteren  Zeit,  wie  es  scheint,  allgemein  angenommen,  hat 
aber  die  etymologische  Akribie  gegen  sich  und  würde  ausser- 
dem die  sprachliche  Bezeichnung  dieser  Zwerge  viel  weniger 
prägnant  erscheinen  lassen.  Wir  werden  also  dabei  bleiben, 
dafs  der  Name  Pygmäen,  wenigstens  für  die  Zeit  der  Entste- 
hung und  Ausbildung  dieser  Sage,  so  viel  bedeutet  wie  „Fäust- 
linge", und  werden  diese  Bezeichnung  nicht  mit  Unrecht  mit 
unserem  „Däumling"  vergleichen. 

Wollen  Avir  nun  die  Pygmäen  als  reine  Phantasiegebilde 
betrachten  oder  mit  menschenähnlichen  Tiergestalten  verglei- 
chen ^'^^^  oder  endlich  auf  gewisse  Anomalien  im  Körperbau 
bestimmter  Volksstämme  zurückführen?  Für  das  letztere 
Auskunftsmittel  spricht  Aristoteles  IL  A.  VIII  12,  3.  Der 
Philosoph  behauptet  nämlich,  die  Sache  sei  kein  blosser  Mythus, 
sondern  es  gebe  im  Ursprungslande  des  Nils  wirklich  ein  Zwergen- 
gcschlecht,  das  in  Höhlen  wohne  und  auch  kleine  Pferde  be- 
sitze. Vgl.  Strabo,  Geogr.  I  C.  35  und  42,  XVII  C.  821  ; 
Pompon.  .Mel.  HI  8,81.  Diese  Notizen  scheinen  allerdings  auf 
eine  dunkle  Überlieferung  zurückzugehen,  die  aus  dem  Innern 
Centralafrikas  über  Ägypten  nach  Griechenland  gelangte  und 
in  der  neuesten  Zeit  durch  die  Forschungsreisen  Schwein - 
furths^''')  und  anderer,  zuletzt  durch  Stuhlmann  (in  seinem 
Buche  „Mit  Emin  Pascha  ins  Herz  von  Afrika",  Berlin  1894) 
bestätigt  worden  ist.  In  der  Tat  gehen  z.  B,  die  Akka,  der 
bekannteste  unter  diesen  Volksstämmen  —  zwischen  2^  und  3^ 
nördlicher  Breite  — ,  nie  über  1,50  m  Körporhöhe  hinaus, 
während  das  Mittel  zwischen  1,24  und  1,40  m  schwankt.  Sie 
stehen  also  allerdings  bedeutend  unter  dem  normalen  Körpcr- 
masse.  Als  wirkliche  Zwerge,  im  Sinne  der  Sage,  sind  sie  aber 
trotzdem  nicht  anzusprechen.  Es  ist  überhaupt  sehr  fraglich, 
ob  der  Mythus  von  den  Fäustlingen,  der  schon  bei  llomoi'  als 
bekannt  vorausgesetzt  wird,  auf  diese  anthropologische  Merk- 
würdigkeit zurückgeführt  werden  kann.  Denn  dass  Homer, 
dessen  geographischer  Gesichtskreis  doch  so  beschränkt  war, 
aus  Centralafrika  Nachrichten  über  die  KörpergnVsse  der  dortigen 
Volksstämmc  erhalten  haben  sollte,  lässt  sich  kaum  annehmen.'""') 


—     31     — 

Bezüglich  des  Aristoteles  besteht  dieses  Bedenken  freilich  nicht, 
Aber  der  berühmte  Polyhistor  hatte  ja  den  Pygmäen -Mythus 
nicht  erfunden,  sondern  er  versuchte  ihn  bloss  durch  seine  er- 
weiterten geographischen  und  naturhistorischen  Kenntnisse  zu 
erklären.  Zur  Zeit  der  Entstehung  des  Mythus  werden  wir 
ganz  andere,  viel  bescliiänktere  Verhältnisse  im  Völkerverkehre 
anzunehmen  haben.  Wenn  dagegen  spätere  Autoren  die  Wohn- 
sitze der  Pygmäen  nach  Indien, i-"^)  nach  Thrazien  1^7)  oder  gar 
in  den  äussersten  Norden,  in  die  Gegend  von  Thule,!'^'*)  ver- 
legen, so  ist  dies  nur  ein  Beweis  dafür,  dass  es  auch  in  dieser 
Zeit  nicht  gelingen  wollte,  die  Existenz  des  fraglichen  Zwergen: 
Volkes  nachzuweisen,  sodass  man  auf  ein  planloses  Herumraten 
angewiesen  war.  Deutlich  zeigt  sich  dabei  das  Bestreben,  die 
angegebene  Örtlichkeit  in  möglichst  ferne  oder  schwer  zugäng- 
liche Länder  zu  verlegen.  So  bot  sich  ja  die  meiste  Aussicht, 
Zusammenstösse  mit  der  kontrastierenden  Wirklichkeit  zu  ver- 
meiden. 

All  diesen  widerspruchsvollen  Angaben  gegenüber  glaube 
ich,  dass  die  Pygraäensage  nur  aus  der  Grundidee  des 
Kr  an  ich  zug  es  begriffen  werden  kann;  denn  dass  es  diese  Er- 
scheinung ist,  deren  mächtiger  Einwirkung  auf  die  Phantasie 
des  Beobachters  die  genannte  Sage  ihre  Entstehung  verdankt, 
scheint  mir  ausser  Zweifel  zu  stehen.  Aus  dem  inneren  Dialoge  : 
„Was  tun  die  ziehenden  Kraniche":'"  „Sie  bringen  den  Winter." 
„Wohin?"  „Nach  dem  Süden!"  und  aus  dem  Eindrucke  krie- 
gerischer Wehrhaftigkeit,  den  diese  Vögelzüge  unwillkürlich 
hervorriefen,  hat  sich  in  uralter  Zeit  der  Mythus  zusammenge- 
setzt und  entwickelt.  Die  Kraniche  ziehen  dem  Winter  voran, 
der  vom  Norden,  von  der  Mitternacht  ausgehend  das  Leben  in 
der  Natur  durch  Abnahme  des  Lichtes  und  der  Wärme,  durch 
Schnee  und  Regenschauer  überwindet.  ^09j  SJe  sind  seine  Vor- 
boten und  deshalb  nach  der  ursprünglichen  Volksmeinung  auch 
seine  Vorkämpfer.  Zu  dieser  Rolle  berief  sie  in  erster  Linie 
ihre  nahezu  militärische  Zugordnung,  das  Abbild  eines  keil- 
förmig anrückenden  Schlachthaufens,  sodann  ihr  rauhes  lärmen- 
des Geschrei,  endlich  ihr  spitziger,  lanzenähnlicher  Schnabel. i^O) 
Auf  der  anderen  Seite  sind  die  Pygmäen  als  das  am  weitesten 
gegen  Süden  versetzte  Volk  die  Repräsentanten  des  Gegenteils  : 
der  Sonnenwärme,  des  Mittags,  des  Südens.  Sie  kämpfen  gegen 
die  Vortruppen  des  heranrückenden  Winters,  aber  vergeblich. 
Warum  jedoch  sind  diese  Südmänner  von  der  Volkssage  zu 
Fäustlingen  verkleinert  worden  ?  Denken  wir  an  andere  Mythen 
der  indogermanischen  Völker,  so  finden  wir,  dass  die  naive 
Phantasie  ihrer  Urheber  die  wundersamsten  Schöpfungen  ihrer 
Erfindungskraft  gern  in  die  entlegensten  Gebiete  der  Erde  ver- 


—     32     — 

legt.  Je  weiter  ein  Gegenstand  entfernt  ist,  um  so  sicherer 
fällt  er  in  die  Sphäre  der  tibertreibung:  Entweder  wächst  er 
zu  riesenhafter  Grösse  heran,  oder  er  schrumpft  zu  zwergen- 
hafter Kleinheit  zusammen,  oder  er  zeigt  auch  andere  von  der 
gewöhnlichen  Erscheinungsform  abweichende,  wunderbare  Merk- 
male. Es  ergeht  der  Phantasie  dabei  ebenso  wie  dem  mensch- 
lichen Auge,  das  auf  weitere  Entfernung  die  Sicherheit  des 
Abschätzungsvermögens  verliert.  Im  Falle  der  Pygmäen  war 
die  Kleinheit  der  Gestalt  von  vorneherein  vorauszusetzen,  da  sie 
als  unterliegende  Gegner  der  Kraniche  gedacht  sind.  So  dürfen 
wir  uns  nicht  wundern,  dass  sie  als  Liliputaner  geschildert 
werden.  Dass  aber  die  siegreichen  Vögel  nach  kurzer  Zeit 
schon  wieder  das  eroberte  Land  verlassen  und  anderseits  die 
Pygmäen  ihre  gelichteten  Reihen  wieder  ergänzen,  um  sich  dem 
Anstürme  der  Feinde  von  neuem  zu  widersetzen,  diese  nach 
der  Seite  der  Logik  unverständliche,  alljährlich  wiederholte 
Fortsetzung  des  ungleichen  Kampfes  ist  nichts  anderes  als  eine 
Folge  des  ewigen  Kreislaufes  der  Natur,  dem  die  Sage  wohl 
oder  übel  Rechnung  tragen  musste.^) 

Aus  diesem  Gedankengange  versuche  ich  mir  die  Ent- 
stehung der  Pygmäensage  zu  erklären.  Was  die  Alten  selbst 
zur  Lösung  dieses  Rätsels  beitragen,  ist  herzlich  wenig.  Denn 
die  alberne  Verwandlungsgeschichte,  die  Boios  (bei  Athen.  IX 
393  e)  zu  diesem  Zwecke  erfunden  hat,  ist  kaum  der  Erwäh- 
nung wert.'^'-)  Im  übrigen  interessierten  sich  die  alten  Schrift- 
steller w^ohl  für  die  Wohnsitze  der  Pygmäen,  für  die  Art  ihrer 
Kämpfe  und  ähnliche  Nebensachen;  den  Urgrund  der  Sage  da- 
gegen Hessen  sie  ohne  weiteres  auf  sich  beruhen. 

Noch  eine  andere  Merkwürdigkeit  spielt  in  diesen  Vor- 
stellungskreis der  Alten  hinein,  die  Fabel  von  den  Kranich- 
steinen. Für  diese  weit  verbreitete  Annahme  finden  wir  in 
der  erhaltenen  poetischen  Literatur  freilich  nur  drei  sichere  Be- 
legstellen, von  denen  zwei  in  den  „Vögeln"  des  Aristophanes 
stehen. "■')  Können  wir  sie  demnach  auch  nicht  als  ein  frucht- 
bares Motiv  der  griechischen  Dichtung  bezeichnen,  so  erfordert 
doch  das  rein  sachliche  Interesse  eine  eingehendere  Behandlung 
der  Frage. 

An  der  ersteren  Stelle  des  Aristophanes  (Av. 
11 3G  f.)  berichtet  der  Bote  dem  Ratefreund  über  den  Bau 
der  Vogelstadt  durch  die  „Hände"  der  Vögel.  Verschiedene 
witzig  charakterisierte  Vogelirten  arbeiten  am  Baue  der  Mauern 
mit,  darunter  auch  gegen  .'iOOOO  KranicJie  aus  Libi/en,  die  Ftui- 
(Idinenlstpine  rerschluckt  liaHenM^)  Man  sieht  aus  der  gedräng- 
ten Ausdrucksweise  dieser  Stelle,  dass  der  Dichter  die  Ver- 
trautheit  seiner  Zuhörer    mit    dem    angedeuteten    Gegenstände 


—     33      — 

voraussetzen  durfte.  Dagegen  liegt  die  witzige  Pointe  der  Stelle 
keineswegs  darin,  dass  es,  wie  Droysen  meint,  Fabelsteine 
sind,  aus  denen  die  neue  Phantasiestadt  aufgebaut  wird. 
Denn  dem  klassischen  Altertum  galten  die  Kranichsteine  nicht 
als  ein  Produkt  der  Fabel,  sondern  als  eine  verbürgte  Tatsache. 
Aufklärung  über  die  einschlägigen  Ansichten  geben  uns  die 
Schollen.  Sie  sagen  nämlich  zu  dieser  Stelle:  „Durch  die 
Höhe  ihres  Fluges  und  die  gerade  Richtung  ihres  Dahinstürmens 
werden  die  Kraniche  am  Abwärtssehen  verhindert.  Deshalb 
tragen  sie  Steine  bei  sich,  um  sie,  wenn  sie  vom  Fluge  ermüdet 
sind,  hinabzuwerfen  und  dadurch  zu  erkennen,  ob  sie  über 
Meer  oder  Land  fliegen.  Fällt  nun  der  Stein  in  das  Meer,  so 
fliegen  sie  weiter;  fällt  er  dagegen  auf  festes  Land,  so  lassen 
sie  sich  zur  Ruhe  auf  den  Boden  nieder."  Einen  anderen  Er- 
klärungsversuch bieten  uns  die  Schollen  zu  der  zweiten  Stelle 
des  Aristophanes  (Av.  1428  f.).  Hier  ist  die  Situation 
folgende:  Unter  den  vielen  Bittstellern,  die  sich  bei  Ratefreund 
aus  Anlass  seiner  Stadtgründung  vorstellen,  meldet  sich  auch 
ein  Sykophant,  der  um  Federn  bittet,  damit  er  auf  den  Inseln, 
die  zum  attischen  Bunde  gehören,  herumschwärmen  könnne: 
„Mit  den  Kranichen,^  ruft  er,  „ivill  ich  sodami  von  dort  ivieder 
heimkehren,  nachdem  ich  statt  eines  ßallasfsteines  viele  Prozesse 
hinunteryesclduckt  h^ibe'^A^'^)  Eine  witz'ge  Zusammenstellung! 
Mit  den  Kranichen  will  der  Sykophant  nach  der  prozesslustigen 
Heimatstadt  zurückeilen,  aber  nichf,  wie  diese,  mit  einem 
Ballaststeine  beladen,  sondern  mit  einer  Menge  von  chikanösen 
Anzeigen  gegen  vermögliche  Bundesgenossen  in  der  Tasche, 
wodurch  er  im  Verlaufe  der  Verhandlungen  viel  Geld  zu  ver- 
dienen hoff'c.  Zu  dieser  Stelle  geben  die  Schollen,  wie  gesagt, 
einen  anderen  Lösungsversuch  des  Problems  der  Kranichsteine. 
Sie  behaupten  nämlich:  „Oft  führen  die  Kraniche  die  Steine 
auch  als  Stütze  ('j-rip'.'(\i'xxoc,  hB'/.oc)  mit,  um  durch  die  Winde 
nicht  aus  der  Bahn  geworfen  zu  werden,"  d,  h.  um  ihre  Schwere  zu 
erhöhen  und  das  Gleichgewicht  besser  herzustellen.  Diese  An- 
gabe beruht  auf  der  Vergleichung  des  die  Luft  durchfliegenden 
Vogels  mit  einem  über  das  Meer  segelnden  oder  geruderten 
Schiffe,  Dies  ist  eine  nicht  ungebräuchliche  Parallele,  von  der 
sich  im  poetischen  Sprachgebrauche  mehrere  Spuren  nachweisen 
lassen.  11*')  Wie  also  die  Seefahrer  ihr  Schiff,  falls  ihnen  die 
Ladung  zu  leicht  erscheint,  absichtlich  mit  Steinen  oder  Sand- 
säcken beladen,  um  es  gegen  den  Andrang  der  Wogen  besser 
zu  sichern,  so  belädt  sich  auch  der  Kranich  nach  der  Ansicht 
der  Alten  mit  einem  Steingewichte,  um  von  den  Stürmen  des 
Luftmeeres  nicht  widerstandslos  umhergeschleudert  zu  werden 
—  eine  kindliche  Ansicht,    die    dem    grossartigen  Mechanismus 

3 


—     34     — 

der  Natur  durch  kleinliche  Mittelchen  nachhelfen  zu  müssen 
o-laubt.ii')  Ein  spätes  Zeugnis  für  die  gleiche  Auffassung  haben 
wir  bei  Nonnus,  Dionys.  XL  515  ff.  Es  handelt  sich  hier 
um  die  Erfindung  des  Öchiffsbaues  und  der  Anwendung  von 
Ballaststeinen:  Sie  ahmten  den  unerschütteiiichen  Zug  der  Kra- 
niche nach,  die  als  Beistand  auf  ihrem  Pfade  einen  lastenden 
Stein  im  Schlünde  mit  sich  tragen,  damit  nicht  ihre  leichten 
Schwingen  heim  Fluge  ein  Wind  vom  rechten  Wege  ahhringe.^^^) 
Noch  sonderbarer  ist  freilich  die  an  erster  Stelle  angeführte 
Meinung,  welche  die  Kraniche  während  ihres  Fluges  für  un- 
fähig erklärt,  Meer  und  Land  mit  den  Augen  zu  unterscheiden, 
während  sie  mit  den  Ohren  imstande  sein  sollen,  aus  dem 
Klange  des  auffallenden  Steines  sich  über  die  Beschaffenheit 
der  Gegend,  die  sie  überfliegen,  zu  vergewissern.  Das  ist  natür- 
lich die  dürrste  Schulpcdantcrie !  Doch  hat  auch  sie  eine  wenn 
auch  noch  so  kurze  Berührungslinie  mit  der  Erscheinung  des 
wirklichen  Lebens.  Der  Kranich  pflegt  nämlich,  wie  viele  an- 
dere Sumpf-  und  Schwimmvögel,  mit  weit  vorgestrecktem  Halse 
zu  fliegen  und  aus  diesem  Sachverhalte  mochte  der  Urheber 
dieser  Erklärung  die  Folgerung  ableiten,  dass  der  Vogel,  wenn 
er  nicht  das  Gleichgewicht  verlieren  wolle,  seinen  Hals  und 
Kopf  nicht  im  geringsten  nach  abwärts  richten  dürfe  —  wieder 
ein  Beweis  dafür,  dass  alle  Theorie  grau  ist.  —  Auf  diese  Vor- 
stellung wird  bei  Suidas  eine  aparte  sprichwörtliche 
Redensart  zurückgeführt.  Nach  ihm  gebrauchte  man  näm- 
lich von  vorsichtigen  Menschen  die  umschreibende  Bezeichnung 
Kraniche,  die  Steine  verschluckt  liahenA^^) 

Eine  andere  Art  von  Kranich  steinen  ist,  wie  es  scheint, 
erst  später  in  der  antiken  Naturgeschichte  zur  Geltung  gekom- 
men. ^-'^)  Während  nämlich  die  älteren  Autoren  von  der  Meinung 
ausgingen,  dass  der  Kranich  den  Stein  im  Magen '-i)  mit  sich 
trage,  was  aus  dem  stehenden  Ausdrucke,  dass  der  Stein  „ver- 
schluckt" wird,  zur  Genüge  hervorgellt,  bildete  sich  in  der 
Folgezeit  daneben  die  Ansicht,  der  Kranich  trage  den  Stein 
mit  dem  einen  emporgehaltenen  Fusse,  wenn  er,  als  „Schild - 
wache"  zur  Sicherung  der  weidenden  Gefährten  aufgestellt, ^22) 
sich  um  jeden  Preis  des  Schlafes  erwehren  wolle.  Vgl.  Plin. 
X  23  (30);  riut.  Sol.  Anim.  X,  XXIX;  Ael.  N.  A.  Hl  13.i'-^'0 
So  wurde  der  „Kranich  mit  dem  Steine"  —  ungeachtet  der 
lächerlichen  Naivität  des  Bildes  —  ein  Symbol  der  Wachsam- 
keit.i-*)  Noch  bis  ins  19.  Jahrhundert  hinein  wurde  er  dem- 
zufolge in  Naturgeschichten  und  Bilderbüchern  dargestellt,  wie 
er,  auf  einem  Fusse  stehend,  in  den  Klauen  des  anderen  Fusscs 
einen  Stein  hält,  und  als  Wappentier  wird  er  in  dieser  Situa- 
tion noch  lange  Zeit  für  das   alte  Märchen  zeugen.^-"') 


—     35     — 

I^un  zu  dem  springenden  Punkte  bei  der  ganzen  Frage ! 
Woraus  entstand  die  Annahme  der  Kranichsteine?  Hier  glaube 
ich  eine  einfache  Lösung  vorschlagen  zu  können,  zu  welcher 
der  Aristophanische  Ausdruck  -/axaTiSTtcoxucac  den  Schlüssel  bietet. 
Die  Griechen  müssen  überzeugt  gewesen  sein,  dass  die  Kraniche 
Steine  ver  schluck  en.'-^)  Wie  können  sie  nun  zu  dieser 
Beobachtung  gelangt  sein?  Einfach  durch  das  Öffnen  des  Magens 
erlegter  Kraniche!  Dass  diese  Vögel  häufig  gefangen  und  ge- 
tötet wurden,  geht  aus  den  oben  erwähnten  Fabeln  und  Dichter- 
stellen hervor,  Dass  man  sie  aber  auch  verspeiste,  ist  von 
vorneherein  äusserst  wahrscheinlich  und  wird  durch  zwei  Ko- 
mikerstellen (Epicharm.  frg.  65^27)  und  Anaxandrides  frg.  41 
V.  06)  ausdrücklich  bestätigt.  Freilich  zählte  der  Kranich,  wie 
aus  der  ersteren  Stelle  hervorgeht,  keineswegs  zu  den  Lecker- 
bissen und  wird  wohl  meistens  nur  die  Tafel  einfacher  Leute 
„geziert"  haben. i-S)  Beim  Zubereiten  erlegter  Kraniche  scheint 
es  nun  öfters  vorgekommen  zu  sein,  dass  in  den  Eingeweiden 
Steine  gefunden  wurden.  Diese  Beobachtung  können  wir  noch 
heutzutage  auf  ihre  Richtigkeit  kontrollieren.  Jedem  Jäger 
oder  Wildbrethändler  ist  es  bekannt  und  in  den  naturgeschicht- 
lichen Werken  ist  es  allenthalben  verzeichnet,  dass  manche 
Yogelarten  Sand  und  kleinere  Steine  —  der  Verdauung  halber, 
wie  man  annimmt,  —  verschlucken  und  dass  ihr  Magen  oft  eine 
erstaunliche  Anzahl  von  solchen  enthält.  Besonders  ausgebildet 
ist  diese  Gewohnheit  bei  allen  Arten  von  Hühnervögeln,  vor 
allem  beim  Vogel  Strauss.  Bezüglich  des  Kranichs  ist  die  Sach- 
lage freilich  nicht  die  gleiche.  Seine  Magenwände  sind  nicht 
so  stark  und  muskulös  wie  die  der  Hühner,  sondern  vielmehr 
ziemlich  schwach.  Es  liegt  ihm  infolgedessen  ferne,  feste  Gegen- 
stände absichtlich  zu  verschlucken.  Da  er  aber  seine  Nahrung 
zeitweise  der  frisch  umgeackerten  Erde  entnimmt,  so  gelangen 
Erde  und  Sand  durch  die  gierige  Hast  des  hungernden  Vogels 
von  selbst  in  dessen  Magen.  Steine  scheinen  indes,  wie  gesagt, 
nicht  zum  Inventar  eines  Kranichraagens  zu  gehören. i29)  Doch 
wo  des  öfteren  Sand  gefunden  worden  ist,  sind  Steine  oder 
wenigstens  Steinchen  gewiss  nicht  ausgeschlossen,  und  der  Zu- 
fall mag  auch  hier  im  Spiele  gewesen  sein. 

Aus  solchen  Beobachtungen  hat  sich,  wie  ich  glaube,  durch 
Übertreibung  des  Gesehenen,  also  durch  eine  Art  Jäger- 
latein, die  Fabel  von  den  Kranichsteinen  entwickelt.  Später 
gab  man  sich  zwar  Mühe,  spitzfindige  Erklärungen  für  dieses 
Phänomen  zu  finden ;  aber  der  Sache  durch  wiederholte  scharfe 
Beobachtungen  auf  den  Grund  zu  gehen,  versäumte  man.  Ent- 
sprach es  ja  doch  einer  verhängnisvollen  Neigung  des  zu  Ende 
gehenden  Altertums,  naturgeschichtlichen  Rätseln  mit  Hilfe  lo- 


—     3(i     — 

gischer  Spekulation  statt  auf  dem   Woge  der  Beobachtung  und 
des  Experimentes  näher  zu  treten. 

Aber  auch  in  Beziehung  auf  andere  Vögel,  nämlich  W  a  ch- 
teP^^^j  und  Gans,!'^')  existierten  ähnliche  Fabeln,  die  auf  eine 
gemeinsame  Quelle  solcher  Vorstellungen,  Jagd  und  Küche, 
hinweisen.  Sie  sind  daher  geeignet,  die  Berechtigung  unserer 
Ableitung  zu  stützen. 

Fassen  wir  am  Schlüsse  dieser  Erörterungen  die  Haupt- 
punkte kurz  zusammen,  so  gelangen  wir  zu  dem  Ergebnis : 
Der  Kranich  galt  den  Cfriechen  als  der  typische  Zug- 
vogel des  Herbstes.  Sein  Erscheinen  zu  dieser  Jahreszeit 
erweckte  im  Volke  die  mannigfachsten  Empfindungen,  und  das 
künstlerisch  abgetönte  Spiegelbild,  das  diese  Eindrücke  in  der 
Poesie  und  Sage  hinterliessen,  können  wir  aus  den  erhaltenen 
Dichterstellen  nach  seiner  allmählichen  Entstehung  ziemlich  voll- 
ständig wieder  zusammensetzen. 

Anderen  Vogelarten,  die  Griechenland  auf  dem 
Herbstzuge  berühren  oder  als  Winteraufenthalt  benützen,  kommt 
im  Vergleiche  zum  Kranich  nur  eine  nebensächliche  Be- 
deutung zu. 

Der  Anteil  des  Storches  i^-)  ist  z.  B.  auf  eine  einzige, 
schon  besprochene  Fabel  (100  und  100b,  Babr.  13)  beschränkt. 
Er  wird  mit  Kranichen  auf  einem  Saatfelde  gefangen,  erscheint 
also  als  herbstlicher  Durchzügler.  Was  wir  sonst  über  den 
Storch  aus  dieser  Erzählung  erfahren,  seine  sprichwörtliche 
Pietät  und  seine  nutzbringende  Tätigkeit  durch  Vertilgung  von 
Kriechtiei'en,  hat  auf  unseren  Gegenstand  keinen  Bezug. 

Tritt  der  Storch  nur  an  dieser  einen  Stelle  in  der  Gesell- 
schaft des  Kranichs  auf,  so  ist  dies  bezüglich  der  Wildgans  ^''^j 
mehrfach  der  Fall.  Hierher  gehören  zwei  schon  besprochene 
Homer- Stellen,  II.  H  460  und  XV  692,  an  denen  sich  als 
dritter  im  Bunde  noch  der  „langhalsige"  Schwan  hinzugesellt.  — 
Einen  künstlichen  Gegensatz  zwischen  Kranich  und  Gans 
konstruiert  Fabel  421.  Wenn  der  Verfasser  derselben  die 
Gänse  als  schwerfällige  Geschöpfe  bezeichnet,  denen  es  wegen 
ihres  Kcirpergewichtes  Mühe  kostet,  sich  schnell  in  die  Luft 
zu  erheben,  so  verwechselt  er  die  Wildgans  mit  der  Hausgans. 
Denn  die  erstere  steht  an  Flugkrafc  und  -Gewandtheit  dem 
Kranich  keineswegs  nach  und  ist  wegen  ihrer  Schlauheit  und 
Sinnenschärfe  ebenso  schwer  zu  erlegen  als  dieser.  —  Viel 
richtiger  wird  das  Wesen  dieser  Gänse  in  einem  anonymen 
Kpigramme  (Anth.  Pal.  Vil  546)  gekennzeichnet.  Es  ist 
die  Grabschrift  eines  Mannes,  der  sich  seinen  Lebensunterhalt 
durch  Erlegung  von  Vögeln,  besonders  von  Wildgänsen,  ver- 
schaffte, die  er  leise  auf  lisfif/em  Pfade  anaclihlchend  zu  fäuscJieti 


—     37     — 

iinisste,  irährend  .s/c  niil  seUiväris  scJiielenden  BlicLen  weideten. ^''^^) 
Nun  aber  verweilt  er  im  Hades.  Seine  Waffe  ist  verwaist  und 
die  Vög-el,  die  er  zu  fangen  verstand,  fliegen  unbehelligt  über 
sein  Grab.  Diese  Schilderung  der  Gänsejagd  ist  ebenso  liübsch 
als  zutreffend.  AVcnn  wir  die  knappen  Worte  des  Gedichtes 
der  Deutlichkeit  halber  etwas  erweitern,  so  lehren  sie  uns  fol- 
gendes :  Die  Gänse  geben  sich  auf  der  Weide  nicht  ungeteilt 
der  Nahrungsaufnahme  hin,  sondern  sie  schauen  zugleich  seit- 
wärts, um  eine  nahende  Gefahr  zeitig  genug  zu  bemerken.  Zu- 
gleich sind  ihre  Ohren  beständig  jedem  Geräusche  geöffnet  und 
der  Jäger  n  uss  daher  so  leise  und  gedeckt  als  möglich  an- 
schleichen, um  der  doppelten  Sinnesschärfe  des  Federwildes 
verborgen  zu  bleiben  und  die  todbringende  Waffe  mit  Erfolg 
handhaben  zu  können. i^''^^  j^ag  Epitheton  beffügelt  (icxr^vai;),  das 
hier  den  Gänsen  zugeteilt  wird,  ist  nicht  etwa  eines  jener  stehen- 
den, versfüllenden  Beiwörter,  die  Homer  so  oft  anwendet, i3«) 
sondern  es  bezeichnet  die  Gänse  ausdrücklich  als  fluggewandte 
Vögel  und  gibt  den  Grund  nn,  warum  der  Jäger  so  vorsichtig 
zu  Werke  gehen  muss.  Denn  sobald  ihn  die  Gänse  eräugt 
oder  erlauscht  haben,  erheben  sie  sich  in  die  Luft  und  sind 
für  ihn  verloren.  —  Verwandt  ist  die  Schilderung  einer  Gänse- 
jagd mit  der  Schleuder  in  dem  Bruchstücke  eines  Orakels  bei 
Eusebius,  Praep.  evang.  V  23  (Anth.  Gr.  App  Cap.  VI  138). 
Der  Verfasser  dieser  Verse  hebt  an  den  Gänsen  ihre  grosse 
Zahl  und  ihre  Schädlichkeit  für  die  keimende  Saat  hervor.i^T^ 
Dem  Wortsinne  nach  nennt  er  sie  freilich  (jra^fre'^sende  Vögel ; 
doch  scheint  das  Wort  ttocV;  hier  nicht  so  fast  das  eigentliche 
Gras  als  die  ähnlich  dem  Grase  aufkeimende  Saat  zu  bezeichnen. 
Nur  so  hat  das  Beiwort  einen  prägnanten  und  zu  den  Parallel- 
stellen passenden  Sinn  und  bezeichnet  zugleich  den  hauptsäch- 
lichsten Grund  der  Nachstellungen,  die  diesen  Vögeln  von  den 
Menschen  bereitet  werden. 

Auch  den  Schwan^'^S)  haben  wir  schon  bei  der  Besprechung 
zweier  Homer-Stellen  (11.  H  460,  XV  692)  als  Zugvogel  oder 
Wintergast  kennen  gelernt.  Durch  den  Einfluss  dieser  Vor- 
bilder erklärt  sich  das  Attribut  7ioTa[xco;  (mi  Flüssen  venveilend), 
das  Euripidcs,  Rhes.  618,  diesem  Vogel  beilegt.  Denn  nur 
zur  Zugzeit  verweilen  die  Schwäne  an  Flüssen,  während  sie 
sonst  ausschliesslich  Seen  oder  Meerbuchten  bewohnen.  Dass 
der  Dichter  an  unserer  Stelle  den  Glanz  des  Schwanengefieders 
zu  einem  Vergleiche  heranzieht, ''^^j  scheint  wiederum  auf  einen 
Homerischen  Ausdruck  (ayaXXojxeva  TiTcpuysaatv,  II.  II  462)  zu- 
rückzugehen. Ebenso  müssen  wir  die  Schwäne,  die  nach  Ari- 
stophanes,  Av.  774,  am  Ilebrus  dem  Apollo  ihr  begeister- 
tes   Lied    anstimmen,  1^"^)    als  rastende   Durchzügler   ansprechen. 


—     38     — 

Auch  bei  Nikander  finden  wir  einen  kurzen  Hinweis  auf 
den  Scliwanenzui;-.  Nach  dem  52.  frg.  (bei  Anton.  Lib.  12) 
zeigen  sich  zur  Zeit  des  Pflügens,  also  im  Herbste, ^^i)  am  Ko- 
nopischen  See  viele  Schwäne.  Diese  Beobachtung  setzt  der 
Dichter  zu  der  Verwandlungssage  eines  gewissen  Kyknos  in 
Beziehung  und  sucht  daraus  die  spätere  Bezeichnung  des  Sees 
(xuxvsc'yj,  Schwansee)  abzuleiten,  ein  irreführender  Umweg,  da 
der  Name  offenbar  auf  das  erwähnte  Zugpliänomen  zurückgeht. 

Auch  Stare  und  Dohlen  erscheinen  anf  dem  Ilerbst- 
zuge  in  Griechenland  und  blieben  nicht  unbeachtet.  Schon  der 
Vater  der  griechischen  Dichtung  kennt,  wie  es  scheint,  die 
Eigentümlichkeit  beider  Vogelarten,  im  Herbste  oder  Winter 
trotz  ihres  erheblichen  Grösscnunterschiedes  gerne  gemeinsam 
auf  die  Nahrungssuche  zu  gehen. i^'^j 

Homer  geht  mit  zwei  Vergleichen  voran.  Wenig  aus- 
geführt ist  der  erste  (II.  XVI  ,582  f.):  Patroklus  stürmt  durch 
die  Vorkämpfer,  einem  schnellen  Hahiclä  ähnlich,  der  Dohlen  und 
Stare  in  Schrecl-en  setzt. ^^'^)  Der  Kern  des  Vergleiches  liegt 
klar  vor  Augen:  schnelles  Vordringen  eines  einzelnen  auf  der 
einen  Seite,  erschrecktes  Zurückweichen  einer  haltlosen  Menge 
auf  der  anderen.  Ihre  naturgeschichtliche  Erläuterung  indes 
erhält  diese  Stelle  erst  durch  den  zweiten  Vergleich,  der  un- 
gleich schöner  ausgemalt  ist  (11.  XVH  755  ff):  Wie  eine  Wolle 
von  Staren  oder  Dohlen  dahinzieht,  unter  wirrem  GescJirei^  wetin 
sie  einen  Ilabicld,  der  den  Meinen  Vögeln  Tod  bringt,  von  weitem 
heranstürmen  sehen,  so  Jlohen  vor  Aeneas  und  lleldor  die  Söhne 
der  Achäer,  nirr  durcheinanderschreiendM'^)  Der  Kern  des 
Vergleiches  ist  der  nämliche  wie  oben;  nur  tritt  hier  noch  die 
Betonung  des  wirren  Geschreis  als  ergänzendes  Moment  hinzu. 
Die  Ausführung  ist  viel  genauer  und  treffender  und  wir  müssen 
daher  diesen  zweiten  Vergleich  geradezu  als  die  Voraussetzung 
des  ersten  betrachten. ^^5)  Vor  allem  sieht  man  aus  dem  meta- 
phorischen Ausdruck  Wolhe ,  dass  wir  die  Dohlen  bczw.  Stare 
zusammengeschart  zu  denken  haben,  oder  mit  anderen 
Worten,  dass  sich  das  geschilderte  Schauspiel  im  Herbste  (oder 
Winter)  abspielt.  Dazu  kommt,  dass  das  vom  Dichter  gewählte 
Wort  —  ein  Vergleich  im  Vergleiche  —  ausserordentlich  male- 
risch wirkt,  da  ein  solcher  Schwärm  wegen  der  schwärzlichen 
Farbe  und  des  dicht  gedrängten  Fluges  wirklich  einer  W^olke 
sehr  ähnlich  sieht. i^*5)  Das  ivirre  (icschrei  der  geängstigten 
Vögel  verstärkt  den  packenden  Eindruck  der  trefflich  geschil- 
derten Szene.  —  Eine  weitere  Ergänzung  zu  diesem  Bilde  gibt 
Babrius  (Fab.  33),  indem  er  die  zur  Herbstzeit  vereinten 
Dohlen-  und  Starenschwärme  als  Feinde  der  jungen  Saat  be- 
zeichnet,   wodurch    sie    mit  Kranichen    und  Gänsen,  von  denen 


—     39     — 

schon  oben  die  Rede  war,  in  dieselbe  Linie  rücken.  Es  irar 
um  die  Zeit  des  Plejaden  -  Untenjanyes,  so  ungefähr  lautet  die 
Fabel,  ivann  die  Saat  bestellt  wird,  als  ein  Laiidmaiui,  der 
Weizen  ins  Neulund  aimjetcorfe.yi  hatte,  dabeistand  und  ihn  be- 
icachte;  denn  ein  unzählbarer,  schwarzer  Schwärm  von  misslautend 
schreienden  Dohlen  und  von  Staren,  den  Verderbern  ländlicher 
Aussaat,  war  erscliienenM'^)  Dem  Manne  folgte  ein  K}mbe  mit 
einer  Schleuder  in  der  Hand.  Wenn  nun  der  Bauer  nach  dieser 
verlangte,  so  verstanden  es  die  Stare  und  flohen,  bevor  er  die  Waf'e 
zur  Hand  nehmen  konnte.  Da  ersann  er  eine  List.  Er  verab- 
redete mit  dem  Knaben,  u-enn  er  Hin  um  Brot  anspreche,  solle 
er  ihm  die  Schleuder  reichen.  Wieder  harnen  die  Stare  und 
weideten  das  Feld  ab.  Xun  verlangte  der  Landmann  nacJt  der 
Verabredung  Brot,  weshalb  die  Stare  nicht  an  Flucht  dachten; 
der  Knabe  reichte  ihm  aber  die  mit  Steinen  gefüllte  Schleuder. 
Wirklich  traf  der  Bauer  einige  von  den  Vögeln;  die  andern  flohen 
aus  dem  Lande.  Als  ihnen  Kraniche  begegneten  und  sie  um  das 
Geschehene  fragten,  sprach  eine  Dohle:  „Fliehet  das  schlimme 
Geschlecht  der  Menschen,  die  anders  zu  spreclien  als  zu  handeln 
irissen  .'^  Die  Fabel  ist  für  uns  wertvoll  nicht  bloss  durch  die 
Ergänzung,  die  sie  zur  Schilderung  Homers  bietet,  sondern  vor 
allem  durch  die  genaue  Zeitangabe,  aus  der  mit  Sicherheit  zu 
ersehen  ist,  dass  es  sich  um  den  Ilerbstzuo:  handelt.  Denn  der 
Früh-UntergRng  der  Plejaden  bezeichnete  bei  den  alten  Griechen 
den  Beginn  des  Spätherbstes,'^^)  Auch  sonst  ist  die  Darstellung 
sehr  naturgetreu,  sowohl  in  der  deutlichen  Unterscheidung  der 
Dohlen  von  den  Staren  durch  die  Erwähnung  ihres  misstünen- 
den  Geschreies  als  auch  in  der  Schilderung  des  schlauen  An- 
passungsvermögens beider  Vogelarten  an  die  menschlichen  Ver- 
folgungsmassregeln, das  erst  dort  seine  Grenze  findet,  wo  der 
Mensch  zu  einem  Mittel  greift,  das  bezeichnenderweise  ihm  allein 
geläufig  ist,  der  Lüge  und  Verstellung,  —  Hierher  gehört  auch 
das  schon  besprochene  Epigramm  des  Antipater  aus  Sidon 
(Anth.  Pal.  VH  172),  in  dem  die  Stare  neben  den  Räubern  der 
Saat,  den  Kranichen,  ohne  weitere  Beifügung,  d.  h.  als  gleich- 
artige, wenn  auch  minder  gefährliche  Missetäter  genannt  sind. 
Der  Dichter  gebraucht  (v.  4)  zur  Charakteristik  der  schädlichen 
Vogelschwärme  den  Homerischen  Ausdruck  Wolle.^^'^)  —  Als 
Schädlinge  sind  die  Stare,  neben  anderen  Yögeln,  auch  in  einem 
anonymen  Epigramme  (Anth.  Pal.  IK  373}  genannt.  Die 
Grille  verweist  darin  die  Hirten,  in  deren  Hände  sie  geraten 
ist,  auf  die  Räuber  ländlichen  Reichtums.  Drosseln,  Amseln  und 
Stare.  Diese  Zerstörer  der  FrücJtte  sollten  sie  töten ;  die  Blätter 
aber  und  die  Tautröpfchen,  die  sie  selbst  brauche,  sollten  sie 
ihr  nicht  missgünnen.'-^') 


—     40     — 

Der  Schaden,  den  die  genannten  Vögel  anrichten,  entsteht 
natürlich  besonders  zu  der  Zeit,  wenn  die  Feld-  und  Gartenfi  lichte 
reifen,  beim  Star  und  bei  der  Drossel  speziell  zur  Zug/.eit. 
Im  übrigen  wird  die  Drossel  i^^)  in  der  griechischen  Poesie 
weniger  wegen  ihres  Schadens  als  wegen  der  Schmackhaftig- 
keit  ihres  Fleisches  angeführt  —  wiederum  ein  Hinweis  auf 
den  Herbstzug!  Als  Frühlingssänger  dagegen  ist  sie,  jedenfalls 
wegen  ihres  frühen  Aufbruchs  nach  dem  Norden,  völlig  unbe; 
kannt.  Diesen  Sachverhalt  beweisen  drei  Epigramme  der  An- 
thologie (IX  76,  343,  396),  die  in  meinem  vorigen  Programme 
S.  70  f.  eingehend  verglichen  und  gewürdigt  sind.  Streng  ge- 
nommen wären  nun  sämtliche  Stellen  hier  anzuführen,  an  denen 
die  Drossel  in  der  griechischen  Poesie  als  Fangobjekt  oder 
als  Delikatesse  erwähnt  ist,  und  wir  würden  dabei,  von  Homer, 
Od.  XXH  468  flF.  ausgehend,'^'-)  viele  Stellen,  besonders  aus 
Aristophanes  und  den  übrigen  K  omöd  ien  di  c  h  t  er  n,  zu 
zitieren  haben.  Da  jedoch  diese  Dichter  keineswegs  das  Be- 
wusstsein  haben,  dass  es  sich  bei  der  gefangenen  oder  verspeisten 
Drossel  um  einen  herbstlichen  Durchzugsvogel  handelt,  sondern 
ohne  die  gering&te  Rücksichtnahme  auf  Herkunft  oder  Lebens- 
gewohnheiten sie  lediglich  vom  Standpunkte  des  Vogelfängers 
oder  Feinschmeckers  betrachten,  so  sind  die  betr»  ffenden  Stellen 
hier  ohne  Interesse  für  uns  und  gehören  in  ein  anderes  Kapitel, 
das  den  Vogelfang  bezw.  die  Küche  umfasst.^'^'^')  Auf  das  Be- 
nehmen der  Drossel  während  ihres  Durchzuges  bezieht  sich  nur 
noch  eine  einzige  Stelle,  nämlich  die  194.  Äsopische  Fabel, 
die  mit  den  AVorten  beginnt:  In  einem  Mi/rfenJtairic  tat  sich 
eine  Drossel  ejütlieJiA'^*)  Solche  Ortlichkeiten  besuchte  der  Vogel 
natürlich  um  der  süssen  Beeren  des  Myrtenstrauches  willen  und 
diese  Gelegenheit  benützten  auch  die  Vogelfänger,  um  den  un- 
voisichtigen  Näscher  mit  Leimruten  zu  berücken,  was  den  In- 
halt der  genannten  Fabel  bildet. i^'') 

Die  Schwalbe  haben  wir  im  vorigen  Abschnitte  als  den 
sprichwörtlichen  Frühlingsboten  kennen  gelernt.  Den  vielen 
dort  zitierten  Stellen  haben  wir  hier,  wo  es  sich  um  den  Herbst- 
zug handelt,  nur  eine  einzige  entgegenzusetzen,  nämlich  das  2  5. 
(3  3.)  Ana  kreont  i  sehe  Lied.  Der  Dichter  spricht  die 
Schwalbe  an  und  erwähnt  ihre  alljährliche  AViedeikehr  und  ihren 
Nestbau  zur  schönen  Jahreszeit.  Im  Winter  aber,  so  fährt  er 
fort,  rerschirindest  du  und  siehst  fort  zum  NUstrande  oder  ge(/en 
MemphisJ-^^)  Hier  ist  es  deutlich  ausgesprochen,  wohin  die 
Schwalbe  im  Herbste  „verschwindet'',  was  gegenüber  der  weit- 
verbreiteten Ansicht  von  ihrem  Winterschlafe  besonders  bemer- 
kenswert erscheint. 

Wenn  ferner  Arat  (v.  903  (f.)  das  scharenweise  Erschei- 


—     41     — 

non  und  habichtähnliclie  Schreien  der  Raben  (xopaxsc;)  und 
Dohlen  als  ein  Zeichen  kommenden  ive,i;(>n\vetters  erklärt, ''J^) 
so  scheint  es  am  besten,  auch  diese  Stelle  wegen  der  erwähnten 
Zusammenrottung  auf  den  Ilerbstzug  oder  Winteraufenthalt 
dieser  Vögel    zu  beziehen. 

Zu  den  volkstümlichsten  Durch zugsvögeln  gehört  in  Süd- 
europa unstreitig  die  W  achtel. ^^s^  In  grossen  Scharen  fällt 
sie  an  den  dortigen  Küsten  und  auf  den  Inseln  ein  und  der 
Zustand  der  Ermüdung,  in  dem  sich  der  wenig  flugkräftigo 
Vogel  nach  der  langen  Seereise  befindet,  erleichtert  einen  Massen- 
fang, der  einige  Wochen  hindurch  den  Bewohnern  dieser  Land- 
striche nicht  nur  die  Schüsseln  sondern  auch  die  Börsen  zu 
füllen  pflegt.  Aber  trotz  dieser  seiner  grossen  Bedeutung  hat 
der  Wachtelzug  auf  die  griechische  Poesie  keinen  EinHuss  ge- 
äussert, es  müshte  denn  sein,  dass  die  betreffenden  Stellen  ver- 
loren gegangen  sind.  Nur  der  geographi-che  Name  Ortygia 
d.  h.  Wachtelfeld  (nach  Beiiseler)  klingt  als  ein  vernehmliches 
Mahnwort  aus  der  dunklen  Zeit  der  Sage  in  die  späteren  Perio- 
den der  Dichtung  hinüber. 

Vier  Orte  dieses  Namens  bezw.  Beinamens  nennt  Ni- 
kander  im  5.  Frg.  seiner  AüxcoXtxa  (Sclineider  p.  22).  Wenn 
wir  diesem  Autor  Glauben  schenken,  so  haben  drei  von  diesen 
Orten:  Ephesus,iä9j  Dolus  ^'''^)  und  die  von  den  Dichtern  öfters 
genannte  Insel  Ortygia  bei  Syrakusi*^')  diese  Benennung  einer 
gemeinsamen  Mu'terstadt, dem  ätolischen  Orlygia,zu  verdanken. ^'J-) 
Bezüglich  der  Insel  Delus- Ortygia  gab  es  indessen  auch  eine 
andere  und,  wie  es  scheint,  viel  weiter  verbreitete  Ableitung 
des  Namens.  Lycophron  (v.  401)  nennt  diese  Insel  das  he- 
narJibarie  Grob  der  hefh'hjelfen  ^VachielA^'^)  Dazu  geben  die 
Schollen  folgende  Erklärung:  „Die  Schwester  der  Leto,  Asteria, 
verwandelte  sich,  die  Liebe  des  Zeus  fliehend,  in  eine  Wachtel, 
sprang  ins  Meer  und  wurde  eine  Insel,  die  darnach  Oitygia, 
später  aber  Delus  genannt  wurde."  Auch  die  Schollen  zu  A  pol- 
lonius  Rhod.  I  419,  denen  das  oben  zitierte  Fragment  des 
Nikander  entnommen  ist,  kennen  diese  Sage,  verwerfen  sie  aber 
zu  Gunsten  der  Ansicht  des  letzteren.  Mag  nun  die  Verwand- 
lungsgeschichte der  Asteria  auf  eine  alte  Sage  zurückgehen 
oder  ein  Erzeugnis  der  mythenfrohen  alexandrinischen  Dichter 
sein,  jedenfalls  beabsichtigte  ihr  Erfinder  nichts  anderes,  als 
den  uralten,  nicht  mehr  verstandenen  Namen  Ortygia  zu  er- 
klären. Und  doch  lag  die  Wahrheit  so  nahe!  Ortygia  bezeichnet 
jedenfalls  einen  Ort,  an  dem  zur  Zugzeit  viele  Wachteln  ein- 
zufallen pflegen.  Für  diese  einfachste  und  natürlichste  Deutung 
spricht  sich  wenigstens  eine  Stimme  aus  dem  griechischen 
Altertum  aus,    nämlich    der  Historiker  Phanodemus    bei  Athen. 


—     42     — 

IX  392  d.  Im  übrigen  waren  es  die  Griechen  zu  sehr  ge- 
wohnt, Ortsbezeichnungen  auf  Sagen  späterer  Erfindung  zurück- 
zuführen, als  dass  ihnen  die  Unwahrscheinlichkeit  der  erwähn- 
ten poetischen  Erklärung  irgendwie  unliebsam  aufgefallen  wäre,  i"^^) 

Hier  möchte  ich  noch  zwei  Stellen  des  Aristophanes 
einreihen,  deren  Beziehung  auf  unseren  Gegenstand  sehr  wahr- 
scheinlich ist.  In  den  Acharnern  (v.  876  f.)  erwidert  Dikaiopolis 
dem  böotischen  Händler,  der  eben  eine  Menge  erlegter  und 
feilgebotener  Vögel  aufgezählt  hat:  „Wie  ein  Vogelsturm  bist 
du  also  auf  (lern  Markte  erscliienen."  '*^^)  Ich  beziehe  diese 
Worte  auf  die  schon  dem  Aristoteles  (II.  A.  VIIl  12,6)  be- 
kannte Erscheinung,  dass  beim  Eintritte  rauhen  Winterwetters 
verschiedene  individuenreiche  Kleinvogelarten  aus  den  Bergen 
in  die  Ebene  herabkommen,  sodass  die  Vogelfänger  leichte 
Arbeit  haben  und  den  Markt  mit  ihrer  Beute  überschütten. i''^) 
Für  ein  solches  Wetter  scheint  der  Ausdruck  Vogelsturm  ge- 
bräuchlich gewesen  zu  sein.^*'")  Ob  die  Liste  der  Vögel,  die 
Aristophanes  dem  böotischen  Händler  in  den  Mund  legt,  den- 
jenigen Arten  entspricht,  die  bei  solchen  Gelegenheiten  gewöhn- 
lich auf  den  Markt  geworfen  wurden,  ist  für  die  Erklärung 
dieses  Ausdruckes  gleichgültig;  denn  der  Dichter  zieht  ja  diese 
Naturerscheinung  nur  vergleichsweise  heran  und  lässt  im  ein- 
zelnen seiner  guten  Laune  freien  Lauf.  —  Eine  Anspielung 
auf  die  nämliche  Sache  enthält  jedenfalls  auch  der  Ausruf  des 
Philokieon  (Vesp.  1513):  ^Sieh  doch  die  Menge  der  Zauul-önige, 
die  hier  plötzlich  herahgefidlen  ist.'"'^^'^)  Dieser  Vers  bezieht 
sich  auf  die  zum  au?gelassenen  Kehraustanze  antretenden  Söhne 
des  Karkinos,  die  wegen  der  Kleinheit  ihrer  Gestalt  vom  Dichter 
zum  Spotte  mit  dem  kleinsten  Vogel  verglichen  werden.  Un- 
ter dem  „Herabfallen"  solcher  Vögel  ist  der  nämliche  Vorgang 
zu  verstehen,  den  wir  bei  der  Besprechung  der  vorigen  Stelle 
geschildert  haben.  Der  gewählte  Ausdruck  wirkt  deshalb  be- 
sonders bezeichnend,  weil  die  Vögel  bei  solchen  Anlässen  in 
der  Tat  so  plötzlich  und  in  so  grossen  Massen  zu  erscheinen 
pflegen,  dass  man  meinen  könnte,  sie  seien  buchstäblich  vom 
Himmel  „herabgefallen". 

Blicken  wir  nochmals  auf  die  eben  behandelten  Dichter- 
steilen  zurück,  die  sich  auf  den  Ilerbstzug  der  Vögel  beziehen, 
und  vergleichen  wir  sie  mit  denjenigen,  die  den  Frühjahrszug 
zum  Gegenstande  haben,  so  finden  wir  unsere  vorausgeschickte 
Angabe  bestätigt,  dass  die  ersteren  nicht  nur  an  Zahl  sondern 
auch  an  Bedeutung  des  Inhaltes  bei  weitem  überwiegen.  Wir 
bemerken  eine  ganze  Reihe  von  Stellen,  die  von  feiner  Beo- 
bachtung und  richtigem  Naturgefühle  zeugen ;  wir  sehen  den 
ganzen  Vorgang  von  mehreren  Seiten  treffend  beleuchtet.     Wenn 


—     43     — 

aber  der  Kranich  unter  den  herbstlichen  Wanderern  von  den 
Dichtern  fast  noch  mehr  bevorzugt  wird  als  die  Schwalbe  unter 
den  Frühlingsboten,  so  ergibt  sich  dies  einerseits  aus  den  auf- 
fallenden Begleiterscheinungen  seines  Zuges,  anderseits  aber 
zeigt  sich  auch  in  diesem  Punkte  das  grosse  Beharrungsver- 
mögen, das  die  griechische  Dichtung,  sobald  sie  einmal  ein  all- 
seitig befriedigendes,  prägnantes  Beispiel  für  einen  Vorgang  in 
der  Natur  gefunden  hat,  durch  den  Lauf  der  Jahrhunderte  an 
den  Tag  legt.  Hier  ist  kein  Schwanken  der  Mode,  keine  zu 
überraschenden  Ergebnissen  führende  Entwicklung,  sondern  nur 
der  ausgetretene,  aber  wohlgepflegte  Pfad  einer  geheiligten  Über- 
lieferung erkennbar. 

In  einem  Punkte  freilich,  das  ist  hier  nochmals  zu  betonen, 
steht  die  literarische  Verwertung  des  Herbstzuges  hinter  der- 
jenigen des  Frühjahrszuges  zurück.  Kommt  in  dem  letzteren 
Falle,  wenn  auch  in  knappen  Worten,  das  Gemüt  zur  Sprache, 
das  mit  herzlicher  Freude  die  erschienenen  Frühlingsboten  be- 
grüsst,  so  sollte  man  erwarten,  dass  die  Bilder  des  Herbstes  doch 
wenigstens  durch  einen  leichten  Schimmer  der  Wehmut,  wie  sie 
uns  Deutsche  beim  Scheiden  des  Sommers  und  seiner  gefieder- 
ten Gäste  erfüllt,  ein  unterscheidendes  Merkmal  gewännen. 
Doch  umsonst  werden  wir  nach  den  Spuren  dieses  Empfindens 
suchen.  Fremd  war  ein  solches  Fühlen  dem  griechischen  Alter- 
tum, so  fremd,  wie  es  noch  jetzt  der  realistisch  denkenden  Be- 
völkerung des  „glücklichen"  Südens  geblieben  ist.  —  Im  übri- 
gen aber  werden  wir  mit  Befriedigung  auf  den  an  der  Hand 
der  griechischen  Muse  zurückgelegten  Herbst  -  Spaziergang  zu- 
rückschauen. 


III.  Kapitel. 

Zug  im  allgemeinen. 

Einiu'c  Dichtcrstellen  behandeln  den  N'ogelzug  im  allge- 
meinen, ohne  dass  eine  Beziehung  auf  dun  Frühjahts-  oder 
llerbstzug  erkennbar  wäre. 

Ein  Teil  derselben,  freilich  merkwürdig  wenige,  oliarak- 
terisieit  die  Vögel  als  wand  er  n  de,  nur  z  e  it  weise  in  Griechen- 
land sich  aufhaltende  AVesen.  So  nennt  Aeschylus  (frg.  52) 
die  Schwalbe  einen  ziKioranderfen  Yogol,^^'^;  und  Euenus 
(Anth.  Pal.  IX  122)  bezeichnet  den  gleichen  Vogel  ebenso  wie 
die  Baumgrille,  die  er  mit  ihm  vergleicht,  als  einen  Sommer- 
[/asf.^'^^)  Dabei  müssen  wir  freilich  bezüglich  der  B:iumgrille 
ein  teilweises  Missverständnis  des  liebenswürdigen  Dichters  an- 
nehmen. Denn  ihr  Zirpen  ist  zwar  nur  im  Sommer  zu  hören; 
da  sie  jedoch  im  Herbste  nicht  fortwandert,  ist  es  unrichtig, 
von  ihr  als  einem  Gcisie  zu  sprechen.  Für  die  Schwalbe  da- 
gegen trifft  dieses  Attribut  vollkommen  zu.  —  Ein  Gast  (csvyj) 
wird  die  Schwalbe  auch  zu  Beginn  der  418.  Fabel  genannt. 
Darnach  ist  auch  das  unpassende  Beiwort  cou9-r^  (gelbbraun), 
das  in  Babrius'  Bearbeitung  des  gleichen  Stoffes  (118)  der 
Schwalbe  zugeteilt  wird,  als  Schreibfehler  zu  erklären  und  in 
Elvr^  (Gast)  umzuändern. 

Eine  Reihe  anderer  Stellen  hat  die  Ausdehnung  des 
V^ogelfluges  über  die  ganze  Erde  zum  Gegenstande. 
Nun  unternehmen  aber  die  Vögel,  mit  seltenen  Ausnahmen, 
nur  zur  Zugzeit  so  weite  Flüge,  während  sie  für  gewöhnlich 
ihrem  Brut-  und  ITeimatgebicte  nicht  weniger  treu  bleiben  als 
andere,  ungefiügelte  'J'iere.  Wenn  wir  also  den  Sinn  dieser 
Stellen  erschöpfen  wollen,  so  müssen  wir  sie  weniger  auf  die 
Flugfertigkeit  der  Vögel  im  allgemeinen  als  speziell  auf  ihre 
AVanderzüge  beziehen.'"') 

Eine  noch  sehr  beschränkte,  geradezu  naive  Anschauung 
treffen  wir  bei  Homer  (Od.  III  320  ff.).  Nach  dem  Wortlaute 
dieser  Stelle  ist  Menelaus  auf  seinen  Irrfahrten  so  weit  verschlagen 


—     45     — 

worden,  dass  sogar  VI'xjpI  von  dort  nicht  im  seihen  Johre  zuriki-- 
keliren  l-önneuX^-)  Wie  gross  iniiss  sich  der  Dichter  die  Erde, 
wie  gering  dagegen  die  Flugfähigkeit  der  Vögel  vorgestellt  haben  ! 
Andererseits  ist  die  Stelle  gewiss  nicht  wörtlich  zu  nehmen,  so- 
dass die  Entstellung  der  natürlichen  Verhältnisse  mehr  der 
Hvperbolik  des  Ausdruckes  als  der  wirklichen  Ansicht  des  Dich- 
ters zuzuschreiben  ist.^''^)  —  Ein  wesenthch  anderer  Geist  spricht 
aus  dem  84.  Frg.  des  Alcaeus,  der  biinfhalsige,  ßügelstreckende 
Wildenten  von  den  Grenzen  des  Meeres  und  der  Erde  herbeige- 
Icommen  sein  lässt. ^'^^)  —  Sodann  erwähnt  Aristophanes  in 
seinen  „Vögeln"  zweimal  die  weiten  Flüge  des  AViedehopfes : 
Das  erstemal  (v.  47  f.)  äussern  die  beiden  Auswanderer  dem 
Publikum  gegenüber,  sie  wollten  diesen  Vogel  fragen,  ob  er  irgend- 
wo, soiveit  er  flog  {r,  "TiSTttaxo),  eine  Stadt  gesehen  habe,  die  ihren 
Wünschen  entspräche;  das  zweitemal  (v.  118)  wird  von  dem 
nämlichen  A^ogel  gesagt,  er  habe  Erde  und  Meer  im  Kreise 
üherßogfn.^'^-^)  —  Von  der  letzteren  Stelle  scheint  ein  Epigramm  des 
Leo  nid  as  Alex.  (Anth.  Pal.  IX  346),  das  auch  dem  Archias 
zugeschrieben  wird,  abhängig  zu  sein.  Es  beginnt  mit  der 
Anrede;  „Schwalbe,  die  du  über  das  ganze  Festland  und  die 
Inseln  hinfliegst  l""^"^^)  Der  Ausdruck  entspricht  genau  dem  vor- 
ausgehenden, nur  dass  statt  des  Meeres  dasjenige  eingesetzt  ist, 
was  eine  Reise  über  die  See  besonders  abwechselnd  und  interes- 
sant macht,  nämlich  die  darin  gelegenen  Inseln. 

So  führt  nach  den  Worten  griechischer  Dichter  den  Vogel 
sein  AVanderflug  bis  an  die  Grenzen  der  Erde.  Als  Strasse 
dient  ihm  dabei  der  dem  Menschen  unzugängliche  Luftraum, 
der  heilige  Äther,  die  Strasse  der  Vögel,  wie  ihn  Aeschylus,  Prom. 
281,  nennt. ''■^j  Freilich  lassen  diese  schönen  Worte  auch  eine 
weniger  enge  Deutung  zu,  die  nicht  bloss  den  Wanderzug  der 
Vögel  sondern  ihren  Flug  im  weitesten  Sinne  umfasst;  aber 
aus  zwei  Gründen  glaube  ich,  mit  meiner  speziellen  Erklärung 
dem  Sinne  der  Stelle  am  nächsten  zu  kommen.  Vor  allem 
nennt  Aeschylus  als  Strasse  der  Vögel  nicht  die  Luft  überh\upt 
(a/^p),  sondern  die.  obere  Luftschicht  (od^r^p).  Nun  ist  es  aber 
allgemein  bekannt,  dass  die  Vögel  gerade  zu  ihren  Wande- 
rungen viel  höhere  Luftschichten  benützen  als  zu  ihren  gewöhn- 
lichen Kreuz-  und  Querflügen.  Aber  auch  das  Wort  Ttopoc; 
werden  wir  erst  dann  völlig  sinnentsprechend  erklären,  wenn 
wir  dabei  an  die  grosse  Reise  denken,  die  unsere  Vögel  all- 
jährlich zweimal  in  direkter  Linie  von  der  kälteren  zur  wär- 
meren Zone  und  in  entgegengesetzter  Richtung  zurücklegen. 

Nicht  ganz  sicher  ist  auch  die  Beziehung  eines  schiinen 
Vergleiches  des  Apollonius  Rh  od.  Arg.  IV  238  ff.)  Der 
Auslauf  der  kolchischen  Flotte  entlockt   dem  Dichter    die  stau- 


—     46     - 

nenden  "Worte:  Man  halte  glauben  sollen.,  nicht  Sclüffe  seien  es, 
die  einen  so  (jvossartiyen  Änhlicl-  rjeivährten,  sondern  es  brause 
ein  unermessUclier  Schrarm  von  (/rossen  Vögeln,  zusammengescharf 
über  das  Meer  hinA"'^)  Der  Kern  des  Vergleiches  liegt  jeden- 
falls in  der  geräuschvollen  Bewegung  einer  grossen  Menge  von 
Körpern  über  die  Wasserfläche  hin.  Dabei  lässt  sich  das  Bild  un- 
schwer dahin  ergänzen,  dass  die  Schwingen  der  Vögel  den 
Segeln  oder  Rudern  der  Schilfe  entsprechen,  i"^)  Der  weitere 
Umstand,  dass  die  Flotte  der  Kolcher  vom  Lande  abstösst, 
bleibt  für  den  Vergleich  ohne  Bedeutung;  denn  der  Dichter 
denkt  nicht  an  eine  Vogelschar,  die  vom  Gestade  abfliegt,  um 
ihren  Weg  über  das  Meer  zu  nehmen,  sondern  er  versetzt  sich 
auf  die  offene  See,  die  von  den  Segeln  der  Kolcher  erfüllt  ist, 
und  vergleicht  diese  mit  einer  Schar  von  Vögeln,  die  mitten 
auf  dem  Meere  im  vollen  Fluge  beobachtet  werden.  Solchen 
Vogelscharen  begegnet  aber  der  Seefahrer  ganz  besonders  in 
der  Zugperiode.  In  dieser  Zeit  sind  sie  am  gewaltigsten;  da 
halten  sie  am  engsten  zusammen  und  bleiben,  wie  eine  gut  ge- 
leitete Flotte,  derselben  Richtung  treu.  Wir  werden  also  den 
Vergleich  am  prägnantesten  auffassen,  wenn  wir  ihn  auf  den 
Zug  bezichen.  Welche  Vögel  aber  passen  am  besten  zu  dem 
Bilde  des  Dichters?  Jedenfalls  müssen  sie  einer  Art  angehören, 
die  durch  ihre  Grösse  auffallt.  Das  liegt  schon  in  dem  Worte 
oüovoc,  das  besonders  für  grössere  Vögel  gebraucht  wird,  wie 
sie  für  das  Augurium  in  Betracht  kommen.  Auch  könnten 
kleine  Vögel  doch  nicht  wohl  mit  Schiffen  verglichen  werden. 
Ein  weiteres  Erfordernis,  um  dem  Vergleiche  mit  einer  dahin- 
segelnden  Flotte  zu  entsprechen,  scheint  ein  helles,  am  besten 
weisses  Gefieder.  Zu  diesen  Voraussetzungen  passen  für  die 
südeuropäischen  Meere  nur  Vögel  wie  Scliwäne  oder  Gänse,  be- 
sonders aber  Pelikane,!^'')  während  die  Kraniche  wegen  der 
Höhe  des  Fluges  und  der  Farbe  des  Gefieders  nicht  in  Betracht 
kommen.  Solche  Vogelschwärme  gewäliren  in  der  Tat  einen 
h()clist  imposanten  Anblick  und  wir  müssen  dem  Dichter  Dank 
wissen,  dass  er  einen  solchen  Naturoindruck  fixiert  und,  wenn 
auch  in  gedrängter  Kürze,  in  Worte  gekleidet  hat. 

Wie  sch(")n  wäre  es,  wenn  uns  die  griechische  Literatur 
mehr  solcher  Stellen  überliefert  hätte,  an  denen  der  Vogelzug 
als  solcher,  als  eindrucksvolles  Naturschauspiel  poetisch  gewürdigt 
wäre!  So  aber  müssen  wir  uns  gestehen,  dass  die  wenigen 
Stellen,  die  wir  in  dieser  Hinsicht  anführen  können,  uns  mehr 
an  das  erinnern,  was  uns  die  griechische  Poesie  in  diesem  Punkte 
vorenthfilt,  als  was  sie  uns  zu  bieten  imstande  ist. 


IV.  Kapitel. 

Winterschlaf. 

Schon  oben  ist  angedeutet  worden,  dass  der  Vogelzug-  in 
den  meisten  Fällen  nicht  unmittelbar  bemerkt  wird,  sondern 
nur  in  seinen  Folgeerscheinungen  dem  Beobachter  in  die  Augen 
fällt.  Die  Vögel  erscheinen  und  verschwinden  und  niemand 
weiss,  woher  sie  kommen,  wohin  sie  gehen.  Dazu  gesellt  sich 
der  weitere  Umstand,  dass  sie  bei  längerer  Dauer  von  widrigem 
Wetter,  durch  Hunger  und  Kälte  erschöpft  und  am  AVegzuge 
gehindert,  sich  gerne  in  L()cher  oder  Höhlen  verkriechen,  um 
dort  den  Eintritt  besserer  Tage  abzuwarten,  und  dass  sie  in 
solchen  Lagen  oft  in  einen  Zustand  todesähnlicher  Firstarrung 
verfallen,  in  dem  sie  wochen-  ja  monatelang  auszudauern  ver- 
mögen. Es  kommt  infolgedessen  auch  bei  uns,  in  klimatisch 
viel  ungünstigeren  Verhältnissen,  zuweilen  vor,  dass  Zugvögel, 
besonderR  Schwalben,  mitten  im  Winter  aus  solchen  Schlupf- 
winkeln in  unversehrtem  Körperzustande  hervorgezogen  werden, 
in  der  Zimmerwärme  wieder  erwachen,  ihre  Flügel  ausbreiten 
und  das  Bedürfnis  nach  Nahrung  verraten.  ^S') 

Aus  diesen  beiden  Umständen  erklärt  sich  eine  volks- 
tümliche Ansicht,  die  schon  bei  den  Griechen  weit  ver- 
breitet war  und  sich  trotz  aller  wissenschaftlichen  Gegengründo 
auch  bei  uns  noch  immer  lebendig  erhält.  Darnach  würden 
gewisse  Vogelarten  im  Herbste  nicht  nach  dem  Süden  abziehen, 
sondern  sich  nach  Analogie  verschiedener  Säugetiere  zu  einem 
raehrmonatlichen  Winterschlafe  in  Baum-  oder  Felshöhlen 
oder  gar  in  den  Schlamm  der  Flüsse  zurückziehen ;  im  Früh- 
jahre würden  sie  dann  nicht  aus  fremden  Ländern  zurückkehren, 
sondern  nur  wieder  aus  ihren  Zufluchtstätten  hervorkommen 
und  neue  Lebenstätigkeit  entfalten. 

Die  erste  Äusserung  der  Wissenschaft  zugunsten  die- 
ser Annahme  lesen  wir  in  der  Tiergeschichte  des  Aristoteles, 
der  bezüglich  mehrerer  Vogelarten  einen  längeren  oder  kürzeren 
Winterschlaf  annimmt. i^'-^     Wie   in  anderen  Punkten  so  waren 


—     48     — 

auch  hier  die  Behauptungen  des    berühmten  Naturforschers  für 
spätere  Schriftsteller  ein  massgebendes  Vorbild. ^^3) 

Bei  diesem  Sachverhalte  wäre  es  doch  merkwürdig,  wenn 
die  Poesie  von  dem  Einflüsse  dieser  zweifellos  volkstümlichen 
Ansicht  gänzlich  unberührt  geblieben  wäre.  Und  in  der  Tat, 
wenn  wir  die  Werke  der  griechischen  Dichter  daraufhin  unter- 
suchen, so  stossen  wir  gleich  am  Eingange  der  Literatur  auf 
eine  Stelle,  die  ohne  Bezugnahme  auf  diese  Anschauung  un- 
nii'jglich  erklärt  werden  kann,  ich  meine  llesiod,  Op.  568  f. 
Die  betreffenden  Verse  lauten:  NacJi  ihm  (nämlich  dem  Sterne 
Arkturus)  kommt  die  in  der  Frühe  seufzende  Tochter  des  Pan- 
dion,  die  Schwalbe,  ans  Licht  und  zei(jt  sich  den  Menschen,  in 
der  ersten  Zeit  des  Frühlings.  Kurz  zuvor  soll  der  Landwirt 
die  Weinreben  beschneiden ;  denn  so  ist  es  am  besten. ^^^)  Der 
Ausdruck  ans  Licht  konunen  deutet  entschieden  darauf  hin,  dass 
llesiod  der  Meinung  ist,  die  Schwalbe  bringe  die  AVinterszeit 
in  dunklen  Höhlen  zu,  aus  denen  sie  im  Frühling  sich  wieder 
ans  Tageslicht  hervorwage.  —  Wenn  ferner  der  Komödien- 
dichter Philemon  (frg.  208)  eine  seiner  Personen  zur  anderen 
sagen  lässt:  „Die  Schwalbe,  Weib,  scliwälzt  nur  im  Sommer/' ^^■') 
wozu  die  ErgäLzung:  ^/lu  aber  das  tjanze  Jahr  hindurch^'  sich 
von  selbst  ergibt,  so  müssen  wir  die  gleiche  Erklärung  zu  Hilfe 
nehmen,  wenn  wir  die  naturgeschichtliche  Grundlage  dieser 
Stelle  aufdecken  wollen.  Offenbar  gilt  die  Schwalbe  dem  Dich- 
ter als  ein  Vogel,  der  nur  im  Sommer  zu  schon  und  zu  hören 
ist,  während  er  im  Winter  sich  zurückzieht  und  seinem  Organis- 
mus, vor  allem  seiner  geschwätzigen  Zunge,  Ruhe  vergönnt. 
Wollten  wir  dagegen  annehmen,  der  Dichter  halte  die  Schwalbe 
für  einen  Zugvogel,  der  im  Winter  ausser  Landes  weile,  so 
wäre  die  Prägnanz  des  Gegensatzes  zerstfirt.  Denn  die  Schwalbe 
vcrlässt  im  Herbste  ihre  Heimat  nicht,  um  in  der  Fremde  zu 
schweigen,  sondern  sie  legt  auch  dort  ohne  Unterbrechung  ihnm 
schwatzhaften  Charakter  an  den  Tag.  —  Nicht  anders  lässt  sich 
auch  die  415.  Fabel  erklären.  Hier  streiten  Schwalbe  und 
Krähe  miteinander  über  ihre  Schiinheit.  Die  Krähe  spricht: 
„Deine  Schönheit  blüht  nur  iräJirend  der  (jutoi  J(üires:eit ;^^'^) 
mein  Leib  dagegen  hält  auch  den  Winter  über  st((nd."  Auch 
hier  liegt  die  Vorstellung  zugrunde,  dass  die  Schwalbe  einen 
Winterschlaf  durchmacht,  während  dessen  sie  ihre  Schönheit 
einbüsst  d.  h.  die  Federn  verliert.  Dieser  letztere  Punkt,  der 
jedenfalls  einem  alten  Volksglauben  entspricht,  wird  durch  eine 
Stelle  des  Aristophanes,  Av.  108  ft'.,  in  ein  helleres  Licht 
gerückt,  Iloffegut  fragt  den  Wiedehopf:  „Wo  sind  denn  deine 
Federn':"'  Dieser  antwortet:  „Sie  sind  ausgefallen."  Hoflegut 
fragt  weiter:      „Infolge   einer    Kraid.hcil  Y"    worauf   der  Wiede- 


—     49     — 

hopf  V.  105  f.  erwidert:  „Nein!  sondern  den  ganzen  Winter 
über  verlieren  irir  Vögel  unsere  Federn  und  bekommen  dann 
wieder  andere  dafür"J^')  Es  bestand  also  die  Ansicht,  dass 
die  Zugvögel  in  der  Winterszeit,  während  deren  sie  ihrer  Flügel 
nicht  bedürfen,  sich  ihres  alten  Federkleides  entledigten,  um 
erst  zu  ihrem  Wiedererscheinen  im  Frühling  ein  neues  anzu- 
legen, ^ssj  Darüber  lassen  die  klaren  Worte  unserer  Stelle  keinen 
Zweifel  übrig.  Dass  aber  die  Vögel  in  dieser  federlosen  Zeit 
sich  verkriechen  und  schlafen  sollten,  verschweigt  der  Dichter 
wohlweislich.  Denn  der  Wiedehopf  darf  bei  der  Ankunft  seiner 
Besucher  doch  nicht  in  tiefem  Winterschlafe  befangen  seinl^'^^) 
Aristophanes  lässt  ihn  also  im  AYinter  in  reduziertem  Feder- 
kleide leben  und  wachen.  Warum  aber  berührt  der  Dichter 
überhaupt  diese  entlegene  Vorstellung,  wenn  er  sie  nur  zum 
Teile  verwerten  kann?  Der  Grund  ergibt  sich  aus  der  ganzen 
Situation.  Es  gilt,  das  unzulänglich  befiederte  Kostüm  des 
Schauspielers,  der  den  Wiedehopf  darstellt,  scherzhaft  zu  moti- 
vieren, und  dabei  kommt  es  nicht  darauf  an,  ob  die  gewählte 
Ausrede  im  einzelnen  stimmt  oder  nicht.  Das  Publikum  muss 
lachen  und  damit  ist  der  Zweck  des  Dichters  erreicht. i'-'O) 

Die  schönste  Stelle  aber,  die  sich  auf  diesen  Punkt  be- 
zieht, finden  wir  in  dem  gleichen  Schatzkästlein  antiker  Natur- 
poesie (Aristoph.  Av.  1088  ff.).  liier  singt  der  Vogelchor: 
Glückliches  Volk  der  beflügelten  Vögel,  die  im  IVintcr  keinen 
Mantel  brauchen,  um  sich  damit  zu  umhüllen !  Auch  der  heisse, 
fernhin  leuchtende  Strahl  cler  Sommersonne  versengt  uns  nicht; 
sondern  ivir  wohnen  unter  dem  Blätterdache  blühender  Auen,  wenn 
die  göttliche  Zikade,  die  Freundin  des  Sonnenbrandes,  ihr  schrilles 
Lied  in  der  Mittagi^glut  ertönen  lässt.  Den  Winter  aber  bringen 
wir  in  geräumigen  Höhlen  zu,  indem  irir  mit  den  Bergngmyhen 
scherzen.  Dabei  verzehren  wir,  als  ob  es  Frühling  wäre,  weisse 
Mgrtenbeeren,^^^)  der  Jungfrauen  Lieblingsnäscherei,  und  die 
Gartengewächse  der  CharitinnenJ^-)  Fürwahr,  eine  hochpoetische 
Stelle!  Eine  wunderschöne  Charakterisierung  des  sorgenlosen 
Vogellebens!  Untersuchen  wir  die  Worte  des  Dichters  genauer, 
so  müssen  wir  zur  besseren  Unterscheidung  zwei  Fragen  stellen. 
Was  tun  die  Vögel  im  strengen  Winter?  Darauf  antwortet 
der  Dichter  am  Anfange  der  zitierten  Stelle  negativ,  positiv 
und  ausführlich  aber  von  v.  1097  an.  Was  tun  sodann  die 
Vögel  im  heissen  Sommer,  da  nur  die  Grille  im  Sonnenbrande 
noch  aushält  und  singt?  Die  Antwort  daraufmacht  der  Dichter 
kurz  ab.  indem  er  auf  die  schattige  Wohnung  der  Vögel  unter 
dem  Laubdache  der  Bäume  hinweist.  Zusammenzuziehen  aber 
sind  beide  Punkte  in  den  einen  Satz,  der  dem  Dichter  gewisser- 
massen  als  These  vorschwebte:    „Die  Vögel  sind  unberührt  von 

4 


—     50     — 

der  Xot  der  Jahreszeiten."  Dies  ist  der  nämliche  Gedanke, 
der  in  einer  etwas  engeren,  aber  auch  präziseren  Fassun«:  in 
den  schönen  Worten  der  Bibel  vorliegt:  „Betrachtet  die  Vögel 
des  Himmels!  Sie  säen  nicht,  sie  ernten  nicht,  sie  sammeln 
nicht  in  die  Scheunen,  und  dennoch  ernährt  sie  euer  himmlischer 
Vater."  Besonders  interessant  ist  es,  dass  der  Dichter  hier  mit 
klaren  Worten  von  dem  Überwintern  der  Vögel  in  Höhlen  spricht, 
während  er  an  der  vorher  besprochenen  Stelle  diesen  Umstand 
übergangen  hatte.  Doch  auch  hier  entspricht  das  Ende  dem 
Anfange  nicht.  Denn  von  dem  Zustande  der  Erstarrung,  in  den 
die  Vögel  nach  allgemeiner  Ansicht  in  diesen  Höhlen  verfallen 
sollten,  ist  auch  an  dieser  zweiten  Stelle  keine  Rede.  Statt 
dessen  erscheint  eine  liebliche  poetische  Fiktion,  Felsenhöhlen 
galten  bei  den  Griechen  als  heilige  Aufenthaltsorte  der  Nymphen. 
SVas  lag  näher,  als  dass  der  Dichter  die  darin  überwinternden 
Vögel  als  die  Schul zbefohlencn^  ja  geradezu  als  die  Spielge- 
nossen der  Nymphen  bezeichnete,  die  ihren  Pfleglingen  die 
lange,  traurige  Zeit  des  Winters  in  der  angenehmsten  Weise 
verkürzten  ?  i'"*"^)  So  ist  Aristophanes  der  Volksansicht  auch  hier 
nur  eine  Strecke  Weges  gefolgt.  Dann  veranlasste  ihn  die 
Erkenntnis,  dass  mit  erstarrten  AVinterschläfern  keine  poetische 
AVirkung  zu  erzielen  sei,  eine  andere  Richtung  einzuschlagen. 
Dabei  wies  ihm  eine  vornehmere  NatiiraufiTassiing,  die  seinen 
Zeitgenossen  als  Schülern  Homers  unmittelbar  verständlich  war, 
den  Weg  zu  den  sonnigen,  gestaltenreichen  Höhen  des  Mythus. 

Mit  diesem  schönen  Zitate  ist  die  kurze  Reihe  der  Dich- 
terstellen, die  sich  unzweifelhaft  auf  den  Winterschlaf,  bezw. 
das  versteckte  Winterleben  der  Vögel  beziehen,  schon  zu  Ende. 
Aber  der  (Jedanke  liegt  nahe,  dass  unter  den  weiter  oben  be- 
sprochenen Stellen  nicht  wenige  sich  finden  mr)gen,  an  denen 
diese  Annahme  stillschweigend  vorausgesetzt  ist,  ohne  in  der 
sprachlichen  Darstellung  mit  nachweisbarer  Deutlichkeit  hervor- 
zutreten. Und  wirklich  bieten  uns  wenigstens  unter  denjenigen 
Zitaten,  die  den  Frühjahrszug  betreffen,  mehrere  zu  Bedenken 
Anlass.  Es  sind  solche  Stellen,  an  denen  gesagt  ist,  dass  die 
Vögel  im  Frühling  erscheinen  oder  wieder  erscheinen, 
z.  B.  Aristoph.  Av.  713,  Thcsni.  1;  Cliionidcs  frg.  8;  Nonn. 
Dionys.  Hl  14.  Dieser  doppeldeutige  Ausdruck  kann  nämlich 
ebensowohl  auf  die  Rückkehr  der  Vögel  aus  dem  Süden  als 
auf  ihr  Hervorkommen  aus  den  winterlichen  Versteckplätzen 
bezogen  werden. 

Und  doch  wage  ich  nicht,  sie  ohne  eine  sichere  Handhabe 
hierher  zu  versetzen.  Wie  leicht  man  sich  in  dieser  Hinsicht 
täuschen  könnte,  zeigt  besonders  deutlich  das  25.  (33.)  Ana- 
krcontische    Lied.'^^)     Hier   lesen    wir,    dass   die    Schwalbe   im 


Winter  verschwindet  und  nach  Ägypten  fortwandert. 
Offenbar  ist  an  dieser  Stelle  das  Verschwinden  mit  dem  Weg- 
ziehen als  gleichbedeutend  gefasst.  Die  nämliche  Vertauschung 
aber  muss  der  Sprachgebrauch  bezüglich  des  Wiedererscheinens 
bezw.  Zurückkehrens  zugelassen  haben.  Damit  scheidet  die 
Möglichkeit,  aus  derartigen  Ausdrücken  sichere  Schlüsse  auf 
die  zugrunde  liegende  Naturauffassung  zu  ziehen,  aus  dem  Kreise 
der  Diskussion. 

Aber  auch  sämtliche  Stellen,  an  denen  der  Gesang  oder 
Ruf  eines  Vogels  als  Frühlingszeichen  angegeben  ist, 
können  ebensogut  auf  die  Annahme  eines  Winterschlafes  wie 
auf  die  einer  Heimkehr  bezogen  werden. 

Das  einzige  sichere  Kriterium  in  diesem  Zwiespalte  wären 
klare  Angaben  der  gleichzeitigen  naturwissenschaftlichen  Schrift- 
steller. Doch  einerseits  lassen  auch  diese  bei  verschiedenen 
Vögeln,  z.  B.  der  Schwalbe,  beide  Möglichkeiten  zu,  anderer- 
seits stehen  sie  teilweise  im  Widerspruche  zu  gewissen  Dichter- 
stellen. So  nimmt  z.  B.  Aristoteles  bezüglich  der  Nachtigall 
an,  dass  sie  einen  Winterschlaf  halte.  In  einem  Epigramme  des 
Philippus  Thess.  (Anth.  Pal.  IX  83)  dagegen  ist  ausdrück- 
lich gesagt,  dass  dieser  Vogel  über  das  Meer  nach  Norden  zieht. 

Aus  all  dem  ist  zu  ersehen,  diss  die  Alten  selbst  über 
die  ganze  Frage  nicht  einig  gewesen  sind.  Es  wäre  deshalb 
ein  aussichtsloses  Unternehmen,  wollte  unsere  Kritik  in  dieser 
Sache  festere  Gesichtspunkte  gewinnen,  als  die  zu  erklärenden 
Dichterworte  enthalten.  Es  genügt,  wenn  wir  diejenigen  Stellen 
hervorgehoben  haben,  an  denen  es  möglich  ist,  die  Spuren  der 
einen  oder  der  anderen  Auffassung  nachzuweisen.  Dabei  müssen 
wir  uns  aber  gegenwärtig  halten,  dass  die  Annahme  des  Zuges, 
als  die  der  Natur  entsprechende,  in  einsichtigen  Kreisen  jeden- 
falls von  Anfang  an  der  so  wenig  fest  begründeten  Vorstellung 
des  Winterschlafes  an  V^erbreitung  voraus  war  und  sich  mit 
dem  Fortschritte  der  Bildung  und  Naturerkenntnis  immer  weitere 
Bahn  brechen  musste.  Dies  ist  der  Grund,  weshalb  ich  alle 
diejenigen  Stellen,  die  eine  doppelte  Erklärung  zulassen,  auch 
weiterhin  auf  den  Zug  beziehe,  auf  den  Winterschlaf  dagegen  nur 
die  wenigen,  an  denen  der  Wortlaut  keine  andere  Deutung 
zulässt. 


V.  Kapitel. 

Verwandlung. 

Eine  Quelle  weiterer  Verwiriung  der  volkstümlichen  Be- 
griffe über  den  Vogelzug  war  schon  im  griechischen  Altertume 
der  Umstand,  dass  Herbst-  und  Frühjahrskleid  der  gleichen 
Vogelart  oft  merklich  voneinander  abweichen,  soM-ie  dass  nur 
der  männliche  Vogel,  und  auch  dieser  nur  zu  einer  bestimmten 
Zeit,  zum  Singen  befähigt  ist.  Bevor  diese  verwickelten  Ver- 
hältnisse durch  die  planmässige  Arbeit  der  Naturwissenschaft 
gesichtet  und  geklärt  waren,  musste  daraus  im  Volke  der  Glaube 
entstehen,  dass  hier  eine  förmliche  Verwandlung  stattfinde.'^"') 
Ähnliche  Verwechslungen  ergaben  sich  aus  der  Verschiedenheit 
der  Getiedeifärbung  nach  Geschlecht  und  Altersstufe.  ^9*^) 

Aber  noch  eine  andere  Beobachtung  war  hiebei  von  Einfluss. 
Man  bemerkte,  dass  im  Herbste  gewisse  Vogelarten  verschwunden 
waren  während  andere,  in  mancher  Beziehung  ähnliche,  an  ihre 
Stelle  traten.  Statt  nun,  dem  natürlichen  Laufe  der  Dingo  ent- 
sprechend, in  dem  einen  Falle  einen  Abzug  nach  dem  Süden, 
in  dem  anderen  einen  Zuzug  aus  dem  Norden  anzunehmen,  half 
man  sich  durch  die  widernatürliche  Fabel,  der  eine  Vogel  sei 
durch  Verwandlung  aus  dem  andern  entstanden.''-^"} 

Hie  volkstümlichste  unter  diesen  Verwandlungssagen  be- 
traf den  Kuckuck  und  den  Habicht,  oder  besser  gesagt 
den  Sperber.'^S)  Da  man  nämlich  im  Herbste  und  AVinter  keine 
Kuckucke,  wohl  aber  viele  Sperber  wahrnahm,  die  an  Grösse 
und  Färbung  in  beiden  Geschlechtern  dem  Kuckuck  ähnlich  sind, 
80  verbreitete  sich  der  Glaube,  der  Kuckuck  verwandle  sich 
gegen  Ende  des  Sommers  in  einen  Sperber  und  dieser  im  Früh- 
ling in  einen  Kuckuck.  Dass  jedoch,  vom  Gefieder  abgesehen, 
die  Körperbildung  beider  Vögel,  besonders  in  Hinsicht  auf  Füsse 
und  Schnabel,  weit  voneinander  abweiche,  übersah  man  mit 
derselben  OberHächlichkeit,  die  ein  Charakterzug  derartiger 
Volksurteile  zu  sein  pflegt.''«''')  Der  nicht  minder  grosse  Gegen- 
satz, in  dem  die  Lebensweise   beider  Vogelarten  steht,    wurde, 


—     53     — 

statt  naturkundliche  Bedenken  anzuregen,  geradezu  der  Anlass, 
dass  die  didaktische  Poesie  diesen  Stoff  für  ihre  Zwecke  geeignet 
fand.  War  doch  mit  Leichtigkeit  eine  Fabel  daraus  zu  kon- 
struieren, deren  Quintessenz  unserem  „Trau,  schau,  wem?"  aufs 
beste  entsprach.  Diese  Fabel  besitzen  wir  freilich  nicht  mehr 
in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt,  aber  wenigstens  in  einer  kurzen 
Skizze,  die  Plutarch  im  Leben  des  Arat,  cap.  XXX,  über- 
liefert. Hier  lesen  wir:  Aesop  erzählt,  dass  die  kleinen  Vöyel, 
als  der  Kuckuck  sie  fragte,  irarum  sie  vor  ihm  die  Flucht  er- 
griffen^ ihm  qeanticortet  hätten:  „Weil  du  einmal  ein  Sperber 
wirst."     (Fab.   198  ed.   Halm.) 

Von  einem  ähnlichen  regelmässigen  Wechsel  der  Gestalt 
berichtet  Aeschylus(frg.  297  nach  (Aristot.)  H.  A.  IX  49  B,  9 
bezüglich  des  Königs  Tereus,  dessen  Metamorphose  in  einen 
Wiedehopf  vorher  geschildert  wird :  Ist  der  Frühling  erschie- 
nen, so  schiringt  dieser  das  Gefieder  eines  hellgrauen  Falken. 
Denn,  obnohl  nur  einem  Mutterleihe  entsprossen,  ivird  er  zicei 
Gestalten,  einerseits  die  seities  Kindes,  anderseits  die  seiner  selbst 
aufumsen.  Zu  Beginn  des  Spätsommers  jedoch,  wenn  die  Ähren 
sich  bleichen^  wird  ihn  wieder  buntes  Gefieder  umkleiden.  Für  alle 
Zeil  aber  wird  er  aus  Hass  gegen  diese  (d.  h  seine  Verwandte!}) 
nach  einer  fremden  Orilichkeif,  nämlich  jiach  einsamen  Walcl- 
weiden  und  Berghängen,  übtrsiedeln.-'^'^}  Aus  den  komplizierten 
Worten  des  Dichters  geht  so  viel  mit  Sicherheit  hervor,  dass 
Tereus  nach  seiner  Verwandlung  in  einen  Vogel  zur  PJrinnerung 
an  die  Ermordung  seines  Kindes  abwechselnd  in  zwei  Gestalten 
auf  Erden  weilen  soll,  nämlich  in  der  Gestalt  eines  Wiedehopfs 
und  in  derjenigen  eines  Falken, '-O')  sowie  dass  er  aus  Hass  gegen 
seine  Angehörigen  bewohnte  Gegenden  meiden  und  sich  in  die 
Einsamkeit  des  Bergwaldes  zurückziehen  wird.  Die  Verwand- 
lung geschieht  zu  einer  Zeit,  in  der  sonst  der  Zug  stattfinden 
müsste,  nämlich  im  Frühling  bezw.  im  Spätsommer.  Das  Auf- 
fallende an  der  Sache  ist  hier  nur,  dass  beide  Vögel  nicht  bloss 
im  Körperbau  und  in  der  Ernährungsweise  differieren,  sondern 
auch  im  Gefieder  grosse  Verschiedenheit  aufweisen.  Dadurch 
unterscheidet  sich  diese  poetische  Verwandlungsgeschichte  von 
allen  andern,  die  sonst  zu  unserer  Kenntnis  gelangt  sind.  Nur 
ein  Band  ist  es,  das  die  beiden  so  unähnlichen  Gestalten  ver- 
bindet: Das  Leben  in  menschenferner  Einsamkeit; 
und  dies  scheint  auch  der  Kern  des  Vergleiches  zu  sein,  um 
dessentwillen  Aeschylus  beide  Vögel  hier  zusammengestellt  hat. 
Denn  dass  diese  Verwandlungsgeschichte  nicht  im  Volke  ent- 
standen ist,  zeigt  ausser  dem  Mangel  jeder  äusseren  Wahrschein- 
lichkeit infolge  der  gegenseitigen  Unähnlichkeit  der  genannten 
Vögel  auch  der  Umstand,    dass  sonst  keiner  der  alten  Autoren 


—     54     — 

etwas  über  die  Sache  beizubringen  weiss. -^  '2)  Ohne  Zweifel  hat 
Aeschylus  selbst  diese  Variation  des  Tereus-Mythus  erfunden.  Doch 
liess  er  dabei  seiner  Phantasie  keineswegs  freien  Spielraum,  son- 
dern hielt  sich  an  ein  älteres  Vorbild,  das  wir  in  dem  erwähn- 
ten Volksglauben  über  Kuckuck  und  Sperber  zu  suchen  haben. 
Dem  Kuckuck  entspricht  bei  Aeschylus  der  Wiedehopf,  der  ihm 
in  mancher  Hinsicht  nahe  steht,^  '^)  dem  Sperber  ein  anderer, 
im  Gefieder  abweichender,  aber  doch  verwandter  Raubvogel, 
den  der  Dichter  als  besonderen  Freund  der  Einsamkeit  zu  kennen 
scheint.  Der  ganze  Sachverhalt  aber  entspricht  vortrefflich  dem 
auch  sonst  etwas  gewaltsamen  Charakter  der  grossartigen  Muse 
des  Aeschylus. 

Abgesehen  von  diesen  beiden  Stellen  zeigt  sich  nirgends 
in  der  griechischen  Poesie  der  Einfluss  der  erwähnten  Volks- 
meinung, die  statt  des  Zuges  der  Vögel  eine  Verwandlung  der 
einen  Art  in  die  andere  annehmen  zu  dürfen  glaubte.  Es  war 
eben  selbst  bei  den  Dichtern  trotz  aller  Ungebundenheit  der 
schaffenden  Phantasie  der  Sinn  für  den  natürlichen  Zusammen- 
hang der  Dinge  zu  stark  entwickelt,  als  da?s  solche  Fabeln  als 
reine  Quelle  der  Dichtkunst  hätten  gelten  können.-'^) 


Anmerkungen. 


1)  V.  709  TiptöTa  jiev  wpa;  zoi.i'/o\itw  ^([^21;  "^p^??  X^'.jiwvo;.  oTitöpag'  Das 
Weitere  vg^l.  bei  A.  60,  42  und  17. 

2)  Über  den  Frühjahrszno-  im  allg-emeinen  sag-t  Aristot.  H.  A.  VIII 
12,  3  mir  so  viel,  dass  ilm  die  Vög-el  aus  Furcht  vor  der  Glatliitze  (des 
Südens)  nach  der  Frülijalirs-Taa,'-  und  Nachtgleiche  unternehineu  —  eine 
recht  wenig  tiefgehende  Bemerkung ! 

3)  Stesich/frg.  36;  Aristoph/ Pac.  800  f.;  Anth.  Pal.  IX  363  (Me- 
•leager),  X  4  (Marcus  Arg.),  6  (Satvrus),  14  fAgathias). 

*)  Anth.  Pal.  X  2  (Autipater  Sid.),  4,  5  (Thyillus),  14,  16  (Theae- 
tetus);  Bahr.  118  v.  2. 

5)  Über  den  SchwalbenzAig  vgl.  Aristot.  H.  A.  VITI  16,  1.  Er  nimmt 
teils  Wanderung  nach  dem  Süden  teils  —  bei  weiterer  Entfernung  des  Brut- 
ortes —  Überwinterung  in  Höhlen  an.     Ausserdem  Plin.  H.  N.  X  24  (34). 

'')  V.  11  f.  vsOiiai  TOI,  Vi'JiJLa'.  iv'.a'JT.og,  waxs /i/.'.dcbv /äaxyjx'  £v  ;ipo9-Jpo'.; 
'.^'.ÄY)  -d5as-  x-Ä.  Vgl.  Thompson,  Greek  Birds,' Oxford  1895,  S.  189.  Der 
Vorraum,  in  dem  die  Kinder  erscheinen,  ist  zugleich  der  Nistplatz  der 
Hausschwalbe  (Hir.  rustica),  während  ihre  nächste  Verwandte,  die  Mauer- 
schwalbe (Hir.  urbica),  an  der  Aussenseite  der  Häuser  nistet.  Die  erstere 
ist  also  hier  gemeint.  Die  Barfüssigkeit  ist  eiu  weiterer  Zug,  den  die 
Kinder  mit  der  Schwalbegemein  haben.  Grammatikalisch  ist  sie  in  unserem 
Texte  freilich  nur  zur  Schwalbe  zu  konstruieren;  dem  Sinne  nach  muss  sie 
jedoch  ebenso  auf  die  Kinder  bezogen  werden,  deren  Armut  sie  andeuten  soll. 

')  Daher  der  Name  des  Gedichtes! 

8)  V.  1  ff.  r,X9-',  Y(X9-£  x£Xi5ojv,  /  xaXä;  copajaYO'J^oc,  /  xaÄo-JSSv.a'j-oüc;,  / 
£7:1  yasTspa  Xs-jxdc,  /  iui  vw-ra  |i£Äa'.va.  V.  19  f.  ävoiy',  ävo'.y£  xäv  -O-üpav 
X£Äi3övt,-  /  oü  yxp  ylpovisg  ioiiEv,  äXXä  Tüaidia.  Aus  der  Beschreibung  geht 
hervor,  dass  Hir.  urbica  gemeint  ist,  während  Hir.  rustica  als  die  volks- 
tümlichere von  beiden  gelten  kann.  Ausser  der  Eiresione  vgl.  Simonides 
frg.  74  (A.  13)  und  das  S.  6  genannte  Vasenbild. 

9)  Nur  so  erklären  sich  v.  10  ff. :  „Auch  Weizetihrot  .  .  .  weist  die 
Schiralhe  nicht  zni-ück."  —  Nach  Christ,  Gesch.  d.  gr.  Litt.  ^  S.  154 
A.  5,  trugen  die  Knaben  eine  Schwalbe  in  der  Hand.  Biese,  EntAvick- 
lung  d.  Naturgefühls  I  S.  90,  spricht  von  einer  „nachgebildeten  Schwalbe" 
und  von  „Vermummung"  der  Kinder.  —  Aus  Athenaeus  1.  c.  ist  für  unsere 
Frage  nichts  zu  ersehen.  Er  gibt  nur  an,  dass  man  diese  Art  der  Gaben- 
sammlung (äyEpijiöe)  in  Rhodus  .,schwälbeln''  (xsÄ'.oovi^siv i  nannte  und  dass 
sie  alljährlich  im  Monat  Boedromion  wiederholt  wurde.  Er  führt  diesen 
Gebrauch  auf  Kleobulos  von  Lindos  zurück,  der  aus  Anlass  einer  Teue- 
rung auf  diese  Weise  Ausgleich  und  Abhilfe  schaffte.  —  Nach  Beut, 
Cyclades,   London   1885  p.  434,    werden  Schwalbenlieder   noch  jetzt  in 


—     56     — 

Kytbuos  (Therniia)  uutl  in  Maceiluiiieii  (am  1.  Mcärz)  vuri^etrageu.  Ein 
modernes  g-riechisclies  Schwalbenlied  zitiert  Tliompsoi!  S.  189  nach  Fau- 
riel,  Chants  de  la  Grece  mod.  I.  p.  XXVIII.  C  hrist  a.  a.  0.  verweist 
auf  Passow,  Neuijriechisclie  Volkslieder  Nro.  305—8.  Das  in  „Des 
Knaben  Wunderlioru"  anfg-enommene  Lied  v.  Praetorius:  „Es  ist  kommen, 
es  ist  kommen  der  ijfewüuscbte  Frübliiio-sboth"  ist  nach  P)iese  ,  Zeitschr.  f. 
vergl.  Litteraturg-esch.  N.  F.  I  S.  412,  lediglich  eine  tJbersetzung  des 
rhod.  Bettelliedes.  —  Damit  verwandt  ist  das  Bettellied  der  sogen. 
■/. opo)  v. aiai,  das  von  Athen.  VIII  p.  859 e  dem  Ph  oeni  x  aus  Kolophon 
zugeschrieben  wird.  Aus  dem  "Wortlaute  dieses  Gedichtes  muss  man  wohl 
folgern,  dass  diese  Bettler,  die  „für  eine  Krähe''  Gaben  sammelten,  wirk- 
lich einen  lebenden  Vogel  bei  sich  hatten.  Da  aber  die  Krähe  leicht 
zu  zähmen  und  zu  erhalten  ist,  so  ergibt  sich  aus  dieser  Annahme  gar 
keine  Schwierigkeit.  Zweifellos  hat  Aristophanes  den  Eingang  seiner 
„Vögel'',  wo  die  beiden  Atliener  mit  solchen  Vögeln  auftreten,  derartigen 
volkstiinilicheu  Gebräuchen  nachgebildet.  Vgl.  11  ge  n,  Poes.  Mendicorum 
Graec.  Spec.  in  Opusc.  Var.  Philol.  I  p.  129  ff.,  Fauriel  a.  a.  0.  p.  OIX. 

if»)  Unrichtig  übersetzt  Biese,  Naturgefülil  I  S.  96:  Die  Schwalbe 
hat  sich  aufgemacht. 

11)  ax£'|aa9-ö,  TLalSsg'   oü/  6pä9-' ;   wpa  vsa,  xsXiScöv. 

'2)  Darauf  ruft  der  Chor  (v.  -121  f.):  „Ein  kosüicher  Streich!  Das 
hast  da  pjiß'iij  aiisf/cdacJif.  Wie  nenn  du  Xcssehi  vor  der  An  knuff 
d  er  Schwalben  (/eijesscn  hättest,  Jiast  du  den  Diebstahl  aus(jefiiJirf." 
Die  Nessel  (ä-/.a?.y,:fYi)  wi;rde  nach  den  Scholien  in  besondere  Beziehung 
zur  Schlauheit  gesetzt  und  im  Vorfrühling  (Tipö xsXiSövojv)  gegessen.  Später 
im  Jahre  galt  sie  als  ungeniessbar.     ^'gl.  Blaydes  z.  d.  St. 

13)  "AyYiÄs  y.l'izcc  lot-po^   ä5'jG5[j.oy,  v.'j'x^io!.  -/bX'.ZoZ.     Vgl.  A.  8. 

1*)  Hai  X'.fupri  jispÖTisaai  auvdaxioc;  s'iapi  X'^p'jg  /  opd-p'-ov  {iuvov  ä|i£po£ 
XäXosxp-'j^lo'jaa  y.£?-'.5(bv  /  äpT'.q;avTjg,  xtX.  Der  Dativ  siapi  statt  des  Genetivs 
ist  jedenfalls  durch   die  Rücksichtnahme  auf  die  Quantität  zu  erklären. 

15)  xal  pioo'/  äYysXÄO'jaa  -/.al  ävSVsixösaaav  äspar^v  /  £aao|ia'.  £lap'.vo'.o 
q;i?wr/   Z£'.p''jpo'.o  ^sÄiScöv,  y.xX. 

16)  Hierher  gehört  vielleicht  Sapphos  88.  (52.)  Erg.:  Ti  ii£  llav- 
Siov'.g  ü)  (llpavva  ysitdcov,  in  dem  Thompson  S.  189  die  Spur  des  volks- 
tümlichen öjpa  via,  x£X'.5wv  /Aristoph.  Equ.  419)  zu  entdecken  glaubt. 
Doch  ist  dieser  Einfall  kaum  canz  ernst  zu  nehmen.  Denn  auch  Tli. 
selbst  hat  keinen  Versuch  gemacht,  seiner  Konjektur  durch  Herstellung 
einer  verständlichen  Lesart  greifbare  Gestalt  zu  geben.  Vielleicht  fuhr 
die  Dichterin  fort:  „Was  erinnerst  du  mich  an  den  Frühling?"  und 
brachte  dann  ihre  eigene  Stimmung  zu  dieser  Botschaft  in  Gegensatz. 
Auch  Anacreons  freundliche  Anrede  (frg.  67):  Aiujenehm  sinkende,  lieb- 
liche Schwalbe  (ä5'j|i£Xi;,  ■/api£aaa  x^^'-5oi)  stammt  wahrscheinlich  aus  einem 
Frülilingsgedichte.  Diese  beiden  kleinen,  aber  doch  so  anregenden  Bruch- 
stücke liefern  wi{Mlerum  einen  Beleg,  wie  gross  der  Verlust  ist,  den  wir 
durch  die  Vernichtung  eines  grossen  Teils  der  altgriechischen  Lyriker 
erlitten  haben.  Denn  dass  die  Scliwall)c  unter  allen  Vögeln  am  liäutig- 
sten  gerade  in  der  Lyrik,  und  zwar  in  Frülilingsliedern,  genannt  war, 
beweist  auch  eine  scherzhafte  Stelle  des  Aristophanes  (Av.  1300  f.). 
Als  Beleg  dafür,  wie  die  Menschen  für  die  Vögel  schwärmten,  wird  hier 
angeführt,  das.«  alle  Leute  am  liebsten  solche  Lieder  sangen,  in  denen 
iri/end  etiras  von  einer  Schwalbe  rorhuitn.  Das  ist  offenbar  eine  Anspielung 
auf  verschiedene  alte  Frülilingslieder,  die  damals  noch  bekannt  waren. 
Wenn  die  Scholien  z.  d.  St.  auch  nur  mehr  ein  einziges  Lied  des  Simoni- 
des 'frg.  74)  zu  nennen  wissen,  so  braucht  uns  dies  nicht  in  unserer 
(,'berzeugnng  irre  zu  maciien,  dass  viele,  oder  wenigstens  manche  Lied(>r 
aus    der    besten   Zeit,   die    hier   einzureihen   wären,    verloren   gegangen 


—     57     — 

sind.  —  Beispiele  aus  der  lateinischen  Puesie  für  die  Bedeutun«-  der 
Schwalbe  als  Frühlingsbotin:  Ovid.  Fastill  853  und  Hör.  Epist.  I  7,  13. 
Vgl.  auch  Cornif.  rhet.  IV  61 ;  Col.  XI,  2,  21  f.  —  Gleicher  Popularität 
erfreute  sich  die  Schwalbe  in  der  dekorativen  Malerei  der  Alten,  vyofür, 
abgesehen  von  den  erhaltenen  Resten  dieser  Kunst,  das  41.  Frg.  des  Komö- 
diendichters  Eubulus   (bei  Athen.  XIII  562  c)  Zeugnis  ablegt. 

18)  Vgl.  Parrot,  Materialien  zur  bayer.  Ornithologie  II  S.  IS. 

19)  Mca  xeXioöiv  eap  oü  TiotsT.     Vgl.  auch  Aristot.  Eth.  Nie.  I  6  (7)  16. 
2^')  SsIoi^aL  5'  loixev  oüy.  öXlycov  xeX'.^ö'joiv. 

ai)  'Q  ZsO,  yeX'.odi^  apä  iroxs  cpav/josiai; 

2-')  Diese  Stelle  wird  von  Thompson  S.  188  unrichtig  erklärt. 
Er  meint,  die  Schwalbe  sei  hier  angerufen  wegen  der  Eigenschaft  der 
Thesmophorien  als  Frühlingsfest,  was  dem  Sinne  des  Verses  widerspricht. 

23)  n'j9-o0  yzXirMv  TivjVLx'  äxxa  cfatvsxat..  Dieser  Vers  wird  auch  dem 
Aristoi)h.  zugeschrieben  (frg.  601).  Vgl.  Meineke  und  Kock  z.  d.  St. 
Eine  andere  Erklärung  gibt  nach  letzterem  M.  Haupt  (Herrn.  V  190). 
Er  zieht  die  bei  Hesych.'  nnd  Phot.  überlieferte  sprichwörtliche  Redens- 
art toO-o'j  -j^zXilivoc,  heran  nnd  möchte  die  Stelle  so  umschreiben:  „Wann 
wird  man  ti'jö-o'j  yzXi.böwc,  sagen  können?"  (was  nur  zur  guten  Jahreszeit 
möglich  ist);  d.  h.  „Wann  Avird  es  endlich  Frühling  werden?"  Dieser 
Erklärung  scheint  indes  die  grammatische  Konstruktion  zu  widersprechen. 
Bezüglich  des  Ausdruckes  u.  x-  finden  wir  bei  Schneidewin  -  Leutsch, 
Paroem.  Graec.  II  p.  631  die  trotz  falscher  Begründung  doch  richtige 
Erklärung:  lyxacpüjg  tioisi  xä  aauxo'j  d.  h.  Was  du  tust,  das  tue  zur  rechten 
Zeit!  n.  x-  würde  also  besagen:  Erkundige  dich  nach  der  Schwalbe ! 
s.  V.  a  :  Sieh  zu,  ob  die  Schwalben  schon  da  sind,  bezw.  ob  es  wirklich 
Frühling  geworden  ist!  Vom  Frühling  wurde  diese  Redensart  dann  über- 
tragen auf  jede  andere  zum  Handeln  geeignete  Zeit. 

21)  Es  wird  genannt  bei  Aristoph.  frg.  569  v.  4;  Theoer.  XIII  41 ; 
Parthen.  frg.  30;  Nicander,  Ther.  857;  Anth.  Pal.  XI  130  (Pollianus); 
endlich  von  Pankrates  bei  Athen.  XV  677  f. 

25)  V.  32  f.  .  .  .  yO.'.loy'.o:Q:  5s  xsXXst  /  ävO-sa'.v  laoopoiisOaa,  y^K^jizi^. 
Das  Komma  fügt  Wilamowitz  -  MöUendorff  hinzu. 

2G)  Plin.  H.  N.  II  47,  122;  Theophr.  H.  PI.  VII  15,  1. 

2"',  Dagegen  haben  die  Sch/ralbeiifeü/en  (x^X'.bo'nv.i  lay^ozc,),  die  im 
1.  Frg.  des  Kom.  Epigenes  (Athen.  III  75c),  in  einem  anonymen  Ko- 
mikerfragment (Com.  frg.  adesp.  111)  und  in  einer  Hetärenerzählung 
des  alex.  Dichters  Ma'chon  (bei  Athen.  XIII  582  f.,  v.  26;  erwähnt 
werden,  nach  Athen.  XIV  652  f.  ihren  Namen  von  ihrer  schwarzroten 
Farbe,  die,  wie  es  scheint,  mit  der  Färbung  der  Dorfschwalbe  verglichen 
wurde.  Vgl.  Poll.  6,  81,  Plin.  N.  H.  XV  18,  71  sowie  ein  unsicheres 
Komikerfragm.  bei  Kock  III  S.  634  Nr.  1342.  In  ähnlicher  Weise  nannte 
man  eine  Hasen-Varietät  Schicalhenluisen  {yzX'.oövz'.oc,  oao'JTio-Js)  nach^  der 
oben  schwärzlichen,  unten  weisslichen  Färbung  dieser  Tiere.  D  i  p  h  i  l  u  s 
gebrauchte  dieses  Wort  in  seiner  Komödie  "Ayvoia  (frg.  1,  bei  Athen. 
IX  401  a).  —  Beide  Bezeichnungen  gehören  eigentlich  nicht  zu  unserem 
Gegenstande;  aber  wegen  ihrer  scheinbaren  Verwandtschaft  mit  den  im 
Texte  angeführten  glaubte  ich,  sie  nicht  übergehen  zu  sollen. 

28)  Nach  Aristot.  H.  A.  V  9,  3  und  IX  49  B  3  (vgl.  Plin.  X  29 
(43)  85)  hält  die  Nachtigall  einen  Winterschlaf,  während  sie  VIII  16 
nicht  im  Verzeichnis  der  Winterschläfer  aufgeführt  ist.  Aber  die  Be- 
zeichnung ayysXog  ist  wohl  nicht  anders  zu  deuten  als  durch  die  Annahme, 
dass  der  „Bote"  von  auswärts  eintrifft,  um  seinen  Auftrag,  die  frohe 
Botschaft    vom  Nahen    des    Frühlings,    auszurichten.      Diese    Erklärung 


—     58     — 

scbeint  dem  i^'eiiaueu  Wortsinne  am  besten  zu  eiits])recheii.  Dass  auch 
die  Stelleu,  au  denen  vom  Frühlino-sgesano-e  der  N.  die  Rede  ist,  von 
dieser  Anschauuno;  ausgehen,  ist  nicht  zu  beweisen.  Doch  zeigt  Antb. 
Pal.  IX  88,  dass  die  Annahme  des  Winterschlafes  in  Bezug-  auf  die  N. 
nicht  allgemein  verbreitet  Avar. 

29rVgl.  Vogelgesang  S.  73,  80. 

30)  Aristot.  H.  A.  VI  7,  1  spricht  nur  vom  ^Erscheinen"  und  „Ver- 
schwinden'" des  Kuckucks,  nicht  aber  ausdrücklich  von  seinem  Zuge 
(iihnlicb  IX  -49  B  7);  er  nennt  ihn  aber  auch  nicht  unter  den  AVinter- 
schläfern.  Demnach  scheint  er  ihn  doch  für  einen  Zugvogel  zu  halten. 
Nach  Ael.  N.  A.  III  30  Avird  der  K.  gesellen  vom  Beginne  des  Früh- 
lings bis  zum  Aufgange  des  Sirius.     Vgl.  Plin.  H.  N.  XVIII  26  (GG  ,  2i\}. 

3ij  y,|iog  xdxxu;  xoxx'j^s'.  Spuög  sv  TzzxiXo'.o:  j  xoTtpöjxov,  TspTrst,  xs  ßpoxo'j; 
iu'  äTTctpova  yoi.Xoi.v  xxX. 

3-)  Vgl.  Vogelgesang  S.  21  ff. 

33)  j(^(?)Trö9'  ö  xöxx'JS  sTtioi  xöxx'j,  xox'  av  oi  ^oiv.xcs  äcTcavxsg  /  xo'jg 
Tfc'jpo'jg  av  xal  xäg  xpiO-ig  iv  xolc,  TisStoig  dS-spi^ov. 

8^)  Ttp6a9-s  ßofjc;  xöxxyyo;  iapxspo'j. 

^^j  Für  die  genauere  Bestimmung  dieses  Raubvogels  bieten  die 
Angaben  bei  Aristot.  De  part.  an.  III  7,  13;  H.  A.  VI  G,  3  sowie  VIII  3, 
1  und  17  wenig  sichere  Anhaltspunkte.  Deshalb  geht  Hammerschm  i  d  t 
(Die  Ornithologie  des  Aristot.  Progr.  Speier  1897,  S.  .55)  von  einer  Notiz 
Erhards  (Fauna  der  Cykladen  I  44)  aus,  dass  auf  den  Oykladen  noch 
heute  der  schwarze  Milan  (Milv.  aterl  den  gleichen  Namen  trägt.  Avas 
freilich  bezüglich  Attikas  nicht  zutrifft  (Vgl.  Heldreicli,  La  Faune 
de  Grece).  Nach  freundlicher  3Iitteilung  des  Herrn  Dr.  Othmar  Reiser, 
Kustos  am  Landesmuseum  in  Sarajevo,  dessen  Werk  über  die  Vögel 
Griechenlands  demnächst  erscheinen  Avird,  kommt  daneben  auch  der  rote 
j\Iil  a  n  (Milv.  regalis)  in  Betracht.  Von  beiden  Arten  erscheint  die  Haupt - 
menge  im  Frühjahr,  Avährend  einzelne  Individuen  freilich  auch  im 
Winter  vorkommen.  Die  Angaben  bei  Kr  ü  per-Hartl  aub,  (iriecli. 
Jahreszeiten,  III  S.  169,  die  den  roten  3Iilau  auszuschliessen  sclieiiien, 
sind  gerade  in  dieser  Frage  nicht  ausreichend.  —  Herodot.  II  22  be- 
zeichnet den  ixxtvog  für  Oberägypten  als  Standvogel. 

3C)  Von  der  Sitte  bezAv.  Unsitte  der  alten  Athener,  Scheidemünzen 
im  Munde  zu  tragen,  ist  in  den  Stücken  des  Aristoph.  öfters  die  Rede. 
Vgl.  Kock  z.  d.  St. 

37)  V.  .")00  . .  .  IIEI.  xal  xaxe^sigev  y'  ojxog  (sc.  Ixxtvog)  Ttpwxog  ßacji- 
Xs'Jwv  /  Tipox'jX'.vScta&'ai  xoi;  Ixxivoij.  EVE.  vyj  xov  Aiövuaov,  syä)  yo'Jv  / 
sx'jX'.vdo'jjir//  IxxTvov  i5cöv  xxX. 

38)  D.  i.  dieselbe  Volksklasse,  die  auch  bei  der  Ankunft  der  Sclnvalbe 
in  erster  Linie  interessiert  Avar. 

3")  Die  Gleichsetzung  des  Comp.  xpoxoXLVosIad-ai  mit  dem  Simplex 
unterstützt  den  Scherz.  Denn  jenes  bedeutet,  Avie  lat.  provolvi,  ein  unter- 
Avürügcs  Sichniederwerfen  (vgl.  Demostli.  XIX  338);  dieses  dagegen  bc- 
zeiclinet  einfach  die  Gebärde  des  Sich-Wälzens,  die  als  Ausdruck  der 
höchsten  (iemütsbcAvegung,  soAvohl  der  Freude,  wie  liier,  als  auch  der 
Trauer,  z.  B.  Hom.  II.  XXII  414,  gelten  kann.  Vergl.  auch  Kock 
z.  d.  Sf.,  der  bezüglich  einer  ents])rcchenden  Sitte  beim  Anblicke  des 
ersten  Storches  auf  Pliilostr.  Epist.  44  verAveist.  Derselbe  zitiert 
Jlannliardt  in  Haupts  Ztschr.  XU  S.  400,  um  auf  eine  ähnliciie  Be- 
grüssung  des  Kuckucks  diircli  deutsche  Bauern  aufmerksam  zu  niaclicii. 
nSich  wälzen"  sich  unbändig  freuen  ist  aucli  bei  uns  ein  niclit  uiilic- 
kanuter  Ausdruck.  Die  betr.  (iebärde  hat  ausserdem  im  Tierreiche 
(Hund,  Schwein  u.  a.)  die  treffendsten  Analogien.  —  Die  Ausg.  v.  Blaydes 
bleibt  bei  diT  wr.rtliclien  i'bersctzung  (adorare)  stehen. 


—     59     — 

■"^)  Aristopli-  Av.  713  f.  setzt  seine  Ankunft  vur  die  der  Schwalbe. 
Nach  Geminus,  Isagog.  in  Arat.  Pliaen.  wurde  seine  Ankunft  in  den 
verschiedeneu  Kalendern  meist  einige  bezw.  mehrere  Ti^ge  vor  der 
Frühlings-Tag-  und  Nachtgleiche  angesetzt.  (Vgl.  Ausg.  v.  Manitius, 
S.  228,  1,  6  und  11.) 

^1)  Es  ist  hier  daran  zu  erinnern,  dass  Homer  für  die  Kleinvogel - 
Welt  noch  wenig  Sinn  verrät,  wie  er  z.  B.  Od.  V  65  ff.  die  idyllische 
Insel  der  Kalypso  mit  Eulen,  Habichten  und  Meerkrähen  bevölkert. 
Das  Interesse  für  solche  Vögel  nahm  mit  dem  Fortschreiten  der  Kultur 
und  Sentimentalität  immer  mehr  ab,  während  das  Gefühl  für  das  Sinnige, 
Feine  und  Liebliche  wie  überall  (vgl.  Biese,  Xaturgefühl  I  S.  6-t  ff.) 
so  auch  hier  sich  steigerte.     Vgl.  auch  d.  Anhang  v.  Ameis  Hentze  z.  d.  St. 

42)  Ixxtvog  §'  au  [iSTa  xaSxa  ^avsig  STSpav  (opav  'i.ri.ozT.i^n;,  /  r^Y.y.% 
Tisy-Tsiv  öjpa  T^poßdcTtov  tloxov  rjp'.vöv'  xtX. 

43)  15;  T-ö-  vf,aaa  •/.oÄ'jjji.ia*  /  I5s  Tiwg  '{ipa^og  ö5£'J£'..  Der  Kranich 
gilt  Sonst  als  Herbstvogel.  Unter  der  „Ente"  ist  jedenfalls  eine  Wild- 
ente, die  sich  auf  dem  Frühjahrsdurchzuge  befindet,  zu  verstehen.  Als 
Frühl  ingsvogel  ist  diese  ebensowenig  charakteristisch  wie  der  Kranich; 
denn  die  griechischen  Gewässer  bilden  gerade  im  Winter  das  Massen- 
quartier verschiedener  nordischen  Entenarten,  die  zu  Beginn  des  Früh- 
lings wieder  nach  ihren  Brutplätzen  abziehen.  Die  einzige  Wildente, 
die  wenigstens  vereinzelt  in  Griechenland  brütet,  ist  nach  Krüper-H. 
S.  291  die  Stockente  (Anas  boschas).  Doch  vermag  diese  nicht  zu  tau- 
chen, sondern  nur  zu  gründein  d.  h.  den  Oberkörper  ins  Wasser  zu 
senken.  Das  erstere  tun  nur  die  sog.  Tauchenten.  An  eine  solche 
müssen  wir  also  hier  denken,  ohne  die  Art  näher  bestimmen  zu  können. 

**)  Später  galt  er  als  Männchen  des  Eisvogels.  Vgl.  Antigon.  Hist. 
Mir.  23  f.  (27  f.)  u.  a. 

45)  Wie  diese  Angabe  mit  der  Sage  von  den  halkyonischen  Tagen 
(zur  Zeit  der  Wintersonnenwende)  in  Übereinstimmung  gebracht  werden 
kann,  ist  mir  unerfindlich.  Vgl.  Aristot.  H.  A.  V  8,  8  ff.  und  das  da- 
selbst zitierte  12.  (18.)  Frg.  des  Simonides.  Der  erstere  erklärt  V  9,  2 
den  Eisvogel  geradezu  für  einen  ausschliesslichen  Herbst-  und  Wintervogel. 

46)  !Nach  Krüper-H.  S.  215  überwintert  die  Dohle  in  Griechenland 
und  Kleinasien  in  gro.sseu  Scharen.  Nach  Abzug  der  nordischen  Gäste 
im  Februar  und  März  begeben  sich  die  einheimischen  Dohlen  an  ihre 
Brutplätze. 

47)  V^ielleicht  wäre  noch  eine  Stelle  des  Arat  (v.  1094  ff.)  beim 
Früh  Jahrszuge  einzureihen;  doch  ist  der  Ausdruck  dieser  Verse  zu  unbe- 
stimmt gehalten,  als  dass  wir  sie  für  unsere  Zwecke  ohne  weitläufige 
Erörterungen  verwerten  könnten. 

^8)  A.  a.  0.  lesen  wir,  dass  die  in  Vögel  verwandelten  Gefährten 
Meninons  alljährlich  am  '»rabe  ihres  Königs  in  der  kleinasiatischen  Land- 
schaft Troas  erscheinen,  ihn  beklagen  und  Staub  auf  das  Grab  werfen. 
Dann  beginnen  sie  ihm  zu  Ehren  Kämpfe,  nach  Art  der  Leichenspiele, 
um  dem  Toten  im  Hades  eine  Freude  zu  bereiten.  Dabei  ruhen  sie  nicht 
eher,  als  bis  es  Verwundete  und  Tote  gibt.  Dies  alles  tun  sie  auf  die 
Weisung  von  Memnons  Mutter  Eos,  die  auch  ihre  Verwandlung  verur^ 
sachte.  Xach  Plin.  X.  H.  X  26  (37)  und  anderen  davon  abgeleiteten 
Stellen  kamen  diese  Vögel  aus  Äthiopien,  woher  ja  auch  Memnon  stammte. 
^'gl.  Paus.  X  31,  6,  Dionys.  De  Avibus  I  8,  sowie  Aelian  X.  A.  V  1. 
Diese  und  andere  einschlägige  Stellen,  bes.  Ovid,  Met.  XIII  576—622, 
werden  von  Holland  in  seinem  lehrreichen  Programme  „Heroenvögel 
in  der  griech.  Mythologie",  Leipzig,  Thomasgymn.  1895  eingehend  ge- 
sichtet und  besprochen.  Wenn  aber  der  Verfasser  S.  17  darauf  verzich- 
tet,  diese  Vögel   naturhistorisch   zu   klassifizieren,    so    müssen   wir  diese 


—     60     — 

Lücke  in  seineu  Austuliruniien  auszufüllen  trachten.  Es  lianilelt  sich 
bei  Hollands  Untersuchuno-en  nicht  um  die  Memnonsvüg-el  allein,  sondern 
auch  nni  die  Achilles-,  Pioniedes-  und  Melea^-er-Vög-el,  die  ebenfalls  mit 
dem  Kultus  der  Gräber  oder  Heiligtümer  ihrer  Heroen  betraut  erscheinen. 
Nur  besteht  zwischen  den  einzelnen  Sag-en  der  bedeutsame  Unterschied, 
dass  die  letztgenannten  drei  Vogelarten  an  den  betr.  ()rtlichkeiten  auch 
nisteten,  während  die  Memnonsvögel  nur  periodisch  am  Grabe 
ihres  Heroen  erschienen.  Sie  allein  kommen  daher  für  unser  Thema 
in  Betracht.  Holland  selbst  gibt  S.  17  mit  Welcker  (Ep.  Cykl.  IP  207) 
zu,  dass  die  Heroenvögelsagen  von  den  Gräbern  der  betr.  Helden  aus- 
g-ingcu  und  dass  die  dichtende  und  verknüpfende  Phantasie  angeregt  und 
bestärkt  wurde  durch  wirkliche  Vog-elscharen,  die  sich  dort  ständig  oder 
l)eriüdisch  zeigten.  Halten  wir  uns  au  die  natürlichen  Ausgangspunkte 
der  Sage,  so  können  die  ritterlichen  Vogelkämpfer  an  Memnons  Grabe 
uur  Kampfläufer  (Machetes  pugnax)  g'ewesen  sein  (vgl.  Thompson 
S.  116\  Diese  verweilten  auf  ihrem  Zuge  (vgl.  Krüper-H.  S.  275),  und 
zwar  im  Frühjahre  auf  der  Reise  von  Afrika  nach  dem  Norden,  etwas 
länger  au  den  ihnen  zusagenden  Plätzen  der  troischen  Landschaft  und 
traben  dabei  ihre  allgemein  bekannten,  auffallenden  Kämpfe  zum  besten, 
bei  denen  es  freilich  nicht  so  blutig  zugeht,  wie  es  Quint.  Sniyrn.  schil- 
dert. Doch  das  tut  nichts  zur  Sache.  Es  fragt  sich  nur,  ob  eine  andere 
Ableitung  der  Sage  denkbar  ist,  und  ich  glaube,  es  wird  nicht  so  leicht 
möglich  sein,  eine  bejahende  Antwort  auf  diese  Frage  zu  geben  bezw. 
zu  begründen.  Wenn  aber  Holland  S-  18  darauf  Gewicht  legt,  dass 
Aelian  1.  c.  diese  Vögel  mit  schwarzen  Habichten  vergleicht,  und  dar- 
aus weitere  Schlussfolgerangen  «ableitet,  so  glaube  ich,  dass  wir  Aelians 
Angabe  hier  ohne  weiteres  auf  sich  beruhen  lassen  können,  da  sie  nichts 
anderes  ist  als  eine  phantastische  Ausbildung  der  Sage  nach  der  nij'tholo- 
gischen  Richtung,  die  jeden  Zusammenhang  mit  ihrem  natürlichen  Ausgangs- 
]>unkte  verloren  hat.  Und  dieser  liegt  ohne  Zweifel  im  Frühjahrszuge 
des  Kampfläufers,  für  dessen  Einsetzung  in  seine  Rechte  schon  Cuvier 
eingetreten  ist. 

^3)  Darüber  bandeln  viele  Stellen  der  alten  Komödie  und  der  An- 
thologie, bes.  des  G.  Buches.  Doch  konnte  ich  diese  nur  insoweit  hier 
berücksichtigen,  als  die  Beziehung  auf  den  Zug  darin  irgendwie  zu 
Tage  tritt.     Wenn  nicht,  so  gehören  sie  in  das  Kapitel  des  Vogelfanges. 

5")  Als  Grund  des  Vogelzuges  nach  der  herbstlichen  Tag-  und 
Nachtgleiche  bezeichnet  Aristot.  H.  A.  VIII  12,  3  die  Flucht  vor  dem 
herannahenden  Winter.  Vgl  Hom.  II.  III  4.  Derselbe  Ausdruck  bei 
Herodot    II  22  (über  den  Kranichzug). 

51)  äXÄov  5'  äv  äXÄo)  -po-j{5o'.;  äTtsp  e'mTspov  öpviv  /  xpslaaov  ä|iai- 
"laxeto'-)  ^'jpöj  öp|i£vov  äy.xäv  Tipö;  saTispou  O-soO.  Auch  äväpiö-iiog  im  näch- 
sten Verse  (17ü)  scheint  durch  die  Vorstellung  der  unzähligen  Vogcd- 
scharen  veranlasst. 

52)  Über  den  Kranichzug  vgl.  Aristot.  IL  A.  VIII  12,3;  ausführ- 
licher IX  10,  1  f.;  Herodut.  II  22;  Aelian  N.  A.  II  1,  III  13  (eine  be- 
sonders reichhaltige  Stelle);  Dionys.  De  Avibus  II  17;  I'lin.  X  23  (30). 
Sonderbar  ist,  dass  sowohl  Thompson  S.  41  als  :vuch  Krüper-H.  S.  2(57 
besonders  den  Frühjahrszug  b.etonen,  während  fast  alle  griechischen 
Dichterstellen,  wie  aucli  Aristoteles,  nur  vom  Herbstzuge  sprechen- 
Vgl.  auch  Körner,  Die  Homerisihe  Tierwelt,  Kerlin  1880,  S.  62  ff. 

53)  Man  beachte,  dass  der  Ausdruck  zuerst  allgemein  gelialten  ist 
und  auf  den  Vogelzug  im  ganzen  sich  bezieht.  Dann  erst  wird  auf  die 
Kraniche  speziell  hinsrewiesen. 

5')  Dies  ist  vom  griechischen  Standpunkte  aus  gesagt;  denn  ilort 
ist  der  Regen    für    den  Winter   ebenso    charakteristisch  wie  bei  uns  der 


—     61     — 

Schnee.  Vgl.  Hesiod  Op.  4.")!.  Weniger  gut  passt  die  Erwähnung  der 
winterlichen  Regengüs.se  auf  die  nördlichen  Brutplätze  der  Kraniche. 

55)  Der  Dichter  ninniit,  wie  es  scheint,  an,  dass  die  Kraniche  von 
Griechenland  aus  in  einem  Tage  ans  Ziel  gelangen. 

56j  Tp&ec,  [isv  xXayY"S  t'  svoti-^  t'  "iaav,  opv.^s;  tog,  /  ifizz  nsp  xXayyvj 
yspivcüv  TTsXsi  oOpavö9-.  -pö,  aix'  dnsl  o5v  /S'-jicöva  tpüyov  -xai  äi)-3a-.paxov 
öjjißpov,  /  -/Xavy^  Tacys  zsTOVTa'.  Iti'  'SxsavoTo  ;5oäcov,  /  avSpäoi  nuyiaacoia'. 
'^övov  xal  XYjpa  cpspouaa'.-  /  T|Spta'.  d'  ö;pa  xaiys  xaxYjv  sp'.da  upocpspovxat. 
(Übersetzung  vorne  nach  Anieis).  Eine  anonyme  Parodie  dieser  Stelle 
hei  Brandt,'  Parod.  Ep.  Gr.  rell.  p.  102,  v.  7—9.  Vgl.  auch  Claudian 
XV  474  ff.  und  Juvenal  XIII  167  ft. 

5")  Natürlich  wurde  auch  im  Frühjahre  gepflügt.  An  unseren 
Stellen  handelt  es  sich  aber  durchweg  um  die  Herhstzeit,  in  die,  wie  es 
scheint,  die  Hauptarbeit  des  Pflügens  verlegt  war.  Wurde  ja  doch 
für  diesen  Abschnitt  des  Jahres  geradezu  der  Name  „Saatzeit"  (a-opvixds) 
gebräuchlich,  wie  schon  Hesiod  1.  c.  von  der  „Pflügezeit"  (äpoxog)  spricht. 
Vgl.  Ideler,  Handb.  d.  math.  u.  techn.  Chron.  I  S.  242. 

58)  <I)pä^sa{)-ai  S',  s'jx'  av  yspävou  cftovYjv  änaxo'Jarjg  /  lcIiöO-ev  §x  vs^fsiov 
sv'.aOa'.a  xsxXyjY'jiYjg'  /  y^x'  äpdxo-.ö  xs  or,ii%  cpspsi,  xai  ■/s,i\i.'Xzoc,  löpr^v  /  Ss'-xv-Js: 
Ö!J.ßpr;po'j'  xpaSir^v  5'  soax'  dvSpög  äßoOxsw. 

59)  "OpviO'Og  q;ü)vr(V,  IloXunator,,  dgü  ßocöav;?  /  YjXO'ja',  r^xs  ßpoxolg  äyysXos 
YjXy  äpdxo'j  /  wpaiou'  xxX.  Das  letztere  Wort  wird  von  Biese  (IS.  24) 
mit  Unrecht  auf  den  Frühling  bezogen.  Vgl  dagegen  Hesiod  Op.  616  f. 
sowie  Arat  1075. 

c  )  OTisipsiv  [JLsv,  äxav  yspavos  xpoj^o'ja'  ^g  xyjv  Aißüvjv  [JLcxaxwp-^,  /  xai 
KTjSäXiov  TÖX£  va-jxXTjpw  '-ppä^c'.  xpiiidcaavx'.  xa9-£'j5=!.v,  xxX. 

61)  Vgl.  die  Epigramme  zu  Beginn  des  X.  Buches  der  Anthologie. 

62j  5;,'  äipoc,  sTÖ-s  Tioxavoi  /  YsvoitisO-a  Aißusg  /  olwvoi  axoXäosc:  /  oiJißpov 
X'.-o'jaa-.  xs'.|isp',ov  /  viaaovxa-.  -peaßuxäxcf,  /  a'jp'.yy''  ^£-*d[j.£vat  /  Tio'.jjievo;,  o; 
äßpo^a  j  Tisoia  xapTto^dpa  x£  yag  /  lii'.7i£XGjj.£vos  loi.yzl.  /  w  -xaval  §oXix,a'Jy,£V£s,  / 
a'ivvo|jLGt  v£-.f£cov  5pd|iO'j,  /  ßäx£  n£X£!,ä§ag  'jTiö  iiiaag  I  'Qpicovä  x'  §vvOx.'.ov,  / 
xap'jgax'  äYY£^»-ÄV,  /  Eüpcöxav  £cp£^d!i£va'.,  MEvdXaog  äx'.  Aap^ävou  /  -dXiv  iXcbv 
§d[iov  r;5£'..  In  v.  1478  möchte  ich  oi"  al9-£pos  lesen  nach  Aeschyl.  Prom.  281. 
Um  viaaovxa-.  (v.  1482)  konstruieren  zu  können,  ist  es  nötig,  entweder 
mit  Härtung  in  v.  1481  x£i|j.£pov,  ai  zu  lesen,  oder,  was  das  Einfachste 
wäre,  nach  v.  1480  einen  Punkt  zu  setzen.  Auch  v.  1488  ist  nach  Nauck 
verderbt;  er  setzt  Spd[xo'j  in  Klammern.  Das  „Sitzen  am  Eurotas"  scheint 
auf  das  Vorbild  Homers  zurückzugehen.  Vgl.  11.  II  459  ff.  Übrigens 
ist  der  Ausdruck  wenig  passend:  Die  Kraniche  stehen,  Gänse  und 
Schwäne  dagegen  sitzen  viel  häufiger  und  machen  auch  im  Stehen  wegen 
ihrer  kurzen  Füsse  mehr  den  Eindruck  des  Sitzens. 

6')  Abgesehen  von  der  ganzen  Charakteristik  vgl.  die  Feminina 
XOTO'jaa;  (v.  1481),  r.f.d-iiiBvx'.  (v.  1483\  Tixaval  i'v.  1487)  und  i-^ps^dia^vai 
(v.  1492). 

'■■')  Die  „Vögel"  des  Aristoph.  Avurden  i.  J.  «414,  die  Helena  des 
Eur.  i.  J.  412  aufgeführt. 

<55)  Diese  Ansicht  beruht  im  ersten  Teile  auf  richtiger  Beobachtung 
(vgl.  auch  (Aristot.)  H.  A.  IX  10,  1);  der  zweite  Teil  dagegen,  nämlich 
das  hohe  Alter  dieser  Führer,  ist  ebenso  schwer  wissenschaftlich  zu  be- 
weisen als  zu  widerlegen.  (Bzgl.  anderer  grosser  Zugvögel,  z.  B.  der 
Wildgänse,  besteht  die  gleiche  Annahme;  vgl.  Fr  i  d  erich,  Naturgesch. 
d.  deutschen  V.  S.  637.)  Sicher  ist  nur,  dass  die  Führer  in  unregel- 
mässigen Zwischenräumen  wechseln  (L  e  v  e  r  k  ü  h  n).  Ausserdem  behauptet 
Naumann,  Naturgesch.  d.  V.  Mitteleuropas,  Neue  Aufl.,  Bd.  VII  S.  102, 
dass  der  Anführer  meistens  einer  der  grcissten  (d.  h.  der  kräftigsten) 
aus   der  Schar  ist. 


—     62     — 

•'•'^l  Diese  Stelle  ist  unverständlich  übersetzt  bei  Biese,  I.  S.  52. 

*''')  Vgl.  Biese,  Einige  Wandinngen  des  Wunscbmotivs,  Ztschr. 
f.  vrgl.  Litteraturgesch.  N.  F.  I  S.  417  f. 

*»8)  rjX'.ßäxoig  uTiö  x£'j8-!JL0)a'.  y£voi|Jiav,  /  i'va  jjls  Ti-spoOaaav  Spviv  /  ^zbc. 
slvl  TZOTavaTc;  äyiXatg  -S-sirj. 

'^^)  Was  freilich  die  jähen  SchlKcJtten  mit  dein  Beflügelungswunsche 
zu  tun  haben,  ist  nicht  ohne  weiteres  klar.  Der  Chor  scheint  zu  meinen, 
dass  in  der  Einsamkeit  die  Erfüllung  dieses  Wunsches  leichter  möglich 
wäre  als  mitten  in  der  Stadt  Troezen.  Nach  der  Ausg.  v.  Barthold 
(Beiliu,  Weidmann  1880)  ist  der  Gedankengang  vielmehr:  .,Konnte  ich 
mich  doch  tief  in  den  Gründen  der  Erde  bergen,  oder  wäre  ich  ein 
Vogel  ...!'■  Der  Fehler  läge  dann  in  Iva,  das  zu  korrigieren  wäre. 
Doch  ist  die  vorgeschlagene  Änderung  kaum  empfehlenswert.  —  Paley 
versteht  in  s.  Ausg.  [Cambridge  1876)  unter  x£'j9-!iü)V£s  „Höhlen  in  glatten, 
unzugänglichen  Felswänden,  wo  die  Seevögel  brüten".  Es  ist  hier  aber 
nicht  an  Brutvögel  sondern  an  Zugvögel  zu  denken.  —  Biese,  Na- 
turgefühl I  S  52  findet  an  unserer  Stelle  „die  Stimmung  eines  reinen, 
von  Neb  euni  oti  ven  geläuterten  Na  turg  ef  ü  hls  ,  das  die  Be- 
Üügelung  \\m  ihrer  selbst  willen  sich  wünscht."  Doch  davon  kann 
hier  doch  wahrlich  nicht  die  Rede  sein.  (Vgl.  auch  dess.  Verfassers 
Artikel  in  der  Ztschr.  f.  vergl.  Litteraturgesch.  N.  F.  I  S.  418.)  Freilich  neigt 
sich  auch  Wi  la  mo  wi  tz  -  M  öl  1  en  d  orf  f ,  der  in  seiner  Ausgabe  des 
Hiypolytos,  Berlin  1891,  S.  216  ff.  die  Stelle  behandelt,  dieser  Auflassung 
zu.  Aber  indem  er  einen  Zusammenhang  des  Liedes  mit  dem  Inhalte 
des  Dramas  einmal  annimmt,  dann  aber  wieder  in  Abrede  stellt,  lässt 
seine  Erklärung  eine  Lücke.  Wir  werden  m.  E.  auch  hier  am  sichersten 
gehen,  wenn  wir  eine  uuwillkürlithe  Ablenkung  der  Tendenz  des  Dich- 
ters bei  der  Ausführung  seines  ursprünglichen  Gedankens  annehmen  wie 
Hei.  1478  ff.  Zuerst  wünscht  sich  der  Chor  nur  deshalb  Flügel,  um  weit 
wegzueilen  von  dem  Entsetzlichen,  was  hier  geschehen  soll.  Daraus  wird 
im  Verlaufe  der  Darstellung  (i.  d.  Antistrophe)  der  Wunsch,  zu  den  Ge- 
staden der  Seligen  zu  gelangen. 

■^ ')  V.  4  äotptov  a'jvsyyjs  i'Tixaixat  xe  xotL  xpdc^co. 

''')  V.  3  vjvixa  aoi  y.£X|j.yj6g  InsTixaxo  cpopxidt  vvjl  /  o'jÄov  ävT/pifViKov 
x£Tvo  yi':f'jc.  y£päv(i)v. 

72)  Etwas  Ähnli.hes  berichtet  Plin.  X  23  (33)  69  von  den  Wach- 
teln. Aber  auch  von  diesen  glaubte  man,  dass  sie  Sand  oder  Steine 
als  Ballast  mit  sich  trügen.  Vgl.  A.  130.  Freilich  lesen  wir  die  gleiche 
Geschichte  auch  bzgl.  einer  Art  von  Fischen  (loUiginesj  bei  Plin.  XXXII 
2  (6),  15.  Hier  kann  nur  an  das  eigene  Gewicht  der  Fische  gedadit 
werden. 

''3)  Vgl.  den  richtigen  Ausdruck  „lange  Iteihen"  bei   Arat  1031. 

■f^)  Vgl.  Wel.ker  Kl.  Sehr.  I  100  ff.  Die  Sage  wird  erzählt  bei 
Plutarch,  de  garrul.  14.  Christ,  Gesch.  d.  gr.  Litt^,  S.  KiO  führt  die 
Sage  auf  eine  etymol.  Spielerei  zurück,  da  für  die  Kraniche  audi  der 
Name  Ißuxss  (Trompeter)  gebräuchlich  gewesen  zu  sein  scheint. 

''^)  V.  3  .  .  .  yepä'KD^  vi-.foc;  .  .  .,    v.  6  xff)v5.  5iä  xXayyrjV  .  .  . 

76j  Vgl.  Hom.  Od.  III  2()9ff. 

77)  Freilich  kann  man  daraus  nicht  folgern,  dass  es  dem  Verfasser 
des  ersteren  als  Muster  vorlag.  Es  kann  in  beiden  (Tcdichten  direkte 
Naihahmung  Homers  vorliegen. 

7*^)  Cbcr  den  Kr.  als  Wetterpropheten  vgl.  Theophr.  Sign.  TU  1, 
IV  3;  Geopon.  I  3,  12;  Ael.  N.  A.  I  44,  III  14,  VII  7.  Vgl.  aucii  Vergil, 
Georg.  I  374  f.,  eine  von  Arat  unabliängige  Stelle,  während  .\en.  X  2(>4  ff . 
ein  Kiiniiiilatinii  griccliisclicr  lAIntive  darstellt. 


—     63     — 

■cavuaaiev  sva  Sp6[j.ov  YjXi^Va  Tiäaa'.,  /  oucik  noi.X'.ppöd-'.ol  xsv  uTtsöSio:  cfopäoivio. 

8")  o'jS'  u'^^i'J  Y^P^'^"^"^  iJ.a7.pal  axix-?  aOxa  xsÄs'jO-a  /  Tsivovxai,  axpo- 
^aSsg  5s  7iaXi|j,7i£X£g  ä;iov£Ovxa'.. 

81)  X^^P--  *)  ^•'^-  Y-P°''''"^'^  äysXais  **)  ojpatog  ** -)  dpoxpsus  /  öpiov  spxo- 
[isvaog,  o  5'  dtöpotg  aOx'/z.a  [laXXov  /  aiixcog  Y"^?  X-'^l''^''-?  snepxovxaL  y^P^" 
vo'.ai,  /  Tipcüia  |j.£v  xal  iiaXXov  dp.iXa5öv  spxoiiivvjaiv  ;  TtpoV.of  auxap  5x'  &4'^ 
xal  o'jx  äYsXrjoä  cpavslaa'.  /  TiXstoxspov  cpopsovxai  iui  ypö^o'/  o'j5'  ajia  tioX- 
Xai,  /  dji^oXivi  x-'-l^"^'-"^?  ö-fsXXsxai  Oaxspa  spYO'- 

*J  Auf  dieses  Wort  ist  kein  allzugrosses  Gewicht  zu  legen.  Der 
Ton  liegt  entschieden  auf  |j.öcXXov  v.  1076.  Nicht  unter  allen  Umständen 
freut  sich  der  Ptiüger  über  das  Erseheinen  des  Kr.  —  sind  sie  doch  Vor- 
hoten  des  Winters  und  noch  dazu  Feinde  der  Saat  — ,  sondern  besonders 
dann,  wenn  sie  durch  ihr  spätes  Eintreffen  den  Winter  gevvisserniassen 
zurückhalten. 

**)  Vgl.  A.  59. 

v-s-v)  Vgl.  Eur.  Hippol.  734. 

8^J  Man  beachte  auch  hier,  wie  II.  III  2 ff.,  dass  der  Ausdruck  vom 
Allgemeinen  zum  Speziellen  übergeht! 

83J  xöv  §',  toax'  dpvii)-(ov  TisxsYjvwv  sS-vsa  noAÄdc,  /  yjiwi^  r;  y-P^^''^'^'' 
7j  xüxvcov  So'jXiX'^Sstpwv,  /  'Aaiw  sv  A£'.ji.ä3vi,  Kaüaxpio'j  dji'^l  päsS-pa,  /  svH-a 
xa:  evt)-a  ixoxwvxai  äYaÄXö[i£va  7i;x£p'JY£33!.v,  /  xAaYY^^öv  TipoxaO-i^^övxcov,  a[ia- 
paY£l  §£  x£  X£L|ji(öv,  /  äc,  xwv  sl>v£a  Tic-ÄXä  xxÄ.  Vgl.  Vergil  Aen.  VII 
699  ff.  und  Georg.  I  388  f. 

8^)  Allerdings  wäre  dann  ^i—^i  zur  Bedeutung  von  xal-xal  abge- 
schwächt. Ich  kann  aber  nicht  glauben,  dass  sich  Homer  eine  unge- 
mischte Gesellschaft  solcher  Vögel  —  al-o  entweder  nur  Gänse  oder  nur 
Kraniche  oder  nur  Schwäne  —  vorgestellt  habe.  Am  allerwenigsten 
wäre  bei  der  Annahme  eines  Seh wanenzuges  das  Wort  xXaYY'i^/56v  zu  ver- 
stehen, da  diese  Vögel  auf  der  Weide  keinen  Ton  hören  lassen,  während 
die  Kr.  bei  solchen  Gelegenheiten  grossen  Spektakel  machen  (Lev.). 
Andererseits  passt  äya^X.  tzz.  auf  die  grauen  Kr.  viel  weniger  gut  als 
auf  die  prächtig  weissen  SehAväne.  Vgl.  Kommentar  und  ^Anhang"  von 
Ameis-Hentze  z.  d.  St. 

85)  kXX'  töax'  dpv{i)-o)v  Tisxsrjvwv  a'.£xög  at^-tov  /  sO-voj  £cpop[iäxaL,  Tioxa- 
[löv  Tiäpa  ßoaxo|j.£väojv,  /  x'i^j'^öv  y;  Y^pävwv  r^  xOxvtov  SooXixoSs'pwv,  xxX. 

86)  Beispiele  bei  Krüper-H.  S.  287.  Solche  Sammelplätze  nennt 
man  in  Smyrna  „die  Arche  Noahs". 

87)  V.  1  f.  Fspavot  Y^ö^PT^'^  xaxövdjiovxo  xyjv  X^P""*''  /  £37cap!JLivr;v 
v£(oaxl  Kupivcp  aixtp.     V.  10  cp£'JYO>[-i£v,  ixpa^Ya^ov,  s-ic,  xä  Tlu'{\ioi.wyK 

88)  V.  1  f.  AüXagi  XsTixäg  Tiot-^ldoic,  dcYpöxvjg  Tiv^jag  /  y^P'^'''^'-»»  a-opatojv 
7ioX£iJiiag  a'JV£iX7]9£i.  V.  5  oux  stiil  Y^pavog,  oü  OTiöpov  xaxacf9-£ipw.  V.  11 
sXaßöv  0£  o'jv  xalg  xapya  xd[iä  ■Kopd-o'joa.K^. 

89)  V.  21  •{spoi.wot.  a'jvY/vxtüv  xat  xö  aujjißäv  rjponojv.  Über  die  Zeit- 
bestimmung vgl.  A.  148.  Aristot.  H.  A.  VIII  12,  6  gibt  dagegen  als 
Wauderzeit  der  Kr.  den  Monat  MaL(j.axxr]pU'}v  (Mitte  Nov.  bis  Mitte  Dez.) 
an  ;  das  wäre  fast  ein  Monat  später,  als  bei  uns  in  Deutsehland  der 
Durchzug  gewöhnlich  beobachtet  wird. 

^'J  V.  8  dpx'jv  x£  xXaYSpwv  Xai[xo7i£oav  Yspävwv.  Vgl.  Horat.  epod. 
2,  35  f.  advenam  laqueo  gruem  /  .  .  captat  .  . 

91)  '0  uplv  SYÖ)  xai  4^fjpa  xal  dp7iäxx£Lpav  £p'jxwv  /  aTzspiiaxog,  'r\)i- 
Tisxrj  B'.axovtav  yspoi.\o^,  /  xxX.    V.  4  s.  A.  149. 

92)  ä  a'ig  xäv  xOx'.aov,  ö  Xoxog  xav  odyx  S'.wxsi,  /  ä  '{ip'X'toc,  xcopoxpov, 
£YÖ)  5'  £7ül  xlv  |ji£tJLävr|[J.ai. 

93)  Zu  V.  5 :  Die  Amsel  bleibt  als  Standvogel  den  Winter  über 
in  Griechenland;  v.  8f.  .  .  .  dvOTödvjxo;  op9-pov  nEpvnaxstv  /  ysp^vos. 


—     64     — 

3+)  Diese  Annahme  leite  ieli  aus  der  Erklärung-  von  Anieis-Heutze 
ab,  der  r,iy.y.'.  auf  den  Tag  nach  der  Ankunft  der  Kraniche  bezieht. 
Über  die  Dauer  der  Reise  val.  A.  55. 

95)  Vgl.  Kinkel  Ep.  gr.  frgg.  I  p.  63. 

96)  Vgl.  A.  10()— 108. 

97)  Den  Text  vgl.  bei  A.  87. 

9S)  V.  6  'Ptojiaio'.;  5'  oOdsl;  Ttpög  •{zpä.vo'jc,  :iöX£[j.oc;.  Erklärung  nach 
der  frz.  Ausg. 

99)  'Aa-.paÄscos  oly.Y,:j>jv  sv  äaxs'C,  \ir^  zt  -/.oXcciv^  /  aijiax'.  nuYfiaiov 
•^5o!Ji£VTj  yspavo;.  Vgl.  Priap.  47  (auf  eine  sehr  kleine  Frau)  und  zu  v.  2 
Ovid,  Fast.  VI  176. 

100)  (0-  g'  Sx*  tx-'  Al9-!.ö7icov  TS  xal  Alyü-xo'.o  poäcov  /  •j'4'i7x=TVj5  yspä- 
vojv  X^P'^?  £px.2"a'.  Yjspo'.fcövwv,  /  'AxXavTOg  v'.'.pG£v-a  ixctyov  xal  X--!^^  cfuyoO- 
aai,  /  il'JY|i3tto)v  -C  oXiyobp'X'^ivDy  äjjisvvjva  ylvsa-Xa*  /  t'^oi  3"  dcp'  i7r-a|i£VT;;a!, 
y.a-a  aiixa;  sOpss?  isiiol  /  7)dpa  iz  axiäouai  y.al  aXXuTov  oyiiov  s^ouaiv  xxX, 

'"!)  Diese  richtige  Ableitung  geben  die  Schol.  zu  Hom.  II.  III  (5; 
nur  gehen  sie  fälschlich  von  der  abgeleiteten  Bedeutung  des  Wortes 
TwUYRi  ^  Faustkanipf  aus.  Die  Feindschaft  zw.  P.  und  Kr.  leiten  sie 
davon  ab,  dass  diese  jenen  die  Saat  beschädigen  und  dadurch  Hungers- 
not im  Lande  verursachen-  Darnach  wären  die  P.  die  Angreifer,  was 
mit  der  Stelle  Homers  nicht  übereinstimmt. 

i<^2)  Dieselbe  Angabe  in  Schol.  Wech.  zu  Anth.  Pal.  XI  369  nach 
Eustath.  zu  Hom.  II.  III  6.  —  Über  die  angebliche  Kampfesweise  der 
Pygmäen  (auf  Widdern)  vgl.  Schol.  zu  Hom.  II.  III  6  und  genauer  Plin. 
VII  2,  26.  Dabei  wird  aber  die  Grundlage  der  Sage  wiederum  insofern 
verschoben,  als  die  P.  offensiv  vorgehen,  indem  sie  Eier  und  Junge  der 
Kr.  vernichten.  Da  jedoch  die  Kr.  im  Süden  nicht  nisten,  hat  diese 
Ausschmückung  der  Sage  keinen  rechten  Sinn;  man  müsste  denn  daran 
denken,  dass  ihr  Ertiuder  eine  doppelte  Brut  der  Kr-,  im  Norden  wie  im 
Süden,  angenommen  habe.  Die  älteste  Darstellung  eines  Kampfes  zw. 
Kr.  u.  P.  lindet  sich  am  Fusse  der  sog.  Fran(;ois-Vase  (in  Florenz).  (V^gl. 
Amelung,  Führer  durch  die  Antiken  in  Florenz,  1897  S.  223 ff.)  Ge- 
naueres über  P. -Darstellungen  in  der  klass.  Kunst  bei  Jahn,  Arch.  Beitr. 
418  ff.,  Stephani,  Compte-rendu  1865  S.  119  ff.  sowie  Overbeck, 
Pompeji  S.  583  f.  In  der  Alexandrinischen  Kunst  wurde  das  Gebiet  der 
Sage  dadurch  erweitert,  dass  die  Pygmäen  nicht  nur  mit  Kranichen 
sondern  auch  mit  anderen  Tieren  z.  B.  Krokodilen  und  Nilpferden  zu- 
sammengestellt wurden. 

'«^)  Die  Schol.  z.  Opp.  Hai.  I  ()23  erklären  die  Pygmäen  kurzweg 
für  Affen.  Ob  dieser  Erklärung  eine  weiter  verbreitete  Ansicht  zugrunde 
liegt,  ist  schwer  festzustellen. 

1'*)  .\uf  ihn  beruft  sich  Bender,  „Die  märchenhaften  Bestand- 
teile der  homeiischen  Gedichte."  Progr.  Darmstadt  1878,  S.  11.  Er 
glaubt  die  Pygmäen-Frage  einfach  durch  diesen  Hinweis  zu  lösen. 

105)  Bender  freilicli  glaubt,  das  ägyptische  Wissen  Jlomers  krmne 
so  weit  gereicht  haben,  wenn  er  auch  Gladstones  IJbertreibungen 
fHomer  und  sein  Zeitalter,  D.  Ausg.  Jena  1877  S.  227ff.l  zurückweist. 
Durch  die  Güte  des  Hrn.  I'niv.-Prof.  Dr.  Hommel  in  München  werde 
ich  nachträglich  aufmerksam  gemacht,  dass  D  um  i  eben  in  der  Einleitung 
z.  Ed.  Meyers  (lescli.  des  alten  Ägyptens,  Berlin  1887,  S.  7  Anm.  aus 
einer  Tempelinsciirift  von  Karnak  die  Bckanntsclialt  der  alten  Ägypter 
mit  zwergenhaft  kleinen  j\Iens(  hen  aus  dem  südl.  Oberägypten  nach- 
weist. Die  Möglichkeit  eines  Zu  sam  uienh  anges  bleibt  also  be- 
stellen. Wir  miissten  dann  annelimen,  dass  die  Natur  hier  von  lieiden 
Seiten,  vom  Norden  und  vom  Süden,  di-m  Mythus  entgegengekommen 
sei,  was  freilich  ein  höchst  merkwürdiges  Znsammentreifen  wäre.     Ausser- 


—     65     — 

dem  scheint  die  Figur  der  „Fäustlinge"  nicht  einmal  für  die  Sage 
vom  Kranichkrieg  erfunden,  sondern  aus  einer  noch  älteren  Zeit  über- 
nommen zu  sein.  Sie  sind  ursprünglich  das  Non  plus  ultra  der  Klein- 
heit, erwiesen  sich  aber  ebendadurch  neben  den  hochbeinigen  Kranichen 
als  zu  klein,  sodass  die  Erklärer  in  Übereinstimmung  mit  der  bilden- 
den Kunst  sie  auf  Grund  einer  falschen  Etymologie  zur  Grösse  einer 
Elle  heranwachsen  Hessen.  Demnach  ist  durch  die  Gegnerschaft  der 
Kr.  die  ursprüngliche  Grösse  der  Pygmäen  nicht  etwa  herabgedrückt, 
sondern  vielmehr  gesteigert  worden.  Auch  die  Fixierung  ihrer  Wohn- 
sitze im  Süden  geht  dann  vielleicht  auf  die  Kraniche  zurück. 

106)  Ktes.  Ind.  11  p.  250, 294  (nach  P.-Benseler » ;  Strabo  II  C.  70,  XV  C. 
711 ;  Plin.  VI  19,  70 ;  VII  2,  26 ;  Gell.  IX  4,  10 ;  Philostr.  Vit.  Apoll.  III  47. 

107]  Plin.  IV  11  (18),  44. 

iP";  Eusthenes  in  ^Hüller's  Hist.  graec.  IJI  732  (uachPape-Benseler). — 
Dazu  kommt  noch  Karlen  nach  Plin.  V  29,  108  f. 

1*^9)  Dass  es  in  den  Tropen  keinen  Winter  gibt,  scheint  man  zur 
Zeit  der  Entstehung  der  P.-Sage  in  der  betr.  Gegend  begreiflicherweise 
nicht  gewusst  oder  nicht  bedacht  zu  haben;  ebensowenig  natürlich,  dass 
die  Wärme  südlich  des  Äquators  wieder  abnimmt  und  dass  der  nörd- 
lichen kalten  Zone  eine  noch  kältere  südliche  entspricht. 

ii'Jj  Dass  nach  Homer  u.  a.  Autoren  die  Kr.  auf  der  Flucht  vor 
dem  Winter  begriffen  sind,  kann  meine  Ansicht  nicht  erschüttern.  Der 
Mythus  ist  eben  bei  Homer  schon  mit  einem  zweiten  Elemente  durch- 
setzt, mit  den  Anfängen  naturgeschichtlicher  Erkenntnis.  (Vgl.  S.  17.) 
Die  letztere  fasst  die  Kraniche,  der  Analogie  mit  anderen  Vögeln  ent- 
sprechend, als  Flüchtlinge,  die  erstere  dagegen  als  Vorkämpfer.  Keine 
noch  so  entsprechende  Deutung  (vgl.  die  Erklärung  v.  Sybel's,  A.  111  ]) 
vermag  diesen  immanenten  Widerspruch  ohne  Rest  auszugleichen. 

1")  Zur  Pygmäen-Sage  vgl.  Gruppe,  Griech.  Myth.  S.  393  A.  1.  Der 
Verfasser  beschränkt  sich,  (dme  den  Versuch  einer  Entwirrung  der  Frage 
zu  machen,  darauf,  neben  den  lit.  und  kunsthist.  Nachweisen  die  Ver- 
mutungen von  Bender  (vgl.  Anm.  104!)  als  unwahrscheinlich  zu  be- 
zeichnen. Wenn  dieses  Urteil  schon  von  dessen  Hinweis  auf  die  afri- 
kanischen „Zwergenvölker"  zu  gelten  hat,  so  müssen  wir  es  in  noch 
höherem  Grade  auf  den  2.  Teil  von  B.'s  Aufstellungen  beziehen.  Dieser 
meint  nämlich,  der  Name  „Kraniche"  könne  der  Spitzname  einer  afr. 
Völkerschaft  gewesen  sein,  die  den  Akka  benachbart  war  und  sich  mit 
ihnen  in  häunger  Fehde  befand.  —  Eine  S(jrgfältig  durchgeführte  lo- 
gische Konstruktion  der  Entstehung  des  Mythus  gibt  v.  Sybel,  Die 
Mythologie  der  Ilias.  Marburg  1877,  S.  7  If.  Seine  von  Bender  zu  Gunsten 
der  ethnographischen  Erklärung  beiseite  gesetzten  Darlegungen,  auf  die 
ich  erst  nachträglich  durch  letzteren  aufmerksam  gemacht  wnirde,  stim- 
men mit  den  meinigen  in  vielen  Punkten  überein,  nur  dass  der  letzte 
Grund  des  Mythus,  der  Kampf  der  Jahreszeiten,  noch  verhüllt  bleibt.  — 
Nach  Thompson  S.  43  erscheint  die  P.-S.  in  Indien  in  der  Geschichte 
von  der  Feindschaft  zwischen  den  Garuda-Vögeln  und  einem  Volke  mit 
Namen  Kirata  d.  h.  Zwerge,  das  bei  Ael.  N.  A.  XVI  22  und  von  Megasth. 
bei  Plin.  VII  2,  25  erwähnt  ist.  Thompson  fügt  hinzu:  Es  ist  leicht 
möglich,  dass  diese  Fabel  eine  tatsächliche  Grundlage  besitzt  in  der 
Verfolgung  des  Vogel-Strausses  durch  eine  zwergenhafte  Menschenrace. 
Er  verweist  ausserdem  auf  Tysons  Essay  betr.  d.  P.  — ■  Der  P.-Artikel 
bei  Pioscher  ist  noch  ausständig.  Preller,  Gr.  Myth.^  II  S.  218 f. 
bietet  wenig.  —  Eine  eigenartige  Hypothese  finde  ich  zum  Schlüsse  in 
der  Neuauflage  von  Naumanns  Naturgesch.  d.  V.  Mittel-Europas,  Bd. 
VII  S.  112.  Der  berühmte  Ornith(doge  meint,  die  Sage  verdanke  gewiss 
dem  Umstände  ihr  Entstehen,  dass  man  das  Abwehren  der  Schaden  ver- 

5 


—     66     — 

breitenden  Kraniche  in  südliclien  Ländern  meistens  Kindern  überlässt, 
geo-en  die  sie  weniger  Furclit  als  gegen  Erwachsene  haben.  Doch  kann  ein 
allgemein  verbreiteter,  einheimische  r  Volksgebranch  kanm  als  Quelle 
einesderartigen^I  j'thnsbei  dem  nämli  ch  en  Volk  e  in  Betracht  kommen. 

112)  Vgl.  anch  Anten.  Lib.  16. 

i'8)  Dazu  käme  nach  meiner  Auffassung  das  S.  21  f.  besprochene 
auonj'me  Epigramm  Anth.  Pal.  VII  543. 

ii-J)  £■/.  [isv  ys  A'.p'jr^ä  v/.ov  Coz  tpiqwp'.ai  /  yiptx'^o:,  ii)-3jj.£Xiouc;  xaxa- 
Tts-wx'Jia'.  XitJ-o'jj.  Droj'sen  hat  die  Stelle  nicht  genau  übersetzt.  Nicht 
als  Ballast  für  den  KranichÜug  sollen  in  diesem  Falle  die  Steine  dienen, 
sondern  zur  Fuudamentierung  und  zum  Baue  der  Mauer. 

115)  [jLSxä  -(ov  yspävcov  t"  sxsIiVsv  ävaxwpö  TiäXiv,  /  äv9-'  spjiaxog  tioX- 
Xig  xaxansTiwy.fog  Sixa;.  Ans  dem  Singular  spiiaiog  ersieht  man,  dass 
jedem  Krauich  nur  ein  Stein  zugeschrieben  wurde.  Dazu  stimmt  Ari- 
stot.  H.  A.  VIII  12,  8.  Nehmen  wir  an,  der  Sykophant  meine  die  nord- 
östlich von  Athen  gelegenen  Inseln,  so  stimmt  die  Richtung  seiner  Rück- 
reise mit  der  des  herbstlichen  Kranichzuges  überein. 

ii*"')  Als  Beispiele  für  die  Vergleichnng  eines  Vogels  bezw.  seiner 
Glieder  mit  einem  Schiffe  bezw.  seinen  Teilen  (oder  umgekehrt)  notierte 
ich  mir  folgende  Stellen:  Hom.  Od.  XI  125;  Hesiod.  Op.  628;  Eur.  Iph. 
T.  289,  1346,  Jon  161;  Apollon.  Rhod.  11  1258,  IV  238  ff.;  Anth.  Pal. 
VII  202  (Anyte),  X  6,  v.  6  (Satyrns). 

!'■')  Zur  Erklärung  des  Kranichsteines  als  äpiicc  vgl.  Aristot.  VIII 
12,  8;  Ael.  N.  A.  II  1  und  III  13. 

11'^)  xal  yspävwv  äxivaxxov  i\xi\iy]oy.'no  nopsir^v,  /  oii  axoiiäxwv  £vxoa!>sv 
äoaarjXYjpa  y.sXsüO'OU  /  X&av  i.X%'^pit,ouQi  xaxax.i)-£a,  |Ji7^  txoxs  xsivtov  /  Ejxxa- 
p.EV(ov  Tixspä  xoOq;«  napaTüXäygsisv  äy/xr,c,  /  v.iX. 

119)  yipavo'.  Xift-oog  xaxaTisTKOVv'r.x'..  iizl  xöiv  zpovovjxiotwä  xt,  7ioici'jvx(i)v. 
Bei  Thompson  S.  43  steht  fälschlich  xaxauöTtxwx'r.ai. 

1-0)  Antigon.  Hist.  mirab.  40  (46)  weiss  noch  nichts  davon;  der 
erste  Schriftsteller,  der  die  Sache  erwähnt,  ist  Plinius.  Dionys.  De  Av. 
II  17  spricht  von  den  „Wäclitern",  ohne  den  Stein  zu  erwähnen;  er 
kennt  nur  die  zur  Orientierung  dienenden  Steine  wie  Schol.  Aristoph. 
Av.  1136  f. 

'21)  Der  Kranich  hat  ja  weder  Kropf  noch  Kehlsack  (Lev.) ;  das 
wussten  jedenfalls  auch  die  alten  Jäger.  Damit  ist  aber  freilich  nicht 
erwiesen,  dass  die  Dichter  nicht  doch  einen  Kropf  beim  Kranich  voraus- 
setzten und  meinten,  darin  —  nicht  im  Magen  —  trage  er  den  Stein. 

1")  Vgl.  (Aristot.)  H.  A.  IX  10,  2,  wo  diese  bekannte  Eigentüm- 
lichkeit der  Kraniche  zuerst  erwähnt  wird,  aber  noch  ohne  den  Stein. 
Dagegen  erklärt  der  echte  Aristot.  H.  A.  VIII  12,  8  die  ganze  Annahme 
der  Kranichsteine  für  falscli,  was  seiner  wissenschaftliclien  Kinsicht  nur 
Ehre  macht. 

'21)  Der  echte  Physiologus  weiss  sonderbarerweise  vom  Kranich 
nichts  zu  berichten;  vgl.  Lauch  ert,  Geschichte  des  Pliysiologus,  Strass- 
burg  1889,  S.  142,  wo  (n"st  aus  einem  späten,  romanischen  Physiologus 
eine  entsprechende  Stelle  augefiilirt  wird.  (Vgl.  Isid.  XIl  c.  7,  15.)  Da- 
gegen erwähnt  Philes,  De  An-  Propr.  XI,  beide  Arten  der  Kranichsteine. 

12»)  Wenn  Ilorapollo  II  94  dieses  Bild  —  freilich  ohne  den  Stein 
ausdrücklich  zu  erwähnen  —  ein  ägyptisches  Symbol  nennt,  so  wird  hie- 
bei  der  spätere  Einfluss  griechischer  Vorst(dlungen  zu  erkennen  sein. 
Denn  nach  H.  Dr.  Karl  Dyroffs  frcundliclier  Mitteilung  ist  der  wach- 
haltende Kranich  weder  unter  den  Hieroglyphen  zu  finden,  noch  spielt 
er  sonst  in  der  altägypt.  Literatur  eine  Rolle.  Vielleicht  beruht  die 
ganze  Notiz  auf  einer  missverständlichen,  gräcisierenden  Deutung  eines 
der  vielen  Vögel  der  Hieroglyphen-Schrift. 


—     67     — 

'25)  Beispiele  in  v.  Hefnei's  Handbuch  der  Heraldik,  Görlitz 
1887,  S.  81.  —  Dass  den  Kr.-8teinen  die  wunderbare  Kraft,  da?  Gold 
auf  seine  Echtheit  zu  prüfen,  zug'eschrieben  wurde,  will  ich  nur  ueben- 
hei  erwähnen.     V^l.  Aristot.  H.  A.  VIII  12,  8;  Ael.  N.  A.  III  13,  20. 

•26)  Wollte  der  Kr.  von  seinem  Steine  Gebrauch  machen,  so  musste 
er  nach  der  Ansicht  der  Alten  ihn  heraufwürgen  und  „ausspeien".  (Ari- 
stot.  und  Ael.  1.  c.)  Vgl.  die  Jungenfütterung  und  Gewüllhildung  vieler 
Vögel,  die  eine  solche  Analogie  nahelegte.  Die  Schol.  z.  Aristoph.  Av. 
14:29  sprechen  allerdings  davon,  dass  der  Kr.  den  Stein  im  Schnabel 
(oder  im  Schlünde?)  (=v  -,&  a-ö[ia-i)  trage.  Fast  der  gleiche  Ausdruck 
bei  Nonn.  Dionys.  XL  516;  vgl.  A.  118.  Doch  ist  auf  eine  solche  Ungenauig- 
keit  späterer  Angaben  nicht  allzuviel  Gewicht  zu  legen. 

i-'^)  Hier  könnte  freilich  auch  der  gleichnaniige  Fisch  gemeint 
sein.     So  wenigstens  fasst  Athen.  VIII  338  d  das  Wort  auf. 

128)  Dagegen  wird  bei  Horat.  Epod.  2,  35  f.  der  erlegte  Kr.,  ebenso 
wie  der  Hase,  als  „augenehme  Beute",  d.  h.  als  guter  Braten  bezeichnet. 
Dabei  ist  natürlich,  wie  v.  55  ff.,  der  Standpunkt  des  einfachen  Land- 
mannes vorausgesetzt. 

■29)  Ich  folge  hier  Leverküh  US  dankenswerten,  auf  persönlichen 
Beobachtungen  fassenden  ]ilitteilungen.  Bei  Naumann  findeich  nichts 
darüber.  —  Trotzdem  mag  ich  an  keine  andere  Möglichkeit  der  Er- 
klärung denken.  Der  Anteil,  den  unverbürgte,  übertreibende  Erzählungen 
von  Jägern  an  solchen  Fabeln  haben,  kann  nicht  scharf  genug  betont 
werden. 

130)  Dionys.  De  Avib.  I  30;  Plin.  X  23  (33),  69. 

13»)  Ael.  N.  A.  V  29. 

'32)  Aristot.  H.  A.  VIII  16,  2  nennt  den  Storch  nur  als  Winter- 
schläfer. Vom  Zuge  des  St.  sprechen  Plin.  X  23  (31)  und  Ael.  N.  A. 
III  23;  auch  Plutarch,  Vit.  Luc.  39  ist  darauf  zu  beziehen. 

133)  püj.  Griechenland  kommen  besonders  die  Graugans  (Auser 
ciuereus)  und  die  Saatgans  (A.  segetura)  in  Betracht.  Vgl.  Krüper-H. 
S.  288. 

13<)  V.  2  v^a  TiapasTsixwv  5oXir,v  ö5öv,    o'.oz  ixsiva^  /  'j^rjaocaffai  Xo- 

13'')  Das  y.opcovoßöXov  hält  der  frz.  Herausgeber  für  eine  Schleuder, 
die  bes.  für  die  Erlegung  von  Krähen  üblich  war.  .Jedenfalls  war  es 
eine  derbe  Waffe.     Grotius  dachte  an  einen  Bogen. 

136)  Z.  B.  jiwvjxs-  [.tltzo:  u.  a. 

137)  V.  2  yj^va;  .  .  .  aaTilto-jg,  7wOir,ßöpous. 

13S)  Beide  Arten  des  Schwans,  der  Siugschwan  (.Cygn.  musicus) 
und  der  Höckerschwan  (C  olor),  besonders  aber  der  erstere,  überwintern 
in  Griechenland.  Vgl.  Krüper-H.  S.  287.  Aristot.  H.  A.  VIII  12,  13 
zählt  den  Schwan  mit  dem  Kranich,  dem  Pelikan  und  der  Gaus  zu  den 
Herdenvögeln  (äysÄalo'.  xwv  öpviS-ojv),  kennt  ihn  also  nur  vom  Zuge  her. 

•39)  Es  ist  von  den  weissen  thrakischen  Pferden  des  Rhesus  die 
Rede:  a-iX^o-ja'.  d'  wa^s  7io-aiJ.io'j  x'jxvo'j  --spöv. 

140)  Vgl.  Vogelgesang  S.  81  f. 

'*')  Vgl.  die  beim  Kranich  angeführten  Parallelstellen. 

1^2)  Bezgl.  der  Dohlen  vgl.  A.  46.  Die  Stare  sind  in  Griechen- 
land fast  nur  Herbst-  und  Wintergäste.  (Vgl.  Krüper — H.  S.  218.)  Es 
scheint  aber  doch  im  Herbste  ihre  Anwesenheit  viel  mehr  bemerkt  wor- 
den zu  sein  als  im  Winter.  Denn  Aristot.  H.  A.  VIII  16,  3  nennt  den 
Star  einen  Vogel,  der  in  Höhlen  überwintert  (^(oÄsl).  Man  sah  also 
jedenfalls  im  Winter  nur  wenige  Stare,  während  sie  im  Herbste  sehr 
zahlreich  waren. 


—     68     — 

1*3)  .  ,  .  "üpr//.'.  io'.yMC.  /  wxsi,  Sax'  icfößr,aä  y.oXo-.o'j;  ts  '|YJpä;  ts.  Ans 
der  Partikel  xs— ts  sclüiesse  ich,  dass  Homer  au  eine  aus  Dohlen  und 
Stareu  gemischte  Gesellschaft  gedacht  hat. 

1**)  Twv  3',  (oqxs  djapöjv  vs--po;  äpxsxai  i^z  xoXo'.tov,  /  ouXov  xsxXv/Y^'^'c^S- 
OTE  Tcpotdwa'.v  iövxa  /  xipxov,  5  xs  ajjiixpfiai  cfövov  :f£ps'.  öpvi^-saaiv,  xxX.  Auch 
hier  ist  r^'t  wie  II.  II  460  und  XV  692  nicht  als  ausschliessende,  sondern 
als  anreihende  Partikel  zu  fassen.  Vgl.  A.  84.  Eine  anonyme  Parodie 
dieser  Stelle  aus  der  Zeit  d.  Die  Chrvsost.  hei  Brandt,  Parod.  Ep.  Gr. 
roll.  p.  102,  V.  10  ff. 

"5)  Man  könnte  daraus  folgern,  dass  die  erstere  Stelle  jünger  ist 
als  die  letztere. 

i**^)  Dagegen  missglückte  anderen  Dichtern  die  Übertragung  dieser 
Metapher  auf  den  Kranich.  Vgl.  S.  22.  Ni'-fog  von  Vögeln  überhaupt: 
Aristoph.  Av.  295,  von  Sperlingen:  578. 

1*'^)  V.  3  .  .  .  xal  Y^P  äxp'.xov  rzXrid-z:  !  [liXav  xoXo'.mv  s9-vo;  v^äS-s 
Suaycövcov,  /  4>ap£5  x'  oXsS-poc;  aTrspiiixwv  äpo'jpaiojv. 

i-*8)  Das  älteste  Zeugnis  dafür  hei  Hesiod  Op.  614  ff.  Ideler, 
Handbuch  d.  Chron.  I  S.  241  ff.  setzt  den  Frühuntergang  der  Plejaden 
auf  den  26.  Oktober. 

'^8)  Den  Text  vgl.  hei  A.  91.     V.  4  .  .  .  uxavciöv  stpyov  cItkü^i  v£-.fo;. 

'SO)  V-  o  TjVids  xal  v.iyX-q'/  y.al  y.özo'r^rjv,  y^vids  xöaao'j;  /  d;äpaj,  äpo'j- 
patT];  apTüayas  äOTXopir^g'   /  xapnwv  SrjÄr^xf^pa;  IXsiv  i^-i'i'.;'  oXX'jx'  sxsivo-jg'  xxX. 

151)  Unter  dem  Namen  v-^-xM  sind  sämtliche  europ.  Drosselarten  zu 
vorstehen.  (Vgl.  unsere  ,,Krammotsvöger'l)  Drei  Unterart'^n  kennt  (Ari- 
stot.)  H.  A.  IX  20;  do<h  ist  die  Identifikation  im  einzelnen  nicht  ganz 
sicher.  Auf  die  Wachholderdrossel  (Turd.  pilaris)  scheint  sich  H.  A.  VI 
1,  6  zu  beziehen. 

i-''2)  Diese  Stelle  handelt  vom  Drossel-  und  Taubenfang  in  Schlingen, 
die  am  Schlafplatze  jedenfalls  zur  Zugzeit  oder  während  des  Wintev- 
aufenthaltes  angebracht  sind. 

'S3)  Das  Gleiche  wäre  bezüglich  des  Vogels  oTiivog  (Fink?)  zu  sagen, 
der  in  dieser  Verbindung  öfters  bei  den  Komikern  genannt  wird.  Da- 
neben kämen  besonders  die  in  Griechenland  scharenweise  durchziehenden, 
aber  selten  brütenden  Taubi'narten:  -^äxxa  (Ringeltaube)  und  xpi)Y«')v 
(Turteltaube)  in  Betracht. 

151)  "Ev  x'.v.  jjL'jpa'.vwvL  v.l'/X%  ivsjxsxo. 

'55)  Die  Vorliebe  der  Vögel  für  Ii[yrtenl)eeren  wird  dreimal  in  den 
^Vögeln"  des  Aristopli.  erwähnt:  V.  82,  160,  1100. 

156)  Y.  4  f.  xs'-nwv'.  5'  sTs  äfavxoj  /  tj  NstXov  7^  'nl  Msii-xlv.  Herodot 
II  22  bezeichnet  die  Schwalben  für  Oberägypten  als  Standvögel. 

15")  V.  965  f.   cpaivöjisvoi    äYsXr^Sä  xal  Spy^XiOatv  6|iora  /  cf  O-sYSäiisvoi. 

158)  Vgl.  Aristot.  H.  A.  VIII  12,  9  ff.  und,  davon  abhängig,  Pliu. 
X  23  (33). 

'59)  Anth.  Pal.  VI  121  (v)  (Oallimachus)  und  273  (Temiielhain  bei 
Ephesus);  vgl.  Tacit.  Ann.  III  61. 

!•■")  Ap(dl.  Rhod.  I  419,  537;  IV  1703;  Callimach.  hymn.  II  59; 
Anth.  Pal.  IX  5.50  (Antipater). 

IC)  Ilom.  Od.  V  123,  XV  404  (von  anderen  auf  Dolos  bezogen); 
Ilesiod.  frg.  85;  Pind.  Ol.  VI  92,  Pyth.  II  6,  Nem.  I  2;  Bacchyl.  IV  8; 
<in  Orakel  bei  Paus.  V  7,  3. 

i^-J  Vgl.  Soph.  Trach.  213,  Schneidewin  z.  d.  St.  Dagegen  be- 
zieht Wunder-Wecklein 3  die  Stelle  auf  die  Insel  0.  bei  Syrakus. 

'•''3)  x'')nßo{;  8s  -^tlzi»^  ^jpvifOQ  7tx£po')iJi£vr/g.  Schol.  IF.  liest  TiExpov- 
liivr^f  (in  einen  Felsen  verwandelt). 


—     09     — 

"•*)  Älinlit'li  ist  aurli  der  geogr.  Name  Föpävs'. a  (Krunichstein), 
ein  durch  Scliiffbrüche  b^-rüclitigtes  Vorg-ebirge  in  Megaris,  zu  erklären. 
Vgl.  Simouid   frg-  114,  Eupliorion  frg.  66  (Düntzer). 

165)  öiaTüspsL  y£'.|i.ö)v  apa  /  öpv!,!>tag  sl;  xr^v  &.';ci^j%^j  sÄyjX'jit-ag. 

166)  Beispiele  bei  Krüper-H.  S.  308^ 

16^)  Auf  diese  Erklärung  bringt  mich  ein  Zusatz  in  den  Scholien 
zu  V.  877.  Sie  erklären  x-'-l^''''-'  'ipv.i'^ix;  zuerst  als  heftigen  Wintersturm, 
durch  den  auch  die  Vögel  umkommen,  bzw.  als  Orkan,  durch  den  sie 
zu  Boden  geworfen  werden  infolge  des  kalten  Lufthauches.  Dann  fügen 
sie  bei:  ,,8ymmachus  dagegen  meint,  dieses  Wetter  habe  seinen  Namen 
daher,  dass  wälirend  desselben  (d.  h.  im  Winter)  diese  Vögel  erscheinen 
I  sTDccfaivsa^-ai)  wie  bei  Arat  (v.  1077)."  So  unklar  an  sich  diese  letztere  Er- 
klärung bleibt,  so  kann  sie  doch  auf  die  richtige  Erkenntnis  führen, 
wenn  wir  sie  mit  den  im  Texte  zitierten  Angaben  des  Aristot.  und  denen 
der  neueren  Naturforscher  zusammenhalten.  —  Von  anderer  Art  sind  die 
bei  Beginn  des  Frühlings  zur  Ankunftszeit  der  Schwalbe  wehenden 
venti  Septentrionales^  qtii  vocaiitur  Oriiifhiae,  bei  Col.  XI  2,  21  (vgl.  Plin. 
H.  N.  II  47,  122),  die  mit  dem  oben  (S.  9)  erwähnten  Schiralbenwind 
identisch  zu  sein  scheinen.  Für  diese  Luftströmung  Aväre  nicht  x-V-^'^^'^ 
sondern  ävsjjios  die  zutreffende  Bezeichnung-  Pas  erstere  Wort  dagegen 
ist  wohl  am  besten  auf  ein  wirkliches  Winterwetter  zu  beziehen. 

168)  5(;ov  xb  7iXfjt>-oj  xaTSTieasv  twv  ö^jjJmv.  Betr.  der  Ideutilikatiun 
des  öpxiXog  vgl.  Aristoph.  Av.  568  und  (Äristot.)  H.  A.  IX  11,  5.  Aus 
der  Vergleichung  beider  Stellen  kann  man  mit  Thompson  den  Schluss 
ziehen,  dass  der  i^ylloc,  mit  dem  an  der  letzteren  Stelle  geschilderten 
z^^oyiXog^  identisch  ist.  Auf  die  gegebene  Beschreibung  passt  am  besten 
der  Zaunkönig.  Bei  Aristoph.  hat  aber  dieses  Wort  entschieden  noch 
eine  obszöne  Nebenbedeutung.     Vgl.  d.  Schol.  z.  d.  St. 

169)  TcsSoixo'j  ■/bX'.^övoz.  Hesych.  2,  p.  898,  der  die  Stelle  über- 
liefert, erklärt  das  Wort  —  a'jvoixcj  (mit  den  Menschen  zusammen- 
wohnend). Diese  Erklärung  scheint  der  Verbesserung  fähig.  Freilich 
ist  :i£5a  (=  jisiä)  =  o'Jv ;  aber  dennoch  hat  [isTOWog  im  Sprachgebrauche 
eine  durchaus  andere  Bedeutung  angenommen  als  oüvo-xos.  Es  bezeich- 
net speziell  einen  .,Beisassen'"  d.  h.  einen  Fremden,  der  in  einem  anderen 
Staate  sich  augesiedelt  hat  und  dort  das  Schutzrecht  geniesst. 

1'^")  V.  4  xöv  gsvov  ä  gsiva,  -öv  y-spivöv  O-spivä. 

i"M  Ein  Frg.  des  Callimachus  (Schneider  II  p.  719),  das  von  Thomp- 
son auf  den  Storch  als  Zugvogel  bezogen  wird,  will  ich  wegen  der  Un- 
sicherheit des  Textes  in  formeller  und  inhaltlicher  Hinsicht  ganz  aus 
dem  Spiele  lassen. 

i'^2)  V.  321  iz  TiiXocy^S  V-^X'^  xoXov,  äO-sv  zi  mp  oüo'  olcövol  /  aOxd- 
£X£g  olxv£'jaiv,  £7isi  jidya  ts  Selvöv  ts. 

i''3)  Dadurch  mildert  sich  auch  der  Widerspruch,  in  dem  diese 
Stelle  zu  Hora.  IL  III  3  ff .  steht.  Denn  dort  herrscht  die  Anschauung, 
dass  die  Kraniche  zu  ihrer  Reise  an  die  Südgrenze  der  Erde  nur  kurze 
Zeit,  vielleicht  nur  einen  Tag,  brauchen.     Vgl.  A.  5.5. 

17«)  "Opvii)-£S  xiv£S  o"i5' ; '  üjx£ävo)  Y^S  ■^'  '^'^'^  Tiippäxcov  /  YjÄÖ-ov  rtavi- 
XoKZc,  7zo'.Y.'.Xöoeipo'.  xav'jaCuXipo'.. 

'75)  -xal  yy^'^  iniizxo'j  xai  O-iXaxxav  £v  x'r/.?.w.  An  beiden  Stellen  ist 
es  freilich  eine  Frage,  ob  der  Dichter  wirklich  an  den  Zug  gedacht  hat, 
oder  ob  er  die  Vögel  nur  im  allgemeinen  als  weitherumfliegende  Ge- 
schöpfe charakterisieren  Avollte.  Im  ersteren  Falle  bestände  ein  Wider- 
spruch zu  V.  103  ff.  (Winter-Schlaf  bzw.  -Mauser.)  Doch  würde  dies, 
bei  der  allgemeinen  Färbung  des  Ausdruckes  an  ersteren  beiden  Stellen, 
in  keiner  Weise  störend  auffallen.  Eine  ähnliche  Vorstellung  liegt  v. 
1470  f.  zugrunde. 


—     70     — 

'"6)  V.  1  Aiav  ö/.r^v  vr^aou;  xs  5'.i7iTa|i£VY,   tj  -/.sXioojv. 

177)  aiO-lpa  0-'  äyvöv  uöpov  ol(ovö)v. 

178)  ,  .  .  oO  6e  x£  cpaiTjS  /  "cdoaov  vr^iir^v  aiöXov  iiijisva'.,  äXÄ"  olcovcov  / 
IXaSöv  aozEXOv  s9-vo;-  iTttßpoiJiss'.v  TisXäY^cja'.v. 

179)  Vgl.  A.  116. 

ISO)  ^'acli  L  e  V  erk  ü  h  ii.  Vgl.  auch  E  a  d  d  o ,  Onus  caucasica,  S.  47. 
470  ff. 

181)  Über  diesen  Geg-eustaud  gibt  es  aus  dem  17.  und  18.  Jahrb. 
eine  aiisgedehnte  Literatur,  die  mit  allen  Mitteln  philologischer  und 
philosophisch-theologischer  Gelehrsamkeit  für  die  Idee  des  Wintersclilafes 
der  Vögel  arbeitet.  Für  Interessenten  zitiere  ich  die  aus  der  Biblintliek 
Le verkühn  mir  freundlichst  zur  Verfügung  gestellten  Werke:  Christ. 
Schmidichen,  Dissert.  philosoph.  de  hibernaculis  hirundinum.  Leip- 
zig 1671.  M.  Job.  P  ra  e  1 0  r  i  u  s  ,  Winter-Flucht  der  nordischen  Sonnncr- 
Vügel.  Leipzig  1678  (speziell  über  „Storclis  und  Schwalben  Winter- 
Quartier".)  Jak.  Theod.  Kle  in,  _  Vögelliistorie,  Leipzig  und  Lübeck 
1760,  (S.  B57  ff.) ,  eine  deutsche  Übersetzung  von  desselben  Autors  Hi- 
storiae  avium  prodromus,  Lübeck  1750  (S.  195  ff'. ^.  Ludw.  Reichen- 
bach, Blicke  in  das  Leben  der  Tierwelt.  Dresden  und  Leipzig  1843, 
S.  67 f.  —  Vgl.  ferner  die  Zusammenstellung  bei  A.  und  K.  Müller,  Tiere 
der  Heimat  I  A.  S.  86  f.  sowie  den  neuesten  Beitrag  zu  dieser  Frage  in 
einem  Artikel  von  S  ch  enkli  ng  in  der  Ztschr.  St.  Hubertus  XXI  S.  4'J9. 

182)  Aristot.  H.  A.  VIII  16  nennt  als  Winterschläfer:  Weih,  Schwal- 
be, Storch,  Amsel,  Turteltaube,  Hanbenlerche,  Ringeltaube,  Drossel,  Star 
und  Käuzeben.  Freilich  muss  ich  beifügen,  dass  Aristot.  nirgends  von 
einem  eigentlichen  Schlafe,  sondern  nur  von  einem  Leben  im  Ver- 
steck (^GoXsiv)  spricht.  Da  er  jedocli  von  bekannten  Säugetieren,  z.  B. 
dem  Bären,  denselben  Ausdruck  gebraucht,  so  ist  die  Sache  trotzdem 
nicht  zweifelhaft. 

183)  Vgl.  Plin.  X  24  (84),  70;  29  (41),  76. 

184)  xöv  oh  jjtsx'  dpS-oyöv]  üavS'.c/vlc;  (opxo  x£Äl3'""v  /  H  ^äog  dv9-p(üuoig, 
sapo?  vEov  caxaiisvo'.o.  Das  Patronymikon  H.  erklärt  sich  aus  der  Ver- 
wandlungsgescliichte  der  Schwalbe.  —  Meine  Auffassung  der  Stelle  linde 
ich  durch  die  Hesiod-Ausg.  v.  K.  Sittl,  Atlien  1889  bestätigt. 

185)  vj  |iev  y^ü.idöy/  aOxö  (xö)  S-ipog,  &  yjvai,,  /  XaXsI.  A'gl.  A^ogelge- 
sang  S.  61  u.  A.  117  daselbst. 

188)  Mit  einer  leichten  Änderung  glaube  ich  statt  xv^v  sapivr^v  (öpav: 
X.  ■9-epivyjv  w.  lesen  zu  dürfen.  Denn  erstens  ist  der  erstere  Begriff  viel 
zu  eng  und  zweitens  wird  gewölmlicli  nicht  der  Frühling,  sondern  der 
Sonnner  dem  Winter  entgegengesetzt.     Vgl.  die  Texte  in  A.  170  u.  185. 

187)  o'jy.,  äÄ?.ä  xöv  y^ti\iGr^a.  Tidcvxa  xiöpvsa  /  uxspoppusi  xs  xa'jiVig  sxspa 
'.^'Joji.£v.  Eine  politische  Lizenz  liegt  auch  in  itävxa.  Denn  nur  von 
einem  k  1  e  i  n  e  n  T  e  i  1  e  der  Vögel,  den  Winterschläfern,  gelten  diese  Worte. 

188)  Vgl.  Aristot.  H.  A.  VIII  16,  2:  „Man  hat  schon  oft  Schwalben, 
die  gänzlich  der  Federn  entblösst  waren,  (im  Winter)  in  Felsklüften  ge- 
funden". Kurz  darauf  wird  von  der  Turteltaube  berichtet,  dass  sie 
während  des  Winterschlafes  die  Federn  verliere  (uxspopp-jsi,  vgl.  Aristoph. 
Av.  106). 

189)  Das  Verdauungsschläfchen,  dem  er  sich  nach  der  Aussage 
seines  Dieners  eben  liingibt  (v.  81  f.),  hat  natürlich  mit  dem  Winter- 
schlafe nichts  zu  tun.  Es  dient  nur  dazu,  die  Sitannung  der  Zuschauer 
zu  erhöhen,  bis  der  Wiedeliopf  endlidi  sell)st  erscheint. 

•"<>)  Bzgl.  eines  (mfigliclien)  zweiten  AVidorsprucbes,  da  der  Wiede- 
liopf ein  Zugvogel,  kein  Winterschläfer  ist,  vgl.  A.  175. 
191)  Vgl.  A.  154  und  155. 


—     71      — 

19-)  V.  1097  ff.  X='-r^^^oj  S'  SV  y.oöÄoig  av-potg,  /  Nö|j,:pa'.s  oOpsiaig  guiJ.- 
Tiat^cöv"  /  fjpivä  -s  ßoaxöiisB-a  7:ap9-5V'.a  '  Xs'jxd-po-xa  [xOp-a.  XapöTOJv  xs  */.7j7T:20|j.7.ta. 

i''^)  Anders  ist  eine  scheinbar  verwandte  Stelle  des  Aeschylus 
(Eum.  22  f.)  zu  erklären.  Die  Priesterin  in  Delphi  begrüsst  bei  ihrem 
Eintritte  in  den  Tempel  verschiedene  Gottheiten  nnd  spricht  u.  a.:  „Ich 
bezeige  meine  Verehrung  aber  auch  den  Ni/rnphen,  die  in  der  horykischen 
Felsenhöhle,  der  vofielfrcundiichen,  der  Einhehr  von  Göttern,  u-ohnen."  Die 
Felsenhöhle  ist  also  ein  Aufenthaltsort  von  Yöo-eln.  Doch  zu  welcher 
Jahreszeit?  Jedenfalls  nicht  im  Winter!  Denn  wie  sollte  man  zu  dieser 
Annahme  gelangt  sein,  da  der  Parnass  um  diese  Zeit  doch  unzugäng- 
lich ist?  Ausserdem  werden  bestimmte  Schlafstätten  der  Vögel  nir- 
gends angegeben  und  konnten  auch  nicht  angegeben  werden,  da  ja  die 
These  des  Winterschlafes  der  Vögel  der  Wirklichkeit  im  allgemeinen 
widerspricht.  Demnach  kann  die  korykische  Grotte  bloss  zur  Brutzeit 
als  geschützter  Wohnort  von  Vögeln  gedacht  werden.  Welche  Vögel 
der  Dichter  meint,  ist  nicht  schwer  festzustellen :  denn  nur  wenige  Arten 
passen  zu  den  angegebenen  Verhältnissen.  Vor  allem  der  Alpeusegler 
(C.ypselus  melba);  sodann,  nach  H.  Dr.  Othmar  Reisers  gütigen  Mit- 
teilungen, die  Felsenschwalbe  (Hirundo  rnpestris} ,  die  Felsentaube  (Co- 
luniba  livia)  und  besonders  die  Alpendohle  f'Pyrrhocorax  alpinus),  even- 
tuell auch  die  Alpenkrähe  (Fregilus  graculus),  sämtlich  höhlenbewohnende 
Brutvögel  des  Parnass  Gebietes,  die  ihre  Nester  stets  in  den  kaminartigen 
Spalten  der  oberen  Wölbungen  grosser  Höhlen  anbringen.  Vgl.  auch 
Krüper-Hartlaub,  deren  nun  veraltete,  aber  doch  gut  kennbare  Xumenklatur 
ich  durchweg  beibehielt,  au  den  betr.  Stellen.  —  Bezgl.  der  korykischeu 
Grotte  vgl.  u.  a.  das  bei  Antigen.  Hist.  Mir.  127  (141)  zitierte  Frg.  des  Phi- 
loxenus.  —  Auch  der  Name  eines  Vorgebirges  in  Lycien,  des  Schiralben- 
felsens,  der  im  5.  Frg.  des  Ap  ol  1  oni  us  Pvhod.  (v.  5  XsÄ'.oov';-/j5  äi^ö 
Tisxpvis,  Michaelis)  genannt  ist,  niuss  jedenfalls  von  einer  Vogelkolonie  ab- 
geleitet werden,  die  nach  H.  Dr.  Othin.  Reisers  freundlicher  Mitteilung 
so  gut  wie  sicher  aus  Mauerseglern  (Turmschwalben,  Gyps.  apus)  be.stand. 
Möiglicherweise  könnte  auch  der  eben  genannte  Alpenscgler  (Gyps.  melba) 
dort  angesiedelt  gewesen  sein.  Dabei  müssen  wir  freilich  eine  Ver- 
wechslung zwischen  Schv/alben  und  Seglern  annehmen;  aber  die  Unter- 
scheidung zwischen  beiden,  äusserlich  so  nahe  verwandten  Vogel-Familien 
ist  auch  heutzutage  nur  in  wissenschaftlichen  Kreisen  bekannt;  das  Volk 
hält  sie  noch  immer  für  identisch. 

"■«)  Vgl.  A.  156. 

105)  -^vi.  (Aristot.)  H.  A.  IX  19  B,  1  ff.  über  Amsel,  Drossel  und 
Xachtigall.  Bei  dieser  Art  der  „Verwandlung"  ist  die  Kontinuität  der 
Art  nicht  unterbrochen;  denn  der  Vogel  behält  in  beiden  Gestalten  deu 
gleichen  Namen  bei. 

'96)  Dadurch  erklärt  sich  eine  Notiz  bei  i'Aristot.)  H.  A.  IX  19 
B,  1  f .  über  die  ou-/.  aXios;  und  lisÄa-f/. öp-jr  oi.  Dort  lesen  wir  näm- 
lich: „Auch  diese  verwandeln  sich  ineinander.  Es  ensteht  aber  die  s-jx. 
um  die  Zeit  des  Frühherbstes  (ö-ojpa),  der  iisÄ.  jedoch  sogleich  nach  dem 
Spätherbste.  Auch  diese  Vögel  unterscheiden  sich  nur  durch  Farbe  und 
Stimme  voneinander.  Dass  es  aber  ein  und  derselbe  Vogel  ist,  geht 
daraus  hervor,  dass  man  schon  beide  (Arten)  im  Zustande  der  Verwand- 
lung gesehen  hat,  ohne  dass  diese  schon  vollständig  war,  sodass  sie  die 
Merkmale  beider  Arten  noch  an  sich  hatten."  Um  das  Nähere  festzu- 
stellen, halten  wir  uns  zunächst  an  die  Etymologie.  ZT/.aXt;  ist  jeden- 
falls ein  Vogel,  der  besonders  gerne  Feigen  frisst,  iJiö?.'^Y-/.öp'jzos  ein 
Vogel,  der  einen  schwarzen  Scheitel  hat.  Beide  müssen,  das  lehrt  der 
Zusammenhang,  Herbst-  und  Wintergäste  in  Griechenland  sein,  da 
ausdrücklich  gesagt  ist,   dass  sie  zu  dieser  Zeit   „entstehen".     Da  passt 


—     72     — 

nun  als  licÄ.  vur  allein  unser  Seh  warzplä  ttclie  n  (Sylvia  atricai>illa\ 
(las  zwar  in  den  griecli.  Gebirgen  auch  als  Brutvog-el  vorkommt,  aber 
ducli  meistens,  besonders  in  den  Gärten,  nur  ausserhalb  der  Brutzeit  bemerkt 
wird  (vgl.  Krüper-H.  S.  241  f.),  während  das  verwandte  Samtköpfchen 
(S.  melanocephala)  als  allgemein  bekannter  Brutvogel  kaum  in  Betracht 
zu  ziehen  ist.  -'r/..  dagegen  kann  alle  übrigen  graubraungefärbten  G]-as- 
niückenarten  umfassen.  Besonders  tut  sich  unter  diesen  die  Garten- 
grasmücke (S.  hortensis)  als  Feigenfresser  hervor.  Die  Schwarzplätt- 
chen  werden  in  Griechenland  besonders  im  Spätherbst  und  Winter  l)e- 
merkt ;  die  anderen  Arten  halten  meist  nicht  so  lange  aus.  W.as  ist 
nun  aber  von  dem  Übergangsstadium  beider  Arten  zu  halten,  das 
die  Wurzel  der  Yerwaudlungsgeschichte  zu  sein  scheint?  Zu  dieser 
Fabel  gaben  jedenfalls  mausernde  Schwarzplättchen  Veranlassung, 
die  im  Jugendkleide  eine  braune  Kopfplatte  (wie  die  Weibchen  zeit- 
lebens) haben,  während  der  I^Iauser  aber  an  dieser  Stelle  braun  und 
schwarz  geÜeckt  erscheinen.  Wegen  ihrer  von  den  alten  Männchen  ab- 
weichenden Färbung  wurden  diese  jungen  Vögel,  ebenso  wie  die  Weib- 
chen, mit  den  übrigen  Grasmücken  (TjxaÄiSsc;)  verwechselt,  und  die  ge- 
fleckte Kopfplatte  im  Übergangskleide  wurde  als  Beweis  für  die  Ver- 
wandlung der  einen  Art  in  die  andere  angesehen.  Wenn  aber  (Aristot.) 
H.  A.  IX  15,  2  den  |j.£?..  wegen  seiner  hohen  Eierzahl  mit  den  Meise  u  ver- 
gleicht und  Alex.  Mynd.  bei  Athen.  II  65  b  den  iis>..  und  die  ^ux.  ohne  weiteres 
unter  die  Meisen  i  aly-O-aXot)  einreiht,  so  beruht  dieser  Irrtum  auf  einer 
naheliegenden  Verwechslung  mit  der  ebenfalls  schwarzscheiteligen  Sunipf- 
nieise  (Parus  palustris),  die  von  der  in  Griechenland  viel  häufigeren 
Taunenmeise  (Parus  ater)  wahrscheinlich  nicht  unterschieden  wurde.  Der 
grosse  Unterschied  in  der  Lebens-  und  Ernährungsweise  beider  Vög(d 
und  die  feineren  Verschiedenheiten  im  Körperbau  wurden  dabei  freilich 
übersehen,  da  Färbung  und  Grösse  so  ziemlich  übereinstimmen.  Vgl. 
Thompson  S.  163,  der  zugleich  über  die  abweichenden  Ansichten  von 
Suudevall  und  Aub  e  r  t  -  W  i  mm  er  referiert. 

1^')  So  erklärt  sich  ganz  einfach  das  Missverständnis  bei  (Aristot.) 
H.  A.  IX  49  B,  4  hinsichtlich  der  gegenseitigen  Verwandlung  der  spi- 
^a.v.ci'.  und  9  o  ivixo  upo  i.  Den  ersteren  nennt,  der  Verfasser  einen 
Wintervogel,  den  letzteren  einen  Sommervogel  und  fügt  hinzu,  dass  sie 
sich  in  nichts  untei scheiden  als  in  der  Farbe.  Der  cföivixoupog  ist  seinem 
Namen  entsprechend  jedenfalls  ein  R  0 1  s  c  h  w  ä  n  z  c  h  e  n ,  undzwar  Ruticilla 
phoenicura,  das  Gartenrotschw.,  ein  Sommervogel,  der  zwar  nach  Krü- 
per-II.  S.  245  nicht  in  Griechenland  brütet,  aber  so  spät  nordwärts  fort- 
zieht und  so  früh  wieder  erscheint  (April  bzw.  Sept.),  dass  er  irrtümlich 
wohl  als  Brutvogel  gelten  konnte.  Der  erstere  dagegen  ist  so  gut  wie 
sicher  das  Rotkehlchen  (Erithacus  rubecula\  das  in  der  Haltung  mit 
dem  Rutschwänzchen  viele  Ähnlichkeit  besitzt,  in  der  Farbe  dagegen 
merklich  abweicht.  Es  ist  ein  allgemein  bekannter  Wintervogel  in 
Griechenland  (Krüper-H.  S.  244).  Das  Gartenrotschwänzchen  wird  also 
im  Winter  vom  Rotkehlchen  abgelöst,  wodurch  die  Verwandlungsge- 
schichte entstand.  Wenn  aber  Su  nde  vall  den  ipiO-a-xog  umgekehrt  ileiii 
Gartenrotschwänzchen  gleichsetzt,  so  bringt  er  den  an  und  für  sich 
klaren  Sachverhalt  aus  unzureichenden  Gründen  in  Verwirrung,  was 
Thompson  S.  57  zutreffend  bemerkt. 

198)  ■\Venn  ich  den  Sperber  statt  des  Habichts  einsetze,  so  tue  icli 
dies  deshalb,  weil  des  ersteren  Grösse  mit  der  des  Kuckucks  so  ziemlich 
übereinstimmt,  während  der  Habicht  viel  grösser  ist.  Auch  sagt  Aristot. 
H.  A.  \'I  7,  3,  dass  der  Kuckuck  an  Grösse  und  Flug  dem  kleinsten 
unter  den  cipaxs;  äimlich  sei;  und  H.  A.  VIII  3,  1  unterscheidet  er  als 
Unterarten    des   genus  iipag    den    „Tauhenhabicht"    [^ot.'^ioz'jnoz,    unseren 


—     73     — 

^Habicht")  und  den  „Fiukenliabicht"  (aui^iag,  uuöereu  „Sperber").  Der 
letztere  ist  also  bei  der  Verwandluiia:sg-eschicbte  des  Kuckucks  einzu- 
setzen.    Vgl-  Hammer  sc  bm  idt  S.  55  u.  56. 

109)  Aristot.  H.  A.  VI  7,  2f.  widerspricbt  dieser  Fabel  aus  dem  im 
Texte  ano-e<>'ebenen  Grunde  und  anderen,  mebr  oder  weniger  ricbtio-eu 
Erwäy-ung-en.  Der  Verfasser  des  IX.  Buclies  der  Tiergescliicbte  (49  B,  7j 
nimmt  dagegen  eine  Verwandlung  des  Kuckucks  in  Farbe  und  vStinime 
an,  wie  bei  der  Amsel,  Drossel  und  Nachtigall.     Vgl.  A.  195. 

200)  y_  4  gg  yjp-.  |j,£v  cpavivti  o'.andXXsi  Ttxspöv  /  xipxo'j  XsKäpyo'j*  SOo 
yäp  o5v  [jiopcpäg  cpavsi  /  uaiSög  xs  x.ao'^o'J  vtjoüos  \iiolc.  unry  /  viag  8'  ÖTitöpag 
y;vix'  äv  ^avO-^  az±yuc.,  /  aicxTr;  viv  a5'9-t,g  djjLcpivwiJLviast  Tixipug.  /  äst  3s  [xiast, 
xwvd'  öcTt'  aXXov  slg  xönov  /  Sp'Jixoüs  £pig|jioyg  xal  Träyous  äT^oivtist.  Vgl.  Plin. 
H.  N.  X  29  (44).  Dagegen  teilt  Welcker  dieses  Fragment  dem  Tereus 
des  So  ph  0  des  zu. 

Über  die  Identifikation  des  xipxo;  ^.iTtapyog  vgl.  Thompson  S.  iS4. 
Eine  zutreifende  Deutung  steht  noch  aus;  denn  Sun  de  val  Is  Kornweihe 
(Oircus  cyaneus)  hat  ganz  andere  Wohnplätze.  Ausserdem  darf  zwischen 
£7io'|i  und  xtp-zcog  Xin.  kein  bedeutender  Unterschied  in  der  Grö.sse  be- 
stehen. Da  ?.eTiapYo?  bei  Theoer.  IV  45  und  Kic.  Ther.  349  dem  Esel 
(„Grautier")  als  x\ttribut  beigelegt  Avird,  so  denke  ich  mit  Le  ve  rkühn 
an  den  aschgrauen  R  o  t  f  ussf  alk  en  (Falco  vespertinus),  der  an  Grösse 
etwas  hinter  einer  Haustaube  zurückbleibt. 

201)  Zwischen  Tereus  und  dem  Wiedehopf  hat  der  Dichter  eine 
doppelte  Beziehung  hergestellt,  durch  ein  etymologisches  Wortspiel 
(sTzrj'])  =  §7iÖ7rxv]g  xwv  auxo'j  xaxwv,  v.  1)  und  durch  die  Schilderung  des 
W.  als  eines  in  voller  Waffenrüstung  prangenden  Vogels  (v.  8).  Zwischen 
dem  Sohne  des  Tereus  dagegen  und  dem  „hellgrauen  Falken"  besteht 
kein  engeres  Band.  Der  Vogel  entspricht  dem  Knaben  nur  insofern,  als 
er  verhältnismässig  zart  und  Aveniger  wehrhaft  zu  denken  ist.  Von  seiner 
Raubvogelnatur  müssen  wir  dabei  freilich  ebenso  absehen,  wie  von  dem 
harmlosen  Wesen  des  ersteren.  Denn  nicht  auf  die  naturgeschichtliche  Be- 
deutung des  Vogels  kommt  es  hier  an,  sondern  nur  auf  die  Symbolik  der 
Federholle  des  Wiedehopfs,  die  einem  Helmbusche  gleichgesetzt  wird. 

^^"2)  Die  im  Text  genannte  Stelle  aus  d.  IX.  Buche  der  H.  A.  ist 
nur  auf  die  daselbst  zitierten  Verse  des  Aeschylus  zurückzufüliren.  Eine 
andere  Stelle  (IX  15,  1)  ist  eine  Avenig  veränderte  Wiederholung  der 
erstgenannten,  aber  ohne  Zitat.  Plin.  X  25  (36)  nennt  den  Wiedehopf 
einen  Zugvogel. 

203)  Vgl.  Thompson  S.  55,  Grimm,  D.  Myth.  S.  394. 

20^)  Zum  Schlüsse  seien  mir  noch  einige  allgemeine  Bemer- 
kungen gestattet. 

Biese  (vgl.  S.  2)  hat  mir  seinerzeit  vorgehalten,  dass  ich  die 
Entwickelungsgeschichte  des  Naturgefühls  in  der  antiken  Poesie 
so  gut  wie  gar  nicht  berücksichtige  und  auch  nicht  zu  wissen  scheine, 
dass  es  darüber  eine  reiche  Literatur  gibt.  Was  ziinächst  die  letztere 
Ausstellung  betrifft,  so  kann  ich  versichern,  dass  ich  sein  schönes  Buch 
„Die  Entwicklung  des  Naturgefülils  bei  den  Griechen  und  Römern", 
Kiel  1884,  schon  i.  J.  1893  benützte  und  seit  1897  selbst  besitze,  sowie 
dass  ich  ausserdem  eine  ganze  Menge  einschlägiger  Literatur  gelesen 
habe.  Dass  ich  sie  nicht  in  dem  Masse,  Avie  ich  Avünschte,  benützen 
konnte,  ist  nicht  meine  Schuld.  Bezüglich  des  ersteren  Vorhaltes  aber 
bin  ich  mir  bewusst,  durch  Zusammenordnnng  miteinander  verwandter 
Dichterstellen  und  durch  sorgfältige,  ins  einzelne  eingehende  Vergleichung 
derselben,  auch  ohne  allzu  reichliches  Prunken  mit  den  jetzt,  üblichen, 
sattsam  bekannten  SchlagAvörtern,  zur  Förderung  des~ganzen^Problems 
am  ehesten  etAvas  beitragen  zu  können. 


—     74     — 

Mir  Avill  es  im  Gegenteil  scheinen,  als  ob  Biese  zuviel  verall- 
gemeinere. Gewiss  beruhen  die  von  ihm  aufgestellten  Kateg-orien  des 
naiven,  sympathetischen  und  sentimental -idyllischen  Xaturgefühls  auf  un- 
anfeclitbar  richtigen  Beobachtungen.  Aber  es  lässt  sich  nicht  alles  in 
diesen  Rahmen  zwängen.  Denn  wie  die  literarischen  Erscheinungen  einer 
späteren  Zeit  manchmal  schon  in  frühere  Perioden  ihre  Schatten  voraus- 
werfen, so  stehen  noch  in  unvergleichlich  höherem  Grade  die  späteren  Peri- 
oden unter  dem  Einflüsse  der  vorausgehenden,  an  denen  sie  sich  gebildet  haben. 
So  ist  Homer  gewiss  nie,  oder  wenigstens  fast  nie,  sentimental.  Aber 
seine  naive,  mythologische  Naturfreude  hat  sich  in  weitem  Umfange  auf 
die  folgenden  Jahrhunderte  übertragen. 

Ausserdem  ist  die  Veränderung  des  Xaturgefühls  von  einem  ganz 
bestimmten,  beschränkten  (lebiete  ausgegangen  und  nur  in  diesem  zu 
ausschliesslicher  Geltung  gelangt,  ich  meine  das  Gebiet  der  Erotik. 
Indem  die  Art,  Liebe  7A\  fühlen  und  zu  äussern,  sich  veränderte,  ver- 
wandelte sich  auch  die  Art  der  Naturbetrachtung  vom  Natürlich-Gesunden 
zum  Gemütvoll-Zarten,  zum  Schwärmerischen  und  Aveiter  bis  zur  ent- 
arteten Decadence.  Dass  aber  die  Naturschilderung  gerade  von  dieser 
Seite  bestimmend  beeinflusst  Avurde,  ergibt  .sich  aus  dem  engen  Zusammen- 
hange zwischen  Liebeslyrik  und  Naturgefühl,  über  den  kein  Wort  weiter 
nötig  ist.  Daher  kommt  es,  dass  man  z.  B.  beim  Lesen  der  von  Biese 
angeführten  Zitate  manchmal  zweifeln  kann,  ob  es  sich  dabei  in  erster 
Linie  um  das  Naturgefühl  oder  um  die  erotische  Poesie  handelt.  Die 
angedeutete  Veränderung  des  Geschmackes  griff  dann  freilich  auch  auf 
andere  literarische  Gebiete  über.  Aber  durch  das  strenge  Stilgefühl  der 
Alten,  das  jeder  Literatur -Gattung  ihre  eigene  Art  der  sprachlichen 
Darstellung  gewahrt  wissen  wollte,  wurde  die  Verbreitung  solcher  Llccn 
auch  Avieder  aufs  wirksamste  gehemmt.  Ein  deutliches  Beispiel  bietet 
der  ale.\andrinischeDicliter  Apollonius  R  h  u  d.  Im  dritten  Gesangeseiner 
Argouautica,  in  dem  das  Zusammentreffen  der  Liebenden,  Medeas 
und  Jasons,  geschildert  Avird,  zeigt  er  sich  als  ein  echter  Sohn  seiner 
Zeit;  seine  Darstellung  ist  idyllisch -sentimental.  In  den  übrigen  (ic- 
sängen  aber  steht  er  als  objektiver  Erzähler  ganz  unter  dem  Einflüsse 
Homers. 

Wie  diese  verwickelten  Verhältnisse  im  einzelnen  gelagert  sind, 
das  kann  nur  durch  sorgfältige  Ei  nz  el  unt  ersn  chun  gen  aufgehellt 
Averden.  Diese  müssen  nach  meiner  Überzeugung  von  den  einfaclisten 
sprachlichen  Erscheinungen  ausgehend,  sammelnd  und  vergleicliend,  schritt- 
Avcise  vordringen,  ohne  den  Ausblick  auf  höhere  Gesichtspunkte  zu  ver- 
lieren, aber  auch  ohne  von  vorneherein  auf  gewisse  Formeln  sich  ein- 
schwören zu  lassen.  In  diesem  Sinne  hoffe  ich  auch  mit  der  vorliegenden 
Arbeit  —  ganz  abgesehen  von  dem  sachlichen  Interesse  des  (iegenstandes 
—  zur  Würdigung  des  Naturgefülils  in  der  antiken  Poesie  beizutragen, 
Aveiin  gleich  liiei',  entsprecjiend  der  Natur  des  Stofl'es  und  der  Lü<kiii- 
haftigkeit  der  ('l)erliefernng,  nocji  seltener  als  in  meiner  letzten  Abhand- 
lung voll  den  (irundzügen  seiner  Entwicklungsgeschichte  die  Rede  sein 
konnte. 


~^^i^- 


Verzeichnis 

der  behandelten  wichtigeren  Dichterstellen. 


Die  Aiuiierkuiiiiieu  (A.)  sind  mir  dann  verzeieliuet,  wenn  sich  der  Hinweis 

auf  die  Stelle  nicht  aus  dem  Texte  ero'ibt.     Weg-g-elasseu  sind  die  Stellen 

über   das  Schwalbenkraut   (A.  24)   und  über  Ürtyg-ia  (A.  15'Jff.). 

A.  P.  =  Anth.  Pal. 


Aeschyhis,  Proui.  281     S.  45. 

—  Eum.  22  f.     A.  193. 

—  frg-.  52     S.  44. 

—  frg.  297     S.  53  f. 
Alcaeiis,  frg.  2    S.  12  f. 

—       frg.  84     S.  45. 
Alcniau,  frg.  26  jl2)     S.  12. 
Auacreon,  frg.  67     A.  16. 
Anacreoutea  25  (33)     S.  6,  40,  50  f. 

—  44  (37)     S.  12. 

Autipater  Sid.,  A.  P.    VI  109  S.  26. 

—  —       —     VIT  172  S.  26, 

39 

—  —       —     VII  71 3  S.  13." 

—  -       —     VII 745  S.  22  f. 
Apollonius  Rhod.,  Arg.  I  419    S.  41. 

_  _       _    IV  238  ff. 

S.  45  f. 

—  —       frg.  5  A.  193. 
Aratus,  Phaen.     963  ff.     S.  40  f. 

—  —       1010  ff.     S.  23. 

—  —       1031  f.     S.  21,  23. 

—  —       1075  ff.     S.  23. 

—  —       1094    A.  47. 
Aristophanes,    Ach.    876  f.     S.  42. 

—  Equ.    419  ff.     S.  7, 

A    12 

—  Vesp.  1513    S.  42. 

—  Av.       47  f.    S.  45. 

—  —       103  ff.    S.48f. 

—  —       118    S.  45. 

—  —       499  ff.  S.  10  ff. 

—  —       505  f.     S.  10. 

—  —       708     S.  4. 


Aristophanes,  Av.     710  f.     S.  18. 

—  —      713  f.  S.  12,  50. 

—  —      714  f.     S.  7  f. 

—  -      774     S.  37. 

—  —    1088  ff.     S.  49  f. 
—    1136  f.     S.  32  f. 

—  —    1300  f.     A.  16. 

—  —    1416  f.     S.  8. 

—  —    1428  f.     S.  33. 

—  Thesni.  1     S.  8  f.,  50. 
Aristophon,  frg.  10     S.  27. 
Babrius,  Fabel     13    S.  25  f.,  36. 

—  —       26     S.  25,  28. 

—  —       33     S.  26,  38  f. 

—  ~       65     S.  21. 

—  —      118     S.  44. 


frg. 


138     S.  8. 
143     S.  19. 


Chionides,  frg.  8     S.  9,  50. 
Cratinus,  frg.  33     S.  8. 
Epigr.  anou.,  A.  P.  VII  543    S.  21  f. 
_  —    VII  546    S.  36  f. 

—  —      IX  373    S.  39. 

—  Anth.  Gr.  App.  VI  138 

S   37 
Euenus,  A.  P.  IX  122     S.  44.  ' 
Euphorion,  frg.  66     A.  164. 
Euripides,     Hei.     1478  ff'.    S.  18  ff. 

—         Hippol.     732  ff'.     S.  20. 

(— )  Pthes.       618     S.  37. 

Fabel  100,  100  b     S.  25,  36. 

—  194     S.  40. 

—  198     S.  53. 

—  304     S.  8. 


76     — 


Fabel  397,  3ü7b     S. 

—  415     S.  -48. 

—  418     S.  44. 


21. 


—     421    y. 
Hesioduf;,  Op. 


25,  3G. 


448  ff.     S.  17. 
48Gft-     S.  lü. 

—  —   öÜ8f.     S.  48. 
Hoiuenis,  rspavojiaxia     8.  28. 

—  11.  JI  459  ff.  S.  23  f.,  30,37. 

—  —  IJl  2  ff.  S.  IGf.,  S.27f. 

—  —  XV  690  ff.  S.  24,  36,  37. 

—  —  XVI  582  f.     S.  38. 

—  —  XVII  755  ff'.     S.  38. 

—  0(1.  Jll  320  ff.     S.  44  f. 

—  —   XXII  468  ff'.     8.  40 
Hoin.  8(li\valbf'iilie(l  (Eiresioue)  8.5. 
Juliauus  Aiit.,  A.  P.  XI  369   8.  28  f. 
Lruiiiilas  Alex.  (Ar(hias?\  A.  P.  IX 

346     S.  45. 
Leuiiidas  Tar.,  A.  P.  XI     8.  6. 
Lucilius,  A.  P.  XI  265     8.  28. 
Lvfophroii,  Alex.  401     8.  41. 
Ni<aiKler,  Aetol.  fra".  5     8.  41. 

—  Thor.  380    S.  10. 


Xitauclcr,  Tlier.  854     8.  10. 

—  fr.o-.  52     8.  38. 

-  fi-o-.  74     S.  9. 
Nuiinus,  Dionys.  II  132  f.     8.  7. 

—  —       III  12  f.     8.7,  50. 

—  -        XL  515  ff".     8.  34. 
Oppiaims,  Hai.  I  620  ff".     S.  29. 

—  —     I  729     8.  7. 

Phiieiuoii,  fr«;-.  208     8.  48. 
Philippns  Tbess.,  A.  P.  1X88  8.  9  f., 

51. 
Phoenix  Ooldiili.  (Krälieiilied)  A.  9 
Qiiiiitus  Sinyni.   II  642  ff.     S.  13 
Ixliod.  8ch\valbenlie(l     8.  5  f. 
Sappbo,  fr?.  39  (36)     8.  9. 

—  frg.  88  (521     A.  16. 
8ininnides,  fri>-.  74     8.  7 

-  fr»-.  114     A.  164. 
Sophocles,  El.  149     8.  9. 

—  Oed.  R.  175  ff.     8.  15  f. 
Theocritus,  Jd.  X  30f.     8    26 f. 

1— )         Epiar.  17     8.  13. 
Tlieoi>-iiis  1197  ff'.     8    17  f. 


Verzeichnis 

der  in  den 

Jahren  1845—1903  den  Jahresberichten 

des 

K.  Humanistischen  Gymnasiums  in  Eichstätt  beigegebenen 
wissenschaftlichen  Beilagen. 


*  1845:  Sebastian    Mutzl    „Über   die   Verwandtschaft    der   ger- 

manisch-nordischen und  hellenischen  Götterwelt." 

*  1846:  Karl  Kugler  „Einige  Bemerkungen  über  das  Verhält- 

nis zwischen  Familie  und  Schule." 

*  1847:  Vitus  Schauer  „Beitrag  zur  Würdigung  des  Gymnasial- 

Schulwesens  in  Bayern." 

*  1848:  Georg  Fischer  „Fragmente  aus  König  Oedipus." 

*  1849:  Franz  Xav.  Richter  „Über  aesthetische  Bildung—  mit 

besonderer  Rücksicht    auf   deren  Pflege   in  Gelehrten- 
schulen." 

*  1850:  Joseph  Rott  „De  interpolationibus  theogoniae  Hesiodeae." 

*  1851  :  Dr.  Simon  Zauuer  „Über  den  alten  Denkspruch   „Fvwi^-c 

aea'j-ov"    oder    über    die    Notwendigkeit    der    Selbst- 
erkenntnis." 
*1852:  Sebastian    Mutzl    „Die   Cella    S.   Maximiliani    und   die 
älteste  Geschichte  Bayerns." 

*  1853:  Karl  Kugler    „Über   den  Unterricht    der   Naturwissen- 

schaften an  den  Gymnasien." 

*  1854:  Georg    Fischer   „Annotationes  ad  ahquot    Xenophontis 

Anabaseos  locos." 

*  1855:  Franz  Xav.  Richter  „Über  Methode  und  Umfang    des 

mathematischen  Studiums  an  Gymnasien." 

*  1856:  Dr.    Urban    Krinninger     „Die    Lehre    dos    Aristoteles 

vom  voü;." 

*•  Vergriffen. 


—     78     — 

*  1857:  Carolus  Zettel   „Observationes   in    Hippocratis    Coi   de 

aöre  aqua  et  locis  libellum," 

*  1858:  Michael  Widinann  „Über  das  Wesen  oder  den  Begriff 

des  Kunstschönen. " 

Karl  Zettel  „Festgedicht  zur  Feier  des  fünfzigjährigen 
Doktor- Jubiläums  des  K,  Geheimrates  Herrn  Professor 
Dr.  Friedrich  von  Thiersch." 

*  1859:  Sebastian  Mutzl    „Die   lex  Baiwariorum   als  geschicht- 

liche und  sprachliche  Urkunde." 

*  1860:  Karl    Kugler    „Einige   Worte    über    das    Studium    der 

Geschichte  und  Poesie  an  den  gelehrten  Schulen." 

*  1801:  Georg  Fischer    „Les  regles    principales   de  la  Syntaxe 

franraise  ä  1'  usage  de  mes  ecoliers."  (Partie  I.) 
1862:  Dr.  Simon  Zauner  „Rückblicke  auf  die  ersten  Kämpfe 
der  Germanen  mit  den  Römern." 

*  1863:  Franz  Xav.  Richter  „Über  das  geographische  Moment 

bei  dem  historischen  Studium." 
1864:  Karl  Zettel  „Über  die  Pflege  des  mündlichen  Vortrages 
an  Studienanstalten." 

*  1865:  Heinrich  Kihn  „Über  die  ältesten  christlichen  Schulen." 
1866:  Heinrich  Kihn  „Bedeutung  der  antiochenischen  Schule 

auf  dem  exegetischen  Gebiete"  2.  Teil. 

1867:  Carolus  Zettel  „Quaestionum  Theocritearum  specimen, 
quo  sollemnia  anniversaria  in  Gymnasio  Regio  Eystettensi 
rite  celebranda  indicit  Carolus  Zettel." 
Dr.  Heinrich  Kihn  „Relative  Betrachtungen  und  histo- 
rischer Einfluss  der  Antiochenischen  Exegese."  3.  Teil 
einer  von  der  theologischen  Fakultät  der  Hochschule 
zu  Würzburg  gekrönten  Preisschrift  über  das  Thema  : 
„Die  Bedeutung  der  antiochenischen  Schule  auf  dem 
exegetischen  Gebiete."      Ctr.   1865/6.) 

1868:  Johann  Denk  „Über  Sprachbildung  und  Sprachvergleich- 
ungnebst einem  vergleichenden  Vademccum  der  stamm- 
verwandten Wörter  auf  dem  Gebiete  des  Griechischen, 
Lateinischen,  Gotischen,    Alt-  und  Neuhochdeutschen." 

1869:  W.  Gross  „über  den  Nutzen  und  zur  Methodik  der 
Altertumsstudien." 

1870:  Ad.  Ullerich  „Der  Japanische  Eichenspinner  Bombyx  (An- 
theraea)  Yama  -  mayou  vom  ersten  Auftreten  als  Ei  bis  zur 
Entwicklung  zum  vollkommenen  Insect  (Schmetterling)." 

1871:  Dr.  Karl  Meiser  „Kritische  Studien  zum  Dialogus  und 
zur  Germania  des  Tacitus." 

*  Vcrgriften. 


—     79     — 

1872:  Joseph  Hüdel  „Lehr-  und  Übungsbuch  für  den  Unter- 
richt in  der  allgemeinen  Arhhmetik  und  Algebra  in 
der  vierten  Lateinklasse."     l.  Teil. 

1873:  IL  Teil  des  vorigen  Programmes   1872. 

1874:  Emmeram  Vie]g\  „Der  väterliche  Segen.  Ein  exege- 
tischer Versuch." 

1875:  Alban  Zeitler  „Zu  Spartianus'   Vita  Hadriani." 

1876:  Franz  Binhack  „Dichterstimmen  aus  dem  Lateinischen 
in  metrischer  Übertragung." 

1877:  Adam  Lorenz  „Einige  Bemerkungen  über  die  Söldnerei 
bei  den  Griechen  (bis  zur  Zeit  der  Schlacht  bei  Leuctra)." 

1878:  Joseph  Diringer  „Die  Periode  oder  der  Gliedersatz  in 
der  deutschen  Sprache." 

1879:  Adolf  Schlosser  „Mathematische  Studien.  Geometrische 
Untersuchungen  (I.  Teil)  mit  Compass  für  Anfänger  in 
der  Mathematik  samt  Gebrauchsanweisung  als  Beigabe." 

1880:  Adam  Lorenz  „Weitere  Bemerkungen  über  die  Söld- 
nerei bei  den  Griechen  (von  der  Schlacht  bei  Leuctra 
bis  zum  Tode  des  grossen  Alexandres)."    (Cfr.   1877.) 

*  1881  :  Jakob  Brückl  „Hodoeporicon  S.  Willibaldi  oder  S.  Willi- 

balds   Pilgerreise    geschrieben    von    der    Ileidenheimer 

Nonne.  Übersetzt  und  erläutert." 
1882:  Adam  Emminger  „Der  Athener  Kleon." 
1883:  Joseph    Diringer    „Annales    imperatorum    et    paparnm 

Eystettenses.  (Flenrici  ßebdorfensis  annales  imperatorum 

et  paparum).     I.  Teil :  Übersetzung. 

*  1884:  J.  G.  Brambs    „De   auctoritate   tragoediae  Christianae, 

quae  Inscribi  solet  Xptaxos  7iaa)(03V,  Gregorio  Nazianzeno 
falso  attributae  ad  soUemnia  anniversaria  gymnasii 
regii  Eichstettensis  celebranda  scripsit  J.  G,  Brambs." 

1885:  Dr,  Bernardus  Sepp  „Incerti  auctoris  liber  de  origine 
gentis  Romanae  (fragmentum)  ad  fidem  codicis  Bruxel- 
lensis  qui  exstat  unicus  denuo  reccnsnit  Bernardus  Sepp." 

1886:  Dr.  Wilhelm  Procop  „Syntactische  Studien  zu  Robert 
Garnier." 

*  1887:  Franz    Binhack    „Die    Abte    des    Cisterzienser  -  Stiftes 

Waldsassen  von   1133  —  1506."     L  Abteilung. 

1888:  Dr.  J.  Georg  Brambs  „über  Citatc  und  Reminiszen- 
zen aus  Dichtern  bei  Lucian  und  einigen  späteren 
Schriftstellern." 

1889:  Franz  Binhack  „Die  Äbte  des  Cisterzienser  -  Stiftes 
Waldsassen  von  1133-1506."   IL  Abteilung.  (Cfr.  1887.) 

*  Vergriffen. 


—     80     — 

1890:  Franz  Binhack  „Die  Gründung  der  Cisterzienser- Abtei 
Waldsassen  nebst  den  Erzählungen  aus  dem  Leben 
Waldsassener  Mönche  und  der  Geschichte  der  Drei- 
faltigkeitskirche nach  gedruckten  und  ungedruckteii 
Quellen." 

1891:  Franz  Binhack  „Geschichte  der  Cisterzienser- Abtei  und 
des  Stiftes  Waldsassen  von  1507  — 1648  nach  gedruck- 
ten und  ungedruckten  Quellen." 

1892:  Franz  Ehrlich  „Mittelitalien,  Land  und  Leute,  in  der 
.vneide  Vergils." 

1893:  August  Geist  „Studien  über  Alfred  de  Musset  nebst 
einer  erstmaligen  metrischen  Ibexsetzung  der  Epistel 
Lettre  ä  Lamartine." 

1894:  Wendelin  Berdolt  „Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Kon- 
struktionen mit  waxe." 

1895:  Dr.  Sebastian  Englert  „Der  Mässinger  Bauernhaufe 
und  die  Haltung  der  bedrohten  Fürsten.  Beitrag  zur 
Geschichte  des  Bauernkrieges  1525." 

1896:  Franz  Binhack  „Geschichte  des  Cisterzienser -Stiftes 
Waldsassen  unter  dem  Abte  Wigand  von  Deltsch  (1756 
bis   1792)    nach    handschriftliehen  Quellen  bearbeitet." 

1897:  Dr.  J.  G.  Brambs  „Studien  zu  den  Werken  Julians 
des  Apostaten."     l.  Teil. 

1 898:  Franz  Wirth  „Unterrichtsmaterial  für  den  mineralogischen 
Unterricht  in  der  V.  Klasse  der  humanistischen  Lehr- 
anstalten des  Königreichs  Bayern." 

1899:  Dr.  J.  G,  Brambs  „Studien  zu  den  Werken  Julians 
des  Apostaten."     II.  Teil.     (Cfr.   1897.) 

1900:  Friedrich  Degenhart  „Beiträge  zur  Charakteristik  des 
Stils  in  Zacharias  Werners  Dramen." 

1901:  Dr.  Arnold  Pischinger  „Der  Vogelgesing  bei  den 
griechischen  Dichtern  des  klassischen  Altertums.  Ein 
Beitrag  zur  Würdigung  des  Naturgefühls  der  antiken 
Poesie. " 

1902:  Franz  Wirth  „Schulgeologie  von  Bayern." 

1903:  Dr.  M.  Doell  „Die  Benützung  der  Antike  in  AVielanda 
„Moralischen  Briefen."  Beitrag  zur  Entwicklunga - 
(Jeschichte  der  deutschen  Literatur  im  18.  Jahrhundert." 


VfTijvilTrn. 


^ 


PA 

3015 

IJ4B56 


Pischinger,  Arnold 
Der  Vogelzug 


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